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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Novellen - Hausgenossen. -- Und Doch! -- Der tolle Junker. -- - Finderlohn. -- Glück muß man haben! - -Author: Hans Arnold - -Release Date: April 30, 2016 [EBook #51901] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOVELLEN *** - - - - -Produced by Norbert Müller and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive) - - - - - - - - - - - Novellen - - von - - Hans Arnold. - - - Hausgenossen. -- Und doch! - Der tolle Junker. - Finderlohn. -- Glück muß man haben! - - - Berlin. - - Verlag von Gebrüder Paetel. - - 1881. - - - Alle Rechte vorbehalten. - - - Herrn - - Theodor Hermann Pantenius - - in dankbarster Verehrung - - zugeeignet. - - - - - Hausgenossen. - -In dem sonnenhellen, saubern Stübchen, das sie nun schon seit zwanzig -Jahren bewohnte, saß Fräulein Sabine Krauthoff und strickte, während -sie, mit einer Hornbrille auf der Nase, in einem abgegriffenen Buche -las, welches sehr weit ab von ihr auf dem Tische lag. - -Am Fenster blühten, trotz des Winters, Nelken und Balsaminen, und an -den Wänden hingen allerlei Photographien in jeder Größe und Stellung. -Aber nur Bilder von jungen Mädchen -- Fräulein Sabine war Lehrerin -gewesen. Mitten über dem Sofa prangte ein nach Fröbelscher Methode -kunstvoll gefertigtes Flechtblatt unter Glas und Rahmen -- das hatte -die Lieblingsschülerin des Fräuleins, Käthchen Lang, geflochten, bei -deren Eltern die alte Dame im Hause wohnte, und die inzwischen zu einem -großen Mädchen herangewachsen war. - -Aus dem Schüler- und Lehrerinnenverhältniß hatte sich mit der Zeit -eine herzliche Freundschaft zwischen dem alten und dem jungen Mädchen -gestaltet. Käthe, die sonst leicht ein wenig hochfahrend sein konnte, -ja die in ihren Bekanntenkreisen sogar wegen ihrer kurzen Antworten -und ihres gelegentlichen Uebermuthes als »sehr schnippisch« bezeichnet -wurde, legte in der stillen Stube von Fräulein Sabine all ihre kleinen -Airs ab, und wurde immer wieder zum Kinde, das seine Thorheiten -beichtete und sich liebevoll absolviren ließ. - -Nie verging ein Tag, ohne daß Käthe die drei Treppen erstieg und an -Fräulein Sabines Thür pochte -- und so sehr hatte sich die letztere an -diese täglichen Besuche gewöhnt, daß sie es recht schmerzlich empfand, -als Käthe vor einiger Zeit zu einer verheiratheten Freundin nach -auswärts ging und fast drei Wochen abwesend blieb. - -Doch nun war das vorbei -- gestern hatte die Frau Doktor Lang sich ihr -Töchterchen von der Eisenbahn geholt, und Fräulein Sabine erwartete -nun ungeduldig den Besuch des allgemeinen Lieblings. Ihr Harren sollte -belohnt werden. Nicht lange, so klopfte es; auf das »herein« kam ein -junges Mädchen in die Thüre, schlank und groß gewachsen, mit einem -übermüthigen Zug um den kleinen Mund, und einem sonnigen Lächeln in -den dunkeln Augen. Sie begrüßte ihre alte Freundin mit der ihr eigenen -ungestümen Herzlichkeit und setzte sich zu ihr -- nicht auf den Stuhl, -sondern aufs Fensterbrett. - -»Und wie hast du dich bei Laura amüsirt?« fragte die alte Dame, -nachdem sie den »mitgebrachten« warmen Shawl zur Genüge betrachtet und -bewundert hatte. - -»O sehr gut, Sabinchen, es war eine nette Zeit! aber« -- - -»Nun, was »aber?« fragte Fräulein Sabine erwartungsvoll, und schob die -Brille auf die Stirn zurück. - -»Ach -- ich habe wieder einmal eine meiner gewöhnlichen Dummheiten -gemacht! Soll ich sie dir erzählen? aber du mußt nicht schelten?« - -»Das kann ich nicht so gewiß versprechen,« sagte die Alte, indem sie -ihren reizenden Liebling mit strahlenden Augen betrachtete, »indessen -fang nur an -- es läßt dir ja doch keine Ruhe, ehe du gebeichtet hast.« - -Käthe rückte sich auf dem Fensterbrett zurecht, und pflückte eine von -den rothen Nelken von Sabinens Blumenstock. - -»Nun also,« begann sie, »ich reiste allein von Laura zurück, und auf -einer kleinen Station -- Siegersdorff -- wo der Zug hielt, sah ich zum -Coupéfenster hinaus. An der Wand des Bahnhofsgebäudes mir gegenüber -steht ein Herr und sieht mich an -- nicht gerade unbescheiden, aber er -fixirt mich doch unverwandt. Du weißt ja, Sabine, so etwas kann ich -nicht leiden, ich denke also: »sollst ihm mal die Zunge herausstecken --- der Zug fährt ja sofort ab, und du siehst ihn nie wieder.« - -»Aber Käthe!« rief das Fräulein erschrocken. - -»Siehst du, siehst du, daß du schiltst!« rief Käthe, und fiel ihrer -alten Freundin ungestüm um den Hals, »sei ganz still, sonst erzähle -ich nicht weiter, und du hast dein Leben lang die Angst mit dir -herumzutragen, daß ich etwas noch viel Schrecklicheres gethan habe, was -du nicht weißt!« - -Die Alte machte sich lachend los. - -»Laß mich nur -- ich bin ja schon still! Also --« - -»Also -- in dem Augenblick, wo der Zug sich in Bewegung setzt, führe -ich mein Vorhaben aus! Nur ein ganz kleines bißchen, Sabine -- ich -dachte schon, er hätte es nicht gesehen! -- aber er lächelte spöttisch -und nahm den Hut ab. Da fuhren wir hin.« - -Fräulein Sabine schüttelte den Kopf. - -»Wirst du nie deinen Uebermuth ablegen, Kind!« - -Käthe zerpflückte die rothe Nelke unbarmherzig in Stücke. - -»O ja, Sabine«, sagte sie dann verlegen, »aber --« - -»Was aber? noch mehr solcher schöne Streiche?« - -»Ach, Sabine -- die Geschichte ist ja noch gar nicht zu Ende, das -Schlimmste kommt nach. Also wir fuhren, aber kaum hundert Schritte weit --- der Zug wurde zu meinem Entsetzen nur rangirt und rutschte nach fünf -Minuten wieder in denselben Bahnhof ein. Da stand auch noch der Herr -- -und hatte er vorhin gelacht, so lachte er nun erst recht!« - -»Angenehm!« sagte Fräulein Sabine. »Und wie benahm er sich?« - -»Er benahm sich gar nicht, sondern warf die Cigarre weg und stieg in -dasselbe Coupé mit mir. Und wir fuhren mit einander bis hierher, wo er -auch ausstieg!« - -Käthe sprang vom Fensterbrett. »Und was sagst du jetzt?« - -»Herzchen,« erwiderte die alte Dame und lächelte gutmüthig, »was soll -ich sagen? Zu geschehenen Dingen schweigt man am besten -- das einzig -Angenehme ist, daß du den Mann wahrscheinlich nicht wieder sehen wirst.« - -Käthe sah nicht so entzückt aus, als man hätte vermuthen sollen, und -streute ihre Nelkenblättchen in die Luft. »Meinst du?« - -Die Alte warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, und zog die -Augenbrauen etwas in die Höhe, als wollte sie sagen: »aha!« Sie schwieg -aber. - -»Weißt du, Sabine,« begann Käthe nach einer Weile von Neuem, »er -- -der Mitreisende -- benahm sich übrigens sehr taktvoll. Da er merkte, -in welch tödtlicher Verlegenheit ich war, that er, als ob gar nichts -vorgefallen sei, und unterhielt mich von allen möglichen Dingen -- ganz -ernsthaft und sehr nett. Nur einmal, als eine alte Dame, die mitfuhr, -von der Gegend sprach, und ihn fragte, ob er nicht auch während der -Reise auf die hübsche Aussicht geachtet habe? sagte er ruhig: »o ja -- -besonders in Siegersdorff!« und dann sahen wir uns an und lachten beide --- ich auch, Sabine -- das konnte ich nicht ändern! Sonst war ich sehr -würdevoll -- nein, wirklich!« - -»Davon bin ich überzeugt,« sagte die Alte ernsthaft, »wie sah denn dein -Freund oder Feind aus?« - -»Sehr gut -- groß, dunkelblond und humoristisch -- und er war sehr -hübsch angezogen.« - -Die alte Dame lachte. - -»Wenn's nur kein Weinreisender war!« - -»Aber, Sabine, schäme dich! als ob man das nicht merkte!« In dem -Augenblicke klopfte es. - -»Fräulein Käthchen möchten gleich herunter kommen, Frau Majorin Scharff -wäre da, und wollte etwas aus dem Eckschrank, und Fräulein Käthchen -hätten die Schlüssel mit.« - -»Unausstehlich!« sagte Käthe verdrießlich, »Scharffs erwarten in den -Tagen den gräßlichen Sohn, und borgen sich wieder einmal die ganze -Wirthschaft zusammen. Ich komme,« rief sie dem Mädchen zu. - -»Ist der junge Scharff so »gräßlich,« wie du sagst?« fragte Sabine. - -»Ich habe ihn nie gesehen -- aber wenn von einem Menschen schon so viel -gesprochen wird, hat man genug. »Kurt sagt, Kurt schreibt, Kurt meint« --- so geht es immerfort, als ob =ich= mich darum kümmerte, was ihr Kurt -für Ansichten hat.« - -Fräulein Sabine war auch aufgestanden. - -»Weißt du, was ich glaube, Herzchen? Frau Scharff möchte dich sehr gern -für den »gräßlichen Sohn« haben.« - -»Ach, das weiß ich ja schon lange! Aber ich danke, Sabine -- ich danke --- ich will gar nicht heirathen -- oder« - -»Hör einmal, Käthe, du kommst mir sonderbar vor! Deine Beichte war -unvollständig! »Oder« heißt das etwa: »oder die Bekanntschaft müßte -damit anfangen, daß ich ihm die Zunge heraussteckte?« - -»Sabine,« sagte das junge Mädchen würdevoll, »ich begreife gar nicht, -wie du mich so lange aufhalten kannst, wenn du hörst, daß Mama auf die -Schlüssel wartet!« - -Und fort war sie. - - * * * * * - -Während diese Unterhaltung stattfand, herrschte bei Käthens Eltern -große Unruhe. An der Hausthüre war schon seit längerer Zeit eine -Wohnung ausgeboten worden, und der Hausherr hatte sich bereits stummer -Verzweiflung überlassen, weil noch keine Nachfrage stattgefunden hatte. - -Jeder Mensch hat bekanntlich seinen Tollpunkt -- die Vermiethungsfrage -war der Tollpunkt des Doktors! - -So lange der unheilvolle, weiße Zettel über seiner Thüre prangte, -war er melancholisch -- seine Gedanken irrten mit beängstigender -Beharrlichkeit, aufgescheuchten Vögeln gleich, um das betreffende -Quartier, und er begann und schloß den Tag mit Seufzen. Wenn seine -Frau mit dem triftigen Trostgrunde ins Feld rückte, daß ja noch nie -eine Wohnung in ihrem Hause leer geblieben sei, so grub der Doktor -regelmäßig einen alten General aus, der inzwischen, nach der seitdem -verflossenen Zeit zu schließen, längst zum Feldmarschall oder unter die -himmlischen Heerscharen avancirt sein mußte, und dessen Quartier einst -ein volles Vierteljahr unvermiethet gestanden hatte. - -Zeigte sich dann ein präsumtiver Miether, so begann ein neues Stadium -in dem Zustande des Doktors. Er hatte für nichts anderes Sinn und -Gedanken, als für die Chance, er sang mit dem französischen Grenadier -»was schiert mich Weib, was schiert mich Kind?« und war für alle -häuslichen Vorkommnisse taub und blind. - -Heute nun war, gleich einem Sonnenblick, in sein umdüstertes Gemüth ein -Brief gefallen, in dem ein der Familie bekannter Baron von Rabeneck -um die Erlaubniß bat, am Nachmittag zu erscheinen und die annoncirte -Wohnung in Augenschein zu nehmen. - -Der Baron galt zwar für einen etwas langweiligen und unsäglich -neugierigen Herrn -- aber in der Noth ist man nicht wählerisch -- der -Baron wollte miethen, und der Hausherr sah seinem Eintreffen seit drei -Uhr mit fieberhafter Spannung entgegen. - -Die Familie -- Käthe, die Älteste, ausgenommen, die, wie wir wissen, -bei Fräulein Sabine war, saß um den Kaffeetisch. Eine stattliche -Reihe von schulpflichtigen Kindern -- zwar nicht so viel, als unser -schwäbischer Freund besaß, der auf eine Anfrage nach dem Befinden der -Seinen antworten konnte: »ich danke, die »Meischte« sind wohl« -- aber -immerhin genug, um zu Zeiten recht angenehmen Spektakel zu machen. - -Die Hausfrau dirigirte mit Wort und Blick die stillbewegte Gruppe, die -zur Eile angetrieben wurde, um beim Erscheinen des Miethers nicht den -Eindruck der Räume abzuschwächen. Jetzt klingelte es. - -»Kinder, schnell -- trinkt aus, das ist er!« rief der Vater, und ließ -sich in der Eile zu der unmännlichen Handlung des Umgießens aus der -Ober- in die Untertasse für seinen jüngsten Sohn verleiten -- doch zu -spät! Die Thür ging auf -- aber nicht der Baron erschien, sondern das -heiter lächelnde Angesicht der Frau Majorin Scharff. Die Kinder gingen -trotzdem auf einen Wink der Mutter hinaus. -- - -Frau Scharff bewohnte mit ihrem Gatten, einem Major a. D., die -Beletage. Dieser Gatte und ihr Sohn waren ziemlich die beiden einzigen -Gegenstände, welche sich die Frau Majorin nicht geborgt hatte, sondern -rechtmäßig besaß. Man kann es ihr daher nicht übel nehmen, wenn sie mit -besonderem Stolz auf diese beiden blickte. Eine gute, ganz gescheidte -Frau von stets heiterem Temperament, hatte sie nur die Manie, alles -zu verlegen, zu verlieren, und sich mit einer wahrhaft genialen -Unverdrossenheit durch Entlehnen von dem, was ihr momentan fehlte, aus -der Verlegenheit zu ziehen. - -Ihr Mann wußte entweder nichts davon -- oder er wollte nichts davon -wissen, was ziemlich auf eins herauskommt. Er hatte es zu seiner -Vorgesetzten und seinem eigenen größten Erstaunen bis zum Major -gebracht und war dann erschöpft ins Privatleben zurückgesunken. Seine -Geisteskräfte, die ohnehin nie üppig wucherten, hatten sich seitdem auf -Whist konzentrirt, und keine Gemüthsbewegung, kein Familienereigniß -freudiger oder trauriger Natur war bisher im Stande gewesen, ihn derart -zu erregen, daß er nicht, so wie der erste Sturm vorüber war, die -Seinigen gefragt hätte: »machen wir heute keine Partie?« - -Ja es ging die dumpfe Sage, daß er an dem Abend, wo sein einziger Sohn -das Licht der Welt erblickte, zwei Stunden darauf einen Whisttisch -herbeigeschoben und seiner Schwiegermutter zur Erholung eine Partie -Whist vorgeschlagen habe. - -So lange seine Bequemlichkeit und sein Whist ihm ungestört -blieben, ließ er den Dingen ihren Lauf, und seine Frau mochte die -Wirthschaftsutensilien aus allen benachbarten Familien rekrutiren -- -ihn focht es nicht an. - -Sein Sohn, der inzwischen als sehr begabter und tüchtiger Offizier die -beste Carriere machte, hatte für ihn erst Interesse gewonnen, als er -den Dritten beim Whist abzugeben vermochte, was den jungen Mann nicht -hinderte, seinen Vater sehr zu lieben, und mit großer Ehrerbietung -an beiden Eltern zu hängen. Dieser Sohn, das Glück und der Stolz der -Mutter, wurde, wie wir von Käthe gehört haben, erwartet, und die Frau -Majorin hatte bereits eine Bettstelle mit Betten, einen Teppich, einen -Waschtisch und zwei Leuchter von der Doktorin Lang entlehnt, und kam -soeben, um zu fragen, ob ein überzähliger Flügel reiner Gardinen vakant -wäre, da sie das Gastzimmer sonst soweit in Ordnung habe. - -Die gutmüthige Doktorin versprach, danach zu sehen, und lud ihre -Hausgenossin zum Sitzen ein. Doch diese lehnte ab. - -»Nein, nein,« sagte sie eilfertig, »o ich habe noch sehr viel zu thun --- denn, liebste Lang, ich komme mit einer großen Bitte -- trinken Sie -nicht heute Abend mit uns Thee? Keine Gesellschaft -- nur etwa zwölf -bis fünfzehn Personen -- bitte, schlagen Sie es mir nicht ab!« - -»Wir kommen herzlich gern,« sagte die Doktorin, »wenn mein Mann nichts -dagegen hat.« - -Der Doktor war herausgegangen, um die Straße herunter zu spähen, ob der -Miether sich nicht zeigte. -- - -»Ach, was sollte er dagegen haben!« sagte Frau Scharff, »heut muß er -kommen -- ich habe eine kleine Überraschung vor! Aber liebe Lang -- -eine Bitte! Meine Pauline ist so ungewandt -- können Sie mir Ihre -Köchin auf heute Abend leihen? Wir haben nur zwei Gerichte, und sie ist -so prächtig flink -- das weiß ich! Im Hause geht das ja sehr gut!« - -»Ja, ja, das will ich thun, Frau Majorin,« sagte Frau Lang lächelnd, -»kann ich sonst mit etwas dienen?« - -»Nun ja -- wenn Sie mir Ihre große Bratenschüssel und zwei Dutzend -Mittelteller und Ihre Gabeln, fünfzehn Weingläser und die silberne -Zuckerdose leihen wollten, so wäre ich Ihnen sehr dankbar! Ach, und -Beste -- die beiden großen Lampen -- aber lassen Sie sie bald füllen; -meine Leute verstehen sich so schlecht darauf! Das ist alles -- denn -die Kompottschüsselchen und die Bowlengläser habe ich noch oben. Aber -richtig -- Sie haben wohl nicht ein Pfund Speck zu Hause? meine Pauline -hat es heut früh mitzubringen vergessen! Wir haben Rehrücken und sie -soll ihn noch spicken.« - -»Ich werde sogleich nachsehen,« erwiderte Frau Lang, und griff in die -Tasche -- die Schlüssel fehlten! Bei dieser Gelegenheit schickte sie zu -Fräulein Sabine, um Käthe holen zu lassen, die auch bald erschien und -von der Majorin aufs zärtlichste begrüßt wurde. - -»Mein liebes Käthchen -- nein, wie reizend steht Ihnen die neue Frisur! -Wie haben Sie sich bei Ihrer Freundin amüsirt? Ich bitte eben bei -Mamachen vor, ob Sie uns heute Abend nicht besuchen wollen -- ich habe -eine kleine Ueberraschung _in petto_! Nicht wahr, Sie kommen doch? Ich -schrieb noch neulich an meinen Sohn: »eine Gesellschaft ohne Käthchen -ist mir gar nicht denkbar -- sie ist so belebend!« - -Käthe, die bis zu diesem letzten Satz sehr freundlich ausgesehen -hatte, machte eine ungeduldige Bewegung und zog die Hand fort. - -»Nun muß ich aber gehen, liebe Frau Doktorin,« sagte die Majorin -eilfertig, »also Ihre Anna bringt nachher alles mit herauf, nicht wahr?« - -Damit ging sie, und die Doktorin blieb mit Käthe allein. Sie legte -ihrer Tochter die Hände auf die Schultern und sah ihr forschend ins -Gesicht. »Käthe, warum bist du nur wieder so unfreundlich gegen die -gute Majorin?« - -»Weil sie mich nicht mit ihrem langweiligen Sohn in Frieden läßt!« -erwiderte Käthe unartig. - -Die Doktorin schüttelte den Kopf. - -»So laß sie doch -- für die Pläne der Mutter kann der Sohn nichts -- -und außerdem -- Käthe, wäre es denn nicht sehr hübsch, wenn etwas -daraus würde? Eine andere Neigung hast du nicht« -- - -Käthe mußte wohl an der Tischdecke gezupft haben, denn der -Schlüsselkorb fiel zur Erde, und sie mußte die Schlüssel aufheben, wozu -sie eine ganze Weile brauchte und sehr roth wieder zum Vorschein kam -- -vom Bücken jedenfalls! - -»Und der junge Scharff soll ein vortrefflicher, höchst gescheidter Mann -sein,« fuhr die Mutter fort, »thu mir wenigstens den Gefallen, dich -nicht von vornherein gegen ihn einzunehmen! Seine Briefe haben dir ja -immer so gut gefallen!« - -Käthe schwieg hartnäckig. - -»Da klingelt es,« unterbrach sich die Mutter, »hier, Käthe, ich habe -mir alles notirt, was die Majorin sich zu heute Abend leihen will -- -gieb es einmal heraus!« - -Käthe nahm mit einem ironischen »weiter nichts?« das Verzeichniß -in Empfang, und ging hinaus, eben, als der Vater zur andern Thür -hereintrat. - -»Er kommt wieder nicht!« sagte er resignirt, »ich werde jetzt ausgehen! -Hausbesitzer sein ist ein Vergnügen.« - -»Ja, ja, er kommt,« beschwichtigte seine Frau, »eben klingelt es -- da -ist er schon!« - -Richtig -- so verhielt es sich! Herr Baron von Rabeneck erschien mit -einer tadellosen Verbeugung auf der Schwelle. Er war ein mittelgroßer, -schlanker Mann, mit sehr vorsichtig frisirtem, dunkelblondem Scheitel, -mit kurzsichtigen Augen, die er stets etwas einkniff, mit einem -parfümirten Taschentuch, und einem kornblumenblauen Schlips. - -»Ganz ergebensten guten Tag, meine Herrschaften,« sagte er eintretend, -»Sie sind beim Kaffee? lassen Sie sich nicht stören! Trinken Sie immer -hier Kaffee?« - -»Ja,« sagte der Hausherr etwas kurz. Seine Frau, der die Fragepassion -des Barons, und die kurze Geduld ihres Mannes schon bekannt war, wollte -mit einer Gegenfrage dazwischen kommen, aber der Baron ließ sich nicht -so leicht beirren. »Ich trinke auch Kaffee,« fuhr er fort, »sehr -gesundes Getränk? Was? Trinken Sie auch Kaffee, Frau Doktorin?« - -»Ja,« sagte der Doktor gereizt, »meine Frau trinkt Kaffee -- meine -Tochter auch, meine ganze Familie trinkt Kaffee!« - -Die Hausfrau mischte sich ins Gespräch. »Sie wollten unser leeres -Quartier sehen, Herr Baron?« - -»Ja,« erwiderte der Neuangekommene behaglich, »ich sah heute bei meinem -Morgenspaziergang, den ich immer durch diese Straße mache -- hübsche -Straße, was? -- daß hier ein Miethszettel hängt -- wollte doch mal -nachfragen. Erster Stock, was?« - -»Nein -- zweiter Stock -- vier Zimmer mit Balkon,« gab der Doktor -zurück. - -»Oh -- charmant -- vier Zimmer? Balkon? Ganz mein Fall! Alles -Vorderzimmer? Küche? Gesund? Hoch? Still?« - -»Wie wäre es,« schlug die Hausfrau vor, »wenn Sie mit mir einmal -hinaufgingen, Herr Baron, und die Wohnung selbst in Augenschein nähmen? -Ich hole mir nur ein Tuch, und bin gleich wieder da!« - -»Bitte, bitte,« erwiderte der Baron verbindlich, und ging Käthe -entgegen, die eben wieder hereintrat, und am Fenster mit einer Arbeit -Platz nahm. - -Sie lud den Gast durch eine schweigende Handbewegung ein, sich auch -niederzulassen. Käthe war sehr wortkarg, wenn ihr jemand nicht gefiel. - -Der Baron in seiner Frageseligkeit empfand die Pause schmerzlich, und -wandte sich an das junge Mädchen. - -»Sie sticken, mein Fräulein? Weiß?« - -Käthe hielt ihm ihre Arbeit hin. - -»Ja, Herr Baron! Interessiren Sie sich für dergleichen?« - -Der Baron hustete zierlich. - -»Ich interessire mich für alles, mein Fräulein! Schon meine selige -Mama sagte immer: Chlodwig, du interessirst dich für alles! Ich heiße -nämlich Chlodwig! Hübscher Name, was? Der fünfte Chlodwig in unserer -Familie -- mein Papa hieß auch Chlodwig! Wie heißt Ihr Papa?« - -»Friedrich,« erwiderte Käthe, die mit Mühe ein Lächeln unterdrückte. - -»Friedrich -- so so -- und Ihre Frau Mama?« - -»Fragen Sie sie selbst,« sagte der Doktor ungeduldig, »da kommt sie.« - -Als die Hausfrau mit dem Baron verschwunden war, sagte der Doktor zu -Käthe: »wenn =dieser= Fragekasten die Wohnung miethet, zünde ich das -Haus an allen vier Ecken an. Der fragt einen todt.« - -Käthe lachte. »Laß ihn, Papa! Du brauchst ja nicht mit ihm umzugehen. -Vielleicht spielt er Whist, da kann er sich mit Scharffs befreunden, -die er ohnehin schon kennt. Weißt du denn, daß sie heute eine -Gesellschaft geben?« - -»So?« brummte der Doktor, »was haben sie sich denn schon geborgt?« - -»Vorläufig unsere Teller, unsere Lampen, unsere Köchin und unsere -Familie,« erwiderte Käthe spöttisch, »wir werden uns also wohl recht -heimisch fühlen.« -- - -Der Baron und die Doktorin kamen nach geraumer Zeit wieder, und der -erstere war entzückt von dem Quartier. - -»Wenn es Ihnen recht ist, Herr Doktor,« sagte er, »so können wir gleich -Kontrakt machen -- liebe schnelle Entschlüsse -- Sie auch, -- was?« - -»Gewiß!« sagte der Doktor höflich -- die Aussicht, einen Miether zu -bekommen, goß Öl auf die Wogen seines Zornes. Die beiden Herren nahmen -an einem Seitentischchen Platz, um über den Kontrakt einig zu werden. - -Kaum hatte der Doktor den ersten Paragraphen vorgelesen, als die Thüre -aufging und eine Dame erschien. Sie war nicht mehr ganz jung, aber auch -durchaus nicht alt -- so hübsch in der Mitte. =Ganz= jung waren ihre -Toilette, ihre Haartracht und ihr Wesen! sie flog wie eine Elfe ins -Zimmer und umarmte Käthe mit kindlichem Ungestüm. - -Das war Fräulein Leontine von Faldern, die mit ihrer Großmama, der -verwittweten Generalin, die Hälfte des zweiten Stockes im Hause -bewohnte. Der Baron hatte sie kaum erblickt, als er aufstand und auf -sie zutrat. - -Der Doktor, im Ausfertigen seines Miethskontraktes unterbrochen, -kreuzte die Arme, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sagte düster: -»nett!« - -»Mein gnädiges Fräulein,« begann der Baron, »ich bin entzückt, Sie zu -begrüßen! Wie ist Ihnen die Stumme von Portici bekommen?« - -»O ausgezeichnet!« erwiderte Leontine, »es war eine allerliebste -Aufführung! Ich war mit Schraffenaus da -- Will ist jetzt bei ihnen -zum Besuch -- Sie wissen ja -- Will Schraffenau, der bei den zweiten -Kürassieren stand! Will kann zu amüsant sein, nicht?« - -»O ja, meine Gnädigste,« erwiderte der Baron, »aber nichts gegen Lu! -Sie erinnern sich doch? Lu Schraffenau, der die zweite Sandrowsky -- -Peppi Sandrowsky -- zur Frau hat? Sie kennen sie doch? Graziös, was?« - -»Na!« brummte der Doktor vor sich hin, »bis die beiden jetzt den -Grafenkalender durchgearbeitet haben, kann mein Miethskontrakt schwarz -werden!« - -»Denken Sie nur, meine Gnädigste, ich bin im Begriff, Ihr Hausgenosse -zu werden! Charmant, was?« - -»Ach, wie reizend! Das muß ich Großmama erzählen!« rief Leontine -entzückt. - -»Ja, dann lassen Sie aber den Herrn Baron erst hier zu Ende kommen,« -sagte der Doktor, und schob sein Tischchen in die andere Ecke des -Zimmers -- dort konnte er hoffen, ungestört zu bleiben, »bitte, Herr -Baron! -- der Miether verpflichtet sich« -- - -Während die beiden sich wieder in den Kontrakt vertieften, plauderten -die Mädchen in der Fensternische. - -»Käthchen, ich komme nur, um Sie etwas zu fragen -- ist heute großer -Zauber bei Scharffs? Ich dachte schon, der Sohn wäre gekommen, den ich -von früher her kenne -- wissen Sie, er war Adjutant bei meinem Vetter -Storrwitz, und meine Cousine neckte mich immer entsetzlich mit ihm -- -ist er gekommen?« - -»Nein, er wird erst erwartet,« erwiderte Käthe, »ich weiß auch nicht, -warum sie heut plötzlich eine Fête geben.« - -»Nun ja -- aber die Frage ist, =was= zieht man an? Rabeneck ist auch -da, ich habe die Scharff gefragt.« - -Die Beiden erörterten die Toilettenfrage und Leontine hüpfte endlich ab. - -Inzwischen wurde es so dunkel, daß der Doktor zu seinem Miethskontrakte -nach der Lampe rief. Das Mädchen erschien, brachte aber nur einen -Armleuchter mit einem Licht. - -»Die Lampe!« donnerte der Hausherr. - -»Verzeihen Sie, Herr Doktor -- unsere Lampen sind alle oben beim Herrn -Major -- die Kinder arbeiten auch bei Licht.« - -»Darauf machen Sie sich gefaßt,« sagte der Doktor, kochend vor Wuth, -»wenn Sie hier ins Haus ziehen, wird Ihnen von Majors alles abgeborgt, -was Sie haben und nicht haben!« - -»Aber Papa!« rief Käthe vorwurfsvoll und verlegen. - -»Ich bitte Sie,« rief der Baron ängstlich, »das ist ja sehr unangenehm! -Alles verborgen? Muß man das?« - -»Das frage ich mich schon seit zwei Jahren!« grollte der Doktor, »denn -so lange wohnen sie hier, und =was= sie sich alles borgen, spottet -jeder Beschreibung. Ich wollte nur, sie ließen einmal auf einen halben -Tag um =mich= bitten, da wollte ich es ihnen schon abgewöhnen! Aber -weiter: »die Wäsche muß in dem dazu bestimmten Waschhaus« -- - -»Eine Empfehlung von der Frau Majorin, und ob sie die silbernen -Armleuchter bekommen kann?« sagte das Dienstmädchen und griff bereits -nach dem fraglichen Gegenstand. - -»Sie sind wohl verrückt!« schrie der Hausherr in verzeihlichem Ingrimm, -»sollen wir hier im Dunkeln sitzen?« - -»Mein Gott, ist es denn schon so spät!« sagte der Baron, und sah nach -der Uhr, »wahrhaftig -- halb sieben! Pardon, Herr Doktor, aber ich -muß an meine Toilette gehen -- wir sehen uns ja wohl heute Abend beim -Herrn Major? Ich komme dann morgen in aller Frühe, und wir beenden das -Miethsgeschäft, was? Wann stehen Sie auf? Um sieben? Acht? Neun?« - -Der gänzlich resignirte Doktor pfiff statt aller Antwort einen Walzer --- das Symptom des letzten Verzweiflungsstadiums, als er seinen Gast -zur Thür geleitete. - -»Nun borgen sie sich auch schon die Miether!« sagte er vor sich hin, -als er hinausging. - -Käthe blieb allein. Die Dunkelheit, die sanft und leise zum Fenster -hinein schlich, kam ihr eben recht. Sie dachte so still vor sich hin --- die Phantasie ist ein Nachtfalter, der seine Schwingen am liebsten -in der Dämmerstunde ausbreitet. Warum war ihr noch nie so bange vor -der Zukunft gewesen als heut -- warum noch nie der Gedanke an die -von den Ihrigen so sehnlichst gewünschte Heirath mit dem Hauptmann -Scharff so schrecklich erschienen? Ach, die Träume von den kommenden -Tagen hatten seit ihrer Reise eine bestimmte Gestalt angenommen -- zum -ersten Mal! Käthes Herz war bisher ein unbeschriebenes Blatt -- noch -nie hatte eine Begegnung ihre Einbildungskraft, viel weniger ihr Gefühl -zu erregen vermocht -- aber es war ihr auch noch nie jemand mit so -liebenswürdiger Ironie, mit so gutmüthig überlegenem Ernst entgegen -getreten, als der Fremde, dem sie sich doch wie ein unartiges Kind -gezeigt! Sein festes, kluges Gesicht mit dem humoristischen Lächeln, -seine tiefe, freundliche Stimme gaben ihr das Gefühl einer Sicherheit -und Zuversicht, wie sie es nie zuvor gekannt hatte. Doch was half -das alles! sie kannte seinen Namen nicht -- er nicht den ihren -- -sie würden sich wahrscheinlich nie wiedersehen! Und mit einem tiefen -Seufzer stand sie auf, und ging in ihr Zimmer, um sich anzukleiden. - - * * * * * - -Inzwischen herrschte bei der Majorsfamilie schon einige Aufregung. -Die Frau des Hauses wanderte in den menschenleeren Räumen umher, die -bereits im festlichen Lichterglanz erstrahlten, rückte hier und da -an den Stühlen und stand dann wieder überlegend still, ob noch etwas -fehlte, wonach man zu Doktors schicken könnte. - -Da öffnete sich die Thür und ein großer, blonder Mann trat ins Zimmer. - -Die Majorin wandte sich um. - -»Nun, Mamachen,« sagte der Eintretende freundlich, »du hast noch zu -thun? Ich hoffte eben auf eine gemüthliche halbe Stunde mit dir, ehe -die Gäste kommen.« - -»Ich bin fertig«, sagte die Mutter, und trat vor den Stuhl, in den sich -ihr Sohn niederließ. Sie legte ihm die Hände auf beide Schultern und -sah ihm zärtlich ins Gesicht. - -»Mein alter Junge -- wie du wieder verbrannt bist!« - -»Im Winter, Mama? Nein, das ist wohl meine natürliche Farbe, du mußt -dich schon daran gewöhnen.« - -»Und du warst ein so weißes Kind!« sagte die Mutter lächelnd. »Jetzt -sage mir aber einmal, Kurt -- ist es dir eigentlich recht, daß ich heut -Abend unsere Hausgenossen eingeladen habe? Du machtest mir bei der -Ankündigung ein so besonderes Gesicht.« - -»Nun, offen gesagt, wäre ich eben so gern mit Euch allein gewesen, -Mutterchen -- aber wir sind ja, so Gott will, noch viele Abende -zusammen. Wer kommt denn heut?« - -»Also,« begann die Majorin, »da ist erstens die Generalin Faldern mit -ihrer Enkeltochter Leontine --« - -»Was?« unterbrach der Hauptmann lebhaft, »Tine Faldern ist hier?« - -»Kennst du sie?« - -»Wie sollte ich nicht! -- Als ich bei Storrwitz Adjutant war, hielt sie -sich ja einen ganzen Winter dort auf! Sie hieß damals immer die Tochter -des Regiments, weil sie so genau in der Rangliste Bescheid wußte. -Uebrigens ein hübsches, amüsantes Mädchen -- es ist mir ganz lieb, sie -einmal zu treffen, wir haben eine Menge gemeinsamer Beziehungen.« - -Die Majorin sah etwas mißvergnügt aus, sagte aber nichts. - -»Dann,« fuhr sie fort, »von Hausgenossen heißt das, kommt noch unser -Wirth -- der Doktor Lang mit Frau und Tochter --« - -»Ach -- die berühmte Käthe! Ich kenne dich, Mama! Hätte ich mir's -nicht denken können, daß du wieder einen Heirathsplan wie einen Lasso -bereit hältst, um ihn mir Unglücklichen über den Kopf zu werfen? Aber -gieb dir keine Mühe, Mama -- es wird nichts!« - -»Sei doch nicht so absprechend,« bat die Mutter, »du hast Käthe noch -gar nicht gesehen -- ich sage dir, sie ist allerliebst! Hübsch, sehr -gut erzogen und sehr gescheidt -- sie würde ausgezeichnet für dich -passen!« - -»Kann sein, Mama! aber ich will dir etwas sagen -- ich werde wohl -überhaupt nicht heirathen. Sieh,« fuhr er lebhaft fort, als die Mutter -eine Bewegung des Unmuths machte, »ich bin -- nenne es phantastisch, -unpraktisch, kurz, was du willst -- aber ich bin entschlossen, mich -nur zu binden, wenn ich ein Mädchen finde, von der ich sage: 'Die oder -keine!' Und solche Dinge kommen vor! -- Ich sage dir, sie kommen vor! -Lache mich nicht aus, Mutter -- aber ich habe ein Mädchen gesehen, das -mir gefällt, und wenn ich =die= wiedersehe, und sie will mich -- dann -sollst du am längsten auf eine Schwiegertochter gewartet haben. Frage -mich aber nicht weiter -- ich bin auf der Suche -- das laß dir genug -sein. Und verschone mich mit deiner Käthe -- ich mag sie nicht!« - -»Guten Abend, Frau Majorin,« sagte in diesem Augenblick die Generalin -Faldern, die in taubengrauer Seide ins Zimmer rauschte, von der -rosafarbenen Leontine gefolgt. »Sie waren so freundlich, uns zu -erlauben -- ah, das ist wohl Ihr Herr Sohn?« - -»Ja, er ist gestern angekommen,« sagte die glückstrahlende Mutter, ihn -den Damen vorstellend, »er hat mich überrascht! Es ist doch einzig von -ihm; aber er war von jeher ein so guter Junge!« - -Wenn diese öffentliche Liebeserklärung dem Hauptmann peinlich war, so -ließ er es durch keine Miene merken -- er lächelte sehr freundlich und -wandte sich an Fräulein Leontine, die ihm als altem Bekannten vergnügt -die Hand hinstreckte. - -»Herr Hauptmann -- das ist aber eine Ueberraschung, die Ihrer Frau -Mutter vollständig gelungen ist! Allerliebst, das muß wahr sein! Und -nun erzählen Sie mir von W.... -- was machen die dritten Husaren? Und -wo stehen jetzt die Vierundzwanziger? Hat Trotha wirklich einen so -großen Pas gemacht, und muß Schulten den Abschied nehmen? Ach, es waren -doch schöne Zeiten?« - -»Ihre Theilnahme für meine Kameraden rührt mich aufs tiefste, mein -gnädigstes Fräulein,« erwiderte der Hauptmann ernsthaft, »ich kann -Sie versichern, daß die dritten Husaren sich sehr wohl befinden, und -daß die Vierundzwanziger sich ohne Ausnahme Ihnen durch mich zu Füßen -gelegt hätten, wenn sie hätten ahnen können, daß ich so glücklich sein -würde, Sie zu sehen.« - -»Ach, Sie spotten wieder,« schmollte Leontine, »aber ohne Scherz -- -erzählen Sie mir ein bischen! Hat mein Vetter Storrwitz sich ein neues -Pferd gekauft? Der Braune von damals war doch ein süßes Thier -- er ist -mir noch manchmal im Traume erschienen!« - -»Glücklicher Brauner!« sagte der Hauptmann -- und begann nun wirklich -zu erzählen. Leontine hörte fächerschlagend zu, und die Unterhaltung -war so lebhaft, daß der eintretende Gastgeber kaum seine Begrüßung -dazwischenschieben konnte. Er sah mit seinem Orden im Knopfloch und -mit seinem grauen Haar wirklich ganz stattlich aus und machte ganz -zeitgemäße Konversation mit der Generalin -- freilich sagte er meist -nur: »nun eben!« eine Wendung, die er vorzugsweise gern anwendete, und -mit der man merkwürdig weit kommt, wenn man sich erst einmal darauf -eingerichtet hat. - -Inzwischen fanden sich die Gäste nach und nach ein -- schon klingelte -es wieder. - -»Das sind gewiß Langs,« rief Leontine, »ich muß Käthe entgegengehen,« -und damit flog sie hinaus. - -Der Hauptmann sah ihr etwas verwundert nach, und wandte sich dann, um -den Baron Rabeneck zu begrüßen, der eben erschien. - -»Entzückt -- entzückt, Herr Hauptmann, Sie kennen zu lernen,« begann -der Baron schmelzend, »Sie stehen bei einem B.'schen Regiment?« - -»Ja wohl, Herr Baron -- schon seit zwei Jahren,« erwiderte der -Hauptmann. - -»Und vorher?« - -»Bei den --schen Husaren!« - -»Kamen Sie dort gleich aus dem Corps hin? Wo stehen die Husaren?« - -»In W....« sagte der Hauptmann etwas verwundert. - -»Ist das eine hübsche Stadt? Ja? Ich war auch Offizier -- bei den ---ten Dragonern -- reizende Uniform, was?« - -»Allerliebst!« sagte der Angeredete, über dessen Gesicht ein immer -vergnügteres Lächeln flog. »Sie sind pensionirt, Herr Baron?« - -»Ja -- ich sehe Ihnen wohl noch zu jung aus -- was?« - -Während der Hauptmann in diesem Kreuz- und Querfeuer von Fragen stand, -in dem ihm nach und nach heißer wurde als im Kugelregen, hatte Leontine -auf dem Flur die Langsche Familie in Empfang genommen und Käthe sofort -zugeflüstert: »der Sohn ist da!« - -Käthe zog die Augenbrauen zusammen: »Wie albern -- warum hat uns die -Majorin das nicht gesagt?« - -»Sie wollte Sie wohl überraschen,« fuhr Leontine eifrig fort, »aber -Käthe, Sie brauchen kein so verzweifeltes Gesicht zu machen -- er -scheint kein Spießgeselle bei der Verschwörung seiner und Ihrer Mutter -zu sein -- eben als wir kamen, sagte er vernehmlich zur Majorin, -»verschone mich mit deiner Käthe -- die Art Mädchen ist nichts für -mich!« - -Das hatte zwar der Hauptmann nicht gesagt -- aber darauf kam es -Leontine nicht an. Käthe, ohne sich klar zu werden, daß diese Äußerung -schon dadurch sehr unwahrscheinlich wurde, daß der Hauptmann sie nie -gesehen hatte, richtete sich hoch auf -- das stolze, jugendliche Blut -schoß ihr bis in die Stirn -- »nun, dann stimmen ja unsere Ansichten -über einander auf ein Haar« -- sagte sie -- warf den kleinen Mund -verächtlich auf, und folgte ihren Eltern in den Saal. Käthe sah -heute Abend sehr hübsch aus. Ein einfaches, weißes Kleid ließ ihre -jugendliche Gestalt zum Vortheil erscheinen, und ein Strauß von -Fräulein Sabines rothen Nelken hing an ihrem Gürtel. - -Die Majorin eilte den Hausgenossen entgegen und begrüßte sie aufs -lebhafteste. - -»Guten Abend, Herr Doktor -- nein, das ist reizend, daß Sie gekommen -sind, Frau Doktorin -- und hier ist auch meine kleine Ueberraschung -- -sie ist freilich ein wenig groß ausgefallen -- mein Sohn!« - -Käthe blickte auf -- und plötzlich drehte es sich vor ihren Augen wie -ein feuriges Rad. Der große, blonde Mann, der sich eben mit einem -ernsten, wiedererkennenden Lächeln vor ihr verbeugte, war ja ihr -Reisegefährte -- so mußte es enden! Er hatte sie also erkannt -- er -hatte auf der Tour hierher sondiren wollen, wie die Käthe sei, von -der seine Mutter ihm wohl schon eben so oft erzählt hatte, wie dieser -selben Käthe von ihm -- und was war das Resultat seiner Beobachtungen? --- »Verschone mich mit deiner Käthe -- ich mag sie nicht!« - -Alles dieses dachte sie blitzschnell in einem einzigen Augenblicke, und -ehe der Hauptmann Zeit gehabt hatte, ein Wort an sie zu richten, neigte -sie den Kopf ein ganz klein wenig, und wandte sich ab. »Guten Abend, -Herr Baron,« sagte sie mit fieberhafter Lebendigkeit, »also Sie sind -doch noch rechtzeitig mit Ihrer Toilette fertig geworden? das freut -mich.« - -Der Baron eröffnete sofort ein Kreuzfeuer von Fragen über die rothen -Nelken, und daran anknüpfend über Fräulein Sabine -- Käthe war -gerettet. Denn der Hauptmann, der ihr finsteres Gesicht wohl mußte -verstanden haben, trat ruhig zurück und sprach weiter mit Leontinen, -die noch das _curriculum vitae_ eines Pferdes von ihm verlangte, -das er einst besessen hatte, und dessen weitere Schicksale sie mit -leidenschaftlicher Aufmerksamkeit durch sechs Regimenter verfolgte. - -Die älteren Herrschaften gruppirten sich indeß um den runden Sofatisch, -es war noch eine Familie hinzugekommen, die eines Regierungsraths a. -D. -- in unserem Städtchen waren die meisten Leute a. D. -- vielleicht -den Bäcker und den Fleischer ausgenommen -- und der letzte Gast war ein -Justizrath, der noch von Zeit zu Zeit verfehlte Versuche machte, eine -Frau zu bekommen, und nach jedem Versuch sich auf ein Jahr wieder von -der Gesellschaft zurückzog, so daß er durchschnittlich nur den dritten -Winter in der Welt glänzte. - -Die Generalin, deren Enkeltochter in beständigem _tête-à-tête_ mit dem -hoffnungsvollen Hauptmann war, stieg von ihrer unnahbaren Höhe herab -und war ganz liebenswürdig -- gewöhnlich sprach sie kein Wort. »Wie das -junge Völkchen heiter ist!« bemerkte sie zum fünftenmal, als sie ihre -Lorgnette von den Augen ließ. - -Die Majorin nickte etwas bittersüß -- Käthe saß mit dem Justizrath -und dem Baron zusammen, sie war blaß und ziemlich schweigsam, und der -Hauptmann machte auch nicht den leisesten Versuch, sich ihr zu nähern. - -Die Doktorin hatte im Stillen auch schon ihre Beobachtungen angestellt -und sich geärgert -- aber erstens konnte ihre Käthe ja nicht die -Initiative ergreifen, und sodann mußte sie bei der Lage der Dinge doch -thun, als ob ihr gar nichts an einer Annäherung der beiden läge. So -that sie denn sehr unbefangen, und wenn die Majorin sie verstohlen am -Kleide zupfte und betrübte Seitenblicke nach der Gruppe der jungen -Leute warf, dann lächelte sie so harmlos, als freue sie sich mit der -Generalin, daß »das junge Völkchen so heiter sei.« Ihr Mann umschlich -die Plaudernden wie ein beutelustiger Tiger -- immer den Baron im -Auge, der ja sein präsumtiver Miether war. Durch die unerhörtesten -Anstrengungen gelang es ihm auch wirklich, die Aufmerksamkeit des -Betreffenden zu erregen -- der Baron wandte sich um. - -»Spielen Sie Whist, Herr Doktor?« - -»Sehr gern!« erwiderte der Angeredete eifrig -- erstens langweilte er -sich, und dann wollte er den Baron wegen der Wohnung ausforschen. - -»Nettes Spiel -- was? Ich spiele leider nicht -- kein Kartenspiel -- -fehlt mir jedes Talent dafür. Sonst habe ich viel Talente -- meine -selige Mama sagte schon immer »Chlodwig, du bist sehr talentvoll« -- -aber Karten« -- - -»Dummkopf,« murmelte der Doktor in sich hinein. - -In diesem Augenblick klopfte ihm der Major auf die Schulter, »machen -wir heute keine Partie?« - -Der Doktor war bereit, der Justizrath, der inzwischen schon im Stillen -überlegt hatte, ob er vielleicht um Leontine anhalten sollte -- sie -war ziemlich die einzige in der Stadt, bei der er sein Heil noch nicht -versucht hatte, wurde als Dritter zum Whist angeworben, und die drei -Herren setzten sich an den Spieltisch, der in dem Zimmer aufgestellt -war, wo die Jugend saß. - -Bei dieser -- der Jugend -- herrschten indeß die verschiedensten -Empfindungen. Käthe, die dem Baron zum Opfer gefallen war, antwortete -auf seine zahllosen Fragen immer aufs Gerathewohl mit »ja« und »nein« --- nur wenn die Augen des Hauptmanns zu ihr hinüber flogen, nahm sie -einen Schein von Lebhaftigkeit an und wurde gesprächiger. - -Leontine, an der anderen Seite des Tisches, ließ alle Minen springen. -Sie erinnerte sich an jeden einzelnen Ball aus der Saison, die sie mit -dem Hauptmann erlebt hatte, mit überraschender Genauigkeit, und »wissen -Sie noch?« war immer der Refrain jedes dritten Satzes. - -Der Hauptmann wußte aber gar nichts -- er wurde immer zerstreuter, und -als Leontine ihn nach einem Rittmeister zu fragen begann, der seiner -Zeit zu den Husaren kommandirt war, bot sich ihm ein Ausweg. - -»Herr Baron,« rief er hinüber, »stand Straten nicht bei den --ten -Dragonern? den müssen Sie ja gekannt haben! Fräulein von Faldern -erkundigt sich nach ihm!« - -»Straten? versteht sich!« erwiderte der Baron aufstehend, »sehr gut -gekannt, haben zwei Jahr bei einer Schwadron gestanden -- netter -Mensch, was?« - -»Jawohl!« erwiderte der Hauptmann, ebenfalls aufstehend, »hier -- -erzählen Sie einmal von ihm -- _changeons_!« Und damit überließ er -seinen Platz neben Leontinen dem Baron und begann, sich Käthe zu nähern. - -Kaum hatte Käthe seine Absicht bemerkt, als sie sich erhob, und an den -nächsten, mit Albums bedeckten Tisch tretend, sich in die Besichtigung -derselben vertiefte. - -Der Hauptmann folgte ihr und ergriff ebenfalls ein Buch. - -»Das kann ich auch,« bemerkte er halblaut. - -Käthe schien mit Blindheit und Taubheit geschlagen. - -»Was habe ich denn hier?« fuhr der Hauptmann gemüthlich fort, und -blätterte in dem Buch, »ah -- Gedichte -- eine ganze Sammlung -- darf -ich Ihnen etwas vorlesen?« - -»Ich danke,« erwiderte Käthe kurz, »ich sehe mir Bilder an!« - -»Schön,« erwiderte ihr Gegner ernsthaft, »dann werde ich mir selbst -vorlesen -- ich liebe die Lyrik ungemein -- ah hier -- das ruft mir -ein Erlebniß zurück, »das Dampfroß schnaubt entlang der Halde« -- sehr -nett! Wer weiß, was wir noch von dem Dampfroß zu hören bekommen -- -sollte das nicht in Station Siegersdorff halten? Ich muß mich einmal -überzeugen!« - -»Ich will das Gedicht nicht hören!« sagte Käthe. - -»Ich bitte sehr, mein gnädiges Fräulein -- ich lese =mir= vor! --« Er -blätterte weiter. - -»Hier -- ein anderes! »Als ich zum erstenmal dich sah, verstummten -meine Worte.« Stimmt! Also ist es schon mehr Leuten so gegangen. Der -hat am Ende auch mit dem Dampfroß zu thun gehabt!« - -Käthe, die sich inzwischen gesetzt hatte, stützte den Kopf in die Hand -und las, als sollte sie zu morgen eine Aufgabe lernen. - -»Hier ist ja noch ein sehr schönes Gedicht,« sagte der Hauptmann, -»immer schmollen, immer grollen, für ein' Ros' wär's zu viel Dorn! Und -nun lassen Sie uns zur Prosa übergehen,« fuhr er plötzlich ernsthaft -fort und nahm neben Käthe Platz, »bitte, sehen Sie ruhig weiter in Ihr -Buch -- ich werde ein gleiches thun -- und nun,« er senkte die Stimme ---, »warum sind Sie eigentlich böse auf mich?« - -»Woraus schließen Sie, daß ich böse bin?« fragte Käthe etwas unsicher. - -»Nun, mein gnädiges Fräulein, wenn =das= bei Ihnen =gut= heißt, dann -möchte ich Sie allerdings einmal sehen, wenn Sie böse sind! Ich bin -zwar nicht an übertrieben freundliche Behandlung von Ihnen gewöhnt -- -denken Sie nur an Station --« - -»Lassen Sie doch endlich die alte Geschichte ruhen!« rief Käthe und -erröthete tief. - -»Sie ist noch gar nicht alt, noch nicht sechsunddreißig Stunden -- -aber ich will sie begraben -- klaftertief -- wenn Sie mir Rede und -Antwort stehen. Wollen Sie das? Sonst wird die Geschichte, die =alte= -Geschichte, wie Sie sie ungerechter Weise nennen, als Gespenst solange -vor Ihnen auftauchen --« - -»Hören Sie auf,« unterbrach ihn Käthe, wider Willen lachend, »was soll -ich denn antworten?« - -»Das will ich Ihnen gleich sagen -- also, =was= habe ich Ihnen zu Leide -gethan?« - -»Ist hier bei diesen Bildern eine Ansicht von der Grafschaft T...?« -fragte in diesem Augenblick der Baron, sich dem Tisch nähernd, »ich -wollte Fräulein von Faldern einen Begriff von der Gegend geben, wo mein -Gut liegt. Sie kennen die Grafschaft? Hübsche Gegend, was?« - -»Reizend!« sagte der Hauptmann, und nahm einen dicken Band -Landschaftsbilder vom Tisch, »hier, Herr Baron, in diesem Buche ist ein -sehr hübscher Stich, der gerade die Gegend vorstellt, die Sie zu sehen -wünschen. Wollen Sie sich überzeugen?« - -Der Baron ging mit dem Buche ab. - -»Natürlich wird er die Grafschaft nie finden,« bemerkte Hauptmann -Scharff, »ich habe ihm einen Band Ansichten von Spanien gegeben, da mag -er suchen! Doch zurück zu unserem Gespräch -- was habe ich Ihnen zu -Leide gethan? Warum sind Sie böse?« - -Käthe nahm sich gewaltig zusammen, und begann sehr tapfer: »Ich bin -böse, weil -- nun ja, weil ich es sehr häßlich finde, daß Sie mich -unterwegs ausforschen und kennen lernen, und mir nicht sagen, wer Sie -sind.« - -Die Majorin hatte indessen durch die geöffnete Thür schon ein paar sehr -befriedigte Blicke nach dem Paar gethan, und als sie sah, daß Leontine -im Begriff stand, sich dem vielversprechenden Tische zu nähern, eilte -sie wie ein Stoßvogel herbei. - -»Fräulein Leontine, singen Sie uns ein Lied? Wir sind ja immer ganz -Ohr, wenn Sie am Flügel sitzen -- bitte, bitte!« - -»Ach ja, mein gnädiges Fräulein,« stimmte der Baron ein, »Sie singen? -Bitte, tragen Sie uns etwas vor -- ein _Chanson_ -- eine Ballade, was? -Ich liebe die Musik leidenschaftlich -- reizende Kunst, was?« - -Leontine willigte mit etwas gezwungenem Lächeln ein -- ob der Gedanke, -daß ein Baron in der Hand sicherer sei, als ein Hauptmann auf dem Dache -ihren Entschluß beeinflußte, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Sie -verschwand, von dem Baron gefolgt, im Nebenzimmer, und bald klang ihre -sehr hübsche Stimme wohlthuend durch die Räume. - -Der Hauptmann und Käthe blieben nun ungestört, denn die Herren am -Spieltische waren ganz in ihre Karten vertieft, und der jeweilige -Ruf: »zwei Trick -- _deux honneurs_« -- vermochte eine leise geführte -Unterhaltung nicht zu beeinträchtigen. Als das Feld rein war, begann -der Hauptmann von Neuem. »Ich verstehe Sie gar nicht, mein Fräulein! -Ich hätte Sie ausgeforscht? Wo denn? Unterwegs?« - -Käthe nickte. - -»Aber Sie sind wirklich höchst ungerecht,« rief der Hauptmann -ungeduldig, »woher sollte ich denn in der Eisenbahn wissen, daß Sie -und die viel beschriebene Käthe ein und dieselbe sind? Nun sagen Sie -einmal selbst, daß ich es nicht wissen konnte!« - -»Ja ja!« gab Käthe zögernd zu. - -»Nun gut -- also darin bin ich gerechtfertigt! Aber selbst, =wenn= ich -Sie gekannt hätte -- ich gestehe Ihnen offen, daß ich auch dann noch -kein Verbrechen begangen zu haben glaubte! -- es steckt wohl noch etwas -Anderes dahinter! Nicht wahr?« drängte er, als sie schwieg und tief -erröthend zu Boden blickte. - -»Aber in aller Welt, so geben Sie mir doch wenigstens die Möglichkeit, -mich zu vertheidigen,« rief er fast heftig, »mein gnädiges Fräulein -- -Fräulein Käthe -- wir waren doch so gute Freunde unterwegs -- waren -wir das nicht? Sehen Sie -- Sie nicken ja! nun seien Sie einmal recht -vernünftig und sagen Sie mir, =was= ich Ihnen gethan habe!« - -»Was haben Sie denn zu Ihrer Mutter gesagt, ehe ich kam?« fragte Käthe -trotzig und blickte auf. - -Er sah sie erst zweifelhaft an, dann lachte er -- aber etwas verlegen. -»Ich kann mir denken, =wer= Sie instruirt hat! Soll ich Ihnen das -Gespräch erzählen?« fragte er in sonderbar weichem Ton, und bückte -sich, um ihr in die Augen zu sehen. »Ja oder nein?« - -»Ja!« sagte sie hastig und leise -- ihr Herz fing an, heftig zu klopfen. - -»Nun denn -- ich sagte meiner Mutter, daß ich nicht Lust hätte, hier -irgend ein junges Mädchen kennen zu lernen, -- heiße sie Käthe oder -sonst wie -- weil -- nein, sehen Sie mich einmal an, Fräulein Käthe --- weil ich mich unterwegs in der Eisenbahn, wie ein Student verliebt -hätte -- in eine Unbekannte, -- und wenn nun ein freundlicher, lieber, -guter Zufall es so gefügt hat, daß diese Unbekannte diejenige ist, -die meine Mutter -- Gott segne meine Mutter -- schon lange für mich -ausgesucht hat --« - -Ein blendend heller Lichtstrahl fiel in die Stube, »es ist -angerichtet,« rief der Lohndiener mit Stentorstimme. - -Der Flügel wurde zugeklappt, Stühle gerückt, die Whistspielenden warfen -die Karten zusammen -- man ging zum Abendessen. - -Käthe war bei dem Eintreten des Lohndieners schnell wie der Blitz vom -Sofa fort und zu den Herren am Spieltisch geeilt. Dafür hatte sie nun -ihre Strafe! Der Justizrath reichte ihr den Arm, um sie zum Souper zu -führen. - -Die Anordnung der Plätze bot noch einige Schwierigkeiten -- die Majorin -hatte aus Versehen für zwei Personen zu wenig decken lassen, und diese -beiden Uebriggebliebenen standen nun ziemlich verlegen hinter den -besetzten Stühlen der anderen. - -Während noch schnell nach den fehlenden Tellern, Messern und Gabeln -zu Doktors hinaufgeschickt wurde, kroch der Major unter allen Sofas -und Schränken umher, um die Tischzettel zu suchen, deren einige ihm -verloren gegangen waren. Bei der etwas genialen Hausordnung konnte -es geschehen, daß er von seiner Entdeckungstour bestaubt, wie alter -Ungarwein zurückkam, und nicht einmal fand, was er suchte. - -Der Hauptmann hatte es nicht mehr möglich machen können, sich Käthe -zu nähern, die schon seit zehn Minuten wartend Arm in Arm mit dem -Justizrath stand -- eine Situation, die zu den allerpeinlichsten -gehört, und die die wenigsten Leute den Verstand haben, dadurch zu -coupiren, daß sie die Dame bis zum geeigneten Moment loslassen. - -So fiel denn dem Hauptmann Leontine zu, an deren anderer Seite der -Baron Platz nahm. Käthe saß schräg gegenüber; sie sprach kaum ein Wort -und sah nicht in die Höhe, so sehr der Hauptmann sich bemühte, einen -Blick von ihr aufzufangen. - -Leontine bemerkte sein Bestreben wohl -- sie gab ihn auf! Als -kriegsgewandte, junge Dame änderte sie ihre Taktik sofort, und -schwenkte blitzschnell zu dem Baron hinüber, der ihr von seinem Gut -erzählte, und sie fragte, ob sie das Landleben liebe? - -Diese Anknüpfung war vielversprechend, und Leontine schmiedete das -Eisen, so lange es heiß war. Von ihrem Soldatenenthusiasmus sprang sie -zur Oekonomie über, schwärmte für Stallfütterung und Rieselwiesen, und -that ganz ländlich. - -Im allgemeinen belebte eine zwanglose Heiterkeit den kleinen Kreis. -Nur die Generalin machte eine Ausnahme, als sie bemerkte, daß der Sohn -ihrer Gastgeber fahnenflüchtig wurde. Ihr seelenvolles Lächeln erfror -in der schönsten Blüthe, sie war wieder ganz Würde, und der Major, der -sie gebührender Weise zu Tisch geführt hatte, erntete für seine ohnehin -nicht glänzenden Unterhaltungsversuche nur ein kühles »hm« oder »ja, -ja!« - -Der Doktor war in bester Laune. Hatte nicht der Baron ihm soeben als -»seinem liebenswürdigen Hauswirth« zugetrunken, und um die Erlaubniß -gebeten, im Lauf des folgenden Vormittags Kontrakt zu machen. »Dann -soll mir aber gewiß nichts dazwischen kommen,« gelobte sich der -beglückte Vermiether innerlich, und riegelte schon im Geist alle Thüren -in dem Verhandlungszimmer ab. - -Seine Frau war still und wich der Majorin scheu aus -- sie wußte nicht, -was sie von dem veränderten Wesen ihrer Tochter denken sollte -- und -ehe nicht feststand, daß der Hauptmann daran keine Schuld trug, mochte -sie mit der ganzen Familie nichts zu thun haben. - -Dem Hauptmann selbst war am unbehaglichsten zu Sinne. Wenn ein Mann -von 36 Jahren sich im Lauf von 36 Stunden verliebt und erklärt, so -ist zehn gegen eins zu wetten, daß ihm der Erfolg seiner Werbung -zweifelhaft erscheint, wenn die Angebetete ihn auch nur zehn Minuten -auf das entscheidende Wort warten läßt. Und er wartete nun schon eine -ganze Stunde! Fisch, Rehbraten und Eis hatten seine Qualen mit ansehen -müssen, und jetzt saß alles so gemüthlich in den Stühlen zurückgelehnt, -als sei dies _con amore_ Nachtafeln das Beste vom ganzen Abend. - -Nun, es giebt kein wahreres Wort, als: »alles nimmt ein Ende.« Die -Generalin, die sich neben dem Major nicht gerade im siebenten Himmel -des Amüsements befinden mochte, rückte hörbar mit dem Stuhl -- die -andern folgten. In dem Moment =mußte= Käthe aller menschlichen -Berechnung nach emporsehen -- sie that es! Der Hauptmann erhob sein -Glas unmerklich gegen sie, sah sie fragend an, und hielt es einen -Augenblick. Da -- o Freude! -- nahm sie ihr noch unberührtes, volles -Glas vom Tisch, sah ihn einen kurzen Moment wieder an -- erröthete -dunkel -- und trank dann in ihrer Verlegenheit so geschwind aus, als -sei sie gewohnt die Nagelprobe zu machen! - -Nun war alles gut! Der Hauptmann wußte, ohne ein gesprochenes Wort, -wie die Sache stand -- hatten sie sich nicht eben zugetrunken? Und war -dieser Comment nicht die zarteste Art einer Erklärung, so war er doch -ehrlich gemeint, und das ist die Hauptsache! - -Als der Hauptmann daher im Trouble des »Gesegnete Mahlzeit«wünschens -Käthe zuflüsterte: »darf ich morgen zu Ihrem Vater kommen?« genügte -er damit eigentlich nur einer Form -- er wäre auch ohne diese Frage -gekommen, und ihrer Zustimmung gewiß gewesen. - -Die Hoffnung der Beiden, sich am heutigen Abend noch einen Moment -unter vier Augen sprechen zu können, trog -- kaum waren die zehn -Anstandsminuten nach Tisch durchgestanden, so rauschte die Generalin -abschiednehmend auf ihre Wirthe zu -- Leontine folgte, vom Baron auf -das liebenswürdigste geleitet. Leontine hatte eine Eroberung gemacht --- das war klar! Am Ende hätte sie heut schon sagen können: »Sprechen -Sie mit meiner Großmutter,« ohne, wie jenes voreilige Mädchen meiner -Bekanntschaft, die betrübende Antwort zu riskiren: »wovon?« - -Aber als sie heut Abend den Kopf aufs Kissen legte, lächelte sie -befriedigt. Aus allen Fragen des Barons hatte sie die »Lebensfrage« -schon verblümt herauszuhören geglaubt -- »am Ende =muß= es gerade kein -Offizier sein«, dachte sie im Einschlafen, »ein Gut in der Grafschaft -ist auch nicht zu verachten! -- was steht dort? die 26er oder die 62er?« - -Über dem Zweifel schlief sie ein. - -Die Doktorsfamilie empfahl sich bald nach Generals. Vergebens hoffte -Käthe, daß ihre Mutter in Anbetracht des kurzen Weges, den sie -zurückzulegen hatten, noch ein Viertelstündchen zugeben werde. -- Die -Doktorin hatte zu morgen verschiedene wirthschaftliche Absichten, mit -deren Ausführung man in aller Frühe beginnen wollte -- da war es hohe -Zeit zur Ruhe zu gehen! Man trennte sich. - -Die Majorin bedankte sich noch viele, viele Male für die Gefälligkeiten --- »Morgen in der Frühe schicke ich Ihnen alles wieder, was Sie mir -geborgt haben, liebe Lang«, versicherte sie in der Thür. - -Der Hauptmann, der es sich als artiger Sohn des Hauses nicht nehmen -ließ, die Gäste bis in den Flur zu geleiten, und Käthchen beim Umnehmen -der Sachen behilflich zu sein, schied mit einem so innigen Händedruck -vom Doktor, daß dieser, bei der kurzen Bekanntschaft, sich mit Recht -über diese Gefühlsverschwendung verwunderte. -- - -Als die übrige Gesellschaft sich empfohlen hatte, ging der Hauptmann -noch auf sein Zimmer, um sich eine Cigarre zu holen, deren er in -wichtigen Augenblicken zur Sammlung bedurfte. Sie war auch ein -prächtiger Verlegenheitsableiter, als er zu den Eltern zurückkehrte, -die gemüthlich im Sofa saßen, und im Genuß der eingetretenen Ruhe -schwelgten. - -Beide sahen auf, als der Sohn eintrat -- er aber schnitt, während er -sprach, emsig die Cigarre ab, steckte ein Schwefelhölzchen in Brand, -kurz nahm alle möglichen Handarbeiten vor, und begann dann mit etwas -unsicherer Stimme eine kleine Rede zu halten. - -»Liebe Eltern«, sagte er halb heiter, halb verlegen, »ich bringe ein -paar Neuigkeiten. Die eine habe ich soeben erfahren -- ich fand auf -meinem Zimmer diesen Brief vor, der mir meine Versetzung hierher, -vorläufig privatim mittheilt.« - -Die Majorin sprang, wie elektrisirt, vom Sofa auf. - -»Kurt -- wirklich? mein lieber Junge! Wie ist das so schnell gekommen?« - -»Ja, Mutterchen, bei uns Soldaten geht dergleichen immer mit Dampf! -Die Wahrheit zu sagen erwartete ich aber die Nachricht schon längere -Zeit, und verschwieg sie Euch nur, um Euch nicht unnütze Spannung und -Aufregung zu bereiten.« - -»Ich bin ganz glücklich, Kurtchen«, rief seine Mutter immer wieder, -»und du sollst mal sehen -- sei nicht böse -- aber wenn ich dich hier -habe, wirst du dich auch viel leichter zum Heirathen entschließen.« - -»Laß' ihn doch in Ruhe!« brummte der Major. - -Der Sohn lächelte. »Liegt dir wirklich so viel daran, Mama? So -unendlich viel?« - -»Aber, mein Junge«, sagte die Majorin etwas verwundert, »das weißt du -doch!« - -»Nun denn, Mamachen -- ich bin ja kein Unmensch -- siehst du mir gar -nichts an?« - -Und als die Mutter halb zweifelnd, halb bestürzt zu ihm aufblickte, -streckte er ihr beide Hände entgegen: »Gratulire mir, liebe Mama -- -lieber Vater, ich bin mit Käthchen Lang verlobt.« - -Die Exclamationen der überraschten Eltern, besonders der Majorin, -bei dieser zweiten Freudenbombe, die in ihr Haus fiel, zu schildern, -vermag ich nicht. Wer sich einmal vor kurzem so recht gefreut hat, weiß -ganz genau, wie man sich in solchem Fall benimmt -- und wer es nicht -weiß, dem wünsche ich von Herzen, daß er es bald erleben und an sich -ausprobiren möge. - -Als man sich für die späte Stunde lang genug gefreut hatte, ging man -auseinander und zu Bett -- d. h. der Hauptmann ging nicht zu Bett, -sondern wanderte die Nacht über unruhig und glücklich in seiner Stube -auf und ab, was seinem ahnungslosen künftigen Schwiegervater einige -Donnerwetter über die Lohndiener von Majors entlockte, die über seinem -Kopf immerfort noch ab und zu liefen. - -Einen Versuch Käthens, die Mutter noch einen Augenblick zu sprechen, -schnitt der Doktor kurz ab: »Ihr habt den ganzen Tag Zeit zum -Unterhalten«, brummte er, »jetzt will ich Ruhe haben. Die Frauen sind -doch wahrhaftig wie die schweren Fuhrleute -- wenn sie von früh bis -Abends nebeneinander auf der Landstraße hergegangen sind, und des -Abends ins Wirthshaus kommen, giebts kein Ende mit Erzählen.« Und er -entführte seine Gattin ohne Gnade und Erbarmen. - -So suchte denn Käthe die Ruhe auf, ohne irgend jemand ihr Herz -entlastet zu haben, nur ihre Träume bauten gefällig auf dem sicheren -Grunde der jüngsten Vergangenheit glänzende Luftschlösser der Zukunft, -in deren lichten Räumen sie die Nacht verbrachte. - -Der »nächste Morgen« ist an und für sich schon etwas Ernüchterndes -- -nach einem Ball, -- nach einem Streit -- nach einem abgeschlossenen -Geschäft. -- Der »nächste Morgen« in seiner kühlen Beleuchtung zeigt -alle Schwächen und Mängel so viel besser, als der dämmernde Abend. - -Nur für eine glückliche Braut hat der »nächste Morgen« nichts -Prosaisches -- der Zauber ihrer Erlebnisse hält dem grellen Tageslicht -Stand -- und wie schlimm auch, wenn's anders wäre! Die Liebe muß ja -im Leben durch alle Zeiten wandern, sie muß die schwüle Mittagshitze -und die Schauer des Abends tragen helfen, -- und zu glauben, daß dies -Kinderspiel sei, fällt nie so leicht, als im Brautstand, wo Wehr und -Waffen zum Lebenskampf noch glänzend und neu in der Sonne des Glücks -auffunkeln, und alle Illusionen in ungetrübter Pracht wie glänzende -Schleier sich über die Wirklichkeit breiten, so daß sie uns nur wie ein -schimmernder Garten im Morgenthau erscheint. - -Käthe empfand dieses frische Glücksgefühl auch so recht, als sie am -nächsten Tage aufstand und an ihre täglichen Pflichten ging, deren -erste war, die Geschwister zur Schule zu besorgen. Sie flocht die -Zöpfchen der Schwestern mit wahrem Vergnügen, strich den Brüdern die -Butterbröte besonders reichlich, und dachte bei sich, wie doch alles -heut viel hübscher sei, als gestern. - -Die Mutter schlief noch, und Käthe konnte es nicht lassen, die freie -Zeit, nachdem die Kinder abmarschirt waren, zu einem kurzen Besuch bei -Fräulein Sabine zu verwenden, um dieser treuen Seele die Botschaft -ihres Glückes zu verkünden. - -Wir dürfen es uns schenken, sie dahin zu begleiten, da wir den Gang der -Begebenheiten kennen, und kehren in die Wohnung des Doktors zurück, der -sich eben zu einem Krankenbesuch anschickte. Er praktizirte nur noch -sehr ausnahmsweise bei zwei oder drei Familien, im ganzen hatte er sich -zur Ruhe gesetzt. - -Der Doktor gehörte zu der weit verbreiteten Klasse von Männern, -die verlangen, daß die Stuben stets rein sind, aber nie gewaschen -werden. Dieser Eigenthümlichkeit wurde insofern genügt, als sein Haus -nur meuchlings gescheuert wurde -- d. h. man überfiel ihn mit der -vollendeten Thatsache und er ergab sich dann. - -So auch heute. Im Hintergrunde lauerten schon zwei Scheuerfrauen -auf sein Verschwinden, und begannen sofort das Werk der Erneuung -an sämmtlichen Stubenböden, auf welchen die zwölf Stiefelsohlen -der schulpflichtigen Kinder deutliche Spuren des Novemberwetters -zurückzulassen pflegten. Nur das _sanctum_ des Doktors blieb verschont -und wurde für diesen Tag der Zufluchtsort der übrigen Familie. - -Die Hausfrau war sehr verwundert, daß Käthe zu dieser ungewöhnlichen -Stunde zu Fräulein Sabine heraufgegangen war, sie setzte sich daher -etwas verdrießlich mit ihrer Arbeit ans Fenster in ihres Mannes Stube, -und sah auf die Straße hinab. - -Als der Doktor heimkehrte, traf er im Hausflur den Hauptmann in voller -Uniform, der sehr stattlich aussah und ihn um die Erlaubniß bat, in -einer wichtigen Angelegenheit unter vier Augen mit ihm sprechen zu -dürfen. - -Hätte dem Doktor nicht der Miethskontrakt so sehr im Kopf gesteckt, -so wäre ihm am Ende der Gedanke gekommen, daß es sich hier um Käthe -handeln könne. So aber lud er den Hauptmann zerstreut ein, ihm zu -folgen, öffnete die Thür zu seinem Zimmer, und steckte den Kopf herein --- da saß seine Frau. - -Aergerlich über diese Invasion schlug er die Thür wieder zu und öffnete -das Eßzimmer, dessen Pforte ihm die Perspektive auf die übrige Wohnung -erschloß. O weh -- über die Dielen der Zimmer rieselte das Wasser, ein -intensiver Seifengeruch belebte die Atmosphäre, und aus jedem Raum -stieg »ein feuchtes Weib empor.« - -Das Scheuerfest in seinem unangenehmsten Stadium hatte begonnen! - -Der Doktor fügte sich ins Unvermeidliche. Er lud den Gast ein, abermals -in sein Zimmer zurückzukehren, wo inzwischen das Feld rein geworden -war. Die Doktorin hatte nur ihren Mann und nicht den Hauptmann gesehen, -und wollte den ersteren, ihrem Prinzip getreu, sich erst »austoben« -lassen -- sie verschwand daher in der Küche und schnitt mächtige -Frühstücksschnitten für das heut vermehrte Hauspersonal. - -Indessen stand der Hauptmann in männlich gefaßter Haltung vor dem -Doktor. Das Anfangen war doch entsetzlich -- =so= schwer hatte er -sich's nicht gedacht. - -»Ich komme, verehrter Herr Doktor«, begann er mit etwas gepreßter -Stimme, »um Ihnen eine Bitte vorzutragen.« - -Bautz -- ging die Thüre auf -- »der Baron von Rabeneck ist da, Papa!« -rief Käthe ins Zimmer tretend, erblickte den Hauptmann, stieß einen -kleinen Schrei aus, und war weg, wie der Blitz. - -»Ach, verzeihen Sie -- verzeihen Sie einen einzigen Augenblick«, sagte -der Doktor eilfertig, »der Baron kommt, um seinen Miethskontrakt -abzuschließen -- ich stehe dann sofort zu Diensten! -- Guten Morgen, -Herr Baron -- ich freue mich -- die Herren kennen sich ja! Bitte, Herr -Hauptmann, verziehen Sie einen Augenblick, wir sind bald fertig.« - -»Wie ist den Herren das gestrige Fest bekommen?« fragte der Baron -im Eintreten, anscheinend ganz aufgelegt zu einer Unterhaltung, die, -recht breit in der Anlage, einen hübschen Zeitraum bis zur Vollendung -versprach. - -»O, recht gut«, sagte der Doktor, der auch nicht eilig schien, »es war -ein bischen spät.« - -»Aber ein allerliebstes Fest -- auf Ehre! Wie ist Ihren verehrten -Eltern der Abend bekommen?« (zum Hauptmann gewendet.) - -Dieser murmelte etwas Unverständliches -- er erstickte fast vor Zorn -und Verlegenheit. - -»Und Ihre Damen, Herr Doktor?« - -»Die sind schon lange wieder auf den Füßen!« bemerkte der Doktor -wohlgefällig. - -»Oh -- so matinal? Sind Sie immer so matinal? Aber das finde ich sehr -recht! Morgenstunde hat Gold im Munde! Mein seliger Papa pflegte das -immer zu sagen -- Morgenstunde hat Gold im Munde -- ganz richtig -- -was?« - -Der Hauptmann verbeugte sich stumm -- er hätte um die Welt jetzt nicht -sprechen können. Der Doktor trat zum Schreibtisch und wühlte in den -Papieren. - -»Wollen wir an unseren Kontrakt gehen, Herr Baron?« - -»Sofort -- ganz zu Diensten! Ja -- noch einen Augenblick -- denken Sie, -Herr Hauptmann, wie der Zufall spielt -- nicht wahr? Einzig manchmal! -Wir sprachen doch gestern Abend von Straten -- was?« - -»Ich erinnere mich nicht!« sagte der Hauptmann unklug und wuthbebend. - -»Aber ich bitte Sie! Sie fragten mich noch nach ihm -- Straten, der zu -den Husaren kommandirt war, und mit dem ich bei den Dragonern stand -- -besinnen Sie sich jetzt? was?« - -»Ja, ja!« grollte der Hauptmann. - -»Nun denken Sie, wie der Zufall spielt -- nein, man kann wirklich sagen -'=spielt=', denn er spielt manchmal, was? und wir sind sein Spielzeug! -Das ist so ein Aperçu von mir -- liebe solche Aperçus! -- nun, um auf -unsern Hammel zurückzukommen, womit ich aber nicht etwa den guten -Straten gemeint haben will -- bewahre! -- dagegen protestire ich von -vornherein -- es ist nur so eine Redensart! Ja, _enfin_! -- ich gehe -gestern Abend nach der blauen Krone -- ich komme ins Gastzimmer -- wer -sitzt da? -- Straten! Nein, ich bitte Sie!« - -Der Baron lachte herzlich. - -»Nun, warum sollte er nicht dasitzen?« fragte der Doktor, jetzt auch -etwas unwirsch. - -»Aber, ich sage Ihnen ja -- wir hatten eben vorher von ihm gesprochen! -Er steht in Rotbergen -- zwei Meilen von hier -- und kommt gerade den -Abend her. 'Guten Abend, Straten!' sage ich. Nun hätten Sie mal seine -Ueberraschung sehen sollen! 'Guten Abend, Rabeneck!' sagt er. 'Nein, -das ist doch sonderbar, daß ich Sie hier treffe! was machen Sie denn -hier?' frage ich. 'Ach, ich langweile mich so in Rotbergen, da bin -ich heut hier herüber gekommen, um mal mein Glas Bier wo anders zu -trinken', sagt er. Und nun plauderten wir von dem alten Regiment -- -ach, da hat sich auch viel verändert! Der Kommandeur ist weg -- nach -Braunschweig versetzt, mein damaliger Schwadronschef.« -- - -»Ja aber, Herr Baron«, unterbrach der Doktor diese interessante -Geschichte, »wenn wir vielleicht erst unseren Kontrakt machen wollten --- Herr Hauptmann Scharff wünscht mich dann noch in einer anderen -Angelegenheit zu sprechen.« - -»Ach, Pardon! -- bitte tausendmal um Entschuldigung! aber es war mir -- -ich dachte, es müßte den Herrn Hauptmann interessiren -- es war doch -ein zu sonderbares Zusammentreffen, was?« - -Und der Baron lächelte vergnüglich und wiegte den Kopf hin und her über -den merkwürdigen Zufall. - -Während die Herren den Kontrakt durchlasen und daran herumkorrigirten, -stand der Hauptmann stumm am Fenster und sah auf die Straße. »Fatal! -=Einmal= anfangen war schon schlimm genug -- aber =zweimal= -- das ging -gar nicht!« Er biß sich zornig auf die Lippen. Und der Moment mußte -gleich wieder da sein -- die Feder des Doktors jagte nur so über das -Papier. - -Da klopfte es, und ohne das »Herein« abzuwarten, wurde die Thür sehr -weit aufgemacht. Ein Dienstmädchen mit einem großen Tablet erschien, -auf dem Porzellan, Glas, Silber und andere Geräthschaften sauber -aufgestapelt waren. Sie setzte ihre Bürde auf den Tisch, und begann, -ohne auf die Herren besondere Rücksicht zu nehmen: »Eine Empfehlung von -der Frau Majorin, und sie schickt die Sachen wieder.« - -»Still!« rief der Doktor mit furchtbarer Stimme -- er hatte sich -verschrieben, und das haßte er! - -»Und die Frau Doktorin ist draußen nicht zu finden, da mußte ich alles -hier herein bringen«, fuhr das Mädchen unbeirrt fort. - -Der Doktor schrieb. - -»Wollen Sie mir nicht die Sachen abnehmen, Herr Doktor?« fragte das -Mädchen, »ich muß dafür stehen, daß nichts fehlt.« - -»Rufen Sie Fräulein Käthe«, sagte der Doktor, ohne den Kopf zu wenden. - -»Die will nicht hereinkommen«, erwiderte die unerschütterliche Magd. - -»Hinaus!« rief jetzt der Hauptmann donnernd, und wandte sich um. Dieses -Wort hatte die Wirkung eines Sprenggeschosses -- die Botin flog davon, -und ward nicht mehr gesehn. - -»So!« sagte der Doktor aufathmend und erhob sich -- »ich habe -unterzeichnet -- wollen Sie nun auch noch die Güte haben, Herr Baron?« - -Der Angeredete hustete und sah etwas verlegen aus. - -»Ich hätte noch eine Bitte, verehrter Herr Doktor, ehe ich -unterschreibe. -- Sie wissen, eine Wohnung ist eine wichtige Frage, --- man muß doch einmal drin wohnen -- und -- kurzum, ich möchte mir -das Quartier noch ein letztes Mal ansehen -- so einen Ueberblick, wie -mein Papa immer zu sagen pflegte. 'Chlodwig, verschaffe dir immer einen -Ueberblick', hat er unzählige Male zu mir gesagt! Dürfte ich um diese -Gunst bitten?« - -Der Doktor pfiff leise -- aber er faßte sich, und die Herren schickten -sich an, das Quartier zu besichtigen. - -Den Hauptmann rührte bei dieser neuen Verzögerung seiner Aussprache -fast der Schlag! Hätte ihm ein Gott gegeben, zu weinen, so hätte er -geweint! Er trommelte den Dessauer Marsch im rasendsten Tempo auf der -Fensterscheibe -- er nahm ein Buch vom Tisch und fing an zu lesen -- -obwohl er für sein Leben nicht zu sagen gewußt hätte, =was= er las. - -Nachdem einige Zeit -- für den Hauptmann eine halbe Ewigkeit -- -verstrichen war, traten die Herren wieder ein. Der Baron sah sehr -bekümmert aus und zog sich einen Handschuh an. - -Der Doktor stellte sich an das zweite Fenster und wippte mit dem Fuß -hörbar auf und nieder -- er war offenbar schwer gereizt. - -Der Miethskontrakt lag unbeachtet auf dem Schreibtisch. - -Endlich näherte sich der Baron, auf den Zehen gehend, dem Hauptmann. - -»Ich weiß nicht -- es ist mir so unangenehm, nein, wirklich -- es ist -mir =sehr= unangenehm!« flüsterte er, »der Herr Doktor ist so böse -- -aber ich habe neulich ganz übersehen -- das Schlafzimmer liegt nach -Nordosten, und das vertrage ich nicht! Meine selige Mama sagte immer: -'Chlodwig, um alles in der Welt, Sonne im Schlafzimmer -- halbes Leben --- halbe Gesundheit.'« - -»Schlafen Sie doch wo anders!« stieß der Hauptmann rauh hervor. - -»Kann ich nicht, mein Bester -- kann ich nicht! Und dann fehlt mir auch -ein Zimmer -- ein einziges Zimmer -- mein Friedrich =muß= neben mir -logiren! Ja, hätte das allerliebste, reizende Eckzimmer -- ein _bijou_ -von einem Zimmer -- noch ein einziges Fenster! aber so!« - -»Ich will Ihnen etwas sagen,« explodirte der Doktor, »haben Sie die -Güte, mein Haus nach Ihren Wünschen umbauen zu lassen, und dann wollen -wir wieder vier Stunden Kontrakt machen. Das ist ja --« - -Der Baron sah hilflos aus. - -»Umbauen? Sie scherzen, Herr Doktor! Der Herr Doktor scherzt -- nicht -wahr? ich liebe das sehr! scherze selbst gern -- ich war immer dafür -bekannt, daß ich viel scherze! mein Kommandeur sagte oft: »glaubt dem -Rabeneck nicht, er scherzt nur!« =Wie= oft! --« - -»Nun, dann scherzen Sie nach Belieben,« schrie der Doktor, »mit mir -haben Sie genug gescherzt!« - -Und er wandte sich ab. - -»Mein Gott, wie peinlich!« sagte der Baron, und zog sich den zweiten -Handschuh an, »und ich wäre so gern hier ins Haus gezogen! aber jeder -ist sich selbst der Nächste! was? Wenn ich noch ein Zimmer brauche, das -kann mir doch keiner übel nehmen -- das finde ich -- da kann ich mir -nicht helfen!« - -Und damit retirirte der Baron, und ging -- ungeleitet, denn der Doktor -war =zu= ärgerlich -- und man hörte den Weggehenden noch im Hausflur, -wie ein abziehendes Gewitter fragen, ob er sich nicht selbst der -Nächste wäre. - -=Wen= er fragte, wußten die Zurückgebliebenen nicht -- es war ihnen -auch höchst gleichgültig. Der Doktor rannte wie ein gefangener Tiger -im Käfig auf und ab, und erging sich in den wohlthuendsten Aeußerungen -über den Baron. - -»Dieser Einfaltspinsel -- dieser alberne Kerl -- fragt einen erst todt, -und miethet dann nicht einmal! Nein, ich war gestern Abend schon so -glücklich -- mein Quartier so gut wie vermiethet, und nun? Prosit die -Mahlzeit! Nun sagen Sie einmal selbst, ist das nicht eine ganz infame -Manier, so im letzten Augenblick abzuschnappen?« - -Der Hauptmann bejahte durch eine Verbeugung -- in =diesem= Sturm konnte -er sein Schifflein nicht auslaufen lassen, erst mußte der Himmel wieder -ruhig werden. - -»Aber eins sage ich,« fuhr der erregte Doktor fort, »=einen= Rath gebe -ich jedem, der ihn haben will. Wer kein Haus hat, freue sich, und wer -eins hat, zünde es an allen vier Ecken an. Das ist ja --! alle Tage was -Neues! Da will der einen Ofen gesetzt haben -- dem soll man die Thüren -streichen lassen, und dabei bleiben einem die Wohnungen noch leer -stehen! Ich danke für mein Haus -- ich schenke es weg -- da mache ich -immer noch ein gutes Geschäft. So habe ich keinen Miether und Aerger, -dann habe ich doch wenigstens keinen Miether und keinen Aerger -- nein, -wahrhaftig!« - -Der Doktor schwieg erschöpft, und nahm den Kontrakt in die Hand. - -»Den Wisch möchte man doch nun gleich in tausend Stücke reißen,« begann -er von neuem, »der Mensch hat sich verklausulirt, als wenn er ein -Testament über eine Million für drei leichtsinnige Söhne machen sollte --- um jeden Paragraphen hat er geredet und gefragt -- eigentlich kann -ich Gott danken, daß ich =den= nicht als Miether bekommen habe. Ein -unausstehlicher Kerl! Aber mein Quartier -- nein, ich bin außer mir! -nun hängt der Miethszettel wieder aufs unbestimmte aus, und jedesmal, -wenn ich nach Hause komme, ärgere ich mich darüber.« - -Der Hauptmann trat einen Schritt näher. - -»Herr Doktor,« begann er mit halbem Lächeln, »darf ich Ihnen einen -Vorschlag machen, mit dem uns vielleicht beiden gedient wäre? Das -Quartier hat vier Zimmer, wie ich höre -- hätten Sie etwas dagegen, -mich als Miether aufzunehmen? Ich bin zum ersten Januar hierher -versetzt.« - -Das Gesicht des Doktors klärte sich auf. - -»Ja, aber,« sagte er etwas zögernd, »ist Ihnen denn die Wohnung nicht -zu groß?« - -»Nun, dem ließe sich auch abhelfen! Herr Doktor, ich kam heute, wie -Sie in der Sturm- und Drangperiode mit dem Baron vielleicht vergessen -haben, um in einer persönlichen Angelegenheit mit Ihnen Rücksprache zu -nehmen -- darf ich meine Bitte jetzt vortragen?« - -Dem Doktor ging ein Licht auf. - -»Bitte!« stammelte er verlegen. - -»Ich liebe Ihr Fräulein Tochter,« fuhr der Hauptmann ernsthaft fort, -»und sie ist meiner Werbung trotz unserer kurzen Bekanntschaft nicht -abgeneigt. Darf ich hoffen, Herr Doktor, daß von Ihrer Seite unserer -Verbindung kein Hinderniß im Wege steht? Sie kennen mich ja durch meine -Eltern --« - -Eine Viertelstunde später rief ein energisches Klingeln die Damen in -des Doktors Zimmer. Eine kleine feierliche Scene fand statt, nach deren -Beendigung der Doktor sich zur Thür wandte, um Majors herunter citiren -zu lassen. Aber er prallte zurück, denn in der Thür stand, verlegen -und unsäglich neugierig aussehend, der Baron. Er hatte sich draußen -vor der Doktorin in seiner gewohnten Ausführlichkeit gerechtfertigt, -und als die Klingel des Hausherrn so ungestüm erscholl, hatte ihn sein -Wissensdrang nach dem Zimmer zurück getrieben, wo er zur allgemeinen -Entrüstung und Bestürzung der feierlichen Verlobung unbemerkt assistirt -hatte. - -Aber der Zorn der belauschten Familie machte in der überfließenden -Freude der Fröhlichkeit Platz, und der Baron brachte seine Gratulation -an und fragte: »Verlobt, was? -- ja, das muß sehr hübsch sein -- ich -finde das allerliebst! werde mich wohl auch entschließen -- nur kein -Junggesell bleiben, was? Meine selige Mama sagte immer: 'Chlodwig, du -bist fürs Familienleben geschaffen!'« Nachdem er diesen Satz zu Ende -gebracht hatte, war der beglückte Schwiegervater so erheitert, daß er -den Baron für seine Heftigkeit von vorhin um Verzeihung bat, die der -gutmüthige Mann auch sofort bereitwillig zugestand. - -Als Majors erschienen, und ein improvisirtes Verlobungsdejeuner servirt -wurde, wozu die noch aufgestellten Gläser und Tassen vortrefflich zu -statten kamen, ließ sich der Baron mit Leichtigkeit bewegen, daran -Theil zu nehmen, und alles gruppirte sich um den Tisch in des Doktors -Stube. - -Nun freute sich jedes auf seine Art! Das Brautpaar war still, aber sehr -zufrieden, sie sahen allerliebst zusammen aus. Der Doktor und der Major -stießen an, und tranken Brüderschaft. Die Majorin nickte allen mit der -Unverdrossenheit einer Pagode zu und weinte Freudenthränen über ihren -Sohn und ihre liebe Käthe. Um diese zu trocknen, borgte sie allerdings -schluchzend das Tuch von der Doktorin -- ihr eigenes war momentan nicht -zur Hand. Die Doktorin hätte auch gern geweint, doch unter diesen -Umständen ging es nicht und sie mußte sich sehr zusammennehmen. Aber -bei der Gelegenheit gelobte sie sich heilig und theuer, das Borgen -müßte von nun an seine Grenzen haben, was ihr niemand verdenken wird, -der sich in einen ähnlichen Fall versetzen kann. - -Der Baron fragte alle der Reihe nach, wie es so gekommen wäre, und -erzählte kleine, geistreiche Aussprüche seiner Eltern und ihres -Chlodwig, wobei er der Bowle tapfer zusprach, und es durchaus nicht -übel nahm, als man Fräulein Leontine leben ließ und ihn ein klein wenig -neckte. Und an dieser Stelle will ich denjenigen meiner Leserinnen, die -sich für Leontine interessiren, unter tiefster Diskretion verrathen, -daß der Baron ganz ernste Heirathspläne hat -- die beiden werden sehr -gut für einander passen! Aber es soll noch nicht darüber gesprochen -werden! -- Ja -- nicht zu vergessen, auf Käthes Bitten wurde ein -Eilbote zu Fräulein Sabine heraufgeschickt, die zitternd und strahlend -in ihrem besten Kleide und ihrer Staatshaube erschien, und die -Verlobungsbowle ihres Lieblings mit leeren half. - -Da sitzen sie nun alle vergnügt beisammen -- jeder hat, was sein Herz -wünscht, freilich mehr oder weniger -- in den Gläsern funkelt der Wein -und alles ruft: »hoch das Brautpaar!« - -Rufst du mit, lieber Leser? Ich hoffe ja! - - - - - Und doch! - - - -I. - - -Er hielt die Hausthür einen Augenblick in der Hand, als überlege er, ob -er sie, seinen Gefühlen gemäß, donnernd zuwerfen und der Undankbaren -da oben eine Art von zornigem Abschiedsgruß senden solle -- aber die -Vernunft siegte doch -- die Thür wurde mit keiner ungewöhnlichen -Kraftanstrengung geschlossen -- und nun stand er auf der Straße! -- - -Unwillkürlich besah er sich das Haus, das er eben verlassen hatte, von -oben bis unten, -- nicht als hätte es einen besonders schönen Anblick -gewährt, -- aber er hatte doch seit Monaten jeden freien Augenblick -dort zugebracht, -- die blühenden Gewächse hinter den weißen Gardinen -hatten ihm allabendlich freundlich zugenickt, wenn er von seiner nahe -bei der Stadt belegenen kleinen Besitzung auf muthigem Rößlein vor -das Haus der Verwandten gesprengt war. Dann hatte er die Reitpeitsche -zierlich zum Gruß gegen das Eckfenster erhoben und ein dunkelblonder -Kopf mit schelmischen, blauen Augen hatte ihm freundlich wiedergewinkt. - -Die Hausthür ließ ihn gastfreundlich ein, -- wie viel Stufen hatte -die Treppe? -- jedesmal schien eine mehr, bis er den messingnen -Klingelgriff in der Hand hielt! Der Hausherr war sein Onkel, nicht ein -ganz richtiger Mutterbruder, -- aber der schmucke, junge Landmann war -als Neffe und Vetter doch schnell und gern genug aufgenommen worden. - -Die Familiengruppe blieb allabendlich dieselbe, -- in einem bequemen -Stuhl, dessen etwas abgeschabte grüne Saffianlehne durch gelbe -Knöpfchen eine mehr wohlgemeinte als geschmackvolle Einfassung erhielt, -saß der Vater, ein Käppchen auf dem Haar, die lange Pfeife in einer -Ecke des Mundes, eine Brille auf der Nase, durch die er die weit von -sich gehaltene Zeitung studirte, um von Zeit zu Zeit die Handlung -eines Monarchen durch wohlgefälliges Brummen zu billigen oder über die -unbedachten Worte eines Ministers langsam und unwillig den Kopf zu -schütteln. Seine Frau saß in der Sophaecke, sehr gerade aufgerichtet, --- diese vorzügliche Haltung auch ihren Kindern beizubringen, bestrebte -sich die Gute fortwährend durch Blicke, Winke und Bewegungen, während -ihre Hände Alles, was vorging, durch harmonisches Stricknadelgeklapper -in Musik setzten. -- Und wenn dann der Theetisch gedeckt war, saßen -die vier Kinder dieses gemüthlichen Paares wie Orgelpfeifen um sie -her, -- die Aehnlichkeit unter den Geschwistern war auffallend, -- -alle vier zeigten entschiedene Stumpfnäschen, stets zum Lachen bereite -Lippen und waren blond und blauäugig. Mit der ältesten konnten sich -aber die andern nicht messen, -- was in Fränzchens Gesicht zierlich und -allerliebst war, hatte bei den beiden Buben eine gewisse unfertige -Plumpheit, und die Kleinste befand sich noch in dem Alter, welches für -junge Männer einen Gegenstand des Schreckens und Abscheus bildet. - -So war unser Held denn natürlich mit der Zeit dahin gekommen, seine -Aufmerksamkeit der erwachsenen Tochter zuzuwenden, und sie hatte -das ganz freundlich hingenommen, hatte erlaubt, daß er ihr das -Streichhölzchen anzündete, um die Spiritusflamme unter dem Theekessel -in Brand zu stecken, freute sich über die Blumensträuße, die er aus -seinem Garten mitbrachte, und lachte über seine Späße und Erzählungen -beinahe so herzlich wie er selbst, -- und das wollte etwas sagen! - -Kurzum, es war durchaus keine Verblendung und Selbstüberhebung nöthig, -um die Entschlüsse reifen zu lassen, die in nächster Zeit unsern -Helden bewegten. Noch nicht drei Wochen war es her, da hatte er sich -in der Stadt neue Tapetenmuster ausgesucht und dem Bäschen zur Auswahl -präsentirt. Da war besonders eins, das er in's Herz geschlossen hatte, -mit blauen, schmalen Streifchen und kleinen Rosenknospen dazwischen, -- -als er ihr das zeigte und frug: - -»Möchtest Du wohl in einer Stube wohnen, die so tapezirt wäre? Ist es -nicht niedlich?« - -Da antwortete sie freilich nur auf die letzte Frage und sagte: - -»Sehr niedlich!« - -Aber sie wurde roth und lachte. Warum war sie roth geworden, wenn sie -nicht wußte, was er damit meinte? Und mit triumphirenden Gefühlen -warb er einen ganzen Leiterwagen voll Tapeziere und Stubenmaler, ließ -seine ganze Wohnung neu herrichten und umgab sich viele Tage lang mit -dem abscheulichsten Kleistergeruch, -- und Alles um nichts und wieder -nichts! -- - -Tagelang ging er dann umher wie ein Verschwörer, -- überlegte, -- -verwarf, -- und kam endlich zum Entschluß. Heut, -- diesen selben Tag, -an dem er fiebernd vor Zorn und Beschämung in der nächtlichen Straße -stand, war Fränzchens achtzehnter Geburtstag gewesen! Schon früh ritt -er mit einem Blumenstrauß in die Stadt, so groß, daß ihm alle Leute -verwundert nachsahen, -- das Mädchen empfing ihn mit der größten -Freundlichkeit, -- zeigte ihm ihren bekränzten Geburtstagstisch, -- und -man lud ihn ein, am Abend wieder zu kommen, wo eine Gesellschaft junger -Leute sich versammeln sollte. - -Das that er denn auch, und als er im Hausflur einen kleinen -Taschenspiegel hervorzog und sein ehrliches, braunes Gesicht darin -betrachtete, kam er sich beinahe hübsch vor. Eine Rosenknospe hatte er -in's Knopfloch gesteckt -- und unter der Rosenknospe schlug ein Herz -voll Löwenmuth! - -Fränzchen hatte sich auch sehr schön gemacht, sie trug ein weißes Kleid -mit feinen, blauen Streifen, -- es sah seiner Tapete beinahe ähnlich, --- und die blonden, glatten Zöpfe waren mit einer frischen Nelke -geschmückt, -- er hätte sich sehr irren müssen, wenn die nicht aus dem -Strauß war, den er heute Morgen gebracht hatte! - -Die kleine Versammlung war schon vollzählig, als er eintrat, und -Fränzchen vor Allen als Geburtstagskind begrüßte. Er sah aber gleich, -daß sie schlechter Laune war. - -»Guten Abend, Karl,« sagte sie flüchtig und mit einem Anflug von -Verdrießlichkeit in der Stimme. »Du kommst genau eine Stunde später als -du eingeladen bist! Wir hätten schon lange anfangen können zu tanzen, -wenn wir nicht hätten auf Dich warten müssen.« - -Karl war nun ein herzensguter Junge, aber sein Fehler bestand darin, -daß er einen ganz unglaublichen Brausekopf besaß. Er wurde röther, als -es selbst der Dame seines Herzens gegenüber nöthig war, machte ein -steifes Kompliment und zog sich zurück. Eins kam zum andern, -- die -Beiden stichelten auf einander, wo sie nur konnten, -- und schließlich -geschah es, daß Fränzchen sich an ihrem Geburtstag von einem Andern -zu Tisch führen ließ und Karl mit einem schnippischen: »ich bin schon -versagt,« abfertigte. - -Aber Karl rächte sich! -- Unmittelbar nach Tisch wollte man beginnen, -nach dem Klavier zu tanzen. Als sich der Heimtückische durch einen -schnellen Ueberblick versichert hatte, daß auch ohne ihn eine -ausreichende Zahl von Tänzern da sei, ging er über die Stube, stieß -plötzlich einen Schmerzensschrei aus und sank auf einen Stuhl. Die -ganze Gesellschaft umdrängte ihn besorgt, -- Fränzchen allein stand an -ihrem Geburtstagstisch und zählte die Blättchen an ihrem Rosenstock, --- das erbitterte ihn nun vollends! Er erklärte, er habe sich den Fuß -verstaucht, könne unmöglich tanzen, und wolle lieber zusehen, wenn man -ihn nicht nach Hause schicke, da er als Invalide nichts auf einem Ball -zu suchen habe. - -Davon wollten sie nun alle nichts hören und Karl blieb, -- aber er -tanzte konsequent nicht! Die Fenster waren geöffnet, um die nächtliche -Sommerluft einzulassen, -- er setzte sich hinter die Gardine und dachte -zornig darüber nach, wie anders er sich diesen Abend vorgestellt hatte! -Und eigentlich war er ja schuld gewesen, -- was mußte er gleich so -empfindlich sein! Sie hatte Recht, er =war= zu spät gekommen, -- und es -war doch Fränzchens Geburtstag! -- Er erhob sich, -- es wurde ihm zu -heiß hinter der Gardine, -- und humpelte, seiner Rolle getreu, über das -Zimmer, um den Tanzenden zuzuschauen. Daß er besser tanzte wie jeder -der anwesenden Herren, war klar, -- das wußte Fränzchen auch, -- und -deshalb ärgerte es sie so sehr, daß er heute nicht tanzen =wollte=, -denn sie glaubte mit Recht nicht an seinen Unfall. - -»Kinderchen, jetzt wird aber aufgehört,« rief da die Mutter, »es ist -schon sehr spät!« - -Man war an diese peremptorische Art von Fränzchens Mutter schon -gewöhnt, -- da erhob sich Karl und bat die Tante flehentlich, noch -einen Augenblick zu verziehen, die Schmerzen in seinem Fuß hätten -nachgelassen und er wolle einmal mit seiner Cousine tanzen. Eben sollte -der Befehl an die Klavierspielerin ertheilt werden, als Fränzchen mit -blitzenden Augen dazwischen trat. - -»Es thut mir leid, Karl, wenn =du= auch wieder hergestellt bist, -- -ich habe mir soeben den Fuß versprungen -- und zwar so gründlich, daß -ich glaube, wir würden nie wieder in den richtigen Takt kommen.« - -Karl biß sich auf die Lippen und schwieg. -- Die tanzenden Paare -trennten sich, -- man ging umher, um sich abzukühlen, und endlich -brach man auf. Daß Karl, als Verwandter des Hauses, sich noch nicht -mitempfahl, konnte Niemandem auffallen. - -Als die Gäste fort waren, trat Fränzchen ans offene Fenster, um ihnen -nachzusehen, und Karl, von Reue und Liebe beseelt, stürzte sich Hals -über Kopf in das ungeheure Wagniß, bei den Eltern um ihre Hand zu -werben. So -- nun war's heraus, -- Gott sei Dank! -- er sah seitwärts -nach ihr hin, ob sie wohl eine Bewegung der Ueberraschung machen würde, --- aber sie stand so still und unbeweglich am Fenster, als ginge sie -die ganze Sache gar nichts an. Verlegen und zweifelhaft blieb er -stehen. Der Vater legte die Pfeife weg, faßte das Mädchen an beiden -Schultern und drehte sie herum. - -»Nun, Fränzchen,« fragte er in einer Mischung von Rührung und Humor, -»was sagst du? Hier, der Karl will dich zur Frau haben, -- na, du hast -dir's wohl schon gedacht? Nun, Mädchen, so sprich doch, -- sag' Ja oder -Nein!« - -Da sah sie trotzig in die Höhe und sagte mit undeutlicher Stimme ein -kurzes »Nein!« drehte sich wieder um und trommelte an den Scheiben. - -Die drei Anderen sahen sich zweifelnd und bestürzt an. -- Das kam -ihnen allen Dreien unvermuthet, -- bis Karl leise bat: - -»Laßt mich einen Augenblick mit ihr allein, -- ich will sie schon zur -Vernunft bringen!« - -Die Eltern schienen ihm dies Amt nicht ungern zu überlassen, Karl trat -zu der kleinen Eigensinnigen und sah, daß ihre Augen voll Thränen -standen. - -»Fränzchen,« bat er herzlich, »sei nicht kindisch! Ich weiß, du hast -ein Recht, mir böse zu sein, aber es kann dir nicht mehr leid thun wie -mir, daß wir uns heute so mißverstanden haben, -- verzeihe mir doch!« - -Er wollte ihre Hand fassen, sie zog sie hastig und unwillig zurück. - -»Sieh',« fuhr er fort, »das Nein, was du mir jetzt sagst, ist doch -ein anderes, als eine Absage für einen Tanz! Ich kann dann nicht mehr -wiederkommen und fragen, ob du dich anders besonnen hast, -- du weißt, -ich würde es auch nicht thun, -- überlege dir's einmal, Fränzchen!« - -Da sie fortfuhr, stumm den Kopf zu schütteln, trat er verzweifelt -zurück und rief die Eltern wieder herein. - -»Ich kann nicht mit ihr fertig werden, Onkel, rede du ihr einmal zu, -- -sie ist zu kindisch!« - -Der Vater erschien und rief in etwas barschem Ton das Mädchen, welches -sich trotzig vor ihn hinstellte. - -»Was fällt dir ein,« fuhr er sie ziemlich rauh an, »läßt den Karl -ablaufen wie einen dummen Jungen, weil ihr irgend eine alberne -Uebelnehmerei mit einander gehabt habt! Gleich bist du vernünftig und -sagst entweder einen Grund für dein verschrobenes Betragen oder giebst -ihm die Hand.« - -»Nein, ich will nicht und ich will nicht!« rief das Mädchen jetzt, -von Schluchzen unterbrochen, »erst kommt er zu spät, dann ist er so -unhöflich gegen mich wie möglich, dann tanzt er nicht und verdirbt -mir meinen ganzen Geburtstag, -- nennt mich zweimal in einem Athem -kindisch, -- und wenn er dann zum Schluß für den reizenden Abend gnädig -kommt und mich heirathen will, -- da soll ich Ja sagen! Ich thu's -nicht, -- ich mag nicht aufs Land, ich will überhaupt nicht heirathen -und ich wollte, ihr hättet mir meinen Geburtstag nicht verdorben!« - -»Es ist gut, Fränzchen,« sagte Karl trocken, während sie sich abermals -abwandte und ihr Gesicht ins Tuch barg, »wir wollen nicht mehr davon -sprechen! Ich habe mich geirrt und bin ein Narr gewesen, -- und jetzt -kann ich dich nur um Verzeihung bitten, daß ich dir deinen Geburtstag -verdorben habe, wie du sagst. Gute Nacht, lieber Onkel, gute Nacht, -Tante!« - -Fränzchen wurde durch eine stumme Verbeugung beglückt, -- dann stürmte -Karl davon und der Moment, wo er die Hausthür öffnete und auf die -Straße trat, war es, wo wir seine Bekanntschaft machten. Er schlug den -Weg nach dem Gasthaus ein, wo sein Pferd stand, und fühlte mit Behagen, -daß ein heraufziehendes Gewitter schwere Regentropfen auf seine heiße -Stirn sandte, die er schon längst vom Hut befreit hatte. Von Zeit zu -Zeit wies er bedeutsam nach seinem Kopf, um ihm durch diese Bewegung -vorzuwerfen, er habe ihm einen schlimmen Streich gespielt, daß er nicht -mehr mitsprach, als das Herz heut durchging. - -Der muntere Trab seines Rößleins sagte seiner Stimmung weit besser zu, -als die langsame Fortbewegung der Füße, und doch kam er viel zu früh -für seine Wünsche daheim an. Die Wohnung, die er jetzt seit längerer -Zeit mit so anmuthigen Zukunftsträumen ausgeschmückt hatte, dünkte -ihm unwirthlich und öde, -- er erschien sich wie Einer, der zu einer -schönen Reise gerüstet auf den Bahnhof ging, den Zug versäumte -- und -mit entsetzlich ernüchterten Gefühlen den Heimweg antritt. Dieses -letzte Gleichniß leuchtete ihm immer mehr ein, -- »aber es giebt ja -mehr Züge als den einen,« sagte er halblaut vor sich hin, »führen sie -auch nicht alle in das gelobte Land der Ehe, -- man kann auch sonst -noch Reisen machen, denn hier bleiben ist mir jetzt ein unleidlicher -Gedanke! Aber wohin? -- ich kann für die nächsten zwei, drei Tage -abkommen, ich werde nach Schrobeck fahren!« - -Schrobeck war ein kleiner, vielbesuchter Badeort, den die Bewohner -der Provinz häufig zu Sonntagsausflügen benutzten. Für gewöhnlich war -er nur sehr stark von alten Damen frequentirt, daher er für einen -jungen Mann wenig Anziehendes bot. Aber Schrobeck war nun einmal der -nächste zu erreichende Ort -- und für Schrobeck entschied sich Karl. -Ein flüchtiges Bedenken erregte ihm die undeutliche Vorstellung, daß -eine alte Tante Amalie, die er zu besitzen sich rühmen durfte, meist -um diese Zeit des Jahres in Schrobeck zu weilen pflegte, -- aber er -tröstete sich mit den beliebten »Vielleichts«: »vielleicht ist sie -jetzt noch nicht da!« oder »vielleicht sieht sie mich gar nicht,« -kurz, er sprang auf und nahm aus seinem etwas sparsam ausgestatteten -Bücherschrank ein Coursbuch, in dessen Studium er sich eifrig vertiefte. - - -II. - -Als Resultat dieser Abendlektüre sehen wir Karl am nächsten Morgen in -grauem Reiseanzuge mit blauer Kravatte und einer gestickten Reisetasche -mit Rosen und Veilchen im Wartesalon des Bahnhofs sitzen, die frühe -Stunde -- sechs Uhr -- hatte dem Landmann keine Ueberwindung gekostet, -denn »fort, -- nur fort!« war seine Losung und der erste Zug ging -um sechs Uhr zwanzig Minuten. Sein Platz war so gewählt, daß er der -Eingangsthür den Rücken wandte und doch im Stande war, mit Hülfe eines -ihm gegenüber hängenden großen Spiegels Alle zu beobachten, die den -Wartesaal betraten. - -Bis jetzt hatten noch nicht Viele seine Aufmerksamkeit zu fesseln -vermocht, -- zwei verschlafene, verdrießlich aussehende Damen, deren -eine ein Kind in unaufhörlich schaukelnder Bewegung erhielt, ließen -in ihm nur den Gedanken aufsteigen: »Gott bewahre mich vor solcher -Gesellschaft!« Dann befand sich ein Handlungsreisender in seiner Nähe, -der zum Benefiz der Kellner und der kaffeeschenkenden Nymphe am Büffet -sich in zahllosen Scherzen und Scherzchen erging, -- vor diesem graute -ihm noch weit mehr! Die einzige, wirklich gut aussehende Mitbewohnerin -dieses interimistischen Aufenthalts war eine kleine, sehr hübsche -Brünette, die mit einem schwarzen Hütchen geschmückt war, auf dem sehr -naturgetreue, rothe Kirschen jeden Sperling hätten durstig machen -können. Die kleine Dame sah, gegen die Gewohnheit des alleinreisenden -weiblichen Geschlechts, ganz sicher und vergnügt aus, und aß, trotz der -frühen Morgenstunde, unverdrossen Pfefferkuchen. - -»Das wäre schon eher Etwas!« dachte Karl bei sich. - -In diesem Augenblick empfand er jene heftige, schreckhafte Bewegung, -bei der wir, wie der Volksmund sagt, aus der Haut fahren möchten. -Seine Augen erblickten im Spiegel zwei Gestalten, deren Erscheinen in -ihm den unmännlichen Wunsch rege machte, sich sofort unter den Tisch -zu verkriechen, was doch nicht anging, ohne unerwünschtes Aufsehen zu -erregen. - -Ein etwa vierzehnjähriger Bursche, blond, blauäugig, stumpfnäsig, mit -einer zierlichen Ledertasche und mehreren Paketen beladen, hatte den -Raum betreten, gefolgt von einer jungen Dame mit sehr ähnlichen blauen -Augen, blonden Haaren und einem großen Hut, der vergebens die Röthe der -Augenlider zu verdecken bestrebt war, -- Fränzchen und ihr ältester -Bruder! - -In Karl's Gehirn führten allerlei Gedanken einen verworrenen Tanz aus, --- er fühlte den unbestimmten Wunsch, etwas zu unternehmen, -- und -zugleich die beschämende Zuversicht, daß es etwas Dummes sein würde, -- -endlich that er, was meist das Klügste ist, was man thun kann, -- wenn -es die Menschen nur einsehen wollten! -- er wartete ab! - -Fränzchen achtete nicht auf ihre Umgebung, sie stützte den Kopf in die -Hand und sah vor sich nieder, der sie begleitende Knabe Fritz dagegen -ließ seine munteren Augen im ganzen Saal umherschweifen, bis sie -glücklich im Spiegel Karl's wohlbekannte Züge entdeckt hatten. Doch -im selben Moment fuhr der Zeigefinger des Spiegelbildes blitzschnell -nach den Lippen, und Fritz, der einer der pfiffigsten Sekundaner des -neunzehnten Jahrhunderts war, begriff, -- und nickte! Ja, noch mehr, --- als Karl mit der Hand nach dem soeben geöffneten Perron zeigte, -dann auf sich selbst und schließlich auf Fritz, Fränzchen aber durch -ein abwehrendes Kopfschütteln bezeichnete, begriff der kluge Fritz -sofort, Karl wolle ihn allein sprechen, und seine etwas unsichere -Knabenstimme machte der Schwester den Vorschlag, er wolle in dem schon -draußen haltenden Zuge einen Platz für sie belegen, sie solle ruhig -hier bleiben. - -Fränzchen nickte nur matt mit dem Kopf und legte dann wieder die Hand -über die Augen. Karl konnte also unbemerkt den Saal verlassen und den -Perron betreten, dessen Uebersicht dem Mädchen durch einen dicken -Wandpfeiler unmöglich wurde. - -Fritz, der während dessen an den Coupés umherirrte, wurde, wie die -Taube vom Stoßvogel, von Karl gepackt und festgehalten. - -»Wo wollt ihr hin, Unglückskinder?« stieß Karl hervor, den Sekundaner -mit Blicken durchbohrend. - -»Nach Schrobeck,« erwiderte dieser, sich mit einer mehr kräftigen als -anmuthigen Bewegung von den Händen befreiend, die seine Schultern -hielten. - -»Nach Schrobeck?« wiederholte Karl dumpf, »dachte ich mirs doch! Aber -warum gerade dorthin?« - -»Weil Tante Amalie dort ist, -- ich bringe die Fränzchen nur vor der -Schule auf den Bahnhof, -- sie fährt allein!« - -»Und ich fahre auch nach Schrobeck,« sprach Karl in düsterem Tone, sein -Billet emporhaltend. - -Fritz beantwortete diese Mittheilung durch ein so unauslöschliches -Gelächter, daß mehrere Bahnbeamte sich argwöhnisch und neidisch nach -dem Eigenthümer so vieler Heiterkeit umsahen. - -»Was lachst du denn, dummer Junge?« rief Karl jetzt ergrimmt, »sage -lieber, wie Fränzchen so plötzlich darauf kommt, abzureisen! Gestern -Abend war doch noch gar nicht davon die Rede!« - -»Denkst du denn, ich weiß gar nichts,« erwiderte Fritz, dessen -Schlauheit bereits keine Grenzen mehr kannte. »Die halbe Nacht ist noch -bei uns ein fürchterlicher Spektakel gewesen, -- Fränzchen hat geweint, -der Vater hat gezankt, sie sei ein dummes Ding, die nicht wisse, was -sie eigentlich wolle, und sie solle gleich zur Tante reisen, bis sie -zur Vernunft gekommen wäre. Dann hat mir der Vater einen Brief gegeben, -den sollte ich zu dir tragen, wenn ich aus der Schule käme, -- da du -aber nach Schrobeck fährst, behalte ich ihn natürlich!« - -»Her mit dem Brief!« herrschte Karl mit so wildem Ton und Blicke, daß -Fritz, vor diesem furchtbaren Anblick erzitternd, den Brief aus der -Tasche zog und Karl einhändigte. - -Dieser überflog ihn, dann glitt ein triumphirendes Lächeln über sein -Gesicht, er faltete den Brief zusammen, steckte ihn in die Tasche und -wandte sich wieder zu Fritz. - -»Höre Fritz, -- in diesem Zuge giebt's keine Damencoupés. Du belegst -hier in diesem Wagen einen Platz für Fränzchen, -- ich lasse meine -Reisetasche in die Ecke legen und komme nicht eher auf meinen Platz, -bis der Zug eben fortfahren will.« - -Fritz nickte und erklomm das bezeichnete Coupé. - -Nach wenig Minuten brachte ein blaujäckiger Dienstmann Karl's -Reisetasche und legte sie auf den Eckplatz. Fritz begab sich wieder in -den Wartesaal, um seine Schwester zu rufen, -- es klingelte zum ersten -Mal. - -Karl sah hinter der Gardine des nächsten Wartezimmers zum Fenster -hinaus. - -»Hier, Fränzchen!« rief der wohlinstruirte Fritz und half der Schwester -in das Coupé steigen, an dessen Fenster ein Täfelchen mit der -bedeutsamen Inschrift prangte: »Für Nichtraucher!« - -»Kein Damencoupé?« frug das Mädchen schon im Einsteigen. - -»In diesem Zuge giebt's keine Damencoupés,« lautete die Antwort, und -Fränzchen nahm ihren Platz gerade der gestickten Reisetasche gegenüber, -um den Anblick der brüderlichen Stumpfnase noch so lange als möglich -zu genießen. - -Fritz hatte den Wagentritt bestiegen und nahm noch allerlei Aufträge in -Empfang. - -»Erlauben Sie, junger Herr,« sagte da eine muntere Stimme hinter ihm, -und die junge Dame mit dem Kirschenhut bestieg den Wagen und nahm die -dritte Ecke an der andern Seite ein. - -»Ob das Karl lieb sein wird?« dachte Fritz bedenklich, -- doch da er -nicht befugt war einzuschreiten, schwieg er wohlweislich. - -Um so gesprächiger war die Neueingetretene vom ersten Augenblick an, -sie klagte über die Hitze, legte ihr Hütchen ab und bot Fritz und -Fränzchen gutmüthig von dem Pfefferkuchen an, den sie in unvertilgbaren -Quantitäten bei sich zu führen schien. - -»Ich fahre nicht mehr allzu lange,« sagte sie jetzt, sich bequem in die -Ecke zurücklehnend, »in Eisdorf steige ich aus. Sie auch, Fräulein?« - -»Ich habe noch eine Station weiter bis zu meinem Ziel, -- ich will nach -Schrobeck,« erwiderte Fränzchen müde. - -Ein erneutes Klingeln, -- ein kurzer, zwitschernder Pfiff ließ sich -vernehmen, -- Fritz wurde höflich ersucht, seinen erhabenen Standpunkt -zu verlassen, -- und eben wollte der Beamte die Thür zuschlagen, als -in vollem Lauf ein uns wohlbekannter, graugekleideter Herr über den -Perron eilte, in den Wagen sprang und kaum darin war, als der Zug sich -in Bewegung setzte. - -Karl hatte in diesem Augenblick einen bedeutenden Vortheil über -Fränzchen, -- er wußte, was ihm bevorstand, und vermochte es in Folge -dessen, seinen Hut abzunehmen und beide Damen wie fremde Mitreisende -zu grüßen. Fränzchen aber, gänzlich unvorbereitet, starrte ihn mit -weitgeöffneten Augen an, als sehe sie einen Geist, und wechselte -unaufhörlich die Farbe. - -Die kleine Dame mit dem Kirschenhut blickte verwundert von Einem zum -Andern, von dem so sehr gefaßten, jungen Mann zu dem fassungslosen -Mädchen, -- und schüttelte unmerklich den Kopf. - -Karl aber that ganz, als wenn er zu Hause wäre. Er legte seine -Reisetasche in das oberhalb angebrachte Netz, den Hut daneben, und -begann dann, über Fränzchen weg, die kleine Brünette mit freundlichem -Wohlgefallen anzusehen. Er suchte in seinem Herzen nach einem -Vorwand, um sich zu ihr zu setzen und Fränzchen durch Entfaltung -seiner glänzenden Unterhaltungsgabe tief fühlen zu lassen, =wen= sie -verschmähte. - -Um Karl's veränderte Stimmung und gehobenen Muth zu begreifen, bedarf -es nur eines Einblickes in den Brief, den ihm sein hoffentlicher -Schwiegervater geschrieben hatte. Dieser Ehrenmann that ihm schwarz -auf weiß zu wissen, daß Fränzchen gleich nach seinem Weggehen den -ausgetheilten Korb bitter bereut und sich des schwärzesten Betragens -angeklagt habe. Von seinem Vorschlag aber, Karl diese Mittheilung -zu machen, habe sie unter keiner Bedingung etwas hören wollen, -wahrscheinlich weil das gegen ihre Würde gestritten hätte. So habe -denn der Vater beschlossen, um ihr über die nächsten, unbehaglichen -Tage hinwegzuhelfen, sie auf eine Woche zu Tante Amalie nach Schrobeck -zu schicken, und glaube er, seinem lieben Karl die Versicherung geben -zu dürfen, daß, falls er nach Ablauf dieser Frist noch einmal anfrage, -er ein um so freudigeres »Ja« für das trotzige »Nein« von gestern -erwarten dürfe. - -So wußte denn unser Held, woran er war, -- und wer das =nicht= weiß, -kann erst den unschätzbaren Werth dieser Kenntniß ganz würdigen. - -Der Vorwand seinen Platz zu wechseln, fand sich bald. Die Kirschendame -stand auf und rüttelte mit beiden Händen an dem geschlossenen -Coupéfenster. Es wich ihren Anstrengungen nicht sogleich und -Karl sprang mit einem verbindlichen »erlauben Sie mir!« auf die -gegenüberliegende Seite und öffnete das Fenster, sich bequem an diesem -niederlassend. - -Die lustige, kleine Dame war hoch erfreut, ihre sehr unfreiwillige -Schweigsamkeit aufgeben zu müssen. Karl eröffnete die Unterhaltung mit -der geistreichen Bemerkung: - -»Jetzt ist es nicht mehr so heiß, durch das offene Fenster kommt ein -angenehmer Luftzug.« - -Die kleine Dame nickte mehrmals mit dem Kopf zum Zeichen der -Zustimmung, und fügte bei: - -»Darum kam ich eben auf den Gedanken!« - -»Es war ein sehr kluger Gedanke,« sagte Karl verbindlich. - -Die Kirschendame sah geschmeichelt aus und bot Karl von ihrem -Pfefferkuchen an. - -»Herren essen zwar so etwas nicht gern,« bemerkte sie. - -»Aus so schönen Händen,« erwiderte Karl, der schon merkte, daß diese -Waare hier guten Absatz fände. - -»O, bitte,« erwiderte sein _vis-à-vis_ erfreut. - -Fränzchen sah unbeweglich zum Fenster hinaus. Das war zu stark, daß -Karl noch nicht vierundzwanzig Stunden nach dem betrübenden Vorfall -in ihrer Gegenwart so harmlos lustig sein und dieser kleinen, -unternehmenden Person schöne Redensarten machen konnte! Sie war sehr -erbittert und durfte sich doch nicht verrathen! - -Drüben ging indeß die Unterhaltung unermüdlich fort, die kleine Dame -lachte über Karl's Einfälle, die meist mehr durch Vortrag als durch -Neuheit glänzten, -- sie lachte so laut und herzlich, daß sie sich -die Augen trocknen mußte. Karl hatte aber heute lauter selbstische -Zwecke im Auge, -- erstens wollte er Fränzchen ärgern und sodann sein -_vis-à-vis_ günstig stimmen, damit sie ihm das Rauchen erlaubte. -Bescheiden brachte er die Anfrage vor. - -»Bitte, rauchen Sie,« sagte seine gemüthliche neue Freundin, »wenn es -die andere Dame nicht genirt?« - -Karl wandte sich mit einer verbindlichen Bewegung an Fränzchen, mit -gezücktem Streichholz. - -»Ich bedaure sehr,« erwiderte sie in eiskaltem Ton, »das Rauchen macht -mir Kopfweh.« - -Das war aber unrichtig, wie Karl genau wußte. Schwer geärgert über -diese Ungefälligkeit, vergaß er die gebotene Vorsicht. - -»Du hast es doch immer vertragen,« fuhr er heraus, biß sich aber -erschreckt auf die Lippe, als die Kirschendame sichtlich die Ohren -spitzte und Fränzchen, dunkelerröthend, sich zum offenen Fenster -hinausbog. - -Die Kirschendame ertrug's nicht länger. Sie beugte sich zu Karl hinüber -und sagte lautlos, nur mit den Lippen: - -»Frau!« - -Er schüttelte den Kopf. - -»Braut?« im selben Ton. - -Karl bedachte sich nicht lange, sondern nickte frischweg. - -»Gezankt?« deutete das _vis-à-vis_ an. - -Abermals nickte er. - -»O,« sagte das Fräulein jetzt mitleidig und hätte wohl noch weiter -geforscht, wenn nicht in dem Moment der Zug gehalten hätte. - -»Station Eisdorf,« rief der Schaffner. - -Die kleine Dame begann sofort in fieberhafter Angst ihren Hut, -ihre Schachteln und ihren Pfefferkuchen zu erfassen und mit einem -bedeutungsvollen: »Glückliche Weiterreise, meine Herrschaften!« verließ -sie den Wagen und taumelte in die Arme einer großen Familie, die sie -erwartet hatte. - -Langsam setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Karl sah nun -seinerseits zum Fenster hinaus. - -»Nur sich nichts vergeben!« dachte er. - -Ein zaghaftes »Karl!« veranlaßte ihn, sich umzuwenden. - -»Karl, willst du nicht deine Cigarre anzünden?« - -»Du bist sehr freundlich,« sagte er kurz, und bald schwebten die blauen -Dampfwolken zum Fenster hinaus über die grünen Felder. - -Mehrere Minuten vergingen, -- Karl überlegte, was er wohl jetzt sagen -sollte, -- er beschloß, dem Mädchen seine Launenhaftigkeit ernstlich -zu Gemüth zu führen, -- und während er sich diese Worte in Gedanken -zurechtlegte, störte ihn ein leises Schluchzen. - -Er schielte vorsichtig herum und sah Fränzchen mit dem Tuch vor dem -Gesicht, in Thränen aufgelöst, in der Ecke lehnen. Da schmolz sein -ohnehin nicht sehr hartes Herz und mit einem Satz war er neben ihr. Zu -einer leidenschaftlichen Liebeserklärung hatte Karl gar kein Talent, -- -und so mögen unsere Leserinnen verzeihen, daß er sich seinem Charakter -gemäß ausdrückte. - -»Aber sage mir einmal, Fränzchen, wozu machst du nun dir und mir das -Leben schwer? Wärst du vernünftig gewesen und hättest gestern Abend -'Ja' gesagt, wie du doch meinst, -- nein, sei still, ich weiß es ganz -gut, -- da säßen wir heute als glückliches Brautpaar in Eurer Wohnstube -und Abends führen wir mit dem Vater zu mir heraus und du sähest dir die -blaue Tapete an, die du ja selber ausgesucht hast.« - -Sie lachte unter Thränen und schüttelte den Kopf. - -»Nun, freilich hast du sie selber ausgesucht,« fuhr Karl gemüthlich -fort, »und wir Beide, die sich schon gemeinsam die Wohnung eingerichtet -haben, fahren hier, wie die Landstreicher, in der Eisenbahn, als -wüßten wir nicht, wo wir hingehören! Nein, Fränzchen, wie soll das -später werden, wenn wir da draußen auf dem Lande allein sitzen, und du -willst so unvernünftig sein! Das geht nicht, und jetzt steh' auf und -sage: 'Ich will sehr gut folgen, lieber Karl!'« - -Er zog sie an der Hand empor und sie sprach zwischen Lachen und Weinen -die bedeutungsvollen Worte nach. - -»So,« sagte Karl nach einer Weile, als die erste Rührung beiderseits -überstanden war, -- denn, gestehen wir es, auch unserem Helden wurde -die Stimme etwas unklar, -- »nun will ich dir auch beichten, -- ich -habe dich schon Jemandem als meine Braut vorgestellt!« - -»Wem denn?« frug Fränzchen erstaunt. - -»Der kleinen Dame mit dem Kirschenhut,« erwiderte Karl ruhig, »was -hätte die sich sonst denken sollen?« - -»Station Schrobeck,« rief der Schaffner, die Thür öffnend. - -Unser Paar sah sich bedenklich an. Karl als Herr und Gebieter beschloß, -was zu thun sei. - -»Wann geht der nächste Zug nach L.... zurück?« frug er, den Namen von -Fränzchens Heimathsort nennend. - -»In einer halben Stunde.« - -»Nun, Fränzchen,« sagte Karl heiter, »dann fahren wir in einer halben -Stunde hübsch zu deinen Eltern! Aber was thun wir die halbe Stunde? Nur -nicht zu Tante Amalie,« schauderte er. - -»Wir trinken hier auf dem Bahnhof Kaffee,« schlug Fränzchen vor. - -»Bravo,« rief Karl und schlug dröhnend in die Hände, »du bist die -richtige Frau für mich! Natürlich trinken wir Kaffee!« - -Und nach einer halben Stunde saß das neue Brautpaar wieder im -Eisenbahnwaggon und dampfte den Weg zurück, den es vor wenig Stunden -gekommen war. Lassen wir sie ruhig ziehen, -- die kommen durch die -Welt! - - - - - Der tolle Junker. - - - »Sie haben mich gezwungen zu einem ehrlichen Mann.« - -Die zu ebener Erde belegene Weinstube von Gerhold war heute schon fast -leer und nur eine einzige Gruppe nahe dem Fenster schien ausharren zu -wollen, bis der Herbstmorgen dämmerte. - -Drei oder vier Herren saßen bei einigen Flaschen Wein in lebhaftem -Gespräch und zwei andere waren an einem Billard beschäftigt. Die -Spieler gehörten anscheinend zu der sitzenden Gesellschaft, denn ab und -zu warf einer von ihnen eine kurze Bemerkung in die Unterhaltung am -Tisch. - -Jetzt öffnete sich die Glasthür, die von der Straße aus in das Zimmer -führte, noch einmal, und ein Herr in mittleren Jahren, blond, blaß und -vornehm aussehend, trat ein, warf seinen Oberrock ab und näherte sich -der Versammlung am Fenster, welche ihn lebhaft begrüßte, während die -Billardspieler seinen Eintritt noch nicht zu beachten schienen. - -»Nun, Raven, Sie eröffnen die Saison recht früh,« bemerkte einer der -bereits Anwesenden, »es ist doch sträflich, im September schon in -Gesellschaft zu gehen.« - -»Was haben Sie da?« sagte der als Raven Angeredete, »_château d'Yqum_? -Schön, ich bin von der Partie! Und was die Gesellschaft betrifft, so -werden Sie mir zugeben, daß man Ausnahmen macht; ich wette, Sie Alle -hätten heut Abend mit mir getauscht, ich war bei Ertings und habe im -kleinen Kreise die Verlobung mitgefeiert.« - -Bei diesen Worten wandte sich einer der Herren am Billard rasch um; er -hatte ein scharfes, geistvolles Gesicht, dessen dunkle Augen durch eine -goldene Brille blickten, ohne darum weniger jugendlich auszusehen. - -»Ei, da ist ja auch unser Hippokrates!« sagte Raven, dem allbeliebten -jungen Arzt die Hand schüttelnd; »nun, Doktor, ist Alles zu Tode -curirt, daß Sie 'mal Zeit haben, hier Billard zu spielen? Welch -glänzendes Zeugniß für den Gesundheitszustand unserer Stadt!« - -»Berufen Sie mein Glück nicht!« erwiderte Doktor Stein, »ich bin selbst -ganz erstaunt über diesen Ausnahmezustand, und habe zu Hause Befehl -gegeben, mich für alle, außer die dringendsten Fälle, zu verleugnen. Da -ist übrigens mein letzter Ball gemacht, Schrader, für heute sind wir -quitt!« - -Er warf die Queue auf das Billard, trat zum Tisch und schenkte sich ein. - -»Und nun,« sagte er, sich einen Stuhl heranziehend, »erzählen Sie vom -Verlobungsfest, Raven, das ist ja interessant!« - -»Ja, ja,« riefen die Anderen durcheinander, »erzählen Sie, wie war das -Arrangement, und wie benahm sich das Brautpaar?« - -»Das Arrangement war tadellos, wenn Sie das Büffet meinen,« sagte -Raven, »es hatte nur wieder den alten Erting'schen Fehler, weniger -wäre mehr gewesen! Ich bitte Sie, für eine Gesellschaft von zwanzig -Personen ein Souper wie bei Hofe, Sect in Strömen -- nun, wir können es -ja haben!« - -»Und das Brautpaar?« - -»Der Bräutigam war still, ängstlich und gutmüthig wie immer, die Mama -soufflirte ihm beständig! Er glaubte, seinen Geschmack durch seine -Wahl genügend bewiesen zu haben, und hatte sich im Uebrigen nicht mit -dem Artikel angestrengt, brillantne Vorstecknadel und mehr Ringe wie -Finger! Nachdem mich ein schaudernder Blick darüber belehrt hatte, war -ich unfähig, noch einmal hinzusehen. Die Alteration konnte mir schaden, -man muß auch an sich selbst denken!« - -»Sie sind ein malitiöser Mensch,« sagte der Doktor. »Ludwig Erting -ist ein guter, anständiger Kerl, der sich immer als solcher benehmen -wird, wenn ihm auch die Lächerlichkeiten seiner Mutter ankleben. Wäre -er innerlich anders, so würde Edith Brandau ihm auch nie ihr Jawort -gegeben haben, verlassen Sie sich darauf!« - -»Vergessen Sie die anderthalb Millionen nicht, bester Stein, die diesem -Juwel als Fassung dienen!« - -»Aber erzählen Sie weiter, Raven, wie sah die Comtesse aus?« - -»So schön wie immer, oder vielleicht noch schöner,« sagte Raven, -»blaß, ernst und still! Ganz in Weiß mit einer alterthümlichen, feinen -Goldkette wohl zehnmal um den Hals geschlungen, wie ein Aquarell von -Passini!« - -In diesem Augenblick rasselte draußen ein schwerer Wagen, er hielt -vor der Thür des Weinhauses und ein graubärtiger Mann in Hut und -Kutschermantel trat hastig und verstört in die Stube. - -»Das gilt mir!« sagte der Arzt und ging dem Ankommenden entgegen. - -»Herr Doktor, Sie müssen gleich mitkommen,« begann der Alte mit -unsicherer Stimme, die noch mehr seine Angst verrieth, als das bleiche -Gesicht, »unser Herr liegt im Sterben!« - -»Was Teufel!« rief der Doktor und fuhr schon mit einem Arm in den -Ueberzieher, während er sich von den Anderen verabschiedete, »ich -empfehle mich bis auf Weiteres meine Herren, hoffe, es wird so schlimm -nicht sein!« - -»Wer ist denn krank?« fragte Raven den Eilfertigen. - -»Der alte Baron in Wolfsdorf,« rief der Doktor schon im Hinausgehen, -die Thür klirrte ins Schloß und wenig Augenblicke darauf rasselte der -schwere Landwagen über das Straßenpflaster. - -Ernüchtert durch diesen Zwischenfall, kehrten die Herren zu ihrem Tisch -zurück und begannen sich auch zum Aufbruch zu rüsten. - -Raven hatte sich mit Schrader von den Anderen getrennt. - -»Seltsam,« begann er jetzt, als sie mit einander durch die -menschenleeren, mondhellen Straßen schritten, »wie diese Botschaft für -den Doktor an unser Gespräch anknüpfte!« - -»Inwiefern?« frug sein Begleiter überrascht. - -»Ja so, Sie sind hier fremd in der Gegend! Sie müssen wissen, Brandeck -und Wolfsdorf grenzen, und Edith Brandau war als Kind mehr bei dem -alten Baron Rüdiger als bei ihren Eltern, die sie, glaube ich, etwas -vernachlässigten. Der alte Wolfsdorfer hat einen Neffen, auch einen -Rüdiger, der bei ihm aufwuchs, und der, wie man sagte, eine Art -Jugendliebe oder Kinderliebe der schönen Edith war.« - -»Und warum wurde nichts daraus?« - -»Pah, weil es eben ein Unsinn war! Der junge Mensch hatte nichts und -war nichts, ein Tollkopf vom reinsten Wasser. Und Brandau's -- _cela va -sans dire_ -- dadurch, daß Edith statt des erhofften Sohnes kam, ging -ihnen das Majorat durch die Finger, von dem Ertrag des verkommenen, -verwirthschafteten Brandau konnten sie eben existiren! Ueberdies bekam -der junge Rüdiger wegen ein paar ganz besonders tollen Streichen -den Abschied und ging als Fähnrich oder blutjunger Lieutenant nach -Australien, man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Und seine schöne -Jugendliebe ist ja getröstet, wie ich mich heute überzeugen konnte!« - -Sie waren bei ihrem Gespräch vor Ravens Haus angelangt. - -»Wie ist mir denn,« sagte Schrader, »das Majorat ist einer andern Linie -zugefallen? Und dabei sprach Comtesse Edith doch öfters von einem -Bruder!« - -»Stiefbruder, Bester, Stiefbruder! Die alte Brandau hat aus erster Ehe -einen Sohn, Carl Düringshofen, ein leichtsinniger Junge! Er steht bei -den Husaren in M... Jetzt aber gute Nacht, Schrader, schlafen Sie aus, -es ist sündhaft spät geworden!« - -Die Hausthür schloß sich hinter ihm, und Schrader trat den Heimweg an. - - - O Gürtel und Schleier, o bräutlich Gewand! - Der Heini von Steier ist wieder im Land! - -Der Spätherbst rauschte in seinem rothgoldenen Mantel in voller Pracht -durchs Land. Er streute mit verschwenderischer Hand einen leise -knisternden Teppich aus gelben Blättern über die großen Rasenplätze im -Wolfsdorfer Park und verschüttete den breiten Wallgraben rings um das -Schloß mit dem Laub der uralten Weinstämme, die an den grauen Mauern -emporkletterten, und im Sommer als lichtgrüne Fahnen von den Thürmen -wehten. - -Der alte Baron Rüdiger, auf dessen Grabhügel jetzt die Octobersonne -schien, hatte seine Freude daran gehabt, dem Schloß sein -mittelalterliches Ansehen zu erhalten, und war es zum Theil verfallen -und düster, so that dies dem Charakter des Ganzen keinen Abbruch. Noch -immer mußte der einkehrende Gast der herabgelassenen Zugbrücke harren -und wurde vom Thurmwächter mit Hörnerschall begrüßt. Und daß alle diese -Einrichtungen noch auf Jahre hinaus unverändert blieben, dafür hatte -der seltsame alte Herr in seinem Testament gesorgt. - -Dies Testament hatte Aufsehen gemacht und die verschiedensten -Empfindungen und Gefühlsäußerungen im weitesten Kreise hervorgerufen. -Mit Umgehung zahlreicher, liebevoll besorgter Vettern, die es an -Erkundigungen und Besuchen bei dem kranken Oheim nicht hatten fehlen -lassen, ernannte der Verstorbene seinen Neffen, den verabschiedeten -Lieutenant Gerald von Rüdiger, zum Universalerben seiner beiden Güter, -Wolfsdorf und Ewershausen, und seines ganz ansehnlichen Vermögens. - -Ein Aufruf in allen Blättern meldete dem Betreffenden, dessen -zeitweiliger Aufenthalt unbekannt war, das Geschehene. »Falls er sich -nicht einstelle,« so lautete die letztwillige Verfügung, »sollte ein -Curatorium durch zehn Jahre lang die Güter für ihn verwalten, und ihm -bei seiner etwaigen Rückkehr unverzüglich übergeben.« Erst nach Ablauf -dieser Frist hatte der Erblasser anderweitig über den Besitz verfügt. - -Heut zu Tage fliegt ja Alles durch die Welt, und so konnte es -geschehen, daß wenig Wochen nach der Testamentseröffnung der -»verschollene« Rüdiger seinen Einzug in Wolfsdorf hielt, und mit -anscheinend leichter, aber doch sicherer Hand die Zügel der Regierung -ergriff. - -Er hatte von vornherein keinen schweren Stand mit seinen Untergebenen. -Die Leute hingen an dem alten Namen, sie hatten außerdem den -tollköpfigen Junker von klein auf gekannt und gönnten ihm sein -unerwartetes Glück und vor Allem, Rüdiger verstand es, mit ihnen -umzugehen. - -Wo er sich zeigte, mochte er zu Fuß über die Stoppeln schreiten, -und den Gruß der Vorübergehenden freundlich erwidern, mochte er in -der herrschaftlichen Loge der Dorfkirche sitzen, die Herzen flogen -ihm entgegen! Ein wildes Scherzwort, sein übermüthiges Lachen, sein -schönes, tiefgebräuntes Gesicht, in dem bei aller Formengewandtheit -und Sicherheit eine gewisse unbezähmte Kraft fremdartig anmuthete, hin -und wieder einer jener tollen Streiche, die ihn von Jugend auf zum fast -sagenhaften Helden der Umgegend gestempelt hatten, dabei seine warme, -offene Herzensgüte, die für jeden Bedrängten ein williges Ohr, eine -offene Hand hatte, alles Das kam zusammen, um seine Untergebenen mit -einer Art Eigenthumsrecht und Stolz auf ihn blicken zu lassen. - -So war er denn in der alten Welt schnell wieder heimisch geworden, -und fand sich in seine gänzlich veränderte sociale Stellung, vom -heimathlosen Abenteurer zum festen Grundbesitzer, mit der ihm eigenen -Leichtigkeit hinein; freilich behielt er nebenbei noch ein ganz -genügendes Anrecht auf seinen alten Namen »der tolle Junker!« - -Besuche in der Nachbarschaft hatte er noch wenige gemacht, er stürzte -sich vorläufig mit Feuereifer in die landwirthschaftliche Thätigkeit, -und jede freie Stunde fand ihn auf der Jagd in seinen ausgedehnten -Forsten. - -Man hatte es in dem benachbarten Brandeck in Folge dieses seines -zurückgezogenen Lebens bis dahin ermöglicht, der Tochter des Hauses, -Edith Brandau, die Heimkehr des Jugendgespielen zu verschweigen, was um -so leichter war, als sie bis zum gestrigen Tage in der Residenz ihre -Aussteuer besorgt hatte. - -Der Hochzeitstag rückte heran, im Anfang des Winters sollte der stolze -Name Brandau gegen den reichvergoldeten, aber bescheideneren Erting -eingetauscht werden. Man sah zwar in gut unterrichteten Kreisen -voraus, daß die Fürstin von T..., eine dem Herrscherhaus nahestehende -lebenslustige Wittwe, die Edith besonders liebte und bevorzugte, ihren -Einfluß geltend machen würde, um Erting den Adel zu verschaffen, doch -mußte dieser Schritt anstandshalber verzögert werden, bis die Trauung -stattgefunden hatte. - -Der Bräutigam war heute auch zum ersten Male seit der Verlobung auf -wenige Stunden nach Brandeck herausgekommen, und das Paar machte noch -einen kleinen Weg durch den Park, ehe Erting zur Stadt heimkehrte. - -Edith war im Reitanzug, sie wollte nach des Verlobten Abreise noch -einen ihrer einsamen Ritte durch den herbstlichen Wald unternehmen. -Erting bestieg nie ein Pferd, er vermochte es sogar selten über sich, -Ediths Rappen anders zu berühren, als daß er ihm mit weit von sich -gestrecktem Arm den Hals klopfte. Die Schüchternheit und Zaghaftigkeit -seines ganzen Wesens trat überhaupt auffällig zu Tage, nie aber mehr, -als im Zusammensein mit seiner Braut. - -Die alten Ulmen und Eichen im Park von Brandeck hatten wohl noch -kein so ungleiches Paar unter ihren Wipfeln hinschreiten sehen, als -heute an diesem Oktoberabend. Edith, hoch, blumenschlank gewachsen, -in der strengen Einfachheit ihres dunklen Reitanzuges, das schwarze -Hütchen tief in die Stirn gezogen, unter dem krauses, goldrothes -Haar in einen einzigen starken Zopf geflochten, über die Schultern -herabhing, bildete mit ihrer stolzen, sichern Haltung, ihrem anmuthig -festen Gange den schroffsten, fast komisch wirkenden Gegensatz zu -dem schmalschultrigen, blassen kleinen Manne mit dem festanliegenden, -schwarzen Haar, der im Gesellschaftsanzug und schwarzen Cylinder neben -ihr einherschritt. Das Gefühl des verlegenen Unbehagens, welches -ihm jedes Alleinsein mit seiner Braut verursachte, stand in seinem -gutmüthigen Gesicht geschrieben. Er peinigte sich beständig ab, etwas -zu finden, womit er Edith unterhalten könne, und es gelang ihm nie. - -Edith gab sich keine Mühe, ihm beizuspringen. Sie blickte gedankenvoll -in den zartnebeligen Wald hinaus, von dessen Wipfeln hier und da ein -goldschimmerndes Blatt langsam, leise zur Erde fiel. Ein schöner -Herbstabend ist ein mächtiger Zauberer; mit den weißen Fäden, die vom -Gewand des scheidenden Sommers in der Luft hängen bleiben, spinnt sich -gar zu gern ein Stück Vergangenheit im Menschenherzen wieder an, es -tändelt vor uns her, leicht und ungreifbar, wie die Schleier der Elfen --- und wenn wir die Hand darnach ausstrecken, legt es sich uns trüb vor -die Augen -- Herbstspiel! - -Endlich brach Erting das Schweigen. - -»Haben Sie noch einen Auftrag für mich, Edith? Ich kann ja Alles -bestellen! Vor Sonntag komme ich wohl nicht wieder heraus?« - -Es lag eine Art schüchterner Frage in dem letzten Satz, die Edith zu -überhören schien. - -»Ich danke Ihnen,« sagte sie freundlich; sie war stets sehr freundlich -gegen ihren Bräutigam, »aber ich glaube, es ist Alles besorgt, was man -überhaupt in der Welt besorgen kann, wir haben ja seit vierzehn Tagen -nichts Anderes gethan!« - -Ein Ausdruck von Abspannung und Müdigkeit lag auf ihrem Gesicht, sie -nahm den Hut ab und strich die dicken, goldenen Haarwellen aus der -Stirn wie eine Last. - -»Sie sehen bleich aus,« bemerkte Erting besorgt, »ist Ihnen auch unser -Spaziergang zu weit?« - -Sie schüttelte lächelnd den Kopf. - -»Vergessen Sie nicht, daß Sie ein Landmädchen vor sich haben, ich bin -an stundenlange Wege gewöhnt. Nein, es ist nur die köstliche Ruhe und -Stille hier, die mir plötzlich klar macht, wie unruhig mir die letzten -Wochen vergangen sind, man lebt doch nur halb, wenn man in der Stadt -lebt!« - -»Falls Sie den Wunsch hegen, Edith, daß wir aufs Land ziehen -- ich -habe ja keine bindende Stellung in W...., dann kaufe ich ein Gut -in der Nähe. Sie wissen ja, daß mich nur Ihre Wünsche bei meinen -Zukunftsplänen bestimmen!« - -»Nein, nein,« erwiderte sie müde und abwehrend, »was sollte das? -Sie sind kein Landmann und ich möchte mich in kein fremdes Gut mehr -einleben.« - -»Nun wir könnten ja Brandeck kaufen,« sagte Erting, »die Mama würde -gewiß ganz gern darin willigen, und der Kaufpreis müßte so gestellt -werden, daß er ihr eine sorgenfreie Existenz ermöglichte.« - -Sie schnitt mit einer leidenschaftlichen Geberde seine Rede ab. - -»Hören Sie auf, es macht mich wild, wenn Sie von einem Kaufpreis für -Brandeck sprechen, Sie sollen es nicht kaufen, ich habe den dringenden -Wunsch, daß Karl es übernimmt.« - -»Ihr Bruder? Nun, Edith, das ist wohl ein wenig sanguinisch! Wenn -ich als Kaufmann nichts von Landwirthschaft verstehe, wird ein so -lebenslustiger Husarenlieutenant wohl auch kein Held darin sein!« - -»Man hat aber öfter den Fall gehabt, daß aus einem Husarenlieutenant -ein Gutsbesitzer wurde, als aus einem Kaufmann. Uebrigens sind Sie -nicht Kaufmann -- können Sie denn nie vergessen, daß Sie dazu erzogen -wurden?« - -»Gewiß nicht!« entgegnete er mit einiger Energie, »meine Neigungen und -Interessen ziehen mich zum Handelsstand, und wenn ich Ihnen auch mit -Freuden das Opfer bringe, demselben zu entsagen, so bin ich doch weit -davon entfernt, mich zu gut für einen Stand zu halten, dem mein Vater -seinen Reichthum und unsere ganze Familie ihre Stellung verdankt.« - -Sie blieb stehen. - -»Sie sind ein ehrlicher Mensch, Ludwig,« sagte sie, und gab ihm die -Hand, »und das habe ich gern! Seien Sie nicht böse, daß ich Sie hart -anließ, mir ist heut so grenzenlos nervös zu Muthe und ich habe Ihnen -ja von Anfang an gesagt, daß Sie kein leichtes Leben mit mir haben -werden!« - -Edith war bezaubernd, wenn sie liebenswürdig sein wollte und Erting, -der meist mehr Furcht vor seiner Braut empfand, als Liebe zu ihr -- -hatte er sie doch zumeist auf den Wunsch seiner Mutter gewählt -- -vermochte sich diesem Zauber auch nicht zu entziehen. Er beugte sich -über die schöne Hand, die seinen Ring trug, und führte sie an die -Lippen, das einzige Vorrecht, das ihm die Etikette im Brandau'schen -Hause und besonders die einschüchternde, kühle Freundlichkeit Ediths -während des Brautstandes gestattete. - -Eine kleine, von Seiten Ertings etwas verlegene Pause folgte, die er -endlich unterbrach, indem er seine Absicht aussprach, jetzt nach der -Stadt zurückzukehren, da er den Abend noch eine Versammlung zu besuchen -habe. - -»Darf ich vor Sonntag noch einmal herauskommen?« fragte er, als er sich -am Parkeingang von Edith verabschiedete. - -Eine leise Enttäuschung flog über ihr Gesicht. - -»Gewiß,« sagte sie dann, indem sie einen kleinen Tannenzweig -zerpflückte, und die einzelnen feinen Nadeln zerstreut in die Luft -warf, »kommen Sie, so oft Sie wollen, aber erwarten Sie nicht zu viel -von meiner Gesellschaft zu haben, ich genieße noch die Waldeinsamkeit -und meine schönen, langen Ritte -- und dann sind wir auch sehr fleißig -jetzt -- aber wie gesagt, kommen Sie nur!« - -Sie reichte ihm die Hand. - -»Wenn Sie ins Schloß gehen, so sagen Sie Mama, ich hätte meinen Ritt -für heute aufgegeben, bliebe aber noch ein wenig im Freien,« rief -sie ihm dann schon im Weitergehen zu, und während er stand und ihr -nachsah, verlor sich ihre schlanke Gestalt in der Herbstdämmerung der -Parkgänge. Sie schritt langsam, wie absichtslos, dahin, und erst, als -sie sich rechts gewandt hatte, und fast an der Grenze von Brandeck -angelangt war, wurde es ihr klar, daß sie, einem unbewußten Zuge -folgend, den Lieblingsplatz früherer Tage aufgesucht hatte. Es war ein -Theil des einstigen Gartens, den jetzt selten mehr ein Fuß betrat, und -der schon seit Jahren unbeachtet grünte und wucherte. Hier war es so -schweigsam und abgeschlossen, der leise Moderhauch am Boden welkender -Rosenblätter flog über die Beete und der schluchzende Ton einer kleinen -Fontaine machte die Stille nur bemerklicher. - -Als die schöne, junge Braut sich jetzt neben dem Marmorbassin jener -Wassersäule auf den Rasen niederließ und mit gedankenschweren Augen in -den blassen Abendhimmel sah, hätte die Elfe dieser einsamen Stelle, -die im Begriff steht, von ungeweihter Hand vertrieben zu werden, nicht -lieblicher verkörpert werden können. - -Vergangene Zeiten flogen ihrem Blick vorüber, eine längst in der Ferne -verhallte Stimme klang an ihr Ohr. Wie oft hatte sie früher hier -gesessen, das verschüchterte, kleine Mädchen, unbewillkommnet und -unbeliebt, scheu und wild, wie ein Geschöpf des Waldes. Bald gesellte -sich dann in ihrer Erinnerung die Gestalt des Jugendgespielen zu dem -Bilde des einsamen Kindes -- an diesem Plätzchen hatte er sie stets -zu finden gewußt. Die Lücke in der Hecke, die Brandeck von Wolfsdorf -trennt, war wohl längst zugewachsen. Wie schnell hatte er immer -durchzuschlüpfen verstanden. - -Dann saßen die Kinder zusammen, jagten sich, spielten, wurden größer -und ernsthafter, aus den Märchen, die sie sich erzählten, wuchs -langsam eine wahre Geschichte empor und sah sie mit hoffnungsfreudigen -Augen an! Dann kam eine Trennungszeit, ein paar tolle Streiche des -übermüthigen Spielkameraden, und ein kühler, stiller Sommermorgen, an -dem Gerald Rüdiger vor Sonnenaufgang an ihr Fenster kletterte, zum -letzten Lebewohl; damit war's aus gewesen! - -Von Liebe hatten sie Beide nie gesprochen, und wenn Edith im Herzen -daran geglaubt, so war sie eben thöricht gewesen; fünfmal hatten -seitdem die Rosen geblüht, und kein einziges Briefblatt, kein -Gruß aus der wilden Ferne, in die der Jüngling damals so kühn und -abenteuerlustig gezogen, hatte ihr bewiesen, daß er noch ihrer gedacht! - -Inzwischen war ihr Vater gestorben, grollend mit sich, mit seiner -Gattin, mit der ganzen Welt, vor Allem mit der Tochter, die ihm sein -Majorat gekostet -- und dann kam eine Zeit harter Entbehrungen, die -um so härter waren, als man dabei den Schein der Vornehmheit wahren -mußte. Es kamen unsäglich bittere Stunden, in denen die Mutter, sich -der ganzen Heftigkeit ihres ungezügelten Temperaments überlassend, es -Edith täglich und stündlich zum Vorwurf machte, daß sie geboren, daß -sie noch im Hause sei. Der bevorstehende Ruin ihres Stiefbruders, der -in einem Meer von Spielschulden zu versinken drohte, wurde natürlich -auf das verlorene Majorat zurückgeführt, kein Augenblick, der nicht -tausend Kränkungen für das Mädchen gebracht hätte! Und als nun wieder -ein Freier sich zeigte, ein Millionair, dabei nach allgemeinem Urtheil -ein braver, guter Mensch, der ihr seine Hand und sein fast fürstliches -Vermögen bot, da hatte sie freilich erst Nein gesagt, und tausendmal -Nein rief es noch heute in ihr, aber der leidenschaftliche Zorn der -Mutter, die flehentlichen Bitten ihres Stiefbruders, und endlich ihr -gekränkter Mädchenstolz, der nicht Einem nachtrauern wollte, der sie -so ganz vergessen, alles Das trat wieder vor ihr inneres Auge, als sie -frug, warum sie doch nachgegeben! - -Am Tage ging es gewöhnlich gut, ganz gut! - -Man ließ sie im wahren Sinne des Wortes nicht zu Athem kommen, die -Hochzeit stand ja nahe bevor, und die Fürstin von T.... hatte es sich -förmlich erbeten, für die Aussteuer sorgen zu dürfen. Edith mußte -tagtäglich mit ihrer unermüdlichen Beschützerin umher fahren, in den -glänzenden Läden der Residenz Bestellungen machen, Möbelstoffe und -Tapetenfarben wählen. Die Abende führten sie dann meist in Gesellschaft -oder ins Theater, und dem klösterlich erzogenen Mädchen war dies -Treiben so neu, so fremd und berauschend, daß sie zeitweise dachte, es -sei wohl wirklich ein glückliches Loos, das sie gezogen! - -Aber dann konnte eine stille duftige Fahrt durch den Sommerabend -kommen, ein einfaches Volkslied von alter Liebe und vergessener Treue -sich ihr auf die Lippen drängen, und aller trügerische Glanz war fort --- verwischt -- zwei übermüthige blaue Augen blitzten sie an -- und es -war Alles, Alles wieder wach in ihr, was sie so tief begraben geglaubt. - -Sie schrak zusammen und erhob sich. Gewiß vermißte man sie schon, wer -hatte sie auch geheißen, gerade heute den alten Platz aufzusuchen? -Sie schritt hastig vorwärts, um auf einem Umwege über die waldige -Fahrstraße ins Schloß zurückzukehren, und den Abendwind ihre heißen -Augen kühlen zu lassen, ehe sie der Mutter gegenüber trat. - -Als sie so in tiefen Gedanken dahinschritt, die Schleppe des -Reitkleides emporhaltend, einen Büschel frischen Haidekrauts im Gürtel, -mit dem ihre Hand spielte, ließ ein Knistern und Knacken in den Zweigen -sie überrascht aufsehen. Aber gingen sie denn wirklich um in der -Herbstsonne, die Geister der alten Zeit? - -Ein riesiger Bernhardinerhund sprang mit ungestümen Sätzen auf sie -zu, und hinter ihm stand ein hochgewachsener Mann mit tiefgebräunten, -wildschönen Zügen, nicht mehr der blasse, abschiednehmende Jüngling von -damals, aber wann und wo hätte sie diese Augen nicht erkannt! Stumm -und bleich wie ein Mondstrahl stand sie ihm gegenüber -- ihr war, als -müßte das erste Wort den Zauber brechen, und er wieder verschwinden auf -Jahre, auf immer! - -Und auch er sprach nicht, er sah fest und unverwandt auf den kleinen -Ring an ihrer Hand, den der letzte Sonnenstrahl eben auffunkeln ließ. -So standen sich Beide still gegenüber, Keins fand einen Laut zur -Begrüßung, an ihrem Fuß klirrten die goldenen Ketten eines reichen -Freiers, und er wußte es! - -Endlich überwand sich Edith zum ersten Wort, »wir haben uns lange nicht -gesehen, Gerald,« und streckte ihm die bebende, kleine Hand hin. - -Wie beängstigt von dem regungslosen Schweigen, in dem er verharrte, -ohne auf ihren Gruß zu antworten, fuhr sie hastig, mit fliegendem Athem -fort: - -»Ich war mehr wie überrascht, Sie so plötzlich vor mir zu sehen, seit -einigen Wochen bin ich von Brandeck fort gewesen und bei meiner Abreise -fehlte noch jede Nachricht über Sie, man hielt Sie allgemein für -verschollen.« - -»Das Gerücht ist ein wenig voreilig, wie Sie sehen,« erwiderte -er langsam und mit erzwungener Ruhe, »auch war die Annahme nicht -»allgemein,« wie Sie sagen. =Eine= hat immer von mir gewußt, haben Sie -sich in den ganzen, langen fünf Jahren nicht um meine Mutter bekümmert?« - -Seine Stimme war bei dem ehrlichen, einfachen Ton der Frage weicher -geworden, aber Edith erhob den Kopf so stolz, als wollte sie den -Vorwurf, der in den Worten lag, schon zurückweisen, ehe sie sprach. - -»Ich hatte keine Berechtigung dazu,« sagte sie kalt, »warum haben Sie -in den »ganzen langen fünf Jahren« nicht =einmal= direct von sich hören -lassen?« - -Er schwieg einen Augenblick und sah vor sich nieder. - -»Sie haben recht, Edith, ganz recht, aber wie Sie mich kennen, sollten -Sie nicht so fragen! Ich bin kein Federheld und hätte auch in den -ersten Jahren verzweifelt wenig Rühmenswerthes von mir zu erzählen -gewußt! Ich habe mich in allen Sphären des Lebens umhergetrieben, nur -in keiner, die ich Ihnen hätte anschaulich machen können oder mögen! -Sie wissen, ich habe es mündlich nie verstanden, mich besser zu machen -als ich bin, so wollte ich es auch schriftlich nicht versuchen. Und -da ich von meiner Mutter bis vor einem Jahr, wo ich sie verlor, immer -hörte, daß es Ihnen wohl ging, so nahm ich an, daß Sie auf dieselbe Art -auch von mir hören und an mich denken würden.« - -Sie unterbrach ihn mit einer stolzen Bewegung des Unmuths. - -»Sie haben mich zu hoch oder zu niedrig geschätzt, Baron Rüdiger; man -mag in meiner »Lebenssphäre« nicht so viel Kenntnisse erwerben, als Sie -Gelegenheiten hatten, zu thun, aber Eines habe ich gelernt, bis zur -Vollkommenheit -- zu vergessen, wo ich vergessen war!« - -Sie brach ab, und strich aufathmend mit der Hand über die Stirn. Er -stand schweigend vor ihr und sah sie traurig an, dann trat er einen -Schritt auf sie zu. - -»Edith,« sagte er, und bot ihr herzlich die Hand, »einen solchen Ton -mag ich nicht von Ihnen hören, ob ich ihn verdient habe oder nicht! Er -ist des Mädchens nicht würdig, die an einem kühlen Frühjahrsmorgen mit -Thränen in den Augen zu mir sagte, »wenn Sie auch wiederkommen, Gerald, -Sie werden mich als dieselbe finden, die Sie verlassen haben!« Diese -Worte haben mich auf all meinen wilden Wegen begleitet, Edith, ich -hörte sie, wenn ich des Abends mit meinen Jagdgesellen im Walde lag, -in den Schein des Wachtfeuers starrte und meine thörichten Träume von -der Heimath träumte. Wollen Sie wissen, was Der, der Sie »vergaß,« wie -Sie sagen, da träumte, Edith? Von einem alten Schloß, wild und einsam, -unter deutschen Buchen, in dem ich und noch Eine Abends am Fenster -standen, wenn die Nachtigallen schlugen --« - -»Hören Sie auf,« unterbrach ihn Edith mit zitternder Stimme, »selbst -wenn ich Ihnen glaubte, oder glauben wollte, ich habe nicht mehr das -Recht, solche Worte anzuhören -- ich bin Braut!« - -»Man hat es mir erzählt,« sagte Rüdiger finster, »und ich habe erst -gelacht, dann geflucht und mich immer wieder gefragt: was haben sie -mit meinem stolzen Mädchen angefangen, durch welche Teufelskünste ist -sie so weit gebracht worden, Ertings Braut zu werden! Edith, es wäre -zum Lachen, wenn es nicht so furchtbar ernst wäre! Wissen Sie, was Sie -thun?« - -Sie schwieg und kämpfte einen schweren Kampf mit sich, ehe sie -antwortete -- die Stimme vor ihr war ja doch und trotz Allem die Musik -ihrer Jugendjahre gewesen! Aber es war vorüber! - -»Sie haben eigentlich kein Recht zu dieser Frage,« erwiderte sie -hochmüthig, »aber ich will Ihnen antworten, um alter Zeiten willen! -Ja, ich weiß, was ich thue, Erting hat nicht nur mein Wort, sondern -ich schulde ihm aufrichtige Achtung und Dankbarkeit, weil er groß und -zartsinnig an uns gehandelt hat. Ist Ihnen das genug?« - -»Ja und nein,« sagte er, während er den Zorn niederzukämpfen suchte, -den ihr kalter Ton in ihm anfachte, »ich verstehe Sie, Edith -- in -dürren Worten, Erting hat Ihrem Stiefbruder die Schulden bezahlt, -und dafür sind Sie seine Braut geworden. Hölle und Teufel,« rief er -plötzlich, und schleuderte sein Gewehr, mit dem er gedankenlos gespielt -hatte, in jäh ausbrechender Wuth weit von sich, daß es mit dumpfem -Klange auf den Boden schlug, »daß ich hier stehen soll, ich vor allen -Menschen auf der ganzen Erde, und mit Ihnen Ihre Verlobungsgeschichte -verhandeln, Edith -- das ist mehr als ich ertragen kann. Machen Sie ein -Ende, sage ich, machen Sie ein Ende, meine Geduld hat ihre Grenzen!« - -»Und worin soll dies Ende bestehen?« frug sie, während sie ihn -unverwandt ansah. Wie gefiel er ihr in seinem urwüchsigen Zorn! - -»Sie sollen mir sagen, daß ich ihn, oder mich, oder Sie niederschießen -darf, daß diese ganze Brautschaft ein widerwärtiges, tolles Puppenspiel -ist, und Sie mir doch im Grunde treu geblieben sind, trotz aller Ihrer -schönen Reden.« - -Sie trat einen Schritt auf ihn zu. - -»Gerald, Gerald!« sagte sie in halb traurigem, halb leichtem Ton, und -legte ihre kleine Hand auf seinen Arm, »ich habe doch mehr gelernt, als -Sie in den fünf Jahren, mein alter Spielkamerad! Man kommt mit solchen -Sturmesflügeln nicht durch die Welt, glauben Sie es nur! Mir hat das -Leben die Schwungfedern schon geknickt, eine nach der andern, und ich -habe es ganz hübsch begriffen, daß man sich in Unabänderliches fügen -muß. Aber Sie, wie Sie da vor mir stehen, und mit dem Fuß aufstampfen, -ist es mir gerade, als wären wir um zehn Jahre jünger, und spielten -hier im Walde »Räuber und Prinzessin!« Sie sind wirklich noch ganz -derselbe --« - -»Der vor fünf Jahren aus dem Stubenarrest entwischte, und seine -Carrière in die Luft fliegen ließ, um Edith Brandau einen -Cotillonstrauß zu bringen. Sie mögen Recht haben,« sagte er spöttisch, -»nun, Sie haben ja Ruhe für uns Beide, ich könnte darin viel von Ihnen -lernen! Für heut ist wohl aber die Lektion beendet, ja? Ich darf mich -empfehlen, und Sie gehen ins Schloß zurück, Erting kommt doch gewiß zum -Thee, ich will Sie nicht aufhalten, Comtesse!« - -Er nahm seinen Hut auf, und ging mit tiefer Verbeugung. Als er einige -Schritte gethan hatte, rief Edith zögernd: »Gerald!« - -Er wandte sich hastig um. - -»Ihr Gewehr, Baron Rüdiger -- und Sie haben mir nicht Lebewohl gesagt!« - -Er kam langsam näher und hob das Gewehr vom Boden auf, dann stützte er -sich darauf und blieb einen Augenblick stehen. - -»Edith,« sagte er hart und kalt, »hüten Sie sich vor mir! Wie wir Beide -uns kennen, taugt es nicht, wenn Sie mit mir spielen wollten, wie -damals, wo ich für ein freundliches Gesicht von Ihnen bis ans Ende der -Welt gelaufen wäre. Ich bin zu alt dazu, Edith, und es könnte Ihnen -doch einmal verzweifelt schlecht gefallen, wenn ich Ernst aus dem -Spiel machen wollte! Ich habe noch ein gutes Theil Wildheit in mir, -lassen Sie mich lieber in Frieden -- es ist für uns Beide, und für Ihre -Porzellanpuppe von Bräutigam besser, wenn ich andere Wege gehe! Und -nun, gute Nacht Edith!« - -Er streckte ihr die Hand hin, sie nahm sie nicht. - -»Nein, Gerald,« sagte sie weich und traurig, »gehen Sie nicht so im -Zorn von mir fort! Ich habe vorhin, weil ich gekränkt war, nicht -bedacht, daß auch Sie im Augenblick etwas zu verwinden hatten, -wollen wir uns nicht gegenseitig verzeihen, Gerald? Es ist doch -wahrscheinlich, daß uns die nahe Nachbarschaft hier jetzt bisweilen -zusammenführt, sollen wir, zwei so getreue Kameraden von einstmals, -dann fremd und kalt an einander vorbeigehen? Ich bin ja ohnehin nicht -mehr lange hier --« - -Eine heftige Bewegung flog über ihr Gesicht und plötzlich brach ein -Strom von heißen Thränen aus ihren Augen, der zur Genüge bewies, daß -die Ruhe der letzten Stunden erkünstelt gewesen. - -»Edith, was thun Sie?« rief er, wie außer sich, und streckte die Arme -nach ihr aus. Aber sie hatte sich schon gefaßt, und wies ihn mit einem -energischen Kopfschütteln zurück. - -»Gerald, verstehen Sie mich recht,« sagte sie fest im Ausdruck, wenn -auch die Stimme noch bebte, »ich schäme mich dieser Thränen nicht, sie -waren ein Tribut an unsre schöne, lustige, traurige Vergangenheit, die -uns ja doch kein Mensch rauben kann! Aber wir leben in der Gegenwart, -Gerald, und dürfen nur danach fragen, ob wir recht thun, nicht ob es -uns gefällt! Dazu helfe mir Gott -- und Sie, mein alter Kamerad, Sie -werden mir dabei gewiß nicht hinderlich sein wollen! Gute Nacht Gerald!« - -Und während er noch erregt und zweifelnd stand, ohne ihr zu antworten, -verließ sie ihn, und ging nach dem Park zurück. Der höher und höher -steigende Herbstnebel schien, wie ein wallendes Meer, sie in sich -aufzunehmen, und als er sich hinter der verschwindenden Gestalt, einem -grauen Vorhang gleich, zusammen schloß, da erst empfand es Gerald mit -wildem Schmerz, daß er sie wirklich und unwiederbringlich verloren habe! - - - Gott schütz' Dich vor dem ungeschlachten, - Ohn Maßen groben Cavalier! - -Der große Wohlthätigkeitsbazar, der unter dem Protectorat der Fürstin -von T... alljährlich zum Besten eines von ihr gegründeten Krankenhauses -stattfand, wurde in diesem Jahre bei Lampenlicht abgehalten, wie böse -Zungen behaupteten, weil der Teint der hohen Frau nicht mehr so ganz -dem Tageslicht Probe hielt, wie in früheren Zeiten. - -Die Fürstin verkaufte zwar nicht selbst, aber sie ging ab und zu, und -war unermüdlich im Anordnen, wie in Allem, was in irgend einer Form -Vergnügen hieß. - -Edith Brandau hatte ihre Mitwirkung selbstredend zusagen müssen, -sie war schon von je durch ihre Erscheinung die Krone jedes solchen -Unternehmens, und jetzt, wo der etwas seltsame Brautstand die -allgemeine Neugier in Bezug auf das schöne Mädchen noch erregt hatte, -durfte man eine besondere Anziehungskraft für die Kauflust des -Publikums von ihr erwarten. - -Die Stunde, wo die Gesellschaft sich in die Verkaufsstätte drängte, -hatte noch nicht geschlagen, doch waren die Unternehmerinnen schon -erschienen, und nahmen beim strahlenden Lampenlicht an den sehr bunt -und geschmackvoll arrangirten Tischen Platz, während sie hier und da -noch einen Gegenstand in besseres Licht stellten, dort einen mehr -wohlgemeinten, als geschmackvollen Beweis des Wohlthätigkeitssinnes in -den Hintergrund schoben. - -Edith saß unbeschäftigt in ihrem Sessel zurückgelehnt. Ein mattblauer, -schwerer Stoff umrauschte sie, wie das Element, dem sie mit ihren -Nixenaugen und ihrem Goldhaar anzugehören schien. Neben ihr lag ein -riesiger weißer Camelienstrauß, die zarten Blumenblätter waren fast -nicht bleicher, als das Gesicht der schönen Braut, der sie in Ertings -Auftrage vor wenigen Augenblicken beim Eintritt in den Saal überreicht -wurden. - -Das Mädchen war in tiefes Sinnen verloren. Die kurzen Wochen, die -zwischen ihrer Unterredung mit Gerald und dem heutigen Abend lagen, -hatten ihr so manche Stunde gebracht, die jede Fiber ihres Herzens -erzittern ließ, und sie in den seltsamsten Conflict mit sich brachte. - -Zufall und Absicht verbündeten sich, um sie wieder und wieder mit dem -Jugendfreunde zusammenzubringen, und der auf »freundschaftlicher« -Basis angeknüpfte Verkehr, den ihr eigener Wille hervorgerufen hatte, -nahm nur zu bald die leidenschaftliche Färbung wieder an, die Geralds -ganzem Wesen seine Eigenthümlichkeit und seinen Reiz verlieh. Er hatte -sich mit scheinbarer Unbefangenheit im Hause ihrer Mutter eingeführt, -er, der sonst so ungestüm Reizbare, schien die Kälte der Gräfin, den -schlecht verhehlten Widerwillen Ertings nicht zu bemerken, für ihn -existirte nur Edith! - -Und sie hatte nicht die Kraft, ihm zu zeigen, daß es so nicht sein -dürfe -- hatte sie wenigstens nur, wenn er nicht in ihrer Nähe war! -Dann gelobte sie sich jedes Mal, sie wollte ihm mit klaren Worten -sagen, daß er lieber fernbleiben solle, daß es für alle Theile das -Beste sei, wenn er vor ihrer Hochzeit das Zusammentreffen vermeide, und -wenn er dann wiederkam, und sie den ganzen Zauber empfand, den seine -Stimme und seine Augen auf sie übten, dann tröstete sie sich mit jenem -gefährlichsten Trost: »es ist ja nicht auf lange, ich bin ja bald fort, -und einmal Frau, werde ich ihn nicht wiedersehen!« Und sie vermied es -nicht, wie sie gesollt hätte, ihn zu sprechen und ihm zu begegnen, -sie spielte ein gefährliches Spiel an einem Abgrunde, weil sie nicht -vergessen konnte, daß jenseits dieses Abgrundes die blaue Blume wuchs, -die Jeder träumt, und Jeder anders benennt und die ihr -- erste Liebe -hieß. - -Sie wurde aus ihren Gedanken durch ein plötzliches Geräusch gerissen. -Soeben erschien die Fürstin mit ihren Damen in den weit geöffneten -Flügelthüren. Mit einem prüfenden Blick überflog sie das Arrangement -der Tische, eine Verbeugungswoge begleitete sie von einer Verkäuferin -zur andern, bis sie den Brandau'schen Tisch entdeckte. - -Sie eilte mit ausgestreckten Händen auf Edith zu. - -»Seien Sie mir willkommen, mein liebes Kind,« sagte sie, und strich -zärtlich über das goldrothe Haar der jungen Dame, die sich tief -verneigte. »Sie sehen bleich aus! ich weiß, daß Sie sich heute opfern -durch Ihr Erscheinen, aber ich erkenne es auch an, glauben Sie mir!« - -»Wenn die Anwesenheit meiner Tochter wirklich ein Opfer ist, -Durchlaucht,« sagte die Gräfin Brandau, als Edith schwieg, und warf -ihr einen zornigen Blick zu, »so wäre es durch diese Anerkennung schon -reichlich vergütet!« - -Die Fürstin winkte begütigend. - -»Lassen Sie mir meinen Liebling unangefochten, Gräfin, sie hat das -Vorrecht, ein wenig launenhaft zu sein, es steht ihr ja doch Alles gut! -Und nun, meine liebe Edith, was haben wir hier? Wie ich sehe, sind noch -neue Schätze angekommen!« - -Während die Damen sich in die Besichtigung und Erklärung der -ausgestellten Gegenstände vertieften, und die Gräfin sich nach ihrem -etwas weiter entfernten Tische begab, begann der Saal sich langsam zu -füllen. - -Eine große Anzahl von Herren fand sich ein, unter ihnen die meisten -Vertreter jener Gesellschaft, die am Eingange unserer Erzählung in der -Weinstube zusammengesessen hatten, auch Raven fehlte nicht, und gab -seine gewohnten ironischen Bemerkungen über Menschen und Dinge zum -Besten, während er an den Verkaufsstätten entlang schritt. - -Nach einer Weile zeigte sich Ertings unscheinbare Gestalt, im Frack und -weißer Halsbinde, eine Rosenknospe im Knopfloch. Er ging langsam von -Tisch zu Tisch, wurde überall gerufen und aufgehalten, und kam endlich -bei seiner Braut an, gleichzeitig mit Raven, der eben die Fürstin -begrüßt hatte, und sich nun neben ihren Sessel placirte. - -»Nun, Herr Erting,« rief sie dem sich tief Verbeugenden entgegen, -»Sie kommen doch mit gefülltem Beutel? Ich hoffe um so mehr von Ihrem -Wohlthätigkeitssinn, als Sie den Gaben, die Ihnen diese Hand darreicht, -sicher nicht zu widerstehen vermögen.« - -»Erting verhält sich doch am Ende passiv,« sagte Raven für den verlegen -Verstummten, »er weiß, daß er bereits das Schönste zu eigen hat, was -ihm die Welt bieten kann, was sollte ihn da wohl noch verlocken?« - -»Das steht auf einem andern Blatt,« erwiderte die Fürstin, während ihr -Blick lächelnd Edith streifte, welche durch keine Miene verrieth, ob -sie Ravens Worte überhaupt gehört, »ich rede von Dingen die =gekauft= -werden können!« - -In dem Augenblick glitt ein schmerzlicher Zug über das bleiche, -schöne Mädchengesicht, sie wandte sich hastig ab und suchte in den -Gegenständen auf dem Tisch umher. - -Es blieb dahingestellt, ob Einer der Anwesenden den Doppelsinn der -Worte erfaßt hatte, oder nicht. - -Die Aufmerksamkeit der Fürstin richtete sich plötzlich auf den Eingang -des Saales, und sie wandte sich zu Raven. - -»Ich bitte Sie, Herr von Raven, wer ist der große, blonde Mann, der -eben eintritt? -- ach, Sie sehen ja nicht hin, dort im Jagdcostüm --« - -»Das ist der sogenannte »tolle Junker,« Baron Rüdiger, erinnern sich -Durchlaucht nicht mehr? -- der jetzt Wolfsdorf geerbt hat. Eine -sonderbare Idee, in =diesem= Aufzug hier zu erscheinen!« - -»Jedenfalls eine kleidsame Idee,« sagte die Fürstin, deren Augen immer -noch den Besprochenen fixirten, »das ist eine interessante Erscheinung; -wie kommt es übrigens, daß man diesen neuen Ankömmling noch gar nicht -zu Gesicht bekommen hat?« - -»Rüdiger liebt es, gegen die gesellschaftlichen Formen zu verstoßen, -Durchlaucht,« sagte Erting etwas bitter, »er sucht darin eine gewisse -Originalität!« - -»Das thut er =nicht=,« rief Edith plötzlich mit Energie und tief -erröthend, »er ist ein Naturmensch durch und durch, und wenn er sich in -seiner sorglosen Weise gehen läßt, so ist das eben originell, und er -braucht es nicht erst zu =suchen=, wie Sie sagen!« - -Erting biß sich auf die Lippen. Die Fürstin sah mit einem forschenden -Blick nach dem plötzlich so lebhaft sprechenden Mädchen, und wandte -sich dann zu Raven: - -»Bringen Sie mir doch diesen seltenen Vogel einmal, Herr von Raven, ich -möchte gern durch den Augenschein urtheilen.« - -»Durchlaucht gestatten wohl, daß ich mich für einige Minuten -beurlaube,« sagte Erting rasch, während Raven sich anschickte, Rüdiger -aufzusuchen. - -Die Fürstin winkte gnädig gewährend mit der Hand, und wandte sich zu -Edith, als Erting sich entfernt hatte. - -»Edith, dieser Rüdiger sieht unbändig interessant aus, ist es wirklich -eine Jugendliebe von Ihnen? Wie schade dann!« - -Und ein nicht mißzuverstehender Blick folgte der kleinen Gestalt -Ertings. - -»Durchlaucht sind grausam,« erwiderte Edith mit zuckenden Lippen, -»habe ich das verdient? Wer mir in der Zeit meiner Verlobung so nahe -gestanden hat, sollte anders denken, oder sprechen!« - -Edith durfte viel wagen. Die Fürstin sah einen Augenblick wie bestürzt -vor sich nieder. - -»Verzeihen Sie mir,« sagte sie dann in ihrer gewohnten leichten Art, -»Sie wissen, ich sage gern, was ich denke, und im Moment kam mir die -Idee, welch herrliches Paar Sie Beide -- doch halt, er kommt!« - -Rüdiger trat mit Raven zu der Fürstin. - -»Sie haben uns auf Ihre Bekanntschaft warten lassen, Baron Rüdiger,« -sagte sie in liebenswürdigem Ton, »ich habe Ihren Oheim sehr wohl -gekannt, und weiß mich Ihrer selbst aus Ihrer Fähnrichszeit dunkel zu -erinnern! Haben Sie alles Attachement für alte Bekannte in der Fremde -verlernt?« - -»So wenig, wie die deutsche Sprache, Durchlaucht,« erwiderte Rüdiger -verbindlich, »wenn ich trotzdem ein Versäumniß beging, so bitte ich, es -in Gnaden der partiellen Verwilderung zuschreiben zu wollen, der man -bei einem Jägerleben, wie ich es seit fünf Jahren führe, doch nicht -entgeht.« - -»Rüdiger kokettirt ein wenig mit dieser Verwilderung,« sagte Raven -in seiner gewohnten ironischen Weise, »man muß seine tadellosen -Verbeugungen sehen, um zu staunen, daß er in Californien Gold gegraben, -in Australien --« - -»Ich bitte, erklären Sie mich nicht,« unterbrach ihn Rüdiger etwas -kurz, »außerdem sagen meine Verbeugungen durchaus Nichts -- man muß mit -den Wölfen heulen -- meinen Sie, ich hätte in Amerika nicht mit den -Affen um die Wette klettern, und mit der größten Eleganz Cocosnüsse -pflücken und Grimassen schneiden können? Dafür ist man eben Kosmopolit!« - -Die Fürstin sah belustigt aus, ihr Interesse an dem schönen, -wildaussehenden Jägersmanne wuchs. - -»Nun, da Ihnen das Parquet nicht so ganz fremd geworden ist,« sagte -sie, sich erhebend, »so hoffe ich, Sie öfters zu sehen. Wir musiciren -jeden Freitag in kleinem Cirkel, und Sie sind hiermit benachrichtigt, -daß Sie erwartet werden. Nun aber muß ich gehen, ich habe mich schon -über die Gebühr lange bei Ihnen verweilt, Edith, auf Wiedersehen!« - -Raven geleitete sie zu den anderen Tischen, während Rüdiger schweigend -vor Edith stehen blieb. - -»Ich dachte, Sie wollten mir heute überhaupt nicht guten Abend sagen!« -nahm sie endlich lächelnd das Wort, ihn anzusehen. - -»Ich =wollte= auch nicht, aber Ihnen gegenüber =muß= ich stets, auch -was ich nicht will! Schütteln Sie nicht wieder den Kopf, erzählen Sie -mir lieber, wie Ihnen unser gestriger Weg bekommen ist!« - -»Ich liebe keine Reminiscenzen, und heute bin ich auch gar nicht als -Privatperson hier, ich denke, Sie sollen mir viel abkaufen, hier, diese -schöne Jagdtasche --« - -»Haben Sie sie gearbeitet?« - -Sie schüttelte den Kopf. - -»Kennen Sie meine ungeschickten Hände nicht mehr? Ich verstand stets -besser mit der Reitpeitsche umzugehen, als mit der Nadel! Aber nun -ernstlich, was kaufen Sie?« - -»Nur Eins!« erwiderte er langsam, »aber für dieses Eine gebe ich Ihnen -meine ganze Börse preis!« - -»Und das wäre?« - -»Sie werden es nicht geben wollen!« - -»Ist es bei den Verkaufsartikeln?« frug sie, ahnungslos, was er meinte. - -Er lachte. - -»Ja, es liegt dabei!« - -»Nun, dann habe ich nichts zu geben oder zu verweigern, mein ganzes -Sinnen und Trachten ist auf einen möglichst hohen Preis gerichtet, wo -ist es?« - -»Hier,« erwiderte er, und nahm das Camelienbouquet vom Tisch, während -er seine gefüllte Börse ernsthaft in ihre kleine Geldkasse gleiten ließ. - -»Was machen Sie mit dem Bouquet meiner Braut?« sagte plötzlich Ertings -Stimme hinter ihm, ehe Edith Zeit gehabt hatte, Einspruch zu thun. - -»Ich habe es gekauft,« sagte Rüdiger, und blickte herausfordernd auf -seinen kleinen Rivalen nieder. - -Edith mischte sich hastig ein. - -»Thorheit, Baron Rüdiger, Sie mußten selbst sehen, daß ich nicht daran -denken konnte, Ihnen diesen Gegenstand zu verkaufen -- legen Sie -gleich das Bouquet wieder her! Es war nur ein Scherz,« wandte sie sich -verwirrt an Erting. - -»Das Bouquet ist mein,« erwiderte Rüdiger, ohne sich an Ertings -zornbleiche Miene zu kehren, »dort liegt meine Börse, Geschäft ist -Geschäft, Herr Erting, das müssen Sie als Kaufmann doch am besten -wissen!« - -»Sie sind unartig, Gerald,« fiel Edith wieder hastig ein, »und ich -allein habe das Recht, hier zu entscheiden. Legen Sie das Bouquet -wieder her, ich mag Ihr Geld nicht haben, auf sophistischem Wege bin -ich nicht wohlthätig!« Sie hielt ihm die Börse hin. - -»Das Bouquet,« wiederholte sie. - -»Geben Sie das Bouquet her,« sagte Erting gleichzeitig, mit vor Wuth -fast erstickter Stimme, »haben Sie ein Recht darauf, oder ich?« - -»Leider Sie!« erwiderte Rüdiger lachend und hielt den fraglichen -Gegenstand hoch in die Höhe, »aber trotzdem bleiben diese Blumen mein, -ich würde ebenso gern meinen Kopf hergeben, wie auch nur ein einziges -Blättchen aus dem Strauß! Geben Sie sich keine Mühe, Erting, Sie können -ihn gar nicht erreichen!« - -»Genug,« sagte Edith jetzt schnell und besorgt, da sie sah, daß Erting -aufs Aeußerste gereizt war, »ich =befehle=, daß Sie die Blumen meinem -Bräutigam geben, Gerald!« - -Sie hatte noch nie mit diesem Ausdrucke von Erting zu Rüdiger -gesprochen, sein schnell entfachter Zorn loderte auf. Er nahm den -Strauß und die schwere Börse, und mit dem heftigen Ausruf: »So soll sie -Niemand haben!« schleuderte er Beides durch das geschlossene Fenster -in den Garten und verließ dann den Saal, ohne irgend Jemand Lebewohl -gesagt zu haben, während die ganze Gesellschaft stumm und entsetzt dem -»tollen Junker« nachsah, der sich eben wieder seines Namens so werth -gezeigt hatte. - -Die Fürstin, welche am andern Ende des Saales beschäftigt gewesen, -hatte sich beim Klirren der Fensterscheibe rasch und erstaunt -umgewendet, und sandte jetzt Raven ab, um den Grund dieser Störung zu -erfahren. Als er mit dem Bericht zu ihr zurückkehrte, lachte sie hell -auf: - -»Köstlich, Herr von Raven, dieser Rüdiger ist wirklich ein Original! -Aber wie erfrischend wirkt das in unseren nüchternen Kreisen!« - -»Ich fürchte, Durchlaucht, daß Herr Erting die Sache nicht in diesem -Sinne auffassen wird,« sagte Raven, »er schäumte geradezu vor Wuth, und -seine Mutter, die eben eintrat, um das Bouquet des Söhnchens fliegen zu -sehen, war mindestens ebenso empört! Wenn die Sache nur nicht ernstere -Folgen hat!« - -»Das wäre ja abscheulich!« rief die Fürstin lebhaft, »und gerade -jetzt, wo ich mir vorgenommen habe, den interessanten Goldgräber zu -unseren kleinen Festen heranzuziehen; eine derartige Differenz würde -Alles zerstören. Das muß verhindert werden, um jeden Preis! Ich -werde die Familie Erting versöhnen, Herr von Raven, ich bringe der -Außergewöhnlichkeit ein Opfer!« - -Sie ging lachend davon, und Raven folgte ihr, etwas ingrimmig murmelnd: -»Besonders, wenn diese »Außergewöhnlichkeit« ein so hübsches Gesicht -hat, da opfert man sich mit Leichtigkeit!« - -Aber Ludwig Erting war bereits den suchenden Augen der Fürstin -entrückt. Er faßte den Arm seiner Mutter und zog sie mit sich hinaus. - -»Ich gehe nach Haus,« sagte er auf ihren verwundert fragenden Blick. - -»Und Edith? Ich weiß nicht wie du bist, Ludwig, du wirst doch deine -Braut nicht allein hier lassen!« - -»Ich gehe nach Haus,« wiederholte er heftig, »für heute habe ich wieder -einmal genug von dem vornehmen Brautstand. Was, ich soll mich wohl von -dem infamen Abenteurer, dem Rüdiger, wie einen Schuljungen necken und -zerren lassen? Mutter, ich sage dir, es geht nicht gut; wenn =du= nicht -merkst, daß man sich hier über uns lustig macht, =ich= merke es, und -was habe ich denn davon?« - -»Aber Ludwig,« rief die erschrockene Frau, die währenddessen mit dem -zornigen, kleinen Sohn ihren bereitstehenden prächtigen Wagen bestiegen -hatte, und nun an seiner Seite durch die Straßen rollte, »Ludwig, -hast du denn gar kein Gefühl für die Ehre, die dir geschieht, wenn du -eine solche Heirath machst? Du mußt doch steigen wollen und in höhere -Sphären kommen, mein liebes Kind -- ich will ja nur dein Glück, wenn -ich dir dazu rathe!« - -»Du meinst es gut, Mutter, das weiß ich,« sagte er, schon ruhiger, -»und es ist ja auch möglich, daß eine Heirath mit Edith ein Glück -ist, in manchem Sinne! Aber ich denke jetzt oft, es wäre besser für -mich, ich hätte mich nicht von dir bereden lassen, aus meinem Kreise -herauszugehen, durfte ich nach meinem Sinne wählen, so wäre ich später -einmal Herr in meinem Hause, und nicht, was ich hier immer sein werde, -der Mann meiner Frau, die ja sehr schön, sehr vornehm und sehr klug -ist, die aber wenigstens zehn Stufen herunter steigen muß, um sich mir -gleich zu dünken. Das ist nichts für mich, Mutter, aber wir wollen -nicht weiter davon sprechen. Geschehene Dinge sind nicht zu ändern!« - -Die Mutter schwieg auf diesen Ausbruch eines lange verhaltenen Aergers, -einfach, weil sie nichts darauf zu erwidern wußte. - -Dann aber fühlte sie doch das Bedürfniß, ihren Sohn zu beschwichtigen. -Sie legte Ludwig die Hand auf die Schulter. - -»Mein liebes Kind,« sagte sie ängstlich, »so sei doch nicht so heftig! -Daß ich nur dein Glück im Auge hatte, als ich dich zu der Verlobung mit -Edith drängte, weißt du ja! Und warum solltest du nicht glücklich mit -ihr werden? Ist sie nicht das schönste und liebenswürdigste Mädchen, -das die ganze Provinz aufweisen kann? Und so distinguirt, so viel -_chic_!« - -»Mutter, thu mir die einzige Liebe, und sei nicht vornehm, so lange wir -unter vier Augen sind! Dir steht es nicht, und mir gefällt es nicht, -und außerdem gehört das _chic_ und was du sonst sagst, nicht zur Sache. -Antworte mir einmal einfach: glaubst du, daß Edith mich liebt?« - -Frau Erting wurde verlegen, als die ehrlichen, kleinen Augen des Sohnes -sich so fest auf sie richteten. - -»Was verstehst du unter lieben?« frug sie ausweichend. - -»Nun, ungefähr, was =du= darunter verstandest, als du meinen Vater -heirathetest, der ein armer Mensch war, und dir keine glänzende -Existenz bieten konnte! Oder ungefähr, was =ich= darunter verstand, ehe -Martha unter fremde Leute gehen mußte, damit ich eine vornehme Heirath -machen konnte!« - -»Ludwig,« sagte die Mutter, jetzt fast ebenso heftig, als vorhin der -Sohn, »reize mich nicht! Willst du deine Verlobung mit Edith Brandau -rückgängig machen, so thue es, ich kann dir nichts befehlen, aber ich -kann dir etwas verbieten! Du hast mir am Todtenbette deines seligen -Vaters versprochen, nicht gegen meinen Willen zu heirathen, und wenn -ich den bittersten Kummer erleben sollte, dich als Junggesellen sterben -zu sehen, meine Einwilligung zu einer Heirath mit Martha Erting -erhältst du nie! So lange du ledig bleibst, kann ich sie aber natürlich -nicht wieder ins Haus nehmen. An deinem Hochzeitstage, das verspreche -ich dir, will ich an sie schreiben, und sie zurück holen lassen; also -du hast es in deiner Hand, wie lange Martha »unter fremden Leuten« sein -soll! Ich dachte, du hättest dir diesen Unsinn nun nachgerade aus dem -Kopf geschlagen!« - -»Reden wir nicht mehr davon,« sagte Erting finster, »ich habe mich -vergessen! Eins aber sage ich dir, Mutter, wenn mir dieser übermüthige -Junker, der Rüdiger, noch ein einziges Mal zu nahe tritt, oder sein -unverschämtes Hofmachen bei meiner Braut fortsetzt, so werde ich ihm -zeigen, daß man Courage haben kann, auch wenn man nicht baumlang und -baumstark ist! Ich fordere ihn auf Pistolen, Mutter -- du weißt, ich -habe noch kein solches Ding in der Hand gehabt, und wenn er mich -todtschießt, so hast du wenigstens das tröstliche Bewußtsein, daß ich -vornehm umgekommen bin!« - -Der Wagen hatte während dieser Rede gehalten, und Ludwig half Frau -Erting aussteigen. - -»Gute Nacht, Mutter,« sagte er dann, »da kommt schon einer von unseren -Herrn Bedienten; ich will noch zu Gerhold, ein Glas Wein wird mir -heute ganz dienlich sein!« - -Und damit wandte er sich ab und ging die Straße hinunter, während die -Mutter, halb entsetzt, halb stolz über den heldenmüthigen kleinen -Eisenfresser, im Hause verschwand. - - - Entflieh' mit mir! - -Die Fürstin ließ es seit dem Bazartage nicht an Gelegenheiten fehlen, -die gefährlichen Zusammenkünfte zwischen dem Brautpaar und Rüdiger zu -veranlassen. Theils hatte sie, trotz ihrer vierzig Jahre, noch jenes -kleine _faible_ für Rüdiger, welches er fast bei jeder Frau, mit der -er in Berührung kam, hervorrief, theils auch ergötzte es sie, die -Reibereien und Intriguen zwischen Erting und Rüdiger zu beobachten. So -jagten sich denn Lese- und Musikabende, Schlittenfahrten und Eisfeste -nach einander, und immer war der »tolle Junker« der Held aller dieser -Festivitäten. - -Wie Edith, die in jenen Gesellschaften mit Gerald las und musicirte, -und sich seinem eigenartigen Wesen unbefangener als je hingab, dachte, -das wußte Niemand. Die kühle, vornehme Zurückhaltung ihres Wesens -hätte jede Frage von vorn herein zurückgewiesen, und ob sie selbst -sich fragte? Sie ließ sich von dem glänzenden Strome der Gegenwart -dahin tragen, wie in einem Traume, in dem uns schon bewußt ist, daß -wir bald erwachen werden, den wir aber mit um so größerem Entzücken -weiter träumen. Das dunkle Gefühl, daß die Wellen dieses Stromes sie -vielleicht plötzlich erfassen und in den Abgrund ziehen könnten, -kam ihr nur selten, und wurde so schnell wieder unterdrückt, wie es -entstand. - -Als eine Art Abschiedsfest hatte noch so eben ein glänzender Maskenball -die Gesellschaft vereint. Unmittelbar von diesem Balle aus kehrte -Edith, die mehrere Tage bei der Fürstin gewohnt hatte, nach Brandau -zurück. - -Der Maskenball war glänzend und es herrschte nur =eine= Stimme vollster -Befriedigung. Die Fürstin, die als Maria Stuart durch die Zimmer -rauschte, hatte das Signal zum Demaskiren noch nicht gegeben. Sie -selbst war natürlich sofort erkannt worden, zu ihrem geheimen Verdruß, -und so blieb ihr nichts übrig, als, auf eigene Abenteuer verzichtend, -solche in möglichst großer Zahl unter ihren Gästen anzustiften. - -Edith hatte auf den dringenden Wunsch der Fürstin einen altdeutschen -Anzug gewählt, und als sie jetzt in ihrem lichtblauen, faltenreichen -Gewande, mit den herabhängenden, schweren Goldflechten sinnend am -Fenster lehnte, hätte allerdings das »Gretchen« nicht reizender gedacht -werden können. Der dieser Erscheinung widersprechende Zug von Stolz -und Herbheit, der Ediths Wesen sonst leicht kennzeichnete, war durch -den wehmüthigen Gedanken an den so nahe bevorstehenden Abschied von -der Mädchenzeit zu einer weichen Lieblichkeit gemildert, die ihr einen -neuen und geradezu hinreißenden Zauber verlieh. - -Erting zu erkennen, war ihr sofort gelungen, er hatte, mit richtigem -Takt, einen einfachen schwarzen Domino gewählt, aber seine schüchterne -Unbehülflichkeit ließ ihm selbst diese anspruchslose Tracht als eine -Prätension erscheinen. Er stand, sich entschieden unbehaglich fühlend, -am Fenster des zu ebener Erde gelegenen Ballsaales und blickte in -die Schneenacht hinaus. Edith trat mit jenem, aus freundschaftlicher -Zuneigung und Mitleid gemischten Gefühl, welches sie stets für ihn -empfand, auf ihn zu. - -»Nun, Ludwig, haben Sie mich wirklich noch nicht erkannt, oder wollen -Sie sich Ihre Maskenfreiheit wahren?« sagte sie, und legte ihre kleine -Hand auf seine Schulter. - -Er wandte sich hastig um und nahm die Larve ab; es lag ein Zug von -trübem Nachdenken auf seiner Stirn. - -»Wollen Sie mich daran erinnern, daß es mit unserer Freiheit überhaupt -bald zu Ende ist?« sagte er in einem Tone, der scherzhaft sein sollte, -aber bitter klang. - -»Was haben Sie, Ludwig?« frug Edith halb erstaunt und halb verletzt, -indem sie einen Schritt zurück trat. In dem Moment fiel ihr Blick auf -eine hohe Gestalt in der düsterschönen Tracht eines spanischen Granden. -Eine tiefe, jähe Röthe schoß ihr sinnverwirrend in den Kopf, und war -trotz der Larve wohl zu bemerken. - -»Was ich habe?« gab er finster zurück, »sehen Sie einmal in den -Spiegel, Edith, aber jetzt, in diesem Augenblicke, und fragen Sie sich, -»was ich habe,« wenn das Mädchen, das in drei Tagen meine Frau sein -wird, beim Anblick eines Anderen so tief erröthet -- Sie haben sich zu -früh demaskirt!« - -Sie richtete sich auf und wollte ihn ohne ein weiteres Wort verlassen, -aber ihr ehrliches Herz sagte ihr, daß er so Unrecht nicht habe! Sie -bezwang sich und blieb. - -»Ludwig, seien Sie nicht hart,« sagte sie, fast bittend, »Sie kennen -mich genug, um zu wissen, daß ich bei jedem überraschenden Wort oder -Anblick roth werde, und das unerträgliche Gefühl, daß Sie mich stets -beobachten, wenn Gerald kommt --« - -»Ach was Gerald -- Gerald,« rief er heftig, »Sie brauchen den Baron -nicht beim Vornamen zu nennen, ich kann diese Jugendfreundschaft nicht -leiden, die er zum Vorwand nimmt, um Ihnen vor Aller, und auch vor -meinen Augen in der unerhörtesten Weise den Hof zu machen! Sie werden -ihn nicht mehr beim Vornamen nennen, und Sie werden heute Abend nicht -mit ihm tanzen!« - -Edith war leichenblaß geworden. - -»Sie demaskiren sich gleichfalls ein wenig früh,« sagte sie langsam und -eiskalt, »aber noch brauche ich mir in solchem Tone nichts befehlen zu -lassen, ich werde Gerald Rüdiger beim Vornamen nennen, und werde mit -ihm tanzen, bis Sie mir wirklich etwas zu befehlen haben!« - -Und mit einem hochmüthigen Kopfneigen trat sie aus der Fensternische, -und nahm Geralds Begrüßung mit um so seltsameren Gefühlen entgegen, -als der leidenschaftlich entzückte Ausdruck, mit dem er sie erkannte, -schneidend von dem Wesen Ertings abstach. - -Das Orchester begann einen rauschenden Walzer zu spielen, man -demaskirte sich, und als Rüdiger jetzt mit Edith durch den Saal flog, -da folgten Aller Blicke bewundernd und -- bedauernd dem herrlichen -Paar, welches dem feurigen Rhythmus des Tanzes so anmuthig nachgab, und -jetzt stillstehend, unwillkürlich an zwei schlanke Edeltannen denken -ließ, die neben einander und für einander gewachsen schienen. - -Noch nie hatten Beide, Rüdiger und Edith, es so klar empfunden, was -sie einander waren, als an diesem Abend, wo das schmerzliche Gefühl -»des letzten Males« ihrem Beisammensein einen erhöhten Reiz verlieh. -Noch nie hatte Rüdiger es so offen gewagt, von seiner Leidenschaft zu -sprechen -- und Edith, im Gefühl einer an ihn begangenen Härte, wies -ihn nicht zurück! - -»Und übermorgen ist Ihr Polterabend!« sagte Gerald jetzt ohne -Uebergang, als er Edith den Arm bot, und langsam mit ihr durch den Saal -nach einem kühleren Zimmer schritt. Sie ließ sich ermüdet in einen -Sessel gleiten, und wehte sich mit ihrem großen Fächer Kühlung zu, ohne -zu antworten. »Erlauben Sie!« sagte er jetzt, und nahm den Fächer aus -ihrer Hand, »das paßt nicht für Gretchen -- überlassen Sie es Faust!« - -»Sie sind nicht Faust!« erwiderte sie lebhaft, und richtete sich auf, -um ihn anzusehen. - -»Vielleicht doch! Die Fürstin wollte mich wenigstens sofort dafür -erkennen, freilich hat sie mir dies Kostüm auch warm genug empfohlen!« - -»Abscheulich!« rief Edith erröthend, »weil sie wußte, daß es Ludwig -kränken würde!« - -»Und warum soll Ludwig sich nicht kränken lassen?« sagte Rüdiger -höhnisch, »soll ich das ganz allein thun?« - -»Sie brauchen sich ja auch nicht zu kränken!« - -»Das ist auch nicht das Wort für meine Empfindungen: ich gräme mich, -ich habe die rasendsten Pläne; wenn Sie ahnten, wie es in meinem Kopf -und Herzen aussieht!« - -»Ich bin gar nicht neugierig!« erwiderte sie anscheinend ruhig, aber -mit leicht bebender Stimme, »überdies kann ich es mir denken!« - -»Nun, wie sieht es darin aus? Sagen Sie wahr!« - -»Toll, nicht? Das ist ja Ihr gewöhnlicher Zustand!« - -»Und wenn es wäre? Wer hat mich toll gemacht? Edith, ich gebe Ihnen -eine letzte Bedenkzeit, sagen Sie mir, daß Sie mich lieben, daß Sie -Erting nicht heirathen wollen, und Alles ist gut! Sonst fällt die -Verantwortung für jede, auch die größte Thorheit und Schlechtigkeit, -die ich von jetzt ab begehe, auf Ihr Haupt, vergessen Sie das nicht!« - -Sie schüttelte still den Kopf, ohne zu sprechen, aber in dem Zittern -der kleinen Hände, die zusammengefaltet, unthätig im Schoße lagen, -verrieth sich der tiefe, peinvolle Zwiespalt, in den seine Worte sie -versetzten. - -»Entscheiden Sie sich, Edith,« fuhr er athemlos vor Aufregung fort, -»ich gebe Ihnen eine ganze Minute, sechzig Secunden; glauben Sie, daß -ich den zehnten Theil so lange brauchte, um zu wissen, ob ich Ja oder -Nein sagen sollte? Ein Wort, Edith,« er blickte sich hastig um, sie -waren allein im Zimmer, »ein Wort und ich gehe mit Ihnen davon, mein -Schlitten ist hier, Sie kennen den alten Job, meinen Diener, er führe -mich zum Teufel in die Hölle, wenn ich wollte! Der Saal ist zu ebener -Erde, durchs Fenster können wir fort, wie nichts! Ich pfeife und der -Schlitten ist hier! Noch zwanzig Secunden, Edith, ehe die aber um sind, -dürfen Sie auch kein Wort sprechen!« - -Sie schnitt ihm die Rede ab, indem sie sich hastig erhob. - -»Genug, Baron Rüdiger,« sagte sie mit gepreßter Stimme, »Sie beleidigen -mich tief, tödtlich, wenn Sie noch eine einzige Silbe sagen! Was, Sie -haben es für möglich gehalten, daß ich, die Braut eines Andern, mit -Ihnen davonlaufen würde, um die dürre Wahrheit zu sagen? Und nicht -nur für möglich, für wahrscheinlich haben Sie es gehalten,« fuhr sie -fort, indem sie ihn durch eine stolze Handbewegung schweigen hieß, »auf -wen wartet Ihr Schlitten, wenn nicht auf mich? Ich glaubte doch, Sie -kennten mich besser, Baron Rüdiger! Und jetzt darf ich Sie wohl bitten, -mich zu meiner Mutter zu begleiten, Sie haben mich hart dafür gestraft, -daß ich Ihnen die Rechte alter Jugendfreundschaft so vertrauend -einräumte.« - -Er bot ihr schweigend den Arm, an der Thür stand er still und zwang sie -dadurch, gleichfalls stehen zu bleiben. - -»Edith, verzeihen Sie mir,« sagte er rauh und ohne sie anzusehen, -»es war ein verzweifelter Versuch, Sie zu gewinnen, ich habe nicht -überlegt, daß Sie der Gedanke kränken mußte; was blieb mir schließlich -übrig? Verzeihen Sie mir,« wiederholte er zornig, als sie schwieg und -vor sich niederblickte. »Sagen Sie, daß Sie mir verzeihen oder es wird -nicht gut!« - -Er preßte bei diesen Worten ihren Arm so heftig an sich, daß sie einen -leisen Schmerzensschrei ausstieß. Hastig ließ er sie los. - -»Sehen Sie,« sagte er mit erzwungenem Lächeln, aber ohne sich zu -entschuldigen, »was davon kommt, wenn man mir den Willen nicht thut? -Aber jetzt noch einmal, Edith, verzeihen Sie mir, wir sind für lange -Zeit das letzte Mal zusammen gewesen -- gönnen Sie mir diesen einen -armen Abend aus Ihrem ganzen reichen Leben. Ich will heute noch einmal -vergnügt sein, ich reise in dieser Nacht ab!« - -»Weshalb?« frug sie überrascht, und sah zu ihm auf. - -»Was soll ich noch hier? Ihr Brautführer sein? Sie taxiren mich denn -doch etwas zu zahm, Edith! =viel= zu zahm, wie Sie noch einmal einsehen -werden! Aber Sie haben mir noch nicht geantwortet, verzeihen Sie mir? -Hölle und Teufel, wie oft soll ich fragen?« - -»Noch oft, und in ganz anderem Ton, ehe ich antworte,« erwiderte sie -kalt. - -»Nun, dann bin ich zu Ende,« rief er trotzig und wild, »thun Sie was -Sie wollen, aber wundern Sie sich nicht, wenn ich es auch thue!« - -Er stürmte fort, und Edith folgte ihm langsam, mit wildschlagendem -Herzen. Eine unbestimmte Furcht schien sich wie ein Bleigewicht an ihre -Schritte zu hängen. Als sie beim Eintreten in den Saal ihre Mutter -nicht sofort sah, sondern nur Erting erblickte, ging sie, in einem ihr -sonst fremden Gefühle der Schutzbedürftigkeit zu ihm, und legte ihre -Hand in seinen Arm. - -»Ludwig, Sie dürfen mich nicht so viel allein lassen,« sagte sie, »was -soll man davon denken?« - -»Sie ließen mich allein,« erwiderte er, halb versöhnt durch ihr -Einlenken, -- »aber es soll mir um so lieber sein, wenn ich jetzt in -Ihrer Nähe bleiben darf! Geben Sie mir den nächsten Tanz, es ist eine -Quadrille!« - -»Gern,« sagte sie, erleichtert, daß er ihr nicht mehr grollte, »sehen -Sie sich, bitte, nach einem _vis-à-vis_ um, ich erwarte Sie bei Mama!« - -Er geleitete sie zur Gräfin Brandau, die inzwischen wieder in den Saal -getreten war. Dann ging er, sich einer Gruppe von Herren zugesellend, -zu der auch Rüdiger gehörte. - -Edith beobachtete einige Augenblicke die Plaudernden mit angstvoller -Spannung, aber da nichts Auffälliges zu bemerken war, wandte sie sich -ihrer Mutter zu, und bemühte sich, die kritischen Bemerkungen zu -belächeln, welche die Gräfin schonungslos über Alt und Jung laut werden -ließ. - -Das Zeichen zur Quadrille ertönte von dem hoch placirten, durch -Orangerie fast versteckten Orchester. Die verschiedenen Gruppen im Saal -geriethen in Bewegung, ein Paar nach dem andern stellte sich auf, Edith -warf einen suchenden Blick in den Saal hinein, Erting kam nicht, und -sie vermochte ihn auch nicht zu entdecken. - -Verwundert und etwas ärgerlich wollte sie sich eben zurück ziehen, als -Raven zu ihr trat. - -»Nun, gnädigste Comtesse, Sie verschmähen diesen Tanz?« - -»Sagen Sie lieber, der Tanz oder mein Tänzer verschmäht mich,« sagte -sie lächelnd, »ich habe die Quadrille meinem Bräutigam zugesagt, und er -scheint dies vergessen zu haben!« - -»Erting? O, der wird sofort kommen, er wurde eben abgerufen, weil ihn -Jemand auf einen Augenblick zu sprechen wünschte, mag sein, daß die -Unterredung sich ein wenig in die Länge zieht!« - -»Ah so!« erwiderte Edith beruhigt, nun, »plaudern wir, bis er kommt, -Herr von Raven, oder besser, plaudern Sie, Sie verstehen das ja so -meisterhaft!« - -Raven verbeugte sich. - -»_Tempi passati_, meine gnädigste, _tempi passati_, jetzt überläßt man -es jüngeren Kräften!« - -Die Quadrille nahm indeß ihren Fortgang. Ediths anfängliches Befremden -über das Ausbleiben Ertings wich nach und nach dem Zorn. Mochte er in -noch so dringenden Angelegenheiten abberufen sein, ein Moment fand sich -doch wohl, mußte sich finden, um der Braut Aufklärung zu geben, was ihn -verhindere! - -»Irgend eine Börsennachricht,« dachte sie bitter, »das ist wichtiger, -als Höflichkeit und Rücksichten! Man wird zum Cavalier geboren, das -läßt sich eben später nicht anlernen!« - -Als der Tanz vorüber war und sie Raven mit seinen vielen -»Unbegreiflich, unerklärlich, unverzeihlich« entlassen hatte, trat -Rüdiger zu ihr. Ihre Augen verriethen die innere Erregung, ein zartes, -aber doch tiefes Roth färbte ihre Wangen. - -Rüdiger sah mit unverhohlenem Entzücken in ihr Gesicht. Wenn sie, -als er sich ihr nahte, eine leise Befangenheit in seinem Wesen zu -erkennen geglaubt hatte, so war diese verflogen, er sah lustiger und -übermüthiger aus, wie je! - -»Darf ich Sie zum Souper hinüber führen?« frug er, indem er ihr -Spitzentuch vom Sessel nahm und ihr umgab. - -»Das dürfen Sie,« sagte Edith, gegen ihr besseres Gefühl, »ich bin ja -ohne Cavalier; Herr Erting hat, Gott weiß warum, den Ball verlassen, -ohne ein Wort der Aufklärung an mich!« - -»Hat er das?« - -»Und weiter sagen Sie nichts? Ist es nicht unerhört rücksichtslos?« - -»Sie wissen, ich fälle nie scharfe Urtheile,« sagte Rüdiger, der sie -zu ihrem Platze geleitet hatte, »er konnte zwingende Gründe haben! -Jedenfalls rechnen wir mit Thatsachen -- er ist fort, ich bin da, es -lebe die Gegenwart!« - -Er hielt sein überschäumendes Champagnerglas hin, und das ihrige klang -leise dagegen. Er leerte es in einem Zuge, und noch eins, er steigerte -sich zu fast fieberhafter Fröhlichkeit, sein Lachen klang durch den -Saal, und noch nie hatten die blauen Augen des »tollen Junkers« so -geblitzt, wie an diesem Abend. - -Edith gab sich voll und rückhaltslos dem Zauber der Minute hin, sie -fühlte ein Recht dazu, da Erting sie so rücksichtslos, so gleichgültig -verlassen hatte, und die Stunden flogen vorüber, leicht und glänzend, -wie die Schneeflocken, die draußen dicht und dichter niederfielen. - -Endlich gab die Fürstin das Zeichen zum Aufheben der Tafel und zugleich -zur Beendigung des Festes. - -Während man sich empfahl und der Saal sich zu leeren begann, trat -Rüdiger noch einmal zu Edith. - -»Ich darf Sie und Ihre Mutter nach Hause fahren?« - -»Ich glaubte, Sie verreisten heute Abend?« - -»Das thue ich auch, aber es bleibt mir trotz dessen noch Zeit, wenn ich -Sie erst nach Brandau bringe, ich benütze dann einen späteren Zug.« - -Aber Edith war inzwischen zu ruhigerem Besinnen gekommen. Sie -schüttelte den Kopf. - -»Nein, Baron Rüdiger, ich danke Ihnen! Ich bleibe heute noch bei der -Fürstin, es ist mir zu spät geworden, um nach Brandau hinaus zu fahren, -und meine Mutter hat gleichfalls die freundliche Einladung angenommen, -im Schloß zu übernachten. Wir können uns also Ihrem Schutze nicht -anvertrauen.« - -»Wie Sie befehlen,« sagte Rüdiger, ohne zu ihrer Ueberraschung noch mit -Bitten in sie zu dringen, »dann fahre ich von hier direct zur Bahn, und -fort. Leben Sie wohl, Edith, auf Wiedersehen!« - -»Ein weiter Begriff, wenn Sie mehrere Tage fortbleiben,« sagte sie mit -etwas mühsamem Lächeln, »wir reisen gleich nach der Trauung für den -Rest des Winters nach Italien.« - -»Gleich nach der Trauung, und für den ganzen Winter? O, wie schade! -Nun, der Frühling kommt ja auch ins Land, Comtesse, und überdies, wer -darf so sicher sagen, was er thun wird? Sie können Ihre Entschlüsse -auch noch ändern. In jedem Falle, leben Sie wohl!« - -Was war das? Dieser kühle, fast vergnügte Ton, in dem er, der sie noch -vor wenig Stunden wie außer sich beschworen hatte, mit ihm zu fliehen, -jetzt ihre Hochzeitsreise besprach -- war dies Comödie, oder alles -Vorhergegangene? Nun, sie wollte sich nicht übertreffen lassen. - -»Leben Sie wohl!« sagte sie frostig, und reichte ihm die kleine Hand im -Handschuh, die er ehrerbietig an die Lippen führte. Aber als er sich -wieder aufrichtete, und zurücktrat, so edel, stolz und fest in jeder -Bewegung, da stand die gewaltsam bekämpfte Liebe in ihrem Herzen noch -einmal auf, mit bitterem Schmerz bei dem Gedanken: »Du siehst ihn =nie= -wieder, wie Ihr Euch heut gesehen!« und sie gab ihm nochmals die Hand: - -»Gott behüte Sie, Gerald, auf allen Ihren Wegen --« und wandte sich -hastig ab, während er eben so rasch das Zimmer verließ, und seinen -Mantel umwerfend, die Freitreppe nachdenklich hinunter schritt. - -Auf seinen leisen Pfiff fuhr ein kleiner Schlitten vor. Der graubärtige -Kutscher schlug schweigend das Tigerfell zurück, und gab seinem Herrn -die Zügel. Beide vermieden es sorgfältig, einander anzusehen. - -»Vorwärts!« rief Rüdiger, und die Pferde zogen an. Pfeilschnell flog -der Schlitten über die dichte Schneedecke, zur Stadt hinaus. Lautlos -sauste das Gefährt über die Landstraße, im kalten Vollmondlicht von -seinen gespenstischen, kohlschwarzen, jagenden Schatten begleitet. -Eine scharfe Biegung des Weges brachte den Schlitten in den stummen, -funkelnden Wald, der Mond verschwand hinter den schwarzen Tannen, und -ein Ruck mit den Zügeln ließ die Pferde langsam gehen. Schon stieg das -Wolfsdorffer Schloß, in seinem Schneemantel seltsam und ungestaltet -aussehend, vor den Blicken Rüdigers auf. Er zog den Hut tiefer ins -Gesicht, und wandte sich zu seinem Kutscher. - -»Job!« - -»Gnädiger Herr?« - -»Alles ruhig oben?« - -»Nein, gnädiger Herr!« - -»Was macht er denn, Job?« - -»Er flucht, gnädiger Herr, und wirft die Stiefel gegen die Thüren. Zwei -Fenster hat er auch schon eingeschlagen.« - -Rüdiger biß sich auf die Lippen und schwieg. Nach einer Pause, die den -Schlitten wieder näher an das Schloß brachte, begann er von Neuem. - -»Job!« - -»Gnädiger Herr!« - -»Warum sagst du nichts?« - -»Ich weiß nichts, gnädiger Herr!« - -»Job, mir ist verflucht ungemüthlich zu Muthe!« - -»Das glaub' ich, gnädiger Herr!« - -Der Baron peitschte plötzlich wie wüthend auf die Pferde, daß sie im -Sturmschritt hinflogen, bis das Schloß erreicht war. Der gellende Ton -der Pfeife übte auch hier seine Wirkung. Langsam und kreischend wurde -die Zugbrücke herabgelassen, der Schlitten sauste in den Schloßhof, die -Zugbrücke ging empor und nun war Rüdiger zu Hause. - -Ein zweiter Diener, eben so alt und verdrießlich aussehend, wie Job, -trat ihm mit einer Lampe entgegen, die einen breiten, röthlichen -Schein über den Schloßhof fallen ließ. Rüdiger schüttelte sich die -Schneeflocken vom Hut und aus dem Gesicht, warf dem Diener den Mantel -zu, und ging langsam die breite, halbdunkle Treppe hinauf, die nach den -Wohnräumen führte. Der Diener folgte ihm mit der Laterne. - -Oben angelangt, blieb der junge Schloßherr stehen. Wenn er hätte sehen -können, welch seltsam malerischen und schönen Anblick er in seiner -altspanischen Tracht, an der dunkeln, geschnitzten Holztreppe lehnend, -darbot, er hätte sich möglicher Weise gefreut, wahrscheinlicher aber -ist es, daß es ihm in seiner momentanen Stimmung höchst gleichgültig -gewesen wäre. - -Er entließ den Diener mit einer kurzen Handbewegung und schritt dann, -nachdem er noch einen Augenblick nachdenklich gestanden hatte, -den langen, hallenden Gang herunter, der nach dem unfreiwilligen -Aufenthaltsort seines Gastes führte. An einem Zimmer, über dessen Thür -sich ein Spitzbogen von Sandstein wölbte, hielt er an, schloß auf und -klopfte gleichzeitig. - -»Wer ist da?« rief Ertings Stimme von drinnen, zwischen Aengstlichkeit -und Wuth. - -»Ich, Gerald Rüdiger, Herr Erting, -- wollen Sie --« - -Es blieb ihm nicht Zeit den Satz zu vollenden, die Thür wurde -aufgerissen, und Erting stand dicht vor ihm, in dem ungewissen -Mondlicht, welches sein vom Zorn bleiches Gesicht noch weißer -erscheinen ließ. - -»Wo haben Sie Ihre Pistolen?« knirschte er, indem er Miene machte, sich -auf Rüdiger zu stürzen, »wo haben Sie Ihre Pistolen, ich will nicht -mehr leben, wenn ich nicht an Ihnen Rache nehmen darf!« - -Rüdiger war so versteinert über diesen Wuthausbruch, daß er im ersten -Moment kein Wort fand, um zu erwidern. Erting mochte das für den -kalten Hohn des Siegers dem Besiegten gegenüber halten, er kam wie ein -Rasender auf Rüdiger zu, und packte ihn am Arm. - -»Wollen Sie mir sofort Genugthuung geben für den Schimpf, den Sie mir -angethan haben, oder soll ich Sie dazu zwingen?« - -Er hob drohend die Hand, Rüdiger trat einen Schritt zurück, noch sehr -ruhig, wie es schien. - -»Seien Sie nicht toll, Erting, ich schieße mich nicht mit Ihnen!« - -»Weshalb? weil Sie der Stärkere sind? Ich will keine Schonung!« - -»Nein, einmal, weil wir keine Secundanten und keinen Arzt zur Stelle -haben, von einem Duell also keine Rede sein kann, sodann aber, weil Sie -mit Schießgewehr nicht umzugehen wissen, und ich kein Vergnügen daran -finde, einen Wehrlosen niederzuschießen.« - -»Wenn Sie Vergnügen daran finden, einen Wehrlosen durch Ihre Leute -knebeln und fortschleppen zu lassen, so ist das reichlich eben so -feige!« - -»Erting, nehmen Sie sich in Acht,« rief Rüdiger, auf dessen Stirn eine -unheilverkündende, düstre Röthe erschien, »ich dulde heute Viel von -Ihnen, weil Sie der Beleidigte sind, aber nicht Alles!« - -»Sie wollen sich nicht mit mir schießen?« schrie Erting mit fast -erstickter Stimme, als der Andere sich abwendete, und im Begriff stand, -das Zimmer zu verlassen. - -»Nein!« erwiderte Rüdiger kurz, er fühlte, daß er keine Silbe mehr -sagen durfte, ohne in Zorn auszubrechen. - -»Wer hat die Schonungsparole ausgegeben?« fuhr Erting, sinnlos vor -Wuth, fort, »Edith, ich sehe jetzt klar, sie war doch jedenfalls im -Complott, als es galt, den unbequemen Bräutigam fortzuschaffen!« - -»Genug!« sagte Rüdiger todtenbleich und fest, »Sie haben einen Namen in -unseren Streit hineingezogen, der es mir unmöglich macht, Ihnen noch -ferner Genugthuung zu verweigern, ich werde die nöthigen Anordnungen -treffen. Erwarten Sie mich hier, Sie haben es so gewollt!« - -Er verließ das Zimmer, und Erting blieb allein zurück, in einem -Tumult von Empfindungen, der ihm fast den Verstand zu rauben drohte. -Ueberwiegend war immer noch die furchtbarste Wuth und Entrüstung, die -aber in der Voraussicht, seinen Rachedurst kühlen zu können, ja zu -müssen, bereits nachzulassen begann. - -Blitzschnell jagten sich die Gedanken, »was wird man zu Hause von dir -denken? in welchem Lichte mußt du Edith erscheinen?« denn im Innern -hatte er an ihre Mitwissenschaft nicht geglaubt! Dann kamen andere -Bilder -- wenn er nun hier fiel! er, der dem Waffenhandwerk gänzlich -Fremde, dem besten Schützen auf Meilen in der Runde gegenüber! Was -würde seine Mutter sagen? was Martha, die kleine, gute Cousine, die er -geliebt, ehe er in diesen wüsten Traum verflochten wurde? Er starrte -auf den breiten, weißen Streifen Mondlicht, der durchs Zimmer floß. Wer -weiß, ehe die nächste Stunde ablief, lag er vielleicht dort, hülflos, -zum Krüppel geschossen, todt, das war das Wahrscheinlichste. - -Ach was half das Quälen! Er sprang auf und schritt durchs Zimmer, -in dem seine Schritte unheimlich wiederklangen. Dann trat er zum -Fenster, riß zwei Blätter aus seiner Brieftasche und warf im grellen -Vollmondschein mit etwas unsicherer Hand zwei Zeilen hin, an seine -Mutter! Dann faltete er das Blatt und schrieb unter die Adresse: »für -den Fall meines Todes abzugeben.« Dann ergriff er das andere Blatt -- -sollte er Edith Lebewohl sagen? sie wird seinen Tod schon erfahren, -durch Rüdiger, der sie zweifelsohne darüber zu trösten verstehen wird! -Nein, im Angesicht des Todes giebts keine Lüge mehr, er schreibt hastig -und fliegend: »Liebe Martha, wenn du diese Zeilen erhältst, bin ich -nicht mehr unter den Lebenden, und du sollst dann wissen, daß ich dich -immer geliebt habe, und daß nur der Wille meiner Mutter uns trennte.« - -Er hatte kaum Zeit, auch hier die Adresse beizufügen, als der Schall -von Schritten seiner Thür nahte. - -Rüdiger trat ein, gefolgt von zwei graubärtigen Männern, deren einer -ein paar riesige Armleuchter trug, die das Zimmer plötzlich zum Theil -mit grellem Licht erfüllten, während die verjagte Dunkelheit scheu und -doppelt finster in den Ecken niederkauerte, als lauere sie auf den -Augenblick, wo hier Alles wieder ihrem Reich anheimgegeben sein würde. - -Rüdiger stellte das Pistolenkästchen, welches er trug, auf den Tisch -und wandte sich zu Erting. - -»Ich habe Sie warten lassen, Herr Erting,« sagte er im verbindlichen -Ton, »aber um die nöthigsten Formalitäten zu erfüllen, habe ich uns -wenigstens einen Zeugen citirt, hier, mein Förster Strauch, er wird uns -die Waffen reichen, und versteht im schlimmsten Fall nothdürftig zu -verbinden.« - -Er trat zum Tisch und nahm die Pistolen heraus. - -»Gestatten Sie, daß mein Förster Ihnen das Laden abnehme,« sagte er -dann zu Erting, »meine Waffen sind etwas eigensinniger Natur, und -lassen sich nicht von Jedermann handhaben!« - -Erting verbeugte sich stumm. - -»Ein Wort, Herr von Rüdiger,« sagte er dann. - -»So viel Sie befehlen!« erwiderte sein Gegner, indem er mit ihm zum -Fenster trat. - -»Wenn ich falle, so darf ich wohl bitten, diese beiden Zettel an ihre -Adresse zu befördern, ich stelle mich für einen gleichen Auftrag zur -Verfügung.« - -Rüdiger warf, nachdem er die Aufschriften gelesen, einen schnellen -verwunderten Blick auf Erting. - -»Nichts an Comtesse Brandau?« - -»Ich vermuthete, daß Sie ihr mündlich Bericht erstatten würden!« - -Rüdiger zuckte die Achseln. - -»Wer weiß! Und nun, sind wir fertig?« - -Erting schwieg einen einzigen Moment. - -»Ja,« sagte er dann. »Sie haben mir keinen Auftrag zu geben?« - -»Besten Dank! Wenn mir ein derartiges Malheur zustößt, so würden die -sogenannten Meinigen, deren ich wenig besitze, sich durchaus nicht -wundern; sie erfahren es dann am Besten durch meinen alten Job. Und -Comtesse Brandau -- ich vermuthe, Sie werden ihr mündlich Bericht -erstatten, Herr Erting!« - -Er lächelte flüchtig und streckte Erting die Hand hin. Dieser nahm sie -nicht, und sah ihn zornig verwundert an. - -»Es ist Usus so, oder ähnlich,« sagte Rüdiger freundlich, »aber wie Sie -wollen!« - -Die beiden Gegner nahmen Aufstellung, der Diener hatte das Zimmer -wieder verlassen. - -»Ich denke, wir schießen _a tempo_,« sagte Rüdiger, noch immer in einem -Ton, wie im Ballsaal, »zählen Sie, Strauch, bis drei!« - -Fast gleichzeitig ertönte der scharfe Knall der Pistolen, Rüdigers -Kugel zischte etwa handbreit über Ertings Kopf fort und schlug in die -Wand. Als sich die blauen Rauchwolken langsam verzogen, sah der vor -Aufregung halb sinnverwirrte Erting Rüdiger schwanken, oder glaubte es -zu sehen. Im nächsten Augenblick hatte sich der Baron aufgerichtet, und -trat auf Erting zu, ihm die linke Hand bietend. - -»Bravo, Erting, Sie haben sich die Sporen verdient, -- und nun zürnen -Sie mir nicht mehr, ich habe eine ganz hübsche Lehre bekommen!« - -Erting starrte mit weitgeöffneten Augen auf seinen Gegner, dessen -rechter Arm schlaff und regungslos herabhing, und von dem das Blut -dicht und schnell niederrieselte und in dem Streifen Mondlicht am -Fußboden unheimlich aufglänzte. Rüdigers bleiches Gesicht und die -finster zusammengezogenen Augenbrauen verriethen, daß er heftige -Schmerzen fühlte. Seine Stimme hatte nichts von ihrem übermüthigen -Klange verloren. - -Aber bei den letzten Worten ging es wie ein Schleier über seine Züge, -und der Förster hatte eben noch Zeit, den ohnmächtig Zurücksinkenden -aufzufangen. - -Jetzt erst fand Erting Sprache und Bewegung wieder. - -»Großer Gott, ich habe ihn gemordet!« schrie er auf, und warf sich -neben seinem bleichen Feinde nieder. - -Der Förster schwieg und bemühte sich, Rüdigers Rock auszuziehen, -was ihm aber nicht gelang, da der zerschmetterte Arm in seiner -Unbehülflichkeit ihn daran hinderte. - -»Helfen Sie 'mal,« herrschte er Erting zu, der, das Gesicht in den -Händen verborgen, noch immer regungslos auf den Knieen lag, »heben Sie -den Arm in die Höhe, damit ich ihm den Aermel aufschneiden kann.« - -Erting, dessen Zähne wie im Fieberfrost zusammenschlugen, versuchte -zu gehorchen, aber seine zitternden Hände erwiesen sich als so -ungeschickt, daß der Förster ihn ärgerlich bei Seite schob. - -»Rufen Sie den Job,« sagte er, »wir müssen uns eilen, daß wir das Blut -stillen, sonst wird das nicht gut!« - -»Ich weiß nicht, wo ich ihn finden soll,« sagte Erting kläglich, dessen -durch die Erregung des Moments aufgeflackerter Muth bereits wieder zu -einem Nichts zusammengeschrumpft war. - -»Dann werde ich ihn holen,« sagte der Förster, »bleiben Sie hier bei -dem Baron!« - -Und damit verließ er das Zimmer. Erting blieb mit Rüdiger allein. - -Sein erstes Gefühl war, sich ins Fenster möglichst weit von seinem -Opfer zu flüchten, aber eine bessere und muthigere Regung überwog. Er -nahte sich dem noch immer Bewußtlosen und kniete, obwohl zitternd, -neben ihm nieder, ohne ihn jedoch zu berühren. In der kalten -Doppelbeleuchtung der flackernden Lichter und der Schneenacht draußen -war Rüdigers edles, regungsloses Gesicht wirklich kaum von dem eines -Todten zu unterscheiden. Als Erting, von einem unheimlichen Zauber -bezwungen, starr in die stillen Züge seines Feindes blickte, ging ihm -das Herz in Reue und Wehmuth auf. Dies schöne, starke Leben hatte er -zerstört; zum Wenigsten den Mann dort auf ein monatelanges Siechenlager -gezwungen, ihm, dem freies, wildes Streifen in Wald und Flur, Jagdlust -und Jagdeifer Leben hieß, wahrscheinlich für immer die Freude an -solchen Dingen geraubt! Jener Arm, der dort so schlaff, so schauerlich -bewegungslos herabhing, er würde sich vielleicht nie mehr heben; mit -den dunklen, schweren Tropfen, die ihm entströmten, ging vielleicht die -letzte Hoffnung auf ein Wiedererwachen des Leblosen dahin! - -Wo blieb nur der Förster? Erting getraute sich nicht, bis zur Thür zu -gehen, er hielt förmlich den Athem an. - -Seine Reflexionen begannen von Neuem. Stand diese Strafe im Verhältniß -zu dem tollen Streich, der ihn hierhergebracht? Hätte er nicht ruhiger, -nachgiebiger sein sollen? O, und wer war gestraft, wer, als er selbst, -der wie ein Fluchbeladener hier kniete, und auf den Herzschlag des -Mannes lauschte, den seine Waffe hingestreckt, und der sich ihm, wie -er nun wohl wußte, ohne Gegenwehr zum Ziel gesetzt! Als er, tief -aufstöhnend, den Kopf erhob, und Rüdiger anblickte, öffnete dieser -langsam die Augen, und sah ohne bestimmtes Ziel vor sich hin. - -Dann erhob er die linke Hand nach der Stirn und versuchte, sich -aufzurichten. - -Erting, obwohl bebend am ganzen Körper, unterstützte ihn. Rüdiger -erkannte seinen kleinen Feind und ein leises Lächeln flog über sein -Gesicht. - -»Herr Erting, bemühen Sie sich nicht! Und sehen Sie nicht so jämmerlich -aus, es war mir ganz gesund, daß Sie mir etwas Blut abzapften!« - -Der schwache Ton der Stimme traf Erting wie ein Dolchstoß. - -»Ich habe Sie unglücklich gemacht,« stöhnte er, die Hände vor's Gesicht -schlagend, »können Sie mir verzeihen?« - -Rüdiger erröthete leicht. - -»Erting, machen Sie mich nicht verlegen,« sagte er hastig und streckte -die Hand nach dem Andern aus, »ich Ihnen verzeihen! Ich habe Sie -auf das Unerhörteste behandelt und kann von Glück sagen, mit einer -so »gnädigen Strafe« davon zu kommen. Und was das Unglücklichmachen -betrifft, bester Freund, diese linke Hand wird schon noch eine Büchse -führen können, bis die rechte wieder dienstfähig ist!« - -Er schloß wieder die Augen, die letzten Worte hatte er schon fast -gemurmelt -- aber endlich, endlich kamen Schritte den Corridor entlang. -Der Förster, Job und noch ein paar Unbekannte drangen ins Zimmer. -Einer davon, ein kleiner, untersetzter Mann, näherte sich dem jungen -Schloßherrn und begann mit anscheinender Sachkenntniß den verwundeten -Arm zu untersuchen. - -Erting wartete auf seinen Ausspruch, wie auf das Urtheil über Tod und -Leben, nachdem Job ihm mit finsterer Miene gesagt, es sei der Wundarzt. - -»Ist das Bett des Herrn Baron bereit?« frug der Heilkünstler jetzt. - -»Wie lange schon!« murrte Job, »es ist ja glücklich fünf Uhr vorbei!« - -»Nun, Scholz, was meinen Sie zu mir?« sagte Rüdiger, sich ein wenig -aufrichtend, »heulen Sie mir aber nichts vor, denn ich verstehe ebenso -viel von der Chirurgie wie Sie, alter Bartscheerer! Kaput oder nicht?« - -»Der Knochen ist durch und durch, Herr Baron,« erwiderte der Wundarzt -trocken. Erting klappte zusammen wie ein Taschenmesser, während Rüdiger -kein Zeichen der Bewegung sehen ließ. - -»Herr Baron fangen auch schon an zu fiebern, vor allen Dingen ruhige -Lage und kühles Getränk!« - -»Tröstlich!« sagte Rüdiger, dessen Augen allerdings bereits fieberhaft -zu glühen begannen, »denken Sie aber nicht, daß ich Ihrem blödsinnigen -Gewäsch folge! Was, ruhige Lage! -- sitzen werde ich bis morgen früh -und mein kühles Getränk wird auch von anderer Art sein, als Sie sich -einbilden! Was, Erting? Haben wir unsere schöne Feindschaft mit -Menschenblut besiegelt, so soll nun Rebenblut dran! Job, flink, in den -Keller!« - -»Baron Rüdiger,« sagte Erting flehend, und faßte in seinem Eifer die -Hand des Gegners, »ich beschwöre Sie, thun Sie, was der Arzt Ihnen -sagt! Bedenken Sie, was daraus entstehen könnte, wenn Sie sich seinen -Anordnungen widersetzen.« - -Dem kleinen, gutmüthigen Mann traten fast die Thränen in die Augen. -Rüdiger sah ihn einen Moment verwundert an und lachte kurz auf. - -»Sie sind eine gute Seele,« sagte er, »und sollen sich nicht ängstigen! -Ich werde zu Bett wandern, damit Sie nicht, wenn ich mit achtzig Jahren -sterbe, sich einbilden, ich wäre an Ihrem Tellschuß draufgegangen und -sich ihr Greisenalter durch Gewissensbisse verderben. Aber vor allen -Dingen sollen Sie jetzt in die Stadt zurückkehren. Job, laß anspannen! -ah, der Wagen kommt schon eine -- schwere Kutsche, wie sie rasselt! -Aber die Todten reiten schnell!« - -Er schloß die Augen. - -»Zu Bett mit ihm,« sagte der Chirurg energisch, »das Fieber steigt -rapide. Wenn Sie nach der Stadt fahren,« wandte er sich an Erting, »so -schicken Sie doch noch einen Arzt heraus, ich mag die Verantwortung -nicht allein übernehmen.« - -Rüdiger, der inzwischen wieder zu sich kam, ließ sich ohne weiteren -Widerstand von Erting und Job in sein Zimmer bringen, dann kehrte -Ersterer zu dem Arzt zurück. - -»Geben Sie mir Ihre Directionen für die Nacht,« sagte er mit -ungewöhnlicher Festigkeit, »ich bleibe bei dem Baron, er hat schon -darein gewilligt.« - -Der Chirurg sah ihn erstaunt an. - -»Nun meinetwegen,« sagte er, »legen Sie ihm fleißig Eis auf den Kopf, -und halten Sie ihn möglichst ruhig. Aber ein Arzt muß noch heraus!« - -»Schön, bestellen Sie einen reitenden Boten, ich schicke zu Doctor -Stein, er ist einer der besten Aerzte und mir persönlich bekannt. -Halten Sie denn den Zustand des Barons für gefährlich?« Ertings Lippen -zitterten. - -»Offen gesagt, ja!« erwiderte der Wundarzt nach einigem Besinnen, -»das Fieber tritt so schnell und heftig auf, daß es die Kräfte sehr -hinnehmen muß und für einen Mann von des Barons ganzer Natur ist ein -Krankenlager immer eine böse Sache. Aber wir wollen das Beste hoffen!« - -Erting schrieb in fliegender Eile, während der Bote sich bereit machte; -er citirte Doctor Stein heraus und benachrichtigte in einem zweiten -Briefe Edith von seinem Aufenthalt und dem stattgehabten Duell. - -Dann kehrte er zu Rüdiger zurück, den er in den wildesten Phantasien -vorfand. - -Doctor Stein, den wir gleichfalls am Eingang unserer Erzählung kennen -lernten, traf in wenig Stunden ein. Er trat mit dem ihm eigenen, -besonnenen Wesen an das Lager des wilden Kranken, und sein Einfluß -vermochte Rüdiger so weit zu beruhigen, daß er auf einige Fragen -ziemlich klar antwortete. Aber nach wenig Augenblicken verfiel er schon -wieder in heftige Raserei. Erlebtes und Geträumtes mischte sich auf -eine für Erting unbeschreiblich qualvolle Weise in seine Reden. - -Doctor Stein sah bedenklich aus, als er sich empfahl. - -»Wir wollen die Büchse nicht gleich ins Korn werfen,« sagte er auf -Ertings verzweifelt fragenden Blick, »aber das Ungestüm des Fiebers -macht mich besorgt. So viel ich weiß, hat Rüdiger keinen nahen -Verwandten, ich werde einen Pfleger aus der Stadt schicken.« - -»Thun Sie das nicht,« bat Erting flehentlich, »sagen Sie mir Alles, was -geschehen soll, Stein, ich will gewiß nichts an ihm versäumen! Gönnen -Sie mir den kleinen Trost für das Schreckliche, was ich in meinem -unsinnig gereizten Zustand angerichtet habe!« - -Er sah so tief unglücklich aus, daß Stein ihm theilnehmend die Hand auf -die Schulter legte. - -»Ruhig Blut, alter Freund,« sagte er tröstend, »Rüdiger ist jung und -hat schon mehr Stürme ausgehalten, als diesen! Ich traue Ihnen übrigens -Umsicht und Sorgfalt genug zu, um die Pflege durchzuführen, aber eins -sage ich Ihnen, Sie müssen nach aller Voraussicht eine ganze Zeit lang -tüchtig auf dem Platze sein, Tag und Nacht!« - -Erting nickte nur stumm und kehrte, nachdem der Doctor das Schloß -verlassen hatte, sofort zu seinem Posten zurück. Tage und Nächte saß er -nun an Rüdigers Lager, nur selten auf kurze Stunden von Job abgelöst. -Keine Mutter hätte zarter und sorglicher mit dem Verwundeten umgehen -können, als der kleine, ehrliche Mann, den er so schwer gekränkt. - -Und während dieser angstvollen Stunden im stillen Krankenzimmer ging -in dem Herzen der beiden Rivalen eine seltsame Wandlung vor. Erting -fühlte, wie die Sorge um seinen Pflegling, die Freude an den -- -freilich seltenen -- Momenten, wo es besser zu gehen schien, ihm nach -und nach eine wirkliche Neigung zu dem Gegenstande dieser Sorgen und -Freuden einflößte. Oft ertappte er sich dabei, daß er fast mit einem -Gefühl von Zärtlichkeit in das schöne, bleiche Gesicht des Kranken -blickte, und seine fieberglühende Hand sanft streichelte. Und Rüdiger, -der nie die Augen bewußt aufschlug, ohne in das treuherzige Gesicht -Ertings zu blicken -- der jeden Labetrunk aus den Händen des einst so -Gehaßten und Verspotteten entgegennahm -- er hatte, unklar, wie die -Krankheit ihn denken ließ, doch schon ganz die Empfindung, daß dieser -kleine Mann zu ihm gehöre -- daß ihm etwas fehle, wenn Erting nicht an -seiner Seite sei. - -Jeden Tag kamen Erkundigungen nach Rüdigers Befinden -- aus Brandeck -und aus der Residenz, und die tägliche Antwort -- »noch beim Alten,« -wollte und wollte keiner Besserung weichen. - -Eines Abends, als Erting in traurigem Hinbrüten an Rüdigers Lager saß, -blickte dieser plötzlich mit ungewohnter Klarheit zu ihm auf. - -»Erting,« sagte er, »mir ist heut auf einmal merkwürdig vernünftig -im Kopf, das muß ich schnell benutzen! Ich danke Ihnen, Erting, für -alle Liebe, die Sie mir erwiesen haben -- Sie sind ein braver, treuer -Kamerad und ich habe es nicht um Sie verdient!« - -»Schweigen Sie doch,« sagte Erting rauh, um seiner Bewegung Herr zu -werden. - -Rüdiger schüttelte den Kopf. - -»Lassen Sie mich heute reden!« fuhr er schwach, aber ganz ruhig fort, -»wer weiß, ob ichs morgen noch kann! Ich glaube beinahe, alter Freund, -es wird am längsten gedauert haben mit mir und darum will ich Ihnen -heut noch Alles sagen, was ich auf dem Herzen habe. Lassen Sie mich -reden,« wiederholte er hastig und erregt, »oder ich springe aus dem -Bett, so viel Kräfte habe ich schon noch!« - -»Nun, so reden Sie,« sagte Erting rathlos, als er sah, daß Rüdiger sich -mühsam emporrichtete, »aber fassen Sie sich kurz, und dann schlafen -Sie!« - -»Ich will Ihnen nur sagen,« begann Rüdiger in kurzen Sätzen und schnell -athmend, »daß ich nicht ganz der hinterlistige Schurke bin, für den -Sie mich gehalten haben. Als ich an dem Abend, Sie wissen ja, dem -Maskenabend, ins Schloß kam, wollte ich Sie nicht entführen, bei Gott -nicht! Ich wollte -- ja sehen Sie mich nur an, ich wollte Edith« -- er -seufzte schwer auf -- »also -- Edith ein letztes Ultimatum stellen -- -sie sollte mit mir davongehen! Sie wurde zornig -- und wir geriethen -aneinander!« - -Er schwieg einen Augenblick erschöpft, fuhr aber gleich wieder fort: - -»Da kam mir plötzlich, blitzschnell der Gedanke, wie, wenn du =ihn= -wegbrächtest? Dann könnte keine Hochzeit sein und du hättest der ganzen -Bande noch einmal tüchtig die Hölle heiß gemacht. An Das, was später -kommen könnte -- dachte ich nicht -- habe ich nie gedacht -- nie!« - -»Ja, ja!« sagte Erting beruhigend, als Rüdiger wieder schwach -zurücksank, »das weiß ich ja! Aber nun schweigen Sie auch wieder still!« - -»Nur Eins noch, Erting,« sagte Gerald, und faßte des Andern Hand, »ich -spreche nicht aus Egoismus, beim Himmel nicht! Ich werde keinem Freier -mehr in den Weg treten! Aber glauben Sie mir, geben Sie Edith los! Sie -Beide taugen nicht für einander, ich kenne das Mädchen besser -- sie -würde unglücklich werden und machen! Die hätte zu so einem Durchgänger -gepaßt wie ich bin, -- nun, es sollte nicht sein!« - -»Rüdiger,« sagte Erting mit vor Rührung zitternder Stimme, »nun hören -Sie, was ich zu sagen habe. Glauben Sie wirklich, daß wenn Sie sterben -sollten -- wenn ich Sie umgebracht hätte, und das hätte ich doch! daß -ich dann noch Edith Brandau heirathen könnte? Nein, Rüdiger, das nicht! -das nicht! Und sie würde es auch nicht thun, denn sie weiß ganz gut, -daß Sie um ihretwillen hier liegen! Nein, mein lieber Freund, wenn Sie -wieder gesund sind -- und Sie =werden= wieder gesund werden -- dann -sollen Sie sie selbst fragen, was sie davon denkt -- =ich= stehe Ihnen -nicht mehr im Wege!« - -»Und Sie glauben, ich würde eine solche Großmuth annehmen?« rief -Rüdiger fieberhaft erregt, »ich hätte gehofft, daß Sie mich nun besser -kennten!« - -Erting sah vor sich nieder. - -»Ich will einmal ehrlich sein, Rüdiger,« sagte er und wurde roth, »so -sehr großmüthig wäre es nicht 'mal von mir! Ich habe schon lange das -Gefühl, als wenn Edith Brandau und ich einen dummen Streich begangen -hätten, als wir uns verlobten, und -- und ich muß Ihnen nur sagen, ich -habe irgendwo in der Welt eine kleine Cousine, -- nun, Sie können sich -das Andere denken!« - -Rüdiger schwieg eine Weile, dann strich er sich das Haar von der Stirn. - -»Das nützt mir Alles nichts, Erting! Erstens sterbe ich, das wissen -Sie ja so gut wie ich, und dann, wie Edith ist, habe ich sie mir durch -meinen tollen Streich von vornherein verscherzt! Ein Mädchen wie sie -läßt sich nicht ertrotzen; wenn ich ihr nicht gleichgültig war -- und -ich war es nicht -- jetzt bin ich es geworden, glauben Sie mir, Erting! -Aber ich habe nun genug gesprochen, ich will schlafen!« - -Und er wandte den Kopf ab und verbarg das Gesicht in den Kissen. - -Spät Abends jagte ein reitender Bote nach der Stadt. Doktor Stein wurde -geholt, Rüdigers Zustand hatte sich aufs Heftigste verschlimmert. - -Stein blieb mehrere Stunden da, und als er um Mitternacht zurückfuhr -und versprach, gegen Morgen noch einmal wiederzukommen, da wußte man im -Schloß, daß Rüdigers Leben menschlicher Voraussicht nach nur noch nach -Stunden zähle. - -Im Dorf verbreitete sich die Kunde mit Blitzesschnelle, sie flog mit -ihren schwarzen Flügeln über die Grenze von Brandeck und schlug an die -Fenster, hinter denen Edith wohnte, und schlug auf das verzweifelnde -Herz von Geralds erster Liebe. - -Als der Wagen des Doctors noch vor der Dämmerung wieder in den -Schloßhof fuhr, lag Rüdiger in unruhigem Halbschlummer. Erting öffnete -leise die Thür, als er Schritte im Vorzimmer vernahm. - -»Stein, sind Sie es?« - -»Ja, und ich habe noch Jemand mitgebracht,« sagte der Doctor mit -unterdrückter Bewegung, »machen Sie einmal Platz, Erting!« - -Er zog ihn sanft von der Thür zurück und eine tief verschleierte -Frauengestalt trat ihm entgegen und streckte ihm beide Hände hin. - -»Ludwig, verzeihen Sie mir, was ich Ihnen angethan habe -- und -verzeihen Sie mir auch diesen Schritt -- aber ich mußte Ihn noch -=einmal= sehen!« - -Erting nahm ihre Hände sanft in die seinen. »Gehen Sie zu ihm, Edith, -ich habe Ihnen nichts mehr zu verbieten -- der da drinnen hat Sie mit -seinem Blut erkauft!« - -Sie trat langsam, bebend an das Bett des Schlummernden, sie sah einige -Augenblicke in sein bleiches Gesicht und dann kniete sie neben ihm -nieder und küßte seine Hand. - -Da sah er empor, nicht erstaunt, sondern nur sehr glücklich, und sagte: -»Nicht wahr, du bleibst jetzt bei mir?« - -Und als sie vor Thränen nur stumm zu nicken vermochte, schloß er die -Augen und verfiel in einen sanften Schlummer. - -»Das war ein Gewaltstreich,« sagte Doctor Stein eine Stunde später -zu Erting, »aber er hat die Krisis beschleunigt. Ich halte ihn für -gerettet!« - - * * * * * - -Und als der nächste Sommer davon fliegen wollte, war Alles gekommen, -wie es hatte kommen müssen! Gerald Rüdiger und seine schöne Frau -standen auf der Freitreppe ihres Schlosses; in den übermüthigen blauen -Augen des »tollen Junkers« war ein ernsteres Licht aufgegangen; dies -und der steife Arm, der noch immer nicht wieder ganz beweglich sein -wollte, gemahnte noch an die Vergangenheit, die ihm heute wieder -besonders lebhaft nahe gerückt worden. - -Denn der heutige Tag hatte liebe Gäste gebracht -- Ludwig Erting, der -den Freunden seine Braut vorstellte! Die Mutter war Angesichts =dieser= -treuen Liebe gerührt worden, um so leichter, da sie sich mit Martha in -ihrer hauptsächlichsten Ueberzeugung fand, darin, ihren kleinen, braven -Sohn für den Inbegriff alles Guten, Schönen und Tüchtigen zu halten. - -Und Rüdiger? -- Der Traum, den er auf seinen wilden Fahrten geträumt, -ist zur Wahrheit geworden; wenn der Mond sanft und klar über dem -Wolfsdorffer Schloß emporsteigt, stehen er und -- noch Eine am -Fenster und hören die Nachtigallen schlagen, und ihr Lied erzählt ihm -immer wieder die Geschichte, die zu hören er nicht müde wird -- die -Geschichte von der Liebe seiner Jugend -- von dem Kampfpreis seines -Lebens. - - - - - Finderlohn. - - -Im Spätsommer des vergangenen Jahres, so erzählte eine mir befreundete -Dame, unternahm ich eine kleine Reise nach dem Badeort K... Der Zufall -führte mich auf dem Bahnhof mit einer Freundin zusammen, und froh, die -etwas einförmige Fahrt durch angenehme Gesellschaft verkürzt zu sehen, -bestieg ich dasselbe Coupé mit ihr. Es war allerdings kein Damencoupé, -welches ich bei allein unternommenen Reisen sonst vorziehe, indeß ist -dies eigentlich ein Vorurtheil, welches jede Frau, die über sechzehn -Jahre zählt, zu ihrem eigenen Besten bekämpfen sollte. Alle Hochachtung -vor den reisenden Repräsentantinnen meines Geschlechts -- aber ich bin -noch nie in einem solchen Coupé gefahren, ohne mich über die kleinliche -Ungefälligkeit meiner Reisegefährtinnen, ihre Empfindlichkeit gegen -Hitze und Kälte und ihre beständigen Wünsche nach solchen Lebensmitteln -zu ärgern, die eben auf den Stationen =nicht= zu haben waren. - -So dankte ich denn dem Zufall, der mich heute aus diesem Dilemma -erlöste, und bestieg mit meiner Freundin zusammen einen Waggon, der -den Gebildeten beiderlei Geschlechts zugänglich war. Außer uns befand -sich nur noch ein alter Herr im Wagen, der uns, als wir einstiegen, -freundlich begrüßte. - -Da unser Reisegefährte der Held der Geschichte ist, die ich zu -erzählen im Begriff stehe, so kann ich es nicht unterlassen, ihn -zu beschreiben mit all' dem Enthusiasmus, den ich für ihn empfand; -erstens um dem Leser damit ein Bild von ihm zu geben, und zweitens in -der stillen Hoffnung, daß der Gegenstand meiner Zuneigung vielleicht -irgendwo diese Blätter zur Hand nimmt, darin liest und nach einer Weile -mit dem mich noch in der Erinnerung entzückenden herzlichen Lachen, in -welches er zuweilen ausbrach, ruft: »Das soll =ich= wohl am Ende sein?« - -Mein lieber, alter Herr! Denn jung war er insofern nicht mehr, als -seine freie Stirn von schneeweißem, feinem Haar umwachsen war, welches, -glänzend wie die Federn eines Silberreihers, ein wenig keck in die Luft -stand, und die sehr schönen, auffallend hochgeschwungenen Augenbrauen -auch schon ein wenig beschneit aussahen. Jung aber war er doch, denn -unter diesen seltsamen Augenbrauen sahen zwei so schöne, lebhafte, -recht junge Augen hervor, daß sie einem Zwanziger Ehre gemacht hätten --- jung war er, denn das blühende Roth einer erprobten Gesundheit lag -auf seinem schönen Gesicht, die liebenswürdige, goldene Heiterkeit -einer ewigen Jugend tönte aus dem unwiderstehlich herzlichen Lachen, -mit welchem er in jeden Scherz einstimmte. - -Man sieht, ich verlor sofort mein Herz an den reizenden alten Herrn! -Das ist ein Damenwort, ich weiß es, aber ich bleibe dabei und rufe -zum Schluß meiner Beschreibung noch einmal energisch aus: Nicht nur -ein reizender alter Herr war mein Reisegefährte, ich brauche sogar -den Superlativ, es war der reizendste alte Herr, den ich je gesehen -habe. Wie er sich über Alles amüsirte! Nur daran zu denken, erheitert -mich noch! Ueber den kleinen, schäbigen Jungen, der auf einer Station -emsig und still vor sich hin Purzelbäume schoß, über die Männer, die -mit eintönigen Ausrufen Kirschen und Birnen den Wagen entlang trugen, -über die Ankommenden und Abreisenden! Wie elektrisirt er war, als eine -klangvolle italienische Leier uns die »schöne blaue Donau« zu hören -gab, wie ernst und gerührt er wurde, als dieselbe Leier dann eine -sanfte, traurige Melodie spielte, und wie herzlich er dann wieder über -seine eigene Rührung lachte! - -Meine Freundin und ich kamen, nachdem wir uns ein Weilchen mit diesem -liebenswürdigen Coupégenossen unterhalten hatten, durch eine zufällige -Ideenverbindung auf eine Verlobung zu sprechen, die in unseren Kreisen -vor kurzem stattgefunden. - -Ein sehr hübsches, viel umworbenes Mädchen hatte einen Ausflug zu ihrer -Schwester unternommen, war acht Tage dort geblieben, hatte am zweiten -dieser acht Tage einen jungen Gutsbesitzer kennen gelernt und sich vor -Ablauf der genannten Frist mit demselben verlobt. Wir fanden das nach -Frauenart sehr leichtsinnig, zuckten ein wenig die Achseln über so -schnell gewonnene Herzen und ich meinte: - -»Wenn das nur gut abläuft! Ein Brautpaar, das sich nur acht Tage -gekannt hat, ehe es ein Brautpaar wurde! Eine bedenkliche Sache!« - -Bei diesen Worten wendete der alte Herr den Kopf nach uns um. - -»Verzeihen Sie,« begann er lächelnd, »wenn ich mich in Ihr Gespräch -mische, welches von Persönlichkeiten handelt. Aber von der Bemerkung, -die Sie eben machten, mein Fräulein, fühle ich mich zu sehr getroffen, -als daß ich mich nicht vertheidigen möchte. Ich war auch in dem Fall, -von dem Sie eben sprechen -- ich habe meine Frau sogar nur drei oder -vier Mal gesehen, eh' wir uns verlobten, und wir sind doch ein sehr -glückliches Ehepaar geworden.« - -Um mein Leben nicht konnte ich die tactlose Aeußerung nicht -unterdrücken, daß ich in diesem Fall das sehr natürlich fände. Mein -alter Herr nickte mir lachend mit herzlicher Miene zu, es mochte ihm -wohl schon öfter vorgekommen sein, daß er so schnell Eroberungen machte. - -Meine Freundin, noch kühner als ich, richtete nun die Frage an ihn, wie -das denn gekommen sei, ob er nicht Zeit gehabt hätte, sich länger zu -besinnen? - -Der alte Herr sah mit einem schelmischen Lächeln in unsere neugierigen -Gesichter, dann sagte er freundlich: - -»Ja, so etwas hören junge Damen immer gern! Aber es ist eine lange -Geschichte, am Ende komme ich an's Ziel meiner dreistündigen Fahrt, eh' -ich zu Ende bin!« - -»Ach bitte,« riefen wir Beide, »es wird schon gehen, die Geschichte ist -=uns= sicher nicht zu lang -- wenn Sie so sehr freundlich sein wollen!« - -Der alte Herr ließ sich erbitten, wir rückten uns alle Drei gemüthlich -zurecht und er begann: - -»Daß es schon eine ganze Weile her ist, seitdem ich auf Freiersfüßen -ging, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Ja, diese Eisenbahn, auf -der wir jetzt so selbstverständlich durch die Welt fliegen, war damals -etwas ganz Neues, ein Wunderwerk, welches nur mit ehrfurchtsvollem -Staunen und einem leisen Schauder benutzt wurde. So gewöhnt sich der -Mensch an Alles und wir nennen die Jugend mit Unrecht anspruchsvoll, -ihr wird nur eben Das schon in die Wiege gelegt, was wir als große -Leute erst staunend und dankbar bekommen haben. Der Telegraph war -damals auch erst eben erfunden -- ja, ja, denken Sie nur! - -Ich war im Begriff, eine kleine Vergnügungsreise auf unbestimmte Zeit -anzutreten, ein Entschluß, der mir um so leichter wurde, als ich ganz -frei und ungebunden in der Welt dastand, und von Angehörigen Niemanden -besaß, als zwei alte Tanten und einen kleinen Hund, der, ein Nachklang -der Zeitströmung, auf den schönen Namen »Nap« hörte. Nicht wahr, eine -ziemlich durchsichtige Abkürzung im Jahrhundert der Freiheitskriege? - -Nap, ein kleiner, guter, schwarzer Kerl, war als einziger und letzter -Bewohner meiner Kinderheimath mit mir in die Fremde gewandert, hatte -mit mir studirt, Examina gemacht, und war mir stets ein lieber Freund -und treuer Genosse gewesen, ja, ich glaube, ich war damals so weit, daß -ich den alten Hund mehr liebte als irgend ein Wesen auf der Welt, meine -lieben alten Tanten nicht ausgenommen. - -Diese Tanten hätten Sie sehen sollen! Das waren noch ein paar -Repräsentantinnen der gemüthlichen Vergangenheit, wo die Leute sich -Zeit ließen. Schon die äußere Umgebung der beiden alten Damen war die -Zierlichkeit selbst. Sie wohnten in einem kleinen, saubern Hause, -nicht am selben Ort mit mir, welches sich durch die blitzendsten -Fensterscheiben auszeichnete und grüne Jalousien hatte. Das Häuschen -war umgeben von einem etwas pedantischen Garten, dessen Hecken -und Grasplätze von einem asthmatischen alten Factotum mit der -Papierscheere in Ordnung gehalten wurden. Da können Sie glauben, daß -kein Zweig sich erlauben durfte, nach seinem Gutdünken zu wachsen, -sofort war die Papierscheere da und stutzte den Naseweisen. Ein Paar -ordnungsliebendere, gutherzigere, ängstlichere und gewissenhaftere -Seelchen, als meine beiden lieben Tanten gab es nicht! Sie trugen -sich ganz gleich, hatten Jede vier weiße, mathematisch genau gekämmte -Löckchen, Hauben mit jenen thurmhohen weißen Krausen, wie man sie jetzt -nur noch auf Bildern sieht, und trugen Beide Brillen. - -An einem schönen Sommerabend traf ich denn mit meinem Nap bei den -Tanten ein, die mich herzlich und liebevoll aufnahmen, und mich in ihre -Gartenlaube zu einem zierlich aufgestellten Nachtmahl luden, dessen -Dimensionen ungefähr der Art waren, als hätten die sieben Zwerge fragen -können: »wer hat von meinem Tellerchen gegessen« u. s. w. Aber ich -ließ es mir wohlschmecken, und nachdem ich den Tanten meine Pläne -für die nächste Zeit mitgetheilt hatte, rückte ich vorsichtig mit dem -kühnen Ansinnen heraus, ob sie Nap, eine sonst bei ihnen wohlgelittene -Creatur, für die Zeit meiner Abwesenheit wohl in Pflege und Obhut -nehmen wollten. - -Sie können sich denken, daß die beiden Schwestern nicht wenig -erstaunten, selbst erschraken. Ein Zuwachs ihrer Hausbewohnerschaft, -ein bellender, springender, zottiger Mitbewohner ihres stillen, -beschaulichen Daheim; sie sahen sich wechselweise eine gute -Viertelstunde an, schnupften, niesten, selbst dies Mittel schien heut' -nicht anzuschlagen, endlich nahmen sie _a tempo_ die Brillen ab und -sagten so feierlich, als gelte es ein Eheversprechen, ein lautes, -deutliches »Ja!« - -Ich wußte, welch' ein Opfer sie mir brachten, und sprach ihnen es auch -dankbar aus, ich fügte bei, daß nur das Bewußtsein, meinen Hund in den -besten Händen zu wissen, mich zu der großen Bitte ermuthigt hätte, und -dann machte ich mich eilig davon, damit die Tanten ihren edelmüthigen -Entschluß nicht etwa bereuen möchten. Ich erklärte meinen schnellen -Aufbruch damit, daß ich am nächsten Morgen sehr früh mit der Bahn -weiter müsse, welche nur noch zu einem nah belegenen Städtchen führte, -von da wollte ich mit Postpferden und auf eigenen Füßen meinen Weg -fortsetzen. - -»Und, liebe, beste Tanten,« fügte ich noch dringend hinzu, »laßt Nap -die nächsten Tage nicht aus den Augen, er wird gewiß Versuche machen -mir nachzusetzen und könnte alsdann verloren gehen!« - -Feierlich wurde mir dies angelobt, und ich nahm gerührten und dankbaren -Abschied, während Nap, durch ein Schüsselchen Milch in's Haus gelockt, -ahnungslos diesen Labetrank schlürfte. - -Der andere Tag war leider trübe und schwül. Als ich in das Städtchen -H... einfuhr, welches die Grenze zwischen Flachland und Gebirge bildet, -zog ein Gewitter dumpf grollend herauf und der erste Willkommensgruß, -der mir in H... wurde, war ein großer Regentropfen, der auf meine Nase -fiel. Ihm folgten mehrere, ein wahrer Wolkenbruch stürzte hernieder -und das liebenswürdige Wetter benutzte den Tag, um sich, wie man sagt, -recht gründlich »einzuregnen.« Unter diesen Umständen eine Fußtour -beginnen, oder sich einer Postchaise anvertrauen zu wollen, um das -Gebirge kennen zu lernen, wäre mehr als Thorheit gewesen. Es hieß also -warten! - -Ich quartierte mich in dem ersten Gasthofe der Stadt ein, der -vermuthlich so hieß, weil es keinen zweiten gab, und sah zum Fenster -hinaus. Zum Glück war ich von jeher besonders unfähig, mich zu -langweilen, ich hatte manchmal den besten Willen, da kam mir etwas -Unterhaltendes in die Quere -- es ging nicht! - -Auch hier war es so. Ich hätte mich eigentlich recht gut langweilen -können, aber da lag gerade dem Gasthause gegenüber ein ganz -allerliebstes Haus, das immer etwas zu sehen oder zu hören gab. -Ich konnte freilich nur die Seitenfront des freundlichen Gebäudes -beobachten, denn die Vorderzimmer gingen nach einem schönen, großen -Garten hinaus, dessen Lavendelduft, selbst durch den Regen nicht -ertränkt, Abends zu mir herüber geflogen kam. - -An diesen Seitenfenstern nun saß öfters eine junge Dame und nähte. Ihr -Gesicht konnte ich nicht sehen, sie bückte sich immer sehr tief auf die -Arbeit; ich sah nur ein Stückchen Wange, zuweilen flüchtig die Umrisse -eines zierlichen Profils, und ein Nest dunkelblonder Zöpfe um einen -seltsam geformten weißen Kamm geschlungen. - -Da es nun schon den zweiten Tag regnete, hatte ich volle Muße, diese -Beobachtungen anzustellen. Freundlicherweise hatte das Haus seinen -Eingang auch auf der Seite. Gegen Abend kam ein dicker, stattlicher -Herr nach Hause, dessen Kopf ich auch noch nie zu Gesicht bekommen -hatte, denn er hielt immer einen großen, wohlhabend aussehenden Schirm -über sich, den er erst zumachte, wenn seine behäbige Person schon -innerhalb der Hausthür war. Und dann zur Thür hinaus schüttelte und -spritzte er diesen Schirm aus, als wenn die Straße noch nicht naß genug -wäre. - -Ich hätte ja durch eine Frage leicht etwas über mein _vis-à-vis_ -erfahren können, aber ich wollte es nicht -- es war so sehr ergötzlich, -mir meine Schlüsse aus Dem zu ziehen, was ich sah. - -Der Hausherr war entschieden =kein= Arzt, dazu kam er zu regelmäßig -nach Hause, sondern Beamter, ein Mann mit Bureaustunden. Die junge Dame -am Fenster war seine Tochter und zwar sein Liebling, denn er begab sich -stets geraden Weges zu ihr in's Zimmer. Dann stand sie sofort auf, -legte die Arbeit zusammen und ging mit ihm hinaus. Eine dritte Person, -die ich häufig ausgehen und wiederkommen sah, eine Dame in mittleren -Jahren, mußte die Gesellschafterin sein, nicht die Frau vom Hause, denn -wenn sie dem Vater begegnete, machte sie einen Knix. - -Am Nachmittag des dritten Tages schien der Himmel ein ganz klein -wenig lichter zu werden, ich trat an's Fenster und, wie mir schon zur -Gewohnheit geworden war, blickte ich nach dem Hause gegenüber. Da saß -die junge Dame -- dies Mal ohne Näharbeit -- ich hätte ihr Gesicht -gewiß ganz gut sehen können, aber sie hielt ein Tuch vor die Augen -- -sie weinte! - -Ich blieb erstaunt stehen. Warum mochte sie weinen? Sie werden mir -zugeben, daß ein junges Mädchen mit so schönen blonden Zöpfen, die -von ihrem Papa verzogen wird und -- weint, ein Fall ist, über den man -nachdenklich werden kann. - -Nach einer Weile trocknete sich mein Gegenüber die Augen, schrieb -einige Worte auf einen kleinen Zettel, stand auf und verließ das -Fenster. Wenige Minuten darauf öffnete sich die Hausthür, sie trat -heraus, einen Regenschirm in der Hand, in Hut und Mantel und blickte -nach dem Himmel. Ein reizendes Gesicht war es, das muß ich schon sagen! - -Warum ich meinen Paletot ergriff und die Treppe hinunterging, weiß -ich nicht zu sagen, aber ich that es und folgte der jungen Dame in -respectvoller Entfernung, auch mit dem Regenschirm bewaffnet. - -Ein plötzlicher, heftiger Windstoß faßte den Schirm meiner Schönen und -drehte ihn von innen nach außen, er machte, wie man zu sagen pflegt, -eine Tulpe daraus. Im selben Moment stürzte der Regen mit verdoppelter -Gewalt hernieder und das Mädchen, nach einem vergeblichen Versuch, den -treulosen Beschützer wieder in seine alte Form zu bringen, verdoppelte -ihre Schritte und eilte in einen geräumigen Hausflur, von wo sie in das -tobende Wetter hinaussah. Ich dachte: Das kann Jeder! und nicht faul, -betrat ich denselben Hausflur, zog den Hut und postirte mich der jungen -Dame gegenüber an die Wand. Nach einer kleinen Weile trat sie an die -Hausthür, zog den rechten Handschuh ab und streckte die Hand hinaus, um -zu fühlen, ob der Regen noch nicht nachgelassen habe. »Kein Trauring!« -dachte ich erfreut, ohne eigentlich zu wissen, warum es mich freute. - -Da es noch mit aller Gewalt vom Himmel heruntergoß, nahm das Fräulein -ihren Schirm wieder vor und versuchte ihn in die richtige Verfassung -zu bringen. Es gelang ihr aber nicht und ich hielt dies für einen Wink -des Schicksals, ein Gespräch anzuknüpfen. Mit abgezogenem Hut trat ich -bescheiden vor und bot meine Hülfe an, die auch freundlich angenommen -wurde. - -Daß es mir nicht gelang, den Schirm zurechtzubringen, versteht -sich von selbst. Sanfter Ueberredung wollte er nicht weichen, ich -wendete alle Gewalt an, der Tückische aber verstand keinen Spaß, -sondern brach gelassen mitten durch. Das Fräulein sah erschrocken -aus, aber nicht zornig -- durchaus nicht zornig, was ich mir -mit richtiger Menschenkenntniß als einen Beweis liebenswürdigen -Temperaments auslegte. Ich stand da wie ein armer Sünder, stammelte -ein paar Entschuldigungen und bat endlich um die Erlaubniß, meinen -Schirm als Ersatz anbieten zu dürfen, wozu mich noch die egoistische -Hoffnung stachelte, ich würde durch Rückgabe des von mir zerbrochenen -Individuums einen Vorwand haben, um in die Burg zu dringen, die von der -blondzöpfigen Prinzessin bewohnt war. An Abreise dachte ich schon nicht -mehr, wie Sie sehen. Aber es kam anders! - -»Ich danke sehr, mein Herr,« sagte das junge Mädchen freundlich, »ich -kann Sie Ihres Schirmes nicht berauben. Wollen Sie mir aber eine -Droschke besorgen, damit ich meinen Weg fortsetzen kann, so nehme ich -es dankbar an!« - -Nun, das that ich natürlich und hatte die Genugthuung, daß ein sehr -liebenswürdiges »Danke« mich belohnte, dann, während ich, den Hut in -der Hand, wie ein Lakai mich am Schlage aufstellte, rief die junge Dame -zum Kutscher hinauf: »Nach der Zeitungsexpedition!« Der Schlag fiel zu --- und da stand ich. - -Nach der Zeitungsexpedition! Was thut eine junge Dame in der -Zeitungsexpedition? Allerlei finstere Gedanken bestürmten mich -- -sie wird doch nicht einen Brief abholen, von dem der Papa nichts -wissen soll? Erst Thränen, dann Zeitungsexpedition -- verdächtige -Zusammenstellung! - -»Dahinter muß ich kommen,« rief ich so zornig, als wäre ich der -Beichtvater der kleinen Dame. - -Eine Idee fuhr blitzschnell durch meinen Kopf! Ich mußte einen Vorwand -haben, auch nach der Expedition zu gehen. Sollte ich nach Briefen -fragen? Nein, das war mit einem »Nichts für Sie!« zu schnell abgemacht. -Also ich mußte etwas annonciren! Gedacht, gethan, ein Blatt aus der -Brieftasche gerissen und im Stehen geschrieben wie folgt: »Ein kleiner, -schwarzer Affenpinscher mit hellblauseidenem Halsband, auf den Namen -Nap hörend, hat sich verlaufen. Der ehrliche Finder wird gebeten, -denselben gegen eine angemessene Belohnung im Hotel zum grünen Falken, -Zimmer Nr. 10, abzugeben.« Meine Adresse fügte ich bei, damit die Sache -an Wahrscheinlichkeit gewönne und die junge Dame nicht glaubte, ich -wollte sie nur unter einem Vorwand wiedersehen. - -Nun denken Sie -- der arme Nap! Er mußte noch herhalten, mußte sich -angeblich verlaufen haben, um seinen Herrn auf den richtigen Weg zu -bringen! Einige Kreuz- und Querfragen führten mich rasch nach der -Expedition des Blattes, welches, wie ich hörte, das einzige für den -ganzen Kreis, daher mit Inseraten stets sehr überhäuft war. - -Auch heute fand sich in dem Local eine bedeutende Menschenmenge vor, -welche fast bis an die Thür hin sich drängte und nur langsam zum -Schalter avancirte. So sah ich denn auch meine Unbekannte gleich am -Eingang stehen, ihr Zettelchen in der Hand wartete sie geduldig auf den -Augenblick der Beförderung. - -Als ich sie mit ehrerbietiger Verbeugung begrüßte, dabei etwas von -»glücklichem Zufall« murmelte, sah sie mich überrascht an, erröthete -und ein leichtes Zucken ihrer Augenbrauen verrieth, daß sie diese -zweite Begegnung für keine zufällige hielt. Auf meine Bemerkung -erwiderte sie kein Wort, sondern sah mit einer schnellen Kopfwendung -nach der andern Seite hin. Ich that, als bemerkte ich es gar nicht. - -»Denken Sie, mein Fräulein, wie traurig es mir ergeht! Ich komme vor -drei Tagen ganz fremd hier in die Stadt und bin heute schon in der -Lage, eine Annonce in die Zeitungsexpedition zu tragen, in der ein -verlorener Besitz und ein ehrlicher Finder die Hauptrolle spielen!« - -Meine Nachbarin blickte rasch auf. Sie mochte fühlen, daß sie mir -Unrecht gethan -- nach =ihrer= Ansicht -- und ärgerte sich vielleicht -ein wenig über die Eitelkeit, welche ihr zugeflüstert, ich sei -wohl ihretwegen nach der Expedition gekommen, kurz, sie entgegnete -etwas freundlicher, sie sei in demselben Fall. Sie habe ein kleines -Schmuckstück verloren, ein liebes, unersetzliches Andenken. - -»So, wie es hier beschrieben ist,« fügte sie hinzu und reichte mir den -kleinen Zettel, den ich behutsam ergriff. »Können Sie mir wohl sagen, -mein Herr, ob die Anzeige so richtig gefaßt ist? Ich wollte zu Haus -Niemand darum fragen,« setzte sie treuherzig hinzu, »weil -- nun, weil -ich fürchtete, mein Vater könnte sehr ungehalten sein, wenn er erführe, -daß ich eben =dieses= Besitzthum verloren habe!« - -Der Zettel enthielt in einer zierlichen Schulmädchenhand die Anzeige, -daß ein schmaler goldener Ring mit einem Vergißmeinnicht von Türkisen -darauf verloren gegangen und gegen Belohnung T...straße Nr. 6 -abzugeben sei. - -»Sie können sich einige Worte sparen,« bemerkte ich; »mit Ihrer -Erlaubniß gebe ich dem Ganzen eine geschäftsmäßigere Form.« - -Sie nickte und ich ließ mit großer Geschicklichkeit das Original des -kleinen Schriftstückes in meiner Brieftasche verschwinden, als ich dem -Fräulein die Copie überreichte. Sie schien es gar nicht zu bemerken. - -»Sie sagten, Sie hätten auch etwas verloren,« begann sie nun ihrerseits -etwas schüchtern, »ist es auch ein Andenken?« - -»Ja, aber anderer Art,« erwiderte ich, »=mein= Andenken hat vier Beine, -einen krausen, schwarzen Pelz und bellt -- mein Hund ist mir verloren -gegangen!« - -»Ach, wie schade,« sagte sie bedauernd, »aber wie kann man einen Hund -verlieren!« setzte sie vorwurfsvoll hinzu. - -»Nun,« gab ich ruhig zurück, »ebensogut, wie man einen Ring verlieren -kann, den man am Finger trägt.« - -Sie lachte. - -»Ich hatte ihn aber abgezogen,« erwiderte sie eifrig, »ich wollte ihn -zu dem Juwelier dort drüben tragen,« sie wies nach einem hübschen Laden -mit großen Spiegelfenstern, »wie ich nun hinkomme und den Ring abgeben -will -- ist er fort, und ob ich ihn auf dem Wege oder sonst wo verloren -habe, weiß ich nicht.« - -»Ich denke, er findet sich wieder,« tröstete ich, »und ich für meine -Person werde jetzt immer mit niedergeschlagenen Augen umhergehen -- wer -weiß, ob ich nicht das verlorene Vergißmeinnicht irgendwo treffe und -dann so glücklich bin, es Ihnen zu geben.« - -In diesem Augenblick wurde Platz am Schalter, die junge Dame eilte -vor, gab ihren Zettel ab und verließ mit einer flüchtig freundlichen -Kopfneigung gegen mich die Expedition, während ich nach ihrem -Verschwinden gedankenlos mein Inserat bezahlte und mir dann überlegte, -daß es ja nun ganz unnöthig gewesen sei, meine Lüge dem Druck zu -übergeben. Doch Sie wissen, zu geschehenen Dingen läßt sich zwar noch -viel sagen, aber nichts mehr thun. Ich ging dann meiner Wege, grübelnd -und sinnend, wie ich den angeknüpften Faden der Bekanntschaft weiter -spinnen sollte. - -Plötzlich fiel mir etwas ein. - -Ich dachte, einmal gelogen, ist nach einem alten Sprichwort kein Mal, -also wollen wir es noch ein zweites Mal thun, und dabei mehrere Fliegen -mit einer Klappe schlagen -- die Gelegenheit zur Fortsetzung einer -Beziehung finden, die mich schon mächtig anzog, und dem liebenswürdigen -Mädchen väterliche Vorwürfe ersparen. - -Schnell, um dem Gewissen nicht erst Zeit zu lassen, mir etwas -vorzubellen, betrat ich den mir von der jungen Dame bezeichneten -Juwelierladen und bat, mir verschiedene Ringe vorzulegen. Während der -Kaufmann das Verlangte herbeiholte, durchblätterte ich rasch den auf -dem Ladentisch liegenden Adreßkalender, der mir auch bald über Namen -und Stand meines Gegenüber bereitwillig Auskunft ertheilte. - -Ich hatte Recht, der Vater des Mädchens war, wie ich vermuthete, -Justizrath -- leider sind die Adreßbücher nicht ausreichend, um -sonstige gewünschte Details über eine Familie zu erfahren. Indeß ich -wußte genug und begann mein Lügengewebe zuversichtlich weiter zu -spinnen. - -Ich suchte unter den Schmucksachen, die der freundliche Kaufherr mir -vorlegte, schüttelte den Kopf und sagte endlich, dies sei Alles nicht -was ich wollte, ich brauchte einen bestimmten Ring. - -»Ich will genau denselben haben, den Fräulein W..., die Tochter des -Justizrath W... in der T...straße, besitzt, es handelt sich um eine -Wette,« fügte ich rasch hinzu, da der Juwelier mich erstaunt ansah und -sogar ein wenig lächelte. - -»Ich erinnere mich des Ringes ganz gut,« sagte er nun, »und ich hatte -genau denselben noch einmal, habe ihn aber meiner Tochter geschenkt, -der er bei Fräulein W... so gut gefiel.« - -»Das ist betrübend,« erwiderte ich achselzuckend, »denn ich müßte ihn -bald haben. In zwei bis drei Tagen spätestens verlasse ich die Stadt -und möchte meine Wette gern vorher noch zum Austrag bringen.« - -Der Juwelier besann sich ein Weilchen. - -»Wenn Ihnen so sehr viel daran gelegen ist,« begann er dann zögernd, -»so könnte ich ja meiner Tochter später ein anderes Exemplar des -Gewünschten anfertigen lassen -- er ist nun freilich schon längere Zeit -getragen worden und sieht nicht mehr ganz so blank aus, wie ein neuer -Ring.« - -»Um so besser,« rief ich erfreut und unvorsichtig, setzte aber dämpfend -hinzu, »ich meine, das schadet nichts -- wenn Ihr Fräulein Tochter so -sehr gütig sein wollte!« - -»Ich will mit ihr sprechen,« bemerkte der Vater, dem die Sache -zweifelhaft schien, »vielleicht bemühen Sie sich morgen früh noch -einmal zu mir.« - -Ich versprach es und verließ den Laden, ärgerlich darüber -nachdenkend, wie ich nun den Tag hinbringen werde. Nachdem ich mein -schönes _vis-à-vis_ einmal gesprochen, konnten mich die stummen -Fensterbeobachtungen nicht mehr ergötzen, und waren gewissermaßen auch -unstatthaft geworden. - -In reiferen Jahren sieht man erst ein, wie thöricht es ist, sich -darüber zu beklagen, daß die Zeit nicht rasch genug vergeht! Aber die -Jugend, mit ihrem unerschöpflichen Reichthum an zukünftigen Tagen, -möchte oft das »heute« mit den Händen vorwärts schieben, um bald zu -irgend einem ersehnten »morgen« zu gelangen! - -Nun, auch mein Tag ging dahin -- und ehe ich mich's versah, war der -Abend da und die Nacht -- ich ging auf mein Zimmer, um mich zur Ruhe zu -begeben. - -Vorher öffnete ich noch einmal das Fenster und sah auf die Straße und -auf das Haus gegenüber. - -Das Wetter hatte sich aufgeklärt, ein ruhiger Mondschein lag auf den -Dächern, milde, warme Luft strich über meine Stirn -- ich konnte weiter -reisen -- wenn ich wollte! - -Ich schlief bis tief in den nächsten Morgen hinein und trat im Traum -auf einen kleinen harten Gegenstand, der sich als ein Ring mit einem -blauen Stein auswies. Freudestrahlend will ich mich eben damit nach dem -Hause des Justizraths begeben -- da klopft es an meine Thür, und die -naseweise Bemerkung: »Der Barbier ist da!« ruft mich aus der Traumwelt -in die rauhe Wirklichkeit zurück. - -Ich frühstückte eilig -- es war mittlerweile elf Uhr geworden -- und -wollte eben das Hotel verlassen, als ich neben meiner Kaffeetasse die -neueste Zeitung liegen sah. - -Hastig durchsuchte ich den Inseratentheil -- richtig -- da stand der -kleine, blaue Ring, und da stand Nap, im Falken Zimmer Nr. 10 abzugeben. - -Sofort machte ich mich auf den Weg zum Juwelier. - -Der prachtvollste Sommertag, klar und warm, war angebrochen -- zu einer -Gebirgsreise wie geschaffen! - -Ich schämte mich eigentlich, daß ich nicht reiste! - -Im Laden angekommen, bemerkte ich sofort an dem lächelnden Gesicht des -Inhabers, daß »Goldschmieds Töchterlein« wirklich so liebenswürdig -gewesen sei, den Ring herzugeben. Ich bezahlte, steckte mein -neuerworbenes Eigenthum schleunigst in die Tasche und begab mich nach -dem Hause, welches schon so lange der Gegenstand meiner eifrigsten -Beobachtungen war. - -Vor der Thür stand ich einen Augenblick still. Mir sagte eine innere -Stimme, daß ich mit dieser Schwelle zugleich einen bedeutungsvollen -Lebensabschnitt beträte -- und mit heiligem Schauder zog ich an dem -Klingelgriff. - -Meine Karte, die ein sauberes Dienstmädchen hineinbeförderte, mochte -wohl Verwunderung erregen, um so mehr, da ich nach den Damen gefragt -hatte, also nicht wohl für einen geschäftlichen Besucher gelten konnte --- aber ich wurde angenommen und befand mich bald in einem großen, -hellen Zimmer, das in einen schönen, blumengeschmückten Gartensalon -Einblick gewährte. - -Auf dem Sopha saß die schon erwähnte ältere Dame -- aber sonst war -Niemand zu sehen! - -Das Schicksal schien mir durch meinen schon ganz ausgearbeiteten -Entwurf einen häßlichen Strich machen zu wollen -- indeß ich konnte -nichts weiter dabei thun! - -Die Dame stand auf, machte mir eine Verbeugung und sah mich fragend an. - -»Ich muß sehr um Entschuldigung bitten,« begann ich, mit einer -mir durchaus neuen Verlegenheit kämpfend, »daß ich so fremd hier -einzudringen wage. Meine Kühnheit ist nur durch einen besondern Umstand -zu entschuldigen -- ich habe heute Morgen in der Zeitung gelesen, daß -eine Dame aus diesem Hause einen kleinen Ring verloren hat -- und ich -bin so glücklich gewesen, denselben wiederzufinden!« - -»Ach, Sophiechen's Ring,« rief die Dame mit sehr freundlichem Gesicht, -»das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, mein Herr, daß Sie sich selbst -zu uns bemühen. Das arme Kind hat sich schon soviel um den Ring -gegrämt, sie hatte ihn von der Tante Adele, die dann so bald gestorben -ist, eine Schwester der Frau Justizräthin, die uns auch leider so früh -entrissen wurde, und da durfte gar nichts verlauten, daß der Ring -verloren war, denn der Herr Justizrath ist im Allgemeinen sehr gut, -wirklich, man kann sagen, ausnehmend gut und nun gar zu Sophiechen ein -sehr guter Papa, aber Sie wissen ja, wie die Herren sind, sie haben -alle ihre Eigenheiten und eigen ist der Herr Justizrath auch.« - -Ich fand begreiflicher Weise weder Zeit noch Gelegenheit, ein Wort -einzuschieben. - -»Nun aber,« fuhr die gute Dame fort, »will ich Sophiechen holen. Sie -sollen selbst sehen, was sie für eine Freude haben wird! Sie ist ja -schon ganz unglücklich über den Ring! Nein, ich kann mich gar nicht -genug wundern, daß er wieder da ist! So ein kleines Ding, wie leicht -konnte er zertreten werden, oder bei dem Regen gestern -- er konnte -in die Gosse fallen -- und weg war er! Es konnte ihn ja auch Jemand -finden, der nicht ehrlich war -- es giebt zu schlechte Menschen!« - -Hier ging ihr glücklicherweise der Athem aus und sie verließ mit den -Worten: »Einen Augenblick, mein Herr!« das Zimmer, während ich meinen -Ring in der Hand hielt, mich schämte und mich freute. - -Es verging eine ziemliche Zeit, ehe die Dame wieder eintrat, und dicht -hinter ihr das junge Mädchen, deren Bekanntschaft ich schon gestern -gemacht. - -Sie stutzte, als sie mich sah, erröthete und setzte eine kleine -vornehme Miene auf. Ich wollte mich ihr eben mit einigen erklärenden -Worten nähern, als die Alte wieder dazwischen fuhr. - -»Na, Sophiechen, du wirst dich wundern! Du wunderst dich wohl schon, -nicht wahr? Wie ich ihr sage, daß sie mitkommen soll, es wäre ein -fremder Herr da, da sagt sie: »Tante, was soll ich denn drüben, du -kannst doch wohl einen fremden Herrn allein annehmen,« denn sie war -gerade über dem Einkochen von --« - -»Liebe Tante,« unterbrach sie das Mädchen freundlich, »das kann den -Herrn unmöglich interessiren!« - -Und dabei wandte sie sich zu mir und sah mich fragend an. - -»Darf ich wissen, was es ist, wovon meine Tante sich so große -Verwunderung meinerseits verspricht?« - -»Ich war so glücklich,« begann ich stockend, hielt aber inne und -überreichte ihr den Ring. - -Eine helle Freude flog über das reizende Gesicht und zwei große Thränen -traten ihr in die Augen. Mit ausgestreckter Hand kam sie auf mich zu. - -»Ich danke Ihnen -- ich danke vielmals! Sie machen mir eine unendlich -große Freude -- mein lieber Ring!« - -Ich kam mir in dem Augenblicke wie ein ganz nichtswürdiger Betrüger -vor! Hier stand ich und nahm Dank, Freudenthränen, freundliche Aufnahme --- sogar einen freundlichen Händedruck entgegen -- für einen ganz -abscheulichen Schwindel. - -Ich war drauf und dran, meine Sünden zu bekennen, und herausgeworfen zu -werden, als sich die Thür auf's neue öffnete und der stattliche Herr -des Hauses eintrat. - -Er blieb überrascht stehen, als er die Gruppe in der Mitte des Zimmers -erblickte. - -Sie -- die Gruppe -- sah auch nicht unbedenklich aus! Ein verlegener -junger Mann, ein erröthendes Mädchen mit Thränen in den Augen und einem -Ringe in der Hand und eine ältere Dame, die eben hätte segnen können! - -Diese Letztere stürmte indeß sofort auf den verblüfften Justizrath ein -und überschüttete ihn mit Ausrufen, Erklärungen, Vorstellungen -- bis -er sich lachend die Hände vor die Ohren hielt. - -»Das Kurze und Lange von der Sache ist jedenfalls, daß Sophie ihren -Ring verloren und wiederbekommen hat und daß wir Ihnen, mein Herr, -dafür zu danken haben.« - -Höfliche Verbeugung! Wieder ein Dank, den ich nicht verdiente! Ich -erstickte fast daran und mußte mich nun noch von dem Papa auf's Sopha -nöthigen lassen und eine halbe Stunde lang mit ihm über Juristerei -plaudern! - -Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich begreifen, wie einem Friseur -oder Schneidergesellen zu Muth sein muß, der als Graf in ein Weltbad -reist und demgemäß behandelt wird. - -Ich war, wie ich schon sagte, wirklich immerfort im Begriff, meine -Larve abzuwerfen und als blamirtes, aber ehrliches Schaf aus meinem -Wolfspelz hervorzukriechen -- aber der Zauber des Augenblicks war -stärker als ich -- ich blieb und schwieg. - -Als ich es endlich an der Zeit fand, die Familie nicht länger vom Genuß -des Mittagessens zurückzuhalten, lud mich der Hausherr in freundlicher -Weise ein, den Abend bei ihnen zu verleben, was ich tief beschämt, aber -äußerlich mit schöner Fassung annahm. - -So war ich denn nun durch die Dornenhecken gänzlicher Unbekanntschaft -in das verzauberte Schloß gedrungen, aber das Ritterschwert, welches -mir den Weg zur Prinzeß Dornröschen gebahnt hatte -- war eine Lüge! Mit -einem Seufzer und dem alten Wort, daß der Zweck die Mittel heilige, -sang ich mein Gewissen in Schlaf, und kehrte in den Gasthof zurück. - -Im Hausflur stand ein Mann in einer blauen Jacke, mit einer groben -Physiognomie, er trug einen kleinen schwarzen Hund auf dem Arm. Ich -achtete nicht auf ihn, sondern begab mich auf mein Zimmer, um mich -angenehmen Erinnerungen und noch schöneren Erwartungen zu überlassen. - -Leises Pochen an der Thür schreckte mich auf. - -Auf mein »Herein!« erschien zuerst der wohlfrisirte Oberkellner, hinter -ihm der Mann in der blauen Jacke mit dem Hunde, den ich beim Eintreten -bemerkt hatte. Der Letztere trat einen Schritt näher und indem er das -Thier am Genick faßte und mir mit vorgestrecktem Arm entgegenhielt, -sagte er: - -»Ich wollte fragen, ob das der Hund ist, den Sie verloren haben?« - -Meine Empfindungen sind schwer zu beschreiben! Lachlust und Beschämung -kämpften heftig in mir -- die greifbaren Folgen der =zweiten= Lüge -machten sich bemerklich. - -»Nein,« sagte ich kurz, »das ist nicht mein Hund!« - -»Am Ende doch!« bemerkte der Fremde, »er ist ja schwarz und klein!« - -Hierbei setzte er das Thier auf den Boden und schien es nicht wieder -an sich nehmen zu wollen. Die kleine, höchst gemein aussehende Creatur -fuhr, wahrscheinlich durch schlechte Behandlung gereizt, sofort bellend -und schreiend auf mich ein und schnappte in höchst ungemüthlicher Weise -nach meinen Stiefeln. - -»Sehen Sie, er kennt Sie!« sagte das blaujackige Individuum mit der -größten Frechheit, »ich bitte um die Belohnung, die in der Zeitung --« - -»Das ist doch zu stark!« rief ich nun meinerseits geärgert, »dieses -Thier habe ich nie gesehen, es beißt mich, und Sie wollen von mir noch -eine Belohnung? Dort ist die Thür!« - -Der Mann rührte sich nicht. - -»Nun, dann bitte ich mir wenigstens ein Trinkgeld aus -- ich habe zwei -ganze Stunden hier auf Sie gewartet und meine Zeit kostet Geld!« - -»Nemesis!« dachte ich und gab ihm, um es kurz zu machen, ein Geldstück, -worauf er den Hund wieder wie ein Bündel Lumpen ergriff und mit einem -höhnischen Kratzfuß das Feld räumte. - -Im Laufe des Nachmittags erschienen noch zwei Frauen und ein großer -schurkischer Junge, die Alle Hunde brachten -- der Junge sogar einen -weißen! -- und die mit Jammern und Grobheiten Futterkosten, Wartegeld -und wer weiß was sonst noch von mir erpreßten. Aber der Abend sollte -mich für diese Mühsal belohnen. - -Ich saß in dem hübschen Garten drüben bei meinen neuen Freunden, und -wir plauderten so gemüthlich, als kennten wir uns schon seit langer -Zeit. - -Dann ging Sophie in den Gartensaal und sang uns ein Lied; der Vater -sah vergnügt dazu aus -- und ich -- nun ich war auch ganz befriedigt -von meiner Lage. Aber Eins wußte ich schon an diesem Abend ganz genau, -daß meine Bekanntschaft mit Sophie nicht umsonst durch einen Ring -angefangen hatte -- wenn es nach mir ging, sollten noch mehr Ringe in -unseren gegenseitigen Beziehungen eine Rolle spielen. Also, es geht -manchmal schnell mit solchem Entschluß, wie dies Beispiel zeigt! - -Den nächsten Tag verbrachte ich wieder fast ganz im Hause des -Justizraths, wir hatten sogar eine Art Verwandtschaft aufgestöbert, -die zwischen einer Großmutter meiner Stieftante und einem Onkel des -Justizraths bestanden haben konnte -- ich hatte also gewissermaßen ein -Recht, dort zu sein! - -Nun, und es traf sich so, daß ich am dritten Abend mit Sophie und der -Tante im Gartensaal saß und die Letztere abgerufen wurde. - -Jetzt, werden Sie denken, hätte ich meinen schnell erblühten Gefühlen -gleich Worte gegeben? O nein, so von selber ging das nicht! Ich mußte -noch gehörig durch die Traufe. - -Wir saßen in etwas stockender, verlegener Unterhaltung zusammen, wie -das so leicht kommt, wenn man mehr zu sagen wüßte, als recht angehen -will -- da stürzt freudeglühenden Antlitzes die Magd des Hauses herein. - -»Na, Fräulein Sophie, Sie werden sich aber freuen! Ich bin in Ihrer -Stube und nähe und da fällt mir der Fingerhut auf die Erde und kollert -unter den großen Schrank. Ich hole mir den Johann und wir rücken den -Schrank etwas beiseite und was finde ich? -- Ihren Ring, den Sie so -gesucht haben!« - -Prosit die Mahlzeit! - -Ich weiß kaum anzugeben, was ich in dem Moment dachte. Mein Hauptgefühl -war lebhaftes Bedauern, daß die Wohnungen wohlhabender Privatleute -keine Versenkungen haben, in denen man in so entschieden blamablen -Augenblicken verschwinden könne. - -Sophie war ganz ruhig, nur sehr blaß geworden. »Ich danke, Christiane, -es ist mir sehr lieb, daß der Ring da ist -- Sie können gehen!« - -Die Magd verschwand, augenscheinlich sehr verblüfft über die ruhige -Aufnahme dieses freudigen Ereignisses. - -Sophie wandte sich zu mir, ihre Stimme zitterte etwas. - -»Ich darf Sie wohl bitten, Herr Doctor, mich über dies sonderbare -Zusammentreffen aufzuklären und -- Ihr Eigenthum wieder an sich zu -nehmen!« - -Bei diesen Worten streifte sie langsam den Ring, den ich gefunden haben -wollte, vom Finger und hielt ihn mir hin. - -Und ich? Nun ich that, was ich gleich hätte thun sollen -- ich -beichtete ehrlich, demüthig, zerknirscht, wie sie mich interessirt -hätte, ehe ich ein Wort mit ihr gesprochen, wie lebhaft ich gewünscht, -in das Haus ihres Vaters zu kommen, wie ich dann im Moment die ganze -Finte ersonnen und, einmal drin, nicht wieder herausgekonnt hätte. Und -dann bat ich sie flehentlich, den Ring zu behalten und wurde immer -eifriger und beredter und sagte schließlich Alles heraus, daß ich -den Ring nur dann wiedernehmen würde, wenn ich ihn mit einem andern -vertauschen dürfte -- mit dem Verlobungsring! - -Und daß mir verziehen wurde, beweist Ihnen die Thatsache, daß der -wirkliche Ring noch heut hier an meiner Uhrkette hängt -- sehen Sie, -das ist er! und daß Sophie seit einer langen Reihe von Jahren meine -Frau ist. Um aber noch einmal auf den Verlobungsmoment zurückzukommen, -so saßen wir ganz stillvergnügt zusammen, als plötzlich der Diener -erschien und mir ein Telegramm überreichte. - -Erschrocken und überrascht öffnete ich dasselbe. Es war von meinen -Tanten und lautete: - -»Anzeige im Kreisblatt unnöthig, Nap ist hier!« Daß nun die -Hundegeschichte auch noch an den Tag kam, daß Abends, als die -Gesundheit des Brautpaares getrunken wurde, der Schwiegervater meine -ganze Schlechtigkeit erfuhr, das können Sie sich denken. - -Aber sehen Sie, es kann manchmal schnell gehen mit dem Kennenlernen und -Verloben und es hält doch.« - -Der Zug begann langsamer zu fahren. - -»Leben Sie wohl, meine jungen Damen,« sagte der liebe, alte Herr -mit seinem freundlichsten Lächeln, »vergeben Sie, wenn Ihnen meine -Geschichte zu lang war, und nehmen Sie ja kein Beispiel daran! Immer -geht's nicht so gut ab mit dem Lügen und dann ist es doch sehr -unangenehm, wenn es an's Licht kommt!« - -Der Zug hielt an, der alte Herr verließ uns und ich habe ihn seitdem -nicht wieder gesehen. -- Aber noch heute besteige ich keinen Dampfwagen -ohne die leise Hoffnung, den silbernen Kopf meines alten Herrn mir -entgegenglänzen zu sehen und ihn noch einmal lachen zu hören! - - - - - Glück muß man haben! - -»Und wenn Sie, verehrtester Herr Amtsrath, meiner Werbung nicht -durchaus abgeneigt sein sollten, so darf ich wohl die ergebene Bitte -aussprechen, die Inlage Ihrer Fräulein Tochter zu übergeben und mir, -in freundlicher Rücksichtnahme auf die Verhältnisse, Ihre Antwort -womöglich noch im Laufe des heutigen Tages zugehen zu lassen, was sich -ja bei der fast stündlichen Eisenbahnverbindung zwischen hier und -Frankenberg sehr wohl ermöglichen läßt.« - -Mit diesen Worten schloß der Lieutenant Fritz Sterneck seinen Brief, -steckte ihn ins Couvert, schrieb die Adresse: »An Herrn Amtsrath -Solgers in Neu-Tessin bei Frankenberg« und legte das bedeutungsvolle -Schriftstück mit einem erleichterten »So« vor sich auf den Tisch. - -Die Lampe, welche diesen Tisch beleuchtete, kämpfte schon in -unschöner Mattigkeit gegen den jungen Sommermorgen -- noch dazu einen -Sonntagsmorgen -- der frisch, duftig und noch in leichten Frühnebel -verhüllt über der schlafenden Stadt emporstieg. - -Fritz löschte das Licht, welches ihm zu seiner nächtlichen Schreiberei -gedient hatte, und nahm mit dem seltsamen Gemisch von nüchterner -Müdigkeit und nervöser Erregung, welches wir in dieser allerfrühesten -Morgenstunde so leicht empfinden, am geöffneten Fenster Platz. Es -schien ihm kaum mehr der Mühe zu lohnen, den Schlaf noch einmal -aufzusuchen; er blickte, den Kopf in die Hand gestützt, gedankenvoll -auf den leeren Marktplatz zu seinen Füßen und unwillkürlich drängte -sich ihm die Frage auf, ob wohl jedem Bräutigam nach der Abfassung des -Werbebriefes so -- ja so richtig nüchtern zu Muthe sei? Oder lag es bei -ihm in den besonderen Verhältnissen? - -Er stand gewissermaßen in doppelter Hinsicht auf dem Sprunge. Sein -Abschied vom Militair war eingereicht und er trat bis zur Bewilligung -desselben am nächsten Tage einen Urlaub an, um sein väterliches Gut -selbst zu übernehmen, auf welchem er aufgewachsen, und an dem ihm jeder -Zoll Boden bekannt war. - -Ebenso bekannt war ihm die Familie eines Gutsnachbarn seiner Eltern, -des etwas gewaltthätigen Amtsraths Solgers, seiner schüchternen, -graublonden Frau, und seiner noch schüchterneren und noch graublonderen -Tochter Amalie. - -Nach der Meinung und Ansicht der Seinigen konnte Fritz gar nichts -vernünftigeres thun, als Amalien zu heirathen -- »die Aecker grenzten -nachbarlich zusammen, die Herzen stimmten überein« -- oder wenn sie -es nicht thaten, so war dies, wie ältere Leute oft zu sagen und an -Beispielen zu erläutern lieben, durchaus kein Grund, warum die Besitzer -dieser Herzen nicht äußerst glücklich mit einander werden sollten. - -Fritz war im Grunde seiner ehrlichen Seele, trotz eines hin und wieder -hervorbrechenden knabenhaften Uebermuthes, ein ganz klein wenig -Philister -- das heißt Familienphilister! -- was man daheim für gut -und wünschenswerth erklärte, hatte er bis jetzt auf Treu und Glauben -ebenfalls dafür hingenommen, und so war ihm auch Amalie Solgers immer -als etwas gutes und wünschenswerthes geschildert und erschienen. Immer --- bis heute Morgen, wo er sich entschlossen hatte, um sie zu werben! - -Als er, den großen Entschluß couvertirt und adressirt vor sich auf dem -Tische, in den herrlichen jungen Tag hinausblickte, der in seinen halb -durchsichtigen Wolkenschleiern die waldigen Hügel des nahgelegenen -Höhenzuges bald zeigte und bald verbarg -- da überfiel ihn mit -plötzlicher Traurigkeit das Bewußtsein, =was= ihm eigentlich fehle! So -duftig, so unbegrenzt und unbestimmt in Form und Umriß muß nicht nur -die Frühstunde eines schönen Tages -- nein auch die Morgenstunde des -Lebens sein, wenn sie nicht ihren Zauber verlieren soll! Der Reiz der -=Ungewißheit= war es, der seinem Zukunftsbilde mangelte -- es lag nicht -vor ihm, wie eine blaue Ferne im Frühlicht, die man mit ahnungsvollem -Entzücken, unbekannten Abenteuern entgegen, betritt -- sein Schicksal -glich einem kleinen, prosaischen Pachterhof im Mittagssonnenschein, -abgegrenzt, durch und durch alltäglich -- und nur =dem= begehrenswerth, -der die ersten Schaumperlen vom Lebensbecher schon getrunken hat! - -Er versuchte, sich einzureden, daß nur die schlaflose Nacht es sei, die -ihm sein neues Glück in so überwachter, mattfarbiger Beleuchtung zeige, -und griff nach der Mütze, entschlossen, den mahnenden und grollenden -Stimmen in seinem Innern durch eine vollendete Thatsache, d. h. durch -Abschicken des Briefes, Schweigen zu gebieten. - -Während er das Couvert noch in der Hand hielt, und zweifelhaft -betrachtete, wurde ihm klar, daß vor dem späten Abend auf Antwort -nicht zu rechnen sei, selbst angenommen, daß sein zukünftiger -Schwiegervater in der Laune sein sollte, ihm sofort ein »Ja« oder -»Nein« zuzurufen oder besser zuzudonnern; der Amtsrath war, wie gesagt, -ein gewaltthätiger Herr und hatte eine seinem Temperament entsprechende -Stimme, vermittels derer er die sanften Einwürfe seiner Frau und -Tochter einfach todtschrie. - -Im günstigsten Falle einen ganzen Tag lang auf solchen Bescheid zu -warten hat um so weniger etwas Verlockendes, wenn die Zeit einem -Sonntage angehört. Das dunkle Gefühl, daß dies der letzte Sonntag -ungebundener Freiheit für ihn sei, daß er vielleicht vor Ablauf der -Woche schon als mäßig beglückter Verlobter an der Seite der blassen -Amalie mit der stets etwas duldenden und leidenden Miene sitzen -werde, bewirkte, daß unser Held aufsprang und schnell, ohne viel zu -überlegen, einen grauen Civilanzug statt seiner Uniform anlegte, mit -dem Entschlusse, diesen »letzten Sonntag« noch auf irgend eine Weise -auszunützen, und sich als Spielball dem lustigen Dämon Zufall in die -Hand zu geben, der es vielleicht gut genug mit einem ehrlichen Gesellen -meinte, um ihm vor Thoresschluß noch einen amüsanten Tag zu gönnen. - -»Aber der Brief muß fort,« sagte Fritz vor sich hin, während er sich -anschickte, das Haus zu verlassen, »denn sonst bleibt die Geschichte -wieder wochenlang liegen, und ich möchte nun endlich einmal damit ins -Reine kommen.« - -Bei diesen Worten trat er auch schon auf den Marktplatz hinaus, an -dessen Eckladen ihm ein Briefkasten einladend entgegenwinkte. - -Als Fritzens Werbung in dem breiten Spalt des Kastens verschwunden war, -erhob er die Augen und erblickte zwei weibliche Gestalten, welche an -ihm vorbei über den Platz gingen. - -Es fiel ihm auf, daß die Damen zu so früher Stunde das Haus -verließen, und sein Interesse an ihren Beweggründen wuchs mit großer -Schnelligkeit, als er bemerkte, daß eine der beiden Spaziergängerinnen -ein junges Mädchen von ganz besonderer Anmuth war. Der breitrandige -Strohhut warf zwar über den oberen Theil ihres Gesichts einen leichten -Schatten, vermochte aber nicht zu verbergen, daß zwei blitzende, -dunkelblaue Augen sich als Licht in diesem Schatten befanden. Den -Augen entsprechend trug das ganze Gesicht, ja die ganze Erscheinung -des Mädchens, welches eben der Schule entwachsen zu sein schien, -ein unverkennbares Gepräge furchtlos schelmischen Uebermuthes und -Frohsinnes, dabei hatte sie eine gewisse vogelähnliche Beweglichkeit -in der Art, wie sie ihren zierlichen, blonden Kopf nach allen Seiten -drehte und mit der naiven Neugier eines Kindes überall umhersah. Sie -trug einen ziemlich großen Arbeitskorb mit festschließendem Deckel am -Arme; dieser und ein kreuzweis über der Brust zusammengestecktes weißes -Tuch gaben ihr ein gewisses sehr reizvolles Rokokoansehen, welches -unseren Fritz unwillkürlich an Friederike von Sesenheim gemahnen wollte. - -Die Begleiterin der jungen Schönheit war eine sehr wohlbeleibte Dame -mit einem unendlich gutmüthigen breiten Gesicht, welches in Form und -Ausdruck den Abbildungen der Sonne in manchen Bilderbüchern glich. -Gleichwohl bekam dieses Gesicht durch einen leisen Bartanflug auf der -Oberlippe, sowie durch einen Hut, der sich scheinbar durch Zauberei, -jedes Bindemittel verschmähend, auf ihrem Haupte erhielt, einen -gewissen Anstrich von energischer Unternehmungslust. - -Fritz schloß aus dem Körbchen, welches das junge Mädchen am Arme -trug, daß die Damen sich nach einem der Kaffeegärten zu begeben im -Begriff standen, welche, in der Vorstadt gelegen, häufig zu solchen -Morgenausflügen benutzt wurden, wenn auch selten zu so früher Stunde. -Er folgte in gemessener Entfernung und trat mit einem gewissen -Vergnügen in die Spuren sehr zierlicher Absatzstiefelchen, welche die -junge Dame in dem Sande der Promenadenanlagen hinterließ. - -An der nächsten Ecke wandten sich die Spaziergängerinnen nach rechts, -Fritz that ein Gleiches und befand sich auf einem freien Platze, einer -zahlreichen, munter durcheinander sprechenden Gesellschaft gegenüber, -die, um einen Omnibus gruppirt, sich entschieden zu einer Landpartie -rüstete. Die energische Dame mit ihrer reizenden Tochter, Nichte, -Pflegebefohlenen, was sie auch sein mochte, wurde freudig und zugleich -wegen der Verspätung vorwurfsvoll begrüßt, wobei Fritzens scharfes Ohr -es auffing, daß die junge Dame Lotte hieß, und man schickte sich an, -den Wagen zu besteigen. - -Fritz entwarf, als guter Stratege, blitzschnell seinen Plan und -ging als schlechter Diplomat an dessen Ausführung, ohne sich Zeit -zur Ueberlegung zu lassen. Er mischte sich mit edler Dreistigkeit, -ohne ein Wort zu sprechen, unter die Gesellschaft, und als ein sehr -geschniegelter, sehr blonder junger Mann eben im Begriff stand, seinen -Platz neben Fritzens Schönheit einzunehmen, schob letzterer ihn mit -einem höflichen »erlauben Sie« zurück und nahm, seinen Hut artig -lüftend, die Stelle des grenzenlos Verblüfften ein. - -Für wenige Sekunden bemächtigte sich eine solche wort- und -bewegungslose Ueberraschung der Gesellschaft, daß ein Unparteiischer in -Versuchung gekommen wäre, Fritzens hübsches, biederes Gesicht für ein -Medusenhaupt zu halten. Aber der unheimliche Zauber löste sich schnell, -und ein älterer, jovial aussehender Herr mit einem grauen Vollbart -trat mit den Worten auf unseren Helden zu: »Mein Herr, darf ich Sie -wenigstens bitten, uns zu sagen, =wen= wir die Ehre haben, in unserer -Mitte zu sehen?« - -Fritz, Erstaunen und sogar leichte Entrüstung heuchelnd, erwiderte mit -großer Unbefangenheit: »Ich sehe eigentlich keinen Grund dafür, mein -Herr, jeder Mensch hat doch das Recht, einen Omnibus zu einer kleinen -Spazierfahrt zu benutzen, ohne sofort über sein _Curriculum vitae_ -befragt zu werden!« - -Der düstere und kampfesmuthige Ausdruck, der sich bei der ersten -Hälfte von Fritzens Entgegnung über die männlichen Gesichter in der -Gesellschaft verbreitet hatte, wich nach und nach dem ironischen -Lächeln der Ueberlegenheit; »der wird einen guten Schreck bekommen,« -stand in leserlicher Schrift auf den Mienen der Anwesenden. Auch der -alte Herr, welcher der Festordner bei dieser Vereinigung zu sein -schien, lächelte. - -»Sie sind im Irrthum, mein Herr, dieser Omnibus ist von uns für -den heutigen Tag gemiethet und zu einem gemeinsamen Ausfluge im -geschlossenen Kreise bestimmt.« - -Der durchaus nicht überraschte Fritz war sofort ganz Beschämung und -Schrecken, er entschuldigte sich bei jedermann und der dazu gehörigen -Frau, er bedauerte auf's lebhafteste, ahnungslos einen solchen _faux -pas_ gemacht zu haben, und war, wie er versicherte, schon bestraft, -indem er eine ziellose Spazierfahrt, zu der ihn der schöne Morgen -verlockt, nun aufgeben und bescheiden in seine heiße Stadtwohnung -zurückkehren werde. - -Fritz konnte wirklich =sehr= liebenswürdig sein! Auch bei diesen -Entschuldigungen entwickelte er so viel Artigkeit und Gewandtheit, -daß sich das Vorurtheil der Gesellschaft fast ausnahmslos für ihn -entschied, was er schlau genug war, zu bemerken. Nur der blonde junge -Mann, den er von der Seite des schönen Mädchens verdrängt hatte, sah -düster und drohend aus und schielte zornig auf unseren Helden. - -Nach einer leise geführten Berathung mit den einflußreichsten -Mitgliedern der Gesellschaft trat der ältere Herr wieder auf Fritz -zu und forderte ihn freundlich auf, da er nun einmal in ihren Kreis -gekommen sei, den Platz im Wagen zu benutzen und mit ihnen zu fahren. -Fritz, dessen Uebermuth durch die ganze Situation sowohl, als durch -die etwas kleinbürgerlichen Allüren eines Theils der Gesellschaft -gestachelt war, stellte sich, um zu seinen neuen Bekannten zu passen, -auf seinen Civilanzug hin keck als Kaufmann Schröter vor, und nahm -mit den Gefühlen eines großen Jungen, der hinter die Schule geht, -glückselig neben der reizenden Lotte Platz. Er benutzte die wenigen -Minuten bis zur Abfahrt dazu, sein Herz gänzlich an das feine -Gesichtchen neben sich zu verlieren, noch ehe er eigentlich mehr als -zehn Worte mit der Eigenthümerin desselben gewechselt hatte. Das -Mädchen antwortete auch vor der Hand nur in schüchterner, kurzer -Weise und erröthete jedesmal sehr lieblich, wenn Fritzens Augen mit -unverhohlener Bewunderung auf ihr ruhten. - -Bald aber verflog ihre Befangenheit, und als der Wagen die Stadt -verlassen hatte und zwischen blühenden Saatfeldern hinaus auf das -Land zu rollte, plauderten die beiden schon so lustig und harmlos mit -einander, als hätten sie sich Jahre lang gekannt. =Was= zwei junge -Leute, die großes Gefallen aneinander finden, sich an einem schönen -Morgen auf einer Landpartie erzählen, darauf kommt es gar nicht an, das -=wie= ist die Hauptsache! - -Und =wie= konnte Fritz heute sprechen und parliren! Er entdeckte -in der frohen Erregtheit des Augenblickes eine ungeahnte Fundgrube -von guten Einfällen in seinem Innern, er hatte nie gewußt, daß es -ihm gegeben war, gefühlvolle Andeutungen in so leichter, gefälliger -Form anzubringen, es war ihm noch nie gelungen, ein so reizendes -Rosenroth auf einem Mädchengesicht durch seine Worte hervorzurufen, -mit einem Wort, er war noch nie verliebt gewesen, dafür war er es -jetzt intensiver, als er selbst wußte! Und auch seine allerliebste -Nachbarin schien dem Reiz des Augenblicks nicht ganz unzugänglich, die -Unterhaltung der beiden gerieth nie ins Stocken. - -Fritz vermied -- er wußte nur zu gut, warum -- jedes Eingehen auf -seine persönlichen Verhältnisse, obwohl er seine Lüge schon zu bereuen -begann. Er hätte am liebsten seine Identität mit dem ernsthaften, -überlegten jungen Mann ganz vergessen, der seit heute Morgen im Begriff -stand, eine »Vernunftsheirath« zu schließen. So viel stand bei ihm -schon nach der ersten Stunde, der größeren Hälfte der zurückzulegenden -Tour, fest, hätte er die Landpartie oder besser die Bekanntschaft -seiner anmuthigen Nachbarin =vor= der Abfassung des heutigen Briefes -gemacht, so wäre derselbe nicht geschrieben worden. - -Er bedurfte in doppelter Beziehung der Vorsicht, um sich nicht zu -verrathen, er mußte, um die Situation nicht zu verwickeln, nicht -Lieutenant Sterneck sein, sondern Kaufmann Schröter, und er durfte -nicht daran denken, daß sein Werbebrief jetzt, vielleicht in diesem -Augenblicke, vom Postboten aus dem Kasten genommen und zur Eisenbahn -befördert wurde. Beide Umstände boten einige Schwierigkeit, sowie die -Unterhaltung auf ihn selbst kam. - -Seine kleine Nachbarin war um so offenherziger, sie hatte nichts zu -verbergen. Seit Ostern war sie aus der Schule entlassen und nun bei -ihren Eltern zu Haus. Auf die heutige Landpartie hatte die Tante -- sie -wies auf ihre Nachbarin mit dem Schnurrbärtchen -- sie mitgenommen, -sonst war sie noch wenig aus dem Hause gekommen. - -»Die Tante meint es sehr gut mit mir,« fügte sie dankbar hinzu, »sie -weiß, daß ich zu Hause mit den vielen kleinen Geschwistern tüchtig zu -thun habe, und nimmt mich öfters gegen Abend mit spazieren. Sie ist -eine Wittwe und gewöhnlich ganz allein. Mich hat sie sehr lieb, und -wenn sie nächsten Winter auf einen Ball geht, soll ich mitkommen, und -sie will mir ein weißes Kleid und rosa Rosen dazu schenken. Aber was -ich Ihnen alles erzähle,« brach sie erröthend ab, »ich freue mich nur -schon so sehr darauf und vergesse ganz, daß Sie mich noch gar nicht -kennen.« - -»Ich denke, ich kenne Sie sehr gut,« sagte Fritz lachend, »und wenn Sie -mich etwa nicht kennen wollen, so ist das sehr undankbar von Ihnen! -Wüßten Sie, was ich alles heut gewagt habe, um diesen Tag in Ihrer Nähe -zu verleben!« - -Sie sah ihn verwundert und fragend an; ach, wie mit jedem Blick dieser -klaren, dunkelblauen Augen Amaliens Aktien sanken! - -»Ja, ja, sehen Sie nur nicht so erstaunt aus! Ich muß Ihnen beichten; -denken Sie wirklich, daß ich nicht wußte, was ich that, als ich, -ohne zu fragen, in Ihren Kreis hineinplumpte, wie der Zucker in den -Kaffee? War ich nicht schon eine halbe Stunde vorher hinter zwei Damen -hergegangen, vom Markte auf die Kronenstraße, von der Kronenstraße über -den Wall, vom Wall nach dem Omnibus, und wußte ich nicht, daß eine -dieser Damen wiederzusehen oder gar mit ihr bekannt zu werden für mich -das größte Glück« -- hier fiel ihm sein Brief an den Amtsrath ein -- -er stockte und fuhr verwirrt fort: »Mit einem Wort, mein Fräulein, ich -habe Ihretwegen gelogen, schmählich gelogen, ich wußte ganz genau, daß -ich bei Ihnen und den Ihrigen gar nichts zu suchen hatte und daß um -diese Zeit des Morgens noch gar kein öffentlicher Omnibus fährt -- und -nun sagen Sie, daß Sie =sehr= böse sind!« - -»Sehr!« erwiderte sie, ohne aufzublicken. - -»Soll ich herausspringen und zu Fuß nach Hause gehen? Oder noch besser, -soll ich so lange neben dem Wagen herlaufen, bis Sie mir verziehen -haben und mich wieder hereinrufen? Sie haben nur zu befehlen!« - -»Und wenn ich den Befehl gäbe,« sagte Lottchen verwirrt und lachend, -»würden Sie ihn ja doch nicht ausführen!« - -»Denken Sie, daß ich um Ihretwillen nicht noch ganz andere Dinge thäte?« - -Fritz war auf gutem Wege, das muß man sagen! Aber das ungestörte -Lachen und Plaudern der beiden sollte ein Ende finden. An der anderen -Ecke des Wagens, der Tante gegenüber, saß jener Blonde, den Fritz -so rücksichtslos verdrängt hatte. Er schien ein Protegé von Lottens -mütterlicher Freundin zu sein, und beide beobachteten unser Paar -unaufhörlich, wobei die Augen des Blonden mit den Wagenrädern förmlich -um die Wette rollten. - -Plötzlich erhob sich die Tante, wankte wie eine stattliche Fregatte -zwischen den Sitzenden hindurch, wobei verschiedene Stöße des Wagens -sie als solides Schoßkind bald dem einen, bald dem anderen auf die Knie -setzten, und langte mit den Worten bei Lotte an: »Liebes Kind, wechsele -doch den Platz mit mir, der Wind bläst mir ins Gesicht.« - -Mit einem fast unmerklichen Zögern erhob sich die kleine Schönheit -und begab sich an die Stelle der intriguanten Tante, welche mit -durchbohrenden Blicken neben dem verblüfften Fritz sich niederließ. - -»Nun, wie gefällt Ihnen unsere Landpartie, Herr Schröter?« fragte sie -sofort. - -»Bis jetzt ausgezeichnet,« sagte der doppelzüngige Fritz und -blickte forschend nach der anderen Ecke, wo der Blonde eine eifrige -Konversation ins Werk zu setzen begann. - -Die Tante betrachtete indeß aufmerksam unseren Helden, und sanftere -Gefühle begannen ihr Herz zu bewegen. - -»Er sieht wirklich sehr gut aus,« dachte sie, »und wer weiß, ob unser -Lottchen nicht hier ihr Glück macht! Ich muß ein wenig auf den Busch -klopfen, und ist er ein ordentlicher Mensch in angenehmer Lage, so kann -man ja weiter sehn!« - -Die gute alte Tante stiftete für ihr Leben gern Heirathen, wie alle -guten alten Tanten, und indem sie, ihrer Meinung nach sehr vorsichtig -und unmerklich, unseren Fritz auszuforschen begann, entspannen sich die -weitaussehendsten Pläne in ihrem Kopfe. - -Während Fritz, der ihre Absicht mit höchlichem Ergötzen durchschaute, -ihr in der vertraulichsten Weise von seinem einträglichen -Kolonialwaarengeschäft erzählte und Kaffeeproben zu senden versprach, -mit denen sie wohl zufrieden sein sollte, während er in dieses -übermüthige Lügengewebe die liebenswürdigsten kleinen Schmeicheleien -und Anspielungen auf ihre reizende Nichte einflocht, mit denen je eine -arglose Tante gefangen wurde, sah sich die wohlwollende Dame schon im -Geiste in einem violetten Seidenkleide an der Hochzeitstafel sitzen, -und hörte, wie der gerührte Brautvater ans Glas schlug und sie, die -Tante, als Begründerin dieses jungen Glückes hoch leben ließ, denn -hätte sie Lotte nicht mit auf die Landpartie genommen, so wäre ihr der -hübsche und vermögende Bewerber vielleicht, nein gewiß, nie begegnet. - -Um nun das Ihrige bei der Sache zu thun, erzählte sie dem aufhorchenden -Fritz mit geheimem Stolze, wie häuslich und fleißig Lottchen erzogen -worden, wie sie für jeden Mann ein wahrer Schatz sein würde, »und,« -fügte sie bedeutungsvoll hinzu, »so jung das Kind noch ist, sie hat -schon einen recht wohlhabenden Freier, sehen sie wohl, Herr Schröter, -den jungen Mann, der ihr gegenüber sitzt? Ich sage Ihnen, sie brauchte -nur mit den Augen zu winken und er hielt morgen um sie an! Aber -Lottchen hat ihren Kopf für sich, und ...« - -Hier hielt der Wagen mit einem gewaltigen Ruck und der Redefluß der -Eifrigen gerieth ins Stocken. Das Ziel der Fahrt war erreicht, bald -vereinigte ein vergnügtes Mahl die Gesellschaft, bei dem Fritz, Dank -sei es dem Glück und der Tante, seinen Platz neben Lottchen fand. - -Während unser Held, mit jedem Moment tiefer in die Empfindung -hineingerieth, deren erstes Keimen ihn heute zu seiner folgenreichen -Lüge verleitet hatte, behielt er gleichwohl den Kopf noch frei genug, -um sich beim Beobachten der Versammlung mit einiger Beschämung zu -gestehen, daß sein Uebermuth hier gar nicht am Platze gewesen, und -daß er ruhig in seiner wahren Gestalt hätte erscheinen können, ohne -sich etwas zu vergeben. Eine harmlose, maßvolle Heiterkeit belebte den -kleinen Kreis, und jeder genoß auf seine Weise die frohe Stunde bei -gutem Wein und in der hübschen Umgebung. - -Fritz nicht am wenigsten! Aus dem scherzenden, neckischen Tone von -unterwegs war er mit seiner Tischnachbarin allmählich in das Geleise -einer ruhigen Unterhaltung gekommen, in der sich das anziehendste aller -Bilder, eine kindlich klare und reine Mädchenseele, vor seinen Augen -aufrollte. Ihre Lebensanschauungen und Geschmacksrichtung entsprachen -so vollkommen dem Ideal, welches er im stillen lange vergeblich -gesucht, daß es ganz bestimmte Gedanken waren, mit denen er, sein -gefülltes Glas erhebend, halblaut zu ihr sagte: »Die Zukunft!« - -»Warum nicht lieber die Gegenwart?« gab sie unbefangen zurück, »wer -weiß was die Zukunft bringt, ich baue nicht gern Luftschlösser!« - -»Ich um so lieber«, erwiderte Fritz, »und bauen Sie mir zu Gefallen -einmal mit -- wie denken Sie sich Ihre Zukunft?« - -»Fragen Sie lieber, wie ich sie mir =wünsche=, das kann ich Ihnen -ebenso sicher sagen, wie es sicher nie in Erfüllung gehen wird: ich -möchte auf dem Lande leben!« - -»Bravo,« rief Fritz, »das lobe ich mir! Und auf die Erfüllung dieses -Wunsches leere ich mein Glas! Das Landleben ist das einzig vernünftige -Leben und ein Landwirth der glücklichste Mensch, vorausgesetzt --« er -vollendete mit einem sehr beredten Seitenblick, der wieder ein tiefes -Erröthen in Lottchens Gesicht trieb. - -»Wenn Sie aber auch so für das Landleben schwärmen,« begann sie hastig, -wie ablenkend, »warum bleiben Sie denn in der Stadt?« - -»Dort war ich ja nur vorübergehend für einige Jahre,« erwiderte Fritz -unvorsichtig, »von morgen an ist es mit dem --« - -Er stockte, erschrak und wurde fast noch röther, als seine Nachbarin. -»Was haben Sie denn?« fragte sie erstaunt. - -Fritz schwieg, er schämte sich! Kein angenehmer Zustand, solchen -vertrauenden, blauen Augen gegenüber! - -»Bitte, fragen Sie mich nicht, ich kann mich jetzt nicht näher -erklären,« sagte er verwirrt und ohne sie anzusehen, »in mir ist heut -alles unklar und unsicher, wundern Sie sich nicht, wenn ich viel -thörichtes rede, es kommt hoffentlich ein Moment, wo ich Ihnen alles, -was Sie nur überhaupt von mir wissen mögen, deutlich sagen kann und -darf!« - -Fritz, Fritz! Eine Uhr im Gastzimmer holte zu dröhnenden Schlägen aus, -die Zeit war schon weit vorgeschritten. Jetzt mußte der Brief längst in -Neu-Tessin sein, die Antwort -- alle Chancen sprachen dafür, daß sie -eine bejahende sein werde -- war möglicherweise schon unterwegs, und -dann? - -Fritz wurde es heiß und kalt, nun war aber auch hohe Zeit, daß er hier -ein Ende machte! Als man sich vom Tische erhob, begab er sich allein -und tief nachdenklich in den Garten, der um das Wirthshaus blühte und -grünte. Er kämpfte einen harten Kampf mit sich, mit seinem Gewissen -und seiner jungen Liebe, die ihn um so lockender ansah, als sie hinter -einem Gitter von Schwierigkeiten stand, welches seine eigene Schuld -errichtet hatte! Er athmete tief auf, sein Entschluß war gefaßt. Wie -auch die Sachen kommen sollten, er wollte sich nicht noch mehr Vorwürfe -zu machen haben, als er ohnehin schon empfand -- er ging festen -Schrittes auf das Haus zu, um seinen Hut zu holen und unter einem -Vorwande der Gesellschaft und allen schönen Träumen Lebewohl zu sagen! - -Aber der Zufall, dem er sich heute so leichtsinnig in die Arme -geworfen, ist ein heimtückischer Gesell, der seine Anhänger freilich -oft auf reizenden Waldpfaden zum erwünschten Ziele führt, oft aber -auch an jeder Biegung eines guten und verständigen Weges als neckender -Kobold sitzt und ruft: »Halt, du hast die Rechnung ohne den Wirth -gemacht, hier wird hübsch umgekehrt und ausgegessen, was du unter -meiner Aegide dir so schön eingebrockt hast!« - -Diesmal saß er, dieser böse Zufall, in Gestalt eines der Theilnehmer -am heutigen Ausfluge vor einem großen, verstimmten Dorfpianino und -gab im Schweiße seines Angesichtes einen etwas unregelmäßigen Walzer -zum Besten, nach dem sich die Gesellschaft, alt und jung, leicht und -schwer, geschickt und ungeschickt, munter zu drehen begann. - -Als Fritz in der offenen Thüre erschien und suchend nach seinem Hut -umhersah, begegnete ihm ein einziger, ganz kurzer und flüchtiger Blick -Lottchens, der, wenn je ein Blick gesprochen hat, fragte: »Tanzen Sie -nicht?« - -Fritz schwankte innerlich, wie ein Rohr im Winde, er tanzte gut, -das wußte er! Gut genug, um die Produktionen der ganzen hier -versammelten Gesellschaft in den tiefsten Schatten zu stellen, und -gern -- fast immer gern! Heute aber, in seiner halb glücklichen, halb -traurigen Stimmung mit dem reizendsten aller Mädchen dem Rhythmus -eines weichmüthigen Walzers zu folgen, während durch die geöffneten -Fenster die laue Sommerluft hereinstrich und die Rosen dufteten -- -ade Vernunft, ade Gewissen -- eben schreitet der blonde Rival im -zierlichsten Pas durch das Zimmer, das entscheidet alles! Fritz kommt -ihm zum zweiten Male zuvor, und der schönste Tanz beginnt, den er je -gehört oder getanzt hat! - -Wie er jetzt mit Lottchen dahinflog, feurig und doch taktmäßig, so, das -fühlte er deutlich, würde er mit ihr durch das Leben fliegen können! -Es mochte ja unrecht und unvernünftig sein, daß er geblieben war, aber -der Mensch ist so traurig geartet, daß ihm das Unvernünftige manchmal, -oft -- um nicht zu sagen meist, am besten gefällt! Und mit dem schönen -Gefühl, »nun hast du die Dummheit einmal gemacht, nun ist es auch -ganz gleich, wie weit du dich verrennst,« gestattete sich Fritz die -allerdeutlichsten Anspielungen auf seinen ohnehin sehr durchsichtigen -Herzenszustand und fand kein ganz unwilliges Gehör! - -Im Rausche des Moments und um sein Gewissen zu betäuben, steigerte -sich unser Held zu fast ausgelassener Lustigkeit; er tanzte wie -unsinnig, nicht nur mit Lottchen, nicht nur mit allen =jungen= Damen, -nein, er bewog sogar die Mütter und schließlich die gute Tante, -einen ehrsamen Schleifer unter seiner Führung zu wagen, was nach dem -nöthigen Sträuben, Lachen und Fingerdrohen die größte und allgemeinste -Heiterkeit hervorrief, er brachte mit Aufbietung aller Familienväter -eine Française zu Stande, die an künstlicher Verwickelung jedes -Erschaffene und Erfundene übertraf, er entzückte alles, außer dem -Blonden, der, von seinem Platze als Hahn im Korbe verdrängt, düster vor -der Punschbowle saß, und sich durch Massenvertilgung von Speise und -Trank an der Gesellschaft rächte. - -Endlich trieb man zum Aufbruch. Die Plaids, Tücher und Paletots wurden, -zu einem wüsten Knäuel geballt, von zwei Hausknechten herbeigetragen -und entwirrt. Fritz hatte Lottchens Sachen gewandt herausgefunden und -sie sorglich darin einzuhüllen geholfen, bis er seinen Platz neben ihr -wieder einnahm. - -Bald flog der Wagen durch die duftende Sommernacht hin. Ringsum war -es still und friedlich, die Sterne blitzten in schweigsamer Pracht; -sanft und groß stieg der Mond über den schwarzen Baumwipfeln herauf -und leuchtete mild auf dem dunkelklaren Hintergrunde des Nachthimmels. -Ganz, ganz fern schlug eine Nachtigall, es klang fast nur, wie das Echo -ihrer Stimme zu den Fahrenden hinüber. Wem sollte da nicht weich ums -Herz werden! - -Je näher sie der Stadt kamen, deren Lichter schon am Horizont -herauffunkelten, desto lebhafter fühlte Fritz den Wunsch, fast die -Pflicht, vor seinem Abschiede noch ein erklärendes, rechtfertigendes -Wort zu sagen, und fand keines! - -Ihm schlug das Herz mächtig, als er sich in der Stille der Sommernacht, -nach all dem Getöse und fröhlichen Lärm, wieder sagen mußte, was er -gethan! Das schweigende Mädchen hier neben ihm, dessen liebliches -Gesicht jetzt so seltsam nachdenklich dreinsah, es war mit der -unbefangenen Lust des Kindes heut von Hause gegangen, und hatte nicht -an die Möglichkeit gedacht, daß ein bleibender Eindruck, vielleicht ein -Geschick sich an diesen Tag knüpfen werde. - -That er jetzt, was er thun mußte, verließ er sie, ohne sie -wiederzusehen, nachdem er mit Wort und Blick sich bestrebt, ihr Herz -zu gewinnen, so hatte er von einem jungen, glücklichen Schmetterling, -der ahnungslos in den Blumengarten des Lebens fliegt, den ersten -Blüthenstaub in frevelhaftem Leichtsinn gestreift, nie wieder würde -das reine Vertrauen wiederkehren, mit dem das Mädchen in die Welt -getreten war, um sofort eine solche Enttäuschung zu erleben. Und doch -konnte, doch durfte er nicht sprechen, wer stand ihm denn dafür, daß er -nicht jetzt, in diesem Augenblicke der Verlobte einer anderen war? Der -Gedanke stieg ihm sinnverwirrend zu Kopfe, er seufzte tief auf. - -Lottchen wandte den Kopf und sah ihn an; es lag etwas so kindlich -Vertrauendes in diesem Blicke, daß er ihm ins Herz schnitt. - -»Sie seufzen so schwer?« sagte sie, halb lächelnd. - -»Ich denke wieder einmal an die Zukunft,« erwiderte er ernster, als er -noch heut gesprochen. - -»So lassen Sie doch Ihre Zukunft!« rief sie munter, »sie wird schon von -selbst kommen, und ändern können Sie doch nichts daran!« - -»Das frage ich mich eben!« gab er immer noch ernst zurück, »ich stehe -vor einem Wendepunkte in meinem Leben, Fräulein Lottchen, und das habe -ich heut den ganzen Tag zu wenig bedacht!« - -Er sah, daß seine Worte einen leichten Schatten auf ihr frohes -Gesichtchen riefen, der ihm einen neuen Reiz verlieh, aber einen Reiz -wehmüthiger Natur. Er fuhr hastig fort: - -»Wir sind bald am Ziel unserer gemeinsamen Fahrt, wer weiß, ob wir uns -noch einmal wieder treffen! Lassen Sie mich eine Bitte aussprechen, ehe -ich gehe!« - -Sie war ganz blaß und still geworden und nickte seinen Worten nur stumm -Gewährung. - -»Ich sagte Ihnen schon, daß ich vor einer Wendung meines Geschickes -stehe, vielleicht entscheidet der heutige Abend noch über jene Zukunft, -an die ich vorhin dachte -- wollen Sie mir nicht Glück auf meinen Weg -wünschen?« - -Seine Stimme war leise und innig bei diesen Worten, er beugte sich zu -ihr und nahm ihre Hand, zum ersten -- vielleicht zum letzten Mal! - -»Nun, kein Glückwunsch?« wiederholte er dringend, da sie schwieg. - -»Doch,« erwiderte sie, und zwang sich, ihn anzusehen, obwohl eine -seltsame Verwirrung auf ihren Zügen lag, »ich wünsche jedem Menschen -Glück, warum nicht Ihnen?« - -»Damit muß ich mich für heute begnügen,« sagte er, und führte ihre Hand -leicht an seine Lippen, »geht Ihr Wunsch in Erfüllung, so werde ich es -Ihnen noch einmal selbst sagen, und dann --« - -Der Wagen rollte hier zum Glück über das Straßenpflaster in die Stadt -hinein, die nickenden Beschützer und Beschützerinnen fuhren empor, -und an der ersten Ecke, wo der Omnibus einen Theil der Gesellschaft -absetzte, nahm Fritz sich den Entschluß über den Kopf weg, und -verabschiedete sich mit flüchtigem, herzlichen Dank von den Anwesenden, -die ihn wie einen alten Bekannten mit fröhlichem Zuruf entließen, -während Lottchen stumm und sichtlich erregt nur durch eine Kopfneigung -seinen Gruß erwiderte. - - * * * * * - -Als Fritz nach wenig Minuten vor seiner Hausthür stand, und der große -Schlüssel sich kreischend im Schloß drehte, war es ihm, als öffne er -sich selbst den Eingang zu einem lebenslangen Gefängniß. Wenn er nun -jetzt in sein Zimmer trat, und den Brief vorfand, der ihm das Jawort -brachte -- wie sollte er sich dann benehmen? Er war, das fühlte er, -er war zu weit gegangen, um einfach mit französischem Abschied aus -Lottchens Gesichtskreis zu verschwinden, und doch fehlte ihm Muth und -Lust, sich in seiner ganzen Schlechtigkeit vor ihr zu offenbaren, und -dann zu dieser ohnehin harten Strafe noch die andere, ungleich härtere -zu fügen, eine Verlobung mit der unseligen Amalie, die ihm in der -parteiischen Beleuchtung seiner anderweitigen Verliebtheit nicht mehr -als ein blasses, negatives Bild der Alltäglichkeit, sondern als ein -wahres Monstrum erschien! - -Als er die Stubenthür öffnete, begegnete sein Blick zunächst keinem -Briefe, sondern egyptischer Finsterniß, welche durch das laute -Schnarchen seines Burschen etwas gespenstisches erhielt. - -Daß Fritz keine Streichhölzer in der Tasche hatte, versteht sich von -selbst, wenn man sich gern schnell durch den Augenschein von etwas -überzeugen möchte, fehlt dergleichen immer! - -Der Bursche erwachte etwas mühselig, krabbelte, an alle Gegenstände -im Zimmer anstoßend, eine Zeit lang umher, die Fritz zur Ewigkeit -wurde, und die er doch nicht durch die Frage, ob ein Brief gekommen -sei, zu unterbrechen wagte, weil er bei sich dachte: »das erfahre ich -immer noch früh genug,« und endlich erstrahlte das Zimmer im Glanz -einer Kerze. Der Tisch, auf dem die eingegangenen Depeschen zu liegen -pflegten, war leer! - -»Ist nichts mit der Post gekommen?« frug endlich Fritz, bebend vor -Erwartung. - -»Nein, Herr Lieutenant!« - -Also nichts! Das Allerfatalste, weder Ja noch Nein, eine widerwärtige, -flaue Fluth von Möglichkeiten, in der man nun noch bis zum andern -Morgen schwimmen konnte! - -Eine zweite Nacht brach heran, die gleich der vergangenen schlaflos zu -werden drohte, das Durchkonjugiren von »hätte ich!« ist stets eine der -unerfreulichsten Beschäftigungen, ganz abgesehen von ihrer völligen -Nutzlosigkeit. Und dennoch beschäftigt sich jeder, der eine Dummheit -begangen hat, hinterher damit, sich zu sagen: »hätte ich dies gethan, -oder das =nicht= gethan!« - -Zum Glück siegte die übermüdete Natur für diesmal, unser armer Held -schlief ein, und schlief, traumlos, wie man immer schlafen sollte, bis -tief in den nächsten Morgen hinein, der ihm beim Erwachen grell und -golden in die Augen schien. - -Beim Frühstück konnte er wieder einen Brief erwarten, aber die Klingel -rührte sich nicht, und der Vormittag verging ihm, dem schon vom Dienst -Dispensirten, in bleierner Schwere. Endlich schlug die Stunde, wo er -sich, um sich abzumelden, nach der Kommandantur begeben mußte, er warf -sich in seinen Staat, und schritt wenige Minuten darauf mit Helm und -Schärpe, äußerlich ein energischer, junger Kriegsgott, innerlich ein -deprimirter Hase, seinem Bestimmungsort zu. - -Die Sache war schnell erledigt, und als Fritz den Heimweg antrat, -beschloß er, um seinen Gedanken ein wenig Audienz zu geben, noch einmal -durch die Anlagen zu wandern. - -Ihm war, er wußte selbst nicht, warum, jetzt hoffnungsfreudiger zu -Muthe. Hätte er ein »Ja« erhalten, so wäre die Antwort jetzt gewiß -schon da. Es war ja möglich -- entzückende Möglichkeit! daß er Amalien -über Nacht eben so widerwärtig geworden, wie sie ihm! Wenn er sich's -recht bedachte, hatte er überhaupt gar keinen Grund, anzunehmen, daß -sie ihm besonders gewogen sei; was er für Stille und Zurückhaltung -in ihrem Wesen genommen, war vielleicht -- nein gewiß! verborgene -Abneigung gewesen. Man kann sich bekanntlich nichts so leicht einreden, -als was man wünscht, Fritz war noch keine zehn Minuten gegangen, als er -schon glückselig einen imaginären Korb von Amalien am Arm, und einen -ebenso imaginären Ring von Lottchen am Finger trug. - -Diese letzte Möglichkeit spann sich denn in seinem Inneren zu dem -farbenreichsten Bilde aus, er stellte sich das Mädchen in ihrer ganzen -Lieblichkeit vor, so deutlich, daß es ihn kaum überraschte, als er, um -eine Ecke biegend, sich plötzlich ihr gegenüber sah. - -Mit unverhohlenem Entzücken griff er an den Helm, aber Lottchen blickte -ihn erst erschreckt, dann völlig fassungslos an, plötzlich wandte sie -sich ab, und setzte, ohne seinen Gruß zu erwidern, ihren Weg fort. - -Jetzt erst begriff Fritz ihre Empfindungen! Der Kaufmann -Schröter von gestern, der bescheidene Besitzer des einträglichen -Kolonialwaarengeschäfts, dem -- d. h. dem Besitzer! -- sie in ihren -Träumen bereits eine nicht ganz nebensächliche Rolle zugewiesen hatte, -er klirrte heute als bewaffnete Macht ihr entgegen, und sie wußte -begreiflicherweise nicht, ob eine wunderbare Aehnlichkeit sie täusche, -oder was sie sonst von ihm denken solle. - -Blitzschnell hatte Fritz die Davoneilende eingeholt, und schritt, ohne -ihr stummes Kopfschütteln, womit sie all seine Worte der Begrüßung -und Freude erwiderte, zu beachten, neben ihr her, die ziemlich -menschenleeren Anlagen entlang. - -»Wenn Sie wüßten,« begann er verwirrt und ganz unberechtigt -vorwurfsvoll, »=wie= ich mich freute, als ich Sie so überraschend -wieder vor mir sah, Sie würden mich nicht durch Ihren Zorn betrüben. -Sagen Sie mir nur, was Sie eigentlich von mir denken, um das eine bitte -ich Sie!« - -»Ich denke =gar nichts= von Ihnen,« erwiderte das Mädchen in einem -seltsam harten und kalten Tone, den man ihrer jugendlichen Stimme gar -nicht zugetraut hätte, »ich kenne Sie überhaupt nicht, und bitte Sie, -mich augenblicklich meinen Weg allein fortsetzen zu lassen.« - -»Fräulein Lottchen,« bat der unglückliche Fritz flehend, »wollen Sie -mich nicht wenigstens anhören? Sie thun mir sicher in Gedanken unrecht, -ich bin nicht so schuldig, als es den Anschein hat.« - -»Sondern noch viel schuldiger,« jammerte es in seinem Inneren, »wenn -sie schon über die einfache Namensverwechselung =so= böse ist, was -würde sie erst sagen, wenn sie wüßte! --« - -Fritz schauderte. - -»Was bezwecken Sie eigentlich mit dieser zweiten Komödie?« sagte -jetzt das Mädchen stehen bleibend, noch immer im selben Ton. »Was -Sie =gestern= gewollt haben, sehe ich heute wohl ein, uns alle zum -Spielzeug Ihrer hochmüthigen Laune benützen, nun es ist Ihnen ja -gelungen -- Sie haben Ihre Sache vortrefflich gemacht -- was soll ich -nun noch anhören?« - -Fritz blieb gleichfalls stehen, und ließ seine Augen erst einen Moment -traurig auf ihr ruhen, ehe er sprach. - -»Wenn Sie =so= fragen, dann bin ich zu Ende, ich kann dann nur meiner -Wege gehen, denn ich fühle, daß Sie ein Recht haben, mir zu zürnen, -und daß ich mich nur dann vertheidigen darf, wenn Sie es mir selbst -erlauben. Soll ich wirklich =so= von Ihnen scheiden?« - -Sie machte einen tapferen Versuch »ja!« zu erwidern, er scheiterte aber -an halb erstickten Thränen, die sich plötzlich in ihre Stimme und in -ihre Augen drängten. Heftig aufschluchzend schlug sie beide Hände vors -Gesicht und wandte sich von ihm ab. - -Ich muß gestehen, auf die Gefahr hin, meinen Helden sehr wenig -heldenmüthig erscheinen zu lassen, daß Fritz diesem Anblick nicht ganz -weit davon entfernt war, dem Mädchen herzhaft Gesellschaft zu leisten! -Eine solche Hochfluth widerstrebender Empfindungen schlug über seinem -Haupte zusammen, daß er sich von den wilden Wogen seiner Gefühle -rücksichtslos dahintragen ließ, er gestand Lottchen in fliegenden -Worten seine Liebe, und bekannte ihr, daß er gestern zwar anfänglich -in übermüthiger Laune seinen wahren Stand und Namen verleugnet habe, -daß er aber bald, sehr bald große Beschämung über diesen tollen Einfall -empfunden, und sich schon vor Ende des Tages bewußt gewesen sei, daß -aus seinem Scherz tiefster Ernst für ihn geworden, und daß er -- nun -kurz, was man in solchen Fällen sagt. - -»Und Lottchen,« fügte er dringend hinzu, indem er ihre Hand nahm, »wenn -ich Ihren Thränen eine Deutung geben darf, wenn auch Sie jener alten -Geschichte von der »Liebe auf den ersten Blick« seit gestern glauben -gelernt haben, dann lassen Sie mir als ersten Beweis davon Verzeihung -zutheil werden, oder lieber,« fügte er lächelnd hinzu, da sie ihn, wenn -auch noch durch Thränen, doch schon wieder freundlicher ansah, »seien -Sie so böse auf den »Kaufmann Schröter,« wie Sie nur irgend wollen, -aber haben Sie den Lieutenant Sterneck dafür umso lieber -- was meinen -Sie? Darf ich mich Ihren Eltern vorstellen, und ihnen sagen, daß Sie -mir diesen Besuch gestattet haben?« - -Nun, Lottchen war nicht von Stein, sie sagte zwar nicht ja, aber sie -nickte mit dem Kopfe, und das that dieselben Dienste! - -Näher kommende Schritte ließen unser Paar etwas bestürzt auffahren, -und Fritzens Schreck steigerte sich zu plötzlichem Entsetzen, als der -Störenfried sich in der sonst harmlosen Gestalt eines Briefträgers -präsentirte, der in geschäftsmäßigem Tritt, ohne rechts oder links zu -blicken, an ihnen vorüber nach der Stadt ging. »Glaubst du, dieser -Adler sei dir geschenkt?« schien mit feurigen Buchstaben um die Mütze -des ehrlichen Postbeamten geschrieben -- was für eine Pandorabüchse -konnte jene Ledertasche sein! - -Fritz verbarg mit Mühe seine Verwirrung, und trennte sich von -seiner reizenden Braut, wo die Anlagen in die Stadt münden, mit dem -nochmaligen Versprechen, sobald es seine Zeit gestatte, sich bei ihren -Eltern einfinden zu wollen. Noch ein herzlicher Händedruck, und ihre -Wege führten auseinander. Lottchen trippelte mit der ihr eigenen, -anmuthigen Schnelligkeit von dannen, und Fritz wandte wohl noch -zehnmal den Kopf, um mit Freude und Gewissensangst der Verschwindenden -nachzusehen. - -Als er einige Stunden später in stiller Beklommenheit auf seinem Sopha -saß, klopfte es, der Bursche brachte ihm einen Brief, Poststempel -Neu-Tessin! Nun also! Fritz hatte noch nie vor der Mündung einer -geladenen Pistole gestanden, er wußte demnach nicht aus Erfahrung, -wie einem dabei zu Muthe ist, ungefähr konnte er sich's aber nach -diesem Moment vorstellen. Es hilft doch nichts -- auf mit dem Brief! Er -lautete: - - Mein verehrter, junger Freund! - -Ihr Schreiben hat mich und die Meinigen geehrt und erfreut. Wir nehmen -Ihre Bewerbung um unsere Tochter gern an, und hoffen, in Ihnen einen -lieben Sohn zu finden. Meine Frau wollte schon bei unserem letzten -Zusammensein ganz klar die demnächstigen Ereignisse voraussehen, doch -hielt ich dies für eine Illusion, zu der das weibliche Geschlecht in -Betreff von Heirathsabsichten ja stets neigt. Nun hat sie doch Recht -behalten! - -Wir erwarten Sie morgen Abend zum frohen Verlobungsmahl, und wollen -dann alles andere mündlich erörtern. Ein Gruß von Malchen wird Ihnen -wohl nicht unangenehm sein? - - Ihr treu ergebner Schwiegervater _in spe_ - - Solgers, Amtsrath. - -Der Brief trug das Datum des gestrigen Sonntags. - -Das lähmende Entsetzen, welches sich unseres Fritz beim Durchlesen -dieses an sich ja sehr netten Schreibens bemächtigte, spottet jeder -Beschreibung. Er starrte den verhängnißvollen Zettel an, eigentlich -ohne Bewußtsein, er las ihn wieder, und noch einmal, aber auch nicht -ein Schimmer von Zweifel ließ sich daraus entnehmen! - -»Bei unserem letzten Zusammensein will die Amtsräthin etwas gemerkt -haben,« murmelte er dumpf, »=ich= habe nichts gemerkt! Wann soll denn -das gewesen sein? Ich bin ja seit fast vier Wochen nicht in Tessin -gewesen -- nun, es wird doch am Ende etwas daran sein! Es muß wohl den -Tag =sehr= guten Punsch gegeben haben,« sagte er gedankenlos vor sich -hin. - -Fritz sprang auf und schritt in wahrer Verzweiflung im Zimmer auf und -ab, sein Herz schlug so laut vor Angst, daß er es zu hören meinte. -War wohl je ein Mensch in solcher schrecklichen Lage, und solchen -verwickelten Familienverhältnissen! Nun hatte er zwei Bräute, zwei -Schwiegermütter und zwei Schwiegerväter, von denen der ihm bekannte ein -wahrer Bär von deutscher Grobheit war. - -=Wessen= er sich versah, wenn er mit seiner Beichte in Tessin -herausrückte, war gar nicht auszudenken, und er durfte doch nicht -wieder grob werden; hatte er nicht frevelhaft den Hausfrieden und -Seelenfrieden einer glücklichen Familie gestört? Und Amalie schien ihn -nun doch zu lieben, der schalkhafte Schlußsatz des Briefes deutete auf -das Aergste! - -Armer Fritz, zwei Mädchenherzen liegen zu deinen Füßen, =eines= mußt du -unfehlbar zertreten, magst du einen noch so künstlichen, moralischen -Eiertanz ausführen! - -Aber alles jammern und sich abmartern nützte nichts, jetzt hieß es -handeln, rasch, klug und rechtlich, er hatte nie gedacht, daß dies so -schwer wäre! - -In einer halben Stunde ging der letzte Zug an diesem Tage nach Tessin -ab, und man erwartete ihn »zum fröhlichen Verlobungsmahle!« Sollte er -schreiben? das war ihm unmöglich, er =konnte= sich nicht entschließen, -seine Schandthaten schriftlich in das Familienarchiv des Amtsraths -niederzulegen, nein, es mußte ausgebadet werden! Er schickte den -Burschen nach einer Droschke, und während dieser unterwegs war, schrieb -er eilig und innerlich zerfleischt von Höllenqualen einige Zeilen -an Lottchen, worin er ihr mittheilte, daß Familienangelegenheiten -unaufschiebbarer Natur ihn zwängen, die Stadt auf einige Stunden zu -verlassen. Sie möge ihm nur vertrauen, der nächste Tag finde ihn sicher -bei ihr und ihren Eltern. - -Schweren Herzens sandte er den Brief an seinen Bestimmungsort ab, und -fuhr dann zur Bahn. Seine stille Hoffnung, er werde den Zug versäumen, -und sich auf diese Weise eine Galgenfrist schaffen, trog, er kam -rechtzeitig an, und die Stunde, welche die Stadt und Neu-Tessin trennt, -war bald auf Dampfesflügeln durcheilt. - -Das von dem Amtsrath bewohnte Dominium Tessin, lag etwa zehn Minuten -von der Bahnstation Frankenberg. Als Fritz den Zug verließ, entdeckte -er bald die wohlbekannte, geschlossene Chaise seines Schwiegervaters -Nr. 1, wie er ihn in Gedanken nannte, denn nach dem alten Sprichwort: -»wer zuerst kommt, mahlt zuerst,« hatte Amalie entschieden den Vorrang -bei diesem seltsamsten aller Wettrennen. - -Ein ihm fremder Kutscher lenkte das Gefährt, und blickte spähend in -die aussteigende Menschenmenge. Als Fritz sich ihm näherte, und zur -Sicherheit sich noch einmal erkundigte: »Herrn Amtsrath Solgers Wagen?« -nickte der Rosselenker, und frug, das trübselige Gesicht vor ihm mit -einigem Mißtrauen betrachtend: »sind Sie der Herr Bräutigam?« - -Unwillig bejahte der gequälte Fritz, und bald rollte das Gefährt auf -der Landstraße dahin. Noch eine Biegung des Weges, da lag das Amtshaus, -von der untergehenden Sonne vergoldet, vor ihm. - -Als Fritz sich dem Hofe näherte, welchen man zu passiren hat, ehe -man das Haus erreicht, begrüßten ihn zwar arg verstimmte, aber doch -wohlgemeinte, schmetternde Klänge, die Dorfkapelle blies einen Tusch. -Die durch diese Ovation etwas erregten Pferde ließen sich erst schwer -zum Stehen bringen, Fritzens verstörte Augen bemerkten über der -Hausthür eine dicke Guirlande, und als er, halb betäubt vor Verwirrung, -dem Wagen entstieg, strömte ihm der warme Duft von Punsch und Braten -festlich entgegen. - -Vor der Thür stand der Amtsrath im schwarzen Leibrock, das -Ordensbändchen im Knopfloch, die Amtsräthin im Seidenkleide, -neugierige kleine Schwäger, Schwägerinnen und Dienstboten drängten -sich im Hausflur, Malchen schien sich in bräutlicher Verschämtheit im -Hintertreffen zu halten. - -Fritz schwankte, wie ein Gerichteter, der das Schaffot besteigen soll. - -Aber Unerwartetes begab sich. - -Das dröhnende »Willkommen,« mit dem der Hausherr den Wagen bereits -anzuschreien begonnen hatte, verstummte plötzlich wie abgeschnitten, -als er unseren Fritz erblickte. Es wäre schwer zu sagen, wessen Züge -die größere Verlegenheit ausdrückten, die des Ankommenden, oder die -der Erwartenden. - -Die Amtsräthin machte kurz kehrt, und zerstreute mit Wort und Geberde -die Neugierigen im Hausflur, dann ward sie nicht mehr gesehen. - -Ihr Gatte erhob mechanisch die Hand, kratzte sich hinter dem Ohr, und --- schwieg. - -Fritz schwieg auch, ihm war fürchterlich zu Muthe. Er glaubte, er mußte -ja glauben, daß der Anblick seines bleichen, deprimirten Gesichts so -niederschmetternd auf die schwiegerelterlichen Nerven wirke, daß man -keine Worte fände, ihn fröhlich als fröhlichen Bräutigam zu grüßen. - -Aber dies gegenseitige, schweigende Anstarren war zum Tollwerden! »Noch -zwei Sekunden so,« dachte Fritz, »und ich gebe Fersengeld, und laufe, -so weit mich meine Füße tragen.« - -Er räusperte sich mehrmals, streckte etwas gezwungen die Hand aus, und -begann: »Sie waren so überaus gütig, Herr Amtsrath --« - -Der alte Herr sah starr auf den Boden nieder, ergriff die dargebotene -Hand und schüttelte sie kräftig, dann sagte er mit bedrückter Stimme: -»Bitte, bitte, nicht Ursach', mein lieber Freund! Ich hatte freilich -nicht erwartet -- aber wollen Sie nicht einige Augenblicke näher -treten? Wir können unsere Besprechung ja in meinem Zimmer vornehmen.« - -Er ließ dem Schwiegersohn höflich den Vortritt ins Haus und öffnete -die Thür seiner zu gleicher Erde belegenen Wohnstube, in die ihm Fritz -ungefähr mit den Gefühlen folgte, die man im Vorzimmer des Zahnarztes -durchzumachen pflegt. - -»Darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten?« unterbrach der Amtsrath die -Grabesstille. - -»Sie sind sehr gütig!« und Fritz begann zu rauchen, und zwar mit einem -Eifer, als hinge sein Leben daran, daß er die Cigarre in zehn Minuten -bis auf die letzte Spur vertilgt habe. - -Der Amtsrath paffte eben so krampfhaft in seiner Ecke. - -Endlich erhob sich Fritz, und stellte sich, militärisch hoch -aufgerichtet, vor den alten Herrn. - -»Ich weiß in der That nicht, Herr Amtsrath, was Sie von mir denken -werden, wenn ich Ihnen eine Erklärung meiner Handlungsweise gegeben -habe, die --« - -»Aber ich bitte Sie, mein lieber, junger Freund,« erwiderte der Alte -ganz ängstlich, »wozu wollen Sie sich und mir eine solche unnöthige -Qual bereiten! Ich habe ja alles, was zu der Sache irgend zu sagen -war, in meinem Briefe auseinandergesetzt, und um Ihnen die Situation -zu erleichtern, wiederhole ich Ihnen noch einmal mündlich, was ich -schriftlich sagte, an meinem und meiner Tochter Entschluß ist nichts -mehr zu ändern, wenn Sie eine derartige Absicht herführt, so ist jedes -Wort unnöthig.« - -Fritz rang mit dem Tode! Er sah die Zornader auf der Stirn des Alten -schon im Geiste anlaufen, aber es half nichts -- durch! - -»Herr Amtsrath!« begann er von neuem, und fuhr sich mit dem Taschentuch -über die Stirn, »halten Sie mich für einen Elenden -- ich halte mich -selbst dafür, aber ich beschwöre Sie bei allem, was Ihnen heilig ist, -mein Gott, wie soll ich mich nur ausdrücken? ich flehe Sie an, nehmen -Sie Ihr Wort zurück!« - -»Aber sagen Sie mir, Herr,« rief jetzt der Amtsrath, »was ficht Sie -denn eigentlich an? Allen Respekt vor Ihnen, aber Sie benehmen sich, um -mich ganz gelinde auszudrücken, wie ein Narr! Seien Sie ein Mann, fügen -Sie sich ins Unvermeidliche, was ich gesagt habe, habe ich gesagt! Ich -werde mich doch jetzt nicht zum Gespött der ganzen Gegend machen, als -ein alter Schwachkopf, der nicht weiß, was er will! Meine Tochter ist -Braut -- und damit basta.« - -»Nun dann,« sagte Fritz mit der Ruhe eines Verzweifelten, »dann bleibt -mir nichts übrig, als mir eine Kugel vor den Kopf zu schießen! Ich habe -wie ein Ehrloser gehandelt, ich muß die Folgen tragen! Denken Sie von -mir, was Sie wollen, aber ich kann Ihre Tochter nicht heirathen!« - -»Was!« schrie der Amtsrath und sprang auf, »=was= sagen Sie da?« - -»Ich kann Ihre Tochter nicht heirathen,« wiederholte Fritz dumpf und -leichenblaß, »und nun machen Sie mit mir, was Sie wollen!« - -»Meine Tochter nicht heirathen?« brüllte jetzt der Amtsrath, und -sprang auf Fritz zu, ihn bei den Schultern packend, »aber Mensch, wer -verlangt denn, daß Sie sie heirathen? Bin ich toll, oder sind Sie toll, -oder sind wir's alle beide?« - -»Ich weiß nicht,« sagte Fritz ganz erschöpft, und sank in seinen Stuhl -zurück. - -Der Alte trat zum Nebentisch, goß zwei Gläser Wasser aus einer Karaffe -ein, trank eins, und reichte das andere unserem Helden. »So, das -schlägt nieder,« sagte er dann etwas ruhiger, »und nun sagen Sie mir -einmal, =was= Sie eigentlich wollen! Sie halten um meine Tochter -an, ich schreibe Ihnen, umgehend, wie Sie es verlangten, eine ganz -vernehmliche, möglichst freundlich abgefaßte Antwort, und statt sich -dabei zu beruhigen, wie ein vernünftiger Mensch, kommen Sie hierher -wie ein Tollhäusler, und schreien, Sie können meine Tochter nicht -heirathen! Ich muß Ihnen gestehen, ich finde es, gelinde gesagt, sehr -dumm und albern, daß Sie heute überhaupt hierher kommen!« - -»Aber mein Himmel,« rief Fritz, und durchwühlte seine Brieftasche mit -zitternden Händen, »Sie haben mich ja doch selbst eingeladen!« - -»Ich -- Sie?« schrie der Amtsrath noch lauter, »i, so schlag doch --« - -»Hier!« sagte Fritz lakonisch, und reichte dem alten Herrn seinen Brief -hin. - -Der Amtsrath las -- verfärbte sich -- wiegte den Kopf hin und her -- -plötzlich rief er: »Ach, du meines Lebens! Da habe ich eine schöne -Geschichte gemacht, lieber Sterneck, ich bin ja an allem schuld! Ich -habe den Absagebrief an Sie gleichzeitig mit dem Zusagebrief an meinen -Nachbar Rummler geschrieben -- der hielt zufällig vor zwei Tagen auch -um Amalie an, und wie ich nun Ihren Brief sofort beantworten mußte, da -habe ich in der Eile und Aufregung die Adressen verwechselt! Nein, das -ist ja schrecklich -- und nun sitzt mir der mit einem Korbe da! Er hat -auch Bahnstation in Frankenberg, und der Wagen sollte =ihn= holen und -nicht Sie! Ach, ich bin ein geschlagener Mann -- ich alter Esel! Nein, -ist denn das aber menschenmöglich?« - -Während der Alte wie außer sich im Zimmer umherrannte, ergoß sich in -Fritzens umdüsterte Seele eine wahre Sonnenhelle. Er sollte Amalien -nicht heirathen -- die gute, die liebe Amalie wollte ihn nicht, hatte -sogar schon einen Ersatzmann gefunden -- ach, das hatte er nicht -verdient! - -In überströmender Glückseligkeit sprang er auf und fiel dem erstaunten -Amtsrath um den Hals. »Lieber, alter Freund -- bester Herr Amtsrath -- -meine innigsten Glückwünsche -- ach, so habe ich mich doch in meinem -ganzen Leben noch nicht gefreut!« - -Es sprach eine so innige Ueberzeugtheit aus diesen Worten, daß dem -guten Amtsrath, was man ihm auch nicht verdenken kann, wieder ganz -unheimlich zu Muthe wurde. Er machte sich etwas unsanft los. - -»Na, lassen Sie das nur gut sein,« sagte er, und schob Fritz -mißtrauisch zurück, »was =Sie= denken und ob Sie sich freuen, ist mir -im Augenblick ganz egal -- ich weiß nur nicht, wie =ich= meine Eseleien -wieder gut mache, ohne daß es meine Weibsleute merken, sonst haben die -eine Handhabe gegen mich bis ans Ende meiner Tage!« - -»Ich will Ihnen einen Vorschlag machen,« nahm Fritz, dessen -Gefühlswogen sich zu legen begannen, jetzt das Wort, »Gefallen gegen -Gefallen! Borgen Sie mir Ihren Rappen bis morgen früh, dann reite ich -jetzt zu Herrn Rummler hinüber und besorge Ihnen einen Brief hin, den -Sie schnell schreiben, während ich mich anziehe -- und dann reite -ich zur Stadt und schicke Ihnen das Pferd morgen wieder heraus. Herr -Rummler kann in einer Stunde hier sein und niemand erfährt etwas!« - -»Ach, das ist Unsinn,« sagte der Amtsrath, »ich will Ihnen etwas -anderes sagen -- mir wird das Briefschreiben sauer -- geben Sie mir -Ihren Brief, und ich schicke ihn zu Rummler, und schreibe nur, =das= -wäre der richtige, und der andere wäre für Sie bestimmt. Wenn ich das -schreiben kann, so ist die Sache abgemacht.« - -»Meinetwegen,« rief der glückselige Fritz, »aber den Rappen geben Sie -mir mit. Ich =muß= nothwendig heute Abend nach Hause -- Sie sollen bald -erfahren, warum!« - -»Ich bin nicht neugierig,« sagte der unliebenswürdige Alte, »aber -eins sagen Sie mir -- =warum= haben Sie denn eigentlich um die Amalie -angehalten, wenn Sie so froh sind, daß sie Sie nicht haben will?« - -»Das ist eine lange Geschichte,« erwiderte Fritz, und wurde roth, -»wollte ich Ihnen die jetzt erzählen, so verbrennte der Braten, und der -Punsch, den das Brautpaar heute noch trinken soll, würde kalt. Lassen -Sie mich fort und schicken Sie den Wagen zu Ihrem Schwiegersohne. Und -nun leben Sie wohl, mein lieber, guter Herr Amtsrath -- sagen Sie Ihren -Damen -- -- was Sie wollen! Ich lasse mir den Rappen satteln!« - -Im Hause des Amtsraths ging es den Abend noch sehr lustig her -- -in manchen anderen Häusern gewiß auch -- es giebt ja, trotz aller -Pessimisten, noch immer eine ganze Menge vergnügter Leute auf der Welt --- aber ein fröhlicherer Geselle, als unser Fritz, den sein tänzelnder -Rappe durch den schönen Sommerabend nach der Stadt hin trug, die sein -Glück barg, war an diesem Abend schwerlich zu finden! -- Wie er es -angefangen hat, seine reizende Braut mit dem zweiten Akt der Komödie zu -versöhnen, die er auf der Landpartie zu spielen begonnen -- das geht -uns nichts an. Er wird schon mit ihr fertig geworden sein! - - -W. =Moeser Hofbuchdruckerei=, Berlin, Stallschreiber-Straße 34. 35. - - - - - Inhalt. - - - - Seite - - Hausgenossen 1 - - Und doch! 59 - - Der tolle Junker 85 - - Finderlohn 161 - - Glück muß man haben! 193 - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - - Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden übernommen, nur - offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt. - Im Original gesperrt gesetzter Text wurde mit = markiert. Text, - der im Original nicht in Fraktur, sondern in Antiqua gesetzt - war, wurde mit _ markiert. - - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Novellen, by Hans Arnold - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOVELLEN *** - -***** This file should be named 51901-8.txt or 51901-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/1/9/0/51901/ - -Produced by Norbert Müller and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Novellen - Hausgenossen. -- Und Doch! -- Der tolle Junker. -- - Finderlohn. -- Glück muß man haben! - -Author: Hans Arnold - -Release Date: April 30, 2016 [EBook #51901] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOVELLEN *** - - - - -Produced by Norbert Müller and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive) - - - - - - -</pre> - - -<h1> -Novellen</h1> - -<p class="center spaced">von</p> - -<p class="author">Hans Arnold.</p> -<div class="center spaced"> -<div class="boxed"> -<p class="center"><a href="#Hausgenossen">Hausgenossen.</a> — <a href="#Und_doch">Und doch!</a><br /> -<a href="#Der_tolle_Junker">Der tolle Junker.</a><br /> -<a href="#Finderlohn">Finderlohn.</a> — <a href="#Glueck_muss_man_haben">Glück muß man haben!</a></p> -</div> -</div> -<div class="figcenter" style="width: 100px;"> -<img src="images/signet.png" width="100" height="100" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p class="center">Berlin.</p> - -<p class="center gesperrt">Verlag von Gebrüder Paetel.</p> - -<p class="center">1881. -</p> - -<p class="center spaced">Alle Rechte vorbehalten.</p> - -<p class="dedication"> -Herrn -<br /> -<span class="big">Theodor Hermann Pantenius</span> -<br /> -in dankbarster Verehrung -</p> -<p class="center-right"> -zugeeignet. -</p> - -<div class="chapter"> -<h2><a name="Hausgenossen" id="Hausgenossen">Hausgenossen.</a></h2> - -<p class="first">In dem sonnenhellen, saubern Stübchen, das sie nun -schon seit zwanzig Jahren bewohnte, saß Fräulein Sabine -Krauthoff und strickte, während sie, mit einer Hornbrille -auf der Nase, in einem abgegriffenen Buche las, welches -sehr weit ab von ihr auf dem Tische lag.</p> - -<p>Am Fenster blühten, trotz des Winters, Nelken und -Balsaminen, und an den Wänden hingen allerlei Photographien -in jeder Größe und Stellung. Aber nur Bilder -von jungen Mädchen — Fräulein Sabine war Lehrerin -gewesen. Mitten über dem Sofa prangte ein nach Fröbelscher -Methode kunstvoll gefertigtes Flechtblatt unter Glas -und Rahmen — das hatte die Lieblingsschülerin des -Fräuleins, Käthchen Lang, geflochten, bei deren Eltern die -alte Dame im Hause wohnte, und die inzwischen zu einem -großen Mädchen herangewachsen war.</p> - -<p>Aus dem Schüler- und Lehrerinnenverhältniß hatte sich -mit der Zeit eine herzliche Freundschaft zwischen dem alten -und dem jungen Mädchen gestaltet. Käthe, die sonst leicht -ein wenig hochfahrend sein konnte, ja die in ihren Bekanntenkreisen -sogar wegen ihrer kurzen Antworten und -ihres gelegentlichen Uebermuthes als „sehr schnippisch“ bezeichnet -wurde, legte in der stillen Stube von Fräulein -Sabine all ihre kleinen Airs ab, und wurde immer wieder -zum Kinde, das seine Thorheiten beichtete und sich liebevoll -absolviren ließ.</p> - -<p>Nie verging ein Tag, ohne daß Käthe die drei Treppen -erstieg und an Fräulein Sabines Thür pochte — und so -sehr hatte sich die letztere an diese täglichen Besuche gewöhnt, -daß sie es recht schmerzlich empfand, als Käthe -vor einiger Zeit zu einer verheiratheten Freundin nach auswärts -ging und fast drei Wochen abwesend blieb.</p> - -<p>Doch nun war das vorbei — gestern hatte die Frau -Doktor Lang sich ihr Töchterchen von der Eisenbahn geholt, -und Fräulein Sabine erwartete nun ungeduldig den -Besuch des allgemeinen Lieblings. Ihr Harren sollte belohnt -werden. Nicht lange, so klopfte es; auf das „herein“ -kam ein junges Mädchen in die Thüre, schlank und groß -gewachsen, mit einem übermüthigen Zug um den kleinen -Mund, und einem sonnigen Lächeln in den dunkeln Augen. -Sie begrüßte ihre alte Freundin mit der ihr eigenen ungestümen -Herzlichkeit und setzte sich zu ihr — nicht auf -den Stuhl, sondern aufs Fensterbrett.</p> - -<p>„Und wie hast du dich bei Laura amüsirt?“ fragte -die alte Dame, nachdem sie den „mitgebrachten“ warmen -Shawl zur Genüge betrachtet und bewundert hatte.</p> - -<p>„O sehr gut, Sabinchen, es war eine nette Zeit! aber“ —</p> - -<p>„Nun, was „aber?“ fragte Fräulein Sabine erwartungsvoll, -und schob die Brille auf die Stirn zurück.</p> - -<p>„Ach — ich habe wieder einmal eine meiner gewöhnlichen -Dummheiten gemacht! Soll ich sie dir erzählen? -aber du mußt nicht schelten?“</p> - -<p>„Das kann ich nicht so gewiß versprechen,“ sagte die -Alte, indem sie ihren reizenden Liebling mit strahlenden -Augen betrachtete, „indessen fang nur an — es läßt dir -ja doch keine Ruhe, ehe du gebeichtet hast.“</p> - -<p>Käthe rückte sich auf dem Fensterbrett zurecht, und -pflückte eine von den rothen Nelken von Sabinens Blumenstock.</p> - -<p>„Nun also,“ begann sie, „ich reiste allein von Laura -zurück, und auf einer kleinen Station — Siegersdorff — -wo der Zug hielt, sah ich zum Coupéfenster hinaus. An -der Wand des Bahnhofsgebäudes mir gegenüber steht ein -Herr und sieht mich an — nicht gerade unbescheiden, aber -er fixirt mich doch unverwandt. Du weißt ja, Sabine, so -etwas kann ich nicht leiden, ich denke also: „sollst ihm -mal die Zunge herausstecken — der Zug fährt ja sofort -ab, und du siehst ihn nie wieder.“</p> - -<p>„Aber Käthe!“ rief das Fräulein erschrocken.</p> - -<p>„Siehst du, siehst du, daß du schiltst!“ rief Käthe, -und fiel ihrer alten Freundin ungestüm um den Hals, -„sei ganz still, sonst erzähle ich nicht weiter, und du hast dein -Leben lang die Angst mit dir herumzutragen, daß ich etwas -noch viel Schrecklicheres gethan habe, was du nicht weißt!“</p> - -<p>Die Alte machte sich lachend los.</p> - -<p>„Laß mich nur — ich bin ja schon still! Also —“</p> - -<p>„Also — in dem Augenblick, wo der Zug sich in Bewegung -setzt, führe ich mein Vorhaben aus! Nur ein -ganz kleines bißchen, Sabine — ich dachte schon, er hätte -es nicht gesehen! — aber er lächelte spöttisch und nahm -den Hut ab. Da fuhren wir hin.“</p> - -<p>Fräulein Sabine schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„Wirst du nie deinen Uebermuth ablegen, Kind!“</p> - -<p>Käthe zerpflückte die rothe Nelke unbarmherzig in Stücke.</p> - -<p>„O ja, Sabine“, sagte sie dann verlegen, „aber —“</p> - -<p>„Was aber? noch mehr solcher schöne Streiche?“</p> - -<p>„Ach, Sabine — die Geschichte ist ja noch gar nicht -zu Ende, das Schlimmste kommt nach. Also wir fuhren, -aber kaum hundert Schritte weit — der Zug wurde zu -meinem Entsetzen nur rangirt und rutschte nach fünf -Minuten wieder in denselben Bahnhof ein. Da stand -auch noch der Herr — und hatte er vorhin gelacht, so -lachte er nun erst recht!“</p> - -<p>„Angenehm!“ sagte Fräulein Sabine. „Und wie benahm -er sich?“</p> - -<p>„Er benahm sich gar nicht, sondern warf die Cigarre -weg und stieg in dasselbe Coupé mit mir. Und wir -fuhren mit einander bis hierher, wo er auch ausstieg!“</p> - -<p>Käthe sprang vom Fensterbrett. „Und was sagst du jetzt?“</p> - -<p>„Herzchen,“ erwiderte die alte Dame und lächelte gutmüthig, -„was soll ich sagen? Zu geschehenen Dingen -schweigt man am besten — das einzig Angenehme ist, daß -du den Mann wahrscheinlich nicht wieder sehen wirst.“</p> - -<p>Käthe sah nicht so entzückt aus, als man hätte vermuthen -sollen, und streute ihre Nelkenblättchen in die Luft. -„Meinst du?“</p> - -<p>Die Alte warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, und -zog die Augenbrauen etwas in die Höhe, als wollte sie -sagen: „aha!“ Sie schwieg aber.</p> - -<p>„Weißt du, Sabine,“ begann Käthe nach einer Weile -von Neuem, „er — der Mitreisende — benahm sich -übrigens sehr taktvoll. Da er merkte, in welch tödtlicher -Verlegenheit ich war, that er, als ob gar nichts vorgefallen -sei, und unterhielt mich von allen möglichen Dingen -— ganz ernsthaft und sehr nett. Nur einmal, als eine -alte Dame, die mitfuhr, von der Gegend sprach, und ihn -fragte, ob er nicht auch während der Reise auf die hübsche -Aussicht geachtet habe? sagte er ruhig: „o ja — besonders -in Siegersdorff!“ und dann sahen wir uns an und lachten -beide — ich auch, Sabine — das konnte ich nicht ändern! -Sonst war ich sehr würdevoll — nein, wirklich!“</p> - -<p>„Davon bin ich überzeugt,“ sagte die Alte ernsthaft, -„wie sah denn dein Freund oder Feind aus?“</p> - -<p>„Sehr gut — groß, dunkelblond und humoristisch — -und er war sehr hübsch angezogen.“</p> - -<p>Die alte Dame lachte.</p> - -<p>„Wenn’s nur kein Weinreisender war!“</p> - -<p>„Aber, Sabine, schäme dich! als ob man das nicht -merkte!“ In dem Augenblicke klopfte es.</p> - -<p>„Fräulein Käthchen möchten gleich herunter kommen, -Frau Majorin Scharff wäre da, und wollte etwas aus -dem Eckschrank, und Fräulein Käthchen hätten die Schlüssel -mit.“</p> - -<p>„Unausstehlich!“ sagte Käthe verdrießlich, „Scharffs -erwarten in den Tagen den gräßlichen Sohn, und borgen -sich wieder einmal die ganze Wirthschaft zusammen. Ich -komme,“ rief sie dem Mädchen zu.</p> - -<p>„Ist der junge Scharff so „gräßlich,“ wie du sagst?“ -fragte Sabine.</p> - -<p>„Ich habe ihn nie gesehen — aber wenn von einem -Menschen schon so viel gesprochen wird, hat man genug. -„Kurt sagt, Kurt schreibt, Kurt meint“ — so geht es -immerfort, als ob <em class="gesperrt">ich</em> mich darum kümmerte, was ihr Kurt -für Ansichten hat.“</p> - -<p>Fräulein Sabine war auch aufgestanden.</p> - -<p>„Weißt du, was ich glaube, Herzchen? Frau Scharff -möchte dich sehr gern für den „gräßlichen Sohn“ haben.“</p> - -<p>„Ach, das weiß ich ja schon lange! Aber ich danke, -Sabine — ich danke — ich will gar nicht heirathen — -oder“</p> - -<p>„Hör einmal, Käthe, du kommst mir sonderbar vor! -Deine Beichte war unvollständig! „Oder“ heißt das etwa: -„oder die Bekanntschaft müßte damit anfangen, daß ich -ihm die Zunge heraussteckte?“</p> - -<p>„Sabine,“ sagte das junge Mädchen würdevoll, „ich -begreife gar nicht, wie du mich so lange aufhalten kannst, -wenn du hörst, daß Mama auf die Schlüssel wartet!“</p> - -<p>Und fort war sie.</p> - -<p class="center noindent">*<br /><span style="margin-right:3em;">*</span>*</p> - -<p>Während diese Unterhaltung stattfand, herrschte bei -Käthens Eltern große Unruhe. An der Hausthüre war -schon seit längerer Zeit eine Wohnung ausgeboten worden, -und der Hausherr hatte sich bereits stummer Verzweiflung -überlassen, weil noch keine Nachfrage stattgefunden hatte.</p> - -<p>Jeder Mensch hat bekanntlich seinen Tollpunkt — die -Vermiethungsfrage war der Tollpunkt des Doktors!</p> - -<p>So lange der unheilvolle, weiße Zettel über seiner -Thüre prangte, war er melancholisch — seine Gedanken -irrten mit beängstigender Beharrlichkeit, aufgescheuchten -Vögeln gleich, um das betreffende Quartier, und er begann -und schloß den Tag mit Seufzen. Wenn seine Frau -mit dem triftigen Trostgrunde ins Feld rückte, daß ja -noch nie eine Wohnung in ihrem Hause leer geblieben sei, -so grub der Doktor regelmäßig einen alten General aus, -der inzwischen, nach der seitdem verflossenen Zeit zu schließen, -längst zum Feldmarschall oder unter die himmlischen Heerscharen -avancirt sein mußte, und dessen Quartier einst ein -volles Vierteljahr unvermiethet gestanden hatte.</p> - -<p>Zeigte sich dann ein präsumtiver Miether, so begann -ein neues Stadium in dem Zustande des Doktors. Er -hatte für nichts anderes Sinn und Gedanken, als für die -Chance, er sang mit dem französischen Grenadier „was -schiert mich Weib, was schiert mich Kind?“ und war für -alle häuslichen Vorkommnisse taub und blind.</p> - -<p>Heute nun war, gleich einem Sonnenblick, in sein -umdüstertes Gemüth ein Brief gefallen, in dem ein der -Familie bekannter Baron von Rabeneck um die Erlaubniß -bat, am Nachmittag zu erscheinen und die annoncirte -Wohnung in Augenschein zu nehmen.</p> - -<p>Der Baron galt zwar für einen etwas langweiligen -und unsäglich neugierigen Herrn — aber in der Noth ist -man nicht wählerisch — der Baron wollte miethen, und -der Hausherr sah seinem Eintreffen seit drei Uhr mit -fieberhafter Spannung entgegen.</p> - -<p>Die Familie — Käthe, die Älteste, ausgenommen, die, -wie wir wissen, bei Fräulein Sabine war, saß um den -Kaffeetisch. Eine stattliche Reihe von schulpflichtigen Kindern -— zwar nicht so viel, als unser schwäbischer Freund -besaß, der auf eine Anfrage nach dem Befinden der Seinen -antworten konnte: „ich danke, die „Meischte“ sind wohl“ -— aber immerhin genug, um zu Zeiten recht angenehmen -Spektakel zu machen.</p> - -<p>Die Hausfrau dirigirte mit Wort und Blick die stillbewegte -Gruppe, die zur Eile angetrieben wurde, um -beim Erscheinen des Miethers nicht den Eindruck der Räume -abzuschwächen. Jetzt klingelte es.</p> - -<p>„Kinder, schnell — trinkt aus, das ist er!“ rief der -Vater, und ließ sich in der Eile zu der unmännlichen -Handlung des Umgießens aus der Ober- in die Untertasse -für seinen jüngsten Sohn verleiten — doch zu spät! Die -Thür ging auf — aber nicht der Baron erschien, sondern -das heiter lächelnde Angesicht der Frau Majorin Scharff. -Die Kinder gingen trotzdem auf einen Wink der Mutter -hinaus. —</p> - -<p>Frau Scharff bewohnte mit ihrem Gatten, einem -Major a. D., die Beletage. Dieser Gatte und ihr Sohn -waren ziemlich die beiden einzigen Gegenstände, welche sich -die Frau Majorin nicht geborgt hatte, sondern rechtmäßig -besaß. Man kann es ihr daher nicht übel nehmen, wenn -sie mit besonderem Stolz auf diese beiden blickte. Eine -gute, ganz gescheidte Frau von stets heiterem Temperament, -hatte sie nur die Manie, alles zu verlegen, zu verlieren, -und sich mit einer wahrhaft genialen Unverdrossenheit -durch Entlehnen von dem, was ihr momentan fehlte, aus -der Verlegenheit zu ziehen.</p> - -<p>Ihr Mann wußte entweder nichts davon — oder er -wollte nichts davon wissen, was ziemlich auf eins herauskommt. -Er hatte es zu seiner Vorgesetzten und seinem -eigenen größten Erstaunen bis zum Major gebracht und -war dann erschöpft ins Privatleben zurückgesunken. Seine -Geisteskräfte, die ohnehin nie üppig wucherten, hatten sich -seitdem auf Whist konzentrirt, und keine Gemüthsbewegung, -kein Familienereigniß freudiger oder trauriger Natur war -bisher im Stande gewesen, ihn derart zu erregen, daß er -nicht, so wie der erste Sturm vorüber war, die Seinigen -gefragt hätte: „machen wir heute keine Partie?“</p> - -<p>Ja es ging die dumpfe Sage, daß er an dem Abend, -wo sein einziger Sohn das Licht der Welt erblickte, zwei -Stunden darauf einen Whisttisch herbeigeschoben und -seiner Schwiegermutter zur Erholung eine Partie Whist -vorgeschlagen habe.</p> - -<p>So lange seine Bequemlichkeit und sein Whist ihm -ungestört blieben, ließ er den Dingen ihren Lauf, und -seine Frau mochte die Wirthschaftsutensilien aus allen benachbarten -Familien rekrutiren — ihn focht es nicht an.</p> - -<p>Sein Sohn, der inzwischen als sehr begabter und -tüchtiger Offizier die beste Carriere machte, hatte für ihn -erst Interesse gewonnen, als er den Dritten beim Whist -abzugeben vermochte, was den jungen Mann nicht hinderte, -seinen Vater sehr zu lieben, und mit großer Ehrerbietung -an beiden Eltern zu hängen. Dieser Sohn, das Glück -und der Stolz der Mutter, wurde, wie wir von Käthe -gehört haben, erwartet, und die Frau Majorin hatte bereits -eine Bettstelle mit Betten, einen Teppich, einen Waschtisch -und zwei Leuchter von der Doktorin Lang entlehnt, -und kam soeben, um zu fragen, ob ein überzähliger Flügel -reiner Gardinen vakant wäre, da sie das Gastzimmer sonst -soweit in Ordnung habe.</p> - -<p>Die gutmüthige Doktorin versprach, danach zu sehen, und -lud ihre Hausgenossin zum Sitzen ein. Doch diese lehnte ab.</p> - -<p>„Nein, nein,“ sagte sie eilfertig, „o ich habe noch sehr -viel zu thun — denn, liebste Lang, ich komme mit einer -großen Bitte — trinken Sie nicht heute Abend mit uns -Thee? Keine Gesellschaft — nur etwa zwölf bis fünfzehn -Personen — bitte, schlagen Sie es mir nicht ab!“</p> - -<p>„Wir kommen herzlich gern,“ sagte die Doktorin, -„wenn mein Mann nichts dagegen hat.“</p> - -<p>Der Doktor war herausgegangen, um die Straße -herunter zu spähen, ob der Miether sich nicht zeigte. —</p> - -<p>„Ach, was sollte er dagegen haben!“ sagte Frau -Scharff, „heut muß er kommen — ich habe eine kleine -Überraschung vor! Aber liebe Lang — eine Bitte! Meine -Pauline ist so ungewandt — können Sie mir Ihre -Köchin auf heute Abend leihen? Wir haben nur zwei -Gerichte, und sie ist so prächtig flink — das weiß ich! -Im Hause geht das ja sehr gut!“</p> - -<p>„Ja, ja, das will ich thun, Frau Majorin,“ -sagte Frau Lang lächelnd, „kann ich sonst mit etwas -dienen?“</p> - -<p>„Nun ja — wenn Sie mir Ihre große Bratenschüssel -und zwei Dutzend Mittelteller und Ihre Gabeln, fünfzehn -Weingläser und die silberne Zuckerdose leihen wollten, so -wäre ich Ihnen sehr dankbar! Ach, und Beste — -die beiden großen Lampen — aber lassen Sie sie bald -füllen; meine Leute verstehen sich so schlecht darauf! Das -ist alles — denn die Kompottschüsselchen und die Bowlengläser -habe ich noch oben. Aber richtig — Sie haben -wohl nicht ein Pfund Speck zu Hause? meine Pauline -hat es heut früh mitzubringen vergessen! Wir haben -Rehrücken und sie soll ihn noch spicken.“</p> - -<p>„Ich werde sogleich nachsehen,“ erwiderte Frau Lang, -und griff in die Tasche — die Schlüssel fehlten! Bei -dieser Gelegenheit schickte sie zu Fräulein Sabine, um -Käthe holen zu lassen, die auch bald erschien und von der -Majorin aufs zärtlichste begrüßt wurde.</p> - -<p>„Mein liebes Käthchen — nein, wie reizend steht -Ihnen die neue Frisur! Wie haben Sie sich bei Ihrer -Freundin amüsirt? Ich bitte eben bei Mamachen vor, -ob Sie uns heute Abend nicht besuchen wollen — ich -habe eine kleine Ueberraschung <em class="antiqua">in petto</em>! Nicht wahr, -Sie kommen doch? Ich schrieb noch neulich an meinen -Sohn: „eine Gesellschaft ohne Käthchen ist mir gar nicht -denkbar — sie ist so belebend!“</p> - -<p>Käthe, die bis zu diesem letzten Satz sehr freundlich -ausgesehen hatte, machte eine ungeduldige Bewegung und -zog die Hand fort.</p> - -<p>„Nun muß ich aber gehen, liebe Frau Doktorin,“ -sagte die Majorin eilfertig, „also Ihre Anna bringt nachher -alles mit herauf, nicht wahr?“</p> - -<p>Damit ging sie, und die Doktorin blieb mit Käthe -allein. Sie legte ihrer Tochter die Hände auf die Schultern -und sah ihr forschend ins Gesicht. „Käthe, warum bist -du nur wieder so unfreundlich gegen die gute Majorin?“</p> - -<p>„Weil sie mich nicht mit ihrem langweiligen Sohn in -Frieden läßt!“ erwiderte Käthe unartig.</p> - -<p>Die Doktorin schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„So laß sie doch — für die Pläne der Mutter kann -der Sohn nichts — und außerdem — Käthe, wäre es -denn nicht sehr hübsch, wenn etwas daraus würde? Eine -andere Neigung hast du nicht“ —</p> - -<p>Käthe mußte wohl an der Tischdecke gezupft haben, -denn der Schlüsselkorb fiel zur Erde, und sie mußte die -Schlüssel aufheben, wozu sie eine ganze Weile brauchte -und sehr roth wieder zum Vorschein kam — vom Bücken -jedenfalls!</p> - -<p>„Und der junge Scharff soll ein vortrefflicher, höchst -gescheidter Mann sein,“ fuhr die Mutter fort, „thu mir -wenigstens den Gefallen, dich nicht von vornherein gegen -ihn einzunehmen! Seine Briefe haben dir ja immer so -gut gefallen!“</p> - -<p>Käthe schwieg hartnäckig.</p> - -<p>„Da klingelt es,“ unterbrach sich die Mutter, „hier, -Käthe, ich habe mir alles notirt, was die Majorin sich -zu heute Abend leihen will — gieb es einmal heraus!“</p> - -<p>Käthe nahm mit einem ironischen „weiter nichts?“ das -Verzeichniß in Empfang, und ging hinaus, eben, als der -Vater zur andern Thür hereintrat.</p> - -<p>„Er kommt wieder nicht!“ sagte er resignirt, „ich -werde jetzt ausgehen! Hausbesitzer sein ist ein Vergnügen.“</p> - -<p>„Ja, ja, er kommt,“ beschwichtigte seine Frau, „eben -klingelt es — da ist er schon!“</p> - -<p>Richtig — so verhielt es sich! Herr Baron von -Rabeneck erschien mit einer tadellosen Verbeugung auf der -Schwelle. Er war ein mittelgroßer, schlanker Mann, mit -sehr vorsichtig frisirtem, dunkelblondem Scheitel, mit kurzsichtigen -Augen, die er stets etwas einkniff, mit einem parfümirten -Taschentuch, und einem kornblumenblauen Schlips.</p> - -<p>„Ganz ergebensten guten Tag, meine Herrschaften,“ -sagte er eintretend, „Sie sind beim Kaffee? lassen Sie sich -nicht stören! Trinken Sie immer hier Kaffee?“</p> - -<p>„Ja,“ sagte der Hausherr etwas kurz. Seine Frau, -der die Fragepassion des Barons, und die kurze Geduld -ihres Mannes schon bekannt war, wollte mit einer Gegenfrage -dazwischen kommen, aber der Baron ließ sich nicht -so leicht beirren. „Ich trinke auch Kaffee,“ fuhr er fort, -„sehr gesundes Getränk? Was? Trinken Sie auch Kaffee, -Frau Doktorin?“</p> - -<p>„Ja,“ sagte der Doktor gereizt, „meine Frau trinkt -Kaffee — meine Tochter auch, meine ganze Familie trinkt -Kaffee!“</p> - -<p>Die Hausfrau mischte sich ins Gespräch. „Sie wollten -unser leeres Quartier sehen, Herr Baron?“</p> - -<p>„Ja,“ erwiderte der Neuangekommene behaglich, „ich -sah heute bei meinem Morgenspaziergang, den ich immer -durch diese Straße mache — hübsche Straße, was? — -daß hier ein Miethszettel hängt — wollte doch mal nachfragen. -Erster Stock, was?“</p> - -<p>„Nein — zweiter Stock — vier Zimmer mit Balkon,“ -gab der Doktor zurück.</p> - -<p>„Oh — charmant — vier Zimmer? Balkon? Ganz -mein Fall! Alles Vorderzimmer? Küche? Gesund? Hoch? -Still?“</p> - -<p>„Wie wäre es,“ schlug die Hausfrau vor, „wenn Sie -mit mir einmal hinaufgingen, Herr Baron, und die -Wohnung selbst in Augenschein nähmen? Ich hole mir -nur ein Tuch, und bin gleich wieder da!“</p> - -<p>„Bitte, bitte,“ erwiderte der Baron verbindlich, und -ging Käthe entgegen, die eben wieder hereintrat, und am -Fenster mit einer Arbeit Platz nahm.</p> - -<p>Sie lud den Gast durch eine schweigende Handbewegung -ein, sich auch niederzulassen. Käthe war sehr wortkarg, -wenn ihr jemand nicht gefiel.</p> - -<p>Der Baron in seiner Frageseligkeit empfand die Pause -schmerzlich, und wandte sich an das junge Mädchen.</p> - -<p>„Sie sticken, mein Fräulein? Weiß?“</p> - -<p>Käthe hielt ihm ihre Arbeit hin.</p> - -<p>„Ja, Herr Baron! Interessiren Sie sich für dergleichen?“</p> - -<p>Der Baron hustete zierlich.</p> - -<p>„Ich interessire mich für alles, mein Fräulein! Schon -meine selige Mama sagte immer: Chlodwig, du interessirst -dich für alles! Ich heiße nämlich Chlodwig! Hübscher -Name, was? Der fünfte Chlodwig in unserer Familie -— mein Papa hieß auch Chlodwig! Wie heißt Ihr -Papa?“</p> - -<p>„Friedrich,“ erwiderte Käthe, die mit Mühe ein Lächeln -unterdrückte.</p> - -<p>„Friedrich — so so — und Ihre Frau Mama?“</p> - -<p>„Fragen Sie sie selbst,“ sagte der Doktor ungeduldig, -„da kommt sie.“</p> - -<p>Als die Hausfrau mit dem Baron verschwunden war, -sagte der Doktor zu Käthe: „wenn <em class="gesperrt">dieser</em> Fragekasten -die Wohnung miethet, zünde ich das Haus an allen vier -Ecken an. Der fragt einen todt.“</p> - -<p>Käthe lachte. „Laß ihn, Papa! Du brauchst ja nicht -mit ihm umzugehen. Vielleicht spielt er Whist, da kann -er sich mit Scharffs befreunden, die er ohnehin schon -kennt. Weißt du denn, daß sie heute eine Gesellschaft -geben?“</p> - -<p>„So?“ brummte der Doktor, „was haben sie sich denn -schon geborgt?“</p> - -<p>„Vorläufig unsere Teller, unsere Lampen, unsere -Köchin und unsere Familie,“ erwiderte Käthe spöttisch, -„wir werden uns also wohl recht heimisch fühlen.“ —</p> - -<p>Der Baron und die Doktorin kamen nach geraumer Zeit -wieder, und der erstere war entzückt von dem Quartier.</p> - -<p>„Wenn es Ihnen recht ist, Herr Doktor,“ sagte er, „so -können wir gleich Kontrakt machen — liebe schnelle Entschlüsse -— Sie auch, — was?“</p> - -<p>„Gewiß!“ sagte der Doktor höflich — die Aussicht, -einen Miether zu bekommen, goß Öl auf die Wogen seines -Zornes. Die beiden Herren nahmen an einem Seitentischchen -Platz, um über den Kontrakt einig zu werden.</p> - -<p>Kaum hatte der Doktor den ersten Paragraphen vorgelesen, -als die Thüre aufging und eine Dame erschien. -Sie war nicht mehr ganz jung, aber auch durchaus nicht -alt — so hübsch in der Mitte. <em class="gesperrt">Ganz</em> jung waren ihre -Toilette, ihre Haartracht und ihr Wesen! sie flog wie eine -Elfe ins Zimmer und umarmte Käthe mit kindlichem Ungestüm.</p> - -<p>Das war Fräulein Leontine von Faldern, die mit -ihrer Großmama, der verwittweten Generalin, die Hälfte -des zweiten Stockes im Hause bewohnte. Der Baron hatte -sie kaum erblickt, als er aufstand und auf sie zutrat.</p> - -<p>Der Doktor, im Ausfertigen seines Miethskontraktes -unterbrochen, kreuzte die Arme, lehnte sich in seinen Stuhl -zurück und sagte düster: „nett!“</p> - -<p>„Mein gnädiges Fräulein,“ begann der Baron, „ich -bin entzückt, Sie zu begrüßen! Wie ist Ihnen die Stumme -von Portici bekommen?“</p> - -<p>„O ausgezeichnet!“ erwiderte Leontine, „es war eine -allerliebste Aufführung! Ich war mit Schraffenaus da — -Will ist jetzt bei ihnen zum Besuch — Sie wissen ja — -Will Schraffenau, der bei den zweiten Kürassieren stand! -Will kann zu amüsant sein, nicht?“</p> - -<p>„O ja, meine Gnädigste,“ erwiderte der Baron, „aber -nichts gegen Lu! Sie erinnern sich doch? Lu Schraffenau, -der die zweite Sandrowsky — Peppi Sandrowsky — -zur Frau hat? Sie kennen sie doch? Graziös, was?“</p> - -<p>„Na!“ brummte der Doktor vor sich hin, „bis die -beiden jetzt den Grafenkalender durchgearbeitet haben, kann -mein Miethskontrakt schwarz werden!“</p> - -<p>„Denken Sie nur, meine Gnädigste, ich bin im Begriff, -Ihr Hausgenosse zu werden! Charmant, was?“</p> - -<p>„Ach, wie reizend! Das muß ich Großmama erzählen!“ -rief Leontine entzückt.</p> - -<p>„Ja, dann lassen Sie aber den Herrn Baron erst -hier zu Ende kommen,“ sagte der Doktor, und schob sein -Tischchen in die andere Ecke des Zimmers — dort konnte -er hoffen, ungestört zu bleiben, „bitte, Herr Baron! — -der Miether verpflichtet sich“ —</p> - -<p>Während die beiden sich wieder in den Kontrakt vertieften, -plauderten die Mädchen in der Fensternische.</p> - -<p>„Käthchen, ich komme nur, um Sie etwas zu fragen -— ist heute großer Zauber bei Scharffs? Ich dachte schon, -der Sohn wäre gekommen, den ich von früher her kenne -— wissen Sie, er war Adjutant bei meinem Vetter Storrwitz, -und meine Cousine neckte mich immer entsetzlich mit -ihm — ist er gekommen?“</p> - -<p>„Nein, er wird erst erwartet,“ erwiderte Käthe, „ich -weiß auch nicht, warum sie heut plötzlich eine Fête geben.“</p> - -<p>„Nun ja — aber die Frage ist, <em class="gesperrt">was</em> zieht man an? -Rabeneck ist auch da, ich habe die Scharff gefragt.“</p> - -<p>Die Beiden erörterten die Toilettenfrage und Leontine -hüpfte endlich ab.</p> - -<p>Inzwischen wurde es so dunkel, daß der Doktor zu -seinem Miethskontrakte nach der Lampe rief. Das Mädchen -erschien, brachte aber nur einen Armleuchter mit einem -Licht.</p> - -<p>„Die Lampe!“ donnerte der Hausherr.</p> - -<p>„Verzeihen Sie, Herr Doktor — unsere Lampen sind -alle oben beim Herrn Major — die Kinder arbeiten auch -bei Licht.“</p> - -<p>„Darauf machen Sie sich gefaßt,“ sagte der Doktor, -kochend vor Wuth, „wenn Sie hier ins Haus ziehen, wird -Ihnen von Majors alles abgeborgt, was Sie haben und -nicht haben!“</p> - -<p>„Aber Papa!“ rief Käthe vorwurfsvoll und verlegen.</p> - -<p>„Ich bitte Sie,“ rief der Baron ängstlich, „das ist ja -sehr unangenehm! Alles verborgen? Muß man das?“</p> - -<p>„Das frage ich mich schon seit zwei Jahren!“ grollte -der Doktor, „denn so lange wohnen sie hier, und <em class="gesperrt">was</em> -sie sich alles borgen, spottet jeder Beschreibung. Ich wollte -nur, sie ließen einmal auf einen halben Tag um <em class="gesperrt">mich</em> -bitten, da wollte ich es ihnen schon abgewöhnen! Aber -weiter: „die Wäsche muß in dem dazu bestimmten Waschhaus“ —</p> - -<p>„Eine Empfehlung von der Frau Majorin, und ob -sie die silbernen Armleuchter bekommen kann?“ sagte das -Dienstmädchen und griff bereits nach dem fraglichen Gegenstand.</p> - -<p>„Sie sind wohl verrückt!“ schrie der Hausherr in verzeihlichem -Ingrimm, „sollen wir hier im Dunkeln sitzen?“</p> - -<p>„Mein Gott, ist es denn schon so spät!“ sagte der -Baron, und sah nach der Uhr, „wahrhaftig — halb sieben! -Pardon, Herr Doktor, aber ich muß an meine Toilette -gehen — wir sehen uns ja wohl heute Abend beim Herrn -Major? Ich komme dann morgen in aller Frühe, und wir -beenden das Miethsgeschäft, was? Wann stehen Sie auf? -Um sieben? Acht? Neun?“</p> - -<p>Der gänzlich resignirte Doktor pfiff statt aller Antwort -einen Walzer — das Symptom des letzten Verzweiflungsstadiums, -als er seinen Gast zur Thür geleitete.</p> - -<p>„Nun borgen sie sich auch schon die Miether!“ sagte er -vor sich hin, als er hinausging.</p> - -<p>Käthe blieb allein. Die Dunkelheit, die sanft und leise -zum Fenster hinein schlich, kam ihr eben recht. Sie dachte -so still vor sich hin — die Phantasie ist ein Nachtfalter, -der seine Schwingen am liebsten in der Dämmerstunde -ausbreitet. Warum war ihr noch nie so bange vor der -Zukunft gewesen als heut — warum noch nie der Gedanke -an die von den Ihrigen so sehnlichst gewünschte Heirath -mit dem Hauptmann Scharff so schrecklich erschienen? Ach, -die Träume von den kommenden Tagen hatten seit ihrer -Reise eine bestimmte Gestalt angenommen — zum ersten -Mal! Käthes Herz war bisher ein unbeschriebenes Blatt -— noch nie hatte eine Begegnung ihre Einbildungskraft, -viel weniger ihr Gefühl zu erregen vermocht — aber es -war ihr auch noch nie jemand mit so liebenswürdiger -Ironie, mit so gutmüthig überlegenem Ernst entgegen getreten, -als der Fremde, dem sie sich doch wie ein unartiges -Kind gezeigt! Sein festes, kluges Gesicht mit dem humoristischen -Lächeln, seine tiefe, freundliche Stimme gaben ihr -das Gefühl einer Sicherheit und Zuversicht, wie sie es nie -zuvor gekannt hatte. Doch was half das alles! sie kannte -seinen Namen nicht — er nicht den ihren — sie würden -sich wahrscheinlich nie wiedersehen! Und mit einem tiefen -Seufzer stand sie auf, und ging in ihr Zimmer, um sich -anzukleiden.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Inzwischen herrschte bei der Majorsfamilie schon einige -Aufregung. Die Frau des Hauses wanderte in den menschenleeren -Räumen umher, die bereits im festlichen Lichterglanz -erstrahlten, rückte hier und da an den Stühlen und stand -dann wieder überlegend still, ob noch etwas fehlte, wonach -man zu Doktors schicken könnte.</p> - -<p>Da öffnete sich die Thür und ein großer, blonder -Mann trat ins Zimmer.</p> - -<p>Die Majorin wandte sich um.</p> - -<p>„Nun, Mamachen,“ sagte der Eintretende freundlich, -„du hast noch zu thun? Ich hoffte eben auf eine gemüthliche -halbe Stunde mit dir, ehe die Gäste kommen.“</p> - -<p>„Ich bin fertig“, sagte die Mutter, und trat vor den -Stuhl, in den sich ihr Sohn niederließ. Sie legte ihm -die Hände auf beide Schultern und sah ihm zärtlich ins -Gesicht.</p> - -<p>„Mein alter Junge — wie du wieder verbrannt bist!“</p> - -<p>„Im Winter, Mama? Nein, das ist wohl meine natürliche -Farbe, du mußt dich schon daran gewöhnen.“</p> - -<p>„Und du warst ein so weißes Kind!“ sagte die Mutter -lächelnd. „Jetzt sage mir aber einmal, Kurt — ist es dir -eigentlich recht, daß ich heut Abend unsere Hausgenossen -eingeladen habe? Du machtest mir bei der Ankündigung -ein so besonderes Gesicht.“</p> - -<p>„Nun, offen gesagt, wäre ich eben so gern mit Euch -allein gewesen, Mutterchen — aber wir sind ja, so Gott -will, noch viele Abende zusammen. Wer kommt denn heut?“</p> - -<p>„Also,“ begann die Majorin, „da ist erstens die -Generalin Faldern mit ihrer Enkeltochter Leontine —“</p> - -<p>„Was?“ unterbrach der Hauptmann lebhaft, „Tine -Faldern ist hier?“</p> - -<p>„Kennst du sie?“</p> - -<p>„Wie sollte ich nicht! — Als ich bei Storrwitz Adjutant -war, hielt sie sich ja einen ganzen Winter dort auf! Sie -hieß damals immer die Tochter des Regiments, weil sie -so genau in der Rangliste Bescheid wußte. Uebrigens ein -hübsches, amüsantes Mädchen — es ist mir ganz lieb, sie -einmal zu treffen, wir haben eine Menge gemeinsamer Beziehungen.“</p> - -<p>Die Majorin sah etwas mißvergnügt aus, sagte aber -nichts.</p> - -<p>„Dann,“ fuhr sie fort, „von Hausgenossen heißt das, -kommt noch unser Wirth — der Doktor Lang mit Frau -und Tochter —“</p> - -<p>„Ach — die berühmte Käthe! Ich kenne dich, Mama! -Hätte ich mir’s nicht denken können, daß du wieder einen -Heirathsplan wie einen Lasso bereit hältst, um ihn mir Unglücklichen -über den Kopf zu werfen? Aber gieb dir keine -Mühe, Mama — es wird nichts!“</p> - -<p>„Sei doch nicht so absprechend,“ bat die Mutter, „du -hast Käthe noch gar nicht gesehen — ich sage dir, sie ist -allerliebst! Hübsch, sehr gut erzogen und sehr gescheidt — -sie würde ausgezeichnet für dich passen!“</p> - -<p>„Kann sein, Mama! aber ich will dir etwas sagen — -ich werde wohl überhaupt nicht heirathen. Sieh,“ fuhr er -lebhaft fort, als die Mutter eine Bewegung des Unmuths -machte, „ich bin — nenne es phantastisch, unpraktisch, kurz, -was du willst — aber ich bin entschlossen, mich nur zu -binden, wenn ich ein Mädchen finde, von der ich sage: -‚Die oder keine!‘ Und solche Dinge kommen vor! — Ich -sage dir, sie kommen vor! Lache mich nicht aus, Mutter -— aber ich habe ein Mädchen gesehen, das mir gefällt, -und wenn ich <em class="gesperrt">die</em> wiedersehe, und sie will mich — dann -sollst du am längsten auf eine Schwiegertochter gewartet -haben. Frage mich aber nicht weiter — ich bin auf der -Suche — das laß dir genug sein. Und verschone mich -mit deiner Käthe — ich mag sie nicht!“</p> - -<p>„Guten Abend, Frau Majorin,“ sagte in diesem Augenblick -die Generalin Faldern, die in taubengrauer Seide -ins Zimmer rauschte, von der rosafarbenen Leontine gefolgt. -„Sie waren so freundlich, uns zu erlauben — ah, das -ist wohl Ihr Herr Sohn?“</p> - -<p>„Ja, er ist gestern angekommen,“ sagte die glückstrahlende -Mutter, ihn den Damen vorstellend, „er hat mich -überrascht! Es ist doch einzig von ihm; aber er war -von jeher ein so guter Junge!“</p> - -<p>Wenn diese öffentliche Liebeserklärung dem Hauptmann -peinlich war, so ließ er es durch keine Miene merken — -er lächelte sehr freundlich und wandte sich an Fräulein -Leontine, die ihm als altem Bekannten vergnügt die Hand -hinstreckte.</p> - -<p>„Herr Hauptmann — das ist aber eine Ueberraschung, -die Ihrer Frau Mutter vollständig gelungen ist! Allerliebst, -das muß wahr sein! Und nun erzählen Sie mir von -W.... — was machen die dritten Husaren? Und wo -stehen jetzt die Vierundzwanziger? Hat Trotha wirklich -einen so großen Pas gemacht, und muß Schulten den -Abschied nehmen? Ach, es waren doch schöne Zeiten?“</p> - -<p>„Ihre Theilnahme für meine Kameraden rührt mich -aufs tiefste, mein gnädigstes Fräulein,“ erwiderte der Hauptmann -ernsthaft, „ich kann Sie versichern, daß die dritten -Husaren sich sehr wohl befinden, und daß die Vierundzwanziger -sich ohne Ausnahme Ihnen durch mich zu Füßen -gelegt hätten, wenn sie hätten ahnen können, daß ich so -glücklich sein würde, Sie zu sehen.“</p> - -<p>„Ach, Sie spotten wieder,“ schmollte Leontine, „aber -ohne Scherz — erzählen Sie mir ein bischen! Hat mein -Vetter Storrwitz sich ein neues Pferd gekauft? Der Braune -von damals war doch ein süßes Thier — er ist mir noch -manchmal im Traume erschienen!“</p> - -<p>„Glücklicher Brauner!“ sagte der Hauptmann — und -begann nun wirklich zu erzählen. Leontine hörte fächerschlagend -zu, und die Unterhaltung war so lebhaft, daß -der eintretende Gastgeber kaum seine Begrüßung dazwischenschieben -konnte. Er sah mit seinem Orden im Knopfloch -und mit seinem grauen Haar wirklich ganz stattlich aus -und machte ganz zeitgemäße Konversation mit der Generalin -— freilich sagte er meist nur: „nun eben!“ eine Wendung, -die er vorzugsweise gern anwendete, und mit der man -merkwürdig weit kommt, wenn man sich erst einmal darauf -eingerichtet hat.</p> - -<p>Inzwischen fanden sich die Gäste nach und nach ein — -schon klingelte es wieder.</p> - -<p>„Das sind gewiß Langs,“ rief Leontine, „ich muß -Käthe entgegengehen,“ und damit flog sie hinaus.</p> - -<p>Der Hauptmann sah ihr etwas verwundert nach, und -wandte sich dann, um den Baron Rabeneck zu begrüßen, -der eben erschien.</p> - -<p>„Entzückt — entzückt, Herr Hauptmann, Sie kennen -zu lernen,“ begann der Baron schmelzend, „Sie stehen bei -einem B.’schen Regiment?“</p> - -<p>„Ja wohl, Herr Baron — schon seit zwei Jahren,“ -erwiderte der Hauptmann.</p> - -<p>„Und vorher?“</p> - -<p>„Bei den —schen Husaren!“</p> - -<p>„Kamen Sie dort gleich aus dem Corps hin? Wo -stehen die Husaren?“</p> - -<p>„In W....“ sagte der Hauptmann etwas verwundert.</p> - -<p>„Ist das eine hübsche Stadt? Ja? Ich war auch -Offizier — bei den —ten Dragonern — reizende Uniform, -was?“</p> - -<p>„Allerliebst!“ sagte der Angeredete, über dessen Gesicht -ein immer vergnügteres Lächeln flog. „Sie sind pensionirt, -Herr Baron?“</p> - -<p>„Ja — ich sehe Ihnen wohl noch zu jung aus -— was?“</p> - -<p>Während der Hauptmann in diesem Kreuz- und Querfeuer -von Fragen stand, in dem ihm nach und nach heißer -wurde als im Kugelregen, hatte Leontine auf dem Flur -die Langsche Familie in Empfang genommen und Käthe -sofort zugeflüstert: „der Sohn ist da!“</p> - -<p>Käthe zog die Augenbrauen zusammen: „Wie albern — -warum hat uns die Majorin das nicht gesagt?“</p> - -<p>„Sie wollte Sie wohl überraschen,“ fuhr Leontine -eifrig fort, „aber Käthe, Sie brauchen kein so verzweifeltes -Gesicht zu machen — er scheint kein Spießgeselle bei der -Verschwörung seiner und Ihrer Mutter zu sein — eben -als wir kamen, sagte er vernehmlich zur Majorin, „verschone -mich mit deiner Käthe — die Art Mädchen ist -nichts für mich!“</p> - -<p>Das hatte zwar der Hauptmann nicht gesagt — aber -darauf kam es Leontine nicht an. Käthe, ohne sich klar -zu werden, daß diese Äußerung schon dadurch sehr unwahrscheinlich -wurde, daß der Hauptmann sie nie gesehen -hatte, richtete sich hoch auf — das stolze, jugendliche Blut -schoß ihr bis in die Stirn — „nun, dann stimmen ja -unsere Ansichten über einander auf ein Haar“ — sagte -sie — warf den kleinen Mund verächtlich auf, und folgte -ihren Eltern in den Saal. Käthe sah heute Abend sehr -hübsch aus. Ein einfaches, weißes Kleid ließ ihre jugendliche -Gestalt zum Vortheil erscheinen, und ein Strauß von -Fräulein Sabines rothen Nelken hing an ihrem Gürtel.</p> - -<p>Die Majorin eilte den Hausgenossen entgegen und begrüßte -sie aufs lebhafteste.</p> - -<p>„Guten Abend, Herr Doktor — nein, das ist reizend, -daß Sie gekommen sind, Frau Doktorin — und hier ist -auch meine kleine Ueberraschung — sie ist freilich ein -wenig groß ausgefallen — mein Sohn!“</p> - -<p>Käthe blickte auf — und plötzlich drehte es sich vor -ihren Augen wie ein feuriges Rad. Der große, blonde -Mann, der sich eben mit einem ernsten, wiedererkennenden -Lächeln vor ihr verbeugte, war ja ihr Reisegefährte — -so mußte es enden! Er hatte sie also erkannt — er -hatte auf der Tour hierher sondiren wollen, wie die Käthe -sei, von der seine Mutter ihm wohl schon eben so oft erzählt -hatte, wie dieser selben Käthe von ihm — und was -war das Resultat seiner Beobachtungen? — „Verschone mich -mit deiner Käthe — ich mag sie nicht!“</p> - -<p>Alles dieses dachte sie blitzschnell in einem einzigen -Augenblicke, und ehe der Hauptmann Zeit gehabt hatte, -ein Wort an sie zu richten, neigte sie den Kopf ein ganz -klein wenig, und wandte sich ab. „Guten Abend, Herr -Baron,“ sagte sie mit fieberhafter Lebendigkeit, „also Sie -sind doch noch rechtzeitig mit Ihrer Toilette fertig geworden? -das freut mich.“</p> - -<p>Der Baron eröffnete sofort ein Kreuzfeuer von Fragen -über die rothen Nelken, und daran anknüpfend über Fräulein -Sabine — Käthe war gerettet. Denn der Hauptmann, -der ihr finsteres Gesicht wohl mußte verstanden haben, -trat ruhig zurück und sprach weiter mit Leontinen, die -noch das <em class="antiqua">curriculum vitae</em> eines Pferdes von ihm verlangte, -das er einst besessen hatte, und dessen weitere -Schicksale sie mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit durch -sechs Regimenter verfolgte.</p> - -<p>Die älteren Herrschaften gruppirten sich indeß um den -runden Sofatisch, es war noch eine Familie hinzugekommen, -die eines Regierungsraths a. D. — in unserem Städtchen -waren die meisten Leute a. D. — vielleicht den Bäcker -und den Fleischer ausgenommen — und der letzte Gast -war ein Justizrath, der noch von Zeit zu Zeit verfehlte -Versuche machte, eine Frau zu bekommen, und nach jedem -Versuch sich auf ein Jahr wieder von der Gesellschaft zurückzog, -so daß er durchschnittlich nur den dritten Winter -in der Welt glänzte.</p> - -<p>Die Generalin, deren Enkeltochter in beständigem <em class="antiqua">tête-à-tête</em> -mit dem hoffnungsvollen Hauptmann war, stieg von -ihrer unnahbaren Höhe herab und war ganz liebenswürdig -— gewöhnlich sprach sie kein Wort. „Wie das junge -Völkchen heiter ist!“ bemerkte sie zum fünftenmal, als sie -ihre Lorgnette von den Augen ließ.</p> - -<p>Die Majorin nickte etwas bittersüß — Käthe -saß mit dem Justizrath und dem Baron zusammen, -sie war blaß und ziemlich schweigsam, und der Hauptmann -machte auch nicht den leisesten Versuch, sich ihr zu -nähern.</p> - -<p>Die Doktorin hatte im Stillen auch schon ihre Beobachtungen -angestellt und sich geärgert — aber erstens -konnte ihre Käthe ja nicht die Initiative ergreifen, und -sodann mußte sie bei der Lage der Dinge doch thun, als -ob ihr gar nichts an einer Annäherung der beiden läge. -So that sie denn sehr unbefangen, und wenn die Majorin -sie verstohlen am Kleide zupfte und betrübte Seitenblicke -nach der Gruppe der jungen Leute warf, dann lächelte sie -so harmlos, als freue sie sich mit der Generalin, daß „das -junge Völkchen so heiter sei.“ Ihr Mann umschlich die -Plaudernden wie ein beutelustiger Tiger — immer den -Baron im Auge, der ja sein präsumtiver Miether war. -Durch die unerhörtesten Anstrengungen gelang es ihm auch -wirklich, die Aufmerksamkeit des Betreffenden zu erregen -— der Baron wandte sich um.</p> - -<p>„Spielen Sie Whist, Herr Doktor?“</p> - -<p>„Sehr gern!“ erwiderte der Angeredete eifrig — erstens -langweilte er sich, und dann wollte er den Baron wegen -der Wohnung ausforschen.</p> - -<p>„Nettes Spiel — was? Ich spiele leider nicht — kein -Kartenspiel — fehlt mir jedes Talent dafür. Sonst habe -ich viel Talente — meine selige Mama sagte schon immer -„Chlodwig, du bist sehr talentvoll“ — aber Karten“ —</p> - -<p>„Dummkopf,“ murmelte der Doktor in sich hinein.</p> - -<p>In diesem Augenblick klopfte ihm der Major auf die -Schulter, „machen wir heute keine Partie?“</p> - -<p>Der Doktor war bereit, der Justizrath, der inzwischen -schon im Stillen überlegt hatte, ob er vielleicht um Leontine -anhalten sollte — sie war ziemlich die einzige in der Stadt, -bei der er sein Heil noch nicht versucht hatte, wurde als -Dritter zum Whist angeworben, und die drei Herren setzten -sich an den Spieltisch, der in dem Zimmer aufgestellt war, -wo die Jugend saß.</p> - -<p>Bei dieser — der Jugend — herrschten indeß die verschiedensten -Empfindungen. Käthe, die dem Baron zum -Opfer gefallen war, antwortete auf seine zahllosen Fragen -immer aufs Gerathewohl mit „ja“ und „nein“ — nur -wenn die Augen des Hauptmanns zu ihr hinüber flogen, -nahm sie einen Schein von Lebhaftigkeit an und wurde -gesprächiger.</p> - -<p>Leontine, an der anderen Seite des Tisches, ließ alle -Minen springen. Sie erinnerte sich an jeden einzelnen -Ball aus der Saison, die sie mit dem Hauptmann erlebt -hatte, mit überraschender Genauigkeit, und „wissen Sie -noch?“ war immer der Refrain jedes dritten Satzes.</p> - -<p>Der Hauptmann wußte aber gar nichts — er wurde -immer zerstreuter, und als Leontine ihn nach einem Rittmeister -zu fragen begann, der seiner Zeit zu den Husaren -kommandirt war, bot sich ihm ein Ausweg.</p> - -<p>„Herr Baron,“ rief er hinüber, „stand Straten -nicht bei den —ten Dragonern? den müssen Sie ja -gekannt haben! Fräulein von Faldern erkundigt sich -nach ihm!“</p> - -<p>„Straten? versteht sich!“ erwiderte der Baron aufstehend, -„sehr gut gekannt, haben zwei Jahr bei einer -Schwadron gestanden — netter Mensch, was?“</p> - -<p>„Jawohl!“ erwiderte der Hauptmann, ebenfalls aufstehend, -„hier — erzählen Sie einmal von ihm — -<em class="antiqua">changeons</em>!“ Und damit überließ er seinen Platz neben -Leontinen dem Baron und begann, sich Käthe zu nähern.</p> - -<p>Kaum hatte Käthe seine Absicht bemerkt, als sie sich -erhob, und an den nächsten, mit Albums bedeckten Tisch -tretend, sich in die Besichtigung derselben vertiefte.</p> - -<p>Der Hauptmann folgte ihr und ergriff ebenfalls ein -Buch.</p> - -<p>„Das kann ich auch,“ bemerkte er halblaut.</p> - -<p>Käthe schien mit Blindheit und Taubheit geschlagen.</p> - -<p>„Was habe ich denn hier?“ fuhr der Hauptmann gemüthlich -fort, und blätterte in dem Buch, „ah — Gedichte — -eine ganze Sammlung — darf ich Ihnen etwas vorlesen?“</p> - -<p>„Ich danke,“ erwiderte Käthe kurz, „ich sehe mir -Bilder an!“</p> - -<p>„Schön,“ erwiderte ihr Gegner ernsthaft, „dann werde -ich mir selbst vorlesen — ich liebe die Lyrik ungemein — -ah hier — das ruft mir ein Erlebniß zurück, „das Dampfroß -schnaubt entlang der Halde“ — sehr nett! Wer weiß, -was wir noch von dem Dampfroß zu hören bekommen -— sollte das nicht in Station Siegersdorff halten? Ich -muß mich einmal überzeugen!“</p> - -<p>„Ich will das Gedicht nicht hören!“ sagte Käthe.</p> - -<p>„Ich bitte sehr, mein gnädiges Fräulein — ich lese -<em class="gesperrt">mir</em> vor! —“ Er blätterte weiter.</p> - -<p>„Hier — ein anderes! „Als ich zum erstenmal dich sah, -verstummten meine Worte.“ Stimmt! Also ist es schon -mehr Leuten so gegangen. Der hat am Ende auch mit -dem Dampfroß zu thun gehabt!“</p> - -<p>Käthe, die sich inzwischen gesetzt hatte, stützte den Kopf -in die Hand und las, als sollte sie zu morgen eine Aufgabe -lernen.</p> - -<p>„Hier ist ja noch ein sehr schönes Gedicht,“ sagte der -Hauptmann, „immer schmollen, immer grollen, für ein’ -Ros’ wär’s zu viel Dorn! Und nun lassen Sie uns zur -Prosa übergehen,“ fuhr er plötzlich ernsthaft fort und -nahm neben Käthe Platz, „bitte, sehen Sie ruhig weiter -in Ihr Buch — ich werde ein gleiches thun — und nun,“ -er senkte die Stimme —, „warum sind Sie eigentlich böse -auf mich?“</p> - -<p>„Woraus schließen Sie, daß ich böse bin?“ fragte -Käthe etwas unsicher.</p> - -<p>„Nun, mein gnädiges Fräulein, wenn <em class="gesperrt">das</em> bei Ihnen -<em class="gesperrt">gut</em> heißt, dann möchte ich Sie allerdings einmal sehen, -wenn Sie böse sind! Ich bin zwar nicht an übertrieben -freundliche Behandlung von Ihnen gewöhnt — denken Sie -nur an Station —“</p> - -<p>„Lassen Sie doch endlich die alte Geschichte ruhen!“ rief -Käthe und erröthete tief.</p> - -<p>„Sie ist noch gar nicht alt, noch nicht sechsunddreißig -Stunden — aber ich will sie begraben — klaftertief — -wenn Sie mir Rede und Antwort stehen. Wollen Sie das? -Sonst wird die Geschichte, die <em class="gesperrt">alte</em> Geschichte, wie Sie -sie ungerechter Weise nennen, als Gespenst solange vor -Ihnen auftauchen —“</p> - -<p>„Hören Sie auf,“ unterbrach ihn Käthe, wider Willen -lachend, „was soll ich denn antworten?“</p> - -<p>„Das will ich Ihnen gleich sagen — also, <em class="gesperrt">was</em> habe -ich Ihnen zu Leide gethan?“</p> - -<p>„Ist hier bei diesen Bildern eine Ansicht von der Grafschaft -T...?“ fragte in diesem Augenblick der Baron, -sich dem Tisch nähernd, „ich wollte Fräulein von Faldern -einen Begriff von der Gegend geben, wo mein Gut liegt. -Sie kennen die Grafschaft? Hübsche Gegend, was?“</p> - -<p>„Reizend!“ sagte der Hauptmann, und nahm einen -dicken Band Landschaftsbilder vom Tisch, „hier, Herr Baron, -in diesem Buche ist ein sehr hübscher Stich, der gerade die -Gegend vorstellt, die Sie zu sehen wünschen. Wollen Sie -sich überzeugen?“</p> - -<p>Der Baron ging mit dem Buche ab.</p> - -<p>„Natürlich wird er die Grafschaft nie finden,“ bemerkte -Hauptmann Scharff, „ich habe ihm einen Band Ansichten -von Spanien gegeben, da mag er suchen! Doch zurück zu -unserem Gespräch — was habe ich Ihnen zu Leide gethan? -Warum sind Sie böse?“</p> - -<p>Käthe nahm sich gewaltig zusammen, und begann sehr -tapfer: „Ich bin böse, weil — nun ja, weil ich es sehr -häßlich finde, daß Sie mich unterwegs ausforschen und -kennen lernen, und mir nicht sagen, wer Sie sind.“</p> - -<p>Die Majorin hatte indessen durch die geöffnete Thür -schon ein paar sehr befriedigte Blicke nach dem Paar gethan, -und als sie sah, daß Leontine im Begriff stand, sich -dem vielversprechenden Tische zu nähern, eilte sie wie ein -Stoßvogel herbei.</p> - -<p>„Fräulein Leontine, singen Sie uns ein Lied? Wir -sind ja immer ganz Ohr, wenn Sie am Flügel sitzen — -bitte, bitte!“</p> - -<p>„Ach ja, mein gnädiges Fräulein,“ stimmte der Baron -ein, „Sie singen? Bitte, tragen Sie uns etwas vor — -ein <em class="antiqua">Chanson</em> — eine Ballade, was? Ich liebe die Musik -leidenschaftlich — reizende Kunst, was?“</p> - -<p>Leontine willigte mit etwas gezwungenem Lächeln ein -— ob der Gedanke, daß ein Baron in der Hand sicherer -sei, als ein Hauptmann auf dem Dache ihren Entschluß -beeinflußte, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Sie verschwand, -von dem Baron gefolgt, im Nebenzimmer, und -bald klang ihre sehr hübsche Stimme wohlthuend durch -die Räume.</p> - -<p>Der Hauptmann und Käthe blieben nun ungestört, -denn die Herren am Spieltische waren ganz in ihre Karten -vertieft, und der jeweilige Ruf: „zwei Trick — <em class="antiqua">deux -honneurs</em>“ — vermochte eine leise geführte Unterhaltung -nicht zu beeinträchtigen. Als das Feld rein war, begann -der Hauptmann von Neuem. „Ich verstehe Sie gar nicht, -mein Fräulein! Ich hätte Sie ausgeforscht? Wo denn? -Unterwegs?“</p> - -<p>Käthe nickte.</p> - -<p>„Aber Sie sind wirklich höchst ungerecht,“ rief der Hauptmann -ungeduldig, „woher sollte ich denn in der Eisenbahn -wissen, daß Sie und die viel beschriebene Käthe ein und -dieselbe sind? Nun sagen Sie einmal selbst, daß ich es -nicht wissen konnte!“</p> - -<p>„Ja ja!“ gab Käthe zögernd zu.</p> - -<p>„Nun gut — also darin bin ich gerechtfertigt! Aber -selbst, <em class="gesperrt">wenn</em> ich Sie gekannt hätte — ich gestehe Ihnen -offen, daß ich auch dann noch kein Verbrechen begangen -zu haben glaubte! — es steckt wohl noch etwas Anderes -dahinter! Nicht wahr?“ drängte er, als sie schwieg und -tief erröthend zu Boden blickte.</p> - -<p>„Aber in aller Welt, so geben Sie mir doch wenigstens -die Möglichkeit, mich zu vertheidigen,“ rief er fast heftig, -„mein gnädiges Fräulein — Fräulein Käthe — wir waren -doch so gute Freunde unterwegs — waren wir das nicht? -Sehen Sie — Sie nicken ja! nun seien Sie einmal recht -vernünftig und sagen Sie mir, <em class="gesperrt">was</em> ich Ihnen gethan -habe!“</p> - -<p>„Was haben Sie denn zu Ihrer Mutter gesagt, ehe -ich kam?“ fragte Käthe trotzig und blickte auf.</p> - -<p>Er sah sie erst zweifelhaft an, dann lachte er — aber -etwas verlegen. „Ich kann mir denken, <em class="gesperrt">wer</em> Sie instruirt -hat! Soll ich Ihnen das Gespräch erzählen?“ fragte er -in sonderbar weichem Ton, und bückte sich, um ihr in die -Augen zu sehen. „Ja oder nein?“</p> - -<p>„Ja!“ sagte sie hastig und leise — ihr Herz fing an, -heftig zu klopfen.</p> - -<p>„Nun denn — ich sagte meiner Mutter, daß ich nicht -Lust hätte, hier irgend ein junges Mädchen kennen zu lernen, -— heiße sie Käthe oder sonst wie — weil — nein, sehen -Sie mich einmal an, Fräulein Käthe — weil ich mich -unterwegs in der Eisenbahn, wie ein Student verliebt -hätte — in eine Unbekannte, — und wenn nun ein -freundlicher, lieber, guter Zufall es so gefügt hat, daß -diese Unbekannte diejenige ist, die meine Mutter — Gott -segne meine Mutter — schon lange für mich ausgesucht -hat —“</p> - -<p>Ein blendend heller Lichtstrahl fiel in die Stube, „es -ist angerichtet,“ rief der Lohndiener mit Stentorstimme.</p> - -<p>Der Flügel wurde zugeklappt, Stühle gerückt, die -Whistspielenden warfen die Karten zusammen — man ging -zum Abendessen.</p> - -<p>Käthe war bei dem Eintreten des Lohndieners schnell -wie der Blitz vom Sofa fort und zu den Herren am -Spieltisch geeilt. Dafür hatte sie nun ihre Strafe! Der -Justizrath reichte ihr den Arm, um sie zum Souper zu führen.</p> - -<p>Die Anordnung der Plätze bot noch einige Schwierigkeiten -— die Majorin hatte aus Versehen für zwei Personen -zu wenig decken lassen, und diese beiden Uebriggebliebenen -standen nun ziemlich verlegen hinter den besetzten -Stühlen der anderen.</p> - -<p>Während noch schnell nach den fehlenden Tellern, -Messern und Gabeln zu Doktors hinaufgeschickt wurde, -kroch der Major unter allen Sofas und Schränken umher, -um die Tischzettel zu suchen, deren einige ihm verloren -gegangen waren. Bei der etwas genialen Hausordnung -konnte es geschehen, daß er von seiner Entdeckungstour -bestaubt, wie alter Ungarwein zurückkam, und nicht einmal -fand, was er suchte.</p> - -<p>Der Hauptmann hatte es nicht mehr möglich machen -können, sich Käthe zu nähern, die schon seit zehn Minuten -wartend Arm in Arm mit dem Justizrath stand — eine Situation, -die zu den allerpeinlichsten gehört, und die die -wenigsten Leute den Verstand haben, dadurch zu coupiren, daß -sie die Dame bis zum geeigneten Moment loslassen.</p> - -<p>So fiel denn dem Hauptmann Leontine zu, an deren -anderer Seite der Baron Platz nahm. Käthe saß schräg -gegenüber; sie sprach kaum ein Wort und sah nicht in die -Höhe, so sehr der Hauptmann sich bemühte, einen Blick -von ihr aufzufangen.</p> - -<p>Leontine bemerkte sein Bestreben wohl — sie gab ihn -auf! Als kriegsgewandte, junge Dame änderte sie ihre -Taktik sofort, und schwenkte blitzschnell zu dem Baron -hinüber, der ihr von seinem Gut erzählte, und sie fragte, -ob sie das Landleben liebe?</p> - -<p>Diese Anknüpfung war vielversprechend, und Leontine -schmiedete das Eisen, so lange es heiß war. Von ihrem -Soldatenenthusiasmus sprang sie zur Oekonomie über, -schwärmte für Stallfütterung und Rieselwiesen, und that -ganz ländlich.</p> - -<p>Im allgemeinen belebte eine zwanglose Heiterkeit -den kleinen Kreis. Nur die Generalin machte eine -Ausnahme, als sie bemerkte, daß der Sohn ihrer Gastgeber -fahnenflüchtig wurde. Ihr seelenvolles Lächeln -erfror in der schönsten Blüthe, sie war wieder ganz Würde, -und der Major, der sie gebührender Weise zu Tisch geführt -hatte, erntete für seine ohnehin nicht glänzenden Unterhaltungsversuche -nur ein kühles „hm“ oder „ja, ja!“</p> - -<p>Der Doktor war in bester Laune. Hatte nicht der -Baron ihm soeben als „seinem liebenswürdigen Hauswirth“ -zugetrunken, und um die Erlaubniß gebeten, im Lauf des -folgenden Vormittags Kontrakt zu machen. „Dann soll -mir aber gewiß nichts dazwischen kommen,“ gelobte sich -der beglückte Vermiether innerlich, und riegelte schon im -Geist alle Thüren in dem Verhandlungszimmer ab.</p> - -<p>Seine Frau war still und wich der Majorin scheu aus -— sie wußte nicht, was sie von dem veränderten Wesen -ihrer Tochter denken sollte — und ehe nicht feststand, -daß der Hauptmann daran keine Schuld trug, mochte sie -mit der ganzen Familie nichts zu thun haben.</p> - -<p>Dem Hauptmann selbst war am unbehaglichsten zu -Sinne. Wenn ein Mann von 36 Jahren sich im Lauf -von 36 Stunden verliebt und erklärt, so ist zehn gegen -eins zu wetten, daß ihm der Erfolg seiner Werbung -zweifelhaft erscheint, wenn die Angebetete ihn auch nur zehn -Minuten auf das entscheidende Wort warten läßt. Und -er wartete nun schon eine ganze Stunde! Fisch, Rehbraten -und Eis hatten seine Qualen mit ansehen müssen, -und jetzt saß alles so gemüthlich in den Stühlen zurückgelehnt, -als sei dies <em class="antiqua">con amore</em> Nachtafeln das Beste vom -ganzen Abend.</p> - -<p>Nun, es giebt kein wahreres Wort, als: „alles nimmt -ein Ende.“ Die Generalin, die sich neben dem Major -nicht gerade im siebenten Himmel des Amüsements befinden -mochte, rückte hörbar mit dem Stuhl — die andern -folgten. In dem Moment <em class="gesperrt">mußte</em> Käthe aller menschlichen -Berechnung nach emporsehen — sie that es! Der Hauptmann -erhob sein Glas unmerklich gegen sie, sah sie -fragend an, und hielt es einen Augenblick. Da — o -Freude! — nahm sie ihr noch unberührtes, volles Glas vom -Tisch, sah ihn einen kurzen Moment wieder an — erröthete -dunkel — und trank dann in ihrer Verlegenheit so -geschwind aus, als sei sie gewohnt die Nagelprobe zu machen!</p> - -<p>Nun war alles gut! Der Hauptmann wußte, ohne -ein gesprochenes Wort, wie die Sache stand — hatten sie -sich nicht eben zugetrunken? Und war dieser Comment -nicht die zarteste Art einer Erklärung, so war er doch -ehrlich gemeint, und das ist die Hauptsache!</p> - -<p>Als der Hauptmann daher im Trouble des „Gesegnete -Mahlzeit“wünschens Käthe zuflüsterte: „darf ich morgen -zu Ihrem Vater kommen?“ genügte er damit eigentlich -nur einer Form — er wäre auch ohne diese Frage gekommen, -und ihrer Zustimmung gewiß gewesen.</p> - -<p>Die Hoffnung der Beiden, sich am heutigen Abend -noch einen Moment unter vier Augen sprechen zu können, -trog — kaum waren die zehn Anstandsminuten nach Tisch -durchgestanden, so rauschte die Generalin abschiednehmend -auf ihre Wirthe zu — Leontine folgte, vom Baron auf -das liebenswürdigste geleitet. Leontine hatte eine Eroberung -gemacht — das war klar! Am Ende hätte sie -heut schon sagen können: „Sprechen Sie mit meiner Großmutter,“ -ohne, wie jenes voreilige Mädchen meiner Bekanntschaft, -die betrübende Antwort zu riskiren: „wovon?“</p> - -<p>Aber als sie heut Abend den Kopf aufs Kissen legte, -lächelte sie befriedigt. Aus allen Fragen des Barons -hatte sie die „Lebensfrage“ schon verblümt herauszuhören -geglaubt — „am Ende <em class="gesperrt">muß</em> es gerade kein Offizier sein“, -dachte sie im Einschlafen, „ein Gut in der Grafschaft ist -auch nicht zu verachten! — was steht dort? die 26er -oder die 62er?“</p> - -<p>Über dem Zweifel schlief sie ein.</p> - -<p>Die Doktorsfamilie empfahl sich bald nach Generals. -Vergebens hoffte Käthe, daß ihre Mutter in Anbetracht -des kurzen Weges, den sie zurückzulegen hatten, noch ein -Viertelstündchen zugeben werde. — Die Doktorin hatte -zu morgen verschiedene wirthschaftliche Absichten, mit deren -Ausführung man in aller Frühe beginnen wollte — da -war es hohe Zeit zur Ruhe zu gehen! Man trennte sich.</p> - -<p>Die Majorin bedankte sich noch viele, viele Male für -die Gefälligkeiten — „Morgen in der Frühe schicke ich -Ihnen alles wieder, was Sie mir geborgt haben, liebe -Lang“, versicherte sie in der Thür.</p> - -<p>Der Hauptmann, der es sich als artiger Sohn des -Hauses nicht nehmen ließ, die Gäste bis in den Flur zu -geleiten, und Käthchen beim Umnehmen der Sachen behilflich -zu sein, schied mit einem so innigen Händedruck -vom Doktor, daß dieser, bei der kurzen Bekanntschaft, sich -mit Recht über diese Gefühlsverschwendung verwunderte. —</p> - -<p>Als die übrige Gesellschaft sich empfohlen hatte, ging -der Hauptmann noch auf sein Zimmer, um sich eine Cigarre -zu holen, deren er in wichtigen Augenblicken zur Sammlung -bedurfte. Sie war auch ein prächtiger Verlegenheitsableiter, -als er zu den Eltern zurückkehrte, die gemüthlich -im Sofa saßen, und im Genuß der eingetretenen -Ruhe schwelgten.</p> - -<p>Beide sahen auf, als der Sohn eintrat — er aber -schnitt, während er sprach, emsig die Cigarre ab, steckte -ein Schwefelhölzchen in Brand, kurz nahm alle möglichen -Handarbeiten vor, und begann dann mit etwas unsicherer -Stimme eine kleine Rede zu halten.</p> - -<p>„Liebe Eltern“, sagte er halb heiter, halb verlegen, -„ich bringe ein paar Neuigkeiten. Die eine habe ich soeben -erfahren — ich fand auf meinem Zimmer diesen Brief -vor, der mir meine Versetzung hierher, vorläufig privatim -mittheilt.“</p> - -<p>Die Majorin sprang, wie elektrisirt, vom Sofa auf.</p> - -<p>„Kurt — wirklich? mein lieber Junge! Wie ist das -so schnell gekommen?“</p> - -<p>„Ja, Mutterchen, bei uns Soldaten geht dergleichen -immer mit Dampf! Die Wahrheit zu sagen erwartete ich -aber die Nachricht schon längere Zeit, und verschwieg sie -Euch nur, um Euch nicht unnütze Spannung und Aufregung -zu bereiten.“</p> - -<p>„Ich bin ganz glücklich, Kurtchen“, rief seine Mutter -immer wieder, „und du sollst mal sehen — sei nicht böse -— aber wenn ich dich hier habe, wirst du dich auch viel -leichter zum Heirathen entschließen.“</p> - -<p>„Laß’ ihn doch in Ruhe!“ brummte der Major.</p> - -<p>Der Sohn lächelte. „Liegt dir wirklich so viel daran, -Mama? So unendlich viel?“</p> - -<p>„Aber, mein Junge“, sagte die Majorin etwas verwundert, -„das weißt du doch!“</p> - -<p>„Nun denn, Mamachen — ich bin ja kein Unmensch -— siehst du mir gar nichts an?“</p> - -<p>Und als die Mutter halb zweifelnd, halb bestürzt zu -ihm aufblickte, streckte er ihr beide Hände entgegen: -„Gratulire mir, liebe Mama — lieber Vater, ich bin mit -Käthchen Lang verlobt.“</p> - -<p>Die Exclamationen der überraschten Eltern, besonders -der Majorin, bei dieser zweiten Freudenbombe, die in ihr -Haus fiel, zu schildern, vermag ich nicht. Wer sich einmal -vor kurzem so recht gefreut hat, weiß ganz genau, wie -man sich in solchem Fall benimmt — und wer es nicht -weiß, dem wünsche ich von Herzen, daß er es bald erleben -und an sich ausprobiren möge.</p> - -<p>Als man sich für die späte Stunde lang genug gefreut -hatte, ging man auseinander und zu Bett — d. h. der -Hauptmann ging nicht zu Bett, sondern wanderte die -Nacht über unruhig und glücklich in seiner Stube auf und -ab, was seinem ahnungslosen künftigen Schwiegervater -einige Donnerwetter über die Lohndiener von Majors -entlockte, die über seinem Kopf immerfort noch ab und zu -liefen.</p> - -<p>Einen Versuch Käthens, die Mutter noch einen Augenblick -zu sprechen, schnitt der Doktor kurz ab: „Ihr habt -den ganzen Tag Zeit zum Unterhalten“, brummte er, -„jetzt will ich Ruhe haben. Die Frauen sind doch wahrhaftig -wie die schweren Fuhrleute — wenn sie von früh -bis Abends nebeneinander auf der Landstraße hergegangen -sind, und des Abends ins Wirthshaus kommen, giebts kein -Ende mit Erzählen.“ Und er entführte seine Gattin ohne -Gnade und Erbarmen.</p> - -<p>So suchte denn Käthe die Ruhe auf, ohne irgend -jemand ihr Herz entlastet zu haben, nur ihre Träume -bauten gefällig auf dem sicheren Grunde der jüngsten Vergangenheit -glänzende Luftschlösser der Zukunft, in deren -lichten Räumen sie die Nacht verbrachte.</p> - -<p>Der „nächste Morgen“ ist an und für sich schon -etwas Ernüchterndes — nach einem Ball, — nach einem -Streit — nach einem abgeschlossenen Geschäft. — Der -„nächste Morgen“ in seiner kühlen Beleuchtung zeigt alle -Schwächen und Mängel so viel besser, als der dämmernde -Abend.</p> - -<p>Nur für eine glückliche Braut hat der „nächste Morgen“ -nichts Prosaisches — der Zauber ihrer Erlebnisse hält -dem grellen Tageslicht Stand — und wie schlimm auch, -wenn’s anders wäre! Die Liebe muß ja im Leben durch -alle Zeiten wandern, sie muß die schwüle Mittagshitze -und die Schauer des Abends tragen helfen, — und zu -glauben, daß dies Kinderspiel sei, fällt nie so leicht, als -im Brautstand, wo Wehr und Waffen zum Lebenskampf -noch glänzend und neu in der Sonne des Glücks auffunkeln, -und alle Illusionen in ungetrübter Pracht wie -glänzende Schleier sich über die Wirklichkeit breiten, so daß -sie uns nur wie ein schimmernder Garten im Morgenthau -erscheint.</p> - -<p>Käthe empfand dieses frische Glücksgefühl auch so recht, -als sie am nächsten Tage aufstand und an ihre täglichen -Pflichten ging, deren erste war, die Geschwister zur Schule -zu besorgen. Sie flocht die Zöpfchen der Schwestern mit -wahrem Vergnügen, strich den Brüdern die Butterbröte -besonders reichlich, und dachte bei sich, wie doch alles -heut viel hübscher sei, als gestern.</p> - -<p>Die Mutter schlief noch, und Käthe konnte es nicht -lassen, die freie Zeit, nachdem die Kinder abmarschirt -waren, zu einem kurzen Besuch bei Fräulein Sabine zu -verwenden, um dieser treuen Seele die Botschaft ihres -Glückes zu verkünden.</p> - -<p>Wir dürfen es uns schenken, sie dahin zu begleiten, da -wir den Gang der Begebenheiten kennen, und kehren in -die Wohnung des Doktors zurück, der sich eben zu einem -Krankenbesuch anschickte. Er praktizirte nur noch sehr -ausnahmsweise bei zwei oder drei Familien, im ganzen -hatte er sich zur Ruhe gesetzt.</p> - -<p>Der Doktor gehörte zu der weit verbreiteten Klasse von -Männern, die verlangen, daß die Stuben stets rein sind, -aber nie gewaschen werden. Dieser Eigenthümlichkeit wurde -insofern genügt, als sein Haus nur meuchlings gescheuert -wurde — d. h. man überfiel ihn mit der vollendeten -Thatsache und er ergab sich dann.</p> - -<p>So auch heute. Im Hintergrunde lauerten schon zwei -Scheuerfrauen auf sein Verschwinden, und begannen sofort -das Werk der Erneuung an sämmtlichen Stubenböden, auf -welchen die zwölf Stiefelsohlen der schulpflichtigen Kinder -deutliche Spuren des Novemberwetters zurückzulassen -pflegten. Nur das <em class="antiqua">sanctum</em> des Doktors blieb verschont -und wurde für diesen Tag der Zufluchtsort der übrigen -Familie.</p> - -<p>Die Hausfrau war sehr verwundert, daß Käthe zu -dieser ungewöhnlichen Stunde zu Fräulein Sabine heraufgegangen -war, sie setzte sich daher etwas verdrießlich mit -ihrer Arbeit ans Fenster in ihres Mannes Stube, und -sah auf die Straße hinab.</p> - -<p>Als der Doktor heimkehrte, traf er im Hausflur den -Hauptmann in voller Uniform, der sehr stattlich aussah -und ihn um die Erlaubniß bat, in einer wichtigen Angelegenheit -unter vier Augen mit ihm sprechen zu dürfen.</p> - -<p>Hätte dem Doktor nicht der Miethskontrakt so sehr im -Kopf gesteckt, so wäre ihm am Ende der Gedanke gekommen, -daß es sich hier um Käthe handeln könne. So aber lud -er den Hauptmann zerstreut ein, ihm zu folgen, öffnete -die Thür zu seinem Zimmer, und steckte den Kopf herein -— da saß seine Frau.</p> - -<p>Aergerlich über diese Invasion schlug er die Thür -wieder zu und öffnete das Eßzimmer, dessen Pforte ihm -die Perspektive auf die übrige Wohnung erschloß. O weh -— über die Dielen der Zimmer rieselte das Wasser, ein -intensiver Seifengeruch belebte die Atmosphäre, und aus -jedem Raum stieg „ein feuchtes Weib empor.“</p> - -<p>Das Scheuerfest in seinem unangenehmsten Stadium -hatte begonnen!</p> - -<p>Der Doktor fügte sich ins Unvermeidliche. Er lud -den Gast ein, abermals in sein Zimmer zurückzukehren, wo -inzwischen das Feld rein geworden war. Die Doktorin -hatte nur ihren Mann und nicht den Hauptmann gesehen, -und wollte den ersteren, ihrem Prinzip getreu, sich erst -„austoben“ lassen — sie verschwand daher in der Küche -und schnitt mächtige Frühstücksschnitten für das heut vermehrte -Hauspersonal.</p> - -<p>Indessen stand der Hauptmann in männlich gefaßter -Haltung vor dem Doktor. Das Anfangen war doch -entsetzlich — <em class="gesperrt">so</em> schwer hatte er sich’s nicht gedacht.</p> - -<p>„Ich komme, verehrter Herr Doktor“, begann er mit -etwas gepreßter Stimme, „um Ihnen eine Bitte vorzutragen.“</p> - -<p>Bautz — ging die Thüre auf — „der Baron von -Rabeneck ist da, Papa!“ rief Käthe ins Zimmer tretend, -erblickte den Hauptmann, stieß einen kleinen Schrei aus, -und war weg, wie der Blitz.</p> - -<p>„Ach, verzeihen Sie — verzeihen Sie einen einzigen -Augenblick“, sagte der Doktor eilfertig, „der Baron kommt, -um seinen Miethskontrakt abzuschließen — ich stehe dann -sofort zu Diensten! — Guten Morgen, Herr Baron — -ich freue mich — die Herren kennen sich ja! Bitte, Herr -Hauptmann, verziehen Sie einen Augenblick, wir sind -bald fertig.“</p> - -<p>„Wie ist den Herren das gestrige Fest bekommen?“ -fragte der Baron im Eintreten, anscheinend ganz aufgelegt -zu einer Unterhaltung, die, recht breit in der Anlage, -einen hübschen Zeitraum bis zur Vollendung versprach.</p> - -<p>„O, recht gut“, sagte der Doktor, der auch nicht eilig -schien, „es war ein bischen spät.“</p> - -<p>„Aber ein allerliebstes Fest — auf Ehre! Wie ist -Ihren verehrten Eltern der Abend bekommen?“ (zum -Hauptmann gewendet.)</p> - -<p>Dieser murmelte etwas Unverständliches — er erstickte -fast vor Zorn und Verlegenheit.</p> - -<p>„Und Ihre Damen, Herr Doktor?“</p> - -<p>„Die sind schon lange wieder auf den Füßen!“ bemerkte -der Doktor wohlgefällig.</p> - -<p>„Oh — so matinal? Sind Sie immer so matinal? -Aber das finde ich sehr recht! Morgenstunde hat Gold -im Munde! Mein seliger Papa pflegte das immer zu -sagen — Morgenstunde hat Gold im Munde — ganz -richtig — was?“</p> - -<p>Der Hauptmann verbeugte sich stumm — er hätte um -die Welt jetzt nicht sprechen können. Der Doktor trat -zum Schreibtisch und wühlte in den Papieren.</p> - -<p>„Wollen wir an unseren Kontrakt gehen, Herr -Baron?“</p> - -<p>„Sofort — ganz zu Diensten! Ja — noch einen -Augenblick — denken Sie, Herr Hauptmann, wie der -Zufall spielt — nicht wahr? Einzig manchmal! Wir -sprachen doch gestern Abend von Straten — was?“</p> - -<p>„Ich erinnere mich nicht!“ sagte der Hauptmann unklug -und wuthbebend.</p> - -<p>„Aber ich bitte Sie! Sie fragten mich noch nach -ihm — Straten, der zu den Husaren kommandirt war, -und mit dem ich bei den Dragonern stand — besinnen -Sie sich jetzt? was?“</p> - -<p>„Ja, ja!“ grollte der Hauptmann.</p> - -<p>„Nun denken Sie, wie der Zufall spielt — nein, man -kann wirklich sagen ‚<em class="gesperrt">spielt</em>‘, denn er spielt manchmal, -was? und wir sind sein Spielzeug! Das ist so ein Aperçu -von mir — liebe solche Aperçus! — nun, um auf unsern -Hammel zurückzukommen, womit ich aber nicht etwa den -guten Straten gemeint haben will — bewahre! — dagegen -protestire ich von vornherein — es ist nur so eine Redensart! -Ja, <em class="antiqua">enfin</em>! — ich gehe gestern Abend nach der -blauen Krone — ich komme ins Gastzimmer — wer sitzt -da? — Straten! Nein, ich bitte Sie!“</p> - -<p>Der Baron lachte herzlich.</p> - -<p>„Nun, warum sollte er nicht dasitzen?“ fragte der -Doktor, jetzt auch etwas unwirsch.</p> - -<p>„Aber, ich sage Ihnen ja — wir hatten eben vorher -von ihm gesprochen! Er steht in Rotbergen — zwei -Meilen von hier — und kommt gerade den Abend her. -‚Guten Abend, Straten!‘ sage ich. Nun hätten Sie mal -seine Ueberraschung sehen sollen! ‚Guten Abend, Rabeneck!‘ -sagt er. ‚Nein, das ist doch sonderbar, daß ich Sie hier -treffe! was machen Sie denn hier?‘ frage ich. ‚Ach, ich -langweile mich so in Rotbergen, da bin ich heut hier -herüber gekommen, um mal mein Glas Bier wo anders -zu trinken‘, sagt er. Und nun plauderten wir von dem -alten Regiment — ach, da hat sich auch viel verändert! -Der Kommandeur ist weg — nach Braunschweig versetzt, -mein damaliger Schwadronschef.“ —</p> - -<p>„Ja aber, Herr Baron“, unterbrach der Doktor diese -interessante Geschichte, „wenn wir vielleicht erst unseren -Kontrakt machen wollten — Herr Hauptmann Scharff -wünscht mich dann noch in einer anderen Angelegenheit -zu sprechen.“</p> - -<p>„Ach, Pardon! — bitte tausendmal um Entschuldigung! -aber es war mir — ich dachte, es müßte den Herrn -Hauptmann interessiren — es war doch ein zu sonderbares -Zusammentreffen, was?“</p> - -<p>Und der Baron lächelte vergnüglich und wiegte den -Kopf hin und her über den merkwürdigen Zufall.</p> - -<p>Während die Herren den Kontrakt durchlasen und -daran herumkorrigirten, stand der Hauptmann stumm am -Fenster und sah auf die Straße. „Fatal! <em class="gesperrt">Einmal</em> -anfangen war schon schlimm genug — aber <em class="gesperrt">zweimal</em> — -das ging gar nicht!“ Er biß sich zornig auf die Lippen. -Und der Moment mußte gleich wieder da sein — die -Feder des Doktors jagte nur so über das Papier.</p> - -<p>Da klopfte es, und ohne das „Herein“ abzuwarten, -wurde die Thür sehr weit aufgemacht. Ein Dienstmädchen -mit einem großen Tablet erschien, auf dem Porzellan, -Glas, Silber und andere Geräthschaften sauber aufgestapelt -waren. Sie setzte ihre Bürde auf den Tisch, und begann, -ohne auf die Herren besondere Rücksicht zu nehmen: „Eine -Empfehlung von der Frau Majorin, und sie schickt die -Sachen wieder.“</p> - -<p>„Still!“ rief der Doktor mit furchtbarer Stimme — -er hatte sich verschrieben, und das haßte er!</p> - -<p>„Und die Frau Doktorin ist draußen nicht zu finden, -da mußte ich alles hier herein bringen“, fuhr das Mädchen -unbeirrt fort.</p> - -<p>Der Doktor schrieb.</p> - -<p>„Wollen Sie mir nicht die Sachen abnehmen, Herr -Doktor?“ fragte das Mädchen, „ich muß dafür stehen, daß -nichts fehlt.“</p> - -<p>„Rufen Sie Fräulein Käthe“, sagte der Doktor, ohne -den Kopf zu wenden.</p> - -<p>„Die will nicht hereinkommen“, erwiderte die unerschütterliche -Magd.</p> - -<p>„Hinaus!“ rief jetzt der Hauptmann donnernd, und -wandte sich um. Dieses Wort hatte die Wirkung eines -Sprenggeschosses — die Botin flog davon, und ward nicht -mehr gesehn.</p> - -<p>„So!“ sagte der Doktor aufathmend und erhob sich -— „ich habe unterzeichnet — wollen Sie nun auch noch -die Güte haben, Herr Baron?“</p> - -<p>Der Angeredete hustete und sah etwas verlegen aus.</p> - -<p>„Ich hätte noch eine Bitte, verehrter Herr Doktor, -ehe ich unterschreibe. — Sie wissen, eine Wohnung ist -eine wichtige Frage, — man muß doch einmal drin wohnen -— und — kurzum, ich möchte mir das Quartier noch ein -letztes Mal ansehen — so einen Ueberblick, wie mein Papa -immer zu sagen pflegte. ‚Chlodwig, verschaffe dir immer -einen Ueberblick‘, hat er unzählige Male zu mir gesagt! -Dürfte ich um diese Gunst bitten?“</p> - -<p>Der Doktor pfiff leise — aber er faßte sich, und die -Herren schickten sich an, das Quartier zu besichtigen.</p> - -<p>Den Hauptmann rührte bei dieser neuen Verzögerung -seiner Aussprache fast der Schlag! Hätte ihm ein Gott -gegeben, zu weinen, so hätte er geweint! Er trommelte -den Dessauer Marsch im rasendsten Tempo auf der Fensterscheibe -— er nahm ein Buch vom Tisch und fing an zu -lesen — obwohl er für sein Leben nicht zu sagen gewußt -hätte, <em class="gesperrt">was</em> er las.</p> - -<p>Nachdem einige Zeit — für den Hauptmann eine -halbe Ewigkeit — verstrichen war, traten die Herren wieder -ein. Der Baron sah sehr bekümmert aus und zog sich -einen Handschuh an.</p> - -<p>Der Doktor stellte sich an das zweite Fenster und -wippte mit dem Fuß hörbar auf und nieder — er war -offenbar schwer gereizt.</p> - -<p>Der Miethskontrakt lag unbeachtet auf dem Schreibtisch.</p> - -<p>Endlich näherte sich der Baron, auf den Zehen gehend, -dem Hauptmann.</p> - -<p>„Ich weiß nicht — es ist mir so unangenehm, nein, -wirklich — es ist mir <em class="gesperrt">sehr</em> unangenehm!“ flüsterte er, -„der Herr Doktor ist so böse — aber ich habe neulich -ganz übersehen — das Schlafzimmer liegt nach Nordosten, -und das vertrage ich nicht! Meine selige Mama sagte -immer: ‚Chlodwig, um alles in der Welt, Sonne im -Schlafzimmer — halbes Leben — halbe Gesundheit.‘“</p> - -<p>„Schlafen Sie doch wo anders!“ stieß der Hauptmann -rauh hervor.</p> - -<p>„Kann ich nicht, mein Bester — kann ich nicht! Und -dann fehlt mir auch ein Zimmer — ein einziges Zimmer -— mein Friedrich <em class="gesperrt">muß</em> neben mir logiren! Ja, hätte das -allerliebste, reizende Eckzimmer — ein <em class="antiqua">bijou</em> von einem -Zimmer — noch ein einziges Fenster! aber so!“</p> - -<p>„Ich will Ihnen etwas sagen,“ explodirte der Doktor, -„haben Sie die Güte, mein Haus nach Ihren Wünschen -umbauen zu lassen, und dann wollen wir wieder vier -Stunden Kontrakt machen. Das ist ja —“</p> - -<p>Der Baron sah hilflos aus.</p> - -<p>„Umbauen? Sie scherzen, Herr Doktor! Der Herr -Doktor scherzt — nicht wahr? ich liebe das sehr! scherze -selbst gern — ich war immer dafür bekannt, daß ich viel -scherze! mein Kommandeur sagte oft: „glaubt dem Rabeneck -nicht, er scherzt nur!“ <em class="gesperrt">Wie</em> oft! —“</p> - -<p>„Nun, dann scherzen Sie nach Belieben,“ schrie der -Doktor, „mit mir haben Sie genug gescherzt!“</p> - -<p>Und er wandte sich ab.</p> - -<p>„Mein Gott, wie peinlich!“ sagte der Baron, und zog -sich den zweiten Handschuh an, „und ich wäre so gern -hier ins Haus gezogen! aber jeder ist sich selbst der Nächste! -was? Wenn ich noch ein Zimmer brauche, das kann mir -doch keiner übel nehmen — das finde ich — da kann ich -mir nicht helfen!“</p> - -<p>Und damit retirirte der Baron, und ging — ungeleitet, -denn der Doktor war <em class="gesperrt">zu</em> ärgerlich — und man hörte den -Weggehenden noch im Hausflur, wie ein abziehendes Gewitter -fragen, ob er sich nicht selbst der Nächste wäre.</p> - -<p><em class="gesperrt">Wen</em> er fragte, wußten die Zurückgebliebenen nicht -— es war ihnen auch höchst gleichgültig. Der Doktor -rannte wie ein gefangener Tiger im Käfig auf und ab, -und erging sich in den wohlthuendsten Aeußerungen über -den Baron.</p> - -<p>„Dieser Einfaltspinsel — dieser alberne Kerl — fragt -einen erst todt, und miethet dann nicht einmal! Nein, ich -war gestern Abend schon so glücklich — mein Quartier so -gut wie vermiethet, und nun? Prosit die Mahlzeit! Nun -sagen Sie einmal selbst, ist das nicht eine ganz infame -Manier, so im letzten Augenblick abzuschnappen?“</p> - -<p>Der Hauptmann bejahte durch eine Verbeugung — -in <em class="gesperrt">diesem</em> Sturm konnte er sein Schifflein nicht -auslaufen lassen, erst mußte der Himmel wieder ruhig -werden.</p> - -<p>„Aber eins sage ich,“ fuhr der erregte Doktor fort, -„<em class="gesperrt">einen</em> Rath gebe ich jedem, der ihn haben will. Wer -kein Haus hat, freue sich, und wer eins hat, zünde es an -allen vier Ecken an. Das ist ja —! alle Tage was -Neues! Da will der einen Ofen gesetzt haben — dem -soll man die Thüren streichen lassen, und dabei bleiben -einem die Wohnungen noch leer stehen! Ich danke für -mein Haus — ich schenke es weg — da mache ich immer -noch ein gutes Geschäft. So habe ich keinen Miether und -Aerger, dann habe ich doch wenigstens keinen Miether und -keinen Aerger — nein, wahrhaftig!“</p> - -<p>Der Doktor schwieg erschöpft, und nahm den Kontrakt -in die Hand.</p> - -<p>„Den Wisch möchte man doch nun gleich in tausend -Stücke reißen,“ begann er von neuem, „der Mensch hat -sich verklausulirt, als wenn er ein Testament über eine -Million für drei leichtsinnige Söhne machen sollte — -um jeden Paragraphen hat er geredet und gefragt — eigentlich -kann ich Gott danken, daß ich <em class="gesperrt">den</em> nicht als Miether -bekommen habe. Ein unausstehlicher Kerl! Aber mein -Quartier — nein, ich bin außer mir! nun hängt -der Miethszettel wieder aufs unbestimmte aus, und -jedesmal, wenn ich nach Hause komme, ärgere ich mich -darüber.“</p> - -<p>Der Hauptmann trat einen Schritt näher.</p> - -<p>„Herr Doktor,“ begann er mit halbem Lächeln, „darf -ich Ihnen einen Vorschlag machen, mit dem uns vielleicht -beiden gedient wäre? Das Quartier hat vier Zimmer, -wie ich höre — hätten Sie etwas dagegen, mich als -Miether aufzunehmen? Ich bin zum ersten Januar hierher -versetzt.“</p> - -<p>Das Gesicht des Doktors klärte sich auf.</p> - -<p>„Ja, aber,“ sagte er etwas zögernd, „ist Ihnen denn -die Wohnung nicht zu groß?“</p> - -<p>„Nun, dem ließe sich auch abhelfen! Herr Doktor, ich -kam heute, wie Sie in der Sturm- und Drangperiode mit -dem Baron vielleicht vergessen haben, um in einer persönlichen -Angelegenheit mit Ihnen Rücksprache zu nehmen — -darf ich meine Bitte jetzt vortragen?“</p> - -<p>Dem Doktor ging ein Licht auf.</p> - -<p>„Bitte!“ stammelte er verlegen.</p> - -<p>„Ich liebe Ihr Fräulein Tochter,“ fuhr der Hauptmann -ernsthaft fort, „und sie ist meiner Werbung trotz unserer -kurzen Bekanntschaft nicht abgeneigt. Darf ich hoffen, Herr -Doktor, daß von Ihrer Seite unserer Verbindung kein -Hinderniß im Wege steht? Sie kennen mich ja durch meine -Eltern —“</p> - -<p>Eine Viertelstunde später rief ein energisches Klingeln -die Damen in des Doktors Zimmer. Eine kleine feierliche -Scene fand statt, nach deren Beendigung der Doktor sich -zur Thür wandte, um Majors herunter citiren zu lassen. -Aber er prallte zurück, denn in der Thür stand, verlegen -und unsäglich neugierig aussehend, der Baron. Er hatte -sich draußen vor der Doktorin in seiner gewohnten Ausführlichkeit -gerechtfertigt, und als die Klingel des Hausherrn -so ungestüm erscholl, hatte ihn sein Wissensdrang -nach dem Zimmer zurück getrieben, wo er zur allgemeinen -Entrüstung und Bestürzung der feierlichen Verlobung unbemerkt -assistirt hatte.</p> - -<p>Aber der Zorn der belauschten Familie machte in der -überfließenden Freude der Fröhlichkeit Platz, und der Baron -brachte seine Gratulation an und fragte: „Verlobt, was? -— ja, das muß sehr hübsch sein — ich finde das allerliebst! -werde mich wohl auch entschließen — nur kein -Junggesell bleiben, was? Meine selige Mama sagte immer: -‚Chlodwig, du bist fürs Familienleben geschaffen!‘“ Nachdem -er diesen Satz zu Ende gebracht hatte, war der beglückte -Schwiegervater so erheitert, daß er den Baron für seine -Heftigkeit von vorhin um Verzeihung bat, die der gutmüthige -Mann auch sofort bereitwillig zugestand.</p> - -<p>Als Majors erschienen, und ein improvisirtes Verlobungsdejeuner -servirt wurde, wozu die noch aufgestellten -Gläser und Tassen vortrefflich zu statten kamen, ließ sich -der Baron mit Leichtigkeit bewegen, daran Theil zu -nehmen, und alles gruppirte sich um den Tisch in des -Doktors Stube.</p> - -<p>Nun freute sich jedes auf seine Art! Das Brautpaar -war still, aber sehr zufrieden, sie sahen allerliebst zusammen -aus. Der Doktor und der Major stießen an, und tranken -Brüderschaft. Die Majorin nickte allen mit der Unverdrossenheit -einer Pagode zu und weinte Freudenthränen -über ihren Sohn und ihre liebe Käthe. Um diese zu -trocknen, borgte sie allerdings schluchzend das Tuch von -der Doktorin — ihr eigenes war momentan nicht zur -Hand. Die Doktorin hätte auch gern geweint, doch unter -diesen Umständen ging es nicht und sie mußte sich sehr -zusammennehmen. Aber bei der Gelegenheit gelobte sie -sich heilig und theuer, das Borgen müßte von nun an seine -Grenzen haben, was ihr niemand verdenken wird, der sich -in einen ähnlichen Fall versetzen kann.</p> - -<p>Der Baron fragte alle der Reihe nach, wie es so gekommen -wäre, und erzählte kleine, geistreiche Aussprüche -seiner Eltern und ihres Chlodwig, wobei er der Bowle -tapfer zusprach, und es durchaus nicht übel nahm, als -man Fräulein Leontine leben ließ und ihn ein klein wenig -neckte. Und an dieser Stelle will ich denjenigen meiner -Leserinnen, die sich für Leontine interessiren, unter tiefster -Diskretion verrathen, daß der Baron ganz ernste Heirathspläne -hat — die beiden werden sehr gut für einander -passen! Aber es soll noch nicht darüber gesprochen werden! -— Ja — nicht zu vergessen, auf Käthes Bitten wurde -ein Eilbote zu Fräulein Sabine heraufgeschickt, die zitternd -und strahlend in ihrem besten Kleide und ihrer Staatshaube -erschien, und die Verlobungsbowle ihres Lieblings -mit leeren half.</p> - -<p>Da sitzen sie nun alle vergnügt beisammen — jeder -hat, was sein Herz wünscht, freilich mehr oder weniger — -in den Gläsern funkelt der Wein und alles ruft: „hoch -das Brautpaar!“</p> - -<p>Rufst du mit, lieber Leser? Ich hoffe ja!</p> -</div> - -<div class="chapter"> -<h2><a name="Und_doch" id="Und_doch">Und doch!</a></h2> - -<h3><a name="I" id="I">I.</a></h3> - -<p class="first">Er hielt die Hausthür einen Augenblick in der Hand, -als überlege er, ob er sie, seinen Gefühlen gemäß, donnernd -zuwerfen und der Undankbaren da oben eine Art von -zornigem Abschiedsgruß senden solle — aber die Vernunft -siegte doch — die Thür wurde mit keiner ungewöhnlichen -Kraftanstrengung geschlossen — und nun stand er auf der -Straße! —</p> - -<p>Unwillkürlich besah er sich das Haus, das er eben -verlassen hatte, von oben bis unten, — nicht als hätte -es einen besonders schönen Anblick gewährt, — aber er -hatte doch seit Monaten jeden freien Augenblick dort zugebracht, -— die blühenden Gewächse hinter den weißen -Gardinen hatten ihm allabendlich freundlich zugenickt, -wenn er von seiner nahe bei der Stadt belegenen kleinen -Besitzung auf muthigem Rößlein vor das Haus der Verwandten -gesprengt war. Dann hatte er die Reitpeitsche -zierlich zum Gruß gegen das Eckfenster erhoben und ein -dunkelblonder Kopf mit schelmischen, blauen Augen hatte -ihm freundlich wiedergewinkt.</p> - -<p>Die Hausthür ließ ihn gastfreundlich ein, — wie viel -Stufen hatte die Treppe? — jedesmal schien eine mehr, -bis er den messingnen Klingelgriff in der Hand hielt! -Der Hausherr war sein Onkel, nicht ein ganz richtiger -Mutterbruder, — aber der schmucke, junge Landmann war -als Neffe und Vetter doch schnell und gern genug aufgenommen -worden.</p> - -<p>Die Familiengruppe blieb allabendlich dieselbe, — in -einem bequemen Stuhl, dessen etwas abgeschabte grüne -Saffianlehne durch gelbe Knöpfchen eine mehr wohlgemeinte -als geschmackvolle Einfassung erhielt, saß der Vater, -ein Käppchen auf dem Haar, die lange Pfeife in einer -Ecke des Mundes, eine Brille auf der Nase, durch die er -die weit von sich gehaltene Zeitung studirte, um von Zeit -zu Zeit die Handlung eines Monarchen durch wohlgefälliges -Brummen zu billigen oder über die unbedachten -Worte eines Ministers langsam und unwillig den Kopf -zu schütteln. Seine Frau saß in der Sophaecke, sehr gerade -aufgerichtet, — diese vorzügliche Haltung auch ihren Kindern -beizubringen, bestrebte sich die Gute fortwährend durch -Blicke, Winke und Bewegungen, während ihre Hände -Alles, was vorging, durch harmonisches Stricknadelgeklapper -in Musik setzten. — Und wenn dann der Theetisch gedeckt -war, saßen die vier Kinder dieses gemüthlichen Paares -wie Orgelpfeifen um sie her, — die Aehnlichkeit unter -den Geschwistern war auffallend, — alle vier zeigten entschiedene -Stumpfnäschen, stets zum Lachen bereite Lippen -und waren blond und blauäugig. Mit der ältesten konnten -sich aber die andern nicht messen, — was in Fränzchens -Gesicht zierlich und allerliebst war, hatte bei den beiden -Buben eine gewisse unfertige Plumpheit, und die Kleinste -befand sich noch in dem Alter, welches für junge Männer -einen Gegenstand des Schreckens und Abscheus bildet.</p> - -<p>So war unser Held denn natürlich mit der Zeit dahin -gekommen, seine Aufmerksamkeit der erwachsenen Tochter -zuzuwenden, und sie hatte das ganz freundlich hingenommen, -hatte erlaubt, daß er ihr das Streichhölzchen anzündete, -um die Spiritusflamme unter dem Theekessel in Brand zu -stecken, freute sich über die Blumensträuße, die er aus -seinem Garten mitbrachte, und lachte über seine Späße -und Erzählungen beinahe so herzlich wie er selbst, — und -das wollte etwas sagen!</p> - -<p>Kurzum, es war durchaus keine Verblendung und -Selbstüberhebung nöthig, um die Entschlüsse reifen zu -lassen, die in nächster Zeit unsern Helden bewegten. Noch -nicht drei Wochen war es her, da hatte er sich in der -Stadt neue Tapetenmuster ausgesucht und dem Bäschen -zur Auswahl präsentirt. Da war besonders eins, das -er in’s Herz geschlossen hatte, mit blauen, schmalen -Streifchen und kleinen Rosenknospen dazwischen, — als -er ihr das zeigte und frug:</p> - -<p>„Möchtest Du wohl in einer Stube wohnen, die so -tapezirt wäre? Ist es nicht niedlich?“</p> - -<p>Da antwortete sie freilich nur auf die letzte Frage -und sagte:</p> - -<p>„Sehr niedlich!“</p> - -<p>Aber sie wurde roth und lachte. Warum war sie -roth geworden, wenn sie nicht wußte, was er damit -meinte? Und mit triumphirenden Gefühlen warb er einen -ganzen Leiterwagen voll Tapeziere und Stubenmaler, ließ -seine ganze Wohnung neu herrichten und umgab sich -viele Tage lang mit dem abscheulichsten Kleistergeruch, — -und Alles um nichts und wieder nichts! —</p> - -<p>Tagelang ging er dann umher wie ein Verschwörer, -— überlegte, — verwarf, — und kam endlich zum Entschluß. -Heut, — diesen selben Tag, an dem er fiebernd -vor Zorn und Beschämung in der nächtlichen Straße stand, -war Fränzchens achtzehnter Geburtstag gewesen! Schon -früh ritt er mit einem Blumenstrauß in die Stadt, so -groß, daß ihm alle Leute verwundert nachsahen, — das -Mädchen empfing ihn mit der größten Freundlichkeit, — -zeigte ihm ihren bekränzten Geburtstagstisch, — und man -lud ihn ein, am Abend wieder zu kommen, wo eine Gesellschaft -junger Leute sich versammeln sollte.</p> - -<p>Das that er denn auch, und als er im Hausflur -einen kleinen Taschenspiegel hervorzog und sein ehrliches, -braunes Gesicht darin betrachtete, kam er sich beinahe -hübsch vor. Eine Rosenknospe hatte er in’s Knopfloch -gesteckt — und unter der Rosenknospe schlug ein Herz -voll Löwenmuth!</p> - -<p>Fränzchen hatte sich auch sehr schön gemacht, sie trug -ein weißes Kleid mit feinen, blauen Streifen, — es sah -seiner Tapete beinahe ähnlich, — und die blonden, glatten -Zöpfe waren mit einer frischen Nelke geschmückt, — er -hätte sich sehr irren müssen, wenn die nicht aus dem -Strauß war, den er heute Morgen gebracht hatte!</p> - -<p>Die kleine Versammlung war schon vollzählig, als er -eintrat, und Fränzchen vor Allen als Geburtstagskind -begrüßte. Er sah aber gleich, daß sie schlechter Laune war.</p> - -<p>„Guten Abend, Karl,“ sagte sie flüchtig und mit einem -Anflug von Verdrießlichkeit in der Stimme. „Du kommst -genau eine Stunde später als du eingeladen bist! Wir -hätten schon lange anfangen können zu tanzen, wenn wir -nicht hätten auf Dich warten müssen.“</p> - -<p>Karl war nun ein herzensguter Junge, aber sein Fehler -bestand darin, daß er einen ganz unglaublichen Brausekopf -besaß. Er wurde röther, als es selbst der Dame seines -Herzens gegenüber nöthig war, machte ein steifes Kompliment -und zog sich zurück. Eins kam zum andern, — -die Beiden stichelten auf einander, wo sie nur konnten, — -und schließlich geschah es, daß Fränzchen sich an ihrem -Geburtstag von einem Andern zu Tisch führen ließ und -Karl mit einem schnippischen: „ich bin schon versagt,“ abfertigte.</p> - -<p>Aber Karl rächte sich! — Unmittelbar nach Tisch -wollte man beginnen, nach dem Klavier zu tanzen. Als -sich der Heimtückische durch einen schnellen Ueberblick versichert -hatte, daß auch ohne ihn eine ausreichende Zahl -von Tänzern da sei, ging er über die Stube, stieß plötzlich -einen Schmerzensschrei aus und sank auf einen Stuhl. -Die ganze Gesellschaft umdrängte ihn besorgt, — Fränzchen -allein stand an ihrem Geburtstagstisch und zählte die -Blättchen an ihrem Rosenstock, — das erbitterte ihn nun -vollends! Er erklärte, er habe sich den Fuß verstaucht, -könne unmöglich tanzen, und wolle lieber zusehen, wenn -man ihn nicht nach Hause schicke, da er als Invalide nichts -auf einem Ball zu suchen habe.</p> - -<p>Davon wollten sie nun alle nichts hören und Karl -blieb, — aber er tanzte konsequent nicht! Die Fenster -waren geöffnet, um die nächtliche Sommerluft einzulassen, -— er setzte sich hinter die Gardine und dachte zornig -darüber nach, wie anders er sich diesen Abend vorgestellt -hatte! Und eigentlich war er ja schuld gewesen, — was -mußte er gleich so empfindlich sein! Sie hatte Recht, er -<em class="gesperrt">war</em> zu spät gekommen, — und es war doch Fränzchens -Geburtstag! — Er erhob sich, — es wurde ihm zu heiß -hinter der Gardine, — und humpelte, seiner Rolle getreu, -über das Zimmer, um den Tanzenden zuzuschauen. Daß -er besser tanzte wie jeder der anwesenden Herren, war klar, -— das wußte Fränzchen auch, — und deshalb ärgerte -es sie so sehr, daß er heute nicht tanzen <em class="gesperrt">wollte</em>, denn -sie glaubte mit Recht nicht an seinen Unfall.</p> - -<p>„Kinderchen, jetzt wird aber aufgehört,“ rief da die -Mutter, „es ist schon sehr spät!“</p> - -<p>Man war an diese peremptorische Art von Fränzchens -Mutter schon gewöhnt, — da erhob sich Karl und bat -die Tante flehentlich, noch einen Augenblick zu verziehen, -die Schmerzen in seinem Fuß hätten nachgelassen und -er wolle einmal mit seiner Cousine tanzen. Eben sollte der -Befehl an die Klavierspielerin ertheilt werden, als Fränzchen -mit blitzenden Augen dazwischen trat.</p> - -<p>„Es thut mir leid, Karl, wenn <em class="gesperrt">du</em> auch wieder hergestellt -bist, — ich habe mir soeben den Fuß versprungen -— und zwar so gründlich, daß ich glaube, wir würden -nie wieder in den richtigen Takt kommen.“</p> - -<p>Karl biß sich auf die Lippen und schwieg. — Die -tanzenden Paare trennten sich, — man ging umher, um -sich abzukühlen, und endlich brach man auf. Daß Karl, -als Verwandter des Hauses, sich noch nicht mitempfahl, -konnte Niemandem auffallen.</p> - -<p>Als die Gäste fort waren, trat Fränzchen ans offene -Fenster, um ihnen nachzusehen, und Karl, von Reue und -Liebe beseelt, stürzte sich Hals über Kopf in das ungeheure -Wagniß, bei den Eltern um ihre Hand zu werben. So -— nun war’s heraus, — Gott sei Dank! — er sah seitwärts -nach ihr hin, ob sie wohl eine Bewegung der -Ueberraschung machen würde, — aber sie stand so still -und unbeweglich am Fenster, als ginge sie die ganze Sache -gar nichts an. Verlegen und zweifelhaft blieb er stehen. -Der Vater legte die Pfeife weg, faßte das Mädchen an -beiden Schultern und drehte sie herum.</p> - -<p>„Nun, Fränzchen,“ fragte er in einer Mischung von -Rührung und Humor, „was sagst du? Hier, der Karl -will dich zur Frau haben, — na, du hast dir’s wohl -schon gedacht? Nun, Mädchen, so sprich doch, — sag’ -Ja oder Nein!“</p> - -<p>Da sah sie trotzig in die Höhe und sagte mit undeutlicher -Stimme ein kurzes „Nein!“ drehte sich wieder um -und trommelte an den Scheiben.</p> - -<p>Die drei Anderen sahen sich zweifelnd und bestürzt an. -— Das kam ihnen allen Dreien unvermuthet, — bis -Karl leise bat:</p> - -<p>„Laßt mich einen Augenblick mit ihr allein, — ich -will sie schon zur Vernunft bringen!“</p> - -<p>Die Eltern schienen ihm dies Amt nicht ungern zu -überlassen, Karl trat zu der kleinen Eigensinnigen und -sah, daß ihre Augen voll Thränen standen.</p> - -<p>„Fränzchen,“ bat er herzlich, „sei nicht kindisch! Ich -weiß, du hast ein Recht, mir böse zu sein, aber es kann -dir nicht mehr leid thun wie mir, daß wir uns heute so -mißverstanden haben, — verzeihe mir doch!“</p> - -<p>Er wollte ihre Hand fassen, sie zog sie hastig und -unwillig zurück.</p> - -<p>„Sieh’,“ fuhr er fort, „das Nein, was du mir jetzt -sagst, ist doch ein anderes, als eine Absage für einen Tanz! -Ich kann dann nicht mehr wiederkommen und fragen, ob -du dich anders besonnen hast, — du weißt, ich würde -es auch nicht thun, — überlege dir’s einmal, Fränzchen!“</p> - -<p>Da sie fortfuhr, stumm den Kopf zu schütteln, trat er -verzweifelt zurück und rief die Eltern wieder herein.</p> - -<p>„Ich kann nicht mit ihr fertig werden, Onkel, rede du -ihr einmal zu, — sie ist zu kindisch!“</p> - -<p>Der Vater erschien und rief in etwas barschem Ton -das Mädchen, welches sich trotzig vor ihn hinstellte.</p> - -<p>„Was fällt dir ein,“ fuhr er sie ziemlich rauh an, -„läßt den Karl ablaufen wie einen dummen Jungen, weil -ihr irgend eine alberne Uebelnehmerei mit einander gehabt -habt! Gleich bist du vernünftig und sagst entweder einen -Grund für dein verschrobenes Betragen oder giebst ihm -die Hand.“</p> - -<p>„Nein, ich will nicht und ich will nicht!“ rief das -Mädchen jetzt, von Schluchzen unterbrochen, „erst kommt -er zu spät, dann ist er so unhöflich gegen mich wie möglich, -dann tanzt er nicht und verdirbt mir meinen ganzen Geburtstag, -— nennt mich zweimal in einem Athem kindisch, — und -wenn er dann zum Schluß für den reizenden Abend -gnädig kommt und mich heirathen will, — da soll ich Ja -sagen! Ich thu’s nicht, — ich mag nicht aufs Land, -ich will überhaupt nicht heirathen und ich wollte, ihr -hättet mir meinen Geburtstag nicht verdorben!“</p> - -<p>„Es ist gut, Fränzchen,“ sagte Karl trocken, während -sie sich abermals abwandte und ihr Gesicht ins Tuch -barg, „wir wollen nicht mehr davon sprechen! Ich habe -mich geirrt und bin ein Narr gewesen, — und jetzt kann -ich dich nur um Verzeihung bitten, daß ich dir deinen -Geburtstag verdorben habe, wie du sagst. Gute Nacht, -lieber Onkel, gute Nacht, Tante!“</p> - -<p>Fränzchen wurde durch eine stumme Verbeugung beglückt, -— dann stürmte Karl davon und der Moment, -wo er die Hausthür öffnete und auf die Straße trat, war -es, wo wir seine Bekanntschaft machten. Er schlug den -Weg nach dem Gasthaus ein, wo sein Pferd stand, und -fühlte mit Behagen, daß ein heraufziehendes Gewitter -schwere Regentropfen auf seine heiße Stirn sandte, die er -schon längst vom Hut befreit hatte. Von Zeit zu Zeit -wies er bedeutsam nach seinem Kopf, um ihm durch diese -Bewegung vorzuwerfen, er habe ihm einen schlimmen -Streich gespielt, daß er nicht mehr mitsprach, als das Herz -heut durchging.</p> - -<p>Der muntere Trab seines Rößleins sagte seiner Stimmung -weit besser zu, als die langsame Fortbewegung der -Füße, und doch kam er viel zu früh für seine Wünsche -daheim an. Die Wohnung, die er jetzt seit längerer Zeit -mit so anmuthigen Zukunftsträumen ausgeschmückt hatte, -dünkte ihm unwirthlich und öde, — er erschien sich wie -Einer, der zu einer schönen Reise gerüstet auf den Bahnhof -ging, den Zug versäumte — und mit entsetzlich ernüchterten -Gefühlen den Heimweg antritt. Dieses letzte -Gleichniß leuchtete ihm immer mehr ein, — „aber es giebt -ja mehr Züge als den einen,“ sagte er halblaut vor sich -hin, „führen sie auch nicht alle in das gelobte Land der -Ehe, — man kann auch sonst noch Reisen machen, denn -hier bleiben ist mir jetzt ein unleidlicher Gedanke! Aber -wohin? — ich kann für die nächsten zwei, drei Tage abkommen, -ich werde nach Schrobeck fahren!“</p> - -<p>Schrobeck war ein kleiner, vielbesuchter Badeort, den -die Bewohner der Provinz häufig zu Sonntagsausflügen -benutzten. Für gewöhnlich war er nur sehr stark von -alten Damen frequentirt, daher er für einen jungen Mann -wenig Anziehendes bot. Aber Schrobeck war nun einmal -der nächste zu erreichende Ort — und für Schrobeck entschied -sich Karl. Ein flüchtiges Bedenken erregte ihm die -undeutliche Vorstellung, daß eine alte Tante Amalie, die -er zu besitzen sich rühmen durfte, meist um diese Zeit des -Jahres in Schrobeck zu weilen pflegte, — aber er tröstete -sich mit den beliebten „Vielleichts“: „vielleicht ist sie jetzt -noch nicht da!“ oder „vielleicht sieht sie mich gar nicht,“ -kurz, er sprang auf und nahm aus seinem etwas sparsam -ausgestatteten Bücherschrank ein Coursbuch, in dessen -Studium er sich eifrig vertiefte.</p> - -<h3>II.</h3> - -<p>Als Resultat dieser Abendlektüre sehen wir Karl am -nächsten Morgen in grauem Reiseanzuge mit blauer Kravatte -und einer gestickten Reisetasche mit Rosen und Veilchen -im Wartesalon des Bahnhofs sitzen, die frühe Stunde — -sechs Uhr — hatte dem Landmann keine Ueberwindung -gekostet, denn „fort, — nur fort!“ war seine Losung -und der erste Zug ging um sechs Uhr zwanzig Minuten. -Sein Platz war so gewählt, daß er der Eingangsthür -den Rücken wandte und doch im Stande war, mit -Hülfe eines ihm gegenüber hängenden großen Spiegels -Alle zu beobachten, die den Wartesaal betraten.</p> - -<p>Bis jetzt hatten noch nicht Viele seine Aufmerksamkeit -zu fesseln vermocht, — zwei verschlafene, verdrießlich aussehende -Damen, deren eine ein Kind in unaufhörlich schaukelnder -Bewegung erhielt, ließen in ihm nur den Gedanken -aufsteigen: „Gott bewahre mich vor solcher Gesellschaft!“ -Dann befand sich ein Handlungsreisender in seiner Nähe, -der zum Benefiz der Kellner und der kaffeeschenkenden -Nymphe am Büffet sich in zahllosen Scherzen und Scherzchen -erging, — vor diesem graute ihm noch weit mehr! Die -einzige, wirklich gut aussehende Mitbewohnerin dieses interimistischen -Aufenthalts war eine kleine, sehr hübsche -Brünette, die mit einem schwarzen Hütchen geschmückt war, -auf dem sehr naturgetreue, rothe Kirschen jeden Sperling -hätten durstig machen können. Die kleine Dame sah, gegen -die Gewohnheit des alleinreisenden weiblichen Geschlechts, -ganz sicher und vergnügt aus, und aß, trotz der frühen -Morgenstunde, unverdrossen Pfefferkuchen.</p> - -<p>„Das wäre schon eher Etwas!“ dachte Karl bei sich.</p> - -<p>In diesem Augenblick empfand er jene heftige, schreckhafte -Bewegung, bei der wir, wie der Volksmund sagt, -aus der Haut fahren möchten. Seine Augen erblickten -im Spiegel zwei Gestalten, deren Erscheinen in ihm den -unmännlichen Wunsch rege machte, sich sofort unter den -Tisch zu verkriechen, was doch nicht anging, ohne unerwünschtes -Aufsehen zu erregen.</p> - -<p>Ein etwa vierzehnjähriger Bursche, blond, blauäugig, -stumpfnäsig, mit einer zierlichen Ledertasche und mehreren -Paketen beladen, hatte den Raum betreten, gefolgt von -einer jungen Dame mit sehr ähnlichen blauen Augen, -blonden Haaren und einem großen Hut, der vergebens -die Röthe der Augenlider zu verdecken bestrebt war, — -Fränzchen und ihr ältester Bruder!</p> - -<p>In Karl’s Gehirn führten allerlei Gedanken einen -verworrenen Tanz aus, — er fühlte den unbestimmten -Wunsch, etwas zu unternehmen, — und zugleich die beschämende -Zuversicht, daß es etwas Dummes sein würde, -— endlich that er, was meist das Klügste ist, was man -thun kann, — wenn es die Menschen nur einsehen wollten! -— er wartete ab!</p> - -<p>Fränzchen achtete nicht auf ihre Umgebung, sie stützte -den Kopf in die Hand und sah vor sich nieder, der sie -begleitende Knabe Fritz dagegen ließ seine munteren Augen -im ganzen Saal umherschweifen, bis sie glücklich im Spiegel -Karl’s wohlbekannte Züge entdeckt hatten. Doch im selben -Moment fuhr der Zeigefinger des Spiegelbildes blitzschnell -nach den Lippen, und Fritz, der einer der pfiffigsten -Sekundaner des neunzehnten Jahrhunderts war, begriff, -— und nickte! Ja, noch mehr, — als Karl mit der Hand -nach dem soeben geöffneten Perron zeigte, dann auf sich -selbst und schließlich auf Fritz, Fränzchen aber durch -ein abwehrendes Kopfschütteln bezeichnete, begriff der -kluge Fritz sofort, Karl wolle ihn allein sprechen, und seine -etwas unsichere Knabenstimme machte der Schwester den -Vorschlag, er wolle in dem schon draußen haltenden Zuge -einen Platz für sie belegen, sie solle ruhig hier bleiben.</p> - -<p>Fränzchen nickte nur matt mit dem Kopf und legte -dann wieder die Hand über die Augen. Karl konnte also -unbemerkt den Saal verlassen und den Perron betreten, -dessen Uebersicht dem Mädchen durch einen dicken Wandpfeiler -unmöglich wurde.</p> - -<p>Fritz, der während dessen an den Coupés umherirrte, -wurde, wie die Taube vom Stoßvogel, von Karl gepackt -und festgehalten.</p> - -<p>„Wo wollt ihr hin, Unglückskinder?“ stieß Karl hervor, -den Sekundaner mit Blicken durchbohrend.</p> - -<p>„Nach Schrobeck,“ erwiderte dieser, sich mit einer mehr -kräftigen als anmuthigen Bewegung von den Händen befreiend, -die seine Schultern hielten.</p> - -<p>„Nach Schrobeck?“ wiederholte Karl dumpf, „dachte ich -mirs doch! Aber warum gerade dorthin?“</p> - -<p>„Weil Tante Amalie dort ist, — ich bringe die -Fränzchen nur vor der Schule auf den Bahnhof, — sie -fährt allein!“</p> - -<p>„Und ich fahre auch nach Schrobeck,“ sprach Karl in -düsterem Tone, sein Billet emporhaltend.</p> - -<p>Fritz beantwortete diese Mittheilung durch ein so unauslöschliches -Gelächter, daß mehrere Bahnbeamte sich -argwöhnisch und neidisch nach dem Eigenthümer so vieler -Heiterkeit umsahen.</p> - -<p>„Was lachst du denn, dummer Junge?“ rief Karl -jetzt ergrimmt, „sage lieber, wie Fränzchen so plötzlich -darauf kommt, abzureisen! Gestern Abend war doch noch -gar nicht davon die Rede!“</p> - -<p>„Denkst du denn, ich weiß gar nichts,“ erwiderte -Fritz, dessen Schlauheit bereits keine Grenzen mehr kannte. -„Die halbe Nacht ist noch bei uns ein fürchterlicher Spektakel -gewesen, — Fränzchen hat geweint, der Vater -hat gezankt, sie sei ein dummes Ding, die nicht wisse, was -sie eigentlich wolle, und sie solle gleich zur Tante reisen, -bis sie zur Vernunft gekommen wäre. Dann hat mir der -Vater einen Brief gegeben, den sollte ich zu dir tragen, -wenn ich aus der Schule käme, — da du aber nach -Schrobeck fährst, behalte ich ihn natürlich!“</p> - -<p>„Her mit dem Brief!“ herrschte Karl mit so wildem -Ton und Blicke, daß Fritz, vor diesem furchtbaren Anblick -erzitternd, den Brief aus der Tasche zog und Karl einhändigte.</p> - -<p>Dieser überflog ihn, dann glitt ein triumphirendes -Lächeln über sein Gesicht, er faltete den Brief zusammen, -steckte ihn in die Tasche und wandte sich wieder zu Fritz.</p> - -<p>„Höre Fritz, — in diesem Zuge giebt’s keine Damencoupés. -Du belegst hier in diesem Wagen einen Platz -für Fränzchen, — ich lasse meine Reisetasche in die Ecke -legen und komme nicht eher auf meinen Platz, bis -der Zug eben fortfahren will.“</p> - -<p>Fritz nickte und erklomm das bezeichnete Coupé.</p> - -<p>Nach wenig Minuten brachte ein blaujäckiger Dienstmann -Karl’s Reisetasche und legte sie auf den Eckplatz. -Fritz begab sich wieder in den Wartesaal, um seine -Schwester zu rufen, — es klingelte zum ersten Mal.</p> - -<p>Karl sah hinter der Gardine des nächsten Wartezimmers -zum Fenster hinaus.</p> - -<p>„Hier, Fränzchen!“ rief der wohlinstruirte Fritz und -half der Schwester in das Coupé steigen, an dessen Fenster -ein Täfelchen mit der bedeutsamen Inschrift prangte: „Für -Nichtraucher!“</p> - -<p>„Kein Damencoupé?“ frug das Mädchen schon im -Einsteigen.</p> - -<p>„In diesem Zuge giebt’s keine Damencoupés,“ lautete -die Antwort, und Fränzchen nahm ihren Platz gerade der -gestickten Reisetasche gegenüber, um den Anblick der -brüderlichen Stumpfnase noch so lange als möglich zu -genießen.</p> - -<p>Fritz hatte den Wagentritt bestiegen und nahm noch -allerlei Aufträge in Empfang.</p> - -<p>„Erlauben Sie, junger Herr,“ sagte da eine muntere -Stimme hinter ihm, und die junge Dame mit dem -Kirschenhut bestieg den Wagen und nahm die dritte Ecke -an der andern Seite ein.</p> - -<p>„Ob das Karl lieb sein wird?“ dachte Fritz bedenklich, -— doch da er nicht befugt war einzuschreiten, schwieg -er wohlweislich.</p> - -<p>Um so gesprächiger war die Neueingetretene vom ersten -Augenblick an, sie klagte über die Hitze, legte ihr -Hütchen ab und bot Fritz und Fränzchen gutmüthig von -dem Pfefferkuchen an, den sie in unvertilgbaren Quantitäten -bei sich zu führen schien.</p> - -<p>„Ich fahre nicht mehr allzu lange,“ sagte sie jetzt, sich -bequem in die Ecke zurücklehnend, „in Eisdorf steige ich -aus. Sie auch, Fräulein?“</p> - -<p>„Ich habe noch eine Station weiter bis zu meinem -Ziel, — ich will nach Schrobeck,“ erwiderte Fränzchen müde.</p> - -<p>Ein erneutes Klingeln, — ein kurzer, zwitschernder -Pfiff ließ sich vernehmen, — Fritz wurde höflich ersucht, -seinen erhabenen Standpunkt zu verlassen, — und eben -wollte der Beamte die Thür zuschlagen, als in vollem -Lauf ein uns wohlbekannter, graugekleideter Herr über -den Perron eilte, in den Wagen sprang und kaum darin -war, als der Zug sich in Bewegung setzte.</p> - -<p>Karl hatte in diesem Augenblick einen bedeutenden -Vortheil über Fränzchen, — er wußte, was ihm bevorstand, -und vermochte es in Folge dessen, seinen Hut abzunehmen -und beide Damen wie fremde Mitreisende zu -grüßen. Fränzchen aber, gänzlich unvorbereitet, starrte -ihn mit weitgeöffneten Augen an, als sehe sie einen Geist, -und wechselte unaufhörlich die Farbe.</p> - -<p>Die kleine Dame mit dem Kirschenhut blickte verwundert -von Einem zum Andern, von dem so sehr gefaßten, -jungen Mann zu dem fassungslosen Mädchen, — -und schüttelte unmerklich den Kopf.</p> - -<p>Karl aber that ganz, als wenn er zu Hause wäre. -Er legte seine Reisetasche in das oberhalb angebrachte -Netz, den Hut daneben, und begann dann, über Fränzchen -weg, die kleine Brünette mit freundlichem Wohlgefallen -anzusehen. Er suchte in seinem Herzen nach einem -Vorwand, um sich zu ihr zu setzen und Fränzchen durch -Entfaltung seiner glänzenden Unterhaltungsgabe tief fühlen -zu lassen, <em class="gesperrt">wen</em> sie verschmähte.</p> - -<p>Um Karl’s veränderte Stimmung und gehobenen -Muth zu begreifen, bedarf es nur eines Einblickes in -den Brief, den ihm sein hoffentlicher Schwiegervater geschrieben -hatte. Dieser Ehrenmann that ihm schwarz auf -weiß zu wissen, daß Fränzchen gleich nach seinem Weggehen -den ausgetheilten Korb bitter bereut und sich des -schwärzesten Betragens angeklagt habe. Von seinem -Vorschlag aber, Karl diese Mittheilung zu machen, habe -sie unter keiner Bedingung etwas hören wollen, wahrscheinlich -weil das gegen ihre Würde gestritten hätte. -So habe denn der Vater beschlossen, um ihr über die -nächsten, unbehaglichen Tage hinwegzuhelfen, sie auf eine -Woche zu Tante Amalie nach Schrobeck zu schicken, und -glaube er, seinem lieben Karl die Versicherung geben zu -dürfen, daß, falls er nach Ablauf dieser Frist noch einmal -anfrage, er ein um so freudigeres „Ja“ für das trotzige -„Nein“ von gestern erwarten dürfe.</p> - -<p>So wußte denn unser Held, woran er war, — und -wer das <em class="gesperrt">nicht</em> weiß, kann erst den unschätzbaren Werth -dieser Kenntniß ganz würdigen.</p> - -<p>Der Vorwand seinen Platz zu wechseln, fand sich bald. -Die Kirschendame stand auf und rüttelte mit beiden Händen -an dem geschlossenen Coupéfenster. Es wich ihren Anstrengungen -nicht sogleich und Karl sprang mit einem -verbindlichen „erlauben Sie mir!“ auf die gegenüberliegende -Seite und öffnete das Fenster, sich bequem an -diesem niederlassend.</p> - -<p>Die lustige, kleine Dame war hoch erfreut, ihre sehr -unfreiwillige Schweigsamkeit aufgeben zu müssen. Karl -eröffnete die Unterhaltung mit der geistreichen Bemerkung:</p> - -<p>„Jetzt ist es nicht mehr so heiß, durch das offene -Fenster kommt ein angenehmer Luftzug.“</p> - -<p>Die kleine Dame nickte mehrmals mit dem Kopf zum -Zeichen der Zustimmung, und fügte bei:</p> - -<p>„Darum kam ich eben auf den Gedanken!“</p> - -<p>„Es war ein sehr kluger Gedanke,“ sagte Karl verbindlich.</p> - -<p>Die Kirschendame sah geschmeichelt aus und bot Karl -von ihrem Pfefferkuchen an.</p> - -<p>„Herren essen zwar so etwas nicht gern,“ bemerkte sie.</p> - -<p>„Aus so schönen Händen,“ erwiderte Karl, der schon -merkte, daß diese Waare hier guten Absatz fände.</p> - -<p>„O, bitte,“ erwiderte sein <em class="antiqua">vis-à-vis</em> erfreut.</p> - -<p>Fränzchen sah unbeweglich zum Fenster hinaus. Das -war zu stark, daß Karl noch nicht vierundzwanzig Stunden -nach dem betrübenden Vorfall in ihrer Gegenwart so -harmlos lustig sein und dieser kleinen, unternehmenden -Person schöne Redensarten machen konnte! Sie war sehr -erbittert und durfte sich doch nicht verrathen!</p> - -<p>Drüben ging indeß die Unterhaltung unermüdlich fort, -die kleine Dame lachte über Karl’s Einfälle, die meist -mehr durch Vortrag als durch Neuheit glänzten, — sie -lachte so laut und herzlich, daß sie sich die Augen trocknen -mußte. Karl hatte aber heute lauter selbstische Zwecke im -Auge, — erstens wollte er Fränzchen ärgern und sodann -sein <em class="antiqua">vis-à-vis</em> günstig stimmen, damit sie ihm das Rauchen -erlaubte. Bescheiden brachte er die Anfrage vor.</p> - -<p>„Bitte, rauchen Sie,“ sagte seine gemüthliche neue -Freundin, „wenn es die andere Dame nicht genirt?“</p> - -<p>Karl wandte sich mit einer verbindlichen Bewegung -an Fränzchen, mit gezücktem Streichholz.</p> - -<p>„Ich bedaure sehr,“ erwiderte sie in eiskaltem Ton, -„das Rauchen macht mir Kopfweh.“</p> - -<p>Das war aber unrichtig, wie Karl genau wußte. -Schwer geärgert über diese Ungefälligkeit, vergaß er die -gebotene Vorsicht.</p> - -<p>„Du hast es doch immer vertragen,“ fuhr er heraus, -biß sich aber erschreckt auf die Lippe, als die Kirschendame -sichtlich die Ohren spitzte und Fränzchen, dunkelerröthend, -sich zum offenen Fenster hinausbog.</p> - -<p>Die Kirschendame ertrug’s nicht länger. Sie beugte sich -zu Karl hinüber und sagte lautlos, nur mit den Lippen:</p> - -<p>„Frau!“</p> - -<p>Er schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„Braut?“ im selben Ton.</p> - -<p>Karl bedachte sich nicht lange, sondern nickte frischweg.</p> - -<p>„Gezankt?“ deutete das <em class="antiqua">vis-à-vis</em> an.</p> - -<p>Abermals nickte er.</p> - -<p>„O,“ sagte das Fräulein jetzt mitleidig und hätte wohl -noch weiter geforscht, wenn nicht in dem Moment der -Zug gehalten hätte.</p> - -<p>„Station Eisdorf,“ rief der Schaffner.</p> - -<p>Die kleine Dame begann sofort in fieberhafter Angst -ihren Hut, ihre Schachteln und ihren Pfefferkuchen zu erfassen -und mit einem bedeutungsvollen: „Glückliche Weiterreise, -meine Herrschaften!“ verließ sie den Wagen und -taumelte in die Arme einer großen Familie, die sie erwartet -hatte.</p> - -<p>Langsam setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Karl -sah nun seinerseits zum Fenster hinaus.</p> - -<p>„Nur sich nichts vergeben!“ dachte er.</p> - -<p>Ein zaghaftes „Karl!“ veranlaßte ihn, sich umzuwenden.</p> - -<p>„Karl, willst du nicht deine Cigarre anzünden?“</p> - -<p>„Du bist sehr freundlich,“ sagte er kurz, und bald -schwebten die blauen Dampfwolken zum Fenster hinaus -über die grünen Felder.</p> - -<p>Mehrere Minuten vergingen, — Karl überlegte, was -er wohl jetzt sagen sollte, — er beschloß, dem Mädchen -seine Launenhaftigkeit ernstlich zu Gemüth zu führen, — -und während er sich diese Worte in Gedanken zurechtlegte, -störte ihn ein leises Schluchzen.</p> - -<p>Er schielte vorsichtig herum und sah Fränzchen mit -dem Tuch vor dem Gesicht, in Thränen aufgelöst, in der -Ecke lehnen. Da schmolz sein ohnehin nicht sehr hartes -Herz und mit einem Satz war er neben ihr. Zu einer -leidenschaftlichen Liebeserklärung hatte Karl gar kein Talent, -— und so mögen unsere Leserinnen verzeihen, daß -er sich seinem Charakter gemäß ausdrückte.</p> - -<p>„Aber sage mir einmal, Fränzchen, wozu machst du -nun dir und mir das Leben schwer? Wärst du vernünftig -gewesen und hättest gestern Abend ‚Ja‘ gesagt, -wie du doch meinst, — nein, sei still, ich weiß es ganz -gut, — da säßen wir heute als glückliches Brautpaar in -Eurer Wohnstube und Abends führen wir mit dem Vater -zu mir heraus und du sähest dir die blaue Tapete an, -die du ja selber ausgesucht hast.“</p> - -<p>Sie lachte unter Thränen und schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„Nun, freilich hast du sie selber ausgesucht,“ fuhr -Karl gemüthlich fort, „und wir Beide, die sich schon gemeinsam -die Wohnung eingerichtet haben, fahren hier, wie -die Landstreicher, in der Eisenbahn, als wüßten wir nicht, -wo wir hingehören! Nein, Fränzchen, wie soll das später -werden, wenn wir da draußen auf dem Lande allein sitzen, -und du willst so unvernünftig sein! Das geht nicht, und -jetzt steh’ auf und sage: ‚Ich will sehr gut folgen, lieber -Karl!‘“</p> - -<p>Er zog sie an der Hand empor und sie sprach zwischen -Lachen und Weinen die bedeutungsvollen Worte nach.</p> - -<p>„So,“ sagte Karl nach einer Weile, als die erste -Rührung beiderseits überstanden war, — denn, gestehen -wir es, auch unserem Helden wurde die Stimme etwas -unklar, — „nun will ich dir auch beichten, — ich habe -dich schon Jemandem als meine Braut vorgestellt!“</p> - -<p>„Wem denn?“ frug Fränzchen erstaunt.</p> - -<p>„Der kleinen Dame mit dem Kirschenhut,“ erwiderte -Karl ruhig, „was hätte die sich sonst denken sollen?“</p> - -<p>„Station Schrobeck,“ rief der Schaffner, die Thür -öffnend.</p> - -<p>Unser Paar sah sich bedenklich an. Karl als Herr -und Gebieter beschloß, was zu thun sei.</p> - -<p>„Wann geht der nächste Zug nach L.... zurück?“ -frug er, den Namen von Fränzchens Heimathsort -nennend.</p> - -<p>„In einer halben Stunde.“</p> - -<p>„Nun, Fränzchen,“ sagte Karl heiter, „dann fahren -wir in einer halben Stunde hübsch zu deinen Eltern! -Aber was thun wir die halbe Stunde? Nur nicht zu -Tante Amalie,“ schauderte er.</p> - -<p>„Wir trinken hier auf dem Bahnhof Kaffee,“ schlug -Fränzchen vor.</p> - -<p>„Bravo,“ rief Karl und schlug dröhnend in die Hände, -„du bist die richtige Frau für mich! Natürlich trinken -wir Kaffee!“</p> - -<p>Und nach einer halben Stunde saß das neue Brautpaar -wieder im Eisenbahnwaggon und dampfte den Weg -zurück, den es vor wenig Stunden gekommen war. Lassen -wir sie ruhig ziehen, — die kommen durch die Welt!</p> - -</div> - -<div class="chapter"> -<h2><a name="Der_tolle_Junker" id="Der_tolle_Junker">Der tolle Junker.</a></h2> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poem"> -<p class="quote"> -„Sie haben mich gezwungen zu einem ehrlichen Mann.“<br /> -</p> -</div> -</div> - -<p class="first">Die zu ebener Erde belegene Weinstube von Gerhold -war heute schon fast leer und nur eine einzige Gruppe -nahe dem Fenster schien ausharren zu wollen, bis der -Herbstmorgen dämmerte.</p> - -<p>Drei oder vier Herren saßen bei einigen Flaschen Wein -in lebhaftem Gespräch und zwei andere waren an einem -Billard beschäftigt. Die Spieler gehörten anscheinend zu -der sitzenden Gesellschaft, denn ab und zu warf einer von -ihnen eine kurze Bemerkung in die Unterhaltung am Tisch.</p> - -<p>Jetzt öffnete sich die Glasthür, die von der Straße aus -in das Zimmer führte, noch einmal, und ein Herr in mittleren -Jahren, blond, blaß und vornehm aussehend, trat ein, warf -seinen Oberrock ab und näherte sich der Versammlung am -Fenster, welche ihn lebhaft begrüßte, während die Billardspieler -seinen Eintritt noch nicht zu beachten schienen.</p> - -<p>„Nun, Raven, Sie eröffnen die Saison recht früh,“ -bemerkte einer der bereits Anwesenden, „es ist doch sträflich, -im September schon in Gesellschaft zu gehen.“</p> - -<p>„Was haben Sie da?“ sagte der als Raven Angeredete, -„<em class="antiqua">château d’Yqum</em>? Schön, ich bin von der Partie! Und -was die Gesellschaft betrifft, so werden Sie mir zugeben, -daß man Ausnahmen macht; ich wette, Sie Alle hätten -heut Abend mit mir getauscht, ich war bei Ertings und -habe im kleinen Kreise die Verlobung mitgefeiert.“</p> - -<p>Bei diesen Worten wandte sich einer der Herren am -Billard rasch um; er hatte ein scharfes, geistvolles Gesicht, -dessen dunkle Augen durch eine goldene Brille blickten, ohne -darum weniger jugendlich auszusehen.</p> - -<p>„Ei, da ist ja auch unser Hippokrates!“ sagte Raven, -dem allbeliebten jungen Arzt die Hand schüttelnd; „nun, -Doktor, ist Alles zu Tode curirt, daß Sie ’mal Zeit haben, -hier Billard zu spielen? Welch glänzendes Zeugniß für -den Gesundheitszustand unserer Stadt!“</p> - -<p>„Berufen Sie mein Glück nicht!“ erwiderte Doktor -Stein, „ich bin selbst ganz erstaunt über diesen Ausnahmezustand, -und habe zu Hause Befehl gegeben, mich für alle, -außer die dringendsten Fälle, zu verleugnen. Da ist übrigens -mein letzter Ball gemacht, Schrader, für heute sind wir quitt!“</p> - -<p>Er warf die Queue auf das Billard, trat zum Tisch -und schenkte sich ein.</p> - -<p>„Und nun,“ sagte er, sich einen Stuhl heranziehend, -„erzählen Sie vom Verlobungsfest, Raven, das ist ja interessant!“</p> - -<p>„Ja, ja,“ riefen die Anderen durcheinander, „erzählen -Sie, wie war das Arrangement, und wie benahm sich das -Brautpaar?“</p> - -<p>„Das Arrangement war tadellos, wenn Sie das Büffet -meinen,“ sagte Raven, „es hatte nur wieder den alten -Erting’schen Fehler, weniger wäre mehr gewesen! Ich bitte -Sie, für eine Gesellschaft von zwanzig Personen ein Souper -wie bei Hofe, Sect in Strömen — nun, wir können es ja -haben!“</p> - -<p>„Und das Brautpaar?“</p> - -<p>„Der Bräutigam war still, ängstlich und gutmüthig -wie immer, die Mama soufflirte ihm beständig! Er glaubte, -seinen Geschmack durch seine Wahl genügend bewiesen zu -haben, und hatte sich im Uebrigen nicht mit dem Artikel -angestrengt, brillantne Vorstecknadel und mehr Ringe wie -Finger! Nachdem mich ein schaudernder Blick darüber belehrt -hatte, war ich unfähig, noch einmal hinzusehen. Die -Alteration konnte mir schaden, man muß auch an sich -selbst denken!“</p> - -<p>„Sie sind ein malitiöser Mensch,“ sagte der Doktor. -„Ludwig Erting ist ein guter, anständiger Kerl, der sich -immer als solcher benehmen wird, wenn ihm auch die -Lächerlichkeiten seiner Mutter ankleben. Wäre er innerlich -anders, so würde Edith Brandau ihm auch nie ihr Jawort -gegeben haben, verlassen Sie sich darauf!“</p> - -<p>„Vergessen Sie die anderthalb Millionen nicht, bester -Stein, die diesem Juwel als Fassung dienen!“</p> - -<p>„Aber erzählen Sie weiter, Raven, wie sah die Comtesse -aus?“</p> - -<p>„So schön wie immer, oder vielleicht noch schöner,“ -sagte Raven, „blaß, ernst und still! Ganz in Weiß mit -einer alterthümlichen, feinen Goldkette wohl zehnmal um -den Hals geschlungen, wie ein Aquarell von Passini!“</p> - -<p>In diesem Augenblick rasselte draußen ein schwerer -Wagen, er hielt vor der Thür des Weinhauses und ein -graubärtiger Mann in Hut und Kutschermantel trat hastig -und verstört in die Stube.</p> - -<p>„Das gilt mir!“ sagte der Arzt und ging dem Ankommenden -entgegen.</p> - -<p>„Herr Doktor, Sie müssen gleich mitkommen,“ begann -der Alte mit unsicherer Stimme, die noch mehr seine Angst -verrieth, als das bleiche Gesicht, „unser Herr liegt im -Sterben!“</p> - -<p>„Was Teufel!“ rief der Doktor und fuhr schon mit -einem Arm in den Ueberzieher, während er sich von den -Anderen verabschiedete, „ich empfehle mich bis auf Weiteres -meine Herren, hoffe, es wird so schlimm nicht sein!“</p> - -<p>„Wer ist denn krank?“ fragte Raven den Eilfertigen.</p> - -<p>„Der alte Baron in Wolfsdorf,“ rief der Doktor schon -im Hinausgehen, die Thür klirrte ins Schloß und wenig -Augenblicke darauf rasselte der schwere Landwagen über -das Straßenpflaster.</p> - -<p>Ernüchtert durch diesen Zwischenfall, kehrten die Herren -zu ihrem Tisch zurück und begannen sich auch zum Aufbruch -zu rüsten.</p> - -<p>Raven hatte sich mit Schrader von den Anderen getrennt.</p> - -<p>„Seltsam,“ begann er jetzt, als sie mit einander -durch die menschenleeren, mondhellen Straßen schritten, -„wie diese Botschaft für den Doktor an unser Gespräch -anknüpfte!“</p> - -<p>„Inwiefern?“ frug sein Begleiter überrascht.</p> - -<p>„Ja so, Sie sind hier fremd in der Gegend! Sie -müssen wissen, Brandeck und Wolfsdorf grenzen, und Edith -Brandau war als Kind mehr bei dem alten Baron -Rüdiger als bei ihren Eltern, die sie, glaube ich, etwas -vernachlässigten. Der alte Wolfsdorfer hat einen Neffen, -auch einen Rüdiger, der bei ihm aufwuchs, und der, wie -man sagte, eine Art Jugendliebe oder Kinderliebe der -schönen Edith war.“</p> - -<p>„Und warum wurde nichts daraus?“</p> - -<p>„Pah, weil es eben ein Unsinn war! Der junge -Mensch hatte nichts und war nichts, ein Tollkopf vom -reinsten Wasser. Und Brandau’s — <em class="antiqua">cela va sans dire</em> -— dadurch, daß Edith statt des erhofften Sohnes kam, -ging ihnen das Majorat durch die Finger, von dem Ertrag -des verkommenen, verwirthschafteten Brandau konnten -sie eben existiren! Ueberdies bekam der junge Rüdiger -wegen ein paar ganz besonders tollen Streichen den Abschied -und ging als Fähnrich oder blutjunger Lieutenant -nach Australien, man hat nie wieder etwas von ihm gehört. -Und seine schöne Jugendliebe ist ja getröstet, wie -ich mich heute überzeugen konnte!“</p> - -<p>Sie waren bei ihrem Gespräch vor Ravens Haus angelangt.</p> - -<p>„Wie ist mir denn,“ sagte Schrader, „das Majorat -ist einer andern Linie zugefallen? Und dabei sprach Comtesse -Edith doch öfters von einem Bruder!“</p> - -<p>„Stiefbruder, Bester, Stiefbruder! Die alte Brandau -hat aus erster Ehe einen Sohn, Carl Düringshofen, ein -leichtsinniger Junge! Er steht bei den Husaren in M... -Jetzt aber gute Nacht, Schrader, schlafen Sie aus, es ist -sündhaft spät geworden!“</p> - -<p>Die Hausthür schloß sich hinter ihm, und Schrader -trat den Heimweg an.</p> - -<hr class="tb"/> -<div class="poetry-container"> -<div class="poem"> -<p class="quote"> -O Gürtel und Schleier, o bräutlich Gewand!<br /> -Der Heini von Steier ist wieder im Land!<br /> -</p> -</div> -</div> - -<p>Der Spätherbst rauschte in seinem rothgoldenen Mantel -in voller Pracht durchs Land. Er streute mit verschwenderischer -Hand einen leise knisternden Teppich aus gelben -Blättern über die großen Rasenplätze im Wolfsdorfer Park -und verschüttete den breiten Wallgraben rings um das -Schloß mit dem Laub der uralten Weinstämme, die an -den grauen Mauern emporkletterten, und im Sommer als -lichtgrüne Fahnen von den Thürmen wehten.</p> - -<p>Der alte Baron Rüdiger, auf dessen Grabhügel jetzt -die Octobersonne schien, hatte seine Freude daran gehabt, -dem Schloß sein mittelalterliches Ansehen zu erhalten, und -war es zum Theil verfallen und düster, so that dies dem -Charakter des Ganzen keinen Abbruch. Noch immer -mußte der einkehrende Gast der herabgelassenen Zugbrücke -harren und wurde vom Thurmwächter mit Hörnerschall -begrüßt. Und daß alle diese Einrichtungen noch auf -Jahre hinaus unverändert blieben, dafür hatte der seltsame -alte Herr in seinem Testament gesorgt.</p> - -<p>Dies Testament hatte Aufsehen gemacht und die verschiedensten -Empfindungen und Gefühlsäußerungen im -weitesten Kreise hervorgerufen. Mit Umgehung zahlreicher, -liebevoll besorgter Vettern, die es an Erkundigungen und -Besuchen bei dem kranken Oheim nicht hatten fehlen lassen, -ernannte der Verstorbene seinen Neffen, den verabschiedeten -Lieutenant Gerald von Rüdiger, zum Universalerben seiner -beiden Güter, Wolfsdorf und Ewershausen, und seines -ganz ansehnlichen Vermögens.</p> - -<p>Ein Aufruf in allen Blättern meldete dem Betreffenden, -dessen zeitweiliger Aufenthalt unbekannt war, das Geschehene. -„Falls er sich nicht einstelle,“ so lautete die -letztwillige Verfügung, „sollte ein Curatorium durch zehn -Jahre lang die Güter für ihn verwalten, und ihm bei -seiner etwaigen Rückkehr unverzüglich übergeben.“ Erst -nach Ablauf dieser Frist hatte der Erblasser anderweitig -über den Besitz verfügt.</p> - -<p>Heut zu Tage fliegt ja Alles durch die Welt, und so -konnte es geschehen, daß wenig Wochen nach der Testamentseröffnung -der „verschollene“ Rüdiger seinen Einzug -in Wolfsdorf hielt, und mit anscheinend leichter, aber doch -sicherer Hand die Zügel der Regierung ergriff.</p> - -<p>Er hatte von vornherein keinen schweren Stand mit -seinen Untergebenen. Die Leute hingen an dem alten -Namen, sie hatten außerdem den tollköpfigen Junker von -klein auf gekannt und gönnten ihm sein unerwartetes -Glück und vor Allem, Rüdiger verstand es, mit ihnen -umzugehen.</p> - -<p>Wo er sich zeigte, mochte er zu Fuß über die Stoppeln -schreiten, und den Gruß der Vorübergehenden freundlich -erwidern, mochte er in der herrschaftlichen Loge der Dorfkirche -sitzen, die Herzen flogen ihm entgegen! Ein wildes -Scherzwort, sein übermüthiges Lachen, sein schönes, tiefgebräuntes -Gesicht, in dem bei aller Formengewandtheit -und Sicherheit eine gewisse unbezähmte Kraft fremdartig -anmuthete, hin und wieder einer jener tollen Streiche, die -ihn von Jugend auf zum fast sagenhaften Helden der -Umgegend gestempelt hatten, dabei seine warme, offene -Herzensgüte, die für jeden Bedrängten ein williges Ohr, -eine offene Hand hatte, alles Das kam zusammen, um -seine Untergebenen mit einer Art Eigenthumsrecht und -Stolz auf ihn blicken zu lassen.</p> - -<p>So war er denn in der alten Welt schnell wieder -heimisch geworden, und fand sich in seine gänzlich veränderte -sociale Stellung, vom heimathlosen Abenteurer zum -festen Grundbesitzer, mit der ihm eigenen Leichtigkeit hinein; -freilich behielt er nebenbei noch ein ganz genügendes Anrecht -auf seinen alten Namen „der tolle Junker!“</p> - -<p>Besuche in der Nachbarschaft hatte er noch wenige -gemacht, er stürzte sich vorläufig mit Feuereifer in die -landwirthschaftliche Thätigkeit, und jede freie Stunde fand -ihn auf der Jagd in seinen ausgedehnten Forsten.</p> - -<p>Man hatte es in dem benachbarten Brandeck in Folge -dieses seines zurückgezogenen Lebens bis dahin ermöglicht, -der Tochter des Hauses, Edith Brandau, die Heimkehr -des Jugendgespielen zu verschweigen, was um so leichter -war, als sie bis zum gestrigen Tage in der Residenz ihre -Aussteuer besorgt hatte.</p> - -<p>Der Hochzeitstag rückte heran, im Anfang des Winters -sollte der stolze Name Brandau gegen den reichvergoldeten, -aber bescheideneren Erting eingetauscht werden. Man sah -zwar in gut unterrichteten Kreisen voraus, daß die Fürstin -von T..., eine dem Herrscherhaus nahestehende lebenslustige -Wittwe, die Edith besonders liebte und bevorzugte, -ihren Einfluß geltend machen würde, um Erting den Adel -zu verschaffen, doch mußte dieser Schritt anstandshalber -verzögert werden, bis die Trauung stattgefunden hatte.</p> - -<p>Der Bräutigam war heute auch zum ersten Male seit -der Verlobung auf wenige Stunden nach Brandeck herausgekommen, -und das Paar machte noch einen kleinen Weg -durch den Park, ehe Erting zur Stadt heimkehrte.</p> - -<p>Edith war im Reitanzug, sie wollte nach des Verlobten -Abreise noch einen ihrer einsamen Ritte durch den herbstlichen -Wald unternehmen. Erting bestieg nie ein Pferd, -er vermochte es sogar selten über sich, Ediths Rappen -anders zu berühren, als daß er ihm mit weit von sich -gestrecktem Arm den Hals klopfte. Die Schüchternheit und -Zaghaftigkeit seines ganzen Wesens trat überhaupt auffällig -zu Tage, nie aber mehr, als im Zusammensein mit seiner -Braut.</p> - -<p>Die alten Ulmen und Eichen im Park von Brandeck -hatten wohl noch kein so ungleiches Paar unter ihren -Wipfeln hinschreiten sehen, als heute an diesem Oktoberabend. -Edith, hoch, blumenschlank gewachsen, in der -strengen Einfachheit ihres dunklen Reitanzuges, das schwarze -Hütchen tief in die Stirn gezogen, unter dem krauses, -goldrothes Haar in einen einzigen starken Zopf geflochten, -über die Schultern herabhing, bildete mit ihrer stolzen, -sichern Haltung, ihrem anmuthig festen Gange den schroffsten, -fast komisch wirkenden Gegensatz zu dem schmalschultrigen, -blassen kleinen Manne mit dem festanliegenden, schwarzen -Haar, der im Gesellschaftsanzug und schwarzen Cylinder -neben ihr einherschritt. Das Gefühl des verlegenen Unbehagens, -welches ihm jedes Alleinsein mit seiner Braut -verursachte, stand in seinem gutmüthigen Gesicht geschrieben. -Er peinigte sich beständig ab, etwas zu finden, womit er -Edith unterhalten könne, und es gelang ihm nie.</p> - -<p>Edith gab sich keine Mühe, ihm beizuspringen. Sie -blickte gedankenvoll in den zartnebeligen Wald hinaus, von -dessen Wipfeln hier und da ein goldschimmerndes Blatt -langsam, leise zur Erde fiel. Ein schöner Herbstabend ist -ein mächtiger Zauberer; mit den weißen Fäden, die vom -Gewand des scheidenden Sommers in der Luft hängen -bleiben, spinnt sich gar zu gern ein Stück Vergangenheit -im Menschenherzen wieder an, es tändelt vor uns her, -leicht und ungreifbar, wie die Schleier der Elfen — und -wenn wir die Hand darnach ausstrecken, legt es sich uns -trüb vor die Augen — Herbstspiel!</p> - -<p>Endlich brach Erting das Schweigen.</p> - -<p>„Haben Sie noch einen Auftrag für mich, Edith? Ich -kann ja Alles bestellen! Vor Sonntag komme ich wohl -nicht wieder heraus?“</p> - -<p>Es lag eine Art schüchterner Frage in dem letzten Satz, -die Edith zu überhören schien.</p> - -<p>„Ich danke Ihnen,“ sagte sie freundlich; sie war stets -sehr freundlich gegen ihren Bräutigam, „aber ich glaube, -es ist Alles besorgt, was man überhaupt in der Welt besorgen -kann, wir haben ja seit vierzehn Tagen nichts -Anderes gethan!“</p> - -<p>Ein Ausdruck von Abspannung und Müdigkeit lag -auf ihrem Gesicht, sie nahm den Hut ab und strich die -dicken, goldenen Haarwellen aus der Stirn wie eine Last.</p> - -<p>„Sie sehen bleich aus,“ bemerkte Erting besorgt, „ist -Ihnen auch unser Spaziergang zu weit?“</p> - -<p>Sie schüttelte lächelnd den Kopf.</p> - -<p>„Vergessen Sie nicht, daß Sie ein Landmädchen vor -sich haben, ich bin an stundenlange Wege gewöhnt. Nein, -es ist nur die köstliche Ruhe und Stille hier, die mir -plötzlich klar macht, wie unruhig mir die letzten Wochen -vergangen sind, man lebt doch nur halb, wenn man in -der Stadt lebt!“</p> - -<p>„Falls Sie den Wunsch hegen, Edith, daß wir aufs -Land ziehen — ich habe ja keine bindende Stellung in -W...., dann kaufe ich ein Gut in der Nähe. Sie wissen -ja, daß mich nur Ihre Wünsche bei meinen Zukunftsplänen -bestimmen!“</p> - -<p>„Nein, nein,“ erwiderte sie müde und abwehrend, „was -sollte das? Sie sind kein Landmann und ich möchte mich -in kein fremdes Gut mehr einleben.“</p> - -<p>„Nun wir könnten ja Brandeck kaufen,“ sagte Erting, -„die Mama würde gewiß ganz gern darin willigen, und -der Kaufpreis müßte so gestellt werden, daß er ihr eine -sorgenfreie Existenz ermöglichte.“</p> - -<p>Sie schnitt mit einer leidenschaftlichen Geberde seine -Rede ab.</p> - -<p>„Hören Sie auf, es macht mich wild, wenn Sie von -einem Kaufpreis für Brandeck sprechen, Sie sollen es nicht -kaufen, ich habe den dringenden Wunsch, daß Karl es -übernimmt.“</p> - -<p>„Ihr Bruder? Nun, Edith, das ist wohl ein wenig -sanguinisch! Wenn ich als Kaufmann nichts von Landwirthschaft -verstehe, wird ein so lebenslustiger Husarenlieutenant -wohl auch kein Held darin sein!“</p> - -<p>„Man hat aber öfter den Fall gehabt, daß aus einem -Husarenlieutenant ein Gutsbesitzer wurde, als aus einem -Kaufmann. Uebrigens sind Sie nicht Kaufmann — können -Sie denn nie vergessen, daß Sie dazu erzogen wurden?“</p> - -<p>„Gewiß nicht!“ entgegnete er mit einiger Energie, -„meine Neigungen und Interessen ziehen mich zum Handelsstand, -und wenn ich Ihnen auch mit Freuden das Opfer -bringe, demselben zu entsagen, so bin ich doch weit davon -entfernt, mich zu gut für einen Stand zu halten, dem mein -Vater seinen Reichthum und unsere ganze Familie ihre -Stellung verdankt.“</p> - -<p>Sie blieb stehen.</p> - -<p>„Sie sind ein ehrlicher Mensch, Ludwig,“ sagte sie, -und gab ihm die Hand, „und das habe ich gern! Seien -Sie nicht böse, daß ich Sie hart anließ, mir ist heut so -grenzenlos nervös zu Muthe und ich habe Ihnen ja von -Anfang an gesagt, daß Sie kein leichtes Leben mit mir -haben werden!“</p> - -<p>Edith war bezaubernd, wenn sie liebenswürdig sein -wollte und Erting, der meist mehr Furcht vor seiner Braut -empfand, als Liebe zu ihr — hatte er sie doch zumeist auf -den Wunsch seiner Mutter gewählt — vermochte sich diesem -Zauber auch nicht zu entziehen. Er beugte sich über die -schöne Hand, die seinen Ring trug, und führte sie an die -Lippen, das einzige Vorrecht, das ihm die Etikette im -Brandau’schen Hause und besonders die einschüchternde, -kühle Freundlichkeit Ediths während des Brautstandes gestattete.</p> - -<p>Eine kleine, von Seiten Ertings etwas verlegene Pause -folgte, die er endlich unterbrach, indem er seine Absicht -aussprach, jetzt nach der Stadt zurückzukehren, da er den -Abend noch eine Versammlung zu besuchen habe.</p> - -<p>„Darf ich vor Sonntag noch einmal herauskommen?“ -fragte er, als er sich am Parkeingang von Edith verabschiedete.</p> - -<p>Eine leise Enttäuschung flog über ihr Gesicht.</p> - -<p>„Gewiß,“ sagte sie dann, indem sie einen kleinen -Tannenzweig zerpflückte, und die einzelnen feinen Nadeln -zerstreut in die Luft warf, „kommen Sie, so oft Sie -wollen, aber erwarten Sie nicht zu viel von meiner Gesellschaft -zu haben, ich genieße noch die Waldeinsamkeit -und meine schönen, langen Ritte — und dann sind wir auch -sehr fleißig jetzt — aber wie gesagt, kommen Sie nur!“</p> - -<p>Sie reichte ihm die Hand.</p> - -<p>„Wenn Sie ins Schloß gehen, so sagen Sie Mama, -ich hätte meinen Ritt für heute aufgegeben, bliebe aber -noch ein wenig im Freien,“ rief sie ihm dann schon im -Weitergehen zu, und während er stand und ihr nachsah, -verlor sich ihre schlanke Gestalt in der Herbstdämmerung -der Parkgänge. Sie schritt langsam, wie absichtslos, -dahin, und erst, als sie sich rechts gewandt hatte, und -fast an der Grenze von Brandeck angelangt war, wurde -es ihr klar, daß sie, einem unbewußten Zuge folgend, den -Lieblingsplatz früherer Tage aufgesucht hatte. Es war -ein Theil des einstigen Gartens, den jetzt selten mehr ein -Fuß betrat, und der schon seit Jahren unbeachtet grünte -und wucherte. Hier war es so schweigsam und abgeschlossen, -der leise Moderhauch am Boden welkender Rosenblätter -flog über die Beete und der schluchzende Ton einer kleinen -Fontaine machte die Stille nur bemerklicher.</p> - -<p>Als die schöne, junge Braut sich jetzt neben dem Marmorbassin -jener Wassersäule auf den Rasen niederließ und -mit gedankenschweren Augen in den blassen Abendhimmel -sah, hätte die Elfe dieser einsamen Stelle, die im Begriff -steht, von ungeweihter Hand vertrieben zu werden, nicht -lieblicher verkörpert werden können.</p> - -<p>Vergangene Zeiten flogen ihrem Blick vorüber, eine -längst in der Ferne verhallte Stimme klang an ihr Ohr. -Wie oft hatte sie früher hier gesessen, das verschüchterte, -kleine Mädchen, unbewillkommnet und unbeliebt, scheu und -wild, wie ein Geschöpf des Waldes. Bald gesellte sich dann -in ihrer Erinnerung die Gestalt des Jugendgespielen zu dem -Bilde des einsamen Kindes — an diesem Plätzchen hatte er -sie stets zu finden gewußt. Die Lücke in der Hecke, die -Brandeck von Wolfsdorf trennt, war wohl längst zugewachsen. -Wie schnell hatte er immer durchzuschlüpfen verstanden.</p> - -<p>Dann saßen die Kinder zusammen, jagten sich, spielten, -wurden größer und ernsthafter, aus den Märchen, die sie -sich erzählten, wuchs langsam eine wahre Geschichte empor -und sah sie mit hoffnungsfreudigen Augen an! Dann -kam eine Trennungszeit, ein paar tolle Streiche des -übermüthigen Spielkameraden, und ein kühler, stiller -Sommermorgen, an dem Gerald Rüdiger vor Sonnenaufgang -an ihr Fenster kletterte, zum letzten Lebewohl; -damit war’s aus gewesen!</p> - -<p>Von Liebe hatten sie Beide nie gesprochen, und wenn -Edith im Herzen daran geglaubt, so war sie eben thöricht -gewesen; fünfmal hatten seitdem die Rosen geblüht, und -kein einziges Briefblatt, kein Gruß aus der wilden Ferne, -in die der Jüngling damals so kühn und abenteuerlustig -gezogen, hatte ihr bewiesen, daß er noch ihrer gedacht!</p> - -<p>Inzwischen war ihr Vater gestorben, grollend mit sich, -mit seiner Gattin, mit der ganzen Welt, vor Allem mit -der Tochter, die ihm sein Majorat gekostet — und dann kam -eine Zeit harter Entbehrungen, die um so härter waren, -als man dabei den Schein der Vornehmheit wahren -mußte. Es kamen unsäglich bittere Stunden, in denen -die Mutter, sich der ganzen Heftigkeit ihres ungezügelten -Temperaments überlassend, es Edith täglich und stündlich -zum Vorwurf machte, daß sie geboren, daß sie -noch im Hause sei. Der bevorstehende Ruin ihres -Stiefbruders, der in einem Meer von Spielschulden zu -versinken drohte, wurde natürlich auf das verlorene Majorat -zurückgeführt, kein Augenblick, der nicht tausend -Kränkungen für das Mädchen gebracht hätte! Und als -nun wieder ein Freier sich zeigte, ein Millionair, dabei -nach allgemeinem Urtheil ein braver, guter Mensch, der -ihr seine Hand und sein fast fürstliches Vermögen bot, da -hatte sie freilich erst Nein gesagt, und tausendmal Nein -rief es noch heute in ihr, aber der leidenschaftliche Zorn -der Mutter, die flehentlichen Bitten ihres Stiefbruders, -und endlich ihr gekränkter Mädchenstolz, der nicht Einem -nachtrauern wollte, der sie so ganz vergessen, alles Das -trat wieder vor ihr inneres Auge, als sie frug, warum sie -doch nachgegeben!</p> - -<p>Am Tage ging es gewöhnlich gut, ganz gut!</p> - -<p>Man ließ sie im wahren Sinne des Wortes nicht zu -Athem kommen, die Hochzeit stand ja nahe bevor, und -die Fürstin von T.... hatte es sich förmlich erbeten, für -die Aussteuer sorgen zu dürfen. Edith mußte tagtäglich -mit ihrer unermüdlichen Beschützerin umher fahren, in den -glänzenden Läden der Residenz Bestellungen machen, -Möbelstoffe und Tapetenfarben wählen. Die Abende -führten sie dann meist in Gesellschaft oder ins Theater, -und dem klösterlich erzogenen Mädchen war dies Treiben -so neu, so fremd und berauschend, daß sie zeitweise dachte, -es sei wohl wirklich ein glückliches Loos, das sie gezogen!</p> - -<p>Aber dann konnte eine stille duftige Fahrt durch den -Sommerabend kommen, ein einfaches Volkslied von alter -Liebe und vergessener Treue sich ihr auf die Lippen drängen, -und aller trügerische Glanz war fort — verwischt — zwei -übermüthige blaue Augen blitzten sie an — und es war -Alles, Alles wieder wach in ihr, was sie so tief begraben -geglaubt.</p> - -<p>Sie schrak zusammen und erhob sich. Gewiß vermißte -man sie schon, wer hatte sie auch geheißen, gerade heute -den alten Platz aufzusuchen? Sie schritt hastig vorwärts, -um auf einem Umwege über die waldige Fahrstraße ins -Schloß zurückzukehren, und den Abendwind ihre heißen -Augen kühlen zu lassen, ehe sie der Mutter gegenüber -trat.</p> - -<p>Als sie so in tiefen Gedanken dahinschritt, die Schleppe -des Reitkleides emporhaltend, einen Büschel frischen Haidekrauts -im Gürtel, mit dem ihre Hand spielte, ließ ein -Knistern und Knacken in den Zweigen sie überrascht aufsehen. -Aber gingen sie denn wirklich um in der Herbstsonne, -die Geister der alten Zeit?</p> - -<p>Ein riesiger Bernhardinerhund sprang mit ungestümen -Sätzen auf sie zu, und hinter ihm stand ein hochgewachsener -Mann mit tiefgebräunten, wildschönen Zügen, nicht mehr -der blasse, abschiednehmende Jüngling von damals, aber -wann und wo hätte sie diese Augen nicht erkannt! Stumm -und bleich wie ein Mondstrahl stand sie ihm gegenüber — -ihr war, als müßte das erste Wort den Zauber brechen, -und er wieder verschwinden auf Jahre, auf immer!</p> - -<p>Und auch er sprach nicht, er sah fest und unverwandt -auf den kleinen Ring an ihrer Hand, den der letzte Sonnenstrahl -eben auffunkeln ließ. So standen sich Beide still -gegenüber, Keins fand einen Laut zur Begrüßung, an -ihrem Fuß klirrten die goldenen Ketten eines reichen -Freiers, und er wußte es!</p> - -<p>Endlich überwand sich Edith zum ersten Wort, „wir -haben uns lange nicht gesehen, Gerald,“ und streckte ihm -die bebende, kleine Hand hin.</p> - -<p>Wie beängstigt von dem regungslosen Schweigen, in -dem er verharrte, ohne auf ihren Gruß zu antworten, fuhr -sie hastig, mit fliegendem Athem fort:</p> - -<p>„Ich war mehr wie überrascht, Sie so plötzlich vor -mir zu sehen, seit einigen Wochen bin ich von Brandeck -fort gewesen und bei meiner Abreise fehlte noch jede -Nachricht über Sie, man hielt Sie allgemein für verschollen.“</p> - -<p>„Das Gerücht ist ein wenig voreilig, wie Sie sehen,“ -erwiderte er langsam und mit erzwungener Ruhe, „auch -war die Annahme nicht „allgemein,“ wie Sie sagen. <em class="gesperrt">Eine</em> -hat immer von mir gewußt, haben Sie sich in den ganzen, -langen fünf Jahren nicht um meine Mutter bekümmert?“</p> - -<p>Seine Stimme war bei dem ehrlichen, einfachen Ton -der Frage weicher geworden, aber Edith erhob den Kopf -so stolz, als wollte sie den Vorwurf, der in den Worten -lag, schon zurückweisen, ehe sie sprach.</p> - -<p>„Ich hatte keine Berechtigung dazu,“ sagte sie kalt, -„warum haben Sie in den „ganzen langen fünf Jahren“ -nicht <em class="gesperrt">einmal</em> direct von sich hören lassen?“</p> - -<p>Er schwieg einen Augenblick und sah vor sich nieder.</p> - -<p>„Sie haben recht, Edith, ganz recht, aber wie Sie -mich kennen, sollten Sie nicht so fragen! Ich bin kein -Federheld und hätte auch in den ersten Jahren verzweifelt -wenig Rühmenswerthes von mir zu erzählen gewußt! Ich -habe mich in allen Sphären des Lebens umhergetrieben, -nur in keiner, die ich Ihnen hätte anschaulich machen -können oder mögen! Sie wissen, ich habe es mündlich nie -verstanden, mich besser zu machen als ich bin, so wollte -ich es auch schriftlich nicht versuchen. Und da ich von -meiner Mutter bis vor einem Jahr, wo ich sie verlor, -immer hörte, daß es Ihnen wohl ging, so nahm ich an, -daß Sie auf dieselbe Art auch von mir hören und an -mich denken würden.“</p> - -<p>Sie unterbrach ihn mit einer stolzen Bewegung des -Unmuths.</p> - -<p>„Sie haben mich zu hoch oder zu niedrig geschätzt, -Baron Rüdiger; man mag in meiner „Lebenssphäre“ nicht -so viel Kenntnisse erwerben, als Sie Gelegenheiten hatten, -zu thun, aber Eines habe ich gelernt, bis zur Vollkommenheit -— zu vergessen, wo ich vergessen war!“</p> - -<p>Sie brach ab, und strich aufathmend mit der Hand -über die Stirn. Er stand schweigend vor ihr und sah sie -traurig an, dann trat er einen Schritt auf sie zu.</p> - -<p>„Edith,“ sagte er, und bot ihr herzlich die Hand, -„einen solchen Ton mag ich nicht von Ihnen hören, ob -ich ihn verdient habe oder nicht! Er ist des Mädchens -nicht würdig, die an einem kühlen Frühjahrsmorgen mit -Thränen in den Augen zu mir sagte, „wenn Sie auch -wiederkommen, Gerald, Sie werden mich als dieselbe finden, -die Sie verlassen haben!“ Diese Worte haben mich auf -all meinen wilden Wegen begleitet, Edith, ich hörte sie, -wenn ich des Abends mit meinen Jagdgesellen im Walde -lag, in den Schein des Wachtfeuers starrte und meine -thörichten Träume von der Heimath träumte. Wollen Sie -wissen, was Der, der Sie „vergaß,“ wie Sie sagen, -da träumte, Edith? Von einem alten Schloß, wild und -einsam, unter deutschen Buchen, in dem ich und noch Eine -Abends am Fenster standen, wenn die Nachtigallen -schlugen —“</p> - -<p>„Hören Sie auf,“ unterbrach ihn Edith mit zitternder -Stimme, „selbst wenn ich Ihnen glaubte, oder glauben -wollte, ich habe nicht mehr das Recht, solche Worte anzuhören -— ich bin Braut!“</p> - -<p>„Man hat es mir erzählt,“ sagte Rüdiger finster, „und -ich habe erst gelacht, dann geflucht und mich immer wieder -gefragt: was haben sie mit meinem stolzen Mädchen angefangen, -durch welche Teufelskünste ist sie so weit gebracht -worden, Ertings Braut zu werden! Edith, es wäre zum -Lachen, wenn es nicht so furchtbar ernst wäre! Wissen -Sie, was Sie thun?“</p> - -<p>Sie schwieg und kämpfte einen schweren Kampf mit -sich, ehe sie antwortete — die Stimme vor ihr war ja -doch und trotz Allem die Musik ihrer Jugendjahre gewesen! -Aber es war vorüber!</p> - -<p>„Sie haben eigentlich kein Recht zu dieser Frage,“ erwiderte -sie hochmüthig, „aber ich will Ihnen antworten, um -alter Zeiten willen! Ja, ich weiß, was ich thue, Erting -hat nicht nur mein Wort, sondern ich schulde ihm aufrichtige -Achtung und Dankbarkeit, weil er groß und zartsinnig -an uns gehandelt hat. Ist Ihnen das genug?“</p> - -<p>„Ja und nein,“ sagte er, während er den Zorn niederzukämpfen -suchte, den ihr kalter Ton in ihm anfachte, „ich -verstehe Sie, Edith — in dürren Worten, Erting hat Ihrem -Stiefbruder die Schulden bezahlt, und dafür sind Sie seine -Braut geworden. Hölle und Teufel,“ rief er plötzlich, und -schleuderte sein Gewehr, mit dem er gedankenlos gespielt -hatte, in jäh ausbrechender Wuth weit von sich, daß es -mit dumpfem Klange auf den Boden schlug, „daß ich hier -stehen soll, ich vor allen Menschen auf der ganzen Erde, -und mit Ihnen Ihre Verlobungsgeschichte verhandeln, -Edith — das ist mehr als ich ertragen kann. Machen Sie -ein Ende, sage ich, machen Sie ein Ende, meine Geduld -hat ihre Grenzen!“</p> - -<p>„Und worin soll dies Ende bestehen?“ frug sie, während -sie ihn unverwandt ansah. Wie gefiel er ihr in seinem -urwüchsigen Zorn!</p> - -<p>„Sie sollen mir sagen, daß ich ihn, oder mich, oder -Sie niederschießen darf, daß diese ganze Brautschaft ein -widerwärtiges, tolles Puppenspiel ist, und Sie mir doch -im Grunde treu geblieben sind, trotz aller Ihrer schönen -Reden.“</p> - -<p>Sie trat einen Schritt auf ihn zu.</p> - -<p>„Gerald, Gerald!“ sagte sie in halb traurigem, halb -leichtem Ton, und legte ihre kleine Hand auf seinen Arm, -„ich habe doch mehr gelernt, als Sie in den fünf Jahren, -mein alter Spielkamerad! Man kommt mit solchen Sturmesflügeln -nicht durch die Welt, glauben Sie es nur! Mir -hat das Leben die Schwungfedern schon geknickt, eine nach -der andern, und ich habe es ganz hübsch begriffen, daß -man sich in Unabänderliches fügen muß. Aber Sie, wie -Sie da vor mir stehen, und mit dem Fuß aufstampfen, -ist es mir gerade, als wären wir um zehn Jahre jünger, -und spielten hier im Walde „Räuber und Prinzessin!“ -Sie sind wirklich noch ganz derselbe —“</p> - -<p>„Der vor fünf Jahren aus dem Stubenarrest entwischte, -und seine Carrière in die Luft fliegen ließ, um Edith -Brandau einen Cotillonstrauß zu bringen. Sie mögen -Recht haben,“ sagte er spöttisch, „nun, Sie haben ja Ruhe -für uns Beide, ich könnte darin viel von Ihnen lernen! -Für heut ist wohl aber die Lektion beendet, ja? Ich darf -mich empfehlen, und Sie gehen ins Schloß zurück, Erting -kommt doch gewiß zum Thee, ich will Sie nicht aufhalten, -Comtesse!“</p> - -<p>Er nahm seinen Hut auf, und ging mit tiefer Verbeugung. -Als er einige Schritte gethan hatte, rief Edith -zögernd: „Gerald!“</p> - -<p>Er wandte sich hastig um.</p> - -<p>„Ihr Gewehr, Baron Rüdiger — und Sie haben mir -nicht Lebewohl gesagt!“</p> - -<p>Er kam langsam näher und hob das Gewehr vom -Boden auf, dann stützte er sich darauf und blieb einen -Augenblick stehen.</p> - -<p>„Edith,“ sagte er hart und kalt, „hüten Sie sich vor -mir! Wie wir Beide uns kennen, taugt es nicht, wenn -Sie mit mir spielen wollten, wie damals, wo ich für ein -freundliches Gesicht von Ihnen bis ans Ende der Welt -gelaufen wäre. Ich bin zu alt dazu, Edith, und es -könnte Ihnen doch einmal verzweifelt schlecht gefallen, -wenn ich Ernst aus dem Spiel machen wollte! Ich habe -noch ein gutes Theil Wildheit in mir, lassen Sie mich -lieber in Frieden — es ist für uns Beide, und für Ihre -Porzellanpuppe von Bräutigam besser, wenn ich andere -Wege gehe! Und nun, gute Nacht Edith!“</p> - -<p>Er streckte ihr die Hand hin, sie nahm sie nicht.</p> - -<p>„Nein, Gerald,“ sagte sie weich und traurig, „gehen -Sie nicht so im Zorn von mir fort! Ich habe vorhin, -weil ich gekränkt war, nicht bedacht, daß auch Sie im -Augenblick etwas zu verwinden hatten, wollen wir uns -nicht gegenseitig verzeihen, Gerald? Es ist doch wahrscheinlich, -daß uns die nahe Nachbarschaft hier jetzt bisweilen -zusammenführt, sollen wir, zwei so getreue Kameraden -von einstmals, dann fremd und kalt an einander -vorbeigehen? Ich bin ja ohnehin nicht mehr lange -hier —“</p> - -<p>Eine heftige Bewegung flog über ihr Gesicht und -plötzlich brach ein Strom von heißen Thränen aus ihren -Augen, der zur Genüge bewies, daß die Ruhe der letzten -Stunden erkünstelt gewesen.</p> - -<p>„Edith, was thun Sie?“ rief er, wie außer sich, und -streckte die Arme nach ihr aus. Aber sie hatte sich schon -gefaßt, und wies ihn mit einem energischen Kopfschütteln -zurück.</p> - -<p>„Gerald, verstehen Sie mich recht,“ sagte sie fest im -Ausdruck, wenn auch die Stimme noch bebte, „ich schäme -mich dieser Thränen nicht, sie waren ein Tribut an unsre -schöne, lustige, traurige Vergangenheit, die uns ja doch -kein Mensch rauben kann! Aber wir leben in der Gegenwart, -Gerald, und dürfen nur danach fragen, ob wir -recht thun, nicht ob es uns gefällt! Dazu helfe mir Gott — -und Sie, mein alter Kamerad, Sie werden mir dabei gewiß -nicht hinderlich sein wollen! Gute Nacht Gerald!“</p> - -<p>Und während er noch erregt und zweifelnd stand, ohne -ihr zu antworten, verließ sie ihn, und ging nach dem -Park zurück. Der höher und höher steigende Herbstnebel -schien, wie ein wallendes Meer, sie in sich aufzunehmen, -und als er sich hinter der verschwindenden Gestalt, einem -grauen Vorhang gleich, zusammen schloß, da erst empfand -es Gerald mit wildem Schmerz, daß er sie wirklich und -unwiederbringlich verloren habe!</p> - -<hr class="tb"/> -<div class="poetry-container"> -<div class="poem"> -<p class="quote"> -Gott schütz’ Dich vor dem ungeschlachten,<br /> -Ohn Maßen groben Cavalier!<br /> -</p> -</div> -</div> - -<p>Der große Wohlthätigkeitsbazar, der unter dem Protectorat -der Fürstin von T... alljährlich zum Besten eines -von ihr gegründeten Krankenhauses stattfand, wurde in -diesem Jahre bei Lampenlicht abgehalten, wie böse Zungen -behaupteten, weil der Teint der hohen Frau nicht mehr -so ganz dem Tageslicht Probe hielt, wie in früheren -Zeiten.</p> - -<p>Die Fürstin verkaufte zwar nicht selbst, aber sie ging ab -und zu, und war unermüdlich im Anordnen, wie in Allem, -was in irgend einer Form Vergnügen hieß.</p> - -<p>Edith Brandau hatte ihre Mitwirkung selbstredend zusagen -müssen, sie war schon von je durch ihre Erscheinung -die Krone jedes solchen Unternehmens, und jetzt, wo der -etwas seltsame Brautstand die allgemeine Neugier in Bezug -auf das schöne Mädchen noch erregt hatte, durfte man -eine besondere Anziehungskraft für die Kauflust des Publikums -von ihr erwarten.</p> - -<p>Die Stunde, wo die Gesellschaft sich in die Verkaufsstätte -drängte, hatte noch nicht geschlagen, doch waren die -Unternehmerinnen schon erschienen, und nahmen beim -strahlenden Lampenlicht an den sehr bunt und geschmackvoll -arrangirten Tischen Platz, während sie hier und da -noch einen Gegenstand in besseres Licht stellten, dort einen -mehr wohlgemeinten, als geschmackvollen Beweis des -Wohlthätigkeitssinnes in den Hintergrund schoben.</p> - -<p>Edith saß unbeschäftigt in ihrem Sessel zurückgelehnt. -Ein mattblauer, schwerer Stoff umrauschte sie, wie das -Element, dem sie mit ihren Nixenaugen und ihrem Goldhaar -anzugehören schien. Neben ihr lag ein riesiger weißer -Camelienstrauß, die zarten Blumenblätter waren fast -nicht bleicher, als das Gesicht der schönen Braut, der sie -in Ertings Auftrage vor wenigen Augenblicken beim Eintritt -in den Saal überreicht wurden.</p> - -<p>Das Mädchen war in tiefes Sinnen verloren. Die -kurzen Wochen, die zwischen ihrer Unterredung mit Gerald -und dem heutigen Abend lagen, hatten ihr so manche -Stunde gebracht, die jede Fiber ihres Herzens erzittern -ließ, und sie in den seltsamsten Conflict mit sich brachte.</p> - -<p>Zufall und Absicht verbündeten sich, um sie wieder und -wieder mit dem Jugendfreunde zusammenzubringen, und -der auf „freundschaftlicher“ Basis angeknüpfte Verkehr, -den ihr eigener Wille hervorgerufen hatte, nahm nur zu -bald die leidenschaftliche Färbung wieder an, die Geralds -ganzem Wesen seine Eigenthümlichkeit und seinen Reiz verlieh. -Er hatte sich mit scheinbarer Unbefangenheit im -Hause ihrer Mutter eingeführt, er, der sonst so ungestüm -Reizbare, schien die Kälte der Gräfin, den schlecht verhehlten -Widerwillen Ertings nicht zu bemerken, für ihn -existirte nur Edith!</p> - -<p>Und sie hatte nicht die Kraft, ihm zu zeigen, daß es -so nicht sein dürfe — hatte sie wenigstens nur, wenn er -nicht in ihrer Nähe war! Dann gelobte sie sich jedes -Mal, sie wollte ihm mit klaren Worten sagen, daß er -lieber fernbleiben solle, daß es für alle Theile das Beste -sei, wenn er vor ihrer Hochzeit das Zusammentreffen -vermeide, und wenn er dann wiederkam, und sie den -ganzen Zauber empfand, den seine Stimme und seine -Augen auf sie übten, dann tröstete sie sich mit jenem gefährlichsten -Trost: „es ist ja nicht auf lange, ich bin ja -bald fort, und einmal Frau, werde ich ihn nicht wiedersehen!“ -Und sie vermied es nicht, wie sie gesollt hätte, ihn -zu sprechen und ihm zu begegnen, sie spielte ein gefährliches -Spiel an einem Abgrunde, weil sie nicht vergessen konnte, -daß jenseits dieses Abgrundes die blaue Blume wuchs, die -Jeder träumt, und Jeder anders benennt und die ihr — -erste Liebe hieß.</p> - -<p>Sie wurde aus ihren Gedanken durch ein plötzliches -Geräusch gerissen. Soeben erschien die Fürstin mit ihren -Damen in den weit geöffneten Flügelthüren. Mit einem -prüfenden Blick überflog sie das Arrangement der Tische, -eine Verbeugungswoge begleitete sie von einer Verkäuferin -zur andern, bis sie den Brandau’schen Tisch entdeckte.</p> - -<p>Sie eilte mit ausgestreckten Händen auf Edith zu.</p> - -<p>„Seien Sie mir willkommen, mein liebes Kind,“ sagte -sie, und strich zärtlich über das goldrothe Haar der jungen -Dame, die sich tief verneigte. „Sie sehen bleich aus! ich -weiß, daß Sie sich heute opfern durch Ihr Erscheinen, -aber ich erkenne es auch an, glauben Sie mir!“</p> - -<p>„Wenn die Anwesenheit meiner Tochter wirklich ein -Opfer ist, Durchlaucht,“ sagte die Gräfin Brandau, als -Edith schwieg, und warf ihr einen zornigen Blick zu, -„so wäre es durch diese Anerkennung schon reichlich vergütet!“</p> - -<p>Die Fürstin winkte begütigend.</p> - -<p>„Lassen Sie mir meinen Liebling unangefochten, -Gräfin, sie hat das Vorrecht, ein wenig launenhaft zu -sein, es steht ihr ja doch Alles gut! Und nun, meine -liebe Edith, was haben wir hier? Wie ich sehe, sind noch -neue Schätze angekommen!“</p> - -<p>Während die Damen sich in die Besichtigung und -Erklärung der ausgestellten Gegenstände vertieften, und die -Gräfin sich nach ihrem etwas weiter entfernten Tische begab, -begann der Saal sich langsam zu füllen.</p> - -<p>Eine große Anzahl von Herren fand sich ein, unter -ihnen die meisten Vertreter jener Gesellschaft, die am Eingange -unserer Erzählung in der Weinstube zusammengesessen -hatten, auch Raven fehlte nicht, und gab seine gewohnten -ironischen Bemerkungen über Menschen und Dinge zum -Besten, während er an den Verkaufsstätten entlang schritt.</p> - -<p>Nach einer Weile zeigte sich Ertings unscheinbare Gestalt, -im Frack und weißer Halsbinde, eine Rosenknospe -im Knopfloch. Er ging langsam von Tisch zu Tisch, -wurde überall gerufen und aufgehalten, und kam endlich -bei seiner Braut an, gleichzeitig mit Raven, der eben die -Fürstin begrüßt hatte, und sich nun neben ihren Sessel -placirte.</p> - -<p>„Nun, Herr Erting,“ rief sie dem sich tief Verbeugenden -entgegen, „Sie kommen doch mit gefülltem Beutel? Ich -hoffe um so mehr von Ihrem Wohlthätigkeitssinn, als Sie -den Gaben, die Ihnen diese Hand darreicht, sicher nicht -zu widerstehen vermögen.“</p> - -<p>„Erting verhält sich doch am Ende passiv,“ sagte Raven -für den verlegen Verstummten, „er weiß, daß er bereits -das Schönste zu eigen hat, was ihm die Welt bieten kann, -was sollte ihn da wohl noch verlocken?“</p> - -<p>„Das steht auf einem andern Blatt,“ erwiderte die -Fürstin, während ihr Blick lächelnd Edith streifte, welche -durch keine Miene verrieth, ob sie Ravens Worte überhaupt -gehört, „ich rede von Dingen die <em class="gesperrt">gekauft</em> werden können!“</p> - -<p>In dem Augenblick glitt ein schmerzlicher Zug über -das bleiche, schöne Mädchengesicht, sie wandte sich hastig -ab und suchte in den Gegenständen auf dem Tisch umher.</p> - -<p>Es blieb dahingestellt, ob Einer der Anwesenden den -Doppelsinn der Worte erfaßt hatte, oder nicht.</p> - -<p>Die Aufmerksamkeit der Fürstin richtete sich plötzlich -auf den Eingang des Saales, und sie wandte sich zu -Raven.</p> - -<p>„Ich bitte Sie, Herr von Raven, wer ist der große, -blonde Mann, der eben eintritt? — ach, Sie sehen ja nicht -hin, dort im Jagdcostüm —“</p> - -<p>„Das ist der sogenannte „tolle Junker,“ Baron Rüdiger, -erinnern sich Durchlaucht nicht mehr? — der jetzt Wolfsdorf -geerbt hat. Eine sonderbare Idee, in <em class="gesperrt">diesem</em> Aufzug -hier zu erscheinen!“</p> - -<p>„Jedenfalls eine kleidsame Idee,“ sagte die Fürstin, -deren Augen immer noch den Besprochenen fixirten, „das -ist eine interessante Erscheinung; wie kommt es übrigens, -daß man diesen neuen Ankömmling noch gar nicht zu -Gesicht bekommen hat?“</p> - -<p>„Rüdiger liebt es, gegen die gesellschaftlichen Formen -zu verstoßen, Durchlaucht,“ sagte Erting etwas bitter, „er -sucht darin eine gewisse Originalität!“</p> - -<p>„Das thut er <em class="gesperrt">nicht</em>,“ rief Edith plötzlich mit Energie -und tief erröthend, „er ist ein Naturmensch durch und durch, -und wenn er sich in seiner sorglosen Weise gehen läßt, -so ist das eben originell, und er braucht es nicht erst zu -<em class="gesperrt">suchen</em>, wie Sie sagen!“</p> - -<p>Erting biß sich auf die Lippen. Die Fürstin sah mit -einem forschenden Blick nach dem plötzlich so lebhaft -sprechenden Mädchen, und wandte sich dann zu Raven:</p> - -<p>„Bringen Sie mir doch diesen seltenen Vogel einmal, -Herr von Raven, ich möchte gern durch den Augenschein -urtheilen.“</p> - -<p>„Durchlaucht gestatten wohl, daß ich mich für einige -Minuten beurlaube,“ sagte Erting rasch, während Raven -sich anschickte, Rüdiger aufzusuchen.</p> - -<p>Die Fürstin winkte gnädig gewährend mit der Hand, -und wandte sich zu Edith, als Erting sich entfernt hatte.</p> - -<p>„Edith, dieser Rüdiger sieht unbändig interessant aus, -ist es wirklich eine Jugendliebe von Ihnen? Wie schade -dann!“</p> - -<p>Und ein nicht mißzuverstehender Blick folgte der kleinen -Gestalt Ertings.</p> - -<p>„Durchlaucht sind grausam,“ erwiderte Edith mit -zuckenden Lippen, „habe ich das verdient? Wer mir in -der Zeit meiner Verlobung so nahe gestanden hat, sollte -anders denken, oder sprechen!“</p> - -<p>Edith durfte viel wagen. Die Fürstin sah einen Augenblick -wie bestürzt vor sich nieder.</p> - -<p>„Verzeihen Sie mir,“ sagte sie dann in ihrer gewohnten -leichten Art, „Sie wissen, ich sage gern, was ich denke, -und im Moment kam mir die Idee, welch herrliches Paar -Sie Beide — doch halt, er kommt!“</p> - -<p>Rüdiger trat mit Raven zu der Fürstin.</p> - -<p>„Sie haben uns auf Ihre Bekanntschaft warten lassen, -Baron Rüdiger,“ sagte sie in liebenswürdigem Ton, „ich -habe Ihren Oheim sehr wohl gekannt, und weiß mich -Ihrer selbst aus Ihrer Fähnrichszeit dunkel zu erinnern! -Haben Sie alles Attachement für alte Bekannte in der -Fremde verlernt?“</p> - -<p>„So wenig, wie die deutsche Sprache, Durchlaucht,“ -erwiderte Rüdiger verbindlich, „wenn ich trotzdem ein Versäumniß -beging, so bitte ich, es in Gnaden der partiellen -Verwilderung zuschreiben zu wollen, der man bei einem -Jägerleben, wie ich es seit fünf Jahren führe, doch nicht -entgeht.“</p> - -<p>„Rüdiger kokettirt ein wenig mit dieser Verwilderung,“ -sagte Raven in seiner gewohnten ironischen Weise, „man -muß seine tadellosen Verbeugungen sehen, um zu staunen, -daß er in Californien Gold gegraben, in Australien —“</p> - -<p>„Ich bitte, erklären Sie mich nicht,“ unterbrach ihn -Rüdiger etwas kurz, „außerdem sagen meine Verbeugungen -durchaus Nichts — man muß mit den Wölfen heulen -— meinen Sie, ich hätte in Amerika nicht mit den Affen -um die Wette klettern, und mit der größten Eleganz Cocosnüsse -pflücken und Grimassen schneiden können? Dafür ist -man eben Kosmopolit!“</p> - -<p>Die Fürstin sah belustigt aus, ihr Interesse an dem -schönen, wildaussehenden Jägersmanne wuchs.</p> - -<p>„Nun, da Ihnen das Parquet nicht so ganz fremd -geworden ist,“ sagte sie, sich erhebend, „so hoffe ich, Sie -öfters zu sehen. Wir musiciren jeden Freitag in kleinem -Cirkel, und Sie sind hiermit benachrichtigt, daß Sie erwartet -werden. Nun aber muß ich gehen, ich habe mich -schon über die Gebühr lange bei Ihnen verweilt, Edith, -auf Wiedersehen!“</p> - -<p>Raven geleitete sie zu den anderen Tischen, während -Rüdiger schweigend vor Edith stehen blieb.</p> - -<p>„Ich dachte, Sie wollten mir heute überhaupt nicht -guten Abend sagen!“ nahm sie endlich lächelnd das Wort, -ihn anzusehen.</p> - -<p>„Ich <em class="gesperrt">wollte</em> auch nicht, aber Ihnen gegenüber <em class="gesperrt">muß</em> -ich stets, auch was ich nicht will! Schütteln Sie nicht -wieder den Kopf, erzählen Sie mir lieber, wie Ihnen unser -gestriger Weg bekommen ist!“</p> - -<p>„Ich liebe keine Reminiscenzen, und heute bin ich auch -gar nicht als Privatperson hier, ich denke, Sie sollen mir -viel abkaufen, hier, diese schöne Jagdtasche —“</p> - -<p>„Haben Sie sie gearbeitet?“</p> - -<p>Sie schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„Kennen Sie meine ungeschickten Hände nicht mehr? -Ich verstand stets besser mit der Reitpeitsche umzugehen, -als mit der Nadel! Aber nun ernstlich, was kaufen Sie?“</p> - -<p>„Nur Eins!“ erwiderte er langsam, „aber für dieses -Eine gebe ich Ihnen meine ganze Börse preis!“</p> - -<p>„Und das wäre?“</p> - -<p>„Sie werden es nicht geben wollen!“</p> - -<p>„Ist es bei den Verkaufsartikeln?“ frug sie, ahnungslos, -was er meinte.</p> - -<p>Er lachte.</p> - -<p>„Ja, es liegt dabei!“</p> - -<p>„Nun, dann habe ich nichts zu geben oder zu verweigern, -mein ganzes Sinnen und Trachten ist auf einen -möglichst hohen Preis gerichtet, wo ist es?“</p> - -<p>„Hier,“ erwiderte er, und nahm das Camelienbouquet -vom Tisch, während er seine gefüllte Börse ernsthaft in -ihre kleine Geldkasse gleiten ließ.</p> - -<p>„Was machen Sie mit dem Bouquet meiner Braut?“ -sagte plötzlich Ertings Stimme hinter ihm, ehe Edith Zeit -gehabt hatte, Einspruch zu thun.</p> - -<p>„Ich habe es gekauft,“ sagte Rüdiger, und blickte -herausfordernd auf seinen kleinen Rivalen nieder.</p> - -<p>Edith mischte sich hastig ein.</p> - -<p>„Thorheit, Baron Rüdiger, Sie mußten selbst sehen, -daß ich nicht daran denken konnte, Ihnen diesen Gegenstand -zu verkaufen — legen Sie gleich das Bouquet wieder -her! Es war nur ein Scherz,“ wandte sie sich verwirrt -an Erting.</p> - -<p>„Das Bouquet ist mein,“ erwiderte Rüdiger, ohne sich -an Ertings zornbleiche Miene zu kehren, „dort liegt meine -Börse, Geschäft ist Geschäft, Herr Erting, das müssen Sie -als Kaufmann doch am besten wissen!“</p> - -<p>„Sie sind unartig, Gerald,“ fiel Edith wieder hastig -ein, „und ich allein habe das Recht, hier zu entscheiden. -Legen Sie das Bouquet wieder her, ich mag Ihr Geld -nicht haben, auf sophistischem Wege bin ich nicht wohlthätig!“ -Sie hielt ihm die Börse hin.</p> - -<p>„Das Bouquet,“ wiederholte sie.</p> - -<p>„Geben Sie das Bouquet her,“ sagte Erting gleichzeitig, -mit vor Wuth fast erstickter Stimme, „haben Sie ein Recht -darauf, oder ich?“</p> - -<p>„Leider Sie!“ erwiderte Rüdiger lachend und hielt den -fraglichen Gegenstand hoch in die Höhe, „aber trotzdem -bleiben diese Blumen mein, ich würde ebenso gern meinen -Kopf hergeben, wie auch nur ein einziges Blättchen aus -dem Strauß! Geben Sie sich keine Mühe, Erting, Sie -können ihn gar nicht erreichen!“</p> - -<p>„Genug,“ sagte Edith jetzt schnell und besorgt, da sie -sah, daß Erting aufs Aeußerste gereizt war, „ich <em class="gesperrt">befehle</em>, -daß Sie die Blumen meinem Bräutigam geben, Gerald!“</p> - -<p>Sie hatte noch nie mit diesem Ausdrucke von Erting -zu Rüdiger gesprochen, sein schnell entfachter Zorn loderte -auf. Er nahm den Strauß und die schwere Börse, und -mit dem heftigen Ausruf: „So soll sie Niemand haben!“ -schleuderte er Beides durch das geschlossene Fenster in den -Garten und verließ dann den Saal, ohne irgend Jemand -Lebewohl gesagt zu haben, während die ganze Gesellschaft -stumm und entsetzt dem „tollen Junker“ nachsah, der sich -eben wieder seines Namens so werth gezeigt hatte.</p> - -<p>Die Fürstin, welche am andern Ende des Saales beschäftigt -gewesen, hatte sich beim Klirren der Fensterscheibe -rasch und erstaunt umgewendet, und sandte jetzt Raven -ab, um den Grund dieser Störung zu erfahren. Als er -mit dem Bericht zu ihr zurückkehrte, lachte sie hell auf:</p> - -<p>„Köstlich, Herr von Raven, dieser Rüdiger ist wirklich -ein Original! Aber wie erfrischend wirkt das in unseren -nüchternen Kreisen!“</p> - -<p>„Ich fürchte, Durchlaucht, daß Herr Erting die Sache -nicht in diesem Sinne auffassen wird,“ sagte Raven, „er -schäumte geradezu vor Wuth, und seine Mutter, die eben -eintrat, um das Bouquet des Söhnchens fliegen zu sehen, -war mindestens ebenso empört! Wenn die Sache nur -nicht ernstere Folgen hat!“</p> - -<p>„Das wäre ja abscheulich!“ rief die Fürstin lebhaft, -„und gerade jetzt, wo ich mir vorgenommen habe, den -interessanten Goldgräber zu unseren kleinen Festen heranzuziehen; -eine derartige Differenz würde Alles zerstören. -Das muß verhindert werden, um jeden Preis! Ich werde -die Familie Erting versöhnen, Herr von Raven, ich bringe -der Außergewöhnlichkeit ein Opfer!“</p> - -<p>Sie ging lachend davon, und Raven folgte ihr, etwas -ingrimmig murmelnd: „Besonders, wenn diese „Außergewöhnlichkeit“ -ein so hübsches Gesicht hat, da opfert man -sich mit Leichtigkeit!“</p> - -<p>Aber Ludwig Erting war bereits den suchenden Augen -der Fürstin entrückt. Er faßte den Arm seiner Mutter -und zog sie mit sich hinaus.</p> - -<p>„Ich gehe nach Haus,“ sagte er auf ihren verwundert -fragenden Blick.</p> - -<p>„Und Edith? Ich weiß nicht wie du bist, Ludwig, -du wirst doch deine Braut nicht allein hier lassen!“</p> - -<p>„Ich gehe nach Haus,“ wiederholte er heftig, „für -heute habe ich wieder einmal genug von dem vornehmen -Brautstand. Was, ich soll mich wohl von dem infamen -Abenteurer, dem Rüdiger, wie einen Schuljungen necken -und zerren lassen? Mutter, ich sage dir, es geht nicht -gut; wenn <em class="gesperrt">du</em> nicht merkst, daß man sich hier über uns -lustig macht, <em class="gesperrt">ich</em> merke es, und was habe ich denn -davon?“</p> - -<p>„Aber Ludwig,“ rief die erschrockene Frau, die währenddessen -mit dem zornigen, kleinen Sohn ihren bereitstehenden -prächtigen Wagen bestiegen hatte, und nun an seiner -Seite durch die Straßen rollte, „Ludwig, hast du denn -gar kein Gefühl für die Ehre, die dir geschieht, wenn du -eine solche Heirath machst? Du mußt doch steigen wollen -und in höhere Sphären kommen, mein liebes Kind — ich -will ja nur dein Glück, wenn ich dir dazu rathe!“</p> - -<p>„Du meinst es gut, Mutter, das weiß ich,“ sagte er, -schon ruhiger, „und es ist ja auch möglich, daß eine -Heirath mit Edith ein Glück ist, in manchem Sinne! -Aber ich denke jetzt oft, es wäre besser für mich, ich hätte -mich nicht von dir bereden lassen, aus meinem Kreise -herauszugehen, durfte ich nach meinem Sinne wählen, so -wäre ich später einmal Herr in meinem Hause, und nicht, -was ich hier immer sein werde, der Mann meiner Frau, -die ja sehr schön, sehr vornehm und sehr klug ist, die -aber wenigstens zehn Stufen herunter steigen muß, um sich -mir gleich zu dünken. Das ist nichts für mich, Mutter, -aber wir wollen nicht weiter davon sprechen. Geschehene -Dinge sind nicht zu ändern!“</p> - -<p>Die Mutter schwieg auf diesen Ausbruch eines lange -verhaltenen Aergers, einfach, weil sie nichts darauf zu -erwidern wußte.</p> - -<p>Dann aber fühlte sie doch das Bedürfniß, ihren Sohn -zu beschwichtigen. Sie legte Ludwig die Hand auf die -Schulter.</p> - -<p>„Mein liebes Kind,“ sagte sie ängstlich, „so sei doch -nicht so heftig! Daß ich nur dein Glück im Auge hatte, -als ich dich zu der Verlobung mit Edith drängte, weißt -du ja! Und warum solltest du nicht glücklich mit ihr -werden? Ist sie nicht das schönste und liebenswürdigste -Mädchen, das die ganze Provinz aufweisen kann? Und -so distinguirt, so viel <em class="antiqua">chic</em>!“</p> - -<p>„Mutter, thu mir die einzige Liebe, und sei nicht vornehm, -so lange wir unter vier Augen sind! Dir steht es -nicht, und mir gefällt es nicht, und außerdem gehört das -<em class="antiqua">chic</em> und was du sonst sagst, nicht zur Sache. Antworte -mir einmal einfach: glaubst du, daß Edith mich liebt?“</p> - -<p>Frau Erting wurde verlegen, als die ehrlichen, kleinen -Augen des Sohnes sich so fest auf sie richteten.</p> - -<p>„Was verstehst du unter lieben?“ frug sie ausweichend.</p> - -<p>„Nun, ungefähr, was <em class="gesperrt">du</em> darunter verstandest, als du -meinen Vater heirathetest, der ein armer Mensch war, -und dir keine glänzende Existenz bieten konnte! Oder -ungefähr, was <em class="gesperrt">ich</em> darunter verstand, ehe Martha unter -fremde Leute gehen mußte, damit ich eine vornehme Heirath -machen konnte!“</p> - -<p>„Ludwig,“ sagte die Mutter, jetzt fast ebenso heftig, -als vorhin der Sohn, „reize mich nicht! Willst du deine -Verlobung mit Edith Brandau rückgängig machen, so thue -es, ich kann dir nichts befehlen, aber ich kann dir etwas -verbieten! Du hast mir am Todtenbette deines seligen -Vaters versprochen, nicht gegen meinen Willen zu heirathen, -und wenn ich den bittersten Kummer erleben sollte, dich -als Junggesellen sterben zu sehen, meine Einwilligung zu -einer Heirath mit Martha Erting erhältst du nie! So -lange du ledig bleibst, kann ich sie aber natürlich nicht -wieder ins Haus nehmen. An deinem Hochzeitstage, das -verspreche ich dir, will ich an sie schreiben, und sie zurück -holen lassen; also du hast es in deiner Hand, wie lange -Martha „unter fremden Leuten“ sein soll! Ich dachte, -du hättest dir diesen Unsinn nun nachgerade aus dem -Kopf geschlagen!“</p> - -<p>„Reden wir nicht mehr davon,“ sagte Erting finster, -„ich habe mich vergessen! Eins aber sage ich dir, Mutter, -wenn mir dieser übermüthige Junker, der Rüdiger, noch -ein einziges Mal zu nahe tritt, oder sein unverschämtes -Hofmachen bei meiner Braut fortsetzt, so werde ich ihm -zeigen, daß man Courage haben kann, auch wenn man -nicht baumlang und baumstark ist! Ich fordere ihn auf -Pistolen, Mutter — du weißt, ich habe noch kein solches -Ding in der Hand gehabt, und wenn er mich todtschießt, -so hast du wenigstens das tröstliche Bewußtsein, daß ich -vornehm umgekommen bin!“</p> - -<p>Der Wagen hatte während dieser Rede gehalten, und -Ludwig half Frau Erting aussteigen.</p> - -<p>„Gute Nacht, Mutter,“ sagte er dann, „da kommt -schon einer von unseren Herrn Bedienten; ich will noch -zu Gerhold, ein Glas Wein wird mir heute ganz dienlich -sein!“</p> - -<p>Und damit wandte er sich ab und ging die Straße -hinunter, während die Mutter, halb entsetzt, halb stolz -über den heldenmüthigen kleinen Eisenfresser, im Hause -verschwand.</p> - -<hr class="tb"/> -<div class="poetry-container"> -<div class="poem"> -<p class="quote"> -Entflieh’ mit mir!<br /> -</p> -</div> -</div> - -<p>Die Fürstin ließ es seit dem Bazartage nicht an Gelegenheiten -fehlen, die gefährlichen Zusammenkünfte zwischen -dem Brautpaar und Rüdiger zu veranlassen. Theils hatte -sie, trotz ihrer vierzig Jahre, noch jenes kleine <em class="antiqua">faible</em> für -Rüdiger, welches er fast bei jeder Frau, mit der er in -Berührung kam, hervorrief, theils auch ergötzte es sie, die -Reibereien und Intriguen zwischen Erting und Rüdiger zu -beobachten. So jagten sich denn Lese- und Musikabende, -Schlittenfahrten und Eisfeste nach einander, und immer -war der „tolle Junker“ der Held aller dieser Festivitäten.</p> - -<p>Wie Edith, die in jenen Gesellschaften mit Gerald las -und musicirte, und sich seinem eigenartigen Wesen unbefangener -als je hingab, dachte, das wußte Niemand. -Die kühle, vornehme Zurückhaltung ihres Wesens hätte jede -Frage von vorn herein zurückgewiesen, und ob sie selbst -sich fragte? Sie ließ sich von dem glänzenden Strome -der Gegenwart dahin tragen, wie in einem Traume, in -dem uns schon bewußt ist, daß wir bald erwachen werden, -den wir aber mit um so größerem Entzücken weiter träumen. -Das dunkle Gefühl, daß die Wellen dieses Stromes sie -vielleicht plötzlich erfassen und in den Abgrund ziehen -könnten, kam ihr nur selten, und wurde so schnell wieder -unterdrückt, wie es entstand.</p> - -<p>Als eine Art Abschiedsfest hatte noch so eben ein -glänzender Maskenball die Gesellschaft vereint. Unmittelbar -von diesem Balle aus kehrte Edith, die mehrere Tage -bei der Fürstin gewohnt hatte, nach Brandau zurück.</p> - -<p>Der Maskenball war glänzend und es herrschte nur -<em class="gesperrt">eine</em> Stimme vollster Befriedigung. Die Fürstin, die als -Maria Stuart durch die Zimmer rauschte, hatte das Signal -zum Demaskiren noch nicht gegeben. Sie selbst war natürlich -sofort erkannt worden, zu ihrem geheimen Verdruß, -und so blieb ihr nichts übrig, als, auf eigene Abenteuer -verzichtend, solche in möglichst großer Zahl unter ihren -Gästen anzustiften.</p> - -<p>Edith hatte auf den dringenden Wunsch der Fürstin -einen altdeutschen Anzug gewählt, und als sie jetzt in ihrem -lichtblauen, faltenreichen Gewande, mit den herabhängenden, -schweren Goldflechten sinnend am Fenster lehnte, hätte -allerdings das „Gretchen“ nicht reizender gedacht werden -können. Der dieser Erscheinung widersprechende Zug von -Stolz und Herbheit, der Ediths Wesen sonst leicht kennzeichnete, -war durch den wehmüthigen Gedanken an den -so nahe bevorstehenden Abschied von der Mädchenzeit zu -einer weichen Lieblichkeit gemildert, die ihr einen neuen -und geradezu hinreißenden Zauber verlieh.</p> - -<p>Erting zu erkennen, war ihr sofort gelungen, er hatte, -mit richtigem Takt, einen einfachen schwarzen Domino -gewählt, aber seine schüchterne Unbehülflichkeit ließ ihm -selbst diese anspruchslose Tracht als eine Prätension erscheinen. -Er stand, sich entschieden unbehaglich fühlend, -am Fenster des zu ebener Erde gelegenen Ballsaales und -blickte in die Schneenacht hinaus. Edith trat mit jenem, aus -freundschaftlicher Zuneigung und Mitleid gemischten Gefühl, -welches sie stets für ihn empfand, auf ihn zu.</p> - -<p>„Nun, Ludwig, haben Sie mich wirklich noch nicht -erkannt, oder wollen Sie sich Ihre Maskenfreiheit wahren?“ -sagte sie, und legte ihre kleine Hand auf seine Schulter.</p> - -<p>Er wandte sich hastig um und nahm die Larve ab; -es lag ein Zug von trübem Nachdenken auf seiner Stirn.</p> - -<p>„Wollen Sie mich daran erinnern, daß es mit unserer -Freiheit überhaupt bald zu Ende ist?“ sagte er in einem -Tone, der scherzhaft sein sollte, aber bitter klang.</p> - -<p>„Was haben Sie, Ludwig?“ frug Edith halb erstaunt -und halb verletzt, indem sie einen Schritt zurück trat. In -dem Moment fiel ihr Blick auf eine hohe Gestalt in der -düsterschönen Tracht eines spanischen Granden. Eine tiefe, -jähe Röthe schoß ihr sinnverwirrend in den Kopf, und -war trotz der Larve wohl zu bemerken.</p> - -<p>„Was ich habe?“ gab er finster zurück, „sehen Sie -einmal in den Spiegel, Edith, aber jetzt, in diesem Augenblicke, -und fragen Sie sich, „was ich habe,“ wenn das -Mädchen, das in drei Tagen meine Frau sein wird, beim -Anblick eines Anderen so tief erröthet — Sie haben sich -zu früh demaskirt!“</p> - -<p>Sie richtete sich auf und wollte ihn ohne ein weiteres -Wort verlassen, aber ihr ehrliches Herz sagte ihr, daß er -so Unrecht nicht habe! Sie bezwang sich und blieb.</p> - -<p>„Ludwig, seien Sie nicht hart,“ sagte sie, fast -bittend, „Sie kennen mich genug, um zu wissen, daß ich -bei jedem überraschenden Wort oder Anblick roth werde, -und das unerträgliche Gefühl, daß Sie mich stets beobachten, -wenn Gerald kommt —“</p> - -<p>„Ach was Gerald — Gerald,“ rief er heftig, „Sie -brauchen den Baron nicht beim Vornamen zu nennen, ich -kann diese Jugendfreundschaft nicht leiden, die er zum -Vorwand nimmt, um Ihnen vor Aller, und auch vor -meinen Augen in der unerhörtesten Weise den Hof zu -machen! Sie werden ihn nicht mehr beim Vornamen nennen, -und Sie werden heute Abend nicht mit ihm tanzen!“</p> - -<p>Edith war leichenblaß geworden.</p> - -<p>„Sie demaskiren sich gleichfalls ein wenig früh,“ sagte -sie langsam und eiskalt, „aber noch brauche ich mir in -solchem Tone nichts befehlen zu lassen, ich werde Gerald -Rüdiger beim Vornamen nennen, und werde mit ihm tanzen, -bis Sie mir wirklich etwas zu befehlen haben!“</p> - -<p>Und mit einem hochmüthigen Kopfneigen trat sie aus -der Fensternische, und nahm Geralds Begrüßung mit um -so seltsameren Gefühlen entgegen, als der leidenschaftlich -entzückte Ausdruck, mit dem er sie erkannte, schneidend von -dem Wesen Ertings abstach.</p> - -<p>Das Orchester begann einen rauschenden Walzer zu -spielen, man demaskirte sich, und als Rüdiger jetzt mit -Edith durch den Saal flog, da folgten Aller Blicke bewundernd -und — bedauernd dem herrlichen Paar, welches -dem feurigen Rhythmus des Tanzes so anmuthig nachgab, -und jetzt stillstehend, unwillkürlich an zwei schlanke Edeltannen -denken ließ, die neben einander und für einander -gewachsen schienen.</p> - -<p>Noch nie hatten Beide, Rüdiger und Edith, es so -klar empfunden, was sie einander waren, als an diesem -Abend, wo das schmerzliche Gefühl „des letzten Males“ -ihrem Beisammensein einen erhöhten Reiz verlieh. Noch -nie hatte Rüdiger es so offen gewagt, von seiner Leidenschaft -zu sprechen — und Edith, im Gefühl einer an ihn begangenen -Härte, wies ihn nicht zurück!</p> - -<p>„Und übermorgen ist Ihr Polterabend!“ sagte Gerald -jetzt ohne Uebergang, als er Edith den Arm bot, und -langsam mit ihr durch den Saal nach einem kühleren -Zimmer schritt. Sie ließ sich ermüdet in einen Sessel -gleiten, und wehte sich mit ihrem großen Fächer Kühlung -zu, ohne zu antworten. „Erlauben Sie!“ sagte er jetzt, -und nahm den Fächer aus ihrer Hand, „das paßt nicht -für Gretchen — überlassen Sie es Faust!“</p> - -<p>„Sie sind nicht Faust!“ erwiderte sie lebhaft, und -richtete sich auf, um ihn anzusehen.</p> - -<p>„Vielleicht doch! Die Fürstin wollte mich wenigstens -sofort dafür erkennen, freilich hat sie mir dies Kostüm -auch warm genug empfohlen!“</p> - -<p>„Abscheulich!“ rief Edith erröthend, „weil sie wußte, -daß es Ludwig kränken würde!“</p> - -<p>„Und warum soll Ludwig sich nicht kränken lassen?“ -sagte Rüdiger höhnisch, „soll ich das ganz allein thun?“</p> - -<p>„Sie brauchen sich ja auch nicht zu kränken!“</p> - -<p>„Das ist auch nicht das Wort für meine Empfindungen: -ich gräme mich, ich habe die rasendsten Pläne; wenn Sie -ahnten, wie es in meinem Kopf und Herzen aussieht!“</p> - -<p>„Ich bin gar nicht neugierig!“ erwiderte sie anscheinend -ruhig, aber mit leicht bebender Stimme, „überdies kann -ich es mir denken!“</p> - -<p>„Nun, wie sieht es darin aus? Sagen Sie wahr!“</p> - -<p>„Toll, nicht? Das ist ja Ihr gewöhnlicher Zustand!“</p> - -<p>„Und wenn es wäre? Wer hat mich toll gemacht? -Edith, ich gebe Ihnen eine letzte Bedenkzeit, sagen Sie -mir, daß Sie mich lieben, daß Sie Erting nicht heirathen -wollen, und Alles ist gut! Sonst fällt die Verantwortung -für jede, auch die größte Thorheit und Schlechtigkeit, die -ich von jetzt ab begehe, auf Ihr Haupt, vergessen Sie -das nicht!“</p> - -<p>Sie schüttelte still den Kopf, ohne zu sprechen, aber in -dem Zittern der kleinen Hände, die zusammengefaltet, unthätig -im Schoße lagen, verrieth sich der tiefe, peinvolle -Zwiespalt, in den seine Worte sie versetzten.</p> - -<p>„Entscheiden Sie sich, Edith,“ fuhr er athemlos vor -Aufregung fort, „ich gebe Ihnen eine ganze Minute, -sechzig Secunden; glauben Sie, daß ich den zehnten Theil -so lange brauchte, um zu wissen, ob ich Ja oder Nein -sagen sollte? Ein Wort, Edith,“ er blickte sich hastig um, -sie waren allein im Zimmer, „ein Wort und ich gehe -mit Ihnen davon, mein Schlitten ist hier, Sie kennen -den alten Job, meinen Diener, er führe mich zum Teufel -in die Hölle, wenn ich wollte! Der Saal ist zu ebener -Erde, durchs Fenster können wir fort, wie nichts! Ich -pfeife und der Schlitten ist hier! Noch zwanzig Secunden, -Edith, ehe die aber um sind, dürfen Sie auch kein Wort -sprechen!“</p> - -<p>Sie schnitt ihm die Rede ab, indem sie sich hastig -erhob.</p> - -<p>„Genug, Baron Rüdiger,“ sagte sie mit gepreßter -Stimme, „Sie beleidigen mich tief, tödtlich, wenn Sie noch -eine einzige Silbe sagen! Was, Sie haben es für möglich -gehalten, daß ich, die Braut eines Andern, mit Ihnen -davonlaufen würde, um die dürre Wahrheit zu sagen? -Und nicht nur für möglich, für wahrscheinlich haben Sie -es gehalten,“ fuhr sie fort, indem sie ihn durch eine stolze -Handbewegung schweigen hieß, „auf wen wartet Ihr -Schlitten, wenn nicht auf mich? Ich glaubte doch, Sie -kennten mich besser, Baron Rüdiger! Und jetzt darf ich -Sie wohl bitten, mich zu meiner Mutter zu begleiten, -Sie haben mich hart dafür gestraft, daß ich Ihnen die -Rechte alter Jugendfreundschaft so vertrauend einräumte.“</p> - -<p>Er bot ihr schweigend den Arm, an der Thür stand -er still und zwang sie dadurch, gleichfalls stehen zu -bleiben.</p> - -<p>„Edith, verzeihen Sie mir,“ sagte er rauh und ohne -sie anzusehen, „es war ein verzweifelter Versuch, Sie zu -gewinnen, ich habe nicht überlegt, daß Sie der Gedanke -kränken mußte; was blieb mir schließlich übrig? Verzeihen -Sie mir,“ wiederholte er zornig, als sie schwieg -und vor sich niederblickte. „Sagen Sie, daß Sie mir -verzeihen oder es wird nicht gut!“</p> - -<p>Er preßte bei diesen Worten ihren Arm so heftig an -sich, daß sie einen leisen Schmerzensschrei ausstieß. Hastig -ließ er sie los.</p> - -<p>„Sehen Sie,“ sagte er mit erzwungenem Lächeln, aber -ohne sich zu entschuldigen, „was davon kommt, wenn man -mir den Willen nicht thut? Aber jetzt noch einmal, Edith, -verzeihen Sie mir, wir sind für lange Zeit das letzte Mal -zusammen gewesen — gönnen Sie mir diesen einen armen -Abend aus Ihrem ganzen reichen Leben. Ich will heute -noch einmal vergnügt sein, ich reise in dieser Nacht ab!“</p> - -<p>„Weshalb?“ frug sie überrascht, und sah zu ihm auf.</p> - -<p>„Was soll ich noch hier? Ihr Brautführer sein? -Sie taxiren mich denn doch etwas zu zahm, Edith! <em class="gesperrt">viel</em> -zu zahm, wie Sie noch einmal einsehen werden! Aber -Sie haben mir noch nicht geantwortet, verzeihen Sie mir? -Hölle und Teufel, wie oft soll ich fragen?“</p> - -<p>„Noch oft, und in ganz anderem Ton, ehe ich antworte,“ -erwiderte sie kalt.</p> - -<p>„Nun, dann bin ich zu Ende,“ rief er trotzig und -wild, „thun Sie was Sie wollen, aber wundern Sie sich -nicht, wenn ich es auch thue!“</p> - -<p>Er stürmte fort, und Edith folgte ihm langsam, mit -wildschlagendem Herzen. Eine unbestimmte Furcht schien -sich wie ein Bleigewicht an ihre Schritte zu hängen. Als -sie beim Eintreten in den Saal ihre Mutter nicht sofort -sah, sondern nur Erting erblickte, ging sie, in einem ihr -sonst fremden Gefühle der Schutzbedürftigkeit zu ihm, und -legte ihre Hand in seinen Arm.</p> - -<p>„Ludwig, Sie dürfen mich nicht so viel allein lassen,“ -sagte sie, „was soll man davon denken?“</p> - -<p>„Sie ließen mich allein,“ erwiderte er, halb versöhnt -durch ihr Einlenken, — „aber es soll mir um so lieber -sein, wenn ich jetzt in Ihrer Nähe bleiben darf! Geben -Sie mir den nächsten Tanz, es ist eine Quadrille!“</p> - -<p>„Gern,“ sagte sie, erleichtert, daß er ihr nicht mehr -grollte, „sehen Sie sich, bitte, nach einem <em class="antiqua">vis-à-vis</em> um, -ich erwarte Sie bei Mama!“</p> - -<p>Er geleitete sie zur Gräfin Brandau, die inzwischen -wieder in den Saal getreten war. Dann ging er, sich -einer Gruppe von Herren zugesellend, zu der auch Rüdiger -gehörte.</p> - -<p>Edith beobachtete einige Augenblicke die Plaudernden -mit angstvoller Spannung, aber da nichts Auffälliges zu -bemerken war, wandte sie sich ihrer Mutter zu, und bemühte -sich, die kritischen Bemerkungen zu belächeln, welche -die Gräfin schonungslos über Alt und Jung laut werden ließ.</p> - -<p>Das Zeichen zur Quadrille ertönte von dem hoch -placirten, durch Orangerie fast versteckten Orchester. Die -verschiedenen Gruppen im Saal geriethen in Bewegung, -ein Paar nach dem andern stellte sich auf, Edith warf -einen suchenden Blick in den Saal hinein, Erting kam -nicht, und sie vermochte ihn auch nicht zu entdecken.</p> - -<p>Verwundert und etwas ärgerlich wollte sie sich eben -zurück ziehen, als Raven zu ihr trat.</p> - -<p>„Nun, gnädigste Comtesse, Sie verschmähen diesen -Tanz?“</p> - -<p>„Sagen Sie lieber, der Tanz oder mein Tänzer verschmäht -mich,“ sagte sie lächelnd, „ich habe die Quadrille -meinem Bräutigam zugesagt, und er scheint dies vergessen -zu haben!“</p> - -<p>„Erting? O, der wird sofort kommen, er wurde -eben abgerufen, weil ihn Jemand auf einen Augenblick zu -sprechen wünschte, mag sein, daß die Unterredung sich ein -wenig in die Länge zieht!“</p> - -<p>„Ah so!“ erwiderte Edith beruhigt, nun, „plaudern wir, -bis er kommt, Herr von Raven, oder besser, plaudern Sie, -Sie verstehen das ja so meisterhaft!“</p> - -<p>Raven verbeugte sich.</p> - -<p>„<em class="antiqua">Tempi passati</em>, meine gnädigste, <em class="antiqua">tempi passati</em>, jetzt -überläßt man es jüngeren Kräften!“</p> - -<p>Die Quadrille nahm indeß ihren Fortgang. Ediths -anfängliches Befremden über das Ausbleiben Ertings wich -nach und nach dem Zorn. Mochte er in noch so dringenden -Angelegenheiten abberufen sein, ein Moment fand sich doch -wohl, mußte sich finden, um der Braut Aufklärung zu -geben, was ihn verhindere!</p> - -<p>„Irgend eine Börsennachricht,“ dachte sie bitter, „das -ist wichtiger, als Höflichkeit und Rücksichten! Man wird -zum Cavalier geboren, das läßt sich eben später nicht -anlernen!“</p> - -<p>Als der Tanz vorüber war und sie Raven mit seinen -vielen „Unbegreiflich, unerklärlich, unverzeihlich“ entlassen -hatte, trat Rüdiger zu ihr. Ihre Augen verriethen die -innere Erregung, ein zartes, aber doch tiefes Roth färbte -ihre Wangen.</p> - -<p>Rüdiger sah mit unverhohlenem Entzücken in ihr Gesicht. -Wenn sie, als er sich ihr nahte, eine leise Befangenheit -in seinem Wesen zu erkennen geglaubt hatte, -so war diese verflogen, er sah lustiger und übermüthiger -aus, wie je!</p> - -<p>„Darf ich Sie zum Souper hinüber führen?“ frug er, -indem er ihr Spitzentuch vom Sessel nahm und ihr -umgab.</p> - -<p>„Das dürfen Sie,“ sagte Edith, gegen ihr besseres -Gefühl, „ich bin ja ohne Cavalier; Herr Erting hat, Gott -weiß warum, den Ball verlassen, ohne ein Wort der Aufklärung -an mich!“</p> - -<p>„Hat er das?“</p> - -<p>„Und weiter sagen Sie nichts? Ist es nicht unerhört -rücksichtslos?“</p> - -<p>„Sie wissen, ich fälle nie scharfe Urtheile,“ sagte -Rüdiger, der sie zu ihrem Platze geleitet hatte, „er konnte -zwingende Gründe haben! Jedenfalls rechnen wir mit -Thatsachen — er ist fort, ich bin da, es lebe die Gegenwart!“</p> - -<p>Er hielt sein überschäumendes Champagnerglas hin, -und das ihrige klang leise dagegen. Er leerte es in einem -Zuge, und noch eins, er steigerte sich zu fast fieberhafter -Fröhlichkeit, sein Lachen klang durch den Saal, und noch -nie hatten die blauen Augen des „tollen Junkers“ so geblitzt, -wie an diesem Abend.</p> - -<p>Edith gab sich voll und rückhaltslos dem Zauber der -Minute hin, sie fühlte ein Recht dazu, da Erting sie so -rücksichtslos, so gleichgültig verlassen hatte, und die Stunden -flogen vorüber, leicht und glänzend, wie die Schneeflocken, -die draußen dicht und dichter niederfielen.</p> - -<p>Endlich gab die Fürstin das Zeichen zum Aufheben der -Tafel und zugleich zur Beendigung des Festes.</p> - -<p>Während man sich empfahl und der Saal sich zu leeren -begann, trat Rüdiger noch einmal zu Edith.</p> - -<p>„Ich darf Sie und Ihre Mutter nach Hause fahren?“</p> - -<p>„Ich glaubte, Sie verreisten heute Abend?“</p> - -<p>„Das thue ich auch, aber es bleibt mir trotz dessen -noch Zeit, wenn ich Sie erst nach Brandau bringe, ich -benütze dann einen späteren Zug.“</p> - -<p>Aber Edith war inzwischen zu ruhigerem Besinnen gekommen. -Sie schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„Nein, Baron Rüdiger, ich danke Ihnen! Ich bleibe -heute noch bei der Fürstin, es ist mir zu spät geworden, -um nach Brandau hinaus zu fahren, und meine Mutter -hat gleichfalls die freundliche Einladung angenommen, im -Schloß zu übernachten. Wir können uns also Ihrem -Schutze nicht anvertrauen.“</p> - -<p>„Wie Sie befehlen,“ sagte Rüdiger, ohne zu ihrer -Ueberraschung noch mit Bitten in sie zu dringen, „dann -fahre ich von hier direct zur Bahn, und fort. Leben Sie -wohl, Edith, auf Wiedersehen!“</p> - -<p>„Ein weiter Begriff, wenn Sie mehrere Tage fortbleiben,“ -sagte sie mit etwas mühsamem Lächeln, „wir -reisen gleich nach der Trauung für den Rest des Winters -nach Italien.“</p> - -<p>„Gleich nach der Trauung, und für den ganzen -Winter? O, wie schade! Nun, der Frühling kommt ja -auch ins Land, Comtesse, und überdies, wer darf so sicher -sagen, was er thun wird? Sie können Ihre Entschlüsse -auch noch ändern. In jedem Falle, leben Sie wohl!“</p> - -<p>Was war das? Dieser kühle, fast vergnügte Ton, in -dem er, der sie noch vor wenig Stunden wie außer sich -beschworen hatte, mit ihm zu fliehen, jetzt ihre Hochzeitsreise -besprach — war dies Comödie, oder alles Vorhergegangene? -Nun, sie wollte sich nicht übertreffen lassen.</p> - -<p>„Leben Sie wohl!“ sagte sie frostig, und reichte ihm -die kleine Hand im Handschuh, die er ehrerbietig an die -Lippen führte. Aber als er sich wieder aufrichtete, und -zurücktrat, so edel, stolz und fest in jeder Bewegung, da -stand die gewaltsam bekämpfte Liebe in ihrem Herzen -noch einmal auf, mit bitterem Schmerz bei dem Gedanken: -„Du siehst ihn <em class="gesperrt">nie</em> wieder, wie Ihr Euch heut gesehen!“ -und sie gab ihm nochmals die Hand:</p> - -<p>„Gott behüte Sie, Gerald, auf allen Ihren Wegen —“ -und wandte sich hastig ab, während er eben so rasch das -Zimmer verließ, und seinen Mantel umwerfend, die Freitreppe -nachdenklich hinunter schritt.</p> - -<p>Auf seinen leisen Pfiff fuhr ein kleiner Schlitten vor. -Der graubärtige Kutscher schlug schweigend das Tigerfell -zurück, und gab seinem Herrn die Zügel. Beide vermieden -es sorgfältig, einander anzusehen.</p> - -<p>„Vorwärts!“ rief Rüdiger, und die Pferde zogen an. -Pfeilschnell flog der Schlitten über die dichte Schneedecke, -zur Stadt hinaus. Lautlos sauste das Gefährt über die -Landstraße, im kalten Vollmondlicht von seinen gespenstischen, -kohlschwarzen, jagenden Schatten begleitet. Eine scharfe -Biegung des Weges brachte den Schlitten in den stummen, -funkelnden Wald, der Mond verschwand hinter den -schwarzen Tannen, und ein Ruck mit den Zügeln ließ die -Pferde langsam gehen. Schon stieg das Wolfsdorffer -Schloß, in seinem Schneemantel seltsam und ungestaltet -aussehend, vor den Blicken Rüdigers auf. Er zog den -Hut tiefer ins Gesicht, und wandte sich zu seinem -Kutscher.</p> - -<p>„Job!“</p> - -<p>„Gnädiger Herr?“</p> - -<p>„Alles ruhig oben?“</p> - -<p>„Nein, gnädiger Herr!“</p> - -<p>„Was macht er denn, Job?“</p> - -<p>„Er flucht, gnädiger Herr, und wirft die Stiefel gegen -die Thüren. Zwei Fenster hat er auch schon eingeschlagen.“</p> - -<p>Rüdiger biß sich auf die Lippen und schwieg. Nach -einer Pause, die den Schlitten wieder näher an das Schloß -brachte, begann er von Neuem.</p> - -<p>„Job!“</p> - -<p>„Gnädiger Herr!“</p> - -<p>„Warum sagst du nichts?“</p> - -<p>„Ich weiß nichts, gnädiger Herr!“</p> - -<p>„Job, mir ist verflucht ungemüthlich zu Muthe!“</p> - -<p>„Das glaub’ ich, gnädiger Herr!“</p> - -<p>Der Baron peitschte plötzlich wie wüthend auf die -Pferde, daß sie im Sturmschritt hinflogen, bis das Schloß -erreicht war. Der gellende Ton der Pfeife übte auch hier -seine Wirkung. Langsam und kreischend wurde die Zugbrücke -herabgelassen, der Schlitten sauste in den Schloßhof, -die Zugbrücke ging empor und nun war Rüdiger zu -Hause.</p> - -<p>Ein zweiter Diener, eben so alt und verdrießlich aussehend, -wie Job, trat ihm mit einer Lampe entgegen, die -einen breiten, röthlichen Schein über den Schloßhof fallen -ließ. Rüdiger schüttelte sich die Schneeflocken vom Hut -und aus dem Gesicht, warf dem Diener den Mantel zu, -und ging langsam die breite, halbdunkle Treppe hinauf, -die nach den Wohnräumen führte. Der Diener folgte -ihm mit der Laterne.</p> - -<p>Oben angelangt, blieb der junge Schloßherr stehen. -Wenn er hätte sehen können, welch seltsam malerischen und -schönen Anblick er in seiner altspanischen Tracht, an der -dunkeln, geschnitzten Holztreppe lehnend, darbot, er hätte -sich möglicher Weise gefreut, wahrscheinlicher aber ist es, -daß es ihm in seiner momentanen Stimmung höchst gleichgültig -gewesen wäre.</p> - -<p>Er entließ den Diener mit einer kurzen Handbewegung -und schritt dann, nachdem er noch einen Augenblick nachdenklich -gestanden hatte, den langen, hallenden Gang -herunter, der nach dem unfreiwilligen Aufenthaltsort seines -Gastes führte. An einem Zimmer, über dessen Thür sich -ein Spitzbogen von Sandstein wölbte, hielt er an, schloß -auf und klopfte gleichzeitig.</p> - -<p>„Wer ist da?“ rief Ertings Stimme von drinnen, -zwischen Aengstlichkeit und Wuth.</p> - -<p>„Ich, Gerald Rüdiger, Herr Erting, — wollen -Sie —“</p> - -<p>Es blieb ihm nicht Zeit den Satz zu vollenden, die -Thür wurde aufgerissen, und Erting stand dicht vor ihm, -in dem ungewissen Mondlicht, welches sein vom Zorn -bleiches Gesicht noch weißer erscheinen ließ.</p> - -<p>„Wo haben Sie Ihre Pistolen?“ knirschte er, indem -er Miene machte, sich auf Rüdiger zu stürzen, „wo haben -Sie Ihre Pistolen, ich will nicht mehr leben, wenn ich -nicht an Ihnen Rache nehmen darf!“</p> - -<p>Rüdiger war so versteinert über diesen Wuthausbruch, -daß er im ersten Moment kein Wort fand, um zu erwidern. -Erting mochte das für den kalten Hohn des Siegers dem -Besiegten gegenüber halten, er kam wie ein Rasender auf -Rüdiger zu, und packte ihn am Arm.</p> - -<p>„Wollen Sie mir sofort Genugthuung geben für den -Schimpf, den Sie mir angethan haben, oder soll ich Sie -dazu zwingen?“</p> - -<p>Er hob drohend die Hand, Rüdiger trat einen Schritt -zurück, noch sehr ruhig, wie es schien.</p> - -<p>„Seien Sie nicht toll, Erting, ich schieße mich nicht -mit Ihnen!“</p> - -<p>„Weshalb? weil Sie der Stärkere sind? Ich will keine -Schonung!“</p> - -<p>„Nein, einmal, weil wir keine Secundanten und keinen -Arzt zur Stelle haben, von einem Duell also keine Rede -sein kann, sodann aber, weil Sie mit Schießgewehr nicht -umzugehen wissen, und ich kein Vergnügen daran finde, -einen Wehrlosen niederzuschießen.“</p> - -<p>„Wenn Sie Vergnügen daran finden, einen Wehrlosen -durch Ihre Leute knebeln und fortschleppen zu lassen, so -ist das reichlich eben so feige!“</p> - -<p>„Erting, nehmen Sie sich in Acht,“ rief Rüdiger, auf -dessen Stirn eine unheilverkündende, düstre Röthe erschien, -„ich dulde heute Viel von Ihnen, weil Sie der Beleidigte -sind, aber nicht Alles!“</p> - -<p>„Sie wollen sich nicht mit mir schießen?“ schrie Erting -mit fast erstickter Stimme, als der Andere sich abwendete, -und im Begriff stand, das Zimmer zu verlassen.</p> - -<p>„Nein!“ erwiderte Rüdiger kurz, er fühlte, daß er -keine Silbe mehr sagen durfte, ohne in Zorn auszubrechen.</p> - -<p>„Wer hat die Schonungsparole ausgegeben?“ fuhr -Erting, sinnlos vor Wuth, fort, „Edith, ich sehe jetzt klar, -sie war doch jedenfalls im Complott, als es galt, den -unbequemen Bräutigam fortzuschaffen!“</p> - -<p>„Genug!“ sagte Rüdiger todtenbleich und fest, „Sie -haben einen Namen in unseren Streit hineingezogen, der -es mir unmöglich macht, Ihnen noch ferner Genugthuung -zu verweigern, ich werde die nöthigen Anordnungen treffen. -Erwarten Sie mich hier, Sie haben es so gewollt!“</p> - -<p>Er verließ das Zimmer, und Erting blieb allein zurück, -in einem Tumult von Empfindungen, der ihm fast den -Verstand zu rauben drohte. Ueberwiegend war immer -noch die furchtbarste Wuth und Entrüstung, die aber in -der Voraussicht, seinen Rachedurst kühlen zu können, ja -zu müssen, bereits nachzulassen begann.</p> - -<p>Blitzschnell jagten sich die Gedanken, „was wird man -zu Hause von dir denken? in welchem Lichte mußt du -Edith erscheinen?“ denn im Innern hatte er an ihre Mitwissenschaft -nicht geglaubt! Dann kamen andere Bilder -— wenn er nun hier fiel! er, der dem Waffenhandwerk -gänzlich Fremde, dem besten Schützen auf Meilen in der -Runde gegenüber! Was würde seine Mutter sagen? was -Martha, die kleine, gute Cousine, die er geliebt, ehe er -in diesen wüsten Traum verflochten wurde? Er starrte -auf den breiten, weißen Streifen Mondlicht, der durchs -Zimmer floß. Wer weiß, ehe die nächste Stunde ablief, -lag er vielleicht dort, hülflos, zum Krüppel geschossen, -todt, das war das Wahrscheinlichste.</p> - -<p>Ach was half das Quälen! Er sprang auf und schritt -durchs Zimmer, in dem seine Schritte unheimlich wiederklangen. -Dann trat er zum Fenster, riß zwei Blätter aus -seiner Brieftasche und warf im grellen Vollmondschein mit -etwas unsicherer Hand zwei Zeilen hin, an seine Mutter! -Dann faltete er das Blatt und schrieb unter die Adresse: -„für den Fall meines Todes abzugeben.“ Dann ergriff -er das andere Blatt — sollte er Edith Lebewohl sagen? -sie wird seinen Tod schon erfahren, durch Rüdiger, der -sie zweifelsohne darüber zu trösten verstehen wird! Nein, -im Angesicht des Todes giebts keine Lüge mehr, er schreibt -hastig und fliegend: „Liebe Martha, wenn du diese Zeilen -erhältst, bin ich nicht mehr unter den Lebenden, und du -sollst dann wissen, daß ich dich immer geliebt habe, und -daß nur der Wille meiner Mutter uns trennte.“</p> - -<p>Er hatte kaum Zeit, auch hier die Adresse beizufügen, -als der Schall von Schritten seiner Thür nahte.</p> - -<p>Rüdiger trat ein, gefolgt von zwei graubärtigen -Männern, deren einer ein paar riesige Armleuchter trug, -die das Zimmer plötzlich zum Theil mit grellem Licht erfüllten, -während die verjagte Dunkelheit scheu und doppelt -finster in den Ecken niederkauerte, als lauere sie auf den -Augenblick, wo hier Alles wieder ihrem Reich anheimgegeben -sein würde.</p> - -<p>Rüdiger stellte das Pistolenkästchen, welches er trug, -auf den Tisch und wandte sich zu Erting.</p> - -<p>„Ich habe Sie warten lassen, Herr Erting,“ sagte er -im verbindlichen Ton, „aber um die nöthigsten Formalitäten -zu erfüllen, habe ich uns wenigstens einen Zeugen citirt, -hier, mein Förster Strauch, er wird uns die Waffen reichen, -und versteht im schlimmsten Fall nothdürftig zu verbinden.“</p> - -<p>Er trat zum Tisch und nahm die Pistolen heraus.</p> - -<p>„Gestatten Sie, daß mein Förster Ihnen das Laden -abnehme,“ sagte er dann zu Erting, „meine Waffen sind -etwas eigensinniger Natur, und lassen sich nicht von Jedermann -handhaben!“</p> - -<p>Erting verbeugte sich stumm.</p> - -<p>„Ein Wort, Herr von Rüdiger,“ sagte er dann.</p> - -<p>„So viel Sie befehlen!“ erwiderte sein Gegner, indem -er mit ihm zum Fenster trat.</p> - -<p>„Wenn ich falle, so darf ich wohl bitten, diese beiden -Zettel an ihre Adresse zu befördern, ich stelle mich für -einen gleichen Auftrag zur Verfügung.“</p> - -<p>Rüdiger warf, nachdem er die Aufschriften gelesen, -einen schnellen verwunderten Blick auf Erting.</p> - -<p>„Nichts an Comtesse Brandau?“</p> - -<p>„Ich vermuthete, daß Sie ihr mündlich Bericht erstatten -würden!“</p> - -<p>Rüdiger zuckte die Achseln.</p> - -<p>„Wer weiß! Und nun, sind wir fertig?“</p> - -<p>Erting schwieg einen einzigen Moment.</p> - -<p>„Ja,“ sagte er dann. „Sie haben mir keinen Auftrag -zu geben?“</p> - -<p>„Besten Dank! Wenn mir ein derartiges Malheur -zustößt, so würden die sogenannten Meinigen, deren ich -wenig besitze, sich durchaus nicht wundern; sie erfahren -es dann am Besten durch meinen alten Job. Und Comtesse -Brandau — ich vermuthe, Sie werden ihr mündlich -Bericht erstatten, Herr Erting!“</p> - -<p>Er lächelte flüchtig und streckte Erting die Hand hin. -Dieser nahm sie nicht, und sah ihn zornig verwundert -an.</p> - -<p>„Es ist Usus so, oder ähnlich,“ sagte Rüdiger freundlich, -„aber wie Sie wollen!“</p> - -<p>Die beiden Gegner nahmen Aufstellung, der Diener -hatte das Zimmer wieder verlassen.</p> - -<p>„Ich denke, wir schießen <em class="antiqua">a tempo</em>,“ sagte Rüdiger, -noch immer in einem Ton, wie im Ballsaal, „zählen Sie, -Strauch, bis drei!“</p> - -<p>Fast gleichzeitig ertönte der scharfe Knall der Pistolen, -Rüdigers Kugel zischte etwa handbreit über Ertings Kopf -fort und schlug in die Wand. Als sich die blauen Rauchwolken -langsam verzogen, sah der vor Aufregung halb -sinnverwirrte Erting Rüdiger schwanken, oder glaubte es -zu sehen. Im nächsten Augenblick hatte sich der Baron aufgerichtet, -und trat auf Erting zu, ihm die linke Hand bietend.</p> - -<p>„Bravo, Erting, Sie haben sich die Sporen verdient, — -und nun zürnen Sie mir nicht mehr, ich habe eine ganz -hübsche Lehre bekommen!“</p> - -<p>Erting starrte mit weitgeöffneten Augen auf seinen -Gegner, dessen rechter Arm schlaff und regungslos herabhing, -und von dem das Blut dicht und schnell niederrieselte -und in dem Streifen Mondlicht am Fußboden unheimlich -aufglänzte. Rüdigers bleiches Gesicht und die -finster zusammengezogenen Augenbrauen verriethen, daß -er heftige Schmerzen fühlte. Seine Stimme hatte nichts -von ihrem übermüthigen Klange verloren.</p> - -<p>Aber bei den letzten Worten ging es wie ein Schleier -über seine Züge, und der Förster hatte eben noch Zeit, -den ohnmächtig Zurücksinkenden aufzufangen.</p> - -<p>Jetzt erst fand Erting Sprache und Bewegung wieder.</p> - -<p>„Großer Gott, ich habe ihn gemordet!“ schrie er auf, -und warf sich neben seinem bleichen Feinde nieder.</p> - -<p>Der Förster schwieg und bemühte sich, Rüdigers Rock -auszuziehen, was ihm aber nicht gelang, da der zerschmetterte -Arm in seiner Unbehülflichkeit ihn daran -hinderte.</p> - -<p>„Helfen Sie ’mal,“ herrschte er Erting zu, der, das -Gesicht in den Händen verborgen, noch immer regungslos -auf den Knieen lag, „heben Sie den Arm in die Höhe, -damit ich ihm den Aermel aufschneiden kann.“</p> - -<p>Erting, dessen Zähne wie im Fieberfrost zusammenschlugen, -versuchte zu gehorchen, aber seine zitternden Hände -erwiesen sich als so ungeschickt, daß der Förster ihn ärgerlich -bei Seite schob.</p> - -<p>„Rufen Sie den Job,“ sagte er, „wir müssen uns -eilen, daß wir das Blut stillen, sonst wird das nicht gut!“</p> - -<p>„Ich weiß nicht, wo ich ihn finden soll,“ sagte Erting -kläglich, dessen durch die Erregung des Moments aufgeflackerter -Muth bereits wieder zu einem Nichts zusammengeschrumpft -war.</p> - -<p>„Dann werde ich ihn holen,“ sagte der Förster, -„bleiben Sie hier bei dem Baron!“</p> - -<p>Und damit verließ er das Zimmer. Erting blieb mit -Rüdiger allein.</p> - -<p>Sein erstes Gefühl war, sich ins Fenster möglichst weit -von seinem Opfer zu flüchten, aber eine bessere und -muthigere Regung überwog. Er nahte sich dem noch -immer Bewußtlosen und kniete, obwohl zitternd, neben -ihm nieder, ohne ihn jedoch zu berühren. In der kalten -Doppelbeleuchtung der flackernden Lichter und der Schneenacht -draußen war Rüdigers edles, regungsloses Gesicht -wirklich kaum von dem eines Todten zu unterscheiden. -Als Erting, von einem unheimlichen Zauber bezwungen, -starr in die stillen Züge seines Feindes blickte, ging ihm -das Herz in Reue und Wehmuth auf. Dies schöne, starke -Leben hatte er zerstört; zum Wenigsten den Mann dort auf -ein monatelanges Siechenlager gezwungen, ihm, dem freies, -wildes Streifen in Wald und Flur, Jagdlust und Jagdeifer -Leben hieß, wahrscheinlich für immer die Freude an -solchen Dingen geraubt! Jener Arm, der dort so schlaff, so -schauerlich bewegungslos herabhing, er würde sich vielleicht -nie mehr heben; mit den dunklen, schweren Tropfen, die -ihm entströmten, ging vielleicht die letzte Hoffnung auf ein -Wiedererwachen des Leblosen dahin!</p> - -<p>Wo blieb nur der Förster? Erting getraute sich -nicht, bis zur Thür zu gehen, er hielt förmlich den -Athem an.</p> - -<p>Seine Reflexionen begannen von Neuem. Stand diese -Strafe im Verhältniß zu dem tollen Streich, der ihn hierhergebracht? -Hätte er nicht ruhiger, nachgiebiger sein -sollen? O, und wer war gestraft, wer, als er selbst, der -wie ein Fluchbeladener hier kniete, und auf den Herzschlag -des Mannes lauschte, den seine Waffe hingestreckt, und -der sich ihm, wie er nun wohl wußte, ohne Gegenwehr -zum Ziel gesetzt! Als er, tief aufstöhnend, den Kopf erhob, -und Rüdiger anblickte, öffnete dieser langsam die -Augen, und sah ohne bestimmtes Ziel vor sich hin.</p> - -<p>Dann erhob er die linke Hand nach der Stirn und -versuchte, sich aufzurichten.</p> - -<p>Erting, obwohl bebend am ganzen Körper, unterstützte -ihn. Rüdiger erkannte seinen kleinen Feind und ein leises -Lächeln flog über sein Gesicht.</p> - -<p>„Herr Erting, bemühen Sie sich nicht! Und sehen -Sie nicht so jämmerlich aus, es war mir ganz gesund, -daß Sie mir etwas Blut abzapften!“</p> - -<p>Der schwache Ton der Stimme traf Erting wie ein -Dolchstoß.</p> - -<p>„Ich habe Sie unglücklich gemacht,“ stöhnte er, die -Hände vor’s Gesicht schlagend, „können Sie mir verzeihen?“</p> - -<p>Rüdiger erröthete leicht.</p> - -<p>„Erting, machen Sie mich nicht verlegen,“ sagte er -hastig und streckte die Hand nach dem Andern aus, „ich -Ihnen verzeihen! Ich habe Sie auf das Unerhörteste behandelt -und kann von Glück sagen, mit einer so „gnädigen -Strafe“ davon zu kommen. Und was das Unglücklichmachen -betrifft, bester Freund, diese linke Hand wird -schon noch eine Büchse führen können, bis die rechte wieder -dienstfähig ist!“</p> - -<p>Er schloß wieder die Augen, die letzten Worte hatte -er schon fast gemurmelt — aber endlich, endlich kamen -Schritte den Corridor entlang. Der Förster, Job und -noch ein paar Unbekannte drangen ins Zimmer. Einer -davon, ein kleiner, untersetzter Mann, näherte sich dem -jungen Schloßherrn und begann mit anscheinender Sachkenntniß -den verwundeten Arm zu untersuchen.</p> - -<p>Erting wartete auf seinen Ausspruch, wie auf das -Urtheil über Tod und Leben, nachdem Job ihm mit -finsterer Miene gesagt, es sei der Wundarzt.</p> - -<p>„Ist das Bett des Herrn Baron bereit?“ frug der -Heilkünstler jetzt.</p> - -<p>„Wie lange schon!“ murrte Job, „es ist ja glücklich -fünf Uhr vorbei!“</p> - -<p>„Nun, Scholz, was meinen Sie zu mir?“ sagte Rüdiger, -sich ein wenig aufrichtend, „heulen Sie mir aber nichts -vor, denn ich verstehe ebenso viel von der Chirurgie wie -Sie, alter Bartscheerer! Kaput oder nicht?“</p> - -<p>„Der Knochen ist durch und durch, Herr Baron,“ erwiderte -der Wundarzt trocken. Erting klappte zusammen -wie ein Taschenmesser, während Rüdiger kein Zeichen der -Bewegung sehen ließ.</p> - -<p>„Herr Baron fangen auch schon an zu fiebern, vor -allen Dingen ruhige Lage und kühles Getränk!“</p> - -<p>„Tröstlich!“ sagte Rüdiger, dessen Augen allerdings -bereits fieberhaft zu glühen begannen, „denken Sie aber -nicht, daß ich Ihrem blödsinnigen Gewäsch folge! Was, -ruhige Lage! — sitzen werde ich bis morgen früh und mein -kühles Getränk wird auch von anderer Art sein, als Sie -sich einbilden! Was, Erting? Haben wir unsere schöne -Feindschaft mit Menschenblut besiegelt, so soll nun Rebenblut -dran! Job, flink, in den Keller!“</p> - -<p>„Baron Rüdiger,“ sagte Erting flehend, und faßte in -seinem Eifer die Hand des Gegners, „ich beschwöre Sie, -thun Sie, was der Arzt Ihnen sagt! Bedenken Sie, was -daraus entstehen könnte, wenn Sie sich seinen Anordnungen -widersetzen.“</p> - -<p>Dem kleinen, gutmüthigen Mann traten fast die -Thränen in die Augen. Rüdiger sah ihn einen Moment -verwundert an und lachte kurz auf.</p> - -<p>„Sie sind eine gute Seele,“ sagte er, „und sollen sich -nicht ängstigen! Ich werde zu Bett wandern, damit Sie -nicht, wenn ich mit achtzig Jahren sterbe, sich einbilden, -ich wäre an Ihrem Tellschuß draufgegangen und sich ihr -Greisenalter durch Gewissensbisse verderben. Aber vor -allen Dingen sollen Sie jetzt in die Stadt zurückkehren. -Job, laß anspannen! ah, der Wagen kommt schon eine — -schwere Kutsche, wie sie rasselt! Aber die Todten reiten -schnell!“</p> - -<p>Er schloß die Augen.</p> - -<p>„Zu Bett mit ihm,“ sagte der Chirurg energisch, „das -Fieber steigt rapide. Wenn Sie nach der Stadt fahren,“ -wandte er sich an Erting, „so schicken Sie doch noch einen -Arzt heraus, ich mag die Verantwortung nicht allein -übernehmen.“</p> - -<p>Rüdiger, der inzwischen wieder zu sich kam, ließ sich -ohne weiteren Widerstand von Erting und Job in sein -Zimmer bringen, dann kehrte Ersterer zu dem Arzt -zurück.</p> - -<p>„Geben Sie mir Ihre Directionen für die Nacht,“ -sagte er mit ungewöhnlicher Festigkeit, „ich bleibe bei dem -Baron, er hat schon darein gewilligt.“</p> - -<p>Der Chirurg sah ihn erstaunt an.</p> - -<p>„Nun meinetwegen,“ sagte er, „legen Sie ihm fleißig -Eis auf den Kopf, und halten Sie ihn möglichst ruhig. -Aber ein Arzt muß noch heraus!“</p> - -<p>„Schön, bestellen Sie einen reitenden Boten, ich schicke -zu Doctor Stein, er ist einer der besten Aerzte und mir -persönlich bekannt. Halten Sie denn den Zustand des -Barons für gefährlich?“ Ertings Lippen zitterten.</p> - -<p>„Offen gesagt, ja!“ erwiderte der Wundarzt nach -einigem Besinnen, „das Fieber tritt so schnell und heftig -auf, daß es die Kräfte sehr hinnehmen muß und für einen -Mann von des Barons ganzer Natur ist ein Krankenlager -immer eine böse Sache. Aber wir wollen das -Beste hoffen!“</p> - -<p>Erting schrieb in fliegender Eile, während der Bote -sich bereit machte; er citirte Doctor Stein heraus und -benachrichtigte in einem zweiten Briefe Edith von seinem -Aufenthalt und dem stattgehabten Duell.</p> - -<p>Dann kehrte er zu Rüdiger zurück, den er in den -wildesten Phantasien vorfand.</p> - -<p>Doctor Stein, den wir gleichfalls am Eingang unserer -Erzählung kennen lernten, traf in wenig Stunden ein. -Er trat mit dem ihm eigenen, besonnenen Wesen an das -Lager des wilden Kranken, und sein Einfluß vermochte -Rüdiger so weit zu beruhigen, daß er auf einige Fragen -ziemlich klar antwortete. Aber nach wenig Augenblicken -verfiel er schon wieder in heftige Raserei. Erlebtes und -Geträumtes mischte sich auf eine für Erting unbeschreiblich -qualvolle Weise in seine Reden.</p> - -<p>Doctor Stein sah bedenklich aus, als er sich -empfahl.</p> - -<p>„Wir wollen die Büchse nicht gleich ins Korn werfen,“ -sagte er auf Ertings verzweifelt fragenden Blick, „aber -das Ungestüm des Fiebers macht mich besorgt. So viel -ich weiß, hat Rüdiger keinen nahen Verwandten, ich -werde einen Pfleger aus der Stadt schicken.“</p> - -<p>„Thun Sie das nicht,“ bat Erting flehentlich, „sagen -Sie mir Alles, was geschehen soll, Stein, ich will gewiß -nichts an ihm versäumen! Gönnen Sie mir den kleinen -Trost für das Schreckliche, was ich in meinem unsinnig -gereizten Zustand angerichtet habe!“</p> - -<p>Er sah so tief unglücklich aus, daß Stein ihm theilnehmend -die Hand auf die Schulter legte.</p> - -<p>„Ruhig Blut, alter Freund,“ sagte er tröstend, „Rüdiger -ist jung und hat schon mehr Stürme ausgehalten, als -diesen! Ich traue Ihnen übrigens Umsicht und Sorgfalt -genug zu, um die Pflege durchzuführen, aber eins sage -ich Ihnen, Sie müssen nach aller Voraussicht eine ganze -Zeit lang tüchtig auf dem Platze sein, Tag und Nacht!“</p> - -<p>Erting nickte nur stumm und kehrte, nachdem der -Doctor das Schloß verlassen hatte, sofort zu seinem -Posten zurück. Tage und Nächte saß er nun an Rüdigers -Lager, nur selten auf kurze Stunden von Job abgelöst. -Keine Mutter hätte zarter und sorglicher mit dem Verwundeten -umgehen können, als der kleine, ehrliche Mann, -den er so schwer gekränkt.</p> - -<p>Und während dieser angstvollen Stunden im stillen -Krankenzimmer ging in dem Herzen der beiden Rivalen -eine seltsame Wandlung vor. Erting fühlte, wie die -Sorge um seinen Pflegling, die Freude an den — freilich -seltenen — Momenten, wo es besser zu gehen schien, ihm -nach und nach eine wirkliche Neigung zu dem Gegenstande -dieser Sorgen und Freuden einflößte. Oft ertappte -er sich dabei, daß er fast mit einem Gefühl von Zärtlichkeit -in das schöne, bleiche Gesicht des Kranken blickte, und -seine fieberglühende Hand sanft streichelte. Und Rüdiger, -der nie die Augen bewußt aufschlug, ohne in das treuherzige -Gesicht Ertings zu blicken — der jeden Labetrunk -aus den Händen des einst so Gehaßten und Verspotteten -entgegennahm — er hatte, unklar, wie die Krankheit ihn -denken ließ, doch schon ganz die Empfindung, daß dieser -kleine Mann zu ihm gehöre — daß ihm etwas fehle, -wenn Erting nicht an seiner Seite sei.</p> - -<p>Jeden Tag kamen Erkundigungen nach Rüdigers Befinden -— aus Brandeck und aus der Residenz, und die -tägliche Antwort — „noch beim Alten,“ wollte und wollte -keiner Besserung weichen.</p> - -<p>Eines Abends, als Erting in traurigem Hinbrüten an -Rüdigers Lager saß, blickte dieser plötzlich mit ungewohnter -Klarheit zu ihm auf.</p> - -<p>„Erting,“ sagte er, „mir ist heut auf einmal merkwürdig -vernünftig im Kopf, das muß ich schnell benutzen! -Ich danke Ihnen, Erting, für alle Liebe, die Sie mir erwiesen -haben — Sie sind ein braver, treuer Kamerad und -ich habe es nicht um Sie verdient!“</p> - -<p>„Schweigen Sie doch,“ sagte Erting rauh, um seiner -Bewegung Herr zu werden.</p> - -<p>Rüdiger schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„Lassen Sie mich heute reden!“ fuhr er schwach, aber -ganz ruhig fort, „wer weiß, ob ichs morgen noch kann! -Ich glaube beinahe, alter Freund, es wird am längsten -gedauert haben mit mir und darum will ich Ihnen heut -noch Alles sagen, was ich auf dem Herzen habe. Lassen -Sie mich reden,“ wiederholte er hastig und erregt, „oder -ich springe aus dem Bett, so viel Kräfte habe ich schon noch!“</p> - -<p>„Nun, so reden Sie,“ sagte Erting rathlos, als er sah, -daß Rüdiger sich mühsam emporrichtete, „aber fassen Sie -sich kurz, und dann schlafen Sie!“</p> - -<p>„Ich will Ihnen nur sagen,“ begann Rüdiger in -kurzen Sätzen und schnell athmend, „daß ich nicht ganz -der hinterlistige Schurke bin, für den Sie mich gehalten -haben. Als ich an dem Abend, Sie wissen ja, dem Maskenabend, -ins Schloß kam, wollte ich Sie nicht entführen, bei -Gott nicht! Ich wollte — ja sehen Sie mich nur an, -ich wollte Edith“ — er seufzte schwer auf — „also — -Edith ein letztes Ultimatum stellen — sie sollte mit mir -davongehen! Sie wurde zornig — und wir geriethen -aneinander!“</p> - -<p>Er schwieg einen Augenblick erschöpft, fuhr aber gleich -wieder fort:</p> - -<p>„Da kam mir plötzlich, blitzschnell der Gedanke, wie, -wenn du <em class="gesperrt">ihn</em> wegbrächtest? Dann könnte keine Hochzeit -sein und du hättest der ganzen Bande noch einmal tüchtig -die Hölle heiß gemacht. An Das, was später kommen -könnte — dachte ich nicht — habe ich nie gedacht — nie!“</p> - -<p>„Ja, ja!“ sagte Erting beruhigend, als Rüdiger wieder -schwach zurücksank, „das weiß ich ja! Aber nun schweigen -Sie auch wieder still!“</p> - -<p>„Nur Eins noch, Erting,“ sagte Gerald, und faßte -des Andern Hand, „ich spreche nicht aus Egoismus, beim -Himmel nicht! Ich werde keinem Freier mehr in den -Weg treten! Aber glauben Sie mir, geben Sie Edith -los! Sie Beide taugen nicht für einander, ich kenne das -Mädchen besser — sie würde unglücklich werden und machen! -Die hätte zu so einem Durchgänger gepaßt wie ich bin, — -nun, es sollte nicht sein!“</p> - -<p>„Rüdiger,“ sagte Erting mit vor Rührung zitternder -Stimme, „nun hören Sie, was ich zu sagen habe. Glauben -Sie wirklich, daß wenn Sie sterben sollten — wenn ich Sie -umgebracht hätte, und das hätte ich doch! daß ich dann -noch Edith Brandau heirathen könnte? Nein, Rüdiger, -das nicht! das nicht! Und sie würde es auch nicht thun, -denn sie weiß ganz gut, daß Sie um ihretwillen hier -liegen! Nein, mein lieber Freund, wenn Sie wieder gesund -sind — und Sie <em class="gesperrt">werden</em> wieder gesund werden — -dann sollen Sie sie selbst fragen, was sie davon denkt — -<em class="gesperrt">ich</em> stehe Ihnen nicht mehr im Wege!“</p> - -<p>„Und Sie glauben, ich würde eine solche Großmuth -annehmen?“ rief Rüdiger fieberhaft erregt, „ich hätte gehofft, -daß Sie mich nun besser kennten!“</p> - -<p>Erting sah vor sich nieder.</p> - -<p>„Ich will einmal ehrlich sein, Rüdiger,“ sagte er und -wurde roth, „so sehr großmüthig wäre es nicht ’mal von -mir! Ich habe schon lange das Gefühl, als wenn Edith -Brandau und ich einen dummen Streich begangen hätten, -als wir uns verlobten, und — und ich muß Ihnen nur -sagen, ich habe irgendwo in der Welt eine kleine Cousine, -— nun, Sie können sich das Andere denken!“</p> - -<p>Rüdiger schwieg eine Weile, dann strich er sich das -Haar von der Stirn.</p> - -<p>„Das nützt mir Alles nichts, Erting! Erstens sterbe -ich, das wissen Sie ja so gut wie ich, und dann, wie -Edith ist, habe ich sie mir durch meinen tollen Streich -von vornherein verscherzt! Ein Mädchen wie sie läßt -sich nicht ertrotzen; wenn ich ihr nicht gleichgültig war — -und ich war es nicht — jetzt bin ich es geworden, glauben -Sie mir, Erting! Aber ich habe nun genug gesprochen, -ich will schlafen!“</p> - -<p>Und er wandte den Kopf ab und verbarg das Gesicht -in den Kissen.</p> - -<p>Spät Abends jagte ein reitender Bote nach der Stadt. -Doktor Stein wurde geholt, Rüdigers Zustand hatte sich -aufs Heftigste verschlimmert.</p> - -<p>Stein blieb mehrere Stunden da, und als er um -Mitternacht zurückfuhr und versprach, gegen Morgen noch -einmal wiederzukommen, da wußte man im Schloß, daß -Rüdigers Leben menschlicher Voraussicht nach nur noch -nach Stunden zähle.</p> - -<p>Im Dorf verbreitete sich die Kunde mit Blitzesschnelle, -sie flog mit ihren schwarzen Flügeln über die Grenze von -Brandeck und schlug an die Fenster, hinter denen Edith -wohnte, und schlug auf das verzweifelnde Herz von -Geralds erster Liebe.</p> - -<p>Als der Wagen des Doctors noch vor der Dämmerung -wieder in den Schloßhof fuhr, lag Rüdiger in unruhigem -Halbschlummer. Erting öffnete leise die Thür, als er -Schritte im Vorzimmer vernahm.</p> - -<p>„Stein, sind Sie es?“</p> - -<p>„Ja, und ich habe noch Jemand mitgebracht,“ sagte -der Doctor mit unterdrückter Bewegung, „machen Sie -einmal Platz, Erting!“</p> - -<p>Er zog ihn sanft von der Thür zurück und eine tief -verschleierte Frauengestalt trat ihm entgegen und streckte -ihm beide Hände hin.</p> - -<p>„Ludwig, verzeihen Sie mir, was ich Ihnen angethan -habe — und verzeihen Sie mir auch diesen Schritt — -aber ich mußte Ihn noch <em class="gesperrt">einmal</em> sehen!“</p> - -<p>Erting nahm ihre Hände sanft in die seinen. „Gehen -Sie zu ihm, Edith, ich habe Ihnen nichts mehr zu verbieten -— der da drinnen hat Sie mit seinem Blut erkauft!“</p> - -<p>Sie trat langsam, bebend an das Bett des Schlummernden, -sie sah einige Augenblicke in sein bleiches Gesicht -und dann kniete sie neben ihm nieder und küßte seine Hand.</p> - -<p>Da sah er empor, nicht erstaunt, sondern nur sehr -glücklich, und sagte: „Nicht wahr, du bleibst jetzt bei -mir?“</p> - -<p>Und als sie vor Thränen nur stumm zu nicken vermochte, -schloß er die Augen und verfiel in einen sanften Schlummer.</p> - -<p>„Das war ein Gewaltstreich,“ sagte Doctor Stein -eine Stunde später zu Erting, „aber er hat die Krisis -beschleunigt. Ich halte ihn für gerettet!“</p> - -<hr class="tb"/> -<p>Und als der nächste Sommer davon fliegen wollte, -war Alles gekommen, wie es hatte kommen müssen! -Gerald Rüdiger und seine schöne Frau standen auf der -Freitreppe ihres Schlosses; in den übermüthigen blauen -Augen des „tollen Junkers“ war ein ernsteres Licht -aufgegangen; dies und der steife Arm, der noch immer -nicht wieder ganz beweglich sein wollte, gemahnte noch -an die Vergangenheit, die ihm heute wieder besonders -lebhaft nahe gerückt worden.</p> - -<p>Denn der heutige Tag hatte liebe Gäste gebracht — -Ludwig Erting, der den Freunden seine Braut vorstellte! -Die Mutter war Angesichts <em class="gesperrt">dieser</em> treuen Liebe gerührt -worden, um so leichter, da sie sich mit Martha in ihrer -hauptsächlichsten Ueberzeugung fand, darin, ihren kleinen, -braven Sohn für den Inbegriff alles Guten, Schönen -und Tüchtigen zu halten.</p> - -<p>Und Rüdiger? — Der Traum, den er auf seinen -wilden Fahrten geträumt, ist zur Wahrheit geworden; -wenn der Mond sanft und klar über dem Wolfsdorffer -Schloß emporsteigt, stehen er und — noch Eine am -Fenster und hören die Nachtigallen schlagen, und ihr Lied -erzählt ihm immer wieder die Geschichte, die zu hören er -nicht müde wird — die Geschichte von der Liebe seiner -Jugend — von dem Kampfpreis seines Lebens.</p> -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2><a name="Finderlohn" id="Finderlohn">Finderlohn.</a></h2> - -<p class="first">Im Spätsommer des vergangenen Jahres, so erzählte -eine mir befreundete Dame, unternahm ich eine kleine Reise -nach dem Badeort K... Der Zufall führte mich auf -dem Bahnhof mit einer Freundin zusammen, und froh, -die etwas einförmige Fahrt durch angenehme Gesellschaft -verkürzt zu sehen, bestieg ich dasselbe Coupé mit ihr. Es -war allerdings kein Damencoupé, welches ich bei allein -unternommenen Reisen sonst vorziehe, indeß ist dies eigentlich -ein Vorurtheil, welches jede Frau, die über sechzehn Jahre zählt, -zu ihrem eigenen Besten bekämpfen sollte. Alle Hochachtung -vor den reisenden Repräsentantinnen meines Geschlechts -— aber ich bin noch nie in einem solchen Coupé gefahren, -ohne mich über die kleinliche Ungefälligkeit meiner Reisegefährtinnen, -ihre Empfindlichkeit gegen Hitze und Kälte -und ihre beständigen Wünsche nach solchen Lebensmitteln -zu ärgern, die eben auf den Stationen <em class="gesperrt">nicht</em> zu haben -waren.</p> - -<p>So dankte ich denn dem Zufall, der mich heute aus -diesem Dilemma erlöste, und bestieg mit meiner Freundin -zusammen einen Waggon, der den Gebildeten beiderlei -Geschlechts zugänglich war. Außer uns befand sich nur -noch ein alter Herr im Wagen, der uns, als wir einstiegen, -freundlich begrüßte.</p> - -<p>Da unser Reisegefährte der Held der Geschichte ist, die -ich zu erzählen im Begriff stehe, so kann ich es nicht -unterlassen, ihn zu beschreiben mit all’ dem Enthusiasmus, -den ich für ihn empfand; erstens um dem Leser damit ein -Bild von ihm zu geben, und zweitens in der stillen -Hoffnung, daß der Gegenstand meiner Zuneigung vielleicht -irgendwo diese Blätter zur Hand nimmt, darin liest und -nach einer Weile mit dem mich noch in der Erinnerung -entzückenden herzlichen Lachen, in welches er zuweilen ausbrach, -ruft: „Das soll <em class="gesperrt">ich</em> wohl am Ende sein?“</p> - -<p>Mein lieber, alter Herr! Denn jung war er insofern -nicht mehr, als seine freie Stirn von schneeweißem, feinem -Haar umwachsen war, welches, glänzend wie die Federn -eines Silberreihers, ein wenig keck in die Luft stand, und -die sehr schönen, auffallend hochgeschwungenen Augenbrauen -auch schon ein wenig beschneit aussahen. Jung -aber war er doch, denn unter diesen seltsamen Augenbrauen -sahen zwei so schöne, lebhafte, recht junge Augen -hervor, daß sie einem Zwanziger Ehre gemacht hätten — -jung war er, denn das blühende Roth einer erprobten -Gesundheit lag auf seinem schönen Gesicht, die liebenswürdige, -goldene Heiterkeit einer ewigen Jugend tönte aus -dem unwiderstehlich herzlichen Lachen, mit welchem er in -jeden Scherz einstimmte.</p> - -<p>Man sieht, ich verlor sofort mein Herz an den reizenden -alten Herrn! Das ist ein Damenwort, ich weiß es, -aber ich bleibe dabei und rufe zum Schluß meiner Beschreibung -noch einmal energisch aus: Nicht nur ein reizender -alter Herr war mein Reisegefährte, ich brauche sogar -den Superlativ, es war der reizendste alte Herr, den ich -je gesehen habe. Wie er sich über Alles amüsirte! Nur -daran zu denken, erheitert mich noch! Ueber den kleinen, -schäbigen Jungen, der auf einer Station emsig und still -vor sich hin Purzelbäume schoß, über die Männer, die mit -eintönigen Ausrufen Kirschen und Birnen den Wagen -entlang trugen, über die Ankommenden und Abreisenden! -Wie elektrisirt er war, als eine klangvolle italienische Leier -uns die „schöne blaue Donau“ zu hören gab, wie ernst -und gerührt er wurde, als dieselbe Leier dann eine sanfte, -traurige Melodie spielte, und wie herzlich er dann wieder -über seine eigene Rührung lachte!</p> - -<p>Meine Freundin und ich kamen, nachdem wir uns ein -Weilchen mit diesem liebenswürdigen Coupégenossen unterhalten -hatten, durch eine zufällige Ideenverbindung auf -eine Verlobung zu sprechen, die in unseren Kreisen vor -kurzem stattgefunden.</p> - -<p>Ein sehr hübsches, viel umworbenes Mädchen hatte -einen Ausflug zu ihrer Schwester unternommen, war acht -Tage dort geblieben, hatte am zweiten dieser acht Tage -einen jungen Gutsbesitzer kennen gelernt und sich vor Ablauf -der genannten Frist mit demselben verlobt. Wir fanden -das nach Frauenart sehr leichtsinnig, zuckten ein wenig die -Achseln über so schnell gewonnene Herzen und ich meinte:</p> - -<p>„Wenn das nur gut abläuft! Ein Brautpaar, das -sich nur acht Tage gekannt hat, ehe es ein Brautpaar -wurde! Eine bedenkliche Sache!“</p> - -<p>Bei diesen Worten wendete der alte Herr den Kopf -nach uns um.</p> - -<p>„Verzeihen Sie,“ begann er lächelnd, „wenn ich mich -in Ihr Gespräch mische, welches von Persönlichkeiten -handelt. Aber von der Bemerkung, die Sie eben machten, -mein Fräulein, fühle ich mich zu sehr getroffen, als daß -ich mich nicht vertheidigen möchte. Ich war auch in dem -Fall, von dem Sie eben sprechen — ich habe meine Frau -sogar nur drei oder vier Mal gesehen, eh’ wir uns verlobten, -und wir sind doch ein sehr glückliches Ehepaar -geworden.“</p> - -<p>Um mein Leben nicht konnte ich die tactlose Aeußerung -nicht unterdrücken, daß ich in diesem Fall das sehr natürlich -fände. Mein alter Herr nickte mir lachend mit herzlicher -Miene zu, es mochte ihm wohl schon öfter vorgekommen -sein, daß er so schnell Eroberungen machte.</p> - -<p>Meine Freundin, noch kühner als ich, richtete nun die -Frage an ihn, wie das denn gekommen sei, ob er nicht -Zeit gehabt hätte, sich länger zu besinnen?</p> - -<p>Der alte Herr sah mit einem schelmischen Lächeln in -unsere neugierigen Gesichter, dann sagte er freundlich:</p> - -<p>„Ja, so etwas hören junge Damen immer gern! -Aber es ist eine lange Geschichte, am Ende komme ich -an’s Ziel meiner dreistündigen Fahrt, eh’ ich zu Ende -bin!“</p> - -<p>„Ach bitte,“ riefen wir Beide, „es wird schon gehen, -die Geschichte ist <em class="gesperrt">uns</em> sicher nicht zu lang — wenn Sie -so sehr freundlich sein wollen!“</p> - -<p>Der alte Herr ließ sich erbitten, wir rückten uns alle -Drei gemüthlich zurecht und er begann:</p> - -<p>„Daß es schon eine ganze Weile her ist, seitdem ich -auf Freiersfüßen ging, brauche ich Ihnen nicht erst zu -sagen. Ja, diese Eisenbahn, auf der wir jetzt so selbstverständlich -durch die Welt fliegen, war damals etwas -ganz Neues, ein Wunderwerk, welches nur mit ehrfurchtsvollem -Staunen und einem leisen Schauder benutzt wurde. -So gewöhnt sich der Mensch an Alles und wir nennen -die Jugend mit Unrecht anspruchsvoll, ihr wird nur eben -Das schon in die Wiege gelegt, was wir als große Leute -erst staunend und dankbar bekommen haben. Der Telegraph -war damals auch erst eben erfunden — ja, ja, denken -Sie nur!</p> - -<p>Ich war im Begriff, eine kleine Vergnügungsreise auf unbestimmte -Zeit anzutreten, ein Entschluß, der mir um so -leichter wurde, als ich ganz frei und ungebunden in der -Welt dastand, und von Angehörigen Niemanden besaß, -als zwei alte Tanten und einen kleinen Hund, der, ein -Nachklang der Zeitströmung, auf den schönen Namen -„Nap“ hörte. Nicht wahr, eine ziemlich durchsichtige Abkürzung -im Jahrhundert der Freiheitskriege?</p> - -<p>Nap, ein kleiner, guter, schwarzer Kerl, war als einziger -und letzter Bewohner meiner Kinderheimath mit mir in -die Fremde gewandert, hatte mit mir studirt, Examina -gemacht, und war mir stets ein lieber Freund und treuer -Genosse gewesen, ja, ich glaube, ich war damals so weit, -daß ich den alten Hund mehr liebte als irgend ein -Wesen auf der Welt, meine lieben alten Tanten nicht -ausgenommen.</p> - -<p>Diese Tanten hätten Sie sehen sollen! Das waren -noch ein paar Repräsentantinnen der gemüthlichen Vergangenheit, -wo die Leute sich Zeit ließen. Schon die -äußere Umgebung der beiden alten Damen war die Zierlichkeit -selbst. Sie wohnten in einem kleinen, saubern -Hause, nicht am selben Ort mit mir, welches sich -durch die blitzendsten Fensterscheiben auszeichnete und -grüne Jalousien hatte. Das Häuschen war umgeben -von einem etwas pedantischen Garten, dessen Hecken -und Grasplätze von einem asthmatischen alten Factotum -mit der Papierscheere in Ordnung gehalten wurden. -Da können Sie glauben, daß kein Zweig sich erlauben -durfte, nach seinem Gutdünken zu wachsen, sofort -war die Papierscheere da und stutzte den Naseweisen. Ein -Paar ordnungsliebendere, gutherzigere, ängstlichere und -gewissenhaftere Seelchen, als meine beiden lieben Tanten -gab es nicht! Sie trugen sich ganz gleich, hatten -Jede vier weiße, mathematisch genau gekämmte Löckchen, -Hauben mit jenen thurmhohen weißen Krausen, wie man -sie jetzt nur noch auf Bildern sieht, und trugen Beide -Brillen.</p> - -<p>An einem schönen Sommerabend traf ich denn mit -meinem Nap bei den Tanten ein, die mich herzlich und -liebevoll aufnahmen, und mich in ihre Gartenlaube zu -einem zierlich aufgestellten Nachtmahl luden, dessen Dimensionen -ungefähr der Art waren, als hätten die sieben -Zwerge fragen können: „wer hat von meinem Tellerchen -gegessen“ u. s. w. Aber ich ließ es mir wohlschmecken, und -nachdem ich den Tanten meine Pläne für die nächste Zeit -mitgetheilt hatte, rückte ich vorsichtig mit dem kühnen Ansinnen -heraus, ob sie Nap, eine sonst bei ihnen wohlgelittene -Creatur, für die Zeit meiner Abwesenheit wohl in -Pflege und Obhut nehmen wollten.</p> - -<p>Sie können sich denken, daß die beiden Schwestern -nicht wenig erstaunten, selbst erschraken. Ein Zuwachs -ihrer Hausbewohnerschaft, ein bellender, springender, zottiger -Mitbewohner ihres stillen, beschaulichen Daheim; sie sahen -sich wechselweise eine gute Viertelstunde an, schnupften, -niesten, selbst dies Mittel schien heut’ nicht anzuschlagen, -endlich nahmen sie <em class="antiqua">a tempo</em> die Brillen ab und sagten -so feierlich, als gelte es ein Eheversprechen, ein lautes, -deutliches „Ja!“</p> - -<p>Ich wußte, welch’ ein Opfer sie mir brachten, und -sprach ihnen es auch dankbar aus, ich fügte bei, daß nur -das Bewußtsein, meinen Hund in den besten Händen zu -wissen, mich zu der großen Bitte ermuthigt hätte, und -dann machte ich mich eilig davon, damit die Tanten ihren -edelmüthigen Entschluß nicht etwa bereuen möchten. Ich -erklärte meinen schnellen Aufbruch damit, daß ich am -nächsten Morgen sehr früh mit der Bahn weiter müsse, -welche nur noch zu einem nah belegenen Städtchen führte, -von da wollte ich mit Postpferden und auf eigenen Füßen -meinen Weg fortsetzen.</p> - -<p>„Und, liebe, beste Tanten,“ fügte ich noch dringend -hinzu, „laßt Nap die nächsten Tage nicht aus den Augen, -er wird gewiß Versuche machen mir nachzusetzen und -könnte alsdann verloren gehen!“</p> - -<p>Feierlich wurde mir dies angelobt, und ich nahm gerührten -und dankbaren Abschied, während Nap, durch ein -Schüsselchen Milch in’s Haus gelockt, ahnungslos diesen -Labetrank schlürfte.</p> - -<p>Der andere Tag war leider trübe und schwül. Als -ich in das Städtchen H... einfuhr, welches die Grenze -zwischen Flachland und Gebirge bildet, zog ein Gewitter -dumpf grollend herauf und der erste Willkommensgruß, -der mir in H... wurde, war ein großer Regentropfen, -der auf meine Nase fiel. Ihm folgten mehrere, ein wahrer -Wolkenbruch stürzte hernieder und das liebenswürdige -Wetter benutzte den Tag, um sich, wie man sagt, recht -gründlich „einzuregnen.“ Unter diesen Umständen eine -Fußtour beginnen, oder sich einer Postchaise anvertrauen -zu wollen, um das Gebirge kennen zu lernen, wäre mehr -als Thorheit gewesen. Es hieß also warten!</p> - -<p>Ich quartierte mich in dem ersten Gasthofe der Stadt -ein, der vermuthlich so hieß, weil es keinen zweiten gab, -und sah zum Fenster hinaus. Zum Glück war ich von -jeher besonders unfähig, mich zu langweilen, ich hatte -manchmal den besten Willen, da kam mir etwas Unterhaltendes -in die Quere — es ging nicht!</p> - -<p>Auch hier war es so. Ich hätte mich eigentlich recht -gut langweilen können, aber da lag gerade dem Gasthause -gegenüber ein ganz allerliebstes Haus, das immer -etwas zu sehen oder zu hören gab. Ich konnte freilich -nur die Seitenfront des freundlichen Gebäudes beobachten, -denn die Vorderzimmer gingen nach einem schönen, großen -Garten hinaus, dessen Lavendelduft, selbst durch den Regen -nicht ertränkt, Abends zu mir herüber geflogen kam.</p> - -<p>An diesen Seitenfenstern nun saß öfters eine junge -Dame und nähte. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, sie -bückte sich immer sehr tief auf die Arbeit; ich sah nur ein -Stückchen Wange, zuweilen flüchtig die Umrisse eines -zierlichen Profils, und ein Nest dunkelblonder Zöpfe um -einen seltsam geformten weißen Kamm geschlungen.</p> - -<p>Da es nun schon den zweiten Tag regnete, hatte ich volle -Muße, diese Beobachtungen anzustellen. Freundlicherweise -hatte das Haus seinen Eingang auch auf der Seite. Gegen -Abend kam ein dicker, stattlicher Herr nach Hause, dessen -Kopf ich auch noch nie zu Gesicht bekommen hatte, denn -er hielt immer einen großen, wohlhabend aussehenden -Schirm über sich, den er erst zumachte, wenn seine behäbige -Person schon innerhalb der Hausthür war. Und -dann zur Thür hinaus schüttelte und spritzte er diesen Schirm -aus, als wenn die Straße noch nicht naß genug wäre.</p> - -<p>Ich hätte ja durch eine Frage leicht etwas über mein -<em class="antiqua">vis-à-vis</em> erfahren können, aber ich wollte es nicht — es -war so sehr ergötzlich, mir meine Schlüsse aus Dem zu -ziehen, was ich sah.</p> - -<p>Der Hausherr war entschieden <em class="gesperrt">kein</em> Arzt, dazu kam -er zu regelmäßig nach Hause, sondern Beamter, ein Mann -mit Bureaustunden. Die junge Dame am Fenster war -seine Tochter und zwar sein Liebling, denn er begab sich -stets geraden Weges zu ihr in’s Zimmer. Dann stand sie -sofort auf, legte die Arbeit zusammen und ging mit ihm -hinaus. Eine dritte Person, die ich häufig ausgehen und -wiederkommen sah, eine Dame in mittleren Jahren, mußte -die Gesellschafterin sein, nicht die Frau vom Hause, denn -wenn sie dem Vater begegnete, machte sie einen Knix.</p> - -<p>Am Nachmittag des dritten Tages schien der Himmel -ein ganz klein wenig lichter zu werden, ich trat an’s -Fenster und, wie mir schon zur Gewohnheit geworden -war, blickte ich nach dem Hause gegenüber. Da saß die -junge Dame — dies Mal ohne Näharbeit — ich hätte -ihr Gesicht gewiß ganz gut sehen können, aber sie hielt -ein Tuch vor die Augen — sie weinte!</p> - -<p>Ich blieb erstaunt stehen. Warum mochte sie weinen? -Sie werden mir zugeben, daß ein junges Mädchen mit so -schönen blonden Zöpfen, die von ihrem Papa verzogen -wird und — weint, ein Fall ist, über den man nachdenklich -werden kann.</p> - -<p>Nach einer Weile trocknete sich mein Gegenüber die -Augen, schrieb einige Worte auf einen kleinen Zettel, -stand auf und verließ das Fenster. Wenige Minuten -darauf öffnete sich die Hausthür, sie trat heraus, einen -Regenschirm in der Hand, in Hut und Mantel und -blickte nach dem Himmel. Ein reizendes Gesicht war es, -das muß ich schon sagen!</p> - -<p>Warum ich meinen Paletot ergriff und die Treppe -hinunterging, weiß ich nicht zu sagen, aber ich that es -und folgte der jungen Dame in respectvoller Entfernung, -auch mit dem Regenschirm bewaffnet.</p> - -<p>Ein plötzlicher, heftiger Windstoß faßte den Schirm -meiner Schönen und drehte ihn von innen nach außen, -er machte, wie man zu sagen pflegt, eine Tulpe daraus. -Im selben Moment stürzte der Regen mit verdoppelter -Gewalt hernieder und das Mädchen, nach einem vergeblichen -Versuch, den treulosen Beschützer wieder in seine -alte Form zu bringen, verdoppelte ihre Schritte und eilte -in einen geräumigen Hausflur, von wo sie in das tobende -Wetter hinaussah. Ich dachte: Das kann Jeder! und -nicht faul, betrat ich denselben Hausflur, zog den Hut -und postirte mich der jungen Dame gegenüber an die -Wand. Nach einer kleinen Weile trat sie an die Hausthür, -zog den rechten Handschuh ab und streckte die Hand -hinaus, um zu fühlen, ob der Regen noch nicht nachgelassen -habe. „Kein Trauring!“ dachte ich erfreut, ohne -eigentlich zu wissen, warum es mich freute.</p> - -<p>Da es noch mit aller Gewalt vom Himmel heruntergoß, -nahm das Fräulein ihren Schirm wieder vor und versuchte -ihn in die richtige Verfassung zu bringen. Es gelang -ihr aber nicht und ich hielt dies für einen Wink -des Schicksals, ein Gespräch anzuknüpfen. Mit abgezogenem -Hut trat ich bescheiden vor und bot meine Hülfe -an, die auch freundlich angenommen wurde.</p> - -<p>Daß es mir nicht gelang, den Schirm zurechtzubringen, -versteht sich von selbst. Sanfter Ueberredung wollte er -nicht weichen, ich wendete alle Gewalt an, der Tückische -aber verstand keinen Spaß, sondern brach gelassen mitten -durch. Das Fräulein sah erschrocken aus, aber nicht -zornig — durchaus nicht zornig, was ich mir mit richtiger -Menschenkenntniß als einen Beweis liebenswürdigen Temperaments -auslegte. Ich stand da wie ein armer Sünder, -stammelte ein paar Entschuldigungen und bat endlich um -die Erlaubniß, meinen Schirm als Ersatz anbieten zu -dürfen, wozu mich noch die egoistische Hoffnung stachelte, -ich würde durch Rückgabe des von mir zerbrochenen -Individuums einen Vorwand haben, um in die Burg -zu dringen, die von der blondzöpfigen Prinzessin bewohnt -war. An Abreise dachte ich schon nicht mehr, wie Sie -sehen. Aber es kam anders!</p> - -<p>„Ich danke sehr, mein Herr,“ sagte das junge Mädchen -freundlich, „ich kann Sie Ihres Schirmes nicht berauben. -Wollen Sie mir aber eine Droschke besorgen, damit ich -meinen Weg fortsetzen kann, so nehme ich es dankbar an!“</p> - -<p>Nun, das that ich natürlich und hatte die Genugthuung, -daß ein sehr liebenswürdiges „Danke“ mich belohnte, -dann, während ich, den Hut in der Hand, wie -ein Lakai mich am Schlage aufstellte, rief die junge Dame -zum Kutscher hinauf: „Nach der Zeitungsexpedition!“ Der -Schlag fiel zu — und da stand ich.</p> - -<p>Nach der Zeitungsexpedition! Was thut eine junge -Dame in der Zeitungsexpedition? Allerlei finstere Gedanken -bestürmten mich — sie wird doch nicht einen Brief -abholen, von dem der Papa nichts wissen soll? Erst Thränen, -dann Zeitungsexpedition — verdächtige Zusammenstellung!</p> - -<p>„Dahinter muß ich kommen,“ rief ich so zornig, als -wäre ich der Beichtvater der kleinen Dame.</p> - -<p>Eine Idee fuhr blitzschnell durch meinen Kopf! Ich -mußte einen Vorwand haben, auch nach der Expedition -zu gehen. Sollte ich nach Briefen fragen? Nein, das -war mit einem „Nichts für Sie!“ zu schnell abgemacht. -Also ich mußte etwas annonciren! Gedacht, gethan, ein -Blatt aus der Brieftasche gerissen und im Stehen geschrieben -wie folgt: „Ein kleiner, schwarzer Affenpinscher -mit hellblauseidenem Halsband, auf den Namen Nap -hörend, hat sich verlaufen. Der ehrliche Finder wird gebeten, -denselben gegen eine angemessene Belohnung im -Hotel zum grünen Falken, Zimmer Nr. 10, abzugeben.“ -Meine Adresse fügte ich bei, damit die Sache an Wahrscheinlichkeit -gewönne und die junge Dame nicht glaubte, -ich wollte sie nur unter einem Vorwand wiedersehen.</p> - -<p>Nun denken Sie — der arme Nap! Er mußte noch -herhalten, mußte sich angeblich verlaufen haben, um seinen -Herrn auf den richtigen Weg zu bringen! Einige Kreuz- -und Querfragen führten mich rasch nach der Expedition -des Blattes, welches, wie ich hörte, das einzige für den -ganzen Kreis, daher mit Inseraten stets sehr überhäuft war.</p> - -<p>Auch heute fand sich in dem Local eine bedeutende -Menschenmenge vor, welche fast bis an die Thür hin sich -drängte und nur langsam zum Schalter avancirte. So -sah ich denn auch meine Unbekannte gleich am Eingang -stehen, ihr Zettelchen in der Hand wartete sie geduldig auf -den Augenblick der Beförderung.</p> - -<p>Als ich sie mit ehrerbietiger Verbeugung begrüßte, -dabei etwas von „glücklichem Zufall“ murmelte, sah sie -mich überrascht an, erröthete und ein leichtes Zucken ihrer -Augenbrauen verrieth, daß sie diese zweite Begegnung für -keine zufällige hielt. Auf meine Bemerkung erwiderte sie -kein Wort, sondern sah mit einer schnellen Kopfwendung -nach der andern Seite hin. Ich that, als bemerkte ich es -gar nicht.</p> - -<p>„Denken Sie, mein Fräulein, wie traurig es mir ergeht! -Ich komme vor drei Tagen ganz fremd hier in -die Stadt und bin heute schon in der Lage, eine Annonce -in die Zeitungsexpedition zu tragen, in der ein verlorener -Besitz und ein ehrlicher Finder die Hauptrolle spielen!“</p> - -<p>Meine Nachbarin blickte rasch auf. Sie mochte fühlen, -daß sie mir Unrecht gethan — nach <em class="gesperrt">ihrer</em> Ansicht — -und ärgerte sich vielleicht ein wenig über die Eitelkeit, -welche ihr zugeflüstert, ich sei wohl ihretwegen nach der -Expedition gekommen, kurz, sie entgegnete etwas freundlicher, -sie sei in demselben Fall. Sie habe ein kleines -Schmuckstück verloren, ein liebes, unersetzliches Andenken.</p> - -<p>„So, wie es hier beschrieben ist,“ fügte sie hinzu und -reichte mir den kleinen Zettel, den ich behutsam ergriff. -„Können Sie mir wohl sagen, mein Herr, ob die Anzeige -so richtig gefaßt ist? Ich wollte zu Haus Niemand darum -fragen,“ setzte sie treuherzig hinzu, „weil — nun, weil ich -fürchtete, mein Vater könnte sehr ungehalten sein, wenn er -erführe, daß ich eben <em class="gesperrt">dieses</em> Besitzthum verloren habe!“</p> - -<p>Der Zettel enthielt in einer zierlichen Schulmädchenhand -die Anzeige, daß ein schmaler goldener Ring mit -einem Vergißmeinnicht von Türkisen darauf verloren gegangen -und gegen Belohnung T...straße Nr. 6 abzugeben -sei.</p> - -<p>„Sie können sich einige Worte sparen,“ bemerkte ich; -„mit Ihrer Erlaubniß gebe ich dem Ganzen eine geschäftsmäßigere -Form.“</p> - -<p>Sie nickte und ich ließ mit großer Geschicklichkeit das -Original des kleinen Schriftstückes in meiner Brieftasche -verschwinden, als ich dem Fräulein die Copie überreichte. -Sie schien es gar nicht zu bemerken.</p> - -<p>„Sie sagten, Sie hätten auch etwas verloren,“ begann -sie nun ihrerseits etwas schüchtern, „ist es auch ein Andenken?“</p> - -<p>„Ja, aber anderer Art,“ erwiderte ich, „<em class="gesperrt">mein</em> Andenken -hat vier Beine, einen krausen, schwarzen Pelz und -bellt — mein Hund ist mir verloren gegangen!“</p> - -<p>„Ach, wie schade,“ sagte sie bedauernd, „aber wie -kann man einen Hund verlieren!“ setzte sie vorwurfsvoll -hinzu.</p> - -<p>„Nun,“ gab ich ruhig zurück, „ebensogut, wie -man einen Ring verlieren kann, den man am Finger -trägt.“</p> - -<p>Sie lachte.</p> - -<p>„Ich hatte ihn aber abgezogen,“ erwiderte sie eifrig, -„ich wollte ihn zu dem Juwelier dort drüben tragen,“ sie -wies nach einem hübschen Laden mit großen Spiegelfenstern, -„wie ich nun hinkomme und den Ring abgeben -will — ist er fort, und ob ich ihn auf dem Wege oder -sonst wo verloren habe, weiß ich nicht.“</p> - -<p>„Ich denke, er findet sich wieder,“ tröstete ich, „und -ich für meine Person werde jetzt immer mit niedergeschlagenen -Augen umhergehen — wer weiß, ob ich nicht -das verlorene Vergißmeinnicht irgendwo treffe und dann -so glücklich bin, es Ihnen zu geben.“</p> - -<p>In diesem Augenblick wurde Platz am Schalter, die -junge Dame eilte vor, gab ihren Zettel ab und verließ -mit einer flüchtig freundlichen Kopfneigung gegen mich die -Expedition, während ich nach ihrem Verschwinden gedankenlos -mein Inserat bezahlte und mir dann überlegte, daß -es ja nun ganz unnöthig gewesen sei, meine Lüge dem -Druck zu übergeben. Doch Sie wissen, zu geschehenen -Dingen läßt sich zwar noch viel sagen, aber nichts mehr -thun. Ich ging dann meiner Wege, grübelnd und -sinnend, wie ich den angeknüpften Faden der Bekanntschaft -weiter spinnen sollte.</p> - -<p>Plötzlich fiel mir etwas ein.</p> - -<p>Ich dachte, einmal gelogen, ist nach einem alten Sprichwort -kein Mal, also wollen wir es noch ein zweites Mal -thun, und dabei mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen -— die Gelegenheit zur Fortsetzung einer Beziehung finden, -die mich schon mächtig anzog, und dem liebenswürdigen -Mädchen väterliche Vorwürfe ersparen.</p> - -<p>Schnell, um dem Gewissen nicht erst Zeit zu lassen, -mir etwas vorzubellen, betrat ich den mir von der jungen -Dame bezeichneten Juwelierladen und bat, mir verschiedene -Ringe vorzulegen. Während der Kaufmann das Verlangte -herbeiholte, durchblätterte ich rasch den auf dem -Ladentisch liegenden Adreßkalender, der mir auch bald -über Namen und Stand meines Gegenüber bereitwillig -Auskunft ertheilte.</p> - -<p>Ich hatte Recht, der Vater des Mädchens war, wie -ich vermuthete, Justizrath — leider sind die Adreßbücher -nicht ausreichend, um sonstige gewünschte Details über -eine Familie zu erfahren. Indeß ich wußte genug und -begann mein Lügengewebe zuversichtlich weiter zu spinnen.</p> - -<p>Ich suchte unter den Schmucksachen, die der freundliche -Kaufherr mir vorlegte, schüttelte den Kopf und sagte -endlich, dies sei Alles nicht was ich wollte, ich brauchte -einen bestimmten Ring.</p> - -<p>„Ich will genau denselben haben, den Fräulein W..., -die Tochter des Justizrath W... in der T...straße, -besitzt, es handelt sich um eine Wette,“ fügte ich rasch -hinzu, da der Juwelier mich erstaunt ansah und sogar -ein wenig lächelte.</p> - -<p>„Ich erinnere mich des Ringes ganz gut,“ sagte er -nun, „und ich hatte genau denselben noch einmal, habe -ihn aber meiner Tochter geschenkt, der er bei Fräulein -W... so gut gefiel.“</p> - -<p>„Das ist betrübend,“ erwiderte ich achselzuckend, „denn -ich müßte ihn bald haben. In zwei bis drei Tagen -spätestens verlasse ich die Stadt und möchte meine Wette -gern vorher noch zum Austrag bringen.“</p> - -<p>Der Juwelier besann sich ein Weilchen.</p> - -<p>„Wenn Ihnen so sehr viel daran gelegen ist,“ begann -er dann zögernd, „so könnte ich ja meiner Tochter später ein -anderes Exemplar des Gewünschten anfertigen lassen — -er ist nun freilich schon längere Zeit getragen worden und -sieht nicht mehr ganz so blank aus, wie ein neuer Ring.“</p> - -<p>„Um so besser,“ rief ich erfreut und unvorsichtig, setzte -aber dämpfend hinzu, „ich meine, das schadet nichts — -wenn Ihr Fräulein Tochter so sehr gütig sein wollte!“</p> - -<p>„Ich will mit ihr sprechen,“ bemerkte der Vater, dem -die Sache zweifelhaft schien, „vielleicht bemühen Sie sich -morgen früh noch einmal zu mir.“</p> - -<p>Ich versprach es und verließ den Laden, ärgerlich -darüber nachdenkend, wie ich nun den Tag hinbringen -werde. Nachdem ich mein schönes <em class="antiqua">vis-à-vis</em> einmal gesprochen, -konnten mich die stummen Fensterbeobachtungen -nicht mehr ergötzen, und waren gewissermaßen auch unstatthaft -geworden.</p> - -<p>In reiferen Jahren sieht man erst ein, wie thöricht es -ist, sich darüber zu beklagen, daß die Zeit nicht rasch -genug vergeht! Aber die Jugend, mit ihrem unerschöpflichen -Reichthum an zukünftigen Tagen, möchte oft das „heute“ -mit den Händen vorwärts schieben, um bald zu irgend -einem ersehnten „morgen“ zu gelangen!</p> - -<p>Nun, auch mein Tag ging dahin — und ehe ich mich’s -versah, war der Abend da und die Nacht — ich ging -auf mein Zimmer, um mich zur Ruhe zu begeben.</p> - -<p>Vorher öffnete ich noch einmal das Fenster und sah -auf die Straße und auf das Haus gegenüber.</p> - -<p>Das Wetter hatte sich aufgeklärt, ein ruhiger Mondschein -lag auf den Dächern, milde, warme Luft strich über -meine Stirn — ich konnte weiter reisen — wenn ich wollte!</p> - -<p>Ich schlief bis tief in den nächsten Morgen hinein und -trat im Traum auf einen kleinen harten Gegenstand, der -sich als ein Ring mit einem blauen Stein auswies. -Freudestrahlend will ich mich eben damit nach dem Hause -des Justizraths begeben — da klopft es an meine Thür, -und die naseweise Bemerkung: „Der Barbier ist da!“ -ruft mich aus der Traumwelt in die rauhe Wirklichkeit -zurück.</p> - -<p>Ich frühstückte eilig — es war mittlerweile elf Uhr -geworden — und wollte eben das Hotel verlassen, als -ich neben meiner Kaffeetasse die neueste Zeitung liegen sah.</p> - -<p>Hastig durchsuchte ich den Inseratentheil — richtig — -da stand der kleine, blaue Ring, und da stand Nap, im -Falken Zimmer Nr. 10 abzugeben.</p> - -<p>Sofort machte ich mich auf den Weg zum Juwelier.</p> - -<p>Der prachtvollste Sommertag, klar und warm, war -angebrochen — zu einer Gebirgsreise wie geschaffen!</p> - -<p>Ich schämte mich eigentlich, daß ich nicht reiste!</p> - -<p>Im Laden angekommen, bemerkte ich sofort an dem -lächelnden Gesicht des Inhabers, daß „Goldschmieds -Töchterlein“ wirklich so liebenswürdig gewesen sei, den -Ring herzugeben. Ich bezahlte, steckte mein neuerworbenes -Eigenthum schleunigst in die Tasche und begab mich nach -dem Hause, welches schon so lange der Gegenstand meiner -eifrigsten Beobachtungen war.</p> - -<p>Vor der Thür stand ich einen Augenblick still. Mir -sagte eine innere Stimme, daß ich mit dieser Schwelle zugleich -einen bedeutungsvollen Lebensabschnitt beträte — -und mit heiligem Schauder zog ich an dem Klingelgriff.</p> - -<p>Meine Karte, die ein sauberes Dienstmädchen hineinbeförderte, -mochte wohl Verwunderung erregen, um so -mehr, da ich nach den Damen gefragt hatte, also nicht -wohl für einen geschäftlichen Besucher gelten konnte — -aber ich wurde angenommen und befand mich bald in -einem großen, hellen Zimmer, das in einen schönen, -blumengeschmückten Gartensalon Einblick gewährte.</p> - -<p>Auf dem Sopha saß die schon erwähnte ältere Dame -— aber sonst war Niemand zu sehen!</p> - -<p>Das Schicksal schien mir durch meinen schon ganz -ausgearbeiteten Entwurf einen häßlichen Strich machen zu -wollen — indeß ich konnte nichts weiter dabei thun!</p> - -<p>Die Dame stand auf, machte mir eine Verbeugung -und sah mich fragend an.</p> - -<p>„Ich muß sehr um Entschuldigung bitten,“ begann -ich, mit einer mir durchaus neuen Verlegenheit kämpfend, -„daß ich so fremd hier einzudringen wage. Meine Kühnheit -ist nur durch einen besondern Umstand zu entschuldigen -— ich habe heute Morgen in der Zeitung gelesen, -daß eine Dame aus diesem Hause einen kleinen Ring verloren -hat — und ich bin so glücklich gewesen, denselben -wiederzufinden!“</p> - -<p>„Ach, Sophiechen’s Ring,“ rief die Dame mit sehr -freundlichem Gesicht, „das ist sehr liebenswürdig von -Ihnen, mein Herr, daß Sie sich selbst zu uns bemühen. -Das arme Kind hat sich schon soviel um den Ring gegrämt, -sie hatte ihn von der Tante Adele, die dann so -bald gestorben ist, eine Schwester der Frau Justizräthin, -die uns auch leider so früh entrissen wurde, und da -durfte gar nichts verlauten, daß der Ring verloren war, -denn der Herr Justizrath ist im Allgemeinen sehr gut, -wirklich, man kann sagen, ausnehmend gut und nun gar -zu Sophiechen ein sehr guter Papa, aber Sie wissen ja, -wie die Herren sind, sie haben alle ihre Eigenheiten und -eigen ist der Herr Justizrath auch.“</p> - -<p>Ich fand begreiflicher Weise weder Zeit noch Gelegenheit, -ein Wort einzuschieben.</p> - -<p>„Nun aber,“ fuhr die gute Dame fort, „will ich -Sophiechen holen. Sie sollen selbst sehen, was sie für -eine Freude haben wird! Sie ist ja schon ganz unglücklich -über den Ring! Nein, ich kann mich gar nicht genug -wundern, daß er wieder da ist! So ein kleines Ding, -wie leicht konnte er zertreten werden, oder bei dem Regen -gestern — er konnte in die Gosse fallen — und weg war -er! Es konnte ihn ja auch Jemand finden, der nicht -ehrlich war — es giebt zu schlechte Menschen!“</p> - -<p>Hier ging ihr glücklicherweise der Athem aus und sie -verließ mit den Worten: „Einen Augenblick, mein Herr!“ -das Zimmer, während ich meinen Ring in der Hand hielt, -mich schämte und mich freute.</p> - -<p>Es verging eine ziemliche Zeit, ehe die Dame wieder -eintrat, und dicht hinter ihr das junge Mädchen, deren -Bekanntschaft ich schon gestern gemacht.</p> - -<p>Sie stutzte, als sie mich sah, erröthete und setzte eine -kleine vornehme Miene auf. Ich wollte mich ihr eben -mit einigen erklärenden Worten nähern, als die Alte -wieder dazwischen fuhr.</p> - -<p>„Na, Sophiechen, du wirst dich wundern! Du -wunderst dich wohl schon, nicht wahr? Wie ich ihr sage, -daß sie mitkommen soll, es wäre ein fremder Herr da, -da sagt sie: „Tante, was soll ich denn drüben, du kannst -doch wohl einen fremden Herrn allein annehmen,“ denn -sie war gerade über dem Einkochen von —“</p> - -<p>„Liebe Tante,“ unterbrach sie das Mädchen freundlich, -„das kann den Herrn unmöglich interessiren!“</p> - -<p>Und dabei wandte sie sich zu mir und sah mich -fragend an.</p> - -<p>„Darf ich wissen, was es ist, wovon meine Tante sich -so große Verwunderung meinerseits verspricht?“</p> - -<p>„Ich war so glücklich,“ begann ich stockend, hielt aber -inne und überreichte ihr den Ring.</p> - -<p>Eine helle Freude flog über das reizende Gesicht und -zwei große Thränen traten ihr in die Augen. Mit ausgestreckter -Hand kam sie auf mich zu.</p> - -<p>„Ich danke Ihnen — ich danke vielmals! Sie machen -mir eine unendlich große Freude — mein lieber Ring!“</p> - -<p>Ich kam mir in dem Augenblicke wie ein ganz nichtswürdiger -Betrüger vor! Hier stand ich und nahm Dank, -Freudenthränen, freundliche Aufnahme — sogar einen -freundlichen Händedruck entgegen — für einen ganz abscheulichen -Schwindel.</p> - -<p>Ich war drauf und dran, meine Sünden zu bekennen, -und herausgeworfen zu werden, als sich die Thür auf’s -neue öffnete und der stattliche Herr des Hauses eintrat.</p> - -<p>Er blieb überrascht stehen, als er die Gruppe in der -Mitte des Zimmers erblickte.</p> - -<p>Sie — die Gruppe — sah auch nicht unbedenklich -aus! Ein verlegener junger Mann, ein erröthendes -Mädchen mit Thränen in den Augen und einem Ringe -in der Hand und eine ältere Dame, die eben hätte segnen -können!</p> - -<p>Diese Letztere stürmte indeß sofort auf den verblüfften -Justizrath ein und überschüttete ihn mit Ausrufen, Erklärungen, -Vorstellungen — bis er sich lachend die Hände -vor die Ohren hielt.</p> - -<p>„Das Kurze und Lange von der Sache ist jedenfalls, -daß Sophie ihren Ring verloren und wiederbekommen -hat und daß wir Ihnen, mein Herr, dafür zu danken -haben.“</p> - -<p>Höfliche Verbeugung! Wieder ein Dank, den ich nicht -verdiente! Ich erstickte fast daran und mußte mich nun -noch von dem Papa auf’s Sopha nöthigen lassen und -eine halbe Stunde lang mit ihm über Juristerei plaudern!</p> - -<p>Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich begreifen, -wie einem Friseur oder Schneidergesellen zu Muth sein -muß, der als Graf in ein Weltbad reist und demgemäß -behandelt wird.</p> - -<p>Ich war, wie ich schon sagte, wirklich immerfort im -Begriff, meine Larve abzuwerfen und als blamirtes, aber -ehrliches Schaf aus meinem Wolfspelz hervorzukriechen — -aber der Zauber des Augenblicks war stärker als ich — -ich blieb und schwieg.</p> - -<p>Als ich es endlich an der Zeit fand, die Familie nicht -länger vom Genuß des Mittagessens zurückzuhalten, lud -mich der Hausherr in freundlicher Weise ein, den Abend -bei ihnen zu verleben, was ich tief beschämt, aber äußerlich -mit schöner Fassung annahm.</p> - -<p>So war ich denn nun durch die Dornenhecken gänzlicher -Unbekanntschaft in das verzauberte Schloß gedrungen, -aber das Ritterschwert, welches mir den Weg zur Prinzeß -Dornröschen gebahnt hatte — war eine Lüge! Mit -einem Seufzer und dem alten Wort, daß der Zweck die -Mittel heilige, sang ich mein Gewissen in Schlaf, und -kehrte in den Gasthof zurück.</p> - -<p>Im Hausflur stand ein Mann in einer blauen Jacke, -mit einer groben Physiognomie, er trug einen kleinen -schwarzen Hund auf dem Arm. Ich achtete nicht auf -ihn, sondern begab mich auf mein Zimmer, um mich angenehmen -Erinnerungen und noch schöneren Erwartungen -zu überlassen.</p> - -<p>Leises Pochen an der Thür schreckte mich auf.</p> - -<p>Auf mein „Herein!“ erschien zuerst der wohlfrisirte -Oberkellner, hinter ihm der Mann in der blauen Jacke -mit dem Hunde, den ich beim Eintreten bemerkt hatte. -Der Letztere trat einen Schritt näher und indem er das -Thier am Genick faßte und mir mit vorgestrecktem Arm -entgegenhielt, sagte er:</p> - -<p>„Ich wollte fragen, ob das der Hund ist, den Sie -verloren haben?“</p> - -<p>Meine Empfindungen sind schwer zu beschreiben! Lachlust -und Beschämung kämpften heftig in mir — die greifbaren -Folgen der <em class="gesperrt">zweiten</em> Lüge machten sich bemerklich.</p> - -<p>„Nein,“ sagte ich kurz, „das ist nicht mein Hund!“</p> - -<p>„Am Ende doch!“ bemerkte der Fremde, „er ist ja -schwarz und klein!“</p> - -<p>Hierbei setzte er das Thier auf den Boden und schien -es nicht wieder an sich nehmen zu wollen. Die kleine, -höchst gemein aussehende Creatur fuhr, wahrscheinlich durch -schlechte Behandlung gereizt, sofort bellend und schreiend -auf mich ein und schnappte in höchst ungemüthlicher Weise -nach meinen Stiefeln.</p> - -<p>„Sehen Sie, er kennt Sie!“ sagte das blaujackige -Individuum mit der größten Frechheit, „ich bitte um die -Belohnung, die in der Zeitung —“</p> - -<p>„Das ist doch zu stark!“ rief ich nun meinerseits geärgert, -„dieses Thier habe ich nie gesehen, es beißt mich, -und Sie wollen von mir noch eine Belohnung? Dort -ist die Thür!“</p> - -<p>Der Mann rührte sich nicht.</p> - -<p>„Nun, dann bitte ich mir wenigstens ein Trinkgeld -aus — ich habe zwei ganze Stunden hier auf Sie gewartet -und meine Zeit kostet Geld!“</p> - -<p>„Nemesis!“ dachte ich und gab ihm, um es kurz zu -machen, ein Geldstück, worauf er den Hund wieder wie -ein Bündel Lumpen ergriff und mit einem höhnischen -Kratzfuß das Feld räumte.</p> - -<p>Im Laufe des Nachmittags erschienen noch zwei Frauen -und ein großer schurkischer Junge, die Alle Hunde brachten -— der Junge sogar einen weißen! — und die mit -Jammern und Grobheiten Futterkosten, Wartegeld und wer -weiß was sonst noch von mir erpreßten. Aber der Abend -sollte mich für diese Mühsal belohnen.</p> - -<p>Ich saß in dem hübschen Garten drüben bei meinen -neuen Freunden, und wir plauderten so gemüthlich, als -kennten wir uns schon seit langer Zeit.</p> - -<p>Dann ging Sophie in den Gartensaal und sang uns -ein Lied; der Vater sah vergnügt dazu aus — und ich -— nun ich war auch ganz befriedigt von meiner Lage. -Aber Eins wußte ich schon an diesem Abend ganz genau, -daß meine Bekanntschaft mit Sophie nicht umsonst durch -einen Ring angefangen hatte — wenn es nach mir ging, -sollten noch mehr Ringe in unseren gegenseitigen Beziehungen -eine Rolle spielen. Also, es geht manchmal -schnell mit solchem Entschluß, wie dies Beispiel zeigt!</p> - -<p>Den nächsten Tag verbrachte ich wieder fast ganz im -Hause des Justizraths, wir hatten sogar eine Art Verwandtschaft -aufgestöbert, die zwischen einer Großmutter -meiner Stieftante und einem Onkel des Justizraths bestanden -haben konnte — ich hatte also gewissermaßen ein -Recht, dort zu sein!</p> - -<p>Nun, und es traf sich so, daß ich am dritten Abend -mit Sophie und der Tante im Gartensaal saß und die -Letztere abgerufen wurde.</p> - -<p>Jetzt, werden Sie denken, hätte ich meinen schnell erblühten -Gefühlen gleich Worte gegeben? O nein, so von -selber ging das nicht! Ich mußte noch gehörig durch die -Traufe.</p> - -<p>Wir saßen in etwas stockender, verlegener Unterhaltung -zusammen, wie das so leicht kommt, wenn man mehr zu -sagen wüßte, als recht angehen will — da stürzt freudeglühenden -Antlitzes die Magd des Hauses herein.</p> - -<p>„Na, Fräulein Sophie, Sie werden sich aber freuen! -Ich bin in Ihrer Stube und nähe und da fällt mir der -Fingerhut auf die Erde und kollert unter den großen -Schrank. Ich hole mir den Johann und wir rücken den -Schrank etwas beiseite und was finde ich? — Ihren Ring, -den Sie so gesucht haben!“</p> - -<p>Prosit die Mahlzeit!</p> - -<p>Ich weiß kaum anzugeben, was ich in dem Moment -dachte. Mein Hauptgefühl war lebhaftes Bedauern, daß -die Wohnungen wohlhabender Privatleute keine Versenkungen -haben, in denen man in so entschieden blamablen -Augenblicken verschwinden könne.</p> - -<p>Sophie war ganz ruhig, nur sehr blaß geworden. -„Ich danke, Christiane, es ist mir sehr lieb, daß der Ring -da ist — Sie können gehen!“</p> - -<p>Die Magd verschwand, augenscheinlich sehr verblüfft -über die ruhige Aufnahme dieses freudigen Ereignisses.</p> - -<p>Sophie wandte sich zu mir, ihre Stimme zitterte etwas.</p> - -<p>„Ich darf Sie wohl bitten, Herr Doctor, mich über -dies sonderbare Zusammentreffen aufzuklären und — Ihr -Eigenthum wieder an sich zu nehmen!“</p> - -<p>Bei diesen Worten streifte sie langsam den Ring, den -ich gefunden haben wollte, vom Finger und hielt ihn -mir hin.</p> - -<p>Und ich? Nun ich that, was ich gleich hätte thun -sollen — ich beichtete ehrlich, demüthig, zerknirscht, wie -sie mich interessirt hätte, ehe ich ein Wort mit ihr gesprochen, -wie lebhaft ich gewünscht, in das Haus ihres -Vaters zu kommen, wie ich dann im Moment die ganze -Finte ersonnen und, einmal drin, nicht wieder herausgekonnt -hätte. Und dann bat ich sie flehentlich, den Ring -zu behalten und wurde immer eifriger und beredter und -sagte schließlich Alles heraus, daß ich den Ring nur dann -wiedernehmen würde, wenn ich ihn mit einem andern vertauschen -dürfte — mit dem Verlobungsring!</p> - -<p>Und daß mir verziehen wurde, beweist Ihnen die -Thatsache, daß der wirkliche Ring noch heut hier an -meiner Uhrkette hängt — sehen Sie, das ist er! und daß -Sophie seit einer langen Reihe von Jahren meine Frau -ist. Um aber noch einmal auf den Verlobungsmoment -zurückzukommen, so saßen wir ganz stillvergnügt zusammen, -als plötzlich der Diener erschien und mir ein Telegramm -überreichte.</p> - -<p>Erschrocken und überrascht öffnete ich dasselbe. Es war -von meinen Tanten und lautete:</p> - -<p>„Anzeige im Kreisblatt unnöthig, Nap ist hier!“ Daß -nun die Hundegeschichte auch noch an den Tag kam, daß -Abends, als die Gesundheit des Brautpaares getrunken -wurde, der Schwiegervater meine ganze Schlechtigkeit erfuhr, -das können Sie sich denken.</p> - -<p>Aber sehen Sie, es kann manchmal schnell gehen mit -dem Kennenlernen und Verloben und es hält doch.“</p> - -<p>Der Zug begann langsamer zu fahren.</p> - -<p>„Leben Sie wohl, meine jungen Damen,“ sagte der -liebe, alte Herr mit seinem freundlichsten Lächeln, „vergeben -Sie, wenn Ihnen meine Geschichte zu lang war, -und nehmen Sie ja kein Beispiel daran! Immer geht’s -nicht so gut ab mit dem Lügen und dann ist es doch -sehr unangenehm, wenn es an’s Licht kommt!“</p> - -<p>Der Zug hielt an, der alte Herr verließ uns und ich -habe ihn seitdem nicht wieder gesehen. — Aber noch heute -besteige ich keinen Dampfwagen ohne die leise Hoffnung, -den silbernen Kopf meines alten Herrn mir entgegenglänzen -zu sehen und ihn noch einmal lachen zu hören!</p> -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2><a name="Glueck_muss_man_haben" id="Glueck_muss_man_haben">Glück muß man haben!</a></h2> - -<p class="first">„Und wenn Sie, verehrtester Herr Amtsrath, meiner -Werbung nicht durchaus abgeneigt sein sollten, so darf -ich wohl die ergebene Bitte aussprechen, die Inlage Ihrer -Fräulein Tochter zu übergeben und mir, in freundlicher -Rücksichtnahme auf die Verhältnisse, Ihre Antwort womöglich -noch im Laufe des heutigen Tages zugehen zu -lassen, was sich ja bei der fast stündlichen Eisenbahnverbindung -zwischen hier und Frankenberg sehr wohl ermöglichen -läßt.“</p> - -<p>Mit diesen Worten schloß der Lieutenant Fritz Sterneck -seinen Brief, steckte ihn ins Couvert, schrieb die Adresse: -„An Herrn Amtsrath Solgers in Neu-Tessin bei Frankenberg“ -und legte das bedeutungsvolle Schriftstück mit einem -erleichterten „So“ vor sich auf den Tisch.</p> - -<p>Die Lampe, welche diesen Tisch beleuchtete, kämpfte -schon in unschöner Mattigkeit gegen den jungen Sommermorgen -— noch dazu einen Sonntagsmorgen — der -frisch, duftig und noch in leichten Frühnebel verhüllt über -der schlafenden Stadt emporstieg.</p> - -<p>Fritz löschte das Licht, welches ihm zu seiner nächtlichen -Schreiberei gedient hatte, und nahm mit dem seltsamen -Gemisch von nüchterner Müdigkeit und nervöser -Erregung, welches wir in dieser allerfrühesten Morgenstunde -so leicht empfinden, am geöffneten Fenster -Platz. Es schien ihm kaum mehr der Mühe zu lohnen, -den Schlaf noch einmal aufzusuchen; er blickte, den Kopf -in die Hand gestützt, gedankenvoll auf den leeren Marktplatz -zu seinen Füßen und unwillkürlich drängte sich ihm -die Frage auf, ob wohl jedem Bräutigam nach der Abfassung -des Werbebriefes so — ja so richtig nüchtern zu -Muthe sei? Oder lag es bei ihm in den besonderen Verhältnissen?</p> - -<p>Er stand gewissermaßen in doppelter Hinsicht auf dem -Sprunge. Sein Abschied vom Militair war eingereicht -und er trat bis zur Bewilligung desselben am nächsten -Tage einen Urlaub an, um sein väterliches Gut selbst zu -übernehmen, auf welchem er aufgewachsen, und an dem -ihm jeder Zoll Boden bekannt war.</p> - -<p>Ebenso bekannt war ihm die Familie eines Gutsnachbarn -seiner Eltern, des etwas gewaltthätigen Amtsraths Solgers, -seiner schüchternen, graublonden Frau, und seiner noch -schüchterneren und noch graublonderen Tochter Amalie.</p> - -<p>Nach der Meinung und Ansicht der Seinigen konnte -Fritz gar nichts vernünftigeres thun, als Amalien zu -heirathen — „die Aecker grenzten nachbarlich zusammen, -die Herzen stimmten überein“ — oder wenn sie es nicht -thaten, so war dies, wie ältere Leute oft zu sagen und -an Beispielen zu erläutern lieben, durchaus kein Grund, -warum die Besitzer dieser Herzen nicht äußerst glücklich -mit einander werden sollten.</p> - -<p>Fritz war im Grunde seiner ehrlichen Seele, trotz eines -hin und wieder hervorbrechenden knabenhaften Uebermuthes, -ein ganz klein wenig Philister — das heißt Familienphilister! -— was man daheim für gut und wünschenswerth -erklärte, hatte er bis jetzt auf Treu und Glauben -ebenfalls dafür hingenommen, und so war ihm auch Amalie -Solgers immer als etwas gutes und wünschenswerthes -geschildert und erschienen. Immer — bis heute Morgen, -wo er sich entschlossen hatte, um sie zu werben!</p> - -<p>Als er, den großen Entschluß couvertirt und adressirt -vor sich auf dem Tische, in den herrlichen jungen Tag -hinausblickte, der in seinen halb durchsichtigen Wolkenschleiern -die waldigen Hügel des nahgelegenen Höhenzuges -bald zeigte und bald verbarg — da überfiel ihn mit plötzlicher -Traurigkeit das Bewußtsein, <em class="gesperrt">was</em> ihm eigentlich -fehle! So duftig, so unbegrenzt und unbestimmt in Form -und Umriß muß nicht nur die Frühstunde eines schönen -Tages — nein auch die Morgenstunde des Lebens sein, -wenn sie nicht ihren Zauber verlieren soll! Der Reiz der -<em class="gesperrt">Ungewißheit</em> war es, der seinem Zukunftsbilde mangelte -— es lag nicht vor ihm, wie eine blaue Ferne im Frühlicht, -die man mit ahnungsvollem Entzücken, unbekannten -Abenteuern entgegen, betritt — sein Schicksal glich einem -kleinen, prosaischen Pachterhof im Mittagssonnenschein, abgegrenzt, -durch und durch alltäglich — und nur <em class="gesperrt">dem</em> -begehrenswerth, der die ersten Schaumperlen vom Lebensbecher -schon getrunken hat!</p> - -<p>Er versuchte, sich einzureden, daß nur die schlaflose -Nacht es sei, die ihm sein neues Glück in so überwachter, -mattfarbiger Beleuchtung zeige, und griff nach der Mütze, -entschlossen, den mahnenden und grollenden Stimmen in -seinem Innern durch eine vollendete Thatsache, d. h. durch -Abschicken des Briefes, Schweigen zu gebieten.</p> - -<p>Während er das Couvert noch in der Hand hielt, und -zweifelhaft betrachtete, wurde ihm klar, daß vor dem -späten Abend auf Antwort nicht zu rechnen sei, selbst angenommen, -daß sein zukünftiger Schwiegervater in der -Laune sein sollte, ihm sofort ein „Ja“ oder „Nein“ zuzurufen -oder besser zuzudonnern; der Amtsrath war, wie -gesagt, ein gewaltthätiger Herr und hatte eine seinem Temperament -entsprechende Stimme, vermittels derer er die sanften -Einwürfe seiner Frau und Tochter einfach todtschrie.</p> - -<p>Im günstigsten Falle einen ganzen Tag lang auf solchen -Bescheid zu warten hat um so weniger etwas Verlockendes, -wenn die Zeit einem Sonntage angehört. Das dunkle -Gefühl, daß dies der letzte Sonntag ungebundener Freiheit -für ihn sei, daß er vielleicht vor Ablauf der Woche schon -als mäßig beglückter Verlobter an der Seite der blassen -Amalie mit der stets etwas duldenden und leidenden Miene -sitzen werde, bewirkte, daß unser Held aufsprang und schnell, -ohne viel zu überlegen, einen grauen Civilanzug statt seiner -Uniform anlegte, mit dem Entschlusse, diesen „letzten Sonntag“ -noch auf irgend eine Weise auszunützen, und sich als -Spielball dem lustigen Dämon Zufall in die Hand zu -geben, der es vielleicht gut genug mit einem ehrlichen Gesellen -meinte, um ihm vor Thoresschluß noch einen amüsanten -Tag zu gönnen.</p> - -<p>„Aber der Brief muß fort,“ sagte Fritz vor sich hin, -während er sich anschickte, das Haus zu verlassen, „denn -sonst bleibt die Geschichte wieder wochenlang liegen, und -ich möchte nun endlich einmal damit ins Reine kommen.“</p> - -<p>Bei diesen Worten trat er auch schon auf den Marktplatz -hinaus, an dessen Eckladen ihm ein Briefkasten einladend -entgegenwinkte.</p> - -<p>Als Fritzens Werbung in dem breiten Spalt des Kastens -verschwunden war, erhob er die Augen und erblickte zwei -weibliche Gestalten, welche an ihm vorbei über den Platz -gingen.</p> - -<p>Es fiel ihm auf, daß die Damen zu so früher Stunde -das Haus verließen, und sein Interesse an ihren Beweggründen -wuchs mit großer Schnelligkeit, als er bemerkte, -daß eine der beiden Spaziergängerinnen ein junges Mädchen -von ganz besonderer Anmuth war. Der breitrandige -Strohhut warf zwar über den oberen Theil ihres Gesichts -einen leichten Schatten, vermochte aber nicht zu verbergen, -daß zwei blitzende, dunkelblaue Augen sich als Licht in -diesem Schatten befanden. Den Augen entsprechend trug -das ganze Gesicht, ja die ganze Erscheinung des Mädchens, -welches eben der Schule entwachsen zu sein schien, -ein unverkennbares Gepräge furchtlos schelmischen Uebermuthes -und Frohsinnes, dabei hatte sie eine gewisse vogelähnliche -Beweglichkeit in der Art, wie sie ihren zierlichen, -blonden Kopf nach allen Seiten drehte und mit der naiven -Neugier eines Kindes überall umhersah. Sie trug einen -ziemlich großen Arbeitskorb mit festschließendem Deckel am -Arme; dieser und ein kreuzweis über der Brust zusammengestecktes -weißes Tuch gaben ihr ein gewisses sehr reizvolles -Rokokoansehen, welches unseren Fritz unwillkürlich an -Friederike von Sesenheim gemahnen wollte.</p> - -<p>Die Begleiterin der jungen Schönheit war eine sehr -wohlbeleibte Dame mit einem unendlich gutmüthigen breiten -Gesicht, welches in Form und Ausdruck den Abbildungen -der Sonne in manchen Bilderbüchern glich. Gleichwohl -bekam dieses Gesicht durch einen leisen Bartanflug auf -der Oberlippe, sowie durch einen Hut, der sich scheinbar -durch Zauberei, jedes Bindemittel verschmähend, auf ihrem -Haupte erhielt, einen gewissen Anstrich von energischer -Unternehmungslust.</p> - -<p>Fritz schloß aus dem Körbchen, welches das junge -Mädchen am Arme trug, daß die Damen sich nach einem -der Kaffeegärten zu begeben im Begriff standen, welche, in -der Vorstadt gelegen, häufig zu solchen Morgenausflügen -benutzt wurden, wenn auch selten zu so früher Stunde. -Er folgte in gemessener Entfernung und trat mit einem -gewissen Vergnügen in die Spuren sehr zierlicher Absatzstiefelchen, -welche die junge Dame in dem Sande der -Promenadenanlagen hinterließ.</p> - -<p>An der nächsten Ecke wandten sich die Spaziergängerinnen -nach rechts, Fritz that ein Gleiches und befand -sich auf einem freien Platze, einer zahlreichen, munter -durcheinander sprechenden Gesellschaft gegenüber, die, um -einen Omnibus gruppirt, sich entschieden zu einer Landpartie -rüstete. Die energische Dame mit ihrer reizenden Tochter, -Nichte, Pflegebefohlenen, was sie auch sein mochte, wurde -freudig und zugleich wegen der Verspätung vorwurfsvoll -begrüßt, wobei Fritzens scharfes Ohr es auffing, daß die -junge Dame Lotte hieß, und man schickte sich an, den -Wagen zu besteigen.</p> - -<p>Fritz entwarf, als guter Stratege, blitzschnell seinen -Plan und ging als schlechter Diplomat an dessen Ausführung, -ohne sich Zeit zur Ueberlegung zu lassen. Er -mischte sich mit edler Dreistigkeit, ohne ein Wort zu sprechen, -unter die Gesellschaft, und als ein sehr geschniegelter, sehr -blonder junger Mann eben im Begriff stand, seinen Platz -neben Fritzens Schönheit einzunehmen, schob letzterer ihn -mit einem höflichen „erlauben Sie“ zurück und nahm, -seinen Hut artig lüftend, die Stelle des grenzenlos Verblüfften -ein.</p> - -<p>Für wenige Sekunden bemächtigte sich eine solche wort- -und bewegungslose Ueberraschung der Gesellschaft, daß ein -Unparteiischer in Versuchung gekommen wäre, Fritzens -hübsches, biederes Gesicht für ein Medusenhaupt zu halten. -Aber der unheimliche Zauber löste sich schnell, und ein -älterer, jovial aussehender Herr mit einem grauen Vollbart -trat mit den Worten auf unseren Helden zu: „Mein -Herr, darf ich Sie wenigstens bitten, uns zu sagen, <em class="gesperrt">wen</em> -wir die Ehre haben, in unserer Mitte zu sehen?“</p> - -<p>Fritz, Erstaunen und sogar leichte Entrüstung heuchelnd, -erwiderte mit großer Unbefangenheit: „Ich sehe eigentlich -keinen Grund dafür, mein Herr, jeder Mensch hat doch -das Recht, einen Omnibus zu einer kleinen Spazierfahrt -zu benutzen, ohne sofort über sein <em class="antiqua">Curriculum vitae</em> befragt -zu werden!“</p> - -<p>Der düstere und kampfesmuthige Ausdruck, der sich -bei der ersten Hälfte von Fritzens Entgegnung über die -männlichen Gesichter in der Gesellschaft verbreitet hatte, -wich nach und nach dem ironischen Lächeln der Ueberlegenheit; -„der wird einen guten Schreck bekommen,“ -stand in leserlicher Schrift auf den Mienen der Anwesenden. -Auch der alte Herr, welcher der Festordner bei dieser -Vereinigung zu sein schien, lächelte.</p> - -<p>„Sie sind im Irrthum, mein Herr, dieser Omnibus -ist von uns für den heutigen Tag gemiethet und zu einem -gemeinsamen Ausfluge im geschlossenen Kreise bestimmt.“</p> - -<p>Der durchaus nicht überraschte Fritz war sofort ganz -Beschämung und Schrecken, er entschuldigte sich bei jedermann -und der dazu gehörigen Frau, er bedauerte auf’s -lebhafteste, ahnungslos einen solchen <em class="antiqua">faux pas</em> gemacht zu -haben, und war, wie er versicherte, schon bestraft, indem er -eine ziellose Spazierfahrt, zu der ihn der schöne Morgen verlockt, -nun aufgeben und bescheiden in seine heiße Stadtwohnung -zurückkehren werde.</p> - -<p>Fritz konnte wirklich <em class="gesperrt">sehr</em> liebenswürdig sein! Auch -bei diesen Entschuldigungen entwickelte er so viel Artigkeit -und Gewandtheit, daß sich das Vorurtheil der Gesellschaft -fast ausnahmslos für ihn entschied, was er schlau genug -war, zu bemerken. Nur der blonde junge Mann, den er -von der Seite des schönen Mädchens verdrängt hatte, sah -düster und drohend aus und schielte zornig auf unseren Helden.</p> - -<p>Nach einer leise geführten Berathung mit den einflußreichsten -Mitgliedern der Gesellschaft trat der ältere Herr -wieder auf Fritz zu und forderte ihn freundlich auf, da -er nun einmal in ihren Kreis gekommen sei, den Platz im -Wagen zu benutzen und mit ihnen zu fahren. Fritz, dessen -Uebermuth durch die ganze Situation sowohl, als durch -die etwas kleinbürgerlichen Allüren eines Theils der Gesellschaft -gestachelt war, stellte sich, um zu seinen neuen -Bekannten zu passen, auf seinen Civilanzug hin keck als -Kaufmann Schröter vor, und nahm mit den Gefühlen eines -großen Jungen, der hinter die Schule geht, glückselig neben -der reizenden Lotte Platz. Er benutzte die wenigen Minuten -bis zur Abfahrt dazu, sein Herz gänzlich an das feine -Gesichtchen neben sich zu verlieren, noch ehe er eigentlich -mehr als zehn Worte mit der Eigenthümerin desselben gewechselt -hatte. Das Mädchen antwortete auch vor der -Hand nur in schüchterner, kurzer Weise und erröthete jedesmal -sehr lieblich, wenn Fritzens Augen mit unverhohlener -Bewunderung auf ihr ruhten.</p> - -<p>Bald aber verflog ihre Befangenheit, und als der -Wagen die Stadt verlassen hatte und zwischen blühenden -Saatfeldern hinaus auf das Land zu rollte, plauderten -die beiden schon so lustig und harmlos mit einander, als -hätten sie sich Jahre lang gekannt. <em class="gesperrt">Was</em> zwei junge Leute, -die großes Gefallen aneinander finden, sich an einem -schönen Morgen auf einer Landpartie erzählen, darauf -kommt es gar nicht an, das <em class="gesperrt">wie</em> ist die Hauptsache!</p> - -<p>Und <em class="gesperrt">wie</em> konnte Fritz heute sprechen und parliren! Er -entdeckte in der frohen Erregtheit des Augenblickes eine -ungeahnte Fundgrube von guten Einfällen in seinem Innern, -er hatte nie gewußt, daß es ihm gegeben war, -gefühlvolle Andeutungen in so leichter, gefälliger Form -anzubringen, es war ihm noch nie gelungen, ein so reizendes -Rosenroth auf einem Mädchengesicht durch seine Worte -hervorzurufen, mit einem Wort, er war noch nie verliebt -gewesen, dafür war er es jetzt intensiver, als er selbst -wußte! Und auch seine allerliebste Nachbarin schien dem -Reiz des Augenblicks nicht ganz unzugänglich, die Unterhaltung -der beiden gerieth nie ins Stocken.</p> - -<p>Fritz vermied — er wußte nur zu gut, warum — -jedes Eingehen auf seine persönlichen Verhältnisse, obwohl -er seine Lüge schon zu bereuen begann. Er hätte am -liebsten seine Identität mit dem ernsthaften, überlegten -jungen Mann ganz vergessen, der seit heute Morgen im -Begriff stand, eine „Vernunftsheirath“ zu schließen. So -viel stand bei ihm schon nach der ersten Stunde, der -größeren Hälfte der zurückzulegenden Tour, fest, hätte er -die Landpartie oder besser die Bekanntschaft seiner anmuthigen -Nachbarin <em class="gesperrt">vor</em> der Abfassung des heutigen Briefes -gemacht, so wäre derselbe nicht geschrieben worden.</p> - -<p>Er bedurfte in doppelter Beziehung der Vorsicht, um -sich nicht zu verrathen, er mußte, um die Situation nicht -zu verwickeln, nicht Lieutenant Sterneck sein, sondern Kaufmann -Schröter, und er durfte nicht daran denken, daß -sein Werbebrief jetzt, vielleicht in diesem Augenblicke, vom -Postboten aus dem Kasten genommen und zur Eisenbahn -befördert wurde. Beide Umstände boten einige Schwierigkeit, -sowie die Unterhaltung auf ihn selbst kam.</p> - -<p>Seine kleine Nachbarin war um so offenherziger, sie -hatte nichts zu verbergen. Seit Ostern war sie aus der -Schule entlassen und nun bei ihren Eltern zu Haus. Auf -die heutige Landpartie hatte die Tante — sie wies auf -ihre Nachbarin mit dem Schnurrbärtchen — sie mitgenommen, -sonst war sie noch wenig aus dem Hause gekommen.</p> - -<p>„Die Tante meint es sehr gut mit mir,“ fügte sie dankbar -hinzu, „sie weiß, daß ich zu Hause mit den vielen kleinen -Geschwistern tüchtig zu thun habe, und nimmt mich öfters -gegen Abend mit spazieren. Sie ist eine Wittwe und gewöhnlich -ganz allein. Mich hat sie sehr lieb, und wenn -sie nächsten Winter auf einen Ball geht, soll ich mitkommen, -und sie will mir ein weißes Kleid und rosa Rosen dazu -schenken. Aber was ich Ihnen alles erzähle,“ brach sie -erröthend ab, „ich freue mich nur schon so sehr darauf -und vergesse ganz, daß Sie mich noch gar nicht kennen.“</p> - -<p>„Ich denke, ich kenne Sie sehr gut,“ sagte Fritz lachend, -„und wenn Sie mich etwa nicht kennen wollen, so ist das -sehr undankbar von Ihnen! Wüßten Sie, was ich alles -heut gewagt habe, um diesen Tag in Ihrer Nähe zu -verleben!“</p> - -<p>Sie sah ihn verwundert und fragend an; ach, wie -mit jedem Blick dieser klaren, dunkelblauen Augen Amaliens -Aktien sanken!</p> - -<p>„Ja, ja, sehen Sie nur nicht so erstaunt aus! Ich -muß Ihnen beichten; denken Sie wirklich, daß ich nicht -wußte, was ich that, als ich, ohne zu fragen, in Ihren -Kreis hineinplumpte, wie der Zucker in den Kaffee? War -ich nicht schon eine halbe Stunde vorher hinter zwei Damen -hergegangen, vom Markte auf die Kronenstraße, von der -Kronenstraße über den Wall, vom Wall nach dem Omnibus, -und wußte ich nicht, daß eine dieser Damen wiederzusehen -oder gar mit ihr bekannt zu werden für mich das größte -Glück“ — hier fiel ihm sein Brief an den Amtsrath ein -— er stockte und fuhr verwirrt fort: „Mit einem Wort, -mein Fräulein, ich habe Ihretwegen gelogen, schmählich -gelogen, ich wußte ganz genau, daß ich bei Ihnen und -den Ihrigen gar nichts zu suchen hatte und daß um diese -Zeit des Morgens noch gar kein öffentlicher Omnibus -fährt — und nun sagen Sie, daß Sie <em class="gesperrt">sehr</em> böse sind!“</p> - -<p>„Sehr!“ erwiderte sie, ohne aufzublicken.</p> - -<p>„Soll ich herausspringen und zu Fuß nach Hause -gehen? Oder noch besser, soll ich so lange neben dem Wagen -herlaufen, bis Sie mir verziehen haben und mich wieder -hereinrufen? Sie haben nur zu befehlen!“</p> - -<p>„Und wenn ich den Befehl gäbe,“ sagte Lottchen verwirrt -und lachend, „würden Sie ihn ja doch nicht ausführen!“</p> - -<p>„Denken Sie, daß ich um Ihretwillen nicht noch ganz -andere Dinge thäte?“</p> - -<p>Fritz war auf gutem Wege, das muß man sagen! -Aber das ungestörte Lachen und Plaudern der beiden sollte -ein Ende finden. An der anderen Ecke des Wagens, der -Tante gegenüber, saß jener Blonde, den Fritz so rücksichtslos -verdrängt hatte. Er schien ein Protegé von -Lottens mütterlicher Freundin zu sein, und beide beobachteten -unser Paar unaufhörlich, wobei die Augen des -Blonden mit den Wagenrädern förmlich um die Wette -rollten.</p> - -<p>Plötzlich erhob sich die Tante, wankte wie eine stattliche -Fregatte zwischen den Sitzenden hindurch, wobei -verschiedene Stöße des Wagens sie als solides Schoßkind -bald dem einen, bald dem anderen auf die Knie setzten, -und langte mit den Worten bei Lotte an: „Liebes Kind, -wechsele doch den Platz mit mir, der Wind bläst mir ins -Gesicht.“</p> - -<p>Mit einem fast unmerklichen Zögern erhob sich die -kleine Schönheit und begab sich an die Stelle der intriguanten -Tante, welche mit durchbohrenden Blicken neben -dem verblüfften Fritz sich niederließ.</p> - -<p>„Nun, wie gefällt Ihnen unsere Landpartie, Herr -Schröter?“ fragte sie sofort.</p> - -<p>„Bis jetzt ausgezeichnet,“ sagte der doppelzüngige Fritz -und blickte forschend nach der anderen Ecke, wo der Blonde -eine eifrige Konversation ins Werk zu setzen begann.</p> - -<p>Die Tante betrachtete indeß aufmerksam unseren -Helden, und sanftere Gefühle begannen ihr Herz zu bewegen.</p> - -<p>„Er sieht wirklich sehr gut aus,“ dachte sie, „und -wer weiß, ob unser Lottchen nicht hier ihr Glück macht! -Ich muß ein wenig auf den Busch klopfen, und ist er ein -ordentlicher Mensch in angenehmer Lage, so kann man -ja weiter sehn!“</p> - -<p>Die gute alte Tante stiftete für ihr Leben gern Heirathen, -wie alle guten alten Tanten, und indem sie, ihrer Meinung -nach sehr vorsichtig und unmerklich, unseren Fritz -auszuforschen begann, entspannen sich die weitaussehendsten -Pläne in ihrem Kopfe.</p> - -<p>Während Fritz, der ihre Absicht mit höchlichem Ergötzen -durchschaute, ihr in der vertraulichsten Weise von -seinem einträglichen Kolonialwaarengeschäft erzählte und -Kaffeeproben zu senden versprach, mit denen sie wohl zufrieden -sein sollte, während er in dieses übermüthige Lügengewebe -die liebenswürdigsten kleinen Schmeicheleien und -Anspielungen auf ihre reizende Nichte einflocht, mit denen -je eine arglose Tante gefangen wurde, sah sich die wohlwollende -Dame schon im Geiste in einem violetten Seidenkleide -an der Hochzeitstafel sitzen, und hörte, wie der gerührte -Brautvater ans Glas schlug und sie, die Tante, -als Begründerin dieses jungen Glückes hoch leben ließ, -denn hätte sie Lotte nicht mit auf die Landpartie genommen, -so wäre ihr der hübsche und vermögende Bewerber -vielleicht, nein gewiß, nie begegnet.</p> - -<p>Um nun das Ihrige bei der Sache zu thun, erzählte -sie dem aufhorchenden Fritz mit geheimem Stolze, wie -häuslich und fleißig Lottchen erzogen worden, wie sie für -jeden Mann ein wahrer Schatz sein würde, „und,“ fügte -sie bedeutungsvoll hinzu, „so jung das Kind noch ist, -sie hat schon einen recht wohlhabenden Freier, sehen sie -wohl, Herr Schröter, den jungen Mann, der ihr gegenüber -sitzt? Ich sage Ihnen, sie brauchte nur mit den Augen -zu winken und er hielt morgen um sie an! Aber Lottchen -hat ihren Kopf für sich, und ...“</p> - -<p>Hier hielt der Wagen mit einem gewaltigen Ruck und -der Redefluß der Eifrigen gerieth ins Stocken. Das Ziel -der Fahrt war erreicht, bald vereinigte ein vergnügtes -Mahl die Gesellschaft, bei dem Fritz, Dank sei es dem -Glück und der Tante, seinen Platz neben Lottchen fand.</p> - -<p>Während unser Held, mit jedem Moment tiefer in die -Empfindung hineingerieth, deren erstes Keimen ihn heute zu -seiner folgenreichen Lüge verleitet hatte, behielt er gleichwohl -den Kopf noch frei genug, um sich beim Beobachten -der Versammlung mit einiger Beschämung zu gestehen, daß -sein Uebermuth hier gar nicht am Platze gewesen, und daß -er ruhig in seiner wahren Gestalt hätte erscheinen können, -ohne sich etwas zu vergeben. Eine harmlose, maßvolle -Heiterkeit belebte den kleinen Kreis, und jeder genoß auf -seine Weise die frohe Stunde bei gutem Wein und in der -hübschen Umgebung.</p> - -<p>Fritz nicht am wenigsten! Aus dem scherzenden, neckischen -Tone von unterwegs war er mit seiner Tischnachbarin -allmählich in das Geleise einer ruhigen Unterhaltung gekommen, -in der sich das anziehendste aller Bilder, eine -kindlich klare und reine Mädchenseele, vor seinen Augen -aufrollte. Ihre Lebensanschauungen und Geschmacksrichtung -entsprachen so vollkommen dem Ideal, welches er im stillen -lange vergeblich gesucht, daß es ganz bestimmte Gedanken -waren, mit denen er, sein gefülltes Glas erhebend, halblaut -zu ihr sagte: „Die Zukunft!“</p> - -<p>„Warum nicht lieber die Gegenwart?“ gab sie unbefangen -zurück, „wer weiß was die Zukunft bringt, ich baue -nicht gern Luftschlösser!“</p> - -<p>„Ich um so lieber“, erwiderte Fritz, „und bauen Sie -mir zu Gefallen einmal mit — wie denken Sie sich Ihre -Zukunft?“</p> - -<p>„Fragen Sie lieber, wie ich sie mir <em class="gesperrt">wünsche</em>, das -kann ich Ihnen ebenso sicher sagen, wie es sicher nie in -Erfüllung gehen wird: ich möchte auf dem Lande leben!“</p> - -<p>„Bravo,“ rief Fritz, „das lobe ich mir! Und auf die -Erfüllung dieses Wunsches leere ich mein Glas! Das Landleben -ist das einzig vernünftige Leben und ein Landwirth -der glücklichste Mensch, vorausgesetzt —“ er vollendete mit -einem sehr beredten Seitenblick, der wieder ein tiefes Erröthen -in Lottchens Gesicht trieb.</p> - -<p>„Wenn Sie aber auch so für das Landleben schwärmen,“ -begann sie hastig, wie ablenkend, „warum bleiben -Sie denn in der Stadt?“</p> - -<p>„Dort war ich ja nur vorübergehend für einige -Jahre,“ erwiderte Fritz unvorsichtig, „von morgen an ist -es mit dem —“</p> - -<p>Er stockte, erschrak und wurde fast noch röther, als -seine Nachbarin. „Was haben Sie denn?“ fragte sie -erstaunt.</p> - -<p>Fritz schwieg, er schämte sich! Kein angenehmer Zustand, -solchen vertrauenden, blauen Augen gegenüber!</p> - -<p>„Bitte, fragen Sie mich nicht, ich kann mich jetzt -nicht näher erklären,“ sagte er verwirrt und ohne sie anzusehen, -„in mir ist heut alles unklar und unsicher, wundern -Sie sich nicht, wenn ich viel thörichtes rede, es kommt -hoffentlich ein Moment, wo ich Ihnen alles, was Sie nur -überhaupt von mir wissen mögen, deutlich sagen kann und -darf!“</p> - -<p>Fritz, Fritz! Eine Uhr im Gastzimmer holte zu dröhnenden -Schlägen aus, die Zeit war schon weit vorgeschritten. -Jetzt mußte der Brief längst in Neu-Tessin sein, -die Antwort — alle Chancen sprachen dafür, daß sie eine -bejahende sein werde — war möglicherweise schon unterwegs, -und dann?</p> - -<p>Fritz wurde es heiß und kalt, nun war aber auch -hohe Zeit, daß er hier ein Ende machte! Als man sich -vom Tische erhob, begab er sich allein und tief nachdenklich -in den Garten, der um das Wirthshaus blühte und grünte. -Er kämpfte einen harten Kampf mit sich, mit seinem Gewissen -und seiner jungen Liebe, die ihn um so lockender -ansah, als sie hinter einem Gitter von Schwierigkeiten -stand, welches seine eigene Schuld errichtet hatte! Er -athmete tief auf, sein Entschluß war gefaßt. Wie auch -die Sachen kommen sollten, er wollte sich nicht noch mehr -Vorwürfe zu machen haben, als er ohnehin schon empfand -— er ging festen Schrittes auf das Haus zu, um seinen -Hut zu holen und unter einem Vorwande der Gesellschaft -und allen schönen Träumen Lebewohl zu sagen!</p> - -<p>Aber der Zufall, dem er sich heute so leichtsinnig in -die Arme geworfen, ist ein heimtückischer Gesell, der seine -Anhänger freilich oft auf reizenden Waldpfaden zum erwünschten -Ziele führt, oft aber auch an jeder Biegung -eines guten und verständigen Weges als neckender Kobold -sitzt und ruft: „Halt, du hast die Rechnung ohne den -Wirth gemacht, hier wird hübsch umgekehrt und ausgegessen, -was du unter meiner Aegide dir so schön eingebrockt -hast!“</p> - -<p>Diesmal saß er, dieser böse Zufall, in Gestalt eines -der Theilnehmer am heutigen Ausfluge vor einem großen, -verstimmten Dorfpianino und gab im Schweiße seines Angesichtes -einen etwas unregelmäßigen Walzer zum Besten, -nach dem sich die Gesellschaft, alt und jung, leicht und -schwer, geschickt und ungeschickt, munter zu drehen -begann.</p> - -<p>Als Fritz in der offenen Thüre erschien und suchend -nach seinem Hut umhersah, begegnete ihm ein einziger, -ganz kurzer und flüchtiger Blick Lottchens, der, wenn je -ein Blick gesprochen hat, fragte: „Tanzen Sie nicht?“</p> - -<p>Fritz schwankte innerlich, wie ein Rohr im Winde, -er tanzte gut, das wußte er! Gut genug, um die Produktionen -der ganzen hier versammelten Gesellschaft in den -tiefsten Schatten zu stellen, und gern — fast immer gern! -Heute aber, in seiner halb glücklichen, halb traurigen -Stimmung mit dem reizendsten aller Mädchen dem Rhythmus -eines weichmüthigen Walzers zu folgen, während durch -die geöffneten Fenster die laue Sommerluft hereinstrich und -die Rosen dufteten — ade Vernunft, ade Gewissen — -eben schreitet der blonde Rival im zierlichsten Pas durch -das Zimmer, das entscheidet alles! Fritz kommt ihm zum -zweiten Male zuvor, und der schönste Tanz beginnt, den -er je gehört oder getanzt hat!</p> - -<p>Wie er jetzt mit Lottchen dahinflog, feurig und -doch taktmäßig, so, das fühlte er deutlich, würde er mit -ihr durch das Leben fliegen können! Es mochte ja unrecht -und unvernünftig sein, daß er geblieben war, aber der -Mensch ist so traurig geartet, daß ihm das Unvernünftige -manchmal, oft — um nicht zu sagen meist, am besten gefällt! -Und mit dem schönen Gefühl, „nun hast du die Dummheit -einmal gemacht, nun ist es auch ganz gleich, wie weit -du dich verrennst,“ gestattete sich Fritz die allerdeutlichsten -Anspielungen auf seinen ohnehin sehr durchsichtigen Herzenszustand -und fand kein ganz unwilliges Gehör!</p> - -<p>Im Rausche des Moments und um sein Gewissen zu -betäuben, steigerte sich unser Held zu fast ausgelassener -Lustigkeit; er tanzte wie unsinnig, nicht nur mit Lottchen, -nicht nur mit allen <em class="gesperrt">jungen</em> Damen, nein, er bewog sogar -die Mütter und schließlich die gute Tante, einen ehrsamen -Schleifer unter seiner Führung zu wagen, was nach dem -nöthigen Sträuben, Lachen und Fingerdrohen die größte -und allgemeinste Heiterkeit hervorrief, er brachte mit Aufbietung -aller Familienväter eine Française zu Stande, die -an künstlicher Verwickelung jedes Erschaffene und Erfundene -übertraf, er entzückte alles, außer dem Blonden, der, von -seinem Platze als Hahn im Korbe verdrängt, düster vor -der Punschbowle saß, und sich durch Massenvertilgung von -Speise und Trank an der Gesellschaft rächte.</p> - -<p>Endlich trieb man zum Aufbruch. Die Plaids, -Tücher und Paletots wurden, zu einem wüsten Knäuel geballt, -von zwei Hausknechten herbeigetragen und entwirrt. -Fritz hatte Lottchens Sachen gewandt herausgefunden und -sie sorglich darin einzuhüllen geholfen, bis er seinen Platz -neben ihr wieder einnahm.</p> - -<p>Bald flog der Wagen durch die duftende Sommernacht -hin. Ringsum war es still und friedlich, die Sterne -blitzten in schweigsamer Pracht; sanft und groß stieg der -Mond über den schwarzen Baumwipfeln herauf und leuchtete -mild auf dem dunkelklaren Hintergrunde des Nachthimmels. -Ganz, ganz fern schlug eine Nachtigall, es klang fast nur, -wie das Echo ihrer Stimme zu den Fahrenden hinüber. -Wem sollte da nicht weich ums Herz werden!</p> - -<p>Je näher sie der Stadt kamen, deren Lichter schon -am Horizont herauffunkelten, desto lebhafter fühlte Fritz -den Wunsch, fast die Pflicht, vor seinem Abschiede noch -ein erklärendes, rechtfertigendes Wort zu sagen, und fand -keines!</p> - -<p>Ihm schlug das Herz mächtig, als er sich in der -Stille der Sommernacht, nach all dem Getöse und fröhlichen -Lärm, wieder sagen mußte, was er gethan! Das -schweigende Mädchen hier neben ihm, dessen liebliches Gesicht -jetzt so seltsam nachdenklich dreinsah, es war mit der -unbefangenen Lust des Kindes heut von Hause gegangen, -und hatte nicht an die Möglichkeit gedacht, daß ein bleibender -Eindruck, vielleicht ein Geschick sich an diesen Tag -knüpfen werde.</p> - -<p>That er jetzt, was er thun mußte, verließ er sie, -ohne sie wiederzusehen, nachdem er mit Wort und Blick -sich bestrebt, ihr Herz zu gewinnen, so hatte er von einem -jungen, glücklichen Schmetterling, der ahnungslos in den -Blumengarten des Lebens fliegt, den ersten Blüthenstaub in -frevelhaftem Leichtsinn gestreift, nie wieder würde das -reine Vertrauen wiederkehren, mit dem das Mädchen in -die Welt getreten war, um sofort eine solche Enttäuschung -zu erleben. Und doch konnte, doch durfte er nicht sprechen, -wer stand ihm denn dafür, daß er nicht jetzt, in diesem -Augenblicke der Verlobte einer anderen war? Der Gedanke -stieg ihm sinnverwirrend zu Kopfe, er seufzte tief auf.</p> - -<p>Lottchen wandte den Kopf und sah ihn an; es lag -etwas so kindlich Vertrauendes in diesem Blicke, daß er -ihm ins Herz schnitt.</p> - -<p>„Sie seufzen so schwer?“ sagte sie, halb lächelnd.</p> - -<p>„Ich denke wieder einmal an die Zukunft,“ erwiderte -er ernster, als er noch heut gesprochen.</p> - -<p>„So lassen Sie doch Ihre Zukunft!“ rief sie munter, -„sie wird schon von selbst kommen, und ändern können -Sie doch nichts daran!“</p> - -<p>„Das frage ich mich eben!“ gab er immer noch ernst -zurück, „ich stehe vor einem Wendepunkte in meinem Leben, -Fräulein Lottchen, und das habe ich heut den ganzen -Tag zu wenig bedacht!“</p> - -<p>Er sah, daß seine Worte einen leichten Schatten auf -ihr frohes Gesichtchen riefen, der ihm einen neuen Reiz -verlieh, aber einen Reiz wehmüthiger Natur. Er fuhr -hastig fort:</p> - -<p>„Wir sind bald am Ziel unserer gemeinsamen Fahrt, -wer weiß, ob wir uns noch einmal wieder treffen! Lassen -Sie mich eine Bitte aussprechen, ehe ich gehe!“</p> - -<p>Sie war ganz blaß und still geworden und nickte -seinen Worten nur stumm Gewährung.</p> - -<p>„Ich sagte Ihnen schon, daß ich vor einer Wendung -meines Geschickes stehe, vielleicht entscheidet der heutige -Abend noch über jene Zukunft, an die ich vorhin dachte — -wollen Sie mir nicht Glück auf meinen Weg wünschen?“</p> - -<p>Seine Stimme war leise und innig bei diesen Worten, -er beugte sich zu ihr und nahm ihre Hand, zum ersten — -vielleicht zum letzten Mal!</p> - -<p>„Nun, kein Glückwunsch?“ wiederholte er dringend, -da sie schwieg.</p> - -<p>„Doch,“ erwiderte sie, und zwang sich, ihn anzusehen, -obwohl eine seltsame Verwirrung auf ihren Zügen -lag, „ich wünsche jedem Menschen Glück, warum nicht -Ihnen?“</p> - -<p>„Damit muß ich mich für heute begnügen,“ sagte er, -und führte ihre Hand leicht an seine Lippen, „geht Ihr -Wunsch in Erfüllung, so werde ich es Ihnen noch einmal -selbst sagen, und dann —“</p> - -<p>Der Wagen rollte hier zum Glück über das Straßenpflaster -in die Stadt hinein, die nickenden Beschützer und -Beschützerinnen fuhren empor, und an der ersten Ecke, wo -der Omnibus einen Theil der Gesellschaft absetzte, nahm -Fritz sich den Entschluß über den Kopf weg, und verabschiedete -sich mit flüchtigem, herzlichen Dank von den Anwesenden, -die ihn wie einen alten Bekannten mit fröhlichem -Zuruf entließen, während Lottchen stumm und sichtlich -erregt nur durch eine Kopfneigung seinen Gruß erwiderte.</p> - -<p class="center noindent">*<br /><span style="margin-right:3em;">*</span>*</p> - -<p>Als Fritz nach wenig Minuten vor seiner Hausthür -stand, und der große Schlüssel sich kreischend im Schloß -drehte, war es ihm, als öffne er sich selbst den Eingang -zu einem lebenslangen Gefängniß. Wenn er nun jetzt in -sein Zimmer trat, und den Brief vorfand, der ihm das -Jawort brachte — wie sollte er sich dann benehmen? Er -war, das fühlte er, er war zu weit gegangen, um einfach -mit französischem Abschied aus Lottchens Gesichtskreis zu -verschwinden, und doch fehlte ihm Muth und Lust, sich -in seiner ganzen Schlechtigkeit vor ihr zu offenbaren, und -dann zu dieser ohnehin harten Strafe noch die andere, -ungleich härtere zu fügen, eine Verlobung mit der unseligen -Amalie, die ihm in der parteiischen Beleuchtung -seiner anderweitigen Verliebtheit nicht mehr als ein blasses, -negatives Bild der Alltäglichkeit, sondern als ein wahres -Monstrum erschien!</p> - -<p>Als er die Stubenthür öffnete, begegnete sein Blick -zunächst keinem Briefe, sondern egyptischer Finsterniß, welche -durch das laute Schnarchen seines Burschen etwas gespenstisches -erhielt.</p> - -<p>Daß Fritz keine Streichhölzer in der Tasche hatte, -versteht sich von selbst, wenn man sich gern schnell durch -den Augenschein von etwas überzeugen möchte, fehlt dergleichen -immer!</p> - -<p>Der Bursche erwachte etwas mühselig, krabbelte, an -alle Gegenstände im Zimmer anstoßend, eine Zeit lang -umher, die Fritz zur Ewigkeit wurde, und die er doch -nicht durch die Frage, ob ein Brief gekommen sei, zu -unterbrechen wagte, weil er bei sich dachte: „das erfahre -ich immer noch früh genug,“ und endlich erstrahlte das -Zimmer im Glanz einer Kerze. Der Tisch, auf dem die -eingegangenen Depeschen zu liegen pflegten, war leer!</p> - -<p>„Ist nichts mit der Post gekommen?“ frug endlich -Fritz, bebend vor Erwartung.</p> - -<p>„Nein, Herr Lieutenant!“</p> - -<p>Also nichts! Das Allerfatalste, weder Ja noch Nein, -eine widerwärtige, flaue Fluth von Möglichkeiten, in der -man nun noch bis zum andern Morgen schwimmen konnte!</p> - -<p>Eine zweite Nacht brach heran, die gleich der vergangenen -schlaflos zu werden drohte, das Durchkonjugiren -von „hätte ich!“ ist stets eine der unerfreulichsten Beschäftigungen, -ganz abgesehen von ihrer völligen Nutzlosigkeit. -Und dennoch beschäftigt sich jeder, der eine Dummheit -begangen hat, hinterher damit, sich zu sagen: „hätte -ich dies gethan, oder das <em class="gesperrt">nicht</em> gethan!“</p> - -<p>Zum Glück siegte die übermüdete Natur für diesmal, -unser armer Held schlief ein, und schlief, traumlos, wie -man immer schlafen sollte, bis tief in den nächsten Morgen -hinein, der ihm beim Erwachen grell und golden in -die Augen schien.</p> - -<p>Beim Frühstück konnte er wieder einen Brief erwarten, -aber die Klingel rührte sich nicht, und der Vormittag -verging ihm, dem schon vom Dienst Dispensirten, -in bleierner Schwere. Endlich schlug die Stunde, wo er -sich, um sich abzumelden, nach der Kommandantur begeben -mußte, er warf sich in seinen Staat, und schritt -wenige Minuten darauf mit Helm und Schärpe, äußerlich -ein energischer, junger Kriegsgott, innerlich ein deprimirter -Hase, seinem Bestimmungsort zu.</p> - -<p>Die Sache war schnell erledigt, und als Fritz den -Heimweg antrat, beschloß er, um seinen Gedanken ein -wenig Audienz zu geben, noch einmal durch die Anlagen -zu wandern.</p> - -<p>Ihm war, er wußte selbst nicht, warum, jetzt hoffnungsfreudiger -zu Muthe. Hätte er ein „Ja“ erhalten, -so wäre die Antwort jetzt gewiß schon da. Es war ja -möglich — entzückende Möglichkeit! daß er Amalien über -Nacht eben so widerwärtig geworden, wie sie ihm! Wenn -er sich’s recht bedachte, hatte er überhaupt gar keinen -Grund, anzunehmen, daß sie ihm besonders gewogen sei; -was er für Stille und Zurückhaltung in ihrem Wesen genommen, -war vielleicht — nein gewiß! verborgene Abneigung -gewesen. Man kann sich bekanntlich nichts so -leicht einreden, als was man wünscht, Fritz war noch keine -zehn Minuten gegangen, als er schon glückselig einen imaginären -Korb von Amalien am Arm, und einen ebenso -imaginären Ring von Lottchen am Finger trug.</p> - -<p>Diese letzte Möglichkeit spann sich denn in seinem -Inneren zu dem farbenreichsten Bilde aus, er stellte sich -das Mädchen in ihrer ganzen Lieblichkeit vor, so deutlich, -daß es ihn kaum überraschte, als er, um eine Ecke biegend, -sich plötzlich ihr gegenüber sah.</p> - -<p>Mit unverhohlenem Entzücken griff er an den Helm, -aber Lottchen blickte ihn erst erschreckt, dann völlig fassungslos -an, plötzlich wandte sie sich ab, und setzte, ohne seinen -Gruß zu erwidern, ihren Weg fort.</p> - -<p>Jetzt erst begriff Fritz ihre Empfindungen! Der Kaufmann -Schröter von gestern, der bescheidene Besitzer des -einträglichen Kolonialwaarengeschäfts, dem — d. h. dem -Besitzer! — sie in ihren Träumen bereits eine nicht ganz -nebensächliche Rolle zugewiesen hatte, er klirrte heute als -bewaffnete Macht ihr entgegen, und sie wußte begreiflicherweise -nicht, ob eine wunderbare Aehnlichkeit sie täusche, -oder was sie sonst von ihm denken solle.</p> - -<p>Blitzschnell hatte Fritz die Davoneilende eingeholt, und -schritt, ohne ihr stummes Kopfschütteln, womit sie all seine -Worte der Begrüßung und Freude erwiderte, zu beachten, -neben ihr her, die ziemlich menschenleeren Anlagen entlang.</p> - -<p>„Wenn Sie wüßten,“ begann er verwirrt und ganz -unberechtigt vorwurfsvoll, „<em class="gesperrt">wie</em> ich mich freute, als ich -Sie so überraschend wieder vor mir sah, Sie würden mich -nicht durch Ihren Zorn betrüben. Sagen Sie mir nur, -was Sie eigentlich von mir denken, um das eine bitte -ich Sie!“</p> - -<p>„Ich denke <em class="gesperrt">gar nichts</em> von Ihnen,“ erwiderte das -Mädchen in einem seltsam harten und kalten Tone, den -man ihrer jugendlichen Stimme gar nicht zugetraut hätte, -„ich kenne Sie überhaupt nicht, und bitte Sie, mich -augenblicklich meinen Weg allein fortsetzen zu lassen.“</p> - -<p>„Fräulein Lottchen,“ bat der unglückliche Fritz flehend, -„wollen Sie mich nicht wenigstens anhören? Sie thun -mir sicher in Gedanken unrecht, ich bin nicht so schuldig, -als es den Anschein hat.“</p> - -<p>„Sondern noch viel schuldiger,“ jammerte es in seinem -Inneren, „wenn sie schon über die einfache Namensverwechselung -<em class="gesperrt">so</em> böse ist, was würde sie erst sagen, wenn sie -wüßte! —“</p> - -<p>Fritz schauderte.</p> - -<p>„Was bezwecken Sie eigentlich mit dieser zweiten -Komödie?“ sagte jetzt das Mädchen stehen bleibend, noch -immer im selben Ton. „Was Sie <em class="gesperrt">gestern</em> gewollt haben, -sehe ich heute wohl ein, uns alle zum Spielzeug Ihrer -hochmüthigen Laune benützen, nun es ist Ihnen ja gelungen -— Sie haben Ihre Sache vortrefflich gemacht — was -soll ich nun noch anhören?“</p> - -<p>Fritz blieb gleichfalls stehen, und ließ seine Augen erst -einen Moment traurig auf ihr ruhen, ehe er sprach.</p> - -<p>„Wenn Sie <em class="gesperrt">so</em> fragen, dann bin ich zu Ende, ich kann -dann nur meiner Wege gehen, denn ich fühle, daß Sie ein -Recht haben, mir zu zürnen, und daß ich mich nur dann -vertheidigen darf, wenn Sie es mir selbst erlauben. Soll -ich wirklich <em class="gesperrt">so</em> von Ihnen scheiden?“</p> - -<p>Sie machte einen tapferen Versuch „ja!“ zu erwidern, -er scheiterte aber an halb erstickten Thränen, die sich plötzlich -in ihre Stimme und in ihre Augen drängten. Heftig -aufschluchzend schlug sie beide Hände vors Gesicht -und wandte sich von ihm ab.</p> - -<p>Ich muß gestehen, auf die Gefahr hin, meinen Helden -sehr wenig heldenmüthig erscheinen zu lassen, daß Fritz -diesem Anblick nicht ganz weit davon entfernt war, dem -Mädchen herzhaft Gesellschaft zu leisten! Eine solche Hochfluth -widerstrebender Empfindungen schlug über seinem -Haupte zusammen, daß er sich von den wilden Wogen -seiner Gefühle rücksichtslos dahintragen ließ, er gestand -Lottchen in fliegenden Worten seine Liebe, und bekannte -ihr, daß er gestern zwar anfänglich in übermüthiger Laune -seinen wahren Stand und Namen verleugnet habe, daß -er aber bald, sehr bald große Beschämung über diesen -tollen Einfall empfunden, und sich schon vor Ende des -Tages bewußt gewesen sei, daß aus seinem Scherz tiefster -Ernst für ihn geworden, und daß er — nun kurz, was -man in solchen Fällen sagt.</p> - -<p>„Und Lottchen,“ fügte er dringend hinzu, indem er -ihre Hand nahm, „wenn ich Ihren Thränen eine Deutung -geben darf, wenn auch Sie jener alten Geschichte von der -„Liebe auf den ersten Blick“ seit gestern glauben gelernt -haben, dann lassen Sie mir als ersten Beweis davon -Verzeihung zutheil werden, oder lieber,“ fügte er lächelnd -hinzu, da sie ihn, wenn auch noch durch Thränen, doch -schon wieder freundlicher ansah, „seien Sie so böse auf -den „Kaufmann Schröter,“ wie Sie nur irgend wollen, -aber haben Sie den Lieutenant Sterneck dafür umso lieber — -was meinen Sie? Darf ich mich Ihren Eltern vorstellen, -und ihnen sagen, daß Sie mir diesen Besuch gestattet -haben?“</p> - -<p>Nun, Lottchen war nicht von Stein, sie sagte zwar -nicht ja, aber sie nickte mit dem Kopfe, und das that -dieselben Dienste!</p> - -<p>Näher kommende Schritte ließen unser Paar etwas -bestürzt auffahren, und Fritzens Schreck steigerte sich zu -plötzlichem Entsetzen, als der Störenfried sich in der sonst -harmlosen Gestalt eines Briefträgers präsentirte, der in -geschäftsmäßigem Tritt, ohne rechts oder links zu blicken, -an ihnen vorüber nach der Stadt ging. „Glaubst du, -dieser Adler sei dir geschenkt?“ schien mit feurigen Buchstaben -um die Mütze des ehrlichen Postbeamten geschrieben — -was für eine Pandorabüchse konnte jene Ledertasche sein!</p> - -<p>Fritz verbarg mit Mühe seine Verwirrung, und trennte -sich von seiner reizenden Braut, wo die Anlagen in die -Stadt münden, mit dem nochmaligen Versprechen, sobald -es seine Zeit gestatte, sich bei ihren Eltern einfinden zu -wollen. Noch ein herzlicher Händedruck, und ihre Wege -führten auseinander. Lottchen trippelte mit der ihr eigenen, -anmuthigen Schnelligkeit von dannen, und Fritz wandte -wohl noch zehnmal den Kopf, um mit Freude und Gewissensangst -der Verschwindenden nachzusehen.</p> - -<p>Als er einige Stunden später in stiller Beklommenheit -auf seinem Sopha saß, klopfte es, der Bursche brachte ihm -einen Brief, Poststempel Neu-Tessin! Nun also! Fritz hatte -noch nie vor der Mündung einer geladenen Pistole gestanden, -er wußte demnach nicht aus Erfahrung, wie einem dabei -zu Muthe ist, ungefähr konnte er sich’s aber nach diesem -Moment vorstellen. Es hilft doch nichts — auf mit dem -Brief! Er lautete:</p> - -<p class="salutation"> -Mein verehrter, junger Freund!<br /> -</p> - -<p>Ihr Schreiben hat mich und die Meinigen geehrt und -erfreut. Wir nehmen Ihre Bewerbung um unsere Tochter -gern an, und hoffen, in Ihnen einen lieben Sohn zu -finden. Meine Frau wollte schon bei unserem letzten Zusammensein -ganz klar die demnächstigen Ereignisse voraussehen, -doch hielt ich dies für eine Illusion, zu der das -weibliche Geschlecht in Betreff von Heirathsabsichten ja -stets neigt. Nun hat sie doch Recht behalten!</p> - -<p>Wir erwarten Sie morgen Abend zum frohen Verlobungsmahl, -und wollen dann alles andere mündlich -erörtern. Ein Gruß von Malchen wird Ihnen wohl nicht -unangenehm sein?</p> - -<div class="salutation"> -<div class="poem"> -<p class="greet"> -Ihr treu ergebner Schwiegervater <em class="antiqua">in spe</em><br /> -Solgers, Amtsrath.<br /> -</p> -</div> -</div> - -<p>Der Brief trug das Datum des gestrigen Sonntags.</p> - -<p>Das lähmende Entsetzen, welches sich unseres Fritz beim -Durchlesen dieses an sich ja sehr netten Schreibens bemächtigte, -spottet jeder Beschreibung. Er starrte den verhängnißvollen -Zettel an, eigentlich ohne Bewußtsein, er -las ihn wieder, und noch einmal, aber auch nicht ein -Schimmer von Zweifel ließ sich daraus entnehmen!</p> - -<p>„Bei unserem letzten Zusammensein will die Amtsräthin -etwas gemerkt haben,“ murmelte er dumpf, „<em class="gesperrt">ich</em> -habe nichts gemerkt! Wann soll denn das gewesen sein? -Ich bin ja seit fast vier Wochen nicht in Tessin gewesen — -nun, es wird doch am Ende etwas daran sein! Es muß -wohl den Tag <em class="gesperrt">sehr</em> guten Punsch gegeben haben,“ sagte -er gedankenlos vor sich hin.</p> - -<p>Fritz sprang auf und schritt in wahrer Verzweiflung -im Zimmer auf und ab, sein Herz schlug so laut vor -Angst, daß er es zu hören meinte. War wohl je ein -Mensch in solcher schrecklichen Lage, und solchen verwickelten -Familienverhältnissen! Nun hatte er zwei Bräute, zwei -Schwiegermütter und zwei Schwiegerväter, von denen der -ihm bekannte ein wahrer Bär von deutscher Grobheit -war.</p> - -<p><em class="gesperrt">Wessen</em> er sich versah, wenn er mit seiner Beichte -in Tessin herausrückte, war gar nicht auszudenken, und -er durfte doch nicht wieder grob werden; hatte er nicht -frevelhaft den Hausfrieden und Seelenfrieden einer glücklichen -Familie gestört? Und Amalie schien ihn nun doch -zu lieben, der schalkhafte Schlußsatz des Briefes deutete -auf das Aergste!</p> - -<p>Armer Fritz, zwei Mädchenherzen liegen zu deinen -Füßen, <em class="gesperrt">eines</em> mußt du unfehlbar zertreten, magst du -einen noch so künstlichen, moralischen Eiertanz ausführen!</p> - -<p>Aber alles jammern und sich abmartern nützte nichts, -jetzt hieß es handeln, rasch, klug und rechtlich, er hatte -nie gedacht, daß dies so schwer wäre!</p> - -<p>In einer halben Stunde ging der letzte Zug an diesem -Tage nach Tessin ab, und man erwartete ihn „zum fröhlichen -Verlobungsmahle!“ Sollte er schreiben? das war -ihm unmöglich, er <em class="gesperrt">konnte</em> sich nicht entschließen, seine -Schandthaten schriftlich in das Familienarchiv des Amtsraths -niederzulegen, nein, es mußte ausgebadet werden! -Er schickte den Burschen nach einer Droschke, und während -dieser unterwegs war, schrieb er eilig und innerlich zerfleischt -von Höllenqualen einige Zeilen an Lottchen, worin -er ihr mittheilte, daß Familienangelegenheiten unaufschiebbarer -Natur ihn zwängen, die Stadt auf einige Stunden -zu verlassen. Sie möge ihm nur vertrauen, der nächste -Tag finde ihn sicher bei ihr und ihren Eltern.</p> - -<p>Schweren Herzens sandte er den Brief an seinen Bestimmungsort -ab, und fuhr dann zur Bahn. Seine stille -Hoffnung, er werde den Zug versäumen, und sich auf -diese Weise eine Galgenfrist schaffen, trog, er kam rechtzeitig -an, und die Stunde, welche die Stadt und Neu-Tessin -trennt, war bald auf Dampfesflügeln durcheilt.</p> - -<p>Das von dem Amtsrath bewohnte Dominium Tessin, -lag etwa zehn Minuten von der Bahnstation Frankenberg. -Als Fritz den Zug verließ, entdeckte er bald die -wohlbekannte, geschlossene Chaise seines Schwiegervaters -Nr. 1, wie er ihn in Gedanken nannte, denn nach dem -alten Sprichwort: „wer zuerst kommt, mahlt zuerst,“ -hatte Amalie entschieden den Vorrang bei diesem seltsamsten -aller Wettrennen.</p> - -<p>Ein ihm fremder Kutscher lenkte das Gefährt, und -blickte spähend in die aussteigende Menschenmenge. Als -Fritz sich ihm näherte, und zur Sicherheit sich noch einmal -erkundigte: „Herrn Amtsrath Solgers Wagen?“ nickte -der Rosselenker, und frug, das trübselige Gesicht vor -ihm mit einigem Mißtrauen betrachtend: „sind Sie der -Herr Bräutigam?“</p> - -<p>Unwillig bejahte der gequälte Fritz, und bald rollte -das Gefährt auf der Landstraße dahin. Noch eine Biegung -des Weges, da lag das Amtshaus, von der untergehenden -Sonne vergoldet, vor ihm.</p> - -<p>Als Fritz sich dem Hofe näherte, welchen man zu -passiren hat, ehe man das Haus erreicht, begrüßten ihn -zwar arg verstimmte, aber doch wohlgemeinte, schmetternde -Klänge, die Dorfkapelle blies einen Tusch. Die durch -diese Ovation etwas erregten Pferde ließen sich erst schwer -zum Stehen bringen, Fritzens verstörte Augen bemerkten -über der Hausthür eine dicke Guirlande, und als er, halb -betäubt vor Verwirrung, dem Wagen entstieg, strömte ihm -der warme Duft von Punsch und Braten festlich entgegen.</p> - -<p>Vor der Thür stand der Amtsrath im schwarzen Leibrock, -das Ordensbändchen im Knopfloch, die Amtsräthin -im Seidenkleide, neugierige kleine Schwäger, Schwägerinnen -und Dienstboten drängten sich im Hausflur, Malchen schien -sich in bräutlicher Verschämtheit im Hintertreffen zu halten.</p> - -<p>Fritz schwankte, wie ein Gerichteter, der das Schaffot -besteigen soll.</p> - -<p>Aber Unerwartetes begab sich.</p> - -<p>Das dröhnende „Willkommen,“ mit dem der Hausherr -den Wagen bereits anzuschreien begonnen hatte, verstummte -plötzlich wie abgeschnitten, als er unseren Fritz erblickte. -Es wäre schwer zu sagen, wessen Züge die größere Verlegenheit -ausdrückten, die des Ankommenden, oder die der -Erwartenden.</p> - -<p>Die Amtsräthin machte kurz kehrt, und zerstreute mit -Wort und Geberde die Neugierigen im Hausflur, dann -ward sie nicht mehr gesehen.</p> - -<p>Ihr Gatte erhob mechanisch die Hand, kratzte sich hinter -dem Ohr, und — schwieg.</p> - -<p>Fritz schwieg auch, ihm war fürchterlich zu Muthe. -Er glaubte, er mußte ja glauben, daß der Anblick seines -bleichen, deprimirten Gesichts so niederschmetternd auf die -schwiegerelterlichen Nerven wirke, daß man keine Worte -fände, ihn fröhlich als fröhlichen Bräutigam zu grüßen.</p> - -<p>Aber dies gegenseitige, schweigende Anstarren war zum -Tollwerden! „Noch zwei Sekunden so,“ dachte Fritz, „und -ich gebe Fersengeld, und laufe, so weit mich meine Füße -tragen.“</p> - -<p>Er räusperte sich mehrmals, streckte etwas gezwungen -die Hand aus, und begann: „Sie waren so überaus gütig, -Herr Amtsrath —“</p> - -<p>Der alte Herr sah starr auf den Boden nieder, ergriff -die dargebotene Hand und schüttelte sie kräftig, dann sagte -er mit bedrückter Stimme: „Bitte, bitte, nicht Ursach’, -mein lieber Freund! Ich hatte freilich nicht erwartet — -aber wollen Sie nicht einige Augenblicke näher treten? -Wir können unsere Besprechung ja in meinem Zimmer -vornehmen.“</p> - -<p>Er ließ dem Schwiegersohn höflich den Vortritt ins -Haus und öffnete die Thür seiner zu gleicher Erde belegenen -Wohnstube, in die ihm Fritz ungefähr mit den -Gefühlen folgte, die man im Vorzimmer des Zahnarztes -durchzumachen pflegt.</p> - -<p>„Darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten?“ unterbrach -der Amtsrath die Grabesstille.</p> - -<p>„Sie sind sehr gütig!“ und Fritz begann zu rauchen, -und zwar mit einem Eifer, als hinge sein Leben daran, -daß er die Cigarre in zehn Minuten bis auf die letzte -Spur vertilgt habe.</p> - -<p>Der Amtsrath paffte eben so krampfhaft in seiner Ecke.</p> - -<p>Endlich erhob sich Fritz, und stellte sich, militärisch -hoch aufgerichtet, vor den alten Herrn.</p> - -<p>„Ich weiß in der That nicht, Herr Amtsrath, was -Sie von mir denken werden, wenn ich Ihnen eine Erklärung -meiner Handlungsweise gegeben habe, die —“</p> - -<p>„Aber ich bitte Sie, mein lieber, junger Freund,“ erwiderte -der Alte ganz ängstlich, „wozu wollen Sie sich -und mir eine solche unnöthige Qual bereiten! Ich habe -ja alles, was zu der Sache irgend zu sagen war, in -meinem Briefe auseinandergesetzt, und um Ihnen die -Situation zu erleichtern, wiederhole ich Ihnen noch einmal -mündlich, was ich schriftlich sagte, an meinem und -meiner Tochter Entschluß ist nichts mehr zu ändern, wenn -Sie eine derartige Absicht herführt, so ist jedes Wort unnöthig.“</p> - -<p>Fritz rang mit dem Tode! Er sah die Zornader auf -der Stirn des Alten schon im Geiste anlaufen, aber es -half nichts — durch!</p> - -<p>„Herr Amtsrath!“ begann er von neuem, und fuhr -sich mit dem Taschentuch über die Stirn, „halten Sie mich -für einen Elenden — ich halte mich selbst dafür, aber ich -beschwöre Sie bei allem, was Ihnen heilig ist, mein Gott, -wie soll ich mich nur ausdrücken? ich flehe Sie an, nehmen -Sie Ihr Wort zurück!“</p> - -<p>„Aber sagen Sie mir, Herr,“ rief jetzt der Amtsrath, -„was ficht Sie denn eigentlich an? Allen Respekt vor -Ihnen, aber Sie benehmen sich, um mich ganz gelinde -auszudrücken, wie ein Narr! Seien Sie ein Mann, fügen -Sie sich ins Unvermeidliche, was ich gesagt habe, habe -ich gesagt! Ich werde mich doch jetzt nicht zum Gespött -der ganzen Gegend machen, als ein alter Schwachkopf, der -nicht weiß, was er will! Meine Tochter ist Braut — und -damit basta.“</p> - -<p>„Nun dann,“ sagte Fritz mit der Ruhe eines Verzweifelten, -„dann bleibt mir nichts übrig, als mir eine -Kugel vor den Kopf zu schießen! Ich habe wie ein Ehrloser -gehandelt, ich muß die Folgen tragen! Denken Sie -von mir, was Sie wollen, aber ich kann Ihre Tochter -nicht heirathen!“</p> - -<p>„Was!“ schrie der Amtsrath und sprang auf, „<em class="gesperrt">was</em> -sagen Sie da?“</p> - -<p>„Ich kann Ihre Tochter nicht heirathen,“ wiederholte -Fritz dumpf und leichenblaß, „und nun machen Sie mit -mir, was Sie wollen!“</p> - -<p>„Meine Tochter nicht heirathen?“ brüllte jetzt der -Amtsrath, und sprang auf Fritz zu, ihn bei den Schultern -packend, „aber Mensch, wer verlangt denn, daß Sie sie -heirathen? Bin ich toll, oder sind Sie toll, oder sind -wir’s alle beide?“</p> - -<p>„Ich weiß nicht,“ sagte Fritz ganz erschöpft, und sank -in seinen Stuhl zurück.</p> - -<p>Der Alte trat zum Nebentisch, goß zwei Gläser -Wasser aus einer Karaffe ein, trank eins, und reichte das -andere unserem Helden. „So, das schlägt nieder,“ sagte -er dann etwas ruhiger, „und nun sagen Sie mir einmal, -<em class="gesperrt">was</em> Sie eigentlich wollen! Sie halten um meine Tochter -an, ich schreibe Ihnen, umgehend, wie Sie es verlangten, -eine ganz vernehmliche, möglichst freundlich abgefaßte Antwort, -und statt sich dabei zu beruhigen, wie ein vernünftiger -Mensch, kommen Sie hierher wie ein Tollhäusler, -und schreien, Sie können meine Tochter nicht heirathen! -Ich muß Ihnen gestehen, ich finde es, gelinde gesagt, sehr -dumm und albern, daß Sie heute überhaupt hierher -kommen!“</p> - -<p>„Aber mein Himmel,“ rief Fritz, und durchwühlte -seine Brieftasche mit zitternden Händen, „Sie haben mich -ja doch selbst eingeladen!“</p> - -<p>„Ich — Sie?“ schrie der Amtsrath noch lauter, „i, -so schlag doch —“</p> - -<p>„Hier!“ sagte Fritz lakonisch, und reichte dem alten -Herrn seinen Brief hin.</p> - -<p>Der Amtsrath las — verfärbte sich — wiegte den -Kopf hin und her — plötzlich rief er: „Ach, du meines -Lebens! Da habe ich eine schöne Geschichte gemacht, lieber -Sterneck, ich bin ja an allem schuld! Ich habe den Absagebrief -an Sie gleichzeitig mit dem Zusagebrief an meinen -Nachbar Rummler geschrieben — der hielt zufällig vor zwei -Tagen auch um Amalie an, und wie ich nun Ihren Brief -sofort beantworten mußte, da habe ich in der Eile und -Aufregung die Adressen verwechselt! Nein, das ist ja -schrecklich — und nun sitzt mir der mit einem Korbe da! -Er hat auch Bahnstation in Frankenberg, und der Wagen -sollte <em class="gesperrt">ihn</em> holen und nicht Sie! Ach, ich bin ein geschlagener -Mann — ich alter Esel! Nein, ist denn das aber -menschenmöglich?“</p> - -<p>Während der Alte wie außer sich im Zimmer umherrannte, -ergoß sich in Fritzens umdüsterte Seele eine wahre -Sonnenhelle. Er sollte Amalien nicht heirathen — die -gute, die liebe Amalie wollte ihn nicht, hatte sogar schon -einen Ersatzmann gefunden — ach, das hatte er nicht -verdient!</p> - -<p>In überströmender Glückseligkeit sprang er auf und -fiel dem erstaunten Amtsrath um den Hals. „Lieber, alter -Freund — bester Herr Amtsrath — meine innigsten -Glückwünsche — ach, so habe ich mich doch in meinem -ganzen Leben noch nicht gefreut!“</p> - -<p>Es sprach eine so innige Ueberzeugtheit aus diesen -Worten, daß dem guten Amtsrath, was man ihm auch -nicht verdenken kann, wieder ganz unheimlich zu Muthe -wurde. Er machte sich etwas unsanft los.</p> - -<p>„Na, lassen Sie das nur gut sein,“ sagte er, und -schob Fritz mißtrauisch zurück, „was <em class="gesperrt">Sie</em> denken und ob -Sie sich freuen, ist mir im Augenblick ganz egal — ich -weiß nur nicht, wie <em class="gesperrt">ich</em> meine Eseleien wieder gut mache, -ohne daß es meine Weibsleute merken, sonst haben die -eine Handhabe gegen mich bis ans Ende meiner Tage!“</p> - -<p>„Ich will Ihnen einen Vorschlag machen,“ nahm -Fritz, dessen Gefühlswogen sich zu legen begannen, jetzt -das Wort, „Gefallen gegen Gefallen! Borgen Sie mir -Ihren Rappen bis morgen früh, dann reite ich jetzt zu -Herrn Rummler hinüber und besorge Ihnen einen Brief -hin, den Sie schnell schreiben, während ich mich anziehe — -und dann reite ich zur Stadt und schicke Ihnen das Pferd -morgen wieder heraus. Herr Rummler kann in einer -Stunde hier sein und niemand erfährt etwas!“</p> - -<p>„Ach, das ist Unsinn,“ sagte der Amtsrath, „ich will -Ihnen etwas anderes sagen — mir wird das Briefschreiben -sauer — geben Sie mir Ihren Brief, und ich schicke ihn -zu Rummler, und schreibe nur, <em class="gesperrt">das</em> wäre der richtige, und -der andere wäre für Sie bestimmt. Wenn ich das schreiben -kann, so ist die Sache abgemacht.“</p> - -<p>„Meinetwegen,“ rief der glückselige Fritz, „aber den -Rappen geben Sie mir mit. Ich <em class="gesperrt">muß</em> nothwendig heute -Abend nach Hause — Sie sollen bald erfahren, warum!“</p> - -<p>„Ich bin nicht neugierig,“ sagte der unliebenswürdige -Alte, „aber eins sagen Sie mir — <em class="gesperrt">warum</em> haben Sie -denn eigentlich um die Amalie angehalten, wenn Sie so -froh sind, daß sie Sie nicht haben will?“</p> - -<p>„Das ist eine lange Geschichte,“ erwiderte Fritz, und -wurde roth, „wollte ich Ihnen die jetzt erzählen, so verbrennte -der Braten, und der Punsch, den das Brautpaar -heute noch trinken soll, würde kalt. Lassen Sie mich fort -und schicken Sie den Wagen zu Ihrem Schwiegersohne. -Und nun leben Sie wohl, mein lieber, guter Herr Amtsrath -— sagen Sie Ihren Damen — — was Sie wollen! -Ich lasse mir den Rappen satteln!“</p> - -<p>Im Hause des Amtsraths ging es den Abend noch -sehr lustig her — in manchen anderen Häusern gewiß -auch — es giebt ja, trotz aller Pessimisten, noch immer -eine ganze Menge vergnügter Leute auf der Welt — aber -ein fröhlicherer Geselle, als unser Fritz, den sein tänzelnder -Rappe durch den schönen Sommerabend nach der Stadt -hin trug, die sein Glück barg, war an diesem Abend -schwerlich zu finden! — Wie er es angefangen hat, seine -reizende Braut mit dem zweiten Akt der Komödie zu versöhnen, -die er auf der Landpartie zu spielen begonnen — -das geht uns nichts an. Er wird schon mit ihr fertig -geworden sein!</p> - -<hr class="full" /> -<p class="small"> -W. <em class="gesperrt">Moeser Hofbuchdruckerei</em>, Berlin, Stallschreiber-Straße 34. 35.<br /> -</p> -</div> - -<div class="chapter"> -<h2><a name="Inhalt" id="Inhalt">Inhalt.</a></h2> - -<div class="center"> -<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary=""> -<tr><td></td><td align="right">Seite</td></tr> -<tr><td align="left"><a href="#Hausgenossen">Hausgenossen.</a></td><td align="right">1</td></tr> -<tr><td align="left"><a href="#Und_doch">Und doch!</a></td><td align="right">59</td></tr> -<tr><td align="left"><a href="#Der_tolle_Junker">Der tolle Junker.</a></td><td align="right">85</td></tr> -<tr><td align="left"><a href="#Finderlohn">Finderlohn.</a></td><td align="right">161</td></tr> -<tr><td align="left"><a href="#Glueck_muss_man_haben">Glück muß man haben!</a></td><td align="right">193</td></tr> -</table></div> - -<div class="transnote"> -<p class="tn-header">Anmerkungen zur Transkription -</p> -<p> - Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden - übernommen, nur offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt. -</p> -<p class="ebook-only"> - Text, der im Original gesperrt gesetzt war, wurde hier <em class="gesperrt">fett</em> dargestellt, da manche E-Book-Reader keinen gesperrten Text anzeigen. -</p> -</div> -</div> - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Novellen, by Hans Arnold - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NOVELLEN *** - -***** This file should be named 51901-h.htm or 51901-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/1/9/0/51901/ - -Produced by Norbert Müller and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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