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-The Project Gutenberg EBook of Novellen, by Hans Arnold
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Novellen
- Hausgenossen. -- Und Doch! -- Der tolle Junker. --
- Finderlohn. -- Glück muß man haben!
-
-Author: Hans Arnold
-
-Release Date: April 30, 2016 [EBook #51901]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOVELLEN ***
-
-
-
-
-Produced by Norbert Müller and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was
-produced from images generously made available by The
-Internet Archive)
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-
- Novellen
-
- von
-
- Hans Arnold.
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-
- Hausgenossen. -- Und doch!
- Der tolle Junker.
- Finderlohn. -- Glück muß man haben!
-
-
- Berlin.
-
- Verlag von Gebrüder Paetel.
-
- 1881.
-
-
- Alle Rechte vorbehalten.
-
-
- Herrn
-
- Theodor Hermann Pantenius
-
- in dankbarster Verehrung
-
- zugeeignet.
-
-
-
-
- Hausgenossen.
-
-In dem sonnenhellen, saubern Stübchen, das sie nun schon seit zwanzig
-Jahren bewohnte, saß Fräulein Sabine Krauthoff und strickte, während
-sie, mit einer Hornbrille auf der Nase, in einem abgegriffenen Buche
-las, welches sehr weit ab von ihr auf dem Tische lag.
-
-Am Fenster blühten, trotz des Winters, Nelken und Balsaminen, und an
-den Wänden hingen allerlei Photographien in jeder Größe und Stellung.
-Aber nur Bilder von jungen Mädchen -- Fräulein Sabine war Lehrerin
-gewesen. Mitten über dem Sofa prangte ein nach Fröbelscher Methode
-kunstvoll gefertigtes Flechtblatt unter Glas und Rahmen -- das hatte
-die Lieblingsschülerin des Fräuleins, Käthchen Lang, geflochten, bei
-deren Eltern die alte Dame im Hause wohnte, und die inzwischen zu einem
-großen Mädchen herangewachsen war.
-
-Aus dem Schüler- und Lehrerinnenverhältniß hatte sich mit der Zeit
-eine herzliche Freundschaft zwischen dem alten und dem jungen Mädchen
-gestaltet. Käthe, die sonst leicht ein wenig hochfahrend sein konnte,
-ja die in ihren Bekanntenkreisen sogar wegen ihrer kurzen Antworten
-und ihres gelegentlichen Uebermuthes als »sehr schnippisch« bezeichnet
-wurde, legte in der stillen Stube von Fräulein Sabine all ihre kleinen
-Airs ab, und wurde immer wieder zum Kinde, das seine Thorheiten
-beichtete und sich liebevoll absolviren ließ.
-
-Nie verging ein Tag, ohne daß Käthe die drei Treppen erstieg und an
-Fräulein Sabines Thür pochte -- und so sehr hatte sich die letztere an
-diese täglichen Besuche gewöhnt, daß sie es recht schmerzlich empfand,
-als Käthe vor einiger Zeit zu einer verheiratheten Freundin nach
-auswärts ging und fast drei Wochen abwesend blieb.
-
-Doch nun war das vorbei -- gestern hatte die Frau Doktor Lang sich ihr
-Töchterchen von der Eisenbahn geholt, und Fräulein Sabine erwartete
-nun ungeduldig den Besuch des allgemeinen Lieblings. Ihr Harren sollte
-belohnt werden. Nicht lange, so klopfte es; auf das »herein« kam ein
-junges Mädchen in die Thüre, schlank und groß gewachsen, mit einem
-übermüthigen Zug um den kleinen Mund, und einem sonnigen Lächeln in
-den dunkeln Augen. Sie begrüßte ihre alte Freundin mit der ihr eigenen
-ungestümen Herzlichkeit und setzte sich zu ihr -- nicht auf den Stuhl,
-sondern aufs Fensterbrett.
-
-»Und wie hast du dich bei Laura amüsirt?« fragte die alte Dame,
-nachdem sie den »mitgebrachten« warmen Shawl zur Genüge betrachtet und
-bewundert hatte.
-
-»O sehr gut, Sabinchen, es war eine nette Zeit! aber« --
-
-»Nun, was »aber?« fragte Fräulein Sabine erwartungsvoll, und schob die
-Brille auf die Stirn zurück.
-
-»Ach -- ich habe wieder einmal eine meiner gewöhnlichen Dummheiten
-gemacht! Soll ich sie dir erzählen? aber du mußt nicht schelten?«
-
-»Das kann ich nicht so gewiß versprechen,« sagte die Alte, indem sie
-ihren reizenden Liebling mit strahlenden Augen betrachtete, »indessen
-fang nur an -- es läßt dir ja doch keine Ruhe, ehe du gebeichtet hast.«
-
-Käthe rückte sich auf dem Fensterbrett zurecht, und pflückte eine von
-den rothen Nelken von Sabinens Blumenstock.
-
-»Nun also,« begann sie, »ich reiste allein von Laura zurück, und auf
-einer kleinen Station -- Siegersdorff -- wo der Zug hielt, sah ich zum
-Coupéfenster hinaus. An der Wand des Bahnhofsgebäudes mir gegenüber
-steht ein Herr und sieht mich an -- nicht gerade unbescheiden, aber er
-fixirt mich doch unverwandt. Du weißt ja, Sabine, so etwas kann ich
-nicht leiden, ich denke also: »sollst ihm mal die Zunge herausstecken
--- der Zug fährt ja sofort ab, und du siehst ihn nie wieder.«
-
-»Aber Käthe!« rief das Fräulein erschrocken.
-
-»Siehst du, siehst du, daß du schiltst!« rief Käthe, und fiel ihrer
-alten Freundin ungestüm um den Hals, »sei ganz still, sonst erzähle
-ich nicht weiter, und du hast dein Leben lang die Angst mit dir
-herumzutragen, daß ich etwas noch viel Schrecklicheres gethan habe, was
-du nicht weißt!«
-
-Die Alte machte sich lachend los.
-
-»Laß mich nur -- ich bin ja schon still! Also --«
-
-»Also -- in dem Augenblick, wo der Zug sich in Bewegung setzt, führe
-ich mein Vorhaben aus! Nur ein ganz kleines bißchen, Sabine -- ich
-dachte schon, er hätte es nicht gesehen! -- aber er lächelte spöttisch
-und nahm den Hut ab. Da fuhren wir hin.«
-
-Fräulein Sabine schüttelte den Kopf.
-
-»Wirst du nie deinen Uebermuth ablegen, Kind!«
-
-Käthe zerpflückte die rothe Nelke unbarmherzig in Stücke.
-
-»O ja, Sabine«, sagte sie dann verlegen, »aber --«
-
-»Was aber? noch mehr solcher schöne Streiche?«
-
-»Ach, Sabine -- die Geschichte ist ja noch gar nicht zu Ende, das
-Schlimmste kommt nach. Also wir fuhren, aber kaum hundert Schritte weit
--- der Zug wurde zu meinem Entsetzen nur rangirt und rutschte nach fünf
-Minuten wieder in denselben Bahnhof ein. Da stand auch noch der Herr --
-und hatte er vorhin gelacht, so lachte er nun erst recht!«
-
-»Angenehm!« sagte Fräulein Sabine. »Und wie benahm er sich?«
-
-»Er benahm sich gar nicht, sondern warf die Cigarre weg und stieg in
-dasselbe Coupé mit mir. Und wir fuhren mit einander bis hierher, wo er
-auch ausstieg!«
-
-Käthe sprang vom Fensterbrett. »Und was sagst du jetzt?«
-
-»Herzchen,« erwiderte die alte Dame und lächelte gutmüthig, »was soll
-ich sagen? Zu geschehenen Dingen schweigt man am besten -- das einzig
-Angenehme ist, daß du den Mann wahrscheinlich nicht wieder sehen wirst.«
-
-Käthe sah nicht so entzückt aus, als man hätte vermuthen sollen, und
-streute ihre Nelkenblättchen in die Luft. »Meinst du?«
-
-Die Alte warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, und zog die
-Augenbrauen etwas in die Höhe, als wollte sie sagen: »aha!« Sie schwieg
-aber.
-
-»Weißt du, Sabine,« begann Käthe nach einer Weile von Neuem, »er --
-der Mitreisende -- benahm sich übrigens sehr taktvoll. Da er merkte,
-in welch tödtlicher Verlegenheit ich war, that er, als ob gar nichts
-vorgefallen sei, und unterhielt mich von allen möglichen Dingen -- ganz
-ernsthaft und sehr nett. Nur einmal, als eine alte Dame, die mitfuhr,
-von der Gegend sprach, und ihn fragte, ob er nicht auch während der
-Reise auf die hübsche Aussicht geachtet habe? sagte er ruhig: »o ja --
-besonders in Siegersdorff!« und dann sahen wir uns an und lachten beide
--- ich auch, Sabine -- das konnte ich nicht ändern! Sonst war ich sehr
-würdevoll -- nein, wirklich!«
-
-»Davon bin ich überzeugt,« sagte die Alte ernsthaft, »wie sah denn dein
-Freund oder Feind aus?«
-
-»Sehr gut -- groß, dunkelblond und humoristisch -- und er war sehr
-hübsch angezogen.«
-
-Die alte Dame lachte.
-
-»Wenn's nur kein Weinreisender war!«
-
-»Aber, Sabine, schäme dich! als ob man das nicht merkte!« In dem
-Augenblicke klopfte es.
-
-»Fräulein Käthchen möchten gleich herunter kommen, Frau Majorin Scharff
-wäre da, und wollte etwas aus dem Eckschrank, und Fräulein Käthchen
-hätten die Schlüssel mit.«
-
-»Unausstehlich!« sagte Käthe verdrießlich, »Scharffs erwarten in den
-Tagen den gräßlichen Sohn, und borgen sich wieder einmal die ganze
-Wirthschaft zusammen. Ich komme,« rief sie dem Mädchen zu.
-
-»Ist der junge Scharff so »gräßlich,« wie du sagst?« fragte Sabine.
-
-»Ich habe ihn nie gesehen -- aber wenn von einem Menschen schon so viel
-gesprochen wird, hat man genug. »Kurt sagt, Kurt schreibt, Kurt meint«
--- so geht es immerfort, als ob =ich= mich darum kümmerte, was ihr Kurt
-für Ansichten hat.«
-
-Fräulein Sabine war auch aufgestanden.
-
-»Weißt du, was ich glaube, Herzchen? Frau Scharff möchte dich sehr gern
-für den »gräßlichen Sohn« haben.«
-
-»Ach, das weiß ich ja schon lange! Aber ich danke, Sabine -- ich danke
--- ich will gar nicht heirathen -- oder«
-
-»Hör einmal, Käthe, du kommst mir sonderbar vor! Deine Beichte war
-unvollständig! »Oder« heißt das etwa: »oder die Bekanntschaft müßte
-damit anfangen, daß ich ihm die Zunge heraussteckte?«
-
-»Sabine,« sagte das junge Mädchen würdevoll, »ich begreife gar nicht,
-wie du mich so lange aufhalten kannst, wenn du hörst, daß Mama auf die
-Schlüssel wartet!«
-
-Und fort war sie.
-
- * * * * *
-
-Während diese Unterhaltung stattfand, herrschte bei Käthens Eltern
-große Unruhe. An der Hausthüre war schon seit längerer Zeit eine
-Wohnung ausgeboten worden, und der Hausherr hatte sich bereits stummer
-Verzweiflung überlassen, weil noch keine Nachfrage stattgefunden hatte.
-
-Jeder Mensch hat bekanntlich seinen Tollpunkt -- die Vermiethungsfrage
-war der Tollpunkt des Doktors!
-
-So lange der unheilvolle, weiße Zettel über seiner Thüre prangte,
-war er melancholisch -- seine Gedanken irrten mit beängstigender
-Beharrlichkeit, aufgescheuchten Vögeln gleich, um das betreffende
-Quartier, und er begann und schloß den Tag mit Seufzen. Wenn seine
-Frau mit dem triftigen Trostgrunde ins Feld rückte, daß ja noch nie
-eine Wohnung in ihrem Hause leer geblieben sei, so grub der Doktor
-regelmäßig einen alten General aus, der inzwischen, nach der seitdem
-verflossenen Zeit zu schließen, längst zum Feldmarschall oder unter die
-himmlischen Heerscharen avancirt sein mußte, und dessen Quartier einst
-ein volles Vierteljahr unvermiethet gestanden hatte.
-
-Zeigte sich dann ein präsumtiver Miether, so begann ein neues Stadium
-in dem Zustande des Doktors. Er hatte für nichts anderes Sinn und
-Gedanken, als für die Chance, er sang mit dem französischen Grenadier
-»was schiert mich Weib, was schiert mich Kind?« und war für alle
-häuslichen Vorkommnisse taub und blind.
-
-Heute nun war, gleich einem Sonnenblick, in sein umdüstertes Gemüth ein
-Brief gefallen, in dem ein der Familie bekannter Baron von Rabeneck
-um die Erlaubniß bat, am Nachmittag zu erscheinen und die annoncirte
-Wohnung in Augenschein zu nehmen.
-
-Der Baron galt zwar für einen etwas langweiligen und unsäglich
-neugierigen Herrn -- aber in der Noth ist man nicht wählerisch -- der
-Baron wollte miethen, und der Hausherr sah seinem Eintreffen seit drei
-Uhr mit fieberhafter Spannung entgegen.
-
-Die Familie -- Käthe, die Älteste, ausgenommen, die, wie wir wissen,
-bei Fräulein Sabine war, saß um den Kaffeetisch. Eine stattliche
-Reihe von schulpflichtigen Kindern -- zwar nicht so viel, als unser
-schwäbischer Freund besaß, der auf eine Anfrage nach dem Befinden der
-Seinen antworten konnte: »ich danke, die »Meischte« sind wohl« -- aber
-immerhin genug, um zu Zeiten recht angenehmen Spektakel zu machen.
-
-Die Hausfrau dirigirte mit Wort und Blick die stillbewegte Gruppe, die
-zur Eile angetrieben wurde, um beim Erscheinen des Miethers nicht den
-Eindruck der Räume abzuschwächen. Jetzt klingelte es.
-
-»Kinder, schnell -- trinkt aus, das ist er!« rief der Vater, und ließ
-sich in der Eile zu der unmännlichen Handlung des Umgießens aus der
-Ober- in die Untertasse für seinen jüngsten Sohn verleiten -- doch zu
-spät! Die Thür ging auf -- aber nicht der Baron erschien, sondern das
-heiter lächelnde Angesicht der Frau Majorin Scharff. Die Kinder gingen
-trotzdem auf einen Wink der Mutter hinaus. --
-
-Frau Scharff bewohnte mit ihrem Gatten, einem Major a. D., die
-Beletage. Dieser Gatte und ihr Sohn waren ziemlich die beiden einzigen
-Gegenstände, welche sich die Frau Majorin nicht geborgt hatte, sondern
-rechtmäßig besaß. Man kann es ihr daher nicht übel nehmen, wenn sie mit
-besonderem Stolz auf diese beiden blickte. Eine gute, ganz gescheidte
-Frau von stets heiterem Temperament, hatte sie nur die Manie, alles
-zu verlegen, zu verlieren, und sich mit einer wahrhaft genialen
-Unverdrossenheit durch Entlehnen von dem, was ihr momentan fehlte, aus
-der Verlegenheit zu ziehen.
-
-Ihr Mann wußte entweder nichts davon -- oder er wollte nichts davon
-wissen, was ziemlich auf eins herauskommt. Er hatte es zu seiner
-Vorgesetzten und seinem eigenen größten Erstaunen bis zum Major
-gebracht und war dann erschöpft ins Privatleben zurückgesunken. Seine
-Geisteskräfte, die ohnehin nie üppig wucherten, hatten sich seitdem auf
-Whist konzentrirt, und keine Gemüthsbewegung, kein Familienereigniß
-freudiger oder trauriger Natur war bisher im Stande gewesen, ihn derart
-zu erregen, daß er nicht, so wie der erste Sturm vorüber war, die
-Seinigen gefragt hätte: »machen wir heute keine Partie?«
-
-Ja es ging die dumpfe Sage, daß er an dem Abend, wo sein einziger Sohn
-das Licht der Welt erblickte, zwei Stunden darauf einen Whisttisch
-herbeigeschoben und seiner Schwiegermutter zur Erholung eine Partie
-Whist vorgeschlagen habe.
-
-So lange seine Bequemlichkeit und sein Whist ihm ungestört
-blieben, ließ er den Dingen ihren Lauf, und seine Frau mochte die
-Wirthschaftsutensilien aus allen benachbarten Familien rekrutiren --
-ihn focht es nicht an.
-
-Sein Sohn, der inzwischen als sehr begabter und tüchtiger Offizier die
-beste Carriere machte, hatte für ihn erst Interesse gewonnen, als er
-den Dritten beim Whist abzugeben vermochte, was den jungen Mann nicht
-hinderte, seinen Vater sehr zu lieben, und mit großer Ehrerbietung
-an beiden Eltern zu hängen. Dieser Sohn, das Glück und der Stolz der
-Mutter, wurde, wie wir von Käthe gehört haben, erwartet, und die Frau
-Majorin hatte bereits eine Bettstelle mit Betten, einen Teppich, einen
-Waschtisch und zwei Leuchter von der Doktorin Lang entlehnt, und kam
-soeben, um zu fragen, ob ein überzähliger Flügel reiner Gardinen vakant
-wäre, da sie das Gastzimmer sonst soweit in Ordnung habe.
-
-Die gutmüthige Doktorin versprach, danach zu sehen, und lud ihre
-Hausgenossin zum Sitzen ein. Doch diese lehnte ab.
-
-»Nein, nein,« sagte sie eilfertig, »o ich habe noch sehr viel zu thun
--- denn, liebste Lang, ich komme mit einer großen Bitte -- trinken Sie
-nicht heute Abend mit uns Thee? Keine Gesellschaft -- nur etwa zwölf
-bis fünfzehn Personen -- bitte, schlagen Sie es mir nicht ab!«
-
-»Wir kommen herzlich gern,« sagte die Doktorin, »wenn mein Mann nichts
-dagegen hat.«
-
-Der Doktor war herausgegangen, um die Straße herunter zu spähen, ob der
-Miether sich nicht zeigte. --
-
-»Ach, was sollte er dagegen haben!« sagte Frau Scharff, »heut muß er
-kommen -- ich habe eine kleine Überraschung vor! Aber liebe Lang --
-eine Bitte! Meine Pauline ist so ungewandt -- können Sie mir Ihre
-Köchin auf heute Abend leihen? Wir haben nur zwei Gerichte, und sie ist
-so prächtig flink -- das weiß ich! Im Hause geht das ja sehr gut!«
-
-»Ja, ja, das will ich thun, Frau Majorin,« sagte Frau Lang lächelnd,
-»kann ich sonst mit etwas dienen?«
-
-»Nun ja -- wenn Sie mir Ihre große Bratenschüssel und zwei Dutzend
-Mittelteller und Ihre Gabeln, fünfzehn Weingläser und die silberne
-Zuckerdose leihen wollten, so wäre ich Ihnen sehr dankbar! Ach, und
-Beste -- die beiden großen Lampen -- aber lassen Sie sie bald füllen;
-meine Leute verstehen sich so schlecht darauf! Das ist alles -- denn
-die Kompottschüsselchen und die Bowlengläser habe ich noch oben. Aber
-richtig -- Sie haben wohl nicht ein Pfund Speck zu Hause? meine Pauline
-hat es heut früh mitzubringen vergessen! Wir haben Rehrücken und sie
-soll ihn noch spicken.«
-
-»Ich werde sogleich nachsehen,« erwiderte Frau Lang, und griff in die
-Tasche -- die Schlüssel fehlten! Bei dieser Gelegenheit schickte sie zu
-Fräulein Sabine, um Käthe holen zu lassen, die auch bald erschien und
-von der Majorin aufs zärtlichste begrüßt wurde.
-
-»Mein liebes Käthchen -- nein, wie reizend steht Ihnen die neue Frisur!
-Wie haben Sie sich bei Ihrer Freundin amüsirt? Ich bitte eben bei
-Mamachen vor, ob Sie uns heute Abend nicht besuchen wollen -- ich habe
-eine kleine Ueberraschung _in petto_! Nicht wahr, Sie kommen doch? Ich
-schrieb noch neulich an meinen Sohn: »eine Gesellschaft ohne Käthchen
-ist mir gar nicht denkbar -- sie ist so belebend!«
-
-Käthe, die bis zu diesem letzten Satz sehr freundlich ausgesehen
-hatte, machte eine ungeduldige Bewegung und zog die Hand fort.
-
-»Nun muß ich aber gehen, liebe Frau Doktorin,« sagte die Majorin
-eilfertig, »also Ihre Anna bringt nachher alles mit herauf, nicht wahr?«
-
-Damit ging sie, und die Doktorin blieb mit Käthe allein. Sie legte
-ihrer Tochter die Hände auf die Schultern und sah ihr forschend ins
-Gesicht. »Käthe, warum bist du nur wieder so unfreundlich gegen die
-gute Majorin?«
-
-»Weil sie mich nicht mit ihrem langweiligen Sohn in Frieden läßt!«
-erwiderte Käthe unartig.
-
-Die Doktorin schüttelte den Kopf.
-
-»So laß sie doch -- für die Pläne der Mutter kann der Sohn nichts --
-und außerdem -- Käthe, wäre es denn nicht sehr hübsch, wenn etwas
-daraus würde? Eine andere Neigung hast du nicht« --
-
-Käthe mußte wohl an der Tischdecke gezupft haben, denn der
-Schlüsselkorb fiel zur Erde, und sie mußte die Schlüssel aufheben, wozu
-sie eine ganze Weile brauchte und sehr roth wieder zum Vorschein kam --
-vom Bücken jedenfalls!
-
-»Und der junge Scharff soll ein vortrefflicher, höchst gescheidter Mann
-sein,« fuhr die Mutter fort, »thu mir wenigstens den Gefallen, dich
-nicht von vornherein gegen ihn einzunehmen! Seine Briefe haben dir ja
-immer so gut gefallen!«
-
-Käthe schwieg hartnäckig.
-
-»Da klingelt es,« unterbrach sich die Mutter, »hier, Käthe, ich habe
-mir alles notirt, was die Majorin sich zu heute Abend leihen will --
-gieb es einmal heraus!«
-
-Käthe nahm mit einem ironischen »weiter nichts?« das Verzeichniß
-in Empfang, und ging hinaus, eben, als der Vater zur andern Thür
-hereintrat.
-
-»Er kommt wieder nicht!« sagte er resignirt, »ich werde jetzt ausgehen!
-Hausbesitzer sein ist ein Vergnügen.«
-
-»Ja, ja, er kommt,« beschwichtigte seine Frau, »eben klingelt es -- da
-ist er schon!«
-
-Richtig -- so verhielt es sich! Herr Baron von Rabeneck erschien mit
-einer tadellosen Verbeugung auf der Schwelle. Er war ein mittelgroßer,
-schlanker Mann, mit sehr vorsichtig frisirtem, dunkelblondem Scheitel,
-mit kurzsichtigen Augen, die er stets etwas einkniff, mit einem
-parfümirten Taschentuch, und einem kornblumenblauen Schlips.
-
-»Ganz ergebensten guten Tag, meine Herrschaften,« sagte er eintretend,
-»Sie sind beim Kaffee? lassen Sie sich nicht stören! Trinken Sie immer
-hier Kaffee?«
-
-»Ja,« sagte der Hausherr etwas kurz. Seine Frau, der die Fragepassion
-des Barons, und die kurze Geduld ihres Mannes schon bekannt war, wollte
-mit einer Gegenfrage dazwischen kommen, aber der Baron ließ sich nicht
-so leicht beirren. »Ich trinke auch Kaffee,« fuhr er fort, »sehr
-gesundes Getränk? Was? Trinken Sie auch Kaffee, Frau Doktorin?«
-
-»Ja,« sagte der Doktor gereizt, »meine Frau trinkt Kaffee -- meine
-Tochter auch, meine ganze Familie trinkt Kaffee!«
-
-Die Hausfrau mischte sich ins Gespräch. »Sie wollten unser leeres
-Quartier sehen, Herr Baron?«
-
-»Ja,« erwiderte der Neuangekommene behaglich, »ich sah heute bei meinem
-Morgenspaziergang, den ich immer durch diese Straße mache -- hübsche
-Straße, was? -- daß hier ein Miethszettel hängt -- wollte doch mal
-nachfragen. Erster Stock, was?«
-
-»Nein -- zweiter Stock -- vier Zimmer mit Balkon,« gab der Doktor
-zurück.
-
-»Oh -- charmant -- vier Zimmer? Balkon? Ganz mein Fall! Alles
-Vorderzimmer? Küche? Gesund? Hoch? Still?«
-
-»Wie wäre es,« schlug die Hausfrau vor, »wenn Sie mit mir einmal
-hinaufgingen, Herr Baron, und die Wohnung selbst in Augenschein nähmen?
-Ich hole mir nur ein Tuch, und bin gleich wieder da!«
-
-»Bitte, bitte,« erwiderte der Baron verbindlich, und ging Käthe
-entgegen, die eben wieder hereintrat, und am Fenster mit einer Arbeit
-Platz nahm.
-
-Sie lud den Gast durch eine schweigende Handbewegung ein, sich auch
-niederzulassen. Käthe war sehr wortkarg, wenn ihr jemand nicht gefiel.
-
-Der Baron in seiner Frageseligkeit empfand die Pause schmerzlich, und
-wandte sich an das junge Mädchen.
-
-»Sie sticken, mein Fräulein? Weiß?«
-
-Käthe hielt ihm ihre Arbeit hin.
-
-»Ja, Herr Baron! Interessiren Sie sich für dergleichen?«
-
-Der Baron hustete zierlich.
-
-»Ich interessire mich für alles, mein Fräulein! Schon meine selige
-Mama sagte immer: Chlodwig, du interessirst dich für alles! Ich heiße
-nämlich Chlodwig! Hübscher Name, was? Der fünfte Chlodwig in unserer
-Familie -- mein Papa hieß auch Chlodwig! Wie heißt Ihr Papa?«
-
-»Friedrich,« erwiderte Käthe, die mit Mühe ein Lächeln unterdrückte.
-
-»Friedrich -- so so -- und Ihre Frau Mama?«
-
-»Fragen Sie sie selbst,« sagte der Doktor ungeduldig, »da kommt sie.«
-
-Als die Hausfrau mit dem Baron verschwunden war, sagte der Doktor zu
-Käthe: »wenn =dieser= Fragekasten die Wohnung miethet, zünde ich das
-Haus an allen vier Ecken an. Der fragt einen todt.«
-
-Käthe lachte. »Laß ihn, Papa! Du brauchst ja nicht mit ihm umzugehen.
-Vielleicht spielt er Whist, da kann er sich mit Scharffs befreunden,
-die er ohnehin schon kennt. Weißt du denn, daß sie heute eine
-Gesellschaft geben?«
-
-»So?« brummte der Doktor, »was haben sie sich denn schon geborgt?«
-
-»Vorläufig unsere Teller, unsere Lampen, unsere Köchin und unsere
-Familie,« erwiderte Käthe spöttisch, »wir werden uns also wohl recht
-heimisch fühlen.« --
-
-Der Baron und die Doktorin kamen nach geraumer Zeit wieder, und der
-erstere war entzückt von dem Quartier.
-
-»Wenn es Ihnen recht ist, Herr Doktor,« sagte er, »so können wir gleich
-Kontrakt machen -- liebe schnelle Entschlüsse -- Sie auch, -- was?«
-
-»Gewiß!« sagte der Doktor höflich -- die Aussicht, einen Miether zu
-bekommen, goß Öl auf die Wogen seines Zornes. Die beiden Herren nahmen
-an einem Seitentischchen Platz, um über den Kontrakt einig zu werden.
-
-Kaum hatte der Doktor den ersten Paragraphen vorgelesen, als die Thüre
-aufging und eine Dame erschien. Sie war nicht mehr ganz jung, aber auch
-durchaus nicht alt -- so hübsch in der Mitte. =Ganz= jung waren ihre
-Toilette, ihre Haartracht und ihr Wesen! sie flog wie eine Elfe ins
-Zimmer und umarmte Käthe mit kindlichem Ungestüm.
-
-Das war Fräulein Leontine von Faldern, die mit ihrer Großmama, der
-verwittweten Generalin, die Hälfte des zweiten Stockes im Hause
-bewohnte. Der Baron hatte sie kaum erblickt, als er aufstand und auf
-sie zutrat.
-
-Der Doktor, im Ausfertigen seines Miethskontraktes unterbrochen,
-kreuzte die Arme, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sagte düster:
-»nett!«
-
-»Mein gnädiges Fräulein,« begann der Baron, »ich bin entzückt, Sie zu
-begrüßen! Wie ist Ihnen die Stumme von Portici bekommen?«
-
-»O ausgezeichnet!« erwiderte Leontine, »es war eine allerliebste
-Aufführung! Ich war mit Schraffenaus da -- Will ist jetzt bei ihnen
-zum Besuch -- Sie wissen ja -- Will Schraffenau, der bei den zweiten
-Kürassieren stand! Will kann zu amüsant sein, nicht?«
-
-»O ja, meine Gnädigste,« erwiderte der Baron, »aber nichts gegen Lu!
-Sie erinnern sich doch? Lu Schraffenau, der die zweite Sandrowsky --
-Peppi Sandrowsky -- zur Frau hat? Sie kennen sie doch? Graziös, was?«
-
-»Na!« brummte der Doktor vor sich hin, »bis die beiden jetzt den
-Grafenkalender durchgearbeitet haben, kann mein Miethskontrakt schwarz
-werden!«
-
-»Denken Sie nur, meine Gnädigste, ich bin im Begriff, Ihr Hausgenosse
-zu werden! Charmant, was?«
-
-»Ach, wie reizend! Das muß ich Großmama erzählen!« rief Leontine
-entzückt.
-
-»Ja, dann lassen Sie aber den Herrn Baron erst hier zu Ende kommen,«
-sagte der Doktor, und schob sein Tischchen in die andere Ecke des
-Zimmers -- dort konnte er hoffen, ungestört zu bleiben, »bitte, Herr
-Baron! -- der Miether verpflichtet sich« --
-
-Während die beiden sich wieder in den Kontrakt vertieften, plauderten
-die Mädchen in der Fensternische.
-
-»Käthchen, ich komme nur, um Sie etwas zu fragen -- ist heute großer
-Zauber bei Scharffs? Ich dachte schon, der Sohn wäre gekommen, den ich
-von früher her kenne -- wissen Sie, er war Adjutant bei meinem Vetter
-Storrwitz, und meine Cousine neckte mich immer entsetzlich mit ihm --
-ist er gekommen?«
-
-»Nein, er wird erst erwartet,« erwiderte Käthe, »ich weiß auch nicht,
-warum sie heut plötzlich eine Fête geben.«
-
-»Nun ja -- aber die Frage ist, =was= zieht man an? Rabeneck ist auch
-da, ich habe die Scharff gefragt.«
-
-Die Beiden erörterten die Toilettenfrage und Leontine hüpfte endlich ab.
-
-Inzwischen wurde es so dunkel, daß der Doktor zu seinem Miethskontrakte
-nach der Lampe rief. Das Mädchen erschien, brachte aber nur einen
-Armleuchter mit einem Licht.
-
-»Die Lampe!« donnerte der Hausherr.
-
-»Verzeihen Sie, Herr Doktor -- unsere Lampen sind alle oben beim Herrn
-Major -- die Kinder arbeiten auch bei Licht.«
-
-»Darauf machen Sie sich gefaßt,« sagte der Doktor, kochend vor Wuth,
-»wenn Sie hier ins Haus ziehen, wird Ihnen von Majors alles abgeborgt,
-was Sie haben und nicht haben!«
-
-»Aber Papa!« rief Käthe vorwurfsvoll und verlegen.
-
-»Ich bitte Sie,« rief der Baron ängstlich, »das ist ja sehr unangenehm!
-Alles verborgen? Muß man das?«
-
-»Das frage ich mich schon seit zwei Jahren!« grollte der Doktor, »denn
-so lange wohnen sie hier, und =was= sie sich alles borgen, spottet
-jeder Beschreibung. Ich wollte nur, sie ließen einmal auf einen halben
-Tag um =mich= bitten, da wollte ich es ihnen schon abgewöhnen! Aber
-weiter: »die Wäsche muß in dem dazu bestimmten Waschhaus« --
-
-»Eine Empfehlung von der Frau Majorin, und ob sie die silbernen
-Armleuchter bekommen kann?« sagte das Dienstmädchen und griff bereits
-nach dem fraglichen Gegenstand.
-
-»Sie sind wohl verrückt!« schrie der Hausherr in verzeihlichem Ingrimm,
-»sollen wir hier im Dunkeln sitzen?«
-
-»Mein Gott, ist es denn schon so spät!« sagte der Baron, und sah nach
-der Uhr, »wahrhaftig -- halb sieben! Pardon, Herr Doktor, aber ich
-muß an meine Toilette gehen -- wir sehen uns ja wohl heute Abend beim
-Herrn Major? Ich komme dann morgen in aller Frühe, und wir beenden das
-Miethsgeschäft, was? Wann stehen Sie auf? Um sieben? Acht? Neun?«
-
-Der gänzlich resignirte Doktor pfiff statt aller Antwort einen Walzer
--- das Symptom des letzten Verzweiflungsstadiums, als er seinen Gast
-zur Thür geleitete.
-
-»Nun borgen sie sich auch schon die Miether!« sagte er vor sich hin,
-als er hinausging.
-
-Käthe blieb allein. Die Dunkelheit, die sanft und leise zum Fenster
-hinein schlich, kam ihr eben recht. Sie dachte so still vor sich hin
--- die Phantasie ist ein Nachtfalter, der seine Schwingen am liebsten
-in der Dämmerstunde ausbreitet. Warum war ihr noch nie so bange vor
-der Zukunft gewesen als heut -- warum noch nie der Gedanke an die
-von den Ihrigen so sehnlichst gewünschte Heirath mit dem Hauptmann
-Scharff so schrecklich erschienen? Ach, die Träume von den kommenden
-Tagen hatten seit ihrer Reise eine bestimmte Gestalt angenommen -- zum
-ersten Mal! Käthes Herz war bisher ein unbeschriebenes Blatt -- noch
-nie hatte eine Begegnung ihre Einbildungskraft, viel weniger ihr Gefühl
-zu erregen vermocht -- aber es war ihr auch noch nie jemand mit so
-liebenswürdiger Ironie, mit so gutmüthig überlegenem Ernst entgegen
-getreten, als der Fremde, dem sie sich doch wie ein unartiges Kind
-gezeigt! Sein festes, kluges Gesicht mit dem humoristischen Lächeln,
-seine tiefe, freundliche Stimme gaben ihr das Gefühl einer Sicherheit
-und Zuversicht, wie sie es nie zuvor gekannt hatte. Doch was half
-das alles! sie kannte seinen Namen nicht -- er nicht den ihren --
-sie würden sich wahrscheinlich nie wiedersehen! Und mit einem tiefen
-Seufzer stand sie auf, und ging in ihr Zimmer, um sich anzukleiden.
-
- * * * * *
-
-Inzwischen herrschte bei der Majorsfamilie schon einige Aufregung.
-Die Frau des Hauses wanderte in den menschenleeren Räumen umher, die
-bereits im festlichen Lichterglanz erstrahlten, rückte hier und da
-an den Stühlen und stand dann wieder überlegend still, ob noch etwas
-fehlte, wonach man zu Doktors schicken könnte.
-
-Da öffnete sich die Thür und ein großer, blonder Mann trat ins Zimmer.
-
-Die Majorin wandte sich um.
-
-»Nun, Mamachen,« sagte der Eintretende freundlich, »du hast noch zu
-thun? Ich hoffte eben auf eine gemüthliche halbe Stunde mit dir, ehe
-die Gäste kommen.«
-
-»Ich bin fertig«, sagte die Mutter, und trat vor den Stuhl, in den sich
-ihr Sohn niederließ. Sie legte ihm die Hände auf beide Schultern und
-sah ihm zärtlich ins Gesicht.
-
-»Mein alter Junge -- wie du wieder verbrannt bist!«
-
-»Im Winter, Mama? Nein, das ist wohl meine natürliche Farbe, du mußt
-dich schon daran gewöhnen.«
-
-»Und du warst ein so weißes Kind!« sagte die Mutter lächelnd. »Jetzt
-sage mir aber einmal, Kurt -- ist es dir eigentlich recht, daß ich heut
-Abend unsere Hausgenossen eingeladen habe? Du machtest mir bei der
-Ankündigung ein so besonderes Gesicht.«
-
-»Nun, offen gesagt, wäre ich eben so gern mit Euch allein gewesen,
-Mutterchen -- aber wir sind ja, so Gott will, noch viele Abende
-zusammen. Wer kommt denn heut?«
-
-»Also,« begann die Majorin, »da ist erstens die Generalin Faldern mit
-ihrer Enkeltochter Leontine --«
-
-»Was?« unterbrach der Hauptmann lebhaft, »Tine Faldern ist hier?«
-
-»Kennst du sie?«
-
-»Wie sollte ich nicht! -- Als ich bei Storrwitz Adjutant war, hielt sie
-sich ja einen ganzen Winter dort auf! Sie hieß damals immer die Tochter
-des Regiments, weil sie so genau in der Rangliste Bescheid wußte.
-Uebrigens ein hübsches, amüsantes Mädchen -- es ist mir ganz lieb, sie
-einmal zu treffen, wir haben eine Menge gemeinsamer Beziehungen.«
-
-Die Majorin sah etwas mißvergnügt aus, sagte aber nichts.
-
-»Dann,« fuhr sie fort, »von Hausgenossen heißt das, kommt noch unser
-Wirth -- der Doktor Lang mit Frau und Tochter --«
-
-»Ach -- die berühmte Käthe! Ich kenne dich, Mama! Hätte ich mir's
-nicht denken können, daß du wieder einen Heirathsplan wie einen Lasso
-bereit hältst, um ihn mir Unglücklichen über den Kopf zu werfen? Aber
-gieb dir keine Mühe, Mama -- es wird nichts!«
-
-»Sei doch nicht so absprechend,« bat die Mutter, »du hast Käthe noch
-gar nicht gesehen -- ich sage dir, sie ist allerliebst! Hübsch, sehr
-gut erzogen und sehr gescheidt -- sie würde ausgezeichnet für dich
-passen!«
-
-»Kann sein, Mama! aber ich will dir etwas sagen -- ich werde wohl
-überhaupt nicht heirathen. Sieh,« fuhr er lebhaft fort, als die Mutter
-eine Bewegung des Unmuths machte, »ich bin -- nenne es phantastisch,
-unpraktisch, kurz, was du willst -- aber ich bin entschlossen, mich
-nur zu binden, wenn ich ein Mädchen finde, von der ich sage: 'Die oder
-keine!' Und solche Dinge kommen vor! -- Ich sage dir, sie kommen vor!
-Lache mich nicht aus, Mutter -- aber ich habe ein Mädchen gesehen, das
-mir gefällt, und wenn ich =die= wiedersehe, und sie will mich -- dann
-sollst du am längsten auf eine Schwiegertochter gewartet haben. Frage
-mich aber nicht weiter -- ich bin auf der Suche -- das laß dir genug
-sein. Und verschone mich mit deiner Käthe -- ich mag sie nicht!«
-
-»Guten Abend, Frau Majorin,« sagte in diesem Augenblick die Generalin
-Faldern, die in taubengrauer Seide ins Zimmer rauschte, von der
-rosafarbenen Leontine gefolgt. »Sie waren so freundlich, uns zu
-erlauben -- ah, das ist wohl Ihr Herr Sohn?«
-
-»Ja, er ist gestern angekommen,« sagte die glückstrahlende Mutter, ihn
-den Damen vorstellend, »er hat mich überrascht! Es ist doch einzig von
-ihm; aber er war von jeher ein so guter Junge!«
-
-Wenn diese öffentliche Liebeserklärung dem Hauptmann peinlich war, so
-ließ er es durch keine Miene merken -- er lächelte sehr freundlich und
-wandte sich an Fräulein Leontine, die ihm als altem Bekannten vergnügt
-die Hand hinstreckte.
-
-»Herr Hauptmann -- das ist aber eine Ueberraschung, die Ihrer Frau
-Mutter vollständig gelungen ist! Allerliebst, das muß wahr sein! Und
-nun erzählen Sie mir von W.... -- was machen die dritten Husaren? Und
-wo stehen jetzt die Vierundzwanziger? Hat Trotha wirklich einen so
-großen Pas gemacht, und muß Schulten den Abschied nehmen? Ach, es waren
-doch schöne Zeiten?«
-
-»Ihre Theilnahme für meine Kameraden rührt mich aufs tiefste, mein
-gnädigstes Fräulein,« erwiderte der Hauptmann ernsthaft, »ich kann
-Sie versichern, daß die dritten Husaren sich sehr wohl befinden, und
-daß die Vierundzwanziger sich ohne Ausnahme Ihnen durch mich zu Füßen
-gelegt hätten, wenn sie hätten ahnen können, daß ich so glücklich sein
-würde, Sie zu sehen.«
-
-»Ach, Sie spotten wieder,« schmollte Leontine, »aber ohne Scherz --
-erzählen Sie mir ein bischen! Hat mein Vetter Storrwitz sich ein neues
-Pferd gekauft? Der Braune von damals war doch ein süßes Thier -- er ist
-mir noch manchmal im Traume erschienen!«
-
-»Glücklicher Brauner!« sagte der Hauptmann -- und begann nun wirklich
-zu erzählen. Leontine hörte fächerschlagend zu, und die Unterhaltung
-war so lebhaft, daß der eintretende Gastgeber kaum seine Begrüßung
-dazwischenschieben konnte. Er sah mit seinem Orden im Knopfloch und
-mit seinem grauen Haar wirklich ganz stattlich aus und machte ganz
-zeitgemäße Konversation mit der Generalin -- freilich sagte er meist
-nur: »nun eben!« eine Wendung, die er vorzugsweise gern anwendete, und
-mit der man merkwürdig weit kommt, wenn man sich erst einmal darauf
-eingerichtet hat.
-
-Inzwischen fanden sich die Gäste nach und nach ein -- schon klingelte
-es wieder.
-
-»Das sind gewiß Langs,« rief Leontine, »ich muß Käthe entgegengehen,«
-und damit flog sie hinaus.
-
-Der Hauptmann sah ihr etwas verwundert nach, und wandte sich dann, um
-den Baron Rabeneck zu begrüßen, der eben erschien.
-
-»Entzückt -- entzückt, Herr Hauptmann, Sie kennen zu lernen,« begann
-der Baron schmelzend, »Sie stehen bei einem B.'schen Regiment?«
-
-»Ja wohl, Herr Baron -- schon seit zwei Jahren,« erwiderte der
-Hauptmann.
-
-»Und vorher?«
-
-»Bei den --schen Husaren!«
-
-»Kamen Sie dort gleich aus dem Corps hin? Wo stehen die Husaren?«
-
-»In W....« sagte der Hauptmann etwas verwundert.
-
-»Ist das eine hübsche Stadt? Ja? Ich war auch Offizier -- bei den
---ten Dragonern -- reizende Uniform, was?«
-
-»Allerliebst!« sagte der Angeredete, über dessen Gesicht ein immer
-vergnügteres Lächeln flog. »Sie sind pensionirt, Herr Baron?«
-
-»Ja -- ich sehe Ihnen wohl noch zu jung aus -- was?«
-
-Während der Hauptmann in diesem Kreuz- und Querfeuer von Fragen stand,
-in dem ihm nach und nach heißer wurde als im Kugelregen, hatte Leontine
-auf dem Flur die Langsche Familie in Empfang genommen und Käthe sofort
-zugeflüstert: »der Sohn ist da!«
-
-Käthe zog die Augenbrauen zusammen: »Wie albern -- warum hat uns die
-Majorin das nicht gesagt?«
-
-»Sie wollte Sie wohl überraschen,« fuhr Leontine eifrig fort, »aber
-Käthe, Sie brauchen kein so verzweifeltes Gesicht zu machen -- er
-scheint kein Spießgeselle bei der Verschwörung seiner und Ihrer Mutter
-zu sein -- eben als wir kamen, sagte er vernehmlich zur Majorin,
-»verschone mich mit deiner Käthe -- die Art Mädchen ist nichts für
-mich!«
-
-Das hatte zwar der Hauptmann nicht gesagt -- aber darauf kam es
-Leontine nicht an. Käthe, ohne sich klar zu werden, daß diese Äußerung
-schon dadurch sehr unwahrscheinlich wurde, daß der Hauptmann sie nie
-gesehen hatte, richtete sich hoch auf -- das stolze, jugendliche Blut
-schoß ihr bis in die Stirn -- »nun, dann stimmen ja unsere Ansichten
-über einander auf ein Haar« -- sagte sie -- warf den kleinen Mund
-verächtlich auf, und folgte ihren Eltern in den Saal. Käthe sah
-heute Abend sehr hübsch aus. Ein einfaches, weißes Kleid ließ ihre
-jugendliche Gestalt zum Vortheil erscheinen, und ein Strauß von
-Fräulein Sabines rothen Nelken hing an ihrem Gürtel.
-
-Die Majorin eilte den Hausgenossen entgegen und begrüßte sie aufs
-lebhafteste.
-
-»Guten Abend, Herr Doktor -- nein, das ist reizend, daß Sie gekommen
-sind, Frau Doktorin -- und hier ist auch meine kleine Ueberraschung --
-sie ist freilich ein wenig groß ausgefallen -- mein Sohn!«
-
-Käthe blickte auf -- und plötzlich drehte es sich vor ihren Augen wie
-ein feuriges Rad. Der große, blonde Mann, der sich eben mit einem
-ernsten, wiedererkennenden Lächeln vor ihr verbeugte, war ja ihr
-Reisegefährte -- so mußte es enden! Er hatte sie also erkannt -- er
-hatte auf der Tour hierher sondiren wollen, wie die Käthe sei, von
-der seine Mutter ihm wohl schon eben so oft erzählt hatte, wie dieser
-selben Käthe von ihm -- und was war das Resultat seiner Beobachtungen?
--- »Verschone mich mit deiner Käthe -- ich mag sie nicht!«
-
-Alles dieses dachte sie blitzschnell in einem einzigen Augenblicke, und
-ehe der Hauptmann Zeit gehabt hatte, ein Wort an sie zu richten, neigte
-sie den Kopf ein ganz klein wenig, und wandte sich ab. »Guten Abend,
-Herr Baron,« sagte sie mit fieberhafter Lebendigkeit, »also Sie sind
-doch noch rechtzeitig mit Ihrer Toilette fertig geworden? das freut
-mich.«
-
-Der Baron eröffnete sofort ein Kreuzfeuer von Fragen über die rothen
-Nelken, und daran anknüpfend über Fräulein Sabine -- Käthe war
-gerettet. Denn der Hauptmann, der ihr finsteres Gesicht wohl mußte
-verstanden haben, trat ruhig zurück und sprach weiter mit Leontinen,
-die noch das _curriculum vitae_ eines Pferdes von ihm verlangte,
-das er einst besessen hatte, und dessen weitere Schicksale sie mit
-leidenschaftlicher Aufmerksamkeit durch sechs Regimenter verfolgte.
-
-Die älteren Herrschaften gruppirten sich indeß um den runden Sofatisch,
-es war noch eine Familie hinzugekommen, die eines Regierungsraths a.
-D. -- in unserem Städtchen waren die meisten Leute a. D. -- vielleicht
-den Bäcker und den Fleischer ausgenommen -- und der letzte Gast war ein
-Justizrath, der noch von Zeit zu Zeit verfehlte Versuche machte, eine
-Frau zu bekommen, und nach jedem Versuch sich auf ein Jahr wieder von
-der Gesellschaft zurückzog, so daß er durchschnittlich nur den dritten
-Winter in der Welt glänzte.
-
-Die Generalin, deren Enkeltochter in beständigem _tête-à-tête_ mit dem
-hoffnungsvollen Hauptmann war, stieg von ihrer unnahbaren Höhe herab
-und war ganz liebenswürdig -- gewöhnlich sprach sie kein Wort. »Wie das
-junge Völkchen heiter ist!« bemerkte sie zum fünftenmal, als sie ihre
-Lorgnette von den Augen ließ.
-
-Die Majorin nickte etwas bittersüß -- Käthe saß mit dem Justizrath
-und dem Baron zusammen, sie war blaß und ziemlich schweigsam, und der
-Hauptmann machte auch nicht den leisesten Versuch, sich ihr zu nähern.
-
-Die Doktorin hatte im Stillen auch schon ihre Beobachtungen angestellt
-und sich geärgert -- aber erstens konnte ihre Käthe ja nicht die
-Initiative ergreifen, und sodann mußte sie bei der Lage der Dinge doch
-thun, als ob ihr gar nichts an einer Annäherung der beiden läge. So
-that sie denn sehr unbefangen, und wenn die Majorin sie verstohlen am
-Kleide zupfte und betrübte Seitenblicke nach der Gruppe der jungen
-Leute warf, dann lächelte sie so harmlos, als freue sie sich mit der
-Generalin, daß »das junge Völkchen so heiter sei.« Ihr Mann umschlich
-die Plaudernden wie ein beutelustiger Tiger -- immer den Baron im
-Auge, der ja sein präsumtiver Miether war. Durch die unerhörtesten
-Anstrengungen gelang es ihm auch wirklich, die Aufmerksamkeit des
-Betreffenden zu erregen -- der Baron wandte sich um.
-
-»Spielen Sie Whist, Herr Doktor?«
-
-»Sehr gern!« erwiderte der Angeredete eifrig -- erstens langweilte er
-sich, und dann wollte er den Baron wegen der Wohnung ausforschen.
-
-»Nettes Spiel -- was? Ich spiele leider nicht -- kein Kartenspiel --
-fehlt mir jedes Talent dafür. Sonst habe ich viel Talente -- meine
-selige Mama sagte schon immer »Chlodwig, du bist sehr talentvoll« --
-aber Karten« --
-
-»Dummkopf,« murmelte der Doktor in sich hinein.
-
-In diesem Augenblick klopfte ihm der Major auf die Schulter, »machen
-wir heute keine Partie?«
-
-Der Doktor war bereit, der Justizrath, der inzwischen schon im Stillen
-überlegt hatte, ob er vielleicht um Leontine anhalten sollte -- sie
-war ziemlich die einzige in der Stadt, bei der er sein Heil noch nicht
-versucht hatte, wurde als Dritter zum Whist angeworben, und die drei
-Herren setzten sich an den Spieltisch, der in dem Zimmer aufgestellt
-war, wo die Jugend saß.
-
-Bei dieser -- der Jugend -- herrschten indeß die verschiedensten
-Empfindungen. Käthe, die dem Baron zum Opfer gefallen war, antwortete
-auf seine zahllosen Fragen immer aufs Gerathewohl mit »ja« und »nein«
--- nur wenn die Augen des Hauptmanns zu ihr hinüber flogen, nahm sie
-einen Schein von Lebhaftigkeit an und wurde gesprächiger.
-
-Leontine, an der anderen Seite des Tisches, ließ alle Minen springen.
-Sie erinnerte sich an jeden einzelnen Ball aus der Saison, die sie mit
-dem Hauptmann erlebt hatte, mit überraschender Genauigkeit, und »wissen
-Sie noch?« war immer der Refrain jedes dritten Satzes.
-
-Der Hauptmann wußte aber gar nichts -- er wurde immer zerstreuter, und
-als Leontine ihn nach einem Rittmeister zu fragen begann, der seiner
-Zeit zu den Husaren kommandirt war, bot sich ihm ein Ausweg.
-
-»Herr Baron,« rief er hinüber, »stand Straten nicht bei den --ten
-Dragonern? den müssen Sie ja gekannt haben! Fräulein von Faldern
-erkundigt sich nach ihm!«
-
-»Straten? versteht sich!« erwiderte der Baron aufstehend, »sehr gut
-gekannt, haben zwei Jahr bei einer Schwadron gestanden -- netter
-Mensch, was?«
-
-»Jawohl!« erwiderte der Hauptmann, ebenfalls aufstehend, »hier --
-erzählen Sie einmal von ihm -- _changeons_!« Und damit überließ er
-seinen Platz neben Leontinen dem Baron und begann, sich Käthe zu nähern.
-
-Kaum hatte Käthe seine Absicht bemerkt, als sie sich erhob, und an den
-nächsten, mit Albums bedeckten Tisch tretend, sich in die Besichtigung
-derselben vertiefte.
-
-Der Hauptmann folgte ihr und ergriff ebenfalls ein Buch.
-
-»Das kann ich auch,« bemerkte er halblaut.
-
-Käthe schien mit Blindheit und Taubheit geschlagen.
-
-»Was habe ich denn hier?« fuhr der Hauptmann gemüthlich fort, und
-blätterte in dem Buch, »ah -- Gedichte -- eine ganze Sammlung -- darf
-ich Ihnen etwas vorlesen?«
-
-»Ich danke,« erwiderte Käthe kurz, »ich sehe mir Bilder an!«
-
-»Schön,« erwiderte ihr Gegner ernsthaft, »dann werde ich mir selbst
-vorlesen -- ich liebe die Lyrik ungemein -- ah hier -- das ruft mir
-ein Erlebniß zurück, »das Dampfroß schnaubt entlang der Halde« -- sehr
-nett! Wer weiß, was wir noch von dem Dampfroß zu hören bekommen --
-sollte das nicht in Station Siegersdorff halten? Ich muß mich einmal
-überzeugen!«
-
-»Ich will das Gedicht nicht hören!« sagte Käthe.
-
-»Ich bitte sehr, mein gnädiges Fräulein -- ich lese =mir= vor! --« Er
-blätterte weiter.
-
-»Hier -- ein anderes! »Als ich zum erstenmal dich sah, verstummten
-meine Worte.« Stimmt! Also ist es schon mehr Leuten so gegangen. Der
-hat am Ende auch mit dem Dampfroß zu thun gehabt!«
-
-Käthe, die sich inzwischen gesetzt hatte, stützte den Kopf in die Hand
-und las, als sollte sie zu morgen eine Aufgabe lernen.
-
-»Hier ist ja noch ein sehr schönes Gedicht,« sagte der Hauptmann,
-»immer schmollen, immer grollen, für ein' Ros' wär's zu viel Dorn! Und
-nun lassen Sie uns zur Prosa übergehen,« fuhr er plötzlich ernsthaft
-fort und nahm neben Käthe Platz, »bitte, sehen Sie ruhig weiter in Ihr
-Buch -- ich werde ein gleiches thun -- und nun,« er senkte die Stimme
---, »warum sind Sie eigentlich böse auf mich?«
-
-»Woraus schließen Sie, daß ich böse bin?« fragte Käthe etwas unsicher.
-
-»Nun, mein gnädiges Fräulein, wenn =das= bei Ihnen =gut= heißt, dann
-möchte ich Sie allerdings einmal sehen, wenn Sie böse sind! Ich bin
-zwar nicht an übertrieben freundliche Behandlung von Ihnen gewöhnt --
-denken Sie nur an Station --«
-
-»Lassen Sie doch endlich die alte Geschichte ruhen!« rief Käthe und
-erröthete tief.
-
-»Sie ist noch gar nicht alt, noch nicht sechsunddreißig Stunden --
-aber ich will sie begraben -- klaftertief -- wenn Sie mir Rede und
-Antwort stehen. Wollen Sie das? Sonst wird die Geschichte, die =alte=
-Geschichte, wie Sie sie ungerechter Weise nennen, als Gespenst solange
-vor Ihnen auftauchen --«
-
-»Hören Sie auf,« unterbrach ihn Käthe, wider Willen lachend, »was soll
-ich denn antworten?«
-
-»Das will ich Ihnen gleich sagen -- also, =was= habe ich Ihnen zu Leide
-gethan?«
-
-»Ist hier bei diesen Bildern eine Ansicht von der Grafschaft T...?«
-fragte in diesem Augenblick der Baron, sich dem Tisch nähernd, »ich
-wollte Fräulein von Faldern einen Begriff von der Gegend geben, wo mein
-Gut liegt. Sie kennen die Grafschaft? Hübsche Gegend, was?«
-
-»Reizend!« sagte der Hauptmann, und nahm einen dicken Band
-Landschaftsbilder vom Tisch, »hier, Herr Baron, in diesem Buche ist ein
-sehr hübscher Stich, der gerade die Gegend vorstellt, die Sie zu sehen
-wünschen. Wollen Sie sich überzeugen?«
-
-Der Baron ging mit dem Buche ab.
-
-»Natürlich wird er die Grafschaft nie finden,« bemerkte Hauptmann
-Scharff, »ich habe ihm einen Band Ansichten von Spanien gegeben, da mag
-er suchen! Doch zurück zu unserem Gespräch -- was habe ich Ihnen zu
-Leide gethan? Warum sind Sie böse?«
-
-Käthe nahm sich gewaltig zusammen, und begann sehr tapfer: »Ich bin
-böse, weil -- nun ja, weil ich es sehr häßlich finde, daß Sie mich
-unterwegs ausforschen und kennen lernen, und mir nicht sagen, wer Sie
-sind.«
-
-Die Majorin hatte indessen durch die geöffnete Thür schon ein paar sehr
-befriedigte Blicke nach dem Paar gethan, und als sie sah, daß Leontine
-im Begriff stand, sich dem vielversprechenden Tische zu nähern, eilte
-sie wie ein Stoßvogel herbei.
-
-»Fräulein Leontine, singen Sie uns ein Lied? Wir sind ja immer ganz
-Ohr, wenn Sie am Flügel sitzen -- bitte, bitte!«
-
-»Ach ja, mein gnädiges Fräulein,« stimmte der Baron ein, »Sie singen?
-Bitte, tragen Sie uns etwas vor -- ein _Chanson_ -- eine Ballade, was?
-Ich liebe die Musik leidenschaftlich -- reizende Kunst, was?«
-
-Leontine willigte mit etwas gezwungenem Lächeln ein -- ob der Gedanke,
-daß ein Baron in der Hand sicherer sei, als ein Hauptmann auf dem Dache
-ihren Entschluß beeinflußte, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Sie
-verschwand, von dem Baron gefolgt, im Nebenzimmer, und bald klang ihre
-sehr hübsche Stimme wohlthuend durch die Räume.
-
-Der Hauptmann und Käthe blieben nun ungestört, denn die Herren am
-Spieltische waren ganz in ihre Karten vertieft, und der jeweilige
-Ruf: »zwei Trick -- _deux honneurs_« -- vermochte eine leise geführte
-Unterhaltung nicht zu beeinträchtigen. Als das Feld rein war, begann
-der Hauptmann von Neuem. »Ich verstehe Sie gar nicht, mein Fräulein!
-Ich hätte Sie ausgeforscht? Wo denn? Unterwegs?«
-
-Käthe nickte.
-
-»Aber Sie sind wirklich höchst ungerecht,« rief der Hauptmann
-ungeduldig, »woher sollte ich denn in der Eisenbahn wissen, daß Sie
-und die viel beschriebene Käthe ein und dieselbe sind? Nun sagen Sie
-einmal selbst, daß ich es nicht wissen konnte!«
-
-»Ja ja!« gab Käthe zögernd zu.
-
-»Nun gut -- also darin bin ich gerechtfertigt! Aber selbst, =wenn= ich
-Sie gekannt hätte -- ich gestehe Ihnen offen, daß ich auch dann noch
-kein Verbrechen begangen zu haben glaubte! -- es steckt wohl noch etwas
-Anderes dahinter! Nicht wahr?« drängte er, als sie schwieg und tief
-erröthend zu Boden blickte.
-
-»Aber in aller Welt, so geben Sie mir doch wenigstens die Möglichkeit,
-mich zu vertheidigen,« rief er fast heftig, »mein gnädiges Fräulein --
-Fräulein Käthe -- wir waren doch so gute Freunde unterwegs -- waren
-wir das nicht? Sehen Sie -- Sie nicken ja! nun seien Sie einmal recht
-vernünftig und sagen Sie mir, =was= ich Ihnen gethan habe!«
-
-»Was haben Sie denn zu Ihrer Mutter gesagt, ehe ich kam?« fragte Käthe
-trotzig und blickte auf.
-
-Er sah sie erst zweifelhaft an, dann lachte er -- aber etwas verlegen.
-»Ich kann mir denken, =wer= Sie instruirt hat! Soll ich Ihnen das
-Gespräch erzählen?« fragte er in sonderbar weichem Ton, und bückte
-sich, um ihr in die Augen zu sehen. »Ja oder nein?«
-
-»Ja!« sagte sie hastig und leise -- ihr Herz fing an, heftig zu klopfen.
-
-»Nun denn -- ich sagte meiner Mutter, daß ich nicht Lust hätte, hier
-irgend ein junges Mädchen kennen zu lernen, -- heiße sie Käthe oder
-sonst wie -- weil -- nein, sehen Sie mich einmal an, Fräulein Käthe
--- weil ich mich unterwegs in der Eisenbahn, wie ein Student verliebt
-hätte -- in eine Unbekannte, -- und wenn nun ein freundlicher, lieber,
-guter Zufall es so gefügt hat, daß diese Unbekannte diejenige ist,
-die meine Mutter -- Gott segne meine Mutter -- schon lange für mich
-ausgesucht hat --«
-
-Ein blendend heller Lichtstrahl fiel in die Stube, »es ist
-angerichtet,« rief der Lohndiener mit Stentorstimme.
-
-Der Flügel wurde zugeklappt, Stühle gerückt, die Whistspielenden warfen
-die Karten zusammen -- man ging zum Abendessen.
-
-Käthe war bei dem Eintreten des Lohndieners schnell wie der Blitz vom
-Sofa fort und zu den Herren am Spieltisch geeilt. Dafür hatte sie nun
-ihre Strafe! Der Justizrath reichte ihr den Arm, um sie zum Souper zu
-führen.
-
-Die Anordnung der Plätze bot noch einige Schwierigkeiten -- die Majorin
-hatte aus Versehen für zwei Personen zu wenig decken lassen, und diese
-beiden Uebriggebliebenen standen nun ziemlich verlegen hinter den
-besetzten Stühlen der anderen.
-
-Während noch schnell nach den fehlenden Tellern, Messern und Gabeln
-zu Doktors hinaufgeschickt wurde, kroch der Major unter allen Sofas
-und Schränken umher, um die Tischzettel zu suchen, deren einige ihm
-verloren gegangen waren. Bei der etwas genialen Hausordnung konnte
-es geschehen, daß er von seiner Entdeckungstour bestaubt, wie alter
-Ungarwein zurückkam, und nicht einmal fand, was er suchte.
-
-Der Hauptmann hatte es nicht mehr möglich machen können, sich Käthe
-zu nähern, die schon seit zehn Minuten wartend Arm in Arm mit dem
-Justizrath stand -- eine Situation, die zu den allerpeinlichsten
-gehört, und die die wenigsten Leute den Verstand haben, dadurch zu
-coupiren, daß sie die Dame bis zum geeigneten Moment loslassen.
-
-So fiel denn dem Hauptmann Leontine zu, an deren anderer Seite der
-Baron Platz nahm. Käthe saß schräg gegenüber; sie sprach kaum ein Wort
-und sah nicht in die Höhe, so sehr der Hauptmann sich bemühte, einen
-Blick von ihr aufzufangen.
-
-Leontine bemerkte sein Bestreben wohl -- sie gab ihn auf! Als
-kriegsgewandte, junge Dame änderte sie ihre Taktik sofort, und
-schwenkte blitzschnell zu dem Baron hinüber, der ihr von seinem Gut
-erzählte, und sie fragte, ob sie das Landleben liebe?
-
-Diese Anknüpfung war vielversprechend, und Leontine schmiedete das
-Eisen, so lange es heiß war. Von ihrem Soldatenenthusiasmus sprang sie
-zur Oekonomie über, schwärmte für Stallfütterung und Rieselwiesen, und
-that ganz ländlich.
-
-Im allgemeinen belebte eine zwanglose Heiterkeit den kleinen Kreis.
-Nur die Generalin machte eine Ausnahme, als sie bemerkte, daß der Sohn
-ihrer Gastgeber fahnenflüchtig wurde. Ihr seelenvolles Lächeln erfror
-in der schönsten Blüthe, sie war wieder ganz Würde, und der Major, der
-sie gebührender Weise zu Tisch geführt hatte, erntete für seine ohnehin
-nicht glänzenden Unterhaltungsversuche nur ein kühles »hm« oder »ja,
-ja!«
-
-Der Doktor war in bester Laune. Hatte nicht der Baron ihm soeben als
-»seinem liebenswürdigen Hauswirth« zugetrunken, und um die Erlaubniß
-gebeten, im Lauf des folgenden Vormittags Kontrakt zu machen. »Dann
-soll mir aber gewiß nichts dazwischen kommen,« gelobte sich der
-beglückte Vermiether innerlich, und riegelte schon im Geist alle Thüren
-in dem Verhandlungszimmer ab.
-
-Seine Frau war still und wich der Majorin scheu aus -- sie wußte nicht,
-was sie von dem veränderten Wesen ihrer Tochter denken sollte -- und
-ehe nicht feststand, daß der Hauptmann daran keine Schuld trug, mochte
-sie mit der ganzen Familie nichts zu thun haben.
-
-Dem Hauptmann selbst war am unbehaglichsten zu Sinne. Wenn ein Mann
-von 36 Jahren sich im Lauf von 36 Stunden verliebt und erklärt, so
-ist zehn gegen eins zu wetten, daß ihm der Erfolg seiner Werbung
-zweifelhaft erscheint, wenn die Angebetete ihn auch nur zehn Minuten
-auf das entscheidende Wort warten läßt. Und er wartete nun schon eine
-ganze Stunde! Fisch, Rehbraten und Eis hatten seine Qualen mit ansehen
-müssen, und jetzt saß alles so gemüthlich in den Stühlen zurückgelehnt,
-als sei dies _con amore_ Nachtafeln das Beste vom ganzen Abend.
-
-Nun, es giebt kein wahreres Wort, als: »alles nimmt ein Ende.« Die
-Generalin, die sich neben dem Major nicht gerade im siebenten Himmel
-des Amüsements befinden mochte, rückte hörbar mit dem Stuhl -- die
-andern folgten. In dem Moment =mußte= Käthe aller menschlichen
-Berechnung nach emporsehen -- sie that es! Der Hauptmann erhob sein
-Glas unmerklich gegen sie, sah sie fragend an, und hielt es einen
-Augenblick. Da -- o Freude! -- nahm sie ihr noch unberührtes, volles
-Glas vom Tisch, sah ihn einen kurzen Moment wieder an -- erröthete
-dunkel -- und trank dann in ihrer Verlegenheit so geschwind aus, als
-sei sie gewohnt die Nagelprobe zu machen!
-
-Nun war alles gut! Der Hauptmann wußte, ohne ein gesprochenes Wort,
-wie die Sache stand -- hatten sie sich nicht eben zugetrunken? Und war
-dieser Comment nicht die zarteste Art einer Erklärung, so war er doch
-ehrlich gemeint, und das ist die Hauptsache!
-
-Als der Hauptmann daher im Trouble des »Gesegnete Mahlzeit«wünschens
-Käthe zuflüsterte: »darf ich morgen zu Ihrem Vater kommen?« genügte
-er damit eigentlich nur einer Form -- er wäre auch ohne diese Frage
-gekommen, und ihrer Zustimmung gewiß gewesen.
-
-Die Hoffnung der Beiden, sich am heutigen Abend noch einen Moment
-unter vier Augen sprechen zu können, trog -- kaum waren die zehn
-Anstandsminuten nach Tisch durchgestanden, so rauschte die Generalin
-abschiednehmend auf ihre Wirthe zu -- Leontine folgte, vom Baron auf
-das liebenswürdigste geleitet. Leontine hatte eine Eroberung gemacht
--- das war klar! Am Ende hätte sie heut schon sagen können: »Sprechen
-Sie mit meiner Großmutter,« ohne, wie jenes voreilige Mädchen meiner
-Bekanntschaft, die betrübende Antwort zu riskiren: »wovon?«
-
-Aber als sie heut Abend den Kopf aufs Kissen legte, lächelte sie
-befriedigt. Aus allen Fragen des Barons hatte sie die »Lebensfrage«
-schon verblümt herauszuhören geglaubt -- »am Ende =muß= es gerade kein
-Offizier sein«, dachte sie im Einschlafen, »ein Gut in der Grafschaft
-ist auch nicht zu verachten! -- was steht dort? die 26er oder die 62er?«
-
-Über dem Zweifel schlief sie ein.
-
-Die Doktorsfamilie empfahl sich bald nach Generals. Vergebens hoffte
-Käthe, daß ihre Mutter in Anbetracht des kurzen Weges, den sie
-zurückzulegen hatten, noch ein Viertelstündchen zugeben werde. -- Die
-Doktorin hatte zu morgen verschiedene wirthschaftliche Absichten, mit
-deren Ausführung man in aller Frühe beginnen wollte -- da war es hohe
-Zeit zur Ruhe zu gehen! Man trennte sich.
-
-Die Majorin bedankte sich noch viele, viele Male für die Gefälligkeiten
--- »Morgen in der Frühe schicke ich Ihnen alles wieder, was Sie mir
-geborgt haben, liebe Lang«, versicherte sie in der Thür.
-
-Der Hauptmann, der es sich als artiger Sohn des Hauses nicht nehmen
-ließ, die Gäste bis in den Flur zu geleiten, und Käthchen beim Umnehmen
-der Sachen behilflich zu sein, schied mit einem so innigen Händedruck
-vom Doktor, daß dieser, bei der kurzen Bekanntschaft, sich mit Recht
-über diese Gefühlsverschwendung verwunderte. --
-
-Als die übrige Gesellschaft sich empfohlen hatte, ging der Hauptmann
-noch auf sein Zimmer, um sich eine Cigarre zu holen, deren er in
-wichtigen Augenblicken zur Sammlung bedurfte. Sie war auch ein
-prächtiger Verlegenheitsableiter, als er zu den Eltern zurückkehrte,
-die gemüthlich im Sofa saßen, und im Genuß der eingetretenen Ruhe
-schwelgten.
-
-Beide sahen auf, als der Sohn eintrat -- er aber schnitt, während er
-sprach, emsig die Cigarre ab, steckte ein Schwefelhölzchen in Brand,
-kurz nahm alle möglichen Handarbeiten vor, und begann dann mit etwas
-unsicherer Stimme eine kleine Rede zu halten.
-
-»Liebe Eltern«, sagte er halb heiter, halb verlegen, »ich bringe ein
-paar Neuigkeiten. Die eine habe ich soeben erfahren -- ich fand auf
-meinem Zimmer diesen Brief vor, der mir meine Versetzung hierher,
-vorläufig privatim mittheilt.«
-
-Die Majorin sprang, wie elektrisirt, vom Sofa auf.
-
-»Kurt -- wirklich? mein lieber Junge! Wie ist das so schnell gekommen?«
-
-»Ja, Mutterchen, bei uns Soldaten geht dergleichen immer mit Dampf!
-Die Wahrheit zu sagen erwartete ich aber die Nachricht schon längere
-Zeit, und verschwieg sie Euch nur, um Euch nicht unnütze Spannung und
-Aufregung zu bereiten.«
-
-»Ich bin ganz glücklich, Kurtchen«, rief seine Mutter immer wieder,
-»und du sollst mal sehen -- sei nicht böse -- aber wenn ich dich hier
-habe, wirst du dich auch viel leichter zum Heirathen entschließen.«
-
-»Laß' ihn doch in Ruhe!« brummte der Major.
-
-Der Sohn lächelte. »Liegt dir wirklich so viel daran, Mama? So
-unendlich viel?«
-
-»Aber, mein Junge«, sagte die Majorin etwas verwundert, »das weißt du
-doch!«
-
-»Nun denn, Mamachen -- ich bin ja kein Unmensch -- siehst du mir gar
-nichts an?«
-
-Und als die Mutter halb zweifelnd, halb bestürzt zu ihm aufblickte,
-streckte er ihr beide Hände entgegen: »Gratulire mir, liebe Mama --
-lieber Vater, ich bin mit Käthchen Lang verlobt.«
-
-Die Exclamationen der überraschten Eltern, besonders der Majorin,
-bei dieser zweiten Freudenbombe, die in ihr Haus fiel, zu schildern,
-vermag ich nicht. Wer sich einmal vor kurzem so recht gefreut hat, weiß
-ganz genau, wie man sich in solchem Fall benimmt -- und wer es nicht
-weiß, dem wünsche ich von Herzen, daß er es bald erleben und an sich
-ausprobiren möge.
-
-Als man sich für die späte Stunde lang genug gefreut hatte, ging man
-auseinander und zu Bett -- d. h. der Hauptmann ging nicht zu Bett,
-sondern wanderte die Nacht über unruhig und glücklich in seiner Stube
-auf und ab, was seinem ahnungslosen künftigen Schwiegervater einige
-Donnerwetter über die Lohndiener von Majors entlockte, die über seinem
-Kopf immerfort noch ab und zu liefen.
-
-Einen Versuch Käthens, die Mutter noch einen Augenblick zu sprechen,
-schnitt der Doktor kurz ab: »Ihr habt den ganzen Tag Zeit zum
-Unterhalten«, brummte er, »jetzt will ich Ruhe haben. Die Frauen sind
-doch wahrhaftig wie die schweren Fuhrleute -- wenn sie von früh bis
-Abends nebeneinander auf der Landstraße hergegangen sind, und des
-Abends ins Wirthshaus kommen, giebts kein Ende mit Erzählen.« Und er
-entführte seine Gattin ohne Gnade und Erbarmen.
-
-So suchte denn Käthe die Ruhe auf, ohne irgend jemand ihr Herz
-entlastet zu haben, nur ihre Träume bauten gefällig auf dem sicheren
-Grunde der jüngsten Vergangenheit glänzende Luftschlösser der Zukunft,
-in deren lichten Räumen sie die Nacht verbrachte.
-
-Der »nächste Morgen« ist an und für sich schon etwas Ernüchterndes --
-nach einem Ball, -- nach einem Streit -- nach einem abgeschlossenen
-Geschäft. -- Der »nächste Morgen« in seiner kühlen Beleuchtung zeigt
-alle Schwächen und Mängel so viel besser, als der dämmernde Abend.
-
-Nur für eine glückliche Braut hat der »nächste Morgen« nichts
-Prosaisches -- der Zauber ihrer Erlebnisse hält dem grellen Tageslicht
-Stand -- und wie schlimm auch, wenn's anders wäre! Die Liebe muß ja
-im Leben durch alle Zeiten wandern, sie muß die schwüle Mittagshitze
-und die Schauer des Abends tragen helfen, -- und zu glauben, daß dies
-Kinderspiel sei, fällt nie so leicht, als im Brautstand, wo Wehr und
-Waffen zum Lebenskampf noch glänzend und neu in der Sonne des Glücks
-auffunkeln, und alle Illusionen in ungetrübter Pracht wie glänzende
-Schleier sich über die Wirklichkeit breiten, so daß sie uns nur wie ein
-schimmernder Garten im Morgenthau erscheint.
-
-Käthe empfand dieses frische Glücksgefühl auch so recht, als sie am
-nächsten Tage aufstand und an ihre täglichen Pflichten ging, deren
-erste war, die Geschwister zur Schule zu besorgen. Sie flocht die
-Zöpfchen der Schwestern mit wahrem Vergnügen, strich den Brüdern die
-Butterbröte besonders reichlich, und dachte bei sich, wie doch alles
-heut viel hübscher sei, als gestern.
-
-Die Mutter schlief noch, und Käthe konnte es nicht lassen, die freie
-Zeit, nachdem die Kinder abmarschirt waren, zu einem kurzen Besuch bei
-Fräulein Sabine zu verwenden, um dieser treuen Seele die Botschaft
-ihres Glückes zu verkünden.
-
-Wir dürfen es uns schenken, sie dahin zu begleiten, da wir den Gang der
-Begebenheiten kennen, und kehren in die Wohnung des Doktors zurück, der
-sich eben zu einem Krankenbesuch anschickte. Er praktizirte nur noch
-sehr ausnahmsweise bei zwei oder drei Familien, im ganzen hatte er sich
-zur Ruhe gesetzt.
-
-Der Doktor gehörte zu der weit verbreiteten Klasse von Männern,
-die verlangen, daß die Stuben stets rein sind, aber nie gewaschen
-werden. Dieser Eigenthümlichkeit wurde insofern genügt, als sein Haus
-nur meuchlings gescheuert wurde -- d. h. man überfiel ihn mit der
-vollendeten Thatsache und er ergab sich dann.
-
-So auch heute. Im Hintergrunde lauerten schon zwei Scheuerfrauen
-auf sein Verschwinden, und begannen sofort das Werk der Erneuung
-an sämmtlichen Stubenböden, auf welchen die zwölf Stiefelsohlen
-der schulpflichtigen Kinder deutliche Spuren des Novemberwetters
-zurückzulassen pflegten. Nur das _sanctum_ des Doktors blieb verschont
-und wurde für diesen Tag der Zufluchtsort der übrigen Familie.
-
-Die Hausfrau war sehr verwundert, daß Käthe zu dieser ungewöhnlichen
-Stunde zu Fräulein Sabine heraufgegangen war, sie setzte sich daher
-etwas verdrießlich mit ihrer Arbeit ans Fenster in ihres Mannes Stube,
-und sah auf die Straße hinab.
-
-Als der Doktor heimkehrte, traf er im Hausflur den Hauptmann in voller
-Uniform, der sehr stattlich aussah und ihn um die Erlaubniß bat, in
-einer wichtigen Angelegenheit unter vier Augen mit ihm sprechen zu
-dürfen.
-
-Hätte dem Doktor nicht der Miethskontrakt so sehr im Kopf gesteckt,
-so wäre ihm am Ende der Gedanke gekommen, daß es sich hier um Käthe
-handeln könne. So aber lud er den Hauptmann zerstreut ein, ihm zu
-folgen, öffnete die Thür zu seinem Zimmer, und steckte den Kopf herein
--- da saß seine Frau.
-
-Aergerlich über diese Invasion schlug er die Thür wieder zu und öffnete
-das Eßzimmer, dessen Pforte ihm die Perspektive auf die übrige Wohnung
-erschloß. O weh -- über die Dielen der Zimmer rieselte das Wasser, ein
-intensiver Seifengeruch belebte die Atmosphäre, und aus jedem Raum
-stieg »ein feuchtes Weib empor.«
-
-Das Scheuerfest in seinem unangenehmsten Stadium hatte begonnen!
-
-Der Doktor fügte sich ins Unvermeidliche. Er lud den Gast ein, abermals
-in sein Zimmer zurückzukehren, wo inzwischen das Feld rein geworden
-war. Die Doktorin hatte nur ihren Mann und nicht den Hauptmann gesehen,
-und wollte den ersteren, ihrem Prinzip getreu, sich erst »austoben«
-lassen -- sie verschwand daher in der Küche und schnitt mächtige
-Frühstücksschnitten für das heut vermehrte Hauspersonal.
-
-Indessen stand der Hauptmann in männlich gefaßter Haltung vor dem
-Doktor. Das Anfangen war doch entsetzlich -- =so= schwer hatte er
-sich's nicht gedacht.
-
-»Ich komme, verehrter Herr Doktor«, begann er mit etwas gepreßter
-Stimme, »um Ihnen eine Bitte vorzutragen.«
-
-Bautz -- ging die Thüre auf -- »der Baron von Rabeneck ist da, Papa!«
-rief Käthe ins Zimmer tretend, erblickte den Hauptmann, stieß einen
-kleinen Schrei aus, und war weg, wie der Blitz.
-
-»Ach, verzeihen Sie -- verzeihen Sie einen einzigen Augenblick«, sagte
-der Doktor eilfertig, »der Baron kommt, um seinen Miethskontrakt
-abzuschließen -- ich stehe dann sofort zu Diensten! -- Guten Morgen,
-Herr Baron -- ich freue mich -- die Herren kennen sich ja! Bitte, Herr
-Hauptmann, verziehen Sie einen Augenblick, wir sind bald fertig.«
-
-»Wie ist den Herren das gestrige Fest bekommen?« fragte der Baron
-im Eintreten, anscheinend ganz aufgelegt zu einer Unterhaltung, die,
-recht breit in der Anlage, einen hübschen Zeitraum bis zur Vollendung
-versprach.
-
-»O, recht gut«, sagte der Doktor, der auch nicht eilig schien, »es war
-ein bischen spät.«
-
-»Aber ein allerliebstes Fest -- auf Ehre! Wie ist Ihren verehrten
-Eltern der Abend bekommen?« (zum Hauptmann gewendet.)
-
-Dieser murmelte etwas Unverständliches -- er erstickte fast vor Zorn
-und Verlegenheit.
-
-»Und Ihre Damen, Herr Doktor?«
-
-»Die sind schon lange wieder auf den Füßen!« bemerkte der Doktor
-wohlgefällig.
-
-»Oh -- so matinal? Sind Sie immer so matinal? Aber das finde ich sehr
-recht! Morgenstunde hat Gold im Munde! Mein seliger Papa pflegte das
-immer zu sagen -- Morgenstunde hat Gold im Munde -- ganz richtig --
-was?«
-
-Der Hauptmann verbeugte sich stumm -- er hätte um die Welt jetzt nicht
-sprechen können. Der Doktor trat zum Schreibtisch und wühlte in den
-Papieren.
-
-»Wollen wir an unseren Kontrakt gehen, Herr Baron?«
-
-»Sofort -- ganz zu Diensten! Ja -- noch einen Augenblick -- denken Sie,
-Herr Hauptmann, wie der Zufall spielt -- nicht wahr? Einzig manchmal!
-Wir sprachen doch gestern Abend von Straten -- was?«
-
-»Ich erinnere mich nicht!« sagte der Hauptmann unklug und wuthbebend.
-
-»Aber ich bitte Sie! Sie fragten mich noch nach ihm -- Straten, der zu
-den Husaren kommandirt war, und mit dem ich bei den Dragonern stand --
-besinnen Sie sich jetzt? was?«
-
-»Ja, ja!« grollte der Hauptmann.
-
-»Nun denken Sie, wie der Zufall spielt -- nein, man kann wirklich sagen
-'=spielt=', denn er spielt manchmal, was? und wir sind sein Spielzeug!
-Das ist so ein Aperçu von mir -- liebe solche Aperçus! -- nun, um auf
-unsern Hammel zurückzukommen, womit ich aber nicht etwa den guten
-Straten gemeint haben will -- bewahre! -- dagegen protestire ich von
-vornherein -- es ist nur so eine Redensart! Ja, _enfin_! -- ich gehe
-gestern Abend nach der blauen Krone -- ich komme ins Gastzimmer -- wer
-sitzt da? -- Straten! Nein, ich bitte Sie!«
-
-Der Baron lachte herzlich.
-
-»Nun, warum sollte er nicht dasitzen?« fragte der Doktor, jetzt auch
-etwas unwirsch.
-
-»Aber, ich sage Ihnen ja -- wir hatten eben vorher von ihm gesprochen!
-Er steht in Rotbergen -- zwei Meilen von hier -- und kommt gerade den
-Abend her. 'Guten Abend, Straten!' sage ich. Nun hätten Sie mal seine
-Ueberraschung sehen sollen! 'Guten Abend, Rabeneck!' sagt er. 'Nein,
-das ist doch sonderbar, daß ich Sie hier treffe! was machen Sie denn
-hier?' frage ich. 'Ach, ich langweile mich so in Rotbergen, da bin
-ich heut hier herüber gekommen, um mal mein Glas Bier wo anders zu
-trinken', sagt er. Und nun plauderten wir von dem alten Regiment --
-ach, da hat sich auch viel verändert! Der Kommandeur ist weg -- nach
-Braunschweig versetzt, mein damaliger Schwadronschef.« --
-
-»Ja aber, Herr Baron«, unterbrach der Doktor diese interessante
-Geschichte, »wenn wir vielleicht erst unseren Kontrakt machen wollten
--- Herr Hauptmann Scharff wünscht mich dann noch in einer anderen
-Angelegenheit zu sprechen.«
-
-»Ach, Pardon! -- bitte tausendmal um Entschuldigung! aber es war mir --
-ich dachte, es müßte den Herrn Hauptmann interessiren -- es war doch
-ein zu sonderbares Zusammentreffen, was?«
-
-Und der Baron lächelte vergnüglich und wiegte den Kopf hin und her über
-den merkwürdigen Zufall.
-
-Während die Herren den Kontrakt durchlasen und daran herumkorrigirten,
-stand der Hauptmann stumm am Fenster und sah auf die Straße. »Fatal!
-=Einmal= anfangen war schon schlimm genug -- aber =zweimal= -- das ging
-gar nicht!« Er biß sich zornig auf die Lippen. Und der Moment mußte
-gleich wieder da sein -- die Feder des Doktors jagte nur so über das
-Papier.
-
-Da klopfte es, und ohne das »Herein« abzuwarten, wurde die Thür sehr
-weit aufgemacht. Ein Dienstmädchen mit einem großen Tablet erschien,
-auf dem Porzellan, Glas, Silber und andere Geräthschaften sauber
-aufgestapelt waren. Sie setzte ihre Bürde auf den Tisch, und begann,
-ohne auf die Herren besondere Rücksicht zu nehmen: »Eine Empfehlung von
-der Frau Majorin, und sie schickt die Sachen wieder.«
-
-»Still!« rief der Doktor mit furchtbarer Stimme -- er hatte sich
-verschrieben, und das haßte er!
-
-»Und die Frau Doktorin ist draußen nicht zu finden, da mußte ich alles
-hier herein bringen«, fuhr das Mädchen unbeirrt fort.
-
-Der Doktor schrieb.
-
-»Wollen Sie mir nicht die Sachen abnehmen, Herr Doktor?« fragte das
-Mädchen, »ich muß dafür stehen, daß nichts fehlt.«
-
-»Rufen Sie Fräulein Käthe«, sagte der Doktor, ohne den Kopf zu wenden.
-
-»Die will nicht hereinkommen«, erwiderte die unerschütterliche Magd.
-
-»Hinaus!« rief jetzt der Hauptmann donnernd, und wandte sich um. Dieses
-Wort hatte die Wirkung eines Sprenggeschosses -- die Botin flog davon,
-und ward nicht mehr gesehn.
-
-»So!« sagte der Doktor aufathmend und erhob sich -- »ich habe
-unterzeichnet -- wollen Sie nun auch noch die Güte haben, Herr Baron?«
-
-Der Angeredete hustete und sah etwas verlegen aus.
-
-»Ich hätte noch eine Bitte, verehrter Herr Doktor, ehe ich
-unterschreibe. -- Sie wissen, eine Wohnung ist eine wichtige Frage,
--- man muß doch einmal drin wohnen -- und -- kurzum, ich möchte mir
-das Quartier noch ein letztes Mal ansehen -- so einen Ueberblick, wie
-mein Papa immer zu sagen pflegte. 'Chlodwig, verschaffe dir immer einen
-Ueberblick', hat er unzählige Male zu mir gesagt! Dürfte ich um diese
-Gunst bitten?«
-
-Der Doktor pfiff leise -- aber er faßte sich, und die Herren schickten
-sich an, das Quartier zu besichtigen.
-
-Den Hauptmann rührte bei dieser neuen Verzögerung seiner Aussprache
-fast der Schlag! Hätte ihm ein Gott gegeben, zu weinen, so hätte er
-geweint! Er trommelte den Dessauer Marsch im rasendsten Tempo auf der
-Fensterscheibe -- er nahm ein Buch vom Tisch und fing an zu lesen --
-obwohl er für sein Leben nicht zu sagen gewußt hätte, =was= er las.
-
-Nachdem einige Zeit -- für den Hauptmann eine halbe Ewigkeit --
-verstrichen war, traten die Herren wieder ein. Der Baron sah sehr
-bekümmert aus und zog sich einen Handschuh an.
-
-Der Doktor stellte sich an das zweite Fenster und wippte mit dem Fuß
-hörbar auf und nieder -- er war offenbar schwer gereizt.
-
-Der Miethskontrakt lag unbeachtet auf dem Schreibtisch.
-
-Endlich näherte sich der Baron, auf den Zehen gehend, dem Hauptmann.
-
-»Ich weiß nicht -- es ist mir so unangenehm, nein, wirklich -- es ist
-mir =sehr= unangenehm!« flüsterte er, »der Herr Doktor ist so böse --
-aber ich habe neulich ganz übersehen -- das Schlafzimmer liegt nach
-Nordosten, und das vertrage ich nicht! Meine selige Mama sagte immer:
-'Chlodwig, um alles in der Welt, Sonne im Schlafzimmer -- halbes Leben
--- halbe Gesundheit.'«
-
-»Schlafen Sie doch wo anders!« stieß der Hauptmann rauh hervor.
-
-»Kann ich nicht, mein Bester -- kann ich nicht! Und dann fehlt mir auch
-ein Zimmer -- ein einziges Zimmer -- mein Friedrich =muß= neben mir
-logiren! Ja, hätte das allerliebste, reizende Eckzimmer -- ein _bijou_
-von einem Zimmer -- noch ein einziges Fenster! aber so!«
-
-»Ich will Ihnen etwas sagen,« explodirte der Doktor, »haben Sie die
-Güte, mein Haus nach Ihren Wünschen umbauen zu lassen, und dann wollen
-wir wieder vier Stunden Kontrakt machen. Das ist ja --«
-
-Der Baron sah hilflos aus.
-
-»Umbauen? Sie scherzen, Herr Doktor! Der Herr Doktor scherzt -- nicht
-wahr? ich liebe das sehr! scherze selbst gern -- ich war immer dafür
-bekannt, daß ich viel scherze! mein Kommandeur sagte oft: »glaubt dem
-Rabeneck nicht, er scherzt nur!« =Wie= oft! --«
-
-»Nun, dann scherzen Sie nach Belieben,« schrie der Doktor, »mit mir
-haben Sie genug gescherzt!«
-
-Und er wandte sich ab.
-
-»Mein Gott, wie peinlich!« sagte der Baron, und zog sich den zweiten
-Handschuh an, »und ich wäre so gern hier ins Haus gezogen! aber jeder
-ist sich selbst der Nächste! was? Wenn ich noch ein Zimmer brauche, das
-kann mir doch keiner übel nehmen -- das finde ich -- da kann ich mir
-nicht helfen!«
-
-Und damit retirirte der Baron, und ging -- ungeleitet, denn der Doktor
-war =zu= ärgerlich -- und man hörte den Weggehenden noch im Hausflur,
-wie ein abziehendes Gewitter fragen, ob er sich nicht selbst der
-Nächste wäre.
-
-=Wen= er fragte, wußten die Zurückgebliebenen nicht -- es war ihnen
-auch höchst gleichgültig. Der Doktor rannte wie ein gefangener Tiger
-im Käfig auf und ab, und erging sich in den wohlthuendsten Aeußerungen
-über den Baron.
-
-»Dieser Einfaltspinsel -- dieser alberne Kerl -- fragt einen erst todt,
-und miethet dann nicht einmal! Nein, ich war gestern Abend schon so
-glücklich -- mein Quartier so gut wie vermiethet, und nun? Prosit die
-Mahlzeit! Nun sagen Sie einmal selbst, ist das nicht eine ganz infame
-Manier, so im letzten Augenblick abzuschnappen?«
-
-Der Hauptmann bejahte durch eine Verbeugung -- in =diesem= Sturm konnte
-er sein Schifflein nicht auslaufen lassen, erst mußte der Himmel wieder
-ruhig werden.
-
-»Aber eins sage ich,« fuhr der erregte Doktor fort, »=einen= Rath gebe
-ich jedem, der ihn haben will. Wer kein Haus hat, freue sich, und wer
-eins hat, zünde es an allen vier Ecken an. Das ist ja --! alle Tage was
-Neues! Da will der einen Ofen gesetzt haben -- dem soll man die Thüren
-streichen lassen, und dabei bleiben einem die Wohnungen noch leer
-stehen! Ich danke für mein Haus -- ich schenke es weg -- da mache ich
-immer noch ein gutes Geschäft. So habe ich keinen Miether und Aerger,
-dann habe ich doch wenigstens keinen Miether und keinen Aerger -- nein,
-wahrhaftig!«
-
-Der Doktor schwieg erschöpft, und nahm den Kontrakt in die Hand.
-
-»Den Wisch möchte man doch nun gleich in tausend Stücke reißen,« begann
-er von neuem, »der Mensch hat sich verklausulirt, als wenn er ein
-Testament über eine Million für drei leichtsinnige Söhne machen sollte
--- um jeden Paragraphen hat er geredet und gefragt -- eigentlich kann
-ich Gott danken, daß ich =den= nicht als Miether bekommen habe. Ein
-unausstehlicher Kerl! Aber mein Quartier -- nein, ich bin außer mir!
-nun hängt der Miethszettel wieder aufs unbestimmte aus, und jedesmal,
-wenn ich nach Hause komme, ärgere ich mich darüber.«
-
-Der Hauptmann trat einen Schritt näher.
-
-»Herr Doktor,« begann er mit halbem Lächeln, »darf ich Ihnen einen
-Vorschlag machen, mit dem uns vielleicht beiden gedient wäre? Das
-Quartier hat vier Zimmer, wie ich höre -- hätten Sie etwas dagegen,
-mich als Miether aufzunehmen? Ich bin zum ersten Januar hierher
-versetzt.«
-
-Das Gesicht des Doktors klärte sich auf.
-
-»Ja, aber,« sagte er etwas zögernd, »ist Ihnen denn die Wohnung nicht
-zu groß?«
-
-»Nun, dem ließe sich auch abhelfen! Herr Doktor, ich kam heute, wie
-Sie in der Sturm- und Drangperiode mit dem Baron vielleicht vergessen
-haben, um in einer persönlichen Angelegenheit mit Ihnen Rücksprache zu
-nehmen -- darf ich meine Bitte jetzt vortragen?«
-
-Dem Doktor ging ein Licht auf.
-
-»Bitte!« stammelte er verlegen.
-
-»Ich liebe Ihr Fräulein Tochter,« fuhr der Hauptmann ernsthaft fort,
-»und sie ist meiner Werbung trotz unserer kurzen Bekanntschaft nicht
-abgeneigt. Darf ich hoffen, Herr Doktor, daß von Ihrer Seite unserer
-Verbindung kein Hinderniß im Wege steht? Sie kennen mich ja durch meine
-Eltern --«
-
-Eine Viertelstunde später rief ein energisches Klingeln die Damen in
-des Doktors Zimmer. Eine kleine feierliche Scene fand statt, nach deren
-Beendigung der Doktor sich zur Thür wandte, um Majors herunter citiren
-zu lassen. Aber er prallte zurück, denn in der Thür stand, verlegen
-und unsäglich neugierig aussehend, der Baron. Er hatte sich draußen
-vor der Doktorin in seiner gewohnten Ausführlichkeit gerechtfertigt,
-und als die Klingel des Hausherrn so ungestüm erscholl, hatte ihn sein
-Wissensdrang nach dem Zimmer zurück getrieben, wo er zur allgemeinen
-Entrüstung und Bestürzung der feierlichen Verlobung unbemerkt assistirt
-hatte.
-
-Aber der Zorn der belauschten Familie machte in der überfließenden
-Freude der Fröhlichkeit Platz, und der Baron brachte seine Gratulation
-an und fragte: »Verlobt, was? -- ja, das muß sehr hübsch sein -- ich
-finde das allerliebst! werde mich wohl auch entschließen -- nur kein
-Junggesell bleiben, was? Meine selige Mama sagte immer: 'Chlodwig, du
-bist fürs Familienleben geschaffen!'« Nachdem er diesen Satz zu Ende
-gebracht hatte, war der beglückte Schwiegervater so erheitert, daß er
-den Baron für seine Heftigkeit von vorhin um Verzeihung bat, die der
-gutmüthige Mann auch sofort bereitwillig zugestand.
-
-Als Majors erschienen, und ein improvisirtes Verlobungsdejeuner servirt
-wurde, wozu die noch aufgestellten Gläser und Tassen vortrefflich zu
-statten kamen, ließ sich der Baron mit Leichtigkeit bewegen, daran
-Theil zu nehmen, und alles gruppirte sich um den Tisch in des Doktors
-Stube.
-
-Nun freute sich jedes auf seine Art! Das Brautpaar war still, aber sehr
-zufrieden, sie sahen allerliebst zusammen aus. Der Doktor und der Major
-stießen an, und tranken Brüderschaft. Die Majorin nickte allen mit der
-Unverdrossenheit einer Pagode zu und weinte Freudenthränen über ihren
-Sohn und ihre liebe Käthe. Um diese zu trocknen, borgte sie allerdings
-schluchzend das Tuch von der Doktorin -- ihr eigenes war momentan nicht
-zur Hand. Die Doktorin hätte auch gern geweint, doch unter diesen
-Umständen ging es nicht und sie mußte sich sehr zusammennehmen. Aber
-bei der Gelegenheit gelobte sie sich heilig und theuer, das Borgen
-müßte von nun an seine Grenzen haben, was ihr niemand verdenken wird,
-der sich in einen ähnlichen Fall versetzen kann.
-
-Der Baron fragte alle der Reihe nach, wie es so gekommen wäre, und
-erzählte kleine, geistreiche Aussprüche seiner Eltern und ihres
-Chlodwig, wobei er der Bowle tapfer zusprach, und es durchaus nicht
-übel nahm, als man Fräulein Leontine leben ließ und ihn ein klein wenig
-neckte. Und an dieser Stelle will ich denjenigen meiner Leserinnen, die
-sich für Leontine interessiren, unter tiefster Diskretion verrathen,
-daß der Baron ganz ernste Heirathspläne hat -- die beiden werden sehr
-gut für einander passen! Aber es soll noch nicht darüber gesprochen
-werden! -- Ja -- nicht zu vergessen, auf Käthes Bitten wurde ein
-Eilbote zu Fräulein Sabine heraufgeschickt, die zitternd und strahlend
-in ihrem besten Kleide und ihrer Staatshaube erschien, und die
-Verlobungsbowle ihres Lieblings mit leeren half.
-
-Da sitzen sie nun alle vergnügt beisammen -- jeder hat, was sein Herz
-wünscht, freilich mehr oder weniger -- in den Gläsern funkelt der Wein
-und alles ruft: »hoch das Brautpaar!«
-
-Rufst du mit, lieber Leser? Ich hoffe ja!
-
-
-
-
- Und doch!
-
-
-
-I.
-
-
-Er hielt die Hausthür einen Augenblick in der Hand, als überlege er, ob
-er sie, seinen Gefühlen gemäß, donnernd zuwerfen und der Undankbaren
-da oben eine Art von zornigem Abschiedsgruß senden solle -- aber die
-Vernunft siegte doch -- die Thür wurde mit keiner ungewöhnlichen
-Kraftanstrengung geschlossen -- und nun stand er auf der Straße! --
-
-Unwillkürlich besah er sich das Haus, das er eben verlassen hatte, von
-oben bis unten, -- nicht als hätte es einen besonders schönen Anblick
-gewährt, -- aber er hatte doch seit Monaten jeden freien Augenblick
-dort zugebracht, -- die blühenden Gewächse hinter den weißen Gardinen
-hatten ihm allabendlich freundlich zugenickt, wenn er von seiner nahe
-bei der Stadt belegenen kleinen Besitzung auf muthigem Rößlein vor
-das Haus der Verwandten gesprengt war. Dann hatte er die Reitpeitsche
-zierlich zum Gruß gegen das Eckfenster erhoben und ein dunkelblonder
-Kopf mit schelmischen, blauen Augen hatte ihm freundlich wiedergewinkt.
-
-Die Hausthür ließ ihn gastfreundlich ein, -- wie viel Stufen hatte
-die Treppe? -- jedesmal schien eine mehr, bis er den messingnen
-Klingelgriff in der Hand hielt! Der Hausherr war sein Onkel, nicht ein
-ganz richtiger Mutterbruder, -- aber der schmucke, junge Landmann war
-als Neffe und Vetter doch schnell und gern genug aufgenommen worden.
-
-Die Familiengruppe blieb allabendlich dieselbe, -- in einem bequemen
-Stuhl, dessen etwas abgeschabte grüne Saffianlehne durch gelbe
-Knöpfchen eine mehr wohlgemeinte als geschmackvolle Einfassung erhielt,
-saß der Vater, ein Käppchen auf dem Haar, die lange Pfeife in einer
-Ecke des Mundes, eine Brille auf der Nase, durch die er die weit von
-sich gehaltene Zeitung studirte, um von Zeit zu Zeit die Handlung
-eines Monarchen durch wohlgefälliges Brummen zu billigen oder über die
-unbedachten Worte eines Ministers langsam und unwillig den Kopf zu
-schütteln. Seine Frau saß in der Sophaecke, sehr gerade aufgerichtet,
--- diese vorzügliche Haltung auch ihren Kindern beizubringen, bestrebte
-sich die Gute fortwährend durch Blicke, Winke und Bewegungen, während
-ihre Hände Alles, was vorging, durch harmonisches Stricknadelgeklapper
-in Musik setzten. -- Und wenn dann der Theetisch gedeckt war, saßen
-die vier Kinder dieses gemüthlichen Paares wie Orgelpfeifen um sie
-her, -- die Aehnlichkeit unter den Geschwistern war auffallend, --
-alle vier zeigten entschiedene Stumpfnäschen, stets zum Lachen bereite
-Lippen und waren blond und blauäugig. Mit der ältesten konnten sich
-aber die andern nicht messen, -- was in Fränzchens Gesicht zierlich und
-allerliebst war, hatte bei den beiden Buben eine gewisse unfertige
-Plumpheit, und die Kleinste befand sich noch in dem Alter, welches für
-junge Männer einen Gegenstand des Schreckens und Abscheus bildet.
-
-So war unser Held denn natürlich mit der Zeit dahin gekommen, seine
-Aufmerksamkeit der erwachsenen Tochter zuzuwenden, und sie hatte
-das ganz freundlich hingenommen, hatte erlaubt, daß er ihr das
-Streichhölzchen anzündete, um die Spiritusflamme unter dem Theekessel
-in Brand zu stecken, freute sich über die Blumensträuße, die er aus
-seinem Garten mitbrachte, und lachte über seine Späße und Erzählungen
-beinahe so herzlich wie er selbst, -- und das wollte etwas sagen!
-
-Kurzum, es war durchaus keine Verblendung und Selbstüberhebung nöthig,
-um die Entschlüsse reifen zu lassen, die in nächster Zeit unsern
-Helden bewegten. Noch nicht drei Wochen war es her, da hatte er sich
-in der Stadt neue Tapetenmuster ausgesucht und dem Bäschen zur Auswahl
-präsentirt. Da war besonders eins, das er in's Herz geschlossen hatte,
-mit blauen, schmalen Streifchen und kleinen Rosenknospen dazwischen, --
-als er ihr das zeigte und frug:
-
-»Möchtest Du wohl in einer Stube wohnen, die so tapezirt wäre? Ist es
-nicht niedlich?«
-
-Da antwortete sie freilich nur auf die letzte Frage und sagte:
-
-»Sehr niedlich!«
-
-Aber sie wurde roth und lachte. Warum war sie roth geworden, wenn sie
-nicht wußte, was er damit meinte? Und mit triumphirenden Gefühlen
-warb er einen ganzen Leiterwagen voll Tapeziere und Stubenmaler, ließ
-seine ganze Wohnung neu herrichten und umgab sich viele Tage lang mit
-dem abscheulichsten Kleistergeruch, -- und Alles um nichts und wieder
-nichts! --
-
-Tagelang ging er dann umher wie ein Verschwörer, -- überlegte, --
-verwarf, -- und kam endlich zum Entschluß. Heut, -- diesen selben Tag,
-an dem er fiebernd vor Zorn und Beschämung in der nächtlichen Straße
-stand, war Fränzchens achtzehnter Geburtstag gewesen! Schon früh ritt
-er mit einem Blumenstrauß in die Stadt, so groß, daß ihm alle Leute
-verwundert nachsahen, -- das Mädchen empfing ihn mit der größten
-Freundlichkeit, -- zeigte ihm ihren bekränzten Geburtstagstisch, -- und
-man lud ihn ein, am Abend wieder zu kommen, wo eine Gesellschaft junger
-Leute sich versammeln sollte.
-
-Das that er denn auch, und als er im Hausflur einen kleinen
-Taschenspiegel hervorzog und sein ehrliches, braunes Gesicht darin
-betrachtete, kam er sich beinahe hübsch vor. Eine Rosenknospe hatte er
-in's Knopfloch gesteckt -- und unter der Rosenknospe schlug ein Herz
-voll Löwenmuth!
-
-Fränzchen hatte sich auch sehr schön gemacht, sie trug ein weißes Kleid
-mit feinen, blauen Streifen, -- es sah seiner Tapete beinahe ähnlich,
--- und die blonden, glatten Zöpfe waren mit einer frischen Nelke
-geschmückt, -- er hätte sich sehr irren müssen, wenn die nicht aus dem
-Strauß war, den er heute Morgen gebracht hatte!
-
-Die kleine Versammlung war schon vollzählig, als er eintrat, und
-Fränzchen vor Allen als Geburtstagskind begrüßte. Er sah aber gleich,
-daß sie schlechter Laune war.
-
-»Guten Abend, Karl,« sagte sie flüchtig und mit einem Anflug von
-Verdrießlichkeit in der Stimme. »Du kommst genau eine Stunde später als
-du eingeladen bist! Wir hätten schon lange anfangen können zu tanzen,
-wenn wir nicht hätten auf Dich warten müssen.«
-
-Karl war nun ein herzensguter Junge, aber sein Fehler bestand darin,
-daß er einen ganz unglaublichen Brausekopf besaß. Er wurde röther, als
-es selbst der Dame seines Herzens gegenüber nöthig war, machte ein
-steifes Kompliment und zog sich zurück. Eins kam zum andern, -- die
-Beiden stichelten auf einander, wo sie nur konnten, -- und schließlich
-geschah es, daß Fränzchen sich an ihrem Geburtstag von einem Andern
-zu Tisch führen ließ und Karl mit einem schnippischen: »ich bin schon
-versagt,« abfertigte.
-
-Aber Karl rächte sich! -- Unmittelbar nach Tisch wollte man beginnen,
-nach dem Klavier zu tanzen. Als sich der Heimtückische durch einen
-schnellen Ueberblick versichert hatte, daß auch ohne ihn eine
-ausreichende Zahl von Tänzern da sei, ging er über die Stube, stieß
-plötzlich einen Schmerzensschrei aus und sank auf einen Stuhl. Die
-ganze Gesellschaft umdrängte ihn besorgt, -- Fränzchen allein stand an
-ihrem Geburtstagstisch und zählte die Blättchen an ihrem Rosenstock,
--- das erbitterte ihn nun vollends! Er erklärte, er habe sich den Fuß
-verstaucht, könne unmöglich tanzen, und wolle lieber zusehen, wenn man
-ihn nicht nach Hause schicke, da er als Invalide nichts auf einem Ball
-zu suchen habe.
-
-Davon wollten sie nun alle nichts hören und Karl blieb, -- aber er
-tanzte konsequent nicht! Die Fenster waren geöffnet, um die nächtliche
-Sommerluft einzulassen, -- er setzte sich hinter die Gardine und dachte
-zornig darüber nach, wie anders er sich diesen Abend vorgestellt hatte!
-Und eigentlich war er ja schuld gewesen, -- was mußte er gleich so
-empfindlich sein! Sie hatte Recht, er =war= zu spät gekommen, -- und es
-war doch Fränzchens Geburtstag! -- Er erhob sich, -- es wurde ihm zu
-heiß hinter der Gardine, -- und humpelte, seiner Rolle getreu, über das
-Zimmer, um den Tanzenden zuzuschauen. Daß er besser tanzte wie jeder
-der anwesenden Herren, war klar, -- das wußte Fränzchen auch, -- und
-deshalb ärgerte es sie so sehr, daß er heute nicht tanzen =wollte=,
-denn sie glaubte mit Recht nicht an seinen Unfall.
-
-»Kinderchen, jetzt wird aber aufgehört,« rief da die Mutter, »es ist
-schon sehr spät!«
-
-Man war an diese peremptorische Art von Fränzchens Mutter schon
-gewöhnt, -- da erhob sich Karl und bat die Tante flehentlich, noch
-einen Augenblick zu verziehen, die Schmerzen in seinem Fuß hätten
-nachgelassen und er wolle einmal mit seiner Cousine tanzen. Eben sollte
-der Befehl an die Klavierspielerin ertheilt werden, als Fränzchen mit
-blitzenden Augen dazwischen trat.
-
-»Es thut mir leid, Karl, wenn =du= auch wieder hergestellt bist, --
-ich habe mir soeben den Fuß versprungen -- und zwar so gründlich, daß
-ich glaube, wir würden nie wieder in den richtigen Takt kommen.«
-
-Karl biß sich auf die Lippen und schwieg. -- Die tanzenden Paare
-trennten sich, -- man ging umher, um sich abzukühlen, und endlich
-brach man auf. Daß Karl, als Verwandter des Hauses, sich noch nicht
-mitempfahl, konnte Niemandem auffallen.
-
-Als die Gäste fort waren, trat Fränzchen ans offene Fenster, um ihnen
-nachzusehen, und Karl, von Reue und Liebe beseelt, stürzte sich Hals
-über Kopf in das ungeheure Wagniß, bei den Eltern um ihre Hand zu
-werben. So -- nun war's heraus, -- Gott sei Dank! -- er sah seitwärts
-nach ihr hin, ob sie wohl eine Bewegung der Ueberraschung machen würde,
--- aber sie stand so still und unbeweglich am Fenster, als ginge sie
-die ganze Sache gar nichts an. Verlegen und zweifelhaft blieb er
-stehen. Der Vater legte die Pfeife weg, faßte das Mädchen an beiden
-Schultern und drehte sie herum.
-
-»Nun, Fränzchen,« fragte er in einer Mischung von Rührung und Humor,
-»was sagst du? Hier, der Karl will dich zur Frau haben, -- na, du hast
-dir's wohl schon gedacht? Nun, Mädchen, so sprich doch, -- sag' Ja oder
-Nein!«
-
-Da sah sie trotzig in die Höhe und sagte mit undeutlicher Stimme ein
-kurzes »Nein!« drehte sich wieder um und trommelte an den Scheiben.
-
-Die drei Anderen sahen sich zweifelnd und bestürzt an. -- Das kam
-ihnen allen Dreien unvermuthet, -- bis Karl leise bat:
-
-»Laßt mich einen Augenblick mit ihr allein, -- ich will sie schon zur
-Vernunft bringen!«
-
-Die Eltern schienen ihm dies Amt nicht ungern zu überlassen, Karl trat
-zu der kleinen Eigensinnigen und sah, daß ihre Augen voll Thränen
-standen.
-
-»Fränzchen,« bat er herzlich, »sei nicht kindisch! Ich weiß, du hast
-ein Recht, mir böse zu sein, aber es kann dir nicht mehr leid thun wie
-mir, daß wir uns heute so mißverstanden haben, -- verzeihe mir doch!«
-
-Er wollte ihre Hand fassen, sie zog sie hastig und unwillig zurück.
-
-»Sieh',« fuhr er fort, »das Nein, was du mir jetzt sagst, ist doch
-ein anderes, als eine Absage für einen Tanz! Ich kann dann nicht mehr
-wiederkommen und fragen, ob du dich anders besonnen hast, -- du weißt,
-ich würde es auch nicht thun, -- überlege dir's einmal, Fränzchen!«
-
-Da sie fortfuhr, stumm den Kopf zu schütteln, trat er verzweifelt
-zurück und rief die Eltern wieder herein.
-
-»Ich kann nicht mit ihr fertig werden, Onkel, rede du ihr einmal zu, --
-sie ist zu kindisch!«
-
-Der Vater erschien und rief in etwas barschem Ton das Mädchen, welches
-sich trotzig vor ihn hinstellte.
-
-»Was fällt dir ein,« fuhr er sie ziemlich rauh an, »läßt den Karl
-ablaufen wie einen dummen Jungen, weil ihr irgend eine alberne
-Uebelnehmerei mit einander gehabt habt! Gleich bist du vernünftig und
-sagst entweder einen Grund für dein verschrobenes Betragen oder giebst
-ihm die Hand.«
-
-»Nein, ich will nicht und ich will nicht!« rief das Mädchen jetzt,
-von Schluchzen unterbrochen, »erst kommt er zu spät, dann ist er so
-unhöflich gegen mich wie möglich, dann tanzt er nicht und verdirbt
-mir meinen ganzen Geburtstag, -- nennt mich zweimal in einem Athem
-kindisch, -- und wenn er dann zum Schluß für den reizenden Abend gnädig
-kommt und mich heirathen will, -- da soll ich Ja sagen! Ich thu's
-nicht, -- ich mag nicht aufs Land, ich will überhaupt nicht heirathen
-und ich wollte, ihr hättet mir meinen Geburtstag nicht verdorben!«
-
-»Es ist gut, Fränzchen,« sagte Karl trocken, während sie sich abermals
-abwandte und ihr Gesicht ins Tuch barg, »wir wollen nicht mehr davon
-sprechen! Ich habe mich geirrt und bin ein Narr gewesen, -- und jetzt
-kann ich dich nur um Verzeihung bitten, daß ich dir deinen Geburtstag
-verdorben habe, wie du sagst. Gute Nacht, lieber Onkel, gute Nacht,
-Tante!«
-
-Fränzchen wurde durch eine stumme Verbeugung beglückt, -- dann stürmte
-Karl davon und der Moment, wo er die Hausthür öffnete und auf die
-Straße trat, war es, wo wir seine Bekanntschaft machten. Er schlug den
-Weg nach dem Gasthaus ein, wo sein Pferd stand, und fühlte mit Behagen,
-daß ein heraufziehendes Gewitter schwere Regentropfen auf seine heiße
-Stirn sandte, die er schon längst vom Hut befreit hatte. Von Zeit zu
-Zeit wies er bedeutsam nach seinem Kopf, um ihm durch diese Bewegung
-vorzuwerfen, er habe ihm einen schlimmen Streich gespielt, daß er nicht
-mehr mitsprach, als das Herz heut durchging.
-
-Der muntere Trab seines Rößleins sagte seiner Stimmung weit besser zu,
-als die langsame Fortbewegung der Füße, und doch kam er viel zu früh
-für seine Wünsche daheim an. Die Wohnung, die er jetzt seit längerer
-Zeit mit so anmuthigen Zukunftsträumen ausgeschmückt hatte, dünkte
-ihm unwirthlich und öde, -- er erschien sich wie Einer, der zu einer
-schönen Reise gerüstet auf den Bahnhof ging, den Zug versäumte -- und
-mit entsetzlich ernüchterten Gefühlen den Heimweg antritt. Dieses
-letzte Gleichniß leuchtete ihm immer mehr ein, -- »aber es giebt ja
-mehr Züge als den einen,« sagte er halblaut vor sich hin, »führen sie
-auch nicht alle in das gelobte Land der Ehe, -- man kann auch sonst
-noch Reisen machen, denn hier bleiben ist mir jetzt ein unleidlicher
-Gedanke! Aber wohin? -- ich kann für die nächsten zwei, drei Tage
-abkommen, ich werde nach Schrobeck fahren!«
-
-Schrobeck war ein kleiner, vielbesuchter Badeort, den die Bewohner
-der Provinz häufig zu Sonntagsausflügen benutzten. Für gewöhnlich war
-er nur sehr stark von alten Damen frequentirt, daher er für einen
-jungen Mann wenig Anziehendes bot. Aber Schrobeck war nun einmal der
-nächste zu erreichende Ort -- und für Schrobeck entschied sich Karl.
-Ein flüchtiges Bedenken erregte ihm die undeutliche Vorstellung, daß
-eine alte Tante Amalie, die er zu besitzen sich rühmen durfte, meist
-um diese Zeit des Jahres in Schrobeck zu weilen pflegte, -- aber er
-tröstete sich mit den beliebten »Vielleichts«: »vielleicht ist sie
-jetzt noch nicht da!« oder »vielleicht sieht sie mich gar nicht,«
-kurz, er sprang auf und nahm aus seinem etwas sparsam ausgestatteten
-Bücherschrank ein Coursbuch, in dessen Studium er sich eifrig vertiefte.
-
-
-II.
-
-Als Resultat dieser Abendlektüre sehen wir Karl am nächsten Morgen in
-grauem Reiseanzuge mit blauer Kravatte und einer gestickten Reisetasche
-mit Rosen und Veilchen im Wartesalon des Bahnhofs sitzen, die frühe
-Stunde -- sechs Uhr -- hatte dem Landmann keine Ueberwindung gekostet,
-denn »fort, -- nur fort!« war seine Losung und der erste Zug ging
-um sechs Uhr zwanzig Minuten. Sein Platz war so gewählt, daß er der
-Eingangsthür den Rücken wandte und doch im Stande war, mit Hülfe eines
-ihm gegenüber hängenden großen Spiegels Alle zu beobachten, die den
-Wartesaal betraten.
-
-Bis jetzt hatten noch nicht Viele seine Aufmerksamkeit zu fesseln
-vermocht, -- zwei verschlafene, verdrießlich aussehende Damen, deren
-eine ein Kind in unaufhörlich schaukelnder Bewegung erhielt, ließen
-in ihm nur den Gedanken aufsteigen: »Gott bewahre mich vor solcher
-Gesellschaft!« Dann befand sich ein Handlungsreisender in seiner Nähe,
-der zum Benefiz der Kellner und der kaffeeschenkenden Nymphe am Büffet
-sich in zahllosen Scherzen und Scherzchen erging, -- vor diesem graute
-ihm noch weit mehr! Die einzige, wirklich gut aussehende Mitbewohnerin
-dieses interimistischen Aufenthalts war eine kleine, sehr hübsche
-Brünette, die mit einem schwarzen Hütchen geschmückt war, auf dem sehr
-naturgetreue, rothe Kirschen jeden Sperling hätten durstig machen
-können. Die kleine Dame sah, gegen die Gewohnheit des alleinreisenden
-weiblichen Geschlechts, ganz sicher und vergnügt aus, und aß, trotz der
-frühen Morgenstunde, unverdrossen Pfefferkuchen.
-
-»Das wäre schon eher Etwas!« dachte Karl bei sich.
-
-In diesem Augenblick empfand er jene heftige, schreckhafte Bewegung,
-bei der wir, wie der Volksmund sagt, aus der Haut fahren möchten.
-Seine Augen erblickten im Spiegel zwei Gestalten, deren Erscheinen in
-ihm den unmännlichen Wunsch rege machte, sich sofort unter den Tisch
-zu verkriechen, was doch nicht anging, ohne unerwünschtes Aufsehen zu
-erregen.
-
-Ein etwa vierzehnjähriger Bursche, blond, blauäugig, stumpfnäsig, mit
-einer zierlichen Ledertasche und mehreren Paketen beladen, hatte den
-Raum betreten, gefolgt von einer jungen Dame mit sehr ähnlichen blauen
-Augen, blonden Haaren und einem großen Hut, der vergebens die Röthe der
-Augenlider zu verdecken bestrebt war, -- Fränzchen und ihr ältester
-Bruder!
-
-In Karl's Gehirn führten allerlei Gedanken einen verworrenen Tanz aus,
--- er fühlte den unbestimmten Wunsch, etwas zu unternehmen, -- und
-zugleich die beschämende Zuversicht, daß es etwas Dummes sein würde, --
-endlich that er, was meist das Klügste ist, was man thun kann, -- wenn
-es die Menschen nur einsehen wollten! -- er wartete ab!
-
-Fränzchen achtete nicht auf ihre Umgebung, sie stützte den Kopf in die
-Hand und sah vor sich nieder, der sie begleitende Knabe Fritz dagegen
-ließ seine munteren Augen im ganzen Saal umherschweifen, bis sie
-glücklich im Spiegel Karl's wohlbekannte Züge entdeckt hatten. Doch
-im selben Moment fuhr der Zeigefinger des Spiegelbildes blitzschnell
-nach den Lippen, und Fritz, der einer der pfiffigsten Sekundaner des
-neunzehnten Jahrhunderts war, begriff, -- und nickte! Ja, noch mehr,
--- als Karl mit der Hand nach dem soeben geöffneten Perron zeigte,
-dann auf sich selbst und schließlich auf Fritz, Fränzchen aber durch
-ein abwehrendes Kopfschütteln bezeichnete, begriff der kluge Fritz
-sofort, Karl wolle ihn allein sprechen, und seine etwas unsichere
-Knabenstimme machte der Schwester den Vorschlag, er wolle in dem schon
-draußen haltenden Zuge einen Platz für sie belegen, sie solle ruhig
-hier bleiben.
-
-Fränzchen nickte nur matt mit dem Kopf und legte dann wieder die Hand
-über die Augen. Karl konnte also unbemerkt den Saal verlassen und den
-Perron betreten, dessen Uebersicht dem Mädchen durch einen dicken
-Wandpfeiler unmöglich wurde.
-
-Fritz, der während dessen an den Coupés umherirrte, wurde, wie die
-Taube vom Stoßvogel, von Karl gepackt und festgehalten.
-
-»Wo wollt ihr hin, Unglückskinder?« stieß Karl hervor, den Sekundaner
-mit Blicken durchbohrend.
-
-»Nach Schrobeck,« erwiderte dieser, sich mit einer mehr kräftigen als
-anmuthigen Bewegung von den Händen befreiend, die seine Schultern
-hielten.
-
-»Nach Schrobeck?« wiederholte Karl dumpf, »dachte ich mirs doch! Aber
-warum gerade dorthin?«
-
-»Weil Tante Amalie dort ist, -- ich bringe die Fränzchen nur vor der
-Schule auf den Bahnhof, -- sie fährt allein!«
-
-»Und ich fahre auch nach Schrobeck,« sprach Karl in düsterem Tone, sein
-Billet emporhaltend.
-
-Fritz beantwortete diese Mittheilung durch ein so unauslöschliches
-Gelächter, daß mehrere Bahnbeamte sich argwöhnisch und neidisch nach
-dem Eigenthümer so vieler Heiterkeit umsahen.
-
-»Was lachst du denn, dummer Junge?« rief Karl jetzt ergrimmt, »sage
-lieber, wie Fränzchen so plötzlich darauf kommt, abzureisen! Gestern
-Abend war doch noch gar nicht davon die Rede!«
-
-»Denkst du denn, ich weiß gar nichts,« erwiderte Fritz, dessen
-Schlauheit bereits keine Grenzen mehr kannte. »Die halbe Nacht ist noch
-bei uns ein fürchterlicher Spektakel gewesen, -- Fränzchen hat geweint,
-der Vater hat gezankt, sie sei ein dummes Ding, die nicht wisse, was
-sie eigentlich wolle, und sie solle gleich zur Tante reisen, bis sie
-zur Vernunft gekommen wäre. Dann hat mir der Vater einen Brief gegeben,
-den sollte ich zu dir tragen, wenn ich aus der Schule käme, -- da du
-aber nach Schrobeck fährst, behalte ich ihn natürlich!«
-
-»Her mit dem Brief!« herrschte Karl mit so wildem Ton und Blicke, daß
-Fritz, vor diesem furchtbaren Anblick erzitternd, den Brief aus der
-Tasche zog und Karl einhändigte.
-
-Dieser überflog ihn, dann glitt ein triumphirendes Lächeln über sein
-Gesicht, er faltete den Brief zusammen, steckte ihn in die Tasche und
-wandte sich wieder zu Fritz.
-
-»Höre Fritz, -- in diesem Zuge giebt's keine Damencoupés. Du belegst
-hier in diesem Wagen einen Platz für Fränzchen, -- ich lasse meine
-Reisetasche in die Ecke legen und komme nicht eher auf meinen Platz,
-bis der Zug eben fortfahren will.«
-
-Fritz nickte und erklomm das bezeichnete Coupé.
-
-Nach wenig Minuten brachte ein blaujäckiger Dienstmann Karl's
-Reisetasche und legte sie auf den Eckplatz. Fritz begab sich wieder in
-den Wartesaal, um seine Schwester zu rufen, -- es klingelte zum ersten
-Mal.
-
-Karl sah hinter der Gardine des nächsten Wartezimmers zum Fenster
-hinaus.
-
-»Hier, Fränzchen!« rief der wohlinstruirte Fritz und half der Schwester
-in das Coupé steigen, an dessen Fenster ein Täfelchen mit der
-bedeutsamen Inschrift prangte: »Für Nichtraucher!«
-
-»Kein Damencoupé?« frug das Mädchen schon im Einsteigen.
-
-»In diesem Zuge giebt's keine Damencoupés,« lautete die Antwort, und
-Fränzchen nahm ihren Platz gerade der gestickten Reisetasche gegenüber,
-um den Anblick der brüderlichen Stumpfnase noch so lange als möglich
-zu genießen.
-
-Fritz hatte den Wagentritt bestiegen und nahm noch allerlei Aufträge in
-Empfang.
-
-»Erlauben Sie, junger Herr,« sagte da eine muntere Stimme hinter ihm,
-und die junge Dame mit dem Kirschenhut bestieg den Wagen und nahm die
-dritte Ecke an der andern Seite ein.
-
-»Ob das Karl lieb sein wird?« dachte Fritz bedenklich, -- doch da er
-nicht befugt war einzuschreiten, schwieg er wohlweislich.
-
-Um so gesprächiger war die Neueingetretene vom ersten Augenblick an,
-sie klagte über die Hitze, legte ihr Hütchen ab und bot Fritz und
-Fränzchen gutmüthig von dem Pfefferkuchen an, den sie in unvertilgbaren
-Quantitäten bei sich zu führen schien.
-
-»Ich fahre nicht mehr allzu lange,« sagte sie jetzt, sich bequem in die
-Ecke zurücklehnend, »in Eisdorf steige ich aus. Sie auch, Fräulein?«
-
-»Ich habe noch eine Station weiter bis zu meinem Ziel, -- ich will nach
-Schrobeck,« erwiderte Fränzchen müde.
-
-Ein erneutes Klingeln, -- ein kurzer, zwitschernder Pfiff ließ sich
-vernehmen, -- Fritz wurde höflich ersucht, seinen erhabenen Standpunkt
-zu verlassen, -- und eben wollte der Beamte die Thür zuschlagen, als
-in vollem Lauf ein uns wohlbekannter, graugekleideter Herr über den
-Perron eilte, in den Wagen sprang und kaum darin war, als der Zug sich
-in Bewegung setzte.
-
-Karl hatte in diesem Augenblick einen bedeutenden Vortheil über
-Fränzchen, -- er wußte, was ihm bevorstand, und vermochte es in Folge
-dessen, seinen Hut abzunehmen und beide Damen wie fremde Mitreisende
-zu grüßen. Fränzchen aber, gänzlich unvorbereitet, starrte ihn mit
-weitgeöffneten Augen an, als sehe sie einen Geist, und wechselte
-unaufhörlich die Farbe.
-
-Die kleine Dame mit dem Kirschenhut blickte verwundert von Einem zum
-Andern, von dem so sehr gefaßten, jungen Mann zu dem fassungslosen
-Mädchen, -- und schüttelte unmerklich den Kopf.
-
-Karl aber that ganz, als wenn er zu Hause wäre. Er legte seine
-Reisetasche in das oberhalb angebrachte Netz, den Hut daneben, und
-begann dann, über Fränzchen weg, die kleine Brünette mit freundlichem
-Wohlgefallen anzusehen. Er suchte in seinem Herzen nach einem
-Vorwand, um sich zu ihr zu setzen und Fränzchen durch Entfaltung
-seiner glänzenden Unterhaltungsgabe tief fühlen zu lassen, =wen= sie
-verschmähte.
-
-Um Karl's veränderte Stimmung und gehobenen Muth zu begreifen, bedarf
-es nur eines Einblickes in den Brief, den ihm sein hoffentlicher
-Schwiegervater geschrieben hatte. Dieser Ehrenmann that ihm schwarz
-auf weiß zu wissen, daß Fränzchen gleich nach seinem Weggehen den
-ausgetheilten Korb bitter bereut und sich des schwärzesten Betragens
-angeklagt habe. Von seinem Vorschlag aber, Karl diese Mittheilung
-zu machen, habe sie unter keiner Bedingung etwas hören wollen,
-wahrscheinlich weil das gegen ihre Würde gestritten hätte. So habe
-denn der Vater beschlossen, um ihr über die nächsten, unbehaglichen
-Tage hinwegzuhelfen, sie auf eine Woche zu Tante Amalie nach Schrobeck
-zu schicken, und glaube er, seinem lieben Karl die Versicherung geben
-zu dürfen, daß, falls er nach Ablauf dieser Frist noch einmal anfrage,
-er ein um so freudigeres »Ja« für das trotzige »Nein« von gestern
-erwarten dürfe.
-
-So wußte denn unser Held, woran er war, -- und wer das =nicht= weiß,
-kann erst den unschätzbaren Werth dieser Kenntniß ganz würdigen.
-
-Der Vorwand seinen Platz zu wechseln, fand sich bald. Die Kirschendame
-stand auf und rüttelte mit beiden Händen an dem geschlossenen
-Coupéfenster. Es wich ihren Anstrengungen nicht sogleich und
-Karl sprang mit einem verbindlichen »erlauben Sie mir!« auf die
-gegenüberliegende Seite und öffnete das Fenster, sich bequem an diesem
-niederlassend.
-
-Die lustige, kleine Dame war hoch erfreut, ihre sehr unfreiwillige
-Schweigsamkeit aufgeben zu müssen. Karl eröffnete die Unterhaltung mit
-der geistreichen Bemerkung:
-
-»Jetzt ist es nicht mehr so heiß, durch das offene Fenster kommt ein
-angenehmer Luftzug.«
-
-Die kleine Dame nickte mehrmals mit dem Kopf zum Zeichen der
-Zustimmung, und fügte bei:
-
-»Darum kam ich eben auf den Gedanken!«
-
-»Es war ein sehr kluger Gedanke,« sagte Karl verbindlich.
-
-Die Kirschendame sah geschmeichelt aus und bot Karl von ihrem
-Pfefferkuchen an.
-
-»Herren essen zwar so etwas nicht gern,« bemerkte sie.
-
-»Aus so schönen Händen,« erwiderte Karl, der schon merkte, daß diese
-Waare hier guten Absatz fände.
-
-»O, bitte,« erwiderte sein _vis-à-vis_ erfreut.
-
-Fränzchen sah unbeweglich zum Fenster hinaus. Das war zu stark, daß
-Karl noch nicht vierundzwanzig Stunden nach dem betrübenden Vorfall
-in ihrer Gegenwart so harmlos lustig sein und dieser kleinen,
-unternehmenden Person schöne Redensarten machen konnte! Sie war sehr
-erbittert und durfte sich doch nicht verrathen!
-
-Drüben ging indeß die Unterhaltung unermüdlich fort, die kleine Dame
-lachte über Karl's Einfälle, die meist mehr durch Vortrag als durch
-Neuheit glänzten, -- sie lachte so laut und herzlich, daß sie sich
-die Augen trocknen mußte. Karl hatte aber heute lauter selbstische
-Zwecke im Auge, -- erstens wollte er Fränzchen ärgern und sodann sein
-_vis-à-vis_ günstig stimmen, damit sie ihm das Rauchen erlaubte.
-Bescheiden brachte er die Anfrage vor.
-
-»Bitte, rauchen Sie,« sagte seine gemüthliche neue Freundin, »wenn es
-die andere Dame nicht genirt?«
-
-Karl wandte sich mit einer verbindlichen Bewegung an Fränzchen, mit
-gezücktem Streichholz.
-
-»Ich bedaure sehr,« erwiderte sie in eiskaltem Ton, »das Rauchen macht
-mir Kopfweh.«
-
-Das war aber unrichtig, wie Karl genau wußte. Schwer geärgert über
-diese Ungefälligkeit, vergaß er die gebotene Vorsicht.
-
-»Du hast es doch immer vertragen,« fuhr er heraus, biß sich aber
-erschreckt auf die Lippe, als die Kirschendame sichtlich die Ohren
-spitzte und Fränzchen, dunkelerröthend, sich zum offenen Fenster
-hinausbog.
-
-Die Kirschendame ertrug's nicht länger. Sie beugte sich zu Karl hinüber
-und sagte lautlos, nur mit den Lippen:
-
-»Frau!«
-
-Er schüttelte den Kopf.
-
-»Braut?« im selben Ton.
-
-Karl bedachte sich nicht lange, sondern nickte frischweg.
-
-»Gezankt?« deutete das _vis-à-vis_ an.
-
-Abermals nickte er.
-
-»O,« sagte das Fräulein jetzt mitleidig und hätte wohl noch weiter
-geforscht, wenn nicht in dem Moment der Zug gehalten hätte.
-
-»Station Eisdorf,« rief der Schaffner.
-
-Die kleine Dame begann sofort in fieberhafter Angst ihren Hut,
-ihre Schachteln und ihren Pfefferkuchen zu erfassen und mit einem
-bedeutungsvollen: »Glückliche Weiterreise, meine Herrschaften!« verließ
-sie den Wagen und taumelte in die Arme einer großen Familie, die sie
-erwartet hatte.
-
-Langsam setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Karl sah nun
-seinerseits zum Fenster hinaus.
-
-»Nur sich nichts vergeben!« dachte er.
-
-Ein zaghaftes »Karl!« veranlaßte ihn, sich umzuwenden.
-
-»Karl, willst du nicht deine Cigarre anzünden?«
-
-»Du bist sehr freundlich,« sagte er kurz, und bald schwebten die blauen
-Dampfwolken zum Fenster hinaus über die grünen Felder.
-
-Mehrere Minuten vergingen, -- Karl überlegte, was er wohl jetzt sagen
-sollte, -- er beschloß, dem Mädchen seine Launenhaftigkeit ernstlich
-zu Gemüth zu führen, -- und während er sich diese Worte in Gedanken
-zurechtlegte, störte ihn ein leises Schluchzen.
-
-Er schielte vorsichtig herum und sah Fränzchen mit dem Tuch vor dem
-Gesicht, in Thränen aufgelöst, in der Ecke lehnen. Da schmolz sein
-ohnehin nicht sehr hartes Herz und mit einem Satz war er neben ihr. Zu
-einer leidenschaftlichen Liebeserklärung hatte Karl gar kein Talent, --
-und so mögen unsere Leserinnen verzeihen, daß er sich seinem Charakter
-gemäß ausdrückte.
-
-»Aber sage mir einmal, Fränzchen, wozu machst du nun dir und mir das
-Leben schwer? Wärst du vernünftig gewesen und hättest gestern Abend
-'Ja' gesagt, wie du doch meinst, -- nein, sei still, ich weiß es ganz
-gut, -- da säßen wir heute als glückliches Brautpaar in Eurer Wohnstube
-und Abends führen wir mit dem Vater zu mir heraus und du sähest dir die
-blaue Tapete an, die du ja selber ausgesucht hast.«
-
-Sie lachte unter Thränen und schüttelte den Kopf.
-
-»Nun, freilich hast du sie selber ausgesucht,« fuhr Karl gemüthlich
-fort, »und wir Beide, die sich schon gemeinsam die Wohnung eingerichtet
-haben, fahren hier, wie die Landstreicher, in der Eisenbahn, als
-wüßten wir nicht, wo wir hingehören! Nein, Fränzchen, wie soll das
-später werden, wenn wir da draußen auf dem Lande allein sitzen, und du
-willst so unvernünftig sein! Das geht nicht, und jetzt steh' auf und
-sage: 'Ich will sehr gut folgen, lieber Karl!'«
-
-Er zog sie an der Hand empor und sie sprach zwischen Lachen und Weinen
-die bedeutungsvollen Worte nach.
-
-»So,« sagte Karl nach einer Weile, als die erste Rührung beiderseits
-überstanden war, -- denn, gestehen wir es, auch unserem Helden wurde
-die Stimme etwas unklar, -- »nun will ich dir auch beichten, -- ich
-habe dich schon Jemandem als meine Braut vorgestellt!«
-
-»Wem denn?« frug Fränzchen erstaunt.
-
-»Der kleinen Dame mit dem Kirschenhut,« erwiderte Karl ruhig, »was
-hätte die sich sonst denken sollen?«
-
-»Station Schrobeck,« rief der Schaffner, die Thür öffnend.
-
-Unser Paar sah sich bedenklich an. Karl als Herr und Gebieter beschloß,
-was zu thun sei.
-
-»Wann geht der nächste Zug nach L.... zurück?« frug er, den Namen von
-Fränzchens Heimathsort nennend.
-
-»In einer halben Stunde.«
-
-»Nun, Fränzchen,« sagte Karl heiter, »dann fahren wir in einer halben
-Stunde hübsch zu deinen Eltern! Aber was thun wir die halbe Stunde? Nur
-nicht zu Tante Amalie,« schauderte er.
-
-»Wir trinken hier auf dem Bahnhof Kaffee,« schlug Fränzchen vor.
-
-»Bravo,« rief Karl und schlug dröhnend in die Hände, »du bist die
-richtige Frau für mich! Natürlich trinken wir Kaffee!«
-
-Und nach einer halben Stunde saß das neue Brautpaar wieder im
-Eisenbahnwaggon und dampfte den Weg zurück, den es vor wenig Stunden
-gekommen war. Lassen wir sie ruhig ziehen, -- die kommen durch die
-Welt!
-
-
-
-
- Der tolle Junker.
-
-
- »Sie haben mich gezwungen zu einem ehrlichen Mann.«
-
-Die zu ebener Erde belegene Weinstube von Gerhold war heute schon fast
-leer und nur eine einzige Gruppe nahe dem Fenster schien ausharren zu
-wollen, bis der Herbstmorgen dämmerte.
-
-Drei oder vier Herren saßen bei einigen Flaschen Wein in lebhaftem
-Gespräch und zwei andere waren an einem Billard beschäftigt. Die
-Spieler gehörten anscheinend zu der sitzenden Gesellschaft, denn ab und
-zu warf einer von ihnen eine kurze Bemerkung in die Unterhaltung am
-Tisch.
-
-Jetzt öffnete sich die Glasthür, die von der Straße aus in das Zimmer
-führte, noch einmal, und ein Herr in mittleren Jahren, blond, blaß und
-vornehm aussehend, trat ein, warf seinen Oberrock ab und näherte sich
-der Versammlung am Fenster, welche ihn lebhaft begrüßte, während die
-Billardspieler seinen Eintritt noch nicht zu beachten schienen.
-
-»Nun, Raven, Sie eröffnen die Saison recht früh,« bemerkte einer der
-bereits Anwesenden, »es ist doch sträflich, im September schon in
-Gesellschaft zu gehen.«
-
-»Was haben Sie da?« sagte der als Raven Angeredete, »_château d'Yqum_?
-Schön, ich bin von der Partie! Und was die Gesellschaft betrifft, so
-werden Sie mir zugeben, daß man Ausnahmen macht; ich wette, Sie Alle
-hätten heut Abend mit mir getauscht, ich war bei Ertings und habe im
-kleinen Kreise die Verlobung mitgefeiert.«
-
-Bei diesen Worten wandte sich einer der Herren am Billard rasch um; er
-hatte ein scharfes, geistvolles Gesicht, dessen dunkle Augen durch eine
-goldene Brille blickten, ohne darum weniger jugendlich auszusehen.
-
-»Ei, da ist ja auch unser Hippokrates!« sagte Raven, dem allbeliebten
-jungen Arzt die Hand schüttelnd; »nun, Doktor, ist Alles zu Tode
-curirt, daß Sie 'mal Zeit haben, hier Billard zu spielen? Welch
-glänzendes Zeugniß für den Gesundheitszustand unserer Stadt!«
-
-»Berufen Sie mein Glück nicht!« erwiderte Doktor Stein, »ich bin selbst
-ganz erstaunt über diesen Ausnahmezustand, und habe zu Hause Befehl
-gegeben, mich für alle, außer die dringendsten Fälle, zu verleugnen. Da
-ist übrigens mein letzter Ball gemacht, Schrader, für heute sind wir
-quitt!«
-
-Er warf die Queue auf das Billard, trat zum Tisch und schenkte sich ein.
-
-»Und nun,« sagte er, sich einen Stuhl heranziehend, »erzählen Sie vom
-Verlobungsfest, Raven, das ist ja interessant!«
-
-»Ja, ja,« riefen die Anderen durcheinander, »erzählen Sie, wie war das
-Arrangement, und wie benahm sich das Brautpaar?«
-
-»Das Arrangement war tadellos, wenn Sie das Büffet meinen,« sagte
-Raven, »es hatte nur wieder den alten Erting'schen Fehler, weniger
-wäre mehr gewesen! Ich bitte Sie, für eine Gesellschaft von zwanzig
-Personen ein Souper wie bei Hofe, Sect in Strömen -- nun, wir können es
-ja haben!«
-
-»Und das Brautpaar?«
-
-»Der Bräutigam war still, ängstlich und gutmüthig wie immer, die Mama
-soufflirte ihm beständig! Er glaubte, seinen Geschmack durch seine
-Wahl genügend bewiesen zu haben, und hatte sich im Uebrigen nicht mit
-dem Artikel angestrengt, brillantne Vorstecknadel und mehr Ringe wie
-Finger! Nachdem mich ein schaudernder Blick darüber belehrt hatte, war
-ich unfähig, noch einmal hinzusehen. Die Alteration konnte mir schaden,
-man muß auch an sich selbst denken!«
-
-»Sie sind ein malitiöser Mensch,« sagte der Doktor. »Ludwig Erting
-ist ein guter, anständiger Kerl, der sich immer als solcher benehmen
-wird, wenn ihm auch die Lächerlichkeiten seiner Mutter ankleben. Wäre
-er innerlich anders, so würde Edith Brandau ihm auch nie ihr Jawort
-gegeben haben, verlassen Sie sich darauf!«
-
-»Vergessen Sie die anderthalb Millionen nicht, bester Stein, die diesem
-Juwel als Fassung dienen!«
-
-»Aber erzählen Sie weiter, Raven, wie sah die Comtesse aus?«
-
-»So schön wie immer, oder vielleicht noch schöner,« sagte Raven,
-»blaß, ernst und still! Ganz in Weiß mit einer alterthümlichen, feinen
-Goldkette wohl zehnmal um den Hals geschlungen, wie ein Aquarell von
-Passini!«
-
-In diesem Augenblick rasselte draußen ein schwerer Wagen, er hielt
-vor der Thür des Weinhauses und ein graubärtiger Mann in Hut und
-Kutschermantel trat hastig und verstört in die Stube.
-
-»Das gilt mir!« sagte der Arzt und ging dem Ankommenden entgegen.
-
-»Herr Doktor, Sie müssen gleich mitkommen,« begann der Alte mit
-unsicherer Stimme, die noch mehr seine Angst verrieth, als das bleiche
-Gesicht, »unser Herr liegt im Sterben!«
-
-»Was Teufel!« rief der Doktor und fuhr schon mit einem Arm in den
-Ueberzieher, während er sich von den Anderen verabschiedete, »ich
-empfehle mich bis auf Weiteres meine Herren, hoffe, es wird so schlimm
-nicht sein!«
-
-»Wer ist denn krank?« fragte Raven den Eilfertigen.
-
-»Der alte Baron in Wolfsdorf,« rief der Doktor schon im Hinausgehen,
-die Thür klirrte ins Schloß und wenig Augenblicke darauf rasselte der
-schwere Landwagen über das Straßenpflaster.
-
-Ernüchtert durch diesen Zwischenfall, kehrten die Herren zu ihrem Tisch
-zurück und begannen sich auch zum Aufbruch zu rüsten.
-
-Raven hatte sich mit Schrader von den Anderen getrennt.
-
-»Seltsam,« begann er jetzt, als sie mit einander durch die
-menschenleeren, mondhellen Straßen schritten, »wie diese Botschaft für
-den Doktor an unser Gespräch anknüpfte!«
-
-»Inwiefern?« frug sein Begleiter überrascht.
-
-»Ja so, Sie sind hier fremd in der Gegend! Sie müssen wissen, Brandeck
-und Wolfsdorf grenzen, und Edith Brandau war als Kind mehr bei dem
-alten Baron Rüdiger als bei ihren Eltern, die sie, glaube ich, etwas
-vernachlässigten. Der alte Wolfsdorfer hat einen Neffen, auch einen
-Rüdiger, der bei ihm aufwuchs, und der, wie man sagte, eine Art
-Jugendliebe oder Kinderliebe der schönen Edith war.«
-
-»Und warum wurde nichts daraus?«
-
-»Pah, weil es eben ein Unsinn war! Der junge Mensch hatte nichts und
-war nichts, ein Tollkopf vom reinsten Wasser. Und Brandau's -- _cela va
-sans dire_ -- dadurch, daß Edith statt des erhofften Sohnes kam, ging
-ihnen das Majorat durch die Finger, von dem Ertrag des verkommenen,
-verwirthschafteten Brandau konnten sie eben existiren! Ueberdies bekam
-der junge Rüdiger wegen ein paar ganz besonders tollen Streichen
-den Abschied und ging als Fähnrich oder blutjunger Lieutenant nach
-Australien, man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Und seine schöne
-Jugendliebe ist ja getröstet, wie ich mich heute überzeugen konnte!«
-
-Sie waren bei ihrem Gespräch vor Ravens Haus angelangt.
-
-»Wie ist mir denn,« sagte Schrader, »das Majorat ist einer andern Linie
-zugefallen? Und dabei sprach Comtesse Edith doch öfters von einem
-Bruder!«
-
-»Stiefbruder, Bester, Stiefbruder! Die alte Brandau hat aus erster Ehe
-einen Sohn, Carl Düringshofen, ein leichtsinniger Junge! Er steht bei
-den Husaren in M... Jetzt aber gute Nacht, Schrader, schlafen Sie aus,
-es ist sündhaft spät geworden!«
-
-Die Hausthür schloß sich hinter ihm, und Schrader trat den Heimweg an.
-
-
- O Gürtel und Schleier, o bräutlich Gewand!
- Der Heini von Steier ist wieder im Land!
-
-Der Spätherbst rauschte in seinem rothgoldenen Mantel in voller Pracht
-durchs Land. Er streute mit verschwenderischer Hand einen leise
-knisternden Teppich aus gelben Blättern über die großen Rasenplätze im
-Wolfsdorfer Park und verschüttete den breiten Wallgraben rings um das
-Schloß mit dem Laub der uralten Weinstämme, die an den grauen Mauern
-emporkletterten, und im Sommer als lichtgrüne Fahnen von den Thürmen
-wehten.
-
-Der alte Baron Rüdiger, auf dessen Grabhügel jetzt die Octobersonne
-schien, hatte seine Freude daran gehabt, dem Schloß sein
-mittelalterliches Ansehen zu erhalten, und war es zum Theil verfallen
-und düster, so that dies dem Charakter des Ganzen keinen Abbruch. Noch
-immer mußte der einkehrende Gast der herabgelassenen Zugbrücke harren
-und wurde vom Thurmwächter mit Hörnerschall begrüßt. Und daß alle diese
-Einrichtungen noch auf Jahre hinaus unverändert blieben, dafür hatte
-der seltsame alte Herr in seinem Testament gesorgt.
-
-Dies Testament hatte Aufsehen gemacht und die verschiedensten
-Empfindungen und Gefühlsäußerungen im weitesten Kreise hervorgerufen.
-Mit Umgehung zahlreicher, liebevoll besorgter Vettern, die es an
-Erkundigungen und Besuchen bei dem kranken Oheim nicht hatten fehlen
-lassen, ernannte der Verstorbene seinen Neffen, den verabschiedeten
-Lieutenant Gerald von Rüdiger, zum Universalerben seiner beiden Güter,
-Wolfsdorf und Ewershausen, und seines ganz ansehnlichen Vermögens.
-
-Ein Aufruf in allen Blättern meldete dem Betreffenden, dessen
-zeitweiliger Aufenthalt unbekannt war, das Geschehene. »Falls er sich
-nicht einstelle,« so lautete die letztwillige Verfügung, »sollte ein
-Curatorium durch zehn Jahre lang die Güter für ihn verwalten, und ihm
-bei seiner etwaigen Rückkehr unverzüglich übergeben.« Erst nach Ablauf
-dieser Frist hatte der Erblasser anderweitig über den Besitz verfügt.
-
-Heut zu Tage fliegt ja Alles durch die Welt, und so konnte es
-geschehen, daß wenig Wochen nach der Testamentseröffnung der
-»verschollene« Rüdiger seinen Einzug in Wolfsdorf hielt, und mit
-anscheinend leichter, aber doch sicherer Hand die Zügel der Regierung
-ergriff.
-
-Er hatte von vornherein keinen schweren Stand mit seinen Untergebenen.
-Die Leute hingen an dem alten Namen, sie hatten außerdem den
-tollköpfigen Junker von klein auf gekannt und gönnten ihm sein
-unerwartetes Glück und vor Allem, Rüdiger verstand es, mit ihnen
-umzugehen.
-
-Wo er sich zeigte, mochte er zu Fuß über die Stoppeln schreiten,
-und den Gruß der Vorübergehenden freundlich erwidern, mochte er in
-der herrschaftlichen Loge der Dorfkirche sitzen, die Herzen flogen
-ihm entgegen! Ein wildes Scherzwort, sein übermüthiges Lachen, sein
-schönes, tiefgebräuntes Gesicht, in dem bei aller Formengewandtheit
-und Sicherheit eine gewisse unbezähmte Kraft fremdartig anmuthete, hin
-und wieder einer jener tollen Streiche, die ihn von Jugend auf zum fast
-sagenhaften Helden der Umgegend gestempelt hatten, dabei seine warme,
-offene Herzensgüte, die für jeden Bedrängten ein williges Ohr, eine
-offene Hand hatte, alles Das kam zusammen, um seine Untergebenen mit
-einer Art Eigenthumsrecht und Stolz auf ihn blicken zu lassen.
-
-So war er denn in der alten Welt schnell wieder heimisch geworden,
-und fand sich in seine gänzlich veränderte sociale Stellung, vom
-heimathlosen Abenteurer zum festen Grundbesitzer, mit der ihm eigenen
-Leichtigkeit hinein; freilich behielt er nebenbei noch ein ganz
-genügendes Anrecht auf seinen alten Namen »der tolle Junker!«
-
-Besuche in der Nachbarschaft hatte er noch wenige gemacht, er stürzte
-sich vorläufig mit Feuereifer in die landwirthschaftliche Thätigkeit,
-und jede freie Stunde fand ihn auf der Jagd in seinen ausgedehnten
-Forsten.
-
-Man hatte es in dem benachbarten Brandeck in Folge dieses seines
-zurückgezogenen Lebens bis dahin ermöglicht, der Tochter des Hauses,
-Edith Brandau, die Heimkehr des Jugendgespielen zu verschweigen, was um
-so leichter war, als sie bis zum gestrigen Tage in der Residenz ihre
-Aussteuer besorgt hatte.
-
-Der Hochzeitstag rückte heran, im Anfang des Winters sollte der stolze
-Name Brandau gegen den reichvergoldeten, aber bescheideneren Erting
-eingetauscht werden. Man sah zwar in gut unterrichteten Kreisen
-voraus, daß die Fürstin von T..., eine dem Herrscherhaus nahestehende
-lebenslustige Wittwe, die Edith besonders liebte und bevorzugte, ihren
-Einfluß geltend machen würde, um Erting den Adel zu verschaffen, doch
-mußte dieser Schritt anstandshalber verzögert werden, bis die Trauung
-stattgefunden hatte.
-
-Der Bräutigam war heute auch zum ersten Male seit der Verlobung auf
-wenige Stunden nach Brandeck herausgekommen, und das Paar machte noch
-einen kleinen Weg durch den Park, ehe Erting zur Stadt heimkehrte.
-
-Edith war im Reitanzug, sie wollte nach des Verlobten Abreise noch
-einen ihrer einsamen Ritte durch den herbstlichen Wald unternehmen.
-Erting bestieg nie ein Pferd, er vermochte es sogar selten über sich,
-Ediths Rappen anders zu berühren, als daß er ihm mit weit von sich
-gestrecktem Arm den Hals klopfte. Die Schüchternheit und Zaghaftigkeit
-seines ganzen Wesens trat überhaupt auffällig zu Tage, nie aber mehr,
-als im Zusammensein mit seiner Braut.
-
-Die alten Ulmen und Eichen im Park von Brandeck hatten wohl noch
-kein so ungleiches Paar unter ihren Wipfeln hinschreiten sehen, als
-heute an diesem Oktoberabend. Edith, hoch, blumenschlank gewachsen,
-in der strengen Einfachheit ihres dunklen Reitanzuges, das schwarze
-Hütchen tief in die Stirn gezogen, unter dem krauses, goldrothes
-Haar in einen einzigen starken Zopf geflochten, über die Schultern
-herabhing, bildete mit ihrer stolzen, sichern Haltung, ihrem anmuthig
-festen Gange den schroffsten, fast komisch wirkenden Gegensatz zu
-dem schmalschultrigen, blassen kleinen Manne mit dem festanliegenden,
-schwarzen Haar, der im Gesellschaftsanzug und schwarzen Cylinder neben
-ihr einherschritt. Das Gefühl des verlegenen Unbehagens, welches
-ihm jedes Alleinsein mit seiner Braut verursachte, stand in seinem
-gutmüthigen Gesicht geschrieben. Er peinigte sich beständig ab, etwas
-zu finden, womit er Edith unterhalten könne, und es gelang ihm nie.
-
-Edith gab sich keine Mühe, ihm beizuspringen. Sie blickte gedankenvoll
-in den zartnebeligen Wald hinaus, von dessen Wipfeln hier und da ein
-goldschimmerndes Blatt langsam, leise zur Erde fiel. Ein schöner
-Herbstabend ist ein mächtiger Zauberer; mit den weißen Fäden, die vom
-Gewand des scheidenden Sommers in der Luft hängen bleiben, spinnt sich
-gar zu gern ein Stück Vergangenheit im Menschenherzen wieder an, es
-tändelt vor uns her, leicht und ungreifbar, wie die Schleier der Elfen
--- und wenn wir die Hand darnach ausstrecken, legt es sich uns trüb vor
-die Augen -- Herbstspiel!
-
-Endlich brach Erting das Schweigen.
-
-»Haben Sie noch einen Auftrag für mich, Edith? Ich kann ja Alles
-bestellen! Vor Sonntag komme ich wohl nicht wieder heraus?«
-
-Es lag eine Art schüchterner Frage in dem letzten Satz, die Edith zu
-überhören schien.
-
-»Ich danke Ihnen,« sagte sie freundlich; sie war stets sehr freundlich
-gegen ihren Bräutigam, »aber ich glaube, es ist Alles besorgt, was man
-überhaupt in der Welt besorgen kann, wir haben ja seit vierzehn Tagen
-nichts Anderes gethan!«
-
-Ein Ausdruck von Abspannung und Müdigkeit lag auf ihrem Gesicht, sie
-nahm den Hut ab und strich die dicken, goldenen Haarwellen aus der
-Stirn wie eine Last.
-
-»Sie sehen bleich aus,« bemerkte Erting besorgt, »ist Ihnen auch unser
-Spaziergang zu weit?«
-
-Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
-
-»Vergessen Sie nicht, daß Sie ein Landmädchen vor sich haben, ich bin
-an stundenlange Wege gewöhnt. Nein, es ist nur die köstliche Ruhe und
-Stille hier, die mir plötzlich klar macht, wie unruhig mir die letzten
-Wochen vergangen sind, man lebt doch nur halb, wenn man in der Stadt
-lebt!«
-
-»Falls Sie den Wunsch hegen, Edith, daß wir aufs Land ziehen -- ich
-habe ja keine bindende Stellung in W...., dann kaufe ich ein Gut
-in der Nähe. Sie wissen ja, daß mich nur Ihre Wünsche bei meinen
-Zukunftsplänen bestimmen!«
-
-»Nein, nein,« erwiderte sie müde und abwehrend, »was sollte das?
-Sie sind kein Landmann und ich möchte mich in kein fremdes Gut mehr
-einleben.«
-
-»Nun wir könnten ja Brandeck kaufen,« sagte Erting, »die Mama würde
-gewiß ganz gern darin willigen, und der Kaufpreis müßte so gestellt
-werden, daß er ihr eine sorgenfreie Existenz ermöglichte.«
-
-Sie schnitt mit einer leidenschaftlichen Geberde seine Rede ab.
-
-»Hören Sie auf, es macht mich wild, wenn Sie von einem Kaufpreis für
-Brandeck sprechen, Sie sollen es nicht kaufen, ich habe den dringenden
-Wunsch, daß Karl es übernimmt.«
-
-»Ihr Bruder? Nun, Edith, das ist wohl ein wenig sanguinisch! Wenn
-ich als Kaufmann nichts von Landwirthschaft verstehe, wird ein so
-lebenslustiger Husarenlieutenant wohl auch kein Held darin sein!«
-
-»Man hat aber öfter den Fall gehabt, daß aus einem Husarenlieutenant
-ein Gutsbesitzer wurde, als aus einem Kaufmann. Uebrigens sind Sie
-nicht Kaufmann -- können Sie denn nie vergessen, daß Sie dazu erzogen
-wurden?«
-
-»Gewiß nicht!« entgegnete er mit einiger Energie, »meine Neigungen und
-Interessen ziehen mich zum Handelsstand, und wenn ich Ihnen auch mit
-Freuden das Opfer bringe, demselben zu entsagen, so bin ich doch weit
-davon entfernt, mich zu gut für einen Stand zu halten, dem mein Vater
-seinen Reichthum und unsere ganze Familie ihre Stellung verdankt.«
-
-Sie blieb stehen.
-
-»Sie sind ein ehrlicher Mensch, Ludwig,« sagte sie, und gab ihm die
-Hand, »und das habe ich gern! Seien Sie nicht böse, daß ich Sie hart
-anließ, mir ist heut so grenzenlos nervös zu Muthe und ich habe Ihnen
-ja von Anfang an gesagt, daß Sie kein leichtes Leben mit mir haben
-werden!«
-
-Edith war bezaubernd, wenn sie liebenswürdig sein wollte und Erting,
-der meist mehr Furcht vor seiner Braut empfand, als Liebe zu ihr --
-hatte er sie doch zumeist auf den Wunsch seiner Mutter gewählt --
-vermochte sich diesem Zauber auch nicht zu entziehen. Er beugte sich
-über die schöne Hand, die seinen Ring trug, und führte sie an die
-Lippen, das einzige Vorrecht, das ihm die Etikette im Brandau'schen
-Hause und besonders die einschüchternde, kühle Freundlichkeit Ediths
-während des Brautstandes gestattete.
-
-Eine kleine, von Seiten Ertings etwas verlegene Pause folgte, die er
-endlich unterbrach, indem er seine Absicht aussprach, jetzt nach der
-Stadt zurückzukehren, da er den Abend noch eine Versammlung zu besuchen
-habe.
-
-»Darf ich vor Sonntag noch einmal herauskommen?« fragte er, als er sich
-am Parkeingang von Edith verabschiedete.
-
-Eine leise Enttäuschung flog über ihr Gesicht.
-
-»Gewiß,« sagte sie dann, indem sie einen kleinen Tannenzweig
-zerpflückte, und die einzelnen feinen Nadeln zerstreut in die Luft
-warf, »kommen Sie, so oft Sie wollen, aber erwarten Sie nicht zu viel
-von meiner Gesellschaft zu haben, ich genieße noch die Waldeinsamkeit
-und meine schönen, langen Ritte -- und dann sind wir auch sehr fleißig
-jetzt -- aber wie gesagt, kommen Sie nur!«
-
-Sie reichte ihm die Hand.
-
-»Wenn Sie ins Schloß gehen, so sagen Sie Mama, ich hätte meinen Ritt
-für heute aufgegeben, bliebe aber noch ein wenig im Freien,« rief
-sie ihm dann schon im Weitergehen zu, und während er stand und ihr
-nachsah, verlor sich ihre schlanke Gestalt in der Herbstdämmerung der
-Parkgänge. Sie schritt langsam, wie absichtslos, dahin, und erst, als
-sie sich rechts gewandt hatte, und fast an der Grenze von Brandeck
-angelangt war, wurde es ihr klar, daß sie, einem unbewußten Zuge
-folgend, den Lieblingsplatz früherer Tage aufgesucht hatte. Es war ein
-Theil des einstigen Gartens, den jetzt selten mehr ein Fuß betrat, und
-der schon seit Jahren unbeachtet grünte und wucherte. Hier war es so
-schweigsam und abgeschlossen, der leise Moderhauch am Boden welkender
-Rosenblätter flog über die Beete und der schluchzende Ton einer kleinen
-Fontaine machte die Stille nur bemerklicher.
-
-Als die schöne, junge Braut sich jetzt neben dem Marmorbassin jener
-Wassersäule auf den Rasen niederließ und mit gedankenschweren Augen in
-den blassen Abendhimmel sah, hätte die Elfe dieser einsamen Stelle,
-die im Begriff steht, von ungeweihter Hand vertrieben zu werden, nicht
-lieblicher verkörpert werden können.
-
-Vergangene Zeiten flogen ihrem Blick vorüber, eine längst in der Ferne
-verhallte Stimme klang an ihr Ohr. Wie oft hatte sie früher hier
-gesessen, das verschüchterte, kleine Mädchen, unbewillkommnet und
-unbeliebt, scheu und wild, wie ein Geschöpf des Waldes. Bald gesellte
-sich dann in ihrer Erinnerung die Gestalt des Jugendgespielen zu dem
-Bilde des einsamen Kindes -- an diesem Plätzchen hatte er sie stets
-zu finden gewußt. Die Lücke in der Hecke, die Brandeck von Wolfsdorf
-trennt, war wohl längst zugewachsen. Wie schnell hatte er immer
-durchzuschlüpfen verstanden.
-
-Dann saßen die Kinder zusammen, jagten sich, spielten, wurden größer
-und ernsthafter, aus den Märchen, die sie sich erzählten, wuchs
-langsam eine wahre Geschichte empor und sah sie mit hoffnungsfreudigen
-Augen an! Dann kam eine Trennungszeit, ein paar tolle Streiche des
-übermüthigen Spielkameraden, und ein kühler, stiller Sommermorgen, an
-dem Gerald Rüdiger vor Sonnenaufgang an ihr Fenster kletterte, zum
-letzten Lebewohl; damit war's aus gewesen!
-
-Von Liebe hatten sie Beide nie gesprochen, und wenn Edith im Herzen
-daran geglaubt, so war sie eben thöricht gewesen; fünfmal hatten
-seitdem die Rosen geblüht, und kein einziges Briefblatt, kein
-Gruß aus der wilden Ferne, in die der Jüngling damals so kühn und
-abenteuerlustig gezogen, hatte ihr bewiesen, daß er noch ihrer gedacht!
-
-Inzwischen war ihr Vater gestorben, grollend mit sich, mit seiner
-Gattin, mit der ganzen Welt, vor Allem mit der Tochter, die ihm sein
-Majorat gekostet -- und dann kam eine Zeit harter Entbehrungen, die
-um so härter waren, als man dabei den Schein der Vornehmheit wahren
-mußte. Es kamen unsäglich bittere Stunden, in denen die Mutter, sich
-der ganzen Heftigkeit ihres ungezügelten Temperaments überlassend, es
-Edith täglich und stündlich zum Vorwurf machte, daß sie geboren, daß
-sie noch im Hause sei. Der bevorstehende Ruin ihres Stiefbruders, der
-in einem Meer von Spielschulden zu versinken drohte, wurde natürlich
-auf das verlorene Majorat zurückgeführt, kein Augenblick, der nicht
-tausend Kränkungen für das Mädchen gebracht hätte! Und als nun wieder
-ein Freier sich zeigte, ein Millionair, dabei nach allgemeinem Urtheil
-ein braver, guter Mensch, der ihr seine Hand und sein fast fürstliches
-Vermögen bot, da hatte sie freilich erst Nein gesagt, und tausendmal
-Nein rief es noch heute in ihr, aber der leidenschaftliche Zorn der
-Mutter, die flehentlichen Bitten ihres Stiefbruders, und endlich ihr
-gekränkter Mädchenstolz, der nicht Einem nachtrauern wollte, der sie
-so ganz vergessen, alles Das trat wieder vor ihr inneres Auge, als sie
-frug, warum sie doch nachgegeben!
-
-Am Tage ging es gewöhnlich gut, ganz gut!
-
-Man ließ sie im wahren Sinne des Wortes nicht zu Athem kommen, die
-Hochzeit stand ja nahe bevor, und die Fürstin von T.... hatte es sich
-förmlich erbeten, für die Aussteuer sorgen zu dürfen. Edith mußte
-tagtäglich mit ihrer unermüdlichen Beschützerin umher fahren, in den
-glänzenden Läden der Residenz Bestellungen machen, Möbelstoffe und
-Tapetenfarben wählen. Die Abende führten sie dann meist in Gesellschaft
-oder ins Theater, und dem klösterlich erzogenen Mädchen war dies
-Treiben so neu, so fremd und berauschend, daß sie zeitweise dachte, es
-sei wohl wirklich ein glückliches Loos, das sie gezogen!
-
-Aber dann konnte eine stille duftige Fahrt durch den Sommerabend
-kommen, ein einfaches Volkslied von alter Liebe und vergessener Treue
-sich ihr auf die Lippen drängen, und aller trügerische Glanz war fort
--- verwischt -- zwei übermüthige blaue Augen blitzten sie an -- und es
-war Alles, Alles wieder wach in ihr, was sie so tief begraben geglaubt.
-
-Sie schrak zusammen und erhob sich. Gewiß vermißte man sie schon, wer
-hatte sie auch geheißen, gerade heute den alten Platz aufzusuchen?
-Sie schritt hastig vorwärts, um auf einem Umwege über die waldige
-Fahrstraße ins Schloß zurückzukehren, und den Abendwind ihre heißen
-Augen kühlen zu lassen, ehe sie der Mutter gegenüber trat.
-
-Als sie so in tiefen Gedanken dahinschritt, die Schleppe des
-Reitkleides emporhaltend, einen Büschel frischen Haidekrauts im Gürtel,
-mit dem ihre Hand spielte, ließ ein Knistern und Knacken in den Zweigen
-sie überrascht aufsehen. Aber gingen sie denn wirklich um in der
-Herbstsonne, die Geister der alten Zeit?
-
-Ein riesiger Bernhardinerhund sprang mit ungestümen Sätzen auf sie
-zu, und hinter ihm stand ein hochgewachsener Mann mit tiefgebräunten,
-wildschönen Zügen, nicht mehr der blasse, abschiednehmende Jüngling von
-damals, aber wann und wo hätte sie diese Augen nicht erkannt! Stumm
-und bleich wie ein Mondstrahl stand sie ihm gegenüber -- ihr war, als
-müßte das erste Wort den Zauber brechen, und er wieder verschwinden auf
-Jahre, auf immer!
-
-Und auch er sprach nicht, er sah fest und unverwandt auf den kleinen
-Ring an ihrer Hand, den der letzte Sonnenstrahl eben auffunkeln ließ.
-So standen sich Beide still gegenüber, Keins fand einen Laut zur
-Begrüßung, an ihrem Fuß klirrten die goldenen Ketten eines reichen
-Freiers, und er wußte es!
-
-Endlich überwand sich Edith zum ersten Wort, »wir haben uns lange nicht
-gesehen, Gerald,« und streckte ihm die bebende, kleine Hand hin.
-
-Wie beängstigt von dem regungslosen Schweigen, in dem er verharrte,
-ohne auf ihren Gruß zu antworten, fuhr sie hastig, mit fliegendem Athem
-fort:
-
-»Ich war mehr wie überrascht, Sie so plötzlich vor mir zu sehen, seit
-einigen Wochen bin ich von Brandeck fort gewesen und bei meiner Abreise
-fehlte noch jede Nachricht über Sie, man hielt Sie allgemein für
-verschollen.«
-
-»Das Gerücht ist ein wenig voreilig, wie Sie sehen,« erwiderte
-er langsam und mit erzwungener Ruhe, »auch war die Annahme nicht
-»allgemein,« wie Sie sagen. =Eine= hat immer von mir gewußt, haben Sie
-sich in den ganzen, langen fünf Jahren nicht um meine Mutter bekümmert?«
-
-Seine Stimme war bei dem ehrlichen, einfachen Ton der Frage weicher
-geworden, aber Edith erhob den Kopf so stolz, als wollte sie den
-Vorwurf, der in den Worten lag, schon zurückweisen, ehe sie sprach.
-
-»Ich hatte keine Berechtigung dazu,« sagte sie kalt, »warum haben Sie
-in den »ganzen langen fünf Jahren« nicht =einmal= direct von sich hören
-lassen?«
-
-Er schwieg einen Augenblick und sah vor sich nieder.
-
-»Sie haben recht, Edith, ganz recht, aber wie Sie mich kennen, sollten
-Sie nicht so fragen! Ich bin kein Federheld und hätte auch in den
-ersten Jahren verzweifelt wenig Rühmenswerthes von mir zu erzählen
-gewußt! Ich habe mich in allen Sphären des Lebens umhergetrieben, nur
-in keiner, die ich Ihnen hätte anschaulich machen können oder mögen!
-Sie wissen, ich habe es mündlich nie verstanden, mich besser zu machen
-als ich bin, so wollte ich es auch schriftlich nicht versuchen. Und
-da ich von meiner Mutter bis vor einem Jahr, wo ich sie verlor, immer
-hörte, daß es Ihnen wohl ging, so nahm ich an, daß Sie auf dieselbe Art
-auch von mir hören und an mich denken würden.«
-
-Sie unterbrach ihn mit einer stolzen Bewegung des Unmuths.
-
-»Sie haben mich zu hoch oder zu niedrig geschätzt, Baron Rüdiger; man
-mag in meiner »Lebenssphäre« nicht so viel Kenntnisse erwerben, als Sie
-Gelegenheiten hatten, zu thun, aber Eines habe ich gelernt, bis zur
-Vollkommenheit -- zu vergessen, wo ich vergessen war!«
-
-Sie brach ab, und strich aufathmend mit der Hand über die Stirn. Er
-stand schweigend vor ihr und sah sie traurig an, dann trat er einen
-Schritt auf sie zu.
-
-»Edith,« sagte er, und bot ihr herzlich die Hand, »einen solchen Ton
-mag ich nicht von Ihnen hören, ob ich ihn verdient habe oder nicht! Er
-ist des Mädchens nicht würdig, die an einem kühlen Frühjahrsmorgen mit
-Thränen in den Augen zu mir sagte, »wenn Sie auch wiederkommen, Gerald,
-Sie werden mich als dieselbe finden, die Sie verlassen haben!« Diese
-Worte haben mich auf all meinen wilden Wegen begleitet, Edith, ich
-hörte sie, wenn ich des Abends mit meinen Jagdgesellen im Walde lag,
-in den Schein des Wachtfeuers starrte und meine thörichten Träume von
-der Heimath träumte. Wollen Sie wissen, was Der, der Sie »vergaß,« wie
-Sie sagen, da träumte, Edith? Von einem alten Schloß, wild und einsam,
-unter deutschen Buchen, in dem ich und noch Eine Abends am Fenster
-standen, wenn die Nachtigallen schlugen --«
-
-»Hören Sie auf,« unterbrach ihn Edith mit zitternder Stimme, »selbst
-wenn ich Ihnen glaubte, oder glauben wollte, ich habe nicht mehr das
-Recht, solche Worte anzuhören -- ich bin Braut!«
-
-»Man hat es mir erzählt,« sagte Rüdiger finster, »und ich habe erst
-gelacht, dann geflucht und mich immer wieder gefragt: was haben sie
-mit meinem stolzen Mädchen angefangen, durch welche Teufelskünste ist
-sie so weit gebracht worden, Ertings Braut zu werden! Edith, es wäre
-zum Lachen, wenn es nicht so furchtbar ernst wäre! Wissen Sie, was Sie
-thun?«
-
-Sie schwieg und kämpfte einen schweren Kampf mit sich, ehe sie
-antwortete -- die Stimme vor ihr war ja doch und trotz Allem die Musik
-ihrer Jugendjahre gewesen! Aber es war vorüber!
-
-»Sie haben eigentlich kein Recht zu dieser Frage,« erwiderte sie
-hochmüthig, »aber ich will Ihnen antworten, um alter Zeiten willen!
-Ja, ich weiß, was ich thue, Erting hat nicht nur mein Wort, sondern
-ich schulde ihm aufrichtige Achtung und Dankbarkeit, weil er groß und
-zartsinnig an uns gehandelt hat. Ist Ihnen das genug?«
-
-»Ja und nein,« sagte er, während er den Zorn niederzukämpfen suchte,
-den ihr kalter Ton in ihm anfachte, »ich verstehe Sie, Edith -- in
-dürren Worten, Erting hat Ihrem Stiefbruder die Schulden bezahlt,
-und dafür sind Sie seine Braut geworden. Hölle und Teufel,« rief er
-plötzlich, und schleuderte sein Gewehr, mit dem er gedankenlos gespielt
-hatte, in jäh ausbrechender Wuth weit von sich, daß es mit dumpfem
-Klange auf den Boden schlug, »daß ich hier stehen soll, ich vor allen
-Menschen auf der ganzen Erde, und mit Ihnen Ihre Verlobungsgeschichte
-verhandeln, Edith -- das ist mehr als ich ertragen kann. Machen Sie ein
-Ende, sage ich, machen Sie ein Ende, meine Geduld hat ihre Grenzen!«
-
-»Und worin soll dies Ende bestehen?« frug sie, während sie ihn
-unverwandt ansah. Wie gefiel er ihr in seinem urwüchsigen Zorn!
-
-»Sie sollen mir sagen, daß ich ihn, oder mich, oder Sie niederschießen
-darf, daß diese ganze Brautschaft ein widerwärtiges, tolles Puppenspiel
-ist, und Sie mir doch im Grunde treu geblieben sind, trotz aller Ihrer
-schönen Reden.«
-
-Sie trat einen Schritt auf ihn zu.
-
-»Gerald, Gerald!« sagte sie in halb traurigem, halb leichtem Ton, und
-legte ihre kleine Hand auf seinen Arm, »ich habe doch mehr gelernt, als
-Sie in den fünf Jahren, mein alter Spielkamerad! Man kommt mit solchen
-Sturmesflügeln nicht durch die Welt, glauben Sie es nur! Mir hat das
-Leben die Schwungfedern schon geknickt, eine nach der andern, und ich
-habe es ganz hübsch begriffen, daß man sich in Unabänderliches fügen
-muß. Aber Sie, wie Sie da vor mir stehen, und mit dem Fuß aufstampfen,
-ist es mir gerade, als wären wir um zehn Jahre jünger, und spielten
-hier im Walde »Räuber und Prinzessin!« Sie sind wirklich noch ganz
-derselbe --«
-
-»Der vor fünf Jahren aus dem Stubenarrest entwischte, und seine
-Carrière in die Luft fliegen ließ, um Edith Brandau einen
-Cotillonstrauß zu bringen. Sie mögen Recht haben,« sagte er spöttisch,
-»nun, Sie haben ja Ruhe für uns Beide, ich könnte darin viel von Ihnen
-lernen! Für heut ist wohl aber die Lektion beendet, ja? Ich darf mich
-empfehlen, und Sie gehen ins Schloß zurück, Erting kommt doch gewiß zum
-Thee, ich will Sie nicht aufhalten, Comtesse!«
-
-Er nahm seinen Hut auf, und ging mit tiefer Verbeugung. Als er einige
-Schritte gethan hatte, rief Edith zögernd: »Gerald!«
-
-Er wandte sich hastig um.
-
-»Ihr Gewehr, Baron Rüdiger -- und Sie haben mir nicht Lebewohl gesagt!«
-
-Er kam langsam näher und hob das Gewehr vom Boden auf, dann stützte er
-sich darauf und blieb einen Augenblick stehen.
-
-»Edith,« sagte er hart und kalt, »hüten Sie sich vor mir! Wie wir Beide
-uns kennen, taugt es nicht, wenn Sie mit mir spielen wollten, wie
-damals, wo ich für ein freundliches Gesicht von Ihnen bis ans Ende der
-Welt gelaufen wäre. Ich bin zu alt dazu, Edith, und es könnte Ihnen
-doch einmal verzweifelt schlecht gefallen, wenn ich Ernst aus dem
-Spiel machen wollte! Ich habe noch ein gutes Theil Wildheit in mir,
-lassen Sie mich lieber in Frieden -- es ist für uns Beide, und für Ihre
-Porzellanpuppe von Bräutigam besser, wenn ich andere Wege gehe! Und
-nun, gute Nacht Edith!«
-
-Er streckte ihr die Hand hin, sie nahm sie nicht.
-
-»Nein, Gerald,« sagte sie weich und traurig, »gehen Sie nicht so im
-Zorn von mir fort! Ich habe vorhin, weil ich gekränkt war, nicht
-bedacht, daß auch Sie im Augenblick etwas zu verwinden hatten,
-wollen wir uns nicht gegenseitig verzeihen, Gerald? Es ist doch
-wahrscheinlich, daß uns die nahe Nachbarschaft hier jetzt bisweilen
-zusammenführt, sollen wir, zwei so getreue Kameraden von einstmals,
-dann fremd und kalt an einander vorbeigehen? Ich bin ja ohnehin nicht
-mehr lange hier --«
-
-Eine heftige Bewegung flog über ihr Gesicht und plötzlich brach ein
-Strom von heißen Thränen aus ihren Augen, der zur Genüge bewies, daß
-die Ruhe der letzten Stunden erkünstelt gewesen.
-
-»Edith, was thun Sie?« rief er, wie außer sich, und streckte die Arme
-nach ihr aus. Aber sie hatte sich schon gefaßt, und wies ihn mit einem
-energischen Kopfschütteln zurück.
-
-»Gerald, verstehen Sie mich recht,« sagte sie fest im Ausdruck, wenn
-auch die Stimme noch bebte, »ich schäme mich dieser Thränen nicht, sie
-waren ein Tribut an unsre schöne, lustige, traurige Vergangenheit, die
-uns ja doch kein Mensch rauben kann! Aber wir leben in der Gegenwart,
-Gerald, und dürfen nur danach fragen, ob wir recht thun, nicht ob es
-uns gefällt! Dazu helfe mir Gott -- und Sie, mein alter Kamerad, Sie
-werden mir dabei gewiß nicht hinderlich sein wollen! Gute Nacht Gerald!«
-
-Und während er noch erregt und zweifelnd stand, ohne ihr zu antworten,
-verließ sie ihn, und ging nach dem Park zurück. Der höher und höher
-steigende Herbstnebel schien, wie ein wallendes Meer, sie in sich
-aufzunehmen, und als er sich hinter der verschwindenden Gestalt, einem
-grauen Vorhang gleich, zusammen schloß, da erst empfand es Gerald mit
-wildem Schmerz, daß er sie wirklich und unwiederbringlich verloren habe!
-
-
- Gott schütz' Dich vor dem ungeschlachten,
- Ohn Maßen groben Cavalier!
-
-Der große Wohlthätigkeitsbazar, der unter dem Protectorat der Fürstin
-von T... alljährlich zum Besten eines von ihr gegründeten Krankenhauses
-stattfand, wurde in diesem Jahre bei Lampenlicht abgehalten, wie böse
-Zungen behaupteten, weil der Teint der hohen Frau nicht mehr so ganz
-dem Tageslicht Probe hielt, wie in früheren Zeiten.
-
-Die Fürstin verkaufte zwar nicht selbst, aber sie ging ab und zu, und
-war unermüdlich im Anordnen, wie in Allem, was in irgend einer Form
-Vergnügen hieß.
-
-Edith Brandau hatte ihre Mitwirkung selbstredend zusagen müssen,
-sie war schon von je durch ihre Erscheinung die Krone jedes solchen
-Unternehmens, und jetzt, wo der etwas seltsame Brautstand die
-allgemeine Neugier in Bezug auf das schöne Mädchen noch erregt hatte,
-durfte man eine besondere Anziehungskraft für die Kauflust des
-Publikums von ihr erwarten.
-
-Die Stunde, wo die Gesellschaft sich in die Verkaufsstätte drängte,
-hatte noch nicht geschlagen, doch waren die Unternehmerinnen schon
-erschienen, und nahmen beim strahlenden Lampenlicht an den sehr bunt
-und geschmackvoll arrangirten Tischen Platz, während sie hier und da
-noch einen Gegenstand in besseres Licht stellten, dort einen mehr
-wohlgemeinten, als geschmackvollen Beweis des Wohlthätigkeitssinnes in
-den Hintergrund schoben.
-
-Edith saß unbeschäftigt in ihrem Sessel zurückgelehnt. Ein mattblauer,
-schwerer Stoff umrauschte sie, wie das Element, dem sie mit ihren
-Nixenaugen und ihrem Goldhaar anzugehören schien. Neben ihr lag ein
-riesiger weißer Camelienstrauß, die zarten Blumenblätter waren fast
-nicht bleicher, als das Gesicht der schönen Braut, der sie in Ertings
-Auftrage vor wenigen Augenblicken beim Eintritt in den Saal überreicht
-wurden.
-
-Das Mädchen war in tiefes Sinnen verloren. Die kurzen Wochen, die
-zwischen ihrer Unterredung mit Gerald und dem heutigen Abend lagen,
-hatten ihr so manche Stunde gebracht, die jede Fiber ihres Herzens
-erzittern ließ, und sie in den seltsamsten Conflict mit sich brachte.
-
-Zufall und Absicht verbündeten sich, um sie wieder und wieder mit dem
-Jugendfreunde zusammenzubringen, und der auf »freundschaftlicher«
-Basis angeknüpfte Verkehr, den ihr eigener Wille hervorgerufen hatte,
-nahm nur zu bald die leidenschaftliche Färbung wieder an, die Geralds
-ganzem Wesen seine Eigenthümlichkeit und seinen Reiz verlieh. Er hatte
-sich mit scheinbarer Unbefangenheit im Hause ihrer Mutter eingeführt,
-er, der sonst so ungestüm Reizbare, schien die Kälte der Gräfin, den
-schlecht verhehlten Widerwillen Ertings nicht zu bemerken, für ihn
-existirte nur Edith!
-
-Und sie hatte nicht die Kraft, ihm zu zeigen, daß es so nicht sein
-dürfe -- hatte sie wenigstens nur, wenn er nicht in ihrer Nähe war!
-Dann gelobte sie sich jedes Mal, sie wollte ihm mit klaren Worten
-sagen, daß er lieber fernbleiben solle, daß es für alle Theile das
-Beste sei, wenn er vor ihrer Hochzeit das Zusammentreffen vermeide, und
-wenn er dann wiederkam, und sie den ganzen Zauber empfand, den seine
-Stimme und seine Augen auf sie übten, dann tröstete sie sich mit jenem
-gefährlichsten Trost: »es ist ja nicht auf lange, ich bin ja bald fort,
-und einmal Frau, werde ich ihn nicht wiedersehen!« Und sie vermied es
-nicht, wie sie gesollt hätte, ihn zu sprechen und ihm zu begegnen,
-sie spielte ein gefährliches Spiel an einem Abgrunde, weil sie nicht
-vergessen konnte, daß jenseits dieses Abgrundes die blaue Blume wuchs,
-die Jeder träumt, und Jeder anders benennt und die ihr -- erste Liebe
-hieß.
-
-Sie wurde aus ihren Gedanken durch ein plötzliches Geräusch gerissen.
-Soeben erschien die Fürstin mit ihren Damen in den weit geöffneten
-Flügelthüren. Mit einem prüfenden Blick überflog sie das Arrangement
-der Tische, eine Verbeugungswoge begleitete sie von einer Verkäuferin
-zur andern, bis sie den Brandau'schen Tisch entdeckte.
-
-Sie eilte mit ausgestreckten Händen auf Edith zu.
-
-»Seien Sie mir willkommen, mein liebes Kind,« sagte sie, und strich
-zärtlich über das goldrothe Haar der jungen Dame, die sich tief
-verneigte. »Sie sehen bleich aus! ich weiß, daß Sie sich heute opfern
-durch Ihr Erscheinen, aber ich erkenne es auch an, glauben Sie mir!«
-
-»Wenn die Anwesenheit meiner Tochter wirklich ein Opfer ist,
-Durchlaucht,« sagte die Gräfin Brandau, als Edith schwieg, und warf
-ihr einen zornigen Blick zu, »so wäre es durch diese Anerkennung schon
-reichlich vergütet!«
-
-Die Fürstin winkte begütigend.
-
-»Lassen Sie mir meinen Liebling unangefochten, Gräfin, sie hat das
-Vorrecht, ein wenig launenhaft zu sein, es steht ihr ja doch Alles gut!
-Und nun, meine liebe Edith, was haben wir hier? Wie ich sehe, sind noch
-neue Schätze angekommen!«
-
-Während die Damen sich in die Besichtigung und Erklärung der
-ausgestellten Gegenstände vertieften, und die Gräfin sich nach ihrem
-etwas weiter entfernten Tische begab, begann der Saal sich langsam zu
-füllen.
-
-Eine große Anzahl von Herren fand sich ein, unter ihnen die meisten
-Vertreter jener Gesellschaft, die am Eingange unserer Erzählung in der
-Weinstube zusammengesessen hatten, auch Raven fehlte nicht, und gab
-seine gewohnten ironischen Bemerkungen über Menschen und Dinge zum
-Besten, während er an den Verkaufsstätten entlang schritt.
-
-Nach einer Weile zeigte sich Ertings unscheinbare Gestalt, im Frack und
-weißer Halsbinde, eine Rosenknospe im Knopfloch. Er ging langsam von
-Tisch zu Tisch, wurde überall gerufen und aufgehalten, und kam endlich
-bei seiner Braut an, gleichzeitig mit Raven, der eben die Fürstin
-begrüßt hatte, und sich nun neben ihren Sessel placirte.
-
-»Nun, Herr Erting,« rief sie dem sich tief Verbeugenden entgegen,
-»Sie kommen doch mit gefülltem Beutel? Ich hoffe um so mehr von Ihrem
-Wohlthätigkeitssinn, als Sie den Gaben, die Ihnen diese Hand darreicht,
-sicher nicht zu widerstehen vermögen.«
-
-»Erting verhält sich doch am Ende passiv,« sagte Raven für den verlegen
-Verstummten, »er weiß, daß er bereits das Schönste zu eigen hat, was
-ihm die Welt bieten kann, was sollte ihn da wohl noch verlocken?«
-
-»Das steht auf einem andern Blatt,« erwiderte die Fürstin, während ihr
-Blick lächelnd Edith streifte, welche durch keine Miene verrieth, ob
-sie Ravens Worte überhaupt gehört, »ich rede von Dingen die =gekauft=
-werden können!«
-
-In dem Augenblick glitt ein schmerzlicher Zug über das bleiche,
-schöne Mädchengesicht, sie wandte sich hastig ab und suchte in den
-Gegenständen auf dem Tisch umher.
-
-Es blieb dahingestellt, ob Einer der Anwesenden den Doppelsinn der
-Worte erfaßt hatte, oder nicht.
-
-Die Aufmerksamkeit der Fürstin richtete sich plötzlich auf den Eingang
-des Saales, und sie wandte sich zu Raven.
-
-»Ich bitte Sie, Herr von Raven, wer ist der große, blonde Mann, der
-eben eintritt? -- ach, Sie sehen ja nicht hin, dort im Jagdcostüm --«
-
-»Das ist der sogenannte »tolle Junker,« Baron Rüdiger, erinnern sich
-Durchlaucht nicht mehr? -- der jetzt Wolfsdorf geerbt hat. Eine
-sonderbare Idee, in =diesem= Aufzug hier zu erscheinen!«
-
-»Jedenfalls eine kleidsame Idee,« sagte die Fürstin, deren Augen immer
-noch den Besprochenen fixirten, »das ist eine interessante Erscheinung;
-wie kommt es übrigens, daß man diesen neuen Ankömmling noch gar nicht
-zu Gesicht bekommen hat?«
-
-»Rüdiger liebt es, gegen die gesellschaftlichen Formen zu verstoßen,
-Durchlaucht,« sagte Erting etwas bitter, »er sucht darin eine gewisse
-Originalität!«
-
-»Das thut er =nicht=,« rief Edith plötzlich mit Energie und tief
-erröthend, »er ist ein Naturmensch durch und durch, und wenn er sich in
-seiner sorglosen Weise gehen läßt, so ist das eben originell, und er
-braucht es nicht erst zu =suchen=, wie Sie sagen!«
-
-Erting biß sich auf die Lippen. Die Fürstin sah mit einem forschenden
-Blick nach dem plötzlich so lebhaft sprechenden Mädchen, und wandte
-sich dann zu Raven:
-
-»Bringen Sie mir doch diesen seltenen Vogel einmal, Herr von Raven, ich
-möchte gern durch den Augenschein urtheilen.«
-
-»Durchlaucht gestatten wohl, daß ich mich für einige Minuten
-beurlaube,« sagte Erting rasch, während Raven sich anschickte, Rüdiger
-aufzusuchen.
-
-Die Fürstin winkte gnädig gewährend mit der Hand, und wandte sich zu
-Edith, als Erting sich entfernt hatte.
-
-»Edith, dieser Rüdiger sieht unbändig interessant aus, ist es wirklich
-eine Jugendliebe von Ihnen? Wie schade dann!«
-
-Und ein nicht mißzuverstehender Blick folgte der kleinen Gestalt
-Ertings.
-
-»Durchlaucht sind grausam,« erwiderte Edith mit zuckenden Lippen,
-»habe ich das verdient? Wer mir in der Zeit meiner Verlobung so nahe
-gestanden hat, sollte anders denken, oder sprechen!«
-
-Edith durfte viel wagen. Die Fürstin sah einen Augenblick wie bestürzt
-vor sich nieder.
-
-»Verzeihen Sie mir,« sagte sie dann in ihrer gewohnten leichten Art,
-»Sie wissen, ich sage gern, was ich denke, und im Moment kam mir die
-Idee, welch herrliches Paar Sie Beide -- doch halt, er kommt!«
-
-Rüdiger trat mit Raven zu der Fürstin.
-
-»Sie haben uns auf Ihre Bekanntschaft warten lassen, Baron Rüdiger,«
-sagte sie in liebenswürdigem Ton, »ich habe Ihren Oheim sehr wohl
-gekannt, und weiß mich Ihrer selbst aus Ihrer Fähnrichszeit dunkel zu
-erinnern! Haben Sie alles Attachement für alte Bekannte in der Fremde
-verlernt?«
-
-»So wenig, wie die deutsche Sprache, Durchlaucht,« erwiderte Rüdiger
-verbindlich, »wenn ich trotzdem ein Versäumniß beging, so bitte ich, es
-in Gnaden der partiellen Verwilderung zuschreiben zu wollen, der man
-bei einem Jägerleben, wie ich es seit fünf Jahren führe, doch nicht
-entgeht.«
-
-»Rüdiger kokettirt ein wenig mit dieser Verwilderung,« sagte Raven
-in seiner gewohnten ironischen Weise, »man muß seine tadellosen
-Verbeugungen sehen, um zu staunen, daß er in Californien Gold gegraben,
-in Australien --«
-
-»Ich bitte, erklären Sie mich nicht,« unterbrach ihn Rüdiger etwas
-kurz, »außerdem sagen meine Verbeugungen durchaus Nichts -- man muß mit
-den Wölfen heulen -- meinen Sie, ich hätte in Amerika nicht mit den
-Affen um die Wette klettern, und mit der größten Eleganz Cocosnüsse
-pflücken und Grimassen schneiden können? Dafür ist man eben Kosmopolit!«
-
-Die Fürstin sah belustigt aus, ihr Interesse an dem schönen,
-wildaussehenden Jägersmanne wuchs.
-
-»Nun, da Ihnen das Parquet nicht so ganz fremd geworden ist,« sagte
-sie, sich erhebend, »so hoffe ich, Sie öfters zu sehen. Wir musiciren
-jeden Freitag in kleinem Cirkel, und Sie sind hiermit benachrichtigt,
-daß Sie erwartet werden. Nun aber muß ich gehen, ich habe mich schon
-über die Gebühr lange bei Ihnen verweilt, Edith, auf Wiedersehen!«
-
-Raven geleitete sie zu den anderen Tischen, während Rüdiger schweigend
-vor Edith stehen blieb.
-
-»Ich dachte, Sie wollten mir heute überhaupt nicht guten Abend sagen!«
-nahm sie endlich lächelnd das Wort, ihn anzusehen.
-
-»Ich =wollte= auch nicht, aber Ihnen gegenüber =muß= ich stets, auch
-was ich nicht will! Schütteln Sie nicht wieder den Kopf, erzählen Sie
-mir lieber, wie Ihnen unser gestriger Weg bekommen ist!«
-
-»Ich liebe keine Reminiscenzen, und heute bin ich auch gar nicht als
-Privatperson hier, ich denke, Sie sollen mir viel abkaufen, hier, diese
-schöne Jagdtasche --«
-
-»Haben Sie sie gearbeitet?«
-
-Sie schüttelte den Kopf.
-
-»Kennen Sie meine ungeschickten Hände nicht mehr? Ich verstand stets
-besser mit der Reitpeitsche umzugehen, als mit der Nadel! Aber nun
-ernstlich, was kaufen Sie?«
-
-»Nur Eins!« erwiderte er langsam, »aber für dieses Eine gebe ich Ihnen
-meine ganze Börse preis!«
-
-»Und das wäre?«
-
-»Sie werden es nicht geben wollen!«
-
-»Ist es bei den Verkaufsartikeln?« frug sie, ahnungslos, was er meinte.
-
-Er lachte.
-
-»Ja, es liegt dabei!«
-
-»Nun, dann habe ich nichts zu geben oder zu verweigern, mein ganzes
-Sinnen und Trachten ist auf einen möglichst hohen Preis gerichtet, wo
-ist es?«
-
-»Hier,« erwiderte er, und nahm das Camelienbouquet vom Tisch, während
-er seine gefüllte Börse ernsthaft in ihre kleine Geldkasse gleiten ließ.
-
-»Was machen Sie mit dem Bouquet meiner Braut?« sagte plötzlich Ertings
-Stimme hinter ihm, ehe Edith Zeit gehabt hatte, Einspruch zu thun.
-
-»Ich habe es gekauft,« sagte Rüdiger, und blickte herausfordernd auf
-seinen kleinen Rivalen nieder.
-
-Edith mischte sich hastig ein.
-
-»Thorheit, Baron Rüdiger, Sie mußten selbst sehen, daß ich nicht daran
-denken konnte, Ihnen diesen Gegenstand zu verkaufen -- legen Sie
-gleich das Bouquet wieder her! Es war nur ein Scherz,« wandte sie sich
-verwirrt an Erting.
-
-»Das Bouquet ist mein,« erwiderte Rüdiger, ohne sich an Ertings
-zornbleiche Miene zu kehren, »dort liegt meine Börse, Geschäft ist
-Geschäft, Herr Erting, das müssen Sie als Kaufmann doch am besten
-wissen!«
-
-»Sie sind unartig, Gerald,« fiel Edith wieder hastig ein, »und ich
-allein habe das Recht, hier zu entscheiden. Legen Sie das Bouquet
-wieder her, ich mag Ihr Geld nicht haben, auf sophistischem Wege bin
-ich nicht wohlthätig!« Sie hielt ihm die Börse hin.
-
-»Das Bouquet,« wiederholte sie.
-
-»Geben Sie das Bouquet her,« sagte Erting gleichzeitig, mit vor Wuth
-fast erstickter Stimme, »haben Sie ein Recht darauf, oder ich?«
-
-»Leider Sie!« erwiderte Rüdiger lachend und hielt den fraglichen
-Gegenstand hoch in die Höhe, »aber trotzdem bleiben diese Blumen mein,
-ich würde ebenso gern meinen Kopf hergeben, wie auch nur ein einziges
-Blättchen aus dem Strauß! Geben Sie sich keine Mühe, Erting, Sie können
-ihn gar nicht erreichen!«
-
-»Genug,« sagte Edith jetzt schnell und besorgt, da sie sah, daß Erting
-aufs Aeußerste gereizt war, »ich =befehle=, daß Sie die Blumen meinem
-Bräutigam geben, Gerald!«
-
-Sie hatte noch nie mit diesem Ausdrucke von Erting zu Rüdiger
-gesprochen, sein schnell entfachter Zorn loderte auf. Er nahm den
-Strauß und die schwere Börse, und mit dem heftigen Ausruf: »So soll sie
-Niemand haben!« schleuderte er Beides durch das geschlossene Fenster
-in den Garten und verließ dann den Saal, ohne irgend Jemand Lebewohl
-gesagt zu haben, während die ganze Gesellschaft stumm und entsetzt dem
-»tollen Junker« nachsah, der sich eben wieder seines Namens so werth
-gezeigt hatte.
-
-Die Fürstin, welche am andern Ende des Saales beschäftigt gewesen,
-hatte sich beim Klirren der Fensterscheibe rasch und erstaunt
-umgewendet, und sandte jetzt Raven ab, um den Grund dieser Störung zu
-erfahren. Als er mit dem Bericht zu ihr zurückkehrte, lachte sie hell
-auf:
-
-»Köstlich, Herr von Raven, dieser Rüdiger ist wirklich ein Original!
-Aber wie erfrischend wirkt das in unseren nüchternen Kreisen!«
-
-»Ich fürchte, Durchlaucht, daß Herr Erting die Sache nicht in diesem
-Sinne auffassen wird,« sagte Raven, »er schäumte geradezu vor Wuth, und
-seine Mutter, die eben eintrat, um das Bouquet des Söhnchens fliegen zu
-sehen, war mindestens ebenso empört! Wenn die Sache nur nicht ernstere
-Folgen hat!«
-
-»Das wäre ja abscheulich!« rief die Fürstin lebhaft, »und gerade
-jetzt, wo ich mir vorgenommen habe, den interessanten Goldgräber zu
-unseren kleinen Festen heranzuziehen; eine derartige Differenz würde
-Alles zerstören. Das muß verhindert werden, um jeden Preis! Ich
-werde die Familie Erting versöhnen, Herr von Raven, ich bringe der
-Außergewöhnlichkeit ein Opfer!«
-
-Sie ging lachend davon, und Raven folgte ihr, etwas ingrimmig murmelnd:
-»Besonders, wenn diese »Außergewöhnlichkeit« ein so hübsches Gesicht
-hat, da opfert man sich mit Leichtigkeit!«
-
-Aber Ludwig Erting war bereits den suchenden Augen der Fürstin
-entrückt. Er faßte den Arm seiner Mutter und zog sie mit sich hinaus.
-
-»Ich gehe nach Haus,« sagte er auf ihren verwundert fragenden Blick.
-
-»Und Edith? Ich weiß nicht wie du bist, Ludwig, du wirst doch deine
-Braut nicht allein hier lassen!«
-
-»Ich gehe nach Haus,« wiederholte er heftig, »für heute habe ich wieder
-einmal genug von dem vornehmen Brautstand. Was, ich soll mich wohl von
-dem infamen Abenteurer, dem Rüdiger, wie einen Schuljungen necken und
-zerren lassen? Mutter, ich sage dir, es geht nicht gut; wenn =du= nicht
-merkst, daß man sich hier über uns lustig macht, =ich= merke es, und
-was habe ich denn davon?«
-
-»Aber Ludwig,« rief die erschrockene Frau, die währenddessen mit dem
-zornigen, kleinen Sohn ihren bereitstehenden prächtigen Wagen bestiegen
-hatte, und nun an seiner Seite durch die Straßen rollte, »Ludwig,
-hast du denn gar kein Gefühl für die Ehre, die dir geschieht, wenn du
-eine solche Heirath machst? Du mußt doch steigen wollen und in höhere
-Sphären kommen, mein liebes Kind -- ich will ja nur dein Glück, wenn
-ich dir dazu rathe!«
-
-»Du meinst es gut, Mutter, das weiß ich,« sagte er, schon ruhiger,
-»und es ist ja auch möglich, daß eine Heirath mit Edith ein Glück
-ist, in manchem Sinne! Aber ich denke jetzt oft, es wäre besser für
-mich, ich hätte mich nicht von dir bereden lassen, aus meinem Kreise
-herauszugehen, durfte ich nach meinem Sinne wählen, so wäre ich später
-einmal Herr in meinem Hause, und nicht, was ich hier immer sein werde,
-der Mann meiner Frau, die ja sehr schön, sehr vornehm und sehr klug
-ist, die aber wenigstens zehn Stufen herunter steigen muß, um sich mir
-gleich zu dünken. Das ist nichts für mich, Mutter, aber wir wollen
-nicht weiter davon sprechen. Geschehene Dinge sind nicht zu ändern!«
-
-Die Mutter schwieg auf diesen Ausbruch eines lange verhaltenen Aergers,
-einfach, weil sie nichts darauf zu erwidern wußte.
-
-Dann aber fühlte sie doch das Bedürfniß, ihren Sohn zu beschwichtigen.
-Sie legte Ludwig die Hand auf die Schulter.
-
-»Mein liebes Kind,« sagte sie ängstlich, »so sei doch nicht so heftig!
-Daß ich nur dein Glück im Auge hatte, als ich dich zu der Verlobung mit
-Edith drängte, weißt du ja! Und warum solltest du nicht glücklich mit
-ihr werden? Ist sie nicht das schönste und liebenswürdigste Mädchen,
-das die ganze Provinz aufweisen kann? Und so distinguirt, so viel
-_chic_!«
-
-»Mutter, thu mir die einzige Liebe, und sei nicht vornehm, so lange wir
-unter vier Augen sind! Dir steht es nicht, und mir gefällt es nicht,
-und außerdem gehört das _chic_ und was du sonst sagst, nicht zur Sache.
-Antworte mir einmal einfach: glaubst du, daß Edith mich liebt?«
-
-Frau Erting wurde verlegen, als die ehrlichen, kleinen Augen des Sohnes
-sich so fest auf sie richteten.
-
-»Was verstehst du unter lieben?« frug sie ausweichend.
-
-»Nun, ungefähr, was =du= darunter verstandest, als du meinen Vater
-heirathetest, der ein armer Mensch war, und dir keine glänzende
-Existenz bieten konnte! Oder ungefähr, was =ich= darunter verstand, ehe
-Martha unter fremde Leute gehen mußte, damit ich eine vornehme Heirath
-machen konnte!«
-
-»Ludwig,« sagte die Mutter, jetzt fast ebenso heftig, als vorhin der
-Sohn, »reize mich nicht! Willst du deine Verlobung mit Edith Brandau
-rückgängig machen, so thue es, ich kann dir nichts befehlen, aber ich
-kann dir etwas verbieten! Du hast mir am Todtenbette deines seligen
-Vaters versprochen, nicht gegen meinen Willen zu heirathen, und wenn
-ich den bittersten Kummer erleben sollte, dich als Junggesellen sterben
-zu sehen, meine Einwilligung zu einer Heirath mit Martha Erting
-erhältst du nie! So lange du ledig bleibst, kann ich sie aber natürlich
-nicht wieder ins Haus nehmen. An deinem Hochzeitstage, das verspreche
-ich dir, will ich an sie schreiben, und sie zurück holen lassen; also
-du hast es in deiner Hand, wie lange Martha »unter fremden Leuten« sein
-soll! Ich dachte, du hättest dir diesen Unsinn nun nachgerade aus dem
-Kopf geschlagen!«
-
-»Reden wir nicht mehr davon,« sagte Erting finster, »ich habe mich
-vergessen! Eins aber sage ich dir, Mutter, wenn mir dieser übermüthige
-Junker, der Rüdiger, noch ein einziges Mal zu nahe tritt, oder sein
-unverschämtes Hofmachen bei meiner Braut fortsetzt, so werde ich ihm
-zeigen, daß man Courage haben kann, auch wenn man nicht baumlang und
-baumstark ist! Ich fordere ihn auf Pistolen, Mutter -- du weißt, ich
-habe noch kein solches Ding in der Hand gehabt, und wenn er mich
-todtschießt, so hast du wenigstens das tröstliche Bewußtsein, daß ich
-vornehm umgekommen bin!«
-
-Der Wagen hatte während dieser Rede gehalten, und Ludwig half Frau
-Erting aussteigen.
-
-»Gute Nacht, Mutter,« sagte er dann, »da kommt schon einer von unseren
-Herrn Bedienten; ich will noch zu Gerhold, ein Glas Wein wird mir
-heute ganz dienlich sein!«
-
-Und damit wandte er sich ab und ging die Straße hinunter, während die
-Mutter, halb entsetzt, halb stolz über den heldenmüthigen kleinen
-Eisenfresser, im Hause verschwand.
-
-
- Entflieh' mit mir!
-
-Die Fürstin ließ es seit dem Bazartage nicht an Gelegenheiten fehlen,
-die gefährlichen Zusammenkünfte zwischen dem Brautpaar und Rüdiger zu
-veranlassen. Theils hatte sie, trotz ihrer vierzig Jahre, noch jenes
-kleine _faible_ für Rüdiger, welches er fast bei jeder Frau, mit der
-er in Berührung kam, hervorrief, theils auch ergötzte es sie, die
-Reibereien und Intriguen zwischen Erting und Rüdiger zu beobachten. So
-jagten sich denn Lese- und Musikabende, Schlittenfahrten und Eisfeste
-nach einander, und immer war der »tolle Junker« der Held aller dieser
-Festivitäten.
-
-Wie Edith, die in jenen Gesellschaften mit Gerald las und musicirte,
-und sich seinem eigenartigen Wesen unbefangener als je hingab, dachte,
-das wußte Niemand. Die kühle, vornehme Zurückhaltung ihres Wesens
-hätte jede Frage von vorn herein zurückgewiesen, und ob sie selbst
-sich fragte? Sie ließ sich von dem glänzenden Strome der Gegenwart
-dahin tragen, wie in einem Traume, in dem uns schon bewußt ist, daß
-wir bald erwachen werden, den wir aber mit um so größerem Entzücken
-weiter träumen. Das dunkle Gefühl, daß die Wellen dieses Stromes sie
-vielleicht plötzlich erfassen und in den Abgrund ziehen könnten,
-kam ihr nur selten, und wurde so schnell wieder unterdrückt, wie es
-entstand.
-
-Als eine Art Abschiedsfest hatte noch so eben ein glänzender Maskenball
-die Gesellschaft vereint. Unmittelbar von diesem Balle aus kehrte
-Edith, die mehrere Tage bei der Fürstin gewohnt hatte, nach Brandau
-zurück.
-
-Der Maskenball war glänzend und es herrschte nur =eine= Stimme vollster
-Befriedigung. Die Fürstin, die als Maria Stuart durch die Zimmer
-rauschte, hatte das Signal zum Demaskiren noch nicht gegeben. Sie
-selbst war natürlich sofort erkannt worden, zu ihrem geheimen Verdruß,
-und so blieb ihr nichts übrig, als, auf eigene Abenteuer verzichtend,
-solche in möglichst großer Zahl unter ihren Gästen anzustiften.
-
-Edith hatte auf den dringenden Wunsch der Fürstin einen altdeutschen
-Anzug gewählt, und als sie jetzt in ihrem lichtblauen, faltenreichen
-Gewande, mit den herabhängenden, schweren Goldflechten sinnend am
-Fenster lehnte, hätte allerdings das »Gretchen« nicht reizender gedacht
-werden können. Der dieser Erscheinung widersprechende Zug von Stolz
-und Herbheit, der Ediths Wesen sonst leicht kennzeichnete, war durch
-den wehmüthigen Gedanken an den so nahe bevorstehenden Abschied von
-der Mädchenzeit zu einer weichen Lieblichkeit gemildert, die ihr einen
-neuen und geradezu hinreißenden Zauber verlieh.
-
-Erting zu erkennen, war ihr sofort gelungen, er hatte, mit richtigem
-Takt, einen einfachen schwarzen Domino gewählt, aber seine schüchterne
-Unbehülflichkeit ließ ihm selbst diese anspruchslose Tracht als eine
-Prätension erscheinen. Er stand, sich entschieden unbehaglich fühlend,
-am Fenster des zu ebener Erde gelegenen Ballsaales und blickte in
-die Schneenacht hinaus. Edith trat mit jenem, aus freundschaftlicher
-Zuneigung und Mitleid gemischten Gefühl, welches sie stets für ihn
-empfand, auf ihn zu.
-
-»Nun, Ludwig, haben Sie mich wirklich noch nicht erkannt, oder wollen
-Sie sich Ihre Maskenfreiheit wahren?« sagte sie, und legte ihre kleine
-Hand auf seine Schulter.
-
-Er wandte sich hastig um und nahm die Larve ab; es lag ein Zug von
-trübem Nachdenken auf seiner Stirn.
-
-»Wollen Sie mich daran erinnern, daß es mit unserer Freiheit überhaupt
-bald zu Ende ist?« sagte er in einem Tone, der scherzhaft sein sollte,
-aber bitter klang.
-
-»Was haben Sie, Ludwig?« frug Edith halb erstaunt und halb verletzt,
-indem sie einen Schritt zurück trat. In dem Moment fiel ihr Blick auf
-eine hohe Gestalt in der düsterschönen Tracht eines spanischen Granden.
-Eine tiefe, jähe Röthe schoß ihr sinnverwirrend in den Kopf, und war
-trotz der Larve wohl zu bemerken.
-
-»Was ich habe?« gab er finster zurück, »sehen Sie einmal in den
-Spiegel, Edith, aber jetzt, in diesem Augenblicke, und fragen Sie sich,
-»was ich habe,« wenn das Mädchen, das in drei Tagen meine Frau sein
-wird, beim Anblick eines Anderen so tief erröthet -- Sie haben sich zu
-früh demaskirt!«
-
-Sie richtete sich auf und wollte ihn ohne ein weiteres Wort verlassen,
-aber ihr ehrliches Herz sagte ihr, daß er so Unrecht nicht habe! Sie
-bezwang sich und blieb.
-
-»Ludwig, seien Sie nicht hart,« sagte sie, fast bittend, »Sie kennen
-mich genug, um zu wissen, daß ich bei jedem überraschenden Wort oder
-Anblick roth werde, und das unerträgliche Gefühl, daß Sie mich stets
-beobachten, wenn Gerald kommt --«
-
-»Ach was Gerald -- Gerald,« rief er heftig, »Sie brauchen den Baron
-nicht beim Vornamen zu nennen, ich kann diese Jugendfreundschaft nicht
-leiden, die er zum Vorwand nimmt, um Ihnen vor Aller, und auch vor
-meinen Augen in der unerhörtesten Weise den Hof zu machen! Sie werden
-ihn nicht mehr beim Vornamen nennen, und Sie werden heute Abend nicht
-mit ihm tanzen!«
-
-Edith war leichenblaß geworden.
-
-»Sie demaskiren sich gleichfalls ein wenig früh,« sagte sie langsam und
-eiskalt, »aber noch brauche ich mir in solchem Tone nichts befehlen zu
-lassen, ich werde Gerald Rüdiger beim Vornamen nennen, und werde mit
-ihm tanzen, bis Sie mir wirklich etwas zu befehlen haben!«
-
-Und mit einem hochmüthigen Kopfneigen trat sie aus der Fensternische,
-und nahm Geralds Begrüßung mit um so seltsameren Gefühlen entgegen,
-als der leidenschaftlich entzückte Ausdruck, mit dem er sie erkannte,
-schneidend von dem Wesen Ertings abstach.
-
-Das Orchester begann einen rauschenden Walzer zu spielen, man
-demaskirte sich, und als Rüdiger jetzt mit Edith durch den Saal flog,
-da folgten Aller Blicke bewundernd und -- bedauernd dem herrlichen
-Paar, welches dem feurigen Rhythmus des Tanzes so anmuthig nachgab, und
-jetzt stillstehend, unwillkürlich an zwei schlanke Edeltannen denken
-ließ, die neben einander und für einander gewachsen schienen.
-
-Noch nie hatten Beide, Rüdiger und Edith, es so klar empfunden, was
-sie einander waren, als an diesem Abend, wo das schmerzliche Gefühl
-»des letzten Males« ihrem Beisammensein einen erhöhten Reiz verlieh.
-Noch nie hatte Rüdiger es so offen gewagt, von seiner Leidenschaft zu
-sprechen -- und Edith, im Gefühl einer an ihn begangenen Härte, wies
-ihn nicht zurück!
-
-»Und übermorgen ist Ihr Polterabend!« sagte Gerald jetzt ohne
-Uebergang, als er Edith den Arm bot, und langsam mit ihr durch den Saal
-nach einem kühleren Zimmer schritt. Sie ließ sich ermüdet in einen
-Sessel gleiten, und wehte sich mit ihrem großen Fächer Kühlung zu, ohne
-zu antworten. »Erlauben Sie!« sagte er jetzt, und nahm den Fächer aus
-ihrer Hand, »das paßt nicht für Gretchen -- überlassen Sie es Faust!«
-
-»Sie sind nicht Faust!« erwiderte sie lebhaft, und richtete sich auf,
-um ihn anzusehen.
-
-»Vielleicht doch! Die Fürstin wollte mich wenigstens sofort dafür
-erkennen, freilich hat sie mir dies Kostüm auch warm genug empfohlen!«
-
-»Abscheulich!« rief Edith erröthend, »weil sie wußte, daß es Ludwig
-kränken würde!«
-
-»Und warum soll Ludwig sich nicht kränken lassen?« sagte Rüdiger
-höhnisch, »soll ich das ganz allein thun?«
-
-»Sie brauchen sich ja auch nicht zu kränken!«
-
-»Das ist auch nicht das Wort für meine Empfindungen: ich gräme mich,
-ich habe die rasendsten Pläne; wenn Sie ahnten, wie es in meinem Kopf
-und Herzen aussieht!«
-
-»Ich bin gar nicht neugierig!« erwiderte sie anscheinend ruhig, aber
-mit leicht bebender Stimme, »überdies kann ich es mir denken!«
-
-»Nun, wie sieht es darin aus? Sagen Sie wahr!«
-
-»Toll, nicht? Das ist ja Ihr gewöhnlicher Zustand!«
-
-»Und wenn es wäre? Wer hat mich toll gemacht? Edith, ich gebe Ihnen
-eine letzte Bedenkzeit, sagen Sie mir, daß Sie mich lieben, daß Sie
-Erting nicht heirathen wollen, und Alles ist gut! Sonst fällt die
-Verantwortung für jede, auch die größte Thorheit und Schlechtigkeit,
-die ich von jetzt ab begehe, auf Ihr Haupt, vergessen Sie das nicht!«
-
-Sie schüttelte still den Kopf, ohne zu sprechen, aber in dem Zittern
-der kleinen Hände, die zusammengefaltet, unthätig im Schoße lagen,
-verrieth sich der tiefe, peinvolle Zwiespalt, in den seine Worte sie
-versetzten.
-
-»Entscheiden Sie sich, Edith,« fuhr er athemlos vor Aufregung fort,
-»ich gebe Ihnen eine ganze Minute, sechzig Secunden; glauben Sie, daß
-ich den zehnten Theil so lange brauchte, um zu wissen, ob ich Ja oder
-Nein sagen sollte? Ein Wort, Edith,« er blickte sich hastig um, sie
-waren allein im Zimmer, »ein Wort und ich gehe mit Ihnen davon, mein
-Schlitten ist hier, Sie kennen den alten Job, meinen Diener, er führe
-mich zum Teufel in die Hölle, wenn ich wollte! Der Saal ist zu ebener
-Erde, durchs Fenster können wir fort, wie nichts! Ich pfeife und der
-Schlitten ist hier! Noch zwanzig Secunden, Edith, ehe die aber um sind,
-dürfen Sie auch kein Wort sprechen!«
-
-Sie schnitt ihm die Rede ab, indem sie sich hastig erhob.
-
-»Genug, Baron Rüdiger,« sagte sie mit gepreßter Stimme, »Sie beleidigen
-mich tief, tödtlich, wenn Sie noch eine einzige Silbe sagen! Was, Sie
-haben es für möglich gehalten, daß ich, die Braut eines Andern, mit
-Ihnen davonlaufen würde, um die dürre Wahrheit zu sagen? Und nicht
-nur für möglich, für wahrscheinlich haben Sie es gehalten,« fuhr sie
-fort, indem sie ihn durch eine stolze Handbewegung schweigen hieß, »auf
-wen wartet Ihr Schlitten, wenn nicht auf mich? Ich glaubte doch, Sie
-kennten mich besser, Baron Rüdiger! Und jetzt darf ich Sie wohl bitten,
-mich zu meiner Mutter zu begleiten, Sie haben mich hart dafür gestraft,
-daß ich Ihnen die Rechte alter Jugendfreundschaft so vertrauend
-einräumte.«
-
-Er bot ihr schweigend den Arm, an der Thür stand er still und zwang sie
-dadurch, gleichfalls stehen zu bleiben.
-
-»Edith, verzeihen Sie mir,« sagte er rauh und ohne sie anzusehen,
-»es war ein verzweifelter Versuch, Sie zu gewinnen, ich habe nicht
-überlegt, daß Sie der Gedanke kränken mußte; was blieb mir schließlich
-übrig? Verzeihen Sie mir,« wiederholte er zornig, als sie schwieg und
-vor sich niederblickte. »Sagen Sie, daß Sie mir verzeihen oder es wird
-nicht gut!«
-
-Er preßte bei diesen Worten ihren Arm so heftig an sich, daß sie einen
-leisen Schmerzensschrei ausstieß. Hastig ließ er sie los.
-
-»Sehen Sie,« sagte er mit erzwungenem Lächeln, aber ohne sich zu
-entschuldigen, »was davon kommt, wenn man mir den Willen nicht thut?
-Aber jetzt noch einmal, Edith, verzeihen Sie mir, wir sind für lange
-Zeit das letzte Mal zusammen gewesen -- gönnen Sie mir diesen einen
-armen Abend aus Ihrem ganzen reichen Leben. Ich will heute noch einmal
-vergnügt sein, ich reise in dieser Nacht ab!«
-
-»Weshalb?« frug sie überrascht, und sah zu ihm auf.
-
-»Was soll ich noch hier? Ihr Brautführer sein? Sie taxiren mich denn
-doch etwas zu zahm, Edith! =viel= zu zahm, wie Sie noch einmal einsehen
-werden! Aber Sie haben mir noch nicht geantwortet, verzeihen Sie mir?
-Hölle und Teufel, wie oft soll ich fragen?«
-
-»Noch oft, und in ganz anderem Ton, ehe ich antworte,« erwiderte sie
-kalt.
-
-»Nun, dann bin ich zu Ende,« rief er trotzig und wild, »thun Sie was
-Sie wollen, aber wundern Sie sich nicht, wenn ich es auch thue!«
-
-Er stürmte fort, und Edith folgte ihm langsam, mit wildschlagendem
-Herzen. Eine unbestimmte Furcht schien sich wie ein Bleigewicht an ihre
-Schritte zu hängen. Als sie beim Eintreten in den Saal ihre Mutter
-nicht sofort sah, sondern nur Erting erblickte, ging sie, in einem ihr
-sonst fremden Gefühle der Schutzbedürftigkeit zu ihm, und legte ihre
-Hand in seinen Arm.
-
-»Ludwig, Sie dürfen mich nicht so viel allein lassen,« sagte sie, »was
-soll man davon denken?«
-
-»Sie ließen mich allein,« erwiderte er, halb versöhnt durch ihr
-Einlenken, -- »aber es soll mir um so lieber sein, wenn ich jetzt in
-Ihrer Nähe bleiben darf! Geben Sie mir den nächsten Tanz, es ist eine
-Quadrille!«
-
-»Gern,« sagte sie, erleichtert, daß er ihr nicht mehr grollte, »sehen
-Sie sich, bitte, nach einem _vis-à-vis_ um, ich erwarte Sie bei Mama!«
-
-Er geleitete sie zur Gräfin Brandau, die inzwischen wieder in den Saal
-getreten war. Dann ging er, sich einer Gruppe von Herren zugesellend,
-zu der auch Rüdiger gehörte.
-
-Edith beobachtete einige Augenblicke die Plaudernden mit angstvoller
-Spannung, aber da nichts Auffälliges zu bemerken war, wandte sie sich
-ihrer Mutter zu, und bemühte sich, die kritischen Bemerkungen zu
-belächeln, welche die Gräfin schonungslos über Alt und Jung laut werden
-ließ.
-
-Das Zeichen zur Quadrille ertönte von dem hoch placirten, durch
-Orangerie fast versteckten Orchester. Die verschiedenen Gruppen im Saal
-geriethen in Bewegung, ein Paar nach dem andern stellte sich auf, Edith
-warf einen suchenden Blick in den Saal hinein, Erting kam nicht, und
-sie vermochte ihn auch nicht zu entdecken.
-
-Verwundert und etwas ärgerlich wollte sie sich eben zurück ziehen, als
-Raven zu ihr trat.
-
-»Nun, gnädigste Comtesse, Sie verschmähen diesen Tanz?«
-
-»Sagen Sie lieber, der Tanz oder mein Tänzer verschmäht mich,« sagte
-sie lächelnd, »ich habe die Quadrille meinem Bräutigam zugesagt, und er
-scheint dies vergessen zu haben!«
-
-»Erting? O, der wird sofort kommen, er wurde eben abgerufen, weil ihn
-Jemand auf einen Augenblick zu sprechen wünschte, mag sein, daß die
-Unterredung sich ein wenig in die Länge zieht!«
-
-»Ah so!« erwiderte Edith beruhigt, nun, »plaudern wir, bis er kommt,
-Herr von Raven, oder besser, plaudern Sie, Sie verstehen das ja so
-meisterhaft!«
-
-Raven verbeugte sich.
-
-»_Tempi passati_, meine gnädigste, _tempi passati_, jetzt überläßt man
-es jüngeren Kräften!«
-
-Die Quadrille nahm indeß ihren Fortgang. Ediths anfängliches Befremden
-über das Ausbleiben Ertings wich nach und nach dem Zorn. Mochte er in
-noch so dringenden Angelegenheiten abberufen sein, ein Moment fand sich
-doch wohl, mußte sich finden, um der Braut Aufklärung zu geben, was ihn
-verhindere!
-
-»Irgend eine Börsennachricht,« dachte sie bitter, »das ist wichtiger,
-als Höflichkeit und Rücksichten! Man wird zum Cavalier geboren, das
-läßt sich eben später nicht anlernen!«
-
-Als der Tanz vorüber war und sie Raven mit seinen vielen
-»Unbegreiflich, unerklärlich, unverzeihlich« entlassen hatte, trat
-Rüdiger zu ihr. Ihre Augen verriethen die innere Erregung, ein zartes,
-aber doch tiefes Roth färbte ihre Wangen.
-
-Rüdiger sah mit unverhohlenem Entzücken in ihr Gesicht. Wenn sie,
-als er sich ihr nahte, eine leise Befangenheit in seinem Wesen zu
-erkennen geglaubt hatte, so war diese verflogen, er sah lustiger und
-übermüthiger aus, wie je!
-
-»Darf ich Sie zum Souper hinüber führen?« frug er, indem er ihr
-Spitzentuch vom Sessel nahm und ihr umgab.
-
-»Das dürfen Sie,« sagte Edith, gegen ihr besseres Gefühl, »ich bin ja
-ohne Cavalier; Herr Erting hat, Gott weiß warum, den Ball verlassen,
-ohne ein Wort der Aufklärung an mich!«
-
-»Hat er das?«
-
-»Und weiter sagen Sie nichts? Ist es nicht unerhört rücksichtslos?«
-
-»Sie wissen, ich fälle nie scharfe Urtheile,« sagte Rüdiger, der sie
-zu ihrem Platze geleitet hatte, »er konnte zwingende Gründe haben!
-Jedenfalls rechnen wir mit Thatsachen -- er ist fort, ich bin da, es
-lebe die Gegenwart!«
-
-Er hielt sein überschäumendes Champagnerglas hin, und das ihrige klang
-leise dagegen. Er leerte es in einem Zuge, und noch eins, er steigerte
-sich zu fast fieberhafter Fröhlichkeit, sein Lachen klang durch den
-Saal, und noch nie hatten die blauen Augen des »tollen Junkers« so
-geblitzt, wie an diesem Abend.
-
-Edith gab sich voll und rückhaltslos dem Zauber der Minute hin, sie
-fühlte ein Recht dazu, da Erting sie so rücksichtslos, so gleichgültig
-verlassen hatte, und die Stunden flogen vorüber, leicht und glänzend,
-wie die Schneeflocken, die draußen dicht und dichter niederfielen.
-
-Endlich gab die Fürstin das Zeichen zum Aufheben der Tafel und zugleich
-zur Beendigung des Festes.
-
-Während man sich empfahl und der Saal sich zu leeren begann, trat
-Rüdiger noch einmal zu Edith.
-
-»Ich darf Sie und Ihre Mutter nach Hause fahren?«
-
-»Ich glaubte, Sie verreisten heute Abend?«
-
-»Das thue ich auch, aber es bleibt mir trotz dessen noch Zeit, wenn ich
-Sie erst nach Brandau bringe, ich benütze dann einen späteren Zug.«
-
-Aber Edith war inzwischen zu ruhigerem Besinnen gekommen. Sie
-schüttelte den Kopf.
-
-»Nein, Baron Rüdiger, ich danke Ihnen! Ich bleibe heute noch bei der
-Fürstin, es ist mir zu spät geworden, um nach Brandau hinaus zu fahren,
-und meine Mutter hat gleichfalls die freundliche Einladung angenommen,
-im Schloß zu übernachten. Wir können uns also Ihrem Schutze nicht
-anvertrauen.«
-
-»Wie Sie befehlen,« sagte Rüdiger, ohne zu ihrer Ueberraschung noch mit
-Bitten in sie zu dringen, »dann fahre ich von hier direct zur Bahn, und
-fort. Leben Sie wohl, Edith, auf Wiedersehen!«
-
-»Ein weiter Begriff, wenn Sie mehrere Tage fortbleiben,« sagte sie mit
-etwas mühsamem Lächeln, »wir reisen gleich nach der Trauung für den
-Rest des Winters nach Italien.«
-
-»Gleich nach der Trauung, und für den ganzen Winter? O, wie schade!
-Nun, der Frühling kommt ja auch ins Land, Comtesse, und überdies, wer
-darf so sicher sagen, was er thun wird? Sie können Ihre Entschlüsse
-auch noch ändern. In jedem Falle, leben Sie wohl!«
-
-Was war das? Dieser kühle, fast vergnügte Ton, in dem er, der sie noch
-vor wenig Stunden wie außer sich beschworen hatte, mit ihm zu fliehen,
-jetzt ihre Hochzeitsreise besprach -- war dies Comödie, oder alles
-Vorhergegangene? Nun, sie wollte sich nicht übertreffen lassen.
-
-»Leben Sie wohl!« sagte sie frostig, und reichte ihm die kleine Hand im
-Handschuh, die er ehrerbietig an die Lippen führte. Aber als er sich
-wieder aufrichtete, und zurücktrat, so edel, stolz und fest in jeder
-Bewegung, da stand die gewaltsam bekämpfte Liebe in ihrem Herzen noch
-einmal auf, mit bitterem Schmerz bei dem Gedanken: »Du siehst ihn =nie=
-wieder, wie Ihr Euch heut gesehen!« und sie gab ihm nochmals die Hand:
-
-»Gott behüte Sie, Gerald, auf allen Ihren Wegen --« und wandte sich
-hastig ab, während er eben so rasch das Zimmer verließ, und seinen
-Mantel umwerfend, die Freitreppe nachdenklich hinunter schritt.
-
-Auf seinen leisen Pfiff fuhr ein kleiner Schlitten vor. Der graubärtige
-Kutscher schlug schweigend das Tigerfell zurück, und gab seinem Herrn
-die Zügel. Beide vermieden es sorgfältig, einander anzusehen.
-
-»Vorwärts!« rief Rüdiger, und die Pferde zogen an. Pfeilschnell flog
-der Schlitten über die dichte Schneedecke, zur Stadt hinaus. Lautlos
-sauste das Gefährt über die Landstraße, im kalten Vollmondlicht von
-seinen gespenstischen, kohlschwarzen, jagenden Schatten begleitet.
-Eine scharfe Biegung des Weges brachte den Schlitten in den stummen,
-funkelnden Wald, der Mond verschwand hinter den schwarzen Tannen, und
-ein Ruck mit den Zügeln ließ die Pferde langsam gehen. Schon stieg das
-Wolfsdorffer Schloß, in seinem Schneemantel seltsam und ungestaltet
-aussehend, vor den Blicken Rüdigers auf. Er zog den Hut tiefer ins
-Gesicht, und wandte sich zu seinem Kutscher.
-
-»Job!«
-
-»Gnädiger Herr?«
-
-»Alles ruhig oben?«
-
-»Nein, gnädiger Herr!«
-
-»Was macht er denn, Job?«
-
-»Er flucht, gnädiger Herr, und wirft die Stiefel gegen die Thüren. Zwei
-Fenster hat er auch schon eingeschlagen.«
-
-Rüdiger biß sich auf die Lippen und schwieg. Nach einer Pause, die den
-Schlitten wieder näher an das Schloß brachte, begann er von Neuem.
-
-»Job!«
-
-»Gnädiger Herr!«
-
-»Warum sagst du nichts?«
-
-»Ich weiß nichts, gnädiger Herr!«
-
-»Job, mir ist verflucht ungemüthlich zu Muthe!«
-
-»Das glaub' ich, gnädiger Herr!«
-
-Der Baron peitschte plötzlich wie wüthend auf die Pferde, daß sie im
-Sturmschritt hinflogen, bis das Schloß erreicht war. Der gellende Ton
-der Pfeife übte auch hier seine Wirkung. Langsam und kreischend wurde
-die Zugbrücke herabgelassen, der Schlitten sauste in den Schloßhof, die
-Zugbrücke ging empor und nun war Rüdiger zu Hause.
-
-Ein zweiter Diener, eben so alt und verdrießlich aussehend, wie Job,
-trat ihm mit einer Lampe entgegen, die einen breiten, röthlichen
-Schein über den Schloßhof fallen ließ. Rüdiger schüttelte sich die
-Schneeflocken vom Hut und aus dem Gesicht, warf dem Diener den Mantel
-zu, und ging langsam die breite, halbdunkle Treppe hinauf, die nach den
-Wohnräumen führte. Der Diener folgte ihm mit der Laterne.
-
-Oben angelangt, blieb der junge Schloßherr stehen. Wenn er hätte sehen
-können, welch seltsam malerischen und schönen Anblick er in seiner
-altspanischen Tracht, an der dunkeln, geschnitzten Holztreppe lehnend,
-darbot, er hätte sich möglicher Weise gefreut, wahrscheinlicher aber
-ist es, daß es ihm in seiner momentanen Stimmung höchst gleichgültig
-gewesen wäre.
-
-Er entließ den Diener mit einer kurzen Handbewegung und schritt dann,
-nachdem er noch einen Augenblick nachdenklich gestanden hatte,
-den langen, hallenden Gang herunter, der nach dem unfreiwilligen
-Aufenthaltsort seines Gastes führte. An einem Zimmer, über dessen Thür
-sich ein Spitzbogen von Sandstein wölbte, hielt er an, schloß auf und
-klopfte gleichzeitig.
-
-»Wer ist da?« rief Ertings Stimme von drinnen, zwischen Aengstlichkeit
-und Wuth.
-
-»Ich, Gerald Rüdiger, Herr Erting, -- wollen Sie --«
-
-Es blieb ihm nicht Zeit den Satz zu vollenden, die Thür wurde
-aufgerissen, und Erting stand dicht vor ihm, in dem ungewissen
-Mondlicht, welches sein vom Zorn bleiches Gesicht noch weißer
-erscheinen ließ.
-
-»Wo haben Sie Ihre Pistolen?« knirschte er, indem er Miene machte, sich
-auf Rüdiger zu stürzen, »wo haben Sie Ihre Pistolen, ich will nicht
-mehr leben, wenn ich nicht an Ihnen Rache nehmen darf!«
-
-Rüdiger war so versteinert über diesen Wuthausbruch, daß er im ersten
-Moment kein Wort fand, um zu erwidern. Erting mochte das für den
-kalten Hohn des Siegers dem Besiegten gegenüber halten, er kam wie ein
-Rasender auf Rüdiger zu, und packte ihn am Arm.
-
-»Wollen Sie mir sofort Genugthuung geben für den Schimpf, den Sie mir
-angethan haben, oder soll ich Sie dazu zwingen?«
-
-Er hob drohend die Hand, Rüdiger trat einen Schritt zurück, noch sehr
-ruhig, wie es schien.
-
-»Seien Sie nicht toll, Erting, ich schieße mich nicht mit Ihnen!«
-
-»Weshalb? weil Sie der Stärkere sind? Ich will keine Schonung!«
-
-»Nein, einmal, weil wir keine Secundanten und keinen Arzt zur Stelle
-haben, von einem Duell also keine Rede sein kann, sodann aber, weil Sie
-mit Schießgewehr nicht umzugehen wissen, und ich kein Vergnügen daran
-finde, einen Wehrlosen niederzuschießen.«
-
-»Wenn Sie Vergnügen daran finden, einen Wehrlosen durch Ihre Leute
-knebeln und fortschleppen zu lassen, so ist das reichlich eben so
-feige!«
-
-»Erting, nehmen Sie sich in Acht,« rief Rüdiger, auf dessen Stirn eine
-unheilverkündende, düstre Röthe erschien, »ich dulde heute Viel von
-Ihnen, weil Sie der Beleidigte sind, aber nicht Alles!«
-
-»Sie wollen sich nicht mit mir schießen?« schrie Erting mit fast
-erstickter Stimme, als der Andere sich abwendete, und im Begriff stand,
-das Zimmer zu verlassen.
-
-»Nein!« erwiderte Rüdiger kurz, er fühlte, daß er keine Silbe mehr
-sagen durfte, ohne in Zorn auszubrechen.
-
-»Wer hat die Schonungsparole ausgegeben?« fuhr Erting, sinnlos vor
-Wuth, fort, »Edith, ich sehe jetzt klar, sie war doch jedenfalls im
-Complott, als es galt, den unbequemen Bräutigam fortzuschaffen!«
-
-»Genug!« sagte Rüdiger todtenbleich und fest, »Sie haben einen Namen in
-unseren Streit hineingezogen, der es mir unmöglich macht, Ihnen noch
-ferner Genugthuung zu verweigern, ich werde die nöthigen Anordnungen
-treffen. Erwarten Sie mich hier, Sie haben es so gewollt!«
-
-Er verließ das Zimmer, und Erting blieb allein zurück, in einem
-Tumult von Empfindungen, der ihm fast den Verstand zu rauben drohte.
-Ueberwiegend war immer noch die furchtbarste Wuth und Entrüstung, die
-aber in der Voraussicht, seinen Rachedurst kühlen zu können, ja zu
-müssen, bereits nachzulassen begann.
-
-Blitzschnell jagten sich die Gedanken, »was wird man zu Hause von dir
-denken? in welchem Lichte mußt du Edith erscheinen?« denn im Innern
-hatte er an ihre Mitwissenschaft nicht geglaubt! Dann kamen andere
-Bilder -- wenn er nun hier fiel! er, der dem Waffenhandwerk gänzlich
-Fremde, dem besten Schützen auf Meilen in der Runde gegenüber! Was
-würde seine Mutter sagen? was Martha, die kleine, gute Cousine, die er
-geliebt, ehe er in diesen wüsten Traum verflochten wurde? Er starrte
-auf den breiten, weißen Streifen Mondlicht, der durchs Zimmer floß. Wer
-weiß, ehe die nächste Stunde ablief, lag er vielleicht dort, hülflos,
-zum Krüppel geschossen, todt, das war das Wahrscheinlichste.
-
-Ach was half das Quälen! Er sprang auf und schritt durchs Zimmer,
-in dem seine Schritte unheimlich wiederklangen. Dann trat er zum
-Fenster, riß zwei Blätter aus seiner Brieftasche und warf im grellen
-Vollmondschein mit etwas unsicherer Hand zwei Zeilen hin, an seine
-Mutter! Dann faltete er das Blatt und schrieb unter die Adresse: »für
-den Fall meines Todes abzugeben.« Dann ergriff er das andere Blatt --
-sollte er Edith Lebewohl sagen? sie wird seinen Tod schon erfahren,
-durch Rüdiger, der sie zweifelsohne darüber zu trösten verstehen wird!
-Nein, im Angesicht des Todes giebts keine Lüge mehr, er schreibt hastig
-und fliegend: »Liebe Martha, wenn du diese Zeilen erhältst, bin ich
-nicht mehr unter den Lebenden, und du sollst dann wissen, daß ich dich
-immer geliebt habe, und daß nur der Wille meiner Mutter uns trennte.«
-
-Er hatte kaum Zeit, auch hier die Adresse beizufügen, als der Schall
-von Schritten seiner Thür nahte.
-
-Rüdiger trat ein, gefolgt von zwei graubärtigen Männern, deren einer
-ein paar riesige Armleuchter trug, die das Zimmer plötzlich zum Theil
-mit grellem Licht erfüllten, während die verjagte Dunkelheit scheu und
-doppelt finster in den Ecken niederkauerte, als lauere sie auf den
-Augenblick, wo hier Alles wieder ihrem Reich anheimgegeben sein würde.
-
-Rüdiger stellte das Pistolenkästchen, welches er trug, auf den Tisch
-und wandte sich zu Erting.
-
-»Ich habe Sie warten lassen, Herr Erting,« sagte er im verbindlichen
-Ton, »aber um die nöthigsten Formalitäten zu erfüllen, habe ich uns
-wenigstens einen Zeugen citirt, hier, mein Förster Strauch, er wird uns
-die Waffen reichen, und versteht im schlimmsten Fall nothdürftig zu
-verbinden.«
-
-Er trat zum Tisch und nahm die Pistolen heraus.
-
-»Gestatten Sie, daß mein Förster Ihnen das Laden abnehme,« sagte er
-dann zu Erting, »meine Waffen sind etwas eigensinniger Natur, und
-lassen sich nicht von Jedermann handhaben!«
-
-Erting verbeugte sich stumm.
-
-»Ein Wort, Herr von Rüdiger,« sagte er dann.
-
-»So viel Sie befehlen!« erwiderte sein Gegner, indem er mit ihm zum
-Fenster trat.
-
-»Wenn ich falle, so darf ich wohl bitten, diese beiden Zettel an ihre
-Adresse zu befördern, ich stelle mich für einen gleichen Auftrag zur
-Verfügung.«
-
-Rüdiger warf, nachdem er die Aufschriften gelesen, einen schnellen
-verwunderten Blick auf Erting.
-
-»Nichts an Comtesse Brandau?«
-
-»Ich vermuthete, daß Sie ihr mündlich Bericht erstatten würden!«
-
-Rüdiger zuckte die Achseln.
-
-»Wer weiß! Und nun, sind wir fertig?«
-
-Erting schwieg einen einzigen Moment.
-
-»Ja,« sagte er dann. »Sie haben mir keinen Auftrag zu geben?«
-
-»Besten Dank! Wenn mir ein derartiges Malheur zustößt, so würden die
-sogenannten Meinigen, deren ich wenig besitze, sich durchaus nicht
-wundern; sie erfahren es dann am Besten durch meinen alten Job. Und
-Comtesse Brandau -- ich vermuthe, Sie werden ihr mündlich Bericht
-erstatten, Herr Erting!«
-
-Er lächelte flüchtig und streckte Erting die Hand hin. Dieser nahm sie
-nicht, und sah ihn zornig verwundert an.
-
-»Es ist Usus so, oder ähnlich,« sagte Rüdiger freundlich, »aber wie Sie
-wollen!«
-
-Die beiden Gegner nahmen Aufstellung, der Diener hatte das Zimmer
-wieder verlassen.
-
-»Ich denke, wir schießen _a tempo_,« sagte Rüdiger, noch immer in einem
-Ton, wie im Ballsaal, »zählen Sie, Strauch, bis drei!«
-
-Fast gleichzeitig ertönte der scharfe Knall der Pistolen, Rüdigers
-Kugel zischte etwa handbreit über Ertings Kopf fort und schlug in die
-Wand. Als sich die blauen Rauchwolken langsam verzogen, sah der vor
-Aufregung halb sinnverwirrte Erting Rüdiger schwanken, oder glaubte es
-zu sehen. Im nächsten Augenblick hatte sich der Baron aufgerichtet, und
-trat auf Erting zu, ihm die linke Hand bietend.
-
-»Bravo, Erting, Sie haben sich die Sporen verdient, -- und nun zürnen
-Sie mir nicht mehr, ich habe eine ganz hübsche Lehre bekommen!«
-
-Erting starrte mit weitgeöffneten Augen auf seinen Gegner, dessen
-rechter Arm schlaff und regungslos herabhing, und von dem das Blut
-dicht und schnell niederrieselte und in dem Streifen Mondlicht am
-Fußboden unheimlich aufglänzte. Rüdigers bleiches Gesicht und die
-finster zusammengezogenen Augenbrauen verriethen, daß er heftige
-Schmerzen fühlte. Seine Stimme hatte nichts von ihrem übermüthigen
-Klange verloren.
-
-Aber bei den letzten Worten ging es wie ein Schleier über seine Züge,
-und der Förster hatte eben noch Zeit, den ohnmächtig Zurücksinkenden
-aufzufangen.
-
-Jetzt erst fand Erting Sprache und Bewegung wieder.
-
-»Großer Gott, ich habe ihn gemordet!« schrie er auf, und warf sich
-neben seinem bleichen Feinde nieder.
-
-Der Förster schwieg und bemühte sich, Rüdigers Rock auszuziehen,
-was ihm aber nicht gelang, da der zerschmetterte Arm in seiner
-Unbehülflichkeit ihn daran hinderte.
-
-»Helfen Sie 'mal,« herrschte er Erting zu, der, das Gesicht in den
-Händen verborgen, noch immer regungslos auf den Knieen lag, »heben Sie
-den Arm in die Höhe, damit ich ihm den Aermel aufschneiden kann.«
-
-Erting, dessen Zähne wie im Fieberfrost zusammenschlugen, versuchte
-zu gehorchen, aber seine zitternden Hände erwiesen sich als so
-ungeschickt, daß der Förster ihn ärgerlich bei Seite schob.
-
-»Rufen Sie den Job,« sagte er, »wir müssen uns eilen, daß wir das Blut
-stillen, sonst wird das nicht gut!«
-
-»Ich weiß nicht, wo ich ihn finden soll,« sagte Erting kläglich, dessen
-durch die Erregung des Moments aufgeflackerter Muth bereits wieder zu
-einem Nichts zusammengeschrumpft war.
-
-»Dann werde ich ihn holen,« sagte der Förster, »bleiben Sie hier bei
-dem Baron!«
-
-Und damit verließ er das Zimmer. Erting blieb mit Rüdiger allein.
-
-Sein erstes Gefühl war, sich ins Fenster möglichst weit von seinem
-Opfer zu flüchten, aber eine bessere und muthigere Regung überwog. Er
-nahte sich dem noch immer Bewußtlosen und kniete, obwohl zitternd,
-neben ihm nieder, ohne ihn jedoch zu berühren. In der kalten
-Doppelbeleuchtung der flackernden Lichter und der Schneenacht draußen
-war Rüdigers edles, regungsloses Gesicht wirklich kaum von dem eines
-Todten zu unterscheiden. Als Erting, von einem unheimlichen Zauber
-bezwungen, starr in die stillen Züge seines Feindes blickte, ging ihm
-das Herz in Reue und Wehmuth auf. Dies schöne, starke Leben hatte er
-zerstört; zum Wenigsten den Mann dort auf ein monatelanges Siechenlager
-gezwungen, ihm, dem freies, wildes Streifen in Wald und Flur, Jagdlust
-und Jagdeifer Leben hieß, wahrscheinlich für immer die Freude an
-solchen Dingen geraubt! Jener Arm, der dort so schlaff, so schauerlich
-bewegungslos herabhing, er würde sich vielleicht nie mehr heben; mit
-den dunklen, schweren Tropfen, die ihm entströmten, ging vielleicht die
-letzte Hoffnung auf ein Wiedererwachen des Leblosen dahin!
-
-Wo blieb nur der Förster? Erting getraute sich nicht, bis zur Thür zu
-gehen, er hielt förmlich den Athem an.
-
-Seine Reflexionen begannen von Neuem. Stand diese Strafe im Verhältniß
-zu dem tollen Streich, der ihn hierhergebracht? Hätte er nicht ruhiger,
-nachgiebiger sein sollen? O, und wer war gestraft, wer, als er selbst,
-der wie ein Fluchbeladener hier kniete, und auf den Herzschlag des
-Mannes lauschte, den seine Waffe hingestreckt, und der sich ihm, wie
-er nun wohl wußte, ohne Gegenwehr zum Ziel gesetzt! Als er, tief
-aufstöhnend, den Kopf erhob, und Rüdiger anblickte, öffnete dieser
-langsam die Augen, und sah ohne bestimmtes Ziel vor sich hin.
-
-Dann erhob er die linke Hand nach der Stirn und versuchte, sich
-aufzurichten.
-
-Erting, obwohl bebend am ganzen Körper, unterstützte ihn. Rüdiger
-erkannte seinen kleinen Feind und ein leises Lächeln flog über sein
-Gesicht.
-
-»Herr Erting, bemühen Sie sich nicht! Und sehen Sie nicht so jämmerlich
-aus, es war mir ganz gesund, daß Sie mir etwas Blut abzapften!«
-
-Der schwache Ton der Stimme traf Erting wie ein Dolchstoß.
-
-»Ich habe Sie unglücklich gemacht,« stöhnte er, die Hände vor's Gesicht
-schlagend, »können Sie mir verzeihen?«
-
-Rüdiger erröthete leicht.
-
-»Erting, machen Sie mich nicht verlegen,« sagte er hastig und streckte
-die Hand nach dem Andern aus, »ich Ihnen verzeihen! Ich habe Sie
-auf das Unerhörteste behandelt und kann von Glück sagen, mit einer
-so »gnädigen Strafe« davon zu kommen. Und was das Unglücklichmachen
-betrifft, bester Freund, diese linke Hand wird schon noch eine Büchse
-führen können, bis die rechte wieder dienstfähig ist!«
-
-Er schloß wieder die Augen, die letzten Worte hatte er schon fast
-gemurmelt -- aber endlich, endlich kamen Schritte den Corridor entlang.
-Der Förster, Job und noch ein paar Unbekannte drangen ins Zimmer.
-Einer davon, ein kleiner, untersetzter Mann, näherte sich dem jungen
-Schloßherrn und begann mit anscheinender Sachkenntniß den verwundeten
-Arm zu untersuchen.
-
-Erting wartete auf seinen Ausspruch, wie auf das Urtheil über Tod und
-Leben, nachdem Job ihm mit finsterer Miene gesagt, es sei der Wundarzt.
-
-»Ist das Bett des Herrn Baron bereit?« frug der Heilkünstler jetzt.
-
-»Wie lange schon!« murrte Job, »es ist ja glücklich fünf Uhr vorbei!«
-
-»Nun, Scholz, was meinen Sie zu mir?« sagte Rüdiger, sich ein wenig
-aufrichtend, »heulen Sie mir aber nichts vor, denn ich verstehe ebenso
-viel von der Chirurgie wie Sie, alter Bartscheerer! Kaput oder nicht?«
-
-»Der Knochen ist durch und durch, Herr Baron,« erwiderte der Wundarzt
-trocken. Erting klappte zusammen wie ein Taschenmesser, während Rüdiger
-kein Zeichen der Bewegung sehen ließ.
-
-»Herr Baron fangen auch schon an zu fiebern, vor allen Dingen ruhige
-Lage und kühles Getränk!«
-
-»Tröstlich!« sagte Rüdiger, dessen Augen allerdings bereits fieberhaft
-zu glühen begannen, »denken Sie aber nicht, daß ich Ihrem blödsinnigen
-Gewäsch folge! Was, ruhige Lage! -- sitzen werde ich bis morgen früh
-und mein kühles Getränk wird auch von anderer Art sein, als Sie sich
-einbilden! Was, Erting? Haben wir unsere schöne Feindschaft mit
-Menschenblut besiegelt, so soll nun Rebenblut dran! Job, flink, in den
-Keller!«
-
-»Baron Rüdiger,« sagte Erting flehend, und faßte in seinem Eifer die
-Hand des Gegners, »ich beschwöre Sie, thun Sie, was der Arzt Ihnen
-sagt! Bedenken Sie, was daraus entstehen könnte, wenn Sie sich seinen
-Anordnungen widersetzen.«
-
-Dem kleinen, gutmüthigen Mann traten fast die Thränen in die Augen.
-Rüdiger sah ihn einen Moment verwundert an und lachte kurz auf.
-
-»Sie sind eine gute Seele,« sagte er, »und sollen sich nicht ängstigen!
-Ich werde zu Bett wandern, damit Sie nicht, wenn ich mit achtzig Jahren
-sterbe, sich einbilden, ich wäre an Ihrem Tellschuß draufgegangen und
-sich ihr Greisenalter durch Gewissensbisse verderben. Aber vor allen
-Dingen sollen Sie jetzt in die Stadt zurückkehren. Job, laß anspannen!
-ah, der Wagen kommt schon eine -- schwere Kutsche, wie sie rasselt!
-Aber die Todten reiten schnell!«
-
-Er schloß die Augen.
-
-»Zu Bett mit ihm,« sagte der Chirurg energisch, »das Fieber steigt
-rapide. Wenn Sie nach der Stadt fahren,« wandte er sich an Erting, »so
-schicken Sie doch noch einen Arzt heraus, ich mag die Verantwortung
-nicht allein übernehmen.«
-
-Rüdiger, der inzwischen wieder zu sich kam, ließ sich ohne weiteren
-Widerstand von Erting und Job in sein Zimmer bringen, dann kehrte
-Ersterer zu dem Arzt zurück.
-
-»Geben Sie mir Ihre Directionen für die Nacht,« sagte er mit
-ungewöhnlicher Festigkeit, »ich bleibe bei dem Baron, er hat schon
-darein gewilligt.«
-
-Der Chirurg sah ihn erstaunt an.
-
-»Nun meinetwegen,« sagte er, »legen Sie ihm fleißig Eis auf den Kopf,
-und halten Sie ihn möglichst ruhig. Aber ein Arzt muß noch heraus!«
-
-»Schön, bestellen Sie einen reitenden Boten, ich schicke zu Doctor
-Stein, er ist einer der besten Aerzte und mir persönlich bekannt.
-Halten Sie denn den Zustand des Barons für gefährlich?« Ertings Lippen
-zitterten.
-
-»Offen gesagt, ja!« erwiderte der Wundarzt nach einigem Besinnen,
-»das Fieber tritt so schnell und heftig auf, daß es die Kräfte sehr
-hinnehmen muß und für einen Mann von des Barons ganzer Natur ist ein
-Krankenlager immer eine böse Sache. Aber wir wollen das Beste hoffen!«
-
-Erting schrieb in fliegender Eile, während der Bote sich bereit machte;
-er citirte Doctor Stein heraus und benachrichtigte in einem zweiten
-Briefe Edith von seinem Aufenthalt und dem stattgehabten Duell.
-
-Dann kehrte er zu Rüdiger zurück, den er in den wildesten Phantasien
-vorfand.
-
-Doctor Stein, den wir gleichfalls am Eingang unserer Erzählung kennen
-lernten, traf in wenig Stunden ein. Er trat mit dem ihm eigenen,
-besonnenen Wesen an das Lager des wilden Kranken, und sein Einfluß
-vermochte Rüdiger so weit zu beruhigen, daß er auf einige Fragen
-ziemlich klar antwortete. Aber nach wenig Augenblicken verfiel er schon
-wieder in heftige Raserei. Erlebtes und Geträumtes mischte sich auf
-eine für Erting unbeschreiblich qualvolle Weise in seine Reden.
-
-Doctor Stein sah bedenklich aus, als er sich empfahl.
-
-»Wir wollen die Büchse nicht gleich ins Korn werfen,« sagte er auf
-Ertings verzweifelt fragenden Blick, »aber das Ungestüm des Fiebers
-macht mich besorgt. So viel ich weiß, hat Rüdiger keinen nahen
-Verwandten, ich werde einen Pfleger aus der Stadt schicken.«
-
-»Thun Sie das nicht,« bat Erting flehentlich, »sagen Sie mir Alles, was
-geschehen soll, Stein, ich will gewiß nichts an ihm versäumen! Gönnen
-Sie mir den kleinen Trost für das Schreckliche, was ich in meinem
-unsinnig gereizten Zustand angerichtet habe!«
-
-Er sah so tief unglücklich aus, daß Stein ihm theilnehmend die Hand auf
-die Schulter legte.
-
-»Ruhig Blut, alter Freund,« sagte er tröstend, »Rüdiger ist jung und
-hat schon mehr Stürme ausgehalten, als diesen! Ich traue Ihnen übrigens
-Umsicht und Sorgfalt genug zu, um die Pflege durchzuführen, aber eins
-sage ich Ihnen, Sie müssen nach aller Voraussicht eine ganze Zeit lang
-tüchtig auf dem Platze sein, Tag und Nacht!«
-
-Erting nickte nur stumm und kehrte, nachdem der Doctor das Schloß
-verlassen hatte, sofort zu seinem Posten zurück. Tage und Nächte saß er
-nun an Rüdigers Lager, nur selten auf kurze Stunden von Job abgelöst.
-Keine Mutter hätte zarter und sorglicher mit dem Verwundeten umgehen
-können, als der kleine, ehrliche Mann, den er so schwer gekränkt.
-
-Und während dieser angstvollen Stunden im stillen Krankenzimmer ging
-in dem Herzen der beiden Rivalen eine seltsame Wandlung vor. Erting
-fühlte, wie die Sorge um seinen Pflegling, die Freude an den --
-freilich seltenen -- Momenten, wo es besser zu gehen schien, ihm nach
-und nach eine wirkliche Neigung zu dem Gegenstande dieser Sorgen und
-Freuden einflößte. Oft ertappte er sich dabei, daß er fast mit einem
-Gefühl von Zärtlichkeit in das schöne, bleiche Gesicht des Kranken
-blickte, und seine fieberglühende Hand sanft streichelte. Und Rüdiger,
-der nie die Augen bewußt aufschlug, ohne in das treuherzige Gesicht
-Ertings zu blicken -- der jeden Labetrunk aus den Händen des einst so
-Gehaßten und Verspotteten entgegennahm -- er hatte, unklar, wie die
-Krankheit ihn denken ließ, doch schon ganz die Empfindung, daß dieser
-kleine Mann zu ihm gehöre -- daß ihm etwas fehle, wenn Erting nicht an
-seiner Seite sei.
-
-Jeden Tag kamen Erkundigungen nach Rüdigers Befinden -- aus Brandeck
-und aus der Residenz, und die tägliche Antwort -- »noch beim Alten,«
-wollte und wollte keiner Besserung weichen.
-
-Eines Abends, als Erting in traurigem Hinbrüten an Rüdigers Lager saß,
-blickte dieser plötzlich mit ungewohnter Klarheit zu ihm auf.
-
-»Erting,« sagte er, »mir ist heut auf einmal merkwürdig vernünftig
-im Kopf, das muß ich schnell benutzen! Ich danke Ihnen, Erting, für
-alle Liebe, die Sie mir erwiesen haben -- Sie sind ein braver, treuer
-Kamerad und ich habe es nicht um Sie verdient!«
-
-»Schweigen Sie doch,« sagte Erting rauh, um seiner Bewegung Herr zu
-werden.
-
-Rüdiger schüttelte den Kopf.
-
-»Lassen Sie mich heute reden!« fuhr er schwach, aber ganz ruhig fort,
-»wer weiß, ob ichs morgen noch kann! Ich glaube beinahe, alter Freund,
-es wird am längsten gedauert haben mit mir und darum will ich Ihnen
-heut noch Alles sagen, was ich auf dem Herzen habe. Lassen Sie mich
-reden,« wiederholte er hastig und erregt, »oder ich springe aus dem
-Bett, so viel Kräfte habe ich schon noch!«
-
-»Nun, so reden Sie,« sagte Erting rathlos, als er sah, daß Rüdiger sich
-mühsam emporrichtete, »aber fassen Sie sich kurz, und dann schlafen
-Sie!«
-
-»Ich will Ihnen nur sagen,« begann Rüdiger in kurzen Sätzen und schnell
-athmend, »daß ich nicht ganz der hinterlistige Schurke bin, für den
-Sie mich gehalten haben. Als ich an dem Abend, Sie wissen ja, dem
-Maskenabend, ins Schloß kam, wollte ich Sie nicht entführen, bei Gott
-nicht! Ich wollte -- ja sehen Sie mich nur an, ich wollte Edith« -- er
-seufzte schwer auf -- »also -- Edith ein letztes Ultimatum stellen --
-sie sollte mit mir davongehen! Sie wurde zornig -- und wir geriethen
-aneinander!«
-
-Er schwieg einen Augenblick erschöpft, fuhr aber gleich wieder fort:
-
-»Da kam mir plötzlich, blitzschnell der Gedanke, wie, wenn du =ihn=
-wegbrächtest? Dann könnte keine Hochzeit sein und du hättest der ganzen
-Bande noch einmal tüchtig die Hölle heiß gemacht. An Das, was später
-kommen könnte -- dachte ich nicht -- habe ich nie gedacht -- nie!«
-
-»Ja, ja!« sagte Erting beruhigend, als Rüdiger wieder schwach
-zurücksank, »das weiß ich ja! Aber nun schweigen Sie auch wieder still!«
-
-»Nur Eins noch, Erting,« sagte Gerald, und faßte des Andern Hand, »ich
-spreche nicht aus Egoismus, beim Himmel nicht! Ich werde keinem Freier
-mehr in den Weg treten! Aber glauben Sie mir, geben Sie Edith los! Sie
-Beide taugen nicht für einander, ich kenne das Mädchen besser -- sie
-würde unglücklich werden und machen! Die hätte zu so einem Durchgänger
-gepaßt wie ich bin, -- nun, es sollte nicht sein!«
-
-»Rüdiger,« sagte Erting mit vor Rührung zitternder Stimme, »nun hören
-Sie, was ich zu sagen habe. Glauben Sie wirklich, daß wenn Sie sterben
-sollten -- wenn ich Sie umgebracht hätte, und das hätte ich doch! daß
-ich dann noch Edith Brandau heirathen könnte? Nein, Rüdiger, das nicht!
-das nicht! Und sie würde es auch nicht thun, denn sie weiß ganz gut,
-daß Sie um ihretwillen hier liegen! Nein, mein lieber Freund, wenn Sie
-wieder gesund sind -- und Sie =werden= wieder gesund werden -- dann
-sollen Sie sie selbst fragen, was sie davon denkt -- =ich= stehe Ihnen
-nicht mehr im Wege!«
-
-»Und Sie glauben, ich würde eine solche Großmuth annehmen?« rief
-Rüdiger fieberhaft erregt, »ich hätte gehofft, daß Sie mich nun besser
-kennten!«
-
-Erting sah vor sich nieder.
-
-»Ich will einmal ehrlich sein, Rüdiger,« sagte er und wurde roth, »so
-sehr großmüthig wäre es nicht 'mal von mir! Ich habe schon lange das
-Gefühl, als wenn Edith Brandau und ich einen dummen Streich begangen
-hätten, als wir uns verlobten, und -- und ich muß Ihnen nur sagen, ich
-habe irgendwo in der Welt eine kleine Cousine, -- nun, Sie können sich
-das Andere denken!«
-
-Rüdiger schwieg eine Weile, dann strich er sich das Haar von der Stirn.
-
-»Das nützt mir Alles nichts, Erting! Erstens sterbe ich, das wissen
-Sie ja so gut wie ich, und dann, wie Edith ist, habe ich sie mir durch
-meinen tollen Streich von vornherein verscherzt! Ein Mädchen wie sie
-läßt sich nicht ertrotzen; wenn ich ihr nicht gleichgültig war -- und
-ich war es nicht -- jetzt bin ich es geworden, glauben Sie mir, Erting!
-Aber ich habe nun genug gesprochen, ich will schlafen!«
-
-Und er wandte den Kopf ab und verbarg das Gesicht in den Kissen.
-
-Spät Abends jagte ein reitender Bote nach der Stadt. Doktor Stein wurde
-geholt, Rüdigers Zustand hatte sich aufs Heftigste verschlimmert.
-
-Stein blieb mehrere Stunden da, und als er um Mitternacht zurückfuhr
-und versprach, gegen Morgen noch einmal wiederzukommen, da wußte man im
-Schloß, daß Rüdigers Leben menschlicher Voraussicht nach nur noch nach
-Stunden zähle.
-
-Im Dorf verbreitete sich die Kunde mit Blitzesschnelle, sie flog mit
-ihren schwarzen Flügeln über die Grenze von Brandeck und schlug an die
-Fenster, hinter denen Edith wohnte, und schlug auf das verzweifelnde
-Herz von Geralds erster Liebe.
-
-Als der Wagen des Doctors noch vor der Dämmerung wieder in den
-Schloßhof fuhr, lag Rüdiger in unruhigem Halbschlummer. Erting öffnete
-leise die Thür, als er Schritte im Vorzimmer vernahm.
-
-»Stein, sind Sie es?«
-
-»Ja, und ich habe noch Jemand mitgebracht,« sagte der Doctor mit
-unterdrückter Bewegung, »machen Sie einmal Platz, Erting!«
-
-Er zog ihn sanft von der Thür zurück und eine tief verschleierte
-Frauengestalt trat ihm entgegen und streckte ihm beide Hände hin.
-
-»Ludwig, verzeihen Sie mir, was ich Ihnen angethan habe -- und
-verzeihen Sie mir auch diesen Schritt -- aber ich mußte Ihn noch
-=einmal= sehen!«
-
-Erting nahm ihre Hände sanft in die seinen. »Gehen Sie zu ihm, Edith,
-ich habe Ihnen nichts mehr zu verbieten -- der da drinnen hat Sie mit
-seinem Blut erkauft!«
-
-Sie trat langsam, bebend an das Bett des Schlummernden, sie sah einige
-Augenblicke in sein bleiches Gesicht und dann kniete sie neben ihm
-nieder und küßte seine Hand.
-
-Da sah er empor, nicht erstaunt, sondern nur sehr glücklich, und sagte:
-»Nicht wahr, du bleibst jetzt bei mir?«
-
-Und als sie vor Thränen nur stumm zu nicken vermochte, schloß er die
-Augen und verfiel in einen sanften Schlummer.
-
-»Das war ein Gewaltstreich,« sagte Doctor Stein eine Stunde später
-zu Erting, »aber er hat die Krisis beschleunigt. Ich halte ihn für
-gerettet!«
-
- * * * * *
-
-Und als der nächste Sommer davon fliegen wollte, war Alles gekommen,
-wie es hatte kommen müssen! Gerald Rüdiger und seine schöne Frau
-standen auf der Freitreppe ihres Schlosses; in den übermüthigen blauen
-Augen des »tollen Junkers« war ein ernsteres Licht aufgegangen; dies
-und der steife Arm, der noch immer nicht wieder ganz beweglich sein
-wollte, gemahnte noch an die Vergangenheit, die ihm heute wieder
-besonders lebhaft nahe gerückt worden.
-
-Denn der heutige Tag hatte liebe Gäste gebracht -- Ludwig Erting, der
-den Freunden seine Braut vorstellte! Die Mutter war Angesichts =dieser=
-treuen Liebe gerührt worden, um so leichter, da sie sich mit Martha in
-ihrer hauptsächlichsten Ueberzeugung fand, darin, ihren kleinen, braven
-Sohn für den Inbegriff alles Guten, Schönen und Tüchtigen zu halten.
-
-Und Rüdiger? -- Der Traum, den er auf seinen wilden Fahrten geträumt,
-ist zur Wahrheit geworden; wenn der Mond sanft und klar über dem
-Wolfsdorffer Schloß emporsteigt, stehen er und -- noch Eine am
-Fenster und hören die Nachtigallen schlagen, und ihr Lied erzählt ihm
-immer wieder die Geschichte, die zu hören er nicht müde wird -- die
-Geschichte von der Liebe seiner Jugend -- von dem Kampfpreis seines
-Lebens.
-
-
-
-
- Finderlohn.
-
-
-Im Spätsommer des vergangenen Jahres, so erzählte eine mir befreundete
-Dame, unternahm ich eine kleine Reise nach dem Badeort K... Der Zufall
-führte mich auf dem Bahnhof mit einer Freundin zusammen, und froh, die
-etwas einförmige Fahrt durch angenehme Gesellschaft verkürzt zu sehen,
-bestieg ich dasselbe Coupé mit ihr. Es war allerdings kein Damencoupé,
-welches ich bei allein unternommenen Reisen sonst vorziehe, indeß ist
-dies eigentlich ein Vorurtheil, welches jede Frau, die über sechzehn
-Jahre zählt, zu ihrem eigenen Besten bekämpfen sollte. Alle Hochachtung
-vor den reisenden Repräsentantinnen meines Geschlechts -- aber ich bin
-noch nie in einem solchen Coupé gefahren, ohne mich über die kleinliche
-Ungefälligkeit meiner Reisegefährtinnen, ihre Empfindlichkeit gegen
-Hitze und Kälte und ihre beständigen Wünsche nach solchen Lebensmitteln
-zu ärgern, die eben auf den Stationen =nicht= zu haben waren.
-
-So dankte ich denn dem Zufall, der mich heute aus diesem Dilemma
-erlöste, und bestieg mit meiner Freundin zusammen einen Waggon, der
-den Gebildeten beiderlei Geschlechts zugänglich war. Außer uns befand
-sich nur noch ein alter Herr im Wagen, der uns, als wir einstiegen,
-freundlich begrüßte.
-
-Da unser Reisegefährte der Held der Geschichte ist, die ich zu
-erzählen im Begriff stehe, so kann ich es nicht unterlassen, ihn
-zu beschreiben mit all' dem Enthusiasmus, den ich für ihn empfand;
-erstens um dem Leser damit ein Bild von ihm zu geben, und zweitens in
-der stillen Hoffnung, daß der Gegenstand meiner Zuneigung vielleicht
-irgendwo diese Blätter zur Hand nimmt, darin liest und nach einer Weile
-mit dem mich noch in der Erinnerung entzückenden herzlichen Lachen, in
-welches er zuweilen ausbrach, ruft: »Das soll =ich= wohl am Ende sein?«
-
-Mein lieber, alter Herr! Denn jung war er insofern nicht mehr, als
-seine freie Stirn von schneeweißem, feinem Haar umwachsen war, welches,
-glänzend wie die Federn eines Silberreihers, ein wenig keck in die Luft
-stand, und die sehr schönen, auffallend hochgeschwungenen Augenbrauen
-auch schon ein wenig beschneit aussahen. Jung aber war er doch, denn
-unter diesen seltsamen Augenbrauen sahen zwei so schöne, lebhafte,
-recht junge Augen hervor, daß sie einem Zwanziger Ehre gemacht hätten
--- jung war er, denn das blühende Roth einer erprobten Gesundheit lag
-auf seinem schönen Gesicht, die liebenswürdige, goldene Heiterkeit
-einer ewigen Jugend tönte aus dem unwiderstehlich herzlichen Lachen,
-mit welchem er in jeden Scherz einstimmte.
-
-Man sieht, ich verlor sofort mein Herz an den reizenden alten Herrn!
-Das ist ein Damenwort, ich weiß es, aber ich bleibe dabei und rufe
-zum Schluß meiner Beschreibung noch einmal energisch aus: Nicht nur
-ein reizender alter Herr war mein Reisegefährte, ich brauche sogar
-den Superlativ, es war der reizendste alte Herr, den ich je gesehen
-habe. Wie er sich über Alles amüsirte! Nur daran zu denken, erheitert
-mich noch! Ueber den kleinen, schäbigen Jungen, der auf einer Station
-emsig und still vor sich hin Purzelbäume schoß, über die Männer, die
-mit eintönigen Ausrufen Kirschen und Birnen den Wagen entlang trugen,
-über die Ankommenden und Abreisenden! Wie elektrisirt er war, als eine
-klangvolle italienische Leier uns die »schöne blaue Donau« zu hören
-gab, wie ernst und gerührt er wurde, als dieselbe Leier dann eine
-sanfte, traurige Melodie spielte, und wie herzlich er dann wieder über
-seine eigene Rührung lachte!
-
-Meine Freundin und ich kamen, nachdem wir uns ein Weilchen mit diesem
-liebenswürdigen Coupégenossen unterhalten hatten, durch eine zufällige
-Ideenverbindung auf eine Verlobung zu sprechen, die in unseren Kreisen
-vor kurzem stattgefunden.
-
-Ein sehr hübsches, viel umworbenes Mädchen hatte einen Ausflug zu ihrer
-Schwester unternommen, war acht Tage dort geblieben, hatte am zweiten
-dieser acht Tage einen jungen Gutsbesitzer kennen gelernt und sich vor
-Ablauf der genannten Frist mit demselben verlobt. Wir fanden das nach
-Frauenart sehr leichtsinnig, zuckten ein wenig die Achseln über so
-schnell gewonnene Herzen und ich meinte:
-
-»Wenn das nur gut abläuft! Ein Brautpaar, das sich nur acht Tage
-gekannt hat, ehe es ein Brautpaar wurde! Eine bedenkliche Sache!«
-
-Bei diesen Worten wendete der alte Herr den Kopf nach uns um.
-
-»Verzeihen Sie,« begann er lächelnd, »wenn ich mich in Ihr Gespräch
-mische, welches von Persönlichkeiten handelt. Aber von der Bemerkung,
-die Sie eben machten, mein Fräulein, fühle ich mich zu sehr getroffen,
-als daß ich mich nicht vertheidigen möchte. Ich war auch in dem Fall,
-von dem Sie eben sprechen -- ich habe meine Frau sogar nur drei oder
-vier Mal gesehen, eh' wir uns verlobten, und wir sind doch ein sehr
-glückliches Ehepaar geworden.«
-
-Um mein Leben nicht konnte ich die tactlose Aeußerung nicht
-unterdrücken, daß ich in diesem Fall das sehr natürlich fände. Mein
-alter Herr nickte mir lachend mit herzlicher Miene zu, es mochte ihm
-wohl schon öfter vorgekommen sein, daß er so schnell Eroberungen machte.
-
-Meine Freundin, noch kühner als ich, richtete nun die Frage an ihn, wie
-das denn gekommen sei, ob er nicht Zeit gehabt hätte, sich länger zu
-besinnen?
-
-Der alte Herr sah mit einem schelmischen Lächeln in unsere neugierigen
-Gesichter, dann sagte er freundlich:
-
-»Ja, so etwas hören junge Damen immer gern! Aber es ist eine lange
-Geschichte, am Ende komme ich an's Ziel meiner dreistündigen Fahrt, eh'
-ich zu Ende bin!«
-
-»Ach bitte,« riefen wir Beide, »es wird schon gehen, die Geschichte ist
-=uns= sicher nicht zu lang -- wenn Sie so sehr freundlich sein wollen!«
-
-Der alte Herr ließ sich erbitten, wir rückten uns alle Drei gemüthlich
-zurecht und er begann:
-
-»Daß es schon eine ganze Weile her ist, seitdem ich auf Freiersfüßen
-ging, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Ja, diese Eisenbahn, auf
-der wir jetzt so selbstverständlich durch die Welt fliegen, war damals
-etwas ganz Neues, ein Wunderwerk, welches nur mit ehrfurchtsvollem
-Staunen und einem leisen Schauder benutzt wurde. So gewöhnt sich der
-Mensch an Alles und wir nennen die Jugend mit Unrecht anspruchsvoll,
-ihr wird nur eben Das schon in die Wiege gelegt, was wir als große
-Leute erst staunend und dankbar bekommen haben. Der Telegraph war
-damals auch erst eben erfunden -- ja, ja, denken Sie nur!
-
-Ich war im Begriff, eine kleine Vergnügungsreise auf unbestimmte Zeit
-anzutreten, ein Entschluß, der mir um so leichter wurde, als ich ganz
-frei und ungebunden in der Welt dastand, und von Angehörigen Niemanden
-besaß, als zwei alte Tanten und einen kleinen Hund, der, ein Nachklang
-der Zeitströmung, auf den schönen Namen »Nap« hörte. Nicht wahr, eine
-ziemlich durchsichtige Abkürzung im Jahrhundert der Freiheitskriege?
-
-Nap, ein kleiner, guter, schwarzer Kerl, war als einziger und letzter
-Bewohner meiner Kinderheimath mit mir in die Fremde gewandert, hatte
-mit mir studirt, Examina gemacht, und war mir stets ein lieber Freund
-und treuer Genosse gewesen, ja, ich glaube, ich war damals so weit, daß
-ich den alten Hund mehr liebte als irgend ein Wesen auf der Welt, meine
-lieben alten Tanten nicht ausgenommen.
-
-Diese Tanten hätten Sie sehen sollen! Das waren noch ein paar
-Repräsentantinnen der gemüthlichen Vergangenheit, wo die Leute sich
-Zeit ließen. Schon die äußere Umgebung der beiden alten Damen war die
-Zierlichkeit selbst. Sie wohnten in einem kleinen, saubern Hause,
-nicht am selben Ort mit mir, welches sich durch die blitzendsten
-Fensterscheiben auszeichnete und grüne Jalousien hatte. Das Häuschen
-war umgeben von einem etwas pedantischen Garten, dessen Hecken
-und Grasplätze von einem asthmatischen alten Factotum mit der
-Papierscheere in Ordnung gehalten wurden. Da können Sie glauben, daß
-kein Zweig sich erlauben durfte, nach seinem Gutdünken zu wachsen,
-sofort war die Papierscheere da und stutzte den Naseweisen. Ein Paar
-ordnungsliebendere, gutherzigere, ängstlichere und gewissenhaftere
-Seelchen, als meine beiden lieben Tanten gab es nicht! Sie trugen
-sich ganz gleich, hatten Jede vier weiße, mathematisch genau gekämmte
-Löckchen, Hauben mit jenen thurmhohen weißen Krausen, wie man sie jetzt
-nur noch auf Bildern sieht, und trugen Beide Brillen.
-
-An einem schönen Sommerabend traf ich denn mit meinem Nap bei den
-Tanten ein, die mich herzlich und liebevoll aufnahmen, und mich in ihre
-Gartenlaube zu einem zierlich aufgestellten Nachtmahl luden, dessen
-Dimensionen ungefähr der Art waren, als hätten die sieben Zwerge fragen
-können: »wer hat von meinem Tellerchen gegessen« u. s. w. Aber ich
-ließ es mir wohlschmecken, und nachdem ich den Tanten meine Pläne
-für die nächste Zeit mitgetheilt hatte, rückte ich vorsichtig mit dem
-kühnen Ansinnen heraus, ob sie Nap, eine sonst bei ihnen wohlgelittene
-Creatur, für die Zeit meiner Abwesenheit wohl in Pflege und Obhut
-nehmen wollten.
-
-Sie können sich denken, daß die beiden Schwestern nicht wenig
-erstaunten, selbst erschraken. Ein Zuwachs ihrer Hausbewohnerschaft,
-ein bellender, springender, zottiger Mitbewohner ihres stillen,
-beschaulichen Daheim; sie sahen sich wechselweise eine gute
-Viertelstunde an, schnupften, niesten, selbst dies Mittel schien heut'
-nicht anzuschlagen, endlich nahmen sie _a tempo_ die Brillen ab und
-sagten so feierlich, als gelte es ein Eheversprechen, ein lautes,
-deutliches »Ja!«
-
-Ich wußte, welch' ein Opfer sie mir brachten, und sprach ihnen es auch
-dankbar aus, ich fügte bei, daß nur das Bewußtsein, meinen Hund in den
-besten Händen zu wissen, mich zu der großen Bitte ermuthigt hätte, und
-dann machte ich mich eilig davon, damit die Tanten ihren edelmüthigen
-Entschluß nicht etwa bereuen möchten. Ich erklärte meinen schnellen
-Aufbruch damit, daß ich am nächsten Morgen sehr früh mit der Bahn
-weiter müsse, welche nur noch zu einem nah belegenen Städtchen führte,
-von da wollte ich mit Postpferden und auf eigenen Füßen meinen Weg
-fortsetzen.
-
-»Und, liebe, beste Tanten,« fügte ich noch dringend hinzu, »laßt Nap
-die nächsten Tage nicht aus den Augen, er wird gewiß Versuche machen
-mir nachzusetzen und könnte alsdann verloren gehen!«
-
-Feierlich wurde mir dies angelobt, und ich nahm gerührten und dankbaren
-Abschied, während Nap, durch ein Schüsselchen Milch in's Haus gelockt,
-ahnungslos diesen Labetrank schlürfte.
-
-Der andere Tag war leider trübe und schwül. Als ich in das Städtchen
-H... einfuhr, welches die Grenze zwischen Flachland und Gebirge bildet,
-zog ein Gewitter dumpf grollend herauf und der erste Willkommensgruß,
-der mir in H... wurde, war ein großer Regentropfen, der auf meine Nase
-fiel. Ihm folgten mehrere, ein wahrer Wolkenbruch stürzte hernieder
-und das liebenswürdige Wetter benutzte den Tag, um sich, wie man sagt,
-recht gründlich »einzuregnen.« Unter diesen Umständen eine Fußtour
-beginnen, oder sich einer Postchaise anvertrauen zu wollen, um das
-Gebirge kennen zu lernen, wäre mehr als Thorheit gewesen. Es hieß also
-warten!
-
-Ich quartierte mich in dem ersten Gasthofe der Stadt ein, der
-vermuthlich so hieß, weil es keinen zweiten gab, und sah zum Fenster
-hinaus. Zum Glück war ich von jeher besonders unfähig, mich zu
-langweilen, ich hatte manchmal den besten Willen, da kam mir etwas
-Unterhaltendes in die Quere -- es ging nicht!
-
-Auch hier war es so. Ich hätte mich eigentlich recht gut langweilen
-können, aber da lag gerade dem Gasthause gegenüber ein ganz
-allerliebstes Haus, das immer etwas zu sehen oder zu hören gab.
-Ich konnte freilich nur die Seitenfront des freundlichen Gebäudes
-beobachten, denn die Vorderzimmer gingen nach einem schönen, großen
-Garten hinaus, dessen Lavendelduft, selbst durch den Regen nicht
-ertränkt, Abends zu mir herüber geflogen kam.
-
-An diesen Seitenfenstern nun saß öfters eine junge Dame und nähte. Ihr
-Gesicht konnte ich nicht sehen, sie bückte sich immer sehr tief auf die
-Arbeit; ich sah nur ein Stückchen Wange, zuweilen flüchtig die Umrisse
-eines zierlichen Profils, und ein Nest dunkelblonder Zöpfe um einen
-seltsam geformten weißen Kamm geschlungen.
-
-Da es nun schon den zweiten Tag regnete, hatte ich volle Muße, diese
-Beobachtungen anzustellen. Freundlicherweise hatte das Haus seinen
-Eingang auch auf der Seite. Gegen Abend kam ein dicker, stattlicher
-Herr nach Hause, dessen Kopf ich auch noch nie zu Gesicht bekommen
-hatte, denn er hielt immer einen großen, wohlhabend aussehenden Schirm
-über sich, den er erst zumachte, wenn seine behäbige Person schon
-innerhalb der Hausthür war. Und dann zur Thür hinaus schüttelte und
-spritzte er diesen Schirm aus, als wenn die Straße noch nicht naß genug
-wäre.
-
-Ich hätte ja durch eine Frage leicht etwas über mein _vis-à-vis_
-erfahren können, aber ich wollte es nicht -- es war so sehr ergötzlich,
-mir meine Schlüsse aus Dem zu ziehen, was ich sah.
-
-Der Hausherr war entschieden =kein= Arzt, dazu kam er zu regelmäßig
-nach Hause, sondern Beamter, ein Mann mit Bureaustunden. Die junge Dame
-am Fenster war seine Tochter und zwar sein Liebling, denn er begab sich
-stets geraden Weges zu ihr in's Zimmer. Dann stand sie sofort auf,
-legte die Arbeit zusammen und ging mit ihm hinaus. Eine dritte Person,
-die ich häufig ausgehen und wiederkommen sah, eine Dame in mittleren
-Jahren, mußte die Gesellschafterin sein, nicht die Frau vom Hause, denn
-wenn sie dem Vater begegnete, machte sie einen Knix.
-
-Am Nachmittag des dritten Tages schien der Himmel ein ganz klein
-wenig lichter zu werden, ich trat an's Fenster und, wie mir schon zur
-Gewohnheit geworden war, blickte ich nach dem Hause gegenüber. Da saß
-die junge Dame -- dies Mal ohne Näharbeit -- ich hätte ihr Gesicht
-gewiß ganz gut sehen können, aber sie hielt ein Tuch vor die Augen --
-sie weinte!
-
-Ich blieb erstaunt stehen. Warum mochte sie weinen? Sie werden mir
-zugeben, daß ein junges Mädchen mit so schönen blonden Zöpfen, die
-von ihrem Papa verzogen wird und -- weint, ein Fall ist, über den man
-nachdenklich werden kann.
-
-Nach einer Weile trocknete sich mein Gegenüber die Augen, schrieb
-einige Worte auf einen kleinen Zettel, stand auf und verließ das
-Fenster. Wenige Minuten darauf öffnete sich die Hausthür, sie trat
-heraus, einen Regenschirm in der Hand, in Hut und Mantel und blickte
-nach dem Himmel. Ein reizendes Gesicht war es, das muß ich schon sagen!
-
-Warum ich meinen Paletot ergriff und die Treppe hinunterging, weiß
-ich nicht zu sagen, aber ich that es und folgte der jungen Dame in
-respectvoller Entfernung, auch mit dem Regenschirm bewaffnet.
-
-Ein plötzlicher, heftiger Windstoß faßte den Schirm meiner Schönen und
-drehte ihn von innen nach außen, er machte, wie man zu sagen pflegt,
-eine Tulpe daraus. Im selben Moment stürzte der Regen mit verdoppelter
-Gewalt hernieder und das Mädchen, nach einem vergeblichen Versuch, den
-treulosen Beschützer wieder in seine alte Form zu bringen, verdoppelte
-ihre Schritte und eilte in einen geräumigen Hausflur, von wo sie in das
-tobende Wetter hinaussah. Ich dachte: Das kann Jeder! und nicht faul,
-betrat ich denselben Hausflur, zog den Hut und postirte mich der jungen
-Dame gegenüber an die Wand. Nach einer kleinen Weile trat sie an die
-Hausthür, zog den rechten Handschuh ab und streckte die Hand hinaus, um
-zu fühlen, ob der Regen noch nicht nachgelassen habe. »Kein Trauring!«
-dachte ich erfreut, ohne eigentlich zu wissen, warum es mich freute.
-
-Da es noch mit aller Gewalt vom Himmel heruntergoß, nahm das Fräulein
-ihren Schirm wieder vor und versuchte ihn in die richtige Verfassung
-zu bringen. Es gelang ihr aber nicht und ich hielt dies für einen Wink
-des Schicksals, ein Gespräch anzuknüpfen. Mit abgezogenem Hut trat ich
-bescheiden vor und bot meine Hülfe an, die auch freundlich angenommen
-wurde.
-
-Daß es mir nicht gelang, den Schirm zurechtzubringen, versteht
-sich von selbst. Sanfter Ueberredung wollte er nicht weichen, ich
-wendete alle Gewalt an, der Tückische aber verstand keinen Spaß,
-sondern brach gelassen mitten durch. Das Fräulein sah erschrocken
-aus, aber nicht zornig -- durchaus nicht zornig, was ich mir
-mit richtiger Menschenkenntniß als einen Beweis liebenswürdigen
-Temperaments auslegte. Ich stand da wie ein armer Sünder, stammelte
-ein paar Entschuldigungen und bat endlich um die Erlaubniß, meinen
-Schirm als Ersatz anbieten zu dürfen, wozu mich noch die egoistische
-Hoffnung stachelte, ich würde durch Rückgabe des von mir zerbrochenen
-Individuums einen Vorwand haben, um in die Burg zu dringen, die von der
-blondzöpfigen Prinzessin bewohnt war. An Abreise dachte ich schon nicht
-mehr, wie Sie sehen. Aber es kam anders!
-
-»Ich danke sehr, mein Herr,« sagte das junge Mädchen freundlich, »ich
-kann Sie Ihres Schirmes nicht berauben. Wollen Sie mir aber eine
-Droschke besorgen, damit ich meinen Weg fortsetzen kann, so nehme ich
-es dankbar an!«
-
-Nun, das that ich natürlich und hatte die Genugthuung, daß ein sehr
-liebenswürdiges »Danke« mich belohnte, dann, während ich, den Hut in
-der Hand, wie ein Lakai mich am Schlage aufstellte, rief die junge Dame
-zum Kutscher hinauf: »Nach der Zeitungsexpedition!« Der Schlag fiel zu
--- und da stand ich.
-
-Nach der Zeitungsexpedition! Was thut eine junge Dame in der
-Zeitungsexpedition? Allerlei finstere Gedanken bestürmten mich --
-sie wird doch nicht einen Brief abholen, von dem der Papa nichts
-wissen soll? Erst Thränen, dann Zeitungsexpedition -- verdächtige
-Zusammenstellung!
-
-»Dahinter muß ich kommen,« rief ich so zornig, als wäre ich der
-Beichtvater der kleinen Dame.
-
-Eine Idee fuhr blitzschnell durch meinen Kopf! Ich mußte einen Vorwand
-haben, auch nach der Expedition zu gehen. Sollte ich nach Briefen
-fragen? Nein, das war mit einem »Nichts für Sie!« zu schnell abgemacht.
-Also ich mußte etwas annonciren! Gedacht, gethan, ein Blatt aus der
-Brieftasche gerissen und im Stehen geschrieben wie folgt: »Ein kleiner,
-schwarzer Affenpinscher mit hellblauseidenem Halsband, auf den Namen
-Nap hörend, hat sich verlaufen. Der ehrliche Finder wird gebeten,
-denselben gegen eine angemessene Belohnung im Hotel zum grünen Falken,
-Zimmer Nr. 10, abzugeben.« Meine Adresse fügte ich bei, damit die Sache
-an Wahrscheinlichkeit gewönne und die junge Dame nicht glaubte, ich
-wollte sie nur unter einem Vorwand wiedersehen.
-
-Nun denken Sie -- der arme Nap! Er mußte noch herhalten, mußte sich
-angeblich verlaufen haben, um seinen Herrn auf den richtigen Weg zu
-bringen! Einige Kreuz- und Querfragen führten mich rasch nach der
-Expedition des Blattes, welches, wie ich hörte, das einzige für den
-ganzen Kreis, daher mit Inseraten stets sehr überhäuft war.
-
-Auch heute fand sich in dem Local eine bedeutende Menschenmenge vor,
-welche fast bis an die Thür hin sich drängte und nur langsam zum
-Schalter avancirte. So sah ich denn auch meine Unbekannte gleich am
-Eingang stehen, ihr Zettelchen in der Hand wartete sie geduldig auf den
-Augenblick der Beförderung.
-
-Als ich sie mit ehrerbietiger Verbeugung begrüßte, dabei etwas von
-»glücklichem Zufall« murmelte, sah sie mich überrascht an, erröthete
-und ein leichtes Zucken ihrer Augenbrauen verrieth, daß sie diese
-zweite Begegnung für keine zufällige hielt. Auf meine Bemerkung
-erwiderte sie kein Wort, sondern sah mit einer schnellen Kopfwendung
-nach der andern Seite hin. Ich that, als bemerkte ich es gar nicht.
-
-»Denken Sie, mein Fräulein, wie traurig es mir ergeht! Ich komme vor
-drei Tagen ganz fremd hier in die Stadt und bin heute schon in der
-Lage, eine Annonce in die Zeitungsexpedition zu tragen, in der ein
-verlorener Besitz und ein ehrlicher Finder die Hauptrolle spielen!«
-
-Meine Nachbarin blickte rasch auf. Sie mochte fühlen, daß sie mir
-Unrecht gethan -- nach =ihrer= Ansicht -- und ärgerte sich vielleicht
-ein wenig über die Eitelkeit, welche ihr zugeflüstert, ich sei
-wohl ihretwegen nach der Expedition gekommen, kurz, sie entgegnete
-etwas freundlicher, sie sei in demselben Fall. Sie habe ein kleines
-Schmuckstück verloren, ein liebes, unersetzliches Andenken.
-
-»So, wie es hier beschrieben ist,« fügte sie hinzu und reichte mir den
-kleinen Zettel, den ich behutsam ergriff. »Können Sie mir wohl sagen,
-mein Herr, ob die Anzeige so richtig gefaßt ist? Ich wollte zu Haus
-Niemand darum fragen,« setzte sie treuherzig hinzu, »weil -- nun, weil
-ich fürchtete, mein Vater könnte sehr ungehalten sein, wenn er erführe,
-daß ich eben =dieses= Besitzthum verloren habe!«
-
-Der Zettel enthielt in einer zierlichen Schulmädchenhand die Anzeige,
-daß ein schmaler goldener Ring mit einem Vergißmeinnicht von Türkisen
-darauf verloren gegangen und gegen Belohnung T...straße Nr. 6
-abzugeben sei.
-
-»Sie können sich einige Worte sparen,« bemerkte ich; »mit Ihrer
-Erlaubniß gebe ich dem Ganzen eine geschäftsmäßigere Form.«
-
-Sie nickte und ich ließ mit großer Geschicklichkeit das Original des
-kleinen Schriftstückes in meiner Brieftasche verschwinden, als ich dem
-Fräulein die Copie überreichte. Sie schien es gar nicht zu bemerken.
-
-»Sie sagten, Sie hätten auch etwas verloren,« begann sie nun ihrerseits
-etwas schüchtern, »ist es auch ein Andenken?«
-
-»Ja, aber anderer Art,« erwiderte ich, »=mein= Andenken hat vier Beine,
-einen krausen, schwarzen Pelz und bellt -- mein Hund ist mir verloren
-gegangen!«
-
-»Ach, wie schade,« sagte sie bedauernd, »aber wie kann man einen Hund
-verlieren!« setzte sie vorwurfsvoll hinzu.
-
-»Nun,« gab ich ruhig zurück, »ebensogut, wie man einen Ring verlieren
-kann, den man am Finger trägt.«
-
-Sie lachte.
-
-»Ich hatte ihn aber abgezogen,« erwiderte sie eifrig, »ich wollte ihn
-zu dem Juwelier dort drüben tragen,« sie wies nach einem hübschen Laden
-mit großen Spiegelfenstern, »wie ich nun hinkomme und den Ring abgeben
-will -- ist er fort, und ob ich ihn auf dem Wege oder sonst wo verloren
-habe, weiß ich nicht.«
-
-»Ich denke, er findet sich wieder,« tröstete ich, »und ich für meine
-Person werde jetzt immer mit niedergeschlagenen Augen umhergehen -- wer
-weiß, ob ich nicht das verlorene Vergißmeinnicht irgendwo treffe und
-dann so glücklich bin, es Ihnen zu geben.«
-
-In diesem Augenblick wurde Platz am Schalter, die junge Dame eilte
-vor, gab ihren Zettel ab und verließ mit einer flüchtig freundlichen
-Kopfneigung gegen mich die Expedition, während ich nach ihrem
-Verschwinden gedankenlos mein Inserat bezahlte und mir dann überlegte,
-daß es ja nun ganz unnöthig gewesen sei, meine Lüge dem Druck zu
-übergeben. Doch Sie wissen, zu geschehenen Dingen läßt sich zwar noch
-viel sagen, aber nichts mehr thun. Ich ging dann meiner Wege, grübelnd
-und sinnend, wie ich den angeknüpften Faden der Bekanntschaft weiter
-spinnen sollte.
-
-Plötzlich fiel mir etwas ein.
-
-Ich dachte, einmal gelogen, ist nach einem alten Sprichwort kein Mal,
-also wollen wir es noch ein zweites Mal thun, und dabei mehrere Fliegen
-mit einer Klappe schlagen -- die Gelegenheit zur Fortsetzung einer
-Beziehung finden, die mich schon mächtig anzog, und dem liebenswürdigen
-Mädchen väterliche Vorwürfe ersparen.
-
-Schnell, um dem Gewissen nicht erst Zeit zu lassen, mir etwas
-vorzubellen, betrat ich den mir von der jungen Dame bezeichneten
-Juwelierladen und bat, mir verschiedene Ringe vorzulegen. Während der
-Kaufmann das Verlangte herbeiholte, durchblätterte ich rasch den auf
-dem Ladentisch liegenden Adreßkalender, der mir auch bald über Namen
-und Stand meines Gegenüber bereitwillig Auskunft ertheilte.
-
-Ich hatte Recht, der Vater des Mädchens war, wie ich vermuthete,
-Justizrath -- leider sind die Adreßbücher nicht ausreichend, um
-sonstige gewünschte Details über eine Familie zu erfahren. Indeß ich
-wußte genug und begann mein Lügengewebe zuversichtlich weiter zu
-spinnen.
-
-Ich suchte unter den Schmucksachen, die der freundliche Kaufherr mir
-vorlegte, schüttelte den Kopf und sagte endlich, dies sei Alles nicht
-was ich wollte, ich brauchte einen bestimmten Ring.
-
-»Ich will genau denselben haben, den Fräulein W..., die Tochter des
-Justizrath W... in der T...straße, besitzt, es handelt sich um eine
-Wette,« fügte ich rasch hinzu, da der Juwelier mich erstaunt ansah und
-sogar ein wenig lächelte.
-
-»Ich erinnere mich des Ringes ganz gut,« sagte er nun, »und ich hatte
-genau denselben noch einmal, habe ihn aber meiner Tochter geschenkt,
-der er bei Fräulein W... so gut gefiel.«
-
-»Das ist betrübend,« erwiderte ich achselzuckend, »denn ich müßte ihn
-bald haben. In zwei bis drei Tagen spätestens verlasse ich die Stadt
-und möchte meine Wette gern vorher noch zum Austrag bringen.«
-
-Der Juwelier besann sich ein Weilchen.
-
-»Wenn Ihnen so sehr viel daran gelegen ist,« begann er dann zögernd,
-»so könnte ich ja meiner Tochter später ein anderes Exemplar des
-Gewünschten anfertigen lassen -- er ist nun freilich schon längere Zeit
-getragen worden und sieht nicht mehr ganz so blank aus, wie ein neuer
-Ring.«
-
-»Um so besser,« rief ich erfreut und unvorsichtig, setzte aber dämpfend
-hinzu, »ich meine, das schadet nichts -- wenn Ihr Fräulein Tochter so
-sehr gütig sein wollte!«
-
-»Ich will mit ihr sprechen,« bemerkte der Vater, dem die Sache
-zweifelhaft schien, »vielleicht bemühen Sie sich morgen früh noch
-einmal zu mir.«
-
-Ich versprach es und verließ den Laden, ärgerlich darüber
-nachdenkend, wie ich nun den Tag hinbringen werde. Nachdem ich mein
-schönes _vis-à-vis_ einmal gesprochen, konnten mich die stummen
-Fensterbeobachtungen nicht mehr ergötzen, und waren gewissermaßen auch
-unstatthaft geworden.
-
-In reiferen Jahren sieht man erst ein, wie thöricht es ist, sich
-darüber zu beklagen, daß die Zeit nicht rasch genug vergeht! Aber die
-Jugend, mit ihrem unerschöpflichen Reichthum an zukünftigen Tagen,
-möchte oft das »heute« mit den Händen vorwärts schieben, um bald zu
-irgend einem ersehnten »morgen« zu gelangen!
-
-Nun, auch mein Tag ging dahin -- und ehe ich mich's versah, war der
-Abend da und die Nacht -- ich ging auf mein Zimmer, um mich zur Ruhe zu
-begeben.
-
-Vorher öffnete ich noch einmal das Fenster und sah auf die Straße und
-auf das Haus gegenüber.
-
-Das Wetter hatte sich aufgeklärt, ein ruhiger Mondschein lag auf den
-Dächern, milde, warme Luft strich über meine Stirn -- ich konnte weiter
-reisen -- wenn ich wollte!
-
-Ich schlief bis tief in den nächsten Morgen hinein und trat im Traum
-auf einen kleinen harten Gegenstand, der sich als ein Ring mit einem
-blauen Stein auswies. Freudestrahlend will ich mich eben damit nach dem
-Hause des Justizraths begeben -- da klopft es an meine Thür, und die
-naseweise Bemerkung: »Der Barbier ist da!« ruft mich aus der Traumwelt
-in die rauhe Wirklichkeit zurück.
-
-Ich frühstückte eilig -- es war mittlerweile elf Uhr geworden -- und
-wollte eben das Hotel verlassen, als ich neben meiner Kaffeetasse die
-neueste Zeitung liegen sah.
-
-Hastig durchsuchte ich den Inseratentheil -- richtig -- da stand der
-kleine, blaue Ring, und da stand Nap, im Falken Zimmer Nr. 10 abzugeben.
-
-Sofort machte ich mich auf den Weg zum Juwelier.
-
-Der prachtvollste Sommertag, klar und warm, war angebrochen -- zu einer
-Gebirgsreise wie geschaffen!
-
-Ich schämte mich eigentlich, daß ich nicht reiste!
-
-Im Laden angekommen, bemerkte ich sofort an dem lächelnden Gesicht des
-Inhabers, daß »Goldschmieds Töchterlein« wirklich so liebenswürdig
-gewesen sei, den Ring herzugeben. Ich bezahlte, steckte mein
-neuerworbenes Eigenthum schleunigst in die Tasche und begab mich nach
-dem Hause, welches schon so lange der Gegenstand meiner eifrigsten
-Beobachtungen war.
-
-Vor der Thür stand ich einen Augenblick still. Mir sagte eine innere
-Stimme, daß ich mit dieser Schwelle zugleich einen bedeutungsvollen
-Lebensabschnitt beträte -- und mit heiligem Schauder zog ich an dem
-Klingelgriff.
-
-Meine Karte, die ein sauberes Dienstmädchen hineinbeförderte, mochte
-wohl Verwunderung erregen, um so mehr, da ich nach den Damen gefragt
-hatte, also nicht wohl für einen geschäftlichen Besucher gelten konnte
--- aber ich wurde angenommen und befand mich bald in einem großen,
-hellen Zimmer, das in einen schönen, blumengeschmückten Gartensalon
-Einblick gewährte.
-
-Auf dem Sopha saß die schon erwähnte ältere Dame -- aber sonst war
-Niemand zu sehen!
-
-Das Schicksal schien mir durch meinen schon ganz ausgearbeiteten
-Entwurf einen häßlichen Strich machen zu wollen -- indeß ich konnte
-nichts weiter dabei thun!
-
-Die Dame stand auf, machte mir eine Verbeugung und sah mich fragend an.
-
-»Ich muß sehr um Entschuldigung bitten,« begann ich, mit einer
-mir durchaus neuen Verlegenheit kämpfend, »daß ich so fremd hier
-einzudringen wage. Meine Kühnheit ist nur durch einen besondern Umstand
-zu entschuldigen -- ich habe heute Morgen in der Zeitung gelesen, daß
-eine Dame aus diesem Hause einen kleinen Ring verloren hat -- und ich
-bin so glücklich gewesen, denselben wiederzufinden!«
-
-»Ach, Sophiechen's Ring,« rief die Dame mit sehr freundlichem Gesicht,
-»das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, mein Herr, daß Sie sich selbst
-zu uns bemühen. Das arme Kind hat sich schon soviel um den Ring
-gegrämt, sie hatte ihn von der Tante Adele, die dann so bald gestorben
-ist, eine Schwester der Frau Justizräthin, die uns auch leider so früh
-entrissen wurde, und da durfte gar nichts verlauten, daß der Ring
-verloren war, denn der Herr Justizrath ist im Allgemeinen sehr gut,
-wirklich, man kann sagen, ausnehmend gut und nun gar zu Sophiechen ein
-sehr guter Papa, aber Sie wissen ja, wie die Herren sind, sie haben
-alle ihre Eigenheiten und eigen ist der Herr Justizrath auch.«
-
-Ich fand begreiflicher Weise weder Zeit noch Gelegenheit, ein Wort
-einzuschieben.
-
-»Nun aber,« fuhr die gute Dame fort, »will ich Sophiechen holen. Sie
-sollen selbst sehen, was sie für eine Freude haben wird! Sie ist ja
-schon ganz unglücklich über den Ring! Nein, ich kann mich gar nicht
-genug wundern, daß er wieder da ist! So ein kleines Ding, wie leicht
-konnte er zertreten werden, oder bei dem Regen gestern -- er konnte
-in die Gosse fallen -- und weg war er! Es konnte ihn ja auch Jemand
-finden, der nicht ehrlich war -- es giebt zu schlechte Menschen!«
-
-Hier ging ihr glücklicherweise der Athem aus und sie verließ mit den
-Worten: »Einen Augenblick, mein Herr!« das Zimmer, während ich meinen
-Ring in der Hand hielt, mich schämte und mich freute.
-
-Es verging eine ziemliche Zeit, ehe die Dame wieder eintrat, und dicht
-hinter ihr das junge Mädchen, deren Bekanntschaft ich schon gestern
-gemacht.
-
-Sie stutzte, als sie mich sah, erröthete und setzte eine kleine
-vornehme Miene auf. Ich wollte mich ihr eben mit einigen erklärenden
-Worten nähern, als die Alte wieder dazwischen fuhr.
-
-»Na, Sophiechen, du wirst dich wundern! Du wunderst dich wohl schon,
-nicht wahr? Wie ich ihr sage, daß sie mitkommen soll, es wäre ein
-fremder Herr da, da sagt sie: »Tante, was soll ich denn drüben, du
-kannst doch wohl einen fremden Herrn allein annehmen,« denn sie war
-gerade über dem Einkochen von --«
-
-»Liebe Tante,« unterbrach sie das Mädchen freundlich, »das kann den
-Herrn unmöglich interessiren!«
-
-Und dabei wandte sie sich zu mir und sah mich fragend an.
-
-»Darf ich wissen, was es ist, wovon meine Tante sich so große
-Verwunderung meinerseits verspricht?«
-
-»Ich war so glücklich,« begann ich stockend, hielt aber inne und
-überreichte ihr den Ring.
-
-Eine helle Freude flog über das reizende Gesicht und zwei große Thränen
-traten ihr in die Augen. Mit ausgestreckter Hand kam sie auf mich zu.
-
-»Ich danke Ihnen -- ich danke vielmals! Sie machen mir eine unendlich
-große Freude -- mein lieber Ring!«
-
-Ich kam mir in dem Augenblicke wie ein ganz nichtswürdiger Betrüger
-vor! Hier stand ich und nahm Dank, Freudenthränen, freundliche Aufnahme
--- sogar einen freundlichen Händedruck entgegen -- für einen ganz
-abscheulichen Schwindel.
-
-Ich war drauf und dran, meine Sünden zu bekennen, und herausgeworfen zu
-werden, als sich die Thür auf's neue öffnete und der stattliche Herr
-des Hauses eintrat.
-
-Er blieb überrascht stehen, als er die Gruppe in der Mitte des Zimmers
-erblickte.
-
-Sie -- die Gruppe -- sah auch nicht unbedenklich aus! Ein verlegener
-junger Mann, ein erröthendes Mädchen mit Thränen in den Augen und einem
-Ringe in der Hand und eine ältere Dame, die eben hätte segnen können!
-
-Diese Letztere stürmte indeß sofort auf den verblüfften Justizrath ein
-und überschüttete ihn mit Ausrufen, Erklärungen, Vorstellungen -- bis
-er sich lachend die Hände vor die Ohren hielt.
-
-»Das Kurze und Lange von der Sache ist jedenfalls, daß Sophie ihren
-Ring verloren und wiederbekommen hat und daß wir Ihnen, mein Herr,
-dafür zu danken haben.«
-
-Höfliche Verbeugung! Wieder ein Dank, den ich nicht verdiente! Ich
-erstickte fast daran und mußte mich nun noch von dem Papa auf's Sopha
-nöthigen lassen und eine halbe Stunde lang mit ihm über Juristerei
-plaudern!
-
-Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich begreifen, wie einem Friseur
-oder Schneidergesellen zu Muth sein muß, der als Graf in ein Weltbad
-reist und demgemäß behandelt wird.
-
-Ich war, wie ich schon sagte, wirklich immerfort im Begriff, meine
-Larve abzuwerfen und als blamirtes, aber ehrliches Schaf aus meinem
-Wolfspelz hervorzukriechen -- aber der Zauber des Augenblicks war
-stärker als ich -- ich blieb und schwieg.
-
-Als ich es endlich an der Zeit fand, die Familie nicht länger vom Genuß
-des Mittagessens zurückzuhalten, lud mich der Hausherr in freundlicher
-Weise ein, den Abend bei ihnen zu verleben, was ich tief beschämt, aber
-äußerlich mit schöner Fassung annahm.
-
-So war ich denn nun durch die Dornenhecken gänzlicher Unbekanntschaft
-in das verzauberte Schloß gedrungen, aber das Ritterschwert, welches
-mir den Weg zur Prinzeß Dornröschen gebahnt hatte -- war eine Lüge! Mit
-einem Seufzer und dem alten Wort, daß der Zweck die Mittel heilige,
-sang ich mein Gewissen in Schlaf, und kehrte in den Gasthof zurück.
-
-Im Hausflur stand ein Mann in einer blauen Jacke, mit einer groben
-Physiognomie, er trug einen kleinen schwarzen Hund auf dem Arm. Ich
-achtete nicht auf ihn, sondern begab mich auf mein Zimmer, um mich
-angenehmen Erinnerungen und noch schöneren Erwartungen zu überlassen.
-
-Leises Pochen an der Thür schreckte mich auf.
-
-Auf mein »Herein!« erschien zuerst der wohlfrisirte Oberkellner, hinter
-ihm der Mann in der blauen Jacke mit dem Hunde, den ich beim Eintreten
-bemerkt hatte. Der Letztere trat einen Schritt näher und indem er das
-Thier am Genick faßte und mir mit vorgestrecktem Arm entgegenhielt,
-sagte er:
-
-»Ich wollte fragen, ob das der Hund ist, den Sie verloren haben?«
-
-Meine Empfindungen sind schwer zu beschreiben! Lachlust und Beschämung
-kämpften heftig in mir -- die greifbaren Folgen der =zweiten= Lüge
-machten sich bemerklich.
-
-»Nein,« sagte ich kurz, »das ist nicht mein Hund!«
-
-»Am Ende doch!« bemerkte der Fremde, »er ist ja schwarz und klein!«
-
-Hierbei setzte er das Thier auf den Boden und schien es nicht wieder
-an sich nehmen zu wollen. Die kleine, höchst gemein aussehende Creatur
-fuhr, wahrscheinlich durch schlechte Behandlung gereizt, sofort bellend
-und schreiend auf mich ein und schnappte in höchst ungemüthlicher Weise
-nach meinen Stiefeln.
-
-»Sehen Sie, er kennt Sie!« sagte das blaujackige Individuum mit der
-größten Frechheit, »ich bitte um die Belohnung, die in der Zeitung --«
-
-»Das ist doch zu stark!« rief ich nun meinerseits geärgert, »dieses
-Thier habe ich nie gesehen, es beißt mich, und Sie wollen von mir noch
-eine Belohnung? Dort ist die Thür!«
-
-Der Mann rührte sich nicht.
-
-»Nun, dann bitte ich mir wenigstens ein Trinkgeld aus -- ich habe zwei
-ganze Stunden hier auf Sie gewartet und meine Zeit kostet Geld!«
-
-»Nemesis!« dachte ich und gab ihm, um es kurz zu machen, ein Geldstück,
-worauf er den Hund wieder wie ein Bündel Lumpen ergriff und mit einem
-höhnischen Kratzfuß das Feld räumte.
-
-Im Laufe des Nachmittags erschienen noch zwei Frauen und ein großer
-schurkischer Junge, die Alle Hunde brachten -- der Junge sogar einen
-weißen! -- und die mit Jammern und Grobheiten Futterkosten, Wartegeld
-und wer weiß was sonst noch von mir erpreßten. Aber der Abend sollte
-mich für diese Mühsal belohnen.
-
-Ich saß in dem hübschen Garten drüben bei meinen neuen Freunden, und
-wir plauderten so gemüthlich, als kennten wir uns schon seit langer
-Zeit.
-
-Dann ging Sophie in den Gartensaal und sang uns ein Lied; der Vater
-sah vergnügt dazu aus -- und ich -- nun ich war auch ganz befriedigt
-von meiner Lage. Aber Eins wußte ich schon an diesem Abend ganz genau,
-daß meine Bekanntschaft mit Sophie nicht umsonst durch einen Ring
-angefangen hatte -- wenn es nach mir ging, sollten noch mehr Ringe in
-unseren gegenseitigen Beziehungen eine Rolle spielen. Also, es geht
-manchmal schnell mit solchem Entschluß, wie dies Beispiel zeigt!
-
-Den nächsten Tag verbrachte ich wieder fast ganz im Hause des
-Justizraths, wir hatten sogar eine Art Verwandtschaft aufgestöbert,
-die zwischen einer Großmutter meiner Stieftante und einem Onkel des
-Justizraths bestanden haben konnte -- ich hatte also gewissermaßen ein
-Recht, dort zu sein!
-
-Nun, und es traf sich so, daß ich am dritten Abend mit Sophie und der
-Tante im Gartensaal saß und die Letztere abgerufen wurde.
-
-Jetzt, werden Sie denken, hätte ich meinen schnell erblühten Gefühlen
-gleich Worte gegeben? O nein, so von selber ging das nicht! Ich mußte
-noch gehörig durch die Traufe.
-
-Wir saßen in etwas stockender, verlegener Unterhaltung zusammen, wie
-das so leicht kommt, wenn man mehr zu sagen wüßte, als recht angehen
-will -- da stürzt freudeglühenden Antlitzes die Magd des Hauses herein.
-
-»Na, Fräulein Sophie, Sie werden sich aber freuen! Ich bin in Ihrer
-Stube und nähe und da fällt mir der Fingerhut auf die Erde und kollert
-unter den großen Schrank. Ich hole mir den Johann und wir rücken den
-Schrank etwas beiseite und was finde ich? -- Ihren Ring, den Sie so
-gesucht haben!«
-
-Prosit die Mahlzeit!
-
-Ich weiß kaum anzugeben, was ich in dem Moment dachte. Mein Hauptgefühl
-war lebhaftes Bedauern, daß die Wohnungen wohlhabender Privatleute
-keine Versenkungen haben, in denen man in so entschieden blamablen
-Augenblicken verschwinden könne.
-
-Sophie war ganz ruhig, nur sehr blaß geworden. »Ich danke, Christiane,
-es ist mir sehr lieb, daß der Ring da ist -- Sie können gehen!«
-
-Die Magd verschwand, augenscheinlich sehr verblüfft über die ruhige
-Aufnahme dieses freudigen Ereignisses.
-
-Sophie wandte sich zu mir, ihre Stimme zitterte etwas.
-
-»Ich darf Sie wohl bitten, Herr Doctor, mich über dies sonderbare
-Zusammentreffen aufzuklären und -- Ihr Eigenthum wieder an sich zu
-nehmen!«
-
-Bei diesen Worten streifte sie langsam den Ring, den ich gefunden haben
-wollte, vom Finger und hielt ihn mir hin.
-
-Und ich? Nun ich that, was ich gleich hätte thun sollen -- ich
-beichtete ehrlich, demüthig, zerknirscht, wie sie mich interessirt
-hätte, ehe ich ein Wort mit ihr gesprochen, wie lebhaft ich gewünscht,
-in das Haus ihres Vaters zu kommen, wie ich dann im Moment die ganze
-Finte ersonnen und, einmal drin, nicht wieder herausgekonnt hätte. Und
-dann bat ich sie flehentlich, den Ring zu behalten und wurde immer
-eifriger und beredter und sagte schließlich Alles heraus, daß ich
-den Ring nur dann wiedernehmen würde, wenn ich ihn mit einem andern
-vertauschen dürfte -- mit dem Verlobungsring!
-
-Und daß mir verziehen wurde, beweist Ihnen die Thatsache, daß der
-wirkliche Ring noch heut hier an meiner Uhrkette hängt -- sehen Sie,
-das ist er! und daß Sophie seit einer langen Reihe von Jahren meine
-Frau ist. Um aber noch einmal auf den Verlobungsmoment zurückzukommen,
-so saßen wir ganz stillvergnügt zusammen, als plötzlich der Diener
-erschien und mir ein Telegramm überreichte.
-
-Erschrocken und überrascht öffnete ich dasselbe. Es war von meinen
-Tanten und lautete:
-
-»Anzeige im Kreisblatt unnöthig, Nap ist hier!« Daß nun die
-Hundegeschichte auch noch an den Tag kam, daß Abends, als die
-Gesundheit des Brautpaares getrunken wurde, der Schwiegervater meine
-ganze Schlechtigkeit erfuhr, das können Sie sich denken.
-
-Aber sehen Sie, es kann manchmal schnell gehen mit dem Kennenlernen und
-Verloben und es hält doch.«
-
-Der Zug begann langsamer zu fahren.
-
-»Leben Sie wohl, meine jungen Damen,« sagte der liebe, alte Herr
-mit seinem freundlichsten Lächeln, »vergeben Sie, wenn Ihnen meine
-Geschichte zu lang war, und nehmen Sie ja kein Beispiel daran! Immer
-geht's nicht so gut ab mit dem Lügen und dann ist es doch sehr
-unangenehm, wenn es an's Licht kommt!«
-
-Der Zug hielt an, der alte Herr verließ uns und ich habe ihn seitdem
-nicht wieder gesehen. -- Aber noch heute besteige ich keinen Dampfwagen
-ohne die leise Hoffnung, den silbernen Kopf meines alten Herrn mir
-entgegenglänzen zu sehen und ihn noch einmal lachen zu hören!
-
-
-
-
- Glück muß man haben!
-
-»Und wenn Sie, verehrtester Herr Amtsrath, meiner Werbung nicht
-durchaus abgeneigt sein sollten, so darf ich wohl die ergebene Bitte
-aussprechen, die Inlage Ihrer Fräulein Tochter zu übergeben und mir,
-in freundlicher Rücksichtnahme auf die Verhältnisse, Ihre Antwort
-womöglich noch im Laufe des heutigen Tages zugehen zu lassen, was sich
-ja bei der fast stündlichen Eisenbahnverbindung zwischen hier und
-Frankenberg sehr wohl ermöglichen läßt.«
-
-Mit diesen Worten schloß der Lieutenant Fritz Sterneck seinen Brief,
-steckte ihn ins Couvert, schrieb die Adresse: »An Herrn Amtsrath
-Solgers in Neu-Tessin bei Frankenberg« und legte das bedeutungsvolle
-Schriftstück mit einem erleichterten »So« vor sich auf den Tisch.
-
-Die Lampe, welche diesen Tisch beleuchtete, kämpfte schon in
-unschöner Mattigkeit gegen den jungen Sommermorgen -- noch dazu einen
-Sonntagsmorgen -- der frisch, duftig und noch in leichten Frühnebel
-verhüllt über der schlafenden Stadt emporstieg.
-
-Fritz löschte das Licht, welches ihm zu seiner nächtlichen Schreiberei
-gedient hatte, und nahm mit dem seltsamen Gemisch von nüchterner
-Müdigkeit und nervöser Erregung, welches wir in dieser allerfrühesten
-Morgenstunde so leicht empfinden, am geöffneten Fenster Platz. Es
-schien ihm kaum mehr der Mühe zu lohnen, den Schlaf noch einmal
-aufzusuchen; er blickte, den Kopf in die Hand gestützt, gedankenvoll
-auf den leeren Marktplatz zu seinen Füßen und unwillkürlich drängte
-sich ihm die Frage auf, ob wohl jedem Bräutigam nach der Abfassung des
-Werbebriefes so -- ja so richtig nüchtern zu Muthe sei? Oder lag es bei
-ihm in den besonderen Verhältnissen?
-
-Er stand gewissermaßen in doppelter Hinsicht auf dem Sprunge. Sein
-Abschied vom Militair war eingereicht und er trat bis zur Bewilligung
-desselben am nächsten Tage einen Urlaub an, um sein väterliches Gut
-selbst zu übernehmen, auf welchem er aufgewachsen, und an dem ihm jeder
-Zoll Boden bekannt war.
-
-Ebenso bekannt war ihm die Familie eines Gutsnachbarn seiner Eltern,
-des etwas gewaltthätigen Amtsraths Solgers, seiner schüchternen,
-graublonden Frau, und seiner noch schüchterneren und noch graublonderen
-Tochter Amalie.
-
-Nach der Meinung und Ansicht der Seinigen konnte Fritz gar nichts
-vernünftigeres thun, als Amalien zu heirathen -- »die Aecker grenzten
-nachbarlich zusammen, die Herzen stimmten überein« -- oder wenn sie
-es nicht thaten, so war dies, wie ältere Leute oft zu sagen und an
-Beispielen zu erläutern lieben, durchaus kein Grund, warum die Besitzer
-dieser Herzen nicht äußerst glücklich mit einander werden sollten.
-
-Fritz war im Grunde seiner ehrlichen Seele, trotz eines hin und wieder
-hervorbrechenden knabenhaften Uebermuthes, ein ganz klein wenig
-Philister -- das heißt Familienphilister! -- was man daheim für gut
-und wünschenswerth erklärte, hatte er bis jetzt auf Treu und Glauben
-ebenfalls dafür hingenommen, und so war ihm auch Amalie Solgers immer
-als etwas gutes und wünschenswerthes geschildert und erschienen. Immer
--- bis heute Morgen, wo er sich entschlossen hatte, um sie zu werben!
-
-Als er, den großen Entschluß couvertirt und adressirt vor sich auf dem
-Tische, in den herrlichen jungen Tag hinausblickte, der in seinen halb
-durchsichtigen Wolkenschleiern die waldigen Hügel des nahgelegenen
-Höhenzuges bald zeigte und bald verbarg -- da überfiel ihn mit
-plötzlicher Traurigkeit das Bewußtsein, =was= ihm eigentlich fehle! So
-duftig, so unbegrenzt und unbestimmt in Form und Umriß muß nicht nur
-die Frühstunde eines schönen Tages -- nein auch die Morgenstunde des
-Lebens sein, wenn sie nicht ihren Zauber verlieren soll! Der Reiz der
-=Ungewißheit= war es, der seinem Zukunftsbilde mangelte -- es lag nicht
-vor ihm, wie eine blaue Ferne im Frühlicht, die man mit ahnungsvollem
-Entzücken, unbekannten Abenteuern entgegen, betritt -- sein Schicksal
-glich einem kleinen, prosaischen Pachterhof im Mittagssonnenschein,
-abgegrenzt, durch und durch alltäglich -- und nur =dem= begehrenswerth,
-der die ersten Schaumperlen vom Lebensbecher schon getrunken hat!
-
-Er versuchte, sich einzureden, daß nur die schlaflose Nacht es sei, die
-ihm sein neues Glück in so überwachter, mattfarbiger Beleuchtung zeige,
-und griff nach der Mütze, entschlossen, den mahnenden und grollenden
-Stimmen in seinem Innern durch eine vollendete Thatsache, d. h. durch
-Abschicken des Briefes, Schweigen zu gebieten.
-
-Während er das Couvert noch in der Hand hielt, und zweifelhaft
-betrachtete, wurde ihm klar, daß vor dem späten Abend auf Antwort
-nicht zu rechnen sei, selbst angenommen, daß sein zukünftiger
-Schwiegervater in der Laune sein sollte, ihm sofort ein »Ja« oder
-»Nein« zuzurufen oder besser zuzudonnern; der Amtsrath war, wie gesagt,
-ein gewaltthätiger Herr und hatte eine seinem Temperament entsprechende
-Stimme, vermittels derer er die sanften Einwürfe seiner Frau und
-Tochter einfach todtschrie.
-
-Im günstigsten Falle einen ganzen Tag lang auf solchen Bescheid zu
-warten hat um so weniger etwas Verlockendes, wenn die Zeit einem
-Sonntage angehört. Das dunkle Gefühl, daß dies der letzte Sonntag
-ungebundener Freiheit für ihn sei, daß er vielleicht vor Ablauf der
-Woche schon als mäßig beglückter Verlobter an der Seite der blassen
-Amalie mit der stets etwas duldenden und leidenden Miene sitzen
-werde, bewirkte, daß unser Held aufsprang und schnell, ohne viel zu
-überlegen, einen grauen Civilanzug statt seiner Uniform anlegte, mit
-dem Entschlusse, diesen »letzten Sonntag« noch auf irgend eine Weise
-auszunützen, und sich als Spielball dem lustigen Dämon Zufall in die
-Hand zu geben, der es vielleicht gut genug mit einem ehrlichen Gesellen
-meinte, um ihm vor Thoresschluß noch einen amüsanten Tag zu gönnen.
-
-»Aber der Brief muß fort,« sagte Fritz vor sich hin, während er sich
-anschickte, das Haus zu verlassen, »denn sonst bleibt die Geschichte
-wieder wochenlang liegen, und ich möchte nun endlich einmal damit ins
-Reine kommen.«
-
-Bei diesen Worten trat er auch schon auf den Marktplatz hinaus, an
-dessen Eckladen ihm ein Briefkasten einladend entgegenwinkte.
-
-Als Fritzens Werbung in dem breiten Spalt des Kastens verschwunden war,
-erhob er die Augen und erblickte zwei weibliche Gestalten, welche an
-ihm vorbei über den Platz gingen.
-
-Es fiel ihm auf, daß die Damen zu so früher Stunde das Haus
-verließen, und sein Interesse an ihren Beweggründen wuchs mit großer
-Schnelligkeit, als er bemerkte, daß eine der beiden Spaziergängerinnen
-ein junges Mädchen von ganz besonderer Anmuth war. Der breitrandige
-Strohhut warf zwar über den oberen Theil ihres Gesichts einen leichten
-Schatten, vermochte aber nicht zu verbergen, daß zwei blitzende,
-dunkelblaue Augen sich als Licht in diesem Schatten befanden. Den
-Augen entsprechend trug das ganze Gesicht, ja die ganze Erscheinung
-des Mädchens, welches eben der Schule entwachsen zu sein schien,
-ein unverkennbares Gepräge furchtlos schelmischen Uebermuthes und
-Frohsinnes, dabei hatte sie eine gewisse vogelähnliche Beweglichkeit
-in der Art, wie sie ihren zierlichen, blonden Kopf nach allen Seiten
-drehte und mit der naiven Neugier eines Kindes überall umhersah. Sie
-trug einen ziemlich großen Arbeitskorb mit festschließendem Deckel am
-Arme; dieser und ein kreuzweis über der Brust zusammengestecktes weißes
-Tuch gaben ihr ein gewisses sehr reizvolles Rokokoansehen, welches
-unseren Fritz unwillkürlich an Friederike von Sesenheim gemahnen wollte.
-
-Die Begleiterin der jungen Schönheit war eine sehr wohlbeleibte Dame
-mit einem unendlich gutmüthigen breiten Gesicht, welches in Form und
-Ausdruck den Abbildungen der Sonne in manchen Bilderbüchern glich.
-Gleichwohl bekam dieses Gesicht durch einen leisen Bartanflug auf der
-Oberlippe, sowie durch einen Hut, der sich scheinbar durch Zauberei,
-jedes Bindemittel verschmähend, auf ihrem Haupte erhielt, einen
-gewissen Anstrich von energischer Unternehmungslust.
-
-Fritz schloß aus dem Körbchen, welches das junge Mädchen am Arme
-trug, daß die Damen sich nach einem der Kaffeegärten zu begeben im
-Begriff standen, welche, in der Vorstadt gelegen, häufig zu solchen
-Morgenausflügen benutzt wurden, wenn auch selten zu so früher Stunde.
-Er folgte in gemessener Entfernung und trat mit einem gewissen
-Vergnügen in die Spuren sehr zierlicher Absatzstiefelchen, welche die
-junge Dame in dem Sande der Promenadenanlagen hinterließ.
-
-An der nächsten Ecke wandten sich die Spaziergängerinnen nach rechts,
-Fritz that ein Gleiches und befand sich auf einem freien Platze, einer
-zahlreichen, munter durcheinander sprechenden Gesellschaft gegenüber,
-die, um einen Omnibus gruppirt, sich entschieden zu einer Landpartie
-rüstete. Die energische Dame mit ihrer reizenden Tochter, Nichte,
-Pflegebefohlenen, was sie auch sein mochte, wurde freudig und zugleich
-wegen der Verspätung vorwurfsvoll begrüßt, wobei Fritzens scharfes Ohr
-es auffing, daß die junge Dame Lotte hieß, und man schickte sich an,
-den Wagen zu besteigen.
-
-Fritz entwarf, als guter Stratege, blitzschnell seinen Plan und
-ging als schlechter Diplomat an dessen Ausführung, ohne sich Zeit
-zur Ueberlegung zu lassen. Er mischte sich mit edler Dreistigkeit,
-ohne ein Wort zu sprechen, unter die Gesellschaft, und als ein sehr
-geschniegelter, sehr blonder junger Mann eben im Begriff stand, seinen
-Platz neben Fritzens Schönheit einzunehmen, schob letzterer ihn mit
-einem höflichen »erlauben Sie« zurück und nahm, seinen Hut artig
-lüftend, die Stelle des grenzenlos Verblüfften ein.
-
-Für wenige Sekunden bemächtigte sich eine solche wort- und
-bewegungslose Ueberraschung der Gesellschaft, daß ein Unparteiischer in
-Versuchung gekommen wäre, Fritzens hübsches, biederes Gesicht für ein
-Medusenhaupt zu halten. Aber der unheimliche Zauber löste sich schnell,
-und ein älterer, jovial aussehender Herr mit einem grauen Vollbart
-trat mit den Worten auf unseren Helden zu: »Mein Herr, darf ich Sie
-wenigstens bitten, uns zu sagen, =wen= wir die Ehre haben, in unserer
-Mitte zu sehen?«
-
-Fritz, Erstaunen und sogar leichte Entrüstung heuchelnd, erwiderte mit
-großer Unbefangenheit: »Ich sehe eigentlich keinen Grund dafür, mein
-Herr, jeder Mensch hat doch das Recht, einen Omnibus zu einer kleinen
-Spazierfahrt zu benutzen, ohne sofort über sein _Curriculum vitae_
-befragt zu werden!«
-
-Der düstere und kampfesmuthige Ausdruck, der sich bei der ersten
-Hälfte von Fritzens Entgegnung über die männlichen Gesichter in der
-Gesellschaft verbreitet hatte, wich nach und nach dem ironischen
-Lächeln der Ueberlegenheit; »der wird einen guten Schreck bekommen,«
-stand in leserlicher Schrift auf den Mienen der Anwesenden. Auch der
-alte Herr, welcher der Festordner bei dieser Vereinigung zu sein
-schien, lächelte.
-
-»Sie sind im Irrthum, mein Herr, dieser Omnibus ist von uns für
-den heutigen Tag gemiethet und zu einem gemeinsamen Ausfluge im
-geschlossenen Kreise bestimmt.«
-
-Der durchaus nicht überraschte Fritz war sofort ganz Beschämung und
-Schrecken, er entschuldigte sich bei jedermann und der dazu gehörigen
-Frau, er bedauerte auf's lebhafteste, ahnungslos einen solchen _faux
-pas_ gemacht zu haben, und war, wie er versicherte, schon bestraft,
-indem er eine ziellose Spazierfahrt, zu der ihn der schöne Morgen
-verlockt, nun aufgeben und bescheiden in seine heiße Stadtwohnung
-zurückkehren werde.
-
-Fritz konnte wirklich =sehr= liebenswürdig sein! Auch bei diesen
-Entschuldigungen entwickelte er so viel Artigkeit und Gewandtheit,
-daß sich das Vorurtheil der Gesellschaft fast ausnahmslos für ihn
-entschied, was er schlau genug war, zu bemerken. Nur der blonde junge
-Mann, den er von der Seite des schönen Mädchens verdrängt hatte, sah
-düster und drohend aus und schielte zornig auf unseren Helden.
-
-Nach einer leise geführten Berathung mit den einflußreichsten
-Mitgliedern der Gesellschaft trat der ältere Herr wieder auf Fritz
-zu und forderte ihn freundlich auf, da er nun einmal in ihren Kreis
-gekommen sei, den Platz im Wagen zu benutzen und mit ihnen zu fahren.
-Fritz, dessen Uebermuth durch die ganze Situation sowohl, als durch
-die etwas kleinbürgerlichen Allüren eines Theils der Gesellschaft
-gestachelt war, stellte sich, um zu seinen neuen Bekannten zu passen,
-auf seinen Civilanzug hin keck als Kaufmann Schröter vor, und nahm
-mit den Gefühlen eines großen Jungen, der hinter die Schule geht,
-glückselig neben der reizenden Lotte Platz. Er benutzte die wenigen
-Minuten bis zur Abfahrt dazu, sein Herz gänzlich an das feine
-Gesichtchen neben sich zu verlieren, noch ehe er eigentlich mehr als
-zehn Worte mit der Eigenthümerin desselben gewechselt hatte. Das
-Mädchen antwortete auch vor der Hand nur in schüchterner, kurzer
-Weise und erröthete jedesmal sehr lieblich, wenn Fritzens Augen mit
-unverhohlener Bewunderung auf ihr ruhten.
-
-Bald aber verflog ihre Befangenheit, und als der Wagen die Stadt
-verlassen hatte und zwischen blühenden Saatfeldern hinaus auf das
-Land zu rollte, plauderten die beiden schon so lustig und harmlos mit
-einander, als hätten sie sich Jahre lang gekannt. =Was= zwei junge
-Leute, die großes Gefallen aneinander finden, sich an einem schönen
-Morgen auf einer Landpartie erzählen, darauf kommt es gar nicht an, das
-=wie= ist die Hauptsache!
-
-Und =wie= konnte Fritz heute sprechen und parliren! Er entdeckte
-in der frohen Erregtheit des Augenblickes eine ungeahnte Fundgrube
-von guten Einfällen in seinem Innern, er hatte nie gewußt, daß es
-ihm gegeben war, gefühlvolle Andeutungen in so leichter, gefälliger
-Form anzubringen, es war ihm noch nie gelungen, ein so reizendes
-Rosenroth auf einem Mädchengesicht durch seine Worte hervorzurufen,
-mit einem Wort, er war noch nie verliebt gewesen, dafür war er es
-jetzt intensiver, als er selbst wußte! Und auch seine allerliebste
-Nachbarin schien dem Reiz des Augenblicks nicht ganz unzugänglich, die
-Unterhaltung der beiden gerieth nie ins Stocken.
-
-Fritz vermied -- er wußte nur zu gut, warum -- jedes Eingehen auf
-seine persönlichen Verhältnisse, obwohl er seine Lüge schon zu bereuen
-begann. Er hätte am liebsten seine Identität mit dem ernsthaften,
-überlegten jungen Mann ganz vergessen, der seit heute Morgen im Begriff
-stand, eine »Vernunftsheirath« zu schließen. So viel stand bei ihm
-schon nach der ersten Stunde, der größeren Hälfte der zurückzulegenden
-Tour, fest, hätte er die Landpartie oder besser die Bekanntschaft
-seiner anmuthigen Nachbarin =vor= der Abfassung des heutigen Briefes
-gemacht, so wäre derselbe nicht geschrieben worden.
-
-Er bedurfte in doppelter Beziehung der Vorsicht, um sich nicht zu
-verrathen, er mußte, um die Situation nicht zu verwickeln, nicht
-Lieutenant Sterneck sein, sondern Kaufmann Schröter, und er durfte
-nicht daran denken, daß sein Werbebrief jetzt, vielleicht in diesem
-Augenblicke, vom Postboten aus dem Kasten genommen und zur Eisenbahn
-befördert wurde. Beide Umstände boten einige Schwierigkeit, sowie die
-Unterhaltung auf ihn selbst kam.
-
-Seine kleine Nachbarin war um so offenherziger, sie hatte nichts zu
-verbergen. Seit Ostern war sie aus der Schule entlassen und nun bei
-ihren Eltern zu Haus. Auf die heutige Landpartie hatte die Tante -- sie
-wies auf ihre Nachbarin mit dem Schnurrbärtchen -- sie mitgenommen,
-sonst war sie noch wenig aus dem Hause gekommen.
-
-»Die Tante meint es sehr gut mit mir,« fügte sie dankbar hinzu, »sie
-weiß, daß ich zu Hause mit den vielen kleinen Geschwistern tüchtig zu
-thun habe, und nimmt mich öfters gegen Abend mit spazieren. Sie ist
-eine Wittwe und gewöhnlich ganz allein. Mich hat sie sehr lieb, und
-wenn sie nächsten Winter auf einen Ball geht, soll ich mitkommen, und
-sie will mir ein weißes Kleid und rosa Rosen dazu schenken. Aber was
-ich Ihnen alles erzähle,« brach sie erröthend ab, »ich freue mich nur
-schon so sehr darauf und vergesse ganz, daß Sie mich noch gar nicht
-kennen.«
-
-»Ich denke, ich kenne Sie sehr gut,« sagte Fritz lachend, »und wenn Sie
-mich etwa nicht kennen wollen, so ist das sehr undankbar von Ihnen!
-Wüßten Sie, was ich alles heut gewagt habe, um diesen Tag in Ihrer Nähe
-zu verleben!«
-
-Sie sah ihn verwundert und fragend an; ach, wie mit jedem Blick dieser
-klaren, dunkelblauen Augen Amaliens Aktien sanken!
-
-»Ja, ja, sehen Sie nur nicht so erstaunt aus! Ich muß Ihnen beichten;
-denken Sie wirklich, daß ich nicht wußte, was ich that, als ich,
-ohne zu fragen, in Ihren Kreis hineinplumpte, wie der Zucker in den
-Kaffee? War ich nicht schon eine halbe Stunde vorher hinter zwei Damen
-hergegangen, vom Markte auf die Kronenstraße, von der Kronenstraße über
-den Wall, vom Wall nach dem Omnibus, und wußte ich nicht, daß eine
-dieser Damen wiederzusehen oder gar mit ihr bekannt zu werden für mich
-das größte Glück« -- hier fiel ihm sein Brief an den Amtsrath ein --
-er stockte und fuhr verwirrt fort: »Mit einem Wort, mein Fräulein, ich
-habe Ihretwegen gelogen, schmählich gelogen, ich wußte ganz genau, daß
-ich bei Ihnen und den Ihrigen gar nichts zu suchen hatte und daß um
-diese Zeit des Morgens noch gar kein öffentlicher Omnibus fährt -- und
-nun sagen Sie, daß Sie =sehr= böse sind!«
-
-»Sehr!« erwiderte sie, ohne aufzublicken.
-
-»Soll ich herausspringen und zu Fuß nach Hause gehen? Oder noch besser,
-soll ich so lange neben dem Wagen herlaufen, bis Sie mir verziehen
-haben und mich wieder hereinrufen? Sie haben nur zu befehlen!«
-
-»Und wenn ich den Befehl gäbe,« sagte Lottchen verwirrt und lachend,
-»würden Sie ihn ja doch nicht ausführen!«
-
-»Denken Sie, daß ich um Ihretwillen nicht noch ganz andere Dinge thäte?«
-
-Fritz war auf gutem Wege, das muß man sagen! Aber das ungestörte
-Lachen und Plaudern der beiden sollte ein Ende finden. An der anderen
-Ecke des Wagens, der Tante gegenüber, saß jener Blonde, den Fritz
-so rücksichtslos verdrängt hatte. Er schien ein Protegé von Lottens
-mütterlicher Freundin zu sein, und beide beobachteten unser Paar
-unaufhörlich, wobei die Augen des Blonden mit den Wagenrädern förmlich
-um die Wette rollten.
-
-Plötzlich erhob sich die Tante, wankte wie eine stattliche Fregatte
-zwischen den Sitzenden hindurch, wobei verschiedene Stöße des Wagens
-sie als solides Schoßkind bald dem einen, bald dem anderen auf die Knie
-setzten, und langte mit den Worten bei Lotte an: »Liebes Kind, wechsele
-doch den Platz mit mir, der Wind bläst mir ins Gesicht.«
-
-Mit einem fast unmerklichen Zögern erhob sich die kleine Schönheit
-und begab sich an die Stelle der intriguanten Tante, welche mit
-durchbohrenden Blicken neben dem verblüfften Fritz sich niederließ.
-
-»Nun, wie gefällt Ihnen unsere Landpartie, Herr Schröter?« fragte sie
-sofort.
-
-»Bis jetzt ausgezeichnet,« sagte der doppelzüngige Fritz und
-blickte forschend nach der anderen Ecke, wo der Blonde eine eifrige
-Konversation ins Werk zu setzen begann.
-
-Die Tante betrachtete indeß aufmerksam unseren Helden, und sanftere
-Gefühle begannen ihr Herz zu bewegen.
-
-»Er sieht wirklich sehr gut aus,« dachte sie, »und wer weiß, ob unser
-Lottchen nicht hier ihr Glück macht! Ich muß ein wenig auf den Busch
-klopfen, und ist er ein ordentlicher Mensch in angenehmer Lage, so kann
-man ja weiter sehn!«
-
-Die gute alte Tante stiftete für ihr Leben gern Heirathen, wie alle
-guten alten Tanten, und indem sie, ihrer Meinung nach sehr vorsichtig
-und unmerklich, unseren Fritz auszuforschen begann, entspannen sich die
-weitaussehendsten Pläne in ihrem Kopfe.
-
-Während Fritz, der ihre Absicht mit höchlichem Ergötzen durchschaute,
-ihr in der vertraulichsten Weise von seinem einträglichen
-Kolonialwaarengeschäft erzählte und Kaffeeproben zu senden versprach,
-mit denen sie wohl zufrieden sein sollte, während er in dieses
-übermüthige Lügengewebe die liebenswürdigsten kleinen Schmeicheleien
-und Anspielungen auf ihre reizende Nichte einflocht, mit denen je eine
-arglose Tante gefangen wurde, sah sich die wohlwollende Dame schon im
-Geiste in einem violetten Seidenkleide an der Hochzeitstafel sitzen,
-und hörte, wie der gerührte Brautvater ans Glas schlug und sie, die
-Tante, als Begründerin dieses jungen Glückes hoch leben ließ, denn
-hätte sie Lotte nicht mit auf die Landpartie genommen, so wäre ihr der
-hübsche und vermögende Bewerber vielleicht, nein gewiß, nie begegnet.
-
-Um nun das Ihrige bei der Sache zu thun, erzählte sie dem aufhorchenden
-Fritz mit geheimem Stolze, wie häuslich und fleißig Lottchen erzogen
-worden, wie sie für jeden Mann ein wahrer Schatz sein würde, »und,«
-fügte sie bedeutungsvoll hinzu, »so jung das Kind noch ist, sie hat
-schon einen recht wohlhabenden Freier, sehen sie wohl, Herr Schröter,
-den jungen Mann, der ihr gegenüber sitzt? Ich sage Ihnen, sie brauchte
-nur mit den Augen zu winken und er hielt morgen um sie an! Aber
-Lottchen hat ihren Kopf für sich, und ...«
-
-Hier hielt der Wagen mit einem gewaltigen Ruck und der Redefluß der
-Eifrigen gerieth ins Stocken. Das Ziel der Fahrt war erreicht, bald
-vereinigte ein vergnügtes Mahl die Gesellschaft, bei dem Fritz, Dank
-sei es dem Glück und der Tante, seinen Platz neben Lottchen fand.
-
-Während unser Held, mit jedem Moment tiefer in die Empfindung
-hineingerieth, deren erstes Keimen ihn heute zu seiner folgenreichen
-Lüge verleitet hatte, behielt er gleichwohl den Kopf noch frei genug,
-um sich beim Beobachten der Versammlung mit einiger Beschämung zu
-gestehen, daß sein Uebermuth hier gar nicht am Platze gewesen, und
-daß er ruhig in seiner wahren Gestalt hätte erscheinen können, ohne
-sich etwas zu vergeben. Eine harmlose, maßvolle Heiterkeit belebte den
-kleinen Kreis, und jeder genoß auf seine Weise die frohe Stunde bei
-gutem Wein und in der hübschen Umgebung.
-
-Fritz nicht am wenigsten! Aus dem scherzenden, neckischen Tone von
-unterwegs war er mit seiner Tischnachbarin allmählich in das Geleise
-einer ruhigen Unterhaltung gekommen, in der sich das anziehendste aller
-Bilder, eine kindlich klare und reine Mädchenseele, vor seinen Augen
-aufrollte. Ihre Lebensanschauungen und Geschmacksrichtung entsprachen
-so vollkommen dem Ideal, welches er im stillen lange vergeblich
-gesucht, daß es ganz bestimmte Gedanken waren, mit denen er, sein
-gefülltes Glas erhebend, halblaut zu ihr sagte: »Die Zukunft!«
-
-»Warum nicht lieber die Gegenwart?« gab sie unbefangen zurück, »wer
-weiß was die Zukunft bringt, ich baue nicht gern Luftschlösser!«
-
-»Ich um so lieber«, erwiderte Fritz, »und bauen Sie mir zu Gefallen
-einmal mit -- wie denken Sie sich Ihre Zukunft?«
-
-»Fragen Sie lieber, wie ich sie mir =wünsche=, das kann ich Ihnen
-ebenso sicher sagen, wie es sicher nie in Erfüllung gehen wird: ich
-möchte auf dem Lande leben!«
-
-»Bravo,« rief Fritz, »das lobe ich mir! Und auf die Erfüllung dieses
-Wunsches leere ich mein Glas! Das Landleben ist das einzig vernünftige
-Leben und ein Landwirth der glücklichste Mensch, vorausgesetzt --« er
-vollendete mit einem sehr beredten Seitenblick, der wieder ein tiefes
-Erröthen in Lottchens Gesicht trieb.
-
-»Wenn Sie aber auch so für das Landleben schwärmen,« begann sie hastig,
-wie ablenkend, »warum bleiben Sie denn in der Stadt?«
-
-»Dort war ich ja nur vorübergehend für einige Jahre,« erwiderte Fritz
-unvorsichtig, »von morgen an ist es mit dem --«
-
-Er stockte, erschrak und wurde fast noch röther, als seine Nachbarin.
-»Was haben Sie denn?« fragte sie erstaunt.
-
-Fritz schwieg, er schämte sich! Kein angenehmer Zustand, solchen
-vertrauenden, blauen Augen gegenüber!
-
-»Bitte, fragen Sie mich nicht, ich kann mich jetzt nicht näher
-erklären,« sagte er verwirrt und ohne sie anzusehen, »in mir ist heut
-alles unklar und unsicher, wundern Sie sich nicht, wenn ich viel
-thörichtes rede, es kommt hoffentlich ein Moment, wo ich Ihnen alles,
-was Sie nur überhaupt von mir wissen mögen, deutlich sagen kann und
-darf!«
-
-Fritz, Fritz! Eine Uhr im Gastzimmer holte zu dröhnenden Schlägen aus,
-die Zeit war schon weit vorgeschritten. Jetzt mußte der Brief längst in
-Neu-Tessin sein, die Antwort -- alle Chancen sprachen dafür, daß sie
-eine bejahende sein werde -- war möglicherweise schon unterwegs, und
-dann?
-
-Fritz wurde es heiß und kalt, nun war aber auch hohe Zeit, daß er hier
-ein Ende machte! Als man sich vom Tische erhob, begab er sich allein
-und tief nachdenklich in den Garten, der um das Wirthshaus blühte und
-grünte. Er kämpfte einen harten Kampf mit sich, mit seinem Gewissen
-und seiner jungen Liebe, die ihn um so lockender ansah, als sie hinter
-einem Gitter von Schwierigkeiten stand, welches seine eigene Schuld
-errichtet hatte! Er athmete tief auf, sein Entschluß war gefaßt. Wie
-auch die Sachen kommen sollten, er wollte sich nicht noch mehr Vorwürfe
-zu machen haben, als er ohnehin schon empfand -- er ging festen
-Schrittes auf das Haus zu, um seinen Hut zu holen und unter einem
-Vorwande der Gesellschaft und allen schönen Träumen Lebewohl zu sagen!
-
-Aber der Zufall, dem er sich heute so leichtsinnig in die Arme
-geworfen, ist ein heimtückischer Gesell, der seine Anhänger freilich
-oft auf reizenden Waldpfaden zum erwünschten Ziele führt, oft aber
-auch an jeder Biegung eines guten und verständigen Weges als neckender
-Kobold sitzt und ruft: »Halt, du hast die Rechnung ohne den Wirth
-gemacht, hier wird hübsch umgekehrt und ausgegessen, was du unter
-meiner Aegide dir so schön eingebrockt hast!«
-
-Diesmal saß er, dieser böse Zufall, in Gestalt eines der Theilnehmer
-am heutigen Ausfluge vor einem großen, verstimmten Dorfpianino und
-gab im Schweiße seines Angesichtes einen etwas unregelmäßigen Walzer
-zum Besten, nach dem sich die Gesellschaft, alt und jung, leicht und
-schwer, geschickt und ungeschickt, munter zu drehen begann.
-
-Als Fritz in der offenen Thüre erschien und suchend nach seinem Hut
-umhersah, begegnete ihm ein einziger, ganz kurzer und flüchtiger Blick
-Lottchens, der, wenn je ein Blick gesprochen hat, fragte: »Tanzen Sie
-nicht?«
-
-Fritz schwankte innerlich, wie ein Rohr im Winde, er tanzte gut,
-das wußte er! Gut genug, um die Produktionen der ganzen hier
-versammelten Gesellschaft in den tiefsten Schatten zu stellen, und
-gern -- fast immer gern! Heute aber, in seiner halb glücklichen, halb
-traurigen Stimmung mit dem reizendsten aller Mädchen dem Rhythmus
-eines weichmüthigen Walzers zu folgen, während durch die geöffneten
-Fenster die laue Sommerluft hereinstrich und die Rosen dufteten --
-ade Vernunft, ade Gewissen -- eben schreitet der blonde Rival im
-zierlichsten Pas durch das Zimmer, das entscheidet alles! Fritz kommt
-ihm zum zweiten Male zuvor, und der schönste Tanz beginnt, den er je
-gehört oder getanzt hat!
-
-Wie er jetzt mit Lottchen dahinflog, feurig und doch taktmäßig, so, das
-fühlte er deutlich, würde er mit ihr durch das Leben fliegen können!
-Es mochte ja unrecht und unvernünftig sein, daß er geblieben war, aber
-der Mensch ist so traurig geartet, daß ihm das Unvernünftige manchmal,
-oft -- um nicht zu sagen meist, am besten gefällt! Und mit dem schönen
-Gefühl, »nun hast du die Dummheit einmal gemacht, nun ist es auch
-ganz gleich, wie weit du dich verrennst,« gestattete sich Fritz die
-allerdeutlichsten Anspielungen auf seinen ohnehin sehr durchsichtigen
-Herzenszustand und fand kein ganz unwilliges Gehör!
-
-Im Rausche des Moments und um sein Gewissen zu betäuben, steigerte
-sich unser Held zu fast ausgelassener Lustigkeit; er tanzte wie
-unsinnig, nicht nur mit Lottchen, nicht nur mit allen =jungen= Damen,
-nein, er bewog sogar die Mütter und schließlich die gute Tante,
-einen ehrsamen Schleifer unter seiner Führung zu wagen, was nach dem
-nöthigen Sträuben, Lachen und Fingerdrohen die größte und allgemeinste
-Heiterkeit hervorrief, er brachte mit Aufbietung aller Familienväter
-eine Française zu Stande, die an künstlicher Verwickelung jedes
-Erschaffene und Erfundene übertraf, er entzückte alles, außer dem
-Blonden, der, von seinem Platze als Hahn im Korbe verdrängt, düster vor
-der Punschbowle saß, und sich durch Massenvertilgung von Speise und
-Trank an der Gesellschaft rächte.
-
-Endlich trieb man zum Aufbruch. Die Plaids, Tücher und Paletots wurden,
-zu einem wüsten Knäuel geballt, von zwei Hausknechten herbeigetragen
-und entwirrt. Fritz hatte Lottchens Sachen gewandt herausgefunden und
-sie sorglich darin einzuhüllen geholfen, bis er seinen Platz neben ihr
-wieder einnahm.
-
-Bald flog der Wagen durch die duftende Sommernacht hin. Ringsum war
-es still und friedlich, die Sterne blitzten in schweigsamer Pracht;
-sanft und groß stieg der Mond über den schwarzen Baumwipfeln herauf
-und leuchtete mild auf dem dunkelklaren Hintergrunde des Nachthimmels.
-Ganz, ganz fern schlug eine Nachtigall, es klang fast nur, wie das Echo
-ihrer Stimme zu den Fahrenden hinüber. Wem sollte da nicht weich ums
-Herz werden!
-
-Je näher sie der Stadt kamen, deren Lichter schon am Horizont
-herauffunkelten, desto lebhafter fühlte Fritz den Wunsch, fast die
-Pflicht, vor seinem Abschiede noch ein erklärendes, rechtfertigendes
-Wort zu sagen, und fand keines!
-
-Ihm schlug das Herz mächtig, als er sich in der Stille der Sommernacht,
-nach all dem Getöse und fröhlichen Lärm, wieder sagen mußte, was er
-gethan! Das schweigende Mädchen hier neben ihm, dessen liebliches
-Gesicht jetzt so seltsam nachdenklich dreinsah, es war mit der
-unbefangenen Lust des Kindes heut von Hause gegangen, und hatte nicht
-an die Möglichkeit gedacht, daß ein bleibender Eindruck, vielleicht ein
-Geschick sich an diesen Tag knüpfen werde.
-
-That er jetzt, was er thun mußte, verließ er sie, ohne sie
-wiederzusehen, nachdem er mit Wort und Blick sich bestrebt, ihr Herz
-zu gewinnen, so hatte er von einem jungen, glücklichen Schmetterling,
-der ahnungslos in den Blumengarten des Lebens fliegt, den ersten
-Blüthenstaub in frevelhaftem Leichtsinn gestreift, nie wieder würde
-das reine Vertrauen wiederkehren, mit dem das Mädchen in die Welt
-getreten war, um sofort eine solche Enttäuschung zu erleben. Und doch
-konnte, doch durfte er nicht sprechen, wer stand ihm denn dafür, daß er
-nicht jetzt, in diesem Augenblicke der Verlobte einer anderen war? Der
-Gedanke stieg ihm sinnverwirrend zu Kopfe, er seufzte tief auf.
-
-Lottchen wandte den Kopf und sah ihn an; es lag etwas so kindlich
-Vertrauendes in diesem Blicke, daß er ihm ins Herz schnitt.
-
-»Sie seufzen so schwer?« sagte sie, halb lächelnd.
-
-»Ich denke wieder einmal an die Zukunft,« erwiderte er ernster, als er
-noch heut gesprochen.
-
-»So lassen Sie doch Ihre Zukunft!« rief sie munter, »sie wird schon von
-selbst kommen, und ändern können Sie doch nichts daran!«
-
-»Das frage ich mich eben!« gab er immer noch ernst zurück, »ich stehe
-vor einem Wendepunkte in meinem Leben, Fräulein Lottchen, und das habe
-ich heut den ganzen Tag zu wenig bedacht!«
-
-Er sah, daß seine Worte einen leichten Schatten auf ihr frohes
-Gesichtchen riefen, der ihm einen neuen Reiz verlieh, aber einen Reiz
-wehmüthiger Natur. Er fuhr hastig fort:
-
-»Wir sind bald am Ziel unserer gemeinsamen Fahrt, wer weiß, ob wir uns
-noch einmal wieder treffen! Lassen Sie mich eine Bitte aussprechen, ehe
-ich gehe!«
-
-Sie war ganz blaß und still geworden und nickte seinen Worten nur stumm
-Gewährung.
-
-»Ich sagte Ihnen schon, daß ich vor einer Wendung meines Geschickes
-stehe, vielleicht entscheidet der heutige Abend noch über jene Zukunft,
-an die ich vorhin dachte -- wollen Sie mir nicht Glück auf meinen Weg
-wünschen?«
-
-Seine Stimme war leise und innig bei diesen Worten, er beugte sich zu
-ihr und nahm ihre Hand, zum ersten -- vielleicht zum letzten Mal!
-
-»Nun, kein Glückwunsch?« wiederholte er dringend, da sie schwieg.
-
-»Doch,« erwiderte sie, und zwang sich, ihn anzusehen, obwohl eine
-seltsame Verwirrung auf ihren Zügen lag, »ich wünsche jedem Menschen
-Glück, warum nicht Ihnen?«
-
-»Damit muß ich mich für heute begnügen,« sagte er, und führte ihre Hand
-leicht an seine Lippen, »geht Ihr Wunsch in Erfüllung, so werde ich es
-Ihnen noch einmal selbst sagen, und dann --«
-
-Der Wagen rollte hier zum Glück über das Straßenpflaster in die Stadt
-hinein, die nickenden Beschützer und Beschützerinnen fuhren empor,
-und an der ersten Ecke, wo der Omnibus einen Theil der Gesellschaft
-absetzte, nahm Fritz sich den Entschluß über den Kopf weg, und
-verabschiedete sich mit flüchtigem, herzlichen Dank von den Anwesenden,
-die ihn wie einen alten Bekannten mit fröhlichem Zuruf entließen,
-während Lottchen stumm und sichtlich erregt nur durch eine Kopfneigung
-seinen Gruß erwiderte.
-
- * * * * *
-
-Als Fritz nach wenig Minuten vor seiner Hausthür stand, und der große
-Schlüssel sich kreischend im Schloß drehte, war es ihm, als öffne er
-sich selbst den Eingang zu einem lebenslangen Gefängniß. Wenn er nun
-jetzt in sein Zimmer trat, und den Brief vorfand, der ihm das Jawort
-brachte -- wie sollte er sich dann benehmen? Er war, das fühlte er,
-er war zu weit gegangen, um einfach mit französischem Abschied aus
-Lottchens Gesichtskreis zu verschwinden, und doch fehlte ihm Muth und
-Lust, sich in seiner ganzen Schlechtigkeit vor ihr zu offenbaren, und
-dann zu dieser ohnehin harten Strafe noch die andere, ungleich härtere
-zu fügen, eine Verlobung mit der unseligen Amalie, die ihm in der
-parteiischen Beleuchtung seiner anderweitigen Verliebtheit nicht mehr
-als ein blasses, negatives Bild der Alltäglichkeit, sondern als ein
-wahres Monstrum erschien!
-
-Als er die Stubenthür öffnete, begegnete sein Blick zunächst keinem
-Briefe, sondern egyptischer Finsterniß, welche durch das laute
-Schnarchen seines Burschen etwas gespenstisches erhielt.
-
-Daß Fritz keine Streichhölzer in der Tasche hatte, versteht sich von
-selbst, wenn man sich gern schnell durch den Augenschein von etwas
-überzeugen möchte, fehlt dergleichen immer!
-
-Der Bursche erwachte etwas mühselig, krabbelte, an alle Gegenstände
-im Zimmer anstoßend, eine Zeit lang umher, die Fritz zur Ewigkeit
-wurde, und die er doch nicht durch die Frage, ob ein Brief gekommen
-sei, zu unterbrechen wagte, weil er bei sich dachte: »das erfahre ich
-immer noch früh genug,« und endlich erstrahlte das Zimmer im Glanz
-einer Kerze. Der Tisch, auf dem die eingegangenen Depeschen zu liegen
-pflegten, war leer!
-
-»Ist nichts mit der Post gekommen?« frug endlich Fritz, bebend vor
-Erwartung.
-
-»Nein, Herr Lieutenant!«
-
-Also nichts! Das Allerfatalste, weder Ja noch Nein, eine widerwärtige,
-flaue Fluth von Möglichkeiten, in der man nun noch bis zum andern
-Morgen schwimmen konnte!
-
-Eine zweite Nacht brach heran, die gleich der vergangenen schlaflos zu
-werden drohte, das Durchkonjugiren von »hätte ich!« ist stets eine der
-unerfreulichsten Beschäftigungen, ganz abgesehen von ihrer völligen
-Nutzlosigkeit. Und dennoch beschäftigt sich jeder, der eine Dummheit
-begangen hat, hinterher damit, sich zu sagen: »hätte ich dies gethan,
-oder das =nicht= gethan!«
-
-Zum Glück siegte die übermüdete Natur für diesmal, unser armer Held
-schlief ein, und schlief, traumlos, wie man immer schlafen sollte, bis
-tief in den nächsten Morgen hinein, der ihm beim Erwachen grell und
-golden in die Augen schien.
-
-Beim Frühstück konnte er wieder einen Brief erwarten, aber die Klingel
-rührte sich nicht, und der Vormittag verging ihm, dem schon vom Dienst
-Dispensirten, in bleierner Schwere. Endlich schlug die Stunde, wo er
-sich, um sich abzumelden, nach der Kommandantur begeben mußte, er warf
-sich in seinen Staat, und schritt wenige Minuten darauf mit Helm und
-Schärpe, äußerlich ein energischer, junger Kriegsgott, innerlich ein
-deprimirter Hase, seinem Bestimmungsort zu.
-
-Die Sache war schnell erledigt, und als Fritz den Heimweg antrat,
-beschloß er, um seinen Gedanken ein wenig Audienz zu geben, noch einmal
-durch die Anlagen zu wandern.
-
-Ihm war, er wußte selbst nicht, warum, jetzt hoffnungsfreudiger zu
-Muthe. Hätte er ein »Ja« erhalten, so wäre die Antwort jetzt gewiß
-schon da. Es war ja möglich -- entzückende Möglichkeit! daß er Amalien
-über Nacht eben so widerwärtig geworden, wie sie ihm! Wenn er sich's
-recht bedachte, hatte er überhaupt gar keinen Grund, anzunehmen, daß
-sie ihm besonders gewogen sei; was er für Stille und Zurückhaltung
-in ihrem Wesen genommen, war vielleicht -- nein gewiß! verborgene
-Abneigung gewesen. Man kann sich bekanntlich nichts so leicht einreden,
-als was man wünscht, Fritz war noch keine zehn Minuten gegangen, als er
-schon glückselig einen imaginären Korb von Amalien am Arm, und einen
-ebenso imaginären Ring von Lottchen am Finger trug.
-
-Diese letzte Möglichkeit spann sich denn in seinem Inneren zu dem
-farbenreichsten Bilde aus, er stellte sich das Mädchen in ihrer ganzen
-Lieblichkeit vor, so deutlich, daß es ihn kaum überraschte, als er, um
-eine Ecke biegend, sich plötzlich ihr gegenüber sah.
-
-Mit unverhohlenem Entzücken griff er an den Helm, aber Lottchen blickte
-ihn erst erschreckt, dann völlig fassungslos an, plötzlich wandte sie
-sich ab, und setzte, ohne seinen Gruß zu erwidern, ihren Weg fort.
-
-Jetzt erst begriff Fritz ihre Empfindungen! Der Kaufmann
-Schröter von gestern, der bescheidene Besitzer des einträglichen
-Kolonialwaarengeschäfts, dem -- d. h. dem Besitzer! -- sie in ihren
-Träumen bereits eine nicht ganz nebensächliche Rolle zugewiesen hatte,
-er klirrte heute als bewaffnete Macht ihr entgegen, und sie wußte
-begreiflicherweise nicht, ob eine wunderbare Aehnlichkeit sie täusche,
-oder was sie sonst von ihm denken solle.
-
-Blitzschnell hatte Fritz die Davoneilende eingeholt, und schritt, ohne
-ihr stummes Kopfschütteln, womit sie all seine Worte der Begrüßung
-und Freude erwiderte, zu beachten, neben ihr her, die ziemlich
-menschenleeren Anlagen entlang.
-
-»Wenn Sie wüßten,« begann er verwirrt und ganz unberechtigt
-vorwurfsvoll, »=wie= ich mich freute, als ich Sie so überraschend
-wieder vor mir sah, Sie würden mich nicht durch Ihren Zorn betrüben.
-Sagen Sie mir nur, was Sie eigentlich von mir denken, um das eine bitte
-ich Sie!«
-
-»Ich denke =gar nichts= von Ihnen,« erwiderte das Mädchen in einem
-seltsam harten und kalten Tone, den man ihrer jugendlichen Stimme gar
-nicht zugetraut hätte, »ich kenne Sie überhaupt nicht, und bitte Sie,
-mich augenblicklich meinen Weg allein fortsetzen zu lassen.«
-
-»Fräulein Lottchen,« bat der unglückliche Fritz flehend, »wollen Sie
-mich nicht wenigstens anhören? Sie thun mir sicher in Gedanken unrecht,
-ich bin nicht so schuldig, als es den Anschein hat.«
-
-»Sondern noch viel schuldiger,« jammerte es in seinem Inneren, »wenn
-sie schon über die einfache Namensverwechselung =so= böse ist, was
-würde sie erst sagen, wenn sie wüßte! --«
-
-Fritz schauderte.
-
-»Was bezwecken Sie eigentlich mit dieser zweiten Komödie?« sagte
-jetzt das Mädchen stehen bleibend, noch immer im selben Ton. »Was
-Sie =gestern= gewollt haben, sehe ich heute wohl ein, uns alle zum
-Spielzeug Ihrer hochmüthigen Laune benützen, nun es ist Ihnen ja
-gelungen -- Sie haben Ihre Sache vortrefflich gemacht -- was soll ich
-nun noch anhören?«
-
-Fritz blieb gleichfalls stehen, und ließ seine Augen erst einen Moment
-traurig auf ihr ruhen, ehe er sprach.
-
-»Wenn Sie =so= fragen, dann bin ich zu Ende, ich kann dann nur meiner
-Wege gehen, denn ich fühle, daß Sie ein Recht haben, mir zu zürnen,
-und daß ich mich nur dann vertheidigen darf, wenn Sie es mir selbst
-erlauben. Soll ich wirklich =so= von Ihnen scheiden?«
-
-Sie machte einen tapferen Versuch »ja!« zu erwidern, er scheiterte aber
-an halb erstickten Thränen, die sich plötzlich in ihre Stimme und in
-ihre Augen drängten. Heftig aufschluchzend schlug sie beide Hände vors
-Gesicht und wandte sich von ihm ab.
-
-Ich muß gestehen, auf die Gefahr hin, meinen Helden sehr wenig
-heldenmüthig erscheinen zu lassen, daß Fritz diesem Anblick nicht ganz
-weit davon entfernt war, dem Mädchen herzhaft Gesellschaft zu leisten!
-Eine solche Hochfluth widerstrebender Empfindungen schlug über seinem
-Haupte zusammen, daß er sich von den wilden Wogen seiner Gefühle
-rücksichtslos dahintragen ließ, er gestand Lottchen in fliegenden
-Worten seine Liebe, und bekannte ihr, daß er gestern zwar anfänglich
-in übermüthiger Laune seinen wahren Stand und Namen verleugnet habe,
-daß er aber bald, sehr bald große Beschämung über diesen tollen Einfall
-empfunden, und sich schon vor Ende des Tages bewußt gewesen sei, daß
-aus seinem Scherz tiefster Ernst für ihn geworden, und daß er -- nun
-kurz, was man in solchen Fällen sagt.
-
-»Und Lottchen,« fügte er dringend hinzu, indem er ihre Hand nahm, »wenn
-ich Ihren Thränen eine Deutung geben darf, wenn auch Sie jener alten
-Geschichte von der »Liebe auf den ersten Blick« seit gestern glauben
-gelernt haben, dann lassen Sie mir als ersten Beweis davon Verzeihung
-zutheil werden, oder lieber,« fügte er lächelnd hinzu, da sie ihn, wenn
-auch noch durch Thränen, doch schon wieder freundlicher ansah, »seien
-Sie so böse auf den »Kaufmann Schröter,« wie Sie nur irgend wollen,
-aber haben Sie den Lieutenant Sterneck dafür umso lieber -- was meinen
-Sie? Darf ich mich Ihren Eltern vorstellen, und ihnen sagen, daß Sie
-mir diesen Besuch gestattet haben?«
-
-Nun, Lottchen war nicht von Stein, sie sagte zwar nicht ja, aber sie
-nickte mit dem Kopfe, und das that dieselben Dienste!
-
-Näher kommende Schritte ließen unser Paar etwas bestürzt auffahren,
-und Fritzens Schreck steigerte sich zu plötzlichem Entsetzen, als der
-Störenfried sich in der sonst harmlosen Gestalt eines Briefträgers
-präsentirte, der in geschäftsmäßigem Tritt, ohne rechts oder links zu
-blicken, an ihnen vorüber nach der Stadt ging. »Glaubst du, dieser
-Adler sei dir geschenkt?« schien mit feurigen Buchstaben um die Mütze
-des ehrlichen Postbeamten geschrieben -- was für eine Pandorabüchse
-konnte jene Ledertasche sein!
-
-Fritz verbarg mit Mühe seine Verwirrung, und trennte sich von
-seiner reizenden Braut, wo die Anlagen in die Stadt münden, mit dem
-nochmaligen Versprechen, sobald es seine Zeit gestatte, sich bei ihren
-Eltern einfinden zu wollen. Noch ein herzlicher Händedruck, und ihre
-Wege führten auseinander. Lottchen trippelte mit der ihr eigenen,
-anmuthigen Schnelligkeit von dannen, und Fritz wandte wohl noch
-zehnmal den Kopf, um mit Freude und Gewissensangst der Verschwindenden
-nachzusehen.
-
-Als er einige Stunden später in stiller Beklommenheit auf seinem Sopha
-saß, klopfte es, der Bursche brachte ihm einen Brief, Poststempel
-Neu-Tessin! Nun also! Fritz hatte noch nie vor der Mündung einer
-geladenen Pistole gestanden, er wußte demnach nicht aus Erfahrung,
-wie einem dabei zu Muthe ist, ungefähr konnte er sich's aber nach
-diesem Moment vorstellen. Es hilft doch nichts -- auf mit dem Brief! Er
-lautete:
-
- Mein verehrter, junger Freund!
-
-Ihr Schreiben hat mich und die Meinigen geehrt und erfreut. Wir nehmen
-Ihre Bewerbung um unsere Tochter gern an, und hoffen, in Ihnen einen
-lieben Sohn zu finden. Meine Frau wollte schon bei unserem letzten
-Zusammensein ganz klar die demnächstigen Ereignisse voraussehen, doch
-hielt ich dies für eine Illusion, zu der das weibliche Geschlecht in
-Betreff von Heirathsabsichten ja stets neigt. Nun hat sie doch Recht
-behalten!
-
-Wir erwarten Sie morgen Abend zum frohen Verlobungsmahl, und wollen
-dann alles andere mündlich erörtern. Ein Gruß von Malchen wird Ihnen
-wohl nicht unangenehm sein?
-
- Ihr treu ergebner Schwiegervater _in spe_
-
- Solgers, Amtsrath.
-
-Der Brief trug das Datum des gestrigen Sonntags.
-
-Das lähmende Entsetzen, welches sich unseres Fritz beim Durchlesen
-dieses an sich ja sehr netten Schreibens bemächtigte, spottet jeder
-Beschreibung. Er starrte den verhängnißvollen Zettel an, eigentlich
-ohne Bewußtsein, er las ihn wieder, und noch einmal, aber auch nicht
-ein Schimmer von Zweifel ließ sich daraus entnehmen!
-
-»Bei unserem letzten Zusammensein will die Amtsräthin etwas gemerkt
-haben,« murmelte er dumpf, »=ich= habe nichts gemerkt! Wann soll denn
-das gewesen sein? Ich bin ja seit fast vier Wochen nicht in Tessin
-gewesen -- nun, es wird doch am Ende etwas daran sein! Es muß wohl den
-Tag =sehr= guten Punsch gegeben haben,« sagte er gedankenlos vor sich
-hin.
-
-Fritz sprang auf und schritt in wahrer Verzweiflung im Zimmer auf und
-ab, sein Herz schlug so laut vor Angst, daß er es zu hören meinte.
-War wohl je ein Mensch in solcher schrecklichen Lage, und solchen
-verwickelten Familienverhältnissen! Nun hatte er zwei Bräute, zwei
-Schwiegermütter und zwei Schwiegerväter, von denen der ihm bekannte ein
-wahrer Bär von deutscher Grobheit war.
-
-=Wessen= er sich versah, wenn er mit seiner Beichte in Tessin
-herausrückte, war gar nicht auszudenken, und er durfte doch nicht
-wieder grob werden; hatte er nicht frevelhaft den Hausfrieden und
-Seelenfrieden einer glücklichen Familie gestört? Und Amalie schien ihn
-nun doch zu lieben, der schalkhafte Schlußsatz des Briefes deutete auf
-das Aergste!
-
-Armer Fritz, zwei Mädchenherzen liegen zu deinen Füßen, =eines= mußt du
-unfehlbar zertreten, magst du einen noch so künstlichen, moralischen
-Eiertanz ausführen!
-
-Aber alles jammern und sich abmartern nützte nichts, jetzt hieß es
-handeln, rasch, klug und rechtlich, er hatte nie gedacht, daß dies so
-schwer wäre!
-
-In einer halben Stunde ging der letzte Zug an diesem Tage nach Tessin
-ab, und man erwartete ihn »zum fröhlichen Verlobungsmahle!« Sollte er
-schreiben? das war ihm unmöglich, er =konnte= sich nicht entschließen,
-seine Schandthaten schriftlich in das Familienarchiv des Amtsraths
-niederzulegen, nein, es mußte ausgebadet werden! Er schickte den
-Burschen nach einer Droschke, und während dieser unterwegs war, schrieb
-er eilig und innerlich zerfleischt von Höllenqualen einige Zeilen
-an Lottchen, worin er ihr mittheilte, daß Familienangelegenheiten
-unaufschiebbarer Natur ihn zwängen, die Stadt auf einige Stunden zu
-verlassen. Sie möge ihm nur vertrauen, der nächste Tag finde ihn sicher
-bei ihr und ihren Eltern.
-
-Schweren Herzens sandte er den Brief an seinen Bestimmungsort ab, und
-fuhr dann zur Bahn. Seine stille Hoffnung, er werde den Zug versäumen,
-und sich auf diese Weise eine Galgenfrist schaffen, trog, er kam
-rechtzeitig an, und die Stunde, welche die Stadt und Neu-Tessin trennt,
-war bald auf Dampfesflügeln durcheilt.
-
-Das von dem Amtsrath bewohnte Dominium Tessin, lag etwa zehn Minuten
-von der Bahnstation Frankenberg. Als Fritz den Zug verließ, entdeckte
-er bald die wohlbekannte, geschlossene Chaise seines Schwiegervaters
-Nr. 1, wie er ihn in Gedanken nannte, denn nach dem alten Sprichwort:
-»wer zuerst kommt, mahlt zuerst,« hatte Amalie entschieden den Vorrang
-bei diesem seltsamsten aller Wettrennen.
-
-Ein ihm fremder Kutscher lenkte das Gefährt, und blickte spähend in
-die aussteigende Menschenmenge. Als Fritz sich ihm näherte, und zur
-Sicherheit sich noch einmal erkundigte: »Herrn Amtsrath Solgers Wagen?«
-nickte der Rosselenker, und frug, das trübselige Gesicht vor ihm mit
-einigem Mißtrauen betrachtend: »sind Sie der Herr Bräutigam?«
-
-Unwillig bejahte der gequälte Fritz, und bald rollte das Gefährt auf
-der Landstraße dahin. Noch eine Biegung des Weges, da lag das Amtshaus,
-von der untergehenden Sonne vergoldet, vor ihm.
-
-Als Fritz sich dem Hofe näherte, welchen man zu passiren hat, ehe
-man das Haus erreicht, begrüßten ihn zwar arg verstimmte, aber doch
-wohlgemeinte, schmetternde Klänge, die Dorfkapelle blies einen Tusch.
-Die durch diese Ovation etwas erregten Pferde ließen sich erst schwer
-zum Stehen bringen, Fritzens verstörte Augen bemerkten über der
-Hausthür eine dicke Guirlande, und als er, halb betäubt vor Verwirrung,
-dem Wagen entstieg, strömte ihm der warme Duft von Punsch und Braten
-festlich entgegen.
-
-Vor der Thür stand der Amtsrath im schwarzen Leibrock, das
-Ordensbändchen im Knopfloch, die Amtsräthin im Seidenkleide,
-neugierige kleine Schwäger, Schwägerinnen und Dienstboten drängten
-sich im Hausflur, Malchen schien sich in bräutlicher Verschämtheit im
-Hintertreffen zu halten.
-
-Fritz schwankte, wie ein Gerichteter, der das Schaffot besteigen soll.
-
-Aber Unerwartetes begab sich.
-
-Das dröhnende »Willkommen,« mit dem der Hausherr den Wagen bereits
-anzuschreien begonnen hatte, verstummte plötzlich wie abgeschnitten,
-als er unseren Fritz erblickte. Es wäre schwer zu sagen, wessen Züge
-die größere Verlegenheit ausdrückten, die des Ankommenden, oder die
-der Erwartenden.
-
-Die Amtsräthin machte kurz kehrt, und zerstreute mit Wort und Geberde
-die Neugierigen im Hausflur, dann ward sie nicht mehr gesehen.
-
-Ihr Gatte erhob mechanisch die Hand, kratzte sich hinter dem Ohr, und
--- schwieg.
-
-Fritz schwieg auch, ihm war fürchterlich zu Muthe. Er glaubte, er mußte
-ja glauben, daß der Anblick seines bleichen, deprimirten Gesichts so
-niederschmetternd auf die schwiegerelterlichen Nerven wirke, daß man
-keine Worte fände, ihn fröhlich als fröhlichen Bräutigam zu grüßen.
-
-Aber dies gegenseitige, schweigende Anstarren war zum Tollwerden! »Noch
-zwei Sekunden so,« dachte Fritz, »und ich gebe Fersengeld, und laufe,
-so weit mich meine Füße tragen.«
-
-Er räusperte sich mehrmals, streckte etwas gezwungen die Hand aus, und
-begann: »Sie waren so überaus gütig, Herr Amtsrath --«
-
-Der alte Herr sah starr auf den Boden nieder, ergriff die dargebotene
-Hand und schüttelte sie kräftig, dann sagte er mit bedrückter Stimme:
-»Bitte, bitte, nicht Ursach', mein lieber Freund! Ich hatte freilich
-nicht erwartet -- aber wollen Sie nicht einige Augenblicke näher
-treten? Wir können unsere Besprechung ja in meinem Zimmer vornehmen.«
-
-Er ließ dem Schwiegersohn höflich den Vortritt ins Haus und öffnete
-die Thür seiner zu gleicher Erde belegenen Wohnstube, in die ihm Fritz
-ungefähr mit den Gefühlen folgte, die man im Vorzimmer des Zahnarztes
-durchzumachen pflegt.
-
-»Darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten?« unterbrach der Amtsrath die
-Grabesstille.
-
-»Sie sind sehr gütig!« und Fritz begann zu rauchen, und zwar mit einem
-Eifer, als hinge sein Leben daran, daß er die Cigarre in zehn Minuten
-bis auf die letzte Spur vertilgt habe.
-
-Der Amtsrath paffte eben so krampfhaft in seiner Ecke.
-
-Endlich erhob sich Fritz, und stellte sich, militärisch hoch
-aufgerichtet, vor den alten Herrn.
-
-»Ich weiß in der That nicht, Herr Amtsrath, was Sie von mir denken
-werden, wenn ich Ihnen eine Erklärung meiner Handlungsweise gegeben
-habe, die --«
-
-»Aber ich bitte Sie, mein lieber, junger Freund,« erwiderte der Alte
-ganz ängstlich, »wozu wollen Sie sich und mir eine solche unnöthige
-Qual bereiten! Ich habe ja alles, was zu der Sache irgend zu sagen
-war, in meinem Briefe auseinandergesetzt, und um Ihnen die Situation
-zu erleichtern, wiederhole ich Ihnen noch einmal mündlich, was ich
-schriftlich sagte, an meinem und meiner Tochter Entschluß ist nichts
-mehr zu ändern, wenn Sie eine derartige Absicht herführt, so ist jedes
-Wort unnöthig.«
-
-Fritz rang mit dem Tode! Er sah die Zornader auf der Stirn des Alten
-schon im Geiste anlaufen, aber es half nichts -- durch!
-
-»Herr Amtsrath!« begann er von neuem, und fuhr sich mit dem Taschentuch
-über die Stirn, »halten Sie mich für einen Elenden -- ich halte mich
-selbst dafür, aber ich beschwöre Sie bei allem, was Ihnen heilig ist,
-mein Gott, wie soll ich mich nur ausdrücken? ich flehe Sie an, nehmen
-Sie Ihr Wort zurück!«
-
-»Aber sagen Sie mir, Herr,« rief jetzt der Amtsrath, »was ficht Sie
-denn eigentlich an? Allen Respekt vor Ihnen, aber Sie benehmen sich, um
-mich ganz gelinde auszudrücken, wie ein Narr! Seien Sie ein Mann, fügen
-Sie sich ins Unvermeidliche, was ich gesagt habe, habe ich gesagt! Ich
-werde mich doch jetzt nicht zum Gespött der ganzen Gegend machen, als
-ein alter Schwachkopf, der nicht weiß, was er will! Meine Tochter ist
-Braut -- und damit basta.«
-
-»Nun dann,« sagte Fritz mit der Ruhe eines Verzweifelten, »dann bleibt
-mir nichts übrig, als mir eine Kugel vor den Kopf zu schießen! Ich habe
-wie ein Ehrloser gehandelt, ich muß die Folgen tragen! Denken Sie von
-mir, was Sie wollen, aber ich kann Ihre Tochter nicht heirathen!«
-
-»Was!« schrie der Amtsrath und sprang auf, »=was= sagen Sie da?«
-
-»Ich kann Ihre Tochter nicht heirathen,« wiederholte Fritz dumpf und
-leichenblaß, »und nun machen Sie mit mir, was Sie wollen!«
-
-»Meine Tochter nicht heirathen?« brüllte jetzt der Amtsrath, und
-sprang auf Fritz zu, ihn bei den Schultern packend, »aber Mensch, wer
-verlangt denn, daß Sie sie heirathen? Bin ich toll, oder sind Sie toll,
-oder sind wir's alle beide?«
-
-»Ich weiß nicht,« sagte Fritz ganz erschöpft, und sank in seinen Stuhl
-zurück.
-
-Der Alte trat zum Nebentisch, goß zwei Gläser Wasser aus einer Karaffe
-ein, trank eins, und reichte das andere unserem Helden. »So, das
-schlägt nieder,« sagte er dann etwas ruhiger, »und nun sagen Sie mir
-einmal, =was= Sie eigentlich wollen! Sie halten um meine Tochter
-an, ich schreibe Ihnen, umgehend, wie Sie es verlangten, eine ganz
-vernehmliche, möglichst freundlich abgefaßte Antwort, und statt sich
-dabei zu beruhigen, wie ein vernünftiger Mensch, kommen Sie hierher
-wie ein Tollhäusler, und schreien, Sie können meine Tochter nicht
-heirathen! Ich muß Ihnen gestehen, ich finde es, gelinde gesagt, sehr
-dumm und albern, daß Sie heute überhaupt hierher kommen!«
-
-»Aber mein Himmel,« rief Fritz, und durchwühlte seine Brieftasche mit
-zitternden Händen, »Sie haben mich ja doch selbst eingeladen!«
-
-»Ich -- Sie?« schrie der Amtsrath noch lauter, »i, so schlag doch --«
-
-»Hier!« sagte Fritz lakonisch, und reichte dem alten Herrn seinen Brief
-hin.
-
-Der Amtsrath las -- verfärbte sich -- wiegte den Kopf hin und her --
-plötzlich rief er: »Ach, du meines Lebens! Da habe ich eine schöne
-Geschichte gemacht, lieber Sterneck, ich bin ja an allem schuld! Ich
-habe den Absagebrief an Sie gleichzeitig mit dem Zusagebrief an meinen
-Nachbar Rummler geschrieben -- der hielt zufällig vor zwei Tagen auch
-um Amalie an, und wie ich nun Ihren Brief sofort beantworten mußte, da
-habe ich in der Eile und Aufregung die Adressen verwechselt! Nein, das
-ist ja schrecklich -- und nun sitzt mir der mit einem Korbe da! Er hat
-auch Bahnstation in Frankenberg, und der Wagen sollte =ihn= holen und
-nicht Sie! Ach, ich bin ein geschlagener Mann -- ich alter Esel! Nein,
-ist denn das aber menschenmöglich?«
-
-Während der Alte wie außer sich im Zimmer umherrannte, ergoß sich in
-Fritzens umdüsterte Seele eine wahre Sonnenhelle. Er sollte Amalien
-nicht heirathen -- die gute, die liebe Amalie wollte ihn nicht, hatte
-sogar schon einen Ersatzmann gefunden -- ach, das hatte er nicht
-verdient!
-
-In überströmender Glückseligkeit sprang er auf und fiel dem erstaunten
-Amtsrath um den Hals. »Lieber, alter Freund -- bester Herr Amtsrath --
-meine innigsten Glückwünsche -- ach, so habe ich mich doch in meinem
-ganzen Leben noch nicht gefreut!«
-
-Es sprach eine so innige Ueberzeugtheit aus diesen Worten, daß dem
-guten Amtsrath, was man ihm auch nicht verdenken kann, wieder ganz
-unheimlich zu Muthe wurde. Er machte sich etwas unsanft los.
-
-»Na, lassen Sie das nur gut sein,« sagte er, und schob Fritz
-mißtrauisch zurück, »was =Sie= denken und ob Sie sich freuen, ist mir
-im Augenblick ganz egal -- ich weiß nur nicht, wie =ich= meine Eseleien
-wieder gut mache, ohne daß es meine Weibsleute merken, sonst haben die
-eine Handhabe gegen mich bis ans Ende meiner Tage!«
-
-»Ich will Ihnen einen Vorschlag machen,« nahm Fritz, dessen
-Gefühlswogen sich zu legen begannen, jetzt das Wort, »Gefallen gegen
-Gefallen! Borgen Sie mir Ihren Rappen bis morgen früh, dann reite ich
-jetzt zu Herrn Rummler hinüber und besorge Ihnen einen Brief hin, den
-Sie schnell schreiben, während ich mich anziehe -- und dann reite
-ich zur Stadt und schicke Ihnen das Pferd morgen wieder heraus. Herr
-Rummler kann in einer Stunde hier sein und niemand erfährt etwas!«
-
-»Ach, das ist Unsinn,« sagte der Amtsrath, »ich will Ihnen etwas
-anderes sagen -- mir wird das Briefschreiben sauer -- geben Sie mir
-Ihren Brief, und ich schicke ihn zu Rummler, und schreibe nur, =das=
-wäre der richtige, und der andere wäre für Sie bestimmt. Wenn ich das
-schreiben kann, so ist die Sache abgemacht.«
-
-»Meinetwegen,« rief der glückselige Fritz, »aber den Rappen geben Sie
-mir mit. Ich =muß= nothwendig heute Abend nach Hause -- Sie sollen bald
-erfahren, warum!«
-
-»Ich bin nicht neugierig,« sagte der unliebenswürdige Alte, »aber
-eins sagen Sie mir -- =warum= haben Sie denn eigentlich um die Amalie
-angehalten, wenn Sie so froh sind, daß sie Sie nicht haben will?«
-
-»Das ist eine lange Geschichte,« erwiderte Fritz, und wurde roth,
-»wollte ich Ihnen die jetzt erzählen, so verbrennte der Braten, und der
-Punsch, den das Brautpaar heute noch trinken soll, würde kalt. Lassen
-Sie mich fort und schicken Sie den Wagen zu Ihrem Schwiegersohne. Und
-nun leben Sie wohl, mein lieber, guter Herr Amtsrath -- sagen Sie Ihren
-Damen -- -- was Sie wollen! Ich lasse mir den Rappen satteln!«
-
-Im Hause des Amtsraths ging es den Abend noch sehr lustig her --
-in manchen anderen Häusern gewiß auch -- es giebt ja, trotz aller
-Pessimisten, noch immer eine ganze Menge vergnügter Leute auf der Welt
--- aber ein fröhlicherer Geselle, als unser Fritz, den sein tänzelnder
-Rappe durch den schönen Sommerabend nach der Stadt hin trug, die sein
-Glück barg, war an diesem Abend schwerlich zu finden! -- Wie er es
-angefangen hat, seine reizende Braut mit dem zweiten Akt der Komödie zu
-versöhnen, die er auf der Landpartie zu spielen begonnen -- das geht
-uns nichts an. Er wird schon mit ihr fertig geworden sein!
-
-
-W. =Moeser Hofbuchdruckerei=, Berlin, Stallschreiber-Straße 34. 35.
-
-
-
-
- Inhalt.
-
-
-
- Seite
-
- Hausgenossen 1
-
- Und doch! 59
-
- Der tolle Junker 85
-
- Finderlohn 161
-
- Glück muß man haben! 193
-
-
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden übernommen, nur
- offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt.
- Im Original gesperrt gesetzter Text wurde mit = markiert. Text,
- der im Original nicht in Fraktur, sondern in Antiqua gesetzt
- war, wurde mit _ markiert.
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Novellen, by Hans Arnold
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOVELLEN ***
-
-***** This file should be named 51901-8.txt or 51901-8.zip *****
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- The Project Gutenberg eBook of Novellen, by Hans Arnold.
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-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Novellen, by Hans Arnold
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
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-
-Title: Novellen
- Hausgenossen. -- Und Doch! -- Der tolle Junker. --
- Finderlohn. -- Glück muß man haben!
-
-Author: Hans Arnold
-
-Release Date: April 30, 2016 [EBook #51901]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOVELLEN ***
-
-
-
-
-Produced by Norbert Müller and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was
-produced from images generously made available by The
-Internet Archive)
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<h1>
-Novellen</h1>
-
-<p class="center spaced">von</p>
-
-<p class="author">Hans Arnold.</p>
-<div class="center spaced">
-<div class="boxed">
-<p class="center"><a href="#Hausgenossen">Hausgenossen.</a> &mdash; <a href="#Und_doch">Und doch!</a><br />
-<a href="#Der_tolle_Junker">Der tolle Junker.</a><br />
-<a href="#Finderlohn">Finderlohn.</a> &mdash; <a href="#Glueck_muss_man_haben">Glück muß man haben!</a></p>
-</div>
-</div>
-<div class="figcenter" style="width: 100px;">
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-
-<p class="center">Berlin.</p>
-
-<p class="center gesperrt">Verlag von Gebrüder Paetel.</p>
-
-<p class="center">1881.
-</p>
-
-<p class="center spaced">Alle Rechte vorbehalten.</p>
-
-<p class="dedication">
-Herrn
-<br />
-<span class="big">Theodor Hermann Pantenius</span>
-<br />
-in dankbarster Verehrung
-</p>
-<p class="center-right">
-zugeeignet.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-<h2><a name="Hausgenossen" id="Hausgenossen">Hausgenossen.</a></h2>
-
-<p class="first">In dem sonnenhellen, saubern Stübchen, das sie nun
-schon seit zwanzig Jahren bewohnte, saß Fräulein Sabine
-Krauthoff und strickte, während sie, mit einer Hornbrille
-auf der Nase, in einem abgegriffenen Buche las, welches
-sehr weit ab von ihr auf dem Tische lag.</p>
-
-<p>Am Fenster blühten, trotz des Winters, Nelken und
-Balsaminen, und an den Wänden hingen allerlei Photographien
-in jeder Größe und Stellung. Aber nur Bilder
-von jungen Mädchen &mdash; Fräulein Sabine war Lehrerin
-gewesen. Mitten über dem Sofa prangte ein nach Fröbelscher
-Methode kunstvoll gefertigtes Flechtblatt unter Glas
-und Rahmen &mdash; das hatte die Lieblingsschülerin des
-Fräuleins, Käthchen Lang, geflochten, bei deren Eltern die
-alte Dame im Hause wohnte, und die inzwischen zu einem
-großen Mädchen herangewachsen war.</p>
-
-<p>Aus dem Schüler- und Lehrerinnenverhältniß hatte sich
-mit der Zeit eine herzliche Freundschaft zwischen dem alten
-und dem jungen Mädchen gestaltet. Käthe, die sonst leicht
-ein wenig hochfahrend sein konnte, ja die in ihren Bekanntenkreisen
-sogar wegen ihrer kurzen Antworten und
-ihres gelegentlichen Uebermuthes als &bdquo;sehr schnippisch&ldquo; bezeichnet
-wurde, legte in der stillen Stube von Fräulein
-Sabine all ihre kleinen Airs ab, und wurde immer wieder
-zum Kinde, das seine Thorheiten beichtete und sich liebevoll
-absolviren ließ.</p>
-
-<p>Nie verging ein Tag, ohne daß Käthe die drei Treppen
-erstieg und an Fräulein Sabines Thür pochte &mdash; und so
-sehr hatte sich die letztere an diese täglichen Besuche gewöhnt,
-daß sie es recht schmerzlich empfand, als Käthe
-vor einiger Zeit zu einer verheiratheten Freundin nach auswärts
-ging und fast drei Wochen abwesend blieb.</p>
-
-<p>Doch nun war das vorbei &mdash; gestern hatte die Frau
-Doktor Lang sich ihr Töchterchen von der Eisenbahn geholt,
-und Fräulein Sabine erwartete nun ungeduldig den
-Besuch des allgemeinen Lieblings. Ihr Harren sollte belohnt
-werden. Nicht lange, so klopfte es; auf das &bdquo;herein&ldquo;
-kam ein junges Mädchen in die Thüre, schlank und groß
-gewachsen, mit einem übermüthigen Zug um den kleinen
-Mund, und einem sonnigen Lächeln in den dunkeln Augen.
-Sie begrüßte ihre alte Freundin mit der ihr eigenen ungestümen
-Herzlichkeit und setzte sich zu ihr &mdash; nicht auf
-den Stuhl, sondern aufs Fensterbrett.</p>
-
-<p>&bdquo;Und wie hast du dich bei Laura amüsirt?&ldquo; fragte
-die alte Dame, nachdem sie den &bdquo;mitgebrachten&ldquo; warmen
-Shawl zur Genüge betrachtet und bewundert hatte.</p>
-
-<p>&bdquo;O sehr gut, Sabinchen, es war eine nette Zeit! aber&ldquo; &mdash;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, was &bdquo;aber?&ldquo; fragte Fräulein Sabine erwartungsvoll,
-und schob die Brille auf die Stirn zurück.</p>
-
-<p>&bdquo;Ach &mdash; ich habe wieder einmal eine meiner gewöhnlichen
-Dummheiten gemacht! Soll ich sie dir erzählen?
-aber du mußt nicht schelten?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das kann ich nicht so gewiß versprechen,&ldquo; sagte die
-Alte, indem sie ihren reizenden Liebling mit strahlenden
-Augen betrachtete, &bdquo;indessen fang nur an &mdash; es läßt dir
-ja doch keine Ruhe, ehe du gebeichtet hast.&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe rückte sich auf dem Fensterbrett zurecht, und
-pflückte eine von den rothen Nelken von Sabinens Blumenstock.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun also,&ldquo; begann sie, &bdquo;ich reiste allein von Laura
-zurück, und auf einer kleinen Station &mdash; Siegersdorff &mdash;
-wo der Zug hielt, sah ich zum Coupéfenster hinaus. An
-der Wand des Bahnhofsgebäudes mir gegenüber steht ein
-Herr und sieht mich an &mdash; nicht gerade unbescheiden, aber
-er fixirt mich doch unverwandt. Du weißt ja, Sabine, so
-etwas kann ich nicht leiden, ich denke also: &bdquo;sollst ihm
-mal die Zunge herausstecken &mdash; der Zug fährt ja sofort
-ab, und du siehst ihn nie wieder.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber Käthe!&ldquo; rief das Fräulein erschrocken.</p>
-
-<p>&bdquo;Siehst du, siehst du, daß du schiltst!&ldquo; rief Käthe,
-und fiel ihrer alten Freundin ungestüm um den Hals,
-&bdquo;sei ganz still, sonst erzähle ich nicht weiter, und du hast dein
-Leben lang die Angst mit dir herumzutragen, daß ich etwas
-noch viel Schrecklicheres gethan habe, was du nicht weißt!&ldquo;</p>
-
-<p>Die Alte machte sich lachend los.</p>
-
-<p>&bdquo;Laß mich nur &mdash; ich bin ja schon still! Also &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Also &mdash; in dem Augenblick, wo der Zug sich in Bewegung
-setzt, führe ich mein Vorhaben aus! Nur ein
-ganz kleines bißchen, Sabine &mdash; ich dachte schon, er hätte
-es nicht gesehen! &mdash; aber er lächelte spöttisch und nahm
-den Hut ab. Da fuhren wir hin.&ldquo;</p>
-
-<p>Fräulein Sabine schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>&bdquo;Wirst du nie deinen Uebermuth ablegen, Kind!&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe zerpflückte die rothe Nelke unbarmherzig in Stücke.</p>
-
-<p>&bdquo;O ja, Sabine&ldquo;, sagte sie dann verlegen, &bdquo;aber &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Was aber? noch mehr solcher schöne Streiche?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, Sabine &mdash; die Geschichte ist ja noch gar nicht
-zu Ende, das Schlimmste kommt nach. Also wir fuhren,
-aber kaum hundert Schritte weit &mdash; der Zug wurde zu
-meinem Entsetzen nur rangirt und rutschte nach fünf
-Minuten wieder in denselben Bahnhof ein. Da stand
-auch noch der Herr &mdash; und hatte er vorhin gelacht, so
-lachte er nun erst recht!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Angenehm!&ldquo; sagte Fräulein Sabine. &bdquo;Und wie benahm
-er sich?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Er benahm sich gar nicht, sondern warf die Cigarre
-weg und stieg in dasselbe Coupé mit mir. Und wir
-fuhren mit einander bis hierher, wo er auch ausstieg!&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe sprang vom Fensterbrett. &bdquo;Und was sagst du jetzt?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Herzchen,&ldquo; erwiderte die alte Dame und lächelte gutmüthig,
-&bdquo;was soll ich sagen? Zu geschehenen Dingen
-schweigt man am besten &mdash; das einzig Angenehme ist, daß
-du den Mann wahrscheinlich nicht wieder sehen wirst.&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe sah nicht so entzückt aus, als man hätte vermuthen
-sollen, und streute ihre Nelkenblättchen in die Luft.
-&bdquo;Meinst du?&ldquo;</p>
-
-<p>Die Alte warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, und
-zog die Augenbrauen etwas in die Höhe, als wollte sie
-sagen: &bdquo;aha!&ldquo; Sie schwieg aber.</p>
-
-<p>&bdquo;Weißt du, Sabine,&ldquo; begann Käthe nach einer Weile
-von Neuem, &bdquo;er &mdash; der Mitreisende &mdash; benahm sich
-übrigens sehr taktvoll. Da er merkte, in welch tödtlicher
-Verlegenheit ich war, that er, als ob gar nichts vorgefallen
-sei, und unterhielt mich von allen möglichen Dingen
-&mdash; ganz ernsthaft und sehr nett. Nur einmal, als eine
-alte Dame, die mitfuhr, von der Gegend sprach, und ihn
-fragte, ob er nicht auch während der Reise auf die hübsche
-Aussicht geachtet habe? sagte er ruhig: &bdquo;o ja &mdash; besonders
-in Siegersdorff!&ldquo; und dann sahen wir uns an und lachten
-beide &mdash; ich auch, Sabine &mdash; das konnte ich nicht ändern!
-Sonst war ich sehr würdevoll &mdash; nein, wirklich!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Davon bin ich überzeugt,&ldquo; sagte die Alte ernsthaft,
-&bdquo;wie sah denn dein Freund oder Feind aus?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sehr gut &mdash; groß, dunkelblond und humoristisch &mdash;
-und er war sehr hübsch angezogen.&ldquo;</p>
-
-<p>Die alte Dame lachte.</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn&rsquo;s nur kein Weinreisender war!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber, Sabine, schäme dich! als ob man das nicht
-merkte!&ldquo; In dem Augenblicke klopfte es.</p>
-
-<p>&bdquo;Fräulein Käthchen möchten gleich herunter kommen,
-Frau Majorin Scharff wäre da, und wollte etwas aus
-dem Eckschrank, und Fräulein Käthchen hätten die Schlüssel
-mit.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Unausstehlich!&ldquo; sagte Käthe verdrießlich, &bdquo;Scharffs
-erwarten in den Tagen den gräßlichen Sohn, und borgen
-sich wieder einmal die ganze Wirthschaft zusammen. Ich
-komme,&ldquo; rief sie dem Mädchen zu.</p>
-
-<p>&bdquo;Ist der junge Scharff so &bdquo;gräßlich,&ldquo; wie du sagst?&ldquo;
-fragte Sabine.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich habe ihn nie gesehen &mdash; aber wenn von einem
-Menschen schon so viel gesprochen wird, hat man genug.
-&bdquo;Kurt sagt, Kurt schreibt, Kurt meint&ldquo; &mdash; so geht es
-immerfort, als ob <em class="gesperrt">ich</em> mich darum kümmerte, was ihr Kurt
-für Ansichten hat.&ldquo;</p>
-
-<p>Fräulein Sabine war auch aufgestanden.</p>
-
-<p>&bdquo;Weißt du, was ich glaube, Herzchen? Frau Scharff
-möchte dich sehr gern für den &bdquo;gräßlichen Sohn&ldquo; haben.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, das weiß ich ja schon lange! Aber ich danke,
-Sabine &mdash; ich danke &mdash; ich will gar nicht heirathen &mdash;
-oder&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Hör einmal, Käthe, du kommst mir sonderbar vor!
-Deine Beichte war unvollständig! &bdquo;Oder&ldquo; heißt das etwa:
-&bdquo;oder die Bekanntschaft müßte damit anfangen, daß ich
-ihm die Zunge heraussteckte?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sabine,&ldquo; sagte das junge Mädchen würdevoll, &bdquo;ich
-begreife gar nicht, wie du mich so lange aufhalten kannst,
-wenn du hörst, daß Mama auf die Schlüssel wartet!&ldquo;</p>
-
-<p>Und fort war sie.</p>
-
-<p class="center noindent">*<br /><span style="margin-right:3em;">*</span>*</p>
-
-<p>Während diese Unterhaltung stattfand, herrschte bei
-Käthens Eltern große Unruhe. An der Hausthüre war
-schon seit längerer Zeit eine Wohnung ausgeboten worden,
-und der Hausherr hatte sich bereits stummer Verzweiflung
-überlassen, weil noch keine Nachfrage stattgefunden hatte.</p>
-
-<p>Jeder Mensch hat bekanntlich seinen Tollpunkt &mdash; die
-Vermiethungsfrage war der Tollpunkt des Doktors!</p>
-
-<p>So lange der unheilvolle, weiße Zettel über seiner
-Thüre prangte, war er melancholisch &mdash; seine Gedanken
-irrten mit beängstigender Beharrlichkeit, aufgescheuchten
-Vögeln gleich, um das betreffende Quartier, und er begann
-und schloß den Tag mit Seufzen. Wenn seine Frau
-mit dem triftigen Trostgrunde ins Feld rückte, daß ja
-noch nie eine Wohnung in ihrem Hause leer geblieben sei,
-so grub der Doktor regelmäßig einen alten General aus,
-der inzwischen, nach der seitdem verflossenen Zeit zu schließen,
-längst zum Feldmarschall oder unter die himmlischen Heerscharen
-avancirt sein mußte, und dessen Quartier einst ein
-volles Vierteljahr unvermiethet gestanden hatte.</p>
-
-<p>Zeigte sich dann ein präsumtiver Miether, so begann
-ein neues Stadium in dem Zustande des Doktors. Er
-hatte für nichts anderes Sinn und Gedanken, als für die
-Chance, er sang mit dem französischen Grenadier &bdquo;was
-schiert mich Weib, was schiert mich Kind?&ldquo; und war für
-alle häuslichen Vorkommnisse taub und blind.</p>
-
-<p>Heute nun war, gleich einem Sonnenblick, in sein
-umdüstertes Gemüth ein Brief gefallen, in dem ein der
-Familie bekannter Baron von Rabeneck um die Erlaubniß
-bat, am Nachmittag zu erscheinen und die annoncirte
-Wohnung in Augenschein zu nehmen.</p>
-
-<p>Der Baron galt zwar für einen etwas langweiligen
-und unsäglich neugierigen Herrn &mdash; aber in der Noth ist
-man nicht wählerisch &mdash; der Baron wollte miethen, und
-der Hausherr sah seinem Eintreffen seit drei Uhr mit
-fieberhafter Spannung entgegen.</p>
-
-<p>Die Familie &mdash; Käthe, die Älteste, ausgenommen, die,
-wie wir wissen, bei Fräulein Sabine war, saß um den
-Kaffeetisch. Eine stattliche Reihe von schulpflichtigen Kindern
-&mdash; zwar nicht so viel, als unser schwäbischer Freund
-besaß, der auf eine Anfrage nach dem Befinden der Seinen
-antworten konnte: &bdquo;ich danke, die &bdquo;Meischte&ldquo; sind wohl&ldquo;
-&mdash; aber immerhin genug, um zu Zeiten recht angenehmen
-Spektakel zu machen.</p>
-
-<p>Die Hausfrau dirigirte mit Wort und Blick die stillbewegte
-Gruppe, die zur Eile angetrieben wurde, um
-beim Erscheinen des Miethers nicht den Eindruck der Räume
-abzuschwächen. Jetzt klingelte es.</p>
-
-<p>&bdquo;Kinder, schnell &mdash; trinkt aus, das ist er!&ldquo; rief der
-Vater, und ließ sich in der Eile zu der unmännlichen
-Handlung des Umgießens aus der Ober- in die Untertasse
-für seinen jüngsten Sohn verleiten &mdash; doch zu spät! Die
-Thür ging auf &mdash; aber nicht der Baron erschien, sondern
-das heiter lächelnde Angesicht der Frau Majorin Scharff.
-Die Kinder gingen trotzdem auf einen Wink der Mutter
-hinaus. &mdash;</p>
-
-<p>Frau Scharff bewohnte mit ihrem Gatten, einem
-Major a. D., die Beletage. Dieser Gatte und ihr Sohn
-waren ziemlich die beiden einzigen Gegenstände, welche sich
-die Frau Majorin nicht geborgt hatte, sondern rechtmäßig
-besaß. Man kann es ihr daher nicht übel nehmen, wenn
-sie mit besonderem Stolz auf diese beiden blickte. Eine
-gute, ganz gescheidte Frau von stets heiterem Temperament,
-hatte sie nur die Manie, alles zu verlegen, zu verlieren,
-und sich mit einer wahrhaft genialen Unverdrossenheit
-durch Entlehnen von dem, was ihr momentan fehlte, aus
-der Verlegenheit zu ziehen.</p>
-
-<p>Ihr Mann wußte entweder nichts davon &mdash; oder er
-wollte nichts davon wissen, was ziemlich auf eins herauskommt.
-Er hatte es zu seiner Vorgesetzten und seinem
-eigenen größten Erstaunen bis zum Major gebracht und
-war dann erschöpft ins Privatleben zurückgesunken. Seine
-Geisteskräfte, die ohnehin nie üppig wucherten, hatten sich
-seitdem auf Whist konzentrirt, und keine Gemüthsbewegung,
-kein Familienereigniß freudiger oder trauriger Natur war
-bisher im Stande gewesen, ihn derart zu erregen, daß er
-nicht, so wie der erste Sturm vorüber war, die Seinigen
-gefragt hätte: &bdquo;machen wir heute keine Partie?&ldquo;</p>
-
-<p>Ja es ging die dumpfe Sage, daß er an dem Abend,
-wo sein einziger Sohn das Licht der Welt erblickte, zwei
-Stunden darauf einen Whisttisch herbeigeschoben und
-seiner Schwiegermutter zur Erholung eine Partie Whist
-vorgeschlagen habe.</p>
-
-<p>So lange seine Bequemlichkeit und sein Whist ihm
-ungestört blieben, ließ er den Dingen ihren Lauf, und
-seine Frau mochte die Wirthschaftsutensilien aus allen benachbarten
-Familien rekrutiren &mdash; ihn focht es nicht an.</p>
-
-<p>Sein Sohn, der inzwischen als sehr begabter und
-tüchtiger Offizier die beste Carriere machte, hatte für ihn
-erst Interesse gewonnen, als er den Dritten beim Whist
-abzugeben vermochte, was den jungen Mann nicht hinderte,
-seinen Vater sehr zu lieben, und mit großer Ehrerbietung
-an beiden Eltern zu hängen. Dieser Sohn, das Glück
-und der Stolz der Mutter, wurde, wie wir von Käthe
-gehört haben, erwartet, und die Frau Majorin hatte bereits
-eine Bettstelle mit Betten, einen Teppich, einen Waschtisch
-und zwei Leuchter von der Doktorin Lang entlehnt,
-und kam soeben, um zu fragen, ob ein überzähliger Flügel
-reiner Gardinen vakant wäre, da sie das Gastzimmer sonst
-soweit in Ordnung habe.</p>
-
-<p>Die gutmüthige Doktorin versprach, danach zu sehen, und
-lud ihre Hausgenossin zum Sitzen ein. Doch diese lehnte ab.</p>
-
-<p>&bdquo;Nein, nein,&ldquo; sagte sie eilfertig, &bdquo;o ich habe noch sehr
-viel zu thun &mdash; denn, liebste Lang, ich komme mit einer
-großen Bitte &mdash; trinken Sie nicht heute Abend mit uns
-Thee? Keine Gesellschaft &mdash; nur etwa zwölf bis fünfzehn
-Personen &mdash; bitte, schlagen Sie es mir nicht ab!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Wir kommen herzlich gern,&ldquo; sagte die Doktorin,
-&bdquo;wenn mein Mann nichts dagegen hat.&ldquo;</p>
-
-<p>Der Doktor war herausgegangen, um die Straße
-herunter zu spähen, ob der Miether sich nicht zeigte. &mdash;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, was sollte er dagegen haben!&ldquo; sagte Frau
-Scharff, &bdquo;heut muß er kommen &mdash; ich habe eine kleine
-Überraschung vor! Aber liebe Lang &mdash; eine Bitte! Meine
-Pauline ist so ungewandt &mdash; können Sie mir Ihre
-Köchin auf heute Abend leihen? Wir haben nur zwei
-Gerichte, und sie ist so prächtig flink &mdash; das weiß ich!
-Im Hause geht das ja sehr gut!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, ja, das will ich thun, Frau Majorin,&ldquo;
-sagte Frau Lang lächelnd, &bdquo;kann ich sonst mit etwas
-dienen?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun ja &mdash; wenn Sie mir Ihre große Bratenschüssel
-und zwei Dutzend Mittelteller und Ihre Gabeln, fünfzehn
-Weingläser und die silberne Zuckerdose leihen wollten, so
-wäre ich Ihnen sehr dankbar! Ach, und Beste &mdash;
-die beiden großen Lampen &mdash; aber lassen Sie sie bald
-füllen; meine Leute verstehen sich so schlecht darauf! Das
-ist alles &mdash; denn die Kompottschüsselchen und die Bowlengläser
-habe ich noch oben. Aber richtig &mdash; Sie haben
-wohl nicht ein Pfund Speck zu Hause? meine Pauline
-hat es heut früh mitzubringen vergessen! Wir haben
-Rehrücken und sie soll ihn noch spicken.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich werde sogleich nachsehen,&ldquo; erwiderte Frau Lang,
-und griff in die Tasche &mdash; die Schlüssel fehlten! Bei
-dieser Gelegenheit schickte sie zu Fräulein Sabine, um
-Käthe holen zu lassen, die auch bald erschien und von der
-Majorin aufs zärtlichste begrüßt wurde.</p>
-
-<p>&bdquo;Mein liebes Käthchen &mdash; nein, wie reizend steht
-Ihnen die neue Frisur! Wie haben Sie sich bei Ihrer
-Freundin amüsirt? Ich bitte eben bei Mamachen vor,
-ob Sie uns heute Abend nicht besuchen wollen &mdash; ich
-habe eine kleine Ueberraschung <em class="antiqua">in petto</em>! Nicht wahr,
-Sie kommen doch? Ich schrieb noch neulich an meinen
-Sohn: &bdquo;eine Gesellschaft ohne Käthchen ist mir gar nicht
-denkbar &mdash; sie ist so belebend!&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe, die bis zu diesem letzten Satz sehr freundlich
-ausgesehen hatte, machte eine ungeduldige Bewegung und
-zog die Hand fort.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun muß ich aber gehen, liebe Frau Doktorin,&ldquo;
-sagte die Majorin eilfertig, &bdquo;also Ihre Anna bringt nachher
-alles mit herauf, nicht wahr?&ldquo;</p>
-
-<p>Damit ging sie, und die Doktorin blieb mit Käthe
-allein. Sie legte ihrer Tochter die Hände auf die Schultern
-und sah ihr forschend ins Gesicht. &bdquo;Käthe, warum bist
-du nur wieder so unfreundlich gegen die gute Majorin?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Weil sie mich nicht mit ihrem langweiligen Sohn in
-Frieden läßt!&ldquo; erwiderte Käthe unartig.</p>
-
-<p>Die Doktorin schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>&bdquo;So laß sie doch &mdash; für die Pläne der Mutter kann
-der Sohn nichts &mdash; und außerdem &mdash; Käthe, wäre es
-denn nicht sehr hübsch, wenn etwas daraus würde? Eine
-andere Neigung hast du nicht&ldquo; &mdash;</p>
-
-<p>Käthe mußte wohl an der Tischdecke gezupft haben,
-denn der Schlüsselkorb fiel zur Erde, und sie mußte die
-Schlüssel aufheben, wozu sie eine ganze Weile brauchte
-und sehr roth wieder zum Vorschein kam &mdash; vom Bücken
-jedenfalls!</p>
-
-<p>&bdquo;Und der junge Scharff soll ein vortrefflicher, höchst
-gescheidter Mann sein,&ldquo; fuhr die Mutter fort, &bdquo;thu mir
-wenigstens den Gefallen, dich nicht von vornherein gegen
-ihn einzunehmen! Seine Briefe haben dir ja immer so
-gut gefallen!&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe schwieg hartnäckig.</p>
-
-<p>&bdquo;Da klingelt es,&ldquo; unterbrach sich die Mutter, &bdquo;hier,
-Käthe, ich habe mir alles notirt, was die Majorin sich
-zu heute Abend leihen will &mdash; gieb es einmal heraus!&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe nahm mit einem ironischen &bdquo;weiter nichts?&ldquo; das
-Verzeichniß in Empfang, und ging hinaus, eben, als der
-Vater zur andern Thür hereintrat.</p>
-
-<p>&bdquo;Er kommt wieder nicht!&ldquo; sagte er resignirt, &bdquo;ich
-werde jetzt ausgehen! Hausbesitzer sein ist ein Vergnügen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, ja, er kommt,&ldquo; beschwichtigte seine Frau, &bdquo;eben
-klingelt es &mdash; da ist er schon!&ldquo;</p>
-
-<p>Richtig &mdash; so verhielt es sich! Herr Baron von
-Rabeneck erschien mit einer tadellosen Verbeugung auf der
-Schwelle. Er war ein mittelgroßer, schlanker Mann, mit
-sehr vorsichtig frisirtem, dunkelblondem Scheitel, mit kurzsichtigen
-Augen, die er stets etwas einkniff, mit einem parfümirten
-Taschentuch, und einem kornblumenblauen Schlips.</p>
-
-<p>&bdquo;Ganz ergebensten guten Tag, meine Herrschaften,&ldquo;
-sagte er eintretend, &bdquo;Sie sind beim Kaffee? lassen Sie sich
-nicht stören! Trinken Sie immer hier Kaffee?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja,&ldquo; sagte der Hausherr etwas kurz. Seine Frau,
-der die Fragepassion des Barons, und die kurze Geduld
-ihres Mannes schon bekannt war, wollte mit einer Gegenfrage
-dazwischen kommen, aber der Baron ließ sich nicht
-so leicht beirren. &bdquo;Ich trinke auch Kaffee,&ldquo; fuhr er fort,
-&bdquo;sehr gesundes Getränk? Was? Trinken Sie auch Kaffee,
-Frau Doktorin?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja,&ldquo; sagte der Doktor gereizt, &bdquo;meine Frau trinkt
-Kaffee &mdash; meine Tochter auch, meine ganze Familie trinkt
-Kaffee!&ldquo;</p>
-
-<p>Die Hausfrau mischte sich ins Gespräch. &bdquo;Sie wollten
-unser leeres Quartier sehen, Herr Baron?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja,&ldquo; erwiderte der Neuangekommene behaglich, &bdquo;ich
-sah heute bei meinem Morgenspaziergang, den ich immer
-durch diese Straße mache &mdash; hübsche Straße, was? &mdash;
-daß hier ein Miethszettel hängt &mdash; wollte doch mal nachfragen.
-Erster Stock, was?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nein &mdash; zweiter Stock &mdash; vier Zimmer mit Balkon,&ldquo;
-gab der Doktor zurück.</p>
-
-<p>&bdquo;Oh &mdash; charmant &mdash; vier Zimmer? Balkon? Ganz
-mein Fall! Alles Vorderzimmer? Küche? Gesund? Hoch?
-Still?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Wie wäre es,&ldquo; schlug die Hausfrau vor, &bdquo;wenn Sie
-mit mir einmal hinaufgingen, Herr Baron, und die
-Wohnung selbst in Augenschein nähmen? Ich hole mir
-nur ein Tuch, und bin gleich wieder da!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Bitte, bitte,&ldquo; erwiderte der Baron verbindlich, und
-ging Käthe entgegen, die eben wieder hereintrat, und am
-Fenster mit einer Arbeit Platz nahm.</p>
-
-<p>Sie lud den Gast durch eine schweigende Handbewegung
-ein, sich auch niederzulassen. Käthe war sehr wortkarg,
-wenn ihr jemand nicht gefiel.</p>
-
-<p>Der Baron in seiner Frageseligkeit empfand die Pause
-schmerzlich, und wandte sich an das junge Mädchen.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sticken, mein Fräulein? Weiß?&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe hielt ihm ihre Arbeit hin.</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, Herr Baron! Interessiren Sie sich für dergleichen?&ldquo;</p>
-
-<p>Der Baron hustete zierlich.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich interessire mich für alles, mein Fräulein! Schon
-meine selige Mama sagte immer: Chlodwig, du interessirst
-dich für alles! Ich heiße nämlich Chlodwig! Hübscher
-Name, was? Der fünfte Chlodwig in unserer Familie
-&mdash; mein Papa hieß auch Chlodwig! Wie heißt Ihr
-Papa?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Friedrich,&ldquo; erwiderte Käthe, die mit Mühe ein Lächeln
-unterdrückte.</p>
-
-<p>&bdquo;Friedrich &mdash; so so &mdash; und Ihre Frau Mama?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Fragen Sie sie selbst,&ldquo; sagte der Doktor ungeduldig,
-&bdquo;da kommt sie.&ldquo;</p>
-
-<p>Als die Hausfrau mit dem Baron verschwunden war,
-sagte der Doktor zu Käthe: &bdquo;wenn <em class="gesperrt">dieser</em> Fragekasten
-die Wohnung miethet, zünde ich das Haus an allen vier
-Ecken an. Der fragt einen todt.&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe lachte. &bdquo;Laß ihn, Papa! Du brauchst ja nicht
-mit ihm umzugehen. Vielleicht spielt er Whist, da kann
-er sich mit Scharffs befreunden, die er ohnehin schon
-kennt. Weißt du denn, daß sie heute eine Gesellschaft
-geben?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;So?&ldquo; brummte der Doktor, &bdquo;was haben sie sich denn
-schon geborgt?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Vorläufig unsere Teller, unsere Lampen, unsere
-Köchin und unsere Familie,&ldquo; erwiderte Käthe spöttisch,
-&bdquo;wir werden uns also wohl recht heimisch fühlen.&ldquo; &mdash;</p>
-
-<p>Der Baron und die Doktorin kamen nach geraumer Zeit
-wieder, und der erstere war entzückt von dem Quartier.</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn es Ihnen recht ist, Herr Doktor,&ldquo; sagte er, &bdquo;so
-können wir gleich Kontrakt machen &mdash; liebe schnelle Entschlüsse
-&mdash; Sie auch, &mdash; was?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Gewiß!&ldquo; sagte der Doktor höflich &mdash; die Aussicht,
-einen Miether zu bekommen, goß Öl auf die Wogen seines
-Zornes. Die beiden Herren nahmen an einem Seitentischchen
-Platz, um über den Kontrakt einig zu werden.</p>
-
-<p>Kaum hatte der Doktor den ersten Paragraphen vorgelesen,
-als die Thüre aufging und eine Dame erschien.
-Sie war nicht mehr ganz jung, aber auch durchaus nicht
-alt &mdash; so hübsch in der Mitte. <em class="gesperrt">Ganz</em> jung waren ihre
-Toilette, ihre Haartracht und ihr Wesen! sie flog wie eine
-Elfe ins Zimmer und umarmte Käthe mit kindlichem Ungestüm.</p>
-
-<p>Das war Fräulein Leontine von Faldern, die mit
-ihrer Großmama, der verwittweten Generalin, die Hälfte
-des zweiten Stockes im Hause bewohnte. Der Baron hatte
-sie kaum erblickt, als er aufstand und auf sie zutrat.</p>
-
-<p>Der Doktor, im Ausfertigen seines Miethskontraktes
-unterbrochen, kreuzte die Arme, lehnte sich in seinen Stuhl
-zurück und sagte düster: &bdquo;nett!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Mein gnädiges Fräulein,&ldquo; begann der Baron, &bdquo;ich
-bin entzückt, Sie zu begrüßen! Wie ist Ihnen die Stumme
-von Portici bekommen?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;O ausgezeichnet!&ldquo; erwiderte Leontine, &bdquo;es war eine
-allerliebste Aufführung! Ich war mit Schraffenaus da &mdash;
-Will ist jetzt bei ihnen zum Besuch &mdash; Sie wissen ja &mdash;
-Will Schraffenau, der bei den zweiten Kürassieren stand!
-Will kann zu amüsant sein, nicht?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;O ja, meine Gnädigste,&ldquo; erwiderte der Baron, &bdquo;aber
-nichts gegen Lu! Sie erinnern sich doch? Lu Schraffenau,
-der die zweite Sandrowsky &mdash; Peppi Sandrowsky &mdash;
-zur Frau hat? Sie kennen sie doch? Graziös, was?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Na!&ldquo; brummte der Doktor vor sich hin, &bdquo;bis die
-beiden jetzt den Grafenkalender durchgearbeitet haben, kann
-mein Miethskontrakt schwarz werden!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Denken Sie nur, meine Gnädigste, ich bin im Begriff,
-Ihr Hausgenosse zu werden! Charmant, was?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, wie reizend! Das muß ich Großmama erzählen!&ldquo;
-rief Leontine entzückt.</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, dann lassen Sie aber den Herrn Baron erst
-hier zu Ende kommen,&ldquo; sagte der Doktor, und schob sein
-Tischchen in die andere Ecke des Zimmers &mdash; dort konnte
-er hoffen, ungestört zu bleiben, &bdquo;bitte, Herr Baron! &mdash;
-der Miether verpflichtet sich&ldquo; &mdash;</p>
-
-<p>Während die beiden sich wieder in den Kontrakt vertieften,
-plauderten die Mädchen in der Fensternische.</p>
-
-<p>&bdquo;Käthchen, ich komme nur, um Sie etwas zu fragen
-&mdash; ist heute großer Zauber bei Scharffs? Ich dachte schon,
-der Sohn wäre gekommen, den ich von früher her kenne
-&mdash; wissen Sie, er war Adjutant bei meinem Vetter Storrwitz,
-und meine Cousine neckte mich immer entsetzlich mit
-ihm &mdash; ist er gekommen?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nein, er wird erst erwartet,&ldquo; erwiderte Käthe, &bdquo;ich
-weiß auch nicht, warum sie heut plötzlich eine Fête geben.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun ja &mdash; aber die Frage ist, <em class="gesperrt">was</em> zieht man an?
-Rabeneck ist auch da, ich habe die Scharff gefragt.&ldquo;</p>
-
-<p>Die Beiden erörterten die Toilettenfrage und Leontine
-hüpfte endlich ab.</p>
-
-<p>Inzwischen wurde es so dunkel, daß der Doktor zu
-seinem Miethskontrakte nach der Lampe rief. Das Mädchen
-erschien, brachte aber nur einen Armleuchter mit einem
-Licht.</p>
-
-<p>&bdquo;Die Lampe!&ldquo; donnerte der Hausherr.</p>
-
-<p>&bdquo;Verzeihen Sie, Herr Doktor &mdash; unsere Lampen sind
-alle oben beim Herrn Major &mdash; die Kinder arbeiten auch
-bei Licht.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Darauf machen Sie sich gefaßt,&ldquo; sagte der Doktor,
-kochend vor Wuth, &bdquo;wenn Sie hier ins Haus ziehen, wird
-Ihnen von Majors alles abgeborgt, was Sie haben und
-nicht haben!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber Papa!&ldquo; rief Käthe vorwurfsvoll und verlegen.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich bitte Sie,&ldquo; rief der Baron ängstlich, &bdquo;das ist ja
-sehr unangenehm! Alles verborgen? Muß man das?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das frage ich mich schon seit zwei Jahren!&ldquo; grollte
-der Doktor, &bdquo;denn so lange wohnen sie hier, und <em class="gesperrt">was</em>
-sie sich alles borgen, spottet jeder Beschreibung. Ich wollte
-nur, sie ließen einmal auf einen halben Tag um <em class="gesperrt">mich</em>
-bitten, da wollte ich es ihnen schon abgewöhnen! Aber
-weiter: &bdquo;die Wäsche muß in dem dazu bestimmten Waschhaus&ldquo; &mdash;</p>
-
-<p>&bdquo;Eine Empfehlung von der Frau Majorin, und ob
-sie die silbernen Armleuchter bekommen kann?&ldquo; sagte das
-Dienstmädchen und griff bereits nach dem fraglichen Gegenstand.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sind wohl verrückt!&ldquo; schrie der Hausherr in verzeihlichem
-Ingrimm, &bdquo;sollen wir hier im Dunkeln sitzen?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Mein Gott, ist es denn schon so spät!&ldquo; sagte der
-Baron, und sah nach der Uhr, &bdquo;wahrhaftig &mdash; halb sieben!
-Pardon, Herr Doktor, aber ich muß an meine Toilette
-gehen &mdash; wir sehen uns ja wohl heute Abend beim Herrn
-Major? Ich komme dann morgen in aller Frühe, und wir
-beenden das Miethsgeschäft, was? Wann stehen Sie auf?
-Um sieben? Acht? Neun?&ldquo;</p>
-
-<p>Der gänzlich resignirte Doktor pfiff statt aller Antwort
-einen Walzer &mdash; das Symptom des letzten Verzweiflungsstadiums,
-als er seinen Gast zur Thür geleitete.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun borgen sie sich auch schon die Miether!&ldquo; sagte er
-vor sich hin, als er hinausging.</p>
-
-<p>Käthe blieb allein. Die Dunkelheit, die sanft und leise
-zum Fenster hinein schlich, kam ihr eben recht. Sie dachte
-so still vor sich hin &mdash; die Phantasie ist ein Nachtfalter,
-der seine Schwingen am liebsten in der Dämmerstunde
-ausbreitet. Warum war ihr noch nie so bange vor der
-Zukunft gewesen als heut &mdash; warum noch nie der Gedanke
-an die von den Ihrigen so sehnlichst gewünschte Heirath
-mit dem Hauptmann Scharff so schrecklich erschienen? Ach,
-die Träume von den kommenden Tagen hatten seit ihrer
-Reise eine bestimmte Gestalt angenommen &mdash; zum ersten
-Mal! Käthes Herz war bisher ein unbeschriebenes Blatt
-&mdash; noch nie hatte eine Begegnung ihre Einbildungskraft,
-viel weniger ihr Gefühl zu erregen vermocht &mdash; aber es
-war ihr auch noch nie jemand mit so liebenswürdiger
-Ironie, mit so gutmüthig überlegenem Ernst entgegen getreten,
-als der Fremde, dem sie sich doch wie ein unartiges
-Kind gezeigt! Sein festes, kluges Gesicht mit dem humoristischen
-Lächeln, seine tiefe, freundliche Stimme gaben ihr
-das Gefühl einer Sicherheit und Zuversicht, wie sie es nie
-zuvor gekannt hatte. Doch was half das alles! sie kannte
-seinen Namen nicht &mdash; er nicht den ihren &mdash; sie würden
-sich wahrscheinlich nie wiedersehen! Und mit einem tiefen
-Seufzer stand sie auf, und ging in ihr Zimmer, um sich
-anzukleiden.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Inzwischen herrschte bei der Majorsfamilie schon einige
-Aufregung. Die Frau des Hauses wanderte in den menschenleeren
-Räumen umher, die bereits im festlichen Lichterglanz
-erstrahlten, rückte hier und da an den Stühlen und stand
-dann wieder überlegend still, ob noch etwas fehlte, wonach
-man zu Doktors schicken könnte.</p>
-
-<p>Da öffnete sich die Thür und ein großer, blonder
-Mann trat ins Zimmer.</p>
-
-<p>Die Majorin wandte sich um.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, Mamachen,&ldquo; sagte der Eintretende freundlich,
-&bdquo;du hast noch zu thun? Ich hoffte eben auf eine gemüthliche
-halbe Stunde mit dir, ehe die Gäste kommen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich bin fertig&ldquo;, sagte die Mutter, und trat vor den
-Stuhl, in den sich ihr Sohn niederließ. Sie legte ihm
-die Hände auf beide Schultern und sah ihm zärtlich ins
-Gesicht.</p>
-
-<p>&bdquo;Mein alter Junge &mdash; wie du wieder verbrannt bist!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Im Winter, Mama? Nein, das ist wohl meine natürliche
-Farbe, du mußt dich schon daran gewöhnen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und du warst ein so weißes Kind!&ldquo; sagte die Mutter
-lächelnd. &bdquo;Jetzt sage mir aber einmal, Kurt &mdash; ist es dir
-eigentlich recht, daß ich heut Abend unsere Hausgenossen
-eingeladen habe? Du machtest mir bei der Ankündigung
-ein so besonderes Gesicht.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, offen gesagt, wäre ich eben so gern mit Euch
-allein gewesen, Mutterchen &mdash; aber wir sind ja, so Gott
-will, noch viele Abende zusammen. Wer kommt denn heut?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Also,&ldquo; begann die Majorin, &bdquo;da ist erstens die
-Generalin Faldern mit ihrer Enkeltochter Leontine &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Was?&ldquo; unterbrach der Hauptmann lebhaft, &bdquo;Tine
-Faldern ist hier?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Kennst du sie?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Wie sollte ich nicht! &mdash; Als ich bei Storrwitz Adjutant
-war, hielt sie sich ja einen ganzen Winter dort auf! Sie
-hieß damals immer die Tochter des Regiments, weil sie
-so genau in der Rangliste Bescheid wußte. Uebrigens ein
-hübsches, amüsantes Mädchen &mdash; es ist mir ganz lieb, sie
-einmal zu treffen, wir haben eine Menge gemeinsamer Beziehungen.&ldquo;</p>
-
-<p>Die Majorin sah etwas mißvergnügt aus, sagte aber
-nichts.</p>
-
-<p>&bdquo;Dann,&ldquo; fuhr sie fort, &bdquo;von Hausgenossen heißt das,
-kommt noch unser Wirth &mdash; der Doktor Lang mit Frau
-und Tochter &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach &mdash; die berühmte Käthe! Ich kenne dich, Mama!
-Hätte ich mir&rsquo;s nicht denken können, daß du wieder einen
-Heirathsplan wie einen Lasso bereit hältst, um ihn mir Unglücklichen
-über den Kopf zu werfen? Aber gieb dir keine
-Mühe, Mama &mdash; es wird nichts!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sei doch nicht so absprechend,&ldquo; bat die Mutter, &bdquo;du
-hast Käthe noch gar nicht gesehen &mdash; ich sage dir, sie ist
-allerliebst! Hübsch, sehr gut erzogen und sehr gescheidt &mdash;
-sie würde ausgezeichnet für dich passen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Kann sein, Mama! aber ich will dir etwas sagen &mdash;
-ich werde wohl überhaupt nicht heirathen. Sieh,&ldquo; fuhr er
-lebhaft fort, als die Mutter eine Bewegung des Unmuths
-machte, &bdquo;ich bin &mdash; nenne es phantastisch, unpraktisch, kurz,
-was du willst &mdash; aber ich bin entschlossen, mich nur zu
-binden, wenn ich ein Mädchen finde, von der ich sage:
-&sbquo;Die oder keine!&lsquo; Und solche Dinge kommen vor! &mdash; Ich
-sage dir, sie kommen vor! Lache mich nicht aus, Mutter
-&mdash; aber ich habe ein Mädchen gesehen, das mir gefällt,
-und wenn ich <em class="gesperrt">die</em> wiedersehe, und sie will mich &mdash; dann
-sollst du am längsten auf eine Schwiegertochter gewartet
-haben. Frage mich aber nicht weiter &mdash; ich bin auf der
-Suche &mdash; das laß dir genug sein. Und verschone mich
-mit deiner Käthe &mdash; ich mag sie nicht!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Guten Abend, Frau Majorin,&ldquo; sagte in diesem Augenblick
-die Generalin Faldern, die in taubengrauer Seide
-ins Zimmer rauschte, von der rosafarbenen Leontine gefolgt.
-&bdquo;Sie waren so freundlich, uns zu erlauben &mdash; ah, das
-ist wohl Ihr Herr Sohn?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, er ist gestern angekommen,&ldquo; sagte die glückstrahlende
-Mutter, ihn den Damen vorstellend, &bdquo;er hat mich
-überrascht! Es ist doch einzig von ihm; aber er war
-von jeher ein so guter Junge!&ldquo;</p>
-
-<p>Wenn diese öffentliche Liebeserklärung dem Hauptmann
-peinlich war, so ließ er es durch keine Miene merken &mdash;
-er lächelte sehr freundlich und wandte sich an Fräulein
-Leontine, die ihm als altem Bekannten vergnügt die Hand
-hinstreckte.</p>
-
-<p>&bdquo;Herr Hauptmann &mdash; das ist aber eine Ueberraschung,
-die Ihrer Frau Mutter vollständig gelungen ist! Allerliebst,
-das muß wahr sein! Und nun erzählen Sie mir von
-W.... &mdash; was machen die dritten Husaren? Und wo
-stehen jetzt die Vierundzwanziger? Hat Trotha wirklich
-einen so großen Pas gemacht, und muß Schulten den
-Abschied nehmen? Ach, es waren doch schöne Zeiten?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ihre Theilnahme für meine Kameraden rührt mich
-aufs tiefste, mein gnädigstes Fräulein,&ldquo; erwiderte der Hauptmann
-ernsthaft, &bdquo;ich kann Sie versichern, daß die dritten
-Husaren sich sehr wohl befinden, und daß die Vierundzwanziger
-sich ohne Ausnahme Ihnen durch mich zu Füßen
-gelegt hätten, wenn sie hätten ahnen können, daß ich so
-glücklich sein würde, Sie zu sehen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, Sie spotten wieder,&ldquo; schmollte Leontine, &bdquo;aber
-ohne Scherz &mdash; erzählen Sie mir ein bischen! Hat mein
-Vetter Storrwitz sich ein neues Pferd gekauft? Der Braune
-von damals war doch ein süßes Thier &mdash; er ist mir noch
-manchmal im Traume erschienen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Glücklicher Brauner!&ldquo; sagte der Hauptmann &mdash; und
-begann nun wirklich zu erzählen. Leontine hörte fächerschlagend
-zu, und die Unterhaltung war so lebhaft, daß
-der eintretende Gastgeber kaum seine Begrüßung dazwischenschieben
-konnte. Er sah mit seinem Orden im Knopfloch
-und mit seinem grauen Haar wirklich ganz stattlich aus
-und machte ganz zeitgemäße Konversation mit der Generalin
-&mdash; freilich sagte er meist nur: &bdquo;nun eben!&ldquo; eine Wendung,
-die er vorzugsweise gern anwendete, und mit der man
-merkwürdig weit kommt, wenn man sich erst einmal darauf
-eingerichtet hat.</p>
-
-<p>Inzwischen fanden sich die Gäste nach und nach ein &mdash;
-schon klingelte es wieder.</p>
-
-<p>&bdquo;Das sind gewiß Langs,&ldquo; rief Leontine, &bdquo;ich muß
-Käthe entgegengehen,&ldquo; und damit flog sie hinaus.</p>
-
-<p>Der Hauptmann sah ihr etwas verwundert nach, und
-wandte sich dann, um den Baron Rabeneck zu begrüßen,
-der eben erschien.</p>
-
-<p>&bdquo;Entzückt &mdash; entzückt, Herr Hauptmann, Sie kennen
-zu lernen,&ldquo; begann der Baron schmelzend, &bdquo;Sie stehen bei
-einem B.&rsquo;schen Regiment?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja wohl, Herr Baron &mdash; schon seit zwei Jahren,&ldquo;
-erwiderte der Hauptmann.</p>
-
-<p>&bdquo;Und vorher?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Bei den &mdash;schen Husaren!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Kamen Sie dort gleich aus dem Corps hin? Wo
-stehen die Husaren?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;In W....&ldquo; sagte der Hauptmann etwas verwundert.</p>
-
-<p>&bdquo;Ist das eine hübsche Stadt? Ja? Ich war auch
-Offizier &mdash; bei den &mdash;ten Dragonern &mdash; reizende Uniform,
-was?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Allerliebst!&ldquo; sagte der Angeredete, über dessen Gesicht
-ein immer vergnügteres Lächeln flog. &bdquo;Sie sind pensionirt,
-Herr Baron?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja &mdash; ich sehe Ihnen wohl noch zu jung aus
-&mdash; was?&ldquo;</p>
-
-<p>Während der Hauptmann in diesem Kreuz- und Querfeuer
-von Fragen stand, in dem ihm nach und nach heißer
-wurde als im Kugelregen, hatte Leontine auf dem Flur
-die Langsche Familie in Empfang genommen und Käthe
-sofort zugeflüstert: &bdquo;der Sohn ist da!&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe zog die Augenbrauen zusammen: &bdquo;Wie albern &mdash;
-warum hat uns die Majorin das nicht gesagt?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sie wollte Sie wohl überraschen,&ldquo; fuhr Leontine
-eifrig fort, &bdquo;aber Käthe, Sie brauchen kein so verzweifeltes
-Gesicht zu machen &mdash; er scheint kein Spießgeselle bei der
-Verschwörung seiner und Ihrer Mutter zu sein &mdash; eben
-als wir kamen, sagte er vernehmlich zur Majorin, &bdquo;verschone
-mich mit deiner Käthe &mdash; die Art Mädchen ist
-nichts für mich!&ldquo;</p>
-
-<p>Das hatte zwar der Hauptmann nicht gesagt &mdash; aber
-darauf kam es Leontine nicht an. Käthe, ohne sich klar
-zu werden, daß diese Äußerung schon dadurch sehr unwahrscheinlich
-wurde, daß der Hauptmann sie nie gesehen
-hatte, richtete sich hoch auf &mdash; das stolze, jugendliche Blut
-schoß ihr bis in die Stirn &mdash; &bdquo;nun, dann stimmen ja
-unsere Ansichten über einander auf ein Haar&ldquo; &mdash; sagte
-sie &mdash; warf den kleinen Mund verächtlich auf, und folgte
-ihren Eltern in den Saal. Käthe sah heute Abend sehr
-hübsch aus. Ein einfaches, weißes Kleid ließ ihre jugendliche
-Gestalt zum Vortheil erscheinen, und ein Strauß von
-Fräulein Sabines rothen Nelken hing an ihrem Gürtel.</p>
-
-<p>Die Majorin eilte den Hausgenossen entgegen und begrüßte
-sie aufs lebhafteste.</p>
-
-<p>&bdquo;Guten Abend, Herr Doktor &mdash; nein, das ist reizend,
-daß Sie gekommen sind, Frau Doktorin &mdash; und hier ist
-auch meine kleine Ueberraschung &mdash; sie ist freilich ein
-wenig groß ausgefallen &mdash; mein Sohn!&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe blickte auf &mdash; und plötzlich drehte es sich vor
-ihren Augen wie ein feuriges Rad. Der große, blonde
-Mann, der sich eben mit einem ernsten, wiedererkennenden
-Lächeln vor ihr verbeugte, war ja ihr Reisegefährte &mdash;
-so mußte es enden! Er hatte sie also erkannt &mdash; er
-hatte auf der Tour hierher sondiren wollen, wie die Käthe
-sei, von der seine Mutter ihm wohl schon eben so oft erzählt
-hatte, wie dieser selben Käthe von ihm &mdash; und was
-war das Resultat seiner Beobachtungen? &mdash; &bdquo;Verschone mich
-mit deiner Käthe &mdash; ich mag sie nicht!&ldquo;</p>
-
-<p>Alles dieses dachte sie blitzschnell in einem einzigen
-Augenblicke, und ehe der Hauptmann Zeit gehabt hatte,
-ein Wort an sie zu richten, neigte sie den Kopf ein ganz
-klein wenig, und wandte sich ab. &bdquo;Guten Abend, Herr
-Baron,&ldquo; sagte sie mit fieberhafter Lebendigkeit, &bdquo;also Sie
-sind doch noch rechtzeitig mit Ihrer Toilette fertig geworden?
-das freut mich.&ldquo;</p>
-
-<p>Der Baron eröffnete sofort ein Kreuzfeuer von Fragen
-über die rothen Nelken, und daran anknüpfend über Fräulein
-Sabine &mdash; Käthe war gerettet. Denn der Hauptmann,
-der ihr finsteres Gesicht wohl mußte verstanden haben,
-trat ruhig zurück und sprach weiter mit Leontinen, die
-noch das <em class="antiqua">curriculum vitae</em> eines Pferdes von ihm verlangte,
-das er einst besessen hatte, und dessen weitere
-Schicksale sie mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit durch
-sechs Regimenter verfolgte.</p>
-
-<p>Die älteren Herrschaften gruppirten sich indeß um den
-runden Sofatisch, es war noch eine Familie hinzugekommen,
-die eines Regierungsraths a. D. &mdash; in unserem Städtchen
-waren die meisten Leute a. D. &mdash; vielleicht den Bäcker
-und den Fleischer ausgenommen &mdash; und der letzte Gast
-war ein Justizrath, der noch von Zeit zu Zeit verfehlte
-Versuche machte, eine Frau zu bekommen, und nach jedem
-Versuch sich auf ein Jahr wieder von der Gesellschaft zurückzog,
-so daß er durchschnittlich nur den dritten Winter
-in der Welt glänzte.</p>
-
-<p>Die Generalin, deren Enkeltochter in beständigem <em class="antiqua">tête-à-tête</em>
-mit dem hoffnungsvollen Hauptmann war, stieg von
-ihrer unnahbaren Höhe herab und war ganz liebenswürdig
-&mdash; gewöhnlich sprach sie kein Wort. &bdquo;Wie das junge
-Völkchen heiter ist!&ldquo; bemerkte sie zum fünftenmal, als sie
-ihre Lorgnette von den Augen ließ.</p>
-
-<p>Die Majorin nickte etwas bittersüß &mdash; Käthe
-saß mit dem Justizrath und dem Baron zusammen,
-sie war blaß und ziemlich schweigsam, und der Hauptmann
-machte auch nicht den leisesten Versuch, sich ihr zu
-nähern.</p>
-
-<p>Die Doktorin hatte im Stillen auch schon ihre Beobachtungen
-angestellt und sich geärgert &mdash; aber erstens
-konnte ihre Käthe ja nicht die Initiative ergreifen, und
-sodann mußte sie bei der Lage der Dinge doch thun, als
-ob ihr gar nichts an einer Annäherung der beiden läge.
-So that sie denn sehr unbefangen, und wenn die Majorin
-sie verstohlen am Kleide zupfte und betrübte Seitenblicke
-nach der Gruppe der jungen Leute warf, dann lächelte sie
-so harmlos, als freue sie sich mit der Generalin, daß &bdquo;das
-junge Völkchen so heiter sei.&ldquo; Ihr Mann umschlich die
-Plaudernden wie ein beutelustiger Tiger &mdash; immer den
-Baron im Auge, der ja sein präsumtiver Miether war.
-Durch die unerhörtesten Anstrengungen gelang es ihm auch
-wirklich, die Aufmerksamkeit des Betreffenden zu erregen
-&mdash; der Baron wandte sich um.</p>
-
-<p>&bdquo;Spielen Sie Whist, Herr Doktor?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sehr gern!&ldquo; erwiderte der Angeredete eifrig &mdash; erstens
-langweilte er sich, und dann wollte er den Baron wegen
-der Wohnung ausforschen.</p>
-
-<p>&bdquo;Nettes Spiel &mdash; was? Ich spiele leider nicht &mdash; kein
-Kartenspiel &mdash; fehlt mir jedes Talent dafür. Sonst habe
-ich viel Talente &mdash; meine selige Mama sagte schon immer
-&bdquo;Chlodwig, du bist sehr talentvoll&ldquo; &mdash; aber Karten&ldquo; &mdash;</p>
-
-<p>&bdquo;Dummkopf,&ldquo; murmelte der Doktor in sich hinein.</p>
-
-<p>In diesem Augenblick klopfte ihm der Major auf die
-Schulter, &bdquo;machen wir heute keine Partie?&ldquo;</p>
-
-<p>Der Doktor war bereit, der Justizrath, der inzwischen
-schon im Stillen überlegt hatte, ob er vielleicht um Leontine
-anhalten sollte &mdash; sie war ziemlich die einzige in der Stadt,
-bei der er sein Heil noch nicht versucht hatte, wurde als
-Dritter zum Whist angeworben, und die drei Herren setzten
-sich an den Spieltisch, der in dem Zimmer aufgestellt war,
-wo die Jugend saß.</p>
-
-<p>Bei dieser &mdash; der Jugend &mdash; herrschten indeß die verschiedensten
-Empfindungen. Käthe, die dem Baron zum
-Opfer gefallen war, antwortete auf seine zahllosen Fragen
-immer aufs Gerathewohl mit &bdquo;ja&ldquo; und &bdquo;nein&ldquo; &mdash; nur
-wenn die Augen des Hauptmanns zu ihr hinüber flogen,
-nahm sie einen Schein von Lebhaftigkeit an und wurde
-gesprächiger.</p>
-
-<p>Leontine, an der anderen Seite des Tisches, ließ alle
-Minen springen. Sie erinnerte sich an jeden einzelnen
-Ball aus der Saison, die sie mit dem Hauptmann erlebt
-hatte, mit überraschender Genauigkeit, und &bdquo;wissen Sie
-noch?&ldquo; war immer der Refrain jedes dritten Satzes.</p>
-
-<p>Der Hauptmann wußte aber gar nichts &mdash; er wurde
-immer zerstreuter, und als Leontine ihn nach einem Rittmeister
-zu fragen begann, der seiner Zeit zu den Husaren
-kommandirt war, bot sich ihm ein Ausweg.</p>
-
-<p>&bdquo;Herr Baron,&ldquo; rief er hinüber, &bdquo;stand Straten
-nicht bei den &mdash;ten Dragonern? den müssen Sie ja
-gekannt haben! Fräulein von Faldern erkundigt sich
-nach ihm!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Straten? versteht sich!&ldquo; erwiderte der Baron aufstehend,
-&bdquo;sehr gut gekannt, haben zwei Jahr bei einer
-Schwadron gestanden &mdash; netter Mensch, was?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Jawohl!&ldquo; erwiderte der Hauptmann, ebenfalls aufstehend,
-&bdquo;hier &mdash; erzählen Sie einmal von ihm &mdash;
-<em class="antiqua">changeons</em>!&ldquo; Und damit überließ er seinen Platz neben
-Leontinen dem Baron und begann, sich Käthe zu nähern.</p>
-
-<p>Kaum hatte Käthe seine Absicht bemerkt, als sie sich
-erhob, und an den nächsten, mit Albums bedeckten Tisch
-tretend, sich in die Besichtigung derselben vertiefte.</p>
-
-<p>Der Hauptmann folgte ihr und ergriff ebenfalls ein
-Buch.</p>
-
-<p>&bdquo;Das kann ich auch,&ldquo; bemerkte er halblaut.</p>
-
-<p>Käthe schien mit Blindheit und Taubheit geschlagen.</p>
-
-<p>&bdquo;Was habe ich denn hier?&ldquo; fuhr der Hauptmann gemüthlich
-fort, und blätterte in dem Buch, &bdquo;ah &mdash; Gedichte &mdash;
-eine ganze Sammlung &mdash; darf ich Ihnen etwas vorlesen?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich danke,&ldquo; erwiderte Käthe kurz, &bdquo;ich sehe mir
-Bilder an!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Schön,&ldquo; erwiderte ihr Gegner ernsthaft, &bdquo;dann werde
-ich mir selbst vorlesen &mdash; ich liebe die Lyrik ungemein &mdash;
-ah hier &mdash; das ruft mir ein Erlebniß zurück, &bdquo;das Dampfroß
-schnaubt entlang der Halde&ldquo; &mdash; sehr nett! Wer weiß,
-was wir noch von dem Dampfroß zu hören bekommen
-&mdash; sollte das nicht in Station Siegersdorff halten? Ich
-muß mich einmal überzeugen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich will das Gedicht nicht hören!&ldquo; sagte Käthe.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich bitte sehr, mein gnädiges Fräulein &mdash; ich lese
-<em class="gesperrt">mir</em> vor! &mdash;&ldquo; Er blätterte weiter.</p>
-
-<p>&bdquo;Hier &mdash; ein anderes! &bdquo;Als ich zum erstenmal dich sah,
-verstummten meine Worte.&ldquo; Stimmt! Also ist es schon
-mehr Leuten so gegangen. Der hat am Ende auch mit
-dem Dampfroß zu thun gehabt!&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe, die sich inzwischen gesetzt hatte, stützte den Kopf
-in die Hand und las, als sollte sie zu morgen eine Aufgabe
-lernen.</p>
-
-<p>&bdquo;Hier ist ja noch ein sehr schönes Gedicht,&ldquo; sagte der
-Hauptmann, &bdquo;immer schmollen, immer grollen, für ein&rsquo;
-Ros&rsquo; wär&rsquo;s zu viel Dorn! Und nun lassen Sie uns zur
-Prosa übergehen,&ldquo; fuhr er plötzlich ernsthaft fort und
-nahm neben Käthe Platz, &bdquo;bitte, sehen Sie ruhig weiter
-in Ihr Buch &mdash; ich werde ein gleiches thun &mdash; und nun,&ldquo;
-er senkte die Stimme &mdash;, &bdquo;warum sind Sie eigentlich böse
-auf mich?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Woraus schließen Sie, daß ich böse bin?&ldquo; fragte
-Käthe etwas unsicher.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, mein gnädiges Fräulein, wenn <em class="gesperrt">das</em> bei Ihnen
-<em class="gesperrt">gut</em> heißt, dann möchte ich Sie allerdings einmal sehen,
-wenn Sie böse sind! Ich bin zwar nicht an übertrieben
-freundliche Behandlung von Ihnen gewöhnt &mdash; denken Sie
-nur an Station &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Lassen Sie doch endlich die alte Geschichte ruhen!&ldquo; rief
-Käthe und erröthete tief.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie ist noch gar nicht alt, noch nicht sechsunddreißig
-Stunden &mdash; aber ich will sie begraben &mdash; klaftertief &mdash;
-wenn Sie mir Rede und Antwort stehen. Wollen Sie das?
-Sonst wird die Geschichte, die <em class="gesperrt">alte</em> Geschichte, wie Sie
-sie ungerechter Weise nennen, als Gespenst solange vor
-Ihnen auftauchen &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Hören Sie auf,&ldquo; unterbrach ihn Käthe, wider Willen
-lachend, &bdquo;was soll ich denn antworten?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das will ich Ihnen gleich sagen &mdash; also, <em class="gesperrt">was</em> habe
-ich Ihnen zu Leide gethan?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ist hier bei diesen Bildern eine Ansicht von der Grafschaft
-T...?&ldquo; fragte in diesem Augenblick der Baron,
-sich dem Tisch nähernd, &bdquo;ich wollte Fräulein von Faldern
-einen Begriff von der Gegend geben, wo mein Gut liegt.
-Sie kennen die Grafschaft? Hübsche Gegend, was?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Reizend!&ldquo; sagte der Hauptmann, und nahm einen
-dicken Band Landschaftsbilder vom Tisch, &bdquo;hier, Herr Baron,
-in diesem Buche ist ein sehr hübscher Stich, der gerade die
-Gegend vorstellt, die Sie zu sehen wünschen. Wollen Sie
-sich überzeugen?&ldquo;</p>
-
-<p>Der Baron ging mit dem Buche ab.</p>
-
-<p>&bdquo;Natürlich wird er die Grafschaft nie finden,&ldquo; bemerkte
-Hauptmann Scharff, &bdquo;ich habe ihm einen Band Ansichten
-von Spanien gegeben, da mag er suchen! Doch zurück zu
-unserem Gespräch &mdash; was habe ich Ihnen zu Leide gethan?
-Warum sind Sie böse?&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe nahm sich gewaltig zusammen, und begann sehr
-tapfer: &bdquo;Ich bin böse, weil &mdash; nun ja, weil ich es sehr
-häßlich finde, daß Sie mich unterwegs ausforschen und
-kennen lernen, und mir nicht sagen, wer Sie sind.&ldquo;</p>
-
-<p>Die Majorin hatte indessen durch die geöffnete Thür
-schon ein paar sehr befriedigte Blicke nach dem Paar gethan,
-und als sie sah, daß Leontine im Begriff stand, sich
-dem vielversprechenden Tische zu nähern, eilte sie wie ein
-Stoßvogel herbei.</p>
-
-<p>&bdquo;Fräulein Leontine, singen Sie uns ein Lied? Wir
-sind ja immer ganz Ohr, wenn Sie am Flügel sitzen &mdash;
-bitte, bitte!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach ja, mein gnädiges Fräulein,&ldquo; stimmte der Baron
-ein, &bdquo;Sie singen? Bitte, tragen Sie uns etwas vor &mdash;
-ein <em class="antiqua">Chanson</em> &mdash; eine Ballade, was? Ich liebe die Musik
-leidenschaftlich &mdash; reizende Kunst, was?&ldquo;</p>
-
-<p>Leontine willigte mit etwas gezwungenem Lächeln ein
-&mdash; ob der Gedanke, daß ein Baron in der Hand sicherer
-sei, als ein Hauptmann auf dem Dache ihren Entschluß
-beeinflußte, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Sie verschwand,
-von dem Baron gefolgt, im Nebenzimmer, und
-bald klang ihre sehr hübsche Stimme wohlthuend durch
-die Räume.</p>
-
-<p>Der Hauptmann und Käthe blieben nun ungestört,
-denn die Herren am Spieltische waren ganz in ihre Karten
-vertieft, und der jeweilige Ruf: &bdquo;zwei Trick &mdash; <em class="antiqua">deux
-honneurs</em>&ldquo; &mdash; vermochte eine leise geführte Unterhaltung
-nicht zu beeinträchtigen. Als das Feld rein war, begann
-der Hauptmann von Neuem. &bdquo;Ich verstehe Sie gar nicht,
-mein Fräulein! Ich hätte Sie ausgeforscht? Wo denn?
-Unterwegs?&ldquo;</p>
-
-<p>Käthe nickte.</p>
-
-<p>&bdquo;Aber Sie sind wirklich höchst ungerecht,&ldquo; rief der Hauptmann
-ungeduldig, &bdquo;woher sollte ich denn in der Eisenbahn
-wissen, daß Sie und die viel beschriebene Käthe ein und
-dieselbe sind? Nun sagen Sie einmal selbst, daß ich es
-nicht wissen konnte!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja ja!&ldquo; gab Käthe zögernd zu.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun gut &mdash; also darin bin ich gerechtfertigt! Aber
-selbst, <em class="gesperrt">wenn</em> ich Sie gekannt hätte &mdash; ich gestehe Ihnen
-offen, daß ich auch dann noch kein Verbrechen begangen
-zu haben glaubte! &mdash; es steckt wohl noch etwas Anderes
-dahinter! Nicht wahr?&ldquo; drängte er, als sie schwieg und
-tief erröthend zu Boden blickte.</p>
-
-<p>&bdquo;Aber in aller Welt, so geben Sie mir doch wenigstens
-die Möglichkeit, mich zu vertheidigen,&ldquo; rief er fast heftig,
-&bdquo;mein gnädiges Fräulein &mdash; Fräulein Käthe &mdash; wir waren
-doch so gute Freunde unterwegs &mdash; waren wir das nicht?
-Sehen Sie &mdash; Sie nicken ja! nun seien Sie einmal recht
-vernünftig und sagen Sie mir, <em class="gesperrt">was</em> ich Ihnen gethan
-habe!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Was haben Sie denn zu Ihrer Mutter gesagt, ehe
-ich kam?&ldquo; fragte Käthe trotzig und blickte auf.</p>
-
-<p>Er sah sie erst zweifelhaft an, dann lachte er &mdash; aber
-etwas verlegen. &bdquo;Ich kann mir denken, <em class="gesperrt">wer</em> Sie instruirt
-hat! Soll ich Ihnen das Gespräch erzählen?&ldquo; fragte er
-in sonderbar weichem Ton, und bückte sich, um ihr in die
-Augen zu sehen. &bdquo;Ja oder nein?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja!&ldquo; sagte sie hastig und leise &mdash; ihr Herz fing an,
-heftig zu klopfen.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun denn &mdash; ich sagte meiner Mutter, daß ich nicht
-Lust hätte, hier irgend ein junges Mädchen kennen zu lernen,
-&mdash; heiße sie Käthe oder sonst wie &mdash; weil &mdash; nein, sehen
-Sie mich einmal an, Fräulein Käthe &mdash; weil ich mich
-unterwegs in der Eisenbahn, wie ein Student verliebt
-hätte &mdash; in eine Unbekannte, &mdash; und wenn nun ein
-freundlicher, lieber, guter Zufall es so gefügt hat, daß
-diese Unbekannte diejenige ist, die meine Mutter &mdash; Gott
-segne meine Mutter &mdash; schon lange für mich ausgesucht
-hat &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>Ein blendend heller Lichtstrahl fiel in die Stube, &bdquo;es
-ist angerichtet,&ldquo; rief der Lohndiener mit Stentorstimme.</p>
-
-<p>Der Flügel wurde zugeklappt, Stühle gerückt, die
-Whistspielenden warfen die Karten zusammen &mdash; man ging
-zum Abendessen.</p>
-
-<p>Käthe war bei dem Eintreten des Lohndieners schnell
-wie der Blitz vom Sofa fort und zu den Herren am
-Spieltisch geeilt. Dafür hatte sie nun ihre Strafe! Der
-Justizrath reichte ihr den Arm, um sie zum Souper zu führen.</p>
-
-<p>Die Anordnung der Plätze bot noch einige Schwierigkeiten
-&mdash; die Majorin hatte aus Versehen für zwei Personen
-zu wenig decken lassen, und diese beiden Uebriggebliebenen
-standen nun ziemlich verlegen hinter den besetzten
-Stühlen der anderen.</p>
-
-<p>Während noch schnell nach den fehlenden Tellern,
-Messern und Gabeln zu Doktors hinaufgeschickt wurde,
-kroch der Major unter allen Sofas und Schränken umher,
-um die Tischzettel zu suchen, deren einige ihm verloren
-gegangen waren. Bei der etwas genialen Hausordnung
-konnte es geschehen, daß er von seiner Entdeckungstour
-bestaubt, wie alter Ungarwein zurückkam, und nicht einmal
-fand, was er suchte.</p>
-
-<p>Der Hauptmann hatte es nicht mehr möglich machen
-können, sich Käthe zu nähern, die schon seit zehn Minuten
-wartend Arm in Arm mit dem Justizrath stand &mdash; eine Situation,
-die zu den allerpeinlichsten gehört, und die die
-wenigsten Leute den Verstand haben, dadurch zu coupiren, daß
-sie die Dame bis zum geeigneten Moment loslassen.</p>
-
-<p>So fiel denn dem Hauptmann Leontine zu, an deren
-anderer Seite der Baron Platz nahm. Käthe saß schräg
-gegenüber; sie sprach kaum ein Wort und sah nicht in die
-Höhe, so sehr der Hauptmann sich bemühte, einen Blick
-von ihr aufzufangen.</p>
-
-<p>Leontine bemerkte sein Bestreben wohl &mdash; sie gab ihn
-auf! Als kriegsgewandte, junge Dame änderte sie ihre
-Taktik sofort, und schwenkte blitzschnell zu dem Baron
-hinüber, der ihr von seinem Gut erzählte, und sie fragte,
-ob sie das Landleben liebe?</p>
-
-<p>Diese Anknüpfung war vielversprechend, und Leontine
-schmiedete das Eisen, so lange es heiß war. Von ihrem
-Soldatenenthusiasmus sprang sie zur Oekonomie über,
-schwärmte für Stallfütterung und Rieselwiesen, und that
-ganz ländlich.</p>
-
-<p>Im allgemeinen belebte eine zwanglose Heiterkeit
-den kleinen Kreis. Nur die Generalin machte eine
-Ausnahme, als sie bemerkte, daß der Sohn ihrer Gastgeber
-fahnenflüchtig wurde. Ihr seelenvolles Lächeln
-erfror in der schönsten Blüthe, sie war wieder ganz Würde,
-und der Major, der sie gebührender Weise zu Tisch geführt
-hatte, erntete für seine ohnehin nicht glänzenden Unterhaltungsversuche
-nur ein kühles &bdquo;hm&ldquo; oder &bdquo;ja, ja!&ldquo;</p>
-
-<p>Der Doktor war in bester Laune. Hatte nicht der
-Baron ihm soeben als &bdquo;seinem liebenswürdigen Hauswirth&ldquo;
-zugetrunken, und um die Erlaubniß gebeten, im Lauf des
-folgenden Vormittags Kontrakt zu machen. &bdquo;Dann soll
-mir aber gewiß nichts dazwischen kommen,&ldquo; gelobte sich
-der beglückte Vermiether innerlich, und riegelte schon im
-Geist alle Thüren in dem Verhandlungszimmer ab.</p>
-
-<p>Seine Frau war still und wich der Majorin scheu aus
-&mdash; sie wußte nicht, was sie von dem veränderten Wesen
-ihrer Tochter denken sollte &mdash; und ehe nicht feststand,
-daß der Hauptmann daran keine Schuld trug, mochte sie
-mit der ganzen Familie nichts zu thun haben.</p>
-
-<p>Dem Hauptmann selbst war am unbehaglichsten zu
-Sinne. Wenn ein Mann von 36 Jahren sich im Lauf
-von 36 Stunden verliebt und erklärt, so ist zehn gegen
-eins zu wetten, daß ihm der Erfolg seiner Werbung
-zweifelhaft erscheint, wenn die Angebetete ihn auch nur zehn
-Minuten auf das entscheidende Wort warten läßt. Und
-er wartete nun schon eine ganze Stunde! Fisch, Rehbraten
-und Eis hatten seine Qualen mit ansehen müssen,
-und jetzt saß alles so gemüthlich in den Stühlen zurückgelehnt,
-als sei dies <em class="antiqua">con amore</em> Nachtafeln das Beste vom
-ganzen Abend.</p>
-
-<p>Nun, es giebt kein wahreres Wort, als: &bdquo;alles nimmt
-ein Ende.&ldquo; Die Generalin, die sich neben dem Major
-nicht gerade im siebenten Himmel des Amüsements befinden
-mochte, rückte hörbar mit dem Stuhl &mdash; die andern
-folgten. In dem Moment <em class="gesperrt">mußte</em> Käthe aller menschlichen
-Berechnung nach emporsehen &mdash; sie that es! Der Hauptmann
-erhob sein Glas unmerklich gegen sie, sah sie
-fragend an, und hielt es einen Augenblick. Da &mdash; o
-Freude! &mdash; nahm sie ihr noch unberührtes, volles Glas vom
-Tisch, sah ihn einen kurzen Moment wieder an &mdash; erröthete
-dunkel &mdash; und trank dann in ihrer Verlegenheit so
-geschwind aus, als sei sie gewohnt die Nagelprobe zu machen!</p>
-
-<p>Nun war alles gut! Der Hauptmann wußte, ohne
-ein gesprochenes Wort, wie die Sache stand &mdash; hatten sie
-sich nicht eben zugetrunken? Und war dieser Comment
-nicht die zarteste Art einer Erklärung, so war er doch
-ehrlich gemeint, und das ist die Hauptsache!</p>
-
-<p>Als der Hauptmann daher im Trouble des &bdquo;Gesegnete
-Mahlzeit&ldquo;wünschens Käthe zuflüsterte: &bdquo;darf ich morgen
-zu Ihrem Vater kommen?&ldquo; genügte er damit eigentlich
-nur einer Form &mdash; er wäre auch ohne diese Frage gekommen,
-und ihrer Zustimmung gewiß gewesen.</p>
-
-<p>Die Hoffnung der Beiden, sich am heutigen Abend
-noch einen Moment unter vier Augen sprechen zu können,
-trog &mdash; kaum waren die zehn Anstandsminuten nach Tisch
-durchgestanden, so rauschte die Generalin abschiednehmend
-auf ihre Wirthe zu &mdash; Leontine folgte, vom Baron auf
-das liebenswürdigste geleitet. Leontine hatte eine Eroberung
-gemacht &mdash; das war klar! Am Ende hätte sie
-heut schon sagen können: &bdquo;Sprechen Sie mit meiner Großmutter,&ldquo;
-ohne, wie jenes voreilige Mädchen meiner Bekanntschaft,
-die betrübende Antwort zu riskiren: &bdquo;wovon?&ldquo;</p>
-
-<p>Aber als sie heut Abend den Kopf aufs Kissen legte,
-lächelte sie befriedigt. Aus allen Fragen des Barons
-hatte sie die &bdquo;Lebensfrage&ldquo; schon verblümt herauszuhören
-geglaubt &mdash; &bdquo;am Ende <em class="gesperrt">muß</em> es gerade kein Offizier sein&ldquo;,
-dachte sie im Einschlafen, &bdquo;ein Gut in der Grafschaft ist
-auch nicht zu verachten! &mdash; was steht dort? die 26er
-oder die 62er?&ldquo;</p>
-
-<p>Über dem Zweifel schlief sie ein.</p>
-
-<p>Die Doktorsfamilie empfahl sich bald nach Generals.
-Vergebens hoffte Käthe, daß ihre Mutter in Anbetracht
-des kurzen Weges, den sie zurückzulegen hatten, noch ein
-Viertelstündchen zugeben werde. &mdash; Die Doktorin hatte
-zu morgen verschiedene wirthschaftliche Absichten, mit deren
-Ausführung man in aller Frühe beginnen wollte &mdash; da
-war es hohe Zeit zur Ruhe zu gehen! Man trennte sich.</p>
-
-<p>Die Majorin bedankte sich noch viele, viele Male für
-die Gefälligkeiten &mdash; &bdquo;Morgen in der Frühe schicke ich
-Ihnen alles wieder, was Sie mir geborgt haben, liebe
-Lang&ldquo;, versicherte sie in der Thür.</p>
-
-<p>Der Hauptmann, der es sich als artiger Sohn des
-Hauses nicht nehmen ließ, die Gäste bis in den Flur zu
-geleiten, und Käthchen beim Umnehmen der Sachen behilflich
-zu sein, schied mit einem so innigen Händedruck
-vom Doktor, daß dieser, bei der kurzen Bekanntschaft, sich
-mit Recht über diese Gefühlsverschwendung verwunderte. &mdash;</p>
-
-<p>Als die übrige Gesellschaft sich empfohlen hatte, ging
-der Hauptmann noch auf sein Zimmer, um sich eine Cigarre
-zu holen, deren er in wichtigen Augenblicken zur Sammlung
-bedurfte. Sie war auch ein prächtiger Verlegenheitsableiter,
-als er zu den Eltern zurückkehrte, die gemüthlich
-im Sofa saßen, und im Genuß der eingetretenen
-Ruhe schwelgten.</p>
-
-<p>Beide sahen auf, als der Sohn eintrat &mdash; er aber
-schnitt, während er sprach, emsig die Cigarre ab, steckte
-ein Schwefelhölzchen in Brand, kurz nahm alle möglichen
-Handarbeiten vor, und begann dann mit etwas unsicherer
-Stimme eine kleine Rede zu halten.</p>
-
-<p>&bdquo;Liebe Eltern&ldquo;, sagte er halb heiter, halb verlegen,
-&bdquo;ich bringe ein paar Neuigkeiten. Die eine habe ich soeben
-erfahren &mdash; ich fand auf meinem Zimmer diesen Brief
-vor, der mir meine Versetzung hierher, vorläufig privatim
-mittheilt.&ldquo;</p>
-
-<p>Die Majorin sprang, wie elektrisirt, vom Sofa auf.</p>
-
-<p>&bdquo;Kurt &mdash; wirklich? mein lieber Junge! Wie ist das
-so schnell gekommen?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, Mutterchen, bei uns Soldaten geht dergleichen
-immer mit Dampf! Die Wahrheit zu sagen erwartete ich
-aber die Nachricht schon längere Zeit, und verschwieg sie
-Euch nur, um Euch nicht unnütze Spannung und Aufregung
-zu bereiten.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich bin ganz glücklich, Kurtchen&ldquo;, rief seine Mutter
-immer wieder, &bdquo;und du sollst mal sehen &mdash; sei nicht böse
-&mdash; aber wenn ich dich hier habe, wirst du dich auch viel
-leichter zum Heirathen entschließen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Laß&rsquo; ihn doch in Ruhe!&ldquo; brummte der Major.</p>
-
-<p>Der Sohn lächelte. &bdquo;Liegt dir wirklich so viel daran,
-Mama? So unendlich viel?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber, mein Junge&ldquo;, sagte die Majorin etwas verwundert,
-&bdquo;das weißt du doch!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun denn, Mamachen &mdash; ich bin ja kein Unmensch
-&mdash; siehst du mir gar nichts an?&ldquo;</p>
-
-<p>Und als die Mutter halb zweifelnd, halb bestürzt zu
-ihm aufblickte, streckte er ihr beide Hände entgegen:
-&bdquo;Gratulire mir, liebe Mama &mdash; lieber Vater, ich bin mit
-Käthchen Lang verlobt.&ldquo;</p>
-
-<p>Die Exclamationen der überraschten Eltern, besonders
-der Majorin, bei dieser zweiten Freudenbombe, die in ihr
-Haus fiel, zu schildern, vermag ich nicht. Wer sich einmal
-vor kurzem so recht gefreut hat, weiß ganz genau, wie
-man sich in solchem Fall benimmt &mdash; und wer es nicht
-weiß, dem wünsche ich von Herzen, daß er es bald erleben
-und an sich ausprobiren möge.</p>
-
-<p>Als man sich für die späte Stunde lang genug gefreut
-hatte, ging man auseinander und zu Bett &mdash; d. h. der
-Hauptmann ging nicht zu Bett, sondern wanderte die
-Nacht über unruhig und glücklich in seiner Stube auf und
-ab, was seinem ahnungslosen künftigen Schwiegervater
-einige Donnerwetter über die Lohndiener von Majors
-entlockte, die über seinem Kopf immerfort noch ab und zu
-liefen.</p>
-
-<p>Einen Versuch Käthens, die Mutter noch einen Augenblick
-zu sprechen, schnitt der Doktor kurz ab: &bdquo;Ihr habt
-den ganzen Tag Zeit zum Unterhalten&ldquo;, brummte er,
-&bdquo;jetzt will ich Ruhe haben. Die Frauen sind doch wahrhaftig
-wie die schweren Fuhrleute &mdash; wenn sie von früh
-bis Abends nebeneinander auf der Landstraße hergegangen
-sind, und des Abends ins Wirthshaus kommen, giebts kein
-Ende mit Erzählen.&ldquo; Und er entführte seine Gattin ohne
-Gnade und Erbarmen.</p>
-
-<p>So suchte denn Käthe die Ruhe auf, ohne irgend
-jemand ihr Herz entlastet zu haben, nur ihre Träume
-bauten gefällig auf dem sicheren Grunde der jüngsten Vergangenheit
-glänzende Luftschlösser der Zukunft, in deren
-lichten Räumen sie die Nacht verbrachte.</p>
-
-<p>Der &bdquo;nächste Morgen&ldquo; ist an und für sich schon
-etwas Ernüchterndes &mdash; nach einem Ball, &mdash; nach einem
-Streit &mdash; nach einem abgeschlossenen Geschäft. &mdash; Der
-&bdquo;nächste Morgen&ldquo; in seiner kühlen Beleuchtung zeigt alle
-Schwächen und Mängel so viel besser, als der dämmernde
-Abend.</p>
-
-<p>Nur für eine glückliche Braut hat der &bdquo;nächste Morgen&ldquo;
-nichts Prosaisches &mdash; der Zauber ihrer Erlebnisse hält
-dem grellen Tageslicht Stand &mdash; und wie schlimm auch,
-wenn&rsquo;s anders wäre! Die Liebe muß ja im Leben durch
-alle Zeiten wandern, sie muß die schwüle Mittagshitze
-und die Schauer des Abends tragen helfen, &mdash; und zu
-glauben, daß dies Kinderspiel sei, fällt nie so leicht, als
-im Brautstand, wo Wehr und Waffen zum Lebenskampf
-noch glänzend und neu in der Sonne des Glücks auffunkeln,
-und alle Illusionen in ungetrübter Pracht wie
-glänzende Schleier sich über die Wirklichkeit breiten, so daß
-sie uns nur wie ein schimmernder Garten im Morgenthau
-erscheint.</p>
-
-<p>Käthe empfand dieses frische Glücksgefühl auch so recht,
-als sie am nächsten Tage aufstand und an ihre täglichen
-Pflichten ging, deren erste war, die Geschwister zur Schule
-zu besorgen. Sie flocht die Zöpfchen der Schwestern mit
-wahrem Vergnügen, strich den Brüdern die Butterbröte
-besonders reichlich, und dachte bei sich, wie doch alles
-heut viel hübscher sei, als gestern.</p>
-
-<p>Die Mutter schlief noch, und Käthe konnte es nicht
-lassen, die freie Zeit, nachdem die Kinder abmarschirt
-waren, zu einem kurzen Besuch bei Fräulein Sabine zu
-verwenden, um dieser treuen Seele die Botschaft ihres
-Glückes zu verkünden.</p>
-
-<p>Wir dürfen es uns schenken, sie dahin zu begleiten, da
-wir den Gang der Begebenheiten kennen, und kehren in
-die Wohnung des Doktors zurück, der sich eben zu einem
-Krankenbesuch anschickte. Er praktizirte nur noch sehr
-ausnahmsweise bei zwei oder drei Familien, im ganzen
-hatte er sich zur Ruhe gesetzt.</p>
-
-<p>Der Doktor gehörte zu der weit verbreiteten Klasse von
-Männern, die verlangen, daß die Stuben stets rein sind,
-aber nie gewaschen werden. Dieser Eigenthümlichkeit wurde
-insofern genügt, als sein Haus nur meuchlings gescheuert
-wurde &mdash; d. h. man überfiel ihn mit der vollendeten
-Thatsache und er ergab sich dann.</p>
-
-<p>So auch heute. Im Hintergrunde lauerten schon zwei
-Scheuerfrauen auf sein Verschwinden, und begannen sofort
-das Werk der Erneuung an sämmtlichen Stubenböden, auf
-welchen die zwölf Stiefelsohlen der schulpflichtigen Kinder
-deutliche Spuren des Novemberwetters zurückzulassen
-pflegten. Nur das <em class="antiqua">sanctum</em> des Doktors blieb verschont
-und wurde für diesen Tag der Zufluchtsort der übrigen
-Familie.</p>
-
-<p>Die Hausfrau war sehr verwundert, daß Käthe zu
-dieser ungewöhnlichen Stunde zu Fräulein Sabine heraufgegangen
-war, sie setzte sich daher etwas verdrießlich mit
-ihrer Arbeit ans Fenster in ihres Mannes Stube, und
-sah auf die Straße hinab.</p>
-
-<p>Als der Doktor heimkehrte, traf er im Hausflur den
-Hauptmann in voller Uniform, der sehr stattlich aussah
-und ihn um die Erlaubniß bat, in einer wichtigen Angelegenheit
-unter vier Augen mit ihm sprechen zu dürfen.</p>
-
-<p>Hätte dem Doktor nicht der Miethskontrakt so sehr im
-Kopf gesteckt, so wäre ihm am Ende der Gedanke gekommen,
-daß es sich hier um Käthe handeln könne. So aber lud
-er den Hauptmann zerstreut ein, ihm zu folgen, öffnete
-die Thür zu seinem Zimmer, und steckte den Kopf herein
-&mdash; da saß seine Frau.</p>
-
-<p>Aergerlich über diese Invasion schlug er die Thür
-wieder zu und öffnete das Eßzimmer, dessen Pforte ihm
-die Perspektive auf die übrige Wohnung erschloß. O weh
-&mdash; über die Dielen der Zimmer rieselte das Wasser, ein
-intensiver Seifengeruch belebte die Atmosphäre, und aus
-jedem Raum stieg &bdquo;ein feuchtes Weib empor.&ldquo;</p>
-
-<p>Das Scheuerfest in seinem unangenehmsten Stadium
-hatte begonnen!</p>
-
-<p>Der Doktor fügte sich ins Unvermeidliche. Er lud
-den Gast ein, abermals in sein Zimmer zurückzukehren, wo
-inzwischen das Feld rein geworden war. Die Doktorin
-hatte nur ihren Mann und nicht den Hauptmann gesehen,
-und wollte den ersteren, ihrem Prinzip getreu, sich erst
-&bdquo;austoben&ldquo; lassen &mdash; sie verschwand daher in der Küche
-und schnitt mächtige Frühstücksschnitten für das heut vermehrte
-Hauspersonal.</p>
-
-<p>Indessen stand der Hauptmann in männlich gefaßter
-Haltung vor dem Doktor. Das Anfangen war doch
-entsetzlich &mdash; <em class="gesperrt">so</em> schwer hatte er sich&rsquo;s nicht gedacht.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich komme, verehrter Herr Doktor&ldquo;, begann er mit
-etwas gepreßter Stimme, &bdquo;um Ihnen eine Bitte vorzutragen.&ldquo;</p>
-
-<p>Bautz &mdash; ging die Thüre auf &mdash; &bdquo;der Baron von
-Rabeneck ist da, Papa!&ldquo; rief Käthe ins Zimmer tretend,
-erblickte den Hauptmann, stieß einen kleinen Schrei aus,
-und war weg, wie der Blitz.</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, verzeihen Sie &mdash; verzeihen Sie einen einzigen
-Augenblick&ldquo;, sagte der Doktor eilfertig, &bdquo;der Baron kommt,
-um seinen Miethskontrakt abzuschließen &mdash; ich stehe dann
-sofort zu Diensten! &mdash; Guten Morgen, Herr Baron &mdash;
-ich freue mich &mdash; die Herren kennen sich ja! Bitte, Herr
-Hauptmann, verziehen Sie einen Augenblick, wir sind
-bald fertig.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Wie ist den Herren das gestrige Fest bekommen?&ldquo;
-fragte der Baron im Eintreten, anscheinend ganz aufgelegt
-zu einer Unterhaltung, die, recht breit in der Anlage,
-einen hübschen Zeitraum bis zur Vollendung versprach.</p>
-
-<p>&bdquo;O, recht gut&ldquo;, sagte der Doktor, der auch nicht eilig
-schien, &bdquo;es war ein bischen spät.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber ein allerliebstes Fest &mdash; auf Ehre! Wie ist
-Ihren verehrten Eltern der Abend bekommen?&ldquo; (zum
-Hauptmann gewendet.)</p>
-
-<p>Dieser murmelte etwas Unverständliches &mdash; er erstickte
-fast vor Zorn und Verlegenheit.</p>
-
-<p>&bdquo;Und Ihre Damen, Herr Doktor?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Die sind schon lange wieder auf den Füßen!&ldquo; bemerkte
-der Doktor wohlgefällig.</p>
-
-<p>&bdquo;Oh &mdash; so matinal? Sind Sie immer so matinal?
-Aber das finde ich sehr recht! Morgenstunde hat Gold
-im Munde! Mein seliger Papa pflegte das immer zu
-sagen &mdash; Morgenstunde hat Gold im Munde &mdash; ganz
-richtig &mdash; was?&ldquo;</p>
-
-<p>Der Hauptmann verbeugte sich stumm &mdash; er hätte um
-die Welt jetzt nicht sprechen können. Der Doktor trat
-zum Schreibtisch und wühlte in den Papieren.</p>
-
-<p>&bdquo;Wollen wir an unseren Kontrakt gehen, Herr
-Baron?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sofort &mdash; ganz zu Diensten! Ja &mdash; noch einen
-Augenblick &mdash; denken Sie, Herr Hauptmann, wie der
-Zufall spielt &mdash; nicht wahr? Einzig manchmal! Wir
-sprachen doch gestern Abend von Straten &mdash; was?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich erinnere mich nicht!&ldquo; sagte der Hauptmann unklug
-und wuthbebend.</p>
-
-<p>&bdquo;Aber ich bitte Sie! Sie fragten mich noch nach
-ihm &mdash; Straten, der zu den Husaren kommandirt war,
-und mit dem ich bei den Dragonern stand &mdash; besinnen
-Sie sich jetzt? was?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, ja!&ldquo; grollte der Hauptmann.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun denken Sie, wie der Zufall spielt &mdash; nein, man
-kann wirklich sagen &sbquo;<em class="gesperrt">spielt</em>&lsquo;, denn er spielt manchmal,
-was? und wir sind sein Spielzeug! Das ist so ein Aperçu
-von mir &mdash; liebe solche Aperçus! &mdash; nun, um auf unsern
-Hammel zurückzukommen, womit ich aber nicht etwa den
-guten Straten gemeint haben will &mdash; bewahre! &mdash; dagegen
-protestire ich von vornherein &mdash; es ist nur so eine Redensart!
-Ja, <em class="antiqua">enfin</em>! &mdash; ich gehe gestern Abend nach der
-blauen Krone &mdash; ich komme ins Gastzimmer &mdash; wer sitzt
-da? &mdash; Straten! Nein, ich bitte Sie!&ldquo;</p>
-
-<p>Der Baron lachte herzlich.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, warum sollte er nicht dasitzen?&ldquo; fragte der
-Doktor, jetzt auch etwas unwirsch.</p>
-
-<p>&bdquo;Aber, ich sage Ihnen ja &mdash; wir hatten eben vorher
-von ihm gesprochen! Er steht in Rotbergen &mdash; zwei
-Meilen von hier &mdash; und kommt gerade den Abend her.
-&sbquo;Guten Abend, Straten!&lsquo; sage ich. Nun hätten Sie mal
-seine Ueberraschung sehen sollen! &sbquo;Guten Abend, Rabeneck!&lsquo;
-sagt er. &sbquo;Nein, das ist doch sonderbar, daß ich Sie hier
-treffe! was machen Sie denn hier?&lsquo; frage ich. &sbquo;Ach, ich
-langweile mich so in Rotbergen, da bin ich heut hier
-herüber gekommen, um mal mein Glas Bier wo anders
-zu trinken&lsquo;, sagt er. Und nun plauderten wir von dem
-alten Regiment &mdash; ach, da hat sich auch viel verändert!
-Der Kommandeur ist weg &mdash; nach Braunschweig versetzt,
-mein damaliger Schwadronschef.&ldquo; &mdash;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja aber, Herr Baron&ldquo;, unterbrach der Doktor diese
-interessante Geschichte, &bdquo;wenn wir vielleicht erst unseren
-Kontrakt machen wollten &mdash; Herr Hauptmann Scharff
-wünscht mich dann noch in einer anderen Angelegenheit
-zu sprechen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, Pardon! &mdash; bitte tausendmal um Entschuldigung!
-aber es war mir &mdash; ich dachte, es müßte den Herrn
-Hauptmann interessiren &mdash; es war doch ein zu sonderbares
-Zusammentreffen, was?&ldquo;</p>
-
-<p>Und der Baron lächelte vergnüglich und wiegte den
-Kopf hin und her über den merkwürdigen Zufall.</p>
-
-<p>Während die Herren den Kontrakt durchlasen und
-daran herumkorrigirten, stand der Hauptmann stumm am
-Fenster und sah auf die Straße. &bdquo;Fatal! <em class="gesperrt">Einmal</em>
-anfangen war schon schlimm genug &mdash; aber <em class="gesperrt">zweimal</em> &mdash;
-das ging gar nicht!&ldquo; Er biß sich zornig auf die Lippen.
-Und der Moment mußte gleich wieder da sein &mdash; die
-Feder des Doktors jagte nur so über das Papier.</p>
-
-<p>Da klopfte es, und ohne das &bdquo;Herein&ldquo; abzuwarten,
-wurde die Thür sehr weit aufgemacht. Ein Dienstmädchen
-mit einem großen Tablet erschien, auf dem Porzellan,
-Glas, Silber und andere Geräthschaften sauber aufgestapelt
-waren. Sie setzte ihre Bürde auf den Tisch, und begann,
-ohne auf die Herren besondere Rücksicht zu nehmen: &bdquo;Eine
-Empfehlung von der Frau Majorin, und sie schickt die
-Sachen wieder.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Still!&ldquo; rief der Doktor mit furchtbarer Stimme &mdash;
-er hatte sich verschrieben, und das haßte er!</p>
-
-<p>&bdquo;Und die Frau Doktorin ist draußen nicht zu finden,
-da mußte ich alles hier herein bringen&ldquo;, fuhr das Mädchen
-unbeirrt fort.</p>
-
-<p>Der Doktor schrieb.</p>
-
-<p>&bdquo;Wollen Sie mir nicht die Sachen abnehmen, Herr
-Doktor?&ldquo; fragte das Mädchen, &bdquo;ich muß dafür stehen, daß
-nichts fehlt.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Rufen Sie Fräulein Käthe&ldquo;, sagte der Doktor, ohne
-den Kopf zu wenden.</p>
-
-<p>&bdquo;Die will nicht hereinkommen&ldquo;, erwiderte die unerschütterliche
-Magd.</p>
-
-<p>&bdquo;Hinaus!&ldquo; rief jetzt der Hauptmann donnernd, und
-wandte sich um. Dieses Wort hatte die Wirkung eines
-Sprenggeschosses &mdash; die Botin flog davon, und ward nicht
-mehr gesehn.</p>
-
-<p>&bdquo;So!&ldquo; sagte der Doktor aufathmend und erhob sich
-&mdash; &bdquo;ich habe unterzeichnet &mdash; wollen Sie nun auch noch
-die Güte haben, Herr Baron?&ldquo;</p>
-
-<p>Der Angeredete hustete und sah etwas verlegen aus.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich hätte noch eine Bitte, verehrter Herr Doktor,
-ehe ich unterschreibe. &mdash; Sie wissen, eine Wohnung ist
-eine wichtige Frage, &mdash; man muß doch einmal drin wohnen
-&mdash; und &mdash; kurzum, ich möchte mir das Quartier noch ein
-letztes Mal ansehen &mdash; so einen Ueberblick, wie mein Papa
-immer zu sagen pflegte. &sbquo;Chlodwig, verschaffe dir immer
-einen Ueberblick&lsquo;, hat er unzählige Male zu mir gesagt!
-Dürfte ich um diese Gunst bitten?&ldquo;</p>
-
-<p>Der Doktor pfiff leise &mdash; aber er faßte sich, und die
-Herren schickten sich an, das Quartier zu besichtigen.</p>
-
-<p>Den Hauptmann rührte bei dieser neuen Verzögerung
-seiner Aussprache fast der Schlag! Hätte ihm ein Gott
-gegeben, zu weinen, so hätte er geweint! Er trommelte
-den Dessauer Marsch im rasendsten Tempo auf der Fensterscheibe
-&mdash; er nahm ein Buch vom Tisch und fing an zu
-lesen &mdash; obwohl er für sein Leben nicht zu sagen gewußt
-hätte, <em class="gesperrt">was</em> er las.</p>
-
-<p>Nachdem einige Zeit &mdash; für den Hauptmann eine
-halbe Ewigkeit &mdash; verstrichen war, traten die Herren wieder
-ein. Der Baron sah sehr bekümmert aus und zog sich
-einen Handschuh an.</p>
-
-<p>Der Doktor stellte sich an das zweite Fenster und
-wippte mit dem Fuß hörbar auf und nieder &mdash; er war
-offenbar schwer gereizt.</p>
-
-<p>Der Miethskontrakt lag unbeachtet auf dem Schreibtisch.</p>
-
-<p>Endlich näherte sich der Baron, auf den Zehen gehend,
-dem Hauptmann.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich weiß nicht &mdash; es ist mir so unangenehm, nein,
-wirklich &mdash; es ist mir <em class="gesperrt">sehr</em> unangenehm!&ldquo; flüsterte er,
-&bdquo;der Herr Doktor ist so böse &mdash; aber ich habe neulich
-ganz übersehen &mdash; das Schlafzimmer liegt nach Nordosten,
-und das vertrage ich nicht! Meine selige Mama sagte
-immer: &sbquo;Chlodwig, um alles in der Welt, Sonne im
-Schlafzimmer &mdash; halbes Leben &mdash; halbe Gesundheit.&lsquo;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Schlafen Sie doch wo anders!&ldquo; stieß der Hauptmann
-rauh hervor.</p>
-
-<p>&bdquo;Kann ich nicht, mein Bester &mdash; kann ich nicht! Und
-dann fehlt mir auch ein Zimmer &mdash; ein einziges Zimmer
-&mdash; mein Friedrich <em class="gesperrt">muß</em> neben mir logiren! Ja, hätte das
-allerliebste, reizende Eckzimmer &mdash; ein <em class="antiqua">bijou</em> von einem
-Zimmer &mdash; noch ein einziges Fenster! aber so!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich will Ihnen etwas sagen,&ldquo; explodirte der Doktor,
-&bdquo;haben Sie die Güte, mein Haus nach Ihren Wünschen
-umbauen zu lassen, und dann wollen wir wieder vier
-Stunden Kontrakt machen. Das ist ja &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>Der Baron sah hilflos aus.</p>
-
-<p>&bdquo;Umbauen? Sie scherzen, Herr Doktor! Der Herr
-Doktor scherzt &mdash; nicht wahr? ich liebe das sehr! scherze
-selbst gern &mdash; ich war immer dafür bekannt, daß ich viel
-scherze! mein Kommandeur sagte oft: &bdquo;glaubt dem Rabeneck
-nicht, er scherzt nur!&ldquo; <em class="gesperrt">Wie</em> oft! &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, dann scherzen Sie nach Belieben,&ldquo; schrie der
-Doktor, &bdquo;mit mir haben Sie genug gescherzt!&ldquo;</p>
-
-<p>Und er wandte sich ab.</p>
-
-<p>&bdquo;Mein Gott, wie peinlich!&ldquo; sagte der Baron, und zog
-sich den zweiten Handschuh an, &bdquo;und ich wäre so gern
-hier ins Haus gezogen! aber jeder ist sich selbst der Nächste!
-was? Wenn ich noch ein Zimmer brauche, das kann mir
-doch keiner übel nehmen &mdash; das finde ich &mdash; da kann ich
-mir nicht helfen!&ldquo;</p>
-
-<p>Und damit retirirte der Baron, und ging &mdash; ungeleitet,
-denn der Doktor war <em class="gesperrt">zu</em> ärgerlich &mdash; und man hörte den
-Weggehenden noch im Hausflur, wie ein abziehendes Gewitter
-fragen, ob er sich nicht selbst der Nächste wäre.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Wen</em> er fragte, wußten die Zurückgebliebenen nicht
-&mdash; es war ihnen auch höchst gleichgültig. Der Doktor
-rannte wie ein gefangener Tiger im Käfig auf und ab,
-und erging sich in den wohlthuendsten Aeußerungen über
-den Baron.</p>
-
-<p>&bdquo;Dieser Einfaltspinsel &mdash; dieser alberne Kerl &mdash; fragt
-einen erst todt, und miethet dann nicht einmal! Nein, ich
-war gestern Abend schon so glücklich &mdash; mein Quartier so
-gut wie vermiethet, und nun? Prosit die Mahlzeit! Nun
-sagen Sie einmal selbst, ist das nicht eine ganz infame
-Manier, so im letzten Augenblick abzuschnappen?&ldquo;</p>
-
-<p>Der Hauptmann bejahte durch eine Verbeugung &mdash;
-in <em class="gesperrt">diesem</em> Sturm konnte er sein Schifflein nicht
-auslaufen lassen, erst mußte der Himmel wieder ruhig
-werden.</p>
-
-<p>&bdquo;Aber eins sage ich,&ldquo; fuhr der erregte Doktor fort,
-&bdquo;<em class="gesperrt">einen</em> Rath gebe ich jedem, der ihn haben will. Wer
-kein Haus hat, freue sich, und wer eins hat, zünde es an
-allen vier Ecken an. Das ist ja &mdash;! alle Tage was
-Neues! Da will der einen Ofen gesetzt haben &mdash; dem
-soll man die Thüren streichen lassen, und dabei bleiben
-einem die Wohnungen noch leer stehen! Ich danke für
-mein Haus &mdash; ich schenke es weg &mdash; da mache ich immer
-noch ein gutes Geschäft. So habe ich keinen Miether und
-Aerger, dann habe ich doch wenigstens keinen Miether und
-keinen Aerger &mdash; nein, wahrhaftig!&ldquo;</p>
-
-<p>Der Doktor schwieg erschöpft, und nahm den Kontrakt
-in die Hand.</p>
-
-<p>&bdquo;Den Wisch möchte man doch nun gleich in tausend
-Stücke reißen,&ldquo; begann er von neuem, &bdquo;der Mensch hat
-sich verklausulirt, als wenn er ein Testament über eine
-Million für drei leichtsinnige Söhne machen sollte &mdash;
-um jeden Paragraphen hat er geredet und gefragt &mdash; eigentlich
-kann ich Gott danken, daß ich <em class="gesperrt">den</em> nicht als Miether
-bekommen habe. Ein unausstehlicher Kerl! Aber mein
-Quartier &mdash; nein, ich bin außer mir! nun hängt
-der Miethszettel wieder aufs unbestimmte aus, und
-jedesmal, wenn ich nach Hause komme, ärgere ich mich
-darüber.&ldquo;</p>
-
-<p>Der Hauptmann trat einen Schritt näher.</p>
-
-<p>&bdquo;Herr Doktor,&ldquo; begann er mit halbem Lächeln, &bdquo;darf
-ich Ihnen einen Vorschlag machen, mit dem uns vielleicht
-beiden gedient wäre? Das Quartier hat vier Zimmer,
-wie ich höre &mdash; hätten Sie etwas dagegen, mich als
-Miether aufzunehmen? Ich bin zum ersten Januar hierher
-versetzt.&ldquo;</p>
-
-<p>Das Gesicht des Doktors klärte sich auf.</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, aber,&ldquo; sagte er etwas zögernd, &bdquo;ist Ihnen denn
-die Wohnung nicht zu groß?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, dem ließe sich auch abhelfen! Herr Doktor, ich
-kam heute, wie Sie in der Sturm- und Drangperiode mit
-dem Baron vielleicht vergessen haben, um in einer persönlichen
-Angelegenheit mit Ihnen Rücksprache zu nehmen &mdash;
-darf ich meine Bitte jetzt vortragen?&ldquo;</p>
-
-<p>Dem Doktor ging ein Licht auf.</p>
-
-<p>&bdquo;Bitte!&ldquo; stammelte er verlegen.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich liebe Ihr Fräulein Tochter,&ldquo; fuhr der Hauptmann
-ernsthaft fort, &bdquo;und sie ist meiner Werbung trotz unserer
-kurzen Bekanntschaft nicht abgeneigt. Darf ich hoffen, Herr
-Doktor, daß von Ihrer Seite unserer Verbindung kein
-Hinderniß im Wege steht? Sie kennen mich ja durch meine
-Eltern &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>Eine Viertelstunde später rief ein energisches Klingeln
-die Damen in des Doktors Zimmer. Eine kleine feierliche
-Scene fand statt, nach deren Beendigung der Doktor sich
-zur Thür wandte, um Majors herunter citiren zu lassen.
-Aber er prallte zurück, denn in der Thür stand, verlegen
-und unsäglich neugierig aussehend, der Baron. Er hatte
-sich draußen vor der Doktorin in seiner gewohnten Ausführlichkeit
-gerechtfertigt, und als die Klingel des Hausherrn
-so ungestüm erscholl, hatte ihn sein Wissensdrang
-nach dem Zimmer zurück getrieben, wo er zur allgemeinen
-Entrüstung und Bestürzung der feierlichen Verlobung unbemerkt
-assistirt hatte.</p>
-
-<p>Aber der Zorn der belauschten Familie machte in der
-überfließenden Freude der Fröhlichkeit Platz, und der Baron
-brachte seine Gratulation an und fragte: &bdquo;Verlobt, was?
-&mdash; ja, das muß sehr hübsch sein &mdash; ich finde das allerliebst!
-werde mich wohl auch entschließen &mdash; nur kein
-Junggesell bleiben, was? Meine selige Mama sagte immer:
-&sbquo;Chlodwig, du bist fürs Familienleben geschaffen!&lsquo;&ldquo; Nachdem
-er diesen Satz zu Ende gebracht hatte, war der beglückte
-Schwiegervater so erheitert, daß er den Baron für seine
-Heftigkeit von vorhin um Verzeihung bat, die der gutmüthige
-Mann auch sofort bereitwillig zugestand.</p>
-
-<p>Als Majors erschienen, und ein improvisirtes Verlobungsdejeuner
-servirt wurde, wozu die noch aufgestellten
-Gläser und Tassen vortrefflich zu statten kamen, ließ sich
-der Baron mit Leichtigkeit bewegen, daran Theil zu
-nehmen, und alles gruppirte sich um den Tisch in des
-Doktors Stube.</p>
-
-<p>Nun freute sich jedes auf seine Art! Das Brautpaar
-war still, aber sehr zufrieden, sie sahen allerliebst zusammen
-aus. Der Doktor und der Major stießen an, und tranken
-Brüderschaft. Die Majorin nickte allen mit der Unverdrossenheit
-einer Pagode zu und weinte Freudenthränen
-über ihren Sohn und ihre liebe Käthe. Um diese zu
-trocknen, borgte sie allerdings schluchzend das Tuch von
-der Doktorin &mdash; ihr eigenes war momentan nicht zur
-Hand. Die Doktorin hätte auch gern geweint, doch unter
-diesen Umständen ging es nicht und sie mußte sich sehr
-zusammennehmen. Aber bei der Gelegenheit gelobte sie
-sich heilig und theuer, das Borgen müßte von nun an seine
-Grenzen haben, was ihr niemand verdenken wird, der sich
-in einen ähnlichen Fall versetzen kann.</p>
-
-<p>Der Baron fragte alle der Reihe nach, wie es so gekommen
-wäre, und erzählte kleine, geistreiche Aussprüche
-seiner Eltern und ihres Chlodwig, wobei er der Bowle
-tapfer zusprach, und es durchaus nicht übel nahm, als
-man Fräulein Leontine leben ließ und ihn ein klein wenig
-neckte. Und an dieser Stelle will ich denjenigen meiner
-Leserinnen, die sich für Leontine interessiren, unter tiefster
-Diskretion verrathen, daß der Baron ganz ernste Heirathspläne
-hat &mdash; die beiden werden sehr gut für einander
-passen! Aber es soll noch nicht darüber gesprochen werden!
-&mdash; Ja &mdash; nicht zu vergessen, auf Käthes Bitten wurde
-ein Eilbote zu Fräulein Sabine heraufgeschickt, die zitternd
-und strahlend in ihrem besten Kleide und ihrer Staatshaube
-erschien, und die Verlobungsbowle ihres Lieblings
-mit leeren half.</p>
-
-<p>Da sitzen sie nun alle vergnügt beisammen &mdash; jeder
-hat, was sein Herz wünscht, freilich mehr oder weniger &mdash;
-in den Gläsern funkelt der Wein und alles ruft: &bdquo;hoch
-das Brautpaar!&ldquo;</p>
-
-<p>Rufst du mit, lieber Leser? Ich hoffe ja!</p>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<h2><a name="Und_doch" id="Und_doch">Und doch!</a></h2>
-
-<h3><a name="I" id="I">I.</a></h3>
-
-<p class="first">Er hielt die Hausthür einen Augenblick in der Hand,
-als überlege er, ob er sie, seinen Gefühlen gemäß, donnernd
-zuwerfen und der Undankbaren da oben eine Art von
-zornigem Abschiedsgruß senden solle &mdash; aber die Vernunft
-siegte doch &mdash; die Thür wurde mit keiner ungewöhnlichen
-Kraftanstrengung geschlossen &mdash; und nun stand er auf der
-Straße! &mdash;</p>
-
-<p>Unwillkürlich besah er sich das Haus, das er eben
-verlassen hatte, von oben bis unten, &mdash; nicht als hätte
-es einen besonders schönen Anblick gewährt, &mdash; aber er
-hatte doch seit Monaten jeden freien Augenblick dort zugebracht,
-&mdash; die blühenden Gewächse hinter den weißen
-Gardinen hatten ihm allabendlich freundlich zugenickt,
-wenn er von seiner nahe bei der Stadt belegenen kleinen
-Besitzung auf muthigem Rößlein vor das Haus der Verwandten
-gesprengt war. Dann hatte er die Reitpeitsche
-zierlich zum Gruß gegen das Eckfenster erhoben und ein
-dunkelblonder Kopf mit schelmischen, blauen Augen hatte
-ihm freundlich wiedergewinkt.</p>
-
-<p>Die Hausthür ließ ihn gastfreundlich ein, &mdash; wie viel
-Stufen hatte die Treppe? &mdash; jedesmal schien eine mehr,
-bis er den messingnen Klingelgriff in der Hand hielt!
-Der Hausherr war sein Onkel, nicht ein ganz richtiger
-Mutterbruder, &mdash; aber der schmucke, junge Landmann war
-als Neffe und Vetter doch schnell und gern genug aufgenommen
-worden.</p>
-
-<p>Die Familiengruppe blieb allabendlich dieselbe, &mdash; in
-einem bequemen Stuhl, dessen etwas abgeschabte grüne
-Saffianlehne durch gelbe Knöpfchen eine mehr wohlgemeinte
-als geschmackvolle Einfassung erhielt, saß der Vater,
-ein Käppchen auf dem Haar, die lange Pfeife in einer
-Ecke des Mundes, eine Brille auf der Nase, durch die er
-die weit von sich gehaltene Zeitung studirte, um von Zeit
-zu Zeit die Handlung eines Monarchen durch wohlgefälliges
-Brummen zu billigen oder über die unbedachten
-Worte eines Ministers langsam und unwillig den Kopf
-zu schütteln. Seine Frau saß in der Sophaecke, sehr gerade
-aufgerichtet, &mdash; diese vorzügliche Haltung auch ihren Kindern
-beizubringen, bestrebte sich die Gute fortwährend durch
-Blicke, Winke und Bewegungen, während ihre Hände
-Alles, was vorging, durch harmonisches Stricknadelgeklapper
-in Musik setzten. &mdash; Und wenn dann der Theetisch gedeckt
-war, saßen die vier Kinder dieses gemüthlichen Paares
-wie Orgelpfeifen um sie her, &mdash; die Aehnlichkeit unter
-den Geschwistern war auffallend, &mdash; alle vier zeigten entschiedene
-Stumpfnäschen, stets zum Lachen bereite Lippen
-und waren blond und blauäugig. Mit der ältesten konnten
-sich aber die andern nicht messen, &mdash; was in Fränzchens
-Gesicht zierlich und allerliebst war, hatte bei den beiden
-Buben eine gewisse unfertige Plumpheit, und die Kleinste
-befand sich noch in dem Alter, welches für junge Männer
-einen Gegenstand des Schreckens und Abscheus bildet.</p>
-
-<p>So war unser Held denn natürlich mit der Zeit dahin
-gekommen, seine Aufmerksamkeit der erwachsenen Tochter
-zuzuwenden, und sie hatte das ganz freundlich hingenommen,
-hatte erlaubt, daß er ihr das Streichhölzchen anzündete,
-um die Spiritusflamme unter dem Theekessel in Brand zu
-stecken, freute sich über die Blumensträuße, die er aus
-seinem Garten mitbrachte, und lachte über seine Späße
-und Erzählungen beinahe so herzlich wie er selbst, &mdash; und
-das wollte etwas sagen!</p>
-
-<p>Kurzum, es war durchaus keine Verblendung und
-Selbstüberhebung nöthig, um die Entschlüsse reifen zu
-lassen, die in nächster Zeit unsern Helden bewegten. Noch
-nicht drei Wochen war es her, da hatte er sich in der
-Stadt neue Tapetenmuster ausgesucht und dem Bäschen
-zur Auswahl präsentirt. Da war besonders eins, das
-er in&rsquo;s Herz geschlossen hatte, mit blauen, schmalen
-Streifchen und kleinen Rosenknospen dazwischen, &mdash; als
-er ihr das zeigte und frug:</p>
-
-<p>&bdquo;Möchtest Du wohl in einer Stube wohnen, die so
-tapezirt wäre? Ist es nicht niedlich?&ldquo;</p>
-
-<p>Da antwortete sie freilich nur auf die letzte Frage
-und sagte:</p>
-
-<p>&bdquo;Sehr niedlich!&ldquo;</p>
-
-<p>Aber sie wurde roth und lachte. Warum war sie
-roth geworden, wenn sie nicht wußte, was er damit
-meinte? Und mit triumphirenden Gefühlen warb er einen
-ganzen Leiterwagen voll Tapeziere und Stubenmaler, ließ
-seine ganze Wohnung neu herrichten und umgab sich
-viele Tage lang mit dem abscheulichsten Kleistergeruch, &mdash;
-und Alles um nichts und wieder nichts! &mdash;</p>
-
-<p>Tagelang ging er dann umher wie ein Verschwörer,
-&mdash; überlegte, &mdash; verwarf, &mdash; und kam endlich zum Entschluß.
-Heut, &mdash; diesen selben Tag, an dem er fiebernd
-vor Zorn und Beschämung in der nächtlichen Straße stand,
-war Fränzchens achtzehnter Geburtstag gewesen! Schon
-früh ritt er mit einem Blumenstrauß in die Stadt, so
-groß, daß ihm alle Leute verwundert nachsahen, &mdash; das
-Mädchen empfing ihn mit der größten Freundlichkeit, &mdash;
-zeigte ihm ihren bekränzten Geburtstagstisch, &mdash; und man
-lud ihn ein, am Abend wieder zu kommen, wo eine Gesellschaft
-junger Leute sich versammeln sollte.</p>
-
-<p>Das that er denn auch, und als er im Hausflur
-einen kleinen Taschenspiegel hervorzog und sein ehrliches,
-braunes Gesicht darin betrachtete, kam er sich beinahe
-hübsch vor. Eine Rosenknospe hatte er in&rsquo;s Knopfloch
-gesteckt &mdash; und unter der Rosenknospe schlug ein Herz
-voll Löwenmuth!</p>
-
-<p>Fränzchen hatte sich auch sehr schön gemacht, sie trug
-ein weißes Kleid mit feinen, blauen Streifen, &mdash; es sah
-seiner Tapete beinahe ähnlich, &mdash; und die blonden, glatten
-Zöpfe waren mit einer frischen Nelke geschmückt, &mdash; er
-hätte sich sehr irren müssen, wenn die nicht aus dem
-Strauß war, den er heute Morgen gebracht hatte!</p>
-
-<p>Die kleine Versammlung war schon vollzählig, als er
-eintrat, und Fränzchen vor Allen als Geburtstagskind
-begrüßte. Er sah aber gleich, daß sie schlechter Laune war.</p>
-
-<p>&bdquo;Guten Abend, Karl,&ldquo; sagte sie flüchtig und mit einem
-Anflug von Verdrießlichkeit in der Stimme. &bdquo;Du kommst
-genau eine Stunde später als du eingeladen bist! Wir
-hätten schon lange anfangen können zu tanzen, wenn wir
-nicht hätten auf Dich warten müssen.&ldquo;</p>
-
-<p>Karl war nun ein herzensguter Junge, aber sein Fehler
-bestand darin, daß er einen ganz unglaublichen Brausekopf
-besaß. Er wurde röther, als es selbst der Dame seines
-Herzens gegenüber nöthig war, machte ein steifes Kompliment
-und zog sich zurück. Eins kam zum andern, &mdash;
-die Beiden stichelten auf einander, wo sie nur konnten, &mdash;
-und schließlich geschah es, daß Fränzchen sich an ihrem
-Geburtstag von einem Andern zu Tisch führen ließ und
-Karl mit einem schnippischen: &bdquo;ich bin schon versagt,&ldquo; abfertigte.</p>
-
-<p>Aber Karl rächte sich! &mdash; Unmittelbar nach Tisch
-wollte man beginnen, nach dem Klavier zu tanzen. Als
-sich der Heimtückische durch einen schnellen Ueberblick versichert
-hatte, daß auch ohne ihn eine ausreichende Zahl
-von Tänzern da sei, ging er über die Stube, stieß plötzlich
-einen Schmerzensschrei aus und sank auf einen Stuhl.
-Die ganze Gesellschaft umdrängte ihn besorgt, &mdash; Fränzchen
-allein stand an ihrem Geburtstagstisch und zählte die
-Blättchen an ihrem Rosenstock, &mdash; das erbitterte ihn nun
-vollends! Er erklärte, er habe sich den Fuß verstaucht,
-könne unmöglich tanzen, und wolle lieber zusehen, wenn
-man ihn nicht nach Hause schicke, da er als Invalide nichts
-auf einem Ball zu suchen habe.</p>
-
-<p>Davon wollten sie nun alle nichts hören und Karl
-blieb, &mdash; aber er tanzte konsequent nicht! Die Fenster
-waren geöffnet, um die nächtliche Sommerluft einzulassen,
-&mdash; er setzte sich hinter die Gardine und dachte zornig
-darüber nach, wie anders er sich diesen Abend vorgestellt
-hatte! Und eigentlich war er ja schuld gewesen, &mdash; was
-mußte er gleich so empfindlich sein! Sie hatte Recht, er
-<em class="gesperrt">war</em> zu spät gekommen, &mdash; und es war doch Fränzchens
-Geburtstag! &mdash; Er erhob sich, &mdash; es wurde ihm zu heiß
-hinter der Gardine, &mdash; und humpelte, seiner Rolle getreu,
-über das Zimmer, um den Tanzenden zuzuschauen. Daß
-er besser tanzte wie jeder der anwesenden Herren, war klar,
-&mdash; das wußte Fränzchen auch, &mdash; und deshalb ärgerte
-es sie so sehr, daß er heute nicht tanzen <em class="gesperrt">wollte</em>, denn
-sie glaubte mit Recht nicht an seinen Unfall.</p>
-
-<p>&bdquo;Kinderchen, jetzt wird aber aufgehört,&ldquo; rief da die
-Mutter, &bdquo;es ist schon sehr spät!&ldquo;</p>
-
-<p>Man war an diese peremptorische Art von Fränzchens
-Mutter schon gewöhnt, &mdash; da erhob sich Karl und bat
-die Tante flehentlich, noch einen Augenblick zu verziehen,
-die Schmerzen in seinem Fuß hätten nachgelassen und
-er wolle einmal mit seiner Cousine tanzen. Eben sollte der
-Befehl an die Klavierspielerin ertheilt werden, als Fränzchen
-mit blitzenden Augen dazwischen trat.</p>
-
-<p>&bdquo;Es thut mir leid, Karl, wenn <em class="gesperrt">du</em> auch wieder hergestellt
-bist, &mdash; ich habe mir soeben den Fuß versprungen
-&mdash; und zwar so gründlich, daß ich glaube, wir würden
-nie wieder in den richtigen Takt kommen.&ldquo;</p>
-
-<p>Karl biß sich auf die Lippen und schwieg. &mdash; Die
-tanzenden Paare trennten sich, &mdash; man ging umher, um
-sich abzukühlen, und endlich brach man auf. Daß Karl,
-als Verwandter des Hauses, sich noch nicht mitempfahl,
-konnte Niemandem auffallen.</p>
-
-<p>Als die Gäste fort waren, trat Fränzchen ans offene
-Fenster, um ihnen nachzusehen, und Karl, von Reue und
-Liebe beseelt, stürzte sich Hals über Kopf in das ungeheure
-Wagniß, bei den Eltern um ihre Hand zu werben. So
-&mdash; nun war&rsquo;s heraus, &mdash; Gott sei Dank! &mdash; er sah seitwärts
-nach ihr hin, ob sie wohl eine Bewegung der
-Ueberraschung machen würde, &mdash; aber sie stand so still
-und unbeweglich am Fenster, als ginge sie die ganze Sache
-gar nichts an. Verlegen und zweifelhaft blieb er stehen.
-Der Vater legte die Pfeife weg, faßte das Mädchen an
-beiden Schultern und drehte sie herum.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, Fränzchen,&ldquo; fragte er in einer Mischung von
-Rührung und Humor, &bdquo;was sagst du? Hier, der Karl
-will dich zur Frau haben, &mdash; na, du hast dir&rsquo;s wohl
-schon gedacht? Nun, Mädchen, so sprich doch, &mdash; sag&rsquo;
-Ja oder Nein!&ldquo;</p>
-
-<p>Da sah sie trotzig in die Höhe und sagte mit undeutlicher
-Stimme ein kurzes &bdquo;Nein!&ldquo; drehte sich wieder um
-und trommelte an den Scheiben.</p>
-
-<p>Die drei Anderen sahen sich zweifelnd und bestürzt an.
-&mdash; Das kam ihnen allen Dreien unvermuthet, &mdash; bis
-Karl leise bat:</p>
-
-<p>&bdquo;Laßt mich einen Augenblick mit ihr allein, &mdash; ich
-will sie schon zur Vernunft bringen!&ldquo;</p>
-
-<p>Die Eltern schienen ihm dies Amt nicht ungern zu
-überlassen, Karl trat zu der kleinen Eigensinnigen und
-sah, daß ihre Augen voll Thränen standen.</p>
-
-<p>&bdquo;Fränzchen,&ldquo; bat er herzlich, &bdquo;sei nicht kindisch! Ich
-weiß, du hast ein Recht, mir böse zu sein, aber es kann
-dir nicht mehr leid thun wie mir, daß wir uns heute so
-mißverstanden haben, &mdash; verzeihe mir doch!&ldquo;</p>
-
-<p>Er wollte ihre Hand fassen, sie zog sie hastig und
-unwillig zurück.</p>
-
-<p>&bdquo;Sieh&rsquo;,&ldquo; fuhr er fort, &bdquo;das Nein, was du mir jetzt
-sagst, ist doch ein anderes, als eine Absage für einen Tanz!
-Ich kann dann nicht mehr wiederkommen und fragen, ob
-du dich anders besonnen hast, &mdash; du weißt, ich würde
-es auch nicht thun, &mdash; überlege dir&rsquo;s einmal, Fränzchen!&ldquo;</p>
-
-<p>Da sie fortfuhr, stumm den Kopf zu schütteln, trat er
-verzweifelt zurück und rief die Eltern wieder herein.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich kann nicht mit ihr fertig werden, Onkel, rede du
-ihr einmal zu, &mdash; sie ist zu kindisch!&ldquo;</p>
-
-<p>Der Vater erschien und rief in etwas barschem Ton
-das Mädchen, welches sich trotzig vor ihn hinstellte.</p>
-
-<p>&bdquo;Was fällt dir ein,&ldquo; fuhr er sie ziemlich rauh an,
-&bdquo;läßt den Karl ablaufen wie einen dummen Jungen, weil
-ihr irgend eine alberne Uebelnehmerei mit einander gehabt
-habt! Gleich bist du vernünftig und sagst entweder einen
-Grund für dein verschrobenes Betragen oder giebst ihm
-die Hand.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nein, ich will nicht und ich will nicht!&ldquo; rief das
-Mädchen jetzt, von Schluchzen unterbrochen, &bdquo;erst kommt
-er zu spät, dann ist er so unhöflich gegen mich wie möglich,
-dann tanzt er nicht und verdirbt mir meinen ganzen Geburtstag,
-&mdash; nennt mich zweimal in einem Athem kindisch, &mdash; und
-wenn er dann zum Schluß für den reizenden Abend
-gnädig kommt und mich heirathen will, &mdash; da soll ich Ja
-sagen! Ich thu&rsquo;s nicht, &mdash; ich mag nicht aufs Land,
-ich will überhaupt nicht heirathen und ich wollte, ihr
-hättet mir meinen Geburtstag nicht verdorben!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Es ist gut, Fränzchen,&ldquo; sagte Karl trocken, während
-sie sich abermals abwandte und ihr Gesicht ins Tuch
-barg, &bdquo;wir wollen nicht mehr davon sprechen! Ich habe
-mich geirrt und bin ein Narr gewesen, &mdash; und jetzt kann
-ich dich nur um Verzeihung bitten, daß ich dir deinen
-Geburtstag verdorben habe, wie du sagst. Gute Nacht,
-lieber Onkel, gute Nacht, Tante!&ldquo;</p>
-
-<p>Fränzchen wurde durch eine stumme Verbeugung beglückt,
-&mdash; dann stürmte Karl davon und der Moment,
-wo er die Hausthür öffnete und auf die Straße trat, war
-es, wo wir seine Bekanntschaft machten. Er schlug den
-Weg nach dem Gasthaus ein, wo sein Pferd stand, und
-fühlte mit Behagen, daß ein heraufziehendes Gewitter
-schwere Regentropfen auf seine heiße Stirn sandte, die er
-schon längst vom Hut befreit hatte. Von Zeit zu Zeit
-wies er bedeutsam nach seinem Kopf, um ihm durch diese
-Bewegung vorzuwerfen, er habe ihm einen schlimmen
-Streich gespielt, daß er nicht mehr mitsprach, als das Herz
-heut durchging.</p>
-
-<p>Der muntere Trab seines Rößleins sagte seiner Stimmung
-weit besser zu, als die langsame Fortbewegung der
-Füße, und doch kam er viel zu früh für seine Wünsche
-daheim an. Die Wohnung, die er jetzt seit längerer Zeit
-mit so anmuthigen Zukunftsträumen ausgeschmückt hatte,
-dünkte ihm unwirthlich und öde, &mdash; er erschien sich wie
-Einer, der zu einer schönen Reise gerüstet auf den Bahnhof
-ging, den Zug versäumte &mdash; und mit entsetzlich ernüchterten
-Gefühlen den Heimweg antritt. Dieses letzte
-Gleichniß leuchtete ihm immer mehr ein, &mdash; &bdquo;aber es giebt
-ja mehr Züge als den einen,&ldquo; sagte er halblaut vor sich
-hin, &bdquo;führen sie auch nicht alle in das gelobte Land der
-Ehe, &mdash; man kann auch sonst noch Reisen machen, denn
-hier bleiben ist mir jetzt ein unleidlicher Gedanke! Aber
-wohin? &mdash; ich kann für die nächsten zwei, drei Tage abkommen,
-ich werde nach Schrobeck fahren!&ldquo;</p>
-
-<p>Schrobeck war ein kleiner, vielbesuchter Badeort, den
-die Bewohner der Provinz häufig zu Sonntagsausflügen
-benutzten. Für gewöhnlich war er nur sehr stark von
-alten Damen frequentirt, daher er für einen jungen Mann
-wenig Anziehendes bot. Aber Schrobeck war nun einmal
-der nächste zu erreichende Ort &mdash; und für Schrobeck entschied
-sich Karl. Ein flüchtiges Bedenken erregte ihm die
-undeutliche Vorstellung, daß eine alte Tante Amalie, die
-er zu besitzen sich rühmen durfte, meist um diese Zeit des
-Jahres in Schrobeck zu weilen pflegte, &mdash; aber er tröstete
-sich mit den beliebten &bdquo;Vielleichts&ldquo;: &bdquo;vielleicht ist sie jetzt
-noch nicht da!&ldquo; oder &bdquo;vielleicht sieht sie mich gar nicht,&ldquo;
-kurz, er sprang auf und nahm aus seinem etwas sparsam
-ausgestatteten Bücherschrank ein Coursbuch, in dessen
-Studium er sich eifrig vertiefte.</p>
-
-<h3>II.</h3>
-
-<p>Als Resultat dieser Abendlektüre sehen wir Karl am
-nächsten Morgen in grauem Reiseanzuge mit blauer Kravatte
-und einer gestickten Reisetasche mit Rosen und Veilchen
-im Wartesalon des Bahnhofs sitzen, die frühe Stunde &mdash;
-sechs Uhr &mdash; hatte dem Landmann keine Ueberwindung
-gekostet, denn &bdquo;fort, &mdash; nur fort!&ldquo; war seine Losung
-und der erste Zug ging um sechs Uhr zwanzig Minuten.
-Sein Platz war so gewählt, daß er der Eingangsthür
-den Rücken wandte und doch im Stande war, mit
-Hülfe eines ihm gegenüber hängenden großen Spiegels
-Alle zu beobachten, die den Wartesaal betraten.</p>
-
-<p>Bis jetzt hatten noch nicht Viele seine Aufmerksamkeit
-zu fesseln vermocht, &mdash; zwei verschlafene, verdrießlich aussehende
-Damen, deren eine ein Kind in unaufhörlich schaukelnder
-Bewegung erhielt, ließen in ihm nur den Gedanken
-aufsteigen: &bdquo;Gott bewahre mich vor solcher Gesellschaft!&ldquo;
-Dann befand sich ein Handlungsreisender in seiner Nähe,
-der zum Benefiz der Kellner und der kaffeeschenkenden
-Nymphe am Büffet sich in zahllosen Scherzen und Scherzchen
-erging, &mdash; vor diesem graute ihm noch weit mehr! Die
-einzige, wirklich gut aussehende Mitbewohnerin dieses interimistischen
-Aufenthalts war eine kleine, sehr hübsche
-Brünette, die mit einem schwarzen Hütchen geschmückt war,
-auf dem sehr naturgetreue, rothe Kirschen jeden Sperling
-hätten durstig machen können. Die kleine Dame sah, gegen
-die Gewohnheit des alleinreisenden weiblichen Geschlechts,
-ganz sicher und vergnügt aus, und aß, trotz der frühen
-Morgenstunde, unverdrossen Pfefferkuchen.</p>
-
-<p>&bdquo;Das wäre schon eher Etwas!&ldquo; dachte Karl bei sich.</p>
-
-<p>In diesem Augenblick empfand er jene heftige, schreckhafte
-Bewegung, bei der wir, wie der Volksmund sagt,
-aus der Haut fahren möchten. Seine Augen erblickten
-im Spiegel zwei Gestalten, deren Erscheinen in ihm den
-unmännlichen Wunsch rege machte, sich sofort unter den
-Tisch zu verkriechen, was doch nicht anging, ohne unerwünschtes
-Aufsehen zu erregen.</p>
-
-<p>Ein etwa vierzehnjähriger Bursche, blond, blauäugig,
-stumpfnäsig, mit einer zierlichen Ledertasche und mehreren
-Paketen beladen, hatte den Raum betreten, gefolgt von
-einer jungen Dame mit sehr ähnlichen blauen Augen,
-blonden Haaren und einem großen Hut, der vergebens
-die Röthe der Augenlider zu verdecken bestrebt war, &mdash;
-Fränzchen und ihr ältester Bruder!</p>
-
-<p>In Karl&rsquo;s Gehirn führten allerlei Gedanken einen
-verworrenen Tanz aus, &mdash; er fühlte den unbestimmten
-Wunsch, etwas zu unternehmen, &mdash; und zugleich die beschämende
-Zuversicht, daß es etwas Dummes sein würde,
-&mdash; endlich that er, was meist das Klügste ist, was man
-thun kann, &mdash; wenn es die Menschen nur einsehen wollten!
-&mdash; er wartete ab!</p>
-
-<p>Fränzchen achtete nicht auf ihre Umgebung, sie stützte
-den Kopf in die Hand und sah vor sich nieder, der sie
-begleitende Knabe Fritz dagegen ließ seine munteren Augen
-im ganzen Saal umherschweifen, bis sie glücklich im Spiegel
-Karl&rsquo;s wohlbekannte Züge entdeckt hatten. Doch im selben
-Moment fuhr der Zeigefinger des Spiegelbildes blitzschnell
-nach den Lippen, und Fritz, der einer der pfiffigsten
-Sekundaner des neunzehnten Jahrhunderts war, begriff,
-&mdash; und nickte! Ja, noch mehr, &mdash; als Karl mit der Hand
-nach dem soeben geöffneten Perron zeigte, dann auf sich
-selbst und schließlich auf Fritz, Fränzchen aber durch
-ein abwehrendes Kopfschütteln bezeichnete, begriff der
-kluge Fritz sofort, Karl wolle ihn allein sprechen, und seine
-etwas unsichere Knabenstimme machte der Schwester den
-Vorschlag, er wolle in dem schon draußen haltenden Zuge
-einen Platz für sie belegen, sie solle ruhig hier bleiben.</p>
-
-<p>Fränzchen nickte nur matt mit dem Kopf und legte
-dann wieder die Hand über die Augen. Karl konnte also
-unbemerkt den Saal verlassen und den Perron betreten,
-dessen Uebersicht dem Mädchen durch einen dicken Wandpfeiler
-unmöglich wurde.</p>
-
-<p>Fritz, der während dessen an den Coupés umherirrte,
-wurde, wie die Taube vom Stoßvogel, von Karl gepackt
-und festgehalten.</p>
-
-<p>&bdquo;Wo wollt ihr hin, Unglückskinder?&ldquo; stieß Karl hervor,
-den Sekundaner mit Blicken durchbohrend.</p>
-
-<p>&bdquo;Nach Schrobeck,&ldquo; erwiderte dieser, sich mit einer mehr
-kräftigen als anmuthigen Bewegung von den Händen befreiend,
-die seine Schultern hielten.</p>
-
-<p>&bdquo;Nach Schrobeck?&ldquo; wiederholte Karl dumpf, &bdquo;dachte ich
-mirs doch! Aber warum gerade dorthin?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Weil Tante Amalie dort ist, &mdash; ich bringe die
-Fränzchen nur vor der Schule auf den Bahnhof, &mdash; sie
-fährt allein!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und ich fahre auch nach Schrobeck,&ldquo; sprach Karl in
-düsterem Tone, sein Billet emporhaltend.</p>
-
-<p>Fritz beantwortete diese Mittheilung durch ein so unauslöschliches
-Gelächter, daß mehrere Bahnbeamte sich
-argwöhnisch und neidisch nach dem Eigenthümer so vieler
-Heiterkeit umsahen.</p>
-
-<p>&bdquo;Was lachst du denn, dummer Junge?&ldquo; rief Karl
-jetzt ergrimmt, &bdquo;sage lieber, wie Fränzchen so plötzlich
-darauf kommt, abzureisen! Gestern Abend war doch noch
-gar nicht davon die Rede!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Denkst du denn, ich weiß gar nichts,&ldquo; erwiderte
-Fritz, dessen Schlauheit bereits keine Grenzen mehr kannte.
-&bdquo;Die halbe Nacht ist noch bei uns ein fürchterlicher Spektakel
-gewesen, &mdash; Fränzchen hat geweint, der Vater
-hat gezankt, sie sei ein dummes Ding, die nicht wisse, was
-sie eigentlich wolle, und sie solle gleich zur Tante reisen,
-bis sie zur Vernunft gekommen wäre. Dann hat mir der
-Vater einen Brief gegeben, den sollte ich zu dir tragen,
-wenn ich aus der Schule käme, &mdash; da du aber nach
-Schrobeck fährst, behalte ich ihn natürlich!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Her mit dem Brief!&ldquo; herrschte Karl mit so wildem
-Ton und Blicke, daß Fritz, vor diesem furchtbaren Anblick
-erzitternd, den Brief aus der Tasche zog und Karl einhändigte.</p>
-
-<p>Dieser überflog ihn, dann glitt ein triumphirendes
-Lächeln über sein Gesicht, er faltete den Brief zusammen,
-steckte ihn in die Tasche und wandte sich wieder zu Fritz.</p>
-
-<p>&bdquo;Höre Fritz, &mdash; in diesem Zuge giebt&rsquo;s keine Damencoupés.
-Du belegst hier in diesem Wagen einen Platz
-für Fränzchen, &mdash; ich lasse meine Reisetasche in die Ecke
-legen und komme nicht eher auf meinen Platz, bis
-der Zug eben fortfahren will.&ldquo;</p>
-
-<p>Fritz nickte und erklomm das bezeichnete Coupé.</p>
-
-<p>Nach wenig Minuten brachte ein blaujäckiger Dienstmann
-Karl&rsquo;s Reisetasche und legte sie auf den Eckplatz.
-Fritz begab sich wieder in den Wartesaal, um seine
-Schwester zu rufen, &mdash; es klingelte zum ersten Mal.</p>
-
-<p>Karl sah hinter der Gardine des nächsten Wartezimmers
-zum Fenster hinaus.</p>
-
-<p>&bdquo;Hier, Fränzchen!&ldquo; rief der wohlinstruirte Fritz und
-half der Schwester in das Coupé steigen, an dessen Fenster
-ein Täfelchen mit der bedeutsamen Inschrift prangte: &bdquo;Für
-Nichtraucher!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Kein Damencoupé?&ldquo; frug das Mädchen schon im
-Einsteigen.</p>
-
-<p>&bdquo;In diesem Zuge giebt&rsquo;s keine Damencoupés,&ldquo; lautete
-die Antwort, und Fränzchen nahm ihren Platz gerade der
-gestickten Reisetasche gegenüber, um den Anblick der
-brüderlichen Stumpfnase noch so lange als möglich zu
-genießen.</p>
-
-<p>Fritz hatte den Wagentritt bestiegen und nahm noch
-allerlei Aufträge in Empfang.</p>
-
-<p>&bdquo;Erlauben Sie, junger Herr,&ldquo; sagte da eine muntere
-Stimme hinter ihm, und die junge Dame mit dem
-Kirschenhut bestieg den Wagen und nahm die dritte Ecke
-an der andern Seite ein.</p>
-
-<p>&bdquo;Ob das Karl lieb sein wird?&ldquo; dachte Fritz bedenklich,
-&mdash; doch da er nicht befugt war einzuschreiten, schwieg
-er wohlweislich.</p>
-
-<p>Um so gesprächiger war die Neueingetretene vom ersten
-Augenblick an, sie klagte über die Hitze, legte ihr
-Hütchen ab und bot Fritz und Fränzchen gutmüthig von
-dem Pfefferkuchen an, den sie in unvertilgbaren Quantitäten
-bei sich zu führen schien.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich fahre nicht mehr allzu lange,&ldquo; sagte sie jetzt, sich
-bequem in die Ecke zurücklehnend, &bdquo;in Eisdorf steige ich
-aus. Sie auch, Fräulein?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich habe noch eine Station weiter bis zu meinem
-Ziel, &mdash; ich will nach Schrobeck,&ldquo; erwiderte Fränzchen müde.</p>
-
-<p>Ein erneutes Klingeln, &mdash; ein kurzer, zwitschernder
-Pfiff ließ sich vernehmen, &mdash; Fritz wurde höflich ersucht,
-seinen erhabenen Standpunkt zu verlassen, &mdash; und eben
-wollte der Beamte die Thür zuschlagen, als in vollem
-Lauf ein uns wohlbekannter, graugekleideter Herr über
-den Perron eilte, in den Wagen sprang und kaum darin
-war, als der Zug sich in Bewegung setzte.</p>
-
-<p>Karl hatte in diesem Augenblick einen bedeutenden
-Vortheil über Fränzchen, &mdash; er wußte, was ihm bevorstand,
-und vermochte es in Folge dessen, seinen Hut abzunehmen
-und beide Damen wie fremde Mitreisende zu
-grüßen. Fränzchen aber, gänzlich unvorbereitet, starrte
-ihn mit weitgeöffneten Augen an, als sehe sie einen Geist,
-und wechselte unaufhörlich die Farbe.</p>
-
-<p>Die kleine Dame mit dem Kirschenhut blickte verwundert
-von Einem zum Andern, von dem so sehr gefaßten,
-jungen Mann zu dem fassungslosen Mädchen, &mdash;
-und schüttelte unmerklich den Kopf.</p>
-
-<p>Karl aber that ganz, als wenn er zu Hause wäre.
-Er legte seine Reisetasche in das oberhalb angebrachte
-Netz, den Hut daneben, und begann dann, über Fränzchen
-weg, die kleine Brünette mit freundlichem Wohlgefallen
-anzusehen. Er suchte in seinem Herzen nach einem
-Vorwand, um sich zu ihr zu setzen und Fränzchen durch
-Entfaltung seiner glänzenden Unterhaltungsgabe tief fühlen
-zu lassen, <em class="gesperrt">wen</em> sie verschmähte.</p>
-
-<p>Um Karl&rsquo;s veränderte Stimmung und gehobenen
-Muth zu begreifen, bedarf es nur eines Einblickes in
-den Brief, den ihm sein hoffentlicher Schwiegervater geschrieben
-hatte. Dieser Ehrenmann that ihm schwarz auf
-weiß zu wissen, daß Fränzchen gleich nach seinem Weggehen
-den ausgetheilten Korb bitter bereut und sich des
-schwärzesten Betragens angeklagt habe. Von seinem
-Vorschlag aber, Karl diese Mittheilung zu machen, habe
-sie unter keiner Bedingung etwas hören wollen, wahrscheinlich
-weil das gegen ihre Würde gestritten hätte.
-So habe denn der Vater beschlossen, um ihr über die
-nächsten, unbehaglichen Tage hinwegzuhelfen, sie auf eine
-Woche zu Tante Amalie nach Schrobeck zu schicken, und
-glaube er, seinem lieben Karl die Versicherung geben zu
-dürfen, daß, falls er nach Ablauf dieser Frist noch einmal
-anfrage, er ein um so freudigeres &bdquo;Ja&ldquo; für das trotzige
-&bdquo;Nein&ldquo; von gestern erwarten dürfe.</p>
-
-<p>So wußte denn unser Held, woran er war, &mdash; und
-wer das <em class="gesperrt">nicht</em> weiß, kann erst den unschätzbaren Werth
-dieser Kenntniß ganz würdigen.</p>
-
-<p>Der Vorwand seinen Platz zu wechseln, fand sich bald.
-Die Kirschendame stand auf und rüttelte mit beiden Händen
-an dem geschlossenen Coupéfenster. Es wich ihren Anstrengungen
-nicht sogleich und Karl sprang mit einem
-verbindlichen &bdquo;erlauben Sie mir!&ldquo; auf die gegenüberliegende
-Seite und öffnete das Fenster, sich bequem an
-diesem niederlassend.</p>
-
-<p>Die lustige, kleine Dame war hoch erfreut, ihre sehr
-unfreiwillige Schweigsamkeit aufgeben zu müssen. Karl
-eröffnete die Unterhaltung mit der geistreichen Bemerkung:</p>
-
-<p>&bdquo;Jetzt ist es nicht mehr so heiß, durch das offene
-Fenster kommt ein angenehmer Luftzug.&ldquo;</p>
-
-<p>Die kleine Dame nickte mehrmals mit dem Kopf zum
-Zeichen der Zustimmung, und fügte bei:</p>
-
-<p>&bdquo;Darum kam ich eben auf den Gedanken!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Es war ein sehr kluger Gedanke,&ldquo; sagte Karl verbindlich.</p>
-
-<p>Die Kirschendame sah geschmeichelt aus und bot Karl
-von ihrem Pfefferkuchen an.</p>
-
-<p>&bdquo;Herren essen zwar so etwas nicht gern,&ldquo; bemerkte sie.</p>
-
-<p>&bdquo;Aus so schönen Händen,&ldquo; erwiderte Karl, der schon
-merkte, daß diese Waare hier guten Absatz fände.</p>
-
-<p>&bdquo;O, bitte,&ldquo; erwiderte sein <em class="antiqua">vis-à-vis</em> erfreut.</p>
-
-<p>Fränzchen sah unbeweglich zum Fenster hinaus. Das
-war zu stark, daß Karl noch nicht vierundzwanzig Stunden
-nach dem betrübenden Vorfall in ihrer Gegenwart so
-harmlos lustig sein und dieser kleinen, unternehmenden
-Person schöne Redensarten machen konnte! Sie war sehr
-erbittert und durfte sich doch nicht verrathen!</p>
-
-<p>Drüben ging indeß die Unterhaltung unermüdlich fort,
-die kleine Dame lachte über Karl&rsquo;s Einfälle, die meist
-mehr durch Vortrag als durch Neuheit glänzten, &mdash; sie
-lachte so laut und herzlich, daß sie sich die Augen trocknen
-mußte. Karl hatte aber heute lauter selbstische Zwecke im
-Auge, &mdash; erstens wollte er Fränzchen ärgern und sodann
-sein <em class="antiqua">vis-à-vis</em> günstig stimmen, damit sie ihm das Rauchen
-erlaubte. Bescheiden brachte er die Anfrage vor.</p>
-
-<p>&bdquo;Bitte, rauchen Sie,&ldquo; sagte seine gemüthliche neue
-Freundin, &bdquo;wenn es die andere Dame nicht genirt?&ldquo;</p>
-
-<p>Karl wandte sich mit einer verbindlichen Bewegung
-an Fränzchen, mit gezücktem Streichholz.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich bedaure sehr,&ldquo; erwiderte sie in eiskaltem Ton,
-&bdquo;das Rauchen macht mir Kopfweh.&ldquo;</p>
-
-<p>Das war aber unrichtig, wie Karl genau wußte.
-Schwer geärgert über diese Ungefälligkeit, vergaß er die
-gebotene Vorsicht.</p>
-
-<p>&bdquo;Du hast es doch immer vertragen,&ldquo; fuhr er heraus,
-biß sich aber erschreckt auf die Lippe, als die Kirschendame
-sichtlich die Ohren spitzte und Fränzchen, dunkelerröthend,
-sich zum offenen Fenster hinausbog.</p>
-
-<p>Die Kirschendame ertrug&rsquo;s nicht länger. Sie beugte sich
-zu Karl hinüber und sagte lautlos, nur mit den Lippen:</p>
-
-<p>&bdquo;Frau!&ldquo;</p>
-
-<p>Er schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>&bdquo;Braut?&ldquo; im selben Ton.</p>
-
-<p>Karl bedachte sich nicht lange, sondern nickte frischweg.</p>
-
-<p>&bdquo;Gezankt?&ldquo; deutete das <em class="antiqua">vis-à-vis</em> an.</p>
-
-<p>Abermals nickte er.</p>
-
-<p>&bdquo;O,&ldquo; sagte das Fräulein jetzt mitleidig und hätte wohl
-noch weiter geforscht, wenn nicht in dem Moment der
-Zug gehalten hätte.</p>
-
-<p>&bdquo;Station Eisdorf,&ldquo; rief der Schaffner.</p>
-
-<p>Die kleine Dame begann sofort in fieberhafter Angst
-ihren Hut, ihre Schachteln und ihren Pfefferkuchen zu erfassen
-und mit einem bedeutungsvollen: &bdquo;Glückliche Weiterreise,
-meine Herrschaften!&ldquo; verließ sie den Wagen und
-taumelte in die Arme einer großen Familie, die sie erwartet
-hatte.</p>
-
-<p>Langsam setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Karl
-sah nun seinerseits zum Fenster hinaus.</p>
-
-<p>&bdquo;Nur sich nichts vergeben!&ldquo; dachte er.</p>
-
-<p>Ein zaghaftes &bdquo;Karl!&ldquo; veranlaßte ihn, sich umzuwenden.</p>
-
-<p>&bdquo;Karl, willst du nicht deine Cigarre anzünden?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Du bist sehr freundlich,&ldquo; sagte er kurz, und bald
-schwebten die blauen Dampfwolken zum Fenster hinaus
-über die grünen Felder.</p>
-
-<p>Mehrere Minuten vergingen, &mdash; Karl überlegte, was
-er wohl jetzt sagen sollte, &mdash; er beschloß, dem Mädchen
-seine Launenhaftigkeit ernstlich zu Gemüth zu führen, &mdash;
-und während er sich diese Worte in Gedanken zurechtlegte,
-störte ihn ein leises Schluchzen.</p>
-
-<p>Er schielte vorsichtig herum und sah Fränzchen mit
-dem Tuch vor dem Gesicht, in Thränen aufgelöst, in der
-Ecke lehnen. Da schmolz sein ohnehin nicht sehr hartes
-Herz und mit einem Satz war er neben ihr. Zu einer
-leidenschaftlichen Liebeserklärung hatte Karl gar kein Talent,
-&mdash; und so mögen unsere Leserinnen verzeihen, daß
-er sich seinem Charakter gemäß ausdrückte.</p>
-
-<p>&bdquo;Aber sage mir einmal, Fränzchen, wozu machst du
-nun dir und mir das Leben schwer? Wärst du vernünftig
-gewesen und hättest gestern Abend &sbquo;Ja&lsquo; gesagt,
-wie du doch meinst, &mdash; nein, sei still, ich weiß es ganz
-gut, &mdash; da säßen wir heute als glückliches Brautpaar in
-Eurer Wohnstube und Abends führen wir mit dem Vater
-zu mir heraus und du sähest dir die blaue Tapete an,
-die du ja selber ausgesucht hast.&ldquo;</p>
-
-<p>Sie lachte unter Thränen und schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, freilich hast du sie selber ausgesucht,&ldquo; fuhr
-Karl gemüthlich fort, &bdquo;und wir Beide, die sich schon gemeinsam
-die Wohnung eingerichtet haben, fahren hier, wie
-die Landstreicher, in der Eisenbahn, als wüßten wir nicht,
-wo wir hingehören! Nein, Fränzchen, wie soll das später
-werden, wenn wir da draußen auf dem Lande allein sitzen,
-und du willst so unvernünftig sein! Das geht nicht, und
-jetzt steh&rsquo; auf und sage: &sbquo;Ich will sehr gut folgen, lieber
-Karl!&lsquo;&ldquo;</p>
-
-<p>Er zog sie an der Hand empor und sie sprach zwischen
-Lachen und Weinen die bedeutungsvollen Worte nach.</p>
-
-<p>&bdquo;So,&ldquo; sagte Karl nach einer Weile, als die erste
-Rührung beiderseits überstanden war, &mdash; denn, gestehen
-wir es, auch unserem Helden wurde die Stimme etwas
-unklar, &mdash; &bdquo;nun will ich dir auch beichten, &mdash; ich habe
-dich schon Jemandem als meine Braut vorgestellt!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Wem denn?&ldquo; frug Fränzchen erstaunt.</p>
-
-<p>&bdquo;Der kleinen Dame mit dem Kirschenhut,&ldquo; erwiderte
-Karl ruhig, &bdquo;was hätte die sich sonst denken sollen?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Station Schrobeck,&ldquo; rief der Schaffner, die Thür
-öffnend.</p>
-
-<p>Unser Paar sah sich bedenklich an. Karl als Herr
-und Gebieter beschloß, was zu thun sei.</p>
-
-<p>&bdquo;Wann geht der nächste Zug nach L.... zurück?&ldquo;
-frug er, den Namen von Fränzchens Heimathsort
-nennend.</p>
-
-<p>&bdquo;In einer halben Stunde.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, Fränzchen,&ldquo; sagte Karl heiter, &bdquo;dann fahren
-wir in einer halben Stunde hübsch zu deinen Eltern!
-Aber was thun wir die halbe Stunde? Nur nicht zu
-Tante Amalie,&ldquo; schauderte er.</p>
-
-<p>&bdquo;Wir trinken hier auf dem Bahnhof Kaffee,&ldquo; schlug
-Fränzchen vor.</p>
-
-<p>&bdquo;Bravo,&ldquo; rief Karl und schlug dröhnend in die Hände,
-&bdquo;du bist die richtige Frau für mich! Natürlich trinken
-wir Kaffee!&ldquo;</p>
-
-<p>Und nach einer halben Stunde saß das neue Brautpaar
-wieder im Eisenbahnwaggon und dampfte den Weg
-zurück, den es vor wenig Stunden gekommen war. Lassen
-wir sie ruhig ziehen, &mdash; die kommen durch die Welt!</p>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<h2><a name="Der_tolle_Junker" id="Der_tolle_Junker">Der tolle Junker.</a></h2>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poem">
-<p class="quote">
-&bdquo;Sie haben mich gezwungen zu einem ehrlichen Mann.&ldquo;<br />
-</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="first">Die zu ebener Erde belegene Weinstube von Gerhold
-war heute schon fast leer und nur eine einzige Gruppe
-nahe dem Fenster schien ausharren zu wollen, bis der
-Herbstmorgen dämmerte.</p>
-
-<p>Drei oder vier Herren saßen bei einigen Flaschen Wein
-in lebhaftem Gespräch und zwei andere waren an einem
-Billard beschäftigt. Die Spieler gehörten anscheinend zu
-der sitzenden Gesellschaft, denn ab und zu warf einer von
-ihnen eine kurze Bemerkung in die Unterhaltung am Tisch.</p>
-
-<p>Jetzt öffnete sich die Glasthür, die von der Straße aus
-in das Zimmer führte, noch einmal, und ein Herr in mittleren
-Jahren, blond, blaß und vornehm aussehend, trat ein, warf
-seinen Oberrock ab und näherte sich der Versammlung am
-Fenster, welche ihn lebhaft begrüßte, während die Billardspieler
-seinen Eintritt noch nicht zu beachten schienen.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, Raven, Sie eröffnen die Saison recht früh,&ldquo;
-bemerkte einer der bereits Anwesenden, &bdquo;es ist doch sträflich,
-im September schon in Gesellschaft zu gehen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Was haben Sie da?&ldquo; sagte der als Raven Angeredete,
-&bdquo;<em class="antiqua">château d&rsquo;Yqum</em>? Schön, ich bin von der Partie! Und
-was die Gesellschaft betrifft, so werden Sie mir zugeben,
-daß man Ausnahmen macht; ich wette, Sie Alle hätten
-heut Abend mit mir getauscht, ich war bei Ertings und
-habe im kleinen Kreise die Verlobung mitgefeiert.&ldquo;</p>
-
-<p>Bei diesen Worten wandte sich einer der Herren am
-Billard rasch um; er hatte ein scharfes, geistvolles Gesicht,
-dessen dunkle Augen durch eine goldene Brille blickten, ohne
-darum weniger jugendlich auszusehen.</p>
-
-<p>&bdquo;Ei, da ist ja auch unser Hippokrates!&ldquo; sagte Raven,
-dem allbeliebten jungen Arzt die Hand schüttelnd; &bdquo;nun,
-Doktor, ist Alles zu Tode curirt, daß Sie &rsquo;mal Zeit haben,
-hier Billard zu spielen? Welch glänzendes Zeugniß für
-den Gesundheitszustand unserer Stadt!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Berufen Sie mein Glück nicht!&ldquo; erwiderte Doktor
-Stein, &bdquo;ich bin selbst ganz erstaunt über diesen Ausnahmezustand,
-und habe zu Hause Befehl gegeben, mich für alle,
-außer die dringendsten Fälle, zu verleugnen. Da ist übrigens
-mein letzter Ball gemacht, Schrader, für heute sind wir quitt!&ldquo;</p>
-
-<p>Er warf die Queue auf das Billard, trat zum Tisch
-und schenkte sich ein.</p>
-
-<p>&bdquo;Und nun,&ldquo; sagte er, sich einen Stuhl heranziehend,
-&bdquo;erzählen Sie vom Verlobungsfest, Raven, das ist ja interessant!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, ja,&ldquo; riefen die Anderen durcheinander, &bdquo;erzählen
-Sie, wie war das Arrangement, und wie benahm sich das
-Brautpaar?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das Arrangement war tadellos, wenn Sie das Büffet
-meinen,&ldquo; sagte Raven, &bdquo;es hatte nur wieder den alten
-Erting&rsquo;schen Fehler, weniger wäre mehr gewesen! Ich bitte
-Sie, für eine Gesellschaft von zwanzig Personen ein Souper
-wie bei Hofe, Sect in Strömen &mdash; nun, wir können es ja
-haben!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und das Brautpaar?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Der Bräutigam war still, ängstlich und gutmüthig
-wie immer, die Mama soufflirte ihm beständig! Er glaubte,
-seinen Geschmack durch seine Wahl genügend bewiesen zu
-haben, und hatte sich im Uebrigen nicht mit dem Artikel
-angestrengt, brillantne Vorstecknadel und mehr Ringe wie
-Finger! Nachdem mich ein schaudernder Blick darüber belehrt
-hatte, war ich unfähig, noch einmal hinzusehen. Die
-Alteration konnte mir schaden, man muß auch an sich
-selbst denken!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sind ein malitiöser Mensch,&ldquo; sagte der Doktor.
-&bdquo;Ludwig Erting ist ein guter, anständiger Kerl, der sich
-immer als solcher benehmen wird, wenn ihm auch die
-Lächerlichkeiten seiner Mutter ankleben. Wäre er innerlich
-anders, so würde Edith Brandau ihm auch nie ihr Jawort
-gegeben haben, verlassen Sie sich darauf!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Vergessen Sie die anderthalb Millionen nicht, bester
-Stein, die diesem Juwel als Fassung dienen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber erzählen Sie weiter, Raven, wie sah die Comtesse
-aus?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;So schön wie immer, oder vielleicht noch schöner,&ldquo;
-sagte Raven, &bdquo;blaß, ernst und still! Ganz in Weiß mit
-einer alterthümlichen, feinen Goldkette wohl zehnmal um
-den Hals geschlungen, wie ein Aquarell von Passini!&ldquo;</p>
-
-<p>In diesem Augenblick rasselte draußen ein schwerer
-Wagen, er hielt vor der Thür des Weinhauses und ein
-graubärtiger Mann in Hut und Kutschermantel trat hastig
-und verstört in die Stube.</p>
-
-<p>&bdquo;Das gilt mir!&ldquo; sagte der Arzt und ging dem Ankommenden
-entgegen.</p>
-
-<p>&bdquo;Herr Doktor, Sie müssen gleich mitkommen,&ldquo; begann
-der Alte mit unsicherer Stimme, die noch mehr seine Angst
-verrieth, als das bleiche Gesicht, &bdquo;unser Herr liegt im
-Sterben!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Was Teufel!&ldquo; rief der Doktor und fuhr schon mit
-einem Arm in den Ueberzieher, während er sich von den
-Anderen verabschiedete, &bdquo;ich empfehle mich bis auf Weiteres
-meine Herren, hoffe, es wird so schlimm nicht sein!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Wer ist denn krank?&ldquo; fragte Raven den Eilfertigen.</p>
-
-<p>&bdquo;Der alte Baron in Wolfsdorf,&ldquo; rief der Doktor schon
-im Hinausgehen, die Thür klirrte ins Schloß und wenig
-Augenblicke darauf rasselte der schwere Landwagen über
-das Straßenpflaster.</p>
-
-<p>Ernüchtert durch diesen Zwischenfall, kehrten die Herren
-zu ihrem Tisch zurück und begannen sich auch zum Aufbruch
-zu rüsten.</p>
-
-<p>Raven hatte sich mit Schrader von den Anderen getrennt.</p>
-
-<p>&bdquo;Seltsam,&ldquo; begann er jetzt, als sie mit einander
-durch die menschenleeren, mondhellen Straßen schritten,
-&bdquo;wie diese Botschaft für den Doktor an unser Gespräch
-anknüpfte!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Inwiefern?&ldquo; frug sein Begleiter überrascht.</p>
-
-<p>&bdquo;Ja so, Sie sind hier fremd in der Gegend! Sie
-müssen wissen, Brandeck und Wolfsdorf grenzen, und Edith
-Brandau war als Kind mehr bei dem alten Baron
-Rüdiger als bei ihren Eltern, die sie, glaube ich, etwas
-vernachlässigten. Der alte Wolfsdorfer hat einen Neffen,
-auch einen Rüdiger, der bei ihm aufwuchs, und der, wie
-man sagte, eine Art Jugendliebe oder Kinderliebe der
-schönen Edith war.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und warum wurde nichts daraus?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Pah, weil es eben ein Unsinn war! Der junge
-Mensch hatte nichts und war nichts, ein Tollkopf vom
-reinsten Wasser. Und Brandau&rsquo;s &mdash; <em class="antiqua">cela va sans dire</em>
-&mdash; dadurch, daß Edith statt des erhofften Sohnes kam,
-ging ihnen das Majorat durch die Finger, von dem Ertrag
-des verkommenen, verwirthschafteten Brandau konnten
-sie eben existiren! Ueberdies bekam der junge Rüdiger
-wegen ein paar ganz besonders tollen Streichen den Abschied
-und ging als Fähnrich oder blutjunger Lieutenant
-nach Australien, man hat nie wieder etwas von ihm gehört.
-Und seine schöne Jugendliebe ist ja getröstet, wie
-ich mich heute überzeugen konnte!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie waren bei ihrem Gespräch vor Ravens Haus angelangt.</p>
-
-<p>&bdquo;Wie ist mir denn,&ldquo; sagte Schrader, &bdquo;das Majorat
-ist einer andern Linie zugefallen? Und dabei sprach Comtesse
-Edith doch öfters von einem Bruder!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Stiefbruder, Bester, Stiefbruder! Die alte Brandau
-hat aus erster Ehe einen Sohn, Carl Düringshofen, ein
-leichtsinniger Junge! Er steht bei den Husaren in M...
-Jetzt aber gute Nacht, Schrader, schlafen Sie aus, es ist
-sündhaft spät geworden!&ldquo;</p>
-
-<p>Die Hausthür schloß sich hinter ihm, und Schrader
-trat den Heimweg an.</p>
-
-<hr class="tb"/>
-<div class="poetry-container">
-<div class="poem">
-<p class="quote">
-O Gürtel und Schleier, o bräutlich Gewand!<br />
-Der Heini von Steier ist wieder im Land!<br />
-</p>
-</div>
-</div>
-
-<p>Der Spätherbst rauschte in seinem rothgoldenen Mantel
-in voller Pracht durchs Land. Er streute mit verschwenderischer
-Hand einen leise knisternden Teppich aus gelben
-Blättern über die großen Rasenplätze im Wolfsdorfer Park
-und verschüttete den breiten Wallgraben rings um das
-Schloß mit dem Laub der uralten Weinstämme, die an
-den grauen Mauern emporkletterten, und im Sommer als
-lichtgrüne Fahnen von den Thürmen wehten.</p>
-
-<p>Der alte Baron Rüdiger, auf dessen Grabhügel jetzt
-die Octobersonne schien, hatte seine Freude daran gehabt,
-dem Schloß sein mittelalterliches Ansehen zu erhalten, und
-war es zum Theil verfallen und düster, so that dies dem
-Charakter des Ganzen keinen Abbruch. Noch immer
-mußte der einkehrende Gast der herabgelassenen Zugbrücke
-harren und wurde vom Thurmwächter mit Hörnerschall
-begrüßt. Und daß alle diese Einrichtungen noch auf
-Jahre hinaus unverändert blieben, dafür hatte der seltsame
-alte Herr in seinem Testament gesorgt.</p>
-
-<p>Dies Testament hatte Aufsehen gemacht und die verschiedensten
-Empfindungen und Gefühlsäußerungen im
-weitesten Kreise hervorgerufen. Mit Umgehung zahlreicher,
-liebevoll besorgter Vettern, die es an Erkundigungen und
-Besuchen bei dem kranken Oheim nicht hatten fehlen lassen,
-ernannte der Verstorbene seinen Neffen, den verabschiedeten
-Lieutenant Gerald von Rüdiger, zum Universalerben seiner
-beiden Güter, Wolfsdorf und Ewershausen, und seines
-ganz ansehnlichen Vermögens.</p>
-
-<p>Ein Aufruf in allen Blättern meldete dem Betreffenden,
-dessen zeitweiliger Aufenthalt unbekannt war, das Geschehene.
-&bdquo;Falls er sich nicht einstelle,&ldquo; so lautete die
-letztwillige Verfügung, &bdquo;sollte ein Curatorium durch zehn
-Jahre lang die Güter für ihn verwalten, und ihm bei
-seiner etwaigen Rückkehr unverzüglich übergeben.&ldquo; Erst
-nach Ablauf dieser Frist hatte der Erblasser anderweitig
-über den Besitz verfügt.</p>
-
-<p>Heut zu Tage fliegt ja Alles durch die Welt, und so
-konnte es geschehen, daß wenig Wochen nach der Testamentseröffnung
-der &bdquo;verschollene&ldquo; Rüdiger seinen Einzug
-in Wolfsdorf hielt, und mit anscheinend leichter, aber doch
-sicherer Hand die Zügel der Regierung ergriff.</p>
-
-<p>Er hatte von vornherein keinen schweren Stand mit
-seinen Untergebenen. Die Leute hingen an dem alten
-Namen, sie hatten außerdem den tollköpfigen Junker von
-klein auf gekannt und gönnten ihm sein unerwartetes
-Glück und vor Allem, Rüdiger verstand es, mit ihnen
-umzugehen.</p>
-
-<p>Wo er sich zeigte, mochte er zu Fuß über die Stoppeln
-schreiten, und den Gruß der Vorübergehenden freundlich
-erwidern, mochte er in der herrschaftlichen Loge der Dorfkirche
-sitzen, die Herzen flogen ihm entgegen! Ein wildes
-Scherzwort, sein übermüthiges Lachen, sein schönes, tiefgebräuntes
-Gesicht, in dem bei aller Formengewandtheit
-und Sicherheit eine gewisse unbezähmte Kraft fremdartig
-anmuthete, hin und wieder einer jener tollen Streiche, die
-ihn von Jugend auf zum fast sagenhaften Helden der
-Umgegend gestempelt hatten, dabei seine warme, offene
-Herzensgüte, die für jeden Bedrängten ein williges Ohr,
-eine offene Hand hatte, alles Das kam zusammen, um
-seine Untergebenen mit einer Art Eigenthumsrecht und
-Stolz auf ihn blicken zu lassen.</p>
-
-<p>So war er denn in der alten Welt schnell wieder
-heimisch geworden, und fand sich in seine gänzlich veränderte
-sociale Stellung, vom heimathlosen Abenteurer zum
-festen Grundbesitzer, mit der ihm eigenen Leichtigkeit hinein;
-freilich behielt er nebenbei noch ein ganz genügendes Anrecht
-auf seinen alten Namen &bdquo;der tolle Junker!&ldquo;</p>
-
-<p>Besuche in der Nachbarschaft hatte er noch wenige
-gemacht, er stürzte sich vorläufig mit Feuereifer in die
-landwirthschaftliche Thätigkeit, und jede freie Stunde fand
-ihn auf der Jagd in seinen ausgedehnten Forsten.</p>
-
-<p>Man hatte es in dem benachbarten Brandeck in Folge
-dieses seines zurückgezogenen Lebens bis dahin ermöglicht,
-der Tochter des Hauses, Edith Brandau, die Heimkehr
-des Jugendgespielen zu verschweigen, was um so leichter
-war, als sie bis zum gestrigen Tage in der Residenz ihre
-Aussteuer besorgt hatte.</p>
-
-<p>Der Hochzeitstag rückte heran, im Anfang des Winters
-sollte der stolze Name Brandau gegen den reichvergoldeten,
-aber bescheideneren Erting eingetauscht werden. Man sah
-zwar in gut unterrichteten Kreisen voraus, daß die Fürstin
-von T..., eine dem Herrscherhaus nahestehende lebenslustige
-Wittwe, die Edith besonders liebte und bevorzugte,
-ihren Einfluß geltend machen würde, um Erting den Adel
-zu verschaffen, doch mußte dieser Schritt anstandshalber
-verzögert werden, bis die Trauung stattgefunden hatte.</p>
-
-<p>Der Bräutigam war heute auch zum ersten Male seit
-der Verlobung auf wenige Stunden nach Brandeck herausgekommen,
-und das Paar machte noch einen kleinen Weg
-durch den Park, ehe Erting zur Stadt heimkehrte.</p>
-
-<p>Edith war im Reitanzug, sie wollte nach des Verlobten
-Abreise noch einen ihrer einsamen Ritte durch den herbstlichen
-Wald unternehmen. Erting bestieg nie ein Pferd,
-er vermochte es sogar selten über sich, Ediths Rappen
-anders zu berühren, als daß er ihm mit weit von sich
-gestrecktem Arm den Hals klopfte. Die Schüchternheit und
-Zaghaftigkeit seines ganzen Wesens trat überhaupt auffällig
-zu Tage, nie aber mehr, als im Zusammensein mit seiner
-Braut.</p>
-
-<p>Die alten Ulmen und Eichen im Park von Brandeck
-hatten wohl noch kein so ungleiches Paar unter ihren
-Wipfeln hinschreiten sehen, als heute an diesem Oktoberabend.
-Edith, hoch, blumenschlank gewachsen, in der
-strengen Einfachheit ihres dunklen Reitanzuges, das schwarze
-Hütchen tief in die Stirn gezogen, unter dem krauses,
-goldrothes Haar in einen einzigen starken Zopf geflochten,
-über die Schultern herabhing, bildete mit ihrer stolzen,
-sichern Haltung, ihrem anmuthig festen Gange den schroffsten,
-fast komisch wirkenden Gegensatz zu dem schmalschultrigen,
-blassen kleinen Manne mit dem festanliegenden, schwarzen
-Haar, der im Gesellschaftsanzug und schwarzen Cylinder
-neben ihr einherschritt. Das Gefühl des verlegenen Unbehagens,
-welches ihm jedes Alleinsein mit seiner Braut
-verursachte, stand in seinem gutmüthigen Gesicht geschrieben.
-Er peinigte sich beständig ab, etwas zu finden, womit er
-Edith unterhalten könne, und es gelang ihm nie.</p>
-
-<p>Edith gab sich keine Mühe, ihm beizuspringen. Sie
-blickte gedankenvoll in den zartnebeligen Wald hinaus, von
-dessen Wipfeln hier und da ein goldschimmerndes Blatt
-langsam, leise zur Erde fiel. Ein schöner Herbstabend ist
-ein mächtiger Zauberer; mit den weißen Fäden, die vom
-Gewand des scheidenden Sommers in der Luft hängen
-bleiben, spinnt sich gar zu gern ein Stück Vergangenheit
-im Menschenherzen wieder an, es tändelt vor uns her,
-leicht und ungreifbar, wie die Schleier der Elfen &mdash; und
-wenn wir die Hand darnach ausstrecken, legt es sich uns
-trüb vor die Augen &mdash; Herbstspiel!</p>
-
-<p>Endlich brach Erting das Schweigen.</p>
-
-<p>&bdquo;Haben Sie noch einen Auftrag für mich, Edith? Ich
-kann ja Alles bestellen! Vor Sonntag komme ich wohl
-nicht wieder heraus?&ldquo;</p>
-
-<p>Es lag eine Art schüchterner Frage in dem letzten Satz,
-die Edith zu überhören schien.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich danke Ihnen,&ldquo; sagte sie freundlich; sie war stets
-sehr freundlich gegen ihren Bräutigam, &bdquo;aber ich glaube,
-es ist Alles besorgt, was man überhaupt in der Welt besorgen
-kann, wir haben ja seit vierzehn Tagen nichts
-Anderes gethan!&ldquo;</p>
-
-<p>Ein Ausdruck von Abspannung und Müdigkeit lag
-auf ihrem Gesicht, sie nahm den Hut ab und strich die
-dicken, goldenen Haarwellen aus der Stirn wie eine Last.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sehen bleich aus,&ldquo; bemerkte Erting besorgt, &bdquo;ist
-Ihnen auch unser Spaziergang zu weit?&ldquo;</p>
-
-<p>Sie schüttelte lächelnd den Kopf.</p>
-
-<p>&bdquo;Vergessen Sie nicht, daß Sie ein Landmädchen vor
-sich haben, ich bin an stundenlange Wege gewöhnt. Nein,
-es ist nur die köstliche Ruhe und Stille hier, die mir
-plötzlich klar macht, wie unruhig mir die letzten Wochen
-vergangen sind, man lebt doch nur halb, wenn man in
-der Stadt lebt!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Falls Sie den Wunsch hegen, Edith, daß wir aufs
-Land ziehen &mdash; ich habe ja keine bindende Stellung in
-W...., dann kaufe ich ein Gut in der Nähe. Sie wissen
-ja, daß mich nur Ihre Wünsche bei meinen Zukunftsplänen
-bestimmen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nein, nein,&ldquo; erwiderte sie müde und abwehrend, &bdquo;was
-sollte das? Sie sind kein Landmann und ich möchte mich
-in kein fremdes Gut mehr einleben.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun wir könnten ja Brandeck kaufen,&ldquo; sagte Erting,
-&bdquo;die Mama würde gewiß ganz gern darin willigen, und
-der Kaufpreis müßte so gestellt werden, daß er ihr eine
-sorgenfreie Existenz ermöglichte.&ldquo;</p>
-
-<p>Sie schnitt mit einer leidenschaftlichen Geberde seine
-Rede ab.</p>
-
-<p>&bdquo;Hören Sie auf, es macht mich wild, wenn Sie von
-einem Kaufpreis für Brandeck sprechen, Sie sollen es nicht
-kaufen, ich habe den dringenden Wunsch, daß Karl es
-übernimmt.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ihr Bruder? Nun, Edith, das ist wohl ein wenig
-sanguinisch! Wenn ich als Kaufmann nichts von Landwirthschaft
-verstehe, wird ein so lebenslustiger Husarenlieutenant
-wohl auch kein Held darin sein!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Man hat aber öfter den Fall gehabt, daß aus einem
-Husarenlieutenant ein Gutsbesitzer wurde, als aus einem
-Kaufmann. Uebrigens sind Sie nicht Kaufmann &mdash; können
-Sie denn nie vergessen, daß Sie dazu erzogen wurden?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Gewiß nicht!&ldquo; entgegnete er mit einiger Energie,
-&bdquo;meine Neigungen und Interessen ziehen mich zum Handelsstand,
-und wenn ich Ihnen auch mit Freuden das Opfer
-bringe, demselben zu entsagen, so bin ich doch weit davon
-entfernt, mich zu gut für einen Stand zu halten, dem mein
-Vater seinen Reichthum und unsere ganze Familie ihre
-Stellung verdankt.&ldquo;</p>
-
-<p>Sie blieb stehen.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sind ein ehrlicher Mensch, Ludwig,&ldquo; sagte sie,
-und gab ihm die Hand, &bdquo;und das habe ich gern! Seien
-Sie nicht böse, daß ich Sie hart anließ, mir ist heut so
-grenzenlos nervös zu Muthe und ich habe Ihnen ja von
-Anfang an gesagt, daß Sie kein leichtes Leben mit mir
-haben werden!&ldquo;</p>
-
-<p>Edith war bezaubernd, wenn sie liebenswürdig sein
-wollte und Erting, der meist mehr Furcht vor seiner Braut
-empfand, als Liebe zu ihr &mdash; hatte er sie doch zumeist auf
-den Wunsch seiner Mutter gewählt &mdash; vermochte sich diesem
-Zauber auch nicht zu entziehen. Er beugte sich über die
-schöne Hand, die seinen Ring trug, und führte sie an die
-Lippen, das einzige Vorrecht, das ihm die Etikette im
-Brandau&rsquo;schen Hause und besonders die einschüchternde,
-kühle Freundlichkeit Ediths während des Brautstandes gestattete.</p>
-
-<p>Eine kleine, von Seiten Ertings etwas verlegene Pause
-folgte, die er endlich unterbrach, indem er seine Absicht
-aussprach, jetzt nach der Stadt zurückzukehren, da er den
-Abend noch eine Versammlung zu besuchen habe.</p>
-
-<p>&bdquo;Darf ich vor Sonntag noch einmal herauskommen?&ldquo;
-fragte er, als er sich am Parkeingang von Edith verabschiedete.</p>
-
-<p>Eine leise Enttäuschung flog über ihr Gesicht.</p>
-
-<p>&bdquo;Gewiß,&ldquo; sagte sie dann, indem sie einen kleinen
-Tannenzweig zerpflückte, und die einzelnen feinen Nadeln
-zerstreut in die Luft warf, &bdquo;kommen Sie, so oft Sie
-wollen, aber erwarten Sie nicht zu viel von meiner Gesellschaft
-zu haben, ich genieße noch die Waldeinsamkeit
-und meine schönen, langen Ritte &mdash; und dann sind wir auch
-sehr fleißig jetzt &mdash; aber wie gesagt, kommen Sie nur!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie reichte ihm die Hand.</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn Sie ins Schloß gehen, so sagen Sie Mama,
-ich hätte meinen Ritt für heute aufgegeben, bliebe aber
-noch ein wenig im Freien,&ldquo; rief sie ihm dann schon im
-Weitergehen zu, und während er stand und ihr nachsah,
-verlor sich ihre schlanke Gestalt in der Herbstdämmerung
-der Parkgänge. Sie schritt langsam, wie absichtslos,
-dahin, und erst, als sie sich rechts gewandt hatte, und
-fast an der Grenze von Brandeck angelangt war, wurde
-es ihr klar, daß sie, einem unbewußten Zuge folgend, den
-Lieblingsplatz früherer Tage aufgesucht hatte. Es war
-ein Theil des einstigen Gartens, den jetzt selten mehr ein
-Fuß betrat, und der schon seit Jahren unbeachtet grünte
-und wucherte. Hier war es so schweigsam und abgeschlossen,
-der leise Moderhauch am Boden welkender Rosenblätter
-flog über die Beete und der schluchzende Ton einer kleinen
-Fontaine machte die Stille nur bemerklicher.</p>
-
-<p>Als die schöne, junge Braut sich jetzt neben dem Marmorbassin
-jener Wassersäule auf den Rasen niederließ und
-mit gedankenschweren Augen in den blassen Abendhimmel
-sah, hätte die Elfe dieser einsamen Stelle, die im Begriff
-steht, von ungeweihter Hand vertrieben zu werden, nicht
-lieblicher verkörpert werden können.</p>
-
-<p>Vergangene Zeiten flogen ihrem Blick vorüber, eine
-längst in der Ferne verhallte Stimme klang an ihr Ohr.
-Wie oft hatte sie früher hier gesessen, das verschüchterte,
-kleine Mädchen, unbewillkommnet und unbeliebt, scheu und
-wild, wie ein Geschöpf des Waldes. Bald gesellte sich dann
-in ihrer Erinnerung die Gestalt des Jugendgespielen zu dem
-Bilde des einsamen Kindes &mdash; an diesem Plätzchen hatte er
-sie stets zu finden gewußt. Die Lücke in der Hecke, die
-Brandeck von Wolfsdorf trennt, war wohl längst zugewachsen.
-Wie schnell hatte er immer durchzuschlüpfen verstanden.</p>
-
-<p>Dann saßen die Kinder zusammen, jagten sich, spielten,
-wurden größer und ernsthafter, aus den Märchen, die sie
-sich erzählten, wuchs langsam eine wahre Geschichte empor
-und sah sie mit hoffnungsfreudigen Augen an! Dann
-kam eine Trennungszeit, ein paar tolle Streiche des
-übermüthigen Spielkameraden, und ein kühler, stiller
-Sommermorgen, an dem Gerald Rüdiger vor Sonnenaufgang
-an ihr Fenster kletterte, zum letzten Lebewohl;
-damit war&rsquo;s aus gewesen!</p>
-
-<p>Von Liebe hatten sie Beide nie gesprochen, und wenn
-Edith im Herzen daran geglaubt, so war sie eben thöricht
-gewesen; fünfmal hatten seitdem die Rosen geblüht, und
-kein einziges Briefblatt, kein Gruß aus der wilden Ferne,
-in die der Jüngling damals so kühn und abenteuerlustig
-gezogen, hatte ihr bewiesen, daß er noch ihrer gedacht!</p>
-
-<p>Inzwischen war ihr Vater gestorben, grollend mit sich,
-mit seiner Gattin, mit der ganzen Welt, vor Allem mit
-der Tochter, die ihm sein Majorat gekostet &mdash; und dann kam
-eine Zeit harter Entbehrungen, die um so härter waren,
-als man dabei den Schein der Vornehmheit wahren
-mußte. Es kamen unsäglich bittere Stunden, in denen
-die Mutter, sich der ganzen Heftigkeit ihres ungezügelten
-Temperaments überlassend, es Edith täglich und stündlich
-zum Vorwurf machte, daß sie geboren, daß sie
-noch im Hause sei. Der bevorstehende Ruin ihres
-Stiefbruders, der in einem Meer von Spielschulden zu
-versinken drohte, wurde natürlich auf das verlorene Majorat
-zurückgeführt, kein Augenblick, der nicht tausend
-Kränkungen für das Mädchen gebracht hätte! Und als
-nun wieder ein Freier sich zeigte, ein Millionair, dabei
-nach allgemeinem Urtheil ein braver, guter Mensch, der
-ihr seine Hand und sein fast fürstliches Vermögen bot, da
-hatte sie freilich erst Nein gesagt, und tausendmal Nein
-rief es noch heute in ihr, aber der leidenschaftliche Zorn
-der Mutter, die flehentlichen Bitten ihres Stiefbruders,
-und endlich ihr gekränkter Mädchenstolz, der nicht Einem
-nachtrauern wollte, der sie so ganz vergessen, alles Das
-trat wieder vor ihr inneres Auge, als sie frug, warum sie
-doch nachgegeben!</p>
-
-<p>Am Tage ging es gewöhnlich gut, ganz gut!</p>
-
-<p>Man ließ sie im wahren Sinne des Wortes nicht zu
-Athem kommen, die Hochzeit stand ja nahe bevor, und
-die Fürstin von T.... hatte es sich förmlich erbeten, für
-die Aussteuer sorgen zu dürfen. Edith mußte tagtäglich
-mit ihrer unermüdlichen Beschützerin umher fahren, in den
-glänzenden Läden der Residenz Bestellungen machen,
-Möbelstoffe und Tapetenfarben wählen. Die Abende
-führten sie dann meist in Gesellschaft oder ins Theater,
-und dem klösterlich erzogenen Mädchen war dies Treiben
-so neu, so fremd und berauschend, daß sie zeitweise dachte,
-es sei wohl wirklich ein glückliches Loos, das sie gezogen!</p>
-
-<p>Aber dann konnte eine stille duftige Fahrt durch den
-Sommerabend kommen, ein einfaches Volkslied von alter
-Liebe und vergessener Treue sich ihr auf die Lippen drängen,
-und aller trügerische Glanz war fort &mdash; verwischt &mdash; zwei
-übermüthige blaue Augen blitzten sie an &mdash; und es war
-Alles, Alles wieder wach in ihr, was sie so tief begraben
-geglaubt.</p>
-
-<p>Sie schrak zusammen und erhob sich. Gewiß vermißte
-man sie schon, wer hatte sie auch geheißen, gerade heute
-den alten Platz aufzusuchen? Sie schritt hastig vorwärts,
-um auf einem Umwege über die waldige Fahrstraße ins
-Schloß zurückzukehren, und den Abendwind ihre heißen
-Augen kühlen zu lassen, ehe sie der Mutter gegenüber
-trat.</p>
-
-<p>Als sie so in tiefen Gedanken dahinschritt, die Schleppe
-des Reitkleides emporhaltend, einen Büschel frischen Haidekrauts
-im Gürtel, mit dem ihre Hand spielte, ließ ein
-Knistern und Knacken in den Zweigen sie überrascht aufsehen.
-Aber gingen sie denn wirklich um in der Herbstsonne,
-die Geister der alten Zeit?</p>
-
-<p>Ein riesiger Bernhardinerhund sprang mit ungestümen
-Sätzen auf sie zu, und hinter ihm stand ein hochgewachsener
-Mann mit tiefgebräunten, wildschönen Zügen, nicht mehr
-der blasse, abschiednehmende Jüngling von damals, aber
-wann und wo hätte sie diese Augen nicht erkannt! Stumm
-und bleich wie ein Mondstrahl stand sie ihm gegenüber &mdash;
-ihr war, als müßte das erste Wort den Zauber brechen,
-und er wieder verschwinden auf Jahre, auf immer!</p>
-
-<p>Und auch er sprach nicht, er sah fest und unverwandt
-auf den kleinen Ring an ihrer Hand, den der letzte Sonnenstrahl
-eben auffunkeln ließ. So standen sich Beide still
-gegenüber, Keins fand einen Laut zur Begrüßung, an
-ihrem Fuß klirrten die goldenen Ketten eines reichen
-Freiers, und er wußte es!</p>
-
-<p>Endlich überwand sich Edith zum ersten Wort, &bdquo;wir
-haben uns lange nicht gesehen, Gerald,&ldquo; und streckte ihm
-die bebende, kleine Hand hin.</p>
-
-<p>Wie beängstigt von dem regungslosen Schweigen, in
-dem er verharrte, ohne auf ihren Gruß zu antworten, fuhr
-sie hastig, mit fliegendem Athem fort:</p>
-
-<p>&bdquo;Ich war mehr wie überrascht, Sie so plötzlich vor
-mir zu sehen, seit einigen Wochen bin ich von Brandeck
-fort gewesen und bei meiner Abreise fehlte noch jede
-Nachricht über Sie, man hielt Sie allgemein für verschollen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das Gerücht ist ein wenig voreilig, wie Sie sehen,&ldquo;
-erwiderte er langsam und mit erzwungener Ruhe, &bdquo;auch
-war die Annahme nicht &bdquo;allgemein,&ldquo; wie Sie sagen. <em class="gesperrt">Eine</em>
-hat immer von mir gewußt, haben Sie sich in den ganzen,
-langen fünf Jahren nicht um meine Mutter bekümmert?&ldquo;</p>
-
-<p>Seine Stimme war bei dem ehrlichen, einfachen Ton
-der Frage weicher geworden, aber Edith erhob den Kopf
-so stolz, als wollte sie den Vorwurf, der in den Worten
-lag, schon zurückweisen, ehe sie sprach.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich hatte keine Berechtigung dazu,&ldquo; sagte sie kalt,
-&bdquo;warum haben Sie in den &bdquo;ganzen langen fünf Jahren&ldquo;
-nicht <em class="gesperrt">einmal</em> direct von sich hören lassen?&ldquo;</p>
-
-<p>Er schwieg einen Augenblick und sah vor sich nieder.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie haben recht, Edith, ganz recht, aber wie Sie
-mich kennen, sollten Sie nicht so fragen! Ich bin kein
-Federheld und hätte auch in den ersten Jahren verzweifelt
-wenig Rühmenswerthes von mir zu erzählen gewußt! Ich
-habe mich in allen Sphären des Lebens umhergetrieben,
-nur in keiner, die ich Ihnen hätte anschaulich machen
-können oder mögen! Sie wissen, ich habe es mündlich nie
-verstanden, mich besser zu machen als ich bin, so wollte
-ich es auch schriftlich nicht versuchen. Und da ich von
-meiner Mutter bis vor einem Jahr, wo ich sie verlor,
-immer hörte, daß es Ihnen wohl ging, so nahm ich an,
-daß Sie auf dieselbe Art auch von mir hören und an
-mich denken würden.&ldquo;</p>
-
-<p>Sie unterbrach ihn mit einer stolzen Bewegung des
-Unmuths.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie haben mich zu hoch oder zu niedrig geschätzt,
-Baron Rüdiger; man mag in meiner &bdquo;Lebenssphäre&ldquo; nicht
-so viel Kenntnisse erwerben, als Sie Gelegenheiten hatten,
-zu thun, aber Eines habe ich gelernt, bis zur Vollkommenheit
-&mdash; zu vergessen, wo ich vergessen war!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie brach ab, und strich aufathmend mit der Hand
-über die Stirn. Er stand schweigend vor ihr und sah sie
-traurig an, dann trat er einen Schritt auf sie zu.</p>
-
-<p>&bdquo;Edith,&ldquo; sagte er, und bot ihr herzlich die Hand,
-&bdquo;einen solchen Ton mag ich nicht von Ihnen hören, ob
-ich ihn verdient habe oder nicht! Er ist des Mädchens
-nicht würdig, die an einem kühlen Frühjahrsmorgen mit
-Thränen in den Augen zu mir sagte, &bdquo;wenn Sie auch
-wiederkommen, Gerald, Sie werden mich als dieselbe finden,
-die Sie verlassen haben!&ldquo; Diese Worte haben mich auf
-all meinen wilden Wegen begleitet, Edith, ich hörte sie,
-wenn ich des Abends mit meinen Jagdgesellen im Walde
-lag, in den Schein des Wachtfeuers starrte und meine
-thörichten Träume von der Heimath träumte. Wollen Sie
-wissen, was Der, der Sie &bdquo;vergaß,&ldquo; wie Sie sagen,
-da träumte, Edith? Von einem alten Schloß, wild und
-einsam, unter deutschen Buchen, in dem ich und noch Eine
-Abends am Fenster standen, wenn die Nachtigallen
-schlugen &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Hören Sie auf,&ldquo; unterbrach ihn Edith mit zitternder
-Stimme, &bdquo;selbst wenn ich Ihnen glaubte, oder glauben
-wollte, ich habe nicht mehr das Recht, solche Worte anzuhören
-&mdash; ich bin Braut!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Man hat es mir erzählt,&ldquo; sagte Rüdiger finster, &bdquo;und
-ich habe erst gelacht, dann geflucht und mich immer wieder
-gefragt: was haben sie mit meinem stolzen Mädchen angefangen,
-durch welche Teufelskünste ist sie so weit gebracht
-worden, Ertings Braut zu werden! Edith, es wäre zum
-Lachen, wenn es nicht so furchtbar ernst wäre! Wissen
-Sie, was Sie thun?&ldquo;</p>
-
-<p>Sie schwieg und kämpfte einen schweren Kampf mit
-sich, ehe sie antwortete &mdash; die Stimme vor ihr war ja
-doch und trotz Allem die Musik ihrer Jugendjahre gewesen!
-Aber es war vorüber!</p>
-
-<p>&bdquo;Sie haben eigentlich kein Recht zu dieser Frage,&ldquo; erwiderte
-sie hochmüthig, &bdquo;aber ich will Ihnen antworten, um
-alter Zeiten willen! Ja, ich weiß, was ich thue, Erting
-hat nicht nur mein Wort, sondern ich schulde ihm aufrichtige
-Achtung und Dankbarkeit, weil er groß und zartsinnig
-an uns gehandelt hat. Ist Ihnen das genug?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja und nein,&ldquo; sagte er, während er den Zorn niederzukämpfen
-suchte, den ihr kalter Ton in ihm anfachte, &bdquo;ich
-verstehe Sie, Edith &mdash; in dürren Worten, Erting hat Ihrem
-Stiefbruder die Schulden bezahlt, und dafür sind Sie seine
-Braut geworden. Hölle und Teufel,&ldquo; rief er plötzlich, und
-schleuderte sein Gewehr, mit dem er gedankenlos gespielt
-hatte, in jäh ausbrechender Wuth weit von sich, daß es
-mit dumpfem Klange auf den Boden schlug, &bdquo;daß ich hier
-stehen soll, ich vor allen Menschen auf der ganzen Erde,
-und mit Ihnen Ihre Verlobungsgeschichte verhandeln,
-Edith &mdash; das ist mehr als ich ertragen kann. Machen Sie
-ein Ende, sage ich, machen Sie ein Ende, meine Geduld
-hat ihre Grenzen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und worin soll dies Ende bestehen?&ldquo; frug sie, während
-sie ihn unverwandt ansah. Wie gefiel er ihr in seinem
-urwüchsigen Zorn!</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sollen mir sagen, daß ich ihn, oder mich, oder
-Sie niederschießen darf, daß diese ganze Brautschaft ein
-widerwärtiges, tolles Puppenspiel ist, und Sie mir doch
-im Grunde treu geblieben sind, trotz aller Ihrer schönen
-Reden.&ldquo;</p>
-
-<p>Sie trat einen Schritt auf ihn zu.</p>
-
-<p>&bdquo;Gerald, Gerald!&ldquo; sagte sie in halb traurigem, halb
-leichtem Ton, und legte ihre kleine Hand auf seinen Arm,
-&bdquo;ich habe doch mehr gelernt, als Sie in den fünf Jahren,
-mein alter Spielkamerad! Man kommt mit solchen Sturmesflügeln
-nicht durch die Welt, glauben Sie es nur! Mir
-hat das Leben die Schwungfedern schon geknickt, eine nach
-der andern, und ich habe es ganz hübsch begriffen, daß
-man sich in Unabänderliches fügen muß. Aber Sie, wie
-Sie da vor mir stehen, und mit dem Fuß aufstampfen,
-ist es mir gerade, als wären wir um zehn Jahre jünger,
-und spielten hier im Walde &bdquo;Räuber und Prinzessin!&ldquo;
-Sie sind wirklich noch ganz derselbe &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Der vor fünf Jahren aus dem Stubenarrest entwischte,
-und seine Carrière in die Luft fliegen ließ, um Edith
-Brandau einen Cotillonstrauß zu bringen. Sie mögen
-Recht haben,&ldquo; sagte er spöttisch, &bdquo;nun, Sie haben ja Ruhe
-für uns Beide, ich könnte darin viel von Ihnen lernen!
-Für heut ist wohl aber die Lektion beendet, ja? Ich darf
-mich empfehlen, und Sie gehen ins Schloß zurück, Erting
-kommt doch gewiß zum Thee, ich will Sie nicht aufhalten,
-Comtesse!&ldquo;</p>
-
-<p>Er nahm seinen Hut auf, und ging mit tiefer Verbeugung.
-Als er einige Schritte gethan hatte, rief Edith
-zögernd: &bdquo;Gerald!&ldquo;</p>
-
-<p>Er wandte sich hastig um.</p>
-
-<p>&bdquo;Ihr Gewehr, Baron Rüdiger &mdash; und Sie haben mir
-nicht Lebewohl gesagt!&ldquo;</p>
-
-<p>Er kam langsam näher und hob das Gewehr vom
-Boden auf, dann stützte er sich darauf und blieb einen
-Augenblick stehen.</p>
-
-<p>&bdquo;Edith,&ldquo; sagte er hart und kalt, &bdquo;hüten Sie sich vor
-mir! Wie wir Beide uns kennen, taugt es nicht, wenn
-Sie mit mir spielen wollten, wie damals, wo ich für ein
-freundliches Gesicht von Ihnen bis ans Ende der Welt
-gelaufen wäre. Ich bin zu alt dazu, Edith, und es
-könnte Ihnen doch einmal verzweifelt schlecht gefallen,
-wenn ich Ernst aus dem Spiel machen wollte! Ich habe
-noch ein gutes Theil Wildheit in mir, lassen Sie mich
-lieber in Frieden &mdash; es ist für uns Beide, und für Ihre
-Porzellanpuppe von Bräutigam besser, wenn ich andere
-Wege gehe! Und nun, gute Nacht Edith!&ldquo;</p>
-
-<p>Er streckte ihr die Hand hin, sie nahm sie nicht.</p>
-
-<p>&bdquo;Nein, Gerald,&ldquo; sagte sie weich und traurig, &bdquo;gehen
-Sie nicht so im Zorn von mir fort! Ich habe vorhin,
-weil ich gekränkt war, nicht bedacht, daß auch Sie im
-Augenblick etwas zu verwinden hatten, wollen wir uns
-nicht gegenseitig verzeihen, Gerald? Es ist doch wahrscheinlich,
-daß uns die nahe Nachbarschaft hier jetzt bisweilen
-zusammenführt, sollen wir, zwei so getreue Kameraden
-von einstmals, dann fremd und kalt an einander
-vorbeigehen? Ich bin ja ohnehin nicht mehr lange
-hier &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>Eine heftige Bewegung flog über ihr Gesicht und
-plötzlich brach ein Strom von heißen Thränen aus ihren
-Augen, der zur Genüge bewies, daß die Ruhe der letzten
-Stunden erkünstelt gewesen.</p>
-
-<p>&bdquo;Edith, was thun Sie?&ldquo; rief er, wie außer sich, und
-streckte die Arme nach ihr aus. Aber sie hatte sich schon
-gefaßt, und wies ihn mit einem energischen Kopfschütteln
-zurück.</p>
-
-<p>&bdquo;Gerald, verstehen Sie mich recht,&ldquo; sagte sie fest im
-Ausdruck, wenn auch die Stimme noch bebte, &bdquo;ich schäme
-mich dieser Thränen nicht, sie waren ein Tribut an unsre
-schöne, lustige, traurige Vergangenheit, die uns ja doch
-kein Mensch rauben kann! Aber wir leben in der Gegenwart,
-Gerald, und dürfen nur danach fragen, ob wir
-recht thun, nicht ob es uns gefällt! Dazu helfe mir Gott &mdash;
-und Sie, mein alter Kamerad, Sie werden mir dabei gewiß
-nicht hinderlich sein wollen! Gute Nacht Gerald!&ldquo;</p>
-
-<p>Und während er noch erregt und zweifelnd stand, ohne
-ihr zu antworten, verließ sie ihn, und ging nach dem
-Park zurück. Der höher und höher steigende Herbstnebel
-schien, wie ein wallendes Meer, sie in sich aufzunehmen,
-und als er sich hinter der verschwindenden Gestalt, einem
-grauen Vorhang gleich, zusammen schloß, da erst empfand
-es Gerald mit wildem Schmerz, daß er sie wirklich und
-unwiederbringlich verloren habe!</p>
-
-<hr class="tb"/>
-<div class="poetry-container">
-<div class="poem">
-<p class="quote">
-Gott schütz&rsquo; Dich vor dem ungeschlachten,<br />
-Ohn Maßen groben Cavalier!<br />
-</p>
-</div>
-</div>
-
-<p>Der große Wohlthätigkeitsbazar, der unter dem Protectorat
-der Fürstin von T... alljährlich zum Besten eines
-von ihr gegründeten Krankenhauses stattfand, wurde in
-diesem Jahre bei Lampenlicht abgehalten, wie böse Zungen
-behaupteten, weil der Teint der hohen Frau nicht mehr
-so ganz dem Tageslicht Probe hielt, wie in früheren
-Zeiten.</p>
-
-<p>Die Fürstin verkaufte zwar nicht selbst, aber sie ging ab
-und zu, und war unermüdlich im Anordnen, wie in Allem,
-was in irgend einer Form Vergnügen hieß.</p>
-
-<p>Edith Brandau hatte ihre Mitwirkung selbstredend zusagen
-müssen, sie war schon von je durch ihre Erscheinung
-die Krone jedes solchen Unternehmens, und jetzt, wo der
-etwas seltsame Brautstand die allgemeine Neugier in Bezug
-auf das schöne Mädchen noch erregt hatte, durfte man
-eine besondere Anziehungskraft für die Kauflust des Publikums
-von ihr erwarten.</p>
-
-<p>Die Stunde, wo die Gesellschaft sich in die Verkaufsstätte
-drängte, hatte noch nicht geschlagen, doch waren die
-Unternehmerinnen schon erschienen, und nahmen beim
-strahlenden Lampenlicht an den sehr bunt und geschmackvoll
-arrangirten Tischen Platz, während sie hier und da
-noch einen Gegenstand in besseres Licht stellten, dort einen
-mehr wohlgemeinten, als geschmackvollen Beweis des
-Wohlthätigkeitssinnes in den Hintergrund schoben.</p>
-
-<p>Edith saß unbeschäftigt in ihrem Sessel zurückgelehnt.
-Ein mattblauer, schwerer Stoff umrauschte sie, wie das
-Element, dem sie mit ihren Nixenaugen und ihrem Goldhaar
-anzugehören schien. Neben ihr lag ein riesiger weißer
-Camelienstrauß, die zarten Blumenblätter waren fast
-nicht bleicher, als das Gesicht der schönen Braut, der sie
-in Ertings Auftrage vor wenigen Augenblicken beim Eintritt
-in den Saal überreicht wurden.</p>
-
-<p>Das Mädchen war in tiefes Sinnen verloren. Die
-kurzen Wochen, die zwischen ihrer Unterredung mit Gerald
-und dem heutigen Abend lagen, hatten ihr so manche
-Stunde gebracht, die jede Fiber ihres Herzens erzittern
-ließ, und sie in den seltsamsten Conflict mit sich brachte.</p>
-
-<p>Zufall und Absicht verbündeten sich, um sie wieder und
-wieder mit dem Jugendfreunde zusammenzubringen, und
-der auf &bdquo;freundschaftlicher&ldquo; Basis angeknüpfte Verkehr,
-den ihr eigener Wille hervorgerufen hatte, nahm nur zu
-bald die leidenschaftliche Färbung wieder an, die Geralds
-ganzem Wesen seine Eigenthümlichkeit und seinen Reiz verlieh.
-Er hatte sich mit scheinbarer Unbefangenheit im
-Hause ihrer Mutter eingeführt, er, der sonst so ungestüm
-Reizbare, schien die Kälte der Gräfin, den schlecht verhehlten
-Widerwillen Ertings nicht zu bemerken, für ihn
-existirte nur Edith!</p>
-
-<p>Und sie hatte nicht die Kraft, ihm zu zeigen, daß es
-so nicht sein dürfe &mdash; hatte sie wenigstens nur, wenn er
-nicht in ihrer Nähe war! Dann gelobte sie sich jedes
-Mal, sie wollte ihm mit klaren Worten sagen, daß er
-lieber fernbleiben solle, daß es für alle Theile das Beste
-sei, wenn er vor ihrer Hochzeit das Zusammentreffen
-vermeide, und wenn er dann wiederkam, und sie den
-ganzen Zauber empfand, den seine Stimme und seine
-Augen auf sie übten, dann tröstete sie sich mit jenem gefährlichsten
-Trost: &bdquo;es ist ja nicht auf lange, ich bin ja
-bald fort, und einmal Frau, werde ich ihn nicht wiedersehen!&ldquo;
-Und sie vermied es nicht, wie sie gesollt hätte, ihn
-zu sprechen und ihm zu begegnen, sie spielte ein gefährliches
-Spiel an einem Abgrunde, weil sie nicht vergessen konnte,
-daß jenseits dieses Abgrundes die blaue Blume wuchs, die
-Jeder träumt, und Jeder anders benennt und die ihr &mdash;
-erste Liebe hieß.</p>
-
-<p>Sie wurde aus ihren Gedanken durch ein plötzliches
-Geräusch gerissen. Soeben erschien die Fürstin mit ihren
-Damen in den weit geöffneten Flügelthüren. Mit einem
-prüfenden Blick überflog sie das Arrangement der Tische,
-eine Verbeugungswoge begleitete sie von einer Verkäuferin
-zur andern, bis sie den Brandau&rsquo;schen Tisch entdeckte.</p>
-
-<p>Sie eilte mit ausgestreckten Händen auf Edith zu.</p>
-
-<p>&bdquo;Seien Sie mir willkommen, mein liebes Kind,&ldquo; sagte
-sie, und strich zärtlich über das goldrothe Haar der jungen
-Dame, die sich tief verneigte. &bdquo;Sie sehen bleich aus! ich
-weiß, daß Sie sich heute opfern durch Ihr Erscheinen,
-aber ich erkenne es auch an, glauben Sie mir!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn die Anwesenheit meiner Tochter wirklich ein
-Opfer ist, Durchlaucht,&ldquo; sagte die Gräfin Brandau, als
-Edith schwieg, und warf ihr einen zornigen Blick zu,
-&bdquo;so wäre es durch diese Anerkennung schon reichlich vergütet!&ldquo;</p>
-
-<p>Die Fürstin winkte begütigend.</p>
-
-<p>&bdquo;Lassen Sie mir meinen Liebling unangefochten,
-Gräfin, sie hat das Vorrecht, ein wenig launenhaft zu
-sein, es steht ihr ja doch Alles gut! Und nun, meine
-liebe Edith, was haben wir hier? Wie ich sehe, sind noch
-neue Schätze angekommen!&ldquo;</p>
-
-<p>Während die Damen sich in die Besichtigung und
-Erklärung der ausgestellten Gegenstände vertieften, und die
-Gräfin sich nach ihrem etwas weiter entfernten Tische begab,
-begann der Saal sich langsam zu füllen.</p>
-
-<p>Eine große Anzahl von Herren fand sich ein, unter
-ihnen die meisten Vertreter jener Gesellschaft, die am Eingange
-unserer Erzählung in der Weinstube zusammengesessen
-hatten, auch Raven fehlte nicht, und gab seine gewohnten
-ironischen Bemerkungen über Menschen und Dinge zum
-Besten, während er an den Verkaufsstätten entlang schritt.</p>
-
-<p>Nach einer Weile zeigte sich Ertings unscheinbare Gestalt,
-im Frack und weißer Halsbinde, eine Rosenknospe
-im Knopfloch. Er ging langsam von Tisch zu Tisch,
-wurde überall gerufen und aufgehalten, und kam endlich
-bei seiner Braut an, gleichzeitig mit Raven, der eben die
-Fürstin begrüßt hatte, und sich nun neben ihren Sessel
-placirte.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, Herr Erting,&ldquo; rief sie dem sich tief Verbeugenden
-entgegen, &bdquo;Sie kommen doch mit gefülltem Beutel? Ich
-hoffe um so mehr von Ihrem Wohlthätigkeitssinn, als Sie
-den Gaben, die Ihnen diese Hand darreicht, sicher nicht
-zu widerstehen vermögen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Erting verhält sich doch am Ende passiv,&ldquo; sagte Raven
-für den verlegen Verstummten, &bdquo;er weiß, daß er bereits
-das Schönste zu eigen hat, was ihm die Welt bieten kann,
-was sollte ihn da wohl noch verlocken?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das steht auf einem andern Blatt,&ldquo; erwiderte die
-Fürstin, während ihr Blick lächelnd Edith streifte, welche
-durch keine Miene verrieth, ob sie Ravens Worte überhaupt
-gehört, &bdquo;ich rede von Dingen die <em class="gesperrt">gekauft</em> werden können!&ldquo;</p>
-
-<p>In dem Augenblick glitt ein schmerzlicher Zug über
-das bleiche, schöne Mädchengesicht, sie wandte sich hastig
-ab und suchte in den Gegenständen auf dem Tisch umher.</p>
-
-<p>Es blieb dahingestellt, ob Einer der Anwesenden den
-Doppelsinn der Worte erfaßt hatte, oder nicht.</p>
-
-<p>Die Aufmerksamkeit der Fürstin richtete sich plötzlich
-auf den Eingang des Saales, und sie wandte sich zu
-Raven.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich bitte Sie, Herr von Raven, wer ist der große,
-blonde Mann, der eben eintritt? &mdash; ach, Sie sehen ja nicht
-hin, dort im Jagdcostüm &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das ist der sogenannte &bdquo;tolle Junker,&ldquo; Baron Rüdiger,
-erinnern sich Durchlaucht nicht mehr? &mdash; der jetzt Wolfsdorf
-geerbt hat. Eine sonderbare Idee, in <em class="gesperrt">diesem</em> Aufzug
-hier zu erscheinen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Jedenfalls eine kleidsame Idee,&ldquo; sagte die Fürstin,
-deren Augen immer noch den Besprochenen fixirten, &bdquo;das
-ist eine interessante Erscheinung; wie kommt es übrigens,
-daß man diesen neuen Ankömmling noch gar nicht zu
-Gesicht bekommen hat?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Rüdiger liebt es, gegen die gesellschaftlichen Formen
-zu verstoßen, Durchlaucht,&ldquo; sagte Erting etwas bitter, &bdquo;er
-sucht darin eine gewisse Originalität!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das thut er <em class="gesperrt">nicht</em>,&ldquo; rief Edith plötzlich mit Energie
-und tief erröthend, &bdquo;er ist ein Naturmensch durch und durch,
-und wenn er sich in seiner sorglosen Weise gehen läßt,
-so ist das eben originell, und er braucht es nicht erst zu
-<em class="gesperrt">suchen</em>, wie Sie sagen!&ldquo;</p>
-
-<p>Erting biß sich auf die Lippen. Die Fürstin sah mit
-einem forschenden Blick nach dem plötzlich so lebhaft
-sprechenden Mädchen, und wandte sich dann zu Raven:</p>
-
-<p>&bdquo;Bringen Sie mir doch diesen seltenen Vogel einmal,
-Herr von Raven, ich möchte gern durch den Augenschein
-urtheilen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Durchlaucht gestatten wohl, daß ich mich für einige
-Minuten beurlaube,&ldquo; sagte Erting rasch, während Raven
-sich anschickte, Rüdiger aufzusuchen.</p>
-
-<p>Die Fürstin winkte gnädig gewährend mit der Hand,
-und wandte sich zu Edith, als Erting sich entfernt hatte.</p>
-
-<p>&bdquo;Edith, dieser Rüdiger sieht unbändig interessant aus,
-ist es wirklich eine Jugendliebe von Ihnen? Wie schade
-dann!&ldquo;</p>
-
-<p>Und ein nicht mißzuverstehender Blick folgte der kleinen
-Gestalt Ertings.</p>
-
-<p>&bdquo;Durchlaucht sind grausam,&ldquo; erwiderte Edith mit
-zuckenden Lippen, &bdquo;habe ich das verdient? Wer mir in
-der Zeit meiner Verlobung so nahe gestanden hat, sollte
-anders denken, oder sprechen!&ldquo;</p>
-
-<p>Edith durfte viel wagen. Die Fürstin sah einen Augenblick
-wie bestürzt vor sich nieder.</p>
-
-<p>&bdquo;Verzeihen Sie mir,&ldquo; sagte sie dann in ihrer gewohnten
-leichten Art, &bdquo;Sie wissen, ich sage gern, was ich denke,
-und im Moment kam mir die Idee, welch herrliches Paar
-Sie Beide &mdash; doch halt, er kommt!&ldquo;</p>
-
-<p>Rüdiger trat mit Raven zu der Fürstin.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie haben uns auf Ihre Bekanntschaft warten lassen,
-Baron Rüdiger,&ldquo; sagte sie in liebenswürdigem Ton, &bdquo;ich
-habe Ihren Oheim sehr wohl gekannt, und weiß mich
-Ihrer selbst aus Ihrer Fähnrichszeit dunkel zu erinnern!
-Haben Sie alles Attachement für alte Bekannte in der
-Fremde verlernt?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;So wenig, wie die deutsche Sprache, Durchlaucht,&ldquo;
-erwiderte Rüdiger verbindlich, &bdquo;wenn ich trotzdem ein Versäumniß
-beging, so bitte ich, es in Gnaden der partiellen
-Verwilderung zuschreiben zu wollen, der man bei einem
-Jägerleben, wie ich es seit fünf Jahren führe, doch nicht
-entgeht.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Rüdiger kokettirt ein wenig mit dieser Verwilderung,&ldquo;
-sagte Raven in seiner gewohnten ironischen Weise, &bdquo;man
-muß seine tadellosen Verbeugungen sehen, um zu staunen,
-daß er in Californien Gold gegraben, in Australien &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich bitte, erklären Sie mich nicht,&ldquo; unterbrach ihn
-Rüdiger etwas kurz, &bdquo;außerdem sagen meine Verbeugungen
-durchaus Nichts &mdash; man muß mit den Wölfen heulen
-&mdash; meinen Sie, ich hätte in Amerika nicht mit den Affen
-um die Wette klettern, und mit der größten Eleganz Cocosnüsse
-pflücken und Grimassen schneiden können? Dafür ist
-man eben Kosmopolit!&ldquo;</p>
-
-<p>Die Fürstin sah belustigt aus, ihr Interesse an dem
-schönen, wildaussehenden Jägersmanne wuchs.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, da Ihnen das Parquet nicht so ganz fremd
-geworden ist,&ldquo; sagte sie, sich erhebend, &bdquo;so hoffe ich, Sie
-öfters zu sehen. Wir musiciren jeden Freitag in kleinem
-Cirkel, und Sie sind hiermit benachrichtigt, daß Sie erwartet
-werden. Nun aber muß ich gehen, ich habe mich
-schon über die Gebühr lange bei Ihnen verweilt, Edith,
-auf Wiedersehen!&ldquo;</p>
-
-<p>Raven geleitete sie zu den anderen Tischen, während
-Rüdiger schweigend vor Edith stehen blieb.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich dachte, Sie wollten mir heute überhaupt nicht
-guten Abend sagen!&ldquo; nahm sie endlich lächelnd das Wort,
-ihn anzusehen.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich <em class="gesperrt">wollte</em> auch nicht, aber Ihnen gegenüber <em class="gesperrt">muß</em>
-ich stets, auch was ich nicht will! Schütteln Sie nicht
-wieder den Kopf, erzählen Sie mir lieber, wie Ihnen unser
-gestriger Weg bekommen ist!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich liebe keine Reminiscenzen, und heute bin ich auch
-gar nicht als Privatperson hier, ich denke, Sie sollen mir
-viel abkaufen, hier, diese schöne Jagdtasche &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Haben Sie sie gearbeitet?&ldquo;</p>
-
-<p>Sie schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>&bdquo;Kennen Sie meine ungeschickten Hände nicht mehr?
-Ich verstand stets besser mit der Reitpeitsche umzugehen,
-als mit der Nadel! Aber nun ernstlich, was kaufen Sie?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nur Eins!&ldquo; erwiderte er langsam, &bdquo;aber für dieses
-Eine gebe ich Ihnen meine ganze Börse preis!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und das wäre?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sie werden es nicht geben wollen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ist es bei den Verkaufsartikeln?&ldquo; frug sie, ahnungslos,
-was er meinte.</p>
-
-<p>Er lachte.</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, es liegt dabei!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, dann habe ich nichts zu geben oder zu verweigern,
-mein ganzes Sinnen und Trachten ist auf einen
-möglichst hohen Preis gerichtet, wo ist es?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Hier,&ldquo; erwiderte er, und nahm das Camelienbouquet
-vom Tisch, während er seine gefüllte Börse ernsthaft in
-ihre kleine Geldkasse gleiten ließ.</p>
-
-<p>&bdquo;Was machen Sie mit dem Bouquet meiner Braut?&ldquo;
-sagte plötzlich Ertings Stimme hinter ihm, ehe Edith Zeit
-gehabt hatte, Einspruch zu thun.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich habe es gekauft,&ldquo; sagte Rüdiger, und blickte
-herausfordernd auf seinen kleinen Rivalen nieder.</p>
-
-<p>Edith mischte sich hastig ein.</p>
-
-<p>&bdquo;Thorheit, Baron Rüdiger, Sie mußten selbst sehen,
-daß ich nicht daran denken konnte, Ihnen diesen Gegenstand
-zu verkaufen &mdash; legen Sie gleich das Bouquet wieder
-her! Es war nur ein Scherz,&ldquo; wandte sie sich verwirrt
-an Erting.</p>
-
-<p>&bdquo;Das Bouquet ist mein,&ldquo; erwiderte Rüdiger, ohne sich
-an Ertings zornbleiche Miene zu kehren, &bdquo;dort liegt meine
-Börse, Geschäft ist Geschäft, Herr Erting, das müssen Sie
-als Kaufmann doch am besten wissen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sind unartig, Gerald,&ldquo; fiel Edith wieder hastig
-ein, &bdquo;und ich allein habe das Recht, hier zu entscheiden.
-Legen Sie das Bouquet wieder her, ich mag Ihr Geld
-nicht haben, auf sophistischem Wege bin ich nicht wohlthätig!&ldquo;
-Sie hielt ihm die Börse hin.</p>
-
-<p>&bdquo;Das Bouquet,&ldquo; wiederholte sie.</p>
-
-<p>&bdquo;Geben Sie das Bouquet her,&ldquo; sagte Erting gleichzeitig,
-mit vor Wuth fast erstickter Stimme, &bdquo;haben Sie ein Recht
-darauf, oder ich?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Leider Sie!&ldquo; erwiderte Rüdiger lachend und hielt den
-fraglichen Gegenstand hoch in die Höhe, &bdquo;aber trotzdem
-bleiben diese Blumen mein, ich würde ebenso gern meinen
-Kopf hergeben, wie auch nur ein einziges Blättchen aus
-dem Strauß! Geben Sie sich keine Mühe, Erting, Sie
-können ihn gar nicht erreichen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Genug,&ldquo; sagte Edith jetzt schnell und besorgt, da sie
-sah, daß Erting aufs Aeußerste gereizt war, &bdquo;ich <em class="gesperrt">befehle</em>,
-daß Sie die Blumen meinem Bräutigam geben, Gerald!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie hatte noch nie mit diesem Ausdrucke von Erting
-zu Rüdiger gesprochen, sein schnell entfachter Zorn loderte
-auf. Er nahm den Strauß und die schwere Börse, und
-mit dem heftigen Ausruf: &bdquo;So soll sie Niemand haben!&ldquo;
-schleuderte er Beides durch das geschlossene Fenster in den
-Garten und verließ dann den Saal, ohne irgend Jemand
-Lebewohl gesagt zu haben, während die ganze Gesellschaft
-stumm und entsetzt dem &bdquo;tollen Junker&ldquo; nachsah, der sich
-eben wieder seines Namens so werth gezeigt hatte.</p>
-
-<p>Die Fürstin, welche am andern Ende des Saales beschäftigt
-gewesen, hatte sich beim Klirren der Fensterscheibe
-rasch und erstaunt umgewendet, und sandte jetzt Raven
-ab, um den Grund dieser Störung zu erfahren. Als er
-mit dem Bericht zu ihr zurückkehrte, lachte sie hell auf:</p>
-
-<p>&bdquo;Köstlich, Herr von Raven, dieser Rüdiger ist wirklich
-ein Original! Aber wie erfrischend wirkt das in unseren
-nüchternen Kreisen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich fürchte, Durchlaucht, daß Herr Erting die Sache
-nicht in diesem Sinne auffassen wird,&ldquo; sagte Raven, &bdquo;er
-schäumte geradezu vor Wuth, und seine Mutter, die eben
-eintrat, um das Bouquet des Söhnchens fliegen zu sehen,
-war mindestens ebenso empört! Wenn die Sache nur
-nicht ernstere Folgen hat!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das wäre ja abscheulich!&ldquo; rief die Fürstin lebhaft,
-&bdquo;und gerade jetzt, wo ich mir vorgenommen habe, den
-interessanten Goldgräber zu unseren kleinen Festen heranzuziehen;
-eine derartige Differenz würde Alles zerstören.
-Das muß verhindert werden, um jeden Preis! Ich werde
-die Familie Erting versöhnen, Herr von Raven, ich bringe
-der Außergewöhnlichkeit ein Opfer!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie ging lachend davon, und Raven folgte ihr, etwas
-ingrimmig murmelnd: &bdquo;Besonders, wenn diese &bdquo;Außergewöhnlichkeit&ldquo;
-ein so hübsches Gesicht hat, da opfert man
-sich mit Leichtigkeit!&ldquo;</p>
-
-<p>Aber Ludwig Erting war bereits den suchenden Augen
-der Fürstin entrückt. Er faßte den Arm seiner Mutter
-und zog sie mit sich hinaus.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich gehe nach Haus,&ldquo; sagte er auf ihren verwundert
-fragenden Blick.</p>
-
-<p>&bdquo;Und Edith? Ich weiß nicht wie du bist, Ludwig,
-du wirst doch deine Braut nicht allein hier lassen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich gehe nach Haus,&ldquo; wiederholte er heftig, &bdquo;für
-heute habe ich wieder einmal genug von dem vornehmen
-Brautstand. Was, ich soll mich wohl von dem infamen
-Abenteurer, dem Rüdiger, wie einen Schuljungen necken
-und zerren lassen? Mutter, ich sage dir, es geht nicht
-gut; wenn <em class="gesperrt">du</em> nicht merkst, daß man sich hier über uns
-lustig macht, <em class="gesperrt">ich</em> merke es, und was habe ich denn
-davon?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber Ludwig,&ldquo; rief die erschrockene Frau, die währenddessen
-mit dem zornigen, kleinen Sohn ihren bereitstehenden
-prächtigen Wagen bestiegen hatte, und nun an seiner
-Seite durch die Straßen rollte, &bdquo;Ludwig, hast du denn
-gar kein Gefühl für die Ehre, die dir geschieht, wenn du
-eine solche Heirath machst? Du mußt doch steigen wollen
-und in höhere Sphären kommen, mein liebes Kind &mdash; ich
-will ja nur dein Glück, wenn ich dir dazu rathe!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Du meinst es gut, Mutter, das weiß ich,&ldquo; sagte er,
-schon ruhiger, &bdquo;und es ist ja auch möglich, daß eine
-Heirath mit Edith ein Glück ist, in manchem Sinne!
-Aber ich denke jetzt oft, es wäre besser für mich, ich hätte
-mich nicht von dir bereden lassen, aus meinem Kreise
-herauszugehen, durfte ich nach meinem Sinne wählen, so
-wäre ich später einmal Herr in meinem Hause, und nicht,
-was ich hier immer sein werde, der Mann meiner Frau,
-die ja sehr schön, sehr vornehm und sehr klug ist, die
-aber wenigstens zehn Stufen herunter steigen muß, um sich
-mir gleich zu dünken. Das ist nichts für mich, Mutter,
-aber wir wollen nicht weiter davon sprechen. Geschehene
-Dinge sind nicht zu ändern!&ldquo;</p>
-
-<p>Die Mutter schwieg auf diesen Ausbruch eines lange
-verhaltenen Aergers, einfach, weil sie nichts darauf zu
-erwidern wußte.</p>
-
-<p>Dann aber fühlte sie doch das Bedürfniß, ihren Sohn
-zu beschwichtigen. Sie legte Ludwig die Hand auf die
-Schulter.</p>
-
-<p>&bdquo;Mein liebes Kind,&ldquo; sagte sie ängstlich, &bdquo;so sei doch
-nicht so heftig! Daß ich nur dein Glück im Auge hatte,
-als ich dich zu der Verlobung mit Edith drängte, weißt
-du ja! Und warum solltest du nicht glücklich mit ihr
-werden? Ist sie nicht das schönste und liebenswürdigste
-Mädchen, das die ganze Provinz aufweisen kann? Und
-so distinguirt, so viel <em class="antiqua">chic</em>!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Mutter, thu mir die einzige Liebe, und sei nicht vornehm,
-so lange wir unter vier Augen sind! Dir steht es
-nicht, und mir gefällt es nicht, und außerdem gehört das
-<em class="antiqua">chic</em> und was du sonst sagst, nicht zur Sache. Antworte
-mir einmal einfach: glaubst du, daß Edith mich liebt?&ldquo;</p>
-
-<p>Frau Erting wurde verlegen, als die ehrlichen, kleinen
-Augen des Sohnes sich so fest auf sie richteten.</p>
-
-<p>&bdquo;Was verstehst du unter lieben?&ldquo; frug sie ausweichend.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, ungefähr, was <em class="gesperrt">du</em> darunter verstandest, als du
-meinen Vater heirathetest, der ein armer Mensch war,
-und dir keine glänzende Existenz bieten konnte! Oder
-ungefähr, was <em class="gesperrt">ich</em> darunter verstand, ehe Martha unter
-fremde Leute gehen mußte, damit ich eine vornehme Heirath
-machen konnte!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ludwig,&ldquo; sagte die Mutter, jetzt fast ebenso heftig,
-als vorhin der Sohn, &bdquo;reize mich nicht! Willst du deine
-Verlobung mit Edith Brandau rückgängig machen, so thue
-es, ich kann dir nichts befehlen, aber ich kann dir etwas
-verbieten! Du hast mir am Todtenbette deines seligen
-Vaters versprochen, nicht gegen meinen Willen zu heirathen,
-und wenn ich den bittersten Kummer erleben sollte, dich
-als Junggesellen sterben zu sehen, meine Einwilligung zu
-einer Heirath mit Martha Erting erhältst du nie! So
-lange du ledig bleibst, kann ich sie aber natürlich nicht
-wieder ins Haus nehmen. An deinem Hochzeitstage, das
-verspreche ich dir, will ich an sie schreiben, und sie zurück
-holen lassen; also du hast es in deiner Hand, wie lange
-Martha &bdquo;unter fremden Leuten&ldquo; sein soll! Ich dachte,
-du hättest dir diesen Unsinn nun nachgerade aus dem
-Kopf geschlagen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Reden wir nicht mehr davon,&ldquo; sagte Erting finster,
-&bdquo;ich habe mich vergessen! Eins aber sage ich dir, Mutter,
-wenn mir dieser übermüthige Junker, der Rüdiger, noch
-ein einziges Mal zu nahe tritt, oder sein unverschämtes
-Hofmachen bei meiner Braut fortsetzt, so werde ich ihm
-zeigen, daß man Courage haben kann, auch wenn man
-nicht baumlang und baumstark ist! Ich fordere ihn auf
-Pistolen, Mutter &mdash; du weißt, ich habe noch kein solches
-Ding in der Hand gehabt, und wenn er mich todtschießt,
-so hast du wenigstens das tröstliche Bewußtsein, daß ich
-vornehm umgekommen bin!&ldquo;</p>
-
-<p>Der Wagen hatte während dieser Rede gehalten, und
-Ludwig half Frau Erting aussteigen.</p>
-
-<p>&bdquo;Gute Nacht, Mutter,&ldquo; sagte er dann, &bdquo;da kommt
-schon einer von unseren Herrn Bedienten; ich will noch
-zu Gerhold, ein Glas Wein wird mir heute ganz dienlich
-sein!&ldquo;</p>
-
-<p>Und damit wandte er sich ab und ging die Straße
-hinunter, während die Mutter, halb entsetzt, halb stolz
-über den heldenmüthigen kleinen Eisenfresser, im Hause
-verschwand.</p>
-
-<hr class="tb"/>
-<div class="poetry-container">
-<div class="poem">
-<p class="quote">
-Entflieh&rsquo; mit mir!<br />
-</p>
-</div>
-</div>
-
-<p>Die Fürstin ließ es seit dem Bazartage nicht an Gelegenheiten
-fehlen, die gefährlichen Zusammenkünfte zwischen
-dem Brautpaar und Rüdiger zu veranlassen. Theils hatte
-sie, trotz ihrer vierzig Jahre, noch jenes kleine <em class="antiqua">faible</em> für
-Rüdiger, welches er fast bei jeder Frau, mit der er in
-Berührung kam, hervorrief, theils auch ergötzte es sie, die
-Reibereien und Intriguen zwischen Erting und Rüdiger zu
-beobachten. So jagten sich denn Lese- und Musikabende,
-Schlittenfahrten und Eisfeste nach einander, und immer
-war der &bdquo;tolle Junker&ldquo; der Held aller dieser Festivitäten.</p>
-
-<p>Wie Edith, die in jenen Gesellschaften mit Gerald las
-und musicirte, und sich seinem eigenartigen Wesen unbefangener
-als je hingab, dachte, das wußte Niemand.
-Die kühle, vornehme Zurückhaltung ihres Wesens hätte jede
-Frage von vorn herein zurückgewiesen, und ob sie selbst
-sich fragte? Sie ließ sich von dem glänzenden Strome
-der Gegenwart dahin tragen, wie in einem Traume, in
-dem uns schon bewußt ist, daß wir bald erwachen werden,
-den wir aber mit um so größerem Entzücken weiter träumen.
-Das dunkle Gefühl, daß die Wellen dieses Stromes sie
-vielleicht plötzlich erfassen und in den Abgrund ziehen
-könnten, kam ihr nur selten, und wurde so schnell wieder
-unterdrückt, wie es entstand.</p>
-
-<p>Als eine Art Abschiedsfest hatte noch so eben ein
-glänzender Maskenball die Gesellschaft vereint. Unmittelbar
-von diesem Balle aus kehrte Edith, die mehrere Tage
-bei der Fürstin gewohnt hatte, nach Brandau zurück.</p>
-
-<p>Der Maskenball war glänzend und es herrschte nur
-<em class="gesperrt">eine</em> Stimme vollster Befriedigung. Die Fürstin, die als
-Maria Stuart durch die Zimmer rauschte, hatte das Signal
-zum Demaskiren noch nicht gegeben. Sie selbst war natürlich
-sofort erkannt worden, zu ihrem geheimen Verdruß,
-und so blieb ihr nichts übrig, als, auf eigene Abenteuer
-verzichtend, solche in möglichst großer Zahl unter ihren
-Gästen anzustiften.</p>
-
-<p>Edith hatte auf den dringenden Wunsch der Fürstin
-einen altdeutschen Anzug gewählt, und als sie jetzt in ihrem
-lichtblauen, faltenreichen Gewande, mit den herabhängenden,
-schweren Goldflechten sinnend am Fenster lehnte, hätte
-allerdings das &bdquo;Gretchen&ldquo; nicht reizender gedacht werden
-können. Der dieser Erscheinung widersprechende Zug von
-Stolz und Herbheit, der Ediths Wesen sonst leicht kennzeichnete,
-war durch den wehmüthigen Gedanken an den
-so nahe bevorstehenden Abschied von der Mädchenzeit zu
-einer weichen Lieblichkeit gemildert, die ihr einen neuen
-und geradezu hinreißenden Zauber verlieh.</p>
-
-<p>Erting zu erkennen, war ihr sofort gelungen, er hatte,
-mit richtigem Takt, einen einfachen schwarzen Domino
-gewählt, aber seine schüchterne Unbehülflichkeit ließ ihm
-selbst diese anspruchslose Tracht als eine Prätension erscheinen.
-Er stand, sich entschieden unbehaglich fühlend,
-am Fenster des zu ebener Erde gelegenen Ballsaales und
-blickte in die Schneenacht hinaus. Edith trat mit jenem, aus
-freundschaftlicher Zuneigung und Mitleid gemischten Gefühl,
-welches sie stets für ihn empfand, auf ihn zu.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, Ludwig, haben Sie mich wirklich noch nicht
-erkannt, oder wollen Sie sich Ihre Maskenfreiheit wahren?&ldquo;
-sagte sie, und legte ihre kleine Hand auf seine Schulter.</p>
-
-<p>Er wandte sich hastig um und nahm die Larve ab;
-es lag ein Zug von trübem Nachdenken auf seiner Stirn.</p>
-
-<p>&bdquo;Wollen Sie mich daran erinnern, daß es mit unserer
-Freiheit überhaupt bald zu Ende ist?&ldquo; sagte er in einem
-Tone, der scherzhaft sein sollte, aber bitter klang.</p>
-
-<p>&bdquo;Was haben Sie, Ludwig?&ldquo; frug Edith halb erstaunt
-und halb verletzt, indem sie einen Schritt zurück trat. In
-dem Moment fiel ihr Blick auf eine hohe Gestalt in der
-düsterschönen Tracht eines spanischen Granden. Eine tiefe,
-jähe Röthe schoß ihr sinnverwirrend in den Kopf, und
-war trotz der Larve wohl zu bemerken.</p>
-
-<p>&bdquo;Was ich habe?&ldquo; gab er finster zurück, &bdquo;sehen Sie
-einmal in den Spiegel, Edith, aber jetzt, in diesem Augenblicke,
-und fragen Sie sich, &bdquo;was ich habe,&ldquo; wenn das
-Mädchen, das in drei Tagen meine Frau sein wird, beim
-Anblick eines Anderen so tief erröthet &mdash; Sie haben sich
-zu früh demaskirt!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie richtete sich auf und wollte ihn ohne ein weiteres
-Wort verlassen, aber ihr ehrliches Herz sagte ihr, daß er
-so Unrecht nicht habe! Sie bezwang sich und blieb.</p>
-
-<p>&bdquo;Ludwig, seien Sie nicht hart,&ldquo; sagte sie, fast
-bittend, &bdquo;Sie kennen mich genug, um zu wissen, daß ich
-bei jedem überraschenden Wort oder Anblick roth werde,
-und das unerträgliche Gefühl, daß Sie mich stets beobachten,
-wenn Gerald kommt &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach was Gerald &mdash; Gerald,&ldquo; rief er heftig, &bdquo;Sie
-brauchen den Baron nicht beim Vornamen zu nennen, ich
-kann diese Jugendfreundschaft nicht leiden, die er zum
-Vorwand nimmt, um Ihnen vor Aller, und auch vor
-meinen Augen in der unerhörtesten Weise den Hof zu
-machen! Sie werden ihn nicht mehr beim Vornamen nennen,
-und Sie werden heute Abend nicht mit ihm tanzen!&ldquo;</p>
-
-<p>Edith war leichenblaß geworden.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie demaskiren sich gleichfalls ein wenig früh,&ldquo; sagte
-sie langsam und eiskalt, &bdquo;aber noch brauche ich mir in
-solchem Tone nichts befehlen zu lassen, ich werde Gerald
-Rüdiger beim Vornamen nennen, und werde mit ihm tanzen,
-bis Sie mir wirklich etwas zu befehlen haben!&ldquo;</p>
-
-<p>Und mit einem hochmüthigen Kopfneigen trat sie aus
-der Fensternische, und nahm Geralds Begrüßung mit um
-so seltsameren Gefühlen entgegen, als der leidenschaftlich
-entzückte Ausdruck, mit dem er sie erkannte, schneidend von
-dem Wesen Ertings abstach.</p>
-
-<p>Das Orchester begann einen rauschenden Walzer zu
-spielen, man demaskirte sich, und als Rüdiger jetzt mit
-Edith durch den Saal flog, da folgten Aller Blicke bewundernd
-und &mdash; bedauernd dem herrlichen Paar, welches
-dem feurigen Rhythmus des Tanzes so anmuthig nachgab,
-und jetzt stillstehend, unwillkürlich an zwei schlanke Edeltannen
-denken ließ, die neben einander und für einander
-gewachsen schienen.</p>
-
-<p>Noch nie hatten Beide, Rüdiger und Edith, es so
-klar empfunden, was sie einander waren, als an diesem
-Abend, wo das schmerzliche Gefühl &bdquo;des letzten Males&ldquo;
-ihrem Beisammensein einen erhöhten Reiz verlieh. Noch
-nie hatte Rüdiger es so offen gewagt, von seiner Leidenschaft
-zu sprechen &mdash; und Edith, im Gefühl einer an ihn begangenen
-Härte, wies ihn nicht zurück!</p>
-
-<p>&bdquo;Und übermorgen ist Ihr Polterabend!&ldquo; sagte Gerald
-jetzt ohne Uebergang, als er Edith den Arm bot, und
-langsam mit ihr durch den Saal nach einem kühleren
-Zimmer schritt. Sie ließ sich ermüdet in einen Sessel
-gleiten, und wehte sich mit ihrem großen Fächer Kühlung
-zu, ohne zu antworten. &bdquo;Erlauben Sie!&ldquo; sagte er jetzt,
-und nahm den Fächer aus ihrer Hand, &bdquo;das paßt nicht
-für Gretchen &mdash; überlassen Sie es Faust!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sind nicht Faust!&ldquo; erwiderte sie lebhaft, und
-richtete sich auf, um ihn anzusehen.</p>
-
-<p>&bdquo;Vielleicht doch! Die Fürstin wollte mich wenigstens
-sofort dafür erkennen, freilich hat sie mir dies Kostüm
-auch warm genug empfohlen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Abscheulich!&ldquo; rief Edith erröthend, &bdquo;weil sie wußte,
-daß es Ludwig kränken würde!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und warum soll Ludwig sich nicht kränken lassen?&ldquo;
-sagte Rüdiger höhnisch, &bdquo;soll ich das ganz allein thun?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sie brauchen sich ja auch nicht zu kränken!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das ist auch nicht das Wort für meine Empfindungen:
-ich gräme mich, ich habe die rasendsten Pläne; wenn Sie
-ahnten, wie es in meinem Kopf und Herzen aussieht!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich bin gar nicht neugierig!&ldquo; erwiderte sie anscheinend
-ruhig, aber mit leicht bebender Stimme, &bdquo;überdies kann
-ich es mir denken!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, wie sieht es darin aus? Sagen Sie wahr!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Toll, nicht? Das ist ja Ihr gewöhnlicher Zustand!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und wenn es wäre? Wer hat mich toll gemacht?
-Edith, ich gebe Ihnen eine letzte Bedenkzeit, sagen Sie
-mir, daß Sie mich lieben, daß Sie Erting nicht heirathen
-wollen, und Alles ist gut! Sonst fällt die Verantwortung
-für jede, auch die größte Thorheit und Schlechtigkeit, die
-ich von jetzt ab begehe, auf Ihr Haupt, vergessen Sie
-das nicht!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie schüttelte still den Kopf, ohne zu sprechen, aber in
-dem Zittern der kleinen Hände, die zusammengefaltet, unthätig
-im Schoße lagen, verrieth sich der tiefe, peinvolle
-Zwiespalt, in den seine Worte sie versetzten.</p>
-
-<p>&bdquo;Entscheiden Sie sich, Edith,&ldquo; fuhr er athemlos vor
-Aufregung fort, &bdquo;ich gebe Ihnen eine ganze Minute,
-sechzig Secunden; glauben Sie, daß ich den zehnten Theil
-so lange brauchte, um zu wissen, ob ich Ja oder Nein
-sagen sollte? Ein Wort, Edith,&ldquo; er blickte sich hastig um,
-sie waren allein im Zimmer, &bdquo;ein Wort und ich gehe
-mit Ihnen davon, mein Schlitten ist hier, Sie kennen
-den alten Job, meinen Diener, er führe mich zum Teufel
-in die Hölle, wenn ich wollte! Der Saal ist zu ebener
-Erde, durchs Fenster können wir fort, wie nichts! Ich
-pfeife und der Schlitten ist hier! Noch zwanzig Secunden,
-Edith, ehe die aber um sind, dürfen Sie auch kein Wort
-sprechen!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie schnitt ihm die Rede ab, indem sie sich hastig
-erhob.</p>
-
-<p>&bdquo;Genug, Baron Rüdiger,&ldquo; sagte sie mit gepreßter
-Stimme, &bdquo;Sie beleidigen mich tief, tödtlich, wenn Sie noch
-eine einzige Silbe sagen! Was, Sie haben es für möglich
-gehalten, daß ich, die Braut eines Andern, mit Ihnen
-davonlaufen würde, um die dürre Wahrheit zu sagen?
-Und nicht nur für möglich, für wahrscheinlich haben Sie
-es gehalten,&ldquo; fuhr sie fort, indem sie ihn durch eine stolze
-Handbewegung schweigen hieß, &bdquo;auf wen wartet Ihr
-Schlitten, wenn nicht auf mich? Ich glaubte doch, Sie
-kennten mich besser, Baron Rüdiger! Und jetzt darf ich
-Sie wohl bitten, mich zu meiner Mutter zu begleiten,
-Sie haben mich hart dafür gestraft, daß ich Ihnen die
-Rechte alter Jugendfreundschaft so vertrauend einräumte.&ldquo;</p>
-
-<p>Er bot ihr schweigend den Arm, an der Thür stand
-er still und zwang sie dadurch, gleichfalls stehen zu
-bleiben.</p>
-
-<p>&bdquo;Edith, verzeihen Sie mir,&ldquo; sagte er rauh und ohne
-sie anzusehen, &bdquo;es war ein verzweifelter Versuch, Sie zu
-gewinnen, ich habe nicht überlegt, daß Sie der Gedanke
-kränken mußte; was blieb mir schließlich übrig? Verzeihen
-Sie mir,&ldquo; wiederholte er zornig, als sie schwieg
-und vor sich niederblickte. &bdquo;Sagen Sie, daß Sie mir
-verzeihen oder es wird nicht gut!&ldquo;</p>
-
-<p>Er preßte bei diesen Worten ihren Arm so heftig an
-sich, daß sie einen leisen Schmerzensschrei ausstieß. Hastig
-ließ er sie los.</p>
-
-<p>&bdquo;Sehen Sie,&ldquo; sagte er mit erzwungenem Lächeln, aber
-ohne sich zu entschuldigen, &bdquo;was davon kommt, wenn man
-mir den Willen nicht thut? Aber jetzt noch einmal, Edith,
-verzeihen Sie mir, wir sind für lange Zeit das letzte Mal
-zusammen gewesen &mdash; gönnen Sie mir diesen einen armen
-Abend aus Ihrem ganzen reichen Leben. Ich will heute
-noch einmal vergnügt sein, ich reise in dieser Nacht ab!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Weshalb?&ldquo; frug sie überrascht, und sah zu ihm auf.</p>
-
-<p>&bdquo;Was soll ich noch hier? Ihr Brautführer sein?
-Sie taxiren mich denn doch etwas zu zahm, Edith! <em class="gesperrt">viel</em>
-zu zahm, wie Sie noch einmal einsehen werden! Aber
-Sie haben mir noch nicht geantwortet, verzeihen Sie mir?
-Hölle und Teufel, wie oft soll ich fragen?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Noch oft, und in ganz anderem Ton, ehe ich antworte,&ldquo;
-erwiderte sie kalt.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, dann bin ich zu Ende,&ldquo; rief er trotzig und
-wild, &bdquo;thun Sie was Sie wollen, aber wundern Sie sich
-nicht, wenn ich es auch thue!&ldquo;</p>
-
-<p>Er stürmte fort, und Edith folgte ihm langsam, mit
-wildschlagendem Herzen. Eine unbestimmte Furcht schien
-sich wie ein Bleigewicht an ihre Schritte zu hängen. Als
-sie beim Eintreten in den Saal ihre Mutter nicht sofort
-sah, sondern nur Erting erblickte, ging sie, in einem ihr
-sonst fremden Gefühle der Schutzbedürftigkeit zu ihm, und
-legte ihre Hand in seinen Arm.</p>
-
-<p>&bdquo;Ludwig, Sie dürfen mich nicht so viel allein lassen,&ldquo;
-sagte sie, &bdquo;was soll man davon denken?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sie ließen mich allein,&ldquo; erwiderte er, halb versöhnt
-durch ihr Einlenken, &mdash; &bdquo;aber es soll mir um so lieber
-sein, wenn ich jetzt in Ihrer Nähe bleiben darf! Geben
-Sie mir den nächsten Tanz, es ist eine Quadrille!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Gern,&ldquo; sagte sie, erleichtert, daß er ihr nicht mehr
-grollte, &bdquo;sehen Sie sich, bitte, nach einem <em class="antiqua">vis-à-vis</em> um,
-ich erwarte Sie bei Mama!&ldquo;</p>
-
-<p>Er geleitete sie zur Gräfin Brandau, die inzwischen
-wieder in den Saal getreten war. Dann ging er, sich
-einer Gruppe von Herren zugesellend, zu der auch Rüdiger
-gehörte.</p>
-
-<p>Edith beobachtete einige Augenblicke die Plaudernden
-mit angstvoller Spannung, aber da nichts Auffälliges zu
-bemerken war, wandte sie sich ihrer Mutter zu, und bemühte
-sich, die kritischen Bemerkungen zu belächeln, welche
-die Gräfin schonungslos über Alt und Jung laut werden ließ.</p>
-
-<p>Das Zeichen zur Quadrille ertönte von dem hoch
-placirten, durch Orangerie fast versteckten Orchester. Die
-verschiedenen Gruppen im Saal geriethen in Bewegung,
-ein Paar nach dem andern stellte sich auf, Edith warf
-einen suchenden Blick in den Saal hinein, Erting kam
-nicht, und sie vermochte ihn auch nicht zu entdecken.</p>
-
-<p>Verwundert und etwas ärgerlich wollte sie sich eben
-zurück ziehen, als Raven zu ihr trat.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, gnädigste Comtesse, Sie verschmähen diesen
-Tanz?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sagen Sie lieber, der Tanz oder mein Tänzer verschmäht
-mich,&ldquo; sagte sie lächelnd, &bdquo;ich habe die Quadrille
-meinem Bräutigam zugesagt, und er scheint dies vergessen
-zu haben!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Erting? O, der wird sofort kommen, er wurde
-eben abgerufen, weil ihn Jemand auf einen Augenblick zu
-sprechen wünschte, mag sein, daß die Unterredung sich ein
-wenig in die Länge zieht!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ah so!&ldquo; erwiderte Edith beruhigt, nun, &bdquo;plaudern wir,
-bis er kommt, Herr von Raven, oder besser, plaudern Sie,
-Sie verstehen das ja so meisterhaft!&ldquo;</p>
-
-<p>Raven verbeugte sich.</p>
-
-<p>&bdquo;<em class="antiqua">Tempi passati</em>, meine gnädigste, <em class="antiqua">tempi passati</em>, jetzt
-überläßt man es jüngeren Kräften!&ldquo;</p>
-
-<p>Die Quadrille nahm indeß ihren Fortgang. Ediths
-anfängliches Befremden über das Ausbleiben Ertings wich
-nach und nach dem Zorn. Mochte er in noch so dringenden
-Angelegenheiten abberufen sein, ein Moment fand sich doch
-wohl, mußte sich finden, um der Braut Aufklärung zu
-geben, was ihn verhindere!</p>
-
-<p>&bdquo;Irgend eine Börsennachricht,&ldquo; dachte sie bitter, &bdquo;das
-ist wichtiger, als Höflichkeit und Rücksichten! Man wird
-zum Cavalier geboren, das läßt sich eben später nicht
-anlernen!&ldquo;</p>
-
-<p>Als der Tanz vorüber war und sie Raven mit seinen
-vielen &bdquo;Unbegreiflich, unerklärlich, unverzeihlich&ldquo; entlassen
-hatte, trat Rüdiger zu ihr. Ihre Augen verriethen die
-innere Erregung, ein zartes, aber doch tiefes Roth färbte
-ihre Wangen.</p>
-
-<p>Rüdiger sah mit unverhohlenem Entzücken in ihr Gesicht.
-Wenn sie, als er sich ihr nahte, eine leise Befangenheit
-in seinem Wesen zu erkennen geglaubt hatte,
-so war diese verflogen, er sah lustiger und übermüthiger
-aus, wie je!</p>
-
-<p>&bdquo;Darf ich Sie zum Souper hinüber führen?&ldquo; frug er,
-indem er ihr Spitzentuch vom Sessel nahm und ihr
-umgab.</p>
-
-<p>&bdquo;Das dürfen Sie,&ldquo; sagte Edith, gegen ihr besseres
-Gefühl, &bdquo;ich bin ja ohne Cavalier; Herr Erting hat, Gott
-weiß warum, den Ball verlassen, ohne ein Wort der Aufklärung
-an mich!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Hat er das?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und weiter sagen Sie nichts? Ist es nicht unerhört
-rücksichtslos?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sie wissen, ich fälle nie scharfe Urtheile,&ldquo; sagte
-Rüdiger, der sie zu ihrem Platze geleitet hatte, &bdquo;er konnte
-zwingende Gründe haben! Jedenfalls rechnen wir mit
-Thatsachen &mdash; er ist fort, ich bin da, es lebe die Gegenwart!&ldquo;</p>
-
-<p>Er hielt sein überschäumendes Champagnerglas hin,
-und das ihrige klang leise dagegen. Er leerte es in einem
-Zuge, und noch eins, er steigerte sich zu fast fieberhafter
-Fröhlichkeit, sein Lachen klang durch den Saal, und noch
-nie hatten die blauen Augen des &bdquo;tollen Junkers&ldquo; so geblitzt,
-wie an diesem Abend.</p>
-
-<p>Edith gab sich voll und rückhaltslos dem Zauber der
-Minute hin, sie fühlte ein Recht dazu, da Erting sie so
-rücksichtslos, so gleichgültig verlassen hatte, und die Stunden
-flogen vorüber, leicht und glänzend, wie die Schneeflocken,
-die draußen dicht und dichter niederfielen.</p>
-
-<p>Endlich gab die Fürstin das Zeichen zum Aufheben der
-Tafel und zugleich zur Beendigung des Festes.</p>
-
-<p>Während man sich empfahl und der Saal sich zu leeren
-begann, trat Rüdiger noch einmal zu Edith.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich darf Sie und Ihre Mutter nach Hause fahren?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich glaubte, Sie verreisten heute Abend?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das thue ich auch, aber es bleibt mir trotz dessen
-noch Zeit, wenn ich Sie erst nach Brandau bringe, ich
-benütze dann einen späteren Zug.&ldquo;</p>
-
-<p>Aber Edith war inzwischen zu ruhigerem Besinnen gekommen.
-Sie schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>&bdquo;Nein, Baron Rüdiger, ich danke Ihnen! Ich bleibe
-heute noch bei der Fürstin, es ist mir zu spät geworden,
-um nach Brandau hinaus zu fahren, und meine Mutter
-hat gleichfalls die freundliche Einladung angenommen, im
-Schloß zu übernachten. Wir können uns also Ihrem
-Schutze nicht anvertrauen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Wie Sie befehlen,&ldquo; sagte Rüdiger, ohne zu ihrer
-Ueberraschung noch mit Bitten in sie zu dringen, &bdquo;dann
-fahre ich von hier direct zur Bahn, und fort. Leben Sie
-wohl, Edith, auf Wiedersehen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ein weiter Begriff, wenn Sie mehrere Tage fortbleiben,&ldquo;
-sagte sie mit etwas mühsamem Lächeln, &bdquo;wir
-reisen gleich nach der Trauung für den Rest des Winters
-nach Italien.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Gleich nach der Trauung, und für den ganzen
-Winter? O, wie schade! Nun, der Frühling kommt ja
-auch ins Land, Comtesse, und überdies, wer darf so sicher
-sagen, was er thun wird? Sie können Ihre Entschlüsse
-auch noch ändern. In jedem Falle, leben Sie wohl!&ldquo;</p>
-
-<p>Was war das? Dieser kühle, fast vergnügte Ton, in
-dem er, der sie noch vor wenig Stunden wie außer sich
-beschworen hatte, mit ihm zu fliehen, jetzt ihre Hochzeitsreise
-besprach &mdash; war dies Comödie, oder alles Vorhergegangene?
-Nun, sie wollte sich nicht übertreffen lassen.</p>
-
-<p>&bdquo;Leben Sie wohl!&ldquo; sagte sie frostig, und reichte ihm
-die kleine Hand im Handschuh, die er ehrerbietig an die
-Lippen führte. Aber als er sich wieder aufrichtete, und
-zurücktrat, so edel, stolz und fest in jeder Bewegung, da
-stand die gewaltsam bekämpfte Liebe in ihrem Herzen
-noch einmal auf, mit bitterem Schmerz bei dem Gedanken:
-&bdquo;Du siehst ihn <em class="gesperrt">nie</em> wieder, wie Ihr Euch heut gesehen!&ldquo;
-und sie gab ihm nochmals die Hand:</p>
-
-<p>&bdquo;Gott behüte Sie, Gerald, auf allen Ihren Wegen &mdash;&ldquo;
-und wandte sich hastig ab, während er eben so rasch das
-Zimmer verließ, und seinen Mantel umwerfend, die Freitreppe
-nachdenklich hinunter schritt.</p>
-
-<p>Auf seinen leisen Pfiff fuhr ein kleiner Schlitten vor.
-Der graubärtige Kutscher schlug schweigend das Tigerfell
-zurück, und gab seinem Herrn die Zügel. Beide vermieden
-es sorgfältig, einander anzusehen.</p>
-
-<p>&bdquo;Vorwärts!&ldquo; rief Rüdiger, und die Pferde zogen an.
-Pfeilschnell flog der Schlitten über die dichte Schneedecke,
-zur Stadt hinaus. Lautlos sauste das Gefährt über die
-Landstraße, im kalten Vollmondlicht von seinen gespenstischen,
-kohlschwarzen, jagenden Schatten begleitet. Eine scharfe
-Biegung des Weges brachte den Schlitten in den stummen,
-funkelnden Wald, der Mond verschwand hinter den
-schwarzen Tannen, und ein Ruck mit den Zügeln ließ die
-Pferde langsam gehen. Schon stieg das Wolfsdorffer
-Schloß, in seinem Schneemantel seltsam und ungestaltet
-aussehend, vor den Blicken Rüdigers auf. Er zog den
-Hut tiefer ins Gesicht, und wandte sich zu seinem
-Kutscher.</p>
-
-<p>&bdquo;Job!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Gnädiger Herr?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Alles ruhig oben?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nein, gnädiger Herr!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Was macht er denn, Job?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Er flucht, gnädiger Herr, und wirft die Stiefel gegen
-die Thüren. Zwei Fenster hat er auch schon eingeschlagen.&ldquo;</p>
-
-<p>Rüdiger biß sich auf die Lippen und schwieg. Nach
-einer Pause, die den Schlitten wieder näher an das Schloß
-brachte, begann er von Neuem.</p>
-
-<p>&bdquo;Job!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Gnädiger Herr!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Warum sagst du nichts?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich weiß nichts, gnädiger Herr!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Job, mir ist verflucht ungemüthlich zu Muthe!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das glaub&rsquo; ich, gnädiger Herr!&ldquo;</p>
-
-<p>Der Baron peitschte plötzlich wie wüthend auf die
-Pferde, daß sie im Sturmschritt hinflogen, bis das Schloß
-erreicht war. Der gellende Ton der Pfeife übte auch hier
-seine Wirkung. Langsam und kreischend wurde die Zugbrücke
-herabgelassen, der Schlitten sauste in den Schloßhof,
-die Zugbrücke ging empor und nun war Rüdiger zu
-Hause.</p>
-
-<p>Ein zweiter Diener, eben so alt und verdrießlich aussehend,
-wie Job, trat ihm mit einer Lampe entgegen, die
-einen breiten, röthlichen Schein über den Schloßhof fallen
-ließ. Rüdiger schüttelte sich die Schneeflocken vom Hut
-und aus dem Gesicht, warf dem Diener den Mantel zu,
-und ging langsam die breite, halbdunkle Treppe hinauf,
-die nach den Wohnräumen führte. Der Diener folgte
-ihm mit der Laterne.</p>
-
-<p>Oben angelangt, blieb der junge Schloßherr stehen.
-Wenn er hätte sehen können, welch seltsam malerischen und
-schönen Anblick er in seiner altspanischen Tracht, an der
-dunkeln, geschnitzten Holztreppe lehnend, darbot, er hätte
-sich möglicher Weise gefreut, wahrscheinlicher aber ist es,
-daß es ihm in seiner momentanen Stimmung höchst gleichgültig
-gewesen wäre.</p>
-
-<p>Er entließ den Diener mit einer kurzen Handbewegung
-und schritt dann, nachdem er noch einen Augenblick nachdenklich
-gestanden hatte, den langen, hallenden Gang
-herunter, der nach dem unfreiwilligen Aufenthaltsort seines
-Gastes führte. An einem Zimmer, über dessen Thür sich
-ein Spitzbogen von Sandstein wölbte, hielt er an, schloß
-auf und klopfte gleichzeitig.</p>
-
-<p>&bdquo;Wer ist da?&ldquo; rief Ertings Stimme von drinnen,
-zwischen Aengstlichkeit und Wuth.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich, Gerald Rüdiger, Herr Erting, &mdash; wollen
-Sie &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>Es blieb ihm nicht Zeit den Satz zu vollenden, die
-Thür wurde aufgerissen, und Erting stand dicht vor ihm,
-in dem ungewissen Mondlicht, welches sein vom Zorn
-bleiches Gesicht noch weißer erscheinen ließ.</p>
-
-<p>&bdquo;Wo haben Sie Ihre Pistolen?&ldquo; knirschte er, indem
-er Miene machte, sich auf Rüdiger zu stürzen, &bdquo;wo haben
-Sie Ihre Pistolen, ich will nicht mehr leben, wenn ich
-nicht an Ihnen Rache nehmen darf!&ldquo;</p>
-
-<p>Rüdiger war so versteinert über diesen Wuthausbruch,
-daß er im ersten Moment kein Wort fand, um zu erwidern.
-Erting mochte das für den kalten Hohn des Siegers dem
-Besiegten gegenüber halten, er kam wie ein Rasender auf
-Rüdiger zu, und packte ihn am Arm.</p>
-
-<p>&bdquo;Wollen Sie mir sofort Genugthuung geben für den
-Schimpf, den Sie mir angethan haben, oder soll ich Sie
-dazu zwingen?&ldquo;</p>
-
-<p>Er hob drohend die Hand, Rüdiger trat einen Schritt
-zurück, noch sehr ruhig, wie es schien.</p>
-
-<p>&bdquo;Seien Sie nicht toll, Erting, ich schieße mich nicht
-mit Ihnen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Weshalb? weil Sie der Stärkere sind? Ich will keine
-Schonung!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nein, einmal, weil wir keine Secundanten und keinen
-Arzt zur Stelle haben, von einem Duell also keine Rede
-sein kann, sodann aber, weil Sie mit Schießgewehr nicht
-umzugehen wissen, und ich kein Vergnügen daran finde,
-einen Wehrlosen niederzuschießen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn Sie Vergnügen daran finden, einen Wehrlosen
-durch Ihre Leute knebeln und fortschleppen zu lassen, so
-ist das reichlich eben so feige!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Erting, nehmen Sie sich in Acht,&ldquo; rief Rüdiger, auf
-dessen Stirn eine unheilverkündende, düstre Röthe erschien,
-&bdquo;ich dulde heute Viel von Ihnen, weil Sie der Beleidigte
-sind, aber nicht Alles!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sie wollen sich nicht mit mir schießen?&ldquo; schrie Erting
-mit fast erstickter Stimme, als der Andere sich abwendete,
-und im Begriff stand, das Zimmer zu verlassen.</p>
-
-<p>&bdquo;Nein!&ldquo; erwiderte Rüdiger kurz, er fühlte, daß er
-keine Silbe mehr sagen durfte, ohne in Zorn auszubrechen.</p>
-
-<p>&bdquo;Wer hat die Schonungsparole ausgegeben?&ldquo; fuhr
-Erting, sinnlos vor Wuth, fort, &bdquo;Edith, ich sehe jetzt klar,
-sie war doch jedenfalls im Complott, als es galt, den
-unbequemen Bräutigam fortzuschaffen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Genug!&ldquo; sagte Rüdiger todtenbleich und fest, &bdquo;Sie
-haben einen Namen in unseren Streit hineingezogen, der
-es mir unmöglich macht, Ihnen noch ferner Genugthuung
-zu verweigern, ich werde die nöthigen Anordnungen treffen.
-Erwarten Sie mich hier, Sie haben es so gewollt!&ldquo;</p>
-
-<p>Er verließ das Zimmer, und Erting blieb allein zurück,
-in einem Tumult von Empfindungen, der ihm fast den
-Verstand zu rauben drohte. Ueberwiegend war immer
-noch die furchtbarste Wuth und Entrüstung, die aber in
-der Voraussicht, seinen Rachedurst kühlen zu können, ja
-zu müssen, bereits nachzulassen begann.</p>
-
-<p>Blitzschnell jagten sich die Gedanken, &bdquo;was wird man
-zu Hause von dir denken? in welchem Lichte mußt du
-Edith erscheinen?&ldquo; denn im Innern hatte er an ihre Mitwissenschaft
-nicht geglaubt! Dann kamen andere Bilder
-&mdash; wenn er nun hier fiel! er, der dem Waffenhandwerk
-gänzlich Fremde, dem besten Schützen auf Meilen in der
-Runde gegenüber! Was würde seine Mutter sagen? was
-Martha, die kleine, gute Cousine, die er geliebt, ehe er
-in diesen wüsten Traum verflochten wurde? Er starrte
-auf den breiten, weißen Streifen Mondlicht, der durchs
-Zimmer floß. Wer weiß, ehe die nächste Stunde ablief,
-lag er vielleicht dort, hülflos, zum Krüppel geschossen,
-todt, das war das Wahrscheinlichste.</p>
-
-<p>Ach was half das Quälen! Er sprang auf und schritt
-durchs Zimmer, in dem seine Schritte unheimlich wiederklangen.
-Dann trat er zum Fenster, riß zwei Blätter aus
-seiner Brieftasche und warf im grellen Vollmondschein mit
-etwas unsicherer Hand zwei Zeilen hin, an seine Mutter!
-Dann faltete er das Blatt und schrieb unter die Adresse:
-&bdquo;für den Fall meines Todes abzugeben.&ldquo; Dann ergriff
-er das andere Blatt &mdash; sollte er Edith Lebewohl sagen?
-sie wird seinen Tod schon erfahren, durch Rüdiger, der
-sie zweifelsohne darüber zu trösten verstehen wird! Nein,
-im Angesicht des Todes giebts keine Lüge mehr, er schreibt
-hastig und fliegend: &bdquo;Liebe Martha, wenn du diese Zeilen
-erhältst, bin ich nicht mehr unter den Lebenden, und du
-sollst dann wissen, daß ich dich immer geliebt habe, und
-daß nur der Wille meiner Mutter uns trennte.&ldquo;</p>
-
-<p>Er hatte kaum Zeit, auch hier die Adresse beizufügen,
-als der Schall von Schritten seiner Thür nahte.</p>
-
-<p>Rüdiger trat ein, gefolgt von zwei graubärtigen
-Männern, deren einer ein paar riesige Armleuchter trug,
-die das Zimmer plötzlich zum Theil mit grellem Licht erfüllten,
-während die verjagte Dunkelheit scheu und doppelt
-finster in den Ecken niederkauerte, als lauere sie auf den
-Augenblick, wo hier Alles wieder ihrem Reich anheimgegeben
-sein würde.</p>
-
-<p>Rüdiger stellte das Pistolenkästchen, welches er trug,
-auf den Tisch und wandte sich zu Erting.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich habe Sie warten lassen, Herr Erting,&ldquo; sagte er
-im verbindlichen Ton, &bdquo;aber um die nöthigsten Formalitäten
-zu erfüllen, habe ich uns wenigstens einen Zeugen citirt,
-hier, mein Förster Strauch, er wird uns die Waffen reichen,
-und versteht im schlimmsten Fall nothdürftig zu verbinden.&ldquo;</p>
-
-<p>Er trat zum Tisch und nahm die Pistolen heraus.</p>
-
-<p>&bdquo;Gestatten Sie, daß mein Förster Ihnen das Laden
-abnehme,&ldquo; sagte er dann zu Erting, &bdquo;meine Waffen sind
-etwas eigensinniger Natur, und lassen sich nicht von Jedermann
-handhaben!&ldquo;</p>
-
-<p>Erting verbeugte sich stumm.</p>
-
-<p>&bdquo;Ein Wort, Herr von Rüdiger,&ldquo; sagte er dann.</p>
-
-<p>&bdquo;So viel Sie befehlen!&ldquo; erwiderte sein Gegner, indem
-er mit ihm zum Fenster trat.</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn ich falle, so darf ich wohl bitten, diese beiden
-Zettel an ihre Adresse zu befördern, ich stelle mich für
-einen gleichen Auftrag zur Verfügung.&ldquo;</p>
-
-<p>Rüdiger warf, nachdem er die Aufschriften gelesen,
-einen schnellen verwunderten Blick auf Erting.</p>
-
-<p>&bdquo;Nichts an Comtesse Brandau?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich vermuthete, daß Sie ihr mündlich Bericht erstatten
-würden!&ldquo;</p>
-
-<p>Rüdiger zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>&bdquo;Wer weiß! Und nun, sind wir fertig?&ldquo;</p>
-
-<p>Erting schwieg einen einzigen Moment.</p>
-
-<p>&bdquo;Ja,&ldquo; sagte er dann. &bdquo;Sie haben mir keinen Auftrag
-zu geben?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Besten Dank! Wenn mir ein derartiges Malheur
-zustößt, so würden die sogenannten Meinigen, deren ich
-wenig besitze, sich durchaus nicht wundern; sie erfahren
-es dann am Besten durch meinen alten Job. Und Comtesse
-Brandau &mdash; ich vermuthe, Sie werden ihr mündlich
-Bericht erstatten, Herr Erting!&ldquo;</p>
-
-<p>Er lächelte flüchtig und streckte Erting die Hand hin.
-Dieser nahm sie nicht, und sah ihn zornig verwundert
-an.</p>
-
-<p>&bdquo;Es ist Usus so, oder ähnlich,&ldquo; sagte Rüdiger freundlich,
-&bdquo;aber wie Sie wollen!&ldquo;</p>
-
-<p>Die beiden Gegner nahmen Aufstellung, der Diener
-hatte das Zimmer wieder verlassen.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich denke, wir schießen <em class="antiqua">a tempo</em>,&ldquo; sagte Rüdiger,
-noch immer in einem Ton, wie im Ballsaal, &bdquo;zählen Sie,
-Strauch, bis drei!&ldquo;</p>
-
-<p>Fast gleichzeitig ertönte der scharfe Knall der Pistolen,
-Rüdigers Kugel zischte etwa handbreit über Ertings Kopf
-fort und schlug in die Wand. Als sich die blauen Rauchwolken
-langsam verzogen, sah der vor Aufregung halb
-sinnverwirrte Erting Rüdiger schwanken, oder glaubte es
-zu sehen. Im nächsten Augenblick hatte sich der Baron aufgerichtet,
-und trat auf Erting zu, ihm die linke Hand bietend.</p>
-
-<p>&bdquo;Bravo, Erting, Sie haben sich die Sporen verdient, &mdash;
-und nun zürnen Sie mir nicht mehr, ich habe eine ganz
-hübsche Lehre bekommen!&ldquo;</p>
-
-<p>Erting starrte mit weitgeöffneten Augen auf seinen
-Gegner, dessen rechter Arm schlaff und regungslos herabhing,
-und von dem das Blut dicht und schnell niederrieselte
-und in dem Streifen Mondlicht am Fußboden unheimlich
-aufglänzte. Rüdigers bleiches Gesicht und die
-finster zusammengezogenen Augenbrauen verriethen, daß
-er heftige Schmerzen fühlte. Seine Stimme hatte nichts
-von ihrem übermüthigen Klange verloren.</p>
-
-<p>Aber bei den letzten Worten ging es wie ein Schleier
-über seine Züge, und der Förster hatte eben noch Zeit,
-den ohnmächtig Zurücksinkenden aufzufangen.</p>
-
-<p>Jetzt erst fand Erting Sprache und Bewegung wieder.</p>
-
-<p>&bdquo;Großer Gott, ich habe ihn gemordet!&ldquo; schrie er auf,
-und warf sich neben seinem bleichen Feinde nieder.</p>
-
-<p>Der Förster schwieg und bemühte sich, Rüdigers Rock
-auszuziehen, was ihm aber nicht gelang, da der zerschmetterte
-Arm in seiner Unbehülflichkeit ihn daran
-hinderte.</p>
-
-<p>&bdquo;Helfen Sie &rsquo;mal,&ldquo; herrschte er Erting zu, der, das
-Gesicht in den Händen verborgen, noch immer regungslos
-auf den Knieen lag, &bdquo;heben Sie den Arm in die Höhe,
-damit ich ihm den Aermel aufschneiden kann.&ldquo;</p>
-
-<p>Erting, dessen Zähne wie im Fieberfrost zusammenschlugen,
-versuchte zu gehorchen, aber seine zitternden Hände
-erwiesen sich als so ungeschickt, daß der Förster ihn ärgerlich
-bei Seite schob.</p>
-
-<p>&bdquo;Rufen Sie den Job,&ldquo; sagte er, &bdquo;wir müssen uns
-eilen, daß wir das Blut stillen, sonst wird das nicht gut!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich weiß nicht, wo ich ihn finden soll,&ldquo; sagte Erting
-kläglich, dessen durch die Erregung des Moments aufgeflackerter
-Muth bereits wieder zu einem Nichts zusammengeschrumpft
-war.</p>
-
-<p>&bdquo;Dann werde ich ihn holen,&ldquo; sagte der Förster,
-&bdquo;bleiben Sie hier bei dem Baron!&ldquo;</p>
-
-<p>Und damit verließ er das Zimmer. Erting blieb mit
-Rüdiger allein.</p>
-
-<p>Sein erstes Gefühl war, sich ins Fenster möglichst weit
-von seinem Opfer zu flüchten, aber eine bessere und
-muthigere Regung überwog. Er nahte sich dem noch
-immer Bewußtlosen und kniete, obwohl zitternd, neben
-ihm nieder, ohne ihn jedoch zu berühren. In der kalten
-Doppelbeleuchtung der flackernden Lichter und der Schneenacht
-draußen war Rüdigers edles, regungsloses Gesicht
-wirklich kaum von dem eines Todten zu unterscheiden.
-Als Erting, von einem unheimlichen Zauber bezwungen,
-starr in die stillen Züge seines Feindes blickte, ging ihm
-das Herz in Reue und Wehmuth auf. Dies schöne, starke
-Leben hatte er zerstört; zum Wenigsten den Mann dort auf
-ein monatelanges Siechenlager gezwungen, ihm, dem freies,
-wildes Streifen in Wald und Flur, Jagdlust und Jagdeifer
-Leben hieß, wahrscheinlich für immer die Freude an
-solchen Dingen geraubt! Jener Arm, der dort so schlaff, so
-schauerlich bewegungslos herabhing, er würde sich vielleicht
-nie mehr heben; mit den dunklen, schweren Tropfen, die
-ihm entströmten, ging vielleicht die letzte Hoffnung auf ein
-Wiedererwachen des Leblosen dahin!</p>
-
-<p>Wo blieb nur der Förster? Erting getraute sich
-nicht, bis zur Thür zu gehen, er hielt förmlich den
-Athem an.</p>
-
-<p>Seine Reflexionen begannen von Neuem. Stand diese
-Strafe im Verhältniß zu dem tollen Streich, der ihn hierhergebracht?
-Hätte er nicht ruhiger, nachgiebiger sein
-sollen? O, und wer war gestraft, wer, als er selbst, der
-wie ein Fluchbeladener hier kniete, und auf den Herzschlag
-des Mannes lauschte, den seine Waffe hingestreckt, und
-der sich ihm, wie er nun wohl wußte, ohne Gegenwehr
-zum Ziel gesetzt! Als er, tief aufstöhnend, den Kopf erhob,
-und Rüdiger anblickte, öffnete dieser langsam die
-Augen, und sah ohne bestimmtes Ziel vor sich hin.</p>
-
-<p>Dann erhob er die linke Hand nach der Stirn und
-versuchte, sich aufzurichten.</p>
-
-<p>Erting, obwohl bebend am ganzen Körper, unterstützte
-ihn. Rüdiger erkannte seinen kleinen Feind und ein leises
-Lächeln flog über sein Gesicht.</p>
-
-<p>&bdquo;Herr Erting, bemühen Sie sich nicht! Und sehen
-Sie nicht so jämmerlich aus, es war mir ganz gesund,
-daß Sie mir etwas Blut abzapften!&ldquo;</p>
-
-<p>Der schwache Ton der Stimme traf Erting wie ein
-Dolchstoß.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich habe Sie unglücklich gemacht,&ldquo; stöhnte er, die
-Hände vor&rsquo;s Gesicht schlagend, &bdquo;können Sie mir verzeihen?&ldquo;</p>
-
-<p>Rüdiger erröthete leicht.</p>
-
-<p>&bdquo;Erting, machen Sie mich nicht verlegen,&ldquo; sagte er
-hastig und streckte die Hand nach dem Andern aus, &bdquo;ich
-Ihnen verzeihen! Ich habe Sie auf das Unerhörteste behandelt
-und kann von Glück sagen, mit einer so &bdquo;gnädigen
-Strafe&ldquo; davon zu kommen. Und was das Unglücklichmachen
-betrifft, bester Freund, diese linke Hand wird
-schon noch eine Büchse führen können, bis die rechte wieder
-dienstfähig ist!&ldquo;</p>
-
-<p>Er schloß wieder die Augen, die letzten Worte hatte
-er schon fast gemurmelt &mdash; aber endlich, endlich kamen
-Schritte den Corridor entlang. Der Förster, Job und
-noch ein paar Unbekannte drangen ins Zimmer. Einer
-davon, ein kleiner, untersetzter Mann, näherte sich dem
-jungen Schloßherrn und begann mit anscheinender Sachkenntniß
-den verwundeten Arm zu untersuchen.</p>
-
-<p>Erting wartete auf seinen Ausspruch, wie auf das
-Urtheil über Tod und Leben, nachdem Job ihm mit
-finsterer Miene gesagt, es sei der Wundarzt.</p>
-
-<p>&bdquo;Ist das Bett des Herrn Baron bereit?&ldquo; frug der
-Heilkünstler jetzt.</p>
-
-<p>&bdquo;Wie lange schon!&ldquo; murrte Job, &bdquo;es ist ja glücklich
-fünf Uhr vorbei!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, Scholz, was meinen Sie zu mir?&ldquo; sagte Rüdiger,
-sich ein wenig aufrichtend, &bdquo;heulen Sie mir aber nichts
-vor, denn ich verstehe ebenso viel von der Chirurgie wie
-Sie, alter Bartscheerer! Kaput oder nicht?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Der Knochen ist durch und durch, Herr Baron,&ldquo; erwiderte
-der Wundarzt trocken. Erting klappte zusammen
-wie ein Taschenmesser, während Rüdiger kein Zeichen der
-Bewegung sehen ließ.</p>
-
-<p>&bdquo;Herr Baron fangen auch schon an zu fiebern, vor
-allen Dingen ruhige Lage und kühles Getränk!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Tröstlich!&ldquo; sagte Rüdiger, dessen Augen allerdings
-bereits fieberhaft zu glühen begannen, &bdquo;denken Sie aber
-nicht, daß ich Ihrem blödsinnigen Gewäsch folge! Was,
-ruhige Lage! &mdash; sitzen werde ich bis morgen früh und mein
-kühles Getränk wird auch von anderer Art sein, als Sie
-sich einbilden! Was, Erting? Haben wir unsere schöne
-Feindschaft mit Menschenblut besiegelt, so soll nun Rebenblut
-dran! Job, flink, in den Keller!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Baron Rüdiger,&ldquo; sagte Erting flehend, und faßte in
-seinem Eifer die Hand des Gegners, &bdquo;ich beschwöre Sie,
-thun Sie, was der Arzt Ihnen sagt! Bedenken Sie, was
-daraus entstehen könnte, wenn Sie sich seinen Anordnungen
-widersetzen.&ldquo;</p>
-
-<p>Dem kleinen, gutmüthigen Mann traten fast die
-Thränen in die Augen. Rüdiger sah ihn einen Moment
-verwundert an und lachte kurz auf.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sind eine gute Seele,&ldquo; sagte er, &bdquo;und sollen sich
-nicht ängstigen! Ich werde zu Bett wandern, damit Sie
-nicht, wenn ich mit achtzig Jahren sterbe, sich einbilden,
-ich wäre an Ihrem Tellschuß draufgegangen und sich ihr
-Greisenalter durch Gewissensbisse verderben. Aber vor
-allen Dingen sollen Sie jetzt in die Stadt zurückkehren.
-Job, laß anspannen! ah, der Wagen kommt schon eine &mdash;
-schwere Kutsche, wie sie rasselt! Aber die Todten reiten
-schnell!&ldquo;</p>
-
-<p>Er schloß die Augen.</p>
-
-<p>&bdquo;Zu Bett mit ihm,&ldquo; sagte der Chirurg energisch, &bdquo;das
-Fieber steigt rapide. Wenn Sie nach der Stadt fahren,&ldquo;
-wandte er sich an Erting, &bdquo;so schicken Sie doch noch einen
-Arzt heraus, ich mag die Verantwortung nicht allein
-übernehmen.&ldquo;</p>
-
-<p>Rüdiger, der inzwischen wieder zu sich kam, ließ sich
-ohne weiteren Widerstand von Erting und Job in sein
-Zimmer bringen, dann kehrte Ersterer zu dem Arzt
-zurück.</p>
-
-<p>&bdquo;Geben Sie mir Ihre Directionen für die Nacht,&ldquo;
-sagte er mit ungewöhnlicher Festigkeit, &bdquo;ich bleibe bei dem
-Baron, er hat schon darein gewilligt.&ldquo;</p>
-
-<p>Der Chirurg sah ihn erstaunt an.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun meinetwegen,&ldquo; sagte er, &bdquo;legen Sie ihm fleißig
-Eis auf den Kopf, und halten Sie ihn möglichst ruhig.
-Aber ein Arzt muß noch heraus!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Schön, bestellen Sie einen reitenden Boten, ich schicke
-zu Doctor Stein, er ist einer der besten Aerzte und mir
-persönlich bekannt. Halten Sie denn den Zustand des
-Barons für gefährlich?&ldquo; Ertings Lippen zitterten.</p>
-
-<p>&bdquo;Offen gesagt, ja!&ldquo; erwiderte der Wundarzt nach
-einigem Besinnen, &bdquo;das Fieber tritt so schnell und heftig
-auf, daß es die Kräfte sehr hinnehmen muß und für einen
-Mann von des Barons ganzer Natur ist ein Krankenlager
-immer eine böse Sache. Aber wir wollen das
-Beste hoffen!&ldquo;</p>
-
-<p>Erting schrieb in fliegender Eile, während der Bote
-sich bereit machte; er citirte Doctor Stein heraus und
-benachrichtigte in einem zweiten Briefe Edith von seinem
-Aufenthalt und dem stattgehabten Duell.</p>
-
-<p>Dann kehrte er zu Rüdiger zurück, den er in den
-wildesten Phantasien vorfand.</p>
-
-<p>Doctor Stein, den wir gleichfalls am Eingang unserer
-Erzählung kennen lernten, traf in wenig Stunden ein.
-Er trat mit dem ihm eigenen, besonnenen Wesen an das
-Lager des wilden Kranken, und sein Einfluß vermochte
-Rüdiger so weit zu beruhigen, daß er auf einige Fragen
-ziemlich klar antwortete. Aber nach wenig Augenblicken
-verfiel er schon wieder in heftige Raserei. Erlebtes und
-Geträumtes mischte sich auf eine für Erting unbeschreiblich
-qualvolle Weise in seine Reden.</p>
-
-<p>Doctor Stein sah bedenklich aus, als er sich
-empfahl.</p>
-
-<p>&bdquo;Wir wollen die Büchse nicht gleich ins Korn werfen,&ldquo;
-sagte er auf Ertings verzweifelt fragenden Blick, &bdquo;aber
-das Ungestüm des Fiebers macht mich besorgt. So viel
-ich weiß, hat Rüdiger keinen nahen Verwandten, ich
-werde einen Pfleger aus der Stadt schicken.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Thun Sie das nicht,&ldquo; bat Erting flehentlich, &bdquo;sagen
-Sie mir Alles, was geschehen soll, Stein, ich will gewiß
-nichts an ihm versäumen! Gönnen Sie mir den kleinen
-Trost für das Schreckliche, was ich in meinem unsinnig
-gereizten Zustand angerichtet habe!&ldquo;</p>
-
-<p>Er sah so tief unglücklich aus, daß Stein ihm theilnehmend
-die Hand auf die Schulter legte.</p>
-
-<p>&bdquo;Ruhig Blut, alter Freund,&ldquo; sagte er tröstend, &bdquo;Rüdiger
-ist jung und hat schon mehr Stürme ausgehalten, als
-diesen! Ich traue Ihnen übrigens Umsicht und Sorgfalt
-genug zu, um die Pflege durchzuführen, aber eins sage
-ich Ihnen, Sie müssen nach aller Voraussicht eine ganze
-Zeit lang tüchtig auf dem Platze sein, Tag und Nacht!&ldquo;</p>
-
-<p>Erting nickte nur stumm und kehrte, nachdem der
-Doctor das Schloß verlassen hatte, sofort zu seinem
-Posten zurück. Tage und Nächte saß er nun an Rüdigers
-Lager, nur selten auf kurze Stunden von Job abgelöst.
-Keine Mutter hätte zarter und sorglicher mit dem Verwundeten
-umgehen können, als der kleine, ehrliche Mann,
-den er so schwer gekränkt.</p>
-
-<p>Und während dieser angstvollen Stunden im stillen
-Krankenzimmer ging in dem Herzen der beiden Rivalen
-eine seltsame Wandlung vor. Erting fühlte, wie die
-Sorge um seinen Pflegling, die Freude an den &mdash; freilich
-seltenen &mdash; Momenten, wo es besser zu gehen schien, ihm
-nach und nach eine wirkliche Neigung zu dem Gegenstande
-dieser Sorgen und Freuden einflößte. Oft ertappte
-er sich dabei, daß er fast mit einem Gefühl von Zärtlichkeit
-in das schöne, bleiche Gesicht des Kranken blickte, und
-seine fieberglühende Hand sanft streichelte. Und Rüdiger,
-der nie die Augen bewußt aufschlug, ohne in das treuherzige
-Gesicht Ertings zu blicken &mdash; der jeden Labetrunk
-aus den Händen des einst so Gehaßten und Verspotteten
-entgegennahm &mdash; er hatte, unklar, wie die Krankheit ihn
-denken ließ, doch schon ganz die Empfindung, daß dieser
-kleine Mann zu ihm gehöre &mdash; daß ihm etwas fehle,
-wenn Erting nicht an seiner Seite sei.</p>
-
-<p>Jeden Tag kamen Erkundigungen nach Rüdigers Befinden
-&mdash; aus Brandeck und aus der Residenz, und die
-tägliche Antwort &mdash; &bdquo;noch beim Alten,&ldquo; wollte und wollte
-keiner Besserung weichen.</p>
-
-<p>Eines Abends, als Erting in traurigem Hinbrüten an
-Rüdigers Lager saß, blickte dieser plötzlich mit ungewohnter
-Klarheit zu ihm auf.</p>
-
-<p>&bdquo;Erting,&ldquo; sagte er, &bdquo;mir ist heut auf einmal merkwürdig
-vernünftig im Kopf, das muß ich schnell benutzen!
-Ich danke Ihnen, Erting, für alle Liebe, die Sie mir erwiesen
-haben &mdash; Sie sind ein braver, treuer Kamerad und
-ich habe es nicht um Sie verdient!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Schweigen Sie doch,&ldquo; sagte Erting rauh, um seiner
-Bewegung Herr zu werden.</p>
-
-<p>Rüdiger schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>&bdquo;Lassen Sie mich heute reden!&ldquo; fuhr er schwach, aber
-ganz ruhig fort, &bdquo;wer weiß, ob ichs morgen noch kann!
-Ich glaube beinahe, alter Freund, es wird am längsten
-gedauert haben mit mir und darum will ich Ihnen heut
-noch Alles sagen, was ich auf dem Herzen habe. Lassen
-Sie mich reden,&ldquo; wiederholte er hastig und erregt, &bdquo;oder
-ich springe aus dem Bett, so viel Kräfte habe ich schon noch!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, so reden Sie,&ldquo; sagte Erting rathlos, als er sah,
-daß Rüdiger sich mühsam emporrichtete, &bdquo;aber fassen Sie
-sich kurz, und dann schlafen Sie!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich will Ihnen nur sagen,&ldquo; begann Rüdiger in
-kurzen Sätzen und schnell athmend, &bdquo;daß ich nicht ganz
-der hinterlistige Schurke bin, für den Sie mich gehalten
-haben. Als ich an dem Abend, Sie wissen ja, dem Maskenabend,
-ins Schloß kam, wollte ich Sie nicht entführen, bei
-Gott nicht! Ich wollte &mdash; ja sehen Sie mich nur an,
-ich wollte Edith&ldquo; &mdash; er seufzte schwer auf &mdash; &bdquo;also &mdash;
-Edith ein letztes Ultimatum stellen &mdash; sie sollte mit mir
-davongehen! Sie wurde zornig &mdash; und wir geriethen
-aneinander!&ldquo;</p>
-
-<p>Er schwieg einen Augenblick erschöpft, fuhr aber gleich
-wieder fort:</p>
-
-<p>&bdquo;Da kam mir plötzlich, blitzschnell der Gedanke, wie,
-wenn du <em class="gesperrt">ihn</em> wegbrächtest? Dann könnte keine Hochzeit
-sein und du hättest der ganzen Bande noch einmal tüchtig
-die Hölle heiß gemacht. An Das, was später kommen
-könnte &mdash; dachte ich nicht &mdash; habe ich nie gedacht &mdash; nie!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, ja!&ldquo; sagte Erting beruhigend, als Rüdiger wieder
-schwach zurücksank, &bdquo;das weiß ich ja! Aber nun schweigen
-Sie auch wieder still!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nur Eins noch, Erting,&ldquo; sagte Gerald, und faßte
-des Andern Hand, &bdquo;ich spreche nicht aus Egoismus, beim
-Himmel nicht! Ich werde keinem Freier mehr in den
-Weg treten! Aber glauben Sie mir, geben Sie Edith
-los! Sie Beide taugen nicht für einander, ich kenne das
-Mädchen besser &mdash; sie würde unglücklich werden und machen!
-Die hätte zu so einem Durchgänger gepaßt wie ich bin, &mdash;
-nun, es sollte nicht sein!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Rüdiger,&ldquo; sagte Erting mit vor Rührung zitternder
-Stimme, &bdquo;nun hören Sie, was ich zu sagen habe. Glauben
-Sie wirklich, daß wenn Sie sterben sollten &mdash; wenn ich Sie
-umgebracht hätte, und das hätte ich doch! daß ich dann
-noch Edith Brandau heirathen könnte? Nein, Rüdiger,
-das nicht! das nicht! Und sie würde es auch nicht thun,
-denn sie weiß ganz gut, daß Sie um ihretwillen hier
-liegen! Nein, mein lieber Freund, wenn Sie wieder gesund
-sind &mdash; und Sie <em class="gesperrt">werden</em> wieder gesund werden &mdash;
-dann sollen Sie sie selbst fragen, was sie davon denkt &mdash;
-<em class="gesperrt">ich</em> stehe Ihnen nicht mehr im Wege!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und Sie glauben, ich würde eine solche Großmuth
-annehmen?&ldquo; rief Rüdiger fieberhaft erregt, &bdquo;ich hätte gehofft,
-daß Sie mich nun besser kennten!&ldquo;</p>
-
-<p>Erting sah vor sich nieder.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich will einmal ehrlich sein, Rüdiger,&ldquo; sagte er und
-wurde roth, &bdquo;so sehr großmüthig wäre es nicht &rsquo;mal von
-mir! Ich habe schon lange das Gefühl, als wenn Edith
-Brandau und ich einen dummen Streich begangen hätten,
-als wir uns verlobten, und &mdash; und ich muß Ihnen nur
-sagen, ich habe irgendwo in der Welt eine kleine Cousine,
-&mdash; nun, Sie können sich das Andere denken!&ldquo;</p>
-
-<p>Rüdiger schwieg eine Weile, dann strich er sich das
-Haar von der Stirn.</p>
-
-<p>&bdquo;Das nützt mir Alles nichts, Erting! Erstens sterbe
-ich, das wissen Sie ja so gut wie ich, und dann, wie
-Edith ist, habe ich sie mir durch meinen tollen Streich
-von vornherein verscherzt! Ein Mädchen wie sie läßt
-sich nicht ertrotzen; wenn ich ihr nicht gleichgültig war &mdash;
-und ich war es nicht &mdash; jetzt bin ich es geworden, glauben
-Sie mir, Erting! Aber ich habe nun genug gesprochen,
-ich will schlafen!&ldquo;</p>
-
-<p>Und er wandte den Kopf ab und verbarg das Gesicht
-in den Kissen.</p>
-
-<p>Spät Abends jagte ein reitender Bote nach der Stadt.
-Doktor Stein wurde geholt, Rüdigers Zustand hatte sich
-aufs Heftigste verschlimmert.</p>
-
-<p>Stein blieb mehrere Stunden da, und als er um
-Mitternacht zurückfuhr und versprach, gegen Morgen noch
-einmal wiederzukommen, da wußte man im Schloß, daß
-Rüdigers Leben menschlicher Voraussicht nach nur noch
-nach Stunden zähle.</p>
-
-<p>Im Dorf verbreitete sich die Kunde mit Blitzesschnelle,
-sie flog mit ihren schwarzen Flügeln über die Grenze von
-Brandeck und schlug an die Fenster, hinter denen Edith
-wohnte, und schlug auf das verzweifelnde Herz von
-Geralds erster Liebe.</p>
-
-<p>Als der Wagen des Doctors noch vor der Dämmerung
-wieder in den Schloßhof fuhr, lag Rüdiger in unruhigem
-Halbschlummer. Erting öffnete leise die Thür, als er
-Schritte im Vorzimmer vernahm.</p>
-
-<p>&bdquo;Stein, sind Sie es?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, und ich habe noch Jemand mitgebracht,&ldquo; sagte
-der Doctor mit unterdrückter Bewegung, &bdquo;machen Sie
-einmal Platz, Erting!&ldquo;</p>
-
-<p>Er zog ihn sanft von der Thür zurück und eine tief
-verschleierte Frauengestalt trat ihm entgegen und streckte
-ihm beide Hände hin.</p>
-
-<p>&bdquo;Ludwig, verzeihen Sie mir, was ich Ihnen angethan
-habe &mdash; und verzeihen Sie mir auch diesen Schritt &mdash;
-aber ich mußte Ihn noch <em class="gesperrt">einmal</em> sehen!&ldquo;</p>
-
-<p>Erting nahm ihre Hände sanft in die seinen. &bdquo;Gehen
-Sie zu ihm, Edith, ich habe Ihnen nichts mehr zu verbieten
-&mdash; der da drinnen hat Sie mit seinem Blut erkauft!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie trat langsam, bebend an das Bett des Schlummernden,
-sie sah einige Augenblicke in sein bleiches Gesicht
-und dann kniete sie neben ihm nieder und küßte seine Hand.</p>
-
-<p>Da sah er empor, nicht erstaunt, sondern nur sehr
-glücklich, und sagte: &bdquo;Nicht wahr, du bleibst jetzt bei
-mir?&ldquo;</p>
-
-<p>Und als sie vor Thränen nur stumm zu nicken vermochte,
-schloß er die Augen und verfiel in einen sanften Schlummer.</p>
-
-<p>&bdquo;Das war ein Gewaltstreich,&ldquo; sagte Doctor Stein
-eine Stunde später zu Erting, &bdquo;aber er hat die Krisis
-beschleunigt. Ich halte ihn für gerettet!&ldquo;</p>
-
-<hr class="tb"/>
-<p>Und als der nächste Sommer davon fliegen wollte,
-war Alles gekommen, wie es hatte kommen müssen!
-Gerald Rüdiger und seine schöne Frau standen auf der
-Freitreppe ihres Schlosses; in den übermüthigen blauen
-Augen des &bdquo;tollen Junkers&ldquo; war ein ernsteres Licht
-aufgegangen; dies und der steife Arm, der noch immer
-nicht wieder ganz beweglich sein wollte, gemahnte noch
-an die Vergangenheit, die ihm heute wieder besonders
-lebhaft nahe gerückt worden.</p>
-
-<p>Denn der heutige Tag hatte liebe Gäste gebracht &mdash;
-Ludwig Erting, der den Freunden seine Braut vorstellte!
-Die Mutter war Angesichts <em class="gesperrt">dieser</em> treuen Liebe gerührt
-worden, um so leichter, da sie sich mit Martha in ihrer
-hauptsächlichsten Ueberzeugung fand, darin, ihren kleinen,
-braven Sohn für den Inbegriff alles Guten, Schönen
-und Tüchtigen zu halten.</p>
-
-<p>Und Rüdiger? &mdash; Der Traum, den er auf seinen
-wilden Fahrten geträumt, ist zur Wahrheit geworden;
-wenn der Mond sanft und klar über dem Wolfsdorffer
-Schloß emporsteigt, stehen er und &mdash; noch Eine am
-Fenster und hören die Nachtigallen schlagen, und ihr Lied
-erzählt ihm immer wieder die Geschichte, die zu hören er
-nicht müde wird &mdash; die Geschichte von der Liebe seiner
-Jugend &mdash; von dem Kampfpreis seines Lebens.</p>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2><a name="Finderlohn" id="Finderlohn">Finderlohn.</a></h2>
-
-<p class="first">Im Spätsommer des vergangenen Jahres, so erzählte
-eine mir befreundete Dame, unternahm ich eine kleine Reise
-nach dem Badeort K... Der Zufall führte mich auf
-dem Bahnhof mit einer Freundin zusammen, und froh,
-die etwas einförmige Fahrt durch angenehme Gesellschaft
-verkürzt zu sehen, bestieg ich dasselbe Coupé mit ihr. Es
-war allerdings kein Damencoupé, welches ich bei allein
-unternommenen Reisen sonst vorziehe, indeß ist dies eigentlich
-ein Vorurtheil, welches jede Frau, die über sechzehn Jahre zählt,
-zu ihrem eigenen Besten bekämpfen sollte. Alle Hochachtung
-vor den reisenden Repräsentantinnen meines Geschlechts
-&mdash; aber ich bin noch nie in einem solchen Coupé gefahren,
-ohne mich über die kleinliche Ungefälligkeit meiner Reisegefährtinnen,
-ihre Empfindlichkeit gegen Hitze und Kälte
-und ihre beständigen Wünsche nach solchen Lebensmitteln
-zu ärgern, die eben auf den Stationen <em class="gesperrt">nicht</em> zu haben
-waren.</p>
-
-<p>So dankte ich denn dem Zufall, der mich heute aus
-diesem Dilemma erlöste, und bestieg mit meiner Freundin
-zusammen einen Waggon, der den Gebildeten beiderlei
-Geschlechts zugänglich war. Außer uns befand sich nur
-noch ein alter Herr im Wagen, der uns, als wir einstiegen,
-freundlich begrüßte.</p>
-
-<p>Da unser Reisegefährte der Held der Geschichte ist, die
-ich zu erzählen im Begriff stehe, so kann ich es nicht
-unterlassen, ihn zu beschreiben mit all&rsquo; dem Enthusiasmus,
-den ich für ihn empfand; erstens um dem Leser damit ein
-Bild von ihm zu geben, und zweitens in der stillen
-Hoffnung, daß der Gegenstand meiner Zuneigung vielleicht
-irgendwo diese Blätter zur Hand nimmt, darin liest und
-nach einer Weile mit dem mich noch in der Erinnerung
-entzückenden herzlichen Lachen, in welches er zuweilen ausbrach,
-ruft: &bdquo;Das soll <em class="gesperrt">ich</em> wohl am Ende sein?&ldquo;</p>
-
-<p>Mein lieber, alter Herr! Denn jung war er insofern
-nicht mehr, als seine freie Stirn von schneeweißem, feinem
-Haar umwachsen war, welches, glänzend wie die Federn
-eines Silberreihers, ein wenig keck in die Luft stand, und
-die sehr schönen, auffallend hochgeschwungenen Augenbrauen
-auch schon ein wenig beschneit aussahen. Jung
-aber war er doch, denn unter diesen seltsamen Augenbrauen
-sahen zwei so schöne, lebhafte, recht junge Augen
-hervor, daß sie einem Zwanziger Ehre gemacht hätten &mdash;
-jung war er, denn das blühende Roth einer erprobten
-Gesundheit lag auf seinem schönen Gesicht, die liebenswürdige,
-goldene Heiterkeit einer ewigen Jugend tönte aus
-dem unwiderstehlich herzlichen Lachen, mit welchem er in
-jeden Scherz einstimmte.</p>
-
-<p>Man sieht, ich verlor sofort mein Herz an den reizenden
-alten Herrn! Das ist ein Damenwort, ich weiß es,
-aber ich bleibe dabei und rufe zum Schluß meiner Beschreibung
-noch einmal energisch aus: Nicht nur ein reizender
-alter Herr war mein Reisegefährte, ich brauche sogar
-den Superlativ, es war der reizendste alte Herr, den ich
-je gesehen habe. Wie er sich über Alles amüsirte! Nur
-daran zu denken, erheitert mich noch! Ueber den kleinen,
-schäbigen Jungen, der auf einer Station emsig und still
-vor sich hin Purzelbäume schoß, über die Männer, die mit
-eintönigen Ausrufen Kirschen und Birnen den Wagen
-entlang trugen, über die Ankommenden und Abreisenden!
-Wie elektrisirt er war, als eine klangvolle italienische Leier
-uns die &bdquo;schöne blaue Donau&ldquo; zu hören gab, wie ernst
-und gerührt er wurde, als dieselbe Leier dann eine sanfte,
-traurige Melodie spielte, und wie herzlich er dann wieder
-über seine eigene Rührung lachte!</p>
-
-<p>Meine Freundin und ich kamen, nachdem wir uns ein
-Weilchen mit diesem liebenswürdigen Coupégenossen unterhalten
-hatten, durch eine zufällige Ideenverbindung auf
-eine Verlobung zu sprechen, die in unseren Kreisen vor
-kurzem stattgefunden.</p>
-
-<p>Ein sehr hübsches, viel umworbenes Mädchen hatte
-einen Ausflug zu ihrer Schwester unternommen, war acht
-Tage dort geblieben, hatte am zweiten dieser acht Tage
-einen jungen Gutsbesitzer kennen gelernt und sich vor Ablauf
-der genannten Frist mit demselben verlobt. Wir fanden
-das nach Frauenart sehr leichtsinnig, zuckten ein wenig die
-Achseln über so schnell gewonnene Herzen und ich meinte:</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn das nur gut abläuft! Ein Brautpaar, das
-sich nur acht Tage gekannt hat, ehe es ein Brautpaar
-wurde! Eine bedenkliche Sache!&ldquo;</p>
-
-<p>Bei diesen Worten wendete der alte Herr den Kopf
-nach uns um.</p>
-
-<p>&bdquo;Verzeihen Sie,&ldquo; begann er lächelnd, &bdquo;wenn ich mich
-in Ihr Gespräch mische, welches von Persönlichkeiten
-handelt. Aber von der Bemerkung, die Sie eben machten,
-mein Fräulein, fühle ich mich zu sehr getroffen, als daß
-ich mich nicht vertheidigen möchte. Ich war auch in dem
-Fall, von dem Sie eben sprechen &mdash; ich habe meine Frau
-sogar nur drei oder vier Mal gesehen, eh&rsquo; wir uns verlobten,
-und wir sind doch ein sehr glückliches Ehepaar
-geworden.&ldquo;</p>
-
-<p>Um mein Leben nicht konnte ich die tactlose Aeußerung
-nicht unterdrücken, daß ich in diesem Fall das sehr natürlich
-fände. Mein alter Herr nickte mir lachend mit herzlicher
-Miene zu, es mochte ihm wohl schon öfter vorgekommen
-sein, daß er so schnell Eroberungen machte.</p>
-
-<p>Meine Freundin, noch kühner als ich, richtete nun die
-Frage an ihn, wie das denn gekommen sei, ob er nicht
-Zeit gehabt hätte, sich länger zu besinnen?</p>
-
-<p>Der alte Herr sah mit einem schelmischen Lächeln in
-unsere neugierigen Gesichter, dann sagte er freundlich:</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, so etwas hören junge Damen immer gern!
-Aber es ist eine lange Geschichte, am Ende komme ich
-an&rsquo;s Ziel meiner dreistündigen Fahrt, eh&rsquo; ich zu Ende
-bin!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach bitte,&ldquo; riefen wir Beide, &bdquo;es wird schon gehen,
-die Geschichte ist <em class="gesperrt">uns</em> sicher nicht zu lang &mdash; wenn Sie
-so sehr freundlich sein wollen!&ldquo;</p>
-
-<p>Der alte Herr ließ sich erbitten, wir rückten uns alle
-Drei gemüthlich zurecht und er begann:</p>
-
-<p>&bdquo;Daß es schon eine ganze Weile her ist, seitdem ich
-auf Freiersfüßen ging, brauche ich Ihnen nicht erst zu
-sagen. Ja, diese Eisenbahn, auf der wir jetzt so selbstverständlich
-durch die Welt fliegen, war damals etwas
-ganz Neues, ein Wunderwerk, welches nur mit ehrfurchtsvollem
-Staunen und einem leisen Schauder benutzt wurde.
-So gewöhnt sich der Mensch an Alles und wir nennen
-die Jugend mit Unrecht anspruchsvoll, ihr wird nur eben
-Das schon in die Wiege gelegt, was wir als große Leute
-erst staunend und dankbar bekommen haben. Der Telegraph
-war damals auch erst eben erfunden &mdash; ja, ja, denken
-Sie nur!</p>
-
-<p>Ich war im Begriff, eine kleine Vergnügungsreise auf unbestimmte
-Zeit anzutreten, ein Entschluß, der mir um so
-leichter wurde, als ich ganz frei und ungebunden in der
-Welt dastand, und von Angehörigen Niemanden besaß,
-als zwei alte Tanten und einen kleinen Hund, der, ein
-Nachklang der Zeitströmung, auf den schönen Namen
-&bdquo;Nap&ldquo; hörte. Nicht wahr, eine ziemlich durchsichtige Abkürzung
-im Jahrhundert der Freiheitskriege?</p>
-
-<p>Nap, ein kleiner, guter, schwarzer Kerl, war als einziger
-und letzter Bewohner meiner Kinderheimath mit mir in
-die Fremde gewandert, hatte mit mir studirt, Examina
-gemacht, und war mir stets ein lieber Freund und treuer
-Genosse gewesen, ja, ich glaube, ich war damals so weit,
-daß ich den alten Hund mehr liebte als irgend ein
-Wesen auf der Welt, meine lieben alten Tanten nicht
-ausgenommen.</p>
-
-<p>Diese Tanten hätten Sie sehen sollen! Das waren
-noch ein paar Repräsentantinnen der gemüthlichen Vergangenheit,
-wo die Leute sich Zeit ließen. Schon die
-äußere Umgebung der beiden alten Damen war die Zierlichkeit
-selbst. Sie wohnten in einem kleinen, saubern
-Hause, nicht am selben Ort mit mir, welches sich
-durch die blitzendsten Fensterscheiben auszeichnete und
-grüne Jalousien hatte. Das Häuschen war umgeben
-von einem etwas pedantischen Garten, dessen Hecken
-und Grasplätze von einem asthmatischen alten Factotum
-mit der Papierscheere in Ordnung gehalten wurden.
-Da können Sie glauben, daß kein Zweig sich erlauben
-durfte, nach seinem Gutdünken zu wachsen, sofort
-war die Papierscheere da und stutzte den Naseweisen. Ein
-Paar ordnungsliebendere, gutherzigere, ängstlichere und
-gewissenhaftere Seelchen, als meine beiden lieben Tanten
-gab es nicht! Sie trugen sich ganz gleich, hatten
-Jede vier weiße, mathematisch genau gekämmte Löckchen,
-Hauben mit jenen thurmhohen weißen Krausen, wie man
-sie jetzt nur noch auf Bildern sieht, und trugen Beide
-Brillen.</p>
-
-<p>An einem schönen Sommerabend traf ich denn mit
-meinem Nap bei den Tanten ein, die mich herzlich und
-liebevoll aufnahmen, und mich in ihre Gartenlaube zu
-einem zierlich aufgestellten Nachtmahl luden, dessen Dimensionen
-ungefähr der Art waren, als hätten die sieben
-Zwerge fragen können: &bdquo;wer hat von meinem Tellerchen
-gegessen&ldquo; u. s. w. Aber ich ließ es mir wohlschmecken, und
-nachdem ich den Tanten meine Pläne für die nächste Zeit
-mitgetheilt hatte, rückte ich vorsichtig mit dem kühnen Ansinnen
-heraus, ob sie Nap, eine sonst bei ihnen wohlgelittene
-Creatur, für die Zeit meiner Abwesenheit wohl in
-Pflege und Obhut nehmen wollten.</p>
-
-<p>Sie können sich denken, daß die beiden Schwestern
-nicht wenig erstaunten, selbst erschraken. Ein Zuwachs
-ihrer Hausbewohnerschaft, ein bellender, springender, zottiger
-Mitbewohner ihres stillen, beschaulichen Daheim; sie sahen
-sich wechselweise eine gute Viertelstunde an, schnupften,
-niesten, selbst dies Mittel schien heut&rsquo; nicht anzuschlagen,
-endlich nahmen sie <em class="antiqua">a tempo</em> die Brillen ab und sagten
-so feierlich, als gelte es ein Eheversprechen, ein lautes,
-deutliches &bdquo;Ja!&ldquo;</p>
-
-<p>Ich wußte, welch&rsquo; ein Opfer sie mir brachten, und
-sprach ihnen es auch dankbar aus, ich fügte bei, daß nur
-das Bewußtsein, meinen Hund in den besten Händen zu
-wissen, mich zu der großen Bitte ermuthigt hätte, und
-dann machte ich mich eilig davon, damit die Tanten ihren
-edelmüthigen Entschluß nicht etwa bereuen möchten. Ich
-erklärte meinen schnellen Aufbruch damit, daß ich am
-nächsten Morgen sehr früh mit der Bahn weiter müsse,
-welche nur noch zu einem nah belegenen Städtchen führte,
-von da wollte ich mit Postpferden und auf eigenen Füßen
-meinen Weg fortsetzen.</p>
-
-<p>&bdquo;Und, liebe, beste Tanten,&ldquo; fügte ich noch dringend
-hinzu, &bdquo;laßt Nap die nächsten Tage nicht aus den Augen,
-er wird gewiß Versuche machen mir nachzusetzen und
-könnte alsdann verloren gehen!&ldquo;</p>
-
-<p>Feierlich wurde mir dies angelobt, und ich nahm gerührten
-und dankbaren Abschied, während Nap, durch ein
-Schüsselchen Milch in&rsquo;s Haus gelockt, ahnungslos diesen
-Labetrank schlürfte.</p>
-
-<p>Der andere Tag war leider trübe und schwül. Als
-ich in das Städtchen H... einfuhr, welches die Grenze
-zwischen Flachland und Gebirge bildet, zog ein Gewitter
-dumpf grollend herauf und der erste Willkommensgruß,
-der mir in H... wurde, war ein großer Regentropfen,
-der auf meine Nase fiel. Ihm folgten mehrere, ein wahrer
-Wolkenbruch stürzte hernieder und das liebenswürdige
-Wetter benutzte den Tag, um sich, wie man sagt, recht
-gründlich &bdquo;einzuregnen.&ldquo; Unter diesen Umständen eine
-Fußtour beginnen, oder sich einer Postchaise anvertrauen
-zu wollen, um das Gebirge kennen zu lernen, wäre mehr
-als Thorheit gewesen. Es hieß also warten!</p>
-
-<p>Ich quartierte mich in dem ersten Gasthofe der Stadt
-ein, der vermuthlich so hieß, weil es keinen zweiten gab,
-und sah zum Fenster hinaus. Zum Glück war ich von
-jeher besonders unfähig, mich zu langweilen, ich hatte
-manchmal den besten Willen, da kam mir etwas Unterhaltendes
-in die Quere &mdash; es ging nicht!</p>
-
-<p>Auch hier war es so. Ich hätte mich eigentlich recht
-gut langweilen können, aber da lag gerade dem Gasthause
-gegenüber ein ganz allerliebstes Haus, das immer
-etwas zu sehen oder zu hören gab. Ich konnte freilich
-nur die Seitenfront des freundlichen Gebäudes beobachten,
-denn die Vorderzimmer gingen nach einem schönen, großen
-Garten hinaus, dessen Lavendelduft, selbst durch den Regen
-nicht ertränkt, Abends zu mir herüber geflogen kam.</p>
-
-<p>An diesen Seitenfenstern nun saß öfters eine junge
-Dame und nähte. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, sie
-bückte sich immer sehr tief auf die Arbeit; ich sah nur ein
-Stückchen Wange, zuweilen flüchtig die Umrisse eines
-zierlichen Profils, und ein Nest dunkelblonder Zöpfe um
-einen seltsam geformten weißen Kamm geschlungen.</p>
-
-<p>Da es nun schon den zweiten Tag regnete, hatte ich volle
-Muße, diese Beobachtungen anzustellen. Freundlicherweise
-hatte das Haus seinen Eingang auch auf der Seite. Gegen
-Abend kam ein dicker, stattlicher Herr nach Hause, dessen
-Kopf ich auch noch nie zu Gesicht bekommen hatte, denn
-er hielt immer einen großen, wohlhabend aussehenden
-Schirm über sich, den er erst zumachte, wenn seine behäbige
-Person schon innerhalb der Hausthür war. Und
-dann zur Thür hinaus schüttelte und spritzte er diesen Schirm
-aus, als wenn die Straße noch nicht naß genug wäre.</p>
-
-<p>Ich hätte ja durch eine Frage leicht etwas über mein
-<em class="antiqua">vis-à-vis</em> erfahren können, aber ich wollte es nicht &mdash; es
-war so sehr ergötzlich, mir meine Schlüsse aus Dem zu
-ziehen, was ich sah.</p>
-
-<p>Der Hausherr war entschieden <em class="gesperrt">kein</em> Arzt, dazu kam
-er zu regelmäßig nach Hause, sondern Beamter, ein Mann
-mit Bureaustunden. Die junge Dame am Fenster war
-seine Tochter und zwar sein Liebling, denn er begab sich
-stets geraden Weges zu ihr in&rsquo;s Zimmer. Dann stand sie
-sofort auf, legte die Arbeit zusammen und ging mit ihm
-hinaus. Eine dritte Person, die ich häufig ausgehen und
-wiederkommen sah, eine Dame in mittleren Jahren, mußte
-die Gesellschafterin sein, nicht die Frau vom Hause, denn
-wenn sie dem Vater begegnete, machte sie einen Knix.</p>
-
-<p>Am Nachmittag des dritten Tages schien der Himmel
-ein ganz klein wenig lichter zu werden, ich trat an&rsquo;s
-Fenster und, wie mir schon zur Gewohnheit geworden
-war, blickte ich nach dem Hause gegenüber. Da saß die
-junge Dame &mdash; dies Mal ohne Näharbeit &mdash; ich hätte
-ihr Gesicht gewiß ganz gut sehen können, aber sie hielt
-ein Tuch vor die Augen &mdash; sie weinte!</p>
-
-<p>Ich blieb erstaunt stehen. Warum mochte sie weinen?
-Sie werden mir zugeben, daß ein junges Mädchen mit so
-schönen blonden Zöpfen, die von ihrem Papa verzogen
-wird und &mdash; weint, ein Fall ist, über den man nachdenklich
-werden kann.</p>
-
-<p>Nach einer Weile trocknete sich mein Gegenüber die
-Augen, schrieb einige Worte auf einen kleinen Zettel,
-stand auf und verließ das Fenster. Wenige Minuten
-darauf öffnete sich die Hausthür, sie trat heraus, einen
-Regenschirm in der Hand, in Hut und Mantel und
-blickte nach dem Himmel. Ein reizendes Gesicht war es,
-das muß ich schon sagen!</p>
-
-<p>Warum ich meinen Paletot ergriff und die Treppe
-hinunterging, weiß ich nicht zu sagen, aber ich that es
-und folgte der jungen Dame in respectvoller Entfernung,
-auch mit dem Regenschirm bewaffnet.</p>
-
-<p>Ein plötzlicher, heftiger Windstoß faßte den Schirm
-meiner Schönen und drehte ihn von innen nach außen,
-er machte, wie man zu sagen pflegt, eine Tulpe daraus.
-Im selben Moment stürzte der Regen mit verdoppelter
-Gewalt hernieder und das Mädchen, nach einem vergeblichen
-Versuch, den treulosen Beschützer wieder in seine
-alte Form zu bringen, verdoppelte ihre Schritte und eilte
-in einen geräumigen Hausflur, von wo sie in das tobende
-Wetter hinaussah. Ich dachte: Das kann Jeder! und
-nicht faul, betrat ich denselben Hausflur, zog den Hut
-und postirte mich der jungen Dame gegenüber an die
-Wand. Nach einer kleinen Weile trat sie an die Hausthür,
-zog den rechten Handschuh ab und streckte die Hand
-hinaus, um zu fühlen, ob der Regen noch nicht nachgelassen
-habe. &bdquo;Kein Trauring!&ldquo; dachte ich erfreut, ohne
-eigentlich zu wissen, warum es mich freute.</p>
-
-<p>Da es noch mit aller Gewalt vom Himmel heruntergoß,
-nahm das Fräulein ihren Schirm wieder vor und versuchte
-ihn in die richtige Verfassung zu bringen. Es gelang
-ihr aber nicht und ich hielt dies für einen Wink
-des Schicksals, ein Gespräch anzuknüpfen. Mit abgezogenem
-Hut trat ich bescheiden vor und bot meine Hülfe
-an, die auch freundlich angenommen wurde.</p>
-
-<p>Daß es mir nicht gelang, den Schirm zurechtzubringen,
-versteht sich von selbst. Sanfter Ueberredung wollte er
-nicht weichen, ich wendete alle Gewalt an, der Tückische
-aber verstand keinen Spaß, sondern brach gelassen mitten
-durch. Das Fräulein sah erschrocken aus, aber nicht
-zornig &mdash; durchaus nicht zornig, was ich mir mit richtiger
-Menschenkenntniß als einen Beweis liebenswürdigen Temperaments
-auslegte. Ich stand da wie ein armer Sünder,
-stammelte ein paar Entschuldigungen und bat endlich um
-die Erlaubniß, meinen Schirm als Ersatz anbieten zu
-dürfen, wozu mich noch die egoistische Hoffnung stachelte,
-ich würde durch Rückgabe des von mir zerbrochenen
-Individuums einen Vorwand haben, um in die Burg
-zu dringen, die von der blondzöpfigen Prinzessin bewohnt
-war. An Abreise dachte ich schon nicht mehr, wie Sie
-sehen. Aber es kam anders!</p>
-
-<p>&bdquo;Ich danke sehr, mein Herr,&ldquo; sagte das junge Mädchen
-freundlich, &bdquo;ich kann Sie Ihres Schirmes nicht berauben.
-Wollen Sie mir aber eine Droschke besorgen, damit ich
-meinen Weg fortsetzen kann, so nehme ich es dankbar an!&ldquo;</p>
-
-<p>Nun, das that ich natürlich und hatte die Genugthuung,
-daß ein sehr liebenswürdiges &bdquo;Danke&ldquo; mich belohnte,
-dann, während ich, den Hut in der Hand, wie
-ein Lakai mich am Schlage aufstellte, rief die junge Dame
-zum Kutscher hinauf: &bdquo;Nach der Zeitungsexpedition!&ldquo; Der
-Schlag fiel zu &mdash; und da stand ich.</p>
-
-<p>Nach der Zeitungsexpedition! Was thut eine junge
-Dame in der Zeitungsexpedition? Allerlei finstere Gedanken
-bestürmten mich &mdash; sie wird doch nicht einen Brief
-abholen, von dem der Papa nichts wissen soll? Erst Thränen,
-dann Zeitungsexpedition &mdash; verdächtige Zusammenstellung!</p>
-
-<p>&bdquo;Dahinter muß ich kommen,&ldquo; rief ich so zornig, als
-wäre ich der Beichtvater der kleinen Dame.</p>
-
-<p>Eine Idee fuhr blitzschnell durch meinen Kopf! Ich
-mußte einen Vorwand haben, auch nach der Expedition
-zu gehen. Sollte ich nach Briefen fragen? Nein, das
-war mit einem &bdquo;Nichts für Sie!&ldquo; zu schnell abgemacht.
-Also ich mußte etwas annonciren! Gedacht, gethan, ein
-Blatt aus der Brieftasche gerissen und im Stehen geschrieben
-wie folgt: &bdquo;Ein kleiner, schwarzer Affenpinscher
-mit hellblauseidenem Halsband, auf den Namen Nap
-hörend, hat sich verlaufen. Der ehrliche Finder wird gebeten,
-denselben gegen eine angemessene Belohnung im
-Hotel zum grünen Falken, Zimmer Nr. 10, abzugeben.&ldquo;
-Meine Adresse fügte ich bei, damit die Sache an Wahrscheinlichkeit
-gewönne und die junge Dame nicht glaubte,
-ich wollte sie nur unter einem Vorwand wiedersehen.</p>
-
-<p>Nun denken Sie &mdash; der arme Nap! Er mußte noch
-herhalten, mußte sich angeblich verlaufen haben, um seinen
-Herrn auf den richtigen Weg zu bringen! Einige Kreuz-
-und Querfragen führten mich rasch nach der Expedition
-des Blattes, welches, wie ich hörte, das einzige für den
-ganzen Kreis, daher mit Inseraten stets sehr überhäuft war.</p>
-
-<p>Auch heute fand sich in dem Local eine bedeutende
-Menschenmenge vor, welche fast bis an die Thür hin sich
-drängte und nur langsam zum Schalter avancirte. So
-sah ich denn auch meine Unbekannte gleich am Eingang
-stehen, ihr Zettelchen in der Hand wartete sie geduldig auf
-den Augenblick der Beförderung.</p>
-
-<p>Als ich sie mit ehrerbietiger Verbeugung begrüßte,
-dabei etwas von &bdquo;glücklichem Zufall&ldquo; murmelte, sah sie
-mich überrascht an, erröthete und ein leichtes Zucken ihrer
-Augenbrauen verrieth, daß sie diese zweite Begegnung für
-keine zufällige hielt. Auf meine Bemerkung erwiderte sie
-kein Wort, sondern sah mit einer schnellen Kopfwendung
-nach der andern Seite hin. Ich that, als bemerkte ich es
-gar nicht.</p>
-
-<p>&bdquo;Denken Sie, mein Fräulein, wie traurig es mir ergeht!
-Ich komme vor drei Tagen ganz fremd hier in
-die Stadt und bin heute schon in der Lage, eine Annonce
-in die Zeitungsexpedition zu tragen, in der ein verlorener
-Besitz und ein ehrlicher Finder die Hauptrolle spielen!&ldquo;</p>
-
-<p>Meine Nachbarin blickte rasch auf. Sie mochte fühlen,
-daß sie mir Unrecht gethan &mdash; nach <em class="gesperrt">ihrer</em> Ansicht &mdash;
-und ärgerte sich vielleicht ein wenig über die Eitelkeit,
-welche ihr zugeflüstert, ich sei wohl ihretwegen nach der
-Expedition gekommen, kurz, sie entgegnete etwas freundlicher,
-sie sei in demselben Fall. Sie habe ein kleines
-Schmuckstück verloren, ein liebes, unersetzliches Andenken.</p>
-
-<p>&bdquo;So, wie es hier beschrieben ist,&ldquo; fügte sie hinzu und
-reichte mir den kleinen Zettel, den ich behutsam ergriff.
-&bdquo;Können Sie mir wohl sagen, mein Herr, ob die Anzeige
-so richtig gefaßt ist? Ich wollte zu Haus Niemand darum
-fragen,&ldquo; setzte sie treuherzig hinzu, &bdquo;weil &mdash; nun, weil ich
-fürchtete, mein Vater könnte sehr ungehalten sein, wenn er
-erführe, daß ich eben <em class="gesperrt">dieses</em> Besitzthum verloren habe!&ldquo;</p>
-
-<p>Der Zettel enthielt in einer zierlichen Schulmädchenhand
-die Anzeige, daß ein schmaler goldener Ring mit
-einem Vergißmeinnicht von Türkisen darauf verloren gegangen
-und gegen Belohnung T...straße Nr. 6 abzugeben
-sei.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie können sich einige Worte sparen,&ldquo; bemerkte ich;
-&bdquo;mit Ihrer Erlaubniß gebe ich dem Ganzen eine geschäftsmäßigere
-Form.&ldquo;</p>
-
-<p>Sie nickte und ich ließ mit großer Geschicklichkeit das
-Original des kleinen Schriftstückes in meiner Brieftasche
-verschwinden, als ich dem Fräulein die Copie überreichte.
-Sie schien es gar nicht zu bemerken.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sagten, Sie hätten auch etwas verloren,&ldquo; begann
-sie nun ihrerseits etwas schüchtern, &bdquo;ist es auch ein Andenken?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, aber anderer Art,&ldquo; erwiderte ich, &bdquo;<em class="gesperrt">mein</em> Andenken
-hat vier Beine, einen krausen, schwarzen Pelz und
-bellt &mdash; mein Hund ist mir verloren gegangen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, wie schade,&ldquo; sagte sie bedauernd, &bdquo;aber wie
-kann man einen Hund verlieren!&ldquo; setzte sie vorwurfsvoll
-hinzu.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun,&ldquo; gab ich ruhig zurück, &bdquo;ebensogut, wie
-man einen Ring verlieren kann, den man am Finger
-trägt.&ldquo;</p>
-
-<p>Sie lachte.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich hatte ihn aber abgezogen,&ldquo; erwiderte sie eifrig,
-&bdquo;ich wollte ihn zu dem Juwelier dort drüben tragen,&ldquo; sie
-wies nach einem hübschen Laden mit großen Spiegelfenstern,
-&bdquo;wie ich nun hinkomme und den Ring abgeben
-will &mdash; ist er fort, und ob ich ihn auf dem Wege oder
-sonst wo verloren habe, weiß ich nicht.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich denke, er findet sich wieder,&ldquo; tröstete ich, &bdquo;und
-ich für meine Person werde jetzt immer mit niedergeschlagenen
-Augen umhergehen &mdash; wer weiß, ob ich nicht
-das verlorene Vergißmeinnicht irgendwo treffe und dann
-so glücklich bin, es Ihnen zu geben.&ldquo;</p>
-
-<p>In diesem Augenblick wurde Platz am Schalter, die
-junge Dame eilte vor, gab ihren Zettel ab und verließ
-mit einer flüchtig freundlichen Kopfneigung gegen mich die
-Expedition, während ich nach ihrem Verschwinden gedankenlos
-mein Inserat bezahlte und mir dann überlegte, daß
-es ja nun ganz unnöthig gewesen sei, meine Lüge dem
-Druck zu übergeben. Doch Sie wissen, zu geschehenen
-Dingen läßt sich zwar noch viel sagen, aber nichts mehr
-thun. Ich ging dann meiner Wege, grübelnd und
-sinnend, wie ich den angeknüpften Faden der Bekanntschaft
-weiter spinnen sollte.</p>
-
-<p>Plötzlich fiel mir etwas ein.</p>
-
-<p>Ich dachte, einmal gelogen, ist nach einem alten Sprichwort
-kein Mal, also wollen wir es noch ein zweites Mal
-thun, und dabei mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen
-&mdash; die Gelegenheit zur Fortsetzung einer Beziehung finden,
-die mich schon mächtig anzog, und dem liebenswürdigen
-Mädchen väterliche Vorwürfe ersparen.</p>
-
-<p>Schnell, um dem Gewissen nicht erst Zeit zu lassen,
-mir etwas vorzubellen, betrat ich den mir von der jungen
-Dame bezeichneten Juwelierladen und bat, mir verschiedene
-Ringe vorzulegen. Während der Kaufmann das Verlangte
-herbeiholte, durchblätterte ich rasch den auf dem
-Ladentisch liegenden Adreßkalender, der mir auch bald
-über Namen und Stand meines Gegenüber bereitwillig
-Auskunft ertheilte.</p>
-
-<p>Ich hatte Recht, der Vater des Mädchens war, wie
-ich vermuthete, Justizrath &mdash; leider sind die Adreßbücher
-nicht ausreichend, um sonstige gewünschte Details über
-eine Familie zu erfahren. Indeß ich wußte genug und
-begann mein Lügengewebe zuversichtlich weiter zu spinnen.</p>
-
-<p>Ich suchte unter den Schmucksachen, die der freundliche
-Kaufherr mir vorlegte, schüttelte den Kopf und sagte
-endlich, dies sei Alles nicht was ich wollte, ich brauchte
-einen bestimmten Ring.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich will genau denselben haben, den Fräulein W...,
-die Tochter des Justizrath W... in der T...straße,
-besitzt, es handelt sich um eine Wette,&ldquo; fügte ich rasch
-hinzu, da der Juwelier mich erstaunt ansah und sogar
-ein wenig lächelte.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich erinnere mich des Ringes ganz gut,&ldquo; sagte er
-nun, &bdquo;und ich hatte genau denselben noch einmal, habe
-ihn aber meiner Tochter geschenkt, der er bei Fräulein
-W... so gut gefiel.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das ist betrübend,&ldquo; erwiderte ich achselzuckend, &bdquo;denn
-ich müßte ihn bald haben. In zwei bis drei Tagen
-spätestens verlasse ich die Stadt und möchte meine Wette
-gern vorher noch zum Austrag bringen.&ldquo;</p>
-
-<p>Der Juwelier besann sich ein Weilchen.</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn Ihnen so sehr viel daran gelegen ist,&ldquo; begann
-er dann zögernd, &bdquo;so könnte ich ja meiner Tochter später ein
-anderes Exemplar des Gewünschten anfertigen lassen &mdash;
-er ist nun freilich schon längere Zeit getragen worden und
-sieht nicht mehr ganz so blank aus, wie ein neuer Ring.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Um so besser,&ldquo; rief ich erfreut und unvorsichtig, setzte
-aber dämpfend hinzu, &bdquo;ich meine, das schadet nichts &mdash;
-wenn Ihr Fräulein Tochter so sehr gütig sein wollte!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich will mit ihr sprechen,&ldquo; bemerkte der Vater, dem
-die Sache zweifelhaft schien, &bdquo;vielleicht bemühen Sie sich
-morgen früh noch einmal zu mir.&ldquo;</p>
-
-<p>Ich versprach es und verließ den Laden, ärgerlich
-darüber nachdenkend, wie ich nun den Tag hinbringen
-werde. Nachdem ich mein schönes <em class="antiqua">vis-à-vis</em> einmal gesprochen,
-konnten mich die stummen Fensterbeobachtungen
-nicht mehr ergötzen, und waren gewissermaßen auch unstatthaft
-geworden.</p>
-
-<p>In reiferen Jahren sieht man erst ein, wie thöricht es
-ist, sich darüber zu beklagen, daß die Zeit nicht rasch
-genug vergeht! Aber die Jugend, mit ihrem unerschöpflichen
-Reichthum an zukünftigen Tagen, möchte oft das &bdquo;heute&ldquo;
-mit den Händen vorwärts schieben, um bald zu irgend
-einem ersehnten &bdquo;morgen&ldquo; zu gelangen!</p>
-
-<p>Nun, auch mein Tag ging dahin &mdash; und ehe ich mich&rsquo;s
-versah, war der Abend da und die Nacht &mdash; ich ging
-auf mein Zimmer, um mich zur Ruhe zu begeben.</p>
-
-<p>Vorher öffnete ich noch einmal das Fenster und sah
-auf die Straße und auf das Haus gegenüber.</p>
-
-<p>Das Wetter hatte sich aufgeklärt, ein ruhiger Mondschein
-lag auf den Dächern, milde, warme Luft strich über
-meine Stirn &mdash; ich konnte weiter reisen &mdash; wenn ich wollte!</p>
-
-<p>Ich schlief bis tief in den nächsten Morgen hinein und
-trat im Traum auf einen kleinen harten Gegenstand, der
-sich als ein Ring mit einem blauen Stein auswies.
-Freudestrahlend will ich mich eben damit nach dem Hause
-des Justizraths begeben &mdash; da klopft es an meine Thür,
-und die naseweise Bemerkung: &bdquo;Der Barbier ist da!&ldquo;
-ruft mich aus der Traumwelt in die rauhe Wirklichkeit
-zurück.</p>
-
-<p>Ich frühstückte eilig &mdash; es war mittlerweile elf Uhr
-geworden &mdash; und wollte eben das Hotel verlassen, als
-ich neben meiner Kaffeetasse die neueste Zeitung liegen sah.</p>
-
-<p>Hastig durchsuchte ich den Inseratentheil &mdash; richtig &mdash;
-da stand der kleine, blaue Ring, und da stand Nap, im
-Falken Zimmer Nr. 10 abzugeben.</p>
-
-<p>Sofort machte ich mich auf den Weg zum Juwelier.</p>
-
-<p>Der prachtvollste Sommertag, klar und warm, war
-angebrochen &mdash; zu einer Gebirgsreise wie geschaffen!</p>
-
-<p>Ich schämte mich eigentlich, daß ich nicht reiste!</p>
-
-<p>Im Laden angekommen, bemerkte ich sofort an dem
-lächelnden Gesicht des Inhabers, daß &bdquo;Goldschmieds
-Töchterlein&ldquo; wirklich so liebenswürdig gewesen sei, den
-Ring herzugeben. Ich bezahlte, steckte mein neuerworbenes
-Eigenthum schleunigst in die Tasche und begab mich nach
-dem Hause, welches schon so lange der Gegenstand meiner
-eifrigsten Beobachtungen war.</p>
-
-<p>Vor der Thür stand ich einen Augenblick still. Mir
-sagte eine innere Stimme, daß ich mit dieser Schwelle zugleich
-einen bedeutungsvollen Lebensabschnitt beträte &mdash;
-und mit heiligem Schauder zog ich an dem Klingelgriff.</p>
-
-<p>Meine Karte, die ein sauberes Dienstmädchen hineinbeförderte,
-mochte wohl Verwunderung erregen, um so
-mehr, da ich nach den Damen gefragt hatte, also nicht
-wohl für einen geschäftlichen Besucher gelten konnte &mdash;
-aber ich wurde angenommen und befand mich bald in
-einem großen, hellen Zimmer, das in einen schönen,
-blumengeschmückten Gartensalon Einblick gewährte.</p>
-
-<p>Auf dem Sopha saß die schon erwähnte ältere Dame
-&mdash; aber sonst war Niemand zu sehen!</p>
-
-<p>Das Schicksal schien mir durch meinen schon ganz
-ausgearbeiteten Entwurf einen häßlichen Strich machen zu
-wollen &mdash; indeß ich konnte nichts weiter dabei thun!</p>
-
-<p>Die Dame stand auf, machte mir eine Verbeugung
-und sah mich fragend an.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich muß sehr um Entschuldigung bitten,&ldquo; begann
-ich, mit einer mir durchaus neuen Verlegenheit kämpfend,
-&bdquo;daß ich so fremd hier einzudringen wage. Meine Kühnheit
-ist nur durch einen besondern Umstand zu entschuldigen
-&mdash; ich habe heute Morgen in der Zeitung gelesen,
-daß eine Dame aus diesem Hause einen kleinen Ring verloren
-hat &mdash; und ich bin so glücklich gewesen, denselben
-wiederzufinden!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, Sophiechen&rsquo;s Ring,&ldquo; rief die Dame mit sehr
-freundlichem Gesicht, &bdquo;das ist sehr liebenswürdig von
-Ihnen, mein Herr, daß Sie sich selbst zu uns bemühen.
-Das arme Kind hat sich schon soviel um den Ring gegrämt,
-sie hatte ihn von der Tante Adele, die dann so
-bald gestorben ist, eine Schwester der Frau Justizräthin,
-die uns auch leider so früh entrissen wurde, und da
-durfte gar nichts verlauten, daß der Ring verloren war,
-denn der Herr Justizrath ist im Allgemeinen sehr gut,
-wirklich, man kann sagen, ausnehmend gut und nun gar
-zu Sophiechen ein sehr guter Papa, aber Sie wissen ja,
-wie die Herren sind, sie haben alle ihre Eigenheiten und
-eigen ist der Herr Justizrath auch.&ldquo;</p>
-
-<p>Ich fand begreiflicher Weise weder Zeit noch Gelegenheit,
-ein Wort einzuschieben.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun aber,&ldquo; fuhr die gute Dame fort, &bdquo;will ich
-Sophiechen holen. Sie sollen selbst sehen, was sie für
-eine Freude haben wird! Sie ist ja schon ganz unglücklich
-über den Ring! Nein, ich kann mich gar nicht genug
-wundern, daß er wieder da ist! So ein kleines Ding,
-wie leicht konnte er zertreten werden, oder bei dem Regen
-gestern &mdash; er konnte in die Gosse fallen &mdash; und weg war
-er! Es konnte ihn ja auch Jemand finden, der nicht
-ehrlich war &mdash; es giebt zu schlechte Menschen!&ldquo;</p>
-
-<p>Hier ging ihr glücklicherweise der Athem aus und sie
-verließ mit den Worten: &bdquo;Einen Augenblick, mein Herr!&ldquo;
-das Zimmer, während ich meinen Ring in der Hand hielt,
-mich schämte und mich freute.</p>
-
-<p>Es verging eine ziemliche Zeit, ehe die Dame wieder
-eintrat, und dicht hinter ihr das junge Mädchen, deren
-Bekanntschaft ich schon gestern gemacht.</p>
-
-<p>Sie stutzte, als sie mich sah, erröthete und setzte eine
-kleine vornehme Miene auf. Ich wollte mich ihr eben
-mit einigen erklärenden Worten nähern, als die Alte
-wieder dazwischen fuhr.</p>
-
-<p>&bdquo;Na, Sophiechen, du wirst dich wundern! Du
-wunderst dich wohl schon, nicht wahr? Wie ich ihr sage,
-daß sie mitkommen soll, es wäre ein fremder Herr da,
-da sagt sie: &bdquo;Tante, was soll ich denn drüben, du kannst
-doch wohl einen fremden Herrn allein annehmen,&ldquo; denn
-sie war gerade über dem Einkochen von &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Liebe Tante,&ldquo; unterbrach sie das Mädchen freundlich,
-&bdquo;das kann den Herrn unmöglich interessiren!&ldquo;</p>
-
-<p>Und dabei wandte sie sich zu mir und sah mich
-fragend an.</p>
-
-<p>&bdquo;Darf ich wissen, was es ist, wovon meine Tante sich
-so große Verwunderung meinerseits verspricht?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich war so glücklich,&ldquo; begann ich stockend, hielt aber
-inne und überreichte ihr den Ring.</p>
-
-<p>Eine helle Freude flog über das reizende Gesicht und
-zwei große Thränen traten ihr in die Augen. Mit ausgestreckter
-Hand kam sie auf mich zu.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich danke Ihnen &mdash; ich danke vielmals! Sie machen
-mir eine unendlich große Freude &mdash; mein lieber Ring!&ldquo;</p>
-
-<p>Ich kam mir in dem Augenblicke wie ein ganz nichtswürdiger
-Betrüger vor! Hier stand ich und nahm Dank,
-Freudenthränen, freundliche Aufnahme &mdash; sogar einen
-freundlichen Händedruck entgegen &mdash; für einen ganz abscheulichen
-Schwindel.</p>
-
-<p>Ich war drauf und dran, meine Sünden zu bekennen,
-und herausgeworfen zu werden, als sich die Thür auf&rsquo;s
-neue öffnete und der stattliche Herr des Hauses eintrat.</p>
-
-<p>Er blieb überrascht stehen, als er die Gruppe in der
-Mitte des Zimmers erblickte.</p>
-
-<p>Sie &mdash; die Gruppe &mdash; sah auch nicht unbedenklich
-aus! Ein verlegener junger Mann, ein erröthendes
-Mädchen mit Thränen in den Augen und einem Ringe
-in der Hand und eine ältere Dame, die eben hätte segnen
-können!</p>
-
-<p>Diese Letztere stürmte indeß sofort auf den verblüfften
-Justizrath ein und überschüttete ihn mit Ausrufen, Erklärungen,
-Vorstellungen &mdash; bis er sich lachend die Hände
-vor die Ohren hielt.</p>
-
-<p>&bdquo;Das Kurze und Lange von der Sache ist jedenfalls,
-daß Sophie ihren Ring verloren und wiederbekommen
-hat und daß wir Ihnen, mein Herr, dafür zu danken
-haben.&ldquo;</p>
-
-<p>Höfliche Verbeugung! Wieder ein Dank, den ich nicht
-verdiente! Ich erstickte fast daran und mußte mich nun
-noch von dem Papa auf&rsquo;s Sopha nöthigen lassen und
-eine halbe Stunde lang mit ihm über Juristerei plaudern!</p>
-
-<p>Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich begreifen,
-wie einem Friseur oder Schneidergesellen zu Muth sein
-muß, der als Graf in ein Weltbad reist und demgemäß
-behandelt wird.</p>
-
-<p>Ich war, wie ich schon sagte, wirklich immerfort im
-Begriff, meine Larve abzuwerfen und als blamirtes, aber
-ehrliches Schaf aus meinem Wolfspelz hervorzukriechen &mdash;
-aber der Zauber des Augenblicks war stärker als ich &mdash;
-ich blieb und schwieg.</p>
-
-<p>Als ich es endlich an der Zeit fand, die Familie nicht
-länger vom Genuß des Mittagessens zurückzuhalten, lud
-mich der Hausherr in freundlicher Weise ein, den Abend
-bei ihnen zu verleben, was ich tief beschämt, aber äußerlich
-mit schöner Fassung annahm.</p>
-
-<p>So war ich denn nun durch die Dornenhecken gänzlicher
-Unbekanntschaft in das verzauberte Schloß gedrungen,
-aber das Ritterschwert, welches mir den Weg zur Prinzeß
-Dornröschen gebahnt hatte &mdash; war eine Lüge! Mit
-einem Seufzer und dem alten Wort, daß der Zweck die
-Mittel heilige, sang ich mein Gewissen in Schlaf, und
-kehrte in den Gasthof zurück.</p>
-
-<p>Im Hausflur stand ein Mann in einer blauen Jacke,
-mit einer groben Physiognomie, er trug einen kleinen
-schwarzen Hund auf dem Arm. Ich achtete nicht auf
-ihn, sondern begab mich auf mein Zimmer, um mich angenehmen
-Erinnerungen und noch schöneren Erwartungen
-zu überlassen.</p>
-
-<p>Leises Pochen an der Thür schreckte mich auf.</p>
-
-<p>Auf mein &bdquo;Herein!&ldquo; erschien zuerst der wohlfrisirte
-Oberkellner, hinter ihm der Mann in der blauen Jacke
-mit dem Hunde, den ich beim Eintreten bemerkt hatte.
-Der Letztere trat einen Schritt näher und indem er das
-Thier am Genick faßte und mir mit vorgestrecktem Arm
-entgegenhielt, sagte er:</p>
-
-<p>&bdquo;Ich wollte fragen, ob das der Hund ist, den Sie
-verloren haben?&ldquo;</p>
-
-<p>Meine Empfindungen sind schwer zu beschreiben! Lachlust
-und Beschämung kämpften heftig in mir &mdash; die greifbaren
-Folgen der <em class="gesperrt">zweiten</em> Lüge machten sich bemerklich.</p>
-
-<p>&bdquo;Nein,&ldquo; sagte ich kurz, &bdquo;das ist nicht mein Hund!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Am Ende doch!&ldquo; bemerkte der Fremde, &bdquo;er ist ja
-schwarz und klein!&ldquo;</p>
-
-<p>Hierbei setzte er das Thier auf den Boden und schien
-es nicht wieder an sich nehmen zu wollen. Die kleine,
-höchst gemein aussehende Creatur fuhr, wahrscheinlich durch
-schlechte Behandlung gereizt, sofort bellend und schreiend
-auf mich ein und schnappte in höchst ungemüthlicher Weise
-nach meinen Stiefeln.</p>
-
-<p>&bdquo;Sehen Sie, er kennt Sie!&ldquo; sagte das blaujackige
-Individuum mit der größten Frechheit, &bdquo;ich bitte um die
-Belohnung, die in der Zeitung &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das ist doch zu stark!&ldquo; rief ich nun meinerseits geärgert,
-&bdquo;dieses Thier habe ich nie gesehen, es beißt mich,
-und Sie wollen von mir noch eine Belohnung? Dort
-ist die Thür!&ldquo;</p>
-
-<p>Der Mann rührte sich nicht.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, dann bitte ich mir wenigstens ein Trinkgeld
-aus &mdash; ich habe zwei ganze Stunden hier auf Sie gewartet
-und meine Zeit kostet Geld!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nemesis!&ldquo; dachte ich und gab ihm, um es kurz zu
-machen, ein Geldstück, worauf er den Hund wieder wie
-ein Bündel Lumpen ergriff und mit einem höhnischen
-Kratzfuß das Feld räumte.</p>
-
-<p>Im Laufe des Nachmittags erschienen noch zwei Frauen
-und ein großer schurkischer Junge, die Alle Hunde brachten
-&mdash; der Junge sogar einen weißen! &mdash; und die mit
-Jammern und Grobheiten Futterkosten, Wartegeld und wer
-weiß was sonst noch von mir erpreßten. Aber der Abend
-sollte mich für diese Mühsal belohnen.</p>
-
-<p>Ich saß in dem hübschen Garten drüben bei meinen
-neuen Freunden, und wir plauderten so gemüthlich, als
-kennten wir uns schon seit langer Zeit.</p>
-
-<p>Dann ging Sophie in den Gartensaal und sang uns
-ein Lied; der Vater sah vergnügt dazu aus &mdash; und ich
-&mdash; nun ich war auch ganz befriedigt von meiner Lage.
-Aber Eins wußte ich schon an diesem Abend ganz genau,
-daß meine Bekanntschaft mit Sophie nicht umsonst durch
-einen Ring angefangen hatte &mdash; wenn es nach mir ging,
-sollten noch mehr Ringe in unseren gegenseitigen Beziehungen
-eine Rolle spielen. Also, es geht manchmal
-schnell mit solchem Entschluß, wie dies Beispiel zeigt!</p>
-
-<p>Den nächsten Tag verbrachte ich wieder fast ganz im
-Hause des Justizraths, wir hatten sogar eine Art Verwandtschaft
-aufgestöbert, die zwischen einer Großmutter
-meiner Stieftante und einem Onkel des Justizraths bestanden
-haben konnte &mdash; ich hatte also gewissermaßen ein
-Recht, dort zu sein!</p>
-
-<p>Nun, und es traf sich so, daß ich am dritten Abend
-mit Sophie und der Tante im Gartensaal saß und die
-Letztere abgerufen wurde.</p>
-
-<p>Jetzt, werden Sie denken, hätte ich meinen schnell erblühten
-Gefühlen gleich Worte gegeben? O nein, so von
-selber ging das nicht! Ich mußte noch gehörig durch die
-Traufe.</p>
-
-<p>Wir saßen in etwas stockender, verlegener Unterhaltung
-zusammen, wie das so leicht kommt, wenn man mehr zu
-sagen wüßte, als recht angehen will &mdash; da stürzt freudeglühenden
-Antlitzes die Magd des Hauses herein.</p>
-
-<p>&bdquo;Na, Fräulein Sophie, Sie werden sich aber freuen!
-Ich bin in Ihrer Stube und nähe und da fällt mir der
-Fingerhut auf die Erde und kollert unter den großen
-Schrank. Ich hole mir den Johann und wir rücken den
-Schrank etwas beiseite und was finde ich? &mdash; Ihren Ring,
-den Sie so gesucht haben!&ldquo;</p>
-
-<p>Prosit die Mahlzeit!</p>
-
-<p>Ich weiß kaum anzugeben, was ich in dem Moment
-dachte. Mein Hauptgefühl war lebhaftes Bedauern, daß
-die Wohnungen wohlhabender Privatleute keine Versenkungen
-haben, in denen man in so entschieden blamablen
-Augenblicken verschwinden könne.</p>
-
-<p>Sophie war ganz ruhig, nur sehr blaß geworden.
-&bdquo;Ich danke, Christiane, es ist mir sehr lieb, daß der Ring
-da ist &mdash; Sie können gehen!&ldquo;</p>
-
-<p>Die Magd verschwand, augenscheinlich sehr verblüfft
-über die ruhige Aufnahme dieses freudigen Ereignisses.</p>
-
-<p>Sophie wandte sich zu mir, ihre Stimme zitterte etwas.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich darf Sie wohl bitten, Herr Doctor, mich über
-dies sonderbare Zusammentreffen aufzuklären und &mdash; Ihr
-Eigenthum wieder an sich zu nehmen!&ldquo;</p>
-
-<p>Bei diesen Worten streifte sie langsam den Ring, den
-ich gefunden haben wollte, vom Finger und hielt ihn
-mir hin.</p>
-
-<p>Und ich? Nun ich that, was ich gleich hätte thun
-sollen &mdash; ich beichtete ehrlich, demüthig, zerknirscht, wie
-sie mich interessirt hätte, ehe ich ein Wort mit ihr gesprochen,
-wie lebhaft ich gewünscht, in das Haus ihres
-Vaters zu kommen, wie ich dann im Moment die ganze
-Finte ersonnen und, einmal drin, nicht wieder herausgekonnt
-hätte. Und dann bat ich sie flehentlich, den Ring
-zu behalten und wurde immer eifriger und beredter und
-sagte schließlich Alles heraus, daß ich den Ring nur dann
-wiedernehmen würde, wenn ich ihn mit einem andern vertauschen
-dürfte &mdash; mit dem Verlobungsring!</p>
-
-<p>Und daß mir verziehen wurde, beweist Ihnen die
-Thatsache, daß der wirkliche Ring noch heut hier an
-meiner Uhrkette hängt &mdash; sehen Sie, das ist er! und daß
-Sophie seit einer langen Reihe von Jahren meine Frau
-ist. Um aber noch einmal auf den Verlobungsmoment
-zurückzukommen, so saßen wir ganz stillvergnügt zusammen,
-als plötzlich der Diener erschien und mir ein Telegramm
-überreichte.</p>
-
-<p>Erschrocken und überrascht öffnete ich dasselbe. Es war
-von meinen Tanten und lautete:</p>
-
-<p>&bdquo;Anzeige im Kreisblatt unnöthig, Nap ist hier!&ldquo; Daß
-nun die Hundegeschichte auch noch an den Tag kam, daß
-Abends, als die Gesundheit des Brautpaares getrunken
-wurde, der Schwiegervater meine ganze Schlechtigkeit erfuhr,
-das können Sie sich denken.</p>
-
-<p>Aber sehen Sie, es kann manchmal schnell gehen mit
-dem Kennenlernen und Verloben und es hält doch.&ldquo;</p>
-
-<p>Der Zug begann langsamer zu fahren.</p>
-
-<p>&bdquo;Leben Sie wohl, meine jungen Damen,&ldquo; sagte der
-liebe, alte Herr mit seinem freundlichsten Lächeln, &bdquo;vergeben
-Sie, wenn Ihnen meine Geschichte zu lang war,
-und nehmen Sie ja kein Beispiel daran! Immer geht&rsquo;s
-nicht so gut ab mit dem Lügen und dann ist es doch
-sehr unangenehm, wenn es an&rsquo;s Licht kommt!&ldquo;</p>
-
-<p>Der Zug hielt an, der alte Herr verließ uns und ich
-habe ihn seitdem nicht wieder gesehen. &mdash; Aber noch heute
-besteige ich keinen Dampfwagen ohne die leise Hoffnung,
-den silbernen Kopf meines alten Herrn mir entgegenglänzen
-zu sehen und ihn noch einmal lachen zu hören!</p>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2><a name="Glueck_muss_man_haben" id="Glueck_muss_man_haben">Glück muß man haben!</a></h2>
-
-<p class="first">&bdquo;Und wenn Sie, verehrtester Herr Amtsrath, meiner
-Werbung nicht durchaus abgeneigt sein sollten, so darf
-ich wohl die ergebene Bitte aussprechen, die Inlage Ihrer
-Fräulein Tochter zu übergeben und mir, in freundlicher
-Rücksichtnahme auf die Verhältnisse, Ihre Antwort womöglich
-noch im Laufe des heutigen Tages zugehen zu
-lassen, was sich ja bei der fast stündlichen Eisenbahnverbindung
-zwischen hier und Frankenberg sehr wohl ermöglichen
-läßt.&ldquo;</p>
-
-<p>Mit diesen Worten schloß der Lieutenant Fritz Sterneck
-seinen Brief, steckte ihn ins Couvert, schrieb die Adresse:
-&bdquo;An Herrn Amtsrath Solgers in Neu-Tessin bei Frankenberg&ldquo;
-und legte das bedeutungsvolle Schriftstück mit einem
-erleichterten &bdquo;So&ldquo; vor sich auf den Tisch.</p>
-
-<p>Die Lampe, welche diesen Tisch beleuchtete, kämpfte
-schon in unschöner Mattigkeit gegen den jungen Sommermorgen
-&mdash; noch dazu einen Sonntagsmorgen &mdash; der
-frisch, duftig und noch in leichten Frühnebel verhüllt über
-der schlafenden Stadt emporstieg.</p>
-
-<p>Fritz löschte das Licht, welches ihm zu seiner nächtlichen
-Schreiberei gedient hatte, und nahm mit dem seltsamen
-Gemisch von nüchterner Müdigkeit und nervöser
-Erregung, welches wir in dieser allerfrühesten Morgenstunde
-so leicht empfinden, am geöffneten Fenster
-Platz. Es schien ihm kaum mehr der Mühe zu lohnen,
-den Schlaf noch einmal aufzusuchen; er blickte, den Kopf
-in die Hand gestützt, gedankenvoll auf den leeren Marktplatz
-zu seinen Füßen und unwillkürlich drängte sich ihm
-die Frage auf, ob wohl jedem Bräutigam nach der Abfassung
-des Werbebriefes so &mdash; ja so richtig nüchtern zu
-Muthe sei? Oder lag es bei ihm in den besonderen Verhältnissen?</p>
-
-<p>Er stand gewissermaßen in doppelter Hinsicht auf dem
-Sprunge. Sein Abschied vom Militair war eingereicht
-und er trat bis zur Bewilligung desselben am nächsten
-Tage einen Urlaub an, um sein väterliches Gut selbst zu
-übernehmen, auf welchem er aufgewachsen, und an dem
-ihm jeder Zoll Boden bekannt war.</p>
-
-<p>Ebenso bekannt war ihm die Familie eines Gutsnachbarn
-seiner Eltern, des etwas gewaltthätigen Amtsraths Solgers,
-seiner schüchternen, graublonden Frau, und seiner noch
-schüchterneren und noch graublonderen Tochter Amalie.</p>
-
-<p>Nach der Meinung und Ansicht der Seinigen konnte
-Fritz gar nichts vernünftigeres thun, als Amalien zu
-heirathen &mdash; &bdquo;die Aecker grenzten nachbarlich zusammen,
-die Herzen stimmten überein&ldquo; &mdash; oder wenn sie es nicht
-thaten, so war dies, wie ältere Leute oft zu sagen und
-an Beispielen zu erläutern lieben, durchaus kein Grund,
-warum die Besitzer dieser Herzen nicht äußerst glücklich
-mit einander werden sollten.</p>
-
-<p>Fritz war im Grunde seiner ehrlichen Seele, trotz eines
-hin und wieder hervorbrechenden knabenhaften Uebermuthes,
-ein ganz klein wenig Philister &mdash; das heißt Familienphilister!
-&mdash; was man daheim für gut und wünschenswerth
-erklärte, hatte er bis jetzt auf Treu und Glauben
-ebenfalls dafür hingenommen, und so war ihm auch Amalie
-Solgers immer als etwas gutes und wünschenswerthes
-geschildert und erschienen. Immer &mdash; bis heute Morgen,
-wo er sich entschlossen hatte, um sie zu werben!</p>
-
-<p>Als er, den großen Entschluß couvertirt und adressirt
-vor sich auf dem Tische, in den herrlichen jungen Tag
-hinausblickte, der in seinen halb durchsichtigen Wolkenschleiern
-die waldigen Hügel des nahgelegenen Höhenzuges
-bald zeigte und bald verbarg &mdash; da überfiel ihn mit plötzlicher
-Traurigkeit das Bewußtsein, <em class="gesperrt">was</em> ihm eigentlich
-fehle! So duftig, so unbegrenzt und unbestimmt in Form
-und Umriß muß nicht nur die Frühstunde eines schönen
-Tages &mdash; nein auch die Morgenstunde des Lebens sein,
-wenn sie nicht ihren Zauber verlieren soll! Der Reiz der
-<em class="gesperrt">Ungewißheit</em> war es, der seinem Zukunftsbilde mangelte
-&mdash; es lag nicht vor ihm, wie eine blaue Ferne im Frühlicht,
-die man mit ahnungsvollem Entzücken, unbekannten
-Abenteuern entgegen, betritt &mdash; sein Schicksal glich einem
-kleinen, prosaischen Pachterhof im Mittagssonnenschein, abgegrenzt,
-durch und durch alltäglich &mdash; und nur <em class="gesperrt">dem</em>
-begehrenswerth, der die ersten Schaumperlen vom Lebensbecher
-schon getrunken hat!</p>
-
-<p>Er versuchte, sich einzureden, daß nur die schlaflose
-Nacht es sei, die ihm sein neues Glück in so überwachter,
-mattfarbiger Beleuchtung zeige, und griff nach der Mütze,
-entschlossen, den mahnenden und grollenden Stimmen in
-seinem Innern durch eine vollendete Thatsache, d. h. durch
-Abschicken des Briefes, Schweigen zu gebieten.</p>
-
-<p>Während er das Couvert noch in der Hand hielt, und
-zweifelhaft betrachtete, wurde ihm klar, daß vor dem
-späten Abend auf Antwort nicht zu rechnen sei, selbst angenommen,
-daß sein zukünftiger Schwiegervater in der
-Laune sein sollte, ihm sofort ein &bdquo;Ja&ldquo; oder &bdquo;Nein&ldquo; zuzurufen
-oder besser zuzudonnern; der Amtsrath war, wie
-gesagt, ein gewaltthätiger Herr und hatte eine seinem Temperament
-entsprechende Stimme, vermittels derer er die sanften
-Einwürfe seiner Frau und Tochter einfach todtschrie.</p>
-
-<p>Im günstigsten Falle einen ganzen Tag lang auf solchen
-Bescheid zu warten hat um so weniger etwas Verlockendes,
-wenn die Zeit einem Sonntage angehört. Das dunkle
-Gefühl, daß dies der letzte Sonntag ungebundener Freiheit
-für ihn sei, daß er vielleicht vor Ablauf der Woche schon
-als mäßig beglückter Verlobter an der Seite der blassen
-Amalie mit der stets etwas duldenden und leidenden Miene
-sitzen werde, bewirkte, daß unser Held aufsprang und schnell,
-ohne viel zu überlegen, einen grauen Civilanzug statt seiner
-Uniform anlegte, mit dem Entschlusse, diesen &bdquo;letzten Sonntag&ldquo;
-noch auf irgend eine Weise auszunützen, und sich als
-Spielball dem lustigen Dämon Zufall in die Hand zu
-geben, der es vielleicht gut genug mit einem ehrlichen Gesellen
-meinte, um ihm vor Thoresschluß noch einen amüsanten
-Tag zu gönnen.</p>
-
-<p>&bdquo;Aber der Brief muß fort,&ldquo; sagte Fritz vor sich hin,
-während er sich anschickte, das Haus zu verlassen, &bdquo;denn
-sonst bleibt die Geschichte wieder wochenlang liegen, und
-ich möchte nun endlich einmal damit ins Reine kommen.&ldquo;</p>
-
-<p>Bei diesen Worten trat er auch schon auf den Marktplatz
-hinaus, an dessen Eckladen ihm ein Briefkasten einladend
-entgegenwinkte.</p>
-
-<p>Als Fritzens Werbung in dem breiten Spalt des Kastens
-verschwunden war, erhob er die Augen und erblickte zwei
-weibliche Gestalten, welche an ihm vorbei über den Platz
-gingen.</p>
-
-<p>Es fiel ihm auf, daß die Damen zu so früher Stunde
-das Haus verließen, und sein Interesse an ihren Beweggründen
-wuchs mit großer Schnelligkeit, als er bemerkte,
-daß eine der beiden Spaziergängerinnen ein junges Mädchen
-von ganz besonderer Anmuth war. Der breitrandige
-Strohhut warf zwar über den oberen Theil ihres Gesichts
-einen leichten Schatten, vermochte aber nicht zu verbergen,
-daß zwei blitzende, dunkelblaue Augen sich als Licht in
-diesem Schatten befanden. Den Augen entsprechend trug
-das ganze Gesicht, ja die ganze Erscheinung des Mädchens,
-welches eben der Schule entwachsen zu sein schien,
-ein unverkennbares Gepräge furchtlos schelmischen Uebermuthes
-und Frohsinnes, dabei hatte sie eine gewisse vogelähnliche
-Beweglichkeit in der Art, wie sie ihren zierlichen,
-blonden Kopf nach allen Seiten drehte und mit der naiven
-Neugier eines Kindes überall umhersah. Sie trug einen
-ziemlich großen Arbeitskorb mit festschließendem Deckel am
-Arme; dieser und ein kreuzweis über der Brust zusammengestecktes
-weißes Tuch gaben ihr ein gewisses sehr reizvolles
-Rokokoansehen, welches unseren Fritz unwillkürlich an
-Friederike von Sesenheim gemahnen wollte.</p>
-
-<p>Die Begleiterin der jungen Schönheit war eine sehr
-wohlbeleibte Dame mit einem unendlich gutmüthigen breiten
-Gesicht, welches in Form und Ausdruck den Abbildungen
-der Sonne in manchen Bilderbüchern glich. Gleichwohl
-bekam dieses Gesicht durch einen leisen Bartanflug auf
-der Oberlippe, sowie durch einen Hut, der sich scheinbar
-durch Zauberei, jedes Bindemittel verschmähend, auf ihrem
-Haupte erhielt, einen gewissen Anstrich von energischer
-Unternehmungslust.</p>
-
-<p>Fritz schloß aus dem Körbchen, welches das junge
-Mädchen am Arme trug, daß die Damen sich nach einem
-der Kaffeegärten zu begeben im Begriff standen, welche, in
-der Vorstadt gelegen, häufig zu solchen Morgenausflügen
-benutzt wurden, wenn auch selten zu so früher Stunde.
-Er folgte in gemessener Entfernung und trat mit einem
-gewissen Vergnügen in die Spuren sehr zierlicher Absatzstiefelchen,
-welche die junge Dame in dem Sande der
-Promenadenanlagen hinterließ.</p>
-
-<p>An der nächsten Ecke wandten sich die Spaziergängerinnen
-nach rechts, Fritz that ein Gleiches und befand
-sich auf einem freien Platze, einer zahlreichen, munter
-durcheinander sprechenden Gesellschaft gegenüber, die, um
-einen Omnibus gruppirt, sich entschieden zu einer Landpartie
-rüstete. Die energische Dame mit ihrer reizenden Tochter,
-Nichte, Pflegebefohlenen, was sie auch sein mochte, wurde
-freudig und zugleich wegen der Verspätung vorwurfsvoll
-begrüßt, wobei Fritzens scharfes Ohr es auffing, daß die
-junge Dame Lotte hieß, und man schickte sich an, den
-Wagen zu besteigen.</p>
-
-<p>Fritz entwarf, als guter Stratege, blitzschnell seinen
-Plan und ging als schlechter Diplomat an dessen Ausführung,
-ohne sich Zeit zur Ueberlegung zu lassen. Er
-mischte sich mit edler Dreistigkeit, ohne ein Wort zu sprechen,
-unter die Gesellschaft, und als ein sehr geschniegelter, sehr
-blonder junger Mann eben im Begriff stand, seinen Platz
-neben Fritzens Schönheit einzunehmen, schob letzterer ihn
-mit einem höflichen &bdquo;erlauben Sie&ldquo; zurück und nahm,
-seinen Hut artig lüftend, die Stelle des grenzenlos Verblüfften
-ein.</p>
-
-<p>Für wenige Sekunden bemächtigte sich eine solche wort-
-und bewegungslose Ueberraschung der Gesellschaft, daß ein
-Unparteiischer in Versuchung gekommen wäre, Fritzens
-hübsches, biederes Gesicht für ein Medusenhaupt zu halten.
-Aber der unheimliche Zauber löste sich schnell, und ein
-älterer, jovial aussehender Herr mit einem grauen Vollbart
-trat mit den Worten auf unseren Helden zu: &bdquo;Mein
-Herr, darf ich Sie wenigstens bitten, uns zu sagen, <em class="gesperrt">wen</em>
-wir die Ehre haben, in unserer Mitte zu sehen?&ldquo;</p>
-
-<p>Fritz, Erstaunen und sogar leichte Entrüstung heuchelnd,
-erwiderte mit großer Unbefangenheit: &bdquo;Ich sehe eigentlich
-keinen Grund dafür, mein Herr, jeder Mensch hat doch
-das Recht, einen Omnibus zu einer kleinen Spazierfahrt
-zu benutzen, ohne sofort über sein <em class="antiqua">Curriculum vitae</em> befragt
-zu werden!&ldquo;</p>
-
-<p>Der düstere und kampfesmuthige Ausdruck, der sich
-bei der ersten Hälfte von Fritzens Entgegnung über die
-männlichen Gesichter in der Gesellschaft verbreitet hatte,
-wich nach und nach dem ironischen Lächeln der Ueberlegenheit;
-&bdquo;der wird einen guten Schreck bekommen,&ldquo;
-stand in leserlicher Schrift auf den Mienen der Anwesenden.
-Auch der alte Herr, welcher der Festordner bei dieser
-Vereinigung zu sein schien, lächelte.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sind im Irrthum, mein Herr, dieser Omnibus
-ist von uns für den heutigen Tag gemiethet und zu einem
-gemeinsamen Ausfluge im geschlossenen Kreise bestimmt.&ldquo;</p>
-
-<p>Der durchaus nicht überraschte Fritz war sofort ganz
-Beschämung und Schrecken, er entschuldigte sich bei jedermann
-und der dazu gehörigen Frau, er bedauerte auf&rsquo;s
-lebhafteste, ahnungslos einen solchen <em class="antiqua">faux pas</em> gemacht zu
-haben, und war, wie er versicherte, schon bestraft, indem er
-eine ziellose Spazierfahrt, zu der ihn der schöne Morgen verlockt,
-nun aufgeben und bescheiden in seine heiße Stadtwohnung
-zurückkehren werde.</p>
-
-<p>Fritz konnte wirklich <em class="gesperrt">sehr</em> liebenswürdig sein! Auch
-bei diesen Entschuldigungen entwickelte er so viel Artigkeit
-und Gewandtheit, daß sich das Vorurtheil der Gesellschaft
-fast ausnahmslos für ihn entschied, was er schlau genug
-war, zu bemerken. Nur der blonde junge Mann, den er
-von der Seite des schönen Mädchens verdrängt hatte, sah
-düster und drohend aus und schielte zornig auf unseren Helden.</p>
-
-<p>Nach einer leise geführten Berathung mit den einflußreichsten
-Mitgliedern der Gesellschaft trat der ältere Herr
-wieder auf Fritz zu und forderte ihn freundlich auf, da
-er nun einmal in ihren Kreis gekommen sei, den Platz im
-Wagen zu benutzen und mit ihnen zu fahren. Fritz, dessen
-Uebermuth durch die ganze Situation sowohl, als durch
-die etwas kleinbürgerlichen Allüren eines Theils der Gesellschaft
-gestachelt war, stellte sich, um zu seinen neuen
-Bekannten zu passen, auf seinen Civilanzug hin keck als
-Kaufmann Schröter vor, und nahm mit den Gefühlen eines
-großen Jungen, der hinter die Schule geht, glückselig neben
-der reizenden Lotte Platz. Er benutzte die wenigen Minuten
-bis zur Abfahrt dazu, sein Herz gänzlich an das feine
-Gesichtchen neben sich zu verlieren, noch ehe er eigentlich
-mehr als zehn Worte mit der Eigenthümerin desselben gewechselt
-hatte. Das Mädchen antwortete auch vor der
-Hand nur in schüchterner, kurzer Weise und erröthete jedesmal
-sehr lieblich, wenn Fritzens Augen mit unverhohlener
-Bewunderung auf ihr ruhten.</p>
-
-<p>Bald aber verflog ihre Befangenheit, und als der
-Wagen die Stadt verlassen hatte und zwischen blühenden
-Saatfeldern hinaus auf das Land zu rollte, plauderten
-die beiden schon so lustig und harmlos mit einander, als
-hätten sie sich Jahre lang gekannt. <em class="gesperrt">Was</em> zwei junge Leute,
-die großes Gefallen aneinander finden, sich an einem
-schönen Morgen auf einer Landpartie erzählen, darauf
-kommt es gar nicht an, das <em class="gesperrt">wie</em> ist die Hauptsache!</p>
-
-<p>Und <em class="gesperrt">wie</em> konnte Fritz heute sprechen und parliren! Er
-entdeckte in der frohen Erregtheit des Augenblickes eine
-ungeahnte Fundgrube von guten Einfällen in seinem Innern,
-er hatte nie gewußt, daß es ihm gegeben war,
-gefühlvolle Andeutungen in so leichter, gefälliger Form
-anzubringen, es war ihm noch nie gelungen, ein so reizendes
-Rosenroth auf einem Mädchengesicht durch seine Worte
-hervorzurufen, mit einem Wort, er war noch nie verliebt
-gewesen, dafür war er es jetzt intensiver, als er selbst
-wußte! Und auch seine allerliebste Nachbarin schien dem
-Reiz des Augenblicks nicht ganz unzugänglich, die Unterhaltung
-der beiden gerieth nie ins Stocken.</p>
-
-<p>Fritz vermied &mdash; er wußte nur zu gut, warum &mdash;
-jedes Eingehen auf seine persönlichen Verhältnisse, obwohl
-er seine Lüge schon zu bereuen begann. Er hätte am
-liebsten seine Identität mit dem ernsthaften, überlegten
-jungen Mann ganz vergessen, der seit heute Morgen im
-Begriff stand, eine &bdquo;Vernunftsheirath&ldquo; zu schließen. So
-viel stand bei ihm schon nach der ersten Stunde, der
-größeren Hälfte der zurückzulegenden Tour, fest, hätte er
-die Landpartie oder besser die Bekanntschaft seiner anmuthigen
-Nachbarin <em class="gesperrt">vor</em> der Abfassung des heutigen Briefes
-gemacht, so wäre derselbe nicht geschrieben worden.</p>
-
-<p>Er bedurfte in doppelter Beziehung der Vorsicht, um
-sich nicht zu verrathen, er mußte, um die Situation nicht
-zu verwickeln, nicht Lieutenant Sterneck sein, sondern Kaufmann
-Schröter, und er durfte nicht daran denken, daß
-sein Werbebrief jetzt, vielleicht in diesem Augenblicke, vom
-Postboten aus dem Kasten genommen und zur Eisenbahn
-befördert wurde. Beide Umstände boten einige Schwierigkeit,
-sowie die Unterhaltung auf ihn selbst kam.</p>
-
-<p>Seine kleine Nachbarin war um so offenherziger, sie
-hatte nichts zu verbergen. Seit Ostern war sie aus der
-Schule entlassen und nun bei ihren Eltern zu Haus. Auf
-die heutige Landpartie hatte die Tante &mdash; sie wies auf
-ihre Nachbarin mit dem Schnurrbärtchen &mdash; sie mitgenommen,
-sonst war sie noch wenig aus dem Hause gekommen.</p>
-
-<p>&bdquo;Die Tante meint es sehr gut mit mir,&ldquo; fügte sie dankbar
-hinzu, &bdquo;sie weiß, daß ich zu Hause mit den vielen kleinen
-Geschwistern tüchtig zu thun habe, und nimmt mich öfters
-gegen Abend mit spazieren. Sie ist eine Wittwe und gewöhnlich
-ganz allein. Mich hat sie sehr lieb, und wenn
-sie nächsten Winter auf einen Ball geht, soll ich mitkommen,
-und sie will mir ein weißes Kleid und rosa Rosen dazu
-schenken. Aber was ich Ihnen alles erzähle,&ldquo; brach sie
-erröthend ab, &bdquo;ich freue mich nur schon so sehr darauf
-und vergesse ganz, daß Sie mich noch gar nicht kennen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich denke, ich kenne Sie sehr gut,&ldquo; sagte Fritz lachend,
-&bdquo;und wenn Sie mich etwa nicht kennen wollen, so ist das
-sehr undankbar von Ihnen! Wüßten Sie, was ich alles
-heut gewagt habe, um diesen Tag in Ihrer Nähe zu
-verleben!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie sah ihn verwundert und fragend an; ach, wie
-mit jedem Blick dieser klaren, dunkelblauen Augen Amaliens
-Aktien sanken!</p>
-
-<p>&bdquo;Ja, ja, sehen Sie nur nicht so erstaunt aus! Ich
-muß Ihnen beichten; denken Sie wirklich, daß ich nicht
-wußte, was ich that, als ich, ohne zu fragen, in Ihren
-Kreis hineinplumpte, wie der Zucker in den Kaffee? War
-ich nicht schon eine halbe Stunde vorher hinter zwei Damen
-hergegangen, vom Markte auf die Kronenstraße, von der
-Kronenstraße über den Wall, vom Wall nach dem Omnibus,
-und wußte ich nicht, daß eine dieser Damen wiederzusehen
-oder gar mit ihr bekannt zu werden für mich das größte
-Glück&ldquo; &mdash; hier fiel ihm sein Brief an den Amtsrath ein
-&mdash; er stockte und fuhr verwirrt fort: &bdquo;Mit einem Wort,
-mein Fräulein, ich habe Ihretwegen gelogen, schmählich
-gelogen, ich wußte ganz genau, daß ich bei Ihnen und
-den Ihrigen gar nichts zu suchen hatte und daß um diese
-Zeit des Morgens noch gar kein öffentlicher Omnibus
-fährt &mdash; und nun sagen Sie, daß Sie <em class="gesperrt">sehr</em> böse sind!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sehr!&ldquo; erwiderte sie, ohne aufzublicken.</p>
-
-<p>&bdquo;Soll ich herausspringen und zu Fuß nach Hause
-gehen? Oder noch besser, soll ich so lange neben dem Wagen
-herlaufen, bis Sie mir verziehen haben und mich wieder
-hereinrufen? Sie haben nur zu befehlen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Und wenn ich den Befehl gäbe,&ldquo; sagte Lottchen verwirrt
-und lachend, &bdquo;würden Sie ihn ja doch nicht ausführen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Denken Sie, daß ich um Ihretwillen nicht noch ganz
-andere Dinge thäte?&ldquo;</p>
-
-<p>Fritz war auf gutem Wege, das muß man sagen!
-Aber das ungestörte Lachen und Plaudern der beiden sollte
-ein Ende finden. An der anderen Ecke des Wagens, der
-Tante gegenüber, saß jener Blonde, den Fritz so rücksichtslos
-verdrängt hatte. Er schien ein Protegé von
-Lottens mütterlicher Freundin zu sein, und beide beobachteten
-unser Paar unaufhörlich, wobei die Augen des
-Blonden mit den Wagenrädern förmlich um die Wette
-rollten.</p>
-
-<p>Plötzlich erhob sich die Tante, wankte wie eine stattliche
-Fregatte zwischen den Sitzenden hindurch, wobei
-verschiedene Stöße des Wagens sie als solides Schoßkind
-bald dem einen, bald dem anderen auf die Knie setzten,
-und langte mit den Worten bei Lotte an: &bdquo;Liebes Kind,
-wechsele doch den Platz mit mir, der Wind bläst mir ins
-Gesicht.&ldquo;</p>
-
-<p>Mit einem fast unmerklichen Zögern erhob sich die
-kleine Schönheit und begab sich an die Stelle der intriguanten
-Tante, welche mit durchbohrenden Blicken neben
-dem verblüfften Fritz sich niederließ.</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, wie gefällt Ihnen unsere Landpartie, Herr
-Schröter?&ldquo; fragte sie sofort.</p>
-
-<p>&bdquo;Bis jetzt ausgezeichnet,&ldquo; sagte der doppelzüngige Fritz
-und blickte forschend nach der anderen Ecke, wo der Blonde
-eine eifrige Konversation ins Werk zu setzen begann.</p>
-
-<p>Die Tante betrachtete indeß aufmerksam unseren
-Helden, und sanftere Gefühle begannen ihr Herz zu bewegen.</p>
-
-<p>&bdquo;Er sieht wirklich sehr gut aus,&ldquo; dachte sie, &bdquo;und
-wer weiß, ob unser Lottchen nicht hier ihr Glück macht!
-Ich muß ein wenig auf den Busch klopfen, und ist er ein
-ordentlicher Mensch in angenehmer Lage, so kann man
-ja weiter sehn!&ldquo;</p>
-
-<p>Die gute alte Tante stiftete für ihr Leben gern Heirathen,
-wie alle guten alten Tanten, und indem sie, ihrer Meinung
-nach sehr vorsichtig und unmerklich, unseren Fritz
-auszuforschen begann, entspannen sich die weitaussehendsten
-Pläne in ihrem Kopfe.</p>
-
-<p>Während Fritz, der ihre Absicht mit höchlichem Ergötzen
-durchschaute, ihr in der vertraulichsten Weise von
-seinem einträglichen Kolonialwaarengeschäft erzählte und
-Kaffeeproben zu senden versprach, mit denen sie wohl zufrieden
-sein sollte, während er in dieses übermüthige Lügengewebe
-die liebenswürdigsten kleinen Schmeicheleien und
-Anspielungen auf ihre reizende Nichte einflocht, mit denen
-je eine arglose Tante gefangen wurde, sah sich die wohlwollende
-Dame schon im Geiste in einem violetten Seidenkleide
-an der Hochzeitstafel sitzen, und hörte, wie der gerührte
-Brautvater ans Glas schlug und sie, die Tante,
-als Begründerin dieses jungen Glückes hoch leben ließ,
-denn hätte sie Lotte nicht mit auf die Landpartie genommen,
-so wäre ihr der hübsche und vermögende Bewerber
-vielleicht, nein gewiß, nie begegnet.</p>
-
-<p>Um nun das Ihrige bei der Sache zu thun, erzählte
-sie dem aufhorchenden Fritz mit geheimem Stolze, wie
-häuslich und fleißig Lottchen erzogen worden, wie sie für
-jeden Mann ein wahrer Schatz sein würde, &bdquo;und,&ldquo; fügte
-sie bedeutungsvoll hinzu, &bdquo;so jung das Kind noch ist,
-sie hat schon einen recht wohlhabenden Freier, sehen sie
-wohl, Herr Schröter, den jungen Mann, der ihr gegenüber
-sitzt? Ich sage Ihnen, sie brauchte nur mit den Augen
-zu winken und er hielt morgen um sie an! Aber Lottchen
-hat ihren Kopf für sich, und ...&ldquo;</p>
-
-<p>Hier hielt der Wagen mit einem gewaltigen Ruck und
-der Redefluß der Eifrigen gerieth ins Stocken. Das Ziel
-der Fahrt war erreicht, bald vereinigte ein vergnügtes
-Mahl die Gesellschaft, bei dem Fritz, Dank sei es dem
-Glück und der Tante, seinen Platz neben Lottchen fand.</p>
-
-<p>Während unser Held, mit jedem Moment tiefer in die
-Empfindung hineingerieth, deren erstes Keimen ihn heute zu
-seiner folgenreichen Lüge verleitet hatte, behielt er gleichwohl
-den Kopf noch frei genug, um sich beim Beobachten
-der Versammlung mit einiger Beschämung zu gestehen, daß
-sein Uebermuth hier gar nicht am Platze gewesen, und daß
-er ruhig in seiner wahren Gestalt hätte erscheinen können,
-ohne sich etwas zu vergeben. Eine harmlose, maßvolle
-Heiterkeit belebte den kleinen Kreis, und jeder genoß auf
-seine Weise die frohe Stunde bei gutem Wein und in der
-hübschen Umgebung.</p>
-
-<p>Fritz nicht am wenigsten! Aus dem scherzenden, neckischen
-Tone von unterwegs war er mit seiner Tischnachbarin
-allmählich in das Geleise einer ruhigen Unterhaltung gekommen,
-in der sich das anziehendste aller Bilder, eine
-kindlich klare und reine Mädchenseele, vor seinen Augen
-aufrollte. Ihre Lebensanschauungen und Geschmacksrichtung
-entsprachen so vollkommen dem Ideal, welches er im stillen
-lange vergeblich gesucht, daß es ganz bestimmte Gedanken
-waren, mit denen er, sein gefülltes Glas erhebend, halblaut
-zu ihr sagte: &bdquo;Die Zukunft!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Warum nicht lieber die Gegenwart?&ldquo; gab sie unbefangen
-zurück, &bdquo;wer weiß was die Zukunft bringt, ich baue
-nicht gern Luftschlösser!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich um so lieber&ldquo;, erwiderte Fritz, &bdquo;und bauen Sie
-mir zu Gefallen einmal mit &mdash; wie denken Sie sich Ihre
-Zukunft?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Fragen Sie lieber, wie ich sie mir <em class="gesperrt">wünsche</em>, das
-kann ich Ihnen ebenso sicher sagen, wie es sicher nie in
-Erfüllung gehen wird: ich möchte auf dem Lande leben!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Bravo,&ldquo; rief Fritz, &bdquo;das lobe ich mir! Und auf die
-Erfüllung dieses Wunsches leere ich mein Glas! Das Landleben
-ist das einzig vernünftige Leben und ein Landwirth
-der glücklichste Mensch, vorausgesetzt &mdash;&ldquo; er vollendete mit
-einem sehr beredten Seitenblick, der wieder ein tiefes Erröthen
-in Lottchens Gesicht trieb.</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn Sie aber auch so für das Landleben schwärmen,&ldquo;
-begann sie hastig, wie ablenkend, &bdquo;warum bleiben
-Sie denn in der Stadt?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Dort war ich ja nur vorübergehend für einige
-Jahre,&ldquo; erwiderte Fritz unvorsichtig, &bdquo;von morgen an ist
-es mit dem &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>Er stockte, erschrak und wurde fast noch röther, als
-seine Nachbarin. &bdquo;Was haben Sie denn?&ldquo; fragte sie
-erstaunt.</p>
-
-<p>Fritz schwieg, er schämte sich! Kein angenehmer Zustand,
-solchen vertrauenden, blauen Augen gegenüber!</p>
-
-<p>&bdquo;Bitte, fragen Sie mich nicht, ich kann mich jetzt
-nicht näher erklären,&ldquo; sagte er verwirrt und ohne sie anzusehen,
-&bdquo;in mir ist heut alles unklar und unsicher, wundern
-Sie sich nicht, wenn ich viel thörichtes rede, es kommt
-hoffentlich ein Moment, wo ich Ihnen alles, was Sie nur
-überhaupt von mir wissen mögen, deutlich sagen kann und
-darf!&ldquo;</p>
-
-<p>Fritz, Fritz! Eine Uhr im Gastzimmer holte zu dröhnenden
-Schlägen aus, die Zeit war schon weit vorgeschritten.
-Jetzt mußte der Brief längst in Neu-Tessin sein,
-die Antwort &mdash; alle Chancen sprachen dafür, daß sie eine
-bejahende sein werde &mdash; war möglicherweise schon unterwegs,
-und dann?</p>
-
-<p>Fritz wurde es heiß und kalt, nun war aber auch
-hohe Zeit, daß er hier ein Ende machte! Als man sich
-vom Tische erhob, begab er sich allein und tief nachdenklich
-in den Garten, der um das Wirthshaus blühte und grünte.
-Er kämpfte einen harten Kampf mit sich, mit seinem Gewissen
-und seiner jungen Liebe, die ihn um so lockender
-ansah, als sie hinter einem Gitter von Schwierigkeiten
-stand, welches seine eigene Schuld errichtet hatte! Er
-athmete tief auf, sein Entschluß war gefaßt. Wie auch
-die Sachen kommen sollten, er wollte sich nicht noch mehr
-Vorwürfe zu machen haben, als er ohnehin schon empfand
-&mdash; er ging festen Schrittes auf das Haus zu, um seinen
-Hut zu holen und unter einem Vorwande der Gesellschaft
-und allen schönen Träumen Lebewohl zu sagen!</p>
-
-<p>Aber der Zufall, dem er sich heute so leichtsinnig in
-die Arme geworfen, ist ein heimtückischer Gesell, der seine
-Anhänger freilich oft auf reizenden Waldpfaden zum erwünschten
-Ziele führt, oft aber auch an jeder Biegung
-eines guten und verständigen Weges als neckender Kobold
-sitzt und ruft: &bdquo;Halt, du hast die Rechnung ohne den
-Wirth gemacht, hier wird hübsch umgekehrt und ausgegessen,
-was du unter meiner Aegide dir so schön eingebrockt
-hast!&ldquo;</p>
-
-<p>Diesmal saß er, dieser böse Zufall, in Gestalt eines
-der Theilnehmer am heutigen Ausfluge vor einem großen,
-verstimmten Dorfpianino und gab im Schweiße seines Angesichtes
-einen etwas unregelmäßigen Walzer zum Besten,
-nach dem sich die Gesellschaft, alt und jung, leicht und
-schwer, geschickt und ungeschickt, munter zu drehen
-begann.</p>
-
-<p>Als Fritz in der offenen Thüre erschien und suchend
-nach seinem Hut umhersah, begegnete ihm ein einziger,
-ganz kurzer und flüchtiger Blick Lottchens, der, wenn je
-ein Blick gesprochen hat, fragte: &bdquo;Tanzen Sie nicht?&ldquo;</p>
-
-<p>Fritz schwankte innerlich, wie ein Rohr im Winde,
-er tanzte gut, das wußte er! Gut genug, um die Produktionen
-der ganzen hier versammelten Gesellschaft in den
-tiefsten Schatten zu stellen, und gern &mdash; fast immer gern!
-Heute aber, in seiner halb glücklichen, halb traurigen
-Stimmung mit dem reizendsten aller Mädchen dem Rhythmus
-eines weichmüthigen Walzers zu folgen, während durch
-die geöffneten Fenster die laue Sommerluft hereinstrich und
-die Rosen dufteten &mdash; ade Vernunft, ade Gewissen &mdash;
-eben schreitet der blonde Rival im zierlichsten Pas durch
-das Zimmer, das entscheidet alles! Fritz kommt ihm zum
-zweiten Male zuvor, und der schönste Tanz beginnt, den
-er je gehört oder getanzt hat!</p>
-
-<p>Wie er jetzt mit Lottchen dahinflog, feurig und
-doch taktmäßig, so, das fühlte er deutlich, würde er mit
-ihr durch das Leben fliegen können! Es mochte ja unrecht
-und unvernünftig sein, daß er geblieben war, aber der
-Mensch ist so traurig geartet, daß ihm das Unvernünftige
-manchmal, oft &mdash; um nicht zu sagen meist, am besten gefällt!
-Und mit dem schönen Gefühl, &bdquo;nun hast du die Dummheit
-einmal gemacht, nun ist es auch ganz gleich, wie weit
-du dich verrennst,&ldquo; gestattete sich Fritz die allerdeutlichsten
-Anspielungen auf seinen ohnehin sehr durchsichtigen Herzenszustand
-und fand kein ganz unwilliges Gehör!</p>
-
-<p>Im Rausche des Moments und um sein Gewissen zu
-betäuben, steigerte sich unser Held zu fast ausgelassener
-Lustigkeit; er tanzte wie unsinnig, nicht nur mit Lottchen,
-nicht nur mit allen <em class="gesperrt">jungen</em> Damen, nein, er bewog sogar
-die Mütter und schließlich die gute Tante, einen ehrsamen
-Schleifer unter seiner Führung zu wagen, was nach dem
-nöthigen Sträuben, Lachen und Fingerdrohen die größte
-und allgemeinste Heiterkeit hervorrief, er brachte mit Aufbietung
-aller Familienväter eine Française zu Stande, die
-an künstlicher Verwickelung jedes Erschaffene und Erfundene
-übertraf, er entzückte alles, außer dem Blonden, der, von
-seinem Platze als Hahn im Korbe verdrängt, düster vor
-der Punschbowle saß, und sich durch Massenvertilgung von
-Speise und Trank an der Gesellschaft rächte.</p>
-
-<p>Endlich trieb man zum Aufbruch. Die Plaids,
-Tücher und Paletots wurden, zu einem wüsten Knäuel geballt,
-von zwei Hausknechten herbeigetragen und entwirrt.
-Fritz hatte Lottchens Sachen gewandt herausgefunden und
-sie sorglich darin einzuhüllen geholfen, bis er seinen Platz
-neben ihr wieder einnahm.</p>
-
-<p>Bald flog der Wagen durch die duftende Sommernacht
-hin. Ringsum war es still und friedlich, die Sterne
-blitzten in schweigsamer Pracht; sanft und groß stieg der
-Mond über den schwarzen Baumwipfeln herauf und leuchtete
-mild auf dem dunkelklaren Hintergrunde des Nachthimmels.
-Ganz, ganz fern schlug eine Nachtigall, es klang fast nur,
-wie das Echo ihrer Stimme zu den Fahrenden hinüber.
-Wem sollte da nicht weich ums Herz werden!</p>
-
-<p>Je näher sie der Stadt kamen, deren Lichter schon
-am Horizont herauffunkelten, desto lebhafter fühlte Fritz
-den Wunsch, fast die Pflicht, vor seinem Abschiede noch
-ein erklärendes, rechtfertigendes Wort zu sagen, und fand
-keines!</p>
-
-<p>Ihm schlug das Herz mächtig, als er sich in der
-Stille der Sommernacht, nach all dem Getöse und fröhlichen
-Lärm, wieder sagen mußte, was er gethan! Das
-schweigende Mädchen hier neben ihm, dessen liebliches Gesicht
-jetzt so seltsam nachdenklich dreinsah, es war mit der
-unbefangenen Lust des Kindes heut von Hause gegangen,
-und hatte nicht an die Möglichkeit gedacht, daß ein bleibender
-Eindruck, vielleicht ein Geschick sich an diesen Tag
-knüpfen werde.</p>
-
-<p>That er jetzt, was er thun mußte, verließ er sie,
-ohne sie wiederzusehen, nachdem er mit Wort und Blick
-sich bestrebt, ihr Herz zu gewinnen, so hatte er von einem
-jungen, glücklichen Schmetterling, der ahnungslos in den
-Blumengarten des Lebens fliegt, den ersten Blüthenstaub in
-frevelhaftem Leichtsinn gestreift, nie wieder würde das
-reine Vertrauen wiederkehren, mit dem das Mädchen in
-die Welt getreten war, um sofort eine solche Enttäuschung
-zu erleben. Und doch konnte, doch durfte er nicht sprechen,
-wer stand ihm denn dafür, daß er nicht jetzt, in diesem
-Augenblicke der Verlobte einer anderen war? Der Gedanke
-stieg ihm sinnverwirrend zu Kopfe, er seufzte tief auf.</p>
-
-<p>Lottchen wandte den Kopf und sah ihn an; es lag
-etwas so kindlich Vertrauendes in diesem Blicke, daß er
-ihm ins Herz schnitt.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie seufzen so schwer?&ldquo; sagte sie, halb lächelnd.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich denke wieder einmal an die Zukunft,&ldquo; erwiderte
-er ernster, als er noch heut gesprochen.</p>
-
-<p>&bdquo;So lassen Sie doch Ihre Zukunft!&ldquo; rief sie munter,
-&bdquo;sie wird schon von selbst kommen, und ändern können
-Sie doch nichts daran!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das frage ich mich eben!&ldquo; gab er immer noch ernst
-zurück, &bdquo;ich stehe vor einem Wendepunkte in meinem Leben,
-Fräulein Lottchen, und das habe ich heut den ganzen
-Tag zu wenig bedacht!&ldquo;</p>
-
-<p>Er sah, daß seine Worte einen leichten Schatten auf
-ihr frohes Gesichtchen riefen, der ihm einen neuen Reiz
-verlieh, aber einen Reiz wehmüthiger Natur. Er fuhr
-hastig fort:</p>
-
-<p>&bdquo;Wir sind bald am Ziel unserer gemeinsamen Fahrt,
-wer weiß, ob wir uns noch einmal wieder treffen! Lassen
-Sie mich eine Bitte aussprechen, ehe ich gehe!&ldquo;</p>
-
-<p>Sie war ganz blaß und still geworden und nickte
-seinen Worten nur stumm Gewährung.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich sagte Ihnen schon, daß ich vor einer Wendung
-meines Geschickes stehe, vielleicht entscheidet der heutige
-Abend noch über jene Zukunft, an die ich vorhin dachte &mdash;
-wollen Sie mir nicht Glück auf meinen Weg wünschen?&ldquo;</p>
-
-<p>Seine Stimme war leise und innig bei diesen Worten,
-er beugte sich zu ihr und nahm ihre Hand, zum ersten &mdash;
-vielleicht zum letzten Mal!</p>
-
-<p>&bdquo;Nun, kein Glückwunsch?&ldquo; wiederholte er dringend,
-da sie schwieg.</p>
-
-<p>&bdquo;Doch,&ldquo; erwiderte sie, und zwang sich, ihn anzusehen,
-obwohl eine seltsame Verwirrung auf ihren Zügen
-lag, &bdquo;ich wünsche jedem Menschen Glück, warum nicht
-Ihnen?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Damit muß ich mich für heute begnügen,&ldquo; sagte er,
-und führte ihre Hand leicht an seine Lippen, &bdquo;geht Ihr
-Wunsch in Erfüllung, so werde ich es Ihnen noch einmal
-selbst sagen, und dann &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>Der Wagen rollte hier zum Glück über das Straßenpflaster
-in die Stadt hinein, die nickenden Beschützer und
-Beschützerinnen fuhren empor, und an der ersten Ecke, wo
-der Omnibus einen Theil der Gesellschaft absetzte, nahm
-Fritz sich den Entschluß über den Kopf weg, und verabschiedete
-sich mit flüchtigem, herzlichen Dank von den Anwesenden,
-die ihn wie einen alten Bekannten mit fröhlichem
-Zuruf entließen, während Lottchen stumm und sichtlich
-erregt nur durch eine Kopfneigung seinen Gruß erwiderte.</p>
-
-<p class="center noindent">*<br /><span style="margin-right:3em;">*</span>*</p>
-
-<p>Als Fritz nach wenig Minuten vor seiner Hausthür
-stand, und der große Schlüssel sich kreischend im Schloß
-drehte, war es ihm, als öffne er sich selbst den Eingang
-zu einem lebenslangen Gefängniß. Wenn er nun jetzt in
-sein Zimmer trat, und den Brief vorfand, der ihm das
-Jawort brachte &mdash; wie sollte er sich dann benehmen? Er
-war, das fühlte er, er war zu weit gegangen, um einfach
-mit französischem Abschied aus Lottchens Gesichtskreis zu
-verschwinden, und doch fehlte ihm Muth und Lust, sich
-in seiner ganzen Schlechtigkeit vor ihr zu offenbaren, und
-dann zu dieser ohnehin harten Strafe noch die andere,
-ungleich härtere zu fügen, eine Verlobung mit der unseligen
-Amalie, die ihm in der parteiischen Beleuchtung
-seiner anderweitigen Verliebtheit nicht mehr als ein blasses,
-negatives Bild der Alltäglichkeit, sondern als ein wahres
-Monstrum erschien!</p>
-
-<p>Als er die Stubenthür öffnete, begegnete sein Blick
-zunächst keinem Briefe, sondern egyptischer Finsterniß, welche
-durch das laute Schnarchen seines Burschen etwas gespenstisches
-erhielt.</p>
-
-<p>Daß Fritz keine Streichhölzer in der Tasche hatte,
-versteht sich von selbst, wenn man sich gern schnell durch
-den Augenschein von etwas überzeugen möchte, fehlt dergleichen
-immer!</p>
-
-<p>Der Bursche erwachte etwas mühselig, krabbelte, an
-alle Gegenstände im Zimmer anstoßend, eine Zeit lang
-umher, die Fritz zur Ewigkeit wurde, und die er doch
-nicht durch die Frage, ob ein Brief gekommen sei, zu
-unterbrechen wagte, weil er bei sich dachte: &bdquo;das erfahre
-ich immer noch früh genug,&ldquo; und endlich erstrahlte das
-Zimmer im Glanz einer Kerze. Der Tisch, auf dem die
-eingegangenen Depeschen zu liegen pflegten, war leer!</p>
-
-<p>&bdquo;Ist nichts mit der Post gekommen?&ldquo; frug endlich
-Fritz, bebend vor Erwartung.</p>
-
-<p>&bdquo;Nein, Herr Lieutenant!&ldquo;</p>
-
-<p>Also nichts! Das Allerfatalste, weder Ja noch Nein,
-eine widerwärtige, flaue Fluth von Möglichkeiten, in der
-man nun noch bis zum andern Morgen schwimmen konnte!</p>
-
-<p>Eine zweite Nacht brach heran, die gleich der vergangenen
-schlaflos zu werden drohte, das Durchkonjugiren
-von &bdquo;hätte ich!&ldquo; ist stets eine der unerfreulichsten Beschäftigungen,
-ganz abgesehen von ihrer völligen Nutzlosigkeit.
-Und dennoch beschäftigt sich jeder, der eine Dummheit
-begangen hat, hinterher damit, sich zu sagen: &bdquo;hätte
-ich dies gethan, oder das <em class="gesperrt">nicht</em> gethan!&ldquo;</p>
-
-<p>Zum Glück siegte die übermüdete Natur für diesmal,
-unser armer Held schlief ein, und schlief, traumlos, wie
-man immer schlafen sollte, bis tief in den nächsten Morgen
-hinein, der ihm beim Erwachen grell und golden in
-die Augen schien.</p>
-
-<p>Beim Frühstück konnte er wieder einen Brief erwarten,
-aber die Klingel rührte sich nicht, und der Vormittag
-verging ihm, dem schon vom Dienst Dispensirten,
-in bleierner Schwere. Endlich schlug die Stunde, wo er
-sich, um sich abzumelden, nach der Kommandantur begeben
-mußte, er warf sich in seinen Staat, und schritt
-wenige Minuten darauf mit Helm und Schärpe, äußerlich
-ein energischer, junger Kriegsgott, innerlich ein deprimirter
-Hase, seinem Bestimmungsort zu.</p>
-
-<p>Die Sache war schnell erledigt, und als Fritz den
-Heimweg antrat, beschloß er, um seinen Gedanken ein
-wenig Audienz zu geben, noch einmal durch die Anlagen
-zu wandern.</p>
-
-<p>Ihm war, er wußte selbst nicht, warum, jetzt hoffnungsfreudiger
-zu Muthe. Hätte er ein &bdquo;Ja&ldquo; erhalten,
-so wäre die Antwort jetzt gewiß schon da. Es war ja
-möglich &mdash; entzückende Möglichkeit! daß er Amalien über
-Nacht eben so widerwärtig geworden, wie sie ihm! Wenn
-er sich&rsquo;s recht bedachte, hatte er überhaupt gar keinen
-Grund, anzunehmen, daß sie ihm besonders gewogen sei;
-was er für Stille und Zurückhaltung in ihrem Wesen genommen,
-war vielleicht &mdash; nein gewiß! verborgene Abneigung
-gewesen. Man kann sich bekanntlich nichts so
-leicht einreden, als was man wünscht, Fritz war noch keine
-zehn Minuten gegangen, als er schon glückselig einen imaginären
-Korb von Amalien am Arm, und einen ebenso
-imaginären Ring von Lottchen am Finger trug.</p>
-
-<p>Diese letzte Möglichkeit spann sich denn in seinem
-Inneren zu dem farbenreichsten Bilde aus, er stellte sich
-das Mädchen in ihrer ganzen Lieblichkeit vor, so deutlich,
-daß es ihn kaum überraschte, als er, um eine Ecke biegend,
-sich plötzlich ihr gegenüber sah.</p>
-
-<p>Mit unverhohlenem Entzücken griff er an den Helm,
-aber Lottchen blickte ihn erst erschreckt, dann völlig fassungslos
-an, plötzlich wandte sie sich ab, und setzte, ohne seinen
-Gruß zu erwidern, ihren Weg fort.</p>
-
-<p>Jetzt erst begriff Fritz ihre Empfindungen! Der Kaufmann
-Schröter von gestern, der bescheidene Besitzer des
-einträglichen Kolonialwaarengeschäfts, dem &mdash; d. h. dem
-Besitzer! &mdash; sie in ihren Träumen bereits eine nicht ganz
-nebensächliche Rolle zugewiesen hatte, er klirrte heute als
-bewaffnete Macht ihr entgegen, und sie wußte begreiflicherweise
-nicht, ob eine wunderbare Aehnlichkeit sie täusche,
-oder was sie sonst von ihm denken solle.</p>
-
-<p>Blitzschnell hatte Fritz die Davoneilende eingeholt, und
-schritt, ohne ihr stummes Kopfschütteln, womit sie all seine
-Worte der Begrüßung und Freude erwiderte, zu beachten,
-neben ihr her, die ziemlich menschenleeren Anlagen entlang.</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn Sie wüßten,&ldquo; begann er verwirrt und ganz
-unberechtigt vorwurfsvoll, &bdquo;<em class="gesperrt">wie</em> ich mich freute, als ich
-Sie so überraschend wieder vor mir sah, Sie würden mich
-nicht durch Ihren Zorn betrüben. Sagen Sie mir nur,
-was Sie eigentlich von mir denken, um das eine bitte
-ich Sie!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich denke <em class="gesperrt">gar nichts</em> von Ihnen,&ldquo; erwiderte das
-Mädchen in einem seltsam harten und kalten Tone, den
-man ihrer jugendlichen Stimme gar nicht zugetraut hätte,
-&bdquo;ich kenne Sie überhaupt nicht, und bitte Sie, mich
-augenblicklich meinen Weg allein fortsetzen zu lassen.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Fräulein Lottchen,&ldquo; bat der unglückliche Fritz flehend,
-&bdquo;wollen Sie mich nicht wenigstens anhören? Sie thun
-mir sicher in Gedanken unrecht, ich bin nicht so schuldig,
-als es den Anschein hat.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Sondern noch viel schuldiger,&ldquo; jammerte es in seinem
-Inneren, &bdquo;wenn sie schon über die einfache Namensverwechselung
-<em class="gesperrt">so</em> böse ist, was würde sie erst sagen, wenn sie
-wüßte! &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>Fritz schauderte.</p>
-
-<p>&bdquo;Was bezwecken Sie eigentlich mit dieser zweiten
-Komödie?&ldquo; sagte jetzt das Mädchen stehen bleibend, noch
-immer im selben Ton. &bdquo;Was Sie <em class="gesperrt">gestern</em> gewollt haben,
-sehe ich heute wohl ein, uns alle zum Spielzeug Ihrer
-hochmüthigen Laune benützen, nun es ist Ihnen ja gelungen
-&mdash; Sie haben Ihre Sache vortrefflich gemacht &mdash; was
-soll ich nun noch anhören?&ldquo;</p>
-
-<p>Fritz blieb gleichfalls stehen, und ließ seine Augen erst
-einen Moment traurig auf ihr ruhen, ehe er sprach.</p>
-
-<p>&bdquo;Wenn Sie <em class="gesperrt">so</em> fragen, dann bin ich zu Ende, ich kann
-dann nur meiner Wege gehen, denn ich fühle, daß Sie ein
-Recht haben, mir zu zürnen, und daß ich mich nur dann
-vertheidigen darf, wenn Sie es mir selbst erlauben. Soll
-ich wirklich <em class="gesperrt">so</em> von Ihnen scheiden?&ldquo;</p>
-
-<p>Sie machte einen tapferen Versuch &bdquo;ja!&ldquo; zu erwidern,
-er scheiterte aber an halb erstickten Thränen, die sich plötzlich
-in ihre Stimme und in ihre Augen drängten. Heftig
-aufschluchzend schlug sie beide Hände vors Gesicht
-und wandte sich von ihm ab.</p>
-
-<p>Ich muß gestehen, auf die Gefahr hin, meinen Helden
-sehr wenig heldenmüthig erscheinen zu lassen, daß Fritz
-diesem Anblick nicht ganz weit davon entfernt war, dem
-Mädchen herzhaft Gesellschaft zu leisten! Eine solche Hochfluth
-widerstrebender Empfindungen schlug über seinem
-Haupte zusammen, daß er sich von den wilden Wogen
-seiner Gefühle rücksichtslos dahintragen ließ, er gestand
-Lottchen in fliegenden Worten seine Liebe, und bekannte
-ihr, daß er gestern zwar anfänglich in übermüthiger Laune
-seinen wahren Stand und Namen verleugnet habe, daß
-er aber bald, sehr bald große Beschämung über diesen
-tollen Einfall empfunden, und sich schon vor Ende des
-Tages bewußt gewesen sei, daß aus seinem Scherz tiefster
-Ernst für ihn geworden, und daß er &mdash; nun kurz, was
-man in solchen Fällen sagt.</p>
-
-<p>&bdquo;Und Lottchen,&ldquo; fügte er dringend hinzu, indem er
-ihre Hand nahm, &bdquo;wenn ich Ihren Thränen eine Deutung
-geben darf, wenn auch Sie jener alten Geschichte von der
-&bdquo;Liebe auf den ersten Blick&ldquo; seit gestern glauben gelernt
-haben, dann lassen Sie mir als ersten Beweis davon
-Verzeihung zutheil werden, oder lieber,&ldquo; fügte er lächelnd
-hinzu, da sie ihn, wenn auch noch durch Thränen, doch
-schon wieder freundlicher ansah, &bdquo;seien Sie so böse auf
-den &bdquo;Kaufmann Schröter,&ldquo; wie Sie nur irgend wollen,
-aber haben Sie den Lieutenant Sterneck dafür umso lieber &mdash;
-was meinen Sie? Darf ich mich Ihren Eltern vorstellen,
-und ihnen sagen, daß Sie mir diesen Besuch gestattet
-haben?&ldquo;</p>
-
-<p>Nun, Lottchen war nicht von Stein, sie sagte zwar
-nicht ja, aber sie nickte mit dem Kopfe, und das that
-dieselben Dienste!</p>
-
-<p>Näher kommende Schritte ließen unser Paar etwas
-bestürzt auffahren, und Fritzens Schreck steigerte sich zu
-plötzlichem Entsetzen, als der Störenfried sich in der sonst
-harmlosen Gestalt eines Briefträgers präsentirte, der in
-geschäftsmäßigem Tritt, ohne rechts oder links zu blicken,
-an ihnen vorüber nach der Stadt ging. &bdquo;Glaubst du,
-dieser Adler sei dir geschenkt?&ldquo; schien mit feurigen Buchstaben
-um die Mütze des ehrlichen Postbeamten geschrieben &mdash;
-was für eine Pandorabüchse konnte jene Ledertasche sein!</p>
-
-<p>Fritz verbarg mit Mühe seine Verwirrung, und trennte
-sich von seiner reizenden Braut, wo die Anlagen in die
-Stadt münden, mit dem nochmaligen Versprechen, sobald
-es seine Zeit gestatte, sich bei ihren Eltern einfinden zu
-wollen. Noch ein herzlicher Händedruck, und ihre Wege
-führten auseinander. Lottchen trippelte mit der ihr eigenen,
-anmuthigen Schnelligkeit von dannen, und Fritz wandte
-wohl noch zehnmal den Kopf, um mit Freude und Gewissensangst
-der Verschwindenden nachzusehen.</p>
-
-<p>Als er einige Stunden später in stiller Beklommenheit
-auf seinem Sopha saß, klopfte es, der Bursche brachte ihm
-einen Brief, Poststempel Neu-Tessin! Nun also! Fritz hatte
-noch nie vor der Mündung einer geladenen Pistole gestanden,
-er wußte demnach nicht aus Erfahrung, wie einem dabei
-zu Muthe ist, ungefähr konnte er sich&rsquo;s aber nach diesem
-Moment vorstellen. Es hilft doch nichts &mdash; auf mit dem
-Brief! Er lautete:</p>
-
-<p class="salutation">
-Mein verehrter, junger Freund!<br />
-</p>
-
-<p>Ihr Schreiben hat mich und die Meinigen geehrt und
-erfreut. Wir nehmen Ihre Bewerbung um unsere Tochter
-gern an, und hoffen, in Ihnen einen lieben Sohn zu
-finden. Meine Frau wollte schon bei unserem letzten Zusammensein
-ganz klar die demnächstigen Ereignisse voraussehen,
-doch hielt ich dies für eine Illusion, zu der das
-weibliche Geschlecht in Betreff von Heirathsabsichten ja
-stets neigt. Nun hat sie doch Recht behalten!</p>
-
-<p>Wir erwarten Sie morgen Abend zum frohen Verlobungsmahl,
-und wollen dann alles andere mündlich
-erörtern. Ein Gruß von Malchen wird Ihnen wohl nicht
-unangenehm sein?</p>
-
-<div class="salutation">
-<div class="poem">
-<p class="greet">
-Ihr treu ergebner Schwiegervater <em class="antiqua">in spe</em><br />
-Solgers, Amtsrath.<br />
-</p>
-</div>
-</div>
-
-<p>Der Brief trug das Datum des gestrigen Sonntags.</p>
-
-<p>Das lähmende Entsetzen, welches sich unseres Fritz beim
-Durchlesen dieses an sich ja sehr netten Schreibens bemächtigte,
-spottet jeder Beschreibung. Er starrte den verhängnißvollen
-Zettel an, eigentlich ohne Bewußtsein, er
-las ihn wieder, und noch einmal, aber auch nicht ein
-Schimmer von Zweifel ließ sich daraus entnehmen!</p>
-
-<p>&bdquo;Bei unserem letzten Zusammensein will die Amtsräthin
-etwas gemerkt haben,&ldquo; murmelte er dumpf, &bdquo;<em class="gesperrt">ich</em>
-habe nichts gemerkt! Wann soll denn das gewesen sein?
-Ich bin ja seit fast vier Wochen nicht in Tessin gewesen &mdash;
-nun, es wird doch am Ende etwas daran sein! Es muß
-wohl den Tag <em class="gesperrt">sehr</em> guten Punsch gegeben haben,&ldquo; sagte
-er gedankenlos vor sich hin.</p>
-
-<p>Fritz sprang auf und schritt in wahrer Verzweiflung
-im Zimmer auf und ab, sein Herz schlug so laut vor
-Angst, daß er es zu hören meinte. War wohl je ein
-Mensch in solcher schrecklichen Lage, und solchen verwickelten
-Familienverhältnissen! Nun hatte er zwei Bräute, zwei
-Schwiegermütter und zwei Schwiegerväter, von denen der
-ihm bekannte ein wahrer Bär von deutscher Grobheit
-war.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Wessen</em> er sich versah, wenn er mit seiner Beichte
-in Tessin herausrückte, war gar nicht auszudenken, und
-er durfte doch nicht wieder grob werden; hatte er nicht
-frevelhaft den Hausfrieden und Seelenfrieden einer glücklichen
-Familie gestört? Und Amalie schien ihn nun doch
-zu lieben, der schalkhafte Schlußsatz des Briefes deutete
-auf das Aergste!</p>
-
-<p>Armer Fritz, zwei Mädchenherzen liegen zu deinen
-Füßen, <em class="gesperrt">eines</em> mußt du unfehlbar zertreten, magst du
-einen noch so künstlichen, moralischen Eiertanz ausführen!</p>
-
-<p>Aber alles jammern und sich abmartern nützte nichts,
-jetzt hieß es handeln, rasch, klug und rechtlich, er hatte
-nie gedacht, daß dies so schwer wäre!</p>
-
-<p>In einer halben Stunde ging der letzte Zug an diesem
-Tage nach Tessin ab, und man erwartete ihn &bdquo;zum fröhlichen
-Verlobungsmahle!&ldquo; Sollte er schreiben? das war
-ihm unmöglich, er <em class="gesperrt">konnte</em> sich nicht entschließen, seine
-Schandthaten schriftlich in das Familienarchiv des Amtsraths
-niederzulegen, nein, es mußte ausgebadet werden!
-Er schickte den Burschen nach einer Droschke, und während
-dieser unterwegs war, schrieb er eilig und innerlich zerfleischt
-von Höllenqualen einige Zeilen an Lottchen, worin
-er ihr mittheilte, daß Familienangelegenheiten unaufschiebbarer
-Natur ihn zwängen, die Stadt auf einige Stunden
-zu verlassen. Sie möge ihm nur vertrauen, der nächste
-Tag finde ihn sicher bei ihr und ihren Eltern.</p>
-
-<p>Schweren Herzens sandte er den Brief an seinen Bestimmungsort
-ab, und fuhr dann zur Bahn. Seine stille
-Hoffnung, er werde den Zug versäumen, und sich auf
-diese Weise eine Galgenfrist schaffen, trog, er kam rechtzeitig
-an, und die Stunde, welche die Stadt und Neu-Tessin
-trennt, war bald auf Dampfesflügeln durcheilt.</p>
-
-<p>Das von dem Amtsrath bewohnte Dominium Tessin,
-lag etwa zehn Minuten von der Bahnstation Frankenberg.
-Als Fritz den Zug verließ, entdeckte er bald die
-wohlbekannte, geschlossene Chaise seines Schwiegervaters
-Nr. 1, wie er ihn in Gedanken nannte, denn nach dem
-alten Sprichwort: &bdquo;wer zuerst kommt, mahlt zuerst,&ldquo;
-hatte Amalie entschieden den Vorrang bei diesem seltsamsten
-aller Wettrennen.</p>
-
-<p>Ein ihm fremder Kutscher lenkte das Gefährt, und
-blickte spähend in die aussteigende Menschenmenge. Als
-Fritz sich ihm näherte, und zur Sicherheit sich noch einmal
-erkundigte: &bdquo;Herrn Amtsrath Solgers Wagen?&ldquo; nickte
-der Rosselenker, und frug, das trübselige Gesicht vor
-ihm mit einigem Mißtrauen betrachtend: &bdquo;sind Sie der
-Herr Bräutigam?&ldquo;</p>
-
-<p>Unwillig bejahte der gequälte Fritz, und bald rollte
-das Gefährt auf der Landstraße dahin. Noch eine Biegung
-des Weges, da lag das Amtshaus, von der untergehenden
-Sonne vergoldet, vor ihm.</p>
-
-<p>Als Fritz sich dem Hofe näherte, welchen man zu
-passiren hat, ehe man das Haus erreicht, begrüßten ihn
-zwar arg verstimmte, aber doch wohlgemeinte, schmetternde
-Klänge, die Dorfkapelle blies einen Tusch. Die durch
-diese Ovation etwas erregten Pferde ließen sich erst schwer
-zum Stehen bringen, Fritzens verstörte Augen bemerkten
-über der Hausthür eine dicke Guirlande, und als er, halb
-betäubt vor Verwirrung, dem Wagen entstieg, strömte ihm
-der warme Duft von Punsch und Braten festlich entgegen.</p>
-
-<p>Vor der Thür stand der Amtsrath im schwarzen Leibrock,
-das Ordensbändchen im Knopfloch, die Amtsräthin
-im Seidenkleide, neugierige kleine Schwäger, Schwägerinnen
-und Dienstboten drängten sich im Hausflur, Malchen schien
-sich in bräutlicher Verschämtheit im Hintertreffen zu halten.</p>
-
-<p>Fritz schwankte, wie ein Gerichteter, der das Schaffot
-besteigen soll.</p>
-
-<p>Aber Unerwartetes begab sich.</p>
-
-<p>Das dröhnende &bdquo;Willkommen,&ldquo; mit dem der Hausherr
-den Wagen bereits anzuschreien begonnen hatte, verstummte
-plötzlich wie abgeschnitten, als er unseren Fritz erblickte.
-Es wäre schwer zu sagen, wessen Züge die größere Verlegenheit
-ausdrückten, die des Ankommenden, oder die der
-Erwartenden.</p>
-
-<p>Die Amtsräthin machte kurz kehrt, und zerstreute mit
-Wort und Geberde die Neugierigen im Hausflur, dann
-ward sie nicht mehr gesehen.</p>
-
-<p>Ihr Gatte erhob mechanisch die Hand, kratzte sich hinter
-dem Ohr, und &mdash; schwieg.</p>
-
-<p>Fritz schwieg auch, ihm war fürchterlich zu Muthe.
-Er glaubte, er mußte ja glauben, daß der Anblick seines
-bleichen, deprimirten Gesichts so niederschmetternd auf die
-schwiegerelterlichen Nerven wirke, daß man keine Worte
-fände, ihn fröhlich als fröhlichen Bräutigam zu grüßen.</p>
-
-<p>Aber dies gegenseitige, schweigende Anstarren war zum
-Tollwerden! &bdquo;Noch zwei Sekunden so,&ldquo; dachte Fritz, &bdquo;und
-ich gebe Fersengeld, und laufe, so weit mich meine Füße
-tragen.&ldquo;</p>
-
-<p>Er räusperte sich mehrmals, streckte etwas gezwungen
-die Hand aus, und begann: &bdquo;Sie waren so überaus gütig,
-Herr Amtsrath &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>Der alte Herr sah starr auf den Boden nieder, ergriff
-die dargebotene Hand und schüttelte sie kräftig, dann sagte
-er mit bedrückter Stimme: &bdquo;Bitte, bitte, nicht Ursach&rsquo;,
-mein lieber Freund! Ich hatte freilich nicht erwartet &mdash;
-aber wollen Sie nicht einige Augenblicke näher treten?
-Wir können unsere Besprechung ja in meinem Zimmer
-vornehmen.&ldquo;</p>
-
-<p>Er ließ dem Schwiegersohn höflich den Vortritt ins
-Haus und öffnete die Thür seiner zu gleicher Erde belegenen
-Wohnstube, in die ihm Fritz ungefähr mit den
-Gefühlen folgte, die man im Vorzimmer des Zahnarztes
-durchzumachen pflegt.</p>
-
-<p>&bdquo;Darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten?&ldquo; unterbrach
-der Amtsrath die Grabesstille.</p>
-
-<p>&bdquo;Sie sind sehr gütig!&ldquo; und Fritz begann zu rauchen,
-und zwar mit einem Eifer, als hinge sein Leben daran,
-daß er die Cigarre in zehn Minuten bis auf die letzte
-Spur vertilgt habe.</p>
-
-<p>Der Amtsrath paffte eben so krampfhaft in seiner Ecke.</p>
-
-<p>Endlich erhob sich Fritz, und stellte sich, militärisch
-hoch aufgerichtet, vor den alten Herrn.</p>
-
-<p>&bdquo;Ich weiß in der That nicht, Herr Amtsrath, was
-Sie von mir denken werden, wenn ich Ihnen eine Erklärung
-meiner Handlungsweise gegeben habe, die &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber ich bitte Sie, mein lieber, junger Freund,&ldquo; erwiderte
-der Alte ganz ängstlich, &bdquo;wozu wollen Sie sich
-und mir eine solche unnöthige Qual bereiten! Ich habe
-ja alles, was zu der Sache irgend zu sagen war, in
-meinem Briefe auseinandergesetzt, und um Ihnen die
-Situation zu erleichtern, wiederhole ich Ihnen noch einmal
-mündlich, was ich schriftlich sagte, an meinem und
-meiner Tochter Entschluß ist nichts mehr zu ändern, wenn
-Sie eine derartige Absicht herführt, so ist jedes Wort unnöthig.&ldquo;</p>
-
-<p>Fritz rang mit dem Tode! Er sah die Zornader auf
-der Stirn des Alten schon im Geiste anlaufen, aber es
-half nichts &mdash; durch!</p>
-
-<p>&bdquo;Herr Amtsrath!&ldquo; begann er von neuem, und fuhr
-sich mit dem Taschentuch über die Stirn, &bdquo;halten Sie mich
-für einen Elenden &mdash; ich halte mich selbst dafür, aber ich
-beschwöre Sie bei allem, was Ihnen heilig ist, mein Gott,
-wie soll ich mich nur ausdrücken? ich flehe Sie an, nehmen
-Sie Ihr Wort zurück!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber sagen Sie mir, Herr,&ldquo; rief jetzt der Amtsrath,
-&bdquo;was ficht Sie denn eigentlich an? Allen Respekt vor
-Ihnen, aber Sie benehmen sich, um mich ganz gelinde
-auszudrücken, wie ein Narr! Seien Sie ein Mann, fügen
-Sie sich ins Unvermeidliche, was ich gesagt habe, habe
-ich gesagt! Ich werde mich doch jetzt nicht zum Gespött
-der ganzen Gegend machen, als ein alter Schwachkopf, der
-nicht weiß, was er will! Meine Tochter ist Braut &mdash; und
-damit basta.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Nun dann,&ldquo; sagte Fritz mit der Ruhe eines Verzweifelten,
-&bdquo;dann bleibt mir nichts übrig, als mir eine
-Kugel vor den Kopf zu schießen! Ich habe wie ein Ehrloser
-gehandelt, ich muß die Folgen tragen! Denken Sie
-von mir, was Sie wollen, aber ich kann Ihre Tochter
-nicht heirathen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Was!&ldquo; schrie der Amtsrath und sprang auf, &bdquo;<em class="gesperrt">was</em>
-sagen Sie da?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich kann Ihre Tochter nicht heirathen,&ldquo; wiederholte
-Fritz dumpf und leichenblaß, &bdquo;und nun machen Sie mit
-mir, was Sie wollen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Meine Tochter nicht heirathen?&ldquo; brüllte jetzt der
-Amtsrath, und sprang auf Fritz zu, ihn bei den Schultern
-packend, &bdquo;aber Mensch, wer verlangt denn, daß Sie sie
-heirathen? Bin ich toll, oder sind Sie toll, oder sind
-wir&rsquo;s alle beide?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich weiß nicht,&ldquo; sagte Fritz ganz erschöpft, und sank
-in seinen Stuhl zurück.</p>
-
-<p>Der Alte trat zum Nebentisch, goß zwei Gläser
-Wasser aus einer Karaffe ein, trank eins, und reichte das
-andere unserem Helden. &bdquo;So, das schlägt nieder,&ldquo; sagte
-er dann etwas ruhiger, &bdquo;und nun sagen Sie mir einmal,
-<em class="gesperrt">was</em> Sie eigentlich wollen! Sie halten um meine Tochter
-an, ich schreibe Ihnen, umgehend, wie Sie es verlangten,
-eine ganz vernehmliche, möglichst freundlich abgefaßte Antwort,
-und statt sich dabei zu beruhigen, wie ein vernünftiger
-Mensch, kommen Sie hierher wie ein Tollhäusler,
-und schreien, Sie können meine Tochter nicht heirathen!
-Ich muß Ihnen gestehen, ich finde es, gelinde gesagt, sehr
-dumm und albern, daß Sie heute überhaupt hierher
-kommen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Aber mein Himmel,&ldquo; rief Fritz, und durchwühlte
-seine Brieftasche mit zitternden Händen, &bdquo;Sie haben mich
-ja doch selbst eingeladen!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich &mdash; Sie?&ldquo; schrie der Amtsrath noch lauter, &bdquo;i,
-so schlag doch &mdash;&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Hier!&ldquo; sagte Fritz lakonisch, und reichte dem alten
-Herrn seinen Brief hin.</p>
-
-<p>Der Amtsrath las &mdash; verfärbte sich &mdash; wiegte den
-Kopf hin und her &mdash; plötzlich rief er: &bdquo;Ach, du meines
-Lebens! Da habe ich eine schöne Geschichte gemacht, lieber
-Sterneck, ich bin ja an allem schuld! Ich habe den Absagebrief
-an Sie gleichzeitig mit dem Zusagebrief an meinen
-Nachbar Rummler geschrieben &mdash; der hielt zufällig vor zwei
-Tagen auch um Amalie an, und wie ich nun Ihren Brief
-sofort beantworten mußte, da habe ich in der Eile und
-Aufregung die Adressen verwechselt! Nein, das ist ja
-schrecklich &mdash; und nun sitzt mir der mit einem Korbe da!
-Er hat auch Bahnstation in Frankenberg, und der Wagen
-sollte <em class="gesperrt">ihn</em> holen und nicht Sie! Ach, ich bin ein geschlagener
-Mann &mdash; ich alter Esel! Nein, ist denn das aber
-menschenmöglich?&ldquo;</p>
-
-<p>Während der Alte wie außer sich im Zimmer umherrannte,
-ergoß sich in Fritzens umdüsterte Seele eine wahre
-Sonnenhelle. Er sollte Amalien nicht heirathen &mdash; die
-gute, die liebe Amalie wollte ihn nicht, hatte sogar schon
-einen Ersatzmann gefunden &mdash; ach, das hatte er nicht
-verdient!</p>
-
-<p>In überströmender Glückseligkeit sprang er auf und
-fiel dem erstaunten Amtsrath um den Hals. &bdquo;Lieber, alter
-Freund &mdash; bester Herr Amtsrath &mdash; meine innigsten
-Glückwünsche &mdash; ach, so habe ich mich doch in meinem
-ganzen Leben noch nicht gefreut!&ldquo;</p>
-
-<p>Es sprach eine so innige Ueberzeugtheit aus diesen
-Worten, daß dem guten Amtsrath, was man ihm auch
-nicht verdenken kann, wieder ganz unheimlich zu Muthe
-wurde. Er machte sich etwas unsanft los.</p>
-
-<p>&bdquo;Na, lassen Sie das nur gut sein,&ldquo; sagte er, und
-schob Fritz mißtrauisch zurück, &bdquo;was <em class="gesperrt">Sie</em> denken und ob
-Sie sich freuen, ist mir im Augenblick ganz egal &mdash; ich
-weiß nur nicht, wie <em class="gesperrt">ich</em> meine Eseleien wieder gut mache,
-ohne daß es meine Weibsleute merken, sonst haben die
-eine Handhabe gegen mich bis ans Ende meiner Tage!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich will Ihnen einen Vorschlag machen,&ldquo; nahm
-Fritz, dessen Gefühlswogen sich zu legen begannen, jetzt
-das Wort, &bdquo;Gefallen gegen Gefallen! Borgen Sie mir
-Ihren Rappen bis morgen früh, dann reite ich jetzt zu
-Herrn Rummler hinüber und besorge Ihnen einen Brief
-hin, den Sie schnell schreiben, während ich mich anziehe &mdash;
-und dann reite ich zur Stadt und schicke Ihnen das Pferd
-morgen wieder heraus. Herr Rummler kann in einer
-Stunde hier sein und niemand erfährt etwas!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ach, das ist Unsinn,&ldquo; sagte der Amtsrath, &bdquo;ich will
-Ihnen etwas anderes sagen &mdash; mir wird das Briefschreiben
-sauer &mdash; geben Sie mir Ihren Brief, und ich schicke ihn
-zu Rummler, und schreibe nur, <em class="gesperrt">das</em> wäre der richtige, und
-der andere wäre für Sie bestimmt. Wenn ich das schreiben
-kann, so ist die Sache abgemacht.&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Meinetwegen,&ldquo; rief der glückselige Fritz, &bdquo;aber den
-Rappen geben Sie mir mit. Ich <em class="gesperrt">muß</em> nothwendig heute
-Abend nach Hause &mdash; Sie sollen bald erfahren, warum!&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Ich bin nicht neugierig,&ldquo; sagte der unliebenswürdige
-Alte, &bdquo;aber eins sagen Sie mir &mdash; <em class="gesperrt">warum</em> haben Sie
-denn eigentlich um die Amalie angehalten, wenn Sie so
-froh sind, daß sie Sie nicht haben will?&ldquo;</p>
-
-<p>&bdquo;Das ist eine lange Geschichte,&ldquo; erwiderte Fritz, und
-wurde roth, &bdquo;wollte ich Ihnen die jetzt erzählen, so verbrennte
-der Braten, und der Punsch, den das Brautpaar
-heute noch trinken soll, würde kalt. Lassen Sie mich fort
-und schicken Sie den Wagen zu Ihrem Schwiegersohne.
-Und nun leben Sie wohl, mein lieber, guter Herr Amtsrath
-&mdash; sagen Sie Ihren Damen &mdash; &mdash; was Sie wollen!
-Ich lasse mir den Rappen satteln!&ldquo;</p>
-
-<p>Im Hause des Amtsraths ging es den Abend noch
-sehr lustig her &mdash; in manchen anderen Häusern gewiß
-auch &mdash; es giebt ja, trotz aller Pessimisten, noch immer
-eine ganze Menge vergnügter Leute auf der Welt &mdash; aber
-ein fröhlicherer Geselle, als unser Fritz, den sein tänzelnder
-Rappe durch den schönen Sommerabend nach der Stadt
-hin trug, die sein Glück barg, war an diesem Abend
-schwerlich zu finden! &mdash; Wie er es angefangen hat, seine
-reizende Braut mit dem zweiten Akt der Komödie zu versöhnen,
-die er auf der Landpartie zu spielen begonnen &mdash;
-das geht uns nichts an. Er wird schon mit ihr fertig
-geworden sein!</p>
-
-<hr class="full" />
-<p class="small">
-W. <em class="gesperrt">Moeser Hofbuchdruckerei</em>, Berlin, Stallschreiber-Straße 34. 35.<br />
-</p>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<h2><a name="Inhalt" id="Inhalt">Inhalt.</a></h2>
-
-<div class="center">
-<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="">
-<tr><td></td><td align="right">Seite</td></tr>
-<tr><td align="left"><a href="#Hausgenossen">Hausgenossen.</a></td><td align="right">1</td></tr>
-<tr><td align="left"><a href="#Und_doch">Und doch!</a></td><td align="right">59</td></tr>
-<tr><td align="left"><a href="#Der_tolle_Junker">Der tolle Junker.</a></td><td align="right">85</td></tr>
-<tr><td align="left"><a href="#Finderlohn">Finderlohn.</a></td><td align="right">161</td></tr>
-<tr><td align="left"><a href="#Glueck_muss_man_haben">Glück muß man haben!</a></td><td align="right">193</td></tr>
-</table></div>
-
-<div class="transnote">
-<p class="tn-header">Anmerkungen zur Transkription
-</p>
-<p>
- Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden
- übernommen, nur offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt.
-</p>
-<p class="ebook-only">
- Text, der im Original gesperrt gesetzt war, wurde hier <em class="gesperrt">fett</em> dargestellt, da manche E-Book-Reader keinen gesperrten Text anzeigen.
-</p>
-</div>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Novellen, by Hans Arnold
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOVELLEN ***
-
-***** This file should be named 51901-h.htm or 51901-h.zip *****
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