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-The Project Gutenberg eBook of Geschichte der Philosophie im Islam, by T.
-J. de Boer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Geschichte der Philosophie im Islam
-
-Author: T. J. de Boer
-
-Release Date: October 20, 2021 [eBook #54679]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-Produced by: Jeroen Hellingman and the Online Distributed Proofreading
- Team at http://www.pgdp.net/ for Project Gutenberg (This file
- was produced from images generously made available by The
- Internet Archive/American Libraries.)
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE IM
-ISLAM ***
-
-
-
- GESCHICHTE
- DER
- PHILOSOPHIE IM ISLAM
-
-
- von
-
- T. J. DE BOER.
-
-
- STUTTGART.
- FR. FROMMANNS VERLAG (E. HAUFF).
- 1901.
-
-
-
-
-
-
-
-
-VORWORT.
-
-
-Nach der vortrefflichen Skizze Munk's [1] ist dies der erste
-Versuch, die Geschichte der Philosophie im Islam im Zusammenhang
-vorzuführen. Ein neuer Anfang also, kein Abschluss möchte meine
-Arbeit sein. Nicht Alles, was auf diesem Gebiete vorgearbeitet,
-ist mir bekannt geworden und nicht alles Bekannte war mir
-zugänglich. Handschriftliches konnte nur ausnahmsweise benutzt werden.
-
-Der Darstellung wegen sind die Quellenbelege zurückgehalten. Nur wenn
-ich etwas fast wörtlich oder ohne Nachprüfung herübergenommen habe,
-ist das in den Noten bemerkt worden. Übrigens bedauere ich sehr, dass
-es jetzt nicht gehörig zur Anschauung kommen kann, was ich, für das
-Verständnis der Quellen, Männern wie Dieterici, de Goeje, Goldziher,
-Houtsma, Aug. Müller, Munk, Nöldeke, Renan, Snouck Hurgronje,
-Steinschneider, van Vloten und vielen, vielen anderen verdanke.
-
-Erst nach Abschluss dieser Arbeit ist eine interessante, auch über die
-Vorgeschichte der Philosophie im Islam sich verbreitende Monographie
-über Ibn Sina erschienen. [2] Sie gibt mir aber keine Veranlassung,
-meine Auffassung im ganzen zu ändern.
-
-Für alles Bibliographische verweise ich auf die Orientalische
-Bibliographie, Brockelmann's Geschichte der Arabischen Litteratur
-und die Litteraturnachweise bei Überweg-Heinze. Bei der Umschreibung
-arabischer Namen habe ich mehr auf Tradition und deutsche Aussprache
-als auf Konsequenz geachtet. Es sei nur bemerkt, dass das z als weiches
-s zu sprechen, und das th wie das englische. Im Personenregister
-bezeichnen Accente die Länge.
-
-So viel wie möglich hab' ich mich auf den Islam beschränkt. Deshalb
-sind Ibn Gebirol und Maimonides nur im Vorbeigehen genannt,
-andere jüdische Denker ganz übergangen, obgleich sie, philosophisch
-betrachtet, dem muslimischen Bildungskreise angehören. Der Schaden
-ist aber nicht gross. Denn über die jüdischen Philosophen ist schon
-viel geschrieben worden, während man bis jetzt die muslimischen Denker
-sehr vernachlässigt hat.
-
- Groningen (Niederlande).
-
- T. J. de Boer.
-
-
-
-
-
-
-
-
-INHALTSÜBERSICHT.
-
-
- Seite
-
-I. Zur Einleitung. 9-33
-
-1. Der Schauplatz 9
-
- 1. Das alte Arabien. 2. Die ersten
- Chalifen. Medina. Schiiten. 3. Die Omajjaden. Damaskus, Basra
- und Kufa. 4. Die Abbasiden. Bagdad. 5. Kleinstaaterei. Fall
- des Chalifates.
-
-2. Orientalische Weisheit 13
-
- 1. Semitische Spekulation. 2. Persische
- Religion. Zrwanismus. 3. Indische Weisheit.
-
-3. Griechische Wissenschaft 17
-
- 1. Die Syrer. 2. Die christlichen Kirchen. 3. Edessa
- und Nisibis. 4. Harran. 5. Gondeschapur. 6. Syrische
- Übersetzungen. 7. Die Philosophie bei den Syrern. 8. Arabische
- Übersetzungen. 9. Die Philosophie der Übersetzer. 10. Umfang der
- Überlieferung. 11. Fortsetzung des Neuplatonismus. 12. Das Buch
- vom Apfel. 13. Die Theologie des Aristoteles. 14. Aufnahme des
- Aristoteles. 15. Die Philosophie im Islam.
-
-
-II. Philosophie und arabisches Wissen 34-68
-
-1. Die Sprachwissenschaft 34
-
- 1. Die verschiedenen Wissenschaften. 2. Die arabische Sprache. Der
- Koran. 3. Die Grammatiker von Basra und Kufa. 4. Logische
- Grammatik. Metrik. 5. Sprachwissenschaft und Philosophie.
-
-2. Die Pflichtenlehre 38
-
- 1. Tradition und Freiheit. 2. Die Analogie. 3. Inhalt und Stellung
- der Pflichtenlehre. 4. Ethik und Politik.
-
-3. Die Glaubenslehre 42
-
- 1. Christliche Dogmatik. 2. Der Kalam. 3. Die
- Mutaziliten und ihre Gegner. 4. Menschliches und
- göttliches Wirken. 5. Gottes Wesen. 6. Offenbarung und
- Vernunft. 7. Abu-l-Hudhail. 8. Nazzam. 9. Dschahiz. 10. Muammar
- und Abu Haschim. 11. Aschari. 12. Der atomistische Kalam. 13. Die
- Mystik.
-
-4. Litteratur und Geschichte 63
-
- 1. Die Litteratur. 2. Abu-l-Atahia. Mutanabbi,
- Abu-l-Ala. Hariri. 3. Geschichtliche Überlieferung. 4. Masudi
- und Muqaddasi.
-
-
-III. Die pythagoreische Philosophie 69-89
-
-1. Die Naturphilosophie 69
-
- 1. Die Quellen. 2. Die mathematischen Disziplinen. 3. Die
- Naturwissenschaften. 4. Die Medizin. 5. Razi. 6. Die Dahriten.
-
-2. Die treuen Brüder von Basra 76
-
- 1. Die Karmaten. 2. Die Brüder und ihre
- Encyklopädie. 3. Eklektizismus. 4. Das Wissen. 5. Die
- Mathematik. 6. Die Logik. 7. Gott und Welt. 8. Die menschliche
- Seele. 9. Religionsphilosophie. 10. Die Ethik. 11. Wirkung der
- Encyklopädie.
-
-
-IV. Die neuplat. Aristoteliker des Ostens 90-137
-
-1. Kindi 90
-
- 1. Sein Leben. 2. Verhältnis zur Theologie. 3. Die
- Mathematik. 4. Gott, Welt, Seele. 5. Die Lehre vom Nus. 6. Kindi
- als Aristoteliker. 7. Die Schule Kindis.
-
-2. Farabi 98
-
- 1. Die Logiker. 2. Farabis Leben. 3. Verhältnis zu
- Platon und Aristoteles. 4. Die Philosophie. 5. Die
- Logik. 6. Das Seiende. Gott. 7. Die Himmelwelt. 8. Die
- irdische Welt. 9. Die menschliche Seele. 10. Der Geist
- im Menschen. 11. Die Ethik. 12. Die Politik. 13. Das
- zukünftige Leben. 14. Rückblick. 15. Wirkungen seiner
- Philosophie. Sidschistani.
-
-3. Ibn Maskawaih. 116
-
- 1. Seine Stellung. 2. Das Wesen der Seele. 3. Prinzipien der Ethik.
-
-4. Ibn Sina 119
-
- 1. Sein Leben. 2. Das Werk. 3. Philosophische Wissenschaften. Die
- Logik. 4. Metaphysik und Physik. 5. Anthropologie und
- Psychologie. 6. Die Vernunft. 7. Allegorische Darstellung
- der Vernunftlehre. 8. Geheimlehre. 9. Ibn Sinas
- Zeit. Beruni. 10. Behmenjar. 11. Das Fortleben Ibn Sinas.
-
-5. Ibn al-Haitham 133
-
-1. Der Zug nach Westen. 2. Ibn al-Haithams Leben und
-Werke. 3. Wahrnehmung und Erkenntnis. 4. Nachwirkung.
-
-
-V. Der Ausgang der Philosophie im Osten 138-152
-
-1. Gazali 138
-
- 1. Dialektik und Mystik. 2. Gazalis Leben. 3. Stellung zu seiner
- Zeit. 4. Die Welt. 5. Gott und Vorsehung. 6. Der Mensch. 7. Gazalis
- Theologie. 8. Erfahrung und Offenbarung. 9. Rückblick.
-
-2. Die Kompendienschreiber 150
-
- 1. Stellung der Philosophie. 2. Philosophische Bildung.
-
-
-VI. Die Philosophie im Westen 153-176
-
-1. Die Anfänge 153
-
- 1. Die Omajjadenzeit. 2. Das elfte Jahrhundert.
-
-2. Ibn Baddscha 156
-
- 1. Die Almoraviden. 2. Ibn Baddschas
- Leben. 3. Charakteristik. 4. Logik und Metaphysik. 5. Seele und
- Geist. 6. Der einzelne Mensch.
-
-3. Ibn Tofail 160
-
- 1. Die Almohaden. 2. Ibn Tofails Leben. 3. Hai ibn Jaqzan. 4. Hai
- und die Entwicklung der Menschheit. 5. Hai's Ethik.
-
-4. Ibn Roschd 165
-
- 1. Sein Leben. 2. Ibn Roschd und Aristoteles. 3. Logik. Erkenntnis
- der Wahrheit. 4. Die Welt und Gott. 5. Körper und Geist. 6. Geist
- und Geister. 7. Rückblick. 8. Praktische Philosophie.
-
-
-VII. Zum Schluss 177-188
-
-1. Ibn Chaldun 177
-
- 1. Die Zeitverhältnisse. 2. Das Leben Ibn Chalduns. 3. Philosophie
- und Welterfahrung. 4. Geschichtsphilosophie. Historische
- Methode. 5. Gegenstand der Geschichte. 6. Charakteristik.
-
-2. Die Araber und die Scholastik 184
-
- 1. Politische Lage. Die Juden. 2. Palermo und Toledo. 3. Die
- Araber in Paris.
-
-
-
-
-
-
-
-
-I. ZUR EINLEITUNG.
-
-
-1. Der Schauplatz.
-
-1. Von alters her war, wie heutzutage, die arabische Wüste der
-Tummelplatz unabhängiger Beduinenstämme. Mit freiem, gesundem
-Sinn blickten diese in ihre einförmige Welt hinein, deren höchster
-Reiz der Beutezug, deren geistiger Schatz die Stammesüberlieferung
-war. Weder die Errungenschaften geselliger Arbeit noch die Gaben
-schöner Muße waren ihnen bekannt. Nur an den Rändern der Wüste wurde,
-in Staatenbildungen, die oft von den Überfällen jener Beduinen zu
-leiden hatten, eine höhere Stufe der Gesittung erreicht. So war es im
-Süden, wo in christlicher Zeit unter abyssinischer oder persischer
-Oberhoheit das alte Reich der Königin von Saba fortbestand. Im
-Westen lagen an einer alten Handelsstraße Mekka und Medina (Jathrib),
-und besonders Mekka mit seinem Markte im Schutze eines Tempels war
-ein Mittelpunkt regen Verkehrs. Im Norden endlich hatten sich zwei
-halbsouveräne Staaten unter arabischen Fürsten gebildet: gegen Persien
-hin das Reich der Lachmiden in Hira und gegen Byzanz der Gassaniden
-Herrschaft in Syrien. Aber in Sprache und Poesie stellte sich schon
-vor Mohammed einigermaßen die Einheit der arabischen Nation dar. Die
-Dichter waren die Wissenden ihres Volkes. Ihre Zaubersprüche galten
-zunächst den Stämmen als Orakel. Doch ging ihre Wirkung wohl oft über
-den eigenen Stamm hinaus.
-
-2. Mohammed und seinen nächsten Nachfolgern, Abu Bekr, Omar, Othman
-und Ali (622-661) ist es nun gelungen, die freien Wüstensöhne
-zusammen mit den gesitteteren Bewohnern der Küstenstriche für ein
-gemeinsames Unternehmen zu begeistern. Diesem Ereignis verdankt der
-Islam seine Weltstellung. Denn Allah zeigte sich groß und für die
-Ihm sich Ergebenden (Muslime) war die Welt gar klein. In kurzer Zeit
-wurde ganz Persien erobert und verlor das oströmische Reich seine
-schönsten Provinzen: Syrien und Ägypten.
-
-Medina war der Sitz der ersten Chalifen oder Stellvertreter des
-Propheten. Aber Mohammeds tapferer Schwiegersohn, Ali, und dessen Söhne
-unterlagen Moawia, dem klugen Statthalter von Syrien. Seit der Zeit
-besteht die Partei des Ali (Schiiten), die unter mancherlei Wandlungen,
-bald unterworfen, bald an einzelnen Stellen zur Herrschaft gelangt,
-ihr Wesen in der Geschichte treibt, bis sie sich (1502) im persischen
-Reich endgültig gegen den sunnitischen Islam abschließt.
-
-In ihrem Kampfe gegen die weltliche Macht haben die Schiiten sich aller
-möglichen Waffen, auch der Wissenschaft bedient. Schon früh erscheint
-unter ihnen die Partei der Kaisaniten, die dem Ali und seinen Erben
-eine übermenschliche Geheimwissenschaft zuschreibt, ein Wissen, mit
-dessen Hilfe der innere Sinn der göttlichen Offenbarung erst klar
-werde, das aber auch von seinen Adepten nicht weniger Glauben und
-unbedingten Gehorsam gegen die Träger solchen Wissens erfordert als
-der Buchstabe des Korans. (Vgl. III, 2 § 1.)
-
-3. Nach dem Siege Moawias, der Damaskus zur Hauptstadt des muslimischen
-Reiches machte, lag die Bedeutung Medinas hauptsächlich auf geistigem
-Gebiete. Es musste sich damit begnügen, zum Teil unter jüdischen
-und christlichen Einflüssen, die Wissenschaft des Gesetzes und der
-Tradition zu pflegen. In Damaskus aber führten die Omajjaden (661-750)
-ihr weltliches Regiment. Unter ihrer Herrschaft dehnte sich das Reich
-vom atlantischen Meere bis über die Grenzen Indiens und Turkestans
-aus, vom südlichen Meere bis an den Kaukasus und vor die Mauern von
-Konstantinopel. Damit war aber auch die weiteste Ausdehnung erreicht.
-
-Araber nahmen jetzt überall die führende Stellung ein. Sie
-bildeten eine militärische Aristokratie und der schlagendste
-Beweis für ihren Einfluss ist dies, dass unterworfene Völker mit
-alter, überlegener Kultur die Sprache der Sieger annahmen. Die
-arabische Sprache wurde die Sprache des Staates und der Religion,
-der Poesie und der Wissenschaft. Während aber die hohen Staats-
-und Militärämter vorzugsweise von Arabern verwaltet wurden, blieb
-es zunächst Nichtarabern und Mischlingen überlassen, Künste und
-Wissenschaften zu pflegen. In Syrien ging man bei Christen in die
-Schule. Die Hauptstätten geistiger Bildung aber wurden Basra und
-Kufa, in denen Araber und Perser, Muslime, Christen, Juden und Magier
-zusammenstießen. Dort, wo Handel und Gewerbe aufblühten, sind, unter
-hellenistisch-christlichen und persischen Einflüssen entstanden,
-die Anfänge weltlicher Wissenschaft im Islam zu suchen.
-
-4. Den Omajjaden folgten die Abbasiden (750-1258) nach. Diese machten,
-um zur Herrschaft zu gelangen, dem Persertum Konzessionen und benutzten
-religiös-politische Bewegungen. Nur in dem ersten Jahrhundert ihrer
-Regierung (bis etwa 860) mehrte oder hielt sich noch die Größe
-des Reiches, als dessen Mittelpunkt Mansur, der zweite Herrscher
-dieses Hauses, im Jahre 762 Bagdad gründete, eine Stadt, die bald an
-weltlichem Glanze Damaskus und als Leuchte des Geistes Basra und Kufa
-überstrahlte. Nur mit Konstantinopel war sie zu vergleichen. In Bagdad,
-an dem Hofe Mansurs (754-775), Haruns (786-809), Mamuns (813-833)
-u. s. w. fanden sich, besonders aus den nordöstlichen Provinzen,
-Dichter und Gelehrte zusammen. Mehrere Abbasiden liebten weltliche
-Bildung, sei es an sich oder zur Ausschmückung ihres Hofes, und wenn
-sie oft auch den Wert der Künstler und Gelehrten nicht erkannt haben
-mögen, so wussten doch diese die materiellen Güter ihrer Herren wohl
-zu schätzen.
-
-Wenigstens seit der Zeit Haruns bestand in Bagdad eine Bibliothek und
-eine Gelehrtenanstalt. Schon unter Mansur, besonders aber unter Mamun
-und seinen Nachfolgern, wurde dann die wissenschaftliche Litteratur
-der Griechen, meistens durch syrische Vermittelung, in die arabische
-Sprache übertragen. Auch Kompendien und Erläuterungen dazu wurden
-verfasst.
-
-Als diese gelehrte Arbeit ihren höchsten Aufschwung nahm, war
-die Herrlichkeit des Reiches im Niedergang begriffen. Die alten
-Stammesfehden, die unter den Omajjaden nie geruht hatten, waren
-scheinbar einer festgefügten Einheit des Staates gewichen. Aber es
-dauerten in verschärftem Maße andere Streitigkeiten fort, theologische
-und metaphysische Zänkereien, wie sie ähnlich den Verfall des
-oströmischen Reiches begleiteten. Der Staatsdienst brauchte in der
-orientalischen Despotie nur wenig befähigte Köpfe. Viele junge Kräfte
-gingen im üppigen Genusse unter, andere verfielen auf Wortkünstelei
-und Scheingelehrsamkeit. Zur Verteidigung des Reiches dagegen zog man
-die frische Kraft weniger überbildeter Völker heran: zuerst iranische
-oder iranisierte Chorasaner, darauf Türken.
-
-5. Immer deutlicher zeigte sich des Reiches Verfall. Die
-Machtstellung des Türkenheeres, Aufstände städtischen Pöbels und
-ländlicher Arbeiter, schiitische und ismaelitische Umtriebe überall,
-dazu die Selbständigkeitsgelüste der entfernten Provinzen waren
-entweder die Ursachen oder die Symptome des Untergangs. Neben dem
-Chalifen, der zum geistlichen Würdenträger herabsank, herrschten
-die Türken als Hausmeier. Und an der Peripherie entstanden nach
-und nach selbständige Staaten, bis zu einer ganz entsetzlichen
-Kleinstaaterei. Die wichtigsten, mehr oder weniger unabhängigen
-Herrscher waren im Westen, abgesehen von den spanischen Omajjaden
-(vgl. VI, 1), die Aglabiden Nordafrikas, die Tuluniden und Fatimiden
-Ägyptens und die Hamdaniden Syriens und Mesopotamiens; im Osten die
-Tahiriden und Samaniden, allmählich von den Türken verdrängt. An den
-Höfen dieser kleinen Dynastien sind in der nächsten Zeit (10. und
-11. Jahrh.) die Dichter und Gelehrten zu finden. Mehr als Bagdad
-machen sich auf kurze Zeit Haleb (Aleppo), der Sitz der Hamdaniden,
-und auf längere Zeit Kairo, im Jahre 969 von den Fatimiden erbaut,
-als Heimstätten geistiger Bestrebungen geltend. Im Osten glänzt noch
-einen Augenblick der Hof des Türken Machmud von Ghazna, der seit dem
-Jahre 999 Herr von Chorasan war.
-
-In diese Zeit der Kleinstaaterei und der Türkenwirtschaft fällt auch
-die Gründung der muslimischen Universitäten. Im Jahre 1065 wurde
-die erste in Bagdad errichtet. Seit der Zeit besitzt der Orient die
-Wissenschaft nur in stereotypen Auflagen. Der Lehrer hat gelehrt,
-was ihm von seinen Lehrern überliefert worden, und jedes neue Buch
-enthält kaum einen Satz, der nicht schon in älteren Büchern stände. Die
-Wissenschaft ist gerettet. Aber die Gelehrten Transoxaniens, die,
-der Überlieferung nach, als sie die Gründung der ersten Madrasah
-erfuhren, eine Trauerfeier zu Ehren der Wissenschaft veranstalteten,
-haben Recht behalten. [3]
-
-Über die östlichen Länder des Islam brauste dann (13. Jahrh.) der
-Mongolensturm dahin. Was der Türke übrig gelassen, raffte dieser
-hinweg. Es blühte da keine Kultur wieder auf, die aus sich heraus eine
-neue Kunst hervortrieb oder zu einer Erneuerung der Wissenschaft die
-Anregung darbot.
-
-
-
-
-2. Orientalische Weisheit.
-
-1. Vor seiner Berührung mit dem Hellenismus hat der semitische Geist,
-in philosophischer Hinsicht, es nie weiter als zu Rätselfragen
-und Spruchweisheit gebracht. Einzelbeobachtungen aus der Natur,
-hauptsächlich aber aus Leben und Schicksal des Menschen, liegen zu
-Grunde, und wo das Verständnis aufhört, stellt sich leicht die Ergebung
-in den allmächtigen und unergründlichen Willen Gottes ein. Wir kennen
-diese Weisheit aus dem Alten Testament. Dass sie sich ähnlich bei den
-Arabern ausbildete, zeigen uns die biblische Geschichte der Königin von
-Saba und die Gestalt des weisen Loqman in der arabischen Überlieferung.
-
-Neben solcher Weisheit gab es überall die Magie des Zauberers, ein
-Wissen, das sich in der Herrschaft über die Dinge bewährte. Aber nur
-in den priesterlichen Kreisen Alt-Babyloniens, unter welchen Einflüssen
-und in welchem Umfange wissen wir nicht genau, erhob man sich zu einer
-wissenschaftlicheren Betrachtung der Welt. Vom Wirrsal des Erdendaseins
-wandte dort das Auge sich der himmlischen Ordnung zu. Nicht wie der
-Hebräer, der über ein gewisses Staunen nicht hinwegkam [4] oder in den
-unzähligen Gestirnen nur ein Sinnbild eigener Nachkommenschaft sah [5],
-sondern ähnlich dem Griechen, der das Viele und Mannigfaltige unter dem
-Monde erst verstehen lernte, nachdem er in der Einheit und Stetigkeit
-der Himmelsbewegung die Harmonie des Alls gefunden hatte. Nur dass
-sich mit dem Guten, wie es denn im Hellenismus nicht anders war,
-viel mythologisches Spiel und astrologisches Afterwissen verschlangen.
-
-Diese chaldäische Weisheit wurde in Babylonien und Syrien seit
-den Tagen Alexanders des Großen mit hellenistischen, später mit
-hellenistisch-christlichen Ideen durchsetzt oder davon verdrängt. Nur
-in der syrischen Stadt Harran hielt sich bis in die Zeit des Islam das
-alte Heidentum, von christlichen Einflüssen wenig berührt. (Vgl. I,
-3 § 4.)
-
-2. Bedeutender als etwaige semitische Überlieferung war es, was dem
-Islam von persischer und indischer Weisheit zugeführt wurde. Auf die
-Frage, ob die orientalische Weisheit von griechischer Philosophie,
-oder diese von jener ursprünglich beeinflusst sei, brauchen wir
-hier nicht einzugehen. Was der Islam graden Weges Persern und Indern
-entnommen hat, lässt sich aus den arabischen Quellen mit ziemlicher
-Sicherheit ersehen, und auf dieses dürfen wir uns beschränken.
-
-Persien ist das Land des Dualismus, und es ist nicht unwahrscheinlich,
-dass seine dualistische Religionslehre, sei es direkt, sei es durch
-Vermittelung des Manichäismus oder anderer gnostischer Sekten, auf
-die theologischen Streitigkeiten im Islam eingewirkt habe. Viel
-größer aber ist in weltlichen Kreisen der Einfluss desjenigen
-Systems gewesen, das der Überlieferung nach unter dem Sasaniden
-Jezdegerd II. (438/9-457) sogar zur öffentlichen Anerkennung kam, des
-Zrwanismus (vgl. III, 1 § 6). In diesem System war die dualistische
-Weltansicht dadurch aufgehoben, dass als oberstes Prinzip die endlose
-Zeit (zrwan, arab. dahr) aufgestellt und mit dem Geschick, der
-äußersten Himmelssphäre oder der Bewegung des Himmels identifiziert
-wurde. Diese Lehre, die philosophischen Köpfen zusagte, hat sich,
-mit oder ohne die Maske des Islam, in der persischen Litteratur und
-bis auf unsere Zeit in den volkstümlichen Anschauungen einen großen
-Platz zu erhalten gewusst. Von den Theologen aber und nicht weniger
-von der idealistischen Schulphilosophie wurde sie als Materialismus,
-Atheismus u. s. w. abgewiesen.
-
-3. Als das wahre Land der Weisheit galt Indien. Vielfach findet
-sich bei den arabischen Schriftstellern die Anschauung, dort sei
-die Geburtsstätte der Philosophie zu finden. Durch friedlichen
-Handelsverkehr, dessen Vermittler zwischen Indien und dem Abendlande
-hauptsächlich Perser waren, dann infolge der muslimischen Eroberung
-verbreitete sich die Kenntnis indischer Weisheit. Unter Mansur
-(754-775) und Harun (786-809) wurde vieles davon, teils durch die
-Mittelstufe des Persischen (Pahlawi) hindurch, teils direkt aus dem
-Sanskrit übersetzt. Von der ethischen und politischen Spruchweisheit,
-aus Fabel und Erzählung der Inder, ward manches herübergenommen, so
-die von Ibn al-Moqaffa zu Mansurs Zeit aus dem Pahlawi übersetzten
-Erzählungen des Pantschatantra u. A. An erster Stelle aber wirkten
-indische Mathematik und Astrologie, letztere in Verbindung mit
-praktischer Medizin und Zauberkunst, auf die Anfänge der Weltweisheit
-im Islam. Die Astrologie des Siddhanta von Brahmagupta, unter Mansur
-mit Hilfe indischer Gelehrten von Fazari aus dem Sanskrit übersetzt,
-war noch vor des Ptolemäus Almagest bekannt. Eine weite Welt, in
-Vergangenheit und Zukunft, that sich da auf. Die hohen Zahlen, mit
-denen der Inder operierte, erzeugten auf die nüchternen muslimischen
-Annalisten einen gewaltigen, verwirrenden Eindruck, wie andererseits
-der arabische Kaufmann, der in Indien und China das Alter unserer
-erschaffenen Welt auf einige Tausend Jahre ansetzte, sich im höchsten
-Grade lächerlich machte.
-
-Auch die logischen und metaphysischen Spekulationen der Inder
-sind den Muslimen nicht unbekannt geblieben, aber viel weniger
-als Mathematik und Astrologie haben diese die wissenschaftliche
-Entwicklung beeinflusst. Die Grübeleien der Inder, an ihre heiligen
-Bücher anknüpfend und durchaus religiös bestimmt, haben gewiss auf
-persisches Sufitum und islamische Mystik nachhaltig eingewirkt. Aber
-Philosophie ist nun einmal ein griechischer Begriff und es geht
-nicht an, einem Tagesgeschmack zu liebe, in unserer Darstellung den
-Kuhmilchgedanken frommer Inder allzuviel Platz einzuräumen. Was
-jene sinnigen Büßer über den täuschenden Schein alles Sinnlichen
-vorgebracht haben, mag oft einen poetischen Reiz besitzen, stimmt auch
-wohl zu dem, was dem Osten aus neupythagoreischen und neuplatonischen
-Quellen an Betrachtungen über die Vergänglichkeit alles Irdischen
-zugänglich war, hat aber, ebensowenig wie dieses, etwas Erhebliches
-zur Erklärung der Erscheinungen, zur Erweckung wissenschaftlichen
-Sinnes beigetragen. Nicht indischer Phantasie, sondern griechischen
-Geistes bedurfte es dazu, das Nachdenken auf die Erkenntnis des
-Wirklichen zu richten. Das beste Beispiel dafür ist die arabische
-Mathematik. Nach dem Urteile ihrer besten Kenner ist indisch darin
-fast nur die Rechenkunst, griechisch, wenn auch nicht ausschließlich,
-doch vorwiegend, die Algebra und die Geometrie. Zum Begriffe reiner
-Mathematik ist wohl kaum ein Inder durchgedrungen. Die Zahl, auch
-die höchste, blieb doch immer eine konkrete. Und in der indischen
-Philosophie blieb das Wissen überhaupt ein Mittel. Zweck war die
-Erlösung vom Übel des Daseins, die Philosophie Anleitung zum seligen
-Leben. Daher die Monotonie dieser auf das einheitliche Wesen aller
-Dinge gerichteten Weisheit, der gegenüber die reichgegliederte
-Wissenschaft der Hellenen die Wirkungen der Natur und des Geistes
-allseitig zu erfassen bestrebt war.
-
-Orientalische Weisheit, Astrologie und Kosmologie, hat den
-muslimischen Denkern mancherlei Stoff geliefert, aber die Form,
-das bildende Prinzip, kam ihnen von den Griechen her. Überall, wo es
-sich nicht um bloßes Aufzählen oder zufälliges Zusammenreihen handelt,
-sondern nach sachlichen oder logischen Gesichtspunkten eine Anordnung
-des Mannigfaltigen versucht wird, darf mit Wahrscheinlichkeit auf
-griechischen Einfluss geschlossen werden.
-
-
-
-
-3. Griechische Wissenschaft.
-
-1. Wie die Perser hauptsächlich den Handelsverkehr zwischen
-Indien-China und Byzanz leiteten, so traten im fernen Westen, bis
-ins Frankenreich, die Syrer als Kulturvermittler auf. Es waren Syrer,
-die Wein, Seide u. s. w. ins Abendland einführten. Aber es waren auch
-Syrer, die griechische Bildung aus Alexandrien und Antiochien nach
-Osten hin verbreiteten und in den Schulen von Edessa und Nisibis,
-Harran und Gondeschapur fortpflanzten. Syrien war das richtige Land
-der Mitte, wo Jahrhunderte lang die beiden Weltmächte, die römische
-und die persische, feindlich oder friedlich zusammenstießen. Unter
-solchen Umständen spielten die christlichen Syrer eine Rolle, wie
-sie ähnlich später den Juden zu teil ward.
-
-2. Die muslimischen Eroberer fanden die christliche Kirche,
-abgesehen von vielen Sekten, in drei Abteilungen gespalten. Im
-eigentlichen Syrien herrschte neben der orthodoxen Reichskirche
-die monophysitische, in Persien die nestorianische Kirche vor. Der
-Unterschied zwischen den Lehrsystemen dieser Kirchen ist wohl
-nicht ohne Bedeutung für die Entwicklung der muslimischen Dogmatik
-gewesen. Nach der Lehre der Monophysiten waren in Christus Gott
-und Mensch zu einer Natur vereinigt, während die Orthodoxen
-und viel schärfer noch die Nestorianer eine göttliche und eine
-menschliche Natur unterschieden. Nun heißt Natur vor allem Energie
-oder Wirkungsprinzip. Es handelt sich um die Frage, ob göttliches
-und menschliches Wollen und Wirken in Christus ein und dasselbe
-seien oder verschieden. Die Monophysiten hoben, aus spekulativen
-und religiösen Motiven, auf Kosten des Menschlichen die Einheit in
-Christus, ihrem Gotte, hervor, die Nestorianer dagegen betonten die
-Eigenart menschlichen Seins, Wollens und Wirkens dem göttlichen
-gegenüber. Letzteres aber bietet, unter Begünstigung politischer
-und kultureller Verhältnisse, einer philosophischen Welt- und
-Lebensbetrachtung freieren Spielraum, und thatsächlich haben die
-Nestorianer am meisten für die Pflege griechischer Wissenschaft gethan.
-
-3. Die Sprache sowohl der westlichen als auch der östlichen
-(persischen) Kirche war das Syrische. Daneben aber wurde in
-den Klosterschulen das Griechische gelehrt. In der westlichen
-(monophysitischen) Kirche sind Rasain und Kinnesrin als Stätten der
-Bildung zu nennen. Bedeutender war, wenigstens anfangs, die Schule von
-Edessa, wie denn auch der edessenische Dialekt sich zur Schriftsprache
-erhoben hatte. Aber im Jahre 489 ward die dortige Schule wegen der
-nestorianischen Gesinnung ihrer Lehrer geschlossen. Sie that sich dann
-in Nisibis wieder auf und verbreitete in Persien, aus politischen
-Gründen von den Sasaniden begünstigt, nestorianischen Glauben und
-griechisches Wissen.
-
-Der Unterricht in jenen Schulen hatte vorzugsweise biblisch-kirchlichen
-Charakter und war auf kirchliche Bedürfnisse berechnet. Aber es nahmen
-auch Ärzte oder künftige Studenten der Medizin daran teil. Dass
-diese oft dem geistlichen Stande angehörten, hebt den Unterschied
-zwischen theologischem Studium und der Beschäftigung mit weltlichem
-Wissen nicht auf. Zwar haben, nach dem syrisch-römischen Rechtsbuch,
-die Lehrer (gelehrten Priester) und Ärzte Steuerfreiheit und andere
-Privilegien gemeinsam. Aber dass die ersteren als Heilkünstler der
-Seele betrachtet wurden, während die Ärzte bloß den Leib zu flicken
-hatten, begründete den Vorzug jener vor diesen. Die Medizin blieb doch
-immer etwas Weltliches, und nach den Statuten der Schule zu Nisibis
-(vom Jahre 590) durften die heiligen Schriften nicht mit Büchern des
-weltlichen Gewerbes in einem Raume zusammen gelesen werden.
-
-In ärztlichen Kreisen wurden die Werke des Hippokrat, Galen und
-Aristoteles sehr geschätzt. In den Klöstern aber verstand man unter
-Philosophie zunächst das beschauliche Leben des Asketen und achtete
-nur auf das Eine, das not thut.
-
-4. Eine eigentümliche Stellung nimmt die mesopotamische Stadt Harran,
-in der Nähe Edessas, ein. Altsemitisches Heidentum verknüpft sich hier,
-besonders nach der arabischen Eroberung, als die Stadt neu emporblühte,
-mit mathematischen und astronomischen Studien und neupythagoreischer
-und neuplatonischer Spekulation. Die Harranier oder Sabier, wie sie
-im 9. und 10. Jahrhundert heißen, führen ihre mystische Weisheit auf
-Hermes Trismegistos, Agathodaemon, Uranius u. A. zurück. Zahlreiche
-Pseudepigraphen des späteren Hellenismus werden von ihnen gläubig
-aufgenommen, einzelnes wird vielleicht in ihrem Kreise fabriziert. Als
-Übersetzer und gelehrte Schriftsteller sind einige aus ihrer Mitte
-thätig gewesen. Viele haben mit persischen und arabischen Gelehrten
-des achten bis zehnten Jahrhunderts einen regen wissenschaftlichen
-Verkehr unterhalten.
-
-5. In Persien, zu Gondeschapur, finden wir eine von Chosrau Anoscharwan
-(531-579) gegründete Anstalt für philosophische und medizinische
-Studien. Ihre Lehrer waren hauptsächlich nestorianische Christen. Aber
-außer den Nestorianern duldete der weltlicher Bildung geneigte Fürst
-auch Monophysiten. Besonders als Mediziner waren damals, wie später
-am Hofe der Chalifen, christliche Syrer in Ehren.
-
-Auch die im Jahre 529 aus Athen vertriebenen sieben Philosophen
-der neuplatonischen Schule fanden am Hofe Chosraus eine
-Zufluchtsstätte. Sie mögen aber dort ähnliche Erfahrungen gemacht
-haben, wie die französischen Freigeister des vorigen Jahrhunderts
-am russischen Hofe. Jedenfalls sehnten sie sich nach der Heimat
-zurück. Und der König war freisinnig und großmütig genug, sie gehen
-zu lassen und für sie im Friedensvertrage mit Byzanz vom Jahre 549
-Glaubensfreiheit zu bedingen. Ganz ohne Einfluss wird ihr Aufenthalt
-im persischen Reich doch wohl nicht geblieben sein.
-
-6. Die Zeit der syrischen Übersetzungen profaner Schriften aus dem
-Griechischen läuft etwa vom vierten bis zum achten Jahrhundert. Im
-vierten Jahrhundert wurden Spruchsammlungen übertragen. Als erster
-mit Namen genannter Übersetzer erscheint Probus, "Priester und Arzt
-in Antiochien" (erste Hälfte des fünften Jahrhunderts?). Vielleicht
-war er auch nur Erklärer logischer Schriften des Aristoteles
-und der Isagoge des Porphyrius. Bekannter ist Sergius von Rasain
-(gestorben, wahrscheinlich in Konstantinopel, um 536, etwa 70 Jahre
-alt), ein mesopotamischer Mönch und Arzt, der den ganzen Umfang der
-alexandrinischen Wissenschaft, vielleicht in Alexandrien selbst,
-studierte und dessen Übersetzungen nicht nur auf Theologie, Moral und
-Mystik, sondern mehr noch auf Physik, Medizin und Philosophie sich
-erstreckten. Auch nach der muslimischen Eroberung wurde die gelehrte
-Thätigkeit der Syrer fortgesetzt. Jakob von Edessa (etwa 640-708)
-übersetzte griechisch-theologische Schriften, befasste sich aber
-außerdem mit Philosophie und erklärte auf eine diesbezügliche Anfrage,
-es sei christlichen Geistlichen erlaubt, Kindern von muslimischen
-Eltern gelehrten Unterricht zu erteilen. Bei den letzteren war also
-ein Bildungsbedürfnis vorhanden.
-
-Die Übersetzungen der Syrer, namentlich des Sergius von Rasain,
-sind im allgemeinen treu; die logischen und naturwissenschaftlichen
-aber entsprechen dem Original genauer, als die ethischen und
-metaphysischen. In diesen gab es eben viel Dunkles, das missverstanden
-oder einfach weggelassen, und viel Heidnisches, das durch Christliches
-ersetzt ward. Für Sokrates, Platon und Aristoteles (als Beispiele)
-traten wohl einmal Petrus, Paulus und Johannes ein. Das Schicksal
-und die Götter mussten dem Einen Gotte weichen. Und Begriffe wie
-Welt, Ewigkeit, Sünde und dergleichen erhielten ein christliches
-Gepräge. Übrigens sind die Araber mit der Anpassung an ihre Sprache,
-Kultur und Religion später viel weiter gegangen als die Syrer. Teils
-lässt sich das wohl aus der muslimischen Scheu vor allem Heidnischen,
-teils aber auch aus einer größeren Anpassungsfähigkeit erklären.
-
-7. Abgesehen von einigen mathematischen, physischen und medizinischen
-Schriften haben die Syrer sich für ein Zweifaches interessiert. Erstens
-für moralisierende Spruchsammlungen, mit etwas Philosophiegeschichte
-verbunden, und im allgemeinen für mystische pythagoreisch-platonische
-Weisheit. Diese findet sich hauptsächlich in Pseudepigraphen, die den
-Namen des Pythagoras, Sokrates, Plutarch, Dionysius u. A. tragen. Im
-Mittelpunkte des Interesses steht eine platonische Seelenlehre,
-in späterer pythagoreischer, neuplatonischer oder christlicher
-Bearbeitung. Platon wird in den syrischen Klöstern sogar zu einem
-orientalischen Mönch, der sich eine Zelle im Herzen der Wildnis
-erbaute, weitab von den Wohnsitzen der Menschen, und dort, nach
-dreijährigem Schweigen und Grübeln über einen Bibelvers, die göttliche
-Dreieinigkeit erkannt haben soll.
-
-Dazu kam denn als Zweites die Logik des Aristoteles. Aristoteles war
-den Syrern, wie längere Zeit auch den Arabern, fast nur als Logiker
-allgemein bekannt. Die Bekanntschaft erstreckte sich, ähnlich wie in
-der Frühscholastik des Abendlandes, auf Kategorien, Hermeneutik und
-erste Analytik bis zu den kategorischen Figuren. Der Logik bedurfte
-man schon, um die Schriften griechischer Kirchenlehrer zu verstehen,
-da dieselben, wenigstens formal, davon beeinflusst waren. Wie man aber
-die Logik nicht vollständig hatte, so besaß man sie auch nicht rein,
-sondern in neuplatonischer Überarbeitung, wie z. B. ersichtlich ist aus
-dem Werke des Paulus Persa, welches in syrischer Sprache für Chosrau
-Anoscharwan geschrieben wurde. Es wird darin das Wissen über den
-Glauben gestellt und die Philosophie definiert als die Selbstbesinnung
-der Seele auf ihr inneres Wesen, in dem sie, gleichsam wie ein Gott,
-alle Dinge erblickt.
-
-8. Was die Araber den Syrern verdanken, spricht sich u. a. darin
-aus, dass arabische Gelehrte das Syrische für die älteste oder
-richtige (natürliche) Sprache hielten. Zwar haben die Syrer
-Selbständiges nicht geschaffen, aber ihre Übersetzerthätigkeit
-kam der arabisch-persischen Wissenschaft zu gute. Es sind fast
-ohne Ausnahme Syrer gewesen, die vom 8. bis 10. Jahrhundert aus
-den älteren oder den von ihnen teils verbesserten, teils neu
-veranstalteten syrischen Übersetzungen die griechischen Werke ins
-Arabische übertrugen. Schon der omajjadische Prinz Chalid ibn Jezid
-(gest. 704), der sich unter Leitung eines christlichen Mönches mit der
-Alchemie befasste, soll Übersetzungen alchemistischer Werke aus dem
-Griechischen ins Arabische veranstaltet haben. Sprichwörter, Gnomen,
-Briefe, Testamente, überhaupt Philosophiegeschichtliches, wurden
-schon früh gesammelt und übersetzt. Aber erst unter Mansur wurde
-damit angefangen, naturwissenschaftlich-medizinische und logische
-Schriften der Griechen, zum Teil aus dem Pahlawi, ins Arabische
-zu übertragen. Besonders beteiligte sich daran Ibn al-Moqaffa, ein
-Anhänger des persischen Dualismus, von dem die Späteren sich durch
-ihre Terminologie unterschieden haben sollen. Es ist uns aber von
-seinen philosophischen Übersetzungen nichts erhalten. Auch anderes aus
-dem achten Jahrhundert ist verloren gegangen; erst aus dem neunten
-Jahrhundert, aus der Zeit Mamuns und seiner Nachfolger, ist einiges
-Übersetzte auf uns gekommen.
-
-Die Übersetzer des neunten Jahrhunderts waren meistens Mediziner
-und nach Ptolomäus und Euklid wurden Hippokrat und Galen mit
-am ersten übertragen. Beschränken wir uns auf die Philosophie
-im engeren Sinne. Von Juhanna oder Jachja ibn Bitriq (Anfang des
-neunten Jahrhunderts) soll eine Übersetzung des platonischen Timäus
-herrühren, ferner Aristoteles' Meteorologie, das Buch der Tiere,
-ein Auszug aus der Psychologie und die Schrift Über die Welt. Dem
-Abdalmasich ibn Abdallah Naima al-Himsi (um 835) wird zugeschrieben
-eine Übertragung der aristotelischen Sophistik, dazu des Johannes
-Philoponus Kommentar zur Physik und die sogenannte Theologie des
-Aristoteles, ein paraphrastischer Auszug aus Plotin's Enneaden. Qosta
-ibn Luqa al-Balabakki (um 835) soll übersetzt haben Alexanders von
-Aphrodisias und Johannes Philoponus' Kommentare zur aristotelischen
-Physik, zum Teil Alexanders Kommentar zu de generatione et corruptione,
-dazu Pseudo-Plutarchs placita philosophorum u. A.
-
-Die fruchtbarsten Übersetzer waren Abu Zaid Honain ibn Ishaq
-(809?-873), dessen Sohn Ishaq ibn Honain (gest. 910 oder 911) und Neffe
-Hobaisch ibn al-Hasan. Da sie zusammen arbeiteten, gibt es vieles, das
-bald dem Einen, bald dem Anderen zugeschrieben wird. Manches wird unter
-ihrer Aufsicht von Schülern und Untergebenen angefertigt sein. Ihre
-Thätigkeit dehnte sich auf den ganzen Umfang der damaligen Wissenschaft
-aus. Älteres wurde verbessert, Neues hinzugefügt. Der Vater übersetzte
-vorzugsweise Medizinisches, der Sohn aber mehr Philosophisches.
-
-Im zehnten Jahrhundert dauerte noch die Arbeit der Übersetzer fort. Es
-zeichneten sich besonders aus Abu Bischr Matta ibn Junus al-Qannai
-(gest. 940), Abu Zakarija Jachja ibn Adi al-Mantiqi (gest. 974) und Abu
-Ali Isa ibn Ishaq ibn Zura (gest. 1008). Endlich Abu-l-Chair al-Hasan
-ibn al-Chammar (geb. 942), ein Schüler des Jachja ibn Adi, von dem,
-ausser Übersetzungen, Kommentaren u. s. w., auch eine Schrift über
-die Übereinstimmung zwischen Philosophie und Christentum genannt wird.
-
-Die Thätigkeit der Übersetzer seit Honain ibn Ishaq beschränkte sich
-fast ganz auf die aristotelischen und pseudo-aristotelischen Schriften,
-deren Auszüge, Paraphrasen und Kommentare.
-
-9. Als besonders große Philosophen sind diese Übersetzer nicht
-anzusehen. Selten arbeiteten sie spontan, fast immer im Dienste eines
-Chalifen, eines Wezirs, oder eines anderen vornehmen Mannes. Außer
-ihrem Fachstudium, gewöhnlich der Medizin, interessierte sie höchstens
-die Weisheit: schöne Geschichten mit moralischer Anwendung, Anekdötchen
-und Sprüche. Was wir uns im Verkehr, in der Erzählung oder auf der
-Bühne nur als Eigentümlichkeit gewisser Personen gefallen lassen, wurde
-von jenen Biedermännern ihres weisen Inhalts oder vielleicht auch nur
-schönrednerischen Prunkes wegen bewundert und gesammelt. In der Regel
-blieben sie dem väterlichen Christenglauben treu. Charakteristisch
-für ihre Auffassung und den Freisinn der Chalifen ist es, was die
-Überlieferung in Bezug auf Ibn Dschibril berichtet. Als Mansur ihn
-zum Islam bekehren wollte, soll er gesagt haben: "Im Glauben meiner
-Väter werde ich sterben, wo sie sind, wünsche ich auch zu sein,
-sei's nun im Himmel oder in der Hölle." Da lächelte der Chalif und
-entließ ihn reich beschenkt.
-
-Von selbständigen Schriften dieser Männer hat sich nur weniges
-gerettet. Eine kleine Abhandlung des Qosta ibn Luqa über den
-Unterschied zwischen Seele und Geist (pneuma, ruh), in lateinischer
-Übersetzung erhalten, ist viel genannt und benutzt worden. Der Geist
-ist danach ein feiner Körper, der von der linken Herzkammer aus den
-menschlichen Leib belebt und darin Bewegung und Wahrnehmung bewirkt. Je
-feiner und klarer dieser Geist, um so vernünftiger denkt und handelt
-auch der Mensch. Darüber sind sich Alle einig. Schwieriger aber ist es,
-etwas Sicheres und Allgemeingültiges über die Seele auszusagen. Die
-Aussprüche der größten Philosophen sind zum Teil verschieden, zum
-Teil einander widersprechend. Jedenfalls ist die Seele unkörperlich,
-weil sie Qualitäten, und zwar die entgegengesetzten zugleich, in
-sich aufnimmt. Sie ist einfach, unveränderlich und vergeht nicht, wie
-der Geist, mit dem Körper; der Geist vermittelt nur zwischen beiden,
-ist also secundäre Ursache der Bewegung und Wahrnehmung.
-
-Was hier in Bezug auf die Seele behauptet wird, finden wir bei
-vielen Späteren. Nur wird allmählich, je mehr die aristotelische
-Philosophie platonische Ansichten in den Hintergrund drängt, ein
-anderes Gegensatzpaar in das volle Licht gerückt. Von der Bedeutung
-des Lebensgeistes (ruh) reden nur noch die Mediziner. Die Philosophen
-stellen Seele und Geist oder Vernunft (nous, `aql) zusammen. Die Seele
-wird nun ins Vergängliche, mitunter sogar nach gnostischer Art in das
-niedere, böse Bereich der Begierden herabgezogen. Über sie erhebt sich,
-als das Höchste, das Unvergängliche im Menschen, der vernünftige Geist.
-
-Mit dieser Bemerkung greifen wir aber der Geschichte vor. Kehren wir
-zu unseren Übersetzern zurück.
-
-10. Das Wertvollste, was der griechische Geist an Kunst, Poesie
-und Geschichtschreibung uns hinterlassen hat, ist den Orientalen
-niemals zugänglich geworden. Es hätte bei ihnen auch schwerlich
-Verständnis gefunden. Dafür fehlte eben der Geschmack und die
-Kenntnis griechischen Lebens. Mit dem sagenumstrahlten Alexander dem
-Großen fing ihnen die Geschichte Griechenlands erst an, und es wird
-der Aufnahme aristotelischer Philosophie am muslimischen Hofe die
-Stellung des Aristoteles zum größten Fürsten des Altertums gewiss
-förderlich gewesen sein. Die arabischen Geschichtschreiber zählten
-die griechischen Fürsten bis auf Kleopatra und weiter die römischen
-Kaiser auf, aber ein Thukydides z. B. war ihnen nicht einmal dem
-Namen nach bekannt. Von Homeros haben sie nicht viel mehr als den
-Satz, dass Einer Herrscher sein solle, aufgenommen. Von den großen
-griechischen Dramatikern und Lyrikern haben sie keine Ahnung. Nur
-durch seine Mathematik, Naturwissenschaft und Philosophie hat
-das griechische Altertum auf sie gewirkt. Von der Entwicklung der
-griechischen Philosophie hat man aus Plutarch, Porphyr u. A., sowie
-aus den Schriften des Aristoteles und Galen einiges erfahren. Es hat
-sich aber daran viel Sagenhaftes gehängt, und was im Orient über die
-Lehren der vorsokratischen Philosophen berichtet worden, lässt uns
-nur schließen auf die Pseudepigraphen, aus denen man schöpfte, oder
-vielleicht auch auf die im Osten selbst ausgebildeten Ansichten, die
-man mit der Autorität alter griechischer Weisen zu stützen suchte. Doch
-ist bei Allem immer zunächst an ein griechisches Original zu denken.
-
-11. Im allgemeinen lässt sich behaupten, dass die Syrer-Araber den
-Faden der Philosophie dort aufnahmen, wo ihn die letzten Griechen
-hatten fallen lassen, d. h. bei der neuplatonischen Auslegung des
-Aristoteles, neben dem auch die platonischen Schriften gelesen
-und erläutert wurden. Unter den Harraniern und lange Zeit bei
-einigen muslimischen Sekten blühten am meisten die platonischen oder
-pythagoreisch-platonischen Studien, zu denen sich viel Stoisches und
-Neuplatonisches gesellte. Man interessierte sich außerordentlich für
-das Schicksal des Sokrates, der im heidnischen Athen als ein Märtyrer
-seines Vernunftglaubens fiel. Mächtig wirkte die platonische Seelen-
-und Naturlehre. Das pythische "Erkenne dich selbst", als Motto der
-sokratischen Weisheit überliefert und neuplatonisch gedeutet, wurde von
-den Muslimen dem Ali, Mohammeds Schwiegersohn, oder gar dem Propheten
-selbst in den Mund gelegt. Wer sich selbst erkennt, erkennt damit Gott,
-seinen Herrn, das wurde der Text für allerhand mystische Spekulationen.
-
-In medizinischen Kreisen und am weltlichen Hofe wurden immer mehr die
-Werke des Aristoteles bevorzugt. Zunächst freilich nur die Logik und
-einzelnes aus den physischen Schriften. Die Logik, so glaubte man,
-sei das einzige Neue, was der Stagirite erfunden; in allen anderen
-Wissenschaften stimme er aber durchaus mit Pythagoras, Empedokles,
-Anaxagoras, Sokrates und Platon überein. Die christlichen und sabischen
-Übersetzer und die von ihnen beeinflussten Kreise holten sich deshalb
-unbedenklich psychologisch-ethische, politische und metaphysische
-Belehrung bei den voraristotelischen Weisen.
-
-Was den Namen des Empedokles, Pythagoras u. A. trug, war natürlich
-unecht. Ihre Weisheit wird entweder auf Hermes oder andere,
-orientalische Weisen zurückgeführt. So soll Empedokles ein Schüler
-König Davids, nachher des Weisen Loqman gewesen, Pythagoras aus der
-salomonischen Schule hervorgegangen sein u. s. w. Schriften, die in
-den arabischen Werken als sokratisch zitiert werden, sind, insofern sie
-echt, platonische Dialoge, in denen Sokrates auftritt. Von Platon hat
-man, außer unechten Schriften, mehr oder weniger umfangreich angeführt:
-die Apologie, Kriton, den Sophisten, Phädrus, die Republik, Phädon,
-Timäus und die Gesetze. Das heißt aber nicht, dass dies Alles in
-vollständiger Übersetzung vorgelegen habe.
-
-Soviel ist sicher, Aristoteles war nicht von Anfang an
-Alleinherrscher. Platon, wie man ihn verstand, lehrte die Weltschöpfung
-und die geistige Substantialität und Unsterblichkeit der Seele: das
-schadete dem Glauben nicht. Aristoteles aber, mit seiner Lehre von
-der Ewigkeit der Welt und einer weniger spiritualistischen Psychologie
-und Ethik, wurde als gefährlich betrachtet. Muslimische Theologen des
-neunten und zehnten Jahrhunderts aus verschiedenen Lagern schrieben
-deshalb gegen Aristoteles. Doch die Verhältnisse änderten sich. Bald
-gab es Philosophen, die die platonische Lehre von der Einen Weltseele,
-von der die menschlichen Seelen nur endliche Teile seien, verwarfen und
-beim Aristoteles, der der Einzelsubstanz so große Bedeutung beilegte,
-Gründe suchten für ihre Unsterblichkeitshoffnung.
-
-12. Wie man in der ältesten Zeit den Aristoteles auffassen musste,
-zeigen uns am besten die ihm untergeschobenen Schriften. Denn nicht
-nur bekam man seine echten Werke mit neuplatonischen Erläuterungen
-dazu, nicht nur wurde die Schrift "Über die Welt" unbedenklich
-als aristotelisch anerkannt, sondern er wurde auch als der Urheber
-betrachtet von vielen spätgriechischen Erzeugnissen, in denen ein
-pythagoreisierender Platonismus oder Neuplatonismus, oder gar ein
-wüster Synkretismus ganz offen gelehrt wurde.
-
-Als erstes Beispiel sei hier genannt das "Buch vom Apfel" [6], darin
-Aristoteles dieselbe Rolle spielt wie Sokrates in Platon's Phädon. Als
-nämlich der Philosoph seinem Ende nahe, besuchen ihn einige Schüler,
-die ihn frohen Mutes finden, was sie veranlasst, Belehrung über das
-Wesen und die Unsterblichkeit der Seele von ihrem hinscheidenden
-Meister zu erbitten. Dieser führt darauf etwa folgendes aus: Das
-Wesen der Seele besteht in Wissen, und zwar in seiner höchsten Form,
-der Philosophie. Eine vollkommene Erkenntnis der Wahrheit ist deshalb
-die Seligkeit, die nach dem Tode der wissenden Seele bevorsteht. Und
-wie das Wissen mit höherer Erkenntnis belohnt wird, so besteht die
-Strafe für Nichtwissen in tieferer Unwissenheit. Es gibt ja überhaupt
-im Himmel und auf Erden nichts anderes als Wissen und Nichtwissen
-und die Vergeltung, die beide in sich selbst finden. Auch ist weder
-die Tugend wesentlich vom Wissen verschieden, noch das Laster vom
-Nichtwissen: sie verhalten sich zu einander ähnlich wie das Wasser
-zum Eise, in verschiedener Form dasselbe.
-
-Im Wissen, dem göttlichen Wesen der Seele, findet diese naturgemäß
-ihre einzige wahre Freude, nicht aber in Essen und Trinken und
-sinnlicher Lust. Denn die Sinnenlust ist eine Flamme, die bloß
-auf kurze Zeit erwärmt; reines Licht aber, das weithin leuchtet,
-ist die denkende Seele, die ihre Erlösung aus der dunklen Sinnenwelt
-herbeisehnt. Darum fürchtet der Philosoph den Tod nicht, sondern tritt
-ihm freudig entgegen, wenn die Gottheit ruft. Der Genuss, den ihm sein
-beschränktes Wissen hier bietet, ist ihm eine Gewähr für die Wonne,
-die die Enthüllung des großen Unbekannten ihm verschaffen wird. Etwas
-davon weiß er ja jetzt schon, denn nur durch die Erkenntnis des
-Unsichtbaren ist die richtige Schätzung des Sinnenfälligen, deren er
-sich rühmen darf, überhaupt möglich. Wer sein Selbst in diesem Leben
-erkennt, besitzt gerade in dieser Selbsterkenntnis die Gewissheit,
-alle Dinge mit ewigem Wissen zu umfassen, d. h. unsterblich zu sein.
-
-13. Zweitens sei die sogenannte "Theologie des Aristoteles" erwähnt. Es
-wird darin der göttliche Platon als der Idealmensch hingestellt,
-der durch ein intuitives Denken alle Dinge erkennt und also der
-logischen Hilfsmittel des Aristoteles nicht bedarf. Ja, die höchste
-Wirklichkeit, das absolute Sein, wird nicht durch Denken, sondern
-nur in einem ekstatischen Schauen ergriffen. "Öfter war ich," so
-redet hier Aristoteles-Plotin, "mit meiner Seele allein. Des Leibes
-entkleidet trat ich, reine Substanz, in mein Selbst hinein, von
-allem Äusseren zum Inneren zurückkehrend. Reines Wissen war ich da,
-Wissendes und Gewusstes zugleich. Wie wunderte ich mich, dass ich
-in meinem Selbst Schönheit und Glanz erblickte und mich als einen
-Teil der erhabenen göttlichen Welt erkannte, selbst mit schaffendem
-Leben begabt. In dieser Selbstgewissheit erhob ich mich über die Welt
-der Sinne, ja über die Geisterwelt empor zu dem göttlichen Stande,
-wo ich solch schönes Licht schaute, dass es keine Zunge aussprechen,
-kein Ohr vernehmen könnte."
-
-Im Mittelpunkte der Erörterungen steht auch in der Theologie die
-Seele. Alle wahre menschliche Wissenschaft ist Wissenschaft der Seele,
-Selbsterkenntnis, und zwar an erster Stelle Kenntnis des Wesens,
-hernach, aber weniger vollständig, der Wirkungen dieses Wesens. In
-solcher Erkenntnis, zu der nur äußerst wenige gelangen, besteht die
-höchste Weisheit, die sich in Begriffe nicht vollkommen fassen lässt,
-und die deshalb der Philosoph als weiser Künstler und Gesetzgeber
-in ewig schönen Bildern zur Darstellung bringt, uns Menschen zum
-Gottesdienste. Es zeigt sich eben darin der Weise als der überlegene,
-selbstgenügsame Zauberer, dessen Wissen die Menge beherrscht, weil
-diese im Banne der Dinge, der Vorstellungen und Begierden immer
-gefesselt bleibt.
-
-Die Seele steht in der Mitte des Alls. Über ihr sind Gott und der
-Geist, unter ihr die Materie und die Natur. Ihr Kommen aus Gott
-durch den Geist in die Materie, ihre Gegenwart im Körper, ihre
-Rückkehr nach oben, in diesen drei Stadien verläuft ihr Leben und
-das der Welt. Materie und Natur, Sinneswahrnehmung und Vorstellung
-verlieren hier fast ganz ihre Bedeutung. Alles ist vom Geist (nous,
-`aql), der Geist ist alle Dinge und im Geiste ist alles Eins. Auch
-die Seele ist Geist, freilich, solange sie in ihrem Körper weilt,
-Geist in Hoffnung, Geist in der Form der Sehnsucht. Sie sehnt sich
-nach oben, nach den guten, seligen Gestirnen, die, über Vorstellung
-und Strebung erhaben, ihre beschauliche Lichtexistenz führen.
-
-Das ist nun der orientalische Aristoteles, wie ihn die ersten
-Peripatetiker im Islam anerkannten. [7]
-
-14. Dass die Orientalen sich nie zu einer reinen Auffassung der
-aristotelischen Philosophie durchgerungen haben, braucht uns
-nicht zu wundern. Die Mittel unserer Kritik, Echtes und Unechtes
-zu sondern, besaßen sie nicht. Sich in die griechische Kulturwelt
-hineinzuleben, musste ihnen sogar schwerer fallen als den christlichen
-Gelehrten des Mittelalters, das den lebendigen Zusammenhang mit dem
-Altertum nie ganz verloren hatte. Man blieb im Osten abhängig von
-neuplatonischen Bearbeitungen und Erklärungen. Fehlte ein Teil des
-wissenschaftlichen Systems, z. B. die aristotelische Politik, so war
-es selbstverständlich, dass die Gesetze oder der Staat Platons dafür
-eintraten. Nur wenigen kam der Unterschied Beider zum Bewusstsein.
-
-Es ist noch auf ein anderes Motiv zu achten. Schon in ihren
-neuplatonischen Quellen fanden die Muslime eine harmonisierende
-Auslegung der griechischen Philosophen vor, die sie wohl gezwungen
-waren, herüberzunehmen. Die ersten Anhänger des Aristoteles
-mussten ja polemisch und apologetisch vorgehen. Entgegen oder
-neben der Übereinstimmung der muslimischen Gemeinde brauchten sie
-eine einheitliche Philosophie, darin die Eine Wahrheit zu finden
-war. Dieselbe Verehrung, die Mohammed seinerzeit den heiligen
-Schriften der Juden und Christen gezollt hatte, fand sich später
-bei muslimischen Gelehrten in Bezug auf die Werke griechischer
-Wissenschaft. Nur zeigten die Gelehrten eine größere Vertrautheit mit
-ihren Vorbildern und geringere Originalität. Die alten Philosophen
-erhielten für sie eine Autorität, der man sich zu fügen hatte. Die
-ersten muslimischen Denker waren von der Überlegenheit griechischen
-Wissens derart überzeugt, dass sie nicht daran zweifelten, es habe die
-höchste Stufe der Gewissheit erreicht. Selbständig weiter zu forschen,
-war ein Gedanke, der nicht leicht aufkam im Gehirn des Orientalen,
-der sich einen Menschen ohne Lehrer nur als einen Schüler Satans
-vorzustellen vermag. Nach dem Vorgange hellenistischer Philosophen
-musste also der Versuch gemacht werden, zwischen Platon und Aristoteles
-die Übereinstimmung nachzuweisen, und besonders diejenigen Lehren,
-welche Anstoß erregten, entweder stillschweigend zu beseitigen oder
-in einem, der muslimischen Dogmatik nicht zu stark widerstreitenden
-Sinne darzustellen. Den Gegnern des Aristoteles oder der Philosophie
-überhaupt zu gefallen, hob man weise und erbauliche Sprüche aus
-echten und unechten Werken des Philosophen hervor, um auf diese
-Weise der Aufnahme seiner wissenschaftlichen Gedanken den Weg zu
-bereiten. Den Eingeweihten aber wurde die Lehre des Aristoteles,
-wie diejenige anderer Schulen und Sekten, als eine höhere Wahrheit
-hingestellt, zu der der positive Glaube der Menge und das mehr oder
-weniger begründete System der Theologen die Vorstufen bilden sollten.
-
-15. Ein vom Bestande der übersetzten griechischen Werke abhängiger
-Eklektizismus ist die muslimische Philosophie immer geblieben. Der
-Verlauf ihrer Geschichte ist mehr ein Verdauungs- als ein
-Zeugungsprozess. Weder durch das Aufzeigen neuer Probleme noch
-durch eigentümliche Versuche, alte Fragen zu lösen, hat sie sich
-bedeutend hervorgethan. Wichtige Fortschritte des Denkens hat sie
-also nicht zu verzeichnen. Dennoch hat sie, historisch betrachtet,
-eine weit größere Bedeutung, als die einer bloßen Vermittlerin
-zwischen dem Altertum und der christlichen Scholastik. Die Aufnahme
-griechischer Ideen in die Mischkultur des Orients zu verfolgen, hat
-an sich als Gegenstand geschichtlichen Interesses einen ganz eigenen
-Reiz, zumal, wenn man dabei vergessen kann, dass es einmal Griechen
-gegeben. Wichtig wird aber auch die Betrachtung dieses Ereignisses,
-wenn es zu Vergleichen mit anderen Kulturen Veranlassung bietet. Die
-Philosophie ist eine so einzigartige, selbständig auf griechischem
-Boden erwachsene Erscheinung, dass man sie als den Bedingungen des
-allgemeinen Kulturlebens überhoben ansehen könnte, um sie rein aus sich
-selbst heraus zu erklären. Die Geschichte der Philosophie im Islam
-ist nun schon deshalb wertvoll, weil sich in ihr der erste Versuch
-darstellt, in größerem Umfange und mit größerer Freiheit als es in
-der altchristlichen Dogmatik geschehen, die Ergebnisse griechischen
-Denkens sich anzueignen. Die Erkenntnis der Bedingungen, die solches
-ermöglichten, wird uns, wenn auch mit Vorsicht und vorläufig wenigstens
-in sehr beschränktem Maße, Analogieschlüsse gestatten auf die Rezeption
-der griechisch-arabischen Wissenschaft im christlichen Mittelalter,
-und vielleicht ein wenig belehren über die Bedingungen, unter denen
-Philosophie überhaupt entsteht.
-
-Von einer muslimischen Philosophie ist eigentlich kaum zu reden. Aber
-es hat im Islam viele Männer gegeben, die nicht davon lassen konnten,
-zu philosophieren. Durch die griechischen Falten hindurch zeigt sich
-doch die Form ihrer eigenen Glieder. Es ist leicht, von der hohen Warte
-irgend einer Schulphilosophie auf jene Männer herabzublicken. Besser
-aber wird es für uns sein, sie kennen und in ihrer historischen
-Bedingtheit begreifen zu lernen. Wir müssen es der Einzelforschung
-überlassen, der Herkunft jedes Gedankens nachzugehen. Unser Zweck
-kann es nur sein im folgenden zu zeigen, was die Muslime aus dem
-vorgefundenen Materiale aufgebaut haben.
-
-
-
-
-
-
-
-
-II. PHILOSOPHIE UND ARABISCHES WISSEN.
-
-
-1. Die Sprachwissenschaft.
-
-1. Von muslimischen Gelehrten des zehnten Jahrhunderts wurden
-die Wissenschaften in arabische und in alte oder nichtarabische
-eingeteilt. Zu den ersteren gehörten Sprachwissenschaft, Pflichten-
-und Glaubenslehre, Litteraturkenntnis und Geschichte; zu den letzteren
-die philosophischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen
-Disziplinen. Im großen Ganzen ist die Einteilung richtig. Die
-letztgenannten Fächer sind nicht nur am meisten von fremden Einflüssen
-bestimmt, sondern auch nie recht populär geworden. Doch sind auch die
-sogenannten arabischen Wissenschaften nicht ganz rein einheimische
-Schöpfungen. Auch sie sind entstanden oder ausgebildet, wo im
-muslimischen Reiche Araber und Nichtaraber zusammentrafen und das
-Bedürfnis erwachte, über die den Menschen nächstliegenden Gegenstände,
-Sprache und Poesie, Recht und Religion, sofern sich darin Unterschiede
-oder Unzulänglichkeiten zeigten, nachzudenken. In der Weise, wie
-dieses geschah, spürt man deutlich den Einfluss von Nichtarabern,
-namentlich Persern, und immer bedeutender macht sich auch dabei die
-Einwirkung griechischer Philosophie geltend.
-
-2. Die arabische Sprache, an deren Wortfülle, Formenreichtum und
-innerer Bildungsfähigkeit die Araber selbst sich besonders erfreuten,
-eignete sich vorzüglich zu einer Weltstellung. Besonders zeichnet
-sie sich, wenn man sie z. B. mit der schwerfälligen lateinischen
-oder auch mit der schwülstigen persischen vergleicht, durch kurze
-Abstraktbildungen aus, was dem wissenschaftlichen Ausdrucke zu gute
-kam. Sie ist der feinsten Nuancierung fähig, verführt aber auch durch
-eine reichentwickelte Synonymik dazu, von der aristotelischen Regel,
-dass in der strengen Wissenschaft der Gebrauch von Synonymen nicht
-zulässig sei, abzuweichen.
-
-Eine so elegante, ausdrucksfähige, aber schwierige Sprache, wie es
-die arabische war, musste, als sie die Bildungssprache der Syrer und
-Perser geworden, zu manchen Betrachtungen Veranlassung bieten. Vor
-allem machte das Studium des Korans, dessen Vortrag und Auslegung,
-eine eingehende Beschäftigung mit der Sprache notwendig. Ungläubige
-glaubten auch wohl, im heiligen Buche Sprachfehler nachweisen zu
-können. Man sammelte also aus alten Gedichten und der lebendigen
-Beduinensprache Beispiele, um die koranischen Ausdrücke zu belegen,
-woran sich wohl Bemerkungen über Sprachrichtigkeit im allgemeinen
-anschlossen. Im ganzen war der lebendige Brauch die Richtschnur, aber
-um die Autorität des Korans zu retten, ging es dabei gewiss nicht
-ohne Künsteleien ab. Den einfachen Gläubigen war dieses Verfahren
-immerhin etwas bedenklich. Masudi erzählt uns noch von einigen
-Grammatikern aus Basra, die auf einer Lustfahrt einen koranischen
-Imperativ durchconjugierten und deshalb (?) von den mit Dattelpflücken
-beschäftigten Landleuten durchgeprügelt wurden.
-
-3. Die Araber führen die Sprachwissenschaft, wie so vieles Andere,
-auf Ali zurück, dem sogar die aristotelische Dreiteilung der Rede
-zugeschrieben wird. In Wirklichkeit sind die Anfänge in Basra und Kufa
-gemacht worden. Die erste Entwicklung liegt im Dunkeln, denn in der
-Grammatik des Sibawaih (gest. 786) haben wir eine fertige Gestalt, ein
-Riesenwerk, das, wie nachher Ibn Sina's Kanon der Medizin, die späteren
-Geschlechter sich nur als das Erzeugnis vieler zusammenarbeitender
-Gelehrten erklären konnten. Auch über die Unterschiede zwischen
-den Schulen von Basra und Kufa sind wir schlecht unterrichtet. Die
-Basrenser, wie später die Schule von Bagdad, sollen dem Qijas (der
-Analogie) einen großen Einfluss auf die Beurteilung sprachlicher
-Erscheinungen eingeräumt haben, während die Kufenser viele vom Qijas
-abweichende Spracheigenheiten für erlaubt hielten. Im Gegensatze zu
-den kufischen Grammatikern wurden aus dem Grunde die anderen Leute der
-Logik genannt. Ihre Terminologie wich von der kufischen im einzelnen
-ab. Viele, denen nach Ansicht der echten Araber die Logik den Kopf
-verdreht hatte, werden in der Meisterung der Sprache entschieden zu
-weit gegangen sein. Andererseits aber wurde die Willkür zur Regel
-erhoben.
-
-Dass die Schule von Basra sich zuerst logischer Hilfsmittel bediente,
-wäre kein Zufall. Überhaupt zeigte sich in Basra am ersten der Einfluss
-philosophischer Lehren, und unter ihren Grammatikern befanden sich
-viele Schiiten und Mutaziliten, die auch auf ihre Glaubenslehren
-einzuwirken fremder Weisheit gerne gestatteten.
-
-4. Die Sprachwissenschaft, sofern sie nicht, von Gegenständen bestimmt,
-auf Sammlung von Beispielen, Synonymen u. s. w. sich beschränkte, wurde
-von der aristotelischen Logik beeinflusst. Syrer und Perser hatten
-schon vor muslimischer Zeit die Schrift peri hermêneias, mit stoischen
-und neuplatonischen Zusätzen, studiert. Ibn al-Moqaffa, der anfangs
-mit dem Grammatiker Chalil (s. unten) befreundet war, machte dann
-Alles, was sich sprachlich-logisches im Pahlawi vorfand, den Arabern
-zugänglich. Es wurden darnach die Satzarten, bald fünf, bald acht
-oder neun, und die drei Redeteile, Nomen, Verbum und Partikel,
-aufgezählt. In der Folgezeit nahmen einige, wie Dschahiz, unter
-die rhetorischen Figuren auch Schlussfiguren der Logik auf. Und in
-späteren Darstellungen wurde viel über Laut und Begriff gestritten
-und die Frage erörtert, ob die Sprache durch Satzung oder von Natur
-sei. Allmählich gewann die philosophische Ansicht, sie sei durch
-Satzung, das Übergewicht.
-
-Neben der Logik kommt hier noch der Einfluss der propädeutischen
-oder mathematischen Wissenschaften in Betracht. Wie die Prosa des
-Verkehrs und die Reime des Korans wurden die Verse der Dichter
-nicht bloß gesammelt, sondern auch nach bestimmten Gesichtspunkten,
-unter denen das Metrum, geordnet. Nach der Grammatik entstand die
-Metrik. Chalil (gest. 791), der Lehrer Sibawaih's, dem man die
-erste Anwendung des Qijas in der Sprachwissenschaft zuschreibt,
-soll auch die Metrik erfunden haben. Während man die Sprache als das
-nationale, conventionelle Element in der Poesie anzusehen lernte,
-glaubte man im Metrum das natürliche, allen Völkern gemeinsame
-zu finden. Thabit ibn Qorra (836-901) behauptete darum in seiner
-Anordnung der Wissenschaften, das Metrum sei etwas Wesentliches, die
-Metrik eine natürliche Wissenschaft, sie gehöre somit zur Philosophie.
-
-5. Trotz alledem behielt die Sprachwissenschaft, die sich auf das
-Arabische beschränkte, ihre Eigentümlichkeiten, auf die hier einzugehen
-nicht am Platze ist. Jedenfalls ist sie eine großartige Schöpfung des
-fein beobachtenden und fleißig sammelnden arabischen Geistes, darauf
-die Araber stolz sein durften. Ein Apologet des zehnten Jahrhunderts,
-der sich gegen die griechische Philosophie wendet, sagte: "Wer die
-Feinheiten und Tiefen der arabischen Poesie und Metrik kennt, der weiß,
-dass sie alles dasjenige übertrifft, was die Leute als Beweise für
-ihre Meinungen anzuführen pflegen, welche in dem Wahne leben, dass
-sie die Wesenheiten der Dinge zu erkennen im Stande sind: Zahlen,
-Linien und Punkte. Ich kann den Nutzen dieser Dinge nicht einsehen,
-es sei denn, dass sie trotz des geringen Nutzens, den sie bringen,
-den Glauben schädigen und Dinge im Gefolge haben, gegen welche
-wir Gottes Beistand anrufen." Man wollte sich seine Freude an den
-Einzelheiten der Sprache durch allgemeine philosophische Spekulationen
-nicht trüben lassen. Manche Wortbildung, von den Übersetzern fremder
-Werke herrührend, wurde als barbarisch von puristischen Sprachlehrern
-verabscheut. Und weitere Verbreitung als die wissenschaftliche
-Sprachforschung fand die schöne Kunst der Kalligraphie, die sich,
-wie die arabische Kunst überhaupt, mehr dekorativ als konstruktiv, in
-edlen, feinen Formen entwickelte. In den Schriftzügen der arabischen
-Sprache zeigt sich uns noch die Subtilität des Geistes, der sie
-gebildet, zugleich aber auch ein Mangel an Energie, der sich in der
-ganzen Entwicklung arabischer Kultur bemerklich gemacht hat.
-
-
-
-
-2. Die Pflichtenlehre.
-
-1. Der gläubige Muslim hatte, sofern nicht das Herkommen seine
-Herrschaft behauptete, anfangs als Richtschnur seines Handelns und
-Urteilens das Wort Gottes und das Beispiel seines Propheten. Nachdem
-dieser gestorben war, folgte man, falls der Koran keine Auskunft
-erteilte, der Sunna Mohammeds, d. h. man that und entschied, wie der
-Überlieferung seiner Genossen nach Mohammed entschieden oder gehandelt
-hatte. Aber seit der Eroberung alter Kulturländer traten an den Islam
-ganz neue Ansprüche heran. Statt der einfachen Verhältnisse arabischen
-Lebens fanden sich dort Gewohnheiten und Einrichtungen vor, für die das
-heilige Gesetz keine Bestimmung bot und noch keine Tradition vorhanden
-oder ausgedeutet war. Jeden Tag häuften sich also die Einzelfälle,
-die nicht vorgesehen waren, und die man, sei es nach dem Herkommen
-oder nach eigenem Gutdünken beurteilen musste. In den altrömischen
-Provinzen, Syrien und Mesopotamien, wird dabei das römische Recht
-noch lange Zeit eine bedeutende Wirkung ausgeübt haben.
-
-Diejenigen Rechtslehrer nun, welche neben Koran und Sunna der
-eigenen Ansicht (ra'j, opinio) einen bestimmenden Einfluss auf das
-Recht zuerkannten, wurden Anhänger des Raj genannt. Als solcher
-ist besonders bekannt geworden Abu Hanifa von Kufa (gest. 767),
-der Stifter der hanefitischen Schule. Aber auch in Medina, vor und
-in der Schule des Malik (715-795) hat man anfangs ganz harmlos, wenn
-auch weniger weitgehend, dem Raj gehuldigt. Nur allmählich hat sich,
-im Kampfe gegen das zu vielen Willkürlichkeiten Veranlassung gebende
-Raj, die Meinung vorgedrängt, es sei in Allem der Tradition (hadîth)
-in Bezug auf die Sunna des Propheten zu folgen. Es wurden dann von
-überall her Traditionen gesammelt, gedeutet, auch massenhaft gefälscht,
-und eine Lehre von den Kriterien ihrer Echtheit ausgebildet, die aber
-mehr auf die äußere Bezeugung und die Zweckmäßigkeit des Überlieferten
-als auf Folgerichtigkeit und historische Treue Gewicht legte. Infolge
-dieser Entwicklung standen jetzt den Leuten des Raj, die hauptsächlich
-in Iraq (Babylonien) gefunden wurden, die Anhänger der Tradition
-von Medina entgegen. Auch Schafii (767-820), der Gründer der dritten
-Rechtsschule, der sich im allgemeinen an der Sunna hielt, wurde wohl
-im Gegensatz zu Abu Hanifa den Anhängern der Tradition beigezählt.
-
-2. Ein neues Element brachte die Logik in diesen Streit hinein: das
-Qijas, die Analogie. Einzelne Qijase gab es natürlich schon früher,
-aber die Aufstellung des Qijas als eines Prinzipes, einer Grundlage
-oder Quelle des Rechtes setzt den Einfluss wissenschaftlicher Reflexion
-voraus. Wenn auch Raj und Qijas synonym gebraucht sein mögen, so
-haftet doch dem letzteren Ausdrucke weniger das Moment individueller
-Willkür an. Je mehr man sich daran gewöhnte, bei sprachlich-logischen
-Untersuchungen das Qijas anzuwenden, um so leichter konnte man auch
-dieses Prinzip in die Grundlehre der Gesetzeskunde aufnehmen, sei es
-nun, dass man von Fall zu Fall und von der Mehrzahl der Fälle auf
-die übrigen (analogisch) schloss, oder aber für verschiedene Fälle
-einen gemeinsamen Grund aufsuchte, aus dem das Verhalten im Einzelfall
-(syllogistisch) abzuleiten wäre. [8]
-
-Die Anwendung des Qijas scheint zunächst und zumeist in der
-hanefitischen, dann aber auch, obgleich in geringerem Umfange, in der
-schafiitischen Schule üblich gewesen zu sein. Im Zusammenhang damit
-wurde die Frage, ob die Sprache das Allgemeine auszudrücken vermöge
-oder bloß das Besondere bezeichnen könne, für die Pflichtenlehre
-von Bedeutung.
-
-Zu einem großen Ansehen hat das logische Prinzip des Qijas es
-nie gebracht. Vielmehr wurde, neben den historischen Grundlagen
-des Gesetzes, dem Koran und der Sunna, das Idschma d. h. die
-Übereinstimmung der Gemeinde, betont. Die Übereinstimmung der Gemeinde
-oder faktisch der einflussreichsten Gelehrten, die mit den Vätern
-und Lehrern der katholischen Kirche zu vergleichen sind, ist das
-dogmatische Prinzip, das, nur von wenigen angefochten, sich als das
-wichtigste Mittel zur Begründung der muslimischen Pflichtenlehre
-erwiesen hat. Nach Koran, Sunna und Idschma räumt aber die Theorie
-immer noch, an vierter Stelle, dem Qijas einen untergeordneten
-Platz ein.
-
-3. Die muslimische Pflichtenlehre (al-fiqh = das Erkennen) umfasst
-das ganze Leben des Gläubigen, dem der Glaube selbst an erster Stelle
-zur Pflicht gemacht wird. Anfangs stieß sie, wie jede Neuigkeit, auf
-heftigen Widerstand. Gesetz ward hier zu Lehre, gläubiger Gehorsam
-zu grübelndem Wissen. Das forderte Widerspruch heraus, von einfachen
-Frommen und klugen Politikern zugleich. Aber nach und nach wurden
-die Wissenden oder Gesetzesgelehrten (ulamâ, im Westen faqihs) als
-die Erben der Propheten anerkannt.
-
-Die Pflichtenlehre hat sich vor der Glaubenslehre entwickelt und
-auch immer bis heute den ersten Platz zu behaupten gewusst. Fast
-jeder Muslim weiß etwas davon, weil es zur guten religiösen Erziehung
-gehört. Nach dem großen Kirchenvater Gazali ist das Fiqh das tägliche
-Brot gläubiger Seelen, während die Glaubenslehre nur als Medizin für
-Kranke einen Wert hat.
-
-Auf die fein ausgesponnene Kasuistik des Fiqh näher einzugehen,
-haben wir hier keine Veranlassung. Es handelt sich der Hauptsache
-nach um ein ideelles Recht, das in unserer mangelhaften Welt wohl nie
-rein zur Anwendung kommen kann. Seine Prinzipien und seine Stellung
-innerhalb des Islam kennen wir jetzt. Es sei nur noch die Einteilung
-der sittlichen Handlungen, wie die Pflichtenlehrer sie aufstellen,
-kurz erwähnt. Es gibt ihr zufolge 1. Handlungen, deren Ausübung
-unbedingte Pflicht ist und deshalb belohnt, deren Unterlassung
-bestraft wird; 2. gesetzlich anempfohlene Handlungen, die belohnt,
-deren Vernachlässigung aber nicht bestraft wird; 3. erlaubte,
-gesetzlich gleichgiltige Handlungen; 4. vom Gesetze missbilligte,
-aber nicht strafbare Handlungen; 5. gesetzlich verbotene Handlungen,
-die unbedingt Strafe fordern. [9]
-
-4. Die Einwirkung griechischer Philosopheme auf die Ethik im Islam
-ist eine zweifache gewesen. Bei vielen Sektierern und Mystikern,
-sowohl orthodoxen als häretischen, findet sich eine asketische Ethik
-von pythagoreisch-platonischer Färbung. Sie findet sich ebenso
-bei Philosophen, denen wir in der Folge noch begegnen werden. In
-orthodoxen Kreisen aber fand der aristotelische Satz, dass Tugend
-in der richtigen Mitte bestehe, viel Anklang, weil ähnliches im
-Koran stand und überhaupt die Richtung des Islam eine katholische,
-die Gegensätze aussöhnende war.
-
-Mehr wohl als die Ethik wurde im muslimischen Reiche die Politik
-gepflegt. Politische Parteikämpfe gaben zuerst Veranlassung zu
-Verschiedenheit der Meinungen. Streitigkeiten über das Imâmat,
-d. h. die Herrschaft über die muslimische Gemeinde, durchziehen die
-ganze Geschichte des Islam. Es handelt sich aber durchweg mehr um
-Fragen persönlicher und praktischer als solche theoretischer Bedeutung,
-weshalb eine Geschichte der Philosophie sie nicht eingehend zu
-berücksichtigen braucht. Philosophisch Wertvolles kommt kaum dabei
-heraus. Schon im Laufe der ersten Jahrhunderte entwickelte sich
-ein festes kanonisches Staatsrecht, das aber, ähnlich der ideellen
-Pflichtenlehre, von starken Herrschern als theologische Grübelei
-nicht sonderlich beachtet wurde, dagegen von schwachen Fürsten erst
-recht nicht zur Anwendung gebracht werden konnte.
-
-Ebensowenig verlohnt es sich, die vielen, besonders in Persien
-beliebten Fürstenspiegel, an deren weisen Sittensprüchen und
-politisch-klugen Maximen die höfischen Kreise sich erbauten, näher
-zu betrachten.
-
-Das Schwergewicht philosophischer Bestrebungen im Islam liegt auf der
-theoretischen, intellektuellen Seite. Mit den thatsächlichen Vorgängen
-des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens weiß man sich nur
-notdürftig abzufinden. Auch die Kunst der Muslime, obgleich sie viel
-mehr Originelles zeigt als ihre Wissenschaft, versteht es nicht, die
-spröden Stoffe zu beleben, sondern spielt mit zierlichen Formen. Die
-Poesie schafft kein Drama. Und ihre Philosophie ist nicht praktisch.
-
-
-
-
-3. Die Glaubenslehre.
-
-1. Im Koran war den Muslimen eine Religion, keine Lehre, Gesetze,
-aber keine Dogmen gegeben. Was sich darin der Logik widersetzte, was
-wir uns aus den wechselnden Lebensverhältnissen und den verschiedenen
-Stimmungen des Propheten erklären, wurde von den ersten Gläubigen
-einfach hingenommen, ohne zu fragen nach dem Wie und Warum. In den
-eroberten Ländern aber fand man eine ausgebildete christliche Dogmatik,
-sowie zoroastrische und brahmanische Lehren vor. Wie viel die Muslime
-den Christen verdanken, haben wir schon öfter betont. Die Glaubenslehre
-ist von christlichen Einflüssen wohl am meisten bestimmt worden. In
-Damaskus wirkten orthodoxe und monophysitische Lehren, in Basra und
-Bagdad vielleicht mehr nestorianische und gnostische Theoreme auf
-die Bildung muslimischer Dogmen ein. Litterarisches hat sich aus
-der ersten Zeit dieser Bewegung wenig erhalten. Man wird sich aber
-nicht irren, wenn man dem persönlichen Verkehre und dem schulmäßigen
-Unterricht eine bedeutende Wirkung zuschreibt. Wie noch heute, lernte
-man damals im Orient nicht viel aus Büchern, sondern mehr aus dem Munde
-des Lehrers. Die Ähnlichkeit zwischen den ältesten Glaubenslehren im
-Islam und den Dogmen des Christentums ist zu groß, dass man einen
-direkten Zusammenhang leugnen könnte. Die erste Frage nämlich,
-über die von muslimischen Gelehrten viel disputiert wurde, war die
-nach der Freiheit des Willens. Die Willensfreiheit nun wurde von den
-orientalischen Christen fast allgemein angenommen. Nie und nirgends hat
-man vielleicht über das Willensproblem, in der Christologie zunächst,
-aber auch in der Anthropologie, so viel hin und her geredet, wie in den
-christlichen Kreisen des Ostens zur Zeit der muslimischen Eroberung.
-
-Außer diesen zum Teil apriorischen Erwägungen gibt es auch vereinzelte
-Notizen, die darauf hindeuten, dass einige von den ersten Muslimen,
-welche die Willensfreiheit lehrten, christliche Lehrer hatten.
-
-Schon aus den gnostischen Systemen, nachher aber aus der
-Übersetzungslitteratur, gesellte sich zu den hellenistisch-christlichen
-eine Anzahl rein philosophischer Elemente.
-
-2. Eine nach logischer oder dialektischer Methode, sei es mündlich
-oder schriftlich geäußerte, Behauptung nannten die Araber im
-allgemeinen, ganz besonders aber in der Glaubenslehre, einen Kalam
-(logos) und diejenigen, welche solche Behauptungen aufstellten,
-hießen mutakallimun. Von der einzelnen Behauptung wurde der Name
-auf das ganze System übertragen und darunter auch die einleitenden,
-grundlegenden Bemerkungen über Methode u. s. w. mitverstanden. Wir
-nennen die Wissenschaft des Kalam am besten theologische Dialektik
-oder einfach Dialektik und übersetzen im folgenden Mutakallimun
-mit Dialektiker.
-
-Der Name Mutakallimun, anfangs allen Dialektikern gemeinsam, ward
-später vorzugsweise den antimutazilitischen und orthodoxen Theologen
-beigelegt. In letzterem Falle wäre er dem Sinne nach gut mit Dogmatiker
-oder Scholastiker zu übersetzen. Hatten nämlich die ersten Dialektiker
-das Dogma noch zu bilden, die späteren brauchten es bloß darzulegen
-und zu begründen.
-
-Die Einführung der Dialektik war eine gewaltige Neuerung
-im Islam. Heftig wurde ihr von den Anhängern der Tradition
-widersprochen. Was über die Pflichtenlehre hinausging, hieß ihnen
-Ketzerei. Der Glaube sollte Gehorsam sein, nicht Erkenntnis, wie
-Murdschiten und Mutaziliten behaupteten. Die Spekulation wurde von
-diesen geradezu als eine Pflicht der Gläubigen hingestellt. Auch mit
-dieser Forderung söhnte die Zeit sich aus. Der Überlieferung nach
-hatte der Prophet schon gesagt: Das erste, was Gott geschaffen hat,
-ist das Wissen, oder: die Vernunft.
-
-3. Groß ist die Anzahl verschiedener Meinungen, die zum Teil schon in
-der omajjadischen, hauptsächlich aber in der ersten abbasidischen Zeit
-laut wurden. Je weiter sie auseinander gingen, um so schwerer war es
-den Männern der Überlieferung, sich da hinein zu finden. Allmählich
-aber sonderten sich gewisse einheitliche Lehrgruppen aus, von
-denen das rationalistische System der Mutaziliten, der Nachfolger
-der Qadariten, die weiteste Verbreitung, besonders unter Schiiten,
-fand. Vom Chalifen Mamun bis Mutawakkil kam es sogar zur staatlichen
-Anerkennung. Früher von der weltlichen Macht unterdrückt und verfolgt,
-wurden die Mutaziliten jetzt selber Inquisitoren des Glaubens, denen
-das Schwert die Stelle des Beweises vertrat.
-
-Ungefähr zu derselben Zeit aber fingen auch ihre Gegner, die
-Traditionarier, damit an, ein Glaubenssystem aufzubauen. Überhaupt
-fehlte es nicht an Vermittelungen zwischen dem naiven Glauben der Menge
-und der Gnosis der Dialektiker. Dem spiritualistischen Gepräge des
-Mutazilitismus gegenüber trugen diese Vermittelungen in Bezug auf die
-Gotteslehre einen anthropomorphistischen, in Bezug auf Anthropologie
-und Kosmologie einen materialistischen Charakter. Die Seele z. B. wurde
-von ihnen körperlich oder als ein Accidens des Körpers aufgefasst,
-und das göttliche Wesen als ein menschlicher Körper vorgestellt. Den
-bildlichen Gott-Vater der Christen verabscheute die Religionslehre
-und Kunst der Muslime, aber abgeschmackte Grübeleien über die Gestalt
-Allah's gab es im Islam die Fülle. Einige gingen so weit, ihm sämtliche
-Körperglieder zuzusprechen, nur mit Ausnahme des Bartes und anderer
-Privilegien orientalischer Männer.
-
-Es ist unmöglich, all die dialektischen Sekten, die oft zunächst
-als politische Parteien aufgetreten waren, ausführlicher zu
-besprechen. Von philosophiegeschichtlichem Standpunkte genügt es auch,
-die mutazilitischen Hauptlehren, insoweit sie ein allgemeines Interesse
-beanspruchen dürfen, hier vorzuführen.
-
-4. Die erste Frage nun betraf menschliches Handeln und menschliches
-Schicksal. Die Vorläufer der Mutaziliten, Qadariten genannt,
-lehrten die Willensfreiheit des Menschen. Auch noch in späterer
-Zeit, als ihre Spekulation sich mehr auf theologisch-metaphysische
-Probleme richtete, wurden die Mutaziliten immer zuerst bezeichnet
-als Anhänger der göttlichen Gerechtigkeit, die kein Böses verursache
-und nach seinem Verdienste den Menschen belohne oder strafe, dann
-aber, an zweiter Stelle, als Bekenner der Einheit Gottes, d. h. der
-Eigenschaftslosigkeit seines Wesens, an sich betrachtet. Auf die
-systematische Darstellung ihrer Lehren werden die Logiker (s. IV,
-2 § 1) ihren Einfluss ausgeübt haben. Schon in der ersten Hälfte
-des zehnten Jahrhunderts fing das mutazilitische System mit dem
-Einheitsbekenntnis an und war die Lehre von Gottes Gerechtigkeit, die
-sich in allen seinen Werken kund gebe, an die zweite Stelle gerückt.
-
-Mit der Behauptung der Willensfreiheit sollte die menschliche
-Verantwortlichkeit, sowie die Heiligkeit Gottes, der nicht die sündigen
-Handlungen der Menschen unmittelbar hervorbringen könne, gerettet
-werden. Darum musste der Mensch Herr seiner Thaten sein, aber auch bloß
-dieser. Denn dass die Kraft, welche überhaupt zum Handeln befähigt,
-oder das Vermögen, sowohl Gutes als Böses zu thun, unmittelbar von
-Gott dem Menschen zukomme, wurde von wenigen bezweifelt. Daher die
-vielen, mit einer Kritik des philosophischen Zeitbegriffes verquickten,
-spitzfindigen Erörterungen über die Frage, ob das von Gott im Menschen
-geschaffene Vermögen der Handlung voraufgehe oder zeitlich damit
-zusammenfalle. Ginge nämlich die Kraft der That vorher, so müsste sie
-entweder bis zur That fortdauern, was ihrem accidentellen Charakter
-widerspreche (vgl. II, 3 § 12), oder aber schon vor der That aufhören
-zu existieren, und in diesem Falle wäre sie überhaupt entbehrlich.
-
-Vom menschlichen Handeln wurde die Spekulation weiter auf das
-Wirken der Natur übertragen. Statt Gott oder der Mensch hieß hier
-der Gegensatz Gott oder die Natur. Die hervorbringenden und zeugenden
-Kräfte der Natur wurden als Mittel oder nächste Ursachen anerkannt und
-von einigen zu erforschen gesucht. Die Natur selbst aber, wie die ganze
-Welt, war ihrer Ansicht nach ein Werk Gottes, eine Schöpfung seiner
-Weisheit. Wie die Allmacht Gottes im Sittlichen an seiner Heiligkeit
-oder Gerechtigkeit eine Schranke fand, so hier im Natürlichen an
-seiner Weisheit. Auch Übel und Böses in der Welt wurden aus der
-Weisheit Gottes, die Alles zum Besten schicke, erklärt. Erzeugnis
-oder Zweck göttlicher Thätigkeit ist es nicht. Gott könne zwar, so
-hatten Frühere behauptet, Böses und Unvernünftiges thun, er thäte es
-nur nicht. Dagegen lehrten die späteren Mutaziliten, Gott habe gar
-nicht die Macht, so etwas seinem Wesen Widerstreitendes zu thun. Von
-ihren darob entrüsteten Gegnern, die Gottes unbeschränkte Macht
-und seinen unergründlichen Willen unmittelbar in allem Handeln und
-Wirken thätig sich vorstellten, wurden sie wegen solcher Lehre mit
-den dualistischen Magiern verglichen. Der konsequente Monismus war
-auf Seiten dieser Gegner, die den Menschen und die Natur nicht neben
-und unter Gott zu Schöpfern ihrer Thaten oder Wirkungen machen möchten.
-
-5. Die Mutaziliten hatten, wie schon aus dem Vorhergehenden erhellt,
-einen anderen Gottesbegriff als die Menge und die Traditionarier. Dies
-zeigte sich nun, im Fortgange der Spekulation, besonders deutlich
-in der Lehre von den göttlichen Eigenschaften. Von Anfang an
-war im Islam die Einheit Gottes stark betont. Das hinderte aber
-nicht, dass man ihm, nach menschlicher Analogie, viele schöne
-Namen gab und mehrere Attribute beilegte. Als die vorzüglichsten
-stellten sich, gewiss unter dem Einflusse christlicher Dogmatik,
-allmählich heraus: Wissen, Macht, Leben, Wille, Rede oder Wort,
-Gesicht und Gehör. Von diesen wurden Gesicht und Gehör zuerst in
-geistigem Sinne gedeutet oder ganz beseitigt. Aber mit irgend einer
-Vielheit gleichewiger Eigenschaften schien die absolute Einheit des
-göttlichen Wesens sich nicht vertragen zu wollen. Wäre das nicht die
-Trinität der Christen, die ja auch schon die drei Personen des Einen
-göttlichen Wesens als Eigenschaften gedeutet hatten? Teils suchte
-man nun, um dieser Inkonvenienz zu entgehen, einige Eigenschaften
-aus anderen begrifflich abzuleiten und auf eine, z. B. das Wissen
-oder die Macht, zurückzuführen, teils auch sie samt und sonders als
-Zustände des göttlichen Wesens zu fassen oder mit dem Wesen selbst
-zu identifizieren, wobei denn freilich ihre Bedeutung so ziemlich
-verschwand. Mitunter wurde versucht, durch Künsteleien des sprachlichen
-Ausdrucks noch etwas davon zu retten. Während z. B. ein Philosoph,
-die Eigenschaften leugnend, behauptete, Gott sei wissend seinem Wesen
-nach, drückte ein mutazilitischer Dialektiker das so aus: Gott ist
-wissend, aber durch ein Wissen, das er selbst ist.
-
-Nach Ansicht der Traditionarier ward auf diese Weise der Gottesbegriff
-allen Inhaltes beraubt. Über negative Bestimmungen, Gott sei
-nicht wie die Dinge dieser Welt, er sei über Raum, Zeit, Bewegung
-u. s. w. erhaben, kamen die Mutaziliten kaum hinaus. Aber dass er
-Schöpfer der Welt sei, daran hielten sie fest. Wenn man auch von
-Gottes Wesen wenig aussagen konnte, aus seinen Werken glaubte man
-ihn zu erkennen.
-
-Die Schöpfung war den Mutaziliten, wie ihren Gegnern, ein absoluter
-Akt Gottes, die Weltexistenz eine zeitliche. Energisch bekämpften
-sie die Lehre von der Weltewigkeit, die, durch die aristotelische
-Philosophie gestützt, im Orient weitverbreitet war.
-
-6. Als eins von den ewigen Attributen Gottes fanden wir die Rede oder
-das Wort. Wahrscheinlich mit Anschluss an die christliche Logoslehre
-wurde nämlich die Ewigkeit des dem Propheten geoffenbarten Korans
-gelehrt. Das war nach den Mutaziliten geradezu Abgötterei, neben
-Allah an einen ewigen Koran zu glauben. Die mutazilitischen Chalifen
-verkündigten dagegen als Staatsdogma, der Koran sei geschaffen
-worden. Wer dies leugnete, wurde öffentlich bestraft. Obgleich nun
-die Mutaziliten mit diesem Dogma dem ursprünglichen Islam näher
-stehen mochten als ihre Gegner, so hat doch die Geschichte den
-letzteren Recht gegeben. Fromme Bedürfnisse waren eben mächtiger als
-logische Schlussfolgerungen. Viele Mutaziliten setzten sich, nach
-der Meinung ihrer Glaubensbrüder, über den Koran, das Wort Gottes,
-allzuleicht hinweg. Wenn es zu ihren Theorien nicht stimmte, wurde
-es aus- und umgedeutet. In Wirklichkeit galt manchem die Vernunft
-mehr als das offenbarte Buch. Aus der Vergleichung nicht nur der
-drei Offenbarungsreligionen, sondern auch dieser mit persischer
-und indischer Religionslehre und philosophischer Spekulation, ergab
-sich eine, die Gegensätze versöhnende, natürliche Religion. Aufgebaut
-wurde diese auf der Grundlage eines angeborenen, allgemeinnotwendigen
-Wissens, dass es Einen Gott gebe, der als weiser Schöpfer die Welt
-hervorgebracht und auch den Menschen mit Vernunft begabt habe,
-damit er seinen Schöpfer erkennen und Gutes und Böses unterscheiden
-könne. Dieser Natur- oder Vernunftreligion gegenüber sei dann die
-Erkenntnis der Offenbarungslehren etwas Hinzukommendes, ein erworbenes
-Wissen.
-
-Mit dieser Behauptung hatten die konsequentesten Mutaziliten sich von
-der Übereinstimmung der muslimischen Gemeinde losgesagt, sich also
-thatsächlich außerhalb des katholischen Glaubens gestellt. Anfangs
-beriefen sie sich noch auf jene Übereinstimmung. Sie konnten es thun,
-so lange die Regierung ihnen günstig gesinnt war. Es dauerte aber
-nicht lange. Bald erfuhren sie, was seitdem noch öfter erfahren wurde:
-die Völker lassen sich leichter von oben herab eine Religion als eine
-Aufklärung vorschreiben.
-
-7. Nach diesem Überblick sehen wir uns einige von den bedeutendsten
-Mutaziliten näher an, damit dem allgemeinen Bilde nicht die
-individuellen Züge fehlen.
-
-Zuerst betrachten wir Abu-l-Hudhail al-Allaf, der um die Mitte des
-neunten Jahrhunderts starb. Er war ein berühmter Dialektiker, einer
-der ersten, die der Philosophie einen Einfluss auf ihre theologischen
-Lehren gestatteten.
-
-Dass eine Eigenschaft irgendwie einem Wesen inhärieren könne, lässt
-sich nach Abu-l-Hudhail nicht denken: entweder muss sie mit dem Wesen
-identisch oder davon verschieden sein. Doch sieht er sich nach einer
-Vermittlung um. Gott ist, nach ihm, wissend, mächtig, lebendig durch
-Wissen, Macht und Leben, die sein Wesen selbst sind. Wie auch schon von
-christlicher Seite geschehen war, nennt er jene drei Bestimmungen die
-Modi (wudschuh) des göttlichen Wesens. Auch Hören, Sehen u. a. lässt
-er sich als ewig in Gott gefallen, jedoch nur mit Rücksicht auf
-die später zu schaffende Welt. Übrigens mag es ihm und anderen von
-der Zeitphilosophie Berührten leicht genug gewesen sein, diese und
-ähnliche Ausdrücke, wie das Schauen Gottes am jüngsten Tage, [10]
-spiritualistisch zu deuten, da sie ja das Sehen und Hören überhaupt
-als geistige Akte auffassten. Abu-l-Hudhail behauptete z. B., die
-Bewegung sei sichtbar, tastbar aber nicht, weil sie kein Körper sei.
-
-Nicht ewig soll nun aber der Wille Gottes sein. Im Gegenteil nimmt
-Abu-l-Hudhail absolute Willensäußerungen an, sowohl von dem wollenden
-Wesen wie von dem gewollten Gegenstande verschieden. So nimmt das
-absolute Schöpfungswort eine Mittelstellung ein zwischen dem ewigen
-Schöpfer und der geschaffenen zeitlichen Welt. Diese Willensäußerungen
-Gottes sind eine Art Mittelwesen, mit den platonischen Ideen oder
-den Sphärengeistern zu vergleichen, aber wohl mehr als immaterielle
-Kräfte, denn als persönliche Geister gedacht.
-
-Von dem absoluten Schöpfungsworte unterscheidet Abu-l-Hudhail das
-accidentelle Offenbarungswort, das sich als Befehl und Verbot, in
-materieller, räumlicher Erscheinung an die Menschen kund gibt und
-also nur für diese zeitliche Welt Bedeutung hat. Die Möglichkeit, nach
-dem göttlichen Offenbarungsworte zu leben oder dem zu widerstreiten,
-ist folglich nur in diesem Leben vorhanden. Verpflichtendes Gebot
-und Verbot setzt Willensfreiheit und die Fähigkeit danach zu handeln
-voraus. Im zukünftigen Leben dagegen gibt es keine gesetzlichen
-Verpflichtungen, somit auch keine Freiheit mehr; Alles hängt dort von
-der absoluten Bestimmung Gottes ab. Auch wird es im Jenseits keine
-Bewegung geben, denn wie die Bewegung einmal angefangen hat, muss
-sie, am Ende der Welt, aufhören zur ewigen Ruhe. An eine körperliche
-Auferstehung dürfte also Abu-l-Hudhail wohl nicht geglaubt haben.
-
-Die menschlichen Handlungen unterscheidet er in natürliche und
-sittliche oder "Handlungen der Glieder und des Herzens". Sittlich
-ist eine Handlung nur, wenn wir sie frei verrichten. Die sittliche
-That ist des Menschen selbsterworbenes Eigentum, sein Wissen dagegen
-kommt ihm von Gott her zu, teils durch Offenbarung, teils durch
-natürliche Erleuchtung. Schon vor aller Offenbarung ist der Mensch
-von Natur verpflichtet, also auch wohl im Stande, Gott zu erkennen,
-Gutes und Böses zu unterscheiden, und tugendhaft, wahrhaftig und
-gerecht zu leben.
-
-8. Ein merkwürdiger Mensch und Denker ist ein jüngerer Zeitgenosse
-und, wie es scheint, Schüler des Abu-l-Hudhail, gewöhnlich Al-Nazzam
-genannt. Er starb im Jahre 845. Ein phantastischer, unruhiger,
-ehrgeiziger Mann, kein folgerichtiger, aber doch ein kühner und
-ehrlicher Denker, so hat ihn Dschahiz, einer seiner Schüler,
-uns vorgestellt. Die Leute hielten ihn für einen Verrückten oder
-einen Ketzer. Vieles in seinen Lehren berührt sich mit dem, was den
-Orientalen als Philosophie des Empedokles und Anaxagoras bekannt war
-(vgl. auch Abu-l-Hudhail).
-
-Nach der Ansicht Nazzams kann Gott überhaupt kein Böses thun, ja er
-kann nur das, was er als das Beste für seine Diener erkennt. Seine
-Allmacht reicht auch nicht weiter als die wirkliche That. Wer
-könnte ihn daran hindern, die schöne Überfülle seines Wesens zu
-verwirklichen? Einen Willen im eigentlichen Sinne, der immer ein
-Bedürfnis voraussetze, ist Gott gar nicht beizulegen. Gottes Wille ist
-vielmehr nur eine Bezeichnung für seine Thätigkeit selbst oder für die
-den Menschen erteilten Befehle. Die Schöpfung ist ein einmaliger Akt,
-mit dem Alles zugleich erschaffen, sodass Eins im Andern enthalten
-ist und im Laufe der Zeit die verschiedenen Exemplare von Mineralien,
-Pflanzen und Tieren, sowie die vielen Adamskinder, nach und nach aus
-ihrem latenten Zustande in die Erscheinung treten.
-
-Mit den Philosophen verwirft Nazzam die Atomenlehre (s. II, 3 §
-12), weiß sich dann aber das Durchlaufen einer bestimmten Strecke,
-wegen der unendlichen Teilbarkeit des Raumes, nur durch Sprünge zu
-erklären. Statt aus Atomen lässt er die körperlichen Substanzen aus
-Accidenzen zusammengesetzt sein. Wie sich Abu-l-Hudhail die Inhärenz
-von Eigenschaften in einem Wesen nicht denken konnte, so kann sich
-Nazzam das Accidens nur als die Substanz selbst oder als einen Teil
-der Substanz vorstellen. So ist das Feuer oder das Warme z. B. latent
-im Holze vorhanden, wird aber frei, wenn durch Reibung sein Antagonist,
-das Kalte, verschwindet. Es findet dabei eine Bewegung oder Umsetzung,
-aber keine qualitative Veränderung statt. Die sinnlichen Qualitäten,
-wie Farben, Geschmäcke und Gerüche, sind nach Nazzam Körper.
-
-Auch die Seele oder den Geist des Menschen fasst er als einen feinen
-Körper auf. Freilich ist die Seele des Menschen vorzüglichster Teil,
-sie durchdringt den Körper, ihr Organ, ganz und ist der wirkliche,
-wahrhafte Mensch zu nennen. Gedanken und Strebungen werden als
-Bewegungen der Seele definiert.
-
-In Glaubenssachen und Gesetzesfragen verwirft Nazzam sowohl die
-Übereinstimmung der Gemeinde als auch die analogische Interpretation
-des Rechtes, und beruft sich, schiitisch, auf den unfehlbaren
-Imam. Er hält es für möglich, dass alle Muslime eine irrige Lehre
-übereinstimmend zulassen, wie z. B. dass Mohammed im Unterschiede von
-anderen Propheten eine Mission für die ganze Menschheit habe. Gott
-sendet aber jeden Propheten zur ganzen Menschheit.
-
-Übrigens teilt Nazzam in Bezug auf die Erkenntnis Gottes und
-der sittlichen Pflichten durch die Vernunft die Ansicht des
-Abu-l-Hudhail. Von der unnachahmbaren Vortrefflichkeit des Korans ist
-er nicht sonderlich überzeugt. Es soll das ewige Wunder des Korans
-nur darin bestehen, dass die Zeitgenossen Mohammeds davon abgehalten
-wurden, dem Koran Ähnliches hervorzubringen.
-
-Von der muslimischen Eschatologie hat er wohl nicht viel
-gehalten. Wenigstens löst sich für ihn die Höllenqual in einen
-Verbrennungsprozess auf.
-
-9. Aus der Schule Nazzams werden uns viele synkretistische Lehren
-überliefert, alle ohne Originalität. Von den Männern, die aus ihr
-hervorgegangen, ist der berühmteste der Schöngeist und Naturphilosoph
-Dschahiz (gest. 869), der vom echten Gelehrten verlangte, er solle das
-Studium der Theologie mit dem der Naturwissenschaft verknüpfen. In
-allen Dingen spürt er die Wirkungen der Natur, in diesen aber einen
-Hinweis auf den Schöpfer der Welt. Die menschliche Vernunft ist im
-Stande, den Schöpfer zu erkennen und ebenso das Bedürfnis nach einer
-prophetischen Offenbarung einzusehen. Des Menschen Verdienst ist nur
-sein Wollen, denn einerseits sind alle seine Thaten im Naturgeschehen
-verflochten, und andererseits ist sein ganzes Wissen notwendig von
-oben bestimmt. Doch scheint dem Wollen, das aus dem Wissen abgeleitet
-wird, keine große Bedeutung zuzukommen. Wenigstens wird der Wille
-im göttlichen Wesen ganz negativ gefasst, d. h. Gott wirke niemals
-unbewusst und mit Missfallen an seinem Werke.
-
-In alldem ist wenig Eigenes. Das Mittelmaß ist sein ethisches Ideal,
-aber auch seines Geistes Geschick. Nur im Kompilieren seiner vielen
-Schriften ist Dschahiz unmäßig gewesen.
-
-10. Bei den älteren Mutaziliten überwiegen die ethischen und
-naturphilosophischen Erwägungen; bei den späteren gewinnen
-logisch-metaphysische Betrachtungen das Übergewicht. Besonders
-neuplatonische Einflüsse sind hier zu verspüren.
-
-Muammar, dessen Lebenszeit nicht näher bestimmt wird (etwa um 900
-anzusetzen), hat manches mit den Obengenannten gemeinsam. Aber weit
-nachdrücklicher leugnet er die Existenz göttlicher Eigenschaften,
-die der absoluten Einheit des Wesens widersprechen. Gott ist über jede
-Vielheit hinaus. Er kennt weder sich selbst noch ein Anderes, denn das
-Wissen würde in ihm eine Vielheit voraussetzen. Auch ist er überewig zu
-nennen. Dennoch ist er als Schöpfer der Welt anzuerkennen. Freilich
-hat er nur Körper geschaffen, und diese schaffen selbst, sei es
-durch Naturwirkung, sei es mit Willen, ihre Accidenzen. Die Zahl
-dieser Accidenzen ist unendlich, denn sie sind ihrem Wesen nach
-nichts weiter als die begrifflichen Beziehungen des Denkens. Muammar
-ist Conceptualist. Bewegung und Ruhe, Gleichheit und Verschiedenheit
-u. s. w. sind nichts an sich, sondern haben nur eine begriffliche oder
-ideelle Wirklichkeit. Die Seele, die das wahre Wesen des Menschen sein
-soll, wird als eine Idee oder eine immaterielle Substanz gefasst. Wie
-sie sich dann zum Körper und zu dem göttlichen Wesen verhalte, wird
-nicht klargestellt. Die Überlieferung ist verworren.
-
-Des Menschen Wille ist frei, das Wollen eigentlich seine einzige
-That. Denn die äußere Handlung gehört dem Körper (vgl. Dschahiz).
-
-Die Schule von Bagdad, der Muammar anzugehören scheint, war
-conceptualistisch. Mit Ausnahme der allgemeinsten Bestimmungen,
-denen des Seins und des Werdens, ließ sie die Universalien nur als
-Begriffe Bestand haben. Näher dem Realismus stand Abu Haschim von
-Basra (gest. 933). Gottes Eigenschaften, sowie die Accidenzen oder
-Gattungsbegriffe überhaupt, fasste er als ein Mittleres zwischen Sein
-und Nichtsein auf. Er nannte sie Zustände oder Modi. Als Erfordernis
-alles Wissens bezeichnete er den Zweifel. Ein naiver Realist war
-er nicht.
-
-Auch mit dem Nichtsein trieben mutazilitische Denker ein dialektisches
-Spiel. Es werde gedacht, es müsse also dem Nichtsein wie dem Sein
-eine Art Wirklichkeit zukommen, folgerte man. Versucht doch der Mensch
-eher das Nichts zu denken, als dass er überhaupt nicht denke.
-
-11. Im neunten Jahrhundert hatten sich im Kampfe gegen die
-Mutaziliten mehrere dialektische Systeme ausgebildet, von denen
-u. a. das karramitische sich lange über das zehnte Jahrhundert hinaus
-erhielt. Aus den Reihen der Mutaziliten aber erstand der Mann, der
-die Gegensätze zu vermitteln berufen war, und der das zunächst im
-Osten, später im ganzen Islam als orthodox anerkannte Lehrsystem
-aufstellte. Es war al-Aschari (873-935), der es verstand, Gotte zu
-geben, was Gottes, und dem Menschen, was des Menschen ist. Den groben
-Anthropomorphismus der antimutazilitischen Dialektiker wies er ab,
-Gott über alles Körperliche und Menschliche hinausrückend, ihm aber
-seine Allmacht und Allwirksamkeit lassend. Die Natur büßte bei ihm alle
-ihre Wirksamkeit ein, dem Menschen aber wurde ein gewisses Verdienst
-vorbehalten, darin bestehend, dass er den von Gott in ihm geschaffenen
-Handlungen seine Zustimmung erteilen, sich dieselben als seine Thaten
-aneignen könne. Auch wurde dem Menschen sein sinnlich-geistiges Wesen
-nicht verkümmert. Er durfte hoffen auf die Auferstehung des Fleisches
-und das Schauen Gottes. Was die koranische Offenbarung betrifft,
-unterschied Aschari zwischen einem ewigen Worte in Gott und dem in
-der Zeit geoffenbarten Buche, wie wir es besitzen.
-
-Bei der Ausführung seiner Lehren zeigte sich Aschari in keiner Weise
-originell, sondern er fasste nur Gegebenes vermittelnd zusammen,
-was denn nicht ohne Widersprüche gelingen wollte. Die Hauptsache
-jedoch war, dass seine Kosmologie, Anthropologie und Eschatologie,
-zur Erbauung frommer Seelen, nicht allzu weit von dem Wortlaute der
-Tradition sich entfernten, und dass seine Theologie, infolge einer
-etwas vergeistigten Auffassung Gottes, auch höher Gebildete nicht
-ganz unbefriedigt ließ.
-
-Aschari stützt sich auf die Offenbarung des Korans. Eine davon
-unabhängige Vernunfterkenntnis in Bezug auf göttliche Dinge erkennt
-er nicht an. Die Sinne sollen im allgemeinen nicht täuschen, dagegen
-wohl unser Urteil. Zwar erkennen wir Gott mit unserer Vernunft,
-aber nur aus der Offenbarung, der einzigen Quelle solchen Wissens.
-
-Gott ist nun, nach Aschari, zunächst der allmächtige Schöpfer. Ferner
-ist er allwissend, er weiß, was die Menschen thun und was sie thun
-wollen, was geschieht und wie das, was nicht geschieht, wenn es
-geschähe, geschehen wäre. Dazu kommen Gott alle Bestimmungen zu, die
-irgend eine Vollkommenheit ausdrücken, nur dass sie Gott in einem
-anderen, höheren Sinne eignen als den Geschöpfen. In Schöpfung und
-Erhaltung der Welt ist Gott die einzige Ursache; alles Weltgeschehen
-rührt fortwährend unmittelbar von ihm her. Der Mensch aber ist
-sich des Unterschiedes zwischen seinen unwillkürlichen Bewegungen,
-wie Zittern und Beben, und seiner mit Willen und Wahl ausgeführten
-Handlungen wohl bewusst.
-
-12. Das Eigentümlichste, was die Dialektik der Muslime ausgebildet hat,
-ist ihre Atomenlehre. Die Entwicklung dieser Lehre liegt noch fast ganz
-im Dunkeln. Schon von Mutaziliten, besonders aber von deren Gegnern
-vor Aschari ist sie vertreten worden. Unsere Darstellung zeigt, wie
-sie sich in der ascharitischen Schule erhalten, zum Teil vielleicht
-erst ausgebildet hat.
-
-Die Atomenlehre der muslimischen Dialektiker hat ihre Quelle
-allerdings in griechischer Naturphilosophie, aber ihre Aufnahme
-und Weiterbildung sind von den Bedürfnissen theologischer Polemik
-und Apologetik bestimmt, wie sich dies ähnlich bei einzelnen Juden
-und bei gläubigen Katholiken beobachten lässt. Dass man, im Islam,
-den Atomismus aufgegriffen habe, nur weil Aristoteles ihn bekämpfte,
-ist nicht wohl glaublich. Wir haben hier einen verzweifelten Kampf
-um ein religiöses Gut zu verzeichnen, dabei die Waffen nicht gewählt
-werden. Der Zweck entscheidet. Die Natur soll nicht aus sich selbst
-heraus, sondern aus einem göttlichen Schöpfungsakte erklärt; nicht als
-eine ewige göttliche Ordnung, sondern als ein Geschöpf vergänglichen
-Daseins diese Welt angesehen werden. Als freiwirkender, allmächtiger
-Schöpfer soll Gott gedacht und benannt werden, nicht als unpersönliche
-Ursache oder ruhender Urgrund. An der Spitze der muslimischen Dogmatik
-steht daher seit alter Zeit die Schöpfungslehre als ein Zeugnis gegen
-die heidnisch-philosophische Ansicht von der Ewigkeit der Welt und
-von den Wirkungen der Natur.
-
-Was wir von der Sinnenwelt wahrnehmen, so reden diese Atomisten, sind
-vorübergehende Accidenzen, die jeden Augenblick kommen und gehen. Das
-Substrat dieses Wechsels sind die (körperlichen) Substanzen, die,
-weil in oder an ihnen Veränderungen vorgehen, nicht unveränderlich
-gedacht werden können. Sind sie, die Substanzen, veränderlich,
-dann können sie auch nicht dauerhaft sein, denn Ewiges ändert
-sich nicht. Folglich ist Alles in der Welt, da Alles sich ändert,
-entstanden, von Gott erschaffen.
-
-Das ist der Ausgangspunkt. Von der Veränderlichkeit alles Existierenden
-wird geschlossen auf den ewigen, unveränderlichen Schöpfer. Die
-Späteren aber schließen, unter dem Einfluss muslimischer Philosophen,
-von der Kontingenz oder Possibilität alles Endlichen auf das
-notwendig-existierende Wesen Gottes.
-
-Kehren wir zur Welt zurück. Sie besteht aus Accidenzen und deren
-Substrate, die Substanzen. Substanz und Accidens oder Qualität sind die
-zwei Kategorien, mittelst derer die Wirklichkeit begriffen wird. Die
-übrigen Kategorien fallen entweder unter die der Qualität oder lösen
-sich in Verhältnisse und Denkbestimmungen auf, denen, objektiv,
-nichts entspricht. Die Materie als Möglichkeit ist nur im Denken,
-die Zeit ist nichts anderes als Koexistenz verschiedener Gegenstände
-oder simultane Beziehung der Vorstellung, und Raum und Größe kommen
-zwar den Körpern zu, nicht aber den einzelnen Teilen (Atomen), aus
-denen die Körper zusammengesetzt sind.
-
-Was von den Substanzen überhaupt ausgesagt werden kann, sind
-Accidenzen. Ihre Anzahl ist, an jeder einzelnen Substanz, zahlreich
-oder gar, wie einige behaupten, unendlich, da von beliebigen
-gegensätzlichen Bestimmungen, zu denen auch die negativen gehören,
-jeder Substanz entweder die eine oder die andere zukomme. Das negative
-Accidens hat um nichts weniger Realität als das positive. Gott schafft
-auch die Privation und die Vernichtung, wofür es denn freilich
-nicht leicht ist, das Substrat ausfindig zu machen. Und da jedes
-Accidens immer nur seinen Sitz in irgend einer Substanz haben kann,
-und nicht in einem anderen Accidens, so gibt es in Wirklichkeit kein
-Allgemeines, mehreren Substanzen Gemeinsames. Die Universalien sind
-in keiner Weise in den Einzeldingen, sie sind Begriffe.
-
-Somit gibt es keine Verbindung zwischen den Substanzen, sie stehen
-getrennt für sich als Atome, die einander gleich sind. Eigentlich
-haben sie eine größere Ähnlichkeit mit den Homöomerien des Anaxagoras
-als mit den kleinsten Stoffteilchen der Atomisten. Sie sind an sich
-unräumlich (ohne makan), haben aber ihren Ort (hajjiz) und füllen durch
-ihre Position den Raum aus. Es sind also unausgedehnte, punktuell
-gedachte Einheiten, aus denen die räumliche Körperwelt aufgebaut
-wird. Zwischen ihnen soll es ein Leeres geben, denn sonst wäre, da
-die Atome nicht in einander eindringen, jede Bewegung unmöglich. Alle
-Veränderung aber wird auf Vereinigung und Trennung, Bewegung und
-Ruhe zurückgeführt. Sonstige, wirksame Beziehungen zwischen den
-Atomen-Substanzen gibt es nicht. Sie sind einmal da und freuen sich
-ihres Daseins, haben aber gar nichts mit einander zu thun. Die Welt
-ist eine diskontinuierliche Masse, ohne lebendige Wechselwirkung.
-
-Das Altertum hatte dieser Auffassung vorgearbeitet, u. a. auch mit
-seiner Lehre von dem diskontinuierlichen Charakter der Zahl. Wurde
-die Zeit nicht als die Zahl der Bewegung definiert? Warum sollte
-man nun nicht jene Lehre auf Raum, Zeit und Bewegung übertragen? Die
-Dialektiker thaten es, und es mag auch die Skepsis der Alten dabei
-mitgewirkt haben. Wie die substanzielle Körperwelt wurden auch Raum,
-Zeit und Bewegung in Atome ohne Ausdehnung, in Momente ohne Dauer
-zerlegt. Die Zeit wird eine Aufeinanderfolge von vielen einzelnen
-Jetzt, und zwischen je zwei Zeitmomenten gibt es ein Leeres. Ebenso
-verhält es sich mit der Bewegung: zwischen je zwei Bewegungen gibt es
-eine Ruhe. Eine schnelle und eine langsame Bewegung besitzen dieselbe
-Geschwindigkeit, nur hat die letztere mehr Ruhepunkte. Um dann aber
-über den leeren Raum, das unausgefüllte Zeitmoment und die Ruhepause
-zwischen zwei Bewegungen hinauszukommen, wird die Lehre vom Sprunge
-benutzt. Von Raumpunkt zu Raumpunkt soll die Bewegung, von Moment zu
-Moment die Zeit weiterspringen.
-
-Diese phantastische Lehre brauchte man eigentlich gar nicht. Sie
-war eine Antwort auf naives Fragen. Konsequent hatte man die ganze
-räumlich-zeitlich bewegte Körperwelt in Atome mit deren Accidenzen
-zerstückt. Wohl behaupteten einige, dass zwar die Accidenzen jeden
-Augenblick schwinden, die Substanzen dagegen dauernden Bestand haben,
-aber andere machten da keinen Unterschied. Wie die Accidenzen, so
-lehrten sie, bestehen auch die Substanzen, die ja Raumpunkte sind,
-nur einen Zeitpunkt. Jeden Augenblick schafft Gott die Welt aufs neue,
-sodass ihr jetziger Zustand weder mit dem unmittelbar vorhergehenden
-noch mit dem gleich folgenden in irgend einem wesentlichen
-Zusammenhange steht. Es gibt also eine Reihe aufeinander folgender
-Welten, die sich nur scheinbar als eine Welt darstellen. Dass es für
-uns so etwas wie Zusammenhang oder Kausalität in den Erscheinungen
-gibt, rührt nur daher, dass es Allah nach seinem unergründlichen
-Willen heut oder morgen nicht beliebt, die Gewohnheit des Geschehens
-durch ein Wunder zu unterbrechen, was er aber jeden Augenblick zu thun
-im Stande ist. Wie aller Kausalzusammenhang nach dem atomistischen
-Kalam verschwindet, wird sehr gut durch das klassische Beispiel
-vom schreibenden Menschen ausgedrückt. Gott schafft nämlich in ihm,
-und zwar an jedem Zeitpunkte aufs neue, zuerst den Willen, dann das
-Vermögen zu schreiben, darauf die Bewegung der Hand, und endlich die
-Bewegung der Feder. Eins ist dabei völlig unabhängig von dem Andern.
-
-Wenn man nun dagegen einwendet, dass mit der Kausalität oder der
-Regelmäßigkeit des Weltgeschehens auch die Möglichkeit alles Wissens
-aufgehoben sei, so erwidert der gläubige Denker, Allah wisse ja Alles
-vorher schon, er schaffe nicht nur die Dinge der Welt und was sie zu
-wirken scheinen, sondern auch das Wissen darum in der menschlichen
-Seele, und wir brauchen nicht weiser zu sein als Er. Er weiß es
-am besten.
-
-Allah und die Welt, Gott und der Mensch, über diese Gegensätze konnte
-die muslimische Dialektik nicht hinaus kommen. Außer Gott gibt es
-nur Platz für körperliche Substanzen und deren Accidenzen. Das
-Dasein menschlicher Seelen als unkörperlicher Substanzen, sowie
-überhaupt die Existenz reiner Geister, beides von Philosophen und,
-weniger bestimmt, von einigen Mutaziliten gelehrt, wollte nicht
-recht stimmen zu der muslimischen Lehre von der Transcendenz Gottes,
-der keinen Genossen hat. Die Seele gehört zu der Körperwelt. Leben,
-Empfindung, Beseeltheit sind ebenso Accidenzen wie Farbe, Geschmack
-und Geruch, Bewegung und Ruhe. Einige nehmen nur ein Seelenatom an,
-nach anderen sind mehrere feine Seelenatome unter die Körperatome
-gemischt. Das Denken haftet jedenfalls an einem einzigen Atom.
-
-13. Nicht alle guten Muslime konnten sich bei der Dialektik
-beruhigen. Der fromme Diener Gottes möchte doch auf andere Weise
-seinem Herrn etwas näher kommen. Dieses Bedürfnis, schon anfangs im
-Islam vorhanden, durch christliche und persisch-indische Einflüsse
-verstärkt und unter entwickelteren Kulturverhältnissen mächtig
-angewachsen, hat im Islam eine Reihe von Erscheinungen hervorgerufen,
-die man als Mystik und Sufismus [11] zu bezeichnen pflegt. In dieser
-Entwicklung eines muslimischen Heiligenwesens und Mönchtums hat sich
-die Geschichte christlicher Mönche und Klöster in Syrien und Ägypten,
-auch diejenige indischer Büßer wiederholt. Im Grunde haben wir es hier
-also mit religiöser oder geistiger Praxis zu thun. Aber die Praxis
-spiegelt sich immer im Denken, sie erhält ihre Theorie. Man bedurfte,
-um ein intimeres Verhältnis mit der Gottheit zu Stande zu bringen,
-vielfach symbolischer Handlungen und vermittelnder Personen. Diese nun
-versuchten es, sich und den Eingeweihten die Geheimnisse der Symbole
-zu enthüllen und außerdem ihre eigene vermittelnde Stellung in der
-Stufenordnung des Alls zu begründen. Besonders neuplatonische Lehren,
-teilweise aus der trüben Quelle des Pseudo-Dionysios des Areopagiten
-und des heiligen Hierotheos (Stephen bar Sudaili?) mussten dazu
-herhalten. Auch scheint der indische Yoga, wenigstens in Persien,
-bedeutend eingewirkt zu haben. Meistens hielt sich die Mystik in
-den Schranken der Orthodoxie, die immer auch verständig genug war,
-Dichtern und Schwärmern etwas nachzusehen. In Bezug auf die Lehre,
-dass Gott alles in allem wirke, waren Dialektiker und Mystiker
-einverstanden. Dass aber Gott auch alles in allem sei, wurde von der
-extremen Mystik hinzugefügt. Daraus entwickelte sich ein heterodoxer
-Pantheismus, der die Welt zum leeren Scheine und das menschliche Ich
-zum Gotte machte. So wird die Einheit Gottes zur Alleinheit, seine
-Allwirksamkeit zur Allwesenheit. Höchstens gibt es außer Gott noch die
-Eigenschaften oder Zustände der sufischen zu Ihm sich hinbewegenden
-Seele. Eine Psychologie des Gefühles wird von sufischen Lehrern
-entwickelt. Während, nach ihnen, unsere Vorstellungen von außen an
-die Seele herankommen und unsere Strebungen eine Veräußerlichung des
-Inneren bedeuten, besteht das wahre Wesen unserer Seele aus gewissen
-Zuständen oder Gefühlen der Lust und Unlust. Das wesentlichste
-von allen ist die Liebe. Weder Furcht noch Hoffnung, sondern die
-Liebe erhebt uns zu Gott. Kein Wissen und kein Wollen, sondern die
-Vereinigung mit dem Geliebten heißt Seligkeit.
-
-Weit gründlicher als von den Dialektikern wird von diesen Mystikern
-die Welt, und schließlich auch die Menschenseele vernichtet. Von
-jenen ist sie der schaffenden Willkür, von diesen dem erleuchtenden,
-liebenden Wesen Gottes zum Opfer dargebracht worden. In der Sehnsucht
-nach dem Einen Geliebten wird die verwirrende Mannigfaltigkeit
-der Dinge, wie sie unseren Sinnen und der Vorstellung erscheint,
-abgestreift. Alles wird, im Sein wie im Denken, auf einen Punkt
-konzentriert. Als Gegensatz denke man sich echtes Griechentum. Dort
-wünschte man sich die Zahl der Sinne größer, um etwas mehr von dieser
-schönen Welt erkennen zu können. Diese Mystiker aber schelten die
-Vielheit der Sinne, weil sie Verwirrung in ihr Glück hineinbringt.
-
-Doch macht die menschliche Natur sich überall geltend. Jene Welt und
-Sinnen entsagenden Männer schwelgen oft bis in ein hohes Alter hinein
-in den sinnlichsten Phantasien.
-
-Dass viele sich gar wenig um die Glaubenslehre kümmerten, und dass die
-asketische Moral der Sufis öfter in das Gegenteil sich verwandelte,
-braucht uns nach alledem nicht zu wundern.
-
-Die Entwicklung des Sufismus im einzelnen zu verfolgen, ist mehr eine
-Aufgabe für die Religions- als für die Philosophiegeschichte. Auch
-finden wir die philosophischen Elemente, die darin aufgenommen wurden,
-bei den muslimischen Philosophen, denen wir im folgenden begegnen
-werden.
-
-
-
-
-4. Litteratur und Geschichte.
-
-1. Arabische Poesie und Annalistik haben sich unabhängig von
-Schulgelehrsamkeit ausgebildet. Im Laufe der Zeit aber wussten
-Litteratur und Geschichtschreibung sich nicht von fremden Einflüssen
-rein zu erhalten. Mit einigen Andeutungen, dies zu erhärten, müssen
-wir uns hier begnügen.
-
-Einen Bruch mit der poetischen Tradition des Arabertums, wie ihn
-das Christentum in der germanischen Welt verursachte, bedeutete
-die Einführung des Islam nicht. Schon die weltliche Litteratur
-der Omajjadenzeit überlieferte viele Weisheitssprüche, zum Teil
-aus der altarabischen Poesie, die der Koranpredigt Konkurrenz
-machten. Abbasidenchalife, wie Mansur, Harun und Mamun, waren
-litterarisch gebildeter als Karl der Große. Ihre Söhne wurden nicht nur
-mit Koranlektüre erzogen, sondern auch mit den alten Dichtern und der
-Volksgeschichte bekannt gemacht. Dichter und Litteraten wurden an die
-Höfe gezogen und fürstlich belohnt. Dort erfuhr dann die Litteratur
-den Einfluss gelehrter Bildung und philosophischer Spekulation, wenn
-auch in den meisten Fällen recht oberflächlich. Dies zeigt sich vor
-allem in skeptischen Äußerungen, frivoler Verspottung des Heiligsten
-und Verherrlichung des Sinnengenusses. Daneben aber drangen weise
-Sprüche, ernste Betrachtungen, mystische Spekulationen in die anfangs
-nüchtern-realistische Poesie der Araber ein. Statt der sinnlichen
-Frische der Darstellung trat ein ermüdendes Spiel mit Gedanken und
-Gefühlen, wenn nicht gar mit leeren Worten, Metren und Reimen, ein.
-
-2. Der hässliche Abu-l-Atahia (748-828) redet in seiner süßlichen
-Poesie fast immer von unglücklicher Liebe und Verlangen nach dem
-Tode. Seine Weisheit spricht er in diesen Versen aus:
-
-
- Lass nach dem Zweifel den Verstand sich richten:
- Vor Sünde schützt am besten das Verzichten.
-
-
-Wer nur einiges Verständnis für das Leben und für Naturpoesie besitzt,
-wird sich an seinen Weltentsagungsgedichten ebensowenig erfreuen
-können, wie an den der Form nach zwar epigrammatischen, dem Inhalte
-nach aber furchtbar langweiligen Versen des Mutanabbi (905-965),
-den man wohl als den größten arabischen Dichter gefeiert hat.
-
-Ebenso hat man über Gebühr Abu-l-Ala al-Maarri (973-1058) als
-philosophischen Dichter erhoben. Seine, mitunter ganz ehrenwerten
-Gesinnungen und verständigen Ansichten sind weder Philosophie noch ist
-der gekünstelte und oft banale Ausdruck dafür Poesie. Als Philologe
-oder Historiker hätte dieser Mann bei günstigeren Verhältnissen (er
-war blind und nicht übermäßig reich) vielleicht in der niederen Kritik
-etwas leisten können. Nun aber muss er statt Begeisterung für das Leben
-freudenlose Entsagung predigen, an den politischen Verhältnissen,
-den Anschauungen der gläubigen Menge und den wissenschaftlichen
-Behauptungen der Gelehrten herumnörgeln, ohne selbst etwas
-Positives aufstellen zu können. Es fehlt ihm fast ganz die Gabe der
-Kombination. Analysieren kann er, aber er findet keine Synthese. Sein
-Wissen ist unfruchtbar. Der Baum seiner Erkenntnis hat die Wurzeln in
-der Luft, wie er selbst in einem seiner Briefe, wohl in anderem Sinne,
-eingesteht. Er lebt als strenger Cölibatär und Vegetarianer, wie es
-sich für einen Pessimisten geziemt. Es ist ja Alles, wie er in seinen
-Gedichten ausspricht, eitel Tand. Das Geschick ist blind, die Zeit
-verschont weder den König, der des Lebens genießt, noch den Frommen,
-der seine Nächte durchwacht. Auch der widervernünftige Glaube löst
-uns des Daseins Rätsel nicht. Was es hinter dem bewegten Himmel geben
-mag, bleibt uns ewig verborgen. Religionen, welche da eine Aussicht
-eröffnen, sind vom Eigennutz erfunden. Allerhand Sekten und Parteiungen
-werden von den Mächtigen benutzt, ihre Gewalt zu sichern. Die Wahrheit
-darüber darf man nur leise sagen. Darum ist es das klügste, sich von
-der Welt entfernt zu halten, uneigennützig Gutes zu thun, weil dies
-tugendhaft und schön ist, ohne irgendwelche Aussicht auf Belohnung.
-
-Andere Schöngeister hatten eine praktischere Philosophie und wussten
-sich besser in der Welt geltend zu machen. Sie huldigten der klugen
-Lehre des Theaterdirektors aus Goethes Faust: Wer vieles bringt, wird
-manchem etwas bringen. Der vollendetste Typus dieser Art ist Hariri
-(1054-1122), dessen Held, der Bettler und Landstreicher Abu Zaid von
-Serug als höchste Weisheit lehrt:
-
-
- Hetze, statt gehetzt zu werden;
- Welt ist all ein Wald für Hatzen.
- Wenn der Falke dir entgangen,
- Nimm fürlieb nur mit dem Spatzen;
- Und erhältst du nicht den Thaler,
- So begnüg' dich mit dem Batzen. [12]
-
-
-3. Wie die Poesie, so zeichnete sich auch die Annalistik der alten
-Araber durch scharfe Erfassung des Einzelnen aus, war aber einer
-Gesamtauffassung der Ereignisse nicht fähig. Mit der gewaltigen
-Ausdehnung des Reiches erweiterte sich dann der Blick. Zunächst wurde
-ein großes Material gesammelt. Mehr als die religiösen Pilgerzüge
-förderten Reisen zur Sammlung von Traditionen, zum Zwecke der
-Verwaltung und des Handels, oder auch zur Befriedigung der Neugier
-unternommen, das geschichtliche und geographische Wissen. Eigentümliche
-Methoden der Forschung, auf den Wert der Überlieferung als Quelle
-unseres Wissens sich beziehend, wurden ausgearbeitet. Mit derselben
-Subtilität, wie in der Grammatik, ein ausgedehntes Feld der Beobachtung
-ins Unendliche einteilend, mehr arabeskenhaft als übersichtlich,
-bildete sich so eine Logik der Geschichte aus, die dem orientalischen
-Auge um vieles schöner erscheinen musste als das aristotelische
-Organon in seinem strengen Aufbau. Von vielen wurde die Überlieferung,
-mit deren Beglaubigung man es in der Regel praktisch weniger genau
-nahm als in der Theorie, dem Sinnenzeugnisse gleichgesetzt, und dem
-Verstandesurteile, das ja so leicht Fehlschlüsse zulasse, vorgezogen.
-
-Es gab aber immer Leute, die unparteiisch sich widersprechende Berichte
-neben einander überlieferten. Andere, obgleich mit Schonung für die
-Gefühle und Bedürfnisse der Gegenwart, hielten ihr mehr oder weniger
-begründetes Urteil über Vergangenes nicht zurück, wie es denn oft
-leichter ist, aus der Geschichte als aus dem Leben klug zu werden.
-
-Neue Gegenstände der Forschung, neue Betrachtungsweisen traten
-hinzu. Die Erdkunde nahm, z. B. in der Klimatogeographie,
-Naturphilosophisches auf, die Geschichtsschreibung zog auch das
-geistige Leben, Glauben und Sitte, Litteratur und Wissenschaft in den
-Bereich ihrer Darstellung. Die Bekanntschaft mit anderen Ländern und
-Völkern forderte vielfach zum Vergleiche auf. Und es kam also ein
-internationales, humanistisches Element herein.
-
-4. Ein Vertreter humanistischer Sinnesweise ist Masudi (gest. etwa
-956). Er hat Interesse und Verständnis für Alles, was menschlich
-ist. Überall lernt er von den Menschen, denen er begegnet, und
-infolgedessen ist die Bücherlektüre, die seine Einsamkeit ausfüllt,
-nicht unfruchtbar. Weder die enge Praxis des Lebens und Glaubens,
-noch die luftigen Spekulationen der Philosophie sagen ihm zu. Er
-kennt sein Talent. Und er findet bis zuletzt, wenn er fern von der
-Heimat in Ägypten sein Alter verbringt, seinen Trost, die Medizin
-seiner Seele, in dem Studium der Geschichte. Die Geschichte ist ihm
-die allesumfassende Wissenschaft, seine Philosophie, die die Wahrheit
-dessen, was war und ist, darzustellen hat. Auch die Weltweisheit mit
-ihrer Entwicklung wird der Geschichte zum Gegenstande. Ohne diese
-wäre ja alles Wissen längst zu Grunde gegangen. Denn die Gelehrten
-kommen und gehen, aber die Geschichte verzeichnet ihre Geistesthaten
-und stellt dadurch die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart
-her. Ohne Vorurteil berichtet sie über die Ereignisse und über die
-Ansichten der Menschen. Freilich, die Synthese der Thatsachen und die
-eigene Meinung des Verfassers herauszufinden, das überlässt Masudi
-oft dem verständigen Leser.
-
-Nach ihm darf rühmend hervorgehoben werden der Geograph Maqdasi (oder
-Muqaddasi, schrieb im Jahre 985), der viele Länder durchreiste und
-in den verschiedensten Berufen auftrat, das Leben seiner Zeit kennen
-zu lernen. Er ist ein wahrer Abu Zaid von Serug (vgl. II, 4 § 2),
-nur dass er einen Zweck hat.
-
-Kritisch geht er ans Werk. Er hält sich zu der Wissenschaft, die man
-durch Forschen und Nachfragen, nicht durch Traditionsglauben oder
-reine Vernunftschlüsse gewinnt. Was Geographisches im Koran steht,
-erklärt er sich aus dem engen Gesichtskreise der Araber, dem Allah
-sich anbequemt haben soll.
-
-Sine ira et studio beschreibt er nun die Länder und Völker, die er mit
-eigenen Augen sah. Er will an erster Stelle Selbsterlebtes darstellen,
-dann was er von glaubwürdigen Leuten vernommen, und endlich was er in
-Büchern gefunden. Aus seiner Selbstcharakteristik sind die folgenden
-Sätze zusammengezogen:
-
-"Ich habe allgemeine Bildung und Pflichtenlehre unterrichtet, bin
-als Prediger aufgetreten und habe von dem Minarete der Moscheen
-den Gebetsruf erschallen lassen. Gelehrten Sitzungen und frommen
-Übungen habe ich beigewohnt. Ich habe Suppe mit den Sufis, Brei mit
-den Mönchen und Schiffskost mit den Matrosen gegessen. Manchmal war
-ich die Eingezogenheit selbst, dann wieder aß ich verbotene Speisen
-gegen mein besseres Wissen. Ich ging mit den Einsiedlern des Libanons
-um und dann wieder lebte ich am fürstlichen Hofe. Kriege habe ich
-mitgemacht, auch saß ich gefangen und wurde als Spion in den Kerker
-geworfen. Mächtige Fürsten und Minister gaben mir Gehör, dann schloss
-ich mich wieder einer Räuberbande an oder saß als Kleinhändler auf
-dem Markte. Viel Ehren und Ansehen genoss ich, aber ebenso musste
-ich Schimpfworte hören und mich zum Eide erniedrigen, als ich der
-Ketzerei oder schlechter Handlungen verdächtigt ward." [13]
-
-Wir sind heutigen Tages gewöhnt, uns den Orientalen in beschaulicher
-Ruhe, Glauben und Sitte der Väter ergeben, vorzustellen. Ganz richtig
-ist die Vorstellung nicht. Aber weit weniger als zu der gegenwärtigen
-Lage stimmt sie zu der Verfassung des Islam in den ersten vier
-Jahrhunderten, als dieser sich anschickte, den Besitz nicht nur der
-äußeren Güter der Welt, sondern auch der geistigen Errungenschaften
-der Menschheit zu ergreifen.
-
-
-
-
-
-
-
-
-III. DIE PYTHAGOREISCHE PHILOSOPHIE.
-
-
-1. Die Naturphilosophie.
-
-1. Euklid und Ptolemäus, Hippokrat und Galen, einiges von Aristoteles,
-dazu ein umfangreiches neupythagoreisches und neuplatonisches
-Schrifttum, damit sind die Elemente der arabischen Naturphilosophie
-bezeichnet. Es ist eine Popularphilosophie, die, besonders durch die
-Sabier von Harran vermittelt, bei Schiiten und anderen Sekten Aufnahme
-fand, und die in der Folge nicht nur höfische Kreise, sondern auch eine
-ganze Masse von Gebildeten und Halbgebildeten ergriff. Einzelheiten
-aus den Schriften des "Logikers" Aristoteles wurden aufgenommen, aus
-der Meteorologie, aus der ihm zugeschriebenen Schrift Über die Welt,
-aus dem Buch der Tiere, der Psychologie u. s. w., aber der Geist
-des Ganzen ist von Pythagoras-Platon, von Stoikern und von späten
-Astrologen und Alchemisten bestimmt. Menschliche Neugierde und frommer
-Sinn, die Gottes Geheimnisse aus seinen Geschöpfen herauslesen möchten,
-gehen dabei über das praktische Bedürfnis, das etwas Rechenkunst für
-die Verteilung der Erbschaft und für den Handel, auch etwas Astronomie
-für die Zeitbestimmung gottesdienstlicher Verrichtungen brauchte,
-weit hinaus. Von überall her holt man sich seine Weisheit herbei. Es
-bekundet sich darin eine Gesinnung, die von Masudi richtig formuliert
-wurde: es sei das Gute anzuerkennen, ob es sich beim Feinde oder beim
-Freunde finde. Sollte doch Ali, der Fürst der Gläubigen, gesagt haben:
-"Die Weltweisheit ist das verirrte Schaf des Gläubigen, nimm es wieder
-auf, wenn auch von den Ungläubigen".
-
-2. Der Patron mathematischer Studien im Islam ist Pythagoras. Zwar wird
-Griechisches und Indisches gemischt, aber Alles unter neupythagoreische
-Gesichtspunkte gestellt. Ohne das Studium der mathematischen
-Disziplinen: Arithmetik und Geometrie, Astronomie und Musik, wird
-Keiner, so heißt es, zum Philosophen oder gebildeten Arzt. Die
-Zahlenlehre, höher geschätzt als die Messkunde, weil sie weniger zur
-Anschauung spricht und den Geist dem Wesen der Dinge näher bringen
-soll, gibt zu den ausschweifendsten Spielereien Veranlassung. Gott ist
-selbstverständlich die große Eins, von der Alles ausgeht, selbst keine
-Zahl, sondern Ursache der Zahl. Vor allem aber wird die Vierzahl, die
-Zahl der Elemente u. s. w., von den Naturphilosophen bevorzugt. Bald
-kann man über nichts im Himmel und auf Erden mehr reden und schreiben,
-es sei denn in viergliedrigen Sätzen und viergeteilten Abhandlungen.
-
-Von der Mathematik kam man schnell und leicht zur Astronomie und
-Astrologie hinüber. Die altorientalische Praxis, die man vorfand,
-wurde schon von den Hofastrologen der Omajjaden, eingehender aber am
-abbasidischen Hofe weitergeführt. Man gelangte dabei zu Spekulationen,
-die dem Offenbarungsglauben zuwiderliefen und deshalb von den Hütern
-der Religion niemals gebilligt werden konnten. Für den Gläubigen
-bestand nur der Gegensatz: Gott und Welt, oder dieses Leben und das
-zukünftige. Für den Astrologen aber gab es zwei Welten, eine himmlische
-und eine irdische, und Gott und das Jenseits lagen in weiter Ferne. Je
-nachdem nun das Verhältnis zwischen den Himmelskörpern und den Dingen
-unter dem Monde vorgestellt wurde, bildete sich eine verständige
-Astronomie oder eine phantastische Astrologie heraus. Ganz frei vom
-astrologischen Wahne waren nur wenige. Solange nämlich das ptolemäische
-System die Wissenschaft beherrschte, war es einem gänzlich Ungebildeten
-leichter, den Unsinn zu verspotten, als es dem gelehrten Forscher
-war, ihn zu überwinden. War ihm doch diese Erde mit ihren Lebewesen
-ein Erzeugnis himmlischer Kräfte, ein Abglanz himmlischen Lichtes,
-ein Nachklang der ewigen Sphärenharmonie. Wer nun den Sternen-
-und Sphärengeistern Vorstellung und Willen zuschrieb, ließ sie die
-Stelle der göttlichen Vorsehung vertreten, führte auf ihre Thätigkeit
-also Gutes und Böses zurück und suchte aus dem Stande ihrer Körper,
-mittelst derer sie nach dauernden Gesetzen auf das Irdische wirken, die
-zukünftigen Ereignisse zu erkunden. Andere freilich bezweifelten diese
-Vorsehung zweiter Ordnung, sei es aus Erfahrungs- und Vernunftgründen,
-sei es aus dem peripatetischen Glauben, dass die seligen himmlischen
-Wesen reine denkende Geister seien, über Vorstellung und Willen, somit
-über alle sinnliche Besonderheit erhaben, sodass ihre fürsorgliche
-Wirkung nur das Wohl des Ganzen bezwecke, niemals aber auf die
-Einzelpersönlichkeit oder das Einzelgeschehen sich beziehen könne.
-
-3. Auf dem Gebiete der Naturwissenschaften haben muslimische
-Gelehrte ein reiches Material zusammengebracht, zu einer wirklich
-wissenschaftlichen Behandlung ist es aber kaum irgendwo gekommen. In
-den einzelnen Naturwissenschaften, deren Ausbildung hier nicht
-verfolgt werden kann, hielt man sich an überlieferten Systemen. Um
-die Weisheit Gottes und die Wirkungen der Natur, die als eine Kraft
-oder eine Emanation der Weltseele gefasst wurde, zu ergründen,
-wurden alchemistische Versuche angestellt, die Zauberkräfte der
-Talismane geprüft, die Einflüsse der Musik auf Tier- und Menschenseele
-erforscht, physiognomische Beobachtungen gemacht, die Wunder des
-Schlaf- und Traumlebens, der Wahrsagerei und Prophetie zu deuten
-versucht u. s. w. Im Mittelpunkt des Interesses stand natürlich der
-Mensch als Mikrokosmos, der sämtliche Elemente und Kräfte des Alls
-in sich vereinigen soll. Als das Wesentliche am Menschen galt die
-Seele. Ihr Verhältnis zur Weltseele und ihr zukünftiges Los waren
-Gegenstände der Forschung. Aber auch über die Vermögen der Seele und
-deren Lokalisierung in Herz und Hirn wurde viel spekuliert. Einige
-hielten sich an Galen, andere gingen über ihn hinaus und ließen den
-fünf äußeren Sinnen fünf innere entsprechen, eine Lehre, die, nebst
-ähnlichen Naturgeheimnissen, auf Apollonius von Tyane zurückgeführt
-wurde.
-
-Es versteht sich, dass bei dem Studium der mathematischen
-und naturwissenschaftlichen Disziplinen die verschiedensten
-Verhaltungsweisen gegenüber den Religionslehren möglich waren. Doch
-wurden die propädeutischen Wissenschaften, sobald sie selbständig
-auftraten, dem Glauben immer gefährlich. Mit der Astronomie verband
-sich leicht die Annahme von der Weltewigkeit, von einer ungeschaffenen
-Materie, von Ewigkeit her bewegt. Und wenn die Himmelsbewegung ewig,
-dann wohl auch der irdische Wechsel. Ewig sind, so wird von manchem
-gelehrt, alle Reiche der Natur, ewig ist auch das Menschengeschlecht
-und dreht sich im Kreise herum. Nichts Neues gibt es auf der Welt, wie
-alles Andere wiederholen sich Ansichten und Begriffe der Menschen. Was
-nur möglicherweise gethan, behauptet, gewusst werden kann, ist schon
-dagewesen und wird einmal wieder da sein.
-
-Darüber ließ sich nun trefflich reden und klagen, ohne dass die
-Wissenschaft viel dadurch gefördert wurde.
-
-4. Etwas nützlicher schien die Wissenschaft der Medizin zu sein, die
-aus naheliegenden Gründen von den hohen Herren begünstigt wurde. Nicht
-am wenigsten ihretwegen beauftragten die Chalifen so viele Männer
-mit dem Übersetzen griechischer Werke. Kein Wunder also, dass der
-Einfluss mathematisch-naturwissenschaftlicher Lehren, sowie der Logik,
-auch in die Medizin eindrang. Der alte Mediziner war geneigt, sich mit
-hergebrachten Zauberformeln und anderen von der Erfahrung erprobten
-Mitteln zu begnügen. Aber die moderne Gesellschaft des neunten
-Jahrhunderts forderte vom Arzte philosophisches Wissen. Er sollte die
-"Naturen" der Nahrungs-, Genuss- und Heilmittel, die Mischungen des
-Körpers und in jedem Falle die Einwirkungen der Gestirne kennen. Der
-Arzt war der Bruder des Astrologen, dessen Wissen ihm imponierte,
-weil es einen erhabeneren Gegenstand hatte als die medizinische
-Praxis. Er sollte beim Alchemisten in die Schule gehen und nach
-mathematisch-logischen Methoden seine Kunst ausüben. Es genügte den
-Bildungsfanatikern des neunten Jahrhunderts nicht, dass der Mensch
-nach dem Qijas, d. h. logisch richtig zu sprechen, zu glauben und sich
-zu benehmen hatte, er musste sich außerdem nach dem Qijas kurieren
-lassen. Wie über die Grundlagen der Glaubens- und Pflichtenlehre,
-wurde, am Hofe Wathik's (842-847), über die Prinzipien der Medizin in
-gelehrten Sitzungen disputiert. Es fragte sich nämlich, mit Anlehnung
-an eine galenische Schrift, ob die Medizin auf Überlieferung,
-Erfahrung oder Vernunfterkenntnis beruhe, oder aber ob sie durch
-logische Deduktion (Qijas) auf mathematisch-naturwissenschaftliche
-Sätze sich stütze.
-
-5. Die hier flüchtig skizzierte Naturphilosophie galt den meisten
-Gelehrten des neunten Jahrhunderts als Philosophie schlechthin, im
-Gegensatz zu der theologischen Dialektik, und wurde als pythagoreisch
-bezeichnet. Auch in das zehnte Jahrhundert ging sie hinüber und ihr
-bedeutendster Vertreter wurde der berühmte Arzt Razi (gest. 923 oder
-932). Dieser war in Rai geboren und mathematisch gebildet und hatte
-dann mit großem Fleiße Medizin und Naturphilosophie studiert. Der
-Dialektik war er abhold, er kannte die Logik nur bis zu den
-kategorischen Figuren der ersten Analytik. Nachdem er als Direktor
-des Krankenhauses seiner Vaterstadt und in Bagdad thätig gewesen war,
-ging er auf Reisen und hielt sich an verschiedenen Fürstenhöfen auf,
-u. a. bei dem Samaniden Mansur ibn Ishaq, dem er ein medizinisches
-Werk widmete.
-
-Vom ärztlichen Berufe und dem dazu erforderlichen Studium hat Razi
-eine hohe Meinung. Die tausendjährige Weisheit der Bücher schätzt
-er mehr als die Erfahrungen des Einzelnen in einem kurzen Leben,
-zieht aber diese den nicht erfahrungsmäßig erprobten Folgerungen der
-"Logiker" vor.
-
-Das Verhältnis zwischen Leib und Seele denkt er sich von der Seele
-bestimmt. Es sollen also die Zustände und Leiden der Seele aus der
-Physiognomie sich erkennen lassen, der Mediziner soll zugleich
-Seelenarzt sein. Er verfasste darum auch eine geistige Medizin,
-eine Art Diätetik der Seele. Um die Vorschriften des muslimischen
-Gesetzes, das Weinverbot u. s. w., kümmerte er sich dabei nicht. Sein
-Libertinismus scheint ihn aber zum Pessimismus geführt zu haben. Er
-fand nämlich mehr Übel als Gutes in der Welt und bezeichnete die Lust
-als Abwesenheit von Unlust.
-
-Wie hoch Razi den Aristoteles und Galen schätzte, um ein tieferes
-Verständnis ihrer Werke hat er sich doch nicht sonderlich
-bemüht. Eifrig betrieb er die Alchemie, seiner Ansicht nach eine
-in der Existenz einer Urmaterie begründete wirkliche Kunst, die den
-Philosophen unerlässlich sei, glaubte auch, sie wäre von Pythagoras,
-Demokrit, Platon, Aristoteles und Galen ausgeübt worden. Entgegen
-der peripatetischen Lehre nahm er an, der Körper habe das Prinzip
-der Bewegung in sich selbst, was allerdings ein fruchtbarer Gedanke
-in der Naturwissenschaft hätte werden können, wenn er anerkannt und
-weiter ausgebildet worden wäre.
-
-Razis Metaphysik geht aus von alten Lehren, die seine Zeitgenossen
-dem Anaxagoras, Empedokles, Mani u. A. zuschrieben. An der Spitze
-seines Systems stehen fünf gleichewige Prinzipien, der Schöpfer,
-die Universalseele, die erste oder Urmaterie, der absolute Raum
-und die absolute Zeit oder ewige Dauer. Damit sind die notwendigen
-Bedingungen der wirklich existierenden Welt gegeben. Die einzelnen
-Sinneswahrnehmungen setzen überhaupt eine Materie voraus, wie
-die Zusammenfassung verschiedener wahrgenommener Gegenstände einen
-Raum. Die wahrgenommenen Veränderungen zwingen uns ferner zur Annahme
-einer Zeit. Die Existenz lebendiger Wesen führt uns auf eine Seele,
-und dass einige von diesen lebendigen Wesen mit Vernunft begabt sind,
-d. h. befähigt, die Künste zur höchsten Vollkommenheit zu bringen,
-dies nötigt uns an einen weisen Schöpfer zu glauben, dessen Vernunft
-alles aufs beste angeordnet hat.
-
-Trotz der Ewigkeit seiner fünf Prinzipien spricht Razi also von einem
-Schöpfer und gibt auch eine Schöpfungsgeschichte. Zuerst nämlich wurde
-ein einfaches, reines, geistiges Licht erschaffen, die Materie der
-Seelen, welche lichtartige, einfache, geistige Substanzen sind. Jene
-Lichtmaterie oder die Oberwelt, aus der die Seelen herkamen, heißt auch
-Vernunft oder Licht vom Lichte Gottes. Dem Lichte folgt der Schatten,
-aus dem, zum Dienste der vernünftigen Seele, die animalische Seele
-geschaffen wird. Zugleich aber mit dem einfachen, geistigen Lichte
-war schon anfangs ein zusammengesetztes da, das ist der Körper, aus
-dessen Schatten nun die vier Naturen, Wärme und Kälte, Trockenheit
-und Feuchtigkeit, hervorgehen. Aus diesen vier Naturen werden zuletzt
-sämtliche himmlische und irdische Körper gebildet. Aber das Alles
-geschieht von Ewigkeit her, ohne zeitlichen Anfang, denn Gott war
-nie ohne Thätigkeit.
-
-Dass Razi Astrolog war, versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Die
-Himmelskörper bestehen ja nach ihm aus denselben Elementen wie die
-irdischen Dinge und diese sind den Einwirkungen jener fortwährend
-ausgesetzt.
-
-6. Razi hatte sich nach zwei Seiten hin polemisch zu verhalten. Er
-bekämpfte einerseits die muslimische Einheit Gottes, die keine ewige
-Seele, Materie, Raum und Zeit neben sich duldet, andererseits aber
-wendete er sich gegen das dahritische System, das keinen Weltschöpfer
-anerkennt. Dieses System, das von muslimischen Schriftstellern öfter,
-mit dem gehörigen Abscheu natürlich, erwähnt wird, scheint, wenn auch
-zahlreiche, doch keine bedeutende Vertreter gefunden zu haben. Die
-Anhänger des Dahr (s. I, 2 § 2) werden als Materialisten, Sensualisten,
-Atheisten, Anhänger der Seelenwanderung u. s. w. uns vorgeführt,
-aber Genaueres über ihre Lehren erfahren wir nicht. Die Dahriten
-hatten jedenfalls nicht das Bedürfnis, alles Seiende auf ein Prinzip
-zurückzuführen, das geistigen Wesens und schaffenden Wirkens war. Und
-eines solchen Prinzipes bedurfte die muslimische Philosophie, sollte
-sie sich mit der Glaubenslehre auch nur einigermaßen vertragen. Dazu
-eignete sich die Naturphilosophie nicht, weil diese mehr Interesse
-zeigte für die mannigfachen und oft gegensätzlichen Wirkungen der
-Natur als für den Einen Urgrund des Alls. Besser aber erfüllte diesen
-Zweck der neuplatonische Aristotelismus, dessen logisch-metaphysische
-Spekulation darauf ausging, alles Seiende auf ein höchstes Sein
-zurückzuführen oder alle Dinge aus einem obersten Wirkungsprinzip
-abzuleiten. Doch bevor wir uns dieser Richtung des Denkens, die schon
-im neunten Jahrhundert sich zu zeigen anfing, zuwenden, haben wir
-noch über einen Versuch zu berichten, die Naturphilosophie mit den
-Lehren des Glaubens zu einer Religionsphilosophie zu verschmelzen.
-
-
-
-
-2. Die treuen Brüder von Basra.
-
-1. Im Orient, wo jede Religion einen Staat im Staate bildete, trat
-eine politische Partei, schon damit sie überhaupt Anhänger gewinne,
-immer zugleich als religiöse Sekte auf. Prinzipiell kannte nun der
-Islam keinen Unterschied zwischen den Menschen, keine Kasten oder
-Stände. Aber Besitz und Bildung haben überall dieselbe Wirkung. Und
-in ihrem Gefolge fing man an, Grade der Frömmigkeit und Stufen der
-Erkenntnis aufzustellen, danach Gemeinde oder Partei sich einteilen
-ließe. So entstanden geheime Gesellschaften mit verschiedenen Graden,
-deren höchster oder nächsthöchster eine Geheimlehre besaß, die
-der neupythagoreischen Naturphilosophie manches entlehnte. Zu ihrem
-Zwecke, Eroberung politischer Macht, war jedes Mittel erlaubt. Für die
-Eingeweihten wurde der Koran allegorisch ausgelegt. Zwar führte man
-diese geheime Weisheit auf Propheten mit biblischen und koranischen
-Namen zurück, es steckten aber heidnische Philosophen dahinter. Die
-Philosophie wurde ganz zu einer politischen Mythologie umgebildet. Die
-hohen Geister und Seelen, die theoretische Denker in Gestirnen
-und Planeten erkannten, verkörperten sich für die Realpolitik in
-menschliche Wesen, denen zur Gründung eines irdischen Reiches der
-Gerechtigkeit behülflich zu sein, als religiöse Pflicht verkündigt
-ward. Man kann die Gesellschaften, die solches betrieben, am besten
-mit Vereinen vergleichen, wie sie bis auf den Saint-Simonismus und
-verwandte Erscheinungen dieses Jahrhunderts, in Ländern, wo die
-Geistesfreiheit beschränkt ist, aufzutreten pflegen.
-
-Urheber einer solchen Bewegung war, in der zweiten Hälfte des
-neunten Jahrhunderts, das Haupt der Karmatenpartei, Abdallah
-ibn Maimun. Er war ein persischer Augenarzt, in der Schule der
-Naturphilosophen gebildet. Gläubige und Freidenker wusste er in einen
-Bund zusammenzuschließen, um den Versuch zu machen, die abbasidische
-Regierung zu stürzen. Dem Einen war er ein Gaukler, dem Andern ein
-frommer Asket oder ein gelehrter Philosoph. Seine Farbe war weiß,
-weil seine Religion die des reinen Lichtes, zu dem die Seele nach
-ihren irdischen Wanderungen aufsteigen sollte. Verachtung des Körpers,
-Geringschätzung der materiellen, allen Bundesbrüdern gemeinsamen Güter
-wurde gepredigt, sowie Hingebung an den Bund, Treue und Gehorsam bis
-in den Tod gegen seine Oberen. Denn der Bund stufte sich in Graden
-ab. Nach der Stufenfolge des Seins, Gott, Vernunft, Seele, Raum und
-Zeit, stellte man sich die Offenbarung Gottes in der Geschichte und
-in der Verfassung seines Bundes vor.
-
-2. Die Hauptstätten der karmatischen Wirksamkeit waren Basra
-und Kufa. Nun aber finden wir in der zweiten Hälfte des zehnten
-Jahrhunderts in Basra eine kleine Gesellschaft von Männern, deren
-Bund vier Grade haben soll. Inwiefern es den Brüdern gelungen ist,
-die ideelle Gliederung ihres Bundes zu verwirklichen, wissen wir
-freilich nicht. Dem ersten Grade gehören die jungen Männer von 15 bis
-30 Jahren an, deren Seelen in natürlicher Weise ausgebildet werden. Als
-Schüler haben sie sich ganz ihren Lehrern zu fügen. Der zweite Grad
-(30-40 Jahre) wird in die Weltweisheit eingeführt und bekommt eine
-analoge Erkenntnis der Dinge. Im dritten Grade (40-50 Jahre) wird
-das göttliche Weltgesetz in adäquater Form erkannt, es ist das die
-Stufe der Propheten. Im höchsten Grade endlich, wenn man über 50 Jahre
-hinaus ist, erlebt man, wie die seligen Engel, die wahre Wirklichkeit
-der Dinge. Man ist da über Natur, Lehre und Gesetz erhaben.
-
-Aus diesem Brüderbunde ist uns eine stufenmäßig fortschreitende
-Encyklopädie der damaligen Wissenschaften erhalten. Sie besteht
-aus 51 (ursprünglich vielleicht 50) Abhandlungen, die inhaltlich
-verschiedener Art und Herkunft sind, sodass es den Redaktoren oder
-Compilatoren nicht gelungen ist, eine durchgängige Übereinstimmung
-herzustellen. Im allgemeinen aber findet sich in dieser Encyklopädie
-ein eklektischer Gnostizismus auf naturphilosophischer Grundlage mit
-politischem Hintergrunde. Mit mathematischen Betrachtungen, voll
-Zahlen- und Buchstabenspiel hebt die Darstellung an, durch Logik
-und Physik, aber Alles auf die Seele und ihre Kräfte beziehend,
-schreitet sie fort, um endlich in mystisch-zauberischer Weise sich
-der Erkenntnis der Gottheit zu nähern. Das Ganze stellt sich als die
-Lehre einer verfolgten Sekte dar, ab und zu blickt das Politische
-hindurch. Wir sehen noch etwas von Leiden und Kampf, von Bedrückungen,
-denen die Männer dieser Encyklopädie oder ihre Vorgänger ausgesetzt
-waren, von Hoffnung, die sie hegen, von Duldung, die sie predigen. Sie
-suchen in dieser spiritualistischen Philosophie Trost oder Erlösung,
-sie ist ihre Religion. Treu bis zum Tode, heißt es, sollen die Brüder
-sein, denn für der Freunde Wohl in den Tod zu gehen, das ist der wahre
-heilige Krieg. Auf der Pilgerfahrt des Lebens durch diese Welt, so wird
-die verpflichtete Reise nach Mekka allegorisiert, soll Einer dem Andern
-mit allen Mitteln beistehen. Die Reichen sollen von ihren materiellen,
-die Weisen von ihren geistigen Gütern den Anderen mitteilen. Doch ist
-das Wissen, wie wir es in der Encyklopädie haben, wohl hauptsächlich
-den Eingeweihten der höchsten Grade vorbehalten worden.
-
-Es scheint nun allerdings dieser Bund der treuen Brüder von Basra,
-wie vielleicht eine Zweigniederlassung in Bagdad, ein stilles
-Dasein geführt zu haben. Die Brüder mögen sich zu den Karmaten etwa
-verhalten haben wie die ruhigeren Taufgesinnten zu den revolutionären
-Wiedertäufern des Königs von Sion.
-
-Als Mitglieder des Bundes und Verfasser der Encyklopädie werden uns
-von Späteren genannt: Abu Sulaiman Mohammed ibn Muschir al-Busti,
-genannt al-Muqaddasi, Abu-l-Hasan Ali ibn Harun al-Zandschani,
-Mohammed ibn Achmed al-Nahradschuri, al-Aufi und Zaid ibn Rifaa. Zur
-Zeit ihres Wirkens hatte das Chalifat seine weltliche Macht schon ganz
-dem schiitischen Bujidenhause (945) abtreten müssen. Wahrscheinlich
-begünstigte dieser Umstand das Hervortreten mit einer Encyklopädie,
-in der schiitische und mutazilitische Lehren mit den Ergebnissen der
-Philosophie zu einem populären System zusammengefasst waren.
-
-3. Die Brüder bekennen sich selbst zum Eklektizismus. Sie wollen
-die Weisheit aller Völker und Religionen sammeln. Noah und Abraham,
-Sokrates und Platon, Zoroaster und Jesus, Mohammed und Ali sind ihre
-Propheten. Sokrates, Jesus und seine Apostel, sowie die Aliden,
-werden als heilige Märtyrer ihres Vernunftglaubens verehrt. Das
-Religionsgesetz in seinem buchstäblichen Sinne heißt gut für den
-gemeinen Mann, eine Medizin für schwache und kranke Seelen; für starke
-Geister aber ist die tiefere philosophische Einsicht. Der Körper wird
-dem Tode geweiht, Sterben bedeutet Auferstehen zum reinen Leben des
-Geistes, für diejenigen nämlich, die schon während ihres Erdendaseins
-durch philosophische Betrachtungen aus sorglosem Schlummer und
-thörichtem Schlaf erwacht sind. Mit endlosen Wiederholungen, durch
-Legenden und Sagen spätgriechischer, jüdisch-christlicher, persischer
-oder indischer Herkunft, wird dieses eingeschärft. Alles Vergängliche
-wird dabei zum Gleichnis. Auf den Trümmern der positiven Religion und
-der naiven Ansicht baut sich eine spiritualistische Philosophie auf,
-alles Wissen und Streben der Menschheit, sofern es in den Gesichtskreis
-der Brüder getreten ist, umfassend. Der Zweck ihres Philosophierens
-heißt das Gottähnlichwerden der Seele, soweit es Menschen möglich ist.
-
-In der Darstellung treten, aus begreiflichen Gründen, die negativen
-Tendenzen der Brüder etwas zurück. Am rücksichtslosesten aber tritt
-ihre Kritik der menschlichen Gesellschaft und der positiven Religionen
-hervor in dem Buche vom Tier und Mensch, wo die Einkleidung es ihnen
-ermöglicht, die Tiere sagen zu lassen, was aus menschlichem Munde zu
-hören, bedenklich werden könnte.
-
-4. Der eklektische Charakter und die in den Unterteilen wenig
-systematische Art der Darstellung erschwert es, die Philosophie der
-Brüder einheitlich zu entwickeln. Doch sollen hier die wichtigsten
-Sätze, wenn auch mitunter in loser Verknüpfung, zusammengereiht werden.
-
-Die Geistesthätigkeit des Menschen zerfällt, nach der Encyklopädie, in
-Kunst und Wissenschaft. Wissen nun ist die Form des Gewussten in der
-wissenden Seele oder eine höhere, feinere, geistigere Existenzweise
-des im Stoffe Wirklichen. Kunst dagegen ist das Hervorgehenlassen
-der Form aus der Künstlerseele in die Materie hinein. Das Wissen ist
-potentiell in der Seele des Schülers vorhanden, wird aber erst aktuell
-durch die belehrende Thätigkeit eines Meisters, der das Wissen als ein
-Wirkliches in sich trägt. Woher aber hat es der erste Meister? Nach
-den Philosophen, so antworten die Brüder, hat er es sich durch eigenes
-Nachdenken erworben, nach den Theologen durch prophetische Erleuchtung
-erhalten, nach unserer Meinung aber gibt es verschiedene Wege oder
-Vermittelungen, zum Wissen zu gelangen. Aus der Mittelstellung der
-Seele zwischen Körper- und Geisteswelt ergeben sich schon drei Wege
-oder Quellen der Erkenntnis. Die Seele erkennt nämlich das, was unter
-ihr steht, durch die Sinne, das, was über ihr ist, durch logische
-Folgerung, und endlich sich selbst durch vernünftige Betrachtung oder
-unmittelbare Anschauung. Von diesen Arten ist die Selbsterkenntnis die
-gewisseste und vorzüglichste. Das menschliche Wissen erweist sich,
-wenn es darüber hinauszugehen versucht, vielfach beschränkt. Über
-Fragen, wie Weltentstehung und Weltewigkeit, soll man deshalb nicht
-gleich philosophieren, sondern sich zunächst an dem Einfacheren
-versuchen. Und nur durch Weltentsagung und gerechten Wandel erhebt
-die Seele sich allmählich zur reinen Erkenntnis des Höchsten.
-
-5. Nach der weltlichen Bildung in Sprachwissenschaft, Poesie und
-Geschichte und nach der religiösen Erziehung und Glaubenslehre,
-soll das philosophische Studium mit den mathematischen Disziplinen
-anfangen. Alles wird hier neupythagoreisch-indisch dargestellt. Nicht
-nur die Zahlen, auch die Buchstaben werden zu kindischen Spielereien
-benutzt. Es kam da den Brüdern besonders zu statten, dass das
-arabische Alphabet 28 = 4 × 7 Buchstaben zählt. Statt nach sachlichen
-Gesichtspunkten zu verfahren, wird durch alle Wissenschaften hindurch
-nach sprachlichen Analogien und Zahlenverhältnissen phantasiert. Die
-Arithmetik untersucht nicht die Zahl als solche, sondern deren
-Bedeutsamkeit. Es wird nicht für die Erscheinungen ein zahlenmäßiger
-Ausdruck gesucht, sondern nach dem System der Zahlen werden die
-Dinge gedeutet. Die Zahlenlehre ist göttliche Weisheit, die über den
-Dingen ist, denn die Dinge sind erst den Zahlen nachgebildet. Das
-absolute Prinzip alles Seienden und Gedachten ist die Eins. Daher
-steht die Wissenschaft der Zahl am Anfang, in der Mitte und am Ende
-aller Philosophie. Die Geometrie mit ihren anschaulichen Figuren
-dient nur dazu, Anfängern das Verständnis zu erleichtern, wahre,
-reine Wissenschaft aber ist allein die Arithmetik. Doch wird auch
-die Geometrie eingeteilt in eine sinnliche, die Linien, Flächen und
-Körper zum Gegenstande hat, und eine reine oder geistige, die von den
-Dimensionen oder Eigenschaften der Dinge, Länge, Breite und Tiefe,
-handelt. Der Zweck sowohl der Arithmetik als der Geometrie ist,
-die Seele vom Sinnlichen auf das Geistige hinzuführen.
-
-Zuerst führen sie uns dann zur Betrachtung der Gestirne. In der
-Astrologie bietet nun die Encyklopädie, wie nicht anders zu erwarten
-ist, höchst phantastische, zum Teil sich widersprechende Lehren. Durch
-das Ganze geht die Überzeugung hindurch, dass die Gestirne nicht bloß
-Zukünftiges vorhersagen, sondern dass sie alles Geschehen unter dem
-Monde direkt beeinflussen oder bewirken. Sowohl Glück als Unglück
-kommt von ihnen her. Jupiter, Venus und die Sonne führen Glück,
-Saturn, Mars und der Mond dagegen Unglück herbei, und die Wirkungen
-des Merkur sind aus Gutem und Bösem gemischt. Merkur ist der Herr der
-Bildung und der Wissenschaft; ihm verdanken wir unsere Erkenntnis,
-die Gutes und Böses umfasst. So hat denn auch jeder andere Planet
-seinen eigenen Wirkungskreis, und der Mensch empfindet in seinem Leben,
-wenn er nicht vorzeitig weggerafft wird, nach und nach die Einflüsse
-sämtlicher Himmelskörper. Der Mond lässt seinen Körper wachsen
-und Merkur bildet seinen Geist aus. Dann beherrscht ihn Venus. Die
-Sonne gibt ihm Familie, Reichtum oder Herrschaft, Mars Tapferkeit
-und Edelsinn. Darauf bereitet er sich, unter Jupiters Führung, durch
-religiöse Übungen zur Reise ins Jenseits vor und gelangt unter dem
-Einflusse Saturns zur Ruhe. Viele Menschen aber leben nicht lange genug
-oder sind nicht in der Lage, ihre natürlichen Anlagen in ungestörter
-Folge zu entwickeln. Darum schickt Gott ihnen gnädig seine Propheten,
-nach deren Lehre man sich auch in kurzer Frist und unter ungünstigen
-Verhältnissen vollständig ausbilden kann.
-
-6. Nach der Encyklopädie ist der Mathematik die Logik verwandt. Wie
-nämlich die Mathematik vom Sinnlichen zum Geistigen hinführt, so nimmt
-auch die Logik eine Mittelstellung zwischen Physik und Metaphysik
-ein. Die Physik hat es mit den Körpern, die Metaphysik mit den reinen
-Geistern zu thun, die Logik aber behandelt die Begriffe dieser sowie
-die Vorstellungen jener in unserer Seele. Doch steht die Logik der
-Mathematik an Umfang und Bedeutung nach. Denn das Mathematische wird
-nicht nur als ein Mittleres, sondern auch als das Wesen des Alls
-gefasst. Hingegen bleibt die Logik ganz auf die seelischen Gebilde
-als ein Mittleres zwischen Körper und Geist beschränkt. Die Dinge
-richten sich nach den Zahlen, unsere Vorstellungen und Begriffe aber
-nach den Dingen.
-
-Die logischen Betrachtungen der Brüder knüpfen sich an Porphyrs
-Einleitung und die Kategorien, die Hermeneutik und die Analytiken
-des Aristoteles. Eigentümliches bieten sie nicht oder sehr wenig.
-
-Zu den fünf Worten des Porphyr wird als sechstes das Individuum
-hinzugefügt, wohl der Symmetrie wegen. Drei davon, Gattung,
-Art, Individuum, heißen dann objektive, und drei, Differenz,
-Proprium, Accidens, begriffliche Bestimmungen. Die Kategorien sind
-Gattungsbegriffe, von denen der erste die Substanz, die neun anderen
-deren Accidenzen bezeichnen. Durch Einteilung in Arten wird ferner das
-ganze System der Begriffe entwickelt. Außer der Einteilung aber gibt es
-noch drei logische Methoden: Analyse, Definition und Deduktion. Die
-Analyse ist die Methode für Anfänger, weil sie das Individuelle
-erkennen lässt. Subtiler aber, das Geistige uns erschließend, sind die
-Definition, welche die Arten, und die Deduktion, welche die Gattungen
-in ihrem Wesen ergründet.
-
-Über das Dasein der Dinge belehren uns die Sinne, der Dinge Wesenheit
-aber wird durch Nachdenken erkannt. Was die Sinne uns zu erkennen
-geben, ist wenig, wie die Buchstaben des Alphabets; bedeutender
-schon, wie die Worte, sind die Prinzipien der Vernunfterkenntnis;
-das Wichtigste aber sind die aus jenen Prinzipien abgeleiteten
-Sätze, die der menschliche Geist sich selbst erwirbt oder aneignet,
-im Unterschiede von demjenigen Wissen, das ihm die Natur oder die
-göttliche Offenbarung erteilt hat.
-
-7. Von Gott, dem höchsten Sein, der über alle Unterschiede und
-Gegensätze, auch des Körperlichen und Geistigen, erhaben ist, wird die
-ganze Welt auf dem Wege der Emanation abgeleitet. Wenn mitunter von
-einer Schöpfung die Rede ist, so ist das als eine Anbequemung an den
-theologischen Sprachgebrauch aufzufassen. Folgendermaßen stellt sich
-nun die Stufenreihe der emanierten Wesen dar: 1. der schaffende Geist
-(nous, `aql); 2. der leidende Geist oder die Allseele; 3. die erste
-Materie; 4. die wirkende Natur, eine Kraft der Weltseele; 5. der
-absolute Körper, auch zweite Materie genannt; 6. die Sphärenwelt;
-7. die Elemente der sublunarischen Welt; 8. die aus diesen Elementen
-zusammengesetzten Mineralien, Pflanzen und Tiere. Das sind also acht
-Wesen, die zusammen mit Gott, der absoluten Eins, die in und mit
-jedem Dinge ist, die Reihe der den neun Grundzahlen entsprechenden
-Urwesen vollenden.
-
-Geist, Seele, Urmaterie und Natur sind einfach, mit dem Körper aber
-betreten wir das Gebiet des Zusammengesetzten. Alles ist hier entweder
-Materie oder Form, Substanz oder Accidens. Die ersten Substanzen sind
-Materie und Form, die ersten Accidenzen oder Eigenschaften Raum,
-Bewegung und Zeit, denen man wohl im Sinne der Brüder den Ton und
-das Licht hinzufügen könnte. Die Materie ist eins, alle Vielheit und
-Verschiedenheit rührt von den Formen her. Die Substanz wird auch als
-die konstituierende, materielle, das Accidens als die vollendende,
-geistige Form bezeichnet. Klar spricht die Encyklopädie sich nicht
-aus. Jedenfalls aber wird die Substantialität mehr im Allgemeinen als
-im Besonderen gesucht und die Form der Materie vorgezogen. Wie ein
-Gespenst schreckt die substantielle Form von jedem Eingehen auf das
-Materielle ab. Wie Herren nach ihrer Willkür wandern die Formen durch
-die niedere Welt der Materie. Von einer inneren Beziehung zwischen
-Materie und Form ist keine Spur zu entdecken. Nicht nur gedanklich,
-sondern auch real lassen sie sich trennen.
-
-Hieraus lässt sich schon ein Begriff von der Naturgeschichte der
-Brüder bilden. Man hat sie als Darwinisten des zehnten Jahrhunderts
-hingestellt. Nichts ist weniger richtig. Zwar ergeben die verschiedenen
-Reiche der Natur, nach der Encyklopädie, eine aufsteigende und
-zusammenhängende Reihe. Aber nicht nach der Körperbildung wird
-das Verhältnis bestimmt, sondern nach der inneren Form oder der
-Seelensubstanz. In mystischer Weise wandert die Form vom Niederen zum
-Höheren und umgekehrt, nicht nach inneren Bildungsgesetzen oder durch
-Anpassung an das Äußere modifiziert, sondern nach den Einwirkungen
-der Gestirne und, wenigstens beim Menschen, nach praktischem und
-theoretischem Verhalten. Eine Entwicklungsgeschichte in modernem Sinne
-zu geben, lag den Brüdern ganz fern. Ausdrücklich betonen sie z. B.,
-Pferd und Elephant seien menschenähnlicher als der Affe, obgleich beim
-letzteren die körperliche Übereinkunft größer. Aber der Körper ist
-ja etwas ganz Nebensächliches in ihrem System, der Tod des Körpers
-heißt die Geburt der Seele. Nur die Seele ist ein wirkendes Wesen,
-das sich den Körper schafft.
-
-8. Die Naturlehre der Brüder geht demnach fast vollständig in
-Psychologie auf. Beschränken wir uns hier auf die menschliche
-Seele. Sie steht in der Mitte des Alls. Wie die Welt ein großer Mensch,
-ist der Mensch eine kleine Welt.
-
-Die menschliche Seele ist von der Weltseele emaniert, und die Seelen
-sämtlicher Individuen bilden zusammen eine Substanz, die man den
-absoluten Menschen oder den Geist der Menschheit nennen könnte. Jede
-Einzelseele aber steckt in der Materie und muss sich allmählich
-zum Geiste hinbilden. Dazu hat sie viele Vermögen oder Kräfte. Von
-diesen sind die theoretischen Vermögen die vorzüglichsten, denn in
-der Erkenntnis besteht das Leben der Seele.
-
-Die Seele des Kindes ist zunächst wie ein weißes Blatt. Was die fünf
-Sinne ihr zuführen, wird, vorn, mitten und hinten im Gehirne, erstens
-vorgestellt, zweitens beurteilt und drittens aufbewahrt. Durch das
-Vermögen der Sprache und die Schreibkunst, womit die entsprechende
-Fünfzahl innerer Sinne erreicht ist, wird dann der Vorstellungsinhalt
-verwirklicht.
-
-Unter den äußeren Sinnen geht das Gehör dem Gesichte voran, denn
-dieses bezieht sich, ein Sklave des Augenblickes, auf das sinnlich
-Gegenwärtige, dagegen das Gehör auch Vergangenes erfasst und die
-Harmonie der tönenden Sphären empfindet. Gehör und Gesicht bilden
-zusammen die Gruppe geistiger Sinne, deren Wirkung zeitlos von statten
-gehen soll.
-
-Während nun der Mensch die äußeren Sinne mit den Tieren gemein hat,
-so bekundet sich in der Urteilskraft, in der Sprache und im Handeln
-die spezifisch menschliche Vernunft. Diese urteilt über gut und
-böse, nach welchem Urteile der Wille sich entscheidet. Besonders
-aber ist die Bedeutung der Sprache für das Erkenntnisleben der Seele
-hervorzuheben. Ein Begriff, der nicht durch irgend einen Ausdruck in
-irgend einer Sprache bezeichnet werden kann, ist eben kein denkbarer
-Begriff. Das Wort ist der Körper des Gedankens, der rein für sich
-nicht bestehen kann.
-
-Wie aber diese Auffassung vom Verhältnis zwischen Begriff und Ausdruck
-zu sonstigen Meinungen der Brüder stimmen soll, ist nicht einzusehen.
-
-9. Auf ihrer höchsten Stufe wird die Lehre der Brüder
-Religionsphilosophie. Eine Versöhnung zwischen Wissenschaft und
-Leben, Philosophie und Glauben ist ihre Absicht. Da sind nun die
-Menschen sehr verschieden. Der gewöhnliche Mensch braucht einen
-sinnlichen Gottesdienst. Aber wie die Seele des gemeinen Mannes
-Tier- und Pflanzenseele unter sich hat, so stehen über ihr die
-Seele des Philosophen und des Propheten, dem sich der reine Engel
-anschließt. Auf den höheren Stufen erhebt sich die Seele auch über
-die niedere Volksreligion, deren sinnliche Vorstellungen und Gebräuche.
-
-Als die vollkommenere religiöse Offenbarung erschien den Brüdern
-wohl das Christentum, auch der zoroastrische Glaube. Unser
-Prophet Mohammed, sagen sie, wurde an ein ungebildetes Volk von
-Wüstenbewohnern geschickt, die weder von der Schönheit dieser Welt
-noch von dem geistigen Charakter der jenseitigen eine richtige
-Vorstellung besaßen. Die grobsinnlichen Ausdrücke des Korans, dem
-Verständnis jenes Volkes angepasst, sollen von den höher Gebildeten
-in spiritualistischem Sinne verstanden werden.
-
-Aber auch die anderen Volksreligionen haben die Wahrheit nicht
-rein. Über sie alle hinaus gibt es einen Vernunftglauben, für den
-die Brüder sogar eine metaphysische Ableitung versuchen. Zwischen
-Gott und sein erstes Geschöpf, den schaffenden Geist, wird als
-Hypostase das göttliche Weltgesetz (nâmûs) eingeschoben. Es ist das
-die über Alles sich erstreckende weise Anordnung eines barmherzigen
-Schöpfers, der Niemandem Böses will. Den Glauben an einen zornigen
-Gott, an Höllenstrafen und dergleichen erklären die Brüder für
-widervernünftig. Ein solcher Glaube thut der Seele weh. Die unwissende,
-sündige Seele findet schon in diesem Leben, in ihrem eigenen Leibe
-die Hölle. Auferstehung dagegen heißt die Trennung der Seele von
-ihrem Körper. Und die große Auferstehung am jüngsten Tage ist die
-Trennung der Allseele von der Welt, ihre Rückkehr zu Gott. Das Ziel
-sämtlicher Religionen ist ja die Hinwendung zu Gott.
-
-10. Die Ethik der Brüder hat einen asketisch-spiritualistischen
-Charakter, obgleich sich auch hier der Eklektizismus zeigt. Gut handelt
-nach ihr der Mensch, wenn er der richtigen Natur folgt, lobenswert
-ist die freie That der Seele, vortrefflich sind die aus vernünftiger
-Überlegung hervorgegangenen Handlungen, und einer Belohnung, d. h. der
-Erhebung zur himmlischen Sphärenwelt wert ist endlich die Befolgung des
-göttlichen Weltgesetzes. Dazu bedarf es der Sehnsucht nach oben. Die
-höchste Tugend ist deshalb die Liebe, die nach Vereinigung mit Gott,
-dem ersten Geliebten, hinstrebt, die sich aber auch in diesem Leben
-als religiöse Duldung und Schonung aller Geschöpfe bethätigt. Ihr
-Gewinn im Diesseits ist Seelenruhe, Herzensfreiheit, Frieden mit der
-ganzen Welt, und im Jenseits das Aufsteigen zum ewigen Lichte.
-
-Nach alledem braucht es uns nicht zu wundern, dass dem Leibe viel
-Schlechtes nachgesagt wird. Unser wahres Wesen heißt die Seele,
-unseres Daseins höchster Zweck soll es sein, mit Sokrates dem Geiste,
-mit Christus dem Gesetz der Liebe zu leben. Dennoch ist der Leib zu
-schonen und zu pflegen, damit die Seele Zeit habe, sich vollkommen
-zu entwickeln. In diesem Sinne wird von den Brüdern ein menschliches
-Bildungsideal aufgestellt, dessen Züge den Charakteren verschiedener
-Völker entlehnt sind. Der ideale, sittlich vollkommene Mensch soll
-nämlich ostpersischer Abstammung sein, arabisch seinem Glauben nach,
-von iraqischer (babylonischer) Bildung, erfahren wie ein Hebräer,
-ein Christusjünger in seinem Wandel, fromm wie ein syrischer Mönch,
-ein Grieche in den Einzelwissenschaften, ein Inder in der Deutung
-aller Geheimnisse, endlich aber und zuhöchst ein Sufi in seinem
-ganzen Geistesleben.
-
-11. Der Versuch einer Versöhnung, die auf diese Weise zwischen
-Wissen und Glauben sollte hergestellt werden, hat nach keiner Seite
-befriedigt. Auf die allegorische Koraninterpretation der Brüder
-blickten die theologischen Dialektiker herab, wie heutzutage
-unsere Gottesgelehrten auf die neutestamentliche Exegese des
-Grafen Tolstoi. Und die reineren Aristoteliker betrachteten
-die pythagoreisch-platonische Richtung der Encyklopädie wie
-ein heutiger Philosophieprofessor Spiritismus, Occultismus und
-derartige Erscheinungen anzusehen pflegt. Aber in der breiten
-Masse der gebildeten oder halbgebildeten Welt haben die Schriften
-oder doch die Ansichten der treuen Brüder von Basra eine bedeutende
-Wirkung erzielt, von der die vielen, meist jungen Handschriften der
-umfangreichen Encyklopädie beredtes Zeugnis ablegen. Bei vielen Sekten
-innerhalb der islamischen Welt, Batiniten, Ismaeliten, Assasinen,
-Drusen, oder wie sie sonst heißen mögen, finden wir der Hauptsache
-nach dieselben Lehren wieder. Vorzugsweise in dieser Form hat sich
-griechische Weisheit im Osten acclimatisieren können, während die
-aristotelische Schulphilosophie fast nur im Treibhause fürstlicher
-Gönner gedeihen wollte. Der große Kirchenvater Gazali that die
-Weisheit der Brüder gar leicht als Popularphilosophie ab, scheute
-sich aber nicht, von ihnen das Gute herüberzunehmen. Er verdankt ihrem
-Gedankenkreise mehr, als er wohl selbst eingestehen mochte. Auch von
-anderen, besonders in encyklopädischen Werken, sind ihre Abhandlungen
-ausgenutzt worden. Die Wirkung der Encyklopädie dauert noch fort im
-muslimischen Osten. Vergebens hat man sie, zusammen mit den Schriften
-Ibn Sina's, im Jahre 1150 zu Bagdad verbrannt.
-
-
-
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-
-
-
-IV. DIE NEUPLATONISCHEN ARISTOTELIKER DES OSTENS.
-
-
-1. Kindi. [14]
-
-1. Kindi steht in mannigfachen Beziehungen zu den mutazilitischen
-Dialektikern und den neupythagoreischen Naturphilosophen seiner Zeit
-und wir hätten ihn also schon vor Razi (s. III, 1 § 5) unter den
-letzteren behandeln können. Doch hat ihn die Tradition einstimmig als
-den ersten Peripatetiker im Islam hingestellt. Mit welchem Rechte,
-wird sich, soweit es aus den wenigen mangelhaft erhaltenen Schriften
-dieses Philosophen möglich ist, im folgenden ergeben.
-
-Abu Jaqub ibn Ishaq al-Kindi (d. h. aus dem Stamme Kinda) war
-arabischer Abstammung, und wurde deshalb, im Unterschiede von seinen
-vielen nichtarabischen Genossen, die sich mit Weltweisheit abgaben,
-der arabische Philosoph genannt. Er führte seinen Stammbaum auf die
-alten Kinda-Fürsten zurück. Ob er dazu das Recht besaß, lassen wir
-dahingestellt bleiben. Jedenfalls hatte der südarabische Kindastamm
-es in der äußeren Kultur weiter gebracht als andere Stämme. Viele
-Kinditen hatten sich auch schon früh in Iraq (Babylonien) angesiedelt,
-wo dann unser Philosoph in Kufa, davon sein Vater Statthalter war,
-geboren wurde, vermutlich am Anfange des neunten Jahrhunderts. Seine
-Erziehung erhielt er wahrscheinlich teilweise in Basra, ferner in
-Bagdad, also in den Mittelpunkten der damaligen Bildung. Hier lernte
-er persische Kultur und griechisches Wissen höher schätzen als alte
-Arabertugend und muslimischen Glauben. Er behauptete sogar, wohl
-nach anderen, Kachtan, der Stammvater der Südaraber, sei ein Bruder
-Jaunan's gewesen, von dem die Griechen herstammen. So etwas konnte
-man sagen in Bagdad, am abbasidischen Hofe, wo man keine Nationalität
-kannte und die alten Griechen bewunderte.
-
-Wie lange und in welcher Stellung Kindi am Hofe weilte, ist nicht
-bekannt. Er wird als Übersetzer griechischer Werke ins Arabische
-genannt und soll die Arbeiten anderer verbessert haben, u. a. die
-sogenannte Theologie des Aristoteles. Zahlreiche Diener und Schüler,
-deren Namen uns überliefert sind, waren vermutlich unter seiner
-Aufsicht damit beschäftigt. Ferner mag er dem Hofe als Astrologe oder
-Arzt, vielleicht auch bei der Finanzverwaltung, Dienste geleistet
-haben. Später aber wurde er entfernt, als er von der orthodoxen
-Restauration unter Mutawakkil (847-861) mit betroffen ward, und seine
-Bibliothek eine Zeit lang konfisziert. In Bezug auf seinen Charakter
-sagt ihm die Überlieferung nach, er sei geizig gewesen, was übrigens
-viele andere Schöngeister und Bücherliebhaber sollen gewesen sein.
-
-Ebensowenig wie Kindi's Geburts-, ist sein Todesjahr bekannt. Er
-scheint also in Ungnaden oder doch in untergeordneter Stellung
-gestorben zu sein. Dass Masudi (s. II, 4 § 4), der ihn sehr schätzte,
-ganz darüber schweigt, ist befremdend. Höchstwahrscheinlich lebte
-er noch nach dem Jahre 870, wie aus einer seiner astrologischen
-Abhandlungen hervorgeht. Der Ablauf einer kleinen Weltperiode
-stand damals bevor, und das wurde von den Karmaten zur Stürzung des
-Fürstenhauses benutzt. Da war nun aber Kindi reichsfreundlich genug,
-den von einer Konjunktion bedrohten Bestand des Staates um etwa 450
-Jahre zu verlängern. Sein fürstlicher Gönner konnte zufrieden sein
-und die Geschichte hat sich bis auf ein halbes Jahrhundert gefügt.
-
-2. Kindi war ein Polyhistor, er hatte die ganze gelehrte Bildung
-seiner Zeit in sich aufgenommen. Als Geograph, Kulturhistoriker
-und Mediziner mag er eigene Beobachtungen angestellt und mitgeteilt
-haben, ein schöpferischer Geist ist er keinesfalls gewesen. Seine
-theologischen Ansichten zeigen mutazilitisches Gepräge. Er schrieb
-nämlich über das menschliche Vermögen zu handeln und die Zeit seines
-Entstehens, ob vor oder zugleich mit der That. Ausdrücklich betonte er
-die Gerechtigkeit und die Einheit Gottes. Gegen die damals als indisch
-oder brahmanisch bekannte Theorie, als einzige Erkenntnisquelle
-reiche die Vernunft aus, verteidigte er die Prophetie, suchte
-diese aber mit der Vernunft in Einklang zu bringen. Seine Kenntnis
-verschiedener Religionssysteme forderte ihn zur Vergleichung auf. Als
-allen gemeinsam fand er den Glauben heraus, dass die Welt das Werk
-einer ewigen einheitlichen Ursache sei, für die unser Wissen keine
-nähere Bezeichnung besitze. Es sei aber die Pflicht der Einsichtigen,
-diese Ursache als göttlich anzuerkennen. Die Gottheit selbst habe
-ihnen dazu den Weg gezeigt, auch Gesandte geschickt zum Zeugnis,
-die den Gehorsamen ewige Glückseligkeit verheißen, den Ungehorsamen
-aber entsprechende Bestrafung androhen sollen.
-
-3. Kindi's eigentliche Philosophie ist, wie diejenige
-seiner Zeitgenossen, an erster Stelle Mathematik und
-Naturphilosophie, wobei dann Neuplatonisches und Neupythagoreisches
-ineinanderfließen. Es wird nach ihm keiner Philosoph ohne das Studium
-der Mathematik. Phantastisches Spiel mit Zahlen und Buchstaben findet
-sich öfter in seinen Schriften. Er wandte auch die Mathematik auf die
-Medizin an in der Lehre von den zusammengesetzten Heilmitteln. Er
-gründete nämlich die Wirkung dieser Mittel, ähnlich derjenigen der
-Musik, auf die geometrische Proportion. Es handelt sich hier um die
-Proportionalität der sinnlichen Qualitäten: warm, kalt, trocken und
-feucht. Soll ein Heilmittel im ersten Grade warm sein, dann muss
-es das Doppelte an Wärme besitzen von der gleichmäßigen Mischung,
-im zweiten Grade das Vierfache u. s. w. Die Entscheidung darüber
-scheint Kindi dem Sinne, besonders dem Geschmacke anvertraut zu
-haben, sodass wir bei ihm eine Ahnung von der Proportionalität der
-Sinnesempfindungen hätten. Das war nun, wenn überhaupt originell,
-bei ihm wohl nichts anderes als eine mathematische Spielerei. Cardan
-aber, ein Philosoph der Renaissance, hat ihn wegen dieser Lehre noch
-zu den zwölf subtilsten Geistern gerechnet.
-
-4. Die Welt ist nach Kindi, wie oben schon gesagt, ein Werk Gottes,
-dessen Wirken aber von oben nach unten vielfach vermittelt wird. Alles
-Höhere wirkt auf das Niedere ein, nicht aber das Verursachte auf
-seine über ihm auf der Stufe des Seins stehende Ursache. In allem
-Weltgeschehen ist nun eine durchgängige Ursächlichkeit, die es uns
-ermöglicht, aus der Erkenntnis der Ursache, der Himmelskörper z. B.,
-Zukünftiges vorherzusagen. Auch haben wir an einem vollständig
-erkannten Einzelwesen einen Spiegel, darin der ganze Zusammenhang
-der Welt zu schauen.
-
-Dem Geiste gehört die höhere Wirklichkeit und alle Wirksamkeit
-an. Seinem Wunsche gemäß hat sich die Materie zu gestalten. Und
-zwischen dem göttlichen Geiste und der materiellen Körperwelt steht
-die Seele in der Mitte. Sie ist es, die die Sphärenwelt erst geschaffen
-hat. Von dieser Weltseele ist die menschliche Seele ein Ausfluss. Ihrer
-Natur nach, d. h. in ihren Wirkungen, ist die letztere an die Mischung
-ihres Körpers gebunden, aber ihrem geistigen Wesen nach ist sie davon
-unabhängig, treffen sie also auch nicht die Einwirkungen der Gestirne,
-die sich auf das Natürliche beschränken. Unsere Seele, so führt Kindi
-aus, ist eine einfache, unvergängliche Substanz, aus der Welt der
-Vernunft in die Sinnenwelt herabgekommen, aber mit Erinnerung an ihren
-früheren Zustand ausgestattet. Sie findet sich hier nicht heimisch,
-denn sie hat viele Bedürfnisse, deren Befriedigung ihr versagt bleibt,
-und die deshalb von schmerzlichen Gefühlen begleitet sind. Es ist
-eben nichts beständig in dieser Welt des Entstehens und Vergehens,
-in der man dessen, was man liebt, jeden Augenblick beraubt werden
-kann. Beständigkeit gibt es nur in der Welt der Vernunft. Wenn wir
-also unsere Wünsche erfüllt sehen wollen und nicht dessen beraubt
-werden, was uns teuer ist, so müssen wir uns den ewigen Gütern
-der Vernunft zuwenden, der Furcht Gottes, der Wissenschaft und den
-guten Werken. Wenn wir aber nur den materiellen Gütern nachgehen
-und glauben, sie uns erhalten zu können, so streben wir etwas nach,
-das in Wirklichkeit nicht existiert.
-
-5. Dieser ethisch-metaphysischen Dualität des Sinnlichen und Geistigen
-entspricht die Lehre Kindi's vom Wissen. Unsere Erkenntnis ist
-danach entweder sinnliche oder Vernunfterkenntnis; was dazwischen,
-die Phantasie oder die Vorstellungskraft, heißt mittleres Vermögen. Die
-Sinne erfassen nun das Einzelne oder die materielle Form, die Vernunft
-aber das Allgemeine, Arten und Gattungen, oder die geistige Form. Und
-wie das Wahrgenommene mit der Sinneswahrnehmung eins ist, so ist es
-auch das von der Vernunft Erfasste mit der Vernunft selbst.
-
-Zum ersten Male taucht hier nun die Lehre von der Vernunft oder
-vom Geiste (nous, `aql) in einer Gestalt auf, wie sie, nur etwas
-modifiziert, bei den späteren muslimischen Philosophen einen großen
-Platz einnimmt. Sie ist charakteristisch für den ganzen Verlauf der
-Philosophie im Islam. Wie im Universalienstreite des christlichen
-Mittelalters sich doch auch ein objectiv-wissenschaftliches Interesse
-kundgibt, so zeigt sich in den philosophischen Erörterungen der
-Muslime über den denkenden Geist vor allem das subjektive Bedürfnis
-intellektueller Bildung.
-
-Kindi unterscheidet einen vierfachen Geist [15]: erstens den Geist,
-der immer wirklich ist, die Ursache und das Wesen alles Geistigen in
-der Welt, also wohl Gott oder der erste geschaffene Geist; zweitens
-den Geist als vernünftige Anlage oder Potenz der menschlichen Seele;
-drittens als Habitus oder wirklichen Besitz der Seele, dessen sie
-sich jeden Augenblick bedienen kann, wie z. B. der Schreiber seiner
-Kunst; endlich viertens als Thätigkeit, wodurch das, was die Seele als
-ein Wirkliches in sich hat, in die äußere Wirklichkeit übergeführt
-wird. Letztere Thätigkeit scheint, nach Kindi, die eigene That des
-Menschen zu sein, während er die Überführung der Potenz zum Habitus
-oder die Verwirklichung des Möglichen von der ersten Ursache, dem
-ewigwirklichen Geiste herleitet. Den wirklichen Geist haben wir also
-von oben erhalten und es heißt der dritte `aql deshalb `aql mustafad,
-lat. intellectus adeptus sive adquisitus. Die Grundanschauung
-des Altertums, alles Wissen um die Dinge müsse von außen an uns
-herankommen, geht in dieser Form, in der Lehre vom `aql mustafad oder
-dem Geiste, den wir von oben bekommen, durch die arabische Philosophie
-und dann in die christliche hinein. Leider ist die Lehre in Bezug
-auf diese Philosophie selbst nahezu richtig. Der thätige Geist,
-der sie geschaffen, ist in Wirklichkeit der neuplatonische Aristoteles.
-
-Das Höchste, was er besitzt, hat der Mensch ja immer seinem Gotte
-oder den Göttern zugeschrieben. Muslimische Theologen schrieben der
-göttlichen Wirksamkeit unmittelbar die sittlichen Handlungen des
-Menschen zu. Nach den Philosophen aber ist das Wissen mehr als die
-That. Diese, auf die niedere, sinnliche Welt sich richtend, mag des
-Menschen Eigentum sein; sein höchstes Wissen aber, die reine Vernunft,
-kommt von oben her, vom göttlichen Wesen.
-
-Es ist klar, dass die Lehre vom Geiste, wie sie bei Kindi vorliegt,
-auf die Nus-Lehre des Alexander von Aphrodisias im zweiten Buche
-über die Seele zurückgeht. Aber Alexander behauptete ausdrücklich,
-nach Aristoteles gebe es einen dreifachen Nus. Kindi sagt dagegen, er
-stelle die Meinung des Platon und Aristoteles dar. Neupythagoreisches
-und Neuplatonisches verknüpfen sich hier. In allem muss die Vierzahl
-nachgewiesen werden, und Platon und Aristoteles sollen übereinstimmen.
-
-6. Ziehen wir die Summe. Kindi ist mutazilitischer Theolog und
-neuplatonischer Philosoph mit neupythagoreischen Zuthaten. Sokrates,
-der Märtyrer des athenischen Heidentumes, ist sein Ideal, über
-ihn, sein Schicksal und seine Lehre hat er mehrere Schriften
-verfasst. Platon und Aristoteles sucht er in neuplatonischer Weise
-zu vereinigen.
-
-Trotzdem nennt ihn die Überlieferung den ersten, der in
-seinen Schriften dem Aristoteles folgte. Nicht ganz ohne Grund
-fürwahr. In seinem langen Schriftenverzeichnisse nimmt Aristoteles
-einen hervorragenden Platz ein. Er begnügte sich nicht mit bloßem
-Übersetzen, sondern studierte die übersetzten Werke, versuchte es auch
-sie zu verbessern und zu erläutern. Die aristotelische Physik, mit der
-Erklärung des Alexander von Aphrodisias, hat jedenfalls bedeutend auf
-ihn gewirkt. Behauptungen, wie dass die Welt nicht der Wirklichkeit,
-sondern nur der Potenz nach unendlich sei, dass die Bewegung stetig
-und dergleichen mehr deuten darauf hin. Die damaligen Naturphilosophen,
-wie noch die treuen Brüder, sagten z. B., die Bewegung sei ebensowenig
-stetig wie die Zahl.
-
-Ferner aber wandte Kindi sich entschieden von der wundersüchtigen
-Zeitphilosophie ab, indem er die Alchemie für Schwindel erklärte. Er
-hielt es für menschenunmöglich, was die Natur allein hervorzubringen im
-Stande ist. Wer sich denn auch mit alchemistischen Versuchen abgebe,
-betrüge, seiner Meinung nach, sich selbst oder andere. Diese Ansicht
-Kindi's hat der berühmte Mediziner Razi zu widerlegen versucht.
-
-7. Sowohl als Lehrer wie als Schriftsteller hat Kindi hauptsächlich
-durch seine Mathematik, Astrologie, Geographie und Medizin
-gewirkt. Sein treuester und gewiss bedeutendster Schüler war Achmed
-ibn Mohammed al-Tajjib al-Sarachsi (gest. 899), Verwaltungsbeamter und
-Freund des Chalifen Mutadid, dessen Nachlässigkeit oder Willkür er zum
-Opfer fiel. Er befasste sich mit Geheimwissenschaft und Astrologie,
-bemühte sich, aus den Wundern der Schöpfung die Weisheit und Macht des
-Schöpfers zu erkennen, und trieb Geographie und Geschichte. Bekannter
-ist ein anderer Schüler Kindi's geworden, Abu Maschar (gest. 885),
-der aber seinen Ruhm ganz der Astrologie zu verdanken hat. Dieser
-soll von einem fanatischen Gegner der Philosophie, durch ein
-oberflächliches Studium der Mathematik zur Beschäftigung mit der
-Astrologie gereizt, als er schon 47 Jahre alt war, ein Verehrer
-Kindi's geworden sein. Ob nun das Dichtung oder Wahrheit, auf jeden
-Fall ist ein solcher Bildungsgang charakteristisch für das neugierige
-Haschen nach halbverstandenem Wissen, das den ersten Jahrhunderten
-der arabischen Wissenschaft eigentümlich ist.
-
-Die Schule Kindi's ist in keiner Weise über den Meister
-hinausgegangen. Von ihrer litterarischen Thätigkeit ist uns fast nur
-in einzelnen Zitaten etwas erhalten. Möglich wäre es allerdings, dass
-in den Abhandlungen der treuen Brüder sich einiges gerettet hätte. Doch
-lässt sich dies beim jetzigen Stande der Wissenschaft nicht bestimmen.
-
-
-
-
-2. Farabi.
-
-1. Im zehnten Jahrhundert werden von den Naturphilosophen die Logiker
-oder Metaphysiker unterschieden. Diese befolgen eine strengere
-Methode als die Dialektiker und behandeln andere Gegenstände als die
-Physiker. Von Pythagoras haben sie sich losgesagt, um sich der Führung
-des Aristoteles, freilich in neuplatonischer Gestalt, anzuvertrauen.
-
-Wir haben es da mit zwei Richtungen wissenschaftlichen Interesses
-zu thun. Die Naturphilosophen interessieren sich mehr oder weniger
-für die Fülle konkreter Erscheinungen der Natur, wie der Länder-
-und Völkerkunde. Sie untersuchen überall die Wirkungen der Dinge,
-glauben auch das Wesen nur in der Wirkung zu erkennen. Wenn sie zwar
-über Natur, Seele und Geist zum göttlichen Wesen hinaufsteigen, so
-bestimmen sie dieses doch nur oder vorzugsweise als erste Ursache, als
-weisen Schöpfer, dessen Güte und Weisheit aus seinen Werken hervorgehe.
-
-Ganz anders verhalten sich die Logiker. Das Einzelgeschehen hat für
-sie untergeordneten Wert, nicht weiter, als es aus dem Allgemeinen
-ableitbar sich erweist. Gehen die Physiker von den Wirkungen aus,
-die Logiker wollen aus ihren Gründen die Dinge begreifen. Sie
-fragen überall nach dem Begriff oder dem Wesen der Dinge, bis
-zum Höchsten. Gott, um mit einem Beispiele den Gegensatz greifbar
-hinzustellen, ist ihnen nicht zunächst der weise Schöpfer, sondern
-das notwendig-existierende Wesen.
-
-Die Logiker folgen zeitlich den Physikern nach, wie denn auch von der
-mutazilitischen Dialektik (s. II, 3 § 4 und 5) zuerst Gottes Wirken,
-darauf sein Wesen in den Kreis der Betrachtung gezogen wurde.
-
-Als den bedeutendsten Vertreter der naturphilosophischen Richtung
-haben wir Razi kennen gelernt. Die logisch-metaphysischen Bestrebungen,
-denen Kindi u. a. vorgearbeitet, erreichen ihren Höhepunkt in Razi's
-jüngerem Zeitgenossen Abu Nasr Mohammed ibn Mohammed ibn Tarchan ibn
-Uzlag al-Farabi.
-
-2. Über den äußeren Lebens- und Bildungsgang Farabis ist wenig
-Sicheres zu sagen. Er war ein stiller Mann, der im Schatten der Macht,
-zuletzt als Sufi gekleidet, sich einem philosophisch-beschaulichen
-Leben hingab. Sein Vater soll persischer Heerführer gewesen sein. In
-Wasidsch, einem kleinen befestigten Orte des Bezirkes Farab, im
-Türkenlande Transoxanien, wurde er geboren. In Bagdad erhielt er,
-teilweise von einem christlichen Lehrer, Johanna ibn Hailan, seine
-Ausbildung. Diese umfasste sowohl Litterarisches als Mathematisches,
-also Trivium und Quadrivium im Sinne des christlichen Mittelalters. Von
-seiner mathematischen Bildung zeugen noch einige seiner Schriften,
-namentlich über Musik. Die Legende lässt ihn alle Sprachen der
-Welt (70) reden. Aus seinen Werken erhellt, was schon a priori
-wahrscheinlich, dass er Türkisch und Persisch verstand. Das Arabisch
-schreibt er klar und nicht ohne Reiz. Nur schadet die Vorliebe für
-Synonymen und parallele Satzglieder dann und wann der Präzision des
-philosophischen Ausdruckes.
-
-Die Philosophie, in die Farabi eingeweiht wurde, stammte aus der
-Schule von Merw. Vielleicht hatte diese sich schon mehr metaphysischen
-Fragen zugewandt als die naturphilosophische Richtung der Harranier
-und Basrenser.
-
-Von Bagdad, wo er lange Zeit gelebt und gewirkt, siedelte Farabi,
-wohl infolge der politischen Wirren, nach Haleb (Aleppo) an den
-glänzenden Hof Saif-addaula's über. Nur soll er nicht am Hofe, sondern
-in Naturzurückgezogenheit die letzten Jahre verbracht haben. Auf
-einer Reise starb er in Damaskus, Dezember des Jahres 950, wo ihm,
-wie berichtet wird, sein Fürst in sufischem Gewande die Leichenrede
-hielt. Er soll 80 Jahre alt geworden sein. Dass er ein hohes Alter
-erreicht hat, ist wahrscheinlich. Sein Zeit- und Studiengenosse Abu
-Bischr Matta starb 10 Jahre früher und sein Schüler Abu Zakarija
-Jachja ibn Adi im Jahre 974, 81 Jahre alt.
-
-3. Die zeitliche Reihenfolge der Schriften Farabis ist nicht
-festgestellt. Kleinere Abhandlungen, in denen er sich mit den
-Dialektikern und Naturphilosophen berührt, dürften, wenn sie überhaupt
-echt in der überlieferten Gestalt, populäre oder Jugendschriften
-sein. Seine Entwicklung wendete sich dem aristotelischen Schrifttum
-zu, weshalb ihn der Orient den zweiten Lehrer, d. h. den zweiten
-Aristoteles nannte.
-
-Seit seiner Zeit steht die Zahl und Folge der aristotelischen oder doch
-dem Aristoteles zugeschriebenen Werke, die man nach seinem Vorgange
-paraphrasierte und kommentierte, im allgemeinen fest. Zuerst die
-acht logischen Schriften, Kategorien, Hermeneutik, erste und zweite
-Analytik, Topik, Sophistik, Rhetorik und Poetik, denen die Isagoge
-des Porphyr voraufgeht. Dann folgen die acht Schriften zur Physik,
-auscultatio physica, de coelo et mundo, de generatione et corruptione,
-die Meteorologie, die Psychologie, de sensu et sensato, das Buch der
-Pflanzen und das der Tiere. Endlich schließen sich an Metaphysik,
-Ethik, Politik u. a.
-
-Die sogenannte Theologie des Aristoteles hat Farabi noch für ein
-echtes Werk gehalten. In neuplatonischer Weise und mit einiger
-Accommodation an den muslimischen Glauben sucht er die Übereinstimmung
-zwischen Platon und Aristoteles nachzuweisen. Nicht sondernde Kritik,
-eine geschlossene Weltanschauung ist ihm Bedürfnis. Die Befriedigung
-dieses mehr religiösen als wissenschaftlichen Bedürfnisses lässt ihn
-über philosophische Differenzen hinwegsehen. Platon und Aristoteles
-sollen sich von einander nur unterscheiden durch ihre Methode,
-im sprachlichen Ausdruck und in ihrem Verhalten zum praktischen
-Leben. Ihre Weisheitslehre aber ist dieselbe. Sie sind die Imame,
-d. h. die höchsten Autoritäten in der Philosophie, und da sie Beide
-selbständige, originelle Geister gewesen, gilt ihre übereinstimmende
-Autorität dem Farabi mehr als der Glaube der ganzen muslimischen
-Gemeinde, die mit blindem Zutrauen Einem Führer folgt.
-
-4. Farabi wird den Ärzten zugezählt, doch scheint er die Kunst
-nicht praktisch geübt zu haben. Er widmete sich der Heilkunst
-der Seele ganz. Seelenreinheit nannte er die Bedingung und die
-Frucht alles Philosophierens, Wahrheitsliebe forderte er auch gegen
-Aristoteles. Geometrie und Logik sollen dann das Urteil bilden für das
-Studium der Natur- und Geisteswissenschaften. Den einzelnen Disziplinen
-aber schenkt Farabi wenig Beachtung, er konzentriert sich auf Logik,
-Metaphysik und die Prinzipien der Physik. Die Philosophie ist ihm
-die Wissenschaft alles Seienden als solchen, bei deren Erwerb man der
-Gottheit ähnlich wird. Sie ist die eine, allesumfassende Wissenschaft,
-die uns das einheitliche Weltbild vorführt. Den Dialektikern wirft
-Farabi vor, dass sie ungeprüft die Sätze des gemeinen Bewusstseins
-als Grundlage für ihre Beweise benutzen, den Naturphilosophen, dass
-sie sich immer nur mit den Wirkungen der Dinge befassen, also nie
-über die Gegensätze des Weltgeschehens hinaus zu einer einheitlichen
-Auffassung des Alls gelangen. Den ersteren gegenüber will er das
-Denken begründen, im Gegensatze zu den letzteren den Einen Urgrund
-alles Seienden erforschen. Wir werden folglich seiner historischen
-und dogmatischen Stellung am besten gerecht, wenn wir zuerst seine
-Logik, darauf die Metaphysik und zuletzt seine Physik und praktische
-Philosophie zur Darstellung bringen.
-
-5. Farabis Logik ist keine reine Analyse wissenschaftlichen
-Denkens, sondern enthält auch viele sprachliche Bemerkungen und
-erkenntnistheoretische Erörterungen. Wie die Grammatik sich auf
-die Sprache eines Volkes beschränkt, so soll die Logik dagegen den
-sprachlichen Ausdruck der Gesamtvernunft aller Völker heranziehen. Von
-den einfachsten Elementen der Sprache zu den zusammengesetzten hat
-sie fortzuschreiten, vom Wort zum Satze, zur Rede.
-
-Nach der Beziehung ihrer Gegenstände zur Wirklichkeit zerfällt
-die Logik in zwei Teile: der erste Teil umfasst die Lehre von den
-Begriffen und Definitionen (tasawwur), der zweite diejenige von den
-Urteilen, Schlüssen und Beweisen (tasdiq). Die Begriffe, mit denen
-die Definitionen in ganz äußerlicher Weise zusammengestellt werden,
-haben an sich keine Beziehung zur Wirklichkeit, d. h. sie sind weder
-wahr noch falsch. Unter Begriffen versteht Farabi hier die einfachsten
-seelischen Gebilde, d. h. sowohl die aus sinnlicher Wahrnehmung
-stammenden Vorstellungen einzelner Gegenstände als die ursprünglichen
-dem Geiste eingeprägten Begriffe, wie das Notwendige, das Wirkliche,
-das Mögliche. Solche Vorstellungen und Begriffe sind unmittelbar
-gewiss. Man kann den Sinn des Menschen darauf hinlenken, seine Seele
-darauf aufmerksam machen, sie ihm aber nicht vordemonstrieren, nicht
-aus Bekanntem ableitend sie erklären, da sie an sich im höchsten
-Grade klar sind.
-
-Aus der Zusammensetzung von Vorstellungen oder Begriffen ergeben
-sich Urteile, die nun entweder wahr oder falsch sein können. Durch
-Schluss und Beweis geht die Begründung der Urteile auf einige dem
-Verstande ursprünglich gegebene, unmittelbar einleuchtende, nicht
-weiter begründbare Sätze zurück. Solche Sätze, die Grundsätze oder
-Axiome aller Wissenschaft, soll es geben für die Mathematik, die
-Metaphysik und die Ethik.
-
-Die Lehre vom Beweise, wie von Bekanntem, Begründetem aus wir zur
-Erkenntnis eines Unbekannten gelangen, ist nach Farabi die eigentliche
-Logik. Dazu bildet die Kenntnis der Hauptbegriffe (Kategorien),
-ihrer Zusammensetzung im Urteil (Hermeneutik) und im Schlusse (erste
-Analytik) nur die Einleitung. Und in der Beweislehre kommt es darauf
-an, die Normen zu ermitteln einer allgemeingültigen, notwendigen
-Wissenschaft, was die Philosophie sein soll. Als oberste Norm gilt
-hier der Satz des Widerspruchs, wodurch in einem einheitlichen
-Denkakte die Wahrheit oder Notwendigkeit zugleich mit der Unwahrheit
-oder Unmöglichkeit des Gegenteiles erkannt wird. Dementsprechend
-soll die platonische Dichotomie als wissenschaftliche Methode der
-aristotelischen Polytomie vorzuziehen sein. Ferner begnügt Farabi
-sich nicht mit der formalen Seite der Beweislehre. Diese soll mehr
-sein als eine Methodologie, die den richtigen Weg zur Wahrheit
-zeigt, sie soll selbst Wahrheit zeigen, Wissenschaft erzeugen. Sie
-betrachtet die Urteile nicht bloß als Material für die Schlussform,
-sondern untersucht auch ihren Wahrheitsgehalt in Beziehung auf die
-Einzelwissenschaften. Nicht nur Hilfsmittel ist sie, sie ist vielmehr
-ein Teil der Philosophie.
-
-Die Beweislehre geht, wie wir sahen, auf notwendiges Wissen aus,
-dem notwendigen Sein entsprechend. Außer diesem aber ist das große
-Gebiet des Möglichen da, von dem wir nur ein wahrscheinliches Wissen
-erhalten können. Die verschiedenen Grade der Wahrscheinlichkeit
-nun oder die Art und Weise, in der wir zu einer Wissenschaft des
-Möglichen gelangen, werden in der Topik erörtert. Daran schließen sich
-Sophistik, Rhetorik und Poetik, die sonst hauptsächlich praktische
-Ziele verfolgen. Zusammen aber mit der Topik werden sie bei Farabi
-zu einer Dialektik des Scheines. Nur auf den notwendigen Sätzen
-der zweiten Analytik, so führt er aus, lässt sich wahre Wissenschaft
-aufbauen, aber von den topischen (dialektischen) bis zu den poetischen
-Urteilen stuft sich das Wahrscheinliche zum bloßen Scheine der Wahrheit
-ab. Am tiefsten steht also die Poesie, die nach Farabis Ansicht ein
-lügnerisches und unsittliches Gerede ist.
-
-Im Anschluss an Porphyrs Isagoge hat unser Philosoph sich auch über
-die Universalienfrage geäußert. Das Besondere findet er nicht nur
-in den Dingen und in der sinnlichen Wahrnehmung, sondern auch im
-Denken. Ebenso ist das Allgemeine nicht bloß, accidentell, in den
-Einzeldingen, sondern auch, substantiell, im Geiste. Der menschliche
-Geist abstrahiert das Allgemeine von den Dingen, vor diesen war es aber
-schon an sich. Dem Sinne nach findet somit der dreifache Unterschied
-des ante rem, in re, post rem sich bereits bei Farabi.
-
-Gehört zu den Universalien auch das bloße Sein? Ist die Existenz
-überhaupt ein Prädikat? Diese Frage, die soviel Unheil in der
-Philosophie gestiftet, wurde von Farabi völlig richtig beantwortet. Die
-Existenz ist nach ihm eine grammatische oder logische Beziehung, aber
-keine Kategorie der Wirklichkeit, die etwas von den Dingen aussagt. Die
-Existenz eines Dinges ist nichts außer dem wirklichen Dinge selbst.
-
-6. Die logische Richtung des Denkens macht sich auch in der Metaphysik
-geltend. An Stelle des Veränderlichen und des Ewigen treten die
-Begriffe des Möglichen und des Notwendigen hervor.
-
-Alles Seiende ist nämlich nach Farabi entweder ein notwendiges oder
-ein mögliches; ein Drittes gibt es nicht. Da nun alles Mögliche zu
-seiner Verwirklichung eine Ursache voraussetzt, die Reihe der Ursachen
-aber nicht ins Unendliche gehen kann, so sehen wir uns genötigt,
-ein notwendig Seiendes anzunehmen, das ursachlos, höchst vollkommen,
-ewig vollwirklich, sich selbst genügend, ohne jede Veränderung,
-als absoluter Geist, reine Güte, Denken, Denkendes und Gedachtes in
-einem Wesen, die alles übersteigende Güte und Schönheit seines Wesens
-liebt. Dieses Wesen kann nicht bewiesen werden, denn es ist selbst der
-Beweis und der Urgrund aller Dinge. Wahrheit und Wirklichkeit fallen in
-diesem Wesen zusammen. In seinem Begriffe liegt es, dass es einzig ist,
-denn wenn es zwei erste, absolute Wesen gäbe, müssten sie teils gleich,
-teils von einander verschieden sein, wodurch aber die Einfachheit eines
-jeden aufgehoben wäre. Ein allervollkommenstes Wesen muss einzig sein.
-
-Dieses Erste, Eine, wahrhaft Wirkliche nennen wir Gott. Und da in Ihm
-alles eins ist, auch ohne Artdifferenz, so gibt es keine Definition
-für sein Wesen. Doch legt ihm der Mensch die schönsten, die höchsten
-Werte des Lebens zum Ausdruck bringenden Namen bei, weil im mystischen
-Drange dazu die Worte ihre gewöhnliche Bedeutung verlieren, über jeden
-Widerspruch hinaus. Einige Namen beziehen sich auf das Wesen, andere
-auf sein Verhältnis zur Welt, ohne jedoch die Einheit des Wesens zu
-beeinträchtigen. Alle sind sie aber metaphorisch zu verstehen, nur nach
-schwacher Analogie vermögen wir sie aufzufassen. Eigentlich sollten wir
-von Gott, dem vollkommensten Wesen, auch den vollständigsten Begriff
-haben. Sind doch unsere mathematischen Begriffe vollkommener als die
-physischen, weil sie sich auf vollkommenere Gegenstände beziehen. Aber
-mit dem Allervollkommensten ergeht es uns wie mit dem hellsten Lichte:
-wegen der Schwäche unserer Augen können wir es nicht vertragen. So
-haften auch an unserem Erkennen die Mängel der Materie.
-
-7. Besser als an sich vermögen wir Gott zu sehen in der Stufenordnung
-der aus ihm hervorgehenden Wesen. Von Ihm, dem Einzigen, ist das All,
-denn sein Wissen ist die höchste Macht. Indem er sich selbst erkennt,
-wird die Welt. Nicht ein allmächtiger Schöpferwille, sondern die
-Erkenntnis des Notwendigen ist die Ursache aller Dinge. Von Ewigkeit
-her sind in Gott die Formen oder Vorbilder der Dinge und ewig geht auch
-aus ihm sein Ebenbild hervor, das zweite All genannt oder der erste
-geschaffene Geist, der die äußerste Himmelsphäre bewegt. Diesem Geiste
-folgen, einer aus dem anderen, die acht Sphärengeister, die alle einzig
-in ihrer Art, vollkommen und Schöpfer der Himmelskörper sind. Diese
-neun Geister, himmlische Engel genannt, bilden zusammen die zweite
-Stufe des Seins. Auf der dritten Stufe steht die in der Menschheit
-thätige Vernunft, heißt auch der heilige Geist, der Himmel und Erde
-verbindet; auf der vierten Stufe befindet sich die Seele. Beide,
-Vernunft und Seele, bleiben nicht rein für sich in ihrer Einheit,
-sondern vervielfältigen sich nach der Vielheit menschlicher Wesen. Als
-Wesen fünfter und sechster Ordnung erscheinen zuletzt Form und Materie,
-mit denen die Reihe geistigen Seins abgeschlossen ist. Die drei
-ersten Stufen, Gott, Sphärengeister und thätige Vernunft, bleiben
-Geist an sich, die drei folgenden aber, Seele, Form und Materie,
-obgleich unkörperlich, gehen doch ein Verhältnis zum Körper ein.
-
-Entsprechend denen des Geistigen hat auch das Körperliche, das der
-Imagination des Geistes entspringen soll, sechs Stufen: Himmelskörper,
-Menschenkörper, Tierkörper, Pflanzenkörper, Mineral und Element.
-
-Wahrscheinlich zeigen sich in diesen Spekulationen nach der Dreizahl
-noch die Einflüsse der christlichen Lehrer Farabis. Für sie bedeutete
-nämlich die Dreizahl, was den Naturphilosophen die Vierzahl war. Auch
-die Terminologie stimmt dazu.
-
-Das ist aber nur äußerlich; der Inhalt ist Neuplatonismus. Als
-ein ewiger, intellektueller Prozess erscheint hier die Schöpfung
-oder Emanation der Welt. Indem der erste geschaffene Geist seinen
-Urheber denkt, entsteht der zweite Sphärengeist; indem er, sich
-selbst denkend, sich substanziert, geht aus ihm der erste Körper,
-die oberste Himmelsphäre, hervor. Und so geht es weiter bis zu der
-niedersten Sphäre, der des Mondes, in notwendiger Folge. Ganz nach
-dem ptolemäischen Sphärensystem, wie es jeder Gebildete, wenigstens
-aus Dantes Komödie, kennt, in neuplatonischer Ableitung. Es bilden
-die Sphären zusammen eine ununterbrochene Ordnung, denn alles
-Seiende ist eine Einheit. Schöpfung und Erhaltung der Welt ist ein
-und dasselbe. Und nicht nur die Einheit des göttlichen Wesens bildet
-sich in der Welt ab, sondern in ihrer schönen Ordnung drückt sich
-auch die göttliche Gerechtigkeit aus. Die logische Weltordnung ist
-zugleich eine sittliche.
-
-8. Die irdische Welt unter dem Monde ist natürlich ganz von der
-Welt der Himmelsphären abhängig. Doch trifft die Einwirkung von
-oben erstens, wie wir a priori erkennen, die notwendige Ordnung des
-Ganzen, zweitens zwar auch das Einzelne, aber nur insofern dies in
-natürlicher Wechselwirkung begründet ist, also nach Regeln, welche
-die Erfahrung uns lehrt, stattfindet. Die Astrologie, die alles
-Zufällige, Außerordentliche, den Gestirnen und ihren Konjunktionen
-zuschreibt, wird von Farabi bekämpft. Vom Zufälligen gibt es kein
-sicheres Wissen, und viel des irdischen Geschehens trägt, wie ja auch
-Aristoteles gelehrt, in hohem Grade den Charakter des Zufälligen oder
-des Möglichen an sich. Dagegen hat die himmlische Welt eine andere,
-vollkommenere Natur, die nach notwendigen Gesetzen wirkt. Sie kann
-dieser irdischen Welt nur Gutes spenden, warum es ganz verfehlt ist, zu
-behaupten, von einigen Gestirnen käme Glück, von anderen jedoch Unglück
-her. Die Natur der Himmel ist Eine und gleichmäßig gut. Der Schluss,
-zu dem nach diesen Erwägungen Farabi gelangt, ist denn auch dieser:
-demonstrative, ganz sichere Erkenntnis gibt nur die mathematische
-Astronomie, ein wahrscheinliches Wissen gewährt die physikalische
-Himmelskunde, einen ganz unsicheren Glauben aber verdienen die Sätze
-und Weissagungen der Astrologie.
-
-Gegenüber der Einfachheit der Himmelswelt haben wir unter dem Monde das
-Reich der vier Naturen, also der Gegensätze und der Veränderung. Von
-den Elementen bis zum Menschen gibt es auch hier in der Vielheit die
-Einheit der aufsteigenden Reihe. Wenig Eigentümliches weiß Farabi
-darüber vorzubringen. Seinem logischen Standpunkte treu kümmert er
-sich weniger um die Naturwissenschaften, zu denen er wohl unbedenklich,
-auf die ursprüngliche Einheit der Materie sich stützend, die Alchemie
-wird gezählt haben. Wir wenden uns gleich seiner Lehre vom Menschen
-oder von der menschlichen Seele zu, die einiges Interesse darbietet.
-
-9. Die Kräfte oder Teile der menschlichen Seele sind nach Farabi
-nicht koordiniert, sondern bilden eine aufsteigende Reihe. Das
-niedere Vermögen ist Materie für das höhere und dieses die Form
-für jenes; das höchste aber, das Denken, ist immateriell, Form für
-alle vorhergehenden Formen. Aus dem Sinnlichen erhebt das Leben
-der Seele sich durch die Vorstellung zum Denken. In allen Vermögen
-aber ist ein Streben oder Wollen enthalten. Jede Theorie hat die
-praktische Kehrseite. Von den Wahrnehmungen der Sinne sind Neigung
-und Abneigung unzertrennlich. Zu ihren Vorstellungen verhält sich die
-Seele zustimmend oder ablehnend, indem sie bejaht und verneint. Das
-Denken endlich richtet über Gutes und Böses, gibt dem Willen seine
-Motive und bildet Kunst und Wissenschaft aus. Alles Wahrnehmen,
-Vorstellen und Denken hat irgend ein Streben zur notwendigen Folge,
-wie die Wärme aus der Substanz des Feuers hervorgeht.
-
-Die Seele ist die Vollkommenheit (Entelechie) des Körpers, aber die
-Vollkommenheit der Seele ist der Geist (`aql). Nur der Geist ist der
-wahre Mensch.
-
-10. Vom Geiste ist demnach zumeist die Rede. Im menschlichen Geiste
-erhebt sich alles Irdische zu einer höheren Existenzweise, die den
-Kategorien des Körperlichen enthoben ist. Als Anlage oder Potenz ist
-nun der Geist in der Seele des Kindes vorhanden. Indem er dann die
-Körperformen mittelst der Sinne und der Vorstellung in der Erfahrung
-erfasst, wird er auch wirklich zum Geiste. Diese Überführung von
-der Möglichkeit zur Wirklichkeit, das Zustandekommen der Erfahrung
-also, ist aber nicht des Menschen eigene That, sondern wird von dem
-übermenschlichen Geiste, der aus dem letzten Sphärengeist, dem des
-Mondes, hervorgegangen ist, bewirkt. Als Spende von oben, nicht als
-eine in geistigem Ringen erarbeitete Erkenntnis stellt sich so das
-menschliche Wissen dar. Im Lichte des über uns stehenden Geistes
-erblickt unser Verstand die Formen des Körperlichen. Dabei erweitert
-sich aber die Erfahrung zur Vernunfterkenntnis. Die Erfahrung nämlich
-umfasst nur die von der Stoffwelt abstrahierten Formen. Es gibt ja aber
-auch Formen oder allgemeine Wesenheiten vor und über den stofflichen
-Dingen, in den reinen Geistern der Sphären. Von diesen "getrennten
-Formen" erhält der Mensch jetzt Kunde; nur durch ihre Einwirkung
-wird ihm seine wirkliche Erfahrung erklärlich. Die höhere Form wirkt
-immer nur auf die zunächst ihr folgende, von Gott bis zum Geiste der
-Menschheit. Nach oben hin verhält sich jede Zwischenform empfangend,
-nach unten aber gebend thätig. Im Verhältnis zum menschlichen
-Geiste, der von oben beeinflusst wird (`aql mustafad), ist also der
-übermenschliche, aus dem letzten Sphärengeist hervorgegangene Geist
-thätig oder schaffend zu nennen (`aql fu ``âl.). Doch ist er nicht
-immer thätig, weil er an der Materie eine Schranke seiner Wirksamkeit
-hat. Gott aber ist der vollwirkliche, ewigthätige Geist.
-
-Im Menschen ist der Geist dreifach: als möglich, als wirklich, als
-von oben bewirkt. Das heißt aber im Sinne Farabis dies: des Menschen
-geistige Anlage (1) wird durch Erfahrungswissen (2) hindurch geführt
-zur Erkenntnis des Übersinnlichen (3), das aller Erfahrung vorhergeht
-und selbst die Erfahrung bewirkt.
-
-Die Stufen des Geistes und seiner Erkenntnis entsprechen den Stufen
-des Seins. Sehnsüchtig strebt das Niedere dem Höheren zu und das Höhere
-hebt das Niedere zu sich empor. Der über uns stehende Geist, der allem
-Irdischen die Formen verliehen hat, sucht diese zertrennten Formen
-wieder zusammenzubringen, dass sie in Liebe sich einigen. Zunächst
-sammelt er sie im Menschen. Darauf, dass derselbe Geist, der dem
-Körperlichen die Gestalt verlieh, auch dem Menschen die Idee gibt,
-beruht nun aber die Möglichkeit und die Wahrheit menschlicher
-Erkenntnis. Die zerstreuten Formen des Irdischen finden sich im
-menschlichen Geiste wieder, wodurch dieser dem letzten Himmelsgeiste
-ähnlich wird. Vereinigung mit dem Himmelsgeiste, dadurch er sich Gott
-nähert, ist Ziel und Glück des Menschengeistes.
-
-Ob nun eine solche Vereinigung vor dem Tode des Menschen möglich sei,
-ist nach Farabi zweifelhaft oder ganz zu verneinen. In diesem Leben
-ist Vernunfterkenntnis das Höchste, was erreicht werden kann. Aber die
-Trennung vom Körper gibt der vernünftigen Seele die völlige Freiheit
-des Geistes. Besteht sie dann aber noch als Individualseele? Oder
-ist sie nur ein Moment der höheren Weltvernunft? Dunkel, und nicht
-in allen Schriften übereinstimmend, drückt Farabi sich darüber
-aus. Die Menschen, so heißt es, sterben hin, ein Geschlecht folgt
-dem andern und Gleiches verbindet sich mit Gleichem, Jedes in seiner
-Ordnung. Unendlich, weil nicht an den Raum gebunden, mehren sich
-die vernünftigen Seelen, wie Gedanke zu Gedanken, Kraft zu Kraft
-hinzukommt. Jede Seele denkt sich selbst und alle andern, die ihr
-gleich sind, und je mehr sie denkt, um so intensiver ist ihre Freude
-(vgl. unten § 13).
-
-11. Wir kommen zur praktischen Philosophie. In Ethik und Politik
-treten wir in ein etwas näheres Verhältnis zum Leben und Glauben der
-Muslime. Einige allgemeine Gesichtspunkte seien hervorgehoben.
-
-Wie die Logik die Prinzipien des Wissens, so soll die Ethik die
-Grundsätze des Handelns darstellen. Nur dass hier Übung und Erfahrung
-etwas mehr gewertet werden, als in der Erkenntnistheorie. In
-der Ausführung schließt sich Farabi teils dem Platon, teils dem
-Aristoteles an, teils geht er auch in mystisch-asketischer Weise über
-sie hinaus. Den Theologen gegenüber, die zwar ein Vernunftwissen,
-aber keine Vernunftgesetze des Handelns anerkennen, betont Farabi
-öfter, die Vernunft bestimme, ob etwas gut sei oder böse. Wie sollte
-die von oben her uns erteilte Vernunft nicht das Handeln bestimmen,
-da ja im Wissen die höchste Tugend besteht? Wenn einer, so erklärt
-Farabi höchst bezeichnend, alles wüsste, was in den Schriften des
-Aristoteles steht, danach aber nicht handelte, während ein anderer in
-seinem Sinne handelte ohne davon zu wissen, so wäre dem ersteren der
-Vorzug zu geben. Die Erkenntnis steht höher als die sittliche That,
-sonst könnte sie diese nicht bestimmen.
-
-Von Natur aus begehrt die Seele. Insofern sie wahrnimmt und vorstellt,
-kommt ihr, wie den Tieren, ein Wille zu. Aber Wahlfreiheit hat allein
-der Mensch, da dieselbe auf vernünftiger Überlegung beruht. Die Sphäre
-der Freiheit ist das reine Denken. Es ist das also eine Freiheit, die
-von den Motiven des Denkens abhängig ist, eine Freiheit, die zugleich
-Notwendigkeit ist, weil sie in letzter Instanz von dem vernünftigen
-Wesen Gottes bestimmt ist. In diesem Sinne ist Farabi Determinist.
-
-Die so gefasste Freiheit des Menschen kann sich, wegen des
-Widerstandes der Materie, in der Herrschaft über das Sinnliche
-nur unvollkommen bethätigen. Vollkommen wird sie erst nach der
-Befreiung der vernünftigen Seele von den Banden des Stoffes und den
-Hüllen des Irrtums, im Leben des Geistes. Das aber ist die höchste
-Glückseligkeit, die nur ihrer selbst willen erstrebt wird, somit
-das Gute schlechthin. Und dieses Gute sucht die Menschenseele, wenn
-sie sich dem Geiste über ihr zuwendet, wie die Seelen der Himmel,
-als sie sich dem Höchsten nähern.
-
-12. Schon die Ethik nimmt wenig Rücksicht auf die wirklichen
-sittlichen Verhältnisse. Noch weiter aber entfernt Farabi sich von der
-Wirklichkeit in seiner Politik. Das platonische Staatsideal geht für
-seine orientalische Anschauungsweise fast ganz in den philosophischen
-Herrscher auf. Von einem natürlichen Bedürfnis zusammengeführt,
-haben die Menschen sich dem Willen eines Einzigen unterworfen, in
-welchem der Staat, ob er nun gut oder böse, gleichsam verkörpert
-ist. Deshalb sind die Staaten schlecht, wenn ihr Haupt in Bezug auf
-die Prinzipien des Guten entweder unwissend oder im Irrtum oder gar
-verderbt ist. Der gute oder vorzügliche Staat dagegen hat nur Eine
-Art, darin der Philosoph Herrscher ist. Mit allen menschlichen und
-philosophischen Tugenden stattet Farabi seinen Fürsten aus: es ist
-Platon in Mohammeds Prophetenmantel.
-
-In der Beschreibung der den idealen Fürsten vertretenden Herrscher --
-es können mehrere zugleich sein, auch können Fürst und Minister sich in
-Herrschertugend und Weisheit teilen -- nähern wir uns der muslimischen
-Staatslehre jener Zeit. Aber die Ausdrücke sind verhüllt. Die richtige
-Abstammung eines Fürsten z. B. und die Pflicht der Führung in den
-heiligen Krieg werden nicht klar bezeichnet. Es bleibt doch alles in
-philosophischem Nebel schweben.
-
-13. Im Staate, der mit der Religionsgemeinschaft zusammenfällt, ist die
-Sittlichkeit allein vollkommen. Nach dem Zustande des Staates bestimmt
-sich also nicht nur das zeitliche Schicksal seiner Bürger, sondern
-auch ihr zukünftiges Los. Die Seelen der Bürger im "unwissenden"
-Staate sind ohne Vernunft, als sinnliche Formen kehren sie zu
-den Elementen wieder, damit sie sich aufs neue mit anderen Wesen,
-Menschen oder Tieren, verbinden. In den "irrenden" und "verderbten"
-Staaten ist allein der Führer verantwortlich, seiner wartet Strafe
-im Jenseits; die irregeführten Seelen aber teilen das Schicksal der
-Unwissenden. Dagegen bestehen nur die guten wissenden Seelen fort,
-sie gehen ein in die Welt des reinen Geistes. Je höher die Stufe des
-Wissens, die sie in diesem Leben erreicht, um so höher wird nach dem
-Tode ihre Stelle in der Ordnung des Alls sein, um so intensiver ihre
-selige Lust.
-
-Vermutlich sind derartige Ausdrücke nur die Hülle eines
-mystisch-philosophischen Glaubens von dem Aufgehen des menschlichen
-Geistes in den Weltgeist, zuletzt in Gott. Denn, so lehrt Farabi,
-in absteigender Betrachtung (logisch-metaphysisch) ist die Welt etwas
-anderes als Gott, im Aufsteigen aber erkennt die Seele das Diesseits
-als identisch mit dem Jenseits, weil Gott in allem, ja in seiner
-Einheit das All selbst ist.
-
-14. Überblicken wir jetzt Farabis System, so zeigt es sich als
-einen ziemlich konsequenten Spiritualismus, genauer bestimmt
-Intellektualismus. Das Körperliche, Sinnenfällige entspringt der
-Imagination des Geistes, man könnte es als "verworrene Vorstellung"
-bezeichnen. Das einzige wahre Sein ist Geist, aber verschieden
-abgestuft. Ganz einfach rein ist nur Gott, und die ewig aus ihm
-hervorgehenden Geister, einer aus dem andern, haben schon die
-Vielheit in sich. Die Zahl der selbständigen Geister wird nach dem
-ptolemäischen Weltsystem bestimmt und entspricht der himmlischen
-Hierarchie. Je weiter vom Ersten entfernt, um so weniger hat einer
-am Sein des reinen Geistes teil. Von dem letzten Weltgeiste kommt
-dem Menschen sein Wesen, d. h. die Vernunft zu. Alles ist ohne Lücke,
-die Welt ist ein gut und schön geordnetes Ganzes. Übel und Böses sind
-nur eine notwendige Folge der Endlichkeit im Einzelnen, wodurch die
-Güte des Alls um so deutlicher hervortritt.
-
-Ob die schöne Ordnung der Welt, von Ewigkeit her aus Gott emaniert,
-jemals wird zerstört werden können oder auch in Gott zurückfließen? Ein
-fortwährendes Zurückströmen zur Gottheit gibt es wohl. Die Sehnsucht
-der Seele geht nach oben, fortschreitendes Wissen läutert sie und
-führt sie hinauf. Aber wie weit? Philosophen und Propheten haben es
-nicht klar sagen können. Beide, die Philosophie und die Prophetie,
-leitet Farabi von dem schaffenden Weltgeiste über uns her. Hin
-und wieder spricht er sich über die Prophetie aus, als ob diese die
-höchste Stufe menschlichen Erkennens und Handelns darstelle. Das kann
-aber nicht seine wirkliche Meinung sein, ist wenigstens nicht die
-Konsequenz seiner theoretischen Philosophie. Ihr zufolge gehört alles
-Prophetische in Traum, Gesicht, Offenbarung u. s. w. dem Kreise der
-Vorstellung an, steht also in der Mitte zwischen sinnlicher Wahrnehmung
-und reiner Vernunfterkenntnis. Wenn er nun auch in seiner Ethik und
-Politik der Religion eine hohe erzieherische Bedeutung beimisst, so
-bleibt sie doch immer an absolutem Werte der Erkenntnis durch reine
-Vernunft nachstehen.
-
-Farabi hat im Intellektuellen für ein Ewiges gelebt. Ein König an
-Geist, ein Bettler an Besitz, war es ihm bei seinen Büchern und den
-Vögeln und Blumen seines Gartens wohl. Seinem Volke, der muslimischen
-Gemeinde, konnte er nur wenig sein. In seiner Staats- und Sittenlehre
-war für weltliche Geschäfte und für den heiligen Krieg keine rechte
-Stelle. Seine Philosophie befriedigte kein sinnliches Bedürfnis und
-widersprach dem sinnlich-geistigen Vorstellungsleben, wie es sich
-besonders in Kunstschöpfungen und religiösen Phantasien äußert. Er
-verlor sich in den Abstraktionen des reinen Geistes. Als frommer,
-heiliger Mann wurde er von Mitlebenden angestaunt, von wenigen Schülern
-als personifizierte Weisheit verehrt, von den echten Gelehrten des
-Islam aber für alle Zeit verketzert. Grund gab es freilich genug
-dafür. Wie die Naturphilosophie leicht zu Naturalismus und Atheismus
-führte, so leitete der Monotheismus der Logiker unmerklich zum
-Pantheismus hinüber.
-
-15. Viel Schule hat Farabi nicht gemacht. Bekannt geworden ist Abu
-Zakarija Jachja ibn Adi, ein jakobitischer Christ, als Übersetzer
-aristotelischer Werke. Mehr genannt worden aber ist ein Schüler
-des letzteren, mit Namen Abu Sulaiman Mohammed ibn Tahir ibn Bahrain
-al-Sidschistani, der in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts in
-Bagdad die Gelehrten seiner Zeit um sich versammelte. Die Gespräche,
-welche sie da führten und die philosophischen Belehrungen, die der
-Meister erteilte, sind uns zum Teil erhalten. Wir sehen deutlich den
-Ausgang der Schule. Wie die Naturphilosophie in Geheimwissenschaft
-verlief und die Schule Kindis sich von der Philosophie ab
-mathematischem und physikalischem Einzelwissen zuwandte, so geht
-hier die logische Richtung Farabis in Wortphilosophie über. In
-Distinktionen und Begriffsbestimmungen bewegt sich das Gespräch. Auch
-werden Einzelheiten aus der Philosophiegeschichte und den besonderen
-Wissenschaften ohne systematischen Zusammenhang erörtert. Fast
-nirgends zeigt sich ein sachliches Interesse. Die menschliche Seele
-rückt ganz in den Vordergrund, ähnlich wie bei den treuen Brüdern,
-nur dass diese mehr die wunderbaren Wirkungen der Seele, jene Logiker
-aber ihr vernünftiges Wesen und ihre Erhebung in das Übervernünftige
-betrachten. Statt mit Zahlen und Buchstaben, wie bei den Brüdern, wird
-in Sidschistanis Gesellschaft mit Worten und Begriffen gespielt. Das
-Ende ist in beiden Fällen ein mystischer Sufismus.
-
-Es ist demnach nicht zu verwundern, dass in den gelehrten Sitzungen
-Abu Sulaimans, über die sein Schüler Tauhidi (gest. 1009) Bericht
-erstattet, Empedokles, Sokrates, Platon u. a. mehr genannt werden
-als Aristoteles. Eine sehr gemischte Gesellschaft findet sich da in
-jenen Sitzungen zusammen. Es wird nicht gefragt, welchem Lande man
-entstamme, welcher Religion man angehöre. Man lebt der Überzeugung,
-die von Platon hergeleitet wird, in jeder Meinung stecke etwas von
-der Wahrheit, wie in allen Dingen ein gemeinsames Sein und in allen
-Wissenschaften eine und dieselbe wirkliche Erkenntnis. Nur unter
-dieser Annahme scheint es begreiflich, dass jeder zunächst seine
-eigene Meinung für die wahre, und die von ihm gepflegte Wissenschaft
-für die vorzüglichste halten könne. Eben deswegen gibt es auch keinen
-Zwiespalt zwischen Religion und Philosophie, wie heftig man es von
-beiden Seiten behaupten möge. Die Philosophie bestätigt vielmehr die
-Lehren der Religion, wie diese die Resultate jener vervollkommnet. Ist
-die philosophische Erkenntnis Wesen und Ziel der menschlichen Seele,
-so ist der religiöse Glaube ihr Leben oder der Weg zu dem Ziele. Da
-nämlich die Vernunft Gottes Statthalter auf Erden ist, so ist es
-unmöglich, dass Vernunft und Offenbarung sich widersprechen.
-
-Einzelnes hervorzuheben aus den Gesprächen, deren Grundstimmung wir
-angegeben, verlohnt sich nicht. Kulturhistorisch ist die Erscheinung
-Sidschistanis und seines Kreises wichtig, aber für die Fortbildung
-der Philosophie im Islam hat sie keine Bedeutung. Was für Farabi
-wirklich das Leben seines Geistes war, wird in dieser Gesellschaft
-gar oft zum Gegenstande geistreicher Unterhaltung.
-
-
-
-
-3. Ibn Maskawaih.
-
-1. Wir sind an die Wende des zehnten und elften Jahrhunderts
-gelangt. Farabis Schule scheint auszusterben und Ibn Sina, der die
-Philosophie seines Vorgängers zu neuem Leben erwecken sollte, ist
-noch ein Jüngling. Hier aber haben wir eines Mannes zu gedenken,
-der zwar dem Kindi näher als dem Farabi verwandt ist, doch auch,
-wegen der Gemeinsamkeit ihrer Quellen, in wesentlichen Punkten mit
-dem letzteren übereinstimmt. Sein Beispiel zeigt zugleich, dass die
-hellsten Köpfe der Zeit nicht gesonnen waren, Farabi auf das Gebiet
-logisch-metaphysischer Spekulationen zu folgen.
-
-Dieser Mann ist der Arzt, Philolog und Historiker Abu Ali ibn
-Maskawaih, der Schatzmeister und Freund des Sultans Adudaddaula war
-und hochbetagt im Jahre 1030 starb. U. a. hat er uns eine bis heute
-im Orient geschätzte philosophische Ethik hinterlassen. Sie ist
-eine Mischung aus Platon, Aristoteles, Galen und dem muslimischen
-Religionsgesetz, doch herrscht darin Aristoteles vor. Mit einer
-Abhandlung über das Wesen der Seele hebt sie an.
-
-2. Die menschliche Seele, so führt Ibn Maskawaih aus, ist eine
-unkörperliche, einfache, sich ihres Seins, Wissens und Wirkens bewusste
-Substanz. Dass sie geistiger Natur sein muss, folgt schon daraus, dass
-sie die entgegengesetzten Formen zugleich in sich aufnimmt, z. B. die
-Vorstellung von weiß und schwarz, während ein Körper nur eins von
-beiden auf einmal aufnehmen kann. Ferner nimmt sie sowohl die Formen
-des Sinnlichen wie des Geistigen in gleicher, geistiger Weise auf,
-denn die Länge ist in der Seele nicht lang, wird auch im Gedächtnis
-nicht länger. Weit über ihren Körper geht sodann das Wissen und Wirken
-der Seele hinaus, ja die ganze Sinnenwelt genügt ihr nicht. Überdies
-besitzt sie eine ursprüngliche Vernunfterkenntnis, die ihr nicht von
-den Sinnen zugekommen sein kann, denn durch dieselbe bestimmt sie, bei
-der Vergleichung und Unterscheidung des von der sinnlichen Wahrnehmung
-ihr Dargebotenen, Wahres und Falsches, die Sinne beaufsichtigend
-und berichtigend. Im Selbstbewusstsein endlich, dem Wissen um das
-eigene Wissen, zeigt sich am klarsten die geistige Einheit der Seele,
-in der Denken, Denkendes und Gedachtes zusammen fallen.
-
-Von den Tierseelen unterscheidet sich die menschliche Seele besonders
-durch vernünftige Überlegung als das Prinzip ihres Handelns, welches
-auf das Gute gerichtet ist.
-
-3. Gut ist im allgemeinen dasjenige, wodurch ein Wollendes den Zweck
-oder die Vollkommenheit seines Wesens erreicht. Gut zu sein, dazu ist
-also eine gewisse auf einen Endzweck gerichtete Anlage erforderlich. In
-Bezug auf ihre Anlage unterscheiden die Menschen sich aber sehr
-wesentlich. Nur wenige, meint Ibn Maskawaih, sind von Natur gut und
-werden nie schlecht, denn was von Natur ist, ändert sich nicht. Viele
-dagegen sind von Natur schlecht und werden nie gut. Andere aber,
-die anfangs weder gut noch schlecht sind, werden durch Erziehung und
-gesellschaftlichen Verkehr nach einer von beiden Seiten hin bestimmt.
-
-Das Gute ist nun entweder ein allgemeines oder ein besonderes. Es gibt
-ein absolutes Gut, mit dem höchsten Sein und der höchsten Erkenntnis
-identisch, dem alle Guten zusammen zustreben. Aber für jeden Einzelnen
-stellt sich ein besonderes Gut subjektiv als Glück oder Lust dar,
-und dieses besteht in der vollen Bethätigung des eigenen Wesens,
-in der vollständigen Auslebung des Inneren.
-
-Im allgemeinen ist der Mensch gut und glücklich, wenn er menschlich
-handelt. Tugend ist menschliche Tüchtigkeit. Da nun aber die Menschheit
-in den verschiedenen Individuen verschieden abgestuft sich darstellt,
-so ist das Glück oder das Gut nicht für alle dasselbe. Und weil das
-auf sich selbst gestellte Individuum nicht alle möglichen Güter
-verwirklichen kann, so müssen viele zusammenleben. Daraus ergibt
-sich schon als eine erste Pflicht oder die Grundlage aller Tugenden
-die allgemeine Menschenliebe, ohne die keine Gesellschaft möglich
-ist. Nur mit und in anderen ist der einzelne Mensch vollkommen,
-die Ethik soll Sozialethik sein. Die Freundschaft ist darum nicht,
-wie bei Aristoteles, eine Erweiterung der Selbstliebe, sondern eine
-Einschränkung oder eine Art der Nächstenliebe. Und diese, wie die
-Tugend überhaupt, kann sich nur bethätigen in der Gesellschaft oder
-der Staatsgemeinschaft, nicht aber in der Weltflucht des frommen
-Mönches. Der Einsiedler, der glaubt, mäßig und gerecht zu leben,
-irrt sich in Bezug auf den Charakter seiner Handlungen. Diese mögen
-religiös sein, moralisch sind sie nicht. Ihre Betrachtung fällt also
-nicht der Ethik zu.
-
-Übrigens stimmt, nach Ibn Maskawaih, das richtig aufgefasste
-Religionsgesetz vorzüglich mit einer humanen Ethik überein. Die
-Religion ist eine sittliche Schulung für das Volk. Ihre Vorschriften
-über den gemeinschaftlichen Gottesdienst und die Wallfahrt nach
-Mekka sollen z. B. die Pflege der Nächstenliebe in den weitesten
-Kreisen bezwecken.
-
-Im einzelnen ist es Ibn Maskawaih nicht gelungen, die ethischen
-Lehren der Griechen, die er in seine Darstellung aufnimmt, unter
-einander und mit dem Gesetz des Islam zu verschmelzen. Wir übergehen
-das. Doch ist nicht nur im allgemeinen sein Versuch zu loben, eine von
-der Kasuistik der Pflichtenlehrer und von der Askese der Sufi's freie
-Ethik zu geben, sondern auch in der Ausführung ist die Besonnenheit
-eines reichgebildeten Mannes anzuerkennen.
-
-
-
-
-4. Ibn Sina.
-
-1. Zu Efschene, in der Nähe Bocharas, wurde im Jahre 980 aus einer
-Beamtenfamilie geboren Abu Ali al-Hosain ibn Abdallah ibn Sina
-(Avicenna). Im elterlichen Hause, wo persische und anti-muslimische
-Traditionen lebendig waren, erhielt er seine weltliche und religiöse
-Erziehung. Dann studierte der körperlich und geistig frühreife
-Jüngling Philosophie und Medizin in Bochara. Siebzehn Jahre war er
-alt, als er den Fürsten Nuch ibn Mansur glücklich kurierte, und der
-Zutritt zu dessen Bibliothek ihm gestattet ward. Von jetzt ab war er,
-in Studium und Praxis, sein eigener Lehrer. Er verstand es, das Leben
-und die Bildung seiner Zeit sich zu Nutzen zu machen. Im Getriebe
-der Kleinstaaterei versuchte er unablässig sein Glück. Einem großen
-Fürsten hätte er sich wohl ebensowenig unterordnen können wie in der
-Wissenschaft einem Lehrer. Von Hof zu Hof wanderte er fort, bald in
-der Staatsverwaltung, bald als Lehrer und Schriftsteller thätig, bis
-er Wezir des Schems addaula in Hamadan wurde. Nach dem Tode dieses
-Fürsten ward er von dessen Sohne ein paar Monate auf die Festung
-geschickt. Darauf ging er weiter nach Ispahan zu Ala addaula. Endlich
-starb er noch in Hamadan, das Ala addaula erobert hatte, im Alter
-von 57 Jahren (1037). Sein Grab wird noch heute dort gezeigt.
-
-2. Es ist wohl der größte Irrtum, der sich in der Geschichte der
-muslimischen Philosophie festgesetzt hat, Ibn Sina sei über Farabi
-hinaus zu einem reineren Aristotelismus vorgedrungen. Was kümmerte
-unser Weltmann sich im Grunde um Aristoteles. Sich in den Geist
-irgend eines Systems zu versenken, war nicht seine Sache. Er nahm
-das ihm Zusagende, wo er es fand, bevorzugte aber dabei die seichten
-Paraphrasen des Themistius. So ward er der große Vermittlungsphilosoph
-des Orients, der richtige Vorläufer der Kompendienschreiber für
-alle Welt. Er wusste seinen von überall her zusammengeholten Stoff
-geschickt zu gruppieren und, wenn auch nicht ohne Spitzfindigkeit,
-fasslich darzustellen. Jeden Augenblick seines Lebens nutzte er
-aus. Am Tage besorgte er die Staatsgeschäfte oder übte seine
-Lehrthätigkeit aus, der Abend war den geselligen Genüssen der
-Freundschaft und der Liebe gewidmet, und manche Nacht fand ihn
-schriftstellerisch thätig, das Schreibrohr in der Hand, den Becher
-zur Seite, damit er nicht einschlafe. Zeit und Umstände bestimmten
-diese Wirksamkeit. Wenn er am fürstlichen Hofe die nötige Muße und
-eine Bibliothek zur Hand hatte, schrieb er seinen Kanon der Medizin
-oder die große philosophische Encyklopädie. Auf Reisen verfasste er
-Auszüge und kleinere Werke. Auf der Festung schrieb er Gedichte und
-fromme Betrachtungen, aber immer in gefälliger Form. Seine kleineren
-mystischen Schriften haben sogar einen poetischen Reiz. Auf Bestellung
-ward von ihm auch die Wissenschaft, Logik und Medizin versifiziert,
-wie das seit dem zehnten Jahrhundert immer mehr Sitte wurde. Nimmt
-man hinzu, dass er nach Belieben persisch oder arabisch schrieb, so
-bekommt man das Bild eines vielgewandten Mannes. Sein Leben war reich
-an Arbeit und Genuss bis zur Übersättigung. An Genialität freilich
-stand er seinem älteren Landsmann, dem Dichter Firdausi (940-1020),
-an wissenschaftlichem Talente seinem Zeitgenossen Beruni (s. unten
-§ 9) nach. Firdausi und Beruni haben für uns noch Bedeutung. Ibn
-Sina aber war der Ausdruck seiner Zeit und darauf beruht seine große
-Wirkung, seine geschichtliche Stellung. Nicht wie Farabi zog er sich
-aus dem Leben zurück, sich in die Kommentatoren des Aristoteles zu
-versenken, sondern in ihm verschmolzen sich griechische Wissenschaft
-und orientalische Weisheit. Kommentare zu den Alten, meinte er, waren
-genug geschrieben. Es war jetzt an der Zeit, eine eigene Philosophie
-auszubilden, d. h. alten Lehren eine moderne Form zu geben.
-
-3. In der Medizin befleißigt Ibn Sina sich einer systematischen
-Darstellung, doch ist er hier kein strenger Logiker. Der
-Erfahrung räumt er, wenigstens theoretisch, einen großen Platz
-ein und ausführlich bespricht er die Bedingungen, unter denen nur
-z. B. die Wirksamkeit der Heilmittel erkannt werden könne. Was aber
-an philosophischen Prinzipien die Medizin enthält, soll diese als
-Lehnsätze aus der Philosophie herübernehmen.
-
-Die eigentliche Philosophie zerfällt in Logik, Physik und
-Metaphysik. Als Ganzes umfasst sie die Wissenschaft alles Seienden
-als solchen und der Prinzipien aller Einzelwissenschaften, wodurch,
-soweit es menschenmöglich ist, die philosophierende Seele die
-höchste Vollkommenheit erreicht. Das Seiende ist nun entweder
-geistig, Gegenstand der Metaphysik, oder körperlich, Gegenstand der
-Physik, oder intellektuell, Gegenstand der Logik. Die Gegenstände
-der Physik können weder sein noch gedacht werden ohne Materie. Das
-Metaphysische aber ist ganz ohne Materie und das Logische ist von
-der Materie abstrahiert. Einige Ähnlichkeit hat das Logische mit dem
-Mathematischen, insofern nämlich die Gegenstände der Mathematik sich
-von der Materie abstrahieren lassen. Doch bleibt das Mathematische
-immer darstellbar, konstruierbar, hingegen hat das Logische als
-solches sein Dasein nur im Intellekte, wie z. B. Identität, Einheit
-und Vielheit, Allgemeinheit und Partikularität, Wesentlichkeit und
-Zufälligkeit u. s. w. Die Logik ist demnach die Wissenschaft der
-Denkbestimmungen.
-
-In der näheren Ausführung schließt Ibn Sina sich ganz der Logik
-Farabis an. Wohl besser noch würde sich die Übereinstimmung uns
-zeigen, wenn die logischen Schriften seines Vorgängers vollständiger
-erhalten wären. Öfter betont er die Mangelhaftigkeit der menschlichen
-Denknatur, die einer logischen Regel dringend bedürftig sei. Wie
-der Physiognomiker aus äußeren Zügen auf den Charakter des Inneren
-schließt, so soll der Logiker aus bekannten Vordersätzen Unbekanntes
-ableiten. Wie leicht schleichen sich dabei die Irrtümer der Phantasie
-und der Begierde ein! Eines Kampfes mit der Sinnlichkeit bedarf es,
-damit das Vorstellungsleben sich erhebe zu der reinen Wahrheit der
-Vernunft, durch die etwas als notwendig erkannt wird. Nur der göttlich
-inspirierte Mensch kann der Logik entbehren, ebenso wie der Beduine
-eine arabische Grammatik nicht braucht.
-
-Auch die Universalienfrage wird ähnlich wie bei Farabi behandelt. Vor
-aller Vielheit hat jedes Ding ein Sein im Geiste Gottes und der Engel
-(Sphärengeister), dann geht es als materielle Form in die Vielheit ein,
-um endlich im menschlichen Intellekte zur Allgemeinheit des Begriffes
-sich zu erheben. Wie nun Aristoteles zwischen erster (individueller)
-und zweiter (allgemeinbegrifflicher) Substanz unterschieden hat, so
-macht Ibn Sina ähnlich einen Unterschied zwischen erstem und zweitem
-Begriff (ma'nâ, intentio). Der erste bezieht sich auf die Dinge,
-der zweite auf die Disposition unseres Denkens.
-
-4. In der Metaphysik und der Physik unterscheidet Ibn Sina sich von
-Farabi hauptsächlich dadurch, dass er, indem er die Materie nicht aus
-Gott ableitet, das Geistige höher über alles Materielle hinausrückt,
-und, im Zusammenhang damit, die Bedeutung der Seele als einer
-Vermittlerin zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen steigert.
-
-Aus dem Begriffe des Möglichen und Notwendigen ergibt sich die Existenz
-eines notwendigen Wesens schlechthin. Nicht aus seinen Werken soll
-man, nach Ibn Sina, das Dasein eines Schöpfers zu erweisen suchen,
-sondern aus dem möglichen Charakter alles Seienden und Denklichen
-in der Welt die Existenz eines ersten notwendig Seienden, in welchem
-Wesen und Dasein Eins sind, folgern.
-
-Nicht nur alles, was unter dem Monde ist, ist möglicher Natur, sondern
-auch die Himmel sind an sich nur möglich. Notwendig wird ihre Existenz
-durch ein anderes, das über alle Möglichkeit hinaus ist, also auch über
-alle Vielheit und Veränderlichkeit. Das absolut Notwendige ist eine
-starre Einheit, aus der nichts Vielfaches hervorgehen kann. Dieses
-erste Eine ist Ibn Sinas Gott, dem zwar viele Prädikate, des Denkens
-u. s. w., beigelegt werden, aber nur im Sinne der Negation oder der
-Beziehung, sodass sie die Einheit des Wesens nicht berühren.
-
-Aus dem ersten Einen kann also nur Eines hervorgehen, der erste
-Weltgeist. In diesem entsteht die Vielheit. Indem er nämlich seine
-Ursache denkt, erzeugt er einen dritten Geist, den Lenker der
-äußersten Sphäre; indem er sich selbst denkt, entsteht eine Seele,
-mittelst der der Sphärengeist seine Wirkung ausübt; und sofern er
-drittens ein an sich Mögliches ist, geht aus ihm ein Körper hervor,
-die äußerste Sphäre. Und so geht es weiter. Jeder Geist entlässt
-aus sich eine Dreiheit: Geist, Seele und Körper. Denn, da der Geist
-nicht unmittelbar den Körper bewegen kann, so bedarf er zur Ausübung
-seiner Wirksamkeit der Seele. Zuletzt kommt der thätige Geist (`aql
-fu-``âl) der die Materie des Irdischen, die körperlichen Formen und
-die menschlichen Seelen hervorbringt und lenkt.
-
-Dieser ganze Prozess, der nicht zeitlich vorgestellt werden darf,
-findet statt in einem Substrate, der Materie. Die Materie ist die
-ewige, reine Möglichkeit alles Seienden, zugleich die Schranke für
-die Wirkung des Geistes. Sie ist das Prinzip aller Individualität.
-
-Das musste nun allerdings gläubigen Muslimen als etwas Furchtbares
-erscheinen. Wohl hatten mutazilitische Dialektiker behauptet,
-Gott könne kein Böses oder nichts Vernunftwidriges thun. Jetzt aber
-behauptete die Philosophie, dass Gott statt alles Mögliche zu können,
-nur das an sich Mögliche zu bewirken im Stande sei, und dass direkt
-von ihm nur der erste Weltgeist ausgehe.
-
-Übrigens macht Ibn Sina alle Anstrengung, sich dem Volksglauben
-anzubequemen. Alles ist durch Gottes Bestimmung, sagt er, Gutes
-und Böses, aber nur ersteres mit freudiger Billigung. Das Böse
-ist entweder ein Nichtseiendes oder, sofern es von Gott herrührt,
-ein Accidentelles. Hätte Er, der notwendigen Übel wegen, diese Welt
-nicht hervorgehen lassen, so wäre das der Übel größtes gewesen. Die
-Welt könnte nicht besser und schöner sein als sie eben ist. In ihrer
-schönen Ordnung besteht die göttliche Vorsehung, die von den Seelen
-der Himmel vermittelt wird. Gott und die reinen Geister kennen nur
-das Allgemeine, können also nicht für Besonderes sorgen. Aber die
-Seelen der Himmelsphären, denen Vorstellung des Einzelnen zukommt
-und durch die der Geist auf den Körper wirkt, bieten die Möglichkeit,
-eine Fürsorge auch für das Einzelne und den Einzelnen anzunehmen, die
-Offenbarung zu erklären u. s. w. Auch das plötzliche Entstehen und
-Vergehen von Substanzen (Schöpfung und Vernichtung) im Gegensatze
-zu der stetigen Bewegung, d. h. dem allmählichen Übergange des
-Möglichen zum Wirklichen, scheint dem Ibn Sina nichts Unmögliches zu
-bedeuten. Überhaupt herrscht bei ihm keine Klarheit über das Verhältnis
-der Seinsformen, über Geist und Körper, Form und Materie, Substanz und
-Accidens. Dem Wunder bleibt jedenfalls ein Platz übrig. In heftigen,
-seelischen Erregungen, die oft plötzlich eine große Hitze oder Kälte
-bei uns hervorrufen, haben wir, nach Ibn Sina, Analoga zu wunderbaren
-Wirkungen der Weltseele, wenn diese auch gewöhnlich dem Naturlaufe
-folgt. Von allen diesen Möglichkeiten macht unser Philosoph selbst
-sehr mäßigen Gebrauch. Astrologie und Alchemie hat er aus ganz
-vernünftigen Gründen bekämpft. Trotzdem hat man ihm bald nach seinem
-Tode schon astrologische Gedichte aufgebürdet und erscheint er in
-der türkischen Romanlitteratur, freilich an der Stelle eines alten
-Mystikers, als Zauberer.
-
-Ibn Sinas Physik beruht ganz auf der Annahme, ein Körper könne nichts
-bewirken. Was wirkt, ist überall eine Kraft, eine Form, eine Seele und
-durch sie der Geist. Im Gebiete des Physischen gibt es also unzählige
-Kräfte, deren Hauptstufen von unten nach oben die Naturkräfte,
-die Vermögen der Pflanzen und der Tiere, die Menschenseelen und die
-Weltseelen sind.
-
-5. Farabi war es vor allem um die reine Vernunft zu thun: er hat das
-Denken um seiner selbst willen geliebt. Ibn Sina aber ist überall
-um die Seele bemüht. Wie er in seiner Medizin den menschlichen
-Körper ins Auge fasst, so in seiner Philosophie die menschliche
-Seele. Seine große philosophische Encyklopädie heißt ja die Heilung
-(sc. der Seele). Die Psychologie ist der Mittelpunkt seines Systems.
-
-Seine Anthropologie ist dualistisch. Körper und Seele gehören
-nicht wesentlich zusammen. Wie alle Körper unter der Einwirkung der
-Gestirne aus der Mischung der Elemente hervorgehen, so der menschliche
-Körper aus dem schönsten Gleichmaße dieser Mischung. Eine spontane
-Generation des Körpers, wie überhaupt ein Aussterben und Neuerstehen
-des Menschengeschlechtes ist deshalb möglich. Aber aus der Mischung
-der Elemente lässt sich die Seele nicht erklären. Sie ist nicht
-die untrennbare Form des Körpers, sondern diesem accidentell. Von
-dem Geber der Formen, d. h. dem thätigen Geiste über uns, erhält
-jeder Körper seine ihm und nur ihm eignende Seele. Von Anfang an
-ist jede Seele Individualsubstanz und sie bildet sich zeitlebens
-in ihrem Körper immer individueller aus. Zu der Behauptung, die
-Materie sei das Prinzip der Individualität, stimmt dies allerdings
-nicht. Aber die Seele ist das Wunderkind unseres Philosophen. Er ist
-nicht leichtgläubig, warnt öfter vor einem allzuleichten Hinnehmen
-der Geheimnisse des Seelenlebens, weiß aber doch selber manches zu
-berichten über die vielen wunderbaren Kräfte und möglichen Wirkungen
-der Seele, die die vielverschlungenen Pfade des Lebens wandert und
-die Abgründe des Seins und Nichtseins übersteigt.
-
-Von allen Seelenkräften sind die theoretischen Vermögen die
-vorzüglichsten. Äußere und innere Sinne führen der vernünftigen Seele
-die Kenntnis der Welt zu. Besonders die Lehre von den inneren Sinnen,
-den sinnlich-geistigen Vorstellungsvermögen, deren Sitz das Gehirn,
-wird von Ibn Sina eingehend dargestellt.
-
-Gewöhnlich nahmen die Mediziner-Philosophen drei innere Sinne oder
-Stadien des Vorstellungsprozesses an: 1. die Zusammenfassung der
-einzelnen Sinneswahrnehmungen zu einem Gesamtbilde im Vorderhirn;
-2. die Umbildung oder Bearbeitung dieser Vorstellung des Gemeinsinnes
-mit Hilfe schon vorhandener Vorstellungen, also die eigentliche
-Apperzeption, in der Mitte des Gehirns; 3. die Aufbewahrung
-der apperzipierten Vorstellung im Gedächtnis, das seinen Sitz im
-hintern Teile des Gehirns haben soll. Ibn Sina geht etwas weiter in
-der Analyse. Er unterscheidet im Vorderhirne vom Gemeinsinne das
-sinnliche Gedächtnis, die Schatzkammer der Gesamtbilder. Ferner
-lässt er die Apperzeption teils unbewusst, unter dem Einfluss
-des sinnlich-begehrenden Lebens, wie es sich auch bei den Tieren
-findet, von statten gehen, teils aber bewusst, unter der Mitwirkung
-der Vernunft, zu Stande kommen. In dem ersteren Falle behält die
-Vorstellung ihre Beziehung zu dem Einzelding -- so kennt das Schaf die
-Feindschaft des Wolfes --, in dem zweiten Falle aber erweitert sie sich
-zum allgemeinen. Dazu kommt dann als fünftes hinzu das vorstellende
-Gedächtnis oder das Zeughaus der von der sinnlichen Phantasie und dem
-vernünftigen Nachdenken gebildeten Vorstellungen. Es entsprechen also,
-aber ganz anders als bei den treuen Brüdern (s. III, 2 § 8), den fünf
-äußeren Sinnen fünf innere. Unbeantwortet bleibt die aufgeworfene
-Frage, ob man nicht von dem Gedächtnis noch die Erinnerung als ein
-besonderes Vermögen zu scheiden habe.
-
-6. Auf dem Gipfel der theoretischen Seelenkräfte steht die Vernunft. Es
-gibt zwar auch eine praktische Vernunft, aber in ihrem Thun haben
-wir uns selbst nur mittelbar, vervielfältigt; unmittelbar dagegen
-in dem Selbstbewusstsein, dem reinen Erkennen unseres Wesens, darin
-die Einheit unserer Vernunft sich darstellt. Statt aber die niederen
-Kräfte der Seele herabzudrücken, zieht die Vernunft dieselben hinauf,
-die Sinneswahrnehmung verfeinernd, die Vorstellung verallgemeinernd. An
-dem ihr von den äußeren und inneren Sinnen zugeführten Materiale
-arbeitet sich die Vernunft, die anfangs bloße Denkfähigkeit ist,
-nach und nach zur vollkommenen Denkfertigkeit aus. Durch Übung wird
-die Anlage Wirklichkeit. Es geschieht das an der Hand der Erfahrung,
-aber unter der Führung und der Erleuchtung von oben, von dem Geber der
-Formen, der als thätiger Geist der Vernunft die Ideen mitteilt. Ein
-Gedächtnis aber für die reinen Vernunftideen hat die menschliche
-Seele nicht, denn Gedächtnis setzt immer ein körperliches Substrat
-voraus. So oft also die vernünftige Seele etwas erkennt, fließt ihr
-jedesmal von oben die Erkenntnis zu, und nicht durch Umfang und Inhalt
-des Erkennens unterscheiden sich die denkenden Seelen, sondern durch
-die Fertigkeit, sich zur Aufnahme der Erkenntnis mit dem Geiste über
-uns in Verbindung zu setzen.
-
-Die vernünftige Seele, die dasjenige, was unter ihr ist, beherrscht,
-und das Höhere durch die Erleuchtung des Weltgeistes erkennt, ist
-nun der eigentliche Mensch, entstanden zwar, aber als einfaches
-Wesen, als Individualsubstanz, unzerstörbar, unsterblich. Hier
-unterscheidet durch ihre Klarheit Ibn Sinas Lehre sich von derjenigen
-des Farabi. Seit Ibn Sina gilt im Orient die Annahme der individuellen
-Unsterblichkeit entstandener Menschenseelen als aristotelisch, das
-Gegenteil als platonisch. So versteht sich seine Philosophie besser
-mit der Religion. Im menschlichen Körper und in der ganzen Sinnenwelt
-hat die Seele eine Schule, sich auszubilden. Nach dem leiblichen
-Tode aber, der diesem Körper für immer ein Ende macht, besteht die
-Seele in enger oder entfernter Verbindung mit dem Weltgeiste fort. In
-dieser Vereinigung (die nicht als völlige Einswerdung aufzufassen ist)
-mit dem Geiste über uns besteht die Seligkeit der guten, wissenden
-Seelen. Den anderen wird ewiges Unglück zu teil. Wie körperliche Mängel
-zu Krankheiten führen, so folgt notwendig aus schlechtem Seelenzustande
-die Strafe. In derselben Weise bemisst sich aber auch die himmlische
-Belohnung nach der Stufe seelischer Gesundheit oder Vernünftigkeit,
-die im Erdenleben erreicht wurde. Der reinen Seele bleibt in den
-Leiden der Zeit der Trost des Ewigen.
-
-Freilich wird das Höchste nur von wenigen erreicht. Auf dem Gipfel
-der Wahrheit ist für die Masse kein Platz; nur einer nach dem
-andern dringt zu der auf einsamer Höhe entspringenden Quelle der
-Gotteserkenntnis vor.
-
-7. Seine Ansicht von der menschlichen Vernunft auszudrücken, benutzt
-und deutet Ibn Sina dichterische Überlieferungen, wie das auch in
-der späteren persischen Litteratur sehr beliebt war. An erster Stelle
-interessiert uns die allegorisierte Gestalt des Hai ibn Jaqzan. Sie
-stellt den Aufstieg des Geistes aus den Elementen durch die Reiche
-der Natur, der Seele und der Geister bis zum Throne des Ewigen,
-Einen dar. Als ein jugendlicher Greis, seine Führerschaft anbietend,
-begegnet sie dem Philosophen. Dieser hat sich bemüht, mit seinen
-äußeren und inneren Sinnen, Erde und Himmel zu erkennen. Zwei Wege
-öffnen sich ihm: nach Westen der Weg der Materie und des Bösen, nach
-Sonnenaufgang aber der Weg der geistigen, ewigreinen Formen, auf den
-Hai den Wanderer führt. Zusammen gelangen sie zu der Quelle göttlicher
-Weisheit, dem Born ewiger Jugend, wo Schönheit der Schönheit Vorhang,
-Licht des Lichtes Schleier ist: das ewige Geheimnis.
-
-Hai ibn Jaqzan ist demnach der Führer der einzelnen denkenden Seelen,
-er ist der ewige Geist, der über der Menschheit steht und sich in
-ihr bethätigt.
-
-Einen ähnlichen Sinn findet unser Philosoph in der vielfach
-umgebildeten spätgriechischen Legende von den Brüdern Salaman und
-Absal. Salaman ist ihm der Weltmensch, dessen Weib (= die sinnliche
-Welt) sich in Absal verliebt und diesen durch eine List in ihre Arme zu
-führen weiß. Vor dem entscheidenden Augenblicke fährt aber ein Blitz
-vom Himmel herab, entdeckt Absal den beinahe begangenen Frevel und
-erhebt ihn von der sinnlichen Genusswelt zu der Welt reingeistiger
-Betrachtung.
-
-Wie ein Vogel, heißt es an anderer Stelle, ist die Seele des
-Philosophen. Mit großer Mühe entkommt sie irdischen Stricken und
-durchfliegt die Weltenräume, bis der Engel des Todes ihr die letzten
-Fesseln löst.
-
-Das ist Ibn Sinas Mystik. Seine Seele hat Bedürfnisse, für die seine
-Apotheke keine Mittel, das höfische Leben keine Befriedigung darbietet.
-
-8. Ethik und Politik theoretisch auszubilden bleibe den Lehrern
-des Fiqh überlassen. Unser Philosoph fühlt sich auf der Stufe
-eines Erleuchteten wie ein Gott über alle menschlichen Gesetze
-hinausgehoben. Nur für die Menge ist das Gesetz der Religion und
-des Staates verpflichtend. Mohammeds Zweck war, die Beduinen zu
-zivilisieren; zu dem Zwecke predigte er u. a. eine Auferstehung
-des Fleisches. Was reingeistige Seligkeit bedeutet, hätten sie nicht
-verstanden, er musste sie also mit der Aussicht auf körperliche Leiden
-oder Freuden erziehen. Mit dieser sinnlichen Menge, deren Gottesdienst
-in der Beobachtung äußerer Formen besteht, stimmen insofern die
-Asketen, obgleich sie ganz der Welt und der Sinne entsagen wollen,
-überein, dass auch sie mit Rücksicht auf eine himmlische Belohnung ihre
-frommen Werke ausüben. Höher als die Menge und die Frommen stehen die
-wahren Gottesverehrer in geistiger Liebe, die nichts wollen als Gott
-selbst, ohne Hoffnung, ohne Furcht. Ihr Eigentum ist die Freiheit
-des Geistes.
-
-Dieses Geheimnis aber soll man der Menge nicht offenbaren. Nur seinen
-liebsten Schülern vertraut es der Philosoph.
-
-9. Ibn Sina kam auf seinen Reisen mit vielen gelehrten Zeitgenossen
-zusammen. Dauernde Verbindungen waren, wie es scheint, nicht davon die
-Folge. Wie er sich von seinen Vorgängern allein dem Farabi verpflichtet
-fühlt, so dankt er der Mitwelt nur in seinen fürstlichen Gönnern. Den
-Ibn Maskawaih (s. IV 3), mit dem er noch öfter zusammenkam, hat er
-ungünstig beurteilt. Mit dem ihm als Forscher überlegenen Beruni
-führte er eine Korrespondenz, die aber bald abgebrochen wurde.
-
-Beruni (973-1048), wenn er auch Kindi und Masudi eher als Farabi
-und den jüngeren Ibn Sina seine Meister nennen darf, verdient
-hier zur Charakteristik der Zeit einer kurzen Erwähnung. Vorzüglich
-beschäftigten ihn Mathematik, Astronomie, Länder- und Völkerkunde. Er
-war ein scharfer Beobachter und guter Kritiker. Aber er verdankte der
-Philosophie manche Aufklärung und widmete ihr als Kulturerscheinung
-fortwährend seine Aufmerksamkeit.
-
-Treffend hebt Beruni die Übereinstimmung zwischen
-pythagoreisch-platonischer Philosophie, indischer Weisheit und vielen
-sufischen Anschauungen hervor. Nicht weniger treffend erkennt er die
-Überlegenheit griechischer Wissenschaft gegenüber den Versuchen und
-Leistungen der Araber und Inder. Indien, sagt er, von Arabien ganz zu
-schweigen, hat keinen Sokrates hervorgebracht. Keine logische Methode
-hat dort die Phantasie aus der Wissenschaft vertrieben. Doch will er
-einzelnen Indern gerecht werden. Zustimmend führt er als die Lehre der
-Anhänger Aryabhatas folgendes an: "Es genügt uns, das zu erkennen, was
-von den Strahlen der Sonne beleuchtet wird; was darüber hinausgeht,
-wenn auch von unermesslicher Ausdehnung, brauchen wir nicht. Was
-der Sonnenstrahl nicht erreicht, können die Sinne nicht wahrnehmen,
-und was der Sinn nicht wahrnimmt, können wir nicht erkennen."
-
-Daraus ergibt sich uns Berunis Philosophie. Nur die Wahrnehmungen
-der Sinne, von einem logischen Geiste verknüpft, gewähren sichere
-Erkenntnis. Und zum Leben brauchen wir eine praktische Philosophie,
-die uns vom Freunde den Feind unterscheiden lässt. Er glaubte selbst
-wohl nicht, damit alles und das letzte Wort gesagt zu haben.
-
-10. Aus der Schule Ibn Sinas sind uns mehr Namen überliefert
-als Schriften erhalten. Dschuzdschani hat, im Anschluss an eine
-Selbstbiographie, das Leben des Meisters beschrieben. Und von
-Abu-l-Hasan Behmenjar ibn al-Marzuban haben wir noch ein paar kleinere
-metaphysische Abhandlungen, die sich fast ganz in Übereinstimmung mit
-dem Systeme seines Lehrers befinden. Nur scheint die Materie etwas
-von ihrer Substantialität einzubüßen: als Seinsmöglichkeit wird sie
-zu einer Relation oder Beziehung des Denkens.
-
-Gott ist, nach Behmenjar, die reine, ursachlose Einheit notwendigen
-Seins, nicht der lebendige, alles wirkende Schöpfer. Er ist zwar
-Ursache der Welt, aber die Folge ist mit der Ursache zugleich und
-notwendig gegeben, sonst wäre die Ursache nicht vollkommen, weil der
-Veränderung fähig. Wesenhaft, nicht zeitlich, geht Gottes Dasein dem
-der Welt voran. Drei Bestimmungen kommen demnach dem höchsten Sein
-zu: dass es wesentlich zuerst, sich selbst genügend und notwendig
-sei, m. a. W. Gottes Wesen ist die Seinsnotwendigkeit. Diesem
-absolut-notwendigen Sein verdankt alles möglicherweise Existierende
-sein Dasein.
-
-Das stimmt nun wohl zu den Lehren Ibn Sinas. Und ebenso verhält es
-sich mit dem Weltbilde und der Seelenlehre des Schülers. Was einmal
-zur vollen Wirklichkeit gelangt ist, die der Art nach verschiedenen
-Sphärengeister, die Urmaterie und die individuell verschiedenen
-menschlichen Seelen, besteht alles ewig fort. Vollwirkliches, weil
-ohne jede Möglichkeit, kann nicht vergehen.
-
-Die Eigenart alles Geistigen ist die Erkenntnis des eigenen
-Wesens. Wille heißt, nach Behmenjar, nichts anderes als Erkenntnis
-dessen, was notwendig aus dem Wesen folgt. In der Selbsterkenntnis
-besteht auch das Leben und die Lust der vernünftigen Seele.
-
-11. Ibn Sina hat eine weitgehende Wirkung erzielt. Nach seinem Kanon
-der Medizin, der auch im Abendlande vom 13. bis 16. Jahrhundert hohes
-Ansehen genoss, werden heutigen Tages noch die Perser kuriert. Sein
-Einfluss auf die christliche Scholastik war bedeutend. Dante setzte
-ihn zwischen Hippokrat und Galen, und Scaliger behauptete, er sei
-in der Medizin dem Galen gleich, in der Philosophie diesem sogar
-weit überlegen.
-
-Dem Orient galt und gilt er als der Fürst der Philosophie. Der
-neuplatonische Aristotelismus ist dort bekannt geblieben in der Form,
-die ihm Ibn Sina gegeben. Zahlreich sind die Handschriften seiner
-Werke, ein Zeugnis seiner Popularität, unzählig aber die Kompendien
-und Kommentare zu seinen Schriften. Mediziner und Staatsmänner,
-aber auch Theologen studierten ihn. Nur wenige gingen über ihn zu
-den Quellen zurück.
-
-Der Feinde gab es freilich von Anfang an viele und sie äußerten sich
-lauter als die Freunde. Dichter verfluchten ihn, Theologen stimmten mit
-ein oder versuchten es, ihn zu widerlegen. Und der Chalif Mustandschid
-ließ im Jahre 1150 unter der philosophischen Bibliothek eines Richters
-auch die Schriften Ibn Sinas zu Bagdad dem Feuer übergeben.
-
-
-
-
-5. Ibn al-Haitham.
-
-1. Nach Ibn Sina und seiner Schule fand die theoretische Philosophie
-in den östlichen Ländern des muslimischen Reiches wenig Pflege
-mehr. Die arabische Sprache musste im Leben und in der Litteratur
-dort immer mehr der persischen weichen. Dass letztere Sprache sich
-weniger gut zu abstrakt logischen und metaphysischen Erörterungen
-eignet, dürfte dabei nur ganz nebensächlich ins Gewicht fallen. Es
-änderten sich in trauriger Weise die Kulturverhältnisse und damit die
-Interessen der Menschen. Ethik und Politik traten in den Vordergrund,
-jedoch ohne eine wirklich neue Gestalt zu bekommen. Ganz vorherrschend
-aber war es in der neupersischen Litteratur eine teils freigeistige,
-teils, und zwar überwiegend, mystische Poesie, die das Bedürfnis der
-Gebildeten nach Weisheit befriedigte.
-
-Seit der Mitte des zehnten Jahrhunderts etwa hatte sich von Bagdad aus
-ein Teil der wissenschaftlichen Bewegung dem Westen zugewendet. Wir
-fanden schon Farabi in Syrien, Masudi in Ägypten. Dort wurde Kairo
-ein zweites Bagdad.
-
-2. In Kairo treffen wir am Anfang des elften Jahrhunderts einen der
-bedeutendsten Mathematiker und Physiker des ganzen Mittelalters, Abu
-Ali Mohammed ibn al-Hasan ibn al-Haitham. In Basra, wo er geboren
-wurde, hatte er schon ein Staatsamt verwaltet. In allzugroßem
-Vertrauen auf die Verwertbarkeit seiner mathematischen Kenntnisse
-glaubte er die Nilüberschwemmungen regulieren zu können. Deshalb
-vom Chalifen al-Hakim berufen, sah er bald nach seiner Ankunft das
-Vergebliche seiner Bemühungen ein. Als Verwaltungsbeamter fiel er
-dann in Ungnade, verbarg sich bis zum Tode des Chalifen (1020) und
-lebte ferner wissenschaftlichen und litterarischen Arbeiten, bis er
-im Jahre 1038 starb.
-
-Seine Hauptwirksamkeit liegt auf dem Gebiete der Mathematik und
-ihrer Anwendung. Doch hat er sich auch sehr viel mit den galenischen
-und aristotelischen Schriften, und nicht bloß mit den physischen,
-beschäftigt. Nach seinem eigenen Bekenntnis hat er von Jugend auf
-alles bezweifelnd, die verschiedenen Ansichten und Lehren der Menschen
-betrachtet, bis er in allen mehr oder weniger gelungene Versuche,
-sich der Wahrheit zu nähern, erkannte. Als Wahrheit galt ihm ferner
-nur das, was sich der sinnlichen Wahrnehmung als Material darbot
-und vom Verstande seine Form erhielt, also die logisch bearbeitete
-Wahrnehmung. Solche Wahrheit zu suchen war sein Bestreben beim
-Studium der Philosophie. Die Philosophie sollte ihm Grundlage aller
-Wissenschaften sein. Er fand sie in den Schriften des Aristoteles,
-weil dieser es am besten verstanden hatte, die sinnliche Wahrnehmung
-einheitlich zu vernünftiger Erkenntnis zu verknüpfen. Eifrig studierte
-und erläuterte er darum die Werke des Aristoteles, zu Nutz und Frommen
-der Menschheit, zu eigener Übung und als Schatz und Trost für sein
-Alter. Von diesen Arbeiten scheint uns aber nichts erhalten zu sein.
-
-Des Ibn al-Haithams bedeutendste Schrift, die in lateinischer
-Übersetzung und Bearbeitung auf uns gekommen ist, ist die Optik. Er
-zeigt sich darin als einen scharfen mathematischen Denker, überall
-um die Analyse der Begriffe und der wirklichen Vorgänge bemüht. Ein
-Abendländer des 13. Jahrhunderts (Witelo) wusste das Ganze methodischer
-darzustellen, doch dürfte an Schärfe der Beobachtung im einzelnen
-Ibn al-Haitham jenem überlegen sein.
-
-3. Das Denken Ibn al-Haithams ist ganz mathematisch bestimmt. Die
-Substanz eines Körpers besteht nach ihm aus der Summe seiner
-wesentlichen Eigenschaften, wie das Ganze der Summe der Teile und
-der Begriff der Summe seiner Merkmale gleich ist.
-
-In der Optik interessieren uns besonders die psychologischen
-Bemerkungen über das Sehen und die Sinneswahrnehmung überhaupt. Das
-Bestreben ist hier darauf gerichtet, die einzelnen Momente der
-Wahrnehmung zu sondern und den zeitlichen Charakter des ganzen
-Prozesses hervorzuheben.
-
-Die Wahrnehmung setzt sich dann zusammen aus der Sinnesempfindung (1),
-der Vergleichung (2) mehrerer Empfindungen oder der jetzigen Empfindung
-mit dem infolge früherer Empfindungen nach und nach in der Seele
-geformten Erinnerungsbilde, und dem Wiedererkennen (3), sodass wir das
-jetzt Wahrgenommene als mit dem Erinnerungsbilde gleich erkennen. Das
-Vergleichen und das Wiedererkennen sind keine Thätigkeiten der Sinne,
-die nur passiv empfinden, sondern fallen dem urteilenden Verstande
-zu. Gewöhnlich geht das alles unbewusst oder halbbewusst von statten,
-und nur durch Besinnung wird es uns zum Bewusstsein geführt und das
-scheinbar Einfache in seine Bestandteile zerlegt.
-
-Der Prozess der Wahrnehmung verläuft sehr schnell. Je geübter der
-Mensch in dieser Hinsicht ist und je öfter eine Wahrnehmung sich
-wiederholt, um so fester wird das Erinnerungsbild der Seele eingeprägt,
-um so schneller kommt das Wiedererkennen oder die Wahrnehmung
-zu Stande. Die Ursache davon ist die, dass die neue Empfindung
-von dem schon vorhandenen seelischen Gebilde ergänzt wird. Leicht
-könnte man also meinen, die Wahrnehmung sei, wenigstens nach langer
-Einübung, ein zeitloser Akt. Das wäre aber ein Irrtum, denn nicht
-nur entspricht jeder Empfindung eine qualitative, im Sinnesorgan
-lokalisierte Veränderung, die eine Zeit erfordert, sondern auch
-zwischen der Reizung des Organs und der bewussten Wahrnehmung muss der
-räumlichen Fortleitung des Reizes durch die Nerven eine Zeitstrecke
-entsprechen. Dass es z. B. zur Auffassung einer Farbe Zeit bedarf,
-beweist der drehende Farbenkreisel, der uns nur eine Mischfarbe zeigt,
-weil wir wegen der schnellen Bewegung keine Zeit haben, die einzelnen
-Farben aufzufassen.
-
-Vergleichen und Wiedererkennen sind nach Ibn al-Haitham die
-bedeutenden, seelischen Momente der Wahrnehmung. Dagegen entspricht
-die Empfindung der Materie, der empfindende Sinn verhält sich
-passiv. Eigentlich ist alles Empfinden an sich eine Art Unlust, welche
-sich für gewöhnlich nicht fühlbar macht, bei sehr starken Reizen aber,
-z. B. durch allzuhelles Licht, zum Bewusstsein kommt. Der Charakter
-der Lust kommt nur der vollkommenen Wahrnehmung zu, d. h. dem Erkennen,
-das die Materie der Empfindung zur seelischen Form erhebt.
-
-Das Vergleichen und Wiedererkennen in der Wahrnehmung ist wesentlich
-ein unbewusstes Urteilen und Schließen. Das Kind macht schon einen
-Schluss, wenn es von zwei Äpfeln den schöneren wählt. Schließen ist
-jede Erfassung eines Zusammenhanges. Weil aber Urteilen und Schließen
-schnell zu Stande kommen, irrt der Mensch sich dabei leicht, und
-hält auch oft für einen ursprünglichen Begriff, was nur ein auf dem
-Wege des Schließens abgeleitetes Urteil ist. Bei allem, was uns als
-Axiome verkündet wird, soll man doch auf der Hut sein und nachspüren,
-ob es nicht aus Einfacherem abgeleitet werden könne.
-
-4. Diese Aufforderung unseres Philosophen hat im Orient wenig
-gefruchtet. Zwar hat er in Mathematik und Astronomie etwas Schule
-gemacht, aber für seine aristotelische Philosophie gab es weniger
-Liebhaber. Wir kennen nur einen seiner Schüler, der zu den Philosophen
-gezählt wird, Abu-l-Wafa Mubasschir ibn Fatik al-Qaid, einen
-ägyptischen Emir, der im Jahre 1053 ein Werk mit Spruchweisheit,
-Anekdoten zur Philosophiegeschichte u. s. w. lieferte. Von
-eigener Gedankenarbeit ist dabei kaum etwas zu spüren. Es sollte
-unterhalten. Und mehr noch als an solchem Werke erbauten sich die
-Einwohner Kairos in der Folgezeit an den Märchen der Tausend und
-eine Nacht.
-
-Der Orient hat Ibn al-Haitham fast vergessen, ihn und seine Werke
-verketzert. Ein Schüler des jüdischen Philosophen Maimonides
-erzählt, er sei wegen Handelsgeschäfte in Bagdad gewesen, als dort
-die Bibliothek eines Philosophen (gest. 1214) verbrannt wurde. Da
-warf ein Prediger, der die Exekution leitete, mit eigener Hand eine
-astronomische Schrift des Ibn al-Haitham in die Flammen, nachdem er
-auf eine darin abgebildete Weltkugel als das Unglückszeichen verruchter
-Gottlosigkeit hingewiesen hatte.
-
-
-
-
-
-
-
-
-V. DER AUSGANG DER PHILOSOPHIE IM OSTEN.
-
-
-1. Gazali.
-
-1. Wir haben früher schon gesehen, dass die theologische Bewegung
-im Islam stark von der Philosophie beeinflusst war. Nicht nur die
-mutazilitische, sondern auch die antimutazilitische Dialektik holte
-ihre Ansichten und die Argumente, womit sie die eigene Lehre stützte,
-die des Gegners bekämpfte, zum großen Teile aus den Schriften der
-Philosophen. Man nahm aus diesen auf, was man eben brauchen konnte,
-das andere ließ man auf sich beruhen, oder aber man machte den
-Versuch, es zu widerlegen. So entstanden zahlreiche Schriften, gegen
-eine besondere philosophische Lehre oder einen einzelnen Philosophen
-gerichtet. Ein Versuch aber, das ganze System der Philosophie, wie es
-im Osten auf griechischer Grundlage aufgebaut war, nach eingehendem
-Studium von allgemeinen Gesichtspunkten aus zu bekämpfen, ist wohl
-vor Gazali nicht gemacht worden.
-
-Das Unternehmen Gazalis hatte auch eine positive Seite. Neben der
-Dialektik, die die Lehren des Glaubens verständlich zu machen oder
-gar vernünftig zu begründen suchte, lief im Islam eine Mystik her,
-die auf innerliches, gemütliches Erfassen des Dogmas aus war. Nicht
-begreifen oder beweisen wollte sie den Glaubensinhalt, sondern
-erfahren, im Geiste erleben. Dem Glauben soll ja die höchste
-Gewissheit zukommen. Sollte man ihn dann in ein abgeleitetes
-Wissen verwandeln können? Oder sollten seine Sätze Prinzipien der
-Vernunft sein, keines weiteren Beweises fähig noch bedürftig? Aber
-die Grundsätze der Vernunft müssen, wenn sie einmal bekannt sind,
-allgemein anerkannt werden, und die allgemeine Anerkennung fehlt
-den Sätzen des Glaubens. Woher sonst der Unglaube? So wurde weiter
-gefragt. Und als der einzige Ausweg aus solchen Zweifeln erschien
-es vielen, die Glaubenslehre auf eine innere, übervernünftige
-Erleuchtung zu gründen. Anfangs geschah das unbewusst, in mystischem
-Drange, wobei denn oft der Inhalt der Pflichten- und Glaubenslehre
-sehr vernachlässigt wurde. Auch hier hat Gazali eingegriffen. Was
-vielleicht von Salimiten und Karramiten, antimutazilitischen Sekten,
-vorgebildet war, hat er in großem Stile durchgeführt: die Mystik
-trägt und krönt seit seiner Zeit das Lehrgebäude des orthodoxen Islam.
-
-2. Merkwürdig ist die Lebensgeschichte dieses Mannes, und zum
-Verständnis seiner Wirksamkeit ist es unbedingt erforderlich, etwas
-näher darauf einzugehen. Im Jahre 1059 wurde er zu Tos in Chorasan
-geboren, war also ein Landsmann des großen Dichters Firdausi. Wie
-dieser von der alten Herrlichkeit der persischen Nation zeugt,
-so sollte Gazali "Zeugnis und Zierde" des ganzen zukünftigen Islam
-sein. Schon seine Erziehung, nach dem Tode des Vaters im Hause eines
-sufischen Freundes, war mehr universal als national gerichtet. Dem
-unruhigen, phantastischen Geiste des Jünglings sagte auch keine
-Beschränkung zu. In der spitzfindigen Kasuistik der Pflichtenlehre
-mit ihren präzisen Formeln fand er sich nicht zurecht. Er sah sie
-an als ein weltliches Wissen, von dem er sich abwendete, um sich
-in die Erkenntnis Allahs geistig zu vertiefen. Dann studierte
-er in Nischabur Theologie bei einem sufischen Lehrer, dem Imam
-al-Haramain (gest. 1085), während dessen er wohl selbst anfing
-zu schriftstellern und zu lehren, vielleicht auch schon an seiner
-Wissenschaft zu zweifeln. Er begab sich darauf zu Nizam al-Mulk, dem
-Wezir des Seldschukenfürsten, bis er (1091) eine Professur in Bagdad
-erhielt. In diese Zeit fällt jedenfalls die nähere Beschäftigung mit
-der Philosophie. Es war aber nicht reine Liebe zur Wissenschaft,
-die ihn dazu trieb, sondern die Sehnsucht des Herzens, Lösung für
-die Zweifel des Verstandes zu finden. Keine Aufklärung über das
-Weltgeschehen, auch keine Klärung des eigenen Denkens, sondern
-Herzensruhe und die Erfahrung einer höheren Wirklichkeit suchte
-er zu erreichen. Eingehend befasste er sich mit den Schriften der
-Philosophen, besonders denen des Farabi und Ibn Sina, und hauptsächlich
-dem System des letzteren folgend, schrieb er ein philosophisches
-Kompendium, objektiv gehalten, scheinbar mit einiger Teilnahme am
-Inhalt. Er that es, wie er anfangs wohl leise zur Selbstberuhigung,
-später aber laut zu seiner Entschuldigung sagte, nur um der Darstellung
-der philosophischen Lehren die Widerlegung folgen zu lassen. Auch
-diese erschien, wahrscheinlich nicht lange Zeit darauf. Es war die
-berühmte "Ruin der Philosophen", die vermutlich noch in Bagdad oder
-kurz nach seiner Abreise verfasst wurde.
-
-Schon nach vier Jahren nämlich (1095) hatte Gazali seine von äußerem
-Erfolg begleitete Lehrthätigkeit in Bagdad eingestellt. Sein
-immer zweifelnder Geist fand im dogmatischen Vortrag wohl keine
-Befriedigung. Seine glänzende Stellung zog ihn bald an, bald stieß
-sie ihn ab. Er glaubte wohl, auf andere Weise besser die Welt und ihre
-Weisheit bekämpfen zu können, zu sollen. Sein Ehrgeiz war größer als
-diese Welt. Doch tiefer. Während einer Krankheit stand ihm der innere
-Beruf vor der Seele. Im stillen, durch sufische Übungen, sollte er
-sich darauf vorbereiten, vielleicht einmal als religiös-politischer
-Reformator auftreten. Zu derselben Zeit, als die Ritter vom Kreuze im
-Abendlande sich gegen den Islam rüsteten, da bereitete sich Gazali
-zum geistigen Vorkämpfer des muslimischen Glaubens. Nicht gewaltig
-war seine Bekehrung, wie die des heiligen Augustin, sondern dem
-Erlebnis zu vergleichen des heiligen Hieronymus, der im Traume von
-seinen ciceronianischen Liebhabereien zum praktischen Christentum
-berufen ward.
-
-Zehn Jahre ist nun Gazali auf der Wanderschaft, seine Zeit in
-fromme Übungen und litterarische Thätigkeit teilend. In der ersten
-Zeit vermutlich hat er sein theologisch-ethisches Hauptwerk "Die
-Belebung der Religionswissenschaften" geschrieben. Gegen Ende hat
-er reformatorisch zu wirken versucht. Seine Reise führte ihn über
-Damaskus und Jerusalem (noch vor der Einnahme durch die Kreuzfahrer),
-Alexandria, Mekka und Medina nach Hause zurück.
-
-Nach seiner Rückkehr hat Gazali noch auf kurze Zeit in Nischabur
-als Lehrer gewirkt und ist in seiner Vaterstadt Tos am 19. Dez. des
-Jahres 1111 gestorben. Die letzten Jahre gehören hauptsächlich frommer
-Betrachtung und dem Studium der Traditionen, die einmal dem Jüngling
-nicht ins Gedächtnis hinein wollten. Ein schön vollendetes Leben,
-in dem das Ende zum Anfang zurückkehrt.
-
-3. Gazali überschaut die geistigen Strömungen seiner Zeit. Da gibt es
-nun die Dialektik der Theologen, eine sufische Mystik, pythagoreische
-Popularphilosophie und neuplatonischen Aristotelismus. Was die
-Dialektik ergründen will, ist auch Gegenstand seines Glaubens,
-nur dünken ihm ihre Argumente etwas schwach und deshalb viele von
-ihren Behauptungen bedenklich. Der sufischen Mystik fühlt er sich am
-nächsten verwandt, ihr verdankt er das beste: die Begründung seines
-Glaubens in der Persönlichkeit, sodass er als innere Erfahrung
-postulieren kann, was die Dialektiker verstandesmäßig abzuleiten
-versuchen. Auch der Popularphilosophie dankt er Belehrung, über
-Mathematik nämlich, die er durchaus als Wissenschaft anerkennt,
-und ihre astronomischen Folgerungen. Ihre Physik lässt er, wo sie
-nicht gegen den Glauben verstößt, gelten. Aber der Aristotelismus,
-wie er von Farabi und Ibn Sina, nicht weniger autoritätsgläubig als
-die Theologen, gelehrt worden, erscheint ihm als der Feind des Islam,
-den er im Namen sämtlicher muslimischen Schulen und Richtungen,
-also von katholischem Standpunkte, bekämpfen soll. Und zwar mit des
-Aristoteles eigenen Waffen, denen der Logik. Denn ebenso fest wie die
-Sätze der Mathematik, stehen ihm die Grundsätze des Denkens, welche
-die Logik lehrt. Vollbewusst geht er vom Satze des Widerspruchs aus,
-dem sich Gott selbst, nach seiner Behauptung, unterwirft.
-
-Von den physisch-metaphysischen Lehren der Philosophie greift er nun
-hauptsächlich drei an: 1. dass die Welt ewig sei; 2. dass Gott nur
-Allgemeines erkenne und es folglich keine besondere Vorsehung gebe;
-3. dass nur die Seele unsterblich sei und also eine Auferstehung
-des Fleisches nicht zu erwarten. Bei der Widerlegung dieser Lehren
-ist Gazali vielfach abhängig von dem christlichen Kommentator des
-Aristoteles, Johannes Philoponus, der auch gegen des Proklos Lehre
-von der Ewigkeit der Welt geschrieben hat.
-
-4. Die Welt ist nach den Philosophen eine Kugel von endlicher
-Ausdehnung, aber unendlicher Dauer. Von Ewigkeit geht sie aus Gott
-hervor, wie die Wirkung mit der Ursache zugleich ist. Dagegen meint
-Gazali, dass man Raum und Zeit nicht in der Weise verschieden auffassen
-dürfe, und dass die göttliche Ursächlichkeit als freischöpferische
-Macht zu bestimmen sei.
-
-Zunächst Raum und Zeit. Ebensowenig wie Anfang und Ende der Zeit
-können wir uns eine äußerste Grenze des Raumes vorstellen. Wer an eine
-endlose Zeit glaubt, muss, seiner Vorstellung folgend, also auch die
-Existenz eines unendlichen Raumes annehmen. Dass der Raum dem äußeren,
-die Zeit dagegen dem inneren Sinne entspreche, ändert daran nichts,
-denn aus dem Sinnlichen kommen wir doch nicht heraus. Wie der Raum
-zum Körper, so verhält sich die Zeit zur Bewegung des Körpers. Beide
-sind nur Verhältnisse der Dinge, in und mit den Dingen der Welt
-erschaffen, oder vielmehr nur Beziehungen unserer Vorstellungen,
-die Gott in uns schafft.
-
-Wichtiger noch ist es, was Gazali über die Ursächlichkeit
-beibringt. Die Philosophen unterscheiden ein Wirken Gottes,
-der wollenden Geistwesen, der Seele, der Natur, des Zufalles
-oder dergleichen. Für Gazali aber gibt es, wie für den orthodoxen
-Kalam, überhaupt nur eine Kausalität, die des wollenden Wesens. Die
-Naturkausalität beseitigt er ganz, sie löst sich ohne Rest in ein
-Zeitverhältnis auf. Auf eine bestimmte Erscheinung (Ursache) sehen wir
-regelmäßig eine bestimmte andere (Wirkung) folgen; wie sie aber daraus
-erfolgt, bleibt uns ein Rätsel. Von dem Wirken der Naturdinge wissen
-wir nichts. Auch ist jede Veränderung an sich unbegreiflich. Wie etwas
-ein anderes wird, ist dem Denken unfasslich, dieses kann ebensogut
-nach Thatsachen wie nach Ursachen fragen. Etwas ist oder ist nicht,
-aber ein Seiendes in ein Anderes zu verwandeln, dazu ist nicht einmal
-die göttliche Allmacht im Stande. Sie schafft oder vernichtet.
-
-Dennoch ist es eine Thatsache unseres Bewusstseins, dass wir etwas
-wirken. Wenn wir etwas wollen und die Kraft zur Ausführung besitzen,
-nehmen wir den Erfolg als unsere That in Anspruch. Aus freiem Willen,
-mit bewusster Kraft handeln, das ist die einzige Kausalität, davon
-wir wissen, und hieraus schließen wir auf das göttliche Wesen. Mit
-welchem Rechte? In seiner persönlichen Erfahrung des Gottesbildes in
-seiner Seele glaubt Gazali die Berechtigung zu solchem Schlusse zu
-finden. Aber die Gottähnlichkeit seiner Seele will er nicht auf die
-Natur übertragen.
-
-Gott ist ihm demnach, sofern er aus der Welt zu erkennen, das
-allmächtige, freiwollende und wirkende Wesen. Seiner Wirksamkeit darf
-man keine räumliche Schranke setzen, wie die Philosophen thun, wenn
-sie ihn nur auf sein erstes Geschöpf wirken lassen. Andererseits aber
-kann er sein Werk räumlich und zeitlich beschränken, sodass diese
-endliche Welt auch nur eine endliche Dauer besitzt. Dass Gott die
-Welt aus dem Nichts hervorrufe durch eine absolute Schöpfungsthat,
-scheint den Philosophen absurd. Sie erkennen nur einen Wechsel
-der Accidenzen oder Formen an der Einen Materie, ein Wandern des
-Wirklichen von Möglichkeit zu Möglichkeit. Aber entsteht denn nie
-etwas Neues? Ist nicht jede sinnliche Wahrnehmung, so fragt Gazali,
-und jede geistige Perzeption etwas ganz Neues, das entweder ist oder
-nicht ist, bei dessen Entstehen aber nicht das Gegenteil aufhört,
-bei dessen Verschwinden nicht das Entgegengesetzte eintritt? Sind
-auch nicht die vielen individuellen Seelen, die es nach Ibn Sinas
-System geben soll, absolut neu entstanden?
-
-Mit Fragen wird man nicht fertig. Die Vorstellung schweift überall
-in die Weite, das Denken führt uns ins Unendliche. Wie Raum und Zeit,
-lässt sich auch die Reihe der Ursachen nirgendwo abschliessen. Damit
-es aber ein bestimmtes, abgeschlossenes Sein gebe, -- diese Forderung
-stellt Gazali mit den Philosophen -- brauchen wir einen ewigen Willen
-als erste von allem Anderen verschiedene Ursache.
-
-Dies dürfen wir jedenfalls dem Gazali zugestehen: die phantastische
-Formen- und Seelenlehre des Ibn Sina hält seiner Kritik nicht Stand.
-
-5. Wir haben uns schon dem Gottesbegriffe genähert. Den Philosophen
-ist Gott das höchste Sein, dessen Wesen das Denken. Was er erkennt,
-wird, geht aus seinem Überflusse hervor, positiv gewollt aber hat er es
-nicht. Denn alles Wollen setzt einen Mangel, ein Bedürfnis, voraus und
-bedingt eine Veränderung in dem wollenden Wesen. Wollen ist Bewegung
-in der Materie, vollwirklicher Geist will nichts. Gott schaut also in
-wunschloser Betrachtung seiner Schöpfung zu. Er erkennt sich selbst
-oder auch sein erstes Geschöpf oder, nach Ibn Sina, das Allgemeine,
-die ewigen Gattungen und Arten aller Dinge.
-
-Nach Gazali aber soll Gott ewig ein Wille zukommen als eins seiner
-ewigen Attribute. Herkömmlicherweise lässt er zwar in metaphysischen
-und ethischen Betrachtungen das Erkennen dem Wollen vorangehen. Aber
-seiner Überzeugung nach ist im Wissen die Einheit des Wesens nicht mehr
-als im Wollen. Nicht nur die Vielheit der Gegenstände des Wissens und
-ihre verschiedene Beziehung auf das wissende Subjekt, sondern auch das
-Selbstbewusstsein, das Wissen um das Wissen, geht an sich betrachtet
-ins Unendliche. Es muss da ein Willensakt den Abschluss bewirken. In
-der Richtung der Aufmerksamkeit und in der Selbstbesinnung wirkt ein
-ursprüngliches Wollen. Und so kommt auch das göttliche Wissen nur zu
-einem einheitlichen Abschluss, in seiner Persönlichkeit, durch einen
-ursprünglichen, ewigen Willen. Statt der Behauptung der Philosophen,
-Gott wolle die Welt, weil er sie als das Beste denke, setzt Gazali:
-Gott erkennt die Welt, weil und indem er sie will.
-
-Sollte denn Er, der alles will und schafft, sein Werk nicht erkennen
-bis zum kleinsten Stoffteile? Wie sein ewiger Wille aller Einzeldinge
-Ursache, so umfasst sein ewiges Wissen alles Besondere zugleich,
-ohne dass die Einheit seines Wesens dadurch aufgehoben wird. Es gibt
-folglich eine Vorsehung.
-
-Auf die Einwendung, dass die göttliche Vorsehung alles besondere
-Geschehen notwendig mache, entgegnet Gazali, ähnlich wie der
-hl. Augustin, das Vorherwissen unterscheide sich nicht vom Wissen im
-Gedächtnis, d. h. Gottes Wissen sei über jeden Zeitunterschied erhaben.
-
-Es lässt sich fragen, ob nicht Gazali, um den ewigen, allmächtigen
-Schöpferwillen zu retten, sowohl den zeitlichen Charakter der Welt,
-den er beweisen möchte, als die Freiheit des menschlichen Handelns, von
-der er dabei ausgeht, und die er auch nicht ganz aufgeben wollte, jener
-absoluten Macht zum Opfer dargebracht habe. Gott zu liebe verschwindet
-diese Welt der Schatten und der Abbilder, wie er sie nennt.
-
-6. Die dritte Frage, über die Gazali sich mit den Philosophen
-auseinandersetzt, hat weniger philosophisches Interesse. Sie betrifft
-die Auferstehung des Fleisches. Nach den Philosophen ist nur die Seele
-unsterblich, sei es individuell oder als Teil der Weltseele; dagegen
-der Körper vergänglich. Gegen diesen Dualismus, der theoretisch
-zu einer asketischen Ethik führte, praktisch aber sehr leicht in
-Libertinismus sich umsetzte, empört sich das religiös-sittliche Gefühl
-Gazalis. Soll das Fleisch Pflichten haben, so muss es wieder in seine
-Rechte eingesetzt werden. Die Möglichkeit der Auferstehung ist ja nicht
-zu leugnen, denn die Wiedervereinigung der Seele mit ihrem (neuen)
-Körper ist nicht wunderbarer als die erste Verbindung derselben mit
-dem irdischen Leibe, die auch von Philosophen angenommen wird. Kann
-doch jede Seele zur Zeit der Auferstehung einen neuen, ihr passenden
-Leib bekommen. Jedenfalls aber ist die Seele das eigentliche Wesen des
-Menschen; aus welcher Materie ihr himmlischer Körper gebildet wird,
-ist gleichgiltig.
-
-7. Schon aus diesen letzten Sätzen erhellt, dass Gazalis Theologie
-von philosophischer Spekulation nicht unberührt geblieben ist. Wie
-die abendländischen Kirchenväter hat er, bewusst oder unbewusst,
-viel Philosophisches aufgenommen. Von den Muslimen des Westens wurde
-deshalb seine Theologie lange Zeit als Neuerung verketzert. Wirklich
-weist seine Lehre von Gott, von der Welt und der menschlichen Seele
-viele Elemente auf, die dem ältesten Islam fremd sind, und, teils durch
-christliche und jüdische, teils durch spätere muslimische Vermittelung,
-auf heidnische Weisheit zurückgehen.
-
-Allah, der Welten Herr, Mohammeds Gott, ist zwar für Gazali eine
-lebendige Persönlichkeit, aber doch weit weniger anthropomorph als
-er dem naiven Glauben und im antimutazilitischen Dogma erschien. Der
-sicherste Weg, ihn zu erkennen, soll es sein, alle Eigenschaften
-der Geschöpfe ihm abzusprechen. Das heißt aber nicht, dass er keine
-Eigenschaften besitze. Im Gegenteil. Die Vielheit der Bestimmungen
-schadet nicht der Einheit des Wesens. Schon das Körperliche bietet
-dafür Analogien. Ein Ding kann zwar nicht zugleich schwarz und
-weiß, wohl aber kalt und trocken sein. Nur soll man, wenn man
-Gott menschliche Attribute beilegt, diese in anderem, höherem Sinne
-verstehen. Denn er ist reiner Geist. Außer Allwissenheit und Allmacht
-kommen ihm aber auch reine Güte und Allgegenwart zu. Durch diese
-Allgegenwart werden Diesseits und Jenseits einander etwas näher
-gerückt als in der gewöhnlichen Vorstellung.
-
-Gott ist vergeistigt. Nun werden aber auch Auferstehung und
-zukünftiges Leben viel geistiger gefasst als dieses Leben. Die
-philosophisch-gnostische Lehre von drei oder vier Welten ermöglicht
-solche Auffassung. Stufenmäßig erheben sich über einander die irdische
-sinnliche Menschenwelt, die Welt himmlischer Geister, zu der unsere
-Seele gehört, die Welt überhimmlischer Engel, endlich Gott selbst als
-die Welt reinsten Lichtes, vollkommensten Geistes. Aus der niederen
-Welt steigt die fromme erleuchtete Seele durch die Himmel hinauf
-bis vor Gottes Angesicht. Denn sie ist geistiger Natur und ihr
-Auferstehungskörper himmlischen Wesens.
-
-Entsprechend den verschiedenen Welten und den Seelenstufen
-unterscheiden sich auch die Menschen von einander. Der sinnliche Mensch
-muss sich begnügen mit Koran und Tradition, über den Buchstaben darf er
-nicht hinausgehen. Die Pflichtenlehre ist sein Lebensbrot, Philosophie
-wäre für ihn tödliches Gift. Derjenige, der nicht schwimmen kann,
-darf sich nicht ins Meer wagen.
-
-Dennoch gibt es immer Leute, die, um schwimmen zu lernen, ins Wasser
-gehen. Sie wollen ihren Glauben zum Wissen erheben und fallen dabei
-leicht in Zweifel und Unglauben. Für sie, meint Gazali, können Dogmatik
-und Polemik gegen die Philosophie ein nützliches Heilmittel sein.
-
-Auf der höchsten Stufe menschlicher Vollkommenheit stehen aber
-diejenigen, welche ohne schweres Nachdenken durch innere göttliche
-Erleuchtung die Wahrheit und Wirklichkeit der geistigen Welt in sich
-erfahren. Es sind dies die Propheten und frommen Mystiker, zu denen
-Gazali sich zählen darf. In allem sehen sie Gott, ihn, ja ihn allein,
-in der Natur wie im Leben ihrer Seele. Vorzüglich aber in der Seele,
-die zwar nicht gottgleich, aber doch gottähnlich ist. Wie alles Äußere
-jetzt sich ändert! Was scheinbar außer uns besteht, wird zu einem
-Zustande oder einer Eigenschaft der Seele, die im Bewusstsein ihrer
-Vereinigung mit Gott zur höchsten Seligkeit fortschreitet. Alles einigt
-sich da in Liebe. Der wahre Gottesdienst geht über Furcht vor Strafe
-und Hoffnung auf Belohnung hinaus zur Liebe Gottes im Geiste. Über
-Dulden und Danken -- die Pflicht der noch nicht vollendeten frommen
-Wanderer auf Erden -- erhebt sich der vollkommene Gottesdiener,
-schon in dieser Welt Gott freudig zu lieben und zu loben.
-
-8. Es ergeben sich uns aus dem Vorigen drei Stufen des Glaubens
-oder der Gewissheit. Erstens der Autoritätsglaube der Menge: sie
-glaubt, was ihr ein glaubwürdiger Mann erzählt, z. B. dass N. N. da
-im Hause sei. Zweitens das abgeleitete Wissen der Gelehrten: sie
-haben den N. N. reden hören und schließen, dass er sich im Hause
-befinde. Drittens aber die unmittelbare Gewissheit der Erkennenden:
-diese sind ins Haus gegangen und haben mit eigenen Augen den
-N. N. gesehen.
-
-Auf Erfahrung legt Gazali überall Gewicht, den Dialektikern und
-Philosophen gegenüber. Mit ihren allgemeinen Begriffen werden
-sie zunächst der Mannigfaltigkeit dieser sinnlichen Welt nicht
-gerecht. Die sinnlichen Qualitäten der Dinge, auch die Zahl der
-Gestirne z. B. erkennen wir nur durch Erfahrung, nicht aus reinen
-Begriffen. Viel weniger aber noch erschöpfen diese die Höhen und
-Tiefen unseres Inneren. Dem diskursiven Verstande der Gelehrten bleibt
-ewig verborgen, was der Gottesfreund intuitiv erkennt. Sehr wenige
-ersteigen diese Höhe der Erkenntnis, wo sie mit den Gottesgesandten
-und Propheten aller Zeiten zusammentreffen. Ihnen zu folgen ist daher
-die Pflicht der niedriger stehenden Geister.
-
-Wie erkennt man nun aber den überlegenen Geist, dessen man zum Führer
-bedarf? Das ist eine Frage, an der jedes religiös-bestimmte System,
-das menschlicher Vermittler nicht entbehren kann, rein verstandesmäßig
-betrachtet, scheitern muss. Auch Gazalis Antwort ist schwankend. Soviel
-ist ihm gewiss, dass Verstandesgründe allein hier nicht den Ausschlag
-geben können. Den wirklich von Gott erleuchteten Propheten und Lehrer
-erkennt man durch Versenkung in seine einzigartige Persönlichkeit,
-durch die Erfahrung innerer Verwandtschaft. Die Wahrheit der Prophetie
-bewährt sich in ihrem sittlichen Einfluss auf die Seele. Von der
-Wahrhaftigkeit des Gotteswortes im Koran bekommen wir eine moralische,
-keine theoretische Gewissheit. Das einzelne Wunder ist nicht im
-Stande zu überzeugen, sondern die Offenbarung als Ganzes sowie die
-Persönlichkeit des Propheten, durch den die Offenbarung vermittelt,
-machen auf die verwandte Seele einen unwiderstehlichen Eindruck. Von
-diesem Eindrucke ganz hingerissen, entsagt sie der Welt, um die Pfade
-Gottes zu wandern.
-
-9. Gazali ist ohne Zweifel die merkwürdigste Gestalt des Islam. Seine
-Lehre ist ein Ausdruck seiner Persönlichkeit. Auf das Verständnis
-dieser Welt hat er verzichtet. Aber das religiöse Problem hat er
-viel tiefer erfasst als die Philosophen seiner Zeit. Diese waren,
-wie ihre griechischen Vorgänger, intellektualistisch, sahen folglich
-die Lehren der Religion an nur als Produkte der Vorstellung, der
-Phantasie oder auch der Willkür des Gesetzgebers. Ihnen zufolge war
-Religion entweder blinder Gehorsam oder eine Art Erkenntnis, eine
-Wahrheit niederer Ordnung enthaltend.
-
-Dagegen stellt Gazali Religion als Erfahrung seines Inneren hin. Mehr
-als Gesetz und mehr als Lehre ist sie ihm, sie ist Seelenerlebnis.
-
-Nicht jeder erlebt das so wie Gazali. Wer ihm aber bei seinem
-mystischen Fluge, über die Bedingungen möglicher Erfahrung hinaus,
-nicht folgen kann, wird doch eingestehen müssen, dass seine Irrfahrten
-auf der Suche nach dem Höchsten für die Geschichte des menschlichen
-Geistes nicht weniger wichtig sind als die scheinbar sicheren Gänge
-der Philosophen seiner Zeit durch ein Land, das andere vor ihnen
-entdeckt haben.
-
-
-
-
-2. Die Kompendienschreiber.
-
-1. In einer Geschichte des gelehrten Unterrichtes bei den muslimischen
-Völkern müsste dieser Gegenstand einen größeren Raum einnehmen;
-wir werden ihn hier mit wenigen Worten abthun.
-
-Dass Gazali die Philosophie für alle Folgezeit vernichtet habe,
-ist eine oft wiederholte, aber ganz irrige Behauptung, die weder von
-geschichtlichem Wissen noch von Verständnis zeugt. Die Philosophie hat
-im Osten nach ihm ihre Lehrer und Schüler zu Hunderten und Tausenden
-gezählt. Ebensowenig wie die Pflichtenlehrer ihre spitzfindige
-Kasuistik, haben die Glaubenslehrer ihre dialektischen Argumente zur
-Stütze des Dogmas aufgegeben. Und die allgemeine Bildung hat einen
-Bestandteil philosophischer Gelehrsamkeit in sich aufgenommen.
-
-Freilich, eine hervorragende Stellung hat die Philosophie
-sich nicht zu erobern, ihr früheres Ansehen nicht zu erhalten
-gewusst. Nach einer arabischen Anekdote soll ein Philosoph, der
-in Gefangenschaft geraten war und von einem Manne, der ihn als
-Sklaven kaufen wollte, befragt wurde, wozu er tauge, die Antwort
-gegeben haben: Zur Freiheit. Philosophie braucht Freiheit. Und wo
-gab es diese im Orient? Freiheit von materiellen Sorgen, Freiheit
-zur Bethätigung uninteressierten Denkens schwanden immer mehr dahin,
-wo keine aufgeklärten Despoten im Stande waren, sie zu gewähren und zu
-schützen. Als glaubens- und staatsgefährlich wurden die Philosophen an
-manchen Orten verfolgt. Es ist das nur ein Zeichen des allgemeinen
-Kulturverfalles. Wenn auch abendländische Reisende des zwölften
-Jahrhunderts die Kultur des Ostens höchlich preisen, so war sie doch,
-mit früheren Zeiten verglichen, im Niedergang begriffen. Auf keinem
-Gebiete ging man über das alte hinaus, dazu waren die Geister zu
-schwach. Die litterarische Produktion stockte und den Vielschreibern
-der folgenden Jahrhunderte gebührt nur das Verdienst der schönen
-Auswahl. Die Pflichten- und die Glaubenslehre mit der Mystik hatten
-ihren Abschluss gefunden. Ebenso die Philosophie. Nach Ibn Sina, ihrem
-Fürsten, mit selbständigen Ansichten hervorzutreten, fühlte keiner
-sich berufen. Es war die Zeit gekommen der Kompendien, der Kommentare,
-der Glossen und Superglossen. Damit vertrieb die gelehrte Welt sich
-in der Schule die Zeit, während die gläubige Menge sich immer mehr
-der Führung der Derwischorden unterstellte.
-
-2. Die allgemeine Bildung entnahm am meisten der philosophischen
-Propädeutik, etwas Mathematik u. s. w., in der Regel natürlich
-höchst elementar. Von Sektierern und Mystikern wurde vieles der
-pythagoreisch-platonischen Weisheit entlehnt. Besonders den Heiligen-
-und Wunderglauben zu stützen, mussten jene Lehren herhalten. Eine
-wüste, synkretistische Theosophie schmückte sich damit. Sie nahm
-auch den Aristoteles, natürlich den unechten, unter ihre Lehrer auf,
-machte ihn aber zum Schüler des Agathodaemon und Hermes.
-
-Die nüchternen Geister dagegen hielten sich an dem Aristotelismus,
-soweit er sich mit ihren eigenen Ansichten oder dem orthodoxen Glauben
-vertrug. Fast allgemein folgte man dem System des Ibn Sina, nur wenige
-gingen auf Farabi zurück oder suchten beide zu vereinigen. Von den
-physischen und metaphysischen Lehren nahm man weniger Notiz; Ethik
-und Politik wurden schon mehr gepflegt; allgemein studiert aber nur
-die Logik. Diese ließ sich trefflich in schulmäßige Form bringen, als
-reine Formallogik war sie ein Werkzeug, dessen sich jeder bedienen
-konnte. Mit den Mitteln der Logik ließ sich ja alles beweisen. Und
-wenn einmal ein Beweis als fehlerhaft erkannt wurde, so tröstete man
-sich damit, dass die Behauptung doch richtig sein könnte, wenn auch
-der Beweis dafür nicht richtig geführt worden war.
-
-Schon in der Encyklopädie des Abu Abdallah al-Chwarizmi aus dem
-letzten Viertel des zehnten Jahrhunderts war der Logik ein größerer
-Raum zugemessen als der Physik und Metaphysik. Ebenso machten es
-viele spätere Encyklopädien und Sammelwerke. Auch die Dogmatiker
-fingen ihr System an mit logischen und erkenntnistheoretischen
-Betrachtungen, in denen dem "Wissen" ein traditionelles Lob gespendet
-wurde. Und seit dem zwölften Jahrhundert entstand eine ganze Menge
-Einzelbearbeitungen des aristotelischen Organons. Als vielgebraucht,
-kommentiert u. s. w. seien hier nur genannt die Werke des Abhari
-(gest. 1264), der unter dem Titel Isagudschi (eisagôgê) eine kurze
-Übersicht der ganzen Logik gab, und des Qazwini (gest. 1276).
-
-An der größten Universität der muslimischen Welt, in Kairo,
-werden heutzutage noch die Kompendien des 13. und 14. Jahrhunderts
-gebraucht. Dort heißt es noch, wie lange Zeit bei uns: Zuerst
-Collegium logicum! Selbstverständlich mit keinem besseren Erfolge. Man
-lässt sich, innerhalb der Schranken des Gesetzes, die von den alten
-Philosophen aufgefundenen Regeln des Denkens gefallen, lächelt aber
-dabei über jene Männer und über die mutazilitischen Dialektiker, die
-"an die Vernunft geglaubt".
-
-
-
-
-
-
-
-
-VI. DIE PHILOSOPHIE IM WESTEN.
-
-
-1. Die Anfänge.
-
-1. Zum muslimischen Occidente rechnet man das westliche Nordafrika,
-Spanien und Sizilien. Nordafrika hat zunächst untergeordnete
-Bedeutung. Sizilien richtet sich nach Spanien und wird bald von den
-Nordmannen Unteritaliens unterworfen. Für unseren Zweck kommt zunächst
-das muslimische Spanien oder Andalusien in Betracht.
-
-Das Kulturschauspiel des Orients erlebt hier eine zweite
-Aufführung. Wie dort Araber mit Persern, so vermählen sich hier
-Araber mit Spaniern. Und statt der Türken und Mongolen gibt es hier
-die Berbern Nordafrikas, deren rohe Kraft immer mehr zerstörend in
-das Spiel feinerer Bildung eingreift.
-
-Nach dem Sturze der Omajjaden in Syrien (750) hat sich einer aus ihrem
-Hause, Abderrachman ibn Moawia, nach Spanien begeben, wo er sich zum
-Emir von Kordova und ganz Andalusien emporzuarbeiten wusste. Über
-250 Jahre dauerte diese Omajjadenherrschaft und erreichte, nach
-vorübergehender Kleinstaaterei, unter Abderrachman III. (912-961),
-dem ersten, der sich Chalif nennen ließ, und dessen Sohn al-Hakam
-II. (961-976) ihren Glanzpunkt. Das zehnte Jahrhundert war für Spanien,
-was das neunte für den Orient: die Zeit höchster materieller und
-geistiger Kultur. Wenn möglich war sie hier frischer, naturwüchsiger
-als dort. Produktiver, wenn es wahr ist, dass alles Theoretisieren
-entweder einen Mangel oder eine Stockung der Produktionskraft
-bedeutet. Die Wissenschaften, und besonders die Philosophie, fanden
-hier nämlich weit weniger Vertreter. Überhaupt waren die Verhältnisse
-geistigen Lebens einfacher gestaltet. Die Zahl alter Kulturschichten
-war geringer. Wohl hatte man hier außer Muslimen Juden und Christen,
-die sich zu Abderrachmans III. Zeit gemeinschaftlich am Kulturleben
-arabischen Stempels beteiligten. Aber Anhänger des Zoroaster,
-Atheisten u. s. w. gab es nicht. Auch waren die Parteiungen des
-östlichen Islam fast unbekannt. Nur eine Rechtschule, die des Malik,
-fand Eingang. Mutazilitische Dialektik störte nicht den Frieden des
-Glaubens. Zwar verherrlichten die andalusischen Dichter die Dreiheit:
-Wein, Weib und Gesang, aber frivole Freigeisterei einerseits, düstere
-Weltflucht und Theosophie andererseits kamen nur selten zum Ausdruck.
-
-Im ganzen war die geistige Kultur vom Orient abhängig. Seit dem
-zehnten Jahrhundert wurden aus Spanien viele wissenschaftliche Reisen
-dorthin, über Ägypten bis zum östlichen Persien, unternommen, um den
-Vorlesungen berühmter Gelehrten beizuwohnen. Und das Bedürfnis nach
-Bildung in Andalusien lockte auch manch orientalischen Gelehrten,
-der in seiner Heimat keine Beschäftigung fand, herbei. Dazu ließ
-al-Hakam II. überall im Osten Bücher abschreiben für seine Bibliothek,
-deren Bändezahl auf 400000 angegeben wird.
-
-Hauptsächlich interessierte der Westen sich für Mathematik und
-Naturwissenschaft, Astrologie und Medizin, ebenso wie anfangs der
-Osten. Poesie, Geschichte und Geographie wurden eifrig gepflegt. Der
-Geist war noch von des Gedankens Blässe nicht angekränkelt. Als
-Abdallah ibn Masarra von Kordova, unter Abderrachman III., mit
-Naturphilosophie nach Hause kam, musste er seine Schriften verbrennen
-sehen.
-
-2. Im Jahre 1013 wurde Kordova, "die Zierde der Welt", von den
-Berbern verwüstet und das Omajjadenreich zerfiel in eine Anzahl
-kleiner Staaten. Ihre Nachblüte füllt das elfte Jahrhundert, die
-mediceische Zeit Spaniens, aus. An den städtischen Höfen gedeihen
-noch Kunst und Poesie, üppig wuchernd auf den Trümmern alter
-Herrlichkeit. Die Kunst verfeinert sich, die Poesie wird weise, subtil
-der wissenschaftliche Gedanke. Aus dem Orient zieht man immerfort
-geistige Nahrung. Naturphilosophie, die Schriften der treuen Brüder,
-die Logik aus der Schule des Abu Sulaiman al-Sidschistani halten nach
-einander ihren Einzug. Gegen Ende des Jahrhunderts spürt man auch
-den Einfluss der Schriften Farabis und wird Ibn Sinas Medizin bekannt.
-
-Die Anfänge philosophischen Nachdenkens finden wir zumeist bei den
-zahlreichen gebildeten Juden. Mächtig und ganz eigenartig wirkt
-die Naturphilosophie des Ostens auf Ibn Gebirol, den Avencebrol
-christlicher Schriftsteller. Bachja ibn Pakuda wird von den treuen
-Brüdern beeinflusst. Sogar die religiöse Poesie der Juden wird von
-der philosophischen Bewegung ergriffen. Es spricht darin die Seele,
-die sich zum Geiste erhebt, nicht die jüdische Gemeinde, die ihren
-Gott sucht.
-
-Unter den Muslimen blieb die Zahl derjenigen, die sich eingehend mit
-Philosophie beschäftigten, sehr beschränkt. Kein Meister sammelte
-eine zahlreiche Jüngerschaar um sich, gelehrte Sitzungen, in denen
-über philosophische Gegenstände disputiert wurde, fanden kaum
-statt. So musste sich hier der einzelne Denker wohl ganz vereinsamt
-fühlen. Subjektiv wie im Orient, bildete sich auch im Westen die
-Philosophie aus. Aber sie war hier mehr nur die Sache vereinzelter
-Individuen und stand dazu dem Glauben der Menge ferner. Im Orient gab
-es zahllose Vermittelungen zwischen Glauben und Wissen, zwischen den
-Philosophen und der gläubigen Gemeinde. Das Problem des denkenden
-Individuums gegenüber der staatlichen Gesellschaft und dem Glauben
-beschränkter fanatischer Massen wurde daher im Westen schärfer gefasst.
-
-
-
-
-2. Ibn Baddscha.
-
-1. Gegen Ende des elften Jahrhunderts, als Abu Bekr Mohammed
-ibn Jachja ibn al-Saig ibn Baddscha in Saragossa geboren wurde,
-war das schöne Andalusien nahe daran, in seiner Kleinstaaterei
-unterzugehen. Von Norden her wurde es von den weniger gebildeten,
-aber kräftigen und tapferen Christenrittern bedroht. Da griff aber
-rettend die berberische Dynastie der Almoraviden ein, die nicht nur
-fester im Glauben, sondern auch klüger in der Politik war als die
-üppigen Herrschergeschlechter Spaniens. Jetzt schien die Zeit feiner
-Bildung und freien Forschens für immer dahin. Nur Traditionarier der
-strengsten Observanz durften öffentlich auftreten. Und die Philosophen,
-wenn sie sich nicht verborgen hielten, wurden verfolgt oder getötet.
-
-2. Aber barbarische Herren haben ihre Grillen, indem sie die
-Bildung der von ihnen Unterworfenen, wenigstens äußerlich, sich
-anzueignen lieben. Also nahm sich Abu Bekr ibn Ibrahim, Schwager des
-Almoravidenfürsten Ali, der einige Zeit Gouverneur Saragossas war,
-zum großen Ärgernis seiner Faqihs und Soldaten, den Ibn Baddscha
-zum Vertrauten und ersten Minister. Dieser Mann nun war in den
-mathematischen Wissenschaften, besonders in der Astronomie und Musik,
-dazu in der Medizin, theoretisch und praktisch bewandert und gab sich
-mit logischen, naturphilosophischen und metaphysischen Spekulationen
-ab. Er war nach der Ansicht der Fanatiker ein ganz verrückter Atheist
-und unsittlicher Mensch.
-
-Von dem äußeren Leben Ibn Baddschas wissen wir ferner nur, dass er im
-Jahre 1118 nach dem Falle Saragossas zu Sevilla war, wo er mehrere
-seiner Schriften verfasste, darauf in Granada, und dass er sich
-nach Fez an den Almoravidenhof begab, wo er im Jahre 1138 starb. Der
-Überlieferung nach fand er, auf Veranlassung eines neidischen Arztes,
-den Gifttod. Glücklich war, nach seinem Selbstbekenntnis, sein kurzes
-Leben nicht gewesen. Oft hatte er sich, als letzte Zuflucht, den
-Tod herbeigesehnt. Materielle Not, vor allem geistige Vereinsamung
-mögen ihn gedrückt haben. Dass er zu seiner Zeit, in seiner Umgebung,
-sich nicht heimisch fühlen konnte, zeigen zur Genüge die erhaltenen
-Schriften.
-
-3. Er schließt sich fast ganz an Farabi, den einsamen, stillen Mann des
-Orients an. Wie dieser hat er wenig systematisiert. Die Zahl seiner
-selbständigen Abhandlungen ist nicht groß. Aus kurzen Erläuterungen
-zu den aristotelischen und anderen philosophischen Schriften besteht
-das meiste. Seine Bemerkungen sind abgerissen, bald fängt er hier,
-bald dort von neuem an. Mit immer neuen Ansätzen sucht er sich dem
-griechischen Gedanken zu nähern, von den verschiedensten Seiten in
-die alte Wissenschaft einzudringen. Die Philosophie wird er nicht los,
-und er wird nicht fertig mit ihr. Auf den ersten Blick macht das einen
-verwirrenden Eindruck. Im dunklen Drange aber ist der Philosoph sich
-seiner Wege bewusst. Auf der Suche nach Wahrheit und Recht findet er
-ein anderes, Einheit und Freude seines Lebens. Gazali hat es sich,
-seiner Meinung nach, gar zu leicht gemacht, als er glaubte, nur
-im Vollbesitz der durch göttliche Erleuchtung erfassten Wahrheit
-glücklich sein zu können. Der Wahrheit zu liebe, die sich in den
-sinnlichen Bildern religiöser Mystik mehr verhüllt als aufdeckt,
-soll der Philosoph stark genug sein, jenem Glücke zu entsagen. Nur
-vom reinen Denken, das keine Sinnenlust trübt, wird die höchste
-Gottheit geschaut.
-
-4. In seinen logischen Schriften hat Ibn Baddscha sich kaum von Farabi
-entfernt. Auch seine physischen und metaphysischen Lehren stimmen im
-allgemeinen zu den Ansichten des Meisters. Nur die Art und Weise,
-in der er die Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes und
-die Stellung des Menschen in Wissenschaft und Leben darlegt, darf
-einiges Interesse beanspruchen.
-
-Zwei Arten des Seienden gibt es ihm zufolge: ein bewegtes und ein
-unbewegtes. Das Bewegte ist körperlich, begrenzt, aber seine ewige
-Bewegung lässt sich aus dem endlichen Körper nicht erklären. Es
-bedarf, im Gegenteil, zur Erklärung dieser unendlichen Bewegung einer
-unendlichen Kraft oder eines ewigen Wesens, des Geistes. Indem nun das
-Körperliche oder Natürliche von außen bewegt wird und der Geist, selbst
-unbewegt, dem Körperlichen Bewegung verleiht, steht das Seelische als
-das sich selbst Bewegende in der Mitte. Das Verhältnis nun zwischen
-dem Natürlichen und dem Seelischen macht dem Ibn Baddscha ebensowenig
-Mühe wie seinen Vorgängern. Das Hauptproblem aber ist dieses: Wie
-verhalten sich Seele und Geist zu einander, namentlich im Menschen?
-
-5. Ibn Baddscha geht von der Voraussetzung aus, dass der Stoff nicht
-ohne irgend eine Form sein kann, wohl aber die Form rein für sich
-ohne Stoff. Sonst nämlich ließe sich überhaupt keine Veränderung
-denken, denn dieselbe ist nur möglich durch das Kommen und Gehen der
-substantiellen Formen.
-
-Diese Formen nun, vom Hylischen bis zum rein Geistigen, bilden eine
-Reihe, der die Entwicklung des menschlichen Geistes entspricht,
-sofern nämlich er das Vernunftideal verwirklicht. [16] Des
-Menschen Aufgabe ist es, sämtliche geistigen Formen zu erfassen,
-zunächst die intelligibelen Formen alles Körperlichen, dann die
-sinnlich-geistigen Vorstellungen der Seele, darauf den Menschengeist
-selbst und den thätigen Geist über ihn, endlich die reinen Geister
-der Himmelsphären. Durch successive Erhebung aus dem Individuellen,
-Sinnlichen, dessen Vorstellung den Stoff des Geistes bildet, gelangt
-der Mensch zum Übermenschlichen und Göttlichen. Dazu führt ihn
-nun die Philosophie oder die Erkenntnis des Allgemeinen, die durch
-Studium und Nachdenken aus der Erkenntnis des Individuellen, aber
-mit Hilfe des erleuchtenden Geistes von oben hervorgeht. Gegenüber
-dieser Erkenntnis des Allgemeinen oder Unendlichen, in dem Sein
-und Gedachtwerden zusammenfallen, erweist sich alles Wahrnehmen und
-Vorstellen als trüglich. In der Vernunfterkenntnis also und nicht in
-mystisch-religiösen Träumereien, denen immer Sinnliches anhaftet,
-erreicht der menschliche Geist seine Vollkommenheit. Denken
-ist die höchste Seligkeit, denn alles Intelligibele ist seiner
-selbst Zweck. Da es aber das Allgemeine ist, so lässt sich ein
-Fortbestehen individueller Menschengeister über dieses Leben
-hinaus nicht annehmen. Es möge die Seele, die im sinnlich-geistigen
-Vorstellungsleben das Individuelle erfasst und in einzelnen Begierden
-und Handlungen sich kund gibt, nach dem Tode weiter bestehen können und
-Strafe oder Belohnung erhalten, der Geist aber oder der vernünftige
-Teil der Seele ist in allen eins. Ewig ist nur der Geist der ganzen
-Menschheit in seiner Vereinigung mit dem thätigen Geiste über
-ihm. Diese Lehre, unter dem Namen des Averroes in das christliche
-Mittelalter eingedrungen, findet sich also schon bei Ibn Baddscha,
-wenn nicht ganz scharf gefasst, doch klarer als bei Farabi.
-
-6. Nicht jeder Mensch erhebt sich zu solcher Höhe der Betrachtung. Die
-meisten tasten immer im Dunkeln herum, nur Schattenrisse der Dinge
-sehen sie und wie Schatten werden sie vergehen. Einige sehen das
-Licht zwar und die farbige Welt der Dinge, aber ganz wenige erkennen
-das Wesen dessen, was sie gesehen. Nur die letzteren, die Seligen,
-erreichen das ewige Leben, in dem sie selbst zu Licht werden.
-
-Wie gerät nun aber der Einzelne zu dieser Stufe des Erkennens und
-seligen Seins? Durch vernünftiges Handeln und freie Ausbildung
-seiner intellektuellen Kräfte. Vernünftiges Handeln ist freies
-d. h. zweckbewusstes Handeln. Wenn einer z. B. einen Stein zerschlägt,
-weil er sich daran gestoßen, so handelt er zwecklos wie ein Tier oder
-ein Kind; thut er es aber, damit sich andere nicht daran stoßen werden,
-so ist seine That menschlich, vernünftig zu nennen.
-
-Um menschlich leben, vernünftig handeln zu können, muss unter Umständen
-der Einzelne sich aus der Gesellschaft zurückziehen. Ibn Baddschas
-Ethik heißt "die Leitung des Einsamen". Zur Selbsterziehung fordert
-sie auf. In der Regel aber kann man sich der Vorteile menschlichen
-Zusammenlebens bedienen, ohne die Nachteile mit in den Kauf zu
-nehmen. Zu kleineren oder größeren Verbänden können die Weisen
-sich zusammenschließen, ja das ist sogar ihre Pflicht, wenn sie
-sich treffen. Sie bilden dann einen Staat im Staate. Naturgemäß
-versuchen sie zu leben, sodass unter ihnen weder Arzt noch Richter
-nötig ist. Wie Pflanzen in freier Luft wachsen sie auf und brauchen
-die Kunst der Gärtner nicht. Von den niederen Genüssen und Gesinnungen
-der Menge halten sie sich fern. Sie sind Fremdlinge in dem weltlichen
-Treiben der Gesellschaft. Und da sie Freunde unter einander sind,
-wird dieses Leben ganz von der Liebe bestimmt. Und als Freunde Gottes,
-der die Wahrheit ist, finden sie ihre Ruhe in der Vereinigung mit
-dem übermenschlichen Geiste der Erkenntnis.
-
-
-
-
-3. Ibn Tofail.
-
-1. Die Herrschaft über den westlichen Islam verblieb den Berbern, aber
-an die Stelle der Almoraviden traten alsbald die Almohaden. Der Gründer
-der neuen Dynastie, Mohammed ibn Tumart, war seit 1121 als Mahdi
-aufgetreten. Unter seinen Nachfolgern Abu Jaaqub Jusuf (1163-1184)
-und Abu Jusuf Jaaqub (1184-1198) erreichte ihre Herrschaft, deren
-Sitz Marokko, den Höhepunkt.
-
-Eine gewaltige Neuerung in der Theologie führten die Almohaden herbei:
-das bis jetzt verketzerte System der Aschari und Gazali wurde im Westen
-aufgenommen. Das bedeutete eine Vergeistigung der Glaubenslehre,
-die weder Altgläubige noch Freidenker ganz befriedigen konnte, aber
-doch manchen zu weiterem Philosophieren angeregt haben mag. Bisher
-hatte man sich gegen alles Räsonnieren in Glaubenssachen ablehnend
-verhalten, und auch später noch waren viele Politiker und Philosophen
-der Ansicht, an dem Glauben der Menge solle man nicht rütteln, noch
-ihn zum Wissen erheben, sondern die Gebiete der Religion und der
-Philosophie reinlich scheiden.
-
-Die Almohaden waren theologisch interessiert, doch zeigten Abu
-Jaaqub und dessen Nachfolger, soweit die politischen Verhältnisse
-es erlaubten, ein derartiges Verständnis für weltliches Wissen, dass
-eine kurze Blüte der Philosophie an ihrem Hofe hervorbrechen konnte.
-
-2. Nachdem er in Granada eine Sekretärstelle bekleidet hatte, finden
-wir den Abu Bekr Mohammed ibn Abdalmalik ibn Tofail al-Qaisi als
-Wezir und Leibarzt des Abu Jaaqub. In der kleinen andalusischen Stadt
-Guadix war er geboren und in der Residenz Marokko starb er im Jahre
-1185. Dazwischen liegt sein, wie es scheint, wenig wechselreiches
-Leben. Er liebte die Bücher mehr als die Menschen und in der großen
-Bibliothek seines Herrn las er sich vieles zusammen, das er für
-seine Kunst brauchte oder das seiner Wissbegierde zusagte. Er war der
-Dilettant unter den Philosophen des Westens, mehr zu beschaulichem
-Genießen als zu wissenschaftlicher Arbeit aufgelegt. Zum Schreiben kam
-er selten. Seiner Behauptung, das ptolemäische Weltsystem gründlich
-verbessern zu können, braucht man wohl nicht unbedingt Glauben zu
-schenken. Viele Araber haben Ähnliches behauptet, sie thaten es
-aber nicht.
-
-Von Ibn Tofails poetischen Versuchen haben sich ein paar Gedichte
-erhalten. Sein Hauptbestreben aber war, dem des Ibn Sina ähnlich,
-griechische Wissenschaft mit orientalischer Weisheit zu einer
-modernen Weltansicht zu vereinigen. Wie Ibn Baddscha war ihm das ein
-persönliches Anliegen. Das Verhältnis des einzelnen zu der Gesellschaft
-und ihren Vorurteilen beschäftigte auch seinen Geist. Aber er ging
-weiter. Ibn Baddscha ließ als Regel den einzelnen oder einen kleinen
-Kreis selbständiger Denker einen Staat im Staate bilden, gleichsam wie
-ein Abbild des großen Ganzen oder als Vorbild für bessere Zeiten. Ibn
-Tofail dagegen griff auf das Original zurück.
-
-3. In seinem Werke "Hai ibn Jaqzan" stellt er den Fall rein dar. Zwei
-Inseln bilden die Scenerie: auf die eine versetzt er die menschliche
-Gesellschaft mit ihrer Konvention, auf die andere ein Individuum,
-das sich natürlich entwickelt. Die Gesellschaft als Ganzes wird
-von niederen Trieben, nur äußerlich durch eine grobsinnliche
-Religion etwas gebändigt, beherrscht. Aber zwei Männer aus dieser
-Gesellschaft, Salaman und Asal (Absal, vgl. IV, 4 § 7) genannt,
-erheben sich zu vernünftiger Erkenntnis und Beherrschung ihrer
-Begierden. Mit Anbequemung an die Volksreligion weiß der erstere,
-der praktischen Sinnes ist, das Volk zu regieren; der andere aber,
-von spekulativer Anlage und mystischer Neigung, wandert aus nach
-der gegenüberliegenden, wie er glaubt, unbewohnten Insel, dort dem
-Studium und der Askese sich zu ergeben.
-
-Auf jener Insel aber war unser Hai ibn Jaqzan, d. h. der
-Einsame, der Sohn des Wachenden, zu einem vollkommenen Philosophen
-herangebildet. Als Kind nach der Insel verschlagen oder durch spontane
-Generation daselbst entstanden, war er von einer Gazelle gesäugt
-worden, hatte sich dann nach und nach, wie ein Robinson, aber ganz
-auf eigene Mittel angewiesen, eine materielle Existenz gegründet,
-ferner durch Beobachtung und Nachdenken sich die Erkenntnis der Natur,
-der Himmel, Gottes und seines Inneren erworben, bis er nach 7 × 7
-Jahren das Höchste erreichte, nämlich das sufische Schauen Gottes,
-die Ekstase. In diesem Zustande fand ihn Asal. Nachdem sie dazu
-gelangt waren, sich zu verständigen -- Hai war anfangs noch ohne
-Sprache -- stellte es sich heraus, dass die Philosophie des Einen
-und die Religion des Anderen zwei Formen derselben Wahrheit waren,
-nur in der ersteren etwas weniger verschleiert. Als dann aber Hai
-erfuhr, dass auf der gegenüberliegenden Insel ein ganzes Volk in
-dunklem Irrtum verharrte, fasste er den Entschluss, dahin zu gehen,
-den Leuten die Wahrheit zu enthüllen. Da musste er aber die Erfahrung
-machen, dass die Menge einer reinen Auffassung der Wahrheit nicht fähig
-war, und dass Mohammed weise daran gethan, als er dem Volke statt des
-vollen Lichtes Sinnbilder gegeben hatte. Nach diesem Ergebnis zog er
-sich deshalb mit seinem Freunde Asal auf die unbewohnte Insel zurück,
-Gott im Geist und Wahrheit zu dienen bis zum Tode.
-
-4. Ibn Tofail hat den weitaus größten Teil seines Romans dem
-Entwicklungsgange Hais gewidmet. Es wird nun aber wohl nicht seine
-Meinung gewesen sein, das auf sich selbst gestellte Individuum könne es
-an der Hand der Natur ohne die Hilfe der Gesellschaft so weit bringen,
-wie unser Hai. Er dachte doch wohl etwas mehr historisch als einige
-Aufklärer des vorigen Jahrhunderts. Viele kleine Züge in seinem Werke
-zeigen, dass Hai der Vertreter der außerhalb der Offenbarung stehenden
-Menschheit sein soll. Was sich in ihm vollzieht, ist die Entwicklung
-indischer, persischer, griechischer Weisheit. Ein paar Andeutungen in
-dieser Richtung, die hier nicht weiter verfolgt werden kann, mögen
-diese Ansicht wahrscheinlich machen. So ist es zunächst bedeutsam,
-dass Hai auf der Insel Ceylon lebt, deren Klima die spontane Generation
-ermöglichen soll, wo der Sage nach Adam, der erste Mensch, erschaffen
-wurde und wo der indische König zum Weisen kam. Hais erste religiöse
-Bewunderung, nachdem er sich aus tierischen Anfängen durch Scham und
-Neugierde emporgearbeitet, gilt dem von ihm entdeckten Feuer, was
-an die persische Religion erinnert. Und seine weiteren Spekulationen
-sind der griechisch-arabischen Philosophie entlehnt.
-
-Die Verwandtschaft mit Ibn Sinas Hai-Gestalt (s. IV, 4 § 7), auf die
-Ibn Tofail selbst hinweist, ist klar. Nur tritt Hai hier menschlicher
-auf. Ibn Sinas Figur stellt den übermenschlichen Geist dar. Der
-Romanheld Ibn Tofails aber scheint die Personifikation zu sein des
-natürlichen, von oben her erleuchteten Geistes der Menschheit, der
-mit der richtig verstandenen Prophetenseele Mohammeds, deren Aussagen
-allegorisch zu deuten sind, vortrefflich übereinstimmen soll.
-
-Ibn Tofail ist somit zu denselben Ergebnissen gekommen wie seine
-orientalischen Vorgänger. Dem gemeinen Manne muss die Religion erhalten
-bleiben, weil er nicht darüber hinaus kann. Nur wenige erheben
-sich zum Verständnis der religiösen Symbole. Und ganz vereinzelt
-erreicht einer die freie Anschauung der höchsten Wirklichkeit. Mit
-dem größten Nachdruck ist letzteres hier hervorgehoben. Auch wenn
-man in Hai den Vertreter der Menschheit findet, wird man das nicht
-leugnen können. Als die höchste Vollkommenheit des Menschen wird es
-hingestellt, in einsamster Stille, von allem Sinnlichen abgewendet,
-sein Selbst in den Weltgeist zu versenken.
-
-Freilich, dazu kommt es erst im Alter, das außerdem einen menschlichen
-Freund findet. Und die Beschäftigung mit dem Materiellen, mit
-Künsten und Wissenschaften, bildet die natürliche Vorstufe geistiger
-Vollkommenheit. Ohne Reue und Scham darf also Ibn Tofail auf sein am
-Hofe verbrachtes Leben zurückschauen.
-
-5. Die philosophischen Ansichten, die Hai sich in seinen sieben
-Lebensperioden entwickelte, sind uns schon öfter begegnet. Aber
-auch sein praktisches Verhalten wird von Ibn Tofail besonders
-berücksichtigt. Sufische Übungen, wie sie in orientalischen
-Ordensgemeinschaften noch befolgt werden, wie sie aber auch
-schon von Platon und Neuplatonikern empfohlen worden, haben die
-Stelle gottesdienstlicher Handlungen nach dem muslimischen Gesetze
-eingenommen. Und Hai bildet sich in der siebenten Periode seines
-Lebens eine Ethik aus, die pythagoreisch aussieht.
-
-Als den Zweck seines Handelns hat sich dem Hai ergeben, in allem das
-Eine zu suchen und sich mit dem Absoluten, Selbständigbestehenden
-zu vereinigen. Diesem Höchsten sieht er nämlich die ganze Natur
-zustreben. Über die Ansicht, alles auf Erden sei des Menschen wegen
-da, ist er hinaus. Tier und Pflanze leben ebenfalls für sich selbst
-und für Gott. Nicht willkürlich also darf er damit handeln. Auf das
-Notwendigste beschränkt er jetzt seine leiblichen Bedürfnisse. Reife
-Früchte werden von ihm bevorzugt, deren Samen er fromm der Erde
-anvertraut. Sorgfältig hütet er sich davor, dass durch seine Begierde
-irgend eine Art ganz aussterbe. Und nur in der äußersten Not greift
-er zu tierischer Nahrung, wobei er ebenso die Art möglichst zu schonen
-sucht. Genug zum Leben, zum Schlafen zu wenig, wird seine Losung.
-
-Das betrifft das Verhalten seines Körpers zum Irdischen. Aber mit dem
-Himmel verbindet ihn der Lebensgeist. Und wie die Himmel bestrebt
-er sich, seiner Umgebung zu nützen und selbst rein zu leben. So
-pflegt er die Pflanze und schützt das Tier, damit seine Insel zum
-Paradiese werde. Er hält auf die äußerste Reinlichkeit seines Körpers
-und seiner Kleidung und sucht all seine Bewegungen harmonisch, denen
-der Himmelskörper gleichmäßig, zu gestalten.
-
-Auf diese Weise wird er allmählich befähigt, sein Selbst über Erde
-und Himmel hinaus zum reinen Geiste zu erheben. Das ist der Zustand
-der Ekstase, den kein Gedanke, kein Wort, kein Bild je hat fassen
-oder ausdrücken können.
-
-
-
-
-4. Ibn Roschd.
-
-1. Abu-l-Walid Mohammed ibn Achmed ibn Mohammed ibn Roschd (Averroes)
-wurde im Jahre 1126 zu Kordova aus einer Juristenfamilie geboren. Dort
-eignete er sich auch die gelehrte Bildung seiner Zeit an. Im Jahre
-1153 soll er von Ibn Tofail dem Fürsten Abu Jaaqub Jusuf vorgestellt
-sein, über welchen Vorfall wir einen charakteristischen Bericht
-besitzen. Nach den einleitenden Höflichkeitsphrasen nämlich fragte ihn
-der Fürst: Was ist die Ansicht der Philosophen über den Himmel, ist er
-ewig oder entstanden? Vorsichtig antwortete Ibn Roschd, er beschäftige
-sich nicht mit Philosophie. Darauf fing der Fürst mit Ibn Tofail über
-den Gegenstand an zu reden und zeigte zum Erstaunen des Zuhörers seine
-Bekanntschaft mit Aristoteles, Platon und den Philosophen und Theologen
-des Islam. Jetzt rückte auch Ibn Roschd mit der Sprache heraus und
-erwarb sich die Gunst des hohen Herrn. Sein Schicksal war bestimmt. Er
-sollte den Aristoteles interpretieren, wie keiner es vor ihm gethan,
-damit die Menschheit rein und vollständig die Wissenschaft besitze.
-
-Nebenbei war er Jurist und Mediziner. Wir finden ihn (1169) als Richter
-in Sevilla und kurz darauf in Kordova. Abu Jaaqub, jetzt Chalif, beruft
-ihn im Jahre 1182 als seinen Leibarzt, nach kurzer Zeit aber ist er
-wieder Richter in seiner Vaterstadt, wie es sein Vater und Großvater
-gewesen. Aber die Verhältnisse verschlechtern sich. Die Philosophen
-werden verflucht und ihre Schriften ins Feuer geworfen. In seinem
-Alter wird Ibn Roschd von Abu Jusuf nach Elisana (Lucena bei Kordova)
-verbannt, doch stirbt er in der Residenz Marokko, am 10. Dez. 1198.
-
-2. Auf Aristoteles konzentriert sich seine Wirksamkeit. Was er von
-dessen Schriften und über sie erlangen kann, wird fleißig studiert
-und genau verglichen. Ibn Roschd hat noch in Übersetzung Schriften der
-Griechen gekannt, die jetzt ganz oder teilweise verloren sind. Kritisch
-und systematisch geht er ans Werk. Er paraphrasiert den Aristoteles,
-er interpretiert, bald kürzer, bald ausführlicher, in mittleren und
-großen Kommentaren. So verdient er sich den Namen des Kommentators, den
-er auch in Dantes Komödie besitzt. Es ist, als ob die Philosophie der
-Muslime in ihm zum Verständnis des Aristoteles kommen soll, um dann,
-fertig, sterben zu können. Aristoteles ist für ihn der vollkommenste
-Mensch, der größte Denker, der im Besitze einer unfehlbaren Wahrheit
-gewesen. Neue Entdeckungen der Astronomie und der Physik könnten
-daran nichts ändern. Zwar kann man den Aristoteles mißverstehen. Ibn
-Roschd selbst hat manches, was er den Schriften Farabis und Ibn Sinas
-entnommen, später anders und besser verstehen gelernt. Doch lebt
-er immer des Glaubens, dass der richtig verstandene Aristoteles mit
-der höchsten uns Menschen erreichbaren Wissenschaft übereinstimmen
-werde. Im ewigen Kreislaufe des Weltgeschehens hat Aristoteles eine
-Höhe erreicht, über die hinauszugelangen nicht möglich ist. Denen, die
-nach Aristoteles gekommen sind, hat es oft viel Mühe und Nachdenken
-gekostet, sich die Einsichten zu erschließen, die sich dem ersten
-Meister leicht eröffneten. Nach und nach aber werden alle Zweifel und
-Gegenreden verstummen, denn Aristoteles ist ein Übermensch, gleichsam
-von der Vorsehung dazu bestimmt, zu zeigen, wie weit das menschliche
-Geschlecht es in seiner Annäherung an den Weltgeist bringen kann. Als
-die höchste Inkarnation des Geistes der Menschheit möchte Ibn Roschd
-seinen Meister den göttlichen nennen.
-
-Es wird sich im folgenden zeigen, dass die maßlose Bewunderung für
-Aristoteles zu einer reinen Erfassung seiner Gedanken auch bei Ibn
-Roschd nicht ausreichte. Den Ibn Sina zu bekämpfen, lässt er keine
-Gelegenheit vorbeigehen. Mit Farabi und Ibn Baddscha, denen er vieles
-verdankt, setzt er sich auch gelegentlich auseinander. Er meistert
-alle seine Vorgänger, weit schlimmer als Aristoteles es seinen Lehrer
-Platon gethan. Und dennoch ist er selbst nicht hinausgekommen, bei
-weitem nicht, über die Auffassung neuplatonischer Ausleger und die
-Missverständnisse syrischer und arabischer Übersetzer. Öfter folgt
-er sogar dem oberflächlichen Themistius entgegen dem verständigen
-Alexander von Aphrodisias, oder sucht ihre Ansichten zu kombinieren.
-
-3. Ibn Roschd ist vor allem ein Fanatiker der aristotelischen
-Logik. Ohne sie wird man nicht selig und es ist schade für Platon und
-Sokrates, dass sie nicht davon wussten! Die Glückseligkeit der Menschen
-bemisst sich nach der Stufe ihrer logischen Einsichten. Mit kritischem
-Blicke erkennt er Porphyrs Isagoge als entbehrlich, aber Rhetorik
-und Poetik rechnet er noch zum logischen Organon. Da gibt es denn die
-wunderlichsten Missverständnisse. Tragödie und Komödie z. B. werden
-zu Lob- und Schmähgedichten, die poetische Wahrscheinlichkeit muss
-es sich gefallen lassen, entweder demonstrierbare Wahrheit oder
-trügerischen Schein zu bedeuten, die Erkennung auf der Bühne wird
-zur apodeiktischen Erkenntnis u. s. w. Von der griechischen Welt hat
-er natürlich überhaupt keine Anschauung. Es ist verzeihlich, denn er
-konnte keine Ahnung davon haben. Dennoch verzeiht man nicht gerne dem,
-der andere geschulmeistert.
-
-Wie seine Vorgänger legt Ibn Roschd besonderen Nachdruck auf das
-Sprachliche, soweit es allen Sprachen gemeinsam. Dieses Gemeinsame,
-das Universelle also, hat Aristoteles, meint er, in seiner
-Hermeneutik, aber auch in der Rhetorik, immer vor Augen. So soll
-es auch der arabische Philosoph halten, nur darf er die Beispiele
-zur Erläuterung der allgemeinen Regeln der arabischen Sprache und
-Litteratur entnehmen. Um die allgemeinen Regeln aber ist es zu thun,
-Wissenschaft ist Erkenntnis des Allgemeinen.
-
-Die Logik ebnet dazu die Wege, dass unser Wissen aus sinnlicher
-Besonderheit zur reinen Vernunftwahrheit aufsteige. Die Menge
-wird immer im Sinnlichen leben, im Irrtum herumtappen. Mangelhafte
-Anlage und wenig Ausbildung, dazu schlechte Gewöhnung halten sie vom
-Fortschritt zurück. Doch muss es einigen möglich sein, zur Erkenntnis
-der Wahrheit zu gelangen. Der Adler schaut der Sonne ins Gesicht, denn,
-wenn keiner sie anschauen könnte, so hätte die Natur etwas vergebens
-gemacht. Was da glänzt, soll gesehen, was da ist, soll erkannt werden,
-wenn auch nur von einem einzigen Manne. Und die Wahrheit ist. Die Liebe
-zu ihr in unserer Brust wäre ganz vergebens, wenn wir uns ihr nicht
-nähern könnten. Ibn Roschd glaubt, in vielen Dingen die Wahrheit zu
-erkennen, ja die absolute Wahrheit auffinden zu können. Mit Lessing
-hätte er sich nicht bescheiden mögen, sie zu suchen.
-
-Die Wahrheit ist ihm ja in Aristoteles gegeben. Von diesem Standpunkte
-blickt er auf die muslimische Theologie herab. Zwar erkennt er in
-der Religion eine Wahrheit eigener Art (s. unten § 7), aber die
-Theologie ist ihm zuwider. Sie will beweisen, was, auf diese Weise,
-nicht bewiesen werden kann. Die Offenbarung im Koran, so lehrt Ibn
-Roschd mit anderen, später ähnlich Spinoza, hat nicht den Zweck, die
-Menschen zu belehren, sondern sie zu bessern. Nicht Wissen, sondern
-Gehorsam oder Sittlichkeit ist das Ziel des Gesetzgebers, der weiß,
-dass menschliches Glück nur in der Gesellschaft zu verwirklichen ist.
-
-4. Was Ibn Roschd von seinen Vorgängern, namentlich von Ibn Sina,
-unterscheidet, ist vor allem die unzweideutige Art und Weise,
-in der er die Welt als ewigen Prozess des Werdens auffasst. Die
-Welt als ganzes ist eine ewig-notwendige Einheit, ohne irgendwelche
-Möglichkeit des Nicht- oder Andersseins. Materie und Form sind nur im
-Gedanken zu trennen. Die Formen wandern nicht wie Gespenster durch
-die dunkle Materie, sondern sind keimartig in dieser enthalten. Wie
-Naturkräfte wirken die materiellen Formen, ewig fortzeugend, nie von
-der Materie getrennt, aber dennoch göttlich zu nennen. Absolutes
-Entstehen und Vergehen gibt es nicht, denn alles Geschehen ist
-Übergang von der Potenzialität zur Aktualität und von der Aktualität
-in die Potenzialität zurück. Dabei wird gleichartiges immer nur von
-gleichartigem erzeugt.
-
-Es gibt aber eine Stufenordnung des Seienden. Die materielle oder
-substanzielle Form steht in der Mitte zwischen bloßem Accidens
-und reiner (separater) Form. Auch die substanziellen Formen zeigen
-graduelle Verschiedenheiten, Mittelzustände zwischen Potenzialität
-und Aktualität. Und endlich das ganze System der Formen, von der
-niedersten hylischen Form bis zum göttlichen Wesen, der Urform des
-Alls, ist ein geschlossener Stufenbau.
-
-Der ewige Prozess des Werdens innerhalb der gegebenen Ordnung setzt
-nun eine ewige Bewegung voraus, und diese ein ewig Bewegendes. Wenn
-die Welt entstanden wäre, so könnte man von ihr nur schließen auf
-eine andere, ebenfalls entstandene Körperwelt, die sie erzeugt hätte,
-ins Unendliche. Wenn sie ein Mögliches wäre, nur auf ein Mögliches,
-daraus sie geworden, und so in infinitum. Nur die Annahme einer
-einheitlich ewig-notwendig bewegten Welt gewährt uns nach Ibn Roschd
-die Möglichkeit, auf ein ewig bewegendes, von der Welt getrenntes
-Wesen zu schließen, das, indem es immerfort die Bewegung und schöne
-Ordnung des Alls bewirkt, Urheber der Welt genannt werden darf, und
-das in den Geistern, welche die Sphären bewegen -- denn jede besondere
-Bewegung erfordert ihr besonderes Prinzip --, die Vermittler seiner
-Thätigkeit hat.
-
-Das Wesen des ersten Bewegenden oder Gottes, sowie der Sphärengeister,
-findet Ibn Roschd im Denken, in dem ihm die Einheit des Seins gegeben
-ist. Das mit seinem Gegenstande identische Denken ist die einzige
-positive Bestimmung des göttlichen Wesens, womit dann Sein und Einheit
-absolut zusammenfallen. Sein und Einheit kommen nämlich nicht zum Wesen
-hinzu, sondern sind, wie alle Universalien, nur im Denken gegeben. Das
-Denken bringt überall das Allgemeine im Besonderen hervor. Zwar ist
-das Universale als Natur in den Dingen wirksam, aber das Universale
-als solches ist nur im Verstande. Oder der Möglichkeit nach ist es
-in den Dingen, wirklich aber im Verstande, d. h. im Verstande hat es
-mehr Sein, eine höhere Art zu existieren als in den Dingen.
-
-Fragt man nun, ob das göttliche Denken auch das Besondere, oder nur
-das Allgemeine umfasse, so antwortet Ibn Roschd: keins von beidem,
-denn über beides ist das göttliche Wesen hinaus. Sein Denken bewirkt
-das All, umfasst das All. Gott ist das Prinzip, die Urform und der
-Endzweck aller Dinge. Er ist die Weltordnung, die Versöhnung aller
-Gegensätze, das All selbst in seiner höchsten Existenzweise. Dass von
-einer göttlichen Vorsehung im gewöhnlichen Sinne also nicht geredet
-werden könne, ergibt sich daraus von selbst.
-
-5. Zwei Arten des Seienden kennen wir: ein bewegtes und ein bewegendes,
-selbst aber unbewegtes, oder ein körperliches und ein geistiges. Im
-Geistigen aber liegt die höhere Einheit oder Vollendung alles Seienden
-in stufenmäßiger Ordnung. Es ist also keine abstrakte Einheit. Die
-Sphärengeister sind, je ferner sie dem ersten stehen, um so weniger
-einfach. Alle erkennen sich selbst, aber in ihrem Wissen ist auch
-die Beziehung auf die erste Ursache. Daraus ergibt sich eine Art
-Parallelismus zwischen dem Körperlichen und dem Geistigen. Der
-Zusammensetzung des Körperlichen aus Materie und Form entspricht
-etwas in den niederen Geistern. Was dem rein Geistigen beigemischt,
-ist zwar keine Materie, die etwas erleiden könnte, aber doch etwas der
-Materie ähnliches, das ein anderes in sich aufzunehmen vermag. Sonst
-ließe sich mit der Einheit des auffassenden Geistes die Vielheit der
-Intelligibilia nicht in Übereinstimmung bringen.
-
-Die Materie erleidet, der Geist aber empfängt. Hauptsächlich mit
-Rücksicht auf den menschlichen Geist hat Ibn Roschd diesen fein
-unterscheidenden Parallelismus eingeführt.
-
-6. Dass die menschliche Seele sich zu ihrem Körper verhalte, wie
-die Form zur Materie, steht dem Ibn Roschd fest. Es ist ihm völlig
-ernst damit. Die Theorie vieler unsterblicher Seelen weist er, Ibn
-Sina bekämpfend, ganz bestimmt zurück. Nur als Vollkommenheit ihres
-Leibes hat die Seele einen Bestand.
-
-Was die empirische Psychologie betrifft, ist er ängstlich bestrebt,
-sich an Aristoteles, gegen Galen u. a., zu halten. Aber in der
-Lehre vom Nus entfernt er sich, ohne dass er sich dessen bewusst
-wäre, nicht unbeträchtlich von seinem Meister. Eigentümlich,
-von neuplatonischen Anschauungen ausgehend, ist seine Auffassung
-der materiellen Vernunft. Sie ist nicht bloß eine Anlage oder eine
-Fähigkeit der menschlichen Seele. Sie ist auch nicht gleichbedeutend
-mit dem sinnlich-geistigen Vorstellungsleben, sondern sie ist etwas
-Überseelisches, Überindividuelles. Die materielle Vernunft ist ewiger,
-unvergänglicher Geist, ebenso ewig und unvergänglich wie die reine
-Vernunft oder der thätige Geist über uns. Es ist die Verselbständigung
-der Materie im Bereiche des Körperlichen, die hier von Ibn Roschd,
-freilich mit Anschluss an Themistius u. a., auf das Gebiet des
-Geistigen übertragen wird.
-
-Die materielle Vernunft ist also ewige Substanz. Die Anlage aber oder
-die Fähigkeit des menschlichen Individuums zu geistiger Erkenntnis
-nennt Ibn Roschd leidende Vernunft. Diese entsteht und vergeht mit
-den Individuen, während die materielle Vernunft ewig ist, wie die
-Gattung der Menschheit.
-
-Nun bleibt aber, wie nicht anders möglich, das Verhältnis zwischen dem
-thätigen und dem empfangenden Geiste (so sagen wir jetzt für materielle
-Vernunft) etwas dunkel. Der thätige Geist macht die Vorstellungen
-der menschlichen Seele intelligibel, der empfangende Geist nimmt
-sie in sich auf. Das Seelenleben der menschlichen Individuen ist
-also der Ort, wo das mystische Liebespaar sich trifft. Und die Örter
-sind sehr verschieden. Von der ganzen seelischen Anlage des Menschen
-und von der Disposition seiner Vorstellungen hängt es ab, in welchem
-Grade der thätige Geist dieselben zur Intelligibilität erheben kann,
-inwiefern der empfangende Geist sie zu seinem Inhalte zu machen im
-Stande ist. Dadurch erklärt es sich, dass die Menschen nicht alle auf
-derselben Stufe geistigen Erkennens stehen. Aber die Summe geistiger
-Erkenntnis in der Welt ändert sich nicht, wenn auch ihre Verteilung an
-die einzelnen Schwankungen unterliegt. Mit Naturnotwendigkeit ersteht
-immer wieder der Philosoph, sei es Aristoteles oder Ibn Roschd, in
-dessen Kopf das Seiende zum Begriff wird. Zwar sind die Gedanken
-der Individuen zeitlich und ist der empfangende Geist, insofern
-der einzelne an ihm teil hat, veränderlich, aber als menschliche
-Gattungsvernunft betrachtet, ist dieser Geist ewig unveränderlich,
-wie der thätige Geist aus der letzten Sphäre über uns.
-
-7. Im ganzen sind es drei große Ketzereien, die das System des Ibn
-Roschd in Widerspruch setzen zu der Theologie der drei Weltreligionen
-seiner Zeit. Erstens die Ewigkeit der Körperwelt und der sie bewegenden
-Geister, zweitens der notwendige Kausalnexus alles Weltgeschehens,
-sodass für Vorsehung, Wunder und dergleichen kein Platz bleibt,
-und drittens die Vergänglichkeit alles Individuellen, womit auch die
-individuelle Unsterblichkeit aufgehoben ist.
-
-Logisch betrachtet scheint die Annahme einer Anzahl selbständiger
-Sphärengeister unter Gott keinen genügenden Grund zu besitzen. Aber
-Ibn Roschd hilft sich hier, wie seine Vorgänger, über den Widerspruch
-hinweg mit der Behauptung, jene Sphärengeister seien nicht individuell,
-sondern nur der Art nach verschieden. Ihr Zweck war ja nur, so lange
-die Einheit des Weltsystems nicht erkannt war, die verschiedenen
-Bewegungen zu erklären. Nachdem das ptolemäische Weltsystem gefallen
-und diese vermittelnden Geister überflüssig wurden, identifizierte
-man den thätigen Geist mit Gott, wie es übrigens auch schon früher
-von spekulativer und religiöser Seite versucht war. Ein Schritt
-weiter war es nur, auch den ewigen Geist der Menschheit mit Gott zu
-identifizieren. Keins von beiden hat Ibn Roschd gethan, wenigstens
-nicht nach dem Wortlaute seiner Schriften. Aber in seinem Systeme
-war, bei konsequenter Durchführung, die Möglichkeit dazu gegeben,
-wie zu einer pantheistischen Weltanschauung überhaupt. Andererseits
-konnte sich leicht der Materialismus, wie entschieden ihn auch unser
-Philosoph bekämpfte, daran lehnen. Denn wo die Ewigkeit, Form und
-Wirksamkeit alles Materiellen so stark betont wird, wie von ihm
-geschah, da mag der Geist noch König heißen, aber, wie es scheinen
-könnte, nur von des Stoffes Gnaden.
-
-Jedenfalls ist Ibn Roschd ein kühner und folgerichtiger, wenn auch kein
-origineller Denker zu nennen. Die theoretische Philosophie genügte ihm,
-doch schuldete er es seiner Zeit und seiner Stellung, sich mit der
-Religion und der Praxis abzufinden. Wir können uns darüber kurz fassen.
-
-8. Ibn Roschd findet oft Gelegenheit, gegen die ungebildeten Herrscher
-und die bildungsfeindlichen Theologen seiner Zeit sich zu äußern. Doch
-bleibt ihm das Leben im Staate immer der Einsamkeit vorzuziehen. Auch
-seinen Gegnern dankt er -- das ist ein erfreulicher Charakterzug --
-für manche Belehrung. Die Einsamkeit, meint er, bringe keine Künste
-und Wissenschaften hervor, höchstens könne man in ihr das Erworbene
-genießen und es vielleicht um ein weniges vermehren. Zum Wohle des
-Ganzen aber soll jeder beitragen, auch die Frauen sollen wie die
-Männer der Gesellschaft und dem Staate dienen. Hier schließt Ibn
-Roschd sich dem Platon an (die Politik des Aristoteles hat er nicht
-gekannt) und bemerkt ganz vernünftig, viel Armut und Elend seiner
-Zeit rühre daher, dass man sich die Weiber nur zu einem außerdem sehr
-fraglichen Vergnügen wie Haustiere oder Pflanzen halte, statt sie an
-der materiellen und geistigen Güterproduktion und der Hütung dieser
-Güter teilnehmen zu lassen.
-
-In der Ethik tadelt unser Philosoph sehr scharf die Doktrin der
-Rechtslehrer, dass etwas nur gut oder böse sei, weil Gott es so
-gewollt. Alles hat vielmehr von Natur oder vernunftgemäss seinen
-sittlichen Charakter. Die von vernünftiger Einsicht bestimmte Handlung
-ist sittlich. Freilich ist es nicht die Einzelvernunft, sondern die
-Staatsraison, an die in letzter Instanz zu appellieren ist.
-
-Von staatsmännischem Gesichtspunkte aus betrachtet Ibn Roschd auch
-die Religion. Er würdigt sie ihres moralischen Zweckes wegen. Sie ist
-Gesetz, keine Lehre. Deshalb bekämpft er fortwährend die Theologen,
-die statt gläubig zu gehorchen begreifen wollen. Er macht es
-Gazali zum Vorwurf, dass dieser der Philosophie Einfluss auf seine
-Religionslehre auszuüben gestattet und dadurch viele zum Zweifel und
-Unglauben veranlasst hat. Das Volk soll glauben, so wie es im Buche
-steht. Das ist Wahrheit, freilich eine Wahrheit für große Kinder,
-denen man Märchen erzählt. Was darüber hinaus, ist vom Übel. Für die
-Existenz Gottes z. B. hat der Koran zwei jedem einleuchtende Beweise:
-die göttliche Fürsorge für alles, besonders für den Menschen, und
-die Erschaffung des Lebens in Pflanzen, Tieren u. s. w. Daran ist
-nicht zu rütteln, am Wortlaute der Offenbarung nicht theologisch
-herumzudeuteln. Denn die Beweise, welche die Theologen für das Dasein
-Gottes beibringen, halten einer wissenschaftlichen Kritik nicht Stand,
-ebensowenig wie der aus dem Begriffe des Möglichen und Notwendigen bei
-Farabi und Ibn Sina. Das alles führt zu Atheismus und Libertinismus. Im
-Interesse der Sittlichkeit, des Staates also, ist die halbe Theologie
-zu bekämpfen.
-
-Dagegen dürfen die wissenden Philosophen das Wort Gottes im Koran
-deuten. Im Lichte höchster Wahrheit verstehen sie, was damit bezweckt
-ist. Und dem gemeinen Manne sagen sie davon nur so viel, wie er eben
-aufzufassen im Stande ist. Auf diese Weise kommt die schönste Harmonie
-heraus. Religionsgesetz und Philosophie stimmen mit einander überein,
-eben weil sie nicht dasselbe wollen. Wie Praxis und Theorie verhalten
-sie sich. Indem der Philosoph die Religion begreift, lässt er sie in
-ihrem Bereiche gelten, sodass die Philosophie gar nicht wider die
-Religion verstößt. Die Philosophie aber ist die höchste Form der
-Wahrheit, zugleich auch die erhabenste Religion. Die Religion des
-Philosophen nämlich ist die Erkenntnis alles dessen, was ist.
-
-Aber irreligiös erscheint diese Ansicht doch, und eine positive
-Religion kann es sich nicht gefallen lassen, im Reiche der Wahrheit die
-führende Stellung der Philosophie anzuerkennen. Nur natürlich war es,
-dass die Theologen des Westens, ähnlich ihren orientalischen Brüdern,
-die Gunst der Verhältnisse ausnutzten und nicht ruhten, bis sie die
-Herrin zur Magd der Theologie erniedrigt hatten.
-
-
-
-
-
-
-
-
-VII. ZUM SCHLUSS.
-
-
-1. Ibn Chaldun.
-
-1. Die Philosophie des Ibn Roschd und seine Erklärung des Aristoteles
-hat auf die muslimische Welt äußerst wenig gewirkt. Viele seiner
-Schriften sind im Original verloren gegangen, wir haben sie in
-hebräischen und lateinischen Übersetzungen. Schüler und Nachfolger
-hat er nicht gefunden. In abgelegenen Winkeln fand sich wohl mancher
-Freigeist oder Mystiker, in dessen Kopf es wunderlich genug aussah, um
-sich ernstlich mit philosophischen Fragen theoretischer Art abzumühen,
-aber auf die allgemeine Bildung und die Gestaltung der Verhältnisse zu
-wirken, wurde der Philosophie nicht verstattet. Vor den siegreichen
-Waffen der Christen zog die materielle und damit auch die geistige
-Kultur der Muslime sich immer weiter zurück. Spanien ward Afrika,
-wo der Berber herrschte. Die Zeit war ernst, es handelte sich um die
-Existenz des Islam in diesen Ländern. Zum Kampfe gegen den Feind,
-aber auch gegen einander, rüsteten sich die Männer, und zu mystischen
-Übungen schlossen sich überall die frommen Brüder zusammen. In
-den sufischen Orden dieser Leute retteten sich wenigstens noch
-einige philosophische Formeln. Als gegen die Mitte des dreizehnten
-Jahrhunderts Kaiser Friedrich II. den muslimischen Gelehrten von Ceuta
-eine Anzahl philosophischer Fragen vorlegte, beauftragte der Almohade
-Abdalwahid den Ibn Sabin, Stifter eines mystischen Ordens, damit,
-sie zu beantworten. Er that es. In schulmeisterlichem Tone leiert er
-die Ansichten alter und neuer Philosophen ab. Das sufische Geheimnis,
-Gott sei die Realität aller Dinge, lässt er durchblicken. Das einzige
-aber, was wir aus seinen Antworten lernen können, ist, dass Ibn
-Sabin Bücher gelesen, von denen, wie er glaubt, Kaiser Friedrich
-keine blasse Ahnung hatte.
-
-2. In kleinen Staatengebilden, auf- und abwogend, trieb die muslimische
-Kultur des Westens dahin. Bevor sie jedoch ganz verschwand, fand
-sich der Mann, der das Gesetz ihrer Bildung aufzufinden versuchte,
-und damit eine neue philosophische Disziplin, die Philosophie
-der Gesellschaft oder der Geschichte, zu begründen glaubte. Dieser
-merkwürdige Mensch ist Ibn Chaldun, im Jahre 1332 aus sevillanischer
-Familie zu Tunis geboren. Dort erhielt er auch seine Erziehung
-und wurde dann, teilweise von einem im Orient ausgebildeten Lehrer,
-philosophisch geschult. Nach dem Studium aller bekannten Wissenschaften
-war er bald im Staatsdienste, bald auf Reisen, aber überall ein guter
-Beobachter. Verschiedenen Fürsten diente er als Sekretär, auch war
-er Gesandter an mehreren Höfen in Spanien und Afrika. So war er am
-christlichen Hofe Peters des Grausamen in Sevilla. Auch ist er bei
-Tamerlan in Damaskus gewesen. Eine reiche Welterfahrung hatte er sich
-also zu eigen gemacht, als er im Jahre 1406 zu Kairo starb.
-
-Als Charakter ist er vielleicht nicht hoch zu stellen. Man wird aber
-dem Manne, der mehr als andere seiner Zeit für die Wissenschaft gelebt,
-etwas Eitelkeit, Dilettantismus und dergleichen gerne verzeihen.
-
-3. Die Schulphilosophie, wie Ibn Chaldun sie kennen lernte,
-befriedigte ihn nicht. In ihren fertigen Rahmen passte sein Weltbild
-nicht hinein. Wenn er etwas mehr zum Theoretisieren aufgelegt gewesen
-wäre, hätte er wohl einen Nominalismus ausgebildet. Die Philosophen
-behaupten, alles zu wissen. Ihm aber erscheint das Universum zu groß,
-als dass es von unserem Verstande begriffen werden könne. Es gibt
-der Wesen und der Dinge mehr, unendlich viel mehr, als der Mensch
-wissen kann. "Gott schafft, was ihr nicht wisset". Die logischen
-Deduktionen wollen oft nicht stimmen zu der empirischen Natur der
-Einzeldinge, die nur durch Beobachtung erkannt wird. Es ist Einbildung,
-durch bloße Anwendung logischer Regeln zur Wahrheit gelangen zu
-können. Nachdenken über das erfahrungsmäßig Gegebene ist demnach
-die Aufgabe des wissenschaftlichen Mannes. Und nicht darf er sich
-mit seiner Einzelerfahrung begnügen, sondern mit kritischer Sorgfalt
-hat er die Summe der gesamten überlieferten Erfahrung der Menschheit
-zu ziehen.
-
-Von Natur ist die Seele ohne Wissen. Aber von Natur hat sie auch das
-Vermögen, nachzudenken, die gegebene Erfahrung zu bearbeiten. Beim
-Nachdenken springt, wie durch Inspiration, oft der richtige
-Mittelbegriff hervor, mittelst dessen die gewonnene Einsicht dann
-nach den Regeln formaler Logik zurechtgelegt werden mag. Die Logik
-bringt keine Erkenntnis hervor, sondern beschreibt nur den Weg unseres
-Nachdenkens, zeigt, wie wir zum Wissen kommen, und hat insofern auch
-einen Wert, dass sie uns vor Irrtümern hüten und den Geist schärfen
-und zu Genauigkeit im Denken anhalten kann. Sie ist folglich eine
-Hilfswissenschaft, die von einigen Befähigten, dazu Berufenen, auch
-ihrer selbst wegen gepflegt werden soll, jedoch nicht die grundlegende
-Bedeutung besitzt, die ihr von den Philosophen beigelegt wird. Den
-Weg des Nachdenkens, den sie beschreibt, geht das wissenschaftliche
-Talent in irgend einer Einzelwissenschaft auch zur Not ohne sie.
-
-Ibn Chaldun ist ein nüchterner Denker. Alchemie und Astrologie
-bekämpft er mit vernünftigen Gründen. Dem mystischen Rationalismus
-der Philosophen hält er öfter die einfachen Lehren seiner Religion
-entgegen, sei es mit persönlicher Überzeugung oder nur aus politischer
-Rücksicht. Aber auf seine wissenschaftlichen Ansichten übt die Religion
-keinen größeren Einfluss als der neuplatonische Aristotelismus. Platons
-Staat, die pythagoreisch-platonische Philosophie, aber ohne
-ihre wundersüchtigen Auswüchse, und die Geschichtswerke seiner
-orientalischen Vorgänger, namentlich des Masudi, haben auf die
-Ausbildung seiner Gedanken am meisten gewirkt.
-
-4. Mit dem Anspruch, eine neue philosophische Disziplin zu
-begründen, von der Aristoteles keine Ahnung hatte, tritt Ibn Chaldun
-auf. Philosophie ist die Wissenschaft dessen, was ist, aus seinen
-Ursachen oder Gründen entwickelt. Aber dem entspricht nicht, was die
-Philosophen über die hohe Geisterwelt und Gottes Wesen vorbringen:
-Unbeweisbares reden sie darüber. Viel besser kennen wir unsere
-Menschenwelt, und davon lässt sich durch Beobachtung und innere
-Seelenerfahrung etwas Sicheres aussagen. Hier lassen sich die
-Thatsachen nachweisen und ihre Ursachen herausfinden. Insofern
-nun letzteres auch in der Geschichte gelingt, d. h. sofern die
-geschichtlichen Ereignisse auf ihre Ursachen zurückgeführt und
-historische Gesetze aufgefunden werden können, ist die Geschichte
-wirklich Wissenschaft und ein Teil der Philosophie zu nennen. So tritt
-der Begriff der Geschichte als Wissenschaft rein heraus. Mit Neugierde,
-Eitelkeit, gemeinem Nutzen, erbaulicher Wirkung u. s. w. hat sie nichts
-zu schaffen. Sie soll, wenn auch im Dienste höherer Lebenszwecke,
-nichts anderes als Thatsachen feststellen und deren kausale
-Verknüpfung auszumitteln suchen. Kritisch, ohne Vorurteil. Als oberstes
-methodologisches Prinzip gilt dabei, dass die Ursache der Wirkung
-entspricht, d. h. dass gleiche Erscheinungen auch dieselben Bedingungen
-voraussetzen oder dass unter denselben Kulturverhältnissen auch die
-nämlichen Vorgänge sich ereignen werden. Da nun mit Wahrscheinlichkeit
-anzunehmen ist, dass die Natur der Menschen und der Gesellschaft
-im Laufe der Zeit sich nicht oder nicht bedeutend ändert, so ist
-ferner ein lebensvolles Verständnis der Gegenwart das beste Mittel
-zur Erforschung der Vergangenheit, indem das nächste, vollständig
-Bekannte uns Rückschlüsse gestattet auf die weniger gut bekannten
-Ereignisse früherer Zeit, ja sogar einen Ausblick auf die Zukunft
-verheißt. In jedem Falle ist also die Überlieferung an der Gegenwart
-zu prüfen, und wenn sie uns Dinge erzählt, die jetzt unmöglich sind,
-so ist schon deshalb ihre Wahrheit zu bezweifeln. Vergangenheit und
-Gegenwart sind einander wie zwei Tropfen Wasser gleich.
-
-Das könnte, absolut gefasst, auch Ibn Roschd gesagt haben. Nach Ibn
-Chaldun gilt das aber nur ganz allgemein als heuristisches Prinzip. Im
-einzelnen erleidet es manche Einschränkung, ist jedenfalls aus den
-Thatsachen selbst zu begründen.
-
-5. Was ist nun der Gegenstand der Geschichte als philosophischer
-Disziplin? Es ist, antwortet Ibn Chaldun, das soziale Leben, die
-gesamte materielle und geistige Kultur der Gesellschaft. Die Geschichte
-hat zu zeigen, wie die Menschen arbeiten und sich ernähren, warum
-sie sich streiten und unter einzelnen Führern zu größeren Verbänden
-zusammenschließen, wie sie endlich im sesshaften Leben Muße finden
-zur Pflege höherer Künste und Wissenschaften, wie also aus rohen
-Anfängen nach und nach eine feinere Kultur aufblüht, und wie diese
-dann wieder hinstirbt.
-
-Die sich ablösenden Gesellschaftsformen sind, nach Ibn Chaldun,
-Nomadentum, Dynastie und Stadtstaat. Die erste Frage ist die
-Nahrungsfrage. Nach dem Stande ihrer Wirtschaft (Nomaden, sesshafte
-Viehzüchter, Ackerbauer) unterscheiden sich die Menschen und die
-Völker. Bedürfnis führt zu Raub und Krieg und zur Unterwerfung unter
-den führenden Herrscher. So entwickelt sich eine Dynastie und diese
-gründet sich eine Stadt, wo die Arbeitsteilung oder die gegenseitige
-Hilfeleistung Wohlstand hervorbringt. Aber dieser Wohlstand führt zu
-unnatürlichem Müßiggange und Üppigkeit. Arbeit hat an erster Stelle
-den Wohlstand erzeugt, aber jetzt, auf der höchsten Kulturstufe, lässt
-man andere für sich arbeiten. Oft ohne Gegenleistung, denn Ansehen,
-oder auch Servilität nach oben, Erpressung nach unten, verschaffen
-Wohlstand. Man wird aber dabei von anderen abhängig. Die Bedürfnisse
-werden immer größer, die Steuern immer drückender. Die reichen
-Verschwender und Steuerzahler werden arm und ihr unnatürliches Leben
-macht sie krank und elend. [17] Die alten Kriegersitten haben sich
-verfeinert, sodass man sich nicht mehr verteidigen kann. Das Band des
-Gemeinsinnes oder der Religion, womit früher die Not und der Wille des
-Herrschers die einzelnen zusammenknüpfte, erschlafft, denn die Städter
-sind nicht fromm. So ist alles in innerer Auflösung begriffen. Und da
-erscheint ein neuer, kräftiger Nomadenstamm aus der Wüste, oder ein
-weniger überbildetes Volk mit einem festeren Gemeinsinne und fällt
-über die verweichlichte Stadt her. Dann bildet sich ein neuer Staat,
-der sich die materiellen und geistigen Güter der alten Kultur aneignet,
-und dieselbe Geschichte wiederholt sich. Es ergeht den Staaten und
-den größeren Verbänden wie einzelnen Familien: in drei bis sechs
-Generationen vollendet sich ihre Geschichte. Die erste Generation
-gründet, die zweite erhält, vielleicht auch die dritte u. s. w.,
-die letzte zerstört. Das ist der Kreislauf aller Civilisation.
-
-6. Nach August Müller stimmt die Theorie Ibn Chalduns zu der Geschichte
-Spaniens, Westafrikas und Siziliens vom 11. bis 15. Jahrhundert,
-deren Beobachtung sie auch entnommen ist. Freilich ist sein
-eigenes Geschichtswerk eine Kompilation. Im einzelnen fehlt er
-oft, wenn er mit seiner Theorie die Überlieferung meistert. Aber
-in seiner philosophischen Einleitung findet sich eine Fülle
-feiner psychologischer und politischer Bemerkungen und als ganzes
-ist sie eine großartige Leistung. Das Altertum hat sich mit dem
-Problem der Geschichte nicht eingehend befasst. Große Kunstwerke der
-Geschichtschreibung hat es uns hinterlassen, aber keine philosophische
-Begründung der Geschichte als Wissenschaft. Dass die Menschheit es,
-obgleich von Ewigkeit her bestehend, nicht längst zu viel höherer
-Kultur gebracht hatte, wurde aus elementaren Ereignissen, Erdbeben,
-Wasserfluten u. s. w. erklärt. Dagegen fasste die christliche
-Philosophie die Geschichte mit ihren Wandlungen als die Verwirklichung
-oder Vorbereitung des Gottesstaates auf Erden. Ibn Chaldun hat nun
-zuerst ganz bewusst und in ausführlich begründeter Darstellung den
-Versuch gemacht, die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft aus den
-nächsten Ursachen abzuleiten. Die Verhältnisse der Rasse, des Klimas,
-der Güterproduktion u. s. w. werden erörtert und in ihrer Wirkung auf
-die sinnlich-geistige Konstitution des Menschen und der Gesellschaft
-dargestellt. Im Kreislaufe der Civilisationen findet er eine innere
-Gesetzmäßigkeit. Überall forscht er den natürlichen Ursachen nach,
-bis zur möglichsten Vollständigkeit. Dass die Kette von Ursachen
-und Folgen in einer letzten Ursache zum Abschlusse komme, behauptet
-er auch zu glauben. Die Reihe kann nicht ins Unendliche gehen, und
-darum schließen wir auf einen Gott. Dieser Schluss aber, so heißt es
-bei ihm, bedeutet eigentlich dies, dass wir nicht im Stande sind,
-die Ursachen aller Dinge und die Art ihres Wirkens zu erkennen,
-es ist im Grunde ein Geständnis unserer Unwissenheit. Das bewusste
-Nichtwissen ist auch eine Art Wissen. Aber soweit es möglich ist, soll
-man das Wissen verfolgen. Indem Ibn Chaldun seine neue Wissenschaft
-anbahnt, will er nur die Hauptprobleme angedeutet, nur im allgemeinen
-Methode und Gegenstand dieser Wissenschaft angegeben haben. Aber er
-hofft, dass andere nach ihm kommen werden, mit gesundem Verstande
-und sicherem Wissen seine Untersuchungen weiterzuführen und neue
-Probleme aufzustellen.
-
-Die Hoffnung Ibn Chalduns ist in Erfüllung gegangen, aber nicht im
-Islam. Wie er ohne Vorgänger war, blieb er ohne Nachfolger. Doch
-hat sein Werk im Orient nachhaltig gewirkt. Viele muslimische
-Staatsmänner, die seit dem 15. Jahrhundert so manchen europäischen
-Fürsten und Diplomaten zur Verzweiflung gebracht haben, sind bei
-unserem Philosophen in die Schule gegangen.
-
-
-
-
-2. Die Araber und die Scholastik.
-
-1. Dem Sieger gehört die Braut. In den Kriegen zwischen Christen
-und Muslimen, die in Spanien geführt wurden, hatten erstere oft
-die Anziehungskraft maurischer Schönen kennen gelernt. Manch
-christlicher Ritter hatte mit einer Mohrin den "neuntägigen
-Gottesdienst" gefeiert. Aber außer den materiellen Gütern und den
-sinnlichen Genüssen wirkten auch die Reize geistiger Kultur auf die
-Eroberer. Und so erschien die arabische Wissenschaft dem Auge vieler
-wissensbedürftiger Männer wie eine holde Braut.
-
-Vermittelnd traten da besonders Juden auf. Die Juden hatten alle
-Wandlungen der muslimischen Geisteskultur mitgemacht. Viele haben
-in der arabischen Sprache geschrieben, andere arabische Schriften
-ins Hebräische übertragen. Manch philosophisches Werk muslimischer
-Autoren verdankt diesem Umstande seine Erhaltung.
-
-Der Schlusspunkt jüdisch-philosophischer Entwicklung war Maimonides
-(1135-1204), der, hauptsächlich unter dem Einflusse Farabis und Ibn
-Sinas, Aristoteles mit dem Alten Testamente zu versöhnen suchte. Teils
-deutete er die philosophischen Lehren aus dem offenbarten Texte heraus,
-teils ließ er die aristotelische Philosophie auf das Irdische sich
-beschränken, während dasjenige, was drüber ist, aus dem göttlichen
-Buche erkannt werden sollte.
-
-In den muslimischen Staaten zur Zeit ihrer Blüte hatten die Juden
-sich an der wissenschaftlichen Arbeit beteiligt. Sie waren geduldet,
-auch wohl begünstigt worden. Aber mit dem Zusammenbruch jener Staaten,
-beim Niedergange der Kultur, änderte sich ihre Lage. Von fanatisierten
-Massen vertrieben, flüchteten sie sich in die Christenländer, besonders
-nach Südfrankreich, dort als Kulturvermittler ihre Mission zu erfüllen.
-
-2. An zwei Punkten berührte sich die muslimische mit der christlichen
-Welt des Abendlandes: in Unteritalien und in Spanien. Zu Palermo,
-am Hofe Kaiser Friedrichs II. wurde die arabische Wissenschaft eifrig
-gepflegt und den Lateinern zugänglich gemacht. Der Kaiser und sein Sohn
-Manfred schickten den Universitäten zu Bologna und Paris Übersetzungen
-philosophischer Schriften, zum Teil aus dem Arabischen, zum Teil aber
-auch direkt aus dem Griechischen.
-
-Viel bedeutender aber und einflussreicher war die Übersetzerthätigkeit
-in Spanien. In dem von den Christen zurückeroberten Toledo befand sich
-eine reiche arabische Moschee-Bibliothek, die als Bildungsstätte weit
-in die nördlichen Christenländer hinein bekannt wurde. Mosaraber und
-Juden, zum Teil getaufte, arbeiteten dort mit spanischen Christen
-zusammen. Aus allen Ländern fanden sich Mitarbeiter. So wirkten
-z. B. als Übersetzer Johannes Hispanus und Gundisalinus (erste Hälfte
-des 12. Jahrhunderts), Gerard von Cremona (1114-1187), Michel der
-Schotte und Hermann der Deutsche (zwischen 1240 und 1246). Über die
-Thätigkeit dieser Männer sind wir im einzelnen noch nicht genügend
-unterrichtet. Insofern jedem Worte des arabischen Originales oder der
-hebräischen (auch spanischen?) Übersetzung irgend ein lateinisches
-entspricht, sind ihre Übersetzungen treu zu nennen. Durch geistvolles
-Verständnis zeichnen sie sich im allgemeinen nicht aus. Demjenigen,
-der des Arabischen nicht kundig ist, fällt es schwer, sich da hinein
-zu lesen. Gespensterhaft nehmen sich viele beibehaltene arabische
-Worte und bis zur Unkenntlichkeit verunstaltete Eigennamen aus. Es
-mag das alles eine schöne Verwirrung in den Köpfen lateinischer
-Philosophieschüler angestiftet haben. Und nicht weniger thaten es
-die sich neu aufschließenden Gedanken.
-
-Die Übersetzerthätigkeit hält im allgemeinen gleichen Schritt
-mit dem Interesse christlicher Kreise, und dieses hat sich ähnlich
-entwickelt, wie wir es im östlichen und westlichen Islam zu beobachten
-Gelegenheit hatten (vgl. VI, 1 § 2). Die ersten Übersetzungen
-sind mathematisch-astrologisch, medizinisch, naturphilosophisch,
-psychologisch, daran sich das logische und metaphysische
-schließt. Später beschränkt man sich mehr auf Aristoteles und seine
-Kommentare, anfangs aber wird allerhand Wundersüchtiges bevorzugt.
-
-Kindi wurde hauptsächlich als Arzt und Astrolog bekannt. Ibn Sina
-wirkte durch seine Medizin, empirische Psychologie und dazu seine
-Naturphilosophie und Metaphysik. Weniger Einfluss übten neben ihm
-Farabi und Ibn Baddscha aus. Zuletzt kamen die Kommentare des Ibn
-Roschd (Averroes) und ihr Ansehen hat, neben Ibn Sinas Kanon der
-Medizin, am längsten Stand gehalten.
-
-3. Was hat nun die christliche Philosophie des Mittelalters den
-Muslimen zu verdanken? Diese Frage zu beantworten, gehört eigentlich
-nicht mehr zur Aufgabe dieser Monographie. Es ist eine Arbeit für
-sich, dafür es viele Folianten, von denen ich keinen gelesen, zu
-durchstöbern gibt. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass sich in
-den Übersetzungen aus dem Arabischen dem christlichen Abendlande ein
-zweifaches Neues aufthat. Erstens bekam man den Aristoteles, sowohl
-logisch als physisch-metaphysisch, vollständiger als man ihn bisher
-kannte. Doch war dies nur von vorübergehender, zeitweilig anregender,
-Bedeutung, denn bald wurden alle seine Schriften direkt aus dem
-Griechischen viel besser ins Lateinische übersetzt. Das wichtigste
-aber war, dass man aus den Schriften der Araber, namentlich des Ibn
-Roschd, eine eigentümliche Auffassung der aristotelischen Lehren
-als der höchsten Wahrheit kennen lernte. Dies musste fortwährend zum
-Widerspruch, zum Kompromiss zwischen Theologie und Philosophie, oder
-gar zur Leugnung des Kirchenglaubens Veranlassung geben. Zum Teil
-anregend, zum Teil zersetzend wirkte so die muslimische Philosophie
-auf die scholastische Entwicklung des kirchlichen Dogmas ein. Denn
-gleichgültig neben einander hergehen, wie das bei muslimischen Denkern
-wohl vorgekommen, konnten im Christentume Philosophie und Theologie
-noch nicht. Dazu hatte die christliche Dogmatik schon in den ersten
-Jahrhunderten ihrer Ausbildung zu viel griechische Philosophie in
-sich aufgenommen. Sie konnte noch etwas mehr sich assimilieren. Und
-es war verhältnismäßig leichter, über die einfachen Lehren des Islam
-als über die verwickelten Dogmen des Christentums hinauszukommen.
-
-Die christliche Theologie zeigte, als im 12. Jahrhundert der Einfluss
-der Araber zu wirken anfing, einen neuplatonisch-augustinischen
-Charakter. Bei den Franziskanern blieb auch im 13. Jahrhundert dieser
-Charakter gewahrt. Damit kam nun die pythagoreisch-platonische Richtung
-im muslimischen Denken gut überein. Für Duns Scotus war Ibn Gebirol
-(Avencebrol, s. VI, 1 § 2) eine erste Autorität. Dagegen nahmen die
-großen Dominikaner, Albert und Thomas, die die Zukunft der kirchlichen
-Lehre bestimmten, einen gemäßigten Aristotelismus auf, mit dem sich
-vieles aus Farabi, besonders aber aus Ibn Sina und Maimonides, ganz
-gut vertrug.
-
-Erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts geht eine tiefere Wirkung von
-Ibn Roschd aus, und zwar in Paris, dem Mittelpunkte der damaligen
-christlich-wissenschaftlichen Bildung. Im Jahre 1256 schreibt Albert
-der Große noch gegen Averroes, 15 Jahre später aber Thomas von Aquino
-gegen die Averroisten. Ihr Haupt ist Siger von Brabant (seit 1266
-bekannt), Mitglied der Artistenfakultät von Paris. Vor der strengen
-Konsequenz des averroistischen Systems schreckt er nicht zurück. Und
-wie Ibn Roschd den Ibn Sina meistert, so kritisiert, wenn auch äußerst
-respektierlich, Siger den großen Albert und den heiligen Thomas. Zwar
-versichert er, sich der Offenbarung zu unterwerfen, aber die Vernunft
-bestätigt ihm doch, was Aristoteles, in zweifelhaften Fällen nach
-der Erklärung des Ibn Roschd, in seinen Schriften gelehrt hat. Sein
-feiner Intellektualismus gefällt aber den Theologen nicht. Wie es
-scheint auf Anstiften der Franziskaner, die in ihm vielleicht auch
-den Aristotelismus der Dominikaner treffen wollten, wird er von der
-Inquisition verfolgt, bis er zu Orvieto (um 1281-1284) im Gefängnis
-stirbt. Dante, der möglicherweise von seinen Ketzereien nichts wusste,
-hat unseren Siger als Repräsentanten weltlicher Wissenschaft ins
-Paradies versetzt.
-
-Dagegen sind ihm die beiden Vertreter der muslimischen Philosophie
-neben den großen und weisen Männern Griechenlands und Roms in der
-Hölle Vorhalle begegnet. Ibn Sina und Ibn Roschd schließen dort die
-Reihe der großen Heiden, zu denen, wie Dante, die Nachwelt noch oft
-mit Bewunderung emporgeblickt hat.
-
-
-
-
-
-
-
-
-ANMERKUNGEN
-
-
-[1] S. Munk, Mélanges de philosophie juive et arabe, Paris 1859.
-
-[2] Carra de Vaux, Avicenne, Paris 1900.
-
-[3] Vgl. Snouck Hurgronje, Mekka, II, S. 228 f.
-
-[4] Hiob XXXVIII.
-
-[5] 1 Mos. XV 3.
-
-[6] Der Dialog heisst so, weil Aristoteles während des Gespräches
-einen Apfel in der Hand hält, dessen Geruch seine letzten Lebenskräfte
-weckt. Am Schlusse sinkt die Hand kraftlos nieder und fällt der Apfel
-auf den Boden.
-
-[7] Als echtes Werk des Aristoteles galt auch Späteren noch ein Auszug
-aus der stoicheiôsis theologikê des Proklos.
-
-[8] Beides kommt vor, doch ist Qijas gewöhnlich = Analogie. In der
-philosophischen, von den Übersetzern herrührenden Terminologie steht
-aber Qijas immer für syllogismos, während analogia mit arab. mithl
-wiedergegeben wird.
-
-[9] Vgl. Snouck Hurgronje in ZDMG. LIII, S. 155.
-
-[10] Mystiker führten auch wohl einen sechsten Sinn dafür ein.
-
-[11] Nach ihrem grobwollenen Rock (sûf) wurden die Asketen Sufis
-genannt.
-
-[12] Rückerts Übers. d. Makamen II, S. 219.
-
-[13] Vgl. v. Kremer, Kulturgesch. des Orients II, S. 429 ff.
-
-[14] Vgl. den Art. "Zu Kindi und seiner Schule" in Stein's Archiv
-für Geschichte der Philosophie XIII, S. 153 ff., aus dem ich manches,
-ohne viel zu ändern, hier wieder aufgenommen habe.
-
-[15] Das arab. `aql (nous) übersetzt man gewöhnlich mit Vernunft
-und Intelligenz (lat. intellectus und intelligentia). Ich ziehe
-aber Geist vor, weil der Ausdruck Gott und die reinen (separaten)
-Sphärengeister mitumfasst. Übrigens ist schwer zu entscheiden, wie
-weit bei den einzelnen Denkern die Personifikation der Vernunft ging.
-
-[16] Vgl. hierzu Munk, Mélanges, p. 389-409.
-
-[17] Ibn Chaldun spricht nur von armen Reichen und schweigt von
-Proletariern und großstädtischem Elend, wie wir es kennen. Er hat
-auch meistens nur in kleineren Städten gelebt und Kairo aus der
-Ferne bewundert.
-
-
-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE IM
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-
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-Project Gutenberg's Geschichte der Philosophie im Islam, by T. J. de Boer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
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-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
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-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Geschichte der Philosophie im Islam
-
-Author: T. J. de Boer
-
-Release Date: May 7, 2017 [EBook #54679]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE IM ISLAM ***
-
-
-
-
-Produced by Jeroen Hellingman and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net/ for Project
-Gutenberg (This file was produced from images generously
-made available by The Internet Archive/American Libraries.)
-
-
-
-
-
-
-
-
- GESCHICHTE
- DER
- PHILOSOPHIE IM ISLAM
-
-
- von
-
- T. J. DE BOER.
-
-
- STUTTGART.
- FR. FROMMANNS VERLAG (E. HAUFF).
- 1901.
-
-
-
-
-
-
-
-
-VORWORT.
-
-
-Nach der vortrefflichen Skizze Munk's [1] ist dies der erste
-Versuch, die Geschichte der Philosophie im Islam im Zusammenhang
-vorzufhren. Ein neuer Anfang also, kein Abschluss mchte meine
-Arbeit sein. Nicht Alles, was auf diesem Gebiete vorgearbeitet,
-ist mir bekannt geworden und nicht alles Bekannte war mir
-zugnglich. Handschriftliches konnte nur ausnahmsweise benutzt werden.
-
-Der Darstellung wegen sind die Quellenbelege zurckgehalten. Nur wenn
-ich etwas fast wrtlich oder ohne Nachprfung herbergenommen habe,
-ist das in den Noten bemerkt worden. brigens bedauere ich sehr, dass
-es jetzt nicht gehrig zur Anschauung kommen kann, was ich, fr das
-Verstndnis der Quellen, Mnnern wie Dieterici, de Goeje, Goldziher,
-Houtsma, Aug. Mller, Munk, Nldeke, Renan, Snouck Hurgronje,
-Steinschneider, van Vloten und vielen, vielen anderen verdanke.
-
-Erst nach Abschluss dieser Arbeit ist eine interessante, auch ber die
-Vorgeschichte der Philosophie im Islam sich verbreitende Monographie
-ber Ibn Sina erschienen. [2] Sie gibt mir aber keine Veranlassung,
-meine Auffassung im ganzen zu ndern.
-
-Fr alles Bibliographische verweise ich auf die Orientalische
-Bibliographie, Brockelmann's Geschichte der Arabischen Litteratur
-und die Litteraturnachweise bei berweg-Heinze. Bei der Umschreibung
-arabischer Namen habe ich mehr auf Tradition und deutsche Aussprache
-als auf Konsequenz geachtet. Es sei nur bemerkt, dass das z als weiches
-s zu sprechen, und das th wie das englische. Im Personenregister
-bezeichnen Accente die Lnge.
-
-So viel wie mglich hab' ich mich auf den Islam beschrnkt. Deshalb
-sind Ibn Gebirol und Maimonides nur im Vorbeigehen genannt,
-andere jdische Denker ganz bergangen, obgleich sie, philosophisch
-betrachtet, dem muslimischen Bildungskreise angehren. Der Schaden
-ist aber nicht gross. Denn ber die jdischen Philosophen ist schon
-viel geschrieben worden, whrend man bis jetzt die muslimischen Denker
-sehr vernachlssigt hat.
-
- Groningen (Niederlande).
-
- T. J. de Boer.
-
-
-
-
-
-
-
-
-INHALTSBERSICHT.
-
-
- Seite
-
-I. Zur Einleitung. 9-33
-
-1. Der Schauplatz 9
-
- 1. Das alte Arabien. 2. Die ersten
- Chalifen. Medina. Schiiten. 3. Die Omajjaden. Damaskus, Basra
- und Kufa. 4. Die Abbasiden. Bagdad. 5. Kleinstaaterei. Fall
- des Chalifates.
-
-2. Orientalische Weisheit 13
-
- 1. Semitische Spekulation. 2. Persische
- Religion. Zrwanismus. 3. Indische Weisheit.
-
-3. Griechische Wissenschaft 17
-
- 1. Die Syrer. 2. Die christlichen Kirchen. 3. Edessa
- und Nisibis. 4. Harran. 5. Gondeschapur. 6. Syrische
- bersetzungen. 7. Die Philosophie bei den Syrern. 8. Arabische
- bersetzungen. 9. Die Philosophie der bersetzer. 10. Umfang der
- berlieferung. 11. Fortsetzung des Neuplatonismus. 12. Das Buch
- vom Apfel. 13. Die Theologie des Aristoteles. 14. Aufnahme des
- Aristoteles. 15. Die Philosophie im Islam.
-
-
-II. Philosophie und arabisches Wissen 34-68
-
-1. Die Sprachwissenschaft 34
-
- 1. Die verschiedenen Wissenschaften. 2. Die arabische Sprache. Der
- Koran. 3. Die Grammatiker von Basra und Kufa. 4. Logische
- Grammatik. Metrik. 5. Sprachwissenschaft und Philosophie.
-
-2. Die Pflichtenlehre 38
-
- 1. Tradition und Freiheit. 2. Die Analogie. 3. Inhalt und Stellung
- der Pflichtenlehre. 4. Ethik und Politik.
-
-3. Die Glaubenslehre 42
-
- 1. Christliche Dogmatik. 2. Der Kalam. 3. Die
- Mutaziliten und ihre Gegner. 4. Menschliches und
- gttliches Wirken. 5. Gottes Wesen. 6. Offenbarung und
- Vernunft. 7. Abu-l-Hudhail. 8. Nazzam. 9. Dschahiz. 10. Muammar
- und Abu Haschim. 11. Aschari. 12. Der atomistische Kalam. 13. Die
- Mystik.
-
-4. Litteratur und Geschichte 63
-
- 1. Die Litteratur. 2. Abu-l-Atahia. Mutanabbi,
- Abu-l-Ala. Hariri. 3. Geschichtliche berlieferung. 4. Masudi
- und Muqaddasi.
-
-
-III. Die pythagoreische Philosophie 69-89
-
-1. Die Naturphilosophie 69
-
- 1. Die Quellen. 2. Die mathematischen Disziplinen. 3. Die
- Naturwissenschaften. 4. Die Medizin. 5. Razi. 6. Die Dahriten.
-
-2. Die treuen Brder von Basra 76
-
- 1. Die Karmaten. 2. Die Brder und ihre
- Encyklopdie. 3. Eklektizismus. 4. Das Wissen. 5. Die
- Mathematik. 6. Die Logik. 7. Gott und Welt. 8. Die menschliche
- Seele. 9. Religionsphilosophie. 10. Die Ethik. 11. Wirkung der
- Encyklopdie.
-
-
-IV. Die neuplat. Aristoteliker des Ostens 90-137
-
-1. Kindi 90
-
- 1. Sein Leben. 2. Verhltnis zur Theologie. 3. Die
- Mathematik. 4. Gott, Welt, Seele. 5. Die Lehre vom Nus. 6. Kindi
- als Aristoteliker. 7. Die Schule Kindis.
-
-2. Farabi 98
-
- 1. Die Logiker. 2. Farabis Leben. 3. Verhltnis zu
- Platon und Aristoteles. 4. Die Philosophie. 5. Die
- Logik. 6. Das Seiende. Gott. 7. Die Himmelwelt. 8. Die
- irdische Welt. 9. Die menschliche Seele. 10. Der Geist
- im Menschen. 11. Die Ethik. 12. Die Politik. 13. Das
- zuknftige Leben. 14. Rckblick. 15. Wirkungen seiner
- Philosophie. Sidschistani.
-
-3. Ibn Maskawaih. 116
-
- 1. Seine Stellung. 2. Das Wesen der Seele. 3. Prinzipien der Ethik.
-
-4. Ibn Sina 119
-
- 1. Sein Leben. 2. Das Werk. 3. Philosophische Wissenschaften. Die
- Logik. 4. Metaphysik und Physik. 5. Anthropologie und
- Psychologie. 6. Die Vernunft. 7. Allegorische Darstellung
- der Vernunftlehre. 8. Geheimlehre. 9. Ibn Sinas
- Zeit. Beruni. 10. Behmenjar. 11. Das Fortleben Ibn Sinas.
-
-5. Ibn al-Haitham 133
-
-1. Der Zug nach Westen. 2. Ibn al-Haithams Leben und
-Werke. 3. Wahrnehmung und Erkenntnis. 4. Nachwirkung.
-
-
-V. Der Ausgang der Philosophie im Osten 138-152
-
-1. Gazali 138
-
- 1. Dialektik und Mystik. 2. Gazalis Leben. 3. Stellung zu seiner
- Zeit. 4. Die Welt. 5. Gott und Vorsehung. 6. Der Mensch. 7. Gazalis
- Theologie. 8. Erfahrung und Offenbarung. 9. Rckblick.
-
-2. Die Kompendienschreiber 150
-
- 1. Stellung der Philosophie. 2. Philosophische Bildung.
-
-
-VI. Die Philosophie im Westen 153-176
-
-1. Die Anfnge 153
-
- 1. Die Omajjadenzeit. 2. Das elfte Jahrhundert.
-
-2. Ibn Baddscha 156
-
- 1. Die Almoraviden. 2. Ibn Baddschas
- Leben. 3. Charakteristik. 4. Logik und Metaphysik. 5. Seele und
- Geist. 6. Der einzelne Mensch.
-
-3. Ibn Tofail 160
-
- 1. Die Almohaden. 2. Ibn Tofails Leben. 3. Hai ibn Jaqzan. 4. Hai
- und die Entwicklung der Menschheit. 5. Hai's Ethik.
-
-4. Ibn Roschd 165
-
- 1. Sein Leben. 2. Ibn Roschd und Aristoteles. 3. Logik. Erkenntnis
- der Wahrheit. 4. Die Welt und Gott. 5. Krper und Geist. 6. Geist
- und Geister. 7. Rckblick. 8. Praktische Philosophie.
-
-
-VII. Zum Schluss 177-188
-
-1. Ibn Chaldun 177
-
- 1. Die Zeitverhltnisse. 2. Das Leben Ibn Chalduns. 3. Philosophie
- und Welterfahrung. 4. Geschichtsphilosophie. Historische
- Methode. 5. Gegenstand der Geschichte. 6. Charakteristik.
-
-2. Die Araber und die Scholastik 184
-
- 1. Politische Lage. Die Juden. 2. Palermo und Toledo. 3. Die
- Araber in Paris.
-
-
-
-
-
-
-
-
-I. ZUR EINLEITUNG.
-
-
-1. Der Schauplatz.
-
-1. Von alters her war, wie heutzutage, die arabische Wste der
-Tummelplatz unabhngiger Beduinenstmme. Mit freiem, gesundem
-Sinn blickten diese in ihre einfrmige Welt hinein, deren hchster
-Reiz der Beutezug, deren geistiger Schatz die Stammesberlieferung
-war. Weder die Errungenschaften geselliger Arbeit noch die Gaben
-schner Mue waren ihnen bekannt. Nur an den Rndern der Wste wurde,
-in Staatenbildungen, die oft von den berfllen jener Beduinen zu
-leiden hatten, eine hhere Stufe der Gesittung erreicht. So war es im
-Sden, wo in christlicher Zeit unter abyssinischer oder persischer
-Oberhoheit das alte Reich der Knigin von Saba fortbestand. Im
-Westen lagen an einer alten Handelsstrae Mekka und Medina (Jathrib),
-und besonders Mekka mit seinem Markte im Schutze eines Tempels war
-ein Mittelpunkt regen Verkehrs. Im Norden endlich hatten sich zwei
-halbsouverne Staaten unter arabischen Frsten gebildet: gegen Persien
-hin das Reich der Lachmiden in Hira und gegen Byzanz der Gassaniden
-Herrschaft in Syrien. Aber in Sprache und Poesie stellte sich schon
-vor Mohammed einigermaen die Einheit der arabischen Nation dar. Die
-Dichter waren die Wissenden ihres Volkes. Ihre Zaubersprche galten
-zunchst den Stmmen als Orakel. Doch ging ihre Wirkung wohl oft ber
-den eigenen Stamm hinaus.
-
-2. Mohammed und seinen nchsten Nachfolgern, Abu Bekr, Omar, Othman
-und Ali (622-661) ist es nun gelungen, die freien Wstenshne
-zusammen mit den gesitteteren Bewohnern der Kstenstriche fr ein
-gemeinsames Unternehmen zu begeistern. Diesem Ereignis verdankt der
-Islam seine Weltstellung. Denn Allah zeigte sich gro und fr die
-Ihm sich Ergebenden (Muslime) war die Welt gar klein. In kurzer Zeit
-wurde ganz Persien erobert und verlor das ostrmische Reich seine
-schnsten Provinzen: Syrien und gypten.
-
-Medina war der Sitz der ersten Chalifen oder Stellvertreter des
-Propheten. Aber Mohammeds tapferer Schwiegersohn, Ali, und dessen Shne
-unterlagen Moawia, dem klugen Statthalter von Syrien. Seit der Zeit
-besteht die Partei des Ali (Schiiten), die unter mancherlei Wandlungen,
-bald unterworfen, bald an einzelnen Stellen zur Herrschaft gelangt,
-ihr Wesen in der Geschichte treibt, bis sie sich (1502) im persischen
-Reich endgltig gegen den sunnitischen Islam abschliet.
-
-In ihrem Kampfe gegen die weltliche Macht haben die Schiiten sich aller
-mglichen Waffen, auch der Wissenschaft bedient. Schon frh erscheint
-unter ihnen die Partei der Kaisaniten, die dem Ali und seinen Erben
-eine bermenschliche Geheimwissenschaft zuschreibt, ein Wissen, mit
-dessen Hilfe der innere Sinn der gttlichen Offenbarung erst klar
-werde, das aber auch von seinen Adepten nicht weniger Glauben und
-unbedingten Gehorsam gegen die Trger solchen Wissens erfordert als
-der Buchstabe des Korans. (Vgl. III, 2 1.)
-
-3. Nach dem Siege Moawias, der Damaskus zur Hauptstadt des muslimischen
-Reiches machte, lag die Bedeutung Medinas hauptschlich auf geistigem
-Gebiete. Es musste sich damit begngen, zum Teil unter jdischen
-und christlichen Einflssen, die Wissenschaft des Gesetzes und der
-Tradition zu pflegen. In Damaskus aber fhrten die Omajjaden (661-750)
-ihr weltliches Regiment. Unter ihrer Herrschaft dehnte sich das Reich
-vom atlantischen Meere bis ber die Grenzen Indiens und Turkestans
-aus, vom sdlichen Meere bis an den Kaukasus und vor die Mauern von
-Konstantinopel. Damit war aber auch die weiteste Ausdehnung erreicht.
-
-Araber nahmen jetzt berall die fhrende Stellung ein. Sie
-bildeten eine militrische Aristokratie und der schlagendste
-Beweis fr ihren Einfluss ist dies, dass unterworfene Vlker mit
-alter, berlegener Kultur die Sprache der Sieger annahmen. Die
-arabische Sprache wurde die Sprache des Staates und der Religion,
-der Poesie und der Wissenschaft. Whrend aber die hohen Staats-
-und Militrmter vorzugsweise von Arabern verwaltet wurden, blieb
-es zunchst Nichtarabern und Mischlingen berlassen, Knste und
-Wissenschaften zu pflegen. In Syrien ging man bei Christen in die
-Schule. Die Hauptsttten geistiger Bildung aber wurden Basra und
-Kufa, in denen Araber und Perser, Muslime, Christen, Juden und Magier
-zusammenstieen. Dort, wo Handel und Gewerbe aufblhten, sind, unter
-hellenistisch-christlichen und persischen Einflssen entstanden,
-die Anfnge weltlicher Wissenschaft im Islam zu suchen.
-
-4. Den Omajjaden folgten die Abbasiden (750-1258) nach. Diese machten,
-um zur Herrschaft zu gelangen, dem Persertum Konzessionen und benutzten
-religis-politische Bewegungen. Nur in dem ersten Jahrhundert ihrer
-Regierung (bis etwa 860) mehrte oder hielt sich noch die Gre
-des Reiches, als dessen Mittelpunkt Mansur, der zweite Herrscher
-dieses Hauses, im Jahre 762 Bagdad grndete, eine Stadt, die bald an
-weltlichem Glanze Damaskus und als Leuchte des Geistes Basra und Kufa
-berstrahlte. Nur mit Konstantinopel war sie zu vergleichen. In Bagdad,
-an dem Hofe Mansurs (754-775), Haruns (786-809), Mamuns (813-833)
-u. s. w. fanden sich, besonders aus den nordstlichen Provinzen,
-Dichter und Gelehrte zusammen. Mehrere Abbasiden liebten weltliche
-Bildung, sei es an sich oder zur Ausschmckung ihres Hofes, und wenn
-sie oft auch den Wert der Knstler und Gelehrten nicht erkannt haben
-mgen, so wussten doch diese die materiellen Gter ihrer Herren wohl
-zu schtzen.
-
-Wenigstens seit der Zeit Haruns bestand in Bagdad eine Bibliothek und
-eine Gelehrtenanstalt. Schon unter Mansur, besonders aber unter Mamun
-und seinen Nachfolgern, wurde dann die wissenschaftliche Litteratur
-der Griechen, meistens durch syrische Vermittelung, in die arabische
-Sprache bertragen. Auch Kompendien und Erluterungen dazu wurden
-verfasst.
-
-Als diese gelehrte Arbeit ihren hchsten Aufschwung nahm, war
-die Herrlichkeit des Reiches im Niedergang begriffen. Die alten
-Stammesfehden, die unter den Omajjaden nie geruht hatten, waren
-scheinbar einer festgefgten Einheit des Staates gewichen. Aber es
-dauerten in verschrftem Mae andere Streitigkeiten fort, theologische
-und metaphysische Znkereien, wie sie hnlich den Verfall des
-ostrmischen Reiches begleiteten. Der Staatsdienst brauchte in der
-orientalischen Despotie nur wenig befhigte Kpfe. Viele junge Krfte
-gingen im ppigen Genusse unter, andere verfielen auf Wortknstelei
-und Scheingelehrsamkeit. Zur Verteidigung des Reiches dagegen zog man
-die frische Kraft weniger berbildeter Vlker heran: zuerst iranische
-oder iranisierte Chorasaner, darauf Trken.
-
-5. Immer deutlicher zeigte sich des Reiches Verfall. Die
-Machtstellung des Trkenheeres, Aufstnde stdtischen Pbels und
-lndlicher Arbeiter, schiitische und ismaelitische Umtriebe berall,
-dazu die Selbstndigkeitsgelste der entfernten Provinzen waren
-entweder die Ursachen oder die Symptome des Untergangs. Neben dem
-Chalifen, der zum geistlichen Wrdentrger herabsank, herrschten
-die Trken als Hausmeier. Und an der Peripherie entstanden nach
-und nach selbstndige Staaten, bis zu einer ganz entsetzlichen
-Kleinstaaterei. Die wichtigsten, mehr oder weniger unabhngigen
-Herrscher waren im Westen, abgesehen von den spanischen Omajjaden
-(vgl. VI, 1), die Aglabiden Nordafrikas, die Tuluniden und Fatimiden
-gyptens und die Hamdaniden Syriens und Mesopotamiens; im Osten die
-Tahiriden und Samaniden, allmhlich von den Trken verdrngt. An den
-Hfen dieser kleinen Dynastien sind in der nchsten Zeit (10. und
-11. Jahrh.) die Dichter und Gelehrten zu finden. Mehr als Bagdad
-machen sich auf kurze Zeit Haleb (Aleppo), der Sitz der Hamdaniden,
-und auf lngere Zeit Kairo, im Jahre 969 von den Fatimiden erbaut,
-als Heimsttten geistiger Bestrebungen geltend. Im Osten glnzt noch
-einen Augenblick der Hof des Trken Machmud von Ghazna, der seit dem
-Jahre 999 Herr von Chorasan war.
-
-In diese Zeit der Kleinstaaterei und der Trkenwirtschaft fllt auch
-die Grndung der muslimischen Universitten. Im Jahre 1065 wurde
-die erste in Bagdad errichtet. Seit der Zeit besitzt der Orient die
-Wissenschaft nur in stereotypen Auflagen. Der Lehrer hat gelehrt,
-was ihm von seinen Lehrern berliefert worden, und jedes neue Buch
-enthlt kaum einen Satz, der nicht schon in lteren Bchern stnde. Die
-Wissenschaft ist gerettet. Aber die Gelehrten Transoxaniens, die,
-der berlieferung nach, als sie die Grndung der ersten Madrasah
-erfuhren, eine Trauerfeier zu Ehren der Wissenschaft veranstalteten,
-haben Recht behalten. [3]
-
-ber die stlichen Lnder des Islam brauste dann (13. Jahrh.) der
-Mongolensturm dahin. Was der Trke brig gelassen, raffte dieser
-hinweg. Es blhte da keine Kultur wieder auf, die aus sich heraus eine
-neue Kunst hervortrieb oder zu einer Erneuerung der Wissenschaft die
-Anregung darbot.
-
-
-
-
-2. Orientalische Weisheit.
-
-1. Vor seiner Berhrung mit dem Hellenismus hat der semitische Geist,
-in philosophischer Hinsicht, es nie weiter als zu Rtselfragen
-und Spruchweisheit gebracht. Einzelbeobachtungen aus der Natur,
-hauptschlich aber aus Leben und Schicksal des Menschen, liegen zu
-Grunde, und wo das Verstndnis aufhrt, stellt sich leicht die Ergebung
-in den allmchtigen und unergrndlichen Willen Gottes ein. Wir kennen
-diese Weisheit aus dem Alten Testament. Dass sie sich hnlich bei den
-Arabern ausbildete, zeigen uns die biblische Geschichte der Knigin von
-Saba und die Gestalt des weisen Loqman in der arabischen berlieferung.
-
-Neben solcher Weisheit gab es berall die Magie des Zauberers, ein
-Wissen, das sich in der Herrschaft ber die Dinge bewhrte. Aber nur
-in den priesterlichen Kreisen Alt-Babyloniens, unter welchen Einflssen
-und in welchem Umfange wissen wir nicht genau, erhob man sich zu einer
-wissenschaftlicheren Betrachtung der Welt. Vom Wirrsal des Erdendaseins
-wandte dort das Auge sich der himmlischen Ordnung zu. Nicht wie der
-Hebrer, der ber ein gewisses Staunen nicht hinwegkam [4] oder in den
-unzhligen Gestirnen nur ein Sinnbild eigener Nachkommenschaft sah [5],
-sondern hnlich dem Griechen, der das Viele und Mannigfaltige unter dem
-Monde erst verstehen lernte, nachdem er in der Einheit und Stetigkeit
-der Himmelsbewegung die Harmonie des Alls gefunden hatte. Nur dass
-sich mit dem Guten, wie es denn im Hellenismus nicht anders war,
-viel mythologisches Spiel und astrologisches Afterwissen verschlangen.
-
-Diese chaldische Weisheit wurde in Babylonien und Syrien seit
-den Tagen Alexanders des Groen mit hellenistischen, spter mit
-hellenistisch-christlichen Ideen durchsetzt oder davon verdrngt. Nur
-in der syrischen Stadt Harran hielt sich bis in die Zeit des Islam das
-alte Heidentum, von christlichen Einflssen wenig berhrt. (Vgl. I,
-3 4.)
-
-2. Bedeutender als etwaige semitische berlieferung war es, was dem
-Islam von persischer und indischer Weisheit zugefhrt wurde. Auf die
-Frage, ob die orientalische Weisheit von griechischer Philosophie,
-oder diese von jener ursprnglich beeinflusst sei, brauchen wir
-hier nicht einzugehen. Was der Islam graden Weges Persern und Indern
-entnommen hat, lsst sich aus den arabischen Quellen mit ziemlicher
-Sicherheit ersehen, und auf dieses drfen wir uns beschrnken.
-
-Persien ist das Land des Dualismus, und es ist nicht unwahrscheinlich,
-dass seine dualistische Religionslehre, sei es direkt, sei es durch
-Vermittelung des Manichismus oder anderer gnostischer Sekten, auf
-die theologischen Streitigkeiten im Islam eingewirkt habe. Viel
-grer aber ist in weltlichen Kreisen der Einfluss desjenigen
-Systems gewesen, das der berlieferung nach unter dem Sasaniden
-Jezdegerd II. (438/9-457) sogar zur ffentlichen Anerkennung kam, des
-Zrwanismus (vgl. III, 1 6). In diesem System war die dualistische
-Weltansicht dadurch aufgehoben, dass als oberstes Prinzip die endlose
-Zeit (zrwan, arab. dahr) aufgestellt und mit dem Geschick, der
-uersten Himmelssphre oder der Bewegung des Himmels identifiziert
-wurde. Diese Lehre, die philosophischen Kpfen zusagte, hat sich,
-mit oder ohne die Maske des Islam, in der persischen Litteratur und
-bis auf unsere Zeit in den volkstmlichen Anschauungen einen groen
-Platz zu erhalten gewusst. Von den Theologen aber und nicht weniger
-von der idealistischen Schulphilosophie wurde sie als Materialismus,
-Atheismus u. s. w. abgewiesen.
-
-3. Als das wahre Land der Weisheit galt Indien. Vielfach findet
-sich bei den arabischen Schriftstellern die Anschauung, dort sei
-die Geburtssttte der Philosophie zu finden. Durch friedlichen
-Handelsverkehr, dessen Vermittler zwischen Indien und dem Abendlande
-hauptschlich Perser waren, dann infolge der muslimischen Eroberung
-verbreitete sich die Kenntnis indischer Weisheit. Unter Mansur
-(754-775) und Harun (786-809) wurde vieles davon, teils durch die
-Mittelstufe des Persischen (Pahlawi) hindurch, teils direkt aus dem
-Sanskrit bersetzt. Von der ethischen und politischen Spruchweisheit,
-aus Fabel und Erzhlung der Inder, ward manches herbergenommen, so
-die von Ibn al-Moqaffa zu Mansurs Zeit aus dem Pahlawi bersetzten
-Erzhlungen des Pantschatantra u. A. An erster Stelle aber wirkten
-indische Mathematik und Astrologie, letztere in Verbindung mit
-praktischer Medizin und Zauberkunst, auf die Anfnge der Weltweisheit
-im Islam. Die Astrologie des Siddhanta von Brahmagupta, unter Mansur
-mit Hilfe indischer Gelehrten von Fazari aus dem Sanskrit bersetzt,
-war noch vor des Ptolemus Almagest bekannt. Eine weite Welt, in
-Vergangenheit und Zukunft, that sich da auf. Die hohen Zahlen, mit
-denen der Inder operierte, erzeugten auf die nchternen muslimischen
-Annalisten einen gewaltigen, verwirrenden Eindruck, wie andererseits
-der arabische Kaufmann, der in Indien und China das Alter unserer
-erschaffenen Welt auf einige Tausend Jahre ansetzte, sich im hchsten
-Grade lcherlich machte.
-
-Auch die logischen und metaphysischen Spekulationen der Inder
-sind den Muslimen nicht unbekannt geblieben, aber viel weniger
-als Mathematik und Astrologie haben diese die wissenschaftliche
-Entwicklung beeinflusst. Die Grbeleien der Inder, an ihre heiligen
-Bcher anknpfend und durchaus religis bestimmt, haben gewiss auf
-persisches Sufitum und islamische Mystik nachhaltig eingewirkt. Aber
-Philosophie ist nun einmal ein griechischer Begriff und es geht
-nicht an, einem Tagesgeschmack zu liebe, in unserer Darstellung den
-Kuhmilchgedanken frommer Inder allzuviel Platz einzurumen. Was
-jene sinnigen Ber ber den tuschenden Schein alles Sinnlichen
-vorgebracht haben, mag oft einen poetischen Reiz besitzen, stimmt auch
-wohl zu dem, was dem Osten aus neupythagoreischen und neuplatonischen
-Quellen an Betrachtungen ber die Vergnglichkeit alles Irdischen
-zugnglich war, hat aber, ebensowenig wie dieses, etwas Erhebliches
-zur Erklrung der Erscheinungen, zur Erweckung wissenschaftlichen
-Sinnes beigetragen. Nicht indischer Phantasie, sondern griechischen
-Geistes bedurfte es dazu, das Nachdenken auf die Erkenntnis des
-Wirklichen zu richten. Das beste Beispiel dafr ist die arabische
-Mathematik. Nach dem Urteile ihrer besten Kenner ist indisch darin
-fast nur die Rechenkunst, griechisch, wenn auch nicht ausschlielich,
-doch vorwiegend, die Algebra und die Geometrie. Zum Begriffe reiner
-Mathematik ist wohl kaum ein Inder durchgedrungen. Die Zahl, auch
-die hchste, blieb doch immer eine konkrete. Und in der indischen
-Philosophie blieb das Wissen berhaupt ein Mittel. Zweck war die
-Erlsung vom bel des Daseins, die Philosophie Anleitung zum seligen
-Leben. Daher die Monotonie dieser auf das einheitliche Wesen aller
-Dinge gerichteten Weisheit, der gegenber die reichgegliederte
-Wissenschaft der Hellenen die Wirkungen der Natur und des Geistes
-allseitig zu erfassen bestrebt war.
-
-Orientalische Weisheit, Astrologie und Kosmologie, hat den
-muslimischen Denkern mancherlei Stoff geliefert, aber die Form,
-das bildende Prinzip, kam ihnen von den Griechen her. berall, wo es
-sich nicht um bloes Aufzhlen oder zuflliges Zusammenreihen handelt,
-sondern nach sachlichen oder logischen Gesichtspunkten eine Anordnung
-des Mannigfaltigen versucht wird, darf mit Wahrscheinlichkeit auf
-griechischen Einfluss geschlossen werden.
-
-
-
-
-3. Griechische Wissenschaft.
-
-1. Wie die Perser hauptschlich den Handelsverkehr zwischen
-Indien-China und Byzanz leiteten, so traten im fernen Westen, bis
-ins Frankenreich, die Syrer als Kulturvermittler auf. Es waren Syrer,
-die Wein, Seide u. s. w. ins Abendland einfhrten. Aber es waren auch
-Syrer, die griechische Bildung aus Alexandrien und Antiochien nach
-Osten hin verbreiteten und in den Schulen von Edessa und Nisibis,
-Harran und Gondeschapur fortpflanzten. Syrien war das richtige Land
-der Mitte, wo Jahrhunderte lang die beiden Weltmchte, die rmische
-und die persische, feindlich oder friedlich zusammenstieen. Unter
-solchen Umstnden spielten die christlichen Syrer eine Rolle, wie
-sie hnlich spter den Juden zu teil ward.
-
-2. Die muslimischen Eroberer fanden die christliche Kirche,
-abgesehen von vielen Sekten, in drei Abteilungen gespalten. Im
-eigentlichen Syrien herrschte neben der orthodoxen Reichskirche
-die monophysitische, in Persien die nestorianische Kirche vor. Der
-Unterschied zwischen den Lehrsystemen dieser Kirchen ist wohl
-nicht ohne Bedeutung fr die Entwicklung der muslimischen Dogmatik
-gewesen. Nach der Lehre der Monophysiten waren in Christus Gott
-und Mensch zu einer Natur vereinigt, whrend die Orthodoxen
-und viel schrfer noch die Nestorianer eine gttliche und eine
-menschliche Natur unterschieden. Nun heit Natur vor allem Energie
-oder Wirkungsprinzip. Es handelt sich um die Frage, ob gttliches
-und menschliches Wollen und Wirken in Christus ein und dasselbe
-seien oder verschieden. Die Monophysiten hoben, aus spekulativen
-und religisen Motiven, auf Kosten des Menschlichen die Einheit in
-Christus, ihrem Gotte, hervor, die Nestorianer dagegen betonten die
-Eigenart menschlichen Seins, Wollens und Wirkens dem gttlichen
-gegenber. Letzteres aber bietet, unter Begnstigung politischer
-und kultureller Verhltnisse, einer philosophischen Welt- und
-Lebensbetrachtung freieren Spielraum, und thatschlich haben die
-Nestorianer am meisten fr die Pflege griechischer Wissenschaft gethan.
-
-3. Die Sprache sowohl der westlichen als auch der stlichen
-(persischen) Kirche war das Syrische. Daneben aber wurde in
-den Klosterschulen das Griechische gelehrt. In der westlichen
-(monophysitischen) Kirche sind Rasain und Kinnesrin als Sttten der
-Bildung zu nennen. Bedeutender war, wenigstens anfangs, die Schule von
-Edessa, wie denn auch der edessenische Dialekt sich zur Schriftsprache
-erhoben hatte. Aber im Jahre 489 ward die dortige Schule wegen der
-nestorianischen Gesinnung ihrer Lehrer geschlossen. Sie that sich dann
-in Nisibis wieder auf und verbreitete in Persien, aus politischen
-Grnden von den Sasaniden begnstigt, nestorianischen Glauben und
-griechisches Wissen.
-
-Der Unterricht in jenen Schulen hatte vorzugsweise biblisch-kirchlichen
-Charakter und war auf kirchliche Bedrfnisse berechnet. Aber es nahmen
-auch rzte oder knftige Studenten der Medizin daran teil. Dass
-diese oft dem geistlichen Stande angehrten, hebt den Unterschied
-zwischen theologischem Studium und der Beschftigung mit weltlichem
-Wissen nicht auf. Zwar haben, nach dem syrisch-rmischen Rechtsbuch,
-die Lehrer (gelehrten Priester) und rzte Steuerfreiheit und andere
-Privilegien gemeinsam. Aber dass die ersteren als Heilknstler der
-Seele betrachtet wurden, whrend die rzte blo den Leib zu flicken
-hatten, begrndete den Vorzug jener vor diesen. Die Medizin blieb doch
-immer etwas Weltliches, und nach den Statuten der Schule zu Nisibis
-(vom Jahre 590) durften die heiligen Schriften nicht mit Bchern des
-weltlichen Gewerbes in einem Raume zusammen gelesen werden.
-
-In rztlichen Kreisen wurden die Werke des Hippokrat, Galen und
-Aristoteles sehr geschtzt. In den Klstern aber verstand man unter
-Philosophie zunchst das beschauliche Leben des Asketen und achtete
-nur auf das Eine, das not thut.
-
-4. Eine eigentmliche Stellung nimmt die mesopotamische Stadt Harran,
-in der Nhe Edessas, ein. Altsemitisches Heidentum verknpft sich hier,
-besonders nach der arabischen Eroberung, als die Stadt neu emporblhte,
-mit mathematischen und astronomischen Studien und neupythagoreischer
-und neuplatonischer Spekulation. Die Harranier oder Sabier, wie sie
-im 9. und 10. Jahrhundert heien, fhren ihre mystische Weisheit auf
-Hermes Trismegistos, Agathodaemon, Uranius u. A. zurck. Zahlreiche
-Pseudepigraphen des spteren Hellenismus werden von ihnen glubig
-aufgenommen, einzelnes wird vielleicht in ihrem Kreise fabriziert. Als
-bersetzer und gelehrte Schriftsteller sind einige aus ihrer Mitte
-thtig gewesen. Viele haben mit persischen und arabischen Gelehrten
-des achten bis zehnten Jahrhunderts einen regen wissenschaftlichen
-Verkehr unterhalten.
-
-5. In Persien, zu Gondeschapur, finden wir eine von Chosrau Anoscharwan
-(531-579) gegrndete Anstalt fr philosophische und medizinische
-Studien. Ihre Lehrer waren hauptschlich nestorianische Christen. Aber
-auer den Nestorianern duldete der weltlicher Bildung geneigte Frst
-auch Monophysiten. Besonders als Mediziner waren damals, wie spter
-am Hofe der Chalifen, christliche Syrer in Ehren.
-
-Auch die im Jahre 529 aus Athen vertriebenen sieben Philosophen
-der neuplatonischen Schule fanden am Hofe Chosraus eine
-Zufluchtssttte. Sie mgen aber dort hnliche Erfahrungen gemacht
-haben, wie die franzsischen Freigeister des vorigen Jahrhunderts
-am russischen Hofe. Jedenfalls sehnten sie sich nach der Heimat
-zurck. Und der Knig war freisinnig und gromtig genug, sie gehen
-zu lassen und fr sie im Friedensvertrage mit Byzanz vom Jahre 549
-Glaubensfreiheit zu bedingen. Ganz ohne Einfluss wird ihr Aufenthalt
-im persischen Reich doch wohl nicht geblieben sein.
-
-6. Die Zeit der syrischen bersetzungen profaner Schriften aus dem
-Griechischen luft etwa vom vierten bis zum achten Jahrhundert. Im
-vierten Jahrhundert wurden Spruchsammlungen bertragen. Als erster
-mit Namen genannter bersetzer erscheint Probus, "Priester und Arzt
-in Antiochien" (erste Hlfte des fnften Jahrhunderts?). Vielleicht
-war er auch nur Erklrer logischer Schriften des Aristoteles
-und der Isagoge des Porphyrius. Bekannter ist Sergius von Rasain
-(gestorben, wahrscheinlich in Konstantinopel, um 536, etwa 70 Jahre
-alt), ein mesopotamischer Mnch und Arzt, der den ganzen Umfang der
-alexandrinischen Wissenschaft, vielleicht in Alexandrien selbst,
-studierte und dessen bersetzungen nicht nur auf Theologie, Moral und
-Mystik, sondern mehr noch auf Physik, Medizin und Philosophie sich
-erstreckten. Auch nach der muslimischen Eroberung wurde die gelehrte
-Thtigkeit der Syrer fortgesetzt. Jakob von Edessa (etwa 640-708)
-bersetzte griechisch-theologische Schriften, befasste sich aber
-auerdem mit Philosophie und erklrte auf eine diesbezgliche Anfrage,
-es sei christlichen Geistlichen erlaubt, Kindern von muslimischen
-Eltern gelehrten Unterricht zu erteilen. Bei den letzteren war also
-ein Bildungsbedrfnis vorhanden.
-
-Die bersetzungen der Syrer, namentlich des Sergius von Rasain,
-sind im allgemeinen treu; die logischen und naturwissenschaftlichen
-aber entsprechen dem Original genauer, als die ethischen und
-metaphysischen. In diesen gab es eben viel Dunkles, das missverstanden
-oder einfach weggelassen, und viel Heidnisches, das durch Christliches
-ersetzt ward. Fr Sokrates, Platon und Aristoteles (als Beispiele)
-traten wohl einmal Petrus, Paulus und Johannes ein. Das Schicksal
-und die Gtter mussten dem Einen Gotte weichen. Und Begriffe wie
-Welt, Ewigkeit, Snde und dergleichen erhielten ein christliches
-Geprge. brigens sind die Araber mit der Anpassung an ihre Sprache,
-Kultur und Religion spter viel weiter gegangen als die Syrer. Teils
-lsst sich das wohl aus der muslimischen Scheu vor allem Heidnischen,
-teils aber auch aus einer greren Anpassungsfhigkeit erklren.
-
-7. Abgesehen von einigen mathematischen, physischen und medizinischen
-Schriften haben die Syrer sich fr ein Zweifaches interessiert. Erstens
-fr moralisierende Spruchsammlungen, mit etwas Philosophiegeschichte
-verbunden, und im allgemeinen fr mystische pythagoreisch-platonische
-Weisheit. Diese findet sich hauptschlich in Pseudepigraphen, die den
-Namen des Pythagoras, Sokrates, Plutarch, Dionysius u. A. tragen. Im
-Mittelpunkte des Interesses steht eine platonische Seelenlehre,
-in spterer pythagoreischer, neuplatonischer oder christlicher
-Bearbeitung. Platon wird in den syrischen Klstern sogar zu einem
-orientalischen Mnch, der sich eine Zelle im Herzen der Wildnis
-erbaute, weitab von den Wohnsitzen der Menschen, und dort, nach
-dreijhrigem Schweigen und Grbeln ber einen Bibelvers, die gttliche
-Dreieinigkeit erkannt haben soll.
-
-Dazu kam denn als Zweites die Logik des Aristoteles. Aristoteles war
-den Syrern, wie lngere Zeit auch den Arabern, fast nur als Logiker
-allgemein bekannt. Die Bekanntschaft erstreckte sich, hnlich wie in
-der Frhscholastik des Abendlandes, auf Kategorien, Hermeneutik und
-erste Analytik bis zu den kategorischen Figuren. Der Logik bedurfte
-man schon, um die Schriften griechischer Kirchenlehrer zu verstehen,
-da dieselben, wenigstens formal, davon beeinflusst waren. Wie man aber
-die Logik nicht vollstndig hatte, so besa man sie auch nicht rein,
-sondern in neuplatonischer berarbeitung, wie z. B. ersichtlich ist aus
-dem Werke des Paulus Persa, welches in syrischer Sprache fr Chosrau
-Anoscharwan geschrieben wurde. Es wird darin das Wissen ber den
-Glauben gestellt und die Philosophie definiert als die Selbstbesinnung
-der Seele auf ihr inneres Wesen, in dem sie, gleichsam wie ein Gott,
-alle Dinge erblickt.
-
-8. Was die Araber den Syrern verdanken, spricht sich u. a. darin
-aus, dass arabische Gelehrte das Syrische fr die lteste oder
-richtige (natrliche) Sprache hielten. Zwar haben die Syrer
-Selbstndiges nicht geschaffen, aber ihre bersetzerthtigkeit
-kam der arabisch-persischen Wissenschaft zu gute. Es sind fast
-ohne Ausnahme Syrer gewesen, die vom 8. bis 10. Jahrhundert aus
-den lteren oder den von ihnen teils verbesserten, teils neu
-veranstalteten syrischen bersetzungen die griechischen Werke ins
-Arabische bertrugen. Schon der omajjadische Prinz Chalid ibn Jezid
-(gest. 704), der sich unter Leitung eines christlichen Mnches mit der
-Alchemie befasste, soll bersetzungen alchemistischer Werke aus dem
-Griechischen ins Arabische veranstaltet haben. Sprichwrter, Gnomen,
-Briefe, Testamente, berhaupt Philosophiegeschichtliches, wurden
-schon frh gesammelt und bersetzt. Aber erst unter Mansur wurde
-damit angefangen, naturwissenschaftlich-medizinische und logische
-Schriften der Griechen, zum Teil aus dem Pahlawi, ins Arabische
-zu bertragen. Besonders beteiligte sich daran Ibn al-Moqaffa, ein
-Anhnger des persischen Dualismus, von dem die Spteren sich durch
-ihre Terminologie unterschieden haben sollen. Es ist uns aber von
-seinen philosophischen bersetzungen nichts erhalten. Auch anderes aus
-dem achten Jahrhundert ist verloren gegangen; erst aus dem neunten
-Jahrhundert, aus der Zeit Mamuns und seiner Nachfolger, ist einiges
-bersetzte auf uns gekommen.
-
-Die bersetzer des neunten Jahrhunderts waren meistens Mediziner
-und nach Ptolomus und Euklid wurden Hippokrat und Galen mit
-am ersten bertragen. Beschrnken wir uns auf die Philosophie
-im engeren Sinne. Von Juhanna oder Jachja ibn Bitriq (Anfang des
-neunten Jahrhunderts) soll eine bersetzung des platonischen Timus
-herrhren, ferner Aristoteles' Meteorologie, das Buch der Tiere,
-ein Auszug aus der Psychologie und die Schrift ber die Welt. Dem
-Abdalmasich ibn Abdallah Naima al-Himsi (um 835) wird zugeschrieben
-eine bertragung der aristotelischen Sophistik, dazu des Johannes
-Philoponus Kommentar zur Physik und die sogenannte Theologie des
-Aristoteles, ein paraphrastischer Auszug aus Plotin's Enneaden. Qosta
-ibn Luqa al-Balabakki (um 835) soll bersetzt haben Alexanders von
-Aphrodisias und Johannes Philoponus' Kommentare zur aristotelischen
-Physik, zum Teil Alexanders Kommentar zu de generatione et corruptione,
-dazu Pseudo-Plutarchs placita philosophorum u. A.
-
-Die fruchtbarsten bersetzer waren Abu Zaid Honain ibn Ishaq
-(809?-873), dessen Sohn Ishaq ibn Honain (gest. 910 oder 911) und Neffe
-Hobaisch ibn al-Hasan. Da sie zusammen arbeiteten, gibt es vieles, das
-bald dem Einen, bald dem Anderen zugeschrieben wird. Manches wird unter
-ihrer Aufsicht von Schlern und Untergebenen angefertigt sein. Ihre
-Thtigkeit dehnte sich auf den ganzen Umfang der damaligen Wissenschaft
-aus. lteres wurde verbessert, Neues hinzugefgt. Der Vater bersetzte
-vorzugsweise Medizinisches, der Sohn aber mehr Philosophisches.
-
-Im zehnten Jahrhundert dauerte noch die Arbeit der bersetzer fort. Es
-zeichneten sich besonders aus Abu Bischr Matta ibn Junus al-Qannai
-(gest. 940), Abu Zakarija Jachja ibn Adi al-Mantiqi (gest. 974) und Abu
-Ali Isa ibn Ishaq ibn Zura (gest. 1008). Endlich Abu-l-Chair al-Hasan
-ibn al-Chammar (geb. 942), ein Schler des Jachja ibn Adi, von dem,
-ausser bersetzungen, Kommentaren u. s. w., auch eine Schrift ber
-die bereinstimmung zwischen Philosophie und Christentum genannt wird.
-
-Die Thtigkeit der bersetzer seit Honain ibn Ishaq beschrnkte sich
-fast ganz auf die aristotelischen und pseudo-aristotelischen Schriften,
-deren Auszge, Paraphrasen und Kommentare.
-
-9. Als besonders groe Philosophen sind diese bersetzer nicht
-anzusehen. Selten arbeiteten sie spontan, fast immer im Dienste eines
-Chalifen, eines Wezirs, oder eines anderen vornehmen Mannes. Auer
-ihrem Fachstudium, gewhnlich der Medizin, interessierte sie hchstens
-die Weisheit: schne Geschichten mit moralischer Anwendung, Anekdtchen
-und Sprche. Was wir uns im Verkehr, in der Erzhlung oder auf der
-Bhne nur als Eigentmlichkeit gewisser Personen gefallen lassen, wurde
-von jenen Biedermnnern ihres weisen Inhalts oder vielleicht auch nur
-schnrednerischen Prunkes wegen bewundert und gesammelt. In der Regel
-blieben sie dem vterlichen Christenglauben treu. Charakteristisch
-fr ihre Auffassung und den Freisinn der Chalifen ist es, was die
-berlieferung in Bezug auf Ibn Dschibril berichtet. Als Mansur ihn
-zum Islam bekehren wollte, soll er gesagt haben: "Im Glauben meiner
-Vter werde ich sterben, wo sie sind, wnsche ich auch zu sein,
-sei's nun im Himmel oder in der Hlle." Da lchelte der Chalif und
-entlie ihn reich beschenkt.
-
-Von selbstndigen Schriften dieser Mnner hat sich nur weniges
-gerettet. Eine kleine Abhandlung des Qosta ibn Luqa ber den
-Unterschied zwischen Seele und Geist (pneuma, ruh), in lateinischer
-bersetzung erhalten, ist viel genannt und benutzt worden. Der Geist
-ist danach ein feiner Krper, der von der linken Herzkammer aus den
-menschlichen Leib belebt und darin Bewegung und Wahrnehmung bewirkt. Je
-feiner und klarer dieser Geist, um so vernnftiger denkt und handelt
-auch der Mensch. Darber sind sich Alle einig. Schwieriger aber ist es,
-etwas Sicheres und Allgemeingltiges ber die Seele auszusagen. Die
-Aussprche der grten Philosophen sind zum Teil verschieden, zum
-Teil einander widersprechend. Jedenfalls ist die Seele unkrperlich,
-weil sie Qualitten, und zwar die entgegengesetzten zugleich, in
-sich aufnimmt. Sie ist einfach, unvernderlich und vergeht nicht, wie
-der Geist, mit dem Krper; der Geist vermittelt nur zwischen beiden,
-ist also secundre Ursache der Bewegung und Wahrnehmung.
-
-Was hier in Bezug auf die Seele behauptet wird, finden wir bei
-vielen Spteren. Nur wird allmhlich, je mehr die aristotelische
-Philosophie platonische Ansichten in den Hintergrund drngt, ein
-anderes Gegensatzpaar in das volle Licht gerckt. Von der Bedeutung
-des Lebensgeistes (ruh) reden nur noch die Mediziner. Die Philosophen
-stellen Seele und Geist oder Vernunft (nous, `aql) zusammen. Die Seele
-wird nun ins Vergngliche, mitunter sogar nach gnostischer Art in das
-niedere, bse Bereich der Begierden herabgezogen. ber sie erhebt sich,
-als das Hchste, das Unvergngliche im Menschen, der vernnftige Geist.
-
-Mit dieser Bemerkung greifen wir aber der Geschichte vor. Kehren wir
-zu unseren bersetzern zurck.
-
-10. Das Wertvollste, was der griechische Geist an Kunst, Poesie
-und Geschichtschreibung uns hinterlassen hat, ist den Orientalen
-niemals zugnglich geworden. Es htte bei ihnen auch schwerlich
-Verstndnis gefunden. Dafr fehlte eben der Geschmack und die
-Kenntnis griechischen Lebens. Mit dem sagenumstrahlten Alexander dem
-Groen fing ihnen die Geschichte Griechenlands erst an, und es wird
-der Aufnahme aristotelischer Philosophie am muslimischen Hofe die
-Stellung des Aristoteles zum grten Frsten des Altertums gewiss
-frderlich gewesen sein. Die arabischen Geschichtschreiber zhlten
-die griechischen Frsten bis auf Kleopatra und weiter die rmischen
-Kaiser auf, aber ein Thukydides z. B. war ihnen nicht einmal dem
-Namen nach bekannt. Von Homeros haben sie nicht viel mehr als den
-Satz, dass Einer Herrscher sein solle, aufgenommen. Von den groen
-griechischen Dramatikern und Lyrikern haben sie keine Ahnung. Nur
-durch seine Mathematik, Naturwissenschaft und Philosophie hat
-das griechische Altertum auf sie gewirkt. Von der Entwicklung der
-griechischen Philosophie hat man aus Plutarch, Porphyr u. A., sowie
-aus den Schriften des Aristoteles und Galen einiges erfahren. Es hat
-sich aber daran viel Sagenhaftes gehngt, und was im Orient ber die
-Lehren der vorsokratischen Philosophen berichtet worden, lsst uns
-nur schlieen auf die Pseudepigraphen, aus denen man schpfte, oder
-vielleicht auch auf die im Osten selbst ausgebildeten Ansichten, die
-man mit der Autoritt alter griechischer Weisen zu sttzen suchte. Doch
-ist bei Allem immer zunchst an ein griechisches Original zu denken.
-
-11. Im allgemeinen lsst sich behaupten, dass die Syrer-Araber den
-Faden der Philosophie dort aufnahmen, wo ihn die letzten Griechen
-hatten fallen lassen, d. h. bei der neuplatonischen Auslegung des
-Aristoteles, neben dem auch die platonischen Schriften gelesen
-und erlutert wurden. Unter den Harraniern und lange Zeit bei
-einigen muslimischen Sekten blhten am meisten die platonischen oder
-pythagoreisch-platonischen Studien, zu denen sich viel Stoisches und
-Neuplatonisches gesellte. Man interessierte sich auerordentlich fr
-das Schicksal des Sokrates, der im heidnischen Athen als ein Mrtyrer
-seines Vernunftglaubens fiel. Mchtig wirkte die platonische Seelen-
-und Naturlehre. Das pythische "Erkenne dich selbst", als Motto der
-sokratischen Weisheit berliefert und neuplatonisch gedeutet, wurde von
-den Muslimen dem Ali, Mohammeds Schwiegersohn, oder gar dem Propheten
-selbst in den Mund gelegt. Wer sich selbst erkennt, erkennt damit Gott,
-seinen Herrn, das wurde der Text fr allerhand mystische Spekulationen.
-
-In medizinischen Kreisen und am weltlichen Hofe wurden immer mehr die
-Werke des Aristoteles bevorzugt. Zunchst freilich nur die Logik und
-einzelnes aus den physischen Schriften. Die Logik, so glaubte man,
-sei das einzige Neue, was der Stagirite erfunden; in allen anderen
-Wissenschaften stimme er aber durchaus mit Pythagoras, Empedokles,
-Anaxagoras, Sokrates und Platon berein. Die christlichen und sabischen
-bersetzer und die von ihnen beeinflussten Kreise holten sich deshalb
-unbedenklich psychologisch-ethische, politische und metaphysische
-Belehrung bei den voraristotelischen Weisen.
-
-Was den Namen des Empedokles, Pythagoras u. A. trug, war natrlich
-unecht. Ihre Weisheit wird entweder auf Hermes oder andere,
-orientalische Weisen zurckgefhrt. So soll Empedokles ein Schler
-Knig Davids, nachher des Weisen Loqman gewesen, Pythagoras aus der
-salomonischen Schule hervorgegangen sein u. s. w. Schriften, die in
-den arabischen Werken als sokratisch zitiert werden, sind, insofern sie
-echt, platonische Dialoge, in denen Sokrates auftritt. Von Platon hat
-man, auer unechten Schriften, mehr oder weniger umfangreich angefhrt:
-die Apologie, Kriton, den Sophisten, Phdrus, die Republik, Phdon,
-Timus und die Gesetze. Das heit aber nicht, dass dies Alles in
-vollstndiger bersetzung vorgelegen habe.
-
-Soviel ist sicher, Aristoteles war nicht von Anfang an
-Alleinherrscher. Platon, wie man ihn verstand, lehrte die Weltschpfung
-und die geistige Substantialitt und Unsterblichkeit der Seele: das
-schadete dem Glauben nicht. Aristoteles aber, mit seiner Lehre von
-der Ewigkeit der Welt und einer weniger spiritualistischen Psychologie
-und Ethik, wurde als gefhrlich betrachtet. Muslimische Theologen des
-neunten und zehnten Jahrhunderts aus verschiedenen Lagern schrieben
-deshalb gegen Aristoteles. Doch die Verhltnisse nderten sich. Bald
-gab es Philosophen, die die platonische Lehre von der Einen Weltseele,
-von der die menschlichen Seelen nur endliche Teile seien, verwarfen und
-beim Aristoteles, der der Einzelsubstanz so groe Bedeutung beilegte,
-Grnde suchten fr ihre Unsterblichkeitshoffnung.
-
-12. Wie man in der ltesten Zeit den Aristoteles auffassen musste,
-zeigen uns am besten die ihm untergeschobenen Schriften. Denn nicht
-nur bekam man seine echten Werke mit neuplatonischen Erluterungen
-dazu, nicht nur wurde die Schrift "ber die Welt" unbedenklich
-als aristotelisch anerkannt, sondern er wurde auch als der Urheber
-betrachtet von vielen sptgriechischen Erzeugnissen, in denen ein
-pythagoreisierender Platonismus oder Neuplatonismus, oder gar ein
-wster Synkretismus ganz offen gelehrt wurde.
-
-Als erstes Beispiel sei hier genannt das "Buch vom Apfel" [6], darin
-Aristoteles dieselbe Rolle spielt wie Sokrates in Platon's Phdon. Als
-nmlich der Philosoph seinem Ende nahe, besuchen ihn einige Schler,
-die ihn frohen Mutes finden, was sie veranlasst, Belehrung ber das
-Wesen und die Unsterblichkeit der Seele von ihrem hinscheidenden
-Meister zu erbitten. Dieser fhrt darauf etwa folgendes aus: Das
-Wesen der Seele besteht in Wissen, und zwar in seiner hchsten Form,
-der Philosophie. Eine vollkommene Erkenntnis der Wahrheit ist deshalb
-die Seligkeit, die nach dem Tode der wissenden Seele bevorsteht. Und
-wie das Wissen mit hherer Erkenntnis belohnt wird, so besteht die
-Strafe fr Nichtwissen in tieferer Unwissenheit. Es gibt ja berhaupt
-im Himmel und auf Erden nichts anderes als Wissen und Nichtwissen
-und die Vergeltung, die beide in sich selbst finden. Auch ist weder
-die Tugend wesentlich vom Wissen verschieden, noch das Laster vom
-Nichtwissen: sie verhalten sich zu einander hnlich wie das Wasser
-zum Eise, in verschiedener Form dasselbe.
-
-Im Wissen, dem gttlichen Wesen der Seele, findet diese naturgem
-ihre einzige wahre Freude, nicht aber in Essen und Trinken und
-sinnlicher Lust. Denn die Sinnenlust ist eine Flamme, die blo
-auf kurze Zeit erwrmt; reines Licht aber, das weithin leuchtet,
-ist die denkende Seele, die ihre Erlsung aus der dunklen Sinnenwelt
-herbeisehnt. Darum frchtet der Philosoph den Tod nicht, sondern tritt
-ihm freudig entgegen, wenn die Gottheit ruft. Der Genuss, den ihm sein
-beschrnktes Wissen hier bietet, ist ihm eine Gewhr fr die Wonne,
-die die Enthllung des groen Unbekannten ihm verschaffen wird. Etwas
-davon wei er ja jetzt schon, denn nur durch die Erkenntnis des
-Unsichtbaren ist die richtige Schtzung des Sinnenflligen, deren er
-sich rhmen darf, berhaupt mglich. Wer sein Selbst in diesem Leben
-erkennt, besitzt gerade in dieser Selbsterkenntnis die Gewissheit,
-alle Dinge mit ewigem Wissen zu umfassen, d. h. unsterblich zu sein.
-
-13. Zweitens sei die sogenannte "Theologie des Aristoteles" erwhnt. Es
-wird darin der gttliche Platon als der Idealmensch hingestellt,
-der durch ein intuitives Denken alle Dinge erkennt und also der
-logischen Hilfsmittel des Aristoteles nicht bedarf. Ja, die hchste
-Wirklichkeit, das absolute Sein, wird nicht durch Denken, sondern
-nur in einem ekstatischen Schauen ergriffen. "fter war ich," so
-redet hier Aristoteles-Plotin, "mit meiner Seele allein. Des Leibes
-entkleidet trat ich, reine Substanz, in mein Selbst hinein, von
-allem usseren zum Inneren zurckkehrend. Reines Wissen war ich da,
-Wissendes und Gewusstes zugleich. Wie wunderte ich mich, dass ich
-in meinem Selbst Schnheit und Glanz erblickte und mich als einen
-Teil der erhabenen gttlichen Welt erkannte, selbst mit schaffendem
-Leben begabt. In dieser Selbstgewissheit erhob ich mich ber die Welt
-der Sinne, ja ber die Geisterwelt empor zu dem gttlichen Stande,
-wo ich solch schnes Licht schaute, dass es keine Zunge aussprechen,
-kein Ohr vernehmen knnte."
-
-Im Mittelpunkte der Errterungen steht auch in der Theologie die
-Seele. Alle wahre menschliche Wissenschaft ist Wissenschaft der Seele,
-Selbsterkenntnis, und zwar an erster Stelle Kenntnis des Wesens,
-hernach, aber weniger vollstndig, der Wirkungen dieses Wesens. In
-solcher Erkenntnis, zu der nur uerst wenige gelangen, besteht die
-hchste Weisheit, die sich in Begriffe nicht vollkommen fassen lsst,
-und die deshalb der Philosoph als weiser Knstler und Gesetzgeber
-in ewig schnen Bildern zur Darstellung bringt, uns Menschen zum
-Gottesdienste. Es zeigt sich eben darin der Weise als der berlegene,
-selbstgengsame Zauberer, dessen Wissen die Menge beherrscht, weil
-diese im Banne der Dinge, der Vorstellungen und Begierden immer
-gefesselt bleibt.
-
-Die Seele steht in der Mitte des Alls. ber ihr sind Gott und der
-Geist, unter ihr die Materie und die Natur. Ihr Kommen aus Gott
-durch den Geist in die Materie, ihre Gegenwart im Krper, ihre
-Rckkehr nach oben, in diesen drei Stadien verluft ihr Leben und
-das der Welt. Materie und Natur, Sinneswahrnehmung und Vorstellung
-verlieren hier fast ganz ihre Bedeutung. Alles ist vom Geist (nous,
-`aql), der Geist ist alle Dinge und im Geiste ist alles Eins. Auch
-die Seele ist Geist, freilich, solange sie in ihrem Krper weilt,
-Geist in Hoffnung, Geist in der Form der Sehnsucht. Sie sehnt sich
-nach oben, nach den guten, seligen Gestirnen, die, ber Vorstellung
-und Strebung erhaben, ihre beschauliche Lichtexistenz fhren.
-
-Das ist nun der orientalische Aristoteles, wie ihn die ersten
-Peripatetiker im Islam anerkannten. [7]
-
-14. Dass die Orientalen sich nie zu einer reinen Auffassung der
-aristotelischen Philosophie durchgerungen haben, braucht uns
-nicht zu wundern. Die Mittel unserer Kritik, Echtes und Unechtes
-zu sondern, besaen sie nicht. Sich in die griechische Kulturwelt
-hineinzuleben, musste ihnen sogar schwerer fallen als den christlichen
-Gelehrten des Mittelalters, das den lebendigen Zusammenhang mit dem
-Altertum nie ganz verloren hatte. Man blieb im Osten abhngig von
-neuplatonischen Bearbeitungen und Erklrungen. Fehlte ein Teil des
-wissenschaftlichen Systems, z. B. die aristotelische Politik, so war
-es selbstverstndlich, dass die Gesetze oder der Staat Platons dafr
-eintraten. Nur wenigen kam der Unterschied Beider zum Bewusstsein.
-
-Es ist noch auf ein anderes Motiv zu achten. Schon in ihren
-neuplatonischen Quellen fanden die Muslime eine harmonisierende
-Auslegung der griechischen Philosophen vor, die sie wohl gezwungen
-waren, herberzunehmen. Die ersten Anhnger des Aristoteles
-mussten ja polemisch und apologetisch vorgehen. Entgegen oder
-neben der bereinstimmung der muslimischen Gemeinde brauchten sie
-eine einheitliche Philosophie, darin die Eine Wahrheit zu finden
-war. Dieselbe Verehrung, die Mohammed seinerzeit den heiligen
-Schriften der Juden und Christen gezollt hatte, fand sich spter
-bei muslimischen Gelehrten in Bezug auf die Werke griechischer
-Wissenschaft. Nur zeigten die Gelehrten eine grere Vertrautheit mit
-ihren Vorbildern und geringere Originalitt. Die alten Philosophen
-erhielten fr sie eine Autoritt, der man sich zu fgen hatte. Die
-ersten muslimischen Denker waren von der berlegenheit griechischen
-Wissens derart berzeugt, dass sie nicht daran zweifelten, es habe die
-hchste Stufe der Gewissheit erreicht. Selbstndig weiter zu forschen,
-war ein Gedanke, der nicht leicht aufkam im Gehirn des Orientalen,
-der sich einen Menschen ohne Lehrer nur als einen Schler Satans
-vorzustellen vermag. Nach dem Vorgange hellenistischer Philosophen
-musste also der Versuch gemacht werden, zwischen Platon und Aristoteles
-die bereinstimmung nachzuweisen, und besonders diejenigen Lehren,
-welche Ansto erregten, entweder stillschweigend zu beseitigen oder
-in einem, der muslimischen Dogmatik nicht zu stark widerstreitenden
-Sinne darzustellen. Den Gegnern des Aristoteles oder der Philosophie
-berhaupt zu gefallen, hob man weise und erbauliche Sprche aus
-echten und unechten Werken des Philosophen hervor, um auf diese
-Weise der Aufnahme seiner wissenschaftlichen Gedanken den Weg zu
-bereiten. Den Eingeweihten aber wurde die Lehre des Aristoteles,
-wie diejenige anderer Schulen und Sekten, als eine hhere Wahrheit
-hingestellt, zu der der positive Glaube der Menge und das mehr oder
-weniger begrndete System der Theologen die Vorstufen bilden sollten.
-
-15. Ein vom Bestande der bersetzten griechischen Werke abhngiger
-Eklektizismus ist die muslimische Philosophie immer geblieben. Der
-Verlauf ihrer Geschichte ist mehr ein Verdauungs- als ein
-Zeugungsprozess. Weder durch das Aufzeigen neuer Probleme noch
-durch eigentmliche Versuche, alte Fragen zu lsen, hat sie sich
-bedeutend hervorgethan. Wichtige Fortschritte des Denkens hat sie
-also nicht zu verzeichnen. Dennoch hat sie, historisch betrachtet,
-eine weit grere Bedeutung, als die einer bloen Vermittlerin
-zwischen dem Altertum und der christlichen Scholastik. Die Aufnahme
-griechischer Ideen in die Mischkultur des Orients zu verfolgen, hat
-an sich als Gegenstand geschichtlichen Interesses einen ganz eigenen
-Reiz, zumal, wenn man dabei vergessen kann, dass es einmal Griechen
-gegeben. Wichtig wird aber auch die Betrachtung dieses Ereignisses,
-wenn es zu Vergleichen mit anderen Kulturen Veranlassung bietet. Die
-Philosophie ist eine so einzigartige, selbstndig auf griechischem
-Boden erwachsene Erscheinung, dass man sie als den Bedingungen des
-allgemeinen Kulturlebens berhoben ansehen knnte, um sie rein aus sich
-selbst heraus zu erklren. Die Geschichte der Philosophie im Islam
-ist nun schon deshalb wertvoll, weil sich in ihr der erste Versuch
-darstellt, in grerem Umfange und mit grerer Freiheit als es in
-der altchristlichen Dogmatik geschehen, die Ergebnisse griechischen
-Denkens sich anzueignen. Die Erkenntnis der Bedingungen, die solches
-ermglichten, wird uns, wenn auch mit Vorsicht und vorlufig wenigstens
-in sehr beschrnktem Mae, Analogieschlsse gestatten auf die Rezeption
-der griechisch-arabischen Wissenschaft im christlichen Mittelalter,
-und vielleicht ein wenig belehren ber die Bedingungen, unter denen
-Philosophie berhaupt entsteht.
-
-Von einer muslimischen Philosophie ist eigentlich kaum zu reden. Aber
-es hat im Islam viele Mnner gegeben, die nicht davon lassen konnten,
-zu philosophieren. Durch die griechischen Falten hindurch zeigt sich
-doch die Form ihrer eigenen Glieder. Es ist leicht, von der hohen Warte
-irgend einer Schulphilosophie auf jene Mnner herabzublicken. Besser
-aber wird es fr uns sein, sie kennen und in ihrer historischen
-Bedingtheit begreifen zu lernen. Wir mssen es der Einzelforschung
-berlassen, der Herkunft jedes Gedankens nachzugehen. Unser Zweck
-kann es nur sein im folgenden zu zeigen, was die Muslime aus dem
-vorgefundenen Materiale aufgebaut haben.
-
-
-
-
-
-
-
-
-II. PHILOSOPHIE UND ARABISCHES WISSEN.
-
-
-1. Die Sprachwissenschaft.
-
-1. Von muslimischen Gelehrten des zehnten Jahrhunderts wurden
-die Wissenschaften in arabische und in alte oder nichtarabische
-eingeteilt. Zu den ersteren gehrten Sprachwissenschaft, Pflichten-
-und Glaubenslehre, Litteraturkenntnis und Geschichte; zu den letzteren
-die philosophischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen
-Disziplinen. Im groen Ganzen ist die Einteilung richtig. Die
-letztgenannten Fcher sind nicht nur am meisten von fremden Einflssen
-bestimmt, sondern auch nie recht populr geworden. Doch sind auch die
-sogenannten arabischen Wissenschaften nicht ganz rein einheimische
-Schpfungen. Auch sie sind entstanden oder ausgebildet, wo im
-muslimischen Reiche Araber und Nichtaraber zusammentrafen und das
-Bedrfnis erwachte, ber die den Menschen nchstliegenden Gegenstnde,
-Sprache und Poesie, Recht und Religion, sofern sich darin Unterschiede
-oder Unzulnglichkeiten zeigten, nachzudenken. In der Weise, wie
-dieses geschah, sprt man deutlich den Einfluss von Nichtarabern,
-namentlich Persern, und immer bedeutender macht sich auch dabei die
-Einwirkung griechischer Philosophie geltend.
-
-2. Die arabische Sprache, an deren Wortflle, Formenreichtum und
-innerer Bildungsfhigkeit die Araber selbst sich besonders erfreuten,
-eignete sich vorzglich zu einer Weltstellung. Besonders zeichnet
-sie sich, wenn man sie z. B. mit der schwerflligen lateinischen
-oder auch mit der schwlstigen persischen vergleicht, durch kurze
-Abstraktbildungen aus, was dem wissenschaftlichen Ausdrucke zu gute
-kam. Sie ist der feinsten Nuancierung fhig, verfhrt aber auch durch
-eine reichentwickelte Synonymik dazu, von der aristotelischen Regel,
-dass in der strengen Wissenschaft der Gebrauch von Synonymen nicht
-zulssig sei, abzuweichen.
-
-Eine so elegante, ausdrucksfhige, aber schwierige Sprache, wie es
-die arabische war, musste, als sie die Bildungssprache der Syrer und
-Perser geworden, zu manchen Betrachtungen Veranlassung bieten. Vor
-allem machte das Studium des Korans, dessen Vortrag und Auslegung,
-eine eingehende Beschftigung mit der Sprache notwendig. Unglubige
-glaubten auch wohl, im heiligen Buche Sprachfehler nachweisen zu
-knnen. Man sammelte also aus alten Gedichten und der lebendigen
-Beduinensprache Beispiele, um die koranischen Ausdrcke zu belegen,
-woran sich wohl Bemerkungen ber Sprachrichtigkeit im allgemeinen
-anschlossen. Im ganzen war der lebendige Brauch die Richtschnur, aber
-um die Autoritt des Korans zu retten, ging es dabei gewiss nicht
-ohne Knsteleien ab. Den einfachen Glubigen war dieses Verfahren
-immerhin etwas bedenklich. Masudi erzhlt uns noch von einigen
-Grammatikern aus Basra, die auf einer Lustfahrt einen koranischen
-Imperativ durchconjugierten und deshalb (?) von den mit Dattelpflcken
-beschftigten Landleuten durchgeprgelt wurden.
-
-3. Die Araber fhren die Sprachwissenschaft, wie so vieles Andere,
-auf Ali zurck, dem sogar die aristotelische Dreiteilung der Rede
-zugeschrieben wird. In Wirklichkeit sind die Anfnge in Basra und Kufa
-gemacht worden. Die erste Entwicklung liegt im Dunkeln, denn in der
-Grammatik des Sibawaih (gest. 786) haben wir eine fertige Gestalt, ein
-Riesenwerk, das, wie nachher Ibn Sina's Kanon der Medizin, die spteren
-Geschlechter sich nur als das Erzeugnis vieler zusammenarbeitender
-Gelehrten erklren konnten. Auch ber die Unterschiede zwischen
-den Schulen von Basra und Kufa sind wir schlecht unterrichtet. Die
-Basrenser, wie spter die Schule von Bagdad, sollen dem Qijas (der
-Analogie) einen groen Einfluss auf die Beurteilung sprachlicher
-Erscheinungen eingerumt haben, whrend die Kufenser viele vom Qijas
-abweichende Spracheigenheiten fr erlaubt hielten. Im Gegensatze zu
-den kufischen Grammatikern wurden aus dem Grunde die anderen Leute der
-Logik genannt. Ihre Terminologie wich von der kufischen im einzelnen
-ab. Viele, denen nach Ansicht der echten Araber die Logik den Kopf
-verdreht hatte, werden in der Meisterung der Sprache entschieden zu
-weit gegangen sein. Andererseits aber wurde die Willkr zur Regel
-erhoben.
-
-Dass die Schule von Basra sich zuerst logischer Hilfsmittel bediente,
-wre kein Zufall. berhaupt zeigte sich in Basra am ersten der Einfluss
-philosophischer Lehren, und unter ihren Grammatikern befanden sich
-viele Schiiten und Mutaziliten, die auch auf ihre Glaubenslehren
-einzuwirken fremder Weisheit gerne gestatteten.
-
-4. Die Sprachwissenschaft, sofern sie nicht, von Gegenstnden bestimmt,
-auf Sammlung von Beispielen, Synonymen u. s. w. sich beschrnkte, wurde
-von der aristotelischen Logik beeinflusst. Syrer und Perser hatten
-schon vor muslimischer Zeit die Schrift peri hermneias, mit stoischen
-und neuplatonischen Zustzen, studiert. Ibn al-Moqaffa, der anfangs
-mit dem Grammatiker Chalil (s. unten) befreundet war, machte dann
-Alles, was sich sprachlich-logisches im Pahlawi vorfand, den Arabern
-zugnglich. Es wurden darnach die Satzarten, bald fnf, bald acht
-oder neun, und die drei Redeteile, Nomen, Verbum und Partikel,
-aufgezhlt. In der Folgezeit nahmen einige, wie Dschahiz, unter
-die rhetorischen Figuren auch Schlussfiguren der Logik auf. Und in
-spteren Darstellungen wurde viel ber Laut und Begriff gestritten
-und die Frage errtert, ob die Sprache durch Satzung oder von Natur
-sei. Allmhlich gewann die philosophische Ansicht, sie sei durch
-Satzung, das bergewicht.
-
-Neben der Logik kommt hier noch der Einfluss der propdeutischen
-oder mathematischen Wissenschaften in Betracht. Wie die Prosa des
-Verkehrs und die Reime des Korans wurden die Verse der Dichter
-nicht blo gesammelt, sondern auch nach bestimmten Gesichtspunkten,
-unter denen das Metrum, geordnet. Nach der Grammatik entstand die
-Metrik. Chalil (gest. 791), der Lehrer Sibawaih's, dem man die
-erste Anwendung des Qijas in der Sprachwissenschaft zuschreibt,
-soll auch die Metrik erfunden haben. Whrend man die Sprache als das
-nationale, conventionelle Element in der Poesie anzusehen lernte,
-glaubte man im Metrum das natrliche, allen Vlkern gemeinsame
-zu finden. Thabit ibn Qorra (836-901) behauptete darum in seiner
-Anordnung der Wissenschaften, das Metrum sei etwas Wesentliches, die
-Metrik eine natrliche Wissenschaft, sie gehre somit zur Philosophie.
-
-5. Trotz alledem behielt die Sprachwissenschaft, die sich auf das
-Arabische beschrnkte, ihre Eigentmlichkeiten, auf die hier einzugehen
-nicht am Platze ist. Jedenfalls ist sie eine groartige Schpfung des
-fein beobachtenden und fleiig sammelnden arabischen Geistes, darauf
-die Araber stolz sein durften. Ein Apologet des zehnten Jahrhunderts,
-der sich gegen die griechische Philosophie wendet, sagte: "Wer die
-Feinheiten und Tiefen der arabischen Poesie und Metrik kennt, der wei,
-dass sie alles dasjenige bertrifft, was die Leute als Beweise fr
-ihre Meinungen anzufhren pflegen, welche in dem Wahne leben, dass
-sie die Wesenheiten der Dinge zu erkennen im Stande sind: Zahlen,
-Linien und Punkte. Ich kann den Nutzen dieser Dinge nicht einsehen,
-es sei denn, dass sie trotz des geringen Nutzens, den sie bringen,
-den Glauben schdigen und Dinge im Gefolge haben, gegen welche
-wir Gottes Beistand anrufen." Man wollte sich seine Freude an den
-Einzelheiten der Sprache durch allgemeine philosophische Spekulationen
-nicht trben lassen. Manche Wortbildung, von den bersetzern fremder
-Werke herrhrend, wurde als barbarisch von puristischen Sprachlehrern
-verabscheut. Und weitere Verbreitung als die wissenschaftliche
-Sprachforschung fand die schne Kunst der Kalligraphie, die sich,
-wie die arabische Kunst berhaupt, mehr dekorativ als konstruktiv, in
-edlen, feinen Formen entwickelte. In den Schriftzgen der arabischen
-Sprache zeigt sich uns noch die Subtilitt des Geistes, der sie
-gebildet, zugleich aber auch ein Mangel an Energie, der sich in der
-ganzen Entwicklung arabischer Kultur bemerklich gemacht hat.
-
-
-
-
-2. Die Pflichtenlehre.
-
-1. Der glubige Muslim hatte, sofern nicht das Herkommen seine
-Herrschaft behauptete, anfangs als Richtschnur seines Handelns und
-Urteilens das Wort Gottes und das Beispiel seines Propheten. Nachdem
-dieser gestorben war, folgte man, falls der Koran keine Auskunft
-erteilte, der Sunna Mohammeds, d. h. man that und entschied, wie der
-berlieferung seiner Genossen nach Mohammed entschieden oder gehandelt
-hatte. Aber seit der Eroberung alter Kulturlnder traten an den Islam
-ganz neue Ansprche heran. Statt der einfachen Verhltnisse arabischen
-Lebens fanden sich dort Gewohnheiten und Einrichtungen vor, fr die das
-heilige Gesetz keine Bestimmung bot und noch keine Tradition vorhanden
-oder ausgedeutet war. Jeden Tag huften sich also die Einzelflle,
-die nicht vorgesehen waren, und die man, sei es nach dem Herkommen
-oder nach eigenem Gutdnken beurteilen musste. In den altrmischen
-Provinzen, Syrien und Mesopotamien, wird dabei das rmische Recht
-noch lange Zeit eine bedeutende Wirkung ausgebt haben.
-
-Diejenigen Rechtslehrer nun, welche neben Koran und Sunna der
-eigenen Ansicht (ra'j, opinio) einen bestimmenden Einfluss auf das
-Recht zuerkannten, wurden Anhnger des Raj genannt. Als solcher
-ist besonders bekannt geworden Abu Hanifa von Kufa (gest. 767),
-der Stifter der hanefitischen Schule. Aber auch in Medina, vor und
-in der Schule des Malik (715-795) hat man anfangs ganz harmlos, wenn
-auch weniger weitgehend, dem Raj gehuldigt. Nur allmhlich hat sich,
-im Kampfe gegen das zu vielen Willkrlichkeiten Veranlassung gebende
-Raj, die Meinung vorgedrngt, es sei in Allem der Tradition (hadth)
-in Bezug auf die Sunna des Propheten zu folgen. Es wurden dann von
-berall her Traditionen gesammelt, gedeutet, auch massenhaft geflscht,
-und eine Lehre von den Kriterien ihrer Echtheit ausgebildet, die aber
-mehr auf die uere Bezeugung und die Zweckmigkeit des berlieferten
-als auf Folgerichtigkeit und historische Treue Gewicht legte. Infolge
-dieser Entwicklung standen jetzt den Leuten des Raj, die hauptschlich
-in Iraq (Babylonien) gefunden wurden, die Anhnger der Tradition
-von Medina entgegen. Auch Schafii (767-820), der Grnder der dritten
-Rechtsschule, der sich im allgemeinen an der Sunna hielt, wurde wohl
-im Gegensatz zu Abu Hanifa den Anhngern der Tradition beigezhlt.
-
-2. Ein neues Element brachte die Logik in diesen Streit hinein: das
-Qijas, die Analogie. Einzelne Qijase gab es natrlich schon frher,
-aber die Aufstellung des Qijas als eines Prinzipes, einer Grundlage
-oder Quelle des Rechtes setzt den Einfluss wissenschaftlicher Reflexion
-voraus. Wenn auch Raj und Qijas synonym gebraucht sein mgen, so
-haftet doch dem letzteren Ausdrucke weniger das Moment individueller
-Willkr an. Je mehr man sich daran gewhnte, bei sprachlich-logischen
-Untersuchungen das Qijas anzuwenden, um so leichter konnte man auch
-dieses Prinzip in die Grundlehre der Gesetzeskunde aufnehmen, sei es
-nun, dass man von Fall zu Fall und von der Mehrzahl der Flle auf
-die brigen (analogisch) schloss, oder aber fr verschiedene Flle
-einen gemeinsamen Grund aufsuchte, aus dem das Verhalten im Einzelfall
-(syllogistisch) abzuleiten wre. [8]
-
-Die Anwendung des Qijas scheint zunchst und zumeist in der
-hanefitischen, dann aber auch, obgleich in geringerem Umfange, in der
-schafiitischen Schule blich gewesen zu sein. Im Zusammenhang damit
-wurde die Frage, ob die Sprache das Allgemeine auszudrcken vermge
-oder blo das Besondere bezeichnen knne, fr die Pflichtenlehre
-von Bedeutung.
-
-Zu einem groen Ansehen hat das logische Prinzip des Qijas es
-nie gebracht. Vielmehr wurde, neben den historischen Grundlagen
-des Gesetzes, dem Koran und der Sunna, das Idschma d. h. die
-bereinstimmung der Gemeinde, betont. Die bereinstimmung der Gemeinde
-oder faktisch der einflussreichsten Gelehrten, die mit den Vtern
-und Lehrern der katholischen Kirche zu vergleichen sind, ist das
-dogmatische Prinzip, das, nur von wenigen angefochten, sich als das
-wichtigste Mittel zur Begrndung der muslimischen Pflichtenlehre
-erwiesen hat. Nach Koran, Sunna und Idschma rumt aber die Theorie
-immer noch, an vierter Stelle, dem Qijas einen untergeordneten
-Platz ein.
-
-3. Die muslimische Pflichtenlehre (al-fiqh = das Erkennen) umfasst
-das ganze Leben des Glubigen, dem der Glaube selbst an erster Stelle
-zur Pflicht gemacht wird. Anfangs stie sie, wie jede Neuigkeit, auf
-heftigen Widerstand. Gesetz ward hier zu Lehre, glubiger Gehorsam
-zu grbelndem Wissen. Das forderte Widerspruch heraus, von einfachen
-Frommen und klugen Politikern zugleich. Aber nach und nach wurden
-die Wissenden oder Gesetzesgelehrten (ulam, im Westen faqihs) als
-die Erben der Propheten anerkannt.
-
-Die Pflichtenlehre hat sich vor der Glaubenslehre entwickelt und
-auch immer bis heute den ersten Platz zu behaupten gewusst. Fast
-jeder Muslim wei etwas davon, weil es zur guten religisen Erziehung
-gehrt. Nach dem groen Kirchenvater Gazali ist das Fiqh das tgliche
-Brot glubiger Seelen, whrend die Glaubenslehre nur als Medizin fr
-Kranke einen Wert hat.
-
-Auf die fein ausgesponnene Kasuistik des Fiqh nher einzugehen,
-haben wir hier keine Veranlassung. Es handelt sich der Hauptsache
-nach um ein ideelles Recht, das in unserer mangelhaften Welt wohl nie
-rein zur Anwendung kommen kann. Seine Prinzipien und seine Stellung
-innerhalb des Islam kennen wir jetzt. Es sei nur noch die Einteilung
-der sittlichen Handlungen, wie die Pflichtenlehrer sie aufstellen,
-kurz erwhnt. Es gibt ihr zufolge 1. Handlungen, deren Ausbung
-unbedingte Pflicht ist und deshalb belohnt, deren Unterlassung
-bestraft wird; 2. gesetzlich anempfohlene Handlungen, die belohnt,
-deren Vernachlssigung aber nicht bestraft wird; 3. erlaubte,
-gesetzlich gleichgiltige Handlungen; 4. vom Gesetze missbilligte,
-aber nicht strafbare Handlungen; 5. gesetzlich verbotene Handlungen,
-die unbedingt Strafe fordern. [9]
-
-4. Die Einwirkung griechischer Philosopheme auf die Ethik im Islam
-ist eine zweifache gewesen. Bei vielen Sektierern und Mystikern,
-sowohl orthodoxen als hretischen, findet sich eine asketische Ethik
-von pythagoreisch-platonischer Frbung. Sie findet sich ebenso
-bei Philosophen, denen wir in der Folge noch begegnen werden. In
-orthodoxen Kreisen aber fand der aristotelische Satz, dass Tugend
-in der richtigen Mitte bestehe, viel Anklang, weil hnliches im
-Koran stand und berhaupt die Richtung des Islam eine katholische,
-die Gegenstze ausshnende war.
-
-Mehr wohl als die Ethik wurde im muslimischen Reiche die Politik
-gepflegt. Politische Parteikmpfe gaben zuerst Veranlassung zu
-Verschiedenheit der Meinungen. Streitigkeiten ber das Immat,
-d. h. die Herrschaft ber die muslimische Gemeinde, durchziehen die
-ganze Geschichte des Islam. Es handelt sich aber durchweg mehr um
-Fragen persnlicher und praktischer als solche theoretischer Bedeutung,
-weshalb eine Geschichte der Philosophie sie nicht eingehend zu
-bercksichtigen braucht. Philosophisch Wertvolles kommt kaum dabei
-heraus. Schon im Laufe der ersten Jahrhunderte entwickelte sich
-ein festes kanonisches Staatsrecht, das aber, hnlich der ideellen
-Pflichtenlehre, von starken Herrschern als theologische Grbelei
-nicht sonderlich beachtet wurde, dagegen von schwachen Frsten erst
-recht nicht zur Anwendung gebracht werden konnte.
-
-Ebensowenig verlohnt es sich, die vielen, besonders in Persien
-beliebten Frstenspiegel, an deren weisen Sittensprchen und
-politisch-klugen Maximen die hfischen Kreise sich erbauten, nher
-zu betrachten.
-
-Das Schwergewicht philosophischer Bestrebungen im Islam liegt auf der
-theoretischen, intellektuellen Seite. Mit den thatschlichen Vorgngen
-des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens wei man sich nur
-notdrftig abzufinden. Auch die Kunst der Muslime, obgleich sie viel
-mehr Originelles zeigt als ihre Wissenschaft, versteht es nicht, die
-sprden Stoffe zu beleben, sondern spielt mit zierlichen Formen. Die
-Poesie schafft kein Drama. Und ihre Philosophie ist nicht praktisch.
-
-
-
-
-3. Die Glaubenslehre.
-
-1. Im Koran war den Muslimen eine Religion, keine Lehre, Gesetze,
-aber keine Dogmen gegeben. Was sich darin der Logik widersetzte, was
-wir uns aus den wechselnden Lebensverhltnissen und den verschiedenen
-Stimmungen des Propheten erklren, wurde von den ersten Glubigen
-einfach hingenommen, ohne zu fragen nach dem Wie und Warum. In den
-eroberten Lndern aber fand man eine ausgebildete christliche Dogmatik,
-sowie zoroastrische und brahmanische Lehren vor. Wie viel die Muslime
-den Christen verdanken, haben wir schon fter betont. Die Glaubenslehre
-ist von christlichen Einflssen wohl am meisten bestimmt worden. In
-Damaskus wirkten orthodoxe und monophysitische Lehren, in Basra und
-Bagdad vielleicht mehr nestorianische und gnostische Theoreme auf
-die Bildung muslimischer Dogmen ein. Litterarisches hat sich aus
-der ersten Zeit dieser Bewegung wenig erhalten. Man wird sich aber
-nicht irren, wenn man dem persnlichen Verkehre und dem schulmigen
-Unterricht eine bedeutende Wirkung zuschreibt. Wie noch heute, lernte
-man damals im Orient nicht viel aus Bchern, sondern mehr aus dem Munde
-des Lehrers. Die hnlichkeit zwischen den ltesten Glaubenslehren im
-Islam und den Dogmen des Christentums ist zu gro, dass man einen
-direkten Zusammenhang leugnen knnte. Die erste Frage nmlich,
-ber die von muslimischen Gelehrten viel disputiert wurde, war die
-nach der Freiheit des Willens. Die Willensfreiheit nun wurde von den
-orientalischen Christen fast allgemein angenommen. Nie und nirgends hat
-man vielleicht ber das Willensproblem, in der Christologie zunchst,
-aber auch in der Anthropologie, so viel hin und her geredet, wie in den
-christlichen Kreisen des Ostens zur Zeit der muslimischen Eroberung.
-
-Auer diesen zum Teil apriorischen Erwgungen gibt es auch vereinzelte
-Notizen, die darauf hindeuten, dass einige von den ersten Muslimen,
-welche die Willensfreiheit lehrten, christliche Lehrer hatten.
-
-Schon aus den gnostischen Systemen, nachher aber aus der
-bersetzungslitteratur, gesellte sich zu den hellenistisch-christlichen
-eine Anzahl rein philosophischer Elemente.
-
-2. Eine nach logischer oder dialektischer Methode, sei es mndlich
-oder schriftlich geuerte, Behauptung nannten die Araber im
-allgemeinen, ganz besonders aber in der Glaubenslehre, einen Kalam
-(logos) und diejenigen, welche solche Behauptungen aufstellten,
-hieen mutakallimun. Von der einzelnen Behauptung wurde der Name
-auf das ganze System bertragen und darunter auch die einleitenden,
-grundlegenden Bemerkungen ber Methode u. s. w. mitverstanden. Wir
-nennen die Wissenschaft des Kalam am besten theologische Dialektik
-oder einfach Dialektik und bersetzen im folgenden Mutakallimun
-mit Dialektiker.
-
-Der Name Mutakallimun, anfangs allen Dialektikern gemeinsam, ward
-spter vorzugsweise den antimutazilitischen und orthodoxen Theologen
-beigelegt. In letzterem Falle wre er dem Sinne nach gut mit Dogmatiker
-oder Scholastiker zu bersetzen. Hatten nmlich die ersten Dialektiker
-das Dogma noch zu bilden, die spteren brauchten es blo darzulegen
-und zu begrnden.
-
-Die Einfhrung der Dialektik war eine gewaltige Neuerung
-im Islam. Heftig wurde ihr von den Anhngern der Tradition
-widersprochen. Was ber die Pflichtenlehre hinausging, hie ihnen
-Ketzerei. Der Glaube sollte Gehorsam sein, nicht Erkenntnis, wie
-Murdschiten und Mutaziliten behaupteten. Die Spekulation wurde von
-diesen geradezu als eine Pflicht der Glubigen hingestellt. Auch mit
-dieser Forderung shnte die Zeit sich aus. Der berlieferung nach
-hatte der Prophet schon gesagt: Das erste, was Gott geschaffen hat,
-ist das Wissen, oder: die Vernunft.
-
-3. Gro ist die Anzahl verschiedener Meinungen, die zum Teil schon in
-der omajjadischen, hauptschlich aber in der ersten abbasidischen Zeit
-laut wurden. Je weiter sie auseinander gingen, um so schwerer war es
-den Mnnern der berlieferung, sich da hinein zu finden. Allmhlich
-aber sonderten sich gewisse einheitliche Lehrgruppen aus, von
-denen das rationalistische System der Mutaziliten, der Nachfolger
-der Qadariten, die weiteste Verbreitung, besonders unter Schiiten,
-fand. Vom Chalifen Mamun bis Mutawakkil kam es sogar zur staatlichen
-Anerkennung. Frher von der weltlichen Macht unterdrckt und verfolgt,
-wurden die Mutaziliten jetzt selber Inquisitoren des Glaubens, denen
-das Schwert die Stelle des Beweises vertrat.
-
-Ungefhr zu derselben Zeit aber fingen auch ihre Gegner, die
-Traditionarier, damit an, ein Glaubenssystem aufzubauen. berhaupt
-fehlte es nicht an Vermittelungen zwischen dem naiven Glauben der Menge
-und der Gnosis der Dialektiker. Dem spiritualistischen Geprge des
-Mutazilitismus gegenber trugen diese Vermittelungen in Bezug auf die
-Gotteslehre einen anthropomorphistischen, in Bezug auf Anthropologie
-und Kosmologie einen materialistischen Charakter. Die Seele z. B. wurde
-von ihnen krperlich oder als ein Accidens des Krpers aufgefasst,
-und das gttliche Wesen als ein menschlicher Krper vorgestellt. Den
-bildlichen Gott-Vater der Christen verabscheute die Religionslehre
-und Kunst der Muslime, aber abgeschmackte Grbeleien ber die Gestalt
-Allah's gab es im Islam die Flle. Einige gingen so weit, ihm smtliche
-Krperglieder zuzusprechen, nur mit Ausnahme des Bartes und anderer
-Privilegien orientalischer Mnner.
-
-Es ist unmglich, all die dialektischen Sekten, die oft zunchst
-als politische Parteien aufgetreten waren, ausfhrlicher zu
-besprechen. Von philosophiegeschichtlichem Standpunkte gengt es auch,
-die mutazilitischen Hauptlehren, insoweit sie ein allgemeines Interesse
-beanspruchen drfen, hier vorzufhren.
-
-4. Die erste Frage nun betraf menschliches Handeln und menschliches
-Schicksal. Die Vorlufer der Mutaziliten, Qadariten genannt,
-lehrten die Willensfreiheit des Menschen. Auch noch in spterer
-Zeit, als ihre Spekulation sich mehr auf theologisch-metaphysische
-Probleme richtete, wurden die Mutaziliten immer zuerst bezeichnet
-als Anhnger der gttlichen Gerechtigkeit, die kein Bses verursache
-und nach seinem Verdienste den Menschen belohne oder strafe, dann
-aber, an zweiter Stelle, als Bekenner der Einheit Gottes, d. h. der
-Eigenschaftslosigkeit seines Wesens, an sich betrachtet. Auf die
-systematische Darstellung ihrer Lehren werden die Logiker (s. IV,
-2 1) ihren Einfluss ausgebt haben. Schon in der ersten Hlfte
-des zehnten Jahrhunderts fing das mutazilitische System mit dem
-Einheitsbekenntnis an und war die Lehre von Gottes Gerechtigkeit, die
-sich in allen seinen Werken kund gebe, an die zweite Stelle gerckt.
-
-Mit der Behauptung der Willensfreiheit sollte die menschliche
-Verantwortlichkeit, sowie die Heiligkeit Gottes, der nicht die sndigen
-Handlungen der Menschen unmittelbar hervorbringen knne, gerettet
-werden. Darum musste der Mensch Herr seiner Thaten sein, aber auch blo
-dieser. Denn dass die Kraft, welche berhaupt zum Handeln befhigt,
-oder das Vermgen, sowohl Gutes als Bses zu thun, unmittelbar von
-Gott dem Menschen zukomme, wurde von wenigen bezweifelt. Daher die
-vielen, mit einer Kritik des philosophischen Zeitbegriffes verquickten,
-spitzfindigen Errterungen ber die Frage, ob das von Gott im Menschen
-geschaffene Vermgen der Handlung voraufgehe oder zeitlich damit
-zusammenfalle. Ginge nmlich die Kraft der That vorher, so msste sie
-entweder bis zur That fortdauern, was ihrem accidentellen Charakter
-widerspreche (vgl. II, 3 12), oder aber schon vor der That aufhren
-zu existieren, und in diesem Falle wre sie berhaupt entbehrlich.
-
-Vom menschlichen Handeln wurde die Spekulation weiter auf das
-Wirken der Natur bertragen. Statt Gott oder der Mensch hie hier
-der Gegensatz Gott oder die Natur. Die hervorbringenden und zeugenden
-Krfte der Natur wurden als Mittel oder nchste Ursachen anerkannt und
-von einigen zu erforschen gesucht. Die Natur selbst aber, wie die ganze
-Welt, war ihrer Ansicht nach ein Werk Gottes, eine Schpfung seiner
-Weisheit. Wie die Allmacht Gottes im Sittlichen an seiner Heiligkeit
-oder Gerechtigkeit eine Schranke fand, so hier im Natrlichen an
-seiner Weisheit. Auch bel und Bses in der Welt wurden aus der
-Weisheit Gottes, die Alles zum Besten schicke, erklrt. Erzeugnis
-oder Zweck gttlicher Thtigkeit ist es nicht. Gott knne zwar, so
-hatten Frhere behauptet, Bses und Unvernnftiges thun, er thte es
-nur nicht. Dagegen lehrten die spteren Mutaziliten, Gott habe gar
-nicht die Macht, so etwas seinem Wesen Widerstreitendes zu thun. Von
-ihren darob entrsteten Gegnern, die Gottes unbeschrnkte Macht
-und seinen unergrndlichen Willen unmittelbar in allem Handeln und
-Wirken thtig sich vorstellten, wurden sie wegen solcher Lehre mit
-den dualistischen Magiern verglichen. Der konsequente Monismus war
-auf Seiten dieser Gegner, die den Menschen und die Natur nicht neben
-und unter Gott zu Schpfern ihrer Thaten oder Wirkungen machen mchten.
-
-5. Die Mutaziliten hatten, wie schon aus dem Vorhergehenden erhellt,
-einen anderen Gottesbegriff als die Menge und die Traditionarier. Dies
-zeigte sich nun, im Fortgange der Spekulation, besonders deutlich
-in der Lehre von den gttlichen Eigenschaften. Von Anfang an
-war im Islam die Einheit Gottes stark betont. Das hinderte aber
-nicht, dass man ihm, nach menschlicher Analogie, viele schne
-Namen gab und mehrere Attribute beilegte. Als die vorzglichsten
-stellten sich, gewiss unter dem Einflusse christlicher Dogmatik,
-allmhlich heraus: Wissen, Macht, Leben, Wille, Rede oder Wort,
-Gesicht und Gehr. Von diesen wurden Gesicht und Gehr zuerst in
-geistigem Sinne gedeutet oder ganz beseitigt. Aber mit irgend einer
-Vielheit gleichewiger Eigenschaften schien die absolute Einheit des
-gttlichen Wesens sich nicht vertragen zu wollen. Wre das nicht die
-Trinitt der Christen, die ja auch schon die drei Personen des Einen
-gttlichen Wesens als Eigenschaften gedeutet hatten? Teils suchte
-man nun, um dieser Inkonvenienz zu entgehen, einige Eigenschaften
-aus anderen begrifflich abzuleiten und auf eine, z. B. das Wissen
-oder die Macht, zurckzufhren, teils auch sie samt und sonders als
-Zustnde des gttlichen Wesens zu fassen oder mit dem Wesen selbst
-zu identifizieren, wobei denn freilich ihre Bedeutung so ziemlich
-verschwand. Mitunter wurde versucht, durch Knsteleien des sprachlichen
-Ausdrucks noch etwas davon zu retten. Whrend z. B. ein Philosoph,
-die Eigenschaften leugnend, behauptete, Gott sei wissend seinem Wesen
-nach, drckte ein mutazilitischer Dialektiker das so aus: Gott ist
-wissend, aber durch ein Wissen, das er selbst ist.
-
-Nach Ansicht der Traditionarier ward auf diese Weise der Gottesbegriff
-allen Inhaltes beraubt. ber negative Bestimmungen, Gott sei
-nicht wie die Dinge dieser Welt, er sei ber Raum, Zeit, Bewegung
-u. s. w. erhaben, kamen die Mutaziliten kaum hinaus. Aber dass er
-Schpfer der Welt sei, daran hielten sie fest. Wenn man auch von
-Gottes Wesen wenig aussagen konnte, aus seinen Werken glaubte man
-ihn zu erkennen.
-
-Die Schpfung war den Mutaziliten, wie ihren Gegnern, ein absoluter
-Akt Gottes, die Weltexistenz eine zeitliche. Energisch bekmpften
-sie die Lehre von der Weltewigkeit, die, durch die aristotelische
-Philosophie gesttzt, im Orient weitverbreitet war.
-
-6. Als eins von den ewigen Attributen Gottes fanden wir die Rede oder
-das Wort. Wahrscheinlich mit Anschluss an die christliche Logoslehre
-wurde nmlich die Ewigkeit des dem Propheten geoffenbarten Korans
-gelehrt. Das war nach den Mutaziliten geradezu Abgtterei, neben
-Allah an einen ewigen Koran zu glauben. Die mutazilitischen Chalifen
-verkndigten dagegen als Staatsdogma, der Koran sei geschaffen
-worden. Wer dies leugnete, wurde ffentlich bestraft. Obgleich nun
-die Mutaziliten mit diesem Dogma dem ursprnglichen Islam nher
-stehen mochten als ihre Gegner, so hat doch die Geschichte den
-letzteren Recht gegeben. Fromme Bedrfnisse waren eben mchtiger als
-logische Schlussfolgerungen. Viele Mutaziliten setzten sich, nach
-der Meinung ihrer Glaubensbrder, ber den Koran, das Wort Gottes,
-allzuleicht hinweg. Wenn es zu ihren Theorien nicht stimmte, wurde
-es aus- und umgedeutet. In Wirklichkeit galt manchem die Vernunft
-mehr als das offenbarte Buch. Aus der Vergleichung nicht nur der
-drei Offenbarungsreligionen, sondern auch dieser mit persischer
-und indischer Religionslehre und philosophischer Spekulation, ergab
-sich eine, die Gegenstze vershnende, natrliche Religion. Aufgebaut
-wurde diese auf der Grundlage eines angeborenen, allgemeinnotwendigen
-Wissens, dass es Einen Gott gebe, der als weiser Schpfer die Welt
-hervorgebracht und auch den Menschen mit Vernunft begabt habe,
-damit er seinen Schpfer erkennen und Gutes und Bses unterscheiden
-knne. Dieser Natur- oder Vernunftreligion gegenber sei dann die
-Erkenntnis der Offenbarungslehren etwas Hinzukommendes, ein erworbenes
-Wissen.
-
-Mit dieser Behauptung hatten die konsequentesten Mutaziliten sich von
-der bereinstimmung der muslimischen Gemeinde losgesagt, sich also
-thatschlich auerhalb des katholischen Glaubens gestellt. Anfangs
-beriefen sie sich noch auf jene bereinstimmung. Sie konnten es thun,
-so lange die Regierung ihnen gnstig gesinnt war. Es dauerte aber
-nicht lange. Bald erfuhren sie, was seitdem noch fter erfahren wurde:
-die Vlker lassen sich leichter von oben herab eine Religion als eine
-Aufklrung vorschreiben.
-
-7. Nach diesem berblick sehen wir uns einige von den bedeutendsten
-Mutaziliten nher an, damit dem allgemeinen Bilde nicht die
-individuellen Zge fehlen.
-
-Zuerst betrachten wir Abu-l-Hudhail al-Allaf, der um die Mitte des
-neunten Jahrhunderts starb. Er war ein berhmter Dialektiker, einer
-der ersten, die der Philosophie einen Einfluss auf ihre theologischen
-Lehren gestatteten.
-
-Dass eine Eigenschaft irgendwie einem Wesen inhrieren knne, lsst
-sich nach Abu-l-Hudhail nicht denken: entweder muss sie mit dem Wesen
-identisch oder davon verschieden sein. Doch sieht er sich nach einer
-Vermittlung um. Gott ist, nach ihm, wissend, mchtig, lebendig durch
-Wissen, Macht und Leben, die sein Wesen selbst sind. Wie auch schon von
-christlicher Seite geschehen war, nennt er jene drei Bestimmungen die
-Modi (wudschuh) des gttlichen Wesens. Auch Hren, Sehen u. a. lsst
-er sich als ewig in Gott gefallen, jedoch nur mit Rcksicht auf
-die spter zu schaffende Welt. brigens mag es ihm und anderen von
-der Zeitphilosophie Berhrten leicht genug gewesen sein, diese und
-hnliche Ausdrcke, wie das Schauen Gottes am jngsten Tage, [10]
-spiritualistisch zu deuten, da sie ja das Sehen und Hren berhaupt
-als geistige Akte auffassten. Abu-l-Hudhail behauptete z. B., die
-Bewegung sei sichtbar, tastbar aber nicht, weil sie kein Krper sei.
-
-Nicht ewig soll nun aber der Wille Gottes sein. Im Gegenteil nimmt
-Abu-l-Hudhail absolute Willensuerungen an, sowohl von dem wollenden
-Wesen wie von dem gewollten Gegenstande verschieden. So nimmt das
-absolute Schpfungswort eine Mittelstellung ein zwischen dem ewigen
-Schpfer und der geschaffenen zeitlichen Welt. Diese Willensuerungen
-Gottes sind eine Art Mittelwesen, mit den platonischen Ideen oder
-den Sphrengeistern zu vergleichen, aber wohl mehr als immaterielle
-Krfte, denn als persnliche Geister gedacht.
-
-Von dem absoluten Schpfungsworte unterscheidet Abu-l-Hudhail das
-accidentelle Offenbarungswort, das sich als Befehl und Verbot, in
-materieller, rumlicher Erscheinung an die Menschen kund gibt und
-also nur fr diese zeitliche Welt Bedeutung hat. Die Mglichkeit, nach
-dem gttlichen Offenbarungsworte zu leben oder dem zu widerstreiten,
-ist folglich nur in diesem Leben vorhanden. Verpflichtendes Gebot
-und Verbot setzt Willensfreiheit und die Fhigkeit danach zu handeln
-voraus. Im zuknftigen Leben dagegen gibt es keine gesetzlichen
-Verpflichtungen, somit auch keine Freiheit mehr; Alles hngt dort von
-der absoluten Bestimmung Gottes ab. Auch wird es im Jenseits keine
-Bewegung geben, denn wie die Bewegung einmal angefangen hat, muss
-sie, am Ende der Welt, aufhren zur ewigen Ruhe. An eine krperliche
-Auferstehung drfte also Abu-l-Hudhail wohl nicht geglaubt haben.
-
-Die menschlichen Handlungen unterscheidet er in natrliche und
-sittliche oder "Handlungen der Glieder und des Herzens". Sittlich
-ist eine Handlung nur, wenn wir sie frei verrichten. Die sittliche
-That ist des Menschen selbsterworbenes Eigentum, sein Wissen dagegen
-kommt ihm von Gott her zu, teils durch Offenbarung, teils durch
-natrliche Erleuchtung. Schon vor aller Offenbarung ist der Mensch
-von Natur verpflichtet, also auch wohl im Stande, Gott zu erkennen,
-Gutes und Bses zu unterscheiden, und tugendhaft, wahrhaftig und
-gerecht zu leben.
-
-8. Ein merkwrdiger Mensch und Denker ist ein jngerer Zeitgenosse
-und, wie es scheint, Schler des Abu-l-Hudhail, gewhnlich Al-Nazzam
-genannt. Er starb im Jahre 845. Ein phantastischer, unruhiger,
-ehrgeiziger Mann, kein folgerichtiger, aber doch ein khner und
-ehrlicher Denker, so hat ihn Dschahiz, einer seiner Schler,
-uns vorgestellt. Die Leute hielten ihn fr einen Verrckten oder
-einen Ketzer. Vieles in seinen Lehren berhrt sich mit dem, was den
-Orientalen als Philosophie des Empedokles und Anaxagoras bekannt war
-(vgl. auch Abu-l-Hudhail).
-
-Nach der Ansicht Nazzams kann Gott berhaupt kein Bses thun, ja er
-kann nur das, was er als das Beste fr seine Diener erkennt. Seine
-Allmacht reicht auch nicht weiter als die wirkliche That. Wer
-knnte ihn daran hindern, die schne berflle seines Wesens zu
-verwirklichen? Einen Willen im eigentlichen Sinne, der immer ein
-Bedrfnis voraussetze, ist Gott gar nicht beizulegen. Gottes Wille ist
-vielmehr nur eine Bezeichnung fr seine Thtigkeit selbst oder fr die
-den Menschen erteilten Befehle. Die Schpfung ist ein einmaliger Akt,
-mit dem Alles zugleich erschaffen, sodass Eins im Andern enthalten
-ist und im Laufe der Zeit die verschiedenen Exemplare von Mineralien,
-Pflanzen und Tieren, sowie die vielen Adamskinder, nach und nach aus
-ihrem latenten Zustande in die Erscheinung treten.
-
-Mit den Philosophen verwirft Nazzam die Atomenlehre (s. II, 3
-12), wei sich dann aber das Durchlaufen einer bestimmten Strecke,
-wegen der unendlichen Teilbarkeit des Raumes, nur durch Sprnge zu
-erklren. Statt aus Atomen lsst er die krperlichen Substanzen aus
-Accidenzen zusammengesetzt sein. Wie sich Abu-l-Hudhail die Inhrenz
-von Eigenschaften in einem Wesen nicht denken konnte, so kann sich
-Nazzam das Accidens nur als die Substanz selbst oder als einen Teil
-der Substanz vorstellen. So ist das Feuer oder das Warme z. B. latent
-im Holze vorhanden, wird aber frei, wenn durch Reibung sein Antagonist,
-das Kalte, verschwindet. Es findet dabei eine Bewegung oder Umsetzung,
-aber keine qualitative Vernderung statt. Die sinnlichen Qualitten,
-wie Farben, Geschmcke und Gerche, sind nach Nazzam Krper.
-
-Auch die Seele oder den Geist des Menschen fasst er als einen feinen
-Krper auf. Freilich ist die Seele des Menschen vorzglichster Teil,
-sie durchdringt den Krper, ihr Organ, ganz und ist der wirkliche,
-wahrhafte Mensch zu nennen. Gedanken und Strebungen werden als
-Bewegungen der Seele definiert.
-
-In Glaubenssachen und Gesetzesfragen verwirft Nazzam sowohl die
-bereinstimmung der Gemeinde als auch die analogische Interpretation
-des Rechtes, und beruft sich, schiitisch, auf den unfehlbaren
-Imam. Er hlt es fr mglich, dass alle Muslime eine irrige Lehre
-bereinstimmend zulassen, wie z. B. dass Mohammed im Unterschiede von
-anderen Propheten eine Mission fr die ganze Menschheit habe. Gott
-sendet aber jeden Propheten zur ganzen Menschheit.
-
-brigens teilt Nazzam in Bezug auf die Erkenntnis Gottes und
-der sittlichen Pflichten durch die Vernunft die Ansicht des
-Abu-l-Hudhail. Von der unnachahmbaren Vortrefflichkeit des Korans ist
-er nicht sonderlich berzeugt. Es soll das ewige Wunder des Korans
-nur darin bestehen, dass die Zeitgenossen Mohammeds davon abgehalten
-wurden, dem Koran hnliches hervorzubringen.
-
-Von der muslimischen Eschatologie hat er wohl nicht viel
-gehalten. Wenigstens lst sich fr ihn die Hllenqual in einen
-Verbrennungsprozess auf.
-
-9. Aus der Schule Nazzams werden uns viele synkretistische Lehren
-berliefert, alle ohne Originalitt. Von den Mnnern, die aus ihr
-hervorgegangen, ist der berhmteste der Schngeist und Naturphilosoph
-Dschahiz (gest. 869), der vom echten Gelehrten verlangte, er solle das
-Studium der Theologie mit dem der Naturwissenschaft verknpfen. In
-allen Dingen sprt er die Wirkungen der Natur, in diesen aber einen
-Hinweis auf den Schpfer der Welt. Die menschliche Vernunft ist im
-Stande, den Schpfer zu erkennen und ebenso das Bedrfnis nach einer
-prophetischen Offenbarung einzusehen. Des Menschen Verdienst ist nur
-sein Wollen, denn einerseits sind alle seine Thaten im Naturgeschehen
-verflochten, und andererseits ist sein ganzes Wissen notwendig von
-oben bestimmt. Doch scheint dem Wollen, das aus dem Wissen abgeleitet
-wird, keine groe Bedeutung zuzukommen. Wenigstens wird der Wille
-im gttlichen Wesen ganz negativ gefasst, d. h. Gott wirke niemals
-unbewusst und mit Missfallen an seinem Werke.
-
-In alldem ist wenig Eigenes. Das Mittelma ist sein ethisches Ideal,
-aber auch seines Geistes Geschick. Nur im Kompilieren seiner vielen
-Schriften ist Dschahiz unmig gewesen.
-
-10. Bei den lteren Mutaziliten berwiegen die ethischen und
-naturphilosophischen Erwgungen; bei den spteren gewinnen
-logisch-metaphysische Betrachtungen das bergewicht. Besonders
-neuplatonische Einflsse sind hier zu verspren.
-
-Muammar, dessen Lebenszeit nicht nher bestimmt wird (etwa um 900
-anzusetzen), hat manches mit den Obengenannten gemeinsam. Aber weit
-nachdrcklicher leugnet er die Existenz gttlicher Eigenschaften,
-die der absoluten Einheit des Wesens widersprechen. Gott ist ber jede
-Vielheit hinaus. Er kennt weder sich selbst noch ein Anderes, denn das
-Wissen wrde in ihm eine Vielheit voraussetzen. Auch ist er berewig zu
-nennen. Dennoch ist er als Schpfer der Welt anzuerkennen. Freilich
-hat er nur Krper geschaffen, und diese schaffen selbst, sei es
-durch Naturwirkung, sei es mit Willen, ihre Accidenzen. Die Zahl
-dieser Accidenzen ist unendlich, denn sie sind ihrem Wesen nach
-nichts weiter als die begrifflichen Beziehungen des Denkens. Muammar
-ist Conceptualist. Bewegung und Ruhe, Gleichheit und Verschiedenheit
-u. s. w. sind nichts an sich, sondern haben nur eine begriffliche oder
-ideelle Wirklichkeit. Die Seele, die das wahre Wesen des Menschen sein
-soll, wird als eine Idee oder eine immaterielle Substanz gefasst. Wie
-sie sich dann zum Krper und zu dem gttlichen Wesen verhalte, wird
-nicht klargestellt. Die berlieferung ist verworren.
-
-Des Menschen Wille ist frei, das Wollen eigentlich seine einzige
-That. Denn die uere Handlung gehrt dem Krper (vgl. Dschahiz).
-
-Die Schule von Bagdad, der Muammar anzugehren scheint, war
-conceptualistisch. Mit Ausnahme der allgemeinsten Bestimmungen,
-denen des Seins und des Werdens, lie sie die Universalien nur als
-Begriffe Bestand haben. Nher dem Realismus stand Abu Haschim von
-Basra (gest. 933). Gottes Eigenschaften, sowie die Accidenzen oder
-Gattungsbegriffe berhaupt, fasste er als ein Mittleres zwischen Sein
-und Nichtsein auf. Er nannte sie Zustnde oder Modi. Als Erfordernis
-alles Wissens bezeichnete er den Zweifel. Ein naiver Realist war
-er nicht.
-
-Auch mit dem Nichtsein trieben mutazilitische Denker ein dialektisches
-Spiel. Es werde gedacht, es msse also dem Nichtsein wie dem Sein
-eine Art Wirklichkeit zukommen, folgerte man. Versucht doch der Mensch
-eher das Nichts zu denken, als dass er berhaupt nicht denke.
-
-11. Im neunten Jahrhundert hatten sich im Kampfe gegen die
-Mutaziliten mehrere dialektische Systeme ausgebildet, von denen
-u. a. das karramitische sich lange ber das zehnte Jahrhundert hinaus
-erhielt. Aus den Reihen der Mutaziliten aber erstand der Mann, der
-die Gegenstze zu vermitteln berufen war, und der das zunchst im
-Osten, spter im ganzen Islam als orthodox anerkannte Lehrsystem
-aufstellte. Es war al-Aschari (873-935), der es verstand, Gotte zu
-geben, was Gottes, und dem Menschen, was des Menschen ist. Den groben
-Anthropomorphismus der antimutazilitischen Dialektiker wies er ab,
-Gott ber alles Krperliche und Menschliche hinausrckend, ihm aber
-seine Allmacht und Allwirksamkeit lassend. Die Natur bte bei ihm alle
-ihre Wirksamkeit ein, dem Menschen aber wurde ein gewisses Verdienst
-vorbehalten, darin bestehend, dass er den von Gott in ihm geschaffenen
-Handlungen seine Zustimmung erteilen, sich dieselben als seine Thaten
-aneignen knne. Auch wurde dem Menschen sein sinnlich-geistiges Wesen
-nicht verkmmert. Er durfte hoffen auf die Auferstehung des Fleisches
-und das Schauen Gottes. Was die koranische Offenbarung betrifft,
-unterschied Aschari zwischen einem ewigen Worte in Gott und dem in
-der Zeit geoffenbarten Buche, wie wir es besitzen.
-
-Bei der Ausfhrung seiner Lehren zeigte sich Aschari in keiner Weise
-originell, sondern er fasste nur Gegebenes vermittelnd zusammen,
-was denn nicht ohne Widersprche gelingen wollte. Die Hauptsache
-jedoch war, dass seine Kosmologie, Anthropologie und Eschatologie,
-zur Erbauung frommer Seelen, nicht allzu weit von dem Wortlaute der
-Tradition sich entfernten, und dass seine Theologie, infolge einer
-etwas vergeistigten Auffassung Gottes, auch hher Gebildete nicht
-ganz unbefriedigt lie.
-
-Aschari sttzt sich auf die Offenbarung des Korans. Eine davon
-unabhngige Vernunfterkenntnis in Bezug auf gttliche Dinge erkennt
-er nicht an. Die Sinne sollen im allgemeinen nicht tuschen, dagegen
-wohl unser Urteil. Zwar erkennen wir Gott mit unserer Vernunft,
-aber nur aus der Offenbarung, der einzigen Quelle solchen Wissens.
-
-Gott ist nun, nach Aschari, zunchst der allmchtige Schpfer. Ferner
-ist er allwissend, er wei, was die Menschen thun und was sie thun
-wollen, was geschieht und wie das, was nicht geschieht, wenn es
-geschhe, geschehen wre. Dazu kommen Gott alle Bestimmungen zu, die
-irgend eine Vollkommenheit ausdrcken, nur dass sie Gott in einem
-anderen, hheren Sinne eignen als den Geschpfen. In Schpfung und
-Erhaltung der Welt ist Gott die einzige Ursache; alles Weltgeschehen
-rhrt fortwhrend unmittelbar von ihm her. Der Mensch aber ist
-sich des Unterschiedes zwischen seinen unwillkrlichen Bewegungen,
-wie Zittern und Beben, und seiner mit Willen und Wahl ausgefhrten
-Handlungen wohl bewusst.
-
-12. Das Eigentmlichste, was die Dialektik der Muslime ausgebildet hat,
-ist ihre Atomenlehre. Die Entwicklung dieser Lehre liegt noch fast ganz
-im Dunkeln. Schon von Mutaziliten, besonders aber von deren Gegnern
-vor Aschari ist sie vertreten worden. Unsere Darstellung zeigt, wie
-sie sich in der ascharitischen Schule erhalten, zum Teil vielleicht
-erst ausgebildet hat.
-
-Die Atomenlehre der muslimischen Dialektiker hat ihre Quelle
-allerdings in griechischer Naturphilosophie, aber ihre Aufnahme
-und Weiterbildung sind von den Bedrfnissen theologischer Polemik
-und Apologetik bestimmt, wie sich dies hnlich bei einzelnen Juden
-und bei glubigen Katholiken beobachten lsst. Dass man, im Islam,
-den Atomismus aufgegriffen habe, nur weil Aristoteles ihn bekmpfte,
-ist nicht wohl glaublich. Wir haben hier einen verzweifelten Kampf
-um ein religises Gut zu verzeichnen, dabei die Waffen nicht gewhlt
-werden. Der Zweck entscheidet. Die Natur soll nicht aus sich selbst
-heraus, sondern aus einem gttlichen Schpfungsakte erklrt; nicht als
-eine ewige gttliche Ordnung, sondern als ein Geschpf vergnglichen
-Daseins diese Welt angesehen werden. Als freiwirkender, allmchtiger
-Schpfer soll Gott gedacht und benannt werden, nicht als unpersnliche
-Ursache oder ruhender Urgrund. An der Spitze der muslimischen Dogmatik
-steht daher seit alter Zeit die Schpfungslehre als ein Zeugnis gegen
-die heidnisch-philosophische Ansicht von der Ewigkeit der Welt und
-von den Wirkungen der Natur.
-
-Was wir von der Sinnenwelt wahrnehmen, so reden diese Atomisten, sind
-vorbergehende Accidenzen, die jeden Augenblick kommen und gehen. Das
-Substrat dieses Wechsels sind die (krperlichen) Substanzen, die,
-weil in oder an ihnen Vernderungen vorgehen, nicht unvernderlich
-gedacht werden knnen. Sind sie, die Substanzen, vernderlich,
-dann knnen sie auch nicht dauerhaft sein, denn Ewiges ndert
-sich nicht. Folglich ist Alles in der Welt, da Alles sich ndert,
-entstanden, von Gott erschaffen.
-
-Das ist der Ausgangspunkt. Von der Vernderlichkeit alles Existierenden
-wird geschlossen auf den ewigen, unvernderlichen Schpfer. Die
-Spteren aber schlieen, unter dem Einfluss muslimischer Philosophen,
-von der Kontingenz oder Possibilitt alles Endlichen auf das
-notwendig-existierende Wesen Gottes.
-
-Kehren wir zur Welt zurck. Sie besteht aus Accidenzen und deren
-Substrate, die Substanzen. Substanz und Accidens oder Qualitt sind die
-zwei Kategorien, mittelst derer die Wirklichkeit begriffen wird. Die
-brigen Kategorien fallen entweder unter die der Qualitt oder lsen
-sich in Verhltnisse und Denkbestimmungen auf, denen, objektiv,
-nichts entspricht. Die Materie als Mglichkeit ist nur im Denken,
-die Zeit ist nichts anderes als Koexistenz verschiedener Gegenstnde
-oder simultane Beziehung der Vorstellung, und Raum und Gre kommen
-zwar den Krpern zu, nicht aber den einzelnen Teilen (Atomen), aus
-denen die Krper zusammengesetzt sind.
-
-Was von den Substanzen berhaupt ausgesagt werden kann, sind
-Accidenzen. Ihre Anzahl ist, an jeder einzelnen Substanz, zahlreich
-oder gar, wie einige behaupten, unendlich, da von beliebigen
-gegenstzlichen Bestimmungen, zu denen auch die negativen gehren,
-jeder Substanz entweder die eine oder die andere zukomme. Das negative
-Accidens hat um nichts weniger Realitt als das positive. Gott schafft
-auch die Privation und die Vernichtung, wofr es denn freilich
-nicht leicht ist, das Substrat ausfindig zu machen. Und da jedes
-Accidens immer nur seinen Sitz in irgend einer Substanz haben kann,
-und nicht in einem anderen Accidens, so gibt es in Wirklichkeit kein
-Allgemeines, mehreren Substanzen Gemeinsames. Die Universalien sind
-in keiner Weise in den Einzeldingen, sie sind Begriffe.
-
-Somit gibt es keine Verbindung zwischen den Substanzen, sie stehen
-getrennt fr sich als Atome, die einander gleich sind. Eigentlich
-haben sie eine grere hnlichkeit mit den Homomerien des Anaxagoras
-als mit den kleinsten Stoffteilchen der Atomisten. Sie sind an sich
-unrumlich (ohne makan), haben aber ihren Ort (hajjiz) und fllen durch
-ihre Position den Raum aus. Es sind also unausgedehnte, punktuell
-gedachte Einheiten, aus denen die rumliche Krperwelt aufgebaut
-wird. Zwischen ihnen soll es ein Leeres geben, denn sonst wre, da
-die Atome nicht in einander eindringen, jede Bewegung unmglich. Alle
-Vernderung aber wird auf Vereinigung und Trennung, Bewegung und
-Ruhe zurckgefhrt. Sonstige, wirksame Beziehungen zwischen den
-Atomen-Substanzen gibt es nicht. Sie sind einmal da und freuen sich
-ihres Daseins, haben aber gar nichts mit einander zu thun. Die Welt
-ist eine diskontinuierliche Masse, ohne lebendige Wechselwirkung.
-
-Das Altertum hatte dieser Auffassung vorgearbeitet, u. a. auch mit
-seiner Lehre von dem diskontinuierlichen Charakter der Zahl. Wurde
-die Zeit nicht als die Zahl der Bewegung definiert? Warum sollte
-man nun nicht jene Lehre auf Raum, Zeit und Bewegung bertragen? Die
-Dialektiker thaten es, und es mag auch die Skepsis der Alten dabei
-mitgewirkt haben. Wie die substanzielle Krperwelt wurden auch Raum,
-Zeit und Bewegung in Atome ohne Ausdehnung, in Momente ohne Dauer
-zerlegt. Die Zeit wird eine Aufeinanderfolge von vielen einzelnen
-Jetzt, und zwischen je zwei Zeitmomenten gibt es ein Leeres. Ebenso
-verhlt es sich mit der Bewegung: zwischen je zwei Bewegungen gibt es
-eine Ruhe. Eine schnelle und eine langsame Bewegung besitzen dieselbe
-Geschwindigkeit, nur hat die letztere mehr Ruhepunkte. Um dann aber
-ber den leeren Raum, das unausgefllte Zeitmoment und die Ruhepause
-zwischen zwei Bewegungen hinauszukommen, wird die Lehre vom Sprunge
-benutzt. Von Raumpunkt zu Raumpunkt soll die Bewegung, von Moment zu
-Moment die Zeit weiterspringen.
-
-Diese phantastische Lehre brauchte man eigentlich gar nicht. Sie
-war eine Antwort auf naives Fragen. Konsequent hatte man die ganze
-rumlich-zeitlich bewegte Krperwelt in Atome mit deren Accidenzen
-zerstckt. Wohl behaupteten einige, dass zwar die Accidenzen jeden
-Augenblick schwinden, die Substanzen dagegen dauernden Bestand haben,
-aber andere machten da keinen Unterschied. Wie die Accidenzen, so
-lehrten sie, bestehen auch die Substanzen, die ja Raumpunkte sind,
-nur einen Zeitpunkt. Jeden Augenblick schafft Gott die Welt aufs neue,
-sodass ihr jetziger Zustand weder mit dem unmittelbar vorhergehenden
-noch mit dem gleich folgenden in irgend einem wesentlichen
-Zusammenhange steht. Es gibt also eine Reihe aufeinander folgender
-Welten, die sich nur scheinbar als eine Welt darstellen. Dass es fr
-uns so etwas wie Zusammenhang oder Kausalitt in den Erscheinungen
-gibt, rhrt nur daher, dass es Allah nach seinem unergrndlichen
-Willen heut oder morgen nicht beliebt, die Gewohnheit des Geschehens
-durch ein Wunder zu unterbrechen, was er aber jeden Augenblick zu thun
-im Stande ist. Wie aller Kausalzusammenhang nach dem atomistischen
-Kalam verschwindet, wird sehr gut durch das klassische Beispiel
-vom schreibenden Menschen ausgedrckt. Gott schafft nmlich in ihm,
-und zwar an jedem Zeitpunkte aufs neue, zuerst den Willen, dann das
-Vermgen zu schreiben, darauf die Bewegung der Hand, und endlich die
-Bewegung der Feder. Eins ist dabei vllig unabhngig von dem Andern.
-
-Wenn man nun dagegen einwendet, dass mit der Kausalitt oder der
-Regelmigkeit des Weltgeschehens auch die Mglichkeit alles Wissens
-aufgehoben sei, so erwidert der glubige Denker, Allah wisse ja Alles
-vorher schon, er schaffe nicht nur die Dinge der Welt und was sie zu
-wirken scheinen, sondern auch das Wissen darum in der menschlichen
-Seele, und wir brauchen nicht weiser zu sein als Er. Er wei es
-am besten.
-
-Allah und die Welt, Gott und der Mensch, ber diese Gegenstze konnte
-die muslimische Dialektik nicht hinaus kommen. Auer Gott gibt es
-nur Platz fr krperliche Substanzen und deren Accidenzen. Das
-Dasein menschlicher Seelen als unkrperlicher Substanzen, sowie
-berhaupt die Existenz reiner Geister, beides von Philosophen und,
-weniger bestimmt, von einigen Mutaziliten gelehrt, wollte nicht
-recht stimmen zu der muslimischen Lehre von der Transcendenz Gottes,
-der keinen Genossen hat. Die Seele gehrt zu der Krperwelt. Leben,
-Empfindung, Beseeltheit sind ebenso Accidenzen wie Farbe, Geschmack
-und Geruch, Bewegung und Ruhe. Einige nehmen nur ein Seelenatom an,
-nach anderen sind mehrere feine Seelenatome unter die Krperatome
-gemischt. Das Denken haftet jedenfalls an einem einzigen Atom.
-
-13. Nicht alle guten Muslime konnten sich bei der Dialektik
-beruhigen. Der fromme Diener Gottes mchte doch auf andere Weise
-seinem Herrn etwas nher kommen. Dieses Bedrfnis, schon anfangs im
-Islam vorhanden, durch christliche und persisch-indische Einflsse
-verstrkt und unter entwickelteren Kulturverhltnissen mchtig
-angewachsen, hat im Islam eine Reihe von Erscheinungen hervorgerufen,
-die man als Mystik und Sufismus [11] zu bezeichnen pflegt. In dieser
-Entwicklung eines muslimischen Heiligenwesens und Mnchtums hat sich
-die Geschichte christlicher Mnche und Klster in Syrien und gypten,
-auch diejenige indischer Ber wiederholt. Im Grunde haben wir es hier
-also mit religiser oder geistiger Praxis zu thun. Aber die Praxis
-spiegelt sich immer im Denken, sie erhlt ihre Theorie. Man bedurfte,
-um ein intimeres Verhltnis mit der Gottheit zu Stande zu bringen,
-vielfach symbolischer Handlungen und vermittelnder Personen. Diese nun
-versuchten es, sich und den Eingeweihten die Geheimnisse der Symbole
-zu enthllen und auerdem ihre eigene vermittelnde Stellung in der
-Stufenordnung des Alls zu begrnden. Besonders neuplatonische Lehren,
-teilweise aus der trben Quelle des Pseudo-Dionysios des Areopagiten
-und des heiligen Hierotheos (Stephen bar Sudaili?) mussten dazu
-herhalten. Auch scheint der indische Yoga, wenigstens in Persien,
-bedeutend eingewirkt zu haben. Meistens hielt sich die Mystik in
-den Schranken der Orthodoxie, die immer auch verstndig genug war,
-Dichtern und Schwrmern etwas nachzusehen. In Bezug auf die Lehre,
-dass Gott alles in allem wirke, waren Dialektiker und Mystiker
-einverstanden. Dass aber Gott auch alles in allem sei, wurde von der
-extremen Mystik hinzugefgt. Daraus entwickelte sich ein heterodoxer
-Pantheismus, der die Welt zum leeren Scheine und das menschliche Ich
-zum Gotte machte. So wird die Einheit Gottes zur Alleinheit, seine
-Allwirksamkeit zur Allwesenheit. Hchstens gibt es auer Gott noch die
-Eigenschaften oder Zustnde der sufischen zu Ihm sich hinbewegenden
-Seele. Eine Psychologie des Gefhles wird von sufischen Lehrern
-entwickelt. Whrend, nach ihnen, unsere Vorstellungen von auen an
-die Seele herankommen und unsere Strebungen eine Veruerlichung des
-Inneren bedeuten, besteht das wahre Wesen unserer Seele aus gewissen
-Zustnden oder Gefhlen der Lust und Unlust. Das wesentlichste
-von allen ist die Liebe. Weder Furcht noch Hoffnung, sondern die
-Liebe erhebt uns zu Gott. Kein Wissen und kein Wollen, sondern die
-Vereinigung mit dem Geliebten heit Seligkeit.
-
-Weit grndlicher als von den Dialektikern wird von diesen Mystikern
-die Welt, und schlielich auch die Menschenseele vernichtet. Von
-jenen ist sie der schaffenden Willkr, von diesen dem erleuchtenden,
-liebenden Wesen Gottes zum Opfer dargebracht worden. In der Sehnsucht
-nach dem Einen Geliebten wird die verwirrende Mannigfaltigkeit
-der Dinge, wie sie unseren Sinnen und der Vorstellung erscheint,
-abgestreift. Alles wird, im Sein wie im Denken, auf einen Punkt
-konzentriert. Als Gegensatz denke man sich echtes Griechentum. Dort
-wnschte man sich die Zahl der Sinne grer, um etwas mehr von dieser
-schnen Welt erkennen zu knnen. Diese Mystiker aber schelten die
-Vielheit der Sinne, weil sie Verwirrung in ihr Glck hineinbringt.
-
-Doch macht die menschliche Natur sich berall geltend. Jene Welt und
-Sinnen entsagenden Mnner schwelgen oft bis in ein hohes Alter hinein
-in den sinnlichsten Phantasien.
-
-Dass viele sich gar wenig um die Glaubenslehre kmmerten, und dass die
-asketische Moral der Sufis fter in das Gegenteil sich verwandelte,
-braucht uns nach alledem nicht zu wundern.
-
-Die Entwicklung des Sufismus im einzelnen zu verfolgen, ist mehr eine
-Aufgabe fr die Religions- als fr die Philosophiegeschichte. Auch
-finden wir die philosophischen Elemente, die darin aufgenommen wurden,
-bei den muslimischen Philosophen, denen wir im folgenden begegnen
-werden.
-
-
-
-
-4. Litteratur und Geschichte.
-
-1. Arabische Poesie und Annalistik haben sich unabhngig von
-Schulgelehrsamkeit ausgebildet. Im Laufe der Zeit aber wussten
-Litteratur und Geschichtschreibung sich nicht von fremden Einflssen
-rein zu erhalten. Mit einigen Andeutungen, dies zu erhrten, mssen
-wir uns hier begngen.
-
-Einen Bruch mit der poetischen Tradition des Arabertums, wie ihn
-das Christentum in der germanischen Welt verursachte, bedeutete
-die Einfhrung des Islam nicht. Schon die weltliche Litteratur
-der Omajjadenzeit berlieferte viele Weisheitssprche, zum Teil
-aus der altarabischen Poesie, die der Koranpredigt Konkurrenz
-machten. Abbasidenchalife, wie Mansur, Harun und Mamun, waren
-litterarisch gebildeter als Karl der Groe. Ihre Shne wurden nicht nur
-mit Koranlektre erzogen, sondern auch mit den alten Dichtern und der
-Volksgeschichte bekannt gemacht. Dichter und Litteraten wurden an die
-Hfe gezogen und frstlich belohnt. Dort erfuhr dann die Litteratur
-den Einfluss gelehrter Bildung und philosophischer Spekulation, wenn
-auch in den meisten Fllen recht oberflchlich. Dies zeigt sich vor
-allem in skeptischen uerungen, frivoler Verspottung des Heiligsten
-und Verherrlichung des Sinnengenusses. Daneben aber drangen weise
-Sprche, ernste Betrachtungen, mystische Spekulationen in die anfangs
-nchtern-realistische Poesie der Araber ein. Statt der sinnlichen
-Frische der Darstellung trat ein ermdendes Spiel mit Gedanken und
-Gefhlen, wenn nicht gar mit leeren Worten, Metren und Reimen, ein.
-
-2. Der hssliche Abu-l-Atahia (748-828) redet in seiner slichen
-Poesie fast immer von unglcklicher Liebe und Verlangen nach dem
-Tode. Seine Weisheit spricht er in diesen Versen aus:
-
-
- Lass nach dem Zweifel den Verstand sich richten:
- Vor Snde schtzt am besten das Verzichten.
-
-
-Wer nur einiges Verstndnis fr das Leben und fr Naturpoesie besitzt,
-wird sich an seinen Weltentsagungsgedichten ebensowenig erfreuen
-knnen, wie an den der Form nach zwar epigrammatischen, dem Inhalte
-nach aber furchtbar langweiligen Versen des Mutanabbi (905-965),
-den man wohl als den grten arabischen Dichter gefeiert hat.
-
-Ebenso hat man ber Gebhr Abu-l-Ala al-Maarri (973-1058) als
-philosophischen Dichter erhoben. Seine, mitunter ganz ehrenwerten
-Gesinnungen und verstndigen Ansichten sind weder Philosophie noch ist
-der geknstelte und oft banale Ausdruck dafr Poesie. Als Philologe
-oder Historiker htte dieser Mann bei gnstigeren Verhltnissen (er
-war blind und nicht bermig reich) vielleicht in der niederen Kritik
-etwas leisten knnen. Nun aber muss er statt Begeisterung fr das Leben
-freudenlose Entsagung predigen, an den politischen Verhltnissen,
-den Anschauungen der glubigen Menge und den wissenschaftlichen
-Behauptungen der Gelehrten herumnrgeln, ohne selbst etwas
-Positives aufstellen zu knnen. Es fehlt ihm fast ganz die Gabe der
-Kombination. Analysieren kann er, aber er findet keine Synthese. Sein
-Wissen ist unfruchtbar. Der Baum seiner Erkenntnis hat die Wurzeln in
-der Luft, wie er selbst in einem seiner Briefe, wohl in anderem Sinne,
-eingesteht. Er lebt als strenger Clibatr und Vegetarianer, wie es
-sich fr einen Pessimisten geziemt. Es ist ja Alles, wie er in seinen
-Gedichten ausspricht, eitel Tand. Das Geschick ist blind, die Zeit
-verschont weder den Knig, der des Lebens geniet, noch den Frommen,
-der seine Nchte durchwacht. Auch der widervernnftige Glaube lst
-uns des Daseins Rtsel nicht. Was es hinter dem bewegten Himmel geben
-mag, bleibt uns ewig verborgen. Religionen, welche da eine Aussicht
-erffnen, sind vom Eigennutz erfunden. Allerhand Sekten und Parteiungen
-werden von den Mchtigen benutzt, ihre Gewalt zu sichern. Die Wahrheit
-darber darf man nur leise sagen. Darum ist es das klgste, sich von
-der Welt entfernt zu halten, uneigenntzig Gutes zu thun, weil dies
-tugendhaft und schn ist, ohne irgendwelche Aussicht auf Belohnung.
-
-Andere Schngeister hatten eine praktischere Philosophie und wussten
-sich besser in der Welt geltend zu machen. Sie huldigten der klugen
-Lehre des Theaterdirektors aus Goethes Faust: Wer vieles bringt, wird
-manchem etwas bringen. Der vollendetste Typus dieser Art ist Hariri
-(1054-1122), dessen Held, der Bettler und Landstreicher Abu Zaid von
-Serug als hchste Weisheit lehrt:
-
-
- Hetze, statt gehetzt zu werden;
- Welt ist all ein Wald fr Hatzen.
- Wenn der Falke dir entgangen,
- Nimm frlieb nur mit dem Spatzen;
- Und erhltst du nicht den Thaler,
- So begng' dich mit dem Batzen. [12]
-
-
-3. Wie die Poesie, so zeichnete sich auch die Annalistik der alten
-Araber durch scharfe Erfassung des Einzelnen aus, war aber einer
-Gesamtauffassung der Ereignisse nicht fhig. Mit der gewaltigen
-Ausdehnung des Reiches erweiterte sich dann der Blick. Zunchst wurde
-ein groes Material gesammelt. Mehr als die religisen Pilgerzge
-frderten Reisen zur Sammlung von Traditionen, zum Zwecke der
-Verwaltung und des Handels, oder auch zur Befriedigung der Neugier
-unternommen, das geschichtliche und geographische Wissen. Eigentmliche
-Methoden der Forschung, auf den Wert der berlieferung als Quelle
-unseres Wissens sich beziehend, wurden ausgearbeitet. Mit derselben
-Subtilitt, wie in der Grammatik, ein ausgedehntes Feld der Beobachtung
-ins Unendliche einteilend, mehr arabeskenhaft als bersichtlich,
-bildete sich so eine Logik der Geschichte aus, die dem orientalischen
-Auge um vieles schner erscheinen musste als das aristotelische
-Organon in seinem strengen Aufbau. Von vielen wurde die berlieferung,
-mit deren Beglaubigung man es in der Regel praktisch weniger genau
-nahm als in der Theorie, dem Sinnenzeugnisse gleichgesetzt, und dem
-Verstandesurteile, das ja so leicht Fehlschlsse zulasse, vorgezogen.
-
-Es gab aber immer Leute, die unparteiisch sich widersprechende Berichte
-neben einander berlieferten. Andere, obgleich mit Schonung fr die
-Gefhle und Bedrfnisse der Gegenwart, hielten ihr mehr oder weniger
-begrndetes Urteil ber Vergangenes nicht zurck, wie es denn oft
-leichter ist, aus der Geschichte als aus dem Leben klug zu werden.
-
-Neue Gegenstnde der Forschung, neue Betrachtungsweisen traten
-hinzu. Die Erdkunde nahm, z. B. in der Klimatogeographie,
-Naturphilosophisches auf, die Geschichtsschreibung zog auch das
-geistige Leben, Glauben und Sitte, Litteratur und Wissenschaft in den
-Bereich ihrer Darstellung. Die Bekanntschaft mit anderen Lndern und
-Vlkern forderte vielfach zum Vergleiche auf. Und es kam also ein
-internationales, humanistisches Element herein.
-
-4. Ein Vertreter humanistischer Sinnesweise ist Masudi (gest. etwa
-956). Er hat Interesse und Verstndnis fr Alles, was menschlich
-ist. berall lernt er von den Menschen, denen er begegnet, und
-infolgedessen ist die Bcherlektre, die seine Einsamkeit ausfllt,
-nicht unfruchtbar. Weder die enge Praxis des Lebens und Glaubens,
-noch die luftigen Spekulationen der Philosophie sagen ihm zu. Er
-kennt sein Talent. Und er findet bis zuletzt, wenn er fern von der
-Heimat in gypten sein Alter verbringt, seinen Trost, die Medizin
-seiner Seele, in dem Studium der Geschichte. Die Geschichte ist ihm
-die allesumfassende Wissenschaft, seine Philosophie, die die Wahrheit
-dessen, was war und ist, darzustellen hat. Auch die Weltweisheit mit
-ihrer Entwicklung wird der Geschichte zum Gegenstande. Ohne diese
-wre ja alles Wissen lngst zu Grunde gegangen. Denn die Gelehrten
-kommen und gehen, aber die Geschichte verzeichnet ihre Geistesthaten
-und stellt dadurch die Verknpfung von Vergangenheit und Gegenwart
-her. Ohne Vorurteil berichtet sie ber die Ereignisse und ber die
-Ansichten der Menschen. Freilich, die Synthese der Thatsachen und die
-eigene Meinung des Verfassers herauszufinden, das berlsst Masudi
-oft dem verstndigen Leser.
-
-Nach ihm darf rhmend hervorgehoben werden der Geograph Maqdasi (oder
-Muqaddasi, schrieb im Jahre 985), der viele Lnder durchreiste und
-in den verschiedensten Berufen auftrat, das Leben seiner Zeit kennen
-zu lernen. Er ist ein wahrer Abu Zaid von Serug (vgl. II, 4 2),
-nur dass er einen Zweck hat.
-
-Kritisch geht er ans Werk. Er hlt sich zu der Wissenschaft, die man
-durch Forschen und Nachfragen, nicht durch Traditionsglauben oder
-reine Vernunftschlsse gewinnt. Was Geographisches im Koran steht,
-erklrt er sich aus dem engen Gesichtskreise der Araber, dem Allah
-sich anbequemt haben soll.
-
-Sine ira et studio beschreibt er nun die Lnder und Vlker, die er mit
-eigenen Augen sah. Er will an erster Stelle Selbsterlebtes darstellen,
-dann was er von glaubwrdigen Leuten vernommen, und endlich was er in
-Bchern gefunden. Aus seiner Selbstcharakteristik sind die folgenden
-Stze zusammengezogen:
-
-"Ich habe allgemeine Bildung und Pflichtenlehre unterrichtet, bin
-als Prediger aufgetreten und habe von dem Minarete der Moscheen
-den Gebetsruf erschallen lassen. Gelehrten Sitzungen und frommen
-bungen habe ich beigewohnt. Ich habe Suppe mit den Sufis, Brei mit
-den Mnchen und Schiffskost mit den Matrosen gegessen. Manchmal war
-ich die Eingezogenheit selbst, dann wieder a ich verbotene Speisen
-gegen mein besseres Wissen. Ich ging mit den Einsiedlern des Libanons
-um und dann wieder lebte ich am frstlichen Hofe. Kriege habe ich
-mitgemacht, auch sa ich gefangen und wurde als Spion in den Kerker
-geworfen. Mchtige Frsten und Minister gaben mir Gehr, dann schloss
-ich mich wieder einer Ruberbande an oder sa als Kleinhndler auf
-dem Markte. Viel Ehren und Ansehen genoss ich, aber ebenso musste
-ich Schimpfworte hren und mich zum Eide erniedrigen, als ich der
-Ketzerei oder schlechter Handlungen verdchtigt ward." [13]
-
-Wir sind heutigen Tages gewhnt, uns den Orientalen in beschaulicher
-Ruhe, Glauben und Sitte der Vter ergeben, vorzustellen. Ganz richtig
-ist die Vorstellung nicht. Aber weit weniger als zu der gegenwrtigen
-Lage stimmt sie zu der Verfassung des Islam in den ersten vier
-Jahrhunderten, als dieser sich anschickte, den Besitz nicht nur der
-ueren Gter der Welt, sondern auch der geistigen Errungenschaften
-der Menschheit zu ergreifen.
-
-
-
-
-
-
-
-
-III. DIE PYTHAGOREISCHE PHILOSOPHIE.
-
-
-1. Die Naturphilosophie.
-
-1. Euklid und Ptolemus, Hippokrat und Galen, einiges von Aristoteles,
-dazu ein umfangreiches neupythagoreisches und neuplatonisches
-Schrifttum, damit sind die Elemente der arabischen Naturphilosophie
-bezeichnet. Es ist eine Popularphilosophie, die, besonders durch die
-Sabier von Harran vermittelt, bei Schiiten und anderen Sekten Aufnahme
-fand, und die in der Folge nicht nur hfische Kreise, sondern auch eine
-ganze Masse von Gebildeten und Halbgebildeten ergriff. Einzelheiten
-aus den Schriften des "Logikers" Aristoteles wurden aufgenommen, aus
-der Meteorologie, aus der ihm zugeschriebenen Schrift ber die Welt,
-aus dem Buch der Tiere, der Psychologie u. s. w., aber der Geist
-des Ganzen ist von Pythagoras-Platon, von Stoikern und von spten
-Astrologen und Alchemisten bestimmt. Menschliche Neugierde und frommer
-Sinn, die Gottes Geheimnisse aus seinen Geschpfen herauslesen mchten,
-gehen dabei ber das praktische Bedrfnis, das etwas Rechenkunst fr
-die Verteilung der Erbschaft und fr den Handel, auch etwas Astronomie
-fr die Zeitbestimmung gottesdienstlicher Verrichtungen brauchte,
-weit hinaus. Von berall her holt man sich seine Weisheit herbei. Es
-bekundet sich darin eine Gesinnung, die von Masudi richtig formuliert
-wurde: es sei das Gute anzuerkennen, ob es sich beim Feinde oder beim
-Freunde finde. Sollte doch Ali, der Frst der Glubigen, gesagt haben:
-"Die Weltweisheit ist das verirrte Schaf des Glubigen, nimm es wieder
-auf, wenn auch von den Unglubigen".
-
-2. Der Patron mathematischer Studien im Islam ist Pythagoras. Zwar wird
-Griechisches und Indisches gemischt, aber Alles unter neupythagoreische
-Gesichtspunkte gestellt. Ohne das Studium der mathematischen
-Disziplinen: Arithmetik und Geometrie, Astronomie und Musik, wird
-Keiner, so heit es, zum Philosophen oder gebildeten Arzt. Die
-Zahlenlehre, hher geschtzt als die Messkunde, weil sie weniger zur
-Anschauung spricht und den Geist dem Wesen der Dinge nher bringen
-soll, gibt zu den ausschweifendsten Spielereien Veranlassung. Gott ist
-selbstverstndlich die groe Eins, von der Alles ausgeht, selbst keine
-Zahl, sondern Ursache der Zahl. Vor allem aber wird die Vierzahl, die
-Zahl der Elemente u. s. w., von den Naturphilosophen bevorzugt. Bald
-kann man ber nichts im Himmel und auf Erden mehr reden und schreiben,
-es sei denn in viergliedrigen Stzen und viergeteilten Abhandlungen.
-
-Von der Mathematik kam man schnell und leicht zur Astronomie und
-Astrologie hinber. Die altorientalische Praxis, die man vorfand,
-wurde schon von den Hofastrologen der Omajjaden, eingehender aber am
-abbasidischen Hofe weitergefhrt. Man gelangte dabei zu Spekulationen,
-die dem Offenbarungsglauben zuwiderliefen und deshalb von den Htern
-der Religion niemals gebilligt werden konnten. Fr den Glubigen
-bestand nur der Gegensatz: Gott und Welt, oder dieses Leben und das
-zuknftige. Fr den Astrologen aber gab es zwei Welten, eine himmlische
-und eine irdische, und Gott und das Jenseits lagen in weiter Ferne. Je
-nachdem nun das Verhltnis zwischen den Himmelskrpern und den Dingen
-unter dem Monde vorgestellt wurde, bildete sich eine verstndige
-Astronomie oder eine phantastische Astrologie heraus. Ganz frei vom
-astrologischen Wahne waren nur wenige. Solange nmlich das ptolemische
-System die Wissenschaft beherrschte, war es einem gnzlich Ungebildeten
-leichter, den Unsinn zu verspotten, als es dem gelehrten Forscher
-war, ihn zu berwinden. War ihm doch diese Erde mit ihren Lebewesen
-ein Erzeugnis himmlischer Krfte, ein Abglanz himmlischen Lichtes,
-ein Nachklang der ewigen Sphrenharmonie. Wer nun den Sternen-
-und Sphrengeistern Vorstellung und Willen zuschrieb, lie sie die
-Stelle der gttlichen Vorsehung vertreten, fhrte auf ihre Thtigkeit
-also Gutes und Bses zurck und suchte aus dem Stande ihrer Krper,
-mittelst derer sie nach dauernden Gesetzen auf das Irdische wirken, die
-zuknftigen Ereignisse zu erkunden. Andere freilich bezweifelten diese
-Vorsehung zweiter Ordnung, sei es aus Erfahrungs- und Vernunftgrnden,
-sei es aus dem peripatetischen Glauben, dass die seligen himmlischen
-Wesen reine denkende Geister seien, ber Vorstellung und Willen, somit
-ber alle sinnliche Besonderheit erhaben, sodass ihre frsorgliche
-Wirkung nur das Wohl des Ganzen bezwecke, niemals aber auf die
-Einzelpersnlichkeit oder das Einzelgeschehen sich beziehen knne.
-
-3. Auf dem Gebiete der Naturwissenschaften haben muslimische
-Gelehrte ein reiches Material zusammengebracht, zu einer wirklich
-wissenschaftlichen Behandlung ist es aber kaum irgendwo gekommen. In
-den einzelnen Naturwissenschaften, deren Ausbildung hier nicht
-verfolgt werden kann, hielt man sich an berlieferten Systemen. Um
-die Weisheit Gottes und die Wirkungen der Natur, die als eine Kraft
-oder eine Emanation der Weltseele gefasst wurde, zu ergrnden,
-wurden alchemistische Versuche angestellt, die Zauberkrfte der
-Talismane geprft, die Einflsse der Musik auf Tier- und Menschenseele
-erforscht, physiognomische Beobachtungen gemacht, die Wunder des
-Schlaf- und Traumlebens, der Wahrsagerei und Prophetie zu deuten
-versucht u. s. w. Im Mittelpunkt des Interesses stand natrlich der
-Mensch als Mikrokosmos, der smtliche Elemente und Krfte des Alls
-in sich vereinigen soll. Als das Wesentliche am Menschen galt die
-Seele. Ihr Verhltnis zur Weltseele und ihr zuknftiges Los waren
-Gegenstnde der Forschung. Aber auch ber die Vermgen der Seele und
-deren Lokalisierung in Herz und Hirn wurde viel spekuliert. Einige
-hielten sich an Galen, andere gingen ber ihn hinaus und lieen den
-fnf ueren Sinnen fnf innere entsprechen, eine Lehre, die, nebst
-hnlichen Naturgeheimnissen, auf Apollonius von Tyane zurckgefhrt
-wurde.
-
-Es versteht sich, dass bei dem Studium der mathematischen
-und naturwissenschaftlichen Disziplinen die verschiedensten
-Verhaltungsweisen gegenber den Religionslehren mglich waren. Doch
-wurden die propdeutischen Wissenschaften, sobald sie selbstndig
-auftraten, dem Glauben immer gefhrlich. Mit der Astronomie verband
-sich leicht die Annahme von der Weltewigkeit, von einer ungeschaffenen
-Materie, von Ewigkeit her bewegt. Und wenn die Himmelsbewegung ewig,
-dann wohl auch der irdische Wechsel. Ewig sind, so wird von manchem
-gelehrt, alle Reiche der Natur, ewig ist auch das Menschengeschlecht
-und dreht sich im Kreise herum. Nichts Neues gibt es auf der Welt, wie
-alles Andere wiederholen sich Ansichten und Begriffe der Menschen. Was
-nur mglicherweise gethan, behauptet, gewusst werden kann, ist schon
-dagewesen und wird einmal wieder da sein.
-
-Darber lie sich nun trefflich reden und klagen, ohne dass die
-Wissenschaft viel dadurch gefrdert wurde.
-
-4. Etwas ntzlicher schien die Wissenschaft der Medizin zu sein, die
-aus naheliegenden Grnden von den hohen Herren begnstigt wurde. Nicht
-am wenigsten ihretwegen beauftragten die Chalifen so viele Mnner
-mit dem bersetzen griechischer Werke. Kein Wunder also, dass der
-Einfluss mathematisch-naturwissenschaftlicher Lehren, sowie der Logik,
-auch in die Medizin eindrang. Der alte Mediziner war geneigt, sich mit
-hergebrachten Zauberformeln und anderen von der Erfahrung erprobten
-Mitteln zu begngen. Aber die moderne Gesellschaft des neunten
-Jahrhunderts forderte vom Arzte philosophisches Wissen. Er sollte die
-"Naturen" der Nahrungs-, Genuss- und Heilmittel, die Mischungen des
-Krpers und in jedem Falle die Einwirkungen der Gestirne kennen. Der
-Arzt war der Bruder des Astrologen, dessen Wissen ihm imponierte,
-weil es einen erhabeneren Gegenstand hatte als die medizinische
-Praxis. Er sollte beim Alchemisten in die Schule gehen und nach
-mathematisch-logischen Methoden seine Kunst ausben. Es gengte den
-Bildungsfanatikern des neunten Jahrhunderts nicht, dass der Mensch
-nach dem Qijas, d. h. logisch richtig zu sprechen, zu glauben und sich
-zu benehmen hatte, er musste sich auerdem nach dem Qijas kurieren
-lassen. Wie ber die Grundlagen der Glaubens- und Pflichtenlehre,
-wurde, am Hofe Wathik's (842-847), ber die Prinzipien der Medizin in
-gelehrten Sitzungen disputiert. Es fragte sich nmlich, mit Anlehnung
-an eine galenische Schrift, ob die Medizin auf berlieferung,
-Erfahrung oder Vernunfterkenntnis beruhe, oder aber ob sie durch
-logische Deduktion (Qijas) auf mathematisch-naturwissenschaftliche
-Stze sich sttze.
-
-5. Die hier flchtig skizzierte Naturphilosophie galt den meisten
-Gelehrten des neunten Jahrhunderts als Philosophie schlechthin, im
-Gegensatz zu der theologischen Dialektik, und wurde als pythagoreisch
-bezeichnet. Auch in das zehnte Jahrhundert ging sie hinber und ihr
-bedeutendster Vertreter wurde der berhmte Arzt Razi (gest. 923 oder
-932). Dieser war in Rai geboren und mathematisch gebildet und hatte
-dann mit groem Fleie Medizin und Naturphilosophie studiert. Der
-Dialektik war er abhold, er kannte die Logik nur bis zu den
-kategorischen Figuren der ersten Analytik. Nachdem er als Direktor
-des Krankenhauses seiner Vaterstadt und in Bagdad thtig gewesen war,
-ging er auf Reisen und hielt sich an verschiedenen Frstenhfen auf,
-u. a. bei dem Samaniden Mansur ibn Ishaq, dem er ein medizinisches
-Werk widmete.
-
-Vom rztlichen Berufe und dem dazu erforderlichen Studium hat Razi
-eine hohe Meinung. Die tausendjhrige Weisheit der Bcher schtzt
-er mehr als die Erfahrungen des Einzelnen in einem kurzen Leben,
-zieht aber diese den nicht erfahrungsmig erprobten Folgerungen der
-"Logiker" vor.
-
-Das Verhltnis zwischen Leib und Seele denkt er sich von der Seele
-bestimmt. Es sollen also die Zustnde und Leiden der Seele aus der
-Physiognomie sich erkennen lassen, der Mediziner soll zugleich
-Seelenarzt sein. Er verfasste darum auch eine geistige Medizin,
-eine Art Ditetik der Seele. Um die Vorschriften des muslimischen
-Gesetzes, das Weinverbot u. s. w., kmmerte er sich dabei nicht. Sein
-Libertinismus scheint ihn aber zum Pessimismus gefhrt zu haben. Er
-fand nmlich mehr bel als Gutes in der Welt und bezeichnete die Lust
-als Abwesenheit von Unlust.
-
-Wie hoch Razi den Aristoteles und Galen schtzte, um ein tieferes
-Verstndnis ihrer Werke hat er sich doch nicht sonderlich
-bemht. Eifrig betrieb er die Alchemie, seiner Ansicht nach eine
-in der Existenz einer Urmaterie begrndete wirkliche Kunst, die den
-Philosophen unerlsslich sei, glaubte auch, sie wre von Pythagoras,
-Demokrit, Platon, Aristoteles und Galen ausgebt worden. Entgegen
-der peripatetischen Lehre nahm er an, der Krper habe das Prinzip
-der Bewegung in sich selbst, was allerdings ein fruchtbarer Gedanke
-in der Naturwissenschaft htte werden knnen, wenn er anerkannt und
-weiter ausgebildet worden wre.
-
-Razis Metaphysik geht aus von alten Lehren, die seine Zeitgenossen
-dem Anaxagoras, Empedokles, Mani u. A. zuschrieben. An der Spitze
-seines Systems stehen fnf gleichewige Prinzipien, der Schpfer,
-die Universalseele, die erste oder Urmaterie, der absolute Raum
-und die absolute Zeit oder ewige Dauer. Damit sind die notwendigen
-Bedingungen der wirklich existierenden Welt gegeben. Die einzelnen
-Sinneswahrnehmungen setzen berhaupt eine Materie voraus, wie
-die Zusammenfassung verschiedener wahrgenommener Gegenstnde einen
-Raum. Die wahrgenommenen Vernderungen zwingen uns ferner zur Annahme
-einer Zeit. Die Existenz lebendiger Wesen fhrt uns auf eine Seele,
-und dass einige von diesen lebendigen Wesen mit Vernunft begabt sind,
-d. h. befhigt, die Knste zur hchsten Vollkommenheit zu bringen,
-dies ntigt uns an einen weisen Schpfer zu glauben, dessen Vernunft
-alles aufs beste angeordnet hat.
-
-Trotz der Ewigkeit seiner fnf Prinzipien spricht Razi also von einem
-Schpfer und gibt auch eine Schpfungsgeschichte. Zuerst nmlich wurde
-ein einfaches, reines, geistiges Licht erschaffen, die Materie der
-Seelen, welche lichtartige, einfache, geistige Substanzen sind. Jene
-Lichtmaterie oder die Oberwelt, aus der die Seelen herkamen, heit auch
-Vernunft oder Licht vom Lichte Gottes. Dem Lichte folgt der Schatten,
-aus dem, zum Dienste der vernnftigen Seele, die animalische Seele
-geschaffen wird. Zugleich aber mit dem einfachen, geistigen Lichte
-war schon anfangs ein zusammengesetztes da, das ist der Krper, aus
-dessen Schatten nun die vier Naturen, Wrme und Klte, Trockenheit
-und Feuchtigkeit, hervorgehen. Aus diesen vier Naturen werden zuletzt
-smtliche himmlische und irdische Krper gebildet. Aber das Alles
-geschieht von Ewigkeit her, ohne zeitlichen Anfang, denn Gott war
-nie ohne Thtigkeit.
-
-Dass Razi Astrolog war, versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Die
-Himmelskrper bestehen ja nach ihm aus denselben Elementen wie die
-irdischen Dinge und diese sind den Einwirkungen jener fortwhrend
-ausgesetzt.
-
-6. Razi hatte sich nach zwei Seiten hin polemisch zu verhalten. Er
-bekmpfte einerseits die muslimische Einheit Gottes, die keine ewige
-Seele, Materie, Raum und Zeit neben sich duldet, andererseits aber
-wendete er sich gegen das dahritische System, das keinen Weltschpfer
-anerkennt. Dieses System, das von muslimischen Schriftstellern fter,
-mit dem gehrigen Abscheu natrlich, erwhnt wird, scheint, wenn auch
-zahlreiche, doch keine bedeutende Vertreter gefunden zu haben. Die
-Anhnger des Dahr (s. I, 2 2) werden als Materialisten, Sensualisten,
-Atheisten, Anhnger der Seelenwanderung u. s. w. uns vorgefhrt,
-aber Genaueres ber ihre Lehren erfahren wir nicht. Die Dahriten
-hatten jedenfalls nicht das Bedrfnis, alles Seiende auf ein Prinzip
-zurckzufhren, das geistigen Wesens und schaffenden Wirkens war. Und
-eines solchen Prinzipes bedurfte die muslimische Philosophie, sollte
-sie sich mit der Glaubenslehre auch nur einigermaen vertragen. Dazu
-eignete sich die Naturphilosophie nicht, weil diese mehr Interesse
-zeigte fr die mannigfachen und oft gegenstzlichen Wirkungen der
-Natur als fr den Einen Urgrund des Alls. Besser aber erfllte diesen
-Zweck der neuplatonische Aristotelismus, dessen logisch-metaphysische
-Spekulation darauf ausging, alles Seiende auf ein hchstes Sein
-zurckzufhren oder alle Dinge aus einem obersten Wirkungsprinzip
-abzuleiten. Doch bevor wir uns dieser Richtung des Denkens, die schon
-im neunten Jahrhundert sich zu zeigen anfing, zuwenden, haben wir
-noch ber einen Versuch zu berichten, die Naturphilosophie mit den
-Lehren des Glaubens zu einer Religionsphilosophie zu verschmelzen.
-
-
-
-
-2. Die treuen Brder von Basra.
-
-1. Im Orient, wo jede Religion einen Staat im Staate bildete, trat
-eine politische Partei, schon damit sie berhaupt Anhnger gewinne,
-immer zugleich als religise Sekte auf. Prinzipiell kannte nun der
-Islam keinen Unterschied zwischen den Menschen, keine Kasten oder
-Stnde. Aber Besitz und Bildung haben berall dieselbe Wirkung. Und
-in ihrem Gefolge fing man an, Grade der Frmmigkeit und Stufen der
-Erkenntnis aufzustellen, danach Gemeinde oder Partei sich einteilen
-liee. So entstanden geheime Gesellschaften mit verschiedenen Graden,
-deren hchster oder nchsthchster eine Geheimlehre besa, die
-der neupythagoreischen Naturphilosophie manches entlehnte. Zu ihrem
-Zwecke, Eroberung politischer Macht, war jedes Mittel erlaubt. Fr die
-Eingeweihten wurde der Koran allegorisch ausgelegt. Zwar fhrte man
-diese geheime Weisheit auf Propheten mit biblischen und koranischen
-Namen zurck, es steckten aber heidnische Philosophen dahinter. Die
-Philosophie wurde ganz zu einer politischen Mythologie umgebildet. Die
-hohen Geister und Seelen, die theoretische Denker in Gestirnen
-und Planeten erkannten, verkrperten sich fr die Realpolitik in
-menschliche Wesen, denen zur Grndung eines irdischen Reiches der
-Gerechtigkeit behlflich zu sein, als religise Pflicht verkndigt
-ward. Man kann die Gesellschaften, die solches betrieben, am besten
-mit Vereinen vergleichen, wie sie bis auf den Saint-Simonismus und
-verwandte Erscheinungen dieses Jahrhunderts, in Lndern, wo die
-Geistesfreiheit beschrnkt ist, aufzutreten pflegen.
-
-Urheber einer solchen Bewegung war, in der zweiten Hlfte des
-neunten Jahrhunderts, das Haupt der Karmatenpartei, Abdallah
-ibn Maimun. Er war ein persischer Augenarzt, in der Schule der
-Naturphilosophen gebildet. Glubige und Freidenker wusste er in einen
-Bund zusammenzuschlieen, um den Versuch zu machen, die abbasidische
-Regierung zu strzen. Dem Einen war er ein Gaukler, dem Andern ein
-frommer Asket oder ein gelehrter Philosoph. Seine Farbe war wei,
-weil seine Religion die des reinen Lichtes, zu dem die Seele nach
-ihren irdischen Wanderungen aufsteigen sollte. Verachtung des Krpers,
-Geringschtzung der materiellen, allen Bundesbrdern gemeinsamen Gter
-wurde gepredigt, sowie Hingebung an den Bund, Treue und Gehorsam bis
-in den Tod gegen seine Oberen. Denn der Bund stufte sich in Graden
-ab. Nach der Stufenfolge des Seins, Gott, Vernunft, Seele, Raum und
-Zeit, stellte man sich die Offenbarung Gottes in der Geschichte und
-in der Verfassung seines Bundes vor.
-
-2. Die Hauptsttten der karmatischen Wirksamkeit waren Basra
-und Kufa. Nun aber finden wir in der zweiten Hlfte des zehnten
-Jahrhunderts in Basra eine kleine Gesellschaft von Mnnern, deren
-Bund vier Grade haben soll. Inwiefern es den Brdern gelungen ist,
-die ideelle Gliederung ihres Bundes zu verwirklichen, wissen wir
-freilich nicht. Dem ersten Grade gehren die jungen Mnner von 15 bis
-30 Jahren an, deren Seelen in natrlicher Weise ausgebildet werden. Als
-Schler haben sie sich ganz ihren Lehrern zu fgen. Der zweite Grad
-(30-40 Jahre) wird in die Weltweisheit eingefhrt und bekommt eine
-analoge Erkenntnis der Dinge. Im dritten Grade (40-50 Jahre) wird
-das gttliche Weltgesetz in adquater Form erkannt, es ist das die
-Stufe der Propheten. Im hchsten Grade endlich, wenn man ber 50 Jahre
-hinaus ist, erlebt man, wie die seligen Engel, die wahre Wirklichkeit
-der Dinge. Man ist da ber Natur, Lehre und Gesetz erhaben.
-
-Aus diesem Brderbunde ist uns eine stufenmig fortschreitende
-Encyklopdie der damaligen Wissenschaften erhalten. Sie besteht
-aus 51 (ursprnglich vielleicht 50) Abhandlungen, die inhaltlich
-verschiedener Art und Herkunft sind, sodass es den Redaktoren oder
-Compilatoren nicht gelungen ist, eine durchgngige bereinstimmung
-herzustellen. Im allgemeinen aber findet sich in dieser Encyklopdie
-ein eklektischer Gnostizismus auf naturphilosophischer Grundlage mit
-politischem Hintergrunde. Mit mathematischen Betrachtungen, voll
-Zahlen- und Buchstabenspiel hebt die Darstellung an, durch Logik
-und Physik, aber Alles auf die Seele und ihre Krfte beziehend,
-schreitet sie fort, um endlich in mystisch-zauberischer Weise sich
-der Erkenntnis der Gottheit zu nhern. Das Ganze stellt sich als die
-Lehre einer verfolgten Sekte dar, ab und zu blickt das Politische
-hindurch. Wir sehen noch etwas von Leiden und Kampf, von Bedrckungen,
-denen die Mnner dieser Encyklopdie oder ihre Vorgnger ausgesetzt
-waren, von Hoffnung, die sie hegen, von Duldung, die sie predigen. Sie
-suchen in dieser spiritualistischen Philosophie Trost oder Erlsung,
-sie ist ihre Religion. Treu bis zum Tode, heit es, sollen die Brder
-sein, denn fr der Freunde Wohl in den Tod zu gehen, das ist der wahre
-heilige Krieg. Auf der Pilgerfahrt des Lebens durch diese Welt, so wird
-die verpflichtete Reise nach Mekka allegorisiert, soll Einer dem Andern
-mit allen Mitteln beistehen. Die Reichen sollen von ihren materiellen,
-die Weisen von ihren geistigen Gtern den Anderen mitteilen. Doch ist
-das Wissen, wie wir es in der Encyklopdie haben, wohl hauptschlich
-den Eingeweihten der hchsten Grade vorbehalten worden.
-
-Es scheint nun allerdings dieser Bund der treuen Brder von Basra,
-wie vielleicht eine Zweigniederlassung in Bagdad, ein stilles
-Dasein gefhrt zu haben. Die Brder mgen sich zu den Karmaten etwa
-verhalten haben wie die ruhigeren Taufgesinnten zu den revolutionren
-Wiedertufern des Knigs von Sion.
-
-Als Mitglieder des Bundes und Verfasser der Encyklopdie werden uns
-von Spteren genannt: Abu Sulaiman Mohammed ibn Muschir al-Busti,
-genannt al-Muqaddasi, Abu-l-Hasan Ali ibn Harun al-Zandschani,
-Mohammed ibn Achmed al-Nahradschuri, al-Aufi und Zaid ibn Rifaa. Zur
-Zeit ihres Wirkens hatte das Chalifat seine weltliche Macht schon ganz
-dem schiitischen Bujidenhause (945) abtreten mssen. Wahrscheinlich
-begnstigte dieser Umstand das Hervortreten mit einer Encyklopdie,
-in der schiitische und mutazilitische Lehren mit den Ergebnissen der
-Philosophie zu einem populren System zusammengefasst waren.
-
-3. Die Brder bekennen sich selbst zum Eklektizismus. Sie wollen
-die Weisheit aller Vlker und Religionen sammeln. Noah und Abraham,
-Sokrates und Platon, Zoroaster und Jesus, Mohammed und Ali sind ihre
-Propheten. Sokrates, Jesus und seine Apostel, sowie die Aliden,
-werden als heilige Mrtyrer ihres Vernunftglaubens verehrt. Das
-Religionsgesetz in seinem buchstblichen Sinne heit gut fr den
-gemeinen Mann, eine Medizin fr schwache und kranke Seelen; fr starke
-Geister aber ist die tiefere philosophische Einsicht. Der Krper wird
-dem Tode geweiht, Sterben bedeutet Auferstehen zum reinen Leben des
-Geistes, fr diejenigen nmlich, die schon whrend ihres Erdendaseins
-durch philosophische Betrachtungen aus sorglosem Schlummer und
-thrichtem Schlaf erwacht sind. Mit endlosen Wiederholungen, durch
-Legenden und Sagen sptgriechischer, jdisch-christlicher, persischer
-oder indischer Herkunft, wird dieses eingeschrft. Alles Vergngliche
-wird dabei zum Gleichnis. Auf den Trmmern der positiven Religion und
-der naiven Ansicht baut sich eine spiritualistische Philosophie auf,
-alles Wissen und Streben der Menschheit, sofern es in den Gesichtskreis
-der Brder getreten ist, umfassend. Der Zweck ihres Philosophierens
-heit das Gotthnlichwerden der Seele, soweit es Menschen mglich ist.
-
-In der Darstellung treten, aus begreiflichen Grnden, die negativen
-Tendenzen der Brder etwas zurck. Am rcksichtslosesten aber tritt
-ihre Kritik der menschlichen Gesellschaft und der positiven Religionen
-hervor in dem Buche vom Tier und Mensch, wo die Einkleidung es ihnen
-ermglicht, die Tiere sagen zu lassen, was aus menschlichem Munde zu
-hren, bedenklich werden knnte.
-
-4. Der eklektische Charakter und die in den Unterteilen wenig
-systematische Art der Darstellung erschwert es, die Philosophie der
-Brder einheitlich zu entwickeln. Doch sollen hier die wichtigsten
-Stze, wenn auch mitunter in loser Verknpfung, zusammengereiht werden.
-
-Die Geistesthtigkeit des Menschen zerfllt, nach der Encyklopdie, in
-Kunst und Wissenschaft. Wissen nun ist die Form des Gewussten in der
-wissenden Seele oder eine hhere, feinere, geistigere Existenzweise
-des im Stoffe Wirklichen. Kunst dagegen ist das Hervorgehenlassen
-der Form aus der Knstlerseele in die Materie hinein. Das Wissen ist
-potentiell in der Seele des Schlers vorhanden, wird aber erst aktuell
-durch die belehrende Thtigkeit eines Meisters, der das Wissen als ein
-Wirkliches in sich trgt. Woher aber hat es der erste Meister? Nach
-den Philosophen, so antworten die Brder, hat er es sich durch eigenes
-Nachdenken erworben, nach den Theologen durch prophetische Erleuchtung
-erhalten, nach unserer Meinung aber gibt es verschiedene Wege oder
-Vermittelungen, zum Wissen zu gelangen. Aus der Mittelstellung der
-Seele zwischen Krper- und Geisteswelt ergeben sich schon drei Wege
-oder Quellen der Erkenntnis. Die Seele erkennt nmlich das, was unter
-ihr steht, durch die Sinne, das, was ber ihr ist, durch logische
-Folgerung, und endlich sich selbst durch vernnftige Betrachtung oder
-unmittelbare Anschauung. Von diesen Arten ist die Selbsterkenntnis die
-gewisseste und vorzglichste. Das menschliche Wissen erweist sich,
-wenn es darber hinauszugehen versucht, vielfach beschrnkt. ber
-Fragen, wie Weltentstehung und Weltewigkeit, soll man deshalb nicht
-gleich philosophieren, sondern sich zunchst an dem Einfacheren
-versuchen. Und nur durch Weltentsagung und gerechten Wandel erhebt
-die Seele sich allmhlich zur reinen Erkenntnis des Hchsten.
-
-5. Nach der weltlichen Bildung in Sprachwissenschaft, Poesie und
-Geschichte und nach der religisen Erziehung und Glaubenslehre,
-soll das philosophische Studium mit den mathematischen Disziplinen
-anfangen. Alles wird hier neupythagoreisch-indisch dargestellt. Nicht
-nur die Zahlen, auch die Buchstaben werden zu kindischen Spielereien
-benutzt. Es kam da den Brdern besonders zu statten, dass das
-arabische Alphabet 28 = 4 7 Buchstaben zhlt. Statt nach sachlichen
-Gesichtspunkten zu verfahren, wird durch alle Wissenschaften hindurch
-nach sprachlichen Analogien und Zahlenverhltnissen phantasiert. Die
-Arithmetik untersucht nicht die Zahl als solche, sondern deren
-Bedeutsamkeit. Es wird nicht fr die Erscheinungen ein zahlenmiger
-Ausdruck gesucht, sondern nach dem System der Zahlen werden die
-Dinge gedeutet. Die Zahlenlehre ist gttliche Weisheit, die ber den
-Dingen ist, denn die Dinge sind erst den Zahlen nachgebildet. Das
-absolute Prinzip alles Seienden und Gedachten ist die Eins. Daher
-steht die Wissenschaft der Zahl am Anfang, in der Mitte und am Ende
-aller Philosophie. Die Geometrie mit ihren anschaulichen Figuren
-dient nur dazu, Anfngern das Verstndnis zu erleichtern, wahre,
-reine Wissenschaft aber ist allein die Arithmetik. Doch wird auch
-die Geometrie eingeteilt in eine sinnliche, die Linien, Flchen und
-Krper zum Gegenstande hat, und eine reine oder geistige, die von den
-Dimensionen oder Eigenschaften der Dinge, Lnge, Breite und Tiefe,
-handelt. Der Zweck sowohl der Arithmetik als der Geometrie ist,
-die Seele vom Sinnlichen auf das Geistige hinzufhren.
-
-Zuerst fhren sie uns dann zur Betrachtung der Gestirne. In der
-Astrologie bietet nun die Encyklopdie, wie nicht anders zu erwarten
-ist, hchst phantastische, zum Teil sich widersprechende Lehren. Durch
-das Ganze geht die berzeugung hindurch, dass die Gestirne nicht blo
-Zuknftiges vorhersagen, sondern dass sie alles Geschehen unter dem
-Monde direkt beeinflussen oder bewirken. Sowohl Glck als Unglck
-kommt von ihnen her. Jupiter, Venus und die Sonne fhren Glck,
-Saturn, Mars und der Mond dagegen Unglck herbei, und die Wirkungen
-des Merkur sind aus Gutem und Bsem gemischt. Merkur ist der Herr der
-Bildung und der Wissenschaft; ihm verdanken wir unsere Erkenntnis,
-die Gutes und Bses umfasst. So hat denn auch jeder andere Planet
-seinen eigenen Wirkungskreis, und der Mensch empfindet in seinem Leben,
-wenn er nicht vorzeitig weggerafft wird, nach und nach die Einflsse
-smtlicher Himmelskrper. Der Mond lsst seinen Krper wachsen
-und Merkur bildet seinen Geist aus. Dann beherrscht ihn Venus. Die
-Sonne gibt ihm Familie, Reichtum oder Herrschaft, Mars Tapferkeit
-und Edelsinn. Darauf bereitet er sich, unter Jupiters Fhrung, durch
-religise bungen zur Reise ins Jenseits vor und gelangt unter dem
-Einflusse Saturns zur Ruhe. Viele Menschen aber leben nicht lange genug
-oder sind nicht in der Lage, ihre natrlichen Anlagen in ungestrter
-Folge zu entwickeln. Darum schickt Gott ihnen gndig seine Propheten,
-nach deren Lehre man sich auch in kurzer Frist und unter ungnstigen
-Verhltnissen vollstndig ausbilden kann.
-
-6. Nach der Encyklopdie ist der Mathematik die Logik verwandt. Wie
-nmlich die Mathematik vom Sinnlichen zum Geistigen hinfhrt, so nimmt
-auch die Logik eine Mittelstellung zwischen Physik und Metaphysik
-ein. Die Physik hat es mit den Krpern, die Metaphysik mit den reinen
-Geistern zu thun, die Logik aber behandelt die Begriffe dieser sowie
-die Vorstellungen jener in unserer Seele. Doch steht die Logik der
-Mathematik an Umfang und Bedeutung nach. Denn das Mathematische wird
-nicht nur als ein Mittleres, sondern auch als das Wesen des Alls
-gefasst. Hingegen bleibt die Logik ganz auf die seelischen Gebilde
-als ein Mittleres zwischen Krper und Geist beschrnkt. Die Dinge
-richten sich nach den Zahlen, unsere Vorstellungen und Begriffe aber
-nach den Dingen.
-
-Die logischen Betrachtungen der Brder knpfen sich an Porphyrs
-Einleitung und die Kategorien, die Hermeneutik und die Analytiken
-des Aristoteles. Eigentmliches bieten sie nicht oder sehr wenig.
-
-Zu den fnf Worten des Porphyr wird als sechstes das Individuum
-hinzugefgt, wohl der Symmetrie wegen. Drei davon, Gattung,
-Art, Individuum, heien dann objektive, und drei, Differenz,
-Proprium, Accidens, begriffliche Bestimmungen. Die Kategorien sind
-Gattungsbegriffe, von denen der erste die Substanz, die neun anderen
-deren Accidenzen bezeichnen. Durch Einteilung in Arten wird ferner das
-ganze System der Begriffe entwickelt. Auer der Einteilung aber gibt es
-noch drei logische Methoden: Analyse, Definition und Deduktion. Die
-Analyse ist die Methode fr Anfnger, weil sie das Individuelle
-erkennen lsst. Subtiler aber, das Geistige uns erschlieend, sind die
-Definition, welche die Arten, und die Deduktion, welche die Gattungen
-in ihrem Wesen ergrndet.
-
-ber das Dasein der Dinge belehren uns die Sinne, der Dinge Wesenheit
-aber wird durch Nachdenken erkannt. Was die Sinne uns zu erkennen
-geben, ist wenig, wie die Buchstaben des Alphabets; bedeutender
-schon, wie die Worte, sind die Prinzipien der Vernunfterkenntnis;
-das Wichtigste aber sind die aus jenen Prinzipien abgeleiteten
-Stze, die der menschliche Geist sich selbst erwirbt oder aneignet,
-im Unterschiede von demjenigen Wissen, das ihm die Natur oder die
-gttliche Offenbarung erteilt hat.
-
-7. Von Gott, dem hchsten Sein, der ber alle Unterschiede und
-Gegenstze, auch des Krperlichen und Geistigen, erhaben ist, wird die
-ganze Welt auf dem Wege der Emanation abgeleitet. Wenn mitunter von
-einer Schpfung die Rede ist, so ist das als eine Anbequemung an den
-theologischen Sprachgebrauch aufzufassen. Folgendermaen stellt sich
-nun die Stufenreihe der emanierten Wesen dar: 1. der schaffende Geist
-(nous, `aql); 2. der leidende Geist oder die Allseele; 3. die erste
-Materie; 4. die wirkende Natur, eine Kraft der Weltseele; 5. der
-absolute Krper, auch zweite Materie genannt; 6. die Sphrenwelt;
-7. die Elemente der sublunarischen Welt; 8. die aus diesen Elementen
-zusammengesetzten Mineralien, Pflanzen und Tiere. Das sind also acht
-Wesen, die zusammen mit Gott, der absoluten Eins, die in und mit
-jedem Dinge ist, die Reihe der den neun Grundzahlen entsprechenden
-Urwesen vollenden.
-
-Geist, Seele, Urmaterie und Natur sind einfach, mit dem Krper aber
-betreten wir das Gebiet des Zusammengesetzten. Alles ist hier entweder
-Materie oder Form, Substanz oder Accidens. Die ersten Substanzen sind
-Materie und Form, die ersten Accidenzen oder Eigenschaften Raum,
-Bewegung und Zeit, denen man wohl im Sinne der Brder den Ton und
-das Licht hinzufgen knnte. Die Materie ist eins, alle Vielheit und
-Verschiedenheit rhrt von den Formen her. Die Substanz wird auch als
-die konstituierende, materielle, das Accidens als die vollendende,
-geistige Form bezeichnet. Klar spricht die Encyklopdie sich nicht
-aus. Jedenfalls aber wird die Substantialitt mehr im Allgemeinen als
-im Besonderen gesucht und die Form der Materie vorgezogen. Wie ein
-Gespenst schreckt die substantielle Form von jedem Eingehen auf das
-Materielle ab. Wie Herren nach ihrer Willkr wandern die Formen durch
-die niedere Welt der Materie. Von einer inneren Beziehung zwischen
-Materie und Form ist keine Spur zu entdecken. Nicht nur gedanklich,
-sondern auch real lassen sie sich trennen.
-
-Hieraus lsst sich schon ein Begriff von der Naturgeschichte der
-Brder bilden. Man hat sie als Darwinisten des zehnten Jahrhunderts
-hingestellt. Nichts ist weniger richtig. Zwar ergeben die verschiedenen
-Reiche der Natur, nach der Encyklopdie, eine aufsteigende und
-zusammenhngende Reihe. Aber nicht nach der Krperbildung wird
-das Verhltnis bestimmt, sondern nach der inneren Form oder der
-Seelensubstanz. In mystischer Weise wandert die Form vom Niederen zum
-Hheren und umgekehrt, nicht nach inneren Bildungsgesetzen oder durch
-Anpassung an das uere modifiziert, sondern nach den Einwirkungen
-der Gestirne und, wenigstens beim Menschen, nach praktischem und
-theoretischem Verhalten. Eine Entwicklungsgeschichte in modernem Sinne
-zu geben, lag den Brdern ganz fern. Ausdrcklich betonen sie z. B.,
-Pferd und Elephant seien menschenhnlicher als der Affe, obgleich beim
-letzteren die krperliche bereinkunft grer. Aber der Krper ist
-ja etwas ganz Nebenschliches in ihrem System, der Tod des Krpers
-heit die Geburt der Seele. Nur die Seele ist ein wirkendes Wesen,
-das sich den Krper schafft.
-
-8. Die Naturlehre der Brder geht demnach fast vollstndig in
-Psychologie auf. Beschrnken wir uns hier auf die menschliche
-Seele. Sie steht in der Mitte des Alls. Wie die Welt ein groer Mensch,
-ist der Mensch eine kleine Welt.
-
-Die menschliche Seele ist von der Weltseele emaniert, und die Seelen
-smtlicher Individuen bilden zusammen eine Substanz, die man den
-absoluten Menschen oder den Geist der Menschheit nennen knnte. Jede
-Einzelseele aber steckt in der Materie und muss sich allmhlich
-zum Geiste hinbilden. Dazu hat sie viele Vermgen oder Krfte. Von
-diesen sind die theoretischen Vermgen die vorzglichsten, denn in
-der Erkenntnis besteht das Leben der Seele.
-
-Die Seele des Kindes ist zunchst wie ein weies Blatt. Was die fnf
-Sinne ihr zufhren, wird, vorn, mitten und hinten im Gehirne, erstens
-vorgestellt, zweitens beurteilt und drittens aufbewahrt. Durch das
-Vermgen der Sprache und die Schreibkunst, womit die entsprechende
-Fnfzahl innerer Sinne erreicht ist, wird dann der Vorstellungsinhalt
-verwirklicht.
-
-Unter den ueren Sinnen geht das Gehr dem Gesichte voran, denn
-dieses bezieht sich, ein Sklave des Augenblickes, auf das sinnlich
-Gegenwrtige, dagegen das Gehr auch Vergangenes erfasst und die
-Harmonie der tnenden Sphren empfindet. Gehr und Gesicht bilden
-zusammen die Gruppe geistiger Sinne, deren Wirkung zeitlos von statten
-gehen soll.
-
-Whrend nun der Mensch die ueren Sinne mit den Tieren gemein hat,
-so bekundet sich in der Urteilskraft, in der Sprache und im Handeln
-die spezifisch menschliche Vernunft. Diese urteilt ber gut und
-bse, nach welchem Urteile der Wille sich entscheidet. Besonders
-aber ist die Bedeutung der Sprache fr das Erkenntnisleben der Seele
-hervorzuheben. Ein Begriff, der nicht durch irgend einen Ausdruck in
-irgend einer Sprache bezeichnet werden kann, ist eben kein denkbarer
-Begriff. Das Wort ist der Krper des Gedankens, der rein fr sich
-nicht bestehen kann.
-
-Wie aber diese Auffassung vom Verhltnis zwischen Begriff und Ausdruck
-zu sonstigen Meinungen der Brder stimmen soll, ist nicht einzusehen.
-
-9. Auf ihrer hchsten Stufe wird die Lehre der Brder
-Religionsphilosophie. Eine Vershnung zwischen Wissenschaft und
-Leben, Philosophie und Glauben ist ihre Absicht. Da sind nun die
-Menschen sehr verschieden. Der gewhnliche Mensch braucht einen
-sinnlichen Gottesdienst. Aber wie die Seele des gemeinen Mannes
-Tier- und Pflanzenseele unter sich hat, so stehen ber ihr die
-Seele des Philosophen und des Propheten, dem sich der reine Engel
-anschliet. Auf den hheren Stufen erhebt sich die Seele auch ber
-die niedere Volksreligion, deren sinnliche Vorstellungen und Gebruche.
-
-Als die vollkommenere religise Offenbarung erschien den Brdern
-wohl das Christentum, auch der zoroastrische Glaube. Unser
-Prophet Mohammed, sagen sie, wurde an ein ungebildetes Volk von
-Wstenbewohnern geschickt, die weder von der Schnheit dieser Welt
-noch von dem geistigen Charakter der jenseitigen eine richtige
-Vorstellung besaen. Die grobsinnlichen Ausdrcke des Korans, dem
-Verstndnis jenes Volkes angepasst, sollen von den hher Gebildeten
-in spiritualistischem Sinne verstanden werden.
-
-Aber auch die anderen Volksreligionen haben die Wahrheit nicht
-rein. ber sie alle hinaus gibt es einen Vernunftglauben, fr den
-die Brder sogar eine metaphysische Ableitung versuchen. Zwischen
-Gott und sein erstes Geschpf, den schaffenden Geist, wird als
-Hypostase das gttliche Weltgesetz (nms) eingeschoben. Es ist das
-die ber Alles sich erstreckende weise Anordnung eines barmherzigen
-Schpfers, der Niemandem Bses will. Den Glauben an einen zornigen
-Gott, an Hllenstrafen und dergleichen erklren die Brder fr
-widervernnftig. Ein solcher Glaube thut der Seele weh. Die unwissende,
-sndige Seele findet schon in diesem Leben, in ihrem eigenen Leibe
-die Hlle. Auferstehung dagegen heit die Trennung der Seele von
-ihrem Krper. Und die groe Auferstehung am jngsten Tage ist die
-Trennung der Allseele von der Welt, ihre Rckkehr zu Gott. Das Ziel
-smtlicher Religionen ist ja die Hinwendung zu Gott.
-
-10. Die Ethik der Brder hat einen asketisch-spiritualistischen
-Charakter, obgleich sich auch hier der Eklektizismus zeigt. Gut handelt
-nach ihr der Mensch, wenn er der richtigen Natur folgt, lobenswert
-ist die freie That der Seele, vortrefflich sind die aus vernnftiger
-berlegung hervorgegangenen Handlungen, und einer Belohnung, d. h. der
-Erhebung zur himmlischen Sphrenwelt wert ist endlich die Befolgung des
-gttlichen Weltgesetzes. Dazu bedarf es der Sehnsucht nach oben. Die
-hchste Tugend ist deshalb die Liebe, die nach Vereinigung mit Gott,
-dem ersten Geliebten, hinstrebt, die sich aber auch in diesem Leben
-als religise Duldung und Schonung aller Geschpfe bethtigt. Ihr
-Gewinn im Diesseits ist Seelenruhe, Herzensfreiheit, Frieden mit der
-ganzen Welt, und im Jenseits das Aufsteigen zum ewigen Lichte.
-
-Nach alledem braucht es uns nicht zu wundern, dass dem Leibe viel
-Schlechtes nachgesagt wird. Unser wahres Wesen heit die Seele,
-unseres Daseins hchster Zweck soll es sein, mit Sokrates dem Geiste,
-mit Christus dem Gesetz der Liebe zu leben. Dennoch ist der Leib zu
-schonen und zu pflegen, damit die Seele Zeit habe, sich vollkommen
-zu entwickeln. In diesem Sinne wird von den Brdern ein menschliches
-Bildungsideal aufgestellt, dessen Zge den Charakteren verschiedener
-Vlker entlehnt sind. Der ideale, sittlich vollkommene Mensch soll
-nmlich ostpersischer Abstammung sein, arabisch seinem Glauben nach,
-von iraqischer (babylonischer) Bildung, erfahren wie ein Hebrer,
-ein Christusjnger in seinem Wandel, fromm wie ein syrischer Mnch,
-ein Grieche in den Einzelwissenschaften, ein Inder in der Deutung
-aller Geheimnisse, endlich aber und zuhchst ein Sufi in seinem
-ganzen Geistesleben.
-
-11. Der Versuch einer Vershnung, die auf diese Weise zwischen
-Wissen und Glauben sollte hergestellt werden, hat nach keiner Seite
-befriedigt. Auf die allegorische Koraninterpretation der Brder
-blickten die theologischen Dialektiker herab, wie heutzutage
-unsere Gottesgelehrten auf die neutestamentliche Exegese des
-Grafen Tolstoi. Und die reineren Aristoteliker betrachteten
-die pythagoreisch-platonische Richtung der Encyklopdie wie
-ein heutiger Philosophieprofessor Spiritismus, Occultismus und
-derartige Erscheinungen anzusehen pflegt. Aber in der breiten
-Masse der gebildeten oder halbgebildeten Welt haben die Schriften
-oder doch die Ansichten der treuen Brder von Basra eine bedeutende
-Wirkung erzielt, von der die vielen, meist jungen Handschriften der
-umfangreichen Encyklopdie beredtes Zeugnis ablegen. Bei vielen Sekten
-innerhalb der islamischen Welt, Batiniten, Ismaeliten, Assasinen,
-Drusen, oder wie sie sonst heien mgen, finden wir der Hauptsache
-nach dieselben Lehren wieder. Vorzugsweise in dieser Form hat sich
-griechische Weisheit im Osten acclimatisieren knnen, whrend die
-aristotelische Schulphilosophie fast nur im Treibhause frstlicher
-Gnner gedeihen wollte. Der groe Kirchenvater Gazali that die
-Weisheit der Brder gar leicht als Popularphilosophie ab, scheute
-sich aber nicht, von ihnen das Gute herberzunehmen. Er verdankt ihrem
-Gedankenkreise mehr, als er wohl selbst eingestehen mochte. Auch von
-anderen, besonders in encyklopdischen Werken, sind ihre Abhandlungen
-ausgenutzt worden. Die Wirkung der Encyklopdie dauert noch fort im
-muslimischen Osten. Vergebens hat man sie, zusammen mit den Schriften
-Ibn Sina's, im Jahre 1150 zu Bagdad verbrannt.
-
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-
-
-IV. DIE NEUPLATONISCHEN ARISTOTELIKER DES OSTENS.
-
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-1. Kindi. [14]
-
-1. Kindi steht in mannigfachen Beziehungen zu den mutazilitischen
-Dialektikern und den neupythagoreischen Naturphilosophen seiner Zeit
-und wir htten ihn also schon vor Razi (s. III, 1 5) unter den
-letzteren behandeln knnen. Doch hat ihn die Tradition einstimmig als
-den ersten Peripatetiker im Islam hingestellt. Mit welchem Rechte,
-wird sich, soweit es aus den wenigen mangelhaft erhaltenen Schriften
-dieses Philosophen mglich ist, im folgenden ergeben.
-
-Abu Jaqub ibn Ishaq al-Kindi (d. h. aus dem Stamme Kinda) war
-arabischer Abstammung, und wurde deshalb, im Unterschiede von seinen
-vielen nichtarabischen Genossen, die sich mit Weltweisheit abgaben,
-der arabische Philosoph genannt. Er fhrte seinen Stammbaum auf die
-alten Kinda-Frsten zurck. Ob er dazu das Recht besa, lassen wir
-dahingestellt bleiben. Jedenfalls hatte der sdarabische Kindastamm
-es in der ueren Kultur weiter gebracht als andere Stmme. Viele
-Kinditen hatten sich auch schon frh in Iraq (Babylonien) angesiedelt,
-wo dann unser Philosoph in Kufa, davon sein Vater Statthalter war,
-geboren wurde, vermutlich am Anfange des neunten Jahrhunderts. Seine
-Erziehung erhielt er wahrscheinlich teilweise in Basra, ferner in
-Bagdad, also in den Mittelpunkten der damaligen Bildung. Hier lernte
-er persische Kultur und griechisches Wissen hher schtzen als alte
-Arabertugend und muslimischen Glauben. Er behauptete sogar, wohl
-nach anderen, Kachtan, der Stammvater der Sdaraber, sei ein Bruder
-Jaunan's gewesen, von dem die Griechen herstammen. So etwas konnte
-man sagen in Bagdad, am abbasidischen Hofe, wo man keine Nationalitt
-kannte und die alten Griechen bewunderte.
-
-Wie lange und in welcher Stellung Kindi am Hofe weilte, ist nicht
-bekannt. Er wird als bersetzer griechischer Werke ins Arabische
-genannt und soll die Arbeiten anderer verbessert haben, u. a. die
-sogenannte Theologie des Aristoteles. Zahlreiche Diener und Schler,
-deren Namen uns berliefert sind, waren vermutlich unter seiner
-Aufsicht damit beschftigt. Ferner mag er dem Hofe als Astrologe oder
-Arzt, vielleicht auch bei der Finanzverwaltung, Dienste geleistet
-haben. Spter aber wurde er entfernt, als er von der orthodoxen
-Restauration unter Mutawakkil (847-861) mit betroffen ward, und seine
-Bibliothek eine Zeit lang konfisziert. In Bezug auf seinen Charakter
-sagt ihm die berlieferung nach, er sei geizig gewesen, was brigens
-viele andere Schngeister und Bcherliebhaber sollen gewesen sein.
-
-Ebensowenig wie Kindi's Geburts-, ist sein Todesjahr bekannt. Er
-scheint also in Ungnaden oder doch in untergeordneter Stellung
-gestorben zu sein. Dass Masudi (s. II, 4 4), der ihn sehr schtzte,
-ganz darber schweigt, ist befremdend. Hchstwahrscheinlich lebte
-er noch nach dem Jahre 870, wie aus einer seiner astrologischen
-Abhandlungen hervorgeht. Der Ablauf einer kleinen Weltperiode
-stand damals bevor, und das wurde von den Karmaten zur Strzung des
-Frstenhauses benutzt. Da war nun aber Kindi reichsfreundlich genug,
-den von einer Konjunktion bedrohten Bestand des Staates um etwa 450
-Jahre zu verlngern. Sein frstlicher Gnner konnte zufrieden sein
-und die Geschichte hat sich bis auf ein halbes Jahrhundert gefgt.
-
-2. Kindi war ein Polyhistor, er hatte die ganze gelehrte Bildung
-seiner Zeit in sich aufgenommen. Als Geograph, Kulturhistoriker
-und Mediziner mag er eigene Beobachtungen angestellt und mitgeteilt
-haben, ein schpferischer Geist ist er keinesfalls gewesen. Seine
-theologischen Ansichten zeigen mutazilitisches Geprge. Er schrieb
-nmlich ber das menschliche Vermgen zu handeln und die Zeit seines
-Entstehens, ob vor oder zugleich mit der That. Ausdrcklich betonte er
-die Gerechtigkeit und die Einheit Gottes. Gegen die damals als indisch
-oder brahmanisch bekannte Theorie, als einzige Erkenntnisquelle
-reiche die Vernunft aus, verteidigte er die Prophetie, suchte
-diese aber mit der Vernunft in Einklang zu bringen. Seine Kenntnis
-verschiedener Religionssysteme forderte ihn zur Vergleichung auf. Als
-allen gemeinsam fand er den Glauben heraus, dass die Welt das Werk
-einer ewigen einheitlichen Ursache sei, fr die unser Wissen keine
-nhere Bezeichnung besitze. Es sei aber die Pflicht der Einsichtigen,
-diese Ursache als gttlich anzuerkennen. Die Gottheit selbst habe
-ihnen dazu den Weg gezeigt, auch Gesandte geschickt zum Zeugnis,
-die den Gehorsamen ewige Glckseligkeit verheien, den Ungehorsamen
-aber entsprechende Bestrafung androhen sollen.
-
-3. Kindi's eigentliche Philosophie ist, wie diejenige
-seiner Zeitgenossen, an erster Stelle Mathematik und
-Naturphilosophie, wobei dann Neuplatonisches und Neupythagoreisches
-ineinanderflieen. Es wird nach ihm keiner Philosoph ohne das Studium
-der Mathematik. Phantastisches Spiel mit Zahlen und Buchstaben findet
-sich fter in seinen Schriften. Er wandte auch die Mathematik auf die
-Medizin an in der Lehre von den zusammengesetzten Heilmitteln. Er
-grndete nmlich die Wirkung dieser Mittel, hnlich derjenigen der
-Musik, auf die geometrische Proportion. Es handelt sich hier um die
-Proportionalitt der sinnlichen Qualitten: warm, kalt, trocken und
-feucht. Soll ein Heilmittel im ersten Grade warm sein, dann muss
-es das Doppelte an Wrme besitzen von der gleichmigen Mischung,
-im zweiten Grade das Vierfache u. s. w. Die Entscheidung darber
-scheint Kindi dem Sinne, besonders dem Geschmacke anvertraut zu
-haben, sodass wir bei ihm eine Ahnung von der Proportionalitt der
-Sinnesempfindungen htten. Das war nun, wenn berhaupt originell,
-bei ihm wohl nichts anderes als eine mathematische Spielerei. Cardan
-aber, ein Philosoph der Renaissance, hat ihn wegen dieser Lehre noch
-zu den zwlf subtilsten Geistern gerechnet.
-
-4. Die Welt ist nach Kindi, wie oben schon gesagt, ein Werk Gottes,
-dessen Wirken aber von oben nach unten vielfach vermittelt wird. Alles
-Hhere wirkt auf das Niedere ein, nicht aber das Verursachte auf
-seine ber ihm auf der Stufe des Seins stehende Ursache. In allem
-Weltgeschehen ist nun eine durchgngige Urschlichkeit, die es uns
-ermglicht, aus der Erkenntnis der Ursache, der Himmelskrper z. B.,
-Zuknftiges vorherzusagen. Auch haben wir an einem vollstndig
-erkannten Einzelwesen einen Spiegel, darin der ganze Zusammenhang
-der Welt zu schauen.
-
-Dem Geiste gehrt die hhere Wirklichkeit und alle Wirksamkeit
-an. Seinem Wunsche gem hat sich die Materie zu gestalten. Und
-zwischen dem gttlichen Geiste und der materiellen Krperwelt steht
-die Seele in der Mitte. Sie ist es, die die Sphrenwelt erst geschaffen
-hat. Von dieser Weltseele ist die menschliche Seele ein Ausfluss. Ihrer
-Natur nach, d. h. in ihren Wirkungen, ist die letztere an die Mischung
-ihres Krpers gebunden, aber ihrem geistigen Wesen nach ist sie davon
-unabhngig, treffen sie also auch nicht die Einwirkungen der Gestirne,
-die sich auf das Natrliche beschrnken. Unsere Seele, so fhrt Kindi
-aus, ist eine einfache, unvergngliche Substanz, aus der Welt der
-Vernunft in die Sinnenwelt herabgekommen, aber mit Erinnerung an ihren
-frheren Zustand ausgestattet. Sie findet sich hier nicht heimisch,
-denn sie hat viele Bedrfnisse, deren Befriedigung ihr versagt bleibt,
-und die deshalb von schmerzlichen Gefhlen begleitet sind. Es ist
-eben nichts bestndig in dieser Welt des Entstehens und Vergehens,
-in der man dessen, was man liebt, jeden Augenblick beraubt werden
-kann. Bestndigkeit gibt es nur in der Welt der Vernunft. Wenn wir
-also unsere Wnsche erfllt sehen wollen und nicht dessen beraubt
-werden, was uns teuer ist, so mssen wir uns den ewigen Gtern
-der Vernunft zuwenden, der Furcht Gottes, der Wissenschaft und den
-guten Werken. Wenn wir aber nur den materiellen Gtern nachgehen
-und glauben, sie uns erhalten zu knnen, so streben wir etwas nach,
-das in Wirklichkeit nicht existiert.
-
-5. Dieser ethisch-metaphysischen Dualitt des Sinnlichen und Geistigen
-entspricht die Lehre Kindi's vom Wissen. Unsere Erkenntnis ist
-danach entweder sinnliche oder Vernunfterkenntnis; was dazwischen,
-die Phantasie oder die Vorstellungskraft, heit mittleres Vermgen. Die
-Sinne erfassen nun das Einzelne oder die materielle Form, die Vernunft
-aber das Allgemeine, Arten und Gattungen, oder die geistige Form. Und
-wie das Wahrgenommene mit der Sinneswahrnehmung eins ist, so ist es
-auch das von der Vernunft Erfasste mit der Vernunft selbst.
-
-Zum ersten Male taucht hier nun die Lehre von der Vernunft oder
-vom Geiste (nous, `aql) in einer Gestalt auf, wie sie, nur etwas
-modifiziert, bei den spteren muslimischen Philosophen einen groen
-Platz einnimmt. Sie ist charakteristisch fr den ganzen Verlauf der
-Philosophie im Islam. Wie im Universalienstreite des christlichen
-Mittelalters sich doch auch ein objectiv-wissenschaftliches Interesse
-kundgibt, so zeigt sich in den philosophischen Errterungen der
-Muslime ber den denkenden Geist vor allem das subjektive Bedrfnis
-intellektueller Bildung.
-
-Kindi unterscheidet einen vierfachen Geist [15]: erstens den Geist,
-der immer wirklich ist, die Ursache und das Wesen alles Geistigen in
-der Welt, also wohl Gott oder der erste geschaffene Geist; zweitens
-den Geist als vernnftige Anlage oder Potenz der menschlichen Seele;
-drittens als Habitus oder wirklichen Besitz der Seele, dessen sie
-sich jeden Augenblick bedienen kann, wie z. B. der Schreiber seiner
-Kunst; endlich viertens als Thtigkeit, wodurch das, was die Seele als
-ein Wirkliches in sich hat, in die uere Wirklichkeit bergefhrt
-wird. Letztere Thtigkeit scheint, nach Kindi, die eigene That des
-Menschen zu sein, whrend er die berfhrung der Potenz zum Habitus
-oder die Verwirklichung des Mglichen von der ersten Ursache, dem
-ewigwirklichen Geiste herleitet. Den wirklichen Geist haben wir also
-von oben erhalten und es heit der dritte `aql deshalb `aql mustafad,
-lat. intellectus adeptus sive adquisitus. Die Grundanschauung
-des Altertums, alles Wissen um die Dinge msse von auen an uns
-herankommen, geht in dieser Form, in der Lehre vom `aql mustafad oder
-dem Geiste, den wir von oben bekommen, durch die arabische Philosophie
-und dann in die christliche hinein. Leider ist die Lehre in Bezug
-auf diese Philosophie selbst nahezu richtig. Der thtige Geist,
-der sie geschaffen, ist in Wirklichkeit der neuplatonische Aristoteles.
-
-Das Hchste, was er besitzt, hat der Mensch ja immer seinem Gotte
-oder den Gttern zugeschrieben. Muslimische Theologen schrieben der
-gttlichen Wirksamkeit unmittelbar die sittlichen Handlungen des
-Menschen zu. Nach den Philosophen aber ist das Wissen mehr als die
-That. Diese, auf die niedere, sinnliche Welt sich richtend, mag des
-Menschen Eigentum sein; sein hchstes Wissen aber, die reine Vernunft,
-kommt von oben her, vom gttlichen Wesen.
-
-Es ist klar, dass die Lehre vom Geiste, wie sie bei Kindi vorliegt,
-auf die Nus-Lehre des Alexander von Aphrodisias im zweiten Buche
-ber die Seele zurckgeht. Aber Alexander behauptete ausdrcklich,
-nach Aristoteles gebe es einen dreifachen Nus. Kindi sagt dagegen, er
-stelle die Meinung des Platon und Aristoteles dar. Neupythagoreisches
-und Neuplatonisches verknpfen sich hier. In allem muss die Vierzahl
-nachgewiesen werden, und Platon und Aristoteles sollen bereinstimmen.
-
-6. Ziehen wir die Summe. Kindi ist mutazilitischer Theolog und
-neuplatonischer Philosoph mit neupythagoreischen Zuthaten. Sokrates,
-der Mrtyrer des athenischen Heidentumes, ist sein Ideal, ber
-ihn, sein Schicksal und seine Lehre hat er mehrere Schriften
-verfasst. Platon und Aristoteles sucht er in neuplatonischer Weise
-zu vereinigen.
-
-Trotzdem nennt ihn die berlieferung den ersten, der in
-seinen Schriften dem Aristoteles folgte. Nicht ganz ohne Grund
-frwahr. In seinem langen Schriftenverzeichnisse nimmt Aristoteles
-einen hervorragenden Platz ein. Er begngte sich nicht mit bloem
-bersetzen, sondern studierte die bersetzten Werke, versuchte es auch
-sie zu verbessern und zu erlutern. Die aristotelische Physik, mit der
-Erklrung des Alexander von Aphrodisias, hat jedenfalls bedeutend auf
-ihn gewirkt. Behauptungen, wie dass die Welt nicht der Wirklichkeit,
-sondern nur der Potenz nach unendlich sei, dass die Bewegung stetig
-und dergleichen mehr deuten darauf hin. Die damaligen Naturphilosophen,
-wie noch die treuen Brder, sagten z. B., die Bewegung sei ebensowenig
-stetig wie die Zahl.
-
-Ferner aber wandte Kindi sich entschieden von der wunderschtigen
-Zeitphilosophie ab, indem er die Alchemie fr Schwindel erklrte. Er
-hielt es fr menschenunmglich, was die Natur allein hervorzubringen im
-Stande ist. Wer sich denn auch mit alchemistischen Versuchen abgebe,
-betrge, seiner Meinung nach, sich selbst oder andere. Diese Ansicht
-Kindi's hat der berhmte Mediziner Razi zu widerlegen versucht.
-
-7. Sowohl als Lehrer wie als Schriftsteller hat Kindi hauptschlich
-durch seine Mathematik, Astrologie, Geographie und Medizin
-gewirkt. Sein treuester und gewiss bedeutendster Schler war Achmed
-ibn Mohammed al-Tajjib al-Sarachsi (gest. 899), Verwaltungsbeamter und
-Freund des Chalifen Mutadid, dessen Nachlssigkeit oder Willkr er zum
-Opfer fiel. Er befasste sich mit Geheimwissenschaft und Astrologie,
-bemhte sich, aus den Wundern der Schpfung die Weisheit und Macht des
-Schpfers zu erkennen, und trieb Geographie und Geschichte. Bekannter
-ist ein anderer Schler Kindi's geworden, Abu Maschar (gest. 885),
-der aber seinen Ruhm ganz der Astrologie zu verdanken hat. Dieser
-soll von einem fanatischen Gegner der Philosophie, durch ein
-oberflchliches Studium der Mathematik zur Beschftigung mit der
-Astrologie gereizt, als er schon 47 Jahre alt war, ein Verehrer
-Kindi's geworden sein. Ob nun das Dichtung oder Wahrheit, auf jeden
-Fall ist ein solcher Bildungsgang charakteristisch fr das neugierige
-Haschen nach halbverstandenem Wissen, das den ersten Jahrhunderten
-der arabischen Wissenschaft eigentmlich ist.
-
-Die Schule Kindi's ist in keiner Weise ber den Meister
-hinausgegangen. Von ihrer litterarischen Thtigkeit ist uns fast nur
-in einzelnen Zitaten etwas erhalten. Mglich wre es allerdings, dass
-in den Abhandlungen der treuen Brder sich einiges gerettet htte. Doch
-lsst sich dies beim jetzigen Stande der Wissenschaft nicht bestimmen.
-
-
-
-
-2. Farabi.
-
-1. Im zehnten Jahrhundert werden von den Naturphilosophen die Logiker
-oder Metaphysiker unterschieden. Diese befolgen eine strengere
-Methode als die Dialektiker und behandeln andere Gegenstnde als die
-Physiker. Von Pythagoras haben sie sich losgesagt, um sich der Fhrung
-des Aristoteles, freilich in neuplatonischer Gestalt, anzuvertrauen.
-
-Wir haben es da mit zwei Richtungen wissenschaftlichen Interesses
-zu thun. Die Naturphilosophen interessieren sich mehr oder weniger
-fr die Flle konkreter Erscheinungen der Natur, wie der Lnder-
-und Vlkerkunde. Sie untersuchen berall die Wirkungen der Dinge,
-glauben auch das Wesen nur in der Wirkung zu erkennen. Wenn sie zwar
-ber Natur, Seele und Geist zum gttlichen Wesen hinaufsteigen, so
-bestimmen sie dieses doch nur oder vorzugsweise als erste Ursache, als
-weisen Schpfer, dessen Gte und Weisheit aus seinen Werken hervorgehe.
-
-Ganz anders verhalten sich die Logiker. Das Einzelgeschehen hat fr
-sie untergeordneten Wert, nicht weiter, als es aus dem Allgemeinen
-ableitbar sich erweist. Gehen die Physiker von den Wirkungen aus,
-die Logiker wollen aus ihren Grnden die Dinge begreifen. Sie
-fragen berall nach dem Begriff oder dem Wesen der Dinge, bis
-zum Hchsten. Gott, um mit einem Beispiele den Gegensatz greifbar
-hinzustellen, ist ihnen nicht zunchst der weise Schpfer, sondern
-das notwendig-existierende Wesen.
-
-Die Logiker folgen zeitlich den Physikern nach, wie denn auch von der
-mutazilitischen Dialektik (s. II, 3 4 und 5) zuerst Gottes Wirken,
-darauf sein Wesen in den Kreis der Betrachtung gezogen wurde.
-
-Als den bedeutendsten Vertreter der naturphilosophischen Richtung
-haben wir Razi kennen gelernt. Die logisch-metaphysischen Bestrebungen,
-denen Kindi u. a. vorgearbeitet, erreichen ihren Hhepunkt in Razi's
-jngerem Zeitgenossen Abu Nasr Mohammed ibn Mohammed ibn Tarchan ibn
-Uzlag al-Farabi.
-
-2. ber den ueren Lebens- und Bildungsgang Farabis ist wenig
-Sicheres zu sagen. Er war ein stiller Mann, der im Schatten der Macht,
-zuletzt als Sufi gekleidet, sich einem philosophisch-beschaulichen
-Leben hingab. Sein Vater soll persischer Heerfhrer gewesen sein. In
-Wasidsch, einem kleinen befestigten Orte des Bezirkes Farab, im
-Trkenlande Transoxanien, wurde er geboren. In Bagdad erhielt er,
-teilweise von einem christlichen Lehrer, Johanna ibn Hailan, seine
-Ausbildung. Diese umfasste sowohl Litterarisches als Mathematisches,
-also Trivium und Quadrivium im Sinne des christlichen Mittelalters. Von
-seiner mathematischen Bildung zeugen noch einige seiner Schriften,
-namentlich ber Musik. Die Legende lsst ihn alle Sprachen der
-Welt (70) reden. Aus seinen Werken erhellt, was schon a priori
-wahrscheinlich, dass er Trkisch und Persisch verstand. Das Arabisch
-schreibt er klar und nicht ohne Reiz. Nur schadet die Vorliebe fr
-Synonymen und parallele Satzglieder dann und wann der Przision des
-philosophischen Ausdruckes.
-
-Die Philosophie, in die Farabi eingeweiht wurde, stammte aus der
-Schule von Merw. Vielleicht hatte diese sich schon mehr metaphysischen
-Fragen zugewandt als die naturphilosophische Richtung der Harranier
-und Basrenser.
-
-Von Bagdad, wo er lange Zeit gelebt und gewirkt, siedelte Farabi,
-wohl infolge der politischen Wirren, nach Haleb (Aleppo) an den
-glnzenden Hof Saif-addaula's ber. Nur soll er nicht am Hofe, sondern
-in Naturzurckgezogenheit die letzten Jahre verbracht haben. Auf
-einer Reise starb er in Damaskus, Dezember des Jahres 950, wo ihm,
-wie berichtet wird, sein Frst in sufischem Gewande die Leichenrede
-hielt. Er soll 80 Jahre alt geworden sein. Dass er ein hohes Alter
-erreicht hat, ist wahrscheinlich. Sein Zeit- und Studiengenosse Abu
-Bischr Matta starb 10 Jahre frher und sein Schler Abu Zakarija
-Jachja ibn Adi im Jahre 974, 81 Jahre alt.
-
-3. Die zeitliche Reihenfolge der Schriften Farabis ist nicht
-festgestellt. Kleinere Abhandlungen, in denen er sich mit den
-Dialektikern und Naturphilosophen berhrt, drften, wenn sie berhaupt
-echt in der berlieferten Gestalt, populre oder Jugendschriften
-sein. Seine Entwicklung wendete sich dem aristotelischen Schrifttum
-zu, weshalb ihn der Orient den zweiten Lehrer, d. h. den zweiten
-Aristoteles nannte.
-
-Seit seiner Zeit steht die Zahl und Folge der aristotelischen oder doch
-dem Aristoteles zugeschriebenen Werke, die man nach seinem Vorgange
-paraphrasierte und kommentierte, im allgemeinen fest. Zuerst die
-acht logischen Schriften, Kategorien, Hermeneutik, erste und zweite
-Analytik, Topik, Sophistik, Rhetorik und Poetik, denen die Isagoge
-des Porphyr voraufgeht. Dann folgen die acht Schriften zur Physik,
-auscultatio physica, de coelo et mundo, de generatione et corruptione,
-die Meteorologie, die Psychologie, de sensu et sensato, das Buch der
-Pflanzen und das der Tiere. Endlich schlieen sich an Metaphysik,
-Ethik, Politik u. a.
-
-Die sogenannte Theologie des Aristoteles hat Farabi noch fr ein
-echtes Werk gehalten. In neuplatonischer Weise und mit einiger
-Accommodation an den muslimischen Glauben sucht er die bereinstimmung
-zwischen Platon und Aristoteles nachzuweisen. Nicht sondernde Kritik,
-eine geschlossene Weltanschauung ist ihm Bedrfnis. Die Befriedigung
-dieses mehr religisen als wissenschaftlichen Bedrfnisses lsst ihn
-ber philosophische Differenzen hinwegsehen. Platon und Aristoteles
-sollen sich von einander nur unterscheiden durch ihre Methode,
-im sprachlichen Ausdruck und in ihrem Verhalten zum praktischen
-Leben. Ihre Weisheitslehre aber ist dieselbe. Sie sind die Imame,
-d. h. die hchsten Autoritten in der Philosophie, und da sie Beide
-selbstndige, originelle Geister gewesen, gilt ihre bereinstimmende
-Autoritt dem Farabi mehr als der Glaube der ganzen muslimischen
-Gemeinde, die mit blindem Zutrauen Einem Fhrer folgt.
-
-4. Farabi wird den rzten zugezhlt, doch scheint er die Kunst
-nicht praktisch gebt zu haben. Er widmete sich der Heilkunst
-der Seele ganz. Seelenreinheit nannte er die Bedingung und die
-Frucht alles Philosophierens, Wahrheitsliebe forderte er auch gegen
-Aristoteles. Geometrie und Logik sollen dann das Urteil bilden fr das
-Studium der Natur- und Geisteswissenschaften. Den einzelnen Disziplinen
-aber schenkt Farabi wenig Beachtung, er konzentriert sich auf Logik,
-Metaphysik und die Prinzipien der Physik. Die Philosophie ist ihm
-die Wissenschaft alles Seienden als solchen, bei deren Erwerb man der
-Gottheit hnlich wird. Sie ist die eine, allesumfassende Wissenschaft,
-die uns das einheitliche Weltbild vorfhrt. Den Dialektikern wirft
-Farabi vor, dass sie ungeprft die Stze des gemeinen Bewusstseins
-als Grundlage fr ihre Beweise benutzen, den Naturphilosophen, dass
-sie sich immer nur mit den Wirkungen der Dinge befassen, also nie
-ber die Gegenstze des Weltgeschehens hinaus zu einer einheitlichen
-Auffassung des Alls gelangen. Den ersteren gegenber will er das
-Denken begrnden, im Gegensatze zu den letzteren den Einen Urgrund
-alles Seienden erforschen. Wir werden folglich seiner historischen
-und dogmatischen Stellung am besten gerecht, wenn wir zuerst seine
-Logik, darauf die Metaphysik und zuletzt seine Physik und praktische
-Philosophie zur Darstellung bringen.
-
-5. Farabis Logik ist keine reine Analyse wissenschaftlichen
-Denkens, sondern enthlt auch viele sprachliche Bemerkungen und
-erkenntnistheoretische Errterungen. Wie die Grammatik sich auf
-die Sprache eines Volkes beschrnkt, so soll die Logik dagegen den
-sprachlichen Ausdruck der Gesamtvernunft aller Vlker heranziehen. Von
-den einfachsten Elementen der Sprache zu den zusammengesetzten hat
-sie fortzuschreiten, vom Wort zum Satze, zur Rede.
-
-Nach der Beziehung ihrer Gegenstnde zur Wirklichkeit zerfllt
-die Logik in zwei Teile: der erste Teil umfasst die Lehre von den
-Begriffen und Definitionen (tasawwur), der zweite diejenige von den
-Urteilen, Schlssen und Beweisen (tasdiq). Die Begriffe, mit denen
-die Definitionen in ganz uerlicher Weise zusammengestellt werden,
-haben an sich keine Beziehung zur Wirklichkeit, d. h. sie sind weder
-wahr noch falsch. Unter Begriffen versteht Farabi hier die einfachsten
-seelischen Gebilde, d. h. sowohl die aus sinnlicher Wahrnehmung
-stammenden Vorstellungen einzelner Gegenstnde als die ursprnglichen
-dem Geiste eingeprgten Begriffe, wie das Notwendige, das Wirkliche,
-das Mgliche. Solche Vorstellungen und Begriffe sind unmittelbar
-gewiss. Man kann den Sinn des Menschen darauf hinlenken, seine Seele
-darauf aufmerksam machen, sie ihm aber nicht vordemonstrieren, nicht
-aus Bekanntem ableitend sie erklren, da sie an sich im hchsten
-Grade klar sind.
-
-Aus der Zusammensetzung von Vorstellungen oder Begriffen ergeben
-sich Urteile, die nun entweder wahr oder falsch sein knnen. Durch
-Schluss und Beweis geht die Begrndung der Urteile auf einige dem
-Verstande ursprnglich gegebene, unmittelbar einleuchtende, nicht
-weiter begrndbare Stze zurck. Solche Stze, die Grundstze oder
-Axiome aller Wissenschaft, soll es geben fr die Mathematik, die
-Metaphysik und die Ethik.
-
-Die Lehre vom Beweise, wie von Bekanntem, Begrndetem aus wir zur
-Erkenntnis eines Unbekannten gelangen, ist nach Farabi die eigentliche
-Logik. Dazu bildet die Kenntnis der Hauptbegriffe (Kategorien),
-ihrer Zusammensetzung im Urteil (Hermeneutik) und im Schlusse (erste
-Analytik) nur die Einleitung. Und in der Beweislehre kommt es darauf
-an, die Normen zu ermitteln einer allgemeingltigen, notwendigen
-Wissenschaft, was die Philosophie sein soll. Als oberste Norm gilt
-hier der Satz des Widerspruchs, wodurch in einem einheitlichen
-Denkakte die Wahrheit oder Notwendigkeit zugleich mit der Unwahrheit
-oder Unmglichkeit des Gegenteiles erkannt wird. Dementsprechend
-soll die platonische Dichotomie als wissenschaftliche Methode der
-aristotelischen Polytomie vorzuziehen sein. Ferner begngt Farabi
-sich nicht mit der formalen Seite der Beweislehre. Diese soll mehr
-sein als eine Methodologie, die den richtigen Weg zur Wahrheit
-zeigt, sie soll selbst Wahrheit zeigen, Wissenschaft erzeugen. Sie
-betrachtet die Urteile nicht blo als Material fr die Schlussform,
-sondern untersucht auch ihren Wahrheitsgehalt in Beziehung auf die
-Einzelwissenschaften. Nicht nur Hilfsmittel ist sie, sie ist vielmehr
-ein Teil der Philosophie.
-
-Die Beweislehre geht, wie wir sahen, auf notwendiges Wissen aus,
-dem notwendigen Sein entsprechend. Auer diesem aber ist das groe
-Gebiet des Mglichen da, von dem wir nur ein wahrscheinliches Wissen
-erhalten knnen. Die verschiedenen Grade der Wahrscheinlichkeit
-nun oder die Art und Weise, in der wir zu einer Wissenschaft des
-Mglichen gelangen, werden in der Topik errtert. Daran schlieen sich
-Sophistik, Rhetorik und Poetik, die sonst hauptschlich praktische
-Ziele verfolgen. Zusammen aber mit der Topik werden sie bei Farabi
-zu einer Dialektik des Scheines. Nur auf den notwendigen Stzen
-der zweiten Analytik, so fhrt er aus, lsst sich wahre Wissenschaft
-aufbauen, aber von den topischen (dialektischen) bis zu den poetischen
-Urteilen stuft sich das Wahrscheinliche zum bloen Scheine der Wahrheit
-ab. Am tiefsten steht also die Poesie, die nach Farabis Ansicht ein
-lgnerisches und unsittliches Gerede ist.
-
-Im Anschluss an Porphyrs Isagoge hat unser Philosoph sich auch ber
-die Universalienfrage geuert. Das Besondere findet er nicht nur
-in den Dingen und in der sinnlichen Wahrnehmung, sondern auch im
-Denken. Ebenso ist das Allgemeine nicht blo, accidentell, in den
-Einzeldingen, sondern auch, substantiell, im Geiste. Der menschliche
-Geist abstrahiert das Allgemeine von den Dingen, vor diesen war es aber
-schon an sich. Dem Sinne nach findet somit der dreifache Unterschied
-des ante rem, in re, post rem sich bereits bei Farabi.
-
-Gehrt zu den Universalien auch das bloe Sein? Ist die Existenz
-berhaupt ein Prdikat? Diese Frage, die soviel Unheil in der
-Philosophie gestiftet, wurde von Farabi vllig richtig beantwortet. Die
-Existenz ist nach ihm eine grammatische oder logische Beziehung, aber
-keine Kategorie der Wirklichkeit, die etwas von den Dingen aussagt. Die
-Existenz eines Dinges ist nichts auer dem wirklichen Dinge selbst.
-
-6. Die logische Richtung des Denkens macht sich auch in der Metaphysik
-geltend. An Stelle des Vernderlichen und des Ewigen treten die
-Begriffe des Mglichen und des Notwendigen hervor.
-
-Alles Seiende ist nmlich nach Farabi entweder ein notwendiges oder
-ein mgliches; ein Drittes gibt es nicht. Da nun alles Mgliche zu
-seiner Verwirklichung eine Ursache voraussetzt, die Reihe der Ursachen
-aber nicht ins Unendliche gehen kann, so sehen wir uns gentigt,
-ein notwendig Seiendes anzunehmen, das ursachlos, hchst vollkommen,
-ewig vollwirklich, sich selbst gengend, ohne jede Vernderung,
-als absoluter Geist, reine Gte, Denken, Denkendes und Gedachtes in
-einem Wesen, die alles bersteigende Gte und Schnheit seines Wesens
-liebt. Dieses Wesen kann nicht bewiesen werden, denn es ist selbst der
-Beweis und der Urgrund aller Dinge. Wahrheit und Wirklichkeit fallen in
-diesem Wesen zusammen. In seinem Begriffe liegt es, dass es einzig ist,
-denn wenn es zwei erste, absolute Wesen gbe, mssten sie teils gleich,
-teils von einander verschieden sein, wodurch aber die Einfachheit eines
-jeden aufgehoben wre. Ein allervollkommenstes Wesen muss einzig sein.
-
-Dieses Erste, Eine, wahrhaft Wirkliche nennen wir Gott. Und da in Ihm
-alles eins ist, auch ohne Artdifferenz, so gibt es keine Definition
-fr sein Wesen. Doch legt ihm der Mensch die schnsten, die hchsten
-Werte des Lebens zum Ausdruck bringenden Namen bei, weil im mystischen
-Drange dazu die Worte ihre gewhnliche Bedeutung verlieren, ber jeden
-Widerspruch hinaus. Einige Namen beziehen sich auf das Wesen, andere
-auf sein Verhltnis zur Welt, ohne jedoch die Einheit des Wesens zu
-beeintrchtigen. Alle sind sie aber metaphorisch zu verstehen, nur nach
-schwacher Analogie vermgen wir sie aufzufassen. Eigentlich sollten wir
-von Gott, dem vollkommensten Wesen, auch den vollstndigsten Begriff
-haben. Sind doch unsere mathematischen Begriffe vollkommener als die
-physischen, weil sie sich auf vollkommenere Gegenstnde beziehen. Aber
-mit dem Allervollkommensten ergeht es uns wie mit dem hellsten Lichte:
-wegen der Schwche unserer Augen knnen wir es nicht vertragen. So
-haften auch an unserem Erkennen die Mngel der Materie.
-
-7. Besser als an sich vermgen wir Gott zu sehen in der Stufenordnung
-der aus ihm hervorgehenden Wesen. Von Ihm, dem Einzigen, ist das All,
-denn sein Wissen ist die hchste Macht. Indem er sich selbst erkennt,
-wird die Welt. Nicht ein allmchtiger Schpferwille, sondern die
-Erkenntnis des Notwendigen ist die Ursache aller Dinge. Von Ewigkeit
-her sind in Gott die Formen oder Vorbilder der Dinge und ewig geht auch
-aus ihm sein Ebenbild hervor, das zweite All genannt oder der erste
-geschaffene Geist, der die uerste Himmelsphre bewegt. Diesem Geiste
-folgen, einer aus dem anderen, die acht Sphrengeister, die alle einzig
-in ihrer Art, vollkommen und Schpfer der Himmelskrper sind. Diese
-neun Geister, himmlische Engel genannt, bilden zusammen die zweite
-Stufe des Seins. Auf der dritten Stufe steht die in der Menschheit
-thtige Vernunft, heit auch der heilige Geist, der Himmel und Erde
-verbindet; auf der vierten Stufe befindet sich die Seele. Beide,
-Vernunft und Seele, bleiben nicht rein fr sich in ihrer Einheit,
-sondern vervielfltigen sich nach der Vielheit menschlicher Wesen. Als
-Wesen fnfter und sechster Ordnung erscheinen zuletzt Form und Materie,
-mit denen die Reihe geistigen Seins abgeschlossen ist. Die drei
-ersten Stufen, Gott, Sphrengeister und thtige Vernunft, bleiben
-Geist an sich, die drei folgenden aber, Seele, Form und Materie,
-obgleich unkrperlich, gehen doch ein Verhltnis zum Krper ein.
-
-Entsprechend denen des Geistigen hat auch das Krperliche, das der
-Imagination des Geistes entspringen soll, sechs Stufen: Himmelskrper,
-Menschenkrper, Tierkrper, Pflanzenkrper, Mineral und Element.
-
-Wahrscheinlich zeigen sich in diesen Spekulationen nach der Dreizahl
-noch die Einflsse der christlichen Lehrer Farabis. Fr sie bedeutete
-nmlich die Dreizahl, was den Naturphilosophen die Vierzahl war. Auch
-die Terminologie stimmt dazu.
-
-Das ist aber nur uerlich; der Inhalt ist Neuplatonismus. Als
-ein ewiger, intellektueller Prozess erscheint hier die Schpfung
-oder Emanation der Welt. Indem der erste geschaffene Geist seinen
-Urheber denkt, entsteht der zweite Sphrengeist; indem er, sich
-selbst denkend, sich substanziert, geht aus ihm der erste Krper,
-die oberste Himmelsphre, hervor. Und so geht es weiter bis zu der
-niedersten Sphre, der des Mondes, in notwendiger Folge. Ganz nach
-dem ptolemischen Sphrensystem, wie es jeder Gebildete, wenigstens
-aus Dantes Komdie, kennt, in neuplatonischer Ableitung. Es bilden
-die Sphren zusammen eine ununterbrochene Ordnung, denn alles
-Seiende ist eine Einheit. Schpfung und Erhaltung der Welt ist ein
-und dasselbe. Und nicht nur die Einheit des gttlichen Wesens bildet
-sich in der Welt ab, sondern in ihrer schnen Ordnung drckt sich
-auch die gttliche Gerechtigkeit aus. Die logische Weltordnung ist
-zugleich eine sittliche.
-
-8. Die irdische Welt unter dem Monde ist natrlich ganz von der
-Welt der Himmelsphren abhngig. Doch trifft die Einwirkung von
-oben erstens, wie wir a priori erkennen, die notwendige Ordnung des
-Ganzen, zweitens zwar auch das Einzelne, aber nur insofern dies in
-natrlicher Wechselwirkung begrndet ist, also nach Regeln, welche
-die Erfahrung uns lehrt, stattfindet. Die Astrologie, die alles
-Zufllige, Auerordentliche, den Gestirnen und ihren Konjunktionen
-zuschreibt, wird von Farabi bekmpft. Vom Zuflligen gibt es kein
-sicheres Wissen, und viel des irdischen Geschehens trgt, wie ja auch
-Aristoteles gelehrt, in hohem Grade den Charakter des Zuflligen oder
-des Mglichen an sich. Dagegen hat die himmlische Welt eine andere,
-vollkommenere Natur, die nach notwendigen Gesetzen wirkt. Sie kann
-dieser irdischen Welt nur Gutes spenden, warum es ganz verfehlt ist, zu
-behaupten, von einigen Gestirnen kme Glck, von anderen jedoch Unglck
-her. Die Natur der Himmel ist Eine und gleichmig gut. Der Schluss,
-zu dem nach diesen Erwgungen Farabi gelangt, ist denn auch dieser:
-demonstrative, ganz sichere Erkenntnis gibt nur die mathematische
-Astronomie, ein wahrscheinliches Wissen gewhrt die physikalische
-Himmelskunde, einen ganz unsicheren Glauben aber verdienen die Stze
-und Weissagungen der Astrologie.
-
-Gegenber der Einfachheit der Himmelswelt haben wir unter dem Monde das
-Reich der vier Naturen, also der Gegenstze und der Vernderung. Von
-den Elementen bis zum Menschen gibt es auch hier in der Vielheit die
-Einheit der aufsteigenden Reihe. Wenig Eigentmliches wei Farabi
-darber vorzubringen. Seinem logischen Standpunkte treu kmmert er
-sich weniger um die Naturwissenschaften, zu denen er wohl unbedenklich,
-auf die ursprngliche Einheit der Materie sich sttzend, die Alchemie
-wird gezhlt haben. Wir wenden uns gleich seiner Lehre vom Menschen
-oder von der menschlichen Seele zu, die einiges Interesse darbietet.
-
-9. Die Krfte oder Teile der menschlichen Seele sind nach Farabi
-nicht koordiniert, sondern bilden eine aufsteigende Reihe. Das
-niedere Vermgen ist Materie fr das hhere und dieses die Form
-fr jenes; das hchste aber, das Denken, ist immateriell, Form fr
-alle vorhergehenden Formen. Aus dem Sinnlichen erhebt das Leben
-der Seele sich durch die Vorstellung zum Denken. In allen Vermgen
-aber ist ein Streben oder Wollen enthalten. Jede Theorie hat die
-praktische Kehrseite. Von den Wahrnehmungen der Sinne sind Neigung
-und Abneigung unzertrennlich. Zu ihren Vorstellungen verhlt sich die
-Seele zustimmend oder ablehnend, indem sie bejaht und verneint. Das
-Denken endlich richtet ber Gutes und Bses, gibt dem Willen seine
-Motive und bildet Kunst und Wissenschaft aus. Alles Wahrnehmen,
-Vorstellen und Denken hat irgend ein Streben zur notwendigen Folge,
-wie die Wrme aus der Substanz des Feuers hervorgeht.
-
-Die Seele ist die Vollkommenheit (Entelechie) des Krpers, aber die
-Vollkommenheit der Seele ist der Geist (`aql). Nur der Geist ist der
-wahre Mensch.
-
-10. Vom Geiste ist demnach zumeist die Rede. Im menschlichen Geiste
-erhebt sich alles Irdische zu einer hheren Existenzweise, die den
-Kategorien des Krperlichen enthoben ist. Als Anlage oder Potenz ist
-nun der Geist in der Seele des Kindes vorhanden. Indem er dann die
-Krperformen mittelst der Sinne und der Vorstellung in der Erfahrung
-erfasst, wird er auch wirklich zum Geiste. Diese berfhrung von
-der Mglichkeit zur Wirklichkeit, das Zustandekommen der Erfahrung
-also, ist aber nicht des Menschen eigene That, sondern wird von dem
-bermenschlichen Geiste, der aus dem letzten Sphrengeist, dem des
-Mondes, hervorgegangen ist, bewirkt. Als Spende von oben, nicht als
-eine in geistigem Ringen erarbeitete Erkenntnis stellt sich so das
-menschliche Wissen dar. Im Lichte des ber uns stehenden Geistes
-erblickt unser Verstand die Formen des Krperlichen. Dabei erweitert
-sich aber die Erfahrung zur Vernunfterkenntnis. Die Erfahrung nmlich
-umfasst nur die von der Stoffwelt abstrahierten Formen. Es gibt ja aber
-auch Formen oder allgemeine Wesenheiten vor und ber den stofflichen
-Dingen, in den reinen Geistern der Sphren. Von diesen "getrennten
-Formen" erhlt der Mensch jetzt Kunde; nur durch ihre Einwirkung
-wird ihm seine wirkliche Erfahrung erklrlich. Die hhere Form wirkt
-immer nur auf die zunchst ihr folgende, von Gott bis zum Geiste der
-Menschheit. Nach oben hin verhlt sich jede Zwischenform empfangend,
-nach unten aber gebend thtig. Im Verhltnis zum menschlichen
-Geiste, der von oben beeinflusst wird (`aql mustafad), ist also der
-bermenschliche, aus dem letzten Sphrengeist hervorgegangene Geist
-thtig oder schaffend zu nennen (`aql fu ``l.). Doch ist er nicht
-immer thtig, weil er an der Materie eine Schranke seiner Wirksamkeit
-hat. Gott aber ist der vollwirkliche, ewigthtige Geist.
-
-Im Menschen ist der Geist dreifach: als mglich, als wirklich, als
-von oben bewirkt. Das heit aber im Sinne Farabis dies: des Menschen
-geistige Anlage (1) wird durch Erfahrungswissen (2) hindurch gefhrt
-zur Erkenntnis des bersinnlichen (3), das aller Erfahrung vorhergeht
-und selbst die Erfahrung bewirkt.
-
-Die Stufen des Geistes und seiner Erkenntnis entsprechen den Stufen
-des Seins. Sehnschtig strebt das Niedere dem Hheren zu und das Hhere
-hebt das Niedere zu sich empor. Der ber uns stehende Geist, der allem
-Irdischen die Formen verliehen hat, sucht diese zertrennten Formen
-wieder zusammenzubringen, dass sie in Liebe sich einigen. Zunchst
-sammelt er sie im Menschen. Darauf, dass derselbe Geist, der dem
-Krperlichen die Gestalt verlieh, auch dem Menschen die Idee gibt,
-beruht nun aber die Mglichkeit und die Wahrheit menschlicher
-Erkenntnis. Die zerstreuten Formen des Irdischen finden sich im
-menschlichen Geiste wieder, wodurch dieser dem letzten Himmelsgeiste
-hnlich wird. Vereinigung mit dem Himmelsgeiste, dadurch er sich Gott
-nhert, ist Ziel und Glck des Menschengeistes.
-
-Ob nun eine solche Vereinigung vor dem Tode des Menschen mglich sei,
-ist nach Farabi zweifelhaft oder ganz zu verneinen. In diesem Leben
-ist Vernunfterkenntnis das Hchste, was erreicht werden kann. Aber die
-Trennung vom Krper gibt der vernnftigen Seele die vllige Freiheit
-des Geistes. Besteht sie dann aber noch als Individualseele? Oder
-ist sie nur ein Moment der hheren Weltvernunft? Dunkel, und nicht
-in allen Schriften bereinstimmend, drckt Farabi sich darber
-aus. Die Menschen, so heit es, sterben hin, ein Geschlecht folgt
-dem andern und Gleiches verbindet sich mit Gleichem, Jedes in seiner
-Ordnung. Unendlich, weil nicht an den Raum gebunden, mehren sich
-die vernnftigen Seelen, wie Gedanke zu Gedanken, Kraft zu Kraft
-hinzukommt. Jede Seele denkt sich selbst und alle andern, die ihr
-gleich sind, und je mehr sie denkt, um so intensiver ist ihre Freude
-(vgl. unten 13).
-
-11. Wir kommen zur praktischen Philosophie. In Ethik und Politik
-treten wir in ein etwas nheres Verhltnis zum Leben und Glauben der
-Muslime. Einige allgemeine Gesichtspunkte seien hervorgehoben.
-
-Wie die Logik die Prinzipien des Wissens, so soll die Ethik die
-Grundstze des Handelns darstellen. Nur dass hier bung und Erfahrung
-etwas mehr gewertet werden, als in der Erkenntnistheorie. In
-der Ausfhrung schliet sich Farabi teils dem Platon, teils dem
-Aristoteles an, teils geht er auch in mystisch-asketischer Weise ber
-sie hinaus. Den Theologen gegenber, die zwar ein Vernunftwissen,
-aber keine Vernunftgesetze des Handelns anerkennen, betont Farabi
-fter, die Vernunft bestimme, ob etwas gut sei oder bse. Wie sollte
-die von oben her uns erteilte Vernunft nicht das Handeln bestimmen,
-da ja im Wissen die hchste Tugend besteht? Wenn einer, so erklrt
-Farabi hchst bezeichnend, alles wsste, was in den Schriften des
-Aristoteles steht, danach aber nicht handelte, whrend ein anderer in
-seinem Sinne handelte ohne davon zu wissen, so wre dem ersteren der
-Vorzug zu geben. Die Erkenntnis steht hher als die sittliche That,
-sonst knnte sie diese nicht bestimmen.
-
-Von Natur aus begehrt die Seele. Insofern sie wahrnimmt und vorstellt,
-kommt ihr, wie den Tieren, ein Wille zu. Aber Wahlfreiheit hat allein
-der Mensch, da dieselbe auf vernnftiger berlegung beruht. Die Sphre
-der Freiheit ist das reine Denken. Es ist das also eine Freiheit, die
-von den Motiven des Denkens abhngig ist, eine Freiheit, die zugleich
-Notwendigkeit ist, weil sie in letzter Instanz von dem vernnftigen
-Wesen Gottes bestimmt ist. In diesem Sinne ist Farabi Determinist.
-
-Die so gefasste Freiheit des Menschen kann sich, wegen des
-Widerstandes der Materie, in der Herrschaft ber das Sinnliche
-nur unvollkommen bethtigen. Vollkommen wird sie erst nach der
-Befreiung der vernnftigen Seele von den Banden des Stoffes und den
-Hllen des Irrtums, im Leben des Geistes. Das aber ist die hchste
-Glckseligkeit, die nur ihrer selbst willen erstrebt wird, somit
-das Gute schlechthin. Und dieses Gute sucht die Menschenseele, wenn
-sie sich dem Geiste ber ihr zuwendet, wie die Seelen der Himmel,
-als sie sich dem Hchsten nhern.
-
-12. Schon die Ethik nimmt wenig Rcksicht auf die wirklichen
-sittlichen Verhltnisse. Noch weiter aber entfernt Farabi sich von der
-Wirklichkeit in seiner Politik. Das platonische Staatsideal geht fr
-seine orientalische Anschauungsweise fast ganz in den philosophischen
-Herrscher auf. Von einem natrlichen Bedrfnis zusammengefhrt,
-haben die Menschen sich dem Willen eines Einzigen unterworfen, in
-welchem der Staat, ob er nun gut oder bse, gleichsam verkrpert
-ist. Deshalb sind die Staaten schlecht, wenn ihr Haupt in Bezug auf
-die Prinzipien des Guten entweder unwissend oder im Irrtum oder gar
-verderbt ist. Der gute oder vorzgliche Staat dagegen hat nur Eine
-Art, darin der Philosoph Herrscher ist. Mit allen menschlichen und
-philosophischen Tugenden stattet Farabi seinen Frsten aus: es ist
-Platon in Mohammeds Prophetenmantel.
-
-In der Beschreibung der den idealen Frsten vertretenden Herrscher --
-es knnen mehrere zugleich sein, auch knnen Frst und Minister sich in
-Herrschertugend und Weisheit teilen -- nhern wir uns der muslimischen
-Staatslehre jener Zeit. Aber die Ausdrcke sind verhllt. Die richtige
-Abstammung eines Frsten z. B. und die Pflicht der Fhrung in den
-heiligen Krieg werden nicht klar bezeichnet. Es bleibt doch alles in
-philosophischem Nebel schweben.
-
-13. Im Staate, der mit der Religionsgemeinschaft zusammenfllt, ist die
-Sittlichkeit allein vollkommen. Nach dem Zustande des Staates bestimmt
-sich also nicht nur das zeitliche Schicksal seiner Brger, sondern
-auch ihr zuknftiges Los. Die Seelen der Brger im "unwissenden"
-Staate sind ohne Vernunft, als sinnliche Formen kehren sie zu
-den Elementen wieder, damit sie sich aufs neue mit anderen Wesen,
-Menschen oder Tieren, verbinden. In den "irrenden" und "verderbten"
-Staaten ist allein der Fhrer verantwortlich, seiner wartet Strafe
-im Jenseits; die irregefhrten Seelen aber teilen das Schicksal der
-Unwissenden. Dagegen bestehen nur die guten wissenden Seelen fort,
-sie gehen ein in die Welt des reinen Geistes. Je hher die Stufe des
-Wissens, die sie in diesem Leben erreicht, um so hher wird nach dem
-Tode ihre Stelle in der Ordnung des Alls sein, um so intensiver ihre
-selige Lust.
-
-Vermutlich sind derartige Ausdrcke nur die Hlle eines
-mystisch-philosophischen Glaubens von dem Aufgehen des menschlichen
-Geistes in den Weltgeist, zuletzt in Gott. Denn, so lehrt Farabi,
-in absteigender Betrachtung (logisch-metaphysisch) ist die Welt etwas
-anderes als Gott, im Aufsteigen aber erkennt die Seele das Diesseits
-als identisch mit dem Jenseits, weil Gott in allem, ja in seiner
-Einheit das All selbst ist.
-
-14. berblicken wir jetzt Farabis System, so zeigt es sich als
-einen ziemlich konsequenten Spiritualismus, genauer bestimmt
-Intellektualismus. Das Krperliche, Sinnenfllige entspringt der
-Imagination des Geistes, man knnte es als "verworrene Vorstellung"
-bezeichnen. Das einzige wahre Sein ist Geist, aber verschieden
-abgestuft. Ganz einfach rein ist nur Gott, und die ewig aus ihm
-hervorgehenden Geister, einer aus dem andern, haben schon die
-Vielheit in sich. Die Zahl der selbstndigen Geister wird nach dem
-ptolemischen Weltsystem bestimmt und entspricht der himmlischen
-Hierarchie. Je weiter vom Ersten entfernt, um so weniger hat einer
-am Sein des reinen Geistes teil. Von dem letzten Weltgeiste kommt
-dem Menschen sein Wesen, d. h. die Vernunft zu. Alles ist ohne Lcke,
-die Welt ist ein gut und schn geordnetes Ganzes. bel und Bses sind
-nur eine notwendige Folge der Endlichkeit im Einzelnen, wodurch die
-Gte des Alls um so deutlicher hervortritt.
-
-Ob die schne Ordnung der Welt, von Ewigkeit her aus Gott emaniert,
-jemals wird zerstrt werden knnen oder auch in Gott zurckflieen? Ein
-fortwhrendes Zurckstrmen zur Gottheit gibt es wohl. Die Sehnsucht
-der Seele geht nach oben, fortschreitendes Wissen lutert sie und
-fhrt sie hinauf. Aber wie weit? Philosophen und Propheten haben es
-nicht klar sagen knnen. Beide, die Philosophie und die Prophetie,
-leitet Farabi von dem schaffenden Weltgeiste ber uns her. Hin
-und wieder spricht er sich ber die Prophetie aus, als ob diese die
-hchste Stufe menschlichen Erkennens und Handelns darstelle. Das kann
-aber nicht seine wirkliche Meinung sein, ist wenigstens nicht die
-Konsequenz seiner theoretischen Philosophie. Ihr zufolge gehrt alles
-Prophetische in Traum, Gesicht, Offenbarung u. s. w. dem Kreise der
-Vorstellung an, steht also in der Mitte zwischen sinnlicher Wahrnehmung
-und reiner Vernunfterkenntnis. Wenn er nun auch in seiner Ethik und
-Politik der Religion eine hohe erzieherische Bedeutung beimisst, so
-bleibt sie doch immer an absolutem Werte der Erkenntnis durch reine
-Vernunft nachstehen.
-
-Farabi hat im Intellektuellen fr ein Ewiges gelebt. Ein Knig an
-Geist, ein Bettler an Besitz, war es ihm bei seinen Bchern und den
-Vgeln und Blumen seines Gartens wohl. Seinem Volke, der muslimischen
-Gemeinde, konnte er nur wenig sein. In seiner Staats- und Sittenlehre
-war fr weltliche Geschfte und fr den heiligen Krieg keine rechte
-Stelle. Seine Philosophie befriedigte kein sinnliches Bedrfnis und
-widersprach dem sinnlich-geistigen Vorstellungsleben, wie es sich
-besonders in Kunstschpfungen und religisen Phantasien uert. Er
-verlor sich in den Abstraktionen des reinen Geistes. Als frommer,
-heiliger Mann wurde er von Mitlebenden angestaunt, von wenigen Schlern
-als personifizierte Weisheit verehrt, von den echten Gelehrten des
-Islam aber fr alle Zeit verketzert. Grund gab es freilich genug
-dafr. Wie die Naturphilosophie leicht zu Naturalismus und Atheismus
-fhrte, so leitete der Monotheismus der Logiker unmerklich zum
-Pantheismus hinber.
-
-15. Viel Schule hat Farabi nicht gemacht. Bekannt geworden ist Abu
-Zakarija Jachja ibn Adi, ein jakobitischer Christ, als bersetzer
-aristotelischer Werke. Mehr genannt worden aber ist ein Schler
-des letzteren, mit Namen Abu Sulaiman Mohammed ibn Tahir ibn Bahrain
-al-Sidschistani, der in der zweiten Hlfte des zehnten Jahrhunderts in
-Bagdad die Gelehrten seiner Zeit um sich versammelte. Die Gesprche,
-welche sie da fhrten und die philosophischen Belehrungen, die der
-Meister erteilte, sind uns zum Teil erhalten. Wir sehen deutlich den
-Ausgang der Schule. Wie die Naturphilosophie in Geheimwissenschaft
-verlief und die Schule Kindis sich von der Philosophie ab
-mathematischem und physikalischem Einzelwissen zuwandte, so geht
-hier die logische Richtung Farabis in Wortphilosophie ber. In
-Distinktionen und Begriffsbestimmungen bewegt sich das Gesprch. Auch
-werden Einzelheiten aus der Philosophiegeschichte und den besonderen
-Wissenschaften ohne systematischen Zusammenhang errtert. Fast
-nirgends zeigt sich ein sachliches Interesse. Die menschliche Seele
-rckt ganz in den Vordergrund, hnlich wie bei den treuen Brdern,
-nur dass diese mehr die wunderbaren Wirkungen der Seele, jene Logiker
-aber ihr vernnftiges Wesen und ihre Erhebung in das bervernnftige
-betrachten. Statt mit Zahlen und Buchstaben, wie bei den Brdern, wird
-in Sidschistanis Gesellschaft mit Worten und Begriffen gespielt. Das
-Ende ist in beiden Fllen ein mystischer Sufismus.
-
-Es ist demnach nicht zu verwundern, dass in den gelehrten Sitzungen
-Abu Sulaimans, ber die sein Schler Tauhidi (gest. 1009) Bericht
-erstattet, Empedokles, Sokrates, Platon u. a. mehr genannt werden
-als Aristoteles. Eine sehr gemischte Gesellschaft findet sich da in
-jenen Sitzungen zusammen. Es wird nicht gefragt, welchem Lande man
-entstamme, welcher Religion man angehre. Man lebt der berzeugung,
-die von Platon hergeleitet wird, in jeder Meinung stecke etwas von
-der Wahrheit, wie in allen Dingen ein gemeinsames Sein und in allen
-Wissenschaften eine und dieselbe wirkliche Erkenntnis. Nur unter
-dieser Annahme scheint es begreiflich, dass jeder zunchst seine
-eigene Meinung fr die wahre, und die von ihm gepflegte Wissenschaft
-fr die vorzglichste halten knne. Eben deswegen gibt es auch keinen
-Zwiespalt zwischen Religion und Philosophie, wie heftig man es von
-beiden Seiten behaupten mge. Die Philosophie besttigt vielmehr die
-Lehren der Religion, wie diese die Resultate jener vervollkommnet. Ist
-die philosophische Erkenntnis Wesen und Ziel der menschlichen Seele,
-so ist der religise Glaube ihr Leben oder der Weg zu dem Ziele. Da
-nmlich die Vernunft Gottes Statthalter auf Erden ist, so ist es
-unmglich, dass Vernunft und Offenbarung sich widersprechen.
-
-Einzelnes hervorzuheben aus den Gesprchen, deren Grundstimmung wir
-angegeben, verlohnt sich nicht. Kulturhistorisch ist die Erscheinung
-Sidschistanis und seines Kreises wichtig, aber fr die Fortbildung
-der Philosophie im Islam hat sie keine Bedeutung. Was fr Farabi
-wirklich das Leben seines Geistes war, wird in dieser Gesellschaft
-gar oft zum Gegenstande geistreicher Unterhaltung.
-
-
-
-
-3. Ibn Maskawaih.
-
-1. Wir sind an die Wende des zehnten und elften Jahrhunderts
-gelangt. Farabis Schule scheint auszusterben und Ibn Sina, der die
-Philosophie seines Vorgngers zu neuem Leben erwecken sollte, ist
-noch ein Jngling. Hier aber haben wir eines Mannes zu gedenken,
-der zwar dem Kindi nher als dem Farabi verwandt ist, doch auch,
-wegen der Gemeinsamkeit ihrer Quellen, in wesentlichen Punkten mit
-dem letzteren bereinstimmt. Sein Beispiel zeigt zugleich, dass die
-hellsten Kpfe der Zeit nicht gesonnen waren, Farabi auf das Gebiet
-logisch-metaphysischer Spekulationen zu folgen.
-
-Dieser Mann ist der Arzt, Philolog und Historiker Abu Ali ibn
-Maskawaih, der Schatzmeister und Freund des Sultans Adudaddaula war
-und hochbetagt im Jahre 1030 starb. U. a. hat er uns eine bis heute
-im Orient geschtzte philosophische Ethik hinterlassen. Sie ist
-eine Mischung aus Platon, Aristoteles, Galen und dem muslimischen
-Religionsgesetz, doch herrscht darin Aristoteles vor. Mit einer
-Abhandlung ber das Wesen der Seele hebt sie an.
-
-2. Die menschliche Seele, so fhrt Ibn Maskawaih aus, ist eine
-unkrperliche, einfache, sich ihres Seins, Wissens und Wirkens bewusste
-Substanz. Dass sie geistiger Natur sein muss, folgt schon daraus, dass
-sie die entgegengesetzten Formen zugleich in sich aufnimmt, z. B. die
-Vorstellung von wei und schwarz, whrend ein Krper nur eins von
-beiden auf einmal aufnehmen kann. Ferner nimmt sie sowohl die Formen
-des Sinnlichen wie des Geistigen in gleicher, geistiger Weise auf,
-denn die Lnge ist in der Seele nicht lang, wird auch im Gedchtnis
-nicht lnger. Weit ber ihren Krper geht sodann das Wissen und Wirken
-der Seele hinaus, ja die ganze Sinnenwelt gengt ihr nicht. berdies
-besitzt sie eine ursprngliche Vernunfterkenntnis, die ihr nicht von
-den Sinnen zugekommen sein kann, denn durch dieselbe bestimmt sie, bei
-der Vergleichung und Unterscheidung des von der sinnlichen Wahrnehmung
-ihr Dargebotenen, Wahres und Falsches, die Sinne beaufsichtigend
-und berichtigend. Im Selbstbewusstsein endlich, dem Wissen um das
-eigene Wissen, zeigt sich am klarsten die geistige Einheit der Seele,
-in der Denken, Denkendes und Gedachtes zusammen fallen.
-
-Von den Tierseelen unterscheidet sich die menschliche Seele besonders
-durch vernnftige berlegung als das Prinzip ihres Handelns, welches
-auf das Gute gerichtet ist.
-
-3. Gut ist im allgemeinen dasjenige, wodurch ein Wollendes den Zweck
-oder die Vollkommenheit seines Wesens erreicht. Gut zu sein, dazu ist
-also eine gewisse auf einen Endzweck gerichtete Anlage erforderlich. In
-Bezug auf ihre Anlage unterscheiden die Menschen sich aber sehr
-wesentlich. Nur wenige, meint Ibn Maskawaih, sind von Natur gut und
-werden nie schlecht, denn was von Natur ist, ndert sich nicht. Viele
-dagegen sind von Natur schlecht und werden nie gut. Andere aber,
-die anfangs weder gut noch schlecht sind, werden durch Erziehung und
-gesellschaftlichen Verkehr nach einer von beiden Seiten hin bestimmt.
-
-Das Gute ist nun entweder ein allgemeines oder ein besonderes. Es gibt
-ein absolutes Gut, mit dem hchsten Sein und der hchsten Erkenntnis
-identisch, dem alle Guten zusammen zustreben. Aber fr jeden Einzelnen
-stellt sich ein besonderes Gut subjektiv als Glck oder Lust dar,
-und dieses besteht in der vollen Bethtigung des eigenen Wesens,
-in der vollstndigen Auslebung des Inneren.
-
-Im allgemeinen ist der Mensch gut und glcklich, wenn er menschlich
-handelt. Tugend ist menschliche Tchtigkeit. Da nun aber die Menschheit
-in den verschiedenen Individuen verschieden abgestuft sich darstellt,
-so ist das Glck oder das Gut nicht fr alle dasselbe. Und weil das
-auf sich selbst gestellte Individuum nicht alle mglichen Gter
-verwirklichen kann, so mssen viele zusammenleben. Daraus ergibt
-sich schon als eine erste Pflicht oder die Grundlage aller Tugenden
-die allgemeine Menschenliebe, ohne die keine Gesellschaft mglich
-ist. Nur mit und in anderen ist der einzelne Mensch vollkommen,
-die Ethik soll Sozialethik sein. Die Freundschaft ist darum nicht,
-wie bei Aristoteles, eine Erweiterung der Selbstliebe, sondern eine
-Einschrnkung oder eine Art der Nchstenliebe. Und diese, wie die
-Tugend berhaupt, kann sich nur bethtigen in der Gesellschaft oder
-der Staatsgemeinschaft, nicht aber in der Weltflucht des frommen
-Mnches. Der Einsiedler, der glaubt, mig und gerecht zu leben,
-irrt sich in Bezug auf den Charakter seiner Handlungen. Diese mgen
-religis sein, moralisch sind sie nicht. Ihre Betrachtung fllt also
-nicht der Ethik zu.
-
-brigens stimmt, nach Ibn Maskawaih, das richtig aufgefasste
-Religionsgesetz vorzglich mit einer humanen Ethik berein. Die
-Religion ist eine sittliche Schulung fr das Volk. Ihre Vorschriften
-ber den gemeinschaftlichen Gottesdienst und die Wallfahrt nach
-Mekka sollen z. B. die Pflege der Nchstenliebe in den weitesten
-Kreisen bezwecken.
-
-Im einzelnen ist es Ibn Maskawaih nicht gelungen, die ethischen
-Lehren der Griechen, die er in seine Darstellung aufnimmt, unter
-einander und mit dem Gesetz des Islam zu verschmelzen. Wir bergehen
-das. Doch ist nicht nur im allgemeinen sein Versuch zu loben, eine von
-der Kasuistik der Pflichtenlehrer und von der Askese der Sufi's freie
-Ethik zu geben, sondern auch in der Ausfhrung ist die Besonnenheit
-eines reichgebildeten Mannes anzuerkennen.
-
-
-
-
-4. Ibn Sina.
-
-1. Zu Efschene, in der Nhe Bocharas, wurde im Jahre 980 aus einer
-Beamtenfamilie geboren Abu Ali al-Hosain ibn Abdallah ibn Sina
-(Avicenna). Im elterlichen Hause, wo persische und anti-muslimische
-Traditionen lebendig waren, erhielt er seine weltliche und religise
-Erziehung. Dann studierte der krperlich und geistig frhreife
-Jngling Philosophie und Medizin in Bochara. Siebzehn Jahre war er
-alt, als er den Frsten Nuch ibn Mansur glcklich kurierte, und der
-Zutritt zu dessen Bibliothek ihm gestattet ward. Von jetzt ab war er,
-in Studium und Praxis, sein eigener Lehrer. Er verstand es, das Leben
-und die Bildung seiner Zeit sich zu Nutzen zu machen. Im Getriebe
-der Kleinstaaterei versuchte er unablssig sein Glck. Einem groen
-Frsten htte er sich wohl ebensowenig unterordnen knnen wie in der
-Wissenschaft einem Lehrer. Von Hof zu Hof wanderte er fort, bald in
-der Staatsverwaltung, bald als Lehrer und Schriftsteller thtig, bis
-er Wezir des Schems addaula in Hamadan wurde. Nach dem Tode dieses
-Frsten ward er von dessen Sohne ein paar Monate auf die Festung
-geschickt. Darauf ging er weiter nach Ispahan zu Ala addaula. Endlich
-starb er noch in Hamadan, das Ala addaula erobert hatte, im Alter
-von 57 Jahren (1037). Sein Grab wird noch heute dort gezeigt.
-
-2. Es ist wohl der grte Irrtum, der sich in der Geschichte der
-muslimischen Philosophie festgesetzt hat, Ibn Sina sei ber Farabi
-hinaus zu einem reineren Aristotelismus vorgedrungen. Was kmmerte
-unser Weltmann sich im Grunde um Aristoteles. Sich in den Geist
-irgend eines Systems zu versenken, war nicht seine Sache. Er nahm
-das ihm Zusagende, wo er es fand, bevorzugte aber dabei die seichten
-Paraphrasen des Themistius. So ward er der groe Vermittlungsphilosoph
-des Orients, der richtige Vorlufer der Kompendienschreiber fr
-alle Welt. Er wusste seinen von berall her zusammengeholten Stoff
-geschickt zu gruppieren und, wenn auch nicht ohne Spitzfindigkeit,
-fasslich darzustellen. Jeden Augenblick seines Lebens nutzte er
-aus. Am Tage besorgte er die Staatsgeschfte oder bte seine
-Lehrthtigkeit aus, der Abend war den geselligen Genssen der
-Freundschaft und der Liebe gewidmet, und manche Nacht fand ihn
-schriftstellerisch thtig, das Schreibrohr in der Hand, den Becher
-zur Seite, damit er nicht einschlafe. Zeit und Umstnde bestimmten
-diese Wirksamkeit. Wenn er am frstlichen Hofe die ntige Mue und
-eine Bibliothek zur Hand hatte, schrieb er seinen Kanon der Medizin
-oder die groe philosophische Encyklopdie. Auf Reisen verfasste er
-Auszge und kleinere Werke. Auf der Festung schrieb er Gedichte und
-fromme Betrachtungen, aber immer in geflliger Form. Seine kleineren
-mystischen Schriften haben sogar einen poetischen Reiz. Auf Bestellung
-ward von ihm auch die Wissenschaft, Logik und Medizin versifiziert,
-wie das seit dem zehnten Jahrhundert immer mehr Sitte wurde. Nimmt
-man hinzu, dass er nach Belieben persisch oder arabisch schrieb, so
-bekommt man das Bild eines vielgewandten Mannes. Sein Leben war reich
-an Arbeit und Genuss bis zur bersttigung. An Genialitt freilich
-stand er seinem lteren Landsmann, dem Dichter Firdausi (940-1020),
-an wissenschaftlichem Talente seinem Zeitgenossen Beruni (s. unten
- 9) nach. Firdausi und Beruni haben fr uns noch Bedeutung. Ibn
-Sina aber war der Ausdruck seiner Zeit und darauf beruht seine groe
-Wirkung, seine geschichtliche Stellung. Nicht wie Farabi zog er sich
-aus dem Leben zurck, sich in die Kommentatoren des Aristoteles zu
-versenken, sondern in ihm verschmolzen sich griechische Wissenschaft
-und orientalische Weisheit. Kommentare zu den Alten, meinte er, waren
-genug geschrieben. Es war jetzt an der Zeit, eine eigene Philosophie
-auszubilden, d. h. alten Lehren eine moderne Form zu geben.
-
-3. In der Medizin befleiigt Ibn Sina sich einer systematischen
-Darstellung, doch ist er hier kein strenger Logiker. Der
-Erfahrung rumt er, wenigstens theoretisch, einen groen Platz
-ein und ausfhrlich bespricht er die Bedingungen, unter denen nur
-z. B. die Wirksamkeit der Heilmittel erkannt werden knne. Was aber
-an philosophischen Prinzipien die Medizin enthlt, soll diese als
-Lehnstze aus der Philosophie herbernehmen.
-
-Die eigentliche Philosophie zerfllt in Logik, Physik und
-Metaphysik. Als Ganzes umfasst sie die Wissenschaft alles Seienden
-als solchen und der Prinzipien aller Einzelwissenschaften, wodurch,
-soweit es menschenmglich ist, die philosophierende Seele die
-hchste Vollkommenheit erreicht. Das Seiende ist nun entweder
-geistig, Gegenstand der Metaphysik, oder krperlich, Gegenstand der
-Physik, oder intellektuell, Gegenstand der Logik. Die Gegenstnde
-der Physik knnen weder sein noch gedacht werden ohne Materie. Das
-Metaphysische aber ist ganz ohne Materie und das Logische ist von
-der Materie abstrahiert. Einige hnlichkeit hat das Logische mit dem
-Mathematischen, insofern nmlich die Gegenstnde der Mathematik sich
-von der Materie abstrahieren lassen. Doch bleibt das Mathematische
-immer darstellbar, konstruierbar, hingegen hat das Logische als
-solches sein Dasein nur im Intellekte, wie z. B. Identitt, Einheit
-und Vielheit, Allgemeinheit und Partikularitt, Wesentlichkeit und
-Zuflligkeit u. s. w. Die Logik ist demnach die Wissenschaft der
-Denkbestimmungen.
-
-In der nheren Ausfhrung schliet Ibn Sina sich ganz der Logik
-Farabis an. Wohl besser noch wrde sich die bereinstimmung uns
-zeigen, wenn die logischen Schriften seines Vorgngers vollstndiger
-erhalten wren. fter betont er die Mangelhaftigkeit der menschlichen
-Denknatur, die einer logischen Regel dringend bedrftig sei. Wie
-der Physiognomiker aus ueren Zgen auf den Charakter des Inneren
-schliet, so soll der Logiker aus bekannten Vorderstzen Unbekanntes
-ableiten. Wie leicht schleichen sich dabei die Irrtmer der Phantasie
-und der Begierde ein! Eines Kampfes mit der Sinnlichkeit bedarf es,
-damit das Vorstellungsleben sich erhebe zu der reinen Wahrheit der
-Vernunft, durch die etwas als notwendig erkannt wird. Nur der gttlich
-inspirierte Mensch kann der Logik entbehren, ebenso wie der Beduine
-eine arabische Grammatik nicht braucht.
-
-Auch die Universalienfrage wird hnlich wie bei Farabi behandelt. Vor
-aller Vielheit hat jedes Ding ein Sein im Geiste Gottes und der Engel
-(Sphrengeister), dann geht es als materielle Form in die Vielheit ein,
-um endlich im menschlichen Intellekte zur Allgemeinheit des Begriffes
-sich zu erheben. Wie nun Aristoteles zwischen erster (individueller)
-und zweiter (allgemeinbegrifflicher) Substanz unterschieden hat, so
-macht Ibn Sina hnlich einen Unterschied zwischen erstem und zweitem
-Begriff (ma'n, intentio). Der erste bezieht sich auf die Dinge,
-der zweite auf die Disposition unseres Denkens.
-
-4. In der Metaphysik und der Physik unterscheidet Ibn Sina sich von
-Farabi hauptschlich dadurch, dass er, indem er die Materie nicht aus
-Gott ableitet, das Geistige hher ber alles Materielle hinausrckt,
-und, im Zusammenhang damit, die Bedeutung der Seele als einer
-Vermittlerin zwischen dem Geistigen und dem Krperlichen steigert.
-
-Aus dem Begriffe des Mglichen und Notwendigen ergibt sich die Existenz
-eines notwendigen Wesens schlechthin. Nicht aus seinen Werken soll
-man, nach Ibn Sina, das Dasein eines Schpfers zu erweisen suchen,
-sondern aus dem mglichen Charakter alles Seienden und Denklichen
-in der Welt die Existenz eines ersten notwendig Seienden, in welchem
-Wesen und Dasein Eins sind, folgern.
-
-Nicht nur alles, was unter dem Monde ist, ist mglicher Natur, sondern
-auch die Himmel sind an sich nur mglich. Notwendig wird ihre Existenz
-durch ein anderes, das ber alle Mglichkeit hinaus ist, also auch ber
-alle Vielheit und Vernderlichkeit. Das absolut Notwendige ist eine
-starre Einheit, aus der nichts Vielfaches hervorgehen kann. Dieses
-erste Eine ist Ibn Sinas Gott, dem zwar viele Prdikate, des Denkens
-u. s. w., beigelegt werden, aber nur im Sinne der Negation oder der
-Beziehung, sodass sie die Einheit des Wesens nicht berhren.
-
-Aus dem ersten Einen kann also nur Eines hervorgehen, der erste
-Weltgeist. In diesem entsteht die Vielheit. Indem er nmlich seine
-Ursache denkt, erzeugt er einen dritten Geist, den Lenker der
-uersten Sphre; indem er sich selbst denkt, entsteht eine Seele,
-mittelst der der Sphrengeist seine Wirkung ausbt; und sofern er
-drittens ein an sich Mgliches ist, geht aus ihm ein Krper hervor,
-die uerste Sphre. Und so geht es weiter. Jeder Geist entlsst
-aus sich eine Dreiheit: Geist, Seele und Krper. Denn, da der Geist
-nicht unmittelbar den Krper bewegen kann, so bedarf er zur Ausbung
-seiner Wirksamkeit der Seele. Zuletzt kommt der thtige Geist (`aql
-fu-``l) der die Materie des Irdischen, die krperlichen Formen und
-die menschlichen Seelen hervorbringt und lenkt.
-
-Dieser ganze Prozess, der nicht zeitlich vorgestellt werden darf,
-findet statt in einem Substrate, der Materie. Die Materie ist die
-ewige, reine Mglichkeit alles Seienden, zugleich die Schranke fr
-die Wirkung des Geistes. Sie ist das Prinzip aller Individualitt.
-
-Das musste nun allerdings glubigen Muslimen als etwas Furchtbares
-erscheinen. Wohl hatten mutazilitische Dialektiker behauptet,
-Gott knne kein Bses oder nichts Vernunftwidriges thun. Jetzt aber
-behauptete die Philosophie, dass Gott statt alles Mgliche zu knnen,
-nur das an sich Mgliche zu bewirken im Stande sei, und dass direkt
-von ihm nur der erste Weltgeist ausgehe.
-
-brigens macht Ibn Sina alle Anstrengung, sich dem Volksglauben
-anzubequemen. Alles ist durch Gottes Bestimmung, sagt er, Gutes
-und Bses, aber nur ersteres mit freudiger Billigung. Das Bse
-ist entweder ein Nichtseiendes oder, sofern es von Gott herrhrt,
-ein Accidentelles. Htte Er, der notwendigen bel wegen, diese Welt
-nicht hervorgehen lassen, so wre das der bel grtes gewesen. Die
-Welt knnte nicht besser und schner sein als sie eben ist. In ihrer
-schnen Ordnung besteht die gttliche Vorsehung, die von den Seelen
-der Himmel vermittelt wird. Gott und die reinen Geister kennen nur
-das Allgemeine, knnen also nicht fr Besonderes sorgen. Aber die
-Seelen der Himmelsphren, denen Vorstellung des Einzelnen zukommt
-und durch die der Geist auf den Krper wirkt, bieten die Mglichkeit,
-eine Frsorge auch fr das Einzelne und den Einzelnen anzunehmen, die
-Offenbarung zu erklren u. s. w. Auch das pltzliche Entstehen und
-Vergehen von Substanzen (Schpfung und Vernichtung) im Gegensatze
-zu der stetigen Bewegung, d. h. dem allmhlichen bergange des
-Mglichen zum Wirklichen, scheint dem Ibn Sina nichts Unmgliches zu
-bedeuten. berhaupt herrscht bei ihm keine Klarheit ber das Verhltnis
-der Seinsformen, ber Geist und Krper, Form und Materie, Substanz und
-Accidens. Dem Wunder bleibt jedenfalls ein Platz brig. In heftigen,
-seelischen Erregungen, die oft pltzlich eine groe Hitze oder Klte
-bei uns hervorrufen, haben wir, nach Ibn Sina, Analoga zu wunderbaren
-Wirkungen der Weltseele, wenn diese auch gewhnlich dem Naturlaufe
-folgt. Von allen diesen Mglichkeiten macht unser Philosoph selbst
-sehr migen Gebrauch. Astrologie und Alchemie hat er aus ganz
-vernnftigen Grnden bekmpft. Trotzdem hat man ihm bald nach seinem
-Tode schon astrologische Gedichte aufgebrdet und erscheint er in
-der trkischen Romanlitteratur, freilich an der Stelle eines alten
-Mystikers, als Zauberer.
-
-Ibn Sinas Physik beruht ganz auf der Annahme, ein Krper knne nichts
-bewirken. Was wirkt, ist berall eine Kraft, eine Form, eine Seele und
-durch sie der Geist. Im Gebiete des Physischen gibt es also unzhlige
-Krfte, deren Hauptstufen von unten nach oben die Naturkrfte,
-die Vermgen der Pflanzen und der Tiere, die Menschenseelen und die
-Weltseelen sind.
-
-5. Farabi war es vor allem um die reine Vernunft zu thun: er hat das
-Denken um seiner selbst willen geliebt. Ibn Sina aber ist berall
-um die Seele bemht. Wie er in seiner Medizin den menschlichen
-Krper ins Auge fasst, so in seiner Philosophie die menschliche
-Seele. Seine groe philosophische Encyklopdie heit ja die Heilung
-(sc. der Seele). Die Psychologie ist der Mittelpunkt seines Systems.
-
-Seine Anthropologie ist dualistisch. Krper und Seele gehren
-nicht wesentlich zusammen. Wie alle Krper unter der Einwirkung der
-Gestirne aus der Mischung der Elemente hervorgehen, so der menschliche
-Krper aus dem schnsten Gleichmae dieser Mischung. Eine spontane
-Generation des Krpers, wie berhaupt ein Aussterben und Neuerstehen
-des Menschengeschlechtes ist deshalb mglich. Aber aus der Mischung
-der Elemente lsst sich die Seele nicht erklren. Sie ist nicht
-die untrennbare Form des Krpers, sondern diesem accidentell. Von
-dem Geber der Formen, d. h. dem thtigen Geiste ber uns, erhlt
-jeder Krper seine ihm und nur ihm eignende Seele. Von Anfang an
-ist jede Seele Individualsubstanz und sie bildet sich zeitlebens
-in ihrem Krper immer individueller aus. Zu der Behauptung, die
-Materie sei das Prinzip der Individualitt, stimmt dies allerdings
-nicht. Aber die Seele ist das Wunderkind unseres Philosophen. Er ist
-nicht leichtglubig, warnt fter vor einem allzuleichten Hinnehmen
-der Geheimnisse des Seelenlebens, wei aber doch selber manches zu
-berichten ber die vielen wunderbaren Krfte und mglichen Wirkungen
-der Seele, die die vielverschlungenen Pfade des Lebens wandert und
-die Abgrnde des Seins und Nichtseins bersteigt.
-
-Von allen Seelenkrften sind die theoretischen Vermgen die
-vorzglichsten. uere und innere Sinne fhren der vernnftigen Seele
-die Kenntnis der Welt zu. Besonders die Lehre von den inneren Sinnen,
-den sinnlich-geistigen Vorstellungsvermgen, deren Sitz das Gehirn,
-wird von Ibn Sina eingehend dargestellt.
-
-Gewhnlich nahmen die Mediziner-Philosophen drei innere Sinne oder
-Stadien des Vorstellungsprozesses an: 1. die Zusammenfassung der
-einzelnen Sinneswahrnehmungen zu einem Gesamtbilde im Vorderhirn;
-2. die Umbildung oder Bearbeitung dieser Vorstellung des Gemeinsinnes
-mit Hilfe schon vorhandener Vorstellungen, also die eigentliche
-Apperzeption, in der Mitte des Gehirns; 3. die Aufbewahrung
-der apperzipierten Vorstellung im Gedchtnis, das seinen Sitz im
-hintern Teile des Gehirns haben soll. Ibn Sina geht etwas weiter in
-der Analyse. Er unterscheidet im Vorderhirne vom Gemeinsinne das
-sinnliche Gedchtnis, die Schatzkammer der Gesamtbilder. Ferner
-lsst er die Apperzeption teils unbewusst, unter dem Einfluss
-des sinnlich-begehrenden Lebens, wie es sich auch bei den Tieren
-findet, von statten gehen, teils aber bewusst, unter der Mitwirkung
-der Vernunft, zu Stande kommen. In dem ersteren Falle behlt die
-Vorstellung ihre Beziehung zu dem Einzelding -- so kennt das Schaf die
-Feindschaft des Wolfes --, in dem zweiten Falle aber erweitert sie sich
-zum allgemeinen. Dazu kommt dann als fnftes hinzu das vorstellende
-Gedchtnis oder das Zeughaus der von der sinnlichen Phantasie und dem
-vernnftigen Nachdenken gebildeten Vorstellungen. Es entsprechen also,
-aber ganz anders als bei den treuen Brdern (s. III, 2 8), den fnf
-ueren Sinnen fnf innere. Unbeantwortet bleibt die aufgeworfene
-Frage, ob man nicht von dem Gedchtnis noch die Erinnerung als ein
-besonderes Vermgen zu scheiden habe.
-
-6. Auf dem Gipfel der theoretischen Seelenkrfte steht die Vernunft. Es
-gibt zwar auch eine praktische Vernunft, aber in ihrem Thun haben
-wir uns selbst nur mittelbar, vervielfltigt; unmittelbar dagegen
-in dem Selbstbewusstsein, dem reinen Erkennen unseres Wesens, darin
-die Einheit unserer Vernunft sich darstellt. Statt aber die niederen
-Krfte der Seele herabzudrcken, zieht die Vernunft dieselben hinauf,
-die Sinneswahrnehmung verfeinernd, die Vorstellung verallgemeinernd. An
-dem ihr von den ueren und inneren Sinnen zugefhrten Materiale
-arbeitet sich die Vernunft, die anfangs bloe Denkfhigkeit ist,
-nach und nach zur vollkommenen Denkfertigkeit aus. Durch bung wird
-die Anlage Wirklichkeit. Es geschieht das an der Hand der Erfahrung,
-aber unter der Fhrung und der Erleuchtung von oben, von dem Geber der
-Formen, der als thtiger Geist der Vernunft die Ideen mitteilt. Ein
-Gedchtnis aber fr die reinen Vernunftideen hat die menschliche
-Seele nicht, denn Gedchtnis setzt immer ein krperliches Substrat
-voraus. So oft also die vernnftige Seele etwas erkennt, fliet ihr
-jedesmal von oben die Erkenntnis zu, und nicht durch Umfang und Inhalt
-des Erkennens unterscheiden sich die denkenden Seelen, sondern durch
-die Fertigkeit, sich zur Aufnahme der Erkenntnis mit dem Geiste ber
-uns in Verbindung zu setzen.
-
-Die vernnftige Seele, die dasjenige, was unter ihr ist, beherrscht,
-und das Hhere durch die Erleuchtung des Weltgeistes erkennt, ist
-nun der eigentliche Mensch, entstanden zwar, aber als einfaches
-Wesen, als Individualsubstanz, unzerstrbar, unsterblich. Hier
-unterscheidet durch ihre Klarheit Ibn Sinas Lehre sich von derjenigen
-des Farabi. Seit Ibn Sina gilt im Orient die Annahme der individuellen
-Unsterblichkeit entstandener Menschenseelen als aristotelisch, das
-Gegenteil als platonisch. So versteht sich seine Philosophie besser
-mit der Religion. Im menschlichen Krper und in der ganzen Sinnenwelt
-hat die Seele eine Schule, sich auszubilden. Nach dem leiblichen
-Tode aber, der diesem Krper fr immer ein Ende macht, besteht die
-Seele in enger oder entfernter Verbindung mit dem Weltgeiste fort. In
-dieser Vereinigung (die nicht als vllige Einswerdung aufzufassen ist)
-mit dem Geiste ber uns besteht die Seligkeit der guten, wissenden
-Seelen. Den anderen wird ewiges Unglck zu teil. Wie krperliche Mngel
-zu Krankheiten fhren, so folgt notwendig aus schlechtem Seelenzustande
-die Strafe. In derselben Weise bemisst sich aber auch die himmlische
-Belohnung nach der Stufe seelischer Gesundheit oder Vernnftigkeit,
-die im Erdenleben erreicht wurde. Der reinen Seele bleibt in den
-Leiden der Zeit der Trost des Ewigen.
-
-Freilich wird das Hchste nur von wenigen erreicht. Auf dem Gipfel
-der Wahrheit ist fr die Masse kein Platz; nur einer nach dem
-andern dringt zu der auf einsamer Hhe entspringenden Quelle der
-Gotteserkenntnis vor.
-
-7. Seine Ansicht von der menschlichen Vernunft auszudrcken, benutzt
-und deutet Ibn Sina dichterische berlieferungen, wie das auch in
-der spteren persischen Litteratur sehr beliebt war. An erster Stelle
-interessiert uns die allegorisierte Gestalt des Hai ibn Jaqzan. Sie
-stellt den Aufstieg des Geistes aus den Elementen durch die Reiche
-der Natur, der Seele und der Geister bis zum Throne des Ewigen,
-Einen dar. Als ein jugendlicher Greis, seine Fhrerschaft anbietend,
-begegnet sie dem Philosophen. Dieser hat sich bemht, mit seinen
-ueren und inneren Sinnen, Erde und Himmel zu erkennen. Zwei Wege
-ffnen sich ihm: nach Westen der Weg der Materie und des Bsen, nach
-Sonnenaufgang aber der Weg der geistigen, ewigreinen Formen, auf den
-Hai den Wanderer fhrt. Zusammen gelangen sie zu der Quelle gttlicher
-Weisheit, dem Born ewiger Jugend, wo Schnheit der Schnheit Vorhang,
-Licht des Lichtes Schleier ist: das ewige Geheimnis.
-
-Hai ibn Jaqzan ist demnach der Fhrer der einzelnen denkenden Seelen,
-er ist der ewige Geist, der ber der Menschheit steht und sich in
-ihr bethtigt.
-
-Einen hnlichen Sinn findet unser Philosoph in der vielfach
-umgebildeten sptgriechischen Legende von den Brdern Salaman und
-Absal. Salaman ist ihm der Weltmensch, dessen Weib (= die sinnliche
-Welt) sich in Absal verliebt und diesen durch eine List in ihre Arme zu
-fhren wei. Vor dem entscheidenden Augenblicke fhrt aber ein Blitz
-vom Himmel herab, entdeckt Absal den beinahe begangenen Frevel und
-erhebt ihn von der sinnlichen Genusswelt zu der Welt reingeistiger
-Betrachtung.
-
-Wie ein Vogel, heit es an anderer Stelle, ist die Seele des
-Philosophen. Mit groer Mhe entkommt sie irdischen Stricken und
-durchfliegt die Weltenrume, bis der Engel des Todes ihr die letzten
-Fesseln lst.
-
-Das ist Ibn Sinas Mystik. Seine Seele hat Bedrfnisse, fr die seine
-Apotheke keine Mittel, das hfische Leben keine Befriedigung darbietet.
-
-8. Ethik und Politik theoretisch auszubilden bleibe den Lehrern
-des Fiqh berlassen. Unser Philosoph fhlt sich auf der Stufe
-eines Erleuchteten wie ein Gott ber alle menschlichen Gesetze
-hinausgehoben. Nur fr die Menge ist das Gesetz der Religion und
-des Staates verpflichtend. Mohammeds Zweck war, die Beduinen zu
-zivilisieren; zu dem Zwecke predigte er u. a. eine Auferstehung
-des Fleisches. Was reingeistige Seligkeit bedeutet, htten sie nicht
-verstanden, er musste sie also mit der Aussicht auf krperliche Leiden
-oder Freuden erziehen. Mit dieser sinnlichen Menge, deren Gottesdienst
-in der Beobachtung uerer Formen besteht, stimmen insofern die
-Asketen, obgleich sie ganz der Welt und der Sinne entsagen wollen,
-berein, dass auch sie mit Rcksicht auf eine himmlische Belohnung ihre
-frommen Werke ausben. Hher als die Menge und die Frommen stehen die
-wahren Gottesverehrer in geistiger Liebe, die nichts wollen als Gott
-selbst, ohne Hoffnung, ohne Furcht. Ihr Eigentum ist die Freiheit
-des Geistes.
-
-Dieses Geheimnis aber soll man der Menge nicht offenbaren. Nur seinen
-liebsten Schlern vertraut es der Philosoph.
-
-9. Ibn Sina kam auf seinen Reisen mit vielen gelehrten Zeitgenossen
-zusammen. Dauernde Verbindungen waren, wie es scheint, nicht davon die
-Folge. Wie er sich von seinen Vorgngern allein dem Farabi verpflichtet
-fhlt, so dankt er der Mitwelt nur in seinen frstlichen Gnnern. Den
-Ibn Maskawaih (s. IV 3), mit dem er noch fter zusammenkam, hat er
-ungnstig beurteilt. Mit dem ihm als Forscher berlegenen Beruni
-fhrte er eine Korrespondenz, die aber bald abgebrochen wurde.
-
-Beruni (973-1048), wenn er auch Kindi und Masudi eher als Farabi
-und den jngeren Ibn Sina seine Meister nennen darf, verdient
-hier zur Charakteristik der Zeit einer kurzen Erwhnung. Vorzglich
-beschftigten ihn Mathematik, Astronomie, Lnder- und Vlkerkunde. Er
-war ein scharfer Beobachter und guter Kritiker. Aber er verdankte der
-Philosophie manche Aufklrung und widmete ihr als Kulturerscheinung
-fortwhrend seine Aufmerksamkeit.
-
-Treffend hebt Beruni die bereinstimmung zwischen
-pythagoreisch-platonischer Philosophie, indischer Weisheit und vielen
-sufischen Anschauungen hervor. Nicht weniger treffend erkennt er die
-berlegenheit griechischer Wissenschaft gegenber den Versuchen und
-Leistungen der Araber und Inder. Indien, sagt er, von Arabien ganz zu
-schweigen, hat keinen Sokrates hervorgebracht. Keine logische Methode
-hat dort die Phantasie aus der Wissenschaft vertrieben. Doch will er
-einzelnen Indern gerecht werden. Zustimmend fhrt er als die Lehre der
-Anhnger Aryabhatas folgendes an: "Es gengt uns, das zu erkennen, was
-von den Strahlen der Sonne beleuchtet wird; was darber hinausgeht,
-wenn auch von unermesslicher Ausdehnung, brauchen wir nicht. Was
-der Sonnenstrahl nicht erreicht, knnen die Sinne nicht wahrnehmen,
-und was der Sinn nicht wahrnimmt, knnen wir nicht erkennen."
-
-Daraus ergibt sich uns Berunis Philosophie. Nur die Wahrnehmungen
-der Sinne, von einem logischen Geiste verknpft, gewhren sichere
-Erkenntnis. Und zum Leben brauchen wir eine praktische Philosophie,
-die uns vom Freunde den Feind unterscheiden lsst. Er glaubte selbst
-wohl nicht, damit alles und das letzte Wort gesagt zu haben.
-
-10. Aus der Schule Ibn Sinas sind uns mehr Namen berliefert
-als Schriften erhalten. Dschuzdschani hat, im Anschluss an eine
-Selbstbiographie, das Leben des Meisters beschrieben. Und von
-Abu-l-Hasan Behmenjar ibn al-Marzuban haben wir noch ein paar kleinere
-metaphysische Abhandlungen, die sich fast ganz in bereinstimmung mit
-dem Systeme seines Lehrers befinden. Nur scheint die Materie etwas
-von ihrer Substantialitt einzuben: als Seinsmglichkeit wird sie
-zu einer Relation oder Beziehung des Denkens.
-
-Gott ist, nach Behmenjar, die reine, ursachlose Einheit notwendigen
-Seins, nicht der lebendige, alles wirkende Schpfer. Er ist zwar
-Ursache der Welt, aber die Folge ist mit der Ursache zugleich und
-notwendig gegeben, sonst wre die Ursache nicht vollkommen, weil der
-Vernderung fhig. Wesenhaft, nicht zeitlich, geht Gottes Dasein dem
-der Welt voran. Drei Bestimmungen kommen demnach dem hchsten Sein
-zu: dass es wesentlich zuerst, sich selbst gengend und notwendig
-sei, m. a. W. Gottes Wesen ist die Seinsnotwendigkeit. Diesem
-absolut-notwendigen Sein verdankt alles mglicherweise Existierende
-sein Dasein.
-
-Das stimmt nun wohl zu den Lehren Ibn Sinas. Und ebenso verhlt es
-sich mit dem Weltbilde und der Seelenlehre des Schlers. Was einmal
-zur vollen Wirklichkeit gelangt ist, die der Art nach verschiedenen
-Sphrengeister, die Urmaterie und die individuell verschiedenen
-menschlichen Seelen, besteht alles ewig fort. Vollwirkliches, weil
-ohne jede Mglichkeit, kann nicht vergehen.
-
-Die Eigenart alles Geistigen ist die Erkenntnis des eigenen
-Wesens. Wille heit, nach Behmenjar, nichts anderes als Erkenntnis
-dessen, was notwendig aus dem Wesen folgt. In der Selbsterkenntnis
-besteht auch das Leben und die Lust der vernnftigen Seele.
-
-11. Ibn Sina hat eine weitgehende Wirkung erzielt. Nach seinem Kanon
-der Medizin, der auch im Abendlande vom 13. bis 16. Jahrhundert hohes
-Ansehen genoss, werden heutigen Tages noch die Perser kuriert. Sein
-Einfluss auf die christliche Scholastik war bedeutend. Dante setzte
-ihn zwischen Hippokrat und Galen, und Scaliger behauptete, er sei
-in der Medizin dem Galen gleich, in der Philosophie diesem sogar
-weit berlegen.
-
-Dem Orient galt und gilt er als der Frst der Philosophie. Der
-neuplatonische Aristotelismus ist dort bekannt geblieben in der Form,
-die ihm Ibn Sina gegeben. Zahlreich sind die Handschriften seiner
-Werke, ein Zeugnis seiner Popularitt, unzhlig aber die Kompendien
-und Kommentare zu seinen Schriften. Mediziner und Staatsmnner,
-aber auch Theologen studierten ihn. Nur wenige gingen ber ihn zu
-den Quellen zurck.
-
-Der Feinde gab es freilich von Anfang an viele und sie uerten sich
-lauter als die Freunde. Dichter verfluchten ihn, Theologen stimmten mit
-ein oder versuchten es, ihn zu widerlegen. Und der Chalif Mustandschid
-lie im Jahre 1150 unter der philosophischen Bibliothek eines Richters
-auch die Schriften Ibn Sinas zu Bagdad dem Feuer bergeben.
-
-
-
-
-5. Ibn al-Haitham.
-
-1. Nach Ibn Sina und seiner Schule fand die theoretische Philosophie
-in den stlichen Lndern des muslimischen Reiches wenig Pflege
-mehr. Die arabische Sprache musste im Leben und in der Litteratur
-dort immer mehr der persischen weichen. Dass letztere Sprache sich
-weniger gut zu abstrakt logischen und metaphysischen Errterungen
-eignet, drfte dabei nur ganz nebenschlich ins Gewicht fallen. Es
-nderten sich in trauriger Weise die Kulturverhltnisse und damit die
-Interessen der Menschen. Ethik und Politik traten in den Vordergrund,
-jedoch ohne eine wirklich neue Gestalt zu bekommen. Ganz vorherrschend
-aber war es in der neupersischen Litteratur eine teils freigeistige,
-teils, und zwar berwiegend, mystische Poesie, die das Bedrfnis der
-Gebildeten nach Weisheit befriedigte.
-
-Seit der Mitte des zehnten Jahrhunderts etwa hatte sich von Bagdad aus
-ein Teil der wissenschaftlichen Bewegung dem Westen zugewendet. Wir
-fanden schon Farabi in Syrien, Masudi in gypten. Dort wurde Kairo
-ein zweites Bagdad.
-
-2. In Kairo treffen wir am Anfang des elften Jahrhunderts einen der
-bedeutendsten Mathematiker und Physiker des ganzen Mittelalters, Abu
-Ali Mohammed ibn al-Hasan ibn al-Haitham. In Basra, wo er geboren
-wurde, hatte er schon ein Staatsamt verwaltet. In allzugroem
-Vertrauen auf die Verwertbarkeit seiner mathematischen Kenntnisse
-glaubte er die Nilberschwemmungen regulieren zu knnen. Deshalb
-vom Chalifen al-Hakim berufen, sah er bald nach seiner Ankunft das
-Vergebliche seiner Bemhungen ein. Als Verwaltungsbeamter fiel er
-dann in Ungnade, verbarg sich bis zum Tode des Chalifen (1020) und
-lebte ferner wissenschaftlichen und litterarischen Arbeiten, bis er
-im Jahre 1038 starb.
-
-Seine Hauptwirksamkeit liegt auf dem Gebiete der Mathematik und
-ihrer Anwendung. Doch hat er sich auch sehr viel mit den galenischen
-und aristotelischen Schriften, und nicht blo mit den physischen,
-beschftigt. Nach seinem eigenen Bekenntnis hat er von Jugend auf
-alles bezweifelnd, die verschiedenen Ansichten und Lehren der Menschen
-betrachtet, bis er in allen mehr oder weniger gelungene Versuche,
-sich der Wahrheit zu nhern, erkannte. Als Wahrheit galt ihm ferner
-nur das, was sich der sinnlichen Wahrnehmung als Material darbot
-und vom Verstande seine Form erhielt, also die logisch bearbeitete
-Wahrnehmung. Solche Wahrheit zu suchen war sein Bestreben beim
-Studium der Philosophie. Die Philosophie sollte ihm Grundlage aller
-Wissenschaften sein. Er fand sie in den Schriften des Aristoteles,
-weil dieser es am besten verstanden hatte, die sinnliche Wahrnehmung
-einheitlich zu vernnftiger Erkenntnis zu verknpfen. Eifrig studierte
-und erluterte er darum die Werke des Aristoteles, zu Nutz und Frommen
-der Menschheit, zu eigener bung und als Schatz und Trost fr sein
-Alter. Von diesen Arbeiten scheint uns aber nichts erhalten zu sein.
-
-Des Ibn al-Haithams bedeutendste Schrift, die in lateinischer
-bersetzung und Bearbeitung auf uns gekommen ist, ist die Optik. Er
-zeigt sich darin als einen scharfen mathematischen Denker, berall
-um die Analyse der Begriffe und der wirklichen Vorgnge bemht. Ein
-Abendlnder des 13. Jahrhunderts (Witelo) wusste das Ganze methodischer
-darzustellen, doch drfte an Schrfe der Beobachtung im einzelnen
-Ibn al-Haitham jenem berlegen sein.
-
-3. Das Denken Ibn al-Haithams ist ganz mathematisch bestimmt. Die
-Substanz eines Krpers besteht nach ihm aus der Summe seiner
-wesentlichen Eigenschaften, wie das Ganze der Summe der Teile und
-der Begriff der Summe seiner Merkmale gleich ist.
-
-In der Optik interessieren uns besonders die psychologischen
-Bemerkungen ber das Sehen und die Sinneswahrnehmung berhaupt. Das
-Bestreben ist hier darauf gerichtet, die einzelnen Momente der
-Wahrnehmung zu sondern und den zeitlichen Charakter des ganzen
-Prozesses hervorzuheben.
-
-Die Wahrnehmung setzt sich dann zusammen aus der Sinnesempfindung (1),
-der Vergleichung (2) mehrerer Empfindungen oder der jetzigen Empfindung
-mit dem infolge frherer Empfindungen nach und nach in der Seele
-geformten Erinnerungsbilde, und dem Wiedererkennen (3), sodass wir das
-jetzt Wahrgenommene als mit dem Erinnerungsbilde gleich erkennen. Das
-Vergleichen und das Wiedererkennen sind keine Thtigkeiten der Sinne,
-die nur passiv empfinden, sondern fallen dem urteilenden Verstande
-zu. Gewhnlich geht das alles unbewusst oder halbbewusst von statten,
-und nur durch Besinnung wird es uns zum Bewusstsein gefhrt und das
-scheinbar Einfache in seine Bestandteile zerlegt.
-
-Der Prozess der Wahrnehmung verluft sehr schnell. Je gebter der
-Mensch in dieser Hinsicht ist und je fter eine Wahrnehmung sich
-wiederholt, um so fester wird das Erinnerungsbild der Seele eingeprgt,
-um so schneller kommt das Wiedererkennen oder die Wahrnehmung
-zu Stande. Die Ursache davon ist die, dass die neue Empfindung
-von dem schon vorhandenen seelischen Gebilde ergnzt wird. Leicht
-knnte man also meinen, die Wahrnehmung sei, wenigstens nach langer
-Einbung, ein zeitloser Akt. Das wre aber ein Irrtum, denn nicht
-nur entspricht jeder Empfindung eine qualitative, im Sinnesorgan
-lokalisierte Vernderung, die eine Zeit erfordert, sondern auch
-zwischen der Reizung des Organs und der bewussten Wahrnehmung muss der
-rumlichen Fortleitung des Reizes durch die Nerven eine Zeitstrecke
-entsprechen. Dass es z. B. zur Auffassung einer Farbe Zeit bedarf,
-beweist der drehende Farbenkreisel, der uns nur eine Mischfarbe zeigt,
-weil wir wegen der schnellen Bewegung keine Zeit haben, die einzelnen
-Farben aufzufassen.
-
-Vergleichen und Wiedererkennen sind nach Ibn al-Haitham die
-bedeutenden, seelischen Momente der Wahrnehmung. Dagegen entspricht
-die Empfindung der Materie, der empfindende Sinn verhlt sich
-passiv. Eigentlich ist alles Empfinden an sich eine Art Unlust, welche
-sich fr gewhnlich nicht fhlbar macht, bei sehr starken Reizen aber,
-z. B. durch allzuhelles Licht, zum Bewusstsein kommt. Der Charakter
-der Lust kommt nur der vollkommenen Wahrnehmung zu, d. h. dem Erkennen,
-das die Materie der Empfindung zur seelischen Form erhebt.
-
-Das Vergleichen und Wiedererkennen in der Wahrnehmung ist wesentlich
-ein unbewusstes Urteilen und Schlieen. Das Kind macht schon einen
-Schluss, wenn es von zwei pfeln den schneren whlt. Schlieen ist
-jede Erfassung eines Zusammenhanges. Weil aber Urteilen und Schlieen
-schnell zu Stande kommen, irrt der Mensch sich dabei leicht, und
-hlt auch oft fr einen ursprnglichen Begriff, was nur ein auf dem
-Wege des Schlieens abgeleitetes Urteil ist. Bei allem, was uns als
-Axiome verkndet wird, soll man doch auf der Hut sein und nachspren,
-ob es nicht aus Einfacherem abgeleitet werden knne.
-
-4. Diese Aufforderung unseres Philosophen hat im Orient wenig
-gefruchtet. Zwar hat er in Mathematik und Astronomie etwas Schule
-gemacht, aber fr seine aristotelische Philosophie gab es weniger
-Liebhaber. Wir kennen nur einen seiner Schler, der zu den Philosophen
-gezhlt wird, Abu-l-Wafa Mubasschir ibn Fatik al-Qaid, einen
-gyptischen Emir, der im Jahre 1053 ein Werk mit Spruchweisheit,
-Anekdoten zur Philosophiegeschichte u. s. w. lieferte. Von
-eigener Gedankenarbeit ist dabei kaum etwas zu spren. Es sollte
-unterhalten. Und mehr noch als an solchem Werke erbauten sich die
-Einwohner Kairos in der Folgezeit an den Mrchen der Tausend und
-eine Nacht.
-
-Der Orient hat Ibn al-Haitham fast vergessen, ihn und seine Werke
-verketzert. Ein Schler des jdischen Philosophen Maimonides
-erzhlt, er sei wegen Handelsgeschfte in Bagdad gewesen, als dort
-die Bibliothek eines Philosophen (gest. 1214) verbrannt wurde. Da
-warf ein Prediger, der die Exekution leitete, mit eigener Hand eine
-astronomische Schrift des Ibn al-Haitham in die Flammen, nachdem er
-auf eine darin abgebildete Weltkugel als das Unglckszeichen verruchter
-Gottlosigkeit hingewiesen hatte.
-
-
-
-
-
-
-
-
-V. DER AUSGANG DER PHILOSOPHIE IM OSTEN.
-
-
-1. Gazali.
-
-1. Wir haben frher schon gesehen, dass die theologische Bewegung
-im Islam stark von der Philosophie beeinflusst war. Nicht nur die
-mutazilitische, sondern auch die antimutazilitische Dialektik holte
-ihre Ansichten und die Argumente, womit sie die eigene Lehre sttzte,
-die des Gegners bekmpfte, zum groen Teile aus den Schriften der
-Philosophen. Man nahm aus diesen auf, was man eben brauchen konnte,
-das andere lie man auf sich beruhen, oder aber man machte den
-Versuch, es zu widerlegen. So entstanden zahlreiche Schriften, gegen
-eine besondere philosophische Lehre oder einen einzelnen Philosophen
-gerichtet. Ein Versuch aber, das ganze System der Philosophie, wie es
-im Osten auf griechischer Grundlage aufgebaut war, nach eingehendem
-Studium von allgemeinen Gesichtspunkten aus zu bekmpfen, ist wohl
-vor Gazali nicht gemacht worden.
-
-Das Unternehmen Gazalis hatte auch eine positive Seite. Neben der
-Dialektik, die die Lehren des Glaubens verstndlich zu machen oder
-gar vernnftig zu begrnden suchte, lief im Islam eine Mystik her,
-die auf innerliches, gemtliches Erfassen des Dogmas aus war. Nicht
-begreifen oder beweisen wollte sie den Glaubensinhalt, sondern
-erfahren, im Geiste erleben. Dem Glauben soll ja die hchste
-Gewissheit zukommen. Sollte man ihn dann in ein abgeleitetes
-Wissen verwandeln knnen? Oder sollten seine Stze Prinzipien der
-Vernunft sein, keines weiteren Beweises fhig noch bedrftig? Aber
-die Grundstze der Vernunft mssen, wenn sie einmal bekannt sind,
-allgemein anerkannt werden, und die allgemeine Anerkennung fehlt
-den Stzen des Glaubens. Woher sonst der Unglaube? So wurde weiter
-gefragt. Und als der einzige Ausweg aus solchen Zweifeln erschien
-es vielen, die Glaubenslehre auf eine innere, bervernnftige
-Erleuchtung zu grnden. Anfangs geschah das unbewusst, in mystischem
-Drange, wobei denn oft der Inhalt der Pflichten- und Glaubenslehre
-sehr vernachlssigt wurde. Auch hier hat Gazali eingegriffen. Was
-vielleicht von Salimiten und Karramiten, antimutazilitischen Sekten,
-vorgebildet war, hat er in groem Stile durchgefhrt: die Mystik
-trgt und krnt seit seiner Zeit das Lehrgebude des orthodoxen Islam.
-
-2. Merkwrdig ist die Lebensgeschichte dieses Mannes, und zum
-Verstndnis seiner Wirksamkeit ist es unbedingt erforderlich, etwas
-nher darauf einzugehen. Im Jahre 1059 wurde er zu Tos in Chorasan
-geboren, war also ein Landsmann des groen Dichters Firdausi. Wie
-dieser von der alten Herrlichkeit der persischen Nation zeugt,
-so sollte Gazali "Zeugnis und Zierde" des ganzen zuknftigen Islam
-sein. Schon seine Erziehung, nach dem Tode des Vaters im Hause eines
-sufischen Freundes, war mehr universal als national gerichtet. Dem
-unruhigen, phantastischen Geiste des Jnglings sagte auch keine
-Beschrnkung zu. In der spitzfindigen Kasuistik der Pflichtenlehre
-mit ihren przisen Formeln fand er sich nicht zurecht. Er sah sie
-an als ein weltliches Wissen, von dem er sich abwendete, um sich
-in die Erkenntnis Allahs geistig zu vertiefen. Dann studierte
-er in Nischabur Theologie bei einem sufischen Lehrer, dem Imam
-al-Haramain (gest. 1085), whrend dessen er wohl selbst anfing
-zu schriftstellern und zu lehren, vielleicht auch schon an seiner
-Wissenschaft zu zweifeln. Er begab sich darauf zu Nizam al-Mulk, dem
-Wezir des Seldschukenfrsten, bis er (1091) eine Professur in Bagdad
-erhielt. In diese Zeit fllt jedenfalls die nhere Beschftigung mit
-der Philosophie. Es war aber nicht reine Liebe zur Wissenschaft,
-die ihn dazu trieb, sondern die Sehnsucht des Herzens, Lsung fr
-die Zweifel des Verstandes zu finden. Keine Aufklrung ber das
-Weltgeschehen, auch keine Klrung des eigenen Denkens, sondern
-Herzensruhe und die Erfahrung einer hheren Wirklichkeit suchte
-er zu erreichen. Eingehend befasste er sich mit den Schriften der
-Philosophen, besonders denen des Farabi und Ibn Sina, und hauptschlich
-dem System des letzteren folgend, schrieb er ein philosophisches
-Kompendium, objektiv gehalten, scheinbar mit einiger Teilnahme am
-Inhalt. Er that es, wie er anfangs wohl leise zur Selbstberuhigung,
-spter aber laut zu seiner Entschuldigung sagte, nur um der Darstellung
-der philosophischen Lehren die Widerlegung folgen zu lassen. Auch
-diese erschien, wahrscheinlich nicht lange Zeit darauf. Es war die
-berhmte "Ruin der Philosophen", die vermutlich noch in Bagdad oder
-kurz nach seiner Abreise verfasst wurde.
-
-Schon nach vier Jahren nmlich (1095) hatte Gazali seine von uerem
-Erfolg begleitete Lehrthtigkeit in Bagdad eingestellt. Sein
-immer zweifelnder Geist fand im dogmatischen Vortrag wohl keine
-Befriedigung. Seine glnzende Stellung zog ihn bald an, bald stie
-sie ihn ab. Er glaubte wohl, auf andere Weise besser die Welt und ihre
-Weisheit bekmpfen zu knnen, zu sollen. Sein Ehrgeiz war grer als
-diese Welt. Doch tiefer. Whrend einer Krankheit stand ihm der innere
-Beruf vor der Seele. Im stillen, durch sufische bungen, sollte er
-sich darauf vorbereiten, vielleicht einmal als religis-politischer
-Reformator auftreten. Zu derselben Zeit, als die Ritter vom Kreuze im
-Abendlande sich gegen den Islam rsteten, da bereitete sich Gazali
-zum geistigen Vorkmpfer des muslimischen Glaubens. Nicht gewaltig
-war seine Bekehrung, wie die des heiligen Augustin, sondern dem
-Erlebnis zu vergleichen des heiligen Hieronymus, der im Traume von
-seinen ciceronianischen Liebhabereien zum praktischen Christentum
-berufen ward.
-
-Zehn Jahre ist nun Gazali auf der Wanderschaft, seine Zeit in
-fromme bungen und litterarische Thtigkeit teilend. In der ersten
-Zeit vermutlich hat er sein theologisch-ethisches Hauptwerk "Die
-Belebung der Religionswissenschaften" geschrieben. Gegen Ende hat
-er reformatorisch zu wirken versucht. Seine Reise fhrte ihn ber
-Damaskus und Jerusalem (noch vor der Einnahme durch die Kreuzfahrer),
-Alexandria, Mekka und Medina nach Hause zurck.
-
-Nach seiner Rckkehr hat Gazali noch auf kurze Zeit in Nischabur
-als Lehrer gewirkt und ist in seiner Vaterstadt Tos am 19. Dez. des
-Jahres 1111 gestorben. Die letzten Jahre gehren hauptschlich frommer
-Betrachtung und dem Studium der Traditionen, die einmal dem Jngling
-nicht ins Gedchtnis hinein wollten. Ein schn vollendetes Leben,
-in dem das Ende zum Anfang zurckkehrt.
-
-3. Gazali berschaut die geistigen Strmungen seiner Zeit. Da gibt es
-nun die Dialektik der Theologen, eine sufische Mystik, pythagoreische
-Popularphilosophie und neuplatonischen Aristotelismus. Was die
-Dialektik ergrnden will, ist auch Gegenstand seines Glaubens,
-nur dnken ihm ihre Argumente etwas schwach und deshalb viele von
-ihren Behauptungen bedenklich. Der sufischen Mystik fhlt er sich am
-nchsten verwandt, ihr verdankt er das beste: die Begrndung seines
-Glaubens in der Persnlichkeit, sodass er als innere Erfahrung
-postulieren kann, was die Dialektiker verstandesmig abzuleiten
-versuchen. Auch der Popularphilosophie dankt er Belehrung, ber
-Mathematik nmlich, die er durchaus als Wissenschaft anerkennt,
-und ihre astronomischen Folgerungen. Ihre Physik lsst er, wo sie
-nicht gegen den Glauben verstt, gelten. Aber der Aristotelismus,
-wie er von Farabi und Ibn Sina, nicht weniger autorittsglubig als
-die Theologen, gelehrt worden, erscheint ihm als der Feind des Islam,
-den er im Namen smtlicher muslimischen Schulen und Richtungen,
-also von katholischem Standpunkte, bekmpfen soll. Und zwar mit des
-Aristoteles eigenen Waffen, denen der Logik. Denn ebenso fest wie die
-Stze der Mathematik, stehen ihm die Grundstze des Denkens, welche
-die Logik lehrt. Vollbewusst geht er vom Satze des Widerspruchs aus,
-dem sich Gott selbst, nach seiner Behauptung, unterwirft.
-
-Von den physisch-metaphysischen Lehren der Philosophie greift er nun
-hauptschlich drei an: 1. dass die Welt ewig sei; 2. dass Gott nur
-Allgemeines erkenne und es folglich keine besondere Vorsehung gebe;
-3. dass nur die Seele unsterblich sei und also eine Auferstehung
-des Fleisches nicht zu erwarten. Bei der Widerlegung dieser Lehren
-ist Gazali vielfach abhngig von dem christlichen Kommentator des
-Aristoteles, Johannes Philoponus, der auch gegen des Proklos Lehre
-von der Ewigkeit der Welt geschrieben hat.
-
-4. Die Welt ist nach den Philosophen eine Kugel von endlicher
-Ausdehnung, aber unendlicher Dauer. Von Ewigkeit geht sie aus Gott
-hervor, wie die Wirkung mit der Ursache zugleich ist. Dagegen meint
-Gazali, dass man Raum und Zeit nicht in der Weise verschieden auffassen
-drfe, und dass die gttliche Urschlichkeit als freischpferische
-Macht zu bestimmen sei.
-
-Zunchst Raum und Zeit. Ebensowenig wie Anfang und Ende der Zeit
-knnen wir uns eine uerste Grenze des Raumes vorstellen. Wer an eine
-endlose Zeit glaubt, muss, seiner Vorstellung folgend, also auch die
-Existenz eines unendlichen Raumes annehmen. Dass der Raum dem ueren,
-die Zeit dagegen dem inneren Sinne entspreche, ndert daran nichts,
-denn aus dem Sinnlichen kommen wir doch nicht heraus. Wie der Raum
-zum Krper, so verhlt sich die Zeit zur Bewegung des Krpers. Beide
-sind nur Verhltnisse der Dinge, in und mit den Dingen der Welt
-erschaffen, oder vielmehr nur Beziehungen unserer Vorstellungen,
-die Gott in uns schafft.
-
-Wichtiger noch ist es, was Gazali ber die Urschlichkeit
-beibringt. Die Philosophen unterscheiden ein Wirken Gottes,
-der wollenden Geistwesen, der Seele, der Natur, des Zufalles
-oder dergleichen. Fr Gazali aber gibt es, wie fr den orthodoxen
-Kalam, berhaupt nur eine Kausalitt, die des wollenden Wesens. Die
-Naturkausalitt beseitigt er ganz, sie lst sich ohne Rest in ein
-Zeitverhltnis auf. Auf eine bestimmte Erscheinung (Ursache) sehen wir
-regelmig eine bestimmte andere (Wirkung) folgen; wie sie aber daraus
-erfolgt, bleibt uns ein Rtsel. Von dem Wirken der Naturdinge wissen
-wir nichts. Auch ist jede Vernderung an sich unbegreiflich. Wie etwas
-ein anderes wird, ist dem Denken unfasslich, dieses kann ebensogut
-nach Thatsachen wie nach Ursachen fragen. Etwas ist oder ist nicht,
-aber ein Seiendes in ein Anderes zu verwandeln, dazu ist nicht einmal
-die gttliche Allmacht im Stande. Sie schafft oder vernichtet.
-
-Dennoch ist es eine Thatsache unseres Bewusstseins, dass wir etwas
-wirken. Wenn wir etwas wollen und die Kraft zur Ausfhrung besitzen,
-nehmen wir den Erfolg als unsere That in Anspruch. Aus freiem Willen,
-mit bewusster Kraft handeln, das ist die einzige Kausalitt, davon
-wir wissen, und hieraus schlieen wir auf das gttliche Wesen. Mit
-welchem Rechte? In seiner persnlichen Erfahrung des Gottesbildes in
-seiner Seele glaubt Gazali die Berechtigung zu solchem Schlusse zu
-finden. Aber die Gotthnlichkeit seiner Seele will er nicht auf die
-Natur bertragen.
-
-Gott ist ihm demnach, sofern er aus der Welt zu erkennen, das
-allmchtige, freiwollende und wirkende Wesen. Seiner Wirksamkeit darf
-man keine rumliche Schranke setzen, wie die Philosophen thun, wenn
-sie ihn nur auf sein erstes Geschpf wirken lassen. Andererseits aber
-kann er sein Werk rumlich und zeitlich beschrnken, sodass diese
-endliche Welt auch nur eine endliche Dauer besitzt. Dass Gott die
-Welt aus dem Nichts hervorrufe durch eine absolute Schpfungsthat,
-scheint den Philosophen absurd. Sie erkennen nur einen Wechsel
-der Accidenzen oder Formen an der Einen Materie, ein Wandern des
-Wirklichen von Mglichkeit zu Mglichkeit. Aber entsteht denn nie
-etwas Neues? Ist nicht jede sinnliche Wahrnehmung, so fragt Gazali,
-und jede geistige Perzeption etwas ganz Neues, das entweder ist oder
-nicht ist, bei dessen Entstehen aber nicht das Gegenteil aufhrt,
-bei dessen Verschwinden nicht das Entgegengesetzte eintritt? Sind
-auch nicht die vielen individuellen Seelen, die es nach Ibn Sinas
-System geben soll, absolut neu entstanden?
-
-Mit Fragen wird man nicht fertig. Die Vorstellung schweift berall
-in die Weite, das Denken fhrt uns ins Unendliche. Wie Raum und Zeit,
-lsst sich auch die Reihe der Ursachen nirgendwo abschliessen. Damit
-es aber ein bestimmtes, abgeschlossenes Sein gebe, -- diese Forderung
-stellt Gazali mit den Philosophen -- brauchen wir einen ewigen Willen
-als erste von allem Anderen verschiedene Ursache.
-
-Dies drfen wir jedenfalls dem Gazali zugestehen: die phantastische
-Formen- und Seelenlehre des Ibn Sina hlt seiner Kritik nicht Stand.
-
-5. Wir haben uns schon dem Gottesbegriffe genhert. Den Philosophen
-ist Gott das hchste Sein, dessen Wesen das Denken. Was er erkennt,
-wird, geht aus seinem berflusse hervor, positiv gewollt aber hat er es
-nicht. Denn alles Wollen setzt einen Mangel, ein Bedrfnis, voraus und
-bedingt eine Vernderung in dem wollenden Wesen. Wollen ist Bewegung
-in der Materie, vollwirklicher Geist will nichts. Gott schaut also in
-wunschloser Betrachtung seiner Schpfung zu. Er erkennt sich selbst
-oder auch sein erstes Geschpf oder, nach Ibn Sina, das Allgemeine,
-die ewigen Gattungen und Arten aller Dinge.
-
-Nach Gazali aber soll Gott ewig ein Wille zukommen als eins seiner
-ewigen Attribute. Herkmmlicherweise lsst er zwar in metaphysischen
-und ethischen Betrachtungen das Erkennen dem Wollen vorangehen. Aber
-seiner berzeugung nach ist im Wissen die Einheit des Wesens nicht mehr
-als im Wollen. Nicht nur die Vielheit der Gegenstnde des Wissens und
-ihre verschiedene Beziehung auf das wissende Subjekt, sondern auch das
-Selbstbewusstsein, das Wissen um das Wissen, geht an sich betrachtet
-ins Unendliche. Es muss da ein Willensakt den Abschluss bewirken. In
-der Richtung der Aufmerksamkeit und in der Selbstbesinnung wirkt ein
-ursprngliches Wollen. Und so kommt auch das gttliche Wissen nur zu
-einem einheitlichen Abschluss, in seiner Persnlichkeit, durch einen
-ursprnglichen, ewigen Willen. Statt der Behauptung der Philosophen,
-Gott wolle die Welt, weil er sie als das Beste denke, setzt Gazali:
-Gott erkennt die Welt, weil und indem er sie will.
-
-Sollte denn Er, der alles will und schafft, sein Werk nicht erkennen
-bis zum kleinsten Stoffteile? Wie sein ewiger Wille aller Einzeldinge
-Ursache, so umfasst sein ewiges Wissen alles Besondere zugleich,
-ohne dass die Einheit seines Wesens dadurch aufgehoben wird. Es gibt
-folglich eine Vorsehung.
-
-Auf die Einwendung, dass die gttliche Vorsehung alles besondere
-Geschehen notwendig mache, entgegnet Gazali, hnlich wie der
-hl. Augustin, das Vorherwissen unterscheide sich nicht vom Wissen im
-Gedchtnis, d. h. Gottes Wissen sei ber jeden Zeitunterschied erhaben.
-
-Es lsst sich fragen, ob nicht Gazali, um den ewigen, allmchtigen
-Schpferwillen zu retten, sowohl den zeitlichen Charakter der Welt,
-den er beweisen mchte, als die Freiheit des menschlichen Handelns, von
-der er dabei ausgeht, und die er auch nicht ganz aufgeben wollte, jener
-absoluten Macht zum Opfer dargebracht habe. Gott zu liebe verschwindet
-diese Welt der Schatten und der Abbilder, wie er sie nennt.
-
-6. Die dritte Frage, ber die Gazali sich mit den Philosophen
-auseinandersetzt, hat weniger philosophisches Interesse. Sie betrifft
-die Auferstehung des Fleisches. Nach den Philosophen ist nur die Seele
-unsterblich, sei es individuell oder als Teil der Weltseele; dagegen
-der Krper vergnglich. Gegen diesen Dualismus, der theoretisch
-zu einer asketischen Ethik fhrte, praktisch aber sehr leicht in
-Libertinismus sich umsetzte, emprt sich das religis-sittliche Gefhl
-Gazalis. Soll das Fleisch Pflichten haben, so muss es wieder in seine
-Rechte eingesetzt werden. Die Mglichkeit der Auferstehung ist ja nicht
-zu leugnen, denn die Wiedervereinigung der Seele mit ihrem (neuen)
-Krper ist nicht wunderbarer als die erste Verbindung derselben mit
-dem irdischen Leibe, die auch von Philosophen angenommen wird. Kann
-doch jede Seele zur Zeit der Auferstehung einen neuen, ihr passenden
-Leib bekommen. Jedenfalls aber ist die Seele das eigentliche Wesen des
-Menschen; aus welcher Materie ihr himmlischer Krper gebildet wird,
-ist gleichgiltig.
-
-7. Schon aus diesen letzten Stzen erhellt, dass Gazalis Theologie
-von philosophischer Spekulation nicht unberhrt geblieben ist. Wie
-die abendlndischen Kirchenvter hat er, bewusst oder unbewusst,
-viel Philosophisches aufgenommen. Von den Muslimen des Westens wurde
-deshalb seine Theologie lange Zeit als Neuerung verketzert. Wirklich
-weist seine Lehre von Gott, von der Welt und der menschlichen Seele
-viele Elemente auf, die dem ltesten Islam fremd sind, und, teils durch
-christliche und jdische, teils durch sptere muslimische Vermittelung,
-auf heidnische Weisheit zurckgehen.
-
-Allah, der Welten Herr, Mohammeds Gott, ist zwar fr Gazali eine
-lebendige Persnlichkeit, aber doch weit weniger anthropomorph als
-er dem naiven Glauben und im antimutazilitischen Dogma erschien. Der
-sicherste Weg, ihn zu erkennen, soll es sein, alle Eigenschaften
-der Geschpfe ihm abzusprechen. Das heit aber nicht, dass er keine
-Eigenschaften besitze. Im Gegenteil. Die Vielheit der Bestimmungen
-schadet nicht der Einheit des Wesens. Schon das Krperliche bietet
-dafr Analogien. Ein Ding kann zwar nicht zugleich schwarz und
-wei, wohl aber kalt und trocken sein. Nur soll man, wenn man
-Gott menschliche Attribute beilegt, diese in anderem, hherem Sinne
-verstehen. Denn er ist reiner Geist. Auer Allwissenheit und Allmacht
-kommen ihm aber auch reine Gte und Allgegenwart zu. Durch diese
-Allgegenwart werden Diesseits und Jenseits einander etwas nher
-gerckt als in der gewhnlichen Vorstellung.
-
-Gott ist vergeistigt. Nun werden aber auch Auferstehung und
-zuknftiges Leben viel geistiger gefasst als dieses Leben. Die
-philosophisch-gnostische Lehre von drei oder vier Welten ermglicht
-solche Auffassung. Stufenmig erheben sich ber einander die irdische
-sinnliche Menschenwelt, die Welt himmlischer Geister, zu der unsere
-Seele gehrt, die Welt berhimmlischer Engel, endlich Gott selbst als
-die Welt reinsten Lichtes, vollkommensten Geistes. Aus der niederen
-Welt steigt die fromme erleuchtete Seele durch die Himmel hinauf
-bis vor Gottes Angesicht. Denn sie ist geistiger Natur und ihr
-Auferstehungskrper himmlischen Wesens.
-
-Entsprechend den verschiedenen Welten und den Seelenstufen
-unterscheiden sich auch die Menschen von einander. Der sinnliche Mensch
-muss sich begngen mit Koran und Tradition, ber den Buchstaben darf er
-nicht hinausgehen. Die Pflichtenlehre ist sein Lebensbrot, Philosophie
-wre fr ihn tdliches Gift. Derjenige, der nicht schwimmen kann,
-darf sich nicht ins Meer wagen.
-
-Dennoch gibt es immer Leute, die, um schwimmen zu lernen, ins Wasser
-gehen. Sie wollen ihren Glauben zum Wissen erheben und fallen dabei
-leicht in Zweifel und Unglauben. Fr sie, meint Gazali, knnen Dogmatik
-und Polemik gegen die Philosophie ein ntzliches Heilmittel sein.
-
-Auf der hchsten Stufe menschlicher Vollkommenheit stehen aber
-diejenigen, welche ohne schweres Nachdenken durch innere gttliche
-Erleuchtung die Wahrheit und Wirklichkeit der geistigen Welt in sich
-erfahren. Es sind dies die Propheten und frommen Mystiker, zu denen
-Gazali sich zhlen darf. In allem sehen sie Gott, ihn, ja ihn allein,
-in der Natur wie im Leben ihrer Seele. Vorzglich aber in der Seele,
-die zwar nicht gottgleich, aber doch gotthnlich ist. Wie alles uere
-jetzt sich ndert! Was scheinbar auer uns besteht, wird zu einem
-Zustande oder einer Eigenschaft der Seele, die im Bewusstsein ihrer
-Vereinigung mit Gott zur hchsten Seligkeit fortschreitet. Alles einigt
-sich da in Liebe. Der wahre Gottesdienst geht ber Furcht vor Strafe
-und Hoffnung auf Belohnung hinaus zur Liebe Gottes im Geiste. ber
-Dulden und Danken -- die Pflicht der noch nicht vollendeten frommen
-Wanderer auf Erden -- erhebt sich der vollkommene Gottesdiener,
-schon in dieser Welt Gott freudig zu lieben und zu loben.
-
-8. Es ergeben sich uns aus dem Vorigen drei Stufen des Glaubens
-oder der Gewissheit. Erstens der Autorittsglaube der Menge: sie
-glaubt, was ihr ein glaubwrdiger Mann erzhlt, z. B. dass N. N. da
-im Hause sei. Zweitens das abgeleitete Wissen der Gelehrten: sie
-haben den N. N. reden hren und schlieen, dass er sich im Hause
-befinde. Drittens aber die unmittelbare Gewissheit der Erkennenden:
-diese sind ins Haus gegangen und haben mit eigenen Augen den
-N. N. gesehen.
-
-Auf Erfahrung legt Gazali berall Gewicht, den Dialektikern und
-Philosophen gegenber. Mit ihren allgemeinen Begriffen werden
-sie zunchst der Mannigfaltigkeit dieser sinnlichen Welt nicht
-gerecht. Die sinnlichen Qualitten der Dinge, auch die Zahl der
-Gestirne z. B. erkennen wir nur durch Erfahrung, nicht aus reinen
-Begriffen. Viel weniger aber noch erschpfen diese die Hhen und
-Tiefen unseres Inneren. Dem diskursiven Verstande der Gelehrten bleibt
-ewig verborgen, was der Gottesfreund intuitiv erkennt. Sehr wenige
-ersteigen diese Hhe der Erkenntnis, wo sie mit den Gottesgesandten
-und Propheten aller Zeiten zusammentreffen. Ihnen zu folgen ist daher
-die Pflicht der niedriger stehenden Geister.
-
-Wie erkennt man nun aber den berlegenen Geist, dessen man zum Fhrer
-bedarf? Das ist eine Frage, an der jedes religis-bestimmte System,
-das menschlicher Vermittler nicht entbehren kann, rein verstandesmig
-betrachtet, scheitern muss. Auch Gazalis Antwort ist schwankend. Soviel
-ist ihm gewiss, dass Verstandesgrnde allein hier nicht den Ausschlag
-geben knnen. Den wirklich von Gott erleuchteten Propheten und Lehrer
-erkennt man durch Versenkung in seine einzigartige Persnlichkeit,
-durch die Erfahrung innerer Verwandtschaft. Die Wahrheit der Prophetie
-bewhrt sich in ihrem sittlichen Einfluss auf die Seele. Von der
-Wahrhaftigkeit des Gotteswortes im Koran bekommen wir eine moralische,
-keine theoretische Gewissheit. Das einzelne Wunder ist nicht im
-Stande zu berzeugen, sondern die Offenbarung als Ganzes sowie die
-Persnlichkeit des Propheten, durch den die Offenbarung vermittelt,
-machen auf die verwandte Seele einen unwiderstehlichen Eindruck. Von
-diesem Eindrucke ganz hingerissen, entsagt sie der Welt, um die Pfade
-Gottes zu wandern.
-
-9. Gazali ist ohne Zweifel die merkwrdigste Gestalt des Islam. Seine
-Lehre ist ein Ausdruck seiner Persnlichkeit. Auf das Verstndnis
-dieser Welt hat er verzichtet. Aber das religise Problem hat er
-viel tiefer erfasst als die Philosophen seiner Zeit. Diese waren,
-wie ihre griechischen Vorgnger, intellektualistisch, sahen folglich
-die Lehren der Religion an nur als Produkte der Vorstellung, der
-Phantasie oder auch der Willkr des Gesetzgebers. Ihnen zufolge war
-Religion entweder blinder Gehorsam oder eine Art Erkenntnis, eine
-Wahrheit niederer Ordnung enthaltend.
-
-Dagegen stellt Gazali Religion als Erfahrung seines Inneren hin. Mehr
-als Gesetz und mehr als Lehre ist sie ihm, sie ist Seelenerlebnis.
-
-Nicht jeder erlebt das so wie Gazali. Wer ihm aber bei seinem
-mystischen Fluge, ber die Bedingungen mglicher Erfahrung hinaus,
-nicht folgen kann, wird doch eingestehen mssen, dass seine Irrfahrten
-auf der Suche nach dem Hchsten fr die Geschichte des menschlichen
-Geistes nicht weniger wichtig sind als die scheinbar sicheren Gnge
-der Philosophen seiner Zeit durch ein Land, das andere vor ihnen
-entdeckt haben.
-
-
-
-
-2. Die Kompendienschreiber.
-
-1. In einer Geschichte des gelehrten Unterrichtes bei den muslimischen
-Vlkern msste dieser Gegenstand einen greren Raum einnehmen;
-wir werden ihn hier mit wenigen Worten abthun.
-
-Dass Gazali die Philosophie fr alle Folgezeit vernichtet habe,
-ist eine oft wiederholte, aber ganz irrige Behauptung, die weder von
-geschichtlichem Wissen noch von Verstndnis zeugt. Die Philosophie hat
-im Osten nach ihm ihre Lehrer und Schler zu Hunderten und Tausenden
-gezhlt. Ebensowenig wie die Pflichtenlehrer ihre spitzfindige
-Kasuistik, haben die Glaubenslehrer ihre dialektischen Argumente zur
-Sttze des Dogmas aufgegeben. Und die allgemeine Bildung hat einen
-Bestandteil philosophischer Gelehrsamkeit in sich aufgenommen.
-
-Freilich, eine hervorragende Stellung hat die Philosophie
-sich nicht zu erobern, ihr frheres Ansehen nicht zu erhalten
-gewusst. Nach einer arabischen Anekdote soll ein Philosoph, der
-in Gefangenschaft geraten war und von einem Manne, der ihn als
-Sklaven kaufen wollte, befragt wurde, wozu er tauge, die Antwort
-gegeben haben: Zur Freiheit. Philosophie braucht Freiheit. Und wo
-gab es diese im Orient? Freiheit von materiellen Sorgen, Freiheit
-zur Bethtigung uninteressierten Denkens schwanden immer mehr dahin,
-wo keine aufgeklrten Despoten im Stande waren, sie zu gewhren und zu
-schtzen. Als glaubens- und staatsgefhrlich wurden die Philosophen an
-manchen Orten verfolgt. Es ist das nur ein Zeichen des allgemeinen
-Kulturverfalles. Wenn auch abendlndische Reisende des zwlften
-Jahrhunderts die Kultur des Ostens hchlich preisen, so war sie doch,
-mit frheren Zeiten verglichen, im Niedergang begriffen. Auf keinem
-Gebiete ging man ber das alte hinaus, dazu waren die Geister zu
-schwach. Die litterarische Produktion stockte und den Vielschreibern
-der folgenden Jahrhunderte gebhrt nur das Verdienst der schnen
-Auswahl. Die Pflichten- und die Glaubenslehre mit der Mystik hatten
-ihren Abschluss gefunden. Ebenso die Philosophie. Nach Ibn Sina, ihrem
-Frsten, mit selbstndigen Ansichten hervorzutreten, fhlte keiner
-sich berufen. Es war die Zeit gekommen der Kompendien, der Kommentare,
-der Glossen und Superglossen. Damit vertrieb die gelehrte Welt sich
-in der Schule die Zeit, whrend die glubige Menge sich immer mehr
-der Fhrung der Derwischorden unterstellte.
-
-2. Die allgemeine Bildung entnahm am meisten der philosophischen
-Propdeutik, etwas Mathematik u. s. w., in der Regel natrlich
-hchst elementar. Von Sektierern und Mystikern wurde vieles der
-pythagoreisch-platonischen Weisheit entlehnt. Besonders den Heiligen-
-und Wunderglauben zu sttzen, mussten jene Lehren herhalten. Eine
-wste, synkretistische Theosophie schmckte sich damit. Sie nahm
-auch den Aristoteles, natrlich den unechten, unter ihre Lehrer auf,
-machte ihn aber zum Schler des Agathodaemon und Hermes.
-
-Die nchternen Geister dagegen hielten sich an dem Aristotelismus,
-soweit er sich mit ihren eigenen Ansichten oder dem orthodoxen Glauben
-vertrug. Fast allgemein folgte man dem System des Ibn Sina, nur wenige
-gingen auf Farabi zurck oder suchten beide zu vereinigen. Von den
-physischen und metaphysischen Lehren nahm man weniger Notiz; Ethik
-und Politik wurden schon mehr gepflegt; allgemein studiert aber nur
-die Logik. Diese lie sich trefflich in schulmige Form bringen, als
-reine Formallogik war sie ein Werkzeug, dessen sich jeder bedienen
-konnte. Mit den Mitteln der Logik lie sich ja alles beweisen. Und
-wenn einmal ein Beweis als fehlerhaft erkannt wurde, so trstete man
-sich damit, dass die Behauptung doch richtig sein knnte, wenn auch
-der Beweis dafr nicht richtig gefhrt worden war.
-
-Schon in der Encyklopdie des Abu Abdallah al-Chwarizmi aus dem
-letzten Viertel des zehnten Jahrhunderts war der Logik ein grerer
-Raum zugemessen als der Physik und Metaphysik. Ebenso machten es
-viele sptere Encyklopdien und Sammelwerke. Auch die Dogmatiker
-fingen ihr System an mit logischen und erkenntnistheoretischen
-Betrachtungen, in denen dem "Wissen" ein traditionelles Lob gespendet
-wurde. Und seit dem zwlften Jahrhundert entstand eine ganze Menge
-Einzelbearbeitungen des aristotelischen Organons. Als vielgebraucht,
-kommentiert u. s. w. seien hier nur genannt die Werke des Abhari
-(gest. 1264), der unter dem Titel Isagudschi (eisagg) eine kurze
-bersicht der ganzen Logik gab, und des Qazwini (gest. 1276).
-
-An der grten Universitt der muslimischen Welt, in Kairo,
-werden heutzutage noch die Kompendien des 13. und 14. Jahrhunderts
-gebraucht. Dort heit es noch, wie lange Zeit bei uns: Zuerst
-Collegium logicum! Selbstverstndlich mit keinem besseren Erfolge. Man
-lsst sich, innerhalb der Schranken des Gesetzes, die von den alten
-Philosophen aufgefundenen Regeln des Denkens gefallen, lchelt aber
-dabei ber jene Mnner und ber die mutazilitischen Dialektiker, die
-"an die Vernunft geglaubt".
-
-
-
-
-
-
-
-
-VI. DIE PHILOSOPHIE IM WESTEN.
-
-
-1. Die Anfnge.
-
-1. Zum muslimischen Occidente rechnet man das westliche Nordafrika,
-Spanien und Sizilien. Nordafrika hat zunchst untergeordnete
-Bedeutung. Sizilien richtet sich nach Spanien und wird bald von den
-Nordmannen Unteritaliens unterworfen. Fr unseren Zweck kommt zunchst
-das muslimische Spanien oder Andalusien in Betracht.
-
-Das Kulturschauspiel des Orients erlebt hier eine zweite
-Auffhrung. Wie dort Araber mit Persern, so vermhlen sich hier
-Araber mit Spaniern. Und statt der Trken und Mongolen gibt es hier
-die Berbern Nordafrikas, deren rohe Kraft immer mehr zerstrend in
-das Spiel feinerer Bildung eingreift.
-
-Nach dem Sturze der Omajjaden in Syrien (750) hat sich einer aus ihrem
-Hause, Abderrachman ibn Moawia, nach Spanien begeben, wo er sich zum
-Emir von Kordova und ganz Andalusien emporzuarbeiten wusste. ber
-250 Jahre dauerte diese Omajjadenherrschaft und erreichte, nach
-vorbergehender Kleinstaaterei, unter Abderrachman III. (912-961),
-dem ersten, der sich Chalif nennen lie, und dessen Sohn al-Hakam
-II. (961-976) ihren Glanzpunkt. Das zehnte Jahrhundert war fr Spanien,
-was das neunte fr den Orient: die Zeit hchster materieller und
-geistiger Kultur. Wenn mglich war sie hier frischer, naturwchsiger
-als dort. Produktiver, wenn es wahr ist, dass alles Theoretisieren
-entweder einen Mangel oder eine Stockung der Produktionskraft
-bedeutet. Die Wissenschaften, und besonders die Philosophie, fanden
-hier nmlich weit weniger Vertreter. berhaupt waren die Verhltnisse
-geistigen Lebens einfacher gestaltet. Die Zahl alter Kulturschichten
-war geringer. Wohl hatte man hier auer Muslimen Juden und Christen,
-die sich zu Abderrachmans III. Zeit gemeinschaftlich am Kulturleben
-arabischen Stempels beteiligten. Aber Anhnger des Zoroaster,
-Atheisten u. s. w. gab es nicht. Auch waren die Parteiungen des
-stlichen Islam fast unbekannt. Nur eine Rechtschule, die des Malik,
-fand Eingang. Mutazilitische Dialektik strte nicht den Frieden des
-Glaubens. Zwar verherrlichten die andalusischen Dichter die Dreiheit:
-Wein, Weib und Gesang, aber frivole Freigeisterei einerseits, dstere
-Weltflucht und Theosophie andererseits kamen nur selten zum Ausdruck.
-
-Im ganzen war die geistige Kultur vom Orient abhngig. Seit dem
-zehnten Jahrhundert wurden aus Spanien viele wissenschaftliche Reisen
-dorthin, ber gypten bis zum stlichen Persien, unternommen, um den
-Vorlesungen berhmter Gelehrten beizuwohnen. Und das Bedrfnis nach
-Bildung in Andalusien lockte auch manch orientalischen Gelehrten,
-der in seiner Heimat keine Beschftigung fand, herbei. Dazu lie
-al-Hakam II. berall im Osten Bcher abschreiben fr seine Bibliothek,
-deren Bndezahl auf 400000 angegeben wird.
-
-Hauptschlich interessierte der Westen sich fr Mathematik und
-Naturwissenschaft, Astrologie und Medizin, ebenso wie anfangs der
-Osten. Poesie, Geschichte und Geographie wurden eifrig gepflegt. Der
-Geist war noch von des Gedankens Blsse nicht angekrnkelt. Als
-Abdallah ibn Masarra von Kordova, unter Abderrachman III., mit
-Naturphilosophie nach Hause kam, musste er seine Schriften verbrennen
-sehen.
-
-2. Im Jahre 1013 wurde Kordova, "die Zierde der Welt", von den
-Berbern verwstet und das Omajjadenreich zerfiel in eine Anzahl
-kleiner Staaten. Ihre Nachblte fllt das elfte Jahrhundert, die
-mediceische Zeit Spaniens, aus. An den stdtischen Hfen gedeihen
-noch Kunst und Poesie, ppig wuchernd auf den Trmmern alter
-Herrlichkeit. Die Kunst verfeinert sich, die Poesie wird weise, subtil
-der wissenschaftliche Gedanke. Aus dem Orient zieht man immerfort
-geistige Nahrung. Naturphilosophie, die Schriften der treuen Brder,
-die Logik aus der Schule des Abu Sulaiman al-Sidschistani halten nach
-einander ihren Einzug. Gegen Ende des Jahrhunderts sprt man auch
-den Einfluss der Schriften Farabis und wird Ibn Sinas Medizin bekannt.
-
-Die Anfnge philosophischen Nachdenkens finden wir zumeist bei den
-zahlreichen gebildeten Juden. Mchtig und ganz eigenartig wirkt
-die Naturphilosophie des Ostens auf Ibn Gebirol, den Avencebrol
-christlicher Schriftsteller. Bachja ibn Pakuda wird von den treuen
-Brdern beeinflusst. Sogar die religise Poesie der Juden wird von
-der philosophischen Bewegung ergriffen. Es spricht darin die Seele,
-die sich zum Geiste erhebt, nicht die jdische Gemeinde, die ihren
-Gott sucht.
-
-Unter den Muslimen blieb die Zahl derjenigen, die sich eingehend mit
-Philosophie beschftigten, sehr beschrnkt. Kein Meister sammelte
-eine zahlreiche Jngerschaar um sich, gelehrte Sitzungen, in denen
-ber philosophische Gegenstnde disputiert wurde, fanden kaum
-statt. So musste sich hier der einzelne Denker wohl ganz vereinsamt
-fhlen. Subjektiv wie im Orient, bildete sich auch im Westen die
-Philosophie aus. Aber sie war hier mehr nur die Sache vereinzelter
-Individuen und stand dazu dem Glauben der Menge ferner. Im Orient gab
-es zahllose Vermittelungen zwischen Glauben und Wissen, zwischen den
-Philosophen und der glubigen Gemeinde. Das Problem des denkenden
-Individuums gegenber der staatlichen Gesellschaft und dem Glauben
-beschrnkter fanatischer Massen wurde daher im Westen schrfer gefasst.
-
-
-
-
-2. Ibn Baddscha.
-
-1. Gegen Ende des elften Jahrhunderts, als Abu Bekr Mohammed
-ibn Jachja ibn al-Saig ibn Baddscha in Saragossa geboren wurde,
-war das schne Andalusien nahe daran, in seiner Kleinstaaterei
-unterzugehen. Von Norden her wurde es von den weniger gebildeten,
-aber krftigen und tapferen Christenrittern bedroht. Da griff aber
-rettend die berberische Dynastie der Almoraviden ein, die nicht nur
-fester im Glauben, sondern auch klger in der Politik war als die
-ppigen Herrschergeschlechter Spaniens. Jetzt schien die Zeit feiner
-Bildung und freien Forschens fr immer dahin. Nur Traditionarier der
-strengsten Observanz durften ffentlich auftreten. Und die Philosophen,
-wenn sie sich nicht verborgen hielten, wurden verfolgt oder gettet.
-
-2. Aber barbarische Herren haben ihre Grillen, indem sie die
-Bildung der von ihnen Unterworfenen, wenigstens uerlich, sich
-anzueignen lieben. Also nahm sich Abu Bekr ibn Ibrahim, Schwager des
-Almoravidenfrsten Ali, der einige Zeit Gouverneur Saragossas war,
-zum groen rgernis seiner Faqihs und Soldaten, den Ibn Baddscha
-zum Vertrauten und ersten Minister. Dieser Mann nun war in den
-mathematischen Wissenschaften, besonders in der Astronomie und Musik,
-dazu in der Medizin, theoretisch und praktisch bewandert und gab sich
-mit logischen, naturphilosophischen und metaphysischen Spekulationen
-ab. Er war nach der Ansicht der Fanatiker ein ganz verrckter Atheist
-und unsittlicher Mensch.
-
-Von dem ueren Leben Ibn Baddschas wissen wir ferner nur, dass er im
-Jahre 1118 nach dem Falle Saragossas zu Sevilla war, wo er mehrere
-seiner Schriften verfasste, darauf in Granada, und dass er sich
-nach Fez an den Almoravidenhof begab, wo er im Jahre 1138 starb. Der
-berlieferung nach fand er, auf Veranlassung eines neidischen Arztes,
-den Gifttod. Glcklich war, nach seinem Selbstbekenntnis, sein kurzes
-Leben nicht gewesen. Oft hatte er sich, als letzte Zuflucht, den
-Tod herbeigesehnt. Materielle Not, vor allem geistige Vereinsamung
-mgen ihn gedrckt haben. Dass er zu seiner Zeit, in seiner Umgebung,
-sich nicht heimisch fhlen konnte, zeigen zur Genge die erhaltenen
-Schriften.
-
-3. Er schliet sich fast ganz an Farabi, den einsamen, stillen Mann des
-Orients an. Wie dieser hat er wenig systematisiert. Die Zahl seiner
-selbstndigen Abhandlungen ist nicht gro. Aus kurzen Erluterungen
-zu den aristotelischen und anderen philosophischen Schriften besteht
-das meiste. Seine Bemerkungen sind abgerissen, bald fngt er hier,
-bald dort von neuem an. Mit immer neuen Anstzen sucht er sich dem
-griechischen Gedanken zu nhern, von den verschiedensten Seiten in
-die alte Wissenschaft einzudringen. Die Philosophie wird er nicht los,
-und er wird nicht fertig mit ihr. Auf den ersten Blick macht das einen
-verwirrenden Eindruck. Im dunklen Drange aber ist der Philosoph sich
-seiner Wege bewusst. Auf der Suche nach Wahrheit und Recht findet er
-ein anderes, Einheit und Freude seines Lebens. Gazali hat es sich,
-seiner Meinung nach, gar zu leicht gemacht, als er glaubte, nur
-im Vollbesitz der durch gttliche Erleuchtung erfassten Wahrheit
-glcklich sein zu knnen. Der Wahrheit zu liebe, die sich in den
-sinnlichen Bildern religiser Mystik mehr verhllt als aufdeckt,
-soll der Philosoph stark genug sein, jenem Glcke zu entsagen. Nur
-vom reinen Denken, das keine Sinnenlust trbt, wird die hchste
-Gottheit geschaut.
-
-4. In seinen logischen Schriften hat Ibn Baddscha sich kaum von Farabi
-entfernt. Auch seine physischen und metaphysischen Lehren stimmen im
-allgemeinen zu den Ansichten des Meisters. Nur die Art und Weise,
-in der er die Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes und
-die Stellung des Menschen in Wissenschaft und Leben darlegt, darf
-einiges Interesse beanspruchen.
-
-Zwei Arten des Seienden gibt es ihm zufolge: ein bewegtes und ein
-unbewegtes. Das Bewegte ist krperlich, begrenzt, aber seine ewige
-Bewegung lsst sich aus dem endlichen Krper nicht erklren. Es
-bedarf, im Gegenteil, zur Erklrung dieser unendlichen Bewegung einer
-unendlichen Kraft oder eines ewigen Wesens, des Geistes. Indem nun das
-Krperliche oder Natrliche von auen bewegt wird und der Geist, selbst
-unbewegt, dem Krperlichen Bewegung verleiht, steht das Seelische als
-das sich selbst Bewegende in der Mitte. Das Verhltnis nun zwischen
-dem Natrlichen und dem Seelischen macht dem Ibn Baddscha ebensowenig
-Mhe wie seinen Vorgngern. Das Hauptproblem aber ist dieses: Wie
-verhalten sich Seele und Geist zu einander, namentlich im Menschen?
-
-5. Ibn Baddscha geht von der Voraussetzung aus, dass der Stoff nicht
-ohne irgend eine Form sein kann, wohl aber die Form rein fr sich
-ohne Stoff. Sonst nmlich liee sich berhaupt keine Vernderung
-denken, denn dieselbe ist nur mglich durch das Kommen und Gehen der
-substantiellen Formen.
-
-Diese Formen nun, vom Hylischen bis zum rein Geistigen, bilden eine
-Reihe, der die Entwicklung des menschlichen Geistes entspricht,
-sofern nmlich er das Vernunftideal verwirklicht. [16] Des
-Menschen Aufgabe ist es, smtliche geistigen Formen zu erfassen,
-zunchst die intelligibelen Formen alles Krperlichen, dann die
-sinnlich-geistigen Vorstellungen der Seele, darauf den Menschengeist
-selbst und den thtigen Geist ber ihn, endlich die reinen Geister
-der Himmelsphren. Durch successive Erhebung aus dem Individuellen,
-Sinnlichen, dessen Vorstellung den Stoff des Geistes bildet, gelangt
-der Mensch zum bermenschlichen und Gttlichen. Dazu fhrt ihn
-nun die Philosophie oder die Erkenntnis des Allgemeinen, die durch
-Studium und Nachdenken aus der Erkenntnis des Individuellen, aber
-mit Hilfe des erleuchtenden Geistes von oben hervorgeht. Gegenber
-dieser Erkenntnis des Allgemeinen oder Unendlichen, in dem Sein
-und Gedachtwerden zusammenfallen, erweist sich alles Wahrnehmen und
-Vorstellen als trglich. In der Vernunfterkenntnis also und nicht in
-mystisch-religisen Trumereien, denen immer Sinnliches anhaftet,
-erreicht der menschliche Geist seine Vollkommenheit. Denken
-ist die hchste Seligkeit, denn alles Intelligibele ist seiner
-selbst Zweck. Da es aber das Allgemeine ist, so lsst sich ein
-Fortbestehen individueller Menschengeister ber dieses Leben
-hinaus nicht annehmen. Es mge die Seele, die im sinnlich-geistigen
-Vorstellungsleben das Individuelle erfasst und in einzelnen Begierden
-und Handlungen sich kund gibt, nach dem Tode weiter bestehen knnen und
-Strafe oder Belohnung erhalten, der Geist aber oder der vernnftige
-Teil der Seele ist in allen eins. Ewig ist nur der Geist der ganzen
-Menschheit in seiner Vereinigung mit dem thtigen Geiste ber
-ihm. Diese Lehre, unter dem Namen des Averroes in das christliche
-Mittelalter eingedrungen, findet sich also schon bei Ibn Baddscha,
-wenn nicht ganz scharf gefasst, doch klarer als bei Farabi.
-
-6. Nicht jeder Mensch erhebt sich zu solcher Hhe der Betrachtung. Die
-meisten tasten immer im Dunkeln herum, nur Schattenrisse der Dinge
-sehen sie und wie Schatten werden sie vergehen. Einige sehen das
-Licht zwar und die farbige Welt der Dinge, aber ganz wenige erkennen
-das Wesen dessen, was sie gesehen. Nur die letzteren, die Seligen,
-erreichen das ewige Leben, in dem sie selbst zu Licht werden.
-
-Wie gert nun aber der Einzelne zu dieser Stufe des Erkennens und
-seligen Seins? Durch vernnftiges Handeln und freie Ausbildung
-seiner intellektuellen Krfte. Vernnftiges Handeln ist freies
-d. h. zweckbewusstes Handeln. Wenn einer z. B. einen Stein zerschlgt,
-weil er sich daran gestoen, so handelt er zwecklos wie ein Tier oder
-ein Kind; thut er es aber, damit sich andere nicht daran stoen werden,
-so ist seine That menschlich, vernnftig zu nennen.
-
-Um menschlich leben, vernnftig handeln zu knnen, muss unter Umstnden
-der Einzelne sich aus der Gesellschaft zurckziehen. Ibn Baddschas
-Ethik heit "die Leitung des Einsamen". Zur Selbsterziehung fordert
-sie auf. In der Regel aber kann man sich der Vorteile menschlichen
-Zusammenlebens bedienen, ohne die Nachteile mit in den Kauf zu
-nehmen. Zu kleineren oder greren Verbnden knnen die Weisen
-sich zusammenschlieen, ja das ist sogar ihre Pflicht, wenn sie
-sich treffen. Sie bilden dann einen Staat im Staate. Naturgem
-versuchen sie zu leben, sodass unter ihnen weder Arzt noch Richter
-ntig ist. Wie Pflanzen in freier Luft wachsen sie auf und brauchen
-die Kunst der Grtner nicht. Von den niederen Genssen und Gesinnungen
-der Menge halten sie sich fern. Sie sind Fremdlinge in dem weltlichen
-Treiben der Gesellschaft. Und da sie Freunde unter einander sind,
-wird dieses Leben ganz von der Liebe bestimmt. Und als Freunde Gottes,
-der die Wahrheit ist, finden sie ihre Ruhe in der Vereinigung mit
-dem bermenschlichen Geiste der Erkenntnis.
-
-
-
-
-3. Ibn Tofail.
-
-1. Die Herrschaft ber den westlichen Islam verblieb den Berbern, aber
-an die Stelle der Almoraviden traten alsbald die Almohaden. Der Grnder
-der neuen Dynastie, Mohammed ibn Tumart, war seit 1121 als Mahdi
-aufgetreten. Unter seinen Nachfolgern Abu Jaaqub Jusuf (1163-1184)
-und Abu Jusuf Jaaqub (1184-1198) erreichte ihre Herrschaft, deren
-Sitz Marokko, den Hhepunkt.
-
-Eine gewaltige Neuerung in der Theologie fhrten die Almohaden herbei:
-das bis jetzt verketzerte System der Aschari und Gazali wurde im Westen
-aufgenommen. Das bedeutete eine Vergeistigung der Glaubenslehre,
-die weder Altglubige noch Freidenker ganz befriedigen konnte, aber
-doch manchen zu weiterem Philosophieren angeregt haben mag. Bisher
-hatte man sich gegen alles Rsonnieren in Glaubenssachen ablehnend
-verhalten, und auch spter noch waren viele Politiker und Philosophen
-der Ansicht, an dem Glauben der Menge solle man nicht rtteln, noch
-ihn zum Wissen erheben, sondern die Gebiete der Religion und der
-Philosophie reinlich scheiden.
-
-Die Almohaden waren theologisch interessiert, doch zeigten Abu
-Jaaqub und dessen Nachfolger, soweit die politischen Verhltnisse
-es erlaubten, ein derartiges Verstndnis fr weltliches Wissen, dass
-eine kurze Blte der Philosophie an ihrem Hofe hervorbrechen konnte.
-
-2. Nachdem er in Granada eine Sekretrstelle bekleidet hatte, finden
-wir den Abu Bekr Mohammed ibn Abdalmalik ibn Tofail al-Qaisi als
-Wezir und Leibarzt des Abu Jaaqub. In der kleinen andalusischen Stadt
-Guadix war er geboren und in der Residenz Marokko starb er im Jahre
-1185. Dazwischen liegt sein, wie es scheint, wenig wechselreiches
-Leben. Er liebte die Bcher mehr als die Menschen und in der groen
-Bibliothek seines Herrn las er sich vieles zusammen, das er fr
-seine Kunst brauchte oder das seiner Wissbegierde zusagte. Er war der
-Dilettant unter den Philosophen des Westens, mehr zu beschaulichem
-Genieen als zu wissenschaftlicher Arbeit aufgelegt. Zum Schreiben kam
-er selten. Seiner Behauptung, das ptolemische Weltsystem grndlich
-verbessern zu knnen, braucht man wohl nicht unbedingt Glauben zu
-schenken. Viele Araber haben hnliches behauptet, sie thaten es
-aber nicht.
-
-Von Ibn Tofails poetischen Versuchen haben sich ein paar Gedichte
-erhalten. Sein Hauptbestreben aber war, dem des Ibn Sina hnlich,
-griechische Wissenschaft mit orientalischer Weisheit zu einer
-modernen Weltansicht zu vereinigen. Wie Ibn Baddscha war ihm das ein
-persnliches Anliegen. Das Verhltnis des einzelnen zu der Gesellschaft
-und ihren Vorurteilen beschftigte auch seinen Geist. Aber er ging
-weiter. Ibn Baddscha lie als Regel den einzelnen oder einen kleinen
-Kreis selbstndiger Denker einen Staat im Staate bilden, gleichsam wie
-ein Abbild des groen Ganzen oder als Vorbild fr bessere Zeiten. Ibn
-Tofail dagegen griff auf das Original zurck.
-
-3. In seinem Werke "Hai ibn Jaqzan" stellt er den Fall rein dar. Zwei
-Inseln bilden die Scenerie: auf die eine versetzt er die menschliche
-Gesellschaft mit ihrer Konvention, auf die andere ein Individuum,
-das sich natrlich entwickelt. Die Gesellschaft als Ganzes wird
-von niederen Trieben, nur uerlich durch eine grobsinnliche
-Religion etwas gebndigt, beherrscht. Aber zwei Mnner aus dieser
-Gesellschaft, Salaman und Asal (Absal, vgl. IV, 4 7) genannt,
-erheben sich zu vernnftiger Erkenntnis und Beherrschung ihrer
-Begierden. Mit Anbequemung an die Volksreligion wei der erstere,
-der praktischen Sinnes ist, das Volk zu regieren; der andere aber,
-von spekulativer Anlage und mystischer Neigung, wandert aus nach
-der gegenberliegenden, wie er glaubt, unbewohnten Insel, dort dem
-Studium und der Askese sich zu ergeben.
-
-Auf jener Insel aber war unser Hai ibn Jaqzan, d. h. der
-Einsame, der Sohn des Wachenden, zu einem vollkommenen Philosophen
-herangebildet. Als Kind nach der Insel verschlagen oder durch spontane
-Generation daselbst entstanden, war er von einer Gazelle gesugt
-worden, hatte sich dann nach und nach, wie ein Robinson, aber ganz
-auf eigene Mittel angewiesen, eine materielle Existenz gegrndet,
-ferner durch Beobachtung und Nachdenken sich die Erkenntnis der Natur,
-der Himmel, Gottes und seines Inneren erworben, bis er nach 7 7
-Jahren das Hchste erreichte, nmlich das sufische Schauen Gottes,
-die Ekstase. In diesem Zustande fand ihn Asal. Nachdem sie dazu
-gelangt waren, sich zu verstndigen -- Hai war anfangs noch ohne
-Sprache -- stellte es sich heraus, dass die Philosophie des Einen
-und die Religion des Anderen zwei Formen derselben Wahrheit waren,
-nur in der ersteren etwas weniger verschleiert. Als dann aber Hai
-erfuhr, dass auf der gegenberliegenden Insel ein ganzes Volk in
-dunklem Irrtum verharrte, fasste er den Entschluss, dahin zu gehen,
-den Leuten die Wahrheit zu enthllen. Da musste er aber die Erfahrung
-machen, dass die Menge einer reinen Auffassung der Wahrheit nicht fhig
-war, und dass Mohammed weise daran gethan, als er dem Volke statt des
-vollen Lichtes Sinnbilder gegeben hatte. Nach diesem Ergebnis zog er
-sich deshalb mit seinem Freunde Asal auf die unbewohnte Insel zurck,
-Gott im Geist und Wahrheit zu dienen bis zum Tode.
-
-4. Ibn Tofail hat den weitaus grten Teil seines Romans dem
-Entwicklungsgange Hais gewidmet. Es wird nun aber wohl nicht seine
-Meinung gewesen sein, das auf sich selbst gestellte Individuum knne es
-an der Hand der Natur ohne die Hilfe der Gesellschaft so weit bringen,
-wie unser Hai. Er dachte doch wohl etwas mehr historisch als einige
-Aufklrer des vorigen Jahrhunderts. Viele kleine Zge in seinem Werke
-zeigen, dass Hai der Vertreter der auerhalb der Offenbarung stehenden
-Menschheit sein soll. Was sich in ihm vollzieht, ist die Entwicklung
-indischer, persischer, griechischer Weisheit. Ein paar Andeutungen in
-dieser Richtung, die hier nicht weiter verfolgt werden kann, mgen
-diese Ansicht wahrscheinlich machen. So ist es zunchst bedeutsam,
-dass Hai auf der Insel Ceylon lebt, deren Klima die spontane Generation
-ermglichen soll, wo der Sage nach Adam, der erste Mensch, erschaffen
-wurde und wo der indische Knig zum Weisen kam. Hais erste religise
-Bewunderung, nachdem er sich aus tierischen Anfngen durch Scham und
-Neugierde emporgearbeitet, gilt dem von ihm entdeckten Feuer, was
-an die persische Religion erinnert. Und seine weiteren Spekulationen
-sind der griechisch-arabischen Philosophie entlehnt.
-
-Die Verwandtschaft mit Ibn Sinas Hai-Gestalt (s. IV, 4 7), auf die
-Ibn Tofail selbst hinweist, ist klar. Nur tritt Hai hier menschlicher
-auf. Ibn Sinas Figur stellt den bermenschlichen Geist dar. Der
-Romanheld Ibn Tofails aber scheint die Personifikation zu sein des
-natrlichen, von oben her erleuchteten Geistes der Menschheit, der
-mit der richtig verstandenen Prophetenseele Mohammeds, deren Aussagen
-allegorisch zu deuten sind, vortrefflich bereinstimmen soll.
-
-Ibn Tofail ist somit zu denselben Ergebnissen gekommen wie seine
-orientalischen Vorgnger. Dem gemeinen Manne muss die Religion erhalten
-bleiben, weil er nicht darber hinaus kann. Nur wenige erheben
-sich zum Verstndnis der religisen Symbole. Und ganz vereinzelt
-erreicht einer die freie Anschauung der hchsten Wirklichkeit. Mit
-dem grten Nachdruck ist letzteres hier hervorgehoben. Auch wenn
-man in Hai den Vertreter der Menschheit findet, wird man das nicht
-leugnen knnen. Als die hchste Vollkommenheit des Menschen wird es
-hingestellt, in einsamster Stille, von allem Sinnlichen abgewendet,
-sein Selbst in den Weltgeist zu versenken.
-
-Freilich, dazu kommt es erst im Alter, das auerdem einen menschlichen
-Freund findet. Und die Beschftigung mit dem Materiellen, mit
-Knsten und Wissenschaften, bildet die natrliche Vorstufe geistiger
-Vollkommenheit. Ohne Reue und Scham darf also Ibn Tofail auf sein am
-Hofe verbrachtes Leben zurckschauen.
-
-5. Die philosophischen Ansichten, die Hai sich in seinen sieben
-Lebensperioden entwickelte, sind uns schon fter begegnet. Aber
-auch sein praktisches Verhalten wird von Ibn Tofail besonders
-bercksichtigt. Sufische bungen, wie sie in orientalischen
-Ordensgemeinschaften noch befolgt werden, wie sie aber auch
-schon von Platon und Neuplatonikern empfohlen worden, haben die
-Stelle gottesdienstlicher Handlungen nach dem muslimischen Gesetze
-eingenommen. Und Hai bildet sich in der siebenten Periode seines
-Lebens eine Ethik aus, die pythagoreisch aussieht.
-
-Als den Zweck seines Handelns hat sich dem Hai ergeben, in allem das
-Eine zu suchen und sich mit dem Absoluten, Selbstndigbestehenden
-zu vereinigen. Diesem Hchsten sieht er nmlich die ganze Natur
-zustreben. ber die Ansicht, alles auf Erden sei des Menschen wegen
-da, ist er hinaus. Tier und Pflanze leben ebenfalls fr sich selbst
-und fr Gott. Nicht willkrlich also darf er damit handeln. Auf das
-Notwendigste beschrnkt er jetzt seine leiblichen Bedrfnisse. Reife
-Frchte werden von ihm bevorzugt, deren Samen er fromm der Erde
-anvertraut. Sorgfltig htet er sich davor, dass durch seine Begierde
-irgend eine Art ganz aussterbe. Und nur in der uersten Not greift
-er zu tierischer Nahrung, wobei er ebenso die Art mglichst zu schonen
-sucht. Genug zum Leben, zum Schlafen zu wenig, wird seine Losung.
-
-Das betrifft das Verhalten seines Krpers zum Irdischen. Aber mit dem
-Himmel verbindet ihn der Lebensgeist. Und wie die Himmel bestrebt
-er sich, seiner Umgebung zu ntzen und selbst rein zu leben. So
-pflegt er die Pflanze und schtzt das Tier, damit seine Insel zum
-Paradiese werde. Er hlt auf die uerste Reinlichkeit seines Krpers
-und seiner Kleidung und sucht all seine Bewegungen harmonisch, denen
-der Himmelskrper gleichmig, zu gestalten.
-
-Auf diese Weise wird er allmhlich befhigt, sein Selbst ber Erde
-und Himmel hinaus zum reinen Geiste zu erheben. Das ist der Zustand
-der Ekstase, den kein Gedanke, kein Wort, kein Bild je hat fassen
-oder ausdrcken knnen.
-
-
-
-
-4. Ibn Roschd.
-
-1. Abu-l-Walid Mohammed ibn Achmed ibn Mohammed ibn Roschd (Averroes)
-wurde im Jahre 1126 zu Kordova aus einer Juristenfamilie geboren. Dort
-eignete er sich auch die gelehrte Bildung seiner Zeit an. Im Jahre
-1153 soll er von Ibn Tofail dem Frsten Abu Jaaqub Jusuf vorgestellt
-sein, ber welchen Vorfall wir einen charakteristischen Bericht
-besitzen. Nach den einleitenden Hflichkeitsphrasen nmlich fragte ihn
-der Frst: Was ist die Ansicht der Philosophen ber den Himmel, ist er
-ewig oder entstanden? Vorsichtig antwortete Ibn Roschd, er beschftige
-sich nicht mit Philosophie. Darauf fing der Frst mit Ibn Tofail ber
-den Gegenstand an zu reden und zeigte zum Erstaunen des Zuhrers seine
-Bekanntschaft mit Aristoteles, Platon und den Philosophen und Theologen
-des Islam. Jetzt rckte auch Ibn Roschd mit der Sprache heraus und
-erwarb sich die Gunst des hohen Herrn. Sein Schicksal war bestimmt. Er
-sollte den Aristoteles interpretieren, wie keiner es vor ihm gethan,
-damit die Menschheit rein und vollstndig die Wissenschaft besitze.
-
-Nebenbei war er Jurist und Mediziner. Wir finden ihn (1169) als Richter
-in Sevilla und kurz darauf in Kordova. Abu Jaaqub, jetzt Chalif, beruft
-ihn im Jahre 1182 als seinen Leibarzt, nach kurzer Zeit aber ist er
-wieder Richter in seiner Vaterstadt, wie es sein Vater und Grovater
-gewesen. Aber die Verhltnisse verschlechtern sich. Die Philosophen
-werden verflucht und ihre Schriften ins Feuer geworfen. In seinem
-Alter wird Ibn Roschd von Abu Jusuf nach Elisana (Lucena bei Kordova)
-verbannt, doch stirbt er in der Residenz Marokko, am 10. Dez. 1198.
-
-2. Auf Aristoteles konzentriert sich seine Wirksamkeit. Was er von
-dessen Schriften und ber sie erlangen kann, wird fleiig studiert
-und genau verglichen. Ibn Roschd hat noch in bersetzung Schriften der
-Griechen gekannt, die jetzt ganz oder teilweise verloren sind. Kritisch
-und systematisch geht er ans Werk. Er paraphrasiert den Aristoteles,
-er interpretiert, bald krzer, bald ausfhrlicher, in mittleren und
-groen Kommentaren. So verdient er sich den Namen des Kommentators, den
-er auch in Dantes Komdie besitzt. Es ist, als ob die Philosophie der
-Muslime in ihm zum Verstndnis des Aristoteles kommen soll, um dann,
-fertig, sterben zu knnen. Aristoteles ist fr ihn der vollkommenste
-Mensch, der grte Denker, der im Besitze einer unfehlbaren Wahrheit
-gewesen. Neue Entdeckungen der Astronomie und der Physik knnten
-daran nichts ndern. Zwar kann man den Aristoteles miverstehen. Ibn
-Roschd selbst hat manches, was er den Schriften Farabis und Ibn Sinas
-entnommen, spter anders und besser verstehen gelernt. Doch lebt
-er immer des Glaubens, dass der richtig verstandene Aristoteles mit
-der hchsten uns Menschen erreichbaren Wissenschaft bereinstimmen
-werde. Im ewigen Kreislaufe des Weltgeschehens hat Aristoteles eine
-Hhe erreicht, ber die hinauszugelangen nicht mglich ist. Denen, die
-nach Aristoteles gekommen sind, hat es oft viel Mhe und Nachdenken
-gekostet, sich die Einsichten zu erschlieen, die sich dem ersten
-Meister leicht erffneten. Nach und nach aber werden alle Zweifel und
-Gegenreden verstummen, denn Aristoteles ist ein bermensch, gleichsam
-von der Vorsehung dazu bestimmt, zu zeigen, wie weit das menschliche
-Geschlecht es in seiner Annherung an den Weltgeist bringen kann. Als
-die hchste Inkarnation des Geistes der Menschheit mchte Ibn Roschd
-seinen Meister den gttlichen nennen.
-
-Es wird sich im folgenden zeigen, dass die malose Bewunderung fr
-Aristoteles zu einer reinen Erfassung seiner Gedanken auch bei Ibn
-Roschd nicht ausreichte. Den Ibn Sina zu bekmpfen, lsst er keine
-Gelegenheit vorbeigehen. Mit Farabi und Ibn Baddscha, denen er vieles
-verdankt, setzt er sich auch gelegentlich auseinander. Er meistert
-alle seine Vorgnger, weit schlimmer als Aristoteles es seinen Lehrer
-Platon gethan. Und dennoch ist er selbst nicht hinausgekommen, bei
-weitem nicht, ber die Auffassung neuplatonischer Ausleger und die
-Missverstndnisse syrischer und arabischer bersetzer. fter folgt
-er sogar dem oberflchlichen Themistius entgegen dem verstndigen
-Alexander von Aphrodisias, oder sucht ihre Ansichten zu kombinieren.
-
-3. Ibn Roschd ist vor allem ein Fanatiker der aristotelischen
-Logik. Ohne sie wird man nicht selig und es ist schade fr Platon und
-Sokrates, dass sie nicht davon wussten! Die Glckseligkeit der Menschen
-bemisst sich nach der Stufe ihrer logischen Einsichten. Mit kritischem
-Blicke erkennt er Porphyrs Isagoge als entbehrlich, aber Rhetorik
-und Poetik rechnet er noch zum logischen Organon. Da gibt es denn die
-wunderlichsten Missverstndnisse. Tragdie und Komdie z. B. werden
-zu Lob- und Schmhgedichten, die poetische Wahrscheinlichkeit muss
-es sich gefallen lassen, entweder demonstrierbare Wahrheit oder
-trgerischen Schein zu bedeuten, die Erkennung auf der Bhne wird
-zur apodeiktischen Erkenntnis u. s. w. Von der griechischen Welt hat
-er natrlich berhaupt keine Anschauung. Es ist verzeihlich, denn er
-konnte keine Ahnung davon haben. Dennoch verzeiht man nicht gerne dem,
-der andere geschulmeistert.
-
-Wie seine Vorgnger legt Ibn Roschd besonderen Nachdruck auf das
-Sprachliche, soweit es allen Sprachen gemeinsam. Dieses Gemeinsame,
-das Universelle also, hat Aristoteles, meint er, in seiner
-Hermeneutik, aber auch in der Rhetorik, immer vor Augen. So soll
-es auch der arabische Philosoph halten, nur darf er die Beispiele
-zur Erluterung der allgemeinen Regeln der arabischen Sprache und
-Litteratur entnehmen. Um die allgemeinen Regeln aber ist es zu thun,
-Wissenschaft ist Erkenntnis des Allgemeinen.
-
-Die Logik ebnet dazu die Wege, dass unser Wissen aus sinnlicher
-Besonderheit zur reinen Vernunftwahrheit aufsteige. Die Menge
-wird immer im Sinnlichen leben, im Irrtum herumtappen. Mangelhafte
-Anlage und wenig Ausbildung, dazu schlechte Gewhnung halten sie vom
-Fortschritt zurck. Doch muss es einigen mglich sein, zur Erkenntnis
-der Wahrheit zu gelangen. Der Adler schaut der Sonne ins Gesicht, denn,
-wenn keiner sie anschauen knnte, so htte die Natur etwas vergebens
-gemacht. Was da glnzt, soll gesehen, was da ist, soll erkannt werden,
-wenn auch nur von einem einzigen Manne. Und die Wahrheit ist. Die Liebe
-zu ihr in unserer Brust wre ganz vergebens, wenn wir uns ihr nicht
-nhern knnten. Ibn Roschd glaubt, in vielen Dingen die Wahrheit zu
-erkennen, ja die absolute Wahrheit auffinden zu knnen. Mit Lessing
-htte er sich nicht bescheiden mgen, sie zu suchen.
-
-Die Wahrheit ist ihm ja in Aristoteles gegeben. Von diesem Standpunkte
-blickt er auf die muslimische Theologie herab. Zwar erkennt er in
-der Religion eine Wahrheit eigener Art (s. unten 7), aber die
-Theologie ist ihm zuwider. Sie will beweisen, was, auf diese Weise,
-nicht bewiesen werden kann. Die Offenbarung im Koran, so lehrt Ibn
-Roschd mit anderen, spter hnlich Spinoza, hat nicht den Zweck, die
-Menschen zu belehren, sondern sie zu bessern. Nicht Wissen, sondern
-Gehorsam oder Sittlichkeit ist das Ziel des Gesetzgebers, der wei,
-dass menschliches Glck nur in der Gesellschaft zu verwirklichen ist.
-
-4. Was Ibn Roschd von seinen Vorgngern, namentlich von Ibn Sina,
-unterscheidet, ist vor allem die unzweideutige Art und Weise,
-in der er die Welt als ewigen Prozess des Werdens auffasst. Die
-Welt als ganzes ist eine ewig-notwendige Einheit, ohne irgendwelche
-Mglichkeit des Nicht- oder Andersseins. Materie und Form sind nur im
-Gedanken zu trennen. Die Formen wandern nicht wie Gespenster durch
-die dunkle Materie, sondern sind keimartig in dieser enthalten. Wie
-Naturkrfte wirken die materiellen Formen, ewig fortzeugend, nie von
-der Materie getrennt, aber dennoch gttlich zu nennen. Absolutes
-Entstehen und Vergehen gibt es nicht, denn alles Geschehen ist
-bergang von der Potenzialitt zur Aktualitt und von der Aktualitt
-in die Potenzialitt zurck. Dabei wird gleichartiges immer nur von
-gleichartigem erzeugt.
-
-Es gibt aber eine Stufenordnung des Seienden. Die materielle oder
-substanzielle Form steht in der Mitte zwischen bloem Accidens
-und reiner (separater) Form. Auch die substanziellen Formen zeigen
-graduelle Verschiedenheiten, Mittelzustnde zwischen Potenzialitt
-und Aktualitt. Und endlich das ganze System der Formen, von der
-niedersten hylischen Form bis zum gttlichen Wesen, der Urform des
-Alls, ist ein geschlossener Stufenbau.
-
-Der ewige Prozess des Werdens innerhalb der gegebenen Ordnung setzt
-nun eine ewige Bewegung voraus, und diese ein ewig Bewegendes. Wenn
-die Welt entstanden wre, so knnte man von ihr nur schlieen auf
-eine andere, ebenfalls entstandene Krperwelt, die sie erzeugt htte,
-ins Unendliche. Wenn sie ein Mgliches wre, nur auf ein Mgliches,
-daraus sie geworden, und so in infinitum. Nur die Annahme einer
-einheitlich ewig-notwendig bewegten Welt gewhrt uns nach Ibn Roschd
-die Mglichkeit, auf ein ewig bewegendes, von der Welt getrenntes
-Wesen zu schlieen, das, indem es immerfort die Bewegung und schne
-Ordnung des Alls bewirkt, Urheber der Welt genannt werden darf, und
-das in den Geistern, welche die Sphren bewegen -- denn jede besondere
-Bewegung erfordert ihr besonderes Prinzip --, die Vermittler seiner
-Thtigkeit hat.
-
-Das Wesen des ersten Bewegenden oder Gottes, sowie der Sphrengeister,
-findet Ibn Roschd im Denken, in dem ihm die Einheit des Seins gegeben
-ist. Das mit seinem Gegenstande identische Denken ist die einzige
-positive Bestimmung des gttlichen Wesens, womit dann Sein und Einheit
-absolut zusammenfallen. Sein und Einheit kommen nmlich nicht zum Wesen
-hinzu, sondern sind, wie alle Universalien, nur im Denken gegeben. Das
-Denken bringt berall das Allgemeine im Besonderen hervor. Zwar ist
-das Universale als Natur in den Dingen wirksam, aber das Universale
-als solches ist nur im Verstande. Oder der Mglichkeit nach ist es
-in den Dingen, wirklich aber im Verstande, d. h. im Verstande hat es
-mehr Sein, eine hhere Art zu existieren als in den Dingen.
-
-Fragt man nun, ob das gttliche Denken auch das Besondere, oder nur
-das Allgemeine umfasse, so antwortet Ibn Roschd: keins von beidem,
-denn ber beides ist das gttliche Wesen hinaus. Sein Denken bewirkt
-das All, umfasst das All. Gott ist das Prinzip, die Urform und der
-Endzweck aller Dinge. Er ist die Weltordnung, die Vershnung aller
-Gegenstze, das All selbst in seiner hchsten Existenzweise. Dass von
-einer gttlichen Vorsehung im gewhnlichen Sinne also nicht geredet
-werden knne, ergibt sich daraus von selbst.
-
-5. Zwei Arten des Seienden kennen wir: ein bewegtes und ein bewegendes,
-selbst aber unbewegtes, oder ein krperliches und ein geistiges. Im
-Geistigen aber liegt die hhere Einheit oder Vollendung alles Seienden
-in stufenmiger Ordnung. Es ist also keine abstrakte Einheit. Die
-Sphrengeister sind, je ferner sie dem ersten stehen, um so weniger
-einfach. Alle erkennen sich selbst, aber in ihrem Wissen ist auch
-die Beziehung auf die erste Ursache. Daraus ergibt sich eine Art
-Parallelismus zwischen dem Krperlichen und dem Geistigen. Der
-Zusammensetzung des Krperlichen aus Materie und Form entspricht
-etwas in den niederen Geistern. Was dem rein Geistigen beigemischt,
-ist zwar keine Materie, die etwas erleiden knnte, aber doch etwas der
-Materie hnliches, das ein anderes in sich aufzunehmen vermag. Sonst
-liee sich mit der Einheit des auffassenden Geistes die Vielheit der
-Intelligibilia nicht in bereinstimmung bringen.
-
-Die Materie erleidet, der Geist aber empfngt. Hauptschlich mit
-Rcksicht auf den menschlichen Geist hat Ibn Roschd diesen fein
-unterscheidenden Parallelismus eingefhrt.
-
-6. Dass die menschliche Seele sich zu ihrem Krper verhalte, wie
-die Form zur Materie, steht dem Ibn Roschd fest. Es ist ihm vllig
-ernst damit. Die Theorie vieler unsterblicher Seelen weist er, Ibn
-Sina bekmpfend, ganz bestimmt zurck. Nur als Vollkommenheit ihres
-Leibes hat die Seele einen Bestand.
-
-Was die empirische Psychologie betrifft, ist er ngstlich bestrebt,
-sich an Aristoteles, gegen Galen u. a., zu halten. Aber in der
-Lehre vom Nus entfernt er sich, ohne dass er sich dessen bewusst
-wre, nicht unbetrchtlich von seinem Meister. Eigentmlich,
-von neuplatonischen Anschauungen ausgehend, ist seine Auffassung
-der materiellen Vernunft. Sie ist nicht blo eine Anlage oder eine
-Fhigkeit der menschlichen Seele. Sie ist auch nicht gleichbedeutend
-mit dem sinnlich-geistigen Vorstellungsleben, sondern sie ist etwas
-berseelisches, berindividuelles. Die materielle Vernunft ist ewiger,
-unvergnglicher Geist, ebenso ewig und unvergnglich wie die reine
-Vernunft oder der thtige Geist ber uns. Es ist die Verselbstndigung
-der Materie im Bereiche des Krperlichen, die hier von Ibn Roschd,
-freilich mit Anschluss an Themistius u. a., auf das Gebiet des
-Geistigen bertragen wird.
-
-Die materielle Vernunft ist also ewige Substanz. Die Anlage aber oder
-die Fhigkeit des menschlichen Individuums zu geistiger Erkenntnis
-nennt Ibn Roschd leidende Vernunft. Diese entsteht und vergeht mit
-den Individuen, whrend die materielle Vernunft ewig ist, wie die
-Gattung der Menschheit.
-
-Nun bleibt aber, wie nicht anders mglich, das Verhltnis zwischen dem
-thtigen und dem empfangenden Geiste (so sagen wir jetzt fr materielle
-Vernunft) etwas dunkel. Der thtige Geist macht die Vorstellungen
-der menschlichen Seele intelligibel, der empfangende Geist nimmt
-sie in sich auf. Das Seelenleben der menschlichen Individuen ist
-also der Ort, wo das mystische Liebespaar sich trifft. Und die rter
-sind sehr verschieden. Von der ganzen seelischen Anlage des Menschen
-und von der Disposition seiner Vorstellungen hngt es ab, in welchem
-Grade der thtige Geist dieselben zur Intelligibilitt erheben kann,
-inwiefern der empfangende Geist sie zu seinem Inhalte zu machen im
-Stande ist. Dadurch erklrt es sich, dass die Menschen nicht alle auf
-derselben Stufe geistigen Erkennens stehen. Aber die Summe geistiger
-Erkenntnis in der Welt ndert sich nicht, wenn auch ihre Verteilung an
-die einzelnen Schwankungen unterliegt. Mit Naturnotwendigkeit ersteht
-immer wieder der Philosoph, sei es Aristoteles oder Ibn Roschd, in
-dessen Kopf das Seiende zum Begriff wird. Zwar sind die Gedanken
-der Individuen zeitlich und ist der empfangende Geist, insofern
-der einzelne an ihm teil hat, vernderlich, aber als menschliche
-Gattungsvernunft betrachtet, ist dieser Geist ewig unvernderlich,
-wie der thtige Geist aus der letzten Sphre ber uns.
-
-7. Im ganzen sind es drei groe Ketzereien, die das System des Ibn
-Roschd in Widerspruch setzen zu der Theologie der drei Weltreligionen
-seiner Zeit. Erstens die Ewigkeit der Krperwelt und der sie bewegenden
-Geister, zweitens der notwendige Kausalnexus alles Weltgeschehens,
-sodass fr Vorsehung, Wunder und dergleichen kein Platz bleibt,
-und drittens die Vergnglichkeit alles Individuellen, womit auch die
-individuelle Unsterblichkeit aufgehoben ist.
-
-Logisch betrachtet scheint die Annahme einer Anzahl selbstndiger
-Sphrengeister unter Gott keinen gengenden Grund zu besitzen. Aber
-Ibn Roschd hilft sich hier, wie seine Vorgnger, ber den Widerspruch
-hinweg mit der Behauptung, jene Sphrengeister seien nicht individuell,
-sondern nur der Art nach verschieden. Ihr Zweck war ja nur, so lange
-die Einheit des Weltsystems nicht erkannt war, die verschiedenen
-Bewegungen zu erklren. Nachdem das ptolemische Weltsystem gefallen
-und diese vermittelnden Geister berflssig wurden, identifizierte
-man den thtigen Geist mit Gott, wie es brigens auch schon frher
-von spekulativer und religiser Seite versucht war. Ein Schritt
-weiter war es nur, auch den ewigen Geist der Menschheit mit Gott zu
-identifizieren. Keins von beiden hat Ibn Roschd gethan, wenigstens
-nicht nach dem Wortlaute seiner Schriften. Aber in seinem Systeme
-war, bei konsequenter Durchfhrung, die Mglichkeit dazu gegeben,
-wie zu einer pantheistischen Weltanschauung berhaupt. Andererseits
-konnte sich leicht der Materialismus, wie entschieden ihn auch unser
-Philosoph bekmpfte, daran lehnen. Denn wo die Ewigkeit, Form und
-Wirksamkeit alles Materiellen so stark betont wird, wie von ihm
-geschah, da mag der Geist noch Knig heien, aber, wie es scheinen
-knnte, nur von des Stoffes Gnaden.
-
-Jedenfalls ist Ibn Roschd ein khner und folgerichtiger, wenn auch kein
-origineller Denker zu nennen. Die theoretische Philosophie gengte ihm,
-doch schuldete er es seiner Zeit und seiner Stellung, sich mit der
-Religion und der Praxis abzufinden. Wir knnen uns darber kurz fassen.
-
-8. Ibn Roschd findet oft Gelegenheit, gegen die ungebildeten Herrscher
-und die bildungsfeindlichen Theologen seiner Zeit sich zu uern. Doch
-bleibt ihm das Leben im Staate immer der Einsamkeit vorzuziehen. Auch
-seinen Gegnern dankt er -- das ist ein erfreulicher Charakterzug --
-fr manche Belehrung. Die Einsamkeit, meint er, bringe keine Knste
-und Wissenschaften hervor, hchstens knne man in ihr das Erworbene
-genieen und es vielleicht um ein weniges vermehren. Zum Wohle des
-Ganzen aber soll jeder beitragen, auch die Frauen sollen wie die
-Mnner der Gesellschaft und dem Staate dienen. Hier schliet Ibn
-Roschd sich dem Platon an (die Politik des Aristoteles hat er nicht
-gekannt) und bemerkt ganz vernnftig, viel Armut und Elend seiner
-Zeit rhre daher, dass man sich die Weiber nur zu einem auerdem sehr
-fraglichen Vergngen wie Haustiere oder Pflanzen halte, statt sie an
-der materiellen und geistigen Gterproduktion und der Htung dieser
-Gter teilnehmen zu lassen.
-
-In der Ethik tadelt unser Philosoph sehr scharf die Doktrin der
-Rechtslehrer, dass etwas nur gut oder bse sei, weil Gott es so
-gewollt. Alles hat vielmehr von Natur oder vernunftgemss seinen
-sittlichen Charakter. Die von vernnftiger Einsicht bestimmte Handlung
-ist sittlich. Freilich ist es nicht die Einzelvernunft, sondern die
-Staatsraison, an die in letzter Instanz zu appellieren ist.
-
-Von staatsmnnischem Gesichtspunkte aus betrachtet Ibn Roschd auch
-die Religion. Er wrdigt sie ihres moralischen Zweckes wegen. Sie ist
-Gesetz, keine Lehre. Deshalb bekmpft er fortwhrend die Theologen,
-die statt glubig zu gehorchen begreifen wollen. Er macht es
-Gazali zum Vorwurf, dass dieser der Philosophie Einfluss auf seine
-Religionslehre auszuben gestattet und dadurch viele zum Zweifel und
-Unglauben veranlasst hat. Das Volk soll glauben, so wie es im Buche
-steht. Das ist Wahrheit, freilich eine Wahrheit fr groe Kinder,
-denen man Mrchen erzhlt. Was darber hinaus, ist vom bel. Fr die
-Existenz Gottes z. B. hat der Koran zwei jedem einleuchtende Beweise:
-die gttliche Frsorge fr alles, besonders fr den Menschen, und
-die Erschaffung des Lebens in Pflanzen, Tieren u. s. w. Daran ist
-nicht zu rtteln, am Wortlaute der Offenbarung nicht theologisch
-herumzudeuteln. Denn die Beweise, welche die Theologen fr das Dasein
-Gottes beibringen, halten einer wissenschaftlichen Kritik nicht Stand,
-ebensowenig wie der aus dem Begriffe des Mglichen und Notwendigen bei
-Farabi und Ibn Sina. Das alles fhrt zu Atheismus und Libertinismus. Im
-Interesse der Sittlichkeit, des Staates also, ist die halbe Theologie
-zu bekmpfen.
-
-Dagegen drfen die wissenden Philosophen das Wort Gottes im Koran
-deuten. Im Lichte hchster Wahrheit verstehen sie, was damit bezweckt
-ist. Und dem gemeinen Manne sagen sie davon nur so viel, wie er eben
-aufzufassen im Stande ist. Auf diese Weise kommt die schnste Harmonie
-heraus. Religionsgesetz und Philosophie stimmen mit einander berein,
-eben weil sie nicht dasselbe wollen. Wie Praxis und Theorie verhalten
-sie sich. Indem der Philosoph die Religion begreift, lsst er sie in
-ihrem Bereiche gelten, sodass die Philosophie gar nicht wider die
-Religion verstt. Die Philosophie aber ist die hchste Form der
-Wahrheit, zugleich auch die erhabenste Religion. Die Religion des
-Philosophen nmlich ist die Erkenntnis alles dessen, was ist.
-
-Aber irreligis erscheint diese Ansicht doch, und eine positive
-Religion kann es sich nicht gefallen lassen, im Reiche der Wahrheit die
-fhrende Stellung der Philosophie anzuerkennen. Nur natrlich war es,
-dass die Theologen des Westens, hnlich ihren orientalischen Brdern,
-die Gunst der Verhltnisse ausnutzten und nicht ruhten, bis sie die
-Herrin zur Magd der Theologie erniedrigt hatten.
-
-
-
-
-
-
-
-
-VII. ZUM SCHLUSS.
-
-
-1. Ibn Chaldun.
-
-1. Die Philosophie des Ibn Roschd und seine Erklrung des Aristoteles
-hat auf die muslimische Welt uerst wenig gewirkt. Viele seiner
-Schriften sind im Original verloren gegangen, wir haben sie in
-hebrischen und lateinischen bersetzungen. Schler und Nachfolger
-hat er nicht gefunden. In abgelegenen Winkeln fand sich wohl mancher
-Freigeist oder Mystiker, in dessen Kopf es wunderlich genug aussah, um
-sich ernstlich mit philosophischen Fragen theoretischer Art abzumhen,
-aber auf die allgemeine Bildung und die Gestaltung der Verhltnisse zu
-wirken, wurde der Philosophie nicht verstattet. Vor den siegreichen
-Waffen der Christen zog die materielle und damit auch die geistige
-Kultur der Muslime sich immer weiter zurck. Spanien ward Afrika,
-wo der Berber herrschte. Die Zeit war ernst, es handelte sich um die
-Existenz des Islam in diesen Lndern. Zum Kampfe gegen den Feind,
-aber auch gegen einander, rsteten sich die Mnner, und zu mystischen
-bungen schlossen sich berall die frommen Brder zusammen. In
-den sufischen Orden dieser Leute retteten sich wenigstens noch
-einige philosophische Formeln. Als gegen die Mitte des dreizehnten
-Jahrhunderts Kaiser Friedrich II. den muslimischen Gelehrten von Ceuta
-eine Anzahl philosophischer Fragen vorlegte, beauftragte der Almohade
-Abdalwahid den Ibn Sabin, Stifter eines mystischen Ordens, damit,
-sie zu beantworten. Er that es. In schulmeisterlichem Tone leiert er
-die Ansichten alter und neuer Philosophen ab. Das sufische Geheimnis,
-Gott sei die Realitt aller Dinge, lsst er durchblicken. Das einzige
-aber, was wir aus seinen Antworten lernen knnen, ist, dass Ibn
-Sabin Bcher gelesen, von denen, wie er glaubt, Kaiser Friedrich
-keine blasse Ahnung hatte.
-
-2. In kleinen Staatengebilden, auf- und abwogend, trieb die muslimische
-Kultur des Westens dahin. Bevor sie jedoch ganz verschwand, fand
-sich der Mann, der das Gesetz ihrer Bildung aufzufinden versuchte,
-und damit eine neue philosophische Disziplin, die Philosophie
-der Gesellschaft oder der Geschichte, zu begrnden glaubte. Dieser
-merkwrdige Mensch ist Ibn Chaldun, im Jahre 1332 aus sevillanischer
-Familie zu Tunis geboren. Dort erhielt er auch seine Erziehung
-und wurde dann, teilweise von einem im Orient ausgebildeten Lehrer,
-philosophisch geschult. Nach dem Studium aller bekannten Wissenschaften
-war er bald im Staatsdienste, bald auf Reisen, aber berall ein guter
-Beobachter. Verschiedenen Frsten diente er als Sekretr, auch war
-er Gesandter an mehreren Hfen in Spanien und Afrika. So war er am
-christlichen Hofe Peters des Grausamen in Sevilla. Auch ist er bei
-Tamerlan in Damaskus gewesen. Eine reiche Welterfahrung hatte er sich
-also zu eigen gemacht, als er im Jahre 1406 zu Kairo starb.
-
-Als Charakter ist er vielleicht nicht hoch zu stellen. Man wird aber
-dem Manne, der mehr als andere seiner Zeit fr die Wissenschaft gelebt,
-etwas Eitelkeit, Dilettantismus und dergleichen gerne verzeihen.
-
-3. Die Schulphilosophie, wie Ibn Chaldun sie kennen lernte,
-befriedigte ihn nicht. In ihren fertigen Rahmen passte sein Weltbild
-nicht hinein. Wenn er etwas mehr zum Theoretisieren aufgelegt gewesen
-wre, htte er wohl einen Nominalismus ausgebildet. Die Philosophen
-behaupten, alles zu wissen. Ihm aber erscheint das Universum zu gro,
-als dass es von unserem Verstande begriffen werden knne. Es gibt
-der Wesen und der Dinge mehr, unendlich viel mehr, als der Mensch
-wissen kann. "Gott schafft, was ihr nicht wisset". Die logischen
-Deduktionen wollen oft nicht stimmen zu der empirischen Natur der
-Einzeldinge, die nur durch Beobachtung erkannt wird. Es ist Einbildung,
-durch bloe Anwendung logischer Regeln zur Wahrheit gelangen zu
-knnen. Nachdenken ber das erfahrungsmig Gegebene ist demnach
-die Aufgabe des wissenschaftlichen Mannes. Und nicht darf er sich
-mit seiner Einzelerfahrung begngen, sondern mit kritischer Sorgfalt
-hat er die Summe der gesamten berlieferten Erfahrung der Menschheit
-zu ziehen.
-
-Von Natur ist die Seele ohne Wissen. Aber von Natur hat sie auch das
-Vermgen, nachzudenken, die gegebene Erfahrung zu bearbeiten. Beim
-Nachdenken springt, wie durch Inspiration, oft der richtige
-Mittelbegriff hervor, mittelst dessen die gewonnene Einsicht dann
-nach den Regeln formaler Logik zurechtgelegt werden mag. Die Logik
-bringt keine Erkenntnis hervor, sondern beschreibt nur den Weg unseres
-Nachdenkens, zeigt, wie wir zum Wissen kommen, und hat insofern auch
-einen Wert, dass sie uns vor Irrtmern hten und den Geist schrfen
-und zu Genauigkeit im Denken anhalten kann. Sie ist folglich eine
-Hilfswissenschaft, die von einigen Befhigten, dazu Berufenen, auch
-ihrer selbst wegen gepflegt werden soll, jedoch nicht die grundlegende
-Bedeutung besitzt, die ihr von den Philosophen beigelegt wird. Den
-Weg des Nachdenkens, den sie beschreibt, geht das wissenschaftliche
-Talent in irgend einer Einzelwissenschaft auch zur Not ohne sie.
-
-Ibn Chaldun ist ein nchterner Denker. Alchemie und Astrologie
-bekmpft er mit vernnftigen Grnden. Dem mystischen Rationalismus
-der Philosophen hlt er fter die einfachen Lehren seiner Religion
-entgegen, sei es mit persnlicher berzeugung oder nur aus politischer
-Rcksicht. Aber auf seine wissenschaftlichen Ansichten bt die Religion
-keinen greren Einfluss als der neuplatonische Aristotelismus. Platons
-Staat, die pythagoreisch-platonische Philosophie, aber ohne
-ihre wunderschtigen Auswchse, und die Geschichtswerke seiner
-orientalischen Vorgnger, namentlich des Masudi, haben auf die
-Ausbildung seiner Gedanken am meisten gewirkt.
-
-4. Mit dem Anspruch, eine neue philosophische Disziplin zu
-begrnden, von der Aristoteles keine Ahnung hatte, tritt Ibn Chaldun
-auf. Philosophie ist die Wissenschaft dessen, was ist, aus seinen
-Ursachen oder Grnden entwickelt. Aber dem entspricht nicht, was die
-Philosophen ber die hohe Geisterwelt und Gottes Wesen vorbringen:
-Unbeweisbares reden sie darber. Viel besser kennen wir unsere
-Menschenwelt, und davon lsst sich durch Beobachtung und innere
-Seelenerfahrung etwas Sicheres aussagen. Hier lassen sich die
-Thatsachen nachweisen und ihre Ursachen herausfinden. Insofern
-nun letzteres auch in der Geschichte gelingt, d. h. sofern die
-geschichtlichen Ereignisse auf ihre Ursachen zurckgefhrt und
-historische Gesetze aufgefunden werden knnen, ist die Geschichte
-wirklich Wissenschaft und ein Teil der Philosophie zu nennen. So tritt
-der Begriff der Geschichte als Wissenschaft rein heraus. Mit Neugierde,
-Eitelkeit, gemeinem Nutzen, erbaulicher Wirkung u. s. w. hat sie nichts
-zu schaffen. Sie soll, wenn auch im Dienste hherer Lebenszwecke,
-nichts anderes als Thatsachen feststellen und deren kausale
-Verknpfung auszumitteln suchen. Kritisch, ohne Vorurteil. Als oberstes
-methodologisches Prinzip gilt dabei, dass die Ursache der Wirkung
-entspricht, d. h. dass gleiche Erscheinungen auch dieselben Bedingungen
-voraussetzen oder dass unter denselben Kulturverhltnissen auch die
-nmlichen Vorgnge sich ereignen werden. Da nun mit Wahrscheinlichkeit
-anzunehmen ist, dass die Natur der Menschen und der Gesellschaft
-im Laufe der Zeit sich nicht oder nicht bedeutend ndert, so ist
-ferner ein lebensvolles Verstndnis der Gegenwart das beste Mittel
-zur Erforschung der Vergangenheit, indem das nchste, vollstndig
-Bekannte uns Rckschlsse gestattet auf die weniger gut bekannten
-Ereignisse frherer Zeit, ja sogar einen Ausblick auf die Zukunft
-verheit. In jedem Falle ist also die berlieferung an der Gegenwart
-zu prfen, und wenn sie uns Dinge erzhlt, die jetzt unmglich sind,
-so ist schon deshalb ihre Wahrheit zu bezweifeln. Vergangenheit und
-Gegenwart sind einander wie zwei Tropfen Wasser gleich.
-
-Das knnte, absolut gefasst, auch Ibn Roschd gesagt haben. Nach Ibn
-Chaldun gilt das aber nur ganz allgemein als heuristisches Prinzip. Im
-einzelnen erleidet es manche Einschrnkung, ist jedenfalls aus den
-Thatsachen selbst zu begrnden.
-
-5. Was ist nun der Gegenstand der Geschichte als philosophischer
-Disziplin? Es ist, antwortet Ibn Chaldun, das soziale Leben, die
-gesamte materielle und geistige Kultur der Gesellschaft. Die Geschichte
-hat zu zeigen, wie die Menschen arbeiten und sich ernhren, warum
-sie sich streiten und unter einzelnen Fhrern zu greren Verbnden
-zusammenschlieen, wie sie endlich im sesshaften Leben Mue finden
-zur Pflege hherer Knste und Wissenschaften, wie also aus rohen
-Anfngen nach und nach eine feinere Kultur aufblht, und wie diese
-dann wieder hinstirbt.
-
-Die sich ablsenden Gesellschaftsformen sind, nach Ibn Chaldun,
-Nomadentum, Dynastie und Stadtstaat. Die erste Frage ist die
-Nahrungsfrage. Nach dem Stande ihrer Wirtschaft (Nomaden, sesshafte
-Viehzchter, Ackerbauer) unterscheiden sich die Menschen und die
-Vlker. Bedrfnis fhrt zu Raub und Krieg und zur Unterwerfung unter
-den fhrenden Herrscher. So entwickelt sich eine Dynastie und diese
-grndet sich eine Stadt, wo die Arbeitsteilung oder die gegenseitige
-Hilfeleistung Wohlstand hervorbringt. Aber dieser Wohlstand fhrt zu
-unnatrlichem Miggange und ppigkeit. Arbeit hat an erster Stelle
-den Wohlstand erzeugt, aber jetzt, auf der hchsten Kulturstufe, lsst
-man andere fr sich arbeiten. Oft ohne Gegenleistung, denn Ansehen,
-oder auch Servilitt nach oben, Erpressung nach unten, verschaffen
-Wohlstand. Man wird aber dabei von anderen abhngig. Die Bedrfnisse
-werden immer grer, die Steuern immer drckender. Die reichen
-Verschwender und Steuerzahler werden arm und ihr unnatrliches Leben
-macht sie krank und elend. [17] Die alten Kriegersitten haben sich
-verfeinert, sodass man sich nicht mehr verteidigen kann. Das Band des
-Gemeinsinnes oder der Religion, womit frher die Not und der Wille des
-Herrschers die einzelnen zusammenknpfte, erschlafft, denn die Stdter
-sind nicht fromm. So ist alles in innerer Auflsung begriffen. Und da
-erscheint ein neuer, krftiger Nomadenstamm aus der Wste, oder ein
-weniger berbildetes Volk mit einem festeren Gemeinsinne und fllt
-ber die verweichlichte Stadt her. Dann bildet sich ein neuer Staat,
-der sich die materiellen und geistigen Gter der alten Kultur aneignet,
-und dieselbe Geschichte wiederholt sich. Es ergeht den Staaten und
-den greren Verbnden wie einzelnen Familien: in drei bis sechs
-Generationen vollendet sich ihre Geschichte. Die erste Generation
-grndet, die zweite erhlt, vielleicht auch die dritte u. s. w.,
-die letzte zerstrt. Das ist der Kreislauf aller Civilisation.
-
-6. Nach August Mller stimmt die Theorie Ibn Chalduns zu der Geschichte
-Spaniens, Westafrikas und Siziliens vom 11. bis 15. Jahrhundert,
-deren Beobachtung sie auch entnommen ist. Freilich ist sein
-eigenes Geschichtswerk eine Kompilation. Im einzelnen fehlt er
-oft, wenn er mit seiner Theorie die berlieferung meistert. Aber
-in seiner philosophischen Einleitung findet sich eine Flle
-feiner psychologischer und politischer Bemerkungen und als ganzes
-ist sie eine groartige Leistung. Das Altertum hat sich mit dem
-Problem der Geschichte nicht eingehend befasst. Groe Kunstwerke der
-Geschichtschreibung hat es uns hinterlassen, aber keine philosophische
-Begrndung der Geschichte als Wissenschaft. Dass die Menschheit es,
-obgleich von Ewigkeit her bestehend, nicht lngst zu viel hherer
-Kultur gebracht hatte, wurde aus elementaren Ereignissen, Erdbeben,
-Wasserfluten u. s. w. erklrt. Dagegen fasste die christliche
-Philosophie die Geschichte mit ihren Wandlungen als die Verwirklichung
-oder Vorbereitung des Gottesstaates auf Erden. Ibn Chaldun hat nun
-zuerst ganz bewusst und in ausfhrlich begrndeter Darstellung den
-Versuch gemacht, die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft aus den
-nchsten Ursachen abzuleiten. Die Verhltnisse der Rasse, des Klimas,
-der Gterproduktion u. s. w. werden errtert und in ihrer Wirkung auf
-die sinnlich-geistige Konstitution des Menschen und der Gesellschaft
-dargestellt. Im Kreislaufe der Civilisationen findet er eine innere
-Gesetzmigkeit. berall forscht er den natrlichen Ursachen nach,
-bis zur mglichsten Vollstndigkeit. Dass die Kette von Ursachen
-und Folgen in einer letzten Ursache zum Abschlusse komme, behauptet
-er auch zu glauben. Die Reihe kann nicht ins Unendliche gehen, und
-darum schlieen wir auf einen Gott. Dieser Schluss aber, so heit es
-bei ihm, bedeutet eigentlich dies, dass wir nicht im Stande sind,
-die Ursachen aller Dinge und die Art ihres Wirkens zu erkennen,
-es ist im Grunde ein Gestndnis unserer Unwissenheit. Das bewusste
-Nichtwissen ist auch eine Art Wissen. Aber soweit es mglich ist, soll
-man das Wissen verfolgen. Indem Ibn Chaldun seine neue Wissenschaft
-anbahnt, will er nur die Hauptprobleme angedeutet, nur im allgemeinen
-Methode und Gegenstand dieser Wissenschaft angegeben haben. Aber er
-hofft, dass andere nach ihm kommen werden, mit gesundem Verstande
-und sicherem Wissen seine Untersuchungen weiterzufhren und neue
-Probleme aufzustellen.
-
-Die Hoffnung Ibn Chalduns ist in Erfllung gegangen, aber nicht im
-Islam. Wie er ohne Vorgnger war, blieb er ohne Nachfolger. Doch
-hat sein Werk im Orient nachhaltig gewirkt. Viele muslimische
-Staatsmnner, die seit dem 15. Jahrhundert so manchen europischen
-Frsten und Diplomaten zur Verzweiflung gebracht haben, sind bei
-unserem Philosophen in die Schule gegangen.
-
-
-
-
-2. Die Araber und die Scholastik.
-
-1. Dem Sieger gehrt die Braut. In den Kriegen zwischen Christen
-und Muslimen, die in Spanien gefhrt wurden, hatten erstere oft
-die Anziehungskraft maurischer Schnen kennen gelernt. Manch
-christlicher Ritter hatte mit einer Mohrin den "neuntgigen
-Gottesdienst" gefeiert. Aber auer den materiellen Gtern und den
-sinnlichen Genssen wirkten auch die Reize geistiger Kultur auf die
-Eroberer. Und so erschien die arabische Wissenschaft dem Auge vieler
-wissensbedrftiger Mnner wie eine holde Braut.
-
-Vermittelnd traten da besonders Juden auf. Die Juden hatten alle
-Wandlungen der muslimischen Geisteskultur mitgemacht. Viele haben
-in der arabischen Sprache geschrieben, andere arabische Schriften
-ins Hebrische bertragen. Manch philosophisches Werk muslimischer
-Autoren verdankt diesem Umstande seine Erhaltung.
-
-Der Schlusspunkt jdisch-philosophischer Entwicklung war Maimonides
-(1135-1204), der, hauptschlich unter dem Einflusse Farabis und Ibn
-Sinas, Aristoteles mit dem Alten Testamente zu vershnen suchte. Teils
-deutete er die philosophischen Lehren aus dem offenbarten Texte heraus,
-teils lie er die aristotelische Philosophie auf das Irdische sich
-beschrnken, whrend dasjenige, was drber ist, aus dem gttlichen
-Buche erkannt werden sollte.
-
-In den muslimischen Staaten zur Zeit ihrer Blte hatten die Juden
-sich an der wissenschaftlichen Arbeit beteiligt. Sie waren geduldet,
-auch wohl begnstigt worden. Aber mit dem Zusammenbruch jener Staaten,
-beim Niedergange der Kultur, nderte sich ihre Lage. Von fanatisierten
-Massen vertrieben, flchteten sie sich in die Christenlnder, besonders
-nach Sdfrankreich, dort als Kulturvermittler ihre Mission zu erfllen.
-
-2. An zwei Punkten berhrte sich die muslimische mit der christlichen
-Welt des Abendlandes: in Unteritalien und in Spanien. Zu Palermo,
-am Hofe Kaiser Friedrichs II. wurde die arabische Wissenschaft eifrig
-gepflegt und den Lateinern zugnglich gemacht. Der Kaiser und sein Sohn
-Manfred schickten den Universitten zu Bologna und Paris bersetzungen
-philosophischer Schriften, zum Teil aus dem Arabischen, zum Teil aber
-auch direkt aus dem Griechischen.
-
-Viel bedeutender aber und einflussreicher war die bersetzerthtigkeit
-in Spanien. In dem von den Christen zurckeroberten Toledo befand sich
-eine reiche arabische Moschee-Bibliothek, die als Bildungssttte weit
-in die nrdlichen Christenlnder hinein bekannt wurde. Mosaraber und
-Juden, zum Teil getaufte, arbeiteten dort mit spanischen Christen
-zusammen. Aus allen Lndern fanden sich Mitarbeiter. So wirkten
-z. B. als bersetzer Johannes Hispanus und Gundisalinus (erste Hlfte
-des 12. Jahrhunderts), Gerard von Cremona (1114-1187), Michel der
-Schotte und Hermann der Deutsche (zwischen 1240 und 1246). ber die
-Thtigkeit dieser Mnner sind wir im einzelnen noch nicht gengend
-unterrichtet. Insofern jedem Worte des arabischen Originales oder der
-hebrischen (auch spanischen?) bersetzung irgend ein lateinisches
-entspricht, sind ihre bersetzungen treu zu nennen. Durch geistvolles
-Verstndnis zeichnen sie sich im allgemeinen nicht aus. Demjenigen,
-der des Arabischen nicht kundig ist, fllt es schwer, sich da hinein
-zu lesen. Gespensterhaft nehmen sich viele beibehaltene arabische
-Worte und bis zur Unkenntlichkeit verunstaltete Eigennamen aus. Es
-mag das alles eine schne Verwirrung in den Kpfen lateinischer
-Philosophieschler angestiftet haben. Und nicht weniger thaten es
-die sich neu aufschlieenden Gedanken.
-
-Die bersetzerthtigkeit hlt im allgemeinen gleichen Schritt
-mit dem Interesse christlicher Kreise, und dieses hat sich hnlich
-entwickelt, wie wir es im stlichen und westlichen Islam zu beobachten
-Gelegenheit hatten (vgl. VI, 1 2). Die ersten bersetzungen
-sind mathematisch-astrologisch, medizinisch, naturphilosophisch,
-psychologisch, daran sich das logische und metaphysische
-schliet. Spter beschrnkt man sich mehr auf Aristoteles und seine
-Kommentare, anfangs aber wird allerhand Wunderschtiges bevorzugt.
-
-Kindi wurde hauptschlich als Arzt und Astrolog bekannt. Ibn Sina
-wirkte durch seine Medizin, empirische Psychologie und dazu seine
-Naturphilosophie und Metaphysik. Weniger Einfluss bten neben ihm
-Farabi und Ibn Baddscha aus. Zuletzt kamen die Kommentare des Ibn
-Roschd (Averroes) und ihr Ansehen hat, neben Ibn Sinas Kanon der
-Medizin, am lngsten Stand gehalten.
-
-3. Was hat nun die christliche Philosophie des Mittelalters den
-Muslimen zu verdanken? Diese Frage zu beantworten, gehrt eigentlich
-nicht mehr zur Aufgabe dieser Monographie. Es ist eine Arbeit fr
-sich, dafr es viele Folianten, von denen ich keinen gelesen, zu
-durchstbern gibt. Im allgemeinen lsst sich sagen, dass sich in
-den bersetzungen aus dem Arabischen dem christlichen Abendlande ein
-zweifaches Neues aufthat. Erstens bekam man den Aristoteles, sowohl
-logisch als physisch-metaphysisch, vollstndiger als man ihn bisher
-kannte. Doch war dies nur von vorbergehender, zeitweilig anregender,
-Bedeutung, denn bald wurden alle seine Schriften direkt aus dem
-Griechischen viel besser ins Lateinische bersetzt. Das wichtigste
-aber war, dass man aus den Schriften der Araber, namentlich des Ibn
-Roschd, eine eigentmliche Auffassung der aristotelischen Lehren
-als der hchsten Wahrheit kennen lernte. Dies musste fortwhrend zum
-Widerspruch, zum Kompromiss zwischen Theologie und Philosophie, oder
-gar zur Leugnung des Kirchenglaubens Veranlassung geben. Zum Teil
-anregend, zum Teil zersetzend wirkte so die muslimische Philosophie
-auf die scholastische Entwicklung des kirchlichen Dogmas ein. Denn
-gleichgltig neben einander hergehen, wie das bei muslimischen Denkern
-wohl vorgekommen, konnten im Christentume Philosophie und Theologie
-noch nicht. Dazu hatte die christliche Dogmatik schon in den ersten
-Jahrhunderten ihrer Ausbildung zu viel griechische Philosophie in
-sich aufgenommen. Sie konnte noch etwas mehr sich assimilieren. Und
-es war verhltnismig leichter, ber die einfachen Lehren des Islam
-als ber die verwickelten Dogmen des Christentums hinauszukommen.
-
-Die christliche Theologie zeigte, als im 12. Jahrhundert der Einfluss
-der Araber zu wirken anfing, einen neuplatonisch-augustinischen
-Charakter. Bei den Franziskanern blieb auch im 13. Jahrhundert dieser
-Charakter gewahrt. Damit kam nun die pythagoreisch-platonische Richtung
-im muslimischen Denken gut berein. Fr Duns Scotus war Ibn Gebirol
-(Avencebrol, s. VI, 1 2) eine erste Autoritt. Dagegen nahmen die
-groen Dominikaner, Albert und Thomas, die die Zukunft der kirchlichen
-Lehre bestimmten, einen gemigten Aristotelismus auf, mit dem sich
-vieles aus Farabi, besonders aber aus Ibn Sina und Maimonides, ganz
-gut vertrug.
-
-Erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts geht eine tiefere Wirkung von
-Ibn Roschd aus, und zwar in Paris, dem Mittelpunkte der damaligen
-christlich-wissenschaftlichen Bildung. Im Jahre 1256 schreibt Albert
-der Groe noch gegen Averroes, 15 Jahre spter aber Thomas von Aquino
-gegen die Averroisten. Ihr Haupt ist Siger von Brabant (seit 1266
-bekannt), Mitglied der Artistenfakultt von Paris. Vor der strengen
-Konsequenz des averroistischen Systems schreckt er nicht zurck. Und
-wie Ibn Roschd den Ibn Sina meistert, so kritisiert, wenn auch uerst
-respektierlich, Siger den groen Albert und den heiligen Thomas. Zwar
-versichert er, sich der Offenbarung zu unterwerfen, aber die Vernunft
-besttigt ihm doch, was Aristoteles, in zweifelhaften Fllen nach
-der Erklrung des Ibn Roschd, in seinen Schriften gelehrt hat. Sein
-feiner Intellektualismus gefllt aber den Theologen nicht. Wie es
-scheint auf Anstiften der Franziskaner, die in ihm vielleicht auch
-den Aristotelismus der Dominikaner treffen wollten, wird er von der
-Inquisition verfolgt, bis er zu Orvieto (um 1281-1284) im Gefngnis
-stirbt. Dante, der mglicherweise von seinen Ketzereien nichts wusste,
-hat unseren Siger als Reprsentanten weltlicher Wissenschaft ins
-Paradies versetzt.
-
-Dagegen sind ihm die beiden Vertreter der muslimischen Philosophie
-neben den groen und weisen Mnnern Griechenlands und Roms in der
-Hlle Vorhalle begegnet. Ibn Sina und Ibn Roschd schlieen dort die
-Reihe der groen Heiden, zu denen, wie Dante, die Nachwelt noch oft
-mit Bewunderung emporgeblickt hat.
-
-
-
-
-
-
-
-
-ANMERKUNGEN
-
-
-[1] S. Munk, Mlanges de philosophie juive et arabe, Paris 1859.
-
-[2] Carra de Vaux, Avicenne, Paris 1900.
-
-[3] Vgl. Snouck Hurgronje, Mekka, II, S. 228 f.
-
-[4] Hiob XXXVIII.
-
-[5] 1 Mos. XV 3.
-
-[6] Der Dialog heisst so, weil Aristoteles whrend des Gesprches
-einen Apfel in der Hand hlt, dessen Geruch seine letzten Lebenskrfte
-weckt. Am Schlusse sinkt die Hand kraftlos nieder und fllt der Apfel
-auf den Boden.
-
-[7] Als echtes Werk des Aristoteles galt auch Spteren noch ein Auszug
-aus der stoicheisis theologik des Proklos.
-
-[8] Beides kommt vor, doch ist Qijas gewhnlich = Analogie. In der
-philosophischen, von den bersetzern herrhrenden Terminologie steht
-aber Qijas immer fr syllogismos, whrend analogia mit arab. mithl
-wiedergegeben wird.
-
-[9] Vgl. Snouck Hurgronje in ZDMG. LIII, S. 155.
-
-[10] Mystiker fhrten auch wohl einen sechsten Sinn dafr ein.
-
-[11] Nach ihrem grobwollenen Rock (sf) wurden die Asketen Sufis
-genannt.
-
-[12] Rckerts bers. d. Makamen II, S. 219.
-
-[13] Vgl. v. Kremer, Kulturgesch. des Orients II, S. 429 ff.
-
-[14] Vgl. den Art. "Zu Kindi und seiner Schule" in Stein's Archiv
-fr Geschichte der Philosophie XIII, S. 153 ff., aus dem ich manches,
-ohne viel zu ndern, hier wieder aufgenommen habe.
-
-[15] Das arab. `aql (nous) bersetzt man gewhnlich mit Vernunft
-und Intelligenz (lat. intellectus und intelligentia). Ich ziehe
-aber Geist vor, weil der Ausdruck Gott und die reinen (separaten)
-Sphrengeister mitumfasst. brigens ist schwer zu entscheiden, wie
-weit bei den einzelnen Denkern die Personifikation der Vernunft ging.
-
-[16] Vgl. hierzu Munk, Mlanges, p. 389-409.
-
-[17] Ibn Chaldun spricht nur von armen Reichen und schweigt von
-Proletariern und grostdtischem Elend, wie wir es kennen. Er hat
-auch meistens nur in kleineren Stdten gelebt und Kairo aus der
-Ferne bewundert.
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Geschichte der Philosophie im Islam, by
-T. J. de Boer
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE IM ISLAM ***
-
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-remaining provisions.
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-<div style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of Geschichte der Philosophie im Islam, by T. J. de Boer</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
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-country where you are located before using this eBook.
-</div>
-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Geschichte der Philosophie im Islam</p>
-
-<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: T. J. de Boer</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: October 20, 2021 [eBook #54679]</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div>
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-<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div>
-
-<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: Jeroen Hellingman and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net/ for Project Gutenberg (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive/American Libraries.)</div>
-
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE IM ISLAM ***</div>
-<div class="front">
-<div class="div1 cover"><span class="pageNum">[<a href="#toc">Inhalt</a>]</span><div class="divBody">
-<p class="first"></p>
-<div class="figure cover-imagewidth"><img src="images/new-cover.jpg" alt="Neu gefasster Vorderdeckel." width="480" height="720"></div><p>
-</p>
-</div>
-</div>
-<div class="div1 titlepage"><span class="pageNum">[<a href="#toc">Inhalt</a>]</span><div class="divBody">
-<p class="first"></p>
-<div class="figure titlepage-imagewidth"><img src="images/titlepage.png" alt="Originaltitelblatt." width="439" height="720"></div><p>
-</p>
-</div>
-</div>
-<div class="titlePage">
-<div class="docTitle">
-<div class="mainTitle">Geschichte <br>der <br>Philosophie im Islam</div>
-</div>
-<div class="byline">von
-<br><span class="docAuthor">T. J. de Boer.</span> </div>
-<div class="docImprint">STUTTGART. <br>FR. FROMMANNS VERLAG (E. HAUFF). <br><span class="docDate">1901.</span> </div>
-</div>
-<p></p>
-<div class="div1 copyright"><span class="pageNum">[<a href="#toc">Inhalt</a>]</span><div class="divBody">
-<p class="first xd31e122">Alle Rechte vorbehalten.
-<span class="pageNum" id="pb3">[<a href="#pb3">3</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-<div class="div1 preface"><span class="pageNum">[<a href="#toc">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main">Vorwort.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p class="first">Nach der vortrefflichen Skizze Munk’s<a class="noteRef" id="xd31e130src" href="#xd31e130">1</a> ist dies der erste Versuch, die Geschichte der Philosophie im Islam im Zusammenhang
-vorzuführen. Ein neuer Anfang also, kein Abschluss möchte meine Arbeit sein. Nicht
-Alles, was auf diesem Gebiete vorgearbeitet, ist mir bekannt geworden und nicht alles
-Bekannte war mir zugänglich. Handschriftliches konnte nur ausnahmsweise benutzt werden.
-</p>
-<p>Der Darstellung wegen sind die Quellenbelege zurückgehalten. Nur wenn ich etwas fast
-wörtlich oder ohne Nachprüfung herübergenommen habe, ist das in den Noten bemerkt
-worden. <span class="corr" id="xd31e135" title="Quelle: Uebrigens">Übrigens</span> bedauere ich sehr, dass es jetzt nicht gehörig zur Anschauung kommen kann, was ich,
-für das Verständnis der Quellen, Männern wie Dieterici, de Goeje, Goldziher, Houtsma,
-Aug. Müller, Munk, Nöldeke, Renan, Snouck Hurgronje, Steinschneider, van Vloten und
-vielen, vielen anderen verdanke.
-</p>
-<p>Erst nach Abschluss dieser Arbeit ist eine interessante, auch über die Vorgeschichte
-der Philosophie im Islam sich verbreitende Monographie über Ibn Sina erschienen.<a class="noteRef" id="xd31e140src" href="#xd31e140">2</a> Sie gibt mir aber keine Veranlassung, meine Auffassung im ganzen zu ändern.
-</p>
-<p>Für alles Bibliographische verweise ich auf die Orientalische Bibliographie, Brockelmann’s
-Geschichte der Arabischen Litteratur und die Litteraturnachweise bei <span class="corr" id="xd31e147" title="Quelle: Ueberweg-Heinze">Überweg-Heinze</span>. Bei der Umschreibung arabischer Namen habe ich mehr auf Tradition und deutsche Aussprache
-als <span class="pageNum" id="pb4">[<a href="#pb4">4</a>]</span>auf Konsequenz geachtet. Es sei nur bemerkt, dass das z als weiches s zu sprechen,
-und das th wie das englische. Im Personenregister bezeichnen Accente die Länge.
-</p>
-<p>So viel wie möglich hab’ ich mich auf den Islam beschränkt. Deshalb sind Ibn Gebirol
-und Maimonides nur im Vorbeigehen genannt, andere jüdische Denker ganz übergangen,
-obgleich sie, philosophisch betrachtet, dem muslimischen Bildungskreise angehören.
-Der Schaden ist aber nicht gross. Denn über die jüdischen Philosophen ist schon viel
-geschrieben worden, während man bis jetzt die muslimischen Denker sehr vernachlässigt
-hat.
-</p>
-<p class="dateline"><span class="ex">Groningen</span> (Niederlande).
-</p>
-<p class="signed">T.&nbsp;J. de Boer.
-<span class="pageNum" id="pb5">[<a href="#pb5">5</a>]</span> </p>
-</div>
-<div class="footnotes">
-<hr class="fnsep">
-<div class="footnote-body">
-<div id="xd31e130">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e130src">1</a></span> S. Munk, Mélanges de philosophie juive et arabe, Paris 1859.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e130src" title="Zurück zur Note 1 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e140">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e140src">2</a></span> <span class="ex">Carra de Vaux</span>, Avicenne, Paris 1900.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e140src" title="Zurück zur Note 2 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div id="toc" class="div1 contents"><span class="pageNum">[<a href="#toc">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main">Inhaltsübersicht.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p class="first"> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">Seite</span>
-</p>
-<p>I. <a href="#ch1" id="xd31e170">Zur Einleitung</a>. &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">9–33</span>
-</p>
-<p>1. <a href="#ch1.1" id="xd31e178">Der Schauplatz</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">9</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch1.1.1">Das alte Arabien.</a> 2. <a href="#ch1.1.2">Die ersten Chalifen. Medina. Schiiten.</a> 3. <a href="#ch1.1.3">Die Omajjaden. Damaskus, Basra und Kufa.</a> 4. <a href="#ch1.1.4">Die Abbasiden. Bagdad.</a> 5. <a href="#ch1.1.5">Kleinstaaterei. Fall des Chalifates.</a>
-</p>
-<p>2. <a href="#ch1.2" id="xd31e203">Orientalische Weisheit</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">13</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch1.2.1">Semitische Spekulation.</a> 2. <a href="#ch1.2.2">Persische Religion. Zrwanismus.</a> 3. <a href="#ch1.2.3">Indische Weisheit.</a>
-</p>
-<p>3. <a href="#ch1.3" id="xd31e222">Griechische Wissenschaft</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">17</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch1.3.1">Die Syrer.</a> 2. <a href="#ch1.3.2">Die christlichen Kirchen.</a> 3. <a href="#ch1.3.3">Edessa und Nisibis.</a> 4. <a href="#ch1.3.4">Harran.</a> 5. <a href="#ch1.3.5">Gondeschapur.</a> 6. <a href="#ch1.3.6">Syrische <span class="corr" id="xd31e248" title="Quelle: Uebersetzungen">Übersetzungen</span>.</a> 7. <a href="#ch1.3.7">Die Philosophie bei den Syrern.</a> 8. <a href="#ch1.3.8">Arabische <span class="corr" id="xd31e257" title="Quelle: Uebersetzungen">Übersetzungen</span>.</a> 9. <a href="#ch1.3.9">Die Philosophie der <span class="corr" id="xd31e263" title="Quelle: Uebersetzer">Übersetzer</span>.</a> 10. <a href="#ch1.3.10">Umfang der <span class="corr" id="xd31e269" title="Quelle: Ueberlieferung">Überlieferung</span>.</a> 11. <a href="#ch1.3.11">Fortsetzung des Neuplatonismus.</a> 12. <a href="#ch1.3.12">Das Buch vom Apfel.</a> 13. <a href="#ch1.3.13">Die Theologie des Aristoteles.</a> 14. <a href="#ch1.3.14">Aufnahme des Aristoteles.</a> 15. <a href="#ch1.3.15">Die Philosophie im Islam.</a>
-</p>
-<p>II. <a href="#ch2" id="xd31e291">Philosophie und arabisches Wissen</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">34–68</span>
-</p>
-<p>1. <a href="#ch2.1" id="xd31e299">Die Sprachwissenschaft</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">34</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch2.1.1">Die verschiedenen Wissenschaften.</a> 2. <a href="#ch2.1.2">Die arabische Sprache. Der Koran.</a> 3. <a href="#ch2.1.3">Die Grammatiker von Basra und Kufa.</a> 4. <a href="#ch2.1.4">Logische Grammatik. Metrik.</a> 5. <a href="#ch2.1.5">Sprachwissenschaft und Philosophie.</a>
-</p>
-<p>2. <a href="#ch2.2" id="xd31e325">Die Pflichtenlehre</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">38</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch2.2.1">Tradition und Freiheit.</a> 2. <a href="#ch2.2.2">Die Analogie.</a> 3. <a href="#ch2.2.3">Inhalt und Stellung der Pflichtenlehre.</a> 4. <a href="#ch2.2.4">Ethik und Politik.</a>
-</p>
-<p>3. <a href="#ch2.3" id="xd31e347">Die Glaubenslehre</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">42</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch2.3.1">Christliche Dogmatik.</a> 2. <a href="#ch2.3.2">Der Kalam.</a> 3. <a href="#ch2.3.3">Die Mutaziliten und ihre Gegner.</a> 4. <a href="#ch2.3.4">Menschliches und göttliches Wirken.</a> 5. <a href="#ch2.3.5">Gottes Wesen.</a> 6. <a href="#ch2.3.6">Offenbarung und Vernunft.</a> 7. <a href="#ch2.3.7">Abu-l-Hudhail.</a> 8. <a href="#ch2.3.8">Nazzam.</a> 9. <a href="#ch2.3.9">Dschahiz.</a> 10. <a href="#ch2.3.10">Muammar und Abu Haschim.</a> 11. <a href="#ch2.3.11">Aschari.</a> 12. <a href="#ch2.3.12">Der atomistische Kalam.</a> 13. <a href="#ch2.3.13">Die Mystik.</a>
-<span class="pageNum" id="pb6">[<a href="#pb6">6</a>]</span></p>
-<p>4. <a href="#ch2.4" id="xd31e399">Litteratur und Geschichte</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">63</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch2.4.1">Die Litteratur.</a> 2. <a href="#ch2.4.2">Abu-l-Atahia. Mutanabbi, Abu-l-Ala. Hariri.</a> 3. <a href="#ch2.4.3">Geschichtliche <span class="corr" id="xd31e415" title="Quelle: Ueberlieferung">Überlieferung</span>.</a> 4. <a href="#ch2.4.4">Masudi und Muqaddasi.</a>
-</p>
-<p>III. <a href="#ch3" id="xd31e424">Die pythagoreische Philosophie</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">69–89</span>
-</p>
-<p>1. <a href="#ch3.1" id="xd31e432">Die Naturphilosophie</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">69</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch3.1.1">Die Quellen.</a> 2. <a href="#ch3.1.2">Die mathematischen Disziplinen.</a> 3. <a href="#ch3.1.3">Die Naturwissenschaften.</a> 4. <a href="#ch3.1.4">Die Medizin.</a> 5. <a href="#ch3.1.5">Razi.</a> 6. <a href="#ch3.1.6">Die Dahriten.</a>
-</p>
-<p>2. <a href="#ch3.2" id="xd31e461">Die treuen Brüder von Basra</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">76</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch3.2.1">Die Karmaten.</a> 2. <a href="#ch3.2.2">Die Brüder und ihre Encyklopädie.</a> 3. <a href="#ch3.2.3">Eklektizismus.</a> 4. <a href="#ch3.2.4">Das Wissen.</a> 5. <a href="#ch3.2.5">Die Mathematik.</a> 6. <a href="#ch3.2.6">Die Logik.</a> 7. <a href="#ch3.2.7">Gott und Welt.</a> 8. <a href="#ch3.2.8">Die menschliche Seele.</a> 9. <a href="#ch3.2.9">Religionsphilosophie.</a> 10. <a href="#ch3.2.10">Die Ethik.</a> 11. <a href="#ch3.2.11">Wirkung der Encyklopädie.</a>
-</p>
-<p>IV. <a href="#ch4" id="xd31e506">Die neuplat. Aristoteliker des Ostens</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">90–137</span>
-</p>
-<p>1. <a href="#ch4.1" id="xd31e514">Kindi</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">90</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch4.1.1">Sein Leben.</a> 2. <a href="#ch4.1.2">Verhältnis zur Theologie.</a> 3. <a href="#ch4.1.3">Die Mathematik.</a> 4. <a href="#ch4.1.4">Gott, Welt, Seele.</a> 5. <a href="#ch4.1.5">Die Lehre vom Nus.</a> 6. <a href="#ch4.1.6">Kindi als Aristoteliker.</a> 7. <a href="#ch4.1.7">Die Schule Kindis.</a>
-</p>
-<p>2. <a href="#ch4.2" id="xd31e546">Farabi</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">98</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch4.2.1">Die Logiker.</a> 2. <a href="#ch4.2.2">Farabis Leben.</a> 3. <a href="#ch4.2.3">Verhältnis zu Platon und Aristoteles.</a> 4. <a href="#ch4.2.4">Die Philosophie.</a> 5. <a href="#ch4.2.5">Die Logik.</a> 6. <a href="#ch4.2.6">Das Seiende. Gott.</a> 7. <a href="#ch4.2.7">Die Himmelwelt.</a> 8. <a href="#ch4.2.8">Die irdische Welt.</a> 9. <a href="#ch4.2.9">Die menschliche Seele.</a> 10. <a href="#ch4.2.10">Der Geist im Menschen.</a> 11. <a href="#ch4.2.11">Die Ethik.</a> <span class="corr" id="xd31e589" title="Quelle: 1">12.</span> <a href="#ch4.2.12">Die Politik.</a> 13. <a href="#ch4.2.13">Das zukünftige Leben.</a> 14. <a href="#ch4.2.14">Rückblick.</a> 15. <a href="#ch4.2.15">Wirkungen seiner Philosophie. Sidschistani.</a>
-</p>
-<p>3. <a href="#ch4.3" id="xd31e606">Ibn Maskawaih.</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">116</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch4.3.1">Seine Stellung.</a> 2. <a href="#ch4.3.2">Das Wesen der Seele.</a> 3. <a href="#ch4.3.3">Prinzipien der Ethik.</a>
-</p>
-<p>4. <a href="#ch4.4" id="xd31e625">Ibn Sina</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">119</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch4.4.1">Sein Leben.</a> 2. <a href="#ch4.4.2">Das Werk.</a> 3. <a href="#ch4.4.3">Philosophische Wissenschaften. Die Logik.</a> 4. <a href="#ch4.4.4">Metaphysik und Physik.</a> 5. <a href="#ch4.4.5">Anthropologie und Psychologie.</a> 6. <a href="#ch4.4.6">Die Vernunft.</a> 7. <a href="#ch4.4.7">Allegorische Darstellung der Vernunftlehre.</a> 8. <a href="#ch4.4.8">Geheimlehre.</a> 9. <a href="#ch4.4.9">Ibn Sinas Zeit. Beruni.</a> 10. <a href="#ch4.4.10">Behmenjar.</a> 11. <a href="#ch4.4.11">Das Fortleben Ibn Sinas.</a>
-</p>
-<p>5. <a href="#ch4.5" id="xd31e669">Ibn al-Haitham</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">133</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch4.5.1">Der Zug nach Westen.</a> 2. <a href="#ch4.5.2">Ibn al-Haithams Leben und Werke.</a> 3. <a href="#ch4.5.3">Wahrnehmung und Erkenntnis.</a> 4. <a href="#ch4.5.4">Nachwirkung.</a>
-<span class="pageNum" id="pb7">[<a href="#pb7">7</a>]</span></p>
-<p>V. <a href="#ch5" id="xd31e693">Der Ausgang der Philosophie im Osten</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">138–152</span>
-</p>
-<p>1. <a href="#ch5.1" id="xd31e701">Gazali</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">138</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch5.1.1">Dialektik und Mystik.</a> 2. <a href="#ch5.1.2">Gazalis Leben.</a> 3. <a href="#ch5.1.3">Stellung zu seiner Zeit.</a> 4. <a href="#ch5.1.4">Die Welt.</a> 5. <a href="#ch5.1.5">Gott und Vorsehung.</a> 6. <a href="#ch5.1.6">Der Mensch.</a> 7. <a href="#ch5.1.7">Gazalis Theologie.</a> 8. <a href="#ch5.1.8">Erfahrung und Offenbarung.</a> 9. <a href="#ch5.1.9">Rückblick.</a>
-</p>
-<p>2. <a href="#ch5.2" id="xd31e739">Die Kompendienschreiber</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">150</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch5.2.1">Stellung der Philosophie.</a> 2. <a href="#ch5.2.2">Philosophische Bildung.</a>
-</p>
-<p>VI. <a href="#ch6" id="xd31e755">Die Philosophie im Westen</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">153–176</span>
-</p>
-<p>1. <a href="#ch6.1" id="xd31e763">Die Anfänge</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">153</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch6.1.1">Die Omajjadenzeit.</a> 2. <a href="#ch6.1.2">Das elfte Jahrhundert.</a>
-</p>
-<p>2. <a href="#ch6.2" id="xd31e779">Ibn Baddscha</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">156</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch6.2.1">Die Almoraviden.</a> 2. <a href="#ch6.2.2">Ibn Baddschas Leben.</a> 3. <a href="#ch6.2.3">Charakteristik.</a> 4. <a href="#ch6.2.4">Logik und Metaphysik.</a> 5. <a href="#ch6.2.5">Seele und Geist.</a> 6. <a href="#ch6.2.6">Der einzelne Mensch.</a>
-</p>
-<p>3. <a href="#ch6.3" id="xd31e809">Ibn Tofail</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">160</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch6.3.1">Die Almohaden.</a> 2. <a href="#ch6.3.2">Ibn Tofails Leben.</a> 3. <a href="#ch6.3.3">Hai ibn Jaqzan.</a> 4. <a href="#ch6.3.4">Hai und die Entwicklung der Menschheit.</a> 5. <a href="#ch6.3.5">Hai’s Ethik.</a>
-</p>
-<p>4. <a href="#ch6.4" id="xd31e834">Ibn Roschd</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">165</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch6.4.1">Sein Leben.</a> 2. <a href="#ch6.4.2">Ibn Roschd und Aristoteles.</a> 3. <a href="#ch6.4.3">Logik. Erkenntnis der Wahrheit.</a> 4. <a href="#ch6.4.4">Die Welt und Gott.</a> 5. <a href="#ch6.4.5">Körper und Geist.</a> 6. <a href="#ch6.4.6">Geist und Geister.</a> 7. <a href="#ch6.4.7">Rückblick.</a> 8. <a href="#ch6.4.8">Praktische Philosophie.</a>
-</p>
-<p>VII. <a href="#ch7" id="xd31e869">Zum Schluss</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">177–188</span>
-</p>
-<p>1. <a href="#ch7.1" id="xd31e877">Ibn Chaldun</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">177</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch7.1.1">Die Zeitverhältnisse.</a> 2. <a href="#ch7.1.2">Das Leben Ibn Chalduns.</a> 3. <a href="#ch7.1.3">Philosophie und Welterfahrung.</a> 4. <a href="#ch7.1.4">Geschichtsphilosophie. Historische Methode.</a> 5. <a href="#ch7.1.5">Gegenstand der Geschichte.</a> 6. <a href="#ch7.1.6">Charakteristik.</a>
-</p>
-<p>2. <a href="#ch7.2" id="xd31e906">Die Araber und die Scholastik</a> &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; <span class="tocPageNum">184</span>
-</p>
-<p class="tocArgument">1. <a href="#ch7.2.1">Politische Lage. Die Juden.</a> 2. <a href="#ch7.2.2">Palermo und Toledo.</a> 3. <a href="#ch7.2.3">Die Araber in Paris.</a>
-<span class="pageNum" id="pb9">[<a href="#pb9">9</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div class="body">
-<div id="ch1" class="div1 chapter"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e170">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main"><span class="divNum">I.</span> Zur Einleitung.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<div id="ch1.1" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e178">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">1.</span> Der Schauplatz.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch1.1.1" class="first"><b>1.</b> Von alters her war, wie heutzutage, die arabische Wüste der Tummelplatz unabhängiger
-Beduinenstämme. Mit freiem, gesundem Sinn blickten diese in ihre einförmige Welt hinein,
-deren höchster Reiz der Beutezug, deren geistiger Schatz die Stammesüberlieferung
-war. Weder die Errungenschaften geselliger Arbeit noch die Gaben schöner Muße waren
-ihnen bekannt. Nur an den Rändern der Wüste wurde, in Staatenbildungen, die oft von
-den Überfällen jener Beduinen zu leiden hatten, eine höhere Stufe der Gesittung erreicht.
-So war es im Süden, wo in christlicher Zeit unter abyssinischer oder persischer Oberhoheit
-das alte Reich der Königin von Saba fortbestand. Im Westen lagen an einer alten Handelsstraße
-Mekka und Medina (Jathrib), und besonders Mekka mit seinem Markte im Schutze eines
-Tempels war ein Mittelpunkt regen Verkehrs. Im Norden endlich hatten sich zwei halbsouveräne
-Staaten unter arabischen Fürsten gebildet: gegen Persien hin das Reich der Lachmiden
-in Hira und gegen Byzanz der Gassaniden Herrschaft in Syrien. Aber in Sprache und
-Poesie stellte sich schon vor Mohammed einigermaßen die Einheit der arabischen Nation
-dar. Die Dichter waren die Wissenden ihres Volkes. Ihre Zaubersprüche galten zunächst
-den Stämmen als Orakel. Doch ging ihre Wirkung wohl oft über den eigenen Stamm hinaus.
-</p>
-<p id="ch1.1.2"><b>2.</b> Mohammed und seinen nächsten Nachfolgern, Abu Bekr, Omar, Othman und Ali (622–661)
-ist es nun gelungen, die freien Wüstensöhne zusammen mit den gesitteteren <span class="pageNum" id="pb10">[<a href="#pb10">10</a>]</span>Bewohnern der Küstenstriche für ein gemeinsames Unternehmen zu begeistern. Diesem
-Ereignis verdankt der Islam seine Weltstellung. Denn Allah zeigte sich groß und für
-die Ihm sich Ergebenden (Muslime) war die Welt gar klein. In kurzer Zeit wurde ganz
-Persien erobert und verlor das oströmische Reich seine schönsten Provinzen: Syrien
-und Ägypten.
-</p>
-<p>Medina war der Sitz der ersten Chalifen oder Stellvertreter des Propheten. Aber Mohammeds
-tapferer Schwiegersohn, Ali, und dessen Söhne unterlagen Moawia, dem klugen Statthalter
-von Syrien. Seit der Zeit besteht die Partei des Ali (Schiiten), die unter mancherlei
-Wandlungen, bald unterworfen, bald an einzelnen Stellen zur Herrschaft gelangt, ihr
-Wesen in der Geschichte treibt, bis sie sich (1502) im persischen Reich endgültig
-gegen den sunnitischen Islam abschließt.
-</p>
-<p>In ihrem Kampfe gegen die weltliche Macht haben die Schiiten sich aller möglichen
-Waffen, auch der Wissenschaft bedient. Schon früh erscheint unter ihnen die Partei
-der Kaisaniten, die dem Ali und seinen Erben eine übermenschliche Geheimwissenschaft
-zuschreibt, ein Wissen, mit dessen Hilfe der innere Sinn der göttlichen Offenbarung
-erst klar werde, das aber auch von seinen Adepten nicht weniger Glauben und unbedingten
-Gehorsam gegen die Träger solchen Wissens erfordert als der Buchstabe des Korans.
-(<abbr title="Vergleiche">Vgl.</abbr> <a href="#ch3.2.1">III, 2 § 1</a>.)
-</p>
-<p id="ch1.1.3"><b>3.</b> Nach dem Siege Moawias, der Damaskus zur Hauptstadt des muslimischen Reiches machte,
-lag die Bedeutung Medinas hauptsächlich auf geistigem Gebiete. Es musste sich damit
-begnügen, zum Teil unter jüdischen und christlichen Einflüssen, die Wissenschaft des
-Gesetzes und der Tradition zu pflegen. In Damaskus aber führten die Omajjaden (661–750)
-ihr weltliches Regiment. Unter ihrer Herrschaft dehnte sich das Reich vom atlantischen
-Meere bis über die Grenzen Indiens und Turkestans aus, vom südlichen Meere bis an
-den Kaukasus und vor die <span class="pageNum" id="pb11">[<a href="#pb11">11</a>]</span>Mauern von Konstantinopel. Damit war aber auch die weiteste Ausdehnung erreicht.
-</p>
-<p>Araber nahmen jetzt überall die führende Stellung ein. Sie bildeten eine militärische
-Aristokratie und der schlagendste Beweis für ihren Einfluss ist dies, dass unterworfene
-Völker mit alter, überlegener Kultur die Sprache der Sieger annahmen. Die arabische
-Sprache wurde die Sprache des Staates und der Religion, der Poesie und der Wissenschaft.
-Während aber die hohen Staats- und Militärämter vorzugsweise von Arabern verwaltet
-wurden, blieb es zunächst Nichtarabern und Mischlingen überlassen, Künste und Wissenschaften
-zu pflegen. In Syrien ging man bei Christen in die Schule. Die Hauptstätten geistiger
-Bildung aber wurden Basra und Kufa, in denen Araber und Perser, Muslime, Christen,
-Juden und Magier zusammenstießen. Dort, wo Handel und Gewerbe aufblühten, sind, unter
-hellenistisch-christlichen und persischen Einflüssen entstanden, die Anfänge weltlicher
-Wissenschaft im Islam zu suchen.
-</p>
-<p id="ch1.1.4"><b>4.</b> Den Omajjaden folgten die Abbasiden (750–1258) nach. Diese machten, um zur Herrschaft
-zu gelangen, dem Persertum Konzessionen und benutzten religiös-politische Bewegungen.
-Nur in dem ersten Jahrhundert ihrer Regierung (bis etwa 860) mehrte oder hielt sich
-noch die Größe des Reiches, als dessen Mittelpunkt Mansur, der zweite Herrscher dieses
-Hauses, im Jahre 762 Bagdad gründete, eine Stadt, die bald an weltlichem Glanze Damaskus
-und als Leuchte des Geistes Basra und Kufa überstrahlte. Nur mit Konstantinopel war
-sie zu vergleichen. In Bagdad, an dem Hofe Mansurs (754–775), Haruns (786–809), Mamuns
-(813–833) <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> fanden sich, besonders aus den nordöstlichen Provinzen, Dichter und Gelehrte zusammen.
-Mehrere Abbasiden liebten weltliche Bildung, sei es an sich oder zur Ausschmückung
-ihres Hofes, und wenn sie oft auch den Wert der Künstler und Gelehrten nicht erkannt
-haben mögen, so wussten <span class="pageNum" id="pb12">[<a href="#pb12">12</a>]</span>doch diese die materiellen Güter ihrer Herren wohl zu schätzen.
-</p>
-<p>Wenigstens seit der Zeit Haruns bestand in Bagdad eine Bibliothek und eine Gelehrtenanstalt.
-Schon unter Mansur, besonders aber unter Mamun und seinen Nachfolgern, wurde dann
-die wissenschaftliche Litteratur der Griechen, meistens durch syrische Vermittelung,
-in die arabische Sprache übertragen. Auch Kompendien und Erläuterungen dazu wurden
-verfasst.
-</p>
-<p>Als diese gelehrte Arbeit ihren höchsten Aufschwung nahm, war die Herrlichkeit des
-Reiches im Niedergang begriffen. Die alten Stammesfehden, die unter den Omajjaden
-nie geruht hatten, waren scheinbar einer festgefügten Einheit des Staates gewichen.
-Aber es dauerten in verschärftem Maße andere Streitigkeiten fort, theologische und
-metaphysische Zänkereien, wie sie ähnlich den Verfall des oströmischen Reiches begleiteten.
-Der Staatsdienst brauchte in der orientalischen Despotie nur wenig befähigte Köpfe.
-Viele junge Kräfte gingen im üppigen Genusse unter, andere verfielen auf Wortkünstelei
-und Scheingelehrsamkeit. Zur Verteidigung des Reiches dagegen zog man die frische
-Kraft weniger überbildeter Völker heran: zuerst iranische oder iranisierte Chorasaner,
-darauf Türken.
-</p>
-<p id="ch1.1.5"><b>5.</b> Immer deutlicher zeigte sich des Reiches Verfall. Die Machtstellung des Türkenheeres,
-Aufstände städtischen Pöbels und ländlicher Arbeiter, schiitische und ismaelitische
-Umtriebe überall, dazu die Selbständigkeitsgelüste der entfernten Provinzen waren
-entweder die Ursachen oder die Symptome des Untergangs. Neben dem Chalifen, der zum
-geistlichen Würdenträger herabsank, herrschten die Türken als Hausmeier. Und an der
-Peripherie entstanden nach und nach selbständige Staaten, bis zu einer ganz entsetzlichen
-Kleinstaaterei. Die wichtigsten, mehr oder weniger unabhängigen Herrscher waren im
-Westen, abgesehen von den spanischen Omajjaden (<abbr title="vergleiche">vgl.</abbr> <a href="#ch6.1">VI, 1</a>), die Aglabiden Nordafrikas, die Tuluniden und Fatimiden Ägyptens und die <span class="pageNum" id="pb13">[<a href="#pb13">13</a>]</span>Hamdaniden Syriens und Mesopotamiens; im Osten die Tahiriden und Samaniden, allmählich
-von den Türken verdrängt. An den Höfen dieser kleinen Dynastien sind in der nächsten
-Zeit (10. und 11. Jahrh.) die Dichter und Gelehrten zu finden. Mehr als Bagdad machen
-sich auf kurze Zeit Haleb (Aleppo), der Sitz der Hamdaniden, und auf längere Zeit
-Kairo, im Jahre 969 von den Fatimiden erbaut, als Heimstätten geistiger Bestrebungen
-geltend. Im Osten glänzt noch einen Augenblick der Hof des Türken Machmud von Ghazna,
-der seit dem Jahre 999 Herr von Chorasan war.
-</p>
-<p>In diese Zeit der Kleinstaaterei und der Türkenwirtschaft fällt auch die Gründung
-der muslimischen Universitäten. Im Jahre 1065 wurde die erste in Bagdad errichtet.
-Seit der Zeit besitzt der Orient die Wissenschaft nur in stereotypen Auflagen. Der
-Lehrer hat gelehrt, was ihm von seinen Lehrern überliefert worden, und jedes neue
-Buch enthält kaum einen Satz, der nicht schon in älteren Büchern stände. Die Wissenschaft
-ist gerettet. Aber die Gelehrten Transoxaniens, die, der <span class="corr" id="xd31e988" title="Quelle: Ueberlieferung">Überlieferung</span> nach, als sie die Gründung der ersten Madrasah erfuhren, eine Trauerfeier zu Ehren
-der Wissenschaft veranstalteten, haben Recht behalten.<a class="noteRef" id="xd31e991src" href="#xd31e991">1</a>
-</p>
-<p>Über die östlichen Länder des Islam brauste dann (13. Jahrh.) der Mongolensturm dahin.
-Was der Türke übrig gelassen, raffte dieser hinweg. Es blühte da keine Kultur wieder
-auf, die aus sich heraus eine neue Kunst hervortrieb oder zu einer Erneuerung der
-Wissenschaft die Anregung darbot.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch1.2" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e203">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">2.</span> Orientalische Weisheit.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch1.2.1" class="first"><b>1.</b> Vor seiner Berührung mit dem Hellenismus hat der semitische Geist, in philosophischer
-Hinsicht, es nie <span class="pageNum" id="pb14">[<a href="#pb14">14</a>]</span>weiter als zu Rätselfragen und Spruchweisheit gebracht. Einzelbeobachtungen aus der
-Natur, hauptsächlich aber aus Leben und Schicksal des Menschen, liegen zu Grunde,
-und wo das Verständnis aufhört, stellt sich leicht die Ergebung in den allmächtigen
-und unergründlichen Willen Gottes ein. Wir kennen diese Weisheit aus dem Alten Testament.
-Dass sie sich ähnlich bei den Arabern ausbildete, zeigen uns die biblische Geschichte
-der Königin von Saba und die Gestalt des weisen Loqman in der arabischen Überlieferung.
-</p>
-<p>Neben solcher Weisheit gab es überall die Magie des Zauberers, ein Wissen, das sich
-in der Herrschaft über die Dinge bewährte. Aber nur in den priesterlichen Kreisen
-Alt-Babyloniens, unter welchen Einflüssen und in welchem Umfange wissen wir nicht
-genau, erhob man sich zu einer wissenschaftlicheren Betrachtung der Welt. Vom Wirrsal
-des Erdendaseins wandte dort das Auge sich der himmlischen Ordnung zu. Nicht wie der
-Hebräer, der über ein gewisses Staunen nicht hinwegkam<a class="noteRef" id="xd31e1009src" href="#xd31e1009">2</a> oder in den unzähligen Gestirnen nur ein Sinnbild eigener Nachkommenschaft sah<a class="noteRef" id="xd31e1012src" href="#xd31e1012">3</a>, sondern ähnlich dem Griechen, der das Viele und Mannigfaltige unter dem Monde erst
-verstehen lernte, nachdem er in der Einheit und Stetigkeit der Himmelsbewegung die
-Harmonie des Alls gefunden hatte. Nur dass sich mit dem Guten, wie es denn im Hellenismus
-nicht anders war, viel mythologisches Spiel und astrologisches Afterwissen verschlangen.
-</p>
-<p>Diese chaldäische Weisheit wurde in Babylonien und Syrien seit den Tagen Alexanders
-des Großen mit hellenistischen, später mit hellenistisch-christlichen Ideen durchsetzt
-oder davon verdrängt. Nur in der syrischen Stadt Harran hielt sich bis in die Zeit
-des Islam das alte Heidentum, von christlichen Einflüssen wenig berührt. (<abbr title="Vergleiche">Vgl.</abbr> <a href="#ch1.3.4">I, 3 § 4</a>.)
-<span class="pageNum" id="pb15">[<a href="#pb15">15</a>]</span></p>
-<p id="ch1.2.2"><b>2.</b> Bedeutender als etwaige semitische Überlieferung war es, was dem Islam von persischer
-und indischer Weisheit zugeführt wurde. Auf die Frage, ob die orientalische Weisheit
-von griechischer Philosophie, oder diese von jener ursprünglich beeinflusst sei, brauchen
-wir hier nicht einzugehen. Was der Islam graden Weges Persern und Indern entnommen
-hat, lässt sich aus den arabischen Quellen mit ziemlicher Sicherheit ersehen, und
-auf dieses dürfen wir uns beschränken.
-</p>
-<p>Persien ist das Land des Dualismus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass seine
-dualistische Religionslehre, sei es direkt, sei es durch Vermittelung des Manichäismus
-oder anderer gnostischer Sekten, auf die theologischen Streitigkeiten im Islam eingewirkt
-habe. Viel größer aber ist in weltlichen Kreisen der Einfluss desjenigen Systems gewesen,
-das der Überlieferung nach unter dem Sasaniden Jezdegerd II. (438/9–457) sogar zur
-öffentlichen Anerkennung kam, des Zrwanismus (<abbr title="vergleiche">vgl.</abbr> <a href="#ch3.1.6"><span class="corr" id="xd31e1034" title="Quelle: II">III</span>, 1 § 6</a>). In diesem System war die dualistische Weltansicht dadurch aufgehoben, dass als
-oberstes Prinzip die endlose Zeit (<span class="ex">zrwan</span>, arab. <span class="ex">dahr</span>) aufgestellt und mit dem Geschick, der äußersten Himmelssphäre oder der Bewegung
-des Himmels identifiziert wurde. Diese Lehre, die philosophischen Köpfen zusagte,
-hat sich, mit oder ohne die Maske des Islam, in der persischen Litteratur und bis
-auf unsere Zeit in den volkstümlichen Anschauungen einen großen Platz zu erhalten
-gewusst. Von den Theologen aber und nicht weniger von der idealistischen Schulphilosophie
-wurde sie als Materialismus, Atheismus <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> abgewiesen.
-</p>
-<p id="ch1.2.3"><b>3.</b> Als das wahre Land der Weisheit galt Indien. Vielfach findet sich bei den arabischen
-Schriftstellern die Anschauung, dort sei die Geburtsstätte der Philosophie zu finden.
-Durch friedlichen Handelsverkehr, dessen Vermittler zwischen Indien und dem Abendlande
-hauptsächlich Perser waren, dann infolge der muslimischen Eroberung <span class="pageNum" id="pb16">[<a href="#pb16">16</a>]</span>verbreitete sich die Kenntnis indischer Weisheit. Unter Mansur (754–775) und Harun
-(786–809) wurde vieles davon, teils durch die Mittelstufe des Persischen (Pahlawi)
-hindurch, teils direkt aus dem Sanskrit übersetzt. Von der ethischen und politischen
-Spruchweisheit, aus Fabel und Erzählung der Inder, ward manches herübergenommen, so
-die von Ibn al-Moqaffa zu Mansurs Zeit aus dem Pahlawi übersetzten Erzählungen des
-Pantschatantra <abbr title="und Andere">u. A.</abbr> An erster Stelle aber wirkten indische Mathematik und Astrologie, letztere in Verbindung
-mit praktischer Medizin und Zauberkunst, auf die Anfänge der Weltweisheit im Islam.
-Die Astrologie des Siddhanta von Brahmagupta, unter Mansur mit Hilfe indischer Gelehrten
-von Fazari aus dem Sanskrit übersetzt, war noch vor des Ptolemäus Almagest bekannt.
-Eine weite Welt, in Vergangenheit und Zukunft, that sich da auf. Die hohen Zahlen,
-mit denen der Inder operierte, erzeugten auf die nüchternen muslimischen Annalisten
-einen gewaltigen, verwirrenden Eindruck, wie andererseits der arabische Kaufmann,
-der in Indien und China das Alter unserer erschaffenen Welt auf einige Tausend Jahre
-ansetzte, sich im höchsten Grade lächerlich machte.
-</p>
-<p>Auch die logischen und metaphysischen Spekulationen der Inder sind den Muslimen nicht
-unbekannt geblieben, aber viel weniger als Mathematik und Astrologie haben diese die
-wissenschaftliche Entwicklung beeinflusst. Die Grübeleien der Inder, an ihre heiligen
-Bücher anknüpfend und durchaus religiös bestimmt, haben gewiss auf persisches Sufitum
-und islamische Mystik nachhaltig eingewirkt. Aber Philosophie ist nun einmal ein griechischer
-Begriff und es geht nicht an, einem Tagesgeschmack zu liebe, in unserer Darstellung
-den Kuhmilchgedanken frommer Inder allzuviel Platz einzuräumen. Was jene sinnigen
-Büßer über den täuschenden Schein alles Sinnlichen vorgebracht haben, mag oft einen
-poetischen Reiz besitzen, stimmt auch wohl zu dem, was dem Osten aus neupythagoreischen
-und neuplatonischen <span class="pageNum" id="pb17">[<a href="#pb17">17</a>]</span>Quellen an Betrachtungen über die Vergänglichkeit alles Irdischen zugänglich war,
-hat aber, ebensowenig wie dieses, etwas Erhebliches zur Erklärung der Erscheinungen,
-zur Erweckung wissenschaftlichen Sinnes beigetragen. Nicht indischer Phantasie, sondern
-griechischen Geistes bedurfte es dazu, das Nachdenken auf die Erkenntnis des Wirklichen
-zu richten. Das beste Beispiel dafür ist die arabische Mathematik. Nach dem Urteile
-ihrer besten Kenner ist indisch darin fast nur die Rechenkunst, griechisch, wenn auch
-nicht ausschließlich, doch vorwiegend, die Algebra und die Geometrie. Zum Begriffe
-reiner Mathematik ist wohl kaum ein Inder durchgedrungen. Die Zahl, auch die höchste,
-blieb doch immer eine konkrete. Und in der indischen Philosophie blieb das Wissen
-überhaupt ein Mittel. Zweck war die Erlösung vom Übel des Daseins, die Philosophie
-Anleitung zum seligen Leben. Daher die Monotonie dieser auf das einheitliche Wesen
-aller Dinge gerichteten Weisheit, der gegenüber die reichgegliederte Wissenschaft
-der Hellenen die Wirkungen der Natur und des Geistes allseitig zu erfassen bestrebt
-war.
-</p>
-<p>Orientalische Weisheit, Astrologie und Kosmologie, hat den muslimischen Denkern mancherlei
-Stoff geliefert, aber die Form, das bildende Prinzip, kam ihnen von den Griechen her.
-Überall, wo es sich nicht um bloßes Aufzählen oder zufälliges Zusammenreihen handelt,
-sondern nach sachlichen oder logischen Gesichtspunkten eine Anordnung des Mannigfaltigen
-versucht wird, darf mit Wahrscheinlichkeit auf griechischen Einfluss geschlossen werden.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch1.3" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e222">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">3.</span> Griechische Wissenschaft.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch1.3.1" class="first"><b>1.</b> Wie die Perser hauptsächlich den Handelsverkehr zwischen Indien-China und Byzanz
-leiteten, so traten im fernen Westen, bis ins Frankenreich, die Syrer als Kulturvermittler
-auf. Es waren Syrer, die Wein, Seide <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> <span class="pageNum" id="pb18">[<a href="#pb18">18</a>]</span>ins Abendland einführten. Aber es waren auch Syrer, die griechische Bildung aus Alexandrien
-und Antiochien nach Osten hin verbreiteten und in den Schulen von Edessa und Nisibis,
-Harran und Gondeschapur fortpflanzten. Syrien war das richtige Land der Mitte, wo
-Jahrhunderte lang die beiden Weltmächte, die römische und die persische, feindlich
-oder friedlich zusammenstießen. Unter solchen Umständen spielten die christlichen
-Syrer eine Rolle, wie sie ähnlich später den Juden zu teil ward.
-</p>
-<p id="ch1.3.2"><b>2.</b> Die muslimischen Eroberer fanden die christliche Kirche, abgesehen von vielen Sekten,
-in drei Abteilungen gespalten. Im eigentlichen Syrien herrschte neben der orthodoxen
-Reichskirche die monophysitische, in Persien die nestorianische Kirche vor. Der Unterschied
-zwischen den Lehrsystemen dieser Kirchen ist wohl nicht ohne Bedeutung für die Entwicklung
-der muslimischen Dogmatik gewesen. Nach der Lehre der Monophysiten waren in Christus
-Gott und Mensch zu <span class="ex">einer</span> Natur vereinigt, während die Orthodoxen und viel schärfer noch die Nestorianer eine
-göttliche und eine menschliche Natur unterschieden. Nun heißt Natur vor allem Energie
-oder Wirkungsprinzip. Es handelt sich um die Frage, ob göttliches und menschliches
-Wollen und Wirken in Christus ein und dasselbe seien oder verschieden. Die Monophysiten
-hoben, aus spekulativen und religiösen Motiven, auf Kosten des Menschlichen die Einheit
-in Christus, ihrem Gotte, hervor, die Nestorianer dagegen betonten die Eigenart menschlichen
-Seins, Wollens und Wirkens dem göttlichen gegenüber. Letzteres aber bietet, unter
-Begünstigung politischer und kultureller Verhältnisse, einer philosophischen Welt-
-und Lebensbetrachtung freieren Spielraum, und thatsächlich haben die Nestorianer am
-meisten für die Pflege griechischer Wissenschaft gethan.
-</p>
-<p id="ch1.3.3"><b>3.</b> Die Sprache sowohl der westlichen als auch der östlichen (persischen) Kirche war
-das Syrische. Daneben aber wurde in den Klosterschulen das Griechische gelehrt. <span class="pageNum" id="pb19">[<a href="#pb19">19</a>]</span>In der westlichen (monophysitischen) Kirche sind Rasain und Kinnesrin als Stätten
-der Bildung zu nennen. Bedeutender war, wenigstens anfangs, die Schule von Edessa,
-wie denn auch der edessenische Dialekt sich zur Schriftsprache erhoben hatte. Aber
-im Jahre 489 ward die dortige Schule wegen der nestorianischen Gesinnung ihrer Lehrer
-geschlossen. Sie that sich dann in Nisibis wieder auf und verbreitete in Persien,
-aus politischen Gründen von den Sasaniden begünstigt, nestorianischen Glauben und
-griechisches Wissen.
-</p>
-<p>Der Unterricht in jenen Schulen hatte vorzugsweise biblisch-kirchlichen Charakter
-und war auf kirchliche Bedürfnisse berechnet. Aber es nahmen auch Ärzte oder künftige
-Studenten der Medizin daran teil. Dass diese oft dem geistlichen Stande angehörten,
-hebt den Unterschied zwischen theologischem Studium und der Beschäftigung mit weltlichem
-Wissen nicht auf. Zwar haben, nach dem syrisch-römischen Rechtsbuch, die Lehrer (gelehrten
-Priester) und Ärzte Steuerfreiheit und andere Privilegien gemeinsam. Aber dass die
-ersteren als Heilkünstler der Seele betrachtet wurden, während die Ärzte bloß den
-Leib zu flicken hatten, begründete den Vorzug jener vor diesen. Die Medizin blieb
-doch immer etwas Weltliches, und nach den Statuten der Schule zu Nisibis (vom Jahre
-590) durften die heiligen Schriften nicht mit Büchern des weltlichen Gewerbes in einem
-Raume zusammen gelesen werden.
-</p>
-<p>In ärztlichen Kreisen wurden die Werke des Hippokrat, Galen und Aristoteles sehr geschätzt.
-In den Klöstern aber verstand man unter Philosophie zunächst das beschauliche Leben
-des Asketen und achtete nur auf das Eine, das not thut.
-</p>
-<p id="ch1.3.4"><b>4.</b> Eine eigentümliche Stellung nimmt die mesopotamische Stadt Harran, in der Nähe Edessas,
-ein. Altsemitisches Heidentum verknüpft sich hier, besonders nach der arabischen Eroberung,
-als die Stadt neu emporblühte, mit mathematischen und astronomischen Studien und neupythagoreischer
-<span class="pageNum" id="pb20">[<a href="#pb20">20</a>]</span>und neuplatonischer Spekulation. Die Harranier oder Sabier, wie sie im 9. und 10.
-Jahrhundert heißen, führen ihre mystische Weisheit auf Hermes Trismegistos, Agathodaemon,
-Uranius <abbr title="und Andere">u. A.</abbr> zurück. Zahlreiche Pseudepigraphen des späteren Hellenismus werden von ihnen gläubig
-aufgenommen, einzelnes wird vielleicht in ihrem Kreise fabriziert. Als Übersetzer
-und gelehrte Schriftsteller sind einige aus ihrer Mitte thätig gewesen. Viele haben
-mit persischen und arabischen Gelehrten des achten bis zehnten Jahrhunderts einen
-regen wissenschaftlichen Verkehr unterhalten.
-</p>
-<p id="ch1.3.5"><b>5.</b> In Persien, zu Gondeschapur, finden wir eine von Chosrau Anoscharwan (531–579) gegründete
-Anstalt für philosophische und medizinische Studien. Ihre Lehrer waren hauptsächlich
-nestorianische Christen. Aber außer den Nestorianern duldete der weltlicher Bildung
-geneigte Fürst auch Monophysiten. Besonders als Mediziner waren damals, wie später
-am Hofe der Chalifen, christliche Syrer in Ehren.
-</p>
-<p>Auch die im Jahre 529 aus Athen vertriebenen sieben Philosophen der neuplatonischen
-Schule fanden am Hofe Chosraus eine Zufluchtsstätte. Sie mögen aber dort ähnliche
-Erfahrungen gemacht haben, wie die französischen Freigeister des vorigen Jahrhunderts
-am russischen Hofe. Jedenfalls sehnten sie sich nach der Heimat zurück. Und der König
-war freisinnig und großmütig genug, sie gehen zu lassen und für sie im Friedensvertrage
-mit Byzanz vom Jahre 549 Glaubensfreiheit zu bedingen. Ganz ohne Einfluss wird ihr
-Aufenthalt im persischen Reich doch wohl nicht geblieben sein.
-</p>
-<p id="ch1.3.6"><b>6.</b> Die Zeit der syrischen Übersetzungen profaner Schriften aus dem Griechischen läuft
-etwa vom vierten bis zum achten Jahrhundert. Im vierten Jahrhundert wurden Spruchsammlungen
-übertragen. Als erster mit Namen genannter Übersetzer erscheint Probus, “Priester
-und Arzt in Antiochien” (erste Hälfte des fünften Jahrhunderts?). <span class="pageNum" id="pb21">[<a href="#pb21">21</a>]</span>Vielleicht war er auch nur Erklärer logischer Schriften des Aristoteles und der Isagoge
-des Porphyrius. Bekannter ist Sergius von Rasain (gestorben, wahrscheinlich in Konstantinopel,
-um 536, etwa 70 Jahre alt), ein mesopotamischer Mönch und Arzt, der den ganzen Umfang
-der alexandrinischen Wissenschaft, vielleicht in Alexandrien selbst, studierte und
-dessen Übersetzungen nicht nur auf Theologie, Moral und Mystik, sondern mehr noch
-auf Physik, Medizin und Philosophie sich erstreckten. Auch nach der muslimischen Eroberung
-wurde die gelehrte Thätigkeit der Syrer fortgesetzt. Jakob von Edessa (etwa 640–708)
-übersetzte griechisch-theologische Schriften, befasste sich aber außerdem mit Philosophie
-und erklärte auf eine diesbezügliche Anfrage, es sei christlichen Geistlichen erlaubt,
-Kindern von muslimischen Eltern gelehrten Unterricht zu erteilen. Bei den letzteren
-war also ein Bildungsbedürfnis vorhanden.
-</p>
-<p>Die Übersetzungen der Syrer, namentlich des Sergius von Rasain, sind im allgemeinen
-treu; die logischen und naturwissenschaftlichen aber entsprechen dem Original genauer,
-als die ethischen und metaphysischen. In diesen gab es eben viel Dunkles, das missverstanden
-oder einfach weggelassen, und viel Heidnisches, das durch Christliches ersetzt ward.
-Für Sokrates, Platon und Aristoteles (als Beispiele) traten wohl einmal Petrus, Paulus
-und Johannes ein. Das Schicksal und die Götter mussten dem Einen Gotte weichen. Und
-Begriffe wie Welt, Ewigkeit, Sünde und dergleichen erhielten ein christliches Gepräge.
-Übrigens sind die Araber mit der Anpassung an ihre Sprache, Kultur und Religion später
-viel weiter gegangen als die Syrer. Teils lässt sich das wohl aus der muslimischen
-Scheu vor allem Heidnischen, teils aber auch aus einer größeren Anpassungsfähigkeit
-erklären.
-</p>
-<p id="ch1.3.7"><b>7.</b> Abgesehen von einigen mathematischen, physischen und medizinischen Schriften haben
-die Syrer sich für ein Zweifaches interessiert. Erstens für moralisierende Spruchsammlungen,
-<span class="pageNum" id="pb22">[<a href="#pb22">22</a>]</span>mit etwas Philosophiegeschichte verbunden, und im allgemeinen für mystische pythagoreisch-platonische
-Weisheit. Diese findet sich hauptsächlich in Pseudepigraphen, die den Namen des Pythagoras,
-Sokrates, Plutarch, Dionysius <abbr title="und Andere">u. A.</abbr> tragen. Im Mittelpunkte des Interesses steht eine platonische Seelenlehre, in späterer
-pythagoreischer, neuplatonischer oder christlicher Bearbeitung. Platon wird in den
-syrischen Klöstern sogar zu einem orientalischen Mönch, der sich eine Zelle im Herzen
-der Wildnis erbaute, weitab von den Wohnsitzen der Menschen, und dort, nach dreijährigem
-Schweigen und Grübeln über einen Bibelvers, die göttliche Dreieinigkeit erkannt haben
-soll.
-</p>
-<p>Dazu kam denn als Zweites die Logik des Aristoteles. Aristoteles war den Syrern, wie
-längere Zeit auch den Arabern, fast nur als Logiker allgemein bekannt. Die Bekanntschaft
-erstreckte sich, ähnlich wie in der Frühscholastik des Abendlandes, auf Kategorien,
-Hermeneutik und erste Analytik bis zu den kategorischen Figuren. Der Logik bedurfte
-man schon, um die Schriften griechischer Kirchenlehrer zu verstehen, da dieselben,
-wenigstens formal, davon beeinflusst waren. Wie man aber die Logik nicht vollständig
-hatte, so besaß man sie auch nicht rein, sondern in neuplatonischer Überarbeitung,
-wie <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> ersichtlich ist aus dem Werke des Paulus Persa, welches in syrischer Sprache für
-Chosrau Anoscharwan geschrieben wurde. Es wird darin das Wissen über den Glauben gestellt
-und die Philosophie definiert als die Selbstbesinnung der Seele auf ihr inneres Wesen,
-in dem sie, gleichsam wie ein Gott, alle Dinge erblickt.
-</p>
-<p id="ch1.3.8"><b>8.</b> Was die Araber den Syrern verdanken, spricht sich <abbr title="unter andere">u. a.</abbr> darin aus, dass arabische Gelehrte das Syrische für die älteste oder richtige (natürliche)
-Sprache hielten. Zwar haben die Syrer Selbständiges nicht geschaffen, aber ihre Übersetzerthätigkeit
-kam der arabisch-persischen Wissenschaft zu gute. Es sind fast ohne Ausnahme Syrer
-gewesen, die vom 8. bis 10. Jahrhundert aus den älteren <span class="pageNum" id="pb23">[<a href="#pb23">23</a>]</span>oder den von ihnen teils verbesserten, teils neu veranstalteten syrischen Übersetzungen
-die griechischen Werke ins Arabische übertrugen. Schon der omajjadische Prinz Chalid
-ibn Jezid (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 704), der sich unter Leitung eines christlichen Mönches mit der Alchemie befasste,
-soll <span class="corr" id="xd31e1134" title="Quelle: Uebersetzungen">Übersetzungen</span> alchemistischer Werke aus dem Griechischen ins Arabische veranstaltet haben. Sprichwörter,
-Gnomen, Briefe, Testamente, überhaupt Philosophiegeschichtliches, wurden schon früh
-gesammelt und übersetzt. Aber erst unter Mansur wurde damit angefangen, naturwissenschaftlich-medizinische
-und logische Schriften der Griechen, zum Teil aus dem Pahlawi, ins Arabische zu übertragen.
-Besonders beteiligte sich daran Ibn al-Moqaffa, ein Anhänger des persischen Dualismus,
-von dem die Späteren sich durch ihre Terminologie unterschieden haben sollen. Es ist
-uns aber von seinen philosophischen Übersetzungen nichts erhalten. Auch anderes aus
-dem achten Jahrhundert ist verloren gegangen; erst aus dem neunten Jahrhundert, aus
-der Zeit Mamuns und seiner Nachfolger, ist einiges Übersetzte auf uns gekommen.
-</p>
-<p>Die Übersetzer des neunten Jahrhunderts waren meistens Mediziner und nach Ptolomäus
-und Euklid wurden Hippokrat und Galen mit am ersten übertragen. Beschränken wir uns
-auf die Philosophie im engeren Sinne. Von Juhanna oder Jachja ibn Bitriq (Anfang des
-neunten Jahrhunderts) soll eine Übersetzung des platonischen Timäus herrühren, ferner
-Aristoteles’ Meteorologie, das Buch der Tiere, ein Auszug aus der Psychologie und
-die Schrift Über die Welt. Dem Abdalmasich ibn Abdallah Naima al-Himsi (um 835) wird
-zugeschrieben eine Übertragung der aristotelischen Sophistik, dazu des Johannes Philoponus
-Kommentar zur Physik und die sogenannte Theologie des Aristoteles, ein paraphrastischer
-Auszug aus Plotin’s Enneaden. Qosta ibn Luqa al-Balabakki (um 835) soll übersetzt
-haben Alexanders von Aphrodisias und Johannes Philoponus’ Kommentare zur aristotelischen
-Physik, zum Teil Alexanders Kommentar zu <span class="pageNum" id="pb24">[<a href="#pb24">24</a>]</span>de generatione et corruptione, dazu Pseudo-Plutarchs placita philosophorum <abbr title="und Andere">u. A.</abbr>
-</p>
-<p>Die fruchtbarsten Übersetzer waren Abu Zaid Honain ibn Ishaq (809?–873), dessen Sohn
-Ishaq ibn Honain (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 910 oder 911) und Neffe Hobaisch ibn al-Hasan. Da sie zusammen arbeiteten, gibt es
-vieles, das bald dem Einen, bald dem Anderen zugeschrieben wird. Manches wird unter
-ihrer Aufsicht von Schülern und Untergebenen angefertigt sein. Ihre Thätigkeit dehnte
-sich auf den ganzen Umfang der damaligen Wissenschaft aus. Älteres wurde verbessert,
-Neues hinzugefügt. Der Vater übersetzte vorzugsweise Medizinisches, der Sohn aber
-mehr Philosophisches.
-</p>
-<p>Im zehnten Jahrhundert dauerte noch die Arbeit der Übersetzer fort. Es zeichneten
-sich besonders aus Abu Bischr Matta ibn Junus al-Qannai (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 940), Abu Zakarija Jachja ibn Adi al-Mantiqi (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 974) und Abu Ali Isa ibn Ishaq ibn Zura (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 1008). Endlich Abu-l-Chair al-Hasan ibn al-Chammar (geb. 942), ein Schüler des Jachja
-ibn Adi, von dem, ausser Übersetzungen, Kommentaren <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr>, auch eine Schrift über die Übereinstimmung zwischen Philosophie und Christentum
-genannt wird.
-</p>
-<p>Die Thätigkeit der Übersetzer seit Honain ibn Ishaq beschränkte sich fast ganz auf
-die aristotelischen und pseudo-aristotelischen Schriften, deren Auszüge, Paraphrasen
-und Kommentare.
-</p>
-<p id="ch1.3.9"><b>9.</b> Als besonders <span class="corr" id="xd31e1162" title="Quelle: grosse">große</span> Philosophen sind diese Übersetzer nicht anzusehen. Selten arbeiteten sie spontan,
-fast immer im Dienste eines Chalifen, eines Wezirs, oder eines anderen vornehmen Mannes.
-<span class="corr" id="xd31e1165" title="Quelle: Ausser">Außer</span> ihrem Fachstudium, gewöhnlich der Medizin, interessierte sie höchstens die Weisheit:
-schöne Geschichten mit moralischer Anwendung, Anekdötchen und Sprüche. Was wir uns
-im Verkehr, in der Erzählung oder auf der Bühne nur als Eigentümlichkeit gewisser
-Personen gefallen lassen, wurde von jenen Biedermännern ihres weisen Inhalts oder
-vielleicht auch nur schönrednerischen Prunkes wegen bewundert und gesammelt. <span class="pageNum" id="pb25">[<a href="#pb25">25</a>]</span>In der Regel blieben sie dem väterlichen Christenglauben treu. Charakteristisch für
-ihre Auffassung und den Freisinn der Chalifen ist es, was die Überlieferung in Bezug
-auf Ibn Dschibril berichtet. Als Mansur ihn zum Islam bekehren wollte, soll er gesagt
-haben: “Im Glauben meiner Väter werde ich sterben, wo sie sind, wünsche ich auch zu
-sein, sei’s nun im Himmel oder in der Hölle.” Da lächelte der Chalif und entließ ihn
-<span class="corr" id="xd31e1170" title="Quelle: reichbeschenkt">reich beschenkt</span>.
-</p>
-<p>Von selbständigen Schriften dieser Männer hat sich nur weniges gerettet. Eine kleine
-Abhandlung des Qosta ibn Luqa über den Unterschied zwischen Seele und Geist (<span class="trans" title="pneuma"><span lang="grc" class="grek">πνεῦμα</span></span>, ruh), in lateinischer Übersetzung erhalten, ist viel genannt und benutzt worden.
-Der Geist ist danach ein feiner Körper, der von der linken Herzkammer aus den menschlichen
-Leib belebt und darin Bewegung und Wahrnehmung bewirkt. Je feiner und klarer dieser
-Geist, um so vernünftiger denkt und handelt auch der Mensch. Darüber sind sich Alle
-einig. Schwieriger aber ist es, etwas Sicheres und Allgemeingültiges über die Seele
-auszusagen. Die Aussprüche der größten Philosophen sind zum Teil verschieden, zum
-Teil einander widersprechend. Jedenfalls ist die Seele unkörperlich, weil sie Qualitäten,
-und zwar die entgegengesetzten zugleich, in sich aufnimmt. Sie ist einfach, unveränderlich
-und vergeht nicht, wie der Geist, mit dem Körper; der Geist vermittelt nur zwischen
-beiden, ist also secundäre Ursache der Bewegung und Wahrnehmung.
-</p>
-<p>Was hier in Bezug auf die Seele behauptet wird, finden wir bei vielen Späteren. Nur
-wird allmählich, je mehr die aristotelische Philosophie platonische Ansichten in den
-Hintergrund drängt, ein anderes Gegensatzpaar in das volle Licht gerückt. Von der
-Bedeutung des Lebensgeistes (ruh) reden nur noch die Mediziner. Die Philosophen stellen
-Seele und Geist oder Vernunft (<span class="trans" title="nous"><span lang="grc" class="grek">νοῦς</span></span>, ʻaql) zusammen. Die Seele wird nun ins Vergängliche, mitunter sogar nach gnostischer
-Art in das niedere, böse Bereich der Begierden herabgezogen. Über sie erhebt <span class="pageNum" id="pb26">[<a href="#pb26">26</a>]</span>sich, als das Höchste, das Unvergängliche im Menschen, der vernünftige Geist.
-</p>
-<p>Mit dieser Bemerkung greifen wir aber der Geschichte vor. Kehren wir zu unseren Übersetzern
-zurück.
-</p>
-<p id="ch1.3.10"><b>10.</b> Das Wertvollste, was der griechische Geist an Kunst, Poesie und Geschichtschreibung
-uns hinterlassen hat, ist den Orientalen niemals zugänglich geworden. Es hätte bei
-ihnen auch schwerlich Verständnis gefunden. Dafür fehlte eben der Geschmack und die
-Kenntnis griechischen Lebens. Mit dem sagenumstrahlten Alexander dem Großen fing ihnen
-die Geschichte Griechenlands erst an, und es wird der Aufnahme aristotelischer Philosophie
-am muslimischen Hofe die Stellung des Aristoteles zum größten Fürsten des Altertums
-gewiss förderlich gewesen sein. Die arabischen Geschichtschreiber zählten die griechischen
-Fürsten bis auf Kleopatra und weiter die römischen Kaiser auf, aber ein Thukydides
-<abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> war ihnen nicht einmal dem Namen nach bekannt. Von Homeros haben sie nicht viel mehr
-als den Satz, dass Einer Herrscher sein solle, aufgenommen. Von den großen griechischen
-Dramatikern und Lyrikern haben sie keine Ahnung. Nur durch seine Mathematik, Naturwissenschaft
-und Philosophie hat das griechische Altertum auf sie gewirkt. Von der Entwicklung
-der griechischen Philosophie hat man aus Plutarch, Porphyr <abbr title="und Andere">u. A.</abbr>, sowie aus den Schriften des Aristoteles und Galen einiges erfahren. Es hat sich
-aber daran viel Sagenhaftes gehängt, und was im Orient über die Lehren der vorsokratischen
-Philosophen berichtet worden, lässt uns nur schließen auf die Pseudepigraphen, aus
-denen man schöpfte, oder vielleicht auch auf die im Osten selbst ausgebildeten Ansichten,
-die man mit der Autorität alter griechischer Weisen zu stützen suchte. Doch ist bei
-Allem immer zunächst an ein griechisches Original zu denken.
-</p>
-<p id="ch1.3.11"><b>11.</b> Im allgemeinen lässt sich behaupten, dass die Syrer-Araber den Faden der Philosophie
-dort aufnahmen, wo ihn die letzten Griechen hatten fallen lassen, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> bei <span class="pageNum" id="pb27">[<a href="#pb27">27</a>]</span>der neuplatonischen Auslegung des Aristoteles, neben dem auch die platonischen Schriften
-gelesen und erläutert wurden. Unter den Harraniern und lange Zeit bei einigen muslimischen
-Sekten blühten am meisten die platonischen oder pythagoreisch-platonischen Studien,
-zu denen sich viel Stoisches und Neuplatonisches gesellte. Man interessierte sich
-außerordentlich für das Schicksal des Sokrates, der im heidnischen Athen als ein Märtyrer
-seines Vernunftglaubens fiel. Mächtig wirkte die platonische Seelen- und Naturlehre.
-Das pythische “Erkenne dich selbst”, als Motto der sokratischen Weisheit überliefert
-und neuplatonisch gedeutet, wurde von den Muslimen dem Ali, Mohammeds Schwiegersohn,
-oder gar dem Propheten selbst in den Mund gelegt. Wer sich selbst erkennt, erkennt
-damit Gott, seinen Herrn, das wurde der Text für allerhand mystische Spekulationen.
-</p>
-<p>In medizinischen Kreisen und am weltlichen Hofe wurden immer mehr die Werke des Aristoteles
-bevorzugt. Zunächst freilich nur die Logik und einzelnes aus den physischen Schriften.
-Die Logik, so glaubte man, sei das einzige Neue, was der Stagirite erfunden; in allen
-anderen Wissenschaften stimme er aber durchaus mit Pythagoras, Empedokles, Anaxagoras,
-Sokrates und Platon überein. Die christlichen und sabischen Übersetzer und die von
-ihnen beeinflussten Kreise holten sich deshalb unbedenklich psychologisch-ethische,
-politische und metaphysische Belehrung bei den voraristotelischen Weisen.
-</p>
-<p>Was den Namen des Empedokles, Pythagoras <abbr title="und Andere">u. A.</abbr> trug, war natürlich unecht. Ihre Weisheit wird entweder auf Hermes oder andere, orientalische
-Weisen zurückgeführt. So soll Empedokles ein Schüler König Davids, nachher des Weisen
-Loqman gewesen, Pythagoras aus der salomonischen Schule hervorgegangen sein <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> Schriften, die in den arabischen Werken als sokratisch zitiert werden, sind, insofern
-sie echt, platonische Dialoge, in denen Sokrates auftritt. Von Platon hat man, außer
-unechten <span class="pageNum" id="pb28">[<a href="#pb28">28</a>]</span>Schriften, mehr oder weniger umfangreich angeführt: die Apologie, Kriton, den Sophisten,
-Phädrus, die Republik, Phädon, Timäus und die Gesetze. Das heißt aber nicht, dass
-dies Alles in vollständiger Übersetzung vorgelegen habe.
-</p>
-<p>Soviel ist sicher, Aristoteles war nicht von Anfang an Alleinherrscher. Platon, wie
-man ihn verstand, lehrte die Weltschöpfung und die geistige Substantialität und Unsterblichkeit
-der Seele: das schadete dem Glauben nicht. Aristoteles aber, mit seiner Lehre von
-der Ewigkeit der Welt und einer weniger spiritualistischen Psychologie und Ethik,
-wurde als gefährlich betrachtet. Muslimische Theologen des neunten und zehnten Jahrhunderts
-aus verschiedenen Lagern schrieben deshalb gegen Aristoteles. Doch die Verhältnisse
-änderten sich. Bald gab es Philosophen, die die platonische Lehre von der Einen Weltseele,
-von der die menschlichen Seelen nur endliche Teile seien, verwarfen und beim Aristoteles,
-der der Einzelsubstanz so große Bedeutung beilegte, Gründe suchten für ihre Unsterblichkeitshoffnung.
-</p>
-<p id="ch1.3.12"><b>12.</b> Wie man in der ältesten Zeit den Aristoteles auffassen musste, zeigen uns am besten
-die ihm untergeschobenen Schriften. Denn nicht nur bekam man seine echten Werke mit
-neuplatonischen Erläuterungen dazu, nicht nur wurde die Schrift “Über die Welt” unbedenklich
-als aristotelisch anerkannt, sondern er wurde auch als der Urheber betrachtet von
-vielen spätgriechischen Erzeugnissen, in denen ein pythagoreisierender Platonismus
-oder Neuplatonismus, oder gar ein wüster Synkretismus ganz offen gelehrt wurde.
-</p>
-<p>Als erstes Beispiel sei hier genannt das “Buch vom Apfel”<a class="noteRef" id="xd31e1230src" href="#xd31e1230">4</a>, darin Aristoteles dieselbe Rolle spielt wie Sokrates in Platon’s Phädon. Als nämlich
-der Philosoph seinem Ende nahe, besuchen ihn einige Schüler, die ihn frohen <span class="pageNum" id="pb29">[<a href="#pb29">29</a>]</span>Mutes finden, was sie veranlasst, Belehrung über das Wesen und die Unsterblichkeit
-der Seele von ihrem hinscheidenden Meister zu erbitten. Dieser führt darauf etwa folgendes
-aus: Das Wesen der Seele besteht in Wissen, und zwar in seiner höchsten Form, der
-Philosophie. Eine vollkommene Erkenntnis der Wahrheit ist deshalb die Seligkeit, die
-nach dem Tode der wissenden Seele bevorsteht. Und wie das Wissen mit höherer Erkenntnis
-belohnt wird, so besteht die Strafe für Nichtwissen in tieferer Unwissenheit. Es gibt
-ja überhaupt im Himmel und auf Erden nichts anderes als Wissen und Nichtwissen und
-die Vergeltung, die beide in sich selbst finden. Auch ist weder die Tugend wesentlich
-vom Wissen verschieden, noch das Laster vom Nichtwissen: sie verhalten sich zu einander
-ähnlich wie das Wasser zum Eise, in verschiedener Form dasselbe.
-</p>
-<p>Im Wissen, dem göttlichen Wesen der Seele, findet diese naturgemäß ihre einzige wahre
-Freude, nicht aber in Essen und Trinken und sinnlicher Lust. Denn die Sinnenlust ist
-eine Flamme, die bloß auf kurze Zeit erwärmt; reines Licht aber, das weithin leuchtet,
-ist die denkende Seele, die ihre Erlösung aus der dunklen Sinnenwelt herbeisehnt.
-Darum fürchtet der Philosoph den Tod nicht, sondern tritt ihm freudig entgegen, wenn
-die Gottheit ruft. Der Genuss, den ihm sein beschränktes Wissen hier bietet, ist ihm
-eine Gewähr für die Wonne, die die Enthüllung des großen Unbekannten ihm verschaffen
-wird. Etwas davon weiß er ja jetzt schon, denn nur durch die Erkenntnis des Unsichtbaren
-ist die richtige Schätzung des Sinnenfälligen, deren er sich rühmen darf, überhaupt
-möglich. Wer sein Selbst in diesem Leben erkennt, besitzt gerade in dieser Selbsterkenntnis
-die Gewissheit, alle Dinge mit ewigem Wissen zu umfassen, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> unsterblich zu sein.
-</p>
-<p id="ch1.3.13"><b>13.</b> Zweitens sei die sogenannte “Theologie des Aristoteles” erwähnt. Es wird darin der
-göttliche Platon als der Idealmensch hingestellt, der durch ein intuitives Denken
-alle Dinge erkennt und also der logischen Hilfsmittel des <span class="pageNum" id="pb30">[<a href="#pb30">30</a>]</span>Aristoteles nicht bedarf. Ja, die höchste Wirklichkeit, das absolute Sein, wird nicht
-durch Denken, sondern nur in einem ekstatischen Schauen ergriffen. “Öfter war ich,”
-so redet hier Aristoteles-Plotin, “mit meiner Seele allein. Des Leibes entkleidet
-trat ich, reine Substanz, in mein Selbst hinein, von allem Äusseren zum Inneren zurückkehrend.
-Reines Wissen war ich da, Wissendes und Gewusstes zugleich. Wie wunderte ich mich,
-dass ich in meinem Selbst Schönheit und Glanz erblickte und mich als einen Teil der
-erhabenen göttlichen Welt erkannte, selbst mit schaffendem Leben begabt. In dieser
-Selbstgewissheit erhob ich mich über die Welt der Sinne, ja über die Geisterwelt empor
-zu dem göttlichen Stande, wo ich solch schönes Licht schaute, dass es keine Zunge
-aussprechen, kein Ohr vernehmen könnte.”
-</p>
-<p>Im Mittelpunkte der Erörterungen steht auch in der Theologie die Seele. Alle wahre
-menschliche Wissenschaft ist Wissenschaft der Seele, Selbsterkenntnis, und zwar an
-erster Stelle Kenntnis des Wesens, hernach, aber weniger vollständig, der Wirkungen
-dieses Wesens. In solcher Erkenntnis, zu der nur äußerst wenige gelangen, besteht
-die höchste Weisheit, die sich in Begriffe nicht vollkommen fassen lässt, und die
-deshalb der Philosoph als weiser Künstler und Gesetzgeber in ewig schönen Bildern
-zur Darstellung bringt, uns Menschen zum Gottesdienste. Es zeigt sich eben darin der
-Weise als der überlegene, selbstgenügsame Zauberer, dessen Wissen die Menge beherrscht,
-weil diese im Banne der Dinge, der Vorstellungen und Begierden immer gefesselt bleibt.
-</p>
-<p>Die Seele steht in der Mitte des Alls. Über ihr sind Gott und der Geist, unter ihr
-die Materie und die Natur. Ihr Kommen aus Gott durch den Geist in die Materie, ihre
-Gegenwart im Körper, ihre Rückkehr nach oben, in diesen drei Stadien verläuft ihr
-Leben und das der Welt. Materie und Natur, Sinneswahrnehmung und Vorstellung verlieren
-hier fast ganz ihre Bedeutung. Alles ist vom Geist (<span class="trans" title="nous"><span lang="grc" class="grek">νοῦς</span></span>, <span class="pageNum" id="pb31">[<a href="#pb31">31</a>]</span>ʻaql), der Geist ist alle Dinge und im Geiste ist alles Eins. Auch die Seele ist Geist,
-freilich, solange sie in ihrem Körper weilt, Geist in Hoffnung, Geist in der Form
-der Sehnsucht. Sie sehnt sich nach oben, nach den guten, seligen Gestirnen, die, über
-Vorstellung und Strebung erhaben, ihre beschauliche Lichtexistenz führen.
-</p>
-<p>Das ist nun der orientalische Aristoteles, wie ihn die ersten Peripatetiker im Islam
-anerkannten.<a class="noteRef" id="xd31e1261src" href="#xd31e1261">5</a>
-</p>
-<p id="ch1.3.14"><b>14.</b> Dass die Orientalen sich nie zu einer reinen Auffassung der aristotelischen Philosophie
-durchgerungen haben, braucht uns nicht zu wundern. Die Mittel unserer Kritik, Echtes
-und Unechtes zu sondern, besaßen sie nicht. Sich in die griechische Kulturwelt hineinzuleben,
-musste ihnen sogar schwerer fallen als den christlichen Gelehrten des Mittelalters,
-das den lebendigen Zusammenhang mit dem Altertum nie ganz verloren hatte. Man blieb
-im Osten abhängig von neuplatonischen Bearbeitungen und Erklärungen. Fehlte ein Teil
-des wissenschaftlichen Systems, <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> die aristotelische Politik, so war es selbstverständlich, dass die Gesetze oder der
-Staat Platons dafür eintraten. Nur wenigen kam der Unterschied Beider zum Bewusstsein.
-</p>
-<p>Es ist noch auf ein anderes Motiv zu achten. Schon in ihren neuplatonischen Quellen
-fanden die Muslime eine harmonisierende Auslegung der griechischen Philosophen vor,
-die sie wohl gezwungen waren, herüberzunehmen. Die ersten Anhänger des Aristoteles
-mussten ja polemisch und apologetisch vorgehen. Entgegen oder neben der Übereinstimmung
-der muslimischen Gemeinde brauchten sie eine einheitliche Philosophie, darin die Eine
-Wahrheit zu finden war. Dieselbe Verehrung, die Mohammed seinerzeit den heiligen Schriften
-der Juden und Christen gezollt hatte, fand sich später bei muslimischen Gelehrten
-in Bezug auf die Werke griechischer Wissenschaft. Nur zeigten die <span class="pageNum" id="pb32">[<a href="#pb32">32</a>]</span>Gelehrten eine größere Vertrautheit mit ihren Vorbildern und geringere Originalität.
-Die alten Philosophen erhielten für sie eine Autorität, der man sich zu fügen hatte.
-Die ersten muslimischen Denker waren von der Überlegenheit griechischen Wissens derart
-überzeugt, dass sie nicht daran zweifelten, es habe die höchste Stufe der Gewissheit
-erreicht. Selbständig weiter zu forschen, war ein Gedanke, der nicht leicht aufkam
-im Gehirn des Orientalen, der sich einen Menschen ohne Lehrer nur als einen Schüler
-Satans vorzustellen vermag. Nach dem Vorgange hellenistischer Philosophen musste also
-der Versuch gemacht werden, zwischen Platon und Aristoteles die Übereinstimmung nachzuweisen,
-und besonders diejenigen Lehren, welche Anstoß erregten, entweder stillschweigend
-zu beseitigen oder in einem, der muslimischen Dogmatik nicht zu stark widerstreitenden
-Sinne darzustellen. Den Gegnern des Aristoteles oder der Philosophie überhaupt zu
-gefallen, hob man weise und erbauliche Sprüche aus echten und unechten Werken des
-Philosophen hervor, um auf diese Weise der Aufnahme seiner wissenschaftlichen Gedanken
-den Weg zu bereiten. Den Eingeweihten aber wurde die Lehre des Aristoteles, wie diejenige
-anderer Schulen und Sekten, als eine höhere Wahrheit hingestellt, zu der der positive
-Glaube der Menge und das mehr oder weniger begründete System der Theologen die Vorstufen
-bilden sollten.
-</p>
-<p id="ch1.3.15"><b>15.</b> Ein vom Bestande der übersetzten griechischen Werke abhängiger Eklektizismus ist
-die muslimische Philosophie immer geblieben. Der Verlauf ihrer Geschichte ist mehr
-ein Verdauungs- als ein Zeugungsprozess. Weder durch das Aufzeigen neuer Probleme
-noch durch eigentümliche Versuche, alte Fragen zu lösen, hat sie sich bedeutend hervorgethan.
-Wichtige Fortschritte des Denkens hat sie also nicht zu verzeichnen. Dennoch hat sie,
-historisch betrachtet, eine weit größere Bedeutung, als die einer bloßen Vermittlerin
-zwischen dem Altertum und der christlichen Scholastik. Die Aufnahme griechischer Ideen
-in die <span class="pageNum" id="pb33">[<a href="#pb33">33</a>]</span>Mischkultur des Orients zu verfolgen, hat an sich als Gegenstand geschichtlichen Interesses
-einen ganz eigenen Reiz, zumal, wenn man dabei vergessen kann, dass es einmal Griechen
-gegeben. Wichtig wird aber auch die Betrachtung dieses Ereignisses, wenn es zu Vergleichen
-mit anderen Kulturen Veranlassung bietet. Die Philosophie ist eine so einzigartige,
-selbständig auf griechischem Boden erwachsene Erscheinung, dass man sie als den Bedingungen
-des allgemeinen Kulturlebens überhoben ansehen könnte, um sie rein aus sich selbst
-heraus zu erklären. Die Geschichte der Philosophie im Islam ist nun schon deshalb
-wertvoll, weil sich in ihr der erste Versuch darstellt, in größerem Umfange und mit
-größerer Freiheit als es in der altchristlichen Dogmatik geschehen, die Ergebnisse
-griechischen Denkens sich anzueignen. Die Erkenntnis der Bedingungen, die solches
-ermöglichten, wird uns, wenn auch mit Vorsicht und vorläufig wenigstens in sehr beschränktem
-Maße, Analogieschlüsse gestatten auf die Rezeption der griechisch-arabischen Wissenschaft
-im christlichen Mittelalter, und vielleicht ein wenig belehren über die Bedingungen,
-unter denen Philosophie überhaupt entsteht.
-</p>
-<p>Von einer muslimischen Philosophie ist eigentlich kaum zu reden. Aber es hat im Islam
-viele Männer gegeben, die nicht davon lassen konnten, zu philosophieren. Durch die
-griechischen Falten hindurch zeigt sich doch die Form ihrer eigenen Glieder. Es ist
-leicht, von der hohen Warte irgend einer Schulphilosophie auf jene Männer herabzublicken.
-Besser aber wird es für uns sein, sie kennen und in ihrer historischen Bedingtheit
-begreifen zu lernen. Wir müssen es der Einzelforschung überlassen, der Herkunft <span class="corr" id="xd31e1290" title="Quelle: jeden">jedes</span> Gedankens nachzugehen. Unser Zweck kann es nur sein im folgenden zu zeigen, was die
-Muslime aus dem vorgefundenen Materiale aufgebaut haben.
-<span class="pageNum" id="pb34">[<a href="#pb34">34</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div class="footnotes">
-<hr class="fnsep">
-<div class="footnote-body">
-<div id="xd31e991">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e991src">1</a></span> <abbr title="Vergleiche">Vgl.</abbr> Snouck Hurgronje, Mekka, II, S. 228 f.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e991src" title="Zurück zur Note 1 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e1009">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1009src">2</a></span> Hiob XXXVIII.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1009src" title="Zurück zur Note 2 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e1012">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1012src">3</a></span> <a class="biblink xd31e40" title="Verweis auf die Bibel: 1. Mose 15:3" href="https://classic.biblegateway.com/passage/?search=gn%2015:3&amp;version=LUTH1545">1 Mos. XV 3</a>.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1012src" title="Zurück zur Note 3 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e1230">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1230src">4</a></span> Der Dialog heisst so, weil Aristoteles während des Gespräches einen Apfel in der Hand
-hält, dessen Geruch seine letzten Lebenskräfte weckt. Am Schlusse sinkt die Hand kraftlos
-nieder und fällt der Apfel auf den Boden.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1230src" title="Zurück zur Note 4 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e1261">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1261src">5</a></span> Als echtes Werk des Aristoteles galt auch Späteren noch ein Auszug aus der <span class="trans" title="stoicheiōsis theologikē"><span lang="grc" class="grek">στοιχείωσις θεολογική</span></span> des Proklos.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1261src" title="Zurück zur Note 5 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div id="ch2" class="div1 chapter"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e291">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main"><span class="divNum">II.</span> Philosophie und arabisches Wissen.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<div id="ch2.1" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e299">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">1.</span> Die Sprachwissenschaft.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch2.1.1" class="first"><b>1.</b> Von muslimischen Gelehrten des zehnten Jahrhunderts wurden die Wissenschaften in
-arabische und in alte oder nichtarabische eingeteilt. Zu den ersteren gehörten Sprachwissenschaft,
-Pflichten- und Glaubenslehre, Litteraturkenntnis und Geschichte; zu den letzteren
-die philosophischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Disziplinen. Im großen
-Ganzen ist die Einteilung richtig. Die letztgenannten Fächer sind nicht nur am meisten
-von fremden Einflüssen bestimmt, sondern auch nie recht populär geworden. Doch sind
-auch die sogenannten arabischen Wissenschaften nicht ganz rein einheimische Schöpfungen.
-Auch sie sind entstanden oder ausgebildet, wo im muslimischen Reiche Araber und Nichtaraber
-zusammentrafen und das Bedürfnis erwachte, über die den Menschen nächstliegenden Gegenstände,
-Sprache und Poesie, Recht und Religion, sofern sich darin Unterschiede oder Unzulänglichkeiten
-zeigten, nachzudenken. In der Weise, wie dieses geschah, spürt man deutlich den Einfluss
-von Nichtarabern, namentlich Persern, und immer bedeutender macht sich auch dabei
-die Einwirkung griechischer Philosophie geltend.
-</p>
-<p id="ch2.1.2"><b>2.</b> Die arabische Sprache, an deren Wortfülle, Formenreichtum und innerer Bildungsfähigkeit
-die Araber selbst sich besonders erfreuten, eignete sich vorzüglich zu einer Weltstellung.
-Besonders zeichnet sie sich, wenn man sie <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> mit der schwerfälligen lateinischen oder auch mit der schwülstigen persischen vergleicht,
-durch kurze Abstraktbildungen aus, was dem wissenschaftlichen Ausdrucke <span class="pageNum" id="pb35">[<a href="#pb35">35</a>]</span>zu gute kam. Sie ist der feinsten Nuancierung fähig, verführt aber auch durch eine
-reichentwickelte Synonymik dazu, von der aristotelischen Regel, dass in der strengen
-Wissenschaft der Gebrauch von Synonymen nicht zulässig sei, abzuweichen.
-</p>
-<p>Eine so elegante, ausdrucksfähige, aber schwierige Sprache, wie es die arabische war,
-musste, als sie die Bildungssprache der Syrer und Perser geworden, zu manchen Betrachtungen
-Veranlassung bieten. Vor allem machte das Studium des Korans, dessen Vortrag und Auslegung,
-eine eingehende Beschäftigung mit der Sprache notwendig. Ungläubige glaubten auch
-wohl, im heiligen Buche Sprachfehler nachweisen zu können. Man sammelte also aus alten
-Gedichten und der lebendigen Beduinensprache Beispiele, um die koranischen Ausdrücke
-zu belegen, woran sich wohl Bemerkungen über Sprachrichtigkeit im allgemeinen anschlossen.
-Im ganzen war der lebendige Brauch die Richtschnur, aber um die Autorität des Korans
-zu retten, ging es dabei gewiss nicht ohne Künsteleien ab. Den einfachen Gläubigen
-war dieses Verfahren immerhin etwas bedenklich. Masudi erzählt uns noch von einigen
-Grammatikern aus Basra, die auf einer Lustfahrt einen koranischen Imperativ durchconjugierten
-und deshalb (?) von den mit Dattelpflücken beschäftigten Landleuten durchgeprügelt
-wurden.
-</p>
-<p id="ch2.1.3"><b>3.</b> Die Araber führen die Sprachwissenschaft, wie so vieles Andere, auf Ali zurück, dem
-sogar die aristotelische Dreiteilung der Rede zugeschrieben wird. In Wirklichkeit
-sind die Anfänge in Basra und Kufa gemacht worden. Die erste Entwicklung liegt im
-Dunkeln, denn in der Grammatik des Sibawaih (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 786) haben wir eine fertige Gestalt, ein Riesenwerk, das, wie nachher Ibn Sina’s
-Kanon der Medizin, die späteren Geschlechter sich nur als das Erzeugnis vieler zusammenarbeitender
-Gelehrten erklären konnten. Auch über die Unterschiede zwischen den Schulen von Basra
-und Kufa sind wir schlecht unterrichtet. Die <span class="pageNum" id="pb36">[<a href="#pb36">36</a>]</span>Basrenser, wie später die Schule von Bagdad, sollen dem Qijas (der Analogie) einen
-großen Einfluss auf die Beurteilung sprachlicher Erscheinungen eingeräumt haben, während
-die Kufenser viele vom Qijas abweichende Spracheigenheiten für erlaubt hielten. Im
-Gegensatze zu den kufischen Grammatikern wurden aus dem Grunde die anderen Leute der
-Logik genannt. Ihre Terminologie wich von der kufischen im einzelnen ab. Viele, denen
-nach Ansicht der echten Araber die Logik den Kopf verdreht hatte, werden in der Meisterung
-der Sprache entschieden zu weit gegangen sein. Andererseits aber wurde die Willkür
-zur Regel erhoben.
-</p>
-<p>Dass die Schule von Basra sich zuerst logischer Hilfsmittel bediente, wäre kein Zufall.
-Überhaupt zeigte sich in Basra am ersten der Einfluss philosophischer Lehren, und
-unter ihren Grammatikern befanden sich viele Schiiten und Mutaziliten, die auch auf
-ihre Glaubenslehren einzuwirken fremder Weisheit gerne gestatteten.
-</p>
-<p id="ch2.1.4"><b>4.</b> Die Sprachwissenschaft, sofern sie nicht, von Gegenständen bestimmt, auf Sammlung
-von Beispielen, Synonymen <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> sich beschränkte, wurde von der aristotelischen Logik beeinflusst. Syrer und Perser
-hatten schon vor muslimischer Zeit die Schrift <span class="trans" title="peri hermēneias"><span lang="grc" class="grek">περὶ ἑρμηνείας</span></span>, mit stoischen und neuplatonischen Zusätzen, studiert. Ibn al-Moqaffa, der anfangs
-mit dem Grammatiker Chalil (<abbr title="siehe">s.</abbr> unten) befreundet war, machte dann Alles, was sich sprachlich-logisches im Pahlawi
-vorfand, den Arabern zugänglich. Es wurden darnach die Satzarten, bald fünf, bald
-acht oder neun, und die drei Redeteile, Nomen, Verbum und Partikel, aufgezählt. In
-der Folgezeit nahmen einige, wie Dschahiz, unter die rhetorischen Figuren auch Schlussfiguren
-der Logik auf. Und in späteren Darstellungen wurde viel über Laut und Begriff gestritten
-und die Frage erörtert, ob die Sprache durch Satzung oder von Natur sei. Allmählich
-gewann die philosophische Ansicht, sie sei durch Satzung, das Übergewicht.
-<span class="pageNum" id="pb37">[<a href="#pb37">37</a>]</span></p>
-<p>Neben der Logik kommt hier noch der Einfluss der propädeutischen oder mathematischen
-Wissenschaften in Betracht. Wie die Prosa des Verkehrs und die Reime des Korans wurden
-die Verse der Dichter nicht bloß gesammelt, sondern auch nach bestimmten Gesichtspunkten,
-unter denen das Metrum, geordnet. Nach der Grammatik entstand die Metrik. Chalil (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 791), der Lehrer Sibawaih’s, dem man die erste Anwendung des Qijas in der Sprachwissenschaft
-zuschreibt, soll auch die Metrik erfunden haben. Während man die Sprache als das nationale,
-conventionelle Element in der Poesie anzusehen lernte, glaubte man im Metrum das natürliche,
-allen Völkern gemeinsame zu finden. Thabit ibn Qorra (836–901) behauptete darum in
-seiner Anordnung der Wissenschaften, das Metrum sei etwas Wesentliches, die Metrik
-eine natürliche Wissenschaft, sie gehöre somit zur Philosophie.
-</p>
-<p id="ch2.1.5"><b>5.</b> Trotz alledem behielt die Sprachwissenschaft, die sich auf das Arabische beschränkte,
-ihre Eigentümlichkeiten, auf die hier einzugehen nicht am Platze ist. Jedenfalls ist
-sie eine großartige Schöpfung des fein beobachtenden und <span class="corr" id="xd31e1353" title="Quelle: fleissig">fleißig</span> sammelnden arabischen Geistes, darauf die Araber stolz sein durften. Ein Apologet
-des zehnten Jahrhunderts, der sich gegen die griechische Philosophie wendet, sagte:
-“Wer die Feinheiten und Tiefen der arabischen Poesie und Metrik kennt, der weiß, dass
-sie alles dasjenige übertrifft, was die Leute als Beweise für ihre Meinungen anzuführen
-pflegen, welche in dem Wahne leben, dass sie die Wesenheiten der Dinge zu erkennen
-im Stande sind: Zahlen, Linien und Punkte. Ich kann den Nutzen dieser Dinge nicht
-einsehen, es sei denn, dass sie trotz des geringen Nutzens, den sie bringen, den Glauben
-schädigen und Dinge im Gefolge haben, gegen welche wir Gottes Beistand anrufen.” Man
-wollte sich seine Freude an den Einzelheiten der Sprache durch allgemeine philosophische
-Spekulationen nicht trüben lassen. Manche Wortbildung, von den Übersetzern fremder
-Werke herrührend, wurde als barbarisch <span class="pageNum" id="pb38">[<a href="#pb38">38</a>]</span>von puristischen Sprachlehrern verabscheut. Und weitere Verbreitung als die wissenschaftliche
-Sprachforschung fand die schöne Kunst der Kalligraphie, die sich, wie die arabische
-Kunst überhaupt, mehr dekorativ als konstruktiv, in edlen, feinen Formen entwickelte.
-In den Schriftzügen der arabischen Sprache zeigt sich uns noch die Subtilität des
-Geistes, der sie gebildet, zugleich aber auch ein Mangel an Energie, der sich in der
-ganzen Entwicklung arabischer Kultur bemerklich gemacht hat.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch2.2" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e325">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">2.</span> Die Pflichtenlehre.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch2.2.1" class="first"><b>1.</b> Der gläubige Muslim hatte, sofern nicht das Herkommen seine Herrschaft behauptete,
-anfangs als Richtschnur seines Handelns und Urteilens das Wort Gottes und das Beispiel
-seines Propheten. Nachdem dieser gestorben war, folgte man, falls der Koran keine
-Auskunft erteilte, der Sunna Mohammeds, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> man that und entschied, wie der Überlieferung seiner Genossen nach Mohammed entschieden
-oder gehandelt hatte. Aber seit der Eroberung alter Kulturländer traten an den Islam
-ganz neue Ansprüche heran. Statt der einfachen Verhältnisse arabischen Lebens fanden
-sich dort Gewohnheiten und Einrichtungen vor, für die das heilige Gesetz keine Bestimmung
-bot und noch keine Tradition vorhanden oder ausgedeutet war. Jeden Tag häuften sich
-also die Einzelfälle, die nicht vorgesehen waren, und die man, sei es nach dem Herkommen
-oder nach eigenem Gutdünken beurteilen musste. In den altrömischen Provinzen, Syrien
-und Mesopotamien, wird dabei das römische Recht noch lange Zeit eine bedeutende Wirkung
-ausgeübt haben.
-</p>
-<p>Diejenigen Rechtslehrer nun, welche neben Koran und Sunna der eigenen Ansicht (ra’j,
-opinio) einen bestimmenden Einfluss auf das Recht zuerkannten, wurden Anhänger des
-Raj genannt. Als solcher ist besonders bekannt geworden Abu Hanifa von Kufa (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 767), der Stifter der <span class="pageNum" id="pb39">[<a href="#pb39">39</a>]</span>hanefitischen Schule. Aber auch in Medina, vor und in der Schule des Malik (715–795)
-hat man anfangs ganz harmlos, wenn auch weniger weitgehend, dem Raj gehuldigt. Nur
-allmählich hat sich, im Kampfe gegen das zu vielen Willkürlichkeiten Veranlassung
-gebende Raj, die Meinung vorgedrängt, es sei in Allem der Tradition (hadîth) in Bezug
-auf die Sunna des Propheten zu folgen. Es wurden dann von überall her Traditionen
-gesammelt, gedeutet, auch massenhaft gefälscht, und eine Lehre von den Kriterien ihrer
-Echtheit ausgebildet, die aber mehr auf die äußere Bezeugung und die Zweckmäßigkeit
-des Überlieferten als auf Folgerichtigkeit und historische Treue Gewicht legte. Infolge
-dieser Entwicklung standen jetzt den Leuten des Raj, die hauptsächlich in Iraq (Babylonien)
-gefunden wurden, die Anhänger der Tradition von Medina entgegen. Auch Schafii (767–820),
-der Gründer der dritten Rechtsschule, der sich im allgemeinen an der Sunna hielt,
-wurde wohl im Gegensatz zu Abu Hanifa den Anhängern der Tradition beigezählt.
-</p>
-<p id="ch2.2.2"><b>2.</b> Ein neues Element brachte die Logik in diesen Streit hinein: das Qijas, die Analogie.
-Einzelne Qijase gab es natürlich schon früher, aber die Aufstellung des Qijas als
-eines Prinzipes, einer Grundlage oder Quelle des Rechtes setzt den Einfluss wissenschaftlicher
-Reflexion voraus. Wenn auch Raj und Qijas synonym gebraucht sein mögen, so haftet
-doch dem letzteren Ausdrucke weniger das Moment individueller Willkür an. Je mehr
-man sich daran gewöhnte, bei sprachlich-logischen Untersuchungen das Qijas anzuwenden,
-um so leichter konnte man auch dieses Prinzip in die Grundlehre der Gesetzeskunde
-aufnehmen, sei es nun, dass man von Fall zu Fall und von der Mehrzahl der Fälle auf
-die übrigen (analogisch) schloss, oder aber für verschiedene Fälle einen gemeinsamen
-Grund aufsuchte, aus dem das Verhalten im Einzelfall (syllogistisch) abzuleiten wäre.<a class="noteRef" id="xd31e1379src" href="#xd31e1379">1</a>
-<span class="pageNum" id="pb40">[<a href="#pb40">40</a>]</span></p>
-<p>Die Anwendung des Qijas scheint zunächst und zumeist in der hanefitischen, dann aber
-auch, obgleich in geringerem Umfange, in der schafiitischen Schule üblich gewesen
-zu sein. Im Zusammenhang damit wurde die Frage, ob die Sprache das Allgemeine auszudrücken
-vermöge oder bloß das Besondere bezeichnen könne, für die Pflichtenlehre von Bedeutung.
-</p>
-<p>Zu einem großen Ansehen hat das logische Prinzip des Qijas es nie gebracht. Vielmehr
-wurde, neben den historischen Grundlagen des Gesetzes, dem Koran und der Sunna, das
-Idschma <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> die Übereinstimmung der Gemeinde, betont. Die Übereinstimmung der Gemeinde oder faktisch
-der einflussreichsten Gelehrten, die mit den Vätern und Lehrern der katholischen Kirche
-zu vergleichen sind, ist das dogmatische Prinzip, das, nur von wenigen angefochten,
-sich als das wichtigste Mittel zur Begründung der muslimischen Pflichtenlehre erwiesen
-hat. Nach Koran, Sunna und Idschma räumt aber die Theorie immer noch, an vierter Stelle,
-dem Qijas einen untergeordneten Platz ein.
-</p>
-<p id="ch2.2.3"><b>3.</b> Die muslimische Pflichtenlehre (<span class="ex">al-fiqh</span> = das Erkennen) umfasst das ganze Leben des Gläubigen, dem der Glaube selbst an erster
-Stelle zur Pflicht gemacht wird. Anfangs stieß sie, wie jede Neuigkeit, auf heftigen
-Widerstand. Gesetz ward hier zu Lehre, gläubiger Gehorsam zu grübelndem Wissen. Das
-forderte Widerspruch heraus, von einfachen Frommen und klugen Politikern zugleich.
-Aber nach und nach wurden die Wissenden oder Gesetzesgelehrten (ulamâ, im Westen faqihs)
-als die Erben der Propheten anerkannt.
-</p>
-<p>Die Pflichtenlehre hat sich vor der Glaubenslehre entwickelt und auch immer bis heute
-den ersten Platz zu behaupten gewusst. Fast jeder Muslim weiß etwas davon, weil es
-zur guten religiösen Erziehung gehört. Nach dem <span class="pageNum" id="pb41">[<a href="#pb41">41</a>]</span>großen Kirchenvater Gazali ist das Fiqh das tägliche Brot gläubiger Seelen, während
-die Glaubenslehre nur als Medizin für Kranke einen Wert hat.
-</p>
-<p>Auf die fein ausgesponnene Kasuistik des Fiqh näher einzugehen, haben wir hier keine
-Veranlassung. Es handelt sich der Hauptsache nach um ein ideelles Recht, das in unserer
-mangelhaften Welt wohl nie rein zur Anwendung kommen kann. Seine Prinzipien und seine
-Stellung innerhalb des Islam kennen wir jetzt. Es sei nur noch die Einteilung der
-sittlichen Handlungen, wie die Pflichtenlehrer sie aufstellen, kurz erwähnt. Es gibt
-ihr zufolge 1. Handlungen, deren Ausübung unbedingte Pflicht ist und deshalb belohnt,
-deren Unterlassung bestraft wird; 2. gesetzlich anempfohlene Handlungen, die belohnt,
-deren Vernachlässigung aber nicht bestraft wird; 3. erlaubte, gesetzlich gleichgiltige
-Handlungen; 4. vom Gesetze missbilligte, aber nicht strafbare Handlungen; 5. gesetzlich
-verbotene Handlungen, die unbedingt Strafe fordern.<a class="noteRef" id="xd31e1422src" href="#xd31e1422">2</a>
-</p>
-<p id="ch2.2.4"><b>4.</b> Die Einwirkung griechischer Philosopheme auf die Ethik im Islam ist eine zweifache
-gewesen. Bei vielen Sektierern und Mystikern, sowohl orthodoxen als häretischen, findet
-sich eine asketische Ethik von pythagoreisch-platonischer Färbung. Sie findet sich
-ebenso bei Philosophen, denen wir in der Folge noch begegnen werden. In orthodoxen
-Kreisen aber fand der aristotelische Satz, dass Tugend in der richtigen Mitte bestehe,
-viel Anklang, weil ähnliches im Koran stand und überhaupt die Richtung des Islam eine
-katholische, die Gegensätze aussöhnende war.
-</p>
-<p>Mehr wohl als die Ethik wurde im muslimischen Reiche die Politik gepflegt. Politische
-Parteikämpfe gaben zuerst Veranlassung zu Verschiedenheit der Meinungen. Streitigkeiten
-über das Imâmat, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> die Herrschaft über die muslimische Gemeinde, durchziehen die ganze Geschichte <span class="pageNum" id="pb42">[<a href="#pb42">42</a>]</span>des Islam. Es handelt sich aber durchweg mehr um Fragen persönlicher und praktischer
-als solche theoretischer Bedeutung, weshalb eine Geschichte der Philosophie sie nicht
-eingehend zu berücksichtigen braucht. Philosophisch Wertvolles kommt kaum dabei heraus.
-Schon im Laufe der ersten Jahrhunderte entwickelte sich ein festes kanonisches Staatsrecht,
-das aber, ähnlich der ideellen Pflichtenlehre, von starken Herrschern als theologische
-Grübelei nicht sonderlich beachtet wurde, dagegen von schwachen Fürsten erst recht
-nicht zur Anwendung gebracht werden konnte.
-</p>
-<p>Ebensowenig verlohnt es sich, die vielen, besonders in Persien beliebten Fürstenspiegel,
-an deren weisen Sittensprüchen und politisch-klugen Maximen die höfischen Kreise sich
-erbauten, näher zu betrachten.
-</p>
-<p>Das Schwergewicht philosophischer Bestrebungen im Islam liegt auf der theoretischen,
-intellektuellen Seite. Mit den thatsächlichen Vorgängen des gesellschaftlichen und
-staatlichen Lebens weiß man sich nur notdürftig abzufinden. Auch die Kunst der Muslime,
-obgleich sie viel mehr Originelles zeigt als ihre Wissenschaft, versteht es nicht,
-die spröden Stoffe zu beleben, sondern spielt mit zierlichen Formen. Die Poesie schafft
-kein Drama. Und ihre Philosophie ist nicht praktisch.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch2.3" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e347">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">3.</span> Die Glaubenslehre.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch2.3.1" class="first"><b>1.</b> Im Koran war den Muslimen eine Religion, keine Lehre, Gesetze, aber keine Dogmen
-gegeben. Was sich darin der Logik widersetzte, was wir uns aus den wechselnden Lebensverhältnissen
-und den verschiedenen Stimmungen des Propheten erklären, wurde von den ersten Gläubigen
-einfach hingenommen, ohne zu fragen nach dem Wie und Warum. In den eroberten Ländern
-aber fand man eine ausgebildete christliche Dogmatik, sowie zoroastrische und <span class="pageNum" id="pb43">[<a href="#pb43">43</a>]</span>brahmanische Lehren vor. Wie viel die Muslime den Christen verdanken, haben wir schon
-öfter betont. Die Glaubenslehre ist von christlichen Einflüssen wohl am meisten bestimmt
-worden. In Damaskus wirkten orthodoxe und monophysitische Lehren, in Basra und Bagdad
-vielleicht mehr nestorianische und gnostische Theoreme auf die Bildung muslimischer
-Dogmen ein. Litterarisches hat sich aus der ersten Zeit dieser Bewegung wenig erhalten.
-Man wird sich aber nicht irren, wenn man dem persönlichen Verkehre und dem schulmäßigen
-Unterricht eine bedeutende Wirkung zuschreibt. Wie noch heute, lernte man damals im
-Orient nicht viel aus Büchern, sondern mehr aus dem Munde des Lehrers. Die Ähnlichkeit
-zwischen den ältesten Glaubenslehren im Islam und den Dogmen des Christentums ist
-zu groß, dass man einen direkten Zusammenhang leugnen könnte. Die erste Frage nämlich,
-über die von muslimischen Gelehrten viel disputiert wurde, war die nach der Freiheit
-des Willens. Die Willensfreiheit nun wurde von den orientalischen Christen fast allgemein
-angenommen. Nie und nirgends hat man vielleicht über das Willensproblem, in der Christologie
-zunächst, aber auch in der Anthropologie, so viel hin und her geredet, wie in den
-christlichen Kreisen des Ostens zur Zeit der muslimischen Eroberung.
-</p>
-<p>Außer diesen zum Teil apriorischen Erwägungen gibt es auch vereinzelte Notizen, die
-darauf hindeuten, dass einige von den ersten Muslimen, welche die Willensfreiheit
-lehrten, christliche Lehrer hatten.
-</p>
-<p>Schon aus den gnostischen Systemen, nachher aber aus der Übersetzungslitteratur, gesellte
-sich zu den hellenistisch-christlichen eine Anzahl rein philosophischer Elemente.
-</p>
-<p id="ch2.3.2"><b>2.</b> Eine nach logischer oder dialektischer Methode, sei es <span class="ex">mündlich</span> oder <span class="ex">schriftlich</span> geäußerte, Behauptung nannten die Araber im allgemeinen, ganz besonders aber in der
-Glaubenslehre, einen Kalam (<span class="trans" title="logos"><span lang="grc" class="grek">λόγος</span></span>) und diejenigen, welche solche Behauptungen aufstellten, hießen <span class="pageNum" id="pb44">[<a href="#pb44">44</a>]</span><span class="ex">mutakallimun</span>. Von der einzelnen Behauptung wurde der Name auf das ganze System übertragen und
-darunter auch die einleitenden, grundlegenden Bemerkungen über Methode <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> mitverstanden. Wir nennen die Wissenschaft des Kalam am besten theologische Dialektik
-oder einfach Dialektik und übersetzen im folgenden Mutakallimun mit Dialektiker.
-</p>
-<p>Der Name Mutakallimun, anfangs allen Dialektikern gemeinsam, ward später vorzugsweise
-den antimutazilitischen und orthodoxen Theologen beigelegt. In letzterem Falle wäre
-er dem Sinne nach gut mit Dogmatiker oder Scholastiker zu übersetzen. Hatten nämlich
-die ersten Dialektiker das Dogma noch zu bilden, die späteren brauchten es bloß darzulegen
-und zu begründen.
-</p>
-<p>Die Einführung der Dialektik war eine gewaltige Neuerung im Islam. Heftig wurde ihr
-von den Anhängern der Tradition widersprochen. Was über die Pflichtenlehre hinausging,
-hieß ihnen Ketzerei. Der Glaube sollte Gehorsam sein, nicht Erkenntnis, wie Murdschiten
-und Mutaziliten behaupteten. Die Spekulation wurde von diesen geradezu als eine Pflicht
-der Gläubigen hingestellt. Auch mit dieser Forderung söhnte die Zeit sich aus. Der
-Überlieferung nach hatte der Prophet schon gesagt: Das erste, was Gott geschaffen
-hat, ist das Wissen, oder: die Vernunft.
-</p>
-<p id="ch2.3.3"><b>3.</b> Groß ist die Anzahl verschiedener Meinungen, die zum Teil schon in der omajjadischen,
-hauptsächlich aber in der ersten abbasidischen Zeit laut wurden. Je weiter sie auseinander
-gingen, um so schwerer war es den Männern der Überlieferung, sich da hinein zu finden.
-Allmählich aber sonderten sich gewisse einheitliche Lehrgruppen aus, von denen das
-rationalistische System der Mutaziliten, der Nachfolger der Qadariten, die weiteste
-Verbreitung, besonders unter Schiiten, fand. Vom Chalifen Mamun bis Mutawakkil kam
-es sogar zur staatlichen Anerkennung. Früher von der weltlichen Macht unterdrückt
-und verfolgt, <span class="pageNum" id="pb45">[<a href="#pb45">45</a>]</span>wurden die Mutaziliten jetzt selber Inquisitoren des Glaubens, denen das Schwert die
-Stelle des Beweises vertrat.
-</p>
-<p>Ungefähr zu derselben Zeit aber fingen auch ihre Gegner, die Traditionarier, damit
-an, ein Glaubenssystem aufzubauen. Überhaupt fehlte es nicht an Vermittelungen zwischen
-dem naiven Glauben der Menge und der Gnosis der Dialektiker. Dem spiritualistischen
-Gepräge des Mutazilitismus gegenüber trugen diese Vermittelungen in Bezug auf die
-Gotteslehre einen anthropomorphistischen, in Bezug auf Anthropologie und Kosmologie
-einen materialistischen Charakter. Die Seele <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> wurde von ihnen körperlich oder als ein Accidens des Körpers aufgefasst, und das
-göttliche Wesen als ein menschlicher Körper vorgestellt. Den bildlichen Gott-Vater
-der Christen verabscheute die Religionslehre und Kunst der Muslime, aber abgeschmackte
-Grübeleien über die Gestalt Allah’s gab es im Islam die Fülle. Einige gingen so weit,
-ihm sämtliche Körperglieder zuzusprechen, nur mit Ausnahme des Bartes und anderer
-Privilegien orientalischer Männer.
-</p>
-<p>Es ist unmöglich, all die dialektischen Sekten, die oft zunächst als politische Parteien
-aufgetreten waren, ausführlicher zu besprechen. Von philosophiegeschichtlichem Standpunkte
-genügt es auch, die mutazilitischen Hauptlehren, insoweit sie ein allgemeines Interesse
-beanspruchen dürfen, hier vorzuführen.
-</p>
-<p id="ch2.3.4"><b>4.</b> Die erste Frage nun betraf menschliches Handeln und menschliches Schicksal. Die Vorläufer
-der Mutaziliten, Qadariten genannt, lehrten die Willensfreiheit des Menschen. Auch
-noch in späterer Zeit, als ihre Spekulation sich mehr auf theologisch-metaphysische
-Probleme richtete, wurden die Mutaziliten immer zuerst bezeichnet als Anhänger der
-göttlichen Gerechtigkeit, die kein Böses verursache und nach seinem Verdienste den
-Menschen belohne oder strafe, dann aber, an zweiter Stelle, als Bekenner der Einheit
-Gottes, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> der Eigenschaftslosigkeit seines Wesens, an sich betrachtet. Auf die systematische
-Darstellung ihrer <span class="pageNum" id="pb46">[<a href="#pb46">46</a>]</span>Lehren werden die Logiker (<abbr title="siehe">s.</abbr> <a href="#ch4.2.1">IV, 2 § 1</a>) ihren Einfluss ausgeübt haben. Schon in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts
-fing das mutazilitische System mit dem Einheitsbekenntnis an und war die Lehre von
-Gottes Gerechtigkeit, die sich in allen seinen Werken kund gebe, an die zweite Stelle
-gerückt.
-</p>
-<p>Mit der Behauptung der Willensfreiheit sollte die menschliche Verantwortlichkeit,
-sowie die Heiligkeit Gottes, der nicht die sündigen Handlungen der Menschen unmittelbar
-hervorbringen könne, gerettet werden. Darum musste der Mensch Herr seiner Thaten sein,
-aber auch bloß dieser. Denn dass die Kraft, welche überhaupt zum Handeln befähigt,
-oder das Vermögen, sowohl Gutes als Böses zu thun, unmittelbar von Gott dem Menschen
-zukomme, wurde von wenigen bezweifelt. Daher die vielen, mit einer Kritik des philosophischen
-Zeitbegriffes verquickten, spitzfindigen Erörterungen über die Frage, ob das von Gott
-im Menschen geschaffene Vermögen der Handlung voraufgehe oder zeitlich damit zusammenfalle.
-Ginge nämlich die Kraft der That vorher, so müsste sie entweder bis zur That fortdauern,
-was ihrem accidentellen Charakter widerspreche (<abbr title="vergleiche">vgl.</abbr> <a href="#ch2.3.12">II, 3 § 12</a>), oder aber schon vor der That aufhören zu existieren, und in diesem Falle wäre sie
-überhaupt entbehrlich.
-</p>
-<p>Vom menschlichen Handeln wurde die Spekulation weiter auf das Wirken der Natur übertragen.
-Statt Gott oder der Mensch hieß hier der Gegensatz Gott oder die Natur. Die hervorbringenden
-und zeugenden Kräfte der Natur wurden als Mittel oder nächste Ursachen anerkannt und
-von einigen zu erforschen gesucht. Die Natur selbst aber, wie die ganze Welt, war
-ihrer Ansicht nach ein Werk Gottes, eine Schöpfung seiner Weisheit. Wie die Allmacht
-Gottes im Sittlichen an seiner Heiligkeit oder Gerechtigkeit eine Schranke fand, so
-hier im Natürlichen an seiner Weisheit. Auch Übel und Böses in der Welt wurden aus
-der Weisheit Gottes, die Alles zum Besten <span class="pageNum" id="pb47">[<a href="#pb47">47</a>]</span>schicke, erklärt. Erzeugnis oder Zweck göttlicher Thätigkeit ist es nicht. Gott könne
-zwar, so hatten Frühere behauptet, Böses und Unvernünftiges thun, er thäte es nur
-nicht. Dagegen lehrten die späteren Mutaziliten, Gott habe gar nicht die Macht, so
-etwas seinem Wesen Widerstreitendes zu thun. Von ihren darob entrüsteten Gegnern,
-die Gottes unbeschränkte Macht und seinen unergründlichen Willen unmittelbar in allem
-Handeln und Wirken thätig sich vorstellten, wurden sie wegen solcher Lehre mit den
-dualistischen Magiern verglichen. Der konsequente Monismus war auf Seiten dieser Gegner,
-die den Menschen und die Natur nicht neben und unter Gott zu Schöpfern ihrer Thaten
-oder Wirkungen machen möchten.
-</p>
-<p id="ch2.3.5"><b>5.</b> Die Mutaziliten hatten, wie schon aus dem Vorhergehenden erhellt, einen anderen Gottesbegriff
-als die Menge und die Traditionarier. Dies zeigte sich nun, im Fortgange der Spekulation,
-besonders deutlich in der Lehre von den göttlichen Eigenschaften. Von Anfang an war
-im Islam die Einheit Gottes stark betont. Das hinderte aber nicht, dass man ihm, nach
-menschlicher Analogie, viele schöne Namen gab und mehrere Attribute beilegte. Als
-die vorzüglichsten stellten sich, gewiss unter dem Einflusse christlicher Dogmatik,
-allmählich heraus: Wissen, Macht, Leben, Wille, Rede oder Wort, Gesicht und Gehör.
-Von diesen wurden Gesicht und Gehör zuerst in geistigem Sinne gedeutet oder ganz beseitigt.
-Aber mit irgend einer Vielheit gleichewiger Eigenschaften schien die absolute Einheit
-des göttlichen Wesens sich nicht vertragen zu wollen. Wäre das nicht die Trinität
-der Christen, die ja auch schon die drei Personen des Einen göttlichen Wesens als
-Eigenschaften gedeutet hatten? Teils suchte man nun, um dieser Inkonvenienz zu entgehen,
-einige Eigenschaften aus anderen begrifflich abzuleiten und auf eine, <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> das Wissen oder die Macht, zurückzuführen, teils auch sie samt und sonders als Zustände
-des göttlichen Wesens zu fassen oder mit dem Wesen selbst zu identifizieren<span class="corr" id="xd31e1521" title="Quelle: .">,</span> wobei <span class="pageNum" id="pb48">[<a href="#pb48">48</a>]</span>denn freilich ihre Bedeutung so ziemlich verschwand. Mitunter wurde versucht, durch
-Künsteleien des sprachlichen Ausdrucks noch etwas davon zu retten. Während <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> ein Philosoph, die Eigenschaften leugnend, behauptete, Gott sei wissend seinem Wesen
-nach, drückte ein mutazilitischer Dialektiker das so aus: Gott ist wissend, aber durch
-ein Wissen, das er selbst ist.
-</p>
-<p>Nach Ansicht der Traditionarier ward auf diese Weise der Gottesbegriff allen Inhaltes
-beraubt. Über negative Bestimmungen, Gott sei nicht wie die Dinge dieser Welt, er
-sei über Raum, Zeit, Bewegung <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> erhaben, kamen die Mutaziliten kaum hinaus. Aber dass er Schöpfer der Welt sei, daran
-hielten sie fest. Wenn man auch von Gottes Wesen wenig aussagen konnte, aus seinen
-Werken glaubte man ihn zu erkennen.
-</p>
-<p>Die Schöpfung war den Mutaziliten, wie ihren Gegnern, ein absoluter Akt Gottes, die
-Weltexistenz eine zeitliche. Energisch bekämpften sie die Lehre von der Weltewigkeit,
-die, durch die aristotelische Philosophie gestützt, im Orient weitverbreitet war.
-</p>
-<p id="ch2.3.6"><b>6.</b> Als eins von den ewigen Attributen Gottes fanden wir die Rede oder das Wort. Wahrscheinlich
-mit Anschluss an die christliche Logoslehre wurde nämlich die Ewigkeit des dem Propheten
-geoffenbarten Korans gelehrt. Das war nach den <span class="corr" id="xd31e1537" title="Quelle: Mutaliziten">Mutaziliten</span> geradezu Abgötterei, neben Allah an einen ewigen Koran zu glauben. Die mutazilitischen
-Chalifen verkündigten dagegen als Staatsdogma, der Koran sei geschaffen worden. Wer
-dies leugnete, wurde öffentlich bestraft. Obgleich nun die Mutaziliten mit diesem
-Dogma dem ursprünglichen Islam näher stehen mochten als ihre Gegner, so hat doch die
-Geschichte den letzteren Recht gegeben. Fromme Bedürfnisse waren eben mächtiger als
-logische Schlussfolgerungen. Viele Mutaziliten setzten sich, nach der Meinung ihrer
-Glaubensbrüder, über den Koran, das Wort Gottes, allzuleicht hinweg. Wenn es zu ihren
-Theorien nicht stimmte, wurde es aus- <span class="pageNum" id="pb49">[<a href="#pb49">49</a>]</span>und umgedeutet. In Wirklichkeit galt manchem die Vernunft mehr als das offenbarte
-Buch. Aus der Vergleichung nicht nur der drei Offenbarungsreligionen, sondern auch
-dieser mit persischer und indischer Religionslehre und philosophischer Spekulation,
-ergab sich eine, die Gegensätze versöhnende, natürliche Religion. Aufgebaut wurde
-diese auf der Grundlage eines angeborenen, allgemeinnotwendigen Wissens, dass es Einen
-Gott gebe, der als weiser Schöpfer die Welt hervorgebracht und auch den Menschen mit
-Vernunft begabt habe, damit er seinen Schöpfer erkennen und Gutes und Böses unterscheiden
-könne. Dieser Natur- oder Vernunftreligion gegenüber sei dann die Erkenntnis der Offenbarungslehren
-etwas Hinzukommendes, ein erworbenes Wissen.
-</p>
-<p>Mit dieser Behauptung hatten die konsequentesten Mutaziliten sich von der Übereinstimmung
-der muslimischen Gemeinde losgesagt, sich also thatsächlich außerhalb des katholischen
-Glaubens gestellt. Anfangs beriefen sie sich noch auf jene Übereinstimmung. Sie konnten
-es thun, so lange die Regierung ihnen günstig gesinnt war. Es dauerte aber nicht lange.
-Bald erfuhren sie, was seitdem noch öfter erfahren wurde: die Völker lassen sich leichter
-von oben herab eine Religion als eine Aufklärung vorschreiben.
-</p>
-<p id="ch2.3.7"><b>7.</b> Nach diesem Überblick sehen wir uns einige von den bedeutendsten Mutaziliten näher
-an, damit dem allgemeinen Bilde nicht die individuellen Züge fehlen.
-</p>
-<p>Zuerst betrachten wir Abu-l-Hudhail al-Allaf, der um die Mitte des neunten Jahrhunderts
-starb. Er war ein berühmter Dialektiker, einer der ersten, die der Philosophie einen
-Einfluss auf ihre theologischen Lehren gestatteten.
-</p>
-<p>Dass eine Eigenschaft irgendwie einem Wesen inhärieren könne, lässt sich nach Abu-l-Hudhail
-nicht denken: entweder muss sie mit dem Wesen identisch oder davon verschieden sein.
-Doch sieht er sich nach einer Vermittlung um. Gott ist, nach ihm, wissend, mächtig,
-lebendig durch Wissen, Macht und Leben, die sein Wesen selbst <span class="pageNum" id="pb50">[<a href="#pb50">50</a>]</span>sind. Wie auch schon von christlicher Seite geschehen war, nennt er jene drei Bestimmungen
-die Modi (wudschuh) des göttlichen Wesens. Auch Hören, Sehen <abbr title="unter andere">u. a.</abbr> lässt er sich als ewig in Gott gefallen, jedoch nur mit Rücksicht auf die später
-zu schaffende Welt. Übrigens mag es ihm und anderen von der Zeitphilosophie Berührten
-leicht genug gewesen sein, diese und ähnliche Ausdrücke, wie das Schauen Gottes am
-jüngsten Tage,<a class="noteRef" id="xd31e1554src" href="#xd31e1554">3</a> spiritualistisch zu deuten, da sie ja das Sehen und Hören überhaupt als geistige
-Akte auffassten. Abu-l-Hudhail behauptete <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr>, die Bewegung sei sichtbar, tastbar aber nicht, weil sie kein Körper sei.
-</p>
-<p>Nicht ewig soll nun aber der Wille Gottes sein. Im Gegenteil nimmt Abu-l-Hudhail absolute
-Willensäußerungen an, sowohl von dem wollenden Wesen wie von dem gewollten Gegenstande
-verschieden. So nimmt das absolute Schöpfungswort eine Mittelstellung ein zwischen
-dem ewigen Schöpfer und der geschaffenen zeitlichen Welt. Diese Willensäußerungen
-Gottes sind eine Art Mittelwesen, mit den platonischen Ideen oder den Sphärengeistern
-zu vergleichen, aber wohl mehr als immaterielle Kräfte, denn als persönliche Geister
-gedacht.
-</p>
-<p>Von dem absoluten Schöpfungsworte unterscheidet Abu-l-Hudhail das accidentelle Offenbarungswort,
-das sich als Befehl und Verbot, in materieller, räumlicher Erscheinung an die Menschen
-kund gibt und also nur für diese zeitliche Welt Bedeutung hat. Die Möglichkeit, nach
-dem göttlichen Offenbarungsworte zu leben oder dem zu widerstreiten, ist folglich
-nur in diesem Leben vorhanden. Verpflichtendes Gebot und Verbot setzt Willensfreiheit
-und die Fähigkeit danach zu handeln voraus. Im zukünftigen Leben dagegen gibt es keine
-gesetzlichen Verpflichtungen, somit auch keine Freiheit mehr; Alles hängt dort von
-der absoluten Bestimmung Gottes ab. Auch wird <span class="pageNum" id="pb51">[<a href="#pb51">51</a>]</span>es im Jenseits keine Bewegung geben, denn wie die Bewegung einmal angefangen hat,
-muss sie, am Ende der Welt, aufhören zur ewigen Ruhe. An eine körperliche Auferstehung
-dürfte also Abu-l-Hudhail wohl nicht geglaubt haben.
-</p>
-<p>Die menschlichen Handlungen unterscheidet er in natürliche und sittliche oder “Handlungen
-der Glieder und des Herzens”. Sittlich ist eine Handlung nur, wenn wir sie frei verrichten.
-Die sittliche That ist des Menschen selbsterworbenes Eigentum, sein Wissen dagegen
-kommt ihm von Gott her zu, teils durch Offenbarung, teils durch natürliche Erleuchtung.
-Schon vor aller Offenbarung ist der Mensch von Natur verpflichtet, also auch wohl
-im Stande, Gott zu erkennen, Gutes und Böses zu unterscheiden, und tugendhaft, wahrhaftig
-und gerecht zu leben.
-</p>
-<p id="ch2.3.8"><b>8.</b> Ein merkwürdiger Mensch und Denker ist ein jüngerer Zeitgenosse und, wie es scheint,
-Schüler des Abu-l-Hudhail, gewöhnlich Al-Nazzam genannt. Er starb im Jahre 845. Ein
-phantastischer, unruhiger, ehrgeiziger Mann, kein folgerichtiger, aber doch ein kühner
-und ehrlicher Denker, so hat ihn Dschahiz, einer seiner Schüler, uns vorgestellt.
-Die Leute hielten ihn für einen Verrückten oder einen Ketzer. Vieles in seinen Lehren
-berührt sich mit dem, was den Orientalen als Philosophie des Empedokles und Anaxagoras
-bekannt war (<abbr title="vergleiche">vgl.</abbr> auch Abu-l-Hudhail).
-</p>
-<p>Nach der Ansicht Nazzams kann Gott überhaupt kein Böses thun, ja er kann nur das,
-was er als das Beste für seine Diener erkennt. Seine Allmacht reicht auch nicht weiter
-als die wirkliche That. Wer könnte ihn daran hindern, die schöne Überfülle seines
-Wesens zu verwirklichen? Einen Willen im eigentlichen Sinne, der immer ein Bedürfnis
-voraussetze, ist Gott gar nicht beizulegen. Gottes Wille ist vielmehr nur eine Bezeichnung
-für seine Thätigkeit selbst oder für die den Menschen erteilten Befehle. Die Schöpfung
-ist ein einmaliger Akt, mit dem <span class="pageNum" id="pb52">[<a href="#pb52">52</a>]</span>Alles zugleich erschaffen, sodass Eins im Andern enthalten ist und im Laufe der Zeit
-die verschiedenen Exemplare von Mineralien, Pflanzen und Tieren, sowie die vielen
-Adamskinder, nach und nach aus ihrem latenten Zustande in die Erscheinung treten.
-</p>
-<p>Mit den Philosophen verwirft Nazzam die Atomenlehre (<abbr title="siehe">s.</abbr> <a href="#ch2.3.12">II, 3 § 12</a>), weiß sich dann aber das Durchlaufen einer bestimmten Strecke, wegen der unendlichen
-Teilbarkeit des Raumes, nur durch Sprünge zu erklären. Statt aus Atomen lässt er die
-körperlichen Substanzen aus Accidenzen zusammengesetzt sein. Wie sich Abu-l-Hudhail
-die Inhärenz von Eigenschaften in einem Wesen nicht denken konnte, so kann sich Nazzam
-das Accidens nur als die Substanz selbst oder als einen Teil der Substanz vorstellen.
-So ist das Feuer oder das Warme <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> latent im Holze vorhanden, wird aber frei, wenn durch Reibung sein Antagonist, das
-Kalte, verschwindet. Es findet dabei eine Bewegung oder Umsetzung, aber keine qualitative
-Veränderung statt. Die sinnlichen Qualitäten, wie Farben, Geschmäcke und Gerüche,
-sind nach Nazzam Körper.
-</p>
-<p>Auch die Seele oder den Geist des Menschen fasst er als einen feinen Körper auf. Freilich
-ist die Seele des Menschen vorzüglichster Teil, sie durchdringt den Körper, ihr Organ,
-ganz und ist der wirkliche, wahrhafte Mensch zu nennen. Gedanken und Strebungen werden
-als Bewegungen der Seele definiert.
-</p>
-<p>In Glaubenssachen und Gesetzesfragen verwirft Nazzam sowohl die Übereinstimmung der
-Gemeinde als auch die analogische Interpretation des Rechtes, und beruft sich, schiitisch,
-auf den unfehlbaren Imam. Er hält es für möglich, dass alle Muslime eine irrige Lehre
-übereinstimmend zulassen, wie <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> dass Mohammed im Unterschiede von anderen Propheten eine Mission für die ganze Menschheit
-habe. Gott sendet aber jeden Propheten zur ganzen Menschheit.
-</p>
-<p>Übrigens teilt Nazzam in Bezug auf die Erkenntnis <span class="pageNum" id="pb53">[<a href="#pb53">53</a>]</span>Gottes und der sittlichen Pflichten durch die Vernunft die Ansicht des Abu-l-Hudhail.
-Von der unnachahmbaren Vortrefflichkeit des Korans ist er nicht sonderlich überzeugt.
-Es soll das ewige Wunder des Korans nur darin bestehen, dass die Zeitgenossen Mohammeds
-davon abgehalten wurden, dem Koran Ähnliches hervorzubringen.
-</p>
-<p>Von der muslimischen Eschatologie hat er wohl nicht viel gehalten. Wenigstens löst
-sich für ihn die Höllenqual in einen Verbrennungsprozess auf.
-</p>
-<p id="ch2.3.9"><b>9.</b> Aus der Schule Nazzams werden uns viele synkretistische Lehren überliefert, alle
-ohne Originalität. Von den Männern, die aus ihr hervorgegangen, ist der berühmteste
-der Schöngeist und Naturphilosoph Dschahiz (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 869), der vom echten Gelehrten verlangte, er solle das Studium der Theologie mit
-dem der Naturwissenschaft verknüpfen. In allen Dingen spürt er die Wirkungen der Natur,
-in diesen aber einen Hinweis auf den Schöpfer der Welt. Die menschliche Vernunft ist
-im Stande, den Schöpfer zu erkennen und ebenso das Bedürfnis nach einer prophetischen
-Offenbarung einzusehen. Des Menschen Verdienst ist nur sein Wollen, denn einerseits
-sind alle seine Thaten im Naturgeschehen verflochten, und andererseits ist sein ganzes
-Wissen notwendig von oben bestimmt. Doch scheint dem Wollen, das aus dem Wissen abgeleitet
-wird, keine große Bedeutung zuzukommen. Wenigstens wird der Wille im göttlichen Wesen
-ganz negativ gefasst, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> Gott wirke niemals unbewusst und mit Missfallen an seinem Werke.
-</p>
-<p>In alldem ist wenig Eigenes. Das Mittelmaß ist sein ethisches Ideal, aber auch seines
-Geistes Geschick. Nur im Kompilieren seiner vielen Schriften ist Dschahiz unmäßig
-gewesen.
-</p>
-<p id="ch2.3.10"><b>10.</b> Bei den älteren Mutaziliten überwiegen die ethischen und naturphilosophischen Erwägungen;
-bei den späteren gewinnen logisch-metaphysische Betrachtungen das Übergewicht. Besonders
-neuplatonische Einflüsse sind hier zu verspüren.
-<span class="pageNum" id="pb54">[<a href="#pb54">54</a>]</span></p>
-<p>Muammar, dessen Lebenszeit nicht näher bestimmt wird (etwa um 900 anzusetzen), hat
-manches mit den Obengenannten gemeinsam. Aber weit nachdrücklicher leugnet er die
-Existenz göttlicher Eigenschaften, die der absoluten Einheit des Wesens widersprechen.
-Gott ist über jede Vielheit hinaus. Er kennt weder sich selbst noch ein Anderes, denn
-das Wissen würde in ihm eine Vielheit voraussetzen. Auch ist er überewig zu nennen.
-Dennoch ist er als Schöpfer der Welt anzuerkennen. Freilich hat er nur Körper geschaffen,
-und diese schaffen selbst, sei es durch Naturwirkung, sei es mit Willen, ihre Accidenzen.
-Die Zahl dieser Accidenzen ist unendlich, denn sie sind ihrem Wesen nach nichts weiter
-als die begrifflichen Beziehungen des Denkens. Muammar ist Conceptualist. Bewegung
-und Ruhe, Gleichheit und Verschiedenheit <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> sind nichts an sich, sondern haben nur eine begriffliche oder ideelle Wirklichkeit.
-Die Seele, die das wahre Wesen des Menschen sein soll, wird als eine Idee oder eine
-immaterielle Substanz gefasst. Wie sie sich dann zum Körper und zu dem göttlichen
-Wesen verhalte, wird nicht klargestellt. Die Überlieferung ist verworren.
-</p>
-<p>Des Menschen Wille ist frei, das Wollen eigentlich seine einzige That. Denn die äußere
-Handlung gehört dem Körper (<abbr title="vergleiche">vgl.</abbr> Dschahiz).
-</p>
-<p>Die Schule von Bagdad, der Muammar anzugehören scheint, war conceptualistisch. Mit
-Ausnahme der allgemeinsten Bestimmungen, denen des Seins und des Werdens, ließ sie
-die Universalien nur als Begriffe Bestand haben. Näher dem Realismus stand Abu Haschim
-von Basra (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 933). Gottes Eigenschaften, sowie die Accidenzen oder Gattungsbegriffe überhaupt,
-fasste er als ein Mittleres zwischen Sein und Nichtsein auf. Er nannte sie Zustände
-oder Modi. Als Erfordernis alles Wissens bezeichnete er den Zweifel. Ein naiver Realist
-war er nicht.
-</p>
-<p>Auch mit dem Nichtsein trieben mutazilitische Denker ein dialektisches Spiel. Es werde
-gedacht, es müsse also <span class="pageNum" id="pb55">[<a href="#pb55">55</a>]</span>dem Nichtsein wie dem Sein eine Art Wirklichkeit zukommen, folgerte man. Versucht
-doch der Mensch eher das Nichts zu denken, als dass er überhaupt nicht denke.
-</p>
-<p id="ch2.3.11"><b>11.</b> Im neunten Jahrhundert hatten sich im Kampfe gegen die Mutaziliten mehrere dialektische
-Systeme ausgebildet, von denen <abbr title="unter andere">u. a.</abbr> das karramitische sich lange über das zehnte Jahrhundert hinaus erhielt. Aus den
-Reihen der Mutaziliten aber erstand der Mann, der die Gegensätze zu vermitteln berufen
-war, und der das zunächst im Osten, später im ganzen Islam als orthodox anerkannte
-Lehrsystem aufstellte. Es war al-Aschari (873–935), der es verstand, Gotte zu geben,
-was Gottes, und dem Menschen, was des Menschen ist. Den groben Anthropomorphismus
-der antimutazilitischen Dialektiker wies er ab, Gott über alles Körperliche und Menschliche
-hinausrückend, ihm aber seine Allmacht und Allwirksamkeit lassend. Die Natur büßte
-bei ihm alle ihre Wirksamkeit ein, dem Menschen aber wurde ein gewisses Verdienst
-vorbehalten, darin bestehend, dass er den von Gott in ihm geschaffenen Handlungen
-seine Zustimmung erteilen, sich dieselben als seine Thaten aneignen könne. Auch wurde
-dem Menschen sein sinnlich-geistiges Wesen nicht verkümmert. Er durfte hoffen auf
-die Auferstehung des Fleisches und das Schauen Gottes. Was die koranische Offenbarung
-betrifft, unterschied Aschari zwischen einem ewigen Worte in Gott und dem in der Zeit
-geoffenbarten Buche, wie wir es besitzen.
-</p>
-<p>Bei der Ausführung seiner Lehren zeigte sich Aschari in keiner Weise originell, sondern
-er fasste nur Gegebenes vermittelnd zusammen, was denn nicht ohne Widersprüche gelingen
-wollte. Die Hauptsache jedoch war, dass seine Kosmologie, Anthropologie und Eschatologie,
-zur Erbauung frommer Seelen, nicht allzu weit von dem Wortlaute der Tradition sich
-entfernten, und dass seine Theologie, infolge einer etwas vergeistigten Auffassung
-Gottes, auch höher Gebildete nicht ganz unbefriedigt ließ.
-</p>
-<p>Aschari stützt sich auf die Offenbarung des Korans. <span class="pageNum" id="pb56">[<a href="#pb56">56</a>]</span>Eine davon unabhängige Vernunfterkenntnis in Bezug auf göttliche Dinge erkennt er
-nicht an. Die Sinne sollen im allgemeinen nicht täuschen, dagegen wohl unser Urteil.
-Zwar erkennen wir Gott mit unserer Vernunft, aber nur aus der Offenbarung, der einzigen
-Quelle solchen Wissens.
-</p>
-<p>Gott ist nun, nach Aschari, zunächst der allmächtige Schöpfer. Ferner ist er allwissend,
-er weiß, was die Menschen thun und was sie thun wollen, was geschieht und wie das,
-was nicht geschieht, wenn es geschähe, geschehen wäre. Dazu kommen Gott alle Bestimmungen
-zu, die irgend eine Vollkommenheit ausdrücken, nur dass sie Gott in einem anderen,
-höheren Sinne eignen als den Geschöpfen. In Schöpfung und Erhaltung der Welt ist Gott
-die einzige Ursache; alles Weltgeschehen rührt fortwährend unmittelbar von ihm her.
-Der Mensch aber ist sich des Unterschiedes zwischen seinen unwillkürlichen Bewegungen,
-wie Zittern und Beben, und seiner mit Willen und Wahl ausgeführten Handlungen wohl
-bewusst.
-</p>
-<p id="ch2.3.12"><b>12.</b> Das Eigentümlichste, was die Dialektik der Muslime ausgebildet hat, ist ihre Atomenlehre.
-Die Entwicklung dieser Lehre liegt noch fast ganz im Dunkeln. Schon von Mutaziliten,
-besonders aber von deren Gegnern vor Aschari ist sie vertreten worden. Unsere Darstellung
-zeigt, wie sie sich in der ascharitischen Schule erhalten, zum Teil vielleicht erst
-ausgebildet hat.
-</p>
-<p>Die Atomenlehre der muslimischen Dialektiker hat ihre Quelle allerdings in griechischer
-Naturphilosophie, aber ihre Aufnahme und Weiterbildung sind von den Bedürfnissen theologischer
-Polemik und Apologetik bestimmt, wie sich dies ähnlich bei einzelnen Juden und bei
-gläubigen Katholiken beobachten lässt. Dass man, im Islam, den Atomismus aufgegriffen
-habe, nur weil Aristoteles ihn bekämpfte, ist nicht wohl glaublich. Wir haben hier
-einen verzweifelten Kampf um ein religiöses Gut zu verzeichnen, dabei die Waffen nicht
-gewählt werden. Der Zweck entscheidet. Die Natur soll nicht aus sich selbst heraus,
-<span class="pageNum" id="pb57">[<a href="#pb57">57</a>]</span>sondern aus einem göttlichen Schöpfungsakte erklärt; nicht als eine ewige göttliche
-Ordnung, sondern als ein Geschöpf vergänglichen Daseins diese Welt angesehen werden.
-Als freiwirkender, allmächtiger Schöpfer soll Gott gedacht und benannt werden, nicht
-als unpersönliche Ursache oder ruhender Urgrund. An der Spitze der muslimischen Dogmatik
-steht daher seit alter Zeit die Schöpfungslehre als ein Zeugnis gegen die heidnisch-philosophische
-Ansicht von der Ewigkeit der Welt und von den Wirkungen der Natur.
-</p>
-<p>Was wir von der Sinnenwelt wahrnehmen, so reden diese Atomisten, sind vorübergehende
-Accidenzen, die jeden Augenblick kommen und gehen. Das Substrat dieses Wechsels sind
-die (körperlichen) Substanzen, die, weil in oder an ihnen Veränderungen vorgehen,
-nicht unveränderlich gedacht werden können. Sind sie, die Substanzen, veränderlich,
-dann können sie auch nicht dauerhaft sein, denn Ewiges ändert sich nicht. Folglich
-ist Alles in der Welt, da Alles sich ändert, entstanden, von Gott erschaffen.
-</p>
-<p>Das ist der Ausgangspunkt. Von der Veränderlichkeit alles Existierenden wird geschlossen
-auf den ewigen, unveränderlichen Schöpfer. Die Späteren aber schließen, unter dem
-Einfluss muslimischer Philosophen, von der Kontingenz oder Possibilität alles Endlichen
-auf das notwendig-existierende Wesen Gottes.
-</p>
-<p>Kehren wir zur Welt zurück. Sie besteht aus Accidenzen und deren Substrate, die Substanzen.
-Substanz und Accidens oder Qualität sind die zwei Kategorien, mittelst derer die Wirklichkeit
-begriffen wird. Die übrigen Kategorien fallen entweder unter die der Qualität oder
-lösen sich in Verhältnisse und Denkbestimmungen auf, denen, objektiv, nichts entspricht.
-Die Materie als Möglichkeit ist nur im Denken, die Zeit ist nichts anderes als Koexistenz
-verschiedener Gegenstände oder simultane Beziehung der Vorstellung, und Raum und Größe
-kommen zwar den Körpern zu, nicht aber den einzelnen Teilen (Atomen), aus denen die
-Körper zusammengesetzt sind.
-<span class="pageNum" id="pb58">[<a href="#pb58">58</a>]</span></p>
-<p>Was von den Substanzen überhaupt ausgesagt werden kann, sind Accidenzen. Ihre Anzahl
-ist, an jeder einzelnen Substanz, zahlreich oder gar, wie einige behaupten, unendlich,
-da von beliebigen gegensätzlichen Bestimmungen, zu denen auch die negativen gehören,
-jeder Substanz entweder die eine oder die andere zukomme. Das negative Accidens hat
-um nichts weniger Realität als das positive. Gott schafft auch die Privation und die
-Vernichtung, wofür es denn freilich nicht leicht ist, das Substrat ausfindig zu machen.
-Und da jedes Accidens immer nur seinen Sitz in irgend einer Substanz haben kann, und
-nicht in einem anderen Accidens, so gibt es in Wirklichkeit kein Allgemeines, mehreren
-Substanzen Gemeinsames. Die Universalien sind in keiner Weise in den Einzeldingen,
-sie sind Begriffe.
-</p>
-<p>Somit gibt es keine Verbindung zwischen den Substanzen, sie stehen getrennt für sich
-als Atome, die einander gleich sind. Eigentlich haben sie eine größere Ähnlichkeit
-mit den Homöomerien des Anaxagoras als mit den kleinsten Stoffteilchen der Atomisten.
-Sie sind an sich unräumlich (ohne makan), haben aber ihren Ort (hajjiz) und füllen
-durch ihre Position den Raum aus. Es sind also unausgedehnte, punktuell gedachte Einheiten,
-aus denen die räumliche Körperwelt aufgebaut wird. Zwischen ihnen soll es ein Leeres
-geben, denn sonst wäre, da die Atome nicht in einander eindringen, jede Bewegung unmöglich.
-Alle Veränderung aber wird auf Vereinigung und Trennung, Bewegung und Ruhe zurückgeführt.
-Sonstige, wirksame Beziehungen zwischen den Atomen-Substanzen gibt es nicht. Sie sind
-einmal da und freuen sich ihres Daseins, haben aber gar nichts mit einander zu thun.
-Die Welt ist eine diskontinuierliche Masse, ohne lebendige Wechselwirkung.
-</p>
-<p>Das Altertum hatte dieser Auffassung vorgearbeitet, <abbr title="unter andere">u. a.</abbr> auch mit seiner Lehre von dem diskontinuierlichen Charakter der Zahl. Wurde die Zeit
-nicht als die Zahl <span class="pageNum" id="pb59">[<a href="#pb59">59</a>]</span>der Bewegung definiert? Warum sollte man nun nicht jene Lehre auf Raum, Zeit und Bewegung
-übertragen? Die Dialektiker thaten es, und es mag auch die Skepsis der Alten dabei
-mitgewirkt haben. Wie die substanzielle Körperwelt wurden auch Raum, Zeit und Bewegung
-in Atome ohne Ausdehnung, in Momente ohne Dauer zerlegt. Die Zeit wird eine Aufeinanderfolge
-von vielen einzelnen Jetzt, und zwischen je zwei Zeitmomenten gibt es ein Leeres.
-Ebenso verhält es sich mit der Bewegung: zwischen je zwei Bewegungen gibt es eine
-Ruhe. Eine schnelle und eine langsame Bewegung besitzen dieselbe Geschwindigkeit,
-nur hat die letztere mehr Ruhepunkte. Um dann aber über den leeren Raum, das unausgefüllte
-Zeitmoment und die Ruhepause zwischen zwei Bewegungen hinauszukommen, wird die Lehre
-vom Sprunge benutzt. Von Raumpunkt zu Raumpunkt soll die Bewegung, von Moment zu Moment
-die Zeit weiterspringen.
-</p>
-<p>Diese phantastische Lehre brauchte man eigentlich gar nicht. Sie war eine Antwort
-auf naives Fragen. Konsequent hatte man die ganze räumlich-zeitlich bewegte Körperwelt
-in Atome mit deren Accidenzen zerstückt. Wohl behaupteten einige, dass zwar die Accidenzen
-jeden Augenblick schwinden, die Substanzen dagegen dauernden Bestand haben, aber andere
-machten da keinen Unterschied. Wie die Accidenzen, so lehrten sie, bestehen auch die
-Substanzen, die ja Raumpunkte sind, nur einen Zeitpunkt. Jeden Augenblick schafft
-Gott die Welt aufs neue, sodass ihr jetziger Zustand weder mit dem unmittelbar vorhergehenden
-noch mit dem gleich folgenden in irgend einem wesentlichen Zusammenhange steht. Es
-gibt also eine Reihe aufeinander folgender Welten, die sich nur scheinbar als <span class="ex">eine</span> Welt darstellen. Dass es für uns so etwas wie Zusammenhang oder Kausalität in den
-Erscheinungen gibt, rührt nur daher, dass es Allah nach seinem unergründlichen Willen
-heut oder morgen nicht beliebt, die Gewohnheit des Geschehens durch ein Wunder zu
-unterbrechen, <span class="pageNum" id="pb60">[<a href="#pb60">60</a>]</span>was er aber jeden Augenblick zu thun im Stande ist. Wie aller Kausalzusammenhang nach
-dem atomistischen Kalam verschwindet, wird sehr gut durch das klassische Beispiel
-vom schreibenden Menschen ausgedrückt. Gott schafft nämlich in ihm, und zwar an jedem
-Zeitpunkte aufs neue, zuerst den Willen, dann das Vermögen zu schreiben, darauf die
-Bewegung der Hand, und endlich die Bewegung der Feder. Eins ist dabei völlig unabhängig
-von dem Andern.
-</p>
-<p>Wenn man nun dagegen einwendet, dass mit der Kausalität oder der Regelmäßigkeit des
-Weltgeschehens auch die Möglichkeit alles Wissens aufgehoben sei, so erwidert der
-gläubige Denker, Allah wisse ja Alles vorher schon, er schaffe nicht nur die Dinge
-der Welt und was sie zu wirken scheinen, sondern auch das Wissen darum in der menschlichen
-Seele, und wir brauchen nicht weiser zu sein als Er. Er weiß es am besten.
-</p>
-<p>Allah und die Welt, Gott und der Mensch, über diese Gegensätze konnte die muslimische
-Dialektik nicht hinaus kommen. Außer Gott gibt es nur Platz für körperliche Substanzen
-und deren Accidenzen. Das Dasein menschlicher Seelen als unkörperlicher Substanzen,
-sowie überhaupt die Existenz reiner Geister, beides von Philosophen und, weniger bestimmt,
-von einigen Mutaziliten gelehrt, wollte nicht recht stimmen zu der muslimischen Lehre
-von der Transcendenz Gottes, der keinen Genossen hat. Die Seele gehört zu der Körperwelt.
-Leben, Empfindung, Beseeltheit sind ebenso Accidenzen wie Farbe, Geschmack und Geruch,
-Bewegung und Ruhe. Einige nehmen nur ein Seelenatom an, nach anderen sind mehrere
-feine Seelenatome unter die Körperatome gemischt. Das Denken haftet jedenfalls an
-einem einzigen Atom.
-</p>
-<p id="ch2.3.13"><b>13.</b> Nicht alle guten Muslime konnten sich bei der Dialektik beruhigen. Der fromme Diener
-Gottes möchte doch auf andere Weise seinem Herrn etwas näher kommen. Dieses Bedürfnis,
-schon anfangs im Islam vorhanden, durch <span class="pageNum" id="pb61">[<a href="#pb61">61</a>]</span>christliche und persisch-indische Einflüsse verstärkt und unter entwickelteren Kulturverhältnissen
-mächtig angewachsen, hat im Islam eine Reihe von Erscheinungen hervorgerufen, die
-man als Mystik und Sufismus<a class="noteRef" id="xd31e1675src" href="#xd31e1675">4</a> zu bezeichnen pflegt. In dieser Entwicklung eines muslimischen Heiligenwesens und
-Mönchtums hat sich die Geschichte christlicher Mönche und Klöster in Syrien und Ägypten,
-auch diejenige indischer Büßer wiederholt. Im Grunde haben wir es hier also mit religiöser
-oder geistiger Praxis zu thun. Aber die Praxis spiegelt sich immer im Denken, sie
-erhält ihre Theorie. Man bedurfte, um ein intimeres Verhältnis mit der Gottheit zu
-Stande zu bringen, vielfach symbolischer Handlungen und vermittelnder Personen. Diese
-nun versuchten es, sich und den Eingeweihten die Geheimnisse der Symbole zu enthüllen
-und außerdem ihre eigene vermittelnde Stellung in der Stufenordnung des Alls zu begründen.
-Besonders neuplatonische Lehren, teilweise aus der trüben Quelle des Pseudo-Dionysios
-des Areopagiten und des heiligen Hierotheos (Stephen bar Sudaili?) mussten dazu herhalten.
-Auch scheint der indische Yoga, wenigstens in Persien, bedeutend eingewirkt zu haben.
-Meistens hielt sich die Mystik in den Schranken der Orthodoxie, die immer auch verständig
-genug war, Dichtern und Schwärmern etwas nachzusehen. In Bezug auf die Lehre, dass
-Gott alles in allem <span class="ex">wirke</span>, waren Dialektiker und Mystiker einverstanden. Dass aber Gott auch alles in allem
-<span class="ex">sei</span>, wurde von der extremen Mystik hinzugefügt. Daraus entwickelte sich ein heterodoxer
-Pantheismus, der die Welt zum leeren Scheine und das menschliche Ich zum Gotte machte.
-So wird die Einheit Gottes zur Alleinheit, seine Allwirksamkeit zur Allwesenheit.
-Höchstens gibt es außer Gott noch die Eigenschaften oder Zustände der sufischen zu
-Ihm sich hinbewegenden Seele. Eine Psychologie des Gefühles wird von sufischen Lehrern
-entwickelt. <span class="pageNum" id="pb62">[<a href="#pb62">62</a>]</span>Während, nach ihnen, unsere Vorstellungen von außen an die Seele herankommen und unsere
-Strebungen eine Veräußerlichung des Inneren bedeuten, besteht das wahre Wesen unserer
-Seele aus gewissen Zuständen oder Gefühlen der Lust und Unlust. Das wesentlichste
-von allen ist die Liebe. Weder Furcht noch Hoffnung, sondern die Liebe erhebt uns
-zu Gott. Kein Wissen und kein Wollen, sondern die Vereinigung mit dem Geliebten heißt
-Seligkeit.
-</p>
-<p>Weit gründlicher als von den Dialektikern wird von diesen Mystikern die Welt, und
-schließlich auch die Menschenseele vernichtet. Von jenen ist sie der schaffenden Willkür,
-von diesen dem erleuchtenden, liebenden Wesen Gottes zum Opfer dargebracht worden.
-In der Sehnsucht nach dem Einen Geliebten wird die verwirrende Mannigfaltigkeit der
-Dinge, wie sie unseren Sinnen und der Vorstellung erscheint, abgestreift. Alles wird,
-im Sein wie im Denken, auf einen Punkt konzentriert. Als Gegensatz denke man sich
-echtes Griechentum. Dort wünschte man sich die Zahl der Sinne größer, um etwas mehr
-von dieser schönen Welt erkennen zu können. Diese Mystiker aber schelten die Vielheit
-der Sinne, weil sie Verwirrung in ihr Glück hineinbringt.
-</p>
-<p>Doch macht die menschliche Natur sich überall geltend. Jene Welt und Sinnen entsagenden
-Männer schwelgen oft bis in ein hohes Alter hinein in den sinnlichsten Phantasien.
-</p>
-<p>Dass viele sich gar wenig um die Glaubenslehre kümmerten, und dass die asketische
-Moral der Sufis öfter in das Gegenteil sich verwandelte, braucht uns nach alledem
-nicht zu wundern.
-</p>
-<p>Die Entwicklung des Sufismus im einzelnen zu verfolgen, ist mehr eine Aufgabe für
-die Religions- als für die Philosophiegeschichte. Auch finden wir die philosophischen
-Elemente, die darin aufgenommen wurden, bei den muslimischen Philosophen, denen wir
-im folgenden begegnen werden.
-<span class="pageNum" id="pb63">[<a href="#pb63">63</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch2.4" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e399">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">4.</span> Litteratur und Geschichte.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch2.4.1" class="first"><b>1.</b> Arabische Poesie und Annalistik haben sich unabhängig von Schulgelehrsamkeit ausgebildet.
-Im Laufe der Zeit aber wussten Litteratur und Geschichtschreibung sich nicht von fremden
-Einflüssen rein zu erhalten. Mit einigen Andeutungen, dies zu erhärten, müssen wir
-uns hier begnügen.
-</p>
-<p>Einen Bruch mit der poetischen Tradition des Arabertums, wie ihn das Christentum in
-der germanischen Welt verursachte, bedeutete die Einführung des Islam nicht. Schon
-die weltliche Litteratur der Omajjadenzeit überlieferte viele Weisheitssprüche, zum
-Teil aus der altarabischen Poesie, die der Koranpredigt Konkurrenz machten. Abbasidenchalife,
-wie Mansur, Harun und Mamun, waren litterarisch gebildeter als Karl der Große. Ihre
-Söhne wurden nicht nur mit Koranlektüre erzogen, sondern auch mit den alten Dichtern
-und der Volksgeschichte bekannt gemacht. Dichter und Litteraten wurden an die Höfe
-gezogen und fürstlich belohnt. Dort erfuhr dann die Litteratur den Einfluss gelehrter
-Bildung und philosophischer Spekulation, wenn auch in den meisten Fällen recht oberflächlich.
-Dies zeigt sich vor allem in skeptischen Äußerungen, frivoler Verspottung des Heiligsten
-und Verherrlichung des Sinnengenusses. Daneben aber drangen weise Sprüche, ernste
-Betrachtungen, mystische Spekulationen in die anfangs nüchtern-realistische Poesie
-der Araber ein. Statt der sinnlichen Frische der Darstellung trat ein ermüdendes Spiel
-mit Gedanken und Gefühlen, wenn nicht gar mit leeren Worten, Metren und Reimen, ein.
-</p>
-<p id="ch2.4.2"><b>2.</b> Der hässliche Abu-l-Atahia (748–828) redet in seiner süßlichen Poesie fast immer
-von unglücklicher Liebe und Verlangen nach dem Tode. Seine Weisheit spricht er in
-diesen Versen aus:
-</p>
-<div class="lgouter">
-<p class="line">Lass nach dem Zweifel den Verstand sich richten: </p>
-<p class="line">Vor Sünde schützt am besten das Verzichten. </p>
-</div>
-<p><span class="pageNum" id="pb64">[<a href="#pb64">64</a>]</span></p>
-<p>Wer nur einiges Verständnis für das Leben und für Naturpoesie besitzt, wird sich an
-seinen Weltentsagungsgedichten ebensowenig erfreuen können, wie an den der Form nach
-zwar epigrammatischen, dem Inhalte nach aber furchtbar langweiligen Versen des Mutanabbi
-(905–965), den man wohl als den größten arabischen Dichter gefeiert hat.
-</p>
-<p>Ebenso hat man über Gebühr Abu-l-Ala al-Maarri (973–1058) als philosophischen Dichter
-erhoben. Seine, mitunter ganz ehrenwerten Gesinnungen und verständigen Ansichten sind
-weder Philosophie noch ist der gekünstelte und oft banale Ausdruck dafür Poesie. Als
-Philologe oder Historiker hätte dieser Mann bei günstigeren Verhältnissen (er war
-blind und nicht übermäßig reich) vielleicht in der niederen Kritik etwas leisten können.
-Nun aber muss er statt Begeisterung für das Leben freudenlose Entsagung predigen,
-an den politischen Verhältnissen, den Anschauungen der gläubigen Menge und den wissenschaftlichen
-Behauptungen der Gelehrten herumnörgeln, ohne selbst etwas Positives aufstellen zu
-können. Es fehlt ihm fast ganz die Gabe der Kombination. Analysieren kann er, aber
-er findet keine Synthese. Sein Wissen ist unfruchtbar. Der Baum seiner Erkenntnis
-hat die Wurzeln in der Luft, wie er selbst in einem seiner Briefe, wohl in anderem
-Sinne, eingesteht. Er lebt als strenger Cölibatär und Vegetarianer, wie es sich für
-einen Pessimisten geziemt. Es ist ja Alles, wie er in seinen Gedichten ausspricht,
-eitel Tand. Das Geschick ist blind, die Zeit verschont weder den König, der des Lebens
-genießt, noch den Frommen, der seine Nächte durchwacht. Auch der widervernünftige
-Glaube löst uns des Daseins Rätsel nicht. Was es hinter dem bewegten Himmel geben
-mag, bleibt uns ewig verborgen. Religionen, welche da eine Aussicht eröffnen, sind
-vom Eigennutz erfunden. Allerhand Sekten und Parteiungen werden von den Mächtigen
-benutzt, ihre Gewalt zu sichern. Die Wahrheit darüber darf man nur leise <span class="pageNum" id="pb65">[<a href="#pb65">65</a>]</span>sagen. Darum ist es das klügste, sich von der Welt entfernt zu halten, uneigennützig
-Gutes zu thun, weil dies tugendhaft und schön ist, ohne irgendwelche Aussicht auf
-Belohnung.
-</p>
-<p>Andere Schöngeister hatten eine praktischere Philosophie und wussten sich besser in
-der Welt geltend zu machen. Sie huldigten der klugen Lehre des Theaterdirektors aus
-Goethes Faust: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Der vollendetste Typus
-dieser Art ist Hariri (1054–1122), dessen Held, der Bettler und Landstreicher Abu
-Zaid von Serug als höchste Weisheit lehrt:
-</p>
-<div class="lgouter">
-<p class="line">Hetze, statt gehetzt zu werden; </p>
-<p class="line">Welt ist all ein Wald für Hatzen. </p>
-<p class="line">Wenn der Falke dir entgangen, </p>
-<p class="line">Nimm fürlieb nur mit dem Spatzen; </p>
-<p class="line">Und erhältst du nicht den Thaler, </p>
-<p class="line">So <span class="corr" id="xd31e1726" title="Quelle: begnüg">begnüg’</span> dich mit dem Batzen.<a class="noteRef" id="xd31e1729src" href="#xd31e1729">5</a> </p>
-</div>
-<p id="ch2.4.3" class="first"><b>3.</b> Wie die Poesie, so zeichnete sich auch die Annalistik der alten Araber durch scharfe
-Erfassung des Einzelnen aus, war aber einer Gesamtauffassung der Ereignisse nicht
-fähig. Mit der gewaltigen Ausdehnung des Reiches erweiterte sich dann der Blick. Zunächst
-wurde ein <span class="corr" id="xd31e1736" title="Quelle: grosses">großes</span> Material gesammelt. Mehr als die religiösen Pilgerzüge förderten Reisen zur Sammlung
-von Traditionen, zum Zwecke der Verwaltung und des Handels, oder auch zur Befriedigung
-der Neugier unternommen, das geschichtliche und geographische Wissen. Eigentümliche
-Methoden der Forschung, auf den Wert der Überlieferung als Quelle unseres Wissens
-sich beziehend, wurden ausgearbeitet. Mit derselben Subtilität, wie in der Grammatik,
-ein ausgedehntes Feld der Beobachtung ins Unendliche einteilend, mehr arabeskenhaft
-als übersichtlich, bildete sich so eine Logik der Geschichte aus, die dem orientalischen
-Auge um vieles schöner erscheinen musste als das aristotelische <span class="pageNum" id="pb66">[<a href="#pb66">66</a>]</span>Organon in seinem strengen Aufbau. Von vielen wurde die Überlieferung, mit deren Beglaubigung
-man es in der Regel praktisch weniger genau nahm als in der Theorie, dem Sinnenzeugnisse
-gleichgesetzt, und dem Verstandesurteile, das ja so leicht Fehlschlüsse zulasse, vorgezogen.
-</p>
-<p>Es gab aber immer Leute, die unparteiisch sich widersprechende Berichte neben einander
-überlieferten. Andere, obgleich mit Schonung für die Gefühle und Bedürfnisse der Gegenwart,
-hielten ihr mehr oder weniger begründetes Urteil über Vergangenes nicht zurück, wie
-es denn oft leichter ist, aus der Geschichte als aus dem Leben klug zu werden.
-</p>
-<p>Neue Gegenstände der Forschung, neue Betrachtungsweisen traten hinzu. Die Erdkunde
-nahm, <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> in der Klimatogeographie, Naturphilosophisches auf, die Geschichtsschreibung zog
-auch das geistige Leben, Glauben und Sitte, Litteratur und Wissenschaft in den Bereich
-ihrer Darstellung. Die Bekanntschaft mit anderen Ländern und Völkern forderte vielfach
-zum Vergleiche auf. Und es kam also ein internationales, humanistisches Element herein.
-</p>
-<p id="ch2.4.4"><b>4.</b> Ein Vertreter humanistischer Sinnesweise ist Masudi (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> etwa 956). Er hat Interesse und Verständnis für Alles, was menschlich ist. Überall
-lernt er von den Menschen, denen er begegnet, und infolgedessen ist die Bücherlektüre,
-die seine Einsamkeit ausfüllt, nicht unfruchtbar. Weder die enge Praxis des Lebens
-und Glaubens, noch die luftigen Spekulationen der Philosophie sagen ihm zu. Er kennt
-sein Talent. Und er findet bis zuletzt, wenn er fern von der Heimat in Ägypten sein
-Alter verbringt, seinen Trost, die Medizin seiner Seele, in dem Studium der Geschichte.
-Die Geschichte ist ihm die allesumfassende Wissenschaft, seine Philosophie, die die
-Wahrheit dessen, was war und ist, darzustellen hat. Auch die Weltweisheit mit ihrer
-Entwicklung wird der Geschichte zum Gegenstande. Ohne diese wäre ja alles Wissen längst
-zu Grunde gegangen. Denn die Gelehrten kommen <span class="pageNum" id="pb67">[<a href="#pb67">67</a>]</span>und gehen, aber die Geschichte verzeichnet ihre Geistesthaten und stellt dadurch die
-Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart her. Ohne Vorurteil berichtet sie über
-die Ereignisse und über die Ansichten der Menschen. Freilich, die Synthese der Thatsachen
-und die eigene Meinung des Verfassers herauszufinden, das überlässt Masudi oft dem
-verständigen Leser.
-</p>
-<p>Nach ihm darf rühmend hervorgehoben werden der Geograph Maqdasi (oder Muqaddasi, schrieb
-im Jahre 985), der viele Länder durchreiste und in den verschiedensten Berufen auftrat,
-das Leben seiner Zeit kennen zu lernen. Er ist ein wahrer Abu Zaid von Serug (<abbr title="vergleiche">vgl.</abbr> <a href="#ch2.4.2">II, 4 § 2</a>), nur dass er einen Zweck hat.
-</p>
-<p>Kritisch geht er ans Werk. Er hält sich zu der Wissenschaft, die man durch Forschen
-und Nachfragen, nicht durch Traditionsglauben oder reine Vernunftschlüsse gewinnt.
-Was Geographisches im Koran steht, erklärt er sich aus dem engen Gesichtskreise der
-Araber, dem Allah sich anbequemt haben soll.
-</p>
-<p>Sine ira et studio beschreibt er nun die Länder und Völker, die er mit eigenen Augen
-sah. Er will an erster Stelle Selbsterlebtes darstellen, dann was er von glaubwürdigen
-Leuten vernommen, und endlich was er in Büchern gefunden. Aus seiner Selbstcharakteristik
-sind die folgenden Sätze zusammengezogen:
-</p>
-<p>“Ich habe allgemeine Bildung und Pflichtenlehre unterrichtet, bin als Prediger aufgetreten
-und habe von dem Minarete der Moscheen den Gebetsruf erschallen lassen. Gelehrten
-Sitzungen und frommen Übungen habe ich beigewohnt. Ich habe Suppe mit den Sufis, Brei
-mit den Mönchen und Schiffskost mit den Matrosen gegessen. Manchmal war ich die Eingezogenheit
-selbst, dann wieder aß ich verbotene Speisen gegen mein besseres Wissen. Ich ging
-mit den Einsiedlern des Libanons um und dann wieder lebte ich am fürstlichen Hofe.
-Kriege habe ich mitgemacht, auch saß ich gefangen und wurde als Spion <span class="pageNum" id="pb68">[<a href="#pb68">68</a>]</span>in den Kerker geworfen. Mächtige Fürsten und Minister gaben mir Gehör, dann schloss
-ich mich wieder einer Räuberbande an oder saß als Kleinhändler auf dem Markte. Viel
-Ehren und Ansehen genoss ich, aber ebenso musste ich Schimpfworte hören und mich zum
-Eide erniedrigen, als ich der Ketzerei oder schlechter Handlungen verdächtigt ward.”<a class="noteRef" id="xd31e1768src" href="#xd31e1768">6</a>
-</p>
-<p>Wir sind heutigen Tages gewöhnt, uns den Orientalen in beschaulicher Ruhe, Glauben
-und Sitte der Väter ergeben, vorzustellen. Ganz richtig ist die Vorstellung nicht.
-Aber weit weniger als zu der gegenwärtigen Lage stimmt sie zu der Verfassung des Islam
-in den ersten vier Jahrhunderten, als dieser sich anschickte, den Besitz nicht nur
-der äußeren Güter der Welt, sondern auch der geistigen Errungenschaften der Menschheit
-zu ergreifen.
-<span class="pageNum" id="pb69">[<a href="#pb69">69</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div class="footnotes">
-<hr class="fnsep">
-<div class="footnote-body">
-<div id="xd31e1379">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1379src">1</a></span> Beides kommt vor, doch ist Qijas gewöhnlich = Analogie. In der philosophischen, von den Übersetzern herrührenden Terminologie steht aber Qijas
-immer für <span class="trans" title="syllogismos"><span lang="grc" class="grek">συλλογισμός</span></span>, während <span class="trans" title="analogia"><span lang="grc" class="grek">ἀναλογία</span></span> mit <span class="ex">arab. mithl</span> wiedergegeben wird.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1379src" title="Zurück zur Note 1 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e1422">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1422src">2</a></span> <abbr title="Vergleiche">Vgl.</abbr> Snouck Hurgronje in ZDMG. LIII, S. 155.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1422src" title="Zurück zur Note 2 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e1554">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1554src">3</a></span> Mystiker führten auch wohl einen sechsten Sinn dafür ein.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1554src" title="Zurück zur Note 3 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e1675">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1675src">4</a></span> Nach ihrem grobwollenen Rock (sûf) wurden die Asketen Sufis genannt.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1675src" title="Zurück zur Note 4 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e1729">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1729src">5</a></span> Rückerts Übers. d. Makamen II, S. 219.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1729src" title="Zurück zur Note 5 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e1768">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e1768src">6</a></span> <abbr title="Vergleiche">Vgl.</abbr> v. Kremer, Kulturgesch. des Orients II, S. 429 ff.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e1768src" title="Zurück zur Note 6 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div id="ch3" class="div1 chapter"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e424">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main"><span class="divNum">III.</span> Die pythagoreische Philosophie.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<div id="ch3.1" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e432">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">1.</span> Die Naturphilosophie.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch3.1.1" class="first"><b>1.</b> Euklid und Ptolemäus, Hippokrat und Galen, einiges von Aristoteles, dazu ein umfangreiches
-neupythagoreisches und neuplatonisches Schrifttum, damit sind die Elemente der arabischen
-Naturphilosophie bezeichnet. Es ist eine Popularphilosophie, die, besonders durch
-die Sabier von Harran vermittelt, bei Schiiten und anderen Sekten Aufnahme fand, und
-die in der Folge nicht nur höfische Kreise, sondern auch eine ganze Masse von Gebildeten
-und Halbgebildeten ergriff. Einzelheiten aus den Schriften des “Logikers” Aristoteles
-wurden aufgenommen, aus der <span class="corr" id="xd31e1790" title="Quelle: Metereologie">Meteorologie</span>, aus der ihm zugeschriebenen Schrift Über die Welt, aus dem Buch der Tiere, der Psychologie
-<abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr>, aber der Geist des Ganzen ist von Pythagoras-Platon, von Stoikern und von späten
-Astrologen und Alchemisten bestimmt. Menschliche Neugierde und frommer Sinn, die Gottes
-Geheimnisse aus seinen Geschöpfen herauslesen möchten, gehen dabei über das praktische
-Bedürfnis, das etwas Rechenkunst für die Verteilung der Erbschaft und für den Handel,
-auch etwas Astronomie für die Zeitbestimmung gottesdienstlicher Verrichtungen brauchte,
-weit hinaus. Von überall her holt man sich seine Weisheit herbei. Es bekundet sich
-darin eine Gesinnung, die von Masudi richtig formuliert wurde: es sei das Gute anzuerkennen,
-ob es sich beim Feinde oder beim Freunde finde. Sollte doch Ali, der Fürst der Gläubigen,
-gesagt haben: “Die Weltweisheit ist das verirrte Schaf des Gläubigen, nimm es wieder
-auf, wenn auch von den Ungläubigen”.
-<span class="pageNum" id="pb70">[<a href="#pb70">70</a>]</span></p>
-<p id="ch3.1.2"><b>2.</b> Der Patron mathematischer Studien im Islam ist Pythagoras. Zwar wird Griechisches
-und Indisches gemischt, aber Alles unter neupythagoreische Gesichtspunkte gestellt.
-Ohne das Studium der mathematischen Disziplinen: Arithmetik und Geometrie, Astronomie
-und Musik, wird Keiner, so heißt es, zum Philosophen oder gebildeten Arzt. Die Zahlenlehre,
-höher geschätzt als die Messkunde, weil sie weniger zur Anschauung spricht und den
-Geist dem Wesen der Dinge näher bringen soll, gibt zu den ausschweifendsten Spielereien
-Veranlassung. Gott ist selbstverständlich die große Eins, von der Alles ausgeht, selbst
-keine Zahl, sondern Ursache der Zahl. Vor allem aber wird die Vierzahl, die Zahl der
-Elemente <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr>, von den Naturphilosophen bevorzugt. Bald kann man über nichts im Himmel und auf
-Erden mehr reden und schreiben, es sei denn in viergliedrigen Sätzen und viergeteilten
-Abhandlungen.
-</p>
-<p>Von der Mathematik kam man schnell und leicht zur Astronomie und Astrologie hinüber.
-Die altorientalische Praxis, die man vorfand, wurde schon von den Hofastrologen der
-Omajjaden, eingehender aber am abbasidischen Hofe weitergeführt. Man gelangte dabei
-zu Spekulationen, die dem Offenbarungsglauben zuwiderliefen und deshalb von den Hütern
-der Religion niemals gebilligt werden konnten. Für den Gläubigen bestand nur der Gegensatz:
-Gott und Welt, oder dieses Leben und das zukünftige. Für den Astrologen aber gab es
-zwei Welten, eine himmlische und eine irdische, und Gott und das Jenseits lagen in
-weiter Ferne. Je nachdem nun das Verhältnis zwischen den Himmelskörpern und den Dingen
-unter dem Monde vorgestellt wurde, bildete sich eine verständige Astronomie oder eine
-phantastische Astrologie heraus. Ganz frei vom astrologischen Wahne waren nur wenige.
-Solange nämlich das ptolemäische System die Wissenschaft beherrschte, war es einem
-gänzlich Ungebildeten leichter, den Unsinn zu verspotten, als es dem gelehrten Forscher
-war, ihn zu <span class="pageNum" id="pb71">[<a href="#pb71">71</a>]</span>überwinden. War ihm doch diese Erde mit ihren Lebewesen ein Erzeugnis himmlischer
-Kräfte, ein Abglanz himmlischen Lichtes, ein Nachklang der ewigen Sphärenharmonie.
-Wer nun den Sternen- und Sphärengeistern Vorstellung und Willen zuschrieb, ließ sie
-die Stelle der göttlichen Vorsehung vertreten, führte auf ihre Thätigkeit also Gutes
-und Böses zurück und suchte aus dem Stande ihrer Körper, mittelst derer sie nach dauernden
-Gesetzen auf das Irdische wirken, die zukünftigen Ereignisse zu erkunden. Andere freilich
-bezweifelten diese Vorsehung zweiter Ordnung, sei es aus Erfahrungs- und Vernunftgründen,
-sei es aus dem peripatetischen Glauben, dass die seligen himmlischen Wesen reine denkende
-Geister seien, über Vorstellung und Willen, somit über alle sinnliche <span class="corr" id="xd31e1806" title="Quelle: Besonderkeit">Besonderheit</span> erhaben, sodass ihre fürsorgliche Wirkung nur das Wohl des Ganzen bezwecke, niemals
-aber auf die Einzelpersönlichkeit oder das Einzelgeschehen sich beziehen könne.
-</p>
-<p id="ch3.1.3"><b>3.</b> Auf dem Gebiete der Naturwissenschaften haben muslimische Gelehrte ein reiches Material
-zusammengebracht, zu einer wirklich wissenschaftlichen Behandlung ist es aber kaum
-irgendwo gekommen. In den einzelnen Naturwissenschaften, deren Ausbildung hier nicht
-verfolgt werden kann, hielt man sich an überlieferten Systemen. Um die Weisheit Gottes
-und die Wirkungen der Natur, die als eine Kraft oder eine Emanation der Weltseele
-gefasst wurde, zu ergründen, wurden alchemistische Versuche angestellt, die Zauberkräfte
-der Talismane geprüft, die Einflüsse der Musik auf Tier- und Menschenseele erforscht,
-physiognomische Beobachtungen gemacht, die Wunder des Schlaf- und Traumlebens, der
-Wahrsagerei und Prophetie zu deuten versucht <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> Im Mittelpunkt des Interesses stand natürlich der Mensch als Mikrokosmos, der sämtliche
-Elemente und Kräfte des Alls in sich vereinigen soll. Als das Wesentliche am Menschen
-galt die Seele. Ihr Verhältnis zur Weltseele und ihr zukünftiges Los waren <span class="pageNum" id="pb72">[<a href="#pb72">72</a>]</span>Gegenstände der Forschung. Aber auch über die Vermögen der Seele und deren Lokalisierung
-in Herz und Hirn wurde viel spekuliert. Einige hielten sich an Galen, andere gingen
-über ihn hinaus und ließen den fünf äußeren Sinnen fünf innere entsprechen, eine Lehre,
-die, nebst ähnlichen Naturgeheimnissen, auf Apollonius von Tyane zurückgeführt wurde.
-</p>
-<p>Es versteht sich, dass bei dem Studium der mathematischen und naturwissenschaftlichen
-Disziplinen die verschiedensten Verhaltungsweisen gegenüber den Religionslehren möglich
-waren. Doch wurden die propädeutischen Wissenschaften, sobald sie selbständig auftraten,
-dem Glauben immer gefährlich. Mit der Astronomie verband sich leicht die Annahme von
-der Weltewigkeit, von einer ungeschaffenen Materie, von Ewigkeit her bewegt. Und wenn
-die Himmelsbewegung ewig, dann wohl auch der irdische Wechsel. Ewig sind, so wird
-von manchem gelehrt, alle Reiche der Natur, ewig ist auch das Menschengeschlecht und
-dreht sich im Kreise herum. Nichts Neues gibt es auf der Welt, wie alles Andere wiederholen
-sich Ansichten und Begriffe der Menschen. Was nur möglicherweise gethan, behauptet,
-gewusst werden kann, ist schon dagewesen und wird einmal wieder <span class="corr" id="xd31e1819" title="Quelle: dasein">da sein</span>.
-</p>
-<p>Darüber ließ sich nun trefflich reden und klagen, ohne dass die Wissenschaft viel
-dadurch gefördert wurde.
-</p>
-<p id="ch3.1.4"><b>4.</b> Etwas nützlicher schien die Wissenschaft der Medizin zu sein, die aus naheliegenden
-Gründen von den hohen Herren begünstigt wurde. Nicht am wenigsten ihretwegen beauftragten
-die Chalifen so viele Männer mit dem Übersetzen griechischer Werke. Kein Wunder also,
-dass der Einfluss mathematisch-naturwissenschaftlicher Lehren, sowie der Logik, auch
-in die Medizin eindrang. Der alte Mediziner war geneigt, sich mit hergebrachten Zauberformeln
-und anderen von der Erfahrung erprobten Mitteln zu begnügen. Aber die moderne Gesellschaft
-des neunten Jahrhunderts forderte vom Arzte philosophisches Wissen. Er <span class="pageNum" id="pb73">[<a href="#pb73">73</a>]</span>sollte die “Naturen” der Nahrungs-, Genuss- und Heilmittel, die Mischungen des Körpers
-und in jedem Falle die Einwirkungen der Gestirne kennen. Der Arzt war der Bruder des
-Astrologen, dessen Wissen ihm imponierte, weil es einen erhabeneren Gegenstand hatte
-als die medizinische Praxis. Er sollte beim Alchemisten in die Schule gehen und nach
-mathematisch-logischen Methoden seine Kunst ausüben. Es genügte den Bildungsfanatikern
-des neunten Jahrhunderts nicht, dass der Mensch nach dem Qijas, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> logisch richtig zu sprechen, zu glauben und sich zu benehmen hatte, er musste sich
-außerdem nach dem Qijas kurieren lassen. Wie über die Grundlagen der Glaubens- und
-Pflichtenlehre, wurde, am Hofe Wathik’s (842–847), über die Prinzipien der Medizin
-in gelehrten Sitzungen disputiert. Es fragte sich nämlich, mit Anlehnung an eine galenische
-Schrift, ob die Medizin auf Überlieferung, Erfahrung oder Vernunfterkenntnis beruhe,
-oder aber ob sie durch logische Deduktion (Qijas) auf mathematisch-naturwissenschaftliche
-Sätze sich stütze.
-</p>
-<p id="ch3.1.5"><b>5.</b> Die hier flüchtig skizzierte Naturphilosophie galt den meisten Gelehrten des neunten
-Jahrhunderts als Philosophie schlechthin, im Gegensatz zu der theologischen Dialektik,
-und wurde als pythagoreisch bezeichnet. Auch in das zehnte Jahrhundert ging sie hinüber
-und ihr bedeutendster Vertreter wurde der berühmte Arzt Razi (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 923 oder 932). Dieser war in Rai geboren und mathematisch gebildet und hatte dann
-mit großem Fleiße Medizin und Naturphilosophie studiert. Der Dialektik war er abhold,
-er kannte die Logik nur bis zu den kategorischen Figuren der ersten Analytik. Nachdem
-er als Direktor des Krankenhauses seiner Vaterstadt und in Bagdad thätig gewesen war,
-ging er auf Reisen und hielt sich an verschiedenen Fürstenhöfen auf, <abbr title="unter andere">u. a.</abbr> bei dem Samaniden Mansur ibn Ishaq, dem er ein medizinisches Werk widmete.
-</p>
-<p>Vom ärztlichen Berufe und dem dazu erforderlichen Studium hat Razi eine hohe Meinung.
-Die tausendjährige <span class="pageNum" id="pb74">[<a href="#pb74">74</a>]</span>Weisheit der Bücher schätzt er mehr als die Erfahrungen des Einzelnen in einem kurzen
-Leben, zieht aber diese den nicht erfahrungsmäßig erprobten Folgerungen der “Logiker”
-vor.
-</p>
-<p>Das Verhältnis zwischen Leib und Seele denkt er sich von der Seele bestimmt. Es sollen
-also die Zustände und Leiden der Seele aus der Physiognomie sich erkennen lassen,
-der Mediziner soll zugleich Seelenarzt sein. Er verfasste darum auch eine geistige
-Medizin, eine Art Diätetik der Seele. Um die Vorschriften des muslimischen Gesetzes,
-das Weinverbot <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr>, kümmerte er sich dabei nicht. Sein Libertinismus scheint ihn aber zum Pessimismus
-geführt zu haben. Er fand nämlich mehr Übel als Gutes in der Welt und bezeichnete
-die Lust als Abwesenheit von Unlust.
-</p>
-<p>Wie hoch Razi den Aristoteles und Galen schätzte, um ein tieferes Verständnis ihrer
-Werke hat er sich doch nicht sonderlich bemüht. Eifrig betrieb er die Alchemie, seiner
-Ansicht nach eine in der Existenz einer Urmaterie begründete wirkliche Kunst, die
-den Philosophen unerlässlich sei, glaubte auch, sie wäre von Pythagoras, Demokrit,
-Platon, Aristoteles und Galen ausgeübt worden. Entgegen der peripatetischen Lehre
-nahm er an, der Körper habe das Prinzip der Bewegung in sich selbst, was allerdings
-ein fruchtbarer Gedanke in der Naturwissenschaft hätte werden können, wenn er anerkannt
-und weiter ausgebildet worden wäre.
-</p>
-<p>Razis Metaphysik geht aus von alten Lehren, die seine Zeitgenossen dem Anaxagoras,
-Empedokles, Mani <abbr title="und Andere">u. A.</abbr> zuschrieben. An der Spitze seines Systems stehen fünf gleichewige Prinzipien, der
-Schöpfer, die Universalseele, die erste oder Urmaterie, der absolute Raum und die
-absolute Zeit oder ewige Dauer. Damit sind die notwendigen Bedingungen der wirklich
-existierenden Welt gegeben. Die einzelnen Sinneswahrnehmungen setzen überhaupt eine
-Materie voraus, wie die Zusammenfassung verschiedener <span class="pageNum" id="pb75">[<a href="#pb75">75</a>]</span>wahrgenommener Gegenstände einen Raum. Die wahrgenommenen Veränderungen zwingen uns
-ferner zur Annahme einer Zeit. Die Existenz lebendiger Wesen führt uns auf eine Seele,
-und dass einige von diesen lebendigen Wesen mit Vernunft begabt sind, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> befähigt, die Künste zur höchsten Vollkommenheit zu bringen, dies nötigt uns an einen
-weisen Schöpfer zu glauben, dessen Vernunft alles aufs beste angeordnet hat.
-</p>
-<p>Trotz der Ewigkeit seiner fünf Prinzipien spricht Razi also von einem Schöpfer und
-gibt auch eine Schöpfungsgeschichte. Zuerst nämlich wurde ein einfaches, reines, geistiges
-Licht erschaffen, die Materie der Seelen, welche lichtartige, einfache, geistige Substanzen
-sind. Jene Lichtmaterie oder die Oberwelt, aus der die Seelen herkamen, heißt auch
-Vernunft oder Licht vom Lichte Gottes. Dem Lichte folgt der Schatten, aus dem, zum
-Dienste der vernünftigen Seele, die animalische Seele geschaffen wird. Zugleich aber
-mit dem einfachen, geistigen Lichte war schon anfangs ein zusammengesetztes da, das
-ist der Körper, aus dessen Schatten nun die vier Naturen, Wärme und Kälte, Trockenheit
-und Feuchtigkeit, hervorgehen. Aus diesen vier Naturen werden zuletzt sämtliche himmlische
-und irdische Körper gebildet. Aber das Alles geschieht von Ewigkeit her, ohne zeitlichen
-Anfang, denn Gott war nie ohne Thätigkeit.
-</p>
-<p>Dass Razi Astrolog war, versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Die Himmelskörper
-bestehen ja nach ihm aus denselben Elementen wie die irdischen Dinge und diese sind
-den Einwirkungen jener fortwährend ausgesetzt.
-</p>
-<p id="ch3.1.6"><b>6.</b> Razi hatte sich nach zwei Seiten hin polemisch zu verhalten. Er bekämpfte einerseits
-die muslimische Einheit Gottes, die keine ewige Seele, Materie, Raum und Zeit neben
-sich duldet, andererseits aber wendete er sich gegen das dahritische System, das keinen
-Weltschöpfer anerkennt. Dieses System, das von muslimischen Schriftstellern öfter,
-mit dem gehörigen Abscheu natürlich, erwähnt <span class="pageNum" id="pb76">[<a href="#pb76">76</a>]</span>wird, scheint, wenn auch zahlreiche, doch keine bedeutende Vertreter gefunden zu haben.
-Die Anhänger des Dahr (<abbr title="siehe">s.</abbr> <a href="#ch1.2.2">I<span class="corr" id="xd31e1869" title="Nicht in der Quelle">,</span> 2 § 2</a>) werden als Materialisten, Sensualisten, Atheisten, Anhänger der Seelenwanderung
-<abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> uns vorgeführt, aber Genaueres über ihre Lehren erfahren wir nicht. Die Dahriten
-hatten jedenfalls nicht das Bedürfnis, alles Seiende auf ein Prinzip zurückzuführen,
-das geistigen Wesens und schaffenden Wirkens war. Und eines solchen Prinzipes bedurfte
-die muslimische Philosophie, sollte sie sich mit der Glaubenslehre auch nur einigermaßen
-vertragen. Dazu eignete sich die Naturphilosophie nicht, weil diese mehr Interesse
-zeigte für die mannigfachen und oft gegensätzlichen Wirkungen der Natur als für den
-Einen Urgrund des Alls. Besser aber erfüllte diesen Zweck der neuplatonische Aristotelismus,
-dessen logisch-metaphysische Spekulation darauf ausging, alles Seiende auf ein höchstes
-Sein zurückzuführen oder alle Dinge aus einem obersten Wirkungsprinzip abzuleiten.
-Doch bevor wir uns dieser Richtung des Denkens, die schon im neunten Jahrhundert sich
-zu zeigen anfing, zuwenden, haben wir noch über einen Versuch zu berichten, die Naturphilosophie
-mit den Lehren des Glaubens zu einer Religionsphilosophie zu verschmelzen.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch3.2" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e461">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">2.</span> Die treuen Brüder von Basra.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch3.2.1" class="first"><b>1.</b> Im Orient, wo jede Religion einen Staat im Staate bildete, trat eine politische Partei,
-schon damit sie überhaupt Anhänger gewinne, immer zugleich als religiöse Sekte auf.
-Prinzipiell kannte nun der Islam keinen Unterschied zwischen den Menschen, keine Kasten
-oder Stände. Aber Besitz und Bildung haben überall dieselbe Wirkung. Und in ihrem
-Gefolge fing man an, Grade der Frömmigkeit und Stufen der Erkenntnis aufzustellen,
-danach Gemeinde oder Partei sich einteilen ließe. So entstanden geheime Gesellschaften
-mit verschiedenen Graden, deren <span class="pageNum" id="pb77">[<a href="#pb77">77</a>]</span>höchster oder nächsthöchster eine Geheimlehre besaß, die der neupythagoreischen Naturphilosophie
-manches entlehnte. Zu ihrem Zwecke, Eroberung politischer Macht, war jedes Mittel
-erlaubt. Für die Eingeweihten wurde der Koran allegorisch ausgelegt. Zwar führte man
-diese geheime Weisheit auf Propheten mit biblischen und koranischen Namen zurück,
-es steckten aber heidnische Philosophen dahinter. Die Philosophie wurde ganz zu einer
-politischen Mythologie umgebildet. Die hohen Geister und Seelen, die theoretische
-Denker in Gestirnen und Planeten erkannten, verkörperten sich für die Realpolitik
-in menschliche Wesen, denen zur Gründung eines irdischen Reiches der Gerechtigkeit
-behülflich zu sein, als religiöse Pflicht verkündigt ward. Man kann die Gesellschaften,
-die solches betrieben, am besten mit Vereinen vergleichen, wie sie bis auf den Saint-Simonismus
-und verwandte Erscheinungen dieses Jahrhunderts, in Ländern, wo die Geistesfreiheit
-beschränkt ist, aufzutreten pflegen.
-</p>
-<p>Urheber einer solchen Bewegung war, in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts,
-das Haupt der Karmatenpartei, Abdallah ibn Maimun. Er war ein persischer Augenarzt,
-in der Schule der Naturphilosophen gebildet. Gläubige und Freidenker wusste er in
-einen Bund zusammenzuschließen, um den Versuch zu machen, die abbasidische Regierung
-zu stürzen. Dem Einen war er ein Gaukler, dem Andern ein frommer Asket oder ein gelehrter
-Philosoph. Seine Farbe war weiß, weil seine Religion die des reinen Lichtes, zu dem
-die Seele nach ihren irdischen Wanderungen aufsteigen sollte. Verachtung des Körpers,
-Geringschätzung der materiellen, allen Bundesbrüdern gemeinsamen Güter wurde gepredigt,
-sowie Hingebung an den Bund, Treue und Gehorsam bis in den Tod gegen seine Oberen.
-Denn der Bund stufte sich in Graden ab. Nach der Stufenfolge des Seins, Gott, Vernunft,
-Seele, Raum und Zeit, stellte man sich die Offenbarung Gottes in der Geschichte und
-in der Verfassung seines Bundes vor.
-<span class="pageNum" id="pb78">[<a href="#pb78">78</a>]</span></p>
-<p id="ch3.2.2"><b>2.</b> Die Hauptstätten der karmatischen Wirksamkeit waren Basra und Kufa. Nun aber finden
-wir in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts in Basra eine kleine Gesellschaft
-von Männern, deren Bund vier Grade haben soll. Inwiefern es den Brüdern gelungen ist,
-die ideelle Gliederung ihres Bundes zu verwirklichen, wissen wir freilich nicht. Dem
-ersten Grade gehören die jungen Männer von 15 bis 30 Jahren an, deren Seelen in natürlicher
-Weise ausgebildet werden. Als Schüler haben sie sich ganz ihren Lehrern zu fügen.
-Der zweite Grad (30–40 Jahre) wird in die Weltweisheit eingeführt und bekommt eine
-analoge Erkenntnis der Dinge. Im dritten Grade (40–50 Jahre) wird das göttliche Weltgesetz
-in adäquater Form erkannt, es ist das die Stufe der Propheten. Im höchsten Grade endlich,
-wenn man über 50 Jahre hinaus ist, erlebt man, wie die seligen Engel, die wahre Wirklichkeit
-der Dinge. Man ist da über Natur, Lehre und Gesetz erhaben.
-</p>
-<p>Aus diesem Brüderbunde ist uns eine stufenmäßig fortschreitende Encyklopädie der damaligen
-Wissenschaften erhalten. Sie besteht aus 51 (ursprünglich vielleicht 50) Abhandlungen,
-die inhaltlich verschiedener Art und Herkunft sind, sodass es den Redaktoren oder
-Compilatoren nicht gelungen ist, eine durchgängige Übereinstimmung herzustellen. Im
-allgemeinen aber findet sich in dieser Encyklopädie ein eklektischer Gnostizismus
-auf naturphilosophischer Grundlage mit politischem Hintergrunde. Mit mathematischen
-Betrachtungen, voll Zahlen- und Buchstabenspiel hebt die Darstellung an, durch Logik
-und Physik, aber Alles auf die Seele und ihre Kräfte beziehend, schreitet sie fort,
-um endlich in mystisch-zauberischer Weise sich der Erkenntnis der Gottheit zu nähern.
-Das Ganze stellt sich als die Lehre einer verfolgten Sekte dar, ab und zu blickt das
-Politische hindurch. Wir sehen noch etwas von Leiden und Kampf, von Bedrückungen,
-denen die Männer dieser <span class="corr" id="xd31e1894" title="Quelle: Encyclopädie">Encyklopädie</span> oder ihre Vorgänger ausgesetzt waren, von Hoffnung, die sie hegen, von Duldung, <span class="pageNum" id="pb79">[<a href="#pb79">79</a>]</span>die sie predigen. Sie suchen in dieser spiritualistischen Philosophie Trost oder Erlösung,
-sie ist ihre Religion. Treu bis zum Tode, heißt es, sollen die Brüder sein, denn für
-der Freunde Wohl in den Tod zu gehen, das ist der wahre heilige Krieg. Auf der Pilgerfahrt
-des Lebens durch diese Welt, so wird die verpflichtete Reise nach Mekka allegorisiert,
-soll Einer dem Andern mit allen Mitteln beistehen. Die Reichen sollen von ihren materiellen,
-die Weisen von ihren geistigen Gütern den Anderen mitteilen. Doch ist das Wissen,
-wie wir es in der Encyklopädie haben, wohl hauptsächlich den Eingeweihten der höchsten
-Grade vorbehalten worden.
-</p>
-<p>Es scheint nun allerdings dieser Bund der treuen Brüder von Basra, wie vielleicht
-eine Zweigniederlassung in Bagdad, ein stilles Dasein geführt zu haben. Die Brüder
-mögen sich zu den Karmaten etwa verhalten haben wie die ruhigeren Taufgesinnten zu
-den revolutionären Wiedertäufern des Königs von Sion.
-</p>
-<p>Als Mitglieder des Bundes und Verfasser der Encyklopädie werden uns von Späteren genannt:
-Abu Sulaiman Mohammed ibn Muschir al-Busti, genannt al-Muqaddasi, Abu-l-Hasan Ali
-ibn Harun al-Zandschani, Mohammed ibn Achmed al-Nahradschuri, al-Aufi und Zaid ibn
-Rifaa. Zur Zeit ihres Wirkens hatte das Chalifat seine weltliche Macht schon ganz
-dem schiitischen Bujidenhause (945) abtreten müssen. Wahrscheinlich begünstigte dieser
-Umstand das Hervortreten mit einer Encyklopädie, in der schiitische und mutazilitische
-Lehren mit den Ergebnissen der Philosophie zu einem populären System zusammengefasst
-waren.
-</p>
-<p id="ch3.2.3"><b>3.</b> Die Brüder bekennen sich selbst zum Eklektizismus. Sie wollen die Weisheit aller
-Völker und Religionen sammeln. Noah und Abraham, Sokrates und Platon, Zoroaster und
-Jesus, Mohammed und Ali sind ihre Propheten. Sokrates, Jesus und seine Apostel, sowie
-die Aliden, werden als heilige Märtyrer ihres Vernunftglaubens verehrt. Das Religionsgesetz
-in seinem buchstäblichen Sinne heißt gut <span class="pageNum" id="pb80">[<a href="#pb80">80</a>]</span>für den gemeinen Mann, eine Medizin für schwache und kranke Seelen; für starke Geister
-aber ist die tiefere philosophische Einsicht. Der Körper wird dem Tode geweiht, Sterben
-bedeutet Auferstehen zum reinen Leben des Geistes, für diejenigen nämlich, die schon
-während ihres Erdendaseins durch philosophische Betrachtungen aus sorglosem Schlummer
-und thörichtem Schlaf erwacht sind. Mit endlosen Wiederholungen, durch Legenden und
-Sagen spätgriechischer, jüdisch-christlicher, persischer oder indischer Herkunft,
-wird dieses eingeschärft. Alles Vergängliche wird dabei zum Gleichnis. Auf den Trümmern
-der positiven Religion und der naiven Ansicht baut sich eine spiritualistische Philosophie
-auf, alles Wissen und Streben der Menschheit, sofern es in den Gesichtskreis der Brüder
-getreten ist, umfassend. Der Zweck ihres Philosophierens heißt das Gottähnlichwerden
-der Seele, soweit es Menschen möglich ist.
-</p>
-<p>In der Darstellung treten, aus begreiflichen Gründen, die negativen Tendenzen der
-Brüder etwas zurück. Am rücksichtslosesten aber tritt ihre Kritik der menschlichen
-Gesellschaft und der positiven Religionen hervor in dem Buche vom Tier und Mensch,
-wo die Einkleidung es ihnen ermöglicht, die Tiere sagen zu lassen, was aus menschlichem
-Munde zu hören, bedenklich werden könnte.
-</p>
-<p id="ch3.2.4"><b>4.</b> Der eklektische Charakter und die in den Unterteilen wenig systematische Art der
-Darstellung erschwert es, die Philosophie der Brüder einheitlich zu entwickeln. Doch
-sollen hier die wichtigsten Sätze, wenn auch mitunter in loser Verknüpfung, zusammengereiht
-werden.
-</p>
-<p>Die Geistesthätigkeit des Menschen zerfällt, nach der Encyklopädie, in Kunst und Wissenschaft.
-Wissen nun ist die Form des Gewussten in der wissenden Seele oder eine höhere, feinere,
-geistigere Existenzweise des im Stoffe Wirklichen. Kunst dagegen ist das Hervorgehenlassen
-der Form aus der Künstlerseele in die Materie hinein. Das Wissen ist potentiell in
-der Seele des Schülers vorhanden, <span class="pageNum" id="pb81">[<a href="#pb81">81</a>]</span>wird aber erst aktuell durch die belehrende Thätigkeit eines Meisters, der das Wissen
-als ein Wirkliches in sich trägt. Woher aber hat es der erste Meister? Nach den Philosophen,
-so antworten die Brüder, hat er es sich durch eigenes Nachdenken erworben, nach den
-Theologen durch prophetische Erleuchtung erhalten, nach unserer Meinung aber gibt
-es verschiedene Wege oder Vermittelungen, zum Wissen zu gelangen. Aus der Mittelstellung
-der Seele zwischen Körper- und Geisteswelt ergeben sich schon drei Wege oder Quellen
-der Erkenntnis. Die Seele erkennt nämlich das, was unter ihr steht, durch die Sinne,
-das, was über ihr ist, durch logische Folgerung, und endlich sich selbst durch vernünftige
-Betrachtung oder unmittelbare Anschauung. Von diesen Arten ist die Selbsterkenntnis
-die gewisseste und vorzüglichste. Das menschliche Wissen erweist sich, wenn es darüber
-hinauszugehen versucht, vielfach beschränkt. Über Fragen, wie Weltentstehung und Weltewigkeit,
-soll man deshalb nicht gleich philosophieren, sondern sich zunächst an dem Einfacheren
-versuchen. Und nur durch Weltentsagung und gerechten Wandel erhebt die Seele sich
-allmählich zur reinen Erkenntnis des Höchsten.
-</p>
-<p id="ch3.2.5"><b>5.</b> Nach der weltlichen Bildung in Sprachwissenschaft, Poesie und Geschichte und nach
-der religiösen Erziehung und Glaubenslehre, soll das philosophische Studium mit den
-mathematischen Disziplinen anfangen. Alles wird hier neupythagoreisch-indisch dargestellt.
-Nicht nur die Zahlen, auch die Buchstaben werden zu kindischen Spielereien benutzt.
-Es kam da den Brüdern besonders zu statten, dass das arabische Alphabet 28 = 4 × 7
-Buchstaben zählt. Statt nach sachlichen Gesichtspunkten zu verfahren, wird durch alle
-Wissenschaften hindurch nach sprachlichen Analogien und Zahlenverhältnissen phantasiert.
-Die Arithmetik untersucht nicht die Zahl als solche, sondern deren Bedeutsamkeit.
-Es wird nicht für die Erscheinungen ein zahlenmäßiger Ausdruck gesucht, sondern nach
-dem System der Zahlen werden die Dinge gedeutet. Die Zahlenlehre <span class="pageNum" id="pb82">[<a href="#pb82">82</a>]</span>ist göttliche Weisheit, die über den Dingen ist, denn die Dinge sind erst den Zahlen
-nachgebildet. Das absolute Prinzip alles Seienden und Gedachten ist die Eins. Daher
-steht die Wissenschaft der Zahl am Anfang, in der Mitte und am Ende aller Philosophie.
-Die Geometrie mit ihren anschaulichen Figuren dient nur dazu, Anfängern das Verständnis
-zu erleichtern, wahre, reine Wissenschaft aber ist allein die Arithmetik. Doch wird
-auch die Geometrie eingeteilt in eine sinnliche, die Linien, Flächen und Körper zum
-Gegenstande hat, und eine reine oder geistige, die von den Dimensionen oder Eigenschaften
-der Dinge, Länge, Breite und Tiefe, handelt. Der Zweck sowohl der Arithmetik als der
-Geometrie ist, die Seele vom Sinnlichen auf das Geistige hinzuführen.
-</p>
-<p>Zuerst führen sie uns dann zur Betrachtung der Gestirne. In der Astrologie bietet
-nun die Encyklopädie, wie nicht anders zu erwarten ist, höchst phantastische, zum
-Teil sich widersprechende Lehren. Durch das Ganze geht die Überzeugung hindurch, dass
-die Gestirne nicht bloß Zukünftiges vorhersagen, sondern dass sie alles Geschehen
-unter dem Monde direkt beeinflussen oder bewirken. Sowohl Glück als Unglück kommt
-von ihnen her. Jupiter, Venus und die Sonne führen Glück, Saturn, Mars und der Mond
-dagegen Unglück herbei, und die Wirkungen des Merkur sind aus Gutem und Bösem gemischt.
-Merkur ist der Herr der Bildung und der Wissenschaft; ihm verdanken wir unsere Erkenntnis,
-die Gutes und Böses umfasst. So hat denn auch jeder andere Planet seinen eigenen Wirkungskreis,
-und der Mensch empfindet in seinem Leben, wenn er nicht vorzeitig weggerafft wird,
-nach und nach die Einflüsse sämtlicher Himmelskörper. Der Mond lässt seinen Körper
-wachsen und Merkur bildet seinen Geist aus. Dann beherrscht ihn Venus. Die Sonne gibt
-ihm Familie, Reichtum oder Herrschaft, Mars Tapferkeit und Edelsinn. Darauf bereitet
-er sich, unter Jupiters Führung, durch religiöse Übungen zur Reise ins Jenseits vor
-und gelangt unter dem <span class="pageNum" id="pb83">[<a href="#pb83">83</a>]</span>Einflusse Saturns zur Ruhe. Viele Menschen aber leben nicht lange genug oder sind
-nicht in der Lage, ihre natürlichen Anlagen in ungestörter Folge zu entwickeln. Darum
-schickt Gott ihnen gnädig seine Propheten, nach deren Lehre man sich auch in kurzer
-Frist und unter ungünstigen Verhältnissen vollständig ausbilden kann.
-</p>
-<p id="ch3.2.6"><b>6.</b> Nach der Encyklopädie ist der Mathematik die Logik verwandt. Wie nämlich die Mathematik
-vom Sinnlichen zum Geistigen hinführt, so nimmt auch die Logik eine Mittelstellung
-zwischen Physik und Metaphysik ein. Die Physik hat es mit den Körpern, die Metaphysik
-mit den reinen Geistern zu thun, die Logik aber behandelt die Begriffe dieser sowie
-die Vorstellungen jener in unserer Seele. Doch steht die Logik der Mathematik an Umfang
-und Bedeutung nach. Denn das Mathematische wird nicht nur als ein Mittleres, sondern
-auch als das Wesen des Alls gefasst. Hingegen bleibt die Logik ganz auf die seelischen
-Gebilde als ein Mittleres zwischen Körper und Geist beschränkt. Die Dinge richten
-sich nach den Zahlen, unsere Vorstellungen und Begriffe aber nach den Dingen.
-</p>
-<p>Die logischen Betrachtungen der Brüder knüpfen sich an Porphyrs Einleitung und die
-Kategorien, die Hermeneutik und die Analytiken des Aristoteles. Eigentümliches bieten
-sie nicht oder sehr wenig.
-</p>
-<p>Zu den fünf Worten des Porphyr wird als sechstes das Individuum hinzugefügt, wohl
-der Symmetrie wegen. Drei davon, Gattung, Art, Individuum, heißen dann objektive,
-und drei, Differenz, Proprium, Accidens, begriffliche Bestimmungen. Die Kategorien
-sind Gattungsbegriffe, von denen der erste die Substanz, die neun anderen deren Accidenzen
-bezeichnen. Durch Einteilung in Arten wird ferner das ganze System der Begriffe entwickelt.
-Außer der Einteilung aber gibt es noch drei logische Methoden: Analyse, Definition
-und Deduktion. Die Analyse ist die Methode für Anfänger, weil sie das Individuelle
-erkennen lässt. Subtiler aber, das Geistige uns erschließend, sind <span class="pageNum" id="pb84">[<a href="#pb84">84</a>]</span>die Definition, welche die Arten, und die Deduktion, welche die Gattungen in ihrem
-Wesen ergründet.
-</p>
-<p>Über das Dasein der Dinge belehren uns die Sinne, der Dinge Wesenheit aber wird durch
-Nachdenken erkannt. Was die Sinne uns zu erkennen geben, ist wenig, wie die Buchstaben
-des Alphabets; bedeutender schon, wie die Worte, sind die Prinzipien der Vernunfterkenntnis;
-das Wichtigste aber sind die aus jenen Prinzipien abgeleiteten Sätze, die der menschliche
-Geist sich selbst erwirbt oder aneignet, im Unterschiede von demjenigen Wissen, das
-ihm die Natur oder die göttliche Offenbarung erteilt hat.
-</p>
-<p id="ch3.2.7"><b>7.</b> Von Gott, dem höchsten Sein, der über alle Unterschiede und Gegensätze, auch des
-Körperlichen und Geistigen, erhaben ist, wird die ganze Welt auf dem Wege der Emanation
-abgeleitet. Wenn mitunter von einer Schöpfung die Rede ist, so ist das als eine Anbequemung
-an den theologischen Sprachgebrauch aufzufassen. Folgendermaßen stellt sich nun die
-Stufenreihe der emanierten Wesen dar: 1. der schaffende Geist (<span class="trans" title="nous"><span lang="grc" class="grek">νοῦς</span></span>, <span class="ex">ʻaql</span>); 2. der leidende Geist oder die Allseele; 3. die erste Materie; 4. die wirkende
-Natur, eine Kraft der Weltseele; 5. der absolute Körper, auch zweite Materie genannt;
-6. die Sphärenwelt; 7. die Elemente der sublunarischen Welt; 8. die aus diesen Elementen
-zusammengesetzten Mineralien, Pflanzen und Tiere. Das sind also acht Wesen, die zusammen
-mit Gott, der absoluten Eins, die in und mit jedem Dinge ist, die Reihe der den neun
-Grundzahlen entsprechenden Urwesen vollenden.
-</p>
-<p>Geist, Seele, Urmaterie und Natur sind einfach, mit dem Körper aber betreten wir das
-Gebiet des Zusammengesetzten. Alles ist hier entweder Materie oder Form, Substanz
-oder Accidens. Die ersten Substanzen sind Materie und Form, die ersten Accidenzen
-oder Eigenschaften Raum, Bewegung und Zeit, denen man wohl im Sinne der Brüder den
-Ton und das Licht hinzufügen könnte. Die Materie ist eins, alle Vielheit und Verschiedenheit
-<span class="pageNum" id="pb85">[<a href="#pb85">85</a>]</span>rührt von den Formen her. Die Substanz wird auch als die konstituierende, materielle,
-das Accidens als die vollendende, geistige Form bezeichnet. Klar spricht die Encyklopädie
-sich nicht aus. Jedenfalls aber wird die Substantialität mehr im Allgemeinen als im
-Besonderen gesucht und die Form der Materie vorgezogen. Wie ein Gespenst schreckt
-die substantielle Form von jedem Eingehen auf das Materielle ab. Wie Herren nach ihrer
-Willkür wandern die Formen durch die niedere Welt der Materie. Von einer inneren Beziehung
-zwischen Materie und Form ist keine Spur zu entdecken. Nicht nur gedanklich, sondern
-auch real lassen sie sich trennen.
-</p>
-<p>Hieraus lässt sich schon ein Begriff von der Naturgeschichte der Brüder bilden. Man
-hat sie als Darwinisten des zehnten Jahrhunderts hingestellt. Nichts ist weniger richtig.
-Zwar ergeben die verschiedenen Reiche der Natur, nach der Encyklopädie, eine aufsteigende
-und zusammenhängende Reihe. Aber nicht nach der Körperbildung wird das Verhältnis
-bestimmt, sondern nach der inneren Form oder der Seelensubstanz. In mystischer Weise
-wandert die Form vom Niederen zum Höheren und umgekehrt, nicht nach inneren Bildungsgesetzen
-oder durch Anpassung an das Äußere modifiziert, sondern nach den Einwirkungen der
-Gestirne und, wenigstens beim Menschen, nach praktischem und theoretischem Verhalten.
-Eine Entwicklungsgeschichte in modernem Sinne zu geben, lag den Brüdern ganz fern.
-Ausdrücklich betonen sie <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr>, Pferd und Elephant seien menschenähnlicher als der Affe, obgleich beim letzteren
-die körperliche Übereinkunft größer. Aber der Körper ist ja etwas ganz Nebensächliches
-in ihrem System, der Tod des Körpers heißt die Geburt der Seele. Nur die Seele ist
-ein wirkendes Wesen, das sich den Körper schafft.
-</p>
-<p id="ch3.2.8"><b>8.</b> Die Naturlehre der Brüder geht demnach fast vollständig in Psychologie auf. Beschränken
-wir uns hier auf die menschliche Seele. Sie steht in der Mitte des <span class="pageNum" id="pb86">[<a href="#pb86">86</a>]</span>Alls. Wie die Welt ein großer Mensch, ist der Mensch eine kleine Welt.
-</p>
-<p>Die menschliche Seele ist von der Weltseele emaniert, und die Seelen sämtlicher Individuen
-bilden zusammen eine Substanz, die man den absoluten Menschen oder den Geist der Menschheit
-nennen könnte. Jede Einzelseele aber steckt in der Materie und muss sich allmählich
-zum Geiste hinbilden. Dazu hat sie viele Vermögen oder Kräfte. Von diesen sind die
-theoretischen Vermögen die vorzüglichsten, denn in der Erkenntnis besteht das Leben
-der Seele.
-</p>
-<p>Die Seele des Kindes ist zunächst wie ein weißes Blatt. Was die fünf Sinne ihr zuführen,
-wird, vorn, mitten und hinten im Gehirne, erstens vorgestellt, zweitens beurteilt
-und drittens aufbewahrt. Durch das Vermögen der Sprache und die Schreibkunst, womit
-die entsprechende Fünfzahl innerer Sinne erreicht ist, wird dann der Vorstellungsinhalt
-verwirklicht.
-</p>
-<p>Unter den äußeren Sinnen geht das Gehör dem Gesichte voran, denn dieses bezieht sich,
-ein Sklave des Augenblickes, auf das sinnlich Gegenwärtige, dagegen das Gehör auch
-Vergangenes erfasst und die Harmonie der tönenden Sphären empfindet. Gehör und Gesicht
-bilden zusammen die Gruppe geistiger Sinne, deren Wirkung zeitlos von statten gehen
-soll.
-</p>
-<p>Während nun der Mensch die äußeren Sinne mit den Tieren gemein hat, so bekundet sich
-in der Urteilskraft, in der Sprache und im Handeln die spezifisch menschliche Vernunft.
-Diese urteilt über gut und böse, nach welchem Urteile der Wille sich entscheidet.
-Besonders aber ist die Bedeutung der Sprache für das Erkenntnisleben der Seele hervorzuheben.
-Ein Begriff, der nicht durch irgend einen Ausdruck in irgend einer Sprache bezeichnet
-werden kann, ist eben kein denkbarer Begriff. Das Wort ist der Körper des Gedankens,
-der rein für sich nicht bestehen kann.
-</p>
-<p>Wie aber diese Auffassung vom Verhältnis zwischen <span class="pageNum" id="pb87">[<a href="#pb87">87</a>]</span>Begriff und Ausdruck zu sonstigen Meinungen der Brüder stimmen soll, ist nicht einzusehen.
-</p>
-<p id="ch3.2.9"><b>9.</b> Auf ihrer höchsten Stufe wird die Lehre der Brüder Religionsphilosophie. Eine Versöhnung
-zwischen Wissenschaft und Leben, Philosophie und Glauben ist ihre Absicht. Da sind
-nun die Menschen sehr verschieden. Der gewöhnliche Mensch braucht einen sinnlichen
-Gottesdienst. Aber wie die Seele des gemeinen Mannes Tier- und Pflanzenseele unter
-sich hat, so stehen über ihr die Seele des Philosophen und des Propheten, dem sich
-der reine Engel anschließt. Auf den höheren Stufen erhebt sich die Seele auch über
-die niedere Volksreligion, deren sinnliche Vorstellungen und Gebräuche.
-</p>
-<p>Als die vollkommenere religiöse Offenbarung erschien den Brüdern wohl das Christentum,
-auch der zoroastrische Glaube. Unser Prophet Mohammed, sagen sie, wurde an ein ungebildetes
-Volk von Wüstenbewohnern geschickt, die weder von der Schönheit dieser Welt noch von
-dem geistigen Charakter der jenseitigen eine richtige Vorstellung besaßen. Die grobsinnlichen
-Ausdrücke des Korans, dem Verständnis jenes Volkes angepasst, sollen von den höher
-Gebildeten in spiritualistischem Sinne verstanden werden.
-</p>
-<p>Aber auch die anderen Volksreligionen haben die Wahrheit nicht rein. Über sie alle
-hinaus gibt es einen Vernunftglauben, für den die Brüder sogar eine metaphysische
-Ableitung versuchen. Zwischen Gott und sein erstes Geschöpf, den schaffenden Geist,
-wird als Hypostase das göttliche Weltgesetz (nâmûs) eingeschoben. Es ist das die über
-Alles sich erstreckende weise Anordnung eines barmherzigen Schöpfers, der Niemandem
-Böses will. Den Glauben an einen zornigen Gott, an Höllenstrafen und dergleichen erklären
-die Brüder für widervernünftig. Ein solcher Glaube thut der Seele weh. Die unwissende,
-sündige Seele findet schon in diesem Leben, in ihrem eigenen Leibe die Hölle. Auferstehung
-dagegen heißt die Trennung der Seele von ihrem Körper. Und die große Auferstehung
-<span class="pageNum" id="pb88">[<a href="#pb88">88</a>]</span>am jüngsten Tage ist die Trennung der Allseele von der Welt, ihre Rückkehr zu Gott.
-Das Ziel sämtlicher Religionen ist ja die Hinwendung zu Gott.
-</p>
-<p id="ch3.2.10"><b>10.</b> Die Ethik der Brüder hat einen asketisch-spiritualistischen Charakter, obgleich sich
-auch hier der Eklektizismus zeigt. Gut handelt nach ihr der Mensch, wenn er der richtigen
-Natur folgt, lobenswert ist die freie That der Seele, vortrefflich sind die aus vernünftiger
-Überlegung hervorgegangenen Handlungen, und einer Belohnung, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> der Erhebung zur himmlischen Sphärenwelt wert ist endlich die Befolgung des göttlichen
-Weltgesetzes. Dazu bedarf es der Sehnsucht nach oben. Die höchste Tugend ist deshalb
-die Liebe, die nach Vereinigung mit Gott, dem ersten Geliebten, hinstrebt, die sich
-aber auch in diesem Leben als religiöse Duldung und Schonung aller Geschöpfe bethätigt.
-Ihr Gewinn im Diesseits ist Seelenruhe, Herzensfreiheit, Frieden mit der ganzen Welt,
-und im Jenseits das Aufsteigen zum ewigen Lichte.
-</p>
-<p>Nach alledem braucht es uns nicht zu wundern, dass dem Leibe viel Schlechtes nachgesagt
-wird. Unser wahres Wesen heißt die Seele, unseres Daseins höchster Zweck soll es sein,
-mit Sokrates dem Geiste, mit Christus dem Gesetz der Liebe zu leben. Dennoch ist der
-Leib zu schonen und zu pflegen, damit die Seele Zeit habe, sich vollkommen zu entwickeln.
-In diesem Sinne wird von den Brüdern ein menschliches Bildungsideal aufgestellt, dessen
-Züge den Charakteren verschiedener Völker entlehnt sind. Der ideale, sittlich vollkommene
-Mensch soll nämlich ostpersischer Abstammung sein, arabisch seinem Glauben nach, von
-iraqischer (babylonischer) Bildung, erfahren wie ein Hebräer, ein Christusjünger in
-seinem Wandel, fromm wie ein syrischer Mönch, ein Grieche in den Einzelwissenschaften,
-ein Inder in der Deutung aller Geheimnisse, endlich aber und zuhöchst ein Sufi in
-seinem ganzen Geistesleben.
-</p>
-<p id="ch3.2.11"><b>11.</b> Der Versuch einer Versöhnung, die auf diese <span class="pageNum" id="pb89">[<a href="#pb89">89</a>]</span>Weise zwischen Wissen und Glauben sollte hergestellt werden, hat nach keiner Seite
-befriedigt. Auf die allegorische Koraninterpretation der Brüder blickten die theologischen
-Dialektiker herab, wie heutzutage unsere Gottesgelehrten auf die neutestamentliche
-Exegese des Grafen Tolstoi. Und die reineren Aristoteliker betrachteten die pythagoreisch-platonische
-Richtung der Encyklopädie wie ein heutiger Philosophieprofessor Spiritismus, Occultismus
-und derartige Erscheinungen anzusehen pflegt. Aber in der breiten Masse der gebildeten
-oder halbgebildeten Welt haben die Schriften oder doch die Ansichten der treuen Brüder
-von Basra eine bedeutende Wirkung erzielt, von der die vielen, meist jungen Handschriften
-der umfangreichen Encyklopädie beredtes Zeugnis ablegen. Bei vielen Sekten innerhalb
-der islamischen Welt, Batiniten, Ismaeliten, Assasinen, Drusen, oder wie sie sonst
-heißen mögen, finden wir der Hauptsache nach dieselben Lehren wieder. Vorzugsweise
-in dieser Form hat sich griechische Weisheit im Osten acclimatisieren können, während
-die aristotelische Schulphilosophie fast nur im Treibhause fürstlicher Gönner gedeihen
-wollte. Der große Kirchenvater Gazali that die Weisheit der Brüder gar leicht als
-Popularphilosophie ab, scheute sich aber nicht, von ihnen das Gute herüberzunehmen.
-Er verdankt ihrem Gedankenkreise mehr, als er wohl selbst eingestehen mochte. Auch
-von anderen, besonders in encyklopädischen Werken, sind ihre Abhandlungen ausgenutzt
-worden. Die Wirkung der Encyklopädie dauert noch fort im muslimischen Osten. Vergebens
-hat man sie, zusammen mit den Schriften Ibn Sina’s, im Jahre 1150 zu Bagdad verbrannt.
-<span class="pageNum" id="pb90">[<a href="#pb90">90</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div id="ch4" class="div1 chapter"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e506">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main"><span class="divNum">IV.</span> Die neuplatonischen Aristoteliker des Ostens.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<div id="ch4.1" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e514">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">1.</span> Kindi.<a class="noteRef" id="xd31e2009src" href="#xd31e2009">1</a></h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch4.1.1" class="first"><b>1.</b> Kindi steht in mannigfachen Beziehungen zu den mutazilitischen Dialektikern und den
-neupythagoreischen Naturphilosophen seiner Zeit und wir hätten ihn also schon vor
-Razi (<abbr title="siehe">s.</abbr> <a href="#ch3.1.5">III, 1 § 5</a>) unter den letzteren behandeln können. Doch hat ihn die Tradition einstimmig als
-den ersten Peripatetiker im Islam hingestellt. Mit welchem Rechte, wird sich, soweit
-es aus den wenigen mangelhaft erhaltenen Schriften dieses Philosophen möglich ist,
-im folgenden ergeben.
-</p>
-<p>Abu Jaqub ibn Ishaq al-Kindi (<abbr title="das heißt">d. h.</abbr> aus dem Stamme Kinda) war arabischer Abstammung, und wurde deshalb, im Unterschiede
-von seinen vielen nichtarabischen Genossen, die sich mit Weltweisheit abgaben, der
-<span class="ex">arabische</span> Philosoph genannt. Er führte seinen Stammbaum auf die alten Kinda-Fürsten zurück.
-Ob er dazu das Recht besaß, lassen wir dahingestellt bleiben. Jedenfalls hatte der
-südarabische Kindastamm es in der äußeren Kultur weiter gebracht als andere Stämme.
-Viele Kinditen hatten sich auch schon früh in Iraq (Babylonien) angesiedelt, wo dann
-unser Philosoph in Kufa, davon sein Vater Statthalter war, geboren wurde, vermutlich
-am Anfange des neunten Jahrhunderts. Seine Erziehung erhielt er wahrscheinlich teilweise
-<span class="pageNum" id="pb91">[<a href="#pb91">91</a>]</span>in Basra, ferner in Bagdad, also in den Mittelpunkten der damaligen Bildung. Hier
-lernte er persische Kultur und griechisches Wissen höher schätzen als alte Arabertugend
-und muslimischen Glauben. Er behauptete sogar, wohl nach anderen, Kachtan, der Stammvater
-der Südaraber, sei ein Bruder Jaunan’s gewesen, von dem die Griechen herstammen. So
-etwas konnte man sagen in Bagdad, am abbasidischen Hofe, wo man keine Nationalität
-kannte und die alten Griechen bewunderte.
-</p>
-<p>Wie lange und in welcher Stellung Kindi am Hofe weilte, ist nicht bekannt. Er wird
-als Übersetzer griechischer Werke ins Arabische genannt und soll die Arbeiten anderer
-verbessert haben, <abbr title="unter andere">u. a.</abbr> die sogenannte Theologie des Aristoteles. Zahlreiche Diener und Schüler, deren Namen
-uns überliefert sind, waren vermutlich unter seiner Aufsicht damit beschäftigt. Ferner
-mag er dem Hofe als Astrologe oder Arzt, vielleicht auch bei der Finanzverwaltung,
-Dienste geleistet haben. Später aber wurde er entfernt, als er von der orthodoxen
-Restauration unter Mutawakkil (847–861) mit betroffen ward, und seine Bibliothek eine
-Zeit lang konfisziert. In Bezug auf seinen Charakter sagt ihm die Überlieferung nach,
-er sei geizig gewesen, was übrigens viele andere Schöngeister und Bücherliebhaber
-sollen gewesen sein.
-</p>
-<p>Ebensowenig wie Kindi’s Geburts-, ist sein Todesjahr bekannt. Er scheint also in Ungnaden
-oder doch in untergeordneter Stellung gestorben zu sein. Dass Masudi (<abbr title="siehe">s.</abbr> <a href="#ch2.4.4">II, 4 § 4</a>), der ihn sehr schätzte, ganz darüber schweigt, ist befremdend. Höchstwahrscheinlich
-lebte er noch nach dem Jahre 870, wie aus einer seiner astrologischen Abhandlungen
-hervorgeht. Der Ablauf einer kleinen Weltperiode stand damals bevor, und das wurde
-von den Karmaten zur Stürzung des Fürstenhauses benutzt. Da war nun aber Kindi reichsfreundlich
-genug, den von einer Konjunktion bedrohten Bestand des Staates um etwa 450 Jahre zu
-verlängern. Sein fürstlicher Gönner konnte zufrieden <span class="pageNum" id="pb92">[<a href="#pb92">92</a>]</span>sein und die Geschichte hat sich bis auf ein halbes Jahrhundert gefügt.
-</p>
-<p id="ch4.1.2"><b>2.</b> Kindi war ein Polyhistor, er hatte die ganze gelehrte Bildung seiner Zeit in sich
-aufgenommen. Als Geograph, Kulturhistoriker und Mediziner mag er eigene Beobachtungen
-angestellt und mitgeteilt haben, ein schöpferischer Geist ist er keinesfalls gewesen.
-Seine theologischen Ansichten zeigen mutazilitisches Gepräge. Er schrieb nämlich über
-das menschliche Vermögen zu handeln und die Zeit seines Entstehens, ob vor oder zugleich
-mit der That. Ausdrücklich betonte er die Gerechtigkeit und die Einheit Gottes. Gegen
-die damals als indisch oder brahmanisch bekannte Theorie, als einzige Erkenntnisquelle
-reiche die Vernunft aus, verteidigte er die Prophetie, suchte diese aber mit der Vernunft
-in Einklang zu bringen. Seine Kenntnis verschiedener Religionssysteme forderte ihn
-zur Vergleichung auf. Als allen gemeinsam fand er den Glauben heraus, dass die Welt
-das Werk einer ewigen einheitlichen Ursache sei, für die unser Wissen keine nähere
-Bezeichnung besitze. Es sei aber die Pflicht der Einsichtigen, diese Ursache als göttlich
-anzuerkennen. Die Gottheit selbst habe ihnen dazu den Weg gezeigt, auch Gesandte geschickt
-zum Zeugnis, die den Gehorsamen ewige Glückseligkeit verheißen, den Ungehorsamen aber
-entsprechende Bestrafung androhen sollen.
-</p>
-<p id="ch4.1.3"><b>3.</b> Kindi’s eigentliche Philosophie ist, wie diejenige seiner Zeitgenossen, an erster
-Stelle Mathematik und Naturphilosophie, wobei dann Neuplatonisches und Neupythagoreisches
-ineinanderfließen. Es wird nach ihm keiner Philosoph ohne das Studium der Mathematik.
-Phantastisches Spiel mit Zahlen und Buchstaben findet sich öfter in seinen Schriften.
-Er wandte auch die Mathematik auf die Medizin an in der Lehre von den zusammengesetzten
-Heilmitteln. Er gründete nämlich die Wirkung dieser Mittel, ähnlich derjenigen der
-Musik, auf die geometrische Proportion. Es handelt sich hier um die Proportionalität
-der sinnlichen <span class="pageNum" id="pb93">[<a href="#pb93">93</a>]</span>Qualitäten: warm, kalt, trocken und feucht. Soll ein Heilmittel im ersten Grade warm
-sein, dann muss es das Doppelte an Wärme besitzen von der gleichmäßigen Mischung,
-im zweiten Grade das Vierfache <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> Die Entscheidung darüber scheint Kindi dem Sinne, besonders dem Geschmacke anvertraut
-zu haben, sodass wir bei ihm eine Ahnung von der Proportionalität der Sinnesempfindungen
-hätten. Das war nun, wenn überhaupt originell, bei ihm wohl nichts anderes als eine
-mathematische Spielerei. Cardan aber, ein Philosoph der Renaissance, hat ihn wegen
-dieser Lehre noch zu den zwölf subtilsten Geistern gerechnet.
-</p>
-<p id="ch4.1.4"><b>4.</b> Die Welt ist nach Kindi, wie oben schon gesagt, ein Werk Gottes, dessen Wirken aber
-von oben nach unten vielfach vermittelt wird. Alles Höhere wirkt auf das Niedere ein,
-nicht aber das Verursachte auf seine über ihm auf der Stufe des Seins stehende Ursache.
-In allem Weltgeschehen ist nun eine durchgängige Ursächlichkeit, die es uns ermöglicht,
-aus der Erkenntnis der Ursache, der Himmelskörper <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr>, Zukünftiges vorherzusagen. Auch haben wir an einem vollständig erkannten Einzelwesen
-einen Spiegel, darin der ganze Zusammenhang der Welt zu schauen.
-</p>
-<p>Dem Geiste gehört die höhere Wirklichkeit und alle Wirksamkeit an. Seinem Wunsche
-gemäß hat sich die Materie zu gestalten. Und zwischen dem göttlichen Geiste und der
-materiellen Körperwelt steht die Seele in der Mitte. Sie ist es, die die Sphärenwelt
-erst geschaffen hat. Von dieser Weltseele ist die menschliche Seele ein Ausfluss.
-Ihrer Natur nach, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> in ihren Wirkungen, ist die letztere an die Mischung ihres Körpers gebunden, aber
-ihrem geistigen Wesen nach ist sie davon unabhängig, treffen sie also auch nicht die
-Einwirkungen der Gestirne, die sich auf das Natürliche beschränken. Unsere Seele,
-so führt Kindi aus, ist eine einfache, unvergängliche Substanz, aus der Welt der Vernunft
-in die Sinnenwelt herabgekommen, <span class="pageNum" id="pb94">[<a href="#pb94">94</a>]</span>aber mit Erinnerung an ihren früheren Zustand ausgestattet. Sie findet sich hier nicht
-heimisch, denn sie hat viele Bedürfnisse, deren Befriedigung ihr versagt bleibt, und
-die deshalb von schmerzlichen Gefühlen begleitet sind. Es ist eben nichts beständig
-in dieser Welt des Entstehens und Vergehens, in der man dessen, was man liebt, jeden
-Augenblick beraubt werden kann. Beständigkeit gibt es nur in der Welt der Vernunft.
-Wenn wir also unsere Wünsche erfüllt sehen wollen und nicht dessen beraubt werden,
-was uns teuer ist, so müssen wir uns den ewigen Gütern der Vernunft zuwenden, der
-Furcht Gottes, der Wissenschaft und den guten Werken. Wenn wir aber nur den materiellen
-Gütern nachgehen und glauben, sie uns erhalten zu können, so streben wir etwas nach,
-das in Wirklichkeit nicht existiert.
-</p>
-<p id="ch4.1.5"><b>5.</b> Dieser ethisch-metaphysischen Dualität des Sinnlichen und Geistigen entspricht die
-Lehre Kindi’s vom Wissen. Unsere Erkenntnis ist danach entweder sinnliche oder Vernunfterkenntnis;
-was dazwischen, die Phantasie oder die Vorstellungskraft, heißt mittleres Vermögen.
-Die Sinne erfassen nun das Einzelne oder die materielle Form, die Vernunft aber das
-Allgemeine, Arten und Gattungen, oder die geistige Form. Und wie das Wahrgenommene
-mit der Sinneswahrnehmung eins ist, so ist es auch das von der Vernunft Erfasste mit
-der Vernunft selbst.
-</p>
-<p>Zum ersten Male taucht hier nun die Lehre von der Vernunft oder vom Geiste (<span class="trans" title="nous"><span lang="grc" class="grek">νοῦς</span></span>, ʻaql) in einer Gestalt auf, wie sie, nur etwas modifiziert, bei den späteren muslimischen
-Philosophen einen großen Platz einnimmt. Sie ist charakteristisch für den ganzen Verlauf
-der Philosophie im Islam. Wie im Universalienstreite des christlichen Mittelalters
-sich doch auch ein objectiv-wissenschaftliches Interesse kundgibt, so zeigt sich in
-den philosophischen Erörterungen der Muslime über den denkenden Geist vor allem das
-subjektive Bedürfnis intellektueller Bildung.
-<span class="pageNum" id="pb95">[<a href="#pb95">95</a>]</span></p>
-<p>Kindi unterscheidet einen vierfachen Geist<a class="noteRef" id="xd31e2085src" href="#xd31e2085">2</a>: erstens den Geist, der immer wirklich ist, die Ursache und das Wesen alles Geistigen
-in der Welt, also wohl Gott oder der erste geschaffene Geist; zweitens den Geist als
-vernünftige Anlage oder Potenz der menschlichen Seele; drittens als Habitus oder wirklichen
-Besitz der Seele, dessen sie sich jeden Augenblick bedienen kann, wie <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> der Schreiber seiner Kunst; endlich viertens als Thätigkeit, wodurch das, was die
-Seele als ein Wirkliches in sich hat, in die äußere Wirklichkeit übergeführt wird.
-Letztere Thätigkeit scheint, nach Kindi, die eigene That des Menschen zu sein, während
-er die Überführung der Potenz zum Habitus oder die Verwirklichung des Möglichen von
-der ersten Ursache, dem ewigwirklichen Geiste herleitet. Den wirklichen Geist haben
-wir also von oben erhalten und es heißt der dritte <span class="ex">ʻaql</span> deshalb <span class="ex">ʻaql mustafad</span>, lat. <span class="ex" lang="la">intellectus adeptus sive adquisitus</span>. Die Grundanschauung des Altertums, alles Wissen um die Dinge müsse von außen an
-uns herankommen, geht in dieser Form, in der Lehre vom <span class="ex">ʻaql mustafad</span> oder dem Geiste, den wir von oben bekommen, durch die arabische Philosophie und dann
-in die christliche hinein. Leider ist die Lehre in Bezug auf diese Philosophie selbst
-nahezu richtig. Der thätige Geist, der sie geschaffen, ist in Wirklichkeit der neuplatonische
-Aristoteles.
-</p>
-<p>Das Höchste, was er besitzt, hat der Mensch ja immer seinem Gotte oder den Göttern
-zugeschrieben. Muslimische Theologen schrieben der göttlichen Wirksamkeit unmittelbar
-die sittlichen Handlungen des Menschen zu. Nach den Philosophen aber ist das Wissen
-mehr als die That. Diese, auf die niedere, sinnliche Welt sich richtend, mag des <span class="pageNum" id="pb96">[<a href="#pb96">96</a>]</span>Menschen Eigentum sein; sein höchstes Wissen aber, die reine Vernunft, kommt von oben
-her, vom göttlichen Wesen.
-</p>
-<p>Es ist klar, dass die Lehre vom Geiste, wie sie bei Kindi vorliegt, auf die Nus-Lehre
-des Alexander von Aphrodisias im zweiten Buche über die Seele zurückgeht. Aber Alexander
-behauptete ausdrücklich, nach Aristoteles gebe es einen dreifachen Nus. Kindi sagt
-dagegen, er stelle die Meinung des Platon und Aristoteles dar. Neupythagoreisches
-und Neuplatonisches verknüpfen sich hier. In allem muss die Vierzahl nachgewiesen
-werden, und Platon und Aristoteles sollen übereinstimmen.
-</p>
-<p id="ch4.1.6"><b>6.</b> Ziehen wir die Summe. Kindi ist mutazilitischer Theolog und neuplatonischer Philosoph
-mit neupythagoreischen Zuthaten. Sokrates, der Märtyrer des athenischen Heidentumes,
-ist sein Ideal, über ihn, sein Schicksal und seine Lehre hat er mehrere Schriften
-verfasst. Platon und Aristoteles sucht er in neuplatonischer Weise zu vereinigen.
-</p>
-<p>Trotzdem nennt ihn die Überlieferung den ersten, der in seinen Schriften dem Aristoteles
-folgte. Nicht ganz ohne Grund fürwahr. In seinem langen Schriftenverzeichnisse nimmt
-Aristoteles einen hervorragenden Platz ein. Er begnügte sich nicht mit bloßem Übersetzen,
-sondern studierte die übersetzten Werke, versuchte es auch sie zu verbessern und zu
-erläutern. Die aristotelische Physik, mit der Erklärung des Alexander von Aphrodisias,
-hat jedenfalls bedeutend auf ihn gewirkt. Behauptungen, wie dass die Welt nicht der
-Wirklichkeit, sondern nur der Potenz nach unendlich sei, dass die Bewegung stetig
-und dergleichen mehr deuten darauf hin. Die damaligen Naturphilosophen, wie noch die
-treuen Brüder, sagten <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr>, die Bewegung sei ebensowenig stetig wie die Zahl.
-</p>
-<p>Ferner aber wandte Kindi sich entschieden von der wundersüchtigen Zeitphilosophie
-ab, indem er die Alchemie für Schwindel erklärte. Er hielt es für menschenunmöglich,
-was die Natur allein hervorzubringen im Stande ist. <span class="pageNum" id="pb97">[<a href="#pb97">97</a>]</span>Wer sich denn auch mit alchemistischen Versuchen abgebe, betrüge, seiner Meinung nach,
-sich selbst oder andere. Diese Ansicht <span class="corr" id="xd31e2137" title="Quelle: Kindis">Kindi’s</span> hat der berühmte Mediziner Razi zu widerlegen versucht.
-</p>
-<p id="ch4.1.7"><b>7.</b> Sowohl als Lehrer wie als Schriftsteller hat Kindi hauptsächlich durch seine Mathematik,
-Astrologie, Geographie und Medizin gewirkt. Sein treuester und gewiss bedeutendster
-Schüler war Achmed ibn Mohammed al-Tajjib al-Sarachsi (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 899), Verwaltungsbeamter und Freund des Chalifen Mutadid, dessen Nachlässigkeit oder
-Willkür er zum Opfer fiel. Er befasste sich mit Geheimwissenschaft und Astrologie,
-bemühte sich, aus den Wundern der Schöpfung die Weisheit und Macht des Schöpfers zu
-erkennen, und trieb Geographie und Geschichte. Bekannter ist ein anderer Schüler Kindi’s
-geworden, Abu Maschar (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 885), der aber seinen Ruhm ganz der Astrologie zu verdanken hat. Dieser soll von
-einem fanatischen Gegner der Philosophie, durch ein oberflächliches Studium der Mathematik
-zur Beschäftigung mit der Astrologie gereizt, als er schon 47 Jahre alt war, ein Verehrer
-Kindi’s geworden sein. Ob nun das Dichtung oder Wahrheit, auf jeden Fall ist ein solcher
-Bildungsgang charakteristisch für das neugierige Haschen nach halbverstandenem Wissen,
-das den ersten Jahrhunderten der arabischen Wissenschaft eigentümlich ist.
-</p>
-<p>Die Schule Kindi’s ist in keiner Weise über den Meister hinausgegangen. Von ihrer
-litterarischen Thätigkeit ist uns fast nur in einzelnen Zitaten etwas erhalten. Möglich
-wäre es allerdings, dass in den Abhandlungen der treuen Brüder sich einiges gerettet
-hätte. Doch lässt sich dies beim jetzigen Stande der Wissenschaft nicht bestimmen.
-<span class="pageNum" id="pb98">[<a href="#pb98">98</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch4.2" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e546">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">2.</span> Farabi.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch4.2.1" class="first"><b>1.</b> Im zehnten Jahrhundert werden von den Naturphilosophen die Logiker oder Metaphysiker
-unterschieden. Diese befolgen eine strengere Methode als die Dialektiker und behandeln
-andere Gegenstände als die Physiker. Von Pythagoras haben sie sich losgesagt, um sich
-der Führung des Aristoteles, freilich in neuplatonischer Gestalt, anzuvertrauen.
-</p>
-<p>Wir haben es da mit zwei Richtungen wissenschaftlichen Interesses zu thun. Die Naturphilosophen
-interessieren sich mehr oder weniger für die Fülle konkreter Erscheinungen der Natur,
-wie der Länder- und Völkerkunde. Sie untersuchen überall die Wirkungen der Dinge,
-glauben auch das Wesen nur in der Wirkung zu erkennen. Wenn sie zwar über Natur, Seele
-und Geist zum göttlichen Wesen hinaufsteigen, so bestimmen sie dieses doch nur oder
-vorzugsweise als erste Ursache, als weisen Schöpfer, dessen Güte und Weisheit aus
-seinen Werken hervorgehe.
-</p>
-<p>Ganz anders verhalten sich die Logiker. Das Einzelgeschehen hat für sie untergeordneten
-Wert, nicht weiter, als es aus dem Allgemeinen ableitbar sich erweist. Gehen die Physiker
-von den Wirkungen aus, die Logiker wollen aus ihren Gründen die Dinge begreifen. Sie
-fragen überall nach dem Begriff oder dem Wesen der Dinge, bis zum Höchsten. Gott,
-um mit einem Beispiele den Gegensatz greifbar hinzustellen, ist ihnen nicht zunächst
-der weise Schöpfer, sondern das notwendig-existierende Wesen.
-</p>
-<p>Die Logiker folgen zeitlich den Physikern nach, wie denn auch von der mutazilitischen
-Dialektik (<abbr title="siehe">s.</abbr> <a href="#ch2.3.4">II, 3 § 4</a> und <a href="#ch2.3.5">5</a>) zuerst Gottes Wirken, darauf sein Wesen in den Kreis der Betrachtung gezogen wurde.
-</p>
-<p>Als den bedeutendsten Vertreter der naturphilosophischen Richtung haben wir Razi kennen
-gelernt. Die logisch-metaphysischen Bestrebungen, denen Kindi <abbr title="unter andere">u. a.</abbr> vorgearbeitet, <span class="pageNum" id="pb99">[<a href="#pb99">99</a>]</span>erreichen ihren Höhepunkt in Razi’s jüngerem Zeitgenossen Abu Nasr Mohammed ibn Mohammed
-ibn Tarchan ibn Uzlag al-Farabi.
-</p>
-<p id="ch4.2.2"><b>2.</b> Über den äußeren Lebens- und Bildungsgang Farabis ist wenig Sicheres zu sagen. Er
-war ein stiller Mann, der im Schatten der Macht, zuletzt als Sufi gekleidet, sich
-einem philosophisch-beschaulichen Leben hingab. Sein Vater soll persischer Heerführer
-gewesen sein. In Wasidsch, einem kleinen befestigten Orte des Bezirkes Farab, im Türkenlande
-Transoxanien, wurde er geboren. In Bagdad erhielt er, teilweise von einem christlichen
-Lehrer, Johanna ibn Hailan, seine Ausbildung. Diese umfasste sowohl Litterarisches
-als Mathematisches, also Trivium und Quadrivium im Sinne des christlichen Mittelalters.
-Von seiner mathematischen Bildung zeugen noch einige seiner Schriften, namentlich
-über Musik. Die Legende lässt ihn alle Sprachen der Welt (70) reden. Aus seinen Werken
-erhellt, was schon a priori wahrscheinlich, dass er Türkisch und Persisch verstand.
-Das Arabisch schreibt er klar und nicht ohne Reiz. Nur schadet die Vorliebe für Synonymen
-und parallele Satzglieder dann und wann der Präzision des philosophischen Ausdruckes.
-</p>
-<p>Die Philosophie, in die Farabi eingeweiht wurde, stammte aus der Schule von Merw.
-Vielleicht hatte diese sich schon mehr metaphysischen Fragen zugewandt als die naturphilosophische
-Richtung der Harranier und Basrenser.
-</p>
-<p>Von Bagdad, wo er lange Zeit gelebt und gewirkt, siedelte Farabi, wohl infolge der
-politischen Wirren, nach Haleb (Aleppo) an den glänzenden Hof Saif-addaula’s über.
-Nur soll er nicht am Hofe, sondern in Naturzurückgezogenheit die letzten Jahre verbracht
-haben. Auf einer Reise starb er in Damaskus, Dezember des Jahres 950, wo ihm, wie
-berichtet wird, sein Fürst in sufischem Gewande die Leichenrede hielt. Er soll 80
-Jahre alt geworden sein. Dass er ein hohes Alter erreicht hat, ist wahrscheinlich.
-Sein Zeit- und Studiengenosse Abu Bischr <span class="pageNum" id="pb100">[<a href="#pb100">100</a>]</span>Matta starb 10 Jahre früher und sein Schüler Abu Zakarija Jachja ibn Adi im Jahre
-974, 81 Jahre alt.
-</p>
-<p id="ch4.2.3"><b>3.</b> Die zeitliche Reihenfolge der Schriften Farabis ist nicht festgestellt. Kleinere
-Abhandlungen, in denen er sich mit den Dialektikern und Naturphilosophen berührt,
-dürften, wenn sie überhaupt echt in der überlieferten Gestalt, populäre oder Jugendschriften
-sein. Seine Entwicklung wendete sich dem aristotelischen Schrifttum zu, weshalb ihn
-der Orient den zweiten Lehrer, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> den zweiten Aristoteles nannte.
-</p>
-<p>Seit seiner Zeit steht die Zahl und Folge der aristotelischen oder doch dem Aristoteles
-zugeschriebenen Werke, die man nach seinem Vorgange paraphrasierte und kommentierte,
-im allgemeinen fest. Zuerst die acht logischen Schriften, Kategorien, Hermeneutik,
-erste und zweite Analytik, Topik, Sophistik, Rhetorik und Poetik, denen die Isagoge
-des Porphyr voraufgeht. Dann folgen die acht Schriften zur Physik, auscultatio physica,
-de coelo et mundo, de generatione et corruptione, die Meteorologie, die Psychologie,
-de sensu et sensato, das Buch der Pflanzen und das der Tiere. Endlich schließen sich
-an Metaphysik, Ethik, Politik <abbr title="unter andere">u. a.</abbr>
-</p>
-<p>Die sogenannte Theologie des Aristoteles hat Farabi noch für ein echtes Werk gehalten.
-In neuplatonischer Weise und mit einiger Accommodation an den muslimischen Glauben
-sucht er die Übereinstimmung zwischen Platon und Aristoteles nachzuweisen. Nicht sondernde
-Kritik, eine geschlossene Weltanschauung ist ihm Bedürfnis. Die Befriedigung dieses
-mehr religiösen als wissenschaftlichen Bedürfnisses lässt ihn über philosophische
-Differenzen hinwegsehen. Platon und Aristoteles sollen sich von einander nur unterscheiden
-durch ihre Methode, im sprachlichen Ausdruck und in ihrem Verhalten zum praktischen
-Leben. Ihre Weisheitslehre aber ist dieselbe. Sie sind die Imame, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> die höchsten Autoritäten in der Philosophie, und da sie Beide selbständige, originelle
-Geister gewesen, gilt ihre <span class="pageNum" id="pb101">[<a href="#pb101">101</a>]</span>übereinstimmende Autorität dem Farabi mehr als der Glaube der ganzen muslimischen
-Gemeinde, die mit blindem Zutrauen Einem Führer folgt.
-</p>
-<p id="ch4.2.4"><b>4.</b> Farabi wird den Ärzten zugezählt, doch scheint er die Kunst nicht praktisch geübt
-zu haben. Er widmete sich der Heilkunst der Seele ganz. Seelenreinheit nannte er die
-Bedingung und die Frucht alles Philosophierens, Wahrheitsliebe forderte er auch gegen
-Aristoteles. Geometrie und Logik sollen dann das Urteil bilden für das Studium der
-Natur- und Geisteswissenschaften. Den einzelnen Disziplinen aber schenkt Farabi wenig
-Beachtung, er konzentriert sich auf Logik, Metaphysik und die Prinzipien der Physik.
-Die Philosophie ist ihm die Wissenschaft alles Seienden als solchen, bei deren Erwerb
-man der Gottheit ähnlich wird. Sie ist die eine, allesumfassende Wissenschaft, die
-uns das einheitliche Weltbild vorführt. Den Dialektikern wirft Farabi vor, dass sie
-ungeprüft die Sätze des gemeinen Bewusstseins als Grundlage für ihre Beweise benutzen,
-den Naturphilosophen, dass sie sich immer nur mit den Wirkungen der Dinge befassen,
-also nie über die Gegensätze des Weltgeschehens hinaus zu einer einheitlichen Auffassung
-des Alls gelangen. Den ersteren gegenüber will er das Denken begründen, im Gegensatze
-zu den letzteren den Einen Urgrund alles Seienden erforschen. Wir werden folglich
-seiner historischen und dogmatischen Stellung am besten gerecht, wenn wir zuerst seine
-Logik, darauf die Metaphysik und zuletzt seine Physik und praktische Philosophie zur
-Darstellung bringen.
-</p>
-<p id="ch4.2.5"><b>5.</b> Farabis Logik ist keine reine Analyse wissenschaftlichen Denkens, sondern enthält
-auch viele sprachliche Bemerkungen und <span class="corr" id="xd31e2213" title="Quelle: erkenntnis-theoretische">erkenntnistheoretische</span> Erörterungen. Wie die Grammatik sich auf die Sprache eines Volkes beschränkt, so
-soll die Logik dagegen den sprachlichen Ausdruck der Gesamtvernunft aller Völker heranziehen.
-Von den einfachsten Elementen der Sprache zu den zusammengesetzten <span class="pageNum" id="pb102">[<a href="#pb102">102</a>]</span>hat sie fortzuschreiten, vom Wort zum Satze, zur Rede.
-</p>
-<p>Nach der Beziehung ihrer Gegenstände zur Wirklichkeit zerfällt die Logik in zwei Teile:
-der erste Teil umfasst die Lehre von den Begriffen und Definitionen (<span class="ex">tasawwur</span>), der zweite diejenige von den Urteilen, Schlüssen und Beweisen (<span class="ex">tasdiq</span>). Die Begriffe, mit denen die Definitionen in ganz äußerlicher Weise zusammengestellt
-werden, haben an sich keine Beziehung zur Wirklichkeit, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> sie sind weder wahr noch falsch. Unter Begriffen versteht Farabi hier die einfachsten
-seelischen Gebilde, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> sowohl die aus sinnlicher Wahrnehmung stammenden Vorstellungen einzelner Gegenstände
-als die ursprünglichen dem Geiste eingeprägten Begriffe, wie das Notwendige, das Wirkliche,
-das Mögliche. Solche Vorstellungen und Begriffe sind unmittelbar gewiss. Man kann
-den Sinn des Menschen darauf hinlenken, seine Seele darauf aufmerksam machen, sie
-ihm aber nicht vordemonstrieren, nicht aus Bekanntem ableitend sie erklären, da sie
-an sich im höchsten Grade klar sind.
-</p>
-<p>Aus der Zusammensetzung von Vorstellungen oder Begriffen ergeben sich Urteile, die
-nun entweder wahr oder falsch sein können. Durch Schluss und Beweis geht die Begründung
-der Urteile auf einige dem Verstande ursprünglich gegebene, unmittelbar einleuchtende,
-nicht weiter begründbare Sätze zurück. Solche Sätze, die Grundsätze oder Axiome aller
-Wissenschaft, soll es geben für die Mathematik, die Metaphysik und die Ethik.
-</p>
-<p>Die Lehre vom Beweise, wie von Bekanntem, Begründetem aus wir zur Erkenntnis eines
-Unbekannten gelangen, ist nach Farabi die eigentliche Logik. Dazu bildet die Kenntnis
-der Hauptbegriffe (Kategorien), ihrer Zusammensetzung im Urteil (Hermeneutik) und
-im Schlusse (erste Analytik) nur die Einleitung. Und in der Beweislehre kommt es darauf
-an, die Normen zu ermitteln einer allgemeingültigen, notwendigen Wissenschaft, was
-die Philosophie <span class="pageNum" id="pb103">[<a href="#pb103">103</a>]</span>sein soll. Als oberste Norm gilt hier der Satz des Widerspruchs, wodurch in einem
-einheitlichen Denkakte die Wahrheit oder Notwendigkeit zugleich mit der Unwahrheit
-oder Unmöglichkeit des Gegenteiles erkannt wird. Dementsprechend soll die platonische
-Dichotomie als wissenschaftliche Methode der aristotelischen Polytomie vorzuziehen
-sein. Ferner begnügt Farabi sich nicht mit der formalen Seite der Beweislehre. Diese
-soll mehr sein als eine Methodologie, die den richtigen Weg zur Wahrheit zeigt, sie
-soll selbst Wahrheit zeigen, Wissenschaft erzeugen. Sie betrachtet die Urteile nicht
-bloß als Material für die Schlussform, sondern untersucht auch ihren Wahrheitsgehalt
-in Beziehung auf die Einzelwissenschaften. Nicht nur Hilfsmittel ist sie, sie ist
-vielmehr ein Teil der Philosophie.
-</p>
-<p>Die Beweislehre geht, wie wir sahen, auf notwendiges Wissen aus, dem notwendigen Sein
-entsprechend. Außer diesem aber ist das große Gebiet des Möglichen da, von dem wir
-nur ein wahrscheinliches Wissen erhalten können. Die verschiedenen Grade der Wahrscheinlichkeit
-nun oder die Art und Weise, in der wir zu einer Wissenschaft des Möglichen gelangen,
-werden in der Topik erörtert. Daran schließen sich Sophistik, Rhetorik und Poetik,
-die sonst hauptsächlich praktische Ziele verfolgen. Zusammen aber mit der Topik werden
-sie bei Farabi zu einer Dialektik des Scheines. Nur auf den notwendigen Sätzen der
-zweiten Analytik, so führt er aus, lässt sich wahre Wissenschaft aufbauen, aber von
-den topischen (dialektischen) bis zu den poetischen Urteilen stuft sich das Wahrscheinliche
-zum bloßen Scheine der Wahrheit ab. Am tiefsten steht also die Poesie, die nach Farabis
-Ansicht ein lügnerisches und unsittliches Gerede ist.
-</p>
-<p>Im Anschluss an Porphyrs Isagoge hat unser Philosoph sich auch über die Universalienfrage
-geäußert. Das Besondere findet er nicht nur in den Dingen und in der sinnlichen Wahrnehmung,
-sondern auch im Denken. Ebenso <span class="pageNum" id="pb104">[<a href="#pb104">104</a>]</span>ist das Allgemeine nicht bloß, accidentell, in den Einzeldingen, sondern auch, substantiell,
-im Geiste. Der menschliche Geist abstrahiert das Allgemeine von den Dingen, vor diesen
-war es aber schon an sich. Dem Sinne nach findet somit der dreifache Unterschied des
-<span class="ex">ante rem</span>, <span class="ex">in re</span>, <span class="ex">post rem</span> sich bereits bei Farabi.
-</p>
-<p>Gehört zu den Universalien auch das bloße Sein? Ist die Existenz überhaupt ein Prädikat?
-Diese Frage, die soviel Unheil in der Philosophie gestiftet, wurde von Farabi völlig
-richtig beantwortet. Die Existenz ist nach ihm eine grammatische oder logische Beziehung,
-aber keine Kategorie der Wirklichkeit, die etwas von den Dingen aussagt. Die Existenz
-eines Dinges ist nichts außer dem wirklichen Dinge selbst.
-</p>
-<p id="ch4.2.6"><b>6.</b> Die logische Richtung des Denkens macht sich auch in der Metaphysik geltend. An Stelle
-des Veränderlichen und des Ewigen treten die Begriffe des Möglichen und des Notwendigen
-hervor.
-</p>
-<p>Alles Seiende ist nämlich nach Farabi entweder ein notwendiges oder ein mögliches;
-ein Drittes gibt es nicht. Da nun alles Mögliche zu seiner Verwirklichung eine Ursache
-voraussetzt, die Reihe der Ursachen aber nicht ins Unendliche gehen kann, so sehen
-wir uns genötigt, ein notwendig Seiendes anzunehmen, das ursachlos, höchst vollkommen,
-ewig vollwirklich, sich selbst genügend, ohne jede Veränderung, als absoluter Geist,
-reine Güte, Denken, Denkendes und Gedachtes in einem Wesen, die alles übersteigende
-Güte und Schönheit seines Wesens liebt. Dieses Wesen kann nicht bewiesen werden, denn
-es ist selbst der Beweis und der Urgrund aller Dinge. Wahrheit und Wirklichkeit fallen
-in diesem Wesen zusammen. In seinem Begriffe liegt es, dass es einzig ist, denn wenn
-es zwei erste, absolute Wesen gäbe, müssten sie teils gleich, teils von einander verschieden
-sein, wodurch aber die Einfachheit eines jeden aufgehoben wäre. Ein allervollkommenstes
-Wesen muss einzig sein.
-<span class="pageNum" id="pb105">[<a href="#pb105">105</a>]</span></p>
-<p>Dieses Erste, Eine, wahrhaft Wirkliche nennen wir Gott. Und da in Ihm alles eins ist,
-auch ohne Artdifferenz, so gibt es keine Definition für sein Wesen. Doch legt ihm
-der Mensch die schönsten, die höchsten Werte des Lebens zum Ausdruck bringenden Namen
-bei, weil im mystischen Drange dazu die Worte ihre gewöhnliche Bedeutung verlieren,
-über jeden Widerspruch hinaus. Einige Namen beziehen sich auf das Wesen, andere auf
-sein Verhältnis zur Welt, ohne jedoch die Einheit des Wesens zu beeinträchtigen. Alle
-sind sie aber metaphorisch zu verstehen, nur nach schwacher Analogie vermögen wir
-sie aufzufassen. Eigentlich sollten wir von Gott, dem vollkommensten Wesen, auch den
-vollständigsten Begriff haben. Sind doch unsere mathematischen Begriffe vollkommener
-als die physischen, weil sie sich auf vollkommenere Gegenstände beziehen. Aber mit
-dem Allervollkommensten ergeht es uns wie mit dem hellsten Lichte: wegen der Schwäche
-unserer Augen können wir es nicht vertragen. So haften auch an unserem Erkennen die
-Mängel der Materie.
-</p>
-<p id="ch4.2.7"><b>7.</b> Besser als an sich vermögen wir Gott zu sehen in der Stufenordnung der aus ihm hervorgehenden
-Wesen. Von Ihm, dem Einzigen, ist das All, denn sein Wissen ist die höchste Macht.
-Indem er sich selbst erkennt, wird die Welt. Nicht ein allmächtiger Schöpferwille,
-sondern die Erkenntnis des Notwendigen ist die Ursache aller Dinge. Von Ewigkeit her
-sind in Gott die Formen oder Vorbilder der Dinge und ewig geht auch aus ihm sein Ebenbild
-hervor, das zweite All genannt oder der erste geschaffene Geist, der die äußerste
-Himmelsphäre bewegt. Diesem Geiste folgen, einer aus dem anderen, die acht Sphärengeister,
-die alle einzig in ihrer Art, vollkommen und Schöpfer der Himmelskörper sind. Diese
-neun Geister, himmlische Engel genannt, bilden zusammen die zweite Stufe des Seins.
-Auf der dritten Stufe steht die in der Menschheit thätige Vernunft, heißt auch der
-heilige Geist, <span class="pageNum" id="pb106">[<a href="#pb106">106</a>]</span>der Himmel und Erde verbindet; auf der vierten Stufe befindet sich die Seele. Beide,
-Vernunft und Seele, bleiben nicht rein für sich in ihrer Einheit, sondern vervielfältigen
-sich nach der Vielheit menschlicher Wesen. Als Wesen fünfter und sechster Ordnung
-erscheinen zuletzt Form und Materie, mit denen die Reihe geistigen Seins abgeschlossen
-ist. Die drei ersten Stufen, Gott, Sphärengeister und thätige Vernunft, bleiben Geist
-an sich, die drei folgenden aber, Seele, Form und Materie, obgleich unkörperlich,
-gehen doch ein Verhältnis zum Körper ein.
-</p>
-<p>Entsprechend denen des Geistigen hat auch das Körperliche, das der Imagination des
-Geistes entspringen soll, sechs Stufen: Himmelskörper, Menschenkörper, Tierkörper,
-Pflanzenkörper, Mineral und Element.
-</p>
-<p>Wahrscheinlich zeigen sich in diesen Spekulationen nach der Dreizahl noch die Einflüsse
-der christlichen Lehrer Farabis. Für sie bedeutete nämlich die Dreizahl, was den Naturphilosophen
-die Vierzahl war. Auch die Terminologie stimmt dazu.
-</p>
-<p>Das ist aber nur äußerlich; der Inhalt ist Neuplatonismus. Als ein ewiger, intellektueller
-Prozess erscheint hier die Schöpfung oder Emanation der Welt. Indem der erste geschaffene
-Geist seinen Urheber denkt, entsteht der zweite Sphärengeist; indem er, sich selbst
-denkend, sich substanziert, geht aus ihm der erste Körper, die oberste Himmelsphäre,
-hervor. Und so geht es weiter bis zu der niedersten Sphäre, der des Mondes, in notwendiger
-Folge. Ganz nach dem ptolemäischen Sphärensystem, wie es jeder Gebildete, wenigstens
-aus Dantes Komödie, kennt, in neuplatonischer Ableitung. Es bilden die Sphären zusammen
-eine ununterbrochene Ordnung, denn alles Seiende ist eine Einheit. Schöpfung und Erhaltung
-der Welt ist ein und dasselbe. Und nicht nur die Einheit des göttlichen Wesens bildet
-sich in der Welt ab, sondern in ihrer schönen Ordnung drückt sich auch die göttliche
-Gerechtigkeit aus. Die logische Weltordnung ist zugleich eine sittliche.
-<span class="pageNum" id="pb107">[<a href="#pb107">107</a>]</span></p>
-<p id="ch4.2.8"><b>8.</b> Die irdische Welt unter dem Monde ist natürlich ganz von der Welt der Himmelsphären
-abhängig. Doch trifft die Einwirkung von oben erstens, wie wir a priori erkennen,
-die notwendige Ordnung des Ganzen, zweitens zwar auch das Einzelne, aber nur insofern
-dies in natürlicher Wechselwirkung begründet ist, also nach Regeln, welche die Erfahrung
-uns lehrt, stattfindet. Die Astrologie, die alles Zufällige, Außerordentliche, den
-Gestirnen und ihren Konjunktionen zuschreibt, wird von Farabi bekämpft. Vom Zufälligen
-gibt es kein sicheres Wissen, und viel des irdischen Geschehens trägt, wie ja auch
-Aristoteles gelehrt, in hohem Grade den Charakter des Zufälligen oder des Möglichen
-an sich. Dagegen hat die himmlische Welt eine andere, vollkommenere Natur, die nach
-notwendigen Gesetzen wirkt. Sie kann dieser irdischen Welt nur Gutes spenden, warum
-es ganz verfehlt ist, zu behaupten, von einigen Gestirnen käme Glück, von anderen
-jedoch Unglück her. Die Natur der Himmel ist Eine und gleichmäßig gut. Der Schluss,
-zu dem nach diesen Erwägungen Farabi gelangt, ist denn auch dieser: demonstrative,
-ganz sichere Erkenntnis gibt nur die mathematische Astronomie, ein wahrscheinliches
-Wissen gewährt die physikalische Himmelskunde, einen ganz unsicheren Glauben aber
-verdienen die Sätze und Weissagungen der Astrologie.
-</p>
-<p>Gegenüber der Einfachheit der Himmelswelt haben wir unter dem Monde das Reich der
-vier Naturen, also der Gegensätze und der Veränderung. Von den Elementen bis zum Menschen
-gibt es auch hier in der Vielheit die Einheit der aufsteigenden Reihe. Wenig Eigentümliches
-weiß Farabi darüber vorzubringen. Seinem logischen Standpunkte treu kümmert er sich
-weniger um die Naturwissenschaften, zu denen er wohl unbedenklich, auf die ursprüngliche
-Einheit der Materie sich stützend, die Alchemie wird gezählt haben. Wir wenden uns
-gleich seiner Lehre vom Menschen oder von der menschlichen Seele zu, die einiges Interesse
-darbietet.
-<span class="pageNum" id="pb108">[<a href="#pb108">108</a>]</span></p>
-<p id="ch4.2.9"><b>9.</b> Die Kräfte oder Teile der menschlichen Seele sind nach Farabi nicht koordiniert,
-sondern bilden eine aufsteigende Reihe. Das niedere Vermögen ist Materie für das höhere
-und dieses die Form für jenes; das höchste aber, das Denken, ist immateriell, Form
-für alle vorhergehenden Formen. Aus dem Sinnlichen erhebt das Leben der Seele sich
-durch die Vorstellung zum Denken. In allen Vermögen aber ist ein Streben oder Wollen
-enthalten. Jede Theorie hat die praktische Kehrseite. Von den Wahrnehmungen der Sinne
-sind Neigung und Abneigung unzertrennlich. Zu ihren Vorstellungen verhält sich die
-Seele zustimmend oder ablehnend, indem sie bejaht und verneint. Das Denken endlich
-richtet über Gutes und Böses, gibt dem Willen seine Motive und bildet Kunst und Wissenschaft
-aus. Alles Wahrnehmen, Vorstellen und Denken hat irgend ein Streben zur notwendigen
-Folge, wie die Wärme aus der Substanz des Feuers hervorgeht.
-</p>
-<p>Die Seele ist die Vollkommenheit (Entelechie) des Körpers, aber die Vollkommenheit
-der Seele ist der Geist (<span class="ex">ʻaql</span>). Nur der Geist ist der wahre Mensch.
-</p>
-<p id="ch4.2.10"><b>10.</b> Vom Geiste ist demnach zumeist die Rede. Im menschlichen Geiste erhebt sich alles
-Irdische zu einer höheren Existenzweise, die den Kategorien des Körperlichen enthoben
-ist. Als Anlage oder Potenz ist nun der Geist in der Seele des Kindes vorhanden. Indem
-er dann die Körperformen mittelst der Sinne und der Vorstellung in der Erfahrung erfasst,
-wird er auch wirklich zum Geiste. Diese Überführung von der Möglichkeit zur Wirklichkeit,
-das Zustandekommen der Erfahrung also, ist aber nicht des Menschen eigene That, sondern
-wird von dem übermenschlichen Geiste, der aus dem letzten Sphärengeist, dem des Mondes,
-hervorgegangen ist, bewirkt. Als Spende von oben, nicht als eine in geistigem Ringen
-erarbeitete Erkenntnis stellt sich so das menschliche Wissen dar. Im Lichte des über
-uns stehenden Geistes erblickt unser Verstand die Formen des Körperlichen. Dabei erweitert
-sich <span class="pageNum" id="pb109">[<a href="#pb109">109</a>]</span>aber die Erfahrung zur Vernunfterkenntnis. Die Erfahrung nämlich umfasst nur die von
-der Stoffwelt abstrahierten Formen. Es gibt ja aber auch Formen oder allgemeine Wesenheiten
-vor und über den stofflichen Dingen, in den reinen Geistern der Sphären. Von diesen
-“getrennten Formen” erhält der Mensch jetzt Kunde; nur durch ihre Einwirkung wird
-ihm seine wirkliche Erfahrung erklärlich. Die höhere Form wirkt immer nur auf die
-zunächst ihr folgende, von Gott bis zum Geiste der Menschheit. Nach oben hin verhält
-sich jede Zwischenform empfangend, nach unten aber gebend thätig. Im Verhältnis zum
-menschlichen Geiste, der von oben beeinflusst wird (<span class="ex">ʻaql mustafad</span>), ist also der übermenschliche, aus dem letzten Sphärengeist hervorgegangene Geist
-thätig oder schaffend zu nennen (<span class="ex">ʻaql fu ʻʻâl.</span>)<span class="corr" id="xd31e2298" title="Nicht in der Quelle">.</span> Doch ist er nicht immer thätig, weil er an der Materie eine Schranke seiner Wirksamkeit
-hat. Gott aber ist der vollwirkliche, ewigthätige Geist.
-</p>
-<p>Im Menschen ist der Geist dreifach: als möglich, als wirklich, als von oben bewirkt.
-Das heißt aber im Sinne Farabis dies: des Menschen geistige Anlage (1) wird durch
-Erfahrungswissen (2) hindurch geführt zur Erkenntnis des Übersinnlichen (3), das aller
-Erfahrung vorhergeht und selbst die Erfahrung bewirkt.
-</p>
-<p>Die Stufen des Geistes und seiner Erkenntnis entsprechen den Stufen des Seins. Sehnsüchtig
-strebt das Niedere dem Höheren zu und das Höhere hebt das Niedere zu sich empor. Der
-über uns stehende Geist, der allem Irdischen die Formen verliehen hat, sucht diese
-zertrennten Formen wieder zusammenzubringen, dass sie in Liebe sich einigen. Zunächst
-sammelt er sie im Menschen. Darauf, dass derselbe Geist, der dem Körperlichen die
-Gestalt verlieh, auch dem Menschen die Idee gibt, beruht nun aber die Möglichkeit
-und die Wahrheit menschlicher Erkenntnis. Die zerstreuten Formen des Irdischen finden
-sich im menschlichen Geiste wieder, wodurch dieser dem letzten Himmelsgeiste ähnlich
-wird. Vereinigung mit dem Himmelsgeiste, <span class="pageNum" id="pb110">[<a href="#pb110">110</a>]</span>dadurch er sich Gott nähert, ist Ziel und Glück des Menschengeistes.
-</p>
-<p>Ob nun eine solche Vereinigung vor dem Tode des Menschen möglich sei, ist nach Farabi
-zweifelhaft oder ganz zu verneinen. In diesem Leben ist Vernunfterkenntnis das Höchste,
-was erreicht werden kann. Aber die Trennung vom Körper gibt der vernünftigen Seele
-die völlige Freiheit des Geistes. Besteht sie dann aber noch als Individualseele?
-Oder ist sie nur ein Moment der höheren Weltvernunft? Dunkel, und nicht in allen Schriften
-übereinstimmend, drückt Farabi sich darüber aus. Die Menschen, so heißt es, sterben
-hin, ein Geschlecht folgt dem andern und Gleiches verbindet sich mit Gleichem, Jedes
-in seiner Ordnung. Unendlich, weil nicht an den Raum gebunden, mehren sich die vernünftigen
-Seelen, wie Gedanke zu Gedanken, Kraft zu Kraft hinzukommt. Jede Seele denkt sich
-selbst und alle andern, die ihr gleich sind, und je mehr sie denkt, um so intensiver
-ist ihre Freude (<abbr title="vergleiche">vgl.</abbr> unten <a href="#ch4.2.13">§ 13</a>).
-</p>
-<p id="ch4.2.11"><b>11.</b> Wir kommen zur praktischen Philosophie. In Ethik und Politik treten wir in ein etwas
-näheres Verhältnis zum Leben und Glauben der Muslime. Einige allgemeine Gesichtspunkte
-seien hervorgehoben.
-</p>
-<p>Wie die Logik die Prinzipien des Wissens, so soll die Ethik die Grundsätze des Handelns
-darstellen. Nur dass hier Übung und Erfahrung etwas mehr gewertet werden, als in der
-Erkenntnistheorie. In der Ausführung schließt sich Farabi teils dem Platon, teils
-dem Aristoteles an, teils geht er auch in mystisch-asketischer Weise über sie hinaus.
-Den Theologen gegenüber, die zwar ein Vernunftwissen, aber keine Vernunftgesetze des
-Handelns anerkennen, betont Farabi öfter, die Vernunft bestimme, ob etwas gut sei
-oder böse. Wie sollte die von oben her uns erteilte Vernunft nicht das Handeln bestimmen,
-da ja im Wissen die höchste Tugend besteht? Wenn einer, so erklärt Farabi höchst bezeichnend,
-alles wüsste, was in den Schriften <span class="pageNum" id="pb111">[<a href="#pb111">111</a>]</span>des Aristoteles steht, danach aber nicht handelte, während ein anderer in seinem Sinne
-handelte ohne davon zu wissen, so wäre dem ersteren der Vorzug zu geben. Die Erkenntnis
-steht höher als die sittliche That, sonst könnte sie diese nicht bestimmen.
-</p>
-<p>Von Natur aus begehrt die Seele. Insofern sie wahrnimmt und vorstellt, kommt ihr,
-wie den Tieren, ein Wille zu. Aber Wahlfreiheit hat allein der Mensch, da dieselbe
-auf vernünftiger Überlegung beruht. Die Sphäre der Freiheit ist das reine Denken.
-Es ist das also eine Freiheit, die von den Motiven des Denkens abhängig ist, eine
-Freiheit, die zugleich Notwendigkeit ist, weil sie in letzter Instanz von dem vernünftigen
-Wesen Gottes bestimmt ist. In diesem Sinne ist Farabi Determinist.
-</p>
-<p>Die so gefasste Freiheit des Menschen kann sich, wegen des Widerstandes der Materie,
-in der Herrschaft über das Sinnliche nur unvollkommen bethätigen. Vollkommen wird
-sie erst nach der Befreiung der vernünftigen Seele von den Banden des Stoffes und
-den Hüllen des Irrtums, im Leben des Geistes. Das aber ist die höchste Glückseligkeit,
-die nur ihrer selbst willen erstrebt wird, somit das Gute schlechthin. Und dieses
-Gute sucht die Menschenseele, wenn sie sich dem Geiste über ihr zuwendet, wie die
-Seelen der Himmel, als sie sich dem Höchsten nähern.
-</p>
-<p id="ch4.2.12"><b>12.</b> Schon die Ethik nimmt wenig Rücksicht auf die wirklichen sittlichen Verhältnisse.
-Noch weiter aber entfernt Farabi sich von der Wirklichkeit in seiner Politik. Das
-platonische Staatsideal geht für seine orientalische Anschauungsweise fast ganz in
-den philosophischen Herrscher auf. Von einem natürlichen Bedürfnis zusammengeführt,
-haben die Menschen sich dem Willen eines Einzigen unterworfen, in welchem der Staat,
-ob er nun gut oder böse, gleichsam verkörpert ist. Deshalb sind die Staaten schlecht,
-wenn ihr Haupt in Bezug auf die Prinzipien des Guten entweder unwissend oder im Irrtum
-oder <span class="pageNum" id="pb112">[<a href="#pb112">112</a>]</span>gar verderbt ist. Der gute oder vorzügliche Staat dagegen hat nur Eine Art, darin
-der Philosoph Herrscher ist. Mit allen menschlichen und philosophischen Tugenden stattet
-Farabi seinen Fürsten aus: es ist Platon in Mohammeds Prophetenmantel.
-</p>
-<p>In der Beschreibung der den idealen Fürsten vertretenden Herrscher — es können mehrere
-zugleich sein, auch können Fürst und Minister sich in Herrschertugend und Weisheit
-teilen — nähern wir uns der muslimischen Staatslehre jener Zeit. Aber die Ausdrücke
-sind verhüllt. Die richtige Abstammung eines Fürsten <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> und die Pflicht der Führung in den heiligen Krieg werden nicht klar bezeichnet. Es
-bleibt doch alles in philosophischem Nebel schweben.
-</p>
-<p id="ch4.2.13"><b>13.</b> Im Staate, der mit der Religionsgemeinschaft zusammenfällt, ist die Sittlichkeit
-allein vollkommen. Nach dem Zustande des Staates bestimmt sich also nicht nur das
-zeitliche Schicksal seiner Bürger, sondern auch ihr zukünftiges Los. Die Seelen der
-Bürger im “unwissenden” Staate sind ohne Vernunft, als sinnliche Formen kehren sie
-zu den Elementen wieder, damit sie sich aufs neue mit anderen Wesen, Menschen oder
-Tieren, verbinden. In den “irrenden” und “verderbten” Staaten ist allein der Führer
-verantwortlich, seiner wartet Strafe im Jenseits; die irregeführten Seelen aber teilen
-das Schicksal der Unwissenden. Dagegen bestehen nur die guten wissenden Seelen fort,
-sie gehen ein in die Welt des reinen Geistes. Je höher die Stufe des Wissens, die
-sie in diesem Leben erreicht, um so höher wird nach dem Tode ihre Stelle in der Ordnung
-des Alls sein, um so intensiver ihre selige Lust.
-</p>
-<p>Vermutlich sind derartige Ausdrücke nur die Hülle eines mystisch-philosophischen Glaubens
-von dem Aufgehen des menschlichen Geistes in den Weltgeist, zuletzt in Gott. Denn,
-so lehrt Farabi, in absteigender Betrachtung (logisch-metaphysisch) ist die Welt etwas
-anderes als Gott, im Aufsteigen aber erkennt die Seele das Diesseits als identisch
-<span class="pageNum" id="pb113">[<a href="#pb113">113</a>]</span>mit dem Jenseits, weil Gott in allem, ja in seiner Einheit das All selbst ist.
-</p>
-<p id="ch4.2.14"><b>14.</b> Überblicken wir jetzt Farabis System, so zeigt es sich als einen ziemlich konsequenten
-Spiritualismus, genauer bestimmt Intellektualismus. Das Körperliche, Sinnenfällige
-entspringt der Imagination des Geistes, man könnte es als “verworrene Vorstellung”
-bezeichnen. Das einzige wahre Sein ist Geist, aber verschieden abgestuft. Ganz einfach
-rein ist nur Gott, und die ewig aus ihm hervorgehenden Geister, einer aus dem andern,
-haben schon die Vielheit in sich. Die Zahl der selbständigen Geister wird nach dem
-ptolemäischen Weltsystem bestimmt und entspricht der himmlischen Hierarchie. Je weiter
-vom Ersten entfernt, um so weniger hat einer am Sein des reinen Geistes teil. Von
-dem letzten Weltgeiste kommt dem Menschen sein Wesen, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> die Vernunft zu. Alles ist ohne Lücke, die Welt ist ein gut und schön geordnetes
-Ganzes. Übel und Böses sind nur eine notwendige Folge der Endlichkeit im Einzelnen,
-wodurch die Güte des Alls um so deutlicher hervortritt.
-</p>
-<p>Ob die schöne Ordnung der Welt, von Ewigkeit her aus Gott emaniert, jemals wird zerstört
-werden können oder auch in Gott zurückfließen? Ein fortwährendes Zurückströmen zur
-Gottheit gibt es wohl. Die Sehnsucht der Seele geht nach oben, fortschreitendes Wissen
-läutert sie und führt sie hinauf. Aber wie weit? Philosophen und Propheten haben es
-nicht klar sagen können. Beide, die Philosophie und die Prophetie, leitet Farabi von
-dem schaffenden Weltgeiste über uns her. Hin und wieder spricht er sich über die Prophetie
-aus, als ob diese die höchste Stufe menschlichen Erkennens und Handelns darstelle.
-Das kann aber nicht seine wirkliche Meinung sein, ist wenigstens nicht die Konsequenz
-seiner theoretischen Philosophie. Ihr zufolge gehört alles Prophetische in Traum,
-Gesicht, Offenbarung <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> dem Kreise der Vorstellung an, steht also in der Mitte zwischen sinnlicher <span class="pageNum" id="pb114">[<a href="#pb114">114</a>]</span>Wahrnehmung und reiner Vernunfterkenntnis. Wenn er nun auch in seiner Ethik und Politik
-der Religion eine hohe erzieherische Bedeutung beimisst, so bleibt sie doch immer
-an absolutem Werte der Erkenntnis durch reine Vernunft nachstehen.
-</p>
-<p>Farabi hat im Intellektuellen für ein Ewiges gelebt. Ein König an Geist, ein Bettler
-an Besitz, war es ihm bei seinen Büchern und den Vögeln und Blumen seines Gartens
-wohl. Seinem Volke, der muslimischen Gemeinde, konnte er nur wenig sein. In seiner
-Staats- und Sittenlehre war für weltliche Geschäfte und für den heiligen Krieg keine
-rechte Stelle. Seine Philosophie befriedigte kein sinnliches Bedürfnis und widersprach
-dem sinnlich-geistigen Vorstellungsleben, wie es sich besonders in Kunstschöpfungen
-und religiösen Phantasien äußert. Er verlor sich in den Abstraktionen des reinen Geistes.
-Als frommer, heiliger Mann wurde er von Mitlebenden angestaunt, von wenigen Schülern
-als personifizierte Weisheit verehrt, von den echten Gelehrten des Islam aber für
-alle Zeit verketzert. Grund gab es freilich genug dafür. Wie die Naturphilosophie
-leicht zu Naturalismus und Atheismus führte, so leitete der Monotheismus der Logiker
-unmerklich zum Pantheismus hinüber.
-</p>
-<p id="ch4.2.15"><b>15.</b> Viel Schule hat Farabi nicht gemacht. Bekannt geworden ist Abu Zakarija Jachja ibn
-Adi, ein jakobitischer Christ, als Übersetzer aristotelischer Werke. Mehr genannt
-worden aber ist ein Schüler des letzteren, mit Namen Abu Sulaiman Mohammed ibn Tahir
-ibn Bahrain al-Sidschistani, der in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts in
-Bagdad die Gelehrten seiner Zeit um sich versammelte. Die Gespräche, welche sie da
-führten und die philosophischen Belehrungen, die der Meister erteilte, sind uns zum
-Teil erhalten. Wir sehen deutlich den Ausgang der Schule. Wie die Naturphilosophie
-in Geheimwissenschaft verlief und die Schule Kindis sich von der Philosophie ab mathematischem
-und physikalischem Einzelwissen <span class="pageNum" id="pb115">[<a href="#pb115">115</a>]</span>zuwandte, so geht hier die logische Richtung Farabis in Wortphilosophie über. In Distinktionen
-und Begriffsbestimmungen bewegt sich das Gespräch. Auch werden Einzelheiten aus der
-Philosophiegeschichte und den besonderen Wissenschaften ohne systematischen Zusammenhang
-erörtert. Fast nirgends zeigt sich ein sachliches Interesse. Die menschliche Seele
-rückt ganz in den Vordergrund, ähnlich wie bei den treuen Brüdern, nur dass diese
-mehr die wunderbaren Wirkungen der Seele, jene Logiker aber ihr vernünftiges Wesen
-und ihre Erhebung in das Übervernünftige betrachten. Statt mit Zahlen und Buchstaben,
-wie bei den Brüdern, wird in Sidschistanis Gesellschaft mit Worten und Begriffen gespielt.
-Das Ende ist in beiden Fällen ein mystischer Sufismus.
-</p>
-<p>Es ist demnach nicht zu verwundern, dass in den gelehrten Sitzungen Abu Sulaimans,
-über die sein Schüler Tauhidi (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 1009) Bericht erstattet, Empedokles, Sokrates, Platon <abbr title="unter andere">u. a.</abbr> mehr genannt werden als Aristoteles. Eine sehr gemischte Gesellschaft findet sich
-da in jenen Sitzungen zusammen. Es wird nicht gefragt, welchem Lande man entstamme,
-welcher Religion man angehöre. Man lebt der Überzeugung, die von Platon hergeleitet
-wird, in jeder Meinung stecke etwas von der Wahrheit, wie in allen Dingen ein gemeinsames
-Sein und in allen Wissenschaften eine und dieselbe wirkliche Erkenntnis. Nur unter
-dieser Annahme scheint es begreiflich, dass jeder zunächst seine eigene Meinung für
-die wahre, und die von ihm gepflegte Wissenschaft für die vorzüglichste halten könne.
-Eben deswegen gibt es auch keinen Zwiespalt zwischen Religion und Philosophie, wie
-heftig man es von beiden Seiten behaupten möge. Die Philosophie bestätigt vielmehr
-die Lehren der Religion, wie diese die Resultate jener vervollkommnet. Ist die philosophische
-Erkenntnis Wesen und Ziel der menschlichen Seele, so ist der religiöse Glaube ihr
-Leben oder der Weg zu dem Ziele. Da nämlich die Vernunft Gottes Statthalter auf Erden
-ist, so ist es unmöglich, <span class="pageNum" id="pb116">[<a href="#pb116">116</a>]</span>dass Vernunft und Offenbarung sich widersprechen.
-</p>
-<p>Einzelnes hervorzuheben aus den Gesprächen, deren Grundstimmung wir angegeben, verlohnt
-sich nicht. Kulturhistorisch ist die Erscheinung Sidschistanis und seines Kreises
-wichtig, aber für die Fortbildung der Philosophie im Islam hat sie keine Bedeutung.
-Was für Farabi wirklich das Leben seines Geistes war, wird in dieser Gesellschaft
-gar oft zum Gegenstande geistreicher Unterhaltung.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch4.3" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e606">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">3.</span> Ibn Maskawaih.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch4.3.1" class="first"><b>1.</b> Wir sind an die Wende des zehnten und elften Jahrhunderts gelangt. Farabis Schule
-scheint auszusterben und Ibn Sina, der die Philosophie seines Vorgängers zu neuem
-Leben erwecken sollte, ist noch ein Jüngling. Hier aber haben wir eines Mannes zu
-gedenken, der zwar dem Kindi näher als dem Farabi verwandt ist, doch auch, wegen der
-Gemeinsamkeit ihrer Quellen, in wesentlichen Punkten mit dem letzteren übereinstimmt.
-Sein Beispiel zeigt zugleich, dass die hellsten Köpfe der Zeit nicht gesonnen waren,
-Farabi auf das Gebiet logisch-metaphysischer Spekulationen zu folgen.
-</p>
-<p>Dieser Mann ist der Arzt, Philolog und Historiker Abu Ali ibn Maskawaih, der Schatzmeister
-und Freund des Sultans Adudaddaula war und hochbetagt im Jahre 1030 starb. U. a. hat
-er uns eine bis heute im Orient geschätzte philosophische Ethik hinterlassen. Sie
-ist eine Mischung aus Platon, Aristoteles, Galen und dem muslimischen Religionsgesetz,
-doch herrscht darin Aristoteles vor. Mit einer Abhandlung über das Wesen der Seele
-hebt sie an.
-</p>
-<p id="ch4.3.2"><b>2.</b> Die menschliche Seele, so führt Ibn Maskawaih aus, ist eine unkörperliche, einfache,
-sich ihres Seins, Wissens und Wirkens bewusste Substanz. Dass sie geistiger Natur
-sein muss, folgt schon daraus, dass sie die entgegengesetzten <span class="pageNum" id="pb117">[<a href="#pb117">117</a>]</span>Formen zugleich in sich aufnimmt, <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> die Vorstellung von weiß und schwarz, während ein Körper nur eins von beiden auf
-einmal aufnehmen kann. Ferner nimmt sie sowohl die Formen des Sinnlichen wie des Geistigen
-in gleicher, geistiger Weise auf, denn die Länge ist in der Seele nicht lang, wird
-auch im Gedächtnis nicht länger. Weit über ihren Körper geht sodann das Wissen und
-Wirken der Seele hinaus, ja die ganze Sinnenwelt genügt ihr nicht. Überdies besitzt
-sie eine ursprüngliche Vernunfterkenntnis, die ihr nicht von den Sinnen zugekommen
-sein kann, denn durch dieselbe bestimmt sie, bei der Vergleichung und Unterscheidung
-des von der sinnlichen Wahrnehmung ihr Dargebotenen, Wahres und Falsches, die Sinne
-beaufsichtigend und berichtigend. Im Selbstbewusstsein endlich, dem Wissen um das
-eigene Wissen, zeigt sich am klarsten die geistige Einheit der Seele, in der Denken,
-Denkendes und Gedachtes zusammen fallen.
-</p>
-<p>Von den Tierseelen unterscheidet sich die menschliche Seele besonders durch vernünftige
-Überlegung als das Prinzip ihres Handelns, welches auf das Gute gerichtet ist.
-</p>
-<p id="ch4.3.3"><b>3.</b> Gut ist im allgemeinen dasjenige, wodurch ein Wollendes den Zweck oder die Vollkommenheit
-seines Wesens erreicht. Gut zu sein, dazu ist also eine gewisse auf einen Endzweck
-gerichtete Anlage erforderlich. In Bezug auf ihre Anlage unterscheiden die Menschen
-sich aber sehr wesentlich. Nur wenige, meint Ibn Maskawaih, sind von Natur gut und
-werden nie schlecht, denn was von Natur ist, ändert sich nicht. Viele dagegen sind
-von Natur schlecht und werden nie gut. Andere aber, die anfangs weder gut noch schlecht
-sind, werden durch Erziehung und gesellschaftlichen Verkehr nach einer von beiden
-Seiten hin bestimmt.
-</p>
-<p>Das Gute ist nun entweder ein allgemeines oder ein besonderes. Es gibt ein absolutes
-Gut, mit dem höchsten Sein und der höchsten Erkenntnis identisch, dem alle Guten <span class="pageNum" id="pb118">[<a href="#pb118">118</a>]</span>zusammen zustreben. Aber für jeden Einzelnen stellt sich ein besonderes Gut subjektiv
-als Glück oder Lust dar, und dieses besteht in der vollen Bethätigung des eigenen
-Wesens, in der vollständigen Auslebung des Inneren.
-</p>
-<p>Im allgemeinen ist der Mensch gut und glücklich, wenn er menschlich handelt. Tugend
-ist menschliche Tüchtigkeit. Da nun aber die Menschheit in den verschiedenen Individuen
-verschieden abgestuft sich darstellt, so ist das Glück oder das Gut nicht für alle
-dasselbe. Und weil das auf sich selbst gestellte Individuum nicht alle möglichen Güter
-verwirklichen kann, so müssen viele zusammenleben. Daraus ergibt sich schon als eine
-erste Pflicht oder die Grundlage aller Tugenden die allgemeine Menschenliebe, ohne
-die keine Gesellschaft möglich ist. Nur mit und in anderen ist der einzelne Mensch
-vollkommen, die Ethik soll Sozialethik sein. Die Freundschaft ist darum nicht, wie
-bei Aristoteles, eine Erweiterung der Selbstliebe, sondern eine Einschränkung oder
-eine Art der Nächstenliebe. Und diese, wie die Tugend überhaupt, kann sich nur bethätigen
-in der Gesellschaft oder der Staatsgemeinschaft, nicht aber in der Weltflucht des
-frommen Mönches. Der Einsiedler, der glaubt, mäßig und gerecht zu leben, irrt sich
-in Bezug auf den Charakter seiner Handlungen. Diese mögen religiös sein, moralisch
-sind sie nicht. Ihre Betrachtung fällt also nicht der Ethik zu.
-</p>
-<p>Übrigens stimmt, nach Ibn Maskawaih, das richtig aufgefasste Religionsgesetz vorzüglich
-mit einer humanen Ethik überein. Die Religion ist eine sittliche Schulung für das
-Volk. Ihre Vorschriften über den gemeinschaftlichen Gottesdienst und die Wallfahrt
-nach Mekka sollen <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> die Pflege der Nächstenliebe in den weitesten Kreisen bezwecken.
-</p>
-<p>Im einzelnen ist es Ibn Maskawaih nicht gelungen, die ethischen Lehren der Griechen,
-die er in seine Darstellung aufnimmt, unter einander und mit dem Gesetz des Islam
-zu verschmelzen. Wir übergehen das. Doch ist <span class="pageNum" id="pb119">[<a href="#pb119">119</a>]</span>nicht nur im allgemeinen sein Versuch zu loben, eine von der Kasuistik der Pflichtenlehrer
-und von der Askese der Sufi’s freie Ethik zu geben, sondern auch in der Ausführung ist die Besonnenheit eines reichgebildeten
-Mannes anzuerkennen.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch4.4" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e625">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">4.</span> Ibn Sina.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch4.4.1" class="first"><b>1.</b> Zu Efschene, in der Nähe Bocharas, wurde im Jahre 980 aus einer Beamtenfamilie geboren
-Abu Ali al-Hosain ibn Abdallah ibn Sina (<span class="ex">Avicenna</span>). Im elterlichen Hause, wo persische und anti-muslimische Traditionen lebendig waren,
-erhielt er seine weltliche und religiöse Erziehung. Dann studierte der körperlich
-und geistig frühreife Jüngling Philosophie und Medizin in Bochara. Siebzehn Jahre
-war er alt, als er den Fürsten Nuch ibn Mansur glücklich kurierte, und der Zutritt
-zu dessen Bibliothek ihm gestattet ward. Von jetzt ab war er, in Studium und Praxis,
-sein eigener Lehrer. Er verstand es, das Leben und die Bildung seiner Zeit sich zu
-Nutzen zu machen. Im Getriebe der Kleinstaaterei versuchte er unablässig sein Glück.
-Einem großen Fürsten hätte er sich wohl ebensowenig unterordnen können wie in der
-Wissenschaft einem Lehrer. Von Hof zu Hof wanderte er fort, bald in der Staatsverwaltung,
-bald als Lehrer und Schriftsteller thätig, bis er Wezir des Schems addaula in Hamadan
-wurde. Nach dem Tode dieses Fürsten ward er von dessen Sohne ein paar Monate auf die
-Festung geschickt. Darauf ging er weiter nach Ispahan zu Ala addaula. Endlich starb
-er noch in Hamadan, das Ala addaula erobert hatte, im Alter von 57 Jahren (1037).
-Sein Grab wird noch heute dort gezeigt.
-</p>
-<p id="ch4.4.2"><b>2.</b> Es ist wohl der größte Irrtum, der sich in der Geschichte der muslimischen Philosophie
-festgesetzt hat, Ibn Sina sei über Farabi hinaus zu einem reineren Aristotelismus
-vorgedrungen. Was kümmerte unser Weltmann <span class="pageNum" id="pb120">[<a href="#pb120">120</a>]</span>sich im Grunde um Aristoteles. Sich in den Geist irgend eines Systems zu versenken,
-war nicht seine Sache. Er nahm das ihm Zusagende, wo er es fand, bevorzugte aber dabei
-die seichten Paraphrasen des Themistius. So ward er der große Vermittlungsphilosoph
-des Orients, der richtige Vorläufer der Kompendienschreiber für alle Welt. Er wusste
-seinen von überall her zusammengeholten Stoff geschickt zu gruppieren und, wenn auch
-nicht ohne Spitzfindigkeit, fasslich darzustellen. Jeden Augenblick seines Lebens
-nutzte er aus. Am Tage besorgte er die Staatsgeschäfte oder übte seine Lehrthätigkeit
-aus, der Abend war den geselligen Genüssen der Freundschaft und der Liebe gewidmet,
-und manche Nacht fand ihn schriftstellerisch thätig, das Schreibrohr in der Hand,
-den Becher zur Seite, damit er nicht einschlafe. Zeit und Umstände bestimmten diese
-Wirksamkeit. Wenn er am fürstlichen Hofe die nötige Muße und eine Bibliothek zur Hand
-hatte, schrieb er seinen Kanon der Medizin oder die große philosophische Encyklopädie.
-Auf Reisen verfasste er Auszüge und kleinere Werke. Auf der Festung schrieb er Gedichte
-und fromme Betrachtungen, aber immer in gefälliger Form. Seine kleineren mystischen
-Schriften haben sogar einen poetischen Reiz. Auf Bestellung ward von ihm auch die
-Wissenschaft, Logik und Medizin versifiziert, wie das seit dem zehnten Jahrhundert
-immer mehr Sitte wurde. Nimmt man hinzu, dass er nach Belieben persisch oder arabisch
-schrieb, so bekommt man das Bild eines vielgewandten Mannes. Sein Leben war reich
-an Arbeit und Genuss bis zur Übersättigung. An Genialität freilich stand er seinem
-älteren Landsmann, dem Dichter Firdausi (940–1020), an wissenschaftlichem Talente
-seinem Zeitgenossen Beruni (<abbr title="siehe">s.</abbr> unten <a href="#ch4.4.9">§ 9</a>) nach. Firdausi und Beruni haben für uns noch Bedeutung. Ibn Sina aber war der Ausdruck
-seiner Zeit und darauf beruht seine große Wirkung, seine geschichtliche Stellung.
-Nicht wie Farabi zog er sich aus dem Leben zurück, sich in die Kommentatoren des Aristoteles
-<span class="pageNum" id="pb121">[<a href="#pb121">121</a>]</span>zu versenken, sondern in ihm verschmolzen sich griechische Wissenschaft und orientalische
-Weisheit. Kommentare zu den Alten, meinte er, waren genug geschrieben. Es war jetzt
-an der Zeit, eine eigene Philosophie auszubilden, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> alten Lehren eine moderne Form zu geben.
-</p>
-<p id="ch4.4.3"><b>3.</b> In der Medizin befleißigt Ibn Sina sich einer systematischen Darstellung, doch ist
-er hier kein strenger Logiker. Der Erfahrung räumt er, wenigstens theoretisch, einen
-großen Platz ein und ausführlich bespricht er die Bedingungen, unter denen nur <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> die Wirksamkeit der Heilmittel erkannt werden könne. Was aber an philosophischen
-Prinzipien die Medizin enthält, soll diese als Lehnsätze aus der Philosophie herübernehmen.
-</p>
-<p>Die eigentliche Philosophie zerfällt in Logik, Physik und Metaphysik. Als Ganzes umfasst
-sie die Wissenschaft alles Seienden als solchen und der Prinzipien aller Einzelwissenschaften,
-wodurch, soweit es menschenmöglich ist, die philosophierende Seele die höchste Vollkommenheit
-erreicht. Das Seiende ist nun entweder geistig, Gegenstand der Metaphysik, oder körperlich,
-Gegenstand der Physik, oder intellektuell, Gegenstand der Logik. Die Gegenstände der
-Physik können weder sein noch gedacht werden ohne Materie. Das Metaphysische aber
-ist ganz ohne Materie und das Logische ist von der Materie abstrahiert. Einige Ähnlichkeit
-hat das Logische mit dem Mathematischen, insofern nämlich die Gegenstände der Mathematik
-sich von der Materie abstrahieren lassen. Doch bleibt das Mathematische immer darstellbar,
-konstruierbar, hingegen hat das Logische als solches sein Dasein nur im Intellekte,
-wie <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> Identität, Einheit und Vielheit, Allgemeinheit und Partikularität, Wesentlichkeit
-und Zufälligkeit <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> Die Logik ist demnach die Wissenschaft der Denkbestimmungen.
-</p>
-<p>In der näheren Ausführung schließt Ibn Sina sich ganz der Logik Farabis an. Wohl besser
-noch würde sich die Übereinstimmung uns zeigen, wenn die logischen <span class="pageNum" id="pb122">[<a href="#pb122">122</a>]</span>Schriften seines Vorgängers vollständiger erhalten wären. Öfter betont er die Mangelhaftigkeit
-der menschlichen Denknatur, die einer logischen Regel dringend bedürftig sei. Wie
-der Physiognomiker aus äußeren Zügen auf den Charakter des Inneren schließt, so soll
-der Logiker aus bekannten Vordersätzen Unbekanntes ableiten. Wie leicht schleichen
-sich dabei die Irrtümer der Phantasie und der Begierde ein! Eines Kampfes mit der
-Sinnlichkeit bedarf es, damit das Vorstellungsleben sich erhebe zu der reinen Wahrheit
-der Vernunft, durch die etwas als notwendig erkannt wird. Nur der göttlich inspirierte
-Mensch kann der Logik entbehren, ebenso wie der Beduine eine arabische Grammatik nicht
-braucht.
-</p>
-<p>Auch die Universalienfrage wird ähnlich wie bei Farabi behandelt. Vor aller Vielheit
-hat jedes Ding ein Sein im Geiste Gottes und der Engel (Sphärengeister), dann geht
-es als materielle Form in die Vielheit ein, um endlich im menschlichen Intellekte
-zur Allgemeinheit des Begriffes sich zu erheben. Wie nun Aristoteles zwischen erster
-(individueller) und zweiter (allgemeinbegrifflicher) Substanz unterschieden hat, so
-macht Ibn Sina ähnlich einen Unterschied zwischen erstem und zweitem Begriff (<span class="ex">ma’nâ</span>, <span class="ex">intentio</span>). Der erste bezieht sich auf die Dinge, der zweite auf die Disposition unseres Denkens.
-</p>
-<p id="ch4.4.4"><b>4.</b> In der Metaphysik und der Physik unterscheidet Ibn Sina sich von Farabi hauptsächlich
-dadurch, dass er, indem er die Materie nicht aus Gott ableitet, das Geistige höher
-<span class="corr" id="xd31e2463" title="Quelle: übes">über</span> alles Materielle hinausrückt, und, im Zusammenhang damit, die Bedeutung der Seele
-als einer Vermittlerin zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen steigert.
-</p>
-<p>Aus dem Begriffe des Möglichen und Notwendigen ergibt sich die Existenz eines notwendigen
-Wesens schlechthin. Nicht aus seinen Werken soll man, nach Ibn Sina, das Dasein eines
-Schöpfers zu erweisen suchen, sondern aus dem möglichen Charakter alles Seienden und
-Denklichen <span class="pageNum" id="pb123">[<a href="#pb123">123</a>]</span>in der Welt die Existenz eines ersten notwendig Seienden, in welchem Wesen und Dasein
-Eins sind, folgern.
-</p>
-<p>Nicht nur alles, was unter dem Monde ist, ist möglicher Natur, sondern auch die Himmel
-sind an sich nur möglich. Notwendig wird ihre Existenz durch ein anderes, das über
-alle Möglichkeit hinaus ist, also auch über alle Vielheit und Veränderlichkeit. Das
-absolut Notwendige ist eine starre Einheit, aus der nichts Vielfaches hervorgehen
-kann. Dieses erste Eine ist Ibn Sinas Gott, dem zwar viele Prädikate, des Denkens
-<abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr>, beigelegt werden, aber nur im Sinne der Negation oder der Beziehung, sodass sie
-die Einheit des Wesens nicht berühren.
-</p>
-<p>Aus dem ersten Einen kann also nur Eines hervorgehen, der erste Weltgeist. In diesem
-entsteht die Vielheit. Indem er nämlich seine Ursache denkt, erzeugt er einen dritten
-Geist, den Lenker der äußersten Sphäre; indem er sich selbst denkt, entsteht eine
-Seele, mittelst der der Sphärengeist seine Wirkung ausübt; und sofern er drittens
-ein an sich Mögliches ist, geht aus ihm ein Körper hervor, die äußerste Sphäre. Und
-so geht es weiter. Jeder Geist entlässt aus sich eine Dreiheit: Geist, Seele und Körper.
-Denn, da der Geist nicht unmittelbar den Körper bewegen kann, so bedarf er zur Ausübung
-seiner Wirksamkeit der Seele. Zuletzt kommt der thätige Geist (<span class="ex">ʻaql fu-ʻʻâl</span>) der die Materie des Irdischen, die körperlichen Formen und die menschlichen Seelen
-hervorbringt und lenkt.
-</p>
-<p>Dieser ganze Prozess, der nicht zeitlich vorgestellt werden darf, findet statt in
-einem Substrate, der Materie. Die Materie ist die ewige, reine Möglichkeit alles Seienden,
-zugleich die Schranke für die Wirkung des Geistes. Sie ist das Prinzip aller Individualität.
-</p>
-<p>Das musste nun allerdings gläubigen Muslimen als etwas Furchtbares erscheinen. Wohl
-hatten mutazilitische Dialektiker behauptet, Gott könne kein Böses oder nichts Vernunftwidriges
-thun. Jetzt aber behauptete die Philosophie, <span class="pageNum" id="pb124">[<a href="#pb124">124</a>]</span>dass Gott statt alles Mögliche zu können, nur das an sich Mögliche zu bewirken im
-Stande sei, und dass direkt von ihm nur der erste Weltgeist ausgehe.
-</p>
-<p>Übrigens macht Ibn Sina alle Anstrengung, sich dem Volksglauben anzubequemen. Alles
-ist durch Gottes Bestimmung, sagt er, Gutes und Böses, aber nur ersteres mit freudiger
-Billigung. Das Böse ist entweder ein Nichtseiendes oder, sofern es von Gott herrührt,
-ein Accidentelles. Hätte Er, der notwendigen Übel wegen, diese Welt nicht hervorgehen
-lassen, so wäre das der Übel größtes gewesen. Die Welt könnte nicht besser und schöner
-sein als sie eben ist. In ihrer schönen Ordnung besteht die göttliche Vorsehung, die
-von den Seelen der Himmel vermittelt wird. Gott und die reinen Geister kennen nur
-das Allgemeine, können also nicht für Besonderes sorgen. Aber die Seelen der Himmelsphären,
-denen Vorstellung des Einzelnen zukommt und durch die der Geist auf den Körper wirkt,
-bieten die Möglichkeit, eine Fürsorge auch für das Einzelne und den Einzelnen anzunehmen,
-die Offenbarung zu erklären <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> Auch das plötzliche Entstehen und Vergehen von Substanzen (Schöpfung und Vernichtung)
-im Gegensatze zu der stetigen Bewegung, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> dem allmählichen Übergange des Möglichen zum Wirklichen, scheint dem Ibn Sina nichts
-Unmögliches zu bedeuten. Überhaupt herrscht bei ihm keine Klarheit über das Verhältnis
-der Seinsformen, über Geist und Körper, Form und Materie, Substanz und Accidens. Dem
-Wunder bleibt jedenfalls ein Platz übrig. In heftigen, seelischen Erregungen, die
-oft plötzlich eine große Hitze oder Kälte bei uns hervorrufen, haben wir, nach Ibn
-Sina, Analoga zu wunderbaren Wirkungen der Weltseele, wenn diese auch gewöhnlich dem
-Naturlaufe folgt. Von allen diesen Möglichkeiten macht unser Philosoph selbst sehr
-mäßigen Gebrauch. Astrologie und Alchemie hat er aus ganz vernünftigen Gründen bekämpft.
-Trotzdem hat man ihm bald nach seinem Tode schon astrologische Gedichte aufgebürdet
-und <span class="pageNum" id="pb125">[<a href="#pb125">125</a>]</span>erscheint er in der türkischen Romanlitteratur, freilich an der Stelle eines alten
-Mystikers, als Zauberer.
-</p>
-<p>Ibn Sinas Physik beruht ganz auf der Annahme, ein Körper könne nichts bewirken. Was
-wirkt, ist überall eine Kraft, eine Form, eine Seele und durch sie der Geist. Im Gebiete
-des Physischen gibt es also unzählige Kräfte, deren Hauptstufen von unten nach oben
-die Naturkräfte, die Vermögen der Pflanzen und der Tiere, die Menschenseelen und die
-Weltseelen sind.
-</p>
-<p id="ch4.4.5"><b>5.</b> Farabi war es vor allem um die reine Vernunft zu thun: er hat das Denken um seiner
-selbst willen geliebt. Ibn Sina aber ist überall um die Seele bemüht. Wie er in seiner
-Medizin den menschlichen Körper ins Auge fasst, so in seiner Philosophie die menschliche
-Seele. Seine große philosophische Encyklopädie heißt ja die Heilung (sc. der Seele).
-Die Psychologie ist der Mittelpunkt seines Systems.
-</p>
-<p>Seine Anthropologie ist dualistisch. Körper und Seele gehören nicht wesentlich zusammen.
-Wie alle Körper unter der Einwirkung der Gestirne aus der Mischung der Elemente hervorgehen,
-so der menschliche Körper aus dem schönsten Gleichmaße dieser Mischung. Eine spontane
-Generation des Körpers, wie überhaupt ein Aussterben und Neuerstehen des Menschengeschlechtes
-ist deshalb möglich. Aber aus der Mischung der Elemente lässt sich die Seele nicht
-erklären. Sie ist nicht die untrennbare Form des Körpers, sondern diesem accidentell.
-Von dem Geber der Formen, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> dem thätigen Geiste über uns, erhält jeder Körper seine ihm und nur ihm eignende
-Seele. Von Anfang an ist jede Seele Individualsubstanz und sie bildet sich zeitlebens
-in ihrem Körper immer individueller aus. Zu der Behauptung, die Materie sei das Prinzip
-der Individualität, stimmt dies allerdings nicht. Aber die Seele ist das Wunderkind
-unseres Philosophen. Er ist nicht leichtgläubig, warnt öfter vor einem allzuleichten
-Hinnehmen der Geheimnisse des Seelenlebens, weiß aber doch <span class="pageNum" id="pb126">[<a href="#pb126">126</a>]</span>selber manches zu berichten über die vielen wunderbaren Kräfte und möglichen Wirkungen
-der Seele, die die vielverschlungenen Pfade des Lebens wandert und die Abgründe des
-Seins und Nichtseins übersteigt.
-</p>
-<p>Von allen Seelenkräften sind die theoretischen Vermögen die vorzüglichsten. Äußere
-und innere Sinne führen der vernünftigen Seele die Kenntnis der Welt zu. Besonders
-die Lehre von den inneren Sinnen, den sinnlich-geistigen Vorstellungsvermögen, deren
-Sitz das Gehirn, wird von Ibn Sina eingehend dargestellt.
-</p>
-<p>Gewöhnlich nahmen die Mediziner-Philosophen drei innere Sinne oder Stadien des Vorstellungsprozesses
-an: 1. die Zusammenfassung der einzelnen Sinneswahrnehmungen zu einem Gesamtbilde
-im Vorderhirn; 2. die Umbildung oder Bearbeitung dieser Vorstellung des Gemeinsinnes
-mit Hilfe schon vorhandener Vorstellungen, also die eigentliche Apperzeption, in der
-Mitte des Gehirns; 3. die Aufbewahrung der apperzipierten Vorstellung im Gedächtnis,
-das seinen Sitz im hintern Teile des Gehirns haben soll. Ibn Sina geht etwas weiter
-in der Analyse. Er unterscheidet im Vorderhirne vom Gemeinsinne das sinnliche Gedächtnis<span class="corr" id="xd31e2507" title="Nicht in der Quelle">,</span> die Schatzkammer der Gesamtbilder. Ferner lässt er die Apperzeption teils unbewusst,
-unter dem Einfluss des sinnlich-begehrenden Lebens, wie es sich auch bei den Tieren
-findet, von statten gehen, teils aber bewusst, unter der Mitwirkung der Vernunft,
-zu Stande kommen. In dem ersteren Falle behält die Vorstellung ihre Beziehung zu dem
-Einzelding — so kennt das Schaf die Feindschaft des Wolfes —, in dem zweiten Falle
-aber erweitert sie sich zum allgemeinen. Dazu kommt dann als fünftes hinzu das vorstellende
-Gedächtnis oder das Zeughaus der von der sinnlichen Phantasie und dem vernünftigen
-Nachdenken gebildeten Vorstellungen. Es entsprechen also, aber ganz anders als bei
-den treuen Brüdern (<abbr title="siehe">s.</abbr> <a href="#ch3.2.8">III, 2 § 8</a>), den fünf äußeren Sinnen fünf innere. Unbeantwortet bleibt die aufgeworfene Frage,
-ob man nicht von dem <span class="pageNum" id="pb127">[<a href="#pb127">127</a>]</span>Gedächtnis noch die Erinnerung als ein besonderes Vermögen zu scheiden habe.
-</p>
-<p id="ch4.4.6"><b>6.</b> Auf dem Gipfel der theoretischen Seelenkräfte steht die Vernunft. Es gibt zwar auch
-eine praktische Vernunft, aber in ihrem Thun haben wir uns selbst nur mittelbar, vervielfältigt;
-unmittelbar dagegen in dem Selbstbewusstsein, dem reinen Erkennen unseres Wesens,
-darin die Einheit unserer Vernunft sich darstellt. Statt aber die niederen Kräfte
-der Seele herabzudrücken, zieht die Vernunft dieselben hinauf, die Sinneswahrnehmung
-verfeinernd, die Vorstellung verallgemeinernd. An dem ihr von den äußeren und inneren
-Sinnen zugeführten Materiale arbeitet sich die Vernunft, die anfangs bloße Denkfähigkeit
-ist, nach und nach zur vollkommenen Denkfertigkeit aus. Durch Übung wird die Anlage
-Wirklichkeit. Es geschieht das an der Hand der Erfahrung, aber unter der Führung und
-der Erleuchtung von oben, von dem Geber der Formen, der als thätiger Geist der Vernunft
-die Ideen mitteilt. Ein Gedächtnis aber für die reinen Vernunftideen hat die menschliche
-Seele nicht, denn Gedächtnis setzt immer ein körperliches Substrat voraus. So oft
-also die vernünftige Seele etwas erkennt, fließt ihr jedesmal von oben die Erkenntnis
-zu, und nicht durch Umfang und Inhalt des Erkennens unterscheiden sich die denkenden
-Seelen, sondern durch die Fertigkeit, sich zur Aufnahme der Erkenntnis mit dem Geiste
-über uns in Verbindung zu setzen.
-</p>
-<p>Die vernünftige Seele, die dasjenige, was unter ihr ist, beherrscht, und das Höhere
-durch die Erleuchtung des Weltgeistes erkennt, ist nun der eigentliche Mensch, entstanden
-zwar, aber als einfaches Wesen, als Individualsubstanz, unzerstörbar, unsterblich.
-Hier unterscheidet durch ihre Klarheit Ibn Sinas Lehre sich von derjenigen des Farabi.
-Seit Ibn Sina gilt im Orient die Annahme der individuellen Unsterblichkeit entstandener
-Menschenseelen als aristotelisch, das Gegenteil als platonisch. So versteht sich seine
-Philosophie besser mit der Religion. <span class="pageNum" id="pb128">[<a href="#pb128">128</a>]</span>Im menschlichen Körper und in der ganzen Sinnenwelt hat die Seele eine Schule, sich
-auszubilden. Nach dem leiblichen Tode aber, der diesem Körper für immer ein Ende macht,
-besteht die Seele in enger oder entfernter Verbindung mit dem Weltgeiste fort. In
-dieser Vereinigung (die nicht als völlige Einswerdung aufzufassen ist) mit dem Geiste
-über uns besteht die Seligkeit der guten, wissenden Seelen. Den anderen wird ewiges
-Unglück zu teil. Wie körperliche Mängel zu Krankheiten führen, so folgt notwendig
-aus schlechtem Seelenzustande die Strafe. In derselben Weise bemisst sich aber auch
-die himmlische Belohnung nach der Stufe seelischer Gesundheit oder Vernünftigkeit,
-die im Erdenleben erreicht wurde. Der reinen Seele bleibt in den Leiden der Zeit der
-Trost des Ewigen.
-</p>
-<p>Freilich wird das Höchste nur von wenigen erreicht. Auf dem Gipfel der Wahrheit ist
-für die Masse kein Platz; nur einer nach dem andern dringt zu der auf einsamer Höhe
-entspringenden Quelle der Gotteserkenntnis vor.
-</p>
-<p id="ch4.4.7"><b>7.</b> Seine Ansicht von der menschlichen Vernunft auszudrücken, benutzt und deutet Ibn
-Sina dichterische Überlieferungen, wie das auch in der späteren persischen Litteratur
-sehr beliebt war. An erster Stelle interessiert uns die allegorisierte Gestalt des
-Hai ibn Jaqzan. Sie stellt den Aufstieg des Geistes aus den Elementen durch die Reiche
-der Natur, der Seele und der Geister bis zum Throne des Ewigen, Einen dar. Als ein
-jugendlicher Greis, seine Führerschaft anbietend, begegnet sie dem Philosophen. Dieser
-hat sich bemüht, mit seinen äußeren und inneren Sinnen, Erde und Himmel zu erkennen.
-Zwei Wege öffnen sich ihm: nach Westen der Weg der Materie und des Bösen, nach Sonnenaufgang
-aber der Weg der geistigen, ewigreinen Formen, auf den Hai den Wanderer führt. Zusammen
-gelangen sie zu der Quelle göttlicher Weisheit, dem Born ewiger Jugend, wo Schönheit
-der Schönheit Vorhang, Licht des Lichtes Schleier ist: das ewige Geheimnis.
-<span class="pageNum" id="pb129">[<a href="#pb129">129</a>]</span></p>
-<p>Hai ibn Jaqzan ist demnach der Führer der einzelnen denkenden Seelen, er ist der ewige
-Geist, der über der Menschheit steht und sich in ihr bethätigt.
-</p>
-<p>Einen ähnlichen Sinn findet unser Philosoph in der vielfach umgebildeten spätgriechischen
-Legende von den Brüdern Salaman und Absal. Salaman ist ihm der Weltmensch, dessen
-Weib (= die sinnliche Welt) sich in Absal verliebt und diesen durch eine List in ihre
-Arme zu führen weiß. Vor dem entscheidenden Augenblicke fährt aber ein Blitz vom Himmel
-herab, entdeckt Absal den beinahe begangenen Frevel und erhebt ihn von der sinnlichen
-Genusswelt zu der Welt reingeistiger Betrachtung.
-</p>
-<p>Wie ein Vogel, heißt es an anderer Stelle, ist die Seele des Philosophen. Mit großer
-Mühe entkommt sie irdischen Stricken und durchfliegt die Weltenräume, bis der Engel
-des Todes ihr die letzten Fesseln löst.
-</p>
-<p>Das ist Ibn Sinas Mystik. Seine Seele hat Bedürfnisse, für die seine Apotheke keine
-Mittel, das höfische Leben keine Befriedigung darbietet.
-</p>
-<p id="ch4.4.8"><b>8.</b> Ethik und Politik theoretisch auszubilden bleibe den Lehrern des Fiqh überlassen.
-Unser Philosoph fühlt sich auf der Stufe eines Erleuchteten wie ein Gott über alle
-menschlichen Gesetze hinausgehoben. Nur für die Menge ist das Gesetz der Religion
-und des Staates verpflichtend. Mohammeds Zweck war, die Beduinen zu zivilisieren;
-zu dem Zwecke predigte er <abbr title="unter andere">u. a.</abbr> eine Auferstehung des Fleisches. Was reingeistige Seligkeit bedeutet, hätten sie
-nicht verstanden, er musste sie also mit der Aussicht auf körperliche Leiden oder
-Freuden erziehen. Mit dieser sinnlichen Menge, deren Gottesdienst in der Beobachtung
-äußerer Formen besteht, stimmen insofern die Asketen, obgleich sie ganz der Welt und
-der Sinne entsagen wollen, überein, dass auch sie mit Rücksicht auf eine himmlische
-Belohnung ihre frommen Werke ausüben. Höher als die Menge und die Frommen stehen die
-wahren Gottesverehrer in geistiger Liebe, die nichts wollen als <span class="pageNum" id="pb130">[<a href="#pb130">130</a>]</span>Gott selbst, ohne Hoffnung, ohne Furcht. Ihr Eigentum ist die Freiheit des Geistes.
-</p>
-<p>Dieses Geheimnis aber soll man der Menge nicht offenbaren. Nur seinen liebsten Schülern
-vertraut es der Philosoph.
-</p>
-<p id="ch4.4.9"><b>9.</b> Ibn Sina kam auf seinen Reisen mit vielen gelehrten Zeitgenossen zusammen. Dauernde
-Verbindungen waren, wie es scheint, nicht davon die Folge. Wie er sich von seinen
-Vorgängern allein dem Farabi verpflichtet fühlt, so dankt er der Mitwelt nur in seinen
-fürstlichen Gönnern. Den Ibn Maskawaih (<abbr title="siehe">s.</abbr> IV 3), mit dem er noch öfter zusammenkam, hat er ungünstig beurteilt. Mit dem ihm
-als Forscher überlegenen Beruni führte er eine Korrespondenz, die aber bald abgebrochen
-wurde.
-</p>
-<p>Beruni (973–1048), wenn er auch Kindi und Masudi eher als Farabi und den jüngeren
-Ibn Sina seine Meister nennen darf, verdient hier zur Charakteristik der Zeit einer
-kurzen Erwähnung. Vorzüglich beschäftigten ihn Mathematik, Astronomie, Länder- und
-Völkerkunde. Er war ein scharfer Beobachter und guter Kritiker. Aber er verdankte
-der Philosophie manche Aufklärung und widmete ihr als Kulturerscheinung fortwährend
-seine Aufmerksamkeit.
-</p>
-<p>Treffend hebt Beruni die Übereinstimmung zwischen pythagoreisch-platonischer Philosophie,
-indischer Weisheit und vielen sufischen Anschauungen hervor. Nicht weniger treffend
-erkennt er die Überlegenheit griechischer Wissenschaft gegenüber den Versuchen und
-Leistungen der Araber und Inder. Indien, sagt er, von Arabien ganz zu schweigen, hat
-keinen Sokrates hervorgebracht. Keine logische Methode hat dort die Phantasie aus
-der Wissenschaft vertrieben. Doch will er einzelnen Indern gerecht werden. Zustimmend
-führt er als die Lehre der Anhänger Aryabhatas folgendes an: “Es genügt uns, das zu
-erkennen, was von den Strahlen der Sonne beleuchtet wird; was darüber hinausgeht,
-wenn auch von <span class="corr" id="xd31e2553" title="Quelle: unmesslicher">unermesslicher</span> Ausdehnung, <span class="pageNum" id="pb131">[<a href="#pb131">131</a>]</span>brauchen wir nicht. Was der Sonnenstrahl nicht erreicht, können die Sinne nicht wahrnehmen,
-und was der Sinn nicht wahrnimmt, können wir nicht erkennen.”
-</p>
-<p>Daraus ergibt sich uns Berunis Philosophie. Nur die Wahrnehmungen der Sinne, von einem
-logischen Geiste verknüpft, gewähren sichere Erkenntnis. Und zum Leben brauchen wir
-eine praktische Philosophie, die uns vom Freunde den Feind unterscheiden lässt. Er
-glaubte selbst wohl nicht, damit alles und das letzte Wort gesagt zu haben.
-</p>
-<p id="ch4.4.10"><b>10.</b> Aus der Schule Ibn Sinas sind uns mehr Namen überliefert als Schriften erhalten.
-Dschuzdschani hat, im Anschluss an eine Selbstbiographie, das Leben des Meisters beschrieben.
-Und von Abu-l-Hasan Behmenjar ibn al-Marzuban haben wir noch ein paar kleinere metaphysische
-Abhandlungen, die sich fast ganz in Übereinstimmung mit dem Systeme seines Lehrers
-befinden. Nur scheint die Materie etwas von ihrer Substantialität einzubüßen: als
-Seinsmöglichkeit wird sie zu einer Relation oder Beziehung des Denkens.
-</p>
-<p>Gott ist, nach Behmenjar, die reine, ursachlose Einheit notwendigen Seins, nicht der
-lebendige, alles wirkende Schöpfer. Er ist zwar Ursache der Welt, aber die Folge ist
-mit der Ursache zugleich und notwendig gegeben, sonst wäre die Ursache nicht vollkommen,
-weil der Veränderung fähig. Wesenhaft, nicht zeitlich, geht Gottes Dasein dem der
-Welt voran. Drei Bestimmungen kommen demnach dem höchsten Sein zu: dass es wesentlich
-zuerst, sich selbst genügend und notwendig sei, m. a. W. Gottes Wesen ist die Seinsnotwendigkeit.
-Diesem absolut-notwendigen Sein verdankt alles möglicherweise Existierende sein Dasein.
-</p>
-<p>Das stimmt nun wohl zu den Lehren Ibn Sinas. Und ebenso verhält es sich mit dem Weltbilde
-und der Seelenlehre des Schülers. Was einmal zur vollen Wirklichkeit <span class="pageNum" id="pb132">[<a href="#pb132">132</a>]</span>gelangt ist, die der Art nach verschiedenen Sphärengeister, die Urmaterie und die
-individuell verschiedenen menschlichen Seelen, besteht alles ewig fort. Vollwirkliches,
-weil ohne jede Möglichkeit, kann nicht vergehen.
-</p>
-<p>Die Eigenart alles Geistigen ist die Erkenntnis des eigenen Wesens. Wille <span class="corr" id="xd31e2571" title="Quelle: heisst">heißt</span>, nach Behmenjar, nichts anderes als Erkenntnis dessen, was notwendig aus dem Wesen
-folgt. In der Selbsterkenntnis besteht auch das Leben und die Lust der vernünftigen
-Seele.
-</p>
-<p id="ch4.4.11"><b>11.</b> Ibn Sina hat eine weitgehende Wirkung erzielt. Nach seinem Kanon der Medizin, der
-auch im Abendlande vom 13. bis 16. Jahrhundert hohes Ansehen genoss, werden heutigen
-Tages noch die Perser kuriert. Sein Einfluss auf die christliche Scholastik war bedeutend.
-Dante setzte ihn zwischen Hippokrat und Galen, und Scaliger behauptete, er sei in
-der Medizin dem Galen gleich, in der Philosophie diesem sogar weit überlegen.
-</p>
-<p>Dem Orient galt und gilt er als der Fürst der Philosophie. Der neuplatonische Aristotelismus
-ist dort bekannt geblieben in der Form, die ihm Ibn Sina gegeben. Zahlreich sind die
-Handschriften seiner Werke, ein Zeugnis seiner Popularität, unzählig aber die Kompendien
-und Kommentare zu seinen Schriften. Mediziner und Staatsmänner, aber auch Theologen
-studierten ihn. Nur wenige gingen über ihn zu den Quellen zurück.
-</p>
-<p>Der Feinde gab es freilich von Anfang an viele und sie äußerten sich lauter als die
-Freunde. Dichter verfluchten ihn, Theologen stimmten mit ein oder versuchten es, ihn
-zu widerlegen. Und der Chalif Mustandschid ließ im Jahre 1150 unter der philosophischen
-Bibliothek eines Richters auch die Schriften Ibn Sinas zu Bagdad dem Feuer übergeben.
-<span class="pageNum" id="pb133">[<a href="#pb133">133</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch4.5" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e669">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">5.</span> Ibn al-Haitham.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch4.5.1" class="first"><b>1.</b> Nach Ibn Sina und seiner Schule fand die theoretische Philosophie in den östlichen
-Ländern des muslimischen Reiches wenig Pflege mehr. Die arabische Sprache musste im
-Leben und in der Litteratur dort immer mehr der persischen weichen. Dass letztere
-Sprache sich weniger gut zu abstrakt logischen und metaphysischen Erörterungen eignet,
-dürfte dabei nur ganz nebensächlich ins Gewicht fallen. Es änderten sich in trauriger
-Weise die Kulturverhältnisse und damit die Interessen der Menschen. Ethik und Politik
-traten in den Vordergrund, jedoch ohne eine wirklich neue Gestalt zu bekommen. Ganz
-vorherrschend aber war es in der neupersischen Litteratur eine teils freigeistige,
-teils, und zwar überwiegend, mystische Poesie, die das Bedürfnis der Gebildeten nach
-Weisheit befriedigte.
-</p>
-<p>Seit der Mitte des zehnten Jahrhunderts etwa hatte sich von Bagdad aus ein Teil der
-wissenschaftlichen Bewegung dem Westen zugewendet. Wir fanden schon Farabi in Syrien,
-Masudi in Ägypten. Dort wurde Kairo ein zweites Bagdad.
-</p>
-<p id="ch4.5.2"><b>2.</b> In Kairo treffen wir am Anfang des elften Jahrhunderts einen der bedeutendsten Mathematiker
-und Physiker des ganzen Mittelalters, Abu Ali Mohammed ibn al-Hasan ibn al-Haitham.
-In Basra, wo er geboren wurde, hatte er schon ein Staatsamt verwaltet. In allzugroßem
-Vertrauen auf die Verwertbarkeit seiner mathematischen Kenntnisse glaubte er die Nilüberschwemmungen
-regulieren zu können. Deshalb vom Chalifen al-Hakim berufen, sah er bald nach seiner
-Ankunft das Vergebliche seiner Bemühungen ein. Als Verwaltungsbeamter fiel er dann
-in Ungnade, verbarg sich bis zum Tode des Chalifen (1020) und lebte ferner wissenschaftlichen
-und litterarischen Arbeiten, bis er im Jahre 1038 starb.
-<span class="pageNum" id="pb134">[<a href="#pb134">134</a>]</span></p>
-<p>Seine Hauptwirksamkeit liegt auf dem Gebiete der Mathematik und ihrer Anwendung. Doch
-hat er sich auch sehr viel mit den galenischen und aristotelischen Schriften, und
-nicht bloß mit den physischen, beschäftigt. Nach seinem eigenen Bekenntnis hat er
-von Jugend auf alles bezweifelnd, die verschiedenen Ansichten und Lehren der Menschen
-betrachtet, bis er in allen mehr oder weniger gelungene Versuche, sich der Wahrheit
-zu nähern, erkannte. Als Wahrheit galt ihm ferner nur das, was sich der sinnlichen
-Wahrnehmung als Material darbot und vom Verstande seine Form erhielt, also die logisch
-bearbeitete Wahrnehmung. Solche Wahrheit zu suchen war sein Bestreben beim Studium
-der Philosophie. Die Philosophie sollte ihm Grundlage aller Wissenschaften sein. Er
-fand sie in den Schriften des Aristoteles, weil dieser es am besten verstanden hatte,
-die sinnliche Wahrnehmung einheitlich zu vernünftiger Erkenntnis zu verknüpfen. Eifrig
-studierte und erläuterte er darum die Werke des Aristoteles, zu Nutz und Frommen der
-Menschheit, zu eigener Übung und als Schatz und Trost für sein Alter. Von diesen Arbeiten
-scheint uns aber nichts erhalten zu sein.
-</p>
-<p>Des Ibn al-Haithams bedeutendste Schrift, die in lateinischer Übersetzung und Bearbeitung
-auf uns gekommen ist, ist die Optik. Er zeigt sich darin als einen scharfen mathematischen
-Denker, überall um die Analyse der Begriffe und der wirklichen Vorgänge bemüht. Ein
-Abendländer des 13. Jahrhunderts (Witelo) wusste das Ganze methodischer darzustellen,
-doch dürfte an Schärfe der Beobachtung im einzelnen Ibn al-Haitham jenem überlegen
-sein.
-</p>
-<p id="ch4.5.3"><b>3.</b> Das Denken Ibn al-Haithams ist ganz mathematisch bestimmt. Die Substanz eines Körpers
-besteht nach ihm aus der Summe seiner wesentlichen Eigenschaften, wie das Ganze der
-Summe der Teile und der Begriff der Summe seiner Merkmale gleich ist.
-<span class="pageNum" id="pb135">[<a href="#pb135">135</a>]</span></p>
-<p>In der Optik interessieren uns besonders die psychologischen Bemerkungen über das
-Sehen und die Sinneswahrnehmung überhaupt. Das Bestreben ist hier darauf gerichtet,
-die einzelnen Momente der Wahrnehmung zu sondern und den zeitlichen Charakter des
-ganzen Prozesses hervorzuheben.
-</p>
-<p>Die Wahrnehmung setzt sich dann zusammen aus der Sinnesempfindung (1), der Vergleichung
-(2) mehrerer Empfindungen oder der jetzigen Empfindung mit dem infolge früherer Empfindungen
-nach und nach in der Seele geformten Erinnerungsbilde, und dem Wiedererkennen (3),
-sodass wir das jetzt Wahrgenommene als mit dem Erinnerungsbilde gleich erkennen. Das
-Vergleichen und das Wiedererkennen sind keine Thätigkeiten der Sinne, die nur passiv
-empfinden, sondern fallen dem urteilenden Verstande zu. Gewöhnlich geht das alles
-unbewusst oder halbbewusst von statten, und nur durch Besinnung wird es uns zum Bewusstsein
-geführt und das scheinbar Einfache in seine Bestandteile zerlegt.
-</p>
-<p>Der Prozess der Wahrnehmung verläuft sehr schnell. Je geübter der Mensch in dieser
-Hinsicht ist und je öfter eine Wahrnehmung sich wiederholt, um so fester wird das
-Erinnerungsbild der Seele eingeprägt, um so schneller kommt das Wiedererkennen oder
-die Wahrnehmung zu Stande. Die Ursache davon ist die, dass die neue Empfindung von
-dem schon vorhandenen seelischen Gebilde ergänzt wird. Leicht könnte man also meinen,
-die Wahrnehmung sei, wenigstens nach langer Einübung, ein zeitloser Akt. Das wäre
-aber ein Irrtum, denn nicht nur entspricht jeder Empfindung eine qualitative, im Sinnesorgan
-lokalisierte Veränderung, die eine Zeit erfordert, sondern auch zwischen der Reizung
-des Organs und der bewussten Wahrnehmung muss der räumlichen Fortleitung des Reizes
-durch die Nerven eine Zeitstrecke entsprechen. Dass es <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> zur Auffassung einer Farbe Zeit bedarf, beweist der drehende Farbenkreisel, der uns
-nur eine Mischfarbe zeigt, weil wir <span class="pageNum" id="pb136">[<a href="#pb136">136</a>]</span>wegen der schnellen Bewegung keine Zeit haben, die einzelnen Farben aufzufassen.
-</p>
-<p>Vergleichen und Wiedererkennen sind nach Ibn al-Haitham die bedeutenden, seelischen
-Momente der Wahrnehmung. Dagegen entspricht die Empfindung der Materie, der empfindende
-Sinn verhält sich passiv. Eigentlich ist alles Empfinden an sich eine Art Unlust,
-welche sich für gewöhnlich nicht fühlbar macht, bei sehr starken Reizen aber, <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> durch allzuhelles Licht, zum Bewusstsein kommt. Der Charakter der Lust kommt nur
-der vollkommenen Wahrnehmung zu, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> dem Erkennen, das die Materie der Empfindung zur seelischen Form erhebt.
-</p>
-<p>Das Vergleichen und Wiedererkennen in der Wahrnehmung ist wesentlich ein unbewusstes
-Urteilen und Schließen. Das Kind macht schon einen Schluss, wenn es von zwei Äpfeln
-den schöneren wählt. Schließen ist jede Erfassung eines Zusammenhanges. Weil aber
-Urteilen und Schließen schnell zu Stande kommen, irrt der Mensch sich dabei leicht,
-und hält auch oft für einen ursprünglichen Begriff, was nur ein auf dem Wege des Schließens
-abgeleitetes Urteil ist. Bei allem, was uns als Axiome verkündet wird, soll man doch
-auf der Hut sein und nachspüren, ob es nicht aus Einfacherem abgeleitet werden könne.
-</p>
-<p id="ch4.5.4"><b>4.</b> Diese Aufforderung unseres Philosophen hat im Orient wenig gefruchtet. Zwar hat er
-in Mathematik und Astronomie etwas Schule gemacht, aber für seine aristotelische Philosophie
-gab es weniger Liebhaber. Wir kennen nur einen seiner Schüler, der zu den Philosophen
-gezählt wird, Abu-l-Wafa Mubasschir ibn Fatik al-Qaid, einen ägyptischen Emir, der
-im Jahre 1053 ein Werk mit Spruchweisheit, Anekdoten zur Philosophiegeschichte <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> lieferte. Von eigener Gedankenarbeit ist dabei kaum etwas zu spüren. Es sollte unterhalten.
-Und mehr noch als an solchem Werke erbauten sich die Einwohner Kairos <span class="pageNum" id="pb137">[<a href="#pb137">137</a>]</span>in der Folgezeit an den Märchen der Tausend und eine Nacht.
-</p>
-<p>Der Orient hat Ibn al-Haitham fast vergessen, ihn und seine Werke verketzert. Ein
-Schüler des jüdischen Philosophen Maimonides erzählt, er sei wegen Handelsgeschäfte
-in Bagdad gewesen, als dort die Bibliothek eines Philosophen (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 1214) verbrannt wurde. Da warf ein Prediger, der die Exekution leitete, mit eigener
-Hand eine astronomische Schrift des Ibn al-Haitham in die Flammen, nachdem er auf
-eine darin abgebildete Weltkugel als das Unglückszeichen verruchter Gottlosigkeit
-hingewiesen hatte.
-<span class="pageNum" id="pb138">[<a href="#pb138">138</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div class="footnotes">
-<hr class="fnsep">
-<div class="footnote-body">
-<div id="xd31e2009">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e2009src">1</a></span> <abbr title="Vergleiche">Vgl.</abbr> den Art. “Zu Kindi und seiner Schule” in Stein’s Archiv für Geschichte der Philosophie
-XIII, S. 153 ff., aus dem ich manches, ohne viel zu ändern, hier wieder aufgenommen
-habe.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e2009src" title="Zurück zur Note 1 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-<div id="xd31e2085">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e2085src">2</a></span> Das arab. <span class="ex">ʻaql</span> (<span class="trans" title="nous"><span lang="grc" class="grek">νοῦς</span></span>) übersetzt man gewöhnlich mit Vernunft und Intelligenz (lat. <span class="ex">intellectus</span> und <span class="ex">intelligentia</span>). Ich ziehe aber Geist vor, weil der Ausdruck Gott und die reinen (separaten) Sphärengeister
-mitumfasst. Übrigens ist schwer zu entscheiden, wie weit bei den einzelnen Denkern
-die Personifikation der Vernunft ging.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e2085src" title="Zurück zur Note 2 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div id="ch5" class="div1 chapter"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e693">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main"><span class="divNum">V.</span> Der Ausgang der Philosophie im Osten.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<div id="ch5.1" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e701">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">1.</span> Gazali.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch5.1.1" class="first"><b>1.</b> Wir haben früher schon gesehen, dass die theologische Bewegung im Islam stark von
-der Philosophie beeinflusst war. Nicht nur die mutazilitische, sondern auch die antimutazilitische
-Dialektik holte ihre Ansichten und die Argumente, womit sie die eigene Lehre stützte,
-die des Gegners bekämpfte, zum großen Teile aus den Schriften der Philosophen. Man
-nahm aus diesen auf, was man eben brauchen konnte, das andere ließ man auf sich beruhen,
-oder aber man machte den Versuch, es zu widerlegen. So entstanden zahlreiche Schriften,
-gegen eine besondere philosophische Lehre oder einen einzelnen Philosophen gerichtet.
-Ein Versuch aber, das ganze System der Philosophie, wie es im Osten auf griechischer
-Grundlage aufgebaut war, nach eingehendem Studium von allgemeinen Gesichtspunkten
-aus zu bekämpfen, ist wohl vor Gazali nicht gemacht worden.
-</p>
-<p>Das Unternehmen Gazalis hatte auch eine positive Seite. Neben der Dialektik, die die
-Lehren des Glaubens verständlich zu machen oder gar vernünftig zu begründen suchte,
-lief im Islam eine Mystik her, die auf innerliches, gemütliches Erfassen des Dogmas
-aus war. Nicht begreifen oder beweisen wollte sie den Glaubensinhalt, sondern erfahren,
-im Geiste erleben. Dem Glauben soll ja die höchste Gewissheit zukommen. Sollte man
-ihn dann in ein abgeleitetes Wissen verwandeln können? Oder sollten seine <span class="pageNum" id="pb139">[<a href="#pb139">139</a>]</span>Sätze Prinzipien der Vernunft sein, keines weiteren Beweises fähig noch bedürftig?
-Aber die Grundsätze der Vernunft müssen, wenn sie einmal bekannt sind, allgemein anerkannt
-werden, und die allgemeine Anerkennung fehlt den Sätzen des Glaubens. Woher sonst
-der Unglaube? So wurde weiter gefragt. Und als der einzige Ausweg aus solchen Zweifeln
-erschien es vielen, die Glaubenslehre auf eine innere, übervernünftige Erleuchtung
-zu gründen. Anfangs geschah das unbewusst, in mystischem Drange, wobei denn oft der
-Inhalt der Pflichten- und Glaubenslehre sehr vernachlässigt wurde. Auch hier hat Gazali
-eingegriffen. Was vielleicht von Salimiten und Karramiten, antimutazilitischen Sekten,
-vorgebildet war, hat er in großem Stile durchgeführt: die Mystik trägt und krönt seit
-seiner Zeit das Lehrgebäude des orthodoxen Islam.
-</p>
-<p id="ch5.1.2"><b>2.</b> Merkwürdig ist die Lebensgeschichte dieses Mannes, und zum Verständnis seiner Wirksamkeit
-ist es unbedingt erforderlich, etwas näher darauf einzugehen. Im Jahre 1059 wurde
-er zu Tos in Chorasan geboren, war also ein Landsmann des großen Dichters Firdausi.
-Wie dieser von der alten Herrlichkeit der persischen Nation zeugt, so sollte Gazali
-“Zeugnis und Zierde” des ganzen zukünftigen Islam sein. Schon seine Erziehung, nach
-dem Tode des Vaters im Hause eines sufischen Freundes, war mehr universal als national
-gerichtet. Dem unruhigen, phantastischen Geiste des Jünglings sagte auch keine Beschränkung
-zu. In der spitzfindigen Kasuistik der Pflichtenlehre mit ihren präzisen Formeln fand
-er sich nicht zurecht. Er sah sie an als ein weltliches Wissen, von dem er sich abwendete,
-um sich in die Erkenntnis Allahs geistig zu vertiefen. Dann studierte er in Nischabur
-Theologie bei einem sufischen Lehrer, dem Imam al-Haramain (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 1085), während dessen er wohl selbst anfing zu schriftstellern und zu lehren, vielleicht
-auch schon an <span class="corr" id="xd31e2659" title="Quelle: seine">seiner</span> Wissenschaft zu zweifeln. Er begab sich darauf zu Nizam al-Mulk, dem Wezir des Seldschukenfürsten,
-bis er (1091) eine Professur in Bagdad erhielt. In <span class="pageNum" id="pb140">[<a href="#pb140">140</a>]</span>diese Zeit fällt jedenfalls die nähere Beschäftigung mit der Philosophie. Es war aber
-nicht reine Liebe zur Wissenschaft, die ihn dazu trieb, sondern die Sehnsucht des
-Herzens, Lösung für die Zweifel des Verstandes zu finden. Keine Aufklärung über das
-Weltgeschehen, auch keine Klärung des eigenen Denkens, sondern Herzensruhe und die
-Erfahrung einer höheren Wirklichkeit suchte er zu erreichen. Eingehend befasste er
-sich mit den Schriften der Philosophen, besonders denen des Farabi und Ibn Sina, und
-hauptsächlich dem System des letzteren folgend, schrieb er ein philosophisches Kompendium,
-objektiv gehalten, scheinbar mit einiger Teilnahme am Inhalt. Er that es, wie er anfangs
-wohl leise zur Selbstberuhigung, später aber laut zu seiner Entschuldigung sagte,
-nur um der Darstellung der philosophischen Lehren die Widerlegung folgen zu lassen.
-Auch diese erschien, wahrscheinlich nicht lange Zeit darauf. Es war die berühmte “Ruin
-der Philosophen”, die vermutlich noch in Bagdad oder kurz nach seiner Abreise verfasst
-wurde.
-</p>
-<p>Schon nach vier Jahren nämlich (1095) hatte Gazali seine von äußerem Erfolg begleitete
-Lehrthätigkeit in Bagdad eingestellt. Sein immer zweifelnder Geist fand im dogmatischen
-Vortrag wohl keine Befriedigung. Seine glänzende Stellung zog ihn bald an, bald stieß
-sie ihn ab. Er glaubte wohl, auf andere Weise besser die Welt und ihre Weisheit bekämpfen
-zu können, zu sollen. Sein Ehrgeiz war größer als diese Welt. Doch tiefer. Während
-einer Krankheit stand ihm der innere Beruf vor der Seele. Im stillen, durch sufische
-Übungen, sollte er sich darauf vorbereiten, vielleicht einmal als religiös-politischer
-Reformator auftreten. Zu derselben Zeit, als die Ritter vom Kreuze im Abendlande sich
-gegen den Islam rüsteten, da bereitete sich Gazali zum geistigen Vorkämpfer des muslimischen
-Glaubens. Nicht gewaltig war seine Bekehrung, wie die des heiligen Augustin, sondern
-dem Erlebnis zu vergleichen des heiligen Hieronymus, der im Traume von <span class="pageNum" id="pb141">[<a href="#pb141">141</a>]</span>seinen ciceronianischen Liebhabereien zum praktischen Christentum berufen ward.
-</p>
-<p>Zehn Jahre ist nun Gazali auf der Wanderschaft, seine Zeit in fromme Übungen und litterarische
-Thätigkeit teilend. In der ersten Zeit vermutlich hat er sein theologisch-ethisches
-Hauptwerk “Die Belebung der Religionswissenschaften” geschrieben. Gegen Ende hat er
-reformatorisch zu wirken versucht. Seine Reise führte ihn über Damaskus und Jerusalem
-(noch vor der Einnahme durch die Kreuzfahrer), Alexandria, Mekka und Medina nach Hause
-zurück.
-</p>
-<p>Nach seiner Rückkehr hat Gazali noch auf kurze Zeit in Nischabur als Lehrer gewirkt
-und ist in seiner Vaterstadt Tos am 19. Dez. des Jahres 1111 gestorben. Die letzten
-Jahre gehören hauptsächlich frommer Betrachtung und dem Studium der Traditionen, die
-einmal dem Jüngling nicht ins Gedächtnis hinein wollten. Ein schön vollendetes Leben,
-in dem das Ende zum Anfang zurückkehrt.
-</p>
-<p id="ch5.1.3"><b>3.</b> Gazali überschaut die geistigen Strömungen seiner Zeit. Da gibt es nun die Dialektik
-der Theologen, eine sufische Mystik, pythagoreische Popularphilosophie und neuplatonischen
-Aristotelismus. Was die Dialektik ergründen will, ist auch Gegenstand seines Glaubens,
-nur dünken ihm ihre Argumente etwas schwach und deshalb viele von ihren Behauptungen
-bedenklich. Der sufischen Mystik fühlt er sich am nächsten verwandt, ihr verdankt
-er das beste: die Begründung seines Glaubens in der Persönlichkeit, sodass er als
-innere Erfahrung postulieren kann, was die Dialektiker verstandesmäßig abzuleiten
-versuchen. Auch der Popularphilosophie dankt er Belehrung, über Mathematik nämlich,
-die er durchaus als Wissenschaft anerkennt, und ihre astronomischen Folgerungen. Ihre
-Physik lässt er, wo sie nicht gegen den Glauben verstößt, gelten. Aber der Aristotelismus,
-wie er von Farabi und Ibn Sina, nicht weniger autoritätsgläubig als die Theologen,
-<span class="pageNum" id="pb142">[<a href="#pb142">142</a>]</span>gelehrt worden, erscheint ihm als der Feind des Islam, den er im Namen sämtlicher
-muslimischen Schulen und Richtungen, also von katholischem Standpunkte, bekämpfen
-soll. Und zwar mit des Aristoteles eigenen Waffen, denen der Logik. Denn ebenso fest
-wie die Sätze der Mathematik, stehen ihm die Grundsätze des Denkens, welche die Logik
-lehrt. Vollbewusst geht er vom Satze des Widerspruchs aus, dem sich Gott selbst, nach
-seiner Behauptung, unterwirft.
-</p>
-<p>Von den physisch-metaphysischen Lehren der Philosophie greift er nun hauptsächlich
-drei an: 1. dass die Welt ewig sei; 2. dass Gott nur Allgemeines erkenne und es folglich
-keine besondere Vorsehung gebe; 3. dass nur die Seele unsterblich sei und also eine
-Auferstehung des Fleisches nicht zu erwarten. Bei der Widerlegung dieser Lehren ist
-Gazali vielfach abhängig von dem christlichen Kommentator des Aristoteles, Johannes
-Philoponus, der auch gegen des Proklos Lehre von der Ewigkeit der Welt geschrieben
-hat.
-</p>
-<p id="ch5.1.4"><b>4.</b> Die Welt ist nach den Philosophen eine Kugel von endlicher Ausdehnung, aber unendlicher
-Dauer. Von Ewigkeit geht sie aus Gott hervor, wie die Wirkung mit der Ursache zugleich
-ist. Dagegen meint Gazali, dass man Raum und Zeit nicht in der Weise verschieden auffassen
-dürfe, und dass die göttliche Ursächlichkeit als freischöpferische Macht zu bestimmen
-sei.
-</p>
-<p>Zunächst Raum und Zeit. Ebensowenig wie Anfang und Ende der Zeit können wir uns eine
-äußerste Grenze des Raumes vorstellen. Wer an eine endlose Zeit glaubt, muss, seiner
-Vorstellung folgend, also auch die Existenz eines unendlichen Raumes annehmen. Dass
-der Raum dem äußeren, die Zeit dagegen dem inneren Sinne entspreche, ändert daran
-nichts, denn aus dem Sinnlichen kommen wir doch nicht heraus. Wie der Raum zum Körper,
-so verhält sich die Zeit zur Bewegung des Körpers. Beide sind nur Verhältnisse der
-Dinge, in und mit den Dingen <span class="pageNum" id="pb143">[<a href="#pb143">143</a>]</span>der Welt erschaffen, oder vielmehr nur Beziehungen unserer Vorstellungen, die Gott
-in uns schafft.
-</p>
-<p>Wichtiger noch ist es, was Gazali über die Ursächlichkeit beibringt. Die Philosophen
-unterscheiden ein Wirken Gottes, der wollenden Geistwesen, der Seele, der Natur, des
-Zufalles oder dergleichen. Für Gazali aber gibt es, wie für den orthodoxen Kalam,
-überhaupt nur eine Kausalität, die des wollenden Wesens. Die Naturkausalität beseitigt
-er ganz, sie löst sich ohne Rest in ein Zeitverhältnis auf. Auf eine bestimmte Erscheinung
-(Ursache) sehen wir regelmäßig eine bestimmte andere (Wirkung) folgen; wie sie aber
-daraus erfolgt, bleibt uns ein Rätsel. Von dem Wirken der Naturdinge wissen wir nichts.
-Auch ist jede Veränderung an sich unbegreiflich. Wie etwas ein anderes wird, ist dem
-Denken unfasslich, dieses kann ebensogut nach Thatsachen wie nach Ursachen fragen.
-Etwas ist oder ist nicht, aber ein Seiendes in ein Anderes zu verwandeln, dazu ist
-nicht einmal die göttliche Allmacht im Stande. Sie schafft oder vernichtet.
-</p>
-<p>Dennoch ist es eine Thatsache unseres Bewusstseins, dass wir etwas wirken. Wenn wir
-etwas wollen und die Kraft zur Ausführung besitzen, nehmen wir den Erfolg als unsere
-That in Anspruch. Aus freiem Willen, mit bewusster Kraft handeln, das ist die einzige
-Kausalität, davon wir wissen, und hieraus schließen wir auf das göttliche Wesen. Mit
-welchem Rechte? In seiner persönlichen Erfahrung des Gottesbildes in seiner Seele
-glaubt Gazali die Berechtigung zu solchem Schlusse zu finden. Aber die Gottähnlichkeit
-seiner Seele will er nicht auf die Natur übertragen.
-</p>
-<p>Gott ist ihm demnach, sofern er aus der Welt zu erkennen, das allmächtige, freiwollende
-und wirkende Wesen. Seiner Wirksamkeit darf man keine räumliche Schranke setzen, wie
-die Philosophen thun, wenn sie ihn nur auf sein erstes Geschöpf wirken lassen. Andererseits
-aber kann er sein Werk räumlich und zeitlich beschränken, <span class="pageNum" id="pb144">[<a href="#pb144">144</a>]</span>sodass diese endliche Welt auch nur eine endliche Dauer besitzt. Dass Gott die Welt
-aus dem Nichts hervorrufe durch eine absolute Schöpfungsthat, scheint den Philosophen
-absurd. Sie erkennen nur einen Wechsel der Accidenzen oder Formen an der Einen Materie,
-ein Wandern des Wirklichen von Möglichkeit zu Möglichkeit. Aber entsteht denn nie
-etwas Neues? Ist nicht jede sinnliche Wahrnehmung, so fragt Gazali, und jede geistige
-Perzeption etwas ganz Neues, das entweder ist oder nicht ist, bei dessen Entstehen
-aber nicht das Gegenteil aufhört, bei dessen Verschwinden nicht das Entgegengesetzte
-eintritt? Sind auch nicht die vielen individuellen Seelen, die es nach Ibn Sinas System
-geben soll, absolut neu entstanden?
-</p>
-<p>Mit Fragen wird man nicht fertig. Die Vorstellung schweift überall in die Weite, das
-Denken führt uns ins Unendliche. Wie Raum und Zeit, lässt sich auch die Reihe der
-Ursachen nirgendwo abschliessen. Damit es aber ein bestimmtes, abgeschlossenes Sein
-gebe, — diese Forderung stellt Gazali mit den Philosophen — brauchen wir einen ewigen
-Willen als erste von allem Anderen verschiedene Ursache.
-</p>
-<p>Dies dürfen wir jedenfalls dem Gazali zugestehen: die phantastische Formen- und Seelenlehre
-des Ibn Sina hält seiner Kritik nicht Stand.
-</p>
-<p id="ch5.1.5"><b>5.</b> Wir haben uns schon dem Gottesbegriffe genähert. Den Philosophen ist Gott das höchste
-Sein, dessen Wesen das Denken. Was er erkennt, wird, geht aus seinem Überflusse hervor,
-positiv gewollt aber hat er es nicht. Denn alles Wollen setzt einen Mangel, ein Bedürfnis,
-voraus und bedingt eine Veränderung in dem wollenden Wesen. Wollen ist Bewegung in
-der Materie, vollwirklicher Geist will nichts. Gott schaut also in wunschloser Betrachtung
-seiner Schöpfung zu. Er erkennt sich selbst oder auch sein erstes Geschöpf oder, nach
-Ibn Sina, das Allgemeine, die ewigen Gattungen und Arten aller Dinge.
-<span class="pageNum" id="pb145">[<a href="#pb145">145</a>]</span></p>
-<p>Nach Gazali aber soll Gott ewig ein Wille zukommen als eins seiner ewigen Attribute.
-Herkömmlicherweise lässt er zwar in metaphysischen und ethischen Betrachtungen das
-Erkennen dem Wollen vorangehen. Aber seiner Überzeugung nach ist im Wissen die Einheit
-des Wesens nicht mehr als im Wollen. Nicht nur die Vielheit der Gegenstände des Wissens
-und ihre verschiedene Beziehung auf das wissende Subjekt, sondern auch das Selbstbewusstsein,
-das Wissen um das Wissen, geht an sich betrachtet ins Unendliche. Es muss da ein Willensakt
-den Abschluss bewirken. In der Richtung der Aufmerksamkeit und in der Selbstbesinnung
-wirkt ein ursprüngliches Wollen. Und so kommt auch das göttliche Wissen nur zu einem
-einheitlichen Abschluss, in seiner Persönlichkeit, durch einen ursprünglichen, ewigen
-Willen. Statt der Behauptung der Philosophen, Gott wolle die Welt, weil er sie als
-das Beste denke, setzt Gazali: Gott erkennt die Welt, weil und indem er sie will.
-</p>
-<p>Sollte denn Er, der alles will und schafft, sein Werk nicht erkennen bis zum kleinsten
-Stoffteile? Wie sein ewiger Wille aller Einzeldinge Ursache, so umfasst sein ewiges
-Wissen alles Besondere zugleich, ohne dass die Einheit seines Wesens dadurch aufgehoben
-wird. Es gibt folglich eine Vorsehung.
-</p>
-<p>Auf die Einwendung, dass die göttliche Vorsehung alles besondere Geschehen notwendig
-mache, entgegnet Gazali, ähnlich wie der hl. Augustin, das Vorherwissen unterscheide
-sich nicht vom Wissen im Gedächtnis, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> Gottes Wissen sei über jeden Zeitunterschied erhaben.
-</p>
-<p>Es lässt sich fragen, ob nicht Gazali, um den ewigen, allmächtigen Schöpferwillen
-zu retten, sowohl den zeitlichen Charakter der Welt, den er beweisen möchte, als die
-Freiheit des menschlichen Handelns, von der er dabei ausgeht, und die er auch nicht
-ganz aufgeben wollte, jener absoluten Macht zum Opfer dargebracht habe. Gott <span class="pageNum" id="pb146">[<a href="#pb146">146</a>]</span>zu liebe verschwindet diese Welt der Schatten und der Abbilder, wie er sie nennt.
-</p>
-<p id="ch5.1.6"><b>6.</b> Die dritte Frage, über die Gazali sich mit den Philosophen auseinandersetzt, hat
-weniger philosophisches Interesse. Sie betrifft die Auferstehung des Fleisches. Nach
-den Philosophen ist nur die Seele unsterblich, sei es individuell oder als Teil der
-Weltseele; dagegen der Körper vergänglich. Gegen diesen Dualismus, der theoretisch
-zu einer asketischen Ethik führte, praktisch aber sehr leicht in Libertinismus sich
-umsetzte, empört sich das religiös-sittliche Gefühl Gazalis. Soll das Fleisch Pflichten
-haben, so muss es wieder in seine Rechte eingesetzt werden. Die Möglichkeit der Auferstehung
-ist ja nicht zu leugnen, denn die Wiedervereinigung der Seele mit ihrem (neuen) Körper
-ist nicht wunderbarer als die erste Verbindung derselben mit dem irdischen Leibe,
-die auch von Philosophen angenommen wird. Kann doch jede Seele zur Zeit der Auferstehung
-einen neuen, ihr passenden Leib bekommen. Jedenfalls aber ist die Seele das eigentliche
-Wesen des Menschen; aus welcher Materie ihr himmlischer Körper gebildet wird, ist
-gleichgiltig.
-</p>
-<p id="ch5.1.7"><b>7.</b> Schon aus diesen letzten Sätzen erhellt, dass Gazalis Theologie von philosophischer
-Spekulation nicht unberührt geblieben ist. Wie die abendländischen Kirchenväter hat
-er, bewusst oder unbewusst, viel Philosophisches aufgenommen. Von den Muslimen des
-Westens wurde deshalb seine Theologie lange Zeit als Neuerung verketzert. Wirklich
-weist seine Lehre von Gott, von der Welt und der menschlichen Seele viele Elemente
-auf, die dem ältesten Islam fremd sind, und, teils durch christliche und jüdische,
-teils durch spätere muslimische Vermittelung, auf heidnische Weisheit zurückgehen.
-</p>
-<p>Allah, der Welten Herr, Mohammeds Gott, ist zwar für Gazali eine lebendige Persönlichkeit,
-aber doch weit weniger anthropomorph als er dem naiven Glauben und im antimutazilitischen
-Dogma erschien. Der sicherste Weg, <span class="pageNum" id="pb147">[<a href="#pb147">147</a>]</span>ihn zu erkennen, soll es sein, alle Eigenschaften der Geschöpfe ihm abzusprechen.
-Das heißt aber nicht, dass er keine Eigenschaften besitze. Im Gegenteil. Die Vielheit
-der Bestimmungen schadet nicht der Einheit des Wesens. Schon das Körperliche bietet
-dafür Analogien. Ein Ding kann zwar nicht zugleich schwarz und weiß, wohl aber kalt
-und trocken sein. Nur soll man, wenn man Gott menschliche Attribute beilegt, diese
-in anderem, höherem Sinne verstehen. Denn er ist reiner Geist. Außer Allwissenheit
-und Allmacht kommen ihm aber auch reine Güte und Allgegenwart zu. Durch diese Allgegenwart
-werden Diesseits und Jenseits einander etwas näher gerückt als in der gewöhnlichen
-Vorstellung.
-</p>
-<p>Gott ist vergeistigt. Nun werden aber auch Auferstehung und zukünftiges Leben viel
-geistiger gefasst als dieses Leben. Die philosophisch-gnostische Lehre von drei oder
-vier Welten ermöglicht solche Auffassung. Stufenmäßig erheben sich über einander die
-irdische sinnliche Menschenwelt, die Welt <span class="corr" id="xd31e2724" title="Quelle: himmlicher">himmlischer</span> Geister, zu der unsere Seele gehört, die Welt überhimmlischer Engel, endlich Gott
-selbst als die Welt reinsten Lichtes, vollkommensten Geistes. Aus der niederen Welt
-steigt die fromme erleuchtete Seele durch die Himmel hinauf bis vor Gottes Angesicht.
-Denn sie ist geistiger Natur und ihr Auferstehungskörper himmlischen Wesens.
-</p>
-<p>Entsprechend den verschiedenen Welten und den Seelenstufen unterscheiden sich auch
-die Menschen von einander. Der sinnliche Mensch muss sich begnügen mit Koran und Tradition,
-über den Buchstaben darf er nicht hinausgehen. Die Pflichtenlehre ist sein Lebensbrot,
-Philosophie wäre für ihn <span class="corr" id="xd31e2729" title="Quelle: tötliches">tödliches</span> Gift. Derjenige, der nicht schwimmen kann, darf sich nicht ins Meer wagen.
-</p>
-<p>Dennoch gibt es immer Leute, die, um schwimmen zu lernen, ins Wasser gehen. Sie wollen
-ihren Glauben zum Wissen erheben und fallen dabei leicht in Zweifel und Unglauben.
-Für sie, meint Gazali, können Dogmatik <span class="pageNum" id="pb148">[<a href="#pb148">148</a>]</span>und Polemik gegen die Philosophie ein nützliches Heilmittel sein.
-</p>
-<p>Auf der höchsten Stufe menschlicher Vollkommenheit stehen aber diejenigen, welche
-ohne schweres Nachdenken durch innere göttliche Erleuchtung die Wahrheit und Wirklichkeit
-der geistigen Welt in sich erfahren. Es sind dies die Propheten und frommen Mystiker,
-zu denen Gazali sich zählen darf. In allem sehen sie Gott, ihn, ja ihn allein, in
-der Natur wie im Leben ihrer Seele. Vorzüglich aber in der Seele, die zwar nicht gottgleich,
-aber doch gottähnlich ist. Wie alles Äußere jetzt sich ändert! Was scheinbar außer
-uns besteht, wird zu einem Zustande oder einer Eigenschaft der Seele, die im Bewusstsein
-ihrer Vereinigung mit Gott zur höchsten Seligkeit fortschreitet. Alles einigt sich
-da in Liebe. Der wahre Gottesdienst geht über Furcht vor Strafe und Hoffnung auf Belohnung
-hinaus zur Liebe Gottes im Geiste. Über Dulden und Danken — die Pflicht der noch nicht
-vollendeten frommen Wanderer auf Erden — erhebt sich der vollkommene Gottesdiener,
-schon in dieser Welt Gott freudig zu lieben und zu loben.
-</p>
-<p id="ch5.1.8"><b>8.</b> Es ergeben sich uns aus dem Vorigen drei Stufen des Glaubens oder der Gewissheit.
-Erstens der Autoritätsglaube der Menge: sie glaubt, was ihr ein glaubwürdiger Mann
-erzählt, <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> dass N.&nbsp;N. da im Hause sei. Zweitens das abgeleitete Wissen der Gelehrten: sie haben
-den N.&nbsp;N. reden hören und schließen, dass er sich im Hause befinde. Drittens aber
-die unmittelbare Gewissheit der Erkennenden: diese sind ins Haus gegangen und haben
-mit eigenen Augen den N.&nbsp;N. gesehen.
-</p>
-<p>Auf Erfahrung legt Gazali überall Gewicht, den Dialektikern und Philosophen gegenüber.
-Mit ihren allgemeinen Begriffen werden sie zunächst der Mannigfaltigkeit dieser sinnlichen
-Welt nicht gerecht. Die sinnlichen Qualitäten der Dinge, auch die Zahl der Gestirne
-<abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> erkennen wir nur durch Erfahrung, nicht aus reinen Begriffen. <span class="pageNum" id="pb149">[<a href="#pb149">149</a>]</span>Viel weniger aber noch erschöpfen diese die Höhen und Tiefen unseres Inneren. Dem
-diskursiven Verstande der Gelehrten bleibt ewig verborgen, was der Gottesfreund intuitiv
-erkennt. Sehr wenige ersteigen diese Höhe der Erkenntnis, wo sie mit den Gottesgesandten
-und Propheten aller Zeiten zusammentreffen. Ihnen zu folgen ist daher die Pflicht
-der niedriger stehenden Geister.
-</p>
-<p>Wie erkennt man nun aber den überlegenen Geist, dessen man zum Führer bedarf? Das
-ist eine Frage, an der jedes religiös-bestimmte System, das menschlicher Vermittler
-nicht entbehren kann, rein verstandesmäßig betrachtet, scheitern muss. Auch Gazalis
-Antwort ist schwankend. Soviel ist ihm gewiss, dass Verstandesgründe allein hier nicht
-den Ausschlag geben können. Den wirklich von Gott erleuchteten Propheten und Lehrer
-erkennt man durch Versenkung in seine einzigartige Persönlichkeit, durch die Erfahrung
-innerer Verwandtschaft. Die Wahrheit der Prophetie bewährt sich in ihrem sittlichen
-Einfluss auf die Seele. Von der Wahrhaftigkeit des Gotteswortes im Koran bekommen
-wir eine moralische, keine theoretische Gewissheit. Das einzelne Wunder ist nicht
-im Stande zu überzeugen, sondern die Offenbarung als Ganzes sowie die Persönlichkeit
-des Propheten, durch den die Offenbarung vermittelt, machen auf die verwandte Seele
-einen unwiderstehlichen Eindruck. Von diesem Eindrucke ganz hingerissen, entsagt sie
-der Welt, um die Pfade Gottes zu wandern.
-</p>
-<p id="ch5.1.9"><b>9.</b> Gazali ist ohne Zweifel die merkwürdigste Gestalt des Islam. Seine Lehre ist ein
-Ausdruck seiner Persönlichkeit. Auf das Verständnis dieser Welt hat er verzichtet.
-Aber das religiöse Problem hat er viel tiefer erfasst als die Philosophen seiner Zeit.
-Diese waren, wie ihre griechischen Vorgänger, intellektualistisch, sahen folglich
-die Lehren der Religion an nur als Produkte der Vorstellung, der Phantasie oder auch
-der Willkür des Gesetzgebers. Ihnen zufolge war Religion entweder blinder <span class="pageNum" id="pb150">[<a href="#pb150">150</a>]</span>Gehorsam oder eine Art Erkenntnis, eine Wahrheit niederer Ordnung enthaltend.
-</p>
-<p>Dagegen stellt Gazali Religion als Erfahrung seines Inneren hin. Mehr als Gesetz und
-mehr als Lehre ist sie ihm, sie ist Seelenerlebnis.
-</p>
-<p>Nicht jeder erlebt das so wie Gazali. Wer ihm aber bei seinem mystischen Fluge, über
-die Bedingungen möglicher Erfahrung hinaus, nicht folgen kann, wird doch eingestehen
-müssen, dass seine Irrfahrten auf der Suche nach dem Höchsten für die Geschichte des
-menschlichen Geistes nicht weniger wichtig sind als die scheinbar sicheren Gänge der
-Philosophen seiner Zeit durch ein Land, das andere vor ihnen entdeckt haben.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch5.2" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e739">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">2.</span> Die Kompendienschreiber.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch5.2.1" class="first"><b>1.</b> In einer Geschichte des gelehrten Unterrichtes bei den muslimischen Völkern müsste
-dieser Gegenstand einen größeren Raum einnehmen; wir werden ihn hier mit wenigen Worten
-abthun.
-</p>
-<p>Dass Gazali die Philosophie für alle Folgezeit vernichtet habe, ist eine oft wiederholte,
-aber ganz irrige Behauptung, die weder von geschichtlichem Wissen noch von Verständnis
-zeugt. Die Philosophie hat im Osten nach ihm ihre Lehrer und Schüler zu Hunderten
-und Tausenden gezählt. Ebensowenig wie die Pflichtenlehrer ihre spitzfindige Kasuistik,
-haben die Glaubenslehrer ihre dialektischen Argumente zur Stütze des Dogmas aufgegeben.
-Und die allgemeine Bildung hat einen Bestandteil philosophischer Gelehrsamkeit in
-sich aufgenommen.
-</p>
-<p>Freilich, eine hervorragende Stellung hat die Philosophie sich nicht zu erobern, ihr
-früheres Ansehen nicht zu erhalten gewusst. Nach einer arabischen Anekdote soll ein
-Philosoph, der in Gefangenschaft geraten war und von einem Manne, der ihn als Sklaven
-kaufen wollte, befragt wurde, wozu er tauge, die Antwort gegeben haben: Zur <span class="pageNum" id="pb151">[<a href="#pb151">151</a>]</span>Freiheit. Philosophie braucht Freiheit. Und wo gab es diese im Orient? Freiheit von
-materiellen Sorgen, Freiheit zur Bethätigung uninteressierten Denkens schwanden immer
-mehr dahin, wo keine aufgeklärten Despoten im Stande waren, sie zu gewähren und zu
-schützen. Als glaubens- und staatsgefährlich wurden die Philosophen an manchen Orten
-verfolgt. Es ist das nur ein Zeichen des allgemeinen Kulturverfalles. Wenn auch abendländische
-Reisende des zwölften Jahrhunderts die Kultur des Ostens höchlich preisen, so war
-sie doch, mit früheren Zeiten verglichen, im Niedergang begriffen. Auf keinem Gebiete
-ging man über das alte hinaus, dazu waren die Geister zu schwach. Die litterarische
-Produktion stockte und den Vielschreibern der folgenden Jahrhunderte gebührt nur das
-Verdienst der schönen Auswahl. Die Pflichten- und die Glaubenslehre mit der Mystik
-hatten ihren Abschluss gefunden. Ebenso die Philosophie. Nach Ibn Sina, ihrem Fürsten,
-mit selbständigen Ansichten hervorzutreten, fühlte keiner sich berufen. Es war die
-Zeit gekommen der Kompendien, der Kommentare, der Glossen und Superglossen. Damit
-vertrieb die gelehrte Welt sich in der Schule die Zeit, während die gläubige Menge
-sich immer mehr der Führung der Derwischorden unterstellte.
-</p>
-<p id="ch5.2.2"><b>2.</b> Die allgemeine Bildung entnahm am meisten der philosophischen Propädeutik, etwas
-Mathematik <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr>, in der Regel natürlich höchst elementar. Von Sektierern und Mystikern wurde vieles
-der pythagoreisch-platonischen Weisheit entlehnt. Besonders den Heiligen- und Wunderglauben
-zu stützen, mussten jene Lehren herhalten. Eine wüste, synkretistische Theosophie
-schmückte sich damit. Sie nahm auch den Aristoteles, natürlich den unechten, unter
-ihre Lehrer auf, machte ihn aber zum Schüler des Agathodaemon und Hermes.
-</p>
-<p>Die nüchternen Geister dagegen hielten sich an dem Aristotelismus, soweit er sich
-mit ihren eigenen Ansichten oder dem orthodoxen Glauben vertrug. Fast allgemein <span class="pageNum" id="pb152">[<a href="#pb152">152</a>]</span>folgte man dem System des Ibn Sina, nur wenige gingen auf Farabi zurück oder suchten
-beide zu vereinigen. Von den physischen und metaphysischen Lehren nahm man weniger
-Notiz; Ethik und Politik wurden schon mehr gepflegt; allgemein studiert aber nur die
-Logik. Diese ließ sich trefflich in schulmäßige Form bringen, als reine Formallogik
-war sie ein Werkzeug, dessen sich jeder bedienen konnte. Mit den Mitteln der Logik
-ließ sich ja alles beweisen. Und wenn einmal ein Beweis als fehlerhaft erkannt wurde,
-so tröstete man sich damit, dass die Behauptung doch richtig sein könnte, wenn auch
-der Beweis dafür nicht richtig geführt worden war.
-</p>
-<p>Schon in der Encyklopädie des Abu Abdallah al-Chwarizmi aus dem letzten Viertel des
-zehnten Jahrhunderts war der Logik ein größerer Raum zugemessen als der Physik und
-Metaphysik. Ebenso machten es viele spätere Encyklopädien und Sammelwerke. Auch die
-Dogmatiker fingen ihr System an mit logischen und erkenntnistheoretischen Betrachtungen,
-in denen dem “Wissen” ein traditionelles Lob gespendet wurde. Und seit dem zwölften
-Jahrhundert entstand eine ganze Menge Einzelbearbeitungen des aristotelischen Organons.
-Als vielgebraucht, kommentiert <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> seien hier nur genannt die Werke des Abhari (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 1264), der unter dem Titel Isagudschi (<span class="trans" title="eisagōgē"><span lang="grc" class="grek">εἰσαγωγή</span></span>) eine kurze Übersicht der ganzen Logik gab, und des Qazwini (<abbr title="gestorben">gest.</abbr> 1276).
-</p>
-<p>An der größten Universität der muslimischen Welt, in Kairo, werden heutzutage noch
-die Kompendien des 13. und 14. Jahrhunderts gebraucht. Dort heißt es noch, wie lange
-Zeit bei uns: Zuerst Collegium logicum! Selbstverständlich mit keinem besseren Erfolge.
-Man lässt sich, innerhalb der Schranken des Gesetzes, die von den alten Philosophen
-aufgefundenen Regeln des Denkens gefallen, lächelt aber dabei über jene Männer und
-über die mutazilitischen Dialektiker, die “an die Vernunft geglaubt”.
-<span class="pageNum" id="pb153">[<a href="#pb153">153</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div id="ch6" class="div1 chapter"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e755">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main"><span class="divNum">VI.</span> Die Philosophie im Westen.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<div id="ch6.1" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e763">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">1.</span> Die Anfänge.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch6.1.1" class="first"><b>1.</b> Zum muslimischen Occidente rechnet man das westliche Nordafrika, Spanien und Sizilien.
-Nordafrika hat zunächst untergeordnete Bedeutung. Sizilien richtet sich nach Spanien
-und wird bald von den Nordmannen Unteritaliens unterworfen. Für unseren Zweck kommt
-zunächst das muslimische Spanien oder Andalusien in Betracht.
-</p>
-<p>Das Kulturschauspiel des Orients erlebt hier eine zweite Aufführung. Wie dort Araber
-mit Persern, so vermählen sich hier Araber mit Spaniern. Und statt der Türken und
-Mongolen gibt es hier die Berbern Nordafrikas, deren rohe Kraft immer mehr zerstörend
-in das Spiel feinerer Bildung eingreift.
-</p>
-<p>Nach dem Sturze der Omajjaden in Syrien (750) hat sich einer aus ihrem Hause, Abderrachman
-ibn Moawia, nach Spanien begeben, wo er sich zum Emir von Kordova und ganz Andalusien
-emporzuarbeiten wusste. Über 250 Jahre dauerte diese Omajjadenherrschaft und erreichte,
-nach vorübergehender Kleinstaaterei, unter Abderrachman III. (912–961), dem ersten,
-der sich Chalif nennen <span class="corr" id="xd31e2820" title="Quelle: liess">ließ</span>, und dessen Sohn al-Hakam II. (961–976) ihren Glanzpunkt. Das zehnte Jahrhundert
-war für Spanien, was das neunte für den Orient: die Zeit höchster materieller und
-geistiger Kultur. Wenn möglich war sie hier frischer, naturwüchsiger als dort. Produktiver,
-wenn es wahr ist, dass alles Theoretisieren entweder einen Mangel oder eine <span class="pageNum" id="pb154">[<a href="#pb154">154</a>]</span>Stockung der Produktionskraft bedeutet. Die Wissenschaften, und besonders die Philosophie,
-fanden hier nämlich weit weniger Vertreter. Überhaupt waren die Verhältnisse geistigen
-Lebens einfacher gestaltet. Die Zahl alter Kulturschichten war geringer. Wohl hatte
-man hier außer Muslimen Juden und Christen, die sich zu Abderrachmans III. Zeit gemeinschaftlich
-am Kulturleben arabischen Stempels beteiligten. Aber Anhänger des Zoroaster, Atheisten
-<abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> gab es nicht. Auch waren die Parteiungen des östlichen Islam fast unbekannt. Nur
-eine Rechtschule, die des Malik, fand Eingang. Mutazilitische Dialektik störte nicht
-den Frieden des Glaubens. Zwar verherrlichten die andalusischen Dichter die Dreiheit:
-Wein, Weib und Gesang, aber frivole Freigeisterei einerseits, düstere Weltflucht und
-Theosophie andererseits kamen nur selten zum Ausdruck.
-</p>
-<p>Im ganzen war die geistige Kultur vom Orient abhängig. Seit dem zehnten Jahrhundert
-wurden aus Spanien viele wissenschaftliche Reisen dorthin, über Ägypten bis zum östlichen
-Persien, unternommen, um den Vorlesungen berühmter Gelehrten beizuwohnen. Und das
-Bedürfnis nach Bildung in Andalusien lockte auch manch orientalischen Gelehrten, der
-in seiner Heimat keine Beschäftigung fand, herbei. Dazu ließ al-Hakam II. überall
-im Osten Bücher abschreiben für seine Bibliothek, deren Bändezahl auf 400000 angegeben
-wird.
-</p>
-<p>Hauptsächlich interessierte der Westen sich für Mathematik und Naturwissenschaft,
-Astrologie und Medizin, ebenso wie anfangs der Osten. Poesie, Geschichte und Geographie
-wurden eifrig gepflegt. Der Geist war noch von des Gedankens Blässe nicht angekränkelt.
-Als Abdallah ibn Masarra von Kordova, unter Abderrachman III., mit Naturphilosophie
-nach Hause kam, musste er seine Schriften verbrennen sehen.
-</p>
-<p id="ch6.1.2"><b>2.</b> Im Jahre 1013 wurde Kordova, “die Zierde der Welt”, von den Berbern verwüstet und
-das Omajjadenreich <span class="pageNum" id="pb155">[<a href="#pb155">155</a>]</span>zerfiel in eine Anzahl kleiner Staaten. Ihre Nachblüte füllt das elfte Jahrhundert,
-die mediceische Zeit Spaniens, aus. An den städtischen Höfen gedeihen noch Kunst und
-Poesie, üppig wuchernd auf den Trümmern alter Herrlichkeit. Die Kunst verfeinert sich,
-die Poesie wird weise, subtil der wissenschaftliche Gedanke. Aus dem Orient zieht
-man immerfort geistige Nahrung. Naturphilosophie, die Schriften der treuen Brüder,
-die Logik aus der Schule des Abu Sulaiman al-Sidschistani halten nach einander ihren
-Einzug. Gegen Ende des Jahrhunderts spürt man auch den Einfluss der Schriften Farabis
-und wird Ibn Sinas Medizin bekannt.
-</p>
-<p>Die Anfänge philosophischen Nachdenkens finden wir zumeist bei den zahlreichen gebildeten
-Juden. Mächtig und ganz eigenartig wirkt die Naturphilosophie des Ostens auf Ibn Gebirol,
-den Avencebrol christlicher Schriftsteller. Bachja ibn Pakuda wird von den treuen
-Brüdern beeinflusst. Sogar die religiöse Poesie der Juden wird von der philosophischen
-Bewegung ergriffen. Es spricht darin die Seele, die sich zum Geiste erhebt, nicht
-die jüdische Gemeinde, die ihren Gott sucht.
-</p>
-<p>Unter den Muslimen blieb die Zahl derjenigen, die sich eingehend mit Philosophie beschäftigten,
-sehr beschränkt. Kein Meister sammelte eine zahlreiche Jüngerschaar um sich, gelehrte
-Sitzungen, in denen über philosophische Gegenstände disputiert wurde, fanden kaum
-statt. So musste sich hier der einzelne Denker wohl ganz vereinsamt fühlen. Subjektiv
-wie im Orient, bildete sich auch im Westen die Philosophie aus. Aber sie war hier
-mehr nur die Sache vereinzelter Individuen und stand dazu dem Glauben der Menge ferner.
-Im Orient gab es zahllose Vermittelungen zwischen Glauben und Wissen, zwischen den
-Philosophen und der gläubigen Gemeinde. Das Problem des denkenden Individuums gegenüber
-der staatlichen Gesellschaft und dem Glauben beschränkter fanatischer Massen wurde
-daher im Westen schärfer gefasst.
-<span class="pageNum" id="pb156">[<a href="#pb156">156</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch6.2" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e779">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">2.</span> Ibn Baddscha.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch6.2.1" class="first"><b>1.</b> Gegen Ende des elften Jahrhunderts, als Abu Bekr Mohammed ibn Jachja ibn al-Saig
-ibn Baddscha in Saragossa geboren wurde, war das schöne Andalusien nahe daran, in
-seiner Kleinstaaterei unterzugehen. Von Norden her wurde es von den weniger gebildeten,
-aber kräftigen und tapferen Christenrittern bedroht. Da griff aber rettend die berberische
-Dynastie der Almoraviden ein, die nicht nur fester im Glauben, sondern auch klüger
-in der Politik war als die üppigen Herrschergeschlechter Spaniens. Jetzt schien die
-Zeit feiner Bildung und freien Forschens für immer dahin. Nur Traditionarier der strengsten
-Observanz durften öffentlich auftreten. Und die Philosophen, wenn sie sich nicht verborgen
-hielten, wurden verfolgt oder getötet.
-</p>
-<p id="ch6.2.2"><b>2.</b> Aber barbarische Herren haben ihre Grillen, indem sie die Bildung der von ihnen Unterworfenen,
-wenigstens äußerlich, sich anzueignen lieben. Also nahm sich Abu Bekr ibn Ibrahim,
-Schwager des Almoravidenfürsten Ali, der einige Zeit Gouverneur Saragossas war, zum
-großen Ärgernis seiner Faqihs und Soldaten, den Ibn Baddscha zum Vertrauten und ersten
-Minister. Dieser Mann nun war in den mathematischen Wissenschaften, besonders in der
-Astronomie und Musik, dazu in der Medizin, theoretisch und praktisch bewandert und
-gab sich mit logischen, naturphilosophischen und metaphysischen Spekulationen ab.
-Er war nach der Ansicht der Fanatiker ein ganz verrückter Atheist und unsittlicher
-Mensch.
-</p>
-<p>Von dem äußeren Leben Ibn Baddschas wissen wir ferner nur, dass er im Jahre 1118 nach
-dem Falle Saragossas zu Sevilla war, wo er mehrere seiner Schriften verfasste, darauf
-in Granada, und dass er sich nach Fez an den Almoravidenhof begab, wo er im Jahre
-1138 starb. Der Überlieferung nach fand er, auf Veranlassung eines neidischen Arztes,
-den Gifttod. Glücklich war, nach seinem <span class="pageNum" id="pb157">[<a href="#pb157">157</a>]</span>Selbstbekenntnis, sein kurzes Leben nicht gewesen. Oft hatte er sich, als letzte Zuflucht,
-den Tod herbeigesehnt. Materielle Not, vor allem geistige Vereinsamung mögen ihn gedrückt
-haben. Dass er zu seiner Zeit, in seiner Umgebung, sich nicht heimisch fühlen konnte,
-zeigen zur Genüge die erhaltenen Schriften.
-</p>
-<p id="ch6.2.3"><b>3.</b> Er schließt sich fast ganz an Farabi, den einsamen, stillen Mann des Orients an.
-Wie dieser hat er wenig systematisiert. Die Zahl seiner selbständigen Abhandlungen
-ist nicht groß. Aus kurzen Erläuterungen zu den aristotelischen und anderen philosophischen
-Schriften besteht das meiste. Seine Bemerkungen sind abgerissen, bald fängt er hier,
-bald dort von neuem an. Mit immer neuen Ansätzen sucht er sich dem griechischen Gedanken
-zu nähern, von den verschiedensten Seiten in die alte Wissenschaft einzudringen. Die
-Philosophie wird er nicht los, und er wird nicht fertig mit ihr. Auf den ersten Blick
-macht das einen verwirrenden Eindruck. Im <span class="corr" id="xd31e2861" title="Quelle: dunkeln">dunklen</span> Drange aber ist der Philosoph sich seiner Wege bewusst. Auf der Suche nach Wahrheit
-und Recht findet er ein anderes, Einheit und Freude seines Lebens. Gazali hat es sich,
-seiner Meinung nach, gar zu leicht gemacht, als er glaubte, nur im Vollbesitz der
-durch göttliche Erleuchtung erfassten Wahrheit glücklich sein zu können. Der Wahrheit
-zu liebe, die sich in den sinnlichen Bildern religiöser Mystik mehr verhüllt als aufdeckt,
-soll der Philosoph stark genug sein, jenem Glücke zu entsagen. Nur vom reinen Denken,
-das keine Sinnenlust trübt, wird die höchste Gottheit geschaut.
-</p>
-<p id="ch6.2.4"><b>4.</b> In seinen logischen Schriften hat Ibn Baddscha sich kaum von Farabi entfernt. Auch
-seine physischen und metaphysischen Lehren stimmen im allgemeinen zu den Ansichten
-des Meisters. Nur die Art und Weise, in der er die Entwicklungsgeschichte des menschlichen
-Geistes und die Stellung des Menschen in Wissenschaft und Leben darlegt, darf einiges
-Interesse beanspruchen.
-</p>
-<p>Zwei Arten des Seienden gibt es ihm zufolge: ein bewegtes <span class="pageNum" id="pb158">[<a href="#pb158">158</a>]</span>und ein unbewegtes. Das Bewegte ist körperlich, begrenzt, aber seine ewige Bewegung
-lässt sich aus dem endlichen Körper nicht erklären. Es bedarf, im Gegenteil, zur Erklärung
-dieser unendlichen Bewegung einer unendlichen Kraft oder eines ewigen Wesens, des
-Geistes. Indem nun das Körperliche oder Natürliche von außen bewegt wird und der Geist,
-selbst unbewegt, dem Körperlichen Bewegung verleiht, steht das Seelische als das sich
-selbst Bewegende in der Mitte. Das Verhältnis nun zwischen dem Natürlichen und dem
-Seelischen macht dem Ibn Baddscha ebensowenig Mühe wie seinen Vorgängern. Das Hauptproblem
-aber ist dieses: Wie verhalten sich Seele und Geist zu einander, namentlich im Menschen?
-</p>
-<p id="ch6.2.5"><b>5.</b> Ibn Baddscha geht von der Voraussetzung aus, dass der Stoff nicht ohne irgend eine
-Form sein kann, wohl aber die Form rein für sich ohne Stoff. Sonst nämlich ließe sich
-überhaupt keine Veränderung denken, denn dieselbe ist nur möglich durch das Kommen
-und Gehen der substantiellen Formen.
-</p>
-<p>Diese Formen nun, vom Hylischen bis zum rein Geistigen, bilden eine Reihe, der die
-Entwicklung des menschlichen Geistes entspricht, sofern nämlich er das Vernunftideal
-verwirklicht.<a class="noteRef" id="xd31e2878src" href="#xd31e2878">1</a> Des Menschen Aufgabe ist es, sämtliche geistigen Formen zu erfassen, zunächst die
-intelligibelen Formen alles Körperlichen, dann die sinnlich-geistigen Vorstellungen
-der Seele, darauf den Menschengeist selbst und den thätigen Geist über ihn, endlich
-die reinen Geister der Himmelsphären. Durch successive Erhebung aus dem Individuellen,
-Sinnlichen, dessen Vorstellung den Stoff des Geistes bildet, gelangt der Mensch zum
-<span class="corr" id="xd31e2882" title="Quelle: Uebermenschlichen">Übermenschlichen</span> und Göttlichen. Dazu führt ihn nun die Philosophie oder die Erkenntnis des Allgemeinen,
-die durch Studium und Nachdenken aus der Erkenntnis des Individuellen, aber mit Hilfe
-des erleuchtenden Geistes von oben hervorgeht. <span class="pageNum" id="pb159">[<a href="#pb159">159</a>]</span>Gegenüber dieser Erkenntnis des Allgemeinen oder Unendlichen, in dem Sein und Gedachtwerden
-zusammenfallen, erweist sich alles Wahrnehmen und Vorstellen als trüglich. In der
-Vernunfterkenntnis also und nicht in mystisch-religiösen Träumereien, denen immer
-Sinnliches anhaftet, erreicht der menschliche Geist seine Vollkommenheit. Denken ist
-die höchste Seligkeit, denn alles Intelligibele ist seiner selbst Zweck. Da es aber
-das Allgemeine ist, so lässt sich ein Fortbestehen individueller Menschengeister über
-dieses Leben hinaus nicht annehmen. Es möge die Seele, die im sinnlich-geistigen Vorstellungsleben
-das Individuelle erfasst und in einzelnen Begierden und Handlungen sich kund gibt,
-nach dem Tode weiter bestehen können und Strafe oder Belohnung erhalten, der Geist
-aber oder der vernünftige Teil der Seele ist in allen eins. Ewig ist nur der Geist
-der ganzen Menschheit in seiner Vereinigung mit dem thätigen Geiste über ihm. Diese
-Lehre, unter dem Namen des Averroes in das christliche Mittelalter eingedrungen, findet
-sich also schon bei Ibn Baddscha, wenn nicht ganz scharf gefasst, doch klarer als
-bei Farabi.
-</p>
-<p id="ch6.2.6"><b>6.</b> Nicht jeder Mensch erhebt sich zu solcher Höhe der Betrachtung. Die meisten tasten
-immer im Dunkeln herum, nur Schattenrisse der Dinge sehen sie und wie Schatten werden
-sie vergehen. Einige sehen das Licht zwar und die farbige Welt der Dinge, aber ganz
-wenige erkennen das Wesen dessen, was sie gesehen. Nur die letzteren, die Seligen,
-erreichen das ewige Leben, in dem sie selbst zu Licht werden.
-</p>
-<p>Wie gerät nun aber der Einzelne zu dieser Stufe des Erkennens und seligen Seins? Durch
-vernünftiges Handeln und freie Ausbildung seiner intellektuellen Kräfte. Vernünftiges
-Handeln ist freies <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> zweckbewusstes Handeln. Wenn einer <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> einen Stein zerschlägt, weil er sich daran gestoßen, so handelt er zwecklos wie ein
-Tier oder ein Kind; thut er es aber, damit sich andere nicht <span class="pageNum" id="pb160">[<a href="#pb160">160</a>]</span>daran stoßen werden, so ist seine That menschlich, vernünftig zu nennen.
-</p>
-<p>Um menschlich leben, vernünftig handeln zu können, muss unter Umständen der Einzelne
-sich aus der Gesellschaft zurückziehen. Ibn Baddschas Ethik heißt “die Leitung des
-Einsamen”. Zur Selbsterziehung fordert sie auf. In der Regel aber kann man sich der
-Vorteile menschlichen Zusammenlebens bedienen, ohne die Nachteile mit in den Kauf
-zu nehmen. Zu kleineren oder größeren Verbänden können die Weisen sich zusammenschließen,
-ja das ist sogar ihre Pflicht, wenn sie sich treffen. Sie bilden dann einen Staat
-im Staate. Naturgemäß versuchen sie zu leben, sodass unter ihnen weder Arzt noch Richter
-nötig ist. Wie Pflanzen in freier Luft wachsen sie auf und brauchen die Kunst der
-Gärtner nicht. Von den niederen Genüssen und Gesinnungen der Menge halten sie sich
-fern. Sie sind Fremdlinge in dem weltlichen Treiben der Gesellschaft. Und da sie Freunde
-unter einander sind, wird dieses Leben ganz von der Liebe bestimmt. Und als Freunde
-Gottes, der die Wahrheit ist, finden sie ihre Ruhe in der Vereinigung mit dem übermenschlichen
-Geiste der Erkenntnis.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch6.3" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e809">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">3.</span> Ibn Tofail.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch6.3.1" class="first"><b>1.</b> Die Herrschaft über den westlichen Islam verblieb den Berbern, aber an die Stelle
-der Almoraviden traten alsbald die Almohaden. Der Gründer der neuen Dynastie, Mohammed
-ibn Tumart, war seit 1121 als Mahdi aufgetreten. Unter seinen Nachfolgern Abu Jaaqub
-Jusuf (1163–1184) und Abu Jusuf Jaaqub (1184–1198) erreichte ihre Herrschaft, deren
-Sitz Marokko, den Höhepunkt.
-</p>
-<p>Eine gewaltige Neuerung in der Theologie führten die Almohaden herbei: das bis jetzt
-verketzerte System der Aschari und Gazali wurde im Westen aufgenommen. Das <span class="pageNum" id="pb161">[<a href="#pb161">161</a>]</span>bedeutete eine Vergeistigung der Glaubenslehre, die weder Altgläubige noch Freidenker
-ganz befriedigen konnte, aber doch manchen zu weiterem Philosophieren angeregt haben
-mag. Bisher hatte man sich gegen alles Räsonnieren in Glaubenssachen ablehnend verhalten,
-und auch später noch waren viele Politiker und Philosophen der Ansicht, an dem Glauben
-der Menge solle man nicht rütteln, noch ihn zum Wissen erheben, sondern die Gebiete
-der Religion und der Philosophie reinlich scheiden.
-</p>
-<p>Die Almohaden waren theologisch interessiert, doch zeigten Abu Jaaqub und dessen Nachfolger,
-soweit die politischen Verhältnisse es erlaubten, ein derartiges Verständnis für weltliches
-Wissen, dass eine kurze Blüte der Philosophie an ihrem Hofe hervorbrechen konnte.
-</p>
-<p id="ch6.3.2"><b>2.</b> Nachdem er in Granada eine Sekretärstelle bekleidet hatte, finden wir den Abu Bekr
-Mohammed ibn Abdalmalik ibn Tofail al-Qaisi als Wezir und Leibarzt des Abu Jaaqub.
-In der kleinen andalusischen Stadt Guadix war er geboren und in der Residenz Marokko
-starb er im Jahre 1185. Dazwischen liegt sein, wie es scheint, wenig wechselreiches
-Leben. Er liebte die Bücher mehr als die Menschen und in der großen Bibliothek seines
-Herrn las er sich vieles zusammen, das er für seine Kunst brauchte oder das seiner
-Wissbegierde zusagte. Er war der Dilettant unter den Philosophen des Westens, mehr
-zu beschaulichem Genießen als zu wissenschaftlicher Arbeit aufgelegt. Zum Schreiben
-kam er selten. Seiner Behauptung, das ptolemäische Weltsystem gründlich verbessern
-zu können, braucht man wohl nicht unbedingt Glauben zu schenken. Viele Araber haben
-Ähnliches behauptet, sie <span class="corr" id="xd31e2919" title="Quelle: thatens">thaten es</span> aber nicht.
-</p>
-<p>Von Ibn Tofails poetischen Versuchen haben sich ein paar Gedichte erhalten. Sein Hauptbestreben
-aber war, dem des Ibn Sina ähnlich, griechische Wissenschaft mit orientalischer Weisheit
-zu einer modernen Weltansicht zu vereinigen. Wie Ibn Baddscha war ihm das ein persönliches
-<span class="pageNum" id="pb162">[<a href="#pb162">162</a>]</span>Anliegen. Das Verhältnis des einzelnen zu der Gesellschaft und ihren Vorurteilen beschäftigte
-auch seinen Geist. Aber er ging weiter. Ibn Baddscha ließ als Regel den einzelnen
-oder einen kleinen Kreis selbständiger Denker einen Staat im Staate bilden, gleichsam
-wie ein Abbild des großen Ganzen oder als Vorbild für bessere Zeiten. Ibn Tofail dagegen
-griff auf das Original zurück.
-</p>
-<p id="ch6.3.3"><b>3.</b> In seinem Werke “Hai ibn Jaqzan” stellt er den Fall rein dar. Zwei Inseln bilden
-die Scenerie: auf die eine versetzt er die menschliche Gesellschaft mit ihrer Konvention,
-auf die andere ein Individuum, das sich natürlich entwickelt. Die Gesellschaft als
-Ganzes wird von niederen Trieben, nur äußerlich durch eine grobsinnliche Religion
-etwas gebändigt, beherrscht. Aber zwei Männer aus dieser Gesellschaft, Salaman und
-Asal (Absal, <abbr title="vergleiche">vgl.</abbr> <a href="#ch4.4.7">IV, 4 § 7</a>) genannt, erheben sich zu vernünftiger Erkenntnis und Beherrschung ihrer Begierden.
-Mit Anbequemung an die Volksreligion weiß der erstere, der praktischen Sinnes ist,
-das Volk zu regieren; der andere aber, von spekulativer Anlage und mystischer Neigung,
-wandert aus nach der gegenüberliegenden, wie er glaubt, unbewohnten Insel, dort dem
-Studium und der Askese sich zu ergeben.
-</p>
-<p>Auf jener Insel aber war unser Hai ibn Jaqzan, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> der Einsame, der Sohn des Wachenden, zu einem vollkommenen Philosophen herangebildet.
-Als Kind nach der Insel verschlagen oder durch spontane Generation daselbst entstanden,
-war er von einer Gazelle gesäugt worden, hatte sich dann nach und nach, wie ein Robinson,
-aber ganz auf eigene Mittel angewiesen, eine materielle Existenz gegründet, ferner
-durch Beobachtung und Nachdenken sich die Erkenntnis der Natur, der Himmel, Gottes
-und seines Inneren erworben, bis er nach 7 × 7 Jahren das Höchste erreichte, nämlich
-das sufische Schauen Gottes, die Ekstase. In diesem Zustande fand ihn Asal. Nachdem
-sie dazu gelangt waren, sich zu verständigen — Hai war anfangs noch ohne Sprache —
-stellte es sich heraus, dass die Philosophie <span class="pageNum" id="pb163">[<a href="#pb163">163</a>]</span>des Einen und die Religion des Anderen zwei Formen derselben Wahrheit waren, nur in
-der ersteren etwas weniger verschleiert. Als dann aber Hai erfuhr, dass auf der gegenüberliegenden
-Insel ein ganzes Volk in dunklem Irrtum verharrte, fasste er den Entschluss, dahin
-zu gehen, den Leuten die Wahrheit zu enthüllen. Da musste er aber die Erfahrung machen,
-dass die Menge einer reinen Auffassung der Wahrheit nicht fähig war, und dass Mohammed
-weise daran gethan, als er dem Volke statt des vollen Lichtes Sinnbilder gegeben hatte.
-Nach diesem Ergebnis zog er sich deshalb mit seinem Freunde Asal auf die unbewohnte
-Insel zurück, Gott im Geist und Wahrheit zu dienen bis zum Tode.
-</p>
-<p id="ch6.3.4"><b>4.</b> Ibn Tofail hat den weitaus größten Teil seines Romans dem Entwicklungsgange Hais
-gewidmet. Es wird nun aber wohl nicht seine Meinung gewesen sein, das auf sich selbst
-gestellte Individuum könne es an der Hand der Natur ohne die Hilfe der Gesellschaft
-so weit bringen, wie unser Hai. Er dachte doch wohl etwas mehr historisch als einige
-Aufklärer des vorigen Jahrhunderts. Viele kleine Züge in seinem Werke zeigen, dass
-Hai der Vertreter der außerhalb der Offenbarung stehenden Menschheit sein soll. Was
-sich in ihm vollzieht, ist die Entwicklung indischer, persischer, griechischer Weisheit.
-Ein paar Andeutungen in dieser Richtung, die hier nicht weiter verfolgt werden kann,
-mögen diese Ansicht wahrscheinlich machen. So ist es zunächst bedeutsam, dass Hai
-auf der Insel Ceylon lebt, deren Klima die spontane Generation ermöglichen soll, wo
-der Sage nach Adam, der erste Mensch, erschaffen wurde und wo der indische König zum
-Weisen kam. Hais erste religiöse Bewunderung, nachdem er sich aus tierischen Anfängen
-durch Scham und Neugierde emporgearbeitet, gilt dem von ihm entdeckten Feuer, was
-an die persische Religion erinnert. Und seine weiteren Spekulationen sind der griechisch-arabischen
-Philosophie entlehnt.
-</p>
-<p>Die Verwandtschaft mit Ibn Sinas Hai-Gestalt <span class="pageNum" id="pb164">[<a href="#pb164">164</a>]</span>(<abbr title="siehe">s.</abbr> <a href="#ch4.4.7">IV, 4 § 7</a>), auf die Ibn Tofail selbst hinweist, ist klar. Nur tritt Hai hier menschlicher auf.
-Ibn Sinas Figur stellt den übermenschlichen Geist dar. Der Romanheld Ibn Tofails aber
-scheint die Personifikation zu sein des natürlichen, von oben her erleuchteten Geistes
-der Menschheit, der mit der richtig verstandenen Prophetenseele Mohammeds, deren Aussagen
-allegorisch zu deuten sind, vortrefflich übereinstimmen soll.
-</p>
-<p>Ibn Tofail ist somit zu denselben Ergebnissen gekommen wie seine orientalischen Vorgänger.
-Dem gemeinen Manne muss die Religion erhalten bleiben, weil er nicht darüber hinaus
-kann. Nur wenige erheben sich zum Verständnis der religiösen Symbole. Und ganz vereinzelt
-erreicht einer die freie Anschauung der höchsten Wirklichkeit. Mit dem größten Nachdruck
-ist letzteres hier hervorgehoben. Auch wenn man in Hai den Vertreter der Menschheit
-findet, wird man das nicht leugnen können. Als die höchste Vollkommenheit des Menschen
-wird es hingestellt, in einsamster Stille, von allem Sinnlichen abgewendet, sein Selbst
-in den Weltgeist zu versenken.
-</p>
-<p>Freilich, dazu kommt es erst im Alter, das <span class="corr" id="xd31e2958" title="Quelle: ausserdem">außerdem</span> einen menschlichen Freund findet. Und die Beschäftigung mit dem Materiellen, mit
-Künsten und Wissenschaften, bildet die natürliche Vorstufe geistiger Vollkommenheit.
-Ohne Reue und Scham darf also Ibn Tofail auf sein am Hofe verbrachtes Leben zurückschauen.
-</p>
-<p id="ch6.3.5"><b>5.</b> Die philosophischen Ansichten, die Hai sich in seinen sieben Lebensperioden entwickelte,
-sind uns schon öfter begegnet. Aber auch sein praktisches Verhalten wird von Ibn Tofail
-besonders berücksichtigt. Sufische Übungen, wie sie in orientalischen Ordensgemeinschaften
-noch befolgt werden, wie sie aber auch schon von Platon und Neuplatonikern empfohlen
-worden, haben die Stelle gottesdienstlicher Handlungen nach dem muslimischen Gesetze
-eingenommen. Und Hai bildet sich in der siebenten Periode seines Lebens eine Ethik
-aus, die pythagoreisch aussieht.
-<span class="pageNum" id="pb165">[<a href="#pb165">165</a>]</span></p>
-<p>Als den Zweck seines Handelns hat sich dem Hai ergeben, in allem das Eine zu suchen
-und sich mit dem Absoluten, Selbständigbestehenden zu vereinigen. Diesem Höchsten
-sieht er nämlich die ganze Natur zustreben. Über die Ansicht, alles auf Erden sei
-des Menschen wegen da, ist er hinaus. Tier und Pflanze leben ebenfalls für sich selbst
-und für Gott. Nicht willkürlich also darf er damit handeln. Auf das Notwendigste beschränkt
-er jetzt seine leiblichen Bedürfnisse. Reife Früchte werden von ihm bevorzugt, deren
-Samen er fromm der Erde anvertraut. Sorgfältig hütet er sich davor, dass durch seine
-Begierde irgend eine Art ganz aussterbe. Und nur in der äußersten Not greift er zu
-tierischer Nahrung, wobei er ebenso die Art möglichst zu schonen sucht. Genug zum
-Leben, zum Schlafen zu wenig, wird seine Losung.
-</p>
-<p>Das betrifft das Verhalten seines Körpers zum Irdischen. Aber mit dem Himmel verbindet
-ihn der Lebensgeist. Und wie die Himmel bestrebt er sich, seiner Umgebung zu nützen
-und selbst rein zu leben. So pflegt er die Pflanze und schützt das Tier, damit seine
-Insel zum Paradiese werde. Er hält auf die äußerste Reinlichkeit seines Körpers und
-seiner Kleidung und sucht all seine Bewegungen harmonisch, denen der Himmelskörper
-gleichmäßig, zu gestalten.
-</p>
-<p>Auf diese Weise wird er allmählich befähigt, sein Selbst über Erde und Himmel hinaus
-zum reinen Geiste zu erheben. Das ist der Zustand der Ekstase, den kein Gedanke, kein
-Wort, kein Bild je hat fassen oder ausdrücken können.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch6.4" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e834">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">4.</span> Ibn Roschd.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch6.4.1" class="first"><b>1.</b> Abu-l-Walid Mohammed ibn Achmed ibn Mohammed ibn Roschd (Averroes) wurde im Jahre
-1126 zu Kordova aus einer Juristenfamilie geboren. Dort eignete er sich auch die gelehrte
-Bildung seiner Zeit an. Im Jahre 1153 <span class="pageNum" id="pb166">[<a href="#pb166">166</a>]</span>soll er von Ibn Tofail dem Fürsten Abu Jaaqub Jusuf vorgestellt sein, über welchen
-Vorfall wir einen charakteristischen Bericht besitzen. Nach den einleitenden Höflichkeitsphrasen
-nämlich fragte ihn der Fürst: Was ist die Ansicht der Philosophen über den Himmel,
-ist er ewig oder entstanden? Vorsichtig antwortete Ibn Roschd, er beschäftige sich
-nicht mit Philosophie. Darauf fing der Fürst mit Ibn Tofail über den Gegenstand an
-zu reden und zeigte zum Erstaunen des Zuhörers seine Bekanntschaft mit Aristoteles,
-Platon und den Philosophen und Theologen des Islam. Jetzt rückte auch Ibn Roschd mit
-der Sprache heraus und erwarb sich die Gunst des hohen Herrn. Sein Schicksal war bestimmt.
-Er sollte den Aristoteles interpretieren, wie keiner es vor ihm gethan, damit die
-Menschheit rein und vollständig die Wissenschaft besitze.
-</p>
-<p>Nebenbei war er Jurist und Mediziner. Wir finden ihn (1169) als Richter in Sevilla
-und kurz darauf in Kordova. Abu Jaaqub, jetzt <span class="corr" id="xd31e2982" title="Quelle: Chalife">Chalif</span>, beruft ihn im Jahre 1182 als seinen Leibarzt, nach kurzer Zeit aber ist er wieder
-Richter in seiner Vaterstadt, wie es sein Vater und Großvater gewesen. Aber die Verhältnisse
-verschlechtern sich. Die Philosophen werden verflucht und ihre Schriften ins Feuer
-geworfen. In seinem Alter wird Ibn Roschd von Abu Jusuf nach Elisana (Lucena bei Kordova)
-verbannt, doch stirbt er in der Residenz Marokko, am 10. Dez. 1198.
-</p>
-<p id="ch6.4.2"><b>2.</b> Auf Aristoteles konzentriert sich seine Wirksamkeit. Was er von dessen Schriften
-und über sie erlangen kann, wird fleißig studiert und genau verglichen. Ibn Roschd
-hat noch in Übersetzung Schriften der Griechen gekannt, die jetzt ganz oder teilweise
-verloren sind. Kritisch und systematisch geht er ans Werk. Er paraphrasiert den Aristoteles,
-er interpretiert, bald kürzer, bald ausführlicher, in mittleren und großen Kommentaren.
-So verdient er sich den Namen des Kommentators, den er <span class="pageNum" id="pb167">[<a href="#pb167">167</a>]</span>auch in Dantes Komödie besitzt. Es ist, als ob die Philosophie der Muslime in ihm
-zum Verständnis des Aristoteles kommen soll, um dann, fertig, sterben zu können. Aristoteles
-ist für ihn der vollkommenste Mensch, der größte Denker, der im Besitze einer unfehlbaren
-Wahrheit gewesen. Neue Entdeckungen der Astronomie und der Physik könnten daran nichts
-ändern. Zwar kann man den Aristoteles mißverstehen. Ibn Roschd selbst hat manches,
-was er den Schriften Farabis und Ibn Sinas entnommen, später anders und besser verstehen
-gelernt. Doch lebt er immer des Glaubens, dass der richtig verstandene Aristoteles
-mit der höchsten uns Menschen erreichbaren Wissenschaft übereinstimmen werde. Im ewigen
-Kreislaufe des Weltgeschehens hat Aristoteles eine Höhe erreicht, über die hinauszugelangen
-nicht möglich ist. Denen, die nach Aristoteles gekommen sind, hat es oft viel Mühe
-und Nachdenken gekostet, sich die Einsichten zu erschließen, die sich dem ersten Meister
-leicht eröffneten. Nach und nach aber werden alle Zweifel und Gegenreden verstummen,
-denn Aristoteles ist ein Übermensch, gleichsam von der Vorsehung dazu bestimmt, zu
-zeigen, wie weit das menschliche Geschlecht es in seiner Annäherung an den Weltgeist
-bringen kann. Als die höchste Inkarnation des Geistes der Menschheit möchte Ibn Roschd
-seinen Meister den göttlichen nennen.
-</p>
-<p>Es wird sich im folgenden zeigen, dass die maßlose Bewunderung für Aristoteles zu
-einer reinen Erfassung seiner Gedanken auch bei Ibn Roschd nicht ausreichte. Den Ibn
-Sina zu bekämpfen, lässt er keine Gelegenheit vorbeigehen. Mit Farabi und Ibn Baddscha,
-denen er vieles verdankt, setzt er sich auch gelegentlich auseinander. Er meistert
-alle seine Vorgänger, weit schlimmer als Aristoteles es seinen Lehrer Platon gethan.
-Und dennoch ist er selbst nicht hinausgekommen, bei weitem nicht, über die Auffassung
-neuplatonischer Ausleger und die <span class="corr" id="xd31e2993" title="Quelle: Mißverständnisse">Missverständnisse</span> syrischer und arabischer Übersetzer. Öfter <span class="pageNum" id="pb168">[<a href="#pb168">168</a>]</span>folgt er sogar dem oberflächlichen Themistius entgegen dem verständigen Alexander
-von Aphrodisias, oder sucht ihre Ansichten zu kombinieren.
-</p>
-<p id="ch6.4.3"><b>3.</b> Ibn Roschd ist vor allem ein Fanatiker der aristotelischen Logik. Ohne sie wird man
-nicht selig und es ist schade für Platon und Sokrates, dass sie nicht davon wussten!
-Die Glückseligkeit der Menschen bemisst sich nach der Stufe ihrer logischen Einsichten.
-Mit kritischem Blicke erkennt er Porphyrs Isagoge als entbehrlich, aber Rhetorik und
-Poetik rechnet er noch zum logischen Organon. Da gibt es denn die wunderlichsten Missverständnisse.
-Tragödie und Komödie <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> werden zu Lob- und Schmähgedichten, die poetische Wahrscheinlichkeit muss es sich
-gefallen lassen, entweder demonstrierbare Wahrheit oder trügerischen Schein zu bedeuten,
-die Erkennung auf der Bühne wird zur apodeiktischen Erkenntnis <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> Von der griechischen Welt hat er natürlich überhaupt keine Anschauung. Es ist verzeihlich,
-denn er konnte keine Ahnung davon haben. Dennoch verzeiht man nicht gerne dem, der
-andere geschulmeistert.
-</p>
-<p>Wie seine Vorgänger legt Ibn Roschd besonderen Nachdruck auf das Sprachliche, soweit
-es allen Sprachen gemeinsam. Dieses Gemeinsame, das Universelle also, hat Aristoteles,
-meint er, in seiner Hermeneutik, aber auch in der Rhetorik, immer vor Augen. So soll
-es auch der arabische Philosoph halten, nur darf er die Beispiele zur Erläuterung
-der allgemeinen Regeln der arabischen Sprache und Litteratur entnehmen. Um die allgemeinen
-Regeln aber ist es zu thun, Wissenschaft ist Erkenntnis des Allgemeinen.
-</p>
-<p>Die Logik ebnet dazu die Wege, dass unser Wissen aus sinnlicher Besonderheit zur reinen
-Vernunftwahrheit aufsteige. Die Menge wird immer im Sinnlichen leben, im Irrtum herumtappen.
-Mangelhafte Anlage und wenig Ausbildung, dazu schlechte Gewöhnung halten sie vom Fortschritt
-zurück. Doch muss es einigen möglich sein, zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen.
-Der Adler <span class="pageNum" id="pb169">[<a href="#pb169">169</a>]</span>schaut der Sonne ins Gesicht, denn, wenn keiner sie anschauen könnte, so hätte die
-Natur etwas vergebens gemacht. Was da glänzt, soll gesehen, was da ist, soll erkannt
-werden, wenn auch nur von einem einzigen Manne. Und die Wahrheit ist. Die Liebe zu
-ihr in unserer Brust wäre ganz vergebens, wenn wir uns ihr nicht nähern könnten. Ibn
-Roschd glaubt, in vielen Dingen die Wahrheit zu erkennen, ja die absolute Wahrheit
-auffinden zu können. Mit Lessing hätte er sich nicht bescheiden mögen, sie zu suchen.
-</p>
-<p>Die Wahrheit ist ihm ja in Aristoteles gegeben. Von diesem Standpunkte blickt er auf
-die muslimische Theologie herab. Zwar erkennt er in der Religion eine Wahrheit eigener
-Art (<abbr title="siehe">s.</abbr> unten <a href="#ch6.4.7">§ 7</a>), aber die Theologie ist ihm zuwider. Sie will beweisen, was, auf diese Weise, nicht
-bewiesen werden kann. Die Offenbarung im Koran, so lehrt Ibn Roschd mit anderen, später
-ähnlich Spinoza, hat nicht den Zweck, die Menschen zu belehren, sondern sie zu bessern.
-Nicht Wissen, sondern Gehorsam oder Sittlichkeit ist das Ziel des Gesetzgebers, der
-weiß, dass menschliches Glück nur in der Gesellschaft zu verwirklichen ist.
-</p>
-<p id="ch6.4.4"><b>4.</b> Was Ibn Roschd von seinen Vorgängern, namentlich von Ibn Sina, unterscheidet, ist
-vor allem die unzweideutige Art und Weise, in der er die Welt als ewigen Prozess des
-Werdens auffasst. Die Welt als ganzes ist eine ewig-notwendige Einheit, ohne irgendwelche
-Möglichkeit des Nicht- oder Andersseins. Materie und Form sind nur im Gedanken zu
-trennen. Die Formen wandern nicht wie Gespenster durch die dunkle Materie, sondern
-sind keimartig in dieser enthalten. Wie Naturkräfte wirken die materiellen Formen,
-ewig fortzeugend, nie von der Materie getrennt, aber dennoch göttlich zu nennen. Absolutes
-Entstehen und Vergehen gibt es nicht, denn alles Geschehen ist Übergang von der Potenzialität
-zur Aktualität und von der Aktualität in die Potenzialität zurück. Dabei wird gleichartiges
-immer nur von gleichartigem erzeugt.
-<span class="pageNum" id="pb170">[<a href="#pb170">170</a>]</span></p>
-<p>Es gibt aber eine Stufenordnung des Seienden. Die materielle oder substanzielle Form
-steht in der Mitte zwischen bloßem Accidens und reiner (separater) Form. Auch die
-substanziellen Formen zeigen graduelle Verschiedenheiten, Mittelzustände zwischen
-Potenzialität und Aktualität. Und endlich das ganze System der Formen, von der niedersten
-hylischen Form bis zum göttlichen Wesen, der Urform des Alls, ist ein geschlossener
-Stufenbau.
-</p>
-<p>Der ewige Prozess des Werdens innerhalb der gegebenen Ordnung setzt nun eine ewige
-Bewegung voraus, und diese ein ewig Bewegendes. Wenn die Welt entstanden wäre, so
-könnte man von ihr nur schließen auf eine andere, ebenfalls entstandene Körperwelt,
-die sie erzeugt hätte, ins Unendliche. Wenn sie ein Mögliches wäre, nur auf ein Mögliches,
-daraus sie geworden, und so in infinitum. Nur die Annahme einer einheitlich ewig-notwendig
-bewegten Welt gewährt uns nach Ibn Roschd die Möglichkeit, auf ein ewig bewegendes,
-von der Welt getrenntes Wesen zu schließen, das, indem es immerfort die Bewegung und
-schöne Ordnung des Alls bewirkt, Urheber der Welt genannt werden darf, und das in
-den Geistern, welche die Sphären bewegen — denn jede besondere Bewegung erfordert
-ihr besonderes Prinzip —, die Vermittler seiner Thätigkeit hat.
-</p>
-<p>Das Wesen des ersten Bewegenden oder Gottes, sowie der Sphärengeister, findet Ibn
-Roschd im Denken, in dem ihm die Einheit des Seins gegeben ist. Das mit seinem Gegenstande
-identische Denken ist die einzige positive Bestimmung des göttlichen Wesens, womit
-dann Sein und Einheit absolut zusammenfallen. Sein und Einheit kommen nämlich nicht
-zum Wesen hinzu, sondern sind, wie alle Universalien, nur im Denken gegeben. Das Denken
-bringt überall das Allgemeine im Besonderen hervor. Zwar ist das Universale als Natur
-in den Dingen wirksam, aber das Universale als solches ist nur im Verstande. Oder
-der Möglichkeit nach ist es in den Dingen, wirklich aber im <span class="pageNum" id="pb171">[<a href="#pb171">171</a>]</span>Verstande, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> im Verstande hat es mehr Sein, eine höhere Art zu existieren als in den Dingen.
-</p>
-<p>Fragt man nun, ob das göttliche Denken auch das Besondere, oder nur das Allgemeine
-umfasse, so antwortet Ibn Roschd: keins von beidem, denn über beides ist das göttliche
-Wesen hinaus. Sein Denken bewirkt das All, umfasst das All. Gott ist das Prinzip,
-die Urform und der Endzweck aller Dinge. Er ist die Weltordnung, die Versöhnung aller
-Gegensätze, das All selbst in seiner höchsten Existenzweise. Dass von einer göttlichen
-Vorsehung im gewöhnlichen Sinne also nicht geredet werden könne, ergibt sich daraus
-von selbst.
-</p>
-<p id="ch6.4.5"><b>5.</b> Zwei Arten des Seienden kennen wir: ein bewegtes und ein bewegendes, selbst aber
-unbewegtes, oder ein körperliches und ein geistiges. Im Geistigen aber liegt die höhere
-Einheit oder Vollendung alles Seienden in stufenmäßiger Ordnung. Es ist also keine
-abstrakte Einheit. Die Sphärengeister sind, je ferner sie dem ersten stehen, um so
-weniger einfach. Alle erkennen sich selbst, aber in ihrem Wissen ist auch die Beziehung
-auf die erste Ursache. Daraus ergibt sich eine Art Parallelismus zwischen dem Körperlichen
-und dem Geistigen. Der Zusammensetzung des Körperlichen aus Materie und Form entspricht
-etwas in den niederen Geistern. Was dem rein Geistigen beigemischt, ist zwar keine
-Materie, die etwas erleiden könnte, aber doch etwas der Materie ähnliches, das ein
-anderes in sich aufzunehmen vermag. Sonst ließe sich mit der Einheit des auffassenden
-Geistes die Vielheit der Intelligibilia nicht in Übereinstimmung bringen.
-</p>
-<p>Die Materie erleidet, der Geist aber empfängt. Hauptsächlich mit Rücksicht auf den
-menschlichen Geist hat Ibn Roschd diesen fein unterscheidenden Parallelismus eingeführt.
-</p>
-<p id="ch6.4.6"><b>6.</b> Dass die menschliche Seele sich zu ihrem Körper verhalte, wie die Form zur Materie,
-steht dem Ibn Roschd fest. Es ist ihm völlig ernst damit. Die Theorie vieler <span class="pageNum" id="pb172">[<a href="#pb172">172</a>]</span>unsterblicher Seelen weist er, Ibn Sina bekämpfend, ganz bestimmt zurück. Nur als
-Vollkommenheit ihres Leibes hat die Seele einen Bestand.
-</p>
-<p>Was die empirische Psychologie betrifft, ist er ängstlich bestrebt, sich an Aristoteles,
-gegen Galen <abbr title="unter andere">u. a.</abbr>, zu halten. Aber in der Lehre vom Nus entfernt er sich, ohne dass er sich dessen
-bewusst wäre, nicht unbeträchtlich von seinem Meister. Eigentümlich, von neuplatonischen
-Anschauungen ausgehend, ist seine Auffassung der materiellen Vernunft. Sie ist nicht
-bloß eine Anlage oder eine Fähigkeit der menschlichen Seele. Sie ist auch nicht gleichbedeutend
-mit dem sinnlich-geistigen Vorstellungsleben, sondern sie ist etwas Überseelisches,
-Überindividuelles. Die materielle Vernunft ist ewiger, unvergänglicher Geist, ebenso
-ewig und unvergänglich wie die reine Vernunft oder der thätige Geist über uns. Es
-ist die Verselbständigung der Materie im Bereiche des Körperlichen, die hier von Ibn
-Roschd, freilich mit Anschluss an Themistius <abbr title="unter andere">u. a.</abbr>, auf das Gebiet des Geistigen übertragen wird.
-</p>
-<p>Die materielle Vernunft ist also ewige Substanz. Die Anlage aber oder die Fähigkeit
-des menschlichen Individuums zu geistiger Erkenntnis nennt Ibn Roschd leidende Vernunft.
-Diese entsteht und vergeht mit den Individuen, während die materielle Vernunft ewig
-ist, wie die Gattung der Menschheit.
-</p>
-<p>Nun bleibt aber, wie nicht anders möglich, das Verhältnis zwischen dem thätigen und
-dem empfangenden Geiste (so sagen wir jetzt für materielle Vernunft) etwas dunkel.
-Der thätige Geist macht die Vorstellungen der menschlichen Seele intelligibel, der
-empfangende Geist nimmt sie in sich auf. Das Seelenleben der menschlichen Individuen
-ist also der Ort, wo das mystische Liebespaar sich trifft. Und die Örter sind sehr
-verschieden. Von der ganzen seelischen Anlage des Menschen und von der Disposition
-seiner Vorstellungen hängt es ab, in welchem Grade der thätige Geist dieselben zur
-Intelligibilität erheben <span class="pageNum" id="pb173">[<a href="#pb173">173</a>]</span>kann, inwiefern der empfangende Geist sie zu seinem Inhalte zu machen im Stande ist.
-Dadurch erklärt es sich, dass die Menschen nicht alle auf derselben Stufe geistigen
-Erkennens stehen. Aber die Summe geistiger Erkenntnis in der Welt ändert sich nicht,
-wenn auch ihre Verteilung an die einzelnen Schwankungen unterliegt. Mit Naturnotwendigkeit
-ersteht immer wieder der Philosoph, sei es Aristoteles oder Ibn Roschd, in dessen
-Kopf das Seiende zum Begriff wird. Zwar sind die Gedanken der Individuen zeitlich
-und ist der empfangende Geist, insofern der einzelne an ihm teil hat, veränderlich,
-aber als menschliche Gattungsvernunft betrachtet, ist dieser Geist ewig unveränderlich,
-wie der thätige Geist aus der letzten Sphäre über uns.
-</p>
-<p id="ch6.4.7"><b>7.</b> Im ganzen sind es drei große Ketzereien, die das System des Ibn Roschd in Widerspruch
-setzen zu der Theologie der drei Weltreligionen seiner Zeit. Erstens die Ewigkeit
-der Körperwelt und der sie bewegenden Geister, zweitens der notwendige Kausalnexus
-alles Weltgeschehens, sodass für Vorsehung, Wunder und dergleichen kein Platz bleibt,
-und drittens die Vergänglichkeit alles Individuellen, womit auch die individuelle
-Unsterblichkeit aufgehoben ist.
-</p>
-<p>Logisch betrachtet scheint die Annahme einer Anzahl selbständiger Sphärengeister unter
-Gott keinen genügenden Grund zu besitzen. Aber Ibn Roschd hilft sich hier, wie seine
-Vorgänger, über den Widerspruch hinweg mit der Behauptung, jene Sphärengeister seien
-nicht individuell, sondern nur der Art nach verschieden. Ihr Zweck war ja nur, so
-lange die Einheit des Weltsystems nicht erkannt war, die verschiedenen Bewegungen
-zu erklären. Nachdem das ptolemäische Weltsystem gefallen und diese vermittelnden
-Geister überflüssig wurden, identifizierte man den thätigen Geist mit Gott, wie es
-übrigens auch schon früher von spekulativer und religiöser Seite versucht war. Ein
-Schritt weiter war es nur, auch den ewigen Geist der Menschheit mit Gott zu identifizieren.
-Keins von beiden <span class="pageNum" id="pb174">[<a href="#pb174">174</a>]</span>hat Ibn Roschd gethan, wenigstens nicht nach dem Wortlaute seiner Schriften. Aber
-in seinem Systeme war, bei konsequenter Durchführung, die Möglichkeit dazu gegeben,
-wie zu einer pantheistischen Weltanschauung überhaupt. Andererseits konnte sich leicht
-der Materialismus, wie entschieden ihn auch unser Philosoph bekämpfte, daran lehnen.
-Denn wo die Ewigkeit, Form und Wirksamkeit alles Materiellen so stark betont wird,
-wie von ihm geschah, da mag der Geist noch König heißen, aber, wie es scheinen könnte,
-nur von des Stoffes Gnaden.
-</p>
-<p>Jedenfalls ist Ibn Roschd ein kühner und folgerichtiger, wenn auch kein origineller
-Denker zu nennen. Die theoretische Philosophie genügte ihm, doch schuldete er es seiner
-Zeit und seiner Stellung, sich mit der Religion und der Praxis abzufinden. Wir können
-uns darüber kurz fassen.
-</p>
-<p id="ch6.4.8"><b>8.</b> Ibn Roschd findet oft Gelegenheit, gegen die ungebildeten Herrscher und die bildungsfeindlichen
-Theologen seiner Zeit sich zu äußern. Doch bleibt ihm das Leben im Staate immer der
-Einsamkeit vorzuziehen. Auch seinen Gegnern dankt er — das ist ein erfreulicher Charakterzug
-— für manche Belehrung. Die Einsamkeit, meint er, bringe keine Künste und Wissenschaften
-hervor, höchstens könne man in ihr das Erworbene genießen und es vielleicht um ein
-weniges vermehren. Zum Wohle des Ganzen aber soll jeder beitragen, auch die Frauen
-sollen wie die Männer der Gesellschaft und dem Staate dienen. Hier schließt Ibn Roschd
-sich dem Platon an (die Politik des Aristoteles hat er nicht gekannt) und bemerkt
-ganz vernünftig, viel Armut und Elend seiner Zeit rühre daher, dass man sich die Weiber
-nur zu einem außerdem sehr fraglichen Vergnügen wie Haustiere oder Pflanzen halte,
-statt sie an der materiellen und geistigen Güterproduktion und der Hütung dieser Güter
-teilnehmen zu lassen.
-</p>
-<p>In der Ethik tadelt unser Philosoph sehr scharf die Doktrin der Rechtslehrer, dass
-etwas nur gut oder böse <span class="pageNum" id="pb175">[<a href="#pb175">175</a>]</span>sei, weil Gott es so gewollt. Alles hat vielmehr von Natur oder vernunftgemäss seinen
-sittlichen Charakter. Die von vernünftiger Einsicht bestimmte Handlung ist sittlich.
-Freilich ist es nicht die Einzelvernunft, sondern die Staatsraison, an die in letzter
-Instanz zu appellieren ist.
-</p>
-<p>Von staatsmännischem Gesichtspunkte aus betrachtet Ibn Roschd auch die Religion. Er
-würdigt sie ihres moralischen Zweckes wegen. Sie ist Gesetz, keine Lehre. Deshalb
-bekämpft er fortwährend die Theologen, die statt gläubig zu gehorchen begreifen wollen.
-Er macht es Gazali zum Vorwurf, dass dieser der Philosophie Einfluss auf seine Religionslehre
-auszuüben gestattet und dadurch viele zum Zweifel und Unglauben veranlasst hat. Das
-Volk soll glauben, so wie es im Buche steht. Das ist Wahrheit, freilich eine Wahrheit
-für große Kinder, denen man Märchen erzählt. Was darüber hinaus, ist vom Übel. Für
-die Existenz Gottes <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> hat der Koran zwei jedem einleuchtende Beweise: die göttliche Fürsorge für alles,
-besonders für den Menschen, und die Erschaffung des Lebens in Pflanzen, Tieren <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> Daran ist nicht zu rütteln, am Wortlaute der Offenbarung nicht theologisch herumzudeuteln.
-Denn die Beweise, welche die Theologen für das Dasein Gottes beibringen, halten einer
-wissenschaftlichen Kritik nicht Stand, ebensowenig wie der aus dem Begriffe des Möglichen
-und Notwendigen bei Farabi und Ibn Sina. Das alles führt zu Atheismus und Libertinismus.
-Im Interesse der Sittlichkeit, des Staates also, ist die halbe Theologie zu bekämpfen.
-</p>
-<p>Dagegen dürfen die wissenden Philosophen das Wort Gottes im Koran deuten. Im Lichte
-höchster Wahrheit verstehen sie, was damit bezweckt ist. Und dem gemeinen Manne sagen
-sie davon nur so viel, wie er eben aufzufassen im Stande ist. Auf diese Weise kommt
-die schönste Harmonie heraus. Religionsgesetz und Philosophie stimmen mit einander
-überein, eben weil sie nicht dasselbe wollen. Wie Praxis und Theorie verhalten sie
-sich. Indem der <span class="pageNum" id="pb176">[<a href="#pb176">176</a>]</span>Philosoph die Religion begreift, lässt er sie in ihrem Bereiche gelten, sodass die
-Philosophie gar nicht wider die Religion verstößt. Die Philosophie aber ist die höchste
-Form der Wahrheit, zugleich auch die erhabenste Religion. Die Religion des Philosophen
-nämlich ist die Erkenntnis alles dessen, was ist.
-</p>
-<p>Aber irreligiös erscheint diese Ansicht doch, und eine positive Religion kann es sich
-nicht gefallen lassen, im Reiche der Wahrheit die führende Stellung der Philosophie
-anzuerkennen. Nur natürlich war es, dass die Theologen des Westens, ähnlich ihren
-orientalischen Brüdern, die Gunst der Verhältnisse ausnutzten und nicht ruhten, bis
-sie die Herrin zur Magd der Theologie erniedrigt hatten.
-<span class="pageNum" id="pb177">[<a href="#pb177">177</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div class="footnotes">
-<hr class="fnsep">
-<div class="footnote-body">
-<div id="xd31e2878">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e2878src">1</a></span> <abbr title="Vergleiche">Vgl.</abbr> hierzu Munk, Mélanges, p. 389–409.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e2878src" title="Zurück zur Note 1 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div id="ch7" class="div1 chapter"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e869">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main"><span class="divNum">VII.</span> Zum Schluss.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<div id="ch7.1" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e877">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">1.</span> Ibn Chaldun.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch7.1.1" class="first"><b>1.</b> Die Philosophie des Ibn Roschd und seine Erklärung des Aristoteles hat auf die muslimische
-Welt äußerst wenig gewirkt. Viele seiner Schriften sind im Original verloren gegangen,
-wir haben sie in hebräischen und lateinischen Übersetzungen. Schüler und Nachfolger
-hat er nicht gefunden. In abgelegenen Winkeln fand sich wohl mancher Freigeist oder
-Mystiker, in dessen Kopf es wunderlich genug aussah, um sich ernstlich mit philosophischen
-Fragen theoretischer Art abzumühen, aber auf die allgemeine Bildung und die Gestaltung
-der Verhältnisse zu wirken, wurde der Philosophie nicht verstattet. Vor den siegreichen
-Waffen der Christen zog die materielle und damit auch die geistige Kultur der Muslime
-sich immer weiter zurück. Spanien ward Afrika, wo der Berber herrschte. Die Zeit war
-ernst, es handelte sich um die Existenz des Islam in diesen Ländern. Zum Kampfe gegen
-den Feind, aber auch gegen einander, rüsteten sich die Männer, und zu mystischen Übungen
-schlossen sich überall die frommen Brüder zusammen. In den sufischen Orden dieser
-Leute retteten sich wenigstens noch einige philosophische Formeln. Als gegen die Mitte
-des dreizehnten Jahrhunderts Kaiser Friedrich II. den muslimischen Gelehrten von Ceuta
-eine Anzahl philosophischer Fragen vorlegte, beauftragte der Almohade Abdalwahid den
-Ibn Sabin, Stifter eines mystischen Ordens, damit, sie zu beantworten. Er that es.
-In schulmeisterlichem Tone leiert er die Ansichten alter und neuer Philosophen ab.
-Das <span class="pageNum" id="pb178">[<a href="#pb178">178</a>]</span>sufische Geheimnis, Gott sei die Realität aller Dinge, lässt er durchblicken. Das
-einzige aber, was wir aus seinen Antworten lernen können, ist, dass Ibn Sabin Bücher
-gelesen, von denen, wie er glaubt, Kaiser Friedrich keine blasse Ahnung hatte.
-</p>
-<p id="ch7.1.2"><b>2.</b> In kleinen Staatengebilden, auf- und abwogend, trieb die muslimische Kultur des Westens
-dahin. Bevor sie jedoch ganz verschwand, fand sich der Mann, der das Gesetz ihrer
-Bildung aufzufinden versuchte, und damit eine neue philosophische Disziplin, die Philosophie
-der Gesellschaft oder der Geschichte, zu begründen glaubte. Dieser merkwürdige Mensch
-ist Ibn Chaldun, im Jahre 1332 aus sevillanischer Familie zu Tunis geboren. Dort erhielt
-er auch seine Erziehung und wurde dann, teilweise von einem im Orient ausgebildeten
-Lehrer, philosophisch geschult. Nach dem Studium aller bekannten Wissenschaften war
-er bald im Staatsdienste, bald auf Reisen, aber überall ein guter Beobachter. Verschiedenen
-Fürsten diente er als Sekretär, auch war er Gesandter an mehreren Höfen in Spanien
-und Afrika. So war er am christlichen Hofe Peters des Grausamen in Sevilla. Auch ist
-er bei Tamerlan in Damaskus gewesen. Eine reiche Welterfahrung hatte er sich also
-zu eigen gemacht, als er im Jahre 1406 zu Kairo starb.
-</p>
-<p>Als Charakter ist er vielleicht nicht hoch zu stellen. Man wird aber dem Manne, der
-mehr als andere seiner Zeit für die Wissenschaft gelebt, etwas Eitelkeit, Dilettantismus
-und dergleichen gerne verzeihen.
-</p>
-<p id="ch7.1.3"><b>3.</b> Die Schulphilosophie, wie Ibn Chaldun sie kennen lernte, befriedigte ihn nicht. In
-ihren fertigen Rahmen passte sein Weltbild nicht hinein. Wenn er etwas mehr zum Theoretisieren
-aufgelegt gewesen wäre, hätte er wohl einen Nominalismus ausgebildet. Die Philosophen
-behaupten, alles zu wissen. Ihm aber erscheint das Universum zu groß, als dass es
-von unserem Verstande begriffen werden könne. Es gibt der Wesen und der Dinge <span class="pageNum" id="pb179">[<a href="#pb179">179</a>]</span>mehr, unendlich viel mehr, als der Mensch wissen kann. “Gott schafft, was ihr nicht
-wisset”. Die logischen Deduktionen wollen oft nicht stimmen zu der empirischen Natur
-der Einzeldinge, die nur durch Beobachtung erkannt wird. Es ist Einbildung, durch
-bloße Anwendung logischer Regeln zur Wahrheit gelangen zu können. Nachdenken über
-das erfahrungsmäßig Gegebene ist demnach die Aufgabe des wissenschaftlichen Mannes.
-Und nicht darf er sich mit seiner Einzelerfahrung begnügen, sondern mit kritischer
-Sorgfalt hat er die Summe der gesamten überlieferten Erfahrung der Menschheit zu ziehen.
-</p>
-<p>Von Natur ist die Seele ohne Wissen. Aber von Natur hat sie auch das Vermögen, nachzudenken,
-die gegebene Erfahrung zu bearbeiten. Beim Nachdenken springt, wie durch Inspiration,
-oft der richtige Mittelbegriff hervor, mittelst dessen die gewonnene Einsicht dann
-nach den Regeln formaler Logik zurechtgelegt werden mag. Die Logik bringt keine Erkenntnis
-hervor, sondern beschreibt nur den Weg unseres Nachdenkens, zeigt, wie wir zum Wissen
-kommen, und hat insofern auch einen Wert, dass sie uns vor Irrtümern hüten und den
-Geist schärfen und zu Genauigkeit im Denken anhalten kann. Sie ist folglich eine Hilfswissenschaft,
-die von einigen Befähigten, dazu Berufenen, auch ihrer selbst wegen gepflegt werden
-soll, jedoch nicht die grundlegende Bedeutung besitzt, die ihr von den Philosophen
-beigelegt wird. Den Weg des Nachdenkens, den sie beschreibt, geht das wissenschaftliche
-Talent in irgend einer Einzelwissenschaft auch zur Not ohne sie.
-</p>
-<p>Ibn Chaldun ist ein nüchterner Denker. Alchemie und Astrologie bekämpft er mit vernünftigen
-Gründen. Dem mystischen Rationalismus der Philosophen hält er öfter die einfachen
-Lehren seiner Religion entgegen, sei es mit persönlicher Überzeugung oder nur aus
-politischer Rücksicht. Aber auf seine wissenschaftlichen Ansichten übt die Religion
-keinen größeren Einfluss als der neuplatonische <span class="pageNum" id="pb180">[<a href="#pb180">180</a>]</span>Aristotelismus. Platons Staat, die pythagoreisch-platonische Philosophie, aber ohne
-ihre wundersüchtigen Auswüchse, und die Geschichtswerke seiner orientalischen Vorgänger,
-namentlich des Masudi, haben auf die Ausbildung seiner Gedanken am meisten gewirkt.
-</p>
-<p id="ch7.1.4"><b>4.</b> Mit dem Anspruch, eine neue philosophische Disziplin zu begründen, von der Aristoteles
-keine Ahnung hatte, tritt Ibn Chaldun auf. Philosophie ist die Wissenschaft dessen,
-was ist, aus seinen Ursachen oder Gründen entwickelt. Aber dem entspricht nicht, was
-die Philosophen über die hohe Geisterwelt und Gottes Wesen vorbringen: Unbeweisbares
-reden sie darüber. Viel besser kennen wir unsere Menschenwelt, und davon lässt sich
-durch Beobachtung und innere Seelenerfahrung etwas Sicheres aussagen. Hier lassen
-sich die Thatsachen nachweisen und ihre Ursachen herausfinden. Insofern nun letzteres
-auch in der Geschichte gelingt, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> sofern die geschichtlichen Ereignisse auf ihre Ursachen zurückgeführt und historische
-Gesetze aufgefunden werden können, ist die Geschichte wirklich Wissenschaft und ein
-Teil der Philosophie zu nennen. So tritt der Begriff der Geschichte als Wissenschaft
-rein heraus. Mit Neugierde, Eitelkeit, gemeinem Nutzen, erbaulicher Wirkung <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> hat sie nichts zu schaffen. Sie soll, wenn auch im Dienste höherer Lebenszwecke,
-nichts anderes als Thatsachen feststellen und deren kausale Verknüpfung auszumitteln
-suchen. Kritisch, ohne Vorurteil. Als oberstes methodologisches Prinzip gilt dabei,
-dass die Ursache der Wirkung entspricht, <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> dass gleiche Erscheinungen auch dieselben Bedingungen voraussetzen oder dass unter
-denselben Kulturverhältnissen auch die nämlichen Vorgänge sich ereignen werden. Da
-nun mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Natur der Menschen und der Gesellschaft
-im Laufe der Zeit sich nicht oder nicht bedeutend ändert, so ist ferner ein lebensvolles
-Verständnis der Gegenwart das beste Mittel zur Erforschung der Vergangenheit, indem
-das <span class="pageNum" id="pb181">[<a href="#pb181">181</a>]</span>nächste, vollständig Bekannte uns Rückschlüsse gestattet auf die weniger gut bekannten
-Ereignisse früherer Zeit, ja sogar einen Ausblick auf die Zukunft verheißt. In jedem
-Falle ist also die Überlieferung an der Gegenwart zu prüfen, und wenn sie uns Dinge
-erzählt, die jetzt unmöglich sind, so ist schon deshalb ihre Wahrheit zu bezweifeln.
-Vergangenheit und Gegenwart sind einander wie zwei Tropfen Wasser gleich.
-</p>
-<p>Das könnte, absolut gefasst, auch Ibn Roschd gesagt haben. Nach Ibn Chaldun gilt das
-aber nur ganz allgemein als heuristisches Prinzip. Im einzelnen erleidet es manche
-Einschränkung, ist jedenfalls aus den Thatsachen selbst zu begründen.
-</p>
-<p id="ch7.1.5"><b>5.</b> Was ist nun der Gegenstand der Geschichte als philosophischer Disziplin? Es ist,
-antwortet Ibn Chaldun, das soziale Leben, die gesamte materielle und geistige Kultur
-der Gesellschaft. Die Geschichte hat zu zeigen, wie die Menschen arbeiten und sich
-ernähren, warum sie sich streiten und unter einzelnen Führern zu größeren Verbänden
-zusammenschließen, wie sie endlich im sesshaften Leben Muße finden zur Pflege höherer
-Künste und Wissenschaften, wie also aus rohen Anfängen nach und nach eine feinere
-Kultur aufblüht, und wie diese dann wieder hinstirbt.
-</p>
-<p>Die sich ablösenden Gesellschaftsformen sind, nach Ibn Chaldun, Nomadentum, Dynastie
-und Stadtstaat. Die erste Frage ist die Nahrungsfrage. Nach dem Stande ihrer Wirtschaft
-(Nomaden, sesshafte Viehzüchter, Ackerbauer) unterscheiden sich die Menschen und die
-Völker. Bedürfnis führt zu Raub und Krieg und zur Unterwerfung unter den führenden
-Herrscher. So entwickelt sich eine Dynastie und diese gründet sich eine Stadt, wo
-die Arbeitsteilung oder die gegenseitige Hilfeleistung Wohlstand hervorbringt. Aber
-dieser Wohlstand führt zu unnatürlichem Müßiggange und Üppigkeit. Arbeit hat an erster
-Stelle den Wohlstand erzeugt, aber jetzt, auf der höchsten Kulturstufe, <span class="pageNum" id="pb182">[<a href="#pb182">182</a>]</span>lässt man andere für sich arbeiten. Oft ohne Gegenleistung, denn Ansehen, oder auch
-Servilität nach oben, Erpressung nach unten, verschaffen Wohlstand. Man wird aber
-dabei von anderen abhängig. Die Bedürfnisse werden immer größer, die Steuern immer
-drückender. Die reichen Verschwender und Steuerzahler werden arm und ihr unnatürliches
-Leben macht sie krank und elend.<a class="noteRef" id="xd31e3140src" href="#xd31e3140">1</a> Die alten Kriegersitten haben sich verfeinert, sodass man sich nicht mehr verteidigen
-kann. Das Band des Gemeinsinnes oder der Religion, womit früher die Not und der Wille
-des Herrschers die einzelnen zusammenknüpfte, erschlafft, denn die Städter sind nicht
-fromm. So ist alles in innerer Auflösung begriffen. Und da erscheint ein neuer, kräftiger
-Nomadenstamm aus der Wüste, oder ein weniger überbildetes Volk mit einem festeren
-Gemeinsinne und fällt über die verweichlichte Stadt her. Dann bildet sich ein neuer
-Staat, der sich die materiellen und geistigen Güter der alten Kultur aneignet, und
-dieselbe Geschichte wiederholt sich. Es ergeht den Staaten und den größeren Verbänden
-wie einzelnen Familien: in drei bis sechs Generationen vollendet sich ihre Geschichte.
-Die erste Generation gründet, die zweite erhält, vielleicht auch die dritte <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr>, die letzte zerstört. Das ist der Kreislauf aller Civilisation.
-</p>
-<p id="ch7.1.6"><b>6.</b> Nach August Müller stimmt die Theorie Ibn Chalduns zu der Geschichte Spaniens, Westafrikas
-und Siziliens vom 11. bis 15. Jahrhundert, deren Beobachtung sie auch entnommen ist.
-Freilich ist sein eigenes Geschichtswerk eine Kompilation. Im einzelnen fehlt er oft,
-wenn er mit seiner Theorie die Überlieferung meistert. Aber in seiner philosophischen
-Einleitung findet sich eine Fülle feiner psychologischer und politischer Bemerkungen
-und als ganzes ist sie eine großartige Leistung. Das <span class="pageNum" id="pb183">[<a href="#pb183">183</a>]</span>Altertum hat sich mit dem Problem der Geschichte nicht eingehend befasst. Große Kunstwerke
-der Geschichtschreibung hat es uns hinterlassen, aber keine philosophische Begründung
-der Geschichte als Wissenschaft. Dass die Menschheit es, obgleich von Ewigkeit her
-bestehend, nicht längst zu viel höherer Kultur gebracht hatte, wurde aus elementaren
-Ereignissen, Erdbeben, Wasserfluten <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> erklärt. Dagegen fasste die christliche Philosophie die Geschichte mit ihren Wandlungen
-als die Verwirklichung oder Vorbereitung des Gottesstaates auf Erden. Ibn Chaldun
-hat nun zuerst ganz bewusst und in ausführlich begründeter Darstellung den Versuch
-gemacht, die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft aus den nächsten Ursachen abzuleiten.
-Die Verhältnisse der Rasse, des Klimas, der Güterproduktion <abbr title="und so weiter">u. s. w.</abbr> werden erörtert und in ihrer Wirkung auf die sinnlich-geistige Konstitution des Menschen
-und der Gesellschaft dargestellt. Im Kreislaufe der Civilisationen findet er eine
-innere Gesetzmäßigkeit. Überall forscht er den natürlichen Ursachen nach, bis zur
-möglichsten Vollständigkeit. Dass die Kette von Ursachen und Folgen in einer letzten
-Ursache zum Abschlusse komme, behauptet er auch zu glauben. Die Reihe kann nicht ins
-Unendliche gehen, und darum schließen wir auf einen Gott. Dieser Schluss aber, so
-heißt es bei ihm, bedeutet eigentlich dies, dass wir nicht im Stande sind, die Ursachen
-aller Dinge und die Art ihres Wirkens zu erkennen, es ist im Grunde ein Geständnis
-unserer Unwissenheit. Das bewusste Nichtwissen ist auch eine Art Wissen. Aber soweit
-es möglich ist, soll man das Wissen verfolgen. Indem Ibn Chaldun seine neue Wissenschaft
-anbahnt, will er nur die Hauptprobleme angedeutet, nur im allgemeinen Methode und
-Gegenstand dieser Wissenschaft angegeben haben. Aber er hofft, dass andere nach ihm
-kommen werden, mit gesundem Verstande und sicherem Wissen seine Untersuchungen weiterzuführen
-und neue Probleme aufzustellen.
-<span class="pageNum" id="pb184">[<a href="#pb184">184</a>]</span></p>
-<p>Die Hoffnung Ibn Chalduns ist in Erfüllung gegangen, aber nicht im Islam. Wie er ohne
-Vorgänger war, blieb er ohne Nachfolger. Doch hat sein Werk im Orient nachhaltig gewirkt.
-Viele muslimische Staatsmänner, die seit dem 15. Jahrhundert so manchen europäischen
-Fürsten und Diplomaten zur Verzweiflung gebracht haben, sind bei unserem Philosophen
-in die Schule gegangen.
-</p>
-</div>
-</div>
-<div id="ch7.2" class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#xd31e906">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main"><span class="divNum">2.</span> Die Araber und die Scholastik.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p id="ch7.2.1" class="first"><b>1.</b> Dem Sieger gehört die Braut. In den Kriegen zwischen Christen und Muslimen, die in
-Spanien geführt wurden, hatten erstere oft die Anziehungskraft maurischer Schönen
-kennen gelernt. Manch christlicher Ritter hatte mit einer Mohrin den “neuntägigen
-Gottesdienst” gefeiert. Aber außer den materiellen Gütern und den sinnlichen Genüssen
-wirkten auch die Reize geistiger Kultur auf die Eroberer. Und so erschien die arabische
-Wissenschaft dem Auge vieler wissensbedürftiger Männer wie eine holde Braut.
-</p>
-<p>Vermittelnd traten da besonders Juden auf. Die Juden hatten alle Wandlungen der muslimischen
-Geisteskultur mitgemacht. Viele haben in der arabischen Sprache geschrieben, andere
-arabische Schriften ins Hebräische übertragen. Manch philosophisches Werk muslimischer
-Autoren verdankt diesem Umstande seine Erhaltung.
-</p>
-<p>Der Schlusspunkt jüdisch-philosophischer Entwicklung war Maimonides (1135–1204), der,
-hauptsächlich unter dem Einflusse Farabis und Ibn Sinas, Aristoteles mit dem Alten
-Testamente zu versöhnen suchte. Teils deutete er die philosophischen Lehren aus dem
-offenbarten Texte heraus, teils ließ er die aristotelische Philosophie auf das Irdische
-sich beschränken, während dasjenige, was drüber ist, aus dem göttlichen Buche erkannt
-werden sollte.
-</p>
-<p>In den muslimischen Staaten zur Zeit ihrer Blüte hatten die Juden sich an der wissenschaftlichen
-Arbeit beteiligt. <span class="pageNum" id="pb185">[<a href="#pb185">185</a>]</span>Sie waren geduldet, auch wohl begünstigt worden. Aber mit dem Zusammenbruch jener
-Staaten, beim Niedergange der Kultur, änderte sich ihre Lage. Von fanatisierten Massen
-vertrieben, flüchteten sie sich in die Christenländer, besonders nach Südfrankreich,
-dort als Kulturvermittler ihre Mission zu erfüllen.
-</p>
-<p id="ch7.2.2"><b>2.</b> An zwei Punkten berührte sich die muslimische mit der christlichen Welt des Abendlandes:
-in Unteritalien und in Spanien. Zu Palermo, am Hofe Kaiser Friedrichs II. wurde die
-arabische Wissenschaft eifrig gepflegt und den Lateinern zugänglich gemacht. Der Kaiser
-und sein Sohn Manfred schickten den Universitäten zu Bologna und Paris Übersetzungen
-philosophischer Schriften, zum Teil aus dem Arabischen, zum Teil aber auch direkt
-aus dem Griechischen.
-</p>
-<p>Viel bedeutender aber und einflussreicher war die Übersetzerthätigkeit in Spanien.
-In dem von den Christen zurückeroberten Toledo befand sich eine reiche arabische Moschee-Bibliothek,
-die als Bildungsstätte weit in die nördlichen Christenländer hinein bekannt wurde.
-Mosaraber und Juden, zum Teil getaufte, arbeiteten dort mit spanischen Christen zusammen.
-Aus allen Ländern fanden sich Mitarbeiter. So wirkten <abbr title="zum Beispiel">z. B.</abbr> als Übersetzer Johannes Hispanus und Gundisalinus (erste Hälfte des 12. Jahrhunderts)<span class="corr" id="xd31e3181" title="Nicht in der Quelle">,</span> Gerard von Cremona (1114–1187), Michel der Schotte und Hermann der Deutsche (zwischen
-1240 und 1246). Über die Thätigkeit dieser Männer sind wir im einzelnen noch nicht
-genügend unterrichtet. Insofern jedem Worte des arabischen Originales oder der hebräischen
-(auch spanischen?) Übersetzung irgend ein lateinisches entspricht, sind ihre Übersetzungen
-treu zu nennen. Durch geistvolles Verständnis zeichnen sie sich im allgemeinen nicht
-aus. Demjenigen, der des Arabischen nicht kundig ist, fällt es schwer, sich da hinein
-zu lesen. Gespensterhaft nehmen sich viele beibehaltene arabische Worte und bis zur
-Unkenntlichkeit verunstaltete Eigennamen aus. Es mag das alles eine schöne Verwirrung
-in den Köpfen lateinischer Philosophieschüler <span class="pageNum" id="pb186">[<a href="#pb186">186</a>]</span>angestiftet haben. Und nicht weniger thaten es die sich neu aufschließenden Gedanken.
-</p>
-<p>Die Übersetzerthätigkeit hält im allgemeinen gleichen Schritt mit dem Interesse christlicher
-Kreise, und dieses hat sich ähnlich entwickelt, wie wir es im östlichen und westlichen
-Islam zu beobachten Gelegenheit hatten (<abbr title="vergleiche">vgl.</abbr> <a href="#ch6.1.2">VI, 1 § 2</a>). Die ersten Übersetzungen sind mathematisch-astrologisch, medizinisch, naturphilosophisch,
-psychologisch, daran sich das logische und metaphysische schließt. Später beschränkt
-man sich mehr auf Aristoteles und seine Kommentare, anfangs aber wird allerhand Wundersüchtiges
-bevorzugt.
-</p>
-<p>Kindi wurde hauptsächlich als Arzt und Astrolog bekannt. Ibn Sina wirkte durch seine
-Medizin, empirische Psychologie und dazu seine Naturphilosophie und Metaphysik. Weniger
-Einfluss übten neben ihm Farabi und Ibn Baddscha aus. Zuletzt kamen die Kommentare
-des Ibn Roschd (Averroes) und ihr Ansehen hat, neben Ibn Sinas Kanon der Medizin,
-am längsten Stand gehalten.
-</p>
-<p id="ch7.2.3"><b>3.</b> Was hat nun die christliche Philosophie des Mittelalters den Muslimen zu verdanken?
-Diese Frage zu beantworten, gehört eigentlich nicht mehr zur Aufgabe dieser Monographie.
-Es ist eine Arbeit für sich, dafür es viele Folianten, von denen ich keinen gelesen,
-zu durchstöbern gibt. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass sich in den Übersetzungen
-aus dem Arabischen dem christlichen Abendlande ein zweifaches <span class="corr" id="xd31e3197" title="Quelle: Neue">Neues</span> aufthat. Erstens bekam man den Aristoteles, sowohl logisch als physisch-metaphysisch,
-vollständiger als man ihn bisher kannte. Doch war dies nur von vorübergehender, zeitweilig
-anregender, Bedeutung, denn bald wurden alle seine Schriften direkt aus dem Griechischen
-viel besser ins Lateinische übersetzt. Das wichtigste aber war, dass man aus den Schriften
-der Araber, namentlich des Ibn Roschd, eine eigentümliche Auffassung der aristotelischen
-Lehren als der höchsten Wahrheit kennen lernte. Dies musste fortwährend zum Widerspruch,
-zum <span class="pageNum" id="pb187">[<a href="#pb187">187</a>]</span>Kompromiss zwischen Theologie und Philosophie, oder gar zur Leugnung des Kirchenglaubens
-Veranlassung geben. Zum Teil anregend, zum Teil zersetzend wirkte so die muslimische
-Philosophie auf die scholastische Entwicklung des kirchlichen Dogmas ein. Denn gleichgültig
-neben einander hergehen, wie das bei muslimischen Denkern wohl vorgekommen, konnten
-im Christentume Philosophie und Theologie noch nicht. Dazu hatte die christliche Dogmatik
-schon in den ersten Jahrhunderten ihrer Ausbildung zu viel griechische Philosophie
-in sich aufgenommen. Sie konnte noch etwas mehr sich assimilieren. Und es war verhältnismäßig
-leichter, über die einfachen Lehren des Islam als über die verwickelten Dogmen des
-Christentums hinauszukommen.
-</p>
-<p>Die christliche Theologie zeigte, als im 12. Jahrhundert der Einfluss der Araber zu
-wirken anfing, einen neuplatonisch-augustinischen Charakter. Bei den Franziskanern
-blieb auch im 13. Jahrhundert dieser Charakter gewahrt. Damit kam nun die pythagoreisch-platonische
-Richtung im muslimischen Denken gut überein. Für Duns Scotus war Ibn Gebirol (Avencebrol,
-<abbr title="siehe">s.</abbr> <a href="#ch6.1.2">VI, 1 § 2</a>) eine erste Autorität. Dagegen nahmen die großen Dominikaner, Albert und Thomas,
-die die Zukunft der kirchlichen Lehre bestimmten, einen gemäßigten Aristotelismus
-auf, mit dem sich vieles aus Farabi, besonders aber aus Ibn Sina und Maimonides, ganz
-gut vertrug.
-</p>
-<p>Erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts geht eine tiefere Wirkung von Ibn Roschd aus,
-und zwar in Paris, dem Mittelpunkte der damaligen christlich-wissenschaftlichen Bildung.
-Im Jahre 1256 schreibt Albert der Große noch gegen Averroes, 15 Jahre später aber
-Thomas von Aquino gegen die Averroisten. Ihr Haupt ist Siger von Brabant (seit 1266
-bekannt), Mitglied der Artistenfakultät von Paris. Vor der strengen Konsequenz des
-averroistischen Systems schreckt er nicht zurück. Und wie Ibn Roschd den Ibn Sina
-meistert, so kritisiert, wenn auch äußerst <span class="pageNum" id="pb188">[<a href="#pb188">188</a>]</span>respektierlich, Siger den großen Albert und den heiligen Thomas. Zwar versichert er,
-sich der Offenbarung zu unterwerfen, aber die Vernunft bestätigt ihm doch, was Aristoteles,
-in zweifelhaften Fällen nach der Erklärung des Ibn Roschd, in seinen Schriften gelehrt
-hat. Sein feiner Intellektualismus gefällt aber den Theologen nicht. Wie es scheint
-auf Anstiften der Franziskaner, die in ihm vielleicht auch den Aristotelismus der
-Dominikaner treffen wollten, wird er von der Inquisition verfolgt, bis er zu Orvieto
-(um 1281–1284) im Gefängnis stirbt. Dante, der möglicherweise von seinen Ketzereien
-nichts wusste, hat unseren Siger als Repräsentanten weltlicher Wissenschaft ins Paradies
-versetzt.
-</p>
-<p>Dagegen sind ihm die beiden Vertreter der muslimischen Philosophie neben den großen
-und weisen Männern Griechenlands und Roms in der Hölle Vorhalle begegnet. Ibn Sina
-und Ibn Roschd schließen dort die Reihe der großen Heiden, zu denen, wie Dante, die
-Nachwelt noch oft mit Bewunderung emporgeblickt hat.
-<span class="pageNum" id="pb189">[<a href="#pb189">189</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div class="footnotes">
-<hr class="fnsep">
-<div class="footnote-body">
-<div id="xd31e3140">
-<p class="footnote"><span class="fnlabel"><a class="noteRef" href="#xd31e3140src">1</a></span> Ibn Chaldun spricht nur von armen Reichen und schweigt von Proletariern und großstädtischem
-Elend, wie wir es kennen. Er hat auch meistens nur in kleineren Städten gelebt und
-Kairo aus der Ferne bewundert.&nbsp;<a class="fnarrow" href="#xd31e3140src" title="Zurück zur Note 1 im Text.">↑</a></p>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div class="back">
-<div class="div1 index"><span class="pageNum">[<a href="#toc">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main">Personenregister.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p class="first">Abdallâh ibn Maimûn <a href="#pb77" class="pageref">77</a>.
-</p>
-<p>— — Masarra <a href="#pb154" class="pageref">154</a>.
-</p>
-<p>abu Abdallâh al-Chwârizmî <a href="#pb152" class="pageref">152</a>.
-</p>
-<p>Abdalmasîch ibn Abdallâh Nâ’ima al-Himsî <a href="#pb23" class="pageref">23</a>.
-</p>
-<p>Abdalwâhid <a href="#pb177" class="pageref">177</a>.
-</p>
-<p>Abderrachmân ibn Moawia <a href="#pb153" class="pageref">153</a>.
-</p>
-<p>— III. <a href="#pb153" class="pageref">153</a> f.
-</p>
-<p>Abharî <a href="#pb152" class="pageref">152</a>.
-</p>
-<p>Abraham <a href="#pb79" class="pageref">79</a>.
-</p>
-<p>Achmed ibn Moh. al-Tajjib al-Sarachsî <a href="#pb97" class="pageref">97</a>.
-</p>
-<p>Adudaddaula <a href="#pb116" class="pageref">116</a>.
-</p>
-<p>Agathodaemon <a href="#pb20" class="pageref">20</a>, <a href="#pb151" class="pageref">151</a>.
-</p>
-<p>Alâ addaula <a href="#pb119" class="pageref">119</a>.
-</p>
-<p>abu-l-ʻAlâ al-Ma’arrî <a href="#pb64" class="pageref">64</a>.
-</p>
-<p>Albertus Magnus <a href="#pb187" class="pageref">187</a> f.
-</p>
-<p>Alexander Aphrodis. <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb96" class="pageref">96</a>, <a href="#pb168" class="pageref">168</a>.
-</p>
-<p>— Magnus <a href="#pb14" class="pageref">14</a>, <a href="#pb26" class="pageref">26</a>.
-</p>
-<p>ʻAlî <a href="#pb9" class="pageref">9</a> f., <a href="#pb27" class="pageref">27</a>, <a href="#pb35" class="pageref">35</a>, <a href="#pb69" class="pageref">69</a>, <a href="#pb79" class="pageref">79</a>.
-</p>
-<p>—, Almoravide <a href="#pb156" class="pageref">156</a>.
-</p>
-<p>abu ʻAlî s. ibn Sînâ.
-</p>
-<p>— — ʻIsâ ibn Ishâq ibn Zur’a <a href="#pb24" class="pageref">24</a>.
-</p>
-<p>Anaxagoras <a href="#pb27" class="pageref">27</a>, <a href="#pb51" class="pageref">51</a>, <a href="#pb58" class="pageref">58</a>, <a href="#pb74" class="pageref">74</a>.
-</p>
-<p>Apollonius von Tyane <a href="#pb72" class="pageref">72</a>.
-</p>
-<p>Aristoteles <a href="#pb19" class="pageref">19</a>, <a href="#pb21" class="pageref">21</a>–23, <a href="#pb26" class="pageref">26</a>–32, <a href="#pb56" class="pageref">56</a>, <a href="#pb69" class="pageref">69</a>, <a href="#pb74" class="pageref">74</a>, <a href="#pb83" class="pageref">83</a>, <a href="#pb91" class="pageref">91</a>, <a href="#pb96" class="pageref">96</a>, <a href="#pb98" class="pageref">98</a>, <a href="#pb100" class="pageref">100</a> f., <a href="#pb107" class="pageref">107</a>, <a href="#pb110" class="pageref">110</a> f., <a href="#pb115" class="pageref">115</a> f., <a href="#pb118" class="pageref">118</a>, <a href="#pb120" class="pageref">120</a>–122, <a href="#pb134" class="pageref">134</a>, <a href="#pb142" class="pageref">142</a>, <a href="#pb151" class="pageref">151</a>, <a href="#pb166" class="pageref">166</a>–169, <a href="#pb172" class="pageref">172</a>–174, <a href="#pb177" class="pageref">177</a>, <a href="#pb180" class="pageref">180</a>, <a href="#pb184" class="pageref">184</a>, <a href="#pb186" class="pageref">186</a>, <a href="#pb188" class="pageref">188</a>.
-</p>
-<p>Aryabhata <a href="#pb130" class="pageref">130</a>.
-</p>
-<p>Ascharî <a href="#pb55" class="pageref">55</a> f., <a href="#pb160" class="pageref">160</a>.
-</p>
-<p>abu-l-Atâhia <a href="#pb63" class="pageref">63</a>.
-</p>
-<p>al-ʻAufî <a href="#pb79" class="pageref">79</a>.
-</p>
-<p>Augustinus, S. <a href="#pb140" class="pageref">140</a>, <a href="#pb145" class="pageref">145</a>.
-</p>
-<p>Avempace s. ibn Bâddscha.
-</p>
-<p>Avencebrol s. ibn Gebirol.
-</p>
-<p>Averroes s. ibn Roschd.
-</p>
-<p>Avicenna s. ibn Sînâ.
-</p>
-<p>Bachja ibn Pakuda <a href="#pb155" class="pageref">155</a>.
-</p>
-<p>ibn Bâddscha <a href="#pb156" class="pageref">156</a> ff., <a href="#pb161" class="pageref">161</a>, <a href="#pb167" class="pageref">167</a>, <a href="#pb186" class="pageref">186</a>.
-</p>
-<p>Behmenjârʻ s. abu-l-Hasan.
-</p>
-<p>abu Bekr <a href="#pb9" class="pageref">9</a>.
-</p>
-<p>— — ibn Ibrâhîm <a href="#pb156" class="pageref">156</a>.
-</p>
-<p>Bêrûnî <a href="#pb120" class="pageref">120</a>, <a href="#pb130" class="pageref">130</a> f.
-</p>
-<p>abu Bischr Mattâ ibn Jûnus al-Qannâ’î <a href="#pb24" class="pageref">24</a>, <a href="#pb99" class="pageref">99</a> f.
-</p>
-<p>Brahmagupta <a href="#pb16" class="pageref">16</a>.
-</p>
-<p>Cardan <a href="#pb93" class="pageref">93</a>.
-</p>
-<p>abu-l-Chair al-Hasan ibn al-Chammâr <a href="#pb24" class="pageref">24</a>.
-</p>
-<p>ibn Chaldûn <a href="#pb177" class="pageref">177</a> ff.
-</p>
-<p>Châlid ibn Jezîd <a href="#pb23" class="pageref">23</a>.
-</p>
-<p>Chalîl <a href="#pb36" class="pageref">36</a> f.
-</p>
-<p>Chosrau Anoscharwân <a href="#pb20" class="pageref">20</a>, <a href="#pb22" class="pageref">22</a>.
-</p>
-<p>Dante <a href="#pb106" class="pageref">106</a>, <a href="#pb132" class="pageref">132</a>, <a href="#pb167" class="pageref">167</a>, <a href="#pb188" class="pageref">188</a>.
-</p>
-<p>David <a href="#pb27" class="pageref">27</a>.
-</p>
-<p>Demokrit <a href="#pb74" class="pageref">74</a>.
-</p>
-<p>Dionysios Areopag. <a href="#pb22" class="pageref">22</a>, <a href="#pb61" class="pageref">61</a>.
-</p>
-<p>Dschâhiz <a href="#pb36" class="pageref">36</a>, <a href="#pb51" class="pageref">51</a>, <a href="#pb53" class="pageref">53</a> f.
-</p>
-<p>ibn Dschibrîl <a href="#pb25" class="pageref">25</a>.
-</p>
-<p>Dschuzdschânî <a href="#pb131" class="pageref">131</a>.
-</p>
-<p><span class="corr" id="xd31e3627" title="Quelle: Dunss 187 Scotu">Duns Scotus <a href="#pb187" class="pageref">187</a></span>.
-</p>
-<p>Empedokles <a href="#pb27" class="pageref">27</a>, <a href="#pb51" class="pageref">51</a>, <a href="#pb74" class="pageref">74</a>, <a href="#pb115" class="pageref">115</a>.
-<span class="pageNum" id="pb190">[<a href="#pb190">190</a>]</span>
-</p>
-<p>Euklid <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb69" class="pageref">69</a>.
-</p>
-<p>Fârâbî <a href="#pb98" class="pageref">98</a> ff., <a href="#pb120" class="pageref">120</a>–122, <a href="#pb125" class="pageref">125</a>, <a href="#pb127" class="pageref">127</a>, <a href="#pb130" class="pageref">130</a>, <a href="#pb133" class="pageref">133</a>, <a href="#pb140" class="pageref">140</a> f., <a href="#pb152" class="pageref">152</a>, <a href="#pb155" class="pageref">155</a>, <a href="#pb157" class="pageref">157</a>, <a href="#pb159" class="pageref">159</a>, <a href="#pb167" class="pageref">167</a>, <a href="#pb175" class="pageref">175</a>, <a href="#pb184" class="pageref">184</a>, <a href="#pb186" class="pageref">186</a> f.
-</p>
-<p>Fazârî <a href="#pb16" class="pageref">16</a>.
-</p>
-<p>Firdausî <a href="#pb120" class="pageref">120</a>, <a href="#pb139" class="pageref">139</a>.
-</p>
-<p>Friedrich II. <a href="#pb177" class="pageref">177</a> f., <a href="#pb185" class="pageref">185</a>.
-</p>
-<p>Galen <a href="#pb19" class="pageref">19</a>, <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb26" class="pageref">26</a>, <a href="#pb69" class="pageref">69</a>, <a href="#pb72" class="pageref">72</a>, <a href="#pb74" class="pageref">74</a>, <a href="#pb116" class="pageref">116</a>, <a href="#pb132" class="pageref">132</a>, <a href="#pb172" class="pageref">172</a>.
-</p>
-<p>Gazâlî <a href="#pb41" class="pageref">41</a>, <a href="#pb89" class="pageref">89</a>, <a href="#pb138" class="pageref">138</a> ff., <a href="#pb157" class="pageref">157</a>, <a href="#pb160" class="pageref">160</a>, <a href="#pb175" class="pageref">175</a>.
-</p>
-<p>ibn Gebirol <a href="#pb155" class="pageref">155</a>, <a href="#pb187" class="pageref">187</a>.
-</p>
-<p>Gerard von Cremona <a href="#pb185" class="pageref">185</a>.
-</p>
-<p>Gundisalinus <a href="#pb185" class="pageref">185</a>.
-</p>
-<p>ibn al-Haitham <a href="#pb133" class="pageref">133</a> ff.
-</p>
-<p>al-Hakam II. <a href="#pb153" class="pageref">153</a> f.
-</p>
-<p>al-Hâkim <a href="#pb133" class="pageref">133</a>.
-</p>
-<p>abu Hâmid s. Gazâlî.
-</p>
-<p>abu Hanîfa <a href="#pb38" class="pageref">38</a> f.
-</p>
-<p>al-Haramain, Imâm <a href="#pb139" class="pageref">139</a>.
-</p>
-<p>Harîrî <a href="#pb65" class="pageref">65</a>.
-</p>
-<p>Hârûn <a href="#pb11" class="pageref">11</a> f., <a href="#pb16" class="pageref">16</a>, <a href="#pb63" class="pageref">63</a>.
-</p>
-<p>abu-l-Hasan ʻAlî ibn Hârûn al-Zandschânî <a href="#pb79" class="pageref">79</a>.
-</p>
-<p>— Behmenjâr ibn Marzubân <a href="#pb131" class="pageref">131</a> f.
-</p>
-<p>abu Hâschim <a href="#pb54" class="pageref">54</a>.
-</p>
-<p>Hermann der Deutsche <a href="#pb185" class="pageref">185</a>.
-</p>
-<p>Hermes Trismegistos <a href="#pb20" class="pageref">20</a>, <a href="#pb27" class="pageref">27</a>, <a href="#pb151" class="pageref">151</a>.
-</p>
-<p>Hieronymus, S. <a href="#pb140" class="pageref">140</a>.
-</p>
-<p>Hippokrat <a href="#pb19" class="pageref">19</a>, <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb69" class="pageref">69</a>, <a href="#pb132" class="pageref">132</a>.
-</p>
-<p>Hobaisch ibn al-Hasan <a href="#pb24" class="pageref">24</a>.
-</p>
-<p>Homeros <a href="#pb26" class="pageref">26</a>.
-</p>
-<p>Honain ibn Ishâq s. abu Zaid.
-</p>
-<p>abu-l-Hudhail al-ʻAllâf <a href="#pb49" class="pageref">49</a>–53.
-</p>
-<p>Ishâq ibn Honain <a href="#pb24" class="pageref">24</a>.
-</p>
-<p>Jachjâ ibn Bitrîq <a href="#pb23" class="pageref">23</a>.
-</p>
-<p>Jakob von Edessa <a href="#pb21" class="pageref">21</a>.
-</p>
-<p>abu Ja’qûb Jûsuf <a href="#pb160" class="pageref">160</a> f., <a href="#pb166" class="pageref">166</a>.
-</p>
-<p>Jaunân <a href="#pb91" class="pageref">91</a>.
-</p>
-<p>Jesus <a href="#pb79" class="pageref">79</a>, <a href="#pb88" class="pageref">88</a>.
-</p>
-<p>Jezdegerd II. <a href="#pb15" class="pageref">15</a>.
-</p>
-<p>Johannâ ibn Hailân <a href="#pb99" class="pageref">99</a>.
-</p>
-<p>Johannes <a href="#pb21" class="pageref">21</a>.
-</p>
-<p>— Hispanus <a href="#pb185" class="pageref">185</a>.
-</p>
-<p>— Philoponus <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb142" class="pageref">142</a>.
-</p>
-<p>abu Jûsuf Ja’qûb <a href="#pb160" class="pageref">160</a> f., <a href="#pb166" class="pageref">166</a>.
-</p>
-<p>Kachtân <a href="#pb91" class="pageref">91</a>.
-</p>
-<p>Kindî <a href="#pb90" class="pageref">90</a> ff., <a href="#pb98" class="pageref">98</a>, <a href="#pb114" class="pageref">114</a>, <a href="#pb116" class="pageref">116</a>, <a href="#pb130" class="pageref">130</a>, <a href="#pb186" class="pageref">186</a>.
-</p>
-<p>Kleopatra <a href="#pb26" class="pageref">26</a>.
-</p>
-<p>Lessing <a href="#pb169" class="pageref">169</a>.
-</p>
-<p>Loqmân <a href="#pb14" class="pageref">14</a>, <a href="#pb27" class="pageref">27</a>.
-</p>
-<p>Machmûd von Ghazna <a href="#pb13" class="pageref">13</a>.
-</p>
-<p>Maimonides <a href="#pb137" class="pageref">137</a>, <a href="#pb184" class="pageref">184</a>, <a href="#pb187" class="pageref">187</a>.
-</p>
-<p>Mâlik <a href="#pb39" class="pageref">39</a>, <a href="#pb154" class="pageref">154</a>.
-</p>
-<p>Mamûn <a href="#pb11" class="pageref">11</a> f., <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb44" class="pageref">44</a>, <a href="#pb63" class="pageref">63</a>.
-</p>
-<p>Manfred <a href="#pb185" class="pageref">185</a>.
-</p>
-<p>Mâni <a href="#pb74" class="pageref">74</a>.
-</p>
-<p>Mansûr <a href="#pb11" class="pageref">11</a> f., <a href="#pb16" class="pageref">16</a>, <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb25" class="pageref">25</a>, <a href="#pb63" class="pageref">63</a>.
-</p>
-<p>— ibn Ishâq <a href="#pb73" class="pageref">73</a>.
-</p>
-<p>abu Maschar <a href="#pb97" class="pageref">97</a>.
-</p>
-<p>ibn Maskawaih <a href="#pb116" class="pageref">116</a> ff., <a href="#pb130" class="pageref">130</a>.
-</p>
-<p>Mas’ûdî <a href="#pb35" class="pageref">35</a>, <a href="#pb66" class="pageref">66</a> f., <a href="#pb69" class="pageref">69</a>, <a href="#pb91" class="pageref">91</a>, <a href="#pb130" class="pageref">130</a>, <a href="#pb133" class="pageref">133</a>, <a href="#pb180" class="pageref">180</a>.
-</p>
-<p>Michel der Schotte <a href="#pb185" class="pageref">185</a>.
-</p>
-<p>Moawia <a href="#pb10" class="pageref">10</a>.
-</p>
-<p>Mohammed <a href="#pb9" class="pageref">9</a> f., <a href="#pb27" class="pageref">27</a>, <a href="#pb31" class="pageref">31</a>, <a href="#pb38" class="pageref">38</a>, <a href="#pb42" class="pageref">42</a>, <a href="#pb52" class="pageref">52</a>, <a href="#pb79" class="pageref">79</a>, <a href="#pb87" class="pageref">87</a>, <a href="#pb112" class="pageref">112</a>, <a href="#pb129" class="pageref">129</a>, <a href="#pb146" class="pageref">146</a>, <a href="#pb164" class="pageref">164</a>.
-</p>
-<p>— ibn Achmed al-Nahradschûrî <a href="#pb79" class="pageref">79</a>.
-</p>
-<p>— ibn Tûmart <a href="#pb160" class="pageref">160</a>.
-</p>
-<p>ibn al-Moqaffa <a href="#pb16" class="pageref">16</a>, <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb36" class="pageref">36</a>.
-</p>
-<p>Mu’ammar <a href="#pb54" class="pageref">54</a>.
-</p>
-<p>Muqaddasî <a href="#pb67" class="pageref">67</a>.
-</p>
-<p>Mustandschid <a href="#pb132" class="pageref">132</a>.
-</p>
-<p>Mu’tadid <a href="#pb97" class="pageref">97</a>.
-</p>
-<p>Mutanabbî <a href="#pb64" class="pageref">64</a>.
-</p>
-<p>Mutawakkil <a href="#pb44" class="pageref">44</a>, <a href="#pb91" class="pageref">91</a>.
-</p>
-<p>abu Nasr s. Fârâbî.
-</p>
-<p>Nazzâm <a href="#pb51" class="pageref">51</a>–53.
-</p>
-<p>Nizâm al-mulk <a href="#pb139" class="pageref">139</a>.
-</p>
-<p>Noah <a href="#pb79" class="pageref">79</a>.
-</p>
-<p>Nûch ibn Mansûr <a href="#pb119" class="pageref">119</a>.
-<span class="pageNum" id="pb191">[<a href="#pb191">191</a>]</span>
-</p>
-<p>Omar <a href="#pb9" class="pageref">9</a>.
-</p>
-<p>Othmân <a href="#pb9" class="pageref">9</a>.
-</p>
-<p>Paulus <a href="#pb21" class="pageref">21</a>.
-</p>
-<p>— Persa <a href="#pb22" class="pageref">22</a>.
-</p>
-<p>Peter der Grausame <a href="#pb178" class="pageref">178</a>.
-</p>
-<p>Petrus <a href="#pb21" class="pageref">21</a>.
-</p>
-<p>Platon <a href="#pb21" class="pageref">21</a>–23, <a href="#pb27" class="pageref">27</a>–29, <span class="corr" id="xd31e4298" title="Quelle: 31f."><a href="#pb31" class="pageref">31</a> f.</span>, <a href="#pb69" class="pageref">69</a>, <a href="#pb74" class="pageref">74</a>, <a href="#pb79" class="pageref">79</a>, <a href="#pb96" class="pageref">96</a>, <a href="#pb100" class="pageref">100</a>, <a href="#pb110" class="pageref">110</a>, <a href="#pb112" class="pageref">112</a>, <span class="corr" id="xd31e4325" title="Quelle: 115f."><a href="#pb115" class="pageref">115</a> f.</span>, <a href="#pb164" class="pageref">164</a>, <a href="#pb166" class="pageref">166</a>–168, <a href="#pb174" class="pageref">174</a>, <a href="#pb180" class="pageref">180</a>.
-</p>
-<p>Plotin <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb30" class="pageref">30</a>.
-</p>
-<p>Plutarch <a href="#pb22" class="pageref">22</a>, <a href="#pb24" class="pageref">24</a>, <a href="#pb26" class="pageref">26</a>.
-</p>
-<p>Porphyr <a href="#pb21" class="pageref">21</a>, <a href="#pb26" class="pageref">26</a>, <a href="#pb83" class="pageref">83</a>, <a href="#pb103" class="pageref">103</a>, <a href="#pb168" class="pageref">168</a>.
-</p>
-<p>Probus <span class="corr" id="xd31e4381" title="Quelle: 20f."><a href="#pb20" class="pageref">20</a> f.</span>
-</p>
-<p>Proklos <a href="#pb31" class="pageref">31</a>, <a href="#pb142" class="pageref">142</a>.
-</p>
-<p>Ptolemäus <a href="#pb16" class="pageref">16</a>, <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb69" class="pageref">69</a>.
-</p>
-<p>Pythagoras <a href="#pb22" class="pageref">22</a>, <a href="#pb27" class="pageref">27</a>, <span class="corr" id="xd31e4414" title="Quelle: 69f."><a href="#pb69" class="pageref">69</a> f.</span>, <a href="#pb74" class="pageref">74</a>, <a href="#pb98" class="pageref">98</a>.
-</p>
-<p>Qazwînî <a href="#pb152" class="pageref">152</a>.
-</p>
-<p>Qostâ ibn Lûqâ al-Ba’labakkî <a href="#pb23" class="pageref">23</a>, <a href="#pb25" class="pageref">25</a>.
-</p>
-<p>Râzî <span class="corr" id="xd31e4440" title="Quelle: 73ff."><a href="#pb73" class="pageref">73</a> ff.</span>, <a href="#pb90" class="pageref">90</a>, <span class="corr" id="xd31e4448" title="Quelle: 97f."><a href="#pb97" class="pageref">97</a> f.</span>
-</p>
-<p>ibn Roschd <a href="#pb159" class="pageref">159</a>, <span class="corr" id="xd31e4458" title="Quelle: 165ff."><a href="#pb165" class="pageref">165</a> ff.</span>, <a href="#pb181" class="pageref">181</a>, <a href="#pb186" class="pageref">186</a>–188.
-</p>
-<p>ibn Sab’în <a href="#pb177" class="pageref">177</a>.
-</p>
-<p>Saif addaula <a href="#pb99" class="pageref">99</a>.
-</p>
-<p>Salomon <a href="#pb27" class="pageref">27</a>.
-</p>
-<p>Sarachsî s. Achmed.
-</p>
-<p>Scaliger <a href="#pb132" class="pageref">132</a>.
-</p>
-<p>Schâfi’î <a href="#pb39" class="pageref">39</a>.
-</p>
-<p>Schems addaula <a href="#pb119" class="pageref">119</a>.
-</p>
-<p>Sergius von Ras’ain <a href="#pb21" class="pageref">21</a>.
-</p>
-<p>Sîbawaih <a href="#pb35" class="pageref">35</a>, <a href="#pb37" class="pageref">37</a>.
-</p>
-<p>Siger von Brabant <a href="#pb187" class="pageref">187</a> f.
-</p>
-<p>ibn Sînâ <a href="#pb35" class="pageref">35</a>, <a href="#pb89" class="pageref">89</a>, <a href="#pb116" class="pageref">116</a>, <a href="#pb119" class="pageref">119</a> ff., <a href="#pb140" class="pageref">140</a> f., <a href="#pb144" class="pageref">144</a>, <a href="#pb151" class="pageref">151</a> f., <a href="#pb155" class="pageref">155</a>, <a href="#pb161" class="pageref">161</a>, <a href="#pb163" class="pageref">163</a> f., <a href="#pb167" class="pageref">167</a>, <a href="#pb169" class="pageref">169</a>, <a href="#pb172" class="pageref">172</a>, <a href="#pb175" class="pageref">175</a>, <a href="#pb184" class="pageref">184</a>, <a href="#pb186" class="pageref">186</a>–188.
-</p>
-<p>Sokrates <a href="#pb21" class="pageref">21</a> f., <a href="#pb27" class="pageref">27</a> f., <a href="#pb79" class="pageref">79</a>, <a href="#pb88" class="pageref">88</a>, <a href="#pb96" class="pageref">96</a>, <a href="#pb115" class="pageref">115</a>, <a href="#pb130" class="pageref">130</a>, <a href="#pb168" class="pageref">168</a>.
-</p>
-<p>Spinoza <a href="#pb169" class="pageref">169</a>.
-</p>
-<p>Stephen bar Sudaili <a href="#pb61" class="pageref">61</a>.
-</p>
-<p>abu Sulaimân Moh. ibn Muschîr al-Bustî <a href="#pb79" class="pageref">79</a>.
-</p>
-<p>— Moh. ibn Tâhîr ibn Bahrâm al-Sidschistânî <a href="#pb114" class="pageref">114</a> ff., <a href="#pb155" class="pageref">155</a>.
-</p>
-<p>Tamerlan <a href="#pb178" class="pageref">178</a>.
-</p>
-<p>Tauhîdî <a href="#pb115" class="pageref">115</a>.
-</p>
-<p>Thâbit ibn Qorra <a href="#pb37" class="pageref">37</a>.
-</p>
-<p>Themistius <a href="#pb120" class="pageref">120</a>, <a href="#pb168" class="pageref">168</a>, <a href="#pb172" class="pageref">172</a>.
-</p>
-<p>Thomas von Aquino, S. <a href="#pb187" class="pageref">187</a> f.
-</p>
-<p>Thukydides <a href="#pb26" class="pageref">26</a>.
-</p>
-<p>ibn Tofail <span class="corr" id="xd31e4660" title="Quelle: 160ff."><a href="#pb160" class="pageref">160</a> ff.</span>, <a href="#pb166" class="pageref">166</a>.
-</p>
-<p>Uranius <a href="#pb20" class="pageref">20</a>.
-</p>
-<p>abu-l-Wafâ Mubasschir ibn Fâtik al-Qâ’id <a href="#pb136" class="pageref">136</a>.
-</p>
-<p>abu-l-Walîd s. ibn Roschd. Wâthik <a href="#pb73" class="pageref">73</a>.
-</p>
-<p>Witelo <a href="#pb134" class="pageref">134</a>.
-</p>
-<p>Zaid ibn Rifâ’a <a href="#pb79" class="pageref">79</a>.
-</p>
-<p>abu Zaid Honain ibn Ishâq <a href="#pb24" class="pageref">24</a>.
-</p>
-<p>abu Zakarîjâ Jachjâ ibn ʻAdî al-Mantiqî <a href="#pb24" class="pageref">24</a>, <a href="#pb100" class="pageref">100</a>, <a href="#pb114" class="pageref">114</a>.
-</p>
-<p>Zoroaster <a href="#pb79" class="pageref">79</a>, <a href="#pb154" class="pageref">154</a>.
-<span class="pageNum" id="pb193">[<a href="#pb193">193</a>]</span> </p>
-</div>
-</div>
-<div class="div1 advertisement"><span class="pageNum">[<a href="#toc">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h2 class="main">Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart.</h2>
-</div>
-<div class="divBody">
-<div class="div2 section"><span class="pageNum">[<a href="#toc">Inhalt</a>]</span><div class="divHead">
-<h3 class="main xd31e4723">Frommanns Klassiker der Philosophie.</h3>
-</div>
-<div class="divBody">
-<p class="first xd31e122">Herausgegeben von
-</p>
-<p class="xd31e122">Prof. Dr. <b>Richard Falckenberg</b> in Erlangen.
-</p>
-<p>Strassburger Post: Auch wir mochten diese Sammlung von Monographien dem deutschen
-Publikum aufs wärmste empfehlen, ja, wir nehmen keinen Anstand, diese klar geschriebenen
-Einführungen in das Reich der Denkerfürsten als den Grundstock jeder gediegenen Privatbibliothek
-zu bezeichnen. Dazu eignen sich die Monographien, nebenbei bemerkt, auch durch ihre
-vornehme Ausstattung.
-</p>
-<p class="adTitle">I. <b>G. Th. Fechner.</b>
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>K. Lasswitz</b> in Gotha. 214 S. Brosch. M. 1.75. Geb. M. 2.25.
-</p>
-<p class="adContent">I. Leben und Wirken. — II. Das Weltbild. 1. Die Bewegung. 2. Das Bewusstsein.
-</p>
-<p class="adTitle">II. <b>Hobbes</b>
-</p>
-<p class="adSubTitle">Leben und Lehre.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Ferd. Tönnies</b> in Kiel. 246 S. Brosch. M. 2.— Geb. M. 2.50.
-</p>
-<p class="adContent">I. Leben des Hobbes. — II. Lehre des Hobbes: Logik. Grund-Begriffe. Die mechanischen
-Grundsätze. Die Physik. Die Anthropologie. Das Naturrecht.
-</p>
-<p class="adTitle">III. <b>S. Kierkegaard</b>
-</p>
-<p class="adSubTitle">als Philosoph.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>H. Höffding</b> in Kopenhagen.
-</p>
-<p class="adPrice">186 S. Brosch. M. 1.50. Geb. M. 2.—.
-</p>
-<p class="adContent">I. Die romantisch-spekulative Religionsphilosophie. — II. K’s. ältere Zeitgenossen
-in Dänemark. — III. K’s. Persönlichkeit. — IV. K’s. Philosophie.
-</p>
-<p class="adTitle">IV. <b>Rousseau</b>
-</p>
-<p class="adSubTitle">und seine Philosophie.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>H. Höffding</b> in Kopenhagen.
-</p>
-<p class="adPrice">158 S. Brosch. M. 1.75. Geb. M. 2.25.
-</p>
-<p class="adContent">I. Rousseaus Erweckung und sein Problem. — II.&nbsp;R. und seine Bekenntnisse. — III. Leben,
-Charakter und Werke. — IV. Die Philosophie Rousseaus.
-</p>
-<p class="adTitle">V. <b>Herbert Spencer.</b>
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Dr. <b>Otto Gaupp</b> in London.
-</p>
-<p class="adPrice">Mit Spencers Bildnis. 2. verm. Aufl. 186 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
-</p>
-<p class="adContent">I. Spencers Leben. — II. Spencers Werk. 1. Zur Entstehungsgeschichte der Entwicklungsphilosophie.
-2. Die Prinzipienlehre. 3 Biologie und Psychologie. 4. Soziologie und Ethik.
-<span class="pageNum" id="pb194">[<a href="#pb194">194</a>]</span></p>
-<p class="adTitle">VI. <b>Fr. Nietzsche.</b>
-</p>
-<p class="adSubTitle">Der Künstler und der Denker.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Alois Riehl</b> in Halle.
-</p>
-<p class="adPrice">Mit Nietzsches Bildnis. 3. verm. Aufl. 176 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
-</p>
-<p class="adContent">I. Die Schriften und die Persönlichkeit. — II. Der Künstler. — III. Der Denker.
-</p>
-<p class="adTitle">VII. <b><span class="corr" id="xd31e4827" title="Quelle: J.">I.</span> Kant.</b>
-</p>
-<p class="adSubTitle">Sein Leben und seine Lehre.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Friedr. Paulsen</b> in Berlin.
-</p>
-<p class="adPrice">Mit Kants Bildnis und Brieffaksimile aus 1792.
-</p>
-<p class="adPrice">3. Aufl. 420 S. Brosch. M. 4.—. Geb. M. 4.75.
-</p>
-<p class="adTitle">VIII. <b>Aristoteles.</b>
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Herm. Siebeck</b> in Giessen.
-</p>
-<p class="adPrice">144 S. Brosch. M. 1.75. Geb. M. 2.25.
-</p>
-<p class="adTitle">IX. <b>Platon.</b>
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Wilhelm Windelband</b> in Strassburg.
-</p>
-<p class="adPrice">Mit Platons Bildnis. 196 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
-</p>
-<p class="adTitle">X. <b>Schopenhauer.</b>
-</p>
-<p class="adSubTitle">Seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein Glaube.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Johannes Volkelt</b> in Leipzig.
-</p>
-<p class="adPrice">Mit Schopenhauers Bildnis. 408 S. Brosch. M. 4.—.
-</p>
-<p class="adPrice">Geb. <span class="corr" id="xd31e4884" title="Quelle: Mk.">M.</span> 4.75.
-</p>
-<p class="adTitle">XI. <b>Thomas Carlyle.</b>
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Paul Hensel</b> in <b>Heidelberg</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">Mit Carlyles Bildnis. 212 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
-</p>
-<p class="adTitle">XII. <b>Hermann Lotze.</b>
-</p>
-<p class="adSubTitle">Erster Teil: Leben und Schriften.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Richard Falckenberg</b> in <b>Erlangen</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">Mit Lotzes Bildnis. 206 S<span class="corr" id="xd31e4919" title="Nicht in der Quelle">.</span> Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
-</p>
-<p class="adTitle">XIII. <b>W. Wundt.</b>
-</p>
-<p class="adSubTitle">Seine Philosophie und Psychologie.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Edmund König</b> in <b>Sondershausen</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">Mit Wundts Bildnis. 207 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
-</p>
-<p>Darstellungen von <b>Stuart Mill</b> und <b>Goethe als Denker</b> werden sich zunächst anschliessen.
-<span class="pageNum" id="pb195">[<a href="#pb195">195</a>]</span>
-</p>
-<p class="adTitle">Geschichte der Philosophie im Umriss.
-</p>
-<p class="adAuthor">Ein Leitfaden zur Übersicht von Dr. <b>Albert Schwegler</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">15. Aufl. durchgesehen und ergänzt von Prof. Dr. <span class="ex">R. Koeber</span>. 402 S. Originalausg. gr. Oktav, Brosch. M. 2.25. Geb. M. 3.—.
-</p>
-<p class="adContent">Das Schweglersche Werk behält in der philosophischen Geschichtslitteratur bleibenden
-Wert durch die lichtvolle Behandlung und leichte Bewältigung des spröden Stoffs bei
-gemeinfasslicher Darstellung, die sich mit wissenschaftlicher Gründlichkeit paart.
-</p>
-<p class="adTitle">Mythologie und Metaphysik.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Grundlinien einer Geschichte der Weltanschauungen
-</p>
-<p class="adAuthor">von Prof. Dr. <b>Wilhelm Bender</b> in Bonn.
-</p>
-<p class="adSubTitle">I. Bd.: <b>Die Entstehung der Weltanschauungen im griechischen Altertum.</b>
-</p>
-<p class="adPrice">296 S. Brosch. M. 4.—.
-</p>
-<p class="adTitle">Geschichte der Philosophie im Islam.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von <b>T.&nbsp;J. de Boer</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">191 S. Brosch. M. 4.—. Geb. M. 5.—.
-</p>
-<p class="adTitle">Psychische Kraftübertragung.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Enthaltend unter anderem einen Beitrag zur Lehre von dem Unterschied der Stände.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von <b>Exsul</b><span class="corr" id="xd31e4997" title="Quelle: ,">.</span>
-</p>
-<p class="adPrice">23 S. Brosch. M. —.50.
-</p>
-<p class="adTitle">John Locke,
-</p>
-<p class="adSubTitle">ein Bild aus den geistigen Kämpfen Englands im 17. Jahrhundert.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Dr. <b>Ed. Fechtner</b>, Bibliothekar d. techn. Hochschule Wien.
-</p>
-<p class="adPrice">310 S. Brosch. M. 5.—.
-</p>
-<p class="adTitle">Der Wille zum Glauben
-</p>
-<p class="adSubTitle">und andere popularphilosophische Essays.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. <b>William James</b>. Übersetzt von Dr. <b>Th. Lorenz</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">216 S. Brosch. M. 3.—.
-</p>
-<p class="adContent">1. Der Wille zum Glauben. 2. Ist das Leben wert, gelebt zu werden. 3. Das Rationalitätsgefühl.
-4. Das Dilemma des Determinismus. 5. Der Moralphilosoph und das sittliche Leben.
-</p>
-<p class="adTitle">Der Kampf zweier Weltanschauungen.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Eine Kritik, der alten und neuesten Philosophie mit Einschluss der christlichen Offenbarung.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>G. Spicker</b> in Münster.
-</p>
-<p class="adPrice">310 S. Brosch. M. 5.—.
-<span class="pageNum" id="pb196">[<a href="#pb196">196</a>]</span>
-</p>
-<p class="adTitle">Ein deutscher Buddhist.
-</p>
-<p class="adAuthor"><span class="ex">Biographische Skizze</span> von <b>Dr. Arthur Pfungst</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">Mit Schultzes Bildnis. 2. verm. Aufl. 52 S. 8<sup>o</sup>. Brosch. M. —.75.
-</p>
-<p class="adTitle">Die Grundfrage der Religion.
-</p>
-<p class="adAuthor">Versuch einer auf den realen Wissenschaften ruhenden Gotteslehre von Prof. <b>Dr. Julius Baumann</b> in Göttingen.
-</p>
-<p class="adPrice">72 S. Brosch. M. 1.20.
-</p>
-<p class="adTitle">Wie Christus urteilen und handeln würde,
-</p>
-<p class="adSubTitle">wenn er heutzutage unter uns lebte.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. <b>Dr. Julius Baumann</b> in Göttingen.
-</p>
-<p class="adPrice">88 S. Brosch. M. 1.40.
-</p>
-<p class="adTitle">Leben und Walten der Liebe.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von <b>S. Kierkegaard</b>. <span class="corr" id="xd31e5085" title="Quelle: Uebersetzt">Übersetzt</span> von <b>A. Dorner</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">534 S. Brosch. M. 5.—. Gebd. M. 6.—.
-</p>
-<p class="adTitle">Kierkegaard, S., Angriff auf die Christenheit.
-</p>
-<p class="adAuthor"><span class="corr" id="xd31e5097" title="Quelle: Uebersetzt">Übersetzt</span> von <b>A. Dorner</b> und <b>Chr. Schrempf</b>.
-</p>
-<p class="adAuthor">656 S. In 2 Teile brosch. M. 8.50. Geb. M. 10.—.
-</p>
-<p>Daraus Sonderdruck:
-</p>
-<p class="adTitle">Richtet selbst.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen.
-</p>
-<p class="adPrice">Zweite Reihe. 112 S.&nbsp;M. 1.50.
-</p>
-<p class="adTitle">Der Anti-Pietist. 67 S. Brosch. M. 1.—.
-</p>
-<p class="adTitle">Die Wahrheit.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Halbmonatschrift zur Vertiefung in die Fragen und Aufgaben des Menschenlebens.
-</p>
-<p class="adAuthor">Herausgeber: <b>Chr. Schrempf</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">Bd. I–IV brosch. à M. 3.20, gebd. à M. 3.75., V–VIII brosch. à M. 3.60, gebd. à M.
-4.15. Bei gleichzeitiger Abnahme von mindestens 4 Bänden jeder Band nur M. 2.— brosch.,
-M. 2.50 gebd.
-</p>
-<p class="adContent">Die Zeitschrift, die seit Oktober 1897 nicht mehr erscheint, enthält eine Anzahl Aufsätze
-von bleibendem Werte aus der Feder der Professoren Fr. <span class="ex">Paulsen</span>, <span class="ex">Max Weber</span>, <span class="ex">H. Herkner</span>, <span class="ex">Theobald Ziegler</span>, <span class="ex">Alois Riehl</span>, von Pfarrer Fr. <span class="ex">Naumann</span>, <span class="ex">Karl Jentsch</span>, <span class="ex">Chr. Schrempf</span> und anderen hervorragenden Mitarbeitern.
-<span class="pageNum" id="pb197">[<a href="#pb197">197</a>]</span>
-</p>
-<p>Schriften von <b>Christoph Schrempf</b>:
-</p>
-<p class="adTitle"><b>Drei Religiöse Reden.</b> 76 S. Brosch. M. 1.20.
-</p>
-<p class="adTitle">Natürliches Christentum.
-</p>
-<p class="adPrice">Vier neue religiöse Reden. 112 S. Brosch. M. 1.50.
-</p>
-<p class="adTitle"><span class="corr" id="xd31e5172" title="Quelle: Ueber">Über</span> die Verkündigung des Evangeliums an d. neue Zeit.
-</p>
-<p class="adPrice">40 S. Brosch. M. —.60.
-</p>
-<p class="adTitle"><b>Zur Pfarrersfrage.</b> 52 S. Brosch. M. —.80.
-</p>
-<p class="adTitle">An die Studenten der Theologie zu Tübingen.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Noch ein Wort zur Pfarrersfrage.
-</p>
-<p class="adPrice">30 S. Brosch. M. —.50.
-</p>
-<p class="adTitle"><b>Eine Nottaufe.</b> 56 S. Brosch. M.—.75.
-</p>
-<p class="adTitle">Toleranz.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Rede geh. in der Berl. Gesellschaft für Eth. Kultur.
-</p>
-<p class="adPrice">32 S. Brosch. M. —.50.
-</p>
-<p class="adTitle">Zur Theorie des Geisteskampfes.
-</p>
-<p class="adPrice">56 S. Brosch. M. —.80.
-</p>
-<p class="adPrice">Obige 8 Schriften <span class="ex">Chr. Schrempfs</span> kosten anstatt M. 6.65, wenn gleichzeitig bezogen, nur M. 3.—.
-</p>
-<p class="adTitle">Menschenloos.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Hiob * Ödipus * Jesus * Homo sum<span class="corr" id="xd31e5211" title="Quelle: ..">…</span>
-</p>
-<p class="adPrice">152 S. Brosch. M. 1.80. Geb. M. 2.60.
-</p>
-<p class="adTitle">Martin Luther
-</p>
-<p class="adSubTitle">aus dem Christlichen ins Menschliche übersetzt.
-</p>
-<p class="adPrice">188 S. Brosch. M. 2.50. Geb. M. 3.50.
-</p>
-<p class="adTitle">Das moderne Drama der Franzosen
-</p>
-<p class="adSubTitle">in seinen Hauptvertretern.
-</p>
-<p class="adContent">Mit zahlreichen Textproben aus hervorragenden Werken von Augier, Dumas, Sardou und
-Pailleron.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>Joseph Sarrazin</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">2. Aufl. 325 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 3.—.
-<span class="pageNum" id="pb198">[<a href="#pb198">198</a>]</span>
-</p>
-<p class="adTitle">Schiller in seinen Dramen.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von <b>Carl Weitbrecht</b>, Prof. a. d. techn. Hochschule Stuttgart.
-</p>
-<p class="adPrice">314 S. Brosch. M. 3.60. Eleg. geb. M. 4.50.
-</p>
-<p class="adContent">Ein bedeutendes und schönes Bach zugleich, getragen von jenem sittlichen Pathos, das
-allein Schillers Person und Lebenswerk gerecht zu werden vermag und dabei in seiner
-Darstellungsweise darauf angelegt, dem Leser einen wirklichen ästhetischen Genuss
-zu bereiten. (Dtsche. Litteraturztg.)
-</p>
-<p class="adTitle">Diesseits von Weimar.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Auch ein Buch über Goethe.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von <b>Carl Weitbrecht</b>, Prof. a. d. techn. Hochschule Stuttgart.
-</p>
-<p class="adPrice">320 S. Brosch. M. 3.60. Eleg. geb. M 4.50.
-</p>
-<p class="adContent">Ein köstliches Buch, das man von Anfang bis Ende mit immer gleichbleibendem Vergnügen
-liest. Der Titel will sagen, dass es sich hier um den jungen Goethe handelt vor seiner
-<span class="corr" id="xd31e5263" title="Quelle: Uebersiedelung">Übersiedelung</span> nach Weimar.
-</p>
-<p class="adCitation">(Pädagog. Jahresbericht.)
-</p>
-<p class="adTitle">Schwarmgeister.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Tragödie.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von <b>Carl Weitbrecht</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">125 S. Brosch. M. 1.80.
-</p>
-<p class="adTitle">Das Frommannsche Haus und seine Freunde.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von <b>F.&nbsp;J. Frommann</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">3. Ausgabe. 191 S. Brosch. M. 3.—.
-</p>
-<p class="adTitle">Goethes Charakter.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Eine Seelenschilderung
-</p>
-<p class="adAuthor">von <b>Robert Saitschick</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">150 S. Brosch. M. 1.80.
-</p>
-<p class="adContent">I. Lebenskämpfe. II. Eigenart. III. Welt und Seele.
-</p>
-<p class="adContent">Wir zählen Saitschicks Schrift zu den wertvollsten Essays, die über Goethe geschrieben
-wurden. (Beil. z. Allg. Ztg.)
-</p>
-<p class="adTitle">Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen.
-</p>
-<p class="adAuthor">Vom <b>Grafen Gobineau</b>.
-</p>
-<p class="adAuthor">Deutsche Ausgabe von <b>Ludwig Schemann</b>.
-</p>
-<ul>
-<li>Erster Band 324 S. Brosch. M. 3.50. Geb. M. 4.50. </li>
-<li>Zweiter Band 388 S. Brosch. M. 4.20. Geb. M. 5.20. </li>
-<li>Dritter Band 440 S. Brosch. M. 4.80. Geb. M. 5.80. </li>
-</ul><p>
-</p>
-<p><span class="ex">Gobineau</span> hat stolz und gross es ausgesprochen, er habe zuerst die wirkliche noch unerkannte
-Basis der <span class="ex">Geschichte</span> aufgedeckt. Schwerlich möchte er sich mit seinem Glauben überhoben haben! … Der »Nationalitäten«—,
-<abbr title="das heißt">d. h.</abbr> eben der Racen-Gedanke durchzieht das moderne Völkerleben heute mehr denn je, und
-keiner kann sich mehr der Empfindung erwehren, dass alle modernen Nationen vor eine
-Entscheidung, eine Prüfung gestellt sind, was sie als Nationen — <abbr title="das heißt">d. h.</abbr> eben nach ihrer Racen-Anlage, ihren Mischungsbestandteilen, dem Ergebnisse ihrer
-Racenmischungen — wert seien, inwieweit sie dunkel geahnten, vielleicht mit Vernichtung
-drohenden Stürmen der Zukunft gewachsen sein werden<span class="corr" id="xd31e5333" title="Nicht in der Quelle">.</span>
-</p>
-<p>Mit dem im Jahre 1901 erscheinenden vierten Bande ist das Werk vollständig.
-<span class="pageNum" id="pb199">[<a href="#pb199">199</a>]</span>
-</p>
-<p class="adTitle">Handbuch der natürlich-menschlichen Sittenlehre
-</p>
-<p class="adSubTitle">für Eltern und Erzieher.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Direktor Dr. <b>A. Döring</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">431 S. Brosch. M. 4.—. Eleg. geb. M. 5.—.
-</p>
-<p class="adContent">I. Der Stoff des ethischen Unterrichts. 1. Der Inhalt der sittlichen Forderung. 2
-Das Zustandekommen des Sittlichen. II. Die dem ethischen Unterrichte vorangehende
-sittliche Erziehung.
-</p>
-<p class="adTitle">Herbart, Pestalozzi
-</p>
-<p class="adSubTitle">und die heutigen Aufgaben der Erziehungslehre.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>P. Natorp</b> in Marburg.
-</p>
-<p class="adPrice">157 S. Brosch. M. 1.80.
-</p>
-<p>I. Herbarts allgemeine Bedeutung. II. Herbarts Ethik. III. Herbarts Psychologie. Einteilung
-seiner Pädagogik. »Regierung«. IV. »Unterricht« und »Zucht«; »Erziehender Unterricht«.
-V. Das Zeitalter <span class="ex">Pestalozzis</span>. VI. Allgemeine Grundlagen der Erziehungslehre Pestalozzis. VII. Pestalozzis Grundansicht
-über die soziale Bedingtheit der Erziehung. Die »Abendstunde«. VIII. Ethik und Sozialphilosophie
-nach den »Nachforschungen«. Religion.
-</p>
-<p class="adTitle">Sozialpädagogik.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Theorie der Willenserziehung auf der Grundlage der Gemeinschaft.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Prof. Dr. <b>P. Natorp</b> in Marburg.
-</p>
-<p class="adPrice">360 S. Brosch. M. 6.—.
-</p>
-<p class="adContent">I. Fundamentalphilosophische Voraussetzungen. II. Grundlinien individualer und sozialer
-Ethik. III. Organisation und Methode der Willenserziehung.
-</p>
-<p class="adTitle">Rodbertus.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von <b>Karl Jentsch</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">259 S. Preis brosch. M. 3.—. Eleg. gebd. M. 3.80.
-</p>
-<p class="adContent">I. Lebensgeschichte. II. Die Lehre. 1. Antike Staatswirtschaft. 2. Die Volkswirtschaft
-der Gegenwart. 3. Die Staatswirtschaft der Zukunft. III. Die Bedeutung des Mannes.
-</p>
-<p class="adTitle">P.&nbsp;J. Proudhon.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Leben und Werke.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von Dr. <b>Arthur Mülberger</b>.
-</p>
-<p class="adPrice">248 S. Brosch. M. 2.80. Eleg. geb. M. 3.60.
-</p>
-<p class="adContent">I. Der Kritiker. 1809–1848. II. Der Kämpfer. 1848–1852. III. Der Denker. 1852–1865.
-</p>
-<p class="adTitle">Gut und Geld.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Volkswirtschaftliche Studien eines Praktikers.
-</p>
-<p class="adAuthor">Von <b>Gustav Müller</b>. (New-York).
-</p>
-<p class="adPrice">292 S. Brosch. M. 2.40. Eleg. geb. M. 3.20.
-</p>
-<p class="adContent">I. Der Reichtum. II. Das Kapital. III. Der produktive und der unproduktive Verbrauch.
-IV. Der Lohn. V. Der Gewinn. VI. Die Rente. VII. Der Wert. VIII. Das Geld. IX. Die
-Produktivität der Nationen. X. Der Welthandel. XI. Freihandel und Zollschutz. XII.
-Die Krisis. XIII. Die Grenzen des Reichtums.
-<span class="pageNum" id="pb200">[<a href="#pb200">200</a>]</span>
-</p>
-<p class="adTitle">Politiker und Nationalökonomen.
-</p>
-<p class="adSubTitle">Eine Sammlung biographischer System- und Charakterschilderungen
-</p>
-<p class="xd31e122">herausgegeben von
-</p>
-<p class="adAuthor"><b>G. Schmoller</b> und <b>O. Hintze</b>
-</p>
-<p class="xd31e122">Professoren an der Universität Berlin.
-</p>
-<p class="adSubTitle">I. <b>Machiavelli</b>
-</p>
-<p class="xd31e122">von
-</p>
-<p class="adAuthor">Richard Fester
-</p>
-<p class="xd31e122">Professor an der Universität Erlangen.
-</p>
-<p class="adPrice">214 S. Brosch. M. 2.50; Geb. M. 3.—.
-</p>
-<p>Plan und Mitarbeiter des Unternehmens.
-</p>
-<p>Eine neue Durchforschung und eine aus dem lebendigen Geist moderner Weltauffassung
-und Wissenschaft entspringende Würdigung der politischen und sozialen Systeme, die
-im Laufe der letzten vier Jahrhunderte die denkenden Köpfe und das Leben der Völker
-beherrscht haben, ist eine heute vielfach empfundene Aufgabe. Zur Lösung derselben
-erschien die Form der Biographie die geeignetste.
-</p>
-<p>Hervorragende Gelehrte und Schriftsteller haben sich zu monographischen Darstellungen
-grosser Politiker und Nationalökonomen vereinigt. Es wurde dabei der schriftstellerischen
-Individualität, der Neigung der einzelnen Forscher volle Freiheit gewährt, in der
-Auswahl wie in der Behandlung der Gegenstände.
-</p>
-<p>Die Sammlung will nicht einseitigen, wissenschaftlichen oder politisch-sozialen Parteiidealen
-dienen.
-</p>
-<p>Als Leser denken wir uns nicht bloss und nicht in erster Linie Fachgelehrte, sondern
-gebildete Männer und Frauen aus allen Lebenskreisen, vor allem auch Studierende aller
-Fakultäten. Die Sammlung will einerseits dazu beitragen, die Wissenschaft vom Staats-
-und Gesellschaftsleben zu fördern; sie will aber andererseits auch dem praktischen
-Bedürfnis dienen, die politische und soziale Bildung unserer Nation zu klären und
-zu vertiefen.
-</p>
-<p>Ihre Mitarbeit bei diesem Unternehmen haben bisher zugesagt oder doch in Aussicht
-gestellt:
-</p>
-<div class="table">
-<table>
-<tr>
-<td class="cellLeft cellTop">Prof. Dr. <i>v. Bezold</i> in <i>Bonn</i> </td>
-<td class="cellRight cellTop"><span class="seg">für</span> <b>Bodinus</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Dr. <i>Gaupp</i> in <i>London</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Gladstone</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Gothein</i> in <i>Bonn</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Vico</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Grünberg</i> in <i>Wien</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Turgot</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Hasbach</i> in <i>Kiel</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Adam Smith</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Hintze</i> in <i>Berlin</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Friedrich d. Gr.</b> </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Marcks</i> in <i>Leipzig</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Dahlmann</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Oldenberg</i> in <i>Marburg</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>K. Marx</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Pribram</i> in <i>Wien</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Cromwell</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Rathgen</i> in <i>Marburg</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Niebuhr</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">H. <i>Rippler</i> in <i>Berlin</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Bismarck</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Schäfer</i> in <i>Heidelberg</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Treitschke</b>. </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft">Prof. Dr. <i>Schmoller</i> in <i>Berlin</i> </td>
-<td class="cellRight"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>Friedr. Wilhelm I.</b> </td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="cellLeft cellBottom">Prof. Dr. <i>Waentig</i> in <i>Greifswald</i> </td>
-<td class="cellRight cellBottom"><span class="seg"><span class="ditto"><span class="s">für</span><span class="d"><span class="i">,,</span></span></span> </span> <b>St. Simon</b>. </td>
-</tr>
-</table>
-</div><p>
-</p>
-<p>Darstellungen von <b>Cavour</b>, <b>Roon</b>, <b>Moltke</b>, <b>Lassalle</b>, <b>Fr. List</b> und andern grossen Staatsmännern und Nationalökonomen werden folgen.
-</p>
-</div>
-</div>
-</div>
-</div>
-<div class="transcriberNote">
-<h2 class="main">Kolophon</h2>
-<h3 class="main">Verfügbarkeit</h3>
-<p class="first">This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project
-Gutenberg License included with this eBook or online at <a class="seclink xd31e40" title="Externe Link" href="https://www.gutenberg.org/" rel="home">www.gutenberg.org</a>.
-</p>
-<p>This eBook is produced by the Online Distributed Proofreading Team at <a class="seclink xd31e40" title="Externe Link" href="https://www.pgdp.net/">www.pgdp.net</a>.
-</p>
-<p>An English translation of this ebook, <i><a class="pglink xd31e40" title="Link zu Project Gutenberg Ebook" href="https://www.gutenberg.org/ebooks/66566">The History of Philosophy in Islam</a></i>, is also available from Project Gutenberg.
-</p>
-<h3 class="main">Metadaten</h3>
-<table class="colophonMetadata" summary="Metadaten">
-<tr>
-<td><b>Titel:</b></td>
-<td>Geschichte der Philosophie im Islam</td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>Autor:</b></td>
-<td>Tjitze Jacobs de Boer (1866–1942)</td>
-<td><a href="https://viaf.org/viaf/12674288/" class="seclink">Information</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>Veröffentlichungsdatum:</b></td>
-<td>2017-05-07</td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>Sprache:</b></td>
-<td>Deutsch</td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>Veröffentlichungsdatum des Originals:</b></td>
-<td>1901</td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>Stichwörter:</b></td>
-<td>Arabic Philosophy, History</td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b></b></td>
-<td>Islamic philosophy</td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>Projekt Gutenberg:</b></td>
-<td><a href="https://www.gutenberg.org/ebooks/54679" class="seclink">54679</a></td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>OCLC/WorldCat:</b></td>
-<td><a href="https://www.worldcat.org/oclc/8362771" class="seclink">8362771</a></td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>Open Library (Buch):</b></td>
-<td><a href="https://openlibrary.org/books/OL24783344M" class="seclink">OL24783344M</a></td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>Open Library (Werk):</b></td>
-<td><a href="https://openlibrary.org/works/OL15874814W" class="seclink">OL15874814W</a></td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>GitHub:</b></td>
-<td><a href="https://github.com/GutenbergSource/54679-De-Boer-Geschichte-der-Philosophie-im-Islam" class="seclink">54679-De-Boer-Geschichte-der-Philosophie-im-Islam</a></td>
-<td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td><b>QR-Code:</b></td>
-<td colspan="2"><img src="images/qr54679.png" alt="QR-Code der URL von Project Gutenberg" width="148" height="148"></td>
-</tr>
-</table>
-<h3 class="main">Kodierung</h3>
-<p class="first">
-</p>
-<h3 class="main">Überblick der Revisionen</h3>
-<ul>
-<li>2017-04-29 Started. </li>
-</ul>
-<h3 class="main">Externe Referenzen</h3>
-<p>Dieses Project Gutenberg Buch enthält externe Referenzen. Diese Links können möglicherweise
-für Sie nicht funktionieren.</p>
-<h3 class="main">Korrekturen</h3>
-<p>Die folgenden Korrekturen sind am Text angewendet worden:</p>
-<table class="correctionTable" summary="Übersicht der Korrekturen im Text">
-<tr>
-<th>Seite</th>
-<th>Quelle</th>
-<th>Korrektur</th>
-<th>Edit-Distanz</th>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e135">3</a></td>
-<td class="width40 bottom">Uebrigens</td>
-<td class="width40 bottom">Übrigens</td>
-<td class="bottom">2 / 1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e147">3</a></td>
-<td class="width40 bottom">Ueberweg-Heinze</td>
-<td class="width40 bottom">Überweg-Heinze</td>
-<td class="bottom">2 / 1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e248">5</a>, <a class="pageref" href="#xd31e257">5</a>, <a class="pageref" href="#xd31e1134">23</a></td>
-<td class="width40 bottom">Uebersetzungen</td>
-<td class="width40 bottom">Übersetzungen</td>
-<td class="bottom">2 / 1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e263">5</a></td>
-<td class="width40 bottom">Uebersetzer</td>
-<td class="width40 bottom">Übersetzer</td>
-<td class="bottom">2 / 1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e269">5</a>, <a class="pageref" href="#xd31e415">6</a>, <a class="pageref" href="#xd31e988">13</a></td>
-<td class="width40 bottom">Ueberlieferung</td>
-<td class="width40 bottom">Überlieferung</td>
-<td class="bottom">2 / 1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e589">6</a></td>
-<td class="width40 bottom">1</td>
-<td class="width40 bottom">12.</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1034">15</a></td>
-<td class="width40 bottom">II</td>
-<td class="width40 bottom">III</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1162">24</a></td>
-<td class="width40 bottom">grosse</td>
-<td class="width40 bottom">große</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1165">24</a></td>
-<td class="width40 bottom">Ausser</td>
-<td class="width40 bottom">Außer</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1170">25</a></td>
-<td class="width40 bottom">reichbeschenkt</td>
-<td class="width40 bottom">reich beschenkt</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1290">33</a></td>
-<td class="width40 bottom">jeden</td>
-<td class="width40 bottom">jedes</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1353">37</a></td>
-<td class="width40 bottom">fleissig</td>
-<td class="width40 bottom">fleißig</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1521">47</a></td>
-<td class="width40 bottom">.</td>
-<td class="width40 bottom">,</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1537">48</a></td>
-<td class="width40 bottom">Mutaliziten</td>
-<td class="width40 bottom">Mutaziliten</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1726">65</a></td>
-<td class="width40 bottom">begnüg</td>
-<td class="width40 bottom">begnüg’</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1736">65</a></td>
-<td class="width40 bottom">grosses</td>
-<td class="width40 bottom">großes</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1790">69</a></td>
-<td class="width40 bottom">Metereologie</td>
-<td class="width40 bottom">Meteorologie</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1806">71</a></td>
-<td class="width40 bottom">Besonderkeit</td>
-<td class="width40 bottom">Besonderheit</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1819">72</a></td>
-<td class="width40 bottom">dasein</td>
-<td class="width40 bottom">da sein</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1869">76</a>, <a class="pageref" href="#xd31e2507">126</a>, <a class="pageref" href="#xd31e3181">185</a></td>
-<td class="width40 bottom">
-[<i>Nicht in der Quelle</i>]
-</td>
-<td class="width40 bottom">,</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e1894">78</a></td>
-<td class="width40 bottom">Encyclopädie</td>
-<td class="width40 bottom">Encyklopädie</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2137">97</a></td>
-<td class="width40 bottom">Kindis</td>
-<td class="width40 bottom">Kindi’s</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2213">101</a></td>
-<td class="width40 bottom">erkenntnis-theoretische</td>
-<td class="width40 bottom">erkenntnistheoretische</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2298">109</a>, <a class="pageref" href="#xd31e4919">194</a>, <a class="pageref" href="#xd31e5333">198</a></td>
-<td class="width40 bottom">
-[<i>Nicht in der Quelle</i>]
-</td>
-<td class="width40 bottom">.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2463">122</a></td>
-<td class="width40 bottom">übes</td>
-<td class="width40 bottom">über</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2553">130</a></td>
-<td class="width40 bottom">unmesslicher</td>
-<td class="width40 bottom">unermesslicher</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2571">132</a></td>
-<td class="width40 bottom">heisst</td>
-<td class="width40 bottom">heißt</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2659">139</a></td>
-<td class="width40 bottom">seine</td>
-<td class="width40 bottom">seiner</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2724">147</a></td>
-<td class="width40 bottom">himmlicher</td>
-<td class="width40 bottom">himmlischer</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2729">147</a></td>
-<td class="width40 bottom">tötliches</td>
-<td class="width40 bottom">tödliches</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2820">153</a></td>
-<td class="width40 bottom">liess</td>
-<td class="width40 bottom">ließ</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2861">157</a></td>
-<td class="width40 bottom">dunkeln</td>
-<td class="width40 bottom">dunklen</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2882">158</a></td>
-<td class="width40 bottom">Uebermenschlichen</td>
-<td class="width40 bottom">Übermenschlichen</td>
-<td class="bottom">2 / 1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2919">161</a></td>
-<td class="width40 bottom">thatens</td>
-<td class="width40 bottom">thaten es</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2958">164</a></td>
-<td class="width40 bottom">ausserdem</td>
-<td class="width40 bottom">außerdem</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2982">166</a></td>
-<td class="width40 bottom">Chalife</td>
-<td class="width40 bottom">Chalif</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e2993">167</a></td>
-<td class="width40 bottom">Mißverständnisse</td>
-<td class="width40 bottom">Missverständnisse</td>
-<td class="bottom">2</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e3197">186</a></td>
-<td class="width40 bottom">Neue</td>
-<td class="width40 bottom">Neues</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e3627">189</a></td>
-<td class="width40 bottom">Dunss 187 Scotu</td>
-<td class="width40 bottom">Duns Scotus 187</td>
-<td class="bottom">10</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4298">191</a></td>
-<td class="width40 bottom">31f.</td>
-<td class="width40 bottom">31 f.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4325">191</a></td>
-<td class="width40 bottom">115f.</td>
-<td class="width40 bottom">115 f.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4381">191</a></td>
-<td class="width40 bottom">20f.</td>
-<td class="width40 bottom">20 f.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4414">191</a></td>
-<td class="width40 bottom">69f.</td>
-<td class="width40 bottom">69 f.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4440">191</a></td>
-<td class="width40 bottom">73ff.</td>
-<td class="width40 bottom">73 ff.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4448">191</a></td>
-<td class="width40 bottom">97f.</td>
-<td class="width40 bottom">97 f.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4458">191</a></td>
-<td class="width40 bottom">165ff.</td>
-<td class="width40 bottom">165 ff.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4660">191</a></td>
-<td class="width40 bottom">160ff.</td>
-<td class="width40 bottom">160 ff.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4827">194</a></td>
-<td class="width40 bottom">J.</td>
-<td class="width40 bottom">I.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4884">194</a></td>
-<td class="width40 bottom">Mk.</td>
-<td class="width40 bottom">M.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e4997">195</a></td>
-<td class="width40 bottom">,</td>
-<td class="width40 bottom">.</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e5085">196</a>, <a class="pageref" href="#xd31e5097">196</a></td>
-<td class="width40 bottom">Uebersetzt</td>
-<td class="width40 bottom">Übersetzt</td>
-<td class="bottom">2 / 1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e5172">197</a></td>
-<td class="width40 bottom">Ueber</td>
-<td class="width40 bottom">Über</td>
-<td class="bottom">2 / 1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e5211">197</a></td>
-<td class="width40 bottom">..</td>
-<td class="width40 bottom">…</td>
-<td class="bottom">1</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="width20"><a class="pageref" href="#xd31e5263">198</a></td>
-<td class="width40 bottom">Uebersiedelung</td>
-<td class="width40 bottom">Übersiedelung</td>
-<td class="bottom">2 / 1</td>
-</tr>
-</table>
-<h3 class="main">Abkürzungen</h3>
-<p>Übersicht der Abkürzungen im Text.</p>
-<table class="abbreviationtable" summary="Übersicht der Abkürzungen im Text.">
-<tr>
-<th>Abkürzung</th>
-<th>Ausgeschriebene Form</th>
-</tr>
-<tr>
-<td class="bottom">d. h.</td>
-<td class="bottom">das heißt</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="bottom">gest.</td>
-<td class="bottom">gestorben</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="bottom">s.</td>
-<td class="bottom">siehe</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="bottom">u. A.</td>
-<td class="bottom">und Andere</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="bottom">u. a.</td>
-<td class="bottom">unter andere</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="bottom">u. s. w.</td>
-<td class="bottom">und so weiter</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="bottom">Vgl.</td>
-<td class="bottom">Vergleiche</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="bottom">vgl.</td>
-<td class="bottom">vergleiche</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="bottom">z. B.</td>
-<td class="bottom">zum Beispiel</td>
-</tr>
-</table>
-</div>
-</div>
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE IM ISLAM ***</div>
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-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg&#8482;&#8217;s
-goals and ensuring that the Project Gutenberg&#8482; collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg&#8482; and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-</div>
-
-</div>
-
-</body>
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