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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-07 08:14:00 -0800 |
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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Jockele und seine Frau - -Author: Max Geißler - -Release Date: May 7, 2017 [EBook #54677] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOCKELE UND SEINE FRAU *** - - - - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - - - - - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - - Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text - ist +so ausgezeichnet+. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist - ~so markiert~. - - Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des - Buches. - - - - - Ullstein-Bücher - - Eine Sammlung - zeitgenössischer Romane - - [Illustration] - - Ullstein & Co / Berlin und Wien - - - - - Jockele und seine Frau - - Roman von - - Max Geißler - - [Illustration] - - Ullstein & Co / Berlin und Wien - - [Illustration] - - - - -Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten - -Amerikanisches Copyright 1917 by Ullstein & Co, Berlin - - - - -Der Doktor Jakobus Sinsheimer -- lieber Gott, wer kennt den Doktor -Jakobus Sinsheimer nicht! Hat er nicht als »der Jockele« wegen seines -heftigen Betriebes mit den Mädchen die kleine Stadt Weimar in große -Aufregung versetzt? Der Jockele, der als Zigeunerbüblein von der guten -Tante Veronika auf der Schwelle des Hauses am Walde gefunden wurde! -Der Jockele, der sich hernach so kraftvoll hineinliebte ins Leben! Der -zuerst ein Maler werden wollte, und zu dem dann sein väterlicher Freund -Ernst Haeckel in Jena sagte: »Ein rechter Kerl geht nicht unter -- auch -ohne Matura; deutsche Hochschulprofessoren sind keine Philister, und -aus einem Zigeuner wird durch die kluge Sorge seiner alten Tante ein -gelehrter Doktor.« - -In Bonn, wo er mit Doris Rinkhaus Hochzeit feierte, sprach er ein Wort -von grundlegender Bedeutung. Er sagte: »Mit Männern, in deren Leben -die Frauen nicht eine ungeheure Rolle spielen, hat es ein Aber.« Das -schmetterte er so über die Hochzeitsgesellschaft hin. Und die Welt -hielt davor den Atem an. Eine ältere Dame sagte sogar: »Ooh!« - -Papa Rinkhaus, der Fabrikbesitzer, war ein gescheiter, eigenwilliger -und reicher Mann. Es kam ihm gar nicht darauf an, den Schwiegersohn -gleich an seinem Ehrentag ein bißchen in Reparatur zu nehmen. Seiner -väterlichen Würde war sowieso eine harte Probe zugemutet worden, weil -seine Tochter Doris ihre Herzensangelegenheit durchaus zu eigener -Sache gemacht hatte. Nun konnte er gleich anfangen, das Versäumte -nachzuholen; denn -- wie gesagt -- die Hochzeitsgäste hielten den Atem -an. Der Jockele, der aus dem Thüringer Walde gezogen worden wie Moses -aus dem Schilfe des Nil, schien ja mit recht netten Grundsätzen in die -Ehe zu treten! Oh! - -Aber Xaverius Rinkhaus zerplatzte nicht gleich, wie das die ältere -Dame erwartet hatte. Nein, nein, er war auch ein vorsichtiger Mann und -fragte: »Wie meinen Sie das?« Es klang steil. - -»Ganz anders, als Sie erwarten, meine Herrschaften,« sagte Jockele -mit Genugtuung. »Was mich betrifft, so werde ich mich in die Sonne -meiner Frau stehen, wie sich die Erde stellt in das Licht des -Frühlingshimmels.« - -»Wie schön!« seufzte die ältere Dame bekehrt. Aber »Na na!« sagte -Fräulein Hanna von Fellner, die ein halbes Jahr mit einem Oberleutnant -verlobt gewesen war. Im Grunde war es ihr gar nicht unangenehm, daß man -es bei diesem deutsamen »Na na« nicht bewenden lassen wollte. Sie hatte -gegen die Liebesfähigkeit junger Männer ihre Bedenken -- zum mindesten -gegen die Ausdauer dieser Liebesfähigkeit. Und weil der Hochzeiter -Jockele so vergnügt um sie herschien, getraute sie sich, mit ihm eine -Lanze zu brechen. Oho! - -»Lieber Doktor, Sie sind ja nur in die Enge getrieben worden. Sie -wollen Ihre junge Frau nicht ängstlich machen. Und Sie fürchten sich -vor dem gewappneten Heer, das um Sie lagert! Wetten wir, daß Sie vor -dem ehelichen Dasein alle Bangigkeit befallen hat, die die Männer nun -einmal davor aufbringen?« - -Es war ein roter neunzehnjähriger Mädchenmund, der das daherredete, -wunderhübsch aufgeblüht und wissend -- aber nicht zu sehr. Und gar -nicht verkümmert in ungestillten Sehnsüchten. - -Deshalb setzten namentlich die jungen Frauen der Tafelrunde gleich -alle Lichter heraus. Teufel auch -- wenn solche Weisheiten zwischen -angewelkten Lippen hervorgesickert wären, so hätte man sich verstohlen -mit den Füßen ein Zeichen gegeben und hätte gedacht: »Nun ja, die -Konzession hat sie nicht bekommen -- deshalb verschenkt sie nun den -Wermut der Liebe.« Aber auf Hanna von Fellner traf das nicht zu. Nein, -es traf nicht zu -- trotz der aufgetrennten Verlobung; denn erstens war -sie Dos ausgezeichnete Freundin, und zweitens war sie dieser aufrechten -und klaren Do leuchtendes Ebenbild. Wer die beiden nicht kannte, hielt -sie für Schwestern. - -Der Hochzeiter Jockele hatte, wie man weiß, gerade sein Werk »Der -Kunsttrieb der Natur« vollendet. Deshalb hatte er den Kopf noch bis -oben voll von Wissenschaft über »die Entwicklung der Organismen aus -eigener Kraft durch die physikalische und chemische Energie der -lebendigen Substanz«. Er hätte also präziser antworten können, als er -es tat. Aber er wollte der lustig aufgewiegelten Hanna nicht gleich -Schach bieten, ließ sich in ein Gefecht mit ihr ein und wettete um eine -Mark: er hätte nicht halb so viel Angst vor dem ehelichen Dasein, als -sie ihm andichte. - -Schon wegen der Wette um die Mark bekam er die Lacher auf seine Seite. -Für Hanna von Fellner dagegen wurde die Lage unbequem. - -»Lassen Sie sich nicht aus dem Sattel werfen, Hannachen!« reizte Herr -Xaverius Rinkhaus. - -Nun, der Jockele war ja seit drei Stunden verheiratet; und Hanna -gehörte zu seiner Frau -- sie gehörte also auch zu ihm. Deshalb durfte -sie das schon wagen. »Also,« trumpfte sie heraus, »meine Wette hab' -ich gewonnen: ein bißchen Angst haben Sie schon zugegeben! Sie sind -aber auch ein viel zu junger und interessanter Mann, als daß es Ihnen -nicht bange sein müßte vor der Hürde der Ehe. Wie lautet doch die -Weisheit junger Leute Ihres Schlages? Sie schupfen verstellungsfroh die -Schultern, lieber Doktor! So will ich Ihnen auf die Sprünge helfen. Sie -alle fürchten sich vor dem geordneten Leben ...« - -»Stempeln Sie mit diesem kühnen Satze nicht jeden unverheirateten Mann -zu einem Zigeuner?« - -Das sorglos gleitende Schiff Hannas war gegen eine Klippe gefahren. -»Nun, so will ich sagen: Junge Männer, wenn sie glauben, daß sie -richtig gehen, lieben die fröhliche Wildnis, und sie meinen, in der Ehe -verkümmern ihnen unentbehrliche Blüten des Lebens.« - -Es war keine Erörterung für eine Hochzeitstafel; auch dann nicht, -wenn man schon bei den Knackmandeln war. Und doch geriet weder die -vortreffliche Stimmung noch einer der Gäste dabei in Gefahr. Nicht -einmal Hanna selbst. Aber sie war klug und wollte für diesmal nicht -recht behalten. Sie warf dem Jockele also noch rasch einige Perlen -aus der Kette ihrer Gedanken zu und rief: »Geben Sie acht, Doktor, -daß Ihnen keine davon fortkommt! Auf der Insel der Auferstehung oder -im Riesengebirge oder im Gartenhaus am Horn in Weimar wollen wir sie -wieder schön auf den Faden reihen.« - -Die Insel der Auferstehung ist ein Eiland im Hardanger Fjord. Der -Name war von einem Kreise junger Menschen erfunden, die in jener -Zeit daselbst hausten. Eine Vereinigung von Künstlern, Träumern und -lebensfrohen Kämpfern, die sich »Sturmschwalben« nannten. - -Hanna von Fellner hatte nach ihrem rückgängig gewordenen Verlöbnis zwei -Wochen auf dieser seligen Insel gelebt. Sie war von einer Freundin -dorthin gerufen worden, die die Düsseldorfer Akademie besuchte und -einen Sommer lang am Strande Norwegens malte. »Ich gehörte zu den -Träumern unter den Sturmschwalben,« sagte Hanna. - -»Nun ja, damals!« lachte Jockele. - -Und sie berichtete, wie herrlich, groß und einsam die Welt dort wäre. -Die Insel der Auferstehung sollte das erste Reiseziel des Doktors und -seiner jungen Frau sein. Hannas beredter Mund hatte viel zu reizvoll -von dem Fjord und den Sturmschwalben geplaudert. Dort im nordischen -Sunde auf dem Sonneneiland flog Jugend aus vielen Ländern zusammen. -Es gab keine gedruckten Vereinsgesetze, keinen Vorstand und keinen -Kassierer, keinen Monatsbeitrag und keinerlei andere Verpflichtungen. -Die Feste, der Ernst und der Frohmut, das Weilen und das Wandern waren -dort Eingebungen des Augenblicks. - -Im Hochzeitstag am Rheine tauchte das Bild der Insel der Auferstehung -empor und ging unter in Tanz und Glück. Vor Mitternacht -- aber lange -nicht als die letzten -- verschwanden auch Jockele und Do. Danach -blieben sie einige Zeit verschollen. Das erste Lebenszeichen sandten -sie aus dem Blockhaus am Fjordstrand, in dem sie ihre Koffer, ihre -Daseinslust und ihre Neugier einstweilen verstaut hatten. Von Hanna -wußten sie: ein Gasthaus gab es auf der kleinen Insel nicht. Auch nach -ihrem Namen forschten sie bei den Fischern vergeblich. Selbst auf dem -Dampfboote, das sie durch den Fjord trug, hatte kein Mensch eine Ahnung -von dem Eilande der Auferstehung. Nur das Gehöft Krokengaard kannte -man. Das lag drüben am Fjordufer über der Sägemühle. Das hatte ihnen -Hanna als Ziel ihrer Fahrt genannt. Es schäumte nahe dabei in jähem -Sturz ein Bergfluß über Schründe und Zacken und zerschlug sich zu einem -Schleier von Staub. - -Am anderen Morgen ergingen sich Do und Jockele am Strande vor dem -Plätschern der schimmernden Wasser. Da glitt ein Boot mit einem braunen -Segel herüber, und Nane Thord stieg heraus. Sie trug ein schwarzes -Wollgewand und eine weiße Haube. - -Auf Nane Thord mit den stillen grauen Augen hatten sie gewartet. Das -war die Witwe des Fischers Lars Thord. Sie segelte bis tief in den -Herbst hinein an jedem Morgen von der Insel herüber. Mit dem geräumigen -Korb am Arm zog sie von Haus zu Haus. Auf Krokengaard erstand sie -Eier und Butter, beim Krämer geräucherten und rohen Lachs, Anschovis, -fetten Hering. Sie kaufte rote Rüben und Zwiebeln, Olivenöl, Essig -und Pfeffer; Knäckebröd mit Anis gewürzt; Sillsalat aus mariniertem -Hering; sie feilschte um Gammalost, den schärfsten alten Käse, für -den der Maler Henrik Tofte seinen letzten Pfennig anlegte, und ließ -sich die Flaschen füllen mit Pomerans und Finkelbränvin. Sie verstaute -in ihrem Korb Brot aus feinem Mehl und Gänsebrust und Kaviar ... Oh, -dem »Smörgasbord« von Nane Thord konnte kein Mensch nachsagen, daß -dieser kleine Vorspeisentisch nicht zu aller Zeit mit Umsicht und -Liebe gerüstet stünde! Was ein Smörgasbord eigentlich wäre, wußten die -beiden landfremden Hochzeitsmenschen noch gar nicht. Sie kamen sich -bei ihrer Strandwanderung ein wenig entwurzelt und sehnsüchtig vor; -denn sie waren an ihrem Reiseziel und waren es doch nicht. Sie hätten -hinüberrufen können zu der Insel der Auferstehung, und dennoch lag -die in dem dunkeln Wasser wie ein fernes, fernes Land. Es war, als -müßten sie erst die Schneegefilde vom Folgefond, die sich vor ihnen -in der Flut des Fjords spiegelten, überschreiten in langer, mühsamer -Wanderung, um hinzugelangen. Aber als Nane Thords Boot gegen den Strand -stieß, sprangen sie herzu wie Kinder, die ihre Mutter erwarten, und als -wäre das Schifflein das Spielzeug, das sie ihnen mitgebracht hatte. - -Nane Thord aber wunderte sich an der leuchtenden jungen Frau Do -über die Maßen. »Es wachsen viele blonde und hohe Mädchen an diesem -Strande,« sagte sie, »aber so hell ist keine von uns.« Do sah aus wie -ein Maitag, der über die Zinnen der Berge blüht. Dann redeten sie von -Hanna und fanden sich darüber gleich gutbekannt zueinander. - -Während Nane Thord ihren Einkäufen nachging, blieben die beiden im -Boot. Sie machten es los und glitten vor dem sachten Morgenwind -uferhin. Es dauerte zwei Stunden. Da lernten sie das Boot wenden und -die Leinwand in den Wind stellen. Sie wurden kecker und fuhren ein -wenig hinaus. - -Es hatte sich nämlich ein Mensch zwischen dem Gesteine der Insel halb -aufgerichtet und schaute ihnen unverwandt zu. »Ich glaube, dieser -steinerne Gast ist Rolf Krake,« sagte Do. - -»Ach so -- der Dichter, Träumer, Maler, Lautenschläger und Drechsler?« -fragte Jockele. Sie kannten seinen Namen und seine wunderliche Art von -Hanna. Die hatte ihnen sein Bild nicht ohne Teilnahme gezeichnet und -hatte gesagt, Rolf Krake wäre die einzige der Sturmschwalben, die Nane -Thord über den Winter hätte Gesellschaft leisten wollen. Das einsame -Eiland gehörte ihr, und außer ihr wohnte niemand dort. - -Von Rolf Krake stammte der Name der Insel und der Vereinigung. Von ihm -rührte auch der Anbau aus Stämmen her, der dem kleinen Blockhause des -Fischers Thord im vorigen Jahr angefügt worden war. - -Dieser Anbau hatte, wie das alte Haus, ein Rasendach, tief herabgezogen -und auf geschälte Birkenrinde gelegt. Aber während der Rasen auf -dem alten ganz von Moos und Flechten übersponnen war und nun in der -Morgensonne leuchtete wie dunkles Gold, blühte das neue wie ein -Frühlingsanger von Gänseblumen, blauem Gundermann, roten Taubnesseln -und Schaumkraut. »Man kann von den Dächern dieser Blockhäuser die ganze -norwegische Flora zusammenstellen,« sagte der Naturforscher Jockele. - -Da sahen sie Nane Thord von der Sägemühle her wieder über das kurze -Gras des Vorlands herabschreiten. Sie arbeitete mit dem freien Arm -wie eine Windmühle mit ihren Flügeln; denn sie wollte sich den beiden -bemerkbar machen. Also fuhren sie hinüber. Nane Thord ergriff Steuer -und Segelleine. Und wie ein Renner, der sich wieder in sicheren Händen -weiß, eilte das Fahrzeug nun über den Fjord. - -Der Mann zwischen den Steinen kroch hervor und machte das Boot fest. -Es war aber nicht Rolf Krake, sondern Henrik Tofte, der Maler, der -auf seinen alten Käse gewartet hatte. »Nane Thord hat mir den Tag -zerdonnert,« sagte er. »Wissen Sie, auf mich haben alte Käse die -Wirkung wie auf Ihren Dichter Schiller die faulen Äpfel. Eigentlich -wollte ich heute das Bild für Johnny fertigkriegen -- es ist nämlich -eine Sonnenstimmung aus dem frühen Tage ... Nun bin ich den Vormittag -über zu Stein geworden.« Dabei schob er einen halben Laib Brot aus der -Hand Nane Thords in die Tasche seines Malkittels, nahm den Steinnapf -mit dem Käse in Empfang und stieg wieder seinem vorigen Sitz in den -Zacken entgegen. - -»Man darf es mit Herrn Tofte nicht verderben,« sagte Nane Thord -geheimnisvoll. »Er ist 'n Kerl wie 'n Eichbaum; er kann malen wie der -liebe Gott. Aber wenn er wild wird, geht er nieder wie eine Lawine.« - -»Ein bißchen viel auf einmal,« lachte Do. »Hat ihn eigentlich Fräulein -von Fellner kennen gelernt?« - -»Ah nein! Er ist doch erst mit den beiden Engländern James King und -John Williams im August gekommen.« - -Dann schritten sie vom Landeplatz den schmalen Steig zwischen -Felsblöcken empor und traten in den neuen Teil des Blockhauses, den -sie den Krakesaal nannten. Es war ein einziger großer Raum mit zwei -Reihen niederer Fenster an den Längsseiten, mit weißen Vorhängen und -mit Blumen auf den Brettern. An der rückwärtigen Schmalseite lag eine -Feuerstelle. Ein Kupferkessel hing an einer Kette über glimmender -Torfglut. In der Mitte stand ein bedeutender runder Tisch. Dunkle -geräumige Stühle waren im Kreise darum geordnet. Und beim ersten -Fenster, vor der Staffelei, stand eine Malerin, die strich in heftiger -Versunkenheit die goldene Dämmernis aus ihrem Pinsel. Sie dachte wohl: -es ist Henrik Tofte, der mit der Fischerfrau hereinkommt. Deshalb -wandte sie sich nicht um. Aber als sie Nane Thords feiertägliche -Sprache hörte, wagte sie einen Blick aus ihrer Lichtfreude. Und ... - -»Jockele! Do, goldene Do!« - -»Gwendolin Vogelgesang!« - -Es folgte ein ungeheurer Zusammensturz. Zuerst rissen sich Gwendolin -und Jockele an die Herzen. Dann warf Do ihre Arme um beide. So -jauchzten sie ihre Glückseligkeit von heißen Lippen und aus quellenden -Augen übereinander dahin. »Gwendolin, du ewiges Licht, du Zauberin!« -Und genau wie damals in der Stube der kleinen Wirtschaft im Webicht -bei Weimar, als die lange Gwendolin dem Jockele die Bilder zum »Armen -Heinrich« verkauft und ihm sein erstes selbstverdientes Geld in blauen -Scheinen gebracht hatte -- genau wie damals schossen diese ranken -jungen Menschen durcheinander wie Waldbäume und verflochten sich mit -Wurzeln und Ästen. Aber nun waren es ihrer drei. Und genau wie damals -stand eine Wirtsfrau zwischen Tür und Angel, kriegte die Verklärung -und schrieb unter das Bild in Lebensgröße »Ein Wiedersehen nach langen -Jahren«. Aber nun hieß die Wirtsfrau Nane Thord. - -Großer Gott, wie klein ist deine Erde! - -Henrik Tofte bekam durch das offene Fenster hinaus eine Ahnung der -Ereignisse. Sollte der Herr, der sich ihm als Doktor Sinsheimer -vorgestellt hatte, einer der vielen sein, die Gwendolin Vogelgesang -einmal schön gefunden hatten? Und einer von denen, die sie hernach -gehen hieß mit hochmütigem Munde -- »ich kenne diesen Menschen nicht«? - -Henrik Tofte, der ährenblonde Skalde, schritt zweimal ums Haus, um sich -zu überzeugen, ob es dadrinnen einen Streit gäbe oder eine ausgelassene -Freude. Er entschied sich für die Freude und kam herein. »Tofte, -herrlicher Tofte, das ist doch der Jockele und seine Frau Do!« jubelte -Gwendolin. - -»Ach soo!« brummte der Maler. Dann vollbrachte er eine fast -ehrfürchtige Verbeugung vor Do. Aber den Jockele nahm er in seine -beiden Hände ... »Herr, Herr --« - -»So redet er sonst nur den lieben Gott an,« rief Gwendolin dazwischen. - -»Herr, Herr, hätten Sie sich nicht mit einem falschen Namen eingeführt -drunten am Inselrande, so hätt' ich Sie auf meinen Armen in dies Haus -getragen. Ja, wenn Sie der Jockele sind, Sie Seligster unter den -Menschen! Sie kennen wir hier besser als uns selber. Na, und nun können -Sie ja mit Gwendolin und Ihrer blonden Frau wieder durch die Welt -ziehen wie auf dem Umschlagbilde des Buches ›Jockele und die Mädchen‹. -Ein gelbes Kleid und einen Wildrosenhut hat die lange Gwendolin nämlich -wieder ... Und jetzt, Mutter Thord, bringen Sie Sekt, viel Sekt! Hätten -Sie heut morgen alten Käse gehabt statt Quark, so wäre mein Bild jetzt -fertig, und Mister Johnny hätte mir eine Anzahlung gemacht, bis daß es -trocken ist. Nun aber schreiben Sie den Sekt so lange auf.« - -»Geld hat er nie,« erklärte Gwendolin. »Und doch verdient er -schrecklich viel. Ich sag' euch: er kann malen ...« - -»Wie ein Gott!« unterbrach sie Do. - -»Nein, er kann malen, daß man sich schämt, neben ihm einen Pinsel -anzurühren. Geld hat er nie. Aber er ist der Schönste unter den -Menschen.« Dabei wandte sich Gwendolin ab, aber nicht, weil sie rot -wurde, sondern weil sie ihren Malkittel abstreifte und an den Haken -hängte. »Kommen Sie, Tofte,« sagte sie dann und zog ihm den Linnenrock -aus, »Sie gehen ja daher, als wären Sie von Stein.« Gwendolin hatte nun -wirklich das gelbe Kleid an und sah aus, als liefe sie gerade aus dem -Bilde vom Jockelebuch. - -Marit, das Hausmädchen, hatte inzwischen das Smörgasbord hergerichtet; -und Jockele und Do erfuhren, was es damit für eine Bewandtnis hatte. -Dieser Vorspeisentisch stand an der anderen Schmalseite des Saales, -der Feuerstelle gegenüber, und wies, sauber zugeschnitten, alle -Herrlichkeiten auf, die Nane Thord an den Vormittagen drüben in der -Welt erhandelte. Es standen Teller dabei. Jeder nahm sich so viel und -wonach er Lust hatte. - -Henrik Tofte hatte draußen gefrühstückt. Er beschied sich bei einem -Vortrunk Pomerans und Finkelbränvin. Dann saßen sie um den Tisch her. -Tofte konnte tagelang zugeschlossen sein wie die Memnonssäule; aber -heute klang er sein Glück in die Welt in ewigem Sonnenaufgang. »Herr, -Herr, ich habe Mortsrespekt vor Ihnen,« sagte er zu Jockele, »aber -dies erste volle Glas bring ich Ihrer herrlichen Frau! Frau Do, wissen -Sie, daß Sie einen finsteren Winter lang der hohe Stern dieses Hauses -gewesen sind?« - -Da die Hauptmahlzeit erst des Abends um sieben Uhr genommen wurde, -hatte man Muße, alles zu erfahren, was man voneinander wissen wollte. -Jockele und Do würden auch Gelegenheit haben, alle Sturmschwalben -kennenzulernen, die in diesen Tagen im Hardanger Fjord wohnten, sagte -Gwendolin. »Sie fliegen nämlich herum, wo sie wollen -- auf, in die -Fjelds oder gar hin zu den Firnen, weit ins Land, zu den Wasserfällen -in die Schluchten, oder sie segeln den Fjord entlang. Nur zu Tisch -erscheinen sie des Abends alle mit Pünktlichkeit.« - -Hanna von Fellner und Gwendolin kannten sich übrigens nicht. Auch hatte -sich seit Hannas kurzem Aufenthalte manches geändert; denn Henrik Tofte -und Gwendolin wohnten nun doch auf der Insel bei Nane Thord. Durch den -Anbau waren in dem Fischerhause zwei kleine Räume dafür frei geworden. - -Neben dem Wiedersehen erstaunte Jockele am stärksten über das -Verhältnis Dos zu Gwendolin. Er mußte jenes Tages auf dem Ettersberge -bei Weimar gedenken, an dem sie Gwendolin malend im Walde getroffen -hatten. »Jakobus Sinsheimer,« hatte Do damals zu ihm gesagt, »diese -da ist Gwendolin Vogelgesang, eine Böhmin, und sehr jung. Die Männer -finden sie hübsch, und sie kann etwas.« So war das Bild Gwendolins -rasch und zutreffend von ihr gezeichnet worden. Aber zu einer -herzlichen Zuneigung war es zwischen den Mädchen nie gekommen. Und als -der Jockele in seinem jungen Unverstand an das heiße Abenteuer mit -Gwendolin geraten war, hatte ihn Do sogar mit eifersüchtigem Spott -überschüttet, und sie hatten einander den Frieden auf ein paar Wochen -gekündigt. - -Nun, Gwendolin war im Hardanger Fjord noch genau so verführerisch -wie im Sommerwalde des Ettersberges. Ja sie war vielleicht noch -gewalttätiger geworden in ihrer Sieghaftigkeit und Sinnenfreude. Aber -Do brauchte sie heute nicht mehr zu fürchten. Und sie war auch inniger -und fraulicher -- natürlich nur, was ihr Herz anlangte; denn die -schlanke Biegsamkeit des Leibes und das ganze betörende Feuer ihrer -zwanzig Jahre schienen ihr unveränderliches Eigentum. - -Den Samowar, den Gwendolin damals in einer Nebelnacht für Jockeles -kleines Heim gestiftet, hatten sie mitgebracht. Von ihm war nun die -Rede. - -»Ach, der Teekessel!« jauchzte Henrik Tofte. »Das ist ja eine famose -Geschichte!« - -»Die kennen Sie auch?« wunderte sich Do. - -»Kunststück! Alles kennen wir -- als hätten wir's miterlebt!« gestand -der Maler. »Wir wissen sogar, daß Jungjockele in jener verbiesterten -Nacht zweimal den Namen Gwendolin Vogelgesang über die schöngemusterte -Teedecke losgelassen und gesagt hat, es kröchen nun zwei Schlangen auf -dem Tisch herum.« - -Gott, wie lustig sich die Welt von damals jetzt ausnahm aus der -gesicherten Entfernung heraus! - -So lag das Lebensbuch des Jockele aufgeschlagen zu tiefster -Vertraulichkeit für alle, die es sehen wollten. Und weil man auf der -Insel einen Winter lang wißbegierig darin gelesen hatte, leistete sich -der Jockele auch seinerseits gleich die vertrauliche Frage: »Henrik -Tofte, wollen Sie Gwendolin Vogelgesang heiraten?« - -»Jawohl, was +mich+ anlangt,« sagte der. »Wir haben davon mehrfach -miteinander geredet. Aber mit der Gwendolin ist ja nichts anzufangen, -wenn sie nicht will.« - -»Und -- sie -- will -- nicht?« forschte Jockele aus drohender -Versteinerung heraus. - -»Will nicht!« bestätigte Tofte und zog die Schultern. - -»Will nicht?« sagte Gwendolin. »So ist das nicht richtig! Nur -- ich -habe gelernt, mir diese Dinge zu überlegen. Man weiß, ich bin nicht -ohne Erlebnisse. Und immer mußte ich es sein, die zur Vernunft kam, -wenn es höchste Zeit wurde. Daher ist die Rede unter den Menschen: -die Gwendolin Vogelgesang verleugnet nach vier Wochen kaltherzig -jede Liebe ... Nicht wahr, Jockele?« fragte sie in Erinnerung an den -Zwetschengarten von Ettersburg. - -»Es war das närrische Jungsein,« sagte Jockele. - -»... das ich mein Lebtag nicht loswerden kann,« ergänzte Gwendolin. -»Aber ich bin höllisch klug geworden und auf der Hut vor mir selber. -Dürfte ich anders den Mut haben, mich -- als das einzige junge Mädchen --- in den Ring der Männer zu wagen, die des Abends hier zu Tische -sitzen?« - -Man merkte: dies Gespräch war die ganz persönliche Angelegenheit -Gwendolins und Henrik Toftes. Es brach jäh ab, als sich die Tür öffnete. - -Rolf Krake kam herein. - -Er ging ein wenig vornübergebeugt und sah aus, als wollte er dem -Geheimnis Gott auf den Grund kommen; und so, als wüßte er, daß es nur -noch eins gebe, das unergründlicher sei: nämlich er selbst. Aber das -wußte er nicht. Er hatte ein schmales, bartloses, scharfmodelliertes -Gesicht mit einer auffällig hohen Stirn. Darüber dünnes blondes -Haar, nach rückwärts gestrichen. Es schien zu wehen, so oft er in -innere Erregung geriet. Ein anderes Zeichen dafür gab es an diesem -besinnlichen, etwas übermächtigen Kopfe nicht. Denn die Augen lagen -ihm unter der kraftvollen Stirn -- grau und groß, und wer diese -Augen zum erstenmal sah, der dachte, es gebe auf der Welt keine, die -ruhevoller wären. Weit offen -- und dennoch Rätsel, die kein Mensch je -gelöst hat ... wenn man nicht sagen will, daß dies dem Schwurgerichte -gelungen sei, vor das Rolf Krake hernach gestellt wurde. Augen, wie -diese, hatte niemand. Nicht einmal Nane Thord. Denn die von Nane Thord -waren zwar auch grau, groß und ruhevoll, aber sie leuchteten jeden Tag -über einen Wunderglauben. Deshalb konnte Nane Thord zuzeiten in die -Welt schauen wie ein Kind, welches den lieben Gott sucht und meint, -er stehe hinter der nächsten Ecke und spiele mit ihm Verstecken. -- -Seine Lippen waren schmal, aber nicht verkniffen; sondern dieser Mund -sah aus, als könnte er sich nur mit Rolf Krake unterhalten. Und doch -hatte Rolf Krake keinen Feind auf der Welt als sich selber. Aber er -war der Meinung: er selbst wäre sein bester Freund. In diesem Wahne -litt er sich an den Rand des Verderbens; denn sein bester und edelster -Freund war sein Bruder Woldemar. Der war aber noch niemals im Hardanger -Fjord gewesen; denn Rolf Krake hatte ihm, in seiner Einbildung von der -Feindschaft des Bruders, seinen Aufenthalt schon seit Jahr und Tag -verschwiegen. Nur manchmal, manchmal bekam er eine so heftige Sehnsucht -nach ihm, daß er Mister Johnnys Segelboot losmachte -- mitten in der -Nacht -- und den ganzen Fjord lang segelte -- mitten in der Nacht -- -bis hinaus gegen den Bömmelsund, wo das Meer offen wird. Das tat er, -weil er auf diese Weise den großen und schnellen Dampfer erreichte, -der im Morgengrauen von Norden kommt und nach Kiel fährt. Von dort aus -reiste er seiner unheimlichen Sehnsucht nach, in einem fort bis Jena, -wo sein Bruder Woldemar studierte. Aber wenn er ihm dann die Hände -schüttelte, dachte Rolf Krake: »Es ist doch so -- dieser Mensch ist -mein schlimmster Feind.« Und in der nächsten oder in der folgenden -Nacht reiste er ohne Abschied wieder von ihm weg. -- Bei alledem hielt -kein Mensch seine Sinne sorglicher zusammen als Rolf Krake. - -Was die Leute von ihm wußten, und wie sie sich das Geheimnis Rolf Krake -ausdeuteten -- das kannten Do und Jockele von Hanna. Es war vielerlei, -aber es war nicht viel. Und die Deutung war flach. - -Rolf Krake dichtete und malte. Rolf Krake studierte dickleibige -theologische Schriften, aber mit gleichem Eifer Darwin, Büchner und -Haeckel. Er hatte zwar den Anbau zu Nane Thords Fischerhütte errichten -lassen, aber er wohnte in der Sägemühle am Eingange des Seitentales, -hinter welcher der Skjoldefoß sechzig Fuß hoch über die Steilwand -herabschießt. Es war dort so: der Wassersturz hing vor der Wand in der -Luft. Wenn der Wind von Norden dagegenstieß, wehte er wie ein Schleier; -denn der Felsen hatte oben eine Nase, die bei zehn Fuß hervorragte. -Über diese Nase brauste die Flut hernieder. Deshalb konnte Rolf Krake -zwischen der Bergwand und dem Falle stehen mit verschränkten Armen und -konnte -- hinter sich den Fels und vor sich die brüllende Allmacht des -Sturzes -- fürchterlich einsam sein. - -Er sagte, er wohne in der Sägemühle, weil er dort an seiner Drehbank -drechseln könne, ohne daß er mit seiner Liebhaberei jemandem auf die -Nerven falle. Aber es geschah auch deshalb, weil die Sägen, Räder und -aufgeregten Wasser lauter redeten als die vielen Stimmen, die in ihm -waren. - -Nach alledem könnte man denken, Rolf Krake wäre feindselig gegen -seine Mitmenschen gewesen. Aber auch das traf nicht zu; ja es läßt -sich sagen, daß er von allen Sturmschwalben der Wohltemperierteste -und in seiner Art Liebenswürdigste war. Und der Rücksichtsvollste. -Das ließ sich schon daran erkennen: er hatte an diesem Vormittage den -Gesellschaftsrock angelegt. Es hatte sich in den Strandhäusern wohl -herumgesprochen, daß die schöne lichte Frau Do nach der Insel gesegelt -sei. - -Do hatte mancherlei Aufträge von Hanna für ihn. Sie spazierte also im -Saale mit ihm hin und her. Henrik Tofte trank indessen sehr viel Sekt. -Darüber wurde er aber nicht lauter als sonst, und seine Augen verloren -nichts von ihrer stahlblauen Klarheit. Wenn er früh zu trinken begann, -trank er in der Regel bis in die Nacht, ohne daß seine Hünenkraft -erkennbar erschüttert wurde. - -Dieser Vollnatur gab sich Jockele in heller Aufgetanheit hin. Es gab -an ihr nichts zu raten. Do aber wurde von Rolf Krakes rätselhaften -Dämmerungen aufs tiefste gefesselt. Sie dachte: weder Hanna noch -irgendeiner aus diesem Tal ahnt sich heran an seine Seele -- und Rolf -Krake stand in der Fülle des Lichts, das von ihr ausging, und vergaß -darüber die Welt und sich selber. - -Nach einer Weile kamen Mister Johnny und Mister James. Beide in -großkarierten hellen Anzügen und in gelben Kalblederschuhen mit dicken -Sohlen. Beide in Sportmützen, beide gleich hochaufgeschossen und beide -gleich blond und tadellos in der Aufmachung. An dem Malzeug, das sie -bei der Tür ablegten, war zu sehen, daß sie Künstler waren oder werden -wollten. Zu dieser Zeit waren sie englische Staatsstipendiaten, die von -Henrik Tofte jedes Bild von der Staffelei weg erstanden, vorausgesetzt, -daß er es nicht mit seinem Namen zeichnete. Mit dem reichlichen Gelde, -das sie ihm dafür bezahlten, erwarben sie das Recht, die Bilder als -ihre eigenen auszugeben und als Belege ihres Fleißes und Könnens nach -England zu senden. - -Dieser Brauch hatte sich aus ihrer Bequemlichkeit einerseits, aus dem -andauernden Geldbedarfe Henrik Toftes andererseits entwickelt. Beide -Teile fanden ihn angenehm. Aber es war eines der Wasser, die zwischen -Gwendolin und Tofte rannen, und über die Gwendolin nicht zu ihm kommen -konnte. - -Ihre Shagpfeifen legten sie an diesem Tag auf dem kleinen Tische neben -dem Eingang ab. - -»Es ist ein lächerlich schöner Morgen gewesen,« sagte James King, »ein -Morgen mit einer lächerlichen Fülle von Farben.« - -Do und Rolf hatten sich wieder zu dem runden Tische gesetzt; und der -Doktor hatte Mühe, sich nicht ausgelassen zu wundern, weil Mister James -den Tag und seine Farbenfülle lächerlich fand. - -»Sie malen also eine Nebelstimmung?« fragte er. - -»Im Gegenteil,« behauptete James, »dieser lächerliche Reichtum von -Licht ist mir erwünscht.« - -»Lächerlich ist das einzige schmückende Beiwort, dessen sich Mister -James bedient,« erklärte Henrik Tofte. - -»Ah soo!« - -»Treten Sie mit ihm in den Metzgerladen, so fragt er: Was kostet diese -lächerliche Wurst? Machen Sie mit ihm eine Hochtour, so redet er von -lächerlichen Gletschern und Schründen und von einer lächerlichen -Herrlichkeit in dem Augenblick, in dem er überwältigt vor der Welt -steht. Er hat die Bedeutung dieses Wortes zu eigenem Gebrauch -umgeprägt, und es ist für ihn zu einem Universalausdruck seines -uneingeschränkten Wohlgefallens geworden. -- Dies ist die einzige -nennenswerte Eigentümlichkeit an dem großen Künstler James King.« - -Henrik Tofte allein durfte sich eine solche Erklärung erlauben. -Er trieb es mit den Menschen, wie er wollte; und man ertrug seine -Allmacht. Nur in Gwendolin war eine Kraft über ihn gekommen, vor der -diese Allmacht versagte. - -Mister Johnny dagegen fürchtete den starken Henrik noch aus einem -anderen selbstsüchtigen Grunde: der Liebe zu Gwendolin. Nun ja, die -Bilder des Norwegers waren wohl zu allen Zeiten mit Geld zu erkaufen. -Und selbst, wenn Tofte der Wandertrieb überkäme, oder wenn er -- was -noch schlimmer war -- sich eines Tages von Gwendolin bereden ließe, -seine Lieferungen einzustellen: in einem nahen Augenblick würde er -doch an seinen leeren Geldbeutel fassen. Und dann konnte für Tofte -und seine beiden »Schüler« die Sache wieder von vorn anfangen. Aber -die lächerlich hübsche, die lächerlich gescheite und die lächerlich -mächtige Gwendolin hatte das Schicksal von James und Johnny in der -Hand, wenn es ihr einfiel, den genialen Henrik eines Tages zu heiraten! - -Am einfachsten wäre es gewesen, Gwendolin hätte ihre Bilder mit -der gleichen stillschweigenden Abmachung dem James und dem Johnny -überlassen. Aber die hatte vortreffliche Beziehungen in Deutschland, -sie behielt keine fertige Tafel lange im Hause; und zweitens brauchte -sie lächerlich wenig Geld. - -Heute morgen hatten James und Johnny droben auf dem Fjeld gelegen, -angeblich malenshalber, und hatten sich gesonnt. Dabei hatten sie -erwogen, daß sie das mühselige Werken mit Pinsel und Farbe aufgeben -und dennoch die berühmtesten Maler Englands werden könnten -- nämlich: -wenn der starke Henrik ihnen für ein paar Jahre sein Genie verkaufte. -Und wenn es nur das war, was er leichtherzig »Kitsch« nannte ... Seiner -Ansicht nach malte Henrik Tofte -- wenigstens in dieser Zeit und für -James und Johnny -- überhaupt nur Kitsch. Er prahlte nie mit seiner -Kunst. Aber Gwendolin versicherte den Sturmschwalben: was Henrik -eigentlich könne, das wisse kein Mensch, und auch er selbst nicht ... -Nun, die Gefahr, daß es die Menschen so bald erführen, war nicht groß; -denn was er aus seinem genialen Pinsel strich, das trug einstweilen -die Namen John Williams oder James King. Haha! Die beiden hatten in -London eine Ausstellung gehabt von »ihren« Bildern, waren daran zu -großem Ruhme gelangt und waren mit einem Schlage die gesuchtesten Maler -ihres Landes geworden. Davon erzählten sie natürlich im Fjord kein -Sterbenswörtchen; und es schien, als ob der geniale Henrik nicht einmal -die richtige Verachtung für sie aufbrächte. - -Es war ein fabelhafter Bluff. Aber er war lächerlich ungefährlich, -solange James und Johnny das Meer zwischen sich und die gläubige Heimat -legten und -- solange diese Gwendolin Vogelgesang den schönen Pott -nicht in Scherben schlug. -- Da mußte etwas geschehen. - -Jockele und Do, Henrik Tofte und Gwendolin verließen die erlebnisreiche -Tafelrunde schon gegen Mittag; denn Sinsheimers wollten ein Boot -kaufen. Die Lockungen des Fjords waren mit unwiderstehlicher Macht über -sie gekommen. Aber sie wollten auch nicht immer abhängig bleiben von -Nane Thords Fahrzeug, so oft ihnen der Sinn nach der Insel stehen würde. - -Gwendolin mußte mit. Das entsprach dem Wunsche Henriks. Wenn er -sie nicht in seiner Nähe wußte, geriet er aus seiner »lächerlichen -Wurstigkeit« -- wie James King den Normalzustand Henriks in tiefer -Bewunderung nannte. Aber wenn er gar einmal nicht wußte, wo sie war, -wurde er unfähig zum Schaffen. Dann war ihm sein guter Stern vom -Himmel gefallen ... Die Leute wußten das von einem Ende des Fjords -bis zum anderen. Sie wußten: dieser Mann, auf den sich die Augen -aller richteten, weil er daherschritt wie ein Sieger, konnte Felsen -zerdrücken in seinen Händen, und er konnte vor Gwendolin beten. Aber -sie hörte ihn nicht. Es war das lauterste Verhältnis, das je zwischen -zwei Menschen bestand, und doch wurde zu Land und zu Wasser kaum eines -ohne das andere gesehen. Keines betrat die Stube des anderen, die ihnen -Nane Thord von ihrem einsamen Fischerhäuschen vermietet hatte. James -und Johnny konnten dieses Platzmangel wegen nicht auf dem Eilande -wohnen. Die beiden hausten drüben am Festland unter dem Dache der -alten Bolette Steensgard, die auch eine Fischerswitwe war. Sinsheimers -behalfen sich einstweilen im Gehöft Krokengaard mit zwei kleinen -Stuben, die nach dem Fjord hinauslagen. Und Rolf Krake sinnierte in der -Sägemühle. -- - -Der Wind, der am Morgen die Flut gekräuselt hatte, lag irgendwo -schlafen an sonnigem Hange. Deshalb mußten die Männer die Ruder -gebrauchen. Es war eine feine Fahrt; denn der Schiffbauer wohnte -zwei Stunden fjordabwärts. Darüber ließ sich Jockele von Henrik Tofte -vollends in der Behandlung solch eines Fahrzeugs einweihen. Do und -Gwendolin aber saßen in der Mitte gegen die rotgepolsterte Rückenlehne --- Do ganz in Weiß, Gwendolin in Gelb -- und brachten den Menschen, -die sie vom Ufer aus sahen, den jauchzenden Glauben bei, daß nun der -Frühling in vollem Gange wäre. - -»Jockele,« sagte Gwendolin, »es ist furchtbar nett und delikat von -euch, daß ihr vor der Mitwelt nicht ewig das Schauspiel der jungen -Hochzeiter aufführt.« - -»Der Mensch kann schließlich nicht alles auf einmal tun,« sagte -Jockele. »Jetzt bin ich dabei, mir Quasen an die Hände zu rudern -- -siehste nich?« - -Und: »Was meinst du, Jo -- ist es nicht so herrlich und tatenreich -hier, daß wir bis in den Herbst bleiben müssen?« fragte Frau Doris. - -»Ich habe allbereits den gleichen Wunsch,« sagte Jo. »Es ist gut, daß -ich meine Mikroskope eingepackt habe. Ich werde also versuchen, mein -Werk über ›die Flechten‹ dem Abschluß nahezubringen. Später -- etwa im -Riesengebirge -- will ich es vollenden. Und zweitens werde ich eine -›spezielle Naturgeschichte der europäischen Froschlurche‹ in Angriff -nehmen. Es ist da eine Lücke in der Literatur.« - -»Die Sache mit den Fröschen ist etwas Neues,« warf Do überrascht ein. - -»Ja. Der Gedanke dazu ist mir in diesem Boote gewachsen.« - -»Indes werde ich mich mit der speziellen Naturgeschichte der -›Sturmschwalben‹ beschäftigen,« sagte Do mit bedeutendem Lächeln. - -»Hm,« scherzte Jockele, »hm -- ich werde also darüber nachdenken, ob -sich eine so junge Frau dem praktischen Studium dieses Objektes ohne -Gefahr aussetzen darf.« - -»Nun,« rief Gwendolin in fröhlichem Verstehen, »man könnte ja im -Notfalle dies gefährliche Studium durch eine jähe Abreise unterbrechen.« - -Henrik Tofte wurde ganz still vor dem Glück, das mit ihm im Boote saß. -Er dachte, es ahnte niemand, welch ungeheure Erlebnisse diese liebliche -Fahrt in ihn warf. - -Aber Gwendolin wußte es doch; denn Henrik Tofte war für sie nie -beredter als in seinem Schweigen. Sie sah heimlich zu ihm hinüber und -erkannte: das Glück dieser klaren und aufrechten Menschen nahm sein -liebes und unstetes Herz in beide Hände und hielt es tief hinein in -die Sonne. Und Henrik träumte das Märchen: es würde nie mehr ein Sturm -durch dies Herz laufen. Ach, es war ein wunderschöner Traum! - -»Weißt du, Jo,« begann Do nach einer Weile, »es wäre wohl gut, wir -ließen uns zu unserem Vorhaben ein gemeinsames Laboratorium von drei -kleinen Zimmern auf der Insel errichten.« Darüber zog der Doktor die -Ruder ein, und Henrik Tofte trieb das Boot mit leisen Schlägen voran. -»Nun, einesteils zum Arbeiten, andernteils zu unserer Bequemlichkeit; -drittens als ein heimeliges Nest für ›Sturmschwalben‹, die nach uns -auf der Osterinsel hausen möchten und unser dabei freundlich gedenken -können; und viertens: wir verbessern damit der eifrigen Nane Thord ihre -wirtschaftliche Lage. Was meinen Sie zu diesem Plane, lieber Doktor -Jockele?« fragte Do. - -Dem langen Henrik schauerte das Glück immer tiefer in sein grundgütiges -Herz. Er ließ die Ruder aus den Händen gleiten und vergaß zu atmen -- -wie Lottchen, als es den ersten Christbaum sah. - -Er dachte nicht daran, daß man ihn auf solchen weichen Regungen des -Gemüts ertappen könnte. Es focht ihn überhaupt nicht an, was man ihm -bei seinem eichbaummäßigen Wuchs als Schwäche aufrechnete. Pah -- in -diesem Hünenkörper flossen so viel Sanftmut und Gewaltart, so viel -Allmacht und Unmacht, so viel Genie und Hilflosigkeit ineinander -- der -Teufel mochte dies Wirrsal ausfitzen! Haha, der Teufel! Als ob der ein -Interesse daran gehabt hätte, dies wunderliche Stück Dasein, das man -Henrik Tofte nannte, anders zu machen! Just so, wie er war, war er ihm -herrlich verfallen. »Auf meinen Feingehalt kannst nur du mich läutern, -Gwendolin Vogelgesang!« hatte er an einem Winterabend zu ihr gesagt, -als sie miteinander bei der Feuerstelle gesessen und dem Schneesturme -gelauscht hatten. - -Nun, die Gwendolin hatte schon vor vier Jahren felsensicher auf sich -selber gestanden -- damals, als Jung-Jockele an ihr in den purpurroten -Untergang geriet und am anderen Tage der Do gelobte: »Diese Gwendolin -werde ich heiraten; sie ist ein süßes und heißes Mädel ...« - -Aber im Falle Henrik Tofte fehlte ihr das Vertrauen zu ihrer Kraft. - -Jockele, der sich die Quasen unter der ungewohnten Tätigkeit nun -errungen hatte, stieg nach vorn und setzte sich den Damen gegenüber. -Sie besprachen den Plan. Do hatte die Sache ausgezeichnet bedacht. Der -kleine Neubau sollte an die Westseite der Fischerhütte kommen, dem -Krakesaal entgegengesetzt. Auf ein paar Stiegen sollte man von außen -hineingehen, aber man sollte durch Nane Thords Flur auch zum Saale -gelangen können. Und es sollte alles stilecht aus Blockholz errichtet -werden, und mit einem Rasendache. - -Henrik Tofte ruderte sich darüber im Grunde genommen in tiefe -Zwiespältigkeit. Aber er dachte, dieser Tag wäre die Glückseligkeit -selber und wäre für ihn die Schwelle zu einem neuen Leben. Ja, solch -ein Mensch war er nun. - -Es fehlte auf der Leiter der Affekte, die die guten und schlimmen -Mächte in ihn hineingestellt hatten, das Satansgeschenk des Neides. -Dafür war bei den Übermaßen seiner sonstigen Gaben offenbar kein Platz -mehr gewesen. Und nicht vergeblich hatte für ihn das Doppelgestirn Do -und Jo lange Winternächte hindurch im Haus auf der Insel geschienen -- -das hatte die berechnende Sorge Gwendolins getan. Nun fand er in diesen -beiden alles, was ihm zu wünschen blieb. - -Er fing das Wünschen auf dieser Bootfahrt überhaupt zum erstenmal -an. Denn was er bis zur Stunde an anderen Menschen wahrgenommen, das -besaß er selber in Hülle und Fülle. Sogar Geld, so viel er wollte. -Früher hatte er sich auch darum den Teufel gekümmert. Aber seit ihm -das Schicksal James und Johnny gesandt -- eine Berliner Sturmschwalbe -hatte sie in scharfem Spotte »die beiden Jötter« genannt -- seitdem -hatte er auch davon mehr, als nötig war. Er brauchte nur den Pinsel in -sein Genie zu tunken und -- er vermöchte in einem Jahre die gesamte -Kulturwelt mit Begeisterung für ihn zu übermalen, behauptete Gwendolin. -Und die mußte das wissen. Sie war ihm eine strenge Richterin. Aber er -fühlte dazu -- als ein richtiges Genie -- nicht das Bedürfnis. Na, -und wenn schon! Was hätte denn das alles zu sagen gehabt gegen die -Taten des einzigen Menschen Jockele? Was denn? Dieser Jockele hatte -sich geboren werden lassen in eine Sommernacht mitten im thüringischen -Bergwald. Dann hatte er sich von der Zigeunerin, die seine Mutter war, -auf die Schwelle der gütigsten, sehnsüchtigsten und weisesten Tante -Veronika legen lassen. Diese Tante setzte sich von Stund' an mit all -ihrer Weisheit und ihrem Gelde für ihn ein. Und so früh es nur anging, -nahm ihn das Schicksal auf wie einen goldenen Ball und warf ihn schönen -oder klugen Mädchen zu, die ihn mit geschickten Händen fingen. Als -die letzte hatte sich dies Schicksal Doris Rinkhaus aufgehoben. Die -war ausgemachtermaßen so etwas wie die Krone unter den Frauen. Ja. -War es denn anders möglich, als daß bei solch einem Lebenswandel der -Zigeunerbub in ein paar Jahren sogar ein Doktor hieß? Und daß er nun --- acht Tage nach seiner Hochzeit mit der gescheitesten Frau der Welt --- im Boote den Hardanger Fjord entlangglitt und mit Do die Wohltaten -erwog, die sie ihm und den Sturmschwalben angedeihen lassen wollte? -Wenn diese beiden morgen nach Ägypten und in ein paar Tagen nach -Hinterindien fahren wollten, so fuhren sie -- das Schicksal würde nicht -das mindeste dagegen einwenden. - -Jawohl, Rührung und Freude weinte das lange Genie über diesen -Erwägungen an die Ränder seiner Augen. So sah es nun in Henrik Tofte -aus! In jeden Gedanken drängte sich der Begriff des Schicksals. -Schicksal war das einzige Ding, vor dem der Riese auf der Osterinsel -Respekt hatte -- das heißt: wenn man Gwendolin Vogelgesang abrechnete. -Schicksal -- damit ließ sich doch noch etwas anfangen! Aber bloß mit -Genie? Pah! -- Henrik Tofte war ein Fatalist. - - -Das Leben der Sturmschwalben, die in jenem Frühling auf der Insel im -Hardanger Fjord zusammengeflogen waren, war äußerlich wohl sehr arm an -Ereignissen. Es war von der Art, welche Menschen aus dem Durchschnitt -»gräßlich langweilig« finden. Wie es denn die einzige Eigentümlichkeit -solcher Durchschnittsleute ist, jede Stunde fad und abgegriffen zu -machen, in die sie treten. Von dieser Gattung kamen auch etliche. -Sie flogen herzu, weil sie sich draußen in den Ländern hatten davon -erzählen lassen. Genau so, wie Do und Jo durch Hanna von Fellner von -der gastlichen Stätte erfahren hatten und neugierig geworden waren. -Und da diese Wandervögel nicht fanden, was sie erwarteten, zogen sie -rasch wieder fort. Für die anderen aber war jeder Tag eine schöne -schimmernde Schale, voll bis zum Rande. - -Der Anbau, in dem Sinsheimers nisten wollten, wurde gleich in Angriff -genommen. Er bekam, wegen der gefälligen Silhouette, auch noch ein -Zimmer als Oberstock, das sich turmartig über denen zu ebener Erde -erhob. Der Mai stand in goldener Fülle über der Welt. Die Stämme, -die schon behauen bereitlagen, mußten nur auf die gegebenen Maße -zugeschnitten werden. So war der Bau ein Werk von Tagen. - -Do und Jockele, Henrik Tofte und Gwendolin und Krake waren um diese -Zeit zu einer Mal- und Studienfahrt auf die Berge gezogen. Sie -hatten sich für zwei Wochen ausgerüstet und wollten nordwärts bis -zu dem großartig düsteren Songefjord. Nur James und Johnny waren -daheimgeblieben, saßen im Krakesaal, blätterten in Zeitschriften -und rauchten aus ihren Shagpfeifen. Draußen lag eine sehr finstere -Neumondnacht. - -»Meinst du, daß Gwendolin und Tofte heute zurückkommen?« fragte James. - -Johnny zog die Uhr. »Es ist noch eine Stunde bis Mitternacht,« sagte -er. »Ich glaube, wir fahren hinüber. Warum wartest du?« - -»Weil Nane Thord noch nicht schlafengegangen ist und wohl auch wartet. -Ich habe sie vor zwei Minuten hinausgehen hören.« - -Da schritten sie durch die neue Tür in den Anbau, der schon überdacht -war. Aber die Fenster waren noch nicht eingehängt. Sie sahen da und -dort noch einen goldenen Stab Licht in dem schwarzen Wasser stehen wie -Laternenträger. Die Flut flüsterte im Gestein. - -»Nein, es ist ein Mensch,« sagte Johnny und lehnte sich auf den -Fensterstock und hielt den Atem an. - -Der Laden vor Nane Thords Stübchen war geschlossen. Es war aber ein -Herz in jeden Flügel gesägt, so daß zwei Bündel Licht von Nanes Lampe -in die Finsternis fielen. Die lagen nun draußen auf der Klippe wie zwei -Augen. Und dazwischen stand eine Stranddistel oder eine kleine Birke -oder sonst ein Gewächs, das von dem Schein ein wenig abbekam, ebenso -wie der Zackenrand des Ufergesteins. Man konnte sich zwischen Traum und -Wachen wohl ein wunderliches Bild von dieser Erscheinung machen. - -James und Johnny rührten sich nicht. Aber so sehr sich ihre Augen nun -an die Dunkelheit gewöhnt hatten, so konnten sie doch nichts weiter -entdecken als das reglose Scheinen, das gespenstisch gewesen wäre, wenn -sie nicht beide gewußt hätten, woher es kam. - -Nane Thord sahen sie nicht. Weil sie aber gehört hatten, daß sie -hinausgegangen war, erkannten sie ihre Stimme. Sie sagte: »Du kannst -sehr ruhig schlafen, Lars Thord. Warum willst du nun in der Nacht hier -sitzen und angeln? Mir scheint, du nimmst dir diese Arbeit nur zu einem -Vorwande; denn das wissen wir wohl auch, daß sie dort keine Fische -essen, wo du nun bist. Es war schon bei deiner Erdenzeit so: immer, -wenn du Blockholz schichten oder eine Axt schlagen hörtest, mußtest -du hin und sehen, was sie da treiben. Du darfst aber ruhig schlafen, -Lars Thord. Es geschieht deinem kleinen Hause nichts. Oder willst du -mir sagen, daß wir seltsamen Besuch erhalten? Du bist nun schon zum -drittenmale da -- zuletzt war es, ehe Rolf Krake kam. Das ist, weil du -dir einbildest, man könnte nicht ohne dich fertig werden, Lars Thord. -Du mußt das aber nicht meinen. Es ist nun schon die vierte Nacht, daß -ich den Schlaf nicht finden kann, weil ich dich um das Haus streichen -höre ...« - -James und Johnny vernahmen schlürfende Schritte; und als sie wieder in -den Saal traten, stand Nane Thord am Tisch und schaute sie aus ihren -großen grauen Augen an. »Ich wunderte mich, daß Sie weggegangen sein -sollten -- und hätten doch das Licht brennen lassen?« sagte sie. - -»Kommen Sie eben von draußen?« fragte Mister Johnny mit erzwungener -Ruhe. - -Da strich sich Nane Thord mit der Hand über die Stirn. »Ja -- ich bin -wohl einmal hinaus gewesen,« sagte sie in ihrer trockenen nordischen -Art. - -So hatte Gwendolin nun doch richtig gesehen: Nane Thord hatte ihren -Wunderschlaf und ihre nächtlichen Erlebnisse! Und als James und Johnny -wieder allein waren, wußten sie: sie würde sich jetzt zu Bett legen zu -einem tiefen, traumlosen Schlafe. - -Johnny war über all dem stark aus dem Gleichgange gekommen. Aber -Mister James rieb sich die Hände und rief: »Welch eine lächerliche -Komödie!« Er meinte damit: die Komödie wäre großartig und gefiele -ihm ausgezeichnet; denn sie hatte ihn auf einen leuchtenden Einfall -gebracht. Er trug nämlich seit einer Woche den Brief eines Londoner -Kunsthändlers Watson in seiner Tasche, der an ihn und John Williams -gerichtet war und ihnen den Besuch des Herrn Watson ankündigte. Aber -diesen Brief hatte er seinem Freund Johnny verschwiegen; denn er hatte -geglaubt, Johnny würde an der Malfahrt der anderen teilnehmen -- der -Besuch des Händlers wäre ihm also nicht von Nutzen gewesen. Nun aber -lag nur noch eine halbe Nacht zwischen ihm und der Gefahr, und in -höchster Not sprang er mit Hilfe von Nane Thords Schlafwandel gleich -mitten hinein in die Verwicklung. - -»Sie hat recht mit dem seltsamen Besuche,« begann er, »da, lies!« - -»Warum hast du die Sache hinhängen lassen?« fragte Johnny mißvergnügt. - -»Ich wollte dir einen Ärger ersparen,« sagte James. »Henrik Tofte hat -ein halb Dutzend Skizzen in seiner Kammer -- das ist alles. Was sollen -wir damit beginnen? Ich habe auf Rettung gesonnen, aber es ist mir -nichts eingefallen.« - -Es war eine verzweifelte Sache. Und wenn Henrik und Gwendolin gar -als Verlobte von der Bergfahrt zurückkehrten, dann konnte es nicht -mehr lange dauern mit den Staatsstipendien und dem leicht erworbenen -Künstlerruhme! Eine Art Rettung gab es freilich noch. Aber die war -bescheiden genug. Henrik hatte nämlich drüben in Krokengaard ein Bild -hängen -- dort hatte er im vorigen Sommer gewohnt und damit einen -Teil seiner Rechnung beglichen. Aus dem gleichen Grunde hing eine -Fjordlandschaft Toftes in dem Gasthause, in dem er seine Mahlzeiten -genommen. Nun, beide ließen sich wohl ohne ein großes Aufgebot von -Silberkronen erstehen; und beide waren zum Glück nicht mit dem Namen -ihres Schöpfers gezeichnet: man brauchte nach langen Jahren nicht zu -wissen, wer einst sein Schlafgeld auf diese Weise bezahlt hatte. Aber -der Händler wollte einen Abschluß auf die Gesamtproduktion der beiden -Jötter für eine bestimmte Frist machen und hatte eine reichliche -Anzahlung in Aussicht gestellt. Er dachte wohl daran, die Ateliers der -beiden neuen Sterne am britischen Kunsthimmel einfach auszukaufen. Sie -aber hatten nichts als hartgekrustete Farben auf ihren Paletten ... - -Je nun, die Nacht war lang genug, einen listigen Plan zu schmieden. -Um Sonnenaufgang fuhr Johnny im Boot, die beiden Bilder zu erstehen. -James ließ indessen von dem Mädchen Marit die Kammer Toftes in -Ordnung bringen, suchte darin zusammen, was als Bild oder Skizze -gelten konnte, und als Johnny triumphierend zurückkehrte, stellte er -die Fjordlandschaft auf die Staffelei und überzog sie mit Firnis. So -wollten sie die Kammer Toftes als ihr Atelier vorstellen -- lieber -Gott, zu einem besseren langte es einstweilen eben nicht. Und übrigens -malten sie stets in freiem Lichte. Ja. Johnny aber getraute sich nicht, -den verbrecherischen Gleichmut des Mister James aufzubringen. Er wollte -sagen: ein dänischer Kunstfreund habe ihn just einen Tag vor Empfang -des Briefes ausverkauft. - -So erwarteten sie den Mann aus London. Und Mister Watson kam. Kein -anderer als Henrik Tofte ruderte ihn zur Insel der Auferstehung. Er und -Gwendolin, die mit im Boote war, verstanden zwar kein Wort Englisch -und Watson kein Wort Norwegisch oder Deutsch. Aber an der Haltestelle -des Dampfers hatte man sie zueinandergeführt. Und Gwendolin, die -Ahnungsreiche, hatte dem kindlichen Gemüte Toftes auseinandergesetzt, -um was es sich dabei handelte; denn Herr Watson hatte ihnen die Namen -James King und John Williams als den jüngsten Stolz Britanniens genannt. - -Und in der Tat: man fand die beiden in heißem Bemühen in Toftes -Kämmerlein. James war angetan mit Henriks Malkittel und gerade dabei, -den letzten Strich Firnis auf das »neue« Bild zu setzen, dem er bereits -seinen Namen verliehen hatte. Johnny aber rieb Farben für künftige -Wunder. - -Das ging dem guten Tofte nun doch über die Hutschnur! Er verfiel also -in ein so männliches Schimpfen, daß Mister Watson wie angedonnert -dastand; denn das merkte er wohl: Liebenswürdigkeiten klingen anders, -selbst in einer der unmöglichen Sprachen außerhalb Englands. - -Der erfinderische James aber besann sich augenblicklich auf eine kühne -Geschichte: dieser lange Mensch, der sich Henrik Tofte nenne, wäre ein -Neiding. Er ärgere sich, wenn James und Johnny ihre Bilder verkauften. -Und zu alledem hätte das Mädchen Marit in seiner Abwesenheit eine -fürchterliche Dummheit gemacht ... - -Das leuchtete Herrn Watson auch vollkommen ein; denn draußen im Flur -lehnte die zerbrochene Marit und bangte vor dem Zorne Toftes, weil sie -den Einbruch in sein Gemach nicht verhindert hatte. - -Zuletzt waren es doch nur diese Tränen, die den starken Henrik ins -Poltern gebracht hatten. Das Weinen anderer wendete ihm nun einmal -das Herz um. Und zu einem Lawinensturz kam es diesmal nicht; denn -dieser Gewaltmensch hätte nicht Henrik Tofte zu heißen brauchen, um -die lustige Seite der lächerlich frechen Komödie dennoch genialisch -zu finden, die die »Jötter« in seiner Stube aufführten. Er begann -also, auf sanfteren Saiten zu spielen, und sagte: »Wenn es nicht ein -Kunsthändler wäre, den ihr da foppt, so ließe ich jetzt den Vorhang -erbarmungslos über eurer Gaunerposse heruntergehen.« - -»Was sagt er?« fragte Mister Watson. - -»Oh, er sagt: unseren Ruhm verdienten wir ja, aber zu beneiden blieben -wir trotzalledem. Er selbst hätte doch auch eine Ahnung vom Malen -- -nur eine Ahnung vom Geschäft hätte er nicht.« - -Da schupfte Mister Watson hochmütig die Schultern: »~He's no -Englishman.~« - - -Danach kamen für Henrik Tofte Tage voll Finsternis: Gwendolin -verachtete ihn. Sie tat nicht nur so; sie setzte sich nicht in den -Schmollwinkel wie eine gekränkte Liebste; sie wich ihm nicht einmal -aus, sondern redete sogar mit ihm, aber alle Herzlichkeit und Teilnahme -für ihn war verweht. Das dauerte bis zur Einweihung des Neubaus. -Da waren alle im Saale versammelt, und es gab ein Fest, wie es nur -Künstlerjugend feiern kann, die zuletzt doch ein Reich regiert, in dem -die Sonne nicht untergeht. Für diesen Abend hatte Henrik Tofte eine -Überraschung vorbereitet ... - -Jockele, Do und Gwendolin waren nämlich wieder einmal vier Tage -auswärts gewesen. Mit Rucksack, Pickel und Nagelschuhen waren sie den -Flechten nachgeklettert bis an die Ränder des Folgefondgletschers; denn -den Doktor drängte es zu Forschungsreisen dorthin, wo das Geschlecht -der Flechten noch den einzigen Pflanzenschmuck liefert an verschmähten -und gefrorenen Hochlandzinnen; oder dorthin, wo im glühenden -Sonnenbrande jedes andere Pflänzchen verdorrend stirbt. Hundert Arten -von Strauch- und Laubflechten hatte er vorher eingetragen. Nun kämpfte -er an den letzten Steilhängen der Erde um Krustenflechten, die oft so -innig mit ihrer Unterlage verschmolzen waren, daß er sie nur durch -Auflösung des Gesteins mit Säuren befreien konnte. So führte er Do und -Gwendolin vor ungeahnte Geheimnisse. - -Als sie heimkehrten, war Henrik Tofte verschwunden. Mit ihm Nane Thord. -Aber in einem Winkel des Krakesaales war ein Webstuhl aufgeschlagen, -und ringsherum sah es aus wie in einer Armeleutstube. Die blonde Marit -lief umher mit wissenden Augen; an der Bedeutung des Winkels mit dem -Webstuhle schwieg sie sich vorbei. - -Abends jedoch, als alle schon um den runden Tisch saßen, tat sich die -Tür auf, und Henrik Tofte kam herein als ein Mann von fünfzig Jahren. -Nane Thord aber war sein Weib geworden. Und die beiden hatten sieben -Kinder, fünf Buben und zwei Mädel. Der älteste mit seinen sechzehn -Jahren stellte den Henrik Tofte dar ... Das Spiel begann. Es hieß »Der -verlorene Sohn«. - -Zuerst sprach der wirkliche Henrik einen Vorspruch in machtvoll -gestaltenden harten Versen: er wäre der Weber Skule Tofte, der mit -seiner Familie aus dem Aardal käme, wo ihnen alles verbrannt wäre -- -deshalb wollten sie hier in dem Winkel mit dem Webstuhl ihr Leben der -Armut von vorn anfangen. Darauf setzte sich der alte Skule Tofte an den -Stuhl, und das Webeschifflein begann seine Arbeit ... - -Das Spiel stellte jenen Tag aus dem Leben des Henrik Tofte dar, an dem -er gegen Abend ausgezogen war aus der Kümmerlichkeit der väterlichen -Mietstube, um sich sein Brot als Anstreicher zu verdienen. - -Es war ein Spiel, und es wuchs zu einem gewaltigen Erlebnis. Es war -in zwei Stunden von Henrik Tofte herausgeschrieben aus einem Jahre -seiner Vergangenheit. Und es war durch vier Tage gelernt worden von -Weberkindern und Nane Thord, die sich dabei nicht in eine fremde Welt -hineinzudenken brauchten. Und es waren harte und schmucklose Worte, die -sie sprachen. Vater Skule Tofte aber war ein Philosoph im Weberkittel, -der es sich angelegen sein ließ, dem langen Sohne Henrik die Lehre von -der Allmacht des Schicksals ohne Mitleid ins Herz zu hämmern: - - Das sollst du nicht vergessen: Armut stand - Gevatterin, als dich das Leben fand. - Mit Plack und Sorge salzt es uns das Brot, - Und was es draufstreicht, schmeckt nach Schweiß und Not. - Das Schicksal spinnt in weiße Seide ein, - Die's heimlich hätschelt, sanft wie Mondenschein. - Der Graben ist dein Grab; Staub ist dein Lohn: - Du bist des lieben Gotts verlorener Sohn. - -So sah die Tröstung aus, die Skule Tofte seinem Ältesten Henrik mit auf -den Weg gab. - -Da es aber doch ein Spiel sein sollte, was man hier trieb, war es von -dem Dichter nicht uneben erdacht, daß er am Ende die Schauspieler um -einen Tisch gesetzt hatte, während die Mutter in einem Schrank nach -Brot suchte und sprach: - - Das Fach fast leer -- wie ist das Herz mir schwer! - Wo nehm' ich morgen nur Kartoffeln her? - -Und gleich rief das jüngste Töchterlein das Schlußwort: - - Es kommt die Nacht, die keine Not bedrängt, - Weil da der Himmel ganz voll Talern hängt; - Leicht fällt den lieben Gott im Traum was an, - Wie er aus Steinen Semmeln machen kann. - -Das war für die Zuschauer der gegebene Augenblick zum Mitspielen: im -Nu war den Webersleuten der Tisch gedeckt, und auch der lange Henrik -durfte umkehren und den Lohn für seine Mühe in Empfang nehmen. Henrik -Tofte aber, der richtige, wollte auch nicht zu kurz kommen. Erst -überzeugte er sich von der versöhnlichen Stimmung Gwendolins, dann -trank er ein Glas Sekt. - -So hatte der Abend mit einer ernsten Rückschau begonnen. Vor allem -waren James und Johnny an dem Aktus nachdenklich geworden; denn ihnen -war die Herkunft ihres jugendlichen Meisters noch ganz unbekannt -gewesen. - -»Oh, er hat kein Staatsstipendium gehabt!« flüsterte Johnny Gwendolin -in reuevoller Einkehr zu. - -Da sagte Gwendolin nicht ohne Härte: »Aber er hat ein Stipendium von -Gott: sein Genie. Wendet er es etwa besser an als Sie das Ihre?« - -Doch -- das hörte niemand; denn die vollen Gläser klangen aneinander, -und Henrik Tofte klimperte zum Überfluß auf der Gitarre, die er -einstweilen unter den linken Arm geklemmt hatte. Es war ihm ein Lied -eingefallen, das er nun singen wollte. Jawohl, auch singen konnte er -- -furchtbar komisch und mit wunderlichen Gebärden. Wie die Bänkelsänger -singen auf den Jahrmärkten vor einer bemalten Leinwand. Er aber hatte -diese Leinwand nicht und deutete doch mit dem spanischen Rohre, als ob -sie da wäre. Mit der Zunge ahmte er das Klatschen des Stockes gegen die -Bilder nach und malte sie mit seinen Worten, grausig und volksmäßig. -Oder er sang edle alte Balladen. Seine Stimme konnte dabei klingen wie -geschlagene Glocken oder wie die See, die vor dem Sturmwind in Klippen -zerschellt ... - -War es nicht so, als hätte der liebe Gott alle Stipendien, die er für -diese Zeit zu vergeben gehabt, in einem Schöpferrausch an diesen einen -verschwendet? ... - -Wenn er annahm, daß man in seiner Abwesenheit von ihm gesprochen hatte, -ärgerte er sich. Aber nicht, weil er fürchtete, man verlästere ihn. -Sondern er sagte: »Ich bin ein Mensch, der sich nicht auskennt in sich -selber. Lobt oder lästert ihr mich, wenn ich nicht dabei bin, so nützt -mir das nichts. Also ist es besser, ihr schmäht mich oder huldigt mir -ins Angesicht. Ich mache es euch ja so leicht und sage nie ein Wort -dazu, wenn es mich angeht.« - -Als er eine schöne und machtvolle Ballade über Harald Harfager gesungen -hatte, waren alle ganz in der Gewalt seiner stolzen Begabung, die er -gar nicht achtete, weil er nur in die Luft zu greifen brauchte wie ein -Zauberkünstler, der ringsum Wunder fängt. - -Da fragte der nachdenkliche Rolf Krake: »Sagen Sie, Tofte, sind Sie -eigentlich ein verbummeltes Genie?« - -Henrik schlug ein paar Akkorde aus den Saiten und schaute sich im -Kreise um. Es sollte jemand an seiner Statt antworten, weil er sich -selber dazu nicht wichtig genug nahm. An Gwendolin blieben seine Augen -hängen. - -»Ach nein,« sagte sie, »verbummelt ist er nicht. Und er wird auch -nie dahin kommen. So oft er an die Dürftigkeit streift -- was er so -Dürftigkeit nennt -- wird er etwas ganz Großes aus sich herausschlagen.« - -»Warum heiraten Sie ihn dann nicht?« fragte Rolf Krake. - -»Weil ich zu fleißig bin,« sagte sie gefaßt. »Er würde dann nie in die -tiefe Not geraten, vor der er sich fürchten muß. Eine kleine Malerin -kann aber nicht sich und diesen Riesen und am Ende eine Familie -erhalten mit ihrer Kunst. Trotz allem: ich mag ihn furchtbar gern -leiden. Sehen Sie, das ist die Tragik meines Lebens. Aber ich werde -daran nicht zugrundegehen.« - -»Plumm plumm,« machte Toftes Gitarre. Er hatte sich an den Tisch -gesetzt und folgte diesem Gespräche mit großer Aufmerksamkeit. Sie -redeten von ihm, als wäre er gar nicht da. - -»Liebe Gwendolin,« begann Rolf Krake wieder, »wäre es nicht die Aufgabe -einer Frau, dieses Genie für immer in ihre Macht zu bringen, damit es -ranke und blühe nach ihren Gedanken?« - -»Man könnte das meinen,« entgegnete Gwendolin. »Aber dann kennt man -Henrik Tofte flach. Auf die Dauer erkennt er nur einen einzigen -Herrscher an über die Riesenmaße seiner Begabung; und dieser König ist -der Augenblick.« - -Es war ein Uhr geworden. Tofte hatte sich schon über Gebühr von -dem Gericht über sich selbst fesseln lassen. Er hatte für die -Mitternacht Leute auf die Insel bestellt, die an Drähten hunderte von -Papierlaternen aufhingen ... So kommandierte er die Welt. Wohin er kam, -regierte er und dachte doch nicht daran. Aber sich selbst konnte er -kein anderes Gesetz schreiben als das von der rasenden Unbeständigkeit -des Willens. Nur so vermochte er sich zu ertragen. »Meine Freunde,« -sagte er nun, »die Nacht ist lieb und heiß wie Gwendolin, und sie ist -schwer vom Dufte der Rosen, des Weins und der Berge ...« - -»Plumm plumm!« Und Henrik Tofte sang das Lied vom Rattenfänger. Da -mußten sie alle hinterdrein und zogen hinaus in die liebe heiße -Sommernacht, wo die blonde Marit einen Tisch unter vielen stillen -Lampen gedeckt hatte. Und weit drüben am Ufer standen die Menschen und -sahen die Ranken der blühenden Lichter in der weichatmenden Nacht und -in den weichatmenden Wassern und lauschten dem Sänger. Dann zischten -von den Rändern des Fjords die goldenen Schlangen eines Feuerwerks -empor -- oh, Henrik Tofte hatte heute »viel« Geld eingenommen von James -und Johnny! Und Henrik Tofte stand nun auf dem Dache. Stand dort mit -einem wallenden Barte und in einem langen wehenden Mantel, wie ein -Geist, der aus dem Berge gestiegen, und sang zu geschlagenen Saiten. Es -war immer so: seiner Kraft schienen keine Grenzen gezogen -- je mehr -er von ihr forderte, desto mehr gab sie. Er hatte nie so übermächtig -gesungen wie an den Säumen dieser Mitternacht. Es war ein Lied der -Liebe. Er huldigte damit Gwendolin. Und so klang es aus: - - Hell hauchte der Glanz des Nebelfalls - In silbernes Herbstgespinn. - Die weiße Hand strich der Stute den Hals - Und sagt' ihr doch nicht, wohin. - Am Waldbach perlte der Erlenbaum, - In den Runsen rauschte das Wehr; - Sie ritt vorüber, sie ritt im Traum, - Und das Glück ritt nebenher. - Heim ritt sie. Um die Hufe klang - Der klingende Abendtau. - Und wie sie aus dem Sattel sprang - Da jauchzte die selige Frau. - -Die bunten Lampen begannen zu verlöschen. Noch verabredete man für den -Vormittag eine Lustfahrt in bekränzten Booten nach der Fjordstadt -Elde, um die sich die Berge türmen und der Sommer blühte. Ein großer -Zeltzirkus hatte dort Einzug gehalten. Dann geleitete man Do und -Jockele wie ein Brautpaar zur Schwelle ihrer Kammer, in der sie zum -ersten Male schliefen. Aber Henrik Tofte fand, das Fest wäre noch lange -nicht zu Ende. Er ruderte Rolf Krake, James und Johnny hinüber ans -Land. Und als er allein in Boot und Nacht war, streifte er darin um die -Insel. Das Glück Jockeles und seiner Frau machte sein Herz sehnsüchtig --- er wußte nicht wie. Er glitt ein Stück hinaus in die Flut und -verwandte kein Auge von dem einzigen Fenster, das noch hell war auf dem -Eilande. Es war das Gwendolins. Dann trieb er das Boot an den Rand der -Klippe, kletterte empor im Gestein und rief leise Gwendolins Namen. -»Komm zu mir!« bat er. - -Da dachte sie: es ist nicht ungefährlich. Aber sie ging doch. Es -war fast, als hätte sie auf ihn gewartet. Darum war sie ungeheuer -gewappnet. Und die Nacht war spät; es hauchte schon der Tag an die -Zinnen des Gletschers. - -Henrik legte seinen Arm in den ihren und zog sie ganz fest an sich. -So schritten sie nach der Spitze des Eilands, die am weitesten von -den Häusern entfernt lag. Es stand dort eine Bank ins Strandrohr -geschmiegt, und große moosige Felsblöcke lagen darum her. - -»Wußtest du, daß ich dich rufen würde?« fragte er froh. - -»Ich dachte es,« sagte sie; »denn ich weiß: in Nächten, wie in dieser, -nehmen Sie sich nicht erst die Zeit zum Schlafen. Warum sagen Sie -übrigens »du« zu mir?« - -»Ich habe das beschlossen,« sagte er. - -In der Nähe der Bank fing sein Schritt auf einmal an zu zögern. Aber -sie hüllte sich fester in das graue Schultertuch und sagte: »Kommen Sie -nur. Es muß doch einmal klar werden zwischen uns -- für die nächste -Zeit.« - -Da hob er sie zärtlich über das Wässerlein, das einen Schuh breit -quer vor der Bank lag. Dann krochen sie zwischen die hohen Halme wie -Rohrhühner. - -»Es war fein heute,« begann Gwendolin. »Sie waren wieder einmal einfach -vollkommen; denn Sie waren nie unmäßig, wie das Ihre Art ist: unmäßig -groß, unmäßig durstig, unmäßig grob und unmäßig sentimental. Deshalb -bin ich jetzt auch gekommen.« - -Er warf seine Arme um sie, daß sie hörte, wie ihr die Gelenke knackten. -»Es ist dir doch nicht ernst gewesen mit dem, was du heut abend zu Rolf -Krake gesagt hast?« - -»Ich schwöre es Ihnen,« sagte sie. »Und wenn Sie mich jetzt küssen, -dann lauf' ich nicht etwa weg -- oh nein! Aber das sag' ich Ihnen: Sie -machen mich damit nur häßlich und aufgewiegelt. Ich habe gelernt, viel -zu fest auf mir selber zu stehen, lieber Henrik Tofte, und mit einem -Aufgebot Ihrer Kraft erobern Sie die Festung nicht.« - -Gwendolin wußte genau, wie sie der Gefahr zu begegnen hatte, die sie in -diesem Mann umlauerte. Ihr heißes jähes Herz hatte ihr in der anderen -Zeit schon manchen Streich gespielt. - -»Erkennst du denn nicht, daß du der einzige Mensch bist, der mich in -Ketten legt?« fragte er. - -»Sieben Tage, mein Freund!« lachte sie. »Oder siebenmal sieben Tage. -Aber es müßten siebenmal sieben Jahre sein.« - -»Das ist lange,« seufzte er. - -»Billiger bin ich nicht zu haben,« sagte sie. - -»Und wenn ich dir einen Vertrag unterschreibe mit meinem Blut auf -siebenmal sieben Jahre?« - -»Wie dem Herrn der Hölle, dem Sie verfallen sind,« lachte sie. - -»Nun?« - -»Dann glaub' ich Ihnen doch nicht, Henrik Tofte; denn ich glaube nur an -mich und an meine Liebe. Und diese Liebe hat zu Ihnen nicht die Kraft -des Vertrauens für einen Vertrag auf Lebenszeit.« - -»Und das ist dein letztes Wort, du liebste Gwendolin?« - -»Nein,« sagte sie. »So +dienen+ Sie um Rahel! Meinetwegen sieben Jahre. -Es kann auch kürzer sein. Es braucht nur bis zu dem Tage zu sein, an -dem wir beide wissen: wir können zu einer Zweieinigkeit gelangen wie -Jockele und Do. Ich habe viel Leidenschaft und Liebe erfahren in meinem -Leben, Henrik Tofte -- aber ich danke mir auf den Knien, daß ich daran -nicht zur Närrin geworden bin wie Tausende. Oh, wir Mädchen tragen -unser Herz in den Händen, und wenn ein Mann Blumen darüber wirft, -bilden wir uns gleich ein, sie blühen ewig. Sehen Sie Do und Jockele -an, mein Freund! Die haben sich errungen durch Jahre. Diese herrliche -Do hat ihren Mann dem Leben abgekämpft in einem verschwiegenen -Kampfe. Und er ahnte es nicht; sie selbst nicht -- niemand ahnte es. -So selbstlos war der Kampf; und doch war er nicht minder schwer. -Darum: reden Sie von diesen beiden nicht als von Hätschelkindern des -Schicksals! Es gibt unter den Menschen keine, die sich ihr Glück -köstlicher erzwungen haben als sie.« Jawohl, das Wort vom Schicksal -hatte sich ihm schon auf die Lippen gedrängt. Da scheuchte es Gwendolin -fort. »Gute Nacht, Henrik Tofte! Vielleicht gelangen auch wir über den -Sonnensteg in das schöne ferne Land. Gute Nacht!« - - -Die Gletscherspitzen leuchteten nun in einem wundervollen Rot. Und auch -die Worte Gwendolins waren voll von Verheißung gewesen für einen neuen -Tag. Sie waren gewesen wie nie zuvor. Dennoch sah Henrik Tofte aus, -als schrumpften seine mächtigen Glieder vor der Helligkeit ihrer Rede -zusammen. - -So hockte er im Schilfrohr und war ohne Hoffnung. Gwendolin hatte just -das Werk für den neuen Herkules ausgesucht, das er unmöglich bewältigen -konnte. Sie hatte seinen Gott, das Schicksal, gelästert und vom Sockel -geworfen; sie hatte allen fröhlichen Glauben in ihm vernichtet; sie -hatte seinen herrlichen Freibrief fürs Leben in tausend Stücke gerissen -und in das Röhricht verstreut. »So +dienen+ Sie um Rahel!« - -Es brach ein Lachen gewaltigen Schmerzes aus seiner Brust. Dann hob -er den gestürzten Gott wieder an seine Stelle. -- O diese Narren! -Warum mochten sie nicht an das einige Schicksal glauben, das die Welt -regiert? War es denn nicht Schicksal, daß die drei Menschen, die Henrik -Tofte am meisten liebte von allen, ihm den Weg zum Glück verwehrten? -Gleich am ersten Mittag, an dem sie den Fjord entlang gerudert waren, -waren seine Augen finster geworden über dem Blick in die Sonne Dos und -Jockeles. »Nun,« tröstete er sich damals, »sie sind Hochzeiter!« Aber -seither war alles Flittergold von ihrer Ehe abgefallen, und ein schönes -klares Leuchten war geblieben, das sah aus, als wär' es für Zeit und -Ewigkeit. Vor diese beiden Menschen führte ihn Gwendolin und sagte: -»Sieh hin -- getraust du dir das auch? Was wäre es, wenn wir einen -Bund schlössen, und er könnte nicht sein wie dieser? Was wäre es, wenn -wir zueinanderliefen in einem kindsköpfigen Rausche, wie zwei aus der -Herde? Und flickten an unserer Gemeinsamkeit herum, stächen die Löcher -mühselig zusammen und schafften damit doch nichts weiter, als daß das -Ding ganz morsch würde? Und zuletzt ließen wir's gehen und kümmerten -uns nicht mehr um die getrennten Nähte, weil sie ja doch nicht halten! -Henrik Tofte, was wäre das?« - -Jawohl, es war eine ungeheuer freventliche Weltanschauung, die die -Gwendolin da zum besten gegeben hatte! Bildete sie sich denn nicht -ein, sie wäre der liebe Gott selber und könnte sich mit ihrer eigenen -Kunstfertigkeit das Leben zimmern? - -Darüber nahm er Stück für Stück der umherliegenden Fetzen auf und paßte -sie mit Sorgfalt aneinander. So baute er den richtigen Henrik Tofte -wieder zusammen. Zwar, die Risse konnte er nicht ungesehen machen. Aber -er war froh, daß es ihm leidlich gelungen war, und kroch aus dem Rohre; -denn er hörte das Fischerboot mit den Kindern inselwärts plätschern, -die die Kränze und Ranken brachten. - -Als die Fahrzeuge bunt und fröhlich geschmückt waren, trat er in den -Saal, wo ihn die Sturmschwalben mit Jubel empfingen. Da jubelte er sich -zwischen sie hin. Aber er dachte, seit dieser Nacht wäre er hier nicht -mehr daheim. Es war ein wunderlicher Zustand. So, als wäre er nun von -dem Schicksal an eine Wegscheide gesetzt. - -Indessen bereiteten sich die anderen schon zur Fahrt. Gwendolin und Do -blühten wie der junge Tag: Hanna von Fellner hatte geschrieben, sie -wäre auf dem Wege nach dem Hardanger Fjord und hätte sich Do und ihrem -Mann in Sehnsucht schon dreimal an die Herzen gestürzt; nachmittags -käme sie mit dem Dampfer fjordaufwärts, und sie erwarte, daß an der -Haltestelle alle Flaggen gehißt wären. - -Deshalb war die Insel in so funkelndem Betriebe. Sogar Rolf Krake, -der zu noch seltsameren Göttern betete als Gwendolin, schnalzte schon -drunten auf dem Ufersande herum. - -Daher kam es, daß Henrik Tofte bald allein am runden Tische saß und -merkwürdige Gedanken in den Morgenkaffee hineinrührte. Es war ihm ums -Herz, als geschähe alles zum letzten Male, was er in den vertrauten -Räumen tat. Aber endlich stand er mit feuchten Augen vom Tisch auf, um -hinabzugehen zu den anderen. - -An der Schwelle traf er Nane Thord. Die hatte zur Feier des Tages eine -blinksaubere Haube angetan. Sie wollte hinübersegeln an den Strand, -einkaufen. Da bekam Toftes Herz die Dankbarkeit: er nahm Nane Thord auf -den Arm wie ein dreijähriges Mägdlein und trug sie hinab in sein Boot -und sagte, sie müßte mit nach Elde in den Zirkus. Als sie merkte, daß -es ihm ernst damit war, trieben die Boote schon mit gefüllten Segeln -vor dem Winde -- bunt wie fünf Sommerblumen, die dem Himmel aus den -Händen gefallen waren. Und Henrik Tofte sang ein Scheidelied. Es klang, -als würde er nie mehr einen Fuß auf das Eiland setzen. - - -Wo sich jener kurze Arm vom Hardanger Fjord nach Norden abzweigt, an -dessen Ende die Fischerstadt Elde liegt, ist auch die Haltestelle des -Dampfers. Dort machten sie ihre Boote fest, Hanna zu erwarten. Aber -Henrik Tofte war ruhelos. Er reffte vor dem Eldefjord zwar das Segel; -denn der Fjord ist nach Süden offen, und die Uferberge legen sich darum -wie zwei Arme, die alle Sonne für ihn einfangen. Aber der Wind aus -Morgen streicht an seinen Toren vorbei. Deshalb legte Tofte dort die -Ruder ein und sagte: »Nane Thord will die Rundholmen besuchen, ihre -Tochter, die auf Gaeslinggaard wohnt. Ich fahre also mit ihr voraus.« - -Aber als die anderen Boote zwei Stunden danach an Gaeslinggaard -vorüberkamen, lief Nane Thord aus dem Hofe und machte die Windmühle: -Henrik Tofte hatte sie noch nicht wieder abgeholt. - -Da stieg Nane Thord in Gwendolins Seelenverkäufer und nahm ihr die -Ruder aus den Händen und forschte auf der Weiterfahrt an dem Mädchen -herum, was es mit Henrik Tofte wäre. - -Die zugeflogene Hanna saß in lauter Wiedersehensfreude im Boote von Do -und Jockele. Rolf Krake aber fuhr mit diesem auf gleicher Höhe und ihm -so dicht zur Seite, daß Do sehen konnte: er schien wie die Sonne. - -In Elde war ein großes Leben. Die Fischer lehnten in ihren -Sonntagskleidern breit und rauchend an den Steinen. Die Blockhäuser -hatten helle Augen. Und die bunten blonden Mädchen und jungen Frauen -wanderten Arm in Arm am Strande und hatten alle Fenster offen. -Aber Henrik Tofte, den man sonst schon von weitem über allem Volk -dahinsegeln sah, war nicht da. Nur sein Boot hatten sie im Hafen -gesehen. - -Im Zirkus saßen sie dann in der ersten Reihe, gleich neben den Borten -des geharkten Sandes. Die Holzbänke füllten sich bis auf den letzten -Platz und bis unter das Zeltdach hinan, das leis im Sonnenwinde -flappte. Ein sehr kleiner Clown im weißen Linnenanzuge mit faustgroßen -schwarzen Wollknöpfen ließ es sich angelegen sein, die Menge schon -vor Beginn der Reitkünste und Akrobatenstücke neugierig zu machen. -Dabei diente ihm seine zuckerhutförmige Filzmütze als Sitzgelegenheit -und Schlafgemach: so bedeutend war diese Mütze, und so gering war das -Männlein. - -Aber Henrik Tofte war nicht da -- es war zum Lustigwerden. - -Endlich kam er -- da war es zum Weinen. - -Er trug die Drahtseiltänzerin Miß Millie auf der freien Hand herein -und schwang sie auf das gespannte Seil. Er hatte das Kleid eines -Hanswurstes an, genau wie der Zwerg, hatte eine weiße Riesenfilzmütze -wie dieser, hatte sich das Gesicht gepudert und die Nasenspitze und -jede Wange mit einem schwarzen Tupfe geziert. Mit der Mütze reichte -er beinahe bis an das Zeltdach. Seine Einkleidung aber war ohne -Wissen des kleinen Mitclowns vor sich gegangen. Deshalb staunte ihn -keiner gewaltiger an als dieser. Er fand sich aber rasch in die Lage -und stellte ihn den Zuschauern vor als seinen großen Bruder. Weil -er immerzu schwätzte, und Miß Millie doch endlich ihre Kunststücke -vorführen wollte, nahm der neue Clown ihm den Zuckerhut ab, klemmte ihn -hinter ein Seil unterm Dache und steckte das Männlein einstweilen in -seine Hosentasche ... - -Es war überwältigend, und der Erfolg der Eröffnungsvorstellung war -schon mit dieser Improvisation gerettet. - -Der Kleine, den man nun in der Tasche der Pluderhose herumkrauchen -sah, drohte die Hauptnummer der Seiltänzerin in Gefahr zu bringen; -denn natürlich guckte er alsbald heraus wie aus einem Fenster. Es -war so hinreißend, daß Henrik Tofte eine Zeit mit ihm aus der Arena -verschwinden mußte, was dadurch glaubhaft gemacht wurde, daß ein -Nachtwächter mit Spieß und Laterne kam und den geharkten Sand nach -dem großen Bruder des kleinen Mannes ableuchtete. Als er ihn endlich -gefunden hatte, verhaftete er ihn. - -Als »letzte Nummer« aber trat Henrik Tofte wieder auf. Und zwar als -Schnellmaler. Natürlich hatte er den Kleinen immer noch im Hosensack -und tat, als hätte er das ganz vergessen. Damit ihn die geschwollene -Tasche nicht beim Malen störe, entledigte er sich ihres Inhalts. Er zog -ganze Steine bunter Kreiden hervor, eine Tabakspfeife und zwei Beutel --- in dem vollen war Tabak, in dem leeren kein Geld. Danach holte er -die Rollen seines Malpapiers hervor und zuletzt den kleinen Mann, über -dessen Vorhandensein er natürlich äußerst verblüfft war. Deshalb ließ -er ihn an seinem freien Arm herumkrabbeln wie einen Käfer. - -Danach lief der Kleine nach einem Rahmengestell. Daran hefteten sie -das Zeichenpapier. Der große Bruder begann sein Werk. Zuerst zeichnete -er Gwendolin Vogelgesang -- eins, zwei, drei ... und schon war sie -fertig. Jedermann sah, daß sie es war. Er überreichte ihr das Bild mit -komischer Eleganz. Er zeichnete schöne Mädchen und alte Fischer, wie -sie da umhersaßen. Und zuletzt brachte der Kleine einen Riesenrahmen -geschleppt, den stellte er vor dem Eingange der Sandbahn auf und rief: -»Ha, du bist ein großer Maler, mein Bruder -- du bist ein so großer -Maler, daß ich deine Hosentasche als Schlafstelle gemietet habe! Aber -du kannst nicht das große Meer malen.« - -»Kleinigkeit!« sagte Henrik Tofte. - -»Das ganze Meer? Mit dem Sturme? Und mit Schiffen in Not? Und alles auf -dies kleine Papier? Ha!« - -»Kleinigkeit!« sagte Henrik Tofte und begann zu malen. Die Fläche maß -zehn Geviertmeter. Er sprang um das Papier, als wäre er aus Gummi: bald -kroch er in sich zusammen, bald schnellte er empor, als hätte er eine -Feder aus Stahl im Leibe. Und aus seinen bunten Kreiden schuf er das -Meer. Wozu der liebe Gott einen Tag gebraucht hatte -- oder tausend -Jahre ... Henrik Tofte machte das in sieben Minuten. Und der kleine -Bruder saß auf dem Sand und heulte den Sturmwind darüber. - -»Fertig!« schrie der Kleine. - -Henrik Tofte aber lief an die andere Seite der Arena, als wolle er sich -die Sache aus der Ferne betrachten -- da! Mit ungeheuerem Anlauf flog -er über den Sand, mit einem Gewaltschwung sprang er mitten hinein in -das gemalte Meer. Und blieb verschwunden. - -»Oh,« sagte der Kleine -- »jetzt ist er ertrunken!« - -Die Menge tobte. Aber Henrik Tofte kam nicht mehr. - -Drei Minuten später schaukelte der »Seelenverkäufer« mit Gwendolin und -Nane Thord aus dem Hafen von Elde. Die anderen suchten nach Henrik -Tofte bis gegen Abend. Sie fanden ihn nicht. - -Da zogen sie mit raschen Ruderschlägen Gwendolin nach. »Was nützt es -uns, wenn wir uns um ihn sorgen oder uns grämen?« fragte sie. »Auf dies -Herz kann man nun einmal keine Häuser bauen -- und er selbst getraut -sich das am wenigsten.« - - -Hanna von Fellner wohnte nun im Turm -- es war ein lustiger Name für -den kleinen Aufbau, auf dessen Dache der Sommerrasen schon wieder -blühte. - -»Eure Tage in diesem abwendigen Weltwinkel sind ewig bewegt wie die -hohe See,« sagte Hanna. - -»Es ist in der Tat so,« bestätigte Do, »wir haben genau die gleiche -Wahrnehmung gemacht: als wir nach unserer Ankunft kaum zwei Stunden am -runden Tische gesessen hatten, war uns, wir wären durch die Erlebnisse -aufgeregter Wochen gewirbelt.« - -Seit Henrik Toftes Verschwinden war fast ein Monat verstrichen. Der -Wanderzirkus war längst fortgezogen. - -Einmal segelten die von der Insel nach Elde, um über den Freund etwas -zu erfahren. Da hörten sie viele widersprechende Meinungen über -das Reiseziel der Truppe -- es lag offenbar eine Verabredung vor, -die Neugier irrezuführen. Henrik Tofte wollte seine Spur für die -Sturmschwalben verwischt sehen. Nur das eine ward ihnen zur Gewißheit: -sein Boot hatte er in Elde verkauft. Daraus war zu schließen, daß er -sich nicht mit der Absicht einer baldigen Rückkehr trug. - -»Er will dich durch dies Mittel reuig und gefüge machen,« sagte Hanna -zu Gwendolin. »Ich denke, in ein paar Tagen geht das große Licht uns -wieder auf.« - -Über das »große Licht« lachten sie. Und damit war ein Name für Henrik -Tofte gefunden, der nun unter ihnen blieb, wie das freundliche und -sorgende Gedenken, das sie ihm bewahrten. - -Jockele war tief betrübt über den zwar nicht ruhmlosen, aber unwürdigen -Abgang, den sich Tofte gesichert hatte. »Vielleicht hätte ich mich mehr -um ihn kümmern sollen,« sagte er. - -»Nein,« sagte Gwendolin, »denn dann hätte ich gegen euch beide kämpfen -müssen und wäre wohl besiegt worden. Möchtest du, daß es so gekommen -wäre?« - -Jo zog die Achseln: »Es ist eine zu ungewöhnliche Sache gewesen mit -euch. Und Do und ich, wir haben uns gesagt: wir wollen uns da nicht -hineinmischen. Du hast so klare Augen, Gwendolin, und du hast ein so -aufrechtes Herz -- einem Menschen, der nicht aus eigener Klugheit -erwägen kann, was er wagen darf, wird auch durch den Rat anderer nicht -geholfen. Aber es wäre mir doch leid um das große Licht, wenn er sich -selbst aus den Händen fiele.« - -Den tiefsten Eingriff bewirkte Toftes Flucht in das Leben der »Glasgow -Boys« James und Johnny. Auch dieser Name stammte von der erfinderischen -Hanna. Doch brachte sie ihn der Kürze halber nur zur Anwendung, wenn -sie von beiden sprach. Meinte sie nur James, so nannte sie ihn den -»Karauschenteich« -- nach einem Wasser auf dem Fjeld, zu dem sie mit -Jakobus Sinsheimer um diese Zeit manchmal auszog. Es war wegen der -grünen Wasserfrösche. Der Karauschenteich war ein Tümpel wunderlich -verhaltenen Lebens. Algen wuchsen drin; Moosinseln trieben auf seinem -Spiegel; er wimmelte von Molchen, Fröschen und Wasserkäfern; und -es standen ein paar würdige Karauschen in der Nacht seiner Gründe, -die hatten sich bereits Mooshauben angeschafft. Es konnte kein -Blick recht erspähen, was in diesem Auge zwischen den Bergen sein -verschwiegenes Dasein pflog -- genau so ging es dem forschenden Blicke -Hannas vor Mister James King; da erfand sie für ihn den Namen: der -Karauschenteich. Aber weder das eine noch das andere Kosewort hatte -seine Ursache in einer besonderen Hochachtung Hannas vor James und -Johnny. Doch -- sie unterschätzte die beiden; und Jockele mußte sie -eines Tages belehren, daß die »Glasgow Boys« ihre Staatsstipendien -keineswegs zur Pflege ihrer Talentlosigkeit empfangen hätten. Sondern -die Dinge lagen so: Henrik Tofte war im Vergleich zu ihnen allerdings -ein Genie -- aber das war er gegenüber jedem anderen Malmenschen auch. -Und da hatte die Gelegenheit Diebe gemacht: James und Johnny waren -seine Schüler, sie kopierten ihn, sie übernahmen seine Malweise, und -über allem war dann der große Bluff zustande gekommen: aus einer -weitgehenden Bequemlichkeit und Leichtherzigkeit auf beiden Seiten. - -Nun saßen James und Johnny am Rande des Verderbens. Oder sie mußten -sich den Ruhm, den sie im Traum errungen hatten, erwerben, um ihn zu -besitzen. - -Johnny hatte dazu die ernstliche Absicht. Er ging also ans Werk; aber -er schleppte Lasten. Zu allem erfuhr er von dem Kunsthändler Watson, -daß nach seinen Bildern eine noch größere Nachfrage wäre als nach denen -von James King ... Das war eine neue unfaßbare Überraschung; denn -Henrik Tofte hatte für Johnny nicht etwas Ausgezeichneteres gemalt als -für James. Einige Tage später stellte es sich heraus, daß dies auf die -Meinung Watsons zurückzuführen war: weil Johnny ihn damals angelogen -hatte, ein dänischer Kunstfreund habe seinen gesamten Bestand an -Bildern ausgekauft, war Herrn Watson das Licht aufgegangen, John -Williams wäre der stärkere von den beiden »Jöttern«. - -So kam es, daß Johnny für die Leute auf der Insel nahezu unsichtbar -ward. Es hieß, er feiere seine Auferstehung in der Romantik der Berge. -Mister James dagegen hatte nach dem Vorbilde seines entschwundenen -Meisters ein weit größeres Vertrauen zu seinem guten Stern als zu -seiner Arbeit und Mühe. Ganz im geheimen erwog er, ob es nicht ratsamer -sei, die sonnige Hanna von Fellner und ihre Wohlhabenheit sich gewogen -zu machen -- trotz dem »Karauschenteich«. Diesen Traum träumte er bald -aus und zog der Leuchte Gwendolins nach. Aber auch das war ein Irrlicht. - - -Do hatte sich über allem mit heißem Eifer in das Studium der -norwegischen Sprache gestürzt. Eines Tages fand sie bei Ibsen das -Gedicht von der »Sturmschwalbe«. Dabei hatte sie eine Offenbarung. Sie -übersetzte es in ihrer klaren Einfühlungskraft und ihrer freien Art: - - Draußen, wo sich den Klippen die Wildsee vermählt, - Wohnt die Sturmschwalbe. Ein Seemann hat mir erzählt: - Sie schneidet den Schaum der Wogen, ein geflügeltes Schiff, - Sie tritt das brandende Meer und zerschellt nicht am Riff. - Mit den Wellen sinkt sie, mit den Wellen steigt sie zur Höh', - Mit der Stille schweigt sie, und sie schreit mit der kreischenden Bö. - Sie fliegt nicht, sie schwimmt nicht: wo Himmel und See sich mischt, - Geht ihre Fahrt, zwischen Sonne und wogendem Gischt. - Zu leicht zum Gleiten am Grund, zum Fluge zu schwer -- - Sturmschwalbe, wo nahmst du den Mut zum Leben her? - -Do wollte weder aus dem Gedichte noch aus der Offenbarung, die sie -davor gehabt hatte, ein Geheimnis machen. Sie kannte nun die Leute alle -bis auf die letzten Kammern ihrer Herzen, die sich die Sturmschwalben -nannten. Rolf Krake hatte mit jenem Namen ihren stolzen Flug zu den -Höhen des Lebens kennzeichnen wollen, zu denen nur seltene Menschen den -Aufschwung probieren. Er war ihm eingefallen in beglückter jugendlicher -Überhebung und in einer Stunde, in der er die Maße zu sich und der Erde -wohl einmal nicht bei der Hand hatte. Aber nun wußte Do: Rolf Krake war -auch mit der Naturgeschichte der Sturmschwalbe nicht vertraut gewesen, -sonst hätte er zu erhabenem Sinnbild nicht dies Geschöpf gewählt, -das, nach alter Seemannsmär, weder fliegen noch schwimmen kann, -sondern in ewigem Wechsel bald das eine versucht, bald das andere, -und sein Element doch niemals findet. »Sturmvögel« hatte Rolf Krake -sagen wollen; denn in dem Namen sollte das Symbol des Kampfes einer -hochgemuten Jugend mit den Stürmen des Lebens aufgestellt werden. - -Nun sprachen sie darüber. Es war abends an dem runden Tisch im Saal. Do -dachte zwar, daß ihm das aus mangelnder Naturgeschichte passiert wäre --- aber: es konnte auch aus überlegen spottender Erkenntnis gewesen -sein. - -»Nein,« gestand er, »es ist eine Dummheit gewesen ... Je nun, -vielleicht war es das Gescheiteste, was mir je eingefallen ist; denn -wir alle -- mit Ausnahme von Jakobus und Doris -- sind wir nicht die -leibhaftigen Sturmschwalben der Seemannsmär? Zu leicht zum Gleiten am -Grund, zum Fluge zu schwer?« - -Sie saßen bis gegen Mitternacht. Und weil sie sich voreinander nicht -versteckten, war dies Gespräch für alle voller Erkenntnis und Gewinn. - - -Am anderen Tage war Jockele mit Hanna schon vor Sonnenaufgang zum -Karauschenteiche hinan auf das Fjeld gewandert. Die neuesten Werke über -die Froschlurche stimmten seltsamerweise darin überein, daß der grüne -Wasserfrosch ein Schattentier wäre -- etwa wie die Kröte. Der Doktor -aber hatte beobachtet, daß gerade dieser mit der Sonne an den Teichrand -stieg und mit ihr um den Saum des Wassers wanderte, immer ängstlich -darauf bedacht, in der vollen Bestrahlung zu sitzen. Auch anderen -Irrtümern der neuesten Forschung war er auf der Spur. Sie betrafen alle -die Lebensweise der Frösche und nicht die Kenntnisse, die man sich in -den zoologischen Instituten der Hochschulen aneignen kann. - -Johnny und Gwendolin waren ebenfalls schon mit dem Malzeug -fjordaufwärts gefahren. Do hatte eine Bergwanderung mit Rolf Krake vor. -So blieb James allein daheim. Aber auch er ward von Nane Thord kaum -gesehen; denn er steckte den Tag über mit seinem Boote im Rohr am Ende -der Insel und strich Schilf und Ruder mit Zinkfarbe an, die in der -Nacht leuchtet. Dabei setzte er ein sehr geheimnisvolles Gesicht auf. - -Es wurde wieder einmal ein ereignisvoller Tag. - -Droben am Karauschenteiche, dem Auge der Bergheide, saßen Jockele und -Hanna. Sie hatten nun das brüderliche Du füreinander erfunden, und -Hanna nannte ihn im fröhlichen Sonnenrausch ihrer Hochwelteinsamkeit -den »Mann mit den drei Frauen«. - -»Na, hör mal!« sagte Jockele in lustiger Entrüstung. - -»Es ist dennoch so! Du machst es der Gwendolin und mir furchtbar -schwer, dich nicht über Gebühr liebzuhaben.« - -»Das könnt ihr halten wie ihr wollt,« sagte Jockele. - -Da legte sie ihm den Arm um den Nacken und drei schwesterliche Küsse -auf den Mund. »Ist das nicht über Gebühr, mein Herr?« - -»Ach Unsinn,« sagte er. - -»Nun, so soll Do entscheiden!« antwortete sie ein bißchen ärgerlich; -denn sie hatte aus den rückwärtigen Tagen die Überzeugung gewonnen: -ihre Wette von der Hochzeitstafel würde für sie verloren. Da fiel es -auch dem Jockele wieder ein, daß er damals in überschießender Lust -dagegen gesetzt hatte. »Du hast Angst um deine Mark,« spottete er. - -Da lachte sie: »Ach nein -- um die Richtigkeit meiner Ansicht! Entweder -hab' ich damals Unsinn geredet oder -- Jakobus Sinsheimer ist eine -Ausnahme von der Regel.« - -»Nach so kurzer Zeit läßt sich das noch nicht mit Sicherheit -feststellen,« scherzte er. »Wir müssen wohl warten bis zu meinem Tode.« - -»Du hast fürchterliche Angst um deine Mark!« vergalt sie ihm nun. Sie -küßte ihn in jähem Übermute noch dreimal und sagte: »So, nun hast du -deine Wette verloren! Es ist rein zum Verzweifeln.« - -»Ich finde: weder das eine noch das andere,« sagte er. - -»Nun, wir werden ja hören, was Do dazu meint.« - -Dann sprachen sie über Liebe und Ehe und auch von den Erlebnissen, -die er in seiner jungen Zeit mit Gwendolin gehabt hatte. Es war Hanna -furchtbar interessant, wiewohl Do und Gwendolin ihr das alles schon -einmal erzählt hatten. »Wenn ich Do wäre, so litte ich nicht, daß -Gwendolin und Hanna Fellner die gleiche Luft mit dir atmeten.« - -»Ja, so halten es die Menschen,« sagte er, »weil sie einander nicht -vertrauen bis zum nächsten Busche -- und weil sie ihre Liebe nicht reif -werden lassen vor der Hochzeit.« - -Dann schlich er wieder einmal auf den Zehen um den Karauschenteich. »Es -sind annähernd dreihundert grüne Wasserfrösche da!« - -Hanna betrieb inzwischen ein nachdenkliches Spiel mit Heidehalmen. -Sooft er an ihr vorüber kam, warf er ihr ein kluges und schönes -Wort von der Ehe hin oder von der Liebe. Das fing sie wie eine -seltene Blume und schmückte sich das Herz damit -- das wirbelige -törichte Herz, das einst gemeint hatte: es hätte die Liebe nach allen -Himmelsrichtungen erprobt. -- - -Wie es indessen um Gwendolin und den langen Mister Johnny aussah? Auf -der Fahrt den Fjord hinauf war es morgendlich kühl in dem kleinen -Schiffe. Als sie dann an ein sehr schönes Naturtheater kamen, auf dem -sich die Kulissen sommerbunt und kühn durcheinanderschoben, sagte -Gwendolin: »Sie, lassen Sie mich heraus -- das muß ich malen!« Sie -war noch genau so wie damals in der wilden Jockele-Zeit: vor einer -romantischen Aufführung der Natur konnte sie nicht vorübergehen. Das -strich sie dann keck und aufgeblüht aus ihrem jauchzenden Herzen, und -es wurde ein ungeheueres Farbenerlebnis daraus. - -Sie hatte sich seit dem Tage, da ihr der Freund verlorengegangen war, -nicht gewandelt. Nein, Gwendolin Vogelgesang war nicht von der Art -jener, die die Tür unbedacht ins Schloß werfen und dann davorstehen -mit Reu' und »Hätt' ich doch«. O, die Entgleisung Henriks war ihr -nicht gleichgültig -- ihr am wenigsten. Aber sie hatte von allen die -kräftigste Überlegenheit gegen das Leben. - -Nachdem sie ihre Staffelei aufgestellt hatte, verfiel sie gleich mit -Allgewalt ins Malen. Sie war dabei so rasch, daß sie nie zweimal zu -einem Motive ging; denn sie kopierte nicht die Natur, sondern sie schuf -das künstlerische Erlebnis, das sie davor hatte, in Form und Farbe. -Ja, so war es um ihre Kunst; es wandelte sich auch darin nichts. Viele -verstanden sie nicht, aber viele beglückte sie. Es kümmerte sie nicht, -was sie damit für eine Wirkung erzielte. - -Ob John Williams weiter fjordaufwärts gerudert war, oder ob er irgendwo -hinter einer Kulisse steckt und sich in seiner veristischen Manier -abmühte, wußte sie in ihrem himmlischen Untergange nicht. Er aber hatte -zur Genüge erfahren: Gwendolin konnte jemandem Palette und Pinsel ins -Gesicht werfen, dem es beikam, ihre Eingebungen zu stören. Sie mußte -allein sein mit dem Gott, der in ihr schuf. - -Wenn Johnny an diesem Tag nicht vorgehabt hätte, auf sie zu warten, so -hätte er sie am Morgen nicht mit in sein Boot genommen. - -Der Wandel der Lichter und Schatten, der um Mittag eintrat, verurteilte -ihn zur Untätigkeit. Da legte er sich auf das kurze Gras eines Hügels -und guckte in die spiegelnden Wasser. Bergkuppen standen darin, -silberstämmige Birken, finstere Föhren, die sich an Zacken klammerten; -und die flimmernden Eisströme vom Folgefond. Und alles blühte hinein -in die seligen Himmel der Tiefe. Den »Malkasten des Herrgotts« hatte -Gwendolin den Fjord genannt. - -Johnny hatte seinen Platz so gewählt, daß er Gwendolins Wildrosenhut -sehen konnte, wenn er sich ein wenig aufreckte. Diese Gelegenheit nahm -er viel öfter wahr, als er dachte. Er sah sich an dem Zauberspiegel der -Flut müde, aber an Gwendolin nicht. Nun ja -- Henrik Toftes Abreise mit -unbekanntem Aufenthalt war ein harter Schlag für ihn gewesen. Aber die -Sache hatte doch auch ihre gute Seite ... - -Der lange Johnny hatte nie in seinem Leben eine so kurzweilige -Sonnenruhe gehalten wie an diesem Tage. Ohne Pinsel und Farbe malte er -sich ein Bild. Das stellte den listigen James dar in dem Augenblick, -in dem er erkannte: die heiße nußbraune Gwendolin hatte John Williams -unwiderstehlich gefunden. -- Es war sehr unterhaltsam. Ja. Und -deshalb lugte Mister Johnny immer durch den Spalt zwischen den beiden -Birkenstämmen. - -Um die gleiche Stunde befand sich sein Freund James in nicht minder -heftiger Kurzweil. Einesteils hockte er in seinem Boot im Sommerrohr -und strich mit einem großen Pinsel Zinkfarbe an die äußeren Bordwände. -Anderenteils malte er sich ein Bild. Das stellte den listigen Johnny -dar in dem Augenblick, in dem er erkannte: die heiße, nußbraune -Gwendolin hatte James King unwiderstehlich gefunden. -- Es war sehr -unterhaltsam. Denn: wo in aller Welt war ein Mensch auf die köstliche -Idee verfallen, mit Hilfe eines Gespensterschiffes seiner Angebeteten -eine nächtliche Aufwartung zu machen? Seiner Angebeteten? Nun, auf eine -so romantische Gemütsverfassung zielte der Ehrgeiz eines richtigen -Glasgowboys im Grunde genommen nicht. Aber etliches hatte er doch -den Deutschen und Norwegern abgeguckt; und er war nicht umsonst der -Schüler Henrik Toftes gewesen. So war seiner Weisheit letzter Schluß: -mit einigem romantischen Behaben mußte der Gwendolin wohl beizukommen -sein. Denn erstens würde ihr dabei das Herz erschauern: es war ja -bekannt, daß auch Nane Thord nächtliche Zusammenkünfte mit ihrem -Verstorbenen hatte. Zweitens: Gwendolin, deren Licht stets bis über die -Mitternacht hinaus durch das Fenster schien, lebte in so später Stunde -ein gesteigertes Leben: sie würde an Henrik Tofte denken, der in der -Geisterzeit sehnsüchtig um die Insel strich ... Und drittens berechnete -James das Einkommen, das sich aus Gwendolins Fleiß und Talent schlagen -ließe. - - -Mister Johnny, weit, weit draußen vorm Zauberspiegel, stellte die -gleiche Berechnung an. Im übrigen aber: auf die Hilfe der vierten -Dimension verließ er sich nicht. Er wartete, bis Gwendolin so gegen -drei Uhr ihre Brote auspackte, dann schritt er unternehmungsfroh die -Hügellehne zu ihr hinan. - -»Fertig!« sagte sie und biß in die Schinkenstulle, »ich schließe, daß -es spät geworden ist, denn ich habe einen Mortshunger.« - -»Well,« sagte Mister Johnny, »und ich habe Ihnen drei Eier aufgehoben.« - -»Famos! Geben Sie her!« - -Das ließ sich sehr hübsch und nüchtern an und stimmte mit der Rechnung -Johnnys Punkt für Punkt. Er setzte sich zu ihren Füßen in das blühende -Gras und half ihr bei der Betrachtung des Bildes. Sie kniff das linke -Auge zu: »Da rechts, in den Firnenschnee, muß noch ein kobaltblaues -Licht -- der Firn ist um sieben Grad Celsius zu warm,« sagte sie, -sprang auf und strich die fehlende Kälte auf das Bild. - -Über allem schien es dem langen Johnny: Gwendolin würde ihm nach dem -Mahle nicht die nötige Muße zu seinem Vorhaben lassen. - -»Sie, sind die Eier hart?« - -»Hm,« sagte er. -- Es war nun doch ungeheuer schwierig. Gwendolin -ballerte am Stein schon das zweite Solei auf. »Wie weit sind Sie -gekommen?« fragte sie zwischendurch. - -»Ah,« sagte er gefaßt, »bis zu dem Entschlusse, den Ruhm im Stiche zu -lassen, der mir in meinem Vaterlande so unverdient zugefallen ist.« - -»Und wie gedenken Sie das fertigzubringen?« forschte sie in belustigter -Neugier. - -»Ich will für einige Zeit mit Ihnen nach Deutschland gehen. Es wäre mir -am liebsten ... ich meine: was sagen Sie dazu, wenn wir uns einander -nahe blieben, so ganz nahe ... wenn wir gewissermaßen einen eigenen -Herd gründeten?« - -Gwendolin biß in das Ei. »Wir -- zwei? ... Mensch, hat Ihnen denn die -Sonne das Hirn geröstet?« - -Johnny schnellte mit einem Satze von dem blühenden Rasen zu seiner -ganzen Länge empor -- es war zu vermuten, er hätte sich auf eine -Giftschlange gesetzt. Gwendolin zuckte zusammen: er sah aus, als wollte -er sich nun auf sie stürzen. Aber sein Herz war von einer unfaßbar -versöhnlichen Stimmung. »Ich danke,« sagte er. »Es ist nicht nötig, daß -Sie noch stärker gewappnet aus sich heraustreten; an einem Kampf bis -zum sogenannten bitteren Ende liegt mir nicht das geringste.« - -»Sie sind wohl nicht ganz glücklich in der Wahl des deutschen Ausdrucks -gewesen, so daß ich Sie mißverstehen mußte?« fragte sie. - -Aber Mister Johnnys Herz war von rassereinstem Gleichmut -- er ergriff -nicht einmal dies rettende Seil. »Ach nein,« sagte er, »sondern mir -scheint, ich bin nicht sehr geschickt zu Werke gegangen. Nun, so teil' -ich das Schicksal mit Henrik Tofte, mit Jakobus, mit dem Mann aus dem -deutschen Zwetschengarten und mit den anderen, die vor mir kamen und -nach mir kommen.« Das kollerte er aus seinem breiten Britenmunde hervor -wie eine Reihe Kegelkugeln. Sie gingen alle daneben. - -Auf der Bootfahrt, die dreizehn Kilometer lang war, unterhielten sie -sich noch über den Vorfall. Es war die vergnügteste Überraschung -gewesen in Gwendolins Leben. Darum flatterte ihr Herz nun auch wie ein -kleiner Wimpel im lustigen Sommerwind. - - -Unterwegs sahen sie Do und Rolf Krake. Die beiden spazierten die schöne -Uferstraße lang und befanden sich offenbar in einem angelegentlichen -Gespräche. Die Bergfahrt war also kurz gewesen; denn sie hatten sich -schon umgekleidet. Do hatte den roten Sonnenschirm über die Achsel -gelegt, als dürfe sie kein Wort von der Geschichte verlieren, die -ihr Begleiter im weißen Strandanzuge berichtete. Darum hielten sie -sich auch vor dem vorübergleitenden Boote nur für die Länge eines -Freundesgrußes auf. - -»Nun ja,« sagte Do im Weitergehen, »ich habe nicht umsonst an Ihnen -herumgeforscht seit der Stunde, in der wir uns kennen lernten. Wenn ich -nun gleichwohl anfange, Sie zu verstehen: das verzwickteste Kapitel -Mensch, der mir je vorgekommen ist, bleiben Sie für mich trotzdem.« - -»Darauf kommt es mir weniger an,« sagte Rolf Krake. »Getrauen Sie sich -nun, meine Frage von heute vormittag zu beantworten?« - -»Ob Hanna von Fellner mit Ihnen glücklich werden könnte? Nein, das zu -entscheiden getraue ich mir nicht. Ich möchte Sie aber nicht mutlos -machen, Rolf Krake, und nicht feindseliger gegen sich selbst. Es eilt -ja damit auch nicht so sehr.« - -»O, es eilt doch,« sagte er. »Wenn mein Bruder Woldemar kommt, so wird -er sich in Hanna verlieben.« Do sah ihn befremdet an. »Weiß Gott, er -wird sich in sie verlieben,« setzte er mit Nachdruck hinzu. - -Darüber ward sie ganz besinnlich und sagte: »Nun, eigentlich müßten -Sie ja recht haben. Was wir über Ihr Verhältnis zu diesem Woldemar -wissen, ist doch mächtig sonderbar. Ich kann das nicht verstehen -- -nein, ich kann es nicht! Das liegt auch daran, daß Sie alle Fäden Ihrer -Jugendgeschichte an einer gewissen Stelle unvermutet abschneiden. Sie -sagten: als Knaben wären Sie beide keine Ausnahmenaturen gewesen. Aber -Sie, Rolf, dachten schon damals über leichtsinnige Streiche nach, die -Sie gemeinsam begingen. Woldemar dagegen nahm sich und das Leben wie -ein Junge. Die Mutter verstand Rolf nicht. Sie hält den nachdenklichen -Knaben für ein Kind mit verstocktem Herzen -- und setzt ihn zurück. -Darüber wird Rolf zu einem Grübler: er sieht in sich einen Menschen -voller Fehler, die ihm dereinst den Weg ins Leben vermauern werden. Und -er mag sich nicht mehr leiden. Er überträgt dieses Gefühl allgemach auf -den Bruder Woldemar. Sie sind Studenten in Bonn. Da tritt Hanna von -Fellner zum ersten Male zwischen sie. Aber sie verlieren sie wieder. -Der eine studiert dann in Jena weiter, der andere in Kiel -- möglichst -entfernt voneinander ...« - -So ließ Do die Geschichte Rolf Krakes im Wandern noch einmal an ihnen -vorüberziehen. Dabei knüpfte sie die Fäden just an der Stelle scheinbar -absichtslos wieder zusammen, an der er sie zu zerreißen pflegte. Es -war ganz offenbar: das tat er deshalb, weil er von da ab sich in sich -selber nicht mehr zurechtfand. - -Sie aber wollte ihn von sich selber erlösen. Daher mußte er über -diese Stelle hinwegkommen. Sie sah: es war der verwickeltste Prozeß -eines innersten Gefühlslebens, den Rolf Krake sich selbst nicht klar -aufzeigen konnte, geschweige denn einem anderen. Aber so viel Licht, -als in das Geheimnis dieser verschnörkelten Seele zu werfen war, wollte -sie für ihre Erkenntnis doch erringen -- nicht allein, weil sie dies -verschleierte Bild lockte, sondern -- wie es häufig geschieht, daß -feinfühlige Frauen sich von Ahnungen leiten lassen: weil sie dachte, -sie könnte dem wunderlichen Freunde mit dieser Erkenntnis einmal von -Nutzen sein. - -Erst in der sinkenden Nacht kamen sie nach Hause. Do saß danach mit -ihrem Manne noch lange wach. Sie sprachen von Rolf Krake. - -»Es ist so mit ihm,« sagte Do, »als Kind hat er gelernt, sich zu -hassen. Dieser Haß blieb ihm und wuchs in dem Jüngling weiter ...« - -»Aber, ich bitte dich, Do, wie ist denn so etwas möglich? Es kann sich -ein Mensch über sich ärgern, oder es kann ein Mensch das Vertrauen zu -sich selber verlieren -- aber er kann sich doch nicht durch eine Reihe -von Jahren unausgesetzt hassen! Das wäre für ihn einfach nicht zu -ertragen und müßte ja zum Selbstmord führen!« - -»Ganz richtig,« sagte Do, »und das ist auch die Stelle, an der der -Schlüssel zu dem Rätsel vergraben liegt: die Eigenliebe Rolf Krakes -hieß ihn, den Haß gegen sich selbst auf sein Ebenbild zu übertragen --- auf seinen Bruder Woldemar! Alles, was er an sich selber nicht -leiden mag, das kommt ihm im Bruder doppelt und dreifach und peinigend -verzerrt zum Bewußtsein. Er sehnt sich nach ihm, er reist in dieser -brüderlichen Sehnsucht sogar über viele Meilen zu ihm -- aber dann ist -es, als begegne er seinem Bilde, und der Haß gegen dies Bild ist ihm -geläufiger; denn die Selbstliebe dämmt ihn nicht ein.« - -»Ich werde ihn in der kommenden Zeit mitnehmen an den Karauschenteich,« -sagte Jakobus. »Du und Hanna, ihr sollt mehr um ihn sein als bisher. -Während ich arbeite, lustiert ihr euch in der blühenden Heide.« - -Am anderen Morgen zogen sie zusammen aus. Auch in den folgenden Tagen. -Rolf Krake war gerne dabei. Aber die funkelnde Helligkeit, mit der er -Hanna damals am Eldetag umleuchtet hatte, war nicht mehr in ihm. - -Darüber ward das Verhältnis der beiden zueinander freier, erlöster. -Von Stund' an konnten sie in der hohen Sommerwelt miteinander spielen -wie Kinder, die sich heute bis zur Ausgelassenheit aneinander freuen -und sich morgen vergessen. »Ich habe mich immer ein bißchen vor Ihnen -gefürchtet, Rolf Krake,« sagte Hanna. »Nun haben Sie den Plan der -Verlobung ja aufgegeben. Das ist vernünftig. Kommen Sie, geben Sie mir -Ihre Hände -- von jetzt ab sagen wir ›du‹ zueinander. Und nun geben -Sie mir auch einen brüderlichen Kuß!« - -Jockele lachte. »Hanna küßt immer erst fröhlich drauflos, wenn die -Gefahr vorüber ist; dann aber mit Vorliebe. Ich kenne das.« - -»Du, du!« drohte das aufgeblühte Mädchen. »Nimm dich vor mir in acht! -Dich möcht' ich doch gerade erst in Gefahr +bringen+ -- es ist aber -furchtbar schwer.« - -»Ach nein,« scherzte Do. - -»Das sagt sie heute, heute so leicht hin,« rief Jockele und warf -seiner Frau einen lustigen Blick zu. Da sah ihn die frohe blonde Do an -und wurde rot bis hinab in den Ausschnitt ihres Sommerkleides; denn -es fiel ihr ein: sie hatte einmal im Moose des Buchwaldes im fernen -Thüringerlande gelegen, hatte ihr Gesicht mit dem Hute bedeckt, um den -die Ranke aus kleinen Blumen geschlungen war, und hatte gedacht: »Am -Rhein sind die jungen Studenten in Schwärmen um mich geflogen -- dieser -Jockele aber hat seine Augen noch nicht ein einziges Mal vor mich -hingestellt, damit sie zu mir sagten: ›Do, Do, du bist auch hübsch, und -du gefällst mir doch eigentlich sehr‹ ... Die Mädchen prickeln um seine -vollen Sinne wie Sekt in einem neugefüllten Glase. Warum prickelt er -nicht um mich? Und wenn er gar einmal schäumte, wie vor Gwendolin -- -man würde sich ja wohl helfen können ... Und wenn nicht? -- Na ...« - -Ja, so war das damals gewesen. Und vor diesem Gedanken aus dem -Thüringerwalde wurde die frohe blonde Frau auf dem nordischen Fjeld -glückselig rot bis hinab in den Ausschnitt ihres Sommerkleides. Aus der -gesicherten Entfernung sah sich das alles nun furchtbar lustig an ... -Aber damals? - -So blühte sich die Jugend dieser Menschen durch den Glanz, der sie -einwob. Und Rolf Krake fand sich für seine Art fröhlich und aufgetan -zu ihren Sonnenseelen. »Es wäre wunderschön gewesen, wenn wir uns fürs -Leben gefunden hätten,« sagte er zu Hanna; »aber ganz so wie Do bist du -nun doch nicht ... Na, es ist auch so, wie es ist, wunderschön,« sagte -er in sanfter Bescheidung. »Und dein Kuß hat mir sehr wohlgetan.« - -»Da hast du noch einen, du wunderlicher Heiliger! Du kannst mitunter -einen bekommen -- aber sauber, weißt du, und in Ehren! Ich glaube, man -kann dich damit aus deinem dunklen Wasser ziehen ...« - -»Rettungsringe!« lachte Jockele. - -»Es ist ein feiner Einfall,« bestätigte Rolf Krake. »Mir scheint, ich -werde bei euch noch ein ganz vernünftiger Mensch.« - -»Das scheint mir auch so,« sagte Hanna, »nun, da du mich nicht mehr um -jeden Preis heiraten willst, ist das Spiel für dich schon zur Hälfte -gewonnen.« - -So waren die Tage auf dem Fjeld lustig und hell bis ins Herz. - - -Einmal des Morgens, als man auf der Osterinsel wieder zum Aufbruch -rüstete, trat Nane Thord herein und sagte: »Es ist in der Nacht ein -Boot um die Insel gefahren. Es sah aus, als wär' es aus Glas. Und es -schien wie ein erleuchtetes Fenster in der Nacht. Es hatte auch zwei -leuchtende Ruder in den Halftern. Aber es war kein Fährmann dabei.« - -Nane Thord machte ihre großen, grauen Augen. - -Da sagte Gwendolin: »Wir haben Neumond.« - -»Lars Thord wird wieder etwas auf dem Herzen haben,« setzte Jockele mit -gut verhehltem Spotte hinzu. - -»Ach nein,« antwortete Nane, »wenn Lars Thord kommt, so setzt er sich -auf die Klippe und angelt Karauschen. Deshalb bin ich auch nicht hinaus -gewesen in der Nacht. Es war mir unheimlich. Vor Lars Thord ist es mir -nicht unheimlich.« - -»Wir müssen da mal aufpassen,« beruhigte sie Jockele. - -»Ja, das müssen wir wohl,« sagte Nane Thord. - - -John Williams war seit ein paar Tagen verreist, nach London. -- -Gwendolin wußte: am zweiten Morgen nach dem Überfall hatte er die Fahrt -angetreten. - -In der Nacht, von der Nane Thord auf der Osterinsel erzählte, was -sie darin gesehen haben wollte, schlenderte Johnny vom Hydepark her -durch die Greenstreet seinem Gasthause zu. Es ist da an der Ecke ein -Kaffeehaus, in dem man zu allen Zeiten Deutsche trifft. Als Johnny im -Vorübergehen durch die große helle Scheibe blickte, stand er mit jähem -Ruck still, als wäre er gegen ein Hindernis gestoßen. Denn da drinnen -sah er einen hünenhaften Menschen sinnend hinter dem Stuhl eines -Schachspielers stehen ... Jawohl, es war Henrik Tofte! - -Da ging Johnny hinein. Aber Tofte bemerkte ihn nicht. Es wurden in dem -Raume mehrere Partien ausgetragen, und es wurde kein Wort gesprochen. -Deshalb setzte sich John Williams an einen der kleinen Tische, die -hinter Henrik frei waren, bestellte sich ein Glas Tee, rauchte die -Pfeife und wartete. Wartete zwei Stunden, ohne daß er von dem »großen -Lichte« bemerkt wurde; denn Tofte war ganz vertieft in die Partie, der -er zuschaute. Während nun da und dort ein Spiel mit dem Siege ausging -oder remis wurde, erkannte Johnny: man spielte in diesem Kaffeehaus die -Partie um die Zehnpfundnote. Um so merkwürdiger war die Anwesenheit des -Malers. Zuletzt lief nur noch jene, bei der sich Henrik als Zuschauer -aufgestellt hatte. Da wurde der schwarze Turm geschlagen. »Ich gebe das -Spiel auf!« rief der Verlustträger seinem Partner zu, »Sie haben Ihre -zehn Pfund gewonnen.« -- »Geben Sie sich nicht verloren, Herr!« sagte -Henrik Tofte. »Doch? Nun, wenn Sie erlauben, spiele ich die Partie für -Sie zu Ende und -- wenn Sie mir im Gewinnfalle fünf Pfund abgeben.« -- -»Mit Vergnügen, mein Herr,« sagte der Deutsche und schaute verwundert -an dem Riesen empor. Der setzte sich ans Brett und gewann mit dem -siebenten Zuge. Eine freudige Erregung unter den Anwesenden war die -Folge. Währenddessen schob Tofte die verdienten hundert Mark in die -Tasche. - -»Nun darf ich Sie wohl auch zu dem famosen Spiel beglückwünschen, -Meister!« sagte in diesem Augenblick John Williams. - -»Johnny!!« - -»Ich bin's leibhaftig!« - -»Kommen Sie, trinken wir eine Flasche Sekt!« sagte Tofte in alter -Gewohnheit, faßte seinen Schüler unter und verließ mit ihm das -Schachzimmer. Draußen in dem Erfrischungsraum, in sicherem Winkel, -setzten sie sich fest. »So treib' ich es seit einer Woche, mein lieber -Johnny,« erzählte das große Licht. - -»Und haben sich dabei einen häßlichen Augenkatarrh geholt,« warf John -halb im Scherz, halb im Ernst ein. - -»Weiß der Teufel,« entgegnete Tofte, »ist das schon so sichtbar? Im -Zirkus hat es angefangen. Es war ein Hundeleben, sag' ich Ihnen. Seit -fünf Wochen bin ich nun in London. Ich habe gemalt wie nie zuvor: -beim Schifferfeuer an der Themse, im Mondschein an der See und im -Hafen, bei lumpigem Tranlicht in Armeleutkneipen und im Staube der -Straßen. So an die vierzig Bilder. Bei dieser wilden Fahrt haben meine -Augen nachgegeben -- wie ein Pferd beim Rennen um den Goldpokal ... -Schicksal, Schicksal, Mister Johnny!« - -»Vierzig Bilder!« rief Williams wie im Traume. - -»Nu passen Sie auf,« sagte Tofte. »Einmal hab' ich einen Stoß davon -unter den Arm genommen, habe mir einen deutschen Matrosen als Dolmetsch -gedingt, und so bin ich zu Mister Watson gezogen. »Kaufen Sie mir -diese Bilder ab, Herr,« hab' ich zu ihm gesagt. »Well,« hat er gesagt, -»lassen Sie sehen.« Und »Ah« hat er gesagt, »was soll mir so etwas -nützen? Es ist nicht die Kunst, die ich brauche. Sehen Sie, dies hier --- dies wird bei mir gesucht!« Dabei führt mich der Kerl vor Bilder, -die ich im Hardanger Fjord gemalt habe und die nun die Namen James King -und John Williams tragen!« - -Johnny erschrak. »Und was haben Sie ihm geantwortet?« - -»Nun, ich war wohl um meinen Verstand gekommen,« sagte das große Licht, -»sonst hätt' ich zu ihm gesagt: ›Mein Herr, entweder sind Sie ein Esel, -oder Sie sind ein Verbrecher.‹ Aber ich sagte nur, ich glaubte, mit -dieser Kunst könnte es die meine auch aufnehmen ... Ausgelacht hat er -mich!« - -»Und die Bilder?« - -»O, die hab' ich aus alter Gewohnheit als Zahlungsmittel benützt. Für -eins hab' ich ein Roastbeef eingetauscht, für ein anderes eine Flasche -Kognak. Zwei hab' ich dem Dolmetscher gegeben. Den Rest hab' ich um -einen Pappenstiel verkauft, so unter der Hand, wissen Sie, beim Tandler -oder dem Antiquitätenhändler.« - -»Wissen Sie noch einen von den Läden?« - -»Wie soll ich?« rief er. »Sie, das Malen ist eine verdammte Kunst! Ich -glaube, ich geb's auf. Prosit! Und es lebe die nußbraune Gwendolin!« - -Johnny erhob zwar sein Glas, aber das Gespräch leitete er hartnäckig -zurück zu Henrik Toftes Geschichte. »Sagen Sie, Meister, wie sind Sie -eigentlich auf die Idee mit dem Schachspiel gekommen?« - -»Schicksal!« sagte Tofte. »Ich kenne jetzt drei Kaffeehäuser, in dem -Deutsche, Schweden oder Norweger die Partie um die Zehnpfundnote -spielen. Da geh' ich abwechselnd vor Anker, verfolge Zug auf Zug, und -auf dem toten Punkt springe ich ein. Immer geht das natürlich nicht, -wissen Sie. Aber dreimal ist es mir geglückt in dieser Woche -- sind -dreihundert Mark!« Er ließ noch eine Flasche Sekt kommen. »Ich spare -nämlich jetzt, sag' ich Ihnen. Und wenn ich zwölfhundert Mark habe, -schüttle ich den Staub Englands von den Füßen und gehe nach Rom. -Jawohl, nach Rom.« - -»Malen?« - -»Das heißt: wenn ich es bis dahin fertiggebracht habe, meinen Schwur zu -brechen, daß ich keinen Pinsel mehr anrühren wollte.« - -»Aha,« sagte Johnny. - -»Warum aha?« - -»Weil Sie einer von denen sind, die -- wenn sie ohne Arme geboren --- dennoch Maler geworden wären ... Sehen Sie, von mir kann ich das -nicht sagen.« John Williams hatte die Lider gesenkt und folgte mit den -Augen der Spitze seines kleinen Fingers, die allerhand Figuren auf der -Marmorplatte des Tisches beschrieb. Johnny war sehr nachdenklich. - -»Haben Sie Ursache zur Reue?« fragte Tofte. »Haben Sie eine moralische -Anwandlung? Bedrängt Ihr Herz eine große Tat? Lieben Sie unglücklich?« -Er wartete aber nicht auf Antwort, sondern setzte hinzu: »Mit derlei -Ballast schlepp' ich mich überhaupt nicht.« - -»Ich finde, daß wir uns vortrefflich ergänzen, Meister.« - -»Diese Wahrnehmung gehört für mich schon der Vergangenheit an!« lachte -das »große Licht«. Dabei strahlte er, als wäre just er dazu ausersehen, -der Erde den Frühling zu bringen. - -»Übrigens: was hat Sie jetzt nach London geführt?« fragte Tofte -unvermittelt. - -»Ich bin auf dem Wege nach Glasgow. Je nun, man hat etliches zu -bestellen, wenn man der Heimat voraussichtlich für lange den Rücken -kehrt ...« - -»Holla -- la -- la!« machte Tofte. - -»Hm,« sagte Johnny und schaute nicht auf. »Ich muß loskommen von James -King. Er ist kein unebenes Talent. Ich auch nicht. Aber wir sind beide -nicht stark genug, um faul sein zu dürfen. Er ist ein Mensch, der seine -Freunde mit in den Abgrund reißt. Meister, ich werde nicht mehr in den -Hardanger Fjord zurückkehren. Ich möchte später einmal nach München. -Was meinen Sie dazu, wenn ich vorerst mit Ihnen nach Rom ginge?« - -»Hurra!« - -»Ich bin von Haus aus nicht ohne Mittel,« fuhr John fort, »ich werde -deshalb auf den Rest meines Stipendiums verzichten ...« - -»Sie sind wohl wild geworden?« - -»O, es ist nicht mehr viel. Und ich werde mich der Bildhauerei widmen.« -Er lächelte. »Wir dürften für die Folge also noch enger zusammenstehen, -aber die Firma ›Tofte, King und William‹ ist aufgelöst -- der -Gesellschafter Williams ist ausgeschieden.« - -Henrik Tofte schwenkte das Glas. »Sturmschwalben auf dem Fluge zum -Süden!« Er hatte Dos Naturgeschichte der Sturmschwalben nicht mit -erlebt. - - -Auf dem Hauptbahnhof in Hamburg standen an einem Augustmorgen Do, -Gwendolin und Hanna, Jockele und Rolf Krake. Sie warteten auf die -Ankunft des Zuges, der ihnen den vor wenigen Tagen fertig gewordenen -~Dr. phil.~ Woldemar Krake bringen sollte. Der Sommer des Fjords war -an ihnen hängengeblieben, und namentlich den Damen war anzusehen, -daß sie geradewegs aus des Herrgotts Malkasten kamen. Es war ein -Bild von betörendem Reiz, wie die drei auf dem Bahnsteige wandelten: -die Wildrose Gwendolin in der Mitte, natürlich in sanftem Gelb, Do -in Weiß und Hanna in der Farbe des Morgenhimmels, wenn der hell um -die Schneegefilde des Folgefonds weht. Es war die springlebendige -Lieblichkeit, vor der der Herzschlag der Männer sieben Sekunden lang -aussetzt, und nach der sich die Augen der Frauen in neidlos stiller -Beglücktheit wenden. Selbst inmitten des losgelassenen Lebens auf einem -Bahnhof. - -Da schnitt auf einmal einer quer über die schaukelnden Wogen des bunten -Sommergetriebes hinweg. In der Hand des hochgereckten linken Armes, der -wie ein Mastbaum ragte, schwenkte er einen Rucksack, schmetterte einen -jodelnden Ruf, trieb wie ein Schiff übers Meer vor dem Sturm seiner -Freude und riß die Schwertlilien aus dem Hardanger Fjord alle drei auf -einmal an sein Herz: Henrik Tofte auf dem Wege nach Rom! - -Weiß Gott, jeder Tag im Leben des »großen Lichtes« sorgte für eine -Stunde, die den Schicksalsglauben immer fester in ihn hineinhämmerte! --- Vor einer Minute hatte er gejauchzt »Nach Rom! Nach Rom!« nun aber -war alles, was er vorgehabt hatte, in seiner himmellangen Freude -ertrunken, und schon drehte er das Steuer gegen den Wartesaal, um dies -Wiedersehen mit ungeheurer Hingabe zu feiern. - -Sein Freund Johnny stand indessen hinter der rückwärtigen Scheibe des -letzten Wagens im ~D~-Zug und merkte wohl, daß er und die Reise für den -jubelnden Henrik ein verwehender Traum geworden waren. Johnny hatte -sich aus einer vorgefaßten Meinung gegen Gwendolin nicht sehen lassen -wollen; darüber hinaus aber hatte er das Geld für Toftes Fahrkarte -- -und zwar bis nach Rom -- ausgelegt. Im Zuge wollten sie abrechnen ... -Johnny schwang sich also aus dem Wagen und eilte dem Festzuge Toftes -nach. So gelangte er in die Lage, sich noch ein Auge voll Gwendolin zu -nehmen, riß das große Licht vom Himmel der Seligen herab und hinter -sich drein -- Türen schlugen, Fertigrufe erschollen, die Lokomotive -tat einen erlösten Atemzug, Henrik Tofte streckte seine Arme aus dem -Fenster, Gwendolin blühte ihr Hochsommerglück über das Eisengeländer -noch einmal zu ihm hin -- vorbei! - -Vorbei war's, ehe sie recht erkannten, was ihnen da begegnet war. - -Henrik Tofte aber sank in seinen Ecksitz und ließ den Rausch eines -Kusses über seine Seele perlen wie schäumenden Wein über die dürstende -Zunge. Diesen Kuß hatte er sich von Gwendolins Lippen genommen in der -jähen Sekunde des Abschieds und in wildausbrechendem Glück. Nun schwieg -er. Schweigend hob er die Finger zum Schwur und deutete auf seinen -Mund. Das sollte heißen: »Ich werde fortan als stummer Mann durch meine -Tage ziehen; denn ich darf den Kuß nicht zertrümmern, der mir auf den -Lippen blüht.« - -So sahen die Schwüre des »großen Lichts« aus. Keine wußte das besser -als Gwendolin. Darum reiste Henrik Tofte nun in das neue Leben und -- -sie war nicht dabei. - -Doch, es gibt keinen Fleck Erde, über dem sich die schwarzen und die -roten Fäden hastiger durcheinanderwerfen zu dem närrischen Gewebe des -Lebens als über jener Stelle, auf der die Fünf von der Osterinsel dem -wunderlichen Gesicht noch lustig und betroffen nachstarrten, das sie -soeben gehabt hatten -- und schon pustete der erwartete Zug in die -Halle. Deshalb lösten sich Rolf Krake und Hanna von den anderen ... -Hanna, die Gwendolin und Do noch gerade von hinnen funkeln sahen; und -Rolf in ehrlichem besinnlichem Frohsinn vor dem Bruder. - -Und dann brachten sie ihn, den Doktor Woldemar Krake, der sein Herz -voll heißer Liebestatkraft dem sausenden ~D~-Zug hatte voranfliegen -lassen! Der andere hatte überwunden. Aber Do dachte auch jetzt: sie -können wohl Stunden haben, in denen der eine sich mit dem anderen -verwechselt. - -Da war das gleiche schmale, bartlose, scharf modellierte Gesicht mit -der auffällig hohen Stirn. Darüber dünnes blondes Haar, nach rückwärts -gestrichen -- es wehte bei Rolf Krake vor jedem Sturme der Seele. Und -die Augen lagen unter der kraftvollen Stirn, grau und groß, wie Nane -Thords Augen, die das Wundern so gut verstanden. Woldemar ging auch ein -wenig vornübergebeugt, genau wie Rolf. Er sah nicht geschmeidig aus; -aber es stand der Jugend beider gut und vornehm. Es war fast so, als -käme das Übergewicht der Besinnlichkeit in dieser Haltung zum Ausdruck. -Die gleichen Kräfte des Geistes hatten sich die Krakestirnen geformt; -die gleichen Kräfte des Gemüts stimmten sich diese Stimmen und Seelen. -Aber der eine ging gern mit der Stunde, ob sie laut war oder leise. Der -andere verhielt sich ihr zu aller Zeit. - -In Hamburg machten sie sich einen vergnügten Tag, und es war ihnen wohl -anzumerken, daß ihnen die Buntheit der großen Stadt nach der Ruhe ihres -heimeligen Winkels im Fjord zu einem genußhaften Erleben wurde. Abends -waren sie in St. Pauli. Als sie lange nach Mitternacht in ihr Gasthaus -am Alsterbassin kamen, sagte Do: - -»Mir ist, als müßte ich mich nun zum Trocknen auf die Leine hängen; -denn wir sind immerfort durch bunte klingelnde Gewässer gehüpft, ich -habe mich vollgeplätschert bis zu den Scheiteln.« - -»O,« sagte Woldemar Krake, »wenn Sie gerade aus dem Examen kämen, -klänge Ihnen das kecke Lied vom Brettl wie Engelsang, und die Spritzer -aus flachen Wässern würden Ihnen zu einem Bade der Wiedergeburt. Es war -ein feiner Tag. Gute Nacht.« - -Danach schliefen sie einen fixen Schlaf; denn des Morgens halb fünf -Uhr mußten sie schon auf dem Dampfer sein. Als sie hinkamen, hatten -sie noch alle Nerven voll Klingeling und Gestern und die Lider voll -zerbrochenem Schlaf und standen auf dem Deck herum und sahen, wie noch -rasch letzte Lasten auf dem Dampfer verstaut wurden, und schwiegen sich -an und dachten: es riecht nach Teer. - -Aber es war ein schöner Morgen. Dünne Nebel streiften seehin wie -der Rauch einer feinen Zigarette; und aus der Kajüte stieg Duft von -Kaffee und schmeichelte um ihre Sinne eine liebe Verheißung. Die -ward Erfüllung. Darüber gerieten sie von dem taukühlen Rande des -Tages gleich tief in ihre Freude. Und als sie wieder auf Deck kamen, -zerstießen die Türme Hamburgs die gelbgraue Hülle, in der die Stadt -versunken war. -- - -Am anderen Nachmittage überraschte sie James King an den Toren des -Eldefjords mit den Booten. Es stand ein kleiner Wind aus Westen, mit -dem konnten sie heimsegeln. Gwendolins »Seelenverkäufer« aber hatte -James nicht mitgebracht, und auch nicht sein eigenes Boot. Er sagte, es -wäre leck, deshalb hätte er sich das von Nane Thord ausgeliehen, und -nahm Gwendolin mit zu sich hinein. Nane Thord aber hatte sich indessen -um ein feines Mahl bemüht. So konnte die Ankunft des Doktors Woldemar -mit Nachdruck gefeiert werden ... - -Es machte danach einige Mühe, das durcheinandergeratene Werk wieder so -in Gang zu setzen, daß es den alten schönen Schlag der Stunden fand. - -Woldemar wohnte nun in dem Zimmer Henrik Toftes. Und mit Ausnahme -von Rolf Krake in der Sägemühle und von James King, der noch in dem -Fischerhaus drüben am Festland saß, hatten sie alle ihr Nest auf Nane -Thords Insel. Da die Nächte früher einfielen, die Nebel dichter wurden, -und das Feuer an den Abenden schon wieder glomm, rückten sie gern um -die Herdstatt zu traulichen Gesprächen. - -In dieser Zeit, als der Herbst sich heimlich über die Welt legte, -arbeitete Jockele scharf an seinem Werk über die Flechten und kam über -Tag oft kaum von seinen Mikroskopen. Deshalb fiel ihm die Wandlung, -die sich mit Rolf Krake in jenen Wochen vollzog, stärker auf als den -anderen. Rolf schied sich auch wieder mehr von ihnen ab. Aber wenn -sie zu ihm in ihrer weitoffenen Art davon sprachen, schob er sein -Einsamkeitsbedürfnis auf seine theologischen Studien und Haeckel. »Es -macht mir ein sonderliches Vergnügen, mich darüber hin und wieder -mitten entzweizureißen. Mit dreiundzwanzig Jahren ist der Mensch nun -einmal ein Philosoph.« - -»Man muß aber nicht auch die Nächte hindurch philosophieren,« wendete -Do ihm ein, »und es ist zum mindesten nicht notwendig, daß Ihre Lampe -dem Morgen ins Gesicht scheint.« - -Eines Abends blieb er länger als sonst. »Ich setze mich neuerdings mit -dem Glauben an die Seelenwanderung auseinander,« sagte er. - -»Eine Sache, die Ihnen unbedingt noch gefehlt hat,« scherzte Gwendolin. - -»Spaß beiseite,« sagte Hanna, »du hast zweifellos zuvor als Kröte unter -dem Skjoldefoß gesessen oder als Steinkauz in einer der benachbarten -Klippen. Ich habe das neulich ganz genau bemerkt, als wir zu dem Falle -gingen: dein Eulenschrei hui -- huiiihihi war mehr als eine bloße -Nachahmung.« - -»Hm,« machte er aus einem lustigen Nachdenken heraus, »die Wanderung -durch den philosophischen Steinkauz fesselt mich gegenwärtig weniger, -sondern vielmehr die Anschauung: die Seelen fliegen nach dem Tode des -Körpers auf den Mond. Dort wohnen sie während des zunehmenden Mondes, -aber bei abnehmendem steigen sie mit dem Regen herab und gehen je nach -ihren Taten in höhere oder niedere tierische Körper ein oder sogar -in Pflanzen.« Solcherart waren die Gespräche, die sie über das Herz -der Nacht hinweg am Herdfeuer auf der Insel führten. James King aber -saß dabei und wunderte sich und sagte: »Vom Geschäft reden die jungen -Deutschen niemals. In England lacht man über sie, und in Amerika nennt -man sie ›~the greenhorns~‹ und füllt das Wort ›~dutch~‹ bis obenhin mit -Verachtung. Ich glaube, es kommt die Zeit, da werden sie es spüren.« -An diesem Abend erfuhr er auch, daß Gwendolin eine Böhmin wäre, und -es kam heraus, daß der gescheite James sich Böhmen als eine Insel im -Ozean dachte. Doch -- er berief sich dabei auf Shakespeare. Gwendolin -nahm sich den Mister James daraufhin in ihrer witzigen und leuchtenden -Art vor. Es wurde so launig, daß sogar Rolf Krake vor Vergnügen seine -Schenkel schlug und Mister James auf allen vieren um den runden Tisch -galoppierte. Er hatte den grauen Anzug an. - -Dieses Schauspiel verpaßten Hanna und Woldemar. Gleich nach Rolfs -Mondfahrt waren sie hinausgegangen in die Nacht: sie wollten hören, -ob die Käuze riefen -- dann gäbe es anderes Wetter, und sie müßten die -Kletterpartie auf den Folgefond verschieben ... - -Es war eine Neumondnacht voll Klarheit und stiller Sterne und doch so -finster im Schatten der Berge, daß sie sich ganz fest umschlangen. Zu -der Bank im Rohre fanden sie sich aber doch. - -»Holla,« rief Woldemar, »es liegt schon einer da!« - -Da verfiel Hanna in ein schütteres Lachen. »Ach wo,« sagte sie, »ich -habe vor dem Essen rasch meinen Mantel und das dicke Umschlagtuch -hergetragen. Man konnte doch nicht wissen, ob die Hüllen nötig wären. -Nun, eigentlich brauchten Sie es nicht gleich zu merken.« - -Das war das letztemal, daß sie das fremde »Sie« gegen ihn gebrauchte; -denn nun kam eine Stunde ohne Worte. Die war so leise -- das Rohr -hätten sie atmen hören können! Aber sie horchten nicht hin. - -Auf einmal knirschte der Kies hinter ihnen. Da wurden ihre betörten -Sinne steil. Dann strich etwas in die Schilfhalme hinein -- aber das -war schon einen kleinen Steinwurf weit weg von ihnen und war dort, wo -das Rohr so dicht stand, daß man ein brennendes Licht hinter dem grünen -Gewebe nicht gesehen hätte. Dann folgte ein leichter Sprung und ein -langes heimliches Gleiten ... Aber auch darüber fiel gleich wieder die -dunkelblaue Stille. - -»Du,« flüsterte Hanna, »meinst du, daß Rolf nächtlicherweile Gespenster -suchen geht?« - -Da stieg Woldemar auf die Bank, um gegen das Haus zu schauen, und -sagte: »Das Licht im Saal ist ausgetan.« Dann wollten sie von neuem in -ihre liebe purpurne Finsternis versinken. Aber es kam nicht mehr zu -einem tiefen Untergange; denn der Gedanke an den nächtlichen Wanderer -drängte sich zwischen sie. Da brachen sie auf. Und als sie über das -Riff gingen, sahen sie einen leuchtenden Kahn über die Sterne ziehen, -die im Fjord lagen, der wurde von zwei leisen Rudern getrieben. Aber es -war kein Fährmann im Boot. - -Es war unheimlich. Da blieb den beiden der Atem stehen, und sie legten -sich der Länge nach auf den Stein und lugten aus. So blieben sie, und -das Gespensterschiff zog her und hin ... - -Um diese Zeit klopfte Nane Thord an Gwendolins Tür; denn Gwendolin -schlief Wand an Wand mit ihr. Als sie herauskam, sah sie: die Kerze -zitterte in Nane Thords Hand. »Kommen Sie,« sagte Nane Thord, blies das -Licht aus und führte sie in ihre finstere Stube ... »Da! Da ist das -feurige Boot! Sehen Sie es auch?« - -»Ja,« sagte Gwendolin. - -»Die Gespenster kommen hier immer im neuen Mond.« - -»Je nun, es hängt vielleicht mit Rolf Krakes neuer Erkenntnis -zusammen.« Das verstand Nane Thord nicht; aber das merkte sie wohl: -es lag in Gwendolins Worten ein Spott, der nicht recht zur Blüte kam. -Eine wunderliche Sache war die Erscheinung nun doch. Gwendolin eilte -indessen vor die Schlafzimmertür Dos und ihres Mannes. Die lagen im -ersten Schlummer, und es verstrich eine Frist, bis man sich durch -die Tür verständigt hatte. Jockele schlüpfte in den Kimono, Do warf -sich das Morgenkleid über und ließ Gwendolin herein. Dann öffneten -sie das Fenster, so lautlos es anging -- da sahen sie die Sterne -still und traumhaft auf dem Grunde der Wasser funkeln, aber von dem -Gespensterschiff keine Spur. - -Jockele hatte den Revolver aus dem Nachttischkasten genommen und drehte -die Trommel. Es klang ein wenig erregt, aber es gab die Gewißheit, daß -er im Ernstfalle -- - -Da war's wieder! »Ho!« machte Jockele sehr bedeutend. - -»Es ist jetzt anders geworden,« stellte Gwendolin fest, »vorhin war -kein Fährmann darin.« - -»Ein Mann ohne Kopf!« flüsterte Do. »Sagt, was ihr wollt -- die Sache -ist nun doch unheimlich.« - -Sie sahen den Mann ohne Kopf alle drei. Er saß dort in weißem Linnen; -seine Arme unter der Hülle bewegten die Ruder in geräuschlos langem -Schlag, und zwischen den Schultern konnte man genau die Stelle -erkennen, an der der Kopf abgerissen war: es sah aus, als läge da -noch der Rest eines Bartes, der bei Männern, die ihn tragen, die -Schifferkrause heißt. - -»Dies Spiel ist mir zu dumm,« sagte Jockele in einer Anwandlung von -Mannesmut, »ich schieße dem Herrn eine Kugel achtern ins Boot.« Und -»Bumm!« dröhnte der Knall in die schwarze Stille und rannte an den -Bergen herum in hundertfacher Verstärkung. »Nicht getroffen! Noch -einmal!« Bumm! Aber das gläserne Schiff klirrte auch diesmal nicht in -Stücke. Sondern der Mann ohne Kopf schnellte von seinem Sitz in die -Höhe und rief: »Doktor, machen Sie keinen Unsinn! Was soll denn diese -lächerliche Schießerei?« - -Natürlich liefen Jockele und Gwendolin nun hinaus und nahmen Nane Thord -und ihre Windlaterne mit. Dann legte James King bei der Klippe an, in -der Henrik Tofte in Stunden der Einkehr sein Frühstück zu verzehren -pflegte, und kletterte am Gestein empor. Von der anderen Seite kamen -Woldemar und Hanna, und Jockele leuchtete das Gespenst zwischen Lachen, -Spott und Verwundern mit der Laterne an: Mister James hatte sich ein -Bettuch über die Schultern geworfen und den Kopf mit einem Pudelfell -verhängt, das war genau so schwarz wie Nacht und Flut und von beiden -nicht zu unterscheiden. - -»Ist das nicht ein lächerlicher Spaß?« - -»Man kann es so nehmen -- aber auch anders,« sagte Gwendolin ein -bißchen verstimmt. »Je nun: es ist der erste Sieg, den Sie in Ihrem -Leben errungen haben -- lassen wir ihn gelten.« - -Mister James gebärdete sich sehr lustig. Aber im Grunde: nach einem -Siege sah die Sache für ihn ganz und gar nicht aus, sondern nach einer -lächerlichen Niederlage; denn er hatte Gwendolin damit eine Gelegenheit -geben wollen, ihn zu lieben. Und zwar hatte er sich den Gang der Dinge -also gedacht: Gwendolins Licht war alle Nacht das letzte im Haus. Wenn -sie es austat und das Fenster öffnete, ehe sie sich zu Bett legte, -sollte sie die Erscheinung bemerken. Weil sie nun ein tapferes Herz -hatte und eine Lust an kühnem Erleben, würde sie nicht schreien, -sondern sie würde sich die Erscheinung mit Teilnahme näher betrachten. -Auf dies »näher« kam es ihm an. Alles übrige gedachte der listige James -der Gunst des Augenblickes zu überlassen ... - -So war seine Berechnung. Es war eine umständliche Sache. Aber -- nun -ja, er hatte seit der Flucht Toftes tausendmal vergeblich nach einem -geraderen Wege zu dem wachen Mädchen gesucht: es gab für ihn keinen. - -»Mister James,« rief Do aus dem Fenster herab, »wäre es nicht einfacher -gewesen, Sie hätten an Gwendolins Scheibe geklopft?« - -»Hm,« sagte er, »da hätte sie mir einen Krug Wasser über den Kopf -geschüttet.« - -Dos Frage war keck und hellsichtig. Und das Geständnis des James war -verblüffend. Danach hätte er im Reste der Nacht seine Koffer packen -können. Das tat er aber nicht; sondern am anderen Morgen fand er sich -im Krakesaal zum Frühstück ein und sah aus, als hätt' er nie im Leben -eine Dummheit gemacht. Der begehrten Gwendolin aber schlug das Herz -fortan in schöner Sicherheit, und Hanna und Do lächelten sich so um -den geschlagenen König herum. Der aber streckte die langen Glieder von -sich, zeigte eine lächerliche Wurstigkeit und rauchte Shagtabak. - - -Einige Tage danach waren Do, Gwendolin und Hanna an Land gefahren und -wanderten mit verschränkten Armen am Ufersaum entlang und sprachen vom -Leben. Sie mußten heute dazu unter sich sein. Do war für Hanna in der -letzten Zeit in allen Stücken die liebe weise Beraterin geworden, und -Gwendolin hörte ihnen in nachdenklichem Frohsinn zu. »Sie reden von -meinem fernen Lande,« dachte sie. Seit der Kunstschule in Weimar war -ihr der Anblick solch einer hoffenden, drängenden und geheimnisvollen -Frauenjugend ganz verlorengegangen. Und auch damals hatte sie abseits -gestanden mit ihrer größeren Begabung und ihrer gefestigten Art; denn -was da in den Malsälen gesessen hatte aus Liebhaberei oder in der -Absicht, sich zu beschäftigen, das hatte Augen, denen das Lebensziel -im Nebel verschwamm. Eine wie Hanna von Fellner war ihr nie begegnet: -die wollte das ganze Reich, in dem sie einmal als Frau einzog, aus -ihren fixen weißen Händen zaubern -- wenigstens alle Feinarbeit daran. -Nun empfing sie Packen weißen Linnens und spiegelnden Batist und -weiße Seide. Sie hatte sogar eine Nähmaschine kommen lassen. Im Haus -auf der Insel klangen die Nadeln stundenlang durch gespannte Tücher -im Stickrahmen; das Wort »Dutzend« spielte eine mächtige Rolle, und -Nane Thord betastete mit Augen und Händen den schneeigen Reichtum -und wunderte sich stumm vor den Herrlichkeiten, die da mit blauen -Seidenbändern zu Türmlein geschichtet wurden. - -Aber es war nun einmal so; und die Hanna, die sich immer ein bißchen -obenhin durch ihren Vorfrühling geträllert hatte, rüstete für ihr -Ostern mit einer Tiefgewalt, die altmodisch ausgesehen hätte, wäre -sie nicht so voller Innigkeit gewesen. Deshalb wurde sie einzig in -ihrer Art. Sogar die zärtlichen Jung-Frauenträume der »kleinen Wäsche« -vergaßen sie nicht -- es war ein schweres Exempel. Aber mit vereintem -Scharfsinn bekamen sie auch das heraus und dichteten es gleich für zwei. - -Darüber bekam Gwendolin das lange Sehen. Sie mußte schon wieder an das -»ferne Land« denken und sagte: »Ich habe mir ein feines Leben gemacht; -es ist voll Schönheit und Fülle und Freiheit bis oben. Und zuletzt? -Zuletzt gehör' ich doch zu den Menschen, die den Weg verloren.« - -»O nein,« sagte Do, »aber du könntest wohl dahin kommen.« - -»Liegt das an mir?« fragte Gwendolin. - -»Ja,« sagte Do, »in der Fremde an deinem hellen Licht siehst du als -Dämmerung und Nacht, was außer dir ist. Es ist kein Mädchen umworbener -als du. Und ich weiß auch kein Herz, das heißer und genußfroher wäre -als deins. Aber du probierst es nicht, diesem Herzen seine Aufgabe zu -stellen.« - -»Das ist wieder einmal eine richtige Do-Rede gewesen,« lachte -Gwendolin, »nun ja, du bist nach Rolf Krake in dem Alter, in dem die -Menschen Philosophen sind. Oder hast du das bei Ibsen entdeckt?« - -»Nein,« sagte Do. »Ibsen würde sagen: ›Die Frau soll dem Manne bei -seiner Arbeit und bei seinem Leben helfen, indem sie ihm Arbeit und -Leben leichter macht und indem sie um ihn ist und ihn pflegt‹.« - -»So ist es mir handlicher,« sagte Gwendolin. »Ich werde mich daraufhin -einmal ansehen müssen.« - -»Ja, tue das,« sagte Do, »es wird dir nicht schaden. Ein Mann ohne Frau -ist ein Halbnarr. Mit einer Frau ohne Mann steht es nicht so schlimm; -aber die Weisheit, daß wir ja doch nicht alle heiraten können, ist ein -windiger Trost, und sie ist von alten Jungfern erdacht als Decke für -ihre greuliche Erkenntnis: ich bin durchs Examen gefallen.« - -»Paßt nicht für mich!« erriet Gwendolin. - -»Aber du hast auch keinen gefunden, der dich hätte deinem Trotz -abringen wollen. Zuletzt traut dir keiner zu, daß du ihm zuliebe ein -Stück von dir selbst aufgeben könntest.« - -Gwendolin dachte an Henrik Tofte und an sein Wort von der Malerei. Das -wandelte sie nun ab und sagte: »Die Ehe ist eine verdammte Kunst.« - - -So schritten sie froh, nachdenklich und wachsam gegen sich selbst in -Sonne. - -Hanna hatte schon wiederholt gegen die Sägemühle geschaut, ob Woldemar -nicht käme. »Ich weiß nicht, warum er uns warten läßt,« sagte sie. - -»Nun, er wird eine kleine Ausstaubung an Rolf Krake vornehmen,« meinte -Do, »man wird damit nicht so rasch fertig, wie man denkt. Ich kenne -das. Es gibt in dieser Seele Winkel voll Dämmerungen. Rolf Krake -ist wie eine alte Burg, vollkommen eingerichtet, aber es wohnt ein -Sonderling darin, und neben ihm ein Haufen wunderlich Wesen, wie es -sich in solch einem abseitigen Bauwerk festsetzt ...« - -Wenn sie von Rolf Krake redeten, kamen sie so bald nicht los. Es wurden -da immer neue Entdeckungen gemacht, und man gelangte doch zu keiner -Lösung. - -»Dazu müßte man Seelenarzt sein oder Schriftsteller, hat mein Jockele -gestern abend zu mir gesagt,« erzählte Do. - -»Na ja,« warf Gwendolin ein, »ich sehe Jockele doch noch als Dichter! -Ich kann mir gar nicht denken, daß die trockene Wissenschaft ihn zeit -seines Lebens fesselt.« - -»Vielleicht habilitiert er sich einmal in Jena,« sagte Do. - -»Aber wenn er des Abends erzählt, dann höre ich doch immerfort den -Dichter,« redete Gwendolin hartnäckig dagegen. »Ich glaube, wenn er -seine Abhandlungen über die Flechten und über die lächerlichen Frösche -geschrieben hat, wird er mal halb wachend, halb träumend zu einem -Romane kommen, etwa mit dem Romfahrer Henrik Tofte als Helden oder mit -Rolf Krake, der Zauberburg. Über die Flechten und Frösche wird er sich -noch zu den Menschen finden ...« - -»Jockele auf Seelenwanderung!« sagte Hanna. Sie setzten sich in den -blühenden Rasen und plauderten sich in Ausblicke und Einblicke. Sie -hörten in ihrem Sonnenwinkel an der Hügellehne den Skjoldefoß rauschen -und ahnten sich tief ins Leben. Aber das Entsetzliche, was sich in -diesen Minuten am Fall ereignete, das ahnten sie nicht. - -Zwischen dem Fels und dem schäumenden Vorhange der Wasser stand Rolf -Krake auf der moosgrünen Steinplatte und schaute in den Gischt, der um -seine Füße kochte. Er stand dort wie einer, der auf der Wanderung ist -in den Sommermorgen. Vielleicht war er auch von den Bergen gekommen. -Unter ihm quoll es aus Tiefen herauf und brüllte. Vor ihm brach es -aus Höhen herab und schnob. Hinter ihm ragte der tropfende Fels und -barst nicht, und doch donnerte der Bergstrom seit tausend Jahren seine -Allmacht darüber hin. Vor ihm in der Luft hing die zischende Flut, -hing zwischen ihm und der Welt, rückte die Welt weit, weit hinaus: -wenn er seine Füße hob und jetzt schnurgeradeaus wanderte durch diesen -kochheißen eiskalten Vorhang hindurch -- die Welt war für ihn nicht -zu erreichen, mochte er gleich tausend Jahre laufen! So weit weg war -Rolf Krake von der Welt, und so fürchterlich hing die Einsamkeit um -ihn. Er dachte: »Ich will den Weg, der tausend Jahre lang ist, jetzt -wandern. Es wird mich von oben die Gewalt des Stromes fassen und in -die Tiefe werfen. Und es wird mich das Brodeln der Tiefe greifen, -wie der heulende Sturm ein Körnlein Sonnenstaub, und wird mich aus -der brüllenden Finsternis heraufwirbeln und hinab, herauf und hinab. -Hundert Schritte wird mein Herz mitrasen auf der Straße der tausend -Jahre ... liebes Herz, so töricht bist du schon all die Zeit her -gewesen -- ich will dir diesen letzten verrückten Wettlauf ersparen ...« - -Rolf Krake redete das ganz laut in die fürchterliche Einsamkeit und zog -den Revolver aus der Tasche. - -Da trat Woldemar Krake über den Steig von links in den hohen Dom, der -aus Fels und Flut, aus Donner und blauem Lichte gebaut war. Woldemar -Krake sah die Waffe in seines Bruders Hand, und er sah auch den weiten -Weg in seinen Augen, den er vorhatte. - -Rolf Krake aber kniff die Lippen in unsäglichem Hasse zusammen -- die -Felsplatte, auf der sie standen, war von Manneslänge und drei Fuß -breit. Wie tief das Sterben war, das den Stein umbrandete, ermaß kein -Menschenwitz. Und es gab kein Menschenwort, das den tosenden Schlag -der Wasser überschrie -- keine Frage, keine Bitte. Deshalb riß sich -Woldemar Krake zusammen wie ein Tiger zum Sprung: es durfte kein Ringen -geben auf dieser Spanne Gestein, sondern nur ein gewaltiges Umschließen -mit Armen, in denen der Wille des anderen augenblicklich zerbrach ... - -Rolf Krake aber dachte: »Es ist doch kein Wahn, daß ich dich hasse! -Wer hat mir das Leben vermauert von Kind an? Du! Wer hat mir den Traum -der Liebe zerpflückt? Du! Wer hat mich vor der Welt und mir selbst zum -Narren gemacht? Du! Und wer kommt jetzt und mengt sich auch in mein -Sterben? Du! Du! Du -- der du ich bist, ich!« Und er warf den Arm mit -der Waffe hoch. Der gekrümmte Finger riß den Abzug durch. Kein Knall -war zu hören. Kein Wölklein Rauch war zu sehen ... Nach dem vierten -Schuß schleuderte er die Handvoll mörderisches Eisen in den Schwall und -sprang durch den Spalt des weißen Vorhangs hinaus. Durch diesen Spalt -war der andere vor einer Minute hereingetreten ... - -Noch einen jähen Blick warf er zurück -- das verhaßte Bild folgte ihm -nicht. In einer Bergschrunde klomm er empor, in der im Frühling ein -fußbreites Tauwasser über die Steinstufen sprang. Er rannte immerzu. Er -zog sich an Krüppelkiefern empor. Er kam in eine sanfte Mulde zwischen -den Wänden, da sah er Lona Steensgard, die Tochter der Fischerswitwe -Bolette Steensgard. Sie stand dort in groben Schuhen und in ihrem -schlechten Wollrock, brach Astholz und stapelte es in ihren Korb. Lona -Steensgard lachte und sagte: »Sie können von hier aus gut wieder auf -den Pfad kommen, Sie müssen nur immer ein bißchen links bleiben gegen -den Skjold zu, dann sehen Sie alsbald den Bratthammer ...« - -Danach sah ihn niemand mehr, der ihn kannte. -- - -»Nein,« sagte Hanna, »das finde ich doch unerhört! Woldemar hat -versprochen, in einer halben Stunde wär' er da!« - -Gwendolin rieb sich die Hände. »Die unglückliche Ehe ist schon in -vollem Gange.« - -Da zog Hanna die Do unter den Wiesenblumen hervor, zerträllerte ihr -Unglück und sagte: »Na warte!« Das galt ihrem Liebsten; denn sie -steuerte nun nach der Mühle und wollte Rechenschaft von ihm fordern. - -»Ah, das Spiel schau' ich mir an,« lachte Gwendolin und lief -hinterdrein. - -In der Sägemühle fanden sie die Brüder nicht. Ein Arbeiter, der auf -dem Holzplatz war, hatte den ~Dr.~ Krake vor gar nicht langer Zeit den -schmalen Steig zum Fall schreiten sehen. Man konnte diesen Steig von -der Mühle aus aber nur eine kleine Strecke weit überschauen, dann kroch -er hinter Felsblöcke. Also gingen Do, Hanna und Gwendolin hinüber zum -Skjold, und als sie durch den Spalt im Vorhang traten, lehnte Woldemar -Krake dort sitzend gegen die nasse Bergwand und hatte das Gesicht so -tief vornübergesenkt, daß ihm der Hut vom Kopfe gefallen war und auf -seinen Knien lag. Die rechte Hand ruhte flach auf dem Moos und war wie -ein welkes Laub, und es war Blut daran, das aus dem Rockärmel sickerte. - -Zuerst standen sie mit ihrem Schreck nebeneinander wie Erscheinungen; -denn sie schrien sich an und hörten sich doch nicht und warfen die -Arme. Hanna nahm Woldemars Kopf in ihre Hände. Dann faßte ihn Do unter -den Armen und Gwendolin an den Füßen, und sie trugen ihn hinaus an -den Rasenrand in die Sonne. Nach einer Zeit erwachte er und lächelte, -weil er die Freundinnen sah. Er hielt Gwendolin am Rocksaum fest und -Hanna an der Hand und sagte: »Geh du auch nicht fort, liebe Do.« Seit -dieser wilden Stunde nannten sie sich alle du. Aber er schloß die -Augen gleich wieder. Da zogen sie ihm den Rock aus; denn sie sahen die -Schußöffnungen in den Ärmeln. Darüber erwachte er abermals und merkte, -daß Do noch hinter ihm stand und daß er an ihren Knien lehnte. »Sollen -wir denn nicht Hilfe holen?« fragte Gwendolin. - -»Nein, es ist schon vorbei.« - -Da ließen sie ihn wieder auf den Rücken in das Mittagsgras gleiten; -denn sie merkten, wie ihm die Sonne wohltat. »Es ist gut, daß wir an -diesem Platze sind,« sagte er, »es kommt hierher oft tagelang kein -Mensch. Gwendolin, möchtest du mir nicht ein Glas Sekt holen oder -Kognak? Aber du mußt niemandem ein Wort sagen, wie es mit mir steht, -hörst du?« - -Während Gwendolin den Steig hinabeilte und hinüberruderte nach der -Insel, fragte er: »Wo ist Rolf?« - -»Wir haben ihn nicht gesehen. Hat er dich geschossen?« - -Er nickte und schloß die Augen vor dem tiefen Schmerz, der über sein -Gesicht fiel. - -»Großer Gott, wie hat denn das geschehen können?« sagte Hanna. Do -winkte ihr, daß sie alles Geschrei vermiede, legte sich den Finger auf -den Mund und gab ihr ein Zeichen. Dann kam Gwendolin mit dem Sekt, und -er trank ein Glas in der Gier eines Verdürstenden. Sie gaben ihm noch -mehr, und danach verlangte er seinen Rock. Sie führten ihn zum Strand -und kamen zur Insel. - -Nicht Nane Thord erfuhr von diesen Dingen und nicht James King; der -war an diesem Tag malen gegangen. Sie aber wuschen Woldemars Wunden -und verbanden sie aus ihren Reiseapotheken. Es waren Fleischwunden, -die eine im rechten Unterarm, die andere im linken, oben nahe dem -Schultergelenk. Danach lag er und schlief bis gegen Abend. Jockele aber -war inzwischen in der Mühle gewesen und hatte nach Rolf Krake gesehen -und sein Zimmer unverschlossen gefunden. Da sperrt er die Tür zu und -steckte den Schlüssel zu sich. - -Auch am Abend blieben sie im Saal unter sich, sie hatten James gebeten, -sie dies eine Mal allein zu lassen. Do aber war nun auch in der Mühle -gewesen und hatte über Rolf Krake nichts erfahren. Da ging sie in sein -Zimmer; denn er hatte ihr in allen Stücken vertraut und viel mehr als -sich selber. Auf dem Tische fand sie sein Tagebuch, das war bis zu dem -Augenblicke geführt, in dem er von hinnen gegangen war. Den letzten -Abschnitt las sie: - - »Liebe liebste Frau Do -- wenn Sie mich suchen: ich bin die - Straße gegangen, die tausend Jahre lang ist und noch viel - länger. Darum werden Sie mich nie finden. Aber denken Sie - einmal an mich, wenn im nächsten Jahre der Wildrosenbusch - wieder so schön blüht ... wenn Seelen wandern, dann will - ich Ihre Güte und Ihr liebes helles Licht umhauchen als der - Duft von wilden Rosen. Aber auch wenn dieser Glaube närrisch - ist, wie alles, was ich im Leben tat und träumte, und wenn - im ewigen Wechsel des Stoffes die Lösung des Rätsels von der - Unsterblichkeit liegt -- kehren Sie im blühenden Sommer einmal - zurück zu dem Rosenstrauch am Skjoldefoß! Denn wenn er mit - seinen Wurzeln aus dem Quell trinkt, der die Straße der tausend - Jahre umspült, dann trinkt er einen Tropfen meines närrischen - Lebens, und es wird ein Wildrosenduft daraus. Darum: denken Sie - an mich, wenn Sie wilde Rosen sehen, Sie liebste Frau! - - Geschrieben in dieser Stunde, da ich auf den Weg trat, der - tausend Jahre lang ist. - - Rolf Krake.« - -»Was er nur mit dem Wege der tausend Jahre meint?« dachte Do. Sie -nahm das Buch und verschloß die Tür. Als sie ein Stück den Hügel -hinabgegangen war, blieb sie stehen und blickte hinüber nach dem -Rosenstrauch; der klemmte in einem Felsenspalt, nahe dem Fall. Es wuchs -graue Flechte an seinem alten Holz, und es war ein borstiges und rauhes -Ding. Aber in jedem Jahr trieb er noch Schosse zu seiner Verjüngung, -und so konnte er an diesem feuchten Standort schon älter geworden sein -als Nane Thord und konnte seine Wurzeln wohl so tief in den steinichten -Grund getrieben haben, daß sie aus dem Kessel der brodelnden Wasser -tranken. »Rolf Krake hat sich in das wilde Bergwasser gestürzt,« sagte -sie, und das Herz erschauerte ihr. Dann ruderte sie zur Insel. Aber -in der sinkenden Nacht fuhr Jockele mit zwei Booten an den Strand und -machte das eine dort fest und legte auch die Ruder hinein -- für Rolf -Krake, wenn er in der Nacht käme und den Schlüssel haben wollte. Dort -lag das Boot drei Wochen. Sie ließen in diesen drei Wochen alle Nacht -ein Licht im Blockhaus auf der Insel brennen, bis in den Tag. Aber Rolf -Krake sah es nicht, und er gebrauchte auch das Boot nicht. - -Er hatte mitten in die Sonne getroffen. Es wurde nach jenem Tage nicht -mehr recht hell in Haus und Herzen. Auch Nane Thord hatte ihre Sorgen; -denn sie fühlte: die leiseren Stimmen um sie her hatten ein Geheimnis. -Die Wanderfreude von einst war nicht mehr da. Jockele arbeitete über -Tag in seinem Zimmer, Do und Hanna saßen im Saal und nähten, Gwendolin -war ganz gegen ihre Art versonnen. Und wenn sie sich einmal alle -zusammenfanden, dann mußte Nane Thord an die Schwalben denken, die -sich sammeln, um zu plaudern von dem großen Fluge, der Sonne nach. -Auch James King war traurig. Gerade in den letzten Tagen hatte er -einen Weg zu Rolf Krake gesehen -- es war durch das Gespensterboot -gekommen, und weil er wußte, der Einsame aus der Sägemühle las in den -Werken der Inder; vielleicht neigte er zu allerlei Geheimwissenschaft -und Spiritismus! Das alles lag auch im Wesen des blonden Briten. Aber -vorsichtig, wie er mit sich selber war, hatte er es vor den anderen -verborgen. Von der Tat Rolfs ahnte James auch jetzt nichts. Aber das -mußten sie ihm doch bekennen, daß sie dachten, der unglückliche Freund -wäre im Skjold ertrunken. Eine Stunde danach hatten sie die Gewißheit: -dies wäre nicht der Fall; denn Lona Steensgard hätte ihn gesehen auf -der Wanderung ins Gebirge. Dadurch wurde der Vorgang vom Skjold noch -finsterer. Und auch trostreicher wurde er nicht. - - -In jenen Tagen trat Kordula Gunkel in den kleinen Kreis. Sie war dunkel -wie ihr Name; und auch ihre Stimme klang, als hätte sie an diesem -Namen abgefärbt. Sie liebte die dunklen Farben in ihrer Kleidung -und war am frohesten in Schwarz, das sie mit halbverdeckten gelben -oder blauen Seidenbändern durchbrach. Fräulein Gunkel trug das Haar -kurzgeschnitten. Sie hatte lange, schmale, sehr weiße Hände, mit denen -sie sich die Locken lässig aus der Stirn zu streichen pflegte. Dann -konnte sie aussehen wie eine Heilige aus der Legende. - -Aber eine Heilige war sie eigentlich nicht. - -Sie bezog das Zimmer auf Krokengaard, in dem John Williams gewohnt -hatte, malte und komponierte Lieder zur Laute. Wenn ihre weiche -Frauenstimme in Dämmerungen tief und dunkel durch den Krakesaal klang --- o ja, das war schön! - -Und so war es kein Zufall, daß sie über Sommer in einem Waldhaus am -düsteren Songefjord gewohnt hatte. Es war auch kein Zufall, daß sie nun -hier war: Gwendolin kannte sie aus Weimar, wo Kordula Gunkel damals -an der Musikschule studiert hatte. Auch Jockele erinnerte sich ihrer -sehr wohl; aber sie hatte ihn damals besser gekannt als er sie, und sie -hatte zu denen gehört, die die »Erziehung zum Manne«, welche Do dem -Zigeuner Jockele angedeihen ließ, sonderbar fanden. Sie kannte diese -Geschichte nur vom Hörensagen. Nun gehörte das Jockelebuch zu ihrer -Reiseausrüstung -- denn eine Heilige war sie eigentlich nicht. Sie -wollte die Gelegenheit nicht zum zweiten Male versäumen, die berühmte -Do kennen zu lernen, die sich das Glück ihres Lebens baute nach ihrem -Gefallen. Aber das Licht dieser Frau Do brannte nun unter dem Schleier -einer sanften Trauer; und die Märzenklarheit ihrer Augen leuchtete um -kleine Wäsche. - -Kordula Gunkel hatte sich das anders gedacht. - -»Du bist zu spät gekommen,« sagte Gwendolin. - -»Ich komme stets zu spät -- es scheint eine meiner Eigenarten zu sein,« -sagte Kordula. Sie wollte den Winter über in Rom leben oder auch für -immer. Aber Pläne für weithinaus machte sie nicht. Vielleicht war an -diesem Einfall Henrik Tofte schuld; denn Gwendolin redete mehr von ihm, -als ihr lieb war. »Tofte und ich, wir mögen uns gern leiden, aber wir -sind nicht füreinander geboren. Nein, nein. Mit dem gleichen Rechte -könnte man behaupten, du und das große Licht paßten zueinander.« - -»Man kann das nie wissen,« sagte Kordula. Sie war so gemessen in -ihren Bewegungen und von so stilvoller Ruhe in ihrem Auftreten, aber -ihre Wirkung auf Gwendolin war ganz anders: Gwendolin wurde manchmal -heimlich lustig vor ihr. Doch ließ sie sich das nicht anmerken, auch -nicht nach dem deutsamen: »Man kann das nie wissen«. Sie wurde darüber -so vergnügt, daß sie nicht übel Lust hatte, mit Kordula an den Tiber -zu reisen. Aber -- dann wäre die Posse ja gar nicht zur Aufführung -gelangt! Nun, vielleicht ging es so: wenn man dem Henrik den Aufenthalt -Gwendolins in Rom verschwiege, bis der Vorhang über dem Spiel zwischen -ihm und Kordula gefallen war? - -Gwendolin verwarf auch diesen Gedanken; denn eigentlich war er eine -Nichtswürdigkeit gegen die dunkle Kordula, und am Ende: man konnte doch -vielleicht nicht wissen ... Im Falle Tofte geriet ihr felsenfestes -Vertrauen zu sich selber immer ins Wanken. »Ach, Unsinn,« sagte sie und -lachte, »was will ich denn in Rom, was will ich in Italien? Sie haben -ja keine Luft dort! Sie haben bloß Äther. Es steht da jede Mauer und -jeder Baum so hart darin, daß man sich die Augen wund daran stößt. -Nein, ich kann in Italien nicht malen.« - -Kordula sah das gern ein. Auch überzeugte sie sich weiter davon, daß -Henrik Tofte der interessanteste, genialste und schönste Mann war, der -sich denken ließ ... - -Einmal nach dem Zwölf-Uhr-Frühstück ging Kordula mit James King zu -der Bank im Rohr. Es schien eine märchengoldene Septembersonne. Sie -sprachen davon, daß Sinsheimers in den nächsten Tagen nach Weimar, der -Doktor Krake und Hanna nach Bonn reisen wollten. Nane Thord hatte der -blonden Marit daraufhin schon den Dienst gekündigt. - -Mit Gwendolin hatte James seine Partie verloren -- dabei war ihm -passiert, was man im Schachspiel den »Kälberstich« nennt. Es war -blamabel, es war durchaus blamabel. Deshalb liebte James King nun -die dunkle Kordula -- einesteils um die Scharte mit Gwendolin wieder -auszuwetzen und um den Freunden zu zeigen, was er könne; andernteils, -weil ihm vor der Einsamkeit des Winters graute; und zum dritten: weil -Kordula von dem Gedanken gelockt wurde, Nane Thord als Medium bei -spiritistischen Sitzungen zu benutzen. Nun, dazu gab es an den langen -Winterabenden auf dem Eiland im Fjord ja ausgiebig Gelegenheit. Er -erwog noch einmal die drei Gründe, dann erklärte er Kordula seine Liebe. - -Kordula pflegte Lagen, wie diese, gemeinhin ernst zu nehmen, sehr -ernst. Sie zählte vierundzwanzig Jahre, mochte hohe blonde Jünglinge -gern sehen, na und schließlich -- reich war sie nicht, aber sie -brauchte sich für ein Leben, wie sie sich's dachte, auch nicht gerade -etwas zu versagen. Selbst der Weisheit war sie nicht abhold, daß -die Liebe mit der Ehe wüchse. Nur von der freien Liebe schwärmte -sie nicht mehr -- das lag für sie schon weit dahinten und war eine -Übergangsanschauung gewesen. - -Den listigen James gereuten die umständlichen Vorbereitungen, die er -an Gwendolin verschwendet hatte. Deshalb sprang er diesmal gleich -mittenhinein in die Sache. Daß ihm die Worte ein bißchen im Munde lagen -wie gequellte Erdäpfel, das inkommodierte Kordula nicht weiter. Auch -seinen eigentümlichen Gebrauch des Wortes »lächerlich« kannte sie, und -sie wandelte es um zu der landläufigen Bedeutung. Und also sprach James -King: - -»Well. Ich nehme die lächerliche Gelegenheit wahr, Sie auf den Reiz des -Wintersports aufmerksam zu machen -- er ist in der Umgebung des Fjords -von unausstaunbarem Zauber ...« - -»Oh,« sagte Kordula, »im Winter bin ich ja in Rom.« - -»Das ist aber kein guter Einfall. Ich habe die lächerliche Hoffnung, -daß Sie das aufgeben; denn ich habe noch kein Frauenhaar gesehen von -dem matten Glanze des ... des ... ~ebony~ ... Na, wie heißt doch gleich -das Holz, das von weit, weit hinter Hindostan herkommt?« - -»Von weit, weit hinter Hindostan?« fragte Kordula. Es gehörte zu den -Eigentümlichkeiten Kings, mit dieser geographischen Bezeichnung eine -übergroße Ferne anzudeuten. »Ah, Sie meinen Ebenholz?« - -»... des Ebenholzes!« rief er erlöst. »Und Sie haben Augen, schön wie -die Fjordnacht, Kordula Gunkel. Oh, ich liebe diese dunkle Schönheit -an Frauen. Ich denke es mir lächerlich, wenn wir zwei die nordischen -Nächte verleben könnten auf dieser einsamen Insel als Mann und Weib, -von keinem Menschen gestört in unserer Liebe. Und wenn Sie dann sängen, -wissen Sie, und draußen brauste der Sturm, und Ihre lächerlichen Hände -griffen dabei die Saiten der Laute ...« - -Eine Heilige war Kordula nicht, ja, sie war so erfahren, daß sie -merkte: diese gefühlvolle Rede hatte sich der listige James in der -letzten Nacht auswendig gelernt. Sie hatte sogar an die Holzwand -klopfen wollen zwischen ihren Zimmern drüben auf Krokengaard; denn -James war bis weit über die Mitternacht auf ihrem Schlaf herumgestampft -in seinen geräumigen Bergsteigstiefeln. - -Nun braucht heimliches Erlernen einer solchen Rolle nicht auf eine -Komödie der Liebe zu deuten -- o nein! Und Kordula war ein Mädchen: -sie trat also ihren Glauben, geliebt zu werden, niemals mutwillig -darnieder. Aber vor der gleichmütigen Semmelblondheit, die neben ihr -saß, konnte sie diesen Glauben nicht aufbringen. Deshalb lächelte -sie -- sie lächelte sogar ein bißchen impertinent, lächelte aus der -Genugtuung, daß diesmal nicht sie es war, die zu spät kam. Übrigens -war Gwendolin nicht ganz verschwiegen gewesen, hinsichtlich ihres -Erlebnisses mit dem listigen James. Also nahm Kordula Gunkel einen -Vorschuß auf ihre römische Liebe und sagte: »Es tut mir ehrlich leid, -mein Herr -- aber über mein Herz habe ich nicht mehr zu verfügen.« - -»Schade,« sagte Mister James, »ich glaube, es wäre ein sehr netter -Winter geworden.« - - -Damit waren die letzten Früchte des lieblichen Sommers im Fjord -fallreif geworden. Oder: die Schwalben, die sich in der Mittagssonne -vor der Südwand des Inselhauses versammelten, konnten nun die große -Reise antreten. Nur Gwendolin erwog, ob sie vor den Frost der Julzeit -hinstehen wollte, um der gefrorenen Welt in Filzstiefeln, Pelzen und -Einsamkeit ihren flimmernden Zauber mit raschem Pinsel zu stehlen. Auch -dachte sie, sie könnte sich in diesen stillen Wochen auf mancherlei -Erkenntnisse ein wenig näher ansehen. - -Zuerst entflogen Hanna und der Doktor Krake nach Bonn. Im letzten -Augenblick schloß sich ihnen Kordula mit der Laute an. Sie gab ihnen -bis Hamburg Geleite. Am anderen Tage reiste James King -- schach und -matt. Und als auch Do und Jockele ihre Koffer packten, die blonde Marit -mit geröteten Augen half, und Nane Thord mit bitterem Munde sagte, -nun könne sie sich ja schön mit Lars Thord unterhalten -- da sang der -Wind bei Gwendolin um alle Fenster ein Lied, das war sterbenstraurig. -Und weil Jockele und Do so dicht beieinander standen, warf Gwendolin -ihre Arme um beide und sagte: »Kinder, es geht nicht! Ich bin schon -über manch gefährlich finsteren Steg geschritten, aber über diesen -find' ich mich nicht hinweg. In eurem großen Haus am Horn werdet ihr -ein Kämmerlein für mich finden. Oder ich will dicht daneben in dem -Gartenhause wohnen, aus dem der Jockele den Flug in die Sonne getan hat -... Kinder, laßt mich mit euch ziehen!« - -Ja, es war Herbst geworden. Auf den Wassern des Fjords schwamm das -Birkenlaub und war goldgelb. In der Schärenflur saßen die Nebelfrauen -und spannen. Es war Herbst. - -Am anderen Tage fuhren sie nach Kiel, von da nach Weimar. Dort hatten -sie das schöne Haus am Horn Nummer 17 A gemietet, das in dem Garten -mit den herrlichen alten Bäumen sieht. Sommer und Winter träumen -ringsum traute Märchen, und die Wege sind von silbernem Sand. Dort -war der Jockele vorbeigerannt und hatte sich die Krawatte geknüpft -im Sturmschritt -- damals, als er mit der schlanken Felidora im -Puppenheim des Apfelgartens Geburtstag feierte und darüber ganz -vergaß, daß er des Morgens um acht Uhr vor dem Herrn Professor -Redslob die Einjährigenprüfung ablegen wollte ... Jawohl, dort war er -krawattenknüpfend vorbeigestürmt, und die Frau Stadtrat Meyer stand -in ihrem Wintergarten und sah ihn vorüberflitzen und dachte, der -Jockele hätte eine neue Methode erfunden, sich vom Leben zum Tode -zu bringen; denn daß sich einer im Zweimeterschritt aufhängt, war -ihr noch nicht vorgekommen. Nun, solche und ähnliche Dinge hatte der -Jockele in seiner »Mädchenzeit« angestellt. Aber er brauchte sein -Schuldbuch von damals nicht mit ängstlichen Augen zu durchblättern -- -es stand kein Posten darin, deswillen er die Nachbarschaft aus seinen -Frühlingstagen hätte meiden müssen. Darum war es den Dreien nun auch so -heimatlich und tiefbeglückt um die Herzen, als sie durch die Dämmerung -des Septembertages im offenen Wagen ans Horn fuhren. Langsam, langsam -mußten die Pferde treten. Das gelbe Maßholderlaub raschelte um die -Hufe, das Ilmwehr rauschte, die Leutra plätscherte unter der Sphinx -hervor, hinter den Fenstern am Hange waren die Lichter angetan, und -alle Häuslein guckten so lieb mit den hellen Augen zu ihnen herunter -... »Na, Gott sei Dank, daß ihr endlich wieder im Lande seid!« - -Am anderen Morgen stand der Herr Doktor Jakobus Sinsheimer schon im -werdenden Licht am Fenster und schaute über die Wipfel des Weimarer -Parks. Sein Glück konnte den Tag nicht erwarten. Er sah Goethes -Gartenhaus durch die herbstlaubigen Hecken lugen -- weiß Gott, dies -ehrwürdige Stück Literaturgeschichte zwinkerte ihm vergnügt zu! Es kam -ein Zug fröhlicher Gestalten klingelnd und doch traumhaft über Anger -und Hecken, alle bunt angetan; und es guckten blanke Augen hinter jedem -Baumstamm hervor. Alles, was ringsum war, kniff die Augen zusammen und -lachte. Da riß der Doktor Sinsheimer die Fenster auf, das Wunder zu -betrachten -- und auf einmal war er wieder der Jockele. Der hob Doris -Rinkhaus auf seine Arme und drehte sich mit ihr herum wie ein Kreisel -und machte holdrio hoho ... »Mensch, Mensch,« sagte die Do -- denn es -war noch ein bißchen morgenkühl um sie; aber innig festhalten an ihm -mußte sie sich doch, sonst hätte er sie zum Fenster hinausgewirbelt -- -»Mensch, du bist ja lebensgefährlich, aber du bist doch nun etliche -Jahre älter geworden!« ... - -Doch der Jockele hatte keine Zeit, darüber nachzudenken; denn als -ihm die weiße Do entschlüpft war, wippte einer draußen am Gartenzaun -entlang ... Erich Meyer -- mit y, aber nicht verwandt mit der Frau -Stadtrat Meyer ... Großer Gott, das war das einzige Erlebnis der -Weimarer Tage, das dem Jockele durch ein Loch in seinem Gedächtnis -gesickert war! Nicht im Traume war ihm Erich Meyer wieder eingefallen! -Und nun war der der erste, der aus dem glückhaften Schiff leibhaftig -an Jockeles neues Land stieg. Erich Meyer -- wie war denn das damals -gleich? Er nahm das Jockelebuch ... Nein, Erich Meyer hatte sich nicht -verändert: er wandelte mit vorgeschobenen Knien, weil die Rockschöße -Platz haben mußten, hinter ihm herzuläuten. Und während diese Partie -seines Menschen sich für den Pendelschlag von vorn nach hinten -entschieden hatte, schwangen die langen stracken blonden Haare über dem -Rockkragen von links nach rechts. Er war Musikstudierender gewesen, von -durchschnittlichem Talente, und weil er dazu noch ein Herz von Gold -besaß, so war seine Begabung auch nach der rein menschlichen Seite -fast lebensgefährlich. Der blonde Erich hatte damals ein Stipendium -von dreihundert Mark bekommen, deshalb erwog er die Frage, ob er nicht -umsatteln und sich dem Bankfach widmen sollte ... Nun, Finanzminister -schien Erich Meyer inzwischen ja nicht geworden zu sein. Aber den -lieben weltfremden Idealisten mußte man sich wieder einmal bei Licht -betrachten! - -Ach ja, was mußte man sich in diesen neuen Tagen in der alten Heimat -nicht alles betrachten: die Häuschen im Apfelgarten; den Zaun, wo der -Maler Jockele aus dem Tartarus den Berg der Seligkeiten gemacht und -hernach mit dem Grabscheit zertrümmert hatte! Es war seine letzte -Missetat in Farben gewesen. Man ging zu dem Kastanienstamm, in dessen -Rinde die Namen Do und Jo in schlichter, aber unlösbarer Verschlingung -geschnitten waren. Frühling nach Frühling hatte die tiefen Spuren der -Klinge fast zugezogen. Jede Seite des bunten Lebensbuches von damals -blätterten sie um. Aus jeder stieg's wie der Klang einer silbernen -Trompete und schmetterte ihnen in die Herzen -- Leben, o Leben! Liebe, -o Liebe! Jugend, o Jugend! Welch ein herrlicher frohgemuter Kampf war -das gewesen! - -Es stand noch alles wie damals. Auch die alten Menschen standen noch. -Die Dame mit den kraushaarigen grauen Hunden begegnete ihnen -- vor -Zeiten waren es drei gewesen, jetzt waren's vier. Sie schlug noch immer -die grüne Stille tot mit ihrem brutalen Pfiff, und sie wogte noch immer -die gemütvolle Baumstraße lang wie ein neapolitanischer Schiffer; aber -ihre Strickmütze war blau. Nur eins war neu geworden: »Haus in der -Sonne« stand in schwarzer Schrift an der weißen Gartenpforte. Oben auf -dem First dieses Hauses in der Sonne war eine Leier. Vor der Tür stand -ein kleiner Junge mit einer roten Zipfelmütze und präsentierte seine -Holzflinte. Und es sang jemand zum Fenster heraus. Hoh! -- Wegen der -Leier und der dunklen Frauenstimme dachten sie an Kordula Gunkel, wie -sie nun römische Schlendertage hielt und doch auf dem Kriegspfade war -... Und das kleine Haus neben dem mit der Harfe stand wie damals auf -den Zehen, lugte rechts über die hohe Gartenmauer und duckte sich nach -vorn hinter grüne Hecken. Und die beiden glückseligen Menschen, die -darin wohnten, saßen in ihrem Fichtenwinkel und pfiffen noch immer ganz -leise auf die Welt. Das mußte doch sehr unterhaltsam sein! - -Und richtig, auf dem Heimweg vor der Wildenbruchmauer wippte Erich -Meyer den Pfad entlang! Wie er Jockele und die leuchtende Do und die -gescheite Gwendolin erkannte, erging er sich in einer ehrfürchtigen -Verbeugung und trat hinab auf den Fahrdamm. Er hatte -- im Gegensatz -zu seinen Nachbarn in dem kleinen Hause -- ungeheueren Respekt vor der -Welt. - -»Ah, sieh da, lieber Meyer! Wie steht's mit dem Finanzminister?« rief -Jockele und faßte ihn an beiden Händen. - -»O,« sagte er, »es war ein Plan Hansens im Glück. Aufgegeben, verehrter -Herr Doktor! Was muß man nicht alles aufgeben in diesem Leben!« - -»Na, und was machen Sie sonst, lieber Herr Meyer?« fragte Do. - -»Musik, gnädige Frau, ungeheuer viel Musik. Ich gebe Unterricht und -wohne im Haus mit der Harfe -- das spricht sich bequemer, eigentlich -ist es ja wohl eine Leier.« - -»Und die haben sie sich als Wahrzeichen dahinaufsetzen lassen?« - -»O nein, nicht ich!« - -Zwei Herren schritten grüßend an dem fröhlichen Trüpplein vorüber: ein -hochgewachsener junger Mann mit dunklem Vollbart und ernstem Gesicht -war der eine. Es war ihm anzusehen: er war ein Künstler, wußte zu -sinnen und wußte zu schweigen. Ein Licht ging an in seinen großen -braunen Augen, als er Gwendolin erkannte. »Sagen Sie, Herr Meyer, war -das nicht der Porträtmaler Schaffrath?« fragte Gwendolin mit leiser -Verstellung; denn es lockte sie, zu erfahren, was aus diesem tüchtigen -und strebsamen Menschen geworden wäre. - -»Ja,« antwortete er, »der Schlachtenmaler. Er hat im Vorjahr ein -Panorama gemalt, in Dresden oder Leipzig -- ich weiß es nicht mehr. Es -heißt: er kann ungeheuer viel.« - -»Und der ältere Herr, der bei ihm war?« fragte Jockele. -- »Ein -Gelehrter, der Professor Salzer.« -- »Wahrhaftig, er war's,« sagte -Jockele. »Ich habe ihn vor Jahren flüchtig kennengelernt und habe den -Wunsch, diese Bekanntschaft zu erneuern. Der Professor ist der Mann für -meine Frau,« setzte er scherzend hinzu. Und Meyer sagte: »Es wird nicht -lange dauern, dann ist Schaffrath auch Professor, an der Kunstschule, -und wohl gar Direktor.« - -»Ich glaube, er hat sich einmal in meiner Jugend für mich -interessiert,« sagte Gwendolin zu Do. - -Darüber mußte Do lachen. »Du +glaubst+? So etwas weiß man doch, wenn -man solch helle Augen hat.« - -»O, bei Schaffrath weiß man das nie,« sagte Gwendolin. »Wenn ich mich -recht erinnere, hat man ihn damals nie in Gemeinschaft anderer gesehen, -er pflegte keine Freundschaften, und er war nie im Kaffee. Er hatte -auch keine Erlebnisse mit Frauen -- trotz der Weisheit Jockeles.« - -»Vielleicht ist er die Ausnahme von der Regel,« sagte Jockele. »Aber -woher kam dir dann der Glaube, daß er sich für dich interessierte, -teuerste Gwendolin?« - -»Nun, er ging nie ohne Gruß an mir vorüber,« sagte sie. »Ich weiß, -das ist damals von den Malmädchen und in der Stadt sehr beachtet und -bemutmaßt worden.« - -Sie fanden, daß die Straße zu so bedeutenden Gesprächen nicht der -rechte Platz wäre. Deshalb reichte Gwendolin Herrn Meyer die Hand. - -»In einigen Tagen hoffen wir auf Ihren nachbarlichen Besuch, lieber -Meyer,« sagte Jockele. - -»O,« sagte der in ehrlicher Bescheidenheit und deutete an seinem -fadenscheinigen Rock hinab, »zuviel Ehre für einen armen Musikmeister.« - -»Ach, dichten Sie keine Tragödien, Meyer,« sagte Gwendolin, »bei -Jockeles sieht man das Herz an.« - -Erich Meyer war erschüttert. In seiner Dachkammer sank er auf den Stuhl -und dachte: vor ein paar Jahren war er mit diesem vornehmen Doktor -Sinsheimer durch den Park gezogen -- damals war der ein schlechter -Zigeuner gewesen ... »aber ein guter Musikant!« sagte Erich Meyer und -holte einen tiefen Seufzer aus seiner Brust. - - -Als sie nach Hause kamen, lag da ein Schreiben der Staatsanwaltschaft -in Hamburg an Frau Doktor Doris Sinsheimer. Es war nach der Insel -Nane Thords gerichtet gewesen und nachgesandt worden. Darin stand: -Es befindet sich in Hamburg seit drei Wochen ein junger Mann namens -Rolf Krake in Untersuchungshaft. Er hat sich der Polizei gestellt -und behauptet: »Ich habe meinen Bruder, den Doktor Woldemar Krake, -vor acht Tagen erschossen. Den Ort sage ich nicht: ich nehme an, die -Bluttat ist der Bevölkerung verschwiegen worden, die ich durch eine -Untersuchung an Ort und Stelle nicht beunruhigt sehen mag. Ich glaube -auch nicht, daß außer mir ein Mensch von dem Verbrechen weiß, da mein -Bruder im Augenblick seines Sterbens in eine unergründliche Tiefe -versunken sein dürfte. Man wird ihn vermissen, aber man nimmt wohl an: -er und ich haben sich heimlich von unserem damaligen Aufenthaltsort -entfernt -- ich weiß es nicht. Ob ich die Tat mit Überlegung und bei -vollem Bewußtsein vollbrachte, kann ich nicht genau sagen. Ich bin -mit der Absicht zu dem Tatorte gekommen, mich selbst zu töten. Es ist -wahrscheinlich, daß der Mord die Folge eines psychologischen Vorgangs -ist, den ich nicht in vollem Umfange zu erklären vermag.« Weiter stand -in dem Schreiben: Es stimmen alle Angaben Rolf Krakes über seine -Herkunft und seinen Bildungsgang. In Kiel, wo er zuletzt Student war, -ist er auf Reisen ins Ausland abgemeldet, ohne nähere Bezeichnung des -Aufenthaltsortes. Er hat Frau Doris Sinsheimer angegeben als diejenige, -welche den von ihm erwähnten »psychologischen Vorgang« mit größerer -Sicherheit darstellen könnte als er selbst. -- Do wurde aufgefordert, -aus dem Auslande zunächst einen schriftlichen Bericht an die Hamburger -Staatsanwaltschaft zu senden. - -Die Erregung über diese Botschaft glich einer totalen Sonnenfinsternis: -sie brachte eine bleierne Schwere, die den Atem beengte, aber sie ging -rasch vorüber. Sie wich der freudigen Genugtuung, daß dem unglücklichen -Freund ein großer Dienst geleistet werden konnte. - -»Wie hab' ich ihn gequält, damals, ehe ich dem Rätsel in ihm auf den -Grund kam: dem Weg des Hasses gegen sich selbst, in dem eine Stelle -ist, an der immer Woldemar Krake auftaucht und für ihn zum Träger des -Hasses wird ...« - -»Sage: ein Blitzableiter an der höchsten Stelle des Hauses, der -den Funken auf sich zieht,« warf Jockele ein. Dann begab er sich -in sein Arbeitszimmer, schrieb einen langen Bericht und nahm darin -das eigentümliche Räderwerk dieser Seele auseinander und setzte es -kunstgerecht wieder zusammen. Es wurde darüber Abend, es wurde Nacht, -und es graute der andere Tag: es war ein Buch geworden, das Jockele -verfaßt hatte. Darin fand sich alles geschildert, was sich am Skjold -ereignet hatte, wie sie den Verletzten mit zwei Wunden gefunden, die -so leicht gewesen waren, daß nicht einmal alle des kleinen Kreises -Kenntnis von dem Vorfall erhielten. Es war die jetzige Wohnung -Woldemar Krakes angegeben; es war das Verhältnis Rolfs zu den Freunden -geschildert und die Eigenart seines wissenschaftlichen Interesses; es -waren Auszüge aus seinem Tagebuch beigefügt, und es wurde der Tatort -mit Anschaulichkeit gezeichnet, dessen Lage in Rolf Krake die Meinung -erweckt hatte, der Bruder wäre in den schäumenden Wassern versunken. -Über den seelischen Druck, unter dem Rolf seit den Tagen des Knaben -gelebt hatte, über die Ursachen und das Wachstum dieses Druckes -gelangte Jakobus zum Letzten und Schwersten: zu der Darstellung des -psychologischen Vorgangs im Augenblick der Tat -- Rolf sieht sich von -seinem Bruder verfolgt, wiewohl er es selbst ist, der sich verfolgt; -im Grunde hat er die Liebe zu Hanna von Fellner längst überwunden -- -zuletzt vielleicht, weil er sich sagte: sie wird sich ja doch für den -Bruder entscheiden. Und dennoch benützt er diesen Verzicht als Vorwand -zu seinem Selbstmord: er richtet die Waffe gegen sein Herz. Als er -schon den Daumen um den Abzug krümmt, wird er von dem Bruder gestört. -Wiederum von diesem Bruder, der ihm, seiner Meinung nach, den Weg -zu Glück und Leben vermauert -- soll ihm von dem nun sogar der Weg -zum Sterben verwehrt sein? ... Undurchdringlich sinkt die Finsternis -des Hasses in ihn. Vier Kugeln sendet er nach dem Bruder und -- hat -eigentlich auf sich geschossen: das mörderische Blei galt dem eigenen -Spiegelbilde! Keine Eifersuchtstat, keine Rache, keine perverse Lust -an fremdem Blut, nichts von Mordgier, nichts von Gemeingefährlichkeit --- sondern: ein »psychologischer Vorgang«, dessen Entschleierung die -Aufgabe des Seelenarztes ist ... - -Im Oktober reiste Do mit ihrem Manne zur Verhandlung vor dem -Schwurgericht nach Hamburg. Woldemar hatte die Aussage verweigert, er -war nicht da. Die Begegnung mit seinem Bruder sollte vermieden werden. -Do wiederholte in ihrer klaren klugen Art, was sie von Rolf Krake wußte. - -Die Volksrichter sprachen ihn frei. - -Er verließ das Gerichtsgebäude mit Do und Jockele, war nicht fröhlich, -war nicht traurig, und sagte: »Die große Einsamkeit, die in diesen -Wochen um mich gewesen ist, war sehr wohltätig. Kommt, wir wollen unter -viele fremde Menschen gehen, wo es einsam ist. Und wir wollen nicht von -gestern reden, sondern von morgen.« - -»Was wollen Sie denn morgen tun?« fragte Do. - -»Ich will in den Hardanger Fjord reisen und auf Nane Thords Insel -wohnen,« sagte er. - - -Es wollte Abend werden. Oktoberabend. Der Sommer hauchte von -irgendwoher in die Dämmerung unter den Bäumen am Horn, und aus dem -gefallenen Laube dufteten Veilchen. Da gingen Do, Gwendolin und Jockele -mit verschränkten Armen auf den Wegen des alten Gartens. »Mir ist, -als wäre die Geschichte der Sturmschwalben noch nicht zu Ende,« sagte -Gwendolin. »Es ist da wohl noch ein langes merkwürdiges Kapitel, das -heißt ›Rolf Krake‹ ...« - -»Und du wärest darauf gespannt?« fragte Do. - -»Vielleicht war es nur eine Überleitung von mir,« gestand Gwendolin, -»es sind ja auch drei Sturmschwalben nach Rom verschlagen worden. Ich -denke mehr an die, als mir lieb ist. Ich habe merkwürdige Ahnungen.« - -»Ahnungen!« sagte Jockele, »Henrik Tofte ist ein Mensch, an dem jede -Berechnung zerschellt und vor dem auch jede Ahnung in tiefe Finsternis -gerät.« - -»Darum flattern die meinen wie Fledermäuse. Ich glaube, es geht ihm -nicht gut.« - -»Natürlich wird es ihm nicht gut gehen. Pah, was gilt das ihm! Fällt -ihn heute der Teufel an, so stellt er ihn auf den Kopf, und es wird -morgen der liebe Gott daraus. Er mißt sein Schicksal immer so, daß nie -ein richtiges Unglück herauskommt. Na und schließlich: er weiß uns ja -zu finden.« - -»Niemals!« sagte Gwendolin. Dann verscheuchten ihr Do und Jockele -die Fledermäuse und wurden alle drei lustig an Henrik Tofte, der -so lang war, daß er immer ganz vergnügt oben herausragte, wenn ihn -sein Schicksal gleich einmal in recht tiefes Wasser warf. »Er hilft -sich selbst,« sagte Jockele, »und Rolf Krake hilft sich auch selbst, -man muß ihn allein lassen -- lebensgefährlich ist das Leben nur für -Erich Meyer. Erich Meyer ist ein Mensch, der sich seit zehn Jahren -in einemfort aufrichtet. Aber er hat gleich eine Waffe zur Hand, mit -der er sich ebenso unausgesetzt niederschlägt: sein goldenes Herz. -Ich wette, ehe er in die Dachkammer dieses Erholungsheims geraten -ist, hat er dreimal sein Bett verschenkt. Und den Stuhl, für den er -einmal das Geld besaß und verschenkte, den hat er sich bis heute nicht -angeschafft. Aus lauter Bescheidenheit geht er jetzt einen anderen Weg -zur Stadt, nur damit er nicht durch unsere Tür gerät. Do, liebste Do, -dieses Märchen mit dem Goldherzen könntest du zu einem vernünftigen -Ende dichten!« - -»Nun, und du?« fragte Gwendolin. Da setzte Jockele ein geheimnisvolles -Gesicht auf. »Ha!« sagte er, »ich glaube, ich bin durch die Erlebnisse -des Sommers ein bißchen aus dem Sattel gekommen« -- er klopfte -Gwendolin sanft auf die Achsel -- »du, mir scheint, ich stehe wieder -einmal am Zaune des Tartarus, um auf den Berg der Seligkeiten zu -steigen! Seit ich mich schreibenderweise in die Rätselseele Rolf Krakes -vertieft habe, sind mir Flechten und Frösche eine etwas trockene -Materie geworden.« - -Gwendolin schloß ihn in komischer Rührung in ihre Arme. »Hurra! Meine -Ahnungen! Meine Ahnungen!« - -»Es ist wahrhaftig so,« sagte er, »das Beste hab' ich dem Hamburger -Gericht nämlich gar nicht aufschreiben können -- na, nennen wir es mal: -den Ertrag des spekulativen Denkens. Es sind seit jenen Tagen allerhand -Lockungen da, zum Beispiel Henrik Tofte. Seht, diesen Menschen möcht' -ich mal aufschreiben; den möcht' ich mal auf einem Haufen Papier zum -Bilde Gottes erschaffen, zu dem er sich selbst nie erschaffen kann! -Ich gehe seit einigen Tagen in einem wunderlichen Zustand umher: als -Gelehrter dacht' +ich+ -- jetzt denkt es in mir; als Gelehrter schrieb -+ich+ -- jetzt aber fängt es in mir an zu schreiben ...« - -»Wie es in mir malt,« unterbrach ihn Gwendolin lachend. - -»Ja, so wird es wohl sein.« - -»Ich finde, es ist bei uns immer ungeheuer viel los,« sagte Do, -»Gesellschaften will er geben, dichten will er, Erich Meyern wollen wir -einrichten, die Tante Veronika soll kommen ...« - -»Ach, Teufel,« machte Jockele, »da müssen wir das Dichten und den -ersten Gesellschaftsabend doch noch aufschieben! Aber bereiten werden -wir Haus und Herzen für beides; denn das mag Tante Veronika gern -leiden.« - -Also gingen sie ans Werk und sannen ein Zimmer nach dem anderen, sannen -das ganze Haus in seiner Einrichtung um, wie es ihrem Wohlbefinden -und ihrem anderen Geschmack entsprach. Das hatte gleich in den ersten -Tagen geschehen sollen, aber die waren ja voll gewesen bis zum Rande. -Doch nun waren sie in Schwung, stellten einen großen Rumor an, -wirbelten zwischen dem Diener Fritz und einigen Handwerkern, wirbelten -zwischen der Köchin und dem Zimmermädchen herum und fanden das nach -den mannigfachen Erschütterungen der Gemüter äußerst beruhigend. -Zuletzt kamen der Wintergarten auf der einen und die Vorhalle mit dem -Treppenaufgange an der anderen Seite daran. Im Wintergarten hinter -den doppelten Scheiben wirkte Do. Sie schuf ein liebliches Wunder -aus Palmen, Grün und Blumen und dem Strahle des Springbrunnens, der -nun klingend über Kristall fiel. In der Vorhalle ließen Jockele und -Gwendolin schön geschnittene Säulen aus Lorbeer wachsen, und auf den -Trägern vor der Treppe glühte das Licht in Schalen aus buntgewürfeltem -Glas. Es war schön und heimelig -- beides. - -Erich Meyer war der erste, der kam -- glücklich und unglücklich wie -stets im Leben. Vor dieser neuerschaffenen Welt verzagte ihm das Herz. -Zum Glück hatte Gwendolin seinen Schatten in der Dämmerung durch die -Gartenpforte huschen sehen; weil sie danach im Hause nichts von ihm -hörte, ward sie von einer Ahnung getrieben -- und wahrhaftig: da stand -Herr Meyer in der Vorhalle zwischen den Lorbeersäulen und den stillen -dunklen Bildern der Wände und den Glasschalen, die aussahen, als wären -sie mit leuchtenden Steinen gefüllt bis oben hin -- ja, da stand Erich -Meyer, hatte beide Hände auf sein goldenes Herz gepreßt und träumte, er -erlebe ein Märchen ... denn über den Hintergrund seiner Erinnerung zog -er selber mit Jockele dem Zigeuner. - -»Na, Meyer!« sagte Gwendolin in ihrer lustigen Art. - -»Ach, Fräulein Gwendolin, Fräulein Gwendolin ... kann ich denn da -- --« - -»Natürlich können Sie! Kommen Sie nur.« - -»Wie glücklich, daß ich gerade Sie hier treffe! Man ist doch gleich -viel mutiger.« - -Dann saßen sie in dem Zimmer mit den braunen Ledersesseln -- Do, Jo, -Gwendolin und Erich Meyer -- und tranken Tee. Erich Meyer brauchte zwar -geraume Zeit, sich an dem Gedanken aufzurichten, daß diese lichten -frohen Menschen das Herz ansähen; dann aber beteuerte er: diese Stunde -wäre das tiefste Erlebnis in seinem Dasein. Das kam auch daher, weil -sie ihn alle drei gleich in Reparatur nahmen. »Wir wollen durchaus -einen richtigen jungen Mann aus Ihnen machen, Herr Meyer,« gestand -Gwendolin. - -»O,« sagte er. Es klang dankbar und wehmütig. - -Und Do dachte: die Zahl der Sturmschwalben unter den Menschen ist -nicht zu zählen -- der eine treibt's so, der andere anders -- aber -Sturmschwalben sind sie fast alle ... zu leicht zum Gleiten am Grund, -zum Fluge zu schwer, Sturmschwalben, wo nehmt ihr den Mut zum Leben her? - -Gwendolin schoß Leuten gegenüber, wie Meyer, gern ein bißchen über das -Ziel. Sie konnte sich nicht helfen: sie fand ihn komisch. Und wenn sie -gleich jeden Satz mit »lieber Meyer« begann, so lag darin zwar ein -bißchen warmes Mitleid, aber der Spott schwamm oben darauf und deckte -das Mitgefühl zu. - -Der Musikant war empfindsam, aber die Empfindlichkeit hatte er vor der -Welt verlernt; denn mit Spott begegneten ihm sogar Menschen, gegen die -er in jeder Beziehung ein bedeutendes Licht war. Wie eine Blume, die -im Schatten blüht, wandte er sich Do zu. Da merkte Gwendolin, daß sie -und auch Jockele in dieser Stunde nicht am rechten Platze wären, und -sie sagte: »Lieber Meyer, den Doktor und mich beurlauben Sie wohl für -heute; wir haben im Büchersaal noch alle Hände voll zu tun.« Damit -preßte ihn Gwendolin mit sanftem Druck in seinen Sitz zurück; denn der -arme Musikant schickte sich gleich in tiefer Betretenheit zur Flucht. - -»Gnädige Frau, ist es wirklich wahr, daß ich gern bei Ihnen gesehen -bin?« fragte er, als er mit Do allein war. - -»Ganz gewiß,« sagte sie in ihrer leuchtenden Art, »und nicht nur, weil -wir nebenan einen sehr schönen Blüthner stehen haben, für den wir drei -viel zu unmusikalisch sind.« - -»O, wenn ich Ihnen mit meiner bescheidenen Begabung Freude machen -könnte ...« - -»Ja, das können Sie,« lächelte Do. »Was meinen Sie zu einem kleinen -musikalischen Tee, immer an Donnerstagen von Fünf bis halb Sieben?« - -Es fiel ein Sonnenregen über Erich Meyers Herz. Dann saß er draußen an -dem Blüthner, nur für zwei dankbare flüchtige Minuten -- da regnete es -immer weiter, und es war zu sehen und zu hören, welch selige Erquickung -diesen armen Menschen segnete. Er dachte, er wäre zu schlecht, der -schlanken lichten Frau die Hand zum Abschiede zu bieten. Da reichte sie -ihm alle beide und sonnte ihre Güte noch einmal über den Rausch seines -Glückes. Und dann stand draußen in der Vorhalle der Diener Fritz und -öffnete ihm die Haustür und hatte eine herrlich weiße Krawatte vor -- -»So lange haben Sie auf mich gewartet?« - -»O nein,« lächelte Fritz und machte eine tiefe Verbeugung vor dem armen -Musikanten. Der aber flog auf breiten Flügeln davon und flog in den -abenddunklen Park, in dem die Herbstnebel schwammen. Wunder Gottes, -Wunder Gottes, es wurde immer heller um ihn. Juhu! -- - - -Wieder nach ein paar Tagen waren Haus und Herzen fertig. Da kam Tante -Veronika aus Ibenheim am Walde. Aber diesmal kam sie im Wagen, und Do, -Jockele und Gwendolin hatten sie am Bahnhof erwartet. Sie ging noch -immer an dem gleichen gelben Krückstock, und sie trug noch immer einen -Kapotthut mit veilchenfarbenen Bindebändern und trug die cremefarbenen -Handschuh. Und sie hatte den Umhang mit sanft flimmerndem Jett über den -Achseln, hatte noch die klaren Augen, und die weichen Wellen des Haars -um Stirn und Schläfen, und sie sah noch immer so schmuck und fein aus, -als hätte sie der liebe Gott aus seinen Sonntagshänden gerade erst auf -die Erde gesetzt. Ihre Seele tat einen Rundblick aus den blankgeputzten -Fensterlein unter der Stirn und erkannte: es ist alles gut. Aber -Do mußte ihr schon im Wagen gegenüber sitzen; denn die Do war ihres -Glückes Erfüllung. Und ihr mußte sie immer einmal aus dem heimeligsten -Winkel ihres Herzens zublinzeln; das hieß: »Wir zwei, wir haben ihn aus -dem Walde gezogen.« - -So kamen sie heim. Erich Meyer war ein Fremdling in diesem Hause -gewesen -- Tante Veronika paßte allenthalben: wie eine blühende Pflanze -auf den Geburtstagstisch oder an das helle Fenster. Aber als sie durch -die schönen ruhevollen Zimmer geschritten war, in der die Jugend einer -anderen Zeit mit so viel Klugheit und Hingebung gewaltet hatte, da war -ihr doch: der liebe Gott stünde an der letzten Türe, lachte sie aus -seinen Himmelsaugen an und reichte ihr einen schönen Strauß aus gelben -Rosen, die sie vor allen liebte; und sie machte ihm einen respektvollen -Knicks. Dann aber preßte sie Do gleich ihr liebes gerührtes Gesicht ans -Herz --: »O, laßt mich nur weinen; gäbe es denn ein reineres Glück, als -in Freude zu weinen über seine Kinder?« - -So waren sie durch innige und frohe Stunden beieinander, diese -drei Menschen, von denen Henrik Tofte gesagt haben würde: »Es ist -unheimlich, an ihnen der Besinnlichkeit des Schicksal nachzuspüren, das -man gemeinhin gedankenlos nennt.« - -Daran dachten sie und belustigten sich über die Maßen, denn es lag -auf dem weiten klaren Wege, von der Schwelle des Zigeunerfindlings -an bis zu dieser Stunde, nichts, als was von tüchtigem und klugem -Menschenwillen an seine Stelle geleitet worden war. - -Tante Veronika blieb drei Tage, blieb genau so lange, daß sie sagen -konnte: »Nun hab ich auch diesem Abschnitt eures Lebens kennengelernt, -und es ist mir, als wäre ich stets um euch gewesen.« Gleich an dem -Abend, an dem sie wieder in ihrem Ibenheimer Stübchen saß, geleitete -Mali den Herrn Peter Squenz herein, den früheren Gemeindevorsteher, der -nun ein sehr alter Mann geworden war; denn Herr Peter Squenz verlebte -seine Ruhejahre in dem »Wunder«, das an dem kleinen Zigeunerjungen -geschah. Er sagte, es wäre unausstaunlich -- hätte er denn sonst seine -schwarze Schirmmütze in der Hand behalten, während er mit dem Doktor -Sinsheimer gesprochen, als sie damals alle nach Bonn reisten? Tante -Veronika und Herr Peter Squenz waren gute Freunde geworden, o ja, aber -vor seinem Wunderglauben funkelte sich die alte Dame in einen lustigen -Spott. - -Doch Herr Peter Squenz war nicht der einzige, der sich an dem Märchen -ergötzte, das sich da durch die nüchterne Gegenwart lebte. Es waren -noch die hundert Leute um ihn her, die der Tante Veronika vor etlichen -zwanzig Jahren hatten weismachen wollen: wenn der kleine Zigeuner erst -mal ein großer Zigeuner geworden, dann würde er im Walde von Ibenheim -ein Räubergeschäft aufmachen! - -Und da war auch noch das Zinzilein im Forsthause weit draußen vorm -Berge der Frau Venus. Das Zinzilein hatte dem Jockele an seinem ersten -Lebenstage das samtige Fellchen auf seinem Kopfe gebürstet und den -kleinen Menschen im Puppenwagen spazierenfahren wollen. Nun war eine -blonde hüftenfeste Frau Försterin daraus geworden, die selber ein -ganzes Haus voll lebendiger Puppen hatte. Daneben hätschelte sie die -liebe Frage: ob der Jockele mit seiner lichten Frau Do wohl einmal -leibhaftig in ihr sehnsüchtiges Herz scheinen würde? O, das gäbe für -dies Herz und seine Waldeinsamkeit einen großen Tag! - -Und da waren noch andere, die mit ihren Gedanken die hochgemuten -Menschen suchten, die sich unter den alten Bäumen am Horn so wegsicher -vorwärtslebten ins Leben; denn Jockeles »Mädchenzeit« kannten sie -nun alle. Und in ihrer Geschäftigkeit dichteten sie das kleine rote -Jockelebuch auf eigene Faust weiter zu einem dickleibigen Lexikon; -denn sie wußten ganz genau: es wäre ihnen in dem kleinen Buche -aus triftigen Gründen manches verschwiegen worden, und just das -wäre das Interessanteste. Was darüber hinaus passierte, wollten -sie nun auch wissen; denn sie meinten, das wäre genau so bunt und -springlebendig und schmeckte so nach Champagner wie die Geschichten -aus dem Pflaumenwinkel. Deshalb war der Stufensteig, der vom Horn an -Goethes Gartenhaus vorüber hinabführt in den Park, seit dem Tage ein -heftig gesuchter Spaziergang für die Weimaraner, an dem es ruchbar -wurde, Sinsheimers wären wieder im Lande. Die Gymnasiasten, die am -Zaune vorübergingen, hinter dem der Jockele dem geheimnisvollen -Augenaufschlag seiner Dichterseele zuschaute, erzählten sich von ihm -und sagten: »Es ist eine großartige Sache!« Und damit fanden sie genau -die gleichen Worte, die dem Zinzilein vor dreiundzwanzig Jahren aus -seinem kleinen Munde gestolpert waren, als es dem Herrn Peter Squenz -berichten sollte: droben bei der Tante Veronika wäre ein kleiner -Jockele angekommen. - -Etliche von diesen vielen waren in der sehr freundlichen Lage, die -Geschichte mitzuerleben, die sie »Jockele und seine Frau« nannten, -schon lange bevor sie aufgeschrieben wurde. Es war aber nicht ganz -leicht, in diese freundliche Lage zu kommen. Man durfte nun nicht mehr -durch die Türen fahren wie vor ein paar Jahren im Pflaumenwinkel -- -nein, denn schon die eiserne Gartenpforte war verschlossen. Das deutete -weder auf einsiedlerische noch auf menschenfeindliche Neigungen, -sondern es hing mit jenem Augenaufschlag der Dichterseele zusammen. Das -schien ein äußerst geheimnisreicher Vorgang zu sein. Ja. - -Hinwiederum gab es Abende, da strömte das Licht in goldenen Strömen -bei Sinsheimers aus allen Fenstern, da sausten die Wagen durch die -herbststille Baumstraße, da kamen elegante Herren und funkelnde Damen; -denn es war bei Sinsheimers angeregt, klug, heimelig, und es blühte da -eine Art, die sich nicht nachmachen ließ, weil sie außerhalb dieses -Hauses eben nicht wuchs. Das war das Werk Dos. Und die blonde Frau Do -war der helle Stern, der in jenen Tagen über dem Herzen Deutschland -aufging. Sie war leuchtend, innig und schön. Aber verführerisch schön -war Gwendolin. So standen sie nebeneinander: fröhliche Geistigkeit -die eine, beseelte Sinnenfreude die andere. Die eine sonnig von Augen -und Antlitz wie Märzhimmel -- und sie konnte auch so kühl sein, -wenn sie merkte, sie begegnete leerer Neugier --, die andere bald -von träumerischer Melancholie, bald ein lachendes leichtgeschürztes -Mädchen. Die eine liebte die geistreiche Unterhaltung, die andere -wich einem galanten Flirt nicht aus; aber auch wo sie nur schelmische -Zuschauerin war, begegnete sie sich mit Do und Jockele in dem Wunsch, -einen Kreis erlesener Freunde um sich zu sammeln. Der blonde Graf -Metting nannte das: »Frau Dos graziöse Kunst geistiger Geselligkeit.« -Aber als wüßte er, daß er diesen Forderungen nicht allenthalben -standhalten konnte, war er besorgt, sich durch seine frohe Laune -unentbehrlich zu machen. Er war es auch, der für Gwendolin den Namen -»Herzogin von Urbino« erfand. Die war die Freundin jener Isabella -d'Este, die man in den Salons der Renaissance »+la prima donna del -mondo+« genannt hatte. Und so machte Graf Metting in diesem Namen auch -vor Frau Do eine ritterliche Verbeugung, mochte er nun für Gwendolin -ganz passen oder nicht -- was lag ihm daran? Da legte die neue Herzogin -von Urbino den Finger längs der Nase -- von der träumerischen -Melancholie, die sie aus dem Fjord mitgebracht hatte, war dabei nichts -zu merken -- und taufte ihn Fra Mariano. »Man ist hier unheimlich -gescheit,« sagte Metting, »denn man ist noch gescheiter als ich!« Damit -rettete er für sich die Lage, und Gwendolin erklärte ihm: erstens wäre -Fra Mariano der bestgelaunte und schlagfertigste Gesell am Hofe Leos -des Zehnten gewesen, und zweitens hätte er niemals Damengesellschaft -gesucht ... also passe dieser Name für ihn in jeder Hinsicht. - -Abneigung gegen Damengesellschaft -- es war kostbar! Und bei dem »Fra -Mariano« blieb es. - -So war auch der Scherz artig und funkelnd. Und dennoch: Fra Mariano -hatte seine liebe Not; da war nämlich noch der Schlachtenmaler Richard -Schaffrath, ein stolzer ritterlicher junger Mann mit dunklem Vollbart -und nachdenklichen Augen. Wie Frau Do war er kein Freund lärmender -Feste. Er war in sich gekehrt, in allen Dingen das Gegenstück zu -dem Grafen Metting. Anderswo spielte er gern den philosophischen -Eckensteher; in diesem Hause gab's dazu keine Gelegenheit. Man -beachtete ihn hier sehr, und er erschien allen in gleicher Weise -anziehend. Und da war drittens noch Henrik Tofte -- er war zwar nicht -leibhaftig anwesend, aber: die Welt ist eine Nußschale; und so dauerte -es gar nicht lange, da hatte Fra Mariano das große Licht entdeckt, -das im Lande der Mitternachtssonne um das größere Gwendolins gekreist -hatte. Natürlich war daran Kordula Gunkel schuld, die ihre Berichte von -römischen Schlendertagen an Weimarer Freundinnen sandte. - -Der Schlachtenmaler aber nannte Gwendolin »Flämmlein«; zuerst nur in -den Erwägungen, die er wegen ihrer Wildrosenschönheit mit sich selber -anstellte; dann auch vor den anderen. - -So war jedes Zusammensein farbig und abwechslungsreich, und Frau -Do bildete die reizvolle Vermittlung zwischen den Menschen von -verschiedenster Art, die sich in ihrem Hause fanden. - -Als im Februar -- in Rücksicht auf das große Frühsommerereignis --- die Gesellschaftsabende aufhörten, war die Welt für viele um -ihren lieblichsten Glanz gekommen. »Was machen wir nun?« fragte Fra -Mariano Gwendolin verzweifelt, als er ihr im Park begegnete. -- »Wir -arbeiten und halten Einkehr,« sagte sie; denn sie wußte, das waren -zwei Dinge, mit denen sich Graf Metting sein Lebtag nicht gern befaßt -hatte. Er gehörte auch nicht zu jenen, die an den Donnerstagen zu dem -musikalischem Tee geladen waren. Dazu versammelten sich nur wenige, -nur die Intimen des Hauses. Vor allen: der Literaturprofessor Salzer, -ein älterer Herr mit grauem Vollbart und einer Hornbrille mit großen -Rundgläsern. Er galt als Sonderling. Von ihm stammte das Wort: »Um -von den Menschen dieser Zeit als Sonderling verrufen zu werden, dazu -gehört weiter nichts als Natürlichkeit.« Er hatte viele tüchtige -literarische Werke verfaßt, um die sich sein Zeitalter nicht kümmerte. -Nur ein einziges Mal hatte er die nähere Umwelt in Erregung versetzt. -Wenn er arbeitete -- und das tat er in der Regel -- war er nämlich -sehr empfindlich gegen jedes Geräusch. Er hatte in allen bewohnbaren -Einsamkeiten in und vor der Stadt sein Nest gebaut, aber stets war für -ihn etwas zu wünschen geblieben, was er sich unmöglich versagen konnte. -Vor allem liebte er des Tags einmal eine reich besetzte und vornehm -ausgestattete Tafel; dazu ein Glas erlesenen Weins, den er aber nur bei -der Mahlzeit trank. Er war ein wohlhabender Mann, und dennoch drohte an -der Wohnungsfrage das Glück seines einspännigen Lebens zu zerschellen. -Endlich machte er im Turme der Hofkirche zwei Stübchen ausfindig. Er -mußte dahin einhundertneununddreißig Stufen emporklettern. Doch -- -das verschlug ihm nichts. Mit Hilfe der Großherzogin errang er die -Wohnung im Turm, lebte seit Jahren hoch über allem Dasein und pries -sich als den Glücklichsten der Menschen. Wahrscheinlich hatte er -recht. Frau Do war seine himmlische Liebe. Man sah ihn an Donnerstagen -immer zur gleichen Minute über die Sternbrücke schreiten, wo er in den -kleinen Steig nach dem Horn einbog, und immer hatte er einen Strauß -der schönsten Blumen in der Hand; denn Frau Do war seine himmlische -Liebe! Vielleicht war es die einzige Herzensangelegenheit, mit der er -sich in seinem Leben befaßt hatte. Und gerade damit stand er nun nicht -allein. Aber das war damals noch nicht zu ahnen. Im Haus am Horn hieß -er der Kürze halber »die Würze des Lebens«. Man verschwieg ihm das -ebensowenig, wie er aus seiner himmlischen Liebe ein Hehl machte. Sein -Name Salzer spielte dabei nur die Rolle des Zufalls; denn man hörte, -sann und freute sich an ihm die kargste Stunde in helles Licht. Ohne -den Professor war das Haus am Horn nicht mehr zu denken. Er kam, wenn -er wollte, und war blank wie die Tante Veronika. So war er auch nach -dieser Seite hin ein einziger seiner Art. - -Außer ihm waren der Schlachtenmaler Richard Schaffrath und der Musikant -Erich Meyer da. An Schaffrath schätzte er die gesammelte Kraft, an -Erich Meyer die Bescheidenheit und Entwicklungsfähigkeit; denn Meyer --- oho, wie war dieses Blümlein Wegwart über Winter aufgeblüht! Die -Wandlung ging so weit, daß er selbst den klingenden Namen Meyer -verloren hatte. Er hieß nun Cornelius, Peter Cornelius. Das hatte der -Professor erfunden. Erich Meyer mit dem stracken Blondhaar und dem -gut modellierten Profil sah auch geradeso aus wie der Komponist des -»Barbiers von Bagdad«. Auch seine Kunst ging auf den gleichen Bahnen. - -So flogen die zwei Stunden der Donnerstage rasch und tiefbeseelt -vorüber und blieben freudig ersehnt von allen. Es wurde dabei vom -gesamten schöngeistigen Erleben der Welt gesprochen; und es lag auch -ganz in der Art dieser Menschen, von ihren eigenen Wegen zu reden. Nur -über Jockeles aufgehendes Lebensziel wurde geschwiegen. Davon wußten -für lange, lange bloß Do und Gwendolin. Aber der Same, den Do in jener -jungen Zeit ahnungslos ausgestreut hatte, in der dem Jockele das Hirn -brauste vor den Fragen: »was wissen Sie von Goethe, Schiller, Wieland, -Wildenbruch?« dieser Same hatte ohn' Unterlaß gekeimt und Wurzel -gefaßt. Das erkannten sie nun und wußten: damals war er gesäet worden, -als Do dem Zigeuner Jockele die deutsche Literatur an einem Bindfädlein -zum Fenster im Pflaumenwinkel herabgelassen hatte! Und vor dieser -Erkenntnis legte der Doktor eines Abends seiner Frau den Arm um den -Nacken und sagte zu ihr: »Was hab' ich denn nun, das mir nicht von dir -gekommen wäre, du mein lieber Segen?« - -Es wuchs vieles aus den sicheren Händen Dos -- von Jockele gar nicht -zu reden; denn der war sozusagen der nächste dazu. Bei dem sanften -Erich war es zum mindesten kein Wunder, daß in ihrer schönen Sonne aus -der Raupe ein Schmetterling, aus dem Meyer ein Cornelius wurde. In die -vorweihnachtlichen Gesellschaften aber hatte er sich nur getraut, wenn -ihm Do unweigerlich erklärte, daß er unabkömmlich sei. Das lag teils -an seiner Außenseitigkeit, teils an seiner Außenseite. Deshalb gab -ihm Do die Erklärung im Wintergarten, wo sie beide allein waren. Und -eines Tages bekam er vom ersten Schneider der Stadt einen Brief; darin -wurde er gebeten, sich Maß nehmen zu lassen zu zwei neuen Anzügen. Doch -diese Einkleidung mußte mit einem großen Aufgebot von List vorgenommen -werden: es wären Rester, erzählte ihm der Schneider. Das versöhnte den -bescheidensten der Musikanten, langte aber nicht. Da mußte weiter -gelogen werden: der Schneider habe ihn einmal Klavier spielen hören -und darüber den Entschluß gefaßt. Das rührte den armen Menschen so, -daß er den nächsten Donnerstag nicht erwartete, sondern gleich am -Sonnabend aus dem Himmel seines Glücks in Dos Wintergarten fiel und -es ihr als ein tiefes Geheimnis offenbarte. Do freute sich mit ihm. -Und da sie gerade um die Pflanzen beschäftigt war, gelang ihr auch das -nötige Aufgebot von Ahnungslosigkeit. »Nun passen Sie nicht mehr in die -schiefe Dachkammer, Cornelius,« sagte sie. - -»O, ich träume von einem Haus zum Alleinbewohnen,« scherzte er. - -»Und ich von einem Stutzflügel für Sie,« sagte Do. - -Da sank Cornelius in den Rohrstuhl ... - -»Nun ja, ich denke, Sie wollen eine Oper komponieren?« - -»Das tu ich ja schon, teure gnädige Frau! In meiner Kammer schreib -ich's auf und am anderen Morgen geh' ich in den Erlkönig ...« - -»In den Erlkönig?« - -»Ja. Das ist ein Gasthaus da drüben in der Nähe der Ilm, da haben sie -ein Klavier ...« - -So fand sich nun dieser Erich Meyer mit dem Leben ab! - -»Und Ihre Villa?« fragte Do. - -»Ach, da ist doch das kleine Dienerhaus im Apfelgarten, wissen Sie, -wo Jockele mit der Husch den armen Heinrich aufgeführt hat und mit -Felidora Geburtstag feierte« -- Cornelius war wirklich sehr lustig -- -»und wohin Fräulein Gwendolin den Teekessel geschickt hat ... gnädige -Frau, gnädige Frau,« sagte er mit geheimnisreichem Gesicht, »ich -glaube, in dem kleinen Haus steht ein großes Sprungbrett ins Leben!« - -Ein paar Tage später zog Peter Cornelius in den Apfelgarten; denn Do -machte ihm weis, das Wohnen dort wäre nicht nur nicht teurer als in der -Dachkammer, sondern es kostete gar nichts. Es gehörte auch dazu wieder -List; denn Meyer durfte es anders nicht erfahren. Dahinein kam auch der -Stutzflügel aus Bonn, an dem Do im Flügelkleide geübt hatte. Erichs -Glück war vollkommen. Er las um diese Zeit häufig und sehr nachdenklich -den »Ring des Polykrates«. - -Auf einmal ward er drei Tage nicht in der Welt gesehen, obwohl er doch -nun ein vornehmer Herr geworden war. Er erklärte sich diese drei Tage -lang für den unglücklichsten Narren und hätte sich am liebsten sein -undankbares Herz ausgerissen. Warum denn? Ach, er hatte da neulich -im Wintergarten der Frau Do alle blutjungen Streiche an den Fingern -hergezählt, die dem Jockele in dem kleinen Hause gelungen waren! Und -das hatte dieser Erich Meyer fertiggebracht in dem Augenblick, in dem -ihm Do den Stutzflügel verhieß! Nun kam er sich vor wie -- - -Auf einmal donnerte es heftig an die braune Tür. Fra Mariano trat -herein. »Sie, Cornelius, was wissen Sie denn von Gwendolin und Richard -Schaffrath?« - -»Hm. Eigentlich weiter nichts, als daß sie gewissermaßen mit Henrik -Tofte verlobt ist.« - -Diese Antwort war zusammenfassend. Sie wirkte wie Öl aufs Feuer. »Die -Gwendolin hat sich wohl unsichtbar gemacht, was?« - -»Es ist nicht ihre Art,« sagte Meyer. Graf Metting hatte ihn immer ein -wenig verspottet. Warum fand er sich nun in das kleine Haus? Er kam zu -keiner glücklichen Stunde. Erich Meyer war aufgewühlt bis auf den Grund. - -»Ich -- nun ich habe die Absicht, mich mit Fräulein Gwendolin zu -verloben,« sagte Fra Mariano. - -»Wär' es nicht besser, Sie sagten ihr das selber?« - -»Dazu brauche ich Sie natürlich nicht,« fuhr ihn Metting an, »aber Sie -können doch zum Beispiel hier mal vierhändig spielen.« - -»Na, davon hätten Sie auch nicht sehr viel.« - -»Aber wenn ich dazu käme, teuerster Meyer, und Sie hätten gerade zum -Beispiel eine Klavierstunde in der Stadt zu geben nach dem Spiel zu -vier Händen ...« - -»Ach, fällt mir ja gar nicht ein! Ich geh' überhaupt nicht mehr aus dem -Hause, verstehen Sie wohl?« - -»Nein,« sagte Metting und griff nach seinem Hut, »Frau Do geht nicht -mehr aus dem Hause, Gwendolin geht nicht mehr aus dem Hause, Jockele -nicht und Erich Meyer auch nicht -- zum Donnerwetter, wollen Sie denn -alle Kinder kriegen?« Fra Mariano schlug die Tür hart ins Schloß und -stapfte zwischen Tag und Dunkel die Kastanienallee entlang. - -Er hatte dreimal vergeblich bei Doktor Sinsheimer vorgesprochen. Nun -ging er zum vierten Male hin. Da wurde er von Jockele mit weitoffener -Fröhlichkeit empfangen: sie wären über köstlichem Schaffen, Gwendolin -male den Vorfrühling von allen Seiten, seit vierzehn Tagen wäre sie in -Ibenheim bei Tante Veronika ... - -Nein, es war kein Schatten Falschheit in diesem Lichte, das aus Jockele -schien. Aber eine halbe Stunde später kam Gwendolin aus Ibenheim, und -Fra Mariano fuhr gleich am nächsten Morgen hin. Fünf Tage später traf -ein Brief von Tante Veronika ein; darin stand: es wäre seit einigen -Tagen ein feiner junger Mann ums Haus gestreift, heute habe er sich ein -Herz gefaßt und nach Gwendolin gefragt ... er heiße Graf Metting. - -Es war eine Pflicht, die die aufmerksame Tante Veronika erfüllte. -Jockele und Do lasen diesen Brief mit großer Heiterkeit und schickten -ihn durch Fritz hinauf zu Gwendolin. Als die aus ihrem Zimmer -herunterkam, waren Professor Salzer und Erich Meyer schon da. Meyer -berichtete von seinem Zusammenstoß mit Fra Mariano. Deshalb waren sie -so ausgelassen lustig. Gwendolin aber hatte ihre melancholische Stunde. -Sie lachte nicht, sondern sah Do mit ernsten Augen an und fragte: -»Liebe Schwester Do, was soll ich denn nun tun?« - -Der Winter mit seiner feinen Geselligkeit hatte in ihr einen mächtigen -Wandel vollbracht. Wenn sie allein war und nachdenklich und wohl auch -ein bißchen traurig, sah sie nun der Herzogin von Urbino viel ähnlicher -als dem Flämmlein. Dies andere Leben hatte ihr wohlgetan. Sie sehnte -sich mit heißem Herzen aus ihrem sorglosen »Junggesellentume« heraus. -Da stand Dos und Jockeles großes Glück, da stand die lautere, geregelte -und kluge Art dieses Hauses, da war ... es waren da tausend Dinge, die -ließen ihr nun keine Ruhe. - -Es war von ihnen nicht mehr über Herzensangelegenheiten gesprochen -worden seit jenem Tage im Fjord, der sich so grauenvoll über ihre -Sonnenseelen gelegt hatte. Mit keinem Worte. Do liebte es nicht, bei -jeder Gelegenheit Verbindungen zu erwägen. Sie hatte in solchen Dingen -auch keinen Rat gewünscht, sondern hatte das mit ihrem Herzen und ihrer -Klugheit ausgemacht. Und damals, auf dem Uferwege am Skjold, hatte -sie mit Nachdruck ein Punktum dahintergesetzt, indem sie zu Gwendolin -sagte: »Ich weiß kein Mädchen, das umworben ist wie du. Aber du kommst -nicht dazu, deinem Herzen eine Aufgabe zu stellen.« - -»Ich werde mich daraufhin einmal ansehen,« hatte Gwendolin geantwortet -und: »Die Ehe ist eine verdammte Kunst.« Nun sagte sie: »Ich wäre euch -dankbar, wenn wir heute statt des musikalischen Tees einen Familienrat -hielten.« Sie setzte sich in den Ledersessel und dachte, sie hätte ein -gefaßtes Herz. »Ich sehe, daß ihr auf meine Kosten vergnügt seid.« - -»Auf Kosten Fra Marianos,« sagte Jockele. Professor Salzer lächelte so -in sich hinein; er hatte für Graf Metting nie viel übrig gehabt. - -»Das kommt auf eins heraus. Wie steht es mit mir? Es steht so: Ehemals -habe ich meine Freiheit und Selbständigkeit sehr hoch bewertet -- etwa -wie ein reicher Mann seine Millionen; denn ich habe zu mir gesagt: -dafür erstehe ich mir die halbe Welt. Dann kamt ihr und ließet mich -mit euch ziehen. Ich bat euch damals halb wehmütig, halb lustig: eine -schiefe Kammer werdet ihr in eurem großen Hause für Gwendolin, die -Heimatlose, haben. Nun aber weiß ich: ich war in jener Stunde zum -erstenmal ahnungslos. Ihr seid so lieb zu mir gewesen, und ihr habt -das Leben angepackt mit euren guten und reichen Herzen, wie es mir -nicht im Traume eingefallen wäre -- das Leben und mich selbst. Und nun -steh' ich vor euch mit leeren Händen und habe nachdenkliche Stunden. O, -manchmal bin ich sehr traurig: darf das denn so weitergehen aus einem -Jahr ins andere?« Da merkten sie, daß sich Gwendolins Herz auflehnte -gegen sich selber und daß ihre Stimme zitterte. »Ach nein, liebe Do, -spare dir deine Worte! Wie es in euch aussieht, das weiß ich. Aber -jetzt kommt's wieder einmal auf mich an -- endlich!« rief sie. »Mein -Reichtum von einst -- meine Freiheit -- ist vertan. Ich mag ihn nicht -wiedererwerben. Ihr habt mich ein Leben gelehrt, das ist schöner -und beseelter ... Ich bin kein Kindskopf. Deshalb hab ich mir nicht -geschworen: dies Leben mach' ich euch in allen Stücken nach; aber ich -habe mir gelobt: in meiner Art will ich euch ähnlich werden. Nun kommt -Graf Metting und sagt, er liebt mich. Ist das nicht der Augenblick, in -dem ich meinem Herzen die Aufgabe zu stellen habe? Liebe Schwester Do, -was soll ich denn nun tun?« - -Nach Gwendolins langer Rede mußte diese Frage kommen. Sie war peinlich --- nichts als »ungeheuer interessant« war sie nur für Cornelius. Da -meldete der Diener Herrn Richard Schaffrath, den Schlachtenmaler. Der -hatte wichtigen Atelierbesuch gehabt ... - -Atelierbesuch? Ja. Nur: wie dieser Atelierbesuch ausgesehen hatte, das -war nicht zu ahnen; denn der Maler, der nach fast den gleichen Maßen -erbaut war wie Henrik Tofte, kam wirklich recht besuchsmäßig daher, -feierlich und ungewöhnlich vorschriftsmäßig in Anzug und Behaben. Und -so war seiner Aufmachung nicht anzusehen, daß er daheim im Malraum -zwei Stunden lang einen Kampf ausgefochten hatte mit einem Menschen, -der genau so groß und kräftig war wie er, der über genau einen so -cholerischen Zorn verfügte wie er, und der gar noch Richard Schaffrath -hieß! Nun kam dieser Herr so geruhig und blank gebürstet daher und -sah aus, als wäre noch niemals ein Sturm durch ihn gefahren. Aber bis -vor einer halben Stunde hatte er auf seinen Gegner einen heißen Zorn -niedergehen lassen -- just als hieße dieser Graf Metting und hätte -einen Eid geschworen, dem Maler Schaffrath bei der schönen, schlanken, -heißen und klugen Gwendolin den Rang abzulaufen. »Siehst du, das kommt -nun von deiner wortkargen Art! Jetzt hat sich der Windhund ihr ans Herz -geschmeichelt ...« und so weiter -- aber solche häßlichen Gedanken -waren ihm nicht mehr anzumerken. Sondern er trat mit einer sehr -höflichen Verbeugung zu Frau Do und rettete sich die Verzeihung für -sein Zuspätkommen. Gwendolin aber wartete noch auf Dos Antwort. Und so -schlug sie in ihrer bangen Ungeduld eine Brücke ... »Wir spielen heut -ein anderes Instrument, Herr Schaffrath,« sagte sie, »aber Sie dürfen -zuhören.« - -»Ah, ein neues Instrument?« -- »Ja ... meine verstimmte Seele,« sagte -sie, »sie ist erstaunlich in Unordnung geraten ... Nun, liebe Schwester -Do?« - -»Du sollst deine Beziehungen zu Metting abbrechen; denn in diesem -Falle wäre die Aufgabe, die du deinem Herzen zu stellen hättest, zu -groß. Gwendolin, du stehst mit deinen herrlichen Gaben viel zu weit -fort von ihm, und du würdest in diesem blitzenden, aber flachen Wasser -verdürsten.« - -Gwendolin schwieg. Sie schwiegen alle. Und sie sahen, es hing eine -verräterische Träne an ihrer dunklen Wimper. - -»Do, ich wußte: so mußtest du antworten. Und dennoch hab' ich dich -gefragt. Soll ich dir nun an den Fingern herzählen, was ich damit -aufgebe?« - -»Nein,« sagte Do, »das wissen wir. Aber ich will dir nennen, was du dir -ersparst: die trostlose Mühe, die Kunst einer solchen Ehe zu erlernen. -Fürchte dich davor, Gwendolin, fürchte dich vor der Reue ohne Ende!« - -Da ging Gwendolin in ihre Zimmer und warf sich auf ihr Bett und weinte. - -Die anderen saßen im Wintergarten noch lange beisammen. Schaffrath war -noch schweigsamer als sonst. Jockele allein schupfte die Schultern. Er -konnte zum erstenmal nicht ganz mit Do übereinstimmen. »Nun, es ist -ja nicht das letzte Wort,« sagte sie, »Gwendolin wird ihre freudige -Klarheit wiederfinden und mit sich selbst zu Rate gehen.« - -»Ja,« sagte Jockele, »und es ist gut so. Es kommt mir vor, als -entschieden wir ein bißchen selbstherrlich -- schließlich: Fra Mariano -bewirbt sich doch nicht um jeden von uns, sondern um Gwendolin.« - -Danach ging Do zu ihr. Cornelius blieb am Flügel und träumte -wunderliche Fantasien. Jakobus, Salzer und Schaffrath begaben sich -in das Rauchzimmer. Der Doktor schickte seine Gedanken den blauen -Ringen nach. »Die Sache ist qualvoller für uns als Sie denken, lieber -Schaffrath,« sagte er. »Und was halten Sie davon, Professor?« - -»Je nun, es überfällt Sie ja nicht,« antwortete er. Es war nicht ohne -Spott. - -»Eigentlich nicht,« sagte Jockele, »wir haben es gefürchtet. Aber Do -will es durchaus nicht zum äußersten kommen lassen. Wenn Metting erst -um Gwendolin wirbt, wird sie ihn nicht abweisen -- verlassen Sie sich -darauf, und dann ist das Unglück fertig! Es ist nicht zu glauben, wie -erstaunlich die Unordnung ist, in die sie geraten. Bedenken Sie doch: -dies kluge und aufrechte Mädel!« - -Hm. Es war wirklich eine höchst unangenehme Geschichte. - -Schaffrath konnte sehr undurchsichtig sein; er war es heute doppelt. -Jockele ärgerte sich darüber und sagte: »Richard Schaffrath, Sie sehen -aus wie ein Bräutigam auf dem Wege von der Kirchtür zum Altar.« - -»Wie sieht denn der aus?« - -»Versteinert.« - -Der Professor prüfte ihn daraufhin. Seit die Herren unter sich waren, -zuckte es ihm unausgesetzt um die Lippen wie Spott und Schadenfreude -... »Und Sie, Professor,« sagte Jockele, »Sie sehen aus, als sezierten -Sie ein Drama von Maeterlinck.« - -»O nein,« sagte er, »mein Vergnügen ist viel größer.« - -»Es wäre besser, Sie machten sich um uns ein bißchen nützlich,« -scherzte Jockele, aber er sprach nicht ohne Bitterkeit. Der -Schlachtenmaler schritt indes auf dem Teppich hin und her wie ein Löwe -im Käfig. Der Lösung seiner schwierigen Frage kam er nicht näher. Und -die Augen Salzers liefen funkelnd hinter ihm drein. Endlich lehnte -der Professor sich in seinen Stuhl zurück, faltete die Hände über der -Uhrkette und verfiel in ein ungeheueres Lachen. Jockele stand hilflos -am Tisch, Salzer lachte in einemfort, und Schaffrath tat, als wäre -dieser Ausbruch des Vergnügens eine Selbstverständlichkeit: er kümmerte -sich nicht darum. - -»Zum Teufel,« rief Jockele, »was soll denn das heißen?« - -»Großartig, ach großartig! Es ist eine Komödie! Doktor, muten Sie -mir denn zu, daß ich in einer Komödie sitze wie ein Ölgötze? Der -Schlachtenmaler, hurrjeh, der Schlachtenmaler hat nämlich den Brief im -Sack, mit dem er sich um Gwendolin bewirbt! Hahahahaha.« - -»Und das nennen Sie Komödie?« platzte Jockele heraus. »Herr, das ist -eine Tragikomödie!« - -»Gibt es nicht,« sagte der Professor. »Eine Geschichte endet mit -unglücklichem Ausgang und ist eine Tragödie. Oder sie endet mit -vergnüglichem Ausgang, dann ist sie eine Komödie. Oder wollen Sie etwa -den Mut aufbringen, einen Stoff zu gleicher Zeit aus einem ernsten und -aus einem lustigen Gesichtswinkel zu betrachten? Bedenken Sie doch bloß -den Unsinn: ein heiteres Trauerspiel, oder ein trauriges Lustspiel! Mit -der Bezeichnung Tragikomödie hat Plautus ursprünglich einen Scherz ...« - -»Himmeldonnerwetter!« schrie der Doktor, »ist denn die Welt aus den -Fugen? Und was gehen uns augenblicklich Plautussen seine Witze an?« - -»Dieses aber ist eine Komödie,« dozierte der Professor weiter; »denn -warum? Ich betrachte sie aus dem vergnügten Gesichtswinkel des Weisen -mit der himmlischen Liebe.« Salzer hatte heimlich auf den Klingelknopf -gedrückt, der Diener trat herein. »Fritz, bringen Sie eine Flasche -Johannisberger Schloßberg 1878,« befahl der Professor. Und Richard -Schaffrath ging hin und her, als ginge ihn alles Lebendige nichts an. -Dann aber setzte ihn Salzer neben sich an den Tisch, und sie tranken -Johannisberger Schloßberg. Da fand der Schlachtenmaler seine Sprache -wieder, und mit Gwendolins Worten sagte er: »Liebe Schwester Do, was -soll ich denn nun tun?« - -»Mir scheint allerdings, als wäre das eine Sache für Frauen,« sagte -Jockele ratlos. - -»Je,« wunderte sich der Professor, »als Sie noch ›Jockele und die -Mädchen‹ spielten, sind Sie nach allem, was man weiß, beherzter -gewesen.« - -»Ja,« bekannte Jockele und verfärbte sich in blutrotem Erinnern, »aber -die Gwendolin kann einen mörderlich aufsitzen lassen!« - -Darüber fiel der Schlachtenmaler vollends ins Dasein zurück. »Es ist -eine peinliche Sache.« - -»Ach wo!« sagte der Professor, »sehen Sie, meine Herren, so denk' ich -mir das Spiel zwischen schönen Mädchen immer; denn an einem schönen -Mädchen hängen die Augen vieler; und die schönen Mädel -- na, ich -weiß nicht, ob die nur immer so geradeaus gucken! Wissen Sie, was -ich machen würde? Ich riefe den Diener Fritz und ließe der Gwendolin -mein Bewerbungsschreiben um die freigewordene Wohnung augenblicklich -überbringen.« - -»Ich aber werde den Diener Fritz rufen und augenblicklich meine Koffer -packen lassen,« sagte Jockele. - -»Doktor,« gebot Salzer, »machen Sie keine Späße!« - -»Wollen Sie die Gwendolin denn ganz zerreißen?« - -»Nun, es ist eine Gewaltkur,« sagte der Professor. »Vor reichlich drei -Wochen haben wir uns die Sache in meiner Turmstube ausgedacht. Aber --- ist denn der steinerne Ritter Schaffrath zu einem Worte zu bewegen -gewesen?« - -»Die Würze des Lebens ist in solchen Dingen ahnungslos wie der -Sommerhimmel,« sagte Schaffrath. - -»Warum sind Sie denn dann zu mir gekommen? Und was hab' ich Ihnen -gesagt? Schämen Sie sich, Schaffrath, so ein großer, schöner, tüchtiger -Mensch ...« - -»Als ob's bei den Mädchen darauf ankäme!« lächelte Schaffrath bitter, -»hieß es nicht, Gwendolin hätte sich versprochen mit Henrik Tofte? Hieß -es nicht, sie wäre heimlich verlobt mit dem Grafen Metting? Wollen Sie -mich denn vor Gwendolin und der Welt zum Narren machen, indem Sie --« - -»... mich auf das zwiefach verhürdete Schäflein loslassen!« vollendete -der Professor die Rede des Schlachtenmalers. Er konnte sich nicht -helfen -- für ihn war dieser Zusammenstoß der Ereignisse ein Quell -erschütternder Heiterkeit. »Ich begreife nicht, warum Sie nicht lachen, -meine Herren! So helfen Sie mir doch -- lachen wir, daß die Wände -wackeln und in den Gemächern der Damen --« - -»Hab' ich nicht gesagt: die Würze des Lebens ist ahnungslos wie der -Sommerhimmel?« fragte Schaffrath. Darüber bekam Jockele das Laufen und -stampfte nun seinerseits über den Teppich. Er rang mit beidem: mit dem -Lachen und mit der Verzweiflung. Salzer aber begann ein Examen. »Ist -Gwendolin verlobt?« - -»Nein.« - -»Ist sie verliebt?« - -»Nein.« - -»Würde sie den Grafen Metting heiraten?« - -»Wahrscheinlich.« - -»Würde sie Henrik Toften nehmen, wenn er heute um sie anhielte?« - -»Möglich.« - -»Na also,« wandte sich Salzer an Richard Schaffrath, »was steht Ihnen -denn im Wege? Ein Vielleicht und ein Möglich! Und vor diesen beiden -windigen Gespenstern fürchten Sie sich, Sie Ritter ohne Furcht und -Tadel?« - -»Eigentlich hat er recht,« erwog Jockele. »Aber, liebster Schaffrath, -warum haben Sie denn den langen Winter vor ihr gestanden, als hätten -sie ein neunmal gepanzertes Herz?« - -»Es ist eine Eigentümlichkeit von mir,« sagte Schaffrath. - -»Und Sie, Professor, hätten Sie sich nicht für Ihren Freund in die -Schranken werfen können?« - -»Na, ich bitt' Sie, ich habe doch kein Heiratsbureau!« schrie Salzer in -heller Entrüstung. - -So sprangen sie rings um den toten Punkt und bekamen das Wirbeln, aber -vom Flecke kamen sie nicht. - -»Hier muß etwas geschehen,« sagte der Professor. »Ich übernehme die -Verantwortung!« Er drückte mit fester Hand auf die Klingel und nahm den -Brief vom Tisch ... - -»Ich betrete dies Haus drei Wochen nicht mehr!« rief Schaffrath. - -Aber Salzer befahl: »Fritz, bringen Sie diesen Brief zu Fräulein -Gwendolin Vogelgesang. Sagen Sie: eine Antwort würde vor Ablauf -von drei Wochen nicht erwartet.« Fritz wiederholte den Befehl und -verschwand. Salzer und Schaffrath verschwanden auch. »Wollen Sie mich -nicht mitnehmen?« fragte Jockele. -- »Kommen Sie!« - -So schritten sie hinaus in den stürmischen Abend. Peter Cornelius aber -saß am Flügel und vergaß Zeit und Ewigkeit. Halb zehn Uhr spielte er -immer noch. Da ging Do hinein zu ihm und sagte: »Möchten Sie nicht mit -uns zur Nacht essen? Es ist zwar schon reichlich über die Stunde, und -wir sind ganz allein ...« - -Erich Meyer tat einen harten Fall auf die Erde -- was aber nicht -wörtlich zu nehmen ist -- und erwachte aus tiefen Träumen; denn er -erfuhr, daß die Herren mittlerweile im Rauchzimmer ein Gelage gehalten -hätten und abhanden gekommen wären, und daß er seit länger als drei -Stunden am Klavier gesessen. - -Gwendolin war auch im Speisezimmer. »Sehen Sie, lieber Meyer, das ist -Ihre Art, das Leben zu verpassen,« sagte sie mit einem fröhlichen und -einem traurigen Auge. »Ich glaube, an diesem Punkt begegnen wir uns. -Man wird darüber leicht zu einer komischen Figur, lieber Meyer.« - -»Wohl, wohl,« sagte er, »aber das ist mir ganz egal. Ob der Mensch -glücklich ist, darauf kommt's an! Und darin nehm' ich es mit ihnen -allen auf, seit ich mein Landhaus besitze und meinen Stutzflügel.« - -»O,« machte Gwendolin, »so ist auch das ins Wasser gefallen! Ich dachte -schon: wenn Sie noch solch ein Ritter von der traurigen Gestalt wären, -könnten wir zwei uns heiraten.« - -»Ja, +wenn+ ich es wäre!« scherzte Cornelius, »aber jetzt bin ich ein -feiner Herr.« - -»Und ich? Ich wandele mich allgemach zu einem Narren,« sagte Gwendolin -bitter, »aber wofür ist denn Fasching? Freilich, die Herren haben sich -einen sehr schlimmen Spaß mit mir erlaubt. Doch warum beklag' ich mich -darüber?« Cornelius sah Do an, und er sah Gwendolin an. Und weil die -merkte, Meyer war schuldlos, so begann sie zu erzählen in herzhaftem -Spott gegen sich selbst ... »Nun, wenn ich mich selber nicht mehr -verhöhnen könnte, stünde es noch schlimmer mit mir.« - -Aber Erich Meyer saß fast andächtig dabei. - -»Und da lachen Sie nicht, Cornelius?« - -»Nein,« sagte er, »denn ich warte auf die Geschichte von dem schlimmen -Spaß.« - -»Mensch, die hab' ich Ihnen ja soeben haarklein erzählt!« - -»Ach so,« staunte Meyer, »und das nennen Sie Spaß?« Do begann zu -begreifen. »Ein Spaß ist das ganz und gar nicht, Fräulein Gwendolin; -denn der Brief Schaffraths ist schon seit drei Wochen geschrieben, -nämlich: der Schlachtenmaler liebt Sie bis zur Selbstverlorenheit.« -Und Peter Cornelius setzte neckisch hinzu: »Sehen Sie, darum hab' ich -vorhin Ihrer freundlichen Aufforderung, Sie zu heiraten, nicht gleich -Folge geleistet.« - -Es kam nun eine Stille -- die Uhrenpendel hörte man darin schlagen und -die Herzen. Do aber legte die Gabel fort und faltete ihre beiden Hände -im Schoße ... »Sturmschwalben, Sturmschwalben, wo nehmt ihr den Mut -zum Leben her?« Die Uhren tickten wieder und die Herzen. Gwendolin war -aufgestanden und hinter Frau Dos Stuhl getreten. Sie neigte die Stirn -auf Dos Schulter und umfaßte sie und sagte: »Ist es nicht gräßlich -mit mir, Do? Die erste tiefe Liebe, die mir begegnet, halt' ich für -einen schlimmen Spaß ... Ist es nicht gräßlich?« Und Gwendolin weinte -bitterlich. - - -Wäre diese Geschichte nicht wahr, sondern ein Roman, so würde es nun -weiter heißen: »Drei Wochen später wurde die Verlobung mit großer -Pracht gefeiert.« Dem war aber nicht so; denn als man Verlobung -feierte, war man nur selbdritt beieinander: Gwendolin und Richard und -eine zeitlose Frühlingsnacht, die lag so schmeichelnd, veilchenduftig -und sammetschwarz über dem Weimarer Park, daß sie James King kurz und -bündig »lächerlich« genannt hätte. Und wenn etwa einer nachträglich -kommt und erzählt: es wäre bei Sinsheimers im Haus am Horn gewesen, -und es hätte eine große Aufmachung von Licht, Kuchen, Wein und Musik -gegeben, so ist das einfach nicht wahr. Sondern: wenn man von Goethes -Gartenhause den Wiesenweg nach der Ilm geht und an der Ilm links -weiter, so kommt man nach zweihundert Schritten an einen Wildapfelbaum -mit tief herabhängenden Ästen. Unter dem Apfelbaume steht eine Bank. -Auf dieser Bank war es. Und es gab weder Kuchen noch Wein noch große -Festmusik, bloß Lieder ohne Worte und Süßigkeiten ... Ferner: es war -auch gar nicht drei Wochen später; denn Richard Schaffrath war ja schon -beim nächsten musikalischen Tee wieder bei Sinsheimers, es war da sehr -fein, und ein Narr wäre gewesen, wer behauptet hätte: am Donnerstag -zuvor hätte Gwendolin Frau Do ihren heißen Schmerz auf die Achsel -geweint und hätte gesagt: mit ihr wäre es gräßlich. Nein, nein. Die -Geschichte unter dem Apfelbaum geschah in Wahrheit am darauffolgenden -Samstag, abends von neun bis elf Uhr; und zwischen dort und jenem -Donnerstag im Leid lagen zweimal die hundertneununddreißig Stufen -der Weimarer Hofkirche am alten Friedhof, die Gwendolin zu dem Herrn -Professor Salzer emporgestiegen war. Daraus ist zu ersehen, daß es -sich für sie um einen ernsten und wichtigen Fall handelte; denn weder -wegen James King noch wegen Mister Johnny, noch wegen Henrik Tofte -hatte sie einen Fuß gerührt -- des Jockele und des Unbekannten aus -dem Ettersburger Zwetschengarten gar nicht zu gedenken! Fra Mariano -aber stand in der Mitte zwischen Richard Schaffrath und der langen -Reihe, von der ihr jeder den Jungfernkranz winden lassen wollte; denn -wegen Fra Mariano war sie wenigstens in ihre Zimmer gestiegen, und Fra -Mariano muß hier erwähnt werden, weil er schon auf dem Weg unter den -Wildapfelbaum war und zu dem Fest als ungeladener Gast kam ... Aber -es war sehr finster im Park, und es sind viele Bänke dort; nach der -richtigen mußte er erst eine Weile suchen. Er war noch an kein Vorhaben -mit gleicher Unentwegtheit herangetreten; denn er wollte diesen -Porträtmaler auf frischer Tat ertappen. - -Es ist auch nicht bei der Wahrheit geblieben, wenn man wissen -will: Gwendolin wäre in tiefer Zerknirschung und mit vom Weinen -geröteten Augen unter dem Apfelbaum erschienen; denn zweimal -hundertneununddreißig Turmstufen sind so lang wie zweimal -hundertneununddreißig Jahre. Und Gwendolin, die weitoffene und -gescheite Gwendolin, war viel zu ehrlich, als daß sie aus ihrem Herzen -eine Mördergrube gemacht hätte. Weitoffen, klar und gescheit stieg sie -gleich am Freitag früh nach dem verweinten Donnerstag zu Salzer, dem -Turmwart, und sagte: »Ich wollte nur sehen, ob Sie über Nacht wieder -herzugekommen sind.« - -»O ja,« sagte der Professor, »Jockele, Schaffrath und ich haben bis -gegen morgen im Turm einen respektablen Trunk getan. Aber: wollten Sie -wirklich nur nachsehen, ob --?« - -»Sie sind sehr neugierig,« sagte Gwendolin. - -»Das kommt daher, weil ich für den Brief die Verantwortung übernommen -habe.« - -»Es war tapfer von Ihnen,« lobte sie, »mit den jungen Leuten hat man -seine liebe Not.« - -»Ja,« sagte der Professor. - -»Morgen komm' ich noch einmal,« sagte Gwendolin, »ich möchte da Richard -Schaffrath hier sehen. Übernehmen Sie die Verantwortung?« - -»Ja,« sagte der Professor. - -Am Samstag kam sie erst gegen Abend. Schaffrath aber hatte schon seit -dem frühen Vormittag auf sie gewartet. »Sie müßten Engelein heißen,« -sagte der Professor zu ihm. Es war Schaffrath sehr bange; denn er -dachte: »Dies fixe wackere Mädchen wird meine Vorsicht als Feigheit -ansehen.« Aber das tat sie nicht; sondern sie sagte sehr milde: »Nun, -ich hätte es mit der Gwendolin wahrscheinlich anders gemacht. Wußten -Sie denn nicht, daß ich in einer großen Gefahr schwebte?« - -»Nein,« sagte er, »Sie konnten es auch für ein großes Glück halten.« - -Sie war ans Fenster getreten. Es lag über den Dächern ein feiner -grauer Nebel. Nur die Firste und Schornsteine guckten oben darüber -heraus, und am Himmel gingen verheißungsfroh die ersten Sterne an. »Der -Frühlingsmantel, den sich die Erde umlegt! Kommen Sie, wir wandern -zusammen hinab ins Tal!« - -»Nein, auf einen hohen Berg.« - -Da gingen sie miteinander. Und nach einer Stunde kamen sie unter den -Wildapfelbaum. Ein ganz dünner Streif Mond lag nun auf der Ilm als ein -silberner Kahn. Darüber fiel Gwendolin James Kings Gespensterschiff -ein, und sie erzählte dem Manne, der nun neben ihr saß, alle -Liebschaften, die sie gehabt hatte in den acht Jahren, seit ihrem -fünfzehnten, und wie sie umworben worden -- von lange vor Jockele bis -zu dem Grafen Metting. »In fast allen Fällen konnte ich gar nichts -dafür -- bloß die zwei Sachen in Ettersburg, die stehen auch mit auf -meiner Rechnung. Aber du mußt nun alles wissen; mein Herz sagt einfach: -es ist so in der Ordnung! Ach du, mein Herz ist ein so natürliche -ungefaltetes Ding -- rein zum Bangewerden! Wird dir nun bange davor?« - -»Nein,« sagte er und wunderte sich, daß sie auch für das Erlebnis mit -Henrik Tofte die Verantwortung ablehnte. Aber er redete nicht davon. - -Da zog Fra Mariano des Weges. Er hatte sich in seinen Sommerüberzieher -verkrochen und den Kragen hochgeschlagen und trug den Gehstock steil in -der Rocktasche. Weil er am Apfelbaum so kecklich vor sich hinhüstelte, -sagte Gwendolin: »Wenn Sie Lust haben, sich ein wenig zu uns zu setzen, -Graf Metting -- es steht Ihnen ganz und gar nichts im Wege.« - -Es war zu merken: die da sprach, war die alte Gwendolin. Von ihr -hat einer gesagt: sie hätte Stunden, in denen sie den lieben Gott -besiegen könnte. Ja, so war das mit ihr. Metting hatte vorgehabt, den -Überraschten zu spielen und beide zur Rechenschaft zu ziehen, aber -»zu spielen« brauchte er nun nicht; denn das hier war keine Komödie --- das war das Leben selber und forderte ihn auf den Plan. Und davor -stand er, und wußte nicht, was er sagen sollte. Er setzte sich auf die -Bank, rechts neben Gwendolin, und verkroch sich noch tiefer in seinen -Überrock. - -»Nun?« fragte sie, »was halten Sie von diesem Tatbestande, Graf?« - -»Eins der vielen Abenteuer der Herzogin von Urbino,« sagte er sehr -zugeknöpft. Er hätte sagen können, was er wollte -- sie faßte ihn -sofort am Schopfe und beutelte ihn ... was wiederum nicht wörtlich zu -nehmen ist. - -»Ich weiß im Augenblick nicht, ob die Herzogin von Urbino Abenteuer -suchte in dem Sinne, in dem Sie das meinen, lieber Graf. Aber das sag' -ich Ihnen: durch die Ungewißheit ihres Schicksal ist jede Frau von -ihrem sechzehnten Lebensjahr ab eine Abenteurerin ...« - -»Ha, es wäre schlimm!« unterbrach sie Metting. - -»... nicht in ihren Taten, sondern in ihren Träumen! Sie läßt ihre -Träume vom Leben ausfliegen wie Noah den Raben oder die Taube aus dem -Kasten: sie finden nicht, da ihr Fuß ruhen kann. Aber einer bringt den -Ölzweig. Und danach ist es gemeinhin vorbei mit dem abenteuerlichen -Flug über den wogenden Wassern. Sehen Sie, so mein' ich das.« - -»Nicht übel,« sagte er, »und recht spitzfindig ausgedacht. Nun, Frauen -sind um eine Entschuldigung niemals verlegen.« - -»Männer auch nicht,« sagte sie. »Aber ich habe gar nicht das Bedürfnis, -mich vor Ihnen zu entschuldigen; sondern die Dinge liegen einfach so: -in dem Augenblick, in dem auch mein +Herz+ in die Lage kam, zu wählen -zwischen Richard Schaffrath und dem Grafen Metting, entschied ich mich -für Richard. Wir haben uns in der vorigen Stunde verlobt.« - -»Hoh!« - -»Ja. Die Liebe ist ein Geist; sie kann nicht reden, eh' ihr nicht ein -Wort oder Zeichen gegeben wird. Die Liebe ist ein Geist; aber dieser -Geist wird erlöst, wenn er weiß, man verlangt nach ihm.« - -»Nun, ich habe Ihnen Zeichen genug gegeben, Gwendolin.« - -»Aber als der andere die Sprache fand, blieb mir keine Wahl: mein Herz -flog ihm in Seligkeit nach.« - -»Hm. Dann wäre wohl meine Aufgabe unter diesem Baum erfüllt?« - -»Ich glaube es,« sagte Gwendolin. - -»Gute Nacht.« - -Fra Mariano versickerte in der Finsternis. - - -Von den Türmen schlug es Elf, als Richard und Gwendolin unter den hohen -Birken des Philosophenwegs hervortraten und nach dem Horn einbogen. Sie -hatten keine Eile und sprachen leise. Auf der Höhe des Goethegartens -sahen sie: bei Sinsheimers war noch das ganze Haus hell. Da wunderten -sie sich. Es rasselte auch ein Wagen durch die Stille der Straße davon. -Sollte Fra Mariano --? - -Als Schaffrath sie verlassen und Gwendolin hineinkam, fragte sie den -Diener. »Herr Meyer ist da«, sagte der, »und eine Dame: Fräulein -Kordula Gunkel aus Rom. Fräulein Gunkel hat sich durch ein Telegramm -angemeldet und ist vor kaum fünf Minuten angelangt.« Man hörte durch -die Türen lachen, und Gwendolin funkelte in die erste Freude des -Wiedersehens. - -»Lieber Meyer, wissen Sie, daß die dunkle Kordula eminent musikalisch -ist?« - -»Ja,« sagte er, »Sie selbst haben es mir erzählt, aus der Geschichte -der Sturmschwalben.« - -»Und wißt ihr, Kinder, daß ich mich verlobt habe?« - -Da rissen sie Gwendolin der Reihe nach an ihr Herz -- zuerst Jockele. -»Er tut das immer sehr ausgiebig,« sagte Do. »Ja,« erklärte Cornelius, -»man kann da mittlerweile eine Partie Schach spielen oder Beethovens -Neunte.« Dann kamen Do und Fräulein Gunkel an die Reihe. »Na, lieber -Meyer?« jauchzte Gwendolin. Und weil er beschaulich am Flügel lehnte -und Miene machte zu einem sanften Handkusse, griff sie ihn auf und -wirbelte ihn ein paarmal herum. »Die Liebe ist ein Geist -- sie muß -durch ein Zeichen erlöst werden!« rief sie. Cornelius ward von diesem -Überfall reichlich betört; und als sie ihn wieder freigegeben hatte, -war er blutrot geworden und gestand: »Jetzt hab' ich den ersten Kuß von -einer Dame bekommen! ... Sie auch?« wandte er sich an Jockele. - -»Ich -- --? -- Ja, natürlich.« - -Darüber gerieten sie noch mehr in Lustigkeit. Erich Meyer aber hatte -einen großen Tag und durfte hinausgehen und Wein kommen lassen, ganz -nach seiner Wahl. Da entschied er sich für Sekt; denn Sekt hatte er in -diesem Hause zum ersten Male getrunken, und Sekt stand obenan in der -Reihe seiner unvergeßlichen Erlebnisse. Dann sanken sie in die braunen -Ledersessel, und es war herzhaft und aufgetan wie in der Mädchenzeit. - -Die Standuhr schlug die Mitternacht. Da horchten sie hin; denn es -war ein schöner, weicher Klang und voller Andacht. »So ist es, wenn -Kordula Gunkel zur Laute singt,« sagte Gwendolin und dachte an die -Abende im Fjord. Sie dachte auch an Henrik Tofte; aber sie wollte nicht -nach ihm fragen. War die dunkle Kordula damals nicht mit heimlichen -Hoffnungen nach Rom gezogen? »Jede Frau ist eine Abenteurerin von -ihrem sechzehnten Jahr ab.« Der Gedanke, den Gwendolin vor zwei Stunden -dem Grafen Metting gegenüber ausgesprochen hatte, stand nun neben den -vielen Lichtern, die in dieser Nacht ihre Seele hell machten, und sie -fragte: »Kordula, warum bist du heute in unser Haus gekommen?« - -»Daran ist dein glückseliger Brief schuld, Gwendolin.« - -»Du, den hab' ich doch in der Woche vor Weihnachten geschrieben!« - -»Jawohl,« sagte Kordula, »und es fehlte nicht viel, ich wäre gleich -damals zu euch gekommen. Er war ein Stern in tiefer Finsternis. Ich -habe nicht wieder geschrieben -- nun ja, ich habe gewartet, bis ich -meiner Sehnsucht nachfahren könnte ...« - -»Na, und Tofte?« fragte Jockele, »ist denn der nicht das große Licht in -der Finsternis geworden?« - -»Ja und nein,« sagte Kordula. »Ich war schon seit langem wandermüde, -aber jetzt bin ich's doppelt. Gwendolin hat mir so strahlend vom Leben -in diesem Haus erzählt, und das hübscheste war der Abschnitt ›Jockele -und seine Frau‹. Seht, ich komm' auch aus einem solchen Hause! Als -meine Eltern kurz hintereinander starben, wurde ich mit dem Haus -abgefunden, mein Bruder empfing bares Geld, er ist Arzt in Bingen, -und ich saß nun in Göttingen, und es kam mir vor, als wollte mich das -Leben dort sitzen lassen. Da verkaufte ich meine steinerne Einsamkeit, -kam nach Weimar und wurde Kordula mit der Laute. So lebt' ich mich -zwei Jahre durchs Dasein. Ich ging an den düsteren Songefjord und ließ -die traumhafte Herrlichkeit an meiner Seele abfärben. Als ich zu euch -in den Hardanger Fjord geriet, da hatt' ich Heißhunger nach Sonne. -Gwendolin hatte mir geschrieben: ›Wo Jockele und Do sind, da ist die -Sonne.‹ Die Insel der Auferstehung lockte mich, dort wollt' ich mein -Ostern feiern. Und als ich eintraf, hatte Rolf Krake die Kugel in -die Sonne geschossen. Ich kam zu spät -- aber ich kam zu rechter Zeit -nach Rom. Da fand ich Henrik Tofte. Er hatte einige Wochen mit Mister -Johnny in dem deutschen Gasthause ›Zur Post‹ zu Mittag gegessen. Mister -Johnny war noch dort, aber es hatte Auseinandersetzungen zwischen -beiden gegeben, und nun begegneten sie einander mit stummem Gruß, und -Henrik speiste nicht mehr in der Post. Er speiste überhaupt nicht mehr --- so schien's. Künstler, die ihn kannten, erzählten, er triebe sich -in kleinen italienischen Weinhäusern herum; und einer wollte wissen: -Henrik Tofte wäre Gepäckträger, und wenn ich ihn suchte -- draußen am -Bahnhofe könnt' ich ihn treffen. ›Großer Gott,‹ sagte ich, ›dieser -Henrik Tofte ist ja aber ein Genie!‹ Da lachte man mich aus -- Genies -gäb's auf dem heißen Pflaster Roms massenhaft, aber die meisten bekämen -das Fieber ... Ich ließ also meine Reisetasche im Handgepäckschalter -niederlegen, und tags darauf ging ich vor der Ankunft des Berliner -~D~-Zugs zum Bahnhofe. Den Längsten unter den Gepäckträgern ersah ich -mir. Er war blond und reckenhaft wie ein Skalde und trug die rote -Mütze der Facchini. ›Wie heißen Sie?‹ fragte ich ihn auf norwegisch. -Da zuckte er zusammen und schlug die Augen nieder. ›Tofte.‹ -- ›So -besorgen Sie mir die Tasche auf diesen Gepäckschein nach Via Gregoriana -Nummer 5.‹ Auf meinem Zimmer in der Gregoriana hab' ich dann versucht, -ihn instandzusetzen. Kinder, diese Geschichte hättet ihr erleben -sollen! Eine Wohnung hatte er nicht. Aber Angelina Fabbro, die Witwe -eines Postschaffners, bei der ich wohnte, hatte eine große Küche. Sie -war sehr einsam, sehr faul und sagte, sie trauerte sich um ihren Emilio -einen grauen Kopf. Angelina Fabbro ist sechsunddreißig Jahre ... Nun: -Kordula Gunkel stattete Henrik Toften aus, bis er wieder manierlich -war an seinem langen Leibe. Schön und manierlich; aber Angelina liebte -ihn, und er liebte sie. Sie ist rund an allen Enden, sie ist zierlich, -und sie hat das Herz einer Römerin. Und Angelinas Küche ist groß, kühl -und heimelig, wenn die grünen Sparrenläden vor den Fenstern liegen. -In dieser Küche schliefen sie, in dieser Küche liebten sie einander -und waren faul, wie man nur in Rom faul sein kann. Angelina Fabbro -vermietet ihre Zimmer, hat ein kleines Witwengeld und führt ein gutes -Regiment im Hause. Als ich mir über dies alles klar war, zog ich -aus ...« - -»Römische Schlendertage!« sagte Jockele. »Die Geschichte ist zu Ende.« -Er klang sein Glas gegen das Glas Kordulas, und seine Stimme war von -frohem Klang; denn es war zu sehen: Kordula Gunkel erzählte nicht aus -schmerzlichem Verzicht. »Die Geschichte ist zu Ende!« - -»Nein, ich möchte sagen: sie geht erst los.« - -»Sekt, Sekt, Cornelius!« mahnte Gwendolin, »Herrgott, Sie sind sich ja -abhanden gekommen!« - -»Ich finde so was furchtbar interessant, Fräulein Gwendolin« -- das war -Erich Meyers Erwachen -- »denken Sie mal: Rom, Angelina Fabbro, rund an -allen Ecken ...« Cornelius merkte den lustigen Streich gar nicht, den -ihm die gespitzten Lippen spielten ... »wenn ich daran denke ... nun: -eigentlich dumm scheint Henrik Tofte nicht zu sein. Und diese famose -Geschichte geht noch weiter, Fräulein Kordula?« Erich Meyer rieb sich -die Hände. Dann goß er Kordula das Glas voll Sekt, ihr ganz allein. »Er -will verhüten, daß dir die Lippen trocken werden,« bemerkte Gwendolin. - -Ach ja, Cornelius war zum Ergötzen! Denn nun sprang er hinaus an den -Flügel und griff leise, gebrochene Akkorde, wie aus einer Harfe, ehe -das erwartete Lied ertönt ... Und Kordula Gunkel sprach: - -»Ich kann nicht sagen, daß ich darüber traurig geworden wäre. O nein, -Henrik Tofte ist nicht ein Mensch, vor dem man so leicht traurig werden -kann -- höchstens ein bißchen wehmütig wird einem ums Herz, wenn man -sieht, wie diese Fülle glänzender Gaben in den Staub fällt ...« - -Gwendolin sprang ihr mitten hinein in die Rede: »Das macht, man kann -keinen Glauben an ihn aufbringen, nicht einmal den Glauben daran, daß -seine unerhörten Gaben im Staube liegen bleiben könnten.« - -»Ja, so ist es wohl mit ihm,« sagte Kordula, »denn als ich damals in -Rom hinaus zum Bahnhofe ging und dachte: ›Nun sollst du diesen schönen -und bedeutenden Menschen an der Ecke stehen sehen als einen Paria des -Lebens,‹ da war mir, als hätte der Blitz in mein Herz geschlagen. Aber -hernach? Es war eine fast gleichgültige Begegnung und war kaum anders, -als wenn ich den Dienstmann Nummer 17 einen Weg schickte.« - -Gwendolin hatte noch keinem Erzähler mit tieferer Hingabe gelauscht. Es -war ihr -- und so war es auch Do und Jockele -- als reiche ihr nun das -Leben die Bestätigung ihrer Klugheit von einst. Und sie sagte: »Das ist -der Schadenersatz, den das ›Schicksal‹ dem Henrik gewährt für das, was -es ihm vorenthält: man kann kein Mitleid mit ihm haben! Deshalb ist es -ihm versagt, andere unglücklich an ihm zu machen. In dem Augenblick, -in dem er auch das noch fertigbringt, wird er zum ersten Male an sich -selber unglücklich sein.« - -»Du kennst ihn sehr gut,« sagte Kordula; »denn als ich aus der -Gregoriana fortgezogen war und in der Via Parma wohnte, war es mir, als -wär' ich einem finsteren Verhängnis entronnen: ich war seit dem Tode -meiner Eltern nicht mehr frohherzig gewesen, nun aber war ich's wieder. -Es war zwar ein wunderliches Vergnügen, dem ich mich hingab, aber es -war doch eins: ich baute mir in Gedanken das Leben Henrik Toftes aus -den Stücken zusammen, die von ihm in der Welt herumlagen. Kinder, -was wurde da für eine barocke Unmöglichkeit daraus! Alle Narrheit -und Weisheit, alles Licht und alle Finsternis, aller Ernst und alle -Kindsköpfigkeit, die je aus den Gedanken des großen Weltenbaumeisters -hervorgegangen sind, hat er in diesen Überschwung hineingepaßt, der -nun Henrik Tofte heißt! ... Neugierig ging ich nach ein paar Wochen -durch die Gregoriana -- da war drunten am Torstein des Hauses Nummer -5 ein Schild in vier Sprachen angebracht: ›Institut für schwedische -Heilgymnastik und Massage von Henrik Tofte.‹« ... - -Die Standuhr schlug Eins. Sie schlug in die verblüffte Stille, die -genau so lang war wie der Uhrenschlag. Dann brach das Lachen los. - -Frau Do aber ging hinaus und kam nicht wieder. - -So drängte sich das Leben mit Ungestüm im Haus am Horn. »Das Dasein -hat um Jockele und Frau Do ein ganz anderes Gesicht wie um andere,« -bemerkte Cornelius mit einem Aufgebot von Wichtigkeit. Sie saßen in -dieser Frühlingsnacht, bis der Morgen heimlich an die Fenster klopfte, -und waren doch nur vier junge Menschen, die sich nicht einmal von -anregendem Trunke locken ließen. Dann verfielen sie in ein lustiges -Raten, woher das käme. »Es ist die Nachbarschaft Goethes,« sagte -Jockele, und er hielt eine schöne Rede. Daran war zu merken, daß er vor -der peinlichen Frage: »Was wissen Sie von Goethe?« längst nicht mehr -zag zu sein brauchte. »Wer in Weimar lebt, hat die Pflicht, in jeder -Woche einmal nachdenklich daran zu werden, daß Weimar das Herz der Welt -ist -- diese Erkenntnis wirkt auf die Seele wie ein Sonnenbad auf den -Körper.« - -»Alle Sinne werden wach, wenn man in das Reich der Frau Do tritt,« -sagte Cornelius -- »was ich bin und habe, dank' ich ihr allein,« setzte -er hinzu. Er hatte leuchtende Augen. Und Kordula Gunkel war auf die -Schwelle des Musikzimmers getreten und ließ ihre Blicke wandern. Es -hingen da schöne und wuchtige Gemälde an den Wänden: der Folgefond, -wie er sich spiegelte in den dunklen Wassern des Hardangerfjords -- -von Henrik Tofte. Es war ein königliches Bild. Es hing an der Wand im -Speisezimmer der Skjoldefoß mit der Sägemühle -- auch von Henrik Tofte. -Groß und gewaltig in Farben und Auffassung. Es waren da Bilder von -Gwendolin aus den Schären und Holmen; dann die Insel der Auferstehung, -und der Anger im Walde von Ettersburg, den sie damals gemalt hatte, -als Jockele vor ihr erkennen wollte, wie viel weniger er könnte. Und -über den Flügel hin, als das einzige an dieser Wand, war ein Kopf -Beethovens, gemalt von Richard Schaffrath -- stark und tiefbeseelt -hingestrichen, ward er zu einem Erlebnis. - -O ja, es atmeten in diesem Hause Tat, Kraft und Wille zu Leben -und Schönheit. Und Kordula Gunkel hatte nun fünf Jahre an sich -vorüberstreichen sehen, fünf Jahre voller Dinge, die außer ihr lagen -wie ein Film. Das Herz war ihr müde daran geworden und das Auge -flimmrig. Darum lehnte nun Kordula an dem Pfosten der Tür und sagte: -»Es ist schön und wunderbar -- es ist ein Märchen.« Gwendolin aber -schenkte die Reste des Sekts aus den Flaschen in ihr Glas und setzte -sich samt dem Glas mit dem schäumenden Mützlein an die Spitze eines -Zuges; denn die anderen marschierten hinter ihr drein und legten -einander die Hände auf die Hüften. So schritten sie hinaus in das -Zwielicht des Vorgartens. Die Luft war weich und voller Verheißungen; -die Tulpen stiegen aus dem Rasen. So kamen sie bis vor den Erker mit -dem grünen Kupferdach, der aus der Stirnseite des Hauses springt. -Und Gwendolin hob das Glas und rief: »Schön und wunderbar bist du, du -Reich der goldenen Do! Wunderbar bist du und schön wie ein Märchen, du -Märchenhaus!« Und sie warf das Glas gegen den Stein, daß es jauchzend -zersprang. - -Da hatte das Haus den Namen, den es seit jener Stunde in der Stadt -trägt und im Reiche und darüber hinaus; denn wo Do und Jockele regieren -als König und Königin, das weiß die Welt. - - -Aber der irrt sich, der da meint: nun wäre die Geschichte alle, und -Frau Do hätte doch nicht ganz recht gehabt, als sie sagte: es wäre -bei ihnen immer schrecklich viel los; denn eine Woche danach -- der -Frühling brannte zeitlos gerade sein Eröffnungsfeuerwerk ab -- hurra! -da hatten sie im Märchenhaus ein kleines Mädchen. Das kleine Ding hatte -es nicht erwarten können! Kunststück -- wenn in der Welt an jedem Baum -ein grüner Zettel angeschlagen ist: »Heute Einzug Sr. Kgl. Hoheit des -Frühlings!« und wenn die bunten Fähnlein um alle Steine wehen und über -dem Rasen flattern -- ha, Kunststück! Und so war sie denn gekommen. -Gwendolin, die als die einzige dabei war -- denn Jockele rasselte in -einem gefährlich fixen Auto durch die Stadt, und sein überfallenes Herz -schrie um Hilfe -- die Allerwelts-Gwendolin sagte hernach: »Du hättest -dich gar nicht zu eilen brauchen, die Erbprinzessin sprang so vergnügt -in die Welt -- es fehlte bloß noch, daß sie heidi! rief.« Damit gab -sie auch Dos Kindlein den Namen -- in diesem Falle warf sie aber kein -Sektglas nach ihm. Sondern das war ein lustiger Zufall; und es lag in -diesem Namen ein so köstliches Befreien von der Überrumplung, die sich -die kleine Heidi geleistet hatte. -- Eine ähnliche Sache hatte sie sich -auch für späterhin vorbehalten, als sie die Buschgroßmutter besuchen -ging ... Das war ein sehr aufregendes Unternehmen. - -So war Heidi das Frühlingskind das wichtigste Ereignis seit der Taufe -des Märchenhauses. Die ruhevolle Kordula Gunkel erklärte: »Es ist nicht -nur ungeheuer viel los bei euch, nein, die Tage schießen in Kopfstürzen -über eure Stiegen.« Und damit hatte sie recht. Um so mehr wunderte sie -sich, daß von einem Jahrmarktsrummel in diesem Hause beim besten Willen -nicht geredet werden konnte; denn es wohnte besinnliche und gesammelte -Freude am Dasein darin; und die ist immer leise -- zum Unterschiede vom -Haus mit der Harfe, wo man zu den Fenstern heraussang, und wo der Knabe -mit der roten Zipfelmütze sogar an einem Wintertage mit verbürgten 17 -Grad Kälte vorm Gartentore an seinen Liedern in die Luft kletterte. - -Der ganze römische Winter war für Kordula nicht so voller Ereignisse -gewesen wie die erste Woche im Märchenhaus: Gwendolin verlobte sich; -Jockele arbeitete mit geheimnisvoller Hingabe an seinem Werk über -die Flechten -- so hieß es. Dann aber stellte sich's heraus: er -hatte einen Roman begonnen. Man riet sich über dem Titel und über -seinem Stoff leuchtende Augen und Herzen und riet daneben. An den -Abenden fehlte zwar die Märchenkönigin Do; aber Cornelius, Schaffrath -und der Professor Salzer waren dreimal da, und man sprach von der -Nachbarschaft. Es gab für die Leute im Märchenhause nur einen Nachbar: -Goethe. Man brauchte ja bloß zum Fenster hinauszulugen, da blinzelte -das heimelige Schindeldach durch Busch und Hecken ... An einem dieser -Abende war auch Erika Flucht da; denn auf den Spuren der endgültigen -Fassung des »Faust«, die Goethe im benachbarten Gartenhang vergraben -haben sollte, erschien mit jedem jungen Jahr, sobald die ersten Lerchen -schwirrten, dies Mädchen schön und wunderbar. Kordula wußte aus dem -Jockelebuch, was es damit für eine Bewandtnis hatte. Und Fräulein -Flucht war noch immer nett und so überzeugt von ihrer literarischen -Sendung wie vor Jahren. Die kluge Do aber blieb diesmal für sie -verschollen. Dagegen fand Erika Flucht in Salzer einen geistvollen -und launigen Zweifler. An ihrer Unentwegtheit änderte das nichts. -Aber die Menschen im Märchenhause waren so, daß auch das Mädchen aus -der Fremde ein Ereignis unverkümmerter Freude blieb. -- Dann wachten -die grünen Wasserfrösche auf, die Jockele noch am letzten sonnigen -Herbsttag in Belvedere gefangen und in seinem Gartenteich angesiedelt -hatte. Alle Bewohner und Freunde des Hauses versammelten sich dazu. -Nur Jockele war nicht mehr so bei der Sache wie am Karauschenteich -in Norwegen -- nun ja, es gab in dieser Woche für ihn mancherlei -Ablenkung. Aber es half ihm nichts: der ansehnliche Stoß Papier, den er -den Froschlurchen zuliebe vollgeschrieben hatte in naturforscherischem -Bemühen, durfte nicht unter den Tisch fallen. So nahm er Messungen -über den Ernährungszustand des grünen Teichvolks vor: es war genau so -dick in den fünfmonatigen Winterschlaf gegangen! Er fütterte sie mit -Regenwürmern, sogar kleine Molche ließ er sie vertilgen; und als sie -am dritten Tage Jockeles Schritt auf dem Gartensand hörten, hüpften -sie ihm entgegen und nahmen die Würmer aus seiner Hand. Nicht zu -glauben -- und dennoch eine Entdeckung rührender Intelligenz der grünen -Teichmänner, von der die gesamte Literatur keine Ahnung hatte! Jockele -war davon so überrascht, daß er die wonnevollen Frühlingsmittage dieser -Woche in forschendem Spiel am kleinen Gartenteich verbrachte. Darüber -mußte der Rausch des Dichtens in die Einsamkeit der Nächte verlegt -werden. Und es hätte niemand so leicht davon erfahren, hätte nicht -Kordula Gunkel das Geheimnis erspäht ... - -Dies alles fiel in die Woche vor Heidis Sprung in die Welt -- der -Gwendolin und ihres Schlachtenmalers gar nicht zu gedenken! Zu -allem: Kordula Gunkel war mit ihren Freuden seit ihrem Auftauchen im -Märchenhause keineswegs bloß neben die anderen gestellt -- nein, nein, -die fünf Jahre waren für sie vorbei, die ihr Augen und Herz flimmrig -gemacht hatten, weil sie immer nur zugucken durfte! - -Daran war Erich Meyer schuld. Auch an dem Hausschlüssel, den die -dunkele Kordula besaß. Jockele hatte ihr verständnisvoll seinen eigenen -gegeben. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß der blonde Erich mit -Eintritt der Dunkelheit von einer Schaffenslust befallen wurde, die er -am Tage nicht ahnen ließ ... Das kann hier nicht verschwiegen werden, -verwahrt sich aber im vorhinein gegen jede lästerliche Deutung; denn -im Grunde genommen war diese Eigentümlichkeit Meyers im Märchenhause -längst bekannt. - -Auf Katersteigen ging er nicht, o nein, er komponierte. Schon vor -Jahren, als er noch im Brückenhause wohnte, wo das Ilmwehr über seine -Einsamkeiten rauschte, hatte er des Nachts schöpferische Bedrängnisse. -Doch in jener Zeit wußte er sich nicht zu deuten, was nach Leben in -ihm rang. Da mutmaßte er, und er kam auf wunderliche Gedanken. Aber -dann später, im Haus mit der Harfe, wenn die drei Jungen, die neben -seiner Kammer schliefen, sich des Abends ausgetobt hatten, da hörte -er schöne lockende Saiten tönen über das Herz der Nacht hinweg. Als -ihm dies zum ersten Male geschah, dachte er, es wäre die Leier auf dem -Dache, an der sich der Sommerwind im Wandern vorübergriff. Da schrieb -er auf Notenpapier, was durch seine Seele zog. Und am Morgen dachte er, -er hätte geträumt. Aber das mit Noten bedichtete Blatt auf dem Tische -belehrte ihn anders. - -Seit er im Häuschen im Apfelgarten wohnte, und seit er den Flügel -besaß, wußte er: die Nacht war für ihn die schöpferische Zeit. Danach -richtete er fortan sein Leben: er komponierte an seiner Märchenoper; -oder in einem goldenen Meer von Tönen badete er sich durch Mitternächte -die Seele rein von dem Staube, der sich über den Klavierstunden am Tage -darauf gelagert hatte. Unterricht gab er nur noch nachmittags -- auch -das dankte er Do und dem Märchenhaus. - -Und zuletzt dankte er diesem Hause auch Kordula Gunkel. Ja, es war -Himmel um ihn, Himmel, wohin er griff! Nicht die Laute war es gewesen, -die ihn bestrickt, sondern er hatte noch nie ein Mädchen gesehen, das -den Kranz ihres schwarzen Haars so fromm um die weiße Stirne trug. Er -hatte noch nie eine so weiche dunkle Frauenstimme gehört, die sich -ins Herz schmeichelte wie diese und die so warm zu ihm sprach. Gleich -am ersten Abend, als Kordula auf der Schwelle stand und einkehrfroh -war, da hatte er an die heilige Cäcilie gedacht. Nun, eigentlich eine -Heilige war Kordula Gunkel nicht. Aber auch das fand Erich Meyer -wunderwunderschön an ihr. - -Kordula merkte schon am dritten Tage, wie das mit ihm stand. Alle -merkten es. Bloß: Erich Meyer wußte nicht, wie er so etwas machen -sollte ... - -Einmal ging Kordula mit Gwendolin im Garten spazieren. Sie sprachen von -Erich, und Gwendolin war von einer bedeutenden Lustigkeit -- natürlich -ganz heimlich. Da fanden sie Jo am Froschteich. - -»Er ist bei der Dressur,« sagte Kordula. - -»Jockele,« rief Gwendolin, »du mußt der Kordula deinen Hausschlüssel -geben!« - -Kordula war entrüstet. »Willst du mich hier etwa in ein verdächtiges -Licht setzen? Und meinst du, daß ich Meyern damit pfeifen soll?« sagte -sie leise zu Gwendolin. - -»Ja,« sagte die -- »so ähnlich; die Liebe ist ein Geist; sie lernt erst -reden, wenn du ihr ein Zeichen gibst.« - -Es ist nicht festgestellt worden, ob die gefährliche Gwendolin dem -Jockele eine Andeutung gemacht hat -- der Hausschlüssel lag gleich -danach auf dem Tisch in Kordulas Zimmer. - -Es war zwischen den Mädchen nicht mehr von dieser Sache gesprochen -worden. Aber Kordula dachte darüber nach. Gwendolins Weisheit von der -Abenteurerin fiel ihr ein -- die Gwendolin war doch ein mortsgescheites -Mädel! - -In der Dämmerung saß Kordula am geöffneten Fenster und ließ die -hohen Maßholder und die ersten Sterne sacht über sich aufblühen. Es -knirschten Tritte im Wegsand unter den alten Bäumen. Da steckte Kordula -Gunkel den Hausschlüssel in die Tasche, nahm ein Schultertuch und ging -ein bißchen in den Garten. - -»Sieh da, Herr Meyer! Gehen Sie oft hier ums Märchenhaus spazieren?« - -»O nein. Ich dachte, vielleicht träfe ich Jo oder Gwendolin oder sonst -einen lieben Menschen. Man hat sich schon so daran gewöhnt. Früher hab' -ich nach niemandem Sehnsucht gehabt.« - -Kordula blickte ringsum und sah die Kastanien des alten Schießstands. -»Sagen Sie, Herr Meyer, was ist denn eigentlich da oben? Es ist da eine -Reihe so schöner Kastanien.« - -»O,« sagte Meyer, »man kann von da aus recht gut in mein ›Landhaus‹ -gelangen, wenn man nämlich durch die Schlüpfe im Zaune geht, wissen Sie --- wo Minchen Herzlieb aus dem Jockelebuch den blühenden Mandelzweig -zwischen den Zinseln hindurchgesteckt hat, und wo die Kastanie steht, -in die Jockele damals seine Liebe eingeschnitten.« - -»Aha,« sagte Kordula, »wollen Sie mich da nicht einmal hinführen?« - -»Wenn es Ihnen nicht zu dunkel wird, Fräulein Kordula?« - -»Ach Unsinn!« - -Da wanderten sie miteinander ein Stück das Horn entlang und bogen dann -rechts in den Pfad zwischen den Gärten, der unter die Kastanien des -alten Schießstandes führt. Es war nun schon recht finster geworden -unter dem tiefhängenden Frühlingslaube. Kordula stieß an einen Stein. - -»Es sind wohl gar Stiegen in diesem Wege?« - -»Ja,« sagte Meyer, »wenn Sie erlauben, könnte ich Sie vielleicht -führen?« - -»Wenigstens über diese holperige Stelle.« - -»O, holperig sind hier alle Stellen,« sagte er. - -»Und finster ist es.« - -»Für mich kann es gar nicht finster genug sein, Fräulein Kordula, -ich lebe dann eine Art gesteigertes Dasein, und es fällt mir darüber -furchtbar viel ein.« - -»Ja? Ich habe gehört, Sie machen Ihre besten Sachen im Finstern, Herr -Meyer.« - -»Jawohl,« sagte er; »denn erstens spart man dabei Licht. Na, und -überhaupt ...« - -Sie gingen den ganzen Schießstand lang. Sie kamen auf einen Feldrain. -Sie kamen in das Kastanienwäldchen. Und sie kamen nach Oberweimar. Da -fand Kordula, daß es sehr weit wäre, bis zu Meyers Gartenhaus. »Ach,« -sagte er, »da sind wir ja gleich anfangs vorbeigekommen! Doch -- es war -so schön ... Ich habe ja noch nie das Glück gehabt, eine junge Dame zu -führen, Fräulein Kordula.« - -Da lachte sie. »Mein Gott, ich wollte aber Ihr Häuschen sehen! Und Sie -sagten doch, in der Nacht fielen Ihnen immer die schönsten Dinge ein?« - -»Erstaunlich schöne Dinge, Fräulein Kordula ...« - -Bis dahin war es ein bißchen dürftig zwischen ihnen gewesen; denn -Erich Meyer berührte die Erde nur mit den Fußspitzen. Kordula Gunkel -dachte: »Was ist er für ein lieber unbeholfener Träumer! Er fällt immer -tiefer hinein in den Himmel. Ich glaube, wenn ich ihn nicht festhalte, -verläuft er sich hinter seinem Glücke her.« Darüber fiel es ihr auch -ein: der Hausschlüssel wäre der Gwendolin wohl nun ein Sinnbild gewesen -und Erich Meyer wüßte vor lauter Freude wirklich nicht, wie man so -etwas mache. - -Aber solch ein Unterricht ist furchtbar schwierig ... - -»Es ist himmlisch, Fräulein Kordula.« - -»Woran merken Sie denn das?« - -»Es sind mir herrliche Dinge eingefallen auf diesem Wege.« - -»Sie sind sehr selbstsüchtig, Herr Meyer -- nun ja, weil Sie all die -schönen Sachen für sich behalten!« - -»Es läßt sich gar nicht in Worten ausdrücken, Fräulein Kordula.« - -»In Tönen etwa?« begann sie zu raten. - -»In Tönen?« fragte er erstaunt. »Na ja, da ginge es auch. Aber daran -dachte ich nicht. Ich dachte überhaupt nicht an Musik ...« - -»Herrgott noch mal!« begehrte sie auf. - -»Wie, bitte?« - -»Lieber Cornelius, ich glaube, Sie müssen sich gewöhnen, die Welt -herzhafter anzufassen.« - -»Ja, das muß ich wohl. Aber ich habe nun mal so leise Hände, und ich -habe doch ein so furchtbar heißes Herz. Sie ahnen gar nicht, Fräulein -Kordula, was dies Herz alles anstellen möchte!« - -»Ach, ahnen,« sagte sie, »natürlich ahn' ich es!« - -Darüber waren sie durch die Finsternis wieder zur Wildenbruchbank -gelangt, die auf dem Kopfe des alten Schießstands steht. Sie wußten -beide die Verse auswendig, die Wildenbruch dafür gedichtet hatte -und die in die Lehne eingegraben sind. »Weimar hat so viele Gaben -ausgestreut, dir zur Rast ein Plätzchen, Wandrer, schenkt es heut.« -Meyer sprach diese Verse in lockendem Tone vor sich hin. - -»Jawohl,« sagte Kordula, »hier wollen wir uns niedersetzen. Und nun -erzählen Sie mir mal ohne Scheu, was Ihr berüchtigtes Herz eigentlich -möchte; denn wenn Sie Ihr ganzes Leben betreiben, wie die Wünsche -dieses Abends, so werden Sie daran unselig. Wie ist denn das so mit -Ihnen gekommen?« - -Da war es, als täte er einen tiefen Griff in sein Herz und sagte: »Wenn -die Menschen sich dereinst nicht mehr einbilden, daß sie das Recht -besitzen, in dem Leben der anderen herumzuwühlen wie in ihrem eigenen, -dann geht das Seligsein schon auf Erden los.« Er holte das weither. -Aber er legte damit den Schlüssel zu seinem Wesen zum erstenmal in -die Hand eines Menschen. Selbst Do gegenüber hatte er das nicht -gewagt. »Ja, so ist es mit mir -- die Menschen sind von jeher um mich -herumgelaufen wie Gassenbuben: jeder hat eins der kleinen Fenster an -mir eingeworfen. Und ehe ich zu Sinsheimers kommen durfte, hab' ich -wohl ausgesehen wie das Haus eines Lumpenmanns. Sie haben alle in -meinem Leben herumgewühlt wie in einem lächerlichen Dinge. Deshalb ist -es so mit mir geworden. Erst durch Frau Do hab' ich Lust bekommen, dies -Haus des Lumpenmannes wieder ein wenig sonntäglich aufzuputzen. Und -nun möcht' ich es so schön haben, daß es auch Ihnen gefällt, Fräulein -Kordula. Meinen Sie, daß das ginge?« - -So darf sich die Wildenbruchbank am Horn rühmen, die wunderlichste -Liebeserklärung gehört zu haben, die je losgelassen worden ist. - -Kordula Gunkel war nicht schwerhörig. Sie sagte: »Wissen Sie was, -lieber Cornelius? Wir werden die Sache miteinander versuchen ... denn -das war es doch wohl, was ich ahnen sollte?« - -»Ja, liebe Kordula, das war es.« - -»Sie meinen, wir sollen uns heiraten, und dann ...« - -»Dann, Kordula -- Kordula!« - -Sie zogen nun die blaue Sammetdecke der Nacht ein wenig fester um sich -zusammen ... - -»Es ist alles gar nicht so furchtbar schwer, du, gelt?« lachte Kordula. - -»Ja, nun ist es sehr süß und sehr einfach. -- Komm,« sagte er nach -einer Weile, »ich zeige dir jetzt mein kleines Haus.« - -Da gingen sie den Wall entlang in der holdseligen Finsternis und -glitten durch die Schlüpfe im Zaun. - -Es war recht jämmerlich in dem Häuschen. Aber Erich Meyer fand es -herrlich. Es war viel jämmerlicher als in jenen Tagen, in denen Jockele -dort gewohnt hatte. Was darin stand, hatte Meyer des Abends von Do -herübergetragen. Der Stutzflügel füllte das Vorderzimmer, daß fast kein -Platz mehr blieb. Aber mit einiger Mühe gelangte man zwischen Wand und -Flügel hindurch in den Schlafraum. Da war neben dem Bett auch nur ein -schmaler Gang, in dem aller möglicher Kram aufgestapelt lag. Erich -Meyer hatte die kärgliche Stehlampe angebrannt und leuchtete an den -Dingen verliebt herum. - -So sah das Leben Erich Meyers aus. Es war ein Haufen Gerümpel, und -mitten darin stand der glänzende kleine Flügel. Aber es war zu merken: -eines Tages würde auch er untergegangen sein in den Dingen, die sich um -ihn sammelten. Der Flügel stellte Meyers Herz dar, und das ganze kleine -Haus Erich Meyers Leben. - -Und doch wurde Kordula Gunkel sehr vergnügt an allem, was sie sah. -Genau so hatte es ihr Gwendolin schon erzählt. Fünf Jahre lang hatte -sie vor ihrem Leben gestanden, wie viele Mädchen, und hatte dies Leben -gefragt: »Was soll ich denn nun tun?« Und dies Leben hatte vor ihr -gestanden und die Schultern gezogen. Aber in dieser Nacht sagte es zu -ihr: »Weißt du nun, was du tun sollst, Kordula Gunkel? Du bist vor -einem halben Jahre nach Rom gefahren und hattest den Mut, etwas viel -Schwereres zu vollbringen. Weißt du nun, was du tun sollst?« - -Ja, sie wußte es. »Du,« sagte sie, »da müssen wir gleich beginnen, -alles fest in die Hand zu nehmen.« Sie rückte den Stuhl neben den -Klaviersessel Meyers, und sie fingen an zu rechnen und Pläne zu machen, -und Kordula preßte die Pflugschar zur ersten Furche in das verqueckte -Land. - -Es war so, wie wenn ein Mann einen Acker gekauft hat, auf dem seit -Menschengedenken Sommer und Winter wachsen und ruhen ließen, was Wind -und Sonne an gutem und wildem Samen in die Scholle geworfen haben nach -ihrer Wahl. - - -Und am Ende der Woche, in der dies alles geschah, kam Heidi das -Frühlingskind. - -Kein Wunder, daß Gwendolin und Kordula in der Pflege um Do -wetteiferten. Sie wechselten in den Tag- und Nachtwachen ab, und -sie wußten nun alle drei, daß sie von dieser Woche noch zärtlicher -aneinandergekettet worden und daß ihr Leben auf einmal ein ganz anderes -Gesicht bekommen hatte. Die Herzen der Mädchen hatten heimgefunden und -sahen eine schöne lichte Straße, von der sie nun sagten: hier müssen -wir wandern. Und die gütige und weise Frau Do, die sich seit der -Mitte des Winters in beseligtem Erwarten ein wenig zur Seite gestellt -hatte, fühlte nun wieder inniger mit den Mädchen. So waren sie sich -in vollerem Glücke nähergerückt. Es gab neue Pflichten im Hause für -Kordula und Gwendolin, Pflichten, die sie heimlich ersehnt hatten, um -Do und Jockele ihre Dankbarkeit zu bezeigen. Und über allem schwebte -die fröhliche und doch wehmütige Zuversicht: in ein paar Wochen wäre -dies neue Leben schon wieder von einem noch neueren verdrängt. Danach -würden sie zusammenkommen als drei junge Frauen, jung und glückselig -und voller Erfüllungen und Geheimnisse ... - -So lief die Zeit. Es war anders geworden in allen Dingen, seit Heidi -das Frühlingskind Einzug gehalten hatte. Aber ein liebes heimeliges -Märchen blieb's, ja, es war noch lieber und heimeliger als zuvor. Do -fand das richtige Wort dafür und sagte: - -»Es ist ein Sommer der gekrönten Sorgen. Wißt ihr noch, wie wir damals -im Blockhaus auf der Osterinsel schon einmal an Hochzeit und kleinen -Ausstattungen bauten? Es ist jetzt viel schöner. Es ist jetzt so, wie -ich mir dachte, daß es sein müßte -- wir sind jetzt erst alle drei -daheim,« setzte sie in ihrer goldenen Innigkeit hinzu. - -Darüber wurden Sommer, Leben und Menschen immer fertiger und schöner. - -Zuerst hielten Meyers Hochzeit. Es war im Juni. Sie mieteten das kleine -Haus am Park, das vor Oberweimar an das Birkenwäldchen hingelehnt -ist. Man muß nur immer die breite Straße weiter gehen, die an Goethes -Gartenhause vorüberführt -- da ist es dann das erste linker Hand. Auch -wenn man abends vorbeigeht, erkennt man es gleich: hinter zwei Fenstern -des Oberstockwerks brennt eine grüne, hinter den zwei anderen eine rote -Lampe. Bei der roten sitzt Erich Meyer und verdichtet sein junges Glück -in Tönen. Kordula ist eine kluge, ruhsame und frohbewußte Frau. Deshalb -steht Erich Meyer in voller Blüte. Er ist nun Lehrer für Komposition -und Klavier an der Musikschule. - -Na, und Schaffraths? Die warteten noch auf das Haus, das in dieser Zeit -als Nummer 15 am Horn gebaut wurde. Sie wollten sich alle nahe bleiben -und auch in der Nachbarschaft Goethes, damit die grüne leuchtende -Parkstille ihnen durch Fenster und Herzen schiene und dazu die freudige -Blüte des Lebens, die im Märchenhause gedieh. - -So lebten sie bis tief in den Sommer hinein, und doch hatten die Tage -schnellere Flügel als je zuvor. Wie sich einer an den anderen reihte in -sommerlicher Helligkeit, waren Gwendolin und Do mit der kleinen Heidi -schon von morgens an unter den Bäumen des Gartens, oder sie saßen auf -dem Platze mit dem weichen geschorenen Rasen. Es war für jede Stunde -des Tages eine Stelle gewählt, an der es ganz besonders herrlich war. - -Jockele war nur mittags oder abends in ihrer Gesellschaft. Die -Monographie über die Froschlurche hatte er nun fertig und einem -Verleger übergeben. An dem Werk über die Flechten arbeitete er in -dieser Zeit nicht; es brauchte dazu noch weiterer Forschungen. - -So saßen sie auch einmal nach Tisch im Garten zusammen: Do, Jo und -Gwendolin, die die kleine Heidi auf dem Schoße hatte. Da planten sie -die »Flechtenreise«, die recht breit und besonnen sein sollte wie -ihr Leben. Jockele wollte nämlich mit Do und seiner Tochter in einem -Kutschwagen in das Fichtelgebirge reisen, dann die Kammstraße des -Erzgebirges entlang fahren, an den Hochmooren zwischen Böhmen und -Sachsen dahin, und so immerfort nach Osten bis in das Riesengebirge. -Sie dachten, es könne ein ganzer Sommer über jener Wagenfahrt -dahingehen; aber in dieser Zeit fingen sie die Reise in ihren -fröhlichen Gedanken schon an. Sie sprachen davon, was sie mitnehmen -müßten, wiewohl es bis dahin noch vier oder fünf Jahre dauern würde, -und sie malten sich aus, wie sie zu dritt ganz langsam durch die -Herrlichkeit der Bergwälder rollen wollten. Das wäre dann eine sehr -neumodische Art zu reisen; und eine neumodische Art, wieder zu dem -Genuß einer Reise zu gelangen und nicht nur zum Behagen am Ziele. »Es -gehört Zeit dazu,« sagte Jockele, »es gehört auch Zeit zum Leben. Die -Menschen haben diese fröhliche Muße verloren, aber ich will sie für -euch und mich erringen, selbst auf die Gefahr hin, vor der Welt ein -Narr zu heißen.« - -Do sah Gwendolin an. »Merkst du, wer ihm das eingegeben?« - -»Aha,« machte Gwendolin und tat den Jasminbusch ein wenig auseinander, -»schaut da nicht die Tante Veronika heraus?« - -»Natürlich,« lachte Do. - -»Und gleich neben ihr der Zigeuner,« sagte Jockele. »Wißt ihr: den -Kunstzigeuner hab' ich immer ein bißchen verächtlich angesehen -- auch -wenn er wirklich mal ein Genie war wie Henrik Tofte; die Gwendolin ist -ja ihr Lebtag viel zu besonnen dazu gewesen -- aber das Gottesgeschenk -der echten Zigeunerseele, das will ich mir wohl wahren! Denn es ist -eine Gnade, die ich vor anderen Menschen habe -- ich ganz allein. Ganz -richtig zu leben verstehen eigentlich nur die Zigeuner,« scherzte -er. »Aber zu solch einem Auserwählten hat's bei mir nicht gelangt. -Die Maljahre waren eine Hatz. Dabei wär' ich um mich selber gekommen --- es war ein Irrtum aus lauter Sehnsucht! Na, und dann tat Do ihre -Segenshände auf und erschuf mich vollends zum Menschen. Da wurde der -Naturforscher aus mir -- es war wieder ein Irrtum aus Sehnsucht. -Aber er war heilsamer. Und nun kommt das letzte: dies letzte ist der -Dichter. Es ist die Sehnsucht, jeden Tag dem lieben Gott einmal mitten -hineinzusehen ins Herz! Wem anders könnte diese Sehnsucht Erfüllung -werden als dem Dichter? ... So ist ein gerader Weg von dem Findling -auf der Schwelle des Frühlingshauses am Walde über den Malmenschen mit -seiner Unrast, dann über den Naturforscher, der in das Räderwerk der -Schöpfung eindringt -- ein gerader Weg bis hin zum Dichter. Und es -ist ein gerader Weg von dem Herzen der Zigeunerin durch das Herz der -Tante Veronika über das Herz Dos an das Herz Gottes -- hinter dieses -Geheimnis bin ich heute gelangt. So. Und da habt ihr die viererlei -Gnaden meines Daseins! Aber die Zigeunerseele, das Herz Dos und Heidi -das Frühlingskind fahren wir mal ins Riesengebirge spazieren.« - -Danach schlug sich Jockele in die Büsche gegen das Haus hin. Er -wollte wieder in sein Arbeitszimmer gehen. Auf der Straße flimmerte -die Sommerluft, die Frösche saßen am Teichrand und plumpten schon -längst nicht mehr ins Wasser, wenn Jockele vorüberschritt. Da tauchte -auf einmal ein Mensch über den Zaunlatten empor und warf ein paar -machtvolle Arme in die Luft ... - -»Henrik Tofte!« - -Dieser Name stürzte in den Mittagstraum unter den Bäumen wie ein Stück -Fels. Do sprang auf. Gwendolin duckte sich ein wenig, dann preßte sie -Heidi fest ans Herz und lief Do nach. Wahrhaftig! Im Torweg standen -sie: Henrik Tofte und Jockele. Und der Besitzer des »Instituts für -schwedische Heilgymnastik und Massage« in Rom schwenkte seinen echten -Panama, sah aus wie der liebe Gott, als er dreißig Jahre alt war und -noch den blonden Vollbart trug, und hatte sich zu diesem Besuch im -Märchenhaus einen nagelneuen Sommeranzug machen lassen. - -Aber es war zu merken: auch ohne diese Nagelneuheit hätte er vollwertig -ausgesehen. Ein Mensch, um den die Mädchenaugen flogen wie Sommervögel, -war er schon immer. Selbst die rote Mütze des welschen Gepäckträgers -hatte dem wenig Eintrag getan. - -Und nun war es Heidi das Frühlingskind, das den drei Erwachsenen über -das Herzbeben hinweghalf. Sie saß da auf Gwendolins Arm in ihrem -himmelblauen Kleidchen, streckte dem machtvollen Manne die Ärmchen -entgegen und jubelte ein helles Lachen um ihn. Das hatte sie vor einem -Fremden noch nie getan. Und sie machte das so reizend -- was ringsum -lebte, jauchzte mit. Da kriegte Tofte das himmelblaue Menschlein -zu packen, und es hing an seinem Herzen wie ein kleiner blauer -Schmetterling an einem Eichstamm und schlug vor lauter Sonnenfreude -mit den Flügeln. Es faßte ihm in den Nordlandbart und patschte ihm ins -Gesicht, und dem blonden Riesen liefen die Augen an vor einer Handvoll -Kleinkinderglück. - -Gwendolin lockte Heidi und wollte ihn von ihr erlösen; Mama wandte ihre -süßesten Liebkosungen an, aber Heidi blieb für alle verloren. Sie hatte -ihre Ärmchen auf Toftes Achsel gelegt und sah aus, als wollte sie, -vereint mit ihm, ihr Jahrhundert in die Schranken fordern. - -Dem Henrik Tofte gefiel dies holdselige Wunder ungemein. Ein bißchen -bänglich war ihm aber doch, und er fragte, ob er an dem Kleinen etwas -entzweimachen könnte ... - -Das war wieder einmal so bärenmäßig lieb von ihm, daß er für die Damen -zu seiner vollen Siegergröße emporwuchs. Und beruhigt setzte er sich -mit Heidi in Bewegung nach dem Schattenplatz unter der Ulme, wo schon -die Wildrose die Hagebutten aufsteckte. Heidi aber blieb bei ihm, bis -sie sich müde staunte an seinen Übermaßen. Gegen seine sichere Brust -gelehnt, schlief sie ein. Da legte man sie in den Wagen und fuhr sie -ein bißchen seitab unter die Bäume; denn Henrik Toftes Stimme dröhnte -wie der Skjold. - -Gwendolin war rasch einmal ins Haus gesprungen -- einer Erfrischung -wegen, die Fritz alsbald auftrug. Aber sie hatte ihm auch befohlen, -danach gleich zu Frau Kordula zu laufen -- Gwendolin brauchte durchaus -eine Seele, die sie von der elektrischen Spannung befreite. Ihre -Gedanken wirbelten durcheinander wie Herbstlaub, und in ihrer Not -verfiel sie auf Kordula. Unter dem Blätterfalle fand sie sich wieder -zur Ulme. - -Sie fand Jockele und Do fröhlich und gefaßt. Da wollte sie nicht -zurückstehen. Henrik Tofte saß in himmelheller Aufgetanheit dabei, -rauchte eine Zigarette und erzählte. - -Gwendolin sagte: - -»Ich glaube, es kommt vor Abend ein Gewitter -- die Frösche hupfen.« - -Dazu schwieg Do. Aber Jockele lachte die Gwendolin ahnungslos aus und -sagte, vor Witterungsverhältnissen ginge alle Frauenweisheit in die -Brüche. - -»... ja,« fuhr Henrik Tofte fort, »so war Angelina Fabbro ein etwas -wunderliches Erlebnis: ich machte mit ein paar Leuten Heilgymnastik und -sie nahm das Geld dafür ein, kaufte sich Spitzen und Süßigkeiten. Aber -was wollen Sie: Angela Fabbro war eine Römerin! Da hab' ich mich von -ihr fortgemalt. Mit dem Frühling bin ich losgezogen: er und ich, wir -nahmen unser Malzeug untern Arm, einer so reich an Geld wie der andere, -und im Mai gelangten wir in die Bäder von Lucca. Dort setzte ich mich -instand, so gut es nach zwei Monaten meiner Wanderfahrt in welschem -Straßenstaube ging. Ich kam gerade zur rechten Zeit. Ich malte da ein -Fischermädchen am Strand -- vielleicht hatt' ich einen guten Tag, -vielleicht warf mir das Schicksal einen Dummen zu: eines Morgens stand -in der Bäderzeitung ein Aufsatz ›Henrik Tofte als Erzieher‹ ...« - -Es trat eine Unterbrechung ein: stürmischer Beifall auf offener Szene; -denn »Tofte« und »Erzieher« waren Begriffe -- klafften da nicht Himmel -und Hölle dazwischen? - -Nach einer Weile fuhr Tofte fort: »Es wäre ein neuer Stern am Himmel -Italien aufgegangen, eine unerhörte Begabung säße am Strande, ein -Porträtmaler, dessen machtvolle Kunst wert wäre, vorbildlich zu sein -für die Welschen« ... Tofte sprach mit den Worten der Zeitung. Weiter -aber führte er nichts zu seinem Ruhm an; und es war zu sehen: selbst -das kostete ihm einen Aufwand an Kraft; denn Henrik Tofte hatte nicht -zwei Vergrößerungsgläser im Kopfe, wenn er sich selbst betrachtete. -»Nun, ich kannte weder den Aufsatz noch seinen Schreiber. Und als ich -davon erfuhr, dacht' ich: es ist ein Reklametrick der Bäderverwaltung --- ähnlich wird sie es jedes Jahr machen. Fortan war ich umdrängt. -Was ich in Lucca gemalt hatte, verwandelte sich in ein paar Stunden -in Gold. Nach drei Wochen besaß ich siebentausend Lire. Vielleicht -hätt' ich siebzigtausend machen können. Aber die Luft von Lucca ist -gefährlicher als die von Rom, und das Malen ist eine verdammte Kunst. -Nach drei Wochen hatt' ich es satt. Ich wollte einfach nicht mehr, -nein, ich wollte nicht! Was kann man da machen? Es kam eine kleine -Modellgeschichte dazu, aus der ein großer Skandal wurde. Ich schwur -einen Eid, nie mehr im Leben einen Pinsel anzufassen, warf meinen -Malkasten ins Meer und verschwand. Diesmal per Bahn. Ich hatte gedacht: -reich sein wäre schön. Nun war ich reich, fünf Wochen lang unbändig -reich; denn ich kam mit annähernd dreitausend Lire nach München und -lebte meinem Freunde Johnny mal was vor. Johnny befleißigt sich nämlich -an der Isar der Bildhauerei; neuerdings modelliert er eine Giraffe; er -träumt aber von einem Löwen ... Und wie ich so im besten Leben bin, da -wählt sich das Schicksal den Rolf Krake aus! Er schreibt mir einen -Brief und fordert mich auf: Tofte, fahren Sie nach Weimar und malen Sie -Frau Do für mein Haus auf der Insel! Ich schrieb ihm: Lieber Krake, mit -dem Malen ist es vorbei. Aber hartnäckig wie das Schicksal ist, läßt -es ihn wieder auf mich los. Da ist der Brief -- Rolf Krake mag reden, -verehrungswürdige Frau Do! Er ist der Mund meines Schicksals, und dies -Schicksal spricht: - -›Mit Ihrer Nachricht von dem jüngsten Eide, durch den Sie sich der -Malerei abgeschworen, teuerster Tofte, haben Sie den stärksten -Heiterkeitserfolg gehabt. Die Augen müßten Ihnen ja auslöschen, Genie, -wenn Sie Ihren Schwur halten wollten! Ich brauche das Bild der blonden -Frau Do in jedem Fall, und ich weiß, sie wird ihrem wunderlichen -Freunde von der Insel der Auferstehung diesen Wunsch nicht versagen. -Das Bild ist für die Nordwand im Krakesaal bestimmt. Ich habe dort -zwischen den beiden Mittelfenstern dunkelblauen Samt anschlagen lassen. -Es ist auch ein Vorhang aus dunkelblauem Samt angebracht worden, der in -schwerem Faltenwurfe über das Kunstwerk gezogen werden kann; denn kein -fremdes Auge soll dies Bild erschauen. Ich selbst aber will des Tages -eine Stunde davorsitzen, und dann soll der blaue Samt es mir nicht -verhüllen. Ich habe alle Götter abgesetzt, um die ich mich dereinst -bemüht habe. Aber zu jener blonden Frau Do kann ich noch beten. - -Sie fragen nach mir. Ja, ich bin gesund wie je, wenn ich allein war. -Nur vor Menschen wurde ich krank; deshalb gehe ich nicht mehr zu ihnen --- nie, nie, nie! Ich habe seit dem Tage meiner Rückkehr aus Hamburg -die Insel nicht mehr verlassen und werde sie nicht mehr verlassen. Ich -habe sie von Nane Thord erworben. Die soll hier wohnen bleiben bis an -ihr Ende. Das Mädchen Marit habe ich zurückgerufen -- wenn es einmal -käme, daß Nane Thord einer Pflege bedarf. Der große Anbau ist nun -mein Büchersaal. In Gwendolins Zimmer steht die Drechselbank, aber ich -brauche sie fast nie mehr, vielleicht im Winter. Ich benütze alle Räume -für mich. Nur in jenem, in dem Sie gelebt haben, teuerster Tofte, ist -alles unberührt geblieben. Oft, wenn ich an der verschlossenen Tür -vorübergehe, muß ich denken: es wartet dahinter auf Ihre Rückkehr. Ich -habe Marit Anweisung gegeben, daß Sie zu aller Zeit Zutritt zur Insel -haben. Der Schlüssel hängt im Turmzimmer am rechten Fensterpfosten. - -Gleich nach meiner Ankunft im Herbst habe ich in Schiffen beste -Walderde auf die Insel bringen lassen. Ich habe diese Erde -ausgebreitet. Ich habe durch Maurer alle Rinnen in den Klippen -schließen lassen, durch die sie hinabrinnen könnte. Und ich habe -ein heizbares Glashaus gebaut, in dem ich die betörenden Wunder -der Orchideen züchte. Über Winter hatte ich mir den Plan für die -gärtnerischen Anlagen der Insel gemacht. Es war kurzweilig und schön; -denn ich war darauf bedacht, den landschaftlichen Reiz des Eilands zu -erhöhen und ihn einzustimmen in den vollen und heiteren Zusammenklang -der Umgebung. Nun treiben die Rosen, wo vordem das Strandgras klirrte. -Nun stehen die silbernen Säulen der Birken, wo vordem wilde Halme -schossen, und nun grünen die Fichten in verschwiegenen Gruppen, und die -Krüppelweiden machen Köpfe und werden in nicht zu langer Zeit Höhlen -in ihren Stämmen bilden, damit die bunten Mandarinenenten darin nisten -können, die ich bezogen habe. Sie sind sehr zutraulich geworden. - -So treib' ich es, Meister Henrik! Des Morgens bad' ich im Fjord, auch -im Winter; denn ich fühle mich sehr wohl dabei. Die gärtnerische Anlage -ist so, daß ich stundenlang auf meiner kleinen Insel umherspazieren -kann und vom Strand aus in ein paar Jahren doch nicht gesehen zu werden -brauche, wenn ich nicht will. Nur den Himmel laß ich hereinschauen, -wo er mag. Ich glaube nicht, daß er einen Winkel in der Welt weiß, -der inniger ist als der meine, und ich glaube nicht, daß er je einen -Menschen sah, der glücklicher ist als ich‹.« - -»Schlicht und wunderlich ist Rolf Krake,« sagte Do, »und doch ist zu -erkennen: er lebt ein glückseliges Leben.« - -»Wollen Sie ihm seinen Wunsch erfüllen?« fragte Tofte. - -»Ja,« sagte sie, »aber es ist gut, daß Sie uns den Brief mitgebracht -haben; sonst hätte ich mich wohl nicht entschließen können.« - -»Warum denn nicht?« fragte Jockele befremdet. - -»Du solltest das doch verstehen.« - -»Nein.« - -Do blickte hinab auf ihre weißen Hände und schwieg. Da rekelte sich -Heidi im Wagen, und Mama war froh, daß sie zu ihr eilen konnte. -Gwendolin aber sagte zu Jockele: »Erich Meyers und Salzers himmlische -Liebe haben für Do nichts Aufregendes; aber bei Rolf Krake -- es -ist ja der reine Götzendienst! Ich glaube, seit den Abschiedsworten -Krakes, die er damals in sein Tagebuch geschrieben, hat Do öfter an ihn -gedacht, als wir ahnen. Sie ist sehr froh gewesen, daß sie ihm damals -in Hamburg helfen konnte. Und sie ist auch in diesem Augenblick froh, -weil sie weiß: sie hat ihn zu sich selber zurückfinden lassen.« - -Das Wort Gwendolins vom Götzendienst griff Henrik Tofte gleich auf; -denn Do kam mit Heidi zurück, und das Kleine lehnte sein goldenes -Köpfchen an Mamas Wange und hatte die Augen noch ganz voll blankem -Schlaf. So stand sie gerade vor dem Wildrosenbusch, der sich nun -hochsommerlich mit Hagebutten geschmückt hatte. Aber vor Toftes -Künstleraugen wuchs wieder das Wunder der rosa Blüte darüber. »Madonna -in Rosen,« rief Tofte. »So will ich Sie malen!« - -Da dachten sie alle an Rolf Krakes Tagebuch, und was er von den wilden -Rosen hineingeschrieben hatte. -- Es war seltsam. Aber Henrik Tofte -wußte es nicht. - -Kordula kam. Still, blühend und mit forschenden Blicken. »Es ist gut, -daß ich dich nicht geheiratet habe,« sagte Tofte zu ihr, »und es ist -auch gut, daß +du+ mich nicht gewollt hast, Gwendolin.« - -Kordula sagte: »Schön und begabt warst du immer, daß du nun aber auch -vernünftig geworden bist, ist neu.« - -»Vernünftig?« fragte er. »Nun, wie man's nimmt! Ich bin in meinem Leben -einem einzigen Menschen begegnet, der annähernd so unvernünftig war wie -ich: Angelina Fabbro. Und just an ihr bin ich bis zu einem gewissen -Grade vernünftig geworden. Ich beschränke seitdem meine Dummheiten auf -ein Mindestmaß ...« - -»... das bei Ihren machtvollen Maßstäben immerhin noch riesenwüchsig -sein wird,« sagte Gwendolin. - -»Je nun,« machte Tofte, »zu einem Narren reicht's wohl noch! Und Narren -sollen nicht heiraten. Die Ehe ist die Kunst der Weisen. Nur diese -ziehen das Wunder einer Blüte daraus. Bei allen anderen kümmert sie.« - -»Die Frösche hupfen nun nicht mehr,« sagte Gwendolin. - -Das wußten sie alle: in der Kunst Henrik Toftes war der Mensch -nicht zu erkennen; denn diese Kunst war die Stete -- der Mann, der -dahinterstand, die Unstete. Der Mann huldigte Seiner Majestät dem -Augenblick. - -Darum war es klug und doch unvorsichtig von Gwendolin, daß sie gesagt -hatte: »Die Frösche hupfen nun nicht mehr.« Als die Hochsommernacht -zwischen den alten Bäumen herniederhing und die Silberbrünnlein der -Sterne aus den blauen Gründen sickerten, war Gwendolin mit Henrik Tofte -noch einmal in den Garten gegangen, gleich nach dem Nachtmahl. Es kam -kein Gewitter, aber es wetterleuchtete doch ganz gefährlich. - -»Hast du denn nicht gesagt, ich sollte sieben Jahre dienen um Rahel?« -Das klang, als fiele in der Ferne ein Berg um. - -»Wohl,« sagte sie; dabei fand sie zum ersten Male die brüderliche -Anrede, aber er merkte es gar nicht; »hast du jemals daran gedacht?« - -»Nein,« sagte er. - -»Und bist nun gekommen, Rechenschaft von mir zu fordern -- von mir?« - -»Nein,« sagte er. »Aber es wäre doch lieb und gut von dir gewesen, wenn -du dich für mich armen Menschen aufgehoben hättest.« - -»Ah! Seit wann weißt du denn die Geschichte von deiner Armut?« - -»Seit heute,« sagte er. »Damals, als ich der Kordula am Bahnhof in Rom -den Gepäckschein aus der Hand nahm, war ich ein Millionär -- seit heute -bin ich ein Bettelmann.« - -»Du, das hört sich furchtbar tragisch an.« - -»Es ist auch so, liebste Gwendolin -- es ist weiß Gott so! Sieh, ich -bin zum erstenmal in meinem Leben in einem solchen Haus. Dazu hab' ich -dreißig Jahre gebraucht. Dreißig Jahre lang bin ich auf den Schwellen -herumgestanden und habe immer gedacht: es gäbe keinen König auf der -Welt außer mir. Nun kam dies Heute und hat mich vor ein Leben geführt -voller Liebe, Wohlhabenheit, Ordnung, gesammelter Kraft, Sonne und was -weiß ich! Darum ist mir's vorhin bei Tisch so auf die Sprache gefallen: -ein Rausch von Andacht vor diesem Unerhörten ... und deshalb hab' ich -mich nun heimlich von den anderen fortgeschwiegen.« - -»Ah pah, Räusche sind von kurzer Dauer,« sagte Gwendolin leichthin. »Du -siehst, es ist mit meinem Glauben an dich noch immer wie einst. Das -kommt daher, daß du nicht an dich selber glaubst.« - -Da riß er sie an sein Herz und küßte sie -- dreimal -- siebenmal ... - -»Siehst du,« sagte sie, »das ist alles, was du kannst: die Sekunde -kannst du überwältigen; aber dein großes und starkes Leben in deine -mächtigen Arme zwingen -- das kannst du nicht. Und willst du jetzt -wieder mit hineingehen? Was hätten wir zwei uns Neues zu sagen, das die -anderen nicht hören dürften?« - -Da gingen sie. Cornelius saß am Flügel. Richard Schaffrath und -Professor Salzer waren zusammen schon seit dem Morgen auswärts. Do und -Jockele sahen Gwendolin und Henrik an, was sie draußen miteinander -geredet hatten: es blieb immer das gleiche zwischen ihnen für und für. -Und beide wollten auch gar nichts geheimhalten vor den Freunden. - -Gwendolin sagte: »Es ist so, daß ich mich mit diesem gefühlvollen -Musikanten lieber verlobt hätte als mit dir; denn wären wir zwei -aneinander gefesselt gewesen -- wir hätten nach beiden Polen der Erde -gedrängt und hätten uns mittenauseinandergerissen.« - -»Jetzt aber dränge ich nach zwei Menschen: nach Richard Schaffrath -und nach mir selber,« sagte Henrik. »Ich warte mit Ungeduld.« Darüber -füllte er sich sein Glas von neuem und ging damit in den Wintergarten. -Er setzte sich in den Rohrsessel, Do gegenüber. »Mich allein haben Sie -am Rande stehenlassen, liebste Frau Do,« sagte er zu ihr. Es klang -wehmütig. - -Do wußte, wie es um solche Mollakkorde des Herzens bei Tofte stand. Sie -scherzte selten. Aber diesmal griff sie die Sache doch lustig auf und -sagte: »Wir Frauen haben mit den Männern unsere liebe Not. Die anderen -konnten sich nicht selber helfen: Jockele, weil er zu jung war, und die -übrigen, weil jeder einen sanften Sparren hatte -- wie unser Freund -Cornelius.« - -»Nun, einen sanften Sparren ...« - -»O nein,« unterbrach ihn Do, »der Ihre geht über unsere Kraft! Ein -Mensch wie Henrik Tofte hat auf sich selber zu stehen. Tofte, Sie sind -von hundert Frauen geliebt worden ... nein, nein, zu rechnen brauchen -Sie nicht! -- hat Sie eine repariert?« - -»Jawohl,« sagte er. - -»Nun, dann reisen Sie augenblicklich ab und fahren Sie zu ihr!« - -»Ich bin schon da, sagte der Swinegel.« Tofte sprach es mit dunklem -Klang der Stimme. Er hatte die Finger durcheinandergeschoben und senkte -die Stirn. »Ich bin schon da.« - -»Jockele,« rief Gwendolin, »komm doch mal in den Wintergarten! Vor fünf -Minuten hat mich das große Licht siebenmal geküßt, und jetzt erklärt er -deiner Frau seine ewige Liebe.« - -»O,« lachte Jockele, »soll ich mich deswegen erst in Bewegung setzen?« - -Aber Cornelius kam. Er rieb sich die Hände und schmunzelte. »Ich mag -derlei Dinge furchtbar gern sehen.« - -»Na, Meyer?« fragte Henrik Tofte. - -Da raffte sich Erich Meyer zusammen und sagte: »Mir scheint, die -Gassenbuben werfen Ihnen die Fenster ein. O, ich kenne das -- diese -Zeit hab' ich schon überwunden.« Dafür drückte ihm Gwendolin sein Glas -in die Hand und klang das ihre herzhaft dagegen. - -Aber mit Henrik Tofte war es an diesem Abend doch anders. Zu anderen -Zeiten war er immer mit geschwungenem Becher hoch über der Freude -dahingeschwankt. Heute saß er fromm in dem goldenen Lichte Dos. Und -so oft ihm ein Stein ins Fenster flog, merkte er besinnlich auf. -Gwendolin sagte: »Es geschehen Zeichen und Wunder, Cornelius! Komm, -wir beide setzen uns zu Jockele und Kordula. Ich will euch eine schöne -Rede halten über das Thema Henrik Tofte.« Sie faßte ihn unter, und nun -gerieten sie im Besuchszimmer an dem »großen Licht« in Lust. Die beiden -im Wintergarten hörten zu. Zuletzt sagte Tofte: »Liebste Frau Do, darf -ich einen Monat in dem Märchenhause bleiben? Einen ganzen Monat?« - -»Ja,« sagte sie, »Sie dürfen bleiben, solang es Ihnen Freude macht.« - -Man ging auch an diesem Abend zur gewohnten Zeit schlafen. Halb elf -Uhr; längstens elf Uhr wurde es, wenn Gäste da waren. Es hatte sich -seit dem Winter manches geändert. Heidi verlangte früh am Tage nach -Mama -- so ward der Tag länger. Und Jockele fand sich in das Wirken -der neuen Zeit nur zäh und ungesammelt, wenn er die Mitternacht in -Gesellschaft vorübergewacht hatte. Aber von dem Geheimnisse seines -Schreibzimmers war nicht ein Zipflein gelüpft worden, trotz List und -tastender Neugier. Und Gwendolin hatte in vier Wochen Hochzeit. So -trugen die Tage für jeden ein gerüttelt Maß freudiger Mühen, die Abende -Sehnsucht nach Schlummer. - -Aber Henrik Tofte schlief nicht. Er saß an dem offenen Fenster, an -dem noch im Frühlinge die hohen Maßholder und Sterne über Kordula -aufgeblüht waren, ließ die Nacht um sein Herz wehen und erlebte das -große Wunder. Nicht so, als ob er die Rede vom Segen dieses Hauses -weitergedacht hätte, die er am Abend vor Gwendolin gehalten. Und -nicht so, als ob er sich den Weg zu den kommenden Tagen mit guten -und tüchtigen Vorsätzen gepflastert hätte, weil in der dunkelblauen -Hochnacht so schön Zeit dazu war, die Gedanken auf einen Müßiggang zu -schicken ... - -Henrik Tofte stand am Anfang einer neuen hellen Straße und hub an zu -wandern -- ganz ohne Rausch und Plausch, ganz ohne Traum und Schaum und -ganz ohne Mahnung und Ahnung: es war das leibhaftige Wunder! Aber er -wußte es nicht. Wußte nichts von dem neuen Wege, schwur keinen Eid und -fühlte nicht, daß, der da saß vor der flimmernden Stille der Nacht, ein -Mann war, der ihm zeit seines Lebens noch nicht vor die Augen gekommen: -sondern er dachte: dieser Mann ist der blonde Skalde, Weber, Maler, -Heilgymnastiker, Anstreicher, Zirkusclown und Gepäckträger, den ein -verrückter Welscher sogar einmal für einen Erzieher gehalten hat ... - -Die Einbildung, daß er sich in diesem Menschen zurechtfinden würde, -hatte er schon längst aufgegeben, und damit mühte er sich nicht mehr -ab. Stunden, wie diese -- dachte er -- hätte er schon tausendmal -erlebt. Also: es wäre mit ihm wieder einmal alles in schönster Ordnung, -und der kleine Gefühlsausbruch in Tugend und Reue, den er nach dem -Nachtmahle gehabt, wäre glücklich überstanden. So dachte er. Und er -gelobte nicht: »morgen oder übermorgen, oder wenn es paßt, werde ich -der Welt mal zeigen, was eigentlich hinter mir steckt -- hah!« - -Von all dem keine Spur. Es war das leibhaftige Wunder. Henrik Tofte -wandelte rüstig auf der neuen hellen Straße und sah Do. Die kleine -Heidi legte ihr Köpflein mit dem gesponnenen Golde lieblich an ihre -Wange. Und hinter ihr stand breit und frühlingsoffen der Wildrosenbusch -und blühte und blühte. »Madonna in Rosen! So will ich dich malen -- in -dem kupferfarbigen Sommergewand und mit dem blauen Kinde!« - -Wäre es nicht das leibhaftige Wunder gewesen, das in ihm wirkte, so -wäre er nun in den Garten gestürmt, mitten in der Nacht, oder in den -Park, und hätte nach dem Lichte des Morgens gerufen, um eine ungeheure -Tat zu tun. Aber wenn er den Morgen dann erspäht hätte, wäre er müde -gewesen, hätte sich hingelegt und geschlafen -- drei Tage, wenn's ihm -gerade so paßte. - -Das alles tat er nicht. Er legte sich zu Bett. Und am Morgen fand er -sich pünktlich um acht Uhr an den Frühstückstisch, der so schmuck unter -der Ulme stand. Ein breiter Strom von Sonne stürzte von rechts herein. -Und Henrik Tofte sprach ruhevoll mit Jockele und Do über die Madonna in -Rosen, und daß er in diesem wundertätigen Frühlichte malen wollte. - -»Dies Licht ist nur eine halbe Stunde,« sagte Do. - -»So werde ich Sie viele Tage und immer nur eine halbe Stunde bitten,« -sagte er. »Wo ist Gwendolin?« - -»Sie nimmt den Kaffee auf ihrem Zimmer. Früher ging sie dann malen, -und wir sahen sie über Tag nicht. Sie wissen ja, wie sie es treibt. -Nun aber hat sie freudige Sorgen und Pflichten, die alle in diesen -vier Wochen erfüllt sein müssen. Für heut abend bittet sie Richard -Schaffrath und den Professor zu uns.« Und Jockele sagte: »Über Tag -richten Sie sich ganz nach Ihren Wünschen, lieber Tofte -- wie wir -uns nach den unseren. Ich arbeite zwischen den Mahlzeiten auf meinem -Zimmer. Wir wollen da nicht aufeinander angewiesen sein, nicht wahr?« - - -Abends waren sie im Garten unter stillen bunten Lampen. Schaffrath, -Salzer und Tofte schritten hin und wieder in nachdenklichen Gesprächen -um den großen Rasenplatz. Von der Gewaltsart, in der ihnen der Norweger -vorgestellt worden, spürten sie nichts. Da wuchsen sie freimütig und -männlich zueinander. Gwendolin merkte es, und die anderen merkten es -auch: das Wunder war geschehen. Nur Tofte ging daran vorüber und war -ahnungslos wie ein Kind. »Du hast dich an ihm verzeichnet,« sagte -Schaffrath zu Gwendolin, »du hast uns einen Riesen mit einem Kindskopf -gemalt und einen Seher mit einer Schellenkappe -- und nun ist er ein -ganz gewöhnlicher und aufrechter Mensch.« - -»Morgen werdet ihr ihn erkennen,« sagte Gwendolin. - -Es vergingen Tage. Einmal wanderten Schaffrath, Meyer, der Professor -und Tofte nach Ettersburg, ein andermal nach Belvedere. Sie waren fast -an jedem Abend zusammen -- aber sie erkannten ihn nicht anders als in -den ersten Stunden. - -»Was ist das mit dem großen Licht?« fragte Gwendolin. - -»Ich weiß es nicht,« sagte Do. - -Wenn es des Morgens die Zeit war, daß er malte, war er mit ihr und -Heidi allein im Garten. Es drängte sich niemand in diesem Haus um ein -wachsendes Werk. Am Ende der zweiten Woche fragte Do die Gwendolin: -»Hast du die Madonna gesehen?« - -»Nein.« - -Do blickte die Freundin aus ihren hochgemuten Augen an und sagte: »Dann -laß sie dir zeigen. Ich glaube, das Bild ist sehr schön.« - -»Hast du mit ihm davon gesprochen, Do?« - -»Nein. Du weißt, er wartet nicht auf ein Lob. Und was ich zu sagen -hätte, kam mir zu billig vor. Deshalb schwieg ich -- und weil es so -unerhört, weil es über jedes Maß ist.« - -»Es kann sein,« sagte Gwendolin. - -»Weißt du auch nicht, daß er sich über jedes Maß abmüht dabei, -Gwendolin?« - -»O, Henrik Tofte quält sich nie!« sagte sie. - -»Mir scheint, er weiß es selbst nicht. Aber er ist froh, daß das Licht -nur eine kurze halbe Stunde hält. Nur einmal sagte er, es läge wie -Spinnengewebe in seinen Augen.« - -»So wird er sich an deinem Lichte geblendet haben,« scherzte Gwendolin. - -»Ja, das sagte er.« - -Am Anfange der vierten Woche ließ Henrik Tofte das Bild auf der -Staffelei im Garten stehen. »Nun -- darf man kommen?« fragte Gwendolin. -»Fertig?« - -»Ja.« - -Da legte sie seinen Arm in den ihren und führte ihn hin. Wie sie -davorstanden, war es, als schlüge Gwendolin Wurzeln; und die Augen -liefen ihr über. »Tofte, Tofte!« sagte sie und legte ihre Hände auf -seine Achsel und ihre Stirn an seine Brust. Dann sah sie ihn an und -sagte: - -»Ich habe zweimal geweint, daß ich es weiß: einmal -- nun: ein andermal -... und jetzt! Du stehst ja selbst davor und möchtest weinen!« - -»O nein,« sagte er, »es ist fromm und freudig, ja, und es macht mich -sehr glücklich.« - -Dann wandten sie sich, und im Gehen sagte sie: »Ich habe recht gehabt: -so kann nur Henrik Tofte malen und der liebe Gott. Laß das Bild dort -stehen. Ich habe Richard und Salzer gebeten -- sie kommen vormittags.« - -Und als sie gekommen waren, standen sie alle um die Madonna in Rosen. -Gwendolin hatte nun einen ruhevollen Rahmen in altgoldener Tönung -darum gelegt. Und alle sahen: es war ohnegleichen. Ohnegleichen in -seiner Lebensfülle. Ohnegleichen in den warmen Schwingungen der Farben. -Kein Farbenrausch, der die atmende Schönheit der Natur erstickte. -Ohnegleichen in der schmuckhaften Anordnung. »Ein kostbarer Edelstein,« -sagte Richard Schaffrath aus einer tiefen Künstlerandacht heraus, »vom -Lichte des Gottes durchtränkt -- es ist ohnegleichen, ist ohnegleichen.« - -Henrik Tofte löste sich hernach aus dem Ringe der Freunde und ging in -sein Zimmer. Er dachte daran, daß die Zeit seiner Abreise nun nahe wäre. - -Mit dem Lobe der Freunde war es, wie wenn ein Mann einen Becher füllt -mit edelstem Weine, den er lange Jahre hindurch in seinem Keller -aufbewahrt hat für einen Tag, der recht herrlich und königlich über -alle seine Art hinauswächst. Und dies Lob dauerte auch genau so lange, -wie jener Becher braucht, um einmal die Runde zu machen. Dann war -es vorbei. Henrik Tofte hatte diese Menschen nicht zum ersten Male -vor die Schätze geführt, die verschwenderisch in ihn geworfen waren. -Man wußte: solches Verschwendertum ist eine Schöpferlaune. Aber es -wiederholt sich darin die Geschichte vom Distelfinken, dem der liebe -Gott aus jeder Farbschale den Rest auftupfte. Er verstaut an Gaben in -einen einzigen, was in seiner Werkstatt herumliegt und ihm gerade in -die Hände fällt. Und der Mensch, der also angefüllt ist, mag zuschauen, -wie er damit fertig wird. »Ja, so ist der liebe Gott mit Henrik Tofte -zu Werke gegangen,« sagte Gwendolin. »Es ist auch viel Sturm in ihn -hineingepackt, und das große Licht blakt nun in diesem Sturme.« Jockele -schupfte die Schultern: »Was wollt ihr? Es geht in dem reichsten Kopf -und Herzen eine ganze Bibliothek von Dichtungen zu Grabe, die nie -erschienen sind -- hat ein Dichter gesagt -- und selbst der liebe Gott -kann nicht jedem Tag ein Gesicht geben: es hat eben nicht jeder eins.« --- »Ja,« sagte Schaffrath, »so ist es wohl. Aber das sollt ihr wissen: -ich habe vor keinem Bilde die Schauer der Allmacht empfunden wie vor -diesem.« Sie sahen immer nach der Madonna hin, während sie so redeten. -Und Gwendolin sagte: »Ich mag dir diesmal nicht zustimmen, Jo; denn -ich weiß, Henrik Tofte hätte die Kraft, jedem Tag ein Gesicht zu geben, -wenn er nur wollte!« - -Da hatte sie einen schweren Stand und kam sich vor wie ein kleiner -Vogel, der in einen Flug Falken geraten ist. Aber sie wehrte sich -mit Frauenhartnäckigkeit und sagte: »Ihr werdet mich doch nicht -unterkriegen mit euren scharfen Schnäbeln! Es wäre besser, ihr fragtet: -was ist es, das dem Henrik hier in eurem Hause diese Gnade schenkte?« - -»Ho,« sagte der kluge Professor Salzer, »jetzt kommen wir dem Geheimnis -auf die Spur! Es ist der Segen der schönen Frau Do; es ist der Segen -des Vorbilds, das er sich diesmal wählte ...« - -So rieten sie sich heiße Augen und Herzen. Sie errieten vieles, aber -zum Kerne des Rätsels gelangten sie nicht; denn der Tag, der das letzte -Licht brachte, war ein Tag tiefster Finsternis. Und dieser Tag war noch -nicht gekommen. - -Henrik Tofte kümmerte das alles nicht. Er kümmerte sich auch nicht -um sich selber. Und er konnte nicht begreifen, daß die Menschen -sich um ihn stritten. Heute hatte er Lust, in einem offenen Wagen -hinauszufahren in die Wälder. Also rief er aus dem Fenster, ob sie -dabei sein wollten. Und dann bestellte er für nach Tisch drei Wagen aus -der Stadt. Die Madonna in Rosen schien über dem neuen Plan in ihm schon -in ewiges Vergessen gesunken zu sein; Gwendolin mußte Sorge tragen, daß -das Bild ins Haus kam und gefahrlos trocknete. - -Daß Henrik von einer Sehnsucht nach der grünen Stille der Wälder und -den sanften Farben der Erde in diesen späten Sommertagen geleitet -wurde, daran dachte er nicht. Er »beschloß« die Fahrt -- das war seine -Erklärung. Die stillen Stimmen, die sie ihm geboten, vernahm er nicht. -Das waren in diesem Falle seine Augen. Und in diesen hellen Brunnen, -die das Wunder des Lichts auf all seinen Glanz und seine Geheimnisse -durchspürten, lag zuletzt das Rätsel begriffen, das Henrik Tofte hieß. -Aber er wußte es nicht. Niemand wußte es. Deshalb hatte er zu Frau Do -gelacht über das Spinnengewebe, das in diese Augen fiele. - -Nun hatte er vier Wochen gemalt -- durch dreißig Jahre hatte er sich -nicht zu einem solchen Aufgebot an Kraft zwingen können. Er hatte vier -Wochen gemalt, und nun sahen seine Augen die Welt wie die Augen eines -Kindes, das fürwitzig ins Gesicht der Sonne geschaut hat: es hing für -sie ein leiser grauer Schleier um alle Dinge. Der war unendlich fein, -aber er war da. Und Henrik Tofte wußte es nicht; denn so war es für ihn -gewesen, solange er denken konnte. Es war eine Selbstverständlichkeit --- wie es für die Sterne eine Selbstverständlichkeit ist, daß sie nicht -in ihrem Glanze sind, wenn sie der Himmel nicht mehr braucht. - -Einmal im Hardangerfjord, ein einziges Mal, hatte er daran gerührt. -Das war, als ihm Gwendolin vorwarf: »Faulheit bei einem gewöhnlichen -Menschen ist ein Laster -- aber bei Ihnen, Tofte, ist sie eine -Gotteslästerung.« - -Da hatte er gesagt: »Diese Faulheit liegt in meinen Augen -- nur wenn -ich alle Wunder mit ihnen erringe, die im Lichte sind, dann will ich -malen. Ihr anderen, die ihr blind geboren seid, mögt das halten, wie -ihr wollt. +Mir+ sind die Augen an manchem Tag ausgegangen -- je nun: -die Sonne geht dem lieben Gott ja auch mal für ein paar Wochen aus!« -Da sagte Gwendolin: »Mit so schönen Worten deckt Henrik Tofte seine -Faulheit zu.« Weiter fiel dem feinhörigen Mädchen dabei nichts ein. - -Nach Mittag fuhren sie in die Welt. Auch Kordula und Erich Meyer -waren dabei, und es war noch Platz in jedem Wagen für ihre Freude. -Jockele, Do und Tofte saßen zusammen. In allen drei Wagen sprach man -von Henrik oder von der Madonna. Das Bild war ein Erlebnis. Aber im -vorderen, in dem Henrik saß, redete man auch von seiner Abreise und -von seiner Wiederkehr; die eine sollte morgen geschehen, die andere -in ein oder zwei Jahren. So fuhren sie durch die Ettersburger Wälder -und am Abend über Tiefurt heim. Für Gwendolin und Schaffrath gab es -an diesem Tage noch andere wichtige Dinge zu reden; denn übermorgen -hatten sie Hochzeit. Es war gar nicht zu verkennen: Tofte wollte diesem -Tag ausweichen. Gwendolin fand das seltsam, die anderen nicht. Aber er -hatte es so eilig, daß ihm Do die Sorge um die Madonna abnahm -- sie -wollte dafür tun, daß sie in Rolf Krakes Hände käme, wenn die Zeit da -war. - -Am anderen Tage schied Henrik aus dem Haus am Horn und ging wieder -nach München. Er mietete sich ein Atelier in Altschwabing -- das gab -eine Aufregung unter den Malern, die er kannte. Mister Johnny, der nun -wieder sein Nachbar war, hatte die Giraffe vollendet. »Ein dusterer -Einfall,« sagte Tofte. - -»Noch dusterer scheint mir Ihr Vorhaben,« lachte Johnny, »wozu in aller -Welt brauchen Sie einen Malraum?« - -»Arbeiten will ich.« - -»Haben Sie das in Weimar gelernt? Und ist aus dem Bild etwas geworden?« - -»In ein paar Jahren will ich es mir darauf ansehen. Bis dahin hab' ich -zu tun -- es ist die höchste Zeit.« - -Mister Johnny wunderte sich selten; aber Tofte sprach diesmal so, als -gäb' es kein Ausweichen vor sich selber. Zu anderen Zeiten hätte das -anders geklungen. »Ich modelliere jetzt einen Löwen,« sagte Johnny. -Dann führte er Henrik hinaus in den Garten. Dort stand ein Käfig, wie -ihn die Leute aus den Tierbuden von Jahrmarkt zu Jahrmarkt senden, -und ein leibhaftiger Löwe saß darin ... Nun ja, auch Mister Johnny -hatte seinen sanften Sparren. »Ich habe ihn von einem Menageriebesitzer -gemietet bis zum Oktoberfest,« sagte er. »Und gleich morgen wollen Sie -anfangen zu arbeiten? Ach, kommen Sie doch heute mit mir nach Dachau! -Morgen mittag sind wir wieder daheim, und Sie haben bis zum Abend noch -Zeit zur Übersiedlung.« - -Aber Tofte schlug es ihm ab; er hatte einen Einfall, der wog ihm heute -so viel wie eine Tonne Gold; gerade heute; denn gänzlich hatte er den -alten Henrik in Weimar nicht umgebracht. Er redete aber nicht davon. - -Abends, als Johnny schon längst weggefahren war, erschien Henrik mit -einigen Freunden und einem Löwenkäfig im Garten von Altschwabing. Sie -ließen den Löwen aus dem einen Käfig in den anderen spazieren und -entführten ihn so im Dunkel der Nacht. Am anderen Vormittage, kurz -vor der Heimkehr Johnnys, kam Tofte noch einmal und markierte in dem -geschorenen Rasen eine Löwenfährte. Er wurde damit fertig, und es war -nun sehr gut zu sehen, wie das Tier ausgebrochen und über den Rasen -gestapft war, wie es vor dem Zaun zum Sprung angesetzt und den Sand mit -den Klauen geschlagen hatte, ehe es in den Englischen Garten entwich. - -Nicht lange, so sprang Mister Johnny die Stiege im Nachbarhause -zu Toftes Malraum in langen Sätzen empor. Er riß die Tür auf und -berichtete, der Löwe wäre ihm davongelaufen. - -»Unmöglich!« - -Dann eilten sie miteinander hinab und sahen die Spuren im Gras und im -Sande der Wege. »Ha!« stöhnte Mister Johnny. - -»Man wird Ihnen einen Schabernack gespielt haben,« sagte Tofte. - -»Denken Sie denn, ich kenne die Löwenfährte nicht?« schrie Johnny. -»Halten Sie mich für einen Dummkopf?« - -»Im allgemeinen nicht.« - -»Und meinen Sie, ich hätte nicht einmal das bei meinen afrikanischen -Jagderlebnissen gelernt?« Dabei führte er Toften noch einmal auf der -Spur durch den Garten. »Er hat sich keinen Augenblick besonnen -- auf -dem kürzesten Weg ist die Bestie entronnen.« - -»Zu dichten brauchen Sie deshalb nicht -- sondern Sie müssen sofort die -Polizei benachrichtigen,« sagte Henrik; »mir schwant ein fürchterliches -Unglück.« - -Johnny enteilte. Er warf sich in ein Auto und fuhr zum nächsten -Polizeiamt. Dort wußte man nichts von dem Ausbruch eines Löwen. »Nun -ja. Vielleicht ist es erst vor einer Viertelstunde geschehen; denn die -Fährte war frisch.« Heimlich erwog Johnny, ob er nicht auch ausbrechen -und nach England entweichen sollte auf Nimmerwiedersehen. Finsternis -fiel über ihn bei dem Gedanken an das Unglück, das da drohte, und bei -dem Gedanken an die Rechenschaft, die man von ihm fordern könnte. -In rauchendem Wagen kehrte er nach Hause zurück. Es fiel ihm nichts -dabei ein, daß er Tofte in seinem Atelier fand und daß dieser sagte: -»Ich habe alle Polizeireviere Münchens und die Ortschaften über den -Englischen Garten hin angerufen und geboten, das Vieh zu erschießen, wo -es sich sehen läßt.« - -»Machen Sie, was Sie wollen!« brüllte Johnny, »ich reiße aus.« - -Das hatte Tofte geahnt. - -Und keine fünf Minuten vergingen, da rasselte der Wecker des -Fernsprechers ... - -»Hier John Williams.« - -»Hier Stationsvorsteher von Pasing. Es steht ein Löwe auf der Strecke -kurz vor Pasing, der Zug kann nicht einfahren -- ist das vielleicht Ihr -Löwe?« - -»Ach wo! Wie kommen Sie darauf?« - -»Ein Reisender sagt, Sie hätten Ihren Löwen als vermißt bei der Polizei -gemeldet.« - -»Fällt mir ja gar nicht ein!« - -»Um so besser. So werden wir ihn erschießen.« - -Johnny erbleichte. »Um Gottes willen ... Nicht erschießen! Ja, ja, es -ist mein Löwe! Er ist es -- mit größter Wahrscheinlichkeit. Aber nicht -erschießen -- der Spaß würde mich zehntausend Mark kosten!« - -»Gut. Wir wollen also sehen, was sich tun läßt. Schluß.« - -Tofte hatte das Kursbuch einstweilen in seiner Brusttasche geborgen, in -dem Johnny zuvor hastig geblättert hatte. »Der erste Akt!« sagte Johnny -zerknirscht und hing den Hörer an. Dann warf er die tausend Dinge -herum, die er auf den Tisch gestapelt hatte, warf sie in die Koffer, -warf sie wieder heraus und suchte das Fahrbuch und wußte es kaum. -Wieder rief das Telephon ... - -»Hier Erholungsheim Waldhaus.« - -»Wer?« - -»Wald -- haus, eine halbe Stunde hinter Pasing. Es steht hier ein Löwe -vor der Gartentüre ... Ist das vielleicht Ihr Löwe?« - -»Wie kann ich das wissen?« brüllte Johnny. - -»Wie, bitte?« - -»Lauter, lauter!« mahnte Tofte. - -»Teufel,« knirschte Johnny, »Teufel!« - -»Nein, ein Lö -- we, ein Lö -- we! Wir müssen ihn erschießen, wenn Sie -nicht augenblicklich Abhilfe schaffen.« - -Mit triefender Stirn sank Mister Johnny in den Stuhl. »Wollen Sie nicht -in einem Auto nachfahren?« rief Tofte. - -»Zum Donnerwetter, was soll ich denn dabei tun?« - -Und wieder gellte der Wecker, jäh, jäh und schüttete einen Haufen -Entsetzen aus ... - -»Hallo! Hier Hotel ›Zur Post‹ in Garmisch. Eben ist ein Löwe in unseren -Speisesaal eingebrochen. Ist das vielleicht Ihr Löwe?« - -»Herr -- gott!« stöhnte Johnny. - -»Nein, ein Löwe ...« - -»Was?« - -»Ein Lö -- we!« - -Der Hörer klirrte an den Haken. Mister Johnny preßte die Hände vor die -Ohren und irrte mit seinem Entsetzen durch den Raum. Dann schlug er -die Koffer zu, verschloß sie und zerrte sie zur Tür. »Es nützt Ihnen -nichts,« sagte Tofte, »längstens in der Halle des Bahnhofs hat man Sie -gehascht. Merken Sie denn nicht, daß Sie der Mann des Tages sind?« - -Das Telephon! - -Noch einmal wankte Johnny hinzu ... - -»Hallo! Hier Berghaus Zugspitze.« - -»Wer?« - -»Berghaus Zugspitze -- dreitausend Meter über dem Meere.« - -»Was gibt's?« - -»Es ist hier ein Löwe zugelaufen. Wir haben die Bestie eingekäfigt. Ist -das vielleicht Ihr Löwe?« - -»Ja,« gestand John Williams. Seine Kräfte gingen zu Ende. Aber Erlösung -träufelte in sein Herz wie Mairegen. - -»Sind Sie noch da? Wir fordern Sie auf, Ihr Eigentumsrecht ...« - -»Was?« - -»Ihr Eigentumsrecht geltend zu machen und das Tier spätestens morgen -abzuholen!« - -»Dem Himmel sei Dank,« sagte Mister Johnny, »das Leben wird mir in -dieser Stunde zum zweiten Male geschenkt.« - -»Das kann ich mir wohl denken,« begann Tofte nachdenklich. Es wollte -ihm scheinen, als hätte das Spiel seinen Höhepunkt wohl für die -Freunde, nicht aber für Mister Johnny bereits überschritten. Das ging -eigentlich gegen den Plan. »Je nun, die Welt ist nicht reich an Humor, -und wo er einmal wächst, soll man ihn nicht in der Blüte knicken,« -sagte er zu sich. Daß es mit der Geographie Johnnys mangelhaft bestellt -war, das wußte man -- o, Mister Johnny war ein Brite! Und so war es für -ihn durchaus kein Wunder, daß der Löwe die Strecke Pasing, Garmisch, -Zugspitze im Fluge weniger Minuten durchmessen. Die Freunde hatten ihre -Rolle ausgezeichnet gespielt, und dem Johnny war über der raschen Folge -der Ereignisse wirklich nicht der leiseste Verdacht aufgestiegen ... - -Oder doch? Und suchte er nun schweigend die Fäden zu entwirren? Sann -er darüber nach, wie die Lage für ihn zu retten wäre? Tofte wollte zur -Klarheit gelangen. »Hm,« unterbrach er die Stille, »schleierhaft bleibt -mir bei alledem, was das Vieh eigentlich auf der Zugspitze zu suchen -hat?« - -»Das ist mir ganz egal,« polterte Johnny los, »im Atlas klettern die -Löwen auch auf die Berge! Ich habe keine Zeit, mich mit Ihnen darüber -zu unterhalten, verstehen Sie? Die Frage ist jetzt: wie kriegen wir ihn -herunter.« - -»Nun, das ist doch sehr einfach: Sie telefonieren nach einem -Rollfuhrwerk, lassen den leeren Käfig zur Bahn bringen, geben ihn als -Passagiergut auf, und wenn es Mühe machen sollte, ihn auf den Gipfel -der Zugspitze zu bringen -- nun, so kann man die Bestie vielleicht -droben in ein Drahtgeflecht einnähen, anseilen und herunterlassen ... -O, das läßt sich dann schon machen.« - -»So!« brüllte Johnny, »und das nennen Sie einfach?« - -Tofte zog die Achseln. »Tja -- der kürzeste Weg zum Ziele! Das ist -stets der relativ einfachste ...« - -Auf einmal erklangen Männerstimmen -- von drüben aus den Fenstern -des Ateliers im Nachbarhause. Es waren die Maler, die an dem Scherze -beteiligt waren und zuerst in Toftes Malraum die Gegend erkunden -wollten. Tofte sah aus dem Fenster und rief hinüber: »Mister Johnny hat -mir den ganzen Tag zerdonnert. Der Löwe ist los!« - -»Der Löwe?« - -Da eilten sie alle herüber, stießen ihre Arme und ihre entsetzten -Stimmen in die Luft, und Johnny forderte sie auf, mit ihm die Zugspitze -zu besteigen, um den Ausreißer im Triumphe heimzuführen. Aber sie -lehnten ab. Tofte schützte Arbeit vor, die anderen vier fanden die -Sache zwar eigenartig, aber auch gefährlich. - -Es nahm nun alles seinen ordnungsmäßigen Verlauf: das Rollfuhrwerk kam, -der Käfig wurde aufgeladen, Mister Johnny ließ seine gepackten Koffer -im Atelier, reiste dem Käfig nach und -- ward nicht mehr gesehen. - -Die Koffer forderte er einige Tage später nach Glasgow -- woraus -zu schließen war, daß er die Zugspitze erklommen und dort sein -»Eigentumsrecht an dem Löwen geltend gemacht« hatte ... Nein, wieder -kam er nicht -- aber sein Ruhm hält in München noch für hundert Jahre. - - -In diesen Tagen war es, daß Professor Salzer die Tante Veronika -entdeckte. Er war auf einer Septemberwanderung im Thüringerwald. -Damit hielt er es schon immer; denn dies Fahren in bunten Blättern -und Träumen war für sein gesammeltes und weises Herz die Erfüllung -des Jahres. Und vor allem der letzte Sommer hatte ihm Veranlassung -gegeben zum Nachdenken über sich selbst. Ganz leise war die Jugend um -ihn her in ihren Frühling geflogen -- Kordula, Cornelius, Gwendolin, -Schaffrath, selbst Do und Jockele! Gott ja, sie waren ihm nicht -abhanden gekommen. Aber ihr Leben hatte einen neuen kraftvollen Schoß -getrieben, und Salzer war ein wenig aus dem Kurs gefallen. Nicht so, -als wäre man seiner müde geworden, o nein. Er fand nur: es wäre für ihn -in der Ordnung, ein bißchen zur Seite zu rücken. Manchmal, wenn er so -droben über den Dächern zwischen Einsamkeit und aufglimmenden Sternen -gesessen hatte, pochte es leis an sein Herz. »Herein!« Es war das -Glück. »Herr Professor, ich wollte nur fragen, ob wir zwei uns im Leben -vielleicht doch nicht so vollkommen eingerichtet haben, wie wir die -Jahre her dachten.« -- »Je nun,« sagte er und strich die Asche seiner -Importe ab, »im allgemeinen doch wohl ... trotz alledem! Etwas zu -wünschen bleibt ja immer. Sollten wir es nicht genau so weiter treiben?« - -Aber am nächsten Morgen, während das neue Licht einen herrlichen Kampf -mit den Nebeln ausfocht, fuhr auch Salzer in seinen Frühling, fuhr -stracks zu Tante Veronika. Er kam vor das Häuschen am Buchenschlag wie -die Sonne selber; denn er hatte am Abend zuvor herausbekommen, daß -auch die weise Frau vom Walde über den neuen Schossen, die das Jahr im -Märchenhause getrieben hatte, ein wenig zur Seite gerückt war. Und Frau -Do sollte ihn nicht umsonst die »Würze des Lebens« genannt haben! - -Tante Veronika war gerade im Gärtlein und schnitt mit der kleinen -Rosenschere ein bißchen am verblühenden Jahre herum. Sie hatte ein -violettes Morgenhäubchen auf den schneeweißen Haaren. Da stiegen auf -einmal zwei blanke Augen über den Zinseln des Zaunes hervor und darüber -der hellgraue Künstlerhut, der stets aussah, als wär' er erst am -Morgen aus dem Hutladen bezogen worden. Es gab eine große Freude; die -sah zuletzt aus wie eine Malve, die vom Scheitel bis zur Sohle und -ringsherum mit schönen rosa Blüten bedeckt ist; denn der Professor -wackelte an dem Zauntürlein ... Und als Tante Veronika drinnen den -Riegel zurückschob, feierten die beiden Leutchen das Wiedersehen so -herzfröhlich -- es konnte kein Mensch glauben, sie wären einander in -ihrem langen Leben nur ein einziges Mal auf fünf Minuten begegnet! - -Natürlich lugte das Mädchen Mali im Eckzimmer gleich ein bißchen -durch den Vorhang -- was es da draußen für einen Spektakel gäbe. Und -wie sie Herrn Salzer erkannte, der damals im Märchenhaus auch an -ihr vorübergestrichen war, und wie die Frühsonne so um die beiden -herumjauchzte, dachte sie: »Die Weisen aus dem Morgenlande!« So war -nun das Mädchen Mali! Die Malve wuchs indes immer weiter, und zuletzt -ward ein richtiges Feuerwerk daraus; denn der Professor wollte zwei bis -drei Wochen im Frühlingshause zu Gast sein -- der erste Herr, der darin -»Logierbesuch« war, wenn man das Zigeunerbüblein nicht rechnete. Man -denke! - -Die Mali lief im Haus herum, als wäre sie frisch geölt, und flitzte -über die Stiegen wie siebzehn Jahre. Und die Glocke über der Haustür -läutete in einemfort, geriet außer Atem und mußte abgestellt werden; -denn die Leute im Dorfe hätten ja gedacht, bei Fräulein Sinsheimer wär' -Feuer ausgekommen. - -Die Mali rückte gleich das ganze Häuschen in die neue Sonne. Nach -ein paar Stunden funkelte es bis ins Herz hinein. Nicht etwa, als -ob sie nun alle Winkel ausgestaubt hatte -- ach nein, Winkel gab's -hier nicht für solch beschauliches graues Dasein; sondern es war eine -lichte Gelegenheit, alle Fenster aufzustoßen an den beiden alten -Frauenherzen, und der Himmel fanfarte hinein mit schmetternden -Trompeten; denn auch der Tante Veronika war anzusehen, wie glückselig -sie war. - -Den ganzen Nachmittag saßen die alten Herrschaften in dem Eckzimmer, -durch dessen Scheiben damals das Zinzilein nach dem Herrn Prinz -geschaut hatte, weil sie ahnte, daß sie nun eine Prinzessin würde -- -saßen dort nach Tisch vor den Meißener Schälchen beim Kaffee, und -saßen dort beim Tee, als schon die Sonne ihr Königskleid über den -Wipfeln des Waldes raffte. Das Leben aber fügte in diesen klaren und -köstlichen Herbsttagen dem leuchtenden Sommerschlößlein, das den Namen -Veronika Sinsheimer führte, den Schlußstein ein. Um diese Zeit wurde es -fertig. Ja, es hatte lange gebraucht dazu, aber nun war es auch etwas -prachtvoll Schönes geworden und war ausgerüstet mit allen Kleinodien, -die auf dem Wege vom Auszug aus dem Himmel bis zur Heimkehr in ein -Menschenherz gelegt werden können. Zuerst hatte es fast so ausgesehen, -als wollte dies Leben dem Fräulein Sinsheimer seine Kargheit zeigen und -ein Weiblein aus ihr machen, wie sie da und dort an den Rändern stehen. -Nun hatte sie Kinder gehabt und hatte Enkel, ihr Herz hatte alles Glück -der Welt hundertfältig gespiegelt, und nun hatte sie auch den weisen -und fröhlichen Freund, der neben den herrlichen Blüten ihres Geistes -und Herzens bestehen konnte. - -Deshalb trugen die Stunden im Frühlingshaus Festkleider. Die gläsernen -Schränke und die Mahagonimöbel funkelten so, wenn Tante Veronika mit -ihrem Freunde vor den Meißener Tassen saß ... »Ja, ja,« sagte der alte -Herr, »mit dem Jockele sind wir noch nicht am Ende! Ich glaube, da -kommt noch einmal etwas zutage, das keinem von uns im Traum eingefallen -ist. Er hat sich dazu so herrlich auf sich selber gestellt, und uns -- -läßt er nicht einmal durch das Schlüsselloch gucken.« - -Tante Veronika spielte mit ihren Händen auf dem Rande des Tischleins -wohl ein schönes leises Lied. Und ihr Gegenüber, der Herr Salzer, -führte sie an seiner sicheren Freundeshand den Weg der Wunder: aus dem -Herzen der Zigeunerin durch das Herz der Tante Veronika ans Herz der -Frau Do zum Herzen des lieben Gottes ... - -Es war ein feines besinnliches Hinschauen. - -Dann redeten sie von weiser Frauenliebe und von dem Segen, der in ihr -ist. Von dem Fluche sprachen sie nicht; denn Fluch wächst nur aus -Leidenschaft. Liebe aber ist Weisheit ohn' Unterlaß und Einschränkung; -denn das Weiseste, was es gibt, ist der Verstand Gottes; und dieser ist -Liebe. - -So war der Herr Professor Salzer dem Märchenhaus in jenen Tagen -abhandengekommen. Niemand fand eine Spur von ihm. Auch Jockele nicht --- wiewohl er siebenmal die hundertneununddreißig Turmstufen emporzog. -Cornelius komponierte die Märchenoper und war weg. Gwendolin feierte -Hochzeit und war auch weg. Henrik Tofte? Ganz richtig -- zu ihm -gehörte das Fragezeichen. Schreiben tat er nicht. Tinte und Feder -waren für ihn sein Lebtag Dinge gewesen, die er scheute wie Gift. -Seine »Korrespondenz« hatte er sogar einen Winter lang von Nane Thord -besorgen lassen. Und das einzige Mal, wo er nachweislich geschrieben -- -damals, als er unter die Dichter gegangen -- hatte er das Manuskript -vor den Augen der Menschen verborgen. Er sagte: ums Leben könnte er -sich auch bringen mit Pinsel und Farbe. - -Da packte Frau Do mit dem Diener Fritz die »Madonna in Rosen« in -eine flache Kiste und schickte sie an Rolf Krake. Natürlich durfte -Fritz nicht sagen, was er dabei dachte -- aber auch für Do war es ein -wehmütig Beginnen. Dann setzte sie sich hin und schrieb an Rolf Krake -einen klugen und frohen Brief ... - - Lieber Einsiedler! - - Ihr Verlangen war seltsam. Aber wir dachten: Sie wollen einen - Menschen um sich haben, über den Sie Ihre weisen und närrischen - Gedanken hinausschicken können ins Leben, in das Sie nicht - einmal mehr zu Gaste kommen mögen. Sie haben sich einen neuen - Garten Eden geschaffen und fordern eine Gehilfin. Da ist sie! - Gwendolin sagt: »Geschaffen von den Händen Gottes ...« - - Sie haben sich nun an einen Platz gestellt, an dem für die - Menschen das Narrentum angeht. Wir im Märchenhaus aber sagen: - das Narrentum hört dort auf. Jeder soll es treiben, wie es sein - Glück fordert; denn auf der Welt gehört nichts inniger zusammen - als Leben und Glück. Vielleicht werden die Menschen nun Ihre - Insel die »Narreninsel« nennen und sagen: »Es lebt dort einer - mit einem Bilde!« Und sie wähnen, Sie wären der einzige. - - Die so reden, haben es zwar nicht zu dem Kleinod einer Insel - gebracht, aber zu Millionen leben sie sich an ihrem Dasein - vorüber und leben -- einem Bilde! Meist einem, von dem sie - nicht einmal eine klare Vorstellung haben. So kümmern sie sich - ihre Straße dahin und kümmern sich ins Grab; aber den frohen - Einsamen auf einer Insel nennen sie den Narren. - - Sehen Sie, so verstehen wir im Märchenhause den Brief, den Sie - an Henrik Tofte geschrieben haben. Er hat ihn uns gelassen - als Gastgeschenk. Wir lesen ihn oft und halten unsere Herzen - in sein warmes stilles Licht. Erkennen Sie nun: es war ein - Traum vom Leben, der Ihnen eingab, das Eiland die »Insel - der Auferstehung« zu taufen? Ein lieblicheres Ostern -- - wer könnte sich vermessen, es zu feiern? Die Menschen sind - Schiffer auf dem Ozean. Nach ihrer Insel steuern sie alle: - der eine nennt sie die Insel der Auferstehung, der andere - nennt sie Märchenhaus -- -- ihrer sieben gelangen in den - Hafen, dreihundert Millionen treiben daran vorüber. »Die Insel - finden!« stiller Freund, das ist die Weisheit, das ist die - Kraft! Und nun messen Sie Ihr »Narrentum« an diesem Leitsatze - des Lebens und sagen Sie getrost: »Es sei wie es sei -- meinen - Himmel hab' ich mir errungen!« - - Ich sage nicht: wenn Sie einmal Lust haben, in die Welt - zu fahren, so kommen Sie zu uns! Nein, schlagen Sie Ihre - Wurzeln frohgemut in Einsamkeit und Tiefe, und stehen Sie - unerschütterlich auf Ihrem Gelöbnis. Aber wenn Sie einmal - herüberzureden wünschen in die Welt der Menschen, so fragen - Sie -- mein Mann und ich werden Ihnen von dieser Welt so viel - erzählen, wie Sie hören wollen. - - Frau Do. - -Nichts als ein Brief! Und in den ersten Worten nicht einmal ganz frei -und nicht ohne die Sorge des Weibes, das eines anderen ist. Aber nur -in den ersten Worten. Die sollten dem Robinson sagen: »Siehe, so ist -mein Bild gemeint! Und weil wir es so meinten, hast du es mit Freuden -bekommen.« Aber dann war alle Befangenheit von ihr abgefallen. Sie -erinnerte ihn nicht pharisäisch an die große Dummheit seines Lebens und -sagte: »Das werden Sie nicht wieder tun« -- sondern sie krönte seinen -Sieg. Und sie sagte ihm: »Es gibt von alters her auf Erden sieben -Weise; sie sterben nicht aus; darum ist ihr Sinnbild zu den Gestirnen -des Himmels erhoben. Es sind nicht Sterne erster Größe, aber siehe, du -bist einer dieser glückseligen Sieben. Freue dich!« - -Von sich selber sprach sie kein Wort. Aber sie ließ ihn ahnen: dein -Leben ist nun klug und klar, und es ist ein Leben der Fülle -- trotz -alledem! Es ist ein Sinnbild für die dreihundert Millionen Toren, -die jeden einen Narren heißen, der nicht die Schellenkappe trägt wie -sie ... - -Jockele war zu ihr an den Schreibtisch getreten; das Fenster stand -offen, die kleine Heidi lag drunten im Garten in ihrem Wagen und -schlief. - -Nun sprachen sie von Rolf Krake aus ihren hochgemuten Herzen. Do -lächelte und sagte: »Haben wir es denn anders gemacht als er?« - -Da sah er sie erstaunt an. »Ganz anders.« - -Sie aber machte ihre Siegeraugen. Und er sagte: »So hast du mich nicht -mehr angesehen, seit -- ich glaube seit damals, als ich die Gwendolin -heiraten wollte.« Es war sehr lustig. - -»Dann hast du wahrscheinlich in all den Jahren keine so vollendete -Dummheit in die Welt gesetzt, liebster Jo.« - -»Vor den Siegeraugen hab' ich noch den gleichen Respekt wie damals,« -sagte er. Dann zog er sie aus ihrem Schreibsessel empor und führte sie -in den Garten, und sie spazierten Arm in Arm unter den schönen alten -Bäumen. Es war eine heimelige Stunde, leise und voll von dem warmen -Lichte des Mittags. - -»Nichts als ein Brief,« sagte er, »aber du hast damit wieder einmal -einen Wegstein aufgerichtet für Rolf Krake -- und auch für uns. Der -Sommer im Fjord war der Reisesommer: es flimmerte fremde Sonne hinein. -Dann kam der Winter der Freunde oder der Gesellschaften. Im neuen -Frühling fühlte man so sachte vor nach sich selber. Und nun will alles -schön und klar werden ...« - -»Nun haben wir unsere Insel,« sagte sie, und wieder blühten ihre -Siegeraugen. »Nun, es ist wohl die Art ernster Frauen, daß sie ihr -Leben früher anfangen, bewußt zu leben, früher als die Männer. -Vielleicht kommt das daher, daß sie die Grenzen ihres kleineren Reiches -besser übersehen.« - -»Es ist bei uns Männern das heiße Begehren nach der Tat, oft nach einer -unerhörten Tat. Darüber stellen wir uns in Sturm und werden getrieben -und bilden uns ein, wir wären der Sturm selber. Es ist bei euch Frauen -einfacher.« - -»Es ist gar nicht einfacher. Von den Frauen verstehst du noch immer -herzlich wenig, lieber Jockele -- trotz deiner umfangreichen Sammlung -von Erfahrungen,« setzte sie lächelnd hinzu. »Wir geraten in unserer -Mädchenzeit an Knaben, von denen wir uns vorreden, sie wären Männer. -Und wir werden spielerisch. Zuerst fangen wir an, uns mit äußerlichem -Kram zu behängen -- und von Stund an ist die Mehrzahl der jungen -Mädchen ruiniert fürs Leben. Aller Sinn für den wahrhaften Schmuck des -Daseins geht ihnen verloren. Aber der für den Jahrmarktströdel bleibt, -wächst, wuchert und verqueckt uns das Herz.« - -»Ist dir das alles über dem Brief an Rolf Krake eingefallen?« - -»Warum?« - -»Du hast noch nie so hart geredet.« - -»O ja,« sagte sie, »aber nicht oft, und du hast auch wohl nie mit -so willigen Ohren zugehört. Oder denkst du, ich wäre damals aus dem -reichen Hause meines Vaters in das Gartenhüttchen am Horn geflohen und -hätte mein Leben auf Biegen oder Brechen gestellt, wenn ich das nicht -gewußt hätte?« - -Sie hatten ihre Arme fest ineinandergelegt und wanderten zurück bis -in jenen Tag, an dem sie einander im Apfelgarten zum ersten Male -begegnet waren. Und sahen ihr Leben an. Es stand vor ihnen wie in der -Kristallkugel der Buschgroßmutter. - -Davon sprachen sie nun. Jockele kannte dies schöne Märchen von Tante -Veronika. Er hatte es lange, lange nicht mehr erzählt -- zuletzt wohl -droben im Hardanger Fjord am Herdfeuer. Da hatten sie alle zugehört, -und Gwendolin hatte gesagt: »Paßt auf, wir erleben es doch noch, daß -aus dem Naturforscher der Dichter wird.« - -Durch das grüne Dämmerlicht unter den hohen Bäumen sah Jockele die -Bilder in der Kristallkugel aufgehen und merkte gar nicht, daß er -zu atmen vergaß -- genau wie damals, als ihn die Tante Veronika zum -ersten Male vor das Haus der Buschgroßmutter geführt hatte. Es war ein -Novemberabend gewesen, und der Bergwind lief ums Haus und sang. Als ihn -das Mädchen Mali dann zu Bett brachte, hatte er zu ihr gesagt: »Wenn -es wieder Frühling ist, wollen wir die Buschgroßmutter besuchen. Ich -nehme meinen Schirm und fort geht's!« -- »Na ja,« hatte ihn die Mali -vertröstet, »vielleicht im Frühling. Aber das Gebirge der Riesen ist -schwer zu besteigen, und die Riesen sind auch keine netten Leute.« -Dies Zwiegespräch hatte Mali der Tante Veronika berichtet; denn das -sollte sie. Und Fräulein Sinsheimer sagte: »Sooo! Dann müssen wir das -in den nächsten Tagen reparieren; denn fürchten darf er sich nicht.« --- »Überhaupt diese Schauergeschichten ...,« warf Mali ein. »O, die -sind herrlich,« behauptete Tante Veronika. »Ich besitze gar nichts -Schöneres, was ich in den Jungen hineinspeichern könnte; aber ich habe -es wohl nicht richtig gemacht.« Und gleich am nächsten Abend erzählte -sie wieder. Das Mädchen Mali durfte zuhören, und es war so schauerlich, -daß sie ganz heimlich die Füße unter ihren Sitz zog, weil sie merkte: -die große Kreuzspinne spann sie ein, die sich die Buschgroßmutter als -Haustier hielt. Dem Zigeunerbuben aber legten sich die blanken Fäden -dieser Phantasien schimmernd um das Herz. - -Wie viele Jahre waren seitdem vergangen! Und nun stand ein Mann vor der -Kristallkugel der Hexe im Baumgarten am Horn, sah die Bilder seines -Lebens darin und sagte: »Es ist gar kein Märchen!« - -Nein, es war das Leben! Und der Sinn der Rede, daß es ein Aber habe mit -Männern, in deren Leben die Frauen nicht eine ungeheure Rolle spielen, -ging ihm erst auf in dieser Stunde. Vor anderthalb Jahren an der -Hochzeitstafel hatte er das so hinausgeschmettert aus seinem ungestümen -Herzen. Es war nicht darin gewachsen. Darum hatte er es auch in seiner -Art verstanden -- nicht so wie die ältere Dame, die »O« sagte, aber -auch nicht viel tiefer als die anderen. Freilich hatte er hinzugesetzt: -»Was mich betrifft, so werde ich mich in die Sonne meiner Frau stellen, -wie sich die Erde stellt in das Licht des Frühlingshimmels.« Nun ja, -das hatte einen ergebungsvollen Klang gehabt und war auch vorsatzfroh -gewesen. Aber man kennt das; und beides war nicht ungewöhnlich für -einen jungen Hochzeiter, dem das Zigeunertum nur so aus den Augen -blühte. Aber verstanden? Verstanden hatte er es nach seiner Kraft, und -etwa wie Hanna von Fellner, die daraufhin mit ihm wettete. - -Daran dachten sie nun. Und sie wußten: Hanna hatte die Wette verloren! -Jockele war ein Mann geworden mit allen Erkenntnissen. Und es kam -eine Allgewalt über ihn -- da faßte er Do an den Hüften und hob sie -empor und schmetterte einen Jauchzer über sie. Als sie wieder auf der -Erde stand, preßte sie die Hände an die Schläfen, denn seine Wildheit -brauste ihr durch die Adern. Er aber sagte ganz fromm zu ihr: »Du liebe -Wundertäterin!« - - -Als es wieder Frühling wurde, ging Heidi im Rasen auf wie eine -Tulpe. Sie trippelte von einer Blume zur anderen und trank die -blühenden Wunder der Erde in ihre Augen. Jockele dachte: »Wenn sie -im nächsten Jahre kommen, kann ich ihr die schöne Geschichte von der -Buschgroßmutter erzählen.« Es war ein ungeduldiges Warten in ihm -- er -wollte auch sein Teil an der Kleinen haben. Und die verfallende Hütte -der Buschgroßmutter stand in seinem Herzen noch genau so, wie sie die -Tante Veronika darin aufgebaut hatte. Sogar der Waldkauz brütete noch -über dem Türpfosten, und kein Sturm, der in den Jahren durch Jockele -gebraust war, hatte das Spinnennetz zerrissen, das vor dem windschiefen -Fenster hing: die dicke Spinne mit dem blanken Kreuz auf dem Rücken -lauerte noch darin -- genau wie damals. - -Ach, vieles, vieles, wovon sich die Erziehungsfreude der Tante -Veronika Wunder versprochen hatte, war verflogen -- dachte er. Aber -die verstaubteste, hübscheste und geheimnisvollste Hexenhütte, die -je ein Märchenmund gedichtet hatte, die war stehengeblieben. Und die -wollte Jockele seinem Frühlingskinde mitten hineinbauen ins Herz; denn -wie Papa sollte Heidi in jeder Woche einmal darin einziehen und ihr -Zauberglück finden, weil es so wunderschön war. - -Um diese Zeit begann er, für Heidi zu dichten: kleine Blumen, kleine -Blätter, die er über sie warf und die sie mit ihrem jauchzenden -Herzlein fing. Dazwischen führte er sein Werk über die Flechten nun -doch zur Vollendung. Er reiste an die Hochmoore des Erzgebirges und -Bayerns; er durchwanderte die Schründe der Sächsischen Schweiz, wo die -Flechten um die Felsenzinnen blühen. Das Riesengebirge lag noch zu tief -in den Jahren, und er fühlte, wie er der Naturwissenschaft aus den -Händen wuchs. Alles drängte in ihm nach einem Abschluß; denn der hatte -noch gut Platz in der Zeit, in der der Dichter in ihm nicht ganz daheim -war. - -Wie alle Dichter, so fing auch dieser mit sich selber an. »Die halben -kommen nie darüber hinaus,« sagte er zu Do; »ich aber will mich -weit dahinten lassen. Es soll nicht etwas Windiges werden, was ich -da schreibe, und nicht ein kärglicher Abklatsch des Daseins. Es ist -Schwachsinn, eine Dichtung über den Leisten des Lebens zu schlagen. Was -soll dann weiter daraus werden als ein Schusterwerk? Nein, der Dichter -muß sich den Weltplan vom lieben Gott dazu borgen. So etwa: ›Gib her, -ich werde jetzt einen Roman schreiben und will darin erschaffen, was -du mit der Welt mal vorgehabt hast; denn ich bin besser daran -- mir -können die Menschen mein Werk nicht verpatzen, wie sie es dir täglich -tun!‹ Wenn man von einem Romane nicht sagen kann: er ist ein schönes -Märchen, dann ist er in der Regel miserabel.« - -Das war das erste und letzte, was Jockele über sein Dichten zu Do und -den anderen sagte, bis zu jener Wagenfahrt ins Riesengebirge. Aber das -merkten sie wohl, daß er der Ansicht war: ein vollkommenes Märchen -wäre die wahrhaftigste und wahrhafteste Dichtung, die sich ersinnen -ließe; denn es steht darin: alle Schöpferweisheit und Teufelslist, -alle Menschenklugheit und Torheit, alle Tücke und Liebe -- und das -eindringlichste und beredteste Weltbild ist fertig. »Laß dir nicht in -deinem Leben und Dichten herumwühlen von den Menschen!« sagte er. - -»Mich deucht, das wäre ein gutes Nachtgebet,« sagte Salzer. - -»Ja -- für alle; aber zumeist für die Dichter.« - -So schwang sich aus den Frühlingswiesen des Lebens alles in die -Bahnen, auf denen es dereinst schön und kraftvoll zu den Höhen des -Daseins gelangen sollte. Aber stetig und unwandelbar in den wandelnden -Jahren blieben Dos und ihres Mannes Herz: das eine in seinem stillen -klaren Licht -- und war ein Segen für und für; das andere in seinem -weltseligen Zigeunertum: ewig unrastig und voll stolzer Träume, dabei -immer bedacht auf die ruhevolle Breite des Lebens -- und doch ohne -Sturm; stets voller Blüten und voll der fröhlichen Weisheit des Glücks. -»Es ist das Erbgut der Männer meines Volks,« sagte Jockele, »als Könige -der Pußta tragen sie den Himmel in den Augen, und von dem Golde der -Sterne -- den fliegenden Tropfen des großen Weltenozeans -- ist ein -Glanz in unsere Herzen gespritzt.« - -Gwendolin lächelte über diese Worte dahin. »Es scheint, den -Pußtawanderer Adalbert Stifter trägst du stets auf der Brust.« - -»Nein, mitten darin,« bekannte er. - -Aber Gwendolins Rede war nicht mehr frei wie einst. In ihren Augen lag -nicht mehr die stürmende Fülle. Und in den Klang ihrer Stimme fand sich -die Wehmut. - -In einer Juninacht saßen die drei Frauen und Jockele im Garten, unter -der Ulme, und tranken Erdbeerbowle. Der Mond kämpfte sich blutrot -hinter den Büschen herauf. Heuduft schwebte von den Parkwiesen hoch. -Da erhob Gwendolin ihr Glas gegen den Mond und sagte: »Noch eine halbe -Stunde, du lieber Nachtgesell, dann hast du gesiegt in deinem dumpfen -Kampfe gegen den Dunst der Tiefe! Wo bleibe aber ich?« - -»Unbegreiflich,« sagte Kordula, »wer hätte gedacht, daß eine Zeit käme, -in der du zag würdest vor dem Leben? Du!« - -»Es wundert mich gar nicht,« sagte Do, »Gwendolin ist eine von jenen, -die mit siebzehn Jahren heiraten müssen. Es ist nun nicht leicht, ihr -Mann zu sein.« - -»Ihr habt beide gut reden,« sagte Gwendolin bitter, »du und Kordula.« - -»Halt,« gebot Jockele, »ich arbeite nur noch nebenher in Flechten, -Menschenherzen sind mir wertvoller, und Do sagt, von Frauen hätte ich -keine Ahnung. Aber vielleicht von der Ehe?« - -»Erst recht nicht,« behauptete Gwendolin, »denn du bist eines jener -Hätschelkinder des Schicksals: laufe nur mit weit offenen Händen durchs -Leben -- es fällt immer etwas Herrliches hinein!« - -Nun, Jockele war diese Rede von den Menschen gewöhnt; sie wächst wild -um alle Zäune. Ernst nahm er sie nicht. Da sie nun aber von Gwendolin -kam, wurde er steil und blies zur Schlacht. »Du, seit wann bist du -ungerecht?« - -»Ich habe wohl schon an meinem Verstande gelitten,« bekannte sie. - -»Du bist auch ungerecht gegen dich selber,« sagte er, »denn Kämpfer -sind wir alle beide -- nicht so: ›Mensch sein, heißt Kämpfer -sein‹ ... sondern: wir zwei haben unser Lebtag weit weg gestanden -vom Durchschnitt -- auch mit unserem Kampfe. Weiß Gott, es war -ein steinichter Weg in den Tartarus und von da auf den Berg der -Seligkeiten! Dann hab' ich den Berg mit dem Grabscheit zerhauen; dann -hab' ich -- na, ich hab' etliches fertiggebracht in meinem Leben. Aber -freilich: an den Laden hab' ich mich dazu nicht gelegt, und der Welt -in die Ohren geschrien hab' ich's nicht: ›Seht mal her, solch ein Kerl -bin ich nun!‹ Zuletzt -- das darf man wohl sagen: das Leben hat es -gut gemeint mit mir. Aber etwa deswegen, weil ich ihm ein lammfrommer -Zuschauer gewesen wäre?« - -»War das bei mir anders?« fragte Gwendolin. Die Wehmut war weg. Es -klang herausfordernd, es klang unzufrieden. - -»Nein. Salzer hat einmal gesagt: ›Die Gwendolin Vogelgesang ist -der weibliche Jakobus Sinsheimer.‹ Recht hat er. Aber nun, da du -davorstehst, dir das Ehrendoktorat fürs Leben zu erwerben, liebe -Gwendolin, nun kneifst du.« - -Gwendolin lachte bitter und jäh auf. - -»Ach papperlapapp!« rief Jockele. »Mit einem Munde voll Hohn schnellst -du mir diesmal nicht aus den Händen!« - -»Du hast ja keine Ahnung von der Ehe,« sagte Gwendolin. - -»Nun, so ist mir das Talent, für und in Do zu leben, wahrscheinlich -im Bergwald eingeboren worden,« sagte er ärgerlich. »Nein, liebste -Gwendolin, ich habe mich gehörig in diese Sonne finden müssen! Und -das will ich dir auch verraten: sie war im Vorfrühlinge mitunter eklig -frostig -- man konnte sich das Herz daran erfrieren bei all dem hellen -Scheinen. -- Warum hast du Erich Meyer nicht geheiratet?« - -»Er ist mir zu sacht.« - -»Warum hast du mich nicht genommen?« - -»Du warst mir damals zu jung.« - -»Mir war er nicht zu jung,« sagte Do sehr ernsthaft. - -»Warum hast du Toften gehen heißen?« - -»Er springt immer hin und her zwischen Himmel und Hölle.« - -»Und James King und John Williams?« - -»~They are Englishmen.~« - -»Und den Grafen Metting?« - -»Den hätt' ich beinahe genommen.« - -»Wenn ich nicht dazwischengekommen wäre,« sagte Do. - -»Und wenn er kein Windhund gewesen wäre,« ergänzte Jockele. »Wie sagte -Gwendolin Vogelgesang? ›Die Ehe ist eine verdammte Kunst.‹ Meine Finger -langen nicht mehr zu, dir herzuzählen, was du an jedem auszusetzen -hattest. Du hättest auch zu keinem gepaßt.« - -»Na also!« - -»Aber Richard Schaffrath ...« - -»Es scheint, den hab' ich mir vorbehalten, meiner Dummheit die Krone -damit aufzusetzen. O!« - -Im Märchenhause wußte man seit langem, daß die Herzen dieser beiden -hochgemuten Menschen Miene machten, in Trotz und Selbstherrlichkeit -Wege zu laufen, die sie voneinander fortführten. Es fehlte in diesem -Hause nicht an Verständnis für die Art beider: die Schuld lag bei -Gwendolin, und sie lag bei Schaffrath. Der war nun Professor geworden. -Er war nicht frei von rücksichtslosem Ehrgeiz, aber er hatte nichts -von einem Streber. Es war eine gesunde und männliche Kraft. Er stand -fest auf sich selber, wie Gwendolin auch; und beide hatten den Sinn zur -opferwilligen Zweisamkeit der Ehe darüber ein wenig verkümmern lassen. -Nun, so etwas wächst in jedem Garten. Aber seit einiger Zeit fanden sie -beide: es wüchse bloß bei ihnen. »Er ist ein Starrkopf und Egoist,« -sagte Gwendolin. »Und sie ist unweiblich und rechthaberisch,« sagte -Schaffrath. - -So war es zwischen ihnen über Winter geworden. Gwendolin war in den -vergangenen vierzehn Tagen in Ibenheim gewesen. Dann war sie ins -Forsthaus am Hörselberg gewandert, hatte wütig darauflos gemalt und -zwischendurch dem Zinzilein ihr Leid geklagt -- nicht kleinmütig, und -wohl auch nicht mit vergiftetem Munde. Aber von dem »brutalen Egoismus -der Männer« war doch mehrfach die Rede gewesen. Die Tante Veronika -mischte sich ein für allemal nicht in derlei Dinge. Sie sagte: »Davon -versteh' ich wohl nicht genug.« - -Das Spiel stand bei den Freunden im Märchenhause, zu denen auch in -diesem Falle Kordula und Erich Meyer und Professor Salzer gehörten, für -Gwendolin und Schaffrath so, daß man Fehler gegen Fehler aufrechnete. -Aber in jener Nacht unter der Ulme verlor Gwendolin die Partie. Man -rückte auf der ganzen Linie geschlossen gegen sie an. Daran war das -harte Wort von der Dummheit schuld, mit der sie ihr Leben gekrönt hätte. - -Do sagte: »Wenn man nicht wüßte, daß du jetzt gallig und ungerecht -bist, so würde man dich von nun ab zu jener kläglichen Sorte von Frauen -rechnen, die immer auf dem Sprung ins Elternhaus sind, wenn ihnen in -der Ehe mal eine Katze über den Weg läuft. Du solltest dich schämen, -dieser jammervollen Art nahezurücken.« - -Gwendolin war betroffen. Die hohe Stehlampe mit dem pfirsichroten -Schirme machte diese Betroffenheit offenbar. Und Kordula sagte: »Mit -meinem Mann habe ich wohl wenig Mühe ...« - -»Nun ja, dieser Athlet des Herzens,« warf Gwendolin aufgewiegelt hin, -»der paßt sich in dich wie der Kern in die Aprikose.« - -Kordula griff dies Bild auf. »Ja, wenn die Aprikose fertig ist!« Dann -sagte sie: »Es war auch für mich nicht so einfach, und es gab viel -Falten und Knitter auszubügeln. Das gehört nun eben zur Ehe. Warum ist -sie ein Vertrag auf Gegenseitigkeit?« - -Darauf sagte Do: »Was könntest du denn dagegen haben, wenn er dich -einfach für die Hauswirtschaft forderte?« - -»Gilt nicht!« höhnte Gwendolin, »daß ich dazu nicht tauge, wußten wir -im vorhinein.« - -»Du sollst dir aber nicht einbilden, du könntest nun mit dem Malkasten -unterm Arm in die Welt ziehen, so oft dir's paßt, und brauchtest zwei -Wochen nicht heimzukommen aus Trotz und Kindsköpfigkeit, und könntest -im Walde herumzigeunern und warten, ob er dich sucht. Wenn ich dein -Mann wäre, liebe Gwendolin, ich würde sehr viel herzhafter mit dir -reden.« - -Gwendolin entschuldigte ihre Waldfahrt. »Na, das war doch bloß mal eine -kleine Flucht zu mir selber.« - -So standen sie mit spitzen Sinnen gegeneinander bis Mitternacht. -Schwere Weisheiten förderten sie nicht zutage, aber wahr war's doch, -was sie sagten. Gwendolin hatte einmal vorgehabt, der blonden Do in dem -Verhältnisse zu ihrem Mann ähnlich zu werden. Und nun war +das+ daraus -geworden! - -Sie wäre in ihrer Hartmütigkeit am liebsten bis in den neuen Tag im -Baumwinkel sitzengeblieben. Aber Kordula nahm ihren Arm, und von der -Straße aus sahen sie noch Licht in Richards Zimmer. »Ich bringe dich -nach Hause,« sagte Gwendolin. Da gingen sie ganz langsam unter den -Sommerbäumen dahin. Das Mondsilber sickerte über sie. »Hast du denn -gewußt, daß du so trotzköpfig bist?« fragte Kordula. - -»Eigentlich -- nein. Hartnäckig war ich stets, aber ich hatte dazu -niemanden als mich.« - -»Dann würde ich mir auch fürderhin an mir selber den Kopf einrennen,« -spottete Kordula, »du hast dich ja damals ganz gut dabei gestanden. -Warum suchst du dir nun deinen Mann dazu aus?« - -Gwendolin lachte. Aber nur mit einem Auge; denn sie mußte an Salzers -Wort denken: »Er ist ja wohl der nächste dazu.« - -Endlich kamen sie doch vor das Häuschen in Oberweimar, und Gwendolin -mußte mit sich nach Hause wandern. Sie schritt mitten auf der -mondhellen Parkstraße von Oberweimar her, kam an Goethes Gartenhause -vorüber und stieg die Stufen beim Euphrosyne-Denkmal herauf, die -zwischen dem Märchenhaus und Schaffraths Wohnung ins Horn münden. Von -den Türmen der Stadt rief es ein Uhr. Richards späte Lampe brannte noch -immer. - -Es war eine schmerzliche Niederlage, die Gwendolin in dieser Nacht -erlitten hatte. Ihr Herz, dies funkelnde, lichtselige Künstlerherz, war -angelaufen wie ein Morgenfenster von der Oktoberkälte. - -Am Kopfe des Stufenweges lehnte sie sich gegen das Geländer. Der -Schatten einer Ohreule zog über den Mond. Gwendolin suchte nach einem -Licht im Märchenhaus. Es war keins mehr da. Und die Lampe, die in -Richards Zimmer wachte, war so peinlich beredt! »Warum könnt ihr beide -nicht schlafen?« fragte sie, und: »Stehst du nun nicht da draußen -unter den Sommerbäumen wie eine Abenteurerin?« Jetzt fingen auch die -stillen Fenster des Märchenhauses an zu reden. Es war ein heimliches -Flüstern vom Glück ... Man konnte neidisch werden. Sogar aus den Tiefen -der Nacht heraus betörte die Sonne von dort her das Herz! Waren denn -Frau Do und Jockele nicht auch aus dem Edelstahle, der stets wieder zu -seiner blanken Geradheit zurückschnellte, wenn man ihn bog? Zu allem -war Do noch zwei Jahre älter als ihr Mann -- und es ging doch? War -nun dort die Weisheit, von der Henrik Tofte gesagt hatte: sie allein -brächte das Wunder einer Blüte zur Entfaltung? Aber im Zwielicht des -Durchschnitts oder des Narrentums kümmere dies Wunder? ... - -Es war eine heilsame Einkehr, die Gwendolin der blonden Do dankte. Dann -ging sie den Gartenweg zwischen den Hecken entlang und trat in ihr -Haus. Als sie im ersten Stock am Zimmer ihres Mannes vorüberkam, blieb -sie nicht stehen; sie ging auch mit ihrem herausfordernden Schritt und -legte den Hut ab und das Schultertuch. Aber dann kam sie doch zurück, -trat in Richards Zimmer und setzte sich in den Lehnstuhl, der gleich -links neben der Tür stand. Eigentlich wollte sie etwas sagen. Aber nun -ging das nicht. Das Wort vertrocknete ihr auf den Lippen. Und man kann -sich doch auch das Herz nicht zerbrechen wegen eines Wortes. Also! - -Schaffrath saß am Schreibtisch und hatte den Kopf in die Hand gestützt. -Die kleine Lampe mit dem roten Schirme stand links vor ihm. Und -wenn man ihn so von rückwärts betrachtete, war er in das rote Licht -gemeißelt wie ein Riese aus schwarzem Gestein. Eigentlich wollte er -etwas sagen. Aber es ging nicht. Man kann sich doch das Herz nicht -zerbrechen wegen eines Wortes. - -So saßen sie eine Weile. Die Zeit lief zwischen ihnen dahin -- -mit jedem Pendelschlag der Standuhr tat sie einen Schritt -- ein -unsichtbares Gespenst. Einmal zog Gwendolin den Atem ein; es war, -als fiel ein Tropfen auf eine heiße Herdplatte. Da stand Schaffrath -auf, hob die Lampe hoch und leuchtete damit gegen die trotzige -verführerische Frau. Sie sah ihn mit versteinten Augen an. - -»Es ist mit dir immer das gleiche,« sagte er und stellte die Lampe -auf den Schreibtisch. Dann schritt er hin und her, und sein Gang ward -heftiger, wie eines Mannes, der gegen den Sturm läuft. Und dann barst -die gefesselte Stille, und seine machtvolle Stimme gewitterte dahin -über beide. »Bilde dir nicht ein, daß das sieben Jahre zu tragen wäre! -Es ist ein klägliches Leben, und es geht darüber alles in die Brüche: -unsere Freundschaften, unser Ruf, unser Werk und wir selber. Vier -Wochen war es ein Schäferspiel, vier Wochen war es eine Komödie, seit -vier Monaten ist es ein Trutzspiel, und nun wird gleich eine Tragödie -daraus. -- Wo bist du heute abend gewesen?« Sie schwieg. »Es ist gut, -daß du dich scheust, es zu gestehen! Das heißt, Sinsheimers wissen -längst, wie es um uns steht. Sie haben es seit vier Monaten gewußt. -Aber sie sind still gewesen aus Mitleid. Aus Mitleid! Verstehst du, was -das sagen will?« - -Über diesem Worte wand sich Gwendolin in ihrem Stuhl. »Nicht aus -Mitleid! Ich glaube, es ist noch ärger. Vielleicht ist es auch schon -Verachtung. Sie sagen: es fehlt uns an gutem Willen.« - -»Dir!« schrie er. - -»Natürlich,« höhnte sie, »immer mir!« - -Da rückte er seinen Schreibsessel in die Mitte des Zimmers und -schaltete das Deckenlicht ein und warf sich in den Stuhl. Gwendolin -aber war aufgesprungen und lief vor der Türwand hin und her. - -»Es liegt doch an dir, Richard! Hast du in den letzten vier Monaten -einmal um mich geworben wie jetzt?« - -»Werben nennst du das?« - -Nun mußte sie doch ein wenig lachen. »Jawohl -- werben! Vier Monate -hast du gebraucht zu diesem erlösenden Wetter! ... Es hätte sich wohl -auch anders denken lassen. Aber es war doch mal ein Losbruch, es war -ein Zerdonnern dieser grauenhaften Verschlossenheit. Du hast dann -alle Fenster an dir verhängt, und es ist mir nicht gegeben, da einen -Einschlupf zu suchen. Ich habe mit mir selber genug zu tun.« - -»Es ist so meine Art,« sagte er. »Ich brauche vier Wochen, ich brauch' -ein Vierteljahr lang mit keinem Menschen zu reden, weder von Leid noch -von Liebe.« - -»So rede wenigstens mit deiner Frau. Aber du sitzt dann im Haus und -im Leben als ein steinerner Gast. Es ist zum Verzweifeln. Und am Ende -versteinere ich auch.« - -»Jawohl, an deinem schlimmen und trotzigen Willen!« - -»Nein, Richard, nein, ich bin ein Weib und bin gewöhnt, umworben zu -werden im Guten und Bösen. Meinetwegen donnere durch die Tage; das ist -mir ganz egal ... oder: es ist mir lieber, als wenn du dich zumauerst -mit dieser wortlosen Kargheit. Damit weiß ich nichts anzufangen. Und -dann lauf' ich fort und mach' es wie in der anderen Zeit, in der ich -glücklich gewesen bin mit mir selber und hell und aufgetan ...« - -Da lief sie hinaus. Es sah aus, als wollte sie nun den Hut nehmen und -das rettende Malzeug und hinfliehen in die Nacht. Aber das tat sie -nicht; sondern sie ging mit ihren heißen und trockenen Augen in das -Schlafzimmer. Sie hatte ihm alles gesagt, was ihr Herz in dieser jähen -Stunde hergeben mochte. Es war nicht über ihre Kraft gegangen, wie -damals im Märchenhaus, als sie sich ausweinend über das Bett warf, aber -sie dachte: was sie ihm gesagt hätte, wäre viel mehr gewesen, als sie -sich je zugemutet hätte. - -So war nun dies lichte klingende Herz: es mußte durchaus umworben -werden, wenn es blühen sollte. Und so war es mit ihm gewesen seit den -frühesten Mädchentagen. Zehn Jahre hatte sie es so mit diesem Herzen -gehalten; denn es war eine große Gefahr für sie. Viele Mädchen haben -solche Herzen und nehmen sie nicht in acht und kommen darüber von sich -selber und von allem tapferen Willen für ein gutes und züchtiges Leben. -Vor Gott und der Welt hatte sich Gwendolin nicht gefürchtet, seit sie -sich verstand; aber vor ihrem Herzen war ihr bange gewesen. Nun war -das so geworden; und als ihr Mann wartete, daß sie es ihm wie einen -goldenen Ball zuwerfen sollte, konnte sie es nicht; denn dies Spiel -hatte sie dereinst mit aller Kraft und Selbstzucht verlernen müssen. - - -»Vielleicht hätten wir mit der Aussprache von gestern abend nicht so -lange warten sollen,« sagte Jockele am anderen Morgen zu seiner Frau. - -»Wir sind viel zu nachsichtig mit ihnen gewesen,« sagte sie, »wir -haben uns in diese Angelegenheiten gar nicht zu mischen -- darum -haben wir auch nicht zu lange gewartet. Ich weiß recht wohl, woran -sie beide leiden. Deshalb weiß ich auch, wir hätten uns auf derlei -Auseinandersetzungen gar nicht einlassen sollen. Aber dazu haben wir -ein Recht -- ich will zu ihr sagen: Ihr zwei haltet es miteinander wie -ihr es für gut findet; in unser Haus könnt ihr jedoch nur kommen, wenn -ihr in dies Haus paßt.« - -»Es ist wieder mal eklig kalt,« spottete Jockele. - -»Ach nein,« sagte sie, »du hältst dein Herz nur immer in den Händen -wie ein großes Licht und möchtest alle Finsternis der Welt damit hell -machen. Trösten und Ehen flicken, liebster Jo, das sind zwei Dinge, mit -denen schwer hantieren ist. Ich traue mir weder das eine zu noch das -andere. Wenn du ihnen Moral predigen willst, so ist das deine Sache. -Für mich gibt es in diesem Falle nur einen Weg: ich lasse in meine -lichte Burg keine Narrheit von draußen hereinbrechen.« - -Dagegen gab es kein Eifern. Und es war wohl auch in der Ordnung; denn -die Moral hatte den beiden im Nachbarhause der Herr Professor Salzer -schon zur Genüge gepaukt. Aber er hatte es aufgegeben. Nun hatte -Schaffrath das Empfinden: es gehen über unserer Ehe zuerst unsere -Freundschaften in die Brüche. Und daraus folgerte er: man gab die -Schuld beiden, sonst hätte man sich ja auf seine oder auf die Seite -Gwendolins schlagen können. -- Vor allem aber hatte Herr Salzer ihnen -gegenüber einen schweren Stand; denn beide sagten zu ihm: »Sie mögen ja -ein ganz guter Literarhistoriker sein, aber von einer Ehe verstehen Sie -nicht das geringste.« Da hatte er's. - -Schaffrath aber und auch Gwendolin wurden sehr nachdenklich an sich -selber. - -Um Herrn Salzer war es mit einem Male recht einsam geworden, -schauerlich spätherbstlich, mitten im Sommer. Sein Turm gefiel ihm -nicht mehr halb so gut. Das vornehme Mahl, das er im »Erbprinzen« zu -halten pflegte, erfüllte alle Ansprüche des Feinschmeckers -- aber es -mundete ihm nicht mehr recht. Mit der Literatur war das auch solch eine -Sache -- man brauchte dazu nicht unbedingt auf einem Turme zu wohnen. -Kurz: Herr Salzer hatte einmal wieder das dringende Bedürfnis, sein -Glück aufzubügeln. Er kleidete sich unerhört vornehm. Er kaufte sich -einen grauen Zylinderhut wie der Stadtrat Schniedewind. Er trug Schuhe -mit einem Einsatz vom Stoffe seiner Kleider -- nun, einen Zigeuner -oder gelehrten Tropf hatte man seinem äußeren Menschen nie angesehen. -Und so furchtbar wichtig vermochte er diesen selbst nicht zu nehmen, -nicht einmal jetzt; darum merkte er nach acht Tagen: auch das war kein -Heilmittel für das geheimnisvolle Leiden. Er verfiel sogar auf den -verrückten Gedanken, es wäre das Alter. Achtundfünfzig! Lieber Himmel, -vor einem halben Jahre war er noch ein leibhaftiger Jüngling gewesen an -seinem Herzen! Und nun wollte dies Herz über Nacht misepeterig geworden -sein? Aber dennoch -- er rüstete sich mit der Ergebung des wahrhaft -Weisen und bildete sich drei Tage lang ein, er wäre ein alter Mann. - -Und merkwürdig: die einhundertneununddreißig Stufen im Turm waren auf -einmal erstaunlich schwer zu steigen. Am dritten Tage pustete er sich -schon hörbar empor und rechnete aus: in vier Wochen könnte er sich -die Welt überhaupt nur noch aus der Herrgottsperspektive betrachten. -Peinlich, höchst peinlich! Und gerade jetzt hatte er Lust, mal durch -einen Wald zu spazieren, den Gehstock zwischen den Fingern zu drehen -wie ein Windrädchen und dabei vergnügt vor sich hin zu trudeln »Freut -euch des Lebens«! - -»Das Alter muß ich mir wieder abgewöhnen,« sagte er, »es ist unlustig. -Ich muß mir überhaupt mein ganzes bisheriges Leben abgewöhnen. Zum -Beispiel wäre es doch gar nicht übel ...« - -Er dachte an den schönen Buchenwald bei Ibenheim. Dort hinauf brauchte -man keine hundertneununddreißig Stufen zu klettern ... - -Nein, übel wäre das ganz und gar nicht! Aber wenn man in das Haus der -Tante Veronika ziehen wollte, so, so für immer, da mußte man zunächst -mit Tante Veronika darüber reden. Das war schon wieder ein Stein des -Anstoßes, gleich am Anfange des neuen Wegs. Seit jenen Septembertagen -war er viermal zu Gast im Frühlingshause gewesen. Zuerst hatte er -gesagt: es wäre der schöne Buchenwald, der ihn lockte, und die Stille -auf dem Hügel, und die Champagnerluft, die so in die Lungen prickelte. -Und später hatte er gemeint: es wäre doch ein herrliches Vergnügen, -das Erwachen des Jahres so gleichsam aus der Hand des Weltenschöpfers -heraus zu genießen. Und zuletzt? Da hatte er die Tante Veronika ganz -vergnügt angeguckt: »Warum haben wir uns nicht ein Dutzend Jahre früher -kennengelernt?« - -Natürlich, die Tante Veronika verstand das vollkommen richtig, aber in -ein silbernes Mädchenlachen verfiel sie doch; denn Tante Veronika war -nun Siebzig! - -Nein, nein, an Hochzeit dachte Herr Salzer nicht. Aber die blanken -Augen taten ihm wohl wie der Mai; und wenn die leisen weißen Hände -einmal etwas an ihm zurechtzurücken hatten, hielt er sehr stille -- -ganz gegen seine Art. Es war so feiertäglich um diese klare alte Dame --- es war mit einem Worte: außerordentlich. - -Darum packte er seine Koffer und fuhr nach Ibenheim. »Hallo! Sie -müssen mich mal in die Kur nehmen, liebste Tante Veronika,« sagte er -und schüttelte ihr die Hände, als wollt' er mit ihr zum Tanz antreten, -»jawohl, in die Kur; denn sonst steh' ich für nichts!« - -Nach einer halben Stunde kam er aus dem Gaststübchen wieder herunter. -Die eine Ledertasche hatte er dem Mädchen Mali anvertraut. Es waren -darin Schildkrötensuppen in Büchsen, Kaviar, Spickaal, allerhand -Pasteten, gezuckerte Früchte ... es war eine Sammlung, die dem -Herrn Salzer Ehre machte. »Es ist aber noch nicht alles,« sagte er -geheimnisvoll, »das hab' ich nur so im Abreisen aufgerafft. Der -Wein kommt aus dem ›Erbprinzen‹ und kommt von Krehan, eine ganze -Kiste,« flüsterte er und sah das alte Mädchen dabei an ... tja, -der Herr Salzer! Und ein Kochbuch hatte er ihr auch mitgebracht. -Damit sie das aber nicht übelnähme, überreichte er ihr dazu ein -Hausstandsportemonnaie, natürlich gefüllt. »Sehen Sie, das da, in -dieser Abteilung, ist ganz allein für Sie.« Es war gut und reichlich -... tja, der Herr Salzer! - -Die Tante Veronika geriet an dem neuen Mietsherrn in herzenshelles -Vergnügen. Und der Herr Professor merkte ihr an, wie es ihr ums -Herz war. »Hähähä,« lachte er, »ich weiß alles: die Schwelle des -Frühlingshauses ästimieren Sie als die reinste Fundgrube für Buben -- -erst war es ein kleiner, nun ist es ein alter Junge, den Ihnen der Wind -hergeweht hat, hähähä.« - -Aber -- und das ist die Hauptsache -- die beiden Leutchen -erschmunzelten sich darüber eine blühende Daseinsfreude. Das ist ein -rares Gewächs auf den höchsten Höhen des Lebens, und es gibt keins, -das köstlicher wäre. So schlossen sie einen Vertrag, der kaum zwischen -ihnen besprochen und der jedenfalls nie geschrieben wurde: sie wollten -sich gegenseitig in unwandelbarer Glückseligkeit hinauspflegen aus -den grünen Gärten der Erde in die blauen Weiten des Himmels. Fräulein -Sinsheimer dachte, nun würde sie das Häuschen am Walde nicht mehr -verlassen, bis sie die Sternenreise anträte, die auch fröhlich werden -sollte; denn an frohmütiger Weisheit schüttete das Leben in ihr Herz, -was nur hineingehen wollte. Aber einmal zog sie doch noch hinüber -ins Märchenhaus. Das war aber viel später. Ach ja, die Funkelwiesen, -auf denen die Engel spazieren, mußten lange warten, ehe man im -Frühlingshause die Wanderschuhe schnürte ... - -Nach Weimar geriet der Herr Salzer hauptsächlich nur, wenn es galt, -Küche, Keller und Vorratskammer von neuem auszurüsten. Dies Werk -betrieb er fortan mit großem Eifer und ausgezeichnetem Feinsinn. Tante -Veronika schalt immer ein bißchen über den sündhaften Aufwand, den -er mit sich machte, nannte ihn einen Verschwender und behauptete, sie -helfe ihm diese vornehmen Sachen nur essen, weil sie für ihn allein -unbekömmlich wären. Aber schlimm war das nicht gemeint; denn beim -Auspacken waren sie immer zu dritt und hüpften um die Herrlichkeiten -herum wie Kinder um den Weihnachtsbaum. Es muß auch verraten werden, -daß Fräulein Sinsheimer in dieser Zeit ein ganz kleines venezianisches -Glas besaß. Das war nicht geräumiger als ein Daumen. Daraus half sie -ihrem Freunde mittags und abends einen Fingerhut voll Wein trinken, -oder gar Sekt. Sie fand, es bekäme ihr ausgezeichnet, und sie schlief -danach wie eine Tulpe im Winter. - -Ja, so trieben sie es. Es war eine Herrlichkeit. Und der Herr Salzer? -So oft es Frühling wurde in der Welt, spazierte er an den Waldrand, -kippte daselbst sein Tintenfaß um und tat ein Gelöbnis, daß es -vor dem ersten November nicht wieder gefüllt würde; denn er hatte -herausgefunden, Literaturgeschichte im Sommer säure das Herz an. - -»Und zu dieser Entdeckung haben Sie sechzig Jahre gebraucht?« spottete -Tante Veronika. - -»Hm,« machte er. Aber gleich war er wieder vergnügt; denn er hatte auch -herausbekommen, daß er an Frau Do und ihrem Jockele recht eigentlich -zum Leben genesen wäre. Und doch, von wem sonst hatten jene beiden es -gelernt als von Tante Veronika? Also war Fräulein Sinsheimer für ihn -der Brunnen aller Freude! Die Sache war in schönster Ordnung, und die -Tage flossen in Heiterkeit dahin. Aber einmal kam ein Ereignis voll -herrlicher Allgewalt -- das hieß Henrik Tofte. Es kam nicht in eigener -Person, wie man nach dem Ausdruck »Allgewalt« schließen könnte, sondern -es kam in Gestalt von Zeitungsberichten, und kam aus dem Märchenhaus. -Aber es wirkte, als stürmte der nordisch blonde Skalde selber ins -Häuschen und wuchtete die oberen Türpfosten heraus, weil sie zu niedrig -waren für sein Hünenmaß ... - -Es war in jenem März, in dem Heidi das Frühlingskind vier Jahr alt -wurde. - -Bis dahin war Henrik Tofte für Do und Jo verschollen gewesen. Das hing -auch damit zusammen, daß er Tinte und Feder für minderwertige Werkzeuge -hielt. Zwei Jahre lang hatte es ausgesehen, als wäre er gestorben. -Zwei Jahre? Ach, noch länger, als Richard Schaffrath brauchte, seine -schlanke Frau Professorin in gründliche Reparatur zu nehmen. Aber -nun war sie wundervoll ausgeputzt, und beide gingen ausgezeichnet. -Schaffrath hatte reden gelernt und werben, wie sie es gern hatte. Und -sie warf ihm ihr funkelhelles Herz zu, wie er es gern wollte. Aber -eigentlich in Weimar war das nicht so geworden, sondern in Dresden. -Dort hatten sie bei Arnold eine Ausstellung ihrer Bilder, die sie zu -bewundertem Erfolge führte. Beide. Und von der Elbe zogen sie heim als -Hochzeitsreisende und standen in voller Blüte. So blieb das nun. - -»Und Henrik Tofte?« fragte man im Märchenhause, »habt ihr nichts von -Henrik Tofte gehört?« - -»Nein.« - -»Ach, Henrik Tofte!« lächelte Kordula Meyer. Merkwürdig -- seitdem -das Institut für schwedische Heilgymnastik und Massage in Rom zu -verblüffender Tatsache geworden war, seitdem konnte Kordula den Namen -Henrik Tofte nicht aussprechen ohne elektrische Zuckungen. Etwa so, als -ob sie sagte: »Kladderadatsch.« - -Zwei Jahre gingen dahin, beinahe drei -- Zeit genug, sich mit dem -Gedanken vertraut zu machen: »Henrik Tofte ist versickert im Staube der -großen Stadt.« - -»Sturmschwalbe du!« sagte Frau Do voller Wehmut. Es war ihr um diese -Fülle von Kraft doch leid. - -»Nun, am Ende wäre durch Rolf Krake etwas zu erfahren?« - -Aber Rolf Krake hatte nicht einmal auf den Brief Dos geantwortet, den -sie damals mit der Madonna in Rosen gesandt hatte. Er hatte nicht das -Bedürfnis gehabt, herüberzurufen in die Welt der Menschen, und nicht -das Bedürfnis, vom Märchenhause zu hören. Verstürmt -- verschollen. - -Einmal -- einmal waren zwei Schülerinnen Richard Schaffraths nach -Norwegen gereist. Sie waren an den Hardanger Fjord gekommen und hatten -die Insel der Auferstehung gesucht und gefunden. Sie waren im Boot -um das Eiland gesegelt. Es hatte in Rosen gestanden, in Rosen. Eine -Wolke von rosa und roten Blüten hatte darübergeweht, Mauern von Rosen -waren rings um die Inselkanten gezogen, die Dächer des Blockhauses -hatten ausgesehen wie Frühlingswiesen -- aber nur der liebe Gott -hatte hineinzuschauen vermocht, Menschen nicht. Die beiden Malerinnen -hatten versucht, vorn an der Stiege zu landen. Da stand es in den -Stein gemeißelt: das Anlegen von Booten und das Betreten des Eilands -wäre verboten! Nane Thord war herausgekommen und die blonde Marit. Sie -hatten beide fremdartig gelächelt: Herr Krake? O nein, Herr Krake wäre -für niemanden zu sprechen. - -Und dann waren die Mädchen wieder nach Weimar gekommen. Einen -Sommerabend lang erzählten sie unter der Ulme von der Roseninsel im -Hardanger Fjord, und wie sie mit den spiegelnden Wassern so schön und -zauberisch und traumhaft gewesen wäre. Man hätte zu atmen vergessen, -solange man um dies blühende Wunder glitt ... - -Das war das letzte. Auch Rolf Krake war für seine Freunde verschollen. - -»Nun, einmal werden wir ihn zum Leben erwecken,« sagte Jockele. »Ich -weiß eine blonde Frau, die ihn errufen kann.« - -»Vielleicht,« lächelte Do, »aber die blonde Frau will nicht! Ach, dies -kluge einsame Herz versteht keiner besser als sie! -- Rolf Krake ist -gar nicht einsam,« sagte sie nach einer Weile, »für ihn ist das die -Fülle des Lebens. Warum soll ich ihn aus seinem Rosengrab erwecken?« - -Und Henrik Tofte? - -Nun, der Herr Salzer verstand es schon, eine Zeitung zu lesen! Er saß -an dem Fenster nach dem Garten hinaus, vor dem die »fliegenden Herzen« -im Lenzwind schaukelten, und rückte die Hornbrille wiederholt sehr -bedeutend. Tante Veronika saß an ihrem Nähfenster und hörte ihm zu: -Henrik Tofte war nun nicht mehr das Genie, das dem lieben Gott aus -der Hand gefallen, ehe es ganz fertig geworden war -- war nicht mehr -das Genie, in das von allen Gaben des Lichts und der Finsternis ein -wahllos Übermaß hineingepackt worden war, nein: Henrik Tofte war der -größte Maler des Jahrhunderts! Es stand da: seine Kunst wäre seherhafte -Physiognomik, und er wäre ein aufrichtender und ausgleichender -Deuter aller Dinge. Er war nicht Impressionist, nicht Kubist, nicht -Pleinairist -- es war nicht Raum für diesen Gewaltstrom zwischen Ufern, -in denen sich die Wässerlein vom Berge recht hübsch ausschäumten oder -zwischen denen sie recht wacker funkelten -- sondern: seine Kunst -wäre das vertiefende Gleichgewicht zwischen Form und Farbe, stand da -zu lesen, und Henrik Tofte hätte sein Genie an den Alten gestärkt; -in München zum ersten Male hätte er mit Eifer studiert -- was man so -nennt -- und die skulpturale Abrundung seiner Figuren, das feinste -Farbengefühl für die lebendige Masse und für die warmen Schwingungen -der körperlichen Oberfläche -- all das wäre in dieser Vollkommenheit -vor Henrik Tofte ein schöner Malertraum gewesen; in ihm aber wäre es -Erfüllung geworden ... - -Das war die kleine Auslese aus dem dicken Stoß Zeitungen. Herr Salzer -gab sie der Tante Veronika zum besten. Bei manchen der randgefüllten -Sätze konnten sie sich viel denken, bei manchem weniger -- was kam -zuletzt darauf an? Das aber wußten sie beide: Henrik Tofte war ein -ungeheures Ereignis geworden -- ungeheuer, wie die Manierlosigkeit -seiner Schöpfungen. Riesenflächen von Leinwand hatte er bemalt mit -Leben. Und wer seine Bilder sah, der mußte empfinden: der das gemacht, -hatte die Kraft, Chronik und Spiegel seiner Zeit zu sein. - -Das war umfassend. Und danach stellten sich die beiden Alten am -Buchenwalde vor, wie das aussähe: Chronik und Spiegel seiner Zeit. - -»Na, da muß er ja reinweg einen ganzen Himmel bemalt haben,« sagte -Tante Veronika in ihrer bedachtsam-lustigen Art. Und sie gab damit -des berühmten Mannes berühmtem Werke gleich die nötige Ausdehnung an -Fläche. Herr Salzer hinwiederum sorgte für den Gehalt der Bilder. So -betrachteten sie das Ereignis in ihrem Häuschen am Walde aus der Ferne; -denn man hatte aus der kleinen Stube einen Rundblick über die Welt -- -nicht zu sagen! Sie redeten von Henrik Tofte und seinem Leben; denn -auch von diesem Leben stand in den Zeitungen: von dem Drama, das er -einst selber gedichtet hatte; von seinen Eltern, die arme Webersleute -gewesen; von seiner Lehrzeit als Anstreicher; von seinem Zwischenspiel -als Zirkusclown; und von seinem Erlebnis mit King, Williams und Watson. -Jawohl, Watson -- und das war ein feines Kapitel! Sie redeten von der -Löwenballade und von der Zugspitzpartie des Mister Johnny und vom alten -Käse ... es war nichts unwichtig auf der Bahn dieser neuen Sonne. Und -sie redeten von der Frage: wo sie augenblicklich kreise. Die Zeitungen -wußten es nicht und rieten. - -Danach schrieb Herr Salzer den Ertrag seiner Kunstbetrachtung mit -Veronika in einem langen Brief an die Leute vom Märchenhaus. Und -darunter schrieben sie: »Der Hügelmann und die Hügelfrau.« Und diese -Namen verblieben den beiden Menschen für den fröhlichen Rest ihres -Lebens. - -Nachschrift: »Wo ist Henrik Tofte? Wißt ihr es nicht?« »Nein.« - -Sein Ruhm war nicht über Nacht gekommen. Schon lange hatte er kleine -Ringe geschlagen auf dem stillen Wasser seines Lebens. Tofte verkaufte -ein Bild, wenn er Geld brauchte. Dann wurden die Leiter der großen und -staatlichen Sammlungen auf ihn aufmerksam. Er verkaufte. Aber er blieb -in der Stille seiner Werkstatt. Die Freunde vom Zigeunerbummel vergaßen -ihn; die Helden der Löwenballade wurden berühmt oder verkamen -- Tofte -wußte es kaum. Er hatte keine Zeit. Denn was er erkannte, maß er, und -es maß drei Jahre ... Drei Jahre? - -»Wo ist Henrik Tofte, wißt ihr es nicht?« fragten die Leute vom -Märchenhaus Richard Schaffrath und seine Frau. »Nein.« - -Die Ringe, die seine Würfe zogen, wurden größer. Immer mehr malte er -und staffelte seine Werke vor die Wände seiner Wohnung. Er trachtete -nicht nach Verkauf; denn er wußte: wenn er Geld hatte, mußte er dies -Geld umbringen -- und seine Frist maß drei Jahre! - -Nach einigen Wochen erzählte eine Zeitung, Henrik Tofte wäre in Rom. -Eine andere wußte es besser: er wäre in einer einsamen Alpenklause -zwischen grünen Sommermatten, um seinen Augen Ruhe zu gönnen. Eine -dritte sagte gar: er hätte in jungen Jahren zu rasch gelebt und wäre in -einer Nervenheilanstalt. Eine vierte meinte, sie hätte den Stein der -Weisen gefunden: Henrik Tofte hätte die große Ausstellung im Münchener -Glaspalaste noch geordnet, die drei Säle füllte, und dann wäre er -geflohen vor den Bedrängnissen seines riesenwüchsigen Ruhms ... - -Sie wußten es alle nicht. Henrik Tofte saß in der Augenklinik des -Doktors Pagenstecher in Wiesbaden. Saß in einem halbfinsteren Raume. -Trug einen grünen Schirm auf der Stirn. Und ward blind. Ganz langsam -fiel Finsternis in die hellen Brunnen seiner Augen. Ein Himmelswunder -war das Licht für sie gewesen. An diesem Himmelswunder hatten sie sich -zersehen. Noch war es nicht Nacht. Aber Henrik Tofte hatte gemalt bis -in die späte Dämmerung. Und nun saß er in dem halben Düster seiner -Krankenstube und sagte: »Doktor, warum fürchten Sie sich vor dem -letzten Worte? Wissen Sie nicht, daß mir mein Freund, das Schicksal, -dies letzte Wort schon im Garten des Märchenhauses von Weimar verraten -hat, zu dem Sie nun nicht den Mut aufbringen? Wissen Sie nicht, daß -in jenem Märchenhaus ein Vorhang von meinem ganzen rückwärtigen Leben -dahinsank und daß ich von Stund an in dies Leben blicken konnte, solang -ich es gelebt hatte, und daß ich erkannte: in meinen +Augen+ liegt -die Lösung des wunderlichen Rätsels, das Henrik Tofte heißt? O, ich -bin nicht traurig, Doktor! Es haben sich alle Wunder der Erde und des -Himmels in diesen hellen Brunnen gespiegelt in unerhörtem Glanze. Nun -steh' ich dort, wo die Millionen der anderen stehen -- was ist dabei -traurig zu sein? Drei Jahre, oder sagen Sie: an jedem Tag, an dem ich -malte, war ich begnadet wie keiner der Menschen. Soll ich nun traurig -sein? Ich habe mein Werk getan, und, weiß Gott, ich war ein frommer -und getreuer Knecht -- mögen's die Menschen glauben oder nicht! Warum -sitz' ich hier und lasse mir vorreden, ich sei krank?« Henrik Tofte war -aufgestanden; er riß den Schirm von der Stirn und schritt nach den -dunkelblauen Vorhängen der Fenster und riß sie zurück. »Noch find' ich -den Weg heim,« sagte er, »so lassen Sie mich gehen!« - -In jenem Mai war das, in dem Heidi das Frühlingskind vier Jahre alt -wurde. - -Er reiste nordwärts und reiste in der Nacht. Des Tages schlief er in -einem Gasthaus. Mit der Nacht zog er wieder aus. Am vierten Morgen -kam er in den Hardanger Fjord. Da scheute er das Licht nicht mehr. -An jener Haltestelle, wo der Arm nach Elde gegen Norden abzweigt, -kannte man ihn. Er erzählte den Schiffern, wie es mit ihm wäre, lieh -sich ein Boot, ließ sich hineingeleiten und ruderte auf den Wassern -des heimatlichen Landes gegen Morgen. Er kam an Eilanden vorüber, er -rief Schiffer an und fragte nach der Insel Rolf Krakes, wie weit es -noch wäre. Und als er den Folgefond scheinen sah, wenn er das Antlitz -gegen den Himmel bog, als könne nur so der volle Strom des Lichts in -seine Augen sinken, da lauschte er, ob ein Rauschen in der Luft wäre. -Denn jenen dumpfen Klang der Allmacht hatte er mit hinausgetragen über -die Alpen und in seinen Ohren wieder zurückgebracht an die Isar: das -Rauschen des Skjold. - -So glitt er die Bahn der dunklen Wasser und kam vor die Roseninsel. - -Es war die Zeit, in der sich die ersten Blüten erschlossen. Er sah sie -nicht mehr, aber aus der Schründe rauschte der Fall des Bergstroms, und -in der Luft hing der Atem der Rosen. Darum rief er Nane Thord. Er stand -im Boot und hatte die Hände um den Mund gelegt. »Nane Thord!« O, das -war nicht die Stimme des Schmerzes; denn an den Hängen lief der Ruf hin -als ein Jauchzen. »Nane Thord!« - -Da trat sie aus dem Haus und baute mit der Hand ein Dächlein über ihre -staunenden Augen gegen die Nachmittagssonne, daß sie das Wunder besser -betrachten könne. Das merkte sie gleich: Henrik Toftes Ruf war voll von -Heimatglück -- es brach aus seinem Munde als ein Sturm. Aber wie er -sich in dem Boote zurechtsetzte, wie er nach den Rudern griff und so -langsam dem Klange von Nane Thords Stimme nachtrieb, das war tastend -und war, als ob er nicht mit den Augen, sondern mit den anderen Sinnen -sehe. Er bat sie, sie sollte herunterkommen auf die letzte Stufe und -sollte reden; denn er müßte sie hören. Dann sagte er, sie sollte das -Boot vollends heranziehen und an dem Pfosten festmachen und ihm die -Hand herüberreichen -- es fiele vom Tage nur ein mühseliger Schimmer in -seine Augen. Und doch war er froh, so froh! »Nane Thord,« rief er und -riß die alte Frau in seine Arme, »liebe Mutter Thord, wissen Sie auch, -daß Sie nun nicht sterben dürfen, weil ich Sie immer um mich haben muß? -Liebe, treue Mutter Thord!« - -»Heiliger Gott,« sagte sie, »was ist da geschehen?« Sie sah ihn an: -in seinen Augen waren die blauen Reifen der Iris noch blank wie -Sommerhimmel. Aber die Pupillen lagen nicht mehr darin wie funkelndes -Glas, in dem das große Strahlenmeer des Lichtes zusammenrinnt, sondern -sie lagen dort wie schwarzer Sammet, matt und still und ohne Glanz. -Sie waren auch größer als andere, die vor den ungedämmten Schein des -Sonnenmittags gestellt sind; und es sah aus, als hätten sie sich -geweitet in Sehnsucht, von dem Bilde der Heimatscholle so viel in sich -zu trinken, wie sie vermochten. - -Er hatte Nane Thords Hand gefaßt und ließ sich von ihr die schmale -Treppe emporleiten. Da quollen Nane Thords Augen über in heißem Schmerz -und in mütterlichem Glück. - -Rings um die Insel lief eine Mauer aus rankenden Rosen. Die war drei -Meter hoch und bildete am Kopfe der Stiege einen Torbogen, der schon -ganz erblüht war, weil er gegen Süden lag. Unter diesem Bogen hätte -Henrik Tofte sich ein wenig neigen müssen; denn das Tor aus Rosen war -nicht bestimmt für das Maß eines so hohen Mannes. Er aber löste seine -Hand aus der Hand der alten Frau, legte seine Arme über die Brust wie -ein Kreuz und beugte sich sehr tief. »Ich grüße mein schönes Grab,« -sagte er, »und ich grüße mein schönes neues Leben.« - -Darüber trat Rolf Krake in einem Mantel aus roher gelber Seide in -die Tür des Hauses; denn die fremde Stimme hatte ihn gelockt. Henrik -Tofte streckte ihm beide Hände entgegen. »Das große Licht!« rief der -Einsiedler von der Roseninsel, »das große Licht nun in Wahrheit! Was -ist das für ein herrlicher Ruhm, den Sie heimbringen!« Denn er hatte in -den Zeitungen gelesen, wie der Klang des Namens Henrik Tofte durch alle -Länder lief. - -»Lieber Bruder Krake,« sagte der Heimgekehrte, »das große Licht? Ich -komme mit zwei armen Fünklein in diesem Haupte, so winzig wie das -Verglimmen des Dochtes, auf dem gestern eine Flamme gestanden. Empfange -mich nicht wie einen Fremden, lieber Bruder; denn ich bin da, um mit -deinen Augen zu sehen.« - -Dann setzten sie sich auf die Bank neben der Tür, an die sich Rolf -Krake bei der Nachricht gelehnt hatte. Es war ihm gewesen, als bräche -das Verhängnis über seine gesicherten Grenzen, und er fand kein Wort, -diesem Einsturz zu begegnen. - -Aber es löste sich alle Dumpfheit des Augenblicks; denn Henrik Tofte -kam als ein fröhlicher Sieger. »Warum bist du so schweigsam, mein -Bruder?« fragte er. »Ist etwas weiser und gewaltiger im Himmel und auf -Erden als mein Schicksal? Dies Schicksal allein hat gewußt, was mit -mir war. Da hat es dir und mir den Weg zu dem Eilande gewiesen, und es -hat dich gesandt, daß du aus Fels und Klippe blühende Gärten schufst. -Und es hat durch deinen Mund zu mir geredet vor vier Jahren, daß du -hier auf mich wartest. Ich aber, habe ich den Becher meines Lebens im -Licht nicht ausgetrunken wie ein König? Ungeheuere Reichtümer habe ich -in diesem Leben aufgestapelt; ich habe errungen, was zu erringen war -- -und viel mehr. Und sollte nicht fröhlich sein?« - -Henrik Tofte berichtete über die letzten Jahre. Er begann bei der -Madonna in Rosen, und wie ihn die Erkenntnis der versickernden Brunnen -in seinem Haupte so tief getroffen hatte, daß er dachte, er hätte die -Sprache verloren und das Herz gefröre ihm in der Brust. Er berichtete -alles bis zur Pforte des Eilands und sagte, wie wunderbar es wäre, daß -Rolf Krake dafür vor Jahren den Namen der Auferstehungsinsel gefunden -hätte; denn beiden wäre nun hier ein neues Leben geschenkt. - -Danach ging er an der Hand des Freundes durchs Haus. Die Räume lagen zu -ebener Erde, und die alten Gänge waren dem Heimgekehrten bald wieder -vertraut. Sie schritten in den Saal -- Henrik, Rolf Krake, Nane Thord -und die blonde Marit -- und es klang fremd und machte sie betroffen, -wenn Henrik sagte: »Ich sehe ...« »Ich sehe, daß es hier ganz anders -geworden ist: der Klang der Tritte und der Stimmen ist nicht mehr wie -früher.« - -»Nein,« sagte Rolf Krake, »die Wände sind mit einem grauen Wollstoff -bespannt, und auch der Fußboden ist mit diesem weichen Überzuge belegt. -Hier zwischen den Fenstern hat die Madonna in Rosen ihren Platz -gefunden. Und rings an den Wänden sind auch die Regale mit den vielen -Büchern.« - -Henrik betastete den blauen Sammetgrund, auf dem das Bild hing, und -betastete den schweren Vorhang und die Schnur, an dem sich jener zur -Seite ziehen ließ. Sie traten hinaus in den Garten. Die Wege waren -so breit, daß zwei Männer nebeneinander wandeln konnten, ohne an die -grünen Mauern zu streifen, zwischen denen sie dahinliefen. Die kleinen -Mandarinenenten schaukelten auf dem Wasser wie schwimmende Edelsteine, -in denen die Sonne spielt; oder sie flogen empor, richteten sich zum -Dreieckflug und stießen weit hinaus über den Fjord, bis man ihren Ruf -nicht mehr hören konnte. - -Rolf Krake malte ihm jedes Bild, das sich an einer Wegbiegung für -seine Augen öffnete. Er wählte dazu Worte von weichem Klang und warmen -Farben, die nur dem zu Gebote standen, der dies ganze bunte Wunder -zwischen Berg und Wasser hingedichtet hatte in beglückter Einsamkeit. - -Es kam der Sommer und wehte seinen Glanz um die Insel, und es war, -als wäre das blaue Tuch des Himmels offen darüber, und Rosen würden -hindurch geschüttet: weiß und gelb auf die Spitzbogen und Pfeiler eines -kleinen Tempels, der in der Mitte des Gartens stand -- rot und rosa auf -alle grünen Wände, daß sie aussahen, wie aus dem Purpur oder der Seide -des vergehenden Tages gewoben. - -Henrik Tofte lernte dies alles sehen durch die Augen des Freundes, wie -er gesagt hatte. - -Und in den einsamen Mann von der Insel, der nun im fünften Jahre mit -keinem Schritt aus der freiwilligen Haft gewichen war, wuchs dies -Erlebnis herrlicher hinein als er geahnt hatte. Damals aber, als -Tofte kam, hing sich Rolf Krakes erster Gedanke wie ein neues Glied -an jene Kette, mit der er vor langer Zeit gefesselt worden war. Er -wähnte nämlich, von nun an müßte er die schwere Last von einst wieder -aufnehmen, und er könnte, trotz allem, seinem dumpfen Geschicke nicht -entfliehen, ob er gleich wiche an das Ende der Erde. Er hätte sich -nun sein Leben so erlöst gestaltet -- da trete dieser unselige Fremde -hinein und zertrümmere das beste Teil ... - -Aber es kam anders; denn es war der alte Rolf Krake gewesen, der -so zu ihm gesprochen -- jener alte, dem es immer gelungen war, -niederträchtig zwischen ihn und das Glück zu treten und zu sagen: -»Mann der Finsternis, was träumst du von einem sonnigen Leben?« Nun -aber war es ihm zur Gewißheit geworden: jener Frühlingstag, mit dem -Henrik Tofte kam, war seines Traumes Erfüllung geworden! In der -Madonna in Rosen hatte er sich ein Sinnbild der schönen und heiteren -Erde aufstellen wollen, die für ihn verschlossen war. Es war ein Bild -gewesen, ein Bild. Nun aber hatte er einen Menschen gewonnen, der -in Dankbarkeit und Freude um ihn war und der in ihm ebenfalls die -Erfüllung erkannte. Für diesen Menschen war er der Brunnen des Lichts -geworden in allerschöpfendem Sinne, denn er senkte mit seinen warmen -gütigen Dichterworten nicht nur das Bild der Erde so lebendig in ihn -hinein, daß es fast war, als tränken die erloschenen Sterne des Sehens -das Leben wie einst -- sondern er schenkte dem sinnenden Geiste des -Genossen auch das Licht seiner Klugheit und seiner Bücher; er schenkte -der dürstenden Seele die Träume der Weisen und Dichter und gab zugleich -die Deutung. Er hob die Hülle für den Blinden von einer Welt, an der -dieser in den Tagen des Lichts scheu und fremd vorübergestrichen war, -weil er meinte: die Armut und Unbildung seines Elternhauses wären -schuld daran, daß er diese fremden Gärten nie betreten dürfe. - -So saßen sie in Zeiten, in denen der Regen über die Insel plätscherte, -im Büchersaal und wanderten doch im Geiste weite Wege der Wissenschaft -und wanderten durch ferne Länder: zwei Menschen, die gar nicht -voneinander konnten, wenn sie nicht elend werden wollten. Oder sie -saßen in lauen Sommernächten draußen unter den Rosen. Henrik nahm die -Gitarre und sang, und wie einst traten die Menschen drüben aus ihren -Häusern am Lande, schritten auf dem Uferweg und lauschten, wie schön -es war. Die blonde Marit und Nane Thord saßen dann bei den Männern am -Tisch und rasteten ihre Hände von der Arbeit des Tages. - -Henrik Tofte schritt nun allein bis an die Kante der Flut an jenem -Ende, an dem die Mandarinenenten im Röhricht schliefen. Auch bei Nacht. -Er stieß an keine Ranke, er streifte an keinen Zweig. Und wenn er -des Abends in den Garten kam, so sprach er von dem leisen Lichte der -Mondsichel, die auf den Flutterwolken des Himmels schwamm, oder er -sprach von der Fülle des Glanzes der vollen Scheibe, als ob er sie sähe. - -Des Morgens fuhren die Frauen noch immer hinüber und kauften ein. Oder -sie ließen sich an Speis' und Trank aus den Städten schicken, wonach -die Männer Lust hatten. Ehe Henrik Tofte gekommen, war es karger in -Keller und Küche gewesen; denn Rolf Krake hatte die Hälfte seines -kleinen Vermögens zur Ausstattung des Hauses und zum Aufbau der Insel -verwandt, die beide sehr schön geworden waren. Und er hatte durch drei -Jahre so viele Bücher angeschafft, daß Nane Thord das Geld dafür mit -schwerem und immer schwererem Herzen eingezahlt hatte. - -An jenem Tag, an dem Henrik eintraf, hatte der gesagt: »Ungeheure -Reichtümer hab' ich in meinem Leben aufgestapelt« -- er meinte aber -nicht: an Geld. Daß er auch davon so viel besaß, um sich das Dasein -äußerst behaglich zu gestalten, wußte er damals noch nicht. Zuerst war -er eine Zeitlang verschollen gewesen. Nicht einmal der Leiter seiner -Ausstellung in München konnte ihn finden. Aber als es klar war, daß -die Insel im Fjord seine Heimat wäre für und für, sandte er Botschaft -hinaus -- nur daß er blind wäre, sagte er nicht. Es fand sich, daß bei -der Bayerischen Vereinsbank in München ein Betrag für ihn eingezahlt -war, der zweimalhunderttausend Mark überstieg. Das war der Erlös aus -seinen Bildern. Etliche große Gemälde waren noch im Glaspalast. - -Als es gegen den Herbst ging, arbeitete er mit Rolf Krake im -Inselgarten. Er löste die Weidenbänder von den Rosen und bog die -Stämme an die Erde. Er schaufelte sie mit dem weichen Boden zu, gegen -die Kälte des Winters. Oder er legte das Deckreisig darüber, das in -Schiffen hergefahren worden war. Er grub die Erde, er tat alles, als -ob er sähe. Und so ging durch die freudige Siedelei keine Stunde mit -leeren Händen. - -Der erste Schnee fiel. - -Auf diese Zeit hatten sie gewartet. Da wollten sie für die Leute im -Märchenhause die Frage lösen: Wo ist Henrik Tofte? - -Als der Brief in Weimar eintraf, da war es, als träte Henrik Tofte -selber herein mit seinen erloschenen Augen -- so erschraken die -Freunde. Aber auch in ihnen löste sich die dumpfe Schwere der Stunde; -denn es klang aus jeder Zeile der Ruf: »Sollen wir nun nicht fröhlich -sein?« Ein Brief? Ach, es war ja kein Brief. Es war ein Buch, an dem -Rolf Krake die erste weiße Woche des Winters geschrieben hatte; es war -das Buch mit den Ereignissen von fünf Jahren. Nur Inseleinsamkeit, nur -Auferstehungsglück -- aber gerade deshalb gehörte ein Buch dazu. - -An diesem Abende saßen sie im Wintergarten des Märchenhauses -- Do und -Jo, Schaffrath und Gwendolin, Kordula und Cornelius -- saßen um den -plätschernden Springbrunnen und lasen bis weit über die Mitternacht. -Am anderen Tage riefen sie Tante Veronika und Herrn Salzer. Aber der -Hügelmann kam allein, denn um die Tore des Waldes fuhr ein harter Wind -und säete Novemberschnee. - -Herr Salzer, der einige Verbindungen mit großen Zeitungen besaß, -berichtete des Rätsels Lösung augenblicklich in die Welt. So jäh -fiel die Nachricht auch in ihn, daß er gleich am Pulte Jockeles ins -Schreiben geriet; »denn«, sagte er, »ich habe daheim mein Tintenfaß -noch in der Sommerfrische.« Und nun erfuhr man draußen, daß Henrik -Tofte nie mehr ein Bild malen würde. Damit leistete er dem blinden -Mann im Fjord einen großen Dienst, denn das Wenige, was noch von ihm -im Glaspalast hing, wuchs im Preise, wuchs, wuchs. Als es Henrik Tofte -erfuhr, fragte er allen Ernstes: ob er sich denn nicht schämen müßte, -dies sündhafte Geld anzunehmen für Dinge, die schon weit dahinten lägen -in dem vergangenen Leben! Er hatte seintag keine Wage gehabt für das -Gewicht des Goldes. Und nun, da andere für ihn rechneten, und da er -nicht einmal mehr in seine Tasche langte, um ein Tüblein Farbe oder -einen Apfel zu erstehen, nun war ihm auch der +Gedanke+ an das Geld -abhanden gekommen. Ja, solch ein König war er geworden! - - -Im Ausgange jenes Winters beendete Jakobus seinen Roman. - -Aber wie er während der langen Zeit kaum einmal vor den Freunden von -den Gedanken gesprochen hatte, die ihn bewegten, so blieb es auch -jetzt. Märchen und Kinderverse für Heidi hatte er viele gedichtet, -und die kannten sie alle; denn er hatte auch Zeichnungen oder gar -bunte Bilder dazu gemacht, und das Kind hatte das meiste in seinem -Gedächtnisse behalten. Es erzählte Mama die schönen Geschichten, wenn -sie mit ihr im Garten saß. Oder es dichtete den Wintergarten in der -rauhen Jahreszeit schon selbst zu einem tiefen Wald und die Blumenbänke -zu dem Hexenhause der Buschgroßmutter. - -So hatte Jakobus in den erblühenden Geist eine Fülle köstlichen Samens -gelegt, und es war zu sehen, wie herrlich dieser in dem Segen wuchs, -der ihn umschien. -- - -Ob Do, die Vertraute seines Herzens und seiner Pläne, von dem großen -Dichtwerke ihres Mannes mehr wußte als die Freunde, ließ sich von -diesen nicht erraten. Jedenfalls drang sie nie in ihn. Sie dachte, es -wäre wohl die rätselvolle Seele des Rolf Krake, die ihn beschäftigte, -oder das traurig-glückselige Los des blinden Königs Henrik Tofte, -das ihn zu dichterischer Gestaltung verlockt hätte. Sicher wußte sie -nur, daß auch sein eigenes Leben für ihn nun ein rechter Dichtertraum -geworden war; denn er sprach mit ihr in jener Zeit mehr davon als je. -Vor allem die Waldjahre von Ibenheim hatten sich für ihn schon mit dem -Funkelglanze der Phantasie umwoben. Oft schien es, als wisse er kaum -noch, was an ihnen gesehen oder Gesicht war; und seine Erzählungen -glichen der Wirklichkeit wie ein brennender Weihnachtsbaum einem -Tännlein im Walde. - -Wenn er dann an den musikalischen Donnerstagen nach der Abendmahlzeit -berichtete, so erkannten sie alle, wie heimisch sein Herz in den Gärten -der Dichtung geworden war, und in wie tiefer Glückseligkeit es darin -blühte. - -Aber das Geschriebene den Freunden vorzulesen, dazu brachten sie ihn -nicht. Fast sah es aus, als hätte er eine Scheu, sich ihnen auf den -neuen Bahnen zu offenbaren -- entweder weil die wissenschaftlichen -Werke noch hüben und drüben wuchsen, oder weil er sich selbst noch für -zu jung hielt, als Dichter etwas leidlich Vollendetes zu schaffen; -oder auch, weil er den Ereignissen nicht vorgreifen wollte, die sich im -Leben der Freunde vom Hardanger Fjord vor seinen Augen erfüllten. - -So verschloß er dies Werk in sich, ganz gegen seine Art. Und als Salzer -eines Abends im Märchenhause zu Gast war und mit Gwendolin ihn um sein -Geheimnis bestürmte, entwischte er doch und sagte: »Es muß erst auf -der schönen Frühlingsfahrt ins Riesengebirge vor mir selber die Probe -bestehen.« - -Ja, die Wagenfahrt über die hundert Meilen! Das war der Traum, der von -ihm durch Jahre geträumt war und der lieblicher wurde, je länger er -sich dahinspann. - -Es waren dazu aber auch sehr umfassende Vorbereitungen nötig -- nicht -an jenen Dingen, die sie mitnehmen wollten in ihren Koffern. Die waren -an einem Tage geordnet. Sondern es war Klein Heidi, ohne die der -strahlende Vater durchaus nicht reisen wollte. Es war lustig anzusehen, -mit welchem Eifer er das kleine goldhaarige Menschenkind für die lange -Waldfahrt an Herz und Verstand ausrüstete. - -Professor Salzer, der Herr nach der Mode, neckte ihn mit dieser Reise -weidlich; denn er begriff nicht, warum ein Mensch von so leuchtenden -Gaben mit dem Aufgebot aller Kraft in die Gebräuche des Mittelalters -zurücksegeln wollte. Herr Salzer konnte in solchen Augenblicken -wissenschaftliche Vorträge halten! Er hatte das mehrfach bewiesen -- -auch damals, als Gwendolin in der Bedrängnis ihres Herzens auf dem -Bette lag und weinte und der Herr Richard Schaffrath den Werbebrief in -der Brusttasche trug. Das hatte Herrn Salzer Gelegenheit gegeben zu -einer Erörterung über den Begriff Tragikomödie und über einen lustigen -Einfall des Plautus ... - -Vor der Hochwaldfahrt in der Kutsche schnitt ihm Jockele den Faden -seiner Rede aber kurzerhand ab. Er behauptete: der Herr Salzer wäre gar -nicht der einzige, der eine solche Reise für hervorragend hirnverbrannt -und altmodisch hielte. Aber sie wären alle auf falschen Wegen; denn -die Jockelereise wäre das neueste und wäre so neumodisch, daß sie für -diese Zeit überhaupt noch um reichlich fünf Jahrzehnte verfrüht wäre! -Erstens müßte das Automobil für Vergnügungsreisen überwunden werden. -Nun, das würde in einer kleinen Frist Tatsache geworden sein. Es könnte -doch kein vernünftiger Mensch meinen, daß eine Fixfahrt zwischen Staub, -Stank und Sturm zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehöre. - -Hm. Herr Salzer konnte dagegen nicht viel vorbringen. Er hatte sich -dies Vergnügen einige Male geleistet. Aber als er mit einer mächtigen -Panne sieben Stunden im Regen auf dem Thüringer Walde gelegen hatte, -fern von jeder menschlichen Siedlung, hatte das Automobil als -Lustfahrzeug wesentlich für ihn eingebüßt. Nach dem Automobil käme die -Flugmaschine. Auch darin würde man spazierenfahren -- natürlich. Aber -so um 1940 herum -- ermaß Jakobus -- würde das friedliche Zweigespann -mit behaglichem Polstersitz zu den Gepflogenheiten aller jener Menschen -gehören, die es verstünden, in weisem Behagen wohlhabend zu sein. Zu -solch einer neumodischen Sache gehörten freilich vier Dinge, sagte -Jakobus: Zeit, Gemüt, Weisheit und Geld. Da diese vier Brüder aber -nicht leicht in einem Wagen zusammenzubringen wären, bespöttelten die -Menschen mit Zeit und Geld das »vorsintflutliche Vehikel«. Jockele -aber hielt es mit dieser »Dichterkutsche« und sagte, schon der Gedanke -an solch eine Reise beselige ihn wie die Maiensonne die Felder. Wenn -er dichte, brauche er sich nur vorzustellen, er schaukele in einem -weichen Wagen hinter zwei trabenden Pferden durch einen Bergwald ... - -Natürlich bemerkte Herr Salzer: schade, daß er das nicht früher gewußt -hätte. Das Dichten wäre danach eine sehr einfache Sache, und er hätte -wohl selber -- - -So spottete man weidlich. Aber es war nicht unzeitgemäß; denn das -Märchenhaus ward getauft in jenen Jahren, in denen das Leben, das man -darin führte, vor der Welt rar war wie Erdbeeren im Winter. - -Das konnte selbst der neumodische Herr Salzer nicht von der Hand -weisen. Und Jockele blieb der Sieger im Kampf. - -Herr Salzer kam immer ein bißchen nachdenklich aus dem Märchenhaus vor -die Tore des Waldes. Diesmal aber hatte er so viel erlebt, daß er der -Tante Veronika gelobte, er wolle ein besserer Mensch werden, und er -hätte das unfehlbare Rezept dazu gefunden. - -Ob er es ihr nicht verraten wollte, fragte Fräulein Sinsheimer. - -»O,« sagte er, »man knetet Gemüt, Geld, Zeit und Weisheit gut -durcheinander und bäckt sie in einer Dichterkutsche bei mäßiger Sonne.« - -»Ach,« lächelte Tante Veronika, »das hab' ich schon längst gewußt; denn -danach hab' ich den Jakobus für sein Dasein zurechtgemacht.« - -Fast die ganze nächste Woche hindurch erzählte Herr Salzer von Heidi -dem Frühlingskind. Es wäre ganz unbeschreiblich, welch ein liebes -herziges Wunder solch ein kleines Mädel ist ... - -Und in diesem Fall erlitt der alte Herr keine Abfuhr; denn Heidi war -in der Sonne des Märchenhauses gewachsen wie ein schöner Frühlingstag -im Herzen des lieben Gottes. Ihretwegen war die Wagenfahrt solange -hinausgeschoben worden; Heidi sollte aufgeschlossen und mit der -beseligenden Gabe vor die Welt treten, sich an allem zu wundern; denn -es gibt nichts Kurzweiligeres im Leben, als sich zu wundern. - -Eine Woche danach jubelten Himmel und Erde. Da ging die Sache los. - -Hinter dem Wagen war eine Gepäckraufe angelegt für einen einzigen -Koffer. Weiteres Gepäck war an bestimmte Haltestellen auf dem Reiseweg -vorausgesandt. An diesen Stellen wurden alle verbrauchten Stücke -aus dem Koffer ausgewechselt und liefen von dort ab zurück in die -Heimat. So wurde die Reise selbst zu einer breiten Behaglichkeit -- -man denke: die Reise selbst! Aus der Last wurde eine Lust, aus der -Hatz ein fröhliches Rasten, fast ununterbrochen in stilldurchsonnten -Bergforsten. Regnete es einmal, so ward der Wagen zu einem heimeligen -Stübchen, an dessen Fenstern die Tropfen spielten. Hatte man Lust -zu wandern, so ließ man die Pferde des Weges trotten, schlug sich -hinüber auf einen freundlichen Pfad im Hochwald, und Klein Heidi -konnte den Frühling in beiden Fäusten halten. Ward sie über Tag müde, -so schlief sich's daheim in ihrem Bettchen nicht halb so schön wie -in den sanft dahingleitenden Polstern, über die sich die blaue Seide -des Himmels deckte. Und wenn der Abend dämmerte, kam man zu dem im -vorhinein bestimmten Gasthause. Da standen die Zimmer blank und -gerüstet, da wartete ein Mahl, und da wartete die Genugtuung über den -herrlich hinabgeblühten Reisetag; denn es wickelt sich auf der ganzen -Welt nichts behaglicher und mit schönerer Pünktlichkeit ab als die -wohlbedachte Fahrt in solch einer Dichterkutsche. - -Das ist ein Ding, von dem die fixe Zeit und das jappende Menschenherz -seit anderthalbhundert Jahren die Wissenschaft verloren haben. - -So kamen sie in die Waldstille des Fichtelgebirges. Sie kamen am -fünften Tage zwischen Keilberg und Fichtelberg auf die Kammstraße -des hohen Erzgebirges, und die Rösser traten auf der breiten Bahn -in Sonne und Bergwind. Wieder fünf Tage -- da durchquerte man das -Elbsandsteingebirge mit seinen zerklüfteten Felsen und setzte bei -Herrnskretschen über den Strom. Man gelangte ins Zittauergebirge, ins -Isergebirge, ins Riesengebirge. Sie kamen am Hohen Rad vorbei und -sahen die Elbquellen. Sie standen auf der Schneekoppe und kamen durch -finstere Forsten, in denen die Fichten so wohlbetagt sind, daß sie -ihre Bärte auf der Erde schleppen. Sie strichen vorüber an der »Kanzel -Rübezahls« bei der Schneegrubenbaude; und weiter ging es die Kammstraße -lang nach dem Zackenfall. Ihre Herzen wurden Säle, und diese Säle -füllten sich mit schönen lichten Bildern, vor deren jedem man ruhen -konnte, wie Rolf Krake ruhte vor der Madonna in Rosen. Sie rasteten -noch einmal zur Nacht in dem Städtchen Freiheit, wie es vorausbestimmt -war -- es war nur eine halbe Stunde von ihrem Reiseziel Johannisbad -entfernt. Aber sie rasteten und gelangten ins Johannisbad so sauber, -so froh, so erdselig, als wenn sie sich daheim im Märchengarten nach -süßestem Schlummer an den funkelnden Frühstückstisch setzten. Und -Johannisbad war in den Bergwald gefallen wie das Bild eines Sterns in -einen dunkelgrünen See. - -Ja, so war diese Fahrt in der Dichterkutsche. - -Sie dauerte fast den lieben fröhlichen Mai hindurch. Aber es war der -köstlichste Frühling, und war so köstlich, daß kein Dichtertraum -hinreicht, dieses Erleben zu schildern. - -Sie hätten in ihrem Reisewagen auch in der halben Zeit am Ziele sein -können, ohne die Pferde zu wechseln. Aber Jockeles Zigeunerherz hatte -sich vorgesetzt, drei Monate also durch die Welt zu gleiten, den -Frühling erblühen und vergehen, den Sommer heraufkommen und reifen -zu sehen geradeswegs aus der Hand Gottes und in langsamen bunten -Bildern ... - -Die Menschen, die von dieser Reise lesen, meinen: so etwas wäre nicht -auszuhalten; in solch einer Dichterkutsche müßte man ja vor Langeweile -sterben! Aber: sst, lieber Leser und geliebte Leserin -- wie furchtbar -altmodisch ist solch eine Anrede wieder mal mitten in der Erzählung, -gelt? -- sst, sag' du das nicht, lieber Leser! Denn du möchtest doch -zum mindesten jenen Menschen ähnlich werden, die mit den vornehmen -Herrschaften Zeit, Geld, Gemüt und Weisheit durchs Leben fahren; -aber solche Menschen haben nie Langeweile -- Langeweile haben nur -Dummköpfe ... - -Es war Ende Mai geworden. Aber die Tage im Wagen waren nun doch rasch -vergangen; denn Klein Heidi riet an Gott und der Welt herum und tat, -als müßte sie alle Rätsel des Daseins lösen. Sie wollte wissen, wie -lang die Wälder wären, und was hinter dem blauen Tuche des Himmels ist, -und wie die Wege über den Sternen aussehen, und ob der liebe Gott auch -eine Dichterkutsche hätte, und ob die kleinen Engel mit den Sternen -Fußball spielten oder Wurfball, und ob sie auch so schöne Musik machen -könnten wie die Kurmusikanten von Johannisbad, und ob Rübezahl auf der -Kanzel bei der Schneegrube Sonntags eine Predigt hielt, und ob dann die -Riesen kämen und ihm zuhörten ... - -Manchmal mußte Do diese Fragen beantworten, und manchmal Jockele. Und -es kam dabei heraus, daß Eltern furchtbar gescheite Leute sein müssen, -wenn sie solch ein kleines Menschenwunder nicht heißhungrig vom Tisch -ihrer Weisheit aufstehen lassen mögen. - -Aber sie standen beide ihren Mann. Frau Do kam dabei meist mit ihrem -natürlichen Verstand aus -- der Herr Doktor aber mußte eine geradezu -unnatürliche Findigkeit aufbieten. - -Es gelang ihm betörend. Auch Mama hörte da gleich mit zu; und Heidi -lehnte mit weitoffenen Augen zwischen Väterchens Knien und konnte gar -nicht erwarten, bis die wunderschönen Weisheiten wohlbedachte Worte -waren. Sie verstand alles herrlich, so herrlich, daß sie behauptete, -Papa könnte ebensogut der liebe Gott sein und die Welt regieren. Dabei -fiel ihr ein, wie das eigentlich gemacht würde, dies Regieren? - -Man kann sich vorstellen, daß ein findiger Verlag auf den Einfall -käme, ein hundertbändiges Lexikon herauszugeben, in dem immer nur vom -Weltregieren die Rede wäre, und an dem die zehntausend besten Gelehrten -der Welt hundert Jahre zu arbeiten hätten -- Jockele aber mußte diese -Aufgabe in einem halben Nachmittage lösen! Es gelang; doch stand er -hernach tief erschüttert und sagte: seine mündliche Doktorprüfung wäre -dagegen ein Kinderspiel gewesen. - -Schon allein daraus ist zu erkennen: langweilig ist es in einer -Dichterkutsche keineswegs. - -Aber Klein Heidi war nur ein Teil der Reisegesellschaft und -Reiseaufgaben, wenn auch der lieblichste; denn da war noch das Werk -über die Flechten; da war der Roman; da war wiederum Heidi, das -Märchenkind; da waren der Hügelmann und die Hügelfrau, die im Geist an -der Fahrt teilnehmen wollten; da waren ferner der Herr und die Frau -Professor Schaffrath, Kordula und Erich Meyer, der blinde König und -sein Freund Rolf Krake, die immerfort in der Auferstehung begriffen -waren -- kurz: wenn die Reise nicht so lang gewesen, wäre es gar nicht -gegangen. - -Vier Stunden der Tagesfahrt brauchte Heidi allein zur Vervollkommnung -der Wertschätzung ihres Papas. Wenn er ihr zwanzig Märchen erzählt -hatte, wollte sie wissen, ob es tausend gäbe, und ob er sie nun alle -erzählt hätte, und er sollte doch gleich noch mal von vorne anfangen, -und bei jedem neuen wollte sie einen Knoten in die Schnur ihres -Nastuchtäschleins knüpfen, damit kein Irrtum entstehe ... - -So lief das weiter. Und so ging die Fahrt herum. Rübezahl und Papa -traten für die Kleine allgemach an die Stelle des lieben Gottes. - -Abends schrieb Jockele manchmal noch einen Brief in den Hardanger -Fjord, ans Horn oder an die beiden Alten im Frühlingshause; denn -eigentlich müde wurde man ja von diesem neumodischen Reisen nicht, -sondern nur ungeheuer wohlig und ausgeruht. Was daher kam: man hatte -sich ganz voller Himmel und Hochwald geatmet. - -Da passierte etwas. Es passierte etwas ganz Unerhörtes. - -Als die Dichterkutsche hinter Oberwiesenthal auf die Kammstraße des -Erzgebirges rollte -- das war also am fünften Tage nach der Ausreise -- -bekam Herr Salzer das Fieber. - -Einen Tag lang trug er es schweratmend mit sich herum. Am nächsten -Morgen fand es sich: auch die Tante Veronika war angesteckt worden. -Salzer, der sogar einen grauen Zylinderhut riskiert hatte, wollte unter -keinen Umständen hinter der Zeit dreinhinken. Er stellte also fest, daß -ihre Krankheit das Reisefieber wäre. Das ließe sich nur heilen, wenn -sie schnurstracks einen Wagen nähmen und hinterdrein führen. - -Weiß Gott, die Sache wurde gemacht! - -Als die Dichterkutsche ins Isergebirge einbog, setzten sich die -Rösser vor der zweiten in Ibenheim am Walde in Bewegung. Tante -Veronika diesmal in einem neuen grauseidenen Umhang, den ihr Herr -Salzer gestiftet hatte, in einem silbergrauen Kapotthütchen mit -veilchenfarbenen Bindebändern und mit dem gelben Krückstock. Und Herr -Salzer im grauen Zylinderhut. Es war außerordentlich. - -Den Reiseweg wußten sie auswendig; denn so an die drei Jahre hatte -Jockele den gelehrten Freund daran in Begeisterung gehüllt. Also. - -Natürlich hatten die Drei in der ersten Dichterkutsche von der zweiten -keine Ahnung. Sie fuhren dahin, als wäre die ihrige ganz allein auf der -Welt. Die Alten hatten es ein bißchen eiliger, und auch sie fanden die -Reise kurzweilig. »Herrlich, herrlich!« sagte Herr Salzer und rollte -seine Augen auf dem grünen Tuche der Matten und Bergwälder und auf dem -blauen des Himmels herum, als wären sie ein paar blanke Billardkugeln. -Herrlich! Herrlich! - -So langten sie auf dem gleichen Wege in Johannisbad bei Freiheit im -Riesengebirge an. Es war ein großes Ereignis. Alle zweihundertzwanzig -Einwohner des Ortes nahmen daran teil. - -»Heidi! Heidi, die Großmama ist gekommen!« - -Ja, lieber Gott, wo ist denn das Kind? Es flatterte doch so aufgetan um -die Mittagsmusik am Kurbrunnen! - -»Heidi! Heidi!« - -Kein Mensch wußte, wo Heidi war. Aber ängstlich war man gar nicht; denn -das kleine Fräulein im blauen Röckchen lächelte alle Finsternis der -Erde hell. - -Tante Veronika brauchte ein Viertelstündchen Mittagsschlaf. Und da es -gerade ihre Zeit war, geleitete Frau Do sie auf ihr Zimmer und sagte, -sie solle nur recht hübsch sorglos schlafen. - -Als Do wieder herunterkam, war Heidi immer noch nicht da. Ein kleines -Mädel sagte: »O, die Heidi ist vor einer Viertelstunde in den Wald -gelaufen, dort beim hohen Steig hinan. Sie hat im Sommergrase gestanden -und hat mit den Schmetterlingen geredet.« - -In den Wald gelaufen? Na! - -»Jo,« sagte Do, »ich werde nun doch ein bißchen ängstlich.« - -»Ach lieber gar -- das gescheite Mädel.« - -»Ich kenne das,« sagte Do. »Sie redet mit Schmetterlingen und Vögeln -und mit blitzenden Bächlein; sie versteht ja all diese Sprachen von -ihrem Papa her ...« - -Keine drei Minuten vergingen, so hatte der Herr Salzer seinen -grauen Zylinder aufgestülpt, griff in der Hast nach Tante Veronikas -Krückstock, der da am Tisch im Kurgarten lehnte, und hüpfte hinter Do -und Jo den hohen Steig entlang gegen den Waldrand. - -Es schwammen Schmetterlinge in der Mittagssonne -- Heidi nicht. - -Es sangen Drosseln, es sangen Grasmücken -- Heidi nicht. - -Es plauderte ein Bächlein zwischen den Blütenköpfen dahin -- Heidi -nicht. - -»Heidi! Heid -- di! Heiei -- diih!« - -Ja, vor einer kleinen Erdenfrist war die Heidi dort gewesen! Man konnte -noch die Füßchen im Grase sehen. Aber da kam ein Schwalbenschwanz am -Waldrande daher gesegelt -- es war, als schwämme er auf der Kurmusik, -die man ganz traumhaft bis hier herauf hören konnte. - -»Wo fliegst du denn hin?« fragte Heidi den Sommervogel in dem schönen -gelben Kleidchen mit den schwarzen Streifen und blauen Tupfen darauf. - -Der Schmetterling sagte nichts, bog in den Wald und winkte so mit den -Flügeln. Da ging Heidi ein bißchen hinterdrein. - -Auf einmal -- da zog ein Trauermantel um einen silbernen Birkenstamm. -Der hatte ein Röckchen aus dunkelbraunem Sammet an, funkelnagelneu, und -mit hellgelben Borten. - -»Ei, du bist ein kleines Mädchen wie ich,« sagte das himmelblaue -Menschenkind; »denn die Buben bei den Trauermänteln tragen Kleider aus -schwarzem Sammet. Darf ich mitkommen?« - -Der Trauermantel winkte mit den Flügeln und flog über den Bach. - -Plötzlich konnte das Bächlein reden und sagte: »Guten Tag, Heidi -Sinsheimer. Komm, spring ein bißchen mit mir den Berg hinunter. Wir -laufen zur Buschgroßmutter!« - -»Meinst du auch, daß ich mich wieder heimfinde von solch einer langen -Reise? Du mußt doch bedenken, daß ich noch ein recht kleiner Mensch -bin.« - -»Haha,« lachte das Bächlein, »nichts leichter als das! Du brauchst nur -immer an meinem Ufer zurückzulaufen, bis du zu der weißen Birke kommst; -von dort führt das Pfädlein aus dem Walde.« - -Ein Stückchen ging Heidi mit. Das Bächlein plätscherte so herrlich um -die Steine. Da sangen sie ein Lied miteinander, und Heidi pflückte im -Wandern und Singen ein Händchen voll Vergißmeinnicht. Und da sie an -einen Mooshang gelangte, setzte sie sich hin und wollte ein Kränzlein -winden ... winden ... la ... la ... l ... - -Auf einmal guckte ein liebes kleines Gesicht über den Spiegel des -Baches heraus. Das sah genau aus wie Heidis Gesicht, das sie vorhin -darin gesehen hatte, und hatte so goldene Härchen und so zwei Augen -voller Frühling. - -»Heidi,« sagte das Kleine, das da über den Bachrand guckte, »paß auf, -jetzt kommt gleich der Elfenzug durch den Wald!« - -Und schon ging es los. Es war eine sehr merkwürdige Geschichte; denn es -kam mitten auf der silbernen Straße des Bächleins daher: hundert Elfen, -oder tausend, oder eine Million -- das wußte Heidi nicht so genau. Aber -es waren lauter Elfen in herrlichen bunten Kleidchen. Hohe Stengel -rosaroten Fingerhuts schwangen die ersten und klingelten damit, daß die -Luft wackelte. Dunkelrotes Löwenmaul trugen die anderen und Mohnblumen, -und dann kam ein schöner junger Elfenjunge mit braunen Locken, der -spielte auf einer Hirtenflöte, wie sie jener Knabe beim Schneebruche -geblasen hatte. Danach marschierten sie alle im Takt und marschierten -hinüber auf die Waldwiese, die an dem Berghange lag. Viele winkten dem -kleinen Mädchen am anderen Ufer: »Heidi! Heidi, komm mit! Weißt du denn -nicht, daß Herr Rübezahl heute Hochzeit hält?« - -»Ah,« sagte Heidi, »das trifft sich ja großartig! Natürlich komm' ich -da mit. Aber ein bißchen will ich noch warten und dem langen Zuge -zugucken -- es sind ja eine Million.« - -Es kamen immer mehr, und sie schritten im Takte der Pfeife. In der -Mitte des Zuges ging ein schönes weißes Pferd, und darauf saß ein -wunderschönes Jungfräulein. Das war die Braut. Sie hatte ein seegrünes -Schleierkleid an, und das Haar fiel ihr über die Schultern wie -gesponnenes Mondlicht. - -Ein Mann führte das Pferd am Zügel über alle Fährnisse. Der hatte einen -so großen Bart, daß er ihm bis auf die Bergschuhe hinabfiel. Und in der -Hand hatte er einen mäßigen Fichtenstamm als Spazierstock. - -»Ist das der Herr Rübezahl?« fragte Heidi. - -»Natürlich! Und du bist wohl gar ein richtiges Menschenkind, weil du -den König der Berge nicht kennst?« - -»O,« sagte Heidi, »kennen tu ich ihn schon. Ich kenn' ihn sogar sehr -gut. Aber, nicht wahr -- wenn man einem Bergkönig zum ersten Male -begegnet --« - -»Komm mit, komm mit!« sagten die Elfen, und warfen ihr Blumen herüber; -die sprangen dem kleinen Mädchen an die Nase oder auf die Stirn und -waren kühl wie Morgentau. - -Dann ging sie mit und ging richtig im Takte der Pfeife, die nun -von ganz fern über den Hügel herüberklang. Sie lief auch rasch -einmal zu dem weißen Pferd und warf der schönen jungen Elfenbraut -ihre Vergißmeinnicht in den Schoß. Da nickte die sehr lieblich und -königlich. Und Heidi machte ihr einen feinen Knicks. - -Nach einer Weile kamen sie auf eine kleine Wiese im Walde. Dort stand -ein Himmelbett aus blauer Seide, und oben auf dem Himmel saßen zwölf -Engel und wackelten mit den Flügeln. - -Auf einmal erklang eine mächtige Stimme. Nämlich: der Herr Rübezahl -hielt eine Rede ... - -Es war aber gar nicht der Herr Rübezahl, sondern es war der Herr -Professor Salzer, der hatte den gelben Krückstock in die Erde gestochen -und den grauen Stoffzylinder daraufgestülpt, wischte sich den Schweiß -von der Stirn und sagte: »Na, Heidi, was ist dir denn eigentlich -eingefallen?« - -Und neben ihm standen Papa und Mama und eine große Menge Menschen aus -Johannisbad, dazu die halbe Kurmusik; denn als es ruchbar geworden, daß -Heidi weg wäre, die der Liebling aller war, kriegten sie das Suchen und -stürzten gegen den Wald, als wäre dort ein Luftschiff niedergegangen -und sie müßten es besehen. - -Und nun tat Heidi die Augen auf und sagte: »O, jetzt seid ihr gerade zu -spät gekommen! Nämlich, der Herr Rübezahl hat heute Hochzeit und eben -ist der ganze Zug hier vorübergeschritten.« - -Eigentlich wollte Mama ein bißchen schelten. Aber nun ging das nicht. -Es gab nur Küsse, und der Großpapa Salzer hatte ihr noch etwas sehr -Schönes mitgebracht. - -Ein Glück war, daß Fräulein Sinsheimer die ganze Aufregung verschlafen -hatte. - - -Einmal im August, als schon die Linden tief drinnen im Astwerk die -ersten goldenen Blätter aufsteckten, war der ganze Freundeskreis -wieder im Märchenhause versammelt. Auch die Tante Veronika war mit aus -Ibenheim gekommen. Sie hatten die fröhliche Heimkehr gefeiert, und Herr -Salzer war Festredner gewesen. Zwei Stunden war ihm Frist gesteckt -worden dafür -- das war lange. Aber es ist zu bedenken, daß er über die -Erlebnisse zweier Dichterkutschen und über Rübezahls Hochzeit und die -schöne Elfenbraut im seegrünen Schleierkleide und über ein Himmelbett -mit zwölf Engeln zu berichten hatte ... - -Es war schön. Es war atemberaubend schön. Es war so springlebendig, daß -sie meinten, sie machten die Reise in dieser Nacht noch einmal. Aber -nun waren es vier Dichterkutschen. - -Als Herr Salzer fertig war, waren sie noch lange nicht müde, und -Gwendolin bat: »So, Jockele, und nun lies uns deinen Roman.« - -»Das nächste Mal,« sagte er, »es ist ja gleich Mitternacht.« - -Da schlugen die Uhren. - - - - -Im Verlag +Ullstein & Co, Berlin+, erschien ferner in der Sammlung der -Ullstein-Bücher von - -Max Geißler - - Jockele - und die Mädchen - - Ein Buch der Jugend ist dieser erste Jockele-Roman - Geißlers und ein Buch der genialischen Lehrjahre, - durch die der schwarzlockige Jakobus Sinsheimer, - Kunstschüler in Weimar und Student in Jena, zum - Manne reift. Kluge und törichte, blonde und dunkle, - sanfte und ausgelassene Mädchen begleiten das - verhätschelte Naturkind. An die rauschende Ilm - versetzt der Roman, in den Weimarer Stadtpark, - ins Liszthaus, nach Tiefurt, Belvedere und - Ettersburg. Allen Reiz der Erinnerung macht - er lebendig, der für die deutsche Andacht - diese Stuben und Gärten umklingt, und der - traulich hinüberspielt in die Gegenwart - mit ihrem frohen, jungen - Menschenwesen. - -In gleicher Ausstattung zu gleichem Preise - - - - -Verlag Ullstein & Co, Berlin - -Ferner erschien von - - -Max Geißler - -Der Stein der Weisen - -Die letzten fünfundzwanzig Jahre deutschen Lebens umfaßt Max Geißlers -Roman, der ganz eingesponnen ist in den Frieden des dunkelgrünen -Bergwaldes. Durchs Wettertal fährt im Juli 1890 der Doktor Valerius -Degenhart aus Frankfurt a. Main, der Träumer, der aus der zerrüttenden -Berufsarbeit sich nach der großen Stille sehnt. Im Wettertal läßt -er, als seine unmoderne Reisekutsche verunglückt, zu dauernder Rast -sich nieder. Zwischen Himmel und Erde, vor einer Natur von unsagbarer -Schönheit baut er sich sein Haus, die Streitburg. Wenig Äußeres -geschieht in diesem Buch. Aber es hat eine Melodie tiefinnerster -Seligkeit, die im Herzen nachklingt wie der Glanz endloser Sommertage, -und die Andacht, mit der es vom wahren Glück spricht, kommt aus dem -besten Erbteil des deutschen Wesens. - -Preis 4.50 Mark - - - - -Von Max Geißler sind im Verlage von +L. Staackmann+ in Leipzig -erschienen: - - - +Das Tristanlied.+ Epos - - +Die Rose von Schottland.+ Epos - - +Gedichte.+ Volksausgabe - - +Die neuen Gedichte.+ Volksausgabe - - +Die Bernsteinhexe.+ Schauspiel - - +Die Herrgottswiege.+ Roman - - +Das hohe Licht.+ Roman - - +Soldatenballaden+ - - +Am Sonnenwirbel.+ Roman - - +Das Heidejahr.+ Roman - - +Das Moordorf.+ Roman - - +Das sechste Gebot.+ Roman - - +Der Erlkönig.+ Roman - - +Die Glocken von Robbensiel.+ Roman - - +Nach Rußland wollen wir reiten!+ Roman - - +Die Musikantenstadt.+ Roman - - +Hütten im Hochland.+ Roman - - +Inseln im Winde.+ Roman - - +Die goldenen Türme.+ Roman - - +Die Wacht in Polen.+ Roman - - +Das neue Märchenbuch+ - - +Briefe an meine Frau+ - - - - -[Illustration] - - Ullstein & Co - Berlin SW 68 - - - - - Weitere Anmerkungen zur Transkription - - - Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. - Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die - Originalschreibweise wurde beibehalten. Der Schmutztitel wurde - entfernt. - - Korrekturen: - - S. 22: übernächtigen → übermächtigen - diesem besinnlichen, etwas {übermächtigen} Kopfe nicht - - S. 43: Harsager → Harfager - Ballade über Harald {Harfager} gesungen - - S. 57: pflag → pflog - den Bergen sein verschwiegenes Dasein {pflog} - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Jockele und seine Frau, by Max Geißler - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOCKELE UND SEINE FRAU *** - -***** This file should be named 54677-0.txt or 54677-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/4/6/7/54677/ - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions -will be renamed. - -Creating the works from public domain print editions means that no -one owns a United States copyright in these works, so the Foundation -(and you!) can copy and distribute it in the United States without -permission and without paying copyright royalties. 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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Jockele und seine Frau - -Author: Max Geißler - -Release Date: May 7, 2017 [EBook #54677] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOCKELE UND SEINE FRAU *** - - - - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - - - - - -</pre> - -<div class="transnote"> -<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt. -Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>. -Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so markiert</em>.</p> - -<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich -am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p></div> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p class="h2">Ullstein-Bücher</p> - -<p class="center">Eine Sammlung<br /> -zeitgenössischer Romane</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/signet.png" alt="Signet" /> -</div> - -<p class="center larger">Ullstein & Co / Berlin und Wien -</p> -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<h1>Jockele und seine Frau</h1> - -<p class="center">Roman von</p> - -<p class="h2">Max Geißler</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/signet.png" alt="Signet" /> -</div> - -<p class="center">Ullstein & Co / Berlin und Wien</p> - -<div class="figright"> -<img src="images/censor.png" alt="Censorship mark" /> -</div> -<hr class="chap" /> -</div> - - -<div class="chapter"> -<p class="center">Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten<br /> -Amerikanisches Copyright 1917 by Ullstein & Co, Berlin</p> - -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_9">[9]</a></span></p> - -<p class="drop">Der Doktor Jakobus Sinsheimer – lieber Gott, wer kennt -den Doktor Jakobus Sinsheimer nicht! Hat er nicht -als »der Jockele« wegen seines heftigen Betriebes mit den -Mädchen die kleine Stadt Weimar in große Aufregung versetzt? -Der Jockele, der als Zigeunerbüblein von der guten -Tante Veronika auf der Schwelle des Hauses am Walde -gefunden wurde! Der Jockele, der sich hernach so kraftvoll -hineinliebte ins Leben! Der zuerst ein Maler werden wollte, -und zu dem dann sein väterlicher Freund Ernst Haeckel in -Jena sagte: »Ein rechter Kerl geht nicht unter – auch ohne -Matura; deutsche Hochschulprofessoren sind keine Philister, -und aus einem Zigeuner wird durch die kluge Sorge seiner -alten Tante ein gelehrter Doktor.«</p> -</div> - -<p>In Bonn, wo er mit Doris Rinkhaus Hochzeit feierte, -sprach er ein Wort von grundlegender Bedeutung. Er sagte: -»Mit Männern, in deren Leben die Frauen nicht eine ungeheure -Rolle spielen, hat es ein Aber.« Das schmetterte -er so über die Hochzeitsgesellschaft hin. Und die Welt hielt -davor den Atem an. Eine ältere Dame sagte sogar: »Ooh!«</p> - -<p>Papa Rinkhaus, der Fabrikbesitzer, war ein gescheiter, -eigenwilliger und reicher Mann. Es kam ihm gar nicht darauf -an, den Schwiegersohn gleich an seinem Ehrentag ein bißchen -in Reparatur zu nehmen. Seiner väterlichen Würde war -sowieso eine harte Probe zugemutet worden, weil seine -Tochter Doris ihre Herzensangelegenheit durchaus zu eigener<span class="pagenum"><a id="Seite_10">[10]</a></span> -Sache gemacht hatte. Nun konnte er gleich anfangen, das -Versäumte nachzuholen; denn – wie gesagt – die Hochzeitsgäste -hielten den Atem an. Der Jockele, der aus dem Thüringer -Walde gezogen worden wie Moses aus dem Schilfe -des Nil, schien ja mit recht netten Grundsätzen in die Ehe -zu treten! Oh!</p> - -<p>Aber Xaverius Rinkhaus zerplatzte nicht gleich, wie das -die ältere Dame erwartet hatte. Nein, nein, er war auch ein -vorsichtiger Mann und fragte: »Wie meinen Sie das?« -Es klang steil.</p> - -<p>»Ganz anders, als Sie erwarten, meine Herrschaften,« -sagte Jockele mit Genugtuung. »Was mich betrifft, so werde -ich mich in die Sonne meiner Frau stehen, wie sich die Erde -stellt in das Licht des Frühlingshimmels.«</p> - -<p>»Wie schön!« seufzte die ältere Dame bekehrt. Aber »Na -na!« sagte Fräulein Hanna von Fellner, die ein halbes Jahr -mit einem Oberleutnant verlobt gewesen war. Im Grunde -war es ihr gar nicht unangenehm, daß man es bei diesem -deutsamen »Na na« nicht bewenden lassen wollte. Sie hatte -gegen die Liebesfähigkeit junger Männer ihre Bedenken – zum -mindesten gegen die Ausdauer dieser Liebesfähigkeit. Und -weil der Hochzeiter Jockele so vergnügt um sie herschien, -getraute sie sich, mit ihm eine Lanze zu brechen. Oho!</p> - -<p>»Lieber Doktor, Sie sind ja nur in die Enge getrieben -worden. Sie wollen Ihre junge Frau nicht ängstlich machen. -Und Sie fürchten sich vor dem gewappneten Heer, das um -Sie lagert! Wetten wir, daß Sie vor dem ehelichen Dasein -alle Bangigkeit befallen hat, die die Männer nun einmal -davor aufbringen?«</p> - -<p>Es war ein roter neunzehnjähriger Mädchenmund, der das -daherredete, wunderhübsch aufgeblüht und wissend – aber nicht -zu sehr. Und gar nicht verkümmert in ungestillten Sehnsüchten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_11">[11]</a></span></p> - -<p>Deshalb setzten namentlich die jungen Frauen der Tafelrunde -gleich alle Lichter heraus. Teufel auch – wenn solche -Weisheiten zwischen angewelkten Lippen hervorgesickert wären, -so hätte man sich verstohlen mit den Füßen ein Zeichen gegeben -und hätte gedacht: »Nun ja, die Konzession hat sie -nicht bekommen – deshalb verschenkt sie nun den Wermut -der Liebe.« Aber auf Hanna von Fellner traf das nicht zu. -Nein, es traf nicht zu – trotz der aufgetrennten Verlobung; -denn erstens war sie Dos ausgezeichnete Freundin, und -zweitens war sie dieser aufrechten und klaren Do leuchtendes -Ebenbild. Wer die beiden nicht kannte, hielt sie für Schwestern.</p> - -<p>Der Hochzeiter Jockele hatte, wie man weiß, gerade sein -Werk »Der Kunsttrieb der Natur« vollendet. Deshalb hatte -er den Kopf noch bis oben voll von Wissenschaft über »die -Entwicklung der Organismen aus eigener Kraft durch die -physikalische und chemische Energie der lebendigen Substanz«. -Er hätte also präziser antworten können, als er es tat. Aber -er wollte der lustig aufgewiegelten Hanna nicht gleich Schach -bieten, ließ sich in ein Gefecht mit ihr ein und wettete um -eine Mark: er hätte nicht halb so viel Angst vor dem ehelichen -Dasein, als sie ihm andichte.</p> - -<p>Schon wegen der Wette um die Mark bekam er die Lacher -auf seine Seite. Für Hanna von Fellner dagegen wurde die -Lage unbequem.</p> - -<p>»Lassen Sie sich nicht aus dem Sattel werfen, Hannachen!« -reizte Herr Xaverius Rinkhaus.</p> - -<p>Nun, der Jockele war ja seit drei Stunden verheiratet; und -Hanna gehörte zu seiner Frau – sie gehörte also auch zu ihm. -Deshalb durfte sie das schon wagen. »Also,« trumpfte sie -heraus, »meine Wette hab' ich gewonnen: ein bißchen Angst -haben Sie schon zugegeben! Sie sind aber auch ein viel zu -junger und interessanter Mann, als daß es Ihnen nicht bange<span class="pagenum"><a id="Seite_12">[12]</a></span> -sein müßte vor der Hürde der Ehe. Wie lautet doch die Weisheit -junger Leute Ihres Schlages? Sie schupfen verstellungsfroh die -Schultern, lieber Doktor! So will ich Ihnen auf die Sprünge -helfen. Sie alle fürchten sich vor dem geordneten Leben …«</p> - -<p>»Stempeln Sie mit diesem kühnen Satze nicht jeden unverheirateten -Mann zu einem Zigeuner?«</p> - -<p>Das sorglos gleitende Schiff Hannas war gegen eine Klippe -gefahren. »Nun, so will ich sagen: Junge Männer, wenn sie -glauben, daß sie richtig gehen, lieben die fröhliche Wildnis, -und sie meinen, in der Ehe verkümmern ihnen unentbehrliche -Blüten des Lebens.«</p> - -<p>Es war keine Erörterung für eine Hochzeitstafel; auch dann -nicht, wenn man schon bei den Knackmandeln war. Und doch -geriet weder die vortreffliche Stimmung noch einer der Gäste -dabei in Gefahr. Nicht einmal Hanna selbst. Aber sie war -klug und wollte für diesmal nicht recht behalten. Sie warf -dem Jockele also noch rasch einige Perlen aus der Kette -ihrer Gedanken zu und rief: »Geben Sie acht, Doktor, daß -Ihnen keine davon fortkommt! Auf der Insel der Auferstehung -oder im Riesengebirge oder im Gartenhaus am Horn -in Weimar wollen wir sie wieder schön auf den Faden reihen.«</p> - -<p>Die Insel der Auferstehung ist ein Eiland im Hardanger -Fjord. Der Name war von einem Kreise junger Menschen -erfunden, die in jener Zeit daselbst hausten. Eine Vereinigung -von Künstlern, Träumern und lebensfrohen Kämpfern, die -sich »Sturmschwalben« nannten.</p> - -<p>Hanna von Fellner hatte nach ihrem rückgängig gewordenen -Verlöbnis zwei Wochen auf dieser seligen Insel gelebt. Sie -war von einer Freundin dorthin gerufen worden, die die -Düsseldorfer Akademie besuchte und einen Sommer lang am -Strande Norwegens malte. »Ich gehörte zu den Träumern -unter den Sturmschwalben,« sagte Hanna.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_13">[13]</a></span></p> - -<p>»Nun ja, damals!« lachte Jockele.</p> - -<p>Und sie berichtete, wie herrlich, groß und einsam die Welt -dort wäre. Die Insel der Auferstehung sollte das erste Reiseziel -des Doktors und seiner jungen Frau sein. Hannas beredter -Mund hatte viel zu reizvoll von dem Fjord und den Sturmschwalben -geplaudert. Dort im nordischen Sunde auf dem -Sonneneiland flog Jugend aus vielen Ländern zusammen. Es -gab keine gedruckten Vereinsgesetze, keinen Vorstand und keinen -Kassierer, keinen Monatsbeitrag und keinerlei andere Verpflichtungen. -Die Feste, der Ernst und der Frohmut, das Weilen -und das Wandern waren dort Eingebungen des Augenblicks.</p> - -<p>Im Hochzeitstag am Rheine tauchte das Bild der Insel -der Auferstehung empor und ging unter in Tanz und Glück. -Vor Mitternacht – aber lange nicht als die letzten – verschwanden -auch Jockele und Do. Danach blieben sie einige -Zeit verschollen. Das erste Lebenszeichen sandten sie aus dem -Blockhaus am Fjordstrand, in dem sie ihre Koffer, ihre Daseinslust -und ihre Neugier einstweilen verstaut hatten. Von -Hanna wußten sie: ein Gasthaus gab es auf der kleinen Insel -nicht. Auch nach ihrem Namen forschten sie bei den Fischern -vergeblich. Selbst auf dem Dampfboote, das sie durch den -Fjord trug, hatte kein Mensch eine Ahnung von dem Eilande -der Auferstehung. Nur das Gehöft Krokengaard kannte man. -Das lag drüben am Fjordufer über der Sägemühle. Das -hatte ihnen Hanna als Ziel ihrer Fahrt genannt. Es schäumte -nahe dabei in jähem Sturz ein Bergfluß über Schründe und -Zacken und zerschlug sich zu einem Schleier von Staub.</p> - -<p>Am anderen Morgen ergingen sich Do und Jockele am -Strande vor dem Plätschern der schimmernden Wasser. Da -glitt ein Boot mit einem braunen Segel herüber, und Nane -Thord stieg heraus. Sie trug ein schwarzes Wollgewand -und eine weiße Haube.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_14">[14]</a></span></p> - -<p>Auf Nane Thord mit den stillen grauen Augen hatten sie -gewartet. Das war die Witwe des Fischers Lars Thord. Sie -segelte bis tief in den Herbst hinein an jedem Morgen von -der Insel herüber. Mit dem geräumigen Korb am Arm zog -sie von Haus zu Haus. Auf Krokengaard erstand sie Eier und -Butter, beim Krämer geräucherten und rohen Lachs, Anschovis, -fetten Hering. Sie kaufte rote Rüben und Zwiebeln, Olivenöl, -Essig und Pfeffer; Knäckebröd mit Anis gewürzt; Sillsalat -aus mariniertem Hering; sie feilschte um Gammalost, den -schärfsten alten Käse, für den der Maler Henrik Tofte seinen -letzten Pfennig anlegte, und ließ sich die Flaschen füllen mit -Pomerans und Finkelbränvin. Sie verstaute in ihrem Korb -Brot aus feinem Mehl und Gänsebrust und Kaviar … Oh, -dem »Smörgasbord« von Nane Thord konnte kein Mensch -nachsagen, daß dieser kleine Vorspeisentisch nicht zu aller Zeit -mit Umsicht und Liebe gerüstet stünde! Was ein Smörgasbord -eigentlich wäre, wußten die beiden landfremden Hochzeitsmenschen -noch gar nicht. Sie kamen sich bei ihrer Strandwanderung -ein wenig entwurzelt und sehnsüchtig vor; denn -sie waren an ihrem Reiseziel und waren es doch nicht. Sie -hätten hinüberrufen können zu der Insel der Auferstehung, -und dennoch lag die in dem dunkeln Wasser wie ein fernes, -fernes Land. Es war, als müßten sie erst die Schneegefilde -vom Folgefond, die sich vor ihnen in der Flut des Fjords -spiegelten, überschreiten in langer, mühsamer Wanderung, um -hinzugelangen. Aber als Nane Thords Boot gegen den Strand -stieß, sprangen sie herzu wie Kinder, die ihre Mutter erwarten, -und als wäre das Schifflein das Spielzeug, das sie ihnen -mitgebracht hatte.</p> - -<p>Nane Thord aber wunderte sich an der leuchtenden jungen -Frau Do über die Maßen. »Es wachsen viele blonde und -hohe Mädchen an diesem Strande,« sagte sie, »aber so hell<span class="pagenum"><a id="Seite_15">[15]</a></span> -ist keine von uns.« Do sah aus wie ein Maitag, der über die -Zinnen der Berge blüht. Dann redeten sie von Hanna und -fanden sich darüber gleich gutbekannt zueinander.</p> - -<p>Während Nane Thord ihren Einkäufen nachging, blieben -die beiden im Boot. Sie machten es los und glitten vor dem -sachten Morgenwind uferhin. Es dauerte zwei Stunden. Da -lernten sie das Boot wenden und die Leinwand in den Wind -stellen. Sie wurden kecker und fuhren ein wenig hinaus.</p> - -<p>Es hatte sich nämlich ein Mensch zwischen dem Gesteine -der Insel halb aufgerichtet und schaute ihnen unverwandt zu. -»Ich glaube, dieser steinerne Gast ist Rolf Krake,« sagte Do.</p> - -<p>»Ach so – der Dichter, Träumer, Maler, Lautenschläger und -Drechsler?« fragte Jockele. Sie kannten seinen Namen und -seine wunderliche Art von Hanna. Die hatte ihnen sein Bild -nicht ohne Teilnahme gezeichnet und hatte gesagt, Rolf Krake -wäre die einzige der Sturmschwalben, die Nane Thord über -den Winter hätte Gesellschaft leisten wollen. Das einsame -Eiland gehörte ihr, und außer ihr wohnte niemand dort.</p> - -<p>Von Rolf Krake stammte der Name der Insel und der -Vereinigung. Von ihm rührte auch der Anbau aus Stämmen -her, der dem kleinen Blockhause des Fischers Thord im vorigen -Jahr angefügt worden war.</p> - -<p>Dieser Anbau hatte, wie das alte Haus, ein Rasendach, -tief herabgezogen und auf geschälte Birkenrinde gelegt. Aber -während der Rasen auf dem alten ganz von Moos und Flechten -übersponnen war und nun in der Morgensonne leuchtete -wie dunkles Gold, blühte das neue wie ein Frühlingsanger -von Gänseblumen, blauem Gundermann, roten Taubnesseln -und Schaumkraut. »Man kann von den Dächern dieser Blockhäuser -die ganze norwegische Flora zusammenstellen,« sagte -der Naturforscher Jockele.</p> - -<p>Da sahen sie Nane Thord von der Sägemühle her wieder<span class="pagenum"><a id="Seite_16">[16]</a></span> -über das kurze Gras des Vorlands herabschreiten. Sie -arbeitete mit dem freien Arm wie eine Windmühle mit ihren -Flügeln; denn sie wollte sich den beiden bemerkbar machen. -Also fuhren sie hinüber. Nane Thord ergriff Steuer und -Segelleine. Und wie ein Renner, der sich wieder in sicheren -Händen weiß, eilte das Fahrzeug nun über den Fjord.</p> - -<p>Der Mann zwischen den Steinen kroch hervor und machte -das Boot fest. Es war aber nicht Rolf Krake, sondern Henrik -Tofte, der Maler, der auf seinen alten Käse gewartet hatte. -»Nane Thord hat mir den Tag zerdonnert,« sagte er. »Wissen -Sie, auf mich haben alte Käse die Wirkung wie auf Ihren -Dichter Schiller die faulen Äpfel. Eigentlich wollte ich heute -das Bild für Johnny fertigkriegen – es ist nämlich eine Sonnenstimmung -aus dem frühen Tage … Nun bin ich den Vormittag -über zu Stein geworden.« Dabei schob er einen halben -Laib Brot aus der Hand Nane Thords in die Tasche seines -Malkittels, nahm den Steinnapf mit dem Käse in Empfang -und stieg wieder seinem vorigen Sitz in den Zacken entgegen.</p> - -<p>»Man darf es mit Herrn Tofte nicht verderben,« sagte Nane -Thord geheimnisvoll. »Er ist 'n Kerl wie 'n Eichbaum; er -kann malen wie der liebe Gott. Aber wenn er wild wird, -geht er nieder wie eine Lawine.«</p> - -<p>»Ein bißchen viel auf einmal,« lachte Do. »Hat ihn eigentlich -Fräulein von Fellner kennen gelernt?«</p> - -<p>»Ah nein! Er ist doch erst mit den beiden Engländern -James King und John Williams im August gekommen.«</p> - -<p>Dann schritten sie vom Landeplatz den schmalen Steig -zwischen Felsblöcken empor und traten in den neuen Teil -des Blockhauses, den sie den Krakesaal nannten. Es war ein -einziger großer Raum mit zwei Reihen niederer Fenster an -den Längsseiten, mit weißen Vorhängen und mit Blumen auf -den Brettern. An der rückwärtigen Schmalseite lag eine<span class="pagenum"><a id="Seite_17">[17]</a></span> -Feuerstelle. Ein Kupferkessel hing an einer Kette über -glimmender Torfglut. In der Mitte stand ein bedeutender -runder Tisch. Dunkle geräumige Stühle waren im Kreise -darum geordnet. Und beim ersten Fenster, vor der Staffelei, -stand eine Malerin, die strich in heftiger Versunkenheit die -goldene Dämmernis aus ihrem Pinsel. Sie dachte wohl: es ist -Henrik Tofte, der mit der Fischerfrau hereinkommt. Deshalb -wandte sie sich nicht um. Aber als sie Nane Thords feiertägliche -Sprache hörte, wagte sie einen Blick aus ihrer Lichtfreude. -Und …</p> - -<p>»Jockele! Do, goldene Do!«</p> - -<p>»Gwendolin Vogelgesang!«</p> - -<p>Es folgte ein ungeheurer Zusammensturz. Zuerst rissen -sich Gwendolin und Jockele an die Herzen. Dann warf Do -ihre Arme um beide. So jauchzten sie ihre Glückseligkeit von -heißen Lippen und aus quellenden Augen übereinander dahin. -»Gwendolin, du ewiges Licht, du Zauberin!« Und genau -wie damals in der Stube der kleinen Wirtschaft im Webicht -bei Weimar, als die lange Gwendolin dem Jockele die Bilder -zum »Armen Heinrich« verkauft und ihm sein erstes selbstverdientes -Geld in blauen Scheinen gebracht hatte – genau -wie damals schossen diese ranken jungen Menschen durcheinander -wie Waldbäume und verflochten sich mit Wurzeln -und Ästen. Aber nun waren es ihrer drei. Und genau wie -damals stand eine Wirtsfrau zwischen Tür und Angel, kriegte -die Verklärung und schrieb unter das Bild in Lebensgröße -»Ein Wiedersehen nach langen Jahren«. Aber nun hieß die -Wirtsfrau Nane Thord.</p> - -<p>Großer Gott, wie klein ist deine Erde!</p> - -<p>Henrik Tofte bekam durch das offene Fenster hinaus eine -Ahnung der Ereignisse. Sollte der Herr, der sich ihm als -Doktor Sinsheimer vorgestellt hatte, einer der vielen sein, die<span class="pagenum"><a id="Seite_18">[18]</a></span> -Gwendolin Vogelgesang einmal schön gefunden hatten? Und -einer von denen, die sie hernach gehen hieß mit hochmütigem -Munde – »ich kenne diesen Menschen nicht«?</p> - -<p>Henrik Tofte, der ährenblonde Skalde, schritt zweimal ums -Haus, um sich zu überzeugen, ob es dadrinnen einen Streit -gäbe oder eine ausgelassene Freude. Er entschied sich für die -Freude und kam herein. »Tofte, herrlicher Tofte, das ist doch -der Jockele und seine Frau Do!« jubelte Gwendolin.</p> - -<p>»Ach soo!« brummte der Maler. Dann vollbrachte er eine -fast ehrfürchtige Verbeugung vor Do. Aber den Jockele nahm -er in seine beiden Hände … »Herr, Herr –«</p> - -<p>»So redet er sonst nur den lieben Gott an,« rief Gwendolin -dazwischen.</p> - -<p>»Herr, Herr, hätten Sie sich nicht mit einem falschen Namen -eingeführt drunten am Inselrande, so hätt' ich Sie auf -meinen Armen in dies Haus getragen. Ja, wenn Sie der -Jockele sind, Sie Seligster unter den Menschen! Sie kennen -wir hier besser als uns selber. Na, und nun können Sie ja mit -Gwendolin und Ihrer blonden Frau wieder durch die Welt -ziehen wie auf dem Umschlagbilde des Buches ›Jockele und -die Mädchen‹. Ein gelbes Kleid und einen Wildrosenhut hat -die lange Gwendolin nämlich wieder … Und jetzt, Mutter -Thord, bringen Sie Sekt, viel Sekt! Hätten Sie heut morgen -alten Käse gehabt statt Quark, so wäre mein Bild jetzt fertig, -und Mister Johnny hätte mir eine Anzahlung gemacht, -bis daß es trocken ist. Nun aber schreiben Sie den Sekt so -lange auf.«</p> - -<p>»Geld hat er nie,« erklärte Gwendolin. »Und doch verdient -er schrecklich viel. Ich sag' euch: er kann malen …«</p> - -<p>»Wie ein Gott!« unterbrach sie Do.</p> - -<p>»Nein, er kann malen, daß man sich schämt, neben ihm -einen Pinsel anzurühren. Geld hat er nie. Aber er ist der<span class="pagenum"><a id="Seite_19">[19]</a></span> -Schönste unter den Menschen.« Dabei wandte sich Gwendolin -ab, aber nicht, weil sie rot wurde, sondern weil sie ihren -Malkittel abstreifte und an den Haken hängte. »Kommen Sie, -Tofte,« sagte sie dann und zog ihm den Linnenrock aus, »Sie -gehen ja daher, als wären Sie von Stein.« Gwendolin hatte -nun wirklich das gelbe Kleid an und sah aus, als liefe sie gerade -aus dem Bilde vom Jockelebuch.</p> - -<p>Marit, das Hausmädchen, hatte inzwischen das Smörgasbord -hergerichtet; und Jockele und Do erfuhren, was es damit -für eine Bewandtnis hatte. Dieser Vorspeisentisch stand an -der anderen Schmalseite des Saales, der Feuerstelle gegenüber, -und wies, sauber zugeschnitten, alle Herrlichkeiten auf, die -Nane Thord an den Vormittagen drüben in der Welt erhandelte. -Es standen Teller dabei. Jeder nahm sich so viel und -wonach er Lust hatte.</p> - -<p>Henrik Tofte hatte draußen gefrühstückt. Er beschied sich -bei einem Vortrunk Pomerans und Finkelbränvin. Dann -saßen sie um den Tisch her. Tofte konnte tagelang zugeschlossen -sein wie die Memnonssäule; aber heute klang er sein -Glück in die Welt in ewigem Sonnenaufgang. »Herr, Herr, -ich habe Mortsrespekt vor Ihnen,« sagte er zu Jockele, »aber -dies erste volle Glas bring ich Ihrer herrlichen Frau! Frau Do, -wissen Sie, daß Sie einen finsteren Winter lang der hohe -Stern dieses Hauses gewesen sind?«</p> - -<p>Da die Hauptmahlzeit erst des Abends um sieben Uhr genommen -wurde, hatte man Muße, alles zu erfahren, was man -voneinander wissen wollte. Jockele und Do würden auch Gelegenheit -haben, alle Sturmschwalben kennenzulernen, die -in diesen Tagen im Hardanger Fjord wohnten, sagte Gwendolin. -»Sie fliegen nämlich herum, wo sie wollen – auf, in -die Fjelds oder gar hin zu den Firnen, weit ins Land, zu -den Wasserfällen in die Schluchten, oder sie segeln den Fjord<span class="pagenum"><a id="Seite_20">[20]</a></span> -entlang. Nur zu Tisch erscheinen sie des Abends alle mit -Pünktlichkeit.«</p> - -<p>Hanna von Fellner und Gwendolin kannten sich übrigens -nicht. Auch hatte sich seit Hannas kurzem Aufenthalte manches -geändert; denn Henrik Tofte und Gwendolin wohnten nun -doch auf der Insel bei Nane Thord. Durch den Anbau waren -in dem Fischerhause zwei kleine Räume dafür frei geworden.</p> - -<p>Neben dem Wiedersehen erstaunte Jockele am stärksten -über das Verhältnis Dos zu Gwendolin. Er mußte jenes -Tages auf dem Ettersberge bei Weimar gedenken, an dem sie -Gwendolin malend im Walde getroffen hatten. »Jakobus -Sinsheimer,« hatte Do damals zu ihm gesagt, »diese da ist -Gwendolin Vogelgesang, eine Böhmin, und sehr jung. Die -Männer finden sie hübsch, und sie kann etwas.« So war das -Bild Gwendolins rasch und zutreffend von ihr gezeichnet worden. -Aber zu einer herzlichen Zuneigung war es zwischen den -Mädchen nie gekommen. Und als der Jockele in seinem jungen -Unverstand an das heiße Abenteuer mit Gwendolin geraten -war, hatte ihn Do sogar mit eifersüchtigem Spott überschüttet, -und sie hatten einander den Frieden auf ein paar Wochen -gekündigt.</p> - -<p>Nun, Gwendolin war im Hardanger Fjord noch genau so -verführerisch wie im Sommerwalde des Ettersberges. Ja -sie war vielleicht noch gewalttätiger geworden in ihrer Sieghaftigkeit -und Sinnenfreude. Aber Do brauchte sie heute nicht -mehr zu fürchten. Und sie war auch inniger und fraulicher – -natürlich nur, was ihr Herz anlangte; denn die schlanke Biegsamkeit -des Leibes und das ganze betörende Feuer ihrer -zwanzig Jahre schienen ihr unveränderliches Eigentum.</p> - -<p>Den Samowar, den Gwendolin damals in einer Nebelnacht -für Jockeles kleines Heim gestiftet, hatten sie mitgebracht. -Von ihm war nun die Rede.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_21">[21]</a></span></p> - -<p>»Ach, der Teekessel!« jauchzte Henrik Tofte. »Das ist ja -eine famose Geschichte!«</p> - -<p>»Die kennen Sie auch?« wunderte sich Do.</p> - -<p>»Kunststück! Alles kennen wir – als hätten wir's miterlebt!« -gestand der Maler. »Wir wissen sogar, daß Jungjockele in -jener verbiesterten Nacht zweimal den Namen Gwendolin -Vogelgesang über die schöngemusterte Teedecke losgelassen -und gesagt hat, es kröchen nun zwei Schlangen auf dem -Tisch herum.«</p> - -<p>Gott, wie lustig sich die Welt von damals jetzt ausnahm aus -der gesicherten Entfernung heraus!</p> - -<p>So lag das Lebensbuch des Jockele aufgeschlagen zu -tiefster Vertraulichkeit für alle, die es sehen wollten. Und weil -man auf der Insel einen Winter lang wißbegierig darin gelesen -hatte, leistete sich der Jockele auch seinerseits gleich die -vertrauliche Frage: »Henrik Tofte, wollen Sie Gwendolin -Vogelgesang heiraten?«</p> - -<p>»Jawohl, was <em class="gesperrt">mich</em> anlangt,« sagte der. »Wir haben davon -mehrfach miteinander geredet. Aber mit der Gwendolin -ist ja nichts anzufangen, wenn sie nicht will.«</p> - -<p>»Und – sie – will – nicht?« forschte Jockele aus drohender -Versteinerung heraus.</p> - -<p>»Will nicht!« bestätigte Tofte und zog die Schultern.</p> - -<p>»Will nicht?« sagte Gwendolin. »So ist das nicht richtig! -Nur – ich habe gelernt, mir diese Dinge zu überlegen. Man -weiß, ich bin nicht ohne Erlebnisse. Und immer mußte ich es -sein, die zur Vernunft kam, wenn es höchste Zeit wurde. -Daher ist die Rede unter den Menschen: die Gwendolin Vogelgesang -verleugnet nach vier Wochen kaltherzig jede Liebe … -Nicht wahr, Jockele?« fragte sie in Erinnerung an den -Zwetschengarten von Ettersburg.</p> - -<p>»Es war das närrische Jungsein,« sagte Jockele.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_22">[22]</a></span></p> - -<p>»… das ich mein Lebtag nicht loswerden kann,« ergänzte -Gwendolin. »Aber ich bin höllisch klug geworden und auf -der Hut vor mir selber. Dürfte ich anders den Mut haben, -mich – als das einzige junge Mädchen – in den Ring der -Männer zu wagen, die des Abends hier zu Tische sitzen?«</p> - -<p>Man merkte: dies Gespräch war die ganz persönliche Angelegenheit -Gwendolins und Henrik Toftes. Es brach jäh -ab, als sich die Tür öffnete.</p> - -<p>Rolf Krake kam herein.</p> - -<p>Er ging ein wenig vornübergebeugt und sah aus, als wollte -er dem Geheimnis Gott auf den Grund kommen; und so, -als wüßte er, daß es nur noch eins gebe, das unergründlicher -sei: nämlich er selbst. Aber das wußte er nicht. Er hatte ein -schmales, bartloses, scharfmodelliertes Gesicht mit einer auffällig -hohen Stirn. Darüber dünnes blondes Haar, nach -rückwärts gestrichen. Es schien zu wehen, so oft er in innere -Erregung geriet. Ein anderes Zeichen dafür gab es an diesem -besinnlichen, etwas <span id="corr022">übermächtigen</span> Kopfe nicht. Denn die -Augen lagen ihm unter der kraftvollen Stirn – grau und -groß, und wer diese Augen zum erstenmal sah, der dachte, -es gebe auf der Welt keine, die ruhevoller wären. Weit -offen – und dennoch Rätsel, die kein Mensch je gelöst hat … -wenn man nicht sagen will, daß dies dem Schwurgerichte -gelungen sei, vor das Rolf Krake hernach gestellt wurde. -Augen, wie diese, hatte niemand. Nicht einmal Nane Thord. -Denn die von Nane Thord waren zwar auch grau, groß -und ruhevoll, aber sie leuchteten jeden Tag über einen Wunderglauben. -Deshalb konnte Nane Thord zuzeiten in die -Welt schauen wie ein Kind, welches den lieben Gott sucht -und meint, er stehe hinter der nächsten Ecke und spiele mit -ihm Verstecken. – Seine Lippen waren schmal, aber nicht -verkniffen; sondern dieser Mund sah aus, als könnte er sich<span class="pagenum"><a id="Seite_23">[23]</a></span> -nur mit Rolf Krake unterhalten. Und doch hatte Rolf Krake -keinen Feind auf der Welt als sich selber. Aber er war der -Meinung: er selbst wäre sein bester Freund. In diesem Wahne -litt er sich an den Rand des Verderbens; denn sein bester -und edelster Freund war sein Bruder Woldemar. Der war -aber noch niemals im Hardanger Fjord gewesen; denn Rolf -Krake hatte ihm, in seiner Einbildung von der Feindschaft -des Bruders, seinen Aufenthalt schon seit Jahr und Tag -verschwiegen. Nur manchmal, manchmal bekam er eine so -heftige Sehnsucht nach ihm, daß er Mister Johnnys Segelboot -losmachte – mitten in der Nacht – und den ganzen Fjord -lang segelte – mitten in der Nacht – bis hinaus gegen den -Bömmelsund, wo das Meer offen wird. Das tat er, weil -er auf diese Weise den großen und schnellen Dampfer erreichte, -der im Morgengrauen von Norden kommt und nach -Kiel fährt. Von dort aus reiste er seiner unheimlichen Sehnsucht -nach, in einem fort bis Jena, wo sein Bruder Woldemar -studierte. Aber wenn er ihm dann die Hände schüttelte, -dachte Rolf Krake: »Es ist doch so – dieser Mensch ist mein -schlimmster Feind.« Und in der nächsten oder in der folgenden -Nacht reiste er ohne Abschied wieder von ihm weg. – Bei -alledem hielt kein Mensch seine Sinne sorglicher zusammen -als Rolf Krake.</p> - -<p>Was die Leute von ihm wußten, und wie sie sich das Geheimnis -Rolf Krake ausdeuteten – das kannten Do und Jockele -von Hanna. Es war vielerlei, aber es war nicht viel. Und die -Deutung war flach.</p> - -<p>Rolf Krake dichtete und malte. Rolf Krake studierte dickleibige -theologische Schriften, aber mit gleichem Eifer Darwin, -Büchner und Haeckel. Er hatte zwar den Anbau zu Nane -Thords Fischerhütte errichten lassen, aber er wohnte in der -Sägemühle am Eingange des Seitentales, hinter welcher<span class="pagenum"><a id="Seite_24">[24]</a></span> -der Skjoldefoß sechzig Fuß hoch über die Steilwand herabschießt. -Es war dort so: der Wassersturz hing vor der Wand -in der Luft. Wenn der Wind von Norden dagegenstieß, wehte -er wie ein Schleier; denn der Felsen hatte oben eine Nase, -die bei zehn Fuß hervorragte. Über diese Nase brauste die -Flut hernieder. Deshalb konnte Rolf Krake zwischen der -Bergwand und dem Falle stehen mit verschränkten Armen -und konnte – hinter sich den Fels und vor sich die brüllende -Allmacht des Sturzes – fürchterlich einsam sein.</p> - -<p>Er sagte, er wohne in der Sägemühle, weil er dort an -seiner Drehbank drechseln könne, ohne daß er mit seiner Liebhaberei -jemandem auf die Nerven falle. Aber es geschah -auch deshalb, weil die Sägen, Räder und aufgeregten Wasser -lauter redeten als die vielen Stimmen, die in ihm waren.</p> - -<p>Nach alledem könnte man denken, Rolf Krake wäre feindselig -gegen seine Mitmenschen gewesen. Aber auch das traf -nicht zu; ja es läßt sich sagen, daß er von allen Sturmschwalben -der Wohltemperierteste und in seiner Art Liebenswürdigste -war. Und der Rücksichtsvollste. Das ließ sich schon daran -erkennen: er hatte an diesem Vormittage den Gesellschaftsrock -angelegt. Es hatte sich in den Strandhäusern wohl herumgesprochen, -daß die schöne lichte Frau Do nach der Insel -gesegelt sei.</p> - -<p>Do hatte mancherlei Aufträge von Hanna für ihn. Sie -spazierte also im Saale mit ihm hin und her. Henrik Tofte -trank indessen sehr viel Sekt. Darüber wurde er aber nicht -lauter als sonst, und seine Augen verloren nichts von ihrer -stahlblauen Klarheit. Wenn er früh zu trinken begann, trank -er in der Regel bis in die Nacht, ohne daß seine Hünenkraft -erkennbar erschüttert wurde.</p> - -<p>Dieser Vollnatur gab sich Jockele in heller Aufgetanheit -hin. Es gab an ihr nichts zu raten. Do aber wurde von Rolf<span class="pagenum"><a id="Seite_25">[25]</a></span> -Krakes rätselhaften Dämmerungen aufs tiefste gefesselt. Sie -dachte: weder Hanna noch irgendeiner aus diesem Tal -ahnt sich heran an seine Seele – und Rolf Krake stand in der -Fülle des Lichts, das von ihr ausging, und vergaß darüber -die Welt und sich selber.</p> - -<p>Nach einer Weile kamen Mister Johnny und Mister James. -Beide in großkarierten hellen Anzügen und in gelben Kalblederschuhen -mit dicken Sohlen. Beide in Sportmützen, beide -gleich hochaufgeschossen und beide gleich blond und tadellos -in der Aufmachung. An dem Malzeug, das sie bei der Tür -ablegten, war zu sehen, daß sie Künstler waren oder werden -wollten. Zu dieser Zeit waren sie englische Staatsstipendiaten, -die von Henrik Tofte jedes Bild von der Staffelei -weg erstanden, vorausgesetzt, daß er es nicht mit seinem Namen -zeichnete. Mit dem reichlichen Gelde, das sie ihm dafür bezahlten, -erwarben sie das Recht, die Bilder als ihre eigenen -auszugeben und als Belege ihres Fleißes und Könnens nach -England zu senden.</p> - -<p>Dieser Brauch hatte sich aus ihrer Bequemlichkeit einerseits, -aus dem andauernden Geldbedarfe Henrik Toftes andererseits -entwickelt. Beide Teile fanden ihn angenehm. Aber -es war eines der Wasser, die zwischen Gwendolin und Tofte -rannen, und über die Gwendolin nicht zu ihm kommen konnte.</p> - -<p>Ihre Shagpfeifen legten sie an diesem Tag auf dem kleinen -Tische neben dem Eingang ab.</p> - -<p>»Es ist ein lächerlich schöner Morgen gewesen,« sagte James -King, »ein Morgen mit einer lächerlichen Fülle von Farben.«</p> - -<p>Do und Rolf hatten sich wieder zu dem runden Tische -gesetzt; und der Doktor hatte Mühe, sich nicht ausgelassen zu -wundern, weil Mister James den Tag und seine Farbenfülle -lächerlich fand.</p> - -<p>»Sie malen also eine Nebelstimmung?« fragte er.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_26">[26]</a></span></p> - -<p>»Im Gegenteil,« behauptete James, »dieser lächerliche -Reichtum von Licht ist mir erwünscht.«</p> - -<p>»Lächerlich ist das einzige schmückende Beiwort, dessen sich -Mister James bedient,« erklärte Henrik Tofte.</p> - -<p>»Ah soo!«</p> - -<p>»Treten Sie mit ihm in den Metzgerladen, so fragt er: -Was kostet diese lächerliche Wurst? Machen Sie mit ihm eine -Hochtour, so redet er von lächerlichen Gletschern und Schründen -und von einer lächerlichen Herrlichkeit in dem Augenblick, -in dem er überwältigt vor der Welt steht. Er hat die Bedeutung -dieses Wortes zu eigenem Gebrauch umgeprägt, und -es ist für ihn zu einem Universalausdruck seines uneingeschränkten -Wohlgefallens geworden. – Dies ist die einzige -nennenswerte Eigentümlichkeit an dem großen Künstler -James King.«</p> - -<p>Henrik Tofte allein durfte sich eine solche Erklärung erlauben. -Er trieb es mit den Menschen, wie er wollte; und -man ertrug seine Allmacht. Nur in Gwendolin war eine -Kraft über ihn gekommen, vor der diese Allmacht versagte.</p> - -<p>Mister Johnny dagegen fürchtete den starken Henrik noch -aus einem anderen selbstsüchtigen Grunde: der Liebe zu -Gwendolin. Nun ja, die Bilder des Norwegers waren wohl -zu allen Zeiten mit Geld zu erkaufen. Und selbst, wenn Tofte -der Wandertrieb überkäme, oder wenn er – was noch schlimmer -war – sich eines Tages von Gwendolin bereden ließe, seine -Lieferungen einzustellen: in einem nahen Augenblick würde -er doch an seinen leeren Geldbeutel fassen. Und dann konnte -für Tofte und seine beiden »Schüler« die Sache wieder von -vorn anfangen. Aber die lächerlich hübsche, die lächerlich -gescheite und die lächerlich mächtige Gwendolin hatte das -Schicksal von James und Johnny in der Hand, wenn es ihr -einfiel, den genialen Henrik eines Tages zu heiraten!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_27">[27]</a></span></p> - -<p>Am einfachsten wäre es gewesen, Gwendolin hätte ihre -Bilder mit der gleichen stillschweigenden Abmachung dem -James und dem Johnny überlassen. Aber die hatte vortreffliche -Beziehungen in Deutschland, sie behielt keine fertige -Tafel lange im Hause; und zweitens brauchte sie lächerlich -wenig Geld.</p> - -<p>Heute morgen hatten James und Johnny droben auf dem -Fjeld gelegen, angeblich malenshalber, und hatten sich gesonnt. -Dabei hatten sie erwogen, daß sie das mühselige Werken mit -Pinsel und Farbe aufgeben und dennoch die berühmtesten -Maler Englands werden könnten – nämlich: wenn der starke -Henrik ihnen für ein paar Jahre sein Genie verkaufte. Und -wenn es nur das war, was er leichtherzig »Kitsch« nannte … -Seiner Ansicht nach malte Henrik Tofte – wenigstens in dieser -Zeit und für James und Johnny – überhaupt nur Kitsch. Er -prahlte nie mit seiner Kunst. Aber Gwendolin versicherte -den Sturmschwalben: was Henrik eigentlich könne, das wisse -kein Mensch, und auch er selbst nicht … Nun, die Gefahr, -daß es die Menschen so bald erführen, war nicht groß; denn -was er aus seinem genialen Pinsel strich, das trug einstweilen -die Namen John Williams oder James King. Haha! Die -beiden hatten in London eine Ausstellung gehabt von »ihren« -Bildern, waren daran zu großem Ruhme gelangt und waren -mit einem Schlage die gesuchtesten Maler ihres Landes geworden. -Davon erzählten sie natürlich im Fjord kein Sterbenswörtchen; -und es schien, als ob der geniale Henrik nicht -einmal die richtige Verachtung für sie aufbrächte.</p> - -<p>Es war ein fabelhafter Bluff. Aber er war lächerlich ungefährlich, -solange James und Johnny das Meer zwischen -sich und die gläubige Heimat legten und – solange diese Gwendolin -Vogelgesang den schönen Pott nicht in Scherben schlug. – -Da mußte etwas geschehen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_28">[28]</a></span></p> - -<p>Jockele und Do, Henrik Tofte und Gwendolin verließen -die erlebnisreiche Tafelrunde schon gegen Mittag; denn -Sinsheimers wollten ein Boot kaufen. Die Lockungen des -Fjords waren mit unwiderstehlicher Macht über sie gekommen. -Aber sie wollten auch nicht immer abhängig bleiben von -Nane Thords Fahrzeug, so oft ihnen der Sinn nach der Insel -stehen würde.</p> - -<p>Gwendolin mußte mit. Das entsprach dem Wunsche Henriks. -Wenn er sie nicht in seiner Nähe wußte, geriet er aus -seiner »lächerlichen Wurstigkeit« – wie James King den -Normalzustand Henriks in tiefer Bewunderung nannte. Aber -wenn er gar einmal nicht wußte, wo sie war, wurde er unfähig -zum Schaffen. Dann war ihm sein guter Stern vom -Himmel gefallen … Die Leute wußten das von einem Ende -des Fjords bis zum anderen. Sie wußten: dieser Mann, -auf den sich die Augen aller richteten, weil er daherschritt -wie ein Sieger, konnte Felsen zerdrücken in seinen Händen, -und er konnte vor Gwendolin beten. Aber sie hörte ihn nicht. -Es war das lauterste Verhältnis, das je zwischen zwei Menschen -bestand, und doch wurde zu Land und zu Wasser kaum -eines ohne das andere gesehen. Keines betrat die Stube -des anderen, die ihnen Nane Thord von ihrem einsamen -Fischerhäuschen vermietet hatte. James und Johnny konnten -dieses Platzmangel wegen nicht auf dem Eilande wohnen. -Die beiden hausten drüben am Festland unter dem Dache -der alten Bolette Steensgard, die auch eine Fischerswitwe -war. Sinsheimers behalfen sich einstweilen im Gehöft Krokengaard -mit zwei kleinen Stuben, die nach dem Fjord hinauslagen. -Und Rolf Krake sinnierte in der Sägemühle. –</p> - -<p>Der Wind, der am Morgen die Flut gekräuselt hatte, lag -irgendwo schlafen an sonnigem Hange. Deshalb mußten -die Männer die Ruder gebrauchen. Es war eine feine Fahrt;<span class="pagenum"><a id="Seite_29">[29]</a></span> -denn der Schiffbauer wohnte zwei Stunden fjordabwärts. -Darüber ließ sich Jockele von Henrik Tofte vollends in der -Behandlung solch eines Fahrzeugs einweihen. Do und Gwendolin -aber saßen in der Mitte gegen die rotgepolsterte Rückenlehne -– Do ganz in Weiß, Gwendolin in Gelb – und brachten -den Menschen, die sie vom Ufer aus sahen, den jauchzenden -Glauben bei, daß nun der Frühling in vollem Gange wäre.</p> - -<p>»Jockele,« sagte Gwendolin, »es ist furchtbar nett und -delikat von euch, daß ihr vor der Mitwelt nicht ewig das -Schauspiel der jungen Hochzeiter aufführt.«</p> - -<p>»Der Mensch kann schließlich nicht alles auf einmal tun,« -sagte Jockele. »Jetzt bin ich dabei, mir Quasen an die Hände -zu rudern – siehste nich?«</p> - -<p>Und: »Was meinst du, Jo – ist es nicht so herrlich und -tatenreich hier, daß wir bis in den Herbst bleiben müssen?« -fragte Frau Doris.</p> - -<p>»Ich habe allbereits den gleichen Wunsch,« sagte Jo. »Es -ist gut, daß ich meine Mikroskope eingepackt habe. Ich werde -also versuchen, mein Werk über ›die Flechten‹ dem Abschluß -nahezubringen. Später – etwa im Riesengebirge – will -ich es vollenden. Und zweitens werde ich eine ›spezielle -Naturgeschichte der europäischen Froschlurche‹ in Angriff -nehmen. Es ist da eine Lücke in der Literatur.«</p> - -<p>»Die Sache mit den Fröschen ist etwas Neues,« warf Do -überrascht ein.</p> - -<p>»Ja. Der Gedanke dazu ist mir in diesem Boote gewachsen.«</p> - -<p>»Indes werde ich mich mit der speziellen Naturgeschichte -der ›Sturmschwalben‹ beschäftigen,« sagte Do mit bedeutendem -Lächeln.</p> - -<p>»Hm,« scherzte Jockele, »hm – ich werde also darüber -nachdenken, ob sich eine so junge Frau dem praktischen -Studium dieses Objektes ohne Gefahr aussetzen darf.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_30">[30]</a></span></p> - -<p>»Nun,« rief Gwendolin in fröhlichem Verstehen, »man -könnte ja im Notfalle dies gefährliche Studium durch eine -jähe Abreise unterbrechen.«</p> - -<p>Henrik Tofte wurde ganz still vor dem Glück, das mit -ihm im Boote saß. Er dachte, es ahnte niemand, welch ungeheure -Erlebnisse diese liebliche Fahrt in ihn warf.</p> - -<p>Aber Gwendolin wußte es doch; denn Henrik Tofte war -für sie nie beredter als in seinem Schweigen. Sie sah heimlich -zu ihm hinüber und erkannte: das Glück dieser klaren und -aufrechten Menschen nahm sein liebes und unstetes Herz -in beide Hände und hielt es tief hinein in die Sonne. Und -Henrik träumte das Märchen: es würde nie mehr ein Sturm -durch dies Herz laufen. Ach, es war ein wunderschöner -Traum!</p> - -<p>»Weißt du, Jo,« begann Do nach einer Weile, »es wäre -wohl gut, wir ließen uns zu unserem Vorhaben ein gemeinsames -Laboratorium von drei kleinen Zimmern auf der Insel -errichten.« Darüber zog der Doktor die Ruder ein, und -Henrik Tofte trieb das Boot mit leisen Schlägen voran. »Nun, -einesteils zum Arbeiten, andernteils zu unserer Bequemlichkeit; -drittens als ein heimeliges Nest für ›Sturmschwalben‹, -die nach uns auf der Osterinsel hausen möchten und unser -dabei freundlich gedenken können; und viertens: wir verbessern -damit der eifrigen Nane Thord ihre wirtschaftliche -Lage. Was meinen Sie zu diesem Plane, lieber Doktor -Jockele?« fragte Do.</p> - -<p>Dem langen Henrik schauerte das Glück immer tiefer in -sein grundgütiges Herz. Er ließ die Ruder aus den Händen -gleiten und vergaß zu atmen – wie Lottchen, als es den -ersten Christbaum sah.</p> - -<p>Er dachte nicht daran, daß man ihn auf solchen weichen -Regungen des Gemüts ertappen könnte. Es focht ihn überhaupt<span class="pagenum"><a id="Seite_31">[31]</a></span> -nicht an, was man ihm bei seinem eichbaummäßigen -Wuchs als Schwäche aufrechnete. Pah – in diesem Hünenkörper -flossen so viel Sanftmut und Gewaltart, so viel Allmacht -und Unmacht, so viel Genie und Hilflosigkeit ineinander – der -Teufel mochte dies Wirrsal ausfitzen! Haha, der Teufel! -Als ob der ein Interesse daran gehabt hätte, dies wunderliche -Stück Dasein, das man Henrik Tofte nannte, anders -zu machen! Just so, wie er war, war er ihm herrlich verfallen. -»Auf meinen Feingehalt kannst nur du mich läutern, Gwendolin -Vogelgesang!« hatte er an einem Winterabend zu ihr -gesagt, als sie miteinander bei der Feuerstelle gesessen und -dem Schneesturme gelauscht hatten.</p> - -<p>Nun, die Gwendolin hatte schon vor vier Jahren felsensicher -auf sich selber gestanden – damals, als Jung-Jockele -an ihr in den purpurroten Untergang geriet und am anderen -Tage der Do gelobte: »Diese Gwendolin werde ich -heiraten; sie ist ein süßes und heißes Mädel …«</p> - -<p>Aber im Falle Henrik Tofte fehlte ihr das Vertrauen zu -ihrer Kraft.</p> - -<p>Jockele, der sich die Quasen unter der ungewohnten Tätigkeit -nun errungen hatte, stieg nach vorn und setzte sich den -Damen gegenüber. Sie besprachen den Plan. Do hatte die -Sache ausgezeichnet bedacht. Der kleine Neubau sollte an -die Westseite der Fischerhütte kommen, dem Krakesaal entgegengesetzt. -Auf ein paar Stiegen sollte man von außen -hineingehen, aber man sollte durch Nane Thords Flur auch -zum Saale gelangen können. Und es sollte alles stilecht aus -Blockholz errichtet werden, und mit einem Rasendache.</p> - -<p>Henrik Tofte ruderte sich darüber im Grunde genommen -in tiefe Zwiespältigkeit. Aber er dachte, dieser Tag wäre die -Glückseligkeit selber und wäre für ihn die Schwelle zu einem -neuen Leben. Ja, solch ein Mensch war er nun.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_32">[32]</a></span></p> - -<p>Es fehlte auf der Leiter der Affekte, die die guten und -schlimmen Mächte in ihn hineingestellt hatten, das Satansgeschenk -des Neides. Dafür war bei den Übermaßen seiner -sonstigen Gaben offenbar kein Platz mehr gewesen. Und -nicht vergeblich hatte für ihn das Doppelgestirn Do und Jo -lange Winternächte hindurch im Haus auf der Insel geschienen -– das hatte die berechnende Sorge Gwendolins -getan. Nun fand er in diesen beiden alles, was ihm zu wünschen -blieb.</p> - -<p>Er fing das Wünschen auf dieser Bootfahrt überhaupt -zum erstenmal an. Denn was er bis zur Stunde an anderen -Menschen wahrgenommen, das besaß er selber in Hülle und -Fülle. Sogar Geld, so viel er wollte. Früher hatte er sich -auch darum den Teufel gekümmert. Aber seit ihm das Schicksal -James und Johnny gesandt – eine Berliner Sturmschwalbe -hatte sie in scharfem Spotte »die beiden Jötter« -genannt – seitdem hatte er auch davon mehr, als nötig war. -Er brauchte nur den Pinsel in sein Genie zu tunken und – er -vermöchte in einem Jahre die gesamte Kulturwelt mit Begeisterung -für ihn zu übermalen, behauptete Gwendolin. -Und die mußte das wissen. Sie war ihm eine strenge Richterin. -Aber er fühlte dazu – als ein richtiges Genie – nicht -das Bedürfnis. Na, und wenn schon! Was hätte denn das -alles zu sagen gehabt gegen die Taten des einzigen Menschen -Jockele? Was denn? Dieser Jockele hatte sich geboren werden -lassen in eine Sommernacht mitten im thüringischen Bergwald. -Dann hatte er sich von der Zigeunerin, die seine Mutter -war, auf die Schwelle der gütigsten, sehnsüchtigsten und -weisesten Tante Veronika legen lassen. Diese Tante setzte sich -von Stund' an mit all ihrer Weisheit und ihrem Gelde für -ihn ein. Und so früh es nur anging, nahm ihn das Schicksal -auf wie einen goldenen Ball und warf ihn schönen oder<span class="pagenum"><a id="Seite_33">[33]</a></span> -klugen Mädchen zu, die ihn mit geschickten Händen fingen. -Als die letzte hatte sich dies Schicksal Doris Rinkhaus aufgehoben. -Die war ausgemachtermaßen so etwas wie die -Krone unter den Frauen. Ja. War es denn anders möglich, -als daß bei solch einem Lebenswandel der Zigeunerbub in -ein paar Jahren sogar ein Doktor hieß? Und daß er nun -– acht Tage nach seiner Hochzeit mit der gescheitesten Frau -der Welt – im Boote den Hardanger Fjord entlangglitt -und mit Do die Wohltaten erwog, die sie ihm und den Sturmschwalben -angedeihen lassen wollte? Wenn diese beiden -morgen nach Ägypten und in ein paar Tagen nach Hinterindien -fahren wollten, so fuhren sie – das Schicksal würde -nicht das mindeste dagegen einwenden.</p> - -<p>Jawohl, Rührung und Freude weinte das lange Genie -über diesen Erwägungen an die Ränder seiner Augen. So -sah es nun in Henrik Tofte aus! In jeden Gedanken drängte -sich der Begriff des Schicksals. Schicksal war das einzige -Ding, vor dem der Riese auf der Osterinsel Respekt hatte – -das heißt: wenn man Gwendolin Vogelgesang abrechnete. -Schicksal – damit ließ sich doch noch etwas anfangen! Aber -bloß mit Genie? Pah! – Henrik Tofte war ein Fatalist.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Das Leben der Sturmschwalben, die in jenem Frühling -auf der Insel im Hardanger Fjord zusammengeflogen -waren, war äußerlich wohl sehr arm an Ereignissen. Es war -von der Art, welche Menschen aus dem Durchschnitt »gräßlich -langweilig« finden. Wie es denn die einzige Eigentümlichkeit -solcher Durchschnittsleute ist, jede Stunde fad und abgegriffen -zu machen, in die sie treten. Von dieser Gattung -kamen auch etliche. Sie flogen herzu, weil sie sich draußen -in den Ländern hatten davon erzählen lassen. Genau so, -wie Do und Jo durch Hanna von Fellner von der gastlichen<span class="pagenum"><a id="Seite_34">[34]</a></span> -Stätte erfahren hatten und neugierig geworden waren. Und -da diese Wandervögel nicht fanden, was sie erwarteten, zogen -sie rasch wieder fort. Für die anderen aber war jeder Tag -eine schöne schimmernde Schale, voll bis zum Rande.</p> -</div> - -<p>Der Anbau, in dem Sinsheimers nisten wollten, wurde -gleich in Angriff genommen. Er bekam, wegen der gefälligen -Silhouette, auch noch ein Zimmer als Oberstock, das sich -turmartig über denen zu ebener Erde erhob. Der Mai stand -in goldener Fülle über der Welt. Die Stämme, die schon -behauen bereitlagen, mußten nur auf die gegebenen Maße -zugeschnitten werden. So war der Bau ein Werk von Tagen.</p> - -<p>Do und Jockele, Henrik Tofte und Gwendolin und Krake -waren um diese Zeit zu einer Mal- und Studienfahrt auf -die Berge gezogen. Sie hatten sich für zwei Wochen ausgerüstet -und wollten nordwärts bis zu dem großartig düsteren -Songefjord. Nur James und Johnny waren daheimgeblieben, -saßen im Krakesaal, blätterten in Zeitschriften und -rauchten aus ihren Shagpfeifen. Draußen lag eine sehr -finstere Neumondnacht.</p> - -<p>»Meinst du, daß Gwendolin und Tofte heute zurückkommen?« -fragte James.</p> - -<p>Johnny zog die Uhr. »Es ist noch eine Stunde bis Mitternacht,« -sagte er. »Ich glaube, wir fahren hinüber. Warum -wartest du?«</p> - -<p>»Weil Nane Thord noch nicht schlafengegangen ist und wohl -auch wartet. Ich habe sie vor zwei Minuten hinausgehen -hören.«</p> - -<p>Da schritten sie durch die neue Tür in den Anbau, der schon -überdacht war. Aber die Fenster waren noch nicht eingehängt. -Sie sahen da und dort noch einen goldenen Stab Licht in -dem schwarzen Wasser stehen wie Laternenträger. Die Flut -flüsterte im Gestein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_35">[35]</a></span></p> - -<p>»Nein, es ist ein Mensch,« sagte Johnny und lehnte sich -auf den Fensterstock und hielt den Atem an.</p> - -<p>Der Laden vor Nane Thords Stübchen war geschlossen. -Es war aber ein Herz in jeden Flügel gesägt, so daß zwei -Bündel Licht von Nanes Lampe in die Finsternis fielen. -Die lagen nun draußen auf der Klippe wie zwei Augen. Und -dazwischen stand eine Stranddistel oder eine kleine Birke oder -sonst ein Gewächs, das von dem Schein ein wenig abbekam, -ebenso wie der Zackenrand des Ufergesteins. Man konnte -sich zwischen Traum und Wachen wohl ein wunderliches -Bild von dieser Erscheinung machen.</p> - -<p>James und Johnny rührten sich nicht. Aber so sehr sich -ihre Augen nun an die Dunkelheit gewöhnt hatten, so konnten -sie doch nichts weiter entdecken als das reglose Scheinen, -das gespenstisch gewesen wäre, wenn sie nicht beide gewußt -hätten, woher es kam.</p> - -<p>Nane Thord sahen sie nicht. Weil sie aber gehört hatten, -daß sie hinausgegangen war, erkannten sie ihre Stimme. -Sie sagte: »Du kannst sehr ruhig schlafen, Lars Thord. Warum -willst du nun in der Nacht hier sitzen und angeln? Mir -scheint, du nimmst dir diese Arbeit nur zu einem Vorwande; -denn das wissen wir wohl auch, daß sie dort keine Fische essen, -wo du nun bist. Es war schon bei deiner Erdenzeit so: -immer, wenn du Blockholz schichten oder eine Axt schlagen -hörtest, mußtest du hin und sehen, was sie da treiben. Du -darfst aber ruhig schlafen, Lars Thord. Es geschieht deinem -kleinen Hause nichts. Oder willst du mir sagen, daß wir -seltsamen Besuch erhalten? Du bist nun schon zum drittenmale -da – zuletzt war es, ehe Rolf Krake kam. Das -ist, weil du dir einbildest, man könnte nicht ohne dich -fertig werden, Lars Thord. Du mußt das aber nicht -meinen. Es ist nun schon die vierte Nacht, daß ich den<span class="pagenum"><a id="Seite_36">[36]</a></span> -Schlaf nicht finden kann, weil ich dich um das Haus streichen -höre …«</p> - -<p>James und Johnny vernahmen schlürfende Schritte; und -als sie wieder in den Saal traten, stand Nane Thord am Tisch -und schaute sie aus ihren großen grauen Augen an. »Ich -wunderte mich, daß Sie weggegangen sein sollten – und -hätten doch das Licht brennen lassen?« sagte sie.</p> - -<p>»Kommen Sie eben von draußen?« fragte Mister Johnny -mit erzwungener Ruhe.</p> - -<p>Da strich sich Nane Thord mit der Hand über die Stirn. -»Ja – ich bin wohl einmal hinaus gewesen,« sagte sie in -ihrer trockenen nordischen Art.</p> - -<p>So hatte Gwendolin nun doch richtig gesehen: Nane Thord -hatte ihren Wunderschlaf und ihre nächtlichen Erlebnisse! -Und als James und Johnny wieder allein waren, wußten -sie: sie würde sich jetzt zu Bett legen zu einem tiefen, traumlosen -Schlafe.</p> - -<p>Johnny war über all dem stark aus dem Gleichgange -gekommen. Aber Mister James rieb sich die Hände und -rief: »Welch eine lächerliche Komödie!« Er meinte damit: -die Komödie wäre großartig und gefiele ihm ausgezeichnet; -denn sie hatte ihn auf einen leuchtenden Einfall gebracht. -Er trug nämlich seit einer Woche den Brief eines Londoner -Kunsthändlers Watson in seiner Tasche, der an ihn und John -Williams gerichtet war und ihnen den Besuch des Herrn -Watson ankündigte. Aber diesen Brief hatte er seinem Freund -Johnny verschwiegen; denn er hatte geglaubt, Johnny würde -an der Malfahrt der anderen teilnehmen – der Besuch des -Händlers wäre ihm also nicht von Nutzen gewesen. Nun aber -lag nur noch eine halbe Nacht zwischen ihm und der Gefahr, -und in höchster Not sprang er mit Hilfe von Nane -Thords Schlafwandel gleich mitten hinein in die Verwicklung.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_37">[37]</a></span></p> - -<p>»Sie hat recht mit dem seltsamen Besuche,« begann -er, »da, lies!«</p> - -<p>»Warum hast du die Sache hinhängen lassen?« fragte -Johnny mißvergnügt.</p> - -<p>»Ich wollte dir einen Ärger ersparen,« sagte James. -»Henrik Tofte hat ein halb Dutzend Skizzen in seiner Kammer -– das ist alles. Was sollen wir damit beginnen? Ich habe -auf Rettung gesonnen, aber es ist mir nichts eingefallen.«</p> - -<p>Es war eine verzweifelte Sache. Und wenn Henrik und -Gwendolin gar als Verlobte von der Bergfahrt zurückkehrten, -dann konnte es nicht mehr lange dauern mit den Staatsstipendien -und dem leicht erworbenen Künstlerruhme! Eine -Art Rettung gab es freilich noch. Aber die war bescheiden -genug. Henrik hatte nämlich drüben in Krokengaard ein Bild -hängen – dort hatte er im vorigen Sommer gewohnt und -damit einen Teil seiner Rechnung beglichen. Aus dem gleichen -Grunde hing eine Fjordlandschaft Toftes in dem Gasthause, -in dem er seine Mahlzeiten genommen. Nun, beide -ließen sich wohl ohne ein großes Aufgebot von Silberkronen -erstehen; und beide waren zum Glück nicht mit dem Namen -ihres Schöpfers gezeichnet: man brauchte nach langen Jahren -nicht zu wissen, wer einst sein Schlafgeld auf diese Weise -bezahlt hatte. Aber der Händler wollte einen Abschluß auf -die Gesamtproduktion der beiden Jötter für eine bestimmte -Frist machen und hatte eine reichliche Anzahlung in Aussicht -gestellt. Er dachte wohl daran, die Ateliers der beiden -neuen Sterne am britischen Kunsthimmel einfach auszukaufen. -Sie aber hatten nichts als hartgekrustete Farben auf ihren -Paletten …</p> - -<p>Je nun, die Nacht war lang genug, einen listigen Plan -zu schmieden. Um Sonnenaufgang fuhr Johnny im Boot, -die beiden Bilder zu erstehen. James ließ indessen von dem<span class="pagenum"><a id="Seite_38">[38]</a></span> -Mädchen Marit die Kammer Toftes in Ordnung bringen, -suchte darin zusammen, was als Bild oder Skizze gelten -konnte, und als Johnny triumphierend zurückkehrte, stellte -er die Fjordlandschaft auf die Staffelei und überzog sie mit -Firnis. So wollten sie die Kammer Toftes als ihr Atelier -vorstellen – lieber Gott, zu einem besseren langte es einstweilen -eben nicht. Und übrigens malten sie stets in freiem -Lichte. Ja. Johnny aber getraute sich nicht, den verbrecherischen -Gleichmut des Mister James aufzubringen. Er wollte -sagen: ein dänischer Kunstfreund habe ihn just einen Tag vor -Empfang des Briefes ausverkauft.</p> - -<p>So erwarteten sie den Mann aus London. Und Mister -Watson kam. Kein anderer als Henrik Tofte ruderte ihn -zur Insel der Auferstehung. Er und Gwendolin, die mit im -Boote war, verstanden zwar kein Wort Englisch und Watson -kein Wort Norwegisch oder Deutsch. Aber an der Haltestelle des -Dampfers hatte man sie zueinandergeführt. Und Gwendolin, -die Ahnungsreiche, hatte dem kindlichen Gemüte Toftes auseinandergesetzt, -um was es sich dabei handelte; denn Herr -Watson hatte ihnen die Namen James King und John -Williams als den jüngsten Stolz Britanniens genannt.</p> - -<p>Und in der Tat: man fand die beiden in heißem Bemühen -in Toftes Kämmerlein. James war angetan mit -Henriks Malkittel und gerade dabei, den letzten Strich Firnis -auf das »neue« Bild zu setzen, dem er bereits seinen Namen -verliehen hatte. Johnny aber rieb Farben für künftige -Wunder.</p> - -<p>Das ging dem guten Tofte nun doch über die Hutschnur! -Er verfiel also in ein so männliches Schimpfen, daß Mister -Watson wie angedonnert dastand; denn das merkte er wohl: -Liebenswürdigkeiten klingen anders, selbst in einer der unmöglichen -Sprachen außerhalb Englands.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_39">[39]</a></span></p> - -<p>Der erfinderische James aber besann sich augenblicklich auf -eine kühne Geschichte: dieser lange Mensch, der sich Henrik -Tofte nenne, wäre ein Neiding. Er ärgere sich, wenn James -und Johnny ihre Bilder verkauften. Und zu alledem hätte -das Mädchen Marit in seiner Abwesenheit eine fürchterliche -Dummheit gemacht …</p> - -<p>Das leuchtete Herrn Watson auch vollkommen ein; denn -draußen im Flur lehnte die zerbrochene Marit und bangte -vor dem Zorne Toftes, weil sie den Einbruch in sein Gemach -nicht verhindert hatte.</p> - -<p>Zuletzt waren es doch nur diese Tränen, die den starken -Henrik ins Poltern gebracht hatten. Das Weinen anderer -wendete ihm nun einmal das Herz um. Und zu einem Lawinensturz -kam es diesmal nicht; denn dieser Gewaltmensch -hätte nicht Henrik Tofte zu heißen brauchen, um die lustige -Seite der lächerlich frechen Komödie dennoch genialisch zu -finden, die die »Jötter« in seiner Stube aufführten. Er begann -also, auf sanfteren Saiten zu spielen, und sagte: »Wenn -es nicht ein Kunsthändler wäre, den ihr da foppt, so ließe -ich jetzt den Vorhang erbarmungslos über eurer Gaunerposse -heruntergehen.«</p> - -<p>»Was sagt er?« fragte Mister Watson.</p> - -<p>»Oh, er sagt: unseren Ruhm verdienten wir ja, aber zu -beneiden blieben wir trotzalledem. Er selbst hätte doch auch -eine Ahnung vom Malen – nur eine Ahnung vom Geschäft -hätte er nicht.«</p> - -<p>Da schupfte Mister Watson hochmütig die Schultern: -»<em class="antiqua">He's no Englishman.</em>«</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Danach kamen für Henrik Tofte Tage voll Finsternis: -Gwendolin verachtete ihn. Sie tat nicht nur so; sie -setzte sich nicht in den Schmollwinkel wie eine gekränkte<span class="pagenum"><a id="Seite_40">[40]</a></span> -Liebste; sie wich ihm nicht einmal aus, sondern redete sogar -mit ihm, aber alle Herzlichkeit und Teilnahme für ihn war -verweht. Das dauerte bis zur Einweihung des Neubaus. -Da waren alle im Saale versammelt, und es gab ein Fest, -wie es nur Künstlerjugend feiern kann, die zuletzt doch ein -Reich regiert, in dem die Sonne nicht untergeht. Für diesen -Abend hatte Henrik Tofte eine Überraschung vorbereitet …</p> -</div> - -<p>Jockele, Do und Gwendolin waren nämlich wieder einmal -vier Tage auswärts gewesen. Mit Rucksack, Pickel und Nagelschuhen -waren sie den Flechten nachgeklettert bis an die -Ränder des Folgefondgletschers; denn den Doktor drängte es -zu Forschungsreisen dorthin, wo das Geschlecht der Flechten -noch den einzigen Pflanzenschmuck liefert an verschmähten -und gefrorenen Hochlandzinnen; oder dorthin, wo im glühenden -Sonnenbrande jedes andere Pflänzchen verdorrend stirbt. -Hundert Arten von Strauch- und Laubflechten hatte er vorher -eingetragen. Nun kämpfte er an den letzten Steilhängen -der Erde um Krustenflechten, die oft so innig mit ihrer Unterlage -verschmolzen waren, daß er sie nur durch Auflösung -des Gesteins mit Säuren befreien konnte. So führte er Do -und Gwendolin vor ungeahnte Geheimnisse.</p> - -<p>Als sie heimkehrten, war Henrik Tofte verschwunden. Mit -ihm Nane Thord. Aber in einem Winkel des Krakesaales -war ein Webstuhl aufgeschlagen, und ringsherum sah es aus -wie in einer Armeleutstube. Die blonde Marit lief umher -mit wissenden Augen; an der Bedeutung des Winkels mit -dem Webstuhle schwieg sie sich vorbei.</p> - -<p>Abends jedoch, als alle schon um den runden Tisch saßen, -tat sich die Tür auf, und Henrik Tofte kam herein als ein -Mann von fünfzig Jahren. Nane Thord aber war sein Weib -geworden. Und die beiden hatten sieben Kinder, fünf Buben -und zwei Mädel. Der älteste mit seinen sechzehn Jahren<span class="pagenum"><a id="Seite_41">[41]</a></span> -stellte den Henrik Tofte dar … Das Spiel begann. Es hieß -»Der verlorene Sohn«.</p> - -<p>Zuerst sprach der wirkliche Henrik einen Vorspruch in machtvoll -gestaltenden harten Versen: er wäre der Weber Skule -Tofte, der mit seiner Familie aus dem Aardal käme, wo -ihnen alles verbrannt wäre – deshalb wollten sie hier in -dem Winkel mit dem Webstuhl ihr Leben der Armut von -vorn anfangen. Darauf setzte sich der alte Skule Tofte an -den Stuhl, und das Webeschifflein begann seine Arbeit …</p> - -<p>Das Spiel stellte jenen Tag aus dem Leben des Henrik -Tofte dar, an dem er gegen Abend ausgezogen war aus der -Kümmerlichkeit der väterlichen Mietstube, um sich sein Brot -als Anstreicher zu verdienen.</p> - -<p>Es war ein Spiel, und es wuchs zu einem gewaltigen -Erlebnis. Es war in zwei Stunden von Henrik Tofte herausgeschrieben -aus einem Jahre seiner Vergangenheit. Und es -war durch vier Tage gelernt worden von Weberkindern und -Nane Thord, die sich dabei nicht in eine fremde Welt hineinzudenken -brauchten. Und es waren harte und schmucklose -Worte, die sie sprachen. Vater Skule Tofte aber war ein -Philosoph im Weberkittel, der es sich angelegen sein ließ, -dem langen Sohne Henrik die Lehre von der Allmacht des -Schicksals ohne Mitleid ins Herz zu hämmern:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Das sollst du nicht vergessen: Armut stand<br /></span> -<span class="i0">Gevatterin, als dich das Leben fand.<br /></span> -<span class="i0">Mit Plack und Sorge salzt es uns das Brot,<br /></span> -<span class="i0">Und was es draufstreicht, schmeckt nach Schweiß und Not.<br /></span> -<span class="i0">Das Schicksal spinnt in weiße Seide ein,<br /></span> -<span class="i0">Die's heimlich hätschelt, sanft wie Mondenschein.<br /></span> -<span class="i0">Der Graben ist dein Grab; Staub ist dein Lohn:<br /></span> -<span class="i0">Du bist des lieben Gotts verlorener Sohn.<br /></span> -</div></div> - -<p>So sah die Tröstung aus, die Skule Tofte seinem Ältesten -Henrik mit auf den Weg gab.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_42">[42]</a></span></p> - -<p>Da es aber doch ein Spiel sein sollte, was man hier trieb, -war es von dem Dichter nicht uneben erdacht, daß er am Ende -die Schauspieler um einen Tisch gesetzt hatte, während die -Mutter in einem Schrank nach Brot suchte und sprach:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Das Fach fast leer – wie ist das Herz mir schwer!<br /></span> -<span class="i0">Wo nehm' ich morgen nur Kartoffeln her?<br /></span> -</div></div> - -<p>Und gleich rief das jüngste Töchterlein das Schlußwort:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Es kommt die Nacht, die keine Not bedrängt,<br /></span> -<span class="i0">Weil da der Himmel ganz voll Talern hängt;<br /></span> -<span class="i0">Leicht fällt den lieben Gott im Traum was an,<br /></span> -<span class="i0">Wie er aus Steinen Semmeln machen kann.<br /></span> -</div></div> - -<p>Das war für die Zuschauer der gegebene Augenblick zum -Mitspielen: im Nu war den Webersleuten der Tisch gedeckt, -und auch der lange Henrik durfte umkehren und den Lohn -für seine Mühe in Empfang nehmen. Henrik Tofte aber, -der richtige, wollte auch nicht zu kurz kommen. Erst überzeugte -er sich von der versöhnlichen Stimmung Gwendolins, -dann trank er ein Glas Sekt.</p> - -<p>So hatte der Abend mit einer ernsten Rückschau begonnen. -Vor allem waren James und Johnny an dem Aktus nachdenklich -geworden; denn ihnen war die Herkunft ihres jugendlichen -Meisters noch ganz unbekannt gewesen.</p> - -<p>»Oh, er hat kein Staatsstipendium gehabt!« flüsterte Johnny -Gwendolin in reuevoller Einkehr zu.</p> - -<p>Da sagte Gwendolin nicht ohne Härte: »Aber er hat ein -Stipendium von Gott: sein Genie. Wendet er es etwa -besser an als Sie das Ihre?«</p> - -<p>Doch – das hörte niemand; denn die vollen Gläser klangen -aneinander, und Henrik Tofte klimperte zum Überfluß auf -der Gitarre, die er einstweilen unter den linken Arm geklemmt -hatte. Es war ihm ein Lied eingefallen, das er nun singen -wollte. Jawohl, auch singen konnte er – furchtbar komisch<span class="pagenum"><a id="Seite_43">[43]</a></span> -und mit wunderlichen Gebärden. Wie die Bänkelsänger -singen auf den Jahrmärkten vor einer bemalten Leinwand. -Er aber hatte diese Leinwand nicht und deutete doch mit -dem spanischen Rohre, als ob sie da wäre. Mit der Zunge -ahmte er das Klatschen des Stockes gegen die Bilder nach -und malte sie mit seinen Worten, grausig und volksmäßig. -Oder er sang edle alte Balladen. Seine Stimme konnte -dabei klingen wie geschlagene Glocken oder wie die See, die -vor dem Sturmwind in Klippen zerschellt …</p> - -<p>War es nicht so, als hätte der liebe Gott alle Stipendien, -die er für diese Zeit zu vergeben gehabt, in einem Schöpferrausch -an diesen einen verschwendet? …</p> - -<p>Wenn er annahm, daß man in seiner Abwesenheit von -ihm gesprochen hatte, ärgerte er sich. Aber nicht, weil er -fürchtete, man verlästere ihn. Sondern er sagte: »Ich bin -ein Mensch, der sich nicht auskennt in sich selber. Lobt oder -lästert ihr mich, wenn ich nicht dabei bin, so nützt mir das -nichts. Also ist es besser, ihr schmäht mich oder huldigt mir -ins Angesicht. Ich mache es euch ja so leicht und sage nie -ein Wort dazu, wenn es mich angeht.«</p> - -<p>Als er eine schöne und machtvolle Ballade über Harald -<span id="corr043">Harfager</span> gesungen hatte, waren alle ganz in der Gewalt -seiner stolzen Begabung, die er gar nicht achtete, weil er nur -in die Luft zu greifen brauchte wie ein Zauberkünstler, der -ringsum Wunder fängt.</p> - -<p>Da fragte der nachdenkliche Rolf Krake: »Sagen Sie, -Tofte, sind Sie eigentlich ein verbummeltes Genie?«</p> - -<p>Henrik schlug ein paar Akkorde aus den Saiten und schaute -sich im Kreise um. Es sollte jemand an seiner Statt antworten, -weil er sich selber dazu nicht wichtig genug nahm. -An Gwendolin blieben seine Augen hängen.</p> - -<p>»Ach nein,« sagte sie, »verbummelt ist er nicht. Und er<span class="pagenum"><a id="Seite_44">[44]</a></span> -wird auch nie dahin kommen. So oft er an die Dürftigkeit -streift – was er so Dürftigkeit nennt – wird er etwas ganz -Großes aus sich herausschlagen.«</p> - -<p>»Warum heiraten Sie ihn dann nicht?« fragte Rolf Krake.</p> - -<p>»Weil ich zu fleißig bin,« sagte sie gefaßt. »Er würde dann -nie in die tiefe Not geraten, vor der er sich fürchten muß. -Eine kleine Malerin kann aber nicht sich und diesen Riesen -und am Ende eine Familie erhalten mit ihrer Kunst. Trotz -allem: ich mag ihn furchtbar gern leiden. Sehen Sie, das -ist die Tragik meines Lebens. Aber ich werde daran nicht -zugrundegehen.«</p> - -<p>»Plumm plumm,« machte Toftes Gitarre. Er hatte sich -an den Tisch gesetzt und folgte diesem Gespräche mit großer -Aufmerksamkeit. Sie redeten von ihm, als wäre er gar -nicht da.</p> - -<p>»Liebe Gwendolin,« begann Rolf Krake wieder, »wäre -es nicht die Aufgabe einer Frau, dieses Genie für immer -in ihre Macht zu bringen, damit es ranke und blühe nach -ihren Gedanken?«</p> - -<p>»Man könnte das meinen,« entgegnete Gwendolin. »Aber -dann kennt man Henrik Tofte flach. Auf die Dauer erkennt -er nur einen einzigen Herrscher an über die Riesenmaße -seiner Begabung; und dieser König ist der Augenblick.«</p> - -<p>Es war ein Uhr geworden. Tofte hatte sich schon über -Gebühr von dem Gericht über sich selbst fesseln lassen. Er -hatte für die Mitternacht Leute auf die Insel bestellt, die -an Drähten hunderte von Papierlaternen aufhingen … So -kommandierte er die Welt. Wohin er kam, regierte er und -dachte doch nicht daran. Aber sich selbst konnte er kein anderes -Gesetz schreiben als das von der rasenden Unbeständigkeit -des Willens. Nur so vermochte er sich zu ertragen. »Meine -Freunde,« sagte er nun, »die Nacht ist lieb und heiß wie<span class="pagenum"><a id="Seite_45">[45]</a></span> -Gwendolin, und sie ist schwer vom Dufte der Rosen, des -Weins und der Berge …«</p> - -<p>»Plumm plumm!« Und Henrik Tofte sang das Lied vom -Rattenfänger. Da mußten sie alle hinterdrein und zogen -hinaus in die liebe heiße Sommernacht, wo die blonde Marit -einen Tisch unter vielen stillen Lampen gedeckt hatte. Und -weit drüben am Ufer standen die Menschen und sahen die -Ranken der blühenden Lichter in der weichatmenden Nacht -und in den weichatmenden Wassern und lauschten dem Sänger. -Dann zischten von den Rändern des Fjords die goldenen -Schlangen eines Feuerwerks empor – oh, Henrik -Tofte hatte heute »viel« Geld eingenommen von James und -Johnny! Und Henrik Tofte stand nun auf dem Dache. Stand -dort mit einem wallenden Barte und in einem langen wehenden -Mantel, wie ein Geist, der aus dem Berge gestiegen, und -sang zu geschlagenen Saiten. Es war immer so: seiner Kraft -schienen keine Grenzen gezogen – je mehr er von ihr forderte, -desto mehr gab sie. Er hatte nie so übermächtig gesungen wie -an den Säumen dieser Mitternacht. Es war ein Lied der -Liebe. Er huldigte damit Gwendolin. Und so klang es aus:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Hell hauchte der Glanz des Nebelfalls<br /></span> -<span class="i0">In silbernes Herbstgespinn.<br /></span> -<span class="i0">Die weiße Hand strich der Stute den Hals<br /></span> -<span class="i0">Und sagt' ihr doch nicht, wohin.<br /></span> -<span class="i0">Am Waldbach perlte der Erlenbaum,<br /></span> -<span class="i0">In den Runsen rauschte das Wehr;<br /></span> -<span class="i0">Sie ritt vorüber, sie ritt im Traum,<br /></span> -<span class="i0">Und das Glück ritt nebenher.<br /></span> -<span class="i0">Heim ritt sie. Um die Hufe klang<br /></span> -<span class="i0">Der klingende Abendtau.<br /></span> -<span class="i0">Und wie sie aus dem Sattel sprang<br /></span> -<span class="i0">Da jauchzte die selige Frau.<br /></span> -</div></div> - -<p>Die bunten Lampen begannen zu verlöschen. Noch verabredete -man für den Vormittag eine Lustfahrt in bekränzten<span class="pagenum"><a id="Seite_46">[46]</a></span> -Booten nach der Fjordstadt Elde, um die sich die Berge türmen -und der Sommer blühte. Ein großer Zeltzirkus hatte dort -Einzug gehalten. Dann geleitete man Do und Jockele wie -ein Brautpaar zur Schwelle ihrer Kammer, in der sie zum -ersten Male schliefen. Aber Henrik Tofte fand, das Fest wäre -noch lange nicht zu Ende. Er ruderte Rolf Krake, James -und Johnny hinüber ans Land. Und als er allein in Boot -und Nacht war, streifte er darin um die Insel. Das Glück -Jockeles und seiner Frau machte sein Herz sehnsüchtig – er -wußte nicht wie. Er glitt ein Stück hinaus in die Flut und -verwandte kein Auge von dem einzigen Fenster, das noch hell war -auf dem Eilande. Es war das Gwendolins. Dann trieb er -das Boot an den Rand der Klippe, kletterte empor im Gestein -und rief leise Gwendolins Namen. »Komm zu mir!« bat er.</p> - -<p>Da dachte sie: es ist nicht ungefährlich. Aber sie ging -doch. Es war fast, als hätte sie auf ihn gewartet. Darum -war sie ungeheuer gewappnet. Und die Nacht war spät; -es hauchte schon der Tag an die Zinnen des Gletschers.</p> - -<p>Henrik legte seinen Arm in den ihren und zog sie ganz -fest an sich. So schritten sie nach der Spitze des Eilands, -die am weitesten von den Häusern entfernt lag. Es stand -dort eine Bank ins Strandrohr geschmiegt, und große moosige -Felsblöcke lagen darum her.</p> - -<p>»Wußtest du, daß ich dich rufen würde?« fragte er froh.</p> - -<p>»Ich dachte es,« sagte sie; »denn ich weiß: in Nächten, -wie in dieser, nehmen Sie sich nicht erst die Zeit zum Schlafen. -Warum sagen Sie übrigens »du« zu mir?«</p> - -<p>»Ich habe das beschlossen,« sagte er.</p> - -<p>In der Nähe der Bank fing sein Schritt auf einmal an -zu zögern. Aber sie hüllte sich fester in das graue Schultertuch -und sagte: »Kommen Sie nur. Es muß doch einmal -klar werden zwischen uns – für die nächste Zeit.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_47">[47]</a></span></p> - -<p>Da hob er sie zärtlich über das Wässerlein, das einen -Schuh breit quer vor der Bank lag. Dann krochen sie zwischen -die hohen Halme wie Rohrhühner.</p> - -<p>»Es war fein heute,« begann Gwendolin. »Sie waren -wieder einmal einfach vollkommen; denn Sie waren nie -unmäßig, wie das Ihre Art ist: unmäßig groß, unmäßig -durstig, unmäßig grob und unmäßig sentimental. Deshalb -bin ich jetzt auch gekommen.«</p> - -<p>Er warf seine Arme um sie, daß sie hörte, wie ihr die Gelenke -knackten. »Es ist dir doch nicht ernst gewesen mit dem, -was du heut abend zu Rolf Krake gesagt hast?«</p> - -<p>»Ich schwöre es Ihnen,« sagte sie. »Und wenn Sie mich -jetzt küssen, dann lauf' ich nicht etwa weg – oh nein! Aber -das sag' ich Ihnen: Sie machen mich damit nur häßlich -und aufgewiegelt. Ich habe gelernt, viel zu fest auf mir -selber zu stehen, lieber Henrik Tofte, und mit einem Aufgebot -Ihrer Kraft erobern Sie die Festung nicht.«</p> - -<p>Gwendolin wußte genau, wie sie der Gefahr zu begegnen -hatte, die sie in diesem Mann umlauerte. Ihr heißes jähes -Herz hatte ihr in der anderen Zeit schon manchen Streich -gespielt.</p> - -<p>»Erkennst du denn nicht, daß du der einzige Mensch bist, -der mich in Ketten legt?« fragte er.</p> - -<p>»Sieben Tage, mein Freund!« lachte sie. »Oder siebenmal -sieben Tage. Aber es müßten siebenmal sieben Jahre sein.«</p> - -<p>»Das ist lange,« seufzte er.</p> - -<p>»Billiger bin ich nicht zu haben,« sagte sie.</p> - -<p>»Und wenn ich dir einen Vertrag unterschreibe mit meinem -Blut auf siebenmal sieben Jahre?«</p> - -<p>»Wie dem Herrn der Hölle, dem Sie verfallen sind,« -lachte sie.</p> - -<p>»Nun?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_48">[48]</a></span></p> - -<p>»Dann glaub' ich Ihnen doch nicht, Henrik Tofte; denn ich -glaube nur an mich und an meine Liebe. Und diese Liebe -hat zu Ihnen nicht die Kraft des Vertrauens für einen Vertrag -auf Lebenszeit.«</p> - -<p>»Und das ist dein letztes Wort, du liebste Gwendolin?«</p> - -<p>»Nein,« sagte sie. »So <em class="gesperrt">dienen</em> Sie um Rahel! Meinetwegen -sieben Jahre. Es kann auch kürzer sein. Es braucht -nur bis zu dem Tage zu sein, an dem wir beide wissen: wir -können zu einer Zweieinigkeit gelangen wie Jockele und Do. -Ich habe viel Leidenschaft und Liebe erfahren in meinem -Leben, Henrik Tofte – aber ich danke mir auf den Knien, -daß ich daran nicht zur Närrin geworden bin wie Tausende. -Oh, wir Mädchen tragen unser Herz in den Händen, und -wenn ein Mann Blumen darüber wirft, bilden wir uns -gleich ein, sie blühen ewig. Sehen Sie Do und Jockele an, -mein Freund! Die haben sich errungen durch Jahre. Diese -herrliche Do hat ihren Mann dem Leben abgekämpft in -einem verschwiegenen Kampfe. Und er ahnte es nicht; sie -selbst nicht – niemand ahnte es. So selbstlos war der Kampf; -und doch war er nicht minder schwer. Darum: reden Sie -von diesen beiden nicht als von Hätschelkindern des Schicksals! -Es gibt unter den Menschen keine, die sich ihr Glück köstlicher -erzwungen haben als sie.« Jawohl, das Wort vom Schicksal -hatte sich ihm schon auf die Lippen gedrängt. Da scheuchte -es Gwendolin fort. »Gute Nacht, Henrik Tofte! Vielleicht -gelangen auch wir über den Sonnensteg in das schöne ferne -Land. Gute Nacht!«</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Die Gletscherspitzen leuchteten nun in einem wundervollen -Rot. Und auch die Worte Gwendolins waren voll von -Verheißung gewesen für einen neuen Tag. Sie waren -gewesen wie nie zuvor. Dennoch sah Henrik Tofte aus, als<span class="pagenum"><a id="Seite_49">[49]</a></span> -schrumpften seine mächtigen Glieder vor der Helligkeit ihrer -Rede zusammen.</p> -</div> - -<p>So hockte er im Schilfrohr und war ohne Hoffnung. Gwendolin -hatte just das Werk für den neuen Herkules ausgesucht, -das er unmöglich bewältigen konnte. Sie hatte seinen Gott, -das Schicksal, gelästert und vom Sockel geworfen; sie hatte -allen fröhlichen Glauben in ihm vernichtet; sie hatte seinen -herrlichen Freibrief fürs Leben in tausend Stücke gerissen -und in das Röhricht verstreut. »So <em class="gesperrt">dienen</em> Sie um Rahel!«</p> - -<p>Es brach ein Lachen gewaltigen Schmerzes aus seiner -Brust. Dann hob er den gestürzten Gott wieder an seine -Stelle. – O diese Narren! Warum mochten sie nicht an -das einige Schicksal glauben, das die Welt regiert? War -es denn nicht Schicksal, daß die drei Menschen, die Henrik -Tofte am meisten liebte von allen, ihm den Weg zum Glück -verwehrten? Gleich am ersten Mittag, an dem sie den Fjord -entlang gerudert waren, waren seine Augen finster geworden -über dem Blick in die Sonne Dos und Jockeles. »Nun,« -tröstete er sich damals, »sie sind Hochzeiter!« Aber seither -war alles Flittergold von ihrer Ehe abgefallen, und ein -schönes klares Leuchten war geblieben, das sah aus, als -wär' es für Zeit und Ewigkeit. Vor diese beiden Menschen -führte ihn Gwendolin und sagte: »Sieh hin – getraust du -dir das auch? Was wäre es, wenn wir einen Bund schlössen, -und er könnte nicht sein wie dieser? Was wäre es, wenn -wir zueinanderliefen in einem kindsköpfigen Rausche, wie -zwei aus der Herde? Und flickten an unserer Gemeinsamkeit -herum, stächen die Löcher mühselig zusammen und schafften -damit doch nichts weiter, als daß das Ding ganz morsch -würde? Und zuletzt ließen wir's gehen und kümmerten uns -nicht mehr um die getrennten Nähte, weil sie ja doch nicht -halten! Henrik Tofte, was wäre das?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_50">[50]</a></span></p> - -<p>Jawohl, es war eine ungeheuer freventliche Weltanschauung, -die die Gwendolin da zum besten gegeben hatte! Bildete -sie sich denn nicht ein, sie wäre der liebe Gott selber und -könnte sich mit ihrer eigenen Kunstfertigkeit das Leben zimmern?</p> - -<p>Darüber nahm er Stück für Stück der umherliegenden -Fetzen auf und paßte sie mit Sorgfalt aneinander. So -baute er den richtigen Henrik Tofte wieder zusammen. Zwar, -die Risse konnte er nicht ungesehen machen. Aber er war -froh, daß es ihm leidlich gelungen war, und kroch aus dem -Rohre; denn er hörte das Fischerboot mit den Kindern inselwärts -plätschern, die die Kränze und Ranken brachten.</p> - -<p>Als die Fahrzeuge bunt und fröhlich geschmückt waren, -trat er in den Saal, wo ihn die Sturmschwalben mit Jubel -empfingen. Da jubelte er sich zwischen sie hin. Aber er -dachte, seit dieser Nacht wäre er hier nicht mehr daheim. Es -war ein wunderlicher Zustand. So, als wäre er nun von -dem Schicksal an eine Wegscheide gesetzt.</p> - -<p>Indessen bereiteten sich die anderen schon zur Fahrt. -Gwendolin und Do blühten wie der junge Tag: Hanna von -Fellner hatte geschrieben, sie wäre auf dem Wege nach dem -Hardanger Fjord und hätte sich Do und ihrem Mann in -Sehnsucht schon dreimal an die Herzen gestürzt; nachmittags -käme sie mit dem Dampfer fjordaufwärts, und sie erwarte, -daß an der Haltestelle alle Flaggen gehißt wären.</p> - -<p>Deshalb war die Insel in so funkelndem Betriebe. Sogar -Rolf Krake, der zu noch seltsameren Göttern betete als Gwendolin, -schnalzte schon drunten auf dem Ufersande herum.</p> - -<p>Daher kam es, daß Henrik Tofte bald allein am runden -Tische saß und merkwürdige Gedanken in den Morgenkaffee -hineinrührte. Es war ihm ums Herz, als geschähe alles zum -letzten Male, was er in den vertrauten Räumen tat. Aber<span class="pagenum"><a id="Seite_51">[51]</a></span> -endlich stand er mit feuchten Augen vom Tisch auf, um -hinabzugehen zu den anderen.</p> - -<p>An der Schwelle traf er Nane Thord. Die hatte zur Feier -des Tages eine blinksaubere Haube angetan. Sie wollte -hinübersegeln an den Strand, einkaufen. Da bekam Toftes -Herz die Dankbarkeit: er nahm Nane Thord auf den Arm -wie ein dreijähriges Mägdlein und trug sie hinab in sein -Boot und sagte, sie müßte mit nach Elde in den Zirkus. -Als sie merkte, daß es ihm ernst damit war, trieben die Boote -schon mit gefüllten Segeln vor dem Winde – bunt wie -fünf Sommerblumen, die dem Himmel aus den Händen -gefallen waren. Und Henrik Tofte sang ein Scheidelied. Es -klang, als würde er nie mehr einen Fuß auf das Eiland setzen.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Wo sich jener kurze Arm vom Hardanger Fjord nach -Norden abzweigt, an dessen Ende die Fischerstadt Elde -liegt, ist auch die Haltestelle des Dampfers. Dort machten -sie ihre Boote fest, Hanna zu erwarten. Aber Henrik Tofte -war ruhelos. Er reffte vor dem Eldefjord zwar das Segel; -denn der Fjord ist nach Süden offen, und die Uferberge -legen sich darum wie zwei Arme, die alle Sonne für ihn -einfangen. Aber der Wind aus Morgen streicht an seinen -Toren vorbei. Deshalb legte Tofte dort die Ruder ein und -sagte: »Nane Thord will die Rundholmen besuchen, ihre -Tochter, die auf Gaeslinggaard wohnt. Ich fahre also mit -ihr voraus.«</p> -</div> - -<p>Aber als die anderen Boote zwei Stunden danach an Gaeslinggaard -vorüberkamen, lief Nane Thord aus dem Hofe -und machte die Windmühle: Henrik Tofte hatte sie noch nicht -wieder abgeholt.</p> - -<p>Da stieg Nane Thord in Gwendolins Seelenverkäufer -und nahm ihr die Ruder aus den Händen und forschte auf<span class="pagenum"><a id="Seite_52">[52]</a></span> -der Weiterfahrt an dem Mädchen herum, was es mit Henrik -Tofte wäre.</p> - -<p>Die zugeflogene Hanna saß in lauter Wiedersehensfreude -im Boote von Do und Jockele. Rolf Krake aber fuhr mit -diesem auf gleicher Höhe und ihm so dicht zur Seite, daß -Do sehen konnte: er schien wie die Sonne.</p> - -<p>In Elde war ein großes Leben. Die Fischer lehnten in -ihren Sonntagskleidern breit und rauchend an den Steinen. -Die Blockhäuser hatten helle Augen. Und die bunten blonden -Mädchen und jungen Frauen wanderten Arm in Arm am -Strande und hatten alle Fenster offen. Aber Henrik Tofte, -den man sonst schon von weitem über allem Volk dahinsegeln -sah, war nicht da. Nur sein Boot hatten sie im Hafen -gesehen.</p> - -<p>Im Zirkus saßen sie dann in der ersten Reihe, gleich neben -den Borten des geharkten Sandes. Die Holzbänke füllten -sich bis auf den letzten Platz und bis unter das Zeltdach -hinan, das leis im Sonnenwinde flappte. Ein sehr kleiner -Clown im weißen Linnenanzuge mit faustgroßen schwarzen -Wollknöpfen ließ es sich angelegen sein, die Menge schon -vor Beginn der Reitkünste und Akrobatenstücke neugierig -zu machen. Dabei diente ihm seine zuckerhutförmige Filzmütze -als Sitzgelegenheit und Schlafgemach: so bedeutend -war diese Mütze, und so gering war das Männlein.</p> - -<p>Aber Henrik Tofte war nicht da – es war zum Lustigwerden.</p> - -<p>Endlich kam er – da war es zum Weinen.</p> - -<p>Er trug die Drahtseiltänzerin Miß Millie auf der freien -Hand herein und schwang sie auf das gespannte Seil. Er -hatte das Kleid eines Hanswurstes an, genau wie der Zwerg, -hatte eine weiße Riesenfilzmütze wie dieser, hatte sich das -Gesicht gepudert und die Nasenspitze und jede Wange mit<span class="pagenum"><a id="Seite_53">[53]</a></span> -einem schwarzen Tupfe geziert. Mit der Mütze reichte er -beinahe bis an das Zeltdach. Seine Einkleidung aber war -ohne Wissen des kleinen Mitclowns vor sich gegangen. Deshalb -staunte ihn keiner gewaltiger an als dieser. Er fand -sich aber rasch in die Lage und stellte ihn den Zuschauern -vor als seinen großen Bruder. Weil er immerzu schwätzte, -und Miß Millie doch endlich ihre Kunststücke vorführen -wollte, nahm der neue Clown ihm den Zuckerhut ab, klemmte -ihn hinter ein Seil unterm Dache und steckte das Männlein -einstweilen in seine Hosentasche …</p> - -<p>Es war überwältigend, und der Erfolg der Eröffnungsvorstellung -war schon mit dieser Improvisation gerettet.</p> - -<p>Der Kleine, den man nun in der Tasche der Pluderhose -herumkrauchen sah, drohte die Hauptnummer der Seiltänzerin -in Gefahr zu bringen; denn natürlich guckte er alsbald -heraus wie aus einem Fenster. Es war so hinreißend, daß -Henrik Tofte eine Zeit mit ihm aus der Arena verschwinden -mußte, was dadurch glaubhaft gemacht wurde, daß ein -Nachtwächter mit Spieß und Laterne kam und den geharkten -Sand nach dem großen Bruder des kleinen Mannes ableuchtete. -Als er ihn endlich gefunden hatte, verhaftete er ihn.</p> - -<p>Als »letzte Nummer« aber trat Henrik Tofte wieder auf. -Und zwar als Schnellmaler. Natürlich hatte er den Kleinen -immer noch im Hosensack und tat, als hätte er das ganz vergessen. -Damit ihn die geschwollene Tasche nicht beim Malen -störe, entledigte er sich ihres Inhalts. Er zog ganze Steine -bunter Kreiden hervor, eine Tabakspfeife und zwei Beutel -– in dem vollen war Tabak, in dem leeren kein Geld. Danach -holte er die Rollen seines Malpapiers hervor und zuletzt den -kleinen Mann, über dessen Vorhandensein er natürlich äußerst -verblüfft war. Deshalb ließ er ihn an seinem freien Arm -herumkrabbeln wie einen Käfer.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_54">[54]</a></span></p> - -<p>Danach lief der Kleine nach einem Rahmengestell. Daran -hefteten sie das Zeichenpapier. Der große Bruder begann -sein Werk. Zuerst zeichnete er Gwendolin Vogelgesang – -eins, zwei, drei … und schon war sie fertig. Jedermann sah, -daß sie es war. Er überreichte ihr das Bild mit komischer -Eleganz. Er zeichnete schöne Mädchen und alte Fischer, -wie sie da umhersaßen. Und zuletzt brachte der Kleine einen -Riesenrahmen geschleppt, den stellte er vor dem Eingange -der Sandbahn auf und rief: »Ha, du bist ein großer Maler, -mein Bruder – du bist ein so großer Maler, daß ich deine -Hosentasche als Schlafstelle gemietet habe! Aber du kannst -nicht das große Meer malen.«</p> - -<p>»Kleinigkeit!« sagte Henrik Tofte.</p> - -<p>»Das ganze Meer? Mit dem Sturme? Und mit Schiffen -in Not? Und alles auf dies kleine Papier? Ha!«</p> - -<p>»Kleinigkeit!« sagte Henrik Tofte und begann zu malen. -Die Fläche maß zehn Geviertmeter. Er sprang um das -Papier, als wäre er aus Gummi: bald kroch er in sich zusammen, -bald schnellte er empor, als hätte er eine Feder -aus Stahl im Leibe. Und aus seinen bunten Kreiden schuf -er das Meer. Wozu der liebe Gott einen Tag gebraucht -hatte – oder tausend Jahre … Henrik Tofte machte das -in sieben Minuten. Und der kleine Bruder saß auf dem Sand -und heulte den Sturmwind darüber.</p> - -<p>»Fertig!« schrie der Kleine.</p> - -<p>Henrik Tofte aber lief an die andere Seite der Arena, -als wolle er sich die Sache aus der Ferne betrachten – da! -Mit ungeheuerem Anlauf flog er über den Sand, mit einem -Gewaltschwung sprang er mitten hinein in das gemalte -Meer. Und blieb verschwunden.</p> - -<p>»Oh,« sagte der Kleine – »jetzt ist er ertrunken!«</p> - -<p>Die Menge tobte. Aber Henrik Tofte kam nicht mehr.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_55">[55]</a></span></p> - -<p>Drei Minuten später schaukelte der »Seelenverkäufer« -mit Gwendolin und Nane Thord aus dem Hafen von Elde. -Die anderen suchten nach Henrik Tofte bis gegen Abend. -Sie fanden ihn nicht.</p> - -<p>Da zogen sie mit raschen Ruderschlägen Gwendolin nach. -»Was nützt es uns, wenn wir uns um ihn sorgen oder uns -grämen?« fragte sie. »Auf dies Herz kann man nun einmal -keine Häuser bauen – und er selbst getraut sich das am -wenigsten.«</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Hanna von Fellner wohnte nun im Turm – es war -ein lustiger Name für den kleinen Aufbau, auf dessen -Dache der Sommerrasen schon wieder blühte.</p> -</div> - -<p>»Eure Tage in diesem abwendigen Weltwinkel sind ewig -bewegt wie die hohe See,« sagte Hanna.</p> - -<p>»Es ist in der Tat so,« bestätigte Do, »wir haben genau -die gleiche Wahrnehmung gemacht: als wir nach unserer -Ankunft kaum zwei Stunden am runden Tische gesessen -hatten, war uns, wir wären durch die Erlebnisse aufgeregter -Wochen gewirbelt.«</p> - -<p>Seit Henrik Toftes Verschwinden war fast ein Monat -verstrichen. Der Wanderzirkus war längst fortgezogen.</p> - -<p>Einmal segelten die von der Insel nach Elde, um über -den Freund etwas zu erfahren. Da hörten sie viele widersprechende -Meinungen über das Reiseziel der Truppe – es -lag offenbar eine Verabredung vor, die Neugier irrezuführen. -Henrik Tofte wollte seine Spur für die Sturmschwalben -verwischt sehen. Nur das eine ward ihnen zur -Gewißheit: sein Boot hatte er in Elde verkauft. Daraus -war zu schließen, daß er sich nicht mit der Absicht einer baldigen -Rückkehr trug.</p> - -<p>»Er will dich durch dies Mittel reuig und gefüge machen,«<span class="pagenum"><a id="Seite_56">[56]</a></span> -sagte Hanna zu Gwendolin. »Ich denke, in ein paar Tagen -geht das große Licht uns wieder auf.«</p> - -<p>Über das »große Licht« lachten sie. Und damit war ein -Name für Henrik Tofte gefunden, der nun unter ihnen blieb, -wie das freundliche und sorgende Gedenken, das sie ihm -bewahrten.</p> - -<p>Jockele war tief betrübt über den zwar nicht ruhmlosen, -aber unwürdigen Abgang, den sich Tofte gesichert hatte. -»Vielleicht hätte ich mich mehr um ihn kümmern sollen,« -sagte er.</p> - -<p>»Nein,« sagte Gwendolin, »denn dann hätte ich gegen -euch beide kämpfen müssen und wäre wohl besiegt worden. -Möchtest du, daß es so gekommen wäre?«</p> - -<p>Jo zog die Achseln: »Es ist eine zu ungewöhnliche Sache -gewesen mit euch. Und Do und ich, wir haben uns gesagt: -wir wollen uns da nicht hineinmischen. Du hast so klare -Augen, Gwendolin, und du hast ein so aufrechtes Herz -– einem Menschen, der nicht aus eigener Klugheit erwägen -kann, was er wagen darf, wird auch durch den Rat anderer -nicht geholfen. Aber es wäre mir doch leid um das große -Licht, wenn er sich selbst aus den Händen fiele.«</p> - -<p>Den tiefsten Eingriff bewirkte Toftes Flucht in das Leben -der »Glasgow Boys« James und Johnny. Auch dieser Name -stammte von der erfinderischen Hanna. Doch brachte sie -ihn der Kürze halber nur zur Anwendung, wenn sie von -beiden sprach. Meinte sie nur James, so nannte sie ihn -den »Karauschenteich« – nach einem Wasser auf dem Fjeld, -zu dem sie mit Jakobus Sinsheimer um diese Zeit manchmal -auszog. Es war wegen der grünen Wasserfrösche. Der -Karauschenteich war ein Tümpel wunderlich verhaltenen -Lebens. Algen wuchsen drin; Moosinseln trieben auf -seinem Spiegel; er wimmelte von Molchen, Fröschen und<span class="pagenum"><a id="Seite_57">[57]</a></span> -Wasserkäfern; und es standen ein paar würdige Karauschen -in der Nacht seiner Gründe, die hatten sich bereits Mooshauben -angeschafft. Es konnte kein Blick recht erspähen, -was in diesem Auge zwischen den Bergen sein verschwiegenes -Dasein <span id="corr057">pflog</span> – genau so ging es dem forschenden Blicke -Hannas vor Mister James King; da erfand sie für ihn den -Namen: der Karauschenteich. Aber weder das eine noch -das andere Kosewort hatte seine Ursache in einer besonderen -Hochachtung Hannas vor James und Johnny. Doch – sie -unterschätzte die beiden; und Jockele mußte sie eines Tages -belehren, daß die »Glasgow Boys« ihre Staatsstipendien -keineswegs zur Pflege ihrer Talentlosigkeit empfangen hätten. -Sondern die Dinge lagen so: Henrik Tofte war im Vergleich -zu ihnen allerdings ein Genie – aber das war er gegenüber -jedem anderen Malmenschen auch. Und da hatte die Gelegenheit -Diebe gemacht: James und Johnny waren seine -Schüler, sie kopierten ihn, sie übernahmen seine Malweise, -und über allem war dann der große Bluff zustande gekommen: -aus einer weitgehenden Bequemlichkeit und Leichtherzigkeit -auf beiden Seiten.</p> - -<p>Nun saßen James und Johnny am Rande des Verderbens. -Oder sie mußten sich den Ruhm, den sie im Traum errungen -hatten, erwerben, um ihn zu besitzen.</p> - -<p>Johnny hatte dazu die ernstliche Absicht. Er ging also -ans Werk; aber er schleppte Lasten. Zu allem erfuhr er -von dem Kunsthändler Watson, daß nach seinen Bildern -eine noch größere Nachfrage wäre als nach denen von James -King … Das war eine neue unfaßbare Überraschung; denn -Henrik Tofte hatte für Johnny nicht etwas Ausgezeichneteres -gemalt als für James. Einige Tage später stellte es sich -heraus, daß dies auf die Meinung Watsons zurückzuführen -war: weil Johnny ihn damals angelogen hatte, ein dänischer<span class="pagenum"><a id="Seite_58">[58]</a></span> -Kunstfreund habe seinen gesamten Bestand an Bildern ausgekauft, -war Herrn Watson das Licht aufgegangen, John -Williams wäre der stärkere von den beiden »Jöttern«.</p> - -<p>So kam es, daß Johnny für die Leute auf der Insel nahezu -unsichtbar ward. Es hieß, er feiere seine Auferstehung in -der Romantik der Berge. Mister James dagegen hatte -nach dem Vorbilde seines entschwundenen Meisters ein -weit größeres Vertrauen zu seinem guten Stern als zu -seiner Arbeit und Mühe. Ganz im geheimen erwog er, ob -es nicht ratsamer sei, die sonnige Hanna von Fellner und -ihre Wohlhabenheit sich gewogen zu machen – trotz dem -»Karauschenteich«. Diesen Traum träumte er bald aus und -zog der Leuchte Gwendolins nach. Aber auch das war ein -Irrlicht.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Do hatte sich über allem mit heißem Eifer in das Studium -der norwegischen Sprache gestürzt. Eines Tages fand sie -bei Ibsen das Gedicht von der »Sturmschwalbe«. Dabei -hatte sie eine Offenbarung. Sie übersetzte es in ihrer klaren -Einfühlungskraft und ihrer freien Art:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Draußen, wo sich den Klippen die Wildsee vermählt,<br /></span> -<span class="i0">Wohnt die Sturmschwalbe. Ein Seemann hat mir erzählt:<br /></span> -<span class="i0">Sie schneidet den Schaum der Wogen, ein geflügeltes Schiff,<br /></span> -<span class="i0">Sie tritt das brandende Meer und zerschellt nicht am Riff.<br /></span> -<span class="i0">Mit den Wellen sinkt sie, mit den Wellen steigt sie zur Höh',<br /></span> -<span class="i0">Mit der Stille schweigt sie, und sie schreit mit der kreischenden Bö.<br /></span> -<span class="i0">Sie fliegt nicht, sie schwimmt nicht: wo Himmel und See sich mischt,<br /></span> -<span class="i0">Geht ihre Fahrt, zwischen Sonne und wogendem Gischt.<br /></span> -<span class="i0">Zu leicht zum Gleiten am Grund, zum Fluge zu schwer –<br /></span> -<span class="i0">Sturmschwalbe, wo nahmst du den Mut zum Leben her?<br /></span> -</div></div> -</div> - -<p>Do wollte weder aus dem Gedichte noch aus der Offenbarung, -die sie davor gehabt hatte, ein Geheimnis machen. -Sie kannte nun die Leute alle bis auf die letzten Kammern<span class="pagenum"><a id="Seite_59">[59]</a></span> -ihrer Herzen, die sich die Sturmschwalben nannten. Rolf -Krake hatte mit jenem Namen ihren stolzen Flug zu den -Höhen des Lebens kennzeichnen wollen, zu denen nur seltene -Menschen den Aufschwung probieren. Er war ihm eingefallen -in beglückter jugendlicher Überhebung und in einer -Stunde, in der er die Maße zu sich und der Erde wohl einmal -nicht bei der Hand hatte. Aber nun wußte Do: Rolf Krake -war auch mit der Naturgeschichte der Sturmschwalbe nicht -vertraut gewesen, sonst hätte er zu erhabenem Sinnbild nicht -dies Geschöpf gewählt, das, nach alter Seemannsmär, weder -fliegen noch schwimmen kann, sondern in ewigem Wechsel -bald das eine versucht, bald das andere, und sein Element -doch niemals findet. »Sturmvögel« hatte Rolf Krake sagen -wollen; denn in dem Namen sollte das Symbol des Kampfes -einer hochgemuten Jugend mit den Stürmen des Lebens -aufgestellt werden.</p> - -<p>Nun sprachen sie darüber. Es war abends an dem runden -Tisch im Saal. Do dachte zwar, daß ihm das aus mangelnder -Naturgeschichte passiert wäre – aber: es konnte auch aus -überlegen spottender Erkenntnis gewesen sein.</p> - -<p>»Nein,« gestand er, »es ist eine Dummheit gewesen … Je nun, -vielleicht war es das Gescheiteste, was mir je eingefallen ist; -denn wir alle – mit Ausnahme von Jakobus und Doris – -sind wir nicht die leibhaftigen Sturmschwalben der Seemannsmär? -Zu leicht zum Gleiten am Grund, zum Fluge zu schwer?«</p> - -<p>Sie saßen bis gegen Mitternacht. Und weil sie sich voreinander -nicht versteckten, war dies Gespräch für alle voller -Erkenntnis und Gewinn.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Am anderen Tage war Jockele mit Hanna schon vor Sonnenaufgang -zum Karauschenteiche hinan auf das Fjeld -gewandert. Die neuesten Werke über die Froschlurche stimmten<span class="pagenum"><a id="Seite_60">[60]</a></span> -seltsamerweise darin überein, daß der grüne Wasserfrosch ein -Schattentier wäre – etwa wie die Kröte. Der Doktor aber hatte -beobachtet, daß gerade dieser mit der Sonne an den Teichrand -stieg und mit ihr um den Saum des Wassers wanderte, -immer ängstlich darauf bedacht, in der vollen Bestrahlung -zu sitzen. Auch anderen Irrtümern der neuesten Forschung -war er auf der Spur. Sie betrafen alle die Lebensweise -der Frösche und nicht die Kenntnisse, die man sich in den -zoologischen Instituten der Hochschulen aneignen kann.</p> -</div> - -<p>Johnny und Gwendolin waren ebenfalls schon mit dem -Malzeug fjordaufwärts gefahren. Do hatte eine Bergwanderung -mit Rolf Krake vor. So blieb James allein daheim. -Aber auch er ward von Nane Thord kaum gesehen; denn -er steckte den Tag über mit seinem Boote im Rohr am Ende -der Insel und strich Schilf und Ruder mit Zinkfarbe an, -die in der Nacht leuchtet. Dabei setzte er ein sehr geheimnisvolles -Gesicht auf.</p> - -<p>Es wurde wieder einmal ein ereignisvoller Tag.</p> - -<p>Droben am Karauschenteiche, dem Auge der Bergheide, -saßen Jockele und Hanna. Sie hatten nun das brüderliche -Du füreinander erfunden, und Hanna nannte ihn im fröhlichen -Sonnenrausch ihrer Hochwelteinsamkeit den »Mann -mit den drei Frauen«.</p> - -<p>»Na, hör mal!« sagte Jockele in lustiger Entrüstung.</p> - -<p>»Es ist dennoch so! Du machst es der Gwendolin und -mir furchtbar schwer, dich nicht über Gebühr liebzuhaben.«</p> - -<p>»Das könnt ihr halten wie ihr wollt,« sagte Jockele.</p> - -<p>Da legte sie ihm den Arm um den Nacken und drei schwesterliche -Küsse auf den Mund. »Ist das nicht über Gebühr, -mein Herr?«</p> - -<p>»Ach Unsinn,« sagte er.</p> - -<p>»Nun, so soll Do entscheiden!« antwortete sie ein bißchen<span class="pagenum"><a id="Seite_61">[61]</a></span> -ärgerlich; denn sie hatte aus den rückwärtigen Tagen die -Überzeugung gewonnen: ihre Wette von der Hochzeitstafel -würde für sie verloren. Da fiel es auch dem Jockele wieder ein, -daß er damals in überschießender Lust dagegen gesetzt hatte. -»Du hast Angst um deine Mark,« spottete er.</p> - -<p>Da lachte sie: »Ach nein – um die Richtigkeit meiner Ansicht! -Entweder hab' ich damals Unsinn geredet oder – -Jakobus Sinsheimer ist eine Ausnahme von der Regel.«</p> - -<p>»Nach so kurzer Zeit läßt sich das noch nicht mit Sicherheit -feststellen,« scherzte er. »Wir müssen wohl warten bis zu -meinem Tode.«</p> - -<p>»Du hast fürchterliche Angst um deine Mark!« vergalt -sie ihm nun. Sie küßte ihn in jähem Übermute noch dreimal -und sagte: »So, nun hast du deine Wette verloren! Es ist -rein zum Verzweifeln.«</p> - -<p>»Ich finde: weder das eine noch das andere,« sagte er.</p> - -<p>»Nun, wir werden ja hören, was Do dazu meint.«</p> - -<p>Dann sprachen sie über Liebe und Ehe und auch von den Erlebnissen, -die er in seiner jungen Zeit mit Gwendolin gehabt -hatte. Es war Hanna furchtbar interessant, wiewohl Do und -Gwendolin ihr das alles schon einmal erzählt hatten. »Wenn -ich Do wäre, so litte ich nicht, daß Gwendolin und Hanna -Fellner die gleiche Luft mit dir atmeten.«</p> - -<p>»Ja, so halten es die Menschen,« sagte er, »weil sie einander -nicht vertrauen bis zum nächsten Busche – und weil sie ihre -Liebe nicht reif werden lassen vor der Hochzeit.«</p> - -<p>Dann schlich er wieder einmal auf den Zehen um den Karauschenteich. -»Es sind annähernd dreihundert grüne Wasserfrösche -da!«</p> - -<p>Hanna betrieb inzwischen ein nachdenkliches Spiel mit -Heidehalmen. Sooft er an ihr vorüber kam, warf er ihr ein -kluges und schönes Wort von der Ehe hin oder von der Liebe.<span class="pagenum"><a id="Seite_62">[62]</a></span> -Das fing sie wie eine seltene Blume und schmückte sich das -Herz damit – das wirbelige törichte Herz, das einst gemeint -hatte: es hätte die Liebe nach allen Himmelsrichtungen -erprobt. –</p> - -<p>Wie es indessen um Gwendolin und den langen Mister -Johnny aussah? Auf der Fahrt den Fjord hinauf war es -morgendlich kühl in dem kleinen Schiffe. Als sie dann an -ein sehr schönes Naturtheater kamen, auf dem sich die Kulissen -sommerbunt und kühn durcheinanderschoben, sagte Gwendolin: -»Sie, lassen Sie mich heraus – das muß ich malen!« -Sie war noch genau so wie damals in der wilden Jockele-Zeit: -vor einer romantischen Aufführung der Natur konnte -sie nicht vorübergehen. Das strich sie dann keck und aufgeblüht -aus ihrem jauchzenden Herzen, und es wurde ein -ungeheueres Farbenerlebnis daraus.</p> - -<p>Sie hatte sich seit dem Tage, da ihr der Freund verlorengegangen -war, nicht gewandelt. Nein, Gwendolin Vogelgesang -war nicht von der Art jener, die die Tür unbedacht ins -Schloß werfen und dann davorstehen mit Reu' und »Hätt' -ich doch«. O, die Entgleisung Henriks war ihr nicht gleichgültig -– ihr am wenigsten. Aber sie hatte von allen die -kräftigste Überlegenheit gegen das Leben.</p> - -<p>Nachdem sie ihre Staffelei aufgestellt hatte, verfiel sie gleich -mit Allgewalt ins Malen. Sie war dabei so rasch, daß sie nie -zweimal zu einem Motive ging; denn sie kopierte nicht die -Natur, sondern sie schuf das künstlerische Erlebnis, das sie -davor hatte, in Form und Farbe. Ja, so war es um ihre -Kunst; es wandelte sich auch darin nichts. Viele verstanden -sie nicht, aber viele beglückte sie. Es kümmerte sie nicht, was -sie damit für eine Wirkung erzielte.</p> - -<p>Ob John Williams weiter fjordaufwärts gerudert war, -oder ob er irgendwo hinter einer Kulisse steckt und sich in<span class="pagenum"><a id="Seite_63">[63]</a></span> -seiner veristischen Manier abmühte, wußte sie in ihrem -himmlischen Untergange nicht. Er aber hatte zur Genüge -erfahren: Gwendolin konnte jemandem Palette und Pinsel ins -Gesicht werfen, dem es beikam, ihre Eingebungen zu stören. -Sie mußte allein sein mit dem Gott, der in ihr schuf.</p> - -<p>Wenn Johnny an diesem Tag nicht vorgehabt hätte, auf -sie zu warten, so hätte er sie am Morgen nicht mit in sein Boot -genommen.</p> - -<p>Der Wandel der Lichter und Schatten, der um Mittag eintrat, -verurteilte ihn zur Untätigkeit. Da legte er sich auf das -kurze Gras eines Hügels und guckte in die spiegelnden Wasser. -Bergkuppen standen darin, silberstämmige Birken, finstere -Föhren, die sich an Zacken klammerten; und die flimmernden -Eisströme vom Folgefond. Und alles blühte hinein in die -seligen Himmel der Tiefe. Den »Malkasten des Herrgotts« -hatte Gwendolin den Fjord genannt.</p> - -<p>Johnny hatte seinen Platz so gewählt, daß er Gwendolins -Wildrosenhut sehen konnte, wenn er sich ein wenig aufreckte. -Diese Gelegenheit nahm er viel öfter wahr, als er dachte. -Er sah sich an dem Zauberspiegel der Flut müde, aber an -Gwendolin nicht. Nun ja – Henrik Toftes Abreise mit unbekanntem -Aufenthalt war ein harter Schlag für ihn gewesen. -Aber die Sache hatte doch auch ihre gute Seite …</p> - -<p>Der lange Johnny hatte nie in seinem Leben eine so kurzweilige -Sonnenruhe gehalten wie an diesem Tage. Ohne -Pinsel und Farbe malte er sich ein Bild. Das stellte den -listigen James dar in dem Augenblick, in dem er erkannte: -die heiße nußbraune Gwendolin hatte John Williams unwiderstehlich -gefunden. – Es war sehr unterhaltsam. Ja. -Und deshalb lugte Mister Johnny immer durch den Spalt -zwischen den beiden Birkenstämmen.</p> - -<p>Um die gleiche Stunde befand sich sein Freund James<span class="pagenum"><a id="Seite_64">[64]</a></span> -in nicht minder heftiger Kurzweil. Einesteils hockte er in -seinem Boot im Sommerrohr und strich mit einem großen -Pinsel Zinkfarbe an die äußeren Bordwände. Anderenteils -malte er sich ein Bild. Das stellte den listigen Johnny dar -in dem Augenblick, in dem er erkannte: die heiße, nußbraune -Gwendolin hatte James King unwiderstehlich gefunden. – -Es war sehr unterhaltsam. Denn: wo in aller Welt war ein -Mensch auf die köstliche Idee verfallen, mit Hilfe eines Gespensterschiffes -seiner Angebeteten eine nächtliche Aufwartung -zu machen? Seiner Angebeteten? Nun, auf eine so romantische -Gemütsverfassung zielte der Ehrgeiz eines richtigen -Glasgowboys im Grunde genommen nicht. Aber etliches -hatte er doch den Deutschen und Norwegern abgeguckt; und -er war nicht umsonst der Schüler Henrik Toftes gewesen. -So war seiner Weisheit letzter Schluß: mit einigem romantischen -Behaben mußte der Gwendolin wohl beizukommen -sein. Denn erstens würde ihr dabei das Herz erschauern: -es war ja bekannt, daß auch Nane Thord nächtliche Zusammenkünfte -mit ihrem Verstorbenen hatte. Zweitens: Gwendolin, -deren Licht stets bis über die Mitternacht hinaus durch das -Fenster schien, lebte in so später Stunde ein gesteigertes -Leben: sie würde an Henrik Tofte denken, der in der Geisterzeit -sehnsüchtig um die Insel strich … Und drittens berechnete -James das Einkommen, das sich aus Gwendolins Fleiß und -Talent schlagen ließe.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Mister Johnny, weit, weit draußen vorm Zauberspiegel, -stellte die gleiche Berechnung an. Im übrigen -aber: auf die Hilfe der vierten Dimension verließ er sich nicht. -Er wartete, bis Gwendolin so gegen drei Uhr ihre Brote auspackte, -dann schritt er unternehmungsfroh die Hügellehne -zu ihr hinan.</p> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_65">[65]</a></span></p> - -<p>»Fertig!« sagte sie und biß in die Schinkenstulle, »ich -schließe, daß es spät geworden ist, denn ich habe einen Mortshunger.«</p> - -<p>»Well,« sagte Mister Johnny, »und ich habe Ihnen drei -Eier aufgehoben.«</p> - -<p>»Famos! Geben Sie her!«</p> - -<p>Das ließ sich sehr hübsch und nüchtern an und stimmte mit -der Rechnung Johnnys Punkt für Punkt. Er setzte sich zu -ihren Füßen in das blühende Gras und half ihr bei der Betrachtung -des Bildes. Sie kniff das linke Auge zu: »Da -rechts, in den Firnenschnee, muß noch ein kobaltblaues Licht – -der Firn ist um sieben Grad Celsius zu warm,« sagte sie, -sprang auf und strich die fehlende Kälte auf das Bild.</p> - -<p>Über allem schien es dem langen Johnny: Gwendolin -würde ihm nach dem Mahle nicht die nötige Muße zu seinem -Vorhaben lassen.</p> - -<p>»Sie, sind die Eier hart?«</p> - -<p>»Hm,« sagte er. – Es war nun doch ungeheuer schwierig. -Gwendolin ballerte am Stein schon das zweite Solei auf. -»Wie weit sind Sie gekommen?« fragte sie zwischendurch.</p> - -<p>»Ah,« sagte er gefaßt, »bis zu dem Entschlusse, den Ruhm im -Stiche zu lassen, der mir in meinem Vaterlande so unverdient -zugefallen ist.«</p> - -<p>»Und wie gedenken Sie das fertigzubringen?« forschte -sie in belustigter Neugier.</p> - -<p>»Ich will für einige Zeit mit Ihnen nach Deutschland -gehen. Es wäre mir am liebsten … ich meine: was sagen -Sie dazu, wenn wir uns einander nahe blieben, so ganz -nahe … wenn wir gewissermaßen einen eigenen Herd -gründeten?«</p> - -<p>Gwendolin biß in das Ei. »Wir – zwei? … Mensch, -hat Ihnen denn die Sonne das Hirn geröstet?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_66">[66]</a></span></p> - -<p>Johnny schnellte mit einem Satze von dem blühenden -Rasen zu seiner ganzen Länge empor – es war zu vermuten, -er hätte sich auf eine Giftschlange gesetzt. Gwendolin zuckte -zusammen: er sah aus, als wollte er sich nun auf sie stürzen. -Aber sein Herz war von einer unfaßbar versöhnlichen -Stimmung. »Ich danke,« sagte er. »Es ist nicht nötig, daß -Sie noch stärker gewappnet aus sich heraustreten; an einem -Kampf bis zum sogenannten bitteren Ende liegt mir nicht -das geringste.«</p> - -<p>»Sie sind wohl nicht ganz glücklich in der Wahl des deutschen -Ausdrucks gewesen, so daß ich Sie mißverstehen mußte?« -fragte sie.</p> - -<p>Aber Mister Johnnys Herz war von rassereinstem Gleichmut -– er ergriff nicht einmal dies rettende Seil. »Ach nein,« -sagte er, »sondern mir scheint, ich bin nicht sehr geschickt zu -Werke gegangen. Nun, so teil' ich das Schicksal mit Henrik -Tofte, mit Jakobus, mit dem Mann aus dem deutschen Zwetschengarten -und mit den anderen, die vor mir kamen und nach -mir kommen.« Das kollerte er aus seinem breiten Britenmunde -hervor wie eine Reihe Kegelkugeln. Sie gingen alle -daneben.</p> - -<p>Auf der Bootfahrt, die dreizehn Kilometer lang war, unterhielten -sie sich noch über den Vorfall. Es war die vergnügteste -Überraschung gewesen in Gwendolins Leben. Darum -flatterte ihr Herz nun auch wie ein kleiner Wimpel im lustigen -Sommerwind.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Unterwegs sahen sie Do und Rolf Krake. Die beiden -spazierten die schöne Uferstraße lang und befanden sich -offenbar in einem angelegentlichen Gespräche. Die Bergfahrt -war also kurz gewesen; denn sie hatten sich schon umgekleidet. -Do hatte den roten Sonnenschirm über die Achsel gelegt,<span class="pagenum"><a id="Seite_67">[67]</a></span> -als dürfe sie kein Wort von der Geschichte verlieren, die ihr -Begleiter im weißen Strandanzuge berichtete. Darum hielten -sie sich auch vor dem vorübergleitenden Boote nur für die -Länge eines Freundesgrußes auf.</p> -</div> - -<p>»Nun ja,« sagte Do im Weitergehen, »ich habe nicht umsonst -an Ihnen herumgeforscht seit der Stunde, in der wir -uns kennen lernten. Wenn ich nun gleichwohl anfange, Sie -zu verstehen: das verzwickteste Kapitel Mensch, der mir je -vorgekommen ist, bleiben Sie für mich trotzdem.«</p> - -<p>»Darauf kommt es mir weniger an,« sagte Rolf Krake. -»Getrauen Sie sich nun, meine Frage von heute vormittag -zu beantworten?«</p> - -<p>»Ob Hanna von Fellner mit Ihnen glücklich werden könnte? -Nein, das zu entscheiden getraue ich mir nicht. Ich möchte -Sie aber nicht mutlos machen, Rolf Krake, und nicht feindseliger -gegen sich selbst. Es eilt ja damit auch nicht so sehr.«</p> - -<p>»O, es eilt doch,« sagte er. »Wenn mein Bruder Woldemar -kommt, so wird er sich in Hanna verlieben.« Do sah ihn -befremdet an. »Weiß Gott, er wird sich in sie verlieben,« -setzte er mit Nachdruck hinzu.</p> - -<p>Darüber ward sie ganz besinnlich und sagte: »Nun, eigentlich -müßten Sie ja recht haben. Was wir über Ihr Verhältnis -zu diesem Woldemar wissen, ist doch mächtig sonderbar. -Ich kann das nicht verstehen – nein, ich kann es nicht! -Das liegt auch daran, daß Sie alle Fäden Ihrer Jugendgeschichte -an einer gewissen Stelle unvermutet abschneiden. -Sie sagten: als Knaben wären Sie beide keine Ausnahmenaturen -gewesen. Aber Sie, Rolf, dachten schon damals -über leichtsinnige Streiche nach, die Sie gemeinsam begingen. -Woldemar dagegen nahm sich und das Leben wie ein Junge. -Die Mutter verstand Rolf nicht. Sie hält den nachdenklichen -Knaben für ein Kind mit verstocktem Herzen – und setzt ihn<span class="pagenum"><a id="Seite_68">[68]</a></span> -zurück. Darüber wird Rolf zu einem Grübler: er sieht in -sich einen Menschen voller Fehler, die ihm dereinst den Weg -ins Leben vermauern werden. Und er mag sich nicht mehr -leiden. Er überträgt dieses Gefühl allgemach auf den Bruder -Woldemar. Sie sind Studenten in Bonn. Da tritt Hanna -von Fellner zum ersten Male zwischen sie. Aber sie verlieren -sie wieder. Der eine studiert dann in Jena weiter, der andere -in Kiel – möglichst entfernt voneinander …«</p> - -<p>So ließ Do die Geschichte Rolf Krakes im Wandern noch -einmal an ihnen vorüberziehen. Dabei knüpfte sie die Fäden -just an der Stelle scheinbar absichtslos wieder zusammen, -an der er sie zu zerreißen pflegte. Es war ganz offenbar: das -tat er deshalb, weil er von da ab sich in sich selber nicht mehr -zurechtfand.</p> - -<p>Sie aber wollte ihn von sich selber erlösen. Daher mußte -er über diese Stelle hinwegkommen. Sie sah: es war der -verwickeltste Prozeß eines innersten Gefühlslebens, den -Rolf Krake sich selbst nicht klar aufzeigen konnte, geschweige -denn einem anderen. Aber so viel Licht, als in das Geheimnis -dieser verschnörkelten Seele zu werfen war, wollte sie für -ihre Erkenntnis doch erringen – nicht allein, weil sie dies -verschleierte Bild lockte, sondern – wie es häufig geschieht, -daß feinfühlige Frauen sich von Ahnungen leiten lassen: -weil sie dachte, sie könnte dem wunderlichen Freunde mit -dieser Erkenntnis einmal von Nutzen sein.</p> - -<p>Erst in der sinkenden Nacht kamen sie nach Hause. Do -saß danach mit ihrem Manne noch lange wach. Sie sprachen -von Rolf Krake.</p> - -<p>»Es ist so mit ihm,« sagte Do, »als Kind hat er gelernt, -sich zu hassen. Dieser Haß blieb ihm und wuchs in dem Jüngling -weiter …«</p> - -<p>»Aber, ich bitte dich, Do, wie ist denn so etwas möglich?<span class="pagenum"><a id="Seite_69">[69]</a></span> -Es kann sich ein Mensch über sich ärgern, oder es kann ein -Mensch das Vertrauen zu sich selber verlieren – aber er -kann sich doch nicht durch eine Reihe von Jahren unausgesetzt -hassen! Das wäre für ihn einfach nicht zu ertragen und -müßte ja zum Selbstmord führen!«</p> - -<p>»Ganz richtig,« sagte Do, »und das ist auch die Stelle, -an der der Schlüssel zu dem Rätsel vergraben liegt: die Eigenliebe -Rolf Krakes hieß ihn, den Haß gegen sich selbst auf sein -Ebenbild zu übertragen – auf seinen Bruder Woldemar! -Alles, was er an sich selber nicht leiden mag, das kommt ihm -im Bruder doppelt und dreifach und peinigend verzerrt -zum Bewußtsein. Er sehnt sich nach ihm, er reist in dieser -brüderlichen Sehnsucht sogar über viele Meilen zu ihm – -aber dann ist es, als begegne er seinem Bilde, und der Haß -gegen dies Bild ist ihm geläufiger; denn die Selbstliebe -dämmt ihn nicht ein.«</p> - -<p>»Ich werde ihn in der kommenden Zeit mitnehmen an -den Karauschenteich,« sagte Jakobus. »Du und Hanna, -ihr sollt mehr um ihn sein als bisher. Während ich arbeite, -lustiert ihr euch in der blühenden Heide.«</p> - -<p>Am anderen Morgen zogen sie zusammen aus. Auch in -den folgenden Tagen. Rolf Krake war gerne dabei. Aber -die funkelnde Helligkeit, mit der er Hanna damals am Eldetag -umleuchtet hatte, war nicht mehr in ihm.</p> - -<p>Darüber ward das Verhältnis der beiden zueinander -freier, erlöster. Von Stund' an konnten sie in der hohen -Sommerwelt miteinander spielen wie Kinder, die sich heute -bis zur Ausgelassenheit aneinander freuen und sich morgen -vergessen. »Ich habe mich immer ein bißchen vor Ihnen -gefürchtet, Rolf Krake,« sagte Hanna. »Nun haben Sie den -Plan der Verlobung ja aufgegeben. Das ist vernünftig. -Kommen Sie, geben Sie mir Ihre Hände – von jetzt ab<span class="pagenum"><a id="Seite_70">[70]</a></span> -sagen wir ›du‹ zueinander. Und nun geben Sie mir auch -einen brüderlichen Kuß!«</p> - -<p>Jockele lachte. »Hanna küßt immer erst fröhlich drauflos, -wenn die Gefahr vorüber ist; dann aber mit Vorliebe. Ich -kenne das.«</p> - -<p>»Du, du!« drohte das aufgeblühte Mädchen. »Nimm -dich vor mir in acht! Dich möcht' ich doch gerade erst in -Gefahr <em class="gesperrt">bringen</em> – es ist aber furchtbar schwer.«</p> - -<p>»Ach nein,« scherzte Do.</p> - -<p>»Das sagt sie heute, heute so leicht hin,« rief Jockele und -warf seiner Frau einen lustigen Blick zu. Da sah ihn die -frohe blonde Do an und wurde rot bis hinab in den Ausschnitt -ihres Sommerkleides; denn es fiel ihr ein: sie hatte -einmal im Moose des Buchwaldes im fernen Thüringerlande -gelegen, hatte ihr Gesicht mit dem Hute bedeckt, um den -die Ranke aus kleinen Blumen geschlungen war, und hatte -gedacht: »Am Rhein sind die jungen Studenten in Schwärmen -um mich geflogen – dieser Jockele aber hat seine Augen -noch nicht ein einziges Mal vor mich hingestellt, damit sie -zu mir sagten: ›Do, Do, du bist auch hübsch, und du gefällst -mir doch eigentlich sehr‹ … Die Mädchen prickeln um seine -vollen Sinne wie Sekt in einem neugefüllten Glase. Warum -prickelt er nicht um mich? Und wenn er gar einmal schäumte, -wie vor Gwendolin – man würde sich ja wohl helfen können … -Und wenn nicht? – Na …«</p> - -<p>Ja, so war das damals gewesen. Und vor diesem Gedanken -aus dem Thüringerwalde wurde die frohe blonde Frau auf -dem nordischen Fjeld glückselig rot bis hinab in den Ausschnitt -ihres Sommerkleides. Aus der gesicherten Entfernung -sah sich das alles nun furchtbar lustig an … Aber damals?</p> - -<p>So blühte sich die Jugend dieser Menschen durch den Glanz, -der sie einwob. Und Rolf Krake fand sich für seine Art fröhlich<span class="pagenum"><a id="Seite_71">[71]</a></span> -und aufgetan zu ihren Sonnenseelen. »Es wäre wunderschön -gewesen, wenn wir uns fürs Leben gefunden hätten,« -sagte er zu Hanna; »aber ganz so wie Do bist du nun doch -nicht … Na, es ist auch so, wie es ist, wunderschön,« sagte -er in sanfter Bescheidung. »Und dein Kuß hat mir sehr wohlgetan.«</p> - -<p>»Da hast du noch einen, du wunderlicher Heiliger! Du -kannst mitunter einen bekommen – aber sauber, weißt du, -und in Ehren! Ich glaube, man kann dich damit aus deinem -dunklen Wasser ziehen …«</p> - -<p>»Rettungsringe!« lachte Jockele.</p> - -<p>»Es ist ein feiner Einfall,« bestätigte Rolf Krake. »Mir -scheint, ich werde bei euch noch ein ganz vernünftiger Mensch.«</p> - -<p>»Das scheint mir auch so,« sagte Hanna, »nun, da du mich -nicht mehr um jeden Preis heiraten willst, ist das Spiel für -dich schon zur Hälfte gewonnen.«</p> - -<p>So waren die Tage auf dem Fjeld lustig und hell bis -ins Herz.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Einmal des Morgens, als man auf der Osterinsel wieder -zum Aufbruch rüstete, trat Nane Thord herein und -sagte: »Es ist in der Nacht ein Boot um die Insel gefahren. -Es sah aus, als wär' es aus Glas. Und es schien wie ein erleuchtetes -Fenster in der Nacht. Es hatte auch zwei leuchtende -Ruder in den Halftern. Aber es war kein Fährmann dabei.«</p> -</div> - -<p>Nane Thord machte ihre großen, grauen Augen.</p> - -<p>Da sagte Gwendolin: »Wir haben Neumond.«</p> - -<p>»Lars Thord wird wieder etwas auf dem Herzen haben,« -setzte Jockele mit gut verhehltem Spotte hinzu.</p> - -<p>»Ach nein,« antwortete Nane, »wenn Lars Thord kommt, -so setzt er sich auf die Klippe und angelt Karauschen. Deshalb -bin ich auch nicht hinaus gewesen in der Nacht. Es<span class="pagenum"><a id="Seite_72">[72]</a></span> -war mir unheimlich. Vor Lars Thord ist es mir nicht unheimlich.«</p> - -<p>»Wir müssen da mal aufpassen,« beruhigte sie Jockele.</p> - -<p>»Ja, das müssen wir wohl,« sagte Nane Thord.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">John Williams war seit ein paar Tagen verreist, nach -London. – Gwendolin wußte: am zweiten Morgen -nach dem Überfall hatte er die Fahrt angetreten.</p> -</div> - -<p>In der Nacht, von der Nane Thord auf der Osterinsel erzählte, -was sie darin gesehen haben wollte, schlenderte Johnny -vom Hydepark her durch die Greenstreet seinem Gasthause -zu. Es ist da an der Ecke ein Kaffeehaus, in dem man zu -allen Zeiten Deutsche trifft. Als Johnny im Vorübergehen -durch die große helle Scheibe blickte, stand er mit jähem Ruck -still, als wäre er gegen ein Hindernis gestoßen. Denn da -drinnen sah er einen hünenhaften Menschen sinnend hinter -dem Stuhl eines Schachspielers stehen … Jawohl, es war -Henrik Tofte!</p> - -<p>Da ging Johnny hinein. Aber Tofte bemerkte ihn nicht. -Es wurden in dem Raume mehrere Partien ausgetragen, -und es wurde kein Wort gesprochen. Deshalb setzte sich -John Williams an einen der kleinen Tische, die hinter Henrik -frei waren, bestellte sich ein Glas Tee, rauchte die Pfeife -und wartete. Wartete zwei Stunden, ohne daß er von dem -»großen Lichte« bemerkt wurde; denn Tofte war ganz vertieft -in die Partie, der er zuschaute. Während nun da und -dort ein Spiel mit dem Siege ausging oder remis wurde, -erkannte Johnny: man spielte in diesem Kaffeehaus die -Partie um die Zehnpfundnote. Um so merkwürdiger war -die Anwesenheit des Malers. Zuletzt lief nur noch jene, bei -der sich Henrik als Zuschauer aufgestellt hatte. Da wurde -der schwarze Turm geschlagen. »Ich gebe das Spiel auf!«<span class="pagenum"><a id="Seite_73">[73]</a></span> -rief der Verlustträger seinem Partner zu, »Sie haben Ihre -zehn Pfund gewonnen.« – »Geben Sie sich nicht verloren, -Herr!« sagte Henrik Tofte. »Doch? Nun, wenn Sie erlauben, -spiele ich die Partie für Sie zu Ende und – wenn Sie mir -im Gewinnfalle fünf Pfund abgeben.« – »Mit Vergnügen, -mein Herr,« sagte der Deutsche und schaute verwundert -an dem Riesen empor. Der setzte sich ans Brett und gewann -mit dem siebenten Zuge. Eine freudige Erregung unter -den Anwesenden war die Folge. Währenddessen schob Tofte -die verdienten hundert Mark in die Tasche.</p> - -<p>»Nun darf ich Sie wohl auch zu dem famosen Spiel beglückwünschen, -Meister!« sagte in diesem Augenblick John -Williams.</p> - -<p>»Johnny!!«</p> - -<p>»Ich bin's leibhaftig!«</p> - -<p>»Kommen Sie, trinken wir eine Flasche Sekt!« sagte -Tofte in alter Gewohnheit, faßte seinen Schüler unter und -verließ mit ihm das Schachzimmer. Draußen in dem Erfrischungsraum, -in sicherem Winkel, setzten sie sich fest. »So -treib' ich es seit einer Woche, mein lieber Johnny,« erzählte -das große Licht.</p> - -<p>»Und haben sich dabei einen häßlichen Augenkatarrh geholt,« -warf John halb im Scherz, halb im Ernst ein.</p> - -<p>»Weiß der Teufel,« entgegnete Tofte, »ist das schon so -sichtbar? Im Zirkus hat es angefangen. Es war ein Hundeleben, -sag' ich Ihnen. Seit fünf Wochen bin ich nun in London. -Ich habe gemalt wie nie zuvor: beim Schifferfeuer an der -Themse, im Mondschein an der See und im Hafen, bei lumpigem -Tranlicht in Armeleutkneipen und im Staube der -Straßen. So an die vierzig Bilder. Bei dieser wilden Fahrt -haben meine Augen nachgegeben – wie ein Pferd beim Rennen -um den Goldpokal … Schicksal, Schicksal, Mister Johnny!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_74">[74]</a></span></p> - -<p>»Vierzig Bilder!« rief Williams wie im Traume.</p> - -<p>»Nu passen Sie auf,« sagte Tofte. »Einmal hab' ich einen -Stoß davon unter den Arm genommen, habe mir einen -deutschen Matrosen als Dolmetsch gedingt, und so bin ich zu -Mister Watson gezogen. »Kaufen Sie mir diese Bilder ab, -Herr,« hab' ich zu ihm gesagt. »Well,« hat er gesagt, »lassen -Sie sehen.« Und »Ah« hat er gesagt, »was soll mir so -etwas nützen? Es ist nicht die Kunst, die ich brauche. Sehen -Sie, dies hier – dies wird bei mir gesucht!« Dabei führt -mich der Kerl vor Bilder, die ich im Hardanger Fjord gemalt -habe und die nun die Namen James King und John Williams -tragen!«</p> - -<p>Johnny erschrak. »Und was haben Sie ihm geantwortet?«</p> - -<p>»Nun, ich war wohl um meinen Verstand gekommen,« -sagte das große Licht, »sonst hätt' ich zu ihm gesagt: ›Mein -Herr, entweder sind Sie ein Esel, oder Sie sind ein Verbrecher.‹ -Aber ich sagte nur, ich glaubte, mit dieser Kunst -könnte es die meine auch aufnehmen … Ausgelacht hat -er mich!«</p> - -<p>»Und die Bilder?«</p> - -<p>»O, die hab' ich aus alter Gewohnheit als Zahlungsmittel -benützt. Für eins hab' ich ein Roastbeef eingetauscht, -für ein anderes eine Flasche Kognak. Zwei hab' ich dem Dolmetscher -gegeben. Den Rest hab' ich um einen Pappenstiel -verkauft, so unter der Hand, wissen Sie, beim Tandler oder -dem Antiquitätenhändler.«</p> - -<p>»Wissen Sie noch einen von den Läden?«</p> - -<p>»Wie soll ich?« rief er. »Sie, das Malen ist eine verdammte -Kunst! Ich glaube, ich geb's auf. Prosit! Und es lebe die -nußbraune Gwendolin!«</p> - -<p>Johnny erhob zwar sein Glas, aber das Gespräch leitete -er hartnäckig zurück zu Henrik Toftes Geschichte. »Sagen<span class="pagenum"><a id="Seite_75">[75]</a></span> -Sie, Meister, wie sind Sie eigentlich auf die Idee mit dem -Schachspiel gekommen?«</p> - -<p>»Schicksal!« sagte Tofte. »Ich kenne jetzt drei Kaffeehäuser, -in dem Deutsche, Schweden oder Norweger die -Partie um die Zehnpfundnote spielen. Da geh' ich abwechselnd -vor Anker, verfolge Zug auf Zug, und auf dem toten -Punkt springe ich ein. Immer geht das natürlich nicht, -wissen Sie. Aber dreimal ist es mir geglückt in dieser Woche – -sind dreihundert Mark!« Er ließ noch eine Flasche Sekt -kommen. »Ich spare nämlich jetzt, sag' ich Ihnen. Und -wenn ich zwölfhundert Mark habe, schüttle ich den Staub -Englands von den Füßen und gehe nach Rom. Jawohl, -nach Rom.«</p> - -<p>»Malen?«</p> - -<p>»Das heißt: wenn ich es bis dahin fertiggebracht habe, -meinen Schwur zu brechen, daß ich keinen Pinsel mehr anrühren -wollte.«</p> - -<p>»Aha,« sagte Johnny.</p> - -<p>»Warum aha?«</p> - -<p>»Weil Sie einer von denen sind, die – wenn sie ohne Arme -geboren – dennoch Maler geworden wären … Sehen Sie, -von mir kann ich das nicht sagen.« John Williams hatte -die Lider gesenkt und folgte mit den Augen der Spitze -seines kleinen Fingers, die allerhand Figuren auf der Marmorplatte -des Tisches beschrieb. Johnny war sehr nachdenklich.</p> - -<p>»Haben Sie Ursache zur Reue?« fragte Tofte. »Haben -Sie eine moralische Anwandlung? Bedrängt Ihr Herz -eine große Tat? Lieben Sie unglücklich?« Er wartete aber -nicht auf Antwort, sondern setzte hinzu: »Mit derlei Ballast -schlepp' ich mich überhaupt nicht.«</p> - -<p>»Ich finde, daß wir uns vortrefflich ergänzen, Meister.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_76">[76]</a></span></p> - -<p>»Diese Wahrnehmung gehört für mich schon der Vergangenheit -an!« lachte das »große Licht«. Dabei strahlte er, als -wäre just er dazu ausersehen, der Erde den Frühling zu -bringen.</p> - -<p>»Übrigens: was hat Sie jetzt nach London geführt?« -fragte Tofte unvermittelt.</p> - -<p>»Ich bin auf dem Wege nach Glasgow. Je nun, man -hat etliches zu bestellen, wenn man der Heimat voraussichtlich -für lange den Rücken kehrt …«</p> - -<p>»Holla – la – la!« machte Tofte.</p> - -<p>»Hm,« sagte Johnny und schaute nicht auf. »Ich muß -loskommen von James King. Er ist kein unebenes Talent. -Ich auch nicht. Aber wir sind beide nicht stark genug, um -faul sein zu dürfen. Er ist ein Mensch, der seine Freunde -mit in den Abgrund reißt. Meister, ich werde nicht mehr in -den Hardanger Fjord zurückkehren. Ich möchte später einmal -nach München. Was meinen Sie dazu, wenn ich vorerst -mit Ihnen nach Rom ginge?«</p> - -<p>»Hurra!«</p> - -<p>»Ich bin von Haus aus nicht ohne Mittel,« fuhr John fort, -»ich werde deshalb auf den Rest meines Stipendiums verzichten …«</p> - -<p>»Sie sind wohl wild geworden?«</p> - -<p>»O, es ist nicht mehr viel. Und ich werde mich der Bildhauerei -widmen.« Er lächelte. »Wir dürften für die Folge -also noch enger zusammenstehen, aber die Firma ›Tofte, -King und William‹ ist aufgelöst – der Gesellschafter Williams -ist ausgeschieden.«</p> - -<p>Henrik Tofte schwenkte das Glas. »Sturmschwalben auf -dem Fluge zum Süden!« Er hatte Dos Naturgeschichte der -Sturmschwalben nicht mit erlebt.</p> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_77">[77]</a></span></p> - -<p class="drop">Auf dem Hauptbahnhof in Hamburg standen an einem -Augustmorgen Do, Gwendolin und Hanna, Jockele -und Rolf Krake. Sie warteten auf die Ankunft des Zuges, -der ihnen den vor wenigen Tagen fertig gewordenen <em class="antiqua">Dr. phil.</em> -Woldemar Krake bringen sollte. Der Sommer des Fjords -war an ihnen hängengeblieben, und namentlich den Damen -war anzusehen, daß sie geradewegs aus des Herrgotts Malkasten -kamen. Es war ein Bild von betörendem Reiz, wie -die drei auf dem Bahnsteige wandelten: die Wildrose Gwendolin -in der Mitte, natürlich in sanftem Gelb, Do in Weiß -und Hanna in der Farbe des Morgenhimmels, wenn der -hell um die Schneegefilde des Folgefonds weht. Es war -die springlebendige Lieblichkeit, vor der der Herzschlag der -Männer sieben Sekunden lang aussetzt, und nach der sich -die Augen der Frauen in neidlos stiller Beglücktheit wenden. -Selbst inmitten des losgelassenen Lebens auf einem -Bahnhof.</p> -</div> - -<p>Da schnitt auf einmal einer quer über die schaukelnden -Wogen des bunten Sommergetriebes hinweg. In der Hand -des hochgereckten linken Armes, der wie ein Mastbaum ragte, -schwenkte er einen Rucksack, schmetterte einen jodelnden -Ruf, trieb wie ein Schiff übers Meer vor dem Sturm seiner -Freude und riß die Schwertlilien aus dem Hardanger Fjord -alle drei auf einmal an sein Herz: Henrik Tofte auf dem -Wege nach Rom!</p> - -<p>Weiß Gott, jeder Tag im Leben des »großen Lichtes« sorgte -für eine Stunde, die den Schicksalsglauben immer fester -in ihn hineinhämmerte! – Vor einer Minute hatte er gejauchzt -»Nach Rom! Nach Rom!« nun aber war alles, was -er vorgehabt hatte, in seiner himmellangen Freude ertrunken, -und schon drehte er das Steuer gegen den Wartesaal, um dies -Wiedersehen mit ungeheurer Hingabe zu feiern.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_78">[78]</a></span></p> - -<p>Sein Freund Johnny stand indessen hinter der rückwärtigen -Scheibe des letzten Wagens im <em class="antiqua">D</em>-Zug und merkte wohl, -daß er und die Reise für den jubelnden Henrik ein verwehender -Traum geworden waren. Johnny hatte sich aus einer -vorgefaßten Meinung gegen Gwendolin nicht sehen lassen -wollen; darüber hinaus aber hatte er das Geld für Toftes -Fahrkarte – und zwar bis nach Rom – ausgelegt. Im -Zuge wollten sie abrechnen … Johnny schwang sich also -aus dem Wagen und eilte dem Festzuge Toftes nach. So gelangte -er in die Lage, sich noch ein Auge voll Gwendolin zu -nehmen, riß das große Licht vom Himmel der Seligen herab -und hinter sich drein – Türen schlugen, Fertigrufe erschollen, -die Lokomotive tat einen erlösten Atemzug, Henrik Tofte -streckte seine Arme aus dem Fenster, Gwendolin blühte ihr -Hochsommerglück über das Eisengeländer noch einmal zu ihm -hin – vorbei!</p> - -<p>Vorbei war's, ehe sie recht erkannten, was ihnen da begegnet -war.</p> - -<p>Henrik Tofte aber sank in seinen Ecksitz und ließ den Rausch -eines Kusses über seine Seele perlen wie schäumenden Wein -über die dürstende Zunge. Diesen Kuß hatte er sich von -Gwendolins Lippen genommen in der jähen Sekunde des -Abschieds und in wildausbrechendem Glück. Nun schwieg -er. Schweigend hob er die Finger zum Schwur und deutete -auf seinen Mund. Das sollte heißen: »Ich werde fortan als -stummer Mann durch meine Tage ziehen; denn ich darf den -Kuß nicht zertrümmern, der mir auf den Lippen blüht.«</p> - -<p>So sahen die Schwüre des »großen Lichts« aus. Keine -wußte das besser als Gwendolin. Darum reiste Henrik Tofte -nun in das neue Leben und – sie war nicht dabei.</p> - -<p>Doch, es gibt keinen Fleck Erde, über dem sich die schwarzen -und die roten Fäden hastiger durcheinanderwerfen zu dem<span class="pagenum"><a id="Seite_79">[79]</a></span> -närrischen Gewebe des Lebens als über jener Stelle, auf der -die Fünf von der Osterinsel dem wunderlichen Gesicht noch -lustig und betroffen nachstarrten, das sie soeben gehabt hatten -– und schon pustete der erwartete Zug in die Halle. Deshalb -lösten sich Rolf Krake und Hanna von den anderen … Hanna, -die Gwendolin und Do noch gerade von hinnen funkeln -sahen; und Rolf in ehrlichem besinnlichem Frohsinn vor -dem Bruder.</p> - -<p>Und dann brachten sie ihn, den Doktor Woldemar Krake, -der sein Herz voll heißer Liebestatkraft dem sausenden <em class="antiqua">D</em>-Zug -hatte voranfliegen lassen! Der andere hatte überwunden. -Aber Do dachte auch jetzt: sie können wohl Stunden haben, -in denen der eine sich mit dem anderen verwechselt.</p> - -<p>Da war das gleiche schmale, bartlose, scharf modellierte Gesicht -mit der auffällig hohen Stirn. Darüber dünnes blondes -Haar, nach rückwärts gestrichen – es wehte bei Rolf Krake -vor jedem Sturme der Seele. Und die Augen lagen unter -der kraftvollen Stirn, grau und groß, wie Nane Thords -Augen, die das Wundern so gut verstanden. Woldemar ging -auch ein wenig vornübergebeugt, genau wie Rolf. Er sah -nicht geschmeidig aus; aber es stand der Jugend beider gut -und vornehm. Es war fast so, als käme das Übergewicht -der Besinnlichkeit in dieser Haltung zum Ausdruck. Die -gleichen Kräfte des Geistes hatten sich die Krakestirnen geformt; -die gleichen Kräfte des Gemüts stimmten sich diese -Stimmen und Seelen. Aber der eine ging gern mit der -Stunde, ob sie laut war oder leise. Der andere verhielt sich -ihr zu aller Zeit.</p> - -<p>In Hamburg machten sie sich einen vergnügten Tag, -und es war ihnen wohl anzumerken, daß ihnen die Buntheit -der großen Stadt nach der Ruhe ihres heimeligen Winkels -im Fjord zu einem genußhaften Erleben wurde. Abends<span class="pagenum"><a id="Seite_80">[80]</a></span> -waren sie in St. Pauli. Als sie lange nach Mitternacht in -ihr Gasthaus am Alsterbassin kamen, sagte Do:</p> - -<p>»Mir ist, als müßte ich mich nun zum Trocknen auf die Leine -hängen; denn wir sind immerfort durch bunte klingelnde Gewässer -gehüpft, ich habe mich vollgeplätschert bis zu den Scheiteln.«</p> - -<p>»O,« sagte Woldemar Krake, »wenn Sie gerade aus dem -Examen kämen, klänge Ihnen das kecke Lied vom Brettl -wie Engelsang, und die Spritzer aus flachen Wässern würden -Ihnen zu einem Bade der Wiedergeburt. Es war ein feiner -Tag. Gute Nacht.«</p> - -<p>Danach schliefen sie einen fixen Schlaf; denn des Morgens -halb fünf Uhr mußten sie schon auf dem Dampfer sein. Als -sie hinkamen, hatten sie noch alle Nerven voll Klingeling -und Gestern und die Lider voll zerbrochenem Schlaf und standen -auf dem Deck herum und sahen, wie noch rasch letzte Lasten -auf dem Dampfer verstaut wurden, und schwiegen sich an -und dachten: es riecht nach Teer.</p> - -<p>Aber es war ein schöner Morgen. Dünne Nebel streiften -seehin wie der Rauch einer feinen Zigarette; und aus der -Kajüte stieg Duft von Kaffee und schmeichelte um ihre Sinne -eine liebe Verheißung. Die ward Erfüllung. Darüber gerieten -sie von dem taukühlen Rande des Tages gleich tief -in ihre Freude. Und als sie wieder auf Deck kamen, zerstießen -die Türme Hamburgs die gelbgraue Hülle, in der die Stadt -versunken war. –</p> - -<p>Am anderen Nachmittage überraschte sie James King an -den Toren des Eldefjords mit den Booten. Es stand ein kleiner -Wind aus Westen, mit dem konnten sie heimsegeln. Gwendolins -»Seelenverkäufer« aber hatte James nicht mitgebracht, -und auch nicht sein eigenes Boot. Er sagte, es wäre leck, -deshalb hätte er sich das von Nane Thord ausgeliehen, -und nahm Gwendolin mit zu sich hinein. Nane Thord aber<span class="pagenum"><a id="Seite_81">[81]</a></span> -hatte sich indessen um ein feines Mahl bemüht. So konnte -die Ankunft des Doktors Woldemar mit Nachdruck gefeiert -werden …</p> - -<p>Es machte danach einige Mühe, das durcheinandergeratene -Werk wieder so in Gang zu setzen, daß es den alten schönen -Schlag der Stunden fand.</p> - -<p>Woldemar wohnte nun in dem Zimmer Henrik Toftes. -Und mit Ausnahme von Rolf Krake in der Sägemühle und -von James King, der noch in dem Fischerhaus drüben am -Festland saß, hatten sie alle ihr Nest auf Nane Thords Insel. -Da die Nächte früher einfielen, die Nebel dichter wurden, -und das Feuer an den Abenden schon wieder glomm, rückten -sie gern um die Herdstatt zu traulichen Gesprächen.</p> - -<p>In dieser Zeit, als der Herbst sich heimlich über die Welt -legte, arbeitete Jockele scharf an seinem Werk über die Flechten -und kam über Tag oft kaum von seinen Mikroskopen. Deshalb -fiel ihm die Wandlung, die sich mit Rolf Krake in jenen -Wochen vollzog, stärker auf als den anderen. Rolf schied -sich auch wieder mehr von ihnen ab. Aber wenn sie zu -ihm in ihrer weitoffenen Art davon sprachen, schob er -sein Einsamkeitsbedürfnis auf seine theologischen Studien -und Haeckel. »Es macht mir ein sonderliches Vergnügen, -mich darüber hin und wieder mitten entzweizureißen. Mit -dreiundzwanzig Jahren ist der Mensch nun einmal ein -Philosoph.«</p> - -<p>»Man muß aber nicht auch die Nächte hindurch philosophieren,« -wendete Do ihm ein, »und es ist zum mindesten -nicht notwendig, daß Ihre Lampe dem Morgen ins Gesicht -scheint.«</p> - -<p>Eines Abends blieb er länger als sonst. »Ich setze mich -neuerdings mit dem Glauben an die Seelenwanderung -auseinander,« sagte er.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_82">[82]</a></span></p> - -<p>»Eine Sache, die Ihnen unbedingt noch gefehlt hat,« -scherzte Gwendolin.</p> - -<p>»Spaß beiseite,« sagte Hanna, »du hast zweifellos zuvor -als Kröte unter dem Skjoldefoß gesessen oder als Steinkauz -in einer der benachbarten Klippen. Ich habe das neulich ganz -genau bemerkt, als wir zu dem Falle gingen: dein Eulenschrei -hui – huiiihihi war mehr als eine bloße Nachahmung.«</p> - -<p>»Hm,« machte er aus einem lustigen Nachdenken heraus, -»die Wanderung durch den philosophischen Steinkauz fesselt -mich gegenwärtig weniger, sondern vielmehr die Anschauung: -die Seelen fliegen nach dem Tode des Körpers auf den Mond. -Dort wohnen sie während des zunehmenden Mondes, aber -bei abnehmendem steigen sie mit dem Regen herab und -gehen je nach ihren Taten in höhere oder niedere tierische -Körper ein oder sogar in Pflanzen.« Solcherart waren die -Gespräche, die sie über das Herz der Nacht hinweg am -Herdfeuer auf der Insel führten. James King aber saß -dabei und wunderte sich und sagte: »Vom Geschäft reden -die jungen Deutschen niemals. In England lacht man über -sie, und in Amerika nennt man sie ›<em class="antiqua">the greenhorns</em>‹ und -füllt das Wort ›<em class="antiqua">dutch</em>‹ bis obenhin mit Verachtung. Ich -glaube, es kommt die Zeit, da werden sie es spüren.« An diesem -Abend erfuhr er auch, daß Gwendolin eine Böhmin wäre, -und es kam heraus, daß der gescheite James sich Böhmen -als eine Insel im Ozean dachte. Doch – er berief sich dabei -auf Shakespeare. Gwendolin nahm sich den Mister James -daraufhin in ihrer witzigen und leuchtenden Art vor. Es -wurde so launig, daß sogar Rolf Krake vor Vergnügen seine -Schenkel schlug und Mister James auf allen vieren um den -runden Tisch galoppierte. Er hatte den grauen Anzug an.</p> - -<p>Dieses Schauspiel verpaßten Hanna und Woldemar. -Gleich nach Rolfs Mondfahrt waren sie hinausgegangen<span class="pagenum"><a id="Seite_83">[83]</a></span> -in die Nacht: sie wollten hören, ob die Käuze riefen – dann -gäbe es anderes Wetter, und sie müßten die Kletterpartie -auf den Folgefond verschieben …</p> - -<p>Es war eine Neumondnacht voll Klarheit und stiller Sterne -und doch so finster im Schatten der Berge, daß sie sich ganz -fest umschlangen. Zu der Bank im Rohre fanden sie sich -aber doch.</p> - -<p>»Holla,« rief Woldemar, »es liegt schon einer da!«</p> - -<p>Da verfiel Hanna in ein schütteres Lachen. »Ach wo,« -sagte sie, »ich habe vor dem Essen rasch meinen Mantel und -das dicke Umschlagtuch hergetragen. Man konnte doch nicht -wissen, ob die Hüllen nötig wären. Nun, eigentlich brauchten -Sie es nicht gleich zu merken.«</p> - -<p>Das war das letztemal, daß sie das fremde »Sie« gegen -ihn gebrauchte; denn nun kam eine Stunde ohne Worte. -Die war so leise – das Rohr hätten sie atmen hören können! -Aber sie horchten nicht hin.</p> - -<p>Auf einmal knirschte der Kies hinter ihnen. Da wurden -ihre betörten Sinne steil. Dann strich etwas in die Schilfhalme -hinein – aber das war schon einen kleinen Steinwurf -weit weg von ihnen und war dort, wo das Rohr so dicht stand, -daß man ein brennendes Licht hinter dem grünen Gewebe -nicht gesehen hätte. Dann folgte ein leichter Sprung und ein -langes heimliches Gleiten … Aber auch darüber fiel gleich -wieder die dunkelblaue Stille.</p> - -<p>»Du,« flüsterte Hanna, »meinst du, daß Rolf nächtlicherweile -Gespenster suchen geht?«</p> - -<p>Da stieg Woldemar auf die Bank, um gegen das Haus zu -schauen, und sagte: »Das Licht im Saal ist ausgetan.« Dann -wollten sie von neuem in ihre liebe purpurne Finsternis versinken. -Aber es kam nicht mehr zu einem tiefen Untergange;<span class="pagenum"><a id="Seite_84">[84]</a></span> -denn der Gedanke an den nächtlichen Wanderer drängte -sich zwischen sie. Da brachen sie auf. Und als sie über das -Riff gingen, sahen sie einen leuchtenden Kahn über die Sterne -ziehen, die im Fjord lagen, der wurde von zwei leisen Rudern -getrieben. Aber es war kein Fährmann im Boot.</p> - -<p>Es war unheimlich. Da blieb den beiden der Atem stehen, -und sie legten sich der Länge nach auf den Stein und lugten -aus. So blieben sie, und das Gespensterschiff zog her und hin …</p> - -<p>Um diese Zeit klopfte Nane Thord an Gwendolins Tür; -denn Gwendolin schlief Wand an Wand mit ihr. Als sie herauskam, -sah sie: die Kerze zitterte in Nane Thords Hand. -»Kommen Sie,« sagte Nane Thord, blies das Licht aus und -führte sie in ihre finstere Stube … »Da! Da ist das feurige -Boot! Sehen Sie es auch?«</p> - -<p>»Ja,« sagte Gwendolin.</p> - -<p>»Die Gespenster kommen hier immer im neuen Mond.«</p> - -<p>»Je nun, es hängt vielleicht mit Rolf Krakes neuer Erkenntnis -zusammen.« Das verstand Nane Thord nicht; -aber das merkte sie wohl: es lag in Gwendolins Worten ein -Spott, der nicht recht zur Blüte kam. Eine wunderliche Sache -war die Erscheinung nun doch. Gwendolin eilte indessen -vor die Schlafzimmertür Dos und ihres Mannes. Die lagen -im ersten Schlummer, und es verstrich eine Frist, bis man -sich durch die Tür verständigt hatte. Jockele schlüpfte in den -Kimono, Do warf sich das Morgenkleid über und ließ Gwendolin -herein. Dann öffneten sie das Fenster, so lautlos es -anging – da sahen sie die Sterne still und traumhaft auf dem -Grunde der Wasser funkeln, aber von dem Gespensterschiff -keine Spur.</p> - -<p>Jockele hatte den Revolver aus dem Nachttischkasten genommen -und drehte die Trommel. Es klang ein wenig erregt, -aber es gab die Gewißheit, daß er im Ernstfalle –</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_85">[85]</a></span></p> - -<p>Da war's wieder! »Ho!« machte Jockele sehr bedeutend.</p> - -<p>»Es ist jetzt anders geworden,« stellte Gwendolin fest, -»vorhin war kein Fährmann darin.«</p> - -<p>»Ein Mann ohne Kopf!« flüsterte Do. »Sagt, was ihr -wollt – die Sache ist nun doch unheimlich.«</p> - -<p>Sie sahen den Mann ohne Kopf alle drei. Er saß dort -in weißem Linnen; seine Arme unter der Hülle bewegten -die Ruder in geräuschlos langem Schlag, und zwischen den -Schultern konnte man genau die Stelle erkennen, an der -der Kopf abgerissen war: es sah aus, als läge da noch der -Rest eines Bartes, der bei Männern, die ihn tragen, die -Schifferkrause heißt.</p> - -<p>»Dies Spiel ist mir zu dumm,« sagte Jockele in einer Anwandlung -von Mannesmut, »ich schieße dem Herrn eine -Kugel achtern ins Boot.« Und »Bumm!« dröhnte der Knall -in die schwarze Stille und rannte an den Bergen herum in -hundertfacher Verstärkung. »Nicht getroffen! Noch einmal!« -Bumm! Aber das gläserne Schiff klirrte auch diesmal nicht -in Stücke. Sondern der Mann ohne Kopf schnellte von -seinem Sitz in die Höhe und rief: »Doktor, machen Sie -keinen Unsinn! Was soll denn diese lächerliche Schießerei?«</p> - -<p>Natürlich liefen Jockele und Gwendolin nun hinaus und -nahmen Nane Thord und ihre Windlaterne mit. Dann legte -James King bei der Klippe an, in der Henrik Tofte in Stunden -der Einkehr sein Frühstück zu verzehren pflegte, und kletterte -am Gestein empor. Von der anderen Seite kamen Woldemar -und Hanna, und Jockele leuchtete das Gespenst zwischen -Lachen, Spott und Verwundern mit der Laterne an: Mister -James hatte sich ein Bettuch über die Schultern geworfen -und den Kopf mit einem Pudelfell verhängt, das war genau -so schwarz wie Nacht und Flut und von beiden nicht zu unterscheiden.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_86">[86]</a></span></p> - -<p>»Ist das nicht ein lächerlicher Spaß?«</p> - -<p>»Man kann es so nehmen – aber auch anders,« sagte -Gwendolin ein bißchen verstimmt. »Je nun: es ist der erste -Sieg, den Sie in Ihrem Leben errungen haben – lassen wir -ihn gelten.«</p> - -<p>Mister James gebärdete sich sehr lustig. Aber im Grunde: -nach einem Siege sah die Sache für ihn ganz und gar nicht -aus, sondern nach einer lächerlichen Niederlage; denn er -hatte Gwendolin damit eine Gelegenheit geben wollen, ihn -zu lieben. Und zwar hatte er sich den Gang der Dinge also -gedacht: Gwendolins Licht war alle Nacht das letzte im Haus. -Wenn sie es austat und das Fenster öffnete, ehe sie sich zu -Bett legte, sollte sie die Erscheinung bemerken. Weil sie nun -ein tapferes Herz hatte und eine Lust an kühnem Erleben, -würde sie nicht schreien, sondern sie würde sich die Erscheinung -mit Teilnahme näher betrachten. Auf dies »näher« kam es -ihm an. Alles übrige gedachte der listige James der Gunst -des Augenblickes zu überlassen …</p> - -<p>So war seine Berechnung. Es war eine umständliche -Sache. Aber – nun ja, er hatte seit der Flucht Toftes -tausendmal vergeblich nach einem geraderen Wege zu dem -wachen Mädchen gesucht: es gab für ihn keinen.</p> - -<p>»Mister James,« rief Do aus dem Fenster herab, »wäre es -nicht einfacher gewesen, Sie hätten an Gwendolins Scheibe -geklopft?«</p> - -<p>»Hm,« sagte er, »da hätte sie mir einen Krug Wasser über -den Kopf geschüttet.«</p> - -<p>Dos Frage war keck und hellsichtig. Und das Geständnis -des James war verblüffend. Danach hätte er im Reste der -Nacht seine Koffer packen können. Das tat er aber nicht; -sondern am anderen Morgen fand er sich im Krakesaal zum -Frühstück ein und sah aus, als hätt' er nie im Leben eine<span class="pagenum"><a id="Seite_87">[87]</a></span> -Dummheit gemacht. Der begehrten Gwendolin aber schlug -das Herz fortan in schöner Sicherheit, und Hanna und Do -lächelten sich so um den geschlagenen König herum. Der -aber streckte die langen Glieder von sich, zeigte eine lächerliche -Wurstigkeit und rauchte Shagtabak.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Einige Tage danach waren Do, Gwendolin und Hanna -an Land gefahren und wanderten mit verschränkten -Armen am Ufersaum entlang und sprachen vom Leben. -Sie mußten heute dazu unter sich sein. Do war für Hanna -in der letzten Zeit in allen Stücken die liebe weise Beraterin -geworden, und Gwendolin hörte ihnen in nachdenklichem -Frohsinn zu. »Sie reden von meinem fernen Lande,« dachte -sie. Seit der Kunstschule in Weimar war ihr der Anblick -solch einer hoffenden, drängenden und geheimnisvollen -Frauenjugend ganz verlorengegangen. Und auch damals -hatte sie abseits gestanden mit ihrer größeren Begabung und -ihrer gefestigten Art; denn was da in den Malsälen gesessen -hatte aus Liebhaberei oder in der Absicht, sich zu beschäftigen, -das hatte Augen, denen das Lebensziel im Nebel -verschwamm. Eine wie Hanna von Fellner war ihr nie begegnet: -die wollte das ganze Reich, in dem sie einmal als -Frau einzog, aus ihren fixen weißen Händen zaubern – -wenigstens alle Feinarbeit daran. Nun empfing sie Packen -weißen Linnens und spiegelnden Batist und weiße Seide. -Sie hatte sogar eine Nähmaschine kommen lassen. Im Haus -auf der Insel klangen die Nadeln stundenlang durch gespannte -Tücher im Stickrahmen; das Wort »Dutzend« spielte eine -mächtige Rolle, und Nane Thord betastete mit Augen und -Händen den schneeigen Reichtum und wunderte sich stumm -vor den Herrlichkeiten, die da mit blauen Seidenbändern -zu Türmlein geschichtet wurden.</p> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_88">[88]</a></span></p> - -<p>Aber es war nun einmal so; und die Hanna, die sich immer -ein bißchen obenhin durch ihren Vorfrühling geträllert hatte, -rüstete für ihr Ostern mit einer Tiefgewalt, die altmodisch -ausgesehen hätte, wäre sie nicht so voller Innigkeit gewesen. -Deshalb wurde sie einzig in ihrer Art. Sogar die zärtlichen -Jung-Frauenträume der »kleinen Wäsche« vergaßen sie -nicht – es war ein schweres Exempel. Aber mit vereintem -Scharfsinn bekamen sie auch das heraus und dichteten es -gleich für zwei.</p> - -<p>Darüber bekam Gwendolin das lange Sehen. Sie mußte -schon wieder an das »ferne Land« denken und sagte: »Ich -habe mir ein feines Leben gemacht; es ist voll Schönheit und -Fülle und Freiheit bis oben. Und zuletzt? Zuletzt gehör' -ich doch zu den Menschen, die den Weg verloren.«</p> - -<p>»O nein,« sagte Do, »aber du könntest wohl dahin kommen.«</p> - -<p>»Liegt das an mir?« fragte Gwendolin.</p> - -<p>»Ja,« sagte Do, »in der Fremde an deinem hellen Licht -siehst du als Dämmerung und Nacht, was außer dir ist. -Es ist kein Mädchen umworbener als du. Und ich weiß -auch kein Herz, das heißer und genußfroher wäre als deins. -Aber du probierst es nicht, diesem Herzen seine Aufgabe -zu stellen.«</p> - -<p>»Das ist wieder einmal eine richtige Do-Rede gewesen,« -lachte Gwendolin, »nun ja, du bist nach Rolf Krake in dem -Alter, in dem die Menschen Philosophen sind. Oder hast -du das bei Ibsen entdeckt?«</p> - -<p>»Nein,« sagte Do. »Ibsen würde sagen: ›Die Frau soll -dem Manne bei seiner Arbeit und bei seinem Leben helfen, -indem sie ihm Arbeit und Leben leichter macht und indem -sie um ihn ist und ihn pflegt‹.«</p> - -<p>»So ist es mir handlicher,« sagte Gwendolin. »Ich werde -mich daraufhin einmal ansehen müssen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_89">[89]</a></span></p> - -<p>»Ja, tue das,« sagte Do, »es wird dir nicht schaden. Ein -Mann ohne Frau ist ein Halbnarr. Mit einer Frau ohne -Mann steht es nicht so schlimm; aber die Weisheit, daß wir -ja doch nicht alle heiraten können, ist ein windiger Trost, -und sie ist von alten Jungfern erdacht als Decke für ihre greuliche -Erkenntnis: ich bin durchs Examen gefallen.«</p> - -<p>»Paßt nicht für mich!« erriet Gwendolin.</p> - -<p>»Aber du hast auch keinen gefunden, der dich hätte deinem -Trotz abringen wollen. Zuletzt traut dir keiner zu, daß du -ihm zuliebe ein Stück von dir selbst aufgeben könntest.«</p> - -<p>Gwendolin dachte an Henrik Tofte und an sein Wort von -der Malerei. Das wandelte sie nun ab und sagte: »Die Ehe -ist eine verdammte Kunst.«</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">So schritten sie froh, nachdenklich und wachsam gegen -sich selbst in Sonne.</p> -</div> - -<p>Hanna hatte schon wiederholt gegen die Sägemühle geschaut, -ob Woldemar nicht käme. »Ich weiß nicht, warum er -uns warten läßt,« sagte sie.</p> - -<p>»Nun, er wird eine kleine Ausstaubung an Rolf Krake -vornehmen,« meinte Do, »man wird damit nicht so rasch -fertig, wie man denkt. Ich kenne das. Es gibt in dieser Seele -Winkel voll Dämmerungen. Rolf Krake ist wie eine alte -Burg, vollkommen eingerichtet, aber es wohnt ein Sonderling -darin, und neben ihm ein Haufen wunderlich Wesen, -wie es sich in solch einem abseitigen Bauwerk festsetzt …«</p> - -<p>Wenn sie von Rolf Krake redeten, kamen sie so bald nicht -los. Es wurden da immer neue Entdeckungen gemacht, -und man gelangte doch zu keiner Lösung.</p> - -<p>»Dazu müßte man Seelenarzt sein oder Schriftsteller, -hat mein Jockele gestern abend zu mir gesagt,« erzählte Do.</p> - -<p>»Na ja,« warf Gwendolin ein, »ich sehe Jockele doch noch<span class="pagenum"><a id="Seite_90">[90]</a></span> -als Dichter! Ich kann mir gar nicht denken, daß die trockene -Wissenschaft ihn zeit seines Lebens fesselt.«</p> - -<p>»Vielleicht habilitiert er sich einmal in Jena,« sagte Do.</p> - -<p>»Aber wenn er des Abends erzählt, dann höre ich doch -immerfort den Dichter,« redete Gwendolin hartnäckig dagegen. -»Ich glaube, wenn er seine Abhandlungen über die -Flechten und über die lächerlichen Frösche geschrieben hat, -wird er mal halb wachend, halb träumend zu einem Romane -kommen, etwa mit dem Romfahrer Henrik Tofte als Helden -oder mit Rolf Krake, der Zauberburg. Über die Flechten -und Frösche wird er sich noch zu den Menschen finden …«</p> - -<p>»Jockele auf Seelenwanderung!« sagte Hanna. Sie setzten -sich in den blühenden Rasen und plauderten sich in Ausblicke -und Einblicke. Sie hörten in ihrem Sonnenwinkel an der -Hügellehne den Skjoldefoß rauschen und ahnten sich tief -ins Leben. Aber das Entsetzliche, was sich in diesen Minuten -am Fall ereignete, das ahnten sie nicht.</p> - -<p>Zwischen dem Fels und dem schäumenden Vorhange der -Wasser stand Rolf Krake auf der moosgrünen Steinplatte und -schaute in den Gischt, der um seine Füße kochte. Er stand -dort wie einer, der auf der Wanderung ist in den Sommermorgen. -Vielleicht war er auch von den Bergen gekommen. -Unter ihm quoll es aus Tiefen herauf und brüllte. Vor ihm -brach es aus Höhen herab und schnob. Hinter ihm ragte -der tropfende Fels und barst nicht, und doch donnerte der -Bergstrom seit tausend Jahren seine Allmacht darüber hin. -Vor ihm in der Luft hing die zischende Flut, hing zwischen -ihm und der Welt, rückte die Welt weit, weit hinaus: wenn -er seine Füße hob und jetzt schnurgeradeaus wanderte durch -diesen kochheißen eiskalten Vorhang hindurch – die Welt -war für ihn nicht zu erreichen, mochte er gleich tausend Jahre -laufen! So weit weg war Rolf Krake von der Welt, und so<span class="pagenum"><a id="Seite_91">[91]</a></span> -fürchterlich hing die Einsamkeit um ihn. Er dachte: »Ich -will den Weg, der tausend Jahre lang ist, jetzt wandern. -Es wird mich von oben die Gewalt des Stromes fassen und -in die Tiefe werfen. Und es wird mich das Brodeln der Tiefe -greifen, wie der heulende Sturm ein Körnlein Sonnenstaub, -und wird mich aus der brüllenden Finsternis heraufwirbeln -und hinab, herauf und hinab. Hundert Schritte wird mein -Herz mitrasen auf der Straße der tausend Jahre … liebes -Herz, so töricht bist du schon all die Zeit her gewesen – ich -will dir diesen letzten verrückten Wettlauf ersparen …«</p> - -<p>Rolf Krake redete das ganz laut in die fürchterliche Einsamkeit -und zog den Revolver aus der Tasche.</p> - -<p>Da trat Woldemar Krake über den Steig von links in den -hohen Dom, der aus Fels und Flut, aus Donner und blauem -Lichte gebaut war. Woldemar Krake sah die Waffe in seines -Bruders Hand, und er sah auch den weiten Weg in seinen -Augen, den er vorhatte.</p> - -<p>Rolf Krake aber kniff die Lippen in unsäglichem Hasse zusammen -– die Felsplatte, auf der sie standen, war von Manneslänge -und drei Fuß breit. Wie tief das Sterben war, das -den Stein umbrandete, ermaß kein Menschenwitz. Und es -gab kein Menschenwort, das den tosenden Schlag der Wasser -überschrie – keine Frage, keine Bitte. Deshalb riß sich Woldemar -Krake zusammen wie ein Tiger zum Sprung: es durfte -kein Ringen geben auf dieser Spanne Gestein, sondern nur -ein gewaltiges Umschließen mit Armen, in denen der Wille -des anderen augenblicklich zerbrach …</p> - -<p>Rolf Krake aber dachte: »Es ist doch kein Wahn, daß ich -dich hasse! Wer hat mir das Leben vermauert von Kind an? -Du! Wer hat mir den Traum der Liebe zerpflückt? Du! -Wer hat mich vor der Welt und mir selbst zum Narren -gemacht? Du! Und wer kommt jetzt und mengt sich auch<span class="pagenum"><a id="Seite_92">[92]</a></span> -in mein Sterben? Du! Du! Du – der du ich bist, ich!« -Und er warf den Arm mit der Waffe hoch. Der gekrümmte -Finger riß den Abzug durch. Kein Knall war zu hören. -Kein Wölklein Rauch war zu sehen … Nach dem vierten -Schuß schleuderte er die Handvoll mörderisches Eisen in den -Schwall und sprang durch den Spalt des weißen Vorhangs -hinaus. Durch diesen Spalt war der andere vor einer Minute -hereingetreten …</p> - -<p>Noch einen jähen Blick warf er zurück – das verhaßte Bild -folgte ihm nicht. In einer Bergschrunde klomm er empor, -in der im Frühling ein fußbreites Tauwasser über die Steinstufen -sprang. Er rannte immerzu. Er zog sich an Krüppelkiefern -empor. Er kam in eine sanfte Mulde zwischen den -Wänden, da sah er Lona Steensgard, die Tochter der -Fischerswitwe Bolette Steensgard. Sie stand dort in groben -Schuhen und in ihrem schlechten Wollrock, brach Astholz -und stapelte es in ihren Korb. Lona Steensgard lachte und -sagte: »Sie können von hier aus gut wieder auf den -Pfad kommen, Sie müssen nur immer ein bißchen links -bleiben gegen den Skjold zu, dann sehen Sie alsbald den -Bratthammer …«</p> - -<p>Danach sah ihn niemand mehr, der ihn kannte. –</p> - -<p>»Nein,« sagte Hanna, »das finde ich doch unerhört! Woldemar -hat versprochen, in einer halben Stunde wär' er da!«</p> - -<p>Gwendolin rieb sich die Hände. »Die unglückliche Ehe ist -schon in vollem Gange.«</p> - -<p>Da zog Hanna die Do unter den Wiesenblumen hervor, -zerträllerte ihr Unglück und sagte: »Na warte!« Das galt -ihrem Liebsten; denn sie steuerte nun nach der Mühle und -wollte Rechenschaft von ihm fordern.</p> - -<p>»Ah, das Spiel schau' ich mir an,« lachte Gwendolin und -lief hinterdrein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_93">[93]</a></span></p> - -<p>In der Sägemühle fanden sie die Brüder nicht. Ein Arbeiter, -der auf dem Holzplatz war, hatte den <em class="antiqua">Dr.</em> Krake vor gar nicht -langer Zeit den schmalen Steig zum Fall schreiten sehen. -Man konnte diesen Steig von der Mühle aus aber nur eine -kleine Strecke weit überschauen, dann kroch er hinter Felsblöcke. -Also gingen Do, Hanna und Gwendolin hinüber -zum Skjold, und als sie durch den Spalt im Vorhang traten, -lehnte Woldemar Krake dort sitzend gegen die nasse Bergwand -und hatte das Gesicht so tief vornübergesenkt, daß ihm -der Hut vom Kopfe gefallen war und auf seinen Knien lag. -Die rechte Hand ruhte flach auf dem Moos und war wie ein -welkes Laub, und es war Blut daran, das aus dem Rockärmel -sickerte.</p> - -<p>Zuerst standen sie mit ihrem Schreck nebeneinander wie -Erscheinungen; denn sie schrien sich an und hörten sich doch -nicht und warfen die Arme. Hanna nahm Woldemars Kopf -in ihre Hände. Dann faßte ihn Do unter den Armen und -Gwendolin an den Füßen, und sie trugen ihn hinaus an -den Rasenrand in die Sonne. Nach einer Zeit erwachte -er und lächelte, weil er die Freundinnen sah. Er hielt Gwendolin -am Rocksaum fest und Hanna an der Hand und sagte: -»Geh du auch nicht fort, liebe Do.« Seit dieser wilden Stunde -nannten sie sich alle du. Aber er schloß die Augen gleich -wieder. Da zogen sie ihm den Rock aus; denn sie sahen -die Schußöffnungen in den Ärmeln. Darüber erwachte er -abermals und merkte, daß Do noch hinter ihm stand und -daß er an ihren Knien lehnte. »Sollen wir denn nicht Hilfe -holen?« fragte Gwendolin.</p> - -<p>»Nein, es ist schon vorbei.«</p> - -<p>Da ließen sie ihn wieder auf den Rücken in das Mittagsgras -gleiten; denn sie merkten, wie ihm die Sonne wohltat. -»Es ist gut, daß wir an diesem Platze sind,« sagte er, »es kommt<span class="pagenum"><a id="Seite_94">[94]</a></span> -hierher oft tagelang kein Mensch. Gwendolin, möchtest du -mir nicht ein Glas Sekt holen oder Kognak? Aber du -mußt niemandem ein Wort sagen, wie es mit mir steht, -hörst du?«</p> - -<p>Während Gwendolin den Steig hinabeilte und hinüberruderte -nach der Insel, fragte er: »Wo ist Rolf?«</p> - -<p>»Wir haben ihn nicht gesehen. Hat er dich geschossen?«</p> - -<p>Er nickte und schloß die Augen vor dem tiefen Schmerz, -der über sein Gesicht fiel.</p> - -<p>»Großer Gott, wie hat denn das geschehen können?« -sagte Hanna. Do winkte ihr, daß sie alles Geschrei vermiede, -legte sich den Finger auf den Mund und gab ihr ein Zeichen. -Dann kam Gwendolin mit dem Sekt, und er trank ein Glas -in der Gier eines Verdürstenden. Sie gaben ihm noch mehr, -und danach verlangte er seinen Rock. Sie führten ihn zum -Strand und kamen zur Insel.</p> - -<p>Nicht Nane Thord erfuhr von diesen Dingen und nicht -James King; der war an diesem Tag malen gegangen. Sie -aber wuschen Woldemars Wunden und verbanden sie aus -ihren Reiseapotheken. Es waren Fleischwunden, die eine -im rechten Unterarm, die andere im linken, oben nahe dem -Schultergelenk. Danach lag er und schlief bis gegen Abend. -Jockele aber war inzwischen in der Mühle gewesen und -hatte nach Rolf Krake gesehen und sein Zimmer unverschlossen -gefunden. Da sperrt er die Tür zu und steckte -den Schlüssel zu sich.</p> - -<p>Auch am Abend blieben sie im Saal unter sich, sie hatten -James gebeten, sie dies eine Mal allein zu lassen. Do aber -war nun auch in der Mühle gewesen und hatte über Rolf -Krake nichts erfahren. Da ging sie in sein Zimmer; denn -er hatte ihr in allen Stücken vertraut und viel mehr als sich -selber. Auf dem Tische fand sie sein Tagebuch, das war bis<span class="pagenum"><a id="Seite_95">[95]</a></span> -zu dem Augenblicke geführt, in dem er von hinnen gegangen -war. Den letzten Abschnitt las sie:</p> - -<div class="letter"> - -<p>»Liebe liebste Frau Do – wenn Sie mich suchen: ich bin -die Straße gegangen, die tausend Jahre lang ist und noch -viel länger. Darum werden Sie mich nie finden. Aber -denken Sie einmal an mich, wenn im nächsten Jahre der -Wildrosenbusch wieder so schön blüht … wenn Seelen -wandern, dann will ich Ihre Güte und Ihr liebes helles -Licht umhauchen als der Duft von wilden Rosen. Aber -auch wenn dieser Glaube närrisch ist, wie alles, was ich -im Leben tat und träumte, und wenn im ewigen Wechsel -des Stoffes die Lösung des Rätsels von der Unsterblichkeit -liegt – kehren Sie im blühenden Sommer einmal zurück -zu dem Rosenstrauch am Skjoldefoß! Denn wenn er mit -seinen Wurzeln aus dem Quell trinkt, der die Straße der -tausend Jahre umspült, dann trinkt er einen Tropfen meines -närrischen Lebens, und es wird ein Wildrosenduft daraus. -Darum: denken Sie an mich, wenn Sie wilde Rosen sehen, -Sie liebste Frau!</p> - -<p>Geschrieben in dieser Stunde, da ich auf den Weg trat, der -tausend Jahre lang ist.</p> - -<p class="right"> -Rolf Krake.« -</p></div> - -<p>»Was er nur mit dem Wege der tausend Jahre meint?« -dachte Do. Sie nahm das Buch und verschloß die Tür. Als -sie ein Stück den Hügel hinabgegangen war, blieb sie stehen -und blickte hinüber nach dem Rosenstrauch; der klemmte in -einem Felsenspalt, nahe dem Fall. Es wuchs graue Flechte -an seinem alten Holz, und es war ein borstiges und rauhes -Ding. Aber in jedem Jahr trieb er noch Schosse zu seiner Verjüngung, -und so konnte er an diesem feuchten Standort schon -älter geworden sein als Nane Thord und konnte seine Wurzeln -wohl so tief in den steinichten Grund getrieben haben, daß -sie aus dem Kessel der brodelnden Wasser tranken. »Rolf<span class="pagenum"><a id="Seite_96">[96]</a></span> -Krake hat sich in das wilde Bergwasser gestürzt,« sagte sie, -und das Herz erschauerte ihr. Dann ruderte sie zur Insel. -Aber in der sinkenden Nacht fuhr Jockele mit zwei Booten -an den Strand und machte das eine dort fest und legte auch -die Ruder hinein – für Rolf Krake, wenn er in der Nacht -käme und den Schlüssel haben wollte. Dort lag das Boot -drei Wochen. Sie ließen in diesen drei Wochen alle Nacht ein -Licht im Blockhaus auf der Insel brennen, bis in den Tag. -Aber Rolf Krake sah es nicht, und er gebrauchte auch das -Boot nicht.</p> - -<p>Er hatte mitten in die Sonne getroffen. Es wurde nach -jenem Tage nicht mehr recht hell in Haus und Herzen. Auch -Nane Thord hatte ihre Sorgen; denn sie fühlte: die leiseren -Stimmen um sie her hatten ein Geheimnis. Die Wanderfreude -von einst war nicht mehr da. Jockele arbeitete über -Tag in seinem Zimmer, Do und Hanna saßen im Saal und -nähten, Gwendolin war ganz gegen ihre Art versonnen. -Und wenn sie sich einmal alle zusammenfanden, dann mußte -Nane Thord an die Schwalben denken, die sich sammeln, um -zu plaudern von dem großen Fluge, der Sonne nach. Auch -James King war traurig. Gerade in den letzten Tagen hatte -er einen Weg zu Rolf Krake gesehen – es war durch das -Gespensterboot gekommen, und weil er wußte, der Einsame -aus der Sägemühle las in den Werken der Inder; vielleicht -neigte er zu allerlei Geheimwissenschaft und Spiritismus! -Das alles lag auch im Wesen des blonden Briten. Aber -vorsichtig, wie er mit sich selber war, hatte er es vor den anderen -verborgen. Von der Tat Rolfs ahnte James auch jetzt nichts. -Aber das mußten sie ihm doch bekennen, daß sie dachten, -der unglückliche Freund wäre im Skjold ertrunken. Eine -Stunde danach hatten sie die Gewißheit: dies wäre nicht -der Fall; denn Lona Steensgard hätte ihn gesehen auf der<span class="pagenum"><a id="Seite_97">[97]</a></span> -Wanderung ins Gebirge. Dadurch wurde der Vorgang vom -Skjold noch finsterer. Und auch trostreicher wurde er nicht.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">In jenen Tagen trat Kordula Gunkel in den kleinen Kreis. -Sie war dunkel wie ihr Name; und auch ihre Stimme klang, -als hätte sie an diesem Namen abgefärbt. Sie liebte die -dunklen Farben in ihrer Kleidung und war am frohesten -in Schwarz, das sie mit halbverdeckten gelben oder blauen -Seidenbändern durchbrach. Fräulein Gunkel trug das Haar -kurzgeschnitten. Sie hatte lange, schmale, sehr weiße Hände, -mit denen sie sich die Locken lässig aus der Stirn zu streichen -pflegte. Dann konnte sie aussehen wie eine Heilige aus der -Legende.</p> -</div> - -<p>Aber eine Heilige war sie eigentlich nicht.</p> - -<p>Sie bezog das Zimmer auf Krokengaard, in dem John -Williams gewohnt hatte, malte und komponierte Lieder zur -Laute. Wenn ihre weiche Frauenstimme in Dämmerungen tief -und dunkel durch den Krakesaal klang – o ja, das war schön!</p> - -<p>Und so war es kein Zufall, daß sie über Sommer in einem -Waldhaus am düsteren Songefjord gewohnt hatte. Es war -auch kein Zufall, daß sie nun hier war: Gwendolin kannte -sie aus Weimar, wo Kordula Gunkel damals an der Musikschule -studiert hatte. Auch Jockele erinnerte sich ihrer sehr wohl; -aber sie hatte ihn damals besser gekannt als er sie, und sie -hatte zu denen gehört, die die »Erziehung zum Manne«, -welche Do dem Zigeuner Jockele angedeihen ließ, sonderbar -fanden. Sie kannte diese Geschichte nur vom Hörensagen. -Nun gehörte das Jockelebuch zu ihrer Reiseausrüstung – denn -eine Heilige war sie eigentlich nicht. Sie wollte die Gelegenheit -nicht zum zweiten Male versäumen, die berühmte Do -kennen zu lernen, die sich das Glück ihres Lebens baute nach -ihrem Gefallen. Aber das Licht dieser Frau Do brannte<span class="pagenum"><a id="Seite_98">[98]</a></span> -nun unter dem Schleier einer sanften Trauer; und die -Märzenklarheit ihrer Augen leuchtete um kleine Wäsche.</p> - -<p>Kordula Gunkel hatte sich das anders gedacht.</p> - -<p>»Du bist zu spät gekommen,« sagte Gwendolin.</p> - -<p>»Ich komme stets zu spät – es scheint eine meiner Eigenarten -zu sein,« sagte Kordula. Sie wollte den Winter über -in Rom leben oder auch für immer. Aber Pläne für weithinaus -machte sie nicht. Vielleicht war an diesem Einfall -Henrik Tofte schuld; denn Gwendolin redete mehr von ihm, -als ihr lieb war. »Tofte und ich, wir mögen uns gern leiden, -aber wir sind nicht füreinander geboren. Nein, nein. Mit -dem gleichen Rechte könnte man behaupten, du und das große -Licht paßten zueinander.«</p> - -<p>»Man kann das nie wissen,« sagte Kordula. Sie war so -gemessen in ihren Bewegungen und von so stilvoller Ruhe -in ihrem Auftreten, aber ihre Wirkung auf Gwendolin war -ganz anders: Gwendolin wurde manchmal heimlich lustig -vor ihr. Doch ließ sie sich das nicht anmerken, auch nicht nach -dem deutsamen: »Man kann das nie wissen«. Sie wurde darüber -so vergnügt, daß sie nicht übel Lust hatte, mit Kordula -an den Tiber zu reisen. Aber – dann wäre die Posse ja gar -nicht zur Aufführung gelangt! Nun, vielleicht ging es so: -wenn man dem Henrik den Aufenthalt Gwendolins in Rom -verschwiege, bis der Vorhang über dem Spiel zwischen ihm -und Kordula gefallen war?</p> - -<p>Gwendolin verwarf auch diesen Gedanken; denn eigentlich -war er eine Nichtswürdigkeit gegen die dunkle Kordula, und -am Ende: man konnte doch vielleicht nicht wissen … Im -Falle Tofte geriet ihr felsenfestes Vertrauen zu sich selber -immer ins Wanken. »Ach, Unsinn,« sagte sie und lachte, -»was will ich denn in Rom, was will ich in Italien? Sie haben -ja keine Luft dort! Sie haben bloß Äther. Es steht da jede<span class="pagenum"><a id="Seite_99">[99]</a></span> -Mauer und jeder Baum so hart darin, daß man sich die Augen -wund daran stößt. Nein, ich kann in Italien nicht malen.«</p> - -<p>Kordula sah das gern ein. Auch überzeugte sie sich weiter -davon, daß Henrik Tofte der interessanteste, genialste und -schönste Mann war, der sich denken ließ …</p> - -<p>Einmal nach dem Zwölf-Uhr-Frühstück ging Kordula mit -James King zu der Bank im Rohr. Es schien eine märchengoldene -Septembersonne. Sie sprachen davon, daß Sinsheimers -in den nächsten Tagen nach Weimar, der Doktor -Krake und Hanna nach Bonn reisen wollten. Nane Thord -hatte der blonden Marit daraufhin schon den Dienst gekündigt.</p> - -<p>Mit Gwendolin hatte James seine Partie verloren – dabei -war ihm passiert, was man im Schachspiel den »Kälberstich« -nennt. Es war blamabel, es war durchaus blamabel. Deshalb -liebte James King nun die dunkle Kordula – einesteils -um die Scharte mit Gwendolin wieder auszuwetzen und -um den Freunden zu zeigen, was er könne; andernteils, -weil ihm vor der Einsamkeit des Winters graute; und zum -dritten: weil Kordula von dem Gedanken gelockt wurde, -Nane Thord als Medium bei spiritistischen Sitzungen zu benutzen. -Nun, dazu gab es an den langen Winterabenden auf -dem Eiland im Fjord ja ausgiebig Gelegenheit. Er erwog -noch einmal die drei Gründe, dann erklärte er Kordula seine -Liebe.</p> - -<p>Kordula pflegte Lagen, wie diese, gemeinhin ernst zu nehmen, -sehr ernst. Sie zählte vierundzwanzig Jahre, mochte hohe -blonde Jünglinge gern sehen, na und schließlich – reich war -sie nicht, aber sie brauchte sich für ein Leben, wie sie sich's -dachte, auch nicht gerade etwas zu versagen. Selbst der Weisheit -war sie nicht abhold, daß die Liebe mit der Ehe wüchse. -Nur von der freien Liebe schwärmte sie nicht mehr – das<span class="pagenum"><a id="Seite_100">[100]</a></span> -lag für sie schon weit dahinten und war eine Übergangsanschauung -gewesen.</p> - -<p>Den listigen James gereuten die umständlichen Vorbereitungen, -die er an Gwendolin verschwendet hatte. Deshalb -sprang er diesmal gleich mittenhinein in die Sache. -Daß ihm die Worte ein bißchen im Munde lagen wie gequellte -Erdäpfel, das inkommodierte Kordula nicht weiter. Auch -seinen eigentümlichen Gebrauch des Wortes »lächerlich« -kannte sie, und sie wandelte es um zu der landläufigen Bedeutung. -Und also sprach James King:</p> - -<p>»Well. Ich nehme die lächerliche Gelegenheit wahr, Sie -auf den Reiz des Wintersports aufmerksam zu machen – -er ist in der Umgebung des Fjords von unausstaunbarem -Zauber …«</p> - -<p>»Oh,« sagte Kordula, »im Winter bin ich ja in Rom.«</p> - -<p>»Das ist aber kein guter Einfall. Ich habe die lächerliche -Hoffnung, daß Sie das aufgeben; denn ich habe noch kein -Frauenhaar gesehen von dem matten Glanze des … des … -<em class="antiqua">ebony</em> … Na, wie heißt doch gleich das Holz, das von weit, -weit hinter Hindostan herkommt?«</p> - -<p>»Von weit, weit hinter Hindostan?« fragte Kordula. Es -gehörte zu den Eigentümlichkeiten Kings, mit dieser geographischen -Bezeichnung eine übergroße Ferne anzudeuten. -»Ah, Sie meinen Ebenholz?«</p> - -<p>»… des Ebenholzes!« rief er erlöst. »Und Sie haben Augen, -schön wie die Fjordnacht, Kordula Gunkel. Oh, ich liebe diese -dunkle Schönheit an Frauen. Ich denke es mir lächerlich, -wenn wir zwei die nordischen Nächte verleben könnten auf -dieser einsamen Insel als Mann und Weib, von keinem Menschen -gestört in unserer Liebe. Und wenn Sie dann sängen, wissen -Sie, und draußen brauste der Sturm, und Ihre lächerlichen -Hände griffen dabei die Saiten der Laute …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_101">[101]</a></span></p> - -<p>Eine Heilige war Kordula nicht, ja, sie war so erfahren, -daß sie merkte: diese gefühlvolle Rede hatte sich der listige -James in der letzten Nacht auswendig gelernt. Sie hatte -sogar an die Holzwand klopfen wollen zwischen ihren Zimmern -drüben auf Krokengaard; denn James war bis weit über -die Mitternacht auf ihrem Schlaf herumgestampft in seinen -geräumigen Bergsteigstiefeln.</p> - -<p>Nun braucht heimliches Erlernen einer solchen Rolle -nicht auf eine Komödie der Liebe zu deuten – o nein! -Und Kordula war ein Mädchen: sie trat also ihren Glauben, -geliebt zu werden, niemals mutwillig darnieder. Aber vor -der gleichmütigen Semmelblondheit, die neben ihr saß, -konnte sie diesen Glauben nicht aufbringen. Deshalb lächelte -sie – sie lächelte sogar ein bißchen impertinent, lächelte aus -der Genugtuung, daß diesmal nicht sie es war, die zu spät -kam. Übrigens war Gwendolin nicht ganz verschwiegen gewesen, -hinsichtlich ihres Erlebnisses mit dem listigen James. -Also nahm Kordula Gunkel einen Vorschuß auf ihre römische -Liebe und sagte: »Es tut mir ehrlich leid, mein Herr – aber -über mein Herz habe ich nicht mehr zu verfügen.«</p> - -<p>»Schade,« sagte Mister James, »ich glaube, es wäre ein -sehr netter Winter geworden.«</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Damit waren die letzten Früchte des lieblichen Sommers -im Fjord fallreif geworden. Oder: die Schwalben, die -sich in der Mittagssonne vor der Südwand des Inselhauses -versammelten, konnten nun die große Reise antreten. Nur -Gwendolin erwog, ob sie vor den Frost der Julzeit hinstehen -wollte, um der gefrorenen Welt in Filzstiefeln, Pelzen und -Einsamkeit ihren flimmernden Zauber mit raschem Pinsel -zu stehlen. Auch dachte sie, sie könnte sich in diesen stillen -Wochen auf mancherlei Erkenntnisse ein wenig näher ansehen.</p> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_102">[102]</a></span></p> - -<p>Zuerst entflogen Hanna und der Doktor Krake nach Bonn. -Im letzten Augenblick schloß sich ihnen Kordula mit der Laute -an. Sie gab ihnen bis Hamburg Geleite. Am anderen Tage -reiste James King – schach und matt. Und als auch Do und -Jockele ihre Koffer packten, die blonde Marit mit geröteten -Augen half, und Nane Thord mit bitterem Munde sagte, -nun könne sie sich ja schön mit Lars Thord unterhalten – da -sang der Wind bei Gwendolin um alle Fenster ein Lied, das -war sterbenstraurig. Und weil Jockele und Do so dicht beieinander -standen, warf Gwendolin ihre Arme um beide und -sagte: »Kinder, es geht nicht! Ich bin schon über manch gefährlich -finsteren Steg geschritten, aber über diesen find' ich -mich nicht hinweg. In eurem großen Haus am Horn werdet -ihr ein Kämmerlein für mich finden. Oder ich will dicht daneben -in dem Gartenhause wohnen, aus dem der Jockele -den Flug in die Sonne getan hat … Kinder, laßt mich mit -euch ziehen!«</p> - -<p>Ja, es war Herbst geworden. Auf den Wassern des Fjords -schwamm das Birkenlaub und war goldgelb. In der Schärenflur -saßen die Nebelfrauen und spannen. Es war Herbst.</p> - -<p>Am anderen Tage fuhren sie nach Kiel, von da nach Weimar. -Dort hatten sie das schöne Haus am Horn Nummer 17 A -gemietet, das in dem Garten mit den herrlichen alten Bäumen -sieht. Sommer und Winter träumen ringsum traute Märchen, -und die Wege sind von silbernem Sand. Dort war der Jockele -vorbeigerannt und hatte sich die Krawatte geknüpft im Sturmschritt -– damals, als er mit der schlanken Felidora im Puppenheim -des Apfelgartens Geburtstag feierte und darüber ganz -vergaß, daß er des Morgens um acht Uhr vor dem Herrn -Professor Redslob die Einjährigenprüfung ablegen wollte … -Jawohl, dort war er krawattenknüpfend vorbeigestürmt, -und die Frau Stadtrat Meyer stand in ihrem Wintergarten<span class="pagenum"><a id="Seite_103">[103]</a></span> -und sah ihn vorüberflitzen und dachte, der Jockele hätte eine -neue Methode erfunden, sich vom Leben zum Tode zu bringen; -denn daß sich einer im Zweimeterschritt aufhängt, war ihr -noch nicht vorgekommen. Nun, solche und ähnliche Dinge -hatte der Jockele in seiner »Mädchenzeit« angestellt. Aber -er brauchte sein Schuldbuch von damals nicht mit ängstlichen -Augen zu durchblättern – es stand kein Posten darin, deswillen -er die Nachbarschaft aus seinen Frühlingstagen hätte -meiden müssen. Darum war es den Dreien nun auch so -heimatlich und tiefbeglückt um die Herzen, als sie durch die -Dämmerung des Septembertages im offenen Wagen ans -Horn fuhren. Langsam, langsam mußten die Pferde treten. -Das gelbe Maßholderlaub raschelte um die Hufe, das Ilmwehr -rauschte, die Leutra plätscherte unter der Sphinx hervor, -hinter den Fenstern am Hange waren die Lichter angetan, -und alle Häuslein guckten so lieb mit den hellen Augen zu -ihnen herunter … »Na, Gott sei Dank, daß ihr endlich wieder -im Lande seid!«</p> - -<p>Am anderen Morgen stand der Herr Doktor Jakobus Sinsheimer -schon im werdenden Licht am Fenster und schaute über -die Wipfel des Weimarer Parks. Sein Glück konnte den Tag nicht -erwarten. Er sah Goethes Gartenhaus durch die herbstlaubigen -Hecken lugen – weiß Gott, dies ehrwürdige Stück Literaturgeschichte -zwinkerte ihm vergnügt zu! Es kam ein Zug fröhlicher -Gestalten klingelnd und doch traumhaft über Anger und -Hecken, alle bunt angetan; und es guckten blanke Augen hinter -jedem Baumstamm hervor. Alles, was ringsum war, kniff die -Augen zusammen und lachte. Da riß der Doktor Sinsheimer -die Fenster auf, das Wunder zu betrachten – und auf einmal -war er wieder der Jockele. Der hob Doris Rinkhaus auf -seine Arme und drehte sich mit ihr herum wie ein Kreisel und -machte holdrio hoho … »Mensch, Mensch,« sagte die Do – denn<span class="pagenum"><a id="Seite_104">[104]</a></span> -es war noch ein bißchen morgenkühl um sie; aber innig festhalten -an ihm mußte sie sich doch, sonst hätte er sie zum Fenster -hinausgewirbelt – »Mensch, du bist ja lebensgefährlich, -aber du bist doch nun etliche Jahre älter geworden!« …</p> - -<p>Doch der Jockele hatte keine Zeit, darüber nachzudenken; -denn als ihm die weiße Do entschlüpft war, wippte einer -draußen am Gartenzaun entlang … Erich Meyer – mit y, -aber nicht verwandt mit der Frau Stadtrat Meyer … Großer -Gott, das war das einzige Erlebnis der Weimarer Tage, -das dem Jockele durch ein Loch in seinem Gedächtnis gesickert -war! Nicht im Traume war ihm Erich Meyer wieder eingefallen! -Und nun war der der erste, der aus dem glückhaften -Schiff leibhaftig an Jockeles neues Land stieg. Erich Meyer – -wie war denn das damals gleich? Er nahm das Jockelebuch … -Nein, Erich Meyer hatte sich nicht verändert: er wandelte -mit vorgeschobenen Knien, weil die Rockschöße Platz haben -mußten, hinter ihm herzuläuten. Und während diese Partie -seines Menschen sich für den Pendelschlag von vorn nach hinten -entschieden hatte, schwangen die langen stracken blonden Haare -über dem Rockkragen von links nach rechts. Er war Musikstudierender -gewesen, von durchschnittlichem Talente, und weil -er dazu noch ein Herz von Gold besaß, so war seine Begabung -auch nach der rein menschlichen Seite fast lebensgefährlich. -Der blonde Erich hatte damals ein Stipendium von dreihundert -Mark bekommen, deshalb erwog er die Frage, ob -er nicht umsatteln und sich dem Bankfach widmen sollte … -Nun, Finanzminister schien Erich Meyer inzwischen ja nicht -geworden zu sein. Aber den lieben weltfremden Idealisten -mußte man sich wieder einmal bei Licht betrachten!</p> - -<p>Ach ja, was mußte man sich in diesen neuen Tagen in der -alten Heimat nicht alles betrachten: die Häuschen im Apfelgarten; -den Zaun, wo der Maler Jockele aus dem Tartarus<span class="pagenum"><a id="Seite_105">[105]</a></span> -den Berg der Seligkeiten gemacht und hernach mit dem Grabscheit -zertrümmert hatte! Es war seine letzte Missetat in -Farben gewesen. Man ging zu dem Kastanienstamm, in -dessen Rinde die Namen Do und Jo in schlichter, aber unlösbarer -Verschlingung geschnitten waren. Frühling nach -Frühling hatte die tiefen Spuren der Klinge fast zugezogen. -Jede Seite des bunten Lebensbuches von damals blätterten -sie um. Aus jeder stieg's wie der Klang einer silbernen Trompete -und schmetterte ihnen in die Herzen – Leben, o Leben! -Liebe, o Liebe! Jugend, o Jugend! Welch ein herrlicher -frohgemuter Kampf war das gewesen!</p> - -<p>Es stand noch alles wie damals. Auch die alten Menschen -standen noch. Die Dame mit den kraushaarigen grauen Hunden -begegnete ihnen – vor Zeiten waren es drei gewesen, jetzt -waren's vier. Sie schlug noch immer die grüne Stille tot -mit ihrem brutalen Pfiff, und sie wogte noch immer die gemütvolle -Baumstraße lang wie ein neapolitanischer Schiffer; -aber ihre Strickmütze war blau. Nur eins war neu geworden: -»Haus in der Sonne« stand in schwarzer Schrift an der weißen -Gartenpforte. Oben auf dem First dieses Hauses in der Sonne -war eine Leier. Vor der Tür stand ein kleiner Junge mit -einer roten Zipfelmütze und präsentierte seine Holzflinte. -Und es sang jemand zum Fenster heraus. Hoh! – Wegen -der Leier und der dunklen Frauenstimme dachten sie an -Kordula Gunkel, wie sie nun römische Schlendertage hielt -und doch auf dem Kriegspfade war … Und das kleine Haus -neben dem mit der Harfe stand wie damals auf den Zehen, -lugte rechts über die hohe Gartenmauer und duckte sich nach -vorn hinter grüne Hecken. Und die beiden glückseligen Menschen, -die darin wohnten, saßen in ihrem Fichtenwinkel und pfiffen -noch immer ganz leise auf die Welt. Das mußte doch sehr -unterhaltsam sein!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_106">[106]</a></span></p> - -<p>Und richtig, auf dem Heimweg vor der Wildenbruchmauer -wippte Erich Meyer den Pfad entlang! Wie er Jockele und -die leuchtende Do und die gescheite Gwendolin erkannte, -erging er sich in einer ehrfürchtigen Verbeugung und trat -hinab auf den Fahrdamm. Er hatte – im Gegensatz zu seinen -Nachbarn in dem kleinen Hause – ungeheueren Respekt -vor der Welt.</p> - -<p>»Ah, sieh da, lieber Meyer! Wie steht's mit dem Finanzminister?« -rief Jockele und faßte ihn an beiden Händen.</p> - -<p>»O,« sagte er, »es war ein Plan Hansens im Glück. Aufgegeben, -verehrter Herr Doktor! Was muß man nicht alles -aufgeben in diesem Leben!«</p> - -<p>»Na, und was machen Sie sonst, lieber Herr Meyer?« -fragte Do.</p> - -<p>»Musik, gnädige Frau, ungeheuer viel Musik. Ich gebe -Unterricht und wohne im Haus mit der Harfe – das -spricht sich bequemer, eigentlich ist es ja wohl eine Leier.«</p> - -<p>»Und die haben sie sich als Wahrzeichen dahinaufsetzen -lassen?«</p> - -<p>»O nein, nicht ich!«</p> - -<p>Zwei Herren schritten grüßend an dem fröhlichen Trüpplein -vorüber: ein hochgewachsener junger Mann mit dunklem -Vollbart und ernstem Gesicht war der eine. Es war ihm anzusehen: -er war ein Künstler, wußte zu sinnen und wußte zu -schweigen. Ein Licht ging an in seinen großen braunen -Augen, als er Gwendolin erkannte. »Sagen Sie, Herr Meyer, -war das nicht der Porträtmaler Schaffrath?« fragte Gwendolin -mit leiser Verstellung; denn es lockte sie, zu erfahren, was -aus diesem tüchtigen und strebsamen Menschen geworden wäre.</p> - -<p>»Ja,« antwortete er, »der Schlachtenmaler. Er hat im -Vorjahr ein Panorama gemalt, in Dresden oder Leipzig – -ich weiß es nicht mehr. Es heißt: er kann ungeheuer viel.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_107">[107]</a></span></p> - -<p>»Und der ältere Herr, der bei ihm war?« fragte Jockele. – -»Ein Gelehrter, der Professor Salzer.« – »Wahrhaftig, -er war's,« sagte Jockele. »Ich habe ihn vor Jahren flüchtig -kennengelernt und habe den Wunsch, diese Bekanntschaft -zu erneuern. Der Professor ist der Mann für meine Frau,« -setzte er scherzend hinzu. Und Meyer sagte: »Es wird nicht -lange dauern, dann ist Schaffrath auch Professor, an der -Kunstschule, und wohl gar Direktor.«</p> - -<p>»Ich glaube, er hat sich einmal in meiner Jugend für mich -interessiert,« sagte Gwendolin zu Do.</p> - -<p>Darüber mußte Do lachen. »Du <em class="gesperrt">glaubst</em>? So etwas -weiß man doch, wenn man solch helle Augen hat.«</p> - -<p>»O, bei Schaffrath weiß man das nie,« sagte Gwendolin. -»Wenn ich mich recht erinnere, hat man ihn damals nie in -Gemeinschaft anderer gesehen, er pflegte keine Freundschaften, -und er war nie im Kaffee. Er hatte auch keine Erlebnisse -mit Frauen – trotz der Weisheit Jockeles.«</p> - -<p>»Vielleicht ist er die Ausnahme von der Regel,« sagte Jockele. -»Aber woher kam dir dann der Glaube, daß er sich für dich -interessierte, teuerste Gwendolin?«</p> - -<p>»Nun, er ging nie ohne Gruß an mir vorüber,« sagte sie. -»Ich weiß, das ist damals von den Malmädchen und in der -Stadt sehr beachtet und bemutmaßt worden.«</p> - -<p>Sie fanden, daß die Straße zu so bedeutenden Gesprächen -nicht der rechte Platz wäre. Deshalb reichte Gwendolin Herrn -Meyer die Hand.</p> - -<p>»In einigen Tagen hoffen wir auf Ihren nachbarlichen -Besuch, lieber Meyer,« sagte Jockele.</p> - -<p>»O,« sagte der in ehrlicher Bescheidenheit und deutete -an seinem fadenscheinigen Rock hinab, »zuviel Ehre für einen -armen Musikmeister.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_108">[108]</a></span></p> - -<p>»Ach, dichten Sie keine Tragödien, Meyer,« sagte Gwendolin, -»bei Jockeles sieht man das Herz an.«</p> - -<p>Erich Meyer war erschüttert. In seiner Dachkammer sank -er auf den Stuhl und dachte: vor ein paar Jahren war er -mit diesem vornehmen Doktor Sinsheimer durch den Park -gezogen – damals war der ein schlechter Zigeuner gewesen … -»aber ein guter Musikant!« sagte Erich Meyer und holte -einen tiefen Seufzer aus seiner Brust.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Als sie nach Hause kamen, lag da ein Schreiben der Staatsanwaltschaft -in Hamburg an Frau Doktor Doris Sinsheimer. -Es war nach der Insel Nane Thords gerichtet gewesen -und nachgesandt worden. Darin stand: Es befindet sich in -Hamburg seit drei Wochen ein junger Mann namens Rolf Krake -in Untersuchungshaft. Er hat sich der Polizei gestellt und behauptet: -»Ich habe meinen Bruder, den Doktor Woldemar -Krake, vor acht Tagen erschossen. Den Ort sage ich nicht: ich -nehme an, die Bluttat ist der Bevölkerung verschwiegen worden, -die ich durch eine Untersuchung an Ort und Stelle nicht beunruhigt -sehen mag. Ich glaube auch nicht, daß außer mir -ein Mensch von dem Verbrechen weiß, da mein Bruder im -Augenblick seines Sterbens in eine unergründliche Tiefe -versunken sein dürfte. Man wird ihn vermissen, aber man -nimmt wohl an: er und ich haben sich heimlich von unserem -damaligen Aufenthaltsort entfernt – ich weiß es nicht. -Ob ich die Tat mit Überlegung und bei vollem Bewußtsein -vollbrachte, kann ich nicht genau sagen. Ich bin mit der Absicht -zu dem Tatorte gekommen, mich selbst zu töten. Es ist -wahrscheinlich, daß der Mord die Folge eines psychologischen -Vorgangs ist, den ich nicht in vollem Umfange zu erklären vermag.« -Weiter stand in dem Schreiben: Es stimmen alle Angaben -Rolf Krakes über seine Herkunft und seinen Bildungsgang.<span class="pagenum"><a id="Seite_109">[109]</a></span> -In Kiel, wo er zuletzt Student war, ist er auf Reisen -ins Ausland abgemeldet, ohne nähere Bezeichnung des -Aufenthaltsortes. Er hat Frau Doris Sinsheimer angegeben -als diejenige, welche den von ihm erwähnten »psychologischen -Vorgang« mit größerer Sicherheit darstellen könnte als er -selbst. – Do wurde aufgefordert, aus dem Auslande zunächst -einen schriftlichen Bericht an die Hamburger Staatsanwaltschaft -zu senden.</p> -</div> - -<p>Die Erregung über diese Botschaft glich einer totalen -Sonnenfinsternis: sie brachte eine bleierne Schwere, die den -Atem beengte, aber sie ging rasch vorüber. Sie wich der -freudigen Genugtuung, daß dem unglücklichen Freund ein -großer Dienst geleistet werden konnte.</p> - -<p>»Wie hab' ich ihn gequält, damals, ehe ich dem Rätsel -in ihm auf den Grund kam: dem Weg des Hasses gegen sich -selbst, in dem eine Stelle ist, an der immer Woldemar Krake -auftaucht und für ihn zum Träger des Hasses wird …«</p> - -<p>»Sage: ein Blitzableiter an der höchsten Stelle des Hauses, -der den Funken auf sich zieht,« warf Jockele ein. Dann begab -er sich in sein Arbeitszimmer, schrieb einen langen Bericht -und nahm darin das eigentümliche Räderwerk dieser Seele -auseinander und setzte es kunstgerecht wieder zusammen. -Es wurde darüber Abend, es wurde Nacht, und es graute -der andere Tag: es war ein Buch geworden, das Jockele verfaßt -hatte. Darin fand sich alles geschildert, was sich am Skjold -ereignet hatte, wie sie den Verletzten mit zwei Wunden gefunden, -die so leicht gewesen waren, daß nicht einmal alle des kleinen -Kreises Kenntnis von dem Vorfall erhielten. Es war die -jetzige Wohnung Woldemar Krakes angegeben; es war das -Verhältnis Rolfs zu den Freunden geschildert und die Eigenart -seines wissenschaftlichen Interesses; es waren Auszüge -aus seinem Tagebuch beigefügt, und es wurde der Tatort<span class="pagenum"><a id="Seite_110">[110]</a></span> -mit Anschaulichkeit gezeichnet, dessen Lage in Rolf Krake die -Meinung erweckt hatte, der Bruder wäre in den schäumenden -Wassern versunken. Über den seelischen Druck, unter dem -Rolf seit den Tagen des Knaben gelebt hatte, über die Ursachen -und das Wachstum dieses Druckes gelangte Jakobus -zum Letzten und Schwersten: zu der Darstellung des psychologischen -Vorgangs im Augenblick der Tat – Rolf sieht sich -von seinem Bruder verfolgt, wiewohl er es selbst ist, der sich -verfolgt; im Grunde hat er die Liebe zu Hanna von Fellner -längst überwunden – zuletzt vielleicht, weil er sich sagte: -sie wird sich ja doch für den Bruder entscheiden. Und dennoch -benützt er diesen Verzicht als Vorwand zu seinem Selbstmord: -er richtet die Waffe gegen sein Herz. Als er schon den Daumen -um den Abzug krümmt, wird er von dem Bruder gestört. -Wiederum von diesem Bruder, der ihm, seiner Meinung nach, -den Weg zu Glück und Leben vermauert – soll ihm von dem -nun sogar der Weg zum Sterben verwehrt sein? … Undurchdringlich -sinkt die Finsternis des Hasses in ihn. Vier -Kugeln sendet er nach dem Bruder und – hat eigentlich auf -sich geschossen: das mörderische Blei galt dem eigenen Spiegelbilde! -Keine Eifersuchtstat, keine Rache, keine perverse Lust -an fremdem Blut, nichts von Mordgier, nichts von Gemeingefährlichkeit -– sondern: ein »psychologischer Vorgang«, -dessen Entschleierung die Aufgabe des Seelenarztes ist …</p> - -<p>Im Oktober reiste Do mit ihrem Manne zur Verhandlung -vor dem Schwurgericht nach Hamburg. Woldemar hatte -die Aussage verweigert, er war nicht da. Die Begegnung -mit seinem Bruder sollte vermieden werden. Do wiederholte -in ihrer klaren klugen Art, was sie von Rolf Krake wußte.</p> - -<p>Die Volksrichter sprachen ihn frei.</p> - -<p>Er verließ das Gerichtsgebäude mit Do und Jockele, war -nicht fröhlich, war nicht traurig, und sagte: »Die große<span class="pagenum"><a id="Seite_111">[111]</a></span> -Einsamkeit, die in diesen Wochen um mich gewesen ist, war -sehr wohltätig. Kommt, wir wollen unter viele fremde -Menschen gehen, wo es einsam ist. Und wir wollen nicht von -gestern reden, sondern von morgen.«</p> - -<p>»Was wollen Sie denn morgen tun?« fragte Do.</p> - -<p>»Ich will in den Hardanger Fjord reisen und auf Nane -Thords Insel wohnen,« sagte er.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Es wollte Abend werden. Oktoberabend. Der Sommer -hauchte von irgendwoher in die Dämmerung unter den -Bäumen am Horn, und aus dem gefallenen Laube dufteten -Veilchen. Da gingen Do, Gwendolin und Jockele mit verschränkten -Armen auf den Wegen des alten Gartens. »Mir -ist, als wäre die Geschichte der Sturmschwalben noch nicht -zu Ende,« sagte Gwendolin. »Es ist da wohl noch ein langes -merkwürdiges Kapitel, das heißt ›Rolf Krake‹ …«</p> -</div> - -<p>»Und du wärest darauf gespannt?« fragte Do.</p> - -<p>»Vielleicht war es nur eine Überleitung von mir,« gestand -Gwendolin, »es sind ja auch drei Sturmschwalben nach Rom -verschlagen worden. Ich denke mehr an die, als mir lieb ist. -Ich habe merkwürdige Ahnungen.«</p> - -<p>»Ahnungen!« sagte Jockele, »Henrik Tofte ist ein Mensch, -an dem jede Berechnung zerschellt und vor dem auch jede -Ahnung in tiefe Finsternis gerät.«</p> - -<p>»Darum flattern die meinen wie Fledermäuse. Ich glaube, -es geht ihm nicht gut.«</p> - -<p>»Natürlich wird es ihm nicht gut gehen. Pah, was gilt -das ihm! Fällt ihn heute der Teufel an, so stellt er ihn auf -den Kopf, und es wird morgen der liebe Gott daraus. Er -mißt sein Schicksal immer so, daß nie ein richtiges Unglück -herauskommt. Na und schließlich: er weiß uns ja zu finden.«</p> - -<p>»Niemals!« sagte Gwendolin. Dann verscheuchten ihr<span class="pagenum"><a id="Seite_112">[112]</a></span> -Do und Jockele die Fledermäuse und wurden alle drei lustig -an Henrik Tofte, der so lang war, daß er immer ganz vergnügt -oben herausragte, wenn ihn sein Schicksal gleich einmal -in recht tiefes Wasser warf. »Er hilft sich selbst,« sagte Jockele, -»und Rolf Krake hilft sich auch selbst, man muß ihn allein -lassen – lebensgefährlich ist das Leben nur für Erich Meyer. -Erich Meyer ist ein Mensch, der sich seit zehn Jahren in einemfort -aufrichtet. Aber er hat gleich eine Waffe zur Hand, mit -der er sich ebenso unausgesetzt niederschlägt: sein goldenes -Herz. Ich wette, ehe er in die Dachkammer dieses Erholungsheims -geraten ist, hat er dreimal sein Bett verschenkt. Und -den Stuhl, für den er einmal das Geld besaß und verschenkte, -den hat er sich bis heute nicht angeschafft. Aus lauter Bescheidenheit -geht er jetzt einen anderen Weg zur Stadt, nur -damit er nicht durch unsere Tür gerät. Do, liebste Do, dieses -Märchen mit dem Goldherzen könntest du zu einem vernünftigen -Ende dichten!«</p> - -<p>»Nun, und du?« fragte Gwendolin. Da setzte Jockele ein -geheimnisvolles Gesicht auf. »Ha!« sagte er, »ich glaube, -ich bin durch die Erlebnisse des Sommers ein bißchen aus -dem Sattel gekommen« – er klopfte Gwendolin sanft auf -die Achsel – »du, mir scheint, ich stehe wieder einmal am -Zaune des Tartarus, um auf den Berg der Seligkeiten zu -steigen! Seit ich mich schreibenderweise in die Rätselseele -Rolf Krakes vertieft habe, sind mir Flechten und Frösche -eine etwas trockene Materie geworden.«</p> - -<p>Gwendolin schloß ihn in komischer Rührung in ihre Arme. -»Hurra! Meine Ahnungen! Meine Ahnungen!«</p> - -<p>»Es ist wahrhaftig so,« sagte er, »das Beste hab' ich dem -Hamburger Gericht nämlich gar nicht aufschreiben können – -na, nennen wir es mal: den Ertrag des spekulativen Denkens. -Es sind seit jenen Tagen allerhand Lockungen da, zum<span class="pagenum"><a id="Seite_113">[113]</a></span> -Beispiel Henrik Tofte. Seht, diesen Menschen möcht' ich mal -aufschreiben; den möcht' ich mal auf einem Haufen Papier -zum Bilde Gottes erschaffen, zu dem er sich selbst nie erschaffen -kann! Ich gehe seit einigen Tagen in einem wunderlichen -Zustand umher: als Gelehrter dacht' <em class="gesperrt">ich</em> – jetzt denkt es in mir; -als Gelehrter schrieb <em class="gesperrt">ich</em> – jetzt aber fängt es in mir an zu -schreiben …«</p> - -<p>»Wie es in mir malt,« unterbrach ihn Gwendolin lachend.</p> - -<p>»Ja, so wird es wohl sein.«</p> - -<p>»Ich finde, es ist bei uns immer ungeheuer viel los,« sagte -Do, »Gesellschaften will er geben, dichten will er, Erich Meyern -wollen wir einrichten, die Tante Veronika soll kommen …«</p> - -<p>»Ach, Teufel,« machte Jockele, »da müssen wir das Dichten -und den ersten Gesellschaftsabend doch noch aufschieben! -Aber bereiten werden wir Haus und Herzen für beides; -denn das mag Tante Veronika gern leiden.«</p> - -<p>Also gingen sie ans Werk und sannen ein Zimmer nach -dem anderen, sannen das ganze Haus in seiner Einrichtung -um, wie es ihrem Wohlbefinden und ihrem anderen Geschmack -entsprach. Das hatte gleich in den ersten Tagen geschehen -sollen, aber die waren ja voll gewesen bis zum Rande. Doch -nun waren sie in Schwung, stellten einen großen Rumor -an, wirbelten zwischen dem Diener Fritz und einigen Handwerkern, -wirbelten zwischen der Köchin und dem Zimmermädchen -herum und fanden das nach den mannigfachen -Erschütterungen der Gemüter äußerst beruhigend. Zuletzt -kamen der Wintergarten auf der einen und die Vorhalle -mit dem Treppenaufgange an der anderen Seite daran. -Im Wintergarten hinter den doppelten Scheiben wirkte Do. -Sie schuf ein liebliches Wunder aus Palmen, Grün und -Blumen und dem Strahle des Springbrunnens, der nun -klingend über Kristall fiel. In der Vorhalle ließen Jockele und<span class="pagenum"><a id="Seite_114">[114]</a></span> -Gwendolin schön geschnittene Säulen aus Lorbeer wachsen, -und auf den Trägern vor der Treppe glühte das Licht in -Schalen aus buntgewürfeltem Glas. Es war schön und -heimelig – beides.</p> - -<p>Erich Meyer war der erste, der kam – glücklich und unglücklich -wie stets im Leben. Vor dieser neuerschaffenen Welt -verzagte ihm das Herz. Zum Glück hatte Gwendolin seinen -Schatten in der Dämmerung durch die Gartenpforte huschen -sehen; weil sie danach im Hause nichts von ihm hörte, ward -sie von einer Ahnung getrieben – und wahrhaftig: da stand -Herr Meyer in der Vorhalle zwischen den Lorbeersäulen -und den stillen dunklen Bildern der Wände und den Glasschalen, -die aussahen, als wären sie mit leuchtenden Steinen -gefüllt bis oben hin – ja, da stand Erich Meyer, hatte beide -Hände auf sein goldenes Herz gepreßt und träumte, er erlebe -ein Märchen … denn über den Hintergrund seiner Erinnerung -zog er selber mit Jockele dem Zigeuner.</p> - -<p>»Na, Meyer!« sagte Gwendolin in ihrer lustigen Art.</p> - -<p>»Ach, Fräulein Gwendolin, Fräulein Gwendolin … kann -ich denn da – –«</p> - -<p>»Natürlich können Sie! Kommen Sie nur.«</p> - -<p>»Wie glücklich, daß ich gerade Sie hier treffe! Man ist -doch gleich viel mutiger.«</p> - -<p>Dann saßen sie in dem Zimmer mit den braunen Ledersesseln -– Do, Jo, Gwendolin und Erich Meyer – und tranken -Tee. Erich Meyer brauchte zwar geraume Zeit, sich an dem -Gedanken aufzurichten, daß diese lichten frohen Menschen -das Herz ansähen; dann aber beteuerte er: diese Stunde -wäre das tiefste Erlebnis in seinem Dasein. Das kam auch -daher, weil sie ihn alle drei gleich in Reparatur nahmen. -»Wir wollen durchaus einen richtigen jungen Mann aus -Ihnen machen, Herr Meyer,« gestand Gwendolin.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_115">[115]</a></span></p> - -<p>»O,« sagte er. Es klang dankbar und wehmütig.</p> - -<p>Und Do dachte: die Zahl der Sturmschwalben unter den -Menschen ist nicht zu zählen – der eine treibt's so, der andere -anders – aber Sturmschwalben sind sie fast alle … zu leicht -zum Gleiten am Grund, zum Fluge zu schwer, Sturmschwalben, -wo nehmt ihr den Mut zum Leben her?</p> - -<p>Gwendolin schoß Leuten gegenüber, wie Meyer, gern ein -bißchen über das Ziel. Sie konnte sich nicht helfen: sie fand -ihn komisch. Und wenn sie gleich jeden Satz mit »lieber -Meyer« begann, so lag darin zwar ein bißchen warmes Mitleid, -aber der Spott schwamm oben darauf und deckte das -Mitgefühl zu.</p> - -<p>Der Musikant war empfindsam, aber die Empfindlichkeit -hatte er vor der Welt verlernt; denn mit Spott begegneten -ihm sogar Menschen, gegen die er in jeder Beziehung ein -bedeutendes Licht war. Wie eine Blume, die im Schatten -blüht, wandte er sich Do zu. Da merkte Gwendolin, daß sie -und auch Jockele in dieser Stunde nicht am rechten Platze -wären, und sie sagte: »Lieber Meyer, den Doktor und mich -beurlauben Sie wohl für heute; wir haben im Büchersaal -noch alle Hände voll zu tun.« Damit preßte ihn Gwendolin -mit sanftem Druck in seinen Sitz zurück; denn der -arme Musikant schickte sich gleich in tiefer Betretenheit -zur Flucht.</p> - -<p>»Gnädige Frau, ist es wirklich wahr, daß ich gern bei Ihnen -gesehen bin?« fragte er, als er mit Do allein war.</p> - -<p>»Ganz gewiß,« sagte sie in ihrer leuchtenden Art, »und nicht -nur, weil wir nebenan einen sehr schönen Blüthner stehen -haben, für den wir drei viel zu unmusikalisch sind.«</p> - -<p>»O, wenn ich Ihnen mit meiner bescheidenen Begabung -Freude machen könnte …«</p> - -<p>»Ja, das können Sie,« lächelte Do. »Was meinen Sie zu<span class="pagenum"><a id="Seite_116">[116]</a></span> -einem kleinen musikalischen Tee, immer an Donnerstagen -von Fünf bis halb Sieben?«</p> - -<p>Es fiel ein Sonnenregen über Erich Meyers Herz. Dann -saß er draußen an dem Blüthner, nur für zwei dankbare -flüchtige Minuten – da regnete es immer weiter, und es -war zu sehen und zu hören, welch selige Erquickung diesen -armen Menschen segnete. Er dachte, er wäre zu schlecht, -der schlanken lichten Frau die Hand zum Abschiede zu bieten. -Da reichte sie ihm alle beide und sonnte ihre Güte noch einmal -über den Rausch seines Glückes. Und dann stand draußen in -der Vorhalle der Diener Fritz und öffnete ihm die Haustür -und hatte eine herrlich weiße Krawatte vor – »So lange -haben Sie auf mich gewartet?«</p> - -<p>»O nein,« lächelte Fritz und machte eine tiefe Verbeugung -vor dem armen Musikanten. Der aber flog auf breiten Flügeln -davon und flog in den abenddunklen Park, in dem die Herbstnebel -schwammen. Wunder Gottes, Wunder Gottes, es -wurde immer heller um ihn. Juhu! –</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Wieder nach ein paar Tagen waren Haus und Herzen -fertig. Da kam Tante Veronika aus Ibenheim am Walde. -Aber diesmal kam sie im Wagen, und Do, Jockele und Gwendolin -hatten sie am Bahnhof erwartet. Sie ging noch immer -an dem gleichen gelben Krückstock, und sie trug noch immer -einen Kapotthut mit veilchenfarbenen Bindebändern und -trug die cremefarbenen Handschuh. Und sie hatte den Umhang -mit sanft flimmerndem Jett über den Achseln, hatte noch -die klaren Augen, und die weichen Wellen des Haars um -Stirn und Schläfen, und sie sah noch immer so schmuck und -fein aus, als hätte sie der liebe Gott aus seinen Sonntagshänden -gerade erst auf die Erde gesetzt. Ihre Seele tat einen -Rundblick aus den blankgeputzten Fensterlein unter der Stirn<span class="pagenum"><a id="Seite_117">[117]</a></span> -und erkannte: es ist alles gut. Aber Do mußte ihr schon -im Wagen gegenüber sitzen; denn die Do war ihres Glückes -Erfüllung. Und ihr mußte sie immer einmal aus dem heimeligsten -Winkel ihres Herzens zublinzeln; das hieß: »Wir -zwei, wir haben ihn aus dem Walde gezogen.«</p> -</div> - -<p>So kamen sie heim. Erich Meyer war ein Fremdling in -diesem Hause gewesen – Tante Veronika paßte allenthalben: -wie eine blühende Pflanze auf den Geburtstagstisch oder -an das helle Fenster. Aber als sie durch die schönen ruhevollen -Zimmer geschritten war, in der die Jugend einer anderen -Zeit mit so viel Klugheit und Hingebung gewaltet hatte, -da war ihr doch: der liebe Gott stünde an der letzten Türe, -lachte sie aus seinen Himmelsaugen an und reichte ihr einen -schönen Strauß aus gelben Rosen, die sie vor allen liebte; -und sie machte ihm einen respektvollen Knicks. Dann aber -preßte sie Do gleich ihr liebes gerührtes Gesicht ans Herz –: -»O, laßt mich nur weinen; gäbe es denn ein reineres Glück, -als in Freude zu weinen über seine Kinder?«</p> - -<p>So waren sie durch innige und frohe Stunden beieinander, -diese drei Menschen, von denen Henrik Tofte gesagt haben -würde: »Es ist unheimlich, an ihnen der Besinnlichkeit des -Schicksal nachzuspüren, das man gemeinhin gedankenlos -nennt.«</p> - -<p>Daran dachten sie und belustigten sich über die Maßen, denn -es lag auf dem weiten klaren Wege, von der Schwelle des -Zigeunerfindlings an bis zu dieser Stunde, nichts, als was -von tüchtigem und klugem Menschenwillen an seine Stelle -geleitet worden war.</p> - -<p>Tante Veronika blieb drei Tage, blieb genau so lange, -daß sie sagen konnte: »Nun hab ich auch diesem Abschnitt -eures Lebens kennengelernt, und es ist mir, als wäre ich -stets um euch gewesen.« Gleich an dem Abend, an dem sie<span class="pagenum"><a id="Seite_118">[118]</a></span> -wieder in ihrem Ibenheimer Stübchen saß, geleitete Mali -den Herrn Peter Squenz herein, den früheren Gemeindevorsteher, -der nun ein sehr alter Mann geworden war; denn -Herr Peter Squenz verlebte seine Ruhejahre in dem »Wunder«, -das an dem kleinen Zigeunerjungen geschah. Er sagte, es -wäre unausstaunlich – hätte er denn sonst seine schwarze -Schirmmütze in der Hand behalten, während er mit dem Doktor -Sinsheimer gesprochen, als sie damals alle nach Bonn reisten? -Tante Veronika und Herr Peter Squenz waren gute Freunde -geworden, o ja, aber vor seinem Wunderglauben funkelte -sich die alte Dame in einen lustigen Spott.</p> - -<p>Doch Herr Peter Squenz war nicht der einzige, der sich -an dem Märchen ergötzte, das sich da durch die nüchterne -Gegenwart lebte. Es waren noch die hundert Leute um ihn -her, die der Tante Veronika vor etlichen zwanzig Jahren -hatten weismachen wollen: wenn der kleine Zigeuner erst -mal ein großer Zigeuner geworden, dann würde er im Walde -von Ibenheim ein Räubergeschäft aufmachen!</p> - -<p>Und da war auch noch das Zinzilein im Forsthause weit -draußen vorm Berge der Frau Venus. Das Zinzilein hatte -dem Jockele an seinem ersten Lebenstage das samtige Fellchen -auf seinem Kopfe gebürstet und den kleinen Menschen -im Puppenwagen spazierenfahren wollen. Nun war eine -blonde hüftenfeste Frau Försterin daraus geworden, die -selber ein ganzes Haus voll lebendiger Puppen hatte. Daneben -hätschelte sie die liebe Frage: ob der Jockele mit seiner -lichten Frau Do wohl einmal leibhaftig in ihr sehnsüchtiges -Herz scheinen würde? O, das gäbe für dies Herz und seine -Waldeinsamkeit einen großen Tag!</p> - -<p>Und da waren noch andere, die mit ihren Gedanken die -hochgemuten Menschen suchten, die sich unter den alten Bäumen -am Horn so wegsicher vorwärtslebten ins Leben; denn<span class="pagenum"><a id="Seite_119">[119]</a></span> -Jockeles »Mädchenzeit« kannten sie nun alle. Und in ihrer -Geschäftigkeit dichteten sie das kleine rote Jockelebuch auf eigene -Faust weiter zu einem dickleibigen Lexikon; denn sie wußten -ganz genau: es wäre ihnen in dem kleinen Buche aus triftigen -Gründen manches verschwiegen worden, und just das -wäre das Interessanteste. Was darüber hinaus passierte, -wollten sie nun auch wissen; denn sie meinten, das wäre -genau so bunt und springlebendig und schmeckte so nach Champagner -wie die Geschichten aus dem Pflaumenwinkel. Deshalb -war der Stufensteig, der vom Horn an Goethes Gartenhaus -vorüber hinabführt in den Park, seit dem Tage ein -heftig gesuchter Spaziergang für die Weimaraner, an dem -es ruchbar wurde, Sinsheimers wären wieder im Lande. -Die Gymnasiasten, die am Zaune vorübergingen, hinter dem -der Jockele dem geheimnisvollen Augenaufschlag seiner -Dichterseele zuschaute, erzählten sich von ihm und sagten: -»Es ist eine großartige Sache!« Und damit fanden sie genau -die gleichen Worte, die dem Zinzilein vor dreiundzwanzig -Jahren aus seinem kleinen Munde gestolpert waren, als es dem -Herrn Peter Squenz berichten sollte: droben bei der Tante -Veronika wäre ein kleiner Jockele angekommen.</p> - -<p>Etliche von diesen vielen waren in der sehr freundlichen Lage, -die Geschichte mitzuerleben, die sie »Jockele und seine Frau« -nannten, schon lange bevor sie aufgeschrieben wurde. Es -war aber nicht ganz leicht, in diese freundliche Lage zu kommen. -Man durfte nun nicht mehr durch die Türen fahren -wie vor ein paar Jahren im Pflaumenwinkel – nein, denn -schon die eiserne Gartenpforte war verschlossen. Das deutete -weder auf einsiedlerische noch auf menschenfeindliche Neigungen, -sondern es hing mit jenem Augenaufschlag der -Dichterseele zusammen. Das schien ein äußerst geheimnisreicher -Vorgang zu sein. Ja.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_120">[120]</a></span></p> - -<p>Hinwiederum gab es Abende, da strömte das Licht in -goldenen Strömen bei Sinsheimers aus allen Fenstern, -da sausten die Wagen durch die herbststille Baumstraße, da -kamen elegante Herren und funkelnde Damen; denn es war -bei Sinsheimers angeregt, klug, heimelig, und es blühte -da eine Art, die sich nicht nachmachen ließ, weil sie außerhalb -dieses Hauses eben nicht wuchs. Das war das Werk Dos. -Und die blonde Frau Do war der helle Stern, der in jenen -Tagen über dem Herzen Deutschland aufging. Sie war -leuchtend, innig und schön. Aber verführerisch schön war -Gwendolin. So standen sie nebeneinander: fröhliche Geistigkeit -die eine, beseelte Sinnenfreude die andere. Die eine -sonnig von Augen und Antlitz wie Märzhimmel – und sie -konnte auch so kühl sein, wenn sie merkte, sie begegnete leerer -Neugier –, die andere bald von träumerischer Melancholie, -bald ein lachendes leichtgeschürztes Mädchen. Die eine liebte -die geistreiche Unterhaltung, die andere wich einem galanten -Flirt nicht aus; aber auch wo sie nur schelmische Zuschauerin -war, begegnete sie sich mit Do und Jockele in dem Wunsch, -einen Kreis erlesener Freunde um sich zu sammeln. Der -blonde Graf Metting nannte das: »Frau Dos graziöse Kunst -geistiger Geselligkeit.« Aber als wüßte er, daß er diesen -Forderungen nicht allenthalben standhalten konnte, war er -besorgt, sich durch seine frohe Laune unentbehrlich zu machen. -Er war es auch, der für Gwendolin den Namen »Herzogin -von Urbino« erfand. Die war die Freundin jener Isabella -d'Este, die man in den Salons der Renaissance »<em class="gesperrt">la prima -donna del mondo</em>« genannt hatte. Und so machte Graf -Metting in diesem Namen auch vor Frau Do eine ritterliche -Verbeugung, mochte er nun für Gwendolin ganz passen -oder nicht – was lag ihm daran? Da legte die neue Herzogin -von Urbino den Finger längs der Nase – von der träumerischen<span class="pagenum"><a id="Seite_121">[121]</a></span> -Melancholie, die sie aus dem Fjord mitgebracht hatte, war -dabei nichts zu merken – und taufte ihn Fra Mariano. »Man -ist hier unheimlich gescheit,« sagte Metting, »denn man ist -noch gescheiter als ich!« Damit rettete er für sich die Lage, -und Gwendolin erklärte ihm: erstens wäre Fra Mariano der -bestgelaunte und schlagfertigste Gesell am Hofe Leos des Zehnten -gewesen, und zweitens hätte er niemals Damengesellschaft gesucht -… also passe dieser Name für ihn in jeder Hinsicht.</p> - -<p>Abneigung gegen Damengesellschaft – es war kostbar! -Und bei dem »Fra Mariano« blieb es.</p> - -<p>So war auch der Scherz artig und funkelnd. Und dennoch: -Fra Mariano hatte seine liebe Not; da war nämlich noch der -Schlachtenmaler Richard Schaffrath, ein stolzer ritterlicher -junger Mann mit dunklem Vollbart und nachdenklichen -Augen. Wie Frau Do war er kein Freund lärmender Feste. -Er war in sich gekehrt, in allen Dingen das Gegenstück zu -dem Grafen Metting. Anderswo spielte er gern den philosophischen -Eckensteher; in diesem Hause gab's dazu keine Gelegenheit. -Man beachtete ihn hier sehr, und er erschien allen -in gleicher Weise anziehend. Und da war drittens noch Henrik -Tofte – er war zwar nicht leibhaftig anwesend, aber: die -Welt ist eine Nußschale; und so dauerte es gar nicht lange, -da hatte Fra Mariano das große Licht entdeckt, das im Lande -der Mitternachtssonne um das größere Gwendolins gekreist -hatte. Natürlich war daran Kordula Gunkel schuld, die ihre -Berichte von römischen Schlendertagen an Weimarer Freundinnen -sandte.</p> - -<p>Der Schlachtenmaler aber nannte Gwendolin »Flämmlein«; -zuerst nur in den Erwägungen, die er wegen ihrer Wildrosenschönheit -mit sich selber anstellte; dann auch vor den anderen.</p> - -<p>So war jedes Zusammensein farbig und abwechslungsreich, -und Frau Do bildete die reizvolle Vermittlung zwischen<span class="pagenum"><a id="Seite_122">[122]</a></span> -den Menschen von verschiedenster Art, die sich in ihrem Hause -fanden.</p> - -<p>Als im Februar – in Rücksicht auf das große Frühsommerereignis -– die Gesellschaftsabende aufhörten, war die Welt -für viele um ihren lieblichsten Glanz gekommen. »Was -machen wir nun?« fragte Fra Mariano Gwendolin verzweifelt, -als er ihr im Park begegnete. – »Wir arbeiten -und halten Einkehr,« sagte sie; denn sie wußte, das waren -zwei Dinge, mit denen sich Graf Metting sein Lebtag nicht -gern befaßt hatte. Er gehörte auch nicht zu jenen, die an den -Donnerstagen zu dem musikalischem Tee geladen waren. -Dazu versammelten sich nur wenige, nur die Intimen des -Hauses. Vor allen: der Literaturprofessor Salzer, ein älterer -Herr mit grauem Vollbart und einer Hornbrille mit großen -Rundgläsern. Er galt als Sonderling. Von ihm stammte -das Wort: »Um von den Menschen dieser Zeit als Sonderling -verrufen zu werden, dazu gehört weiter nichts als Natürlichkeit.« -Er hatte viele tüchtige literarische Werke verfaßt, -um die sich sein Zeitalter nicht kümmerte. Nur ein einziges -Mal hatte er die nähere Umwelt in Erregung versetzt. Wenn -er arbeitete – und das tat er in der Regel – war er nämlich -sehr empfindlich gegen jedes Geräusch. Er hatte in allen -bewohnbaren Einsamkeiten in und vor der Stadt sein Nest -gebaut, aber stets war für ihn etwas zu wünschen geblieben, -was er sich unmöglich versagen konnte. Vor allem liebte er -des Tags einmal eine reich besetzte und vornehm ausgestattete -Tafel; dazu ein Glas erlesenen Weins, den er aber nur bei -der Mahlzeit trank. Er war ein wohlhabender Mann, und -dennoch drohte an der Wohnungsfrage das Glück seines einspännigen -Lebens zu zerschellen. Endlich machte er im Turme -der Hofkirche zwei Stübchen ausfindig. Er mußte dahin -einhundertneununddreißig Stufen emporklettern. Doch –<span class="pagenum"><a id="Seite_123">[123]</a></span> -das verschlug ihm nichts. Mit Hilfe der Großherzogin errang -er die Wohnung im Turm, lebte seit Jahren hoch über allem -Dasein und pries sich als den Glücklichsten der Menschen. -Wahrscheinlich hatte er recht. Frau Do war seine himmlische -Liebe. Man sah ihn an Donnerstagen immer zur gleichen -Minute über die Sternbrücke schreiten, wo er in den kleinen -Steig nach dem Horn einbog, und immer hatte er einen -Strauß der schönsten Blumen in der Hand; denn Frau Do -war seine himmlische Liebe! Vielleicht war es die einzige -Herzensangelegenheit, mit der er sich in seinem Leben befaßt -hatte. Und gerade damit stand er nun nicht allein. Aber das -war damals noch nicht zu ahnen. Im Haus am Horn hieß -er der Kürze halber »die Würze des Lebens«. Man verschwieg -ihm das ebensowenig, wie er aus seiner himmlischen Liebe -ein Hehl machte. Sein Name Salzer spielte dabei nur die -Rolle des Zufalls; denn man hörte, sann und freute sich an -ihm die kargste Stunde in helles Licht. Ohne den Professor -war das Haus am Horn nicht mehr zu denken. Er kam, wenn -er wollte, und war blank wie die Tante Veronika. So war -er auch nach dieser Seite hin ein einziger seiner Art.</p> - -<p>Außer ihm waren der Schlachtenmaler Richard Schaffrath -und der Musikant Erich Meyer da. An Schaffrath schätzte -er die gesammelte Kraft, an Erich Meyer die Bescheidenheit -und Entwicklungsfähigkeit; denn Meyer – oho, wie war -dieses Blümlein Wegwart über Winter aufgeblüht! Die -Wandlung ging so weit, daß er selbst den klingenden Namen -Meyer verloren hatte. Er hieß nun Cornelius, Peter Cornelius. -Das hatte der Professor erfunden. Erich Meyer mit dem -stracken Blondhaar und dem gut modellierten Profil sah auch -geradeso aus wie der Komponist des »Barbiers von Bagdad«. -Auch seine Kunst ging auf den gleichen Bahnen.</p> - -<p>So flogen die zwei Stunden der Donnerstage rasch und<span class="pagenum"><a id="Seite_124">[124]</a></span> -tiefbeseelt vorüber und blieben freudig ersehnt von allen. -Es wurde dabei vom gesamten schöngeistigen Erleben der -Welt gesprochen; und es lag auch ganz in der Art dieser Menschen, -von ihren eigenen Wegen zu reden. Nur über Jockeles -aufgehendes Lebensziel wurde geschwiegen. Davon wußten -für lange, lange bloß Do und Gwendolin. Aber der Same, -den Do in jener jungen Zeit ahnungslos ausgestreut hatte, -in der dem Jockele das Hirn brauste vor den Fragen: »was -wissen Sie von Goethe, Schiller, Wieland, Wildenbruch?« -dieser Same hatte ohn' Unterlaß gekeimt und Wurzel gefaßt. -Das erkannten sie nun und wußten: damals war er gesäet -worden, als Do dem Zigeuner Jockele die deutsche Literatur -an einem Bindfädlein zum Fenster im Pflaumenwinkel -herabgelassen hatte! Und vor dieser Erkenntnis legte -der Doktor eines Abends seiner Frau den Arm um den Nacken -und sagte zu ihr: »Was hab' ich denn nun, das mir nicht von -dir gekommen wäre, du mein lieber Segen?«</p> - -<p>Es wuchs vieles aus den sicheren Händen Dos – von -Jockele gar nicht zu reden; denn der war sozusagen der nächste -dazu. Bei dem sanften Erich war es zum mindesten kein -Wunder, daß in ihrer schönen Sonne aus der Raupe ein -Schmetterling, aus dem Meyer ein Cornelius wurde. In -die vorweihnachtlichen Gesellschaften aber hatte er sich nur -getraut, wenn ihm Do unweigerlich erklärte, daß er unabkömmlich -sei. Das lag teils an seiner Außenseitigkeit, teils -an seiner Außenseite. Deshalb gab ihm Do die Erklärung im -Wintergarten, wo sie beide allein waren. Und eines Tages -bekam er vom ersten Schneider der Stadt einen Brief; darin -wurde er gebeten, sich Maß nehmen zu lassen zu zwei neuen -Anzügen. Doch diese Einkleidung mußte mit einem großen -Aufgebot von List vorgenommen werden: es wären Rester, -erzählte ihm der Schneider. Das versöhnte den bescheidensten<span class="pagenum"><a id="Seite_125">[125]</a></span> -der Musikanten, langte aber nicht. Da mußte weiter gelogen -werden: der Schneider habe ihn einmal Klavier spielen hören -und darüber den Entschluß gefaßt. Das rührte den armen -Menschen so, daß er den nächsten Donnerstag nicht erwartete, -sondern gleich am Sonnabend aus dem Himmel seines Glücks -in Dos Wintergarten fiel und es ihr als ein tiefes Geheimnis -offenbarte. Do freute sich mit ihm. Und da sie gerade um -die Pflanzen beschäftigt war, gelang ihr auch das nötige -Aufgebot von Ahnungslosigkeit. »Nun passen Sie nicht mehr -in die schiefe Dachkammer, Cornelius,« sagte sie.</p> - -<p>»O, ich träume von einem Haus zum Alleinbewohnen,« -scherzte er.</p> - -<p>»Und ich von einem Stutzflügel für Sie,« sagte Do.</p> - -<p>Da sank Cornelius in den Rohrstuhl …</p> - -<p>»Nun ja, ich denke, Sie wollen eine Oper komponieren?«</p> - -<p>»Das tu ich ja schon, teure gnädige Frau! In meiner Kammer -schreib ich's auf und am anderen Morgen geh' ich in den -Erlkönig …«</p> - -<p>»In den Erlkönig?«</p> - -<p>»Ja. Das ist ein Gasthaus da drüben in der Nähe der Ilm, -da haben sie ein Klavier …«</p> - -<p>So fand sich nun dieser Erich Meyer mit dem Leben ab!</p> - -<p>»Und Ihre Villa?« fragte Do.</p> - -<p>»Ach, da ist doch das kleine Dienerhaus im Apfelgarten, -wissen Sie, wo Jockele mit der Husch den armen Heinrich -aufgeführt hat und mit Felidora Geburtstag feierte« – -Cornelius war wirklich sehr lustig – »und wohin Fräulein -Gwendolin den Teekessel geschickt hat … gnädige Frau, -gnädige Frau,« sagte er mit geheimnisreichem Gesicht, »ich -glaube, in dem kleinen Haus steht ein großes Sprungbrett -ins Leben!«</p> - -<p>Ein paar Tage später zog Peter Cornelius in den Apfelgarten;<span class="pagenum"><a id="Seite_126">[126]</a></span> -denn Do machte ihm weis, das Wohnen dort wäre nicht -nur nicht teurer als in der Dachkammer, sondern es kostete gar -nichts. Es gehörte auch dazu wieder List; denn Meyer durfte -es anders nicht erfahren. Dahinein kam auch der Stutzflügel -aus Bonn, an dem Do im Flügelkleide geübt hatte. -Erichs Glück war vollkommen. Er las um diese Zeit häufig -und sehr nachdenklich den »Ring des Polykrates«.</p> - -<p>Auf einmal ward er drei Tage nicht in der Welt gesehen, -obwohl er doch nun ein vornehmer Herr geworden war. -Er erklärte sich diese drei Tage lang für den unglücklichsten -Narren und hätte sich am liebsten sein undankbares Herz ausgerissen. -Warum denn? Ach, er hatte da neulich im Wintergarten -der Frau Do alle blutjungen Streiche an den Fingern -hergezählt, die dem Jockele in dem kleinen Hause gelungen -waren! Und das hatte dieser Erich Meyer fertiggebracht -in dem Augenblick, in dem ihm Do den Stutzflügel verhieß! -Nun kam er sich vor wie –</p> - -<p>Auf einmal donnerte es heftig an die braune Tür. Fra -Mariano trat herein. »Sie, Cornelius, was wissen Sie denn -von Gwendolin und Richard Schaffrath?«</p> - -<p>»Hm. Eigentlich weiter nichts, als daß sie gewissermaßen -mit Henrik Tofte verlobt ist.«</p> - -<p>Diese Antwort war zusammenfassend. Sie wirkte wie -Öl aufs Feuer. »Die Gwendolin hat sich wohl unsichtbar -gemacht, was?«</p> - -<p>»Es ist nicht ihre Art,« sagte Meyer. Graf Metting hatte -ihn immer ein wenig verspottet. Warum fand er sich nun in -das kleine Haus? Er kam zu keiner glücklichen Stunde. Erich -Meyer war aufgewühlt bis auf den Grund.</p> - -<p>»Ich – nun ich habe die Absicht, mich mit Fräulein Gwendolin -zu verloben,« sagte Fra Mariano.</p> - -<p>»Wär' es nicht besser, Sie sagten ihr das selber?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_127">[127]</a></span></p> - -<p>»Dazu brauche ich Sie natürlich nicht,« fuhr ihn Metting -an, »aber Sie können doch zum Beispiel hier mal vierhändig -spielen.«</p> - -<p>»Na, davon hätten Sie auch nicht sehr viel.«</p> - -<p>»Aber wenn ich dazu käme, teuerster Meyer, und Sie hätten -gerade zum Beispiel eine Klavierstunde in der Stadt zu geben -nach dem Spiel zu vier Händen …«</p> - -<p>»Ach, fällt mir ja gar nicht ein! Ich geh' überhaupt nicht -mehr aus dem Hause, verstehen Sie wohl?«</p> - -<p>»Nein,« sagte Metting und griff nach seinem Hut, »Frau Do -geht nicht mehr aus dem Hause, Gwendolin geht nicht mehr -aus dem Hause, Jockele nicht und Erich Meyer auch nicht – -zum Donnerwetter, wollen Sie denn alle Kinder kriegen?« -Fra Mariano schlug die Tür hart ins Schloß und stapfte -zwischen Tag und Dunkel die Kastanienallee entlang.</p> - -<p>Er hatte dreimal vergeblich bei Doktor Sinsheimer vorgesprochen. -Nun ging er zum vierten Male hin. Da wurde -er von Jockele mit weitoffener Fröhlichkeit empfangen: sie -wären über köstlichem Schaffen, Gwendolin male den Vorfrühling -von allen Seiten, seit vierzehn Tagen wäre sie in -Ibenheim bei Tante Veronika …</p> - -<p>Nein, es war kein Schatten Falschheit in diesem Lichte, -das aus Jockele schien. Aber eine halbe Stunde später kam -Gwendolin aus Ibenheim, und Fra Mariano fuhr gleich -am nächsten Morgen hin. Fünf Tage später traf ein Brief -von Tante Veronika ein; darin stand: es wäre seit einigen -Tagen ein feiner junger Mann ums Haus gestreift, heute habe -er sich ein Herz gefaßt und nach Gwendolin gefragt … er -heiße Graf Metting.</p> - -<p>Es war eine Pflicht, die die aufmerksame Tante Veronika -erfüllte. Jockele und Do lasen diesen Brief mit großer Heiterkeit -und schickten ihn durch Fritz hinauf zu Gwendolin. Als<span class="pagenum"><a id="Seite_128">[128]</a></span> -die aus ihrem Zimmer herunterkam, waren Professor Salzer -und Erich Meyer schon da. Meyer berichtete von seinem Zusammenstoß -mit Fra Mariano. Deshalb waren sie so ausgelassen -lustig. Gwendolin aber hatte ihre melancholische -Stunde. Sie lachte nicht, sondern sah Do mit ernsten Augen -an und fragte: »Liebe Schwester Do, was soll ich denn -nun tun?«</p> - -<p>Der Winter mit seiner feinen Geselligkeit hatte in ihr einen -mächtigen Wandel vollbracht. Wenn sie allein war und nachdenklich -und wohl auch ein bißchen traurig, sah sie nun der -Herzogin von Urbino viel ähnlicher als dem Flämmlein. -Dies andere Leben hatte ihr wohlgetan. Sie sehnte sich mit -heißem Herzen aus ihrem sorglosen »Junggesellentume« -heraus. Da stand Dos und Jockeles großes Glück, da -stand die lautere, geregelte und kluge Art dieses Hauses, da -war … es waren da tausend Dinge, die ließen ihr nun -keine Ruhe.</p> - -<p>Es war von ihnen nicht mehr über Herzensangelegenheiten -gesprochen worden seit jenem Tage im Fjord, der sich so -grauenvoll über ihre Sonnenseelen gelegt hatte. Mit keinem -Worte. Do liebte es nicht, bei jeder Gelegenheit Verbindungen -zu erwägen. Sie hatte in solchen Dingen auch keinen Rat -gewünscht, sondern hatte das mit ihrem Herzen und ihrer -Klugheit ausgemacht. Und damals, auf dem Uferwege am -Skjold, hatte sie mit Nachdruck ein Punktum dahintergesetzt, -indem sie zu Gwendolin sagte: »Ich weiß kein Mädchen, -das umworben ist wie du. Aber du kommst nicht dazu, deinem -Herzen eine Aufgabe zu stellen.«</p> - -<p>»Ich werde mich daraufhin einmal ansehen,« hatte Gwendolin -geantwortet und: »Die Ehe ist eine verdammte Kunst.« -Nun sagte sie: »Ich wäre euch dankbar, wenn wir heute statt -des musikalischen Tees einen Familienrat hielten.« Sie setzte<span class="pagenum"><a id="Seite_129">[129]</a></span> -sich in den Ledersessel und dachte, sie hätte ein gefaßtes Herz. -»Ich sehe, daß ihr auf meine Kosten vergnügt seid.«</p> - -<p>»Auf Kosten Fra Marianos,« sagte Jockele. Professor -Salzer lächelte so in sich hinein; er hatte für Graf Metting -nie viel übrig gehabt.</p> - -<p>»Das kommt auf eins heraus. Wie steht es mit mir? Es -steht so: Ehemals habe ich meine Freiheit und Selbständigkeit -sehr hoch bewertet – etwa wie ein reicher Mann seine Millionen; -denn ich habe zu mir gesagt: dafür erstehe ich mir die halbe -Welt. Dann kamt ihr und ließet mich mit euch ziehen. Ich -bat euch damals halb wehmütig, halb lustig: eine schiefe Kammer -werdet ihr in eurem großen Hause für Gwendolin, die Heimatlose, -haben. Nun aber weiß ich: ich war in jener Stunde zum -erstenmal ahnungslos. Ihr seid so lieb zu mir gewesen, und -ihr habt das Leben angepackt mit euren guten und reichen -Herzen, wie es mir nicht im Traume eingefallen wäre – das -Leben und mich selbst. Und nun steh' ich vor euch mit leeren -Händen und habe nachdenkliche Stunden. O, manchmal -bin ich sehr traurig: darf das denn so weitergehen aus einem -Jahr ins andere?« Da merkten sie, daß sich Gwendolins -Herz auflehnte gegen sich selber und daß ihre Stimme zitterte. -»Ach nein, liebe Do, spare dir deine Worte! Wie es in euch -aussieht, das weiß ich. Aber jetzt kommt's wieder einmal auf -mich an – endlich!« rief sie. »Mein Reichtum von einst – -meine Freiheit – ist vertan. Ich mag ihn nicht wiedererwerben. -Ihr habt mich ein Leben gelehrt, das ist schöner und -beseelter … Ich bin kein Kindskopf. Deshalb hab ich mir nicht -geschworen: dies Leben mach' ich euch in allen Stücken nach; -aber ich habe mir gelobt: in meiner Art will ich euch ähnlich werden. -Nun kommt Graf Metting und sagt, er liebt mich. Ist das -nicht der Augenblick, in dem ich meinem Herzen die Aufgabe zu -stellen habe? Liebe Schwester Do, was soll ich denn nun tun?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_130">[130]</a></span></p> - -<p>Nach Gwendolins langer Rede mußte diese Frage kommen. -Sie war peinlich – nichts als »ungeheuer interessant« war -sie nur für Cornelius. Da meldete der Diener Herrn Richard -Schaffrath, den Schlachtenmaler. Der hatte wichtigen Atelierbesuch -gehabt …</p> - -<p>Atelierbesuch? Ja. Nur: wie dieser Atelierbesuch ausgesehen -hatte, das war nicht zu ahnen; denn der Maler, der -nach fast den gleichen Maßen erbaut war wie Henrik Tofte, -kam wirklich recht besuchsmäßig daher, feierlich und ungewöhnlich -vorschriftsmäßig in Anzug und Behaben. Und so war -seiner Aufmachung nicht anzusehen, daß er daheim im Malraum -zwei Stunden lang einen Kampf ausgefochten hatte -mit einem Menschen, der genau so groß und kräftig war wie er, -der über genau einen so cholerischen Zorn verfügte wie er, -und der gar noch Richard Schaffrath hieß! Nun kam dieser -Herr so geruhig und blank gebürstet daher und sah aus, als -wäre noch niemals ein Sturm durch ihn gefahren. Aber bis -vor einer halben Stunde hatte er auf seinen Gegner einen -heißen Zorn niedergehen lassen – just als hieße dieser Graf -Metting und hätte einen Eid geschworen, dem Maler Schaffrath -bei der schönen, schlanken, heißen und klugen Gwendolin -den Rang abzulaufen. »Siehst du, das kommt nun von deiner -wortkargen Art! Jetzt hat sich der Windhund ihr ans Herz -geschmeichelt …« und so weiter – aber solche häßlichen Gedanken -waren ihm nicht mehr anzumerken. Sondern er trat -mit einer sehr höflichen Verbeugung zu Frau Do und rettete -sich die Verzeihung für sein Zuspätkommen. Gwendolin aber -wartete noch auf Dos Antwort. Und so schlug sie in ihrer -bangen Ungeduld eine Brücke … »Wir spielen heut ein -anderes Instrument, Herr Schaffrath,« sagte sie, »aber Sie -dürfen zuhören.«</p> - -<p>»Ah, ein neues Instrument?« – »Ja … meine verstimmte<span class="pagenum"><a id="Seite_131">[131]</a></span> -Seele,« sagte sie, »sie ist erstaunlich in Unordnung -geraten … Nun, liebe Schwester Do?«</p> - -<p>»Du sollst deine Beziehungen zu Metting abbrechen; denn -in diesem Falle wäre die Aufgabe, die du deinem Herzen zu -stellen hättest, zu groß. Gwendolin, du stehst mit deinen herrlichen -Gaben viel zu weit fort von ihm, und du würdest in -diesem blitzenden, aber flachen Wasser verdürsten.«</p> - -<p>Gwendolin schwieg. Sie schwiegen alle. Und sie sahen, -es hing eine verräterische Träne an ihrer dunklen Wimper.</p> - -<p>»Do, ich wußte: so mußtest du antworten. Und dennoch -hab' ich dich gefragt. Soll ich dir nun an den Fingern herzählen, -was ich damit aufgebe?«</p> - -<p>»Nein,« sagte Do, »das wissen wir. Aber ich will dir nennen, -was du dir ersparst: die trostlose Mühe, die Kunst einer solchen -Ehe zu erlernen. Fürchte dich davor, Gwendolin, fürchte -dich vor der Reue ohne Ende!«</p> - -<p>Da ging Gwendolin in ihre Zimmer und warf sich auf ihr -Bett und weinte.</p> - -<p>Die anderen saßen im Wintergarten noch lange beisammen. -Schaffrath war noch schweigsamer als sonst. Jockele allein -schupfte die Schultern. Er konnte zum erstenmal nicht ganz -mit Do übereinstimmen. »Nun, es ist ja nicht das letzte Wort,« -sagte sie, »Gwendolin wird ihre freudige Klarheit wiederfinden -und mit sich selbst zu Rate gehen.«</p> - -<p>»Ja,« sagte Jockele, »und es ist gut so. Es kommt mir vor, -als entschieden wir ein bißchen selbstherrlich – schließlich: -Fra Mariano bewirbt sich doch nicht um jeden von uns, sondern -um Gwendolin.«</p> - -<p>Danach ging Do zu ihr. Cornelius blieb am Flügel und -träumte wunderliche Fantasien. Jakobus, Salzer und Schaffrath -begaben sich in das Rauchzimmer. Der Doktor schickte -seine Gedanken den blauen Ringen nach. »Die Sache ist<span class="pagenum"><a id="Seite_132">[132]</a></span> -qualvoller für uns als Sie denken, lieber Schaffrath,« sagte -er. »Und was halten Sie davon, Professor?«</p> - -<p>»Je nun, es überfällt Sie ja nicht,« antwortete er. Es war -nicht ohne Spott.</p> - -<p>»Eigentlich nicht,« sagte Jockele, »wir haben es gefürchtet. -Aber Do will es durchaus nicht zum äußersten kommen lassen. -Wenn Metting erst um Gwendolin wirbt, wird sie ihn nicht -abweisen – verlassen Sie sich darauf, und dann ist das Unglück -fertig! Es ist nicht zu glauben, wie erstaunlich die Unordnung -ist, in die sie geraten. Bedenken Sie doch: dies kluge -und aufrechte Mädel!«</p> - -<p>Hm. Es war wirklich eine höchst unangenehme Geschichte.</p> - -<p>Schaffrath konnte sehr undurchsichtig sein; er war es heute -doppelt. Jockele ärgerte sich darüber und sagte: »Richard -Schaffrath, Sie sehen aus wie ein Bräutigam auf dem Wege -von der Kirchtür zum Altar.«</p> - -<p>»Wie sieht denn der aus?«</p> - -<p>»Versteinert.«</p> - -<p>Der Professor prüfte ihn daraufhin. Seit die Herren unter -sich waren, zuckte es ihm unausgesetzt um die Lippen wie -Spott und Schadenfreude … »Und Sie, Professor,« sagte -Jockele, »Sie sehen aus, als sezierten Sie ein Drama von -Maeterlinck.«</p> - -<p>»O nein,« sagte er, »mein Vergnügen ist viel größer.«</p> - -<p>»Es wäre besser, Sie machten sich um uns ein bißchen -nützlich,« scherzte Jockele, aber er sprach nicht ohne Bitterkeit. -Der Schlachtenmaler schritt indes auf dem Teppich hin und -her wie ein Löwe im Käfig. Der Lösung seiner schwierigen -Frage kam er nicht näher. Und die Augen Salzers liefen -funkelnd hinter ihm drein. Endlich lehnte der Professor sich -in seinen Stuhl zurück, faltete die Hände über der Uhrkette und -verfiel in ein ungeheueres Lachen. Jockele stand hilflos am<span class="pagenum"><a id="Seite_133">[133]</a></span> -Tisch, Salzer lachte in einemfort, und Schaffrath tat, als wäre -dieser Ausbruch des Vergnügens eine Selbstverständlichkeit: -er kümmerte sich nicht darum.</p> - -<p>»Zum Teufel,« rief Jockele, »was soll denn das heißen?«</p> - -<p>»Großartig, ach großartig! Es ist eine Komödie! Doktor, -muten Sie mir denn zu, daß ich in einer Komödie sitze wie -ein Ölgötze? Der Schlachtenmaler, hurrjeh, der Schlachtenmaler -hat nämlich den Brief im Sack, mit dem er sich um Gwendolin -bewirbt! Hahahahaha.«</p> - -<p>»Und das nennen Sie Komödie?« platzte Jockele heraus. -»Herr, das ist eine Tragikomödie!«</p> - -<p>»Gibt es nicht,« sagte der Professor. »Eine Geschichte -endet mit unglücklichem Ausgang und ist eine Tragödie. -Oder sie endet mit vergnüglichem Ausgang, dann ist sie eine -Komödie. Oder wollen Sie etwa den Mut aufbringen, einen -Stoff zu gleicher Zeit aus einem ernsten und aus einem lustigen -Gesichtswinkel zu betrachten? Bedenken Sie doch bloß den -Unsinn: ein heiteres Trauerspiel, oder ein trauriges Lustspiel! -Mit der Bezeichnung Tragikomödie hat Plautus ursprünglich -einen Scherz …«</p> - -<p>»Himmeldonnerwetter!« schrie der Doktor, »ist denn die -Welt aus den Fugen? Und was gehen uns augenblicklich -Plautussen seine Witze an?«</p> - -<p>»Dieses aber ist eine Komödie,« dozierte der Professor weiter; -»denn warum? Ich betrachte sie aus dem vergnügten Gesichtswinkel -des Weisen mit der himmlischen Liebe.« Salzer -hatte heimlich auf den Klingelknopf gedrückt, der Diener trat -herein. »Fritz, bringen Sie eine Flasche Johannisberger -Schloßberg 1878,« befahl der Professor. Und Richard Schaffrath -ging hin und her, als ginge ihn alles Lebendige nichts -an. Dann aber setzte ihn Salzer neben sich an den Tisch, und -sie tranken Johannisberger Schloßberg. Da fand der Schlachtenmaler<span class="pagenum"><a id="Seite_134">[134]</a></span> -seine Sprache wieder, und mit Gwendolins Worten -sagte er: »Liebe Schwester Do, was soll ich denn nun tun?«</p> - -<p>»Mir scheint allerdings, als wäre das eine Sache für Frauen,« -sagte Jockele ratlos.</p> - -<p>»Je,« wunderte sich der Professor, »als Sie noch ›Jockele -und die Mädchen‹ spielten, sind Sie nach allem, was man weiß, -beherzter gewesen.«</p> - -<p>»Ja,« bekannte Jockele und verfärbte sich in blutrotem -Erinnern, »aber die Gwendolin kann einen mörderlich aufsitzen -lassen!«</p> - -<p>Darüber fiel der Schlachtenmaler vollends ins Dasein -zurück. »Es ist eine peinliche Sache.«</p> - -<p>»Ach wo!« sagte der Professor, »sehen Sie, meine Herren, -so denk' ich mir das Spiel zwischen schönen Mädchen immer; -denn an einem schönen Mädchen hängen die Augen vieler; -und die schönen Mädel – na, ich weiß nicht, ob die nur immer -so geradeaus gucken! Wissen Sie, was ich machen würde? -Ich riefe den Diener Fritz und ließe der Gwendolin mein -Bewerbungsschreiben um die freigewordene Wohnung augenblicklich -überbringen.«</p> - -<p>»Ich aber werde den Diener Fritz rufen und augenblicklich -meine Koffer packen lassen,« sagte Jockele.</p> - -<p>»Doktor,« gebot Salzer, »machen Sie keine Späße!«</p> - -<p>»Wollen Sie die Gwendolin denn ganz zerreißen?«</p> - -<p>»Nun, es ist eine Gewaltkur,« sagte der Professor. »Vor -reichlich drei Wochen haben wir uns die Sache in meiner -Turmstube ausgedacht. Aber – ist denn der steinerne Ritter -Schaffrath zu einem Worte zu bewegen gewesen?«</p> - -<p>»Die Würze des Lebens ist in solchen Dingen ahnungslos -wie der Sommerhimmel,« sagte Schaffrath.</p> - -<p>»Warum sind Sie denn dann zu mir gekommen? Und<span class="pagenum"><a id="Seite_135">[135]</a></span> -was hab' ich Ihnen gesagt? Schämen Sie sich, Schaffrath, -so ein großer, schöner, tüchtiger Mensch …«</p> - -<p>»Als ob's bei den Mädchen darauf ankäme!« lächelte -Schaffrath bitter, »hieß es nicht, Gwendolin hätte sich versprochen -mit Henrik Tofte? Hieß es nicht, sie wäre heimlich -verlobt mit dem Grafen Metting? Wollen Sie mich denn vor -Gwendolin und der Welt zum Narren machen, indem Sie –«</p> - -<p>»… mich auf das zwiefach verhürdete Schäflein loslassen!« -vollendete der Professor die Rede des Schlachtenmalers. -Er konnte sich nicht helfen – für ihn war dieser Zusammenstoß -der Ereignisse ein Quell erschütternder Heiterkeit. »Ich -begreife nicht, warum Sie nicht lachen, meine Herren! So -helfen Sie mir doch – lachen wir, daß die Wände wackeln -und in den Gemächern der Damen –«</p> - -<p>»Hab' ich nicht gesagt: die Würze des Lebens ist ahnungslos -wie der Sommerhimmel?« fragte Schaffrath. Darüber -bekam Jockele das Laufen und stampfte nun seinerseits über -den Teppich. Er rang mit beidem: mit dem Lachen und mit -der Verzweiflung. Salzer aber begann ein Examen. »Ist -Gwendolin verlobt?«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>»Ist sie verliebt?«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>»Würde sie den Grafen Metting heiraten?«</p> - -<p>»Wahrscheinlich.«</p> - -<p>»Würde sie Henrik Toften nehmen, wenn er heute um sie -anhielte?«</p> - -<p>»Möglich.«</p> - -<p>»Na also,« wandte sich Salzer an Richard Schaffrath, -»was steht Ihnen denn im Wege? Ein Vielleicht und ein -Möglich! Und vor diesen beiden windigen Gespenstern -fürchten Sie sich, Sie Ritter ohne Furcht und Tadel?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_136">[136]</a></span></p> - -<p>»Eigentlich hat er recht,« erwog Jockele. »Aber, liebster -Schaffrath, warum haben Sie denn den langen Winter -vor ihr gestanden, als hätten sie ein neunmal gepanzertes -Herz?«</p> - -<p>»Es ist eine Eigentümlichkeit von mir,« sagte Schaffrath.</p> - -<p>»Und Sie, Professor, hätten Sie sich nicht für Ihren Freund -in die Schranken werfen können?«</p> - -<p>»Na, ich bitt' Sie, ich habe doch kein Heiratsbureau!« schrie -Salzer in heller Entrüstung.</p> - -<p>So sprangen sie rings um den toten Punkt und bekamen -das Wirbeln, aber vom Flecke kamen sie nicht.</p> - -<p>»Hier muß etwas geschehen,« sagte der Professor. »Ich -übernehme die Verantwortung!« Er drückte mit fester Hand -auf die Klingel und nahm den Brief vom Tisch …</p> - -<p>»Ich betrete dies Haus drei Wochen nicht mehr!« rief -Schaffrath.</p> - -<p>Aber Salzer befahl: »Fritz, bringen Sie diesen Brief zu -Fräulein Gwendolin Vogelgesang. Sagen Sie: eine Antwort -würde vor Ablauf von drei Wochen nicht erwartet.« Fritz -wiederholte den Befehl und verschwand. Salzer und Schaffrath -verschwanden auch. »Wollen Sie mich nicht mitnehmen?« -fragte Jockele. – »Kommen Sie!«</p> - -<p>So schritten sie hinaus in den stürmischen Abend. Peter -Cornelius aber saß am Flügel und vergaß Zeit und Ewigkeit. -Halb zehn Uhr spielte er immer noch. Da ging Do hinein -zu ihm und sagte: »Möchten Sie nicht mit uns zur Nacht -essen? Es ist zwar schon reichlich über die Stunde, und wir -sind ganz allein …«</p> - -<p>Erich Meyer tat einen harten Fall auf die Erde – was -aber nicht wörtlich zu nehmen ist – und erwachte aus -tiefen Träumen; denn er erfuhr, daß die Herren mittlerweile -im Rauchzimmer ein Gelage gehalten hätten und abhanden<span class="pagenum"><a id="Seite_137">[137]</a></span> -gekommen wären, und daß er seit länger als drei Stunden -am Klavier gesessen.</p> - -<p>Gwendolin war auch im Speisezimmer. »Sehen Sie, -lieber Meyer, das ist Ihre Art, das Leben zu verpassen,« -sagte sie mit einem fröhlichen und einem traurigen Auge. -»Ich glaube, an diesem Punkt begegnen wir uns. Man wird -darüber leicht zu einer komischen Figur, lieber Meyer.«</p> - -<p>»Wohl, wohl,« sagte er, »aber das ist mir ganz egal. Ob -der Mensch glücklich ist, darauf kommt's an! Und darin nehm' -ich es mit ihnen allen auf, seit ich mein Landhaus besitze -und meinen Stutzflügel.«</p> - -<p>»O,« machte Gwendolin, »so ist auch das ins Wasser gefallen! -Ich dachte schon: wenn Sie noch solch ein Ritter von -der traurigen Gestalt wären, könnten wir zwei uns heiraten.«</p> - -<p>»Ja, <em class="gesperrt">wenn</em> ich es wäre!« scherzte Cornelius, »aber jetzt -bin ich ein feiner Herr.«</p> - -<p>»Und ich? Ich wandele mich allgemach zu einem Narren,« -sagte Gwendolin bitter, »aber wofür ist denn Fasching? -Freilich, die Herren haben sich einen sehr schlimmen Spaß -mit mir erlaubt. Doch warum beklag' ich mich darüber?« -Cornelius sah Do an, und er sah Gwendolin an. Und weil die -merkte, Meyer war schuldlos, so begann sie zu erzählen in -herzhaftem Spott gegen sich selbst … »Nun, wenn ich mich -selber nicht mehr verhöhnen könnte, stünde es noch schlimmer -mit mir.«</p> - -<p>Aber Erich Meyer saß fast andächtig dabei.</p> - -<p>»Und da lachen Sie nicht, Cornelius?«</p> - -<p>»Nein,« sagte er, »denn ich warte auf die Geschichte von -dem schlimmen Spaß.«</p> - -<p>»Mensch, die hab' ich Ihnen ja soeben haarklein erzählt!«</p> - -<p>»Ach so,« staunte Meyer, »und das nennen Sie Spaß?« -Do begann zu begreifen. »Ein Spaß ist das ganz und gar<span class="pagenum"><a id="Seite_138">[138]</a></span> -nicht, Fräulein Gwendolin; denn der Brief Schaffraths ist -schon seit drei Wochen geschrieben, nämlich: der Schlachtenmaler -liebt Sie bis zur Selbstverlorenheit.« Und Peter -Cornelius setzte neckisch hinzu: »Sehen Sie, darum hab' ich -vorhin Ihrer freundlichen Aufforderung, Sie zu heiraten, -nicht gleich Folge geleistet.«</p> - -<p>Es kam nun eine Stille – die Uhrenpendel hörte man -darin schlagen und die Herzen. Do aber legte die Gabel fort -und faltete ihre beiden Hände im Schoße … »Sturmschwalben, -Sturmschwalben, wo nehmt ihr den Mut zum Leben her?« -Die Uhren tickten wieder und die Herzen. Gwendolin war -aufgestanden und hinter Frau Dos Stuhl getreten. Sie -neigte die Stirn auf Dos Schulter und umfaßte sie und sagte: -»Ist es nicht gräßlich mit mir, Do? Die erste tiefe Liebe, die -mir begegnet, halt' ich für einen schlimmen Spaß … Ist -es nicht gräßlich?« Und Gwendolin weinte bitterlich.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Wäre diese Geschichte nicht wahr, sondern ein Roman, so -würde es nun weiter heißen: »Drei Wochen später wurde -die Verlobung mit großer Pracht gefeiert.« Dem war aber -nicht so; denn als man Verlobung feierte, war man nur selbdritt -beieinander: Gwendolin und Richard und eine zeitlose -Frühlingsnacht, die lag so schmeichelnd, veilchenduftig und -sammetschwarz über dem Weimarer Park, daß sie James -King kurz und bündig »lächerlich« genannt hätte. Und wenn -etwa einer nachträglich kommt und erzählt: es wäre bei Sinsheimers -im Haus am Horn gewesen, und es hätte eine große -Aufmachung von Licht, Kuchen, Wein und Musik gegeben, so -ist das einfach nicht wahr. Sondern: wenn man von Goethes -Gartenhause den Wiesenweg nach der Ilm geht und an der -Ilm links weiter, so kommt man nach zweihundert Schritten -an einen Wildapfelbaum mit tief herabhängenden Ästen.<span class="pagenum"><a id="Seite_139">[139]</a></span> -Unter dem Apfelbaume steht eine Bank. Auf dieser Bank -war es. Und es gab weder Kuchen noch Wein noch große -Festmusik, bloß Lieder ohne Worte und Süßigkeiten … -Ferner: es war auch gar nicht drei Wochen später; denn -Richard Schaffrath war ja schon beim nächsten musikalischen -Tee wieder bei Sinsheimers, es war da sehr fein, und ein -Narr wäre gewesen, wer behauptet hätte: am Donnerstag -zuvor hätte Gwendolin Frau Do ihren heißen Schmerz auf -die Achsel geweint und hätte gesagt: mit ihr wäre es gräßlich. -Nein, nein. Die Geschichte unter dem Apfelbaum geschah in -Wahrheit am darauffolgenden Samstag, abends von neun -bis elf Uhr; und zwischen dort und jenem Donnerstag im Leid -lagen zweimal die hundertneununddreißig Stufen der Weimarer -Hofkirche am alten Friedhof, die Gwendolin zu dem -Herrn Professor Salzer emporgestiegen war. Daraus ist -zu ersehen, daß es sich für sie um einen ernsten und wichtigen -Fall handelte; denn weder wegen James King noch wegen -Mister Johnny, noch wegen Henrik Tofte hatte sie einen Fuß -gerührt – des Jockele und des Unbekannten aus dem Ettersburger -Zwetschengarten gar nicht zu gedenken! Fra Mariano -aber stand in der Mitte zwischen Richard Schaffrath und der -langen Reihe, von der ihr jeder den Jungfernkranz winden -lassen wollte; denn wegen Fra Mariano war sie wenigstens -in ihre Zimmer gestiegen, und Fra Mariano muß hier erwähnt -werden, weil er schon auf dem Weg unter den Wildapfelbaum -war und zu dem Fest als ungeladener Gast kam … Aber es -war sehr finster im Park, und es sind viele Bänke dort; nach -der richtigen mußte er erst eine Weile suchen. Er war noch -an kein Vorhaben mit gleicher Unentwegtheit herangetreten; -denn er wollte diesen Porträtmaler auf frischer Tat ertappen.</p> -</div> - -<p>Es ist auch nicht bei der Wahrheit geblieben, wenn man -wissen will: Gwendolin wäre in tiefer Zerknirschung und mit<span class="pagenum"><a id="Seite_140">[140]</a></span> -vom Weinen geröteten Augen unter dem Apfelbaum erschienen; -denn zweimal hundertneununddreißig Turmstufen -sind so lang wie zweimal hundertneununddreißig Jahre. -Und Gwendolin, die weitoffene und gescheite Gwendolin, -war viel zu ehrlich, als daß sie aus ihrem Herzen eine Mördergrube -gemacht hätte. Weitoffen, klar und gescheit stieg sie -gleich am Freitag früh nach dem verweinten Donnerstag -zu Salzer, dem Turmwart, und sagte: »Ich wollte nur sehen, -ob Sie über Nacht wieder herzugekommen sind.«</p> - -<p>»O ja,« sagte der Professor, »Jockele, Schaffrath und ich -haben bis gegen morgen im Turm einen respektablen Trunk -getan. Aber: wollten Sie wirklich nur nachsehen, ob –?«</p> - -<p>»Sie sind sehr neugierig,« sagte Gwendolin.</p> - -<p>»Das kommt daher, weil ich für den Brief die Verantwortung -übernommen habe.«</p> - -<p>»Es war tapfer von Ihnen,« lobte sie, »mit den jungen -Leuten hat man seine liebe Not.«</p> - -<p>»Ja,« sagte der Professor.</p> - -<p>»Morgen komm' ich noch einmal,« sagte Gwendolin, »ich -möchte da Richard Schaffrath hier sehen. Übernehmen Sie -die Verantwortung?«</p> - -<p>»Ja,« sagte der Professor.</p> - -<p>Am Samstag kam sie erst gegen Abend. Schaffrath aber -hatte schon seit dem frühen Vormittag auf sie gewartet. -»Sie müßten Engelein heißen,« sagte der Professor zu ihm. -Es war Schaffrath sehr bange; denn er dachte: »Dies fixe -wackere Mädchen wird meine Vorsicht als Feigheit ansehen.« -Aber das tat sie nicht; sondern sie sagte sehr milde: »Nun, ich -hätte es mit der Gwendolin wahrscheinlich anders gemacht. Wußten -Sie denn nicht, daß ich in einer großen Gefahr schwebte?«</p> - -<p>»Nein,« sagte er, »Sie konnten es auch für ein großes -Glück halten.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_141">[141]</a></span></p> - -<p>Sie war ans Fenster getreten. Es lag über den Dächern -ein feiner grauer Nebel. Nur die Firste und Schornsteine -guckten oben darüber heraus, und am Himmel gingen verheißungsfroh -die ersten Sterne an. »Der Frühlingsmantel, -den sich die Erde umlegt! Kommen Sie, wir wandern zusammen -hinab ins Tal!«</p> - -<p>»Nein, auf einen hohen Berg.«</p> - -<p>Da gingen sie miteinander. Und nach einer Stunde kamen -sie unter den Wildapfelbaum. Ein ganz dünner Streif -Mond lag nun auf der Ilm als ein silberner Kahn. Darüber -fiel Gwendolin James Kings Gespensterschiff ein, und sie -erzählte dem Manne, der nun neben ihr saß, alle Liebschaften, -die sie gehabt hatte in den acht Jahren, seit ihrem fünfzehnten, -und wie sie umworben worden – von lange vor Jockele bis -zu dem Grafen Metting. »In fast allen Fällen konnte ich -gar nichts dafür – bloß die zwei Sachen in Ettersburg, die -stehen auch mit auf meiner Rechnung. Aber du mußt nun -alles wissen; mein Herz sagt einfach: es ist so in der Ordnung! -Ach du, mein Herz ist ein so natürliche ungefaltetes Ding – -rein zum Bangewerden! Wird dir nun bange davor?«</p> - -<p>»Nein,« sagte er und wunderte sich, daß sie auch für das -Erlebnis mit Henrik Tofte die Verantwortung ablehnte. -Aber er redete nicht davon.</p> - -<p>Da zog Fra Mariano des Weges. Er hatte sich in seinen -Sommerüberzieher verkrochen und den Kragen hochgeschlagen -und trug den Gehstock steil in der Rocktasche. Weil -er am Apfelbaum so kecklich vor sich hinhüstelte, sagte Gwendolin: -»Wenn Sie Lust haben, sich ein wenig zu uns zu setzen, -Graf Metting – es steht Ihnen ganz und gar nichts im Wege.«</p> - -<p>Es war zu merken: die da sprach, war die alte Gwendolin. -Von ihr hat einer gesagt: sie hätte Stunden, in denen sie -den lieben Gott besiegen könnte. Ja, so war das mit ihr.<span class="pagenum"><a id="Seite_142">[142]</a></span> -Metting hatte vorgehabt, den Überraschten zu spielen und -beide zur Rechenschaft zu ziehen, aber »zu spielen« brauchte -er nun nicht; denn das hier war keine Komödie – das war -das Leben selber und forderte ihn auf den Plan. Und davor -stand er, und wußte nicht, was er sagen sollte. Er setzte sich -auf die Bank, rechts neben Gwendolin, und verkroch sich noch -tiefer in seinen Überrock.</p> - -<p>»Nun?« fragte sie, »was halten Sie von diesem Tatbestande, -Graf?«</p> - -<p>»Eins der vielen Abenteuer der Herzogin von Urbino,« -sagte er sehr zugeknöpft. Er hätte sagen können, was er wollte -– sie faßte ihn sofort am Schopfe und beutelte ihn … was -wiederum nicht wörtlich zu nehmen ist.</p> - -<p>»Ich weiß im Augenblick nicht, ob die Herzogin von Urbino -Abenteuer suchte in dem Sinne, in dem Sie das meinen, -lieber Graf. Aber das sag' ich Ihnen: durch die Ungewißheit -ihres Schicksal ist jede Frau von ihrem sechzehnten Lebensjahr -ab eine Abenteurerin …«</p> - -<p>»Ha, es wäre schlimm!« unterbrach sie Metting.</p> - -<p>»… nicht in ihren Taten, sondern in ihren Träumen! -Sie läßt ihre Träume vom Leben ausfliegen wie Noah den -Raben oder die Taube aus dem Kasten: sie finden nicht, -da ihr Fuß ruhen kann. Aber einer bringt den Ölzweig. -Und danach ist es gemeinhin vorbei mit dem abenteuerlichen -Flug über den wogenden Wassern. Sehen Sie, so -mein' ich das.«</p> - -<p>»Nicht übel,« sagte er, »und recht spitzfindig ausgedacht. -Nun, Frauen sind um eine Entschuldigung niemals verlegen.«</p> - -<p>»Männer auch nicht,« sagte sie. »Aber ich habe gar nicht -das Bedürfnis, mich vor Ihnen zu entschuldigen; sondern -die Dinge liegen einfach so: in dem Augenblick, in dem auch -mein <em class="gesperrt">Herz</em> in die Lage kam, zu wählen zwischen Richard<span class="pagenum"><a id="Seite_143">[143]</a></span> -Schaffrath und dem Grafen Metting, entschied ich mich für -Richard. Wir haben uns in der vorigen Stunde verlobt.«</p> - -<p>»Hoh!«</p> - -<p>»Ja. Die Liebe ist ein Geist; sie kann nicht reden, eh' ihr -nicht ein Wort oder Zeichen gegeben wird. Die Liebe ist ein -Geist; aber dieser Geist wird erlöst, wenn er weiß, man verlangt -nach ihm.«</p> - -<p>»Nun, ich habe Ihnen Zeichen genug gegeben, Gwendolin.«</p> - -<p>»Aber als der andere die Sprache fand, blieb mir keine -Wahl: mein Herz flog ihm in Seligkeit nach.«</p> - -<p>»Hm. Dann wäre wohl meine Aufgabe unter diesem Baum -erfüllt?«</p> - -<p>»Ich glaube es,« sagte Gwendolin.</p> - -<p>»Gute Nacht.«</p> - -<p>Fra Mariano versickerte in der Finsternis.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Von den Türmen schlug es Elf, als Richard und Gwendolin -unter den hohen Birken des Philosophenwegs hervortraten -und nach dem Horn einbogen. Sie hatten keine Eile und -sprachen leise. Auf der Höhe des Goethegartens sahen sie: -bei Sinsheimers war noch das ganze Haus hell. Da wunderten -sie sich. Es rasselte auch ein Wagen durch die Stille der Straße -davon. Sollte Fra Mariano –?</p> -</div> - -<p>Als Schaffrath sie verlassen und Gwendolin hineinkam, -fragte sie den Diener. »Herr Meyer ist da«, sagte der, »und -eine Dame: Fräulein Kordula Gunkel aus Rom. Fräulein -Gunkel hat sich durch ein Telegramm angemeldet und ist vor -kaum fünf Minuten angelangt.« Man hörte durch die Türen -lachen, und Gwendolin funkelte in die erste Freude des Wiedersehens.</p> - -<p>»Lieber Meyer, wissen Sie, daß die dunkle Kordula eminent -musikalisch ist?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_144">[144]</a></span></p> - -<p>»Ja,« sagte er, »Sie selbst haben es mir erzählt, aus der -Geschichte der Sturmschwalben.«</p> - -<p>»Und wißt ihr, Kinder, daß ich mich verlobt habe?«</p> - -<p>Da rissen sie Gwendolin der Reihe nach an ihr Herz – zuerst -Jockele. »Er tut das immer sehr ausgiebig,« sagte Do. -»Ja,« erklärte Cornelius, »man kann da mittlerweile eine -Partie Schach spielen oder Beethovens Neunte.« Dann -kamen Do und Fräulein Gunkel an die Reihe. »Na, lieber -Meyer?« jauchzte Gwendolin. Und weil er beschaulich am -Flügel lehnte und Miene machte zu einem sanften Handkusse, -griff sie ihn auf und wirbelte ihn ein paarmal herum. »Die -Liebe ist ein Geist – sie muß durch ein Zeichen erlöst werden!« -rief sie. Cornelius ward von diesem Überfall reichlich betört; -und als sie ihn wieder freigegeben hatte, war er blutrot geworden -und gestand: »Jetzt hab' ich den ersten Kuß von einer -Dame bekommen! … Sie auch?« wandte er sich an Jockele.</p> - -<p>»Ich – –? – Ja, natürlich.«</p> - -<p>Darüber gerieten sie noch mehr in Lustigkeit. Erich Meyer -aber hatte einen großen Tag und durfte hinausgehen und -Wein kommen lassen, ganz nach seiner Wahl. Da entschied -er sich für Sekt; denn Sekt hatte er in diesem Hause zum ersten -Male getrunken, und Sekt stand obenan in der Reihe seiner -unvergeßlichen Erlebnisse. Dann sanken sie in die braunen -Ledersessel, und es war herzhaft und aufgetan wie in der -Mädchenzeit.</p> - -<p>Die Standuhr schlug die Mitternacht. Da horchten sie hin; -denn es war ein schöner, weicher Klang und voller Andacht. -»So ist es, wenn Kordula Gunkel zur Laute singt,« sagte -Gwendolin und dachte an die Abende im Fjord. Sie dachte -auch an Henrik Tofte; aber sie wollte nicht nach ihm fragen. -War die dunkle Kordula damals nicht mit heimlichen Hoffnungen -nach Rom gezogen? »Jede Frau ist eine Abenteurerin<span class="pagenum"><a id="Seite_145">[145]</a></span> -von ihrem sechzehnten Jahr ab.« Der Gedanke, den Gwendolin -vor zwei Stunden dem Grafen Metting gegenüber ausgesprochen -hatte, stand nun neben den vielen Lichtern, die in -dieser Nacht ihre Seele hell machten, und sie fragte: »Kordula, -warum bist du heute in unser Haus gekommen?«</p> - -<p>»Daran ist dein glückseliger Brief schuld, Gwendolin.«</p> - -<p>»Du, den hab' ich doch in der Woche vor Weihnachten -geschrieben!«</p> - -<p>»Jawohl,« sagte Kordula, »und es fehlte nicht viel, ich -wäre gleich damals zu euch gekommen. Er war ein Stern -in tiefer Finsternis. Ich habe nicht wieder geschrieben – nun -ja, ich habe gewartet, bis ich meiner Sehnsucht nachfahren -könnte …«</p> - -<p>»Na, und Tofte?« fragte Jockele, »ist denn der nicht das -große Licht in der Finsternis geworden?«</p> - -<p>»Ja und nein,« sagte Kordula. »Ich war schon seit langem -wandermüde, aber jetzt bin ich's doppelt. Gwendolin hat -mir so strahlend vom Leben in diesem Haus erzählt, und das -hübscheste war der Abschnitt ›Jockele und seine Frau‹. Seht, -ich komm' auch aus einem solchen Hause! Als meine Eltern -kurz hintereinander starben, wurde ich mit dem Haus abgefunden, -mein Bruder empfing bares Geld, er ist Arzt in -Bingen, und ich saß nun in Göttingen, und es kam mir vor, -als wollte mich das Leben dort sitzen lassen. Da verkaufte -ich meine steinerne Einsamkeit, kam nach Weimar und wurde -Kordula mit der Laute. So lebt' ich mich zwei Jahre durchs -Dasein. Ich ging an den düsteren Songefjord und ließ die -traumhafte Herrlichkeit an meiner Seele abfärben. Als ich -zu euch in den Hardanger Fjord geriet, da hatt' ich Heißhunger -nach Sonne. Gwendolin hatte mir geschrieben: -›Wo Jockele und Do sind, da ist die Sonne.‹ Die Insel der -Auferstehung lockte mich, dort wollt' ich mein Ostern feiern.<span class="pagenum"><a id="Seite_146">[146]</a></span> -Und als ich eintraf, hatte Rolf Krake die Kugel in die Sonne -geschossen. Ich kam zu spät – aber ich kam zu rechter Zeit -nach Rom. Da fand ich Henrik Tofte. Er hatte einige Wochen -mit Mister Johnny in dem deutschen Gasthause ›Zur Post‹ -zu Mittag gegessen. Mister Johnny war noch dort, aber es -hatte Auseinandersetzungen zwischen beiden gegeben, und -nun begegneten sie einander mit stummem Gruß, und -Henrik speiste nicht mehr in der Post. Er speiste überhaupt -nicht mehr – so schien's. Künstler, die ihn kannten, erzählten, -er triebe sich in kleinen italienischen Weinhäusern herum; -und einer wollte wissen: Henrik Tofte wäre Gepäckträger, -und wenn ich ihn suchte – draußen am Bahnhofe könnt' -ich ihn treffen. ›Großer Gott,‹ sagte ich, ›dieser Henrik -Tofte ist ja aber ein Genie!‹ Da lachte man mich aus – Genies -gäb's auf dem heißen Pflaster Roms massenhaft, aber die -meisten bekämen das Fieber … Ich ließ also meine Reisetasche -im Handgepäckschalter niederlegen, und tags darauf -ging ich vor der Ankunft des Berliner <em class="antiqua">D</em>-Zugs zum Bahnhofe. -Den Längsten unter den Gepäckträgern ersah ich mir. Er -war blond und reckenhaft wie ein Skalde und trug die rote -Mütze der Facchini. ›Wie heißen Sie?‹ fragte ich ihn auf -norwegisch. Da zuckte er zusammen und schlug die Augen -nieder. ›Tofte.‹ – ›So besorgen Sie mir die Tasche auf -diesen Gepäckschein nach Via Gregoriana Nummer 5.‹ Auf -meinem Zimmer in der Gregoriana hab' ich dann versucht, -ihn instandzusetzen. Kinder, diese Geschichte hättet ihr erleben -sollen! Eine Wohnung hatte er nicht. Aber Angelina Fabbro, -die Witwe eines Postschaffners, bei der ich wohnte, hatte -eine große Küche. Sie war sehr einsam, sehr faul und sagte, -sie trauerte sich um ihren Emilio einen grauen Kopf. Angelina -Fabbro ist sechsunddreißig Jahre … Nun: Kordula -Gunkel stattete Henrik Toften aus, bis er wieder manierlich<span class="pagenum"><a id="Seite_147">[147]</a></span> -war an seinem langen Leibe. Schön und manierlich; aber -Angelina liebte ihn, und er liebte sie. Sie ist rund an allen -Enden, sie ist zierlich, und sie hat das Herz einer Römerin. -Und Angelinas Küche ist groß, kühl und heimelig, wenn die -grünen Sparrenläden vor den Fenstern liegen. In dieser -Küche schliefen sie, in dieser Küche liebten sie einander und -waren faul, wie man nur in Rom faul sein kann. Angelina -Fabbro vermietet ihre Zimmer, hat ein kleines Witwengeld -und führt ein gutes Regiment im Hause. Als ich mir über -dies alles klar war, zog ich aus …«</p> - -<p>»Römische Schlendertage!« sagte Jockele. »Die Geschichte -ist zu Ende.« Er klang sein Glas gegen das Glas Kordulas, -und seine Stimme war von frohem Klang; denn es war zu -sehen: Kordula Gunkel erzählte nicht aus schmerzlichem Verzicht. -»Die Geschichte ist zu Ende!«</p> - -<p>»Nein, ich möchte sagen: sie geht erst los.«</p> - -<p>»Sekt, Sekt, Cornelius!« mahnte Gwendolin, »Herrgott, -Sie sind sich ja abhanden gekommen!«</p> - -<p>»Ich finde so was furchtbar interessant, Fräulein Gwendolin« -– das war Erich Meyers Erwachen – »denken Sie mal: -Rom, Angelina Fabbro, rund an allen Ecken …« Cornelius -merkte den lustigen Streich gar nicht, den ihm die gespitzten -Lippen spielten … »wenn ich daran denke … nun: eigentlich -dumm scheint Henrik Tofte nicht zu sein. Und diese famose -Geschichte geht noch weiter, Fräulein Kordula?« Erich Meyer -rieb sich die Hände. Dann goß er Kordula das Glas voll -Sekt, ihr ganz allein. »Er will verhüten, daß dir die Lippen -trocken werden,« bemerkte Gwendolin.</p> - -<p>Ach ja, Cornelius war zum Ergötzen! Denn nun sprang er -hinaus an den Flügel und griff leise, gebrochene Akkorde, -wie aus einer Harfe, ehe das erwartete Lied ertönt … Und -Kordula Gunkel sprach:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_148">[148]</a></span></p> - -<p>»Ich kann nicht sagen, daß ich darüber traurig geworden -wäre. O nein, Henrik Tofte ist nicht ein Mensch, vor dem man -so leicht traurig werden kann – höchstens ein bißchen wehmütig -wird einem ums Herz, wenn man sieht, wie diese Fülle -glänzender Gaben in den Staub fällt …«</p> - -<p>Gwendolin sprang ihr mitten hinein in die Rede: »Das -macht, man kann keinen Glauben an ihn aufbringen, nicht -einmal den Glauben daran, daß seine unerhörten Gaben -im Staube liegen bleiben könnten.«</p> - -<p>»Ja, so ist es wohl mit ihm,« sagte Kordula, »denn als ich -damals in Rom hinaus zum Bahnhofe ging und dachte: -›Nun sollst du diesen schönen und bedeutenden Menschen an -der Ecke stehen sehen als einen Paria des Lebens,‹ da war mir, -als hätte der Blitz in mein Herz geschlagen. Aber hernach? -Es war eine fast gleichgültige Begegnung und war kaum -anders, als wenn ich den Dienstmann Nummer 17 einen -Weg schickte.«</p> - -<p>Gwendolin hatte noch keinem Erzähler mit tieferer Hingabe -gelauscht. Es war ihr – und so war es auch Do und -Jockele – als reiche ihr nun das Leben die Bestätigung ihrer -Klugheit von einst. Und sie sagte: »Das ist der Schadenersatz, -den das ›Schicksal‹ dem Henrik gewährt für das, was es ihm -vorenthält: man kann kein Mitleid mit ihm haben! Deshalb -ist es ihm versagt, andere unglücklich an ihm zu machen. -In dem Augenblick, in dem er auch das noch fertigbringt, wird -er zum ersten Male an sich selber unglücklich sein.«</p> - -<p>»Du kennst ihn sehr gut,« sagte Kordula; »denn als ich aus -der Gregoriana fortgezogen war und in der Via Parma wohnte, -war es mir, als wär' ich einem finsteren Verhängnis entronnen: -ich war seit dem Tode meiner Eltern nicht mehr frohherzig -gewesen, nun aber war ich's wieder. Es war zwar ein wunderliches -Vergnügen, dem ich mich hingab, aber es war doch eins:<span class="pagenum"><a id="Seite_149">[149]</a></span> -ich baute mir in Gedanken das Leben Henrik Toftes aus den -Stücken zusammen, die von ihm in der Welt herumlagen. -Kinder, was wurde da für eine barocke Unmöglichkeit daraus! -Alle Narrheit und Weisheit, alles Licht und alle Finsternis, -aller Ernst und alle Kindsköpfigkeit, die je aus den Gedanken -des großen Weltenbaumeisters hervorgegangen sind, hat -er in diesen Überschwung hineingepaßt, der nun Henrik -Tofte heißt! … Neugierig ging ich nach ein paar Wochen -durch die Gregoriana – da war drunten am Torstein des -Hauses Nummer 5 ein Schild in vier Sprachen angebracht: -›Institut für schwedische Heilgymnastik und Massage von -Henrik Tofte.‹« …</p> - -<p>Die Standuhr schlug Eins. Sie schlug in die verblüffte Stille, -die genau so lang war wie der Uhrenschlag. Dann brach das -Lachen los.</p> - -<p>Frau Do aber ging hinaus und kam nicht wieder.</p> - -<p>So drängte sich das Leben mit Ungestüm im Haus am Horn. -»Das Dasein hat um Jockele und Frau Do ein ganz anderes -Gesicht wie um andere,« bemerkte Cornelius mit einem Aufgebot -von Wichtigkeit. Sie saßen in dieser Frühlingsnacht, -bis der Morgen heimlich an die Fenster klopfte, und waren -doch nur vier junge Menschen, die sich nicht einmal von anregendem -Trunke locken ließen. Dann verfielen sie in ein -lustiges Raten, woher das käme. »Es ist die Nachbarschaft -Goethes,« sagte Jockele, und er hielt eine schöne Rede. Daran -war zu merken, daß er vor der peinlichen Frage: »Was -wissen Sie von Goethe?« längst nicht mehr zag zu sein brauchte. -»Wer in Weimar lebt, hat die Pflicht, in jeder Woche einmal -nachdenklich daran zu werden, daß Weimar das Herz der -Welt ist – diese Erkenntnis wirkt auf die Seele wie ein Sonnenbad -auf den Körper.«</p> - -<p>»Alle Sinne werden wach, wenn man in das Reich der Frau<span class="pagenum"><a id="Seite_150">[150]</a></span> -Do tritt,« sagte Cornelius – »was ich bin und habe, dank' ich -ihr allein,« setzte er hinzu. Er hatte leuchtende Augen. Und -Kordula Gunkel war auf die Schwelle des Musikzimmers -getreten und ließ ihre Blicke wandern. Es hingen da schöne -und wuchtige Gemälde an den Wänden: der Folgefond, -wie er sich spiegelte in den dunklen Wassern des Hardangerfjords -– von Henrik Tofte. Es war ein königliches Bild. -Es hing an der Wand im Speisezimmer der Skjoldefoß mit -der Sägemühle – auch von Henrik Tofte. Groß und gewaltig -in Farben und Auffassung. Es waren da Bilder von -Gwendolin aus den Schären und Holmen; dann die Insel -der Auferstehung, und der Anger im Walde von Ettersburg, -den sie damals gemalt hatte, als Jockele vor ihr erkennen -wollte, wie viel weniger er könnte. Und über den Flügel -hin, als das einzige an dieser Wand, war ein Kopf Beethovens, -gemalt von Richard Schaffrath – stark und tiefbeseelt hingestrichen, -ward er zu einem Erlebnis.</p> - -<p>O ja, es atmeten in diesem Hause Tat, Kraft und Wille -zu Leben und Schönheit. Und Kordula Gunkel hatte nun fünf -Jahre an sich vorüberstreichen sehen, fünf Jahre voller Dinge, -die außer ihr lagen wie ein Film. Das Herz war ihr müde -daran geworden und das Auge flimmrig. Darum lehnte -nun Kordula an dem Pfosten der Tür und sagte: »Es ist -schön und wunderbar – es ist ein Märchen.« Gwendolin -aber schenkte die Reste des Sekts aus den Flaschen in ihr Glas -und setzte sich samt dem Glas mit dem schäumenden Mützlein -an die Spitze eines Zuges; denn die anderen marschierten -hinter ihr drein und legten einander die Hände auf die Hüften. -So schritten sie hinaus in das Zwielicht des Vorgartens. Die -Luft war weich und voller Verheißungen; die Tulpen stiegen -aus dem Rasen. So kamen sie bis vor den Erker mit dem -grünen Kupferdach, der aus der Stirnseite des Hauses springt.<span class="pagenum"><a id="Seite_151">[151]</a></span> -Und Gwendolin hob das Glas und rief: »Schön und wunderbar -bist du, du Reich der goldenen Do! Wunderbar bist -du und schön wie ein Märchen, du Märchenhaus!« Und sie -warf das Glas gegen den Stein, daß es jauchzend zersprang.</p> - -<p>Da hatte das Haus den Namen, den es seit jener Stunde -in der Stadt trägt und im Reiche und darüber hinaus; denn -wo Do und Jockele regieren als König und Königin, das -weiß die Welt.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Aber der irrt sich, der da meint: nun wäre die Geschichte -alle, und Frau Do hätte doch nicht ganz recht gehabt, -als sie sagte: es wäre bei ihnen immer schrecklich viel los; -denn eine Woche danach – der Frühling brannte zeitlos -gerade sein Eröffnungsfeuerwerk ab – hurra! da hatten -sie im Märchenhaus ein kleines Mädchen. Das kleine Ding -hatte es nicht erwarten können! Kunststück – wenn in der -Welt an jedem Baum ein grüner Zettel angeschlagen ist: -»Heute Einzug Sr. Kgl. Hoheit des Frühlings!« und wenn -die bunten Fähnlein um alle Steine wehen und über dem -Rasen flattern – ha, Kunststück! Und so war sie denn gekommen. -Gwendolin, die als die einzige dabei war – denn Jockele -rasselte in einem gefährlich fixen Auto durch die Stadt, und -sein überfallenes Herz schrie um Hilfe – die Allerwelts-Gwendolin -sagte hernach: »Du hättest dich gar nicht zu eilen -brauchen, die Erbprinzessin sprang so vergnügt in die Welt – -es fehlte bloß noch, daß sie heidi! rief.« Damit gab sie auch -Dos Kindlein den Namen – in diesem Falle warf sie aber -kein Sektglas nach ihm. Sondern das war ein lustiger Zufall; -und es lag in diesem Namen ein so köstliches Befreien von -der Überrumplung, die sich die kleine Heidi geleistet hatte. -– Eine ähnliche Sache hatte sie sich auch für späterhin vorbehalten,<span class="pagenum"><a id="Seite_152">[152]</a></span> -als sie die Buschgroßmutter besuchen ging … Das -war ein sehr aufregendes Unternehmen.</p> -</div> - -<p>So war Heidi das Frühlingskind das wichtigste Ereignis -seit der Taufe des Märchenhauses. Die ruhevolle Kordula -Gunkel erklärte: »Es ist nicht nur ungeheuer viel los bei euch, -nein, die Tage schießen in Kopfstürzen über eure Stiegen.« -Und damit hatte sie recht. Um so mehr wunderte sie sich, daß -von einem Jahrmarktsrummel in diesem Hause beim besten -Willen nicht geredet werden konnte; denn es wohnte besinnliche -und gesammelte Freude am Dasein darin; und die ist -immer leise – zum Unterschiede vom Haus mit der Harfe, -wo man zu den Fenstern heraussang, und wo der Knabe -mit der roten Zipfelmütze sogar an einem Wintertage mit -verbürgten 17 Grad Kälte vorm Gartentore an seinen Liedern -in die Luft kletterte.</p> - -<p>Der ganze römische Winter war für Kordula nicht so voller -Ereignisse gewesen wie die erste Woche im Märchenhaus: -Gwendolin verlobte sich; Jockele arbeitete mit geheimnisvoller -Hingabe an seinem Werk über die Flechten – so hieß -es. Dann aber stellte sich's heraus: er hatte einen Roman begonnen. -Man riet sich über dem Titel und über seinem Stoff -leuchtende Augen und Herzen und riet daneben. An den -Abenden fehlte zwar die Märchenkönigin Do; aber Cornelius, -Schaffrath und der Professor Salzer waren dreimal da, und man -sprach von der Nachbarschaft. Es gab für die Leute im Märchenhause -nur einen Nachbar: Goethe. Man brauchte ja bloß -zum Fenster hinauszulugen, da blinzelte das heimelige -Schindeldach durch Busch und Hecken … An einem dieser -Abende war auch Erika Flucht da; denn auf den Spuren der -endgültigen Fassung des »Faust«, die Goethe im benachbarten -Gartenhang vergraben haben sollte, erschien mit jedem -jungen Jahr, sobald die ersten Lerchen schwirrten, dies<span class="pagenum"><a id="Seite_153">[153]</a></span> -Mädchen schön und wunderbar. Kordula wußte aus dem -Jockelebuch, was es damit für eine Bewandtnis hatte. Und -Fräulein Flucht war noch immer nett und so überzeugt von -ihrer literarischen Sendung wie vor Jahren. Die kluge Do -aber blieb diesmal für sie verschollen. Dagegen fand Erika -Flucht in Salzer einen geistvollen und launigen Zweifler. -An ihrer Unentwegtheit änderte das nichts. Aber die Menschen -im Märchenhause waren so, daß auch das Mädchen aus der -Fremde ein Ereignis unverkümmerter Freude blieb. – Dann -wachten die grünen Wasserfrösche auf, die Jockele noch am -letzten sonnigen Herbsttag in Belvedere gefangen und in -seinem Gartenteich angesiedelt hatte. Alle Bewohner und -Freunde des Hauses versammelten sich dazu. Nur Jockele -war nicht mehr so bei der Sache wie am Karauschenteich in -Norwegen – nun ja, es gab in dieser Woche für ihn mancherlei -Ablenkung. Aber es half ihm nichts: der ansehnliche Stoß -Papier, den er den Froschlurchen zuliebe vollgeschrieben -hatte in naturforscherischem Bemühen, durfte nicht unter -den Tisch fallen. So nahm er Messungen über den Ernährungszustand -des grünen Teichvolks vor: es war genau so dick in -den fünfmonatigen Winterschlaf gegangen! Er fütterte sie -mit Regenwürmern, sogar kleine Molche ließ er sie vertilgen; -und als sie am dritten Tage Jockeles Schritt auf dem Gartensand -hörten, hüpften sie ihm entgegen und nahmen die Würmer -aus seiner Hand. Nicht zu glauben – und dennoch eine Entdeckung -rührender Intelligenz der grünen Teichmänner, von der -die gesamte Literatur keine Ahnung hatte! Jockele war davon -so überrascht, daß er die wonnevollen Frühlingsmittage dieser -Woche in forschendem Spiel am kleinen Gartenteich verbrachte. -Darüber mußte der Rausch des Dichtens in die Einsamkeit der -Nächte verlegt werden. Und es hätte niemand so leicht davon -erfahren, hätte nicht Kordula Gunkel das Geheimnis erspäht …</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_154">[154]</a></span></p> - -<p>Dies alles fiel in die Woche vor Heidis Sprung in die Welt -– der Gwendolin und ihres Schlachtenmalers gar nicht zu -gedenken! Zu allem: Kordula Gunkel war mit ihren Freuden -seit ihrem Auftauchen im Märchenhause keineswegs bloß -neben die anderen gestellt – nein, nein, die fünf Jahre waren -für sie vorbei, die ihr Augen und Herz flimmrig gemacht hatten, -weil sie immer nur zugucken durfte!</p> - -<p>Daran war Erich Meyer schuld. Auch an dem Hausschlüssel, -den die dunkele Kordula besaß. Jockele hatte ihr verständnisvoll -seinen eigenen gegeben. Es hatte sich nämlich herausgestellt, -daß der blonde Erich mit Eintritt der Dunkelheit -von einer Schaffenslust befallen wurde, die er am Tage nicht -ahnen ließ … Das kann hier nicht verschwiegen werden, -verwahrt sich aber im vorhinein gegen jede lästerliche Deutung; -denn im Grunde genommen war diese Eigentümlichkeit -Meyers im Märchenhause längst bekannt.</p> - -<p>Auf Katersteigen ging er nicht, o nein, er komponierte. -Schon vor Jahren, als er noch im Brückenhause wohnte, -wo das Ilmwehr über seine Einsamkeiten rauschte, hatte -er des Nachts schöpferische Bedrängnisse. Doch in jener Zeit -wußte er sich nicht zu deuten, was nach Leben in ihm rang. -Da mutmaßte er, und er kam auf wunderliche Gedanken. -Aber dann später, im Haus mit der Harfe, wenn die drei -Jungen, die neben seiner Kammer schliefen, sich des Abends -ausgetobt hatten, da hörte er schöne lockende Saiten tönen -über das Herz der Nacht hinweg. Als ihm dies zum ersten -Male geschah, dachte er, es wäre die Leier auf dem Dache, -an der sich der Sommerwind im Wandern vorübergriff. -Da schrieb er auf Notenpapier, was durch seine Seele -zog. Und am Morgen dachte er, er hätte geträumt. Aber -das mit Noten bedichtete Blatt auf dem Tische belehrte ihn -anders.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_155">[155]</a></span></p> - -<p>Seit er im Häuschen im Apfelgarten wohnte, und seit er -den Flügel besaß, wußte er: die Nacht war für ihn die schöpferische -Zeit. Danach richtete er fortan sein Leben: er komponierte -an seiner Märchenoper; oder in einem goldenen Meer -von Tönen badete er sich durch Mitternächte die Seele rein -von dem Staube, der sich über den Klavierstunden am Tage -darauf gelagert hatte. Unterricht gab er nur noch nachmittags -– auch das dankte er Do und dem Märchenhaus.</p> - -<p>Und zuletzt dankte er diesem Hause auch Kordula Gunkel. -Ja, es war Himmel um ihn, Himmel, wohin er griff! Nicht -die Laute war es gewesen, die ihn bestrickt, sondern er hatte -noch nie ein Mädchen gesehen, das den Kranz ihres schwarzen -Haars so fromm um die weiße Stirne trug. Er hatte noch nie -eine so weiche dunkle Frauenstimme gehört, die sich ins Herz -schmeichelte wie diese und die so warm zu ihm sprach. Gleich -am ersten Abend, als Kordula auf der Schwelle stand und einkehrfroh -war, da hatte er an die heilige Cäcilie gedacht. Nun, -eigentlich eine Heilige war Kordula Gunkel nicht. Aber auch -das fand Erich Meyer wunderwunderschön an ihr.</p> - -<p>Kordula merkte schon am dritten Tage, wie das mit ihm -stand. Alle merkten es. Bloß: Erich Meyer wußte nicht, -wie er so etwas machen sollte …</p> - -<p>Einmal ging Kordula mit Gwendolin im Garten spazieren. -Sie sprachen von Erich, und Gwendolin war von einer bedeutenden -Lustigkeit – natürlich ganz heimlich. Da fanden -sie Jo am Froschteich.</p> - -<p>»Er ist bei der Dressur,« sagte Kordula.</p> - -<p>»Jockele,« rief Gwendolin, »du mußt der Kordula deinen -Hausschlüssel geben!«</p> - -<p>Kordula war entrüstet. »Willst du mich hier etwa in ein -verdächtiges Licht setzen? Und meinst du, daß ich Meyern -damit pfeifen soll?« sagte sie leise zu Gwendolin.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_156">[156]</a></span></p> - -<p>»Ja,« sagte die – »so ähnlich; die Liebe ist ein Geist; sie -lernt erst reden, wenn du ihr ein Zeichen gibst.«</p> - -<p>Es ist nicht festgestellt worden, ob die gefährliche Gwendolin -dem Jockele eine Andeutung gemacht hat – der Hausschlüssel -lag gleich danach auf dem Tisch in Kordulas Zimmer.</p> - -<p>Es war zwischen den Mädchen nicht mehr von dieser Sache -gesprochen worden. Aber Kordula dachte darüber nach. -Gwendolins Weisheit von der Abenteurerin fiel ihr ein – die -Gwendolin war doch ein mortsgescheites Mädel!</p> - -<p>In der Dämmerung saß Kordula am geöffneten Fenster -und ließ die hohen Maßholder und die ersten Sterne sacht -über sich aufblühen. Es knirschten Tritte im Wegsand unter -den alten Bäumen. Da steckte Kordula Gunkel den Hausschlüssel -in die Tasche, nahm ein Schultertuch und ging ein -bißchen in den Garten.</p> - -<p>»Sieh da, Herr Meyer! Gehen Sie oft hier ums Märchenhaus -spazieren?«</p> - -<p>»O nein. Ich dachte, vielleicht träfe ich Jo oder Gwendolin -oder sonst einen lieben Menschen. Man hat sich schon so daran -gewöhnt. Früher hab' ich nach niemandem Sehnsucht -gehabt.«</p> - -<p>Kordula blickte ringsum und sah die Kastanien des alten -Schießstands. »Sagen Sie, Herr Meyer, was ist denn eigentlich -da oben? Es ist da eine Reihe so schöner Kastanien.«</p> - -<p>»O,« sagte Meyer, »man kann von da aus recht gut in mein -›Landhaus‹ gelangen, wenn man nämlich durch die Schlüpfe -im Zaune geht, wissen Sie – wo Minchen Herzlieb aus dem -Jockelebuch den blühenden Mandelzweig zwischen den Zinseln -hindurchgesteckt hat, und wo die Kastanie steht, in die Jockele -damals seine Liebe eingeschnitten.«</p> - -<p>»Aha,« sagte Kordula, »wollen Sie mich da nicht einmal -hinführen?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_157">[157]</a></span></p> - -<p>»Wenn es Ihnen nicht zu dunkel wird, Fräulein Kordula?«</p> - -<p>»Ach Unsinn!«</p> - -<p>Da wanderten sie miteinander ein Stück das Horn entlang -und bogen dann rechts in den Pfad zwischen den Gärten, -der unter die Kastanien des alten Schießstandes führt. Es -war nun schon recht finster geworden unter dem tiefhängenden -Frühlingslaube. Kordula stieß an einen Stein.</p> - -<p>»Es sind wohl gar Stiegen in diesem Wege?«</p> - -<p>»Ja,« sagte Meyer, »wenn Sie erlauben, könnte ich Sie -vielleicht führen?«</p> - -<p>»Wenigstens über diese holperige Stelle.«</p> - -<p>»O, holperig sind hier alle Stellen,« sagte er.</p> - -<p>»Und finster ist es.«</p> - -<p>»Für mich kann es gar nicht finster genug sein, Fräulein -Kordula, ich lebe dann eine Art gesteigertes Dasein, und es -fällt mir darüber furchtbar viel ein.«</p> - -<p>»Ja? Ich habe gehört, Sie machen Ihre besten Sachen -im Finstern, Herr Meyer.«</p> - -<p>»Jawohl,« sagte er; »denn erstens spart man dabei Licht. -Na, und überhaupt …«</p> - -<p>Sie gingen den ganzen Schießstand lang. Sie kamen auf -einen Feldrain. Sie kamen in das Kastanienwäldchen. Und -sie kamen nach Oberweimar. Da fand Kordula, daß es sehr -weit wäre, bis zu Meyers Gartenhaus. »Ach,« sagte er, »da -sind wir ja gleich anfangs vorbeigekommen! Doch – es -war so schön … Ich habe ja noch nie das Glück gehabt, eine -junge Dame zu führen, Fräulein Kordula.«</p> - -<p>Da lachte sie. »Mein Gott, ich wollte aber Ihr Häuschen -sehen! Und Sie sagten doch, in der Nacht fielen Ihnen immer -die schönsten Dinge ein?«</p> - -<p>»Erstaunlich schöne Dinge, Fräulein Kordula …«</p> - -<p>Bis dahin war es ein bißchen dürftig zwischen ihnen gewesen;<span class="pagenum"><a id="Seite_158">[158]</a></span> -denn Erich Meyer berührte die Erde nur mit den Fußspitzen. -Kordula Gunkel dachte: »Was ist er für ein lieber unbeholfener -Träumer! Er fällt immer tiefer hinein in den Himmel. -Ich glaube, wenn ich ihn nicht festhalte, verläuft er sich hinter -seinem Glücke her.« Darüber fiel es ihr auch ein: der Hausschlüssel -wäre der Gwendolin wohl nun ein Sinnbild gewesen und -Erich Meyer wüßte vor lauter Freude wirklich nicht, wie -man so etwas mache.</p> - -<p>Aber solch ein Unterricht ist furchtbar schwierig …</p> - -<p>»Es ist himmlisch, Fräulein Kordula.«</p> - -<p>»Woran merken Sie denn das?«</p> - -<p>»Es sind mir herrliche Dinge eingefallen auf diesem Wege.«</p> - -<p>»Sie sind sehr selbstsüchtig, Herr Meyer – nun ja, weil Sie -all die schönen Sachen für sich behalten!«</p> - -<p>»Es läßt sich gar nicht in Worten ausdrücken, Fräulein -Kordula.«</p> - -<p>»In Tönen etwa?« begann sie zu raten.</p> - -<p>»In Tönen?« fragte er erstaunt. »Na ja, da ginge es auch. -Aber daran dachte ich nicht. Ich dachte überhaupt nicht an -Musik …«</p> - -<p>»Herrgott noch mal!« begehrte sie auf.</p> - -<p>»Wie, bitte?«</p> - -<p>»Lieber Cornelius, ich glaube, Sie müssen sich gewöhnen, -die Welt herzhafter anzufassen.«</p> - -<p>»Ja, das muß ich wohl. Aber ich habe nun mal so leise -Hände, und ich habe doch ein so furchtbar heißes Herz. Sie -ahnen gar nicht, Fräulein Kordula, was dies Herz alles anstellen -möchte!«</p> - -<p>»Ach, ahnen,« sagte sie, »natürlich ahn' ich es!«</p> - -<p>Darüber waren sie durch die Finsternis wieder zur Wildenbruchbank -gelangt, die auf dem Kopfe des alten Schießstands -steht. Sie wußten beide die Verse auswendig, die Wildenbruch<span class="pagenum"><a id="Seite_159">[159]</a></span> -dafür gedichtet hatte und die in die Lehne eingegraben -sind. »Weimar hat so viele Gaben ausgestreut, dir zur Rast -ein Plätzchen, Wandrer, schenkt es heut.« Meyer sprach -diese Verse in lockendem Tone vor sich hin.</p> - -<p>»Jawohl,« sagte Kordula, »hier wollen wir uns niedersetzen. -Und nun erzählen Sie mir mal ohne Scheu, was Ihr -berüchtigtes Herz eigentlich möchte; denn wenn Sie Ihr ganzes -Leben betreiben, wie die Wünsche dieses Abends, so werden -Sie daran unselig. Wie ist denn das so mit Ihnen gekommen?«</p> - -<p>Da war es, als täte er einen tiefen Griff in sein Herz und -sagte: »Wenn die Menschen sich dereinst nicht mehr einbilden, -daß sie das Recht besitzen, in dem Leben der anderen herumzuwühlen -wie in ihrem eigenen, dann geht das Seligsein -schon auf Erden los.« Er holte das weither. Aber er legte -damit den Schlüssel zu seinem Wesen zum erstenmal in die -Hand eines Menschen. Selbst Do gegenüber hatte er das -nicht gewagt. »Ja, so ist es mit mir – die Menschen sind -von jeher um mich herumgelaufen wie Gassenbuben: jeder -hat eins der kleinen Fenster an mir eingeworfen. Und ehe -ich zu Sinsheimers kommen durfte, hab' ich wohl ausgesehen -wie das Haus eines Lumpenmanns. Sie haben alle in meinem -Leben herumgewühlt wie in einem lächerlichen Dinge. Deshalb -ist es so mit mir geworden. Erst durch Frau Do hab' -ich Lust bekommen, dies Haus des Lumpenmannes wieder -ein wenig sonntäglich aufzuputzen. Und nun möcht' ich es -so schön haben, daß es auch Ihnen gefällt, Fräulein Kordula. -Meinen Sie, daß das ginge?«</p> - -<p>So darf sich die Wildenbruchbank am Horn rühmen, die -wunderlichste Liebeserklärung gehört zu haben, die je losgelassen -worden ist.</p> - -<p>Kordula Gunkel war nicht schwerhörig. Sie sagte: »Wissen -Sie was, lieber Cornelius? Wir werden die Sache miteinander<span class="pagenum"><a id="Seite_160">[160]</a></span> -versuchen … denn das war es doch wohl, was ich ahnen -sollte?«</p> - -<p>»Ja, liebe Kordula, das war es.«</p> - -<p>»Sie meinen, wir sollen uns heiraten, und dann …«</p> - -<p>»Dann, Kordula – Kordula!«</p> - -<p>Sie zogen nun die blaue Sammetdecke der Nacht ein wenig -fester um sich zusammen …</p> - -<p>»Es ist alles gar nicht so furchtbar schwer, du, gelt?« lachte -Kordula.</p> - -<p>»Ja, nun ist es sehr süß und sehr einfach. – Komm,« sagte -er nach einer Weile, »ich zeige dir jetzt mein kleines Haus.«</p> - -<p>Da gingen sie den Wall entlang in der holdseligen Finsternis -und glitten durch die Schlüpfe im Zaun.</p> - -<p>Es war recht jämmerlich in dem Häuschen. Aber Erich -Meyer fand es herrlich. Es war viel jämmerlicher als in -jenen Tagen, in denen Jockele dort gewohnt hatte. Was -darin stand, hatte Meyer des Abends von Do herübergetragen. -Der Stutzflügel füllte das Vorderzimmer, daß fast kein Platz -mehr blieb. Aber mit einiger Mühe gelangte man zwischen -Wand und Flügel hindurch in den Schlafraum. Da war -neben dem Bett auch nur ein schmaler Gang, in dem aller -möglicher Kram aufgestapelt lag. Erich Meyer hatte die -kärgliche Stehlampe angebrannt und leuchtete an den Dingen -verliebt herum.</p> - -<p>So sah das Leben Erich Meyers aus. Es war ein Haufen -Gerümpel, und mitten darin stand der glänzende kleine Flügel. -Aber es war zu merken: eines Tages würde auch er untergegangen -sein in den Dingen, die sich um ihn sammelten. Der -Flügel stellte Meyers Herz dar, und das ganze kleine Haus -Erich Meyers Leben.</p> - -<p>Und doch wurde Kordula Gunkel sehr vergnügt an allem, -was sie sah. Genau so hatte es ihr Gwendolin schon erzählt.<span class="pagenum"><a id="Seite_161">[161]</a></span> -Fünf Jahre lang hatte sie vor ihrem Leben gestanden, wie -viele Mädchen, und hatte dies Leben gefragt: »Was soll ich -denn nun tun?« Und dies Leben hatte vor ihr gestanden -und die Schultern gezogen. Aber in dieser Nacht sagte es -zu ihr: »Weißt du nun, was du tun sollst, Kordula Gunkel? -Du bist vor einem halben Jahre nach Rom gefahren und -hattest den Mut, etwas viel Schwereres zu vollbringen. -Weißt du nun, was du tun sollst?«</p> - -<p>Ja, sie wußte es. »Du,« sagte sie, »da müssen wir gleich -beginnen, alles fest in die Hand zu nehmen.« Sie rückte den -Stuhl neben den Klaviersessel Meyers, und sie fingen an -zu rechnen und Pläne zu machen, und Kordula preßte die -Pflugschar zur ersten Furche in das verqueckte Land.</p> - -<p>Es war so, wie wenn ein Mann einen Acker gekauft hat, -auf dem seit Menschengedenken Sommer und Winter wachsen -und ruhen ließen, was Wind und Sonne an gutem und wildem -Samen in die Scholle geworfen haben nach ihrer Wahl.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Und am Ende der Woche, in der dies alles geschah, kam -Heidi das Frühlingskind.</p> -</div> - -<p>Kein Wunder, daß Gwendolin und Kordula in der Pflege -um Do wetteiferten. Sie wechselten in den Tag- und Nachtwachen -ab, und sie wußten nun alle drei, daß sie von dieser -Woche noch zärtlicher aneinandergekettet worden und daß -ihr Leben auf einmal ein ganz anderes Gesicht bekommen -hatte. Die Herzen der Mädchen hatten heimgefunden und -sahen eine schöne lichte Straße, von der sie nun sagten: hier -müssen wir wandern. Und die gütige und weise Frau Do, -die sich seit der Mitte des Winters in beseligtem Erwarten -ein wenig zur Seite gestellt hatte, fühlte nun wieder inniger -mit den Mädchen. So waren sie sich in vollerem Glücke -nähergerückt. Es gab neue Pflichten im Hause für Kordula<span class="pagenum"><a id="Seite_162">[162]</a></span> -und Gwendolin, Pflichten, die sie heimlich ersehnt hatten, -um Do und Jockele ihre Dankbarkeit zu bezeigen. Und über -allem schwebte die fröhliche und doch wehmütige Zuversicht: -in ein paar Wochen wäre dies neue Leben schon wieder von -einem noch neueren verdrängt. Danach würden sie zusammenkommen -als drei junge Frauen, jung und glückselig und voller -Erfüllungen und Geheimnisse …</p> - -<p>So lief die Zeit. Es war anders geworden in allen Dingen, -seit Heidi das Frühlingskind Einzug gehalten hatte. Aber -ein liebes heimeliges Märchen blieb's, ja, es war noch lieber -und heimeliger als zuvor. Do fand das richtige Wort dafür -und sagte:</p> - -<p>»Es ist ein Sommer der gekrönten Sorgen. Wißt ihr noch, -wie wir damals im Blockhaus auf der Osterinsel schon einmal -an Hochzeit und kleinen Ausstattungen bauten? Es -ist jetzt viel schöner. Es ist jetzt so, wie ich mir dachte, -daß es sein müßte – wir sind jetzt erst alle drei daheim,« -setzte sie in ihrer goldenen Innigkeit hinzu.</p> - -<p>Darüber wurden Sommer, Leben und Menschen immer -fertiger und schöner.</p> - -<p>Zuerst hielten Meyers Hochzeit. Es war im Juni. Sie -mieteten das kleine Haus am Park, das vor Oberweimar -an das Birkenwäldchen hingelehnt ist. Man muß nur immer -die breite Straße weiter gehen, die an Goethes Gartenhause -vorüberführt – da ist es dann das erste linker Hand. Auch -wenn man abends vorbeigeht, erkennt man es gleich: hinter -zwei Fenstern des Oberstockwerks brennt eine grüne, hinter -den zwei anderen eine rote Lampe. Bei der roten sitzt -Erich Meyer und verdichtet sein junges Glück in Tönen. -Kordula ist eine kluge, ruhsame und frohbewußte Frau. -Deshalb steht Erich Meyer in voller Blüte. Er ist nun Lehrer -für Komposition und Klavier an der Musikschule.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_163">[163]</a></span></p> - -<p>Na, und Schaffraths? Die warteten noch auf das Haus, -das in dieser Zeit als Nummer 15 am Horn gebaut wurde. -Sie wollten sich alle nahe bleiben und auch in der Nachbarschaft -Goethes, damit die grüne leuchtende Parkstille ihnen -durch Fenster und Herzen schiene und dazu die freudige -Blüte des Lebens, die im Märchenhause gedieh.</p> - -<p>So lebten sie bis tief in den Sommer hinein, und doch -hatten die Tage schnellere Flügel als je zuvor. Wie sich einer -an den anderen reihte in sommerlicher Helligkeit, waren -Gwendolin und Do mit der kleinen Heidi schon von morgens -an unter den Bäumen des Gartens, oder sie saßen auf dem -Platze mit dem weichen geschorenen Rasen. Es war für jede -Stunde des Tages eine Stelle gewählt, an der es ganz -besonders herrlich war.</p> - -<p>Jockele war nur mittags oder abends in ihrer Gesellschaft. -Die Monographie über die Froschlurche hatte er nun fertig -und einem Verleger übergeben. An dem Werk über die -Flechten arbeitete er in dieser Zeit nicht; es brauchte dazu -noch weiterer Forschungen.</p> - -<p>So saßen sie auch einmal nach Tisch im Garten zusammen: -Do, Jo und Gwendolin, die die kleine Heidi auf dem Schoße -hatte. Da planten sie die »Flechtenreise«, die recht breit -und besonnen sein sollte wie ihr Leben. Jockele wollte nämlich -mit Do und seiner Tochter in einem Kutschwagen in das -Fichtelgebirge reisen, dann die Kammstraße des Erzgebirges -entlang fahren, an den Hochmooren zwischen Böhmen und -Sachsen dahin, und so immerfort nach Osten bis in das Riesengebirge. -Sie dachten, es könne ein ganzer Sommer über -jener Wagenfahrt dahingehen; aber in dieser Zeit fingen -sie die Reise in ihren fröhlichen Gedanken schon an. Sie -sprachen davon, was sie mitnehmen müßten, wiewohl es -bis dahin noch vier oder fünf Jahre dauern würde, und sie<span class="pagenum"><a id="Seite_164">[164]</a></span> -malten sich aus, wie sie zu dritt ganz langsam durch die Herrlichkeit -der Bergwälder rollen wollten. Das wäre dann eine -sehr neumodische Art zu reisen; und eine neumodische Art, -wieder zu dem Genuß einer Reise zu gelangen und nicht nur -zum Behagen am Ziele. »Es gehört Zeit dazu,« sagte Jockele, -»es gehört auch Zeit zum Leben. Die Menschen haben diese -fröhliche Muße verloren, aber ich will sie für euch und mich -erringen, selbst auf die Gefahr hin, vor der Welt ein Narr -zu heißen.«</p> - -<p>Do sah Gwendolin an. »Merkst du, wer ihm das eingegeben?«</p> - -<p>»Aha,« machte Gwendolin und tat den Jasminbusch ein -wenig auseinander, »schaut da nicht die Tante Veronika -heraus?«</p> - -<p>»Natürlich,« lachte Do.</p> - -<p>»Und gleich neben ihr der Zigeuner,« sagte Jockele. »Wißt -ihr: den Kunstzigeuner hab' ich immer ein bißchen verächtlich -angesehen – auch wenn er wirklich mal ein Genie war -wie Henrik Tofte; die Gwendolin ist ja ihr Lebtag viel zu -besonnen dazu gewesen – aber das Gottesgeschenk der echten -Zigeunerseele, das will ich mir wohl wahren! Denn es ist -eine Gnade, die ich vor anderen Menschen habe – ich ganz -allein. Ganz richtig zu leben verstehen eigentlich nur die -Zigeuner,« scherzte er. »Aber zu solch einem Auserwählten -hat's bei mir nicht gelangt. Die Maljahre waren eine Hatz. -Dabei wär' ich um mich selber gekommen – es war ein Irrtum -aus lauter Sehnsucht! Na, und dann tat Do ihre Segenshände -auf und erschuf mich vollends zum Menschen. Da -wurde der Naturforscher aus mir – es war wieder ein Irrtum -aus Sehnsucht. Aber er war heilsamer. Und nun kommt -das letzte: dies letzte ist der Dichter. Es ist die Sehnsucht, -jeden Tag dem lieben Gott einmal mitten hineinzusehen -ins Herz! Wem anders könnte diese Sehnsucht Erfüllung<span class="pagenum"><a id="Seite_165">[165]</a></span> -werden als dem Dichter? … So ist ein gerader Weg von -dem Findling auf der Schwelle des Frühlingshauses am -Walde über den Malmenschen mit seiner Unrast, dann über -den Naturforscher, der in das Räderwerk der Schöpfung eindringt -– ein gerader Weg bis hin zum Dichter. Und es ist -ein gerader Weg von dem Herzen der Zigeunerin durch das -Herz der Tante Veronika über das Herz Dos an das Herz -Gottes – hinter dieses Geheimnis bin ich heute gelangt. -So. Und da habt ihr die viererlei Gnaden meines Daseins! -Aber die Zigeunerseele, das Herz Dos und Heidi das Frühlingskind -fahren wir mal ins Riesengebirge spazieren.«</p> - -<p>Danach schlug sich Jockele in die Büsche gegen das Haus -hin. Er wollte wieder in sein Arbeitszimmer gehen. Auf -der Straße flimmerte die Sommerluft, die Frösche saßen -am Teichrand und plumpten schon längst nicht mehr ins -Wasser, wenn Jockele vorüberschritt. Da tauchte auf einmal -ein Mensch über den Zaunlatten empor und warf ein paar -machtvolle Arme in die Luft …</p> - -<p>»Henrik Tofte!«</p> - -<p>Dieser Name stürzte in den Mittagstraum unter den Bäumen -wie ein Stück Fels. Do sprang auf. Gwendolin duckte sich -ein wenig, dann preßte sie Heidi fest ans Herz und lief Do -nach. Wahrhaftig! Im Torweg standen sie: Henrik Tofte -und Jockele. Und der Besitzer des »Instituts für schwedische -Heilgymnastik und Massage« in Rom schwenkte seinen -echten Panama, sah aus wie der liebe Gott, als er dreißig -Jahre alt war und noch den blonden Vollbart trug, und hatte -sich zu diesem Besuch im Märchenhaus einen nagelneuen -Sommeranzug machen lassen.</p> - -<p>Aber es war zu merken: auch ohne diese Nagelneuheit -hätte er vollwertig ausgesehen. Ein Mensch, um den die -Mädchenaugen flogen wie Sommervögel, war er schon<span class="pagenum"><a id="Seite_166">[166]</a></span> -immer. Selbst die rote Mütze des welschen Gepäckträgers -hatte dem wenig Eintrag getan.</p> - -<p>Und nun war es Heidi das Frühlingskind, das den drei -Erwachsenen über das Herzbeben hinweghalf. Sie saß da -auf Gwendolins Arm in ihrem himmelblauen Kleidchen, -streckte dem machtvollen Manne die Ärmchen entgegen und -jubelte ein helles Lachen um ihn. Das hatte sie vor einem -Fremden noch nie getan. Und sie machte das so reizend – -was ringsum lebte, jauchzte mit. Da kriegte Tofte das himmelblaue -Menschlein zu packen, und es hing an seinem Herzen -wie ein kleiner blauer Schmetterling an einem Eichstamm -und schlug vor lauter Sonnenfreude mit den Flügeln. Es faßte -ihm in den Nordlandbart und patschte ihm ins Gesicht, und -dem blonden Riesen liefen die Augen an vor einer Handvoll -Kleinkinderglück.</p> - -<p>Gwendolin lockte Heidi und wollte ihn von ihr erlösen; -Mama wandte ihre süßesten Liebkosungen an, aber Heidi -blieb für alle verloren. Sie hatte ihre Ärmchen auf Toftes -Achsel gelegt und sah aus, als wollte sie, vereint mit ihm, ihr -Jahrhundert in die Schranken fordern.</p> - -<p>Dem Henrik Tofte gefiel dies holdselige Wunder ungemein. -Ein bißchen bänglich war ihm aber doch, und er fragte, -ob er an dem Kleinen etwas entzweimachen könnte …</p> - -<p>Das war wieder einmal so bärenmäßig lieb von ihm, daß -er für die Damen zu seiner vollen Siegergröße emporwuchs. -Und beruhigt setzte er sich mit Heidi in Bewegung nach dem -Schattenplatz unter der Ulme, wo schon die Wildrose die -Hagebutten aufsteckte. Heidi aber blieb bei ihm, bis sie sich -müde staunte an seinen Übermaßen. Gegen seine sichere -Brust gelehnt, schlief sie ein. Da legte man sie in den Wagen -und fuhr sie ein bißchen seitab unter die Bäume; denn Henrik -Toftes Stimme dröhnte wie der Skjold.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_167">[167]</a></span></p> - -<p>Gwendolin war rasch einmal ins Haus gesprungen – einer -Erfrischung wegen, die Fritz alsbald auftrug. Aber sie hatte -ihm auch befohlen, danach gleich zu Frau Kordula zu laufen – -Gwendolin brauchte durchaus eine Seele, die sie von der -elektrischen Spannung befreite. Ihre Gedanken wirbelten -durcheinander wie Herbstlaub, und in ihrer Not verfiel sie -auf Kordula. Unter dem Blätterfalle fand sie sich wieder zur -Ulme.</p> - -<p>Sie fand Jockele und Do fröhlich und gefaßt. Da wollte -sie nicht zurückstehen. Henrik Tofte saß in himmelheller Aufgetanheit -dabei, rauchte eine Zigarette und erzählte.</p> - -<p>Gwendolin sagte:</p> - -<p>»Ich glaube, es kommt vor Abend ein Gewitter – die -Frösche hupfen.«</p> - -<p>Dazu schwieg Do. Aber Jockele lachte die Gwendolin -ahnungslos aus und sagte, vor Witterungsverhältnissen -ginge alle Frauenweisheit in die Brüche.</p> - -<p>»… ja,« fuhr Henrik Tofte fort, »so war Angelina Fabbro -ein etwas wunderliches Erlebnis: ich machte mit ein paar -Leuten Heilgymnastik und sie nahm das Geld dafür ein, -kaufte sich Spitzen und Süßigkeiten. Aber was wollen Sie: -Angela Fabbro war eine Römerin! Da hab' ich mich von ihr -fortgemalt. Mit dem Frühling bin ich losgezogen: er und ich, -wir nahmen unser Malzeug untern Arm, einer so reich an -Geld wie der andere, und im Mai gelangten wir in die Bäder -von Lucca. Dort setzte ich mich instand, so gut es nach zwei -Monaten meiner Wanderfahrt in welschem Straßenstaube -ging. Ich kam gerade zur rechten Zeit. Ich malte da ein -Fischermädchen am Strand – vielleicht hatt' ich einen guten -Tag, vielleicht warf mir das Schicksal einen Dummen zu: -eines Morgens stand in der Bäderzeitung ein Aufsatz ›Henrik -Tofte als Erzieher‹ …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_168">[168]</a></span></p> - -<p>Es trat eine Unterbrechung ein: stürmischer Beifall auf -offener Szene; denn »Tofte« und »Erzieher« waren Begriffe -– klafften da nicht Himmel und Hölle dazwischen?</p> - -<p>Nach einer Weile fuhr Tofte fort: »Es wäre ein neuer Stern -am Himmel Italien aufgegangen, eine unerhörte Begabung -säße am Strande, ein Porträtmaler, dessen machtvolle Kunst -wert wäre, vorbildlich zu sein für die Welschen« … Tofte -sprach mit den Worten der Zeitung. Weiter aber führte -er nichts zu seinem Ruhm an; und es war zu sehen: selbst das -kostete ihm einen Aufwand an Kraft; denn Henrik Tofte -hatte nicht zwei Vergrößerungsgläser im Kopfe, wenn er -sich selbst betrachtete. »Nun, ich kannte weder den Aufsatz -noch seinen Schreiber. Und als ich davon erfuhr, dacht' ich: -es ist ein Reklametrick der Bäderverwaltung – ähnlich wird -sie es jedes Jahr machen. Fortan war ich umdrängt. Was -ich in Lucca gemalt hatte, verwandelte sich in ein paar Stunden -in Gold. Nach drei Wochen besaß ich siebentausend Lire. -Vielleicht hätt' ich siebzigtausend machen können. Aber die -Luft von Lucca ist gefährlicher als die von Rom, und das -Malen ist eine verdammte Kunst. Nach drei Wochen hatt' -ich es satt. Ich wollte einfach nicht mehr, nein, ich wollte -nicht! Was kann man da machen? Es kam eine kleine Modellgeschichte -dazu, aus der ein großer Skandal wurde. Ich schwur -einen Eid, nie mehr im Leben einen Pinsel anzufassen, warf -meinen Malkasten ins Meer und verschwand. Diesmal per Bahn. -Ich hatte gedacht: reich sein wäre schön. Nun war ich reich, fünf -Wochen lang unbändig reich; denn ich kam mit annähernd dreitausend -Lire nach München und lebte meinem Freunde Johnny -mal was vor. Johnny befleißigt sich nämlich an der Isar der -Bildhauerei; neuerdings modelliert er eine Giraffe; er träumt -aber von einem Löwen … Und wie ich so im besten Leben bin, -da wählt sich das Schicksal den Rolf Krake aus! Er schreibt mir<span class="pagenum"><a id="Seite_169">[169]</a></span> -einen Brief und fordert mich auf: Tofte, fahren Sie nach Weimar -und malen Sie Frau Do für mein Haus auf der Insel! Ich -schrieb ihm: Lieber Krake, mit dem Malen ist es vorbei. Aber -hartnäckig wie das Schicksal ist, läßt es ihn wieder auf mich -los. Da ist der Brief – Rolf Krake mag reden, verehrungswürdige -Frau Do! Er ist der Mund meines Schicksals, und -dies Schicksal spricht:</p> - -<p>›Mit Ihrer Nachricht von dem jüngsten Eide, durch den -Sie sich der Malerei abgeschworen, teuerster Tofte, haben -Sie den stärksten Heiterkeitserfolg gehabt. Die Augen müßten -Ihnen ja auslöschen, Genie, wenn Sie Ihren Schwur halten -wollten! Ich brauche das Bild der blonden Frau Do in jedem -Fall, und ich weiß, sie wird ihrem wunderlichen Freunde -von der Insel der Auferstehung diesen Wunsch nicht versagen. -Das Bild ist für die Nordwand im Krakesaal bestimmt. -Ich habe dort zwischen den beiden Mittelfenstern dunkelblauen -Samt anschlagen lassen. Es ist auch ein Vorhang aus -dunkelblauem Samt angebracht worden, der in schwerem -Faltenwurfe über das Kunstwerk gezogen werden kann; -denn kein fremdes Auge soll dies Bild erschauen. Ich selbst -aber will des Tages eine Stunde davorsitzen, und dann soll -der blaue Samt es mir nicht verhüllen. Ich habe alle Götter -abgesetzt, um die ich mich dereinst bemüht habe. Aber zu -jener blonden Frau Do kann ich noch beten.</p> - -<p>Sie fragen nach mir. Ja, ich bin gesund wie je, wenn -ich allein war. Nur vor Menschen wurde ich krank; deshalb -gehe ich nicht mehr zu ihnen – nie, nie, nie! Ich habe seit -dem Tage meiner Rückkehr aus Hamburg die Insel nicht mehr -verlassen und werde sie nicht mehr verlassen. Ich habe sie -von Nane Thord erworben. Die soll hier wohnen bleiben -bis an ihr Ende. Das Mädchen Marit habe ich zurückgerufen -– wenn es einmal käme, daß Nane Thord einer Pflege<span class="pagenum"><a id="Seite_170">[170]</a></span> -bedarf. Der große Anbau ist nun mein Büchersaal. In -Gwendolins Zimmer steht die Drechselbank, aber ich brauche -sie fast nie mehr, vielleicht im Winter. Ich benütze alle Räume -für mich. Nur in jenem, in dem Sie gelebt haben, teuerster -Tofte, ist alles unberührt geblieben. Oft, wenn ich an der -verschlossenen Tür vorübergehe, muß ich denken: es wartet -dahinter auf Ihre Rückkehr. Ich habe Marit Anweisung gegeben, -daß Sie zu aller Zeit Zutritt zur Insel haben. Der -Schlüssel hängt im Turmzimmer am rechten Fensterpfosten.</p> - -<p>Gleich nach meiner Ankunft im Herbst habe ich in Schiffen -beste Walderde auf die Insel bringen lassen. Ich habe diese -Erde ausgebreitet. Ich habe durch Maurer alle Rinnen in den -Klippen schließen lassen, durch die sie hinabrinnen könnte. -Und ich habe ein heizbares Glashaus gebaut, in dem ich die -betörenden Wunder der Orchideen züchte. Über Winter -hatte ich mir den Plan für die gärtnerischen Anlagen der -Insel gemacht. Es war kurzweilig und schön; denn ich war -darauf bedacht, den landschaftlichen Reiz des Eilands zu erhöhen -und ihn einzustimmen in den vollen und heiteren -Zusammenklang der Umgebung. Nun treiben die Rosen, -wo vordem das Strandgras klirrte. Nun stehen die silbernen -Säulen der Birken, wo vordem wilde Halme schossen, und -nun grünen die Fichten in verschwiegenen Gruppen, und die -Krüppelweiden machen Köpfe und werden in nicht zu langer -Zeit Höhlen in ihren Stämmen bilden, damit die bunten -Mandarinenenten darin nisten können, die ich bezogen habe. -Sie sind sehr zutraulich geworden.</p> - -<p>So treib' ich es, Meister Henrik! Des Morgens bad' ich -im Fjord, auch im Winter; denn ich fühle mich sehr wohl -dabei. Die gärtnerische Anlage ist so, daß ich stundenlang auf -meiner kleinen Insel umherspazieren kann und vom Strand -aus in ein paar Jahren doch nicht gesehen zu werden brauche,<span class="pagenum"><a id="Seite_171">[171]</a></span> -wenn ich nicht will. Nur den Himmel laß ich hereinschauen, -wo er mag. Ich glaube nicht, daß er einen Winkel in der -Welt weiß, der inniger ist als der meine, und ich glaube nicht, -daß er je einen Menschen sah, der glücklicher ist als ich‹.«</p> - -<p>»Schlicht und wunderlich ist Rolf Krake,« sagte Do, »und -doch ist zu erkennen: er lebt ein glückseliges Leben.«</p> - -<p>»Wollen Sie ihm seinen Wunsch erfüllen?« fragte Tofte.</p> - -<p>»Ja,« sagte sie, »aber es ist gut, daß Sie uns den Brief -mitgebracht haben; sonst hätte ich mich wohl nicht entschließen -können.«</p> - -<p>»Warum denn nicht?« fragte Jockele befremdet.</p> - -<p>»Du solltest das doch verstehen.«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>Do blickte hinab auf ihre weißen Hände und schwieg. -Da rekelte sich Heidi im Wagen, und Mama war froh, daß -sie zu ihr eilen konnte. Gwendolin aber sagte zu Jockele: -»Erich Meyers und Salzers himmlische Liebe haben für Do -nichts Aufregendes; aber bei Rolf Krake – es ist ja der reine -Götzendienst! Ich glaube, seit den Abschiedsworten Krakes, -die er damals in sein Tagebuch geschrieben, hat Do öfter an ihn -gedacht, als wir ahnen. Sie ist sehr froh gewesen, daß sie ihm -damals in Hamburg helfen konnte. Und sie ist auch in diesem -Augenblick froh, weil sie weiß: sie hat ihn zu sich selber zurückfinden -lassen.«</p> - -<p>Das Wort Gwendolins vom Götzendienst griff Henrik Tofte -gleich auf; denn Do kam mit Heidi zurück, und das Kleine lehnte -sein goldenes Köpfchen an Mamas Wange und hatte die Augen -noch ganz voll blankem Schlaf. So stand sie gerade vor dem -Wildrosenbusch, der sich nun hochsommerlich mit Hagebutten -geschmückt hatte. Aber vor Toftes Künstleraugen wuchs wieder -das Wunder der rosa Blüte darüber. »Madonna in Rosen,« -rief Tofte. »So will ich Sie malen!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_172">[172]</a></span></p> - -<p>Da dachten sie alle an Rolf Krakes Tagebuch, und was er -von den wilden Rosen hineingeschrieben hatte. – Es war -seltsam. Aber Henrik Tofte wußte es nicht.</p> - -<p>Kordula kam. Still, blühend und mit forschenden Blicken. -»Es ist gut, daß ich dich nicht geheiratet habe,« sagte Tofte -zu ihr, »und es ist auch gut, daß <em class="gesperrt">du</em> mich nicht gewollt hast, -Gwendolin.«</p> - -<p>Kordula sagte: »Schön und begabt warst du immer, daß -du nun aber auch vernünftig geworden bist, ist neu.«</p> - -<p>»Vernünftig?« fragte er. »Nun, wie man's nimmt! -Ich bin in meinem Leben einem einzigen Menschen begegnet, -der annähernd so unvernünftig war wie ich: Angelina Fabbro. -Und just an ihr bin ich bis zu einem gewissen Grade vernünftig -geworden. Ich beschränke seitdem meine Dummheiten auf -ein Mindestmaß …«</p> - -<p>»… das bei Ihren machtvollen Maßstäben immerhin -noch riesenwüchsig sein wird,« sagte Gwendolin.</p> - -<p>»Je nun,« machte Tofte, »zu einem Narren reicht's wohl noch! -Und Narren sollen nicht heiraten. Die Ehe ist die Kunst der -Weisen. Nur diese ziehen das Wunder einer Blüte daraus. -Bei allen anderen kümmert sie.«</p> - -<p>»Die Frösche hupfen nun nicht mehr,« sagte Gwendolin.</p> - -<p>Das wußten sie alle: in der Kunst Henrik Toftes war der -Mensch nicht zu erkennen; denn diese Kunst war die Stete – -der Mann, der dahinterstand, die Unstete. Der Mann huldigte -Seiner Majestät dem Augenblick.</p> - -<p>Darum war es klug und doch unvorsichtig von Gwendolin, -daß sie gesagt hatte: »Die Frösche hupfen nun nicht mehr.« -Als die Hochsommernacht zwischen den alten Bäumen herniederhing -und die Silberbrünnlein der Sterne aus den blauen -Gründen sickerten, war Gwendolin mit Henrik Tofte noch -einmal in den Garten gegangen, gleich nach dem Nachtmahl.<span class="pagenum"><a id="Seite_173">[173]</a></span> -Es kam kein Gewitter, aber es wetterleuchtete doch ganz -gefährlich.</p> - -<p>»Hast du denn nicht gesagt, ich sollte sieben Jahre dienen -um Rahel?« Das klang, als fiele in der Ferne ein Berg um.</p> - -<p>»Wohl,« sagte sie; dabei fand sie zum ersten Male die brüderliche -Anrede, aber er merkte es gar nicht; »hast du jemals -daran gedacht?«</p> - -<p>»Nein,« sagte er.</p> - -<p>»Und bist nun gekommen, Rechenschaft von mir zu fordern -– von mir?«</p> - -<p>»Nein,« sagte er. »Aber es wäre doch lieb und gut von -dir gewesen, wenn du dich für mich armen Menschen aufgehoben -hättest.«</p> - -<p>»Ah! Seit wann weißt du denn die Geschichte von deiner -Armut?«</p> - -<p>»Seit heute,« sagte er. »Damals, als ich der Kordula am -Bahnhof in Rom den Gepäckschein aus der Hand nahm, war -ich ein Millionär – seit heute bin ich ein Bettelmann.«</p> - -<p>»Du, das hört sich furchtbar tragisch an.«</p> - -<p>»Es ist auch so, liebste Gwendolin – es ist weiß Gott so! -Sieh, ich bin zum erstenmal in meinem Leben in einem solchen -Haus. Dazu hab' ich dreißig Jahre gebraucht. Dreißig Jahre -lang bin ich auf den Schwellen herumgestanden und habe -immer gedacht: es gäbe keinen König auf der Welt außer mir. -Nun kam dies Heute und hat mich vor ein Leben geführt -voller Liebe, Wohlhabenheit, Ordnung, gesammelter Kraft, -Sonne und was weiß ich! Darum ist mir's vorhin bei Tisch -so auf die Sprache gefallen: ein Rausch von Andacht vor -diesem Unerhörten … und deshalb hab' ich mich nun heimlich -von den anderen fortgeschwiegen.«</p> - -<p>»Ah pah, Räusche sind von kurzer Dauer,« sagte Gwendolin -leichthin. »Du siehst, es ist mit meinem Glauben an dich noch<span class="pagenum"><a id="Seite_174">[174]</a></span> -immer wie einst. Das kommt daher, daß du nicht an dich -selber glaubst.«</p> - -<p>Da riß er sie an sein Herz und küßte sie – dreimal – -siebenmal …</p> - -<p>»Siehst du,« sagte sie, »das ist alles, was du kannst: die -Sekunde kannst du überwältigen; aber dein großes und -starkes Leben in deine mächtigen Arme zwingen – das -kannst du nicht. Und willst du jetzt wieder mit hineingehen? -Was hätten wir zwei uns Neues zu sagen, das die anderen -nicht hören dürften?«</p> - -<p>Da gingen sie. Cornelius saß am Flügel. Richard Schaffrath -und Professor Salzer waren zusammen schon seit dem -Morgen auswärts. Do und Jockele sahen Gwendolin und -Henrik an, was sie draußen miteinander geredet hatten: -es blieb immer das gleiche zwischen ihnen für und für. -Und beide wollten auch gar nichts geheimhalten vor den -Freunden.</p> - -<p>Gwendolin sagte: »Es ist so, daß ich mich mit diesem gefühlvollen -Musikanten lieber verlobt hätte als mit dir; denn -wären wir zwei aneinander gefesselt gewesen – wir hätten -nach beiden Polen der Erde gedrängt und hätten uns mittenauseinandergerissen.«</p> - -<p>»Jetzt aber dränge ich nach zwei Menschen: nach Richard -Schaffrath und nach mir selber,« sagte Henrik. »Ich warte -mit Ungeduld.« Darüber füllte er sich sein Glas von neuem -und ging damit in den Wintergarten. Er setzte sich in den -Rohrsessel, Do gegenüber. »Mich allein haben Sie am Rande -stehenlassen, liebste Frau Do,« sagte er zu ihr. Es klang wehmütig.</p> - -<p>Do wußte, wie es um solche Mollakkorde des Herzens -bei Tofte stand. Sie scherzte selten. Aber diesmal griff sie -die Sache doch lustig auf und sagte: »Wir Frauen haben<span class="pagenum"><a id="Seite_175">[175]</a></span> -mit den Männern unsere liebe Not. Die anderen konnten -sich nicht selber helfen: Jockele, weil er zu jung war, und die -übrigen, weil jeder einen sanften Sparren hatte – wie unser -Freund Cornelius.«</p> - -<p>»Nun, einen sanften Sparren …«</p> - -<p>»O nein,« unterbrach ihn Do, »der Ihre geht über unsere -Kraft! Ein Mensch wie Henrik Tofte hat auf sich selber zu -stehen. Tofte, Sie sind von hundert Frauen geliebt worden … -nein, nein, zu rechnen brauchen Sie nicht! – hat Sie eine -repariert?«</p> - -<p>»Jawohl,« sagte er.</p> - -<p>»Nun, dann reisen Sie augenblicklich ab und fahren Sie -zu ihr!«</p> - -<p>»Ich bin schon da, sagte der Swinegel.« Tofte sprach es mit -dunklem Klang der Stimme. Er hatte die Finger durcheinandergeschoben -und senkte die Stirn. »Ich bin schon da.«</p> - -<p>»Jockele,« rief Gwendolin, »komm doch mal in den Wintergarten! -Vor fünf Minuten hat mich das große Licht siebenmal -geküßt, und jetzt erklärt er deiner Frau seine ewige Liebe.«</p> - -<p>»O,« lachte Jockele, »soll ich mich deswegen erst in Bewegung -setzen?«</p> - -<p>Aber Cornelius kam. Er rieb sich die Hände und schmunzelte. -»Ich mag derlei Dinge furchtbar gern sehen.«</p> - -<p>»Na, Meyer?« fragte Henrik Tofte.</p> - -<p>Da raffte sich Erich Meyer zusammen und sagte: »Mir -scheint, die Gassenbuben werfen Ihnen die Fenster ein. O, -ich kenne das – diese Zeit hab' ich schon überwunden.« Dafür -drückte ihm Gwendolin sein Glas in die Hand und klang -das ihre herzhaft dagegen.</p> - -<p>Aber mit Henrik Tofte war es an diesem Abend doch anders. -Zu anderen Zeiten war er immer mit geschwungenem Becher -hoch über der Freude dahingeschwankt. Heute saß er fromm<span class="pagenum"><a id="Seite_176">[176]</a></span> -in dem goldenen Lichte Dos. Und so oft ihm ein Stein ins -Fenster flog, merkte er besinnlich auf. Gwendolin sagte: -»Es geschehen Zeichen und Wunder, Cornelius! Komm, -wir beide setzen uns zu Jockele und Kordula. Ich will euch -eine schöne Rede halten über das Thema Henrik Tofte.« -Sie faßte ihn unter, und nun gerieten sie im Besuchszimmer -an dem »großen Licht« in Lust. Die beiden im Wintergarten -hörten zu. Zuletzt sagte Tofte: »Liebste Frau Do, darf ich -einen Monat in dem Märchenhause bleiben? Einen ganzen -Monat?«</p> - -<p>»Ja,« sagte sie, »Sie dürfen bleiben, solang es Ihnen -Freude macht.«</p> - -<p>Man ging auch an diesem Abend zur gewohnten Zeit -schlafen. Halb elf Uhr; längstens elf Uhr wurde es, wenn -Gäste da waren. Es hatte sich seit dem Winter manches geändert. -Heidi verlangte früh am Tage nach Mama – so -ward der Tag länger. Und Jockele fand sich in das Wirken -der neuen Zeit nur zäh und ungesammelt, wenn er die Mitternacht -in Gesellschaft vorübergewacht hatte. Aber von dem Geheimnisse -seines Schreibzimmers war nicht ein Zipflein gelüpft -worden, trotz List und tastender Neugier. Und Gwendolin -hatte in vier Wochen Hochzeit. So trugen die Tage für jeden -ein gerüttelt Maß freudiger Mühen, die Abende Sehnsucht -nach Schlummer.</p> - -<p>Aber Henrik Tofte schlief nicht. Er saß an dem offenen -Fenster, an dem noch im Frühlinge die hohen Maßholder -und Sterne über Kordula aufgeblüht waren, ließ die Nacht -um sein Herz wehen und erlebte das große Wunder. Nicht so, -als ob er die Rede vom Segen dieses Hauses weitergedacht -hätte, die er am Abend vor Gwendolin gehalten. Und nicht -so, als ob er sich den Weg zu den kommenden Tagen mit -guten und tüchtigen Vorsätzen gepflastert hätte, weil in der<span class="pagenum"><a id="Seite_177">[177]</a></span> -dunkelblauen Hochnacht so schön Zeit dazu war, die Gedanken -auf einen Müßiggang zu schicken …</p> - -<p>Henrik Tofte stand am Anfang einer neuen hellen Straße -und hub an zu wandern – ganz ohne Rausch und Plausch, -ganz ohne Traum und Schaum und ganz ohne Mahnung -und Ahnung: es war das leibhaftige Wunder! Aber er -wußte es nicht. Wußte nichts von dem neuen Wege, schwur -keinen Eid und fühlte nicht, daß, der da saß vor der flimmernden -Stille der Nacht, ein Mann war, der ihm zeit seines -Lebens noch nicht vor die Augen gekommen: sondern er -dachte: dieser Mann ist der blonde Skalde, Weber, Maler, -Heilgymnastiker, Anstreicher, Zirkusclown und Gepäckträger, -den ein verrückter Welscher sogar einmal für einen Erzieher -gehalten hat …</p> - -<p>Die Einbildung, daß er sich in diesem Menschen zurechtfinden -würde, hatte er schon längst aufgegeben, und damit -mühte er sich nicht mehr ab. Stunden, wie diese -– dachte er – hätte er schon tausendmal erlebt. Also: es -wäre mit ihm wieder einmal alles in schönster Ordnung, -und der kleine Gefühlsausbruch in Tugend und Reue, den -er nach dem Nachtmahle gehabt, wäre glücklich überstanden. -So dachte er. Und er gelobte nicht: »morgen oder übermorgen, -oder wenn es paßt, werde ich der Welt mal zeigen, -was eigentlich hinter mir steckt – hah!«</p> - -<p>Von all dem keine Spur. Es war das leibhaftige Wunder. -Henrik Tofte wandelte rüstig auf der neuen hellen Straße -und sah Do. Die kleine Heidi legte ihr Köpflein mit dem -gesponnenen Golde lieblich an ihre Wange. Und hinter ihr -stand breit und frühlingsoffen der Wildrosenbusch und blühte -und blühte. »Madonna in Rosen! So will ich dich malen -– in dem kupferfarbigen Sommergewand und mit dem -blauen Kinde!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_178">[178]</a></span></p> - -<p>Wäre es nicht das leibhaftige Wunder gewesen, das in -ihm wirkte, so wäre er nun in den Garten gestürmt, mitten -in der Nacht, oder in den Park, und hätte nach dem Lichte -des Morgens gerufen, um eine ungeheure Tat zu tun. Aber -wenn er den Morgen dann erspäht hätte, wäre er müde -gewesen, hätte sich hingelegt und geschlafen – drei Tage, -wenn's ihm gerade so paßte.</p> - -<p>Das alles tat er nicht. Er legte sich zu Bett. Und am -Morgen fand er sich pünktlich um acht Uhr an den Frühstückstisch, -der so schmuck unter der Ulme stand. Ein breiter -Strom von Sonne stürzte von rechts herein. Und Henrik -Tofte sprach ruhevoll mit Jockele und Do über die Madonna -in Rosen, und daß er in diesem wundertätigen Frühlichte -malen wollte.</p> - -<p>»Dies Licht ist nur eine halbe Stunde,« sagte Do.</p> - -<p>»So werde ich Sie viele Tage und immer nur eine halbe -Stunde bitten,« sagte er. »Wo ist Gwendolin?«</p> - -<p>»Sie nimmt den Kaffee auf ihrem Zimmer. Früher ging -sie dann malen, und wir sahen sie über Tag nicht. Sie wissen -ja, wie sie es treibt. Nun aber hat sie freudige Sorgen und -Pflichten, die alle in diesen vier Wochen erfüllt sein müssen. -Für heut abend bittet sie Richard Schaffrath und den Professor -zu uns.« Und Jockele sagte: »Über Tag richten Sie sich -ganz nach Ihren Wünschen, lieber Tofte – wie wir uns -nach den unseren. Ich arbeite zwischen den Mahlzeiten auf -meinem Zimmer. Wir wollen da nicht aufeinander angewiesen -sein, nicht wahr?«</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Abends waren sie im Garten unter stillen bunten Lampen. -Schaffrath, Salzer und Tofte schritten hin und wieder -in nachdenklichen Gesprächen um den großen Rasenplatz. -Von der Gewaltsart, in der ihnen der Norweger vorgestellt<span class="pagenum"><a id="Seite_179">[179]</a></span> -worden, spürten sie nichts. Da wuchsen sie freimütig und -männlich zueinander. Gwendolin merkte es, und die anderen -merkten es auch: das Wunder war geschehen. Nur -Tofte ging daran vorüber und war ahnungslos wie ein -Kind. »Du hast dich an ihm verzeichnet,« sagte Schaffrath -zu Gwendolin, »du hast uns einen Riesen mit einem Kindskopf -gemalt und einen Seher mit einer Schellenkappe – und -nun ist er ein ganz gewöhnlicher und aufrechter Mensch.«</p> -</div> - -<p>»Morgen werdet ihr ihn erkennen,« sagte Gwendolin.</p> - -<p>Es vergingen Tage. Einmal wanderten Schaffrath, Meyer, -der Professor und Tofte nach Ettersburg, ein andermal nach -Belvedere. Sie waren fast an jedem Abend zusammen – aber -sie erkannten ihn nicht anders als in den ersten Stunden.</p> - -<p>»Was ist das mit dem großen Licht?« fragte Gwendolin.</p> - -<p>»Ich weiß es nicht,« sagte Do.</p> - -<p>Wenn es des Morgens die Zeit war, daß er malte, war -er mit ihr und Heidi allein im Garten. Es drängte sich niemand -in diesem Haus um ein wachsendes Werk. Am Ende der -zweiten Woche fragte Do die Gwendolin: »Hast du die -Madonna gesehen?«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>Do blickte die Freundin aus ihren hochgemuten Augen an -und sagte: »Dann laß sie dir zeigen. Ich glaube, das Bild -ist sehr schön.«</p> - -<p>»Hast du mit ihm davon gesprochen, Do?«</p> - -<p>»Nein. Du weißt, er wartet nicht auf ein Lob. Und was -ich zu sagen hätte, kam mir zu billig vor. Deshalb schwieg -ich – und weil es so unerhört, weil es über jedes Maß ist.«</p> - -<p>»Es kann sein,« sagte Gwendolin.</p> - -<p>»Weißt du auch nicht, daß er sich über jedes Maß abmüht -dabei, Gwendolin?«</p> - -<p>»O, Henrik Tofte quält sich nie!« sagte sie.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_180">[180]</a></span></p> - -<p>»Mir scheint, er weiß es selbst nicht. Aber er ist froh, daß -das Licht nur eine kurze halbe Stunde hält. Nur einmal -sagte er, es läge wie Spinnengewebe in seinen Augen.«</p> - -<p>»So wird er sich an deinem Lichte geblendet haben,« -scherzte Gwendolin.</p> - -<p>»Ja, das sagte er.«</p> - -<p>Am Anfange der vierten Woche ließ Henrik Tofte das Bild -auf der Staffelei im Garten stehen. »Nun – darf man -kommen?« fragte Gwendolin. »Fertig?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>Da legte sie seinen Arm in den ihren und führte ihn hin. -Wie sie davorstanden, war es, als schlüge Gwendolin Wurzeln; -und die Augen liefen ihr über. »Tofte, Tofte!« sagte sie und -legte ihre Hände auf seine Achsel und ihre Stirn an seine -Brust. Dann sah sie ihn an und sagte:</p> - -<p>»Ich habe zweimal geweint, daß ich es weiß: einmal – -nun: ein andermal … und jetzt! Du stehst ja selbst davor -und möchtest weinen!«</p> - -<p>»O nein,« sagte er, »es ist fromm und freudig, ja, und -es macht mich sehr glücklich.«</p> - -<p>Dann wandten sie sich, und im Gehen sagte sie: »Ich habe -recht gehabt: so kann nur Henrik Tofte malen und der liebe -Gott. Laß das Bild dort stehen. Ich habe Richard und -Salzer gebeten – sie kommen vormittags.«</p> - -<p>Und als sie gekommen waren, standen sie alle um die -Madonna in Rosen. Gwendolin hatte nun einen ruhevollen -Rahmen in altgoldener Tönung darum gelegt. Und alle -sahen: es war ohnegleichen. Ohnegleichen in seiner Lebensfülle. -Ohnegleichen in den warmen Schwingungen der Farben. -Kein Farbenrausch, der die atmende Schönheit der -Natur erstickte. Ohnegleichen in der schmuckhaften Anordnung. -»Ein kostbarer Edelstein,« sagte Richard Schaffrath aus<span class="pagenum"><a id="Seite_181">[181]</a></span> -einer tiefen Künstlerandacht heraus, »vom Lichte des Gottes -durchtränkt – es ist ohnegleichen, ist ohnegleichen.«</p> - -<p>Henrik Tofte löste sich hernach aus dem Ringe der Freunde -und ging in sein Zimmer. Er dachte daran, daß die Zeit -seiner Abreise nun nahe wäre.</p> - -<p>Mit dem Lobe der Freunde war es, wie wenn ein -Mann einen Becher füllt mit edelstem Weine, den er lange -Jahre hindurch in seinem Keller aufbewahrt hat für einen -Tag, der recht herrlich und königlich über alle seine Art -hinauswächst. Und dies Lob dauerte auch genau so lange, -wie jener Becher braucht, um einmal die Runde zu machen. -Dann war es vorbei. Henrik Tofte hatte diese Menschen -nicht zum ersten Male vor die Schätze geführt, die verschwenderisch -in ihn geworfen waren. Man wußte: solches Verschwendertum -ist eine Schöpferlaune. Aber es wiederholt -sich darin die Geschichte vom Distelfinken, dem der liebe Gott -aus jeder Farbschale den Rest auftupfte. Er verstaut an Gaben -in einen einzigen, was in seiner Werkstatt herumliegt und -ihm gerade in die Hände fällt. Und der Mensch, der also -angefüllt ist, mag zuschauen, wie er damit fertig wird. »Ja, -so ist der liebe Gott mit Henrik Tofte zu Werke gegangen,« -sagte Gwendolin. »Es ist auch viel Sturm in ihn hineingepackt, -und das große Licht blakt nun in diesem Sturme.« -Jockele schupfte die Schultern: »Was wollt ihr? Es geht -in dem reichsten Kopf und Herzen eine ganze Bibliothek von -Dichtungen zu Grabe, die nie erschienen sind – hat ein -Dichter gesagt – und selbst der liebe Gott kann nicht jedem -Tag ein Gesicht geben: es hat eben nicht jeder eins.« – »Ja,« -sagte Schaffrath, »so ist es wohl. Aber das sollt ihr wissen: -ich habe vor keinem Bilde die Schauer der Allmacht empfunden -wie vor diesem.« Sie sahen immer nach der Madonna -hin, während sie so redeten. Und Gwendolin sagte:<span class="pagenum"><a id="Seite_182">[182]</a></span> -»Ich mag dir diesmal nicht zustimmen, Jo; denn ich weiß, -Henrik Tofte hätte die Kraft, jedem Tag ein Gesicht zu geben, -wenn er nur wollte!«</p> - -<p>Da hatte sie einen schweren Stand und kam sich vor wie -ein kleiner Vogel, der in einen Flug Falken geraten ist. Aber -sie wehrte sich mit Frauenhartnäckigkeit und sagte: »Ihr -werdet mich doch nicht unterkriegen mit euren scharfen Schnäbeln! -Es wäre besser, ihr fragtet: was ist es, das dem Henrik -hier in eurem Hause diese Gnade schenkte?«</p> - -<p>»Ho,« sagte der kluge Professor Salzer, »jetzt kommen wir -dem Geheimnis auf die Spur! Es ist der Segen der schönen -Frau Do; es ist der Segen des Vorbilds, das er sich diesmal -wählte …«</p> - -<p>So rieten sie sich heiße Augen und Herzen. Sie errieten -vieles, aber zum Kerne des Rätsels gelangten sie nicht; denn -der Tag, der das letzte Licht brachte, war ein Tag tiefster -Finsternis. Und dieser Tag war noch nicht gekommen.</p> - -<p>Henrik Tofte kümmerte das alles nicht. Er kümmerte sich -auch nicht um sich selber. Und er konnte nicht begreifen, daß -die Menschen sich um ihn stritten. Heute hatte er Lust, in -einem offenen Wagen hinauszufahren in die Wälder. Also -rief er aus dem Fenster, ob sie dabei sein wollten. Und dann -bestellte er für nach Tisch drei Wagen aus der Stadt. Die -Madonna in Rosen schien über dem neuen Plan in ihm schon -in ewiges Vergessen gesunken zu sein; Gwendolin mußte -Sorge tragen, daß das Bild ins Haus kam und gefahrlos -trocknete.</p> - -<p>Daß Henrik von einer Sehnsucht nach der grünen Stille -der Wälder und den sanften Farben der Erde in diesen späten -Sommertagen geleitet wurde, daran dachte er nicht. Er -»beschloß« die Fahrt – das war seine Erklärung. Die stillen -Stimmen, die sie ihm geboten, vernahm er nicht. Das waren<span class="pagenum"><a id="Seite_183">[183]</a></span> -in diesem Falle seine Augen. Und in diesen hellen Brunnen, -die das Wunder des Lichts auf all seinen Glanz und seine -Geheimnisse durchspürten, lag zuletzt das Rätsel begriffen, -das Henrik Tofte hieß. Aber er wußte es nicht. Niemand -wußte es. Deshalb hatte er zu Frau Do gelacht über das -Spinnengewebe, das in diese Augen fiele.</p> - -<p>Nun hatte er vier Wochen gemalt – durch dreißig Jahre -hatte er sich nicht zu einem solchen Aufgebot an Kraft zwingen -können. Er hatte vier Wochen gemalt, und nun sahen seine -Augen die Welt wie die Augen eines Kindes, das fürwitzig -ins Gesicht der Sonne geschaut hat: es hing für sie ein leiser -grauer Schleier um alle Dinge. Der war unendlich fein, aber -er war da. Und Henrik Tofte wußte es nicht; denn so war -es für ihn gewesen, solange er denken konnte. Es war eine -Selbstverständlichkeit – wie es für die Sterne eine Selbstverständlichkeit -ist, daß sie nicht in ihrem Glanze sind, wenn -sie der Himmel nicht mehr braucht.</p> - -<p>Einmal im Hardangerfjord, ein einziges Mal, hatte er daran -gerührt. Das war, als ihm Gwendolin vorwarf: »Faulheit -bei einem gewöhnlichen Menschen ist ein Laster – aber bei -Ihnen, Tofte, ist sie eine Gotteslästerung.«</p> - -<p>Da hatte er gesagt: »Diese Faulheit liegt in meinen Augen -– nur wenn ich alle Wunder mit ihnen erringe, die im -Lichte sind, dann will ich malen. Ihr anderen, die ihr blind -geboren seid, mögt das halten, wie ihr wollt. <em class="gesperrt">Mir</em> sind die -Augen an manchem Tag ausgegangen – je nun: die Sonne -geht dem lieben Gott ja auch mal für ein paar Wochen aus!« -Da sagte Gwendolin: »Mit so schönen Worten deckt Henrik -Tofte seine Faulheit zu.« Weiter fiel dem feinhörigen Mädchen -dabei nichts ein.</p> - -<p>Nach Mittag fuhren sie in die Welt. Auch Kordula und -Erich Meyer waren dabei, und es war noch Platz in jedem<span class="pagenum"><a id="Seite_184">[184]</a></span> -Wagen für ihre Freude. Jockele, Do und Tofte saßen zusammen. -In allen drei Wagen sprach man von Henrik oder -von der Madonna. Das Bild war ein Erlebnis. Aber im vorderen, -in dem Henrik saß, redete man auch von seiner Abreise -und von seiner Wiederkehr; die eine sollte morgen geschehen, -die andere in ein oder zwei Jahren. So fuhren sie durch -die Ettersburger Wälder und am Abend über Tiefurt heim. -Für Gwendolin und Schaffrath gab es an diesem Tage noch -andere wichtige Dinge zu reden; denn übermorgen hatten -sie Hochzeit. Es war gar nicht zu verkennen: Tofte wollte -diesem Tag ausweichen. Gwendolin fand das seltsam, die -anderen nicht. Aber er hatte es so eilig, daß ihm Do die -Sorge um die Madonna abnahm – sie wollte dafür tun, -daß sie in Rolf Krakes Hände käme, wenn die Zeit da war.</p> - -<p>Am anderen Tage schied Henrik aus dem Haus am Horn -und ging wieder nach München. Er mietete sich ein Atelier -in Altschwabing – das gab eine Aufregung unter den Malern, -die er kannte. Mister Johnny, der nun wieder sein Nachbar -war, hatte die Giraffe vollendet. »Ein dusterer Einfall,« -sagte Tofte.</p> - -<p>»Noch dusterer scheint mir Ihr Vorhaben,« lachte Johnny, -»wozu in aller Welt brauchen Sie einen Malraum?«</p> - -<p>»Arbeiten will ich.«</p> - -<p>»Haben Sie das in Weimar gelernt? Und ist aus dem -Bild etwas geworden?«</p> - -<p>»In ein paar Jahren will ich es mir darauf ansehen. Bis -dahin hab' ich zu tun – es ist die höchste Zeit.«</p> - -<p>Mister Johnny wunderte sich selten; aber Tofte sprach -diesmal so, als gäb' es kein Ausweichen vor sich selber. Zu -anderen Zeiten hätte das anders geklungen. »Ich modelliere -jetzt einen Löwen,« sagte Johnny. Dann führte er Henrik -hinaus in den Garten. Dort stand ein Käfig, wie ihn die<span class="pagenum"><a id="Seite_185">[185]</a></span> -Leute aus den Tierbuden von Jahrmarkt zu Jahrmarkt senden, -und ein leibhaftiger Löwe saß darin … Nun ja, auch Mister -Johnny hatte seinen sanften Sparren. »Ich habe ihn von -einem Menageriebesitzer gemietet bis zum Oktoberfest,« sagte -er. »Und gleich morgen wollen Sie anfangen zu arbeiten? -Ach, kommen Sie doch heute mit mir nach Dachau! Morgen -mittag sind wir wieder daheim, und Sie haben bis zum Abend -noch Zeit zur Übersiedlung.«</p> - -<p>Aber Tofte schlug es ihm ab; er hatte einen Einfall, der -wog ihm heute so viel wie eine Tonne Gold; gerade heute; -denn gänzlich hatte er den alten Henrik in Weimar nicht umgebracht. -Er redete aber nicht davon.</p> - -<p>Abends, als Johnny schon längst weggefahren war, erschien -Henrik mit einigen Freunden und einem Löwenkäfig im Garten -von Altschwabing. Sie ließen den Löwen aus dem einen -Käfig in den anderen spazieren und entführten ihn so im -Dunkel der Nacht. Am anderen Vormittage, kurz vor der -Heimkehr Johnnys, kam Tofte noch einmal und markierte -in dem geschorenen Rasen eine Löwenfährte. Er wurde damit -fertig, und es war nun sehr gut zu sehen, wie das Tier ausgebrochen -und über den Rasen gestapft war, wie es vor dem -Zaun zum Sprung angesetzt und den Sand mit den Klauen -geschlagen hatte, ehe es in den Englischen Garten entwich.</p> - -<p>Nicht lange, so sprang Mister Johnny die Stiege im Nachbarhause -zu Toftes Malraum in langen Sätzen empor. Er riß die -Tür auf und berichtete, der Löwe wäre ihm davongelaufen.</p> - -<p>»Unmöglich!«</p> - -<p>Dann eilten sie miteinander hinab und sahen die Spuren -im Gras und im Sande der Wege. »Ha!« stöhnte Mister -Johnny.</p> - -<p>»Man wird Ihnen einen Schabernack gespielt haben,« -sagte Tofte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_186">[186]</a></span></p> - -<p>»Denken Sie denn, ich kenne die Löwenfährte nicht?« -schrie Johnny. »Halten Sie mich für einen Dummkopf?«</p> - -<p>»Im allgemeinen nicht.«</p> - -<p>»Und meinen Sie, ich hätte nicht einmal das bei meinen -afrikanischen Jagderlebnissen gelernt?« Dabei führte er -Toften noch einmal auf der Spur durch den Garten. »Er -hat sich keinen Augenblick besonnen – auf dem kürzesten Weg -ist die Bestie entronnen.«</p> - -<p>»Zu dichten brauchen Sie deshalb nicht – sondern Sie -müssen sofort die Polizei benachrichtigen,« sagte Henrik; »mir -schwant ein fürchterliches Unglück.«</p> - -<p>Johnny enteilte. Er warf sich in ein Auto und fuhr zum -nächsten Polizeiamt. Dort wußte man nichts von dem Ausbruch -eines Löwen. »Nun ja. Vielleicht ist es erst vor einer -Viertelstunde geschehen; denn die Fährte war frisch.« Heimlich -erwog Johnny, ob er nicht auch ausbrechen und nach England -entweichen sollte auf Nimmerwiedersehen. Finsternis fiel -über ihn bei dem Gedanken an das Unglück, das da drohte, -und bei dem Gedanken an die Rechenschaft, die man von -ihm fordern könnte. In rauchendem Wagen kehrte er nach -Hause zurück. Es fiel ihm nichts dabei ein, daß er Tofte in -seinem Atelier fand und daß dieser sagte: »Ich habe alle -Polizeireviere Münchens und die Ortschaften über den Englischen -Garten hin angerufen und geboten, das Vieh zu -erschießen, wo es sich sehen läßt.«</p> - -<p>»Machen Sie, was Sie wollen!« brüllte Johnny, »ich -reiße aus.«</p> - -<p>Das hatte Tofte geahnt.</p> - -<p>Und keine fünf Minuten vergingen, da rasselte der Wecker -des Fernsprechers …</p> - -<p>»Hier John Williams.«</p> - -<p>»Hier Stationsvorsteher von Pasing. Es steht ein Löwe<span class="pagenum"><a id="Seite_187">[187]</a></span> -auf der Strecke kurz vor Pasing, der Zug kann nicht einfahren -– ist das vielleicht Ihr Löwe?«</p> - -<p>»Ach wo! Wie kommen Sie darauf?«</p> - -<p>»Ein Reisender sagt, Sie hätten Ihren Löwen als vermißt -bei der Polizei gemeldet.«</p> - -<p>»Fällt mir ja gar nicht ein!«</p> - -<p>»Um so besser. So werden wir ihn erschießen.«</p> - -<p>Johnny erbleichte. »Um Gottes willen … Nicht erschießen! -Ja, ja, es ist mein Löwe! Er ist es – mit größter Wahrscheinlichkeit. -Aber nicht erschießen – der Spaß würde mich -zehntausend Mark kosten!«</p> - -<p>»Gut. Wir wollen also sehen, was sich tun läßt. Schluß.«</p> - -<p>Tofte hatte das Kursbuch einstweilen in seiner Brusttasche -geborgen, in dem Johnny zuvor hastig geblättert hatte. »Der -erste Akt!« sagte Johnny zerknirscht und hing den Hörer an. -Dann warf er die tausend Dinge herum, die er auf den Tisch -gestapelt hatte, warf sie in die Koffer, warf sie wieder heraus -und suchte das Fahrbuch und wußte es kaum. Wieder rief -das Telephon …</p> - -<p>»Hier Erholungsheim Waldhaus.«</p> - -<p>»Wer?«</p> - -<p>»Wald – haus, eine halbe Stunde hinter Pasing. Es steht -hier ein Löwe vor der Gartentüre … Ist das vielleicht -Ihr Löwe?«</p> - -<p>»Wie kann ich das wissen?« brüllte Johnny.</p> - -<p>»Wie, bitte?«</p> - -<p>»Lauter, lauter!« mahnte Tofte.</p> - -<p>»Teufel,« knirschte Johnny, »Teufel!«</p> - -<p>»Nein, ein Lö – we, ein Lö – we! Wir müssen ihn erschießen, -wenn Sie nicht augenblicklich Abhilfe schaffen.«</p> - -<p>Mit triefender Stirn sank Mister Johnny in den Stuhl. -»Wollen Sie nicht in einem Auto nachfahren?« rief Tofte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_188">[188]</a></span></p> - -<p>»Zum Donnerwetter, was soll ich denn dabei tun?«</p> - -<p>Und wieder gellte der Wecker, jäh, jäh und schüttete einen -Haufen Entsetzen aus …</p> - -<p>»Hallo! Hier Hotel ›Zur Post‹ in Garmisch. Eben ist ein -Löwe in unseren Speisesaal eingebrochen. Ist das vielleicht -Ihr Löwe?«</p> - -<p>»Herr – gott!« stöhnte Johnny.</p> - -<p>»Nein, ein Löwe …«</p> - -<p>»Was?«</p> - -<p>»Ein Lö – we!«</p> - -<p>Der Hörer klirrte an den Haken. Mister Johnny preßte -die Hände vor die Ohren und irrte mit seinem Entsetzen durch -den Raum. Dann schlug er die Koffer zu, verschloß sie und -zerrte sie zur Tür. »Es nützt Ihnen nichts,« sagte Tofte, -»längstens in der Halle des Bahnhofs hat man Sie gehascht. -Merken Sie denn nicht, daß Sie der Mann des Tages sind?«</p> - -<p>Das Telephon!</p> - -<p>Noch einmal wankte Johnny hinzu …</p> - -<p>»Hallo! Hier Berghaus Zugspitze.«</p> - -<p>»Wer?«</p> - -<p>»Berghaus Zugspitze – dreitausend Meter über dem -Meere.«</p> - -<p>»Was gibt's?«</p> - -<p>»Es ist hier ein Löwe zugelaufen. Wir haben die Bestie -eingekäfigt. Ist das vielleicht Ihr Löwe?«</p> - -<p>»Ja,« gestand John Williams. Seine Kräfte gingen zu -Ende. Aber Erlösung träufelte in sein Herz wie Mairegen.</p> - -<p>»Sind Sie noch da? Wir fordern Sie auf, Ihr Eigentumsrecht …«</p> - -<p>»Was?«</p> - -<p>»Ihr Eigentumsrecht geltend zu machen und das Tier -spätestens morgen abzuholen!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_189">[189]</a></span></p> - -<p>»Dem Himmel sei Dank,« sagte Mister Johnny, »das Leben -wird mir in dieser Stunde zum zweiten Male geschenkt.«</p> - -<p>»Das kann ich mir wohl denken,« begann Tofte nachdenklich. -Es wollte ihm scheinen, als hätte das Spiel seinen -Höhepunkt wohl für die Freunde, nicht aber für Mister Johnny -bereits überschritten. Das ging eigentlich gegen den Plan. -»Je nun, die Welt ist nicht reich an Humor, und wo er einmal -wächst, soll man ihn nicht in der Blüte knicken,« sagte er zu -sich. Daß es mit der Geographie Johnnys mangelhaft bestellt -war, das wußte man – o, Mister Johnny war ein -Brite! Und so war es für ihn durchaus kein Wunder, daß -der Löwe die Strecke Pasing, Garmisch, Zugspitze im Fluge -weniger Minuten durchmessen. Die Freunde hatten ihre -Rolle ausgezeichnet gespielt, und dem Johnny war über der -raschen Folge der Ereignisse wirklich nicht der leiseste Verdacht -aufgestiegen …</p> - -<p>Oder doch? Und suchte er nun schweigend die Fäden zu -entwirren? Sann er darüber nach, wie die Lage für ihn zu -retten wäre? Tofte wollte zur Klarheit gelangen. »Hm,« -unterbrach er die Stille, »schleierhaft bleibt mir bei alledem, -was das Vieh eigentlich auf der Zugspitze zu suchen hat?«</p> - -<p>»Das ist mir ganz egal,« polterte Johnny los, »im Atlas -klettern die Löwen auch auf die Berge! Ich habe keine Zeit, -mich mit Ihnen darüber zu unterhalten, verstehen Sie? Die -Frage ist jetzt: wie kriegen wir ihn herunter.«</p> - -<p>»Nun, das ist doch sehr einfach: Sie telefonieren nach -einem Rollfuhrwerk, lassen den leeren Käfig zur Bahn bringen, -geben ihn als Passagiergut auf, und wenn es Mühe machen -sollte, ihn auf den Gipfel der Zugspitze zu bringen – nun, -so kann man die Bestie vielleicht droben in ein Drahtgeflecht -einnähen, anseilen und herunterlassen … O, das läßt sich -dann schon machen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_190">[190]</a></span></p> - -<p>»So!« brüllte Johnny, »und das nennen Sie einfach?«</p> - -<p>Tofte zog die Achseln. »Tja – der kürzeste Weg zum -Ziele! Das ist stets der relativ einfachste …«</p> - -<p>Auf einmal erklangen Männerstimmen – von drüben aus -den Fenstern des Ateliers im Nachbarhause. Es waren die -Maler, die an dem Scherze beteiligt waren und zuerst in -Toftes Malraum die Gegend erkunden wollten. Tofte sah -aus dem Fenster und rief hinüber: »Mister Johnny hat mir -den ganzen Tag zerdonnert. Der Löwe ist los!«</p> - -<p>»Der Löwe?«</p> - -<p>Da eilten sie alle herüber, stießen ihre Arme und ihre -entsetzten Stimmen in die Luft, und Johnny forderte sie -auf, mit ihm die Zugspitze zu besteigen, um den Ausreißer -im Triumphe heimzuführen. Aber sie lehnten ab. Tofte -schützte Arbeit vor, die anderen vier fanden die Sache zwar -eigenartig, aber auch gefährlich.</p> - -<p>Es nahm nun alles seinen ordnungsmäßigen Verlauf: das -Rollfuhrwerk kam, der Käfig wurde aufgeladen, Mister Johnny -ließ seine gepackten Koffer im Atelier, reiste dem Käfig nach -und – ward nicht mehr gesehen.</p> - -<p>Die Koffer forderte er einige Tage später nach Glasgow -– woraus zu schließen war, daß er die Zugspitze erklommen -und dort sein »Eigentumsrecht an dem Löwen geltend gemacht« -hatte … Nein, wieder kam er nicht – aber sein -Ruhm hält in München noch für hundert Jahre.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">In diesen Tagen war es, daß Professor Salzer die Tante -Veronika entdeckte. Er war auf einer Septemberwanderung -im Thüringerwald. Damit hielt er es schon immer; denn dies -Fahren in bunten Blättern und Träumen war für sein gesammeltes -und weises Herz die Erfüllung des Jahres. Und -vor allem der letzte Sommer hatte ihm Veranlassung gegeben<span class="pagenum"><a id="Seite_191">[191]</a></span> -zum Nachdenken über sich selbst. Ganz leise war die Jugend -um ihn her in ihren Frühling geflogen – Kordula, Cornelius, -Gwendolin, Schaffrath, selbst Do und Jockele! Gott ja, sie -waren ihm nicht abhanden gekommen. Aber ihr Leben hatte -einen neuen kraftvollen Schoß getrieben, und Salzer war -ein wenig aus dem Kurs gefallen. Nicht so, als wäre man -seiner müde geworden, o nein. Er fand nur: es wäre für -ihn in der Ordnung, ein bißchen zur Seite zu rücken. Manchmal, -wenn er so droben über den Dächern zwischen Einsamkeit -und aufglimmenden Sternen gesessen hatte, pochte es -leis an sein Herz. »Herein!« Es war das Glück. »Herr -Professor, ich wollte nur fragen, ob wir zwei uns im Leben -vielleicht doch nicht so vollkommen eingerichtet haben, wie -wir die Jahre her dachten.« – »Je nun,« sagte er und strich -die Asche seiner Importe ab, »im allgemeinen doch wohl … -trotz alledem! Etwas zu wünschen bleibt ja immer. Sollten -wir es nicht genau so weiter treiben?«</p> -</div> - -<p>Aber am nächsten Morgen, während das neue Licht einen -herrlichen Kampf mit den Nebeln ausfocht, fuhr auch Salzer -in seinen Frühling, fuhr stracks zu Tante Veronika. Er kam -vor das Häuschen am Buchenschlag wie die Sonne selber; -denn er hatte am Abend zuvor herausbekommen, daß auch -die weise Frau vom Walde über den neuen Schossen, die -das Jahr im Märchenhause getrieben hatte, ein wenig zur -Seite gerückt war. Und Frau Do sollte ihn nicht umsonst die -»Würze des Lebens« genannt haben!</p> - -<p>Tante Veronika war gerade im Gärtlein und schnitt mit -der kleinen Rosenschere ein bißchen am verblühenden Jahre -herum. Sie hatte ein violettes Morgenhäubchen auf den -schneeweißen Haaren. Da stiegen auf einmal zwei blanke -Augen über den Zinseln des Zaunes hervor und darüber -der hellgraue Künstlerhut, der stets aussah, als wär' er erst<span class="pagenum"><a id="Seite_192">[192]</a></span> -am Morgen aus dem Hutladen bezogen worden. Es gab -eine große Freude; die sah zuletzt aus wie eine Malve, die -vom Scheitel bis zur Sohle und ringsherum mit schönen rosa -Blüten bedeckt ist; denn der Professor wackelte an dem Zauntürlein -… Und als Tante Veronika drinnen den Riegel -zurückschob, feierten die beiden Leutchen das Wiedersehen -so herzfröhlich – es konnte kein Mensch glauben, sie wären -einander in ihrem langen Leben nur ein einziges Mal auf -fünf Minuten begegnet!</p> - -<p>Natürlich lugte das Mädchen Mali im Eckzimmer gleich ein -bißchen durch den Vorhang – was es da draußen für einen -Spektakel gäbe. Und wie sie Herrn Salzer erkannte, der -damals im Märchenhaus auch an ihr vorübergestrichen war, -und wie die Frühsonne so um die beiden herumjauchzte, -dachte sie: »Die Weisen aus dem Morgenlande!« So war -nun das Mädchen Mali! Die Malve wuchs indes immer -weiter, und zuletzt ward ein richtiges Feuerwerk daraus; denn -der Professor wollte zwei bis drei Wochen im Frühlingshause -zu Gast sein – der erste Herr, der darin »Logierbesuch« war, -wenn man das Zigeunerbüblein nicht rechnete. Man denke!</p> - -<p>Die Mali lief im Haus herum, als wäre sie frisch geölt, -und flitzte über die Stiegen wie siebzehn Jahre. Und die -Glocke über der Haustür läutete in einemfort, geriet außer -Atem und mußte abgestellt werden; denn die Leute im Dorfe -hätten ja gedacht, bei Fräulein Sinsheimer wär' Feuer ausgekommen.</p> - -<p>Die Mali rückte gleich das ganze Häuschen in die neue -Sonne. Nach ein paar Stunden funkelte es bis ins Herz -hinein. Nicht etwa, als ob sie nun alle Winkel ausgestaubt -hatte – ach nein, Winkel gab's hier nicht für solch beschauliches -graues Dasein; sondern es war eine lichte Gelegenheit, -alle Fenster aufzustoßen an den beiden alten Frauenherzen,<span class="pagenum"><a id="Seite_193">[193]</a></span> -und der Himmel fanfarte hinein mit schmetternden Trompeten; -denn auch der Tante Veronika war anzusehen, wie glückselig -sie war.</p> - -<p>Den ganzen Nachmittag saßen die alten Herrschaften in -dem Eckzimmer, durch dessen Scheiben damals das Zinzilein -nach dem Herrn Prinz geschaut hatte, weil sie ahnte, daß sie -nun eine Prinzessin würde – saßen dort nach Tisch vor den -Meißener Schälchen beim Kaffee, und saßen dort beim Tee, -als schon die Sonne ihr Königskleid über den Wipfeln des -Waldes raffte. Das Leben aber fügte in diesen klaren und -köstlichen Herbsttagen dem leuchtenden Sommerschlößlein, das -den Namen Veronika Sinsheimer führte, den Schlußstein -ein. Um diese Zeit wurde es fertig. Ja, es hatte lange gebraucht -dazu, aber nun war es auch etwas prachtvoll Schönes -geworden und war ausgerüstet mit allen Kleinodien, die auf -dem Wege vom Auszug aus dem Himmel bis zur Heimkehr -in ein Menschenherz gelegt werden können. Zuerst hatte es -fast so ausgesehen, als wollte dies Leben dem Fräulein Sinsheimer -seine Kargheit zeigen und ein Weiblein aus ihr machen, -wie sie da und dort an den Rändern stehen. Nun hatte sie -Kinder gehabt und hatte Enkel, ihr Herz hatte alles Glück der -Welt hundertfältig gespiegelt, und nun hatte sie auch den -weisen und fröhlichen Freund, der neben den herrlichen Blüten -ihres Geistes und Herzens bestehen konnte.</p> - -<p>Deshalb trugen die Stunden im Frühlingshaus Festkleider. -Die gläsernen Schränke und die Mahagonimöbel funkelten so, -wenn Tante Veronika mit ihrem Freunde vor den Meißener -Tassen saß … »Ja, ja,« sagte der alte Herr, »mit dem Jockele -sind wir noch nicht am Ende! Ich glaube, da kommt noch -einmal etwas zutage, das keinem von uns im Traum eingefallen -ist. Er hat sich dazu so herrlich auf sich selber gestellt, -und uns – läßt er nicht einmal durch das Schlüsselloch gucken.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_194">[194]</a></span></p> - -<p>Tante Veronika spielte mit ihren Händen auf dem Rande -des Tischleins wohl ein schönes leises Lied. Und ihr Gegenüber, -der Herr Salzer, führte sie an seiner sicheren Freundeshand -den Weg der Wunder: aus dem Herzen der Zigeunerin -durch das Herz der Tante Veronika ans Herz der Frau Do -zum Herzen des lieben Gottes …</p> - -<p>Es war ein feines besinnliches Hinschauen.</p> - -<p>Dann redeten sie von weiser Frauenliebe und von dem -Segen, der in ihr ist. Von dem Fluche sprachen sie nicht; -denn Fluch wächst nur aus Leidenschaft. Liebe aber ist Weisheit -ohn' Unterlaß und Einschränkung; denn das Weiseste, -was es gibt, ist der Verstand Gottes; und dieser ist Liebe.</p> - -<p>So war der Herr Professor Salzer dem Märchenhaus in -jenen Tagen abhandengekommen. Niemand fand eine Spur -von ihm. Auch Jockele nicht – wiewohl er siebenmal die -hundertneununddreißig Turmstufen emporzog. Cornelius -komponierte die Märchenoper und war weg. Gwendolin -feierte Hochzeit und war auch weg. Henrik Tofte? Ganz -richtig – zu ihm gehörte das Fragezeichen. Schreiben tat -er nicht. Tinte und Feder waren für ihn sein Lebtag Dinge -gewesen, die er scheute wie Gift. Seine »Korrespondenz« -hatte er sogar einen Winter lang von Nane Thord besorgen -lassen. Und das einzige Mal, wo er nachweislich geschrieben – -damals, als er unter die Dichter gegangen – hatte er das -Manuskript vor den Augen der Menschen verborgen. Er sagte: -ums Leben könnte er sich auch bringen mit Pinsel und Farbe.</p> - -<p>Da packte Frau Do mit dem Diener Fritz die »Madonna -in Rosen« in eine flache Kiste und schickte sie an Rolf Krake. -Natürlich durfte Fritz nicht sagen, was er dabei dachte – aber -auch für Do war es ein wehmütig Beginnen. Dann setzte -sie sich hin und schrieb an Rolf Krake einen klugen und frohen -Brief …</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_195">[195]</a></span></p> - -<div class="letter"> -<p class="center"> -Lieber Einsiedler! -</p> - -<p>Ihr Verlangen war seltsam. Aber wir dachten: Sie wollen -einen Menschen um sich haben, über den Sie Ihre weisen -und närrischen Gedanken hinausschicken können ins Leben, -in das Sie nicht einmal mehr zu Gaste kommen mögen. Sie -haben sich einen neuen Garten Eden geschaffen und fordern -eine Gehilfin. Da ist sie! Gwendolin sagt: »Geschaffen von -den Händen Gottes …«</p> - -<p>Sie haben sich nun an einen Platz gestellt, an dem für die -Menschen das Narrentum angeht. Wir im Märchenhaus aber -sagen: das Narrentum hört dort auf. Jeder soll es treiben, -wie es sein Glück fordert; denn auf der Welt gehört nichts -inniger zusammen als Leben und Glück. Vielleicht werden -die Menschen nun Ihre Insel die »Narreninsel« nennen und -sagen: »Es lebt dort einer mit einem Bilde!« Und sie wähnen, -Sie wären der einzige.</p> - -<p>Die so reden, haben es zwar nicht zu dem Kleinod einer -Insel gebracht, aber zu Millionen leben sie sich an ihrem Dasein -vorüber und leben – einem Bilde! Meist einem, von -dem sie nicht einmal eine klare Vorstellung haben. So kümmern -sie sich ihre Straße dahin und kümmern sich ins Grab; -aber den frohen Einsamen auf einer Insel nennen sie den -Narren.</p> - -<p>Sehen Sie, so verstehen wir im Märchenhause den Brief, -den Sie an Henrik Tofte geschrieben haben. Er hat ihn uns -gelassen als Gastgeschenk. Wir lesen ihn oft und halten unsere -Herzen in sein warmes stilles Licht. Erkennen Sie nun: es -war ein Traum vom Leben, der Ihnen eingab, das Eiland -die »Insel der Auferstehung« zu taufen? Ein lieblicheres -Ostern – wer könnte sich vermessen, es zu feiern? Die Menschen -sind Schiffer auf dem Ozean. Nach ihrer Insel steuern -sie alle: der eine nennt sie die Insel der Auferstehung, der<span class="pagenum"><a id="Seite_196">[196]</a></span> -andere nennt sie Märchenhaus – – ihrer sieben gelangen -in den Hafen, dreihundert Millionen treiben daran vorüber. -»Die Insel finden!« stiller Freund, das ist die Weisheit, das -ist die Kraft! Und nun messen Sie Ihr »Narrentum« an diesem -Leitsatze des Lebens und sagen Sie getrost: »Es sei wie es -sei – meinen Himmel hab' ich mir errungen!«</p> - -<p>Ich sage nicht: wenn Sie einmal Lust haben, in die Welt -zu fahren, so kommen Sie zu uns! Nein, schlagen Sie Ihre -Wurzeln frohgemut in Einsamkeit und Tiefe, und stehen Sie -unerschütterlich auf Ihrem Gelöbnis. Aber wenn Sie einmal -herüberzureden wünschen in die Welt der Menschen, so fragen -Sie – mein Mann und ich werden Ihnen von dieser Welt -so viel erzählen, wie Sie hören wollen.</p> - -<p class="right"> -Frau Do. -</p></div> - -<p>Nichts als ein Brief! Und in den ersten Worten nicht -einmal ganz frei und nicht ohne die Sorge des Weibes, das -eines anderen ist. Aber nur in den ersten Worten. Die sollten -dem Robinson sagen: »Siehe, so ist mein Bild gemeint! Und -weil wir es so meinten, hast du es mit Freuden bekommen.« -Aber dann war alle Befangenheit von ihr abgefallen. Sie -erinnerte ihn nicht pharisäisch an die große Dummheit seines -Lebens und sagte: »Das werden Sie nicht wieder tun« – sondern -sie krönte seinen Sieg. Und sie sagte ihm: »Es gibt von alters -her auf Erden sieben Weise; sie sterben nicht aus; darum ist -ihr Sinnbild zu den Gestirnen des Himmels erhoben. Es -sind nicht Sterne erster Größe, aber siehe, du bist einer dieser -glückseligen Sieben. Freue dich!«</p> - -<p>Von sich selber sprach sie kein Wort. Aber sie ließ ihn ahnen: -dein Leben ist nun klug und klar, und es ist ein Leben der -Fülle – trotz alledem! Es ist ein Sinnbild für die dreihundert -Millionen Toren, die jeden einen Narren heißen, der nicht -die Schellenkappe trägt wie sie …</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_197">[197]</a></span></p> - -<p>Jockele war zu ihr an den Schreibtisch getreten; das Fenster -stand offen, die kleine Heidi lag drunten im Garten in ihrem -Wagen und schlief.</p> - -<p>Nun sprachen sie von Rolf Krake aus ihren hochgemuten -Herzen. Do lächelte und sagte: »Haben wir es denn anders -gemacht als er?«</p> - -<p>Da sah er sie erstaunt an. »Ganz anders.«</p> - -<p>Sie aber machte ihre Siegeraugen. Und er sagte: »So hast -du mich nicht mehr angesehen, seit – ich glaube seit damals, -als ich die Gwendolin heiraten wollte.« Es war sehr lustig.</p> - -<p>»Dann hast du wahrscheinlich in all den Jahren keine so -vollendete Dummheit in die Welt gesetzt, liebster Jo.«</p> - -<p>»Vor den Siegeraugen hab' ich noch den gleichen Respekt -wie damals,« sagte er. Dann zog er sie aus ihrem Schreibsessel -empor und führte sie in den Garten, und sie spazierten -Arm in Arm unter den schönen alten Bäumen. Es war eine -heimelige Stunde, leise und voll von dem warmen Lichte -des Mittags.</p> - -<p>»Nichts als ein Brief,« sagte er, »aber du hast damit wieder -einmal einen Wegstein aufgerichtet für Rolf Krake – und -auch für uns. Der Sommer im Fjord war der Reisesommer: -es flimmerte fremde Sonne hinein. Dann kam der Winter -der Freunde oder der Gesellschaften. Im neuen Frühling -fühlte man so sachte vor nach sich selber. Und nun will alles -schön und klar werden …«</p> - -<p>»Nun haben wir unsere Insel,« sagte sie, und wieder blühten -ihre Siegeraugen. »Nun, es ist wohl die Art ernster -Frauen, daß sie ihr Leben früher anfangen, bewußt zu leben, -früher als die Männer. Vielleicht kommt das daher, daß sie -die Grenzen ihres kleineren Reiches besser übersehen.«</p> - -<p>»Es ist bei uns Männern das heiße Begehren nach der Tat, -oft nach einer unerhörten Tat. Darüber stellen wir uns in<span class="pagenum"><a id="Seite_198">[198]</a></span> -Sturm und werden getrieben und bilden uns ein, wir wären -der Sturm selber. Es ist bei euch Frauen einfacher.«</p> - -<p>»Es ist gar nicht einfacher. Von den Frauen verstehst du -noch immer herzlich wenig, lieber Jockele – trotz deiner umfangreichen -Sammlung von Erfahrungen,« setzte sie lächelnd -hinzu. »Wir geraten in unserer Mädchenzeit an Knaben, von -denen wir uns vorreden, sie wären Männer. Und wir werden -spielerisch. Zuerst fangen wir an, uns mit äußerlichem Kram -zu behängen – und von Stund an ist die Mehrzahl der jungen -Mädchen ruiniert fürs Leben. Aller Sinn für den wahrhaften -Schmuck des Daseins geht ihnen verloren. Aber der für den -Jahrmarktströdel bleibt, wächst, wuchert und verqueckt uns -das Herz.«</p> - -<p>»Ist dir das alles über dem Brief an Rolf Krake eingefallen?«</p> - -<p>»Warum?«</p> - -<p>»Du hast noch nie so hart geredet.«</p> - -<p>»O ja,« sagte sie, »aber nicht oft, und du hast auch wohl -nie mit so willigen Ohren zugehört. Oder denkst du, ich wäre -damals aus dem reichen Hause meines Vaters in das Gartenhüttchen -am Horn geflohen und hätte mein Leben auf Biegen -oder Brechen gestellt, wenn ich das nicht gewußt hätte?«</p> - -<p>Sie hatten ihre Arme fest ineinandergelegt und wanderten -zurück bis in jenen Tag, an dem sie einander im Apfelgarten -zum ersten Male begegnet waren. Und sahen ihr Leben an. Es -stand vor ihnen wie in der Kristallkugel der Buschgroßmutter.</p> - -<p>Davon sprachen sie nun. Jockele kannte dies schöne Märchen -von Tante Veronika. Er hatte es lange, lange nicht mehr -erzählt – zuletzt wohl droben im Hardanger Fjord am Herdfeuer. -Da hatten sie alle zugehört, und Gwendolin hatte -gesagt: »Paßt auf, wir erleben es doch noch, daß aus dem -Naturforscher der Dichter wird.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_199">[199]</a></span></p> - -<p>Durch das grüne Dämmerlicht unter den hohen Bäumen -sah Jockele die Bilder in der Kristallkugel aufgehen und -merkte gar nicht, daß er zu atmen vergaß – genau wie damals, -als ihn die Tante Veronika zum ersten Male vor das Haus -der Buschgroßmutter geführt hatte. Es war ein Novemberabend -gewesen, und der Bergwind lief ums Haus und sang. -Als ihn das Mädchen Mali dann zu Bett brachte, hatte er -zu ihr gesagt: »Wenn es wieder Frühling ist, wollen wir -die Buschgroßmutter besuchen. Ich nehme meinen Schirm -und fort geht's!« – »Na ja,« hatte ihn die Mali vertröstet, -»vielleicht im Frühling. Aber das Gebirge der Riesen ist -schwer zu besteigen, und die Riesen sind auch keine netten -Leute.« Dies Zwiegespräch hatte Mali der Tante Veronika -berichtet; denn das sollte sie. Und Fräulein Sinsheimer -sagte: »Sooo! Dann müssen wir das in den nächsten Tagen -reparieren; denn fürchten darf er sich nicht.« – »Überhaupt -diese Schauergeschichten …,« warf Mali ein. »O, die sind -herrlich,« behauptete Tante Veronika. »Ich besitze gar nichts -Schöneres, was ich in den Jungen hineinspeichern könnte; aber -ich habe es wohl nicht richtig gemacht.« Und gleich am nächsten -Abend erzählte sie wieder. Das Mädchen Mali durfte -zuhören, und es war so schauerlich, daß sie ganz heimlich die -Füße unter ihren Sitz zog, weil sie merkte: die große Kreuzspinne -spann sie ein, die sich die Buschgroßmutter als Haustier -hielt. Dem Zigeunerbuben aber legten sich die blanken -Fäden dieser Phantasien schimmernd um das Herz.</p> - -<p>Wie viele Jahre waren seitdem vergangen! Und nun stand -ein Mann vor der Kristallkugel der Hexe im Baumgarten -am Horn, sah die Bilder seines Lebens darin und sagte: -»Es ist gar kein Märchen!«</p> - -<p>Nein, es war das Leben! Und der Sinn der Rede, daß -es ein Aber habe mit Männern, in deren Leben die Frauen<span class="pagenum"><a id="Seite_200">[200]</a></span> -nicht eine ungeheure Rolle spielen, ging ihm erst auf in dieser -Stunde. Vor anderthalb Jahren an der Hochzeitstafel hatte -er das so hinausgeschmettert aus seinem ungestümen Herzen. -Es war nicht darin gewachsen. Darum hatte er es auch in -seiner Art verstanden – nicht so wie die ältere Dame, die -»O« sagte, aber auch nicht viel tiefer als die anderen. Freilich -hatte er hinzugesetzt: »Was mich betrifft, so werde ich mich -in die Sonne meiner Frau stellen, wie sich die Erde stellt in -das Licht des Frühlingshimmels.« Nun ja, das hatte einen -ergebungsvollen Klang gehabt und war auch vorsatzfroh -gewesen. Aber man kennt das; und beides war nicht ungewöhnlich -für einen jungen Hochzeiter, dem das Zigeunertum -nur so aus den Augen blühte. Aber verstanden? Verstanden -hatte er es nach seiner Kraft, und etwa wie Hanna -von Fellner, die daraufhin mit ihm wettete.</p> - -<p>Daran dachten sie nun. Und sie wußten: Hanna hatte die -Wette verloren! Jockele war ein Mann geworden mit allen -Erkenntnissen. Und es kam eine Allgewalt über ihn – da -faßte er Do an den Hüften und hob sie empor und schmetterte -einen Jauchzer über sie. Als sie wieder auf der Erde stand, -preßte sie die Hände an die Schläfen, denn seine Wildheit -brauste ihr durch die Adern. Er aber sagte ganz fromm zu -ihr: »Du liebe Wundertäterin!«</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Als es wieder Frühling wurde, ging Heidi im Rasen auf -wie eine Tulpe. Sie trippelte von einer Blume zur -anderen und trank die blühenden Wunder der Erde in ihre -Augen. Jockele dachte: »Wenn sie im nächsten Jahre kommen, -kann ich ihr die schöne Geschichte von der Buschgroßmutter -erzählen.« Es war ein ungeduldiges Warten in ihm – er -wollte auch sein Teil an der Kleinen haben. Und die verfallende -Hütte der Buschgroßmutter stand in seinem Herzen<span class="pagenum"><a id="Seite_201">[201]</a></span> -noch genau so, wie sie die Tante Veronika darin aufgebaut -hatte. Sogar der Waldkauz brütete noch über dem Türpfosten, -und kein Sturm, der in den Jahren durch Jockele -gebraust war, hatte das Spinnennetz zerrissen, das vor dem -windschiefen Fenster hing: die dicke Spinne mit dem blanken -Kreuz auf dem Rücken lauerte noch darin – genau wie -damals.</p> -</div> - -<p>Ach, vieles, vieles, wovon sich die Erziehungsfreude der -Tante Veronika Wunder versprochen hatte, war verflogen -– dachte er. Aber die verstaubteste, hübscheste und geheimnisvollste -Hexenhütte, die je ein Märchenmund gedichtet hatte, -die war stehengeblieben. Und die wollte Jockele seinem Frühlingskinde -mitten hineinbauen ins Herz; denn wie Papa sollte -Heidi in jeder Woche einmal darin einziehen und ihr Zauberglück -finden, weil es so wunderschön war.</p> - -<p>Um diese Zeit begann er, für Heidi zu dichten: kleine -Blumen, kleine Blätter, die er über sie warf und die sie mit -ihrem jauchzenden Herzlein fing. Dazwischen führte er sein -Werk über die Flechten nun doch zur Vollendung. Er reiste -an die Hochmoore des Erzgebirges und Bayerns; er durchwanderte -die Schründe der Sächsischen Schweiz, wo die -Flechten um die Felsenzinnen blühen. Das Riesengebirge -lag noch zu tief in den Jahren, und er fühlte, wie er der -Naturwissenschaft aus den Händen wuchs. Alles drängte -in ihm nach einem Abschluß; denn der hatte noch gut Platz -in der Zeit, in der der Dichter in ihm nicht ganz daheim war.</p> - -<p>Wie alle Dichter, so fing auch dieser mit sich selber an. »Die -halben kommen nie darüber hinaus,« sagte er zu Do; »ich -aber will mich weit dahinten lassen. Es soll nicht etwas Windiges -werden, was ich da schreibe, und nicht ein kärglicher -Abklatsch des Daseins. Es ist Schwachsinn, eine Dichtung -über den Leisten des Lebens zu schlagen. Was soll dann<span class="pagenum"><a id="Seite_202">[202]</a></span> -weiter daraus werden als ein Schusterwerk? Nein, der Dichter -muß sich den Weltplan vom lieben Gott dazu borgen. So -etwa: ›Gib her, ich werde jetzt einen Roman schreiben und -will darin erschaffen, was du mit der Welt mal vorgehabt -hast; denn ich bin besser daran – mir können die Menschen -mein Werk nicht verpatzen, wie sie es dir täglich tun!‹ Wenn -man von einem Romane nicht sagen kann: er ist ein schönes -Märchen, dann ist er in der Regel miserabel.«</p> - -<p>Das war das erste und letzte, was Jockele über sein Dichten -zu Do und den anderen sagte, bis zu jener Wagenfahrt ins -Riesengebirge. Aber das merkten sie wohl, daß er der Ansicht -war: ein vollkommenes Märchen wäre die wahrhaftigste -und wahrhafteste Dichtung, die sich ersinnen ließe; denn es -steht darin: alle Schöpferweisheit und Teufelslist, alle -Menschenklugheit und Torheit, alle Tücke und Liebe – und -das eindringlichste und beredteste Weltbild ist fertig. »Laß dir -nicht in deinem Leben und Dichten herumwühlen von den -Menschen!« sagte er.</p> - -<p>»Mich deucht, das wäre ein gutes Nachtgebet,« sagte Salzer.</p> - -<p>»Ja – für alle; aber zumeist für die Dichter.«</p> - -<p>So schwang sich aus den Frühlingswiesen des Lebens -alles in die Bahnen, auf denen es dereinst schön und kraftvoll -zu den Höhen des Daseins gelangen sollte. Aber stetig und -unwandelbar in den wandelnden Jahren blieben Dos und -ihres Mannes Herz: das eine in seinem stillen klaren Licht -– und war ein Segen für und für; das andere in seinem -weltseligen Zigeunertum: ewig unrastig und voll stolzer -Träume, dabei immer bedacht auf die ruhevolle Breite des -Lebens – und doch ohne Sturm; stets voller Blüten und -voll der fröhlichen Weisheit des Glücks. »Es ist das Erbgut -der Männer meines Volks,« sagte Jockele, »als Könige der -Pußta tragen sie den Himmel in den Augen, und von dem<span class="pagenum"><a id="Seite_203">[203]</a></span> -Golde der Sterne – den fliegenden Tropfen des großen -Weltenozeans – ist ein Glanz in unsere Herzen gespritzt.«</p> - -<p>Gwendolin lächelte über diese Worte dahin. »Es scheint, den -Pußtawanderer Adalbert Stifter trägst du stets auf der Brust.«</p> - -<p>»Nein, mitten darin,« bekannte er.</p> - -<p>Aber Gwendolins Rede war nicht mehr frei wie einst. In -ihren Augen lag nicht mehr die stürmende Fülle. Und in -den Klang ihrer Stimme fand sich die Wehmut.</p> - -<p>In einer Juninacht saßen die drei Frauen und Jockele -im Garten, unter der Ulme, und tranken Erdbeerbowle. -Der Mond kämpfte sich blutrot hinter den Büschen herauf. -Heuduft schwebte von den Parkwiesen hoch. Da erhob Gwendolin -ihr Glas gegen den Mond und sagte: »Noch eine halbe -Stunde, du lieber Nachtgesell, dann hast du gesiegt in deinem -dumpfen Kampfe gegen den Dunst der Tiefe! Wo bleibe -aber ich?«</p> - -<p>»Unbegreiflich,« sagte Kordula, »wer hätte gedacht, daß -eine Zeit käme, in der du zag würdest vor dem Leben? Du!«</p> - -<p>»Es wundert mich gar nicht,« sagte Do, »Gwendolin ist -eine von jenen, die mit siebzehn Jahren heiraten müssen. -Es ist nun nicht leicht, ihr Mann zu sein.«</p> - -<p>»Ihr habt beide gut reden,« sagte Gwendolin bitter, »du -und Kordula.«</p> - -<p>»Halt,« gebot Jockele, »ich arbeite nur noch nebenher in Flechten, -Menschenherzen sind mir wertvoller, und Do sagt, von -Frauen hätte ich keine Ahnung. Aber vielleicht von der Ehe?«</p> - -<p>»Erst recht nicht,« behauptete Gwendolin, »denn du bist -eines jener Hätschelkinder des Schicksals: laufe nur mit weit -offenen Händen durchs Leben – es fällt immer etwas Herrliches -hinein!«</p> - -<p>Nun, Jockele war diese Rede von den Menschen gewöhnt; -sie wächst wild um alle Zäune. Ernst nahm er sie nicht. Da<span class="pagenum"><a id="Seite_204">[204]</a></span> -sie nun aber von Gwendolin kam, wurde er steil und blies -zur Schlacht. »Du, seit wann bist du ungerecht?«</p> - -<p>»Ich habe wohl schon an meinem Verstande gelitten,« -bekannte sie.</p> - -<p>»Du bist auch ungerecht gegen dich selber,« sagte er, »denn -Kämpfer sind wir alle beide – nicht so: ›Mensch sein, heißt -Kämpfer sein‹ … sondern: wir zwei haben unser Lebtag -weit weg gestanden vom Durchschnitt – auch mit unserem -Kampfe. Weiß Gott, es war ein steinichter Weg in den -Tartarus und von da auf den Berg der Seligkeiten! Dann -hab' ich den Berg mit dem Grabscheit zerhauen; dann hab' -ich – na, ich hab' etliches fertiggebracht in meinem Leben. -Aber freilich: an den Laden hab' ich mich dazu nicht gelegt, -und der Welt in die Ohren geschrien hab' ich's nicht: ›Seht -mal her, solch ein Kerl bin ich nun!‹ Zuletzt – das darf man -wohl sagen: das Leben hat es gut gemeint mit mir. Aber -etwa deswegen, weil ich ihm ein lammfrommer Zuschauer -gewesen wäre?«</p> - -<p>»War das bei mir anders?« fragte Gwendolin. Die Wehmut -war weg. Es klang herausfordernd, es klang unzufrieden.</p> - -<p>»Nein. Salzer hat einmal gesagt: ›Die Gwendolin Vogelgesang -ist der weibliche Jakobus Sinsheimer.‹ Recht hat er. -Aber nun, da du davorstehst, dir das Ehrendoktorat fürs -Leben zu erwerben, liebe Gwendolin, nun kneifst du.«</p> - -<p>Gwendolin lachte bitter und jäh auf.</p> - -<p>»Ach papperlapapp!« rief Jockele. »Mit einem Munde -voll Hohn schnellst du mir diesmal nicht aus den Händen!«</p> - -<p>»Du hast ja keine Ahnung von der Ehe,« sagte Gwendolin.</p> - -<p>»Nun, so ist mir das Talent, für und in Do zu leben, wahrscheinlich -im Bergwald eingeboren worden,« sagte er ärgerlich. -»Nein, liebste Gwendolin, ich habe mich gehörig in diese<span class="pagenum"><a id="Seite_205">[205]</a></span> -Sonne finden müssen! Und das will ich dir auch verraten: -sie war im Vorfrühlinge mitunter eklig frostig – man konnte -sich das Herz daran erfrieren bei all dem hellen Scheinen. -– Warum hast du Erich Meyer nicht geheiratet?«</p> - -<p>»Er ist mir zu sacht.«</p> - -<p>»Warum hast du mich nicht genommen?«</p> - -<p>»Du warst mir damals zu jung.«</p> - -<p>»Mir war er nicht zu jung,« sagte Do sehr ernsthaft.</p> - -<p>»Warum hast du Toften gehen heißen?«</p> - -<p>»Er springt immer hin und her zwischen Himmel und Hölle.«</p> - -<p>»Und James King und John Williams?«</p> - -<p>»<em class="antiqua">They are Englishmen.</em>«</p> - -<p>»Und den Grafen Metting?«</p> - -<p>»Den hätt' ich beinahe genommen.«</p> - -<p>»Wenn ich nicht dazwischengekommen wäre,« sagte Do.</p> - -<p>»Und wenn er kein Windhund gewesen wäre,« ergänzte -Jockele. »Wie sagte Gwendolin Vogelgesang? ›Die Ehe ist -eine verdammte Kunst.‹ Meine Finger langen nicht mehr zu, -dir herzuzählen, was du an jedem auszusetzen hattest. Du -hättest auch zu keinem gepaßt.«</p> - -<p>»Na also!«</p> - -<p>»Aber Richard Schaffrath …«</p> - -<p>»Es scheint, den hab' ich mir vorbehalten, meiner Dummheit -die Krone damit aufzusetzen. O!«</p> - -<p>Im Märchenhause wußte man seit langem, daß die Herzen -dieser beiden hochgemuten Menschen Miene machten, in Trotz -und Selbstherrlichkeit Wege zu laufen, die sie voneinander -fortführten. Es fehlte in diesem Hause nicht an Verständnis -für die Art beider: die Schuld lag bei Gwendolin, und sie -lag bei Schaffrath. Der war nun Professor geworden. Er -war nicht frei von rücksichtslosem Ehrgeiz, aber er hatte nichts -von einem Streber. Es war eine gesunde und männliche<span class="pagenum"><a id="Seite_206">[206]</a></span> -Kraft. Er stand fest auf sich selber, wie Gwendolin auch; -und beide hatten den Sinn zur opferwilligen Zweisamkeit -der Ehe darüber ein wenig verkümmern lassen. Nun, so etwas -wächst in jedem Garten. Aber seit einiger Zeit fanden sie -beide: es wüchse bloß bei ihnen. »Er ist ein Starrkopf und -Egoist,« sagte Gwendolin. »Und sie ist unweiblich und rechthaberisch,« -sagte Schaffrath.</p> - -<p>So war es zwischen ihnen über Winter geworden. Gwendolin -war in den vergangenen vierzehn Tagen in Ibenheim -gewesen. Dann war sie ins Forsthaus am Hörselberg gewandert, -hatte wütig darauflos gemalt und zwischendurch dem -Zinzilein ihr Leid geklagt – nicht kleinmütig, und wohl auch -nicht mit vergiftetem Munde. Aber von dem »brutalen Egoismus -der Männer« war doch mehrfach die Rede gewesen. Die -Tante Veronika mischte sich ein für allemal nicht in derlei -Dinge. Sie sagte: »Davon versteh' ich wohl nicht genug.«</p> - -<p>Das Spiel stand bei den Freunden im Märchenhause, zu -denen auch in diesem Falle Kordula und Erich Meyer und -Professor Salzer gehörten, für Gwendolin und Schaffrath -so, daß man Fehler gegen Fehler aufrechnete. Aber in jener -Nacht unter der Ulme verlor Gwendolin die Partie. Man -rückte auf der ganzen Linie geschlossen gegen sie an. Daran -war das harte Wort von der Dummheit schuld, mit der sie -ihr Leben gekrönt hätte.</p> - -<p>Do sagte: »Wenn man nicht wüßte, daß du jetzt gallig und -ungerecht bist, so würde man dich von nun ab zu jener kläglichen -Sorte von Frauen rechnen, die immer auf dem Sprung -ins Elternhaus sind, wenn ihnen in der Ehe mal eine Katze -über den Weg läuft. Du solltest dich schämen, dieser jammervollen -Art nahezurücken.«</p> - -<p>Gwendolin war betroffen. Die hohe Stehlampe mit dem -pfirsichroten Schirme machte diese Betroffenheit offenbar.<span class="pagenum"><a id="Seite_207">[207]</a></span> -Und Kordula sagte: »Mit meinem Mann habe ich wohl wenig -Mühe …«</p> - -<p>»Nun ja, dieser Athlet des Herzens,« warf Gwendolin -aufgewiegelt hin, »der paßt sich in dich wie der Kern in die -Aprikose.«</p> - -<p>Kordula griff dies Bild auf. »Ja, wenn die Aprikose fertig -ist!« Dann sagte sie: »Es war auch für mich nicht so einfach, -und es gab viel Falten und Knitter auszubügeln. Das gehört -nun eben zur Ehe. Warum ist sie ein Vertrag auf Gegenseitigkeit?«</p> - -<p>Darauf sagte Do: »Was könntest du denn dagegen haben, -wenn er dich einfach für die Hauswirtschaft forderte?«</p> - -<p>»Gilt nicht!« höhnte Gwendolin, »daß ich dazu nicht tauge, -wußten wir im vorhinein.«</p> - -<p>»Du sollst dir aber nicht einbilden, du könntest nun mit dem -Malkasten unterm Arm in die Welt ziehen, so oft dir's paßt, -und brauchtest zwei Wochen nicht heimzukommen aus Trotz -und Kindsköpfigkeit, und könntest im Walde herumzigeunern -und warten, ob er dich sucht. Wenn ich dein Mann wäre, -liebe Gwendolin, ich würde sehr viel herzhafter mit dir reden.«</p> - -<p>Gwendolin entschuldigte ihre Waldfahrt. »Na, das war -doch bloß mal eine kleine Flucht zu mir selber.«</p> - -<p>So standen sie mit spitzen Sinnen gegeneinander bis Mitternacht. -Schwere Weisheiten förderten sie nicht zutage, aber -wahr war's doch, was sie sagten. Gwendolin hatte einmal -vorgehabt, der blonden Do in dem Verhältnisse zu ihrem Mann -ähnlich zu werden. Und nun war <em class="gesperrt">das</em> daraus geworden!</p> - -<p>Sie wäre in ihrer Hartmütigkeit am liebsten bis in den -neuen Tag im Baumwinkel sitzengeblieben. Aber Kordula -nahm ihren Arm, und von der Straße aus sahen sie noch -Licht in Richards Zimmer. »Ich bringe dich nach Hause,« -sagte Gwendolin. Da gingen sie ganz langsam unter den<span class="pagenum"><a id="Seite_208">[208]</a></span> -Sommerbäumen dahin. Das Mondsilber sickerte über sie. -»Hast du denn gewußt, daß du so trotzköpfig bist?« fragte -Kordula.</p> - -<p>»Eigentlich – nein. Hartnäckig war ich stets, aber ich hatte -dazu niemanden als mich.«</p> - -<p>»Dann würde ich mir auch fürderhin an mir selber den -Kopf einrennen,« spottete Kordula, »du hast dich ja damals -ganz gut dabei gestanden. Warum suchst du dir nun deinen -Mann dazu aus?«</p> - -<p>Gwendolin lachte. Aber nur mit einem Auge; denn sie -mußte an Salzers Wort denken: »Er ist ja wohl der nächste -dazu.«</p> - -<p>Endlich kamen sie doch vor das Häuschen in Oberweimar, -und Gwendolin mußte mit sich nach Hause wandern. Sie -schritt mitten auf der mondhellen Parkstraße von Oberweimar -her, kam an Goethes Gartenhause vorüber und stieg die Stufen -beim Euphrosyne-Denkmal herauf, die zwischen dem Märchenhaus -und Schaffraths Wohnung ins Horn münden. Von -den Türmen der Stadt rief es ein Uhr. Richards späte Lampe -brannte noch immer.</p> - -<p>Es war eine schmerzliche Niederlage, die Gwendolin in -dieser Nacht erlitten hatte. Ihr Herz, dies funkelnde, lichtselige -Künstlerherz, war angelaufen wie ein Morgenfenster -von der Oktoberkälte.</p> - -<p>Am Kopfe des Stufenweges lehnte sie sich gegen das -Geländer. Der Schatten einer Ohreule zog über den Mond. -Gwendolin suchte nach einem Licht im Märchenhaus. Es -war keins mehr da. Und die Lampe, die in Richards Zimmer -wachte, war so peinlich beredt! »Warum könnt ihr beide -nicht schlafen?« fragte sie, und: »Stehst du nun nicht da -draußen unter den Sommerbäumen wie eine Abenteurerin?« -Jetzt fingen auch die stillen Fenster des Märchenhauses an<span class="pagenum"><a id="Seite_209">[209]</a></span> -zu reden. Es war ein heimliches Flüstern vom Glück … -Man konnte neidisch werden. Sogar aus den Tiefen der -Nacht heraus betörte die Sonne von dort her das Herz! -Waren denn Frau Do und Jockele nicht auch aus dem Edelstahle, -der stets wieder zu seiner blanken Geradheit zurückschnellte, -wenn man ihn bog? Zu allem war Do noch zwei -Jahre älter als ihr Mann – und es ging doch? War nun -dort die Weisheit, von der Henrik Tofte gesagt hatte: sie allein -brächte das Wunder einer Blüte zur Entfaltung? Aber im -Zwielicht des Durchschnitts oder des Narrentums kümmere -dies Wunder? …</p> - -<p>Es war eine heilsame Einkehr, die Gwendolin der blonden -Do dankte. Dann ging sie den Gartenweg zwischen den Hecken -entlang und trat in ihr Haus. Als sie im ersten Stock am -Zimmer ihres Mannes vorüberkam, blieb sie nicht stehen; -sie ging auch mit ihrem herausfordernden Schritt und legte -den Hut ab und das Schultertuch. Aber dann kam sie doch -zurück, trat in Richards Zimmer und setzte sich in den Lehnstuhl, -der gleich links neben der Tür stand. Eigentlich wollte -sie etwas sagen. Aber nun ging das nicht. Das Wort vertrocknete -ihr auf den Lippen. Und man kann sich doch auch -das Herz nicht zerbrechen wegen eines Wortes. Also!</p> - -<p>Schaffrath saß am Schreibtisch und hatte den Kopf in die -Hand gestützt. Die kleine Lampe mit dem roten Schirme -stand links vor ihm. Und wenn man ihn so von rückwärts -betrachtete, war er in das rote Licht gemeißelt wie ein Riese -aus schwarzem Gestein. Eigentlich wollte er etwas sagen. -Aber es ging nicht. Man kann sich doch das Herz nicht zerbrechen -wegen eines Wortes.</p> - -<p>So saßen sie eine Weile. Die Zeit lief zwischen ihnen dahin -– mit jedem Pendelschlag der Standuhr tat sie einen Schritt -– ein unsichtbares Gespenst. Einmal zog Gwendolin den<span class="pagenum"><a id="Seite_210">[210]</a></span> -Atem ein; es war, als fiel ein Tropfen auf eine heiße Herdplatte. -Da stand Schaffrath auf, hob die Lampe hoch und -leuchtete damit gegen die trotzige verführerische Frau. Sie -sah ihn mit versteinten Augen an.</p> - -<p>»Es ist mit dir immer das gleiche,« sagte er und stellte die -Lampe auf den Schreibtisch. Dann schritt er hin und her, -und sein Gang ward heftiger, wie eines Mannes, der gegen -den Sturm läuft. Und dann barst die gefesselte Stille, und -seine machtvolle Stimme gewitterte dahin über beide. »Bilde -dir nicht ein, daß das sieben Jahre zu tragen wäre! Es ist -ein klägliches Leben, und es geht darüber alles in die Brüche: -unsere Freundschaften, unser Ruf, unser Werk und wir selber. -Vier Wochen war es ein Schäferspiel, vier Wochen war es -eine Komödie, seit vier Monaten ist es ein Trutzspiel, und -nun wird gleich eine Tragödie daraus. – Wo bist du heute -abend gewesen?« Sie schwieg. »Es ist gut, daß du dich -scheust, es zu gestehen! Das heißt, Sinsheimers wissen längst, -wie es um uns steht. Sie haben es seit vier Monaten gewußt. -Aber sie sind still gewesen aus Mitleid. Aus Mitleid! Verstehst -du, was das sagen will?«</p> - -<p>Über diesem Worte wand sich Gwendolin in ihrem Stuhl. -»Nicht aus Mitleid! Ich glaube, es ist noch ärger. Vielleicht -ist es auch schon Verachtung. Sie sagen: es fehlt uns an -gutem Willen.«</p> - -<p>»Dir!« schrie er.</p> - -<p>»Natürlich,« höhnte sie, »immer mir!«</p> - -<p>Da rückte er seinen Schreibsessel in die Mitte des Zimmers -und schaltete das Deckenlicht ein und warf sich in den Stuhl. -Gwendolin aber war aufgesprungen und lief vor der Türwand -hin und her.</p> - -<p>»Es liegt doch an dir, Richard! Hast du in den letzten vier -Monaten einmal um mich geworben wie jetzt?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_211">[211]</a></span></p> - -<p>»Werben nennst du das?«</p> - -<p>Nun mußte sie doch ein wenig lachen. »Jawohl – werben! -Vier Monate hast du gebraucht zu diesem erlösenden Wetter! … -Es hätte sich wohl auch anders denken lassen. Aber es war -doch mal ein Losbruch, es war ein Zerdonnern dieser grauenhaften -Verschlossenheit. Du hast dann alle Fenster an dir -verhängt, und es ist mir nicht gegeben, da einen Einschlupf -zu suchen. Ich habe mit mir selber genug zu tun.«</p> - -<p>»Es ist so meine Art,« sagte er. »Ich brauche vier Wochen, -ich brauch' ein Vierteljahr lang mit keinem Menschen zu -reden, weder von Leid noch von Liebe.«</p> - -<p>»So rede wenigstens mit deiner Frau. Aber du sitzt dann -im Haus und im Leben als ein steinerner Gast. Es ist zum -Verzweifeln. Und am Ende versteinere ich auch.«</p> - -<p>»Jawohl, an deinem schlimmen und trotzigen Willen!«</p> - -<p>»Nein, Richard, nein, ich bin ein Weib und bin gewöhnt, -umworben zu werden im Guten und Bösen. Meinetwegen -donnere durch die Tage; das ist mir ganz egal … oder: -es ist mir lieber, als wenn du dich zumauerst mit dieser -wortlosen Kargheit. Damit weiß ich nichts anzufangen. -Und dann lauf' ich fort und mach' es wie in der anderen -Zeit, in der ich glücklich gewesen bin mit mir selber und -hell und aufgetan …«</p> - -<p>Da lief sie hinaus. Es sah aus, als wollte sie nun den -Hut nehmen und das rettende Malzeug und hinfliehen in -die Nacht. Aber das tat sie nicht; sondern sie ging mit ihren -heißen und trockenen Augen in das Schlafzimmer. Sie hatte -ihm alles gesagt, was ihr Herz in dieser jähen Stunde hergeben -mochte. Es war nicht über ihre Kraft gegangen, wie -damals im Märchenhaus, als sie sich ausweinend über das -Bett warf, aber sie dachte: was sie ihm gesagt hätte, wäre -viel mehr gewesen, als sie sich je zugemutet hätte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_212">[212]</a></span></p> - -<p>So war nun dies lichte klingende Herz: es mußte durchaus -umworben werden, wenn es blühen sollte. Und so war es -mit ihm gewesen seit den frühesten Mädchentagen. Zehn -Jahre hatte sie es so mit diesem Herzen gehalten; denn es -war eine große Gefahr für sie. Viele Mädchen haben solche -Herzen und nehmen sie nicht in acht und kommen darüber -von sich selber und von allem tapferen Willen für ein gutes -und züchtiges Leben. Vor Gott und der Welt hatte sich -Gwendolin nicht gefürchtet, seit sie sich verstand; aber vor -ihrem Herzen war ihr bange gewesen. Nun war das so geworden; -und als ihr Mann wartete, daß sie es ihm wie einen -goldenen Ball zuwerfen sollte, konnte sie es nicht; denn dies -Spiel hatte sie dereinst mit aller Kraft und Selbstzucht verlernen -müssen.</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">»Vielleicht hätten wir mit der Aussprache von gestern abend -nicht so lange warten sollen,« sagte Jockele am anderen -Morgen zu seiner Frau.</p> -</div> - -<p>»Wir sind viel zu nachsichtig mit ihnen gewesen,« sagte -sie, »wir haben uns in diese Angelegenheiten gar nicht zu -mischen – darum haben wir auch nicht zu lange gewartet. -Ich weiß recht wohl, woran sie beide leiden. Deshalb weiß -ich auch, wir hätten uns auf derlei Auseinandersetzungen -gar nicht einlassen sollen. Aber dazu haben wir ein Recht – ich -will zu ihr sagen: Ihr zwei haltet es miteinander wie ihr -es für gut findet; in unser Haus könnt ihr jedoch nur kommen, -wenn ihr in dies Haus paßt.«</p> - -<p>»Es ist wieder mal eklig kalt,« spottete Jockele.</p> - -<p>»Ach nein,« sagte sie, »du hältst dein Herz nur immer in -den Händen wie ein großes Licht und möchtest alle Finsternis -der Welt damit hell machen. Trösten und Ehen flicken, -liebster Jo, das sind zwei Dinge, mit denen schwer hantieren<span class="pagenum"><a id="Seite_213">[213]</a></span> -ist. Ich traue mir weder das eine zu noch das andere. Wenn -du ihnen Moral predigen willst, so ist das deine Sache. Für -mich gibt es in diesem Falle nur einen Weg: ich lasse in -meine lichte Burg keine Narrheit von draußen hereinbrechen.«</p> - -<p>Dagegen gab es kein Eifern. Und es war wohl auch in -der Ordnung; denn die Moral hatte den beiden im Nachbarhause -der Herr Professor Salzer schon zur Genüge gepaukt. -Aber er hatte es aufgegeben. Nun hatte Schaffrath das -Empfinden: es gehen über unserer Ehe zuerst unsere Freundschaften -in die Brüche. Und daraus folgerte er: man gab -die Schuld beiden, sonst hätte man sich ja auf seine oder auf -die Seite Gwendolins schlagen können. – Vor allem aber -hatte Herr Salzer ihnen gegenüber einen schweren Stand; -denn beide sagten zu ihm: »Sie mögen ja ein ganz guter -Literarhistoriker sein, aber von einer Ehe verstehen Sie nicht -das geringste.« Da hatte er's.</p> - -<p>Schaffrath aber und auch Gwendolin wurden sehr nachdenklich -an sich selber.</p> - -<p>Um Herrn Salzer war es mit einem Male recht einsam -geworden, schauerlich spätherbstlich, mitten im Sommer. -Sein Turm gefiel ihm nicht mehr halb so gut. Das vornehme -Mahl, das er im »Erbprinzen« zu halten pflegte, erfüllte -alle Ansprüche des Feinschmeckers – aber es mundete -ihm nicht mehr recht. Mit der Literatur war das auch solch -eine Sache – man brauchte dazu nicht unbedingt auf einem -Turme zu wohnen. Kurz: Herr Salzer hatte einmal wieder -das dringende Bedürfnis, sein Glück aufzubügeln. Er kleidete -sich unerhört vornehm. Er kaufte sich einen grauen Zylinderhut -wie der Stadtrat Schniedewind. Er trug Schuhe mit -einem Einsatz vom Stoffe seiner Kleider – nun, einen Zigeuner -oder gelehrten Tropf hatte man seinem äußeren -Menschen nie angesehen. Und so furchtbar wichtig vermochte<span class="pagenum"><a id="Seite_214">[214]</a></span> -er diesen selbst nicht zu nehmen, nicht einmal jetzt; darum -merkte er nach acht Tagen: auch das war kein Heilmittel -für das geheimnisvolle Leiden. Er verfiel sogar auf den -verrückten Gedanken, es wäre das Alter. Achtundfünfzig! -Lieber Himmel, vor einem halben Jahre war er noch ein -leibhaftiger Jüngling gewesen an seinem Herzen! Und nun -wollte dies Herz über Nacht misepeterig geworden sein? -Aber dennoch – er rüstete sich mit der Ergebung des wahrhaft -Weisen und bildete sich drei Tage lang ein, er wäre ein alter -Mann.</p> - -<p>Und merkwürdig: die einhundertneununddreißig Stufen -im Turm waren auf einmal erstaunlich schwer zu steigen. Am -dritten Tage pustete er sich schon hörbar empor und rechnete -aus: in vier Wochen könnte er sich die Welt überhaupt nur -noch aus der Herrgottsperspektive betrachten. Peinlich, höchst -peinlich! Und gerade jetzt hatte er Lust, mal durch einen -Wald zu spazieren, den Gehstock zwischen den Fingern zu -drehen wie ein Windrädchen und dabei vergnügt vor sich hin -zu trudeln »Freut euch des Lebens«!</p> - -<p>»Das Alter muß ich mir wieder abgewöhnen,« sagte er, -»es ist unlustig. Ich muß mir überhaupt mein ganzes bisheriges -Leben abgewöhnen. Zum Beispiel wäre es doch -gar nicht übel …«</p> - -<p>Er dachte an den schönen Buchenwald bei Ibenheim. Dort -hinauf brauchte man keine hundertneununddreißig Stufen -zu klettern …</p> - -<p>Nein, übel wäre das ganz und gar nicht! Aber wenn man -in das Haus der Tante Veronika ziehen wollte, so, so für -immer, da mußte man zunächst mit Tante Veronika darüber -reden. Das war schon wieder ein Stein des Anstoßes, gleich -am Anfange des neuen Wegs. Seit jenen Septembertagen -war er viermal zu Gast im Frühlingshause gewesen. Zuerst<span class="pagenum"><a id="Seite_215">[215]</a></span> -hatte er gesagt: es wäre der schöne Buchenwald, der ihn -lockte, und die Stille auf dem Hügel, und die Champagnerluft, -die so in die Lungen prickelte. Und später hatte er gemeint: -es wäre doch ein herrliches Vergnügen, das Erwachen -des Jahres so gleichsam aus der Hand des Weltenschöpfers -heraus zu genießen. Und zuletzt? Da hatte er die Tante -Veronika ganz vergnügt angeguckt: »Warum haben wir uns -nicht ein Dutzend Jahre früher kennengelernt?«</p> - -<p>Natürlich, die Tante Veronika verstand das vollkommen -richtig, aber in ein silbernes Mädchenlachen verfiel sie doch; -denn Tante Veronika war nun Siebzig!</p> - -<p>Nein, nein, an Hochzeit dachte Herr Salzer nicht. Aber die -blanken Augen taten ihm wohl wie der Mai; und wenn die -leisen weißen Hände einmal etwas an ihm zurechtzurücken -hatten, hielt er sehr stille – ganz gegen seine Art. Es war -so feiertäglich um diese klare alte Dame – es war mit einem -Worte: außerordentlich.</p> - -<p>Darum packte er seine Koffer und fuhr nach Ibenheim. -»Hallo! Sie müssen mich mal in die Kur nehmen, liebste -Tante Veronika,« sagte er und schüttelte ihr die Hände, als -wollt' er mit ihr zum Tanz antreten, »jawohl, in die Kur; -denn sonst steh' ich für nichts!«</p> - -<p>Nach einer halben Stunde kam er aus dem Gaststübchen -wieder herunter. Die eine Ledertasche hatte er dem Mädchen -Mali anvertraut. Es waren darin Schildkrötensuppen in -Büchsen, Kaviar, Spickaal, allerhand Pasteten, gezuckerte -Früchte … es war eine Sammlung, die dem Herrn Salzer -Ehre machte. »Es ist aber noch nicht alles,« sagte er geheimnisvoll, -»das hab' ich nur so im Abreisen aufgerafft. Der -Wein kommt aus dem ›Erbprinzen‹ und kommt von Krehan, -eine ganze Kiste,« flüsterte er und sah das alte Mädchen dabei -an … tja, der Herr Salzer! Und ein Kochbuch hatte er ihr<span class="pagenum"><a id="Seite_216">[216]</a></span> -auch mitgebracht. Damit sie das aber nicht übelnähme, -überreichte er ihr dazu ein Hausstandsportemonnaie, natürlich -gefüllt. »Sehen Sie, das da, in dieser Abteilung, ist ganz -allein für Sie.« Es war gut und reichlich … tja, der Herr -Salzer!</p> - -<p>Die Tante Veronika geriet an dem neuen Mietsherrn in -herzenshelles Vergnügen. Und der Herr Professor merkte -ihr an, wie es ihr ums Herz war. »Hähähä,« lachte er, »ich -weiß alles: die Schwelle des Frühlingshauses ästimieren Sie -als die reinste Fundgrube für Buben – erst war es ein -kleiner, nun ist es ein alter Junge, den Ihnen der Wind -hergeweht hat, hähähä.«</p> - -<p>Aber – und das ist die Hauptsache – die beiden Leutchen -erschmunzelten sich darüber eine blühende Daseinsfreude. -Das ist ein rares Gewächs auf den höchsten Höhen des Lebens, -und es gibt keins, das köstlicher wäre. So schlossen sie einen -Vertrag, der kaum zwischen ihnen besprochen und der jedenfalls -nie geschrieben wurde: sie wollten sich gegenseitig in -unwandelbarer Glückseligkeit hinauspflegen aus den grünen -Gärten der Erde in die blauen Weiten des Himmels. Fräulein -Sinsheimer dachte, nun würde sie das Häuschen am -Walde nicht mehr verlassen, bis sie die Sternenreise anträte, -die auch fröhlich werden sollte; denn an frohmütiger Weisheit -schüttete das Leben in ihr Herz, was nur hineingehen wollte. -Aber einmal zog sie doch noch hinüber ins Märchenhaus. -Das war aber viel später. Ach ja, die Funkelwiesen, auf denen -die Engel spazieren, mußten lange warten, ehe man im -Frühlingshause die Wanderschuhe schnürte …</p> - -<p>Nach Weimar geriet der Herr Salzer hauptsächlich nur, -wenn es galt, Küche, Keller und Vorratskammer von neuem -auszurüsten. Dies Werk betrieb er fortan mit großem Eifer -und ausgezeichnetem Feinsinn. Tante Veronika schalt immer<span class="pagenum"><a id="Seite_217">[217]</a></span> -ein bißchen über den sündhaften Aufwand, den er mit sich -machte, nannte ihn einen Verschwender und behauptete, -sie helfe ihm diese vornehmen Sachen nur essen, weil sie -für ihn allein unbekömmlich wären. Aber schlimm war das -nicht gemeint; denn beim Auspacken waren sie immer zu -dritt und hüpften um die Herrlichkeiten herum wie Kinder -um den Weihnachtsbaum. Es muß auch verraten werden, -daß Fräulein Sinsheimer in dieser Zeit ein ganz kleines -venezianisches Glas besaß. Das war nicht geräumiger als -ein Daumen. Daraus half sie ihrem Freunde mittags und -abends einen Fingerhut voll Wein trinken, oder gar Sekt. -Sie fand, es bekäme ihr ausgezeichnet, und sie schlief danach -wie eine Tulpe im Winter.</p> - -<p>Ja, so trieben sie es. Es war eine Herrlichkeit. Und der -Herr Salzer? So oft es Frühling wurde in der Welt, spazierte -er an den Waldrand, kippte daselbst sein Tintenfaß -um und tat ein Gelöbnis, daß es vor dem ersten November -nicht wieder gefüllt würde; denn er hatte herausgefunden, -Literaturgeschichte im Sommer säure das Herz an.</p> - -<p>»Und zu dieser Entdeckung haben Sie sechzig Jahre gebraucht?« -spottete Tante Veronika.</p> - -<p>»Hm,« machte er. Aber gleich war er wieder vergnügt; -denn er hatte auch herausbekommen, daß er an Frau Do -und ihrem Jockele recht eigentlich zum Leben genesen wäre. -Und doch, von wem sonst hatten jene beiden es gelernt als -von Tante Veronika? Also war Fräulein Sinsheimer für ihn -der Brunnen aller Freude! Die Sache war in schönster -Ordnung, und die Tage flossen in Heiterkeit dahin. Aber -einmal kam ein Ereignis voll herrlicher Allgewalt – das -hieß Henrik Tofte. Es kam nicht in eigener Person, wie -man nach dem Ausdruck »Allgewalt« schließen könnte, sondern -es kam in Gestalt von Zeitungsberichten, und kam aus dem<span class="pagenum"><a id="Seite_218">[218]</a></span> -Märchenhaus. Aber es wirkte, als stürmte der nordisch blonde -Skalde selber ins Häuschen und wuchtete die oberen Türpfosten -heraus, weil sie zu niedrig waren für sein Hünenmaß …</p> - -<p>Es war in jenem März, in dem Heidi das Frühlingskind -vier Jahr alt wurde.</p> - -<p>Bis dahin war Henrik Tofte für Do und Jo verschollen -gewesen. Das hing auch damit zusammen, daß er Tinte und -Feder für minderwertige Werkzeuge hielt. Zwei Jahre lang -hatte es ausgesehen, als wäre er gestorben. Zwei Jahre? Ach, -noch länger, als Richard Schaffrath brauchte, seine schlanke -Frau Professorin in gründliche Reparatur zu nehmen. Aber -nun war sie wundervoll ausgeputzt, und beide gingen ausgezeichnet. -Schaffrath hatte reden gelernt und werben, wie -sie es gern hatte. Und sie warf ihm ihr funkelhelles Herz zu, -wie er es gern wollte. Aber eigentlich in Weimar war das -nicht so geworden, sondern in Dresden. Dort hatten sie bei -Arnold eine Ausstellung ihrer Bilder, die sie zu bewundertem -Erfolge führte. Beide. Und von der Elbe zogen sie heim -als Hochzeitsreisende und standen in voller Blüte. So blieb -das nun.</p> - -<p>»Und Henrik Tofte?« fragte man im Märchenhause, »habt -ihr nichts von Henrik Tofte gehört?«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>»Ach, Henrik Tofte!« lächelte Kordula Meyer. Merkwürdig -– seitdem das Institut für schwedische Heilgymnastik und -Massage in Rom zu verblüffender Tatsache geworden war, -seitdem konnte Kordula den Namen Henrik Tofte nicht aussprechen -ohne elektrische Zuckungen. Etwa so, als ob sie sagte: -»Kladderadatsch.«</p> - -<p>Zwei Jahre gingen dahin, beinahe drei – Zeit genug, -sich mit dem Gedanken vertraut zu machen: »Henrik Tofte -ist versickert im Staube der großen Stadt.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_219">[219]</a></span></p> - -<p>»Sturmschwalbe du!« sagte Frau Do voller Wehmut. Es -war ihr um diese Fülle von Kraft doch leid.</p> - -<p>»Nun, am Ende wäre durch Rolf Krake etwas zu erfahren?«</p> - -<p>Aber Rolf Krake hatte nicht einmal auf den Brief Dos -geantwortet, den sie damals mit der Madonna in Rosen -gesandt hatte. Er hatte nicht das Bedürfnis gehabt, herüberzurufen -in die Welt der Menschen, und nicht das Bedürfnis, -vom Märchenhause zu hören. Verstürmt – verschollen.</p> - -<p>Einmal – einmal waren zwei Schülerinnen Richard -Schaffraths nach Norwegen gereist. Sie waren an den Hardanger -Fjord gekommen und hatten die Insel der Auferstehung -gesucht und gefunden. Sie waren im Boot um das -Eiland gesegelt. Es hatte in Rosen gestanden, in Rosen. -Eine Wolke von rosa und roten Blüten hatte darübergeweht, -Mauern von Rosen waren rings um die Inselkanten gezogen, -die Dächer des Blockhauses hatten ausgesehen wie Frühlingswiesen -– aber nur der liebe Gott hatte hineinzuschauen vermocht, -Menschen nicht. Die beiden Malerinnen hatten versucht, -vorn an der Stiege zu landen. Da stand es in den -Stein gemeißelt: das Anlegen von Booten und das Betreten -des Eilands wäre verboten! Nane Thord war herausgekommen -und die blonde Marit. Sie hatten beide fremdartig -gelächelt: Herr Krake? O nein, Herr Krake wäre für niemanden -zu sprechen.</p> - -<p>Und dann waren die Mädchen wieder nach Weimar gekommen. -Einen Sommerabend lang erzählten sie unter der -Ulme von der Roseninsel im Hardanger Fjord, und wie sie -mit den spiegelnden Wassern so schön und zauberisch und -traumhaft gewesen wäre. Man hätte zu atmen vergessen, -solange man um dies blühende Wunder glitt …</p> - -<p>Das war das letzte. Auch Rolf Krake war für seine Freunde -verschollen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_220">[220]</a></span></p> - -<p>»Nun, einmal werden wir ihn zum Leben erwecken,« sagte -Jockele. »Ich weiß eine blonde Frau, die ihn errufen kann.«</p> - -<p>»Vielleicht,« lächelte Do, »aber die blonde Frau will nicht! -Ach, dies kluge einsame Herz versteht keiner besser als sie! -– Rolf Krake ist gar nicht einsam,« sagte sie nach einer Weile, -»für ihn ist das die Fülle des Lebens. Warum soll ich ihn -aus seinem Rosengrab erwecken?«</p> - -<p>Und Henrik Tofte?</p> - -<p>Nun, der Herr Salzer verstand es schon, eine Zeitung zu -lesen! Er saß an dem Fenster nach dem Garten hinaus, vor -dem die »fliegenden Herzen« im Lenzwind schaukelten, und -rückte die Hornbrille wiederholt sehr bedeutend. Tante Veronika -saß an ihrem Nähfenster und hörte ihm zu: Henrik -Tofte war nun nicht mehr das Genie, das dem lieben Gott -aus der Hand gefallen, ehe es ganz fertig geworden war – -war nicht mehr das Genie, in das von allen Gaben des Lichts -und der Finsternis ein wahllos Übermaß hineingepackt worden -war, nein: Henrik Tofte war der größte Maler des Jahrhunderts! -Es stand da: seine Kunst wäre seherhafte Physiognomik, -und er wäre ein aufrichtender und ausgleichender -Deuter aller Dinge. Er war nicht Impressionist, nicht Kubist, -nicht Pleinairist – es war nicht Raum für diesen Gewaltstrom -zwischen Ufern, in denen sich die Wässerlein vom Berge -recht hübsch ausschäumten oder zwischen denen sie recht wacker -funkelten – sondern: seine Kunst wäre das vertiefende -Gleichgewicht zwischen Form und Farbe, stand da zu lesen, -und Henrik Tofte hätte sein Genie an den Alten gestärkt; in -München zum ersten Male hätte er mit Eifer studiert – was -man so nennt – und die skulpturale Abrundung seiner -Figuren, das feinste Farbengefühl für die lebendige Masse -und für die warmen Schwingungen der körperlichen Oberfläche -– all das wäre in dieser Vollkommenheit vor Henrik<span class="pagenum"><a id="Seite_221">[221]</a></span> -Tofte ein schöner Malertraum gewesen; in ihm aber wäre -es Erfüllung geworden …</p> - -<p>Das war die kleine Auslese aus dem dicken Stoß Zeitungen. -Herr Salzer gab sie der Tante Veronika zum besten. Bei -manchen der randgefüllten Sätze konnten sie sich viel denken, -bei manchem weniger – was kam zuletzt darauf an? Das -aber wußten sie beide: Henrik Tofte war ein ungeheures -Ereignis geworden – ungeheuer, wie die Manierlosigkeit -seiner Schöpfungen. Riesenflächen von Leinwand hatte er -bemalt mit Leben. Und wer seine Bilder sah, der mußte -empfinden: der das gemacht, hatte die Kraft, Chronik und -Spiegel seiner Zeit zu sein.</p> - -<p>Das war umfassend. Und danach stellten sich die beiden -Alten am Buchenwalde vor, wie das aussähe: Chronik und -Spiegel seiner Zeit.</p> - -<p>»Na, da muß er ja reinweg einen ganzen Himmel bemalt -haben,« sagte Tante Veronika in ihrer bedachtsam-lustigen -Art. Und sie gab damit des berühmten Mannes berühmtem -Werke gleich die nötige Ausdehnung an Fläche. Herr Salzer -hinwiederum sorgte für den Gehalt der Bilder. So betrachteten -sie das Ereignis in ihrem Häuschen am Walde aus -der Ferne; denn man hatte aus der kleinen Stube einen -Rundblick über die Welt – nicht zu sagen! Sie redeten von -Henrik Tofte und seinem Leben; denn auch von diesem Leben -stand in den Zeitungen: von dem Drama, das er einst selber -gedichtet hatte; von seinen Eltern, die arme Webersleute -gewesen; von seiner Lehrzeit als Anstreicher; von seinem -Zwischenspiel als Zirkusclown; und von seinem Erlebnis mit -King, Williams und Watson. Jawohl, Watson – und das -war ein feines Kapitel! Sie redeten von der Löwenballade -und von der Zugspitzpartie des Mister Johnny und vom alten -Käse … es war nichts unwichtig auf der Bahn dieser neuen<span class="pagenum"><a id="Seite_222">[222]</a></span> -Sonne. Und sie redeten von der Frage: wo sie augenblicklich -kreise. Die Zeitungen wußten es nicht und rieten.</p> - -<p>Danach schrieb Herr Salzer den Ertrag seiner Kunstbetrachtung -mit Veronika in einem langen Brief an die Leute -vom Märchenhaus. Und darunter schrieben sie: »Der Hügelmann -und die Hügelfrau.« Und diese Namen verblieben den -beiden Menschen für den fröhlichen Rest ihres Lebens.</p> - -<p>Nachschrift: »Wo ist Henrik Tofte? Wißt ihr es nicht?« -»Nein.«</p> - -<p>Sein Ruhm war nicht über Nacht gekommen. Schon lange -hatte er kleine Ringe geschlagen auf dem stillen Wasser seines -Lebens. Tofte verkaufte ein Bild, wenn er Geld brauchte. -Dann wurden die Leiter der großen und staatlichen Sammlungen -auf ihn aufmerksam. Er verkaufte. Aber er blieb in -der Stille seiner Werkstatt. Die Freunde vom Zigeunerbummel -vergaßen ihn; die Helden der Löwenballade wurden -berühmt oder verkamen – Tofte wußte es kaum. Er hatte -keine Zeit. Denn was er erkannte, maß er, und es maß drei -Jahre … Drei Jahre?</p> - -<p>»Wo ist Henrik Tofte, wißt ihr es nicht?« fragten die Leute -vom Märchenhaus Richard Schaffrath und seine Frau. »Nein.«</p> - -<p>Die Ringe, die seine Würfe zogen, wurden größer. Immer -mehr malte er und staffelte seine Werke vor die Wände seiner -Wohnung. Er trachtete nicht nach Verkauf; denn er wußte: -wenn er Geld hatte, mußte er dies Geld umbringen – und -seine Frist maß drei Jahre!</p> - -<p>Nach einigen Wochen erzählte eine Zeitung, Henrik Tofte -wäre in Rom. Eine andere wußte es besser: er wäre in einer -einsamen Alpenklause zwischen grünen Sommermatten, um -seinen Augen Ruhe zu gönnen. Eine dritte sagte gar: er -hätte in jungen Jahren zu rasch gelebt und wäre in einer -Nervenheilanstalt. Eine vierte meinte, sie hätte den Stein<span class="pagenum"><a id="Seite_223">[223]</a></span> -der Weisen gefunden: Henrik Tofte hätte die große Ausstellung -im Münchener Glaspalaste noch geordnet, die drei -Säle füllte, und dann wäre er geflohen vor den Bedrängnissen -seines riesenwüchsigen Ruhms …</p> - -<p>Sie wußten es alle nicht. Henrik Tofte saß in der Augenklinik -des Doktors Pagenstecher in Wiesbaden. Saß in einem -halbfinsteren Raume. Trug einen grünen Schirm auf der -Stirn. Und ward blind. Ganz langsam fiel Finsternis in -die hellen Brunnen seiner Augen. Ein Himmelswunder war -das Licht für sie gewesen. An diesem Himmelswunder hatten -sie sich zersehen. Noch war es nicht Nacht. Aber Henrik Tofte -hatte gemalt bis in die späte Dämmerung. Und nun saß er -in dem halben Düster seiner Krankenstube und sagte: »Doktor, -warum fürchten Sie sich vor dem letzten Worte? Wissen Sie -nicht, daß mir mein Freund, das Schicksal, dies letzte Wort -schon im Garten des Märchenhauses von Weimar verraten -hat, zu dem Sie nun nicht den Mut aufbringen? Wissen Sie -nicht, daß in jenem Märchenhaus ein Vorhang von meinem -ganzen rückwärtigen Leben dahinsank und daß ich von Stund -an in dies Leben blicken konnte, solang ich es gelebt hatte, -und daß ich erkannte: in meinen <em class="gesperrt">Augen</em> liegt die Lösung des -wunderlichen Rätsels, das Henrik Tofte heißt? O, ich bin -nicht traurig, Doktor! Es haben sich alle Wunder der Erde -und des Himmels in diesen hellen Brunnen gespiegelt in -unerhörtem Glanze. Nun steh' ich dort, wo die Millionen -der anderen stehen – was ist dabei traurig zu sein? Drei -Jahre, oder sagen Sie: an jedem Tag, an dem ich malte, -war ich begnadet wie keiner der Menschen. Soll ich nun -traurig sein? Ich habe mein Werk getan, und, weiß Gott, -ich war ein frommer und getreuer Knecht – mögen's die -Menschen glauben oder nicht! Warum sitz' ich hier und lasse -mir vorreden, ich sei krank?« Henrik Tofte war aufgestanden;<span class="pagenum"><a id="Seite_224">[224]</a></span> -er riß den Schirm von der Stirn und schritt nach den dunkelblauen -Vorhängen der Fenster und riß sie zurück. »Noch find' -ich den Weg heim,« sagte er, »so lassen Sie mich gehen!«</p> - -<p>In jenem Mai war das, in dem Heidi das Frühlingskind -vier Jahre alt wurde.</p> - -<p>Er reiste nordwärts und reiste in der Nacht. Des Tages -schlief er in einem Gasthaus. Mit der Nacht zog er wieder -aus. Am vierten Morgen kam er in den Hardanger Fjord. -Da scheute er das Licht nicht mehr. An jener Haltestelle, -wo der Arm nach Elde gegen Norden abzweigt, kannte man -ihn. Er erzählte den Schiffern, wie es mit ihm wäre, lieh -sich ein Boot, ließ sich hineingeleiten und ruderte auf den -Wassern des heimatlichen Landes gegen Morgen. Er kam an -Eilanden vorüber, er rief Schiffer an und fragte nach der -Insel Rolf Krakes, wie weit es noch wäre. Und als er den -Folgefond scheinen sah, wenn er das Antlitz gegen den Himmel -bog, als könne nur so der volle Strom des Lichts in seine -Augen sinken, da lauschte er, ob ein Rauschen in der Luft -wäre. Denn jenen dumpfen Klang der Allmacht hatte er -mit hinausgetragen über die Alpen und in seinen Ohren -wieder zurückgebracht an die Isar: das Rauschen des Skjold.</p> - -<p>So glitt er die Bahn der dunklen Wasser und kam vor die -Roseninsel.</p> - -<p>Es war die Zeit, in der sich die ersten Blüten erschlossen. -Er sah sie nicht mehr, aber aus der Schründe rauschte der -Fall des Bergstroms, und in der Luft hing der Atem der -Rosen. Darum rief er Nane Thord. Er stand im Boot und -hatte die Hände um den Mund gelegt. »Nane Thord!« O, -das war nicht die Stimme des Schmerzes; denn an den Hängen -lief der Ruf hin als ein Jauchzen. »Nane Thord!«</p> - -<p>Da trat sie aus dem Haus und baute mit der Hand ein Dächlein -über ihre staunenden Augen gegen die Nachmittagssonne,<span class="pagenum"><a id="Seite_225">[225]</a></span> -daß sie das Wunder besser betrachten könne. Das merkte -sie gleich: Henrik Toftes Ruf war voll von Heimatglück – -es brach aus seinem Munde als ein Sturm. Aber wie er -sich in dem Boote zurechtsetzte, wie er nach den Rudern -griff und so langsam dem Klange von Nane Thords Stimme -nachtrieb, das war tastend und war, als ob er nicht mit den -Augen, sondern mit den anderen Sinnen sehe. Er bat sie, -sie sollte herunterkommen auf die letzte Stufe und sollte reden; -denn er müßte sie hören. Dann sagte er, sie sollte das Boot -vollends heranziehen und an dem Pfosten festmachen und -ihm die Hand herüberreichen – es fiele vom Tage nur ein -mühseliger Schimmer in seine Augen. Und doch war er froh, -so froh! »Nane Thord,« rief er und riß die alte Frau in seine -Arme, »liebe Mutter Thord, wissen Sie auch, daß Sie nun -nicht sterben dürfen, weil ich Sie immer um mich haben muß? -Liebe, treue Mutter Thord!«</p> - -<p>»Heiliger Gott,« sagte sie, »was ist da geschehen?« Sie -sah ihn an: in seinen Augen waren die blauen Reifen der -Iris noch blank wie Sommerhimmel. Aber die Pupillen -lagen nicht mehr darin wie funkelndes Glas, in dem das -große Strahlenmeer des Lichtes zusammenrinnt, sondern sie -lagen dort wie schwarzer Sammet, matt und still und ohne -Glanz. Sie waren auch größer als andere, die vor den ungedämmten -Schein des Sonnenmittags gestellt sind; und es -sah aus, als hätten sie sich geweitet in Sehnsucht, von dem -Bilde der Heimatscholle so viel in sich zu trinken, wie sie vermochten.</p> - -<p>Er hatte Nane Thords Hand gefaßt und ließ sich von ihr -die schmale Treppe emporleiten. Da quollen Nane Thords -Augen über in heißem Schmerz und in mütterlichem Glück.</p> - -<p>Rings um die Insel lief eine Mauer aus rankenden Rosen. -Die war drei Meter hoch und bildete am Kopfe der Stiege<span class="pagenum"><a id="Seite_226">[226]</a></span> -einen Torbogen, der schon ganz erblüht war, weil er gegen -Süden lag. Unter diesem Bogen hätte Henrik Tofte sich -ein wenig neigen müssen; denn das Tor aus Rosen war -nicht bestimmt für das Maß eines so hohen Mannes. Er -aber löste seine Hand aus der Hand der alten Frau, legte -seine Arme über die Brust wie ein Kreuz und beugte sich -sehr tief. »Ich grüße mein schönes Grab,« sagte er, »und -ich grüße mein schönes neues Leben.«</p> - -<p>Darüber trat Rolf Krake in einem Mantel aus roher gelber -Seide in die Tür des Hauses; denn die fremde Stimme hatte -ihn gelockt. Henrik Tofte streckte ihm beide Hände entgegen. -»Das große Licht!« rief der Einsiedler von der Roseninsel, -»das große Licht nun in Wahrheit! Was ist das für ein -herrlicher Ruhm, den Sie heimbringen!« Denn er hatte -in den Zeitungen gelesen, wie der Klang des Namens Henrik -Tofte durch alle Länder lief.</p> - -<p>»Lieber Bruder Krake,« sagte der Heimgekehrte, »das große -Licht? Ich komme mit zwei armen Fünklein in diesem Haupte, -so winzig wie das Verglimmen des Dochtes, auf dem gestern -eine Flamme gestanden. Empfange mich nicht wie einen -Fremden, lieber Bruder; denn ich bin da, um mit deinen -Augen zu sehen.«</p> - -<p>Dann setzten sie sich auf die Bank neben der Tür, an die -sich Rolf Krake bei der Nachricht gelehnt hatte. Es war ihm -gewesen, als bräche das Verhängnis über seine gesicherten -Grenzen, und er fand kein Wort, diesem Einsturz zu begegnen.</p> - -<p>Aber es löste sich alle Dumpfheit des Augenblicks; denn -Henrik Tofte kam als ein fröhlicher Sieger. »Warum bist -du so schweigsam, mein Bruder?« fragte er. »Ist etwas -weiser und gewaltiger im Himmel und auf Erden als mein -Schicksal? Dies Schicksal allein hat gewußt, was mit mir<span class="pagenum"><a id="Seite_227">[227]</a></span> -war. Da hat es dir und mir den Weg zu dem Eilande -gewiesen, und es hat dich gesandt, daß du aus Fels und Klippe -blühende Gärten schufst. Und es hat durch deinen Mund zu -mir geredet vor vier Jahren, daß du hier auf mich wartest. -Ich aber, habe ich den Becher meines Lebens im Licht nicht -ausgetrunken wie ein König? Ungeheuere Reichtümer habe -ich in diesem Leben aufgestapelt; ich habe errungen, was -zu erringen war – und viel mehr. Und sollte nicht fröhlich -sein?«</p> - -<p>Henrik Tofte berichtete über die letzten Jahre. Er begann -bei der Madonna in Rosen, und wie ihn die Erkenntnis -der versickernden Brunnen in seinem Haupte so tief getroffen -hatte, daß er dachte, er hätte die Sprache verloren und das -Herz gefröre ihm in der Brust. Er berichtete alles bis zur -Pforte des Eilands und sagte, wie wunderbar es wäre, daß -Rolf Krake dafür vor Jahren den Namen der Auferstehungsinsel -gefunden hätte; denn beiden wäre nun hier ein neues -Leben geschenkt.</p> - -<p>Danach ging er an der Hand des Freundes durchs Haus. -Die Räume lagen zu ebener Erde, und die alten Gänge -waren dem Heimgekehrten bald wieder vertraut. Sie schritten -in den Saal – Henrik, Rolf Krake, Nane Thord und die -blonde Marit – und es klang fremd und machte sie betroffen, -wenn Henrik sagte: »Ich sehe …« »Ich sehe, daß es hier -ganz anders geworden ist: der Klang der Tritte und der -Stimmen ist nicht mehr wie früher.«</p> - -<p>»Nein,« sagte Rolf Krake, »die Wände sind mit einem -grauen Wollstoff bespannt, und auch der Fußboden ist mit -diesem weichen Überzuge belegt. Hier zwischen den Fenstern -hat die Madonna in Rosen ihren Platz gefunden. Und -rings an den Wänden sind auch die Regale mit den vielen -Büchern.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_228">[228]</a></span></p> - -<p>Henrik betastete den blauen Sammetgrund, auf dem das -Bild hing, und betastete den schweren Vorhang und die -Schnur, an dem sich jener zur Seite ziehen ließ. Sie traten -hinaus in den Garten. Die Wege waren so breit, daß zwei -Männer nebeneinander wandeln konnten, ohne an die grünen -Mauern zu streifen, zwischen denen sie dahinliefen. Die -kleinen Mandarinenenten schaukelten auf dem Wasser wie -schwimmende Edelsteine, in denen die Sonne spielt; oder -sie flogen empor, richteten sich zum Dreieckflug und stießen -weit hinaus über den Fjord, bis man ihren Ruf nicht mehr -hören konnte.</p> - -<p>Rolf Krake malte ihm jedes Bild, das sich an einer Wegbiegung -für seine Augen öffnete. Er wählte dazu Worte -von weichem Klang und warmen Farben, die nur dem zu -Gebote standen, der dies ganze bunte Wunder zwischen Berg -und Wasser hingedichtet hatte in beglückter Einsamkeit.</p> - -<p>Es kam der Sommer und wehte seinen Glanz um die -Insel, und es war, als wäre das blaue Tuch des Himmels -offen darüber, und Rosen würden hindurch geschüttet: weiß -und gelb auf die Spitzbogen und Pfeiler eines kleinen Tempels, -der in der Mitte des Gartens stand – rot und rosa -auf alle grünen Wände, daß sie aussahen, wie aus dem -Purpur oder der Seide des vergehenden Tages gewoben.</p> - -<p>Henrik Tofte lernte dies alles sehen durch die Augen des -Freundes, wie er gesagt hatte.</p> - -<p>Und in den einsamen Mann von der Insel, der nun im -fünften Jahre mit keinem Schritt aus der freiwilligen Haft -gewichen war, wuchs dies Erlebnis herrlicher hinein als er -geahnt hatte. Damals aber, als Tofte kam, hing sich Rolf -Krakes erster Gedanke wie ein neues Glied an jene Kette, -mit der er vor langer Zeit gefesselt worden war. Er wähnte -nämlich, von nun an müßte er die schwere Last von einst<span class="pagenum"><a id="Seite_229">[229]</a></span> -wieder aufnehmen, und er könnte, trotz allem, seinem dumpfen -Geschicke nicht entfliehen, ob er gleich wiche an das Ende -der Erde. Er hätte sich nun sein Leben so erlöst gestaltet -– da trete dieser unselige Fremde hinein und zertrümmere -das beste Teil …</p> - -<p>Aber es kam anders; denn es war der alte Rolf Krake -gewesen, der so zu ihm gesprochen – jener alte, dem es -immer gelungen war, niederträchtig zwischen ihn und das -Glück zu treten und zu sagen: »Mann der Finsternis, was -träumst du von einem sonnigen Leben?« Nun aber war es -ihm zur Gewißheit geworden: jener Frühlingstag, mit dem -Henrik Tofte kam, war seines Traumes Erfüllung geworden! -In der Madonna in Rosen hatte er sich ein Sinnbild der -schönen und heiteren Erde aufstellen wollen, die für ihn verschlossen -war. Es war ein Bild gewesen, ein Bild. Nun -aber hatte er einen Menschen gewonnen, der in Dankbarkeit -und Freude um ihn war und der in ihm ebenfalls die Erfüllung -erkannte. Für diesen Menschen war er der Brunnen -des Lichts geworden in allerschöpfendem Sinne, denn er -senkte mit seinen warmen gütigen Dichterworten nicht nur -das Bild der Erde so lebendig in ihn hinein, daß es fast war, -als tränken die erloschenen Sterne des Sehens das Leben -wie einst – sondern er schenkte dem sinnenden Geiste des -Genossen auch das Licht seiner Klugheit und seiner Bücher; -er schenkte der dürstenden Seele die Träume der Weisen -und Dichter und gab zugleich die Deutung. Er hob die Hülle -für den Blinden von einer Welt, an der dieser in den Tagen -des Lichts scheu und fremd vorübergestrichen war, weil er -meinte: die Armut und Unbildung seines Elternhauses wären -schuld daran, daß er diese fremden Gärten nie betreten dürfe.</p> - -<p>So saßen sie in Zeiten, in denen der Regen über die Insel -plätscherte, im Büchersaal und wanderten doch im Geiste<span class="pagenum"><a id="Seite_230">[230]</a></span> -weite Wege der Wissenschaft und wanderten durch ferne -Länder: zwei Menschen, die gar nicht voneinander konnten, -wenn sie nicht elend werden wollten. Oder sie saßen in lauen -Sommernächten draußen unter den Rosen. Henrik nahm -die Gitarre und sang, und wie einst traten die Menschen -drüben aus ihren Häusern am Lande, schritten auf dem -Uferweg und lauschten, wie schön es war. Die blonde Marit -und Nane Thord saßen dann bei den Männern am Tisch -und rasteten ihre Hände von der Arbeit des Tages.</p> - -<p>Henrik Tofte schritt nun allein bis an die Kante der Flut -an jenem Ende, an dem die Mandarinenenten im Röhricht -schliefen. Auch bei Nacht. Er stieß an keine Ranke, er streifte -an keinen Zweig. Und wenn er des Abends in den Garten -kam, so sprach er von dem leisen Lichte der Mondsichel, die -auf den Flutterwolken des Himmels schwamm, oder er sprach -von der Fülle des Glanzes der vollen Scheibe, als ob er -sie sähe.</p> - -<p>Des Morgens fuhren die Frauen noch immer hinüber und -kauften ein. Oder sie ließen sich an Speis' und Trank aus -den Städten schicken, wonach die Männer Lust hatten. Ehe -Henrik Tofte gekommen, war es karger in Keller und Küche -gewesen; denn Rolf Krake hatte die Hälfte seines kleinen -Vermögens zur Ausstattung des Hauses und zum Aufbau -der Insel verwandt, die beide sehr schön geworden waren. -Und er hatte durch drei Jahre so viele Bücher angeschafft, -daß Nane Thord das Geld dafür mit schwerem und immer -schwererem Herzen eingezahlt hatte.</p> - -<p>An jenem Tag, an dem Henrik eintraf, hatte der gesagt: -»Ungeheure Reichtümer hab' ich in meinem Leben aufgestapelt« -– er meinte aber nicht: an Geld. Daß er auch davon -so viel besaß, um sich das Dasein äußerst behaglich zu -gestalten, wußte er damals noch nicht. Zuerst war er eine<span class="pagenum"><a id="Seite_231">[231]</a></span> -Zeitlang verschollen gewesen. Nicht einmal der Leiter seiner -Ausstellung in München konnte ihn finden. Aber als es -klar war, daß die Insel im Fjord seine Heimat wäre für -und für, sandte er Botschaft hinaus – nur daß er blind -wäre, sagte er nicht. Es fand sich, daß bei der Bayerischen -Vereinsbank in München ein Betrag für ihn eingezahlt war, -der zweimalhunderttausend Mark überstieg. Das war der -Erlös aus seinen Bildern. Etliche große Gemälde waren -noch im Glaspalast.</p> - -<p>Als es gegen den Herbst ging, arbeitete er mit Rolf Krake -im Inselgarten. Er löste die Weidenbänder von den Rosen -und bog die Stämme an die Erde. Er schaufelte sie mit -dem weichen Boden zu, gegen die Kälte des Winters. Oder -er legte das Deckreisig darüber, das in Schiffen hergefahren -worden war. Er grub die Erde, er tat alles, als ob er sähe. -Und so ging durch die freudige Siedelei keine Stunde mit -leeren Händen.</p> - -<p>Der erste Schnee fiel.</p> - -<p>Auf diese Zeit hatten sie gewartet. Da wollten sie für die -Leute im Märchenhause die Frage lösen: Wo ist Henrik Tofte?</p> - -<p>Als der Brief in Weimar eintraf, da war es, als träte -Henrik Tofte selber herein mit seinen erloschenen Augen – so -erschraken die Freunde. Aber auch in ihnen löste sich die -dumpfe Schwere der Stunde; denn es klang aus jeder Zeile -der Ruf: »Sollen wir nun nicht fröhlich sein?« Ein Brief? -Ach, es war ja kein Brief. Es war ein Buch, an dem Rolf -Krake die erste weiße Woche des Winters geschrieben hatte; -es war das Buch mit den Ereignissen von fünf Jahren. -Nur Inseleinsamkeit, nur Auferstehungsglück – aber gerade -deshalb gehörte ein Buch dazu.</p> - -<p>An diesem Abende saßen sie im Wintergarten des Märchenhauses -– Do und Jo, Schaffrath und Gwendolin, Kordula<span class="pagenum"><a id="Seite_232">[232]</a></span> -und Cornelius – saßen um den plätschernden Springbrunnen -und lasen bis weit über die Mitternacht. Am anderen Tage -riefen sie Tante Veronika und Herrn Salzer. Aber der -Hügelmann kam allein, denn um die Tore des Waldes fuhr -ein harter Wind und säete Novemberschnee.</p> - -<p>Herr Salzer, der einige Verbindungen mit großen Zeitungen -besaß, berichtete des Rätsels Lösung augenblicklich in -die Welt. So jäh fiel die Nachricht auch in ihn, daß er gleich -am Pulte Jockeles ins Schreiben geriet; »denn«, sagte er, -»ich habe daheim mein Tintenfaß noch in der Sommerfrische.« -Und nun erfuhr man draußen, daß Henrik Tofte nie mehr -ein Bild malen würde. Damit leistete er dem blinden Mann -im Fjord einen großen Dienst, denn das Wenige, was noch -von ihm im Glaspalast hing, wuchs im Preise, wuchs, wuchs. -Als es Henrik Tofte erfuhr, fragte er allen Ernstes: ob er -sich denn nicht schämen müßte, dies sündhafte Geld anzunehmen -für Dinge, die schon weit dahinten lägen in dem -vergangenen Leben! Er hatte seintag keine Wage gehabt -für das Gewicht des Goldes. Und nun, da andere für ihn -rechneten, und da er nicht einmal mehr in seine Tasche langte, -um ein Tüblein Farbe oder einen Apfel zu erstehen, nun -war ihm auch der <em class="gesperrt">Gedanke</em> an das Geld abhanden gekommen. -Ja, solch ein König war er geworden!</p> - -<div class="chapter"> -<p class="drop">Im Ausgange jenes Winters beendete Jakobus seinen -Roman.</p> -</div> - -<p>Aber wie er während der langen Zeit kaum einmal vor -den Freunden von den Gedanken gesprochen hatte, die ihn -bewegten, so blieb es auch jetzt. Märchen und Kinderverse für -Heidi hatte er viele gedichtet, und die kannten sie alle; denn -er hatte auch Zeichnungen oder gar bunte Bilder dazu gemacht, -und das Kind hatte das meiste in seinem Gedächtnisse<span class="pagenum"><a id="Seite_233">[233]</a></span> -behalten. Es erzählte Mama die schönen Geschichten, wenn -sie mit ihr im Garten saß. Oder es dichtete den Wintergarten -in der rauhen Jahreszeit schon selbst zu einem tiefen -Wald und die Blumenbänke zu dem Hexenhause der Buschgroßmutter.</p> - -<p>So hatte Jakobus in den erblühenden Geist eine Fülle -köstlichen Samens gelegt, und es war zu sehen, wie herrlich -dieser in dem Segen wuchs, der ihn umschien. –</p> - -<p>Ob Do, die Vertraute seines Herzens und seiner Pläne, -von dem großen Dichtwerke ihres Mannes mehr wußte als -die Freunde, ließ sich von diesen nicht erraten. Jedenfalls drang -sie nie in ihn. Sie dachte, es wäre wohl die rätselvolle Seele -des Rolf Krake, die ihn beschäftigte, oder das traurig-glückselige -Los des blinden Königs Henrik Tofte, das ihn zu -dichterischer Gestaltung verlockt hätte. Sicher wußte sie nur, -daß auch sein eigenes Leben für ihn nun ein rechter Dichtertraum -geworden war; denn er sprach mit ihr in jener Zeit -mehr davon als je. Vor allem die Waldjahre von Ibenheim -hatten sich für ihn schon mit dem Funkelglanze der Phantasie -umwoben. Oft schien es, als wisse er kaum noch, was an -ihnen gesehen oder Gesicht war; und seine Erzählungen -glichen der Wirklichkeit wie ein brennender Weihnachtsbaum -einem Tännlein im Walde.</p> - -<p>Wenn er dann an den musikalischen Donnerstagen nach -der Abendmahlzeit berichtete, so erkannten sie alle, wie heimisch -sein Herz in den Gärten der Dichtung geworden war, und in -wie tiefer Glückseligkeit es darin blühte.</p> - -<p>Aber das Geschriebene den Freunden vorzulesen, dazu -brachten sie ihn nicht. Fast sah es aus, als hätte er eine Scheu, -sich ihnen auf den neuen Bahnen zu offenbaren – entweder -weil die wissenschaftlichen Werke noch hüben und drüben -wuchsen, oder weil er sich selbst noch für zu jung hielt, als<span class="pagenum"><a id="Seite_234">[234]</a></span> -Dichter etwas leidlich Vollendetes zu schaffen; oder auch, -weil er den Ereignissen nicht vorgreifen wollte, die sich im -Leben der Freunde vom Hardanger Fjord vor seinen Augen -erfüllten.</p> - -<p>So verschloß er dies Werk in sich, ganz gegen seine Art. -Und als Salzer eines Abends im Märchenhause zu Gast war -und mit Gwendolin ihn um sein Geheimnis bestürmte, entwischte -er doch und sagte: »Es muß erst auf der schönen -Frühlingsfahrt ins Riesengebirge vor mir selber die Probe -bestehen.«</p> - -<p>Ja, die Wagenfahrt über die hundert Meilen! Das war -der Traum, der von ihm durch Jahre geträumt war und -der lieblicher wurde, je länger er sich dahinspann.</p> - -<p>Es waren dazu aber auch sehr umfassende Vorbereitungen -nötig – nicht an jenen Dingen, die sie mitnehmen wollten -in ihren Koffern. Die waren an einem Tage geordnet. -Sondern es war Klein Heidi, ohne die der strahlende Vater -durchaus nicht reisen wollte. Es war lustig anzusehen, mit -welchem Eifer er das kleine goldhaarige Menschenkind für -die lange Waldfahrt an Herz und Verstand ausrüstete.</p> - -<p>Professor Salzer, der Herr nach der Mode, neckte ihn mit -dieser Reise weidlich; denn er begriff nicht, warum ein -Mensch von so leuchtenden Gaben mit dem Aufgebot aller -Kraft in die Gebräuche des Mittelalters zurücksegeln wollte. -Herr Salzer konnte in solchen Augenblicken wissenschaftliche -Vorträge halten! Er hatte das mehrfach bewiesen – auch -damals, als Gwendolin in der Bedrängnis ihres Herzens -auf dem Bette lag und weinte und der Herr Richard Schaffrath -den Werbebrief in der Brusttasche trug. Das hatte -Herrn Salzer Gelegenheit gegeben zu einer Erörterung über -den Begriff Tragikomödie und über einen lustigen Einfall -des Plautus …</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_235">[235]</a></span></p> - -<p>Vor der Hochwaldfahrt in der Kutsche schnitt ihm Jockele -den Faden seiner Rede aber kurzerhand ab. Er behauptete: -der Herr Salzer wäre gar nicht der einzige, der eine solche -Reise für hervorragend hirnverbrannt und altmodisch hielte. -Aber sie wären alle auf falschen Wegen; denn die Jockelereise -wäre das neueste und wäre so neumodisch, daß sie für -diese Zeit überhaupt noch um reichlich fünf Jahrzehnte verfrüht -wäre! Erstens müßte das Automobil für Vergnügungsreisen -überwunden werden. Nun, das würde in einer kleinen -Frist Tatsache geworden sein. Es könnte doch kein vernünftiger -Mensch meinen, daß eine Fixfahrt zwischen Staub, -Stank und Sturm zu den Annehmlichkeiten des Lebens -gehöre.</p> - -<p>Hm. Herr Salzer konnte dagegen nicht viel vorbringen. -Er hatte sich dies Vergnügen einige Male geleistet. Aber als -er mit einer mächtigen Panne sieben Stunden im Regen -auf dem Thüringer Walde gelegen hatte, fern von jeder -menschlichen Siedlung, hatte das Automobil als Lustfahrzeug -wesentlich für ihn eingebüßt. Nach dem Automobil käme -die Flugmaschine. Auch darin würde man spazierenfahren -– natürlich. Aber so um 1940 herum – ermaß Jakobus -– würde das friedliche Zweigespann mit behaglichem Polstersitz -zu den Gepflogenheiten aller jener Menschen gehören, die -es verstünden, in weisem Behagen wohlhabend zu sein. Zu -solch einer neumodischen Sache gehörten freilich vier Dinge, -sagte Jakobus: Zeit, Gemüt, Weisheit und Geld. Da diese -vier Brüder aber nicht leicht in einem Wagen zusammenzubringen -wären, bespöttelten die Menschen mit Zeit und Geld -das »vorsintflutliche Vehikel«. Jockele aber hielt es mit dieser -»Dichterkutsche« und sagte, schon der Gedanke an solch eine -Reise beselige ihn wie die Maiensonne die Felder. Wenn -er dichte, brauche er sich nur vorzustellen, er schaukele in einem<span class="pagenum"><a id="Seite_236">[236]</a></span> -weichen Wagen hinter zwei trabenden Pferden durch einen -Bergwald …</p> - -<p>Natürlich bemerkte Herr Salzer: schade, daß er das nicht -früher gewußt hätte. Das Dichten wäre danach eine sehr -einfache Sache, und er hätte wohl selber –</p> - -<p>So spottete man weidlich. Aber es war nicht unzeitgemäß; -denn das Märchenhaus ward getauft in jenen Jahren, in -denen das Leben, das man darin führte, vor der Welt rar -war wie Erdbeeren im Winter.</p> - -<p>Das konnte selbst der neumodische Herr Salzer nicht von -der Hand weisen. Und Jockele blieb der Sieger im Kampf.</p> - -<p>Herr Salzer kam immer ein bißchen nachdenklich aus dem -Märchenhaus vor die Tore des Waldes. Diesmal aber hatte -er so viel erlebt, daß er der Tante Veronika gelobte, er wolle -ein besserer Mensch werden, und er hätte das unfehlbare -Rezept dazu gefunden.</p> - -<p>Ob er es ihr nicht verraten wollte, fragte Fräulein Sinsheimer.</p> - -<p>»O,« sagte er, »man knetet Gemüt, Geld, Zeit und Weisheit -gut durcheinander und bäckt sie in einer Dichterkutsche -bei mäßiger Sonne.«</p> - -<p>»Ach,« lächelte Tante Veronika, »das hab' ich schon längst -gewußt; denn danach hab' ich den Jakobus für sein Dasein -zurechtgemacht.«</p> - -<p>Fast die ganze nächste Woche hindurch erzählte Herr Salzer -von Heidi dem Frühlingskind. Es wäre ganz unbeschreiblich, -welch ein liebes herziges Wunder solch ein kleines -Mädel ist …</p> - -<p>Und in diesem Fall erlitt der alte Herr keine Abfuhr; denn -Heidi war in der Sonne des Märchenhauses gewachsen wie -ein schöner Frühlingstag im Herzen des lieben Gottes. Ihretwegen -war die Wagenfahrt solange hinausgeschoben worden;<span class="pagenum"><a id="Seite_237">[237]</a></span> -Heidi sollte aufgeschlossen und mit der beseligenden Gabe -vor die Welt treten, sich an allem zu wundern; denn es -gibt nichts Kurzweiligeres im Leben, als sich zu wundern.</p> - -<p>Eine Woche danach jubelten Himmel und Erde. Da ging -die Sache los.</p> - -<p>Hinter dem Wagen war eine Gepäckraufe angelegt für -einen einzigen Koffer. Weiteres Gepäck war an bestimmte -Haltestellen auf dem Reiseweg vorausgesandt. An diesen -Stellen wurden alle verbrauchten Stücke aus dem Koffer ausgewechselt -und liefen von dort ab zurück in die Heimat. So -wurde die Reise selbst zu einer breiten Behaglichkeit – man -denke: die Reise selbst! Aus der Last wurde eine Lust, aus -der Hatz ein fröhliches Rasten, fast ununterbrochen in stilldurchsonnten -Bergforsten. Regnete es einmal, so ward der -Wagen zu einem heimeligen Stübchen, an dessen Fenstern -die Tropfen spielten. Hatte man Lust zu wandern, so ließ man -die Pferde des Weges trotten, schlug sich hinüber auf einen -freundlichen Pfad im Hochwald, und Klein Heidi konnte -den Frühling in beiden Fäusten halten. Ward sie über Tag -müde, so schlief sich's daheim in ihrem Bettchen nicht halb -so schön wie in den sanft dahingleitenden Polstern, über die -sich die blaue Seide des Himmels deckte. Und wenn der -Abend dämmerte, kam man zu dem im vorhinein bestimmten -Gasthause. Da standen die Zimmer blank und gerüstet, da -wartete ein Mahl, und da wartete die Genugtuung über -den herrlich hinabgeblühten Reisetag; denn es wickelt sich -auf der ganzen Welt nichts behaglicher und mit schönerer -Pünktlichkeit ab als die wohlbedachte Fahrt in solch einer -Dichterkutsche.</p> - -<p>Das ist ein Ding, von dem die fixe Zeit und das jappende -Menschenherz seit anderthalbhundert Jahren die Wissenschaft -verloren haben.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_238">[238]</a></span></p> - -<p>So kamen sie in die Waldstille des Fichtelgebirges. Sie -kamen am fünften Tage zwischen Keilberg und Fichtelberg -auf die Kammstraße des hohen Erzgebirges, und die Rösser -traten auf der breiten Bahn in Sonne und Bergwind. Wieder -fünf Tage – da durchquerte man das Elbsandsteingebirge -mit seinen zerklüfteten Felsen und setzte bei Herrnskretschen -über den Strom. Man gelangte ins Zittauergebirge, ins -Isergebirge, ins Riesengebirge. Sie kamen am Hohen Rad -vorbei und sahen die Elbquellen. Sie standen auf der Schneekoppe -und kamen durch finstere Forsten, in denen die Fichten -so wohlbetagt sind, daß sie ihre Bärte auf der Erde schleppen. -Sie strichen vorüber an der »Kanzel Rübezahls« bei der Schneegrubenbaude; -und weiter ging es die Kammstraße lang nach -dem Zackenfall. Ihre Herzen wurden Säle, und diese Säle -füllten sich mit schönen lichten Bildern, vor deren jedem -man ruhen konnte, wie Rolf Krake ruhte vor der Madonna -in Rosen. Sie rasteten noch einmal zur Nacht in dem Städtchen -Freiheit, wie es vorausbestimmt war – es war nur -eine halbe Stunde von ihrem Reiseziel Johannisbad entfernt. -Aber sie rasteten und gelangten ins Johannisbad so -sauber, so froh, so erdselig, als wenn sie sich daheim im Märchengarten -nach süßestem Schlummer an den funkelnden -Frühstückstisch setzten. Und Johannisbad war in den Bergwald -gefallen wie das Bild eines Sterns in einen dunkelgrünen -See.</p> - -<p>Ja, so war diese Fahrt in der Dichterkutsche.</p> - -<p>Sie dauerte fast den lieben fröhlichen Mai hindurch. Aber -es war der köstlichste Frühling, und war so köstlich, daß kein -Dichtertraum hinreicht, dieses Erleben zu schildern.</p> - -<p>Sie hätten in ihrem Reisewagen auch in der halben Zeit -am Ziele sein können, ohne die Pferde zu wechseln. Aber -Jockeles Zigeunerherz hatte sich vorgesetzt, drei Monate also<span class="pagenum"><a id="Seite_239">[239]</a></span> -durch die Welt zu gleiten, den Frühling erblühen und -vergehen, den Sommer heraufkommen und reifen zu sehen -geradeswegs aus der Hand Gottes und in langsamen bunten -Bildern …</p> - -<p>Die Menschen, die von dieser Reise lesen, meinen: so -etwas wäre nicht auszuhalten; in solch einer Dichterkutsche -müßte man ja vor Langeweile sterben! Aber: sst, lieber -Leser und geliebte Leserin – wie furchtbar altmodisch ist -solch eine Anrede wieder mal mitten in der Erzählung, -gelt? – sst, sag' du das nicht, lieber Leser! Denn du möchtest -doch zum mindesten jenen Menschen ähnlich werden, -die mit den vornehmen Herrschaften Zeit, Geld, Gemüt -und Weisheit durchs Leben fahren; aber solche Menschen -haben nie Langeweile – Langeweile haben nur Dummköpfe …</p> - -<p>Es war Ende Mai geworden. Aber die Tage im Wagen -waren nun doch rasch vergangen; denn Klein Heidi riet an -Gott und der Welt herum und tat, als müßte sie alle Rätsel -des Daseins lösen. Sie wollte wissen, wie lang die Wälder -wären, und was hinter dem blauen Tuche des Himmels ist, -und wie die Wege über den Sternen aussehen, und ob der -liebe Gott auch eine Dichterkutsche hätte, und ob die kleinen -Engel mit den Sternen Fußball spielten oder Wurfball, und -ob sie auch so schöne Musik machen könnten wie die Kurmusikanten -von Johannisbad, und ob Rübezahl auf der -Kanzel bei der Schneegrube Sonntags eine Predigt hielt, -und ob dann die Riesen kämen und ihm zuhörten …</p> - -<p>Manchmal mußte Do diese Fragen beantworten, und -manchmal Jockele. Und es kam dabei heraus, daß Eltern -furchtbar gescheite Leute sein müssen, wenn sie solch ein -kleines Menschenwunder nicht heißhungrig vom Tisch ihrer -Weisheit aufstehen lassen mögen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_240">[240]</a></span></p> - -<p>Aber sie standen beide ihren Mann. Frau Do kam dabei -meist mit ihrem natürlichen Verstand aus – der Herr Doktor -aber mußte eine geradezu unnatürliche Findigkeit aufbieten.</p> - -<p>Es gelang ihm betörend. Auch Mama hörte da gleich mit -zu; und Heidi lehnte mit weitoffenen Augen zwischen Väterchens -Knien und konnte gar nicht erwarten, bis die wunderschönen -Weisheiten wohlbedachte Worte waren. Sie verstand -alles herrlich, so herrlich, daß sie behauptete, Papa könnte -ebensogut der liebe Gott sein und die Welt regieren. Dabei -fiel ihr ein, wie das eigentlich gemacht würde, dies Regieren?</p> - -<p>Man kann sich vorstellen, daß ein findiger Verlag auf -den Einfall käme, ein hundertbändiges Lexikon herauszugeben, -in dem immer nur vom Weltregieren die Rede wäre, -und an dem die zehntausend besten Gelehrten der Welt -hundert Jahre zu arbeiten hätten – Jockele aber mußte diese -Aufgabe in einem halben Nachmittage lösen! Es gelang; -doch stand er hernach tief erschüttert und sagte: seine mündliche -Doktorprüfung wäre dagegen ein Kinderspiel gewesen.</p> - -<p>Schon allein daraus ist zu erkennen: langweilig ist es -in einer Dichterkutsche keineswegs.</p> - -<p>Aber Klein Heidi war nur ein Teil der Reisegesellschaft -und Reiseaufgaben, wenn auch der lieblichste; denn da war -noch das Werk über die Flechten; da war der Roman; da -war wiederum Heidi, das Märchenkind; da waren der Hügelmann -und die Hügelfrau, die im Geist an der Fahrt teilnehmen -wollten; da waren ferner der Herr und die Frau -Professor Schaffrath, Kordula und Erich Meyer, der blinde -König und sein Freund Rolf Krake, die immerfort in der -Auferstehung begriffen waren – kurz: wenn die Reise nicht -so lang gewesen, wäre es gar nicht gegangen.</p> - -<p>Vier Stunden der Tagesfahrt brauchte Heidi allein zur -Vervollkommnung der Wertschätzung ihres Papas. Wenn er<span class="pagenum"><a id="Seite_241">[241]</a></span> -ihr zwanzig Märchen erzählt hatte, wollte sie wissen, ob es -tausend gäbe, und ob er sie nun alle erzählt hätte, und er -sollte doch gleich noch mal von vorne anfangen, und bei -jedem neuen wollte sie einen Knoten in die Schnur ihres -Nastuchtäschleins knüpfen, damit kein Irrtum entstehe …</p> - -<p>So lief das weiter. Und so ging die Fahrt herum. Rübezahl -und Papa traten für die Kleine allgemach an die -Stelle des lieben Gottes.</p> - -<p>Abends schrieb Jockele manchmal noch einen Brief in den -Hardanger Fjord, ans Horn oder an die beiden Alten im -Frühlingshause; denn eigentlich müde wurde man ja von -diesem neumodischen Reisen nicht, sondern nur ungeheuer -wohlig und ausgeruht. Was daher kam: man hatte sich -ganz voller Himmel und Hochwald geatmet.</p> - -<p>Da passierte etwas. Es passierte etwas ganz Unerhörtes.</p> - -<p>Als die Dichterkutsche hinter Oberwiesenthal auf die Kammstraße -des Erzgebirges rollte – das war also am fünften -Tage nach der Ausreise – bekam Herr Salzer das Fieber.</p> - -<p>Einen Tag lang trug er es schweratmend mit sich herum. -Am nächsten Morgen fand es sich: auch die Tante Veronika -war angesteckt worden. Salzer, der sogar einen grauen -Zylinderhut riskiert hatte, wollte unter keinen Umständen -hinter der Zeit dreinhinken. Er stellte also fest, daß ihre -Krankheit das Reisefieber wäre. Das ließe sich nur heilen, -wenn sie schnurstracks einen Wagen nähmen und hinterdrein -führen.</p> - -<p>Weiß Gott, die Sache wurde gemacht!</p> - -<p>Als die Dichterkutsche ins Isergebirge einbog, setzten sich -die Rösser vor der zweiten in Ibenheim am Walde in Bewegung. -Tante Veronika diesmal in einem neuen grauseidenen -Umhang, den ihr Herr Salzer gestiftet hatte, in einem -silbergrauen Kapotthütchen mit veilchenfarbenen Bindebändern<span class="pagenum"><a id="Seite_242">[242]</a></span> -und mit dem gelben Krückstock. Und Herr Salzer im -grauen Zylinderhut. Es war außerordentlich.</p> - -<p>Den Reiseweg wußten sie auswendig; denn so an die drei -Jahre hatte Jockele den gelehrten Freund daran in Begeisterung -gehüllt. Also.</p> - -<p>Natürlich hatten die Drei in der ersten Dichterkutsche von -der zweiten keine Ahnung. Sie fuhren dahin, als wäre die -ihrige ganz allein auf der Welt. Die Alten hatten es ein -bißchen eiliger, und auch sie fanden die Reise kurzweilig. -»Herrlich, herrlich!« sagte Herr Salzer und rollte seine Augen -auf dem grünen Tuche der Matten und Bergwälder und -auf dem blauen des Himmels herum, als wären sie ein paar -blanke Billardkugeln. Herrlich! Herrlich!</p> - -<p>So langten sie auf dem gleichen Wege in Johannisbad -bei Freiheit im Riesengebirge an. Es war ein großes Ereignis. -Alle zweihundertzwanzig Einwohner des Ortes nahmen -daran teil.</p> - -<p>»Heidi! Heidi, die Großmama ist gekommen!«</p> - -<p>Ja, lieber Gott, wo ist denn das Kind? Es flatterte doch -so aufgetan um die Mittagsmusik am Kurbrunnen!</p> - -<p>»Heidi! Heidi!«</p> - -<p>Kein Mensch wußte, wo Heidi war. Aber ängstlich war -man gar nicht; denn das kleine Fräulein im blauen Röckchen -lächelte alle Finsternis der Erde hell.</p> - -<p>Tante Veronika brauchte ein Viertelstündchen Mittagsschlaf. -Und da es gerade ihre Zeit war, geleitete Frau Do sie auf -ihr Zimmer und sagte, sie solle nur recht hübsch sorglos schlafen.</p> - -<p>Als Do wieder herunterkam, war Heidi immer noch nicht -da. Ein kleines Mädel sagte: »O, die Heidi ist vor einer -Viertelstunde in den Wald gelaufen, dort beim hohen Steig -hinan. Sie hat im Sommergrase gestanden und hat mit -den Schmetterlingen geredet.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_243">[243]</a></span></p> - -<p>In den Wald gelaufen? Na!</p> - -<p>»Jo,« sagte Do, »ich werde nun doch ein bißchen ängstlich.«</p> - -<p>»Ach lieber gar – das gescheite Mädel.«</p> - -<p>»Ich kenne das,« sagte Do. »Sie redet mit Schmetterlingen -und Vögeln und mit blitzenden Bächlein; sie versteht -ja all diese Sprachen von ihrem Papa her …«</p> - -<p>Keine drei Minuten vergingen, so hatte der Herr Salzer -seinen grauen Zylinder aufgestülpt, griff in der Hast nach -Tante Veronikas Krückstock, der da am Tisch im Kurgarten -lehnte, und hüpfte hinter Do und Jo den hohen Steig entlang -gegen den Waldrand.</p> - -<p>Es schwammen Schmetterlinge in der Mittagssonne – -Heidi nicht.</p> - -<p>Es sangen Drosseln, es sangen Grasmücken – Heidi nicht.</p> - -<p>Es plauderte ein Bächlein zwischen den Blütenköpfen -dahin – Heidi nicht.</p> - -<p>»Heidi! Heid – di! Heiei – diih!«</p> - -<p>Ja, vor einer kleinen Erdenfrist war die Heidi dort gewesen! -Man konnte noch die Füßchen im Grase sehen. -Aber da kam ein Schwalbenschwanz am Waldrande daher -gesegelt – es war, als schwämme er auf der Kurmusik, -die man ganz traumhaft bis hier herauf hören konnte.</p> - -<p>»Wo fliegst du denn hin?« fragte Heidi den Sommervogel -in dem schönen gelben Kleidchen mit den schwarzen -Streifen und blauen Tupfen darauf.</p> - -<p>Der Schmetterling sagte nichts, bog in den Wald und -winkte so mit den Flügeln. Da ging Heidi ein bißchen -hinterdrein.</p> - -<p>Auf einmal – da zog ein Trauermantel um einen silbernen -Birkenstamm. Der hatte ein Röckchen aus dunkelbraunem -Sammet an, funkelnagelneu, und mit hellgelben -Borten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_244">[244]</a></span></p> - -<p>»Ei, du bist ein kleines Mädchen wie ich,« sagte das -himmelblaue Menschenkind; »denn die Buben bei den -Trauermänteln tragen Kleider aus schwarzem Sammet. Darf -ich mitkommen?«</p> - -<p>Der Trauermantel winkte mit den Flügeln und flog über -den Bach.</p> - -<p>Plötzlich konnte das Bächlein reden und sagte: »Guten -Tag, Heidi Sinsheimer. Komm, spring ein bißchen mit mir -den Berg hinunter. Wir laufen zur Buschgroßmutter!«</p> - -<p>»Meinst du auch, daß ich mich wieder heimfinde von solch -einer langen Reise? Du mußt doch bedenken, daß ich noch -ein recht kleiner Mensch bin.«</p> - -<p>»Haha,« lachte das Bächlein, »nichts leichter als das! Du -brauchst nur immer an meinem Ufer zurückzulaufen, bis du -zu der weißen Birke kommst; von dort führt das Pfädlein -aus dem Walde.«</p> - -<p>Ein Stückchen ging Heidi mit. Das Bächlein plätscherte -so herrlich um die Steine. Da sangen sie ein Lied miteinander, -und Heidi pflückte im Wandern und Singen ein Händchen -voll Vergißmeinnicht. Und da sie an einen Mooshang -gelangte, setzte sie sich hin und wollte ein Kränzlein winden … -winden … la … la … l …</p> - -<p>Auf einmal guckte ein liebes kleines Gesicht über den Spiegel -des Baches heraus. Das sah genau aus wie Heidis Gesicht, -das sie vorhin darin gesehen hatte, und hatte so goldene Härchen -und so zwei Augen voller Frühling.</p> - -<p>»Heidi,« sagte das Kleine, das da über den Bachrand guckte, -»paß auf, jetzt kommt gleich der Elfenzug durch den Wald!«</p> - -<p>Und schon ging es los. Es war eine sehr merkwürdige -Geschichte; denn es kam mitten auf der silbernen Straße -des Bächleins daher: hundert Elfen, oder tausend, oder eine -Million – das wußte Heidi nicht so genau. Aber es waren<span class="pagenum"><a id="Seite_245">[245]</a></span> -lauter Elfen in herrlichen bunten Kleidchen. Hohe Stengel -rosaroten Fingerhuts schwangen die ersten und klingelten -damit, daß die Luft wackelte. Dunkelrotes Löwenmaul trugen -die anderen und Mohnblumen, und dann kam ein schöner -junger Elfenjunge mit braunen Locken, der spielte auf einer -Hirtenflöte, wie sie jener Knabe beim Schneebruche geblasen -hatte. Danach marschierten sie alle im Takt und marschierten -hinüber auf die Waldwiese, die an dem Berghange lag. -Viele winkten dem kleinen Mädchen am anderen Ufer: »Heidi! -Heidi, komm mit! Weißt du denn nicht, daß Herr Rübezahl -heute Hochzeit hält?«</p> - -<p>»Ah,« sagte Heidi, »das trifft sich ja großartig! Natürlich -komm' ich da mit. Aber ein bißchen will ich noch warten -und dem langen Zuge zugucken – es sind ja eine Million.«</p> - -<p>Es kamen immer mehr, und sie schritten im Takte der Pfeife. -In der Mitte des Zuges ging ein schönes weißes Pferd, und -darauf saß ein wunderschönes Jungfräulein. Das war die -Braut. Sie hatte ein seegrünes Schleierkleid an, und das -Haar fiel ihr über die Schultern wie gesponnenes Mondlicht.</p> - -<p>Ein Mann führte das Pferd am Zügel über alle Fährnisse. -Der hatte einen so großen Bart, daß er ihm bis auf -die Bergschuhe hinabfiel. Und in der Hand hatte er einen -mäßigen Fichtenstamm als Spazierstock.</p> - -<p>»Ist das der Herr Rübezahl?« fragte Heidi.</p> - -<p>»Natürlich! Und du bist wohl gar ein richtiges Menschenkind, -weil du den König der Berge nicht kennst?«</p> - -<p>»O,« sagte Heidi, »kennen tu ich ihn schon. Ich kenn' -ihn sogar sehr gut. Aber, nicht wahr – wenn man einem -Bergkönig zum ersten Male begegnet –«</p> - -<p>»Komm mit, komm mit!« sagten die Elfen, und warfen -ihr Blumen herüber; die sprangen dem kleinen Mädchen an -die Nase oder auf die Stirn und waren kühl wie Morgentau.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_246">[246]</a></span></p> - -<p>Dann ging sie mit und ging richtig im Takte der Pfeife, -die nun von ganz fern über den Hügel herüberklang. Sie -lief auch rasch einmal zu dem weißen Pferd und warf der -schönen jungen Elfenbraut ihre Vergißmeinnicht in den Schoß. -Da nickte die sehr lieblich und königlich. Und Heidi machte -ihr einen feinen Knicks.</p> - -<p>Nach einer Weile kamen sie auf eine kleine Wiese im Walde. -Dort stand ein Himmelbett aus blauer Seide, und oben auf -dem Himmel saßen zwölf Engel und wackelten mit den -Flügeln.</p> - -<p>Auf einmal erklang eine mächtige Stimme. Nämlich: -der Herr Rübezahl hielt eine Rede …</p> - -<p>Es war aber gar nicht der Herr Rübezahl, sondern es war -der Herr Professor Salzer, der hatte den gelben Krückstock -in die Erde gestochen und den grauen Stoffzylinder daraufgestülpt, -wischte sich den Schweiß von der Stirn und sagte: -»Na, Heidi, was ist dir denn eigentlich eingefallen?«</p> - -<p>Und neben ihm standen Papa und Mama und eine große -Menge Menschen aus Johannisbad, dazu die halbe Kurmusik; -denn als es ruchbar geworden, daß Heidi weg wäre, die der -Liebling aller war, kriegten sie das Suchen und stürzten -gegen den Wald, als wäre dort ein Luftschiff niedergegangen -und sie müßten es besehen.</p> - -<p>Und nun tat Heidi die Augen auf und sagte: »O, jetzt -seid ihr gerade zu spät gekommen! Nämlich, der Herr Rübezahl -hat heute Hochzeit und eben ist der ganze Zug hier -vorübergeschritten.«</p> - -<p>Eigentlich wollte Mama ein bißchen schelten. Aber nun ging -das nicht. Es gab nur Küsse, und der Großpapa Salzer -hatte ihr noch etwas sehr Schönes mitgebracht.</p> - -<p>Ein Glück war, daß Fräulein Sinsheimer die ganze Aufregung -verschlafen hatte.</p> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_247">[247]</a></span></p> - -<p class="drop">Einmal im August, als schon die Linden tief drinnen -im Astwerk die ersten goldenen Blätter aufsteckten, war -der ganze Freundeskreis wieder im Märchenhause versammelt. -Auch die Tante Veronika war mit aus Ibenheim gekommen. -Sie hatten die fröhliche Heimkehr gefeiert, und Herr Salzer -war Festredner gewesen. Zwei Stunden war ihm Frist gesteckt -worden dafür – das war lange. Aber es ist zu bedenken, -daß er über die Erlebnisse zweier Dichterkutschen und über -Rübezahls Hochzeit und die schöne Elfenbraut im seegrünen -Schleierkleide und über ein Himmelbett mit zwölf Engeln -zu berichten hatte …</p> -</div> - -<p>Es war schön. Es war atemberaubend schön. Es war -so springlebendig, daß sie meinten, sie machten die Reise in -dieser Nacht noch einmal. Aber nun waren es vier Dichterkutschen.</p> - -<p>Als Herr Salzer fertig war, waren sie noch lange nicht -müde, und Gwendolin bat: »So, Jockele, und nun lies uns -deinen Roman.«</p> - -<p>»Das nächste Mal,« sagte er, »es ist ja gleich Mitternacht.«</p> - -<p>Da schlugen die Uhren.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p class="noind">Im Verlag <em class="gesperrt">Ullstein & Co, Berlin</em>, -erschien ferner in der Sammlung der Ullstein-Bücher -von</p> -</div> - -<p class="center larger">Max Geißler</p> - -<p class="h2">Jockele<br /> -und die Mädchen</p> - -<p class="center"> -Ein Buch der Jugend ist dieser erste Jockele-Roman<br /> -Geißlers und ein Buch der genialischen Lehrjahre,<br /> -durch die der schwarzlockige Jakobus Sinsheimer,<br /> -Kunstschüler in Weimar und Student in Jena, zum<br /> -Manne reift. Kluge und törichte, blonde und dunkle,<br /> -sanfte und ausgelassene Mädchen begleiten das<br /> -verhätschelte Naturkind. An die rauschende Ilm<br /> -versetzt der Roman, in den Weimarer Stadtpark,<br /> -ins Liszthaus, nach Tiefurt, Belvedere und<br /> -Ettersburg. Allen Reiz der Erinnerung macht<br /> -er lebendig, der für die deutsche Andacht<br /> -diese Stuben und Gärten umklingt, und der<br /> -traulich hinüberspielt in die Gegenwart<br /> -mit ihrem frohen, jungen<br /> -Menschenwesen. -</p> - -<p class="center p2">In gleicher Ausstattung zu gleichem Preise</p> - -<hr class="chap" /> - -<p class="h2">Verlag Ullstein & Co, Berlin</p> - -<p class="center">Ferner erschien von</p> - -<p class="center larger">Max Geißler</p> - -<p class="h2">Der Stein der Weisen</p> - -<p class="noind">Die letzten fünfundzwanzig Jahre deutschen Lebens umfaßt -Max Geißlers Roman, der ganz eingesponnen ist in den -Frieden des dunkelgrünen Bergwaldes. Durchs Wettertal -fährt im Juli 1890 der Doktor Valerius Degenhart aus -Frankfurt a. Main, der Träumer, der aus der zerrüttenden -Berufsarbeit sich nach der großen Stille sehnt. Im Wettertal -läßt er, als seine unmoderne Reisekutsche verunglückt, zu -dauernder Rast sich nieder. Zwischen Himmel und Erde, vor -einer Natur von unsagbarer Schönheit baut er sich sein -Haus, die Streitburg. Wenig Äußeres geschieht in diesem -Buch. Aber es hat eine Melodie tiefinnerster Seligkeit, die -im Herzen nachklingt wie der Glanz endloser Sommertage, -und die Andacht, mit der es vom wahren Glück spricht, -kommt aus dem besten Erbteil des deutschen Wesens.</p> - -<p class="center p2">Preis 4.50 Mark</p> - -<hr class="chap" /> - -<p class="center larger">Von Max Geißler sind im Verlage von -<em class="gesperrt">L. Staackmann</em> in Leipzig erschienen:</p> - -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Das Tristanlied.</em> Epos</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Die Rose von Schottland.</em> Epos</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Gedichte.</em> Volksausgabe</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Die neuen Gedichte.</em> Volksausgabe</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Die Bernsteinhexe.</em> Schauspiel</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Die Herrgottswiege.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Das hohe Licht.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Soldatenballaden</em></p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Am Sonnenwirbel.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Das Heidejahr.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Das Moordorf.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Das sechste Gebot.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Der Erlkönig.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Die Glocken von Robbensiel.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Nach Rußland wollen wir reiten!</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Die Musikantenstadt.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Hütten im Hochland.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Inseln im Winde.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Die goldenen Türme.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Die Wacht in Polen.</em> Roman</p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Das neue Märchenbuch</em></p> -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Briefe an meine Frau</em></p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<div class="figcenter"> -<img src="images/signet.png" alt="Signet" /> -</div> - -<p class="center"> -Ullstein & Co<br /> -Berlin SW 68 -</p> -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="transnote chapter" id="tnextra"> - -<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die -Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die Originalschreibweise -wurde beibehalten. -Der Schmutztitel wurde entfernt.</p> - -<p>Korrekturen:</p> -<div class="corr"> -<p> -S. 22: übernächtigen → übermächtigen<br /> -diesem besinnlichen, etwas <a href="#corr022">übermächtigen</a> Kopfe nicht</p> -<p> -S. 43: Harsager → Harfager<br /> -Ballade über Harald <a href="#corr043">Harfager</a> gesungen</p> -<p> -S. 57: pflag → pflog<br /> -den Bergen sein verschwiegenes Dasein <a href="#corr057">pflog</a></p> -</div> -</div> - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Jockele und seine Frau, by Max Geißler - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOCKELE UND SEINE FRAU *** - -***** This file should be named 54677-h.htm or 54677-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/4/6/7/54677/ - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions -will be renamed. - -Creating the works from public domain print editions means that no -one owns a United States copyright in these works, so the Foundation -(and you!) can copy and distribute it in the United States without -permission and without paying copyright royalties. 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Redistribution is -subject to the trademark license, especially commercial -redistribution. - - - -*** START: FULL LICENSE *** - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project -Gutenberg-tm License (available with this file or online at -http://gutenberg.org/license). - - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm -electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance -with this agreement, and any volunteers associated with the production, -promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, -harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, -that arise directly or indirectly from any of the following which you do -or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm -work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any -Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. - - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of computers -including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists -because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from -people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. -To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 -and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive -Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at -http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent -permitted by U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. -Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered -throughout numerous locations. Its business office is located at -809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email -business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact -information can be found at the Foundation's web site and official -page at http://pglaf.org - -For additional contact information: - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To -SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any -particular state visit http://pglaf.org - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. -To donate, please visit: http://pglaf.org/donate - - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic -works. - -Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm -concept of a library of electronic works that could be freely shared -with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project -Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. - - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. -unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily -keep eBooks in compliance with any particular paper edition. - - -Most people start at our Web site which has the main PG search facility: - - http://www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - -</pre> - -</body> -</html> diff --git a/old/54677-h/images/censor.png b/old/54677-h/images/censor.png Binary files differdeleted file mode 100644 index d22e35a..0000000 --- a/old/54677-h/images/censor.png +++ /dev/null diff --git a/old/54677-h/images/cover.jpg b/old/54677-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 2b7fc4d..0000000 --- a/old/54677-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/54677-h/images/signet.png b/old/54677-h/images/signet.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 5baa49d..0000000 --- a/old/54677-h/images/signet.png +++ /dev/null |
