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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
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-The Project Gutenberg EBook of Neues Altes, by Peter Altenberg
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Neues Altes
-
-Author: Peter Altenberg
-
-Release Date: June 30, 2016 [EBook #52463]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEUES ALTES ***
-
-
-
-
-Produced by Elizabeth Oscanyan and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-
-[Illustration: Peter Altenberg]
-
-
-------------------------------------------------------------------------
-
-
-
-
- Neues Altes
-
- von
-
- Peter Altenberg
-
-
-
-
- S. Fischer, Verlag, Berlin
- 1919
-
-
-
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-------------------------------------------------------------------------
-
-
-
-
- _Vierte und fünfte Auflage._
-
- Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
- Copyright 1911 S. Fischer, Verlag, Berlin.
-
-
-
-
-------------------------------------------------------------------------
-
-
-
-
- Gewidmet Anna Konrad
-
-
-Motto:
-
- »Solche Männer und ihresgleichen sind einfach geniale Naturen, mit
- denen es eine eigene Bewandtnis hat; sie erleben nämlich eine
- _wiederholte Pubertät_, während andere Leute _nur einmal_ jung
- sind.«
-
- Goethe, Gespräche mit Eckermann.
-
-
- PA: Aber wie _glücklich zu preisen_ sind die, die _nur einmal_ jung
- zu sein brauchen, und dann ruhig absterben dürfen, während jene
- anderen _Unseligen_ von ewigen inneren Räuschen gefoltert
- werden — — —.
-
-
- »J’ai de mes tourments multiplié les causes — — — d’innombrables
- liens vont de mon âme aux choses!«
-
- Baudelaire.
-
-
-
-
-------------------------------------------------------------------------
-
-
-
-
- INHALT
-
-
- Seite
- Widmungen in meine Bücher 13
- Wesen der Freundschaft 17
- Was ist ein Dichter? 19
- Bekenntnis 20
- Entwicklung 21
- Sankt-Martins-Insel 23
- Konzert 25
- Buchbesprechung 26
- Ideale 30
- Ein Brief 31
- Variété 33
- Die abgelehnte Einladung 35
- Hypokrisie 37
- Strandbad »Gänsehäufel« 38
- Rückkehr vom Lande 39
- Krankenlager 41
- Hunde 43
- H. N. 45
- Helga 46
- Das Telephon 47
- Die Lüge 48
- Plauderei 49
- Lebensbild 52
- Lebensbilder aus der Tierwelt 54
- Brief an Mitzi von der »Lamingson-Truppe« 57
- Aphorismen 59
- Texte auf Ansichtskarten 60
- Heilmittel 67
- Der Nebenmensch 68
- Schutz 70
- Brangäne 72
- Der Affe Peter 73
- Ungeziefer 75
- Mutter und Tochter 76
- Der Dichter 77
- Hysterie 78
- Weihnachten 80
- Der Tag des Reichtums 81
- So sollte es immer sein 83
- Inschrift 85
- Tope 86
- Bekanntschaft 87
- Eifersucht 89
- Goethe 90
- Die Pflegeschwester Rosa Schweda 91
- Geschwister 92
- Der Besuch 94
- Sommerabend in Gmunden 95
- Ästheten 97
- Erinnerung 99
- Vöslau 101
- Ein Brief 103
- Der Fortschritt 105
- Über Lebensenergien 107
- Strandbad 109
- Wesen der Religion 110
- Wie sie es glauben wollen, so ist es 111
- »Prodromos« 112
- Restaurant Prodromos 115
- Der Brand 117
- Rücksicht 118
- Myosa 119
- Im Stadtpark 121
- Ehebruch 123
- Hamsun-Menschen 125
- Memoiren 129
- Widmung an Anna Konrad 130
- Der Tod 131
- Eine ganz wahrhaftige Beziehung 133
- Im Volksgarten 135
- Ansprüche einer Romantikerin 137
- Lebensweg 139
- Dienste 140
- Wie ich gesundet bin 141
- Gottesgnadentum 143
- An einen unmodernen Arzt 145
- Zynismus 147
- Nacht-Café 149
- Die Nerven 151
- Britische Tänzerinnen 152
- Der Trattnerhof 155
- Artistische Rundschau, Wien 157
- Parfüm 159
- Übers Schreiben 161
- Angstschrei 163
- Juli-Sonntag 165
- Der Jagdherr 166
- Episode 169
- Josef Kainz 170
- Bettlerfrechheit 171
- Von meinem Krankenlager aus 172
- Krankheit 174
- An eine Elfjährige 177
- Krankenbesuch 179
- Notiz 181
- Rückkehr vom Lande 183
- Nichts Neues 185
- Das Dorf 187
- Gerichtsverhandlung in Wien 189
- Semmering Ende September 1911 190
- Peter Altenberg als Sammler 191
- Yvette Guilbert 193
- Krankenpflege 195
- Herbst am Semmering 197
- Herbstanfang 198
- Eine Begebenheit 201
- Beschäftigung 203
- Besuch im einsamen Park 205
- Tanz 209
- Peter Altenberg 213
-
-
-
-
-------------------------------------------------------------------------
-
-
-
-
- WIDMUNGEN IN MEINE BÜCHER
-
-Fräulein H. M., immer und ewig werden die Dichter an dem fast
-absichtlichen »Unverständnis« geliebter, vergötterter Frauen zugrunde
-geh’n — — —. Du allein brachtest mir die volle _Sicherheit_, daß mein
-sonst so oft _mißverstandenes_ Dasein von dir _erkannt_ wurde, in
-Weisheit und in Milde, wie von Gott selbst — — —! Heißt man das Liebe?!
-Gleichviel. Es ist die »Erlösung«, die eben keine andere bringen kann!
-
-
-An Frau D. M., in unzerstörbarer Freundschaft.
-
-Freundschaft, du immer und ewig _mißbrauchtes, geschändetes Wort_! Du
-bist »Erkenntniskraft des Gehirnes«, _gemildert_ durch »des Herzens
-Wohlwollen«!
-
-
-An Maria Maraviglia, spanische Tänzerin.
-
-Leben, flüchtigstes, zerrinnendstes, kann ich dich nicht festhalten?!
-Ja! Durch Erinnerung, Melancholie und Ergebung ins Schicksal — — —.
-
-
-Frau M. B. in Aachen.
-
-Aus Fernen kam ein begeisterter Gruß — — —. Wie selig war
-ich — — — zwischen Aachen und Wien ist genügend Raum für die
-Enttäuschungslosigkeit zusammengehöriger Seelen geschaffen — — —!
-
-
-An die Gemahlin des Herrn J. S.
-
-Wie eine Aristokratin sehen Sie aus des 18. Jahrhunderts — — —. Augen
-voll ernster Ruhe und Noblesse, und dennoch wieder Augen der Sphinx und
-der Rheinnixen! Die Nase wie von urältesten Adelsgeschlechtern
-herstammend, sanft gebogen und dennoch stumpf abbrechend. Adlernase und
-Stumpfnase zugleich! So aus einer Zeit von vergangener Würde und Größe.
-Man sitzt neben Ihnen, betrachtet Sie, spricht ehrfurchtsvoll, wie mit
-_keiner anderen_. Man ist unter einem unerklärlichen Banne. Wie wenn man
-vorgestellt würde der »Kaiserin Marie Antoinette«. Man möchte zu Ihnen
-sagen: »Votre Altesse Royale — — —«. Aber man muß über die kleinen
-Ereignisse des Tages sprechen — — —. Und dabei blickst du wie eine
-traurige Fürstin — — —!
-
-
-Für P. H., die »Romantikerin«.
-
-Sie erwünschen es sich, daß ich Ihnen von meiner einsamen Landpartie im
-Vorfrühling Blätter ins Haus sende, in die enge Gasse der Vorstadt?!
-Nun, ich befestigte alles einzeln vorsichtig an silbernen Drähten,
-zarte, gelbgrüne Blättchen. Wie gleicht Ihr Herz doch der
-Vorfrühlingslandschaft — — —! Man bedauert direkt, daß es bald zu
-greifbarer Blüte und Frucht ausreifen werde im Sonnenbrande des Lebens!
-
-
-_Für Gertrude Barrison, Tänzerin._
-
-Kalt und hart scheinbar sind Sie im Leben, das alle zu leben, alle zu
-erleiden, alle zu ertragen haben! Aber _hinter_ diesem »gewaltsamen
-Sein« schlummert den ewigen Schlaf, besiegt und längst abgestorben, die
-»vergrämte Idealistin«! _Geschreckt_ von der _Heimtücke des Daseins_,
-traut sie sich nie mehr zum Vorschein — — —. Und nur des Dichters Auge
-blickt noch in Welten, über die der Sargschleier, alles verbergend,
-liegt — — —.
-
-
-_An Miß Bessie._
-
-Ich hatte dich irrsinnig lieb und vergeblich — — — man hat immer nur
-_irrsinnig_ lieb, wenn es _vergeblich_ ist!
-
-
-An Frau E. R.
-
-Eine Welt von zärtlichster Zärtlichkeit mußte in mir ersterben, auf dein
-Geheiß! Auf deinen strengen unerbittlichen Wunsch! In späteren Tagen
-warst du sanftmütig und gütig zu mir; in späteren Tagen! Aber den »süßen
-Wahnsinn« hast du mir gemordet, wolltest durchaus meiner Seele endlose
-Welten auf ein _erfaßbares Maß_ zurückführen; vergeblich! _Stört_ euch
-»unser Wahnsinn«, so enttäuscht euch schließlich noch mehr die »normale
-Liebe« der anderen! Sind wir auch »übertrieben« in unserer Verehrung,
-sind die _anderen allzu nüchtern_ in ihrer gesunden Gerechtigkeit!
-
-
-_An Else Wiesenthal._
-
-Immer und überall im Leben vermißt man »Hoheit und Würde« und »edle
-Kindlichkeiten« zugleich! Aber in _Ihrem Tanzen_ findet man es. Deshalb
-ist man so beglückt und erlöst und erleichtert. Was man an seiner
-geliebtesten Geliebten schmerzlich-melancholisch vermißt, findet man,
-erstaunt, gerührt, bei Ihnen! Unerbittlich und starr wird immer
-naturgemäß sogleich die Seele des Mannes, falls ein _wertvolleres_ Bild
-vor seine Seele tritt! Ehebruch, Treuebruch, was seid ihr für
-nichtssagende Namen! Das »_Zulänglichere_« löscht einfach stets das
-»_Unzulängliche_« aus! Soll man weiter verehren, was der Verehrung nicht
-mehr wert ist?! Gehet von hinnen, Schwerfällige, wenn die »_idealere
-Tänzerin_« naht! Die »_Gleitende_« besiegt die »_Schleichende_«!
-
-
-
-
- WESEN DER FREUNDSCHAFT
-
-
-Ich kenne nur zwei Menschen, die mir freundschaftlich gesinnt sind,
-mein Bruder und A. R. Sie verstehen alles, was ich denke, empfinde,
-sage, geben allen Dingen die _wohlwollendste_ Auslegung. Sie sind ganz
-ohne »Fallen-stellen-wollen«. Sie vernehmen nur das Wertvolle,
-_überhören_ eventuelle Mißtöne, ohne zu zucken. Sie schöpfen vom
-geliebten Menschen den Rahm ab, beklagen sich nicht über die wässerige
-Milch, die darunter liegt, sondern erfassen es als ein Naturgesetz,
-daß der Rahm nicht bis zuunterst reichen kann — — —. Sie erläutern uns
-nach unseren _in uns verborgen liegenden_ Idealen, nicht nach unseren
-allen augenfälligen alltäglichen Schwächen! Sie lauern auf unsere
-_seltenen_ Höhepunkte, beachten nicht unsere Verkommenheiten. Sie sind
-noble Ausleger, Ausdeuter unseres _wirklichen Wesens_. Sie _begreifen_
-unsere Schwächen, sie _achten_ unsere Stärke! Sie sind mit uns, wie
-man mit edelrassigen Kanarienvögeln, Papageien, Staren, Hunden, Affen
-ist. Man achtet ihre Eigenart, fordert von ihnen nichts Unmögliches.
-Man hält sich an ihre »besonderen« exzeptionellen Eigenschaften. Diese
-wohlwollend-sentimentale Art von Nervengutmütigkeit heißt:
-_Freundschaft_. Jede andere ist tief verlogen. Diese edle »_ewige
-Gutmütigkeit_« ist von _Gottes Gnaden_! Man hat sie zumeist erst mit
-Verstorbenen. Da kommt man erst zur Besinnung über besondere Werte,
-dringt tiefer ein in das Wesen desjenigen, dessen Lebendigsein uns
-nicht mehr stört. So lange er lebte, beging er die störende
-Ungeschicklichkeit, ein anderer zu sein an Denken und Empfinden als
-wir selbst!
-
-
-
-
- WAS IST EIN DICHTER?
-
-
-Er sah am »Gänsehäufel« ein fremdes junges Mädchen, ganz lang und
-schlank, goldbraune wehende Haare, lange, schmale Hände und Füße, ein
-ockergelbes seidenes Trikot an dem mulattenbraunen Leibe.
-
-Er konnte sie nie, nie, nie mehr vergessen.
-
-Er sah in einer japanischen Akrobatentruppe ein fünfjähriges Mäderl,
-gelber Teint, Stumpfnäschen, schwarze Haare wie eine Perücke. Lebendig
-gewordenes Kinderspielzeug!
-
-Er konnte sie nie, nie, nie mehr vergessen.
-
-Er las von einer wunderschönen Preisfechterin in Venedig, aus reicher,
-geachteter Familie, die ohne Grund, neunzehnjährig, sich aus ihrem
-Zimmer, drei Stockwerke hoch, aufs Pflaster stürzte und starb.
-
-Er konnte sie nie, nie, nie mehr vergessen.
-
-Er hatte neben sich eine, ganz, ganz neben sich, hart neben sich, bei
-Tag und bei Nacht.
-
-Die konnte er aber vergessen, vergessen, vergessen!
-
-
-
-
- BEKENNTNIS
-
-
-     Du gabst mir alles — — — und ich gab dir nichts!
- Mein Aug’, mein Ohr, mein Denken und mein Träumen
- gehörten vielleicht eher den dunklen Mädchen von den
- Sundainseln, romantischen Gebilden fremder Welten,
- die ihre stillen Wege gehn nahe dem Urwald — — —.
- Du gabst mir alles — — — und ich gab dir nichts!
- Wie Märtyrerinnen warst du aus der Vorzeit,
- oder wie Krankenpflegerinnen fremder Menschen,
- wie sie heut’ noch sind in Krankenhäusern und in
- Klöstern — — —.
- Belohnung war dein _eigenes_ Gefühl in dir!
- Im _Geben_ nahmst du _tausendfach zurück_,
- was du gespendet. Und _davon_ lebtest du!
- Nun bist du in dem Dienste deiner heiligen Seele
- krank geworden — — —
- der magische Schein der Selbstaufopferung verlischt — — —
- du kannst nicht mehr grenzenlos ergeben sein!
- Und weinend siehst du nun zum ersten Male deines
- Lebens Not — — —.
- Du gabst mir alles — — — und ich gab dir nichts!
- Und dennoch traure ich verzweifelt am Sarge deiner
- armen Seele — — —. Denn, glaube mir, sie starb!
-
-
-
-
- ENTWICKLUNG
-
-
-Es gibt zwei Arten von Genies. Die, die eine neue naturgemäße Sache
-entdecken, und die, die es _gläubig erfassen_ und verwerten. Der
-_Glaube_ an die Genialität des anderen ist die _nächstfolgende_
-Genialität. _Glaube_ an neue Erkenntnisse ist bisher unterschätzt
-worden. Es ist ein _zweiter Grad_ von Genialität. Die anderen sind
-Skeptiker, also _ungenial_. Dann gibt es noch die _Mitläufer_ mit den
-Schwindlern und Hochstaplern. Das sind die ganz Ungenialen, die einem
-ebenso Ungenialen wie sie selbst sind, feige Kärrnerdienste leisten. Sie
-leben von der Hoffnung, man werde sie ernst nehmen, weil sie einem nicht
-ernst zu Nehmenden ernstlich Gefolgschaft leisten! Aber in Gottes Buche
-ist alles verzeichnet, und dieser riesigen unerbittlichen Buchführung
-über _Reelles_ und _Unreelles_ unterliegt schließlich alles! Alles wird
-_aufgedeckt_, die reellen und die gefälschten Ziffern, und man sollte
-eben deshalb schicksalsergeben sein. _Entwicklungskonjunkturen_
-ausnützen ist jedoch eine der feigsten Gemeinheiten. Wenn man für die
-»Frauenseele« zum Beispiel kämpft, muß man zeit seines langen
-schrecklichen Lebens in jeder Beziehung daran auch elend verblutet sein.
-Die jungen Gänseriche haben aber noch einfach ihre verfluchte Pflicht
-und Schuldigkeit, ohne psychologische Mätzchen das Ihrige wie eh und je
-zu leisten. Der Entdecker _leidet_, und der Gläubige an ihn _leidet_.
-Aber der geschickte Ausnützer von Konjunkturen macht dabei seinen
-_Rebbach_.
-
-Dasselbe findet in der Kunst statt. Gottes Pläne sind niemandem heilig,
-sondern man erstrebt es einfach, seiner eigenen verfehlten Organisation
-zum Durchbruche zu verhelfen! _Freaks_ sind noch lange keine _Genies_,
-obzwar Genies oft _Freaks_ waren. Sie waren es eben doch nur scheinbar.
-Denn _hinter_ ihnen thronte Gott und die Natur, wenn auch ein wenig in
-allzu grotesken Formen. Es gibt Räusche, in denen man Symphonien
-dichtet; und es gibt Räusche, in denen man sich erbricht. Beides sind
-Räusche, Ekstasen, übertriebene Zustände. Aber Rausch und Rausch sind
-nicht gleich; und nicht jeder torkelnde Betrunkene schreibt dann in
-seinem einsamen Zimmer Schubert-Lieder!
-
-
-
-
- SANKT-MARTINS-INSEL
-
-
-Als der Arzt ihr mitteilte, daß sie vor den dunklen Toren der
-Tuberkulose stehe, sagte sie: »Na, na, dös tun mer net, mit achtzehn
-Jahren?!«
-
-Und sie eilte nach Gravosa, und lag auf der Sankt-Martins-Insel
-mutterseelenallein, mit ihren Proviantvorräten, von sieben morgens bis
-sieben abends, und breitete splitternackt die Arme aus, um die Heilkraft
-der Natur zu empfangen.
-
-Sie ließ sich mit Mentholfranzbranntwein täglich zweimal eine halbe
-Stunde lang einreiben und nahm einen halben Liter Kakao mit sechs
-eingesprudelten rohen Eidottern. Ferner Bouillons mit eingesprudelten
-rohen Eidottern und Seefischfilets in großen Mengen.
-
-Als sie gesund wurde, kam der Ehrgeiz und die Lebenslust über sie, und
-sie fand ein Engagement in einem ganz kleinen Theater. Ihre erste Rolle
-war die französische Gräfin Laborde-Vallais. Sie wußte durchaus nichts
-damit anzufangen, aber ein junger Herr schickte ihr in die Garderobe
-seine Visitenkarte.
-
-Sie hatte sich mutig dem Tode entzogen, und bemerkte nun bald, daß das
-Leben es nicht wert sei, sich so sehr darum bemüht zu haben. Sie war
-dieser Gefahr »Tod« entronnen — nun kam diese größere Gefahr »Leben«!
-Dem konnte man nicht mit Sonnenbädern, Kakao, gesprudelten Eidottern,
-Mentholfranzbranntwein entrinnen!
-
-Später lernte sie zufällig den Dichter kennen. Sie verstand nicht, worin
-das bestehe, ein Dichter zu sein. Man schreibt Bücher, und man ist ein
-Dichter. Aber was stellt es vor, und wozu ist es?!?
-
-Aber eines Tages sagte er zu ihr: »Wie war es auf der
-Sankt-Martins-Insel?!? Sie lagen da, gottergeben, und erwarteten von
-Wiese, Wald und Sonne Ihre Heilung — — —.«
-
-Und jemand sagte zu ihr: »Hören Sie mir schon auf mit Ihrer faden
-Sankt-Martins-Insel! Jetzt sind wir Gott sei Dank hier!«
-
-Da blickte sie hilfeflehend zu dem Dichter, und sie fand einen
-hilfsbereiten Blick — — —.
-
-Da wußte sie, was ein Dichter sei und wozu er da sei — — —.
-
-
-
-
- KONZERT
-
-Du kamst aus dem Konzert, erfüllt von Liedern und den Liedertexten, die
-von Dichtern waren wie Stefan George, Richard Dehmel, Jacobsen, dem
-verstorbenen Dänen, der Musik in Worten machte.
-
-Du warst schön und prächtig, gelb und gold war dein Gewand, und deine
-geliebten Augen blickten noch in Fernen, aus denen sie eben kamen. Ein
-Zwerg, ein Wurm, ein gekrümmtes armseliges Reptil erschien ich dir, ans
-Irdische dich feig gemahnend, die du aus hehren Fernen kamst, und meiner
-Liebe allzu gewohnte Seufzer verhallten in den Tönen deiner neuen
-Musikwelten.
-
-Ich starb dahin vor Eifersucht auf das Konzert, und auf alles, was drum
-herum und dran hängt an Ablenkungen selbstverständlicher Art einer
-fanatisch geliebten Seele —. Ich starb dahin.
-
-Du aber blicktest, gelb und goldig war dein romantisches Gewand, in
-Fernen, aus denen du soeben kamst, gleichsam von einer langen, langen,
-langen Reise —. Wo warst du, Frau?!?
-
-Da senkte ich den Blick, der zuerst böse starrte, und ich ergab mich in
-das Schicksal — — —.
-
-Du sagtest schlicht: »Es war sehr schön; man hat sehr viel gelernt; man
-blickte jedenfalls in Welten, die bisher verschlossen waren —.«
-
-Da saß ich denn da und getraute mich nicht mehr, deine geliebten Hände
-zu berühren wie eh und je —.
-
-Und du sagtest: »Was haben Sie?!?« Und ich sagte: »Nichts — — —.«
-
-
-
-
- BUCHBESPRECHUNG
-
-Er hatte zu ihr gesagt: »Nun habe ich dich, _über allen Kitsch der
-Künstler_ hinaus, den _Kunstwerken der Natur und des Lebens selbst_
-allmählich näher gebracht, habe dich mühselig gelehrt, die Romantik des
-Daseins _aus erster Hand_ zu genießen! Nun gebe ich dir einen
-allerbesten, spannendsten, aufregendsten, ergreifendsten, lehrreichsten
-Roman zu lesen: »_Der Volkskrieg in Tirol_ 1809« von Oberleutnant Rudolf
-Bartsch.«
-
-Und sie las es in einigen Stunden einer schlaflosen Nacht. Alle Menschen
-darin standen ihr nahe, und sie zitterte um eines jeden Schicksal!
-Erzherzog Johann, die Offiziere, die Diplomaten, die Bauernführer wurden
-ihr zu vertrauten Freunden. Sie begann das Getriebe der Welt zu erkennen
-und Freunde und Feinde in gleicher Weise zu verstehen! Sie sah die
-Schlachten zwischen _Intelligenz_ und _Herz_ im Menschen, zwischen
-_Vorurteil_ und _Urteil_, zwischen _Fernsicht_ und _Nahsicht_!
-
-Sie gewann eine tiefe, tiefe Liebe zu Peter Mayr und Andreas Hofer, zu
-den reinsten der Reinen, den eigentlichen Idealisten in dem Buche.
-
-Sie weinte bitterlich und stundenlang über ihre edle Art. Sie schrieb
-sich folgende Stelle auf ein Pergamentblatt heraus und ließ es einrahmen
-unter dem Titel: »So sind alle, die für die _Kommenden_ von Wert sind!«
-
-Diese Stelle lautete: Der geniale Hormayr verscherzte sich das Zutrauen
-vieler, namentlich der Bauern. Als er nach dem Bankrott der
-österreichischen Invasion aus dem Lande floh, _schob_ so recht das ganze
-Volk von Tirol den gegen Hormayr einfältigen, aber sittenreinen Sandwirt
-an die höchste Stelle — ohne dessen Zutun.
-
-Schob: dieses Wort bezeichnet viel in Hofers Wesen und Laufbahn! Der
-bedächtige Sandwirt war keine aggressive, ideenwälzende Natur wie
-Haspinger, kein genial tollkühner Unfried wie Speckbacher. Viele seiner
-Führer hatten weit größere Begabung als der bloß mit einem schlichten,
-gesunden Hausverstand ohne weiten Blick ausgerüstete Hofer. Gedrängt,
-unwiderstehlich gedrängt wurde Hofer zu allem, was er tat. Eine äußere,
-aber geheime Macht, deren Walten er wohl ahnte, der er nie zu
-widerstehen suchte und die er verehrte, trieb ihn: der Volksgeist von
-Tirol!
-
-Diese Macht erhob ihn hoch — er blieb demütig und schlicht; diese Macht
-entriß ihm all seine Entschlüsse. Durch sie gedrängt, siegte er bei
-Sterzing, am Isel und bei Leonhard. Durch sie gehalten, vermochte er
-nicht zu fliehen, als die Besten des Landes das sinkende Schiff
-verließen — und geschoben, ja ganz verwirrt von dem Einfluß der
-Verzweifeltsten des ganzen Landes, brach er im Spätherbst 1809 zum
-erstenmal in seinem Leben das Wort, verleugnete seine Unterwerfung,
-erhob von neuem den Ruf zum Aufruhr, und erst als sein Körperliches
-gefangen und dem Tode geweiht war, da befreite sich seine Seele, eine
-tiefe Erkenntnis seines ganzen Lebenslaufes durchzuckte ihn, und da
-wuchs er ins Übermenschliche. Dieser weichherzige Mann, der so leicht
-die gutmütigen Augen voll Wasser bekam, nahm trockenen Auges Abschied
-von einer Welt, die sich schlechter erwiesen hatte als er.
-
-Daß man Hofer so oft verkannt und in ihm den Führer und Kommandanten des
-Aufstandes gesehen hatte! Er war weniger und doch mehr. Er war seinem
-Volke, was dem Soldaten seine Fahne ist: Das Panier von Tirol!
-
-_Selbst unbeweglich_, aber von den Kühnsten und Besten getragen, _allen
-voran_. Unbefleckt, rein, verehrenswürdig, ja wahrhaft geheiligt! Von
-der Religion geweiht, vom Paten Johann mit einem Wahlspruch belebt, vom
-Kaiser ausgezeichnet und geschmückt. In der höchsten Not entfaltet, als
-alle Kommandanten versagten, siegt diese menschliche vorausgetragene
-Fahne Andreas Hofer, dann sinkt sie — — und mit ihr das Land Tirol. Er
-war eben der einfache, Mensch gewordene Idealismus, der embryonal in
-tausend Herzen, in tausend Gehirnen, in tausend Willenskräften verborgen
-lag!
-
-Die edle Leserin machte die Hinrichtung Andreas Hofers mit, aber sie
-konnte nicht, wie er von sich selbst es sagte, sagen: »So leicht kommt
-mir sein Sterben an, daß mir die Augen davon nicht naß werden — — —.«
-
-Sie aß wenig, sie sprach wenig durch viele Tage. Nur dem Freunde, der
-ihr diesen »_Roman des wirklichen Lebens_« anempfohlen hatte, blickte
-sie dankbarst in die Augen. Da sagte er denn zu ihr: »Dieser
-Oberleutnant Rudolf Bartsch ist vielleicht ein _größerer Dichter_ als
-viele protokollierte Firmen dieser Branche. Denn er hat die in den
-Archiven des Lebens begrabene Poesie und Romantik der Menschheit zu
-lebendigem wirkendem Leben gebracht durch sein einfaches tiefes Buch!«
-Und die Dame reihte es ein in ihrer kleinen Bibliothek neben ihre
-Götter: Hamsun, Strindberg, Maeterlinck, Ibsen, diese _Vermehrer des
-Bestandes der allgemeinen menschlichen Seele_!
-
-
-
-
- IDEALE
-
-Ein fünfzehnjähriges wunderschönes Stubenmädchen stahl ihrer Herrin
-zwanzig Kronen.
-
-Die Herrin schickte zur Polizei und machte die Anzeige von dem
-Diebstahl. Da nahm die Fünfzehnjährige, die ihrer Mutter zum Namenstag
-ein Geschenk hatte machen wollen, eine Flasche mit Spiritus, trank die
-Hälfte aus, übergoß ihre Kleider mit der anderen Hälfte, zündete sie an.
-Nach elf qualvollen Stunden verstarb sie im Wasserbett.
-
-Einfache künftige Polizeivorschrift:
-
-Anzeigen gegen Untergebene unter zwanzig Jahren wegen Diebstahls unter
-100 Kronen werden zwar angenommen, aber sobald es sich um einen _ersten_
-Fall handelt, in den Papierkorb geworfen!
-
-Man vertröste die anzeigende »Canaille«, daß sich der Fall leider
-»verzögert« habe — — —.
-
-
-
-
- EIN BRIEF
-
-Liebes Fräulein Marion Kaulitz, ich habe gestern in der Wiener
-Werkstätte, erster Bezirk, Graben 15, die Puppenausstellung besichtigt.
-Ich war ganz gerührt. Wie schrecklich sind doch diese Puppengespenster
-gewesen aus der Kindheit unsrer geliebten Schwestern und Cousinen! Wie
-starrten sie uns blöde herzlos an, erwiderten alle Liebe und Sorge mit
-einem nichtssagenden kretinartigen Grinsen, das unsre kleinen Herzen
-hätte lieblos machen müssen, wenn wir damals nicht so viel an
-selbstloser Liebe aufgespeichert hätten zu adeliger Verschwendung!
-
-Aber nun schufen Sie, Fräulein, Puppen, die wie edle, zarte
-Menschenkinder blicken, träumerisch lächelnde, und solche, die sich
-anschicken zu weinen und es dennoch unterdrücken! Kleine, zarte Kindchen
-schufen Sie, nicht Puppen!
-
-»Das Beste ist für unsre Kinder gerade noch gut genug«, sei der
-Wahlspruch von verständnisvollen Eltern. Eine meiner kleinen
-zartfühlenden Freundinnen, zwölfjährig, hat am Lande im Garten einen
-Zentralkäfig aus spinnwebdünnem Stacheldraht. Innerhalb ein kleiner
-ovaler Teich von Quellwasser, und blühende kleine Gesträuche. Dieser
-Käfig ist bewohnt von siebzig herrlichen Vogelarten. Hier genießt sie
-die Märchen der mysteriösen Natur aus allererster Hand, hat einen
-kleinen bequemen Fauteuil davor gerückt, sitzt stundenlang, beglückt und
-entrückt — — —.
-
-Geradeso könnte man mit Ihren Püppchen sitzen, stundenlang, Fräulein
-Marion Kaulitz! Ich denke mir kinderlose zarte Damen, die dieselben
-sanft an ihr Herz drückten. Im Schlafzimmer sollten sie in Sofaecken
-kauern, wie kleine zarte Lebewesen! Es gibt einige darunter, die man
-direkt lieb gewinnt. Ich kann es mir vorstellen, daß eine alte Jungfer
-solche fünfzig ankaufte und so in ihrem Zimmer eine Welt erblühen ließe,
-die ihr im realen Leben versagt geblieben ist. Eine Welt von Poesie und
-ohne die Enttäuschungen. Eine ist darunter, dreißig Kronen, von der man
-es sich vorstellen muß, daß sie unbedingt eine weltentrückte Dichterin
-werden würde. Ich sagte zu der wunderbar schönen bleichen Verkäuferin
-mit den aschblonden Haaren und der sanftmütigen Stimme: »Melden Sie es
-mir seinerzeit, welche Dame diese scheinbar unscheinbare Puppe erstanden
-habe! Es wird jedenfalls eine ›innerlich Adelige‹ sein — — —.« Die
-bleiche Verkäuferin errötete und sagte: »Ein fremder Herr hat sie heute
-bereits von selbst für mich erstanden — — —.«
-
-
-
-
- VARIÉTÉ
-
-»Sechs riesenstarke Männer und eine _Sechzehnjährige_, wunderbaren
-verklärten Antlitzes, und gewachsen wie ein edler Knabe. Man warf sie
-wie einen Gummiball, fing sie nach zahllosen Umdrehungen auf
-herkulischen Schultern geschickt auf. Dennoch zitterte man jedesmal für
-ihre edelzarten, unbeschreiblich rührenden, gebrechlichen Glieder. Sie
-blickte ekstatisch, ließ sich in die Luft wirbeln und auffangen und
-hätte, zufällig auf den Boden geschleudert und ermordet, zerbrochen,
-zerquetscht, keinen Laut von sich gegeben! Ekstatisch blickend wäre sie
-gestorben. Da dachte ein Graf: »Ich werde sie ihren Peinigern entziehen
-und ihrem Selbstmorde. Ich werde sie schützen, pflegen und behüten!«
-Aber das _wunderbar verklärte_ Antlitz hätte sie dann sogleich verloren,
-und den edlen süßen Heldenblick wie in einer Schlacht, in der man gern
-vor dem Tode steht! Denn »leben ohne Ehre« ist da überflüssig geworden!
-O, Fräulein, gedenken Sie eines armseligen Zeitungsreferenten, der es
-nicht drucken lassen darf, daß er vor Ihnen hätte hinknien mögen!
-Sondern er mußte schreiben: »Einen wirklichen Rekord in der
-Parterreakrobatik bot die jugendliche Tochter des Truppendirektors. Eine
-Vereinigung von Kraft und Anmut — — —. Stürmischer Beifall belohnte aber
-auch ihre Leistung!« O, Menschheit, pfui über dich, die du noch immer
-die »spanische Stiergefechtsseele« hast, ohne Erbarmen und ohne Liebe,
-pfui! Fräulein M., Ihre edelzarten Glieder sind mehr wert als das
-begeisterte Gejohle einer herzlosen Menge. Gott beschütze Sie,
-Allerzarteste, in Ihrem gefahrvollen Berufe! Möge dennoch ein Graf Sie
-zuletzt erretten!«
-
-
-
-
- DIE ABGELEHNTE EINLADUNG
-
-»Sie luden ihn ein auf ihre Besitzung. Er könne dort tun und lassen, was
-er wolle, niemand würde Ansprüche an ihn stellen. Er habe seine Freiheit
-garantiert. Er kam nicht. Er hatte zu tiefe _Achtung_ vor dem
-_Fernverkehr_ zwischen Menschen, die sich wenigstens teilweise
-verstehen, zu viel _Verachtung_ für den _Nahverkehr_, der unter allen
-Umständen Abgründe öffnet, in denen die Seelen zerschellen. Welche
-Freiheit konnte man ihm garantieren, nachdem er als Gast von selbst
-infolge seiner inneren Kultur unwillkürlich den Gastgeber ununterbrochen
-berücksichtigt hätte? Die großen Abgründe sind leicht mit Freundschaft
-zu überbrücken, _unüberbrückbar_ sind die allerkleinsten; was ist es,
-wenn der fanatisch geliebte Hund des Gastgebers dem Gaste als ein
-verwöhntes, ekelhaftes Beest erscheint? Genügt das nicht, alle Werte
-umzuwerten und Verzweiflung in den Nerven zu erzeugen, wo früher edler
-Friede war? Ich will von Speisen und Getränken gar nicht reden, von
-Tageseinteilungen. Der Gast wird zum »hysterisch-empfindsamsten«
-Menschen, weil er eben der »Gast« ist, der Gastgeber ebenfalls, weil er
-eben der »Gastgeber« ist! Es entsteht eine Beziehung von
-Verantwortlichkeit für das Glück des anderen. Man bemüht sich, ein
-anständiges aber ungeschicktes Kompromiß zu schließen zwischen zwei
-Nervensystemen. Nun gibt es aber auch noch tragischere Verwicklungen.
-Zum Beispiel »Lieblingsspaziergänge«, oder »Lieblingsplätze im Garten«,
-ja sogar »Lieblingsbäume und -blumen«. »Gekränkt sein« ist eine von
-unserem guten, ja von unserem besten Willen unabhängige Emotion der
-Seele. Wodurch könnte man es besiegen!? Durch Entfernung! Napoleon kann
-bei seinem Kammerdiener zu Gaste sein, aber nicht bei einem Napoleon!
-Außerdem kann man sich auch noch zu allem anderen vielleicht in das
-Stubenmädchen der Hausfrau verlieben. »Distanzen lassen« in jeglichem
-Verkehr ist die »Genialität der Bescheidenen«, »Distanzen nicht
-einhalten« ist die »Stupidität der Größenwahnsinnigen«! Es gibt daher
-für einen »_bescheidenen_« Gast eine einzige Form der Einladung an ihn:
-»Liebster Freund, wir reisen heute abends ab, unsere Villa steht Ihnen
-daher zur Verfügung. Die Köchin wird kochen, was Sie anbefehlen;
-außerdem bekommen Sie Tagesdiäten von zehn Kronen. Gedenken Sie unser in
-Liebe!«
-
-
-
-
- HYPOKRISIE
-
-Ich möchte ein einziges Mal im Leben ein Liebespaar, ein junges Ehepaar
-antreffen, bei dem der Mann nicht in überquellender sorgsamer
-Zärtlichkeit das Zigarettenrauchen der Geliebten bespräche! »Anna, du
-weißt, dein Pensum ist bereits überschritten, ich habe drei Zigaretten
-täglich gestattet, eine nach dem Frühstück, eine nach dem Mittagessen,
-eine nach dem Nachtmahl. Ich glaube, ich bin jedenfalls ein
-nachsichtiger Gatte — — —.« Nein, das bist du nicht, du Hund! Gerade
-hierin also willst du ihr helfen, hast nicht die geringste Ahnung, du
-Esel, wieviel Narkotika sie braucht, um deine Langweiligkeiten zu
-ertragen, oder sich zu betäuben einmal auf anständige Art! Keine Frau
-raucht mehr Zigaretten, als sie unbedingt braucht, denn in der Kontrolle
-ihrer Genußfähigkeiten sind die Frauen begabter als die Männer, da sie
-den Gesetzen der unbewußten Natur näher stehen, sie daher besser
-erlauschen! Ich hasse die Männer, die ihre hypokrite zärtliche Fürsorge
-gleichsam auf das scheinbar übertriebene Zigarettenrauchen ihrer
-geliebten Frauen konzentrieren. Sie haben überhaupt nicht die geringste
-Ahnung von der minutiösen Hygiene des Frauenleibes, der Frauenseele!
-Aber vor der unschuldig-betäubenden, ja oft erlösenden Zigarette wollen
-sie sie zärtlichst behüten! Der Anfang aller Ungezogenheiten einer Frau,
-die sich dann allmählich und unscheinbar entwickeln, ist, ihr ihre
-unschuldigen Freuden zu mißgönnen!
-
-
-
-
- STRANDBAD »GÄNSEHÄUFEL«
-
-
-Wie alt du wirst, Peter — —. Läßt dich deinen Idealen nicht mal mehr
-vorstellen?!
-
-Ich sah zwei Schwestern, sechzehn und fünfzehn, mit braunem Teint und
-dunklen Haaren, stumpfnasig, edelhändig, edelfüßig.
-
-Wie von den Inseln Ceylon, Sumatra, waren sie.
-
-Die Sonne brannte auf den grauen mehligen Donausand des Strombades
-»Gänsehäufel«.
-
-Ein buntes Treiben; und ich sah nur euch!
-
-Wie flügge Vögelchen im Neste, sah ich euch, von eurem Vater zart
-behütet — —.
-
-Finger, Zehen, zart zum Abbrechen.
-
-Und eure Augen schienen noch nie ängstlich geblickt zu haben — — —.
-
-Ein buntes Treiben auf dem Strand, im Wasser!
-
-Familienglück mit plätschernden Babys, und Paare, denen man es ansah:
-»Ihr gehört zusammen!«
-
-Von Weidenbüschen kamen Duft und Kühle — —.
-
-Und als die beiden braunen Schwestern ihre weißen Strandkörbe verließen,
-um zu baden, hätte ich mich gern als Leibwache hinpostiert und zu jedem
-gesagt: »Die Körbe sind besetzt, ich hüte meiner geliebten Herrschaft
-ihre Ruheplätze — — —!«
-
-
-
-
- RÜCKKEHR VOM LANDE
-
-
-Nun ist es wieder Herbst geworden, und die Grabenkioske füllen sich zur
-Abendzeit mit wohlgepflegten und gebräunten Damen.
-
-Man hätte so viel zu erzählen, und man schweigt!
-
-Man ist wieder in diesem Gefängnis »Großstadt«.
-
-Man träumt von Licht und Luft und Wasser.
-
-Man war ein anderer, besser, menschlicher.
-
-Nun geht man seinen Trab wie eh und je.
-
-Man fühlt sich altern, schwerfällig werden, klammert sich an dieses
-unglückselige Wort: »Verpflichtungen«!
-
-Die Wohnung will nicht in Ordnung kommen, und die Dienstboten kündigen.
-
-»Die gnädige Frau war am Land viel netter zu uns — — —.«
-
-Ja, das war sie.
-
-Die Kellner in den Kiosken begrüßen alle Gäste wie Weltreisende, die
-vielfache Gefahren überstanden haben — — —.
-
-Nun nehmen sie Soda-Himbeer im sicheren Port!
-
-Die Deklassierten, die nicht fort waren, mischen sich in die Menge der
-Zurückgekehrten, als ob nichts vorgefallen wäre — — —.
-
-Ja, sie haben sogar die naive Frechheit, zu behaupten, Wien wäre am
-angenehmsten, wenn alles »auf den Ländern« weile — — —.
-
-Damen, mit den veredelten gebräunten Antlitzen, lasset euch nicht
-betrügen von dem Prunk der Großstadt! Erschauet in den Spiegeln eurer
-Gemächer einen Zug auf eurem Antlitz, den Licht und Luft und Wasser und
-Freiheit modelliert haben, und der nicht da war ehedem, und der
-verschwinden wird im Wintertrubel!
-
-Komödie hier, Komödie dort vielleicht — — —.
-
-Doch unter freiem Himmel ist das _Theater_ schöner!
-
-
-
-
- KRANKENLAGER
-
-
-Ich lag wieder einmal im Sterben. Einer sandte mir daher Kalbsfußgelee
-in Glasdose, statt mir seine junge, schöne Geliebte zu senden, die mich
-unbedingt eher hätte erretten können als Kalbshaxen! Das Kalbsfußgelee
-hatte einen geheimnisvollen, uneröffenbaren Verschluß. Daher war es auch
-ganz gleichgültig, daß es vor dem Eröffnen zwei Stunden lang in Eis
-liegen sollte. Einer kam sehr teilnahmsvoll und besprach es mit mir
-ziemlich eingehend, ob er seiner Mitzi den Laufpaß geben solle oder
-nicht, nachdem doch, wie ich wisse —. Wir berieten hin und her, und er
-meinte schließlich, er sehe, ich sei nicht ganz bei der Sache. Zum
-Schlusse sagte er: »Hast du große Schmerzen?! Merkwürdig, daß diese
-Anfälle in letzter Zeit so häufig wiederkommen. Vielleicht sieht man
-dich übrigens morgen im Gasthaus. Da können wir es weiter besprechen.«
-Eine Dame kam, und ich teilte ihr mit, daß sie die schönsten Ohren,
-Hände von der Welt habe. Sie meinte, ich bliebe noch in der Sterbestunde
-ein Dichter, ein wirklicher Künstler. Einer kam und legte seine
-Zigarettenasche auf mein Nachtkästchen aus Bambus, neben die große,
-tiefe Aschenschale. Einer trug mir ein Buch weg, unter dem Vorwande, ich
-könne in meinem jetzigen Zustande ohnedies nicht die Sammlung finden, es
-zu lesen. Einer sagte mir, man dürfe sich nicht so sehr nachgeben,
-sondern müsse die Krankheit durch Energie überwinden. Gott, wo käme er
-selbst hin, wenn er sich immer gleich ins Bett legen wollte und sich
-pflegte!? Eine junge Dame schrieb: »Verehrter Meister, ich höre, daß Sie
-schwerkrank sind. Darf ich um ein Autogramm bitten?!« Als ich wieder
-genesen war, sagte man zu mir: »Nun, Peter, du ewig Unzufriedener, hast
-du es nicht jetzt wieder einmal erlebt, von wieviel Sympathie und echter
-Freundschaft du in schweren Zeiten dennoch umgeben bist?!« Ich blickte
-gerührt vor mich hin — das heißt, ich dachte: Verbrecher und
-Schafsköpfe!
-
-
-
-
- HUNDE
-
-
-Ich hasse die Frauen nicht nur wegen der falschen Krawatten, die sie
-anhaben, wegen der falschen Schirmgriffe, der falschen Hüte, der
-falschen Manschettenknöpfe und so weiter — ich hasse sie in neuerer Zeit
-wegen der »Pflanzhunde«, die sie sich mit teuerm Gelde zulegen, um eine
-Art von verlogener Tierromantik mit ihnen aufzuführen.
-
-Meine wunderbar schöne Schwester fand in ihrem fünfzehnten Lebensjahre
-ein schreckliches verhungertes Tier auf der Bergstraße nach Kaiserbrunn,
-direkt ein Scheusal. Aber sie betreute es fanatisch; und als sie es
-eines Sommermorgens im Bottich des kleinen duftenden Gemüsegartens
-ertränkt fand, legte sie sich ins Bett und verweigerte acht Tage lang
-die Nahrung.
-
-Heutzutage aber kaufen sie sich für schwere Tausende prämierte Russische
-Windhunde, Springer erster Klasse, die zwar unerhört hohe Barrieren
-überspringen, aber nicht einmal den Seelengeruch aufbringen, die Wohnung
-ihrer scheinbar geliebten Herrin allein wieder aufzufinden!
-
-Herzlose Idioten von äußerlich schönen Tieren favorisieren sie,
-schändliche Masken von Idealen, einen Abglanz ihrer eigenen leeren
-Persönlichkeiten, drapiert mit modernen Gewandungen! Wie sie selbst!
-
-Seinerzeit war der getreueste Freund des Menschen favorisiert, der
-aufopferungsfähige weiße oder schwarze Pudel.
-
-Heute aber liebt man den infam perfid treulosen Dackel, den grotesken
-Clown Foxterrier, und den stupiden herzlosen und gleichgültigen
-Russischen Windhund.
-
-Heute geht man auf Farbe und Form. Aber das melancholisch-treuherzige
-Auge ist euch gleichgültig geworden! Es wird sich natürlich an euch
-rächen! Auch die »Ästhetik« kann nur aus den mysteriösen Tiefen des
-Herzens kommen; sonst ist es eine Blüte, die an ihrer eigenen schamlosen
-Kälte verkommt, verdorrt! Nur das Herz hat ewig belebende tropische
-Wärme. Schönheit allein mordet!
-
-
-
-
- H. N.
-
-
-In deinen Augen lese ich dein Leben — — — mehr brauch ich nicht zu
-wissen, es ist alles. Und deine Stimme ersetzt mir die Musik der Welt!
-Deine Hände zu schauen, macht dankbar gegen das Schicksal — — und sie
-berühren, macht mich tief erschauern! Wie eine geknickte Blume prangst
-du in der Welt, die trotzig starrt von harten Pflanzen! Nur du erzeugst
-mir Sehnsucht, Gottes edle Qual! Die anderen genießt man, wenn sie da
-sind, und die Entfernung legt sie zu den Toten! Von dir aus strömt des
-Dichters Leid und Not, an diesem Stoffe brennen seine Flammen! Wenn du
-von Lieblingsliedern sprichst, hör ich sie tönen; Wenn du von
-Lieblingsbüchern sprichst, so hab ich sie gelesen! Wenn du von schönen
-Frauen sprichst, so seh ich sie, wenn du von Männern sprichst, so sterb
-ich vor Verzweiflung!
-
-Und die Welt erdunkelt mir — — —. Der Bann, der Bann, Bannsegen ohne
-Fluch! So bannst du mich! Du bist verstört, von tausend geheimnisvollen
-Kräften hin und her getrieben, die aber mir zu Tau und Sonne werden,
-indem ich sie gerührt betrachte und begreife, wie eine Mutter ihres
-geliebten Kindes Rätsel — — —. Entfern dich nicht! Denn wenn du mich
-verläßt, erlischt für Dich dein eigener Zauber — — und eine Welt
-ersteht, die dich brutal genießen will!
-
-
-
-
- HELGA
-
-
-Helga, mein Leitstern, bist du mir erloschen?!?
-
-Leuchtest du mir nicht mehr in meinen Dunkelheiten?! Willst du meinen
-Verdüsterungen nicht mehr Klärung bringen?! Die Nebel zerstreuen, die
-sich über meiner Seele lagern, wie die Sonnenkraft auf Bergesgipfeln
-beim Nebelreißen?!? Wie ein Kindchen strecke ich die Arme nach dir aus.
-Hilf mir! Du gabst mir Kraft, du gabst mir Frieden! Sei ewig
-bedankt — — —! Nun kommen die Liebelosen und rauben mir alles! Düstere
-Nebel umwölken mein ehemals klares Gehirn — — —. Sei wieder die Sonne,
-die Klarheit bringt und Licht und Wärme! Hilf mir, Helga — — —! Alle
-andern Frauen nehmen und plündern, die Seele, den Leib, die Kraft des
-Gehirnes — — —! Du allein _spendest_ und _spendest_ und _spendest_! Kaum
-bist du fort, _umdüstert_ sich alles — — —. Die bösen Geister nehmen
-mich in Besitz — — — Guter Geist, Helga, ich entbehre dich, wie ein
-krankes Kind seine Baba — — —. _Gütige Kinderfrau_, Helga, ich gebe dir
-_diesen_ Ehrentitel, Statt dieses schnöden, inhaltslosen Titels:
-Geliebte!
-
-
-
-
- DAS TELEPHON
-
-
-»Hier Peter Altenberg — — —.«
-
-— »Oh, Peter, guten Abend. Denken Sie, ich kann heute abend nicht an
-Ihren lieben Stammtisch im ›Löwenbräu‹ kommen. Ich habe mir erst vor
-einer Stunde die Haare gewaschen und sie brauchen mindestens drei
-Stunden, um zu trocknen.«
-
-»Schluß«, rief er und läutete rasend ab. —
-
-Das war eine Art von Genugtuung. — Aber sehr bald darauf überkam ihn
-eine trübe Stimmung und er dachte: »Was, oh Fraue, was wirst du mir also
-noch alles antun, nachdem du dir nicht einmal rechtzeitig die Haare
-waschen konntest — — —.«
-
-
-
-
- DIE LÜGE
-
-
-Eine der schrecklichsten Verlogenheiten des kleinen Lebens ist es, daß
-so viele in liebenswürdig-korrekter Art fragen: »Ist es gestattet, an
-Ihrem Tische Platz zu nehmen? Stört man nicht!?«
-
-Welche verlogene Gemeinheit, eine solche perfid-jesuitische Frage zu
-stellen, nachdem man es doch sicher weiß, daß niemand daraufhin den Mut
-hat, zu antworten: »_Nein_!«
-
-Möge doch jeder in seiner Vereinsamung bleiben, bis man ihn »liebevoll«
-ruft! Wie viele Feindselige drängen sich scheinbar freundschaftlichst
-heran, weil man mit einer Dame sitzt, auf die sie »fliegen!« Eine
-horrende feige Gemeinheit. Schändliche Wölfe im Schafspelze. Wenn sie
-ihre Beute »gerissen« haben, verschwinden sie! Niemand weiß, edle
-Distanz zu halten, weder im Gespräch, noch in Handlungen. Eine falsche,
-feige Gutmütigkeit beherrscht alles, vom liebenswürdigen, scheinbar
-erfreuten Lächeln der Begrüßung an, bis in die ernsteren Komplikationen
-hinein, wo die Maske fällt! »Wie geht es Ihnen?!« Jeder denkt dabei:
-Hoffentlich schlecht! Das Herz traut sich nirgends hervor; es keucht,
-erstickt unter Lügebergen! Niemand kann »er selbst sein«, schaut sich
-daher ängstlich um, nach dem Sukkurs der andern!
-
-Heldentum: »Ist es erlaubt, an Ihrem Tische Platz zu nehmen?!«
-
-»Nein!«
-
-Dann geht der feige, geprügelte Hund aber hin und rächt sich!
-
-
-
-
- PLAUDEREI
-
-
-Früher hat es naturgemäß Religionsstifter gegeben für die _Seelen_. Der
-Körper war _urkräftig_, und die Seelen waren _schwächlich_. Da bedurfte
-es der _Ärzte_ für die _Seelen_. Nun aber ist es umgekehrt: die Seelen
-sind _erstarkt_, und die Körper sind _schwächlich geworden_. Da bedarf
-es der Religionsstifter für die _Körper_!
-
-Keuschheit zum Beispiel war früher eine »psychologische« Forderung,
-heute wird es zu einer »physiologischen«! Einfachheit der Lebensweise
-war früher eine »psychologische Forderung«, heute ist es eine
-»physiologische« geworden!
-
-Früher beschenkte man Arme aus »psychologischen« Gründen. Heute könnte
-man fast bereits sagen: »Ich gab einem Armen 50 Heller, denn ich fühlte
-es, daß mir mein Nachtmahl dann besser munden würde und ich es leichter
-verdauen könnte —.«
-
-»Seelische Angelegenheiten« beginnen zugleich »physiologisch« aufgefaßt
-zu werden, also eine organische Verbindung von _Selbstlosigkeit_ und
-_Ichismus_. Je mehr ich meinen _Körper_ entwickle und schone, desto mehr
-kann ich _seelisch für andere leisten_! Ich bin _von mir_ befreit! _Für_
-andere! Liebenswürdigkeit, Menschenfreundlichkeit ist Sache des
-Verdauungsapparats.
-
-Mörder müssen _Blähungen_ haben. Man kann nämlich auch unscheinbar
-morden; es muß nicht immer Messer und Kugel sein. Auch Worte können
-morden und _jegliche_ Ungezogenheit! Frauen müßten daher besonders
-vorsichtig sein in bezug auf ihren gesamten Verdauungsapparat. Sie
-können leicht »seelisch morden«, wenn sie unverdauliches Zeug essen, das
-sie belästigt und beschwert. Ich will von einer der wichtigsten Sphären
-im »physiologischen Organismus« gar nichts auch nur andeuten, in der man
-entweder zum »_Übermenschen_« oder zum »_Mandrill_« wird! Aber der
-kommende Religionsstifter wird die Verbrechen, die »Höllen«,
-_ausschließlich_ in der »physiologischen« Sphäre erkennen, wenn auch der
-»Alkoholgenuß« nur selbstverständlich den _Prügelknaben_ vorstellt, der
-blöderweise für _alle anderen_ Sünden herhalten soll! »Falscher Ehrgeiz«
-zum Beispiel ist ein »_physiologischer_« Mörder in uns, ein Krebs der
-Seele, eigentlich aber des Leibes! Die Würmer werden mich fressen,
-früher aber muß ich noch Baron werden! Sie sollen einen Baron also
-annagen! Man verlästert immer die Dekadenz. Aber wann werden die
-Menschen endlich nicht _mehr_ essen, als sie benötigen, nicht _mehr_
-trinken, als sie _benötigen_?!? Bis sie es nicht mehr _vertragen_ vor
-Schwäche! Dadurch aber werden sie dann allmählich wieder _ganz stark_
-werden!
-
-Das ist der _Werdegang_! Zuerst _völlern_, auf seine _überschüssigen_
-Kräfte hin! Dann _sparsam leben_, wegen _seiner unterschüssigen_
-Lebenskräfte. Und dann _infolgedessen_ gesunden, reich werden und es
-_bleiben_! Dekadenz ist der _organische Übergang_ zur _Aszendenz_!
-Zuerst _vergeuden_ die Menschen ihre Kräfte, weil sie _zu viel_ davon
-haben. Dann _sparen_ sie damit, weil sie _zu wenig_ haben. Und
-schließlich haben sie wieder _angesammelt_ und _sparen_ wegen schlimmer
-Erfahrungen! Es gibt keinen anderen Weg!
-
-Es wäre denn, daß ein »physiologischer« Religionsstifter die
-_persönliche Macht_ ausübte, daß die _Verschwender_ an Lebenskräften zu
-_sparen_ begännen, _ehe_ es unbedingt notwendig wäre! Dann könnte er
-»gottähnliche Menschen« züchten auf Erden! »Erkenntnisse aus Not« sind
-eigentlich dennoch lächerlich, sie haben keine »Verführungskraft«.
-»Erkenntnisse« aus »Erkenntnis« allein haben Triebkraft. Sie zeitigen
-Blüten und Früchte am Baume der Erkenntnis! Der ganze mögliche
-Fortschritt also: _Erkenntnisse_ haben und sie _durchsetzen_, ohne
-»physiologisch« dazu bereits _genötigt_ zu sein! Zum Beispiel also,
-Krankenkost essen, ohne es _nötig_ zu haben, keusch leben, ohne es
-_nötig_ zu haben, zehn Stunden schlafen, ohne es _nötig_ zu haben! Mit
-diesem gewonnenen Überschuß an Lebenskräften es versuchen, ein »höherer,
-besserer Mensch« zu werden!
-
-
-
-
- LEBENSBILD
-
-
-Die fünfjährige Marie Ch. mußte um 6 Uhr morgens, bei 10 Grad Kälte, nur
-mit einem Hemd bekleidet, den Fußboden des Vorhauses reiben. Ein
-Adeliger, ein Geschäftsmann wollte ich sagen, der zufällig in das Haus
-trat, machte die polizeiliche Anzeige. Alle ärmlichen Bewohner des
-weiten alten Hauses atmeten auf. Sie selbst hätten sich vor der Furie
-von Mutter nicht getraut, es zu tun.
-
-Der Richter zu der Mutter: »— — — und was ist es mit den blutigen
-Striemen auf dem Leibe dieses schwächlichen todbleichen Geschöpfes?!«
-
-»Dös Menscherl hat eh zu viel Blut — — —.«
-
-Der Richter war empört und verurteilte sie zu 8 Tagen. Nach diesen acht
-Tagen wird sie also jedenfalls das »vollblütige Menscherl« nicht mehr
-den Boden des Vorhauses reiben lassen, da dort »Adelige« vorbeigehen und
-die Anzeige machen könnten. Im trauten Gemache, einen Knebel im Munde,
-gibt es verschwiegenere Martern für irgend etwas. Nun hat aber
-höchstwahrscheinlich diese »Mutter« eine Entschuldigung. Denn sie nahm
-das Mäderl von Bauersleuten weg am Lande, die es zwar sehr fürsorglich
-behandelten, aber immerhin 6 bis 10 Kronen monatlich erhielten. Grund
-genug, ein Kind als »unerträgliche Last« zu empfinden für durch Armut in
-einem ununterbrochenen Zustande von »reizbarer Schwäche« befindliche
-Nervensysteme. _Grauen befällt den Allweisen erst_ in dem gar nicht
-seltenen Falle, wo Pflegeeltern ein abgöttisch geliebtes, edel gehegtes
-Kindchen ohne einen Kreuzer Entschädigung à tout prix behalten wollen,
-und die »Eltern« es nicht _gestatten_, sondern es nach Hause nehmen, um
-es der gerechten Strafe, geboren worden zu sein, unter unermeßlichen
-Qualen zu unterziehen, bis der Frevel seiner Geburt mit dem Tode gesühnt
-ist!
-
-Richter: »Ihr Kind hat es doch dort so gut gehabt, und Sie selbst haben
-in zwei engen Stuben acht Kinder zu ernähren?!«
-
-»Wo acht hungern, kann das neunte auch mithungern, soll sie’s besser
-haben als mir, warum?!«
-
-Richter: »Der Bauer, der Ziehvater, hat erklärt, er setze es zur Erbin
-ein — — —.«
-
-»Nix, dös Kind g’hört zu seine Eltern, zu seine Geschwister — — —.«
-
-Das Kind wurde später zu Tode gemartert.
-
-Ich stelle einen einfachen logischen Gesetzesantrag: »Kinder, die
-nachweislich es bei Zieheltern, die _keinerlei Entschädigung_ dafür
-verlangen, gut haben, dürfen den Eltern, falls sie in bedrängten
-Verhältnissen leben, _unter keiner Bedingung wieder ausgefolgt werden_!«
-
-
-
-
- LEBENSBILDER AUS DER TIERWELT
-
-
-Ich habe mit Begeisterung diese Hefte angesehen, gelesen. Es ist endlich
-die Natur »aus erster Hand«, unverfälscht durch den Künstler, der sich
-seit Jahrhunderten _verbrecherischerweise_ zwischen Gott und die
-Urromantik des Seins drängt, ein zwar _notwendiger_, aber für unsereinen
-_überflüssiger_ Vermittler und Erklärer der Schätze des Daseins! Wir
-sind selbst »_Künstlermenschen_« geworden!
-
-Dieser »_Hochzeitstag_« z. B. der Eber im dunklen alten Forste; ja,
-weshalb hat bis heute keiner von den protokollierten »Landschaftern« so
-etwas gemalt?!? Diese schwarzen Ungetüme, in Liebe aufgelöst, einer auf
-den anderen getürmt; die anderen schauen dumm zu, und der Forst ist voll
-riesiger schwarzer Stämme. Solche Dinge bringt heutzutage die »Kamera«
-fertig und beschämt den Maler, der den Eber »mit _seinem_ Auge«, also
-_falsch_ sieht! Der Japaner allein bemühte sich, der Natur mit
-unsäglichem Fleiße nahezukommen, beizukommen. Aber bei uns steht immer
-der Größenwahn des »Menschen« der einfachen schönen Wahrheit
-_heimtückisch hinderlich_ im Wege! Der Maler bringt überall »seine
-Seele« hinein, für diejenigen, die nicht einmal »ihre eigene dumme
-Seele« besitzen! Aber Gottes Seele, die _aus jeglichem_ ausstrahlt, muß
-endlich _ohne Vermittlung_ dieses Hofmeisters »Künstler« erfaßt werden
-können! Wer eine Frau erst als wertvoll, als mysteriös, als Verhängnis
-empfinden, sehen, erfassen könnte, bis der geniale Maler ihre Werte
-gemalt, der Dichter ihre Werte besungen hätte, dem, dem wird sie ihr
-Leben lang nur ein »unenträtselbares Sexualtierchen« bleiben! Der
-Künstler ist ein Lehrer und Vermittler, und solange man seiner bedarf
-und er als wertvoll erscheint, ist man nur ein »Schüler des Lebens«, ein
-nicht schauen und hören Könnender, in Gottes All hinein, ein Menschlein,
-fern dem Herzen und Gehirne, das in der Natur überall geheimnisvoll
-verborgen liegt, auf daß erst der zum wirklichen Leben »Ausgereifte« es
-genießen dürfe auf seinem Weg zum Heile, zur Gottähnlichkeit! Den
-anderen ist es wohlweislich verschlossen, und man schickt diese »Babies«
-in die »Lebensschule« zum Herrn Lehrer »Künstler«, der ihnen
-_primitiverweise_ die Anfangsgründe beibringen soll, mit leichtfaßlichen
-Beispielen, »Kunstwerke« genannt!
-
-Wir aber entnehmen diesen mit der einfachen »Kamera« aufgenommenen
-»_Lebensbildern aus der Tierwelt_«, R. Voigtländers Verlag, Leipzig, und
-diesen Texten, die nur klar und einfach berichten von den Ereignissen
-des Tierlebens bei Tag und Nacht und zu jeder Stunde, und von den
-»Homerischen Kämpfen« unter Grashalmen und Gebüschen verborgen, wir
-entnehmen ihnen alle Poesien, alle Romantik, alle Tragödien, alle
-Rätsel, die es hienieden gibt! Unsere Lehrer sind Gott und Natur!
-
-Man müßte eigentlich einer geliebten Frau diese in Lieferungen
-erscheinenden, »Lebensbilder aus der Tierwelt«, R. Voigtländers Verlag,
-Leipzig, als Geschenk senden. Denn es ist ein absoluter Prüfstein für
-ihre »inneren Werte«; wie sie darauf nämlich reagierte!?
-
-Nun, ich habe das mit einer unbeschreiblich verehrten Dame getan.
-
-Sie schrieb mir zurück: »Lieber Freund, sein’s mir nicht bös, aber dös
-interessiert mich leider gar nicht ...«
-
-Nun, hat es meine Anhänglichkeit an sie aber zum Schwinden gebracht?!?
-Keine Spur!
-
-
-
-
- BRIEF AN MITZI VON DER »LAMINGSON-TRUPPE«, DÄNIN.
-
-
- Liebes, liebes Fräulein, Mitzi von der »Lamingson-Truppe«!
-
-Ich weiß es nicht, wie lange Sie noch in Wien und hier im »Casino de
-Paris« bleiben werden, und eines Tages können Sie fort sein, fort auf
-Nimmerwiedersehen, irgendwohin in die lustige oder traurige Welt der
-Künstler, der Artisten, tausend und tausend merkwürdigen Schicksalen und
-Begebenheiten ausgesetzt!
-
-Mögen Sie es daher wissen, daß ein alter armer glatzköpfiger uneleganter
-Dichter Ihnen nachweinen wird und Ihre herrliche liebliche wundervolle
-Persönlichkeit gleichsam im Innern seiner Augen aufbewahren wird, lange
-lange lange Zeit — — —.
-
-Man vergleicht oft junge Mädchen mit schlanken Rehen im Walde; aber
-niemals, niemals hat ein Vergleich so sehr gestimmt! Sie sind das
-schlanke rührende edelbeinige Reh, nicht ahnend, woher der Schuß eines
-grausamen Jägers kommen wird im Waldesfrieden — — —.
-
-Ihre lieben lieben, beim Lächeln zusammengezwickten Augen, werde ich nie
-nie vergessen, nie Ihre blondbraunen Haare, Ihre aristokratisch-noblen
-Glieder, Ihre edelgebogene und dennoch rechtzeitig abstumpfende Nase,
-Ihren süßen Mund!
-
-Wenn Sie fort sind, Mitzi, Fräulein Mitzi, wird es mir sein, wie wenn
-mir jemand ungeheuer Liebes gestorben wäre, und ich werde Ihnen
-nachtrauern und um Sie besorgt sein!
-
-Ihre außergewöhnliche Schönheit, Ihr Leib, der wie das zarte Gedicht
-eines Dichters ist, haben mich tief, tief gerührt; und ich möchte, daß
-junge, reiche elegante Männer mit derselben Ehrfurcht vor Ihrer
-lieblichen Herrlichkeit sich innerlich verneigen könnten wie ich alter
-Mann.
-
-Man müßte Sie betreuen und beschützen wie einen kostbaren lebendigen
-Gegenstand, man müßte für Sie sorgen bei Tag und bei Nacht. — — — Mit
-liebevollster Fürsorge!
-
-
-Lächeln Sie nicht, wenn Sie diese Zeilen lesen, Ihre Härte könnte mich
-nicht verwunden, nicht verletzen — — —.
-
-Ich bete zu Gott, daß Sie glücklich werden, Sie Allerlieblichste!!!
-
- Peter Altenberg.
-
-
-
-
- APHORISMEN
-
-
-Ich verstehe unter »_Kultur einer Frauenseele_«, einen Mann, dem man
-sich einmal gewidmet hat, nicht zu _kränken_, bevor man nicht
-aufrichtig-traurig zu ihm gesprochen hat: »Es ist Schluß!«
-
-Eine Frau kann ihr Schlachtopfer »Mannesseele« grausam umbringen, wie
-Krebse in siedendem Wasser, oder in milder Form, mit einem Schnitt wie
-Kälber. Weshalb es ihnen also verzeihen, wenn sie es grausam tun?!
-
-Grausam bereits ist der »_kokette Blick_«!!!
-
-Sage also, Kanaille, lieber vorher: »_Es ist Schluß!_«
-
-
-
-
- TEXTE AUF ANSICHTSKARTEN
-
-
- _Rokoko_
-
-In dieser Zeit lebten Menschen, die vom Leben nicht wußten, wie es
-_wirklich_ und _einfach_ ist!
-
-Sie lebten in einem »falschen Märchenlande« — —.
-
-Denn das »echte Märchenland« ist die Romantik des _Kartoffelfeldes_ in
-einer _wirklichen_ Mondnacht! Solange die menschlich-kindischen Herzen
-noch nicht reif sind für die ernste »Romantik der Natur selbst«,
-schaffen sie sich »kindische Spielereien«! Aber diese »Verirrten« waren
-wenigstens »_Wege-Sucher_«, die sich nur kindisch _verirrten_! Das
-wollen wir ihnen also _zugute_ halten!
-
- _Frau E... R....._
-
- Schaffst du denn Symphonien, weibliches Beethoven-Antlitz?!?
- Du bist ein _Weib_, kannst dich nicht _austönen_!
- Nicht dich _erlösen_!
- Ein _Spiegelbild der Welt_ kannst du nicht sein!
- Zur _Tagestat_ zu groß, zur _ewigen_ zu _klein_!
- So _bleibst_ du Weib und kannst’s dennoch nicht sein!!
-
-
- _Fräulein Barbara von G._
-
-»_Nichts_ ist gekommen, nichts _wird kommen_ für meine Seele — — —.
-
-Ich habe _gewartet_, _gewartet_, oh, _gewartet_ —.
-
-Die Tage werden dahinschleichen —.
-
-Und _umsonst_ wehen meine aschblonden seidenen Haare um mein bleiches
-Antlitz — — —.«
-
-
-Über die Grenzen des All blicktest du sinnend hinaus;
-
-Hattest nie Sorge um Hof und Haus!
-
-_Leben_ und _Traum vom Leben_ — — — — plötzlich ist alles aus — — —.
-
-Über die Grenzen des All blickst du noch sinnend hinaus — — —!
-
-
-Nach Jahren kommt eine _unaussprechliche Dankbarkeit_ in uns für die
-Frau, die wir »unglücklich liebten« — — —. Aus _Bürgern des strengen
-Tages_ machte sie uns nämlich zu _weltentrückten Poeten_, _erschloß_ uns
-unseres eigenen Herzens Tiefen, _erhöhte_ uns zu »inneren tragischen
-Helden«! _Unsere Tränen_ gab sie uns, bannte das _leere Lächeln_! Sie
-sei also bedankt und gepriesen!
-
-
- _Schneesturm_
-
-Seele, wie bist du schöner, tiefer, nach _Schneestürmen_ — — —.
-
-Auch du hast sie, gleich der Natur — — —.
-
-Und über beiden liegt noch ein _trüber Hauch_, wenn das Gewölk sich
-schon _verzog_!
-
-
- Bloß ein Feld voll Zwiebeln — — —.
- Stillt es die _Not_ dessen, der es bebaut,
- Stimmt es _andächtig_ den, der es nur _als Künstler beschaut_!
-
-Gräber von berühmten Toten sollen uns streng ermahnen, den Tag und die
-Stunde wertvoll zu gestalten, da wir _noch_ sind — — —!
-
-
-Helle Wolken und schwarze Bäume!
-
-Für Kinder zum Schrecken, Gespenster!
-
-Für Dichter zum Weinen!
-
-Und der gewöhnliche Mensch geht dran gelassen vorüber, sagt: »Das wäre
-etwas für Kinder zum Schrecken, und für Dichter zum Weinen!«
-
- _Wald im Winter_
-
-Ein kleines Mäderl sagte: »Onkel, aber, nicht wahr, hinten ist die böse
-Hexe, die die Kinder stiehlt?!« — Ich sagte: »Natürlich«; und bat den
-_friedevollen_ Wald um Entschuldigung — — —. Gewisse Menschen _wollen_
-eben keinen Frieden — — —. Sie suchen selbst im Walde die böse Hexe, die
-die Kinder stiehlt — — —. Sonst hat er für sie gar keinen Reiz!
-
- _Weg im Winter_
-
-Geliebter verträumter verschneiter Weg! Ging ich hier mit Anita?!? Oder
-träumte ich nur, daß ich hier mit ihr gehen möchte?! Fußspuren im
-Schnee, ihr paßt nicht zu Anitas geliebten Schuhen —.
-
-
-Hie und da rauschen Schneeklumpen zur Erde. Wie wenn der Frühling es
-versuchte, den Winter bereits abzuschütteln!
-
-»Das Betreten der Kulturen ist strengstens untersagt« — — —; man wird es
-dennoch ewig tun! Betreten, zertreten! —
-
-
-Zaun, wie machst du die Landschaft melancholisch! Im Grenzenlosen etwas
-Abgegrenztes!
-
-
-Hier ist Friede — — —. Hier weine ich mich aus über alles. Hier löst
-sich mein unermeßliches unfaßbares Leid, das meine Seele verbrennt.
-Siehe, hier sind keine Menschen, keine Ansiedlungen. Hier tropft Schnee
-leise in Wasserlachen — — —.
-
-Hier suchte sie die ersten Blüten, und fand nichts. Und ich sagte zu
-ihr: »Diese gelbgrünen feuchten Rasenflecke, die der zerrinnende Schnee
-bloßlegt, sind schöner als Blumen — — —.« Da sah sie hin und _erkannte_!
-
-Hier bleibe stehen mit deiner geliebtesten Freundin, und _belausche_ ihr
-Antlitz — — —! Fühlt sie _dasselbe_ wie du, dann kannst du _beruhigt_
-mit ihr weiterschreiten, in _die Gelände des Lebens_!
-
-Ich suchte eine Frau, die den Schnee _wirklich_ liebte; und ich fand
-keine! Sie _benützten_ nur den Schnee, für ihre Sheerns! —
-
-
-Junge Ochsen auf der Weide. Einst im Sonnenbrande, ziehend am allzu
-schweren Gespanne, könnt ihr euch nicht mehr der kühlen Weide erinnern.
-Aber in eurem _traurig-dummen_ Auge spiegelt sich alles, und kein Gram
-geht verloren in der gramvollen Welt — — —.
-
-
-Margeritten im hohen Grase. Alles blüht und atmet Frieden! Auf dem Boden
-leben aber und sterben lautlos hunderttausend Insekten. Nur der Mensch
-erhebt seine Stimme und beklagt sein Schicksal. Kann er es ändern?! Ja.
-Er kann wenigstens weinen und schreien. Und falls er es nicht kann, tun
-es _für ihn_ liebevoll die _Dichter_!
-
-
-Manche Frauen würden nicht elende »Treuebrecherinnen«, »Ehebrecherinnen«
-werden, wenn sie stets imstande wären, an den Schätzen der friedevollen
-mysteriösen Natur ihre zerfahrenen Seelen wieder und immer wieder
-aufzurichten!
-
-
-Natur und Frau sollten in _gleicher Weise_ wirken, uns zu adeligen,
-_all_-verstehenden, sanftmütigen _Weltgeschöpfen_ zu transformieren!
-Einer Frau diese _geniale Aufgabe_ als _süße Pflicht_ beibringen, heißt:
-sie glücklich machen!
-
-
-Sahst du nach dem Gewitterregen den Wald?!?
-
-Alles rastet, blinkt und ist schöner als zuvor — —.
-
-Siehe, Fraue, auch du _brauchst Gewitterregen_!
-
- _Portrait d’une jeune femme_
-
-»Je suis venue pour _donner_ — — — prenez, prenez, _prenez_!!«
-
- _Cléo de Mérode_
-
-Unzerstörbares Antlitz; Zeit und Erlebnis versuchen es vergebens, in
-deinem edlen Erz sich einzugraben — — —!
-
- _Prinzessin Ruprecht von Bayern_
-
-»Und dein Antlitz ist die ›Materie gewordene‹ Seele selbst!!«
-
- _Kronprinzessin_
-
-Geboren, einem Kaiser Kinder zu gebären und zu Fürstlichkeiten zu
-erziehen im Leben! Aber der Dichter erschaut in dir dennoch nur die
-einfache Vollkommenheit ohne Zweck und Ziel!
-
- _Kronprinzessin Maria von Rumänien Glockenblumen_
-
-Umringt bist du von deinen Lieblingsblumen, hehre Fraue! Aber du blickst
-und stehst nicht in Frühlingsfroheit, sondern ermüdet und enttäuscht.
-Vier allerherrlichsten Kindern gabst du das Leben, _deine eigenen
-Kräfte_, behieltest dennoch deine _heilige Mädchengestalt_ bei! Das
-Altern hat dich _nicht_ verändern können; deshalb blickst du _erstaunt_
-und _wehmütig_!!! Du gabst und gabst und kannst noch immer geben und um
-Dich herum altert die alltägliche Welt — — —!
-
- _Kaiserin Elisabeth von Österreich, Königin von Ungarn_
-
-Wohin, träumerische Fraue, wandertest du, rastlos?!?
-
- — »Weg _von der Lüge_!«
-
- _Kaiserin Elisabeth_
-
-Gott erschuf dich in Seiner tiefsten _künstlerischen Liebe_: zuerst, in
-der Jugend, wie man sich auszudrücken pflegt, ein _wildes Füllen_ in
-Berg und Tal, mit wirren Locken; und späterhin alle Leiden tragend von
-enttäuschten Dichtern; das _innere ewige Klagen_, und das Erschauen, daß
-Gottes Reich noch nicht gekommen sei für _Seinesgleichen_.
-
- _Kaiserin-Elisabeth-Denkmal_
-
-Ich hätte dich umringt mit dunklen Legföhren, Rhododendronbüschen,
-Edelweiß, Speik, und allen Blüten der Bergalmen!
-
-Ich hätte die Tiere der freien Berglüfte in silbernen Käfigen um dich
-herum gestellt — — —. Bergdohle und Murmeltier.
-
-Aber man stellte dich in einen Garten, gepflegt und gehegt, und _wider
-die freie heilige Natur!!!_
-
- _Manöver: Feld-Telephon und Fernrohr_
-
-»Fern von der Schlacht, und dennoch mitten drinnen! So wie die Dichter!«
-
- _Mein Lebensleitmotiv:_
-
-»Nie über einen Graben springen, eine Hürde, wenn man _nicht_ ganz
-_gesichert_ ist, hinüberzugelangen mit _leichter_ Anmut!«
-
-
-
-
- HEILMITTEL
-
-
-Ich habe in einer Blumenhandlung in einer Kristallglaswanne zwei goldene
-japanische Zwergfische gesehen, mit riesigen durchsichtigen Flossen und
-dunklen hervortretenden Augen, mit der Anmut von modernen Tänzerinnen
-sich bewegend, und dabei doch reserviert gelassen ihrem Wärter, Pfleger
-an die Glaswand zuschwimmend. Ich begreife es absolut nicht, wieso
-reiche Damen sich diesen Schatz der Natur entgehen lassen können und
-sich nicht eine kleine Herde dieser allerentzückendsten Tiere
-anschaffen. Einer kostet allerdings 16 Kronen. Der Boden muß aus kleinen
-Kieseln bestehen, die jeden zweiten Tag herausgenommen und in warmem
-Wasser gereinigt werden müssen. Die Nahrung ist ausschließlich das
-Pulver »Piscidin«, das auf die Wasseroberfläche hingestreut wird. Man
-kann stundenlang vor dieser goldenen Anmutpracht verweilen. Die Tiere
-lernen uns baldigst kennen und lieben. Viele Frauen würden dadurch vor
-ihren bösen Gedanken, bösen Instinkten, und vor allem vor ihrer
-gefährlichen inneren Leere und vor Gelangweiltsein gerettet werden
-können. Gehet hin, Damen, und kaufet daher japanische Goldfische!
-
-
-
-
- DER NEBENMENSCH
-
-
-Neunzig Prozent unsrer Lebensenergien raubt uns die Ungezogenheit, die
-Taktlosigkeit unseres Nebenmenschen. Jedes falsch angebrachte Wort
-zerstört unser zart empfindliches Nervensystem. Nicht Distanzhalten von
-der Welt des andern, die man ja doch nicht begreifen kann, mordet die
-Nerven. Die unverständliche Welt des andern nicht achtungsvoll und scheu
-behandeln, ist eine bodenlose Feigheit. Es ist, wie wenn man jemandem,
-der unsäglich an Migräne litte, sagte, er bilde sich diese Leiden nur
-ein! Gläubig sein, ist aristokratisch; bezweifeln, ironisieren, ist
-plebejisch! Durch Gläubigkeit erweitert man seinen Horizont um den des
-andern, durch Skeptizismus bleibt man ewig in seine eigenen engen
-Grenzen eingebannt.
-
-Niemandem wehe tun, falls es nicht unbedingt notwendig wäre, ist die
-natürliche Wirkung geistiger Kultur. Jedermann werde erfrischt, ja
-erlöst durch deine Gesellschaft, ja, er suche sie auf, wie das bedrückte
-Menschenkind den Beichtstuhl. — — —
-
-Aber unsre Nebenmenschen sind noch Satan, Jago, Mephistopheles, Franz
-Moor; selbst zu ewiger innerer Unruhe verdammt, drängt es sie, auch in
-uns nur böse Unruhe zu erzeugen, damit wir ja nicht besser, nicht
-vornehmer werden als sie selbst es sein können. Sie gönnen uns nicht
-höhere innere Entwicklungen, wollen uns _absichtlich degradieren auf ihr
-eigenes erreichbares Niveau_! Nur der Dichter erlebt träumend künftige
-Entwicklungen gläubigen Herzens, und die, die sich ihm anschließen,
-tragen jedenfalls diese idealen Möglichkeiten kommender besserer Welten
-schweigend-demütig bereits in ihrem Herzen! Der Nebenmensch ist ein
-Gegenmensch. Er will nicht helfen, sondern schädigen. Wäre er selbst ein
-Zufriedener, wünschte er nur Zufriedenheit zu verbreiten; als
-Unzufriedener wünscht er uns ebenfalls nur Friedlosigkeit!
-
-
-
-
- SCHUTZ
-
-
-Unter Yellowstone-Park versteht man bei uns bereits irgendeine wertvolle
-urwaldartige, mit allen ihren geheimnisvollen Schätzen an Pflanzen,
-Tieren, Steinen und Quellen erfüllte Gegend, die unter den Schutz des
-Staates gestellt wird, gegen die zerstörende unnachsichtige Barbarei der
-Menschheit. Eine Art von idealer Menagerie der Natur selbst! Solch einen
-Yellowstone-Park wird man nun in der Schweiz im Scarltal und seinen
-Nebentälern errichten, um die kostbaren Alpenpflanzen, um Bär, Luchs,
-Wildkatze zu erhalten. Und alles, was da blüht, kreucht und fleucht.
-Solche Yellowstone-Parke sollte man nun auch endlich für
-Menschenerhaltung errichten, für exzeptionell herrliche Frauen, für
-exzeptionell herrliche Männergehirne, die sonst verloren gingen in den
-zahlreichen Gefahren! Oasen für Denker und Träumer, in der Wüste des
-Lebens, die versengt, und verdorren macht. Oasen für wunderbar schöne
-Frauen, zu denen man pilgern dürfte, ihre schmalen schneeweißen langen
-Finger an die Lippen zu drücken und daran zu genesen, mehr als an
-Guber-Quelle, Virchow-Quelle, Hofbrunnen und Königsbrunnen, mehr als an
-den Mysterien Gasteins, Kissingens, Franzensbads, Karlsbads.
-Männergehirne, die man für die Menschheit schützen müßte vor dem
-Zugrundegehen, Frauenkörper, Frauenseelen, die man für die Menschheit
-schützen müßte vor dem Vernichtetwerden in zügellosen Orgien und
-Egoismen, in Treibjagden auf Seele und Leib! Yellowstone-Parke müßten
-geschaffen werden, Reviere, in denen wertvolle Gehirne, wertvolle
-Seelen, wertvolle Leiber, geschützt vor feigen Verfolgungen, die Ideale
-der Natur repräsentieren könnten für die verkommende Milliarde der
-Unzulänglichen!
-
-Ein Mädchen zum Beispiel, zu dem man spräche: Pflege die Pracht deiner
-zarten, gebrechlichen, adeligen Glieder, deinen Milchteint und deine
-Beweglichkeiten! Du sollst in einem Tempelchen hausen und keinerlei
-Sorge haben! Auf daß die andern hinpilgerten und, schamvoll in sich
-gekehrt, es versuchten, dir nachzugeraten ein wenig!
-
-Aber bisher schützt man nur Edelexemplare unter den Pflanzen und Tieren,
-ja sogar heiße Springquellen mit Marmorbecken. Aber Menschen, Menschen
-schützt man noch nicht — — —.
-
-
-
-
- BRANGÄNE
-
-
-Ich kenne eine Sache im Leben, die mich am tiefsten ergreift von allen,
-die ich erlebt habe. Es ist in der Stille des nächtlichen Liebesgartens
-der Gesang der edlen Wächterin Brangäne. Es ist die tönend gewordene
-Selbstlosigkeit, inmitten der nächtlichen Liebesgefahren. Es ist die
-Warnung an die Allzuirdischen, die in der Melodie des Herzens zugleich
-eigentlich von selbst ertönt; es ist die Klage der tiefsten, echtesten
-Freundschaft, hineingesungen in den dunklen Garten. In jedem Menschen
-sind solche Gefühle aufgespeichert, besonders in den alten Kinderfrauen,
-die man entläßt von ihren Lieblingen, wenn man sie nicht mehr braucht.
-Aber sie weinen sich im stillen aus, alle diese Herzvollen, während bei
-Brangäne das Leid und die edle Sorge um einen geliebten Menschen
-helltönend wird, und in die dunkle, harte, grausame Welt hinaus stöhnt!
-Auch unsre alte Bedienerin Luise sang uns ein unvergeßliches Lied, als
-sie beim Abschiede mir und meinem Bruder schrieb: »Die sieben Jahre in
-Ihren Diensten, meine Herren, waren das Glück und der Segen meines
-ganzen Lebens — — —.« Alle diese versteckten, edel-tragischen Dinge der
-dienenden Menschenherzen ertönen in Brangänens Gesang. Alle in der
-Menschheit bisher leider vergeblich aufgestapelten Selbstlosigkeiten und
-Ergebenheiten werden da zu singender Klage; aber die Menschen der
-leidenschaftlich irrigen Stunden vernehmen nichts davon als ihre
-eigenen, zum Abgrund führenden Sündhaftigkeiten, deren Brausen alles
-übertönt — — —.
-
-
-
-
- DER AFFE PETER
-
-
-Der große Affe Peter ist wirklich ein Wunder der Natur. Denn ich
-bemerkte sogleich zu meinen Freunden in meiner Loge, daß dieser Affe
-unmöglich zum Radfahren abgerichtet sein könne, sondern daß es eine
-Naturanlage sein müsse, und es dem Tiere ein leidenschaftliches
-Vergnügen bereite, wie einem Kind eine geliebte Spielerei, Hutschpferd
-oder Schaukel. Direktor Brill bestätigte mir auch diese meine Ansicht.
-Die Freudigkeit und Geschicklichkeit des Tieres, ein junges
-wunderliebes Mädchen mit dem Fahrrad zu verfolgen, erregt im Publikum
-Enthusiasmus. Man wird jedenfalls viele brave Kinder hinführen müssen.
-Dieser Affe könnte unbedingt die allerschwierigsten Radfahrtricks
-spielend erlernen. Nur sollte von seiten des vorführenden Herrn eine
-menschlich-freundschaftlichere Beziehung vorhanden sein, wie sie
-bisher stets zwischen den Besitzern berühmter Schimpansen, Orangs
-stattgefunden hat, ja direkt rührend zärtliche Anhänglichkeiten, wie
-zu edlen Pferden, edlen Hunden. Man braucht natürlich nicht die
-verlogene Komödie einer exaltierten Freundschaft zu dem Tiere dem
-Publikum vorzumachen, aber man muß Zuneigung spüren beiderseits. Ein
-berühmter Affendresseur machte sich seinerzeit durch seine harte
-Nervosität, den Tieren gegenüber, fast unbeliebt, trotz der
-wunderbaren Kunststücke. Nicht was er dem Tiere einlernt, sondern was
-er sonst noch übrig hat an Liebe und Verständnis, das macht einem den
-Tierdresseur sympathisch. Wie war die Beziehung des aristokratischen
-Severus Schäffer zu seinen Hunden! Wie ein jagender Landedelmann mit
-seiner Lieblingsmeute! Alle Dresseure müssen etwas von einem
-dilettierenden Aristokraten an sich haben. So ritt Direktor Schumann
-seine Pferde, nonchalant-vornehm-liebenswürdig. Ich glaube, daß er
-seine Pferde nie schlagen konnte. Oder wenigstens sah er danach aus.
-Mit einem der Menschenaffen wie Peter aber muß ein tiefes
-freundschaftliches echtes Verhältnis entstehen. Er speist nach der
-Vorstellung im Restaurant wie ein wohlerzogener Mensch. Er gab mir die
-Hand, wollte sie sogar zart an seine Lippen drücken. Bei solchen
-Tieren spürt man es, daß man sie nur mit äußerster Zärtlichkeit und
-selten angewandter gerechter Strenge zu ihren eigenen erreichbaren
-Höhen bringen könne. Die wunderbare Schimpansin Maja im Tiergarten,
-1896, haßte jede Dame, die in meiner Gesellschaft oder gar in mich
-eingehängt ihr Zimmerchen betrat, und drängte sie weg, umarmte mich
-absichtlich stürmisch und liebevoll. Ich glaube, es war das einzige
-weibliche Wesen, das an mir ernstlich Gefallen fand. Für edle Tiere
-gehört vielleicht ein Philosoph mit einem tiefen Herzen! Frauen geben
-es billiger und machen sich nichts daraus. Und Die, die sich wirklich
-etwas daraus machen, sind eben ganz so wie edle gutmütige Tiere, siehe
-A. R.
-
-
-
-
- UNGEZIEFER
-
-
-Alle hatten sie gern, sie amüsierte, und war anders wie die meisten.
-Daher nützte man sie aus.
-
-Von Tag zu Tag sah sie schlechter aus, wie eine Besiegte in der Schlacht
-des Lebens, die sich verwundet wegschleicht, hinter einem Busche zu
-krepieren — — —.
-
-Da sagte der Dichter: »Nun, können Sie es mir nicht klagen?!«
-
-»Ich wohne, bitte, in einem Zimmer, wo Wanzen sind. Man erträgt alles
-tagsüber von den Menschen, und nachts benehmen sich die Wanzen ebenso
-schamlos-feig und stören uns — — —. Da bricht man halt zusammen.«
-
-Der Dichter machte eine Kollekte, steuerte aber selbst vorsichtig ein
-Paket Insektenpulver bei.
-
-Er sagte: »Für _diese_ Tiere gibt es Mittel; aber für die
-_Menschenwanzen_ gibt es keine. Ihre Nachtruhe ist nunmehr gesichert,
-Fräulein; aber _Tagesruhe_ gibt es nicht. Da sind die _Menschenwanzen_
-unausrottbar an der Arbeit!«
-
-
-
-
- MUTTER UND TOCHTER
-
-
-Ich sah eine Mutter tief verzweifelt, daß ihr geliebtes Töchterchen
-keine »gute Partie« machen wollte — — —.
-
-Sie zankte mit ihr, aber in ihrem Innersten hatte sie dennoch Rührung
-und Anerkennung.
-
-Sie sagte zu ihr: »Das Leben ist nun einmal so, ich habe es auch einst
-auf mich nehmen müssen, meine Liebe, — — —.«
-
-Die Tochter blickte die Mutter schief und bitterböse an.
-
-Dann heiratete sie aber doch endlich einen reichen Mann, der sie
-betreute und beschützte.
-
-Da sagte sie zu der Mutter: »Ich hatte einst falsche Vorstellungen,
-Ideale. Ich bin nun ganz glücklich und zufrieden — — —.«
-
-Da blickte die Mutter ihre Tochter schief und bitterböse an — — —.
-
-
-
-
- DER DICHTER
-
-
-Du sagst mir, ich hätte so viele ewige Quellen der Begeisterung.
-Überall, auf allen Wegen blühe es doch auf, für mich Gesalbten — — —!?!
-
-Und gerade du sagst mir das kalt, die mir eben alle diese Wege
-verstellt, verrammelt hat?!?
-
-Gerade du, die sich fast heimtückisch an Stelle setzte aller
-Weltenprächte?! Durch deine eigene Pracht?!?
-
-Du schlossest mir, Geliebteste, die Pforten; und nun verlangst du, ich
-solle wieder hingehn in das weite Land, woraus dein Zauber mich gerade
-verstoßen und vertrieben hat?!? Die Welt besingen, die für mich
-gestorben ist durch dich?! Auf _deiner_ edlen Stirne prangt nun die
-Weltenpracht,
-
-von _deiner_ Stimme tönen die Weltenmelodien,
-
-_du_ selbst vertriebst mich aus dem Paradies der Weltenschönheit durch
-deine _eigene_!
-
-Um mich nun aufzufordern, dahin zurückzukehren, woher ich stammte,
-fingst du mich also schnöde ein, jetzt, da ich Pfad und Mut und Kraft
-verloren hab’ zum Wandern — — —!? Teufeline!
-
-So nehm’ ich Abschied denn von dem und jenem Wege,
-
-da du die Flügel mir beschnitten hast zu dem und jenem Pfad — — —.
-
-Leb’ wohl, geliebte Frau,
-
-du botest mir statt Weltenpracht die eigene — — —
-
-ich zürn’ dir nicht, daß du mich nun entläßt in eine Welt, die erst
-durch dich, und nur durch dich, mir leer geworden ist — — —!
-
-
-
-
- HYSTERIE
-
-
-Sie stand hoch über allen anderen Frauen, die »_wie in düsteren Nebeln_
-dahintorkeln, _schicksalstrunken_ und irre!« Sie aber, die
-Neunzehnjährige, ging dahin bereits im Lichte der Wahrhaftigkeiten und
-hatte es gelernt, an ihren _bittersten Tränen_ mehr zu lernen, als an
-den _flachen Freudigkeiten_! Ihr Arzt hatte ihr die »Eitelkeit«
-_exstirpiert_, diesen »Krebs der Frauenseele«, der alles, alles Bessere
-ihr _wegfrißt_. Bescheidenheit ist Göttlichkeit. Er hatte sie gelehrt,
-ein getreuer edler Hund zu sein! Sie hätte bei einer berühmten
-englischen »Schau«, um den berühmten »cup«, unbedingt den ersten Preis
-erhalten für »getreueste Hundeseele«! Sie konnte blicken wie ein
-»Leonberger«, abstammend vom ersten »Bary«, so ganz tieftraurig. Ihre
-Intelligenz war licht, tief und einfach. Sie war weder häßlich noch
-hübsch, aber manchesmal sah sie verklärt aus, entrückt, und ein Dichter
-würde in solchen Momenten über ihren rotgoldenen Haaren einen
-Heiligenschein erblickt haben! Jedenfalls fehlte wenig dazu.
-
-Aber die Damen der Gesellschaft sagten über sie: »Schade um das junge
-Geschöpf, sie hat gute Anlagen, aber sie gehört in eine ›feste Hand‹,
-sie stellt sich das Leben noch anders vor, als es ist; wir leben nicht
-in ›Wolkenkuckucksheim‹, sondern, bitte, auf der Erde!«
-
-Über ihrem Bette, an einer wunderbaren japanischen Matte hingen in
-schweren Mahagonirahmen die Photographien von Beethoven, Wagner,
-Maeterlinck, Bismarck, diesem Deutschland gründenden _Realidealisten_.
-Da blickte sie denn oft vor dem Einschlafen hinauf zu ihren Helden und
-dankte ihnen herzinnigst für alles, was sie ihr mitgegeben hatten in die
-strengen Tage des Lebens. Und daß sie gekämpft und gelitten hatten
-eigentlich für sie!
-
-Eines Tages erhielt sie Besuch von einer Dame. »Sind das Ihre Götter?!?«
-sagte die Dame.
-
-»Es sind meine Erzieher! Ich befinde mich hier in ›fester Hand‹, man
-läßt mir nichts durchpassieren, was nicht menschlich ist!«
-
-Die Dame dachte beim Weggehen: »Es ist schade um das junge Geschöpf, ich
-wollte für meinen geliebten Sohn um ihre Hand anhalten, aber es gäbe
-unter solchen Umständen nur ein Unglück — — —.«
-
-So blieb sie denn allein! Allein?!? Mit allen Getreuen, den Denkern und
-Idealisten, lebte sie in »_Gemeinschaft_«, und niemals, niemals während
-ihres ganzen _wahrheitsvollen_ Lebens beneidete sie die, die doch nur
-angeblich »glücklich und zufrieden« waren — — —.
-
-
-
-
- WEIHNACHTEN
-
-
-Er versenkte sich ganz in ihr Wunschleben, in diese Träumereien von
-unerfüllten kleinen Realitäten. Nie äußert man es, außer durch ein
-unaufhaltsames Verweilen vor Schaufenstern oder in Geschäftsläden, durch
-einen fast hysterisch-melancholischen Blick auf den geliebten
-Gegenstand, oder durch die schüchterne beklommene Frage, was er koste?!
-So erstand er denn für sie eine japanische Bettwandmatte, strohgelbes
-Geflecht mit braunen und rostroten eingewebten Flecken. Ferner einen
-bosnischen handgewebten Blusenstoff, kornblumenblau mit malachitgrünen
-Fäden. Ferner einen großen französischen Parfümzerstäuber aus Nickel,
-für Menthol-Franzbranntwein; ein kaltes Bad, ohne zu baden, wenn man den
-ganzen Leib damit anstäubt! Ferner eine Zigarettenschachtel aus
-sibirischer Birke, viereckiges Format, für fünfundzwanzig Zigaretten
-Inhalt. Ferner eine Schachtel Schreibfedern und zehn riesig dicke
-chinesische Rohrfederstiele dazu, federleichte. Und viele andere
-erfüllbare Träume ihres Daseins. Er schuf einen Einklang seiner eigenen
-Welt und der ihren. Er schenkte ihr nur das, was in gleicher Weise sie
-erfreute, es zu bekommen, ihn erfreute, es zu geben! Es war also ein
-Akkord verdoppelten Genießens! Und dann schrieb er: »In Deinem Namen
-zwanzig Kronen gespendet der Kinderschutz- und Rettungsgesellschaft für
-die mißhandelte zwölfjährige Maria B.« Da fühlte sie: »Siehe, wir haben
-einen vollständigen Familienweihnachtsabend —.«
-
-
-
-
- DER TAG DES REICHTUMS
-
-
-Ich wollte einmal einen halben Tag lang das Leben eines Reichen erleben.
-Ich ließ mich von einer reizenden Frau und ihrem Gatten in ihrem
-Mercédès vom Hause aus abholen. Ich fuhr zu meinem Raseur,
-Teinfaltstraße, mich verjüngen zu lassen, besonders mit der
-Menthol-Franzbranntwein-Spritze auf den Kopf. Ein Ersatz für jedes kalte
-Bad! Dann fuhren wir nach Baden. Dort badeten wir in den
-Kurhauswannenbädern, vierundzwanzig Grad Celsius. Dann ließen wir uns
-kühle Hotelzimmer aufsperren und schliefen eine halbe Stunde lang. Dann
-aßen wir Solospargel, Hirn en fricassé. Dann fuhren wir weiter, nach
-Heiligenkreuz. In kühler Halle tranken wir duftenden Tee mit Zitrone.
-Abends zurück, in eiliger Fahrt.
-
-Die Wiesen dufteten, und die Wälder standen schwarz und
-unbeweglich-melancholisch unter dem Abendhimmel, der leise leuchtete.
-
-In Wien verabschiedete ich mich.
-
-Im Café Ritz fand ich jene junge Dame, die schon lange meine Augen
-beglückte. Braunes Haar, blauer Strohhut, Stumpfnase. Ich wollte den Tag
-feierlich beschließen. Ich sandte ihr drei wunderbare ganz dunkle Rosen
-und einen Eierpunsch, dieses Lieblingsgetränk der meisten solchen Damen.
-Sie nahm es huldvollst an, ausnahmsweise.
-
-Sie kam an meinen Tisch und sagte:
-
-»Macht es Ihnen wirklich eine so große Freude, mir Aufmerksamkeiten zu
-erweisen?!?«
-
-»Ja, gewiß, sonst täte ich es ja nicht!«
-
-»Also, dann brauche ich ja nicht dankbar dafür zu sein — — —!?«
-
-»Nein, keineswegs. Sondern ich Ihnen!«
-
-Das war der Tag des Reichtums — — —.
-
-
-
-
- SO SOLLTE ES IMMER SEIN
-
-
-Ein Herr trat auf mich zu im Café und sagte: »Ich bin ein fanatischer
-Verehrer von Ihnen.«
-
-»Bitte sehr«, sagte ich. »Da werden Sie vielleicht gern einen edlen
-Champagner zahlen?!?«
-
-»Mit allergrößter Freude.«
-
-Wir tranken drei Flaschen G. und H. Mumm, extra dry, süß.
-
-Es wurde sieben Uhr morgens. Ich ging ins Zentralbad, 27 Grad,
-Porzellanwanne. In der Kassa saß eine junge Dame mit edelzarten Händen.
-Ich sagte ihr mit meinen Augen: »Süßeste Kassierin —« Und: »Man sollte
-dich miterstehen dürfen — — —.«
-
-Dann frühstückte ich in einer Charcüterie: kalten geräucherten Stör aus
-der Wolga, das Deka 12 Heller. Crevettes aus Ostende. Grüne große Oliven
-aus Spanien, zehn Stück 60 Heller. Prager Schinken, das Deka 6 Heller,
-90 Heller. Zwei Bananen, goldgelb-schwarz gefleckt, aus Afrika, das
-Stück 30 Heller, 60 Heller.
-
-Dann kaufte ich mir eine blaue phototypierte Ansichtskarte: »Weg, am See
-entlang.« In einer Winterlandschaft.
-
-Ich dachte sie mir eingerahmt in einem fünf Zentimeter breiten
-Eschenholzrahmen.
-
-Ich kam infolge dieser Träumereien um halb zehn Uhr morgens nach
-Hause. Da sagte das junge Hausmeistermädchen, die mich zum Aufzuge
-führte, zu mir: »Herr Altenberg haben gewiß wieder heute nacht
-umgeschmissen — — —.«
-
-»Jawohl,« sagte ich, »die Weltordnung der Philister!«
-
-Sie dachte: »Nun, er hat 40 Heller bezahlt für den Aufzug, obzwar es im
-Zins bereits schon miteingerechnet ist — — —.«
-
-
-
-
- INSCHRIFT
- auf der Photographie eines Mädchens
- aus gutem Bürgerhause:
-
-
-Adelige schmale Hände hast du, adelige Füße und Zehen, müde edle Anmut
-ist in deinem Gehen und Sitzen und Kauern, und deines biegsamen Leibes
-eidechsenschlanke Linien sind wunderbar, Yolanthe Maria!
-
-Aber zum Zu-Grunde-gehen, zum langsamen, armseligen, bist du bestimmt!
-Zum Verfaulen bei lebendigem Leibe!
-
-Denn _sicher_ willst du gehen, _Unsichere_!
-
-_Auf geebnetem Pfade willst_ du _Gipfel erklimmen_?!?
-
-_Schamlose, Feige!_ Willst du Lord Byrons edlen Feueratem spüren, _mußt
-du bereit sein, eventuell dich zu versengen_!
-
-Willst du _finden_ können, so mußt du _suchen_ können, gleiten und
-_stürzen_ können!
-
-Auf geebnetem Pfade kommt nur Herr Kohn daher, reicht dir die Hand, daß
-du nicht »_fallest_«!
-
-
-
-
- TOPE
-
-
-Ich dichte hie und da auch Toiletten. Immer nur für eine einzige Dame.
-Sie ist natürlich lang und ganz schlank, wie ein Marathonsieger, hat
-eine Stumpfnase, Gott sei Dank großen Mund und starke Lippen, hechtgraue
-Augen, rotbraune Haare und anliegende papierdünne, edelgemuschelte
-Ohren. Hände und Füße sind lang-schmal. Sie sieht aus wie eine junge
-slowakische Bäuerin, an der der adelige Gutsherr mitgearbeitet hat.
-
-Ich entwarf die Toilette Tope (Der Maulwurf): Ein seidendünner
-maulwurfgrauer Samt (Pan), die Bluse ohne Naht, nur wie ein
-zusammengelegtes Tuch, aber lang. Ein Gürtel, riesig breit, aus
-dunkelgrauen und weißen Glasperlen, riesige Schließe aus oxydiertem
-grauen Silber. Riesige kugelige graue Perlmutterknöpfe. Der Rock
-vollkommen bis hinab zum Zuknöpfen, mit denselben Riesenknöpfen. Grauer
-Sombrero mit grauem breiten Lederband und weißer, an der rechten Seite
-herabwallender Straußfeder. Grauer Seidenschirm mit grauem dicken
-Perlmuttergriff. Grauseidene Strümpfe, graue Antilopenhandschuhe, graue
-Schuhe aus mattem dünnem Leder.
-
-Ich sagte zu der Dame: »Machen wir zusammen ein Gedicht —.«
-
-»?!?«
-
-»Ich komponiere eine Toilette, und Sie tragen sie. Das ist das schönste
-Gedicht!«
-
-
-
-
- BEKANNTSCHAFT
-
-
-Er sah sie zum erstenmal. Sie sah aus wie eine riesig hohe, schlanke,
-aschblonde russische Studentin, nur sehr müde von ungekämpften Kämpfen.
-Ein Königgrätz ohne Schlachtendonner. Tief verwundet ohne Bleigeschoß.
-Das Sein an und für sich besiegte sie. Das bloße Sein des Tages und der
-Stunde. Was sich jeweilig ergab, ereignete, verletzte, kränkte sie.
-Sahst du Fische aus dem Gebirgswasser in Wasserbottichen?! In ihrem
-starren Gesichtsausdruck, wie eh und je, sucht man ihr Leiden zu
-erspähen, und findet nichts und findet dennoch alles! Er sagte: »Gehen
-Sie nicht in wohlgepflegte Gärten, gehen Sie in offene Felder, wo
-niemand etwas Besonderes findet; fern dem Getriebe. Gehen Sie spazieren,
-wo niemand spazieren geht, so zwischen brauner Erd’ und blauem Himmel!«
-
-Und sie sagte: »Man verwehrt es mir!«
-
-»Kaufen Sie sich einen getreuen schwarzen Pudel, dem Sie manches Opfer
-bringen können an Zeit und Güte — — —.«
-
-»Man verwehrt es mir — — —.«
-
-Er schwieg.
-
-Und sie: »Weshalb raten Sie mir nicht, ich solle mich an einen Menschen
-klammern, anklammern?!«
-
-»An einen Menschen! Ja. Aber ich kenne keinen! Die Tiefe der Natur, die
-Treue des Pudels, die kenne ich! Aber einen Menschen für Sie, den kenn’
-ich nicht — — —.«
-
-Und später sagte sie: »Sie haben sich geirrt! Denn ich fand einen, der
-mich einsam meine Wege wandern ließ, zwischen brauner Erd’ und blauem
-Himmel, und der mir einen schwarzen Pudel kaufte und getreulich stets
-beiseite stand — — —.«
-
-Er blickte sie tief freundschaftlich an — — —.
-
-Da sagte sie: »Vielleicht verdanke ich es Ihnen, daß ich mir einen
-suchte, der so war — — —!?«
-
-Dann neigte sie sich tief zu seiner Hand und küßte sie — — —.
-
-Und dann kam der edle Jüngling, den sie erwählt hatte, und küßte sie auf
-ihre melancholische Stirn —.
-
-Und er sagte zu dem Dichter:
-
-»Ich folgte nur Ihrem Rate, Ihrer Weisung, danke — — —. Es hat mir eine
-Seele gewonnen!«
-
-Da wandte sich der Dichter entrüstet und tief verzweifelt ab.
-
-Denn _von Gott_ müssen solche Erkenntnisse _direkt_ in unsere Herzen
-kommen, da die Wirkung sonst nicht _von Dauer_ ist und unheilig — — —!
-
-
-
-
- EIFERSUCHT
-
-
-Sie war sehr, sehr krank. — Der Arzt verordnete einen halben Liter heiße
-Zitronenlimonade, ein wollenes Tuch um den Kopf und stundenlang
-schwitzen.
-
-Sie war aber arm, und die Quartiersfrau, bei der sie wohnte, konnte ihr
-nur eine dünne Bettdecke geben. Da sandte ihr der Dichter seine grünrote
-Flanelldecke, die er selbst benötigte, und sein Freund, der Baron,
-sandte eine Pelzdecke aus selbstgeschossenen Wildkatzenfellen, die er
-gar nicht gebrauchte.
-
-Als nun der Dichter sie besuchte, fand er die Pelzdecke direkt auf ihrem
-heißen, glühenden Leibe liegen, die Flanelldecke dagegen zuoberst. Er
-sagte es ihr sogleich ziemlich brutal, daß er dieses für einen
-»Treubruch« halte, wenn auch in den ersten Anfangsstadien.
-
-Sie erwiderte: »Ich wollte deine Decke streicheln können, immer und
-immer mit meinen zärtlichen Fingern. Deshalb gab ich sie zuoberst.« »Du
-Falsche! — — —« sagte der Dichter und ging zürnend weg.
-
-Später kam der Arzt und sagte: »Ich würde Ihnen vorschlagen, Fräulein,
-die schwere Pelzdecke zuunterst zu legen, und die leichtere Flanelldecke
-oben darauf; es ist zweckmäßiger!«
-
-»Nein,« sagte sie, »das tue ich nicht.« Als sie endlich gesund war,
-sagte der Arzt von ihr: »Die Hysterie solcher Patientinnen erschwert den
-Heilungsprozeß ganz besonders. Selbst in nichtigen Kleinigkeiten müssen
-sie ihren lächerlichen eigensinnigen Willen durchsetzen. —«
-
-
-
-
- GOETHE
-
-
-Ein ungeheuer wichtiger und daher ganz unbekannter Ausspruch Goethes:
-
- »Man könnte erzogene Kinder gebären,
- Wenn die Eltern erzogen wären!«
-
-Dieser Satz allein ersetzt in der Entwicklungslehre ganze Bände und
-Studien. Deshalb erwünschen sich auch die meisten ungezogenen,
-eigenwilligen, herzlosen, dumm lebenslustigen Frauen unbewußt keine
-Kinder. Sie haben wenigstens davor Achtung, diesen unglückseligen
-Nachkommen nicht ihre eigenen Ungezogenheiten und Lebenshärten
-mitvererben zu wollen auf dem schon ohnedies genug schweren
-Lebenswege —.
-
-
-
-
- DIE PFLEGESCHWESTER ROSA SCHWEDA
-
-
-Ich habe viel erlebt und erlitten, natürlich, in meinem
-Pflegerinnenberufe. Aber die Nacht des 5. März als Pflegerin des Peter
-Altenberg war die schrecklichste und merkwürdigste. Am Tage vorher hatte
-ich sein Buch »Bilderbogen des kleinen Lebens« gekauft und gelesen.
-
-Nun sah ich ihn da liegen, ganz verwahrlost, von Leiden zerfressen. Ich
-fühlte es, daß er über seinen eigenen Untergang tief verzweifelt sei.
-Sein Idealismus war untergegangen, und es blieb die Ruine übrig. — Ich
-bemitleidete ihn nicht, sondern die _vielen_, _vielen_, denen so die
-Früchte seines Geistes, seines großen Herzens _entgehen_ sollten. —
-
-Ich hatte die Empfindung: »Hund, du darfst noch nicht verrecken, du hast
-uns Ärmsten noch manches zu spenden, du hast uns noch aufzuklären, hast
-uns sogar besser zu machen! Was schleichst du dich fort, Sünder, ehe du
-alles für uns ausgesprochen hast?!«
-
-So schändlich egoistisch dachte ich über diesen sich windenden Wurm in
-diesen schrecklichen bangen Nachtstunden. Ich richtete ihm die Polster,
-wischte ihm den Angstschweiß ab, aber es geschah in einer verbissenen
-Bitterkeit gegen ihn! Den Helfer!
-
-Wer, wer hätte sich denn gesund und ewig lebendig erhalten müssen als
-er? Und indem ich an die Werke dachte, die er uns _vorenthielt_, pflegte
-ich mit Widerwillen einen unglückseligen Kranken, der zum vorzeitigen
-Sichfortschleichen aus der Welt gar nicht das Recht hatte uns
-gegenüber — — —.
-
-
-
-
- GESCHWISTER
-
-
-Meine Schwester, Sektionsrätin M., besuchte mich, und sagte an meinem
-Krankenlager: »Du, diese so überaus wirksame Schlammbadkur in Bad X.
-wurde vollkommen um den Effekt gebracht durch einen merkwürdigen und
-schrecklichen Umstand, der meine Nerven einfach ermordete. Denke dir,
-dort stopft man noch die Gänse, diese allerunglücklichsten Geschöpfe
-einer ohnedies schon genug furchtbaren und unerbittlichen Welt! In
-dunklen Kellern, in den glühheißen Augustnächten, hocken diese
-Unglückseligen in absichtlich zu eng gemachten Holzkäfigen, werden Tag
-und Nacht gewaltsam gefüttert, und es wird ihnen durch all diese
-grausigen Wochen hindurch das Trinken von Wasser verwehrt! Das
-entsetzliche Schicksal dieser Unglückseligen in den unterirdischen
-Folterzellen hat mich den Ort zu fliehen gezwungen. Mein Töchterchen
-Hilde, die die ganze Sache entdeckt hatte, ging täglich oftmals
-insgeheim mit einer Kindergießkanne in die Folterkammer, und goß den
-gemarterten Gefangenen Wasser in die weit aufgesperrten Schnäbel. Die
-wunderschöne junge Slowakin Viktora aber lachte dazu aus vollem Halse,
-als sie das Samariterwerk sah, und sagte: »Fräulein Hilde, wird sie auch
-eingesperrt werden so, wenn Frau sie erwischt — — —?« Aber unsere
-französische Gouvernante Hélène sagte: »Madame, en Suisse cela ne se
-fait pas, on ne connait pas ces martyrs infames —.«
-
-Ich erwiderte meiner Schwester: »Ich bin ganz, ganz erstaunt über deinen
-Bericht. Gerade von dir, meiner Schwester, die ich jahrelang nicht sehe
-und spreche! Welcher merkwürdige Zusammenhang der Nerven! Gerade vor
-einem Jahre schrieb ich nämlich folgende Skizze:
-
-Man führte die edle Zwölfjährige nach Berlin, um ihr alles zu zeigen,
-was es dort Herrliches gebe. Automobilfahrten zu allen Seen, Variété,
-Theater; man ließ ihr das Paradies »Berlin« erstehen, soweit es für eine
-Zwölfjährige seine Tore überhaupt öffnen konnte. Als sie wieder nach
-Wien zurückkehrte, fragte sie eine Dame: Nun, Lilly, wo ist es besser zu
-leben, in Deutschland oder in Österreich?! Und Lilly H. erwiderte: Nur
-in Deutschland kann man existieren! Da habe ich bemerkt, daß die armen
-Pferde an den Lastwagen viel geschickter und rücksichtsvoller
-angebrachtes Riemenzeug tragen als bei uns, das ihnen die Arbeit
-erleichtert und Torturen erspart. Und dann habe ich auch noch erfahren,
-daß es in ganz Deutschland bei strengster Strafe verboten ist, Tiere
-künstlich zu mästen, und daß geheime Agenten, in der Verkleidung von
-reichen Viehkäufern, sämtliche Bauerndörfer Jahr für Jahr daraufhin
-kontrollieren und für jeden entdeckten Fall hohe Belohnungen erhalten!«
-
-Meine Schwester nahm meine Hand und sagte ruhig: »Nun, was ist dabei,
-wir sind eben Geschwister — — —!«
-
-
-
-
- DER BESUCH
-
-
-Eine junge Frau, die ich seit lange als eine fast Heilige an Demut und
-Sanftmütigkeiten verehre, kam an mein Krankenbett, bleich und verstört.
-
-Sie erzählte mir, daß ihr Mann, der sich für sie aufopfere,
-Gesichtsneurose habe und sich, mit ihrer Einwilligung, der Operation auf
-Tod und Leben unterziehen wolle. Sie wisse nicht, ob sie es gestatten
-solle. »Soll ich, soll ich nicht, soll ich?! Ich werde es also an meinen
-Knöpfen abzählen —.«
-
-Ich lag da, von meinen Leiden zerfressen, und sie stützte den Kopf in
-die Hand.
-
-Da sagte sie: »Nicht, Peter, das Leben ist eigentlich komisch —.«
-
-Und ich sah eine Träne, vielleicht die heißeste, verzweifeltste, die je
-geweint wurde.
-
-Drei Tage später saß sie an meinem Krankenbette: »Peter, ich habe es ihm
-gestattet, und er ist daran gestorben. Peter, nicht wahr, die Welt ist
-komisch —.«
-
-Ich lag da, von meinen Leiden zerfressen — — —.
-
-Ich zählte es an den Knöpfen ab, was, weiß ich nicht. Aber immerhin, an
-den Knöpfen —. Soll man, soll man nicht, soll man?!
-
-
-
-
- SOMMERABEND IN GMUNDEN
-
-
-Wir, die nicht genug haben an den Taten des Alltages, wir Ungenügsamen
-der Seele, wir wollen unseren rastlosen, enttäuschten und irrenden Blick
-richten auf die Wellensymphonien des Sees, auf den Frieden überhängender
-Weidenbäume und die aus düsterem Grunde steil stehenden Wasserpflanzen!
-
-Auf die Menschen wollen wir unsern impassiblen Blick richten, mit ihren
-winzigen Tragödien und ihren riesigen Lächerlichkeiten; mit düsterer
-Verachtung wollen wir nichts zu tun haben, und mildes Lächeln soll der
-Panzer sein gegen ihre Armseligkeiten!
-
-Dem Gehen edler anmutiger Menschen wollen wir nachblicken, dem Spiele
-adeliger Gebärden und der Noblesse ihrer Ruhe! Ein Arm auf einer
-Sessellehne, eine Hand an einem Schirmgriff, das Halten des Kleides bei
-Regenwetter, süßes kindliches Bacchantentum bei einem Quadrillefinale,
-wortloses Erbleichen und wortloses Erröten, stummer Haß und stummes
-Lieben, und alles Auf und Ab der eingeschüchterten und zagen
-Menschenseele — — das, das alles wollen wir Stunde um Stunde in uns
-hineintrinken und daran wachsen!
-
-Rastlos aber, vom Satan Gejagten gleich, stürmen die Anderen
-enttäuschungsschwangeren Zwecken entgegen, und ihre Seele bleibt
-ungenützt, verdirbt, schrumpft ein, stirbt ab!
-
-Jeder Tag bringt einen Abend, und in der Bucht beim Toscana-Garten steht
-Schilf, und Weiden, und Haselstauden hängen über, ein Vogel flüchtet,
-und alte Steinstufen führen zu weiten Wiesen. Nebel zieht herüber, du
-lässest die Ruder sinken, und niemand, niemand stört dich!
-
-
-
-
- ÄSTHETEN
-
-
-Ich habe zwei Ästheten erster Güte kennen gelernt, einen jungen Mann und
-seine junge Gattin. Sie schaut aus, wie man sich den siebzehnjährigen
-Dante vorstellt. Sie trägt arabischen und indischen Schmuck. Sie leben
-im Tessin, am Lago Maggiore, in einem alten Steinhaus inmitten eines
-Edelkastanienurwäldchens. Jeder Satz, den sie äußert, ist ganz tief aus
-dem Geiste der Menschheit herausgeschöpft. Was sind eigentlich Ästheten,
-die uns brutaleren, zynischeren Naturen doch gänzlich ferne liegen?! Es
-sind Organisationen, bei denen sich die Urinstinkte völlig in
-Betrachtung und Genießen der zahllosen wertvollen Dinge der Welt
-aufgelöst, ja verflüchtigt haben. Alle Gemeinheiten, denen wir noch wie
-böse Tiere hie und da unterworfen sind, sind nicht mehr in ihnen. Der
-Friede ist in sie eingezogen, durch den ewigen Anblick von Gottes
-Weltenschönheiten, Weltenmerkwürdigkeiten. Solche Frauen blicken
-verklärter als alle anderen, denn ihr Reich ist, trotz allen Anscheins,
-nicht hienieden. Sie werden erlöst von der Sünde in jeglicher Beziehung;
-deshalb blicken sie mystisch, in kommende Welten hinein — — —. Jeder
-Mensch kann sich aus eigener Macht zu einem geistig-seelischen
-Organismus hinaufgestalten; und er und seine Umgebung hätten den Vorteil
-davon. Aber nur wenige unternehmen es. Ästheten sind, für brutale
-Organisationen betrachtet, wie gebrechliche Spielzeuge des Lebens, in
-linden Lüften und linden Düften dahinschaukelnd, tödlich verwundet von
-jedem rauhen Wort sogar. Es gibt Dinge, die man in ihrer Gegenwart nie
-auszusprechen wagte. Man muß durch sie von selbst ein feinfühligerer
-Mensch werden im Augenblick, obzwar man sich natürlich dadurch beengt
-fühlt. Aber mit Jeanne d’Arc hätte man ja auch nicht ungezogen oder
-sexuell sein können. Um gewisse Organisationen lagert eben die
-Atmosphäre Gottes, und da erlischt dann allmählich in den Augen des
-Lebenszynikers sein satanisch-ironisches Lächeln! Heil ihnen! Sie haben
-mehr gesegneten Frieden als wir anderen, wir Barbarischen — — —. Sie
-sind »Naturmenschen« einer erhöhteren, erst anbrechenden Kultur, die
-dann nach langer Zeit zu einer zweiten Natur werden wird! Ästheten sind
-übertriebene Vorläufer einer gottgefälligeren Seelenentwicklung!
-
-
-
-
- ERINNERUNG
-
-
-Der Rathauspark duftet nun von edlen Bäumen und edlen Sträuchern. Es ist
-kühl und schattig. Aber damals war es eine endlose graue Wiese mit
-eingetretenen staubigen oder kotigen schmalen Fußwegen. Eines Tages
-stand eine grüne Bretterbude da, das erste Wandelpanorama in Wien,
-genannt »Der Rigi«. Es roch nach Öllämpchen, und mein Hofmeister und ich
-saßen in der ersten Reihe auf Strohsesselchen. Der Rigi und alle Seen
-und Bergesketten zogen an uns vorüber, zu den Klängen eines
-italienischen Werkels. Dann wurde es allmählich finster, und die
-Berghotelfenster beleuchteten sich, denn sie waren ausgeschnitten und
-dahinter Licht. Das gefiel mir. Später machten wir eines Tages die erste
-Pferdetramwayversuchsfahrt mit, vom Schottenring bis Dornbach. Es fiel
-mir auf, daß es fortwährend klingelte, was bisher bei den Fuhrwerken
-nicht zu beobachten war. Man hielt das Ganze für gefährlich und unsicher
-und glaubte nicht recht daran, daß es sich einbürgern werde.
-
-Die Sonntage wurden in Hietzing bei »Domayer« verbracht. Es fiel uns
-angenehm auf, daß unser Vater dem Fiaker, der uns führte, _du_ sagte und
-sich in leutselige Gespräche mit ihm einließ. Er kam uns vor wie ein
-milder Potentat. Die Trinkgelder waren enorm, gleichsam die
-Entschädigung für das vertrauliche _du_. Die Rückfahrten vom Lande
-abends sind das Schönste; da schläft man wie ein Toter. Man verflucht
-den Moment der Ankunft, der Wagen ist das wunderbarste Bett gewesen.
-Aber jetzt kommt Stiegensteigen, Ausziehen, eine unsäglich beschwerliche
-Arbeit.
-
-Gebratene Äpfel spielten bei uns eine große Rolle. Alles duftete in den
-Zimmern danach. Das ist ganz abgekommen. Auch gedünstete Kastanien,
-goldigglänzend, auf schwarzgrünem Kohlpüree, waren eine Festspeise, die
-jetzt im Absterben begriffen ist. Die neue Generation macht sich nichts
-daraus.
-
-Wir vergötterten unsere Hofmeister und Gouvernanten, und sie uns. Die
-Eltern spielten nur eine zweite diskretere Rolle, traten erst in Aktion
-bei außergewöhnlichen Ereignissen. Sie waren einfach der »Oberste
-Gerichtshof«. Wir lebten »romantische Idyllen«, deshalb fiel es uns
-später so schwer, dem realen Leben Genüge zu leisten — — —.
-
-
-
-
- VÖSLAU
-
-
-Vöslau, eigentümlicher Ort, einzige wirkliche Sentimentalität, die ich
-habe. Deine grünbefranste Station ist geblieben wie eh und je. Nur
-meine wunderschöne Mama, die mich im Damenbade sorgsam auf ihren Armen
-wiegte, ist längst nicht mehr. Die Lindenblüten rochen wunderbar, und
-das sonnengedörrte Holz der Kabinen und die Wäsche der triefenden
-Schwimmanzüge. Der Kies brannte die zarten Kinder- und Frauensohlen.
-Vom Wald kam Tannenharzduft, und von den Hausgärten kamen
-Millefleursgerüche. Meine Mama hielt mich zärtlichst mitten im Teiche,
-der für mich ein Ozean war! Sie verschwendete ihre romantische
-Zärtlichkeit an ein egoistisches, verständnisloses Kindchen, das ihren
-Hals in Angst umklammerte. Wunderbar ist der eingedämmte Bach, von der
-Station aus bis zum Bade. Links ungeheure üppige Wiesen, die zu nichts
-zu dienen scheinen und herrliches, dichtes Unkraut produzieren, für
-nichts und wieder nichts. Der Wind rauscht eigentümlich in den Tannen.
-Man hält es für einen mysteriösen Aufenthalt für Rekonvaleszenten, für
-kleine zarte Mäderln. Es ist so ein Sanatorium für müde Menschen. Die
-graublaue Ursprungsquelle von vierundzwanzig Grad Celsius ist wie
-lebenspendend. Sie spricht nicht viel, sie murmelt und gewährt! Viele
-Hausgärten sind voll von Frieden und Pracht. Im Cafégarten hart beim
-Bade ist es kühl vor Baumschatten wie in einem Keller. Daneben ein
-unbekannter Park wie ein Urwald. Niemand hat ihn vielleicht je
-betreten, ihn gestört in seinen überschüssigen Kräftespendungen! Wozu
-braucht man Brasilien und Lianenverstrickungen und Blütendunst und
-Geranke?!? Dieser Park ist Urwald. Vöslau, immer noch, seit
-fünfundvierzig Jahren, ist deine Station grünbefranst, und in dem
-Bache plätschern lustig die Enten, die unmittelbar darauf abgestochen
-werden, denn der murmelnde Bach ist nur ein letztes Reinigungsbad,
-gleichsam eine Vorleichenwaschung. Beim Bade duftet es nach
-Lindenblüten. Nichts hat sich verändert. Nur meine Mama ist nicht
-mehr.
-
-
-
-
- EIN BRIEF
-
-
-    Lieber Stefan Großmann,
-
-in meinen entsetzlichen Qualen habe ich heute soeben Ihren herrlichen
-Essay über und für _Frau_ Tolstoi gelesen. Es ist großartig. Nur eines:
-Das männliche Genie geht eben in seinen langsamen Weltentwicklungen
-_zuerst_ vom _gewöhnlichen_ allgemeinen _irdischen_ Leben aus, völlert,
-bekehrt sich sodann, gründet Familiensegen, sucht Frieden wie ein jeder
-gewöhnliche Sterbliche. Dann, im Alter aber erschaut es die idealeren
-Welten, ist jedoch von seinen vorherigen Entwicklungsstufen _gebunden_,
-ja _geknebelt_, kann und darf sie nicht los werden, und lebt doch
-_bereits zugleich_ in Welten, die das bisherige althergebrachte irdische
-Sein _überflügelt_ haben. — — — Wie wenn einem Heranwachsenden noch
-immer die getreueste Mutterbrust ihre Milch anböte, während er _längst_
-über diese Periode seiner irdischen schwächlichen Kleinlichkeit
-hinausgewachsen ist!?! Der Träumer, der Denker, der Prophet, der
-Vorherseher, der Menschen-_Erhöher_ schwingt sich von selbst, _ohne es
-zu wissen_, in Regionen einer _anderen_ künftigen Konstellation, während
-er historisch-atavistisch noch mit den ehernen Klammern _alltäglicher_
-und _gewohnter Notdurften_ am bisherigen gebräuchlichen Dasein
-festverankert ist! Das ist seine Tragik! Daher seine _organische
-Undankbarkeit_ gegen jene, die einem Stoffe in ihm dienen, den zu
-_überwinden_ und _immaterieller_ zu machen, er die ersten genialen
-Versuche unternimmt. — — — Man degradiert ihn also in allerbester
-Intention, zu einer bereits geistig überwundenen Entwicklungsstufe
-seiner selbst. Preisen wir seine adeligen Betreuerinnen, aber vergessen
-wir dabei _zugleich nie_, daß es in genialen Prophetengehirnen
-_Entwicklungsembryos_ gibt, denen Frauen und Freunde _ratlos_, ja
-_unbewußt feindselig_, sich entgegenstemmen! Die Henne brütet ein
-Entlein aus, betreut es, sucht es vor allem vor der Gefahr »Bächlein« zu
-bewahren. Aber das Entlein strebt nach dem fließenden klaren Wasser, und
-die mütterliche Henne blickt _in Todesangst_ den Schwimmkünsten des
-Entleins in seinem ihm organischen Elemente nach! Henne, bescheide dich,
-Entlein, schwimme, tauche! Genie, du bist zwar undankbar, aber es ist
-eine organische, von Gott gesegnete Undankbarkeit, die den kommenden
-Menschen _zugute_ kommen muß. Die Frauen betreuen die _Genies_, aber die
-Genies betreuen die _Menschheit_! Beide gehen zugrunde in ihrem
-merkwürdigen unentrinnbaren Lebenswerke, das in der Weltentwicklung
-vorgesehen, vorbedacht und wohlerwogen wurde vom göttlichen, meist noch
-gänzlich unfaßbaren Willen!
-
-Frau Tolstoi, du bist nicht minderwertig; Herr Tolstoi, du bist nicht
-mehrwertig; in allen lebt und webt die göttliche Seele, unerforschlich,
-und dennoch geahnt und gespürt von einigen wenigen — — —.
-
- Ihr Peter Altenberg.
-
-
-
-
- DER FORTSCHRITT
-
-
-Es ist tragisch genug, daß die meisten Verbesserungen in jeglicher
-Sphäre des Lebens wie von einer heimtückischen bösen Macht, vor allem
-vom bösen Zauberer »Gewohnheit« hintertrieben, aufgehalten, zerstört
-werden. Bei vielen Dingen kann man Gründe dafür finden, und sich
-daher wenigstens teilweise historisch-philosophisch über das
-Beharrungsvermögen des menschlichen Geistes beruhigen. Es gibt jedoch
-eine ganze Anzahl herrlicher Neuerungen, deren Nichtpopulärwerden man
-absolut nicht begreift. Dazu gehört die amerikanische Schuhputzmaschine.
-Ich kenne eine einzige in ganz Wien, im Hausflur des Cafés am Mehlmarkt.
-Man wirft zehn Heller in den Spalt, und dein Fuß wird dir sanft
-hineingezogen in die Maschine, und der Schuh dabei von Staub und Kot
-gereinigt. Dann wird er ebenso sanft wieder herausgeschoben und dabei
-gewichst und glänzend gebürstet! Man muß nur die Hose ein bißchen
-hochheben, da diese weder gewichst noch auch glänzend gemacht zu werden
-wünscht. Auch muß dein Fuß der Maschine völlig nachgeben, denn sie
-allein weiß, was für deinen Schuh zweckmäßig ist, und sie entläßt ihn
-erst zur rechten Zeit. Weshalb sind solche herrlichen und gutmütigen
-Maschinen nicht schon längst in den Vestibülen von Hotels, Cafés,
-Theatern aufgestellt?! Es ist fast eine Tragödie, es zu erleben, wie
-selbst in den allereinfachsten Dingen niemand das Herz und den Sinn
-dafür hat, seinen Nebenmenschen das Leben ein bißchen zu erleichtern.
-Dabei wäre es noch ein Geschäft, natürlich für beide Teile. Wie muß man
-da im vorhinein verzichten, in noch schwierigeren Lagen, unterstützt,
-betreut zu werden!?
-
-Jemand sagte zu mir: »Es paßt mir nicht, daß diese Maschine mir meine
-zarten Chevreauschuhe mit einer minderwertigen Creme putzt!« Ich
-erwiderte ihm, daß die Maschine nur Staub und Kot entferne und dann
-glänzend bürste, also eigentlich mit jener Creme, die ein jeder Schuh
-schon von selbst habe. »Ach so,« sagte er tief enttäuscht darüber, daß
-er der neuen Schuhputzmaschine, die bescheiden ihre Pflicht erfüllt,
-kein Klampfl anhängen konnte, ihr kein Bein stellen konnte, über das sie
-schmählich stürzen müßte!
-
-
-
-
- ÜBER LEBENSENERGIEN
-
-
-Die allerwenigsten Menschen haben auch nur die geringste Ahnung von dem
-Inhalt des Wortes »Lebensenergien«. Es ist ein mysteriöses und ganz
-simples Wort zugleich: es bedeutet alle Kraft, die unser Nervensystem
-enthält, zur Betätigung unsers Lebens. Diese Kraft erhalten, vermehren,
-heißt eigentlich: ein Kultivierter sein; sie schwächen, verringern,
-heißt: ein Unkultivierter sein. Wir verlieren täglich, stündlich
-Tausende wertvollster Lebensenergien durch irrige Lebensführung
-jeglicher Art, und dann noch durch den Mangel an Rücksicht der
-Nebenmenschen auf unser Nervensystem. Tausend Ungezogenheiten und
-Taktlosigkeiten der Menschen zerstören unsre angesammelten
-Lebensenergien. Ferner Sorge, Kummer, Eifersucht, Alkohol, schlechtes
-Essen, ungezogene Kellner, ungezogene Friseure, ungezogene Freunde,
-alles, alles das frißt uns täglich, stündlich unsre angesammelten
-Lebensenergien weg, und zwar auf eine merkwürdig schwächende, lähmende,
-Zuckerkrankheit vorbereitende Art! Frauen besonders sind genial
-geschickte Zerstörerinnen unsrer aufgestapelten Lebensenergien, durch
-Erzeugung von Eifersucht, diesem Krebsbazillus der Seele! Man wird
-plötzlich grün und gelb, und die Lebenselastizität läßt nach. Jeder
-Mensch ist eigentlich ein feiger heimtückischer Mörder eines jeden, den
-er in Unruhe setzt ohne zwingendsten Grund! Einem Menschen seine
-Lebensenergien erhalten wollen, sie schützen, ja, sie vermehren wollen,
-heißt allein: ihn wirklich lieb haben! Alles andre ist Seelenmumpitz!
-Wer mich in irgendeiner Sphäre meiner Lebensbetätigungen schwächt,
-stört, lähmt, statt mich zu fördern, ist mir feindselig gesinnt, wie er
-sich auch sonst stellen möge! Die Erhaltung der Lebensenergien meines
-Organismus sei die Sehnsucht einer jeden ernstlich freundschaftlichen
-Seele. »In meiner Gegenwart hatte sie einen unbeschreiblich elastischen
-Gang, alles an ihr schien leichter und von Erdenschwere befreiter zu
-werden — — —«; das wäre das ehrendste Zeugnis für eine wirklich
-liebevolle Mannesseele. Seine Verluste an Lebensenergien rechtzeitig
-spüren, seine Gewinne freudig buchen im Lebenskonto, würde viele der
-angenehmen Fähigkeit näherbringen, das hundertste Jahr, das Pfeifchen
-schmauchend, zu überschreiten. Ich bin einmal unerbittlich gegen den
-göttlichen Leichtsinn, ich bin für die erdenschwere Bedenklichkeit. Ich
-glaube, wenn Franz Schubert mein Intimus gewesen wäre, ich hätte ihm
-noch weitere zweitausend Lieder entlockt, indem ich ihn beschworen
-hätte, sich der seiner bedürfenden Menschheit zu erhalten durch
-allersorgfältigste Schonung seiner Lebensenergien. »Ja, pardon, aber ein
-Typhus raffte ihn hinweg — — —.« Aufgestapelte Lebensenergien nehmen hie
-und da sogar den erfolgreichen Kampf mit solchen Feinden wie Typhus, mit
-einer solchen Hunneninvasion, auf! »Ja, aber, mein Herr Schreiber dieser
-Zeilen, weshalb nehmen Sie selbst so wenig Rücksicht auf diese immerhin
-beherzigenswerten Lehren, in Ihrem eigenen werten Dasein?!?« Weil ich
-dann vielleicht Lebensenergien entwickelte, um noch einige solcher
-Bücher wie bisher zu schreiben, und das muß unbedingt hintertrieben
-werden durch ungeordnete Lebensführung.
-
-
-
-
- STRANDBAD
-
-
-Nun sah ich dich, Unbekannte, mit deiner bräunlichen Haut und dem
-krebsroten nassen seidenen Schwimmtrikot, am »Gänsehäufel«, und bin an
-dir vor Sehnsucht erkrankt. Immer, immer seh ich dich mit deinen
-unbeschreiblich edlen Gliedern an Wassers Rand entlanggehen mit weiten
-Schritten —.
-
-O, weshalb durft’ ich dir nicht sagen: »Kaiserin des Strandbads!« Dir
-hätte es nichts geschadet, und mich hätt’ es erlöst, wie es müde
-enttäuschte Menschen erlöst, wenn sie in stillen Kirchen vor einer
-heiligen Frau niederknien —. So aber wandle ich, krank an meiner
-fanatischen Zärtlichkeit, dahin —. Kaiserin des Strandbads — — —.
-
-An Unzulänglichem werden wir vorzeitig alt und müde, verlieren den
-Glauben an die Realisierbarkeit von Gottes Träumen. Da seh ich dich,
-Edelstgegliederte, und fange wieder an zu glauben —!
-
-In Kleidern, geschützt durch Seide und Batist, oder im Bett, wo des
-Mannes Leidenschaft sein Auge trübt, wohlan! Da nehmen wir vorlieb,
-begnügen uns!
-
-Jedoch, aufrechten Ganges, in Licht und Luft getaucht, in nassem
-Schwimmtrikot, da besteht keine außer dir diese zärtliche Prüfung! Nun
-sah ich dich und wurde krank an dir, weil ich nicht wenigstens flüstern
-durfte: »Kaiserin!«
-
-
-
-
- WESEN DER RELIGION
-
-
-Der Pastor zu einer armen Frau, die bis dahin ziemlich ungläubig war,
-den Satzungen der Religion gegenüber:
-
-»Nun, liebe Frau, sind Sie durch meine Worte jetzt endlich gläubigern
-Sinnes geworden?!?«
-
-»Herr Pastor,« erwiderte die Frau, »seitdem ich weiß, daß Gott alles
-sieht, wische ich in dem Hause, in dem ich bedienstet bin, den Staub
-auch _unter den Teppichen_ auf — — —.«
-
-Vielleicht ist auch dies gerade das tiefste Wesen der Liebe, einer Art
-von Realreligion: die Frau hält ihre Seele rein, sogar dort, wo niemand
-es mehr sieht und bemerken kann!
-
-
-
-
- WIE SIE ES GLAUBEN WOLLEN, SO IST ES!
-
-
-P. A. erhob sich von seinem Schmerzenslager, ging auf den Blumenmarkt,
-kaufte purpurrote Buchenzweige, schneeweiße Tazetten, zitronengelbe
-Nelken, dunkle Veilchen und riesig viele goldgelbe Mimosen mit
-graugrünen gefiederten Blättchen.
-
-Und das ihre Dame vergötternde Stubenmädchen rief ihn an telephonisch:
-»Meine Gnädige schläft noch. Sie wird sich freuen beim Erwachen. Sie hat
-ein wunderschönes Bukett bekommen.«
-
-Und er: »Von wem kann es denn sein?!?«
-
-»Hoffentlich von Herrn L. Das würde sie am meisten beglücken.«
-
-»Ja, es ist richtig von Herrn L.! Aber bitte, sagen Sie nicht, daß Sie
-es durch mich erfahren haben, sondern nur als Ihre eigene Vermutung.«
-
-Und am nächsten Tage sagte die Dame beglückt zu Herrn L.: »Ich habe
-wunderbare Blumen erhalten gestern ...«
-
-Und Herr L. erfuhr durch das süße Stubenmädchen, wie die Sache sich
-eigentlich wahrscheinlich verhalten habe ...
-
-Sie fühlte es als ihre Pflicht, es ihm zu sagen.
-
-Da sandte er denn am nächsten Tage die herrlichsten Blumen, unter dem
-Namen P. A.
-
-Und die Dame sagte zu ihrem Stubenmädchen: »Sieh, auch P. A. hat mir
-Blumen gesandt, sehr nett von ihm, man hätte es ihm nicht zugetraut.
-Nun, aber die von Herrn L. am Vortage waren schöner, so wirklich mit
-Geschmack und Zärtlichkeit ausgesucht ...«
-
-
-
-
- »PRODROMOS«
-
-
-Ich habe den Menschen, die im Tagesgeschäfte festgerannt waren, nie viel
-geben können, trotz meiner sogenannten Freiheit, die mir Gelegenheit
-gab, über die Dinge des Daseins _rücksichtslos nachdenken zu
-dürfen_ — — —. Aber es gibt dennoch wertvolle und höchst wichtige Dinge;
-vor allem:
-
-Sorge Tag und Nacht für die Edelfunktion deines Darmes! Das »Bauchherz«
-ist wichtiger wie das, was wir verhältnismäßig unnötigerweise unter der
-linken Brustwarze tragen. Von der Funktion des Darmes hängt _unser
-ganzes Denken_, _Fühlen_ und _Sein_ ab, unsere _Größe_, unsere _Güte_,
-unsere _Menschlichkeit_ und unsere _Weisheit_! Wehe dem, der 24 Stunden
-lang, also als Sünder und Verbrecher, _unpurgiert_ dahinwandelt! Er wird
-millionenmal mehr Schaden anrichten als ein Raubmörder und
-Kinderschänder! Er wird in den kleinsten Dingen sein Menschentum
-_verleugnen_, das ihm Gott in seiner Gnade mitgegeben hat. Nur der
-äußerlich und innerlich purgierte Mensch kann auch geistig _und_
-seelisch purgiert sein! _Existieren_ können, ohne Darmfunktion wie die
-Taube, die es im Fluge von sich läßt, ohne sich in ihren edlen
-Schwingungen auch nur 1/100 Sekunde dadurch stören zu lassen, ist ein
-schändliches Verbrechen an sich und vor allem seinen Nebenmenschen, an
-denen man seinen Unmut, den man sich selbst gezüchtet hat, in
-heimtückischer Weise dann Tag und Nacht ausläßt.
-
-Abführmittel sind _theosophische Geheimmittel_, die imstande sind, den
-Menschen zu einer höheren Art hinaufzuentwickeln! Im Moment, wo das
-Genie seine heiligen Darmfunktionen geschwächt fühlt, fühlt es sich
-degradiert zur »_Herde der Gewöhnlichen_«! Seine Schwingen sind ihm —
-wenn auch in anderer Weise — beschnitten und gelähmt.
-
-Bauchherz, nervus sympathicus, plexus solaris, unbekanntestes Phänomen
-unter den mysteriösen Phänomenen dieser Welt, möge dir die Forschung und
-die Arbeit der künftigen Genies geweiht sein! Unten frei, oben frei!
-Unten gebunden, oben gebunden! So ist es!
-
-Es gibt fast keine Schädlichkeit, die wir unserem Organismus antun, die
-nicht durch eine absolut vollkommene Verdauungskraft besiegt werden
-könnte! Unsere Darmnerven sind wichtiger wie unsere Gesamttätigkeiten
-unseres Organismus, als alle andern Organe zusammen! Mit einem absolut
-leichten Stuhlgang müßte man sich theoretisch eine »ewige Jugend«
-verschaffen können. Der obstipierte Mensch ist _kein menschliches
-Wesen_! Seine Heiligkeit, seine Gottähnlichkeit beginnt erst, wenn die
-Darmfunktionen eine _fast ideale_ Leistungsfähigkeit erreicht haben. Die
-tiefste Genialität eines Organismus ist, mehr Rücksicht auf seine
-Darmnerven zu nehmen, als auf alle andern zusammen! Man schont damit vor
-allem _Herz und Gehirn_.
-
-
- Der Philister
-
-Ewige Rache, die Gott, Schicksal und Natur am Philister nehmen: Sie
-verhindern ihn, Tag und Nacht _Tonika_ zu suchen, Belebungs- und
-Erregungsmittel dieser Stoffwechselmaschine »Mensch«! Sie wollen immer
-glatt und beruhigt überall durchkommen; daher verlieren sie die einzige
-Kraft, die es für die menschliche Maschine gibt: den Stoff-_wechsel_!
-
-
- Genialität
-
-Das geniale Gehirn hat nie die _kleinliche_ Todesangst des Philisters,
-sondern die _absolute_ eines Bismarck, der _wußte_, daß bei einer
-verlorenen Schlacht von Königgrätz ihm nur mehr die Revolverkugel übrig
-bliebe. — Selbst _Goethe_ hatte ein Jahr lang den geladenen Revolver auf
-seinem Nachtkastel liegen. Sich schützen?!? Vor dem Altwerden, vor dem
-_Sterben_?!? _Wozu also?!_ Das Genie bringt sich _rechtzeitig_ um, wenn
-es seine Mission erfüllt hat, oder sie _nicht_ erfüllen konnte! Aber
-diese andern _paktieren_ mit dem Leben, das dann doch _keines ist_ und
-keinen Pakt zuläßt!
-
-
-
-
- RESTAURANT PRODROMOS
-
-
-Ein Restaurant ersten Ranges, von einem modernen Architekten unerhört
-einfach-primitiv, aber zugleich aristokratisch-apart eingerichtet. Es
-wirken in der Küche in idealer Gemeinschaft ein französischer Koch und
-ein junger Arzt, Diätetiker, Hygieniker, und der Dichter. Jede Speise
-ein unerhört leichtverdauliches Gedicht für den Verdauungsapparat!
-Lauter Speisen, die in drei bis fünf Stunden verdaut sind ohne
-Rückstände! Reiche Stoffwechselkranke, Nervenkranke, Magenkranke,
-Darmkranke würden hier ein absolut sicheres Asyl finden! Die
-internationale Püreemaschine würde auf jedem Tische stehen. Einige
-Umdrehungen, und jede Speise hat die Konsistenz erhalten von
-Erdäpfelpüree, Erbsenpüree! Schöne Zähne sind eine ästhetische
-Angelegenheit, aber man soll sie nicht gebrauchen! Den Speisen ihre
-Seele ausziehen, ihr Wertvollstes, und das Unverdauliche den Hunden, den
-Schweinen! Kein Essig, sondern Zitrone! Ganz, ganz neue
-Zusammenstellungen. Zum Beispiel durchpassiertes Kalbfleisch in
-Eiersauce. Pürees und Saucen in noch nie dagewesenen neuen Verbindungen!
-Man kann sich krank essen und bleibt dennoch gesund! Die Diätetik eine
-reale Romantik geworden! Erfüllbare Ideale! Die Zähne haben ihre
-miserable dilettantische Zerkleinerungstätigkeit einzustellen, sobald
-die internationale Püreemaschine ihre Dienste ideal ersetzt. Man putze
-sie und halte sie als Kunstwerkchen in Ehren! Der Edelmaschine darf man
-nicht Lasten aufbürden, sondern muß sie ihr zu ersparen suchen! Das
-Kindchen saugt an der Mutterbrust, und die müde und nervös gewordene
-Menschheit will desgleichen! Jeder komplizierten Maschine sucht man die
-Widerstände so viel als möglich zu ersparen; nur dieser unglückseligen
-und allerherrlichsten Maschine: »menschlicher Verdauungsapparat« nicht!
-Weshalb?! Gründet das Restaurant Prodromos! Es soll eine Oase werden.
-Nach jeder Mahlzeit kann man sich hinlegen auf ideale Ruhestühle, was
-riesig wichtig ist! Es gibt Zimmerchen, in denen man, wenn auch nur für
-zehn Minuten schlafen kann! Eine Regenerationsanstalt, als Restaurant
-geführt. Ein Gasthaussanatorium! Teuer, aber fast kostspielige Kuren
-ersetzend! Weshalb warten mit der Ausführung?! Gibt es denn keine
-Idealisten, die dennoch verdienen möchten?! Sind denn das Gegensätze, um
-Gotteswillen?! Was sollte denn reellerweise eigentlich belohnt werden
-auf Erden als der wohlverstandene Idealismus?!? Gründet das Restaurant
-Prodromos! Und gedenket meiner, des Urhebers!
-
-
-
-
- DER BRAND
-
-
-Um zwei Uhr morgens kam die Nachricht in die American Bar, daß ein
-Palais nächst dem Stadtpark in Flammen stehe. Wir ließen unsre
-wunderbaren Mischungen sofort stehen, fuhren im Fiaker rasend hin.
-
-Auf dem Dache des fünfstöckigen Palastes leuchteten die weißen
-Magnesiumfackeln der Feuerwehr, und goldgelbe und rote Funken fielen zur
-Erde. Unten im Finstern der Straßen leuchteten die Lampen der
-Feuerwehrautomobile wie getreue Wächterhundeaugen! So besorgt-gutmütig!
-
-Der Stadtpark war schwarz und einsam. Auf einer Bank saßen Zwei, Hand in
-Hand. Sie betrachteten den Brand des Palais, hörten die
-Feuerwehrsignale: »Wasser! Wasser! Wasser!«, und sie waren und sie
-blieben versunken in ihrem eigenen unentrinnbaren Schicksal, Hand in
-Hand.
-
-Das Palais brannte, und man erließ für die obern Parteien bereits die
-Nachricht, sie möchten delogieren und herabkommen — — —.
-
-Der Stadtpark war einsam und im Dunkeln — —.
-
-
-
-
- RÜCKSICHT
-
-
-Sie trug ein wunderbares, stark dekolletiertes schulterfreies Kleid.
-Ihre Freunde bewunderten ihre herrlich modellierten Schultern. Da stand
-sie auf, ging in ihre Garderobe zurück und zog ein viel dezenteres Kleid
-an, das nur Hals und Arme frei ließ.
-
-Einige Augenblicke später kam ihr Bräutigam.
-
-»Natürlich,« sagte er, »man muß sich für die fremden Männer
-dekolletieren!«
-
-»Herr Bräutigam,« sagte ein Baron, »das ist doch gerade das Schöne an
-Ihrer Freundin, daß sie immer so einfach und dezent gekleidet ist und
-gar nichts aus sich macht. Schließlich und endlich muß es doch auch
-Ihnen schmeicheln, wenn andere Sie darum beneiden und sie bewundern!«
-
-»Anita,« sagte der Bräutigam, »gehe doch in die Garderobe und ziehe dir
-mal das neue schulterfreie Kleid an, das ich für dich entworfen habe. Du
-bist ja nicht mehr im Sacré Coeur — — —.«
-
-Die Dame stand auf und ging in die Garderobe, das noch körperwarme
-schulterfreie Kleid wieder anzulegen — — —.
-
-Die Freunde sagten hypokrit: »Das ist wirklich etwas gewagt und
-auffallend — — — Aber wenn es Ihnen recht ist, Herr Bräutigam — — —?!?«
-
-
-
-
- MYOSA
-
-
-Mademoiselle Myosa, das Original mit dem tiefen wunderbaren Blick, in
-dem direkt eine Art von fanatischer Tanzmission glüht und fiebert, ist
-von unbeschreiblicher Anmut. Die übrigen Tänzerinnen tanzen, aber sie
-ist der Tanz selbst, sie versinkt, ertrinkt im Tanzen. Sie existiert
-nicht mehr. Sie kann sich, auch im Leben, in nichts anderm äußern. Man
-hat die Empfindung: sie ißt nicht, sie trinkt nicht, sie schläft nicht,
-sie will kein Geld und keine sonstigen scheinbar unentrinnbaren
-Leidenschaften — — — sie will tanzen, tanzen, tanzen! Der Fisch will
-Wasser, nur Wasser; und sie will den Tanz, nur den Tanz! Sie ist das
-erste Tanzgenie, das ich je erblickt habe, wegen ihrer fast
-pathologischen Konzentration. Sie rührt und macht erstaunen. Hat Gott
-die Welt nur erschaffen, damit Myosa sich darin austanze?! »Ja!« sagen
-ihre düstern Blicke. Sie hat Bewegungen, die man noch nie bei einer
-Tänzerin gesehen hat, wie wenn oft ihr wunderbarer kindlicher Leib von
-einer inneren Macht gezwungen würde. Dabei ist sie ununterbrochen
-verzweifelt, daß es in diesem Vergnügungsetablissement nicht still und
-feierlich ist während ihres heiligen Tanzens wie in einer Kirche;
-sprechen, lachen, verletzt sie tödlich; ein Zug unaussprechlichen
-ergreifenden Leidens ist da mitten im Tanzen auf ihrem herrlichen
-Antlitz. Da haßt sie die Menschen und die Welt! Sie ist eine tragische
-Persönlichkeit, feindselig und abhold dem leichten Dasein der Stunde.
-Sie ist ein Phänomen, eine Einzige, eine in sich Gekehrte, starre
-Unerbittliche des Tanzes! Und das alles dort, wo man sich bei uns
-amüsieren, zerstreuen will!? Arme, arme Myosa — — —!
-
-
-
-
- IM STADTPARK
-
-
-Als Kinder saßen wir Abend für Abend mit unsern geliebten Eltern im
-Stadtpark, im Kursalon. Wir bekamen Eis und Hohlhippen und hatten
-keinerlei Sorgen. Der Vater geht nun seit Jahren nicht aus seinem
-bequemen Zimmer mehr heraus, und die Mutter nicht aus dem bequemen
-Totenschrein. Ich, glatzköpfig und sorgenvoll, komme nun in den
-Stadtpark, Kursalon, auf die Terrasse, an denselben Tisch, an welchem
-wir einst sorgenlos mit den geliebten Eltern saßen. Ich bestelle
-dasselbe Eis, Himbeerschokolade, wie als Kind, mit recht vielen und
-knisternden, also frischen Hohlhippen. Vor mir die Gartenbeete wie
-einst, ein bißchen bunter, origineller. Ich sehe Eltern mit ihren
-Kindern. Sie zanken und schelten. Unsre Eltern zankten und schalten nie,
-nie. Vielleicht war es schlecht, daß sie es nie taten, aber sie hatten
-Achtung vor ihren eigenen Erzeugnissen, und Zuversicht! Wir haben sie
-enttäuscht; aber sie haben es hingenommen als Schicksal und Verhängnis.
-Wir haben ihre Tränen, die sie um uns weinten, nie gespürt — — —. Nun
-sitze ich, Glatzköpfiger, Sorgenvoller, wieder im Stadtpark, im
-Kursalon, auf der Terrasse, an demselben Tisch wie einst mit den
-geliebten Eltern, esse dieselbe Portion Himbeerschokolade wie einst, mit
-vielen knisternden, also frischen Hohlhippen — — —. Die Gartenbeete, auf
-die ich herabblicke, sind ein wenig bunter, origineller. Aber sonst hat
-sich nichts verändert, in den Zeiten vom dummen Kind zum müden Mann! Ich
-sehe Eltern, die ihre Kinder im Park schelten; unsre Eltern schalten uns
-nie; sie erhofften es, daß wir sie einst belohnen würden für ihre Güte;
-aber wir taten es nicht. Wir hatten eine schöne Kinderzeit; so tauchen
-wir denn hinab in Erinnerungen, da wir vom seienden Tage nicht leben
-können. Wir hatten allzu sanftmütige, hoffnungsfreudige,
-schicksalergebene Eltern. Es war ein Fluch und ein Segen! Man kann nun
-an Zeiten zurückdenken, die paradiesisch waren — —. Nicht jeder, der vor
-sich das Dunkel sieht, kann liebevollen Herzens der lichten Zeiten
-dankbar sich erinnern — — —.
-
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- EHEBRUCH
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-Ich verzeihe dir! Vier Tage und vier Nächte habe ich mich durchgerungen.
-Die Nächte besonders waren voll von Qual. Wenn du gewußt hättest, was du
-mir angetan hast an Leid, du hättest es wahrscheinlich nicht getan. Aber
-ihr wißt es eben nicht, wollt, könnt es nicht wissen! Unser verstörtes
-Antlitz sagt euch nichts. Prügel sind der Ausbruch für euch unserer
-verletzten Eigenliebe. Und sogar Mord ist doch in Eueren Augen nur
-Rachgier! Unsere Zärtlichkeit könnt ihr nicht ahnen, die wir für euer
-Leben haben, wie jedes Muttertier für seine Jungen, oder wie der Storch,
-der sich auf dem brennenden Dache niederläßt, um mit den Jungen, die er
-nicht mehr erretten kann vor Qualm und Hitze, selbst zu verbrennen! So
-sind wir mit euch! Mit euch verbrennen, wenns keine Rettung gibt — — —.
-Das zarte Nest ist in Gefahr, das wir euch errichtet mit allen Mühen
-unseres armen Lebens; das Nest ist in Gefahr — — —. Ich will dich
-retten, doch der Qualm betäubt mich. Anita, oh Anita — — —! Vier Tage
-und vier Nächte hab’ ich mich durchgerungen. Die Nächte besonders waren
-voll von Qual. Ich will dich retten vor dir und vor den anderen! Ich
-liebe dich, es bleibt mir keine Wahl — — —. In mir sind Gottes
-Zärtlichkeiten für jedes Geschöpf, konzentriert auf dich! Bis du es aber
-spürst, vergehen Jahre, Jahre. Mir ist die Kraft verliehen, an deiner
-Bahre, in deinem toten Antlitz noch verständnisvollen Dank mir endlich
-zu erspähen! Vier Tage und vier Nächte hab ich mich durchgerungen. Die
-Nächte besonders waren voll von Qual. Ich liebe dich, es bleibt mir
-keine Wahl. Wir wollen den Schmerz begraben, der uns begrub — — —. Nimm
-also dein neues Kleid, wir wollen zu fremden Menschen gehen, die
-fröhlich sind, Geliebte!
-
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-
- HAMSUN-MENSCHEN
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-
-Ich habe irgendwo einen geistreichen Essay gelesen — leider geist-reich,
-aber wahrheits-arm — über das Wesen der sogenannten Hamsun-Menschen, das
-heißt: jener Menschen, die Hamsun in seinen Romanen beschreibt.
-
-Es sind nämlich ganz einfach Menschen, die die Lächerlichkeit des
-menschlichen Geistes und der menschlichen Seele durchschaut haben und
-dahinter gekommen sind, daß alles öder Mumpitz ist! Ich bin überzeugt,
-daß Shakespeare die Eifersucht des Othello, den Ehrgeiz des Macbeth, die
-Liebe des Romeo für ebenso lächerliche und wertlose Dinge, für
-übertriebene Irrsinne, für groteske Stupiditäten von Monomanen oder
-Paralytikern gehalten habe; nur hatte er damals noch die sogenannte
-gesunde Kraft, aus diesen Irrsinnen scheinbar menschliche Dramen zu
-fabrizieren! Hamsun hingegen hält Markensammler, Münzensammler und
-Liebesleute für lächerliche Persönlichkeiten, und nichts in der Welt
-kann ihm ein Interesse abgewinnen als die schändliche und infame
-Lächerlichkeit, mit der alle Menschen die ihnen wichtig erscheinenden
-Dinge auch ernstlich für wichtig halten! Diejenigen Unglückseligen, die
-in der Mitte schwanken zwischen der Bejahung und Negierung des Daseins,
-machen sich ein Geschäft daraus, Hamsun-Menschen fälschlich erklären zu
-wollen, indem sie selbst weder den Mut haben, bejahende Normalmenschen
-noch negierende Perverse zu sein. Der sogenannte gesunde Mittelweg ist
-die Straße des feigen Idioten. Er allein ist der ungerechte und ewig
-mißtrauische Nichtsversteher! Sie wollen in den Abgründen des Daseins
-sich ein Pfädchen herausschinden, auf dem sie scheinbar noch sicher
-dahin schreiten könnten! Aber vergeblich! Es handelt sich nur um einige
-Jahre, und auch sie werden zur Browningpistole innerlich greifen müssen.
-Hamsun erkannte die Nichtigkeit, die Lächerlichkeit, die Bösartigkeit,
-die Gemeinheit des Lebens in jeder Minute, in jeder Stunde, an jedem
-Tage; aber die, die noch nicht die Kraft haben, das ganz zu erfassen,
-klammern sich an irgend einen Popanz fest, der sie hoffentlich irgend
-einmal zugrunde richten wird.
-
-Hamsun-Menschen haben ganz einfach einen milliardenmal tiefem Einblick
-in die Lächerlichkeit und Wesenlosigkeit des Daseins, als die andern
-Menschen, und derjenige, der sich aus diesen unentrinnbaren Wahrheiten
-herausretten will, beweist damit nur die Feigheit, daß er mit einem
-wertlosen Leben den wertlosen Kampf noch immer vergeblich aufnimmt. Alle
-Menschen sind Münzen- und Markensammler, und wer ihre absolut wertlosen
-Irrsinne nicht erkennt, ist ein ebensolcher Idiot, wenn er auch in
-seelischer und geistiger Beziehung andre, aber ebenso wertlose
-Sammlungen anlegt! Sich über die letzten Erkenntnisse eines
-Hamsun-Gehirns hinüberschwingen zu wollen, ist die infamste Feigheit
-eines Menschen, der nicht imstande ist, eine Stunde lang ein
-wahrheitsvolles Leben zu führen.
-
-Das Leben ist eine feige Lächerlichkeit, mit frechen Ambitionen, und es
-gehören alle Verlogenheiten der menschlichen Seele und des menschlichen
-Geistes dazu, um es auch nur eine Minute lang ernst zu nehmen!
-Strindberg wußte, was er von Frauen zu halten hatte, die, statt ihn zu
-schützen und zu schonen, ihm seine göttlichen Kräfte auf allen Wegen und
-Stegen zu rauben suchten. Er hatte die Genialität, an die
-Anständigkeiten der Frau zu glauben, fand aber nur herzlose Tyranninnen,
-die die Schwächen selbst der genialen Organisation auf perfideste und
-heimtückischste Weise ausnutzten! Was August Strindberg dichtete und
-dachte, war ihnen eine nebensächliche Erscheinung, aber sein
-persönliches Liebesleben kontrollierten sie mit ihren unfähigen und
-niedrigen Sinnen! Alle Männer sollten wie Strindberg es erhoffen, daß
-man ihre edelsten Kräfte schonen und schützen werde, und sie nicht
-ausnutzen werde zur gemeinen Bequemlichkeit des Tages- und Nachtlebens.
-Eine Frau, die auch nur eine Stunde lang einen August Strindberg quälte,
-wäre wert, von der ganzen Menschheit boykottiert und gefoltert zu
-werden, denn für ihre Glückseligkeit würde der Kommis einer Seidenfirma
-bessere Dienste leisten! Sie rächt sich in ihrem ewigen
-Vier-Wochen-Turnus an den ewigen Entwicklungsfähigkeiten des Mannes, und
-das Genie Strindbergs bäumte sich für hunderttausend gequälte andre
-Genies auf gegen den Mangel an Respekt einer geliebten Frau vor der
-Geistigkeit des Mannes!
-
-Hamsun nahm die Sache nicht so tragisch, sondern mehr von der ironischen
-Seite, und selbst Shakespeare war ein Strindberg und ein Hamsun im
-Grunde seiner Seele, aber er hatte leider noch die gesunde Kraft, es in
-fünfaktige Dramen umzusetzen, deren eigentliche tiefe Ironie der Welt
-nie verständlich wurde!
-
-Der Ansichtskartensammler ist kein größerer Narr als alle andern, die
-sich an angeblich wichtigere Objekte Tag und Nacht anklammern, um ihr
-Leben damit auszufüllen und in kümmerlicher, armseliger, schamlos-feiger
-Weise zu fristen. Je weniger Spesen sie dabei haben, desto normaler sind
-sie. Es gibt Schriftsteller, die die Geschicklichkeit haben, einem
-Hamsun und Strindberg sogar ihre Irrsinne nachzuweisen! Ich selbst
-begnüge mich mit der Ansicht, daß sich außerhalb des Lebens zu bewegen
-und mit ihm keine anderen Zusammenhänge zu haben wie die eines
-satanischen Lächelns, die einzige Sache und Aufgabe eines genialen
-Menschen sei!
-
-Wer die Kraft hat, dem Leben mit aufgezogenem Visier ins Auge zu
-blicken, der wird das große Mauer-Oehling und Steinhof der Menschheit in
-Ernst und Ruhe erkennen, und seine Stunde, die ihn von dem Stumpfsinn
-und der Stupidität endgiltig befreit, mit Freude erwarten —.
-
-
-
-
- MEMOIREN
-
-
-Ich lese die Geschichte vom Grafen von Lavalette, und sie interessiert
-mich gar nicht. Er war ein Getreuester Napoleons des Ersten.
-
-Aber ich habe bisher es nicht eingesehen, wodurch dieser »geniale
-Feuergeist«, dieses »Ungetüm an Lebensenergien«, der Gesamtmenschheit
-irgendwie geholfen habe!?! Die Geschichte seiner »Getreuen« interessiert
-mich daher um so weniger. Aber als Lavalette, dieser »Tatendurstige«
-(ein schreckliches Wort für den Lebenskundigen) eingesperrt und
-hingerichtet werden sollte, gab ihm seine Frau ihre Kleider, und er
-entfloh. Sie selbst wurde im Kerker derart mißhandelt, daß sie irrsinnig
-wurde.
-
-Da begann ich mich für die Gräfin von Lavalette zu interessieren, die in
-den Memoiren gar nicht erwähnt ist.
-
-Ehre ihrer Seele!
-
-
-
-
- WIDMUNG AN ANNA KONRAD
-
-
-O Fraue,
-
-Nicht was du _bist_, bist du!
-
-Das, was _wir_ von dir träumen, _das_ bist du!
-
-Was in der dunklen Wehmut unseres begeisterten Blicks erschimmert, das
-bist du!
-
-Der Duft deines Atems, der uns den Duft der ganzen blühenden
-geheimnisvollen Welt bringt, _das_ bist du!
-
-Deine _nicht erfüllten_ Sehnsuchten, die auf deinem lieblichen Antlitz
-kauern, und die _wir_ mehr miterleben, _miterleiden_ als du selber,
-
-_Das_ bist du!
-
-Die Träne, die aus unsern Augen langsam herabrieselt (wir selber wissen
-nicht, aus welchem Leid sie ihre Quellen hat) _das_, _das_ bist du!
-
-Und _unser Lächeln_ bist du, wenn du kommst — — —!
-
-Und unsere _ernste Stille_, wenn du von uns gehst — — —!
-
-Wenn du _uns_ kränkst und wenn du _uns_ verwundest,
-
-Nimmst du _dir selbst_ die Pracht des eigenen Lebens,
-
-Denn was wir von dir fühlen, _das_ bist _du_! Bleib darum milde — — —.
-
-Dreh’ nicht der Nachtigall den Hals um, wenn sie in die lichte Mondnacht
-schmettert,
-
-Denn _ihr Lied_ macht erst die Mondnacht zu dem, was sie _ist_!
-
-O Fraue, laß uns singen, sagen, klagen — — —.
-
-Was du _von uns_ vernimmst, _das_ erst bist _du_!
-
-
-
-
- DER TOD
-
-
-Wann soll ich sterben, mich umbringen?! Es ist an der Zeit.
-
-Es ist fünf Uhr morgens. Man sieht noch nicht die großen braunroten
-Dächer der alten Wallnerstraßenpaläste. Man hört die Uhren von fünf
-Kirchtürmen. Sie folgen einander so merkwürdig, wie um sich nicht
-gegenseitig zu stören, lauschendes Menschenohr nicht zu verwirren, das
-Ohr von Kranken, die dem heimlichern Tage bang entgegenlauschen — — —.
-
-Wann soll es sein?!
-
-Sie darf nicht geweckt werden aus ihrem mir heiligen Schlaf, durch eine
-Nachricht, die jedenfalls erregt und schadet — — —. Wenns ihr auch
-schmeichelt, daß es ihretwegen ist — — —.
-
-Ich muß also warten, bis die völlig Ausgerastete die merkwürdige
-Botschaft hört,
-
- daß ihr fanatisch getreuester Ritter sie dennoch verlassen mußte,
- mitten im Seelendienste, der ihn brach und sie nur störte, die
- einsam kranke Frau — — —.
-
- Nach Hamburg wird die Kunde später dringen, und H. M. ist gewappnet
- mit Ergebenheiten!
-
- In ihrer Religion sind Kreuzigungen vorhergesehen, und sie wird
- leben aus innern Kräften, durch Leid erhöht, betaut, befruchtet!
-
-Bessie wird in Leysin, im Paradies des Wintersports am Genfersee, die
-Nachricht hören, und in meinen Briefen vielleicht kramen, die sie
-besitzt.
-
-Die Hauptsach’ ist, daß meine vergötterte Frau in Wien nicht durch die
-Nachricht aus dem Schlafe kommt, den sie so nötig hat.
-
-Man muß sichs also einzuteilen wissen. Tag, brich an!
-
-Lebet wohl — — —!
-
-Der grelle Tag macht freilich den Abschied schwerer als des
-Wintermorgens düstre Dämmerungen!
-
-Jedoch die Frau darf’s erst vernehmen, wenn sie ausgerastet ist von
-langem Schlafe — — —.
-
-
-
-
- EINE GANZ WAHRHAFTIGE BEZIEHUNG
-
-
-Sie saß an einem riesigen Parterrefenster, das fast den Boden der
-staubigen grauen elenden Dorfstraße berührte, und nähte an einer schönen
-blinkenden Nähmaschine. Blusen, von morgens bis abends. Ihre Augen
-hatten einen Ausdruck von Verzweiflung. Aber sie selbst wußte nichts
-davon. Sie nähte, nähte und nähte. Sie war ganz mager, ungeeignet für
-den Sturm des Daseins, der Seelen und Körper schüttelt und hinwegfegt.
-Abends aß sie das kalte Gemüse vom Mittagstisch. Das sah ich alles durch
-das riesige Parterrefenster hindurch, und sie sah, daß ich alles sah.
-
-Eines Abends stand sie vor dem Haustor so angelehnt. Da sagte sie: »Ich
-habe eine Stellung angenommen in Mariahilf in einer Blusenfabrik, ich
-werde nicht mehr privat arbeiten müssen in diesem einsamen Zimmer.«
-
-Da dachte ich: »Dorfstraße, Dorfstraße, du hast deinen Glanz, du hast
-deinen Reichtum eingebüßt!«
-
-»Man muß sich seine Lage verbessern, nicht wahr!?« sagte sie, »ich habe
-Sie übrigens immer an meinem Fenster vorübergehen sehen, dreimal des
-Tages. Dreimal des Tages sind Sie freilich vorübergegangen. Aber in
-Mariahilf werden vierzig Mädchen sein, und man wird plaudern können, und
-arbeiten wie in einem Ameisenhaufen — — —.«
-
-»Sie, Fräulein, ich werde auch dreimal noch täglich an Ihrem Fenster
-vorübergehen, wenn Sie nicht mehr dasitzen — — —.«
-
-»Ja, werden Sie das?!? Da werde ich also doch auch zugleich zu Hause
-sein wie früher in meiner Heimat — — —.«
-
-»Lassen Sie vielleicht Ihre blinkende kleine Nähmaschine am Fenster
-stehen, und dabei eine ihrer angefangenen Blusen — — —.«
-
-»Ja, bitte, das werde ich — — —.«
-
-Das war die einzige wahrhaftige Beziehung mit einer Frauenseele während
-meines ganzen ereignisreichen Lebens — — —.
-
-Dorfstraße, graue staubige Dorfstraße, du hast nun deinen Glanz, du hast
-deinen Reichtum eingebüßt — — —. Sie, sie geht nun in die Arbeit, in die
-Welt — — —!
-
-
-
-
- IM VOLKSGARTEN
-
-
-Juli im Volksgarten. Die holde Frische der Gewächse ist vorüber. Nur
-Rosa Crimson Rampler blühen als dunkelrotes Gebüsch. Auf dem Teich vor
-dem Elisabethdenkmal sind die Seerosen verblüht. Nur die Blätter liegen
-papierflach auf grünschillerndem Wasser. In den riesigen hellgrauen
-Tonkübeln blühen hellrosa Hortensien. Die marmornen Kindergesichter an
-den Brunnen strahlen Lieblichkeit aus sondergleichen. Es sollen die
-Kinder des Bildhauers selbst sein. Heil ihm! Ein Mäderl von neun Jahren
-zeigt uns alle ihre herrlichen Künste. Sie hat nur ein weißes Hemd an
-mit einer dicken roten seidenen Schnur. Sie läuft Springschnur wie ein
-griechischer Marathonläufer. Sie spielt Diabolo wie ein Champion. Sie
-spielt zugleich mit zwei Raketts und zwei roten Gummibällen. Ich rufe:
-»Bravo, bravo!« als säße ich in einem Variété. Sie hat nackte
-Gazellenbeine. Sie macht alles von nun an infolge des Applauses für mich
-und meine edle Freundin. Einmal heben wir ihr einen Ball auf. Sie weiß,
-sie befindet sich in unsrer Gunst. Sie hat fremde Menschen für sich
-gewonnen, sie hat die enge Sphäre von Papa, Mama, Onkel, Tante
-überflogen, sie ist in das Land eingedrungen objektiver Anerkennungen.
-
-Und da sagte ihre Mama: »Spiele doch zu mir zu, ich will dich auch
-sehen, nicht immer nur deinen Rücken.«
-
-Da wandte sich das Kind von uns ab und spielte gegen die Mama zu. Nur
-hie und da blickte sie sich um nach ihren fremden Verehrern.
-
-Später kam der Papa, ermüdet vom Geschäfte.
-
-»Amüsierst du dich, Anna?!?« sagte er zu seinem Töchterchen.
-
-»Amüsieren, amüsieren —« dachte Anna, »man bewundert mich, man staunt
-mich an —.«
-
-
-
-
- ANSPRÜCHE EINER ROMANTIKERIN
-
-
-Wenn dir, Du angeblich Liebender, jeder Atemhauch meines Mundes ebenso
-berauschend wäre wie meinem Peter,
-
-wenn dich mein Gehen, Stehen, Sitzen, und jede Linie meines Leibes
-ebenso entzücken könnte,
-
-wenn der dunkle Klang meiner Stimme, wie Peter sagt, aus dem
-Gaumen-Resonanzboden,
-
-dir ebenso lieblich tönen könnte,
-
-und ebenso berauschend das Rauschen meiner seidenen Unterkleider wie
-ihm,
-
-wenn du in das Waschwasser meines Lavoirs, in dem ich badete, ebenso
-liebevoll deinen Kopf untertauchen könntest wie er,
-
-gleichsam um zu ertrinken in heiliger Flut;
-
-wenn du mich ebenso nähmest als überirdisches Wesen, das ich natürlich
-nicht bin und nicht sein kann, bei Tag und Nacht,
-
-wenn du also gleich ihm aus meinen Armseligkeiten eine verklärte
-Dichtung machen könntest, die dich beglückte und Leben spendete wie Tau
-und Sonne den zarten Pflanzen — — —
-
-wer weiß, ob ich mich dann nicht verführen ließe, dir zu dienen gleich
-ihm — — —.
-
-Aber du kannst, du wirst es nicht zusammenbringen!
-
-Es sind Mysterien, aufbewahrt von Gott den wirklich liebevollen
-Herzen!!!
-
-Das zu erkennen, ist unser einziger, unser bester Schutz!
-
-Es gibt nur immer einen, dem wir ein Verhängnis werden! Den anderen sind
-wir Zitronen, die man auspreßt, und deren Schale man in die Latrine
-wirft!
-
-
-
-
- LEBENSWEG
-
-
-Der Ältere und der Jüngere waren anfänglich kolossal eifersüchtig
-aufeinander. Bis der Ältere ihr einen geläuterten Brief schrieb. Darin
-stand unter anderm: »Der Jüngere ist der Jüngere. Daher hat er den
-momentanen Sieg. Aber der Ältere ist der Ältere. Daher hat er einen
-Vorsprung, welcher Art immer. Es wird sich schon zeigen —.« Sie verstand
-kein Wort davon. Infolgedessen versöhnten sich die beiden Rivalen.
-
-Dem Jüngeren ward sie aber zu einfach, zu ruhig mit der Zeit. Der Ältere
-ruhte bei ihr aus, von den Strapazen seiner Seelenweltreisen. Der
-Jüngere hatte sie lieb, solange sie nicht da war, der Ältere erst, wenn
-sie neben ihm dahinging wie ein verlorenes Kindchen. Er dachte dabei an
-die »Ludern«, denen er unnützerweise sein Denken, sein Dichten, sein
-Träumen geweiht hatte durch Jahre, und die doch nur sich-überhebende
-freche Püppchen gewesen waren zeitlebens.
-
-Aber auch er hatte bald genug von ihr, obzwar er sie brüderlich zärtlich
-lieb hatte und sie ganz verstand und achtete. Der Jüngere feierte hie
-und da dennoch immer wieder Orgien mit ihr und behauptete dann, sie sei
-doch die einzige von allen. Der Ältere brachte sie zum Chor der
-Operette. Es begann ihr sehr gut zu gehen. Aber immer wieder kam sie zu
-dem Jüngeren zurück ohne Grund, und zu dem Älteren sagte sie sanft:
-»Wissen Sie noch, wie Sie mir die Pfirsiche geschenkt haben?!« Später
-fuhr sie im eigenen Automobil. Sie vergaß ganz des Jüngeren. Aber so oft
-sie den Älteren erblickte, sagte sie sanft: »Servus, Pfirsich-Herr!«
-
-
-
-
- DIENSTE
-
-
-Man kann vielen Menschen riesige Dienste in den geringsten Kleinigkeiten
-leisten. Aber niemand tut es. Zum Beispiel einer Dame zu sagen: »Wenn
-Sie sich abends mit einem trockenen englischen Reibhandschuh,
-fleshglove, den ganzen Leib leicht rosig reiben lassen werden, ganz,
-ganz zart, ohne Reibeisengefühl, so werden sie gegen Zugluft vollständig
-immun werden!«
-
-Ich trat einst auf eine wunderbar schöne Frau zu und sagte zu ihr:
-»Gnädige Frau, ich könnte Ihnen einen wesentlichen Lebensdienst leisten,
-den Ihnen wahrscheinlich sonst niemand leisten würde —.« »Nun, worin
-besteht er?!« »Sie haben in Ihrem wunderbar modellierten Ohr einen
-schwarzen Mitesser, den ich auf die zarteste Weise mit einem geschickten
-Druck meiner zwei Finger entfernen könnte. Mancher Mann könnte daran
-enttäuscht werden, und es könnte Ihren edlen Lebensweg erschweren —.«
-
-Die Dame erbleichte, stand auf, ging mit mir hinaus. Ich entfernte ihr
-den schwarzen Mitesser aus dem rosigen Ohr.
-
-Dann sagte sie: »Sie, Herr, wie kommen Sie eigentlich zu solchen
-Unverschämtheiten?! Was gehen Sie denn meine Ohren an?!«
-
-»Nichts«, erwiderte ich und entfernte mich befriedigt.
-
-
-
-
- WIE ICH GESUNDET BIN
-
-
-Ich bin nämlich gar nicht gesundet, sondern aus dem Grabe, wie ein
-Gespenst meiner selbst auferstanden. Aber ich habe in Inzersdorf bei
-Wien einen schönen stillen Park gehabt mit Naturwiesen, einen
-allerbesten Direktor Emil Fries, einen Gentleman vom Kopf bis zu den
-Sohlen, seine edle französische Frau zu meiner idealen Gesellschaft,
-taktvoll und herzlich vom Kopf bis zu den Sohlen; Fräulein Herta, die in
-sich Gekehrte ... Und die Gouvernante der Kinder war eine edle
-Melancholikerin, die die Bürde des Lebens tragisch auf sich nahm. Der
-Park hatte eine Allee mit großen holzgeschnittenen Löwen, die Wappen
-trugen, und in den riesigen runden dunklen Gebüschen nisteten Vögel.
-
-In diesem Milieu, wo nichts mich marterte, lugte ich noch einmal aus dem
-Grabe heraus, so ein letzter Blick auf wahre Werte der arg verworrenen
-Menschheit.
-
-In einem dunklen Gartenparterrezimmer sitzen seit Jahren Graf C. und
-Herr von D. hart nebeneinander in alten Lederfauteuils, wortlos, ohne
-sich zu rühren, stunden- und stundenlang wie Wachsfiguren, bis jemand
-kommt und sie zu Bette legt. Nie, nie, nie sprechen sie einen Wunsch
-aus, rauchen nicht, langweilen sich nie, warten auf die Tage, die
-Monate, die Jahre, wie alte Bäume im Frieden der Natur.
-
-Ich bin nicht gesundet; meine Qualen haben sich ins Maßlose gesteigert,
-ich ringe um Tag und Stunde und um irgendeinen Lichtblick, wie es die
-englische Tänzerin Esther war, die am ersten Abend zu mir gesagt hat: »I
-have been in the whole world, but I have learned only one important
-thing: To hate the man! Was will er ewig von uns, während unsere Seelen
-noch kalt sind, und wir ihm doch schon unser Bestes, ja unser Liebstes,
-unser Tanzen spenden?!?« Esther, Esther, o Esther — Sie sagte: »Du, ich
-werde dich besuchen, aber nur wenn du ganz krank bist, ganz, und mit
-geschlossenen Augen daliegst, denn da brauchst du nicht mit mir zu
-sprechen.«
-
-Ich bin nicht gesundet und werde es nie, nie mehr wieder. Ich ringe mir
-noch irgendeinen Lichtblick ab, und dann adieu. —
-
-
-
-
- GOTTESGNADENTUM
-
-
-Gott, der in der Natur _geheimnisvoll_ thront, um Ideale abzuwarten, die
-sich endlich _realisieren_ sollen, will für alle, alle, alle,
-leidenschaftlichst ihre Entwicklung zu ihrer Vollkommenheit, zur
-Glückseligkeit, zu ihrem eigenen inneren und äußeren Frieden! Er
-überträgt daher vorerst den Herrschern diese zarte und schwierige
-Mission, solange das Volk noch _unmündig_ ist. Aber später fühlt es
-leider der Herrscher nicht, daß seine Milliarde von Schützlingen _aus
-eigener Kraft_ Gottes Wege zu wandeln bereits erstarkt sind! Wie wenn
-ein Achtzigjähriger noch immer von seinem fünfzigjährigen Sprößling
-sagte: »Karlchen hat sich verkühlt — er muß einige Tage das Bettchen
-hüten — — —«. So behandeln die Monarchen ihr geliebtes Volk, haben keine
-Ahnung, daß es _längst mündig_ geworden ist, sie selbst aber unterdessen
-_greisenhaft_.
-
-Gottes Gnade kann einem einzelnen verliehen sein, der für alle
-_zugleich_ sorgt; sie kann aber _später_ allen verliehen sein, die
-_einzeln für sich selbst sorgen_! Vom einzelnen und von der Gesamtheit
-jedoch kann Gottes Gnadentum in gleicher Weise mißbraucht werden! Es
-kann einer für alle das Glück verschaffen oder verhindern; es können
-alle es für sich selbst ebenso!
-
-Gottes Gnade strömt aus Gottes Geist, aus Gottes Herzen; und ein kleiner
-zarter Knabe kann sie ausüben, wenn er tausend Erwachsene vor einer
-Gefahr bewahrt, die sie selbst nicht ahnen in ihrer rastlosen
-Geschäftigkeit. Wenn der Herrscher die _wirkliche Gnade Gottes_
-repräsentiert in bezug auf ein ganzes Volk, so hat er das Recht, von
-seinem _Gottesgnadentum_ zu sprechen!
-
-In diesem Falle aber wird selbstverständlich das ganze Volk diese
-Repräsentation auch unbedingt bis in die innersten Nerven hinein spüren,
-und daher _aufjubeln_ und Dankgebete für ihn verrichten! Wenn das aber
-nicht geschieht, sondern _Murren_ und _bange Verzweiflung_ in den Landen
-losbrechen, dann ist es an der Zeit, für die Weisen der Nation, Einkehr
-zu halten, Ausschau, und dem _Bedenken_ ihre geistigen Tore weit zu
-öffnen!
-
-Es gibt kein Zurück, nach Gottes Ratschluß! Es gibt nur ein Vorwärts,
-Vorwärts, Vorwärts, in jeglicher Sphäre menschlicher Betätigungen! Wer
-das unternimmt, ein einzelner oder alle, steht unter Gottes Gnadentum!
-
-
-
-
- AN EINEN UNMODERNEN ARZT
-
-
-Werde gläubig! Gehe doch endlich von deinen eingewurzelten Prinzipien
-ab, die für niemanden passen als eventuell für dich selbst, und siehe,
-für dich sogar _vielleicht auch nicht_! Denn du sogar bist _besser_ als
-dein eigenes Wissen!
-
-Wolle neue, dir unbekannte, dir noch unverständliche Welten kennen
-lernen, öffne deine Augen und Ohren den neuen merkwürdigen Ereignissen!
-
-Was du selbst weißt und erfahren hast, ist alt, vermodernd und tot!
-
-Was andere dir bringen aus anderen Welten, kann dich erneuern!
-
-Schaue mit _ihren_ Augen, horche mit _ihren_ Ohren, fühle mit _ihren_
-Seelen, denke mit _ihrem_ Geiste!
-
-Wehe dir, wehe, wehe, der du deine eigene Welt den anderen
-_aufoktroyieren_ willst!
-
-Solches durfte nur der Heiland — — —. Denn er _wußte_ es, _wofür_ er
-sich kreuzigen ließ — — —.
-
-Aber du hast dich ewig zu _bescheiden_ und den Welten der _anderen_ zu
-lauschen, von denen du Töne vernehmen kannst, die dir bisher leider
-fremd waren!
-
-Nicht was du _bisher_ wußtest, kann dich bereichern, sondern das, was du
-bisher _nicht_ wußtest!
-
-Aus der Weltenwurzel ewig neuartige Säfte, Kräfte ziehen, heißt, ein
-feiner, nobler, kultivierter Mensch sein!
-
-Sein eigenes armseliges Weltchen den ungeheuren Komplikationen des
-Weltenalls _entgegenstemmen_ wollen, ist eine _feige Gemeinheit_!
-
-Ergib dich den neuen, dir noch unverständlichen Wundern, und erhoffe es
-dir, durch neue Erfahrungen _dich selbst endlich desavouieren zu
-dürfen_!
-
-
-
-
- ZYNISMUS
-
-
-Ein neunzehnjähriger Gymnasiast tötet eine Fünfzehnjährige mit fünf
-Revolverschüssen. Er verteidigt sich in keiner Weise. Was liegt also
-vor?!? Es liegt vor das unbewußte Bewußtsein aller Höllenqualen, die
-einem liebenden Manne noch Zeit seines verdammten Daseins bevorstehen
-und die eine dumme, verwöhnt werdende fünfzehnjährige Schöne den Männern
-bis zu ihrem 35. Lebensjahre unbedingtest allmählich noch bereiten wird!
-Rettung gibt es da nicht in diesem Höllenpfuhle. Die mörderische
-Schlacht ist vorzeitig, ist also rechtzeitig entbrannt, und muß zu Ende
-gekämpft werden, von dem _unbewußt voraussichtigen_ Desperado, mit fünf
-heimtückischen Todesschüssen, weil die 15jährige Geliebteste,
-Allergeliebteste, von einem Nachbar in »kindlicher Freude« fünf Rosen
-annahm, einen Don Juan von Kellner daran liebenswürdig-holder Weise
-riechen ließ, und dieselbe Gnade dem unglückselig Liebenden dann
-ironisch versagte! Seine Voraussicht kommender grauenvoller Leiden war
-seine _verbrecherische Genialität_! Das Fräulein beginnt bereits, ganz
-geheimnisvoll, sich zu fühlen als Beherrscherin und Zerstörerin dieser
-unglückseligen zarten Welt »männliche Zuneigung«, und der
-neunzehnjährige Rüpel weiß nicht anders die schreckliche Gefahr zu
-bannen, als indem er fünf tödliche Schüsse auf die Schuldig-Unschuldige
-abgibt! Die Frau, die zartfühlende, menschenfreundlich-adelige hat eine
-_Verpflichtung_ gegen an ihr erkrankte Männerseelen! Nicht gerade die
-Verpflichtung, endgültige Erlösungen ihnen zu spenden, jedesfalls aber
-nicht mutwillig in eiternden Wunden herumzustochern — — —. Es ist keine
-große Kunst und keine Lebensaufgabe, Männer irrsinnig und seelenkrank zu
-machen; aber ihnen wenigstens wie ein milder, menschenfreundlicher Arzt
-die äußersten und unnötigen Qualen zu ersparen, das wäre beginnendes,
-zartes, strahlendes, sich selbst vor allem belohnendes Menschentum!
-
-
-
-
- NACHTCAFÉ
-
-
-Was ist ein Nachtcafé?! Etwas Unverlogenes. Die Mädchen wollen leben und
-nicht Frondienste leisten, nicht Schaffel reiben und Nachttöpfe fremder
-Menschen reinigen, solange sie noch entzückende Leiber haben. Sie wollen
-sich andererseits betrinken, um zu vergessen, daß das alles nicht so
-weiter geht, in infinitum. Sie stehen vor stündlichen Gefahren, müssen
-sich berauschen an irgend etwas, um sich Mut zu machen für die Schlacht
-des Lebens! Niemand behandelt sie nach ihres jungen Herzens Wunsche!
-Infolgedessen rächen sie sich, wie sie es können, bald so, bald anders!
-Heimtückische, feige Marodeure sind nur die Männer! Eine, der ich in
-Briefen meine tiefste Sympathie, mein gerechtestes Verständnis bewiesen
-hatte, sagte dennoch: »Du mußt mir die zwanzig Kronen im vorhinein
-bezahlen — —! Wir haben es leider gelernt, selbst romantisch veranlagten
-Dichtern nicht mehr zu trauen — — —!«
-
-Die Damenkapelle ist eine Oase. Sie sind verheiratet, Bräute, oder sonst
-treu irgend jemandem. Sie haben ein konsolidierteres Schicksal. Sie
-haben irgend etwas gelernt, wodurch man sich weiterbringt. Sie haben
-sich der Lebensordnung eingefügt. Ob sie glücklicher sind, nicht andern
-Enttäuschungen, Gefahren ausgeliefert?!? Zwei Welten, hart aneinander,
-einander gleich in ihren schweren Kämpfen. Keine Damenkapelle ohne diese
-Hetären, keine Hetären ohne diese Damenkapelle! Nur die Männer sind das
-perfide Element. Sie möchten alle zusammen unglücklich machen, ihre ewig
-hungrigen Eitelkeiten mästen mit den unglückseligen Blicken verliebter
-Frauen! Damenkapelle oder Hetäre gilt ihnen gleich, ihre innere rohe
-Leere mit einem liebevollen dummen Frauenherzen auszufüllen — — —!
-Nachtcafé, du kleine miserable Welt, du Abbild der großen, noch viel
-miserableren!
-
-
-
-
- DIE NERVEN
-
-
-Ich hatte einen Freund, einen höchst intelligenten Menschen. Aber seine
-Nerven, oh, die waren gar nicht intelligent ...
-
-Eines Abends im Café sagte er zu mir: »Du, Peter, du könntest mir einen
-riesigen Freundschaftsdienst erweisen! Ich fühle mich heute wieder so
-greisenhaft, so ausgelöscht ... Bitte sage mir nach fünf Minuten, daß
-ich heute besonders frisch und jugendlich aussehe ...«
-
-Ich nahm die Uhr, legte sie auf den Tisch, und sagte nach fünf Minuten:
-»Du, sage mir, was ist heute los mit dir? So jugendlich frisch hast du
-wirklich schon lange nicht ausgesehen ...!«
-
-Er wurde ganz rot vor Freude, ganz begeistert, und erwiderte: »Wirklich?
-Das freut mich! Solche angenehme Sachen sagt einem halt niemand auf der
-Welt wie du!«
-
-
-
-
- BRITISCHE TÄNZERINNEN
-
-
-Im Wiener Moulin Rouge ist jetzt eine Truppe von acht jungen
-Engländerinnen, die angeblich nicht viel tanzen können. Das ist aber
-grundfalsch und eine echt dilettantische Auffassung. Die Art, wie eine
-Frau ihre Persönlichkeit in Bewegung, in Tanz wiedergibt, ist das
-Wertvolle an ihr und an ihrer Darbietung! Das allein! Das Schreckliche
-an unsern frühern Tänzerinnen war eben, daß die Schulung und die
-Künstlichkeit ihre persönliche Grazie, ihre individuelle Bewegungsart
-auslöschen, vernichten mußten! In der modernen Welt wird aber die
-Persönlichkeit frei, und man verzichtet gerne auf die sogenannte hohe
-Schule! Diese jungen acht Engländerinnen, die angeblich nicht viel
-können, wie die Tanzmeister an den Tanzschulen behaupten, diese jungen
-acht Engländerinnen repräsentieren in Art und Gebärde dennoch die
-keusche, kindliche, merkwürdige Anmut aller englischen Mädchen und
-Frauen, die von Natur aus und ganz von selbst mit unbeschreiblichem
-Geschmack und Takt begabt sind und niemals mehr vorstellen wollen im
-Leben, als ihnen von Natur und Schicksal beschieden ist! Sie bleiben
-kindlich-herzig unter allen Umständen, in jeder Situation, in jeder
-Lebenslage; sie akkomodieren sich nicht feigerweise, wünschen lieber zu
-langweilen, als mit übertriebener Lustigkeit aufzuwarten! Sie tanzen,
-wie Kinder im Volksgarten, im Stadtpark tanzen würden; oder im Hofe bei
-einem Werkel, oder sonstwo für sich allein — — —. Sie rühren, ergreifen,
-und ihre Tanznatürlichkeit besiegt die entsetzliche Tanzkunst, die sich
-eine jede fast in emsigem Bemühen erwerben kann! Möchten wir uns doch
-endlich, in jeder Hinsicht, von der schrecklichen historischen
-Überlieferung emanzipieren, dieser Arterienverkalkung der menschlichen
-Seele! Es gibt heutzutage bereits einige Tänzerinnen, die nur ihr
-eigenes Wesen in Bewegung umsetzen, ihre persönliche Grazie allein
-wirken lassen! Mögen sie bei den Tanzmeistern durchfallen, bei den
-Meistern des lebendigen Lebens werden sie reüssieren. Diese acht jungen
-Engländerinnen tanzen wie die allerherzigsten Kindchen, sie rühren und
-ergreifen, sie geben sogar eine Idee von Englands Frauen überhaupt!
-Seien wir ihnen vor allem dankbar, daß sie uns die manierierten,
-affektierten, berechnenden Frauen noch unausstehlicher machen durch den
-Kontrast!
-
-»Ich hole mir eine arme englische Tänzerin zur Frau«, sagte einmal ein
-genialer welterfahrener Mann zu mir.
-
-»Bravo,« erwiderte ich, »aber wissen Sie auch, weshalb Sie das tun?!?«
-
-»Es sind kindliche und dankbare Geschöpfe, die es einem nie vergessen,
-daß man sie errettet hat vor dem und jenem, was immerhin passieren
-könnte. Außerdem ist ihnen der sichere Ehrentitel »Missis so und so«
-wertvoller als die flüchtigen Triumphe, denen Enttäuschung auf dem Fuße
-folgt!«
-
-Ich glaube, die anständige, angeblich temperamentlose Engländerin macht
-das bessere Geschäft auf Erden, als die leichtsinnigen, lebensunkundigen
-andern. Anständigkeit ist Willenssache. Aber diesen Willen eben haben
-wollen, in allem und jedem, ist Kultur und Adel. Die Engländerin will
-eben anständig sein! Möge sie daher Frieden, Achtung und Sorglosigkeit
-einheimsen! Man gönne es ihr ...
-
-
-
-
- DER TRATTNERHOF
-
-
-Also dieser aristokratisch-einfache, zweckmäßig gegliederte alte Bau
-soll nun auch verschwinden!
-
-Statt dessen werden schreckliche Unnötigkeiten erstehen, Türmchen mit
-Kupferplatten versehen, oder eiserne schwarze, oder vergoldete; riesige
-Emailplatten in allen Farben; kleine Balkone, auf die niemand
-hinaustreten kann, mit Geländern wie irrsinnig gewordene Schlänglein!
-Ein Tohuwabohu von Unzulänglichkeiten! Ein architektonischer Hexensabbat
-alles Unnötigen, Unzweckmäßigen, blöd Verschwendeten auf Erden! In
-unseren geliebten Spielereischachteln einstens waren Häuser mit glatten
-edlen Wänden, breiten Fenstern, hohen Dächern, großen Haustoren. Da
-konnten wir uns weite, stille, abgeschiedene Zimmer hineindenken, in
-denen man ein Refugium fand vor den Stürmen des äußeren Lebens! Aber
-heutzutage ist man ehrlich; an der Schnickschnackfassade sollst du es
-nämlich sogleich zu spüren bekommen, daß du auch in deinem eigenen, von
-dir selbst bezahlten Zimmer, keinerlei klösterlichen Frieden, Ruhe,
-Sicherheit, Vereinsamung, Abgeschlossenheit mehr finden könntest — — —!
-Die Menschen suchen Ornamente, Verschnörkelungen, _Zieraten_ (ein
-ekelerregendes Wort), weil sie zu ihren eigenen, in sie von Gott
-gelegten _Paradieseseinfachheiten_ noch nicht vorgedrungen sind!
-
-Der alte, einfache, edle Trattnerhof hat durch Jahrzehnte niemanden
-gestört, belästigt. Ich sehe nun schon alle Künsteleien ihre
-schändlichen Orgien feiern. Häuser werden zum Bewohntwerden errichtet,
-meine Herren Architekten; architektonische Knockabouts gehören in den
-Wurstelprater!
-
-
-
-
- ARTISTISCHE RUNDSCHAU, WIEN
-
-
-_Djellah_. Über diese Künstlerin wollen wir einem berufenen Fachmann und
-zwar dem Altmeister _Peter Altenberg_ das Wort lassen, welcher folgendes
-schreibt:
-
-Es ist sehr schwer für mich, über den »Clou« des Etablissements
-»Tabarin« zu schreiben. Denn es ist geradeso, wie wenn man sein eigenes
-Kindchen zu loben hätte öffentlich. Und stets betrachtete ich diesen
-speziellen Typus von adeliger, schlankster brauner Frauenschönheit als
-meine geliebten vergötterten Kindchen. Ich meine in diesem Falle die
-malayische Tänzerin Djellah. Nicht was sie kann, was sie ist, ist ihr
-Besonderes! Ihr Sein, die Form ihrer Glieder, der Ausdruck ihrer Augen,
-die Modellierung von Stirn und Nase, die Farbe ihrer Haut, die Zartheit
-ihres Wesens ist ihr Besonderes. Man würde sie ebenso verehren, wenn sie
-langsam durch Lianenwälder schritte, oder in einem kleinen Rindenboote
-säße, oder in einem Dorfe vor einer niederen Hütte kauerte — — — Sie
-repräsentiert eine _andere_ Welt, eine schlanke, biegsame braune Welt,
-erfüllt mit natürlicher Anmut und sanfter Bewegungsfreudigkeit. Die
-unbeschreibliche Schönheit ihrer gelbbraunen Beine zu schildern, wäre
-geschmacklos. Vor Idealen verstummt man, falls man nicht ein ganzes
-Feuilleton darüber zu schreiben den ehrenden Auftrag erhalten hätte. Da
-freilich muß man loslegen, coute que coute. Djellah ist in der Richtung
-der herrlichen Ruth St. Denis; nur leidenschaftsloser, weniger
-prunkvoll, selbstverständlich, ohne Cobragiftdekoration. Um so edler und
-wertvoller. Bei uns kümmert man sich leider noch immer viel zu viel um
-das »Können« von Menschen, als ausschließlich um ihr »Sein«. Das
-Erlernbare ist »erlernbar«, aber vor dem »Unerlernbaren«, in jeglicher
-Richtung, da müssen wir »Habt Acht« stehen und ehrfurchtsvoll
-salutieren. Heil Djellah — — —! Können, erlernen, ist gar nichts; aber
-es von Schicksals Gnaden mitbekommen haben, Glieder, Hände, Füße,
-Gelenke, Teint usw. usw., das ist das wirklich Besondere auf
-Erden — — —! Da beginnt nämlich die _physiologische Aristokratie_!
-
-
-
-
- PARFÜM
-
-
-Als Kind fand ich in dem Schreibtisch meiner geliebten wunderbar schönen
-Mama, der aus Mahagoni war und geschliffenem Glase, in einer Lade einen
-leeren Flacon, der aber noch immer intensiv nach einem bestimmten, mir
-unbekannten Parfüm duftete.
-
-Oft schlich ich mich hin und roch dann.
-
-Ich verband dieses Parfüm mit aller Liebe, Zärtlichkeit, Freundschaft,
-Sehnsucht, Traurigkeit, die es überhaupt gibt.
-
-Aber alles bezog sich auf meine Mama. Später überfiel uns das Schicksal
-wie eine unvorhergesehene Hunnenhorde und bereitete uns allenthalben
-schwere Niederlagen.
-
-Und eines Tages zog ich denn von Parfümeriehandlung zu
-Parfümeriehandlung, um in kleinen Probefläschchen vielleicht das Parfüm
-zu entdecken aus der Mahagonischreibtischlade meiner geliebten
-verstorbenen Mama. Und endlich, endlich entdeckte ich es: Peau
-d’Espagne, Pinaud, Paris.
-
-Da gedachte ich der Zeiten, da Mama das einzige weibliche Wesen war, das
-mir Freude und Schmerz, Sehnsucht und Verzweiflung bereiten konnte, das
-mir immer, immer wieder aber alles verzieh, und das um mich sich sorgte,
-und vielleicht sogar insgeheim abends vor dem Einschlafen für mein
-künftiges Glück gebetet hatte ...
-
-Viele junge Damen sandten mir in kindlich-süßen Begeisterungen später
-ihre Lieblingsparfüme, dankten mir herzlichst für ein von mir erfundenes
-Rezept, jedes Parfüm nämlich unmittelbar nach dem Bade direkt auf die
-nackte Haut des ganzen Leibes einzureiben, so daß es wie echte eigene
-Hautausdünstung wirke! Aber alle diese Parfüme waren wie die Gerüche von
-wunderschönen, aber eher giftigen exotischen Blumen. Nur Essence Peau
-d’Espagne, Pinaud, Paris, brachte mir melancholischen Frieden, obzwar
-meine Mama nicht mehr vorhanden war und mir nichts mehr verzeihen konnte
-von meinen Sünden!
-
-
-
-
- ÜBERS SCHREIBEN
-
-
-Ich bin durch einen Brief meines wirklichen Freundes und
-freundschaftlichsten (er schreibt unerhört flink auf einer allerbesten
-Schreibmaschine) Fr. W. erst zur Erkenntnis gekommen, zur plötzlichen
-einbrechenden einfachsten Erkenntnis, daß _gut_ Briefe schreiben nur
-bedeuten könne, _so_ zu schreiben, als _höre_ der Briefempfänger während
-des Lesens unmittelbar den neben ihm sitzenden Schreiber des Briefes
-laut und eindringlich mit ihm _sprechen_! Diesen Unterschied des
-_schweigend_ Schreibenden und des _tönend_ Sprechenden ausgleichen
-können, vollständig, in einem Briefe, heißt Brief _schreiben können_!
-Alles andere ist literarischer Mumpitz mit Lorbeeren gekrönt à la
-Schweinskopf. Temperament, Ungezogenheiten, Eigenheiten, Frechheiten,
-Dummheiten, alles muß _herausgellen_, gellen, gellen; sonst ist
-es eine gemachte, verlogene und daher _ennuyante_ Sache!
-Briefmomentphotographie!
-
-Zu mir kam einmal einer meiner Freunde, der Uhrmacher Josef T. Er hatte
-seine wunderbare 23jährige Geliebte zu Grabe geleitet.
-
-»Peter, Sie kennen mich, helfen S’ mir! Eine Grabschrift von Ihnen für
-meinen marmornen Gedenkstein! Wann darf ich hoffen, daß Ihnen was
-Passendes einfallen dürfte?!?«
-
-»_Sofort_,« erwiderte ich mitten auf der Straße, »oder _nie_!«
-
-Er riß sein Notizbuch heraus.
-
-Ich schrieb:
-
- »Ich war der Uhrmacher Josef T.,
- Und dann war ich im Paradiese durch Dich — — —.
- Und jetzt bin ich wieder der Uhrmacher
- Josef T. — — —.«
-
-So rasch, so prompt muß man seine Menschlichkeiten ausschütten; denn
-später wird es eine fade Sauce! Daher die vielen faden Saucen — — —.
-
-
-
-
- ANGSTSCHREI
-
-
-Es gibt nur einen einzigen, einen allereinzigsten Beweis einer Frau,
-ihrer echten, menschlichen, aufrichtigen, anständigen Beziehung zu uns:
-das ist, uns mit Absicht und heiligem Willen jegliche Eifersuchtsqual zu
-ersparen, ja sie in jedem Augenblick einfach unmöglich zu machen! Dieser
-gütige Wille allein beweist uns ihre wirkliche Zusammengehörigkeit mit
-uns! Diesen gütigen Willen kann sie sich zulegen! Sonst bekommt unser
-Edelgehirn den Verfolgungswahn, gleich diesem adeligsten Gehirn
-Strindbergs!
-
-Eine geliebte Frau muß uns schützen wollen zu jeglicher Stunde, da wir
-einmal in bezug auf ihren geliebten, vergötterten Leib in einer Art von
-mysteriöser Hypnose uns befinden! Diese unsre schreckliche, durch sie
-allein erzeugte Krankheit muß sie behandeln wie ein Arzt einen
-unglückseligen schwer Erkrankten, der seiner Obhut sich gläubig
-überläßt! Wehe, wenn sie diesen ohnedies schwer Leidenden auch noch
-absichtlich schwächen wollte, statt ihm Heilung zu bringen, da es doch
-nur von ihrem edlen anständigen Willen abhängt, es zu erreichen!
-
-Diese Heimtücke, uns absichtlich unglückselig zu machen, ist die
-Schlange in ihr. Denn jede anständige Persönlichkeit hat den natürlichen
-Wunsch, ihren armen Nebenmenschen zu helfen und zu dienen, soweit es
-nämlich möglich ist! Die Zerstörungselemente sind eine gottlose infame
-Gemeinheit, die nur in teuflischen Organisationen liegt. Jede andre
-sucht zu schützen und zu helfen, soweit es möglich ist!
-
-Eifersucht ist eine schwere Erkrankung des Gehirns, die von jeder
-menschenfreundlich gesinnten Frau gebannt, geheilt werden kann. Wenn sie
-es absichtlich unterläßt, so ist sie eine Teufeline, eine, die sich an
-der Zerstörung unsrer heiligen Lebenskräfte weidet, weil sie nur Böses
-überhaupt leisten kann und Zerstörendes, nicht aber Leben, Freudiges und
-Gedeihendes!
-
-Mögen die wertvollen, kultivierten Männer ein wenig genauer zusehen,
-wodurch ihnen der größte Teil ihrer wertvollsten Lebensenergien
-eigentlich vollkommen grundlos täglich geraubt und vernichtet wird, und
-mögen sie endlich anfangen, sich ernstlich zu schützen vor dieser
-tiefsten Gefahr: Ungezogenes, eitles, freches und sich überhebendes
-Weib! Teufeline statt Schutzengel!
-
-
-
-
- JULI-SONNTAG
-
-
-Fünf Uhr morgens. Alles ist gebadet in gelbem Sonnenlicht. Noch ist es
-frisch und kühl. Viele Touristen erheben sich aus dem Schlaf,
-unausgeschlafen, der Sonne entgegen. Leicht wird es ihnen, mit kaltem
-Wasser das Schlafbedürfnis zu bannen. Noch ist es kühl, und man
-schreitet dem heißen Tag entgegen, wie in die heiße Schlacht!
-
-Viel zu wenig bieten der Tag und die Stunde den meisten. Und auch das
-genügsamste Herz lechzt nach Außergewöhnlichem. Da kommt der
-Juli-Sonntag in grellem gelbem Licht! Juli-Sonntag, du sollst es
-bringen!
-
-Überallhin echappiert die unzufriedene Menschheit. Müde gelaufen fällt
-sie dann zurück in die Pflicht! Montag, wie wärest du sauer, wärest du
-nicht die Quelle und Ursache sonntäglich kommenden süßen Glücks!
-Sonntags siehst du die Müden in Wiesen und Wäldern gelagert, rein
-gebadet vom Schmutz der vergangenen Woche, kommender Woche gefaßter
-entgegenharrend.
-
-
-
-
- DER JAGDHERR
-
-
-»Herr Baron, weshalb sehen Sie heute so gedrückt und verstimmt aus?!
-Wenn _Sie_ nicht froh und sorglos aussehen sollten, wer könnte es dann
-noch überhaupt?!?«
-
-»Sie scheinen es nicht zu wissen, daß jetzt der Herbst ist und die
-›Hirschbrunft‹ anfängt. Nein, wie mir mein Oberförster gemeldet hat, daß
-die Hirsche bereits ›röhren‹, da begann meine Verzweiflung. Ich hörte
-schon die stundenlangen, endlosen Gespräche meiner geehrten Jagdgäste
-darüber, weshalb und aus welchen komplizierten Gründen sie den
-Vierzehnender nicht _getötet_ haben. Ich sage zu meinen Jagdgästen immer
-absichtlich ›getötet‹, denn da giften sie sich am meisten; denn
-eigentlich müßte man sagen —, aber das stupide technische Wort kann ich
-mir, oder will ich mir vor allem, nicht merken. Meine Gäste wären so
-nette Menschen, wenn sie nicht jagen würden! Ich verstehe absolut nicht,
-weshalb ein Hirsch, der vierzehn Enden hat, interessanter sein sollte
-als einer, der überhaupt kein Ende hat. Jedenfalls, so viel Enden kann
-kein Hirsch haben, daß er für mich an Interesse gewänne! Ich esse nicht
-einmal sein Fleisch, da es schwarz, saftlos und meistens zäh ist. Einmal
-sagte mir ein Weiser:
-
-›Wissen Sie, Herr Baron, weshalb ich so gern Hirschbraten esse?!?‹
-
-›Nein,‹ erwiderte ich, ›das kann ich mir gar nicht denken — — —.‹
-
-›Wegen der Sauce Cumberland, die so gut dazu paßt, aus
-Hetschepetschfrüchten, Rosenfrucht, bereitet!‹
-
-›Aber, lieber Freund, da essen Sie doch die Hetschepetschsauce für sich
-alleine!?‹
-
-›Ja, Herr Baron, wenn man _das_ könnte; aber das _kann_ man nicht — — —!
-Sie gehört zum Hirschbraten‹.
-
-Ein Jagdgut ist sehr angenehm natürlich, aber nur wegen der Mühlen,
-Kalkbrennereien und so weiter, die dazu gehören. Die vielen Hirsche
-stören mich, sie lenken mich ab von einer anständigen, fruchtbringenden
-und sinnvollen Tätigkeit. Besonders die Vierzehnender hasse ich; über
-die wird nämlich am meisten und wichtigsten Blödsinn geredet. Am
-tragischsten aber ist es für mich, wenn dieses Tier nicht getötet,
-sondern nur angeschossen wird. Da erreicht die Aufregung meiner
-Jagdgäste den Höhepunkt. Man glaubt jedesmal, sie hätten die Schlacht
-von Sedan verloren oder wären plötzlich entthront worden. ›Man wird es
-schon finden, das arme Tier,‹ sage ich da jedesmal, um sie zu giften.
-›Es wird in einem Gebüsch _gestorben_ sein, etsch!‹ Beim Wort
-›gestorben‹ möchten sie mich alle ohrfeigen — — —.
-
-Aber lieber ist es mir, das arme Vieh werde sogleich ins Herz
-geschossen, damit es die Leiden erspare und ich meine Ruhe haben könne
-beim Souper. Nun werden Sie mich natürlich fragen, weshalb ich überhaupt
-eine Jagd habe und Jagdgäste dazu einlade. Da kann ich Ihnen nur mit dem
-_mysteriös-philosophischen_ Satze, den noch _kein Kultivierter_ je
-ergründet hat, antworten: ›Mein lieber Herr, das verstehen Sie nicht,
-_es gehört einmal dazu_!‹«
-
-Der Baron schwieg; dann sagte er:
-
-»Einer meiner geehrten Herren Hirschgeweihjagdgäste lud mich aus
-Dankbarkeit wieder zu seiner ›Wildschweinjagd‹ ein. Ich war gezwungen,
-irgendwo auf einem Balkon, der mit Reisig eingefriedet war, auf das
-gutmütige und häßliche Vieh zu warten. Endlich erschien es und knabberte
-schnauzend an einem Hügelchen von Kukuruz, das als Lockspeise eigens
-listig errichtet war. Da schoß ich es, pumps, ins Herz, und bekam als
-Trophäe die Stoßzähne, die ich in den Abort warf — — —.«
-
-
-
-
- EPISODE
-
-
-Zwei elegante junge Leute stellen sich verlegen vor:
-
-»Wir sind seit langem begeisterte Verehrer Ihrer Dichtungen und bitten
-Sie um die Ehre, an unserm Tische mit uns Champagner zu trinken — — —.«
-
-»Meine Herren, ich bin sehr, sehr krank, und bitte Sie daher, mir vorher
-alle Garantien zu bieten, daß man sich in vollster Korrektheit benehmen
-werde!«
-
-»Aber Herr Altenberg, würden wir sonst um die Ehre Ihrer Gesellschaft zu
-bitten überhaupt wagen?!?«
-
-Zwei Stunden später: »Sie, Peterl, mir san ganz gewöhnliche naive
-Menschenkinder, aber Sie haben doch das Raffinement, Sie verstehen doch
-diese Sachen aus dem ff. Sie, bitt’ Sie, mir beide fliegen so kolossal
-auf dös Menscherl dort am dritten Tisch. Gehn’s, kobern’s es uns zu —
-spielen Sie den Vermittler!«
-
-Ich stand auf, sagte: »Meine Herren, Sie vergessen Ihre zugesagten
-Garantien! Ich muß Sie ernstlich daran erinnern — — —.«
-
-»Was Garantien — wir wollen uns für unser Geld amüsieren.«
-
-Darauf stand ich brüsk auf, ging zu der Dame hin und brachte sie an den
-Tisch. Eine Pause entstand beklommener Verlegenheit. Dann sagte ich:
-»Sie haben nun für Ihr Geld Ihr Vergnügen! Apropos, es gebühren mir aber
-noch für die Vermittlung zwei Flaschen Schampus! Also her damit! Ich
-werde sie aber _allein_ an einem anderen Tische trinken!«
-
-
-
-
- JOSEF KAINZ
-
-
- Habt ihr Wasser über Felsen donnern, krachen gehört?!
- Hagel aufschlagen in taubeneigroßen Körnern?!
- Wolkenbrüche auf Dächern niedersausen?!
- Sturmwind durch Wälder fegen?!
- Felder gemäht werden vom Winde?!
- Seewellen an Land hingepeitscht werden?!
- Und die Geräusche aller übrigen entfesselten Naturkräfte?!?
- Seht, so, so war Josef Kainzens Stimme!!!
- So ähnlich muß Gottes Stimme getönt haben,
- Als er bei Erschaffung der Welt befahl:
- »So und so will ich es!!!«
-
-
-
-
- BETTLERFRECHHEIT
-
-
-Es ist doch selbstverständlich, daß ein Bettler, der in einem
-palastartigen Zinshause im ersten Stocke schüchtern-bescheiden anklopft
-oder vielmehr auf den elektrischen Knopf kurz drückt und in äußerster
-Zerknirschung um ein Stückchen Brot bittet, es erwartet, daß man ihm ein
-Beefsteak mit Spiegelei und extra eine Krone bar hinausreiche.
-
-Sollte aber jemand naiverweise den Wunsch nach einem Stückchen Brot à la
-lettre erfüllen, so darf er sich über die vollständig korrekte Antwort
-nicht wundern: »Dös können’s selber fressen!«
-
-Daher zeugt die Art, ohne demütig zerknirscht anzuklopfen, sondern ernst
-und in gerader Haltung 1000 Kronen _geborgt_ zu verlangen, von tieferer
-Menschenkenntnis; denn hier klammert sich das Opfer der »ungerecht
-verteilten Lebensgüter im Dasein« wenigstens an diese letzte Hoffnung:
-»Er wird zurückzahlen, falls er kann — — —.« Nein, Esel, falls er will!
-Aber er will nie, nie, nie. Denn wenn er die Kraft mitbekommen hätte von
-seines Gehirnes Gnaden, zurückzuzahlen, so hätte er auch vor allem die
-Kraft mitbekommen, so sparsam zu leben, daß er nie in eine so
-verzwickte, also bereits der _Unanständigkeit_ und dem _Betruge_ nahe
-Lage gebracht worden wäre!
-
-
-
-
- VON MEINEM KRANKENLAGER AUS
-
-
-Ich lese so viel wertlose Bücher annonciert, besonders die, deren
-Illustrationen ebenso unverständlich blöd wie die »Sand in die Augen
-streuenden« pathologisch-aufgeblasenen Texte dazu sind. Ich gelte selbst
-als unverständlich und verworren. Das ist aber ein großer Irrtum. Ich
-bin nämlich ganz einfach zu verstehen für Leute, die eine _Seele_ haben
-und sogenannte »_Hyperästhesien_«, wie wir Griechen uns auszudrücken
-belieben, damit das _Volk_ uns nicht sogleich verstehe. Auf Deutsch
-heißt es: _Überempfindlichkeiten_. Und daran krankt oder, wie tiefer
-Denkende es auffassen, daran _gesundet_ allmählich unser, bisher ein
-bißchen zu brutales Zeitalter. Aber, um auf das Thema dieses Aufsatzes
-zu kommen, dessen Einleitung bisher ziemlich verschroben und unnötig
-gewesen ist — — —, ich fühle mich eben in diesen verworrenen
-Zeitläuften, wo schlecht von gut deshalb schwer zu unterscheiden ist,
-weil so viele talentlose Idioten die Konjunktur »Richard Wagner war auch
-einst verkannt und mißverstanden« frecher- und tölpelhafterweise
-ausnützen, ich fühle mich eben in diesen verworrenen Zeitläuften
-verpflichtet, ein unbeschreiblich einfaches, Kindern verständliches,
-herrliches, rührendes Buch öffentlich zu erwähnen: Philippe Monnier:
-Blaise, der Gymnasiast, übersetzt von Dr. Rudolf Engl und Marie
-Döderlein, Verlag Albert Langen. Ich glaube, viele unserer
-Literatursnobs werden sich schämen, wenn sie die Wirkung dieses unerhört
-einfachen Buches verspüren werden in ihren, zu gordischen Knötchen
-verschlungenen Gehirnchen! Es ist keine sonderliche Kunst, sich, indem
-man andere, Contemporains, bewundert, den Erfolg eines adelig denkenden
-Unabhängigen, Vorurteilslosen zu ergattern! Aber solche _Manöver_ wird
-man dem todeskranken, bereits in lichteren Sphären befindlichen Autor
-der ausgezeichneten Bücher »Wie ich es sehe« und »Was der Tag mir
-zuträgt« keineswegs zumuten können. Blaise, der Gymnasiast, versetzt
-feinfühlige Menschen in alle poetisch-romantisch-alltäglichen
-Vorkommnisse ihrer Jugend, deren Erlebnisse niemand _vor_ dem 40.
-Lebensjahr zu genießen oder literarisch zu verwerten weiß! Jugendzeit,
-du goldene Zeit — — —, aber mit welchen _tiefen Niaiserien_ ist sie in
-diesem Buche vorgeführt! Man erholt sich von sogenannten talmimodernen
-Malern, Dichtern, Bildhauern und Frauen. Wenn ich einfach sein _will_,
-so muß ich es vor allem auch wirklich sein _können_. Nicht ein jeder
-darf nämlich als »_härener Pilger_« uns belästigen! Etsch!
-
-
-
-
- KRANKHEIT
-
-
-Wenn sogenannte Freunde einen Schwerkranken besuchen, haben sie
-ausschließlich die Absicht, alles schön zu färben. Niemals hat er
-blühender ausgesehen, ja direkt verjüngt. Man möchte es nicht glauben,
-in dieser kurzen Zeit! Die Hoffnung, mit dem billigsten, was es auf
-Erden gibt, dem schönen liebenswürdigen Wort, sich aus der Affäre zu
-ziehen, ist größer als der Zwang der Anständigkeit, den die schlichte
-Wahrheit erfordert. Man findet sein Zimmer ganz einfach süperb, viel
-gemütlicher als sein einstiges Heim, obzwar man genau weiß, daß er mit
-allen Fasern seines Herzens an jedem Winkel seines geliebten
-Heimatzimmerchens hing. Man vermeidet es geschickt, zu fragen, wer denn
-alles bezahle, und fragt diskret an, ob die drei Kronen, die man einmal
-rekommandiert geschickt habe, auch wirklich angekommen seien. Bei
-bejahender Antwort verklärt sich das Antlitz des Spenders, und er sagt:
-»No, siehst du, Peter, wie man dich nicht verläßt in deinen schweren
-Zeiten!?«
-
-Der Kranke wird plötzlich zu einem Verfemten, mit dem man geschickt
-lavieren muß. Den Gesunden konnte man auf verschiedene und eigentümliche
-Art ausnützen und verwerten: War er gescheiter, so konnte man seine
-eigene Stupidität hinter ihm bequem verbergen; war er liebenswürdiger,
-so konnte man die eigene Roheit durch ihn geschickt kaschieren. Aber der
-Kranke ist zu nichts Rechtem mehr zu gebrauchen. Ihn den Würmern noch
-für längere Zeit vorzuenthalten, ist scheinbar eine schlechte
-Spekulation; aber ein gewisses Schamgefühl verhindert sie dennoch, den
-Unterschied zwischen der Beziehung zu dem Gesunden und zu dem
-Schwerkranken allzu augenfällig zu machen. Außerdem könnte es ja doch
-unter der Million von Idioten einen geben, der die ganzen Manöver
-durchschaute.
-
-Man liebte den Gesunden selbstverständlich ebensowenig wie den Kranken,
-aber man hatte damals wenigstens keine Gelegenheit, ihn als eine direkte
-Last zu empfinden, und infolgedessen hielt man die natürlichen
-Grausamkeiten ihm gegenüber in gewissen Schranken der sogenannten
-Wohlerzogenheit. Trotzdem gönnte ihm niemand Zeit seines Lebens Freude
-und Glück, und wenn er es sich trotzdem errang, so geschah es unter
-merkwürdig schwierigen, belastenden Umständen, die aus dem Neid der
-sogenannten besten Freunde entsprangen. Dem Gesunden gönnte man nicht
-eine Stunde lang seine Kraft, zu leben, begeistert zu sein, zu lieben
-und aufwärts zu kommen, und erst der Schwerkranke befreit die Freunde
-von der stündlichen Gefahr, daß er ihnen über den Kopf wachse. Wenn die
-Erfahrungen, die der Kranke macht, dem Gesunden zugute gekommen wären,
-wäre er fast ein Genie geworden an Lebenskunst; so aber wurde er das
-selbstverständliche Opfer der heimtückischen Lüge des Lebens.
-
-Oscar Wilde starb, wie keiner von der Million der Enterbten je
-dahingestorben ist; aber viele Jahre nach seinem Tode setzte ihm eine
-Pariser Dame einen Grabstein, der vierzigtausend Franken kostete. Könnte
-der Tote seine geniale Hand emporrecken, so würde er die wertlosen
-steinernen und bronzenen Dekorationen zertrümmern, die eine Gans seinen
-vermoderten wertlosen Gebeinen gesetzt hat. Gebt dem Lebendigen die
-Kraft, alle Genialitäten seines Hirns, seines Herzens für euch
-Stumpfsinnige, Keuchende, Kriechende zu verwerten und ausleben zu
-lassen, und überlasset die Sorge um die sechs Rappen, die den
-Leichenwagen des zu Tode Gemarterten ziehen werden, der Entreprise des
-pompes funèbres!
-
-
-
-
- AN EINE ELFJÄHRIGE (†)
-
-
-Hilde, Elfjährige, ich wußte nichts bis dahin über dich — — —.
-
-Nun aber habe ich deine Stimme vernommen, deine wunderbar klare tönende
-Stimme,
-
-wie Seelenglocken so hinaustönend in die dumpfe stumpfe Welt!
-
-Und diese Stimme wird alles viel deutlicher, viel tiefer, viel
-erhabener, viel verzweifelter einst sprechen, was das Leben des Tages
-und der Stunde uns zu sagen zwingt!
-
-Wie wird diese Stimme einst sagen: »Bleibe bei mir!?«
-
-Wie wird sie es sagen: »Du liebst mich nicht mehr!?« Und: »Adieu,
-adieu — — —.«!?
-
-Diese Stimme ist so klar und rein wie Gottes Träume über das Leben der
-Menschen!
-
-Aber das Leben der Menschen selbst ist unklar und schmutzig-trübe! Diese
-Stimme wird hineintönen wie eine Seelenglocke, ernst, erhaben,
-liebevoll, feierlich, rührend, in das dumpfe Gebrause der Menschheit,
-sie wird verklingen, übertönt werden und ausgelöscht — — —. Sie wird
-ihren tönenden Glockenklang verlieren und dumpf werden wie die Umwelt
-— — —.
-
-Aber ein alter Dichter auf dem Sterbebett hat sie noch vernommen und
-nimmt den Klang mit aus einer dumpfen stumpfen Welt, tief gerührt und
-ergriffen — — —.
-
-Stimme der elfjährigen Hilde, klare tönende Seelenglocke, läute, töne,
-solange, solange es irgendwie geht — — —.
-
-Und wenn sie dumpf wird im Brausen des Lebensgetriebes, dann gedenke,
-Hilde, des unglückseligen Dichters, der noch die Seelenglocke deines
-edlen elfjährigen Herzens im Ohre mit hinübernahm — —.
-
-
-
-
- KRANKENBESUCH
-
-
-Die Freunde wollten dem todkranken Dichter eine nach ihrer Ansicht ganz
-exzeptionelle vollkommene Schönheit, eine Künstlerin aus München,
-vorführen. Sie nahmen daher ein Auto und fuhren hinaus zu ihm in das
-Sanatorium.
-
-Die Dame war ganz einfach angekleidet, ganz in Schwarz. Sie hatte
-ungefähr die Gestalt der Kaiserin Elisabeth, ein bleiches Gesicht,
-aschblonde, fast hellgraue Haare.
-
-Die freiwillige Pflegerin des Dichters begrüßte vor der Zimmertür die
-Ankommenden und warf einen flüchtigen, merkwürdigen Blick auf das
-unbeschreiblich schöne Perlenkollier an dem nackten Hals der fremden
-jungen Dame.
-
-Darauf sagte einer der Freunde des Dichters: »Sie, Fräulein, der Dichter
-befindet sich immer in schweren ökonomischen Krisen. Wenn er dies
-herrliche Kollier an Ihnen sieht, wird es ihn bei seinen sowieso
-zerrütteten Nerven aufregen, daß es Künstler gibt, die anders bezahlt
-werden als er.«
-
-»Oh,« sagte sie, »glauben Sie wirklich, daß ihn das aufregen wird? Dann
-will ich es ablegen.« Sie nestelte an der Goldschließe, nahm das Kollier
-in die hohle rechte Hand — — —.
-
-»Sie sind eine liebe, feine Person!« sagte einer der Freunde. »So etwas
-Takt- und Geschmackvolles, diesen halb irrsinnigen Dichter so zu
-schonen! Ich muß wirklich sagen, ich könnte Ihnen die Hand dafür
-küssen.«
-
-Die Dame trat als erste ruhig in das Krankenzimmer an das Bett des
-Dichters, nannte ihren Namen, gab ihm ihre wunderschöne rechte Hand und
-ließ ihm das darin befindliche Perlenkollier in der seinen.
-
-Beim Abschied sagten die Freunde: »Jetzt ist keine Gefahr mehr. Jetzt
-können Sie Ihr herrliches Perlenkollier schon wieder anlegen.«
-
-»Ich will es lieber in der Tasche behalten«, erwiderte ruhig die
-Dame — — —.
-
-
-
-
- NOTIZ
-
-
-Die Polizei hat die Vorführung einer Reihe von Filmen in den
-Kinematographentheatern, diesen modernsten, theoretisch wenigstens
-_einzig möglichen_ Bildungsstätten für das Volk, verboten, weil sie
-Tiermißhandlungen (Ausreißen der Straußenfedern auf Farmen, Stopfen,
-Mästen der Gänse in Pistyan usw. usw.) _selbstverständlich_ in derselben
-schamlos krassen Art zur Darstellung gebracht haben, in der sie aber
-_tatsächlich_ ausgeübt werden. Die _Entrüstungsrufe_ des Publikums
-sollen zu dieser polizeilichen Verordnung den Anstoß gegeben haben. Die
-Menschen sollen es also _nicht_ erfahren, welche _Schändlichkeiten_ aus
-Erwerbszwecken begangen werden. Das erinnert allzu sehr an die alte
-Anekdote, in der ein Millionär seinen Kammerdienern befahl: »Werft’s mir
-diesen alten unglücklichen Hausierer hinaus, er zerbrecht mir das Herz!«
-
-Nur ein _unerbittlicher Einblick_ in das Unglück, das so viele Wesen
-schuldlos trifft, kann die stumpfen, trägen Herzen der Menschen
-_aufrütteln_, zu Verbesserungen und wahrhaftiger Menschlichkeit! Ich
-füge ein Erlebnis hinzu, das zwar nicht daher paßt, aber immerhin einen
-Einblick gewährt in die in Vertiertheiten schlummernde Seele der
-heutigen Menschen. Einer meiner Bekannten, ein fanatisches Mitglied des
-Tierschutzvereines, stellte einmal einen brutalen Kutscher zur Rede, und
-als dies nur nachteilige Folgen für die armen Pferde hatte, machte er
-die Anzeige gegen den Kutscher. Vor der Verhandlung sagte der edle
-Rechtsanwalt Dr. Kr. meines Bekannten zu ihm: »Sagen Sie nicht allzu
-schroff ungünstig gegen den Kutscher aus, und verlangen Sie besonders
-nicht seine Bestrafung, weil er drohend gegen Sie den Peitschenstiel
-erhob. Es geht nur _an den armen Pferden aus_! ›Wart’s, Ludern, dös
-sollt’s mir büßen‹ — — —!«
-
-In Deutschland ist das _künstliche_ Stopfen, Mästen von Geflügel
-strengstens _bei hoher Strafe_ verboten. »Friß, so lang’ du fressen
-kannst und magst!« ist ein humaneres Prinzip als: »Friß, ob du magst
-oder nicht — — —!«
-
-Ein bisserl Anständigkeit, meine Herrschaften, man verlangt ja eh nicht
-viel! Die Gansleber wird auch schmackhaft nach sechs Monaten, laßt’s
-doch dem armen Vieh Zeit, seine Leber dem niederträchtigen,
-wollüstig-feigen Gaumen der Menschen zuliebe maßlos zu vergrößern! Man
-muß ja nicht mit den verbrecherischen Fingern und Federkielen
-nachhelfen; Tiere wie Menschen _fressen sich ja eh zu Tode_, wenn man
-sie nur laßt!
-
-
-
-
- RÜCKKEHR VOM LANDE
-
-
-Nun ist es wieder Herbst geworden, und die Graben-Kioske füllen sich zur
-Abendzeit mit wohlgepflegten und gebräunten Damen.
-
-Man hat sich so viel zu erzählen, und man schweigt!
-
-Man ist wieder in diesem Gefängnis »Großstadt«.
-
-Man träumt von Licht und Luft und Wasser.
-
-Man war ein anderer, besser, menschlicher, mit einem Wort »beweglicher«.
-
-Nun geht man seinen Trab wie eh und je.
-
-Man fühlt sich altern, schwerfällig werden, klammert sich an dieses
-unglückselige Wort: Verpflichtungen!
-
-Die Wohnung will nicht in Ordnung kommen, und die Dienstboten kündigen.
-
-»Die gnädige Frau war am Lande viel netter zu uns — — —.«
-
-Ja, das war sie.
-
-Die Kellner in den Kiosken begrüßen alle Gäste wie Weltreisende, die
-vielfache Gefahren überstanden haben — — —.
-
-Nun nehmen sie Soda-Himbeer im sichern Port!
-
-Die Deklassierten, die nicht fort waren, mischen sich in die Menge der
-Zurückgekehrten, als ob nichts vorgefallen wäre — — —.
-
-Ja, sie haben sogar die naive Frechheit, zu behaupten, Wien wäre am
-angenehmsten, wenn alles »auf den Ländern« weile — — —.
-
-Damen, mit den veredelten gebräunten Antlitzen, lasset euch nicht
-betrügen von dem Prunk der Großstadt! Erschauet in den Spiegeln eurer
-Gemächer einen Zug auf eurem Antlitz, den Licht und Luft und Wasser und
-Freiheit modelliert haben, und der nicht da war ehedem, und der
-verschwinden wird im Wintertrubel!
-
-Komödie hier, Komödie dort vielleicht — — —.
-
-Doch unter freiem Himmel ist das Theater schöner!
-
-
-
-
- NICHTS NEUES
-
-
-So viele Menschen, man könnte sie _Strindberg-Organisationen_ nennen,
-nach ihrer Art, physiologisch-psychologisch zu reagieren, erwarten immer
-und immer von der geliebten Frau _etwas ganz Besonderes_, als ob sie die
-Verpflichtung hätte, plötzlich die Seele eines indischen Theosophen zu
-bekommen, der Gott um Milliarden Kilometer näher steht als alle anderen
-_nur sogenannten_ Menschen!
-
-Da erinnere ich mich immer und immer wieder dieses Franz Schubert,
-Liederdichters, zu dem seine vierzehnjährige Schülerin Komtesse
-Esterhazy einmal bei der Klavierlektion gesagt hat: »Das ist aber gar
-nicht schön, Herr Schubert, daß Sie mir nie eines Ihrer Lieder
-widmen — — —!«
-
-Da erwiderte der gottbegnadete Mann: »Aber sie sind ja eh alle nur für
-Sie geschrieben — — —.«
-
-Ja, ist das nicht das Höchste, einem Franz Schubert mitgeholfen zu haben
-zu seinen Liedern, wie Sonne, Tau und Regen mithelfen zum Wachsen von
-Pflanzen!?
-
-Was braucht sie also an und für sich zu sein, diese Vierzehnjährige,
-unter dem öden Mikroskop herzloser verständnisarmer Menschen?!? Sie
-verhalf ihm zu seinen Liedern, und ohne sie wären sie nicht
-entstanden — — —!
-
-Ich formulierte das später in die Verse:
-
-»Oh Fraue, nicht was du _bist_, _bist_ du!
-
-_Das_ bist du, was _wir_ von dir träumen!
-
-_Unsere_ durchweinten Nächte um _deinet_willen, _das_ bist du!
-
-_Gelassen_ nimmst du unsere Huldigung und unseren Schmerz entgegen — — —
-
-Denn nimmer weißt du, wie es kam, weshalb, woher, wozu, zu welchem
-Ende!?!«
-
-
-
-
- DAS DORF
-
-
-Ich hatte eine unglückliche Liebe zu einer Dreizehnjährigen, deren Blick
-allein aus den hechtgrauen Augen mit den schwarzen Wimpern, allen
-Blicken gleichkam der Heiligen in den Kirchen. Sie hatte keine rechte
-Freude am Leben, als ob sie die Wirrnisse des irdischen Jammertales
-vorausahnte, die eigentlich allen so schwermütig Blickenden in Aussicht
-stehen. — Ich machte ihre Tragödien mit, die noch nicht vorhanden waren,
-und vor dem Leben beschützen konnte ich sie dennoch nicht. Sie war die
-Tochter eines Schuhmachers in dem kleinen, armseligen, felderumrankten
-Orte J.. Er hatte 11 Kinder. Die, die schon verdienten, verdienten. Aber
-die Kleinen mußten von meiner Dreizehnjährigen betreut werden. Wie
-liebevoll wurden sie betreut! Darüber kann man gar nichts schreiben. Sie
-mußte die 15 Enten hüten, die Schweine füttern, und die kleinen Kinder
-brauchten dies und jenes. Ich liebte Anna, aber selten kam sie in meine
-Nähe, und auch dann glitt mein Blick von freundschaftlichster
-Zärtlichkeit an ihren Augen ab, wie Öl über Wasser.
-
-Eines Abends saß ich allein auf der Bank, in der alten verstaubten
-Lindenallee und wartete auf Anna vergebens. Da kam ihre siebenjährige
-Schwester Josefa, die für mich immer und immer einen Blick von tiefer
-Menschenfreundlichkeit hatte, aus ihren zwei verschieden blickenden
-Nachtfalteraugen, so reell-gutmütig, so leichtverständlich, so wie das
-a-b-c des Menschenherzens — — —. Sie hatte mich lieb!
-
-Ich führte sie in die nahegelegene Meierei, ließ ihr Schlagsahne geben
-und Biskuits. Immer lächelte sie mich an, wie von edler
-Liebenswürdigkeit getrieben. Da küßte ich sie auf Stirne, Haare, Augen.
-Sie rührte sich nicht, empfand es als Pflicht der Dankbarkeit, sich
-küssen zu lassen — — —.
-
-Da vergaß ich meiner Leiden um Anna, die mein gequältes Herz stets ruhig
-aus ihren geliebten hechtgrauen schwarzbewimperten Augen betrachtet
-hatte. Da sagte Josefa: »Schenkens mir noch zwei Biskuits, ich trag’ sie
-nach Haus für die Annerl. Sie darf net kommen mit Ihnen, weil sie schon
-zu groß ist. Was kann sie dafür, daß sie schon zu groß ist?!?« Da gab
-ich ihr 20 Biskuits mit für ihre Schwester, die wirklich nichts dafür
-konnte, daß sie dem Blicke eines unermeßlich liebevollen Menschenherzens
-mit mißtrauischer Gleichgültigkeit bereits begegnen mußte, wie im
-vorhinein gepanzert gegen die hinterlistige Männerwelt — — —!
-
-
-
-
- GERICHTSVERHANDLUNG IN WIEN
-
-
-Fräulein Str., eine arme Klavierlehrerin, kannte alle Schandtaten ihres
-Herrn Bruders. Aber sie schickte Geld und Geld, wenn er darum schrieb.
-Und Geld und wieder Geld. Immer galt es ihr, ein wertvolles Leben noch
-zu retten, das aber wertlos war. Und übrigens, wer könnte das
-entscheiden?!
-
-Der Richter sagte: »Ihr Vorgehen, Fräulein, ist strafbar, aber es macht
-Ihrem Herzen alle Ehre — —.«
-
-Das Fräulein erwiderte: »Für irgend etwas muß man sich doch abplagen.
-Nur seinen armseligen Hunger stillen?!? Wenn er nicht wär’, no, so wärs
-halt was anders, die Kirche oder eine Leidenschaft — — —. Für irgend
-etwas muß man sich doch abplagen.«
-
-Man verurteilte sie wegen Vorschubleistung.
-
-Als die Blicke der beiden verurteilten Geschwister sich begegneten,
-begannen einige Menschen im Auditorium zu weinen — — —.
-
-
-
-
- SEMMERING, ENDE SEPTEMBER 1911
-
-
-Immer noch dieses Nachtgebrause im Göstritzwalde, immer noch um 7
-morgens diese silbergrauen Nebelschleier. Aber meine Seele ist krank,
-weil Du nicht da bist, Anna Konrad! Du gehst, unausgeschlafen, müde, in
-die Schule, lernst mechanisch, daß Hannibal den Giftbecher trinken mußte
-aus irgendeinem Dir unverständlichen Grunde. Du kannst nicht mehr abends
-beim Abschiede zu mir sprechen: »Also schicken Sie mir bestimmt heute
-noch ›halb und halb‹; das hieß: Für 20 Heller Extrawurst, und für 20
-Heller Zuckerln als Dessert!« Ich kam mir da jedesmal vor wie Kaiser
-Josef in den Volksstücken, der Leute beglückte, indem er einfach sagte:
-»Was braucht Ihr zu Eurem Glücke?! 10000 Gulden? Da habt Ihr sie!« Nun
-bist Du ferne, Anna Konrad! Immer noch dieses herrliche Nachtgebrause im
-Göstritzwalde, immer noch um 7 morgens die dichten silbergrauen
-Nebelschleier um Berg und Wald — — —.
-
-Anna, Anna, Anna Konrad, ich liebe Dich!
-
- Peter Altenberg.
-
-
-
-
- PETER ALTENBERG ALS SAMMLER
-
-
-Die »Internationale Sammlerzeitung« veröffentlicht in ihrer eben
-erschienenen Nr. 13 eine interessante Rundfrage über den Wert des
-Sammelns. Die Zeitschrift bringt unter anderem Beiträge vom
-Unterrichtsminister Grafen Stürgkh, Alfred Lichtwark, Alma Tadema,
-Harden, Paul Heyse, Max Kalbeck, Eduard Pötzl, Felix Salten, Balduin
-Groller, Ginzkey. Peter _Altenberg_ gab auf die Frage nach seiner
-Sammelliebhaberei die folgende interessante Antwort: »Es ist ganz
-merkwürdig, daß Sie sich gerade an mich wenden in dieser Angelegenheit.
-Denn Sie können es absolut nicht wissen, daß ich, ein ganz Armer, seit
-vielen Jahren ein einfach fanatischer Sammler bin, und mir, gleich den
-Milliardären, eine heißgeliebte, gehegte und mit vielen Opfern zustande
-gebrachte herrlichste Bildergalerie verschafft habe: 1500
-Ansichtskarten, 20 Heller das Stück, in zwei herrlichen japanischen
-Kästchen mit je sechs Fächern. Es sind ausschließlich _photographische_
-Aufnahmen von Landschaften, Frauen, Kindern, Tieren. Ich fand vor
-einigen Wochen, daß der wirklich Ausgebildete des Lebens sich seiner
-Schätze _entäußern_ müsse, um das _tiefste einzige_ Glück des »Gebens«,
-des »Spendens« auch noch bei seinen Lebzeiten _miterleben_ zu können an
-seinen »Beschenkten«. Daher sandte ich beide japanische Kästchen mit den
-seit 1897 gesammelten 1500 Ansichtskarten nach Hamburg an die junge
-Dame, die allein von allen Frauen dieses Geschenk zu werten weiß.
-Seitdem sammle ich desto eifriger, desto leidenschaftlicher, um nun die
-Sammlung meiner Freundin zu komplettieren. — — Hier also sind gleich
-zwei heilsamste Ablenkungen von dem gefährlichen Bleigewicht des eigenen
-Ich: erstens das Glück des Sammelns selbst, zweitens das Glück, es _für
-einen anderen_, ebenso Verständnisvollen tun zu können! »Sammeln« heißt,
-sich auf etwas außerhalb der eigenen Persönlichkeit Liegendes
-konzentrieren können, das aber nicht so gefahrvoll und undankbar ist wie
-eine geliebte Frau — — —.«
-
-
-
-
- YVETTE GUILBERT
-
-
-Sie ist das Wunder des Chansons, das, an und für sich nichtig, farblos,
-leblos, durch sie eine Fülle von Tragik, grotesken Dingen, Lieblichkeit,
-Koketterie erhält. Ihre Augen bereits drücken alles aus, was es an
-seelischen Dingen überhaupt gibt, aber auch ihre Arme und Hände sprechen
-überaus eindringlich. Ihre Wirkungen grenzen an das Wunder. Und diese
-nur andeutende Art, diese wechselnden Nuancen, der clin d’œuil, der
-alles sagt, was zu sagen ist. Sie allein von allen hat die Macht, ein
-Lied auszuschöpfen, ja, es erst in seiner Fülle zu dichten! Ganze
-Schicksale bringt sie in einen sinnlosen Refrain, und man staunt über
-das Außerordentliche, das sich da ereignet. Aus einem Nichts ein Alles
-machen, darin könnten alle von ihr lernen, wenn es erlernbar wäre. Le
-minimum d’effort et le maximum d’effet ist auch ihre Devise. Den
-Höhepunkt ihrer Chansons bildet unbedingt »Les cloches de Nantes«. Wie
-ein düsteres Schicksal erdröhnen von allen Seiten die großen Glocken in
-den alten Kirchentürmen. Da gibt sie sich ganz aus, bricht los, bewirkt
-Enthusiasmus! Die Guilbert gehört zu den wenigen Erscheinungen, die
-einen als etwas nie wieder in die Welt Kommendes ergreifen. Man darf es
-nie versäumen, sie wieder und wieder zu sehen, zu studieren, so oft sich
-die Gelegenheit bietet. Für mich gehören zu solchen Erscheinungen
-Mitterwurzer, Girardi, Hermann Winkelmann. Es sind Menschen, die nicht
-ersetzt werden! Ihre Macht ist nicht zu definieren, da sie irgend etwas
-Rätselhaftes hat. Man befürchtet stets, daß sie einmal sterben werden,
-und geschieht es, ist man untröstlich, hat ein persönliches Leid
-erfahren. Man möchte in Trauer gehen um sie. So eine Organisation ist
-auch Yvette Guilbert. Diseusen, ach, lernet doch von ihr das leider
-Unerlernbare!
-
-
-
-
- KRANKENPFLEGE
-
-
-Eine Frau, die, während ihr Geliebter im Sterben liegt, sich ebenso
-pflegt, wäscht, mit hundert Salben salbt, wie eh’ und je, und keinerlei
-Bedenken hat, sich ebenso zu pflegen und zu hegen, wie sie es gewohnt
-war, hat ihn nie, nie wirklich lieb gehabt! Sie müßte plötzlich alles
-aufgeben, sich schmutzig werden lassen, sich verkommen lassen, auf ihre
-adelige Körperpflege vollkommen verzichten können, sich Hände und
-Gesicht nicht mehr waschen wollen, ja sogar die schönen Haare nicht mehr
-pflegen, sich in einen Abgrund stürzen lassen, wo das reale Leben
-zerschellt und aufhört — — —.
-
-Es müßte alle ihre weibliche Eitelkeit plötzlich ersterben, nicht mehr
-sein — — —. Sie müßte zu einem Aschenbrödel werden, ganz in sich
-zurückgezogen und unbeachtet, nur in der edlen Pflege aufgehend und
-unscheinbar werdend vor Aufmerksamkeiten! Sie müßte unwillkürlich aus
-einer Dame zu einer »Pflegerin« werden, sich degradieren, um sich zu
-erhöhen!
-
-Ihre Fingernägel müßten ihre Edelpolitur verlieren, ihre Strümpfe müßten
-Löcher bekommen und Knöpfe müßten ihr an der Bluse fehlen. Ihre werdende
-Ungepflegtheit müßte ihre Ehre sein! Ihre Freundinnen müßten zu ihr
-sprechen: »Du siehst gealtert aus, meine Liebe, schließlich muß man doch
-auch ein bißchen auf sich schauen, solange man jung und hübsch
-ist — — —.«
-
-»Dazu habe ich jetzt, Gott sei Dank, keine Zeit mehr übrig — — —.«
-
-»Gott sei Dank?!« sagten die Freundinnen und kicherten: »Sie muß immer
-apart sein — — —.«
-
-
-
-
- HERBST AM SEMMERING
-
-
-Müde schleichen die Stunden dahin. Noch einmal ist es mir Zähestem
-vergönnt, die herbstliche Pracht meines Kindheitsparadieses (damals gab
-es nur Gasthof »Nedwall«) zu erschauen! Brennesselgebüsche und
-dunkelbraune vertrocknete Sträucher. Ein kleines Mäderl in Lederhöschen,
-mit dicken, rostbraunen Zöpfen, in die grellrote Seidenbänder
-eingeflochten sind, repräsentiert mir die »Schönheit der ganzen Welt«.
-Die Eltern nennen sie, tief entzückt, schlimm und übermütig. Wie wenn
-die Saharet, Ruth St. Denis, Grete Wiesenthal, schlimm und übermütig
-sein könnten! Der Schneeberg trieft von zerrinnendem Schnee, und das
-Elisabethkirchlein ragt in graue Wolken. Ein Direktor reitet, kranke
-Frauen fahren langsam durch den Fichtenwald. Lila Enzian, kurzstengelig,
-und Löwenzahn. Aber meine »heilige Stunde« ist von 3 bis 4. Da spielt
-nach dem Essen die Amerikanerin mit ihrem großen schlanken Freunde im
-Café Karambol. Er belehrt sie natürlich väterlich, die doch _alles_
-bereits mitbekommen hat vom Schicksal, Anmut und Beweglichkeit und
-Gazellenglieder und Feenhände. Jede ihrer Bewegungen ist vollkommen. Das
-ist meine »heilige Stunde«, da ich menschliche Vollkommenheit erblicke.
-Da vergesse ich, daß Gottes Träume sich noch nicht realisiert haben — —.
-
-
-
-
- HERBSTANFANG
-
-
-Freitag nachts, Marien-Feiertag, 8. September. Eine verzweifelte
-Stimmung ist in mir, ich fühle es, ich spüre es, _alles geht zu Ende_.
-Die dunklen Herbstabende kommen, Deine Schule, A. K., fängt an, und
-böse, heimtückische, neidische, lieblose Menschen _zerstören_ mir mein
-Paradies, das ich in meiner alten, kranken, dem _Untergange geweihten_
-Dichterseele für Dich, einzig und fast irrsinnig _geliebtes Geschöpf_,
-errichtet habe unter Tränen. _Du_, _Du_ allein bist auf dieser traurigen
-Erde in meinem gefolterten Herzen, und Du weißt nichts davon, kannst,
-wirst davon, willst davon nichts wissen — — —. Nie wirst Du meine
-Anhänglichkeit ahnen. Dein _Blick_, Deine _Stimme_, _alles_, _alles_ an
-Dir ist der Balsam meines todeswunden, todesmüden Herzens. Ich habe Dich
-lieb, lieb, wie niemand Dich je lieb haben wird — — —. Und nun spüre ich
-das Ende heranschleichen, sonst könnte ich nicht so traurig, so
-lebensmüde sein, und beim Erwachen am Morgen so bitter weinen und
-weinen, obzwar mir eigentlich nichts Böses geschehen ist — — —. Ich
-verlange nichts von Deiner kindlichen dreizehnjährigen Seele, Anna K.,
-als daß Du es mir glaubst in Deinem tiefsten Herzen, daß schon im
-_Anfang_ Deines ins _ungewisse gefahrvolle_ Leben hinein aufblühenden
-Lebens, ein Mann _in unbeschreiblicher Zärtlichkeit_ an Deiner
-geliebten, merkwürdigen, kindlichen und dennoch bereits tief
-melancholischen Persönlichkeit, mit _ergebenster liebevollster_ Seele
-gehangen ist, und viel, viel um Dich getrauert hat, weil die anderen
-Menschen alles _mißverstehen_ und _böswillig_, _heimtückisch deuten_!
-
-Ich wollte Dir mit der kleinen Uhr eine besondere Freude bereiten, Dir
-meine _vollkommen selbstlose Anhänglichkeit_ zu verstehen geben, aber
-auch das haben die hartherzigen, mißtrauischen Menschen nicht _Dir_,
-nicht _mir_ gegönnt!
-
-Bleibe mir _gütig gesinnt_, Anna, lasse Dich _von niemandem_ auf falsche
-Gedanken bringen! Ein Atemzug Deines Mundes, ein Blick Deiner Augen, ein
-Schritt Deines müden kranken Fußes bedeuten mir _die Schönheit_, _die
-Traurigkeiten der ganzen Welt_!
-
- Dein Peter Altenberg.
-
-
-»Annerl, hast du den Brief heute Samstag erhalten, den ich noch gestern
-Freitag nachts an dich geschrieben habe?!? Und hast du ihn verstanden?!«
-
-»Selbstverständlich. Was soll ich daran nicht verstehen?! Ich kenn’
-Ihnen doch auswendig und inwendig — — —.«
-
-Pause.
-
-»Sie, nächste Woche fangen die Schulen an. Da brauch’ ich
-schöne Schulrequisiten. Also zwei solche schöne dicke
-Tonking-Bambus-Federstiele, wie Sie sie immer benützen, dann 20 von
-Ihnere Stahlfedern, Kuhn 201, aber wirklich 20, oder wissen S’ was, 25,
-daß es eine gerade Zahl gibt. Und dann ein schönes Zeichenheft. Und dann
-einen Radiergummi. Und dann, no, Sie werden doch wissen, was ich sonst
-noch in der Schule brauche. Ja, richtig, einen Bleistiftspitzer, wie Sie
-einen haben, in einem kleinen Schachterl. Gott, die Schul’, na
-wenigstens is ma in der Schul’. Was haben S’ denn, Sie, Herr Peter?!?«
-
-»Nichts — — —«, erwiderte ich.
-
-
-
-
- EINE BEGEBENHEIT
-
-
-Ich lernte eine junge, sehr, sehr empfindsame Frau kennen, die Martyrien
-durchmachte wegen der Ruhe und Gleichgültigkeit ihres entzückenden
-Gatten. Sie sah Gespenster von fünfzehnjährigen, sechzehnjährigen
-Mädchen, lebte in unglückseliger innerer Hast dahin, verzehrte sich
-selbst. In dieser schweren Krankheit ihrer süßen kindlichen Seele
-entwickelte sich in ihr der Plan, für dieses endlose Martyrium Strafe,
-eventuell Erlösung zu haben. Sie begann daher, einem netten gutmütigen
-Manne Avancen zu machen. Der Gatte rührte sich nicht. Das machte sie
-noch kranker. Sie trieb sich kopfüber hinein. Der Gatte rührte sich
-nicht. Als ich diese gefährliche Situation überblickte, las ich eines
-Abends nach dem Nachtmahle den beiden mein Gedicht »Das Bangen« vor.
-
-Das Gedicht lautet:
-
-
- _Das Bangen_
-
- Mir bangt um dich, Anna — — —.
- Weshalb mir bang ist, weiß ich nicht,
- Ich weiß nur, daß mir bang ist.
- Mir ist bang!
- Wie einer Mutter bang ist ohne Grund,
- Noch sind sie alle munter und gesund — — —!
- Und wie dem Schiffer bang ist, bange, bange,
- Während die anderen noch lange
- Den wolkenlosen Himmel blöd betrachten,
- Und den Warner ob seiner Weisheit nur verachten.
- Mir bangt, wie einem bangt,
- Der Kinder auf dem Meer-Sand-Hügel spielen sieht,
- Und weiß, daß nun die Flut vom Land sie abtrennt — flieht!
- Mir bangt, wie einem bangt,
- Der weiß, er wird gehenkt um sieben Uhr früh.
- So, so bangt mir um dich — — —
- Du bist _mein Leben_, es bangt mir um mich
- Du aber, du gehst deinen Weg von mir,
- Nicht bangt vor meinem bangen Bangen dir
- Dem neuen Schicksal treibst du jach entgegen — — —
- Und perlt mein Todesschweiß auf deinen Pfad hernieder,
- Nimmst du’s als Tau auf neuen Morgenwegen!
-
-Ich las es langsam und eindringlich vor.
-
-Pause.
-
-Der Mann erhob sich, trat langsam auf mich zu, nahm meine Hand in seine
-beiden Hände, sah mich lange, lange, lange an — — —. Die Frau starrte
-hin, starrte hin, schrie auf: »Er liebt mich, er leidet, oh, er liebt
-mich! Ich Unglückliche — —!« und fiel hin.
-
-Ich hatte das Gedicht um vierundzwanzig Stunden zu spät vorgelesen.
-
-
- _In das Gedenkbüchlein einer Amerikanerin:_
-
-»It’s inside in the human nature, to hate all those, who are better
-speaking, better dancing, better thinking, better feeling as we self!«
-
-
- _Wintersport am Semmering:_
-
-»Schneeglöckchen, immer sangen die Dichter von dir, du läutest den
-Frühling ein — — —.
-
-Für mich _begräbst_ du den herrlichen Winter!«
-
-
-
-
- BESCHÄFTIGUNG
-
-
-Ich erfinde nichts, daher bin ich kein Schriftsteller und kein Dichter.
-Das Leben trägt mir alles zu, ich habe nichts dabei zu verrichten, als
-das Zugetragene _nicht_ zu verfälschen oder den anderen absichtlich
-plausibler machen zu wollen, denn man hilft ihnen ja doch nicht dadurch.
-
-Ich kannte vor vielen Jahren die Frau eines Literaturprofessors an der
-Universität W. Eines Tages sagte sie zu ihm: »Ich liebe diesen jungen
-Schauspieler, den wir vor vier Tagen (so lange brauchen nämlich die
-Reizungen des Nervus sympaticus, um dringend zu werden in der Seele)
-gemeinsam im Theater genossen haben — —«
-
-»Lade ihn aber vorerst zu uns zu einem Souper ein, damit man sehen
-könne, ob er dieselbe Wirkung auf dich ausübt außerhalb seines
-Idealterrains — —«
-
-Nach dem Souper sagte sie zu ihrem Gatten:
-
-»Es ist nichts mit diesem Manne. Oh, du, du, du einziger — — —.«
-
-Als ihr Mann in jungen Jahren gestorben war, sprach sie einst einen
-fremden Herrn vormittags, Ecke Kärntnerstraße und Graben an: »Ich
-ersuche um Ihren Namen und Ihre Adresse — — —.«
-
-Seitdem arbeitete sie tagelang an Dingen der sogenannten Nadelmalerei,
-wobei man mit verschiedenfarbiger Seide die zarten Nuancen von
-Gegenständen nachzuahmen versucht. Alle diese Dinge schickte sie dem
-fremden Manne und war glücklich dabei und vor allem friedvoll, seelisch
-beschäftigt. Später unterrichtete sie Dorfkinder umsonst im
-Französischen, ihrer Muttersprache. Und dann hörte ich nichts mehr über
-sie 35 Jahre lang. Aber stets gedenke ich ihrer, besonders wenn ich an
-die modernen Tennisspielerinnen denke! Die suchen sich auch »die Zeit zu
-vertreiben«!?!
-
-
-
-
- BESUCH IM EINSAMEN PARK
-
-
-Wie wenn die müde Seele noch einmal auf längst gesprungenen Saiten ihre
-begeisterten Klagen singen dürfte, so ist es, wenn du zu mir kommst,
-Helene N.!
-
-Der Alltag weicht da wie ein böser Zauber, der uns gefangen hielt, in
-einem Leben, das nicht die Stunde wert ist, die es bringt! Man lebte dem
-Tode entgegen!
-
-Das alte Zauberreich von melancholischen Zärtlichkeiten erblüht durch
-dich, und der fade Park wird zum mysteriösen Urwald, wenn dein geliebter
-Schritt die alten öden Wege wandelt — — —.
-
-Dein Sprechen wird wieder zu Musik, der Hauch des Atems wird wieder zum
-Wehen von Frühlings-Gebirgsalmen mit Kohlröschen und Seidelbast und
-Knieholz.
-
-Dein Sitzen beglückt und dein Stehen und dein Wandeln — — —.
-
-Alles, was _dich_ unglücklich macht, wird zugleich _mein_ Unglück, und
-deine Klage trifft ein exaltiertes Bruderherz; indem ich leide und dir
-die Last abnehme unverstandenen Kummers, _jauchzt_ meine Seele, daß sie
-_mit dir leiden darf_!
-
-Ich möchte dich ins Zauberreich entführen,
-
-wo du mein Kindchen wirst, gewiegt, getragen, beschützt, in
-überzärtlichen Armen, an einem für dich bebenden Herzen — — —,
-
-weg von den Ungetümen »Menschen«, die dich mit ihrem feigen
-Unverständnis morden!
-
-Bist du denn ein Distelstrauch am Wege, ein Unkraut oder
-Brennesselgebüsch?! Bist du dem Tritt des schweren frechen Fußes
-ausgesetzt?!
-
-Bist du nicht eine zarte Blüte Gottes, die behütet werden muß vor jedem
-rohen Hauche?!
-
-Bist du nicht die, die unser totes Herz zum Leben wieder zaubert?!?
-
-und deren zarte, edle Gliederpracht aus unseren glitzernden, stieren
-Fischaugen ein gerührtes Künstlerauge wiederzaubert?!?
-
-In welche Welt bin ich geraten, pfui!?! Wo alles sich in schnöder
-Ordnung abhaspelt!? Du bist die _andere_! Anders wie die andern! Wie
-Ambrosia anders war als Rumpsteak mit Salat! Göttliche Kräfte bringst
-du, ohne es zu wissen! Und pflichtlos sinken wir zu deinen Füßen hin!
-Nur eine Pflicht erkennend, vor dir hinzuknien!
-
-Das zugeschnittene Maß, das alle _fördert_, ist uns _verächtlich_ und
-_vergiftet_ uns! Der _ekle Friede_ sorgenlosen Daseins macht unsere
-Kräfte _stocken_ und _vertrocknen_. Wir müssen brennen, glühen und
-vergehen!
-
-Und unsere innere Träne, wenn du beim Scheiden uns ruhig die Hand
-reichst,
-
-macht uns erst wieder leben, leiden und verzweifeln, und auf eine Stunde
-hoffen, da du, Gebenedeite, wiederkehrst! Für diese Stunde leben wir in
-Not!
-
-_Die da sind, morden uns_;
-
-doch die da kommen, um _von uns zu scheiden_, bringen uns das Glück des
-_abgrundtiefen Seelenschmerzes wieder_!
-
-Wir wollen rauschen, brausen und zerschäumen!
-
-Des Lebens eingedämmte Ordnung ist unser heimtückischer Feind, für
-dumpfes Erdenleben ganz geeignet, das uns, unter der feigen Maske der
-Rettung, nur lahmlegt und vernichtet und vorzeitigem Tod entgegentreibt.
-
-Helene N., komme, auf daß ich hundert Stunden lang in Fieberzehrung dich
-erwarten könne — — —. In Fieber mich _verzehren_, ist mein _Leben_!
-
-Und scheide von mir, auf daß ich tausend Stunden dir _nachtrauern_
-könne — — —.
-
-Mein Geist lebt nicht vom _Sein_, das lahm macht und gebrechlich — — —;
-
-mein Geist lebt nur vom Hoffen und Verzweifeln!
-
-Du kamst, Helene N., und alles ward belebt und blühte auf — — — —.
-
-Du gingst, und Trauerflore hingen über der dunklen ausgestorbenen
-Welt — — —.
-
-Die Welt der Pflichten ist vielleicht gesünder und fordert manches
-Wertvolle in kleinerem Kreise — —.
-
-Wir aber wollen lieber an unseren inneren Symphonien elend scheitern;
-des Alltags Werkelton mordet uns ebenso, nur langsamer und
-qualvoller — — —. Wie stumpfe Messer gegen scharfe Klingen!
-
-Der Folter wollen wir entgeh’n des leeren Lebens, das unseren Organen
-ihre Kraft entzieht;
-
-und in der Schlacht trifft rücksichtsvoller uns der Tod, und herrlich
-plötzlicher,
-
-als _vorbereitet_ zu jeder Stunde eines Lebens, das weniger als nichts
-für uns bedeutet!
-
-Helene N., komm’ wieder in den Park,
-
-wo Irre ihre irren Träume träumen — — —.
-
-_Du_ wirst hier doch vielleicht _mehr_ Menschlichkeiten finden,
-
-als in der Welt, die sich _frech fälschlich_ für die _normale_ hält!!!
-
-
-
-
- TANZ
-
-
-Elsa Wiesenthal, schlichte, rätselhafte Naturkraft, wie Rittner,
-Mitterwurzer, Girardi, bringst du uns nun wieder den Geist, der
-geheimnisvoll, diskret verborgen in den Dingen lebt?! Bringst du uns
-wieder Hoheit, Ruhe und Würde in deinem adeligen Tanzen?! Oder hast du
-dich vom »Geist« verführen lassen wie alle, die der geistvollen,
-geistleeren Herde sich verständlich machen wollen?!? Gib uns nicht mehr,
-als was _du_ kannst und _deine_ Kunst! Sei eine schweigende Fürstin des
-Lebens, die lieber unverstanden dahingleitet, als scheinbar verständlich
-Leidenschaft markiert! Sei du mit deiner süßen merkwürdigen Schwester
-Berta, wie einst ein edles Beispiel, wie man aus einem Nichts ein Alles
-macht!
-
-
-
-
- PETER ALTENBERG
-
- Von Hans Franck (Hamburg)
-
-
-Es gibt viele, die seiner lachen.
-
-Und wir, denen er mit wenigen inhaltsschweren Worten die Märchen des
-Lebens gedeutet, die »Bilderbogen des kleinen Lebens« koloriert, die er
-die Erlebnisse des Tages anders sehen gelehrt hat, wir können ihnen
-nichts dawider sagen. Müssen ihnen Recht geben, müssen zugestehen: Was
-ihr in Händen habt, was ihr seht, sind Lächerlichkeiten. Es ist, wie ihr
-es seht! Ihr!
-
-Es ist, wie die Spötter sagen. Aber es ist zugleich anders. Die Kunst
-Altenbergs kann, wie das vielfarbige Leben, wie die widerspruchsvolle
-Natur — nach Fr. Th. Vischers Wort — an einem Ende gemein, am andern
-seelisch fein, nicht mit einem so oder so umgrenzt werden, sondern nur
-mit einem so und so.
-
-Sie ist voller Lächerlichkeiten und Schönheiten, voller Gequältheiten
-und Feinheiten, voller Leerheiten und Vollheiten, voller nichtssagender
-Gewolltheiten und vielsprechender Gekonntheiten.
-
-Sie ist — um wieder Vischers Wort von der Natur aufzunehmen — ein
-seltsam Ding.
-
-Für die Formung der tausendfältigen kleinen und kleinsten Gaben, die so
-ein Buch Peter Altenbergs birgt, wurde der bewußte Gegensatz zu der
-Kunst der vielen klingenden Worte maßgebend. Die Wortkünstler sind dem
-Dichter Lügner und Charlatane. Sind ihm gewöhnliche Menschen, die ihre
-Geistesblöße mit dem wallenden Wortmantel zuzudecken suchen, die ihre
-Empfindungsarmut durch einen bloßen Wortreichtum auszugleichen glauben.
-»Ich hasse und verachte sie — ruft Peter Altenberg in seinen Märchen des
-Lebens — Wortreichtum ist Seelen- und Geistesarmut! Man verkriecht sich,
-versteckt sich dahinter, wie wenn man verzweifelt wäre, daß man nichts
-Wichtiges mitzuteilen hätte! Zwei und drei ist fünf kann nicht wortreich
-gesagt werden! Und dennoch verläßt man sich darauf, daß es eine Herde
-von Idioten gibt, die an dem »Wortklang« sich berauschen. — — Wehe, wehe
-denjenigen, die die Fähigkeiten dazu hätten, und nur ihrem Geisteswahne,
-ihrer Eitelkeit dienen! Auf einer Stradivariusgeige spielen sie, aber
-keine einfachen Adagios, die zu Tränen rühren, sondern verblüffende
-Passagen, die kalt lassen!«
-
- * * * * *
-
-Altenberg ist der Virtuose der Wortskizze. Ist es, weil er dem Reichtum
-des Lebens dienen will. Einem kleinen Ausschnitt sich willenlos
-hinzugeben und in unendlichem geduldigem Mühen nach höchster
-vollkommener Bildwirkung sich vor dem übrigen zu verschließen, daran
-hindert ihn die drängende Fülle, die ihm nicht Ruhe läßt. So springt er
-von einem zum andern, immer auf der Spur des schnellfliehenden Lebens.
-Zur Beschaulichkeit ist keine Zeit. Nicht zum Schwelgen. Es gilt zu
-erjagen, zu erraffen, gilt, flüchtiger als das fliehende Geschehen zu
-sein.
-
-Daß diese Eigenart Altenbergs ihren Wert und Unwert in Einem hat, daß
-ihre Stärke die Mutter ihrer Schwäche ist, versteht sich. Es zu
-beweisen, wird man mir erlassen.
-
-Dem _Leben_ gilt Altenbergs Kunst.
-
-Diesem Wunder aller Wunder, mit dem wir täppisch, wie wir sind, auf Du
-und Du stehen. Das wir hinnehmen mit großen, blöden, dummdreisten Augen.
-Das wir zu kennen wähnen, und das doch von tausend Schleiern bedeckt
-ist. Das Wunder, das uns zum kahlen Alltag wurde, wird hier wieder ein
-blühendes Märchen, dem wir mit gläubigen Kinderaugen aus der Ferne
-zuschauen. Wunder des Alltags. Um sie geht es. Oder wie es der schönste
-unter allen Buchtiteln Altenbergs faßt, um die »Märchen des Lebens«.
-Unermüdlich trachtet der Dichter, die kleinen Dinge des Alltags
-besonders zu sehen, die Perlen am flachen Strand zu finden. Hundertmal
-mag er wertlose Kiesel auflesen und bei den kalten Besserwissern
-höhnisches Lächeln dafür ernten: plötzlich funkelt ein winziges Ding in
-seinen Händen und läßt uns die Augen übergehen.
-
-Mitten hinein in die zarten Wortskizzen drängt sich plötzlich eine
-breite, schwerwiegende Untersuchung mit einer Überzahl unterstrichener
-Worte. Der Dichter wandelt sich in einen Propheten. Der Mann der zarten
-Worte in einen glaubensstarken Prediger, der lauthallende Straf- und
-Mahnreden auf die sündige Menschheit herabschleudert. Der eben noch ein
-ganz Besonderer, ein starker Einzelner, ein Außenseiter war, wird
-plötzlich zum Bruder Schultze-Naumburgs, des Kunstwartmannes, des Vaters
-des Reformkleides und der Reformstiefel.
-
-Mit eindringlichen, treffsicheren Worten predigt er von seinem Ideale:
-der naturgemäßen Körperkultur. Anbetend neigt er sein Haupt vor dem
-großen Gotte Gesundheit. Worte fallen, die der Unnatur die
-gleißnerischen Kleider vom Leibe reißen und doch nichts bessern werden.
-Wann hätte diese Dame und ihr lästerliches Töchterlein Mode, je die
-Scham gekannt? Sie kann noch stärkeres ertragen als Altenbergs
-fanatische Predigten und seine gutgemeinten Insultierungen.
-
-Darum ist es, schauen wir zurück auf die leidenschaftlichen Bekenntnisse
-zur Göttin Gesundheit, letzten Endes nicht das Gegenständliche, der
-Inhalt der Rede, der uns in den Bann der Worte zwingt, sondern die
-Persönlichkeit, die ungehinderter als in den formgewordenen Dichtungen,
-innerstes Sein und Meinen offenbart. Auch hier steht Altenberg im
-Dienste des großen, göttlichen, uneingezwängten Lebens. Auch hier will
-er jedem Pulsschlag freie Bahn schaffen. Auch hier erlösen von dem
-Drucke, den Steifheit und Gutmeinen, Enge und Schwerfälligkeit dem
-Wunder aller Wunder zufügten und bis in die Undenkbarkeit zufügen
-werden.
-
-So geht auch diese Besonderheit mit dem Allgemeinen zusammen. In das
-Werk des Schöpfers der »Märchen des Lebens«, des Suchers im Alltag, des
-eigenwilligen Sehers fügt sich das Prodromosbuch ein, das Glied einer
-Kette. Der Unmittelbarkeit des unverfälschten Lebens trachtet der
-Dichter so gut wie der Prediger nach. Und die sprunghafte, das
-Wortemachen hassende Form eint beides auch nach außen hin.
-
- (Königsberger Hartungsche Zeitung)
-
-
-
-
- _Werke von Peter Altenberg_
-
-
- Wie ich es sehe
- _Fünfzehnte vermehrte Auflage._ Geh. 6 M. 50 Pf., geb. 9 M.
-
- Was der Tag mir zuträgt
- _Achte vermehrte Auflage._ Geh. 6 M. 50 Pf., geb. 9 M.
-
- Prodromos
- _Sechste Auflage._ Geheftet 5 Mark, gebunden 7 Mark 50 Pf.
-
- Märchen des Lebens
- _Sechste vermehrte Auflage._ Geh. 5 M. 50 Pf., geb. 8 M.
-
- Neues Altes
- _Vierte und fünfte Auflage._ Geh. 5 Mark, geb. 7 Mark 50 Pf.
-
- »Semmering 1912«
- _Siebente vermehrte Auflage._ Geh. 6 M., geb. 8 M. 50 Pf.
-
- Fechsung
- _Sechste Auflage._ Geheftet 6 Mark, gebunden 8 Mark 50 Pf.
-
- Nachfechsung
- _Fünfte Auflage._ Geheftet 7 Mark, gebunden 9 Mark 50 Pf.
-
- Vita ipsa
- _Zehnte Auflage._ Geheftet 6 Mark, gebunden 8 Mark 50 Pf.
-
- Mein Lebensabend
- _Achte Auflage._ Geheftet 6 Mark 50 Pf., gebunden 9 Mark.
-
-------------------------------------------------------------------------
-
-
-
-
- _Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig_
-
-
-
-
-------------------------------------------------------------------------
-
-
- Transcriber's Notes
-
-Im Original gesperrte Schrift wird kursiv wiedergegeben.
-
-Offensichtliche Satzfehler wurden stillschweigend korrigiert.
-
-S. 15: »Deshalb ist man o beglückt ...« wurde korrigiert zu »Deshalb ist
-man so beglückt ...«.
-
-S. 177: Der Titel enthält das Symbol † für »verstorben«.
-
-
-Type originally set in spaced text has been changed to italics.
-
-Quotation marks have been modernized to » « and › ‹.
-
-Obvious printer errors have been silently corrected.
-
-On page 15, “Deshalb ist man  o beglückt ...” has been corrected to
-“Deshalb ist man so beglückt ...”
-
-On page 177 the title contains “(†)”. Its meaning is “deceased”.
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Neues Altes, by Peter Altenberg
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEUES ALTES ***
-
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-<pre>
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-The Project Gutenberg EBook of Neues Altes, by Peter Altenberg
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Neues Altes
-
-Author: Peter Altenberg
-
-Release Date: June 30, 2016 [EBook #52463]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEUES ALTES ***
-
-
-
-
-Produced by Elizabeth Oscanyan and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
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-<p>Peter Altenberg</p>
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- <div class='nf-center'>
- <div class='c006'><em class='gesperrt'>Vierte und fünfte Auflage.</em></div>
- <div class='c007'>Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.</div>
- <div class='c008'>Copyright 1911 S. Fischer, Verlag, Berlin.</div>
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-<div class='pbb'>
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-
-<div class='chapter'>
- <h2 class='c009'>Gewidmet Anna Konrad</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Motto:</p>
-
-<p class='c011'>»Solche Männer und ihresgleichen sind einfach geniale
-Naturen, mit denen es eine eigene Bewandtnis
-hat; sie erleben nämlich eine <i>wiederholte Pubertät</i>,
-während andere Leute <i>nur einmal</i> jung sind.«</p>
-<div class='c012'>Goethe, Gespräche mit Eckermann.</div>
-<p class='c013'>PA: Aber wie <i>glücklich zu preisen</i> sind die, die
-<i>nur einmal</i> jung zu sein brauchen, und dann ruhig
-absterben dürfen, während jene anderen <i>Unseligen</i>
-von ewigen inneren Räuschen gefoltert werden — — —.</p>
-<p class='c013'><span lang="fr" xml:lang="fr">»J’ai de mes tourments multiplié les causes — — —
-d’innombrables liens vont de mon âme aux choses!«</span></p>
-<div class='c012'>Baudelaire.</div>
-<div class='pbb'>
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-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_9'>9</span>
- <h2 class='c009'>INHALT</h2>
-</div>
-
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- <tr>
- <td class='c014'>&nbsp;</td>
- <td class='c015'><span class='small'>Seite</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Widmungen in meine Bücher</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_13'>13</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Wesen der Freundschaft</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_17'>17</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Was ist ein Dichter?</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_19'>19</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Bekenntnis</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_20'>20</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Entwicklung</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_21'>21</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Sankt-Martins-Insel</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_23'>23</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Konzert</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_25'>25</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Buchbesprechung</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_26'>26</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Ideale</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_30'>30</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Ein Brief</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_31'>31</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Variété</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_33'>33</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Die abgelehnte Einladung</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_35'>35</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Hypokrisie</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_37'>37</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Strandbad »Gänsehäufel«</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_38'>38</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Rückkehr vom Lande</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_39'>39</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Krankenlager</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_41'>41</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Hunde</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_43'>43</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>H. N.</td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Helga</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_46'>46</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Das Telephon</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_47'>47</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Die Lüge</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_48'>48</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Plauderei</td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Lebensbild</td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Lebensbilder aus der Tierwelt</td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Brief an Mitzi von der »Lamingson-Truppe«</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_57'>57</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Aphorismen</td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Texte auf Ansichtskarten</td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Heilmittel</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_67'>67</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Der Nebenmensch</td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Schutz</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_70'>70</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'><span class='pageno' id='Page_10'>10</span>Brangäne</td>
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- <tr>
- <td class='c014'>Der Affe Peter</td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Ungeziefer</td>
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- <td class='c014'>Mutter und Tochter</td>
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- <td class='c014'>Der Dichter</td>
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- <td class='c015'><a href='#Page_83'>83</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Inschrift</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_85'>85</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Tope</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_86'>86</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Bekanntschaft</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_87'>87</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Eifersucht</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_89'>89</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Goethe</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_90'>90</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Die Pflegeschwester Rosa Schweda</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_91'>91</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Geschwister</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_92'>92</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Der Besuch</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_94'>94</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Sommerabend in Gmunden</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_95'>95</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Ästheten</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_97'>97</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Erinnerung</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_99'>99</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Vöslau</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_101'>101</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Ein Brief</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_103'>103</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Der Fortschritt</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_105'>105</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Über Lebensenergien</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_107'>107</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Strandbad</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_109'>109</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Wesen der Religion</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_110'>110</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Wie sie es glauben wollen, so ist es</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_111'>111</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>»Prodromos«</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_112'>112</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Restaurant Prodromos</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_115'>115</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Der Brand</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_117'>117</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Rücksicht</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_118'>118</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Myosa</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_119'>119</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'><span class='pageno' id='Page_11'>11</span>Im Stadtpark</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_121'>121</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Ehebruch</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_123'>123</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Hamsun-Menschen</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_125'>125</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Memoiren</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_129'>129</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Widmung an Anna Konrad</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_130'>130</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Der Tod</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_131'>131</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Eine ganz wahrhaftige Beziehung</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_133'>133</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Im Volksgarten</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_135'>135</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Ansprüche einer Romantikerin</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_137'>137</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Lebensweg</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_139'>139</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Dienste</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_140'>140</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Wie ich gesundet bin</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_141'>141</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Gottesgnadentum</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_143'>143</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>An einen unmodernen Arzt</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_145'>145</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Zynismus</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_147'>147</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Nacht-Café</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_149'>149</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Die Nerven</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_151'>151</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Britische Tänzerinnen</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_152'>152</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Der Trattnerhof</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_155'>155</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Artistische Rundschau, Wien</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_157'>157</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Parfüm</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_159'>159</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Übers Schreiben</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_161'>161</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Angstschrei</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_163'>163</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Juli-Sonntag</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_165'>165</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Der Jagdherr</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_166'>166</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Episode</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_169'>169</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Josef Kainz</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_170'>170</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Bettlerfrechheit</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_171'>171</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Von meinem Krankenlager aus</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_172'>172</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Krankheit</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_174'>174</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>An eine Elfjährige</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_177'>177</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Krankenbesuch</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_179'>179</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'><span class='pageno' id='Page_12'>12</span>Notiz</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_181'>181</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Rückkehr vom Lande</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_183'>183</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Nichts Neues</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_185'>185</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Das Dorf</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_187'>187</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Gerichtsverhandlung in Wien</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_189'>189</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Semmering Ende September 1911</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_190'>190</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Peter Altenberg als Sammler</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_191'>191</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Yvette Guilbert</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_193'>193</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Krankenpflege</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_195'>195</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Herbst am Semmering</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_197'>197</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Herbstanfang</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_198'>198</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Eine Begebenheit</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_201'>201</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Beschäftigung</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_203'>203</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Besuch im einsamen Park</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_205'>205</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Tanz</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_209'>209</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class='c014'>Peter Altenberg</td>
- <td class='c015'><a href='#Page_213'>213</a></td>
- </tr>
-</table>
-
-<div class='pbb'>
- <hr class='pb c005' />
-</div>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_13'>13</span>
- <h2 class='c009'>WIDMUNGEN IN MEINE BÜCHER</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Fräulein H. M., immer und ewig werden die
-Dichter an dem fast absichtlichen »Unverständnis«
-geliebter, vergötterter Frauen zugrunde geh’n — — —.
-Du allein brachtest mir die volle <i>Sicherheit</i>, daß
-mein sonst so oft <i>mißverstandenes</i> Dasein von
-dir <i>erkannt</i> wurde, in Weisheit und in Milde,
-wie von Gott selbst — — —! Heißt man das Liebe?!
-Gleichviel. Es ist die »Erlösung«, die eben keine
-andere bringen kann!</p>
-
-<p class='c010'>An Frau D. M., in unzerstörbarer Freundschaft.</p>
-
-<p class='c016'>Freundschaft, du immer und ewig <i>mißbrauchtes,
-geschändetes Wort</i>! Du bist »Erkenntniskraft
-des Gehirnes«, <i>gemildert</i> durch »des Herzens
-Wohlwollen«!</p>
-
-<p class='c010'>An Maria Maraviglia, spanische Tänzerin.</p>
-
-<p class='c016'>Leben, flüchtigstes, zerrinnendstes, kann ich dich
-nicht festhalten?! Ja! Durch Erinnerung, Melancholie
-und Ergebung ins Schicksal — — —.</p>
-
-<p class='c010'>Frau M. B. in Aachen.</p>
-
-<p class='c016'>Aus Fernen kam ein begeisterter Gruß — — —.
-Wie selig war ich — — — zwischen Aachen und Wien
-ist genügend Raum für die Enttäuschungslosigkeit
-zusammengehöriger Seelen geschaffen — — —!</p>
-
-<p class='c010'>An die Gemahlin des Herrn J. S.</p>
-
-<p class='c016'>Wie eine Aristokratin sehen Sie aus des 18. Jahrhunderts
-— — —. Augen voll ernster Ruhe und
-Noblesse, und dennoch wieder Augen der Sphinx und
-<span class='pageno' id='Page_14'>14</span>der Rheinnixen! Die Nase wie von urältesten Adelsgeschlechtern
-herstammend, sanft gebogen und dennoch
-stumpf abbrechend. Adlernase und Stumpfnase
-zugleich! So aus einer Zeit von vergangener
-Würde und Größe. Man sitzt neben Ihnen, betrachtet
-Sie, spricht ehrfurchtsvoll, wie mit <i>keiner anderen</i>.
-Man ist unter einem unerklärlichen Banne. Wie wenn
-man vorgestellt würde der »Kaiserin Marie Antoinette«.
-Man möchte zu Ihnen sagen: »Votre Altesse
-Royale — — —«. Aber man muß über die kleinen
-Ereignisse des Tages sprechen — — —. Und dabei
-blickst du wie eine traurige Fürstin — — —!</p>
-
-<p class='c010'>Für P. H., die »Romantikerin«.</p>
-
-<p class='c016'>Sie erwünschen es sich, daß ich Ihnen von meiner
-einsamen Landpartie im Vorfrühling Blätter ins
-Haus sende, in die enge Gasse der Vorstadt?! Nun,
-ich befestigte alles einzeln vorsichtig an silbernen
-Drähten, zarte, gelbgrüne Blättchen. Wie gleicht
-Ihr Herz doch der Vorfrühlingslandschaft — — —!
-Man bedauert direkt, daß es bald zu greifbarer
-Blüte und Frucht ausreifen werde im Sonnenbrande
-des Lebens!</p>
-
-<p class='c010'><i>Für Gertrude Barrison, Tänzerin.</i></p>
-
-<p class='c016'>Kalt und hart scheinbar sind Sie im Leben, das
-alle zu leben, alle zu erleiden, alle zu ertragen haben!
-Aber <i>hinter</i> diesem »gewaltsamen Sein« schlummert
-den ewigen Schlaf, besiegt und längst abgestorben,
-die »vergrämte Idealistin«! <i>Geschreckt</i> von der
-<i>Heimtücke des Daseins</i>, traut sie sich nie mehr
-zum Vorschein — — —. Und nur des Dichters Auge
-<span class='pageno' id='Page_15'>15</span>blickt noch in Welten, über die der Sargschleier,
-alles verbergend, liegt — — —.</p>
-
-<p class='c010'><i>An Miß Bessie.</i></p>
-
-<p class='c016'>Ich hatte dich irrsinnig lieb und vergeblich — — —
-man hat immer nur <i>irrsinnig</i> lieb, wenn es <i>vergeblich</i>
-ist!</p>
-
-<p class='c010'>An Frau E. R.</p>
-
-<p class='c016'>Eine Welt von zärtlichster Zärtlichkeit mußte in
-mir ersterben, auf dein Geheiß! Auf deinen strengen
-unerbittlichen Wunsch! In späteren Tagen warst
-du sanftmütig und gütig zu mir; in späteren Tagen!
-Aber den »süßen Wahnsinn« hast du mir gemordet,
-wolltest durchaus meiner Seele endlose Welten auf
-ein <i>erfaßbares Maß</i> zurückführen; vergeblich!
-<i>Stört</i> euch »unser Wahnsinn«, so enttäuscht euch
-schließlich noch mehr die »normale Liebe« der
-anderen! Sind wir auch »übertrieben« in unserer
-Verehrung, sind die <i>anderen allzu nüchtern</i> in
-ihrer gesunden Gerechtigkeit!</p>
-
-<p class='c010'><i>An Else Wiesenthal.</i></p>
-
-<p class='c016'>Immer und überall im Leben vermißt man
-»Hoheit und Würde« und »edle Kindlichkeiten«
-zugleich! Aber in <i>Ihrem Tanzen</i> findet man es.
-Deshalb ist man so beglückt und erlöst und erleichtert.
-Was man an seiner geliebtesten Geliebten
-schmerzlich-melancholisch vermißt, findet man, erstaunt,
-gerührt, bei Ihnen! Unerbittlich und starr
-wird immer naturgemäß sogleich die Seele des
-Mannes, falls ein <i>wertvolleres</i> Bild vor seine Seele
-<span class='pageno' id='Page_16'>16</span>tritt! Ehebruch, Treuebruch, was seid ihr für
-nichtssagende Namen! Das »<i>Zulänglichere</i>« löscht
-einfach stets das »<i>Unzulängliche</i>« aus! Soll man
-weiter verehren, was der Verehrung nicht mehr
-wert ist?! Gehet von hinnen, Schwerfällige, wenn
-die »<i>idealere Tänzerin</i>« naht! Die »<i>Gleitende</i>«
-besiegt die »<i>Schleichende</i>«!</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_17'>17</span>
- <h2 class='c009'>WESEN DER FREUNDSCHAFT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich kenne nur zwei Menschen, die mir freundschaftlich
-gesinnt sind, mein Bruder und A. R. Sie
-verstehen alles, was ich denke, empfinde, sage,
-geben allen Dingen die <i>wohlwollendste</i> Auslegung.
-Sie sind ganz ohne »Fallen-stellen-wollen«.
-Sie vernehmen nur das Wertvolle, <i>überhören</i>
-eventuelle Mißtöne, ohne zu zucken. Sie schöpfen vom
-geliebten Menschen den Rahm ab, beklagen sich nicht
-über die wässerige Milch, die darunter liegt, sondern
-erfassen es als ein Naturgesetz, daß der Rahm nicht
-bis zuunterst reichen kann — — —. Sie erläutern
-uns nach unseren <i>in uns verborgen liegenden</i>
-Idealen, nicht nach unseren allen augenfälligen
-alltäglichen Schwächen! Sie lauern auf unsere <i>seltenen</i>
-Höhepunkte, beachten nicht unsere Verkommenheiten.
-Sie sind noble Ausleger, Ausdeuter
-unseres <i>wirklichen Wesens</i>. Sie <i>begreifen</i> unsere
-Schwächen, sie <i>achten</i> unsere Stärke! Sie sind
-mit uns, wie man mit edelrassigen Kanarienvögeln,
-Papageien, Staren, Hunden, Affen ist. Man achtet
-ihre Eigenart, fordert von ihnen nichts Unmögliches.
-Man hält sich an ihre »besonderen« exzeptionellen
-Eigenschaften. Diese wohlwollend-sentimentale Art
-von Nervengutmütigkeit heißt: <i>Freundschaft</i>.
-Jede andere ist tief verlogen. Diese edle »<i>ewige
-Gutmütigkeit</i>« ist von <i>Gottes Gnaden</i>! Man
-hat sie zumeist erst mit Verstorbenen. Da kommt
-man erst zur Besinnung über besondere Werte,
-dringt tiefer ein in das Wesen desjenigen, dessen
-Lebendigsein uns nicht mehr stört. So lange er lebte,
-<span class='pageno' id='Page_18'>18</span>beging er die störende Ungeschicklichkeit, ein anderer
-zu sein an Denken und Empfinden als wir
-selbst!</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_19'>19</span>
- <h2 class='c009'>WAS IST EIN DICHTER?</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Er sah am »Gänsehäufel« ein fremdes junges
-Mädchen, ganz lang und schlank, goldbraune
-wehende Haare, lange, schmale Hände und Füße,
-ein ockergelbes seidenes Trikot an dem mulattenbraunen
-Leibe.</p>
-
-<p class='c016'>Er konnte sie nie, nie, nie mehr vergessen.</p>
-
-<p class='c016'>Er sah in einer japanischen Akrobatentruppe ein
-fünfjähriges Mäderl, gelber Teint, Stumpfnäschen,
-schwarze Haare wie eine Perücke. Lebendig gewordenes
-Kinderspielzeug!</p>
-
-<p class='c016'>Er konnte sie nie, nie, nie mehr vergessen.</p>
-
-<p class='c016'>Er las von einer wunderschönen Preisfechterin
-in Venedig, aus reicher, geachteter Familie, die ohne
-Grund, neunzehnjährig, sich aus ihrem Zimmer, drei
-Stockwerke hoch, aufs Pflaster stürzte und starb.</p>
-
-<p class='c016'>Er konnte sie nie, nie, nie mehr vergessen.</p>
-
-<p class='c016'>Er hatte neben sich eine, ganz, ganz neben sich,
-hart neben sich, bei Tag und bei Nacht.</p>
-
-<p class='c016'>Die konnte er aber vergessen, vergessen, vergessen!</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_20'>20</span>
- <h2 class='c009'>BEKENNTNIS</h2>
-</div>
-<div class='lg-container-l c017'>
- <div class='linegroup'>
- <div class='group'>
- <div class='line in4'>Du gabst mir alles — — — und ich gab dir nichts!</div>
- <div class='line'>Mein Aug’, mein Ohr, mein Denken und mein Träumen</div>
- <div class='line'>gehörten vielleicht eher den dunklen Mädchen von den</div>
- <div class='line'>Sundainseln, romantischen Gebilden fremder Welten,</div>
- <div class='line'>die ihre stillen Wege gehn nahe dem Urwald — — —.</div>
- <div class='line'>Du gabst mir alles — — — und ich gab dir nichts!</div>
- <div class='line'>Wie Märtyrerinnen warst du aus der Vorzeit,</div>
- <div class='line'>oder wie Krankenpflegerinnen fremder Menschen,</div>
- <div class='line'>wie sie heut’ noch sind in Krankenhäusern und in</div>
- <div class='line'>Klöstern — — —.</div>
- <div class='line'>Belohnung war dein <i>eigenes</i> Gefühl in dir!</div>
- <div class='line'>Im <i>Geben</i> nahmst du <i>tausendfach zurück</i>,</div>
- <div class='line'>was du gespendet. Und <i>davon</i> lebtest du!</div>
- <div class='line'>Nun bist du in dem Dienste deiner heiligen Seele</div>
- <div class='line'>krank geworden — — —</div>
- <div class='line'>der magische Schein der Selbstaufopferung verlischt — — —</div>
- <div class='line'>du kannst nicht mehr grenzenlos ergeben sein!</div>
- <div class='line'>Und weinend siehst du nun zum ersten Male deines</div>
- <div class='line'>Lebens Not — — —.</div>
- <div class='line'>Du gabst mir alles — — — und ich gab dir nichts!</div>
- <div class='line'>Und dennoch traure ich verzweifelt am Sarge deiner</div>
- <div class='line'>armen Seele — — —. Denn, glaube mir, sie starb!</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_21'>21</span>
- <h2 class='c009'>ENTWICKLUNG</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Es gibt zwei Arten von Genies. Die, die eine neue
-naturgemäße Sache entdecken, und die, die es <i>gläubig
-erfassen</i> und verwerten. Der <i>Glaube</i> an die
-Genialität des anderen ist die <i>nächstfolgende</i>
-Genialität. <i>Glaube</i> an neue Erkenntnisse ist bisher
-unterschätzt worden. Es ist ein <i>zweiter Grad</i>
-von Genialität. Die anderen sind Skeptiker, also
-<i>ungenial</i>. Dann gibt es noch die <i>Mitläufer</i> mit
-den Schwindlern und Hochstaplern. Das sind die
-ganz Ungenialen, die einem ebenso Ungenialen wie
-sie selbst sind, feige Kärrnerdienste leisten. Sie leben
-von der Hoffnung, man werde sie ernst nehmen,
-weil sie einem nicht ernst zu Nehmenden ernstlich
-Gefolgschaft leisten! Aber in Gottes Buche ist alles
-verzeichnet, und dieser riesigen unerbittlichen Buchführung
-über <i>Reelles</i> und <i>Unreelles</i> unterliegt
-schließlich alles! Alles wird <i>aufgedeckt</i>, die reellen
-und die gefälschten Ziffern, und man sollte eben
-deshalb schicksalsergeben sein. <i>Entwicklungskonjunkturen</i>
-ausnützen ist jedoch eine der
-feigsten Gemeinheiten. Wenn man für die »Frauenseele«
-zum Beispiel kämpft, muß man zeit seines
-langen schrecklichen Lebens in jeder Beziehung daran
-auch elend verblutet sein. Die jungen Gänseriche
-haben aber noch einfach ihre verfluchte Pflicht und
-Schuldigkeit, ohne psychologische Mätzchen das
-Ihrige wie eh und je zu leisten. Der Entdecker
-<i>leidet</i>, und der Gläubige an ihn <i>leidet</i>. Aber
-der geschickte Ausnützer von Konjunkturen macht
-dabei seinen <i>Rebbach</i>.</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_22'>22</span>Dasselbe findet in der Kunst statt. Gottes Pläne
-sind niemandem heilig, sondern man erstrebt es
-einfach, seiner eigenen verfehlten Organisation zum
-Durchbruche zu verhelfen! <i>Freaks</i> sind noch lange
-keine <i>Genies</i>, obzwar Genies oft <i>Freaks</i> waren.
-Sie waren es eben doch nur scheinbar. Denn <i>hinter</i>
-ihnen thronte Gott und die Natur, wenn auch ein
-wenig in allzu grotesken Formen. Es gibt Räusche,
-in denen man Symphonien dichtet; und es gibt
-Räusche, in denen man sich erbricht. Beides sind
-Räusche, Ekstasen, übertriebene Zustände. Aber
-Rausch und Rausch sind nicht gleich; und nicht
-jeder torkelnde Betrunkene schreibt dann in seinem
-einsamen Zimmer Schubert-Lieder!</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_23'>23</span>
- <h2 class='c009'>SANKT-MARTINS-INSEL</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Als der Arzt ihr mitteilte, daß sie vor den dunklen
-Toren der Tuberkulose stehe, sagte sie: »Na, na,
-dös tun mer net, mit achtzehn Jahren?!«</p>
-
-<p class='c016'>Und sie eilte nach Gravosa, und lag auf der
-Sankt-Martins-Insel mutterseelenallein, mit ihren
-Proviantvorräten, von sieben morgens bis sieben
-abends, und breitete splitternackt die Arme aus, um
-die Heilkraft der Natur zu empfangen.</p>
-
-<p class='c016'>Sie ließ sich mit Mentholfranzbranntwein täglich
-zweimal eine halbe Stunde lang einreiben und nahm
-einen halben Liter Kakao mit sechs eingesprudelten
-rohen Eidottern. Ferner Bouillons mit eingesprudelten
-rohen Eidottern und Seefischfilets in großen Mengen.</p>
-
-<p class='c016'>Als sie gesund wurde, kam der Ehrgeiz und die
-Lebenslust über sie, und sie fand ein Engagement
-in einem ganz kleinen Theater. Ihre erste Rolle war
-die französische Gräfin Laborde-Vallais. Sie wußte
-durchaus nichts damit anzufangen, aber ein junger
-Herr schickte ihr in die Garderobe seine Visitenkarte.</p>
-
-<p class='c016'>Sie hatte sich mutig dem Tode entzogen, und
-bemerkte nun bald, daß das Leben es nicht wert sei,
-sich so sehr darum bemüht zu haben. Sie war dieser
-Gefahr »Tod« entronnen — nun kam diese größere
-Gefahr »Leben«! Dem konnte man nicht mit
-Sonnenbädern, Kakao, gesprudelten Eidottern, Mentholfranzbranntwein
-entrinnen!</p>
-
-<p class='c016'>Später lernte sie zufällig den Dichter kennen.
-Sie verstand nicht, worin das bestehe, ein Dichter
-zu sein. Man schreibt Bücher, und man ist ein Dichter.
-Aber was stellt es vor, und wozu ist es?!?</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_24'>24</span>Aber eines Tages sagte er zu ihr: »Wie war es
-auf der Sankt-Martins-Insel?!? Sie lagen da, gottergeben,
-und erwarteten von Wiese, Wald und Sonne
-Ihre Heilung — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Und jemand sagte zu ihr: »Hören Sie mir schon
-auf mit Ihrer faden Sankt-Martins-Insel! Jetzt sind
-wir Gott sei Dank hier!«</p>
-
-<p class='c016'>Da blickte sie hilfeflehend zu dem Dichter, und
-sie fand einen hilfsbereiten Blick — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Da wußte sie, was ein Dichter sei und wozu er
-da sei — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_25'>25</span>
- <h2 class='c009'>KONZERT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Du kamst aus dem Konzert, erfüllt von Liedern
-und den Liedertexten, die von Dichtern waren wie
-Stefan George, Richard Dehmel, Jacobsen, dem verstorbenen
-Dänen, der Musik in Worten machte.</p>
-
-<p class='c016'>Du warst schön und prächtig, gelb und gold war
-dein Gewand, und deine geliebten Augen blickten
-noch in Fernen, aus denen sie eben kamen. Ein
-Zwerg, ein Wurm, ein gekrümmtes armseliges
-Reptil erschien ich dir, ans Irdische dich feig gemahnend,
-die du aus hehren Fernen kamst, und
-meiner Liebe allzu gewohnte Seufzer verhallten in
-den Tönen deiner neuen Musikwelten.</p>
-
-<p class='c016'>Ich starb dahin vor Eifersucht auf das Konzert,
-und auf alles, was drum herum und dran hängt an
-Ablenkungen selbstverständlicher Art einer fanatisch
-geliebten Seele —. Ich starb dahin.</p>
-
-<p class='c016'>Du aber blicktest, gelb und goldig war dein
-romantisches Gewand, in Fernen, aus denen du
-soeben kamst, gleichsam von einer langen, langen,
-langen Reise —. Wo warst du, Frau?!?</p>
-
-<p class='c016'>Da senkte ich den Blick, der zuerst böse starrte,
-und ich ergab mich in das Schicksal — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Du sagtest schlicht: »Es war sehr schön; man
-hat sehr viel gelernt; man blickte jedenfalls in Welten,
-die bisher verschlossen waren —.«</p>
-
-<p class='c016'>Da saß ich denn da und getraute mich nicht mehr,
-deine geliebten Hände zu berühren wie eh und je —.</p>
-
-<p class='c016'>Und du sagtest: »Was haben Sie?!?« Und ich
-sagte: »Nichts — — —.«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_26'>26</span>
- <h2 class='c009'>BUCHBESPRECHUNG</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Er hatte zu ihr gesagt: »Nun habe ich dich,
-<i>über allen Kitsch der Künstler</i> hinaus, den
-<i>Kunstwerken der Natur und des Lebens
-selbst</i> allmählich näher gebracht, habe dich mühselig
-gelehrt, die Romantik des Daseins <i>aus erster
-Hand</i> zu genießen! Nun gebe ich dir einen allerbesten,
-spannendsten, aufregendsten, ergreifendsten,
-lehrreichsten Roman zu lesen: »<i>Der Volkskrieg
-in Tirol</i> 1809« von Oberleutnant Rudolf Bartsch.«</p>
-
-<p class='c016'>Und sie las es in einigen Stunden einer schlaflosen
-Nacht. Alle Menschen darin standen ihr nahe, und
-sie zitterte um eines jeden Schicksal! Erzherzog
-Johann, die Offiziere, die Diplomaten, die Bauernführer
-wurden ihr zu vertrauten Freunden. Sie begann
-das Getriebe der Welt zu erkennen und Freunde
-und Feinde in gleicher Weise zu verstehen! Sie sah
-die Schlachten zwischen <i>Intelligenz</i> und <i>Herz</i>
-im Menschen, zwischen <i>Vorurteil</i> und <i>Urteil</i>,
-zwischen <i>Fernsicht</i> und <i>Nahsicht</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Sie gewann eine tiefe, tiefe Liebe zu Peter Mayr
-und Andreas Hofer, zu den reinsten der Reinen,
-den eigentlichen Idealisten in dem Buche.</p>
-
-<p class='c016'>Sie weinte bitterlich und stundenlang über ihre
-edle Art. Sie schrieb sich folgende Stelle auf ein
-Pergamentblatt heraus und ließ es einrahmen unter
-dem Titel: »So sind alle, die für die <i>Kommenden</i>
-von Wert sind!«</p>
-
-<p class='c016'>Diese Stelle lautete: Der geniale Hormayr verscherzte
-sich das Zutrauen vieler, namentlich der
-Bauern. Als er nach dem Bankrott der österreichischen
-<span class='pageno' id='Page_27'>27</span>Invasion aus dem Lande floh, <i>schob</i> so recht
-das ganze Volk von Tirol den gegen Hormayr einfältigen,
-aber sittenreinen Sandwirt an die höchste
-Stelle — ohne dessen Zutun.</p>
-
-<p class='c016'>Schob: dieses Wort bezeichnet viel in Hofers
-Wesen und Laufbahn! Der bedächtige Sandwirt war
-keine aggressive, ideenwälzende Natur wie Haspinger,
-kein genial tollkühner Unfried wie Speckbacher.
-Viele seiner Führer hatten weit größere Begabung
-als der bloß mit einem schlichten, gesunden Hausverstand
-ohne weiten Blick ausgerüstete Hofer.
-Gedrängt, unwiderstehlich gedrängt wurde Hofer
-zu allem, was er tat. Eine äußere, aber geheime
-Macht, deren Walten er wohl ahnte, der er nie zu
-widerstehen suchte und die er verehrte, trieb ihn:
-der Volksgeist von Tirol!</p>
-
-<p class='c016'>Diese Macht erhob ihn hoch — er blieb demütig
-und schlicht; diese Macht entriß ihm all seine Entschlüsse.
-Durch sie gedrängt, siegte er bei Sterzing,
-am Isel und bei Leonhard. Durch sie gehalten, vermochte
-er nicht zu fliehen, als die Besten des Landes
-das sinkende Schiff verließen — und geschoben, ja
-ganz verwirrt von dem Einfluß der Verzweifeltsten
-des ganzen Landes, brach er im Spätherbst 1809
-zum erstenmal in seinem Leben das Wort, verleugnete
-seine Unterwerfung, erhob von neuem den
-Ruf zum Aufruhr, und erst als sein Körperliches gefangen
-und dem Tode geweiht war, da befreite sich
-seine Seele, eine tiefe Erkenntnis seines ganzen
-Lebenslaufes durchzuckte ihn, und da wuchs er ins
-Übermenschliche. Dieser weichherzige Mann, der so
-leicht die gutmütigen Augen voll Wasser bekam,
-<span class='pageno' id='Page_28'>28</span>nahm trockenen Auges Abschied von einer Welt,
-die sich schlechter erwiesen hatte als er.</p>
-
-<p class='c016'>Daß man Hofer so oft verkannt und in ihm den
-Führer und Kommandanten des Aufstandes gesehen
-hatte! Er war weniger und doch mehr. Er war
-seinem Volke, was dem Soldaten seine Fahne ist:
-Das Panier von Tirol!</p>
-
-<p class='c016'><i>Selbst unbeweglich</i>, aber von den Kühnsten
-und Besten getragen, <i>allen voran</i>. Unbefleckt,
-rein, verehrenswürdig, ja wahrhaft geheiligt! Von
-der Religion geweiht, vom Paten Johann mit einem
-Wahlspruch belebt, vom Kaiser ausgezeichnet und
-geschmückt. In der höchsten Not entfaltet, als alle
-Kommandanten versagten, siegt diese menschliche
-vorausgetragene Fahne Andreas Hofer, dann sinkt
-sie — — und mit ihr das Land Tirol. Er war eben der
-einfache, Mensch gewordene Idealismus, der embryonal
-in tausend Herzen, in tausend Gehirnen, in tausend
-Willenskräften verborgen lag!</p>
-
-<p class='c016'>Die edle Leserin machte die Hinrichtung Andreas
-Hofers mit, aber sie konnte nicht, wie er von sich
-selbst es sagte, sagen: »So leicht kommt mir sein
-Sterben an, daß mir die Augen davon nicht naß
-werden — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Sie aß wenig, sie sprach wenig durch viele Tage.
-Nur dem Freunde, der ihr diesen »<i>Roman des
-wirklichen Lebens</i>« anempfohlen hatte, blickte sie
-dankbarst in die Augen. Da sagte er denn zu ihr:
-»Dieser Oberleutnant Rudolf Bartsch ist vielleicht
-ein <i>größerer Dichter</i> als viele protokollierte
-Firmen dieser Branche. Denn er hat die in den
-Archiven des Lebens begrabene Poesie und Romantik
-<span class='pageno' id='Page_29'>29</span>der Menschheit zu lebendigem wirkendem Leben gebracht
-durch sein einfaches tiefes Buch!« Und die
-Dame reihte es ein in ihrer kleinen Bibliothek neben
-ihre Götter: Hamsun, Strindberg, Maeterlinck, Ibsen,
-diese <i>Vermehrer des Bestandes der allgemeinen
-menschlichen Seele</i>!</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_30'>30</span>
- <h2 class='c009'>IDEALE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ein fünfzehnjähriges wunderschönes Stubenmädchen
-stahl ihrer Herrin zwanzig Kronen.</p>
-
-<p class='c016'>Die Herrin schickte zur Polizei und machte die
-Anzeige von dem Diebstahl. Da nahm die Fünfzehnjährige,
-die ihrer Mutter zum Namenstag ein
-Geschenk hatte machen wollen, eine Flasche mit
-Spiritus, trank die Hälfte aus, übergoß ihre Kleider
-mit der anderen Hälfte, zündete sie an. Nach elf
-qualvollen Stunden verstarb sie im Wasserbett.</p>
-
-<p class='c016'>Einfache künftige Polizeivorschrift:</p>
-
-<p class='c016'>Anzeigen gegen Untergebene unter zwanzig Jahren
-wegen Diebstahls unter 100 Kronen werden zwar angenommen,
-aber sobald es sich um einen <i>ersten</i>
-Fall handelt, in den Papierkorb geworfen!</p>
-
-<p class='c016'>Man vertröste die anzeigende »Canaille«, daß
-sich der Fall leider »verzögert« habe — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_31'>31</span>
- <h2 class='c009'>EIN BRIEF</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Liebes Fräulein Marion Kaulitz, ich habe gestern
-in der Wiener Werkstätte, erster Bezirk, Graben 15,
-die Puppenausstellung besichtigt. Ich war ganz gerührt.
-Wie schrecklich sind doch diese Puppengespenster
-gewesen aus der Kindheit unsrer geliebten
-Schwestern und Cousinen! Wie starrten sie uns
-blöde herzlos an, erwiderten alle Liebe und Sorge
-mit einem nichtssagenden kretinartigen Grinsen, das
-unsre kleinen Herzen hätte lieblos machen müssen,
-wenn wir damals nicht so viel an selbstloser Liebe
-aufgespeichert hätten zu adeliger Verschwendung!</p>
-
-<p class='c016'>Aber nun schufen Sie, Fräulein, Puppen, die wie
-edle, zarte Menschenkinder blicken, träumerisch
-lächelnde, und solche, die sich anschicken zu weinen
-und es dennoch unterdrücken! Kleine, zarte Kindchen
-schufen Sie, nicht Puppen!</p>
-
-<p class='c016'>»Das Beste ist für unsre Kinder gerade noch gut
-genug«, sei der Wahlspruch von verständnisvollen
-Eltern. Eine meiner kleinen zartfühlenden Freundinnen,
-zwölfjährig, hat am Lande im Garten einen
-Zentralkäfig aus spinnwebdünnem Stacheldraht.
-Innerhalb ein kleiner ovaler Teich von Quellwasser,
-und blühende kleine Gesträuche. Dieser Käfig ist
-bewohnt von siebzig herrlichen Vogelarten. Hier
-genießt sie die Märchen der mysteriösen Natur aus
-allererster Hand, hat einen kleinen bequemen Fauteuil
-davor gerückt, sitzt stundenlang, beglückt und
-entrückt — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Geradeso könnte man mit Ihren Püppchen sitzen,
-stundenlang, Fräulein Marion Kaulitz! Ich denke mir
-<span class='pageno' id='Page_32'>32</span>kinderlose zarte Damen, die dieselben sanft an ihr
-Herz drückten. Im Schlafzimmer sollten sie in Sofaecken
-kauern, wie kleine zarte Lebewesen! Es gibt
-einige darunter, die man direkt lieb gewinnt. Ich
-kann es mir vorstellen, daß eine alte Jungfer solche
-fünfzig ankaufte und so in ihrem Zimmer eine Welt
-erblühen ließe, die ihr im realen Leben versagt geblieben
-ist. Eine Welt von Poesie und ohne die
-Enttäuschungen. Eine ist darunter, dreißig Kronen,
-von der man es sich vorstellen muß, daß sie unbedingt
-eine weltentrückte Dichterin werden würde. Ich
-sagte zu der wunderbar schönen bleichen Verkäuferin
-mit den aschblonden Haaren und der sanftmütigen
-Stimme: »Melden Sie es mir seinerzeit,
-welche Dame diese scheinbar unscheinbare Puppe
-erstanden habe! Es wird jedenfalls eine ›innerlich
-Adelige‹ sein — — —.« Die bleiche Verkäuferin errötete
-und sagte: »Ein fremder Herr hat sie heute
-bereits von selbst für mich erstanden — — —.«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_33'>33</span>
- <h2 class='c009'>VARIÉTÉ</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>»Sechs riesenstarke Männer und eine <i>Sechzehnjährige</i>,
-wunderbaren verklärten Antlitzes, und gewachsen
-wie ein edler Knabe. Man warf sie wie
-einen Gummiball, fing sie nach zahllosen Umdrehungen
-auf herkulischen Schultern geschickt auf.
-Dennoch zitterte man jedesmal für ihre edelzarten,
-unbeschreiblich rührenden, gebrechlichen Glieder.
-Sie blickte ekstatisch, ließ sich in die Luft wirbeln
-und auffangen und hätte, zufällig auf den Boden
-geschleudert und ermordet, zerbrochen, zerquetscht,
-keinen Laut von sich gegeben! Ekstatisch blickend
-wäre sie gestorben. Da dachte ein Graf: »Ich werde
-sie ihren Peinigern entziehen und ihrem Selbstmorde.
-Ich werde sie schützen, pflegen und behüten!«
-Aber das <i>wunderbar verklärte</i> Antlitz hätte sie
-dann sogleich verloren, und den edlen süßen Heldenblick
-wie in einer Schlacht, in der man gern vor dem
-Tode steht! Denn »leben ohne Ehre« ist da überflüssig
-geworden! O, Fräulein, gedenken Sie eines
-armseligen Zeitungsreferenten, der es nicht drucken
-lassen darf, daß er vor Ihnen hätte hinknien mögen!
-Sondern er mußte schreiben: »Einen wirklichen
-Rekord in der Parterreakrobatik bot die jugendliche
-Tochter des Truppendirektors. Eine Vereinigung von
-Kraft und Anmut — — —. Stürmischer Beifall belohnte
-aber auch ihre Leistung!« O, Menschheit,
-pfui über dich, die du noch immer die »spanische
-Stiergefechtsseele« hast, ohne Erbarmen und ohne
-Liebe, pfui! Fräulein M., Ihre edelzarten Glieder
-sind mehr wert als das begeisterte Gejohle einer herzlosen
-<span class='pageno' id='Page_34'>34</span>Menge. Gott beschütze Sie, Allerzarteste, in
-Ihrem gefahrvollen Berufe! Möge dennoch ein Graf
-Sie zuletzt erretten!«</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_35'>35</span>
- <h2 class='c009'>DIE ABGELEHNTE EINLADUNG</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>»Sie luden ihn ein auf ihre Besitzung. Er könne
-dort tun und lassen, was er wolle, niemand würde
-Ansprüche an ihn stellen. Er habe seine Freiheit
-garantiert. Er kam nicht. Er hatte zu tiefe <i>Achtung</i>
-vor dem <i>Fernverkehr</i> zwischen Menschen,
-die sich wenigstens teilweise verstehen, zu viel <i>Verachtung</i>
-für den <i>Nahverkehr</i>, der unter allen
-Umständen Abgründe öffnet, in denen die Seelen
-zerschellen. Welche Freiheit konnte man ihm garantieren,
-nachdem er als Gast von selbst infolge seiner
-inneren Kultur unwillkürlich den Gastgeber ununterbrochen
-berücksichtigt hätte? Die großen Abgründe
-sind leicht mit Freundschaft zu überbrücken,
-<i>unüberbrückbar</i> sind die allerkleinsten; was ist
-es, wenn der fanatisch geliebte Hund des Gastgebers
-dem Gaste als ein verwöhntes, ekelhaftes Beest erscheint?
-Genügt das nicht, alle Werte umzuwerten
-und Verzweiflung in den Nerven zu erzeugen, wo früher
-edler Friede war? Ich will von Speisen und Getränken
-gar nicht reden, von Tageseinteilungen. Der Gast
-wird zum »hysterisch-empfindsamsten« Menschen,
-weil er eben der »Gast« ist, der Gastgeber ebenfalls,
-weil er eben der »Gastgeber« ist! Es entsteht eine
-Beziehung von Verantwortlichkeit für das Glück
-des anderen. Man bemüht sich, ein anständiges
-aber ungeschicktes Kompromiß zu schließen zwischen
-zwei Nervensystemen. Nun gibt es aber auch noch
-tragischere Verwicklungen. Zum Beispiel »Lieblingsspaziergänge«,
-oder »Lieblingsplätze im Garten«,
-ja sogar »Lieblingsbäume und -blumen«. »Gekränkt
-<span class='pageno' id='Page_36'>36</span>sein« ist eine von unserem guten, ja von unserem besten
-Willen unabhängige Emotion der Seele. Wodurch
-könnte man es besiegen!? Durch Entfernung! Napoleon
-kann bei seinem Kammerdiener zu Gaste sein,
-aber nicht bei einem Napoleon! Außerdem kann
-man sich auch noch zu allem anderen vielleicht in
-das Stubenmädchen der Hausfrau verlieben. »Distanzen
-lassen« in jeglichem Verkehr ist die »Genialität
-der Bescheidenen«, »Distanzen nicht einhalten« ist
-die »Stupidität der Größenwahnsinnigen«! Es gibt
-daher für einen »<i>bescheidenen</i>« Gast eine einzige
-Form der Einladung an ihn: »Liebster Freund, wir
-reisen heute abends ab, unsere Villa steht Ihnen
-daher zur Verfügung. Die Köchin wird kochen, was
-Sie anbefehlen; außerdem bekommen Sie Tagesdiäten
-von zehn Kronen. Gedenken Sie unser in
-Liebe!«</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_37'>37</span>
- <h2 class='c009'>HYPOKRISIE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich möchte ein einziges Mal im Leben ein Liebespaar,
-ein junges Ehepaar antreffen, bei dem der
-Mann nicht in überquellender sorgsamer Zärtlichkeit
-das Zigarettenrauchen der Geliebten bespräche!
-»Anna, du weißt, dein Pensum ist bereits überschritten,
-ich habe drei Zigaretten täglich gestattet,
-eine nach dem Frühstück, eine nach dem Mittagessen,
-eine nach dem Nachtmahl. Ich glaube, ich
-bin jedenfalls ein nachsichtiger Gatte — — —.« Nein,
-das bist du nicht, du Hund! Gerade hierin also willst
-du ihr helfen, hast nicht die geringste Ahnung, du
-Esel, wieviel Narkotika sie braucht, um deine Langweiligkeiten
-zu ertragen, oder sich zu betäuben einmal
-auf anständige Art! Keine Frau raucht mehr
-Zigaretten, als sie unbedingt braucht, denn in der
-Kontrolle ihrer Genußfähigkeiten sind die Frauen
-begabter als die Männer, da sie den Gesetzen der
-unbewußten Natur näher stehen, sie daher besser
-erlauschen! Ich hasse die Männer, die ihre hypokrite
-zärtliche Fürsorge gleichsam auf das scheinbar übertriebene
-Zigarettenrauchen ihrer geliebten Frauen
-konzentrieren. Sie haben überhaupt nicht die geringste
-Ahnung von der minutiösen Hygiene des
-Frauenleibes, der Frauenseele! Aber vor der unschuldig-betäubenden,
-ja oft erlösenden Zigarette
-wollen sie sie zärtlichst behüten! Der Anfang aller
-Ungezogenheiten einer Frau, die sich dann allmählich
-und unscheinbar entwickeln, ist, ihr ihre unschuldigen
-Freuden zu mißgönnen!</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_38'>38</span>
- <h2 class='c009'>STRANDBAD »GÄNSEHÄUFEL«</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Wie alt du wirst, Peter — —. Läßt dich deinen
-Idealen nicht mal mehr vorstellen?!</p>
-
-<p class='c016'>Ich sah zwei Schwestern, sechzehn und fünfzehn,
-mit braunem Teint und dunklen Haaren, stumpfnasig,
-edelhändig, edelfüßig.</p>
-
-<p class='c016'>Wie von den Inseln Ceylon, Sumatra, waren sie.</p>
-
-<p class='c016'>Die Sonne brannte auf den grauen mehligen
-Donausand des Strombades »Gänsehäufel«.</p>
-
-<p class='c016'>Ein buntes Treiben; und ich sah nur euch!</p>
-
-<p class='c016'>Wie flügge Vögelchen im Neste, sah ich euch,
-von eurem Vater zart behütet — —.</p>
-
-<p class='c016'>Finger, Zehen, zart zum Abbrechen.</p>
-
-<p class='c016'>Und eure Augen schienen noch nie ängstlich geblickt
-zu haben — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Ein buntes Treiben auf dem Strand, im Wasser!</p>
-
-<p class='c016'>Familienglück mit plätschernden Babys, und
-Paare, denen man es ansah: »Ihr gehört zusammen!«</p>
-
-<p class='c016'>Von Weidenbüschen kamen Duft und Kühle — —.</p>
-
-<p class='c016'>Und als die beiden braunen Schwestern ihre
-weißen Strandkörbe verließen, um zu baden, hätte
-ich mich gern als Leibwache hinpostiert und zu jedem
-gesagt: »Die Körbe sind besetzt, ich hüte meiner
-geliebten Herrschaft ihre Ruheplätze — — —!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_39'>39</span>
- <h2 class='c009'>RÜCKKEHR VOM LANDE</h2>
-</div>
-<p class='c010'>Nun ist es wieder Herbst geworden, und die
-Grabenkioske füllen sich zur Abendzeit mit wohlgepflegten
-und gebräunten Damen.</p>
-
-<p class='c016'>Man hätte so viel zu erzählen, und man schweigt!</p>
-
-<p class='c016'>Man ist wieder in diesem Gefängnis »Großstadt«.</p>
-
-<p class='c016'>Man träumt von Licht und Luft und Wasser.</p>
-
-<p class='c016'>Man war ein anderer, besser, menschlicher.</p>
-
-<p class='c016'>Nun geht man seinen Trab wie eh und je.</p>
-
-<p class='c016'>Man fühlt sich altern, schwerfällig werden, klammert
-sich an dieses unglückselige Wort: »Verpflichtungen«!</p>
-
-<p class='c016'>Die Wohnung will nicht in Ordnung kommen, und
-die Dienstboten kündigen.</p>
-
-<p class='c016'>»Die gnädige Frau war am Land viel netter zu
-uns — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Ja, das war sie.</p>
-
-<p class='c016'>Die Kellner in den Kiosken begrüßen alle Gäste
-wie Weltreisende, die vielfache Gefahren überstanden
-haben — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Nun nehmen sie Soda-Himbeer im sicheren Port!</p>
-
-<p class='c016'>Die Deklassierten, die nicht fort waren, mischen
-sich in die Menge der Zurückgekehrten, als ob nichts
-vorgefallen wäre — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Ja, sie haben sogar die naive Frechheit, zu behaupten,
-Wien wäre am angenehmsten, wenn alles
-»auf den Ländern« weile — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Damen, mit den veredelten gebräunten Antlitzen,
-lasset euch nicht betrügen von dem Prunk
-der Großstadt! Erschauet in den Spiegeln eurer
-Gemächer einen Zug auf eurem Antlitz, den Licht
-<span class='pageno' id='Page_40'>40</span>und Luft und Wasser und Freiheit modelliert haben,
-und der nicht da war ehedem, und der verschwinden
-wird im Wintertrubel!</p>
-
-<p class='c016'>Komödie hier, Komödie dort vielleicht — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Doch unter freiem Himmel ist das <i>Theater</i>
-schöner!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_41'>41</span>
- <h2 class='c009'>KRANKENLAGER</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich lag wieder einmal im Sterben. Einer sandte
-mir daher Kalbsfußgelee in Glasdose, statt mir seine
-junge, schöne Geliebte zu senden, die mich unbedingt
-eher hätte erretten können als Kalbshaxen! Das
-Kalbsfußgelee hatte einen geheimnisvollen, uneröffenbaren
-Verschluß. Daher war es auch ganz
-gleichgültig, daß es vor dem Eröffnen zwei Stunden
-lang in Eis liegen sollte. Einer kam sehr teilnahmsvoll
-und besprach es mit mir ziemlich eingehend,
-ob er seiner Mitzi den Laufpaß geben solle oder
-nicht, nachdem doch, wie ich wisse —. Wir berieten
-hin und her, und er meinte schließlich, er sehe, ich
-sei nicht ganz bei der Sache. Zum Schlusse sagte er:
-»Hast du große Schmerzen?! Merkwürdig, daß diese
-Anfälle in letzter Zeit so häufig wiederkommen.
-Vielleicht sieht man dich übrigens morgen im Gasthaus.
-Da können wir es weiter besprechen.« Eine
-Dame kam, und ich teilte ihr mit, daß sie die schönsten
-Ohren, Hände von der Welt habe. Sie meinte,
-ich bliebe noch in der Sterbestunde ein Dichter, ein
-wirklicher Künstler. Einer kam und legte seine
-Zigarettenasche auf mein Nachtkästchen aus Bambus,
-neben die große, tiefe Aschenschale. Einer trug
-mir ein Buch weg, unter dem Vorwande, ich könne
-in meinem jetzigen Zustande ohnedies nicht die
-Sammlung finden, es zu lesen. Einer sagte mir, man
-dürfe sich nicht so sehr nachgeben, sondern müsse
-die Krankheit durch Energie überwinden. Gott, wo
-käme er selbst hin, wenn er sich immer gleich ins
-Bett legen wollte und sich pflegte!? Eine junge
-<span class='pageno' id='Page_42'>42</span>Dame schrieb: »Verehrter Meister, ich höre, daß
-Sie schwerkrank sind. Darf ich um ein Autogramm
-bitten?!« Als ich wieder genesen war, sagte man
-zu mir: »Nun, Peter, du ewig Unzufriedener, hast
-du es nicht jetzt wieder einmal erlebt, von wieviel
-Sympathie und echter Freundschaft du in schweren
-Zeiten dennoch umgeben bist?!« Ich blickte gerührt
-vor mich hin — das heißt, ich dachte: Verbrecher und
-Schafsköpfe!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_43'>43</span>
- <h2 class='c009'>HUNDE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich hasse die Frauen nicht nur wegen der falschen
-Krawatten, die sie anhaben, wegen der falschen
-Schirmgriffe, der falschen Hüte, der falschen Manschettenknöpfe
-und so weiter — ich hasse sie in
-neuerer Zeit wegen der »Pflanzhunde«, die sie sich
-mit teuerm Gelde zulegen, um eine Art von verlogener
-Tierromantik mit ihnen aufzuführen.</p>
-
-<p class='c016'>Meine wunderbar schöne Schwester fand in ihrem
-fünfzehnten Lebensjahre ein schreckliches verhungertes
-Tier auf der Bergstraße nach Kaiserbrunn,
-direkt ein Scheusal. Aber sie betreute es
-fanatisch; und als sie es eines Sommermorgens im
-Bottich des kleinen duftenden Gemüsegartens ertränkt
-fand, legte sie sich ins Bett und verweigerte
-acht Tage lang die Nahrung.</p>
-
-<p class='c016'>Heutzutage aber kaufen sie sich für schwere
-Tausende prämierte Russische Windhunde, Springer
-erster Klasse, die zwar unerhört hohe Barrieren
-überspringen, aber nicht einmal den Seelengeruch
-aufbringen, die Wohnung ihrer scheinbar geliebten
-Herrin allein wieder aufzufinden!</p>
-
-<p class='c016'>Herzlose Idioten von äußerlich schönen Tieren
-favorisieren sie, schändliche Masken von Idealen,
-einen Abglanz ihrer eigenen leeren Persönlichkeiten,
-drapiert mit modernen Gewandungen! Wie sie selbst!</p>
-
-<p class='c016'>Seinerzeit war der getreueste Freund des Menschen
-favorisiert, der aufopferungsfähige weiße oder
-schwarze Pudel.</p>
-
-<p class='c016'>Heute aber liebt man den infam perfid treulosen
-Dackel, den grotesken Clown Foxterrier, und den
-<span class='pageno' id='Page_44'>44</span>stupiden herzlosen und gleichgültigen Russischen
-Windhund.</p>
-
-<p class='c016'>Heute geht man auf Farbe und Form. Aber das
-melancholisch-treuherzige Auge ist euch gleichgültig
-geworden! Es wird sich natürlich an euch rächen!
-Auch die »Ästhetik« kann nur aus den mysteriösen
-Tiefen des Herzens kommen; sonst ist es eine Blüte,
-die an ihrer eigenen schamlosen Kälte verkommt,
-verdorrt! Nur das Herz hat ewig belebende tropische
-Wärme. Schönheit allein mordet!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_45'>45</span>
- <h2 class='c009'>H. N.</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>In deinen Augen lese ich dein Leben — — —
-mehr brauch ich nicht zu wissen, es ist alles.
-Und deine Stimme ersetzt mir die Musik der Welt!
-Deine Hände zu schauen, macht dankbar gegen das Schicksal — —
-und sie berühren, macht mich tief erschauern!
-Wie eine geknickte Blume prangst du in der Welt,
-die trotzig starrt von harten Pflanzen!
-Nur du erzeugst mir Sehnsucht, Gottes edle Qual!
-Die anderen genießt man, wenn sie da sind,
-und die Entfernung legt sie zu den Toten!
-Von dir aus strömt des Dichters Leid und Not,
-an diesem Stoffe brennen seine Flammen!
-Wenn du von Lieblingsliedern sprichst, hör ich sie tönen;
-Wenn du von Lieblingsbüchern sprichst, so hab ich sie gelesen!
-Wenn du von schönen Frauen sprichst, so seh ich sie,
-wenn du von Männern sprichst, so sterb ich vor Verzweiflung!</p>
-
-<p class='c016'>Und die Welt erdunkelt mir — — —.
-Der Bann, der Bann, Bannsegen ohne Fluch! So bannst du mich!
-Du bist verstört, von tausend geheimnisvollen Kräften hin und her getrieben,
-die aber mir zu Tau und Sonne werden,
-indem ich sie gerührt betrachte und begreife,
-wie eine Mutter ihres geliebten Kindes Rätsel — — —.
-Entfern dich nicht! Denn wenn du mich verläßt,
-erlischt für Dich dein eigener Zauber — —
-und eine Welt ersteht, die dich brutal genießen will!</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_46'>46</span>
- <h2 class='c009'>HELGA</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Helga, mein Leitstern,
-bist du mir erloschen?!?</p>
-
-<p class='c016'>Leuchtest du mir nicht mehr in meinen Dunkelheiten?!
-Willst du meinen Verdüsterungen nicht mehr Klärung bringen?!
-Die Nebel zerstreuen, die sich über meiner Seele
-lagern, wie die Sonnenkraft auf Bergesgipfeln beim Nebelreißen?!?
-Wie ein Kindchen strecke ich die Arme
-nach dir aus. Hilf mir!
-Du gabst mir Kraft, du gabst mir Frieden!
-Sei ewig bedankt — — —!
-Nun kommen die Liebelosen und rauben mir alles!
-Düstere Nebel umwölken mein ehemals klares Gehirn — — —.
-Sei wieder die Sonne, die Klarheit bringt
-und Licht und Wärme!
-Hilf mir, Helga — — —!
-Alle andern Frauen
-nehmen und plündern, die Seele, den Leib, die
-Kraft des Gehirnes — — —!
-Du allein <i>spendest</i> und <i>spendest</i> und <i>spendest</i>!
-Kaum bist du fort, <i>umdüstert</i> sich alles — — —.
-Die bösen Geister nehmen mich in Besitz — — —
-Guter Geist, Helga, ich entbehre dich,
-wie ein krankes Kind seine Baba — — —.
-<i>Gütige Kinderfrau</i>, Helga,
-ich gebe dir <i>diesen</i> Ehrentitel,
-Statt dieses schnöden, inhaltslosen Titels: Geliebte!</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_47'>47</span>
- <h2 class='c009'>DAS TELEPHON</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>»Hier Peter Altenberg — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>— »Oh, Peter, guten Abend. Denken Sie, ich
-kann heute abend nicht an Ihren lieben Stammtisch
-im ›Löwenbräu‹ kommen. Ich habe mir erst vor
-einer Stunde die Haare gewaschen und sie brauchen
-mindestens drei Stunden, um zu trocknen.«</p>
-
-<p class='c016'>»Schluß«, rief er und läutete rasend ab. —</p>
-
-<p class='c016'>Das war eine Art von Genugtuung. — Aber sehr
-bald darauf überkam ihn eine trübe Stimmung und
-er dachte: »Was, oh Fraue, was wirst du mir also
-noch alles antun, nachdem du dir nicht einmal rechtzeitig
-die Haare waschen konntest — — —.«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_48'>48</span>
- <h2 class='c009'>DIE LÜGE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Eine der schrecklichsten Verlogenheiten des
-kleinen Lebens ist es, daß so viele in liebenswürdig-korrekter
-Art fragen: »Ist es gestattet, an Ihrem
-Tische Platz zu nehmen? Stört man nicht!?«</p>
-
-<p class='c016'>Welche verlogene Gemeinheit, eine solche perfid-jesuitische
-Frage zu stellen, nachdem man es doch
-sicher weiß, daß niemand daraufhin den Mut hat,
-zu antworten: »<i>Nein</i>!«</p>
-
-<p class='c016'>Möge doch jeder in seiner Vereinsamung bleiben,
-bis man ihn »liebevoll« ruft! Wie viele Feindselige
-drängen sich scheinbar freundschaftlichst heran, weil
-man mit einer Dame sitzt, auf die sie »fliegen!«
-Eine horrende feige Gemeinheit. Schändliche Wölfe
-im Schafspelze. Wenn sie ihre Beute »gerissen«
-haben, verschwinden sie! Niemand weiß, edle Distanz
-zu halten, weder im Gespräch, noch in Handlungen.
-Eine falsche, feige Gutmütigkeit beherrscht alles,
-vom liebenswürdigen, scheinbar erfreuten Lächeln
-der Begrüßung an, bis in die ernsteren Komplikationen
-hinein, wo die Maske fällt! »Wie geht es
-Ihnen?!« Jeder denkt dabei: Hoffentlich schlecht!
-Das Herz traut sich nirgends hervor; es keucht, erstickt
-unter Lügebergen! Niemand kann »er selbst
-sein«, schaut sich daher ängstlich um, nach dem
-Sukkurs der andern!</p>
-
-<p class='c016'>Heldentum: »Ist es erlaubt, an Ihrem Tische
-Platz zu nehmen?!«</p>
-
-<p class='c016'>»Nein!«</p>
-
-<p class='c016'>Dann geht der feige, geprügelte Hund aber hin
-und rächt sich!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_49'>49</span>
- <h2 class='c009'>PLAUDEREI</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Früher hat es naturgemäß Religionsstifter gegeben
-für die <i>Seelen</i>. Der Körper war <i>urkräftig</i>,
-und die Seelen waren <i>schwächlich</i>. Da bedurfte
-es der <i>Ärzte</i> für die <i>Seelen</i>. Nun aber ist es umgekehrt:
-die Seelen sind <i>erstarkt</i>, und die Körper
-sind <i>schwächlich geworden</i>. Da bedarf es der
-Religionsstifter für die <i>Körper</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Keuschheit zum Beispiel war früher eine »psychologische«
-Forderung, heute wird es zu einer »physiologischen«!
-Einfachheit der Lebensweise war früher
-eine »psychologische Forderung«, heute ist es eine
-»physiologische« geworden!</p>
-
-<p class='c016'>Früher beschenkte man Arme aus »psychologischen«
-Gründen. Heute könnte man fast bereits
-sagen: »Ich gab einem Armen 50 Heller, denn ich
-fühlte es, daß mir mein Nachtmahl dann besser
-munden würde und ich es leichter verdauen könnte —.«</p>
-
-<p class='c016'>»Seelische Angelegenheiten« beginnen zugleich
-»physiologisch« aufgefaßt zu werden, also eine organische
-Verbindung von <i>Selbstlosigkeit</i> und <i>Ichismus</i>.
-Je mehr ich meinen <i>Körper</i> entwickle und
-schone, desto mehr kann ich <i>seelisch für andere
-leisten</i>! Ich bin <i>von mir</i> befreit! <i>Für</i> andere!
-Liebenswürdigkeit, Menschenfreundlichkeit ist Sache
-des Verdauungsapparats.</p>
-
-<p class='c016'>Mörder müssen <i>Blähungen</i> haben. Man kann
-nämlich auch unscheinbar morden; es muß nicht
-immer Messer und Kugel sein. Auch Worte können
-morden und <i>jegliche</i> Ungezogenheit! Frauen müßten
-daher besonders vorsichtig sein in bezug auf ihren
-<span class='pageno' id='Page_50'>50</span>gesamten Verdauungsapparat. Sie können leicht
-»seelisch morden«, wenn sie unverdauliches Zeug
-essen, das sie belästigt und beschwert. Ich will
-von einer der wichtigsten Sphären im »physiologischen
-Organismus« gar nichts auch nur andeuten,
-in der man entweder zum »<i>Übermenschen</i>« oder
-zum »<i>Mandrill</i>« wird! Aber der kommende Religionsstifter
-wird die Verbrechen, die »Höllen«,
-<i>ausschließlich</i> in der »physiologischen« Sphäre
-erkennen, wenn auch der »Alkoholgenuß« nur selbstverständlich
-den <i>Prügelknaben</i> vorstellt, der
-blöderweise für <i>alle anderen</i> Sünden herhalten soll!
-»Falscher Ehrgeiz« zum Beispiel ist ein »<i>physiologischer</i>«
-Mörder in uns, ein Krebs der Seele,
-eigentlich aber des Leibes! Die Würmer werden mich
-fressen, früher aber muß ich noch Baron werden! Sie
-sollen einen Baron also annagen! Man verlästert immer
-die Dekadenz. Aber wann werden die Menschen endlich
-nicht <i>mehr</i> essen, als sie benötigen, nicht <i>mehr</i>
-trinken, als sie <i>benötigen</i>?!? Bis sie es nicht
-mehr <i>vertragen</i> vor Schwäche! Dadurch aber
-werden sie dann allmählich wieder <i>ganz stark</i>
-werden!</p>
-
-<p class='c016'>Das ist der <i>Werdegang</i>! Zuerst <i>völlern</i>, auf
-seine <i>überschüssigen</i> Kräfte hin! Dann <i>sparsam
-leben</i>, wegen <i>seiner unterschüssigen</i>
-Lebenskräfte. Und dann <i>infolgedessen</i> gesunden,
-reich werden und es <i>bleiben</i>! Dekadenz ist der
-<i>organische Übergang</i> zur <i>Aszendenz</i>! Zuerst
-<i>vergeuden</i> die Menschen ihre Kräfte, weil sie
-<i>zu viel</i> davon haben. Dann <i>sparen</i> sie damit,
-weil sie <i>zu wenig</i> haben. Und schließlich haben
-<span class='pageno' id='Page_51'>51</span>sie wieder <i>angesammelt</i> und <i>sparen</i> wegen
-schlimmer Erfahrungen! Es gibt keinen anderen
-Weg!</p>
-
-<p class='c016'>Es wäre denn, daß ein »physiologischer« Religionsstifter
-die <i>persönliche Macht</i> ausübte, daß die
-<i>Verschwender</i> an Lebenskräften zu <i>sparen</i> begännen,
-<i>ehe</i> es unbedingt notwendig wäre! Dann
-könnte er »gottähnliche Menschen« züchten auf
-Erden! »Erkenntnisse aus Not« sind eigentlich dennoch
-lächerlich, sie haben keine »Verführungskraft«.
-»Erkenntnisse« aus »Erkenntnis« allein haben Triebkraft.
-Sie zeitigen Blüten und Früchte am Baume der
-Erkenntnis! Der ganze mögliche Fortschritt also: <i>Erkenntnisse</i>
-haben und sie <i>durchsetzen</i>, ohne
-»physiologisch« dazu bereits <i>genötigt</i> zu sein!
-Zum Beispiel also, Krankenkost essen, ohne es
-<i>nötig</i> zu haben, keusch leben, ohne es <i>nötig</i> zu
-haben, zehn Stunden schlafen, ohne es <i>nötig</i> zu
-haben! Mit diesem gewonnenen Überschuß an
-Lebenskräften es versuchen, ein »höherer, besserer
-Mensch« zu werden!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_52'>52</span>
- <h2 class='c009'>LEBENSBILD</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Die fünfjährige Marie Ch. mußte um 6 Uhr
-morgens, bei 10 Grad Kälte, nur mit einem Hemd
-bekleidet, den Fußboden des Vorhauses reiben. Ein
-Adeliger, ein Geschäftsmann wollte ich sagen, der
-zufällig in das Haus trat, machte die polizeiliche
-Anzeige. Alle ärmlichen Bewohner des weiten alten
-Hauses atmeten auf. Sie selbst hätten sich vor der
-Furie von Mutter nicht getraut, es zu tun.</p>
-
-<p class='c016'>Der Richter zu der Mutter: »— — — und was ist
-es mit den blutigen Striemen auf dem Leibe dieses
-schwächlichen todbleichen Geschöpfes?!«</p>
-
-<p class='c016'>»Dös Menscherl hat eh zu viel Blut — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Der Richter war empört und verurteilte sie zu
-8 Tagen. Nach diesen acht Tagen wird sie also
-jedenfalls das »vollblütige Menscherl« nicht mehr
-den Boden des Vorhauses reiben lassen, da dort
-»Adelige« vorbeigehen und die Anzeige machen
-könnten. Im trauten Gemache, einen Knebel im
-Munde, gibt es verschwiegenere Martern für irgend
-etwas. Nun hat aber höchstwahrscheinlich diese
-»Mutter« eine Entschuldigung. Denn sie nahm das
-Mäderl von Bauersleuten weg am Lande, die es zwar
-sehr fürsorglich behandelten, aber immerhin 6 bis
-10 Kronen monatlich erhielten. Grund genug, ein
-Kind als »unerträgliche Last« zu empfinden für durch
-Armut in einem ununterbrochenen Zustande von
-»reizbarer Schwäche« befindliche Nervensysteme.
-<i>Grauen befällt den Allweisen erst</i> in dem gar
-nicht seltenen Falle, wo Pflegeeltern ein abgöttisch
-geliebtes, edel gehegtes Kindchen ohne einen Kreuzer
-<span class='pageno' id='Page_53'>53</span>Entschädigung à tout prix behalten wollen, und die
-»Eltern« es nicht <i>gestatten</i>, sondern es nach
-Hause nehmen, um es der gerechten Strafe, geboren
-worden zu sein, unter unermeßlichen Qualen zu unterziehen,
-bis der Frevel seiner Geburt mit dem Tode
-gesühnt ist!</p>
-
-<p class='c016'>Richter: »Ihr Kind hat es doch dort so gut gehabt,
-und Sie selbst haben in zwei engen Stuben acht
-Kinder zu ernähren?!«</p>
-
-<p class='c016'>»Wo acht hungern, kann das neunte auch mithungern,
-soll sie’s besser haben als mir, warum?!«</p>
-
-<p class='c016'>Richter: »Der Bauer, der Ziehvater, hat erklärt,
-er setze es zur Erbin ein — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>»Nix, dös Kind g’hört zu seine Eltern, zu seine
-Geschwister — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Das Kind wurde später zu Tode gemartert.</p>
-
-<p class='c016'>Ich stelle einen einfachen logischen Gesetzesantrag:
-»Kinder, die nachweislich es bei Zieheltern,
-die <i>keinerlei Entschädigung</i> dafür verlangen,
-gut haben, dürfen den Eltern, falls sie in bedrängten
-Verhältnissen leben, <i>unter keiner Bedingung
-wieder ausgefolgt werden</i>!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_54'>54</span>
- <h2 class='c009'>LEBENSBILDER AUS DER TIERWELT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich habe mit Begeisterung diese Hefte angesehen,
-gelesen. Es ist endlich die Natur »aus erster Hand«,
-unverfälscht durch den Künstler, der sich seit Jahrhunderten
-<i>verbrecherischerweise</i> zwischen Gott
-und die Urromantik des Seins drängt, ein zwar <i>notwendiger</i>,
-aber für unsereinen <i>überflüssiger</i> Vermittler
-und Erklärer der Schätze des Daseins! Wir
-sind selbst »<i>Künstlermenschen</i>« geworden!</p>
-
-<p class='c016'>Dieser »<i>Hochzeitstag</i>« z. B. der Eber im dunklen
-alten Forste; ja, weshalb hat bis heute keiner von
-den protokollierten »Landschaftern« so etwas gemalt?!?
-Diese schwarzen Ungetüme, in Liebe aufgelöst,
-einer auf den anderen getürmt; die anderen
-schauen dumm zu, und der Forst ist voll riesiger
-schwarzer Stämme. Solche Dinge bringt heutzutage
-die »Kamera« fertig und beschämt den Maler, der den
-Eber »mit <i>seinem</i> Auge«, also <i>falsch</i> sieht! Der Japaner
-allein bemühte sich, der Natur mit unsäglichem
-Fleiße nahezukommen, beizukommen. Aber bei uns
-steht immer der Größenwahn des »Menschen« der
-einfachen schönen Wahrheit <i>heimtückisch hinderlich</i>
-im Wege! Der Maler bringt überall »seine
-Seele« hinein, für diejenigen, die nicht einmal »ihre
-eigene dumme Seele« besitzen! Aber Gottes Seele,
-die <i>aus jeglichem</i> ausstrahlt, muß endlich <i>ohne
-Vermittlung</i> dieses Hofmeisters »Künstler« erfaßt
-werden können! Wer eine Frau erst als wertvoll, als
-mysteriös, als Verhängnis empfinden, sehen, erfassen
-könnte, bis der geniale Maler ihre Werte gemalt,
-der Dichter ihre Werte besungen hätte, dem, dem
-<span class='pageno' id='Page_55'>55</span>wird sie ihr Leben lang nur ein »unenträtselbares
-Sexualtierchen« bleiben! Der Künstler ist ein Lehrer
-und Vermittler, und solange man seiner bedarf und
-er als wertvoll erscheint, ist man nur ein »Schüler
-des Lebens«, ein nicht schauen und hören Könnender,
-in Gottes All hinein, ein Menschlein, fern dem Herzen
-und Gehirne, das in der Natur überall geheimnisvoll
-verborgen liegt, auf daß erst der zum wirklichen
-Leben »Ausgereifte« es genießen dürfe auf seinem
-Weg zum Heile, zur Gottähnlichkeit! Den anderen
-ist es wohlweislich verschlossen, und man schickt diese
-»Babies« in die »Lebensschule« zum Herrn Lehrer
-»Künstler«, der ihnen <i>primitiverweise</i> die Anfangsgründe
-beibringen soll, mit leichtfaßlichen Beispielen,
-»Kunstwerke« genannt!</p>
-
-<p class='c016'>Wir aber entnehmen diesen mit der einfachen
-»Kamera« aufgenommenen »<i>Lebensbildern aus
-der Tierwelt</i>«, R. Voigtländers Verlag, Leipzig,
-und diesen Texten, die nur klar und einfach berichten
-von den Ereignissen des Tierlebens bei Tag und
-Nacht und zu jeder Stunde, und von den »Homerischen
-Kämpfen« unter Grashalmen und Gebüschen
-verborgen, wir entnehmen ihnen alle Poesien, alle
-Romantik, alle Tragödien, alle Rätsel, die es hienieden
-gibt! Unsere Lehrer sind Gott und Natur!</p>
-
-<p class='c016'>Man müßte eigentlich einer geliebten Frau diese in
-Lieferungen erscheinenden, »Lebensbilder aus der Tierwelt«,
-R. Voigtländers Verlag, Leipzig, als Geschenk
-senden. Denn es ist ein absoluter Prüfstein für ihre
-»inneren Werte«; wie sie darauf nämlich reagierte!?</p>
-
-<p class='c016'>Nun, ich habe das mit einer unbeschreiblich verehrten
-Dame getan.</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_56'>56</span>Sie schrieb mir zurück: »Lieber Freund, sein’s
-mir nicht bös, aber dös interessiert mich leider gar
-nicht ...«</p>
-
-<p class='c016'>Nun, hat es meine Anhänglichkeit an sie aber
-zum Schwinden gebracht?!? Keine Spur!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_57'>57</span>
- <h2 class='c009'>BRIEF AN MITZI VON DER »LAMINGSON-TRUPPE«, DÄNIN.</h2>
-</div>
-
-<div class='nf-center-c0'>
-<div class='nf-center c001'>
- <div>Liebes, liebes Fräulein, Mitzi von der »Lamingson-Truppe«!</div>
- </div>
-</div>
-
-<p class='c016'>Ich weiß es nicht, wie lange Sie noch in Wien
-und hier im »Casino de Paris« bleiben werden, und
-eines Tages können Sie fort sein, fort auf Nimmerwiedersehen,
-irgendwohin in die lustige oder traurige
-Welt der Künstler, der Artisten, tausend und tausend
-merkwürdigen Schicksalen und Begebenheiten
-ausgesetzt!</p>
-
-<p class='c016'>Mögen Sie es daher wissen, daß ein alter armer
-glatzköpfiger uneleganter Dichter Ihnen nachweinen
-wird und Ihre herrliche liebliche wundervolle Persönlichkeit
-gleichsam im Innern seiner Augen aufbewahren
-wird, lange lange lange Zeit — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Man vergleicht oft junge Mädchen mit schlanken
-Rehen im Walde; aber niemals, niemals hat ein
-Vergleich so sehr gestimmt! Sie sind das schlanke
-rührende edelbeinige Reh, nicht ahnend, woher der
-Schuß eines grausamen Jägers kommen wird im
-Waldesfrieden — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Ihre lieben lieben, beim Lächeln zusammengezwickten
-Augen, werde ich nie nie vergessen, nie
-Ihre blondbraunen Haare, Ihre aristokratisch-noblen
-Glieder, Ihre edelgebogene und dennoch rechtzeitig
-abstumpfende Nase, Ihren süßen Mund!</p>
-
-<p class='c016'>Wenn Sie fort sind, Mitzi, Fräulein Mitzi, wird es
-mir sein, wie wenn mir jemand ungeheuer Liebes
-gestorben wäre, und ich werde Ihnen nachtrauern
-und um Sie besorgt sein!</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_58'>58</span>Ihre außergewöhnliche Schönheit, Ihr Leib, der
-wie das zarte Gedicht eines Dichters ist, haben mich
-tief, tief gerührt; und ich möchte, daß junge, reiche
-elegante Männer mit derselben Ehrfurcht vor Ihrer
-lieblichen Herrlichkeit sich innerlich verneigen könnten
-wie ich alter Mann.</p>
-
-<p class='c016'>Man müßte Sie betreuen und beschützen wie
-einen kostbaren lebendigen Gegenstand, man müßte
-für Sie sorgen bei Tag und bei Nacht. — — — Mit
-liebevollster Fürsorge!</p>
-
-<p class='c010'>Lächeln Sie nicht, wenn Sie diese Zeilen lesen,
-Ihre Härte könnte mich nicht verwunden, nicht
-verletzen — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Ich bete zu Gott, daß Sie glücklich werden, Sie
-Allerlieblichste!!!</p>
-
-<div class='c012'>Peter Altenberg.</div>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_59'>59</span>
- <h2 class='c009'>APHORISMEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich verstehe unter »<i>Kultur einer Frauenseele</i>«,
-einen Mann, dem man sich einmal gewidmet
-hat, nicht zu <i>kränken</i>, bevor man nicht aufrichtig-traurig
-zu ihm gesprochen hat: »Es ist Schluß!«</p>
-
-<p class='c016'>Eine Frau kann ihr Schlachtopfer »Mannesseele«
-grausam umbringen, wie Krebse in siedendem
-Wasser, oder in milder Form, mit einem Schnitt wie
-Kälber. Weshalb es ihnen also verzeihen, wenn sie
-es grausam tun?!</p>
-
-<p class='c016'>Grausam bereits ist der »<i>kokette Blick</i>«!!!</p>
-
-<p class='c016'>Sage also, Kanaille, lieber vorher: »<i>Es ist
-Schluß!</i>«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_60'>60</span>
- <h2 class='c009'>TEXTE AUF ANSICHTSKARTEN</h2>
-</div>
-<h3 class='c018'><i>Rokoko</i></h3>
-
-<p class='c019'>In dieser Zeit lebten Menschen, die vom Leben
-nicht wußten, wie es <i>wirklich</i> und <i>einfach</i> ist!</p>
-
-<p class='c016'>Sie lebten in einem »falschen Märchenlande« — —.</p>
-
-<p class='c016'>Denn das »echte Märchenland« ist die Romantik
-des <i>Kartoffelfeldes</i> in einer <i>wirklichen</i> Mondnacht!
-Solange die menschlich-kindischen Herzen
-noch nicht reif sind für die ernste »Romantik der
-Natur selbst«, schaffen sie sich »kindische Spielereien«!
-Aber diese »Verirrten« waren wenigstens
-»<i>Wege-Sucher</i>«, die sich nur kindisch <i>verirrten</i>!
-Das wollen wir ihnen also <i>zugute</i> halten!</p>
-
-<h4 class='c020'><i>Frau E... R.....</i></h4>
-
-<div class='lg-container-l c021'>
- <div class='linegroup'>
- <div class='group'>
- <div class='line'>Schaffst du denn Symphonien, weibliches Beethoven-Antlitz?!?</div>
- <div class='line'>Du bist ein <i>Weib</i>, kannst dich nicht <i>austönen</i>!</div>
- <div class='line'>Nicht dich <i>erlösen</i>!</div>
- <div class='line'>Ein <i>Spiegelbild der Welt</i> kannst du nicht sein!</div>
- <div class='line'>Zur <i>Tagestat</i> zu groß, zur <i>ewigen</i> zu <i>klein</i>!</div>
- <div class='line'>So <i>bleibst</i> du Weib und kannst’s dennoch nicht sein!!</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h4 class='c022'><i>Fräulein Barbara von G.</i></h4>
-
-<p class='c019'>»<i>Nichts</i> ist gekommen, nichts <i>wird kommen</i>
-für meine Seele — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Ich habe <i>gewartet</i>, <i>gewartet</i>, oh, <i>gewartet</i> —.</p>
-
-<p class='c016'>Die Tage werden dahinschleichen —.</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_61'>61</span>Und <i>umsonst</i> wehen meine aschblonden seidenen
-Haare um mein bleiches Antlitz — — —.«</p>
-
-<p class='c010'>Über die Grenzen des All blicktest du sinnend
-hinaus;</p>
-
-<p class='c016'>Hattest nie Sorge um Hof und Haus!</p>
-
-<p class='c016'><i>Leben</i> und <i>Traum vom Leben</i> — — — —
-plötzlich ist alles aus — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Über die Grenzen des All blickst du noch sinnend
-hinaus — — —!</p>
-
-<p class='c010'>Nach Jahren kommt eine <i>unaussprechliche
-Dankbarkeit</i> in uns für die Frau, die wir »unglücklich
-liebten« — — —. Aus <i>Bürgern des
-strengen Tages</i> machte sie uns nämlich zu <i>weltentrückten
-Poeten</i>, <i>erschloß</i> uns unseres eigenen
-Herzens Tiefen, <i>erhöhte</i> uns zu »inneren tragischen
-Helden«! <i>Unsere Tränen</i> gab sie uns, bannte das
-<i>leere Lächeln</i>! Sie sei also bedankt und gepriesen!</p>
-
-<h3 class='c018'><i>Schneesturm</i></h3>
-
-<p class='c019'>Seele, wie bist du schöner, tiefer, nach <i>Schneestürmen</i> — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Auch du hast sie, gleich der Natur — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Und über beiden liegt noch ein <i>trüber Hauch</i>,
-wenn das Gewölk sich schon <i>verzog</i>!</p>
-
-<div class='lg-container-l c023'>
- <div class='linegroup'>
- <div class='group'>
- <div class='line'>Bloß ein Feld voll Zwiebeln — — —.</div>
- <div class='line'>Stillt es die <i>Not</i> dessen, der es bebaut,</div>
- <div class='line'>Stimmt es <i>andächtig</i> den, der es nur <i>als Künstler beschaut</i>!</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_62'>62</span>Gräber von berühmten Toten sollen uns streng
-ermahnen, den Tag und die Stunde wertvoll zu gestalten,
-da wir <i>noch</i> sind — — —!</p>
-
-<p class='c010'>Helle Wolken und schwarze Bäume!</p>
-
-<p class='c016'>Für Kinder zum Schrecken, Gespenster!</p>
-
-<p class='c016'>Für Dichter zum Weinen!</p>
-
-<p class='c016'>Und der gewöhnliche Mensch geht dran gelassen
-vorüber, sagt: »Das wäre etwas für Kinder zum
-Schrecken, und für Dichter zum Weinen!«</p>
-
-<h3 class='c018'><i>Wald im Winter</i></h3>
-
-<p class='c019'>Ein kleines Mäderl sagte: »Onkel, aber, nicht
-wahr, hinten ist die böse Hexe, die die Kinder
-stiehlt?!« — Ich sagte: »Natürlich«; und bat den
-<i>friedevollen</i> Wald um Entschuldigung — — —.
-Gewisse Menschen <i>wollen</i> eben keinen Frieden — — —.
-Sie suchen selbst im Walde die böse Hexe, die die
-Kinder stiehlt — — —. Sonst hat er für sie gar
-keinen Reiz!</p>
-
-<h3 class='c018'><i>Weg im Winter</i></h3>
-
-<p class='c019'>Geliebter verträumter verschneiter Weg! Ging
-ich hier mit Anita?!? Oder träumte ich nur, daß
-ich hier mit ihr gehen möchte?! Fußspuren im
-Schnee, ihr paßt nicht zu Anitas geliebten Schuhen —.</p>
-
-<p class='c010'>Hie und da rauschen Schneeklumpen zur Erde.
-Wie wenn der Frühling es versuchte, den Winter
-bereits abzuschütteln!</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_63'>63</span>»Das Betreten der Kulturen ist strengstens
-untersagt« — — —; man wird es dennoch ewig tun!
-Betreten, zertreten! —</p>
-
-<p class='c010'>Zaun, wie machst du die Landschaft melancholisch!
-Im Grenzenlosen etwas Abgegrenztes!</p>
-
-<p class='c010'>Hier ist Friede — — —. Hier weine ich mich aus
-über alles. Hier löst sich mein unermeßliches unfaßbares
-Leid, das meine Seele verbrennt. Siehe,
-hier sind keine Menschen, keine Ansiedlungen. Hier
-tropft Schnee leise in Wasserlachen — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Hier suchte sie die ersten Blüten, und fand nichts.
-Und ich sagte zu ihr: »Diese gelbgrünen feuchten
-Rasenflecke, die der zerrinnende Schnee bloßlegt,
-sind schöner als Blumen — — —.« Da sah sie hin und
-<i>erkannte</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Hier bleibe stehen mit deiner geliebtesten Freundin,
-und <i>belausche</i> ihr Antlitz — — —! Fühlt sie
-<i>dasselbe</i> wie du, dann kannst du <i>beruhigt</i> mit
-ihr weiterschreiten, in <i>die Gelände des Lebens</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Ich suchte eine Frau, die den Schnee <i>wirklich</i>
-liebte; und ich fand keine! Sie <i>benützten</i> nur
-den Schnee, für ihre Sheerns! —</p>
-
-<p class='c010'>Junge Ochsen auf der Weide. Einst im Sonnenbrande,
-ziehend am allzu schweren Gespanne, könnt
-ihr euch nicht mehr der kühlen Weide erinnern.
-Aber in eurem <i>traurig-dummen</i> Auge spiegelt
-sich alles, und kein Gram geht verloren in der gramvollen
-Welt — — —.</p>
-
-<p class='c010'><span class='pageno' id='Page_64'>64</span>Margeritten im hohen Grase. Alles blüht und
-atmet Frieden! Auf dem Boden leben aber und
-sterben lautlos hunderttausend Insekten. Nur der
-Mensch erhebt seine Stimme und beklagt sein Schicksal.
-Kann er es ändern?! Ja. Er kann wenigstens
-weinen und schreien. Und falls er es nicht kann, tun
-es <i>für ihn</i> liebevoll die <i>Dichter</i>!</p>
-
-<p class='c010'>Manche Frauen würden nicht elende »Treuebrecherinnen«,
-»Ehebrecherinnen« werden, wenn sie
-stets imstande wären, an den Schätzen der friedevollen
-mysteriösen Natur ihre zerfahrenen Seelen
-wieder und immer wieder aufzurichten!</p>
-
-<p class='c010'>Natur und Frau sollten in <i>gleicher Weise</i>
-wirken, uns zu adeligen, <i>all</i>-verstehenden, sanftmütigen
-<i>Weltgeschöpfen</i> zu transformieren! Einer
-Frau diese <i>geniale Aufgabe</i> als <i>süße Pflicht</i> beibringen,
-heißt: sie glücklich machen!</p>
-
-<p class='c010'>Sahst du nach dem Gewitterregen den Wald?!?</p>
-
-<p class='c016'>Alles rastet, blinkt und ist schöner als zuvor — —.</p>
-
-<p class='c016'>Siehe, Fraue, auch du <i>brauchst Gewitterregen</i>!</p>
-
-<h4 class='c020'><i>Portrait d’une jeune femme</i></h4>
-
-<p class='c019'>»Je suis venue pour <i>donner</i> — — — prenez,
-prenez, <i>prenez</i>!!«</p>
-
-<h4 class='c020'><i>Cléo de Mérode</i></h4>
-
-<p class='c019'>Unzerstörbares Antlitz; Zeit und Erlebnis versuchen
-<span class='pageno' id='Page_65'>65</span>es vergebens, in deinem edlen Erz sich einzugraben
-— — —!</p>
-
-<h4 class='c020'><i>Prinzessin Ruprecht von Bayern</i></h4>
-
-<p class='c019'>»Und dein Antlitz ist die ›Materie gewordene‹
-Seele selbst!!«</p>
-
-<h4 class='c020'><i>Kronprinzessin</i></h4>
-
-<p class='c019'>Geboren, einem Kaiser Kinder zu gebären und
-zu Fürstlichkeiten zu erziehen im Leben! Aber der
-Dichter erschaut in dir dennoch nur die einfache
-Vollkommenheit ohne Zweck und Ziel!</p>
-
-<h4 class='c020'><i>Kronprinzessin Maria von Rumänien Glockenblumen</i></h4>
-
-<p class='c019'>Umringt bist du von deinen Lieblingsblumen,
-hehre Fraue! Aber du blickst und stehst nicht in
-Frühlingsfroheit, sondern ermüdet und enttäuscht.
-Vier allerherrlichsten Kindern gabst du das Leben,
-<i>deine eigenen Kräfte</i>, behieltest dennoch deine
-<i>heilige Mädchengestalt</i> bei! Das Altern hat
-dich <i>nicht</i> verändern können; deshalb blickst du
-<i>erstaunt</i> und <i>wehmütig</i>!!! Du gabst und gabst
-und kannst noch immer geben und um Dich herum
-altert die alltägliche Welt — — —!</p>
-
-<h4 class='c020'><i>Kaiserin Elisabeth von Österreich, Königin von Ungarn</i></h4>
-
-<p class='c019'>Wohin, träumerische Fraue, wandertest du, rastlos?!?</p>
-
-<div class='nf-center-c0'>
- <div class='nf-center'>
- <div>— »Weg <i>von der Lüge</i>!«</div>
- </div>
-</div>
-
-<div>
- <span class='pageno' id='Page_66'>66</span>
- <h4 class='c020'><i>Kaiserin Elisabeth</i></h4>
-</div>
-
-<p class='c019'>Gott erschuf dich in Seiner tiefsten <i>künstlerischen
-Liebe</i>: zuerst, in der Jugend, wie man sich
-auszudrücken pflegt, ein <i>wildes Füllen</i> in Berg und
-Tal, mit wirren Locken; und späterhin alle Leiden
-tragend von enttäuschten Dichtern; das <i>innere
-ewige Klagen</i>, und das Erschauen, daß Gottes
-Reich noch nicht gekommen sei für <i>Seinesgleichen</i>.</p>
-
-<h4 class='c020'><i>Kaiserin-Elisabeth-Denkmal</i></h4>
-
-<p class='c019'>Ich hätte dich umringt mit dunklen Legföhren,
-Rhododendronbüschen, Edelweiß, Speik, und allen
-Blüten der Bergalmen!</p>
-
-<p class='c016'>Ich hätte die Tiere der freien Berglüfte in silbernen
-Käfigen um dich herum gestellt — — —.
-Bergdohle und Murmeltier.</p>
-
-<p class='c016'>Aber man stellte dich in einen Garten, gepflegt
-und gehegt, und <i>wider die freie heilige Natur!!!</i></p>
-
-<h4 class='c020'><i>Manöver: Feld-Telephon und Fernrohr</i></h4>
-
-<p class='c019'>»Fern von der Schlacht, und dennoch mitten
-drinnen! So wie die Dichter!«</p>
-
-<h4 class='c020'><i>Mein Lebensleitmotiv:</i></h4>
-
-<p class='c019'>»Nie über einen Graben springen, eine Hürde,
-wenn man <i>nicht</i> ganz <i>gesichert</i> ist, hinüberzugelangen
-mit <i>leichter</i> Anmut!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_67'>67</span>
- <h2 class='c009'>HEILMITTEL</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich habe in einer Blumenhandlung in einer
-Kristallglaswanne zwei goldene japanische Zwergfische
-gesehen, mit riesigen durchsichtigen Flossen
-und dunklen hervortretenden Augen, mit der Anmut
-von modernen Tänzerinnen sich bewegend, und dabei
-doch reserviert gelassen ihrem Wärter, Pfleger an
-die Glaswand zuschwimmend. Ich begreife es absolut
-nicht, wieso reiche Damen sich diesen Schatz der
-Natur entgehen lassen können und sich nicht eine
-kleine Herde dieser allerentzückendsten Tiere anschaffen.
-Einer kostet allerdings 16 Kronen. Der
-Boden muß aus kleinen Kieseln bestehen, die jeden
-zweiten Tag herausgenommen und in warmem
-Wasser gereinigt werden müssen. Die Nahrung ist
-ausschließlich das Pulver »Piscidin«, das auf die
-Wasseroberfläche hingestreut wird. Man kann stundenlang
-vor dieser goldenen Anmutpracht verweilen.
-Die Tiere lernen uns baldigst kennen und lieben.
-Viele Frauen würden dadurch vor ihren bösen Gedanken,
-bösen Instinkten, und vor allem vor ihrer
-gefährlichen inneren Leere und vor Gelangweiltsein
-gerettet werden können. Gehet hin, Damen, und
-kaufet daher japanische Goldfische!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_68'>68</span>
- <h2 class='c009'>DER NEBENMENSCH</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Neunzig Prozent unsrer Lebensenergien raubt uns
-die Ungezogenheit, die Taktlosigkeit unseres Nebenmenschen.
-Jedes falsch angebrachte Wort zerstört
-unser zart empfindliches Nervensystem. Nicht Distanzhalten
-von der Welt des andern, die man ja
-doch nicht begreifen kann, mordet die Nerven. Die
-unverständliche Welt des andern nicht achtungsvoll
-und scheu behandeln, ist eine bodenlose Feigheit.
-Es ist, wie wenn man jemandem, der unsäglich an
-Migräne litte, sagte, er bilde sich diese Leiden nur
-ein! Gläubig sein, ist aristokratisch; bezweifeln,
-ironisieren, ist plebejisch! Durch Gläubigkeit erweitert
-man seinen Horizont um den des andern, durch Skeptizismus
-bleibt man ewig in seine eigenen engen
-Grenzen eingebannt.</p>
-
-<p class='c016'>Niemandem wehe tun, falls es nicht unbedingt
-notwendig wäre, ist die natürliche Wirkung geistiger
-Kultur. Jedermann werde erfrischt, ja erlöst durch
-deine Gesellschaft, ja, er suche sie auf, wie das bedrückte
-Menschenkind den Beichtstuhl. — — —</p>
-
-<p class='c016'>Aber unsre Nebenmenschen sind noch Satan,
-Jago, Mephistopheles, Franz Moor; selbst zu ewiger
-innerer Unruhe verdammt, drängt es sie, auch in
-uns nur böse Unruhe zu erzeugen, damit wir ja nicht
-besser, nicht vornehmer werden als sie selbst es sein
-können. Sie gönnen uns nicht höhere innere Entwicklungen,
-wollen uns <i>absichtlich degradieren
-auf ihr eigenes erreichbares Niveau</i>! Nur der
-Dichter erlebt träumend künftige Entwicklungen
-gläubigen Herzens, und die, die sich ihm anschließen,
-<span class='pageno' id='Page_69'>69</span>tragen jedenfalls diese idealen Möglichkeiten kommender
-besserer Welten schweigend-demütig bereits
-in ihrem Herzen! Der Nebenmensch ist ein Gegenmensch.
-Er will nicht helfen, sondern schädigen.
-Wäre er selbst ein Zufriedener, wünschte er nur Zufriedenheit
-zu verbreiten; als Unzufriedener wünscht
-er uns ebenfalls nur Friedlosigkeit!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_70'>70</span>
- <h2 class='c009'>SCHUTZ</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Unter Yellowstone-Park versteht man bei uns bereits
-irgendeine wertvolle urwaldartige, mit allen ihren
-geheimnisvollen Schätzen an Pflanzen, Tieren, Steinen
-und Quellen erfüllte Gegend, die unter den Schutz des
-Staates gestellt wird, gegen die zerstörende unnachsichtige
-Barbarei der Menschheit. Eine Art von
-idealer Menagerie der Natur selbst! Solch einen
-Yellowstone-Park wird man nun in der Schweiz im
-Scarltal und seinen Nebentälern errichten, um die
-kostbaren Alpenpflanzen, um Bär, Luchs, Wildkatze
-zu erhalten. Und alles, was da blüht, kreucht
-und fleucht. Solche Yellowstone-Parke sollte man
-nun auch endlich für Menschenerhaltung errichten,
-für exzeptionell herrliche Frauen, für exzeptionell
-herrliche Männergehirne, die sonst verloren gingen
-in den zahlreichen Gefahren! Oasen für Denker und
-Träumer, in der Wüste des Lebens, die versengt, und
-verdorren macht. Oasen für wunderbar schöne Frauen,
-zu denen man pilgern dürfte, ihre schmalen schneeweißen
-langen Finger an die Lippen zu drücken und
-daran zu genesen, mehr als an Guber-Quelle, Virchow-Quelle,
-Hofbrunnen und Königsbrunnen, mehr
-als an den Mysterien Gasteins, Kissingens, Franzensbads,
-Karlsbads. Männergehirne, die man für die
-Menschheit schützen müßte vor dem Zugrundegehen,
-Frauenkörper, Frauenseelen, die man für die Menschheit
-schützen müßte vor dem Vernichtetwerden in
-zügellosen Orgien und Egoismen, in Treibjagden auf
-Seele und Leib! Yellowstone-Parke müßten geschaffen
-werden, Reviere, in denen wertvolle Gehirne,
-<span class='pageno' id='Page_71'>71</span>wertvolle Seelen, wertvolle Leiber, geschützt
-vor feigen Verfolgungen, die Ideale der Natur repräsentieren
-könnten für die verkommende Milliarde der
-Unzulänglichen!</p>
-
-<p class='c016'>Ein Mädchen zum Beispiel, zu dem man spräche:
-Pflege die Pracht deiner zarten, gebrechlichen,
-adeligen Glieder, deinen Milchteint und deine Beweglichkeiten!
-Du sollst in einem Tempelchen hausen
-und keinerlei Sorge haben! Auf daß die andern hinpilgerten
-und, schamvoll in sich gekehrt, es versuchten,
-dir nachzugeraten ein wenig!</p>
-
-<p class='c016'>Aber bisher schützt man nur Edelexemplare unter
-den Pflanzen und Tieren, ja sogar heiße Springquellen
-mit Marmorbecken. Aber Menschen, Menschen
-schützt man noch nicht — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_72'>72</span>
- <h2 class='c009'>BRANGÄNE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich kenne eine Sache im Leben, die mich am
-tiefsten ergreift von allen, die ich erlebt habe. Es
-ist in der Stille des nächtlichen Liebesgartens der
-Gesang der edlen Wächterin Brangäne. Es ist die
-tönend gewordene Selbstlosigkeit, inmitten der nächtlichen
-Liebesgefahren. Es ist die Warnung an die
-Allzuirdischen, die in der Melodie des Herzens zugleich
-eigentlich von selbst ertönt; es ist die Klage der
-tiefsten, echtesten Freundschaft, hineingesungen in
-den dunklen Garten. In jedem Menschen sind solche
-Gefühle aufgespeichert, besonders in den alten Kinderfrauen,
-die man entläßt von ihren Lieblingen, wenn
-man sie nicht mehr braucht. Aber sie weinen sich
-im stillen aus, alle diese Herzvollen, während bei
-Brangäne das Leid und die edle Sorge um einen
-geliebten Menschen helltönend wird, und in die
-dunkle, harte, grausame Welt hinaus stöhnt!
-Auch unsre alte Bedienerin Luise sang uns ein
-unvergeßliches Lied, als sie beim Abschiede mir
-und meinem Bruder schrieb: »Die sieben Jahre
-in Ihren Diensten, meine Herren, waren das Glück
-und der Segen meines ganzen Lebens — — —.« Alle
-diese versteckten, edel-tragischen Dinge der dienenden
-Menschenherzen ertönen in Brangänens Gesang.
-Alle in der Menschheit bisher leider vergeblich aufgestapelten
-Selbstlosigkeiten und Ergebenheiten werden
-da zu singender Klage; aber die Menschen der
-leidenschaftlich irrigen Stunden vernehmen nichts
-davon als ihre eigenen, zum Abgrund führenden
-Sündhaftigkeiten, deren Brausen alles übertönt — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_73'>73</span>
- <h2 class='c009'>DER AFFE PETER</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Der große Affe Peter ist wirklich ein Wunder der
-Natur. Denn ich bemerkte sogleich zu meinen Freunden
-in meiner Loge, daß dieser Affe unmöglich zum
-Radfahren abgerichtet sein könne, sondern daß es
-eine Naturanlage sein müsse, und es dem Tiere ein
-leidenschaftliches Vergnügen bereite, wie einem Kind
-eine geliebte Spielerei, Hutschpferd oder Schaukel.
-Direktor Brill bestätigte mir auch diese meine Ansicht.
-Die Freudigkeit und Geschicklichkeit des
-Tieres, ein junges wunderliebes Mädchen mit dem
-Fahrrad zu verfolgen, erregt im Publikum Enthusiasmus.
-Man wird jedenfalls viele brave Kinder
-hinführen müssen. Dieser Affe könnte unbedingt
-die allerschwierigsten Radfahrtricks spielend erlernen.
-Nur sollte von seiten des vorführenden Herrn
-eine menschlich-freundschaftlichere Beziehung vorhanden
-sein, wie sie bisher stets zwischen den Besitzern
-berühmter Schimpansen, Orangs stattgefunden
-hat, ja direkt rührend zärtliche Anhänglichkeiten,
-wie zu edlen Pferden, edlen Hunden. Man braucht
-natürlich nicht die verlogene Komödie einer exaltierten
-Freundschaft zu dem Tiere dem Publikum
-vorzumachen, aber man muß Zuneigung spüren
-beiderseits. Ein berühmter Affendresseur machte
-sich seinerzeit durch seine harte Nervosität, den
-Tieren gegenüber, fast unbeliebt, trotz der wunderbaren
-Kunststücke. Nicht was er dem Tiere einlernt,
-sondern was er sonst noch übrig hat an
-Liebe und Verständnis, das macht einem den Tierdresseur
-sympathisch. Wie war die Beziehung des
-<span class='pageno' id='Page_74'>74</span>aristokratischen Severus Schäffer zu seinen Hunden!
-Wie ein jagender Landedelmann mit seiner Lieblingsmeute!
-Alle Dresseure müssen etwas von einem
-dilettierenden Aristokraten an sich haben. So ritt
-Direktor Schumann seine Pferde, nonchalant-vornehm-liebenswürdig.
-Ich glaube, daß er seine Pferde
-nie schlagen konnte. Oder wenigstens sah er danach
-aus. Mit einem der Menschenaffen wie Peter aber
-muß ein tiefes freundschaftliches echtes Verhältnis
-entstehen. Er speist nach der Vorstellung im Restaurant
-wie ein wohlerzogener Mensch. Er gab mir
-die Hand, wollte sie sogar zart an seine Lippen
-drücken. Bei solchen Tieren spürt man es, daß man
-sie nur mit äußerster Zärtlichkeit und selten angewandter
-gerechter Strenge zu ihren eigenen erreichbaren
-Höhen bringen könne. Die wunderbare Schimpansin
-Maja im Tiergarten, 1896, haßte jede Dame,
-die in meiner Gesellschaft oder gar in mich eingehängt
-ihr Zimmerchen betrat, und drängte sie weg,
-umarmte mich absichtlich stürmisch und liebevoll.
-Ich glaube, es war das einzige weibliche Wesen, das
-an mir ernstlich Gefallen fand. Für edle Tiere gehört
-vielleicht ein Philosoph mit einem tiefen Herzen!
-Frauen geben es billiger und machen sich nichts
-daraus. Und Die, die sich wirklich etwas daraus
-machen, sind eben ganz so wie edle gutmütige Tiere,
-siehe A. R.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_75'>75</span>
- <h2 class='c009'>UNGEZIEFER</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Alle hatten sie gern, sie amüsierte, und war anders
-wie die meisten. Daher nützte man sie aus.</p>
-
-<p class='c016'>Von Tag zu Tag sah sie schlechter aus, wie eine
-Besiegte in der Schlacht des Lebens, die sich verwundet
-wegschleicht, hinter einem Busche zu krepieren — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Da sagte der Dichter: »Nun, können Sie es mir
-nicht klagen?!«</p>
-
-<p class='c016'>»Ich wohne, bitte, in einem Zimmer, wo Wanzen
-sind. Man erträgt alles tagsüber von den Menschen,
-und nachts benehmen sich die Wanzen ebenso schamlos-feig
-und stören uns — — —. Da bricht man halt
-zusammen.«</p>
-
-<p class='c016'>Der Dichter machte eine Kollekte, steuerte aber
-selbst vorsichtig ein Paket Insektenpulver bei.</p>
-
-<p class='c016'>Er sagte: »Für <i>diese</i> Tiere gibt es Mittel; aber
-für die <i>Menschenwanzen</i> gibt es keine. Ihre
-Nachtruhe ist nunmehr gesichert, Fräulein; aber
-<i>Tagesruhe</i> gibt es nicht. Da sind die <i>Menschenwanzen</i>
-unausrottbar an der Arbeit!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_76'>76</span>
- <h2 class='c009'>MUTTER UND TOCHTER</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich sah eine Mutter tief verzweifelt, daß ihr geliebtes
-Töchterchen keine »gute Partie« machen
-wollte — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Sie zankte mit ihr, aber in ihrem Innersten hatte
-sie dennoch Rührung und Anerkennung.</p>
-
-<p class='c016'>Sie sagte zu ihr: »Das Leben ist nun einmal so,
-ich habe es auch einst auf mich nehmen müssen,
-meine Liebe, — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Die Tochter blickte die Mutter schief und bitterböse
-an.</p>
-
-<p class='c016'>Dann heiratete sie aber doch endlich einen reichen
-Mann, der sie betreute und beschützte.</p>
-
-<p class='c016'>Da sagte sie zu der Mutter: »Ich hatte einst
-falsche Vorstellungen, Ideale. Ich bin nun ganz
-glücklich und zufrieden — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Da blickte die Mutter ihre Tochter schief und
-bitterböse an — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_77'>77</span>
- <h2 class='c009'>DER DICHTER</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Du sagst mir, ich hätte so viele ewige Quellen der
-Begeisterung. Überall, auf allen Wegen blühe es
-doch auf, für mich Gesalbten — — —!?!</p>
-
-<p class='c016'>Und gerade du sagst mir das kalt, die mir eben alle
-diese Wege verstellt, verrammelt hat?!?</p>
-
-<p class='c016'>Gerade du, die sich fast heimtückisch an Stelle
-setzte aller Weltenprächte?! Durch deine eigene
-Pracht?!?</p>
-
-<p class='c016'>Du schlossest mir, Geliebteste, die Pforten; und nun
-verlangst du, ich solle wieder hingehn in das weite
-Land, woraus dein Zauber mich gerade verstoßen
-und vertrieben hat?!? Die Welt besingen, die für
-mich gestorben ist durch dich?! Auf <i>deiner</i> edlen
-Stirne prangt nun die Weltenpracht,</p>
-
-<p class='c016'>von <i>deiner</i> Stimme tönen die Weltenmelodien,</p>
-
-<p class='c016'><i>du</i> selbst vertriebst mich aus dem Paradies der
-Weltenschönheit durch deine <i>eigene</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Um mich nun aufzufordern, dahin zurückzukehren,
-woher ich stammte, fingst du mich also schnöde ein,
-jetzt, da ich Pfad und Mut und Kraft verloren
-hab’ zum Wandern — — —!? Teufeline!</p>
-
-<p class='c016'>So nehm’ ich Abschied denn von dem und jenem Wege,</p>
-
-<p class='c016'>da du die Flügel mir beschnitten hast zu dem und
-jenem Pfad — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Leb’ wohl, geliebte Frau,</p>
-
-<p class='c016'>du botest mir statt Weltenpracht die eigene — — —</p>
-
-<p class='c016'>ich zürn’ dir nicht, daß du mich nun entläßt in eine
-Welt, die erst durch dich, und nur durch dich, mir
-leer geworden ist — — —!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_78'>78</span>
- <h2 class='c009'>HYSTERIE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Sie stand hoch über allen anderen Frauen, die
-»<i>wie in düsteren Nebeln</i> dahintorkeln, <i>schicksalstrunken</i>
-und irre!« Sie aber, die Neunzehnjährige,
-ging dahin bereits im Lichte der Wahrhaftigkeiten
-und hatte es gelernt, an ihren <i>bittersten
-Tränen</i> mehr zu lernen, als an den <i>flachen Freudigkeiten</i>!
-Ihr Arzt hatte ihr die »Eitelkeit«
-<i>exstirpiert</i>, diesen »Krebs der Frauenseele«, der
-alles, alles Bessere ihr <i>wegfrißt</i>. Bescheidenheit ist
-Göttlichkeit. Er hatte sie gelehrt, ein getreuer edler
-Hund zu sein! Sie hätte bei einer berühmten englischen
-»Schau«, um den berühmten »cup«, unbedingt
-den ersten Preis erhalten für »getreueste Hundeseele«!
-Sie konnte blicken wie ein »Leonberger«,
-abstammend vom ersten »Bary«, so ganz tieftraurig.
-Ihre Intelligenz war licht, tief und einfach.
-Sie war weder häßlich noch hübsch, aber manchesmal
-sah sie verklärt aus, entrückt, und ein Dichter
-würde in solchen Momenten über ihren rotgoldenen
-Haaren einen Heiligenschein erblickt haben! Jedenfalls
-fehlte wenig dazu.</p>
-
-<p class='c016'>Aber die Damen der Gesellschaft sagten über sie:
-»Schade um das junge Geschöpf, sie hat gute Anlagen,
-aber sie gehört in eine ›feste Hand‹, sie stellt
-sich das Leben noch anders vor, als es ist; wir leben
-nicht in ›Wolkenkuckucksheim‹, sondern, bitte, auf
-der Erde!«</p>
-
-<p class='c016'>Über ihrem Bette, an einer wunderbaren japanischen
-Matte hingen in schweren Mahagonirahmen
-die Photographien von Beethoven, Wagner, Maeterlinck,
-<span class='pageno' id='Page_79'>79</span>Bismarck, diesem Deutschland gründenden
-<i>Realidealisten</i>. Da blickte sie denn oft vor dem
-Einschlafen hinauf zu ihren Helden und dankte ihnen
-herzinnigst für alles, was sie ihr mitgegeben hatten in
-die strengen Tage des Lebens. Und daß sie gekämpft
-und gelitten hatten eigentlich für sie!</p>
-
-<p class='c016'>Eines Tages erhielt sie Besuch von einer Dame.
-»Sind das Ihre Götter?!?« sagte die Dame.</p>
-
-<p class='c016'>»Es sind meine Erzieher! Ich befinde mich hier
-in ›fester Hand‹, man läßt mir nichts durchpassieren,
-was nicht menschlich ist!«</p>
-
-<p class='c016'>Die Dame dachte beim Weggehen: »Es ist
-schade um das junge Geschöpf, ich wollte für meinen
-geliebten Sohn um ihre Hand anhalten, aber es gäbe
-unter solchen Umständen nur ein Unglück — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>So blieb sie denn allein! Allein?!? Mit allen Getreuen,
-den Denkern und Idealisten, lebte sie in
-»<i>Gemeinschaft</i>«, und niemals, niemals während
-ihres ganzen <i>wahrheitsvollen</i> Lebens beneidete
-sie die, die doch nur angeblich »glücklich und
-zufrieden« waren — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_80'>80</span>
- <h2 class='c009'>WEIHNACHTEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Er versenkte sich ganz in ihr Wunschleben, in
-diese Träumereien von unerfüllten kleinen Realitäten.
-Nie äußert man es, außer durch ein unaufhaltsames
-Verweilen vor Schaufenstern oder in Geschäftsläden,
-durch einen fast hysterisch-melancholischen
-Blick auf den geliebten Gegenstand, oder durch die
-schüchterne beklommene Frage, was er koste?! So
-erstand er denn für sie eine japanische Bettwandmatte,
-strohgelbes Geflecht mit braunen und rostroten
-eingewebten Flecken. Ferner einen bosnischen
-handgewebten Blusenstoff, kornblumenblau mit malachitgrünen
-Fäden. Ferner einen großen französischen
-Parfümzerstäuber aus Nickel, für Menthol-Franzbranntwein;
-ein kaltes Bad, ohne zu baden,
-wenn man den ganzen Leib damit anstäubt! Ferner
-eine Zigarettenschachtel aus sibirischer Birke, viereckiges
-Format, für fünfundzwanzig Zigaretten Inhalt.
-Ferner eine Schachtel Schreibfedern und zehn
-riesig dicke chinesische Rohrfederstiele dazu, federleichte.
-Und viele andere erfüllbare Träume ihres
-Daseins. Er schuf einen Einklang seiner eigenen
-Welt und der ihren. Er schenkte ihr nur das, was
-in gleicher Weise sie erfreute, es zu bekommen, ihn
-erfreute, es zu geben! Es war also ein Akkord verdoppelten
-Genießens! Und dann schrieb er: »In
-Deinem Namen zwanzig Kronen gespendet der Kinderschutz-
-und Rettungsgesellschaft für die mißhandelte
-zwölfjährige Maria B.« Da fühlte sie:
-»Siehe, wir haben einen vollständigen Familienweihnachtsabend —.«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_81'>81</span>
- <h2 class='c009'>DER TAG DES REICHTUMS</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich wollte einmal einen halben Tag lang das
-Leben eines Reichen erleben. Ich ließ mich von einer
-reizenden Frau und ihrem Gatten in ihrem Mercédès
-vom Hause aus abholen. Ich fuhr zu meinem Raseur,
-Teinfaltstraße, mich verjüngen zu lassen, besonders
-mit der Menthol-Franzbranntwein-Spritze auf den
-Kopf. Ein Ersatz für jedes kalte Bad! Dann fuhren
-wir nach Baden. Dort badeten wir in den Kurhauswannenbädern,
-vierundzwanzig Grad Celsius. Dann
-ließen wir uns kühle Hotelzimmer aufsperren und
-schliefen eine halbe Stunde lang. Dann aßen wir
-Solospargel, Hirn en fricassé. Dann fuhren wir
-weiter, nach Heiligenkreuz. In kühler Halle tranken
-wir duftenden Tee mit Zitrone. Abends zurück, in
-eiliger Fahrt.</p>
-
-<p class='c016'>Die Wiesen dufteten, und die Wälder standen
-schwarz und unbeweglich-melancholisch unter dem
-Abendhimmel, der leise leuchtete.</p>
-
-<p class='c016'>In Wien verabschiedete ich mich.</p>
-
-<p class='c016'>Im Café Ritz fand ich jene junge Dame, die schon
-lange meine Augen beglückte. Braunes Haar, blauer
-Strohhut, Stumpfnase. Ich wollte den Tag feierlich
-beschließen. Ich sandte ihr drei wunderbare ganz
-dunkle Rosen und einen Eierpunsch, dieses Lieblingsgetränk
-der meisten solchen Damen. Sie nahm es
-huldvollst an, ausnahmsweise.</p>
-
-<p class='c016'>Sie kam an meinen Tisch und sagte:</p>
-
-<p class='c016'>»Macht es Ihnen wirklich eine so große Freude,
-mir Aufmerksamkeiten zu erweisen?!?«</p>
-
-<p class='c016'>»Ja, gewiß, sonst täte ich es ja nicht!«</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_82'>82</span>»Also, dann brauche ich ja nicht dankbar dafür
-zu sein — — —!?«</p>
-
-<p class='c016'>»Nein, keineswegs. Sondern ich Ihnen!«</p>
-
-<p class='c016'>Das war der Tag des Reichtums — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_83'>83</span>
- <h2 class='c009'>SO SOLLTE ES IMMER SEIN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ein Herr trat auf mich zu im Café und sagte:
-»Ich bin ein fanatischer Verehrer von Ihnen.«</p>
-
-<p class='c016'>»Bitte sehr«, sagte ich. »Da werden Sie vielleicht
-gern einen edlen Champagner zahlen?!?«</p>
-
-<p class='c016'>»Mit allergrößter Freude.«</p>
-
-<p class='c016'>Wir tranken drei Flaschen G. und H. Mumm,
-extra dry, süß.</p>
-
-<p class='c016'>Es wurde sieben Uhr morgens. Ich ging ins Zentralbad,
-27 Grad, Porzellanwanne. In der Kassa
-saß eine junge Dame mit edelzarten Händen. Ich
-sagte ihr mit meinen Augen: »Süßeste Kassierin —«
-Und: »Man sollte dich miterstehen dürfen — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Dann frühstückte ich in einer Charcüterie: kalten
-geräucherten Stör aus der Wolga, das Deka 12 Heller.
-Crevettes aus Ostende. Grüne große Oliven aus
-Spanien, zehn Stück 60 Heller. Prager Schinken,
-das Deka 6 Heller, 90 Heller. Zwei Bananen, goldgelb-schwarz
-gefleckt, aus Afrika, das Stück 30 Heller,
-60 Heller.</p>
-
-<p class='c016'>Dann kaufte ich mir eine blaue phototypierte Ansichtskarte:
-»Weg, am See entlang.« In einer
-Winterlandschaft.</p>
-
-<p class='c016'>Ich dachte sie mir eingerahmt in einem fünf
-Zentimeter breiten Eschenholzrahmen.</p>
-
-<p class='c016'>Ich kam infolge dieser Träumereien um halb zehn
-Uhr morgens nach Hause. Da sagte das junge Hausmeistermädchen,
-die mich zum Aufzuge führte, zu
-mir: »Herr Altenberg haben gewiß wieder heute
-nacht umgeschmissen — — —.«</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_84'>84</span>»Jawohl,« sagte ich, »die Weltordnung der Philister!«</p>
-
-<p class='c016'>Sie dachte: »Nun, er hat 40 Heller bezahlt für
-den Aufzug, obzwar es im Zins bereits schon miteingerechnet
-ist — — —.«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_85'>85</span>
- <h2 class='c009'>INSCHRIFT<br />auf der Photographie eines Mädchens<br />aus gutem Bürgerhause:</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Adelige schmale Hände hast du, adelige Füße
-und Zehen, müde edle Anmut ist in deinem Gehen
-und Sitzen und Kauern, und deines biegsamen Leibes
-eidechsenschlanke Linien sind wunderbar, Yolanthe
-Maria!</p>
-
-<p class='c016'>Aber zum Zu-Grunde-gehen, zum langsamen,
-armseligen, bist du bestimmt! Zum Verfaulen bei
-lebendigem Leibe!</p>
-
-<p class='c016'>Denn <i>sicher</i> willst du gehen, <i>Unsichere</i>!</p>
-
-<p class='c016'><i>Auf geebnetem Pfade willst</i> du <i>Gipfel erklimmen</i>?!?</p>
-
-<p class='c016'><i>Schamlose, Feige!</i> Willst du Lord Byrons
-edlen Feueratem spüren, <i>mußt du bereit sein,
-eventuell dich zu versengen</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Willst du <i>finden</i> können, so mußt du <i>suchen</i>
-können, gleiten und <i>stürzen</i> können!</p>
-
-<p class='c016'>Auf geebnetem Pfade kommt nur Herr Kohn
-daher, reicht dir die Hand, daß du nicht »<i>fallest</i>«!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_86'>86</span>
- <h2 class='c009'>TOPE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich dichte hie und da auch Toiletten. Immer nur
-für eine einzige Dame. Sie ist natürlich lang und ganz
-schlank, wie ein Marathonsieger, hat eine Stumpfnase,
-Gott sei Dank großen Mund und starke Lippen,
-hechtgraue Augen, rotbraune Haare und anliegende
-papierdünne, edelgemuschelte Ohren. Hände und
-Füße sind lang-schmal. Sie sieht aus wie eine junge
-slowakische Bäuerin, an der der adelige Gutsherr
-mitgearbeitet hat.</p>
-
-<p class='c016'>Ich entwarf die Toilette Tope (Der Maulwurf):
-Ein seidendünner maulwurfgrauer Samt (Pan), die
-Bluse ohne Naht, nur wie ein zusammengelegtes
-Tuch, aber lang. Ein Gürtel, riesig breit, aus dunkelgrauen
-und weißen Glasperlen, riesige Schließe aus
-oxydiertem grauen Silber. Riesige kugelige graue
-Perlmutterknöpfe. Der Rock vollkommen bis hinab
-zum Zuknöpfen, mit denselben Riesenknöpfen. Grauer
-Sombrero mit grauem breiten Lederband und weißer,
-an der rechten Seite herabwallender Straußfeder.
-Grauer Seidenschirm mit grauem dicken Perlmuttergriff.
-Grauseidene Strümpfe, graue Antilopenhandschuhe,
-graue Schuhe aus mattem dünnem Leder.</p>
-
-<p class='c016'>Ich sagte zu der Dame: »Machen wir zusammen
-ein Gedicht —.«</p>
-
-<p class='c016'>»?!?«</p>
-
-<p class='c016'>»Ich komponiere eine Toilette, und Sie tragen sie.
-Das ist das schönste Gedicht!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_87'>87</span>
- <h2 class='c009'>BEKANNTSCHAFT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Er sah sie zum erstenmal. Sie sah aus wie eine
-riesig hohe, schlanke, aschblonde russische Studentin,
-nur sehr müde von ungekämpften Kämpfen. Ein
-Königgrätz ohne Schlachtendonner. Tief verwundet
-ohne Bleigeschoß. Das Sein an und für sich besiegte
-sie. Das bloße Sein des Tages und der Stunde. Was
-sich jeweilig ergab, ereignete, verletzte, kränkte sie.
-Sahst du Fische aus dem Gebirgswasser in Wasserbottichen?!
-In ihrem starren Gesichtsausdruck, wie
-eh und je, sucht man ihr Leiden zu erspähen, und
-findet nichts und findet dennoch alles! Er sagte:
-»Gehen Sie nicht in wohlgepflegte Gärten, gehen
-Sie in offene Felder, wo niemand etwas Besonderes
-findet; fern dem Getriebe. Gehen Sie spazieren,
-wo niemand spazieren geht, so zwischen brauner
-Erd’ und blauem Himmel!«</p>
-
-<p class='c016'>Und sie sagte: »Man verwehrt es mir!«</p>
-
-<p class='c016'>»Kaufen Sie sich einen getreuen schwarzen Pudel,
-dem Sie manches Opfer bringen können an Zeit und
-Güte — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>»Man verwehrt es mir — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Er schwieg.</p>
-
-<p class='c016'>Und sie: »Weshalb raten Sie mir nicht, ich solle
-mich an einen Menschen klammern, anklammern?!«</p>
-
-<p class='c016'>»An einen Menschen! Ja. Aber ich kenne keinen!
-Die Tiefe der Natur, die Treue des Pudels, die kenne
-ich! Aber einen Menschen für Sie, den kenn’ ich
-nicht — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Und später sagte sie: »Sie haben sich geirrt!
-Denn ich fand einen, der mich einsam meine Wege
-<span class='pageno' id='Page_88'>88</span>wandern ließ, zwischen brauner Erd’ und blauem
-Himmel, und der mir einen schwarzen Pudel kaufte
-und getreulich stets beiseite stand — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Er blickte sie tief freundschaftlich an — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Da sagte sie: »Vielleicht verdanke ich es Ihnen,
-daß ich mir einen suchte, der so war — — —!?«</p>
-
-<p class='c016'>Dann neigte sie sich tief zu seiner Hand und
-küßte sie — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Und dann kam der edle Jüngling, den sie erwählt
-hatte, und küßte sie auf ihre melancholische Stirn —.</p>
-
-<p class='c016'>Und er sagte zu dem Dichter:</p>
-
-<p class='c016'>»Ich folgte nur Ihrem Rate, Ihrer Weisung,
-danke — — —. Es hat mir eine Seele gewonnen!«</p>
-
-<p class='c016'>Da wandte sich der Dichter entrüstet und tief
-verzweifelt ab.</p>
-
-<p class='c016'>Denn <i>von Gott</i> müssen solche Erkenntnisse
-<i>direkt</i> in unsere Herzen kommen, da die Wirkung
-sonst nicht <i>von Dauer</i> ist und unheilig — — —!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_89'>89</span>
- <h2 class='c009'>EIFERSUCHT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Sie war sehr, sehr krank. — Der Arzt verordnete
-einen halben Liter heiße Zitronenlimonade, ein
-wollenes Tuch um den Kopf und stundenlang
-schwitzen.</p>
-
-<p class='c016'>Sie war aber arm, und die Quartiersfrau, bei der
-sie wohnte, konnte ihr nur eine dünne Bettdecke
-geben. Da sandte ihr der Dichter seine grünrote
-Flanelldecke, die er selbst benötigte, und sein Freund,
-der Baron, sandte eine Pelzdecke aus selbstgeschossenen
-Wildkatzenfellen, die er gar nicht gebrauchte.</p>
-
-<p class='c016'>Als nun der Dichter sie besuchte, fand er die
-Pelzdecke direkt auf ihrem heißen, glühenden Leibe
-liegen, die Flanelldecke dagegen zuoberst. Er sagte
-es ihr sogleich ziemlich brutal, daß er dieses für einen
-»Treubruch« halte, wenn auch in den ersten Anfangsstadien.</p>
-
-<p class='c016'>Sie erwiderte: »Ich wollte deine Decke streicheln
-können, immer und immer mit meinen zärtlichen
-Fingern. Deshalb gab ich sie zuoberst.« »Du Falsche!
-— — —« sagte der Dichter und ging zürnend weg.</p>
-
-<p class='c016'>Später kam der Arzt und sagte: »Ich würde
-Ihnen vorschlagen, Fräulein, die schwere Pelzdecke
-zuunterst zu legen, und die leichtere Flanelldecke
-oben darauf; es ist zweckmäßiger!«</p>
-
-<p class='c016'>»Nein,« sagte sie, »das tue ich nicht.« Als sie
-endlich gesund war, sagte der Arzt von ihr: »Die
-Hysterie solcher Patientinnen erschwert den Heilungsprozeß
-ganz besonders. Selbst in nichtigen
-Kleinigkeiten müssen sie ihren lächerlichen eigensinnigen
-Willen durchsetzen. —«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_90'>90</span>
- <h2 class='c009'>GOETHE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ein ungeheuer wichtiger und daher ganz unbekannter
-Ausspruch Goethes:</p>
-
-<div class='lg-container-l c024'>
- <div class='linegroup'>
- <div class='group'>
- <div class='line'>»Man könnte erzogene Kinder gebären,</div>
- <div class='line'>Wenn die Eltern erzogen wären!«</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class='c016'>Dieser Satz allein ersetzt in der Entwicklungslehre
-ganze Bände und Studien. Deshalb erwünschen sich
-auch die meisten ungezogenen, eigenwilligen, herzlosen,
-dumm lebenslustigen Frauen unbewußt keine
-Kinder. Sie haben wenigstens davor Achtung, diesen
-unglückseligen Nachkommen nicht ihre eigenen Ungezogenheiten
-und Lebenshärten mitvererben zu
-wollen auf dem schon ohnedies genug schweren
-Lebenswege —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_91'>91</span>
- <h2 class='c009'>DIE PFLEGESCHWESTER ROSA SCHWEDA</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich habe viel erlebt und erlitten, natürlich, in
-meinem Pflegerinnenberufe. Aber die Nacht des
-5. März als Pflegerin des Peter Altenberg war die
-schrecklichste und merkwürdigste. Am Tage vorher
-hatte ich sein Buch »Bilderbogen des kleinen Lebens«
-gekauft und gelesen.</p>
-
-<p class='c016'>Nun sah ich ihn da liegen, ganz verwahrlost,
-von Leiden zerfressen. Ich fühlte es, daß er über
-seinen eigenen Untergang tief verzweifelt sei. Sein
-Idealismus war untergegangen, und es blieb die
-Ruine übrig. — Ich bemitleidete ihn nicht, sondern
-die <i>vielen</i>, <i>vielen</i>, denen so die Früchte seines
-Geistes, seines großen Herzens <i>entgehen</i> sollten. —</p>
-
-<p class='c016'>Ich hatte die Empfindung: »Hund, du darfst
-noch nicht verrecken, du hast uns Ärmsten noch
-manches zu spenden, du hast uns noch aufzuklären,
-hast uns sogar besser zu machen! Was schleichst du dich
-fort, Sünder, ehe du alles für uns ausgesprochen hast?!«</p>
-
-<p class='c016'>So schändlich egoistisch dachte ich über diesen
-sich windenden Wurm in diesen schrecklichen bangen
-Nachtstunden. Ich richtete ihm die Polster, wischte
-ihm den Angstschweiß ab, aber es geschah in einer
-verbissenen Bitterkeit gegen ihn! Den Helfer!</p>
-
-<p class='c016'>Wer, wer hätte sich denn gesund und ewig lebendig
-erhalten müssen als er? Und indem ich an die Werke
-dachte, die er uns <i>vorenthielt</i>, pflegte ich mit
-Widerwillen einen unglückseligen Kranken, der zum
-vorzeitigen Sichfortschleichen aus der Welt gar nicht
-das Recht hatte uns gegenüber — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_92'>92</span>
- <h2 class='c009'>GESCHWISTER</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Meine Schwester, Sektionsrätin M., besuchte mich,
-und sagte an meinem Krankenlager: »Du, diese so
-überaus wirksame Schlammbadkur in Bad X. wurde
-vollkommen um den Effekt gebracht durch einen
-merkwürdigen und schrecklichen Umstand, der meine
-Nerven einfach ermordete. Denke dir, dort stopft
-man noch die Gänse, diese allerunglücklichsten Geschöpfe
-einer ohnedies schon genug furchtbaren und
-unerbittlichen Welt! In dunklen Kellern, in den
-glühheißen Augustnächten, hocken diese Unglückseligen
-in absichtlich zu eng gemachten Holzkäfigen,
-werden Tag und Nacht gewaltsam gefüttert, und
-es wird ihnen durch all diese grausigen Wochen
-hindurch das Trinken von Wasser verwehrt! Das
-entsetzliche Schicksal dieser Unglückseligen in den
-unterirdischen Folterzellen hat mich den Ort zu
-fliehen gezwungen. Mein Töchterchen Hilde, die
-die ganze Sache entdeckt hatte, ging täglich oftmals
-insgeheim mit einer Kindergießkanne in die Folterkammer,
-und goß den gemarterten Gefangenen
-Wasser in die weit aufgesperrten Schnäbel. Die
-wunderschöne junge Slowakin Viktora aber lachte
-dazu aus vollem Halse, als sie das Samariterwerk sah,
-und sagte: »Fräulein Hilde, wird sie auch eingesperrt
-werden so, wenn Frau sie erwischt — — —?« Aber
-unsere französische Gouvernante Hélène sagte: »Madame,
-en Suisse cela ne se fait pas, on ne connait
-pas ces martyrs infames —.«</p>
-
-<p class='c016'>Ich erwiderte meiner Schwester: »Ich bin ganz,
-ganz erstaunt über deinen Bericht. Gerade von dir,
-<span class='pageno' id='Page_93'>93</span>meiner Schwester, die ich jahrelang nicht sehe und
-spreche! Welcher merkwürdige Zusammenhang der
-Nerven! Gerade vor einem Jahre schrieb ich nämlich
-folgende Skizze:</p>
-
-<p class='c016'>Man führte die edle Zwölfjährige nach Berlin,
-um ihr alles zu zeigen, was es dort Herrliches gebe.
-Automobilfahrten zu allen Seen, Variété, Theater; man
-ließ ihr das Paradies »Berlin« erstehen, soweit es für
-eine Zwölfjährige seine Tore überhaupt öffnen konnte.
-Als sie wieder nach Wien zurückkehrte, fragte sie
-eine Dame: Nun, Lilly, wo ist es besser zu leben,
-in Deutschland oder in Österreich?! Und Lilly H.
-erwiderte: Nur in Deutschland kann man existieren!
-Da habe ich bemerkt, daß die armen Pferde an den
-Lastwagen viel geschickter und rücksichtsvoller angebrachtes
-Riemenzeug tragen als bei uns, das ihnen
-die Arbeit erleichtert und Torturen erspart. Und
-dann habe ich auch noch erfahren, daß es in ganz
-Deutschland bei strengster Strafe verboten ist, Tiere
-künstlich zu mästen, und daß geheime Agenten, in
-der Verkleidung von reichen Viehkäufern, sämtliche
-Bauerndörfer Jahr für Jahr daraufhin kontrollieren
-und für jeden entdeckten Fall hohe Belohnungen
-erhalten!«</p>
-
-<p class='c016'>Meine Schwester nahm meine Hand und sagte
-ruhig: »Nun, was ist dabei, wir sind eben Geschwister
-— — —!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_94'>94</span>
- <h2 class='c009'>DER BESUCH</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Eine junge Frau, die ich seit lange als eine fast
-Heilige an Demut und Sanftmütigkeiten verehre,
-kam an mein Krankenbett, bleich und verstört.</p>
-
-<p class='c016'>Sie erzählte mir, daß ihr Mann, der sich für sie
-aufopfere, Gesichtsneurose habe und sich, mit ihrer
-Einwilligung, der Operation auf Tod und Leben
-unterziehen wolle. Sie wisse nicht, ob sie es gestatten
-solle. »Soll ich, soll ich nicht, soll ich?! Ich werde es
-also an meinen Knöpfen abzählen —.«</p>
-
-<p class='c016'>Ich lag da, von meinen Leiden zerfressen, und
-sie stützte den Kopf in die Hand.</p>
-
-<p class='c016'>Da sagte sie: »Nicht, Peter, das Leben ist eigentlich
-komisch —.«</p>
-
-<p class='c016'>Und ich sah eine Träne, vielleicht die heißeste,
-verzweifeltste, die je geweint wurde.</p>
-
-<p class='c016'>Drei Tage später saß sie an meinem Krankenbette:
-»Peter, ich habe es ihm gestattet, und er ist
-daran gestorben. Peter, nicht wahr, die Welt ist
-komisch —.«</p>
-
-<p class='c016'>Ich lag da, von meinen Leiden zerfressen — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Ich zählte es an den Knöpfen ab, was, weiß ich
-nicht. Aber immerhin, an den Knöpfen —. Soll
-man, soll man nicht, soll man?!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_95'>95</span>
- <h2 class='c009'>SOMMERABEND IN GMUNDEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Wir, die nicht genug haben an den Taten
-des Alltages, wir Ungenügsamen der Seele, wir
-wollen unseren rastlosen, enttäuschten und irrenden
-Blick richten auf die Wellensymphonien des Sees,
-auf den Frieden überhängender Weidenbäume und
-die aus düsterem Grunde steil stehenden Wasserpflanzen!</p>
-
-<p class='c016'>Auf die Menschen wollen wir unsern impassiblen
-Blick richten, mit ihren winzigen Tragödien und
-ihren riesigen Lächerlichkeiten; mit düsterer Verachtung
-wollen wir nichts zu tun haben, und mildes
-Lächeln soll der Panzer sein gegen ihre Armseligkeiten!</p>
-
-<p class='c016'>Dem Gehen edler anmutiger Menschen wollen
-wir nachblicken, dem Spiele adeliger Gebärden und
-der Noblesse ihrer Ruhe! Ein Arm auf einer Sessellehne,
-eine Hand an einem Schirmgriff, das Halten
-des Kleides bei Regenwetter, süßes kindliches Bacchantentum
-bei einem Quadrillefinale, wortloses Erbleichen
-und wortloses Erröten, stummer Haß und
-stummes Lieben, und alles Auf und Ab der eingeschüchterten
-und zagen Menschenseele — — das,
-das alles wollen wir Stunde um Stunde in uns hineintrinken
-und daran wachsen!</p>
-
-<p class='c016'>Rastlos aber, vom Satan Gejagten gleich, stürmen
-die Anderen enttäuschungsschwangeren Zwecken entgegen,
-und ihre Seele bleibt ungenützt, verdirbt,
-schrumpft ein, stirbt ab!</p>
-
-<p class='c016'>Jeder Tag bringt einen Abend, und in der Bucht
-beim Toscana-Garten steht Schilf, und Weiden, und
-<span class='pageno' id='Page_96'>96</span>Haselstauden hängen über, ein Vogel flüchtet, und
-alte Steinstufen führen zu weiten Wiesen. Nebel
-zieht herüber, du lässest die Ruder sinken, und niemand,
-niemand stört dich!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_97'>97</span>
- <h2 class='c009'>ÄSTHETEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich habe zwei Ästheten erster Güte kennen gelernt,
-einen jungen Mann und seine junge Gattin.
-Sie schaut aus, wie man sich den siebzehnjährigen
-Dante vorstellt. Sie trägt arabischen und indischen
-Schmuck. Sie leben im Tessin, am Lago Maggiore,
-in einem alten Steinhaus inmitten eines Edelkastanienurwäldchens.
-Jeder Satz, den sie äußert, ist
-ganz tief aus dem Geiste der Menschheit herausgeschöpft.
-Was sind eigentlich Ästheten, die uns brutaleren,
-zynischeren Naturen doch gänzlich ferne
-liegen?! Es sind Organisationen, bei denen sich die
-Urinstinkte völlig in Betrachtung und Genießen der
-zahllosen wertvollen Dinge der Welt aufgelöst, ja
-verflüchtigt haben. Alle Gemeinheiten, denen wir
-noch wie böse Tiere hie und da unterworfen sind,
-sind nicht mehr in ihnen. Der Friede ist in sie eingezogen,
-durch den ewigen Anblick von Gottes Weltenschönheiten,
-Weltenmerkwürdigkeiten. Solche Frauen
-blicken verklärter als alle anderen, denn ihr Reich
-ist, trotz allen Anscheins, nicht hienieden. Sie werden
-erlöst von der Sünde in jeglicher Beziehung; deshalb
-blicken sie mystisch, in kommende Welten hinein — — —.
-Jeder Mensch kann sich aus eigener Macht zu
-einem geistig-seelischen Organismus hinaufgestalten;
-und er und seine Umgebung hätten den Vorteil
-davon. Aber nur wenige unternehmen es. Ästheten
-sind, für brutale Organisationen betrachtet, wie gebrechliche
-Spielzeuge des Lebens, in linden Lüften
-und linden Düften dahinschaukelnd, tödlich verwundet
-von jedem rauhen Wort sogar. Es gibt
-<span class='pageno' id='Page_98'>98</span>Dinge, die man in ihrer Gegenwart nie auszusprechen
-wagte. Man muß durch sie von selbst ein feinfühligerer
-Mensch werden im Augenblick, obzwar
-man sich natürlich dadurch beengt fühlt. Aber mit
-Jeanne d’Arc hätte man ja auch nicht ungezogen
-oder sexuell sein können. Um gewisse Organisationen
-lagert eben die Atmosphäre Gottes, und da
-erlischt dann allmählich in den Augen des Lebenszynikers
-sein satanisch-ironisches Lächeln! Heil
-ihnen! Sie haben mehr gesegneten Frieden als wir
-anderen, wir Barbarischen — — —. Sie sind »Naturmenschen«
-einer erhöhteren, erst anbrechenden Kultur,
-die dann nach langer Zeit zu einer zweiten Natur
-werden wird! Ästheten sind übertriebene Vorläufer
-einer gottgefälligeren Seelenentwicklung!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_99'>99</span>
- <h2 class='c009'>ERINNERUNG</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Der Rathauspark duftet nun von edlen Bäumen
-und edlen Sträuchern. Es ist kühl und schattig. Aber
-damals war es eine endlose graue Wiese mit eingetretenen
-staubigen oder kotigen schmalen Fußwegen.
-Eines Tages stand eine grüne Bretterbude da, das
-erste Wandelpanorama in Wien, genannt »Der Rigi«.
-Es roch nach Öllämpchen, und mein Hofmeister und
-ich saßen in der ersten Reihe auf Strohsesselchen.
-Der Rigi und alle Seen und Bergesketten zogen an
-uns vorüber, zu den Klängen eines italienischen
-Werkels. Dann wurde es allmählich finster, und die
-Berghotelfenster beleuchteten sich, denn sie waren
-ausgeschnitten und dahinter Licht. Das gefiel mir.
-Später machten wir eines Tages die erste Pferdetramwayversuchsfahrt
-mit, vom Schottenring bis
-Dornbach. Es fiel mir auf, daß es fortwährend
-klingelte, was bisher bei den Fuhrwerken nicht zu
-beobachten war. Man hielt das Ganze für gefährlich
-und unsicher und glaubte nicht recht daran, daß es
-sich einbürgern werde.</p>
-
-<p class='c016'>Die Sonntage wurden in Hietzing bei »Domayer«
-verbracht. Es fiel uns angenehm auf, daß unser
-Vater dem Fiaker, der uns führte, <i>du</i> sagte und sich
-in leutselige Gespräche mit ihm einließ. Er kam uns
-vor wie ein milder Potentat. Die Trinkgelder waren
-enorm, gleichsam die Entschädigung für das vertrauliche
-<i>du</i>. Die Rückfahrten vom Lande abends sind
-das Schönste; da schläft man wie ein Toter. Man
-verflucht den Moment der Ankunft, der Wagen ist
-das wunderbarste Bett gewesen. Aber jetzt kommt
-<span class='pageno' id='Page_100'>100</span>Stiegensteigen, Ausziehen, eine unsäglich beschwerliche
-Arbeit.</p>
-
-<p class='c016'>Gebratene Äpfel spielten bei uns eine große Rolle.
-Alles duftete in den Zimmern danach. Das ist ganz
-abgekommen. Auch gedünstete Kastanien, goldigglänzend,
-auf schwarzgrünem Kohlpüree, waren eine
-Festspeise, die jetzt im Absterben begriffen ist.
-Die neue Generation macht sich nichts daraus.</p>
-
-<p class='c016'>Wir vergötterten unsere Hofmeister und Gouvernanten,
-und sie uns. Die Eltern spielten nur eine
-zweite diskretere Rolle, traten erst in Aktion bei
-außergewöhnlichen Ereignissen. Sie waren einfach
-der »Oberste Gerichtshof«. Wir lebten »romantische
-Idyllen«, deshalb fiel es uns später so schwer, dem
-realen Leben Genüge zu leisten — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_101'>101</span>
- <h2 class='c009'>VÖSLAU</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Vöslau, eigentümlicher Ort, einzige wirkliche Sentimentalität,
-die ich habe. Deine grünbefranste
-Station ist geblieben wie eh und je. Nur meine wunderschöne
-Mama, die mich im Damenbade sorgsam
-auf ihren Armen wiegte, ist längst nicht mehr. Die
-Lindenblüten rochen wunderbar, und das sonnengedörrte
-Holz der Kabinen und die Wäsche der triefenden
-Schwimmanzüge. Der Kies brannte die
-zarten Kinder- und Frauensohlen. Vom Wald kam
-Tannenharzduft, und von den Hausgärten kamen
-Millefleursgerüche. Meine Mama hielt mich zärtlichst
-mitten im Teiche, der für mich ein Ozean war! Sie verschwendete
-ihre romantische Zärtlichkeit an ein egoistisches,
-verständnisloses Kindchen, das ihren Hals in
-Angst umklammerte. Wunderbar ist der eingedämmte
-Bach, von der Station aus bis zum Bade. Links ungeheure
-üppige Wiesen, die zu nichts zu dienen
-scheinen und herrliches, dichtes Unkraut produzieren,
-für nichts und wieder nichts. Der Wind
-rauscht eigentümlich in den Tannen. Man hält es
-für einen mysteriösen Aufenthalt für Rekonvaleszenten,
-für kleine zarte Mäderln. Es ist so ein Sanatorium
-für müde Menschen. Die graublaue Ursprungsquelle
-von vierundzwanzig Grad Celsius ist
-wie lebenspendend. Sie spricht nicht viel, sie murmelt
-und gewährt! Viele Hausgärten sind voll von
-Frieden und Pracht. Im Cafégarten hart beim Bade
-ist es kühl vor Baumschatten wie in einem Keller.
-Daneben ein unbekannter Park wie ein Urwald.
-Niemand hat ihn vielleicht je betreten, ihn gestört
-<span class='pageno' id='Page_102'>102</span>in seinen überschüssigen Kräftespendungen! Wozu
-braucht man Brasilien und Lianenverstrickungen
-und Blütendunst und Geranke?!? Dieser Park ist
-Urwald. Vöslau, immer noch, seit fünfundvierzig
-Jahren, ist deine Station grünbefranst, und in dem
-Bache plätschern lustig die Enten, die unmittelbar
-darauf abgestochen werden, denn der murmelnde
-Bach ist nur ein letztes Reinigungsbad, gleichsam
-eine Vorleichenwaschung. Beim Bade duftet es nach
-Lindenblüten. Nichts hat sich verändert. Nur meine
-Mama ist nicht mehr.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_103'>103</span>
- <h2 class='c009'>EIN BRIEF</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>    Lieber Stefan Großmann,</p>
-
-<p class='c025'>in meinen entsetzlichen Qualen habe ich heute soeben
-Ihren herrlichen Essay über und für <i>Frau</i> Tolstoi
-gelesen. Es ist großartig. Nur eines: Das männliche
-Genie geht eben in seinen langsamen Weltentwicklungen
-<i>zuerst</i> vom <i>gewöhnlichen</i> allgemeinen
-<i>irdischen</i> Leben aus, völlert, bekehrt sich
-sodann, gründet Familiensegen, sucht Frieden wie
-ein jeder gewöhnliche Sterbliche. Dann, im Alter
-aber erschaut es die idealeren Welten, ist jedoch
-von seinen vorherigen Entwicklungsstufen <i>gebunden</i>,
-ja <i>geknebelt</i>, kann und darf sie nicht los
-werden, und lebt doch <i>bereits zugleich</i> in Welten,
-die das bisherige althergebrachte irdische Sein <i>überflügelt</i>
-haben. — — — Wie wenn einem Heranwachsenden
-noch immer die getreueste Mutterbrust
-ihre Milch anböte, während er <i>längst</i> über diese
-Periode seiner irdischen schwächlichen Kleinlichkeit
-hinausgewachsen ist!?! Der Träumer, der Denker,
-der Prophet, der Vorherseher, der Menschen-<i>Erhöher</i>
-schwingt sich von selbst, <i>ohne es zu wissen</i>,
-in Regionen einer <i>anderen</i> künftigen Konstellation,
-während er historisch-atavistisch noch mit den
-ehernen Klammern <i>alltäglicher</i> und <i>gewohnter
-Notdurften</i> am bisherigen gebräuchlichen Dasein
-festverankert ist! Das ist seine Tragik! Daher seine
-<i>organische Undankbarkeit</i> gegen jene, die
-einem Stoffe in ihm dienen, den zu <i>überwinden</i>
-und <i>immaterieller</i> zu machen, er die ersten genialen
-Versuche unternimmt. — — — Man degradiert
-<span class='pageno' id='Page_104'>104</span>ihn also in allerbester Intention, zu einer bereits
-geistig überwundenen Entwicklungsstufe seiner selbst.
-Preisen wir seine adeligen Betreuerinnen, aber vergessen
-wir dabei <i>zugleich nie</i>, daß es in genialen
-Prophetengehirnen <i>Entwicklungsembryos</i> gibt,
-denen Frauen und Freunde <i>ratlos</i>, ja <i>unbewußt
-feindselig</i>, sich entgegenstemmen! Die Henne
-brütet ein Entlein aus, betreut es, sucht es vor allem
-vor der Gefahr »Bächlein« zu bewahren. Aber das
-Entlein strebt nach dem fließenden klaren Wasser,
-und die mütterliche Henne blickt <i>in Todesangst</i>
-den Schwimmkünsten des Entleins in seinem ihm
-organischen Elemente nach! Henne, bescheide dich,
-Entlein, schwimme, tauche! Genie, du bist zwar
-undankbar, aber es ist eine organische, von Gott
-gesegnete Undankbarkeit, die den kommenden Menschen
-<i>zugute</i> kommen muß. Die Frauen betreuen
-die <i>Genies</i>, aber die Genies betreuen die <i>Menschheit</i>!
-Beide gehen zugrunde in ihrem merkwürdigen
-unentrinnbaren Lebenswerke, das in der Weltentwicklung
-vorgesehen, vorbedacht und wohlerwogen
-wurde vom göttlichen, meist noch gänzlich
-unfaßbaren Willen!</p>
-<p class='c016'>Frau Tolstoi, du bist nicht minderwertig; Herr
-Tolstoi, du bist nicht mehrwertig; in allen lebt und
-webt die göttliche Seele, unerforschlich, und dennoch
-geahnt und gespürt von einigen wenigen — — —.</p>
-<div class='c012'>Ihr Peter Altenberg.</div>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_105'>105</span>
- <h2 class='c009'>DER FORTSCHRITT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Es ist tragisch genug, daß die meisten Verbesserungen
-in jeglicher Sphäre des Lebens wie von einer heimtückischen
-bösen Macht, vor allem vom bösen Zauberer
-»Gewohnheit« hintertrieben, aufgehalten, zerstört
-werden. Bei vielen Dingen kann man Gründe
-dafür finden, und sich daher wenigstens teilweise
-historisch-philosophisch über das Beharrungsvermögen
-des menschlichen Geistes beruhigen. Es gibt
-jedoch eine ganze Anzahl herrlicher Neuerungen,
-deren Nichtpopulärwerden man absolut nicht begreift.
-Dazu gehört die amerikanische Schuhputzmaschine.
-Ich kenne eine einzige in ganz Wien, im
-Hausflur des Cafés am Mehlmarkt. Man wirft zehn
-Heller in den Spalt, und dein Fuß wird dir sanft
-hineingezogen in die Maschine, und der Schuh dabei
-von Staub und Kot gereinigt. Dann wird er ebenso
-sanft wieder herausgeschoben und dabei gewichst und
-glänzend gebürstet! Man muß nur die Hose ein bißchen
-hochheben, da diese weder gewichst noch auch
-glänzend gemacht zu werden wünscht. Auch muß
-dein Fuß der Maschine völlig nachgeben, denn sie
-allein weiß, was für deinen Schuh zweckmäßig ist,
-und sie entläßt ihn erst zur rechten Zeit. Weshalb
-sind solche herrlichen und gutmütigen Maschinen nicht
-schon längst in den Vestibülen von Hotels, Cafés,
-Theatern aufgestellt?! Es ist fast eine Tragödie,
-es zu erleben, wie selbst in den allereinfachsten
-Dingen niemand das Herz und den Sinn dafür hat,
-seinen Nebenmenschen das Leben ein bißchen zu
-erleichtern. Dabei wäre es noch ein Geschäft, natürlich
-<span class='pageno' id='Page_106'>106</span>für beide Teile. Wie muß man da im vorhinein
-verzichten, in noch schwierigeren Lagen, unterstützt,
-betreut zu werden!?</p>
-
-<p class='c016'>Jemand sagte zu mir: »Es paßt mir nicht, daß
-diese Maschine mir meine zarten Chevreauschuhe
-mit einer minderwertigen Creme putzt!« Ich erwiderte
-ihm, daß die Maschine nur Staub und Kot
-entferne und dann glänzend bürste, also eigentlich
-mit jener Creme, die ein jeder Schuh schon von selbst
-habe. »Ach so,« sagte er tief enttäuscht darüber, daß
-er der neuen Schuhputzmaschine, die bescheiden
-ihre Pflicht erfüllt, kein Klampfl anhängen konnte,
-ihr kein Bein stellen konnte, über das sie schmählich
-stürzen müßte!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_107'>107</span>
- <h2 class='c009'>ÜBER LEBENSENERGIEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Die allerwenigsten Menschen haben auch nur die
-geringste Ahnung von dem Inhalt des Wortes
-»Lebensenergien«. Es ist ein mysteriöses und ganz
-simples Wort zugleich: es bedeutet alle Kraft, die
-unser Nervensystem enthält, zur Betätigung unsers
-Lebens. Diese Kraft erhalten, vermehren, heißt
-eigentlich: ein Kultivierter sein; sie schwächen, verringern,
-heißt: ein Unkultivierter sein. Wir verlieren
-täglich, stündlich Tausende wertvollster Lebensenergien
-durch irrige Lebensführung jeglicher Art,
-und dann noch durch den Mangel an Rücksicht
-der Nebenmenschen auf unser Nervensystem. Tausend
-Ungezogenheiten und Taktlosigkeiten der Menschen
-zerstören unsre angesammelten Lebensenergien.
-Ferner Sorge, Kummer, Eifersucht, Alkohol, schlechtes
-Essen, ungezogene Kellner, ungezogene Friseure,
-ungezogene Freunde, alles, alles das frißt uns täglich,
-stündlich unsre angesammelten Lebensenergien
-weg, und zwar auf eine merkwürdig schwächende,
-lähmende, Zuckerkrankheit vorbereitende Art! Frauen
-besonders sind genial geschickte Zerstörerinnen
-unsrer aufgestapelten Lebensenergien, durch Erzeugung
-von Eifersucht, diesem Krebsbazillus der
-Seele! Man wird plötzlich grün und gelb, und die
-Lebenselastizität läßt nach. Jeder Mensch ist eigentlich
-ein feiger heimtückischer Mörder eines jeden,
-den er in Unruhe setzt ohne zwingendsten Grund!
-Einem Menschen seine Lebensenergien erhalten wollen,
-sie schützen, ja, sie vermehren wollen, heißt
-allein: ihn wirklich lieb haben! Alles andre ist Seelenmumpitz!
-<span class='pageno' id='Page_108'>108</span>Wer mich in irgendeiner Sphäre meiner
-Lebensbetätigungen schwächt, stört, lähmt, statt mich
-zu fördern, ist mir feindselig gesinnt, wie er sich auch
-sonst stellen möge! Die Erhaltung der Lebensenergien
-meines Organismus sei die Sehnsucht einer
-jeden ernstlich freundschaftlichen Seele. »In meiner
-Gegenwart hatte sie einen unbeschreiblich elastischen
-Gang, alles an ihr schien leichter und von
-Erdenschwere befreiter zu werden — — —«; das wäre
-das ehrendste Zeugnis für eine wirklich liebevolle
-Mannesseele. Seine Verluste an Lebensenergien
-rechtzeitig spüren, seine Gewinne freudig buchen im
-Lebenskonto, würde viele der angenehmen Fähigkeit
-näherbringen, das hundertste Jahr, das Pfeifchen
-schmauchend, zu überschreiten. Ich bin einmal unerbittlich
-gegen den göttlichen Leichtsinn, ich bin
-für die erdenschwere Bedenklichkeit. Ich glaube,
-wenn Franz Schubert mein Intimus gewesen wäre,
-ich hätte ihm noch weitere zweitausend Lieder entlockt,
-indem ich ihn beschworen hätte, sich der seiner
-bedürfenden Menschheit zu erhalten durch allersorgfältigste
-Schonung seiner Lebensenergien. »Ja,
-pardon, aber ein Typhus raffte ihn hinweg — — —.«
-Aufgestapelte Lebensenergien nehmen hie und da
-sogar den erfolgreichen Kampf mit solchen Feinden
-wie Typhus, mit einer solchen Hunneninvasion, auf!
-»Ja, aber, mein Herr Schreiber dieser Zeilen, weshalb
-nehmen Sie selbst so wenig Rücksicht auf diese
-immerhin beherzigenswerten Lehren, in Ihrem eigenen
-werten Dasein?!?« Weil ich dann vielleicht Lebensenergien
-entwickelte, um noch einige solcher Bücher wie
-bisher zu schreiben, und das muß unbedingt hintertrieben
-werden durch ungeordnete Lebensführung.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_109'>109</span>
- <h2 class='c009'>STRANDBAD</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Nun sah ich dich, Unbekannte, mit deiner bräunlichen
-Haut und dem krebsroten nassen seidenen
-Schwimmtrikot, am »Gänsehäufel«, und bin an dir
-vor Sehnsucht erkrankt. Immer, immer seh ich dich
-mit deinen unbeschreiblich edlen Gliedern an Wassers
-Rand entlanggehen mit weiten Schritten —.</p>
-
-<p class='c016'>O, weshalb durft’ ich dir nicht sagen: »Kaiserin
-des Strandbads!« Dir hätte es nichts geschadet, und
-mich hätt’ es erlöst, wie es müde enttäuschte Menschen
-erlöst, wenn sie in stillen Kirchen vor einer
-heiligen Frau niederknien —. So aber wandle ich,
-krank an meiner fanatischen Zärtlichkeit, dahin —.
-Kaiserin des Strandbads — — —.</p>
-
-<p class='c016'>An Unzulänglichem werden wir vorzeitig alt und
-müde, verlieren den Glauben an die Realisierbarkeit
-von Gottes Träumen. Da seh ich dich, Edelstgegliederte,
-und fange wieder an zu glauben —!</p>
-
-<p class='c016'>In Kleidern, geschützt durch Seide und Batist,
-oder im Bett, wo des Mannes Leidenschaft sein Auge
-trübt, wohlan! Da nehmen wir vorlieb, begnügen
-uns!</p>
-
-<p class='c016'>Jedoch, aufrechten Ganges, in Licht und Luft
-getaucht, in nassem Schwimmtrikot, da besteht keine
-außer dir diese zärtliche Prüfung! Nun sah ich dich
-und wurde krank an dir, weil ich nicht wenigstens
-flüstern durfte: »Kaiserin!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_110'>110</span>
- <h2 class='c009'>WESEN DER RELIGION</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Der Pastor zu einer armen Frau, die bis dahin
-ziemlich ungläubig war, den Satzungen der Religion
-gegenüber:</p>
-
-<p class='c016'>»Nun, liebe Frau, sind Sie durch meine Worte
-jetzt endlich gläubigern Sinnes geworden?!?«</p>
-
-<p class='c016'>»Herr Pastor,« erwiderte die Frau, »seitdem ich
-weiß, daß Gott alles sieht, wische ich in dem Hause,
-in dem ich bedienstet bin, den Staub auch <i>unter
-den Teppichen</i> auf — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Vielleicht ist auch dies gerade das tiefste Wesen
-der Liebe, einer Art von Realreligion: die Frau hält
-ihre Seele rein, sogar dort, wo niemand es mehr sieht
-und bemerken kann!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_111'>111</span>
- <h2 class='c009'>WIE SIE ES GLAUBEN WOLLEN, SO IST ES!</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>P. A. erhob sich von seinem Schmerzenslager,
-ging auf den Blumenmarkt, kaufte purpurrote
-Buchenzweige, schneeweiße Tazetten, zitronengelbe
-Nelken, dunkle Veilchen und riesig viele goldgelbe
-Mimosen mit graugrünen gefiederten Blättchen.</p>
-
-<p class='c016'>Und das ihre Dame vergötternde Stubenmädchen
-rief ihn an telephonisch: »Meine Gnädige schläft
-noch. Sie wird sich freuen beim Erwachen. Sie
-hat ein wunderschönes Bukett bekommen.«</p>
-
-<p class='c016'>Und er: »Von wem kann es denn sein?!?«</p>
-
-<p class='c016'>»Hoffentlich von Herrn L. Das würde sie am
-meisten beglücken.«</p>
-
-<p class='c016'>»Ja, es ist richtig von Herrn L.! Aber bitte,
-sagen Sie nicht, daß Sie es durch mich erfahren haben,
-sondern nur als Ihre eigene Vermutung.«</p>
-
-<p class='c016'>Und am nächsten Tage sagte die Dame beglückt
-zu Herrn L.: »Ich habe wunderbare Blumen erhalten
-gestern ...«</p>
-
-<p class='c016'>Und Herr L. erfuhr durch das süße Stubenmädchen,
-wie die Sache sich eigentlich wahrscheinlich verhalten
-habe ...</p>
-
-<p class='c016'>Sie fühlte es als ihre Pflicht, es ihm zu sagen.</p>
-
-<p class='c016'>Da sandte er denn am nächsten Tage die herrlichsten
-Blumen, unter dem Namen P. A.</p>
-
-<p class='c016'>Und die Dame sagte zu ihrem Stubenmädchen:
-»Sieh, auch P. A. hat mir Blumen gesandt, sehr nett von
-ihm, man hätte es ihm nicht zugetraut. Nun, aber
-die von Herrn L. am Vortage waren schöner, so wirklich
-mit Geschmack und Zärtlichkeit ausgesucht ...«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_112'>112</span>
- <h2 class='c009'>»PRODROMOS«</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich habe den Menschen, die im Tagesgeschäfte
-festgerannt waren, nie viel geben können, trotz
-meiner sogenannten Freiheit, die mir Gelegenheit
-gab, über die Dinge des Daseins <i>rücksichtslos
-nachdenken zu dürfen</i> — — —. Aber es gibt
-dennoch wertvolle und höchst wichtige Dinge; vor
-allem:</p>
-
-<p class='c016'>Sorge Tag und Nacht für die Edelfunktion deines
-Darmes! Das »Bauchherz« ist wichtiger wie das,
-was wir verhältnismäßig unnötigerweise unter der
-linken Brustwarze tragen. Von der Funktion des
-Darmes hängt <i>unser ganzes Denken</i>, <i>Fühlen</i> und
-<i>Sein</i> ab, unsere <i>Größe</i>, unsere <i>Güte</i>, unsere <i>Menschlichkeit</i>
-und unsere <i>Weisheit</i>! Wehe dem, der 24
-Stunden lang, also als Sünder und Verbrecher, <i>unpurgiert</i>
-dahinwandelt! Er wird millionenmal mehr
-Schaden anrichten als ein Raubmörder und Kinderschänder!
-Er wird in den kleinsten Dingen sein
-Menschentum <i>verleugnen</i>, das ihm Gott in seiner
-Gnade mitgegeben hat. Nur der äußerlich und
-innerlich purgierte Mensch kann auch geistig <i>und</i>
-seelisch purgiert sein! <i>Existieren</i> können, ohne
-Darmfunktion wie die Taube, die es im Fluge von
-sich läßt, ohne sich in ihren edlen Schwingungen
-auch nur 1/100 Sekunde dadurch stören zu lassen,
-ist ein schändliches Verbrechen an sich und vor
-allem seinen Nebenmenschen, an denen man seinen
-Unmut, den man sich selbst gezüchtet hat, in heimtückischer
-Weise dann Tag und Nacht ausläßt.</p>
-
-<p class='c016'>Abführmittel sind <i>theosophische Geheimmittel</i>,
-<span class='pageno' id='Page_113'>113</span>die imstande sind, den Menschen zu einer
-höheren Art hinaufzuentwickeln! Im Moment, wo
-das Genie seine heiligen Darmfunktionen geschwächt
-fühlt, fühlt es sich degradiert zur »<i>Herde der Gewöhnlichen</i>«!
-Seine Schwingen sind ihm — wenn
-auch in anderer Weise — beschnitten und gelähmt.</p>
-
-<p class='c016'>Bauchherz, nervus sympathicus, plexus solaris,
-unbekanntestes Phänomen unter den mysteriösen
-Phänomenen dieser Welt, möge dir die Forschung
-und die Arbeit der künftigen Genies geweiht sein!
-Unten frei, oben frei! Unten gebunden, oben gebunden!
-So ist es!</p>
-
-<p class='c016'>Es gibt fast keine Schädlichkeit, die wir unserem
-Organismus antun, die nicht durch eine absolut
-vollkommene Verdauungskraft besiegt werden könnte!
-Unsere Darmnerven sind wichtiger wie unsere Gesamttätigkeiten
-unseres Organismus, als alle andern
-Organe zusammen! Mit einem absolut leichten
-Stuhlgang müßte man sich theoretisch eine »ewige
-Jugend« verschaffen können. Der obstipierte Mensch
-ist <i>kein menschliches Wesen</i>! Seine Heiligkeit,
-seine Gottähnlichkeit beginnt erst, wenn die Darmfunktionen
-eine <i>fast ideale</i> Leistungsfähigkeit erreicht
-haben. Die tiefste Genialität eines Organismus
-ist, mehr Rücksicht auf seine Darmnerven zu nehmen,
-als auf alle andern zusammen! Man schont damit
-vor allem <i>Herz und Gehirn</i>.</p>
-<h4 class='c022'>Der Philister</h4>
-
-<p class='c019'>Ewige Rache, die Gott, Schicksal und Natur am
-Philister nehmen: Sie verhindern ihn, Tag und
-Nacht <i>Tonika</i> zu suchen, Belebungs- und Erregungsmittel
-<span class='pageno' id='Page_114'>114</span>dieser Stoffwechselmaschine »Mensch«!
-Sie wollen immer glatt und beruhigt überall durchkommen;
-daher verlieren sie die einzige Kraft, die
-es für die menschliche Maschine gibt: den Stoff-<i>wechsel</i>!</p>
-<h4 class='c022'>Genialität</h4>
-
-<p class='c019'>Das geniale Gehirn hat nie die <i>kleinliche</i>
-Todesangst des Philisters, sondern die <i>absolute</i>
-eines Bismarck, der <i>wußte</i>, daß bei einer verlorenen
-Schlacht von Königgrätz ihm nur mehr die Revolverkugel
-übrig bliebe. — Selbst <i>Goethe</i> hatte ein Jahr
-lang den geladenen Revolver auf seinem Nachtkastel
-liegen. Sich schützen?!? Vor dem Altwerden,
-vor dem <i>Sterben</i>?!? <i>Wozu also?!</i> Das Genie
-bringt sich <i>rechtzeitig</i> um, wenn es seine Mission
-erfüllt hat, oder sie <i>nicht</i> erfüllen konnte! Aber
-diese andern <i>paktieren</i> mit dem Leben, das
-dann doch <i>keines ist</i> und keinen Pakt zuläßt!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_115'>115</span>
- <h2 class='c009'>RESTAURANT PRODROMOS</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ein Restaurant ersten Ranges, von einem modernen
-Architekten unerhört einfach-primitiv, aber zugleich
-aristokratisch-apart eingerichtet. Es wirken
-in der Küche in idealer Gemeinschaft ein französischer
-Koch und ein junger Arzt, Diätetiker, Hygieniker,
-und der Dichter. Jede Speise ein unerhört
-leichtverdauliches Gedicht für den Verdauungsapparat!
-Lauter Speisen, die in drei bis fünf Stunden
-verdaut sind ohne Rückstände! Reiche Stoffwechselkranke,
-Nervenkranke, Magenkranke, Darmkranke
-würden hier ein absolut sicheres Asyl finden! Die
-internationale Püreemaschine würde auf jedem Tische
-stehen. Einige Umdrehungen, und jede Speise hat
-die Konsistenz erhalten von Erdäpfelpüree, Erbsenpüree!
-Schöne Zähne sind eine ästhetische Angelegenheit,
-aber man soll sie nicht gebrauchen! Den
-Speisen ihre Seele ausziehen, ihr Wertvollstes, und
-das Unverdauliche den Hunden, den Schweinen!
-Kein Essig, sondern Zitrone! Ganz, ganz neue Zusammenstellungen.
-Zum Beispiel durchpassiertes
-Kalbfleisch in Eiersauce. Pürees und Saucen in noch
-nie dagewesenen neuen Verbindungen! Man kann sich
-krank essen und bleibt dennoch gesund! Die Diätetik
-eine reale Romantik geworden! Erfüllbare Ideale!
-Die Zähne haben ihre miserable dilettantische Zerkleinerungstätigkeit
-einzustellen, sobald die internationale
-Püreemaschine ihre Dienste ideal ersetzt.
-Man putze sie und halte sie als Kunstwerkchen in
-Ehren! Der Edelmaschine darf man nicht Lasten
-aufbürden, sondern muß sie ihr zu ersparen suchen!
-<span class='pageno' id='Page_116'>116</span>Das Kindchen saugt an der Mutterbrust, und die
-müde und nervös gewordene Menschheit will desgleichen!
-Jeder komplizierten Maschine sucht man
-die Widerstände so viel als möglich zu ersparen;
-nur dieser unglückseligen und allerherrlichsten Maschine:
-»menschlicher Verdauungsapparat« nicht!
-Weshalb?! Gründet das Restaurant Prodromos! Es
-soll eine Oase werden. Nach jeder Mahlzeit kann
-man sich hinlegen auf ideale Ruhestühle, was riesig
-wichtig ist! Es gibt Zimmerchen, in denen man,
-wenn auch nur für zehn Minuten schlafen kann!
-Eine Regenerationsanstalt, als Restaurant geführt.
-Ein Gasthaussanatorium! Teuer, aber fast kostspielige
-Kuren ersetzend! Weshalb warten mit der
-Ausführung?! Gibt es denn keine Idealisten, die
-dennoch verdienen möchten?! Sind denn das Gegensätze,
-um Gotteswillen?! Was sollte denn reellerweise
-eigentlich belohnt werden auf Erden als der
-wohlverstandene Idealismus?!? Gründet das Restaurant
-Prodromos! Und gedenket meiner, des Urhebers!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_117'>117</span>
- <h2 class='c009'>DER BRAND</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Um zwei Uhr morgens kam die Nachricht in die
-American Bar, daß ein Palais nächst dem Stadtpark
-in Flammen stehe. Wir ließen unsre wunderbaren
-Mischungen sofort stehen, fuhren im Fiaker rasend hin.</p>
-
-<p class='c016'>Auf dem Dache des fünfstöckigen Palastes leuchteten
-die weißen Magnesiumfackeln der Feuerwehr,
-und goldgelbe und rote Funken fielen zur Erde.
-Unten im Finstern der Straßen leuchteten die Lampen
-der Feuerwehrautomobile wie getreue Wächterhundeaugen!
-So besorgt-gutmütig!</p>
-
-<p class='c016'>Der Stadtpark war schwarz und einsam. Auf
-einer Bank saßen Zwei, Hand in Hand. Sie betrachteten
-den Brand des Palais, hörten die Feuerwehrsignale:
-»Wasser! Wasser! Wasser!«, und sie waren
-und sie blieben versunken in ihrem eigenen unentrinnbaren
-Schicksal, Hand in Hand.</p>
-
-<p class='c016'>Das Palais brannte, und man erließ für die obern
-Parteien bereits die Nachricht, sie möchten delogieren
-und herabkommen — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Der Stadtpark war einsam und im Dunkeln — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_118'>118</span>
- <h2 class='c009'>RÜCKSICHT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Sie trug ein wunderbares, stark dekolletiertes
-schulterfreies Kleid. Ihre Freunde bewunderten
-ihre herrlich modellierten Schultern. Da stand sie
-auf, ging in ihre Garderobe zurück und zog ein viel
-dezenteres Kleid an, das nur Hals und Arme frei ließ.</p>
-
-<p class='c016'>Einige Augenblicke später kam ihr Bräutigam.</p>
-
-<p class='c016'>»Natürlich,« sagte er, »man muß sich für die
-fremden Männer dekolletieren!«</p>
-
-<p class='c016'>»Herr Bräutigam,« sagte ein Baron, »das ist
-doch gerade das Schöne an Ihrer Freundin, daß sie
-immer so einfach und dezent gekleidet ist und gar
-nichts aus sich macht. Schließlich und endlich muß
-es doch auch Ihnen schmeicheln, wenn andere Sie
-darum beneiden und sie bewundern!«</p>
-
-<p class='c016'>»Anita,« sagte der Bräutigam, »gehe doch in
-die Garderobe und ziehe dir mal das neue schulterfreie
-Kleid an, das ich für dich entworfen habe.
-Du bist ja nicht mehr im Sacré Coeur — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Die Dame stand auf und ging in die Garderobe,
-das noch körperwarme schulterfreie Kleid wieder anzulegen
-— — —.</p>
-
-<p class='c016'>Die Freunde sagten hypokrit: »Das ist wirklich
-etwas gewagt und auffallend — — — Aber wenn es
-Ihnen recht ist, Herr Bräutigam — — —?!?«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_119'>119</span>
- <h2 class='c009'>MYOSA</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Mademoiselle Myosa, das Original mit dem tiefen
-wunderbaren Blick, in dem direkt eine Art von fanatischer
-Tanzmission glüht und fiebert, ist von unbeschreiblicher
-Anmut. Die übrigen Tänzerinnen
-tanzen, aber sie ist der Tanz selbst, sie versinkt,
-ertrinkt im Tanzen. Sie existiert nicht mehr. Sie
-kann sich, auch im Leben, in nichts anderm äußern.
-Man hat die Empfindung: sie ißt nicht, sie trinkt
-nicht, sie schläft nicht, sie will kein Geld und keine
-sonstigen scheinbar unentrinnbaren Leidenschaften
-— — — sie will tanzen, tanzen, tanzen! Der Fisch
-will Wasser, nur Wasser; und sie will den Tanz, nur
-den Tanz! Sie ist das erste Tanzgenie, das ich je
-erblickt habe, wegen ihrer fast pathologischen Konzentration.
-Sie rührt und macht erstaunen. Hat
-Gott die Welt nur erschaffen, damit Myosa sich darin
-austanze?! »Ja!« sagen ihre düstern Blicke. Sie
-hat Bewegungen, die man noch nie bei einer Tänzerin
-gesehen hat, wie wenn oft ihr wunderbarer kindlicher
-Leib von einer inneren Macht gezwungen würde.
-Dabei ist sie ununterbrochen verzweifelt, daß es in
-diesem Vergnügungsetablissement nicht still und
-feierlich ist während ihres heiligen Tanzens wie in
-einer Kirche; sprechen, lachen, verletzt sie tödlich;
-ein Zug unaussprechlichen ergreifenden Leidens ist
-da mitten im Tanzen auf ihrem herrlichen Antlitz.
-Da haßt sie die Menschen und die Welt! Sie ist eine
-tragische Persönlichkeit, feindselig und abhold dem
-leichten Dasein der Stunde. Sie ist ein Phänomen,
-eine Einzige, eine in sich Gekehrte, starre Unerbittliche
-<span class='pageno' id='Page_120'>120</span>des Tanzes! Und das alles dort, wo man sich
-bei uns amüsieren, zerstreuen will!? Arme, arme
-Myosa — — —!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_121'>121</span>
- <h2 class='c009'>IM STADTPARK</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Als Kinder saßen wir Abend für Abend mit
-unsern geliebten Eltern im Stadtpark, im Kursalon.
-Wir bekamen Eis und Hohlhippen und hatten keinerlei
-Sorgen. Der Vater geht nun seit Jahren nicht
-aus seinem bequemen Zimmer mehr heraus, und die
-Mutter nicht aus dem bequemen Totenschrein. Ich,
-glatzköpfig und sorgenvoll, komme nun in den Stadtpark,
-Kursalon, auf die Terrasse, an denselben Tisch,
-an welchem wir einst sorgenlos mit den geliebten
-Eltern saßen. Ich bestelle dasselbe Eis, Himbeerschokolade,
-wie als Kind, mit recht vielen und
-knisternden, also frischen Hohlhippen. Vor mir die
-Gartenbeete wie einst, ein bißchen bunter, origineller.
-Ich sehe Eltern mit ihren Kindern. Sie
-zanken und schelten. Unsre Eltern zankten und
-schalten nie, nie. Vielleicht war es schlecht, daß sie
-es nie taten, aber sie hatten Achtung vor ihren
-eigenen Erzeugnissen, und Zuversicht! Wir haben sie
-enttäuscht; aber sie haben es hingenommen als
-Schicksal und Verhängnis. Wir haben ihre Tränen,
-die sie um uns weinten, nie gespürt — — —. Nun
-sitze ich, Glatzköpfiger, Sorgenvoller, wieder im
-Stadtpark, im Kursalon, auf der Terrasse, an demselben
-Tisch wie einst mit den geliebten Eltern,
-esse dieselbe Portion Himbeerschokolade wie einst,
-mit vielen knisternden, also frischen Hohlhippen — — —.
-Die Gartenbeete, auf die ich herabblicke,
-sind ein wenig bunter, origineller. Aber sonst hat
-sich nichts verändert, in den Zeiten vom dummen
-Kind zum müden Mann! Ich sehe Eltern, die ihre
-<span class='pageno' id='Page_122'>122</span>Kinder im Park schelten; unsre Eltern schalten uns
-nie; sie erhofften es, daß wir sie einst belohnen würden
-für ihre Güte; aber wir taten es nicht. Wir hatten
-eine schöne Kinderzeit; so tauchen wir denn hinab
-in Erinnerungen, da wir vom seienden Tage nicht
-leben können. Wir hatten allzu sanftmütige, hoffnungsfreudige,
-schicksalergebene Eltern. Es war ein
-Fluch und ein Segen! Man kann nun an Zeiten zurückdenken,
-die paradiesisch waren — —. Nicht
-jeder, der vor sich das Dunkel sieht, kann liebevollen
-Herzens der lichten Zeiten dankbar sich erinnern
-— — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_123'>123</span>
- <h2 class='c009'>EHEBRUCH</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich verzeihe dir! Vier Tage und vier Nächte habe
-ich mich durchgerungen. Die Nächte besonders
-waren voll von Qual. Wenn du gewußt hättest, was
-du mir angetan hast an Leid, du hättest es wahrscheinlich
-nicht getan. Aber ihr wißt es eben nicht, wollt,
-könnt es nicht wissen! Unser verstörtes Antlitz sagt
-euch nichts. Prügel sind der Ausbruch für euch unserer
-verletzten Eigenliebe. Und sogar Mord ist doch in
-Eueren Augen nur Rachgier! Unsere Zärtlichkeit könnt
-ihr nicht ahnen, die wir für euer Leben haben, wie jedes
-Muttertier für seine Jungen, oder wie der Storch,
-der sich auf dem brennenden Dache niederläßt, um
-mit den Jungen, die er nicht mehr erretten kann vor
-Qualm und Hitze, selbst zu verbrennen! So sind
-wir mit euch! Mit euch verbrennen, wenns keine
-Rettung gibt — — —. Das zarte Nest ist in Gefahr,
-das wir euch errichtet mit allen Mühen unseres
-armen Lebens; das Nest ist in Gefahr — — —. Ich
-will dich retten, doch der Qualm betäubt mich.
-Anita, oh Anita — — —! Vier Tage und vier Nächte
-hab’ ich mich durchgerungen. Die Nächte besonders
-waren voll von Qual. Ich will dich retten vor dir
-und vor den anderen! Ich liebe dich, es bleibt mir
-keine Wahl — — —. In mir sind Gottes Zärtlichkeiten
-für jedes Geschöpf, konzentriert auf dich!
-Bis du es aber spürst, vergehen Jahre, Jahre. Mir
-ist die Kraft verliehen, an deiner Bahre, in deinem
-toten Antlitz noch verständnisvollen Dank mir endlich
-zu erspähen! Vier Tage und vier Nächte hab ich mich
-durchgerungen. Die Nächte besonders waren voll
-<span class='pageno' id='Page_124'>124</span>von Qual. Ich liebe dich, es bleibt mir keine Wahl.
-Wir wollen den Schmerz begraben, der uns begrub
-— — —. Nimm also dein neues Kleid, wir wollen zu
-fremden Menschen gehen, die fröhlich sind, Geliebte!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_125'>125</span>
- <h2 class='c009'>HAMSUN-MENSCHEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich habe irgendwo einen geistreichen Essay gelesen
-— leider geist-reich, aber wahrheits-arm —
-über das Wesen der sogenannten Hamsun-Menschen,
-das heißt: jener Menschen, die Hamsun in seinen
-Romanen beschreibt.</p>
-
-<p class='c016'>Es sind nämlich ganz einfach Menschen, die die
-Lächerlichkeit des menschlichen Geistes und der
-menschlichen Seele durchschaut haben und dahinter
-gekommen sind, daß alles öder Mumpitz ist! Ich bin
-überzeugt, daß Shakespeare die Eifersucht des
-Othello, den Ehrgeiz des Macbeth, die Liebe des
-Romeo für ebenso lächerliche und wertlose Dinge,
-für übertriebene Irrsinne, für groteske Stupiditäten
-von Monomanen oder Paralytikern gehalten habe;
-nur hatte er damals noch die sogenannte gesunde
-Kraft, aus diesen Irrsinnen scheinbar menschliche
-Dramen zu fabrizieren! Hamsun hingegen hält
-Markensammler, Münzensammler und Liebesleute
-für lächerliche Persönlichkeiten, und nichts in der
-Welt kann ihm ein Interesse abgewinnen als die
-schändliche und infame Lächerlichkeit, mit der alle
-Menschen die ihnen wichtig erscheinenden Dinge auch
-ernstlich für wichtig halten! Diejenigen Unglückseligen,
-die in der Mitte schwanken zwischen der Bejahung
-und Negierung des Daseins, machen sich ein
-Geschäft daraus, Hamsun-Menschen fälschlich erklären
-zu wollen, indem sie selbst weder den Mut
-haben, bejahende Normalmenschen noch negierende
-Perverse zu sein. Der sogenannte gesunde Mittelweg ist
-die Straße des feigen Idioten. Er allein ist der ungerechte
-<span class='pageno' id='Page_126'>126</span>und ewig mißtrauische Nichtsversteher! Sie
-wollen in den Abgründen des Daseins sich ein Pfädchen
-herausschinden, auf dem sie scheinbar noch sicher
-dahin schreiten könnten! Aber vergeblich! Es handelt
-sich nur um einige Jahre, und auch sie werden zur
-Browningpistole innerlich greifen müssen. Hamsun
-erkannte die Nichtigkeit, die Lächerlichkeit, die
-Bösartigkeit, die Gemeinheit des Lebens in jeder
-Minute, in jeder Stunde, an jedem Tage; aber die,
-die noch nicht die Kraft haben, das ganz zu erfassen,
-klammern sich an irgend einen Popanz fest, der sie
-hoffentlich irgend einmal zugrunde richten wird.</p>
-
-<p class='c016'>Hamsun-Menschen haben ganz einfach einen
-milliardenmal tiefem Einblick in die Lächerlichkeit
-und Wesenlosigkeit des Daseins, als die andern
-Menschen, und derjenige, der sich aus diesen unentrinnbaren
-Wahrheiten herausretten will, beweist damit
-nur die Feigheit, daß er mit einem wertlosen
-Leben den wertlosen Kampf noch immer vergeblich
-aufnimmt. Alle Menschen sind Münzen- und Markensammler,
-und wer ihre absolut wertlosen Irrsinne
-nicht erkennt, ist ein ebensolcher Idiot, wenn er
-auch in seelischer und geistiger Beziehung andre,
-aber ebenso wertlose Sammlungen anlegt! Sich über
-die letzten Erkenntnisse eines Hamsun-Gehirns hinüberschwingen
-zu wollen, ist die infamste Feigheit
-eines Menschen, der nicht imstande ist, eine Stunde
-lang ein wahrheitsvolles Leben zu führen.</p>
-
-<p class='c016'>Das Leben ist eine feige Lächerlichkeit, mit
-frechen Ambitionen, und es gehören alle Verlogenheiten
-der menschlichen Seele und des menschlichen
-Geistes dazu, um es auch nur eine Minute lang ernst
-<span class='pageno' id='Page_127'>127</span>zu nehmen! Strindberg wußte, was er von Frauen
-zu halten hatte, die, statt ihn zu schützen und zu
-schonen, ihm seine göttlichen Kräfte auf allen Wegen
-und Stegen zu rauben suchten. Er hatte die Genialität,
-an die Anständigkeiten der Frau zu glauben, fand
-aber nur herzlose Tyranninnen, die die Schwächen
-selbst der genialen Organisation auf perfideste und
-heimtückischste Weise ausnutzten! Was August
-Strindberg dichtete und dachte, war ihnen eine
-nebensächliche Erscheinung, aber sein persönliches
-Liebesleben kontrollierten sie mit ihren unfähigen
-und niedrigen Sinnen! Alle Männer sollten wie
-Strindberg es erhoffen, daß man ihre edelsten Kräfte
-schonen und schützen werde, und sie nicht ausnutzen
-werde zur gemeinen Bequemlichkeit des
-Tages- und Nachtlebens. Eine Frau, die auch nur
-eine Stunde lang einen August Strindberg quälte,
-wäre wert, von der ganzen Menschheit boykottiert
-und gefoltert zu werden, denn für ihre Glückseligkeit
-würde der Kommis einer Seidenfirma bessere Dienste
-leisten! Sie rächt sich in ihrem ewigen Vier-Wochen-Turnus
-an den ewigen Entwicklungsfähigkeiten des
-Mannes, und das Genie Strindbergs bäumte sich für
-hunderttausend gequälte andre Genies auf gegen den
-Mangel an Respekt einer geliebten Frau vor der
-Geistigkeit des Mannes!</p>
-
-<p class='c016'>Hamsun nahm die Sache nicht so tragisch, sondern
-mehr von der ironischen Seite, und selbst Shakespeare
-war ein Strindberg und ein Hamsun im Grunde
-seiner Seele, aber er hatte leider noch die gesunde
-Kraft, es in fünfaktige Dramen umzusetzen, deren
-eigentliche tiefe Ironie der Welt nie verständlich wurde!</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_128'>128</span>Der Ansichtskartensammler ist kein größerer Narr
-als alle andern, die sich an angeblich wichtigere
-Objekte Tag und Nacht anklammern, um ihr Leben
-damit auszufüllen und in kümmerlicher, armseliger,
-schamlos-feiger Weise zu fristen. Je weniger Spesen
-sie dabei haben, desto normaler sind sie. Es gibt
-Schriftsteller, die die Geschicklichkeit haben, einem
-Hamsun und Strindberg sogar ihre Irrsinne nachzuweisen!
-Ich selbst begnüge mich mit der Ansicht,
-daß sich außerhalb des Lebens zu bewegen und mit
-ihm keine anderen Zusammenhänge zu haben wie die
-eines satanischen Lächelns, die einzige Sache und
-Aufgabe eines genialen Menschen sei!</p>
-
-<p class='c016'>Wer die Kraft hat, dem Leben mit aufgezogenem
-Visier ins Auge zu blicken, der wird das große Mauer-Oehling
-und Steinhof der Menschheit in Ernst und
-Ruhe erkennen, und seine Stunde, die ihn von dem
-Stumpfsinn und der Stupidität endgiltig befreit, mit
-Freude erwarten —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_129'>129</span>
- <h2 class='c009'>MEMOIREN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich lese die Geschichte vom Grafen von Lavalette,
-und sie interessiert mich gar nicht. Er war ein Getreuester
-Napoleons des Ersten.</p>
-
-<p class='c016'>Aber ich habe bisher es nicht eingesehen, wodurch
-dieser »geniale Feuergeist«, dieses »Ungetüm an
-Lebensenergien«, der Gesamtmenschheit irgendwie
-geholfen habe!?! Die Geschichte seiner »Getreuen«
-interessiert mich daher um so weniger. Aber als
-Lavalette, dieser »Tatendurstige« (ein schreckliches
-Wort für den Lebenskundigen) eingesperrt und hingerichtet
-werden sollte, gab ihm seine Frau ihre
-Kleider, und er entfloh. Sie selbst wurde im Kerker
-derart mißhandelt, daß sie irrsinnig wurde.</p>
-
-<p class='c016'>Da begann ich mich für die Gräfin von Lavalette
-zu interessieren, die in den Memoiren gar nicht erwähnt
-ist.</p>
-
-<p class='c016'>Ehre ihrer Seele!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_130'>130</span>
- <h2 class='c009'>WIDMUNG AN ANNA KONRAD</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>O Fraue,</p>
-
-<p class='c016'>Nicht was du <i>bist</i>, bist du!</p>
-
-<p class='c016'>Das, was <i>wir</i> von dir träumen, <i>das</i> bist du!</p>
-
-<p class='c016'>Was in der dunklen Wehmut unseres begeisterten
-Blicks erschimmert, das bist du!</p>
-
-<p class='c016'>Der Duft deines Atems, der uns den Duft der ganzen
-blühenden geheimnisvollen Welt bringt, <i>das</i> bist du!</p>
-
-<p class='c016'>Deine <i>nicht erfüllten</i> Sehnsuchten, die auf
-deinem lieblichen Antlitz kauern, und die <i>wir</i> mehr
-miterleben, <i>miterleiden</i> als du selber,</p>
-
-<p class='c016'><i>Das</i> bist du!</p>
-
-<p class='c016'>Die Träne, die aus unsern Augen langsam herabrieselt
-(wir selber wissen nicht, aus welchem Leid
-sie ihre Quellen hat) <i>das</i>, <i>das</i> bist du!</p>
-
-<p class='c016'>Und <i>unser Lächeln</i> bist du, wenn du
-kommst — — —!</p>
-
-<p class='c016'>Und unsere <i>ernste Stille</i>, wenn du von uns
-gehst — — —!</p>
-
-<p class='c016'>Wenn du <i>uns</i> kränkst und wenn du <i>uns</i> verwundest,</p>
-
-<p class='c016'>Nimmst du <i>dir selbst</i> die Pracht des eigenen
-Lebens,</p>
-
-<p class='c016'>Denn was wir von dir fühlen, <i>das</i> bist <i>du</i>!
-Bleib darum milde — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Dreh’ nicht der Nachtigall den Hals um, wenn
-sie in die lichte Mondnacht schmettert,</p>
-
-<p class='c016'>Denn <i>ihr Lied</i> macht erst die Mondnacht zu
-dem, was sie <i>ist</i>!</p>
-
-<p class='c016'>O Fraue, laß uns singen, sagen, klagen — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Was du <i>von uns</i> vernimmst, <i>das</i> erst bist <i>du</i>!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_131'>131</span>
- <h2 class='c009'>DER TOD</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Wann soll ich sterben, mich umbringen?! Es
-ist an der Zeit.</p>
-
-<p class='c016'>Es ist fünf Uhr morgens. Man sieht noch nicht
-die großen braunroten Dächer der alten Wallnerstraßenpaläste.
-Man hört die Uhren von fünf Kirchtürmen.
-Sie folgen einander so merkwürdig, wie um
-sich nicht gegenseitig zu stören, lauschendes Menschenohr
-nicht zu verwirren, das Ohr von Kranken,
-die dem heimlichern Tage bang entgegenlauschen
-— — —.</p>
-
-<p class='c016'>Wann soll es sein?!</p>
-
-<p class='c016'>Sie darf nicht geweckt werden aus ihrem mir
-heiligen Schlaf, durch eine Nachricht, die jedenfalls
-erregt und schadet — — —. Wenns ihr auch schmeichelt,
-daß es ihretwegen ist — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Ich muß also warten, bis die völlig Ausgerastete
-die merkwürdige Botschaft hört,</p>
-<p class='c011'>daß ihr fanatisch getreuester Ritter sie dennoch
-verlassen mußte, mitten im Seelendienste, der
-ihn brach und sie nur störte, die einsam kranke Frau — — —.</p>
-
-<p class='c011'>Nach Hamburg wird die Kunde später dringen,
-und H. M. ist gewappnet mit Ergebenheiten!</p>
-
-<p class='c011'>In ihrer Religion sind Kreuzigungen vorhergesehen,
-und sie wird leben aus innern Kräften,
-durch Leid erhöht, betaut, befruchtet!</p>
-
-<p class='c016'>Bessie wird in Leysin, im Paradies des Wintersports
-am Genfersee, die Nachricht hören, und in
-meinen Briefen vielleicht kramen, die sie besitzt.</p>
-
-<p class='c016'>Die Hauptsach’ ist, daß meine vergötterte Frau
-<span class='pageno' id='Page_132'>132</span>in Wien nicht durch die Nachricht aus dem Schlafe
-kommt, den sie so nötig hat.</p>
-
-<p class='c016'>Man muß sichs also einzuteilen wissen. Tag,
-brich an!</p>
-
-<p class='c016'>Lebet wohl — — —!</p>
-
-<p class='c016'>Der grelle Tag macht freilich den Abschied
-schwerer als des Wintermorgens düstre Dämmerungen!</p>
-
-<p class='c016'>Jedoch die Frau darf’s erst vernehmen, wenn sie
-ausgerastet ist von langem Schlafe — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_133'>133</span>
- <h2 class='c009'>EINE GANZ WAHRHAFTIGE BEZIEHUNG</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Sie saß an einem riesigen Parterrefenster, das fast
-den Boden der staubigen grauen elenden Dorfstraße
-berührte, und nähte an einer schönen blinkenden
-Nähmaschine. Blusen, von morgens bis abends.
-Ihre Augen hatten einen Ausdruck von Verzweiflung.
-Aber sie selbst wußte nichts davon. Sie nähte, nähte
-und nähte. Sie war ganz mager, ungeeignet für den
-Sturm des Daseins, der Seelen und Körper schüttelt
-und hinwegfegt. Abends aß sie das kalte Gemüse
-vom Mittagstisch. Das sah ich alles durch das
-riesige Parterrefenster hindurch, und sie sah, daß ich
-alles sah.</p>
-
-<p class='c016'>Eines Abends stand sie vor dem Haustor so angelehnt.
-Da sagte sie: »Ich habe eine Stellung angenommen
-in Mariahilf in einer Blusenfabrik, ich
-werde nicht mehr privat arbeiten müssen in diesem
-einsamen Zimmer.«</p>
-
-<p class='c016'>Da dachte ich: »Dorfstraße, Dorfstraße, du hast
-deinen Glanz, du hast deinen Reichtum eingebüßt!«</p>
-
-<p class='c016'>»Man muß sich seine Lage verbessern, nicht
-wahr!?« sagte sie, »ich habe Sie übrigens immer an
-meinem Fenster vorübergehen sehen, dreimal des
-Tages. Dreimal des Tages sind Sie freilich vorübergegangen.
-Aber in Mariahilf werden vierzig Mädchen
-sein, und man wird plaudern können, und arbeiten
-wie in einem Ameisenhaufen — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>»Sie, Fräulein, ich werde auch dreimal noch täglich
-an Ihrem Fenster vorübergehen, wenn Sie nicht
-mehr dasitzen — — —.«</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_134'>134</span>»Ja, werden Sie das?!? Da werde ich also doch
-auch zugleich zu Hause sein wie früher in meiner
-Heimat — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>»Lassen Sie vielleicht Ihre blinkende kleine Nähmaschine
-am Fenster stehen, und dabei eine ihrer
-angefangenen Blusen — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>»Ja, bitte, das werde ich — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Das war die einzige wahrhaftige Beziehung mit
-einer Frauenseele während meines ganzen ereignisreichen
-Lebens — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Dorfstraße, graue staubige Dorfstraße, du hast
-nun deinen Glanz, du hast deinen Reichtum eingebüßt
-— — —. Sie, sie geht nun in die Arbeit, in die
-Welt — — —!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_135'>135</span>
- <h2 class='c009'>IM VOLKSGARTEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Juli im Volksgarten. Die holde Frische der Gewächse
-ist vorüber. Nur Rosa Crimson Rampler
-blühen als dunkelrotes Gebüsch. Auf dem Teich vor
-dem Elisabethdenkmal sind die Seerosen verblüht.
-Nur die Blätter liegen papierflach auf grünschillerndem
-Wasser. In den riesigen hellgrauen Tonkübeln
-blühen hellrosa Hortensien. Die marmornen Kindergesichter
-an den Brunnen strahlen Lieblichkeit aus
-sondergleichen. Es sollen die Kinder des Bildhauers
-selbst sein. Heil ihm! Ein Mäderl von neun Jahren
-zeigt uns alle ihre herrlichen Künste. Sie hat nur
-ein weißes Hemd an mit einer dicken roten seidenen
-Schnur. Sie läuft Springschnur wie ein griechischer
-Marathonläufer. Sie spielt Diabolo wie ein Champion.
-Sie spielt zugleich mit zwei Raketts und
-zwei roten Gummibällen. Ich rufe: »Bravo, bravo!«
-als säße ich in einem Variété. Sie hat nackte
-Gazellenbeine. Sie macht alles von nun an infolge
-des Applauses für mich und meine edle Freundin.
-Einmal heben wir ihr einen Ball auf. Sie weiß, sie
-befindet sich in unsrer Gunst. Sie hat fremde Menschen
-für sich gewonnen, sie hat die enge Sphäre
-von Papa, Mama, Onkel, Tante überflogen, sie ist in
-das Land eingedrungen objektiver Anerkennungen.</p>
-
-<p class='c016'>Und da sagte ihre Mama: »Spiele doch zu mir
-zu, ich will dich auch sehen, nicht immer nur deinen
-Rücken.«</p>
-
-<p class='c016'>Da wandte sich das Kind von uns ab und spielte
-gegen die Mama zu. Nur hie und da blickte sie sich
-um nach ihren fremden Verehrern.</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_136'>136</span>Später kam der Papa, ermüdet vom Geschäfte.</p>
-
-<p class='c016'>»Amüsierst du dich, Anna?!?« sagte er zu seinem
-Töchterchen.</p>
-
-<p class='c016'>»Amüsieren, amüsieren —« dachte Anna, »man
-bewundert mich, man staunt mich an —.«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_137'>137</span>
- <h2 class='c009'>ANSPRÜCHE EINER ROMANTIKERIN</h2>
-</div>
-<p class='c010'>Wenn dir, Du angeblich Liebender, jeder Atemhauch meines Mundes ebenso berauschend wäre wie
-meinem Peter,</p>
-
-<p class='c016'>wenn dich mein Gehen, Stehen, Sitzen, und jede
-Linie meines Leibes ebenso entzücken könnte,</p>
-
-<p class='c016'>wenn der dunkle Klang meiner Stimme, wie
-Peter sagt, aus dem Gaumen-Resonanzboden,</p>
-
-<p class='c016'>dir ebenso lieblich tönen könnte,</p>
-
-<p class='c016'>und ebenso berauschend das Rauschen meiner
-seidenen Unterkleider wie ihm,</p>
-
-<p class='c016'>wenn du in das Waschwasser meines Lavoirs, in
-dem ich badete, ebenso liebevoll deinen Kopf
-untertauchen könntest wie er,</p>
-
-<p class='c016'>gleichsam um zu ertrinken in heiliger Flut;</p>
-
-<p class='c016'>wenn du mich ebenso nähmest als überirdisches
-Wesen, das ich natürlich nicht bin und nicht sein
-kann, bei Tag und Nacht,</p>
-
-<p class='c016'>wenn du also gleich ihm aus meinen Armseligkeiten
-eine verklärte Dichtung machen könntest,
-die dich beglückte und Leben spendete wie Tau und
-Sonne den zarten Pflanzen — — —</p>
-
-<p class='c016'>wer weiß, ob ich mich dann nicht verführen ließe,
-dir zu dienen gleich ihm — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Aber du kannst, du wirst es nicht zusammenbringen!</p>
-
-<p class='c016'>Es sind Mysterien, aufbewahrt von Gott den
-wirklich liebevollen Herzen!!!</p>
-
-<p class='c016'>Das zu erkennen, ist unser einziger, unser bester
-Schutz!</p>
-
-<p class='c016'>Es gibt nur immer einen, dem wir ein Verhängnis
-<span class='pageno' id='Page_138'>138</span>werden! Den anderen sind wir Zitronen, die man
-auspreßt, und deren Schale man in die Latrine wirft!</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_139'>139</span>
- <h2 class='c009'>LEBENSWEG</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Der Ältere und der Jüngere waren anfänglich
-kolossal eifersüchtig aufeinander. Bis der Ältere ihr
-einen geläuterten Brief schrieb. Darin stand unter anderm:
-»Der Jüngere ist der Jüngere. Daher hat er den
-momentanen Sieg. Aber der Ältere ist der Ältere. Daher
-hat er einen Vorsprung, welcher Art immer. Es
-wird sich schon zeigen —.« Sie verstand kein Wort davon.
-Infolgedessen versöhnten sich die beiden Rivalen.</p>
-
-<p class='c016'>Dem Jüngeren ward sie aber zu einfach, zu ruhig
-mit der Zeit. Der Ältere ruhte bei ihr aus, von den
-Strapazen seiner Seelenweltreisen. Der Jüngere hatte
-sie lieb, solange sie nicht da war, der Ältere erst, wenn
-sie neben ihm dahinging wie ein verlorenes Kindchen.
-Er dachte dabei an die »Ludern«, denen er unnützerweise
-sein Denken, sein Dichten, sein Träumen geweiht
-hatte durch Jahre, und die doch nur sich-überhebende
-freche Püppchen gewesen waren zeitlebens.</p>
-
-<p class='c016'>Aber auch er hatte bald genug von ihr, obzwar
-er sie brüderlich zärtlich lieb hatte und sie ganz
-verstand und achtete. Der Jüngere feierte hie und
-da dennoch immer wieder Orgien mit ihr und behauptete
-dann, sie sei doch die einzige von allen.
-Der Ältere brachte sie zum Chor der Operette. Es
-begann ihr sehr gut zu gehen. Aber immer wieder
-kam sie zu dem Jüngeren zurück ohne Grund, und
-zu dem Älteren sagte sie sanft: »Wissen Sie noch,
-wie Sie mir die Pfirsiche geschenkt haben?!« Später
-fuhr sie im eigenen Automobil. Sie vergaß ganz des
-Jüngeren. Aber so oft sie den Älteren erblickte, sagte
-sie sanft: »Servus, Pfirsich-Herr!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_140'>140</span>
- <h2 class='c009'>DIENSTE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Man kann vielen Menschen riesige Dienste in den
-geringsten Kleinigkeiten leisten. Aber niemand tut
-es. Zum Beispiel einer Dame zu sagen: »Wenn Sie
-sich abends mit einem trockenen englischen Reibhandschuh,
-fleshglove, den ganzen Leib leicht rosig
-reiben lassen werden, ganz, ganz zart, ohne Reibeisengefühl,
-so werden sie gegen Zugluft vollständig
-immun werden!«</p>
-
-<p class='c016'>Ich trat einst auf eine wunderbar schöne Frau zu
-und sagte zu ihr: »Gnädige Frau, ich könnte Ihnen
-einen wesentlichen Lebensdienst leisten, den Ihnen
-wahrscheinlich sonst niemand leisten würde —.«
-»Nun, worin besteht er?!« »Sie haben in Ihrem
-wunderbar modellierten Ohr einen schwarzen Mitesser,
-den ich auf die zarteste Weise mit einem geschickten
-Druck meiner zwei Finger entfernen könnte.
-Mancher Mann könnte daran enttäuscht werden,
-und es könnte Ihren edlen Lebensweg erschweren —.«</p>
-
-<p class='c016'>Die Dame erbleichte, stand auf, ging mit mir
-hinaus. Ich entfernte ihr den schwarzen Mitesser
-aus dem rosigen Ohr.</p>
-
-<p class='c016'>Dann sagte sie: »Sie, Herr, wie kommen Sie
-eigentlich zu solchen Unverschämtheiten?! Was
-gehen Sie denn meine Ohren an?!«</p>
-
-<p class='c016'>»Nichts«, erwiderte ich und entfernte mich befriedigt.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_141'>141</span>
- <h2 class='c009'>WIE ICH GESUNDET BIN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich bin nämlich gar nicht gesundet, sondern aus
-dem Grabe, wie ein Gespenst meiner selbst auferstanden.
-Aber ich habe in Inzersdorf bei Wien
-einen schönen stillen Park gehabt mit Naturwiesen,
-einen allerbesten Direktor Emil Fries, einen Gentleman
-vom Kopf bis zu den Sohlen, seine edle
-französische Frau zu meiner idealen Gesellschaft,
-taktvoll und herzlich vom Kopf bis zu den Sohlen;
-Fräulein Herta, die in sich Gekehrte ... Und die
-Gouvernante der Kinder war eine edle Melancholikerin,
-die die Bürde des Lebens tragisch auf sich
-nahm. Der Park hatte eine Allee mit großen holzgeschnittenen
-Löwen, die Wappen trugen, und in
-den riesigen runden dunklen Gebüschen nisteten
-Vögel.</p>
-
-<p class='c016'>In diesem Milieu, wo nichts mich marterte, lugte
-ich noch einmal aus dem Grabe heraus, so ein letzter
-Blick auf wahre Werte der arg verworrenen Menschheit.</p>
-
-<p class='c016'>In einem dunklen Gartenparterrezimmer sitzen
-seit Jahren Graf C. und Herr von D. hart nebeneinander
-in alten Lederfauteuils, wortlos, ohne sich zu
-rühren, stunden- und stundenlang wie Wachsfiguren,
-bis jemand kommt und sie zu Bette legt. Nie, nie,
-nie sprechen sie einen Wunsch aus, rauchen nicht,
-langweilen sich nie, warten auf die Tage, die Monate,
-die Jahre, wie alte Bäume im Frieden der Natur.</p>
-
-<p class='c016'>Ich bin nicht gesundet; meine Qualen haben sich
-ins Maßlose gesteigert, ich ringe um Tag und Stunde
-und um irgendeinen Lichtblick, wie es die englische
-<span class='pageno' id='Page_142'>142</span>Tänzerin Esther war, die am ersten Abend zu mir gesagt
-hat: »I have been in the whole world, but I
-have learned only one important thing: To hate the
-man! Was will er ewig von uns, während unsere
-Seelen noch kalt sind, und wir ihm doch schon unser
-Bestes, ja unser Liebstes, unser Tanzen spenden?!?«
-Esther, Esther, o Esther — Sie sagte: »Du, ich werde
-dich besuchen, aber nur wenn du ganz krank bist,
-ganz, und mit geschlossenen Augen daliegst, denn da
-brauchst du nicht mit mir zu sprechen.«</p>
-
-<p class='c016'>Ich bin nicht gesundet und werde es nie, nie mehr
-wieder. Ich ringe mir noch irgendeinen Lichtblick
-ab, und dann adieu. —</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_143'>143</span>
- <h2 class='c009'>GOTTESGNADENTUM</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Gott, der in der Natur <i>geheimnisvoll</i> thront,
-um Ideale abzuwarten, die sich endlich <i>realisieren</i>
-sollen, will für alle, alle, alle, leidenschaftlichst ihre
-Entwicklung zu ihrer Vollkommenheit, zur Glückseligkeit,
-zu ihrem eigenen inneren und äußeren
-Frieden! Er überträgt daher vorerst den Herrschern
-diese zarte und schwierige Mission, solange das Volk
-noch <i>unmündig</i> ist. Aber später fühlt es leider
-der Herrscher nicht, daß seine Milliarde von Schützlingen
-<i>aus eigener Kraft</i> Gottes Wege zu wandeln
-bereits erstarkt sind! Wie wenn ein Achtzigjähriger
-noch immer von seinem fünfzigjährigen Sprößling
-sagte: »Karlchen hat sich verkühlt — er muß einige
-Tage das Bettchen hüten — — —«. So behandeln
-die Monarchen ihr geliebtes Volk, haben keine
-Ahnung, daß es <i>längst mündig</i> geworden ist, sie
-selbst aber unterdessen <i>greisenhaft</i>.</p>
-
-<p class='c016'>Gottes Gnade kann einem einzelnen verliehen
-sein, der für alle <i>zugleich</i> sorgt; sie kann aber
-<i>später</i> allen verliehen sein, die <i>einzeln für sich
-selbst sorgen</i>! Vom einzelnen und von der Gesamtheit
-jedoch kann Gottes Gnadentum in gleicher
-Weise mißbraucht werden! Es kann einer für alle
-das Glück verschaffen oder verhindern; es können
-alle es für sich selbst ebenso!</p>
-
-<p class='c016'>Gottes Gnade strömt aus Gottes Geist, aus Gottes
-Herzen; und ein kleiner zarter Knabe kann sie ausüben,
-wenn er tausend Erwachsene vor einer Gefahr
-bewahrt, die sie selbst nicht ahnen in ihrer rastlosen
-Geschäftigkeit. Wenn der Herrscher die <i>wirkliche
-<span class='pageno' id='Page_144'>144</span>Gnade Gottes</i> repräsentiert in bezug auf ein
-ganzes Volk, so hat er das Recht, von seinem <i>Gottesgnadentum</i>
-zu sprechen!</p>
-
-<p class='c016'>In diesem Falle aber wird selbstverständlich das
-ganze Volk diese Repräsentation auch unbedingt
-bis in die innersten Nerven hinein spüren, und daher
-<i>aufjubeln</i> und Dankgebete für ihn verrichten!
-Wenn das aber nicht geschieht, sondern <i>Murren</i>
-und <i>bange Verzweiflung</i> in den Landen losbrechen,
-dann ist es an der Zeit, für die Weisen der
-Nation, Einkehr zu halten, Ausschau, und dem
-<i>Bedenken</i> ihre geistigen Tore weit zu öffnen!</p>
-
-<p class='c016'>Es gibt kein Zurück, nach Gottes Ratschluß! Es
-gibt nur ein Vorwärts, Vorwärts, Vorwärts, in jeglicher
-Sphäre menschlicher Betätigungen! Wer das
-unternimmt, ein einzelner oder alle, steht unter
-Gottes Gnadentum!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_145'>145</span>
- <h2 class='c009'>AN EINEN UNMODERNEN ARZT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Werde gläubig! Gehe doch endlich von deinen
-eingewurzelten Prinzipien ab, die für niemanden
-passen als eventuell für dich selbst, und siehe, für
-dich sogar <i>vielleicht auch nicht</i>! Denn du sogar
-bist <i>besser</i> als dein eigenes Wissen!</p>
-
-<p class='c016'>Wolle neue, dir unbekannte, dir noch unverständliche
-Welten kennen lernen, öffne deine Augen
-und Ohren den neuen merkwürdigen Ereignissen!</p>
-
-<p class='c016'>Was du selbst weißt und erfahren hast, ist alt,
-vermodernd und tot!</p>
-
-<p class='c016'>Was andere dir bringen aus anderen Welten, kann
-dich erneuern!</p>
-
-<p class='c016'>Schaue mit <i>ihren</i> Augen, horche mit <i>ihren</i> Ohren,
-fühle mit <i>ihren</i> Seelen, denke mit <i>ihrem</i> Geiste!</p>
-
-<p class='c016'>Wehe dir, wehe, wehe, der du deine eigene Welt
-den anderen <i>aufoktroyieren</i> willst!</p>
-
-<p class='c016'>Solches durfte nur der Heiland — — —. Denn er
-<i>wußte</i> es, <i>wofür</i> er sich kreuzigen ließ — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Aber du hast dich ewig zu <i>bescheiden</i> und den
-Welten der <i>anderen</i> zu lauschen, von denen du
-Töne vernehmen kannst, die dir bisher leider fremd
-waren!</p>
-
-<p class='c016'>Nicht was du <i>bisher</i> wußtest, kann dich bereichern,
-sondern das, was du bisher <i>nicht</i> wußtest!</p>
-
-<p class='c016'>Aus der Weltenwurzel ewig neuartige Säfte,
-Kräfte ziehen, heißt, ein feiner, nobler, kultivierter
-Mensch sein!</p>
-
-<p class='c016'>Sein eigenes armseliges Weltchen den ungeheuren
-Komplikationen des Weltenalls <i>entgegenstemmen</i>
-wollen, ist eine <i>feige Gemeinheit</i>!</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_146'>146</span>Ergib dich den neuen, dir noch unverständlichen
-Wundern, und erhoffe es dir, durch neue Erfahrungen
-<i>dich selbst endlich desavouieren zu dürfen</i>!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_147'>147</span>
- <h2 class='c009'>ZYNISMUS</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ein neunzehnjähriger Gymnasiast tötet eine Fünfzehnjährige
-mit fünf Revolverschüssen. Er verteidigt
-sich in keiner Weise. Was liegt also vor?!? Es liegt
-vor das unbewußte Bewußtsein aller Höllenqualen,
-die einem liebenden Manne noch Zeit seines verdammten
-Daseins bevorstehen und die eine dumme, verwöhnt
-werdende fünfzehnjährige Schöne den Männern
-bis zu ihrem 35. Lebensjahre unbedingtest allmählich
-noch bereiten wird! Rettung gibt es da nicht in
-diesem Höllenpfuhle. Die mörderische Schlacht ist
-vorzeitig, ist also rechtzeitig entbrannt, und muß zu
-Ende gekämpft werden, von dem <i>unbewußt voraussichtigen</i>
-Desperado, mit fünf heimtückischen
-Todesschüssen, weil die 15jährige Geliebteste, Allergeliebteste,
-von einem Nachbar in »kindlicher
-Freude« fünf Rosen annahm, einen Don Juan von
-Kellner daran liebenswürdig-holder Weise riechen
-ließ, und dieselbe Gnade dem unglückselig Liebenden
-dann ironisch versagte! Seine Voraussicht kommender
-grauenvoller Leiden war seine <i>verbrecherische
-Genialität</i>! Das Fräulein beginnt bereits, ganz
-geheimnisvoll, sich zu fühlen als Beherrscherin und
-Zerstörerin dieser unglückseligen zarten Welt »männliche
-Zuneigung«, und der neunzehnjährige Rüpel weiß
-nicht anders die schreckliche Gefahr zu bannen, als
-indem er fünf tödliche Schüsse auf die Schuldig-Unschuldige
-abgibt! Die Frau, die zartfühlende,
-menschenfreundlich-adelige hat eine <i>Verpflichtung</i>
-gegen an ihr erkrankte Männerseelen! Nicht
-gerade die Verpflichtung, endgültige Erlösungen ihnen
-<span class='pageno' id='Page_148'>148</span>zu spenden, jedesfalls aber nicht mutwillig in eiternden
-Wunden herumzustochern — — —. Es ist keine große
-Kunst und keine Lebensaufgabe, Männer irrsinnig
-und seelenkrank zu machen; aber ihnen wenigstens
-wie ein milder, menschenfreundlicher Arzt die äußersten
-und unnötigen Qualen zu ersparen, das wäre
-beginnendes, zartes, strahlendes, sich selbst vor allem
-belohnendes Menschentum!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_149'>149</span>
- <h2 class='c009'>NACHTCAFÉ</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Was ist ein Nachtcafé?! Etwas Unverlogenes.
-Die Mädchen wollen leben und nicht Frondienste
-leisten, nicht Schaffel reiben und Nachttöpfe fremder
-Menschen reinigen, solange sie noch entzückende
-Leiber haben. Sie wollen sich andererseits betrinken,
-um zu vergessen, daß das alles nicht so weiter geht,
-in infinitum. Sie stehen vor stündlichen Gefahren,
-müssen sich berauschen an irgend etwas, um sich
-Mut zu machen für die Schlacht des Lebens! Niemand
-behandelt sie nach ihres jungen Herzens Wunsche!
-Infolgedessen rächen sie sich, wie sie es können, bald
-so, bald anders! Heimtückische, feige Marodeure
-sind nur die Männer! Eine, der ich in Briefen meine
-tiefste Sympathie, mein gerechtestes Verständnis bewiesen
-hatte, sagte dennoch: »Du mußt mir die
-zwanzig Kronen im vorhinein bezahlen — —! Wir
-haben es leider gelernt, selbst romantisch veranlagten
-Dichtern nicht mehr zu trauen — — —!«</p>
-
-<p class='c016'>Die Damenkapelle ist eine Oase. Sie sind verheiratet,
-Bräute, oder sonst treu irgend jemandem.
-Sie haben ein konsolidierteres Schicksal. Sie haben
-irgend etwas gelernt, wodurch man sich weiterbringt.
-Sie haben sich der Lebensordnung eingefügt. Ob
-sie glücklicher sind, nicht andern Enttäuschungen,
-Gefahren ausgeliefert?!? Zwei Welten, hart aneinander,
-einander gleich in ihren schweren Kämpfen.
-Keine Damenkapelle ohne diese Hetären, keine
-Hetären ohne diese Damenkapelle! Nur die Männer
-sind das perfide Element. Sie möchten alle zusammen
-unglücklich machen, ihre ewig hungrigen Eitelkeiten
-<span class='pageno' id='Page_150'>150</span>mästen mit den unglückseligen Blicken verliebter
-Frauen! Damenkapelle oder Hetäre gilt ihnen gleich,
-ihre innere rohe Leere mit einem liebevollen dummen
-Frauenherzen auszufüllen — — —! Nachtcafé, du
-kleine miserable Welt, du Abbild der großen, noch
-viel miserableren!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_151'>151</span>
- <h2 class='c009'>DIE NERVEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich hatte einen Freund, einen höchst intelligenten
-Menschen. Aber seine Nerven, oh, die waren gar
-nicht intelligent ...</p>
-
-<p class='c016'>Eines Abends im Café sagte er zu mir: »Du,
-Peter, du könntest mir einen riesigen Freundschaftsdienst
-erweisen! Ich fühle mich heute wieder so
-greisenhaft, so ausgelöscht ... Bitte sage mir nach
-fünf Minuten, daß ich heute besonders frisch und
-jugendlich aussehe ...«</p>
-
-<p class='c016'>Ich nahm die Uhr, legte sie auf den Tisch, und
-sagte nach fünf Minuten: »Du, sage mir, was ist
-heute los mit dir? So jugendlich frisch hast du
-wirklich schon lange nicht ausgesehen ...!«</p>
-
-<p class='c016'>Er wurde ganz rot vor Freude, ganz begeistert,
-und erwiderte: »Wirklich? Das freut mich! Solche
-angenehme Sachen sagt einem halt niemand auf der
-Welt wie du!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_152'>152</span>
- <h2 class='c009'>BRITISCHE TÄNZERINNEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Im Wiener Moulin Rouge ist jetzt eine Truppe
-von acht jungen Engländerinnen, die angeblich nicht
-viel tanzen können. Das ist aber grundfalsch und
-eine echt dilettantische Auffassung. Die Art, wie
-eine Frau ihre Persönlichkeit in Bewegung, in Tanz
-wiedergibt, ist das Wertvolle an ihr und an ihrer
-Darbietung! Das allein! Das Schreckliche an unsern
-frühern Tänzerinnen war eben, daß die Schulung
-und die Künstlichkeit ihre persönliche Grazie, ihre
-individuelle Bewegungsart auslöschen, vernichten
-mußten! In der modernen Welt wird aber die Persönlichkeit
-frei, und man verzichtet gerne auf die
-sogenannte hohe Schule! Diese jungen acht Engländerinnen,
-die angeblich nicht viel können, wie
-die Tanzmeister an den Tanzschulen behaupten,
-diese jungen acht Engländerinnen repräsentieren in
-Art und Gebärde dennoch die keusche, kindliche,
-merkwürdige Anmut aller englischen Mädchen und
-Frauen, die von Natur aus und ganz von selbst mit
-unbeschreiblichem Geschmack und Takt begabt sind
-und niemals mehr vorstellen wollen im Leben, als
-ihnen von Natur und Schicksal beschieden ist! Sie
-bleiben kindlich-herzig unter allen Umständen, in
-jeder Situation, in jeder Lebenslage; sie akkomodieren
-sich nicht feigerweise, wünschen lieber zu
-langweilen, als mit übertriebener Lustigkeit aufzuwarten!
-Sie tanzen, wie Kinder im Volksgarten,
-im Stadtpark tanzen würden; oder im Hofe bei einem
-Werkel, oder sonstwo für sich allein — — —. Sie
-rühren, ergreifen, und ihre Tanznatürlichkeit besiegt
-<span class='pageno' id='Page_153'>153</span>die entsetzliche Tanzkunst, die sich eine jede fast in
-emsigem Bemühen erwerben kann! Möchten wir uns
-doch endlich, in jeder Hinsicht, von der schrecklichen
-historischen Überlieferung emanzipieren, dieser Arterienverkalkung
-der menschlichen Seele! Es gibt
-heutzutage bereits einige Tänzerinnen, die nur ihr
-eigenes Wesen in Bewegung umsetzen, ihre persönliche
-Grazie allein wirken lassen! Mögen sie bei den
-Tanzmeistern durchfallen, bei den Meistern des
-lebendigen Lebens werden sie reüssieren. Diese acht
-jungen Engländerinnen tanzen wie die allerherzigsten
-Kindchen, sie rühren und ergreifen, sie geben sogar
-eine Idee von Englands Frauen überhaupt! Seien
-wir ihnen vor allem dankbar, daß sie uns die manierierten,
-affektierten, berechnenden Frauen noch unausstehlicher
-machen durch den Kontrast!</p>
-
-<p class='c016'>»Ich hole mir eine arme englische Tänzerin zur
-Frau«, sagte einmal ein genialer welterfahrener Mann
-zu mir.</p>
-
-<p class='c016'>»Bravo,« erwiderte ich, »aber wissen Sie auch,
-weshalb Sie das tun?!?«</p>
-
-<p class='c016'>»Es sind kindliche und dankbare Geschöpfe,
-die es einem nie vergessen, daß man sie errettet
-hat vor dem und jenem, was immerhin passieren
-könnte. Außerdem ist ihnen der sichere Ehrentitel
-»Missis so und so« wertvoller als die flüchtigen
-Triumphe, denen Enttäuschung auf dem Fuße folgt!«</p>
-
-<p class='c016'>Ich glaube, die anständige, angeblich temperamentlose
-Engländerin macht das bessere Geschäft
-auf Erden, als die leichtsinnigen, lebensunkundigen
-andern. Anständigkeit ist Willenssache. Aber
-diesen Willen eben haben wollen, in allem und
-<span class='pageno' id='Page_154'>154</span>jedem, ist Kultur und Adel. Die Engländerin will
-eben anständig sein! Möge sie daher Frieden,
-Achtung und Sorglosigkeit einheimsen! Man gönne
-es ihr ...</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_155'>155</span>
- <h2 class='c009'>DER TRATTNERHOF</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Also dieser aristokratisch-einfache, zweckmäßig
-gegliederte alte Bau soll nun auch verschwinden!</p>
-
-<p class='c016'>Statt dessen werden schreckliche Unnötigkeiten
-erstehen, Türmchen mit Kupferplatten versehen,
-oder eiserne schwarze, oder vergoldete; riesige Emailplatten
-in allen Farben; kleine Balkone, auf die
-niemand hinaustreten kann, mit Geländern wie irrsinnig
-gewordene Schlänglein! Ein Tohuwabohu von
-Unzulänglichkeiten! Ein architektonischer Hexensabbat
-alles Unnötigen, Unzweckmäßigen, blöd Verschwendeten
-auf Erden! In unseren geliebten Spielereischachteln
-einstens waren Häuser mit glatten
-edlen Wänden, breiten Fenstern, hohen Dächern,
-großen Haustoren. Da konnten wir uns weite, stille,
-abgeschiedene Zimmer hineindenken, in denen man
-ein Refugium fand vor den Stürmen des äußeren
-Lebens! Aber heutzutage ist man ehrlich; an der
-Schnickschnackfassade sollst du es nämlich sogleich
-zu spüren bekommen, daß du auch in deinem eigenen,
-von dir selbst bezahlten Zimmer, keinerlei klösterlichen
-Frieden, Ruhe, Sicherheit, Vereinsamung, Abgeschlossenheit
-mehr finden könntest — — —! Die
-Menschen suchen Ornamente, Verschnörkelungen,
-<i>Zieraten</i> (ein ekelerregendes Wort), weil sie zu ihren
-eigenen, in sie von Gott gelegten <i>Paradieseseinfachheiten</i>
-noch nicht vorgedrungen sind!</p>
-
-<p class='c016'>Der alte, einfache, edle Trattnerhof hat durch
-Jahrzehnte niemanden gestört, belästigt. Ich sehe
-nun schon alle Künsteleien ihre schändlichen Orgien
-feiern. Häuser werden zum Bewohntwerden errichtet,
-<span class='pageno' id='Page_156'>156</span>meine Herren Architekten; architektonische Knockabouts
-gehören in den Wurstelprater!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_157'>157</span>
- <h2 class='c009'>ARTISTISCHE RUNDSCHAU, WIEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'><i>Djellah</i>. Über diese Künstlerin wollen wir einem
-berufenen Fachmann und zwar dem Altmeister
-<i>Peter Altenberg</i> das Wort lassen, welcher folgendes
-schreibt:</p>
-
-<p class='c016'>Es ist sehr schwer für mich, über den »Clou« des
-Etablissements »Tabarin« zu schreiben. Denn es ist
-geradeso, wie wenn man sein eigenes Kindchen zu
-loben hätte öffentlich. Und stets betrachtete ich
-diesen speziellen Typus von adeliger, schlankster
-brauner Frauenschönheit als meine geliebten vergötterten
-Kindchen. Ich meine in diesem Falle die
-malayische Tänzerin Djellah. Nicht was sie kann,
-was sie ist, ist ihr Besonderes! Ihr Sein, die Form
-ihrer Glieder, der Ausdruck ihrer Augen, die Modellierung
-von Stirn und Nase, die Farbe ihrer Haut,
-die Zartheit ihres Wesens ist ihr Besonderes. Man
-würde sie ebenso verehren, wenn sie langsam durch
-Lianenwälder schritte, oder in einem kleinen Rindenboote
-säße, oder in einem Dorfe vor einer niederen
-Hütte kauerte — — — Sie repräsentiert eine <i>andere</i>
-Welt, eine schlanke, biegsame braune Welt, erfüllt
-mit natürlicher Anmut und sanfter Bewegungsfreudigkeit.
-Die unbeschreibliche Schönheit ihrer
-gelbbraunen Beine zu schildern, wäre geschmacklos.
-Vor Idealen verstummt man, falls man nicht ein ganzes
-Feuilleton darüber zu schreiben den ehrenden Auftrag
-erhalten hätte. Da freilich muß man loslegen,
-coute que coute. Djellah ist in der Richtung der
-herrlichen Ruth St. Denis; nur leidenschaftsloser,
-weniger prunkvoll, selbstverständlich, ohne Cobragiftdekoration.
-<span class='pageno' id='Page_158'>158</span>Um so edler und wertvoller. Bei uns
-kümmert man sich leider noch immer viel zu viel
-um das »Können« von Menschen, als ausschließlich
-um ihr »Sein«. Das Erlernbare ist »erlernbar«, aber
-vor dem »Unerlernbaren«, in jeglicher Richtung, da
-müssen wir »Habt Acht« stehen und ehrfurchtsvoll
-salutieren. Heil Djellah — — —! Können, erlernen,
-ist gar nichts; aber es von Schicksals Gnaden mitbekommen
-haben, Glieder, Hände, Füße, Gelenke,
-Teint usw. usw., das ist das wirklich Besondere auf
-Erden — — —! Da beginnt nämlich die <i>physiologische
-Aristokratie</i>!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_159'>159</span>
- <h2 class='c009'>PARFÜM</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Als Kind fand ich in dem Schreibtisch meiner
-geliebten wunderbar schönen Mama, der aus Mahagoni
-war und geschliffenem Glase, in einer Lade
-einen leeren Flacon, der aber noch immer intensiv
-nach einem bestimmten, mir unbekannten Parfüm
-duftete.</p>
-
-<p class='c016'>Oft schlich ich mich hin und roch dann.</p>
-
-<p class='c016'>Ich verband dieses Parfüm mit aller Liebe,
-Zärtlichkeit, Freundschaft, Sehnsucht, Traurigkeit,
-die es überhaupt gibt.</p>
-
-<p class='c016'>Aber alles bezog sich auf meine Mama. Später
-überfiel uns das Schicksal wie eine unvorhergesehene
-Hunnenhorde und bereitete uns allenthalben schwere
-Niederlagen.</p>
-
-<p class='c016'>Und eines Tages zog ich denn von Parfümeriehandlung
-zu Parfümeriehandlung, um in kleinen
-Probefläschchen vielleicht das Parfüm zu entdecken
-aus der Mahagonischreibtischlade meiner geliebten
-verstorbenen Mama. Und endlich, endlich entdeckte
-ich es: Peau d’Espagne, Pinaud, Paris.</p>
-
-<p class='c016'>Da gedachte ich der Zeiten, da Mama das einzige
-weibliche Wesen war, das mir Freude und Schmerz,
-Sehnsucht und Verzweiflung bereiten konnte, das
-mir immer, immer wieder aber alles verzieh, und das
-um mich sich sorgte, und vielleicht sogar insgeheim
-abends vor dem Einschlafen für mein künftiges
-Glück gebetet hatte ...</p>
-
-<p class='c016'>Viele junge Damen sandten mir in kindlich-süßen
-Begeisterungen später ihre Lieblingsparfüme,
-dankten mir herzlichst für ein von mir erfundenes
-<span class='pageno' id='Page_160'>160</span>Rezept, jedes Parfüm nämlich unmittelbar nach
-dem Bade direkt auf die nackte Haut des ganzen
-Leibes einzureiben, so daß es wie echte eigene Hautausdünstung
-wirke! Aber alle diese Parfüme waren
-wie die Gerüche von wunderschönen, aber eher
-giftigen exotischen Blumen. Nur Essence Peau
-d’Espagne, Pinaud, Paris, brachte mir melancholischen
-Frieden, obzwar meine Mama nicht mehr
-vorhanden war und mir nichts mehr verzeihen
-konnte von meinen Sünden!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_161'>161</span>
- <h2 class='c009'>ÜBERS SCHREIBEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich bin durch einen Brief meines wirklichen
-Freundes und freundschaftlichsten (er schreibt unerhört
-flink auf einer allerbesten Schreibmaschine)
-Fr. W. erst zur Erkenntnis gekommen, zur plötzlichen
-einbrechenden einfachsten Erkenntnis, daß <i>gut</i>
-Briefe schreiben nur bedeuten könne, <i>so</i> zu schreiben,
-als <i>höre</i> der Briefempfänger während des Lesens
-unmittelbar den neben ihm sitzenden Schreiber des
-Briefes laut und eindringlich mit ihm <i>sprechen</i>!
-Diesen Unterschied des <i>schweigend</i> Schreibenden
-und des <i>tönend</i> Sprechenden ausgleichen können,
-vollständig, in einem Briefe, heißt Brief <i>schreiben
-können</i>! Alles andere ist literarischer Mumpitz
-mit Lorbeeren gekrönt à la Schweinskopf. Temperament,
-Ungezogenheiten, Eigenheiten, Frechheiten,
-Dummheiten, alles muß <i>herausgellen</i>, gellen, gellen;
-sonst ist es eine gemachte, verlogene und daher <i>ennuyante</i>
-Sache! Briefmomentphotographie!</p>
-
-<p class='c016'>Zu mir kam einmal einer meiner Freunde, der
-Uhrmacher Josef T. Er hatte seine wunderbare
-23jährige Geliebte zu Grabe geleitet.</p>
-
-<p class='c016'>»Peter, Sie kennen mich, helfen S’ mir! Eine
-Grabschrift von Ihnen für meinen marmornen Gedenkstein!
-Wann darf ich hoffen, daß Ihnen was
-Passendes einfallen dürfte?!?«</p>
-
-<p class='c016'>»<i>Sofort</i>,« erwiderte ich mitten auf der Straße,
-»oder <i>nie</i>!«</p>
-
-<p class='c016'>Er riß sein Notizbuch heraus.</p>
-
-<p class='c016'>Ich schrieb:</p>
-<div class='lg-container-l c026'>
- <div class='linegroup'>
- <div class='group'>
- <div class='line'>»Ich war der Uhrmacher Josef T.,</div>
- <div class='line'><span class='pageno' id='Page_162'>162</span>Und dann war ich im Paradiese durch Dich — — —.</div>
- <div class='line'>Und jetzt bin ich wieder der Uhrmacher</div>
- <div class='c012'>Josef T. — — —.«</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class='c016'>So rasch, so prompt muß man seine Menschlichkeiten
-ausschütten; denn später wird es eine fade
-Sauce! Daher die vielen faden Saucen — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_163'>163</span>
- <h2 class='c009'>ANGSTSCHREI</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Es gibt nur einen einzigen, einen allereinzigsten
-Beweis einer Frau, ihrer echten, menschlichen, aufrichtigen,
-anständigen Beziehung zu uns: das ist,
-uns mit Absicht und heiligem Willen jegliche Eifersuchtsqual
-zu ersparen, ja sie in jedem Augenblick
-einfach unmöglich zu machen! Dieser gütige Wille
-allein beweist uns ihre wirkliche Zusammengehörigkeit
-mit uns! Diesen gütigen Willen kann sie sich
-zulegen! Sonst bekommt unser Edelgehirn den Verfolgungswahn,
-gleich diesem adeligsten Gehirn Strindbergs!</p>
-
-<p class='c016'>Eine geliebte Frau muß uns schützen wollen zu
-jeglicher Stunde, da wir einmal in bezug auf ihren
-geliebten, vergötterten Leib in einer Art von mysteriöser
-Hypnose uns befinden! Diese unsre schreckliche,
-durch sie allein erzeugte Krankheit muß sie behandeln
-wie ein Arzt einen unglückseligen schwer Erkrankten,
-der seiner Obhut sich gläubig überläßt! Wehe, wenn
-sie diesen ohnedies schwer Leidenden auch noch absichtlich
-schwächen wollte, statt ihm Heilung zu
-bringen, da es doch nur von ihrem edlen anständigen
-Willen abhängt, es zu erreichen!</p>
-
-<p class='c016'>Diese Heimtücke, uns absichtlich unglückselig zu
-machen, ist die Schlange in ihr. Denn jede anständige
-Persönlichkeit hat den natürlichen Wunsch, ihren
-armen Nebenmenschen zu helfen und zu dienen,
-soweit es nämlich möglich ist! Die Zerstörungselemente
-sind eine gottlose infame Gemeinheit, die
-nur in teuflischen Organisationen liegt. Jede andre
-sucht zu schützen und zu helfen, soweit es möglich ist!</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_164'>164</span>Eifersucht ist eine schwere Erkrankung des Gehirns,
-die von jeder menschenfreundlich gesinnten
-Frau gebannt, geheilt werden kann. Wenn sie es
-absichtlich unterläßt, so ist sie eine Teufeline, eine,
-die sich an der Zerstörung unsrer heiligen Lebenskräfte
-weidet, weil sie nur Böses überhaupt leisten
-kann und Zerstörendes, nicht aber Leben, Freudiges
-und Gedeihendes!</p>
-
-<p class='c016'>Mögen die wertvollen, kultivierten Männer ein
-wenig genauer zusehen, wodurch ihnen der größte
-Teil ihrer wertvollsten Lebensenergien eigentlich vollkommen
-grundlos täglich geraubt und vernichtet
-wird, und mögen sie endlich anfangen, sich ernstlich
-zu schützen vor dieser tiefsten Gefahr: Ungezogenes,
-eitles, freches und sich überhebendes Weib! Teufeline
-statt Schutzengel!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_165'>165</span>
- <h2 class='c009'>JULI-SONNTAG</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Fünf Uhr morgens. Alles ist gebadet in gelbem
-Sonnenlicht. Noch ist es frisch und kühl. Viele
-Touristen erheben sich aus dem Schlaf, unausgeschlafen,
-der Sonne entgegen. Leicht wird es ihnen,
-mit kaltem Wasser das Schlafbedürfnis zu bannen.
-Noch ist es kühl, und man schreitet dem heißen Tag
-entgegen, wie in die heiße Schlacht!</p>
-
-<p class='c016'>Viel zu wenig bieten der Tag und die Stunde
-den meisten. Und auch das genügsamste Herz lechzt
-nach Außergewöhnlichem. Da kommt der Juli-Sonntag
-in grellem gelbem Licht! Juli-Sonntag, du
-sollst es bringen!</p>
-
-<p class='c016'>Überallhin echappiert die unzufriedene Menschheit.
-Müde gelaufen fällt sie dann zurück in die
-Pflicht! Montag, wie wärest du sauer, wärest du
-nicht die Quelle und Ursache sonntäglich kommenden
-süßen Glücks! Sonntags siehst du die Müden in
-Wiesen und Wäldern gelagert, rein gebadet vom
-Schmutz der vergangenen Woche, kommender Woche
-gefaßter entgegenharrend.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_166'>166</span>
- <h2 class='c009'>DER JAGDHERR</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>»Herr Baron, weshalb sehen Sie heute so gedrückt
-und verstimmt aus?! Wenn <i>Sie</i> nicht froh und
-sorglos aussehen sollten, wer könnte es dann noch
-überhaupt?!?«</p>
-
-<p class='c016'>»Sie scheinen es nicht zu wissen, daß jetzt der
-Herbst ist und die ›Hirschbrunft‹ anfängt. Nein,
-wie mir mein Oberförster gemeldet hat, daß die
-Hirsche bereits ›röhren‹, da begann meine Verzweiflung.
-Ich hörte schon die stundenlangen, endlosen
-Gespräche meiner geehrten Jagdgäste darüber, weshalb
-und aus welchen komplizierten Gründen sie
-den Vierzehnender nicht <i>getötet</i> haben. Ich sage
-zu meinen Jagdgästen immer absichtlich ›getötet‹,
-denn da giften sie sich am meisten; denn eigentlich
-müßte man sagen —, aber das stupide technische
-Wort kann ich mir, oder will ich mir vor allem, nicht
-merken. Meine Gäste wären so nette Menschen,
-wenn sie nicht jagen würden! Ich verstehe absolut
-nicht, weshalb ein Hirsch, der vierzehn Enden hat,
-interessanter sein sollte als einer, der überhaupt kein
-Ende hat. Jedenfalls, so viel Enden kann kein Hirsch
-haben, daß er für mich an Interesse gewänne! Ich
-esse nicht einmal sein Fleisch, da es schwarz,
-saftlos und meistens zäh ist. Einmal sagte mir ein
-Weiser:</p>
-
-<p class='c016'>›Wissen Sie, Herr Baron, weshalb ich so gern
-Hirschbraten esse?!?‹</p>
-
-<p class='c016'>›Nein,‹ erwiderte ich, ›das kann ich mir gar nicht
-denken — — —.‹</p>
-
-<p class='c016'>›Wegen der Sauce Cumberland, die so gut
-<span class='pageno' id='Page_167'>167</span>dazu paßt, aus Hetschepetschfrüchten, Rosenfrucht,
-bereitet!‹</p>
-
-<p class='c016'>›Aber, lieber Freund, da essen Sie doch die Hetschepetschsauce
-für sich alleine!?‹</p>
-
-<p class='c016'>›Ja, Herr Baron, wenn man <i>das</i> könnte; aber das
-<i>kann</i> man nicht — — —! Sie gehört zum Hirschbraten‹.</p>
-
-<p class='c016'>Ein Jagdgut ist sehr angenehm natürlich, aber
-nur wegen der Mühlen, Kalkbrennereien und so
-weiter, die dazu gehören. Die vielen Hirsche stören
-mich, sie lenken mich ab von einer anständigen,
-fruchtbringenden und sinnvollen Tätigkeit. Besonders
-die Vierzehnender hasse ich; über die wird nämlich
-am meisten und wichtigsten Blödsinn geredet. Am
-tragischsten aber ist es für mich, wenn dieses Tier
-nicht getötet, sondern nur angeschossen wird. Da erreicht
-die Aufregung meiner Jagdgäste den Höhepunkt.
-Man glaubt jedesmal, sie hätten die Schlacht
-von Sedan verloren oder wären plötzlich entthront
-worden. ›Man wird es schon finden, das arme Tier,‹
-sage ich da jedesmal, um sie zu giften. ›Es wird in
-einem Gebüsch <i>gestorben</i> sein, etsch!‹ Beim Wort
-›gestorben‹ möchten sie mich alle ohrfeigen — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Aber lieber ist es mir, das arme Vieh werde sogleich
-ins Herz geschossen, damit es die Leiden erspare
-und ich meine Ruhe haben könne beim Souper.
-Nun werden Sie mich natürlich fragen, weshalb ich
-überhaupt eine Jagd habe und Jagdgäste dazu einlade.
-Da kann ich Ihnen nur mit dem <i>mysteriös-philosophischen</i>
-Satze, den noch <i>kein Kultivierter</i>
-je ergründet hat, antworten: ›Mein lieber Herr,
-das verstehen Sie nicht, <i>es gehört einmal dazu</i>!‹«</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_168'>168</span>Der Baron schwieg; dann sagte er:</p>
-
-<p class='c016'>»Einer meiner geehrten Herren Hirschgeweihjagdgäste
-lud mich aus Dankbarkeit wieder zu seiner
-›Wildschweinjagd‹ ein. Ich war gezwungen, irgendwo
-auf einem Balkon, der mit Reisig eingefriedet war,
-auf das gutmütige und häßliche Vieh zu warten.
-Endlich erschien es und knabberte schnauzend an
-einem Hügelchen von Kukuruz, das als Lockspeise
-eigens listig errichtet war. Da schoß ich es, pumps,
-ins Herz, und bekam als Trophäe die Stoßzähne, die
-ich in den Abort warf — — —.«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_169'>169</span>
- <h2 class='c009'>EPISODE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Zwei elegante junge Leute stellen sich verlegen
-vor:</p>
-
-<p class='c016'>»Wir sind seit langem begeisterte Verehrer Ihrer
-Dichtungen und bitten Sie um die Ehre, an unserm
-Tische mit uns Champagner zu trinken — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>»Meine Herren, ich bin sehr, sehr krank, und bitte
-Sie daher, mir vorher alle Garantien zu bieten, daß
-man sich in vollster Korrektheit benehmen werde!«</p>
-
-<p class='c016'>»Aber Herr Altenberg, würden wir sonst um die
-Ehre Ihrer Gesellschaft zu bitten überhaupt wagen?!?«</p>
-
-<p class='c016'>Zwei Stunden später: »Sie, Peterl, mir san ganz
-gewöhnliche naive Menschenkinder, aber Sie haben
-doch das Raffinement, Sie verstehen doch diese
-Sachen aus dem ff. Sie, bitt’ Sie, mir beide fliegen
-so kolossal auf dös Menscherl dort am dritten Tisch.
-Gehn’s, kobern’s es uns zu — spielen Sie den Vermittler!«</p>
-
-<p class='c016'>Ich stand auf, sagte: »Meine Herren, Sie vergessen
-Ihre zugesagten Garantien! Ich muß Sie ernstlich
-daran erinnern — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>»Was Garantien — wir wollen uns für unser Geld
-amüsieren.«</p>
-
-<p class='c016'>Darauf stand ich brüsk auf, ging zu der Dame hin
-und brachte sie an den Tisch. Eine Pause entstand
-beklommener Verlegenheit. Dann sagte ich: »Sie
-haben nun für Ihr Geld Ihr Vergnügen! Apropos,
-es gebühren mir aber noch für die Vermittlung zwei
-Flaschen Schampus! Also her damit! Ich werde
-sie aber <i>allein</i> an einem anderen Tische trinken!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_170'>170</span>
- <h2 class='c009'>JOSEF KAINZ</h2>
-</div>
-
-<div class='lg-container-l c027'>
- <div class='linegroup'>
- <div class='group'>
- <div class='line'>Habt ihr Wasser über Felsen donnern, krachen gehört?!</div>
- <div class='line'>Hagel aufschlagen in taubeneigroßen Körnern?!</div>
- <div class='line'>Wolkenbrüche auf Dächern niedersausen?!</div>
- <div class='line'>Sturmwind durch Wälder fegen?!</div>
- <div class='line'>Felder gemäht werden vom Winde?!</div>
- <div class='line'>Seewellen an Land hingepeitscht werden?!</div>
- <div class='line'>Und die Geräusche aller übrigen entfesselten Naturkräfte?!?</div>
- <div class='line'>Seht, so, so war Josef Kainzens Stimme!!!</div>
- <div class='line'>So ähnlich muß Gottes Stimme getönt haben,</div>
- <div class='line'>Als er bei Erschaffung der Welt befahl:</div>
- <div class='line'>»So und so will ich es!!!«</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_171'>171</span>
- <h2 class='c009'>BETTLERFRECHHEIT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Es ist doch selbstverständlich, daß ein Bettler,
-der in einem palastartigen Zinshause im ersten
-Stocke schüchtern-bescheiden anklopft oder vielmehr
-auf den elektrischen Knopf kurz drückt und in
-äußerster Zerknirschung um ein Stückchen Brot
-bittet, es erwartet, daß man ihm ein Beefsteak mit
-Spiegelei und extra eine Krone bar hinausreiche.</p>
-
-<p class='c016'>Sollte aber jemand naiverweise den Wunsch nach
-einem Stückchen Brot à la lettre erfüllen, so darf er
-sich über die vollständig korrekte Antwort nicht
-wundern: »Dös können’s selber fressen!«</p>
-
-<p class='c016'>Daher zeugt die Art, ohne demütig zerknirscht
-anzuklopfen, sondern ernst und in gerader Haltung
-1000 Kronen <i>geborgt</i> zu verlangen, von tieferer
-Menschenkenntnis; denn hier klammert sich das
-Opfer der »ungerecht verteilten Lebensgüter im
-Dasein« wenigstens an diese letzte Hoffnung: »Er
-wird zurückzahlen, falls er kann — — —.« Nein,
-Esel, falls er will! Aber er will nie, nie, nie. Denn
-wenn er die Kraft mitbekommen hätte von seines
-Gehirnes Gnaden, zurückzuzahlen, so hätte er auch
-vor allem die Kraft mitbekommen, so sparsam zu
-leben, daß er nie in eine so verzwickte, also bereits
-der <i>Unanständigkeit</i> und dem <i>Betruge</i> nahe
-Lage gebracht worden wäre!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_172'>172</span>
- <h2 class='c009'>VON MEINEM KRANKENLAGER AUS</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich lese so viel wertlose Bücher annonciert, besonders
-die, deren Illustrationen ebenso unverständlich
-blöd wie die »Sand in die Augen streuenden«
-pathologisch-aufgeblasenen Texte dazu sind. Ich
-gelte selbst als unverständlich und verworren. Das
-ist aber ein großer Irrtum. Ich bin nämlich ganz
-einfach zu verstehen für Leute, die eine <i>Seele</i> haben
-und sogenannte »<i>Hyperästhesien</i>«, wie wir Griechen
-uns auszudrücken belieben, damit das <i>Volk</i>
-uns nicht sogleich verstehe. Auf Deutsch heißt es:
-<i>Überempfindlichkeiten</i>. Und daran krankt
-oder, wie tiefer Denkende es auffassen, daran <i>gesundet</i>
-allmählich unser, bisher ein bißchen zu
-brutales Zeitalter. Aber, um auf das Thema dieses
-Aufsatzes zu kommen, dessen Einleitung bisher ziemlich
-verschroben und unnötig gewesen ist — — —,
-ich fühle mich eben in diesen verworrenen Zeitläuften,
-wo schlecht von gut deshalb schwer zu unterscheiden
-ist, weil so viele talentlose Idioten die Konjunktur
-»Richard Wagner war auch einst verkannt
-und mißverstanden« frecher- und tölpelhafterweise
-ausnützen, ich fühle mich eben in diesen verworrenen
-Zeitläuften verpflichtet, ein unbeschreiblich einfaches,
-Kindern verständliches, herrliches, rührendes
-Buch öffentlich zu erwähnen: Philippe Monnier:
-Blaise, der Gymnasiast, übersetzt von Dr. Rudolf
-Engl und Marie Döderlein, Verlag Albert Langen.
-Ich glaube, viele unserer Literatursnobs werden sich
-schämen, wenn sie die Wirkung dieses unerhört einfachen
-Buches verspüren werden in ihren, zu gordischen
-<span class='pageno' id='Page_173'>173</span>Knötchen verschlungenen Gehirnchen! Es
-ist keine sonderliche Kunst, sich, indem man andere,
-Contemporains, bewundert, den Erfolg eines adelig
-denkenden Unabhängigen, Vorurteilslosen zu ergattern!
-Aber solche <i>Manöver</i> wird man dem
-todeskranken, bereits in lichteren Sphären befindlichen
-Autor der ausgezeichneten Bücher »Wie ich
-es sehe« und »Was der Tag mir zuträgt« keineswegs
-zumuten können. Blaise, der Gymnasiast, versetzt
-feinfühlige Menschen in alle poetisch-romantisch-alltäglichen
-Vorkommnisse ihrer Jugend, deren Erlebnisse
-niemand <i>vor</i> dem 40. Lebensjahr zu genießen
-oder literarisch zu verwerten weiß! Jugendzeit,
-du goldene Zeit — — —, aber mit welchen
-<i>tiefen Niaiserien</i> ist sie in diesem Buche vorgeführt!
-Man erholt sich von sogenannten talmimodernen
-Malern, Dichtern, Bildhauern und Frauen. Wenn
-ich einfach sein <i>will</i>, so muß ich es vor allem auch
-wirklich sein <i>können</i>. Nicht ein jeder darf nämlich
-als »<i>härener Pilger</i>« uns belästigen! Etsch!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_174'>174</span>
- <h2 class='c009'>KRANKHEIT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Wenn sogenannte Freunde einen Schwerkranken
-besuchen, haben sie ausschließlich die Absicht, alles
-schön zu färben. Niemals hat er blühender ausgesehen,
-ja direkt verjüngt. Man möchte es nicht
-glauben, in dieser kurzen Zeit! Die Hoffnung, mit
-dem billigsten, was es auf Erden gibt, dem schönen
-liebenswürdigen Wort, sich aus der Affäre zu ziehen,
-ist größer als der Zwang der Anständigkeit, den die
-schlichte Wahrheit erfordert. Man findet sein Zimmer
-ganz einfach süperb, viel gemütlicher als sein einstiges
-Heim, obzwar man genau weiß, daß er mit
-allen Fasern seines Herzens an jedem Winkel seines
-geliebten Heimatzimmerchens hing. Man vermeidet
-es geschickt, zu fragen, wer denn alles bezahle, und
-fragt diskret an, ob die drei Kronen, die man einmal
-rekommandiert geschickt habe, auch wirklich angekommen
-seien. Bei bejahender Antwort verklärt
-sich das Antlitz des Spenders, und er sagt: »No,
-siehst du, Peter, wie man dich nicht verläßt in deinen
-schweren Zeiten!?«</p>
-
-<p class='c016'>Der Kranke wird plötzlich zu einem Verfemten,
-mit dem man geschickt lavieren muß. Den Gesunden
-konnte man auf verschiedene und eigentümliche Art
-ausnützen und verwerten: War er gescheiter, so
-konnte man seine eigene Stupidität hinter ihm bequem
-verbergen; war er liebenswürdiger, so konnte
-man die eigene Roheit durch ihn geschickt kaschieren.
-Aber der Kranke ist zu nichts Rechtem mehr zu
-gebrauchen. Ihn den Würmern noch für längere Zeit
-vorzuenthalten, ist scheinbar eine schlechte Spekulation;
-<span class='pageno' id='Page_175'>175</span>aber ein gewisses Schamgefühl verhindert
-sie dennoch, den Unterschied zwischen der Beziehung
-zu dem Gesunden und zu dem Schwerkranken
-allzu augenfällig zu machen. Außerdem
-könnte es ja doch unter der Million von Idioten einen
-geben, der die ganzen Manöver durchschaute.</p>
-
-<p class='c016'>Man liebte den Gesunden selbstverständlich ebensowenig
-wie den Kranken, aber man hatte damals
-wenigstens keine Gelegenheit, ihn als eine direkte
-Last zu empfinden, und infolgedessen hielt man die
-natürlichen Grausamkeiten ihm gegenüber in gewissen
-Schranken der sogenannten Wohlerzogenheit.
-Trotzdem gönnte ihm niemand Zeit seines Lebens
-Freude und Glück, und wenn er es sich trotzdem
-errang, so geschah es unter merkwürdig schwierigen,
-belastenden Umständen, die aus dem Neid der sogenannten
-besten Freunde entsprangen. Dem Gesunden
-gönnte man nicht eine Stunde lang seine
-Kraft, zu leben, begeistert zu sein, zu lieben und
-aufwärts zu kommen, und erst der Schwerkranke
-befreit die Freunde von der stündlichen Gefahr,
-daß er ihnen über den Kopf wachse. Wenn die Erfahrungen,
-die der Kranke macht, dem Gesunden
-zugute gekommen wären, wäre er fast ein Genie
-geworden an Lebenskunst; so aber wurde er das
-selbstverständliche Opfer der heimtückischen Lüge
-des Lebens.</p>
-
-<p class='c016'>Oscar Wilde starb, wie keiner von der Million
-der Enterbten je dahingestorben ist; aber viele Jahre
-nach seinem Tode setzte ihm eine Pariser Dame
-einen Grabstein, der vierzigtausend Franken kostete.
-Könnte der Tote seine geniale Hand emporrecken,
-<span class='pageno' id='Page_176'>176</span>so würde er die wertlosen steinernen und bronzenen
-Dekorationen zertrümmern, die eine Gans seinen
-vermoderten wertlosen Gebeinen gesetzt hat. Gebt
-dem Lebendigen die Kraft, alle Genialitäten seines
-Hirns, seines Herzens für euch Stumpfsinnige, Keuchende,
-Kriechende zu verwerten und ausleben zu
-lassen, und überlasset die Sorge um die sechs Rappen,
-die den Leichenwagen des zu Tode Gemarterten
-ziehen werden, der Entreprise des pompes funèbres!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_177'>177</span>
- <h2 class='c009'>AN EINE ELFJÄHRIGE (†)</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Hilde, Elfjährige, ich wußte nichts bis dahin über
-dich — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Nun aber habe ich deine Stimme vernommen,
-deine wunderbar klare tönende Stimme,</p>
-
-<p class='c016'>wie Seelenglocken so hinaustönend in die dumpfe
-stumpfe Welt!</p>
-
-<p class='c016'>Und diese Stimme wird alles viel deutlicher, viel
-tiefer, viel erhabener, viel verzweifelter einst sprechen,
-was das Leben des Tages und der Stunde uns
-zu sagen zwingt!</p>
-
-<p class='c016'>Wie wird diese Stimme einst sagen: »Bleibe bei
-mir!?«</p>
-
-<p class='c016'>Wie wird sie es sagen: »Du liebst mich nicht
-mehr!?« Und: »Adieu, adieu — — —.«!?</p>
-
-<p class='c016'>Diese Stimme ist so klar und rein wie Gottes
-Träume über das Leben der Menschen!</p>
-
-<p class='c016'>Aber das Leben der Menschen selbst ist unklar
-und schmutzig-trübe! Diese Stimme wird hineintönen
-wie eine Seelenglocke, ernst, erhaben, liebevoll,
-feierlich, rührend, in das dumpfe Gebrause der Menschheit,
-sie wird verklingen, übertönt werden und ausgelöscht
-— — —. Sie wird ihren tönenden Glockenklang
-verlieren und dumpf werden wie die Umwelt
-— — —.</p>
-
-<p class='c016'>Aber ein alter Dichter auf dem Sterbebett hat
-sie noch vernommen und nimmt den Klang mit aus
-einer dumpfen stumpfen Welt, tief gerührt und ergriffen
-— — —.</p>
-
-<p class='c016'>Stimme der elfjährigen Hilde, klare tönende
-<span class='pageno' id='Page_178'>178</span>Seelenglocke, läute, töne, solange, solange es irgendwie
-geht — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Und wenn sie dumpf wird im Brausen des Lebensgetriebes,
-dann gedenke, Hilde, des unglückseligen
-Dichters, der noch die Seelenglocke deines edlen
-elfjährigen Herzens im Ohre mit hinübernahm — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_179'>179</span>
- <h2 class='c009'>KRANKENBESUCH</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Die Freunde wollten dem todkranken Dichter
-eine nach ihrer Ansicht ganz exzeptionelle vollkommene
-Schönheit, eine Künstlerin aus München,
-vorführen. Sie nahmen daher ein Auto und fuhren
-hinaus zu ihm in das Sanatorium.</p>
-
-<p class='c016'>Die Dame war ganz einfach angekleidet, ganz in
-Schwarz. Sie hatte ungefähr die Gestalt der Kaiserin
-Elisabeth, ein bleiches Gesicht, aschblonde, fast hellgraue
-Haare.</p>
-
-<p class='c016'>Die freiwillige Pflegerin des Dichters begrüßte
-vor der Zimmertür die Ankommenden und warf
-einen flüchtigen, merkwürdigen Blick auf das unbeschreiblich
-schöne Perlenkollier an dem nackten
-Hals der fremden jungen Dame.</p>
-
-<p class='c016'>Darauf sagte einer der Freunde des Dichters:
-»Sie, Fräulein, der Dichter befindet sich immer in
-schweren ökonomischen Krisen. Wenn er dies herrliche
-Kollier an Ihnen sieht, wird es ihn bei seinen
-sowieso zerrütteten Nerven aufregen, daß es Künstler
-gibt, die anders bezahlt werden als er.«</p>
-
-<p class='c016'>»Oh,« sagte sie, »glauben Sie wirklich, daß ihn
-das aufregen wird? Dann will ich es ablegen.« Sie
-nestelte an der Goldschließe, nahm das Kollier in
-die hohle rechte Hand — — —.</p>
-
-<p class='c016'>»Sie sind eine liebe, feine Person!« sagte einer
-der Freunde. »So etwas Takt- und Geschmackvolles,
-diesen halb irrsinnigen Dichter so zu schonen! Ich
-muß wirklich sagen, ich könnte Ihnen die Hand
-dafür küssen.«</p>
-
-<p class='c016'>Die Dame trat als erste ruhig in das Krankenzimmer
-<span class='pageno' id='Page_180'>180</span>an das Bett des Dichters, nannte ihren Namen,
-gab ihm ihre wunderschöne rechte Hand und ließ
-ihm das darin befindliche Perlenkollier in der seinen.</p>
-
-<p class='c016'>Beim Abschied sagten die Freunde: »Jetzt ist
-keine Gefahr mehr. Jetzt können Sie Ihr herrliches
-Perlenkollier schon wieder anlegen.«</p>
-
-<p class='c016'>»Ich will es lieber in der Tasche behalten«, erwiderte
-ruhig die Dame — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_181'>181</span>
- <h2 class='c009'>NOTIZ</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Die Polizei hat die Vorführung einer Reihe von
-Filmen in den Kinematographentheatern, diesen
-modernsten, theoretisch wenigstens <i>einzig möglichen</i>
-Bildungsstätten für das Volk, verboten, weil
-sie Tiermißhandlungen (Ausreißen der Straußenfedern
-auf Farmen, Stopfen, Mästen der Gänse in
-Pistyan usw. usw.) <i>selbstverständlich</i> in derselben
-schamlos krassen Art zur Darstellung gebracht
-haben, in der sie aber <i>tatsächlich</i> ausgeübt
-werden. Die <i>Entrüstungsrufe</i> des Publikums
-sollen zu dieser polizeilichen Verordnung den Anstoß
-gegeben haben. Die Menschen sollen es also <i>nicht</i>
-erfahren, welche <i>Schändlichkeiten</i> aus Erwerbszwecken
-begangen werden. Das erinnert allzu sehr
-an die alte Anekdote, in der ein Millionär seinen
-Kammerdienern befahl: »Werft’s mir diesen alten
-unglücklichen Hausierer hinaus, er zerbrecht mir das
-Herz!«</p>
-
-<p class='c016'>Nur ein <i>unerbittlicher Einblick</i> in das Unglück,
-das so viele Wesen schuldlos trifft, kann die
-stumpfen, trägen Herzen der Menschen <i>aufrütteln</i>,
-zu Verbesserungen und wahrhaftiger Menschlichkeit!
-Ich füge ein Erlebnis hinzu, das zwar nicht
-daher paßt, aber immerhin einen Einblick gewährt
-in die in Vertiertheiten schlummernde Seele der
-heutigen Menschen. Einer meiner Bekannten, ein
-fanatisches Mitglied des Tierschutzvereines, stellte
-einmal einen brutalen Kutscher zur Rede, und als
-dies nur nachteilige Folgen für die armen Pferde
-hatte, machte er die Anzeige gegen den Kutscher.
-<span class='pageno' id='Page_182'>182</span>Vor der Verhandlung sagte der edle Rechtsanwalt
-Dr. Kr. meines Bekannten zu ihm: »Sagen Sie nicht
-allzu schroff ungünstig gegen den Kutscher aus, und
-verlangen Sie besonders nicht seine Bestrafung, weil
-er drohend gegen Sie den Peitschenstiel erhob. Es
-geht nur <i>an den armen Pferden aus</i>! ›Wart’s,
-Ludern, dös sollt’s mir büßen‹ — — —!«</p>
-
-<p class='c016'>In Deutschland ist das <i>künstliche</i> Stopfen,
-Mästen von Geflügel strengstens <i>bei hoher Strafe</i>
-verboten. »Friß, so lang’ du fressen kannst und
-magst!« ist ein humaneres Prinzip als: »Friß, ob
-du magst oder nicht — — —!«</p>
-
-<p class='c016'>Ein bisserl Anständigkeit, meine Herrschaften,
-man verlangt ja eh nicht viel! Die Gansleber wird
-auch schmackhaft nach sechs Monaten, laßt’s doch
-dem armen Vieh Zeit, seine Leber dem niederträchtigen,
-wollüstig-feigen Gaumen der Menschen
-zuliebe maßlos zu vergrößern! Man muß ja nicht
-mit den verbrecherischen Fingern und Federkielen
-nachhelfen; Tiere wie Menschen <i>fressen sich ja
-eh zu Tode</i>, wenn man sie nur laßt!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_183'>183</span>
- <h2 class='c009'>RÜCKKEHR VOM LANDE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Nun ist es wieder Herbst geworden, und die
-Graben-Kioske füllen sich zur Abendzeit mit wohlgepflegten
-und gebräunten Damen.</p>
-
-<p class='c016'>Man hat sich so viel zu erzählen, und man
-schweigt!</p>
-
-<p class='c016'>Man ist wieder in diesem Gefängnis »Großstadt«.</p>
-
-<p class='c016'>Man träumt von Licht und Luft und Wasser.</p>
-
-<p class='c016'>Man war ein anderer, besser, menschlicher, mit
-einem Wort »beweglicher«.</p>
-
-<p class='c016'>Nun geht man seinen Trab wie eh und je.</p>
-
-<p class='c016'>Man fühlt sich altern, schwerfällig werden, klammert
-sich an dieses unglückselige Wort: Verpflichtungen!</p>
-
-<p class='c016'>Die Wohnung will nicht in Ordnung kommen,
-und die Dienstboten kündigen.</p>
-
-<p class='c016'>»Die gnädige Frau war am Lande viel netter zu
-uns — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Ja, das war sie.</p>
-
-<p class='c016'>Die Kellner in den Kiosken begrüßen alle Gäste
-wie Weltreisende, die vielfache Gefahren überstanden
-haben — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Nun nehmen sie Soda-Himbeer im sichern Port!</p>
-
-<p class='c016'>Die Deklassierten, die nicht fort waren, mischen
-sich in die Menge der Zurückgekehrten, als ob nichts
-vorgefallen wäre — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Ja, sie haben sogar die naive Frechheit, zu behaupten,
-Wien wäre am angenehmsten, wenn alles
-»auf den Ländern« weile — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Damen, mit den veredelten gebräunten Antlitzen,
-lasset euch nicht betrügen von dem Prunk der
-<span class='pageno' id='Page_184'>184</span>Großstadt! Erschauet in den Spiegeln eurer Gemächer
-einen Zug auf eurem Antlitz, den Licht und
-Luft und Wasser und Freiheit modelliert haben,
-und der nicht da war ehedem, und der verschwinden
-wird im Wintertrubel!</p>
-
-<p class='c016'>Komödie hier, Komödie dort vielleicht — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Doch unter freiem Himmel ist das Theater
-schöner!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_185'>185</span>
- <h2 class='c009'>NICHTS NEUES</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>So viele Menschen, man könnte sie <i>Strindberg-Organisationen</i>
-nennen, nach ihrer Art, physiologisch-psychologisch
-zu reagieren, erwarten immer
-und immer von der geliebten Frau <i>etwas ganz
-Besonderes</i>, als ob sie die Verpflichtung hätte,
-plötzlich die Seele eines indischen Theosophen zu
-bekommen, der Gott um Milliarden Kilometer
-näher steht als alle anderen <i>nur sogenannten</i>
-Menschen!</p>
-
-<p class='c016'>Da erinnere ich mich immer und immer wieder
-dieses Franz Schubert, Liederdichters, zu dem seine
-vierzehnjährige Schülerin Komtesse Esterhazy einmal
-bei der Klavierlektion gesagt hat: »Das ist
-aber gar nicht schön, Herr Schubert, daß Sie mir
-nie eines Ihrer Lieder widmen — — —!«</p>
-
-<p class='c016'>Da erwiderte der gottbegnadete Mann: »Aber
-sie sind ja eh alle nur für Sie geschrieben — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Ja, ist das nicht das Höchste, einem Franz Schubert
-mitgeholfen zu haben zu seinen Liedern, wie Sonne,
-Tau und Regen mithelfen zum Wachsen von Pflanzen!?</p>
-
-<p class='c016'>Was braucht sie also an und für sich zu sein,
-diese Vierzehnjährige, unter dem öden Mikroskop
-herzloser verständnisarmer Menschen?!? Sie verhalf
-ihm zu seinen Liedern, und ohne sie wären sie nicht
-entstanden — — —!</p>
-
-<p class='c016'>Ich formulierte das später in die Verse:</p>
-
-<p class='c016'>»Oh Fraue, nicht was du <i>bist</i>, <i>bist</i> du!</p>
-
-<p class='c016'><i>Das</i> bist du, was <i>wir</i> von dir träumen!</p>
-
-<p class='c016'><i>Unsere</i> durchweinten Nächte um <i>deinet</i>willen, <i>das</i> bist du!</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_186'>186</span><i>Gelassen</i> nimmst du unsere Huldigung und unseren Schmerz entgegen — — —</p>
-
-<p class='c016'>Denn nimmer weißt du, wie es kam, weshalb,
-woher, wozu, zu welchem Ende!?!«</p>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_187'>187</span>
- <h2 class='c009'>DAS DORF</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich hatte eine unglückliche Liebe zu einer Dreizehnjährigen,
-deren Blick allein aus den hechtgrauen
-Augen mit den schwarzen Wimpern, allen Blicken
-gleichkam der Heiligen in den Kirchen. Sie hatte
-keine rechte Freude am Leben, als ob sie die Wirrnisse
-des irdischen Jammertales vorausahnte, die
-eigentlich allen so schwermütig Blickenden in Aussicht
-stehen. — Ich machte ihre Tragödien mit,
-die noch nicht vorhanden waren, und vor dem Leben
-beschützen konnte ich sie dennoch nicht. Sie war die
-Tochter eines Schuhmachers in dem kleinen, armseligen,
-felderumrankten Orte J.. Er hatte 11 Kinder.
-Die, die schon verdienten, verdienten. Aber
-die Kleinen mußten von meiner Dreizehnjährigen betreut
-werden. Wie liebevoll wurden sie betreut! Darüber
-kann man gar nichts schreiben. Sie mußte die
-15 Enten hüten, die Schweine füttern, und die kleinen
-Kinder brauchten dies und jenes. Ich liebte Anna,
-aber selten kam sie in meine Nähe, und auch dann
-glitt mein Blick von freundschaftlichster Zärtlichkeit
-an ihren Augen ab, wie Öl über Wasser.</p>
-
-<p class='c016'>Eines Abends saß ich allein auf der Bank, in der
-alten verstaubten Lindenallee und wartete auf Anna
-vergebens. Da kam ihre siebenjährige Schwester
-Josefa, die für mich immer und immer einen Blick
-von tiefer Menschenfreundlichkeit hatte, aus ihren
-zwei verschieden blickenden Nachtfalteraugen, so
-reell-gutmütig, so leichtverständlich, so wie das a-b-c
-des Menschenherzens — — —. Sie hatte mich lieb!</p>
-
-<p class='c016'>Ich führte sie in die nahegelegene Meierei, ließ ihr
-<span class='pageno' id='Page_188'>188</span>Schlagsahne geben und Biskuits. Immer lächelte sie
-mich an, wie von edler Liebenswürdigkeit getrieben.
-Da küßte ich sie auf Stirne, Haare, Augen. Sie
-rührte sich nicht, empfand es als Pflicht der Dankbarkeit,
-sich küssen zu lassen — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Da vergaß ich meiner Leiden um Anna, die mein
-gequältes Herz stets ruhig aus ihren geliebten hechtgrauen
-schwarzbewimperten Augen betrachtet hatte.
-Da sagte Josefa: »Schenkens mir noch zwei Biskuits,
-ich trag’ sie nach Haus für die Annerl. Sie darf net
-kommen mit Ihnen, weil sie schon zu groß ist. Was
-kann sie dafür, daß sie schon zu groß ist?!?« Da
-gab ich ihr 20 Biskuits mit für ihre Schwester, die
-wirklich nichts dafür konnte, daß sie dem Blicke
-eines unermeßlich liebevollen Menschenherzens mit
-mißtrauischer Gleichgültigkeit bereits begegnen
-mußte, wie im vorhinein gepanzert gegen die hinterlistige
-Männerwelt — — —!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_189'>189</span>
- <h2 class='c009'>GERICHTSVERHANDLUNG IN WIEN</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Fräulein Str., eine arme Klavierlehrerin, kannte
-alle Schandtaten ihres Herrn Bruders. Aber sie
-schickte Geld und Geld, wenn er darum schrieb.
-Und Geld und wieder Geld. Immer galt es ihr, ein
-wertvolles Leben noch zu retten, das aber wertlos
-war. Und übrigens, wer könnte das entscheiden?!</p>
-
-<p class='c016'>Der Richter sagte: »Ihr Vorgehen, Fräulein, ist
-strafbar, aber es macht Ihrem Herzen alle Ehre — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Das Fräulein erwiderte: »Für irgend etwas muß
-man sich doch abplagen. Nur seinen armseligen
-Hunger stillen?!? Wenn er nicht wär’, no, so wärs halt
-was anders, die Kirche oder eine Leidenschaft — — —.
-Für irgend etwas muß man sich doch abplagen.«</p>
-
-<p class='c016'>Man verurteilte sie wegen Vorschubleistung.</p>
-
-<p class='c016'>Als die Blicke der beiden verurteilten Geschwister
-sich begegneten, begannen einige Menschen im Auditorium
-zu weinen — — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_190'>190</span>
- <h2 class='c009'>SEMMERING, ENDE SEPTEMBER 1911</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Immer noch dieses Nachtgebrause im Göstritzwalde,
-immer noch um 7 morgens diese silbergrauen
-Nebelschleier. Aber meine Seele ist krank, weil Du
-nicht da bist, Anna Konrad! Du gehst, unausgeschlafen,
-müde, in die Schule, lernst mechanisch,
-daß Hannibal den Giftbecher trinken mußte aus
-irgendeinem Dir unverständlichen Grunde. Du
-kannst nicht mehr abends beim Abschiede zu mir
-sprechen: »Also schicken Sie mir bestimmt heute
-noch ›halb und halb‹; das hieß: Für 20 Heller
-Extrawurst, und für 20 Heller Zuckerln als Dessert!«
-Ich kam mir da jedesmal vor wie Kaiser Josef in
-den Volksstücken, der Leute beglückte, indem er
-einfach sagte: »Was braucht Ihr zu Eurem Glücke?!
-10000 Gulden? Da habt Ihr sie!« Nun bist Du
-ferne, Anna Konrad! Immer noch dieses herrliche
-Nachtgebrause im Göstritzwalde, immer noch um
-7 morgens die dichten silbergrauen Nebelschleier um
-Berg und Wald — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Anna, Anna, Anna Konrad, ich liebe Dich!</p>
-
-<div class='c012'>Peter Altenberg.</div>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_191'>191</span>
- <h2 class='c009'>PETER ALTENBERG ALS SAMMLER</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Die »Internationale Sammlerzeitung« veröffentlicht
-in ihrer eben erschienenen Nr. 13 eine interessante
-Rundfrage über den Wert des Sammelns.
-Die Zeitschrift bringt unter anderem Beiträge vom
-Unterrichtsminister Grafen Stürgkh, Alfred Lichtwark,
-Alma Tadema, Harden, Paul Heyse, Max
-Kalbeck, Eduard Pötzl, Felix Salten, Balduin
-Groller, Ginzkey. Peter <i>Altenberg</i> gab auf die
-Frage nach seiner Sammelliebhaberei die folgende
-interessante Antwort: »Es ist ganz merkwürdig,
-daß Sie sich gerade an mich wenden in dieser
-Angelegenheit. Denn Sie können es absolut nicht
-wissen, daß ich, ein ganz Armer, seit vielen Jahren
-ein einfach fanatischer Sammler bin, und mir, gleich
-den Milliardären, eine heißgeliebte, gehegte und mit
-vielen Opfern zustande gebrachte herrlichste Bildergalerie
-verschafft habe: 1500 Ansichtskarten, 20 Heller
-das Stück, in zwei herrlichen japanischen Kästchen
-mit je sechs Fächern. Es sind ausschließlich
-<i>photographische</i> Aufnahmen von Landschaften,
-Frauen, Kindern, Tieren. Ich fand vor einigen
-Wochen, daß der wirklich Ausgebildete des Lebens
-sich seiner Schätze <i>entäußern</i> müsse, um das
-<i>tiefste einzige</i> Glück des »Gebens«, des »Spendens«
-auch noch bei seinen Lebzeiten <i>miterleben</i> zu
-können an seinen »Beschenkten«. Daher sandte ich
-beide japanische Kästchen mit den seit 1897 gesammelten
-1500 Ansichtskarten nach Hamburg an
-die junge Dame, die allein von allen Frauen dieses
-Geschenk zu werten weiß. Seitdem sammle ich desto
-<span class='pageno' id='Page_192'>192</span>eifriger, desto leidenschaftlicher, um nun die Sammlung
-meiner Freundin zu komplettieren. — — Hier
-also sind gleich zwei heilsamste Ablenkungen von
-dem gefährlichen Bleigewicht des eigenen Ich: erstens
-das Glück des Sammelns selbst, zweitens das Glück,
-es <i>für einen anderen</i>, ebenso Verständnisvollen
-tun zu können! »Sammeln« heißt, sich auf etwas
-außerhalb der eigenen Persönlichkeit Liegendes konzentrieren
-können, das aber nicht so gefahrvoll und
-undankbar ist wie eine geliebte Frau — — —.«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_193'>193</span>
- <h2 class='c009'>YVETTE GUILBERT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Sie ist das Wunder des Chansons, das, an und
-für sich nichtig, farblos, leblos, durch sie eine Fülle
-von Tragik, grotesken Dingen, Lieblichkeit, Koketterie
-erhält. Ihre Augen bereits drücken alles aus,
-was es an seelischen Dingen überhaupt gibt, aber
-auch ihre Arme und Hände sprechen überaus eindringlich.
-Ihre Wirkungen grenzen an das Wunder.
-Und diese nur andeutende Art, diese wechselnden
-Nuancen, der clin d’œuil, der alles sagt, was zu sagen
-ist. Sie allein von allen hat die Macht, ein Lied auszuschöpfen,
-ja, es erst in seiner Fülle zu dichten!
-Ganze Schicksale bringt sie in einen sinnlosen Refrain,
-und man staunt über das Außerordentliche,
-das sich da ereignet. Aus einem Nichts ein Alles
-machen, darin könnten alle von ihr lernen, wenn es
-erlernbar wäre. Le minimum d’effort et le maximum
-d’effet ist auch ihre Devise. Den Höhepunkt ihrer
-Chansons bildet unbedingt »Les cloches de Nantes«.
-Wie ein düsteres Schicksal erdröhnen von allen Seiten
-die großen Glocken in den alten Kirchentürmen.
-Da gibt sie sich ganz aus, bricht los, bewirkt
-Enthusiasmus! Die Guilbert gehört zu den wenigen
-Erscheinungen, die einen als etwas nie wieder
-in die Welt Kommendes ergreifen. Man darf es nie
-versäumen, sie wieder und wieder zu sehen, zu
-studieren, so oft sich die Gelegenheit bietet. Für
-mich gehören zu solchen Erscheinungen Mitterwurzer,
-Girardi, Hermann Winkelmann. Es sind
-Menschen, die nicht ersetzt werden! Ihre Macht ist
-nicht zu definieren, da sie irgend etwas Rätselhaftes
-<span class='pageno' id='Page_194'>194</span>hat. Man befürchtet stets, daß sie einmal sterben
-werden, und geschieht es, ist man untröstlich, hat
-ein persönliches Leid erfahren. Man möchte in
-Trauer gehen um sie. So eine Organisation ist auch
-Yvette Guilbert. Diseusen, ach, lernet doch von ihr
-das leider Unerlernbare!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_195'>195</span>
- <h2 class='c009'>KRANKENPFLEGE</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Eine Frau, die, während ihr Geliebter im Sterben
-liegt, sich ebenso pflegt, wäscht, mit hundert Salben
-salbt, wie eh’ und je, und keinerlei Bedenken hat, sich
-ebenso zu pflegen und zu hegen, wie sie es gewohnt
-war, hat ihn nie, nie wirklich lieb gehabt! Sie müßte
-plötzlich alles aufgeben, sich schmutzig werden
-lassen, sich verkommen lassen, auf ihre adelige
-Körperpflege vollkommen verzichten können, sich
-Hände und Gesicht nicht mehr waschen wollen, ja
-sogar die schönen Haare nicht mehr pflegen, sich
-in einen Abgrund stürzen lassen, wo das reale Leben
-zerschellt und aufhört — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Es müßte alle ihre weibliche Eitelkeit plötzlich
-ersterben, nicht mehr sein — — —. Sie müßte zu
-einem Aschenbrödel werden, ganz in sich zurückgezogen
-und unbeachtet, nur in der edlen Pflege
-aufgehend und unscheinbar werdend vor Aufmerksamkeiten!
-Sie müßte unwillkürlich aus einer Dame
-zu einer »Pflegerin« werden, sich degradieren, um
-sich zu erhöhen!</p>
-
-<p class='c016'>Ihre Fingernägel müßten ihre Edelpolitur verlieren,
-ihre Strümpfe müßten Löcher bekommen und
-Knöpfe müßten ihr an der Bluse fehlen. Ihre werdende
-Ungepflegtheit müßte ihre Ehre sein! Ihre Freundinnen
-müßten zu ihr sprechen: »Du siehst gealtert
-aus, meine Liebe, schließlich muß man doch auch
-ein bißchen auf sich schauen, solange man jung und
-hübsch ist — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>»Dazu habe ich jetzt, Gott sei Dank, keine Zeit
-mehr übrig — — —.«</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_196'>196</span>»Gott sei Dank?!« sagten die Freundinnen und
-kicherten: »Sie muß immer apart sein — — —.«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_197'>197</span>
- <h2 class='c009'>HERBST AM SEMMERING</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Müde schleichen die Stunden dahin. Noch einmal
-ist es mir Zähestem vergönnt, die herbstliche Pracht
-meines Kindheitsparadieses (damals gab es nur Gasthof
-»Nedwall«) zu erschauen! Brennesselgebüsche
-und dunkelbraune vertrocknete Sträucher. Ein
-kleines Mäderl in Lederhöschen, mit dicken, rostbraunen
-Zöpfen, in die grellrote Seidenbänder eingeflochten
-sind, repräsentiert mir die »Schönheit
-der ganzen Welt«. Die Eltern nennen sie, tief entzückt,
-schlimm und übermütig. Wie wenn die
-Saharet, Ruth St. Denis, Grete Wiesenthal, schlimm
-und übermütig sein könnten! Der Schneeberg trieft
-von zerrinnendem Schnee, und das Elisabethkirchlein
-ragt in graue Wolken. Ein Direktor reitet,
-kranke Frauen fahren langsam durch den Fichtenwald.
-Lila Enzian, kurzstengelig, und Löwenzahn.
-Aber meine »heilige Stunde« ist von 3 bis 4. Da spielt
-nach dem Essen die Amerikanerin mit ihrem großen
-schlanken Freunde im Café Karambol. Er belehrt
-sie natürlich väterlich, die doch <i>alles</i> bereits mitbekommen
-hat vom Schicksal, Anmut und Beweglichkeit
-und Gazellenglieder und Feenhände. Jede
-ihrer Bewegungen ist vollkommen. Das ist meine
-»heilige Stunde«, da ich menschliche Vollkommenheit
-erblicke. Da vergesse ich, daß Gottes Träume sich
-noch nicht realisiert haben — —.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_198'>198</span>
- <h2 class='c009'>HERBSTANFANG</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Freitag nachts, Marien-Feiertag, 8. September.
-Eine verzweifelte Stimmung ist in mir, ich fühle es,
-ich spüre es, <i>alles geht zu Ende</i>. Die dunklen
-Herbstabende kommen, Deine Schule, A. K., fängt an,
-und böse, heimtückische, neidische, lieblose Menschen
-<i>zerstören</i> mir mein Paradies, das ich in meiner
-alten, kranken, dem <i>Untergange geweihten</i>
-Dichterseele für Dich, einzig und fast irrsinnig <i>geliebtes
-Geschöpf</i>, errichtet habe unter Tränen.
-<i>Du</i>, <i>Du</i> allein bist auf dieser traurigen Erde in
-meinem gefolterten Herzen, und Du weißt nichts
-davon, kannst, wirst davon, willst davon nichts
-wissen — — —. Nie wirst Du meine Anhänglichkeit
-ahnen. Dein <i>Blick</i>, Deine <i>Stimme</i>, <i>alles</i>, <i>alles</i>
-an Dir ist der Balsam meines todeswunden, todesmüden
-Herzens. Ich habe Dich lieb, lieb, wie niemand
-Dich je lieb haben wird — — —. Und nun spüre
-ich das Ende heranschleichen, sonst könnte ich nicht
-so traurig, so lebensmüde sein, und beim Erwachen
-am Morgen so bitter weinen und weinen, obzwar
-mir eigentlich nichts Böses geschehen ist — — —.
-Ich verlange nichts von Deiner kindlichen dreizehnjährigen
-Seele, Anna K., als daß Du es mir glaubst
-in Deinem tiefsten Herzen, daß schon im <i>Anfang</i>
-Deines ins <i>ungewisse gefahrvolle</i> Leben hinein
-aufblühenden Lebens, ein Mann <i>in unbeschreiblicher
-Zärtlichkeit</i> an Deiner geliebten, merkwürdigen,
-kindlichen und dennoch bereits tief melancholischen
-Persönlichkeit, mit <i>ergebenster liebevollster</i>
-Seele gehangen ist, und viel, viel um Dich
-<span class='pageno' id='Page_199'>199</span>getrauert hat, weil die anderen Menschen alles
-<i>mißverstehen</i> und <i>böswillig</i>, <i>heimtückisch
-deuten</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Ich wollte Dir mit der kleinen Uhr eine besondere
-Freude bereiten, Dir meine <i>vollkommen selbstlose
-Anhänglichkeit</i> zu verstehen geben, aber
-auch das haben die hartherzigen, mißtrauischen
-Menschen nicht <i>Dir</i>, nicht <i>mir</i> gegönnt!</p>
-
-<p class='c016'>Bleibe mir <i>gütig gesinnt</i>, Anna, lasse Dich
-<i>von niemandem</i> auf falsche Gedanken bringen!
-Ein Atemzug Deines Mundes, ein Blick Deiner Augen,
-ein Schritt Deines müden kranken Fußes bedeuten
-mir <i>die Schönheit</i>, <i>die Traurigkeiten der
-ganzen Welt</i>!</p>
-
-<div class='c012'>Dein Peter Altenberg.</div>
-
-<p class='c010'>»Annerl, hast du den Brief heute Samstag erhalten,
-den ich noch gestern Freitag nachts an dich geschrieben
-habe?!? Und hast du ihn verstanden?!«</p>
-
-<p class='c016'>»Selbstverständlich. Was soll ich daran nicht
-verstehen?! Ich kenn’ Ihnen doch auswendig und
-inwendig — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Pause.</p>
-
-<p class='c016'>»Sie, nächste Woche fangen die Schulen an. Da
-brauch’ ich schöne Schulrequisiten. Also zwei solche
-schöne dicke Tonking-Bambus-Federstiele, wie Sie
-sie immer benützen, dann 20 von Ihnere Stahlfedern,
-Kuhn 201, aber wirklich 20, oder wissen S’
-was, 25, daß es eine gerade Zahl gibt. Und dann ein
-schönes Zeichenheft. Und dann einen Radiergummi.
-Und dann, no, Sie werden doch wissen, was ich sonst
-noch in der Schule brauche. Ja, richtig, einen Bleistiftspitzer,
-<span class='pageno' id='Page_200'>200</span>wie Sie einen haben, in einem kleinen
-Schachterl. Gott, die Schul’, na wenigstens is ma
-in der Schul’. Was haben S’ denn, Sie, Herr Peter?!?«</p>
-
-<p class='c016'>»Nichts — — —«, erwiderte ich.</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_201'>201</span>
- <h2 class='c009'>EINE BEGEBENHEIT</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich lernte eine junge, sehr, sehr empfindsame
-Frau kennen, die Martyrien durchmachte wegen
-der Ruhe und Gleichgültigkeit ihres entzückenden
-Gatten. Sie sah Gespenster von fünfzehnjährigen,
-sechzehnjährigen Mädchen, lebte in unglückseliger
-innerer Hast dahin, verzehrte sich selbst. In dieser
-schweren Krankheit ihrer süßen kindlichen Seele
-entwickelte sich in ihr der Plan, für dieses endlose
-Martyrium Strafe, eventuell Erlösung zu haben. Sie
-begann daher, einem netten gutmütigen Manne
-Avancen zu machen. Der Gatte rührte sich nicht.
-Das machte sie noch kranker. Sie trieb sich kopfüber
-hinein. Der Gatte rührte sich nicht. Als ich
-diese gefährliche Situation überblickte, las ich eines
-Abends nach dem Nachtmahle den beiden mein
-Gedicht »Das Bangen« vor.</p>
-
-<p class='c016'>Das Gedicht lautet:</p>
-<h4 class='c022'><i>Das Bangen</i></h4>
-
-<div class='lg-container-l c021'>
- <div class='linegroup'>
- <div class='group'>
- <div class='line'>Mir bangt um dich, Anna — — —.</div>
- <div class='line'>Weshalb mir bang ist, weiß ich nicht,</div>
- <div class='line'>Ich weiß nur, daß mir bang ist.</div>
- <div class='line'>Mir ist bang!</div>
- <div class='line'>Wie einer Mutter bang ist ohne Grund,</div>
- <div class='line'>Noch sind sie alle munter und gesund — — —!</div>
- <div class='line'>Und wie dem Schiffer bang ist, bange, bange,</div>
- <div class='line'>Während die anderen noch lange</div>
- <div class='line'>Den wolkenlosen Himmel blöd betrachten,</div>
- <div class='line'>Und den Warner ob seiner Weisheit nur verachten.</div>
- <div class='line'>Mir bangt, wie einem bangt,</div>
- <div class='line'><span class='pageno' id='Page_202'>202</span>Der Kinder auf dem Meer-Sand-Hügel spielen sieht,</div>
- <div class='line'>Und weiß, daß nun die Flut vom Land sie abtrennt — flieht!</div>
- <div class='line'>Mir bangt, wie einem bangt,</div>
- <div class='line'>Der weiß, er wird gehenkt um sieben Uhr früh.</div>
- <div class='line'>So, so bangt mir um dich — — —</div>
- <div class='line'>Du bist <i>mein Leben</i>, es bangt mir um mich</div>
- <div class='line'>Du aber, du gehst deinen Weg von mir,</div>
- <div class='line'>Nicht bangt vor meinem bangen Bangen dir</div>
- <div class='line'>Dem neuen Schicksal treibst du jach entgegen — — —</div>
- <div class='line'>Und perlt mein Todesschweiß auf deinen Pfad hernieder,</div>
- <div class='line'>Nimmst du’s als Tau auf neuen Morgenwegen!</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class='c016'>Ich las es langsam und eindringlich vor.</p>
-
-<p class='c016'>Pause.</p>
-
-<p class='c016'>Der Mann erhob sich, trat langsam auf mich zu,
-nahm meine Hand in seine beiden Hände, sah mich
-lange, lange, lange an — — —. Die Frau starrte hin,
-starrte hin, schrie auf: »Er liebt mich, er leidet, oh,
-er liebt mich! Ich Unglückliche — —!« und fiel hin.</p>
-
-<p class='c016'>Ich hatte das Gedicht um vierundzwanzig Stunden
-zu spät vorgelesen.</p>
-
-<h4 class='c022'><i>In das Gedenkbüchlein einer Amerikanerin:</i></h4>
-
-<p class='c019'><span lang="en" xml:lang="en">»It’s inside in the human nature, to hate all
-those, who are better speaking, better dancing, better
-thinking, better feeling as we self!«</span></p>
-
-<h4 class='c022'><i>Wintersport am Semmering:</i></h4>
-
-<p class='c019'>»Schneeglöckchen, immer sangen die Dichter von
-dir, du läutest den Frühling ein — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Für mich <i>begräbst</i> du den herrlichen Winter!«</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_203'>203</span>
- <h2 class='c009'>BESCHÄFTIGUNG</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Ich erfinde nichts, daher bin ich kein Schriftsteller
-und kein Dichter. Das Leben trägt mir alles
-zu, ich habe nichts dabei zu verrichten, als das Zugetragene
-<i>nicht</i> zu verfälschen oder den anderen
-absichtlich plausibler machen zu wollen, denn man
-hilft ihnen ja doch nicht dadurch.</p>
-
-<p class='c016'>Ich kannte vor vielen Jahren die Frau eines
-Literaturprofessors an der Universität W. Eines
-Tages sagte sie zu ihm: »Ich liebe diesen jungen
-Schauspieler, den wir vor vier Tagen (so lange
-brauchen nämlich die Reizungen des Nervus sympaticus,
-um dringend zu werden in der Seele) gemeinsam
-im Theater genossen haben — —«</p>
-
-<p class='c016'>»Lade ihn aber vorerst zu uns zu einem Souper
-ein, damit man sehen könne, ob er dieselbe Wirkung
-auf dich ausübt außerhalb seines Idealterrains — —«</p>
-
-<p class='c016'>Nach dem Souper sagte sie zu ihrem Gatten:</p>
-
-<p class='c016'>»Es ist nichts mit diesem Manne. Oh, du, du,
-du einziger — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Als ihr Mann in jungen Jahren gestorben war,
-sprach sie einst einen fremden Herrn vormittags,
-Ecke Kärntnerstraße und Graben an: »Ich ersuche
-um Ihren Namen und Ihre Adresse — — —.«</p>
-
-<p class='c016'>Seitdem arbeitete sie tagelang an Dingen der
-sogenannten Nadelmalerei, wobei man mit verschiedenfarbiger
-Seide die zarten Nuancen von Gegenständen
-nachzuahmen versucht. Alle diese Dinge
-schickte sie dem fremden Manne und war glücklich
-dabei und vor allem friedvoll, seelisch beschäftigt.
-Später unterrichtete sie Dorfkinder umsonst im
-<span class='pageno' id='Page_204'>204</span>Französischen, ihrer Muttersprache. Und dann hörte
-ich nichts mehr über sie 35 Jahre lang. Aber stets
-gedenke ich ihrer, besonders wenn ich an die modernen
-Tennisspielerinnen denke! Die suchen sich auch »die
-Zeit zu vertreiben«!?!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_205'>205</span>
- <h2 class='c009'>BESUCH IM EINSAMEN PARK</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Wie wenn die müde Seele noch einmal auf längst
-gesprungenen Saiten ihre begeisterten Klagen singen
-dürfte, so ist es, wenn du zu mir kommst, Helene N.!</p>
-
-<p class='c016'>Der Alltag weicht da wie ein böser Zauber, der uns
-gefangen hielt, in einem Leben, das nicht die Stunde
-wert ist, die es bringt! Man lebte dem Tode entgegen!</p>
-
-<p class='c016'>Das alte Zauberreich von melancholischen Zärtlichkeiten
-erblüht durch dich, und der fade Park
-wird zum mysteriösen Urwald, wenn dein geliebter
-Schritt die alten öden Wege wandelt — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Dein Sprechen wird wieder zu Musik, der Hauch
-des Atems wird wieder zum Wehen von Frühlings-Gebirgsalmen
-mit Kohlröschen und Seidelbast und
-Knieholz.</p>
-
-<p class='c016'>Dein Sitzen beglückt und dein Stehen und dein
-Wandeln — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Alles, was <i>dich</i> unglücklich macht, wird zugleich
-<i>mein</i> Unglück, und deine Klage trifft ein exaltiertes
-Bruderherz; indem ich leide und dir die Last abnehme
-unverstandenen Kummers, <i>jauchzt</i> meine
-Seele, daß sie <i>mit dir leiden darf</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Ich möchte dich ins Zauberreich entführen,</p>
-
-<p class='c016'>wo du mein Kindchen wirst, gewiegt, getragen,
-beschützt, in überzärtlichen Armen, an einem für
-dich bebenden Herzen — — —,</p>
-
-<p class='c016'>weg von den Ungetümen »Menschen«, die dich
-mit ihrem feigen Unverständnis morden!</p>
-
-<p class='c016'>Bist du denn ein Distelstrauch am Wege, ein
-Unkraut oder Brennesselgebüsch?! Bist du dem
-Tritt des schweren frechen Fußes ausgesetzt?!</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_206'>206</span>Bist du nicht eine zarte Blüte Gottes, die behütet
-werden muß vor jedem rohen Hauche?!</p>
-
-<p class='c016'>Bist du nicht die, die unser totes Herz zum Leben
-wieder zaubert?!?</p>
-
-<p class='c016'>und deren zarte, edle Gliederpracht aus unseren
-glitzernden, stieren Fischaugen ein gerührtes Künstlerauge
-wiederzaubert?!?</p>
-
-<p class='c016'>In welche Welt bin ich geraten, pfui!?! Wo alles
-sich in schnöder Ordnung abhaspelt!? Du bist die
-<i>andere</i>! Anders wie die andern! Wie Ambrosia
-anders war als Rumpsteak mit Salat! Göttliche
-Kräfte bringst du, ohne es zu wissen! Und pflichtlos
-sinken wir zu deinen Füßen hin! Nur eine Pflicht
-erkennend, vor dir hinzuknien!</p>
-
-<p class='c016'>Das zugeschnittene Maß, das alle <i>fördert</i>, ist
-uns <i>verächtlich</i> und <i>vergiftet</i> uns! Der <i>ekle
-Friede</i> sorgenlosen Daseins macht unsere Kräfte
-<i>stocken</i> und <i>vertrocknen</i>. Wir müssen brennen,
-glühen und vergehen!</p>
-
-<p class='c016'>Und unsere innere Träne, wenn du beim Scheiden
-uns ruhig die Hand reichst,</p>
-
-<p class='c016'>macht uns erst wieder leben, leiden und verzweifeln,
-und auf eine Stunde hoffen, da du,
-Gebenedeite, wiederkehrst! Für diese Stunde leben
-wir in Not!</p>
-
-<p class='c016'><i>Die da sind, morden uns</i>;</p>
-
-<p class='c016'>doch die da kommen, um <i>von uns zu scheiden</i>,
-bringen uns das Glück des <i>abgrundtiefen Seelenschmerzes
-wieder</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Wir wollen rauschen, brausen und zerschäumen!</p>
-
-<p class='c016'>Des Lebens eingedämmte Ordnung ist unser
-<span class='pageno' id='Page_207'>207</span>heimtückischer Feind, für dumpfes Erdenleben ganz
-geeignet, das uns, unter der feigen Maske der Rettung,
-nur lahmlegt und vernichtet und vorzeitigem Tod
-entgegentreibt.</p>
-
-<p class='c016'>Helene N., komme, auf daß ich hundert Stunden
-lang in Fieberzehrung dich erwarten könne — — —.
-In Fieber mich <i>verzehren</i>, ist mein <i>Leben</i>!</p>
-
-<p class='c016'>Und scheide von mir, auf daß ich tausend Stunden
-dir <i>nachtrauern</i> könne — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Mein Geist lebt nicht vom <i>Sein</i>, das lahm macht
-und gebrechlich — — —;</p>
-
-<p class='c016'>mein Geist lebt nur vom Hoffen und Verzweifeln!</p>
-
-<p class='c016'>Du kamst, Helene N., und alles ward belebt und
-blühte auf — — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Du gingst, und Trauerflore hingen über der
-dunklen ausgestorbenen Welt — — —.</p>
-
-<p class='c016'>Die Welt der Pflichten ist vielleicht gesünder und
-fordert manches Wertvolle in kleinerem Kreise — —.</p>
-
-<p class='c016'>Wir aber wollen lieber an unseren inneren Symphonien
-elend scheitern; des Alltags Werkelton mordet
-uns ebenso, nur langsamer und qualvoller — — —.
-Wie stumpfe Messer gegen scharfe Klingen!</p>
-
-<p class='c016'>Der Folter wollen wir entgeh’n des leeren Lebens,
-das unseren Organen ihre Kraft entzieht;</p>
-
-<p class='c016'>und in der Schlacht trifft rücksichtsvoller uns
-der Tod, und herrlich plötzlicher,</p>
-
-<p class='c016'>als <i>vorbereitet</i> zu jeder Stunde eines Lebens,
-das weniger als nichts für uns bedeutet!</p>
-
-<p class='c016'>Helene N., komm’ wieder in den Park,</p>
-
-<p class='c016'>wo Irre ihre irren Träume träumen — — —.</p>
-
-<p class='c016'><i>Du</i> wirst hier doch vielleicht <i>mehr</i> Menschlichkeiten
-finden,</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_208'>208</span>als in der Welt, die sich <i>frech fälschlich</i> für
-die <i>normale</i> hält!!!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_209'>209</span>
- <h2 class='c009'>TANZ</h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Elsa Wiesenthal, schlichte, rätselhafte Naturkraft,
-wie Rittner, Mitterwurzer, Girardi, bringst du
-uns nun wieder den Geist, der geheimnisvoll, diskret
-verborgen in den Dingen lebt?! Bringst du uns
-wieder Hoheit, Ruhe und Würde in deinem adeligen
-Tanzen?! Oder hast du dich vom »Geist« verführen
-lassen wie alle, die der geistvollen, geistleeren Herde
-sich verständlich machen wollen?!? Gib uns nicht
-mehr, als was <i>du</i> kannst und <i>deine</i> Kunst! Sei
-eine schweigende Fürstin des Lebens, die lieber unverstanden
-dahingleitet, als scheinbar verständlich
-Leidenschaft markiert! Sei du mit deiner süßen
-merkwürdigen Schwester Berta, wie einst ein edles
-Beispiel, wie man aus einem Nichts ein Alles macht!</p>
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_211'>211</span>
- <h2 class='c009'>PETER ALTENBERG<br /> <br /><span class='small'>Von Hans Franck (Hamburg)</span></h2>
-</div>
-
-<p class='c010'>Es gibt viele, die seiner lachen.</p>
-
-<p class='c016'>Und wir, denen er mit wenigen inhaltsschweren
-Worten die Märchen des Lebens gedeutet, die »Bilderbogen
-des kleinen Lebens« koloriert, die er die
-Erlebnisse des Tages anders sehen gelehrt hat, wir
-können ihnen nichts dawider sagen. Müssen ihnen
-Recht geben, müssen zugestehen: Was ihr in Händen
-habt, was ihr seht, sind Lächerlichkeiten. Es ist,
-wie ihr es seht! Ihr!</p>
-
-<p class='c016'>Es ist, wie die Spötter sagen. Aber es ist zugleich
-anders. Die Kunst Altenbergs kann, wie das vielfarbige
-Leben, wie die widerspruchsvolle Natur —
-nach Fr. Th. Vischers Wort — an einem Ende gemein,
-am andern seelisch fein, nicht mit einem so oder so
-umgrenzt werden, sondern nur mit einem so und so.</p>
-
-<p class='c016'>Sie ist voller Lächerlichkeiten und Schönheiten,
-voller Gequältheiten und Feinheiten, voller Leerheiten
-und Vollheiten, voller nichtssagender Gewolltheiten
-und vielsprechender Gekonntheiten.</p>
-
-<p class='c016'>Sie ist — um wieder Vischers Wort von der
-Natur aufzunehmen — ein seltsam Ding.</p>
-
-<p class='c016'>Für die Formung der tausendfältigen kleinen
-und kleinsten Gaben, die so ein Buch Peter Altenbergs
-birgt, wurde der bewußte Gegensatz zu der
-Kunst der vielen klingenden Worte maßgebend.
-Die Wortkünstler sind dem Dichter Lügner und
-Charlatane. Sind ihm gewöhnliche Menschen, die
-ihre Geistesblöße mit dem wallenden Wortmantel
-zuzudecken suchen, die ihre Empfindungsarmut
-<span class='pageno' id='Page_212'>212</span>durch einen bloßen Wortreichtum auszugleichen
-glauben. »Ich hasse und verachte sie — ruft Peter
-Altenberg in seinen Märchen des Lebens — Wortreichtum
-ist Seelen- und Geistesarmut! Man verkriecht
-sich, versteckt sich dahinter, wie wenn man
-verzweifelt wäre, daß man nichts Wichtiges mitzuteilen
-hätte! Zwei und drei ist fünf kann nicht
-wortreich gesagt werden! Und dennoch verläßt man
-sich darauf, daß es eine Herde von Idioten gibt,
-die an dem »Wortklang« sich berauschen. — —
-Wehe, wehe denjenigen, die die Fähigkeiten dazu
-hätten, und nur ihrem Geisteswahne, ihrer Eitelkeit
-dienen! Auf einer Stradivariusgeige spielen sie, aber
-keine einfachen Adagios, die zu Tränen rühren,
-sondern verblüffende Passagen, die kalt lassen!«</p>
-
-<hr class='c028' />
-
-<p class='c016'>Altenberg ist der Virtuose der Wortskizze. Ist
-es, weil er dem Reichtum des Lebens dienen will.
-Einem kleinen Ausschnitt sich willenlos hinzugeben
-und in unendlichem geduldigem Mühen nach höchster
-vollkommener Bildwirkung sich vor dem übrigen
-zu verschließen, daran hindert ihn die drängende
-Fülle, die ihm nicht Ruhe läßt. So springt er von
-einem zum andern, immer auf der Spur des schnellfliehenden
-Lebens. Zur Beschaulichkeit ist keine Zeit.
-Nicht zum Schwelgen. Es gilt zu erjagen, zu erraffen,
-gilt, flüchtiger als das fliehende Geschehen zu sein.</p>
-
-<p class='c016'>Daß diese Eigenart Altenbergs ihren Wert und
-Unwert in Einem hat, daß ihre Stärke die Mutter
-ihrer Schwäche ist, versteht sich. Es zu beweisen,
-wird man mir erlassen.</p>
-
-<p class='c016'>Dem <i>Leben</i> gilt Altenbergs Kunst.</p>
-
-<p class='c016'><span class='pageno' id='Page_213'>213</span>Diesem Wunder aller Wunder, mit dem wir
-täppisch, wie wir sind, auf Du und Du stehen. Das
-wir hinnehmen mit großen, blöden, dummdreisten
-Augen. Das wir zu kennen wähnen, und das doch
-von tausend Schleiern bedeckt ist. Das Wunder,
-das uns zum kahlen Alltag wurde, wird hier wieder
-ein blühendes Märchen, dem wir mit gläubigen
-Kinderaugen aus der Ferne zuschauen. Wunder des
-Alltags. Um sie geht es. Oder wie es der schönste
-unter allen Buchtiteln Altenbergs faßt, um die
-»Märchen des Lebens«. Unermüdlich trachtet der
-Dichter, die kleinen Dinge des Alltags besonders zu
-sehen, die Perlen am flachen Strand zu finden.
-Hundertmal mag er wertlose Kiesel auflesen und bei
-den kalten Besserwissern höhnisches Lächeln dafür
-ernten: plötzlich funkelt ein winziges Ding in seinen
-Händen und läßt uns die Augen übergehen.</p>
-
-<p class='c016'>Mitten hinein in die zarten Wortskizzen drängt
-sich plötzlich eine breite, schwerwiegende Untersuchung
-mit einer Überzahl unterstrichener Worte.
-Der Dichter wandelt sich in einen Propheten. Der
-Mann der zarten Worte in einen glaubensstarken
-Prediger, der lauthallende Straf- und Mahnreden
-auf die sündige Menschheit herabschleudert. Der
-eben noch ein ganz Besonderer, ein starker Einzelner,
-ein Außenseiter war, wird plötzlich zum
-Bruder Schultze-Naumburgs, des Kunstwartmannes,
-des Vaters des Reformkleides und der Reformstiefel.</p>
-
-<p class='c016'>Mit eindringlichen, treffsicheren Worten predigt
-er von seinem Ideale: der naturgemäßen Körperkultur.
-Anbetend neigt er sein Haupt vor dem
-großen Gotte Gesundheit. Worte fallen, die der Unnatur
-<span class='pageno' id='Page_214'>214</span>die gleißnerischen Kleider vom Leibe reißen
-und doch nichts bessern werden. Wann hätte diese
-Dame und ihr lästerliches Töchterlein Mode, je die
-Scham gekannt? Sie kann noch stärkeres ertragen
-als Altenbergs fanatische Predigten und seine gutgemeinten
-Insultierungen.</p>
-
-<p class='c016'>Darum ist es, schauen wir zurück auf die leidenschaftlichen
-Bekenntnisse zur Göttin Gesundheit,
-letzten Endes nicht das Gegenständliche, der Inhalt
-der Rede, der uns in den Bann der Worte zwingt,
-sondern die Persönlichkeit, die ungehinderter als in
-den formgewordenen Dichtungen, innerstes Sein und
-Meinen offenbart. Auch hier steht Altenberg im
-Dienste des großen, göttlichen, uneingezwängten
-Lebens. Auch hier will er jedem Pulsschlag freie
-Bahn schaffen. Auch hier erlösen von dem Drucke,
-den Steifheit und Gutmeinen, Enge und Schwerfälligkeit
-dem Wunder aller Wunder zufügten und
-bis in die Undenkbarkeit zufügen werden.</p>
-
-<p class='c016'>So geht auch diese Besonderheit mit dem Allgemeinen
-zusammen. In das Werk des Schöpfers der
-»Märchen des Lebens«, des Suchers im Alltag, des
-eigenwilligen Sehers fügt sich das Prodromosbuch
-ein, das Glied einer Kette. Der Unmittelbarkeit des
-unverfälschten Lebens trachtet der Dichter so gut
-wie der Prediger nach. Und die sprunghafte, das
-Wortemachen hassende Form eint beides auch nach
-außen hin.</p>
-
-<div class='c012'><span class='small'>(Königsberger Hartungsche Zeitung)</span></div>
-
-<div class='chapter'>
- <span class='pageno' id='Page_215'>215</span>
- <h2 class='c009'><span class='xlarge'><i>Werke von Peter Altenberg</i></span></h2>
-</div>
-
-<div class='nf-center-c0'>
-<div class='nf-center c001'>
- <div><span class='large'>Wie ich es sehe</span></div>
- <div><span class='small'><i>Fünfzehnte vermehrte Auflage.</i> Geh. 6 M. 50 Pf., geb. 9 M.</span></div>
- <div class='c007'><span class='large'>Was der Tag mir zuträgt</span></div>
- <div><span class='small'><i>Achte vermehrte Auflage.</i> Geh. 6 M. 50 Pf., geb. 9 M.</span></div>
- <div class='c007'><span class='large'>Prodromos</span></div>
- <div><span class='small'><i>Sechste Auflage.</i> Geheftet 5 Mark, gebunden 7 Mark 50 Pf.</span></div>
- <div class='c007'><span class='large'>Märchen des Lebens</span></div>
- <div><span class='small'><i>Sechste vermehrte Auflage.</i> Geh. 5 M. 50 Pf., geb. 8 M.</span></div>
- <div class='c007'><span class='large'>Neues Altes</span></div>
- <div><span class='small'><i>Vierte und fünfte Auflage.</i> Geh. 5 Mark, geb. 7 Mark 50 Pf.</span></div>
- <div class='c007'><span class='large'>»Semmering 1912«</span></div>
- <div><span class='small'><i>Siebente vermehrte Auflage.</i> Geh. 6 M., geb. 8 M. 50 Pf.</span></div>
- <div class='c007'><span class='large'>Fechsung</span></div>
- <div><span class='small'><i>Sechste Auflage.</i> Geheftet 6 Mark, gebunden 8 Mark 50 Pf.</span></div>
- <div class='c007'><span class='large'>Nachfechsung</span></div>
- <div><span class='small'><i>Fünfte Auflage.</i> Geheftet 7 Mark, gebunden 9 Mark 50 Pf.</span></div>
- <div class='c007'><span class='large'>Vita ipsa</span></div>
- <div><span class='small'><i>Zehnte Auflage.</i> Geheftet 6 Mark, gebunden 8 Mark 50 Pf.</span></div>
- <div class='c007'><span class='large'>Mein Lebensabend</span></div>
- <div><span class='small'><i>Achte Auflage.</i> Geheftet 6 Mark 50 Pf., gebunden 9 Mark.</span></div>
- </div>
-</div>
-
-<div class='pbb'>
- <hr class='pb c007' />
-</div>
-
-<div class='nf-center-c0'>
-<div class='nf-center c029'>
- <div><span class='pageno' id='Page_216'>216</span><em class='gesperrt'>Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig</em></div>
- </div>
-</div>
-
-<div class='pbb'>
- <hr class='pb c005' />
-</div>
-
-<h3 class='c018'>Transcriber's Notes</h3>
-
-<p class='c030'>Im Original gesperrte Schrift wird kursiv wiedergegeben.</p>
-
-<p class='c025'>Offensichtliche Satzfehler wurden stillschweigend korrigiert.</p>
-
-<p class='c025'>S. 15: »Deshalb ist man o beglückt ...« wurde korrigiert zu »Deshalb ist man so beglückt ...«.</p>
-
-<p class='c025'>S. 177: Der Titel enthält das Symbol † für »verstorben«.</p>
-
-<p class='c031'>Type originally set in spaced text has been changed to italics.</p>
-
-<p class='c025'>Quotation marks have been modernized to » « and › ‹.</p>
-
-<p class='c025'>Obvious printer errors have been silently corrected.</p>
-
-<p class='c025'>On page 15, “Deshalb ist man  o beglückt ...” has been corrected to “Deshalb ist man so beglückt ...”</p>
-
-<p class='c025'>On page 177 the title contains “(†)”. Its meaning is “deceased”.</p>
-
-
-
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-
-<pre>
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-
-End of the Project Gutenberg EBook of Neues Altes, by Peter Altenberg
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEUES ALTES ***
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
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-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
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-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
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-
-
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
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-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
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-The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
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-volunteers and employees are scattered throughout numerous
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-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
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