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-The Project Gutenberg EBook of Schriften 23: Novellen 7, by Ludwig Tieck
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
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-
-Title: Schriften 23: Novellen 7
- Eine Sommerreise / Die Wundersüchtigen / Pietro von Abano
-
-Author: Ludwig Tieck
-
-Release Date: December 18, 2015 [EBook #50714]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 23: NOVELLEN 7 ***
-
-
-
-
-Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski,
-and the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
- Ludwig Tieck's
- Schriften.
-
- Dreiundzwanzigster Band.
-
-
-
-
- Novellen.
-
-
- Berlin,
- Druck und Verlag von Georg Reimer.
- 1853.
-
- Ludwig Tieck's
- gesammelte Novellen.
-
- Vollständige auf's Neue durchgesehene Ausgabe.
-
- Siebenter Band.
-
- Berlin,
- Druck und Verlag von Georg Reimer.
- 1853.
-
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-
-
- Inhalt.
-
-
- Seite
- Eine Sommerreise 3
- Die Wundersüchtigen 157
- Pietro von Abano 295
-
-
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-
- Ludwig Tieck's
- gesammelte Novellen.
- Siebenter Band.
-
-
-
-
-
- Eine Sommerreise.
- 1834.
-
-
-
-
- Einleitung.
-
-
-Unter abwechselnden Vorfällen und Erfahrungen, die sich mir im Lauf
-meines Lebens auf Reisen oder beim längeren Aufenthalt in fremden
-Städten aufdrängten, ist mir die Erinnerung so mancher Bekanntschaften
-erfreulich, so manche Beobachtung lehrreich und ich kann es nicht
-unterlassen, Einiges davon mitzutheilen, welches vielleicht manche
-befreundete Gemüther auf anmuthige Weise anregt.
-
-Schon manches Jahr ist verflossen, seit mir einige interessante
-Tagebücher und Briefe in die Hände geriethen, die mir um so bedeutender
-wurden, als ich die Verfasser derselben späterhin im Verlauf der Zeiten
-in ganz veränderten Verhältnissen und mit umgewandelten Gesinnungen
-wiedersah. Jetzt sind die Theilnehmer an nachfolgender kleinen
-Begebenheit gestorben oder nach fernen Gegenden gezogen, so daß es
-harmlos erscheint, Dasjenige mitzutheilen, was ich früher schon für
-vertraute Freunde aus jenen Tagebüchern und Briefen ausgezogen habe. Die
-Erzählung ist aus Schriften der drei Hauptpersonen verarbeitet und wird,
-der Deutlichkeit wegen, mehr wie einmal durch die eigenen Worte der
-erscheinenden Personen unterbrochen werden.
-
-
-
-
- Walther von Reineck an den Grafen Bilizki in Warschau.
-
-
-Von Deiner schönen Cousine, die ich damals leider nur einmal sah, habe
-ich bisher noch nichts in Erfahrung bringen mögen. Und sehr begreiflich,
-da ich erst in Franken, oder gar in der Nähe des Rheins, wie ich es ja
-weiß, Kundige finde, die mir von ihren Schicksalen und ihrer seltsamen
-Flucht etwas mittheilen können. Sollte ich das schöne Bild selbst
-irgendwo wiedersehn? Wenn ich nur wenigstens ihn finde, der sie zu
-dieser Uebereilung verleitet hat, welche sie Dir entriß, um an ihm die
-Rache zu nehmen, die ich Dir versprach, so wenig Du sie auch gefordert
-hast. Ich weiß es, daß ich zu hitzig bin; indessen Du bist beschäftigt,
-im Dienst des Staates, gehörst Deiner kranken Mutter, und ich bin müßig
-und frei genug, um diesen Sommer mich umzutreiben, zu sehn oder zu
-gaffen, zu lernen oder zu vergessen, und mir dabei einzubilden, ich thue
-Dir und der Menschheit einen großen Dienst, indem ich einen andern
-Müßiggänger aufsuche, um ihn zur Rechenschaft zu ziehn.
-
-Bis jetzt hat das Wetter mich sehr begünstigt. Und eine interessante
-Bekanntschaft habe ich auch schon gemacht. Ich war queer durch das
-traurige Land gereiset, zwischen den Städten Frankfurt an der Oder und
-Crossen hindurch, weil ich in Balkow, einem Dorfe, meine Freundschaft
-mit der Familie Tauenzien erneuen wollte, die Du auch kennst, weil die
-vortreffliche Frau aus Warschau gebürtig ist. Hier herum ist eine
-seltsame Landesart und fast wilde Einsamkeit, beinah so wie in Polen. So
-kommt man denn durch abgelegene Wege, immer durch Wald bis an die Oder,
-wo den Reisenden, an sumpfiger Stelle, die Kretschem genannt, eine Fähre
-übersetzt. Hier fand ich zu meinem Erstaunen einen eleganten Wagen und
-einen jungen höflichen Mann, welcher ebenfalls die Fähre erwartete,
-welche auf wiederholtes Rufen auch schon herübersteuerte. Der junge Mann
-hatte jenen dunkeln, tiefsinnigen Blick, den ich an Männern wie an
-Frauen liebe, und so kam ich seiner Freundlichkeit mit Wohlwollen
-entgegen, und wir behandelten uns nach einigen Minuten, als wenn wir
-alte Bekannte wären. Er sagte mir, diese sumpfige Stelle wäre im
-Frühling und Herbst ziemlich gefährlich, weil die Fähre nicht ganz nahe
-kommen könne und der Wagen alsdann tief im Wasser fahre. Ich lernte
-daraus, daß er hier herum bekannt seyn müsse. Und so erfuhr ich es denn
-auch, als wir auf der Fähre neben einander standen: er ist lange in
-Ziebingen und Madlitz gewesen, zweien Gütern, die der Finkenstein'schen
-Familie gehören. Von dieser Familie, den Töchtern wie den Eltern,
-spricht er wie ein Begeisterter. Der Vater, der Präsident Graf
-Finkenstein, ist der Sohn des berühmten Staatsministers und der
-Präsident selbst ist in der Geschichte, durch jenen vielbesprochenen
-Arnold'schen Proceß, nicht unbekannt, in welchem er sich als einen
-wackern und höchst rechtlichen wie unerschrockenen Mann zeigte. »Wer in
-dieser Familie, rief mein neuer Bekannter aus, eine Weile gelebt hat,
-der kann sich rühmen, die echte Humanität und Urbanität, das Leben in
-seiner schönsten Erscheinung kennen gelernt zu haben. Die Mutter, eine
-würdige Matrone, ist die Freundlichkeit selbst, in ihrer Nähe muß jedem
-wohl werden, der ein echter Mensch ist. Begeisternd, aber freilich
-weniger sicher ist die Gesellschaft der drei schönen und edeln Töchter.
-Die zweite ernst, die dritte muthwillig und froh und die älteste graziös
-und lieblich, erscheinen sie, im Gesange vereinigt, wie das Chor der
-Himmlischen. Vorzüglich die Stimme dieser älteren Schwester ist der
-reinste, vollste und auch höchste Sopran, den ich jemals vernommen habe.
-Wäre sie nicht als Gräfin geboren, so würde sie den Namen auch der
-berühmtesten Sängerinnen verdunkeln. Hört man diese Henriette die großen
-leidenschaftlichen Arien unsers musikalischen Sophokles, des einzigen
-Gluck, vortragen, so hat man das Höchste erlebt und genossen. Oft
-verherrlicht noch ein großer Musikkenner, der Minister Voß, die
-Gesellschaft, und durch seine Vermittlung und aus der Sammlung dieses
-vortrefflichen Mannes haben die Töchter große Sachen von Jomelli, ältere
-von Durante, Leo, Lotti und Allegri, einige höchst seltene vom alten
-Palestrina und dessen Zeitgenossen erhalten, und diese erhabenen
-Kirchengesänge werden in dieser Familie so vorgetragen, wie man es
-vielleicht kaum in Rom so rein und großartig vernimmt. Der Vater,
-nachdem er seine Geschäfte und juristische Laufbahn aufgegeben hat,
-bewirthschaftet seine Güter und hat mit malerischem Sinn für Natur in
-Madlitz einen der schönsten Gärten angelegt und ausgeführt, der uns
-einfach und ohne Prätension die Herrlichkeit der Bäume und Pflanzen
-zeigt und an hundert anmuthigen Plätzen zum poetischen Sinnen und
-phantasiereichen Träumen einladet. Dieser Mann studirt und übersetzt den
-Theokrit und Virgil's Eklogen, so wie einige Gedichte Pindar's. Er
-kennt, was noch so vielen Poesiefreunden eine geheimnißvolle Gegend ist,
-viele alt-deutsche Gesänge und weiß das erhabene Epos der Nibelungen
-fast auswendig. So oft ich in diesem Kreise war, bin ich besser und
-unterrichteter aus ihm geschieden.«
-
-Aus dieser begeisternden Rede schloß ich, daß mein neuer Bekannter der
-Liebe sehr zugeneigt, in diesem selben Augenblick wohl schon ein
-Verliebter sei, daß er wohl auch Anlage zum Dichter besitze. Er heißt
-Ferdinand von Erlenbach und reiset mit noch weniger Absicht als ich in
-die weite Welt hinein. Wir werden wenigstens bis Dresden
-beisammenbleiben, er sendet auch von hier, von Guben, seinen Wagen
-zurück, und wir haben in diesem Städtchen eine Chaise bis Dresden
-gemiethet.
-
-Nach vielfachen Gesprächen, in welchen sich der enthusiastische
-Charakter meines neuen Freundes noch mehr entwickelte, kamen wir,
-nachdem unsre Kutscher sich ohne Noth im Fichtenwalde verirrt hatten,
-gegen Abend in dem Städtchen Guben an, welches für die hiesige Landesart
-eine ganz leidliche Lage hat. Er, der Aufgeregte, ist bei dem schönen
-Wetter noch nach dem Vogelschießen, auf der Wiese draußen, zu dieser
-Bürgerlustbarkeit hinausgegangen. Ich habe keinen Sinn für dergleichen
-poetische Prosa. Das Knallen der Büchsen, diese Gespräche beim Bier, der
-Pfahlwitz dieser Schützen, Alles dies kann weder meine Neugierde noch
-mein Behagen erregen. Er reizt sich aber auf, um dergleichen aus Willkür
-interessant zu finden; will wohl auch die Menschen studiren. Auch denkt
-er einen Jugendfreund aufzusuchen, den er seit vielen Jahren nicht
-gesehn, der sich hier angekauft und verheirathet hat. Ich zog vor zu
-essen, zu trinken und Dir diesen flüchtigen Brief zu schreiben. Gedenke
-Deines treuen Walthers.
-
-Guben, den 15. Junius 1803.
-
- * * * * *
-
-Ferdinand war in der That bis zum Abend beim Scheibenschießen. Er liebte
-dergleichen Volksfeste fast übermäßig und seine Phantasie, wenn er
-gleich nicht mehr in der ersten Jugend war, überzog die Gegenwart, die
-Andern dürr und finster erschien, mit einem glänzenden Firniß. Trotz
-seinem Nachforschen wollte es ihm aber nicht gelingen, seinen
-Schulfreund Wachtel anzutreffen. Die Schützen bedeuteten ihm auch, daß
-dieser nicht zu ihrer Gilde gehöre. In der Vorstadt, wo das ziemlich
-große Haus seines Freundes gelegen war, traf er ihn ebenfalls nicht. Er
-spazierte also halb verdrossen in der Gegend umher und vernahm aus der
-Ferne die Schüsse, die nach der Scheibe zielten, dann begab er sich
-wieder in das zerstreuende Geräusch, hörte hier und dort den Gesprächen
-zu und wünschte so wie die Andern über ungesalzene Geschichten oder
-Familienspäße lachen zu können. So ward es Abend und finster und er war
-immer noch zu verdrossen, um nach dem Gasthofe in der Stadt
-zurückzugehen, und sein Lager aufzusuchen.
-
-Schon entfernten sich nach und nach die Schützen mit ihren Frauen und
-Kindern, ein anmuthig erfrischender Wind strich beruhigend über das
-Gefilde und die Sterne traten heller und bestimmter aus der dunkelblauen
-Wölbung; Ferdinand, der gern in der Nacht umherwandelte, war fast
-entschlossen, im Freien zu bleiben. Da hörte er im nahen Gebüsch wie ein
-Klagen, Seufzen und Schelten durch die Stille des Abends, und als er
-näher trat, bot sich ihm eine Scene wie von Teniers und Ostade dar, die
-zu seinen süßen Träumen gar nicht passen wollte. Ein trunkener Mann lag
-auf dem grünen Rasen und eine Frau, die bald ermahnte, bald wehklagte,
-bestrebte sich, ihn, indem sie ihn am Arme hielt, emporzurichten. Sie
-freute sich, als ein anderer Mann ihr nahte, weil sie in ihrer Angst
-dessen Hülfe sogleich in Anspruch nahm, um den Besinnungslosen nach
-Hause schaffen zu können. Indem Ferdinand den Betäubten aufzurichten
-suchte, erzählte die Frau, wie der Gatte auf einem Kindtaufschmause beim
-Amtmann des nahen Dorfes immerdar gelacht und getrunken, so christlich
-sie ihn auch ermahnt habe; mehr vom Gelächter noch als Wein berauscht,
-sei er auf dem Rückwege zur Stadt, indem auf dieser Stelle erst seine
-Krankheit sich vollständig gezeigt habe, hier schlafend und wie todt
-niedergesunken. Lachend und weinend stemmte sich die Frau, durch
-Ferdinand's kraftvolle Unterstützung sichrer gemacht, bis Beide durch
-richtig angewendete Hebelkraft den Ehemann aufrecht gestellt hatten.
-Beschämt und gerührt fühlte sich Ferdinand, der schon seit einiger Zeit
-im Lallenden und Ohnmächtigen seinen humoristischen Freund Wachtel
-wieder erkannt hatte. Er war nur darüber froh, daß jener Walther, der
-neue Bekannte, bei dieser Nichterkennungsscene nicht zugegen war, da er
-ihm von diesem Herrlichen so viel Gutes und Schönes erzählt hatte, das
-ihm selber jetzt als Unwahrheit erschien. Die beiden Hülfreichen führten
-nicht ohne Mühe und Anstrengung den Unbeholfenen in sein Haus, und
-Ferdinand entfernte sich in der höchsten Verstimmung. Er durchstreifte
-wieder die Landschaft und erfreute sich der lieblichen Sommernacht, die
-warm und doch erfrischend, labend und milde nach dem heißen Tage auf den
-Feldern und Wäldern webte. Die Lichter des Städtchens erloschen nach und
-nach, und seinen Lebenslauf übersinnend, kam der Träumende nach einer
-Stunde zurück, um seinen Gasthof aufzusuchen. Er mußte vor dem Hause des
-trunkenen Freundes vorüber, und als er in die Nähe desselben kam,
-vernahm er deutlich Wachtel's Stimme. Er war unten in einer großen Stube
-zur ebenen Erde und alle Fenster standen, der Sommerwärme wegen, offen.
-Ferdinand kam leise näher und unterschied in der Dämmerung seinen
-Freund, der ruhig neben seiner Frau saß und so in seiner gemessenen Rede
-fortfuhr: -- denn alle Weisheit ist nur Stückwerk, und alle Tugend
-nichts als Flickwerk. Ich betheure Dir, ich war nicht betrunken, wie Du
-Dir einzubilden scheinst, sondern nur etwas anders, als gewöhnlich,
-gestimmt; auch war ich nicht abwesend oder gar besinnungslos, wie Du
-behaupten möchtest, sondern mein Geist schwärmte nur in andern Regionen
-und war eben mit der Lösung der tiefsinnigsten Probleme beschäftigt. So
-geht es mir ja oft, daß auf meinem Zimmer sich beim Buch oder im
-Nachdenken mein Geist in hohen Genüssen ergeht, und ich Dich ebenfalls
-alsdann nicht oder meinen Gevatter Wendling bemerke. Was nun die
-Behauptung betrifft, Du selbst habest mich nebst einem ganz fremden
-Manne, unwissend meiner selbst, hieher in mein Häuslein geschleppt, --
-so ist das nichts weiter, als was mir und Dir alle Tage geschieht, wenn
-wir im Wagen sitzen, über dieses und jenes anmuthig genug discurriren
-und weder wissen noch bedenken mögen, ob weiße oder schwarze Pferde uns
-von der Stelle bewegen. Contrair zeigt es nur von einem geringen Sinne,
-sich um diese Nebendinge allzuängstlich zu kümmern; und wie würdest Du
-selbst mich verachten, wenn ich in einer schönen Landschaft, an welcher
-sich Dein Auge ergötzte, Dich immer wieder auf die Schimmel und den
-rothnasigen Fuhrmann aufmerksam machen wollte. Also, nicht einseitig
-abgeurtheilt, liebe Gattin. Wären wir nicht so schnell stillgestanden,
-was Du selbst verlangtest, um zu verschnaufen, wie Du Dich ausdrücktest,
-so wäre ich dort am Abhang nicht in die Knie und alsbald mit dem ganzen
-Leichnam hinab gesunken oder geschurrt; denn Beine und Schenkel und alle
-jene Muskeln, welche zum Wandeln in Bewegung gesetzt werden müssen,
-thaten ihre Schuldigkeit ganz leidlich, Wille und Vollstreckung immerdar
-im Takt, Eins zwei, Eins zwei; -- nun aber die plötzliche Hemmung -- das
-war den Sehnen, Muskeln, Gebeinen, und wie sie Namen haben mögen, ganz
-unerwartet wie ein Blitzschlag; -- die Geister, die schon Reißaus
-genommen hatten und in Indien und Calekut schwärmten, vergaßen von ihrer
-interessanten Pilgerschaft zurückzukommen, der Wille lauerte vergeblich
-auf Befehl, und die Sehnen und Muskeln, die schon lange des langweiligen
-Takttretens müde waren, fielen ohne von Willen und Geistbefehl und jenem
-hartherzigen Bewußtsein tyrannisirt zu werden, zusammen und blieben
-liegen. Sieh, Schatz, dies ist die pragmatische Geschichte jenes von Dir
-mißverstandenen Vorfalls.
-
-Ganz gut, sagte die Frau, aber ich weiß, was ich weiß, Du kannst mir
-meine Sinne nicht abdisputiren. Vor acht Tagen sagtest Du wieder, wenn
-ich Dich unterwegs nur eine einzige Minute hätte ausruhen lassen, so
-wärst Du hier in der Stube nicht so hingeschlagen, daß es Dir zwei Tage
-im Kopfe brummte.
-
-Richtig, mein Kind, erwiederte der Gatte, mein Genius brummte und
-knurrte damals lange aus Verdruß, daß man auf seine Weisung nicht
-gemerkt hatte. Denn ich war mit Bewußtsein dazumal überfüllt, es waren
-zu viele Lebensgeister gegenwärtig und ein Ueberschwang von Gedanken,
-philosophischen Begriffen und tiefsinniger Nüchternheit quälte mich; so
-war denn nicht Ein Wille bloß meinem Gehn und den Beinen zu Gebot,
-sondern wohl zehn Willenskräfte hantirten in mir und zankten gleichsam
-mit den Lebensgeistern und der obersten Hauptseele oder dem wahren Ich.
-Du sahst auch, wie die Beine zu schnell liefen, wie ich mit den Händen
-haspelte und gestikulirte, die in Wandelsbegeisterung auch Beine zu seyn
-strebten. Hätte ich nun etwas im Freien geruht, so konnte die Hauptseele
-so ein Dutzend Lebensgeister nach allen Richtungen fortsenden, mein zu
-starkes Bewußtsein wurde vernünftig und gemäßigt, und ich fiel nachher
-aus pur übertriebener Nüchternheit nicht hier auf den Fußboden hin. --
-Aber noch schlimmer, daß Du mich bei der fremden Dame, die seit gestern
-bei uns logirt und morgen, oder vielmehr heut, oder vielmehrest
-übermorgen, das heißt, da jetzt Mitternacht vorüber ist, eigentlich
-morgen früh abreisen will, in so schlechten Ruf gebracht hast, als wenn
-ich ein Trunkenbold wäre. Sieh, mein Engel, das fremde gutherzige
-Frauenzimmer reiset nun in alle Welt und hängt mir in den
-allerentferntesten Ländern einen Schandfleck an, und macht mir so in
-Gegenden einen bösen Namen, wo ich noch nicht einmal einen guten oder
-gleichgültigen Ruf errungen habe; es ist sogar möglich, ich werde da
-schon im voraus lächerlich, wo man mich noch gar nicht kennt; denn
-Verleumdung findet weit leichter als Verehrung eine Herberge und Wohnung
-in der Brust der mannichfach redenden Menschen.
-
-Er ist also auch in der Ehe unverbesserlich geblieben, dachte der
-erzürnte Ferdinand und ging in die Stadt. Es war ihm in seiner
-Verstimmung unmöglich, sich jetzt seinem ehemaligen Freunde zu erkennen
-zu geben.
-
-In einem nicht gar bequemen Fuhrwerke verließen die Reisenden Guben und
-zogen langsam durch die Steppen und Fichtenwälder jener Gegend der
-wendischen Lausitz. Sie übernachteten in Wermsdorf und waren erfreut,
-bei Königsbrück eine grünere und freundlichere Natur zu finden. Ein
-schöner, voller und dichter Tannenhain, mit vielen alten Bäumen, von
-schönen Buchen und Birken erhellt, empfing sie nachher, und gegen Abend
-sahen sie von einer Waldhöhe herab in seiner ganzen Schönheit am
-anmuthig gewundenen Strom das liebliche Dresden vor sich liegen.
-
-Ich war schon oft in dieser Stadt, sagte Ferdinand, und doch bleibt mir
-der Anblick dieser Gegend immer neu. Die Hügel, die sanften Thäler
-umher, der schöne Strom, das Grün und die Waldpartien, Alles ist
-zierlich und ergötzlich zu nennen. Erhaben, ernst, feierlich ist diese
-Natur nicht und wir hören hier keine jener Stimmen, die das Ohr unsers
-Geistes wohl in Gebirgen vernimmt. Darum hat diese Gegend so recht
-eigentlich etwas Wohnliches, Behagliches, daß Jedem hier wohl wird, der
-eines Umganges mit der Natur fähig ist.
-
-Sollten das nicht alle Menschen seyn? fragte Walther.
-
-Ich zweifle sehr, erwiederte jener: suchen so viele nicht und vermissen
-in freundlichen Ebenen den Reiz der Gebirge? Entbehren nicht viele
-schmerzlich in schöner Abgelegenheit den Wirrwarr der großen Städte?
-
-Das gehört auch, erwiederte Walther, zu den Erfreulichkeiten Sachsens
-und dieser Residenz, daß man sich frei fühlt, nicht von Mauth und deren
-Dienern grob und stürmisch angefahren und genirt wird; daß keine Habgier
-die Bestechung wie einen Tribut erwartet. Das bildet einen starken
-Abstich gegen das große benachbarte Land, in welchem in dieser Hinsicht
-so vieles zu verbessern ist.
-
-Schon in der Nähe des freundlichen Thorschreibers fielen diese Reden vor
-und die Reisenden stiegen müde vor dem Gasthause, der goldene Engel, ab,
-in welchem sie Erquickung und gute Bewirthung fanden.
-
-
-
-
- Walther von Reineck an den Grafen Bilizki.
-
-
- Dresden, den 19. Juni 1803.
-
-Man sagt mir hier, die Familie Ensen sei in Karlsbad, und dahin werde
-ich also vorerst mit meinem Schwärmer meinen Zug richten, weil ich
-hoffen kann, von diesen Leuten, welche alle Verhältnisse so genau
-kannten, von der schönen Maschinka, oder ihrem Entführer etwas zu
-erfahren. Ferdinand, wie ich ihn der Abkürzung wegen nennen will, führte
-mich sogleich zu einem wackern Schwaben, einem Maler Hartmann hin, so
-wie zu einem sehr poetischen eigenthümlichen Landschaftmaler, Friedrich,
-aus Schwedisch-Pommern gebürtig. Diese wahrhaft wunderbare Natur hat
-mich heftig ergriffen, wenn mir gleich Vieles in seinem Wesen dunkel
-geblieben ist. Jene religiöse Stimmung und Aufreizung, die seit kurzem
-unsre deutsche Welt wieder auf eigenthümliche Weise zu beleben scheint,
-eine feierliche Wehmuth sucht er feinsinnig in landschaftlichen
-Vorwürfen auszudrücken und anzudeuten. Dieses Bestreben findet viele
-Freunde und Bewunderer, und, was noch mehr zu begreifen ist, viele
-Gegner. Historie, und noch mehr viele Kirchenbilder haben sich wie oft
-ganz in Symbolik oder Allegorie aufgelöset, und die Landschaft scheint
-mehr dazu gemacht, ein sinnendes Träumen, ein Wohlbehagen, oder Freude
-an der nachgeahmten Wirklichkeit, an die sich von selbst ein anmuthiges
-Sehnen und Phantasiren knüpft, hervorzurufen. Friedrich strebt dagegen
-mehr, ein bestimmtes Gefühl, eine wirkliche Anschauung, und in dieser
-festgestellte Gedanken und Begriffe zu erzeugen, die mit jener Wehmuth
-und Feierlichkeit aufgehn und eins werden. So versucht er also in Licht
-und Schatten belebte und erstorbene Natur, Schnee und Wasser, und eben
-so in der Staffage Allegorie und Symbolik einzuführen, ja gewissermaßen
-die Landschaft, die uns immer als ein so unbestimmter Vorwurf, als Traum
-und Willkür erschien, über Geschichte und Legende durch die bestimmte
-Deutlichkeit der Begriffe und der Absichtlichkeit in der Phantasie zu
-erheben. Dies Streben ist neu, und es ist zu verwundern, wie viel er
-mehr wie einmal mit wenigen Mitteln erreicht hat. So meldet sich bei uns
-in Poesie und Kunst, wie in der Philosophie und Geschichte, ein neues
-Frühlingsleben. Ganz ähnlich, und vielleicht noch tiefsinniger, strebte
-ein Freund, der erst seit kurzem von hier in sein Vaterland, Pommern
-(auch das schwedische), zurückgekehrt ist, die phantastisch spielende
-Arabeske zu einem philosophischen, religiösen Kunstausdruck zu erziehn.
-Dieser lebenskräftige Runge hat in seinen Tageszeiten, die bald in
-Kupferstichen erscheinen werden, etwas so Originelles und Neues
-hervorgebracht, daß es leichter ist, über diese vier merkwürdigen
-Blätter ein Buch zu schreiben, als über sie in Kürze etwas Genügendes zu
-sagen. Es war eine Freude, diesen gesunden Menschen diese Zeichnungen
-selbst erklären zu hören, und zu vernehmen, was er Alles dabei gedacht.
-Ich suchte ihn im vorigen Jahr, als ich mich auch hier befand, darauf
-aufmerksam zu machen, daß er, besonders in den Randzeichnungen, die die
-Hauptgestalten umgeben, mehr wie einmal aus dem Symbol und der Allegorie
-in die zu willkürliche Bezeichnung, in die Hieroglyphe gefallen sei. Der
-bittre Saft, der aus der Aloe trieft, die Rittersporn, die im Deutschen
-durch Zufall so heißen, können nicht im Bilde an sich Leiden, Reue oder
-Tapferkeit und Muth andeuten. So ist in diesen Bildern manches, was
-Runge wohl nur allein versteht, und es ist zu fürchten, daß bei seiner
-verbindenden reichen Phantasie er noch tiefer in das Gebiet der Willkür
-geräth und er die Erscheinung selbst als solche zu sehr vernachlässigen
-möchte. In derselben Gefahr befindet sich auch wohl Friedrich. Ist es
-nicht sonderbar, daß gerade die Zeit, die mehr Phantasie entwickelt, als
-die vorigen Menschenalter, zugleich im Phantastischen und Wunder mehr
-Bedeutung, Vernunft und äußere und innere Beziehung finden will, als
-früher die Menschen von jenen Productionen der Künste verlangten, die
-doch gewissermaßen ganz aus der Verständigkeit hervorgegangen waren? Man
-sieht aber wieder, wie Ein Geist immerdar sich im Zeitalter in vielen
-Gegenden und Gemüthern meldet. Die Novalis auch nicht kennen oder
-verstehn, sind doch mit ihm verwandt. War es denn auch so zur Zeit des
-Dante? So weit ich jene Jahre kenne, entdecke ich dort diese
-Verwandtschaft nicht. Dieser große Prophet hat in seinem Geheimniß
-dieses Streben, Sache und Deutung, Wirklichkeit und Allegorie immerdar
-in Eins zu wandeln, auf das mächtigste aufgefaßt. Ihn verstehn und
-fühlen setzt voraus und fordert eine große poetische Schöpferkraft; mit
-dem gewöhnlichen Auffassen ist hier nichts gewonnen. Soll man sich aber
-selbst so loben? Im Briefe vielleicht. Und doch gemahnt es mich, als sei
-dies kein Lob. Nur Geweihte sollen Dante's Gedicht lesen. Es ist ja
-keine Bürger- und Menschenpflicht.
-
-Sonderbar, daß viele Menschen, die mit Recht sich etwas darauf
-einbilden, daß sie Runge's und Friedrich's Bemühungen nicht abweisen,
-weil ihr Poesiesinn den Schöpfungen entgegenkommt, doch die tiefsinnige
-und ebenso liebliche Symbolik und Allegorie in Correggio's einzigen
-Werken nicht fühlen und anerkennen. Wer nichts als den Maler in ihm
-sieht, der mit Lichteffekten spielt, mag nicht gescholten werden, wenn
-er mehr als einen Niederländer höher stellt. Runge selbst war immer von
-diesem großen Dichter auf das tiefste ergriffen, und es ließ sich mit
-diesem hochbegabten deutschen Jünglinge über diese Gegenstände sehr
-anmuthig sprechen und schwärmen. Freilich merke ich wohl, daß ich, gegen
-meinen Begleiter Ferdinand gehalten, mich noch sehr prosaisch ausnehme.
-
-Wir standen vor Rafael's sogenannter Sixtinischen Madonna. Es ist
-schwer, von einem so ewigen, ganz vollendeten Werke etwas Bedeutendes zu
-sagen, und um so schwerer, je öfter und weitläuftiger schon begeisterte
-Bewunderer oder forschende Kenner sich darüber haben vernehmen lassen.
-
-Kein Werk, darin kommen alle überein, ist von Rafael so leicht, mit so
-weniger Farbe, so weniger Ausführung gemalt. Es hat darüber, weil es
-wohl rasch gefördert ist, fast den Charakter eines Freskobildes; in
-Hinsicht der Einfachheit, Erhabenheit, steht es vielleicht, wenn man
-einmal unterordnen will, allen Arbeiten dieses größten Malers voran. Es
-kommt mir vor, als wenn diese sublime Erscheinung jene Ausführlichkeit
-so vieler anderer Meisterwerke nicht zuließe. Denn wie eine Erscheinung
-wirkt dieses Kunstwerk. Es ist sehr zu tadeln, daß man es so nachlässig
-eingerahmt hat; denn oben ist vielleicht eine Handbreit oder mehr
-umwickelt, wodurch die grünen Vorhänge und der obere lichte Raum
-verkürzt sind. Denkt man sich dieses jetzt Mangelnde hinzu, so schwebt
-die Gestalt der Maria, sowie des Sixtus und der Barbara noch deutlicher,
-noch mehr und lebendiger herab. Die Vision der drei Heiligen steigt in
-die Kirche selbst hernieder, sie erscheint über dem Altar, und Maria
-bewegt sich im Niederschweben mit dem ernsten Kinde in den Armen
-zugleich vor. Diese doppelte Bewegung erklärt den Flug des Schleiers,
-sowie das Zurückstreben des blauen Gewandes; der verklärte Papst, im
-brünstigen Gebet, ist gleich in dieser knieenden Anbetung und Stellung
-gewesen. Die heilige Barbara stand der Mutter Gottes nahe, doch
-geblendet von der Majestät und fast erschreckt von den tiefsinnigen
-Augen des Kindes ist sie so eben in die Knie gesunken und wendet das
-Antlitz. Diese Verbindung der früheren und späteren Bewegung liebte
-Rafael, fast alle seine Bilder zeigen sie, und keiner hat ihn in dieser
-Kunst, auf diese Weise wahres Leben, Seele in die Stellungen und Gruppen
-zu bringen, jemals erreicht. Die Engel, als Herolde, sind schon früher
-angelangt, und stützen sich unten ruhend auf dem Altar selbst. Getrost,
-kindlich unbefangen erwarten sie die Heiligen, und der Tiefsinn der
-Kindheit contrastirt mit dem Angesicht Christi und dem strengen Ernst
-seiner Augen gar schön. Mir unbegreiflich, wie manche seyn wollende
-Kenner dieser Barbara etwas Weltliches oder gar Coquettes haben
-andichten wollen. Andre meinen, das Bild sei noch edler, wenn die Figur
-der Maria ohne alle Begleitung erschiene. Für wie Viele, und die doch
-gern mitsprechen, ist das Vollendete doch immerdar ein fest versiegeltes
-Buch, und eben darum, weil es vollendet ist. Die Mehrzahl der Menschen
-kann sich nur am Einzelnen entzücken. Ihr Streben, sowie sich ihnen in
-Kunst oder Poesie etwas Mächtiges und Schönes anbietet, ist, sogleich
-das Werk zu vereinzeln, um sich dieses und jenes, entweder mit Kälte
-oder Hitze anzueignen. Die Kalten sind die sogenannten Kenner, die oft
-mit solcher Wegwerfung diese oder jene Zufälligkeit oder eine Nebensache
-bewundern, daß man, ihren Reden nach, auf den Argwohn kommen müßte, es
-sei besser, wenn gar keine Kunst oder Poesie die Welt verwirre. Die
-Hitzigen versetzen sich zuweilen bis zu Thränen in eine ängstliche
-Leidenschaftlichkeit, um ja nur recht bestimmt etwas zu isoliren, irgend
-ein Schönes, das freilich sich wohl auch im Kunstwerke findet. Nur
-verdient dieses Einzelne erst das Lob, und kann nur verständig seyn,
-wenn es aus dem Innern des Werkes und seiner Totalität verstanden wird.
-Aber von dieser innern, nothwendigen Vollendung, wodurch erst ein
-Kunstwerk diesen Namen verdient, von dieser Ueberzeugung wollen die
-Eifernden wie die Besonnenen in der Regel nichts wissen; diesen Glauben
-erklären sie geradezu für Aberglauben. Sie können ein Werk nur
-bewundern, wenn sie es für eine Annäherung, aber freilich mangelhafte,
-zu jenem unsichtbaren, unfühlbaren und unbezeichneten Ideal halten,
-welches ihnen im chaotischen Nebel vorschwebt.
-
-Es ist merkwürdig, wie sich so oft die Extreme berühren. Diese
-Rafael'sche Maria hätte vielleicht niemals copirt werden sollen und kein
-anderes Bild ist von Stümpern und geschickten Zeichnern so oft
-wiederholt worden. Den besten aber fehlt das geistige Auge, die wahre
-Gestalt der Maria wieder zu finden. Vielleicht wäre dem schaffenden
-Meister selbst keine Copie ganz gelungen. Am schlimmsten sind einige
-Oelbilder, bloß die ganze Figur der Maria, ausgefallen. Ich kenne
-welche, die aus dieser erhabenen Gestalt etwas Freches und Gemeines
-gemacht haben.
-
-Unser Entzücken vor dem Gemälde wurde auf eine sonderbare Art gestört
-und unterbrochen. Ein Mann in mittleren Jahren, mit einem scharfen
-Gesicht und einer etwas rothen Nase, kam mit stolperndem Gang und einem
-schreienden Ton auf uns zu, und schloß meinen verzückten Ferdinand, ob
-sich dieser gleich etwas sträubte, fast zu heftig in seine Arme. Er
-nannte sich Wachtel, kam von Guben herüber und hatte unsre Namen im
-Thorzettel gelesen. »Ihr steht hier«, rief er unmittelbar nach der
-Begrüßung, »vor dem allercuriosesten Tableau, das der Mensch nur
-ersinnen kann. Es ist ohne Inhalt und stellt eigentlich gar nichts dar.
-Man kann sich aus den Abendwolken bessere Geschichten zusammensetzen. Wo
-kommen diese Creaturen her? Wo wollen sie hin? Warum blieben sie nicht,
-wo sie waren? Das kommt mir vor wie manche Menschen, die immer eine
-wichtige Miene machen und hinter diesem nachdenklichen Gesichte doch gar
-nichts denken. Der Zuschauer muß sich nun zwingen, noch weniger zu
-denken, und das nennt er dann eine erhabene Stimmung. Wie man beim
-Feuer, wenn es mächtig um sich greift, oft klug thut, zwei oder drei
-Häuser einzureißen, damit nicht hundert zu Grunde gehn, so sollte ein
-durchgreifender Menschenfreund, wie der Kalif Omar, einmal so ein
-tausend gepriesene Meisterwerke in den Ofen stecken, damit eine Kluft,
-ein leerer Raum entstünde, und diese Krankheit von unnützer Bewundrung,
-die immer weiter um sich greift, in sich erstickte, daß die armen
-Menschen einmal wieder frische Luft holten und zur Besinnung kämen. Was
-seht ihr z. B. auch dort an dem Tizianschen Christus mit der Münze? Ich
-habe einen Schacherjuden gekannt, der ganz wie dieser angebliche Heiland
-aussah. Diese Maler sind lustige, boshafte Kerle gewesen, und es ist zu
-verwundern, daß ihnen die Geistlichkeit nicht mehr auf die Finger
-klopfte. Die Satire, wie der Jude hier die Münze und den Versucher
-ansieht, wie die langen Finger so gern mit dem Geldstück eins werden
-möchten, ist doch allzusehr in die Augen fallend.«
-
-Ferdinand, der mir vor einigen Tagen soviel Wunder und Schönes von
-diesem Jugendfreunde erzählt hatte, hätte aus der Haut fahren mögen und
-durfte doch den täppischen Gesellen nicht verleugnen. Er war aber
-dunkelroth vor Scham, denn noch kurz zuvor hatte er mir und den
-Umstehenden bewiesen, wie in diesem Bilde, »Christus mit der Münze,«
-sich Tizian, der nur selten erhaben sei, selber übertroffen habe. So
-sehr er sich wehrte, mußte er sich doch von seinem Freunde zu den
-Teniers und einigen andern niederländischen Bauernscenen schleppen
-lassen, wo dieser Wachtel sich unter lautem Lachen ganz glücklich und
-behaglich fühlte. --
-
- * * * * *
-
-Nachdem Walther diesen Brief abgesendet hatte, kehrte er zu seinem
-Freunde Ferdinand zurück, den er im heftigen Wortwechsel mit Wachtel
-antraf. Was giebt es, fragte er, worüber man so laut streiten könnte?
-Wachtel nahm sogleich das Wort und erzählte mit großer Lebhaftigkeit:
-die Sache, werthgeschätzter Unbekannter, betrifft, kürzlich zu sagen,
-das Herz und die Liebe. Ich bin des Undankbaren ältester Freund, und er
-will es mir verwehren, hier mit ihm zu seyn und ihn nach Teplitz und
-Karlsbad zu begleiten. Ist das nicht reelle Undankbarkeit? Ich komme
-her, sehe ihn nach Jahren wieder, und will mein verdumpftes Herz in
-lichtender, frischer Liebe auslüften und durch heilsame Erschütterungen
-von Motten und allem unnützen Gespinste reinigen, und er will es mir
-verwehren, ihn zu begleiten, weil ich ihn, wie er vorgiebt, in seiner
-verstimmten Erhebung nur störe. Auch hat er, wie immer, allerhand von
-Geheimnissen, die ich ihm allzuroh und derb betasten, oder vielleicht
-gar erdrücken möchte, denn er liebt es, sich selbst zu verhätscheln, und
-doch hat der arme Schelm seine ganze Schwärmerei nur einzig und allein
-von mir gelernt, was er freilich jetzt, nach so manchen Jahren, nicht
-mehr Wort haben will.
-
-Ferdinand mußte lachen und sagte: nun, so begleite mich denn, Freund
-Wunderlich, wenn jener Herr, mit welchem ich mich schon für einige Zeit
-versprochen habe, nichts gegen die Vermehrung der Gesellschaft hat.
-Walther schien über die neue Bekanntschaft erfreut, die ihm manche
-Aufheiterung versprach, und man nahm sogleich die Abrede, vorerst nach
-Teplitz zu reisen, um zu erfahren, wie man sich untereinander vertrüge.
-
-An einem trüben Tage reisete die Gesellschaft von Dresden ab, ziemlich
-spät, so sehr auch Ferdinand getrieben hatte, damit man noch zeitig in
-Teplitz anlangen könne. Der bequeme Walther aber, der es nicht in der
-Art hatte, Zeit und Stunde sehr zu beachten, hatte die Stunde versäumt.
-Die schöne Gegend bei Pirna, die anmuthige bei Gießhübel, die
-Waldpartien, die wechselnden Aussichten ergötzten alle. Auf der Grenze
-wurden die Reisenden, die nicht viel Gepäck mit sich führten, nur wenig
-aufgehalten. Der Weg bis zum Nollendorfer Berg hinauf war ermüdend und
-langweilig, denn schon in Peterswalde hatte sich ein dichter Nebel
-herabgesenkt, der jede Aussicht verdeckte. Oben auf dem höchsten Punkte
-des Berges von Nollendorf steht eine kleine Kirche. Hier stiegen die
-Reisenden aus, um, wo möglich, etwas von der Schönheit der Natur zu
-genießen.
-
-Der Wagen fuhr indessen das Thal hinunter, als die Naturbeobachter noch
-oben im dichten Nebel standen und kaum die nächsten Sträucher am Wege
-unterscheiden konnten. Wachtel sagte: Eigentlich, meine Freunde, ist
-dies, was wir hier nicht sehn, und indem wir nichts sehn, der erhabenste
-Anblick der Natur. Dies ist ein Bild vom alten uranfänglichen Chaos,
-welches der wundersame Großvater aller Formen und Gestaltungen war. Wir
-übereilen uns, wenn wir uns das Nichts als nichts denken wollen: was
-sich weder denken noch vorstellen läßt. Nein, so wie wir es hier vor uns
-sehen, ist das Nichts beschaffen. Alles, so weit man sieht und denkt,
-ein unreifer Brei, eine angehende Milch, ein blöder Lehrling für ein
-Sein. Wie Silhouetten-Gespenster dort die Bäume und Sträucher, eben nur
-zu errathen, Finsterniß in diesem bleichen Dunkel, dort ebenso die Wand
-der Kirche. Alles nur Räthsel: steht da, wie Aberglauben im Meere der
-Unvernunft. Wenden wir nun einmal dieses eingebräute Gleichniß vor uns
-auf unsre eignen Köpfe an, so -- --
-
-Hier versagte dem Schwatzenden das Wort im Munde, denn einem Wunder
-gleich riß sich eine große breite Spalte in dem dichtgewundenen Nebel,
-und grünes Land, sonnenbeglänzter Wald lag unten, gegenüber funkelnde
-Berge im wachsenden Lichte. Kaum entdeckt, brachen links und rechts neue
-Klüfte im weißen Nebelmeer auf, und wie selige Inseln zeigten sich von
-allen Seiten Gebirg und Flur im spielenden Glanz des fluthenden
-Sonnenscheines, indessen noch dazwischen wie Wände oder Säulen die
-ineinandergeflochtenen Wolken alle Aussicht deckten. Nun entstand ein
-Kampf zwischen Licht und Dunkel: Alles wallte und zog hin und wieder.
-Die Wolken löseten sich in Streifen, die leichter und wolliger
-zerflossen und sich endlich in den Glanz verloren und untertauchten. So
-wurden von unsichtbarer Hand allgemach die Vorhänge weggehoben und das
-ganze Gebirge mit seinen schönen Formen lag weit ausgebreitet in allen
-Abstufungen des vollen und gemilderten Lichtes vor den Augen der
-entzückten Beschauer.
-
-Diese Landschaft, rief endlich Ferdinand aus, muß eine der schönsten in
-Deutschland seyn.
-
-Wie oft ich auch die Reise machte, sagte Walther, so habe ich doch
-niemals dieses überraschende Entzücken genossen, welches mich heut
-ergriffen hat. Wie herrlich wäre es, wenn der Elbstrom durch dieses Thal
-flösse, denn nur Wasser fehlt dieser lieblichen Natur.
-
-Sprechen wir nur nicht so, rief Wachtel aus, wie ich dergleichen schon
-so oft habe hören müssen. Ihr waret ja eben noch entzückt, Freunde, und
-schon fangt ihr an, Mangel zu empfinden, zu kritteln und zu kritisiren.
-Wie schön der Anblick eines gewundenen Stromes auch sei, wenn er wie ein
-belebender Geist hin durch die Landschaft glänzt, so paßt er doch nicht
-in jede Naturscene hinein. Hier, wo Alles lieblich, so einklingend ist,
-würde er mich nur stören: er höbe das Gefühl dieser behaglichen
-Einsamkeit gewissermaßen auf. Rhein, Neckar, Mosel und der schöne Theil
-der Elbe beherrschen die Gegend, durch welche sie strömen, prägen ihr
-den Flußcharakter auf; hier aber führen die schönen Gebirge unmittelbar
-selbst das Wort. Stören kann oft eine kahle, unbedeutend schroffe Wand,
-wenn sie zwischen den schönen Linien der Gebirge sich eindrängt, ein
-nackter Hügel, dem man die Waldung geraubt hat, eine wüste Sandfläche,
-die sich todtenbleich und krank zwischen lustiges, lebensvolles Grün der
-Fluren wirft, aber hier, Freunde, ist Alles so ganz und voll, daß euch
-nichts mangeln sollte.
-
-Sie stiegen jetzt beim schönsten Wetter den Berg hinab. Ein Fußpfad
-führte sie durch den Wald, aus welchem sie bald hier, bald dort wieder
-den freien Ausblick zu den Gebirgen hatten. Die Frühlingsvögel sangen
-nicht mehr, aber durch die feierliche Einsamkeit schrillten und zirpten
-die kleinen Vögelchen ihre einfachen kindischen Melodien.
-
-Sie trafen im Thale ihren Wagen wieder, aber die Abendsonne beschien die
-Kapelle oberhalb Culm und den Weingarten, auf welchem sie schimmerte, so
-einladend, daß die Uebrigen Walther's Vorschlage gerne folgten, noch zum
-Hügel hinaufzuklimmen, um den Untergang der Sonne von dort zu genießen.
-Die Freude an der Natur erzeugt oft, indem man in der Aufregung keine
-Ermüdung fühlt, eine Art von Rausch, welcher dann Mattigkeit und
-Ernüchterung herbeiführt, wenn man, wie beim Wein, die Sättigung zu
-lange hinausschiebt. So erging es den Reisenden. Die Sonne war
-untergesunken, sie stiegen in der Dämmerung hinab und hatten noch bis
-zum Nachtquartier einen ziemlich weiten Weg vor sich. Der Fuhrmann
-schmollte über die unnütze Verzögerung, um so mehr, da die Finsterniß,
-schnell wachsend, hereinbrach. Jetzt fühlten die Abentheurer obenein,
-daß sie, aus Freude an der Reise und weil sie spät von Dresden
-ausgefahren, das Mittagmahl versäumt hatten, und mit der zunehmenden
-Ermüdung und Dunkelheit wuchs in ihnen Hunger und verdrüßliche Stimmung.
-Es wurde völlig finster, so daß man die nächsten Gegenstände, selbst den
-Weg nicht mehr unterscheiden konnte, und der Fuhrmann, der der Gegend
-unkundig war, erklärte auf das Bestimmteste, daß er in dieser
-pechrabenschwarzen Nacht unmöglich schneller fahren könne, wenn er nicht
-sich und seine verehrten Herren der wahrscheinlichsten Lebensgefahr
-aussetzen wolle.
-
-Mühselig, verdrossen, langsam ging die Reise fort. Immer noch erschien
-Teplitz nicht, und Mitternacht war schon längst vorüber. Endlich ersahen
-die Verstimmten eine dunkle Masse, in welcher nur wenige Lichtpunkte
-flimmerten, vor sich. Der Kutscher fuhr seitwärts, wie es schien, um das
-Thor zu finden. Keine Antwort auf wiederholtes Rufen und Klopfen.
-Endlich hörte man von innen, daß dies die Wohnung des Küsters und der
-Eingang zum Kirchhof sei. Der Kutscher tastete herum und fand ein großes
-Gatterthor. Noch weniger ward hier auf das laute Klopfen und Schreien
-Rücksicht genommen. Es war vom Felde her der Eingang zum sogenannten
-Fürstenhause. Mühselig fand man sich in der trüben Finsterniß zum Thore
-und zur Töpferschenke hin. Hier schlief aber längst Alles. Ein Kellner
-und eine Küchenmagd erschienen endlich, nur halb erwacht. Der Wagen ward
-untergeschoben, die Zimmer schloß man auf. Die Aufwartenden verwunderten
-sich übermäßig, daß die Ankommenden noch zu speisen begehrten. Butter,
-Schinken und ein kaltes Huhn wurden, nach vielem Widerspruch, nebst
-einer Flasche Wein noch herbeigeschafft. Die Betten waren in Ordnung.
-Aus Mitleid ließ man die Aufwärter wieder schlafen gehen. Doch Walther
-bildete sich ein, er fröre und habe sich erkältet. Ein großes Kamin war
-im Zimmer, und Wachtel, der allenthalben die Augen hatte, entdeckte auf
-dem Gange einige Scheite Holz. Man versuchte ein Feuer zu machen, das
-anfangs hell brannte, bald aber das Zimmer mit Rauch anfüllte. Es ward
-entdeckt, daß das Kamin oben zugemauert, also nicht zu gebrauchen war.
-Die Uebermüden hatten viele Noth, bis sie den Rauch wieder durch die
-Fenster hinausgetrieben hatten. So, ungesättigt, matt, verdrossen und
-überreizt begaben sie sich auf ihr Lager, indem Wachtel noch behauptete,
-es sei nichts so mit Pein versalzen, als die Vergnügungen des Lebens.
-
- * * * * *
-
- -- Viel lieber durch Leiden
- Möcht' ich mich schlagen,
- Als so viel Freuden
- Des Lebens ertragen. --
-
-So sang am Morgen Wachtel mit lauter Stimme und erweckte die beiden
-schlafenden Freunde. Als Alle munter und angekleidet waren, erschien das
-Frühstück und mit ihm die Wirthin, die es entschuldigte, daß die
-Reisenden in der Nacht eine so schlechte Aufnahme gefunden hätten. In
-der Entschuldigung wegen des Rauches war ein gelinder Vorwurf
-eingehüllt, daß man sich ohne Anfrage zu willkührlich des Feuers
-bemächtigt habe. Bei der neuen Einrichtung, schloß die Frau, sollten
-diese Zimmer nur für den Sommer benutzt werden, und ich will diesen
-ungeschickten Kamin auch noch fortschaffen lassen, damit er nicht öfter
-Irrungen veranlaßt.
-
-Der Spaziergang nach Dorna ergötzte die Freunde, sie wandelten dann nach
-der Liebemay, einem anmuthigen Walde. Allenthalben erfreute der Anblick
-der Gebirge.
-
-Am folgenden Tage sollte ihr Kutscher sie nach Dux bringen, sie
-geriethen aber, da er des Weges unkundig war, nach Kloster Ossek. Auf
-dem Rückwege besahen sie Dux und die Andenken an den berühmten und
-berüchtigten Wallenstein, der seit einigen Jahren durch des edlen
-Schillers Gedicht für die deutsche Nation ein neues Interesse bekommen
-hatte.
-
-Die Bergstadt Graupen und ihre alte Kirche, die Ruine oben und die
-schöne Gegend nahmen den folgenden Tag in Anspruch. In der Kirche traf
-Walther zwei Damen aus Berlin, Mutter und Tochter, und sie beschlossen,
-die Spaziergänge in Gemeinschaft zu besuchen. Wir werden noch den jungen
-Herrn von Bärwalde hier sehen, den wir gestern in Bilin fanden, sagte
-die Mutter, einen jungen Mann, den wir im vorigen Winter kennen lernten.
-Ein bescheidenes, stilles Wesen, setzte die Tochter die Beschreibung
-fort, ich habe in meiner Vaterstadt, in Berlin, mit ihm getanzt: er war
-fast zu ernst und verschlossen und tanzte auch mit einer gewissen
-feierlichen Miene. Alles dies wurde still und fast ängstlich während des
-Gottesdienstes in der Kirche verhandelt, und so leise sie sprachen,
-sahen die andächtigen Böhmen doch mehr wie einmal drohend nach den
-Ketzern sich um. Plötzlich sprangen zwei junge, wohlgekleidete Leute
-durch die Thür der Kirche, stellten sich laut sprechend in die Mitte,
-den Rücken gegen den Altar und Priester gekehrt, und kritisirten die
-Gruppen der hölzernen Figuren, die gegenüber auf dem Chore einen Theil
-der Leidensgeschichte, kräftig und wild ausgearbeitet, darstellten, so
-wie man unten an der Seite durch gelbgefärbtes Glas in das Fegefeuer und
-die Qual der Sünder hineinsah; Alles auch ganze Figuren. Waren diese
-Gegenstände auch nicht der Kunst, vielleicht selbst der Kirche nicht
-ganz geziemend, so war das überlaute Gespräch und Lachen der Jünglinge
-ungezogen und so anstößig, daß die Damen, von den drei Reisenden
-begleitet, in großer Angst aus der Kirche flüchteten.
-
-Um des Himmels Willen! rief das junge Mädchen, indem sie die Höhe
-hinanstiegen, kennen Sie, liebe Mutter, den sanften, trocknen, zu
-bescheidenen Tänzer in diesem übermüthigen, affektirten Don Juan wieder?
-
-Ist Ihnen denn, werthes Fräulein, sagte Walther, dieser Ton der
-sogenannten feinern Welt noch unbekannt geblieben? Diese neumodischen
-ungezogenen Herren, die in Gesellschaften, im Schauspiel und in der
-Kirche sich lärmend und schreiend betragen, sind beim Tanze so steif und
-ehrbar, daß sie um Alles nicht lachen oder lächeln und ihre Tänzerin
-kaum noch mit einem finstern, halb abgekehrten Blicke ansehen. Auf dem
-Balle darf sich keine Spur von Fröhlichkeit zeigen, sie tanzen, als wenn
-sie zur Frohn arbeiteten, oder wie die Baugefangenen mit Schellen und
-Klötzen an den Beinen.
-
-Die Frauen hatten solche Furcht vor jenen beiden Jünglingen, daß sie in
-der Gesellschaft der Reisenden über Maria-Schein schnell nach Teplitz
-zurückkehrten. Nach dem Mittagsessen traf man sich auf dem Schloßberge
-wieder, von wo man am schönsten das ganze Thal von Teplitz übersieht,
-und Abends begab man sich in das kleine Theater.
-
-Ein ächt deutsches Stück wurde gegeben: »Der seltne Prozeß.« Ein
-verarmter, rechtlicher, frommer und bibelfester Weber weiß seiner Noth
-kein Ende, um so weniger, da seine Frau ihn seit Kurzem mit Zwillingen
-beschenkt hat. Der Segen des Himmels, den beide dankbar anerkennen,
-drückt sie aber so zu Boden, daß nach langem Kampfe und vielem Schmerz
-sie sich entschließen, das eine Kind in der Nacht einem reichen Manne
-heimlich zu übergeben. Dieser aber hat in derselben Nacht schon ein
-Wickelkind erhalten, er läßt Acht geben, und als der Arme jetzt mit
-schwerem Herzen seinen Sohn dem Zufall und der Menschenliebe übergeben
-will, wird er ergriffen, gescholten und ihm, der nicht zu Worte kommt,
-das dritte Kind mit Gewalt in die Arme gelegt. Mit diesem Segen und
-Jammer befrachtet, muß er nach Hause gehen, und die Klagelieder der Frau
-kann sich Jeder denken. Indessen ist schon die unerwartete Hülfe nah.
-Eine Summe Geldes bringt der neue Ankömmling mit und ein Schreiben, daß
-für die Ernährung des Kindes reichlich soll gezahlt werden. Nun wird
-große Freude aus der Trauer. Aber der Reiche erfährt diese Entwickelung,
-er will das Kind sammt dem Gelde und der Verköstigung zurück haben, und
-so wird der seltne Prozeß vor Gericht geführt. Ein edler Advokat, der
-die Sache des armen Webers führt, weist sich endlich als der Vater des
-Findlings aus, und Alle werden am Schluß zufriedengestellt. Ein
-komischer Richter erheitert die Verhandlung.
-
-Es waren noch nicht viele Brunnengäste in Teplitz und darum, besonders
-bei dem schönen Wetter, das Theater sehr menschenleer. Eine hohe, edle
-Gestalt gab sich die Mühe, den Schauspielern und dem schlechten Stücke
-oft zu klatschen und sie durch lauten Beifall zu ermuntern. Walther
-erkannte, als sie nach dem Stücke noch den Garten besuchten, in ihm den
-berühmten witzigen Prinzen de Ligne, der hier meist den Sommer
-zubrachte. Als Walther ihm seine Begleiter vorgestellt hatte, erklärte
-der geistreiche Prinz, daß es ihm nicht darum zu thun sei, die gespielte
-Armseligkeit für etwas Gutes auszugeben, sondern es komme ihm nur darauf
-an, die armen Schauspieler etwas zu ermuthigen.
-
-Ist es nicht, fügte Walther hinzu, um diese ernsthaften Deutschen etwas
-Sonderbares! Wenn der heutige Schwank theatralisch gelten sollte, so
-müßte er eben als Schwank, als Posse vorgetragen werden. In diesem Sinne
-sah ich die Geschichte vor einigen Jahren in Rom spielen. Ein
-eigensinniger Misogyn jagt seinen Bedienten, Truffaldin, aus dem Dienst,
-weil er gehört hat, er sei verheirathet. In komischer Verzweiflung kommt
-der Spaßmacher nach Hause und findet die Zwillinge. Possierlicher Jammer
-der Aeltern, was anzufangen sei. Der Entschluß wird gefaßt, das Kind dem
-Findelhaus zu übergeben. Aber welches? Beide Kinder machen auf gleiche
-Liebe Anspruch. Man streitet, zankt, weint und lacht: der Zufall soll es
-entscheiden, und die Kinder werden wie Loose übereinandergerollt und
-Truffaldin greift blindlings hinein. Beim Findelhaus wird ihm aber der
-dritte Säugling nach einigen Schlägen, die er mitnehmen muß,
-aufgezwungen, und in dieser burlesken Art entwickelt sich, ohne Prozeß,
-so viel ich mich erinnern kann, das tolle Lustspiel. Die Italiener, die
-gerne lachen, hatten große Freude an dieser lustigen Parodie der
-Väterlichkeit und des menschlichen Elends, viele gesetzte Deutsche aber,
-die sich alle zu den guten und besten Köpfen rechneten, meistens
-Vornehme, die sich sonst nicht von der Moral geniren ließen, fanden den
-Spaß äußerst unsittlich und folgerten aus dem Lachen des unbefangenen
-Volks, das durch halbe Cultur noch nicht verdreht war, die tiefe
-Versunkenheit der Italiener, weil sie beim mindesten edeln Gefühl
-dergleichen Abscheulichkeit nicht würden dulden können.
-
-Das Albern-Sentimentale, fuhr Wachtel im Gespräch fort, diese Krankheit,
-die dem wahren Gefühle ganz entgegengesetzt ist, hat von je bei den
-Deutschen gütige Aufnahme gefunden. Doch sind die Franzosen in vielen
-ihrer Dramen und Romane auch nicht frei von dieser nervösen
-Hautkrankheit. Den schlimmsten Ausschlag hat wohl unser Kotzebue gehabt
-und gegeben. Hiob rieb sich in seinem Elend mit Scherben: wir gehn in
-die Komödie, um uns zu erleichtern. »Der kratze sich, den es juckt,«
-sagt Hamlet: das thun wir denn redlich.
-
-Der Fürst lachte und nach einigen Wechselreden trennte man sich, weil es
-schon spät geworden war. Von Karlsbad schrieb Walther folgenden Brief an
-seinen Freund nach Warschau.
-
- Karlsbad, den 28. Junius 1803.
-
-Die Familie Essen habe ich aufgesucht, so wie ich nur hieher kam. Aber
-ich weiß nichts Bestimmteres, da diese Leute, die etwas träge scheinen,
-selber keine nähern Nachrichten haben. Nur so viel scheint aus Allem
-hervorzugehen, daß der Entführer oder Verführer sich unter verschiedenen
-Namen herumgetrieben hat, und daß es deswegen um so schwieriger ist, ihm
-auf die Spur zu kommen. Nach Franken deuten die etwanigen unbestimmten
-Anzeigen. Ich muß es also fast dem Zufalle überlassen, ob ich ihn oder
-sie auf meiner seltsamen Pilgerfahrt antreffen werde. Man wird selber
-saumselig, wenn man sieht, wie wenig die Menschen sich ereifern, die die
-Sache doch auch, der Verwandtschaft wegen, interessirt.
-
-Mein wunderbarer Reisegefährte Ferdinand wird mir um so lieber, je öfter
-ich mit ihm zanke, je weniger ich in eine von seinen seltsamen Meinungen
-eingehen kann. So wie man von Sachsen aus die böhmische Grenze betritt,
-ist Natur und Menschenstamm anders. Am auffallendsten aber ist das
-katholische Wesen, die Heiligenbilder und Crucifixe auf Wegen und
-Stegen, in Dörfern und Städten, abseits auf dem Felde, wo man nur
-hinsieht, begegnen dem Auge diese hölzernen und aus Stein gemeißelten
-Figuren, die meisten, wie sich von selbst versteht, widerwärtig,
-schroff, und die Gemälde und angestrichenen Passionsfiguren blutig und
-unannehmlich. Engel, die in Kelchen das Blut des Heilandes auffangen,
-das Antlitz des Erlösers beregnet von rothen Tropfen, Maria meist mit
-nußgroßen Thränen, und Alles, wie in der Kirche zu Graupen, darauf
-hingearbeitet, um Schauder und Grauen zu erregen.
-
-Als ich nun einmal darüber klagte, wie so Vieles in unserm Vaterlande,
-welches öffentlich aufgestellt wird, mehr dazu dient, die Barbarei zu
-befördern und das Auge zu verderben, anstatt den Sinn für Schönheit zu
-nähren und zu erhöhen, gerieth er in einen erhabenen Zorn und rief nach
-manchen Aeußerungen: Wüßten wir doch nur erst, was Schönheit ist und was
-wir so nennen sollen! Ist sie denn nicht so oft nur eine Verlarvung des
-Lebens und der Wahrheit? Auch die alten Griechen, uns Musterbilder im
-Schönfühlen, hegten vor jenen Klötzen und Unformen, die ihnen aus
-uralter, fast vorgeschichtlicher Zeit überkommen waren, eine heilige
-Ehrfurcht und Scheu, und die Frommen fühlten vor diesen Fratzenbildern
-in Ahndung und Erinnerung mehr, als vor jenen neuen, schöngeschnitzten
-Götterbildern. Die Süßlichkeit mancher neuen Maler oder Bildner, wenn
-sie den Heiland als einen Siegwart, oder empfindsamen verliebten
-Landprediger, oder im Akt des Brodbrechens als einen idealisirten
-Bäckergesellen darstellen, ist mir das Verhaßteste in allen Verirrungen
-unserer gefühlvollen Zeit. Das Leiden des Gottmenschen, die Geheimnisse
-unserer Religion, die Wehmuth, der Schreck unseres Innern, die uns von
-dieser dunkeln, zu nahen Erde in die himmlischen Regionen des Glaubens
-und Anschauens hinaufrücken sollen, können und dürfen anderer Natur
-seyn, als jene Bewegungen, die uns das Schöne erregt. Wo der Landmann
-seine Aecker überschaut, der wilde Jäger aus seinem Forst tritt, der
-fremde Wandersmann in den Bezirk kommt, sehen sie die Hinweisung auf
-Erlösung, Erbarmen, Mitleid und das Wunder des Ueberirdischen. Wird
-durch Fleiß und Thätigkeit, durch Tugend und Kraftanstrengung nicht
-immerdar etwas Geistig-Göttliches von der Qual und vom Tode erlöst?
-Geschieht nicht auch dieses in Arbeit und Mühe durch Schmerz und
-Aufopferung? Der Bettler empfängt in jedem Brodschnitt nicht nur die
-Milde des Gebers, sondern auch dessen Kampf und Schweiß. So weit diese
-Bilder hier in den frommen Gauen stehen, werfen sie ihre leuchtenden
-Strahlen segnend über die Aehren und die Früchte, über den jungen Wald,
-Bäche und Wege dahin, und Alles, so weit das Auge reicht, ist wie
-gesegnet und über den Tod und Fluch des Irdischen erhaben.
-
-Wir fuhren über Dux, Brixen und Saatz, wo wir Mittag machten. Der Abend
-und der schönste Sonnenuntergang traf uns auf der Höhe vor Engelhaus.
-Ich erinnere mich kaum, in meinem Leben etwas so Wundervolles in der
-Natur gesehen zu haben. Ferdinand, bei dem alle Gefühle leicht in
-Rührung übergehen, hatte Thränen in den Augen. Sie standen seinem
-hübschen blühenden Gesichte sehr gut, was mit daher rührt, weil der
-liebe Mensch von aller Affectation völlig frei ist. Was er nun sprach,
-war wirklich wie in Entzückung, und als wenn er eben einer Vision
-theilhaftig wäre.
-
-Kann man nicht diese Glut, diesen Purpurbrand und alle diese Röthen in
-ihren Abstufungen bis zum lichten Rosenschmelz, als Blut des Heilandes,
-vom Haupte strömend, aus der Seite, den Füßen und Händen fließend,
-anschauen? Sein Haupt, die Sonne, sinkt tiefer und tiefer hinab, der
-Nacht und dem Tode entgegen; nun ist die göttliche Scheibe verschwunden,
-und die Röthe gleitet ihr dunkler und farbloser nach. Er ist scheinbar
-todt, der göttliche Tag, und sein Alles erleuchtendes Licht erloschen.
-Ueber uns thürmen sich Wolken und kreisen umher, vom letzten Licht
-getroffen und schwach gefärbt. Sie bäumen sich auf und ergreifen
-flockend, anwachsend, sich lösend, diese und jene Gestalt. Es sind die
-alten Fabelgötter, die ein Traum- und Scheinleben erringen. Da sitzt der
-alte Jupiter, ungeheuer und in sich schwankend, auf seinem bebenden
-Dunstthrone, Bacchus erhebt trotzig und jubelnd den Pokal, und so wie er
-trinken will, zerfließt und schwindet der große Arm und die Figur des
-Trunkenen wandelt sich unvermerkt in den springenden Pardel, der jetzt
-den leeren Wagen zieht. Von dort schreitet der Juno erhabene große
-Gestalt durch das dunkle Blau, sie sucht ihren Gemahl und schrickt
-zusammen, weil dort schon ein goldner Stern durch den Aether blinkt.
-Haupt und Locken lösen sich, die gewölbte Brust schmilzt wie Silber im
-Ofen, die zerbrochenen Formen leuchten noch einmal auf und tauchen dort
-in den finstern Streif, in welchen sich alle rollenden Bildnisse
-versenken. Der Traum ist ausgeträumt und die dunkle Nacht tritt herauf.
-Ein Sternbild nach dem andern bricht aus dem finstern Dome glänzend
-hervor; oben die unvergänglichen festen Lichter, unten auf Erden
-Dunkelheit, Nacht, Tod; kein Fels, kein Wald mehr zu unterscheiden,
-Alles unkenntlich in eine schwarze Masse zerronnen, die ohne Anfang, die
-ohne Ende ist. Beides ein Bild der stummen Ewigkeit. So steht die Nacht
-fest, unerschütterlich, wie es scheint. Abend- und Morgenroth sind Wahn;
-die erhabne Unendlichkeit der Gestirne, die unzählbaren Lichter und
-Welten in unermeßlichen Fernen wandeln dem rückgekehrten Blick die Erde
-in nichtig Spielwerk und den Glauben an Gnade und Erlösung in
-Fieberphantasie. Der Zweifel und das Dahingeben in das Unbegrenzte,
-Schrankenlose, giebt sich für Wahrheit und Religion. Da erzittert die
-ewige Nacht in sich selbst, die finstern Wälder schütteln sich im
-Morgenhauch, die ergrauende Dämmerung wächst wie weissagend am Horizont
-empor. Plötzlich tritt die liebliche Morgenröthe hervor, mit ihren
-Wundern über die Berge klimmend; Farbe, Licht, Wonne, Gestalt vertreiben
-siegreich den Unglauben der formlosen Nacht, und der Glaube tritt wieder
-in die jauchzende Natur. Sie trägt, die trostreiche, freundliche Mutter,
-den glänzenden, auferstandenen Sohn als leuchtendes Kind in ihren Armen,
-und Wälder und Gebirge sind im blauen und grünen Schimmer der letzte
-Saum des fließenden Gewandes, wie sie aufgerichtet steht, hoch in die
-Himmel ragend. Und die Ströme jauchzen und schluchzen in Freude, und die
-Blumen lachen und duften, und die Felsen erklingen, und die Waldung
-rauscht Lobgesang.
-
-Wir konnten seine begeisterten Augen nicht mehr sehen, denn es war ganz
-finstere Nacht geworden. Wundersam leuchteten von unten die zerstreuten
-Lichter aus Karlsbad, und nach vielem Rütteln und Stoßen unseres Wagens,
-indem einmal der große hölzerne Hemmschuh brach, der hier dem Rade
-untergelegt wird, gelangten wir spät und nicht ohne Gefahr in dem
-Städtchen an.
-
-Am andern Morgen -- wen traf ich? Unsern theuern Carl von Hardenberg,
-den jüngern Bruder unsers vielgeliebten nur kürzlich und leider für die
-ganze Welt zu früh gestorbenen Novalis. Er ist mit seiner jungen,
-angenehmen Frau hier, um die Bäder zu gebrauchen. Er sieht wohl aus und
-ist stärker geworden. An männlicher Schönheit ist er mit Novalis nicht
-zu vergleichen. Der schwärmende Ferdinand hat sogleich sein ganzes Herz
-erobert und mich, den ältern Freund, in den Hintergrund gestellt. Aber
-sehr begreiflich, weil sie sich in Stimmung und Ansicht begegnen. Carl
-Hardenberg hat uns seine Schrift: »Die Pilgerschaft nach Eleusis,«
-vorgelesen, die mein Freund sehr billigte, wenn er gleich nicht Alles
-loben mochte. Dieser jüngere Bruder nennt sich in seinen
-schriftstellerischen Arbeiten _Rostorf_, nach einem Gute in Sachsen,
-nach welchem die eine Linie Hardenberg diesen unterscheidenden Namen
-führt. -- Eben so ist _Novalis_ ein Gut, nach welchem die ältere Linie
-sich unterscheidet, und welchen Namen unser Freund annahm, bloß deshalb,
-um sich nicht Hardenberg zu unterschreiben. Wie viel Unnützes haben
-schlechte Köpfe, die sich immerdar dem Bessern widersetzen, über diesen
-Namen Novalis gefabelt und gewitzelt.
-
-Solltest Du nun nach Allem, was ich erzählt habe, nicht glauben, mein
-Reisegefährte Ferdinand sei katholisch geboren und erzogen? Allein
-nichts weniger, er ist Protestant und aus einem protestantischen Lande.
-Der wunderliche Wachtel, der sich die Miene giebt, ihn ganz genau zu
-kennen, ihn aber doch vielleicht nicht immer begreift, behauptet mit
-seiner gewöhnlichen Kälte und Sicherheit: wenn Ferdinand in einem
-katholischen Lande erzogen wäre, oder wenn es nur schon Ton und Mode
-wäre, wie es vielleicht dahin käme, sich katholisch zu dünken, so würde
-unser Schwärmer eben so extravagant ein Protestant seyn. Ich lasse das
-dahingestellt seyn. Denn wer mag dergleichen behaupten oder widerlegen?
-
-Wir sind mit Hardenberg und seiner liebenswürdigen Frau nach dem
-sogenannten Heilingsfelsen gefahren. Eine von jenen Sagen, mit denen die
-Phantasie nicht viel anzufangen weiß, knüpft sich an diese Gegend. Die
-Spitzen der Felsen sind grotesk und gleichen in der Ferne gewissermaßen
-menschlichen Gestalten. Nun fabelt man, es sei eine Hochzeit, die
-plötzlich, mit allem Gefolge, in früher Vorzeit sei versteinert worden.
--- Mich dünkt, der Vielschreiber Spieß hat einen Geisterroman daraus
-gemacht. Diese gelesenen, beliebten Autoren lösen in Deutschland
-einander nach gewissen Zeiträumen ab, und selten, daß der neue Liebling
-besser als der abgesetzte Vorfahr ist. Dieselben Leser aber, die den
-neuen Demagogen bewundern, können alsdann nicht fassen, wie der frühere
-ihnen nur irgend etwas habe seyn können.
-
-Man erlebt immer noch unerwartete, möchte man doch sagen wunderbare
-Dinge. In einer geistreichen, vornehmen Gesellschaft, in welche wir
-ebenfalls eintraten, als wir oben vom Hirschsprung zurückgekehrt waren,
-erhob sich zwischen zwei Baronen, schon bejahrten Leuten, ein
-unerwarteter und lebhafter Streit. Der ältere meinte und behauptete, das
-Thal von Karlsbad übertreffe nicht nur das Teplitzer bei weitem, sondern
-sei auch außerdem eine der schönsten Gegenden in Deutschland. Ich habe
-wohl erlebt, daß man Bücher, Autoren, Musiker und Schauspieler
-protegirt, und daß der Protektor seine Meinung, wenn er ein Vornehmer
-ist, so zur Ehrensache macht, daß ihm keiner, höchstens etwa ein
-Gleichgestellter, doch immer nur milde, widerspricht. Daß man aber in
-demselben Sinne auch die Natur protegiren könne, war mir eine ganz neue
-Erscheinung. Der Baron B. focht nun aber mit allen Waffen gegen Herrn A.
-für sein geliebtes Teplitz, und behauptete, dieses sei ohne Bedenken
-durch seine Heiterkeit, schöne Fernen, milde Luft und Bergfiguren dem
-elenden, bedrängten und drückenden Karlsbad vorzuziehen, wo die nahen
-Berge wie die Mauern eines Gefängnisses jedes Gemüth, das noch irgend
-Sinn für Natur habe, beängstigten. Als die beiden Gegner immer
-empfindlicher wurden und sich mit jeder Gegenrede schärferer Ausdrücke
-bedienten, wollte unser Wachtel den Streit durch gutgemeinte
-Uebertreibung schlichten oder lächerlich machen, indem er rief: »Meine
-Herren! Karlsbad, so wie Teplitz in Ehren! Aber, abgesehn von aller
-partiellen Vorliebe, wo immer eine gewisse Einseitigkeit sich meldet,
-auf die ein universeller Naturfreund, der ich zu seyn glaube, keine
-Rücksicht zu nehmen hat, so glaube und behaupte ich gegen sie Beide: daß
-der Hirschsprung dort oben schöner sei, wie irgend etwas in dieser
-Gegend oder bei Teplitz, ja in ganz Deutschland wenigstens, um nicht
-Europa zu sagen. Aber zugegeben selbst, Karlsbad sei ausbündig schön,
-wie schön dann der Hirschsprung, der hier unbedingt und ohne Frage das
-Schönste ist. Von tausend und aber tausend Malern ist nur Ein Rafael,
-der das Höchste und Vollkommenste erreicht hat; unter seinen vielen
-Bildern muß Eins das vorzüglichste seyn; auf diesem vorzüglichsten
-Tableau wird ohne Zweifel Eine Figur die beste seyn und -- um ganz
-vollständig das Argument zu endigen -- auf und an dieser Figur wird die
-Nase, der rechte Arm oder das linke Bein, oder wohl ein verkürzter
-Finger das allerkunstreichste darstellen -- und, Vortrefflichste, diesen
-Finger, oder die Nase, oder was es nun sei, weise man mir nach, und ich
-bin in meiner Ueberzeugung glücklich, und fühle mich im Mittelpunkt der
-Kunst und scheere mich um den ganzen Rafael nichts mehr, die übrigen
-Sudler, Stümper oder vollendete große Meister gar nicht zu erwähnen. Und
-so ist mir mein Hirschsprung mein Delphi, mein Nabel der Erde.
-
-Dieser Scherz aber, statt die Stimmung der Kriegführenden zu mildern,
-erbitterte sie nur noch mehr, und er endigte, wie ich gleich fürchtete,
-mit einer Ausforderung. Zum Glück ist die Sache gut abgelaufen, die
-Kugeln sind ganz nahe dem Ziele vorbei gegangen, ohne zu verletzen, und
-der Teplitzer Fanatiker ist nach seinem Lieblingsorte unmittelbar nach
-dem Kampfe abgereist, indem er in das Fremdenbuch seine Verachtung der
-hiesigen Gegend mit starken Ausdrücken eingezeichnet hat. --
-
-Kann ein Gebildeter, so hat Baron A. diese Schmähung im Gastbuche zu
-widerlegen gesucht, so unbillig seyn, die Natur entgelten zu lassen, was
-bloß seine eigne Verstimmung, oder sein Mangel an Sinn verschuldet hat?
-Die Engherzigkeit kann kein Urtheil fällen, am wenigsten über ein
-Geheimniß, und ein solches ist und bleibt die Schönheit der Natur. Der
-Krittler wird immer mit ihr über den Fuß gespannt seyn.
-
-O wie wahr! sagte Wachtel zum Schreibenden, denn nun verstehe ich erst,
-warum ich diesen meinen lieben Hirschsprung allen Dingen in der Welt
-vorziehe. Meine Vorliebe ist eigentlich das Herz und der Kern der
-Ihrigen, Herr Baron, wie dieser Felsen nur ein Theil des Ganzen; darum
-kann meine Liebe aber auch um so inniger seyn, weil sie sich durch
-nichts zerstreuen läßt. --
-
-Doch genug von diesen Thorheiten; der gute Wachtel, so habe ich
-entdeckt, liebt den Wein noch mehr, wie irgend eine Schönheit in Kunst
-oder Natur. Er absentirt sich oft und huldigt im Geheim seiner
-Leidenschaft. Besonders ist es die sogenannte Mennische Essenz, ein
-vortrefflicher rother und süßer Ungarwein, der sein Herz ganz gewonnen
-hat. Ferdinand sieht ihn nachher oft mit seinen großen braunen Augen an,
-und kann aus den Faseleien und wilden Reden nicht klug werden, die
-Wachtel dann ohne Kritik und Aengstlichkeit von sich giebt. In diesem
-halben oder ganzen Rausch scheint sich dieser wunderliche Mensch am
-meisten zu gefallen. --
-
-Nächstens mehr, und hoffentlich eine bestimmte Nachweisung.
-
- * * * * *
-
-Die drei Reisenden, welche man jetzt schon die drei Freunde nennen
-konnte, nahmen von dem trefflichen Hardenberg Abschied und reiseten den
-folgenden Tag bis nach Eger. Hier fällt der große stämmige
-Menschenschlag auf, sowie die dürre, kalte und unfreundliche Gegend. Man
-besuchte, aus Verehrung gegen den großen Dichter noch am Abend das Haus,
-in welchem Wallenstein war ermordet worden. Am folgenden Tage fuhr man
-über Thiersheim nach Wunsiedel und Sichersreuth, dem Bade, welches
-Alexanderbrunnen genannt wird. Hier ruhten die Freunde bei stechender
-Mittagshitze aus und erfreuten sich an der sonderbaren Gegend und
-Aussicht. Die Natur zeigt sich hier wild, man möchte den Ausdruck einen
-trotzigen nennen; dazwischen erfreuen Wald und grüne Wiesenstellen, und
-wunderbar zeigt sich die nahe Luxburg und der Burgstein. In diesem
-wundersamen Geklipp und durcheinander und übereinander geworfenen und
-kühn geschleuderten Felsenmassen erhebt sich das Gemüth in der
-Einsamkeit der unabsehbaren Tannenwälder zu den kühnsten Träumen. Ein
-poetisches Grauen weht in diesen Klüften und auf den steilen Höhen.
-
-Diese Seltsamkeiten des Fichtelgebirges, die Nähe von Wunsiedel, die
-barocke Gestalt der Natur, die doch nicht ohne Lieblichkeit ist, führte
-das Angedenken der Freunde von selbst auf ihren geliebten Jean Paul
-Richter. Man sprach viel über diese echt deutsche Natur und über seine
-wundersamen Werke, deren Ruhm sich mit jedem Jahre mehr in Deutschland
-verbreitet hatte. Mehr noch traten und glänzender die Gestalten der
-hohen Reisenden hervor, die kürzlich hier gewandelt hatten. Der Name des
-Königs von Preußen und seiner schönen Gemahlin war in Aller Munde. Alt
-und Jung rühmten die Milde und Herablassung, die Holdseligkeit der edeln
-Frau, und wo man nur einen merkwürdigen Fleck des Gebirges betrat, waren
-Spuren, Namen, Denksprüche der Einwohner, um den Regierern die Verehrung
-und Liebe der gerührten Herzen zu wiederholen. Wie hatte sich seit zehn
-Jahren die Stimmung hier und allenthalben im Baireuthschen geändert.
-Denn damals ging das Volk nur ungern zur preußischen Herrschaft über.
-Jetzt fand man sich beglückt und Alle sahn mit Vertrauen und fester
-Liebe zu ihren Herrschern hin; und die Reise des Königs und der Königin
-hierher hatte die Gemüther aller Einwohner noch mehr erhoben.
-
-Als man sich am andern Morgen auf dem Wege nach Baireuth befand, sagte
-Ferdinand: sonderbar ist es, Freunde, daß man immer, wenn man die Stätte
-selbst betritt, wo eine merkwürdige Geschichte vorgefallen ist, wo ein
-großer Mann wandelte, sich in der Regel abgekühlt und ernüchtert fühlt.
-Es ist, als wenn die Phantasie ohne Nachhülfe der Wirklichkeit die
-Sachen viel besser und passender verarbeitet. So hat mir in Eger das
-Haus des Bürgermeisters, in welchem der Feldherr ermordet wurde, nur
-einen trüben Eindruck gemacht. Schiller's tönende Reden und ergreifenden
-Scenen wollen sich nicht recht in diese Localität fügen; man wird durch
-diese Umgebung herabgestimmt und das tragische Gefühl sinkt dort zur
-peinlichen Empfindung eines widerwärtigen Meuchelmordes herab.
-
-Ja freilich, antwortete Wachtel, ist es fast immer so und kann auch
-nicht anders seyn. Die meisten Menschen prickeln und kneifen dann an
-ihrem lamentirenden Herzen, um sich hinaufzuschrauben. Ein Anderes ist
-es freilich, in dem schönen Sanssouci zu wandeln und an Friedrich den
-zweiten zu denken; die Wiesen zu betreten, die sich am Avon bei
-Stratford hinziehn und sich dort Shakspeare als Knabe und Mann
-vorzustellen. Hier läßt uns die Natur frei dichten. Kirchen, wie der
-Strasburger Münster, Schlösser wie das zu Warwick, erheben, indem sie
-große Kunstwerke sind, das Gemüth auch, wenn es sich dort Geschichte und
-Sage vergegenwärtigt; aber so ordinaire Fleckchen, Häuser, dunkle
-Zimmer, Kirchhöfe, stimmen herab. Unser lieber wunderlicher Jean Paul
-hat mir oft erklärt, er schildere die Gegenden am liebsten, die er
-niemals gesehn, würde auch den Anblick derselben vermeiden, weil ihn die
-Wirklichkeit nur stören möchte.
-
-Ferdinand hatte eine große Vorliebe für Berneck und die Uebrigen
-erstiegen mit ihm die Ruine. Hinter Berneck tritt man in die Ebene und
-hatte nur zuweilen den Rückblick auf das Fichtelgebirge. Als man in
-Baireuth zu Mittag gegessen hatte, begab man sich nach dem Garten, der
-Eremitage. Hier war Ferdinand sehr unzufrieden, weil man Vieles geändert
-hatte, um in dieser sonderbaren Composition, die aber nicht ohne
-poetischen Sinn entstanden war, einige sogenannte englische Partien
-hineinzubringen, die den gut geführten französischen Anlagen ganz
-unharmonisch widersprachen. Es war aber noch so viel des Schönen übrig
-geblieben, daß die Freunde in dem warmen Sommerwetter sich sehr
-behaglich in diesen grünen Laubengewölben ergingen.
-
-Bald wandelte man, bald setzte man sich nieder, und da der Garten von
-Menschen nicht besucht war, so konnten sie ungestört von den Werken
-ihres Freundes, Jean Paul, sich unterhalten. So sehr sie ihn bewunderten
-und lobten, so kamen doch Alle darin überein, daß man der Kunst und
-Poesie Unrecht thue, wenn man seine wundersamen Bücher Romane nennen
-wolle. Ein Roman sei ohne besonnene Kunstanlage unmöglich, und die Plane
-Richter's seien so willkürlich, unzusammenhängend und von Laune und
-Eigensinn gesponnen, daß gerade die scheinbare Einheit, der precaire
-Zusammenhang um so mehr verletze, um so mehr er oft mit falscher
-Künstlichkeit berechnet sei. So, fuhr Walther fort, haben wir wohl nur
-einen wahren Roman in deutscher Sprache, unsern Wilhelm Meister, den man
-nie genug studiren kann.
-
-Wachtel sagte: dieser Wilhelm verdient gewiß alle Achtung, wenn man ihn
-nur nicht gegen den einzigen Don Quixote messen will. Dieses große
-Kunstwerk steht nun jetzt seit zwei Jahrhunderten als ein unerreichtes
-und als ein Musterbild da. Nicht als Muster insofern, daß andre Romane
-diesem ähnlich seyn sollten, sondern als Vorbild, wie jeder in seiner
-Welt, die er darstellt, in seinem Zweck, den er verfolgt, so durchaus
-ein Ganzes und Befriedigendes seyn könne und müsse.
-
-Man hat an diesem herrlichen Buche, fiel Walther ein, ohne Noth so viel
-getadelt, was der weise Autor doch gerade mit vielem Bedacht seiner
-sinnreichen Geschichte eingewebt hat. Zum Beispiel kommen nicht die
-meisten Kritiker darin überein, die musterhafte Novelle des Neugierigen
-sei überflüssig und störend? Unser lieber Manchaner selbst, so treu,
-edel und herzhaft er ist, nimmt sich etwas vor, das, obgleich es schön
-und herrlich ist, es auszuführen er keine Mittel besitzt. Dieses Kämpfen
-für Recht und Unschuld, dieses Ritterthum und Kriegführen, wie er es
-sich vormalt, war aber auch zweitens niemals so in der Welt und konnte
-niemals so da seyn. Auch ein Herkules oder ein Amadis, mit allen Kräften
-und Tugenden ausgestattet, müßte einer solchen wahnsinnigen Aufgabe des
-Lebens erliegen. Nur hie und da, in verschiedenen Zeiten und Ländern,
-that sich etwas, mehr oder minder, von dieser poetischen Ritterwelt in
-der wirklichen Geschichte hervor. Die Phantasie des ebenso braven als
-poetischen Manchaners ist durch jene Bücher verschoben, die schon längst
-der Poesie ebenso sehr wie der Wahrheit abgesagt hatten. Das, was noch
-in ihnen poetisch war, oder jenes Phantastische, was das Unmögliche
-erstrebte, sowie die schönen Sitten der Ritterzeit, alles Dies durfte
-der ehrsame Herr Quixada wohl in einem feinen Sinne bewahren, ja sich zu
-jener adligen Tugend seines eingebildeten Ritters hinan erziehn; -- wenn
-er nicht darauf ausgegangen wäre, diese Fabelwelt in der wirklichen
-aufzusuchen und in diesem von Sonne und Mond zugleich beschienenen
-Gemälde den Mittelpunkt und die Hauptfigur selbst zu formiren. Er war
-aber im Recht, wenn er, manchen seiner Zeitgenossen entgegen, die
-Lichtseite und die Poesie jener entschwundenen Zeit und Sitte würdigte,
-wenn er sich selbst als Dichterfreund an dem ganz Thörichten und
-Phantastischen seiner Bücher ergötzte. Nun aber zog er aus, alles Das,
-was ihm begeisternd vorschwebte, selbst zu erleben; jenes unsichtbare
-Wunder, welches ihn reizte, wollte er mit seinen körperlichen Händen
-erfassen und als einen Besitz sich aneignen.
-
-Sehr richtig, erwiederte Ferdinand, und deshalb ist die getadelte
-Novelle des Neugierigen nur ein tiefsinniges Gegenbild, welches von
-einer andern Seite die Thorheit des Manchaners erläutert. Auch Anselm
-will das Unsichtbare, welches wir nur im edlen Glauben besitzen,
-sichtbar, körperlich in der Hand haben; das Richtige, Irdische soll ein
-Himmlisches vertreten und ihm die Gewähr der Treue und Liebe seyn. So
-zerstört er durch Aberweisheit, durch ^impertinente curiosidad^, was wir
-nicht übersetzen können, die Keuschheit und den Adel seines Weibes, die
-ohne diese Anfechtung wohl nie jene List und schreckliche
-Kunstfertigkeit, die widerwärtigen Feinde der reinen Unschuld, in sich
-entwickelt hätte. Zweifel also auf der einen Seite, und ein thörichtes
-Bestreben, das Unsichtbare sichtbar zu machen, zerstören so einen
-geistigen Schatz, jene Treue, die der Zweifler eben so mit Recht
-Aberwitz schilt, wie der edle Glaube sie für felsenfest ansieht und
-durch eigene Kraft ihr die Unerschütterlichkeit mittheilt.
-
-Wir sind hierüber einverstanden, antwortete Walther, geht es Ihnen aber,
-theurer Ferdinand, nicht vielleicht eben so? Ihre aufgeregte Phantasie
-würdigt die schöne und bildreiche Seite des katholischen Cultus, Sie
-sind in unsern späten Tagen von jener Rührung durchdrungen, die einst
-kräftige Jahrhunderte begeisterten. Seit kurzem ist ein religiöser Sinn
-bei jungen Gemüthern in Deutschland wiedererwacht, Novalis und dessen
-Freunde sprechen, reimen und dichten, um das verkannte Heilige in seine
-Rechte wieder einzusetzen; aber diese Anerkennung, diese süße Poesie des
-stillen Gemüthes in der Wirklichkeit suchen oder erschaffen wollen,
-scheint mir ganz derselbe Mißverstand zu seyn, den wir eben
-charakterisirt haben.
-
-Sehr wahr, warf sich Wachtel eifernd dazwischen, -- wie schön ist es,
-wie uns Herder einmal auf den tiefen und rührenden Sinn mancher
-Heiligenlegenden hingewiesen hat; nachher hat der romanhafte Kosegarten
-einige mit mehr oder minder Glück vorgetragen. Im vorigen Jahre sah ich
-den Verfasser der Genovefa und des Oktavian wieder und er erzählte mir
-von einem Buch und zeigte mir einige Blätter davon, welches denselben
-Gegenstand behandeln sollte. Die Einleitung und Form war nicht
-unglücklich. In einem schönen Gebirgslande verirrt sich ein edler
-Jüngling, der ganz in der zweifelnden Aufgeklärtheit seiner Zeit
-erzogen, aber dabei schwärmerisch verliebt ist, in der Einsamkeit des
-Waldgebirges. Unvermuthet trifft er auf einen einsiedelnden Greis, der
-den Ermüdeten in seine Zelle aufnimmt und ihn erquickt. Des Alten
-Freundlichkeit gewinnt das Herz des jungen Mannes und sie werden ganz
-vertraut mit einander. Ueber den Beruf der Einsiedler, über die Wunder
-der Kirche, über die Legende und Alles, was sich in diesem Kreise
-bewegt, verwundert sich der Jüngling und kann es nicht unterlassen, auf
-seine Weise zu spotten und mit Witz des Zweiflers zu verhöhnen. »Wie?
-ruft der Greis dann aus, Du bist in Liebe entzündet, Du schwärmst für
-Deine Sophie und kannst doch kein Wunder fassen? Ist die Blume, das
-Band, welches Dein Mädchen berührt, die Locke, die sie Dir geschenkt
-hat, nicht Reliquie, empfindest, siehst Du an ihnen nicht Licht und
-Weihe, die kein andrer Gegenstand Dir bietet? Wo Du mit ihr wandelst,
-ist heiliger Boden, wenn sie Dir die Hand oder die Lippen zur Berührung
-reicht, bist Du verzückt, -- und doch verkennst Du in der Geschichte der
-Vorzeit den Ausdruck dieser Liebe, in den seltsamen Entwicklungen
-begeisterter Gemüther, bloß weil sie diese Sehnsucht und
-Herzenstrunkenheit nicht auf ein Weib hingelenkt haben?« -- Der Jüngling
-wird nachdenkend und besucht den Alten nun, so oft er die Stunde
-erübrigen kann. In diesen Zeiträumen erzählt ihm der Greis jene
-wundersamen Legenden von Einsiedlern, Jungfrauen, Männern und
-Kirchenältesten, die ihr ganzes Gemüth der Beschauung des Himmlischen,
-der Entfaltung jener geheimnißvollen Liebe widmeten. Diese Kämpfe des
-Zweifels, diese Erscheinungen aus fremder Welt, diese uns
-unbegreiflichen Aufopferungen werden nach und nach vorgeführt, wo sich
-aus dem Erzählten selbst die Erklärung und das Verständniß ergiebt. Nach
-einigen Monaten kommt der junge Liebende wieder zum Greise und dankt
-ihm, wie einem Vater, der ihm den Geist geweckt und ihm ein neues Leben
-erschaffen habe; er sei darum auch entschlossen, in den Schooß der alten
-Kirche zurückzukehren. »Nein, ruft der Greis bei dieser Erklärung,
-verwechsele nicht diese unsichtbare Liebe, mein Sohn, mit den Zufällen
-der Wirklichkeit. Du würdest, anstatt des Göttlichen, nur die
-Schwachheit unserer Priester kennen lernen. Wozu, daß Du Deine innern
-Entzückungen, die im Geheimniß Deiner Brust Wahrheit und Bedeutung
-haben, in die kalte Wirklichkeit verpflanzen willst, an welcher sie
-erstarren und verwelken müssen?« So rieth ihm derselbe Greis ab, der ihn
-erst in die Liebe und Bedeutung jener Visionen eingeweiht hatte. -- Und
-ich wende das Resultat jenes noch nicht erschienenen Buches wieder auf
-Dich an, mein Ferdinand. Das erste Wahrnehmen, der Blick der
-Begeisterung, die Aufregung der Liebe findet immer und trinkt den reinen
-Brunnquell des Lebens; -- aber nun will der Mensch im Schauen das Wahre
-noch wahrer machen, der Eigensinn der Consequenz bemächtigt sich des
-Gefühls und spinnt aus dem Wahren eine Fabel heraus, die dann oft mit
-den Wahngeburten der Irrenhäusler in ziemlich naher Verbindung steht.
-
-Somit wäre also, rief Ferdinand aus, der Indifferentismus, der nur Alles
-gesehn und erfahren hat, nichts aber seinem Gemüthe sich einbürgern
-läßt, die höchste Weisheit und Menschenwürde! Es kann aber die Zeit
-kommen, in welcher edle Geister sich wieder öffentlich zu dieser Kirche,
-dem alten, echten Christenthum bekennen.
-
-Möglich, sagte Walther, wüßte man nur bestimmt und klar, welches das
-älteste Christenthum sei. Jeder deutet sich die Sache in seiner Weise
-aus. Auch möglich, daß die jetzt vergessenen Pietisten durch diese
-religiöse Anregung und Begeisterung wieder erwachen; vielleicht giebt es
-in einigen Jahren deutsche Puritaner und Methodisten. Die geistige feine
-Linie, auf welcher hier das Wahre und Schöne schwebt, kann so leicht
-hüben und drüben überschritten werden; -- und bemächtigt sich erst die
-Menge, die Leidenschaft, die Turba dieser Vision -- welche
-Religions-Manieristen mögen da noch zum Vorschein kommen, wenn nicht
-sogar Verfinsterung und Verfolgung, Inquisition und Haß von katholischen
-Priestern und vermeintlich orthodoxen Protestanten wieder gepredigt
-wird. -- Das scheint aber wohl, daß Verliebte in ihrer erhöhten Stimmung
-mehr der katholischen, als einer andern Kirche zugeneigt seien, und daß
-Sie, lieber Ferdinand, ein Verliebter sind, habe ich Ihnen angefühlt,
-seit wir uns dort hinten auf der Oder zuerst kennen lernten.
-
-Ferdinand ward blutroth, und verleugnete schwach und stotternd die
-Anklage. Er ist eigentlich kein Jüngling mehr, sagte Wachtel, aber seit
-ich ihn kenne, ist er immerdar verliebt gewesen. Doch so tief, wie er
-jetzt seyn mag, ist es ihm wohl noch niemals ins Herz gegangen, denn er
-ist bedenklich und viel tiefsinniger und launenhafter als in ältern
-Zeiten.
-
-In einer schönen Mondnacht fuhren die Freunde von Baireuth ab und kamen
-früh, schon vor Sonnenaufgang, in Streitberg an. Sie bestiegen die Berge
-und besuchten die merkwürdigen Höhlen. Ferdinand, der, wie die Uebrigen,
-die Gegend schon kannte, war wie trunken von der schönen Natur. Ueber
-Ebermannstadt näherte man sich dann der Ebene; hinter diesem Orte sind
-die Wege so schlecht, daß man einen Vorspann von Ochsen herbeiholen
-mußte, um aus der versumpften Stelle den nicht schweren Wagen
-fortbringen zu können.
-
-Hinter Bayersdorf streckt sich die sandige Ebene aus und man sieht ein
-großes, wüstes Schloß, welches in neuem Styl errichtet, aber nicht
-ausgebaut ist und als wunderliche Ruine dasteht.
-
-Sehr begierig bin ich, so erzählte Ferdinand, hier einen ehemaligen
-Bekannten wieder aufzusuchen. Ich war ihm vor geraumer Zeit begegnet,
-und so kam er vor einigen Jahren wieder zu mir; er ist gelehrt und ein
-Enthusiast für die Dichtkunst; er läßt aber nur einzig und allein die
-Griechen aus der großen Zeit für Dichter gelten, und unter diesen stellt
-er wieder seinen Liebling Sophokles allen voran. Es ist nicht
-übertrieben, wenn ich sage, daß er diesen auswendig weiß. Er kennt alle
-Commentatoren seines Freundes genau, er ist unermüdet, ihn zu studiren
-und die schwierigen Stellen zu erklären, so daß wir von diesem Eifer
-gewiß schöne Früchte erwarten dürfen. Dieser wackre Termheim, denn so
-heißt er, hat aber gar keinen Sinn für die Schönheiten der Neueren; oder
-vielmehr, er behauptet, sie, von seinem Standpunkte aus, zu verstehn und
-von dort ihre Nüchternheit und Verwerflichkeit einzusehn. Er belächelt
-mitleidig Diejenigen, welche den Shakspeare bewundern; er behauptet, die
-Barbarei dieses Naturkindes sei höchstens für den Psychologen
-interessant, der von seiner Stelle diese Waldnatur allenthalben zurecht
-weisen könne. Die Leidenschaften fast pathologisch richtig zu schildern,
-sei noch lange nicht hinreichend, um sich der Schönheit auch nur von
-fern zu nähern. Die Großheit der Alten habe recht geflissentlich alles
-das verschmäht, worauf die Neuern ihren Stolz gründen wollten. Unsern
-Göthe nennt er nur eine Ausgeburt neuester Kränklichkeit, der, zu
-schwach, das Große und Starke zu erfassen, und zu vornehm, um die
-eigentliche Gestalt des Lebens zu verstehn, in einer unsichern,
-schwankenden Mitte nur der Verzärtelung fröhne. Das klare Aetherlicht,
-der Hinüberblick über die Natur und Welt, jene gesunde Freiheit des
-Menschen, der Alles sieht und fühlt und sich nur dem Besten befreundet,
-sei nur in Homer, Pindar, Aeschylus und Sophokles zu finden, in Herodot,
-Thucydides, Plato und Aristoteles; mit Euripides und Xenophon melde sich
-schon das Krank- und Schlaffwerden der edeln Lebenskräfte. Unter den
-Neueren kann fast einzig und allein unser Winkelmann bei ihm Anerkennung
-finden.
-
-Wenn dieser gelehrte Mann, sagte Wachtel, kein Pedant ist, so ist er ein
-Narr, der auch mehr vor das Forum der Pathologie, als der Kritik gehört.
-
-Sein wir nicht so unbillig, erwiederte Walther, es kann wohl seyn, daß
-ein innigstes Durchdringen, ein tiefsinniges Anerkennen der echten
-Schönheit den Blick für die nah verwandte, wie vielmehr für die
-entfernte, abstumpft.
-
-Das leugne ich eben, sagte Wachtel, die neue Zeit muß uns die alte, und
-umgekehrt die alte die neue erklären. Es sind zwei Hälften, die sich, um
-ein echtes Erkenntniß zu gewinnen, nicht trennen lassen. Solche
-absprechende, hochmüthige Einseitigkeit kann nur so sicher und stolz in
-sich selber ruhn, wenn ein völliger Mangel an Kunstsinn jeden Zweifel,
-wie jede tiefsinnigere Untersuchung unmöglich macht.
-
-Spät nur kamen sie in Erlangen an. Dieser fränkische Kreis, sagte
-Wachtel im Gasthofe, bildet eigentlich das ganze Deutschland recht
-hübsch im Kleinen ab. Hier sind wir nun wieder in der sandigen Mark
-Brandenburg; Tyrol im Kleinen ist nicht fern, der Rhein und die Donau
-werden von dem artigen Mainstrom recht hübsch gespielt, und Schwaben und
-Baiern liegen in den fruchtbaren und heiteren Landesarten dieses
-anmuthigen Kreises, in welchem die Physiognomie der Natur immer so
-schnell wechselt. Ich habe immer den Instinkt oder die Einsicht unsers
-alten Maximilian bewundern müssen. Wie er sich zur Martinswand hinauf
-verirrt hatte, stand er ziemlich hoch, vielleicht ist ihm in der
-Todesangst die Eingebung gekommen, sein deutsches Reich so richtig in
-zehn Kreise einzutheilen, wo in jedem Natur und Menschenstamm sich so
-bestimmt von benachbarten absondern; oder die dortige Vogelperspektive
-gab ihm den richtigen Ein- und Ueberblick.
-
-Am folgenden Morgen machte ein jeder der Reisenden seine Besuche.
-Walther erhielt einen Brief, indem er allein war, und sowie er ihn
-öffnete, rief er: ha! in Bamberg also! Endlich doch eine bestimmte
-Hinweisung. Ferdinand hatte seinen älteren Freund, den Professor Mehmel,
-besucht, wo er die Bekanntschaft des reformirten Pfarrers Le Pique
-machte, zu dessen warmer Herzlichkeit er sich sogleich hingezogen
-fühlte.
-
-Nachmittags gingen die Freunde zu dem griechischen Gelehrten Termheim.
-Er freute sich sehr, Ferdinand wiederzusehen, indem er sich, ganz
-erhitzt, aus einem Schwall von Büchern und Papieren erhob. Jetzt werden
-wir einig seyn, rief er dem Freunde zu, wie sehr hatten Sie Recht,
-Verehrtester, mich wegen meiner einseitigen Bestrebungen zu tadeln.
-Jetzt begreife ich erst Ihre Natur, Freundlichster der Menschen, denn
-gewiß müssen wir uns unter dem Nächsten umsehn, um uns mit dem Fernen zu
-verständigen.
-
-Erlauben Sie, unbekannter Herr, fiel Wachtel ein, ich will gewiß keine
-Blasphemie sagen, aber Sie verstehn mich wohl, wenn ich den Spruch
-hierauf anwende: wer seinen Nächsten nicht liebt, den er sieht, wie kann
-er Gott lieben, den er nicht sieht? -- Die Neueren, von Dante an,
-Ariost, dann Shakspeare und besonders unser Göthe, alle Diese sind unsre
-Brüder und Gespielen, mit uns aufgewachsen, und wenn ich von Denen
-nichts begreife, die doch in demselben Elemente mit mir hantiren, -- wie
-soll ich jene fassen, die mir durch Jahrtausende entrückt sind?
-
-Sehr wahr, rief der Begeisterte aus, und so freuen Sie sich denn mit
-mir, Sie fremder oder längstgekannter Freund, daß unser Werth mir
-endlich aufgegangen ist; ich habe ihn, den Deutschen, nun endlich
-ausgefunden, der die Griechen überwiegt und übersieht.
-
-So haben Sie, rief Ferdinand, Göthe's schöne Natur endlich verstanden?
-Wenn Sie auch sein Lob übertreiben (und kann man wohl einen so großen
-Mann _über_schätzen?), so freue ich mich doch, daß wir jetzt, nach
-Jahren, endlich derselben Ueberzeugung geworden sind.
-
-Göthe! rief der Gelehrte mit einem sonderbaren Ausdruck des Unwillens
-aus, -- dieser verstimmte, kranke Geist! Nein, so sehr werde ich mich
-nie vergessen, diesen über meine angebeteten Griechen zu erheben.
-
-Nun, fragte Ferdinand sehr gespannt, wer ist es denn also von unsern
-Deutschen, der Ihnen das Verständniß eröffnet hat?
-
-Und Sie zweifeln noch? rief jener; kann man so verblendet seyn? Sehen
-Sie denn nicht hier die vielen Bände seiner unvergleichlichen Werke? Wer
-als der einzige, unvergleichliche Kotzebue kann mit den Heroen der Welt
-um die Krone ringen? Unablässig, tief in die Nächte hinein, studire ich
-jetzt die begeisternden Productionen dieses Genius. Seine
-Schalkheit, sein Witz, seine Darstellung der Leidenschaften, seine
-Charakterzeichnung der Menschen aus allen Ständen und Ländern, die
-Malerei seiner naiven Mädchen, das tiefe Gefühl der Liebe, die Scenen
-der Armuth und des Erbarmens, diese lächerlichen Personagen, die doch
-nicht übertrieben sind, die Mutter-, die Kindesliebe, die Kenntniß der
-Vorzeit, Alles, Alles, was man nur als rühmlich erwähnen kann, vereinigt
-dieser Geist in seinen Werken und überflügelt durch seine Vielseitigkeit
-Sophokles und alle Griechen.
-
-Gewiß! rief Wachtel, der sich zuerst von seinem Erstaunen erholt hatte,
-diese Griecherei ist nur eine Kriecherei und Kotzebue kann künftig als
-Fluch oder Betheuerung dienen, wie man wohl mißbräuchlich
-Kotzsapperment! oder Kotzelement statt Gottes Element auf ungezogene
-Weise sagt.
-
-Mehr als verwundert über diese neue Lehre gingen die Reisenden in ihren
-Gasthof zurück.
-
- * * * * *
-
-In Erlangen war am Johannistage ein Student beim Baden ertrunken. Die
-besten Schwimmer hatten ihn nicht retten, die künstlichen Mittel den
-Jüngling nicht ins Leben zurückrufen können. Man war einem alten,
-angesehenen Manne böse, welcher Alles für unnütz erklärt hatte, weil
-jeder Fluß an diesem bedenklichen Tage sein Opfer fordere. Die jüngern
-Leute vorzüglich schalten mit Heftigkeit auf solchen Aberglauben, der in
-manchen Gegenden den gemeinen Mann wohl selbst hindere, rettend
-beizuspringen. Wachtel bemerkte, daß es in Deutschland noch immer
-Provinzen und Städte gebe, wo der Bürgersmann des festen Glaubens sei,
-daß am Johannistage einer aus dem Orden der Freimaurer vom Teufel geholt
-werde. Als man bei Le Pique, dem verständigen Pfarrer versammelt war, wo
-sich der scharfsinnige Naturforscher Serbeck, sowie der Professor Mehmel
-eingefunden hatten, hielt, nachdem viel über die Fortschritte in jener
-Kunst gesprochen war, durch welche Scheintodte wieder zum Leben
-gefördert werden können, Wachtel folgende Rede:
-
- Verehrte Gesellschaft und präsumtive Zuhörer!
-
-Ich will gewiß nicht zurückbleiben, die Größe unserer Zeit anzuerkennen,
-blicken wir aber rückwärts, um nicht zu einseitig zu werden, so gebe ich
-mich für den Geschichtschreiber, oder Bemerker, oder Würdiger einer
-nicht ganz neuen, aber noch eben nicht besprochenen Kunst -- der Kunst
-nehmlich, die _Scheinlebendigen zu tödten_.
-
-Es sei mir erlaubt, von unsern Vorfahren anzuheben. Ehe die Welt,
-nehmlich unsere Erde und ihre atmosphärischen Pertinenzien zur
-Schöpfung, wie der Rahm, zusammengeronnen war, gab es, dem Sein
-gegenüber, ein Nichtsein. Von diesem Nichtdaseienden wurde lange Zeit
-keine Notiz genommen, denn es machte sich nicht merkbar. Leiber und
-Geister trieben ihr Wesen hand- und fußgerecht, und man lebte so recht
-frisch auf Gottes Güte und in den alten Kaiser hinein, als wenn diese
-Zeitlichkeit schon die reelle künftige Ewigkeit wäre. Neben kräftiger
-Tugend und vielfachen Thaten nahmen sich Uebermuth und Laster denn
-freilich auch Vieles heraus, und wie rüstige Kupferschmiede hämmerten
-Gute und Böse mit leidenschaftlichem Treiben auf das Leben los, daß
-Propheten und fromme Menschen oft dachten und weissagten, die ganze
-Schöpfung müsse zusammenbrechen. Jahre kamen, Jahre gingen. Schwermuth,
-Empfindsamkeit, Sentimentalität, Ohnmacht und Unkraft zu Tugend oder
-Laster gingen im Schwange: -- es war nehmlich die Zeit gekommen, wo sich
-das uralte Nichts allgemach in das Dasein eingeschustert und
-eingeschlichen hatte. Ich konnte aus der Welt und meinen sonst löblichen
-Nebenmenschen nicht klug werden, bis mir denn ein Seherblick einmal in
-einem merkwürdigen Traume aufging. Im Orbis Pictus hatte ich in meiner
-Kindheit mir wohl die Umrisse in feinen Punkten eingeprägt, welche in
-jenem Buche die Formen der Seelen ausdrücken sollten. Wie ich also im
-Traume meinen Guide, einen weisen Geist, nach dem Zustande der Dinge
-fragte, that mir dieser mein inneres Auge auf, und -- o Jupiter! o
-Gemini! wie sah ich Alles anders! Viele Menschen waren robust, voll,
-kurz angebunden, von sich und ihrer Meinung überzeugt. Andere thätig im
-Gewerk und Landbau, -- aber Unzählige liefen, von allen Ständen und
-Altern, so als fein gepunktete Schaaren herum, nichts wissend, wollend,
-denkend, aber sich vieler Dinge anmaßend. Wundre dich nicht, sagte mein
-Engel oder was mein Führer seyn mochte, über diese Entdeckung, welche du
-jetzt machst. Es ist nicht ohne, daß die Welt allgemach wieder ihrem
-Untergange entgegenwandelt. Die Nichtigkeit hat sich in alle Räder und
-Schwungtriebe der großen Maschine eingeschlichen. Der Mensch war als der
-Mittelpunkt mit seiner Kraft hingestellt, um den Körper der Welt, damit
-er niemals ein Leichnam werde, frisch zu erhalten. Jetzt werden es, ich
-weiß nicht wie viele Jahre seyn, daß die Menschheit auch mit Nullitäten
-angefüllt ist. Alles das Punktirte, was du wahrnimmst, sind Leiber ohne
-alle Seelen. Diese Körper stellen sich nur lebendig an und führen ein
-Scheinleben.
-
-Abscheulich! rief ich aus: ich sehe fast mehr Tättowirte, als wirkliche
-Menschen. Kann die Vorsehung denn dergleichen zugeben oder gestatten?
-
-Die Vorsehung, erwiederte mein geistlicher Präceptor, bedient sich in
-allen Dingen mittelbarer Mittel, und greift niemals persönlich in ihr
-geschaffenes, vielseitiges Getriebe. So hat sie denn, damit diese
-Scheinlebendigen nicht am Ende alles wirkliche Leben verdrängen und
-allein von der Erde Besitz nehmen, Gesetzgeber, Fürsten und echte
-Volkslehrer inspirirt, die sich, so viel es möglich ist, diesem Unwesen
-widersetzen und das Reich der Nichtigkeit auf verschiedene Weise zu
-zerstören suchen.
-
-Recht! Recht! sprach ich eifernd: o groß ist Allah! würde der Muselmann
-hier ausrufen. -- Da war eine sehr weise Cantoneinrichtung, wo die
-Punktirten, Nichtigen, die Eindringlinge so von Lieutenants, Fähndrichen
-und Unteroffizieren tribulirt, gehänselt, geplagt und ganz simpel
-geprügelt wurden, daß wirklich viele von diesen Scheinlebenden die
-Geduld verloren und sich wieder aus dem Staube machten. Ob ein Knopf so
-oder so saß, die Binde um den Hals um das Sechzigtheil eines Zolles zu
-niedrig oder zu hoch war, war ein Capitalverbrechen. Was man nur an dem
-Volke zwicken und kneifen konnte, geschah redlich, und ich mußte nur mit
-innigem Bedauern sehen, daß auch wirkliche lebendige Menschen von der
-übrigens weisen Anstalt molestirt wurden. Liefen die Kerle etwa davon
-und wurden wiedererhascht, so war ihnen eigentlich das Leben
-abgesprochen; die Gnade erhielten, wurden so mit Ruthen gestrichen, daß
-sie auch oft die Verstellung aufgaben, die Maske fallen ließen und
-wirklich starben. O wie trefflich fand ich die Schulen und Universitäten
-versorgt! Eine so fürchterliche Langeweile wurde mit Kunst da
-vertrieben, daß eine eiserne Geduld dazu gehörte, um sich nicht in
-diesen sogenannten Wissenschaften sterben zu lassen. Half Alles nichts,
-so wurden die Scheinseelen nachher noch examinirt, und von neuem ins
-Examen genommen, und wieder geprüft, daß Viele wirklich sich während
-dieses Examinirens davon machten. War aber Alles umsonst, so hatte man
-eine wundersame Art von Bündel erfunden, die man Akten nannte und die
-sich unsterblich immer vermehrten und vermehrten, diese wurden den
-Gequälten ins Haus geschickt, um wieder neue Akten daraus zu machen, so
-daß sehr viele zu sterben sich entschlossen. Nun gab es außerdem noch
-Trinkstuben, wo man mit Verstand schlechten Wein und noch schlechteres
-Bier fabricirte, um das elende Volk zu vergiften. Von dem Branntwein,
-der noch schneller wirkte, brauche ich gar nicht einmal zu sprechen.
-Hübsch war es auch, daß das Spazierengehen und die Freude an der Natur
-war erfunden worden, um das unnütze Volk aus dem Wege zu räumen: denn
-schon in den Schulen wurde es den Kindern beigebracht, daß sie sich ja
-regelmäßig erkälten müßten, weil es so möglich war, daß sie doch irgend
-einmal am Naturgenuß erstarben. Oft blitzte es in den punktirten
-Nichtseienden: es kam wie ein Bewußtsein über sie, daß sie leere Särge
-wären, es schien, als wollten sie sich zu Tausenden ermannen, um wie die
-Fliegen hinzufallen, damit das nüchterne Spiel nur aus sei. Es wäre auch
-wohl geschehen, und die Staatstabellen würden über die ungeheure
-plötzliche Sterblichkeit gewinselt haben, -- aber da gab es eine
-höllische Erfindung, die ihnen trotz Prügel, Akten, Examen, Naturgenuß,
-Bier und Branntwein dennoch dies lumpige nicht lebendige Leben wieder
-annehmlich machte -- sie rauchten nehmlich Tabak, um sich von dem
-entsetzlichen Gedanken, der sie befallen hatte, daß es ein wirkliches
-Leben gebe, wieder zu erholen und zu zerstreuen. -- Ich sah nun ein, daß
-diese Tödtungsanstalten in jeder Hinsicht als Wohlthat für die wirklich
-Lebenden zu betrachten seien, und daß viele Menschenfeinde und der
-Verfasser »des menschlichen Elendes« wohl anders würden geschrieben
-haben, wenn ihnen, wie mir, das Auge wäre eröffnet worden. Freilich
-möchte sich bei Untersuchung finden, daß die meisten dieser Autoren auch
-nur Scheinmenschen sind. --
-
-Die Gesellschaft begab sich am andern Tage nach Nürnberg, um die
-Merkwürdigkeiten dieser guten alten Stadt in Augenschein zu nehmen und
-den lebenden Panzer und Dürers Grab auf dem Johanniskirchhof zu
-besuchen. Die schönen Kirchen und das Rathhaus wurden mit Aufmerksamkeit
-betrachtet, und im rothen Rosse, dem besten Gasthofe, erzählte Walther,
-wie vor zehn Jahren in diesem Hause sich etwas Seltenes zugetragen habe.
-Freysing, ein Student von Kopf, aber leichten Sitten, hatte in Erlangen
-weit mehr verbraucht, als ihm sein wohlhabender Vater bewilligt hatte.
-Eine große Schuldenlast drückte ihn, der letzte Wechsel, der ihm, um
-abzugehen, gesendet wurde, reichte bei weitem nicht aus. Er bezahlte
-daher nur die ärmsten seiner Gläubiger und verjubelte mit seinen
-Trinkbrüdern auf Spazierritten und in frohen Gelagen die ganze Summe. Am
-letzten Tage besaß er nur noch sechs Louisd'or, die kaum hinreichten, um
-auf dem gewöhnlichen Postwagen und mit Entbehrungen aller Art in seine
-Heimath zu gelangen. Ob mein Alter, rief er im Uebermuthe aus, jetzt
-mehr oder weniger schilt, kommt auf eins hinaus, denn mit dieser
-Lumperei reise ich auf keinen Fall zurück. Er ging nach Nürnberg und
-wagte die wenigen Goldstücke im Pharo. Das launische Glück war ihm so
-wunderbar günstig, daß er in einer Nacht so viel gewann, daß er allen
-seinen Gläubigern bis auf den letzten Heller zahlen konnte, welches mit
-Wucherzins eine sehr ansehnliche Summe ausmachte, und noch tausend und
-mehr Thaler von seinem Gewinne übrig behielt.
-
-Beim Kunsthändler Frauenholz sahen die Freunde ein wundersames Bild von
-einem unbekannten Meister. Es ist die Mutter mit dem Kinde, ein
-gewöhnlicher Gegenstand, aber hier mit einer Innigkeit behandelt, die
-die Beschauenden entzückte. Sie küßt das Kind, und der Ausdruck in Mund
-und Augen ist so herzlich und ergreifend, daß man, obgleich die
-Gestalten nicht eigentlich durchaus schön sind, nichts Süßeres und
-Lieblicheres finden kann. Das Antlitz der Mutter ist so zart und fein
-gemalt, daß es wie aus aufknospenden Rosen gebildet ist. Die
-Nebensachen, Blumen und Verzierungen sind mit einem liebevollen Fleiß
-behandelt. Der Besitzer schrieb es unverständig dem Lucas von Leyden zu.
-Der Preis von zweitausend Gulden, den er forderte, war für einen Reichen
-nur eine mäßige Summe, um mit dieser Wunderblume sein Gemach
-auszuschmücken.
-
-Als sie nach Erlangen zurückgekommen waren, reiseten sie am folgenden
-Morgen nach Pommersfelden. Man war verdrüßlich über den schlechten Weg,
-und Wachtel suchte sie mit Scherzen zu erheitern. Unter anderm sagte er,
-als sie von der Gemäldegallerie in Pommersfelden sprachen: Es ist sehr
-verdrüßlich, daß sich die Kunstgeschichte immerdar erweitert.
-Unzufrieden mit dem Besitz, entdeckt man neue Zeiten, Manieren,
-Unterschiede und Künstlernamen, von denen unsre guten Vorfahren nichts
-wußten. Wer sonst ein steifes Bild sah, nannte es zu seiner und Aller
-Befriedigung einen Albrecht Dürer, wie sie es in Italien noch machen.
-Konnte man bei einer etwas abweichenden Manier den Namen Lucas von
-Leyden einsetzen, so galt man schon für einen Gelehrten. Dergleichen
-Abkürzungen und Anhäufungen vieler auf Einen Namen ist immerdar in
-Geschichte wie Mythologie sehr ersprießlich gewesen; man kann mit Einem
-Herkules, Sesostris und Pharao zufrieden seyn, diese behalten sich, und
-man muß es der Abbreviatur der Vorzeit danken, daß sie uns das Studium
-bequemer eingerichtet hat. Die Aufstöberer von Unterschieden und neuen
-Personen sind als Aufrührer zu betrachten, die die legitimen,
-wohlerworbenen Rechte jener Gesammtmenschen umstoßen wollen. So war vor
-zehn Jahren eine vortreffliche ältliche Castellanin in Pommersfelden,
-welche den Fremden die Zimmer des Schlosses und die Gemälde zeigte und
-erklärte. Es giebt einen berühmten Correggio, von welchem jede Gallerie
-wenigstens ein Stück besitzen will, drei Caracci, Ludwig, Augustin und
-Hannibal, zwei Caravaggio, den frühern und spätern, dazu glaube ich noch
-einen Cagnacci, zwei Carpaccio ungerechnet, diese Herren sämmtlich,
-nebst allen, die nur irgend mit ihrem Namen sich dem _acci_ näherten,
-hatte die unvergleichliche Frau mit weiser Umsicht in den einzigen
-berühmten Maler _Karbatsch_ zusammengearbeitet. Auf diesen großen
-Meister wälzte sie zugleich alle jene Bilder, auf deren Urheber sie sich
-nicht besinnen konnte.
-
-In der Gallerie befindet sich ein schönes Bild, welches dort Rafael
-genannt wird: eine Mutter mit dem Kinde. Es hat einen wundersamen
-Ausdruck und den Anschein wie aus der ältern lombardischen Schule. In
-dem großartigen Styl ist zugleich wie etwas moderne Sentimentalität. Das
-Bild hat an einigen Stellen gelitten und es scheint fast, als ob es
-durch die hinzugefügte Urne irgend eine persönliche Beziehung habe.
-
-Mit großer Freude sahen die Reisenden das alte Bamberg wieder. Von
-Würzburg schrieb Walther an seinen Freund nach Warschau:
-
- Würzburg, den 10. Julius 1803.
-
-Ich verzweifle jetzt fast, eine Spur zu finden, da meine Hinweisung auf
-Bamberg nur eine trügende war. Ein Doctor Marx, der aus dem Polnischen
-hieher gezogen ist und seit wenigen Monaten hier lebt, sollte mir
-Nachrichten geben, wo sie, Maschinka, sich verborgen habe, oder wo
-derjenige hier in der Gegend sei, dem sie zu folgen sich hat bereden
-lassen. Wir lernten einen Narren in Erlangen kennen, der den Kotzebue
-höher als alle Autoren stellt, und meine neuen Freunde spannen über
-diese Erscheinung, die mir nicht so wichtig schien, vielfältige
-Betrachtungen aus. Wachtel behauptete, in jedem Menschen stecke irgendwo
-etwas, das, gepflegt oder durch Leidenschaft aus seinem Winkel zu sehr
-hervorgezogen, zur bestimmten Narrheit werden könne. Auch erscheine wohl
-ein jeder Mensch andern aberwitzig und verrückt, wenn diese ihn mit der
-Ueberzeugung, er sei unklug, anhörten und betrachteten. Ich bekämpfte
-diese Meinung. Nachdem wir den alten Dom in Bamberg besehen hatten, über
-welchen Ferdinand in übertriebene, thränenweiche Entzückung gerieth,
-machten wir dem berühmten Doctor Marcus einen Besuch. Er zeigte uns die
-unvergleichlichen Krankenanstalten und erzählte uns von der Art der
-Behandlung, so wie von manchen sehr merkwürdigen Leidenden. Ich konnte
-nicht begreifen, warum er mich so besonders ins Auge faßte. Als wir in
-der Abtheilung waren, in welcher die Geistesverwirrten verpflegt wurden,
-waren, indem ich mich umsah, meine Gefährten verschwunden. Es kam mir
-vor, als hätte früher Wachtel mich noch einigemal mit einem seltsamen
-Blick von der Seite betrachtet. Verstimmt wie ich war, gefielen mir des
-Doctors Mienen, den ich jetzt beobachtete, ebenfalls nicht. Mit
-einemmale überraschte es mich, daß dieser Mann jener Doctor sei, der mir
-Nachricht von der Entflohenen geben könne. Ich erkundigte mich mit
-leidenschaftlicher Heftigkeit, erzählte, fragte, beschrieb und wurde
-immer ungeduldiger, je weniger er auf meine Reden eingehen oder mich
-verstehen wollte. Als ich Abschied nahm, sagte der Mann mit der größten
-Freundlichkeit: Sie bleiben fürs Erste bei uns, und es wird Ihnen schon
-bei uns gefallen. Ich habe schon seit acht Tagen die Nachricht
-empfangen, daß Sie eintreffen würden, und so wie Sie nur mein Haus
-betraten, erkannte ich sogleich in den ersten Reden Ihr Uebel. Ihr
-Zustand ist noch nicht der schlimmste; nur müssen Sie fürs Erste jene
-Geschichte, die Sie mir da erzählt haben, sich ganz aus dem Sinne
-schlagen, und ich werde schon für Unterhaltung und Zerstreuung sorgen.
-Es ergab sich nun, daß er mich für einen Geisteszerrütteten hielt,
-welchen er erwartete, und ebenfalls, daß er nicht jener Marx sei, mit
-welchem ich ihn in leidenschaftlicher Uebereilung verwechselt hatte.
-Indessen mußte ich bis in die späte Nacht dort bleiben, weil er sich von
-meinem richtig eingefügten Verstande durchaus nicht überzeugen konnte.
-Endlich waren meine Reisegefährten in unserm Gasthofe wieder angelangt,
-sie kamen und brachten meine Brieftasche und meinen Paß mit, nach dessen
-Besichtigung und ihrem Zeugniß wurde ich dann als ein Kluger entlassen,
-nachdem der ironische Medicus mir noch viele Entschuldigungen machte,
-und ebenfalls behauptete, daß man jeden Menschen, auch seinen besten
-Reden nach, für einen Irren halten würde, wenn man das Vorurtheil einmal
-gegen ihn gefaßt habe. Am folgenden Morgen suchte ich den einfältigen
-Doctor Marx auf, der von gar nichts wußte und von mir zuerst die
-Begebenheit erfuhr.
-
-Wir besuchten Bambergs schöne Umgebungen und begaben uns vorgestern nach
-dem Schlosse Glich, einer merkwürdigen, gut erhaltenen Ruine. Noch viele
-Zimmer sind im Stande und zeigen uns die Wohnung der Vorfahren deutlich.
-Eine herrliche Aussicht ist von oben auf Bamberg hinab. Ein alter
-Förster wohnt oben, der nicht zugegen war, und seine Tochter, ein
-wunderschönes Mädchen, der die einfache bürgerliche Kleidung sehr gut
-stand, führte uns herum. Unser Ferdinand, der schon seit einigen Tagen
-noch schwärmerischer ist, als sonst, war über Alles entzückt. Er
-schwatzte so viel und war dann wieder so verlegen, daß ich glauben
-mußte, er habe sich urplötzlich in das Mädchen verliebt. Als wir Alles
-betrachtet und unsern Dank zugleich mit einem Geschenke ausgesprochen
-hatten, und sie sich entfernt hatte, rannte der Schwärmer noch einmal
-zurück und dem Mädchen nach, unter dem Vorwande, daß er seine
-Brieftasche in einem der Säle habe liegen lassen. Wir wandelten indessen
-draußen umher und mußten ziemlich lange auf ihn warten. Sehr erhitzt und
-verlegen, wie es schien, kam er endlich zu uns zurück. Er ward aber
-zornig, wie ich ihn noch nie gesehen habe, als sich Wachtel einige
-unfeine Scherze und Anspielungen erlauben wollte. Oben liegt auf einem
-steilen Felsen eine Kapelle, sie war offen, von hier zeigt sich Alles
-umher reizend und lieblich. Ein uralter Greis schlich mit langsamen
-Schritten an seinem Stabe aus der Kapelle die Stufen der Treppe hinab:
-ein rührender Anblick. Ferdinand ging in die Kapelle, und als er sich
-nicht mehr von uns beobachtet glaubte, nahm er vom Weihbrunnen und
-bekreuzte sich mit andächtiger Miene, dann kniete er vor dem Altare
-nieder. So sind die Menschen. Er trat wieder zu uns, und Keiner mochte
-von Dem sprechen, was wir gesehen hatten, weder im Scherz noch Ernst.
-
-Schon in Bamberg hatte er im Dom vor einem wunderlichen alten
-Marienbilde mit der tiefsten Rührung gestanden. Die Madonna ist hier in
-einem Charakter dargestellt, der völlig von dem gewöhnlichen und
-hergebrachten abweicht. Das Bild ist auf Goldgrund, goldne Strahlen
-umgeben es wie Flammen von allen Seiten. Es ist eine Copie nach einem
-alten florentinischen, welches schon seit lange mit Tüchern verhängt und
-dem Anblick unzugänglich gemacht ist, weil es dort in Italien auf die
-gläubigen Beschauer die ungeheuersten Wirkungen soll ausgeübt haben.
-Ferdinand scheint mir gar nicht ungeneigt, alle dergleichen Wunder zu
-glauben und für wahr zu nehmen. Wohin verirrt sich der Mensch, wenn
-Leidenschaft und Phantasie seine einzigen Führer sind!
-
-Wir aßen wieder in Bamberg, gingen dann Nachmittags nach dem reizend
-gelegenen Buch und fuhren in lieblicher Abendkühle auf dem Wasser nach
-der Stadt zurück.
-
-In der Stadt hat Ferdinand allerhand alte katholische Sagen und Legenden
-zusammengekauft. In Glich war er entzückt, dem dortigen Küster ein
-bambergisches Gesangbuch, wonach er in der Stadt vergebens gesucht
-hatte, abschwatzen und abkaufen zu können. Dieses hält er für einen
-großen Schatz und er las uns sogleich viele der Gedichte vor, die
-allerdings einen lieblichen frommen Sinn athmen, wenn man sich einmal
-diesen träumerischen Gefühlen, diesem Anklang wiederkehrender Wunder,
-diesem vertraulichen, kosenden und zärtlich glühenden Verhältniß zu
-Gott, dem Heiland und dessen Mutter hingeben kann. Dann erscheinen die
-Heiligen, die Schutzgeister, Christus, wie oft, in Kindergestalt, so
-auch die Abgestorbenheit so vieler Mönche und Einsiedler. Auch mit der
-Natur tritt ein geheimnißvolles Liebesverhältniß ein, wie es in den zart
-duftenden Liedern des Spee uns so innig rührt, die der Schwärmer hier
-auch aufgetrieben und uns Abends aus dem Büchelchen mit großer Bewegung
-vorgelesen hat. Und dann muß ich wieder an die Begebenheit mit der
-Försterstochter denken. Vielleicht ist es die Pflicht des Freundes,
-einmal ernsthaft mit ihm darüber zu sprechen.
-
-Seine Stimmung ist übrigens im schreiendsten Contrast mit dem, was die
-neue bairische Regierung hier thut und wie manche ihrer Beamten sich
-hier betragen. Du weißt, daß die Stifter Bamberg und Würzburg, diese
-alten geistlichen Fürstenthümer, unlängst dem Churfürsten von Baiern
-zugesprochen worden sind. Eiligst hat man, um mit Rom und dessen
-Hierarchie ganz und auf immer zu brechen, alle Klöster aufgehoben, die
-Mönche zum Theil vertrieben, theils auf sehr schmale Pension gesetzt.
-Alles hat den Charakter angenommen, daß der gemeine Mann es wie eine
-Sache nimmt, die den ehemaligen Christenverfolgungen ähnlich sieht. Es
-ist unklug und unschicklich, wie im Dom, während am Nebenaltar eine
-stille Messe gefeiert wurde, die silbernen Kirchengefäße und sauber
-gearbeiteten Crucifixe in Kisten mit dem größten Geräusch und Lärmen
-gepackt und geworfen wurden. Die Käufer der Sachen waren zugegen und man
-zerbrach einige Kreuze mit großem Geräusch, die sich dem Kasten nicht
-fügen wollten. Den frommen abgesetzten Fürstbischof, so erzählt man, hat
-man in den Gemächern der Residenz gestört und gequält, indem man von
-allen Seiten Bauanstalten traf, einriß und verbesserte, ohne von ihm die
-mindeste Notiz zu nehmen. Viele Geistliche wandeln im stillen Grimm
-umher, den Küster im Dom sah ich in verbissener Wuth bei jenem Getöse
-Thränen vergießen. Viele gemeine Leute (das Volk ist hier religiös,
-selbst bigott) werden irre an sich und ihren Vorgesetzten.
-
-Alles, was so unziemlich geschieht, ist denn wohl ein Rückschlag von
-vielen, welche jetzt regieren, da sie lange die Geißel und Verfolgung
-der Priester und Pfaffen erdulden mußten. Die Hauptumwälzung, die sich
-hier zugetragen hat, ist von der Zeit selbst herbeigeführt worden, sie
-ist vielleicht zu entschuldigen, kann seyn, daß sie nothwendig war; aber
-mit Anstand und Schonung konnte alles Unvermeidliche und
-Festbeschlossene geschehen, die politische Begebenheit brauchte nicht
-den Charakter einer verhöhnenden Rache anzunehmen.
-
-Ueber diese Gegenstände ist Ferdinand empört und ergrimmt, und er zügelt
-seine Worte nicht, wenn er mit den Freunden dieser Neuerung spricht. Er
-behauptet, daß wir es Alle noch erleben würden, wie man neue Klöster
-stiftet, und er verachtet das spottende Lächeln seiner Gegner.
-
-Vieles Schöne ist in dieser Reform schon zu Grunde gegangen, noch mehr
-wird verschwinden, aber meine trüben Blicke werden nicht bloß durch Das,
-was wir jetzt sehen, was dicht vor uns liegt, so tief bekümmert; -- was
-soll aus allem Besitzstand werden, da dies so schnell ohne Widerspruch
-hat eintreten können? Wo ist eine Sicherheit für irgend eine Regierung?
-Welche Folgerungen wird die Zeit, ein fremder Sieger, die Politik aus
-diesen Vorgängen ziehn?
-
-Wie hat sich seit zehn Jahren die Welt verändert! und es scheint, als
-würden alle Verwandlungen immer rascher und rascher auf einander folgen.
-
-Du siehst, ich fange an, Deine Cousine, die Strafe des Liebhabers, Deine
-und meine Angelegenheit über dergleichen Gedanken und Befürchtungen zu
-vergessen.
-
-
-
-
- Walther an seinen Freund.
-
-
- Würzburg, den 11. Julius 1803.
-
-Ich schreibe Dir sogleich noch einmal nach meinem kaum abgegangenen
-Briefe, denn das ist das Mittel, mich zu zerstreuen und zugleich zu
-sammeln. Ich kann mit meiner Umgebung nicht Das sprechen, was mich am
-meisten interessirt, und so unterhalte ich mich mit Dir.
-
-Hier in der Stadt ist unser Ferdinand in seinem Element. Es ist wahr,
-ich habe noch niemals eine so feierliche Messe erlebt, als die war, die
-gestern im Dom uns Alle bewegte; an neun Altären war zugleich
-Gottesdienst, eine Prozession der Domherren, die in schöner malerischer
-Tracht waren, ergötzte das Auge.
-
-Die Stadt wimmelt von Fremden, Alles drängt sich, denn es ist zugleich
-der größte Jahrmarkt. Das Schloß in der Stadt ist prächtig und wohl eins
-der größten in Europa. Ein wunderliches, knitterndes Echo ist unten vor
-der Treppe, an dem wir uns Alle wie die Kinder erlustigten. Heut
-Nachmittag trieben wir uns wieder im Jahrmarktsgedränge um, welches
-vorzüglich in einer fremden Stadt etwas Bezauberndes hat. Vor dem Thore
-ging ein uralter Capuziner von sehr ehrwürdiger Gestalt, dem kleine
-Mädchen im Vorübergehen mit Ehrerbietung die Hand küßten. Diese seltene
-Ruine einer ehemaligen Zeit verfolgte unser Ferdinand lange mit seinen
-sehnsüchtigen Blicken, und es schien der Wunsch in seinen gerührten
-Augen zu liegen, daß er gern an die Stelle der unmündigen Mädchen
-getreten wäre.
-
-In einer frohen Jahrmarktstimmung traten wir in eine hohe hölzerne Bude,
-in welcher eine Art von Caroussel mit einer russischen Schaukel
-vereinigt war. Indem die schwebenden Sitze auf und nieder gingen, stach
-ein Jeder der Sitzenden mit einer Lanze nach einem Ringe. Der Besitzer
-und Erfinder dieser schwebenden Kunstanstalt erklärte uns mit vieler
-Genügsamkeit die Herrlichkeit seiner neuen Erfindung. Steigen Sie ein,
-rief er, und wenn Sie gleich nur Dreie sind, so werden Sie doch das
-Kunstwerk genießen können, denn darauf bilde ich mir am meisten ein, daß
-ich es so eingerichtet habe, daß der angefüllte schwere Sitz niemals den
-leichten, ihm gegenüberstehenden durch seine Last niederzieht, wie dies
-an den ordinairen einfältigen russischen Schaukeln der Fall ist, wo die
-unwissenden Menschen sich alsdann mit eingelegten Steinen zu helfen
-suchen, wenn ein Sitz ledig bleibt. Wie die Kinder ließen wir uns
-bereden hineinzusteigen. Die Maschine ging sehr hoch und ein
-Nervenschwacher hätte wohl Schwindel empfinden können. So stiegen wir
-auf und ab und stachen mit mehr oder minder Glück die Ringe ab.
-
-Plötzlich entsteht draußen ein lautes Geschrei. Die Thür der Bude wird
-aufgerissen, und ein wunderschöner Lockenkopf, das Antlitz eines
-himmlischen Mädchens blickt wie ein Blitz auf einen Augenblick in die
-Narrenbude. Sie schreit auf, so wie sie uns da schweben sieht, und
-_Maschinka_ kreischt einer; ob Ferdinand, ob Wachtel, ob der Herr des
-Kunststückes, das konnte ich nicht unterscheiden, der Maschinendreher
-war es nicht, denn dieser orgelte noch einen Augenblick an seinen
-Kunsträdern. Das Mädchen ist verschwunden und Ferdinand, der unten
-schwebt, springt aus seinem Käfig, der Eigenthümer des Kunstwerkes ihm
-schreiend nach, dies erschreckt den subalternen Drehkünstler, er rennt
-auch hinaus, und Wachtel kann eben noch vom Einfluß der Bewegung so viel
-genießen, daß er im Herabschweben seinen Sitz verläßt, ebenfalls
-hinausläuft und die Thür der Bude hinter sich zuschlägt.
-
-Aber ich -- ich nun oben, auf dem höchsten Punkte, in meiner
-Schwebekutsche sitzend, hatte nun Zeit und Gelegenheit, das Schicksal
-und die zu künstliche Einrichtung der verfluchten Maschine zu
-verwünschen! O wie sehr hätte ich sie gelobt und verehrt, wenn ich durch
-eigne Schwere jetzt herabgesunken wäre, um auch das Freie zu suchen und
-jenem Mädchen nachzulaufen. Ich sah mich in meiner obern Sternregion um,
-ob ich nicht aussteigen und die vierzig oder funfzig Fuß
-hinunterklettern könne. Aber es war ganz unmöglich. Durch die eine Ritze
-konnte ich etwas von Stadt und Feld erblicken, aber in der
-entgegengesetzten Richtung, in welcher sich jene Erscheinung gezeigt
-hatte.
-
-Endlich, es mochte wenigstens eine halbe Stunde verflossen seyn, zeigte
-sich der Besitzer des Kunstwerkes wieder; er schien mich vergessen zu
-haben und war sehr erfreut, mich dort oben noch, wie den Sokrates in
-seinem Studienkorbe, wiederzufinden. Er schrob und orgelte mich durch
-seinen Kunstorganismus herab und ging auf meine Fragen über die
-Erscheinung jenes Mädchens gar nicht ein. Er hatte sie nicht gesehn und
-war in der Meinung, es sei ein großer Volksaufruhr, hinausgelaufen.
-
-Wichtiger war ihm die Verhandlung um die Bezahlung. In der Einsamkeit,
-und da er meine Eil sah, machte er eine ungeheure Rechnung. Ich begriff
-sie zwar nicht, wollte mich aber zur Zahlung bequemen. Da wir die
-gemeinsame Casse an diesem Tage unsern Wachtel führen ließen, fehlte es
-mir an baarem Gelde. Ich mußte meine goldne Uhr zum Pfande lassen, die
-ich erst am späten Abend wieder einlöste.
-
-So wie die kleinen Schulknaben hatte ich ein Abentheuer bestanden und
-wollte bei meinen Reisegefährten Rath und Trost suchen. Ferdinand
-behauptete, das Schaukeln habe ihm Schwindel erregt und so sei er
-entsprungen, um zugleich den Volksauflauf zu sehn. Dieser sei schnell
-geendigt gewesen und er habe die Uebelkeit seitdem im Bett verschlafen.
-Wachtel meinte, ein großes Spektakel sei hinter einem Kapuziner
-heraufgekommen; dieses Schauspiel habe er genießen wollen. -- Ich erfuhr
-nichts und so stehn unsre Angelegenheiten.
-
- * * * * *
-
-Walther hatte jetzt seine Pläne aufgegeben und überließ sich nun ganz
-dem Zufalle, ob er durch diesen auf die Spur seines Feindes oder jenes
-schönen Mädchens gerathen würde. Ferdinand und Wachtel waren ihm in der
-kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft schon unentbehrlich geworden, und so lud
-sie die schöne Jahreszeit, die Muße, die Lust umherzuschwärmen, ein,
-noch einige schöne Gegenden Deutschlands zu besuchen. Ferdinand war seit
-einiger Zeit viel sinnender und finsterer geworden; Walther hatte
-bemerkt, daß er Briefe erhielt, die er sorgfältig verbarg und die ihn
-verstimmten. Zuweilen fiel es Walther ein, er könne mit Ferdinand über
-seine Trauer sprechen, er dürfe es wohl mit Empfindlichkeit rügen, daß
-er daraus, was ihn so betrübe, dem Freunde ein Geheimniß mache; doch
-bedachte er dann, daß er selbst ja eben so gegen Ferdinand verfahre und
-von der Absicht seines Ritterzuges gegen diesen nichts verlauten lasse.
-
-Die Freunde nahmen von Würzburg aus den Weg nach dem Spessart und
-erfreuten sich dieses Waldgebirges und der herrlichen Aussichten, die
-sich ihnen links und rechts in die Unermeßlichkeit der frischen Wälder
-darboten. In Aschaffenburg hielten sie sich nicht auf, sondern begaben
-sich nach Darmstadt, um über die schöne und altberühmte Bergstraße nach
-Heidelberg zu gehn. Die Nacht, welche sie überraschte, verweilten sie in
-Heppenheim, und Walther und Ferdinand stiegen zur Ruine, der
-Starkenburg, hinauf, und erfreuten sich in der anbrechenden Dämmerung
-der Aussicht auf den Rhein, an welchem sie Worms, Speyer und das ferne
-Manheim sahen. Die Aussicht in den Odenwald auf der andern Seite war
-noch schöner, die wundervolle Einsamkeit, die schönen Formen der Berge,
-welche alle dicht mit Wäldern bewachsen sind, erhoben das Gemüth der
-Freunde zu edeln Gefühlen.
-
-Wachtel, der den steilen Aufgang zur Ruine fürchtete, war im Gasthofe
-zurückgeblieben, und schrieb indessen seiner Frau nach Guben folgenden
-Brief:
-
- Heppenheim, den 13. Julius 1803.
-
-Liebes Weib, ich muß Dir doch auch einmal schreiben, damit Du nicht auf
-die Meinung geräthst, ich sei gar verloren gegangen oder, wie der
-Ausrufer in Teplitz sich ausdrückt, in den Verlust gerathen, was im
-Grunde besser ist, als jener hochdeutsche Ausdruck.
-
-Du kennst aber schon meine Art und Weise, daß ich gern praktisch,
-deutlich, einfach schreibe und mich nicht mit Gefühl und Schwärmerei
-befasse. Des Handelns, Schaffens ist so viel in der Welt, daß ein
-rechtlicher Mann zum Schwärmen, zur Mystik oder dem übertrieben feinen
-Denken keine Zeit behält.
-
-Wie nüchtern und gefaßt ich aus Guben mit dem frühesten ausreisete, wird
-Dir wohl noch erinnerlich seyn. Meinen Ferdinand traf ich nebst einem
-gewissen Walther, einem halb polnischen Menschen, im unmittelbaren
-Himmelreich einer Rafaelischen Entzückung. Ich war eben nicht zum Umgang
-mit Engeln aufgelegt, denn ich hatte noch den Reisestaub an den Füßen.
-Wenn man überhaupt gewohnt ist, in der großen Welt zu leben, wie wir in
-Guben es sind, so wird einem jegliche Kleinstädterei verhaßt. Ich
-versichere Dich, die ganze Bergstadt hier, von der soviel gesprochen
-wird, ist im Wesentlichen in Nichts von unserm gewöhnlichen Spaziergang
-bei Guben verschieden, außer daß hier die ziemlich hohen Berge sind, wo
-wir dort den hölzernen Zaun haben und auf der andern Seite die
-Fichtenschonung. Was ist denn nun die Dresdner Brücke so Großes? Ich
-habe immer an unsre hölzerne denken müssen. Diese ist nicht so lang,
-aber man sieht doch auch rechts und links recht hübsche Kiefern in der
-Ferne, und Brombeerngesträuch und etwas Sand. So ein ^Badaud^ oder ^Plat
-pied^ aus irgend einer großen Stadt spricht immer, wenn er unser Guben
-nicht gesehn hat, vom Pariser Louvre, oder dem Straßburger Münster, wohl
-gar von der London-Brücke oder dem Wasserfall von Niagara. Sollen sich
-da deutsche Herzen nicht empören? Als wenn unsre romantische Tümpel, die
-Haideflecke bei Lübben und Luckau, unsre Sandpartien nach der Oder zu,
-der hübsche Sumpf eine Viertelmeile von uns, so gar nichts wären!
-
-So kamen wir denn also auf den Nollendorfer Berg. Es war so dicker
-Nebel, daß ich mich gleich von meinen Kameraden verlor und in eine
-Wolke, wie in einen großen Wollsack gerieth. Ich trat mit meinen
-Reisestiefeln auf die Flocken und ging hübsch darauf spazieren; und es
-geht sich schnell, sodaß, ich weiß nicht wie weit, ich schon in die
-böhmischen Dörfer hineingerieth, ohne allen Weg und ohne Straße.
-Herrliche Anstalt, gleich diesen dicken Nebel, wie die Wolke der
-Bundeslade, zwischen Sachsen und Böhmen oder zwischen Deutschland und
-Oestreich zu stellen. Tausend, wie marschirte ich nun fort!
-Statistisch-ökonomisch-politisch-historische Bemerkung für meine
-hydraulisch-aphoristische künftige Reisebeschreibung der spanischen
-Schlösser und böhmischen Dörfer: -- Ich fand nehmlich, daß Angestellte
-(Beamte, die oft durchfallend sind, aber selbst niemals umfallen) auf
-eine auffallende Weise die besten und kräftigsten Stücke des Nebels auf
-Flaschen zogen, wie es wohl auch bei den Gesundbrunnen geschieht.
-Schäumt die unnütze Kraft ab, so wird ein hübsches Getränk und
-magenstärkender Saft aus dem leichten Dinge, welches dann Professoren
-und Schüler, Geistliche und Denker, feinfühlende Autoren, die gern
-^scherzando^ schreiben, und billige Staatsmänner wie altherkömmliche
-Gesetzkünstler und Fabrikanten gern genießen und sich einander
-mittheilen. Trifft es nicht richtig ein, daß _Nebel_ rückwärts gelesen
-_Leben_ heißt, und Leben Nebel? Eins ist die Quadratwurzel vom andern.
-Darauf sollten unsre Denker mehr lossteuern. Siehe, mein Kind: -- wenn
-ich zu Einem sage, der noch nicht reif ist und es gern werden möchte:
-_Lese!_ so sieht das wie ein guter, verständiger Rath aus. Hat er aber
-tiefern Sinn und buchstabirt rückwärts, so merkt er im stillen Gemüthe
-wohl, daß ich ihn nur einen _Esel_ gescholten habe. O es ist ein
-unergründlicher Tiefsinn in diesen Betrachtungen. Nicht wahr, es giebt
-Mülleresel, wilde Esel, Esel zu Spazierritten u. s. w. -- aber der
-völlig unvertilgbare, von vorn wie hinten sich immer gleich bleibende
-ist der von mir entdeckte _Lese-Esel_. Auch wenn ich imperativisch oder
-imperatorisch sage: _Esel, lese!_ bleibt er sich gleich, doch gefällt
-obige Thierart in der Bezeichnung besser, denn es stempelt sich darin
-jenes ewig unermüdliche Geschöpf, jene unverwüstbare Creatur, die wir
-hinter Ladentischen, auf Caffeehäusern, unter den lieben Zeitungen und
-allerliebsten Journalen, Tagesblättern, Broschüren, Libellen (nicht den
-Insekten), Romanen und dergleichen sitzen sehn und schlingen -- mit
-einem Wort, den in unserm Jahrhundert ausgebildeten _Leseesel_. Die
-vergleichende Anatomie sollte sich nur seiner bemächtigen und Gall
-seinen Schädel untersuchen. Wie in Afrika oder Indien jene wandernden
-Ameisenheere oft unsäglichen Schaden anrichten und Verderben verbreiten,
-so fürchte ich für Europa und noch mehr für unser Deutschland die
-traurigsten Verheerungen von der Vermehrung und dem Ueberhandnehmen
-dieses Lese-Esels. Wie er denn nun von vorn oder hinten immerdar ein
-Leseesel bleibt, so sprach ich neulich schon mit einem denkenden Medicus
-über den Fall, ob das Thier nicht wirklich die Qualität noch erhalten
-könne und würde, auch von hinten, mit dem Sitztheile, sowie vorne mit
-seinen Augen zu lesen. Der Philosoph approbirte sehr meine Hypothese und
-meinte, das Monstrose sei immerdar nicht den gewöhnlichen Naturgesetzen
-unterworfen. Und wirklich, wie ich wieder die sogenannte Ressource
-besuchte, wo ich die beste Sorte und die qualificirtesten dieser
-Leseesel zu finden gewohnt war, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß
-diejenigen, die in der Entwicklung am meisten vorgeschritten waren,
-unruhig auf ihren gepolsterten Bänken beim aufmerksamen Lesen hin und
-wieder ruschten, sich bald stärker auf das Polster drückten, bald
-lüfteten, bald sich rechts, bald links hin bewegten, als wenn sie ein
-besseres Licht erstrebten. Ich sah aber deutlich, daß ihnen oben nichts
-fehlte, ihr Fundament aber einen Mangel verspürte. Der Vorsteher dieser
-Ressourcen-Anstalt oder dieses Casino-Wesens ist ein denkender Mann; ich
-nahm ihn beiseit in ein Nebenzimmer, von wo man durch Glasthüren Alles
-im Saal beobachten kann, und machte ihn auf jenes bedenkliche Hin- und
-Herrutschen aufmerksam. »Wollen Sie denn nicht, suchte ich ihn zu
-persuadiren, vielleicht morgen den Versuch machen und einige gute
-lesbare Journale, oder einige scharfe Schriften gegen die Regierung über
-jene Polster spannen lassen, um zu sehn, ob meine Vermuthung sich
-bestätigt?« »Wie, Herr, fuhr mich der Mann an, indem er mich mit seinen
-großen Augen betrachtete: was fabeln Sie mir da von einer neuentdeckten
-Thierart? Es sind lauter würdige Herren und ausgezeichnete Männer, die
-das Beste des Landes und der Welt im Auge behalten. Sie rutschen heute
-übermäßig, das ist wahr, das kann aber auch vom Denken oder vom bewegten
-Gemüthe herrühren. Auf keinen Fall aber dürfte ich es gestatten, wenn
-Sie auch wirklich Recht hätten, daß alle diese Mitglieder in Naturalibus
-da säßen, um zwei Zeitungen zu gleicher Zeit lesen zu können.« »O Sie
-kurzsichtiger Mann! rief ich aus; brauchen Sie denn nicht selbst
-Brillengläser? Sieht man nicht durch einen Flor und Sieb? Und so würden
-sich die Beingewande gestalten; Fabrikherren würden mit scharfem Blick
-die Zeuge entdecken und verfertigen, durch welche sich am besten lesen
-ließe; neuer Flor des Gewerbes, frische Aufmunterung zur Arbeit und
-Speculation.«
-
-So stand die Sache vor meiner Abreise, ehe ich in das Nebelleben oder
-den Leben-Nebel gerieth. Wie ich zu meinen Reisengefährten wieder zurück
-kam, weiß ich selbst nicht, wie aber in der Nacht der Camin so gar
-gewaltig rauchte, war ich wieder bei ihnen und bei mir. Aus dem soliden
-Nebel gerieth ich aber in eine noch wolligere und flockenreichere
-Väterlichkeit und Mutterempfindung mit Zwillingen und Drillingen u. s.
-w. Was aber merkwürdiger ist, als solche Lappalien, ist, daß man unter
-feierlichem Schießen Carlsbad noch höher als Teplitz gestellt hat, es
-noch drüber hinauf gesetzt; so kommt die Meeresfläche immer tiefer, und
-da das Meer außerdem schon abnimmt, so wird es kein Wunder seyn, wenn
-wir ganz auf das Trockne gerathen. Bei den Heiling-Felsen sind Braut und
-Bräutigam, Priester und Brautjungfern in Stein verwandelt, ich habe sie
-selber stehn sehn. Daß die Leute nach der Hochzeit recht ledern und
-hölzern werden, erleben wir alle Tage, es ist kein großes Wunder, daß
-diese damals, in einem noch unaufgeklärten Jahrhundert, das Prävenire
-gespielt haben, um in jenem beliebten Stein der Hölzernheit zu entgehen.
-
-Aber in den herrlichen Gegenden habe ich etwas sehr Wichtiges, und wovon
-ich noch keine Erfahrung hatte, kennen gelernt. Immer habe ich es
-geglaubt und Dir gepredigt, daß Adam und Eva vor ihrem Falle nicht so
-körperliche grobe Speisen genossen, wie wir jetzt mit den thierischen
-Zähnen sie zerbeißen und zermalmen, sondern daß sie die geistigen
-Essenzen, die unsichtbare Kraft der schönsten Gewächse und der
-himmlischen Kräfte einsogen. Wie einem denkenden Forscher nun wohl wird,
-wenn sich ihm eine solche mystische Ueberzeugung durch unumstößlichen
-Beweis vergegenwärtigt, ist mit Worten nicht auszusprechen. Sie nennen's
-in ihrer sterblichen Unbeholfenheit einen rothen Ungarwein, und mit
-anmaßendem Kunstausdruck die Mennische Essenz. Wer aber die wahre
-Sprache kennt und den Urtext versteht, sieht durch den grob ersonnenen
-philologischen Kniff, und erkennt aus der echten Etymologie, daß Adam es
-damals auf seinem höhern kritischen Standpunkt die _Menschen-Essenz_
-nannte; und das ist sie denn auch, und mein Forschen und Ergründen
-dieser Materie gereut mich so wenig, daß binnen kurzem mehrere Flaschen
-von diesem Liquor, dieser Essenz, bei Dir in Guben eintreffen werden,
-die ich wohl aufzubewahren Dich bitte. Wie sehr es Sünde war, vom Baum
-der Erkenntniß zu naschen, darin, wie in allen meinen religiösen
-Ueberzeugungen, hat mich diese Wunder-Essenz von neuem gekräftigt. Denn
-wie man sie nur ein Weilchen genossen hat, und sie wieder schmeckt, und
-von neuem versucht, führt sie uns bald in jenes selige Land, wo alle
-Kenntniß aufhört und verschwindet, wo das trockne, kümmerliche
-Bewußtsein immer mehr verdämmert und verdunstet, um, wenigstens auf
-einige Zeit, den sündhaften Zustand der Erkenntniß des Guten und Bösen
-abzuschütteln. Nein, dieser Gegensatz hört dann auf, und man lebt einzig
-und allein im Guten, in dieser Menschen-Essenz. O wie neidisch meine
-Freunde waren, daß ich diese Entdeckung gemacht hatte, die unsrer ganzen
-Weltgeschichte eine andre Richtung geben kann. Uebrigens liegen im
-Hochheimer und Johannisberger auch ganz respektable Richtungen
-verborgen, und eben jetzt steht eine Flasche vom letzteren neben mir,
-aus welcher ich Deine Gesundheit trinke.
-
-Unser Weg muß sonderbarer Weise vor Prag vorbeigegangen seyn, denn die
-Straße führt nicht durch, und doch soll Prag die Hauptstadt von ganz
-Böhmen seyn. Wir sind wenigstens durch Franken gekommen. Endlich aber
-ist doch unser Kotzebue anerkannt, und es hat sich erwiesen, daß er alle
-Alten und Neuen übertrifft; man sollte ihn aber zum Patentdichter
-machen, daß kein andrer, so lange er lebte, Theaterstücke schreiben
-dürfte.
-
-In Würzburg in der würzhaften Landschaft haben wir im Wirthshause mit
-vieler Anmuth gewohnt, denn in Bamberg hatten sie einen ambulanten
-Gottesdienst und cassirten mit vielem Spektakel die silbernen Sachen von
-Werth ein, weshalb es uns dort nicht gefiel, so alt auch der Dom seyn
-mag. Wir haben auch auf der Stelle gestanden, wo Otto von Wittelsbach
-den Kaiser Philipp ermordet hat. Die Ruine gehört einem berühmten
-jüdischen Arzt, welcher mit aller Gewalt unsern Freund Walther
-trepaniren wollte. Er ist aber bis dato noch nicht rasend, und erhielt
-eine Ehrenerklärung. Nur kaufen will dieser neugierige Mann vielerlei,
-und er kann es, weil er reich genug zu seyn scheint. Bei der Treppe im
-fürstlichen Schloß zu Würzburg ist ein kurioses vielfaches Echo, das hat
-er richtig erstanden, um es bei sich zu Hause, in seinem Garten
-anzubringen. Man war dabei, es sehr vorsichtig einzupacken. Das
-Auspacken an Ort und Stelle aber muß mit noch größerer Circumspection
-geschehen. Denn die Sache ist fast, nur im Großen, wie mit einer
-Champagnerflasche. Das Ding darf nicht in alle Lüfte verflattern, wo es
-keinem Menschen zum Gewinn ist. Im Garten muß es an der rechten Wand
-sehr künstlich eingefugt und eingeleimt werden, damit es richtig
-antwortet und nicht auf Schwarz Weiß, auf Ja ein Nein spricht. Herr
-Walther will sich dann einen tüchtigen Mann vom Amt kommen lassen, der
-mit Echos umzugehen weiß, und selbst nur ein Widerhall seines gnädigen
-Herrn ist, der soll ihm das Ding pfropfen oder inokuliren, damit es noch
-öfter und lauter jede Anrede nachspricht. Ein in Ruhestand versetzter
-Geheimer Rath braucht sein Echo nicht mehr in der Sitzung abzugeben, und
-dieser, hofft Walther, wird ihm dieses für ein Billiges ablassen. Denn
-das ist auch zu observiren, daß das Echo, wenn es nun wieder gelüftet
-wird, nicht dem Freunde Walther oder einem andern würdigen Manne in den
-Hals fährt. Davon hat man schon merkwürdige und traurige Beispiele. Der
-Minister in -- (ja da um die Ecke, rechts oder links von uns, Du
-brauchst es eben nicht so genau zu wissen) war der beste Kopf im Lande,
-nur widersprach er dem regierenden Herrn immerdar. Plötzlich (und die
-gewöhnlichen Menschen meinen, es sei durch eine Gehaltsverdopplung
-bewirkt, was aber die Erscheinung weder psychologisch noch physiologisch
-erklären würde) spricht er wörtlich und buchstäblich Alles so, wie sein
-Landesvater. Zur Erheiterung war dieser große Kopf in ein Bad gereiset,
-in dessen Nähe sich ein ganz vorzügliches Echo aufhielt. Der Minister
-spielt mit dem Dinge, wie mit einem jungen Kätzchen, frägt, läßt
-antworten, schreit und singt, um das Wesen recht von allen Seiten kennen
-zu lernen; darüber wird er müde, er gähnt, ohne die Hand vor den Mund zu
-halten, und die boshafte Creatur benutzt den Moment und springt ihm in
-den Hals hinein. Nun kann er es nicht loswerden, so sehr er Medicin
-braucht. Im Bade ist das Echo seitdem fort. Die Dummen behaupten, weil
-die Bergleute eine vorlaufende Felsenwand weggesprengt haben. Nein, auf
-eben beschriebene Art sind sehr viele dieser Echoisten entstanden, die
-der gemeine Mann zu oft mit den Egoisten verwechselt, die freilich auch
-manchmal nahe an einander grenzen, wie die Buchstaben g und h.
-
-Unser Walther hat neulich etwas gethan, wovon alle Philosophen und
-Denker immerdar ausgesagt haben, es sei unmöglich. Er schwang sich
-nehmlich auf dem Rade der Fortuna um, und es gelang ihm, oben auf dem
-Gipfel wenigstens eine halbe Stunde lang ungestört zu verharren. Er
-hätte also den Nagel oben einschlagen können, wenn er nicht selbst
-vernagelt gewesen wäre, denn er fluchte und wetterte, um nur wieder
-hinabzugelangen. Ein wunderliches Frauenzimmer, vielleicht die Fortuna
-selbst, sah ihn dort oben thronen und lachte, wie es mir schien. Ich
-konnte sie aber nicht erhaschen. Man schrie ihr Maschinka nach. Hieß
-nicht die geheimnißvolle Unbekannte so, die bei uns logirte? Mir schien
-auch, aber ungewisser Schein nur, als sähe sie jener Flüchtigen ähnlich.
-Aber mein Studium und der Genuß der himmlischen Essenzen macht, daß ich
-mich solcher irdischen Dinge nur sehr dunkel erinnere und keine
-Rechenschaft davon geben kann. Wenn sie es war, ist sie mir und den
-Uebrigen wieder entlaufen, ob wir gleich alle hinter ihr drein waren.
-Walther, der Herabgestiegene, auch. Fortuna aber oder Maschinka war
-verschwunden.
-
- * * * * *
-
-Die Beiden kamen spät von der Starkenburg zurück, und indem sie in das
-Zimmer traten, hörten sie, wie Wachtel sich selber den letzten Theil und
-Beschluß seines Briefes vorlas. Walther fuhr auf ihn zu und fragte: was
-war das für eine Dame, die jener in Würzburg ähnlich war? Auch Ferdinand
-setzte ihm leidenschaftlich mit Reden zu; doch Wachtel, der jetzt seine
-Flasche Johannisberger völlig geleert hatte, sagte: Meine Herren und
-Freunde, ich habe da einen häuslichen vertraulichen Brief an meine
-Gattin geschrieben, welcher nichts, als Familienverhältnisse und
-Versicherungen meiner Liebe enthält, diesen kann ich Euch also unmöglich
-mittheilen; die letzte Anspielung, die Ihr zufällig vernommen habt, ist
-nichts weiter als die Beziehung auf eine Sache, die ich selber nicht
-verstehe und das Wenige, was ich davon wußte, seitdem völlig vergessen
-habe. Ich war, als jenes Frauenzimmer schnell in unser Zimmer dort in
-Guben trat, eben in Gedanken und Studien versenkt; kurzum, sie hatte
-einen Brief an meine Frau, den ich damals nicht lesen konnte oder
-wollte, und ein alter Mann begleitete sie, von dem es unentwickelt vor
-mir liegt, ob er ein Herr oder ein Bedienter war. Kurz, mit einem Wort,
-sie bewohnte ein Zimmer, als ich schon schlief. Sie kam mir hübsch vor,
-und nachher, als ich sie wiedersah, konnte ich mich nicht bestimmt
-erinnern, ob es noch dieselbe oder eine andre war. Diese zweite war aber
-noch schöner. Vielleicht hatte sie aber die Frische des Morgens so
-gefärbt. Nun fragte ich wieder nach ihr, und sie war schon abgereist,
-und da es mich nichts anging, schlug ich es mir aus dem Sinn, und so
-vergaß ich es, und so reiste ich nach Dresden ab, und so sind wir nun
-hieher gerathen, und das Briefschreiben hat mich angegriffen, und der
-Johannisberger hat mich gestärkt, und das ist Alles, was ich von der
-Sache weiß.
-
-Daß mich die Sache interessirt, sagte Walther, darüber könnte ich meine
-Gründe angeben; aber warum Sie, Ferdinand, so neugierig sind, begreife
-ich nicht.
-
-Ich weiß selbst nicht, antwortete dieser, weshalb ich mich darnach
-erkundige; man macht seinen Freunden in der Regel Alles nach, weil sie
-nach einiger Zeit ein gemeinsames Interesse verknüpft. Und, gestehe ich
-es nur, in jener Nacht, als wir in Guben waren, hörte ich durch die
-offenstehenden Fenster der untern Zimmer meinen Freund Wachtel schon mit
-seiner Frau von dieser Dame reden, ich war schon damals neugierig, aber
-mein Freund Wachtel war in einem so bedenklichen Zustande, daß ich mich
-ihm nicht zu erkennen geben mochte; auch rückte schon der erste Morgen
-herauf und unsre Abreise drängte.
-
-Sieh! sieh! sagte Wachtel gähnend, meine confuse Frau hat mir damals
-eine noch confusere Geschichte vorgetragen, von einem sehr hübschen
-Menschen, den sie hundertmal einen Engel nannte. Sie schien zu meinen,
-ohne des Engels Beihülfe, der sich so edel betragen, hätte ich die ganze
-Nacht draußen im Grase liegen müssen. Sie machte ein Mährchen draus, wie
-das von der Martinswand ist. Und nun entwickelt es sich also, daß Du
-dieser Engel warst. So verschwinden bei nur mäßiger Forschung alle
-Wunder aus der Geschichte.
-
-Nach einer kurzen Ruhe fuhren die Freunde am schönen Morgen weiter, aber
-nur langsam, um die Gegend zu genießen. Sie kamen schon früh in
-Heidelberg an.
-
-Der Pfarrer Le Pique hatte dem jungen Ferdinand einige Briefe an Freunde
-mitgegeben, und so lernte dieser einen rüstigen, geistreichen Mann,
-Keyser, welcher Lehrer an der Schule war, kennen. Sie besuchten
-gemeinschaftlich den biedern Daub, sowie den herrlichen Creuzer, und in
-der schönen Umgebung, unter wissenschaftlichen und heitern Mittheilungen
-verflossen ihnen die Stunden und Tage im lieblichsten Wohlbehagen. Auch
-den trefflichen Pfarrer Abegg lernten sie in Lohmen kennen, und die
-muntern Freunde, die Alle noch jugendlich kräftig waren, durchstreiften
-das Gebirge und die blühenden Kastanienwälder, die vielen Bergen hier
-einen ganz südlichen Charakter geben, und erkletterten alle irgend
-zugänglichen Theile des großen Heidelberger Schlosses.
-
-Mit Keyser ging Ferdinand in einer Nacht nach Zweibrücken hinüber, und
-Walther verwunderte sich, daß der Freund ihm aus dieser Wanderschaft ein
-Geheimniß gemacht hatte.
-
-Walther, der noch wenig mit Gelehrten und mehr mit dem Adel gelebt
-hatte, war höchlich erfreut, in dem Professor Daub die schöne Biederkeit
-echter deutscher Natur, und in Creuzer diese Gewandtheit des Geistes,
-sowie diese edle Urbanität kennen zu lernen; Abegg's Milde wirkte
-wohlthätig und fein auf den witzigen Streit, der sich manchmal zur
-Heftigkeit erhob und den besonders der lebhafte Keyser gern veranlaßte.
-Wenn wahre Gelehrte, die zugleich als echte und edle Menschen den Ton
-des Umganges haben, in freundlicher Hingebung scherzend und ernst durch
-alle Gänge des Wissens und Forschens wandeln, so findet sich in dieser
-Umgebung eine Unterhaltung, die der Menschenkenner und Weltmann
-vergebens in den andern Zirkeln der Gesellschaft suchen wird.
-
-Ein schöner Friede schien alle Gelehrte in Heidelberg zu vereinigen und
-Ferdinand erzählte viel von einer schönen Zeit, in welcher er vor
-wenigen Jahren in Jena in dem Kreise lebte, den Wilhelm und Friedrich
-Schlegel, Novalis und Schelling bildeten. Er schilderte diese Wochen als
-das reichste und üppigste Geistesbankett, das er jemals schwelgend
-genossen habe.
-
-Nach einigen Tagen schrieb Ferdinand an eine Freundin, Charlotte von
-Birken, nach Berlin.
-
- Heilbronn, den 18. Julius 1803.
-
-Meine theilnehmende Freundin, ich benutze die Nacht, indem meine
-Reisegefährten schlafen, um endlich mein Versprechen zu erfüllen und
-Ihnen einige Nachrichten von mir mitzutheilen.
-
-Die Spannung, in welcher mich diese unfreiwillige Reise erhält, muß oft
-der Entzückung und der Begeisterung weichen, in welche mich die
-abwechselnden großen und lieblichen Naturscenen versetzen, an welchen
-unser schönes Deutschland so reich ist und die unsre Landsleute immer
-noch nicht gehörig zu würdigen wissen.
-
-Von meinen Aussichten, Plänen, meinem künftigen Glück weiß ich Ihnen
-noch nichts zu sagen. Alles zieht sich in die Länge, Alles wird fast
-ungewisser, als es war. Ein junger Mann in Heidelberg, Keyser, der mein
-ganzes Herz gewonnen hat, führte mich nach Zweibrücken zu seiner
-reizenden und liebenswürdigen Braut, und hier fand ich denn endlich
-einen Brief vom Onkel, der etwas Bestimmteres aussagte, und der,
-sonderbar genug, mich wahrscheinlich bald wieder in Ihre Nähe führen
-wird, da ich bis jetzt glauben mußte, Basel sei die Richtung, die ich
-nur nehmen könne, und die Schweiz sei mein künftiger Aufenthalt.
-Indessen ist schon viel gewonnen, daß der einflußreiche angesehene Mann
-sich zum Vermittler anbietet. Ich mag Ihnen von manchen Dingen, die mir
-zugestoßen sind, nichts Näheres mittheilen, weil ich Alles einem
-mündlichen Gespräche vorbehalte, man auch nicht wissen kann, wie ein
-Brief verunglückt, oder, bei der größten Vorsicht, in die unrechten
-Hände geräth.
-
-Von dem schönen Heidelberg aus haben wir eine kleine Fußreise gemacht,
-um Neckar-Steinach und die drei Ruinen zu sehen, die dort dicht neben
-einander liegen. Das eine wüste Schloß war der Aufenthalt des
-berüchtigten Lindenschmidt. Ein runder, steiler Hügel, der Dielsberg,
-macht dort einen sonderbaren Anblick; hier verließ uns Keyser, der uns
-begleitet hatte, um nach Heidelberg zurückzukehren. Wir hatten jetzt
-einen schönen Weg nach Hirschhorn, welches am Neckar liegt. Ein altes
-Schloß und Kloster sind hier, die uns durch ihre Alterthümlichkeit große
-Freude machten. Wir nahmen ein Schiff, und fuhren, von einem Pferde
-gezogen, den Neckar stromaufwärts. Die Gegend ist reizend, viele alte
-Schlösser, die noch ganz in ihrem ehemaligen Zustande sind, werden
-bewohnt. In Eberbach war viel Getümmel und ein Aufzug der Bürger. Nach
-einigen Stunden jenseits dieses Städtchens verließen wir das Schiff
-wieder, um zu Fuß zu wandern. Minneberg und zwei Hügel dort bilden eine
-reizende Gegend. Bei Neckar-Els öffnet sich das Thal. Vor der Stadt nahm
-uns ein schlechtes Wirthshaus auf und Walther miethete aus Eigensinn ein
-sonderbares Fuhrwerk, um sich nur mit keinem Hauderer, der vielleicht
-auch nicht vorzüglich gewesen wäre, einzulassen. In den meisten
-Menschen, selbst vernünftigen, offenbart sich zuweilen eine falsche
-Poesie, die sie im Leben selbst suchen oder unmittelbar in dieses
-hineintragen wollen. Bei den ganz dummen Wirthsleuten hatte er auf
-Erkundigung erfahren, sie hätten einen leichten Einspänner, der auf zwei
-Rädern laufe. Vielleicht fielen ihm die italienischen Sedien oder ein
-flüchtiges Cabriolet ein; genug, er miethet das Ding, um so mit uns am
-folgenden Mittag in Heilbronn anzukommen. Ich entsetzte mich nicht
-wenig, als am Morgen das elende Gespann vorfuhr. Was war es? Ein
-viereckter, grob geflochtener Korb, der auf zwei hohen Rädern
-unmittelbar auf der Axe lag. Man hatte Säcke und Stroh hineingelegt. Ich
-schlug vor, lieber zu Fuß zu wandern, aber der boshafte Wachtel hatte
-seine Freude an diesem Skandal, und Walther wollte sich kein Dementi
-geben. Wir klemmten uns, so gut es gehn wollte, in den verwünschten Korb
-hinein, und ein blödsinniger Knecht unternahm es, uns mit einem steifen
-Gaul so in Heilbronn im Triumph aufzuführen. Zwei Stunden von dort liegt
-der Hornberg, welchen Götz von Berlichingen von Conrad Schott kaufte und
-wo er den größten Theil seines Lebens hauste. Der steile Berg ist auf
-zwei Seiten mit Wein bebaut, von oben hat man die Aussicht über das
-offene Neckarthal und über die gegenüber liegenden niedrigern Felsen.
-Auf der Hinterseite des Berges ist ein enges Thal und ein herrlicher
-Wald, der sich bis dicht an die Burg erstreckt. Alles ist oben, auf dem
-Wege zur eigentlichen Festung, mit wüstem, verwachsnem Gestrüpp bedeckt.
-Aus den Zimmern und Sälen des Schlosses genießt man einer vortrefflichen
-Aussicht. Vor kurzem hätte das ganze Haus noch mit wenigen Kosten zum
-Bewohnen erhalten werden können, jetzt ist es verfallen und wird nach
-einigen Jahren wohl ganz zerstört seyn.
-
-Wir fuhren dann durch ein Städtchen Gudelsheim, das den deutschen Herrn
-gehört, und ließen uns nach Wimpfen übersetzen. Vor Heilbronn verließen
-wir doch, trotz unsrer Aufklärung, unsern Karrn und zogen zu Fuß in die
-Stadt ein. Alles wurde hier zur Huldigung des neuen Herrn eingerichtet,
-der Altar in der protestantischen Kirche war abgetragen, recht gut
-scheinende Gemälde waren, ihm zu Ehren, neu übermalt und verdorben.
-Kirche und Thurm gehören zu den merkwürdigen Gebäuden. Der berühmte
-wasserreiche Brunnen der Stadt hat durch eine neue schlechte Balustrade,
-um die man die alte Einfassung, die besser war, wegreißen mußte, viel an
-seinem Wasser verloren. Am Rathhause wurde eben ein schönes steinernes
-Geländer weggebrochen, um Latten besser anbringen zu können, an welchen
-die Lampen zur Illumination befestigt werden. Wir besuchten die Orte,
-die uns von früher Jugend auf durch den Berlichingen und Göthe's Werk so
-merkwürdig sind. Auch den gewundenen Thurm kletterten wir hinauf und
-standen oben, neben dem Ritter, wie mich dünkt, dem heiligen Kilian.
-
-Hätten wir es unterlassen können, nach Weinsberg hinauszufahren? Durch
-Bürger's Romanze ist dieser Ort und die That der Weinsberger Frauen im
-Munde alles deutschen Volkes. So manches die Kritik gegen Bürger's
-Balladen und Romanzen mit Recht ausstellen kann, so vorsätzlich er so
-oft den alten einfachen Ton, jenes Geheimniß, im Wenigen und im
-Verschweigen viel zu sagen, worin Göthe der größte Meister ist, vermied
-und nicht finden konnte, so bin ich doch überzeugt, Bürger's Balladen
-werden bei uns länger, als die von Schiller leben, der (in wenigen
-ausgenommen) noch mehr jene stille Einfachheit verletzt hat.
-
-Um Heilbronn ist eine schöne grüne Natur und wir waren alle mit unserm
-Tagewerk zufrieden. Wie schön ist es, in einem Lande zu leben, wo
-Städte, Bildwerke, Felsen und Berge auf alte Geschichte, auf große
-Kaiser und merkwürdige Begebenheiten hinweisen. Wie herrlich ist in
-dieser Hinsicht Deutschland ausgestattet! Mir kommt es fürchterlich vor,
-in Amerika leben zu müssen. Und die verschiedenen Epochen der
-Kaiserherrschaft, des Aufblühens der Familien, des stets wechselnden
-Verhältnisses, der großen wie kleinen Fehden und die mannigfaltigen
-Gestaltungen und Umwandlungen des Ritterthums, von der höchsten Bildung
-und der schwärmenden, poetisch-fanatischen Verehrung der Frauen bis zum
-niedrigen, rohen Räuberhandwerk hinab, alles Dies, glaube ich, hat sich
-nirgends so wundersam, vielseitig, grell abstechend gewiesen, als in
-unserm Deutschland. Unsere unwissenden Autoren, die diese Gegenstände
-behandeln, haben sich aber eine gewisse rohe Manier gebildet, die immer
-in Zank, Großsprecherei und leeren Worten wiedertönt, ohne uns auch nur
-im mindesten ein Bild und anschauliches Gemälde jener Zeiten zu geben.
-Andre sehen nur Greuel, Verwilderung und Mord in jenen Tagen der
-merkwürdigsten Entwicklung, und bedenken nicht, daß, wenn die Welt so
-beschaffen gewesen wäre, wie sie sie verlästern, in kurzem weder Gute
-noch Böse, Freie und Knechte würden übrig geblieben seyn.
-
-Wie aber Gefühle absterben, wie der Sinn für das Schönste sich verlieren
-kann, muß ich täglich mehr erfahren. Rührt uns schon in Stadt und Feld
-die Hinweisung auf Geschichte und belebt und weiht den todten Stein und
-den Wald, wie viel mehr jenes Mahnen an die Wunder und die Süßigkeit
-unserer Religion. Und diese forttönende Poesie, dieses Erklingen der
-feierlichen Harfensaiten, diesen still lebenden und stumm beredten
-Gottesdienst in der Einsamkeit der Natur, im Gewühl des Marktes, in
-Felsgrotten und Wäldern, im Verherrlichen der Brücken und Ströme finde
-ich nur noch in den katholischen Provinzen. An Zoll und Polizei, an
-Argwohn und Paß, an Aufsicht und Visitation werden wir im
-Protestantischen genug erinnert, an die Bedeutung des Christenthums fast
-niemals. Ja, jene Wundersagen, jene Bildwerke, Hymnen, Klöster, Mönche,
-heilige Jungfrauen, Vorbitten und Schutzheilige sind Gegenstände des
-Spottes und Hasses. Und die besten Menschen können sich oft von diesem
-Aberglauben gegen den Aberglauben, von dieser Gespensterfurcht, daß der
-Glaube an Gespenster wieder kommen könnte, nicht frei erhalten. So
-konnte es mein neu erworbener Freund, Keyser, nicht begreifen, wenn ich
-behauptete, die Reformation sei zwar eine nothwendige gewesen, sie habe
-der Welt und namentlich Deutschland unendliches Heil gebracht; aber viel
-Schönes, Großes und Heiliges sei mit Zerstörung des Schlechten zugleich
-vernichtet worden, und dies sei es, was der eifrige Protestant nie
-anerkennen wolle und was die Katholiken selbst nicht zu würdigen wissen.
-Auch ein schlechtes Bild an der Landstraße rührt mich, weil es auf jene
-Geheimnisse hindeutet, die wir nie vergessen sollen, wenn wir sie gleich
-auf dem gewöhnlichen Wege niemals begreifen können. Die Fratzen in
-manchen Kirchen stören mich so wenig wie die oft ungelenken Priester;
-denn auch im unansehnlichen Dornbusch blüht der Frühling heraus und
-bewegt mich, als ein Zeichen der allgemeinen Auferstehung des
-Lebendigen.
-
-Dies Gefühl des Mitleidens in der höchsten Liebe, daß wir durch
-Selbstaufopferung das Opfer der Liebe vergüten möchten, diese schönsten
-Gefühle sind es gerade, die die meisten Menschen von sich abweisen oder
-die Härteren als unrecht verdammen. So heben sie sich für den Sonntag,
-für Orgel und Predigt die feierlichen Empfindungen auf, oder sie
-schließen einen verständigen Contrakt mit dem unbegreiflichen Wesen,
-welches sie Gott nennen, um gegenseitige Pflichten und Verbindlichkeiten
-klar im Auge zu behalten. Der Vers eines Liedes aber, Abends unter einem
-Crucifix still und andächtig gesungen, der Blick des betenden Greises
-auf einsamem Waldplatz zum leidenden Heiland hinauf, der Kuß, den das
-Kind auf seinen Rosenkranz drückt, die Thräne der Mutter, welche auch
-den Sohn verlor, vor der Mater dolorosa, sagen mehr, als alle jene kalte
-Weisheit verkündigen und lehren kann.
-
-Sie kennen ja aber, theure Freundin, meine Gesinnungen über diese
-Gegenstände und stimmen mir bei. Ich hoffe Sie bald zu sehn; im Herbst
-gewiß.
-
- * * * * *
-
-Walther war aus andrer Ursache nachdenklich von Weinsberg
-zurückgekommen. Er hatte an der Wand der Kapelle, auf welcher die
-Geschichte der treuen Weinsberger Weiber gemalt ist, mit Bleifeder
-frisch angeschrieben deutlich die Worte gelesen: »Romeo, in der Höhle zu
-Liebenstein findest Du den 24. Juli M -- Julia.« -- Seine Gefährten
-hatten die Schrift nicht bemerkt, ihm aber flüsterte sein Genius zu,
-diese Hinweisung rühre von jener vielgesuchten Maschinka her, die den
-Mann, welchen er verfolgte, in Liebenstein erwarte. Sein Entschluß war
-daher gefaßt, nach Liebenstein zu gehn und gewiß am 24. Julius in dieser
-Höhle zu seyn, in welcher er diesen Romeo zu entdecken hoffte. Er konnte
-sich selber keine Rechenschaft davon geben, warum er sich die wenigen
-Worte so erklärte, warum er der Meinung war, sie müßten von jener
-entflohenen Maschinka herrühren, deren Handschrift er niemals gesehn
-hatte. Aber dieser blinde Trieb, dieser Instinkt schien ihm gerade ein
-Beweis dafür, daß er auf der richtigen Spur seyn müsse.
-
-Am folgenden Morgen trug er, ohne seine Gründe anzugeben, darauf an, daß
-man noch einiges Merkwürdige in der Nähe betrachten, dann aber nach
-Liebenstein reisen möge. Mein theurer Freund, sagte Ferdinand, mit
-einiger Heftigkeit: wie kommen Sie auf diesen Entschluß? Warum nach
-Liebenstein? Ich hoffte, wir würden von hier aus uns mehr südlich und
-nach dem Schwarzwald, vielleicht sogar nach der Schweiz wenden, um einen
-Theil des Herbstes in den schönen Alpengegenden und an den erfrischenden
-Seen zuzubringen. Und nun schon, noch so zeitig im Jahre, uns wieder
-nach Norden wenden? das sieht schon wie Rückkehr aus, die ich in diesem
-wahrhaft schönen Sommer, der uns vielleicht noch lange begünstigt, weit
-hinausschieben möchte.
-
-Schon umkehren? rief Wachtel aus: wie? Ich habe auf den Rhein und die
-schönen Weinplätze Bacharach, Rüdesheim, Nierenstein gehofft -- und nun
-wieder in das kalte Bierland hineinreisen? Ei, welch ein böser Geist hat
-Ihnen, verehrter Freund, den bösen Gedanken zugeraunt?
-
-Sie wissen, fuhr Ferdinand fort, mir ist nur in den Gegenden, wenn ich
-in der Fremde bin, recht wohl, wo ich die alten Münster, den
-katholischen Cultus, die Bilder und Feierlichkeiten, so wie Alles, was
-damit zusammenhängt, sehe und mein Gemüth erhebe. Haben wir doch oft
-genug darüber gestritten. Es ist fast, als wenn ich eine Geliebte
-verlassen, indem ich diesen schönen Provinzen wieder den Rücken wenden
-soll.
-
-Geliebte! sehr wahr! rief Wachtel, fast schluchzend. Ich kenne das
-schon, um wie viel theurer und schlechter der Wein in den Gegenden dort
-oben ist. Nun habe ich mein Herz hier so weit hinweg spazieren geführt
-und es so recht gemüthlich im Sonnenschein der Andacht ausgelabt und
-eingesommert. Ich kann schwören, mit jeder Meile, die mich von meiner
-Frau um eine mehr entfernt, fühle ich meine Liebe zu der vortrefflichen
-Person inniger und brünstiger. Welchen schönen Liebesträumen hing ich
-nun nach, daß noch wenigstens hundert Meilen sich zwischen uns legen
-sollten, um mich so recht und voll in die erste Jugendliebe hinein
-reisen und rasen zu lassen. Das hätte vielleicht eine so ausbündige
-Verliebtheit zu Stande gebracht, wie nur jemals zwischen Abälard und
-Heloisa stattgefunden hat, -- und nun soll ich plötzlich ernüchtert
-werden, denn das weiß ich im voraus, mit jeder Meile, die ich jetzt
-schon, um so vieles zu früh, der Theuern näher komme, wird mein Herz
-kälter, und Sie haben es zu verantworten, Baron, wenn ich als ein
-rechter Gimpel, als kalter Frosch, als miserabler Philister meiner Alten
-ganz herzlos und krüppelmatt an den Hals falle.
-
-Walther sagte lachend: liebe Freunde, es kann nicht meine Absicht seyn,
-Sie irgend in Ihrer Reiselust hemmen oder auf falsche Wege verlocken zu
-wollen. Unsre Trennung, wenn sie jetzt so viel früher eintritt, wird
-mich schmerzen; aber wir finden uns wohl später wieder. Was mich jetzt
-nach Liebenstein zieht, ist ein kleines Geschäft. Sie wissen, wir Alle
-hatten bei unsrer Abreise von Dresden keinen festen Plan, wir wollten
-uns leichtsinnig dem Zufall und unsrer Laune ganz überlassen. Vergessen
-haben Sie aber ganz, daß wir beim Abschiede in Karlsbad unserm Freunde
-Carl Hardenberg fest versprachen, ihn in Liebenstein wiederzusehn. Diese
-Zeit ist jetzt, und versäumen wir sie, so treffen wir ihn dort nicht
-mehr an und er hat uns vergeblich erwartet.
-
-Es ist wahr, sagte Ferdinand, wie aus tiefem Nachsinnen erwachend;
-dieses Versprechen, welches fast ein feierliches war, ist mir seitdem
-ganz entschwunden. Und so begleite ich Sie denn, lieber Walther, theils
-um meiner Pflicht gegen jenen Freund zu genügen, andrerseits aber, um
-länger in Ihrer Gesellschaft zu seyn und mit Ihnen die Schönheiten
-unsrer Reise zu genießen.
-
-Sei's drauf gewagt, rief Wachtel, sollte ich auch mit ganz eiskaltem und
-erfrornem Herzen zu meiner vielgeliebten Gattin zurückkommen. Ich weiß
-nicht, ob es Heilige giebt, denen sich ein kalt werdender Liebhaber und
-Gatte empfehlen kann, oder ob Protektoren der zärtlichen Ehe angestellt
-sind, die die Flammen so anfachen, wie der heilige Kilian sie auslöscht;
-wenn Du mir, Ferdinand, keinen zu nennen weißt, so ist das eine große
-Lücke in Deinem vielgepriesenen, bilderreichen und wundervollen
-katholischen Cultus. Der Abälard, der dazu passen könnte, war außerdem
-schon ein Ketzer; und seine Heloisa gilt auch für eine fromme Sünderin;
-und so hat die Kirche die beste Gelegenheit versäumt, durch zeitgemäßes
-Canonisiren diesem Bedürfniß abzuhelfen.
-
- * * * * *
-
-Die Freunde reiseten nach diesem Entschlusse queer durch das Kocherthal
-und besuchten Neustadt an der Linde. Von einer außerordentlich großen
-Linde hat dieses Städtchen seinen Beinamen. Nach dieser anmuthigen
-Gegend kamen sie durch den Harthäuser Wald. Das Thal der Jaxt ist
-zerrissen, die Weinberge schroff, kahl und weiß, und das Land ist hier
-weniger fruchtbar, als das Thal der Kocher. Eine sehr große und
-schöngebaute Brücke führt über den Jaxtfluß, der jetzt so klein war, daß
-er fast gar kein Wasser enthielt.
-
-Aus Verehrung für Göthe betraten sie das alte Haus, die Burg Jaxthausen,
-in einer feierlichen Stimmung. Der berühmte Gottfried, oder Götz, hat
-hier nur in seiner Kindheit und frühen Jugend gelebt. Ein älterer
-Bruder, Philipp, erbte diesen Stammsitz der Familie, und lebte, wie es
-scheint, ruhig und glücklich auf diesem seinem Schlosse.
-
-Alles ist hier alterthümlich, fest und mannhaft, wenn auch nicht
-großartig. Das Archiv ist in einem großen, runden Thurm. Die
-Wandschränke, viele Sessel und Stühle schienen noch aus der Ritterzeit.
-Die Wendeltreppe ist vortrefflich gebaut. Fest kann, ungeachtet der
-Gräben, das Haus doch nicht gewesen seyn; es liegt niedrig, auf ebenem
-Boden und hat das Ansehn eines reichen Adelhofes.
-
-Ein neues, anmuthiges Schloß von mäßigem Umfang, welches eine Familie
-Gemmingen bewohnt, liegt nahe bei Jaxthausen, und nicht weit davon, an
-der Jaxt die Ruine der alten Burg Berlichingen, die alle Leute in der
-Gegend dort Berlinchen nennen.
-
-Eine Meile von Jaxthausen findet man in anmuthiger Waldgegend das
-Kloster Schönthal. Hier ist das Erbbegräbniß der Berlichingen; Götz ist
-als der letzte hier begraben worden, weil nachher die Familie
-protestantisch war. Die Kirche ist schön, und Ferdinand hörte die
-Erzählung mit Ingrimm, daß man nicht nur alle goldne und silberne
-Gefäße, sondern selbst zwei heilige Leiber bei der Aufhebung des
-Klosters den Juden verkauft habe.
-
-Ein Mönch verzeichnete die Bücher der Bibliothek, weil diese abgeliefert
-werden sollte. Der Mann schien unwissend und sich mit den alten Drucken
-oder Handschriften, bei denen er die Titel nicht finden konnte, sehr zu
-quälen. Ferdinand machte sich an ihn und half ihm bei einigen. Im
-Verlauf des Gespräches jammerte der Mönch über die Aufhebung des
-Klosters. Ferdinand stimmte mit ein und sprach von den Vortheilen und
-Reizen der Einsamkeit, und wie schön die Einrichtung gewesen, daß vielen
-Geistern, die den Beruf gefühlt, Freistätten seien gestiftet worden, in
-welchen sie sich ganz und völlig von der Welt unabhängig, den
-Betrachtungen der höchsten Gegenstände hätte widmen können. Seit lange
-aber, fuhr er fort, ist die Einsamkeit verrufen, Alle, so hört man
-immerdar, sollen und müssen in die vielfachen Wirbel und in die
-Verwirrung der Welt hineingetrieben werden; praktisch, so ruft man schon
-dem Kinde zu, mußt Du werden, um die Geschäfte, die Aufgaben des Lebens
-verwalten und lösen zu können. Die Namen eines Stubengelehrten, einsamen
-Denkers, stillen Forschers sind wie die Benennungen Einsiedler,
-Klostermönch, abergläubischer Priester, zu Schimpfnamen geworden. Und
-dennoch -- wenn man diese Weltmenschen kennt und beobachtet, die in den
-Rädern der großen Weltmaschine hanthiren und immerdar mit dem Gewühle
-der verwirrten Masse umtreiben -- wie ist ihr Gemüth abgestumpft und
-keiner großen Eindrücke und Entschließungen fähig. Ungewohnt, einen
-wahren, echten Gedanken zu fassen, eine belebende Idee zu ergreifen und
-sie dann anwendbar zu machen, ist ihr ganzes praktisches Treiben nur wie
-das des Maulthieres in der Drehmühle, thätig ohne Geschäft, im
-Mechanismus als Maschine arbeitend. Lehrt uns denn nicht die Geschichte,
-daß so oft jene stillen Menschen, die sich der Einsamkeit ergaben, in
-Zeiten der Noth hervortraten, um Das zu ordnen und zu beschwichtigen,
-was allen Weltregierenden und in der Welt Erzogenen zu mächtig geworden
-war? Einige der edelsten Päpste nicht nur waren in der Stille des
-Klosters gebildet und herrschten im großen Sinne, als sie berufen
-wurden, auch außer so manchen Bischöfen und Aebten waren es oft einfache
-Mönche, die in Zeiten der Drangsal auftraten, um mit dem Seherblick, den
-gerade die Einsamkeit geschärft hatte, Kräfte zu entdecken, die die
-verderblichste Verwirrung in lichte Ordnung umwandelten.
-
-Darum, sagte der Mönch, der von Zeit zu Zeit von seinem Cataloge aufsah,
-ist es Unrecht, wie man jetzt mit uns umgeht. Nicht anders, als wenn wir
-Mordbrenner und Landesverräther wären. Und grausam ist es obenein. Denn
-unser eins hat nun von Jugend auf nichts anders gelernt, wir können uns
-auf keine andre Weise ernähren, und doch stößt man uns in die Welt ohne
-alle Versorgung, denn die armselige Pension, die man uns auswirft, kann
-kaum gerechnet werden.
-
-Ferdinand wendete sich mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung von dem
-Manne ab. Als sie draußen waren, fragte ihn Wachtel: was ist Dir nur,
-daß Du plötzlich so sehr verstimmt bist? -- Wenn mir, rief Ferdinand
-aus, der ich ein Laie, ein Protestant bin, das Herz brechen möchte, weil
-ich in einem Zeitalter geboren bin, in welchem eine ganze Welt von
-Herrlichkeit, Poesie und Kunst in ein großes Grab höhnend geschüttet
-wird, eine Welt, in welcher so Großes erwuchs und geschaffen wurde, die
-für Bildung, Gelehrsamkeit und echte Freiheit so viel that, die durch so
-viele geistliche Helden und Märtyrer verherrlicht ist, -- und ich sehe
-einen Mönch, der diesem zerstörten Tempel angehört, um nichts als sein
-tägliches Brot seufzen, den nur die Küche dauert, die zugleich mit dem
-Wunderdom zerfällt, so möchte ich verzweifeln. Er fühlt sich nicht
-gekränkt und im tiefsten und heiligsten Ehrgefühl seines hohen Standes
-verletzt, nein, er wäre zufrieden, wenn er nur in irgend einem Pallast
-seiner Verfolger wieder Küchenjunge werden könnte. Giebt es freilich
-viele dieser Art, haben manche Regierende wohl selber so gedacht, so ist
-diese große Kirchenanstalt in sich selbst, auch ohne äußern Anstoß und
-ohne die weltliche Habsucht, zusammengebrochen.
-
-Sei nicht unbillig, rief Wachtel aus, wie soll ein gewöhnlicher Mönch,
-von frühster Jugend zum unbedingten Gehorsam gewöhnt, dessen größte
-Tugend es seyn mußte, den eignen Willen zu brechen, Deinen Enthusiasmus
-theilen oder verstehn? der bei Dir auch nur um so feuriger ist, weil Du,
-in einer ganz anders gestalteten Fremde erzogen, als Fremdling in diese
-zerstörte Welt hineinschaust. Du bist noch ziemlich jung, wohlhabend,
-hast niemals Mangel empfunden, kannst es also in Deinem übermüthigen
-Blute nicht wissen, wie bitter die Nahrungssorgen sind. Außerdem bist Du
-so erzogen und unterrichtet, daß Du im äußersten Fall zu hundert
-Geschäften greifen könntest, um Dich zu ernähren; hast auch, durch den
-Weltumgang, Dreistigkeit gewonnen, mit Menschen umzugehn und Dir
-Beschützer zu suchen. So ein Armer aber, wie dieser, von frühester
-Kindheit verschüchtert, erniedrigt und eingezwängt, wenn dem die
-Maschine zerbrochen wird, an der er arbeitet, und er gar nichts gelernt
-hat, als an dieser einen Stift einzufugen, der ist unendlich zu
-bedauern.
-
-An diesem Tage kamen die Reisenden noch bis Mergentheim und setzten am
-folgenden Morgen ihren Weg fort, längs der Tauber. Die Gegend bis
-Bischofsheim ist nicht schön, das Thal der Tauber ziemlich kahl. Von
-Bischofsheim bis Würzburg war die Gegend auch nicht interessant und
-Ferdinand sagte: ich glaube fast, daß wir gestern den letzten eigentlich
-poetischen Tag unserer Reise genossen haben.
-
-Sie sind nur, antwortete Walther, gegen das Zurückkehren und scheinen
-mir eine zu große Vorliebe für das unbestimmte Herumschwärmen zu
-verrathen.
-
-So ist es, rief Wachtel aus, das war von früher Jugend an seine Passion.
-Er ist ein schlechter Staatsbürger und Patriot.
-
-Das Reisen selbst, erwiederte Ferdinand, ist für Den, welcher es
-versteht, eine so poetische Kunst, daß ich mich in diesem Sinne gern als
-gebornen Vagabunden bekenne. Mich dünkt, der merkwürdige Theophrastus
-Paracelsus sagt schon, das Reisen sei das Lesen eines herrlichen Buches,
-in welchem man die Blätter mit den Füßen umschlage. Die Natur und jede
-ihrer Launen kennen zu lernen, sich ihr ganz zu eigen zu geben,
-Heiterkeit und Genuß wie Regen und Sturm mit Dank empfangen, dies
-verstehn nur wenige, und die es vermögen, sind schon Eingeweihte. Dann
-die Kunst, zu lernen, wie man mit dem Volke leben kann, daß man aus
-allen Gesinnungen etwas Neues hört, daß man die Spur findet, wo auch in
-anscheinender Einfalt die Weisheit unbewußt spricht, wie die Wahrheit
-immer hinter allen Masken der Lüge hervorblitzt, alles Dies dient,
-unsern Geist zu erheben und reif zu machen. Dazu die Wunder, das
-Staunenswürdige, das uns Kunst, Natur, das Firmament und die Elemente
-bieten, oft auch die unscheinbare Gesellschaft und der zufällige
-Spaziergang. Schon in Teplitz sah ich dergleichen, und ihr Alle, die ihr
-doch gern staunen mögt, habt es ebenfalls angeschaut, doch ohne es zu
-beachten. Dorthin kommen alle Sommer aus dem innersten Ungarn Menschen,
-welche die deutsche Sprache nicht verstehen. Sie verkaufen Draht,
-Mäusefallen und andere geringfügige Sachen, dabei bessern sie kupfernes
-Geschirr aus und umflechten Töpfe und Schüsseln. Sie gehen in braunen,
-langen und weiten Jacken, und nur in dem Einen Aermel steckt in der
-Regel der eine Arm, sie haben keine Schuhe und Strümpfe nach unserer
-Art, sondern tragen eine Art von Sandalen, und mit Tuch oder Leinwand
-ist das Bein umwickelt, so wie es vor der Erfindung der Strickerei und
-Weberei gebräuchlich war. Ihr Gang hat nichts von unserer Dressur,
-sondern ist so frei und leicht, wie ihn kein Tanzmeister erreichen oder
-nur nachahmen könnte; dabei ist in ihren Schritten aber nichts von dem
-festen Springegang, den man an den Tyrolern beobachten kann. Eben so hat
-ihr Auge nichts von dem kühnen Umblick jener Bergjäger, sondern es sieht
-ruhig und in stiller Schwermuth geradeaus und nieder, ist aber niemals
-forschend oder neugierig. Diese Armen, weil ihr Gesicht von ihrem
-Geschäft in der Regel schwarz und ungewaschen und von der Sonne und dem
-langen Wege gebräunt ist, werden von manchem Badegast wie Banditen und
-Bösewichter angesehen. Ich bin ihnen stundenlang nachgegangen, um sie zu
-beobachten, ich habe mich mit ihnen zu verständigen gesucht und ihnen
-manche Gabe zukommen lassen, weil mir ihr Wesen so edel und echt
-menschlich schien. Sie sammeln, was sie an kleiner Kupfermünze
-einnehmen, und schütten es in einen Aermel ihrer Kutte, den sie unten
-zubinden, um mit dem geringen Erwerb mühsam in ihr fernes Vaterland
-zurückzukehren. Der Ausdruck ihres Gesichtes ist so schwermüthig, daß
-man sich angezogen fühlt, und was das Merkwürdigste ist, ich habe
-niemals einen von ihnen lachen, oder auch nur lächeln sehn, sei es ein
-junger Mensch oder ältlicher Mann, selbst wenn ich ihnen eine Gabe
-mittheilte, die ihre Erwartung übertraf. Ein milder, dankender Blick hat
-mich gerührt, und sie waren augenblicks so ruhig, wie immer. Wer sind
-diese Menschen, die mir als ein Wunder in unsrer Welt erschienen? Sind
-sie eine Art Paria? Mit den Zigeunern haben sie keine Aehnlichkeit. Ich
-konnte sie nicht ausfragen, weil sie mich nicht verstanden, die übrigen
-Menschen gingen gleichgültig an ihnen vorüber, und ich würde einen
-Otaheiten oder Chinesen nicht mehr als diese umherwandernden
-Kesselflicker anstaunen.
-
-Du magst nicht Unrecht haben, sagte Wachtel, es thut mir leid, daß ich
-diese Slawaken, oder Croaten und Wallachen nicht besser beachtet habe.
-Kommt mir einmal wieder einer in den Wurf, so will ich ihn gewiß unter
-mein Mikroskop nehmen.
-
-Nach Tische verließ die Gesellschaft Würzburg und begab sich nach dem
-Lustschlosse Werneck. Im Garten dieses ehemals fürstbischöflichen
-Schlosses sind noch einige schöngeflochtene Berceaus, nach alter
-französischer Art, und Ferdinand ergoß sich in Lobpreisungen dieser
-jetzt verschmähten Gartenkunst, für welche er eine fast übertriebene
-Vorliebe zeigte. Nichts so Entzückendes, rief er aus, als ein solches
-dichtgeflochtenes hohes Gewölbe von glänzendem, jungem Buchenlaub. Die
-Sonnenhitze kann nicht durchdringen, und man wandelt wie in einem
-lebendigen Saale oder dem Schiff einer Kirche, dessen Wölbung das
-glänzende Licht in Smaragden verwandelt. Die erfrischende Kühle spielt
-durch den weiten, langen Raum; im Sturm und Regen ist der Gartenfreund
-hier wie im Schlosse selbst gesichert. Um zu lesen oder ein vertrautes
-Gespräch zu führen, ist ein solcher Gang vorzüglich geeignet, ja er
-erzeugt durch das Offene, Heitere und zugleich Abgeschlossene Vertrauen,
-und das auffallend Künstliche dieser Bogenwölbung, so innigst mit der
-Baumschönheit verbunden, ist so lieblich und phantastisch, daß es wie
-von selbst Poesie und zarte Wunderträume erregt. Preise man nur nicht so
-unmäßig jene monotonen, melancholischen englischen Gärten, die weit eher
-ein Rückschritt zur Barbarei zu nennen sind, als daß sie die echte,
-höhere Gartenkunst sich rühmen, oder gar für die einzig wahre ausgeben
-dürften.
-
-Sie blieben die Nacht in Schweinfurt, einem wohlhabenden, behaglichen
-Städtchen. Am folgenden Morgen verließen sie die Chaussee, um auf
-schlechten Wegen nach dem Badeort Kissingen zu gehen; der Ort ist nur
-klein und es waren nur wenige Trinkgäste zugegen. Eine Meile entfernt
-ist das Dorf und Bad Bocklet. Hier ist eine schöne grüne Natur,
-waldbewachsene Hügel, frische Thalwiesen und eine anmuthige, feierliche
-Einsamkeit. Nach einem ziemlich langen Spaziergang kamen sie in den
-Speisesaal zur versammelten Gesellschaft. Ferdinand traf einige Damen
-und Fräulein, die er wohl sonst in Berlin gesehen hatte. Es überraschte
-ihn seltsam, in diesem einsamen kleinen Orte Figuren wiederzufinden, die
-er sich bis dahin nur in den großen erleuchteten Salons hatte denken
-können.
-
-Hören Sie, sagte Walther zu Wachtel, den er bei Seite nahm, mit welchem
-Enthusiasmus unser Freund wiederum von seinen berlinischen Freundinnen,
-vorzüglich aber von der Familie aus Madlitz spricht. Er ist übermäßig
-glücklich, daß er einige Dämchen getroffen hat, die doch einigermaßen,
-wenn auch ungern, in das Lob seiner Schönheiten einstimmen; denn es ist
-mehr als ungalant, man kann es unartig nennen, gegen junge Damen andere
-abwesende in so hohen Tonarten zu loben. Bemerken Sie nur, wie alle
-diese Badeschönheiten die zierlichen Lippen aufwerfen und die Näschen
-rümpfen, wie sie so leicht und schonend diesen und jenen Tadel der
-gefeierten Grazien einschlüpfen lassen, um der zu schmetternden Trompete
-unsers Freundes einen kleinen Dämpfer aufzusetzen. Er ist nicht zu
-entschuldigen, wenn er nicht dort, wie ich zu glauben Ursach habe, schon
-versprochen ist.
-
-Bei Tische war man heiter, und nur Ferdinand, der es wohl fühlte, daß
-die anwesenden Schönen nicht mit ihm zufrieden waren, verließ mit einem
-kleinen Mißmuth den Saal. Er ging mit Wachtel und Walther auf den
-Kirchhof des Ortes, um das Grab der Auguste Böhmer, der Stieftochter
-Wilhelm Schlegels, aufzusuchen. Nicht ohne Thränen konnte er ihrer
-gedenken, und sagte endlich: Wie schwach sind doch die Menschen, daß sie
-nur selten das Lob eines vorzüglich begabten Menschen, sei er durch
-Schönheit, sei er durch Geist ausgezeichnet, mit edler, wahrer
-Theilnahme anhören können. Gleich glauben sie, es würde ihnen etwas
-entzogen, oder man setze sie gar herab, und so eilen sie denn, sich in
-Reihe und Glied zu stellen, was im Grunde lächerlich ist, weil sie
-voraussetzen, man müsse sie ebenfalls zu jenen Hochbegabten rechnen. Von
-den Verstorbenen ertragen sie schon eher die rühmliche Nachrede. Wie
-traurig, daß das Andenken eines so schönen Wesens, wie diese Auguste
-war, so schnell erlöschen muß. Diese natürliche Heiterkeit, der Frohsinn
-dieses Mädchens, ihr unschuldiger Witz und sanfte Schalkheit, gepaart
-mit Verstand und Geschmack, war in ihrer schönen Jugend eine zauberhafte
-Erscheinung. Schlegel hat ihrem Andenken einige vorzüglich schöne
-Trauergedichte gewidmet. Diese liebliche Erscheinung gehörte ebenfalls
-zu der frohen, geistreichen Gesellschaft, von der ich neulich in so
-starken Ausdrücken sprach, so wie die feine, geistreiche Mutter dieser
-Auguste, eine höchst gebildete Frau, die jetzt die Gattin Schellings
-ist. Diese Frau hatte ein so feines, geübtes Ohr, daß Schlegel sie bei
-seinen Gedichten und Uebersetzungen zu Rathe zog, und sie entschied fast
-immer, wenn er zwischen drei oder vier verschiedenen Lesearten ungewiß
-war, welche er als die wohllautendste oder passendste wählen sollte.
-Diese Frau, so wie die Gattin Hubers und noch wenige, gehörten ohne
-Zweifel zu den frühesten und entschiedensten Bewunderern unsers Göthe;
-viele der künftigen Literatoren werden es vielleicht nicht glauben
-wollen, wie sehr edle und geistreiche Frauen in unserer deutschen
-Literatur den Ausschlag gegeben haben. Als ich vor ungefähr zehn Jahren
-Berlin wiedersah, war unter den vorzüglichsten der dortigen Frauen Das
-längst ausgemacht, was Recensenten, Dichter und Gelehrte nicht begreifen
-wollten, daß Göthe unser größter Nationaldichter sei, ein Poet in
-wahrster und höchster Bedeutung, und daß die großen Talente, die
-mitunter selbst im Einzelnen etwas Größeres als er leisten möchten, sich
-doch mit der Großheit und Vollendung seines Wesens nicht messen dürften.
-Die Mutter Auguste's reisete vor drei Jahren hieher, um die Bäder zu
-brauchen, und mußte ihre schöne, liebenswürdige Tochter hier begraben
-sehen.
-
-Am Abend gelangten sie noch bis Neustadt an der Sale. Die Formen der
-Berge waren hart und rauh, Alles schien nördlich und unfreundlich. Die
-Freunde waren zu verdrossen, um die Ruine, eine der ältesten, in der
-Nähe der Stadt zu besteigen.
-
-Bei der Fortsetzung der Reise schalten sie am folgenden kalten Morgen
-über die finstern, widerwärtigen Gestalten der Berge. Kurz vor Meiningen
-liegt die Ruine Henneberg zwischen schönen Tannen. In Meiningen fragten
-sie nach Jean Paul, der aber schon nach Franken gezogen. Durch schöne
-Gegenden und Thäler fuhren sie nach Bad Liebenstein, dessen romantische
-Lage sie wieder erfreute, und fanden hier ihren Freund Carl von
-Hardenberg wieder, den ein jüngerer Bruder, Anton, begleitet hatte.
-
-Die schöne Gegend wurde am folgenden Tage durchstreift, die alte Burg,
-die kräftigen Wälder, die grottenartigen Felsen besucht. Man speisete im
-Freien unter schönen großen Bäumen, durch den Berg gegen Winde
-geschützt. Am Nachmittage fuhr ein prächtiger Postzug mit vier schönen
-Rappen vor, und die Freunde glaubten irgend einen Prinzen ankommen zu
-sehen, als zu Walther's Erstaunen jener Freysing, den er vor zehn Jahren
-in Erlangen gekannt hatte, aus dem Wagen springt, von seinen Bedienten
-unterstützt. Sind Sie's wirklich? fragte Walther, und der Fremde eilte,
-den lange nicht Gesehenen zu umarmen.
-
-Nachdem man sich begrüßt hatte, gingen Walther und Freysing zu einer
-einsamen Stelle, ziemlich weit vom Bade entfernt. Es freut mich, fing
-Walther an, Sie so wohlhabend und reich wiederzufinden; Sie müssen in
-glücklichen Umständen leben.
-
-Glücklich? rief Freysing aus: Sie sehen den unglücklichsten Kerl auf
-Erden vor sich! Reich? o ja, insofern ein Spieler sich so nennen kann.
-Sie wissen um den sonderbaren Zufall, daß ich damals in Nürnberg jene
-große Summe gewann, durch welche ich alle meine Gläubiger befriedigen
-konnte. Statt nach meiner Heimath zurückzukehren und eine Bestimmung zu
-suchen, ging ich mit den dreihundert Goldstücken, die mir noch übrig
-waren, nach einem großen Badeorte, Wo hoch gespielt wurde, und gewann
-wieder auf seltsame, unerhörte Weise. Ich war in dem Zaubernetz
-gefangen, daß ich nur Karten dachte und träumte. War die Nacht schon
-weit vorgerückt und ich übermüdet und demnach fieberhaft aufgereizt, so
-war es, als wenn ein Dämon meine Finger in meiner Betäubung regiere, und
-ich, so stumpf ich war, bestimmt wisse, welche Karte gewinnen müsse. Wer
-es nicht selbst erlebt und diese quälende Lust an sich erfahren hat, hat
-keinen Begriff davon, wie teuflisch wild, wie gräßlich heiter das Leben
-eines Spielers ist. Ich war bald reich genug, selbst Bank zu halten. So
-ist der grüne Tisch, Gold und Karten meine Heimath, mein Ein und Alles,
-mir Frau und Kind und Religion und Natur. Ich habe keinen Sinn für
-irgend was. Wenn meine Gehülfen schon in der Nacht kaum noch die Augen
-aufzwingen können, fluche ich über mein verdammtes Geschäft, lege mich
-betäubt und krank nieder, wandle umher, esse, und kann die Zeit nicht
-erwarten, bis das Geklirr und Rauschen des Goldes auf dem grünen Tische
-wieder anhebt. Ich stehe auf, um fünf- oder sechstausend reicher, und es
-macht mir keine Freude; ich verliere ebensoviel, und es ist mir ganz
-gleichgültig, und doch ist der verfluchte Gewinn der Sporn, welcher mich
-stachelt. Wenn ich reise, so kommt oft, wie ferne Erinnerung aus Wald
-und Fels, ein edles Gefühl auf mich zu, eine Wehmuth ergreift mich über
-mein zerstörtes Leben, und ich entlaufe dem Gefühl im Pharo; oft schon
-dachte ich, ein schönes, liebes Mädchen könne an meiner Seite mit mir
-meines Reichthums genießen; aber plötzlich fallen mir die Fratzenbilder
-der Kartendamen ein, und welche mir schon große Summen gewonnen, und
-Leben und Schönheit erblaßt vor diesen Gespenstern. Meine Eltern sind
-gestorben und ich habe sie nicht wiedergesehen. Wenn ich einmal Alles
-verlieren sollte, so werde ich mir mit der größten Kaltblütigkeit eine
-Kugel durch mein zerrüttetes Hirn jagen.
-
-Walther würde vielleicht von dem Wahnsinn und Elend seines ehemaligen
-Freundes noch tiefer erschüttert worden seyn, wenn er nicht stets nach
-der großen, wunderbaren Höhle geblickt hätte, in deren Nähe sie
-wandelten, die jetzt verschlossen war, und die morgen, am Sonntage,
-magisch erleuchtet werden sollte, zu welcher Festlichkeit sich viele
-Menschen aus der Umgegend, sowie aus Meiningen versammelten. In dieser
-Menschenmasse hoffte er denn morgen auch seinen Feind, den er so lange
-schon vergeblich verfolgt hatte, sowie die schöne Maschinka,
-anzutreffen.
-
- * * * * *
-
-Der Sonntag, der 24. Julius, war erschienen. Ferdinand begriff nicht,
-weshalb Walther so feierlich sei; dieser, indem er jede Art von
-Unterhaltung vermied, schien auf etwas gespannt, das sich im nächsten
-Augenblicke erklären müsse.
-
-Ferdinand schien ebenso bewegt, und Wachtel beobachtete die beiden
-Freunde, indem er zu sich selber sagte: Narren sind beide, das ist
-gewiß, aber jeder nimmt einen aparten Anlauf, um vollständig thöricht zu
-seyn. Der Ferdinand bereitet sich auf die Höhlenerleuchtung vor, wie auf
-das Einweihungsfest eines Rosenkreuzers, und der Walther, der weit mehr
-Baron ist, wird, so bärbeißig er auch jetzt thut, die Sache nachher als
-Lappalie behandeln. Kürzlich soll der Pfarrer einmal in der Höhle
-gepredigt haben, kann seyn, daß man nächstens ein Melodram, ein
-Banditenstück, oder ein allegorisches, mit Erdgeistern drin spielt.
-
-Beim heitern Sonnenlicht ging man eine Stunde vor Mittag in die große
-und von vielfachen Gängen durchschnittene Höhle, welche man erst seit
-einigen Jahren entdeckt hatte. Schwebende Lampen erhellten von oben das
-Gewölbe, versteckte Lichter, die unten und ungesehen brannten,
-erleuchteten seltsam die Gänge, die bald höher, bald niedriger, bald
-breiter oder enger sich durch die Räume zogen. Ferdinand war bezaubert,
-Walther erstaunt und Wachtel geblendet. Unglaublich viele Menschen waren
-in diesen unterirdischen Räumen versammelt und wogten hin und her,
-redend, flüsternd, lachend, allerhand Dinge erzählend, und andere wieder
-lallend bewundernd, oder bei jeder Beugung des Ganges staunende
-Ausrufungen ausstoßend. Wahrlich, sagte Wachtel, wer sich hier ein
-Liebchen herbestellen könnte, Oheim, oder Vater, oder Vormund zum Trotz,
-der hätte ein Rendezvous, um nicht das dumme Stelldichein zu brauchen,
-allhier, wie sonst in Europa kein zweites. Läuft nicht Alles wie Feen
-und Geister so zwitschernd und flüsternd durcheinander? Und bei der
-Geistercompagnie hört man nichts Bestimmtes, man vernimmt nur wie
-unterirdische Chöre. Man sieht nicht deutlich, sondern ist nur
-geblendet, bald ist es finster, bald zu hell, und der Widerschein von
-den dunkeln Felsengruppen mischt sich wie ein Traum in jedes
-Verständniß. Meine alte Muhme, sowie meine häusliche liebe Gattin
-könnten mir hier zur Helena oder einem thessalischen Zauberbilde werden.
-Stoßen Sie mich nicht so sehr mit dem Ellenbogen, mein Herr von Spuk;
-zwar in der Unterwelt vergessen sich alle Höflichkeiten.
-
-Was der Freund hier im Gebiet der Phantasterei schwadronirt, sagte
-Walther, doch horch -- still -- was ist das? --
-
-Wundersame Musik von Waldhörnern klang herüber. Ein Chor von blasenden
-Musikanten war oberhalb, ohne daß man sie sehen konnte, in einer
-Felsennische aufgestellt. Immer wunderbarer! rief Walther aus. Mich
-schwindelt! Und es war nicht unbegreiflich, da surrend, brummend,
-flüsternd und halb leise sprechend so viele Gestalten vorübergingen,
-sich begegnend, grüßend, andere geblendet und sich nicht kennend. --
-
-Jetzt standen sie vor einem kleinen See. Ein Nachen fuhr von jenseit
-herüber, und Ferdinand stieg hinein. Ein anderer Fremder drängte sich
-hinzu, und Walther vernahm von einer weiblichen Stimme den leisen
-Ausruf: Romeo!
-
-Walther machte die Bewegung, in den Kahn nachzusteigen, als dieser schon
-abfuhr und sich in der Dämmerung entfernte. Bei dem ungewissen Licht
-konnte er die Gestalten nicht mehr unterscheiden; ja, er war selber
-ungewiß, ob sich Ferdinand auch unter jenen Gestalten befunden, die im
-Dunkel schon ganz verschwunden waren. Er wendete sich rückwärts, um
-Wachtel wieder aufzusuchen, der sich ihm im Getümmel verloren hatte,
-aber er konnte, so sehr er sich bestrebte, Niemand genau erkennen, so
-blendeten die vielfach zerstreuten und sich kreuzenden Lichter.
-Sinnverwirrend war das Geflüster, und die hin und wieder fliehenden
-Worte und Reden der Wandernden, die sich begegneten, kreuzten, suchten
-und sich wieder verloren. Endlich sah er Wachteln und bat diesen, bei
-ihm zu bleiben. Wachtel stellte sich neben ihn, und da die Musik der
-Hörner jetzt wieder begann, so kehrten sie um, um die wunderbare
-Harmonie näher zu hören. Können Sie es begreifen, sagte Wachtel, daß
-unser Ferdinand die Höhle und dieses magische Schauspiel, welches doch
-recht eigentlich für ihn eingerichtet zu seyn scheint, schon wieder
-verlassen hat?
-
-Wie? rief Walther, ich hätte schwören wollen, ich habe ihn da hinten den
-finstern Kahn besteigen sehn, um die stygische Flut zu überschiffen.
-
-Nein, sagte Wachtel, er ist unlängst mir vorbeigelaufen, um, wie er
-sagte, zur alten Burg hinaufzusteigen, weil ihn dies Getümmel hier zu
-sehr betäube.
-
-Man wird thöricht und verwirrt, erwiederte Walther, so wunderlich und
-romantisch das Ganze auch angeordnet ist.
-
-Jetzt ließen sich einige polnische Reden in der Nähe vernehmen, und da
-Walther der Sprache kundig war, so verstand er, daß zwei Männer ein
-Frauenzimmer suchten, die mit einem Hauptmann in der Höhle spazieren
-wandle. Jetzt war Walther überzeugt, diese wären Mitwissende und könnten
-nur von der verlorenen Maschinka reden. Er hielt sich in der Nähe dieser
-Fremden und verlor darüber seinen Freund Wachtel wieder aus dem
-Gesichte.
-
-Die Polen wurden immer eifriger im Suchen, endlich sagte der eine in
-seiner Sprache: ich fürchte nur, bei ihrer großen Reizbarkeit und
-Nervenschwäche wird sie nach diesem sonderbaren Tage wieder auf lange
-krank seyn.
-
-Doch, antwortete der Andere, übersteht sie oft Alles besser, als man es
-fürchten muß, wenn sie ihre Imagination nur beschäftigen kann, und diese
-findet doch hier des Spieles genug. Nur ruhen muß sie nachher.
-
-Ein lauter Ausruf entstand, indem man sich vorwärts bewegte, denn ein
-Kind war gefallen, welches einige Damen liebkosend und tröstend
-aufhoben. Indem glaubte Walther in der gedrängten Gruppe die Gestalt
-Ferdinands wieder wahrzunehmen. Als er sich aus dem Gedränge freigemacht
-hatte, waren, indem er umherblickte, die Polen seinem Auge wieder
-entschwunden. Er eilte verwirrt nach einer andern Richtung und jetzt
-glaubte er deutlich wahrzunehmen, daß Ferdinand in einiger Entfernung
-vor ihm hergehe und ein schön gewachsenes, reich gekleidetes
-Frauenzimmer am Arme führe. Er suchte in ihre Nähe zu kommen, und indem
-er schon seinen Arm ausstreckte, um seinen Freund zu berühren, rief die
-Stimme des Polen dicht hinter ihm: Maschinka! Jetzt sah er, daß
-Derjenige, welcher die Dame führte, nicht Ferdinand sei, aber seine
-Ahndung, hier Maschinka und ihren Entführer endlich zu treffen, war doch
-in Erfüllung gegangen. Er packte also den Fremden ziemlich unsanft am
-Arm und rief: Hier habe ich Sie also doch, nach vielen Mühungen, mit
-Ihrer Maschinka entdeckt! Indem war der Pole mit einem Ausruf der
-Verwunderung ebenfalls näher gekommen, und wie erstaunt und beschämt war
-Walther, als er in dem Festgehaltenen seinen Reisegefährten Wachtel
-erkannte und sich jetzt die Dame, eine hochbejahrte Frau, herumwendete.
-Wie? mein Herr! fragte der Pole: Sie wagen es, meine Schwester zu
-beleidigen?
-
-Keine Beleidigung, mein Herr, rief Walther, ich hielt die Dame und
-diesen meinen Freund für ganz andere Wesen, und bitte, mir meinen
-Irrthum und die Uebereilung zu verzeihen.
-
-Die alte Dame faßte jetzt den Arm des Bruders, indem sie sagte: Als ich
-Dich verloren hatte und ziemlich ängstlich umherirrte, war dieser Herr
-so gütig, sich meiner anzunehmen. Der Pole dankte Wachteln mit artigen
-Worten und dieser erwiederte lachend: Es ist Nichts natürlicher, als daß
-man in diesem unterirdischen Reiche der Phantasterei etwas confuse wird.
-
-Das Gedränge von Menschen, welches sich in dem engen Raume aus Neugier
-versammelt hatte, lösete sich wieder auf, und Walther eilte jetzt
-verdrossen und verstimmt aus der Höhle und Wachtel folgte ihm, um ihm im
-Freien seine Klagen vorzutragen.
-
-Mein Theuerster, fing er, als sie im Felde standen, an, Sie haben
-mitunter sonderbare Launen, die man nicht begreift. Was haben Sie mit
-dem Namen Maschinka, daß er Sie immer so außer sich versetzt? Sie haben
-mich so stark in meinen Arm gezwickt, als wenn Sie ihn mir zerbrechen
-wollten, und in Ihrem Tone, mit dem Sie sprachen, lag etwas so Drohendes
-und Beleidigendes, daß ich vorher recht böse auf Sie hätte werden mögen.
-
-Sie haben ja gehört, rief Walther unmuthig aus, daß ich mich geirrt, daß
-ich Sie für wen ganz Andern nahm. Eine gewisse Maschinka ist eine
-Bekannte von mir, eine junge Dame, ein Frauenzimmer, das ich kenne, eine
-weitläufige Anverwandte, die ich gerne wiedersehen möchte, und die sich
-wahrscheinlich im Auslande befindet, ein wohlgebildetes Fräulein, die
-wohl vielleicht schon verheirathet ist, -- mit einem Worte, eine Dame,
-die ich gerne wiedersehen möchte.
-
-Wachtel lachte laut auf und sagte dann: Ich danke für dieses herzliche
-Vertrauen und diese offene Mittheilung. Er lachte wieder, und Walther,
-dessen Verlegenheit sichtbar war, bat ihn, wieder ernsthaft zu seyn und
-ihm zu vergeben, daß er ihm nicht mehr sagen könne. Haben Sie die
-Gefälligkeit für mich, fügte er dann hinzu, unserm Ferdinand von dieser
-lächerlichen Scene nichts zu erzählen. Genug, daß ich vor Ihnen und
-jenen Fremden beschämt und verlegen gestanden habe, und daß Sie mich so
-von Herzen auslachten, scheint mir Strafe genug. Versprechen Sie mir
-das, denn ich bin in diesem Punkt vielleicht etwas zu empfindlich.
-
-Ich gebe Ihnen mein Wort, ihm kein Wort davon mitzutheilen, antwortete
-Wachtel; aber auch gegen meinen Ferdinand sind Sie seit einiger Zeit
-nicht mehr so herzlich, als Sie es im Anfange unserer Pilgerschaft
-schienen. Wenn Sie auch in den meisten Dingen anderer Meinung sind, so
-sollten Sie doch sein Gutes und seine Freundschaft für Sie anerkennen.
-
-Daß wir die meisten Dinge der Welt aus einem verschiedenen Standpunkte
-ansehen, erwiederte Walther, macht mir ihn nur lieber, seine Schwärmerei
-und sein Hang zum Aberglauben ist mir an ihm interessant; aber -- um
-ganz aufrichtig zu seyn -- seit wir da oben auf dem Schlosse bei Bamberg
-waren, in Glich, bin ich mißtrauisch gegen seinen Charakter geworden.
-Wenn ich seine frommen Reden bedenke, wenn ich höre, wie sentimental er
-von der Liebe spricht, wie verschämt er in Gesellschaft roher Menschen
-thut, für einen Mann fast tadelnswürdig jungfrauenhaft, und denke dann
-daran, wie er uns entlief und wieder zu dem schönen Mädchen nach dem
-einsamen Saale hinaufeilte, so halte ich ihn für einen Lüstling, der
-zugleich heuchelt und den Tugendhaften spielt. Mich wundert nur, daß
-jenes schöne Kind, die Tochter des Försters, ihn sogleich erhören
-konnte, wie es doch schien. Er erhält Briefe, die er verheimlicht, er
-weicht uns oft aus und entfernt sich unter den nichtigsten Vorwänden;
-hat er etwas Wichtiges zu verschweigen, so sollte er mir dies wenigstens
-eingestehn; sind aber seine Heimlichkeiten immer kleine unerlaubte
-Liebeshändel, so ist sein Charakter nicht so beschaffen, daß ich ihn zum
-Freunde behalten möchte.
-
-Mein Herr, sagte Wachtel mit einiger Feierlichkeit, sind Sie etwa damals
-in Glich auf unsern Freund gar nicht eifersüchtig gewesen? denn das
-schöne Mädchen schien Ihnen auch zu gefallen. Was er liebt, wie er
-liebt, wie orthodox oder heterodox, sentimental oder liberal er die
-Sache betreibt, ob sein Herz nur Raum für einen Gegenstand hat, ob es
-vielen zugleich Quartier geben kann, ob die eine seine Göttin ist und
-andere nur Dienerinnen, oder Zerstreuerinnen seiner Melancholie, über
-alles Dieses erlaube ich mir kein Urtheil und keinen Richterspruch, wenn
-er mich nicht selbst in seine Geheimnisse einweiht. Aber er ist gut und
-edel, darauf kenne ich ihn von Jugend auf. Geheimnißkrämerei ist immer
-seine Liebhaberei gewesen. Und Sie sind ebenfalls geheimnißvoll gegen
-ihn. Mir scheint, keiner weiß vom Andern etwas Bedeutendes, Zufall und
-Laune haben Sie vereinigt, aber das Leben, die Verhältnisse eines Jeden
-sind dem Andern verborgen. Ich kenne Ferdinand seit lange und bin
-vertraut mit seinem früheren Leben, aber was seit zehn Jahren mit ihm
-geworden ist, liegt für mich auch ganz im Dunkel.
-
-Walther reichte ihm die Hand und sagte: Sie haben nicht Unrecht; ich
-hoffe, im Verlauf der Reise wird sich noch die Gelegenheit finden, daß
-wir unsere Verhältnisse näher kennen, dann sollen Sie erfahren, warum
-ich jetzt Ihnen so wenig als Ferdinand von meinen Verbindungen und
-Absichten etwas vertrauen kann.
-
-Beim Badehause fanden Sie Ferdinand lesend unter den Bäumen, unter
-welchen die lange Mittagstafel schon bereitet war. Ich konnte es in der
-Höhle, sagte er, nicht aushalten, so beängstigte mich der Schimmer und
-der Dunst der Lampen. Jetzt kamen die Gebrüder Hardenberg und nach und
-nach versammelte sich die Tischgesellschaft. Der Herzog von Meiningen
-speisete auch an der Table d'hote, und der Anblick der Landleute, die
-sich versammelt hatten, und neugierig oben vom Hügel zwischen den grünen
-Bäumen auf ihren Fürsten und die Fremden herniederschauten, alle diese
-fröhlichen Gesichter von Alt und Jung machten einen sehr erfreulichen
-Anblick.
-
-Nach Tische ließ sich der Fürst durch Hardenberg, den er schon längst
-persönlich kannte, dessen Freunde vorstellen. Er sprach lange und
-freundlich mit ihnen, indem er ungesucht vielfache Kenntnisse und eine
-echte Bildung zeigte. Er war schlank, hatte blondes, fast graues Haar,
-ein gealtertes Gesicht, in welchem der Ausdruck des Ernstes und der
-Melancholie vorherrschte, das sich aber schnell in Freundlichkeit und
-schalkhaften Ausdruck verwandeln konnte.
-
-Es war eine mittelmäßige Schauspielertruppe, die zuweilen in einem
-kleinen Saale ihre Vorstellungen gab. Heut aber wurde in einem andern
-Local ein Puppenspiel mit großen Marionetten aufgeführt; die übrigen
-Freunde interessirten sich für diese Kinderei nicht, aber Ferdinand, der
-dergleichen Seltsamkeit leidenschaftlich liebte, freute sich auf den
-Genuß dieses Abends.
-
-Walther ging mit Hardenberg spazieren, Wachtel blieb im Badehause und
-Ferdinand eilte dem Marionettentheater zu. Er zahlte für den ersten
-Platz und drängte sich in den übervollen Saal. Bauern, Bauermädchen,
-Bürger, Soldaten, Offiziere, Alles war so fest ineinandergeschoben, daß
-sich weder Hand noch Fuß regen konnte. Ferdinand wollte seinen ersten
-Platz gewinnen und bat, ihm Raum dahin zu gönnen, weil er meinte, er
-befände sich noch auf der letzten und wohlfeilsten Stelle. Was ihm am
-empfindlichsten auffiel, war, daß Tabaksdampf, der ihm verhaßt war, den
-ganzen Saal anfüllte, denn Alles, bis auf die Bauernknechte, rauchte aus
-größeren oder kleineren Pfeifenköpfen. Er hoffte, da hier Alles noch
-stand, vorn zum Sitzen zu gelangen und sich aus den stinkenden Wolken zu
-entfernen; vor ihm war ein Mann im grünen Ueberrock, welchen er anstieß
-und höflich sagte: Machen Sie mir gefälligst etwas Raum, denn ich habe
-für den Ersten Platz bezahlt. -- Ja, erwiederte der Mann, der aus einem
-ungeheuern Meerschaumkopfe rauchte, das, mein guter Freund, haben wir
-Alle, hier sind wir Alle gleich, wie im Paradiese. Indem Ferdinand etwas
-näher gekommen war, erkannte er in diesem Sprechenden den Fürsten. Gewiß
-war er also auf dem ersten und vornehmsten Platze und genoß der Ehre,
-den Fürsten zu drängen und von ihm geklemmt zu werden. Von der früheren
-Vorstellung und dem feinen Hof- und wissenschaftlichen Gespräch war in
-dieser Atmosphäre nicht mehr die Rede, ja es wäre lächerlich gewesen,
-sich darauf zu beziehen, denn der Herr erschien hier ganz verwandelt.
-Ihn störten nicht die plumpsten und ungezogensten Späße seiner Umgebung,
-manche Militairs trieben die Ausgelassenheit und den Scherz mit einigen
-Bauerdirnen über jede Grenze, und diese Armen hatten Mühe, aus dem
-Gedränge zu entkommen und das freie Feld wieder zu gewinnen. Als schon
-manche von den Honoratioren sich entfernt, der Fürst selbst nach einiger
-Zeit die Bude verließ, so zögerte auch Ferdinand nicht länger, im Wald
-und auf dem Berge wieder eine reinere Luft zu athmen.
-
-Im Saale war Ball, in welchem Alle, die Theil nehmen wollten, ohne Gene
-tanzten: Edelleute, Damen und Handlungsdiener; auch die Herzogin von
-Hildburghausen war unter den Tanzenden und gütig und herablassend mit
-Jedermann. In einem andern Saale wurde gespielt, und hier traf Walther
-seinen Freund Freysing in seinem glänzenden Beruf. Die Bank, die dieser
-aufgelegt hatte, war sehr ansehnlich. Walther sah nur zu, ohne
-mitzuspielen. Er fand wieder, was ihn so oft entsetzt hatte, wenn er in
-den Spielsälen stand, diese verzerrten Gesichter, die Habgier oder Wuth
-und Verzweiflung ausdrückten, einige, die kalt und gleichgültig scheinen
-wollten, waren todtenblaß, sie zwängten den Zorn und die Angst in sich
-zurück. Freysing betrug sich wie ein König, nur etwas zu stolz, weil bei
-seinen aufgethürmten Goldhaufen ihm der Satz der Pointirenden wohl zu
-unbedeutend scheinen mochte.
-
-Walther hatte seit lange einen Mann beobachtet, welcher schon viele
-Goldstücke verloren hatte und dem der kalte Todesschweiß über das
-bleiche Antlitz in großen Tropfen rann. Er verließ oft ingrimmig und wie
-verzweifelnd den Saal, ging draußen mit sich ringend auf und ab und kam
-dann nach einiger Zeit zurück, nachdem er von Neuem Geld von seinem
-Zimmer geholt hatte, welches er dann eben so schnell, wie die vorigen
-Friedrichsd'or verlor. Er spielte so leidenschaftlich und wild, daß er
-durchaus nicht die gehörige Aufmerksamkeit auf sein Spiel haben konnte.
-Freysing beobachtete ihn sehr aufmerksam von seinem Sitze und schien nur
-ungern die Goldstücke des Armen einzuziehen. Im Nebenzimmer erkundigte
-sich Walther bei einem freundlichen Manne, wer dieser tollkühne Spieler
-sei, und erfuhr, er sei ein Geschäftsmann aus Meiningen, der mit Frau
-und einigen Kindern von einem mäßigen Gehalt leben müsse. Er habe sich
-wohl verleiten lassen, seine Umstände verbessern zu wollen, der Verlust
-setze ihn in Angst, und er suche, was er verloren wie mit Gewalt
-wiederzugewinnen. Diese Leidenschaft, sagte der Erzählende, in welche
-die Pointeurs immerdar gerathen, ist eigentlich das sicherste Capital
-der Bank. Der arme Mann, der ansehnlich verloren hat, wird nun Schulden
-machen müssen, er verliert seinen Namen, seine Familie darbt und er
-endet vielleicht in Verzweiflung.
-
-Als Walther in den Spielsaal zurückging, kam ihm dieser Herr Anders mit
-verzerrten Mienen der Todesverzweiflung entgegen. Er lief eilig aus dem
-Hause und schien keinen der Anwesenden zu bemerken, die ihm mitleidig
-oder auch wohl mit Hohn und Schadenfreude nachsahen.
-
-Er kam nicht wieder, und Walther war überzeugt, er habe Alles verloren.
-So verging eine geraume Zeit, neue Spieler kamen, geplünderte entfernten
-sich, doch vermehrte sich die Anzahl um den Spieltisch. Da trat jener
-Anders wieder taumelnd herein, er schwankte umher und sein bleiches
-Angesicht schaute den Spielenden mit gläsernen Augen über die Schultern.
-Er biß sich auf die Lippen, als er einige Pointeurs bedeutende Summen
-gewinnen sah. Plötzlich machte er sich Platz und schob den einen
-Zuschauer mit Ungestüm zurück, indem er sich neben den erschreckten
-Walther eilig hinstellte. Er griff hastig nach einer Karte und, ohne sie
-fast zu betrachten, besetzte er sie mit einigen Goldstücken. Die
-bleichen Lippen zitterten ihm, und sowie die Karte verlor, zuckte es wie
-ein Blitz über sein Antlitz hin. Er schob mit krampfhaftem Zittern die
-Goldstücke dem Bankier hin, und dieser, ihm einen scharfen Blick
-zuwerfend, schleuderte sie wieder nach des Spielers Platz, indem er kalt
-sagte: Führen Sie so die Nymphen auf der Gasse mit solchem Golde ab. Es
-war eine Todtenstille im Saale, Walther fühlte sich einer Ohnmacht nahe.
-Der Hausvater, der Geschäftsmann, die unauslöschliche Beschimpfung des
-Aermsten, seine wahrscheinliche Verzweiflung, Alles dies ergriff ihn mit
-ungeheurer Gewalt. Ein Moment, in welchem er vernichtet war, aber
-schnell ermannte er sich und rief mit festem Tone dem Bankier zu: Herr
-Bankier, Sie thun meinem Freunde, dem Herrn neben mir, sehr Unrecht; ich
-habe ihm aus Versehen die Spielmarken statt der Goldstücke eingehändigt,
-weil ich sie bei mir trug, ich bin mit ihm Moitié, und so zahle ich den
-Verlust. Sie werden nicht glauben, daß ein solcher Irrthum ein
-vorsätzlicher war, da Sie mich persönlich kennen.
-
-Freysing erhob sich von seinem Sitze, bückte sich sehr tief und sagte,
-da er die Absicht seines Bekannten sogleich durchschaute: Mein Herr
-Baron, ich bitte Sie und den Herrn, mit welchem Sie gemeinschaftlich
-spielen, hiemit um Vergebung. Ich war im Unrecht, die geehrten Herren
-mögen von der Güte seyn, meine Uebereilung, die ungeziemlich war, zu
-vergessen.
-
-Walther hatte mit einem stummen Druck den beängstigten Anders neben sich
-auf einen Stuhl niedergezogen. Er spielte jetzt und gewann binnen Kurzem
-eine ansehnliche Summe, der Haufen Goldes, welcher vor ihm lag, wuchs
-mit jeder Minute. Als dreihundert oder mehr Goldstücke gewonnen waren,
-stand er auf und sagte höflich: Jetzt, Herr Anders, haben Sie die Güte,
-mir zu folgen, daß wir uns berechnen können.
-
-Er führte den Zitternden und Erstaunten auf sein Zimmer und händigte ihm
-hier die ganze Summe ein, indem er sagte: Hier, Sie Armer, Bethörter,
-empfangen Sie, was ich in Ihrem Namen gewann, es ist, so viel ich habe
-beobachten können, um ein Beträchtliches mehr, als Ihr Verlust. Richten
-Sie sich ein, spielen Sie nicht wieder, Sie sehen, wie unglücklich man
-werden kann.
-
-Mein Wohlthäter, sagte der Zerknirschte stammelnd, was Sie mir geben,
-ist mehr als das Vierfache meines Verlustes. Es giebt Thaten, für die
-jeder Dank zu klein ist. Sie retten meine Familie, meine Ehre, mein
-Leben, denn ich mußte mich nach dieser Beschimpfung ermorden, wie ich
-auch beschlossen hatte, wenn ich verlor.
-
-Mit Thränen entfernte sich der Beglückte und Walther begleitete ihn vor
-das Haus. Wachtel, der im Alkoven Alles angehört hatte, sagte für sich:
-Das ist bei alle dem ein kreuzbraver Kerl, dieser Walther!
-
-Walther ging in den Spielsaal und sagte in einer Pause heimlich zu
-Freysing: Ich hätte Sie für großmüthiger gehalten, warum einen solchen
-Elenden vernichten?
-
-Ich sollte es wohl seyn, erwiederte Jener, der Aerger übereilte mich.
-Sie haben mir aber eine hübsche Lection gegeben, an welche ich bei einem
-ähnlichen Falle denken werde.
-
- * * * * *
-
-In Gesellschaft Hardenberg's und dessen Bruders, sowie der Verwandten,
-die sich in Liebenstein zusammengefunden hatten, oder die in der Nähe
-wohnten, ging die Zeit gar anmuthig hin. Man erzählte viel
-charakteristische Züge von den sonderbaren Launen des trefflichen
-Fürsten; dabei aber verkannte man nicht, was er für die gute Einrichtung
-dieses Bades, vorzüglich aber für die Wohlfahrt seines Ländchens gethan
-hatte.
-
-An der heitern Mittagstafel, als die Freunde unter sich und keine Damen
-zugegen waren, sagte Wachtel: Ich bin Euch noch schuldig, meine Freunde,
-wie ich gestern Nachmittag meine Zeit hingebracht habe, zu berichten.
-Ich mochte das Puppentheater so wenig wie den glänzenden Ball besuchen,
-aber ich hatte erfahren, daß der berühmte Oberforstmeister Cramer von
-Meiningen hieher in das Bad, aber nur für diesen Sonntag gekommen sei.
-Wie Ferrara seinen Ariost und Tasso, Florenz seinen Dante, Leipzig
-seinen Gottsched, Anspach seinen Utz und Weimar seinen Göthe hat, so
-besitzt seit lange schon Meiningen seinen Cramer. Ich sah den Mann, er
-ist groß, ziemlich corpulent, und sein Gesicht eins von denen, die das
-Glück und die Auszeichnung haben, gar keinen Ausdruck zu besitzen. Diese
-sogenannte Gutmüthigkeit oder Bonhommie, wie man dergleichen nennt,
-welche nur die trivialste Alltäglichkeit ist, lockt jeden noch so
-simpeln Dummkopf herbei, um sich ohne Aengstlichkeit in der Gegenwart
-eines solchen harmlosen Autors ganz seiner Einfalt zu überlassen und den
-berüchtigten Vetter Michel für den Vorsteher der Grazien zu halten.
-Glücklicher Weise habe ich in früheren Jahren, weil ich ein unnützer
-Bengel war, die meisten Romane dieses Cramer, vom Erasmus Schleicher bis
-zum Paul Ysop, gelesen. Ich sah neben ihm einen Halbbekannten und
-benutzte dies, um mich dem genialen Deutschen vorstellen zu lassen. Wir
-setzten uns dann dorthin, vor dem Badehause, dem Geländer nahe, den
-Blick auf die Landstraße gerichtet. Der große Mann hatte kein Arg
-daraus, ob ich ihn auch für den Autor erkannte, für den ihn die
-Abonnenten der Leihbibliotheken eine Zeitlang hielten. Ein schmaler,
-schwindsüchtiger Medicus sagte: O Bruder Cramer, erinnerst Du Dich noch
-unseres verewigten Freundes auf der Universität, des seligen Lange, mit
-dem wir so manchen seligen Abend durchschwärmt haben?
-
-Wohl, sagte Cramer, indem er sein Glas erhob und der große Mund lächelnd
-durch die Nähte der Pockennarben brach: das war ein großer Mensch!
-Himmel, wie idealisch konnte er beim Sonnenaufgang oder in den
-Frühlingsmonaten gestimmt seyn! Es war eine Wonne, mit der kräftigen
-Menschheit des Kerls zu harmoniren. Viele von Klopstocks Oden wußte er
-ganz auswendig; wenn er sie deklamirte, zitterte er vor Entzücken, wie
-ein eingefangenes Rothkehlchen. Wir nannten ihn nur Selmar, -- und das
-arme Vieh hat nachher so miserabel crepiren müssen!
-
-Wie so? fragten die Freunde, indem sie die Weingläser niedersetzten.
-
-Weil der Schwernothshund, sagte der Autor mit edelm Ingrimm, es nicht
-lassen konnte, sich trotz seines Aufschwungs mit liederlichen Menschern
-einzulassen. Das war nun einmal seine schwache Seite. Petrarch und
-Laukhard, oder ein Anderer der Zunft, Bahrdt, oder wer es sei, war er in
-demselben Augenblick. O seine zarte, himmlische Jenny! was das hohe
-Wesen über diese zu weit getriebene Vielseitigkeit des hochgestimmten
-Schwärmers gelitten hat! Die Creatur war doch wirklich so, als wenn ein
-himmlischer Engel in dieses Erdenleben herabgestiegen wäre, um uns eine
-Darstellung der hohen Flüge eines Plato im sterblichen Abbild zu geben.
-Mehr als Sophronia und Clorinde des Tasso, höher als Werthers Lotte,
-oder die Sophie des Fielding war sie so einzig, daß die Brutalität
-selbst in ihrer Nähe zur Tugend wurde. Tausendschwernoth noch einmal!
-Wenn sie so mit ihrem Inamorato dahinwalzte! Als den nun, wie Ihr wißt,
-Freunde, an der schlechten Krankheit der Teufel so rein weggeholt hatte,
-so gab sie endlich den Bitten des dünnbeinigen Assessors Gehör und
-verheirathete sich mit der verfluchten Massette. Sie hatte aber schon
-von ihrer ersten Liebe ein Kind gehabt, das sie heimlich erziehen ließ.
-Der Junge bekam nachher das böse Wesen und verreckte im Hospital. Die
-himmlische Laura ergab sich dem Branntwein und es war, wegen des Athems,
-in den letzten Jahren nicht mehr bei ihr auszuhalten. So verwelken die
-edelsten Blüten des Lebens.
-
-Und Alfonso, fragte der Schmächtige, jener aufgeklärte Theologe, er hieß
-eigentlich Wackelbein, -- was ist aus dem geworden?
-
-Im Narrenhause, sagte Cramer, hat er an der Kette verendet. Er war zu
-genialisch, und wollte immer Werther und Guelfo in den Zwillingen von
-Klinger zugleich seyn. Als er in der Stadt lebte und der Superintendent
-ihn zum Adjunctus in sein Haus nahm, hatte er seine höchste genialische
-Zeit. Was er damals schrieb oder sagte, war classisch. Er selbst aber
-immer besoffen. Das Schwärmen hätte ihn aber doch nicht so sehr daran
-gehindert, daß der große Geist wäre in eine gute Stelle gesetzt worden;
--- aber, wie nun sein schönstes Buch sollte gedruckt werden (eine
-Nachahmung meines Erasmus, wo er zugleich den Bambino Klingers
-hineingebracht hatte), kam es heraus, daß die Köchin im Hause von ihm
-schwanger und die Kirchenkasse bestohlen, ja eigentlich ganz weggeraubt
-sei. Von beiden war er der Thäter, und er konnte es nicht leugnen; schon
-täglich besoffen, wurde er vom Kummer verrückt und fuhr so dahin. -- So
-habe ich so manche echte Genies, die die Zierde unseres Vaterlandes
-werden konnten, zum Teufel fahren sehen. Ich habe mich gehalten, so viel
-ich auch erlebt, so viel ich auch erduldet habe. Der Dienst der Musen
-ist kein leichter. Mit dem Teufel ist nicht zu spaßen.
-
-Ferdinand erzählte, wie schlimm es ihm in dem Marionettenspiel gegangen
-sei, worauf Walther sagte: Sie haben also, meine Freunde, einmal recht
-die deutscheste Deutschheit verkostet. Sonderbar, daß es noch immer
-viele Gegenden und Gesellschaften giebt, wo ein solcher Ton für das
-Herzliche und Biedere gilt. Bei diesen steht dann Grazie und Urbanität
-als Heuchelei und Affektation im schlimmsten Verruf. Aus den Büchern, in
-welchen der hiesige Ariost die Sitten edler und treuherziger Männer
-geschildert hat, bildeten sich früherhin manche Studenten auf der
-Universität, und aus diesen Reminiscenzen schrieben Manche wieder in
-späteren Jahren Bücher in demselben Ton. Diese rohe Manier verliert sich
-jetzt mehr und mehr bei unsern Landsleuten.
-
-Ich zweifle, fuhr Ferdinand fort, daß der Gebildete in irgend einem
-andern Lande an dieser vorgeblichen Herzlichkeit, Biedertreue und
-Ungeschlachtheit zu leiden hat. Dies Marionettenspiel selbst war eben so
-schlecht, daß, wer nach diesem meine Vorliebe für diese groteske
-Unterhaltung beurtheilen wollte, mir sehr Unrecht thäte. Es werden jetzt
-ungefähr zehn Jahre seyn, als ich auf einer Reise durch den Harz in
-Quedlinburg dieses wunderliche Drama zuerst entdeckte. Ich kann es wohl
-eine Entdeckung nennen, denn es wich völlig von jenem Zeitvertreib der
-gebräuchlichen Puppenspiele ab, und dieses, wie jene gewöhnlichen
-dienten nur dem Volke zur Aufheiterung, und der Gebildete wendete sich
-mit Verhöhnung ab. Diese Figuren, die ich jetzt kennen lernte, waren
-ziemlich groß und wurden sehr geschickt durch eine künstliche Wage und
-Gewichte regiert, die die Glieder in Bewegung setzten, indem die Fäden
-an den Fingern der Dirigirenden hingen. Am künstlichsten aber war die
-Figur des Lustigmachers oder des Casperle, wie er hier genannt wurde.
-Nach einiger Zeit glaubte man ein wirkliches lebendes Wesen zu sehn; man
-zweifelte nicht mehr an dem Mienenspiel und er machte mich so lachen,
-wie ich es nur selten im Leben vermocht habe. Ich erkannte hieraus, wie
-die Maske, wenn ein gutes Gedicht nur übrigens gut gespielt würde, gewiß
-nicht die Täuschung stören oder aufheben könne. Am meisten aber
-überraschten und interessirten mich die wunderbaren Stücke, die gespielt
-wurden. Sie waren so originell, so großartig erfunden und so kühn
-durchgeführt, daß ich sie mit keinen andern bekannten vergleichen
-konnte. Der Don Juan z. B., den sie darstellten, wich sehr von jenem ab,
-der nach dem Moliere und den Italienern gearbeitet ist. Nach einigen
-Jahren sah ich mit Erstaunen, daß er nach dem eigentlichen Original des
-Spaniers Tirso de Molina umgewandelt war. Von einem andern
-Stücke entdeckte ich später, daß es ganz, aber so, wie dieses
-Marionettentheater es brauchen konnte, nach einem höchst wunderbaren und
-religiösen Schauspiel des Mira de Mescua gearbeitet sei. Eine »heilige
-Dorothea« folgte ziemlich genau der Tragödie, welche die Engländer
-Massinger und Decker über diesen Gegenstand gedichtet haben. Ich wollte
-die Directoren der hölzernen Truppe schon damals bereden, in Berlin ihre
-Künste zu zeigen, was sie aber jetzt noch nicht wagten, sondern erst
-sieben oder acht Jahre nachher den Versuch machten und großen Beifall
-fanden, vorzüglich bei den Freunden der ältern Poesie. Die Herren Dreher
-und Schütz (diese waren die Dirigenten) erzählten mir, daß alle ihre
-Manuscripte alt seien, daß sie noch viele besäßen, die sie aber niemals
-darstellten, unter andern einen König Lear, der aber mit dem
-weltbekannten Gedichte kaum eine Aehnlichkeit habe. Ich wollte sie
-überreden, mir diese Gedichte zur Ansicht zu vertrauen, was sie aber
-standhaft verweigerten, so wie sie auch von dem Rath nichts wissen
-wollten, diese Sachen durch den Druck bekannt zu machen. Sie glaubten,
-daß sie sich ihre Aufführungen dadurch verderben möchten. Ich wußte, daß
-zu Shakspeare's Zeiten von einsichtigen Mechanikern eine neue Art war
-erfunden worden, ziemlich große Marionetten künstlich in Bewegung zu
-setzen. Die Spiele dieser Puppen machten Aufsehen und fanden großen
-Beifall. Ben Jonson spottet selbst einmal darüber, daß dieses hölzerne
-Theaterspiel Mode sei und von Manchem dem der Komödien vorgezogen werde.
-Man gab die Schauspiele, die die populärsten waren, und gute Köpfe, die
-gerade nichts Besseres zu thun hatten, arbeiteten für diese Bühne und
-nahmen die besten Komödien berühmter Dichter, um sie für die Marionetten
-abzukürzen und mit mehr Spaß und Tollheit auszustatten. Die Marionetten
-zogen hierauf nach den Niederlanden, und in Brüssel und Antwerpen, wo
-damals viele spanische Komödien gespielt wurden, nahmen sie von diesen
-die beliebtesten und wunderbarsten in ihr Repertoir auf. Manchen, die
-ich damals und später in Berlin sah, habe ich noch nicht auf die Spur
-kommen können; sehr merkwürdig war die Geschichte eines Königssohnes,
-der sich wahnsinnig stellte, aber nichts mit Hamlet gemein hatte. Der
-verlorne Sohn ist nach einem alten englischen Schauspiel, und jener
-landkundige Faust, der unserm großen Dichter in seiner Jugend wohl
-zuerst den Anstoß zum wunderbarsten seiner Werke gab, ist im
-Wesentlichen dem Faust des Marlow nachgebildet. Man kann dem Barocken
-und toll Poetischen nur mit einer gewissen Leidenschaft sich hingeben,
-eine ruhige kritische Billigung ist unpassend und dem Gegenstande nicht
-angemessen; und so gestehe ich gern, daß ich damals diese mir noch neuen
-Spiele vielleicht überschätzte, aber auch jene Menschen, die sich ganz
-davon abwendeten, nicht tadeln konnte. -- Hier aber war von jenem
-Poetischen, was mich damals so sehr erfreute, auch keine Spur mehr. Die
-Marionetten waren schlecht und spielten ungeschickt, der Text war ganz
-modern, aus Kotzebue und einigen beliebten Opern zusammengestoppelt, so
-daß mich weder Publikum noch Theater auf lange fesseln konnte. Große,
-wunderbare Verhältnisse, das Tolle, Phantastische und ganz Tragische
-paßt nur für diese Volksbühne.
-
-Die Freunde genossen noch die schöne Gegend um Liebenstein, alle diese
-reizenden Naturscenen, und nahmen dann von Wald und Berg und den
-freundlichen Menschen, die sie hatten kennen lernen, Abschied. Carl von
-Hardenberg begleitete sie noch bis Eisenach. Der Weg geht queer durch
-den Thüringer Wald, und reizend liegt das Jagdschloß Wilhelmsthal mitten
-in einem schönen Walde. Die Buchen hier und in der Umgegend sind von
-herrlichem Wuchs.
-
-In Eisenach besuchte man die Wartburg und erinnerte sich des Gedichtes
-von Friedrich Schlegel. Der Deutsche, bemerkte Ferdinand, hat immer noch
-seine eigenthümliche Freude an der Herrlichkeit der Wälder; vor diesen
-Ausblicken, die uns entzücken, graut dem Italiäner und die übrigen
-Nationen empfinden doch schwerlich jenes heilige Grauen oder jene
-feierlich andächtige Stimmung, die uns in Waldgebirgen oder im einsamen
-dunkeln Forst ergreift.
-
-Hardenberg kehrte nach Liebenstein zurück, und von Altenburg schrieb
-Ferdinand an seine Freundin Charlotte nach Berlin:
-
- Altenburg, den 1. August 1803.
-
-Kann man sich so ungewiß im Kreise drehen, wie ich es nun seit mehreren
-Wochen gethan habe? Menschen betrachte ich und lerne sie kennen, Frauen
-und Mädchen, Naturscenen gehn an mir vorüber, und nichts ergreift und
-durchdringt mich so, wie es sollte, weil eine Leidenschaft, eine Unruhe,
-eine unselige Melancholie mich allenthalben verfolgt. Ich habe die feste
-Hoffnung, möchte ich doch fast sagen die sichere Aussicht, daß sich in
-wenigen Tagen dieser Zustand ändern wird. Sie kennen mein Schicksal
-nicht, und können es also auch nicht fassen, in welchem seltsamen
-Räthsel ich mich umtreibe.
-
-Ich müßte mich sehr irren, oder mein Reisegefährte Walther wird von
-einer ähnlichen Leidenschaft gequält, die er mir verheimlicht,
-geflissentlich Alles umgeht, was auf eine Spur führen oder eine
-vertrauliche Herzensergießung veranlassen könnte. Dieser Mann, der
-anfangs so kalt und ruhig schien, verliert immer mehr jene sichere
-Haltung, die den Gleichgültigen nur sich anzueignen möglich ist.
-
-Zuweilen erscheint mir das Leben grauenvoll, wenn es mir jene kalte,
-gleichgültige Seite aufdeckt, die die Herzlosen für das wahre Antlitz,
-und Jugend, Empfindung und Liebe nur für eine schöne Larve erklären. Als
-wir in Würzburg waren, erinnerte ich mich einer Begebenheit, die mich
-schon vor Jahren manche Thräne gekostet hat. Ein junger Edelmann lebte
-hier, reich, gesund und schön, und mit dem schönsten Mädchen in der
-Stadt versprochen. Die Vermählung war nahe, das Glück der Liebenden
-beneidenswerth, als der Geliebte mit einem andern Offizier um eine
-unbedeutende Kleinigkeit in Streit geräth und von dem rohen jungen Mann
-so beschimpft und beleidigt wird, daß sich die Ehre des Gekränkten, nach
-unsern Begriffen, nur durch ein Duell wiederherstellen läßt.
-
-Sie treffen sich im Walde und der Liebende hat das Unglück, seinen
-Gegner zu erstechen. Die Flucht ist unvermeidlich, und die Anverwandten
-des Erschlagenen, angesehene Familien, treiben es dahin, daß er mit
-gerichtlicher Strenge verfolgt wird und in sein Vaterland nicht
-zurückkommen darf. Er wagt es selbst nicht, unter seinem wahren Namen im
-Auslande zu leben, er kann nur selten und auf Umwegen schreiben und noch
-seltener kann er von seiner Familie oder seiner Braut etwas erfahren. So
-vergehn einige Jahre. Seine schlimmsten Feinde sterben indeß, die andern
-lassen sich versöhnen, und mit vieler Mühe wird ihm die Gnade des
-Fürstbischofs ausgewirkt, nachdem dieser überzeugt ist, daß er zu jenem
-unseligen Duell ist gezwungen worden. Er wirft sich, von frischer Jugend
-beseelt, in den Wagen, einige Meilen vor Würzburg besteigt er ein
-rasches Pferd, um noch früher in den Armen seiner Braut zu liegen. Schon
-sieht er die altbekannte Stadt und begrüßt jubelnd ihre Tempel und
-Paläste; sein Weg führt vor dem Kirchhofe vorbei, ein großer Zug, Alt
-und Jung, bewegt sich aus der Stadt dahin. Er fragt einen
-Vorübergehenden, wer die Leiche sei, und erfährt, seine Braut wird
-beerdigt. Der lange Gram, dann die Freude habe sie so geschwächt, daß
-ihr ermüdeter Körper dem Anfall eines Fiebers keine Lebenskraft mehr
-entgegenstellen konnte. Betäubt, entsetzt, lebensüberdrüssig kehrt er
-um, ohne seine Familie wiederzusehn. Er verläßt die Landstraße, irrt in
-Wäldern umher und begiebt sich endlich nach Erfurt, um hier im Orden der
-schweigsamen Karthäuser das Ordenskleid zu nehmen. Nun arbeitet er im
-Garten und an seinem Grabe, spricht mit Niemand und antwortet seinen
-Brüdern wie den Fremden nur mit dem trübseligen: ^Memento mori!^ -- Wie
-oft war ich in Erfurt in diesem einsam liegenden Kloster, sah die
-wandernden Brüder an, oder in der Kirche bei ihrem stillen
-Gottesdienste, und gedachte dieser Geschichte. Jetzt komme ich mit
-meinen Reisegefährten wieder nach Erfurt. Die Klöster sind alle
-aufgehoben und Mönche und Nonnen von ihren Gelübden befreit. Ich finde
-den jungen Prinzen W. wieder, der hier als preußischer Major in Garnison
-steht, und er bittet uns bei sich zu Tische. Er spricht mir von diesem
-Mönch, den er kennt, und sagt uns, er würde unser Tischgenosse seyn. Als
-wir uns versammelt haben, tritt ein ältlicher Mann in bürgerlicher
-Kleidung herein, der stattlich aussieht, dessen Embonpoint aber schon an
-das Komische grenzt. Sein Gesicht ist nicht unedel, aber ganz
-gewöhnlich, selbst unbedeutend, und der Ausdruck seiner Physiognomie ist
-mehr jovial, als ernst, oder tiefsinnig. Ich konnte mich bei diesem
-Anblick einer gewissen Verstimmung nicht erwehren. Er erzählte viel und
-mit großer Redseligkeit; es schien, als wollte er für sein vieljähriges
-Schweigen sich nun endlich wieder an mannichfaltigen und selbst
-überflüssigen Worten eine Güte thun. Von seiner melancholischen
-Jugendgeschichte redete er nicht, das wäre auch zu unangenehm gewesen;
-aber wohl setzte er auseinander, wie die Diät des Klosters, selbst die
-strenge, bei dem Mangel an Bewegung, den Körper anschwelle. Das Reiten,
-besonders das schnelle, wollte ihm noch nicht recht zusagen, aber
-dennoch sprach er mit wahrem Entzücken von den Exercitien der
-preußischen Cavallerie, die er zu Pferde angesehn und gewissermaßen
-mitgemacht habe; der Soldat, so fügte er hinzu, sei wieder mit allen
-Kräften in ihm aufgewacht, und wenn er nicht zu alt geworden sei, würde
-er sich mit Enthusiasmus diesem Stande widmen. Jetzt sei er
-entschlossen, die wenigen Jahre seines Lebens hier in Erfurt, mit seinen
-militärischen Freunden, deren er manche habe, zu verbringen und von
-seiner kleinen Pension zu leben. Seine Familie sei ausgestorben,
-Verwandte habe oder kenne er nicht, und die etwanigen Erben seines
-kleinen väterlichen Vermögens wolle er nicht in Verlegenheit setzen, daß
-sie den Argwohn faßten, er könne auf irgend etwas Ansprüche machen. --
-
-Es ist verdrüßlich, wenn die mächtigsten Leidenschaften und wahrhaft
-tragische Begebenheiten nicht mehr Spur im Menschen zurücklassen. Und
-doch erscheine ich mir wieder in diesen Gefühlen unbillig und lieblos,
-weil ich nicht wissen kann, was der Arme gelitten hat, und mit welcher
-Scheu und Vorsicht er wohl immerdar vor dem Grabe seiner Jugend
-vorübergeht. Sollte er seinen Schmerz und seine Erfahrung einer
-gewöhnlichen frohen Tischgesellschaft mittheilen und das Edelste seines
-Lebens entweihen?
-
-In Weimar war mir der Park, Göthe's Haus, alle Umgebung, wie heilig. Im
-Garten, der allenthalben so lieblich und edel die dort dürftige Natur
-verschönert und verdeckt, muß man bei jedem Schritte unsers Dichters
-gedenken. Er war nicht zugegen, aber den Herzog trafen wir, als wir das
-Schloß besichtigten. Der edle, geistreiche Fürst sprach lange mit uns
-über verschiedenartige Gegenstände. Das Schloß ist von dem Baumeister
-Genz, dem Bruder des politischen Schriftstellers, vortrefflich
-eingerichtet; Alles hier ist mit Sinn angeordnet, und der große Saal,
-für Feierlichkeiten bestimmt, erfreut besonders. Es war nicht leicht,
-aus Dem, was der große Brand von dem Gebäude hatte stehn lassen, diese
-zierliche und großartige Einrichtung herauszubringen. Von Friedrich
-Tieck sieht man schöne Basreliefs und Figuren, zwar nur in Gips, aber so
-gut ersonnen und ausgeführt, daß sie dem edeln Hause zum Schmuck
-gereichen.
-
-Von Weimar begleitete uns ein junger Dichter, Thorbeck, dessen sich
-Göthe und Schiller freundlichst angenommen hatten. Er rezitirte uns im
-Wagen einige seiner Gedichte, in welchen ich nur zu sehr die Manier
-unsers Schiller wiederfand. Die Verse schienen mir für einen Anfänger
-fast zu gut.
-
-In Jena führte uns Wachtel zur Fromann'schen Familie, die ich früher
-schon gekannt hatte. Den geistreichen Naturforscher Ritter fand ich
-hier, so wie Clemens Brentano. Von Beiden, die ohne Zweifel große
-Talente entwickeln können, muß man wünschen, daß sie sich nicht von
-einer falschen Genialität blenden lassen. Eine bewußtvolle Originalität
-ist keine; auch kann man dem jungen Dichter wohl allenthalben in seinen
-Versuchen, wo er recht neu und seltsam zu seyn glaubt, die Stellen
-nachweisen, die er nur nachgeahmt hat. --
-
-Wann werde ich Sie wiedersehn? Unter welchen Umständen? Wo?
-
- * * * * *
-
-Von Altenburg begaben sich die Freunde nach Chemnitz. Walther schien
-völlig verstimmt, und als sie im Gasthofe abgestiegen waren, verschloß
-er sich in seinem Zimmer und ließ sich mit einer Unpäßlichkeit
-entschuldigen, die ihn verhindere, zum Abendessen zu kommen. Wachtel,
-der wohlgemuth war, ließ ihn gewähren und sagte nur zu Ferdinand: unser
-Moralist fängt an, etwas langweilig zu werden, und weil es ihm nicht so
-recht gelingen will, so wirft er sich in das verdrüßliche Fach; denn
-glaube mir, Freund, wer was Rechtes in der Langeweile leisten will, der
-muß schon früh, in der Jugend dazu thun, die Erziehung kann eigentlich
-nur den besten Grund dazu legen, und wenn das Genie freilich angeboren
-ist, so thun doch Ausbildung, Kunst, Uebung und tüchtige Vorbilder auch
-das Ihrige. Auf dem halben Wege stehen bleiben, wie es unserm lieben
-Walther begegnen kann, ist das Kläglichste. Ich habe Männer in dem Fache
-gekannt, die eigentlich von der Natur die herrlichste Anlage hatten,
-unausstehlich langweilig zu seyn; aber sie hatten das Unglück gehabt,
-eine Zeitlang unter die Geistreichen zu gerathen, und der Zunftgeist
-dieser Menschen hatte sich ihnen einigermaßen mitgetheilt, um sie zu
-ruiniren. Sie hatten die Gabe, Anekdoten ohne Salz und ohne Spitze
-breit, mit Parenthesen, sich wiederholend und sich widersprechend mit
-der größten Verwirrung vorzutragen, und zwar solche Geschichten, die
-jedes Kind schon weiß; aber demungeachtet waren ihnen, wie Fliegen in
-alten Spinnweben, einige gute Einfälle und Gedanken hängen geblieben,
-die demnach, wenn auch schlecht vorgetragen, das Kunstwerk ihres
-miserablen Vortrages hinderten, ein Vollendetes zu werden. Der rechte
-Virtuose müßte es dahin bringen können, einen heftigen, ungeduldigen und
-dabei verständigen Menschen geradezu umzubringen. Kann das durch Schreck
-geschehn, sind Menschen am Lachen oder an der Freude verschieden, so
-wäre es wohl der Mühe werth, einmal einen Künstler heranzubilden, den
-ein eifersüchtiger Fürst oder Minister nur auf diesen und jenen
-Verdächtigen oder Verhaßten loszulassen brauchte, um dem guten Kopf,
-welcher sich dem Wohl des Vaterlandes nicht fügen will, den Garaus zu
-machen. Was unsre löblichen Kanzelredner leisten, was Theater- oder
-religiöse und moralische Dichter thun, die Familiengemälde, viele
-Romanciers, das ist alles nur Bagatell. Bis zum Uebelwerden, selbst
-Erbrechen können es Gutmeinende bringen; was ist das aber gegen die
-Wirkung der Leidenschaften, der Elemente oder des Krieges? Wie oft hat
-man Gefangene, denen man übel wollte, molestirt und torquirt,
-Grausamkeiten mit spitzfindigem Grübeln ersonnen, -- bildeten Staaten
-und Schulen aber mehr jene wahrhaften Langweiligen aus, von denen das
-Ideal meiner regen Phantasie vorschwebt, so könnte das Unerhörte
-geleistet werden.
-
-Hüte Dich nur, sagte Ferdinand lächelnd, nicht selbst ein Pfuscher in
-diesem Handwerke zu werden. Es steht keinem an der Stirne geschrieben,
-wie er einst im Alter endigen werde.
-
-Am folgenden Morgen trat Walther mit einer gewissen Feierlichkeit bei
-den Freunden zum Frühstück ein. Ich habe eine schlechte Nacht gehabt,
-begann er dann, weil ich mich schäme, Euch etwas vorzutragen, das ich
-Euch doch mittheilen muß. Wir sind hier in einer kleinen Stadt, die
-nicht ohne Anmuth ist, aber wir würden doch nicht eben Ursach haben,
-lange hier zu verweilen, da wir so mancher viel merkwürdigern nur einige
-Stunden geschenkt haben, -- und doch begreife ich noch nicht, wie wir
-sobald von hier wegkommen wollen.
-
-Wie käme denn das? rief Wachtel aus. Welcher Zauber sollte uns denn hier
-bannen können?
-
-Der die ganze Welt bannt und fesselt, antwortete Walther. Ich habe die
-Reisekasse geführt und mich mit Euch berechnet, in Meiningen gabt Ihr
-mir, was Ihr noch bei Euch trugt, und es war mehr als reichlich, um nach
-Dresden, Berlin, Hamburg oder wohin wir noch streben mochten, zu
-gelangen. In Liebenstein spielte ich und gewann für einen Unglücklichen,
-der ohne meine Dazwischenkunft verloren war --
-
-Sie haben sich herrlich gegen ihn benommen, rief Wachtel aus, und ich
-hörte auch noch die vortrefflichen Ermahnungen, die Sie dem Spieler
-gaben.
-
-Ich hätte sie selber nur zu gut brauchen können, antwortete Walther.
-Seit vielen Jahren hatte ich nicht gespielt, nun ging es mir wie dem
-gezähmten Löwen, wenn er wieder einmal Blut kostet. Unmittelbar nach
-jenen moralischen Reden begab ich mich wieder an den Spieltisch und
-verlor, bis auf eine Kleinigkeit, Alles, was mir gehörte, und auch Euer
-Eigenthum. Ihr werdet bemerkt haben, wie knapp und ängstlich ich seitdem
-auf der Reise war, weil ich hoffte, mindestens bis Dresden auszureichen;
-gestern Abend gab ich unserm Fuhrmann als Trinkgeld das Letzte. Wir Alle
-führen keine Creditbriefe mit uns, weil die baare Summe übergenug war;
-so stehe ich denn hier, beschämt wie ein Schulknabe, vor Euch, und
-begreife jetzt selbst nicht, wie der Aberwitz mich ergriff, unser
-Vermögen zu verschleudern. In Dresden, so hoffe ich, können wir uns
-wieder helfen; aber wie die wenigen Meilen dahin zurücklegen? Sollten
-wir uns so beschimpfen, Uhren oder Ringe hier zu versetzen? Freysing hat
-mich in Liebenstein tüchtig ausgelacht, daß ich ihm solche Summe noch
-zugewendet habe.
-
-Am klügsten und kürzesten ist es, rief Wachtel aus, daß ich mich so
-schnell als möglich nach Dresden hinstümpere, dort habe ich
-Bekanntschaft und Credit, ich schicke alsbald das Nöthige her, Ihr
-unterhaltet Euch indessen hier, so gut Ihr könnt, und wir treffen uns in
-Dresden wieder, wo Sie dann, Freund Walther, sich wieder in Baarschaft
-setzen können, um mir und Ferdinand Das wieder zu geben, was Sie uns
-schuldig geworden sind.
-
-Als Walther das beschämende Geständniß überstanden hatte, lachte er mit
-den Uebrigen recht herzlich über seine Unbesonnenheit. Man ließ sogleich
-einen Fuhrmann der Stadt kommen, und Wachtel bat sich aus, das Geschäft
-mit diesem allein abzumachen. Der Mann kam und Wachtel fragte ihn: ob er
-im Stande sei, ihn noch an diesem Tage nach Dresden zu schaffen, ihn
-allein mit einem kleinen Gepäck. Der Fuhrmann sah dem Fragenden ins
-Gesicht, schaute dann an die Decke, hierauf zum Boden nieder, als wenn
-die Beantwortung dieser Frage viel Nachdenken und Grübeln erforderte. Es
-ginge zur Noth wohl, sagte er mit langer Verzögerung, wir haben noch
-lange Tage, meine Pferde sind gut, die Last nicht schwer. -- Und wie
-viel verlangt Ihr, Mann? -- Ja, sagte jener, wenn nur die Ernte nicht
-wäre, und das Vieh ist jetzt auch nicht so, wie späterhin, und das
-Futter ist jetzt theuer; unter sechs Speciesthalern kann ich es nicht
-thun. -- Aber ich kann sogleich abfahren? -- Gefressen haben die Pferde,
-erwiederte der Kutscher, also hat es keinen Anstand. -- So macht Euch
-fertig, Freund, ich setze mich gleich ein, Eure Forderung ist nicht
-unbillig, auch verlange ich Euern Schaden nicht, und verspreche Euch,
-wenn Ihr mich zeitig nach Dresden hinschafft, sieben Species, außer
-Euerm Trinkgelde. So kann ich Ihre Geschäfte, Herr Baron und Herr Graf
-(indem er sich mit der höflichsten Verbeugung an seine Reisegefährten
-wendete), gleich morgen früh besorgen, und wenn Sie mir in einem oder
-zweien Tagen nachfolgen, so treffen Sie Ihren ergebensten Diener im
-goldenen Engel. Nur eins noch, mein guter Fuhrmann, bedinge ich mir aus,
-daß Ihr Chaussee und dergleichen Alles, auch was ich im Gasthofe
-bedürfen möchte, auslegt, weil es mir unerträglich ist, mich mit Zoll
-und Geleit und Kellnern und Wirthschaft einzulassen, und daß Ihr mir
-morgen in Dresden Alles genau und gewissenhaft berechnet. Und so geht
-denn, Freund, und spannt an.
-
-Der Fuhrmann entfernte sich in Demuth und zufrieden, und Wachtel sagte
-lachend: ich habe Dich, lieber Ferdinand, zum Grafen erhöht, um seine
-Auslagen leichter zu erlangen. Zum Glück geht die Reise nicht weit, es
-bedarf keiner großen Summe, und ich bin in Dresden meiner Bekanntschaft
-gewiß.
-
-So reisete Wachtel ab, indem er sich noch einmal, beim Einsteigen, der
-Gewogenheit des Herrn Grafen und Barons empfahl. Wir können nun rechnen,
-sagte Walther, wenigstens noch zwei Tage in dieser kleinen Stadt bleiben
-zu müssen; heut Abend kommt unser Wachtel in Dresden an, ein Tag geht
-wenigstens hin, bis das Geld hieher kommt und vielleicht, wenn er es
-nicht durch den Fuhrmann senden will, währt es noch länger. Wir müssen
-also sehn, wie wir uns hier ergötzen.
-
-Sie gingen aus, um die Stadt und Gegend näher kennen zu lernen. Nach
-ihrem Spaziergange trafen sie auf ein Haus, in welchem Bücher verliehen
-wurden, und Ferdinand nahm einige, deren Titel ihn anlockten, mit nach
-dem Gasthof. Sie blätterten in den Erzählungen, lasen abwechselnd
-einiges laut, und warfen sie dann verdrüßlich hin. Ist es nicht
-sonderbar, daß die Deutschen, welche so viel schreiben, immer noch nicht
-lernen (wenige Autoren abgerechnet), wie man eine Erzählung vortragen
-kann und soll? Gelingt es auch hie und da Diesem und Jenem, uns ein
-Interesse abzugewinnen, so trägt er uns gleich darauf Dinge vor, die
-nicht zur Sache gehören, die uns nichts angehn, und verschweigt im
-Gegentheil, worauf wir neugierig sind. So lernen es die wenigsten, sich
-der Form, selbst der leichtesten, zu bemächtigen, und schwanken ungewiß
-und unsicher hin und her, nirgend festen Fuß fassend, weitschweifig zur
-Ermüdung, und doch, wie Cervantes sagt, das Beste im Dintenfasse
-lassend.
-
-Wir können bemerken, erwiederte Ferdinand, daß das Beste, was bei uns
-erscheint, indem es Mode wird, alsbald zur Nachahmung dient und sich
-tausendfältig schwächer und immer schwächer wiederholt; aber diese
-Scribenten, die ihr Vorbild verwässern, studiren nicht dessen Tugenden,
-oder machen sich klar, wodurch es vortrefflich ist, sondern sie
-bemächtigen sich nur obenhin der Manier und hängen an den
-Zufälligkeiten. Andre Modeschriftsteller ergreifen den rohen Stoff,
-sprechen Gesinnungen aus, die gerade an der Tagesordnung sind, heute
-Frivolität, morgen Pietismus, bald Patriotismus, bald Rebellion, Haß
-gegen die Obrigkeit oder süß frömmelnde Liebe, dann wieder Rohheit
-gemeiner Wachstuben, die sie uns für Rittersinn verkaufen, oder
-Gespenstergrauen, wenn nicht Familien der Landprediger sammt Liebe und
-Sehnsucht, die sich schon in den Kindern entwickeln. Es haftet und
-dauert von allen diesen schlechten Manieren keine, aber eine jede läßt
-ihre schlimmen Folgen zurück. So ist die Masse des Volkes, welches sich
-jetzt gern das gebildetste in Europa nennen hört, in Ansehung seiner
-Modelectüre ohne Zweifel das roheste von allen.
-
-Wie entzückt Denjenigen, welcher zu lesen versteht, fuhr Walther fort,
-jede, auch die kleinste Novelle des Boccaz, des feinen Cervantes gar
-nicht einmal zu erwähnen. Aber auch die ruhige Klarheit eines Sacchetti
-erfreut, und fast jeder Italiener der früheren Zeit weiß die Sache, die
-er mittheilen will, geschickt vorzutragen. Und so können uns leicht und
-heiter aufgefaßte Geschichten ergötzen, die sonst gar keinen Inhalt
-haben, und manches in dieser Art haben die Franzosen auch sehr glücklich
-geleistet.
-
-Man sollte vielleicht aus unsrer komischen Geldnoth, sagte Ferdinand,
-die uns hier zu bleiben zwingt, eine heitere Novelle bilden können. Zwei
-Reisende treffen zum Beispiel in einem Gasthofe von verschiedenen
-Gegenden her zusammen, sie beleidigen sich, und doch zwingt sie die
-Noth, daß einer sich dem andern eröffnet, um Hülfe von ihm zu begehren;
-nun erfährt jeder vom andern, warum sie sich nicht beistehn können, und
-wie jeder von ihnen in diese lächerliche Verlegenheit gerathen ist.
-
-Recht, rief Walther aus, der eine kann, zum Beispiel, ein Mädchen
-entführt haben, sie wartet auf ihn in einer gewissen Entfernung, wohin
-sie ihn bestellt hat, und er kann nun durchaus nicht zu ihr, weil es ihm
-am Gelde mangelt.
-
-Nicht übel, sagte Ferdinand, doch geriethen wir da vielleicht zu sehr in
-das Sentimentale. Könnten die beiden Fremden nicht Verwandte seyn, aus
-verschiedenen Ländern, die sich gegenseitig aufgesucht haben, und die
-jetzt ein läppischer Zwist daran hindert, sich einander zu erkennen, da
-sie unter erborgten Namen reisen? Es könnte so weit kommen, daß sie sich
-forderten, daß man alle Mühe anwenden müßte, um Diejenigen, die sich
-liebend seit lange suchen, vom mörderischen Kampfe abzuhalten.
-
-Das würde mir darum nicht gefallen, sagte Walther mit verdrüßlicher
-Miene, weil es an die Komödie der Irrungen und an andre Geschichten, die
-auf ähnliche Art verwickelt sind, erinnert. Aber, fuhr er heitrer fort,
-bearbeiten wir jeder auf unserm Zimmer heute und morgen, da wir doch
-nichts anders zu thun haben, diesen Gegenstand und lesen wir uns morgen
-Abend unsre Productionen vor.
-
-Es sei! rief Ferdinand mit Lebhaftigkeit aus, nur Schade, daß wir keinen
-Schiedsrichter haben, der einem von uns den Preis ertheilen möchte.
-
-Jeder begab sich auf sein Zimmer, und Ferdinand, um sich zu zerstreuen,
-schrieb mit Laune und Heiterkeit, obgleich er nicht unterlassen konnte,
-einige Umstände aus seiner eigenen Geschichte einzuflechten. Die Aufgabe
-interessirte ihn dadurch so sehr, daß er unvermerkt dieses und jenes der
-Erzählung hinzufügte, was er um keinen Preis seinem Freunde erzählt
-haben würde. Er meinte aber, so vermischt mit der Erdichtung würde sich
-die Wahrheit als eine solche nicht verkündigen. Walther gab seiner
-Erzählung einen ernsteren Inhalt; aber sowie er fortfuhr, kam ungesucht
-die Aufgabe in die Geschichte, die ihn selbst auf die Reise getrieben
-hatte, nehmlich der Wunsch, einen Gegner, der, nach seiner Meinung,
-Strafe verdiene, aufzufinden; nur machte er aus diesem Gegner einen
-Nebenbuhler, damit sich die Fabel mehr runden möchte.
-
-So waren die Freunde zwei Tage beschäftiget und kamen sehr heiter und
-mit sich selbst zufrieden zum Abendessen zusammen. Nachdem sie gesättigt
-waren, holten sie ihre Manuscripte und Walther sagte: Sie, von welchem
-der Gedanke unsrer Schriftstellerei ausging, müssen Ihre Novelle auch
-zuerst vortragen, damit die meinige alsdann beschließen könne, und
-morgen, nachdem wir geschlafen haben, soll jeder des andern Versuch
-kritisch prüfen und scharf untersuchen.
-
-Ferdinand zog den Tisch, nachdem Alles entfernt war, an sich und fing
-an: _Der Taube von Benevent, Novelle_. -- Wie? rief Walther; ich muß
-mich sogleich als Rezensent melden und Einspruch thun, denn dieser Titel
-schon scheint mir gegen unsre Abrede zu seyn. Ich bildete mir ein, die
-Scene müsse nach Deutschland verlegt werden, und darum habe ich meine
-Erzählung genannt: _Der Weltentdecker in Verlegenheit_.
-
-Auch sonderbar genug, sagte Ferdinand, hinter dem Titel sollte kein
-Mensch die verabredete Aufgabe suchen.
-
-Doch, sagte Walther, ein Reisender, der schon die halbe Welt
-durchstrichen ist, der immer etwas Neues sieht und sucht, und sich nicht
-wenig damit weiß, für Alles Rath zu schaffen und die Menschen zu kennen,
-muß, wie Sie sehn werden, in dem elenden Wirthshause eines kleinen
-Städtchens lange kleben bleiben, und verliert so die wichtigsten
-Vortheile seiner Reise, ja gewissermaßen das Glück seines Lebens. Doch
-ich störe Sie und halte Sie auf.
-
-Ferdinand begann: Es war nicht lange nach jenem berühmten Erdbeben in
-Calabrien, welches so viele Orte zerstört hatte, daß -- --
-
-Hier entstand ein lautes Sprechen draußen, und ein Klopfen an der Thür,
-und der Genius des Verfassers, oder der Zufall wollte nicht, daß
-Ferdinand jetzt seine Erzählung weiter vortragen sollte. Der Fuhrmann
-kam nehmlich zurück und händigte den Freunden ein großes Paket ein. Der
-Herr, sagte er, der gestern mit mir fortreisete, hat mir gleich heut
-Morgen dieses vielfach versiegelte Schreiben eingehändigt und mir auf
-meine Seele befohlen, gleich, gleich zurückzueilen, und es ja noch heut
-Abend, wenn ich auch spät ankommen sollte, in Ihre Hände zu überliefern.
-Und da mich der wackre Herr sehr gut und über meine Erwartung belohnt
-hat, so schien es mir eine Gewissenssache, seine Befehle prompt und
-schnell auszurichten. Ich habe daher auch auf keine Retourgesellschaft
-gewartet, sondern mich eilig aufgemacht, um nicht zu spät anzukommen.
-
-Walther beschied ihn auf morgen, wenn auch nicht sehr zeitig, damit die
-Pferde ausruhen könnten, überzählte, als sie allein waren, die Summe,
-welche Wachtel in Gold überschickt hatte, und las alsdann den Brief des
-Freundes vor:
-
-Hiebei das Nöthige, gleich durch den Kutscher, weil die Post es
-sechsunddreißig Stunden später würde abgeliefert haben. Aber zugleich
-muß ich Euch melden, daß Ihr mich in Dresden nicht mehr treffen werdet,
-denn sowie ich diesen Brief geendigt habe, springe ich mit gleichen
-Beinen in eine schon bestellte Kalesche, und fahre nach Guben, um meinen
-umirrenden Ritterzug zu endigen. Glaubt Ihr denn, Ihr von mir
-leidenschaftlich Geliebteste, daß Ihr niemals langweilig seid? ^Anzi,
-pur troppo^, wie wir Italianisirten zu sagen pflegen. Sapperment noch
-einmal! Ihr vergeßt es ja immerdar, daß ich, wenn ich mich recht
-besinne, ein zärtlicher Gatte bin. Soll ich meine Liebe denn ganz
-vernachlässigen und so in der öden, weiten Welt herumrasen? Wer freilich
-so ledern ist, wie Ihr Beide, so ganz ohne Liebessehnsucht, wessen Herz
-niemals im Enthusiasmus überschwillt, kurz, wer so nur der Gegenwart und
-dem flüchtigen Augenblick lebt, wie Ihr, Nächte am Spieltische
-vergeudet, jungen hübschen Mädchen in allen Ruinen nachläuft, oder wie
-ein Deserteur auf dem hölzernen Esel stundenlang in der russischen
-Drehmaschine unverwandt und stieren Blicks die dürren Bretter einer
-hölzernen Bude anschauen kann, -- solche Leute sind für Schwärmer, wie
-ich einer bin, eine zu trockne Gesellschaft. Mein pochendes Herz treibt
-mich zu meiner Gattin, die gewiß bei jedem Kloß, den sie einrührt,
-dieses meines Herzens gedenkt. Und dann, -- hat das Vaterland, -- meine
-Vaterstadt -- keine Rechte, keine Forderungen an mich? Man verliert in
-dieser Kosmopoliterei allen Sinn für das Einheimische, selbst Heimische
-und Heimelnde; und wenn Ihr auch heimlich gegen mich wart, und Jeder von
-Euch seine Heimlichkeiten vor dem Andern hat, so ist mein heimelndes
-Heimathgefühl, mein Heimweh, viel edlerer Natur. Wenn ich so bei den
-Sägemühlen die frischgeschnittenen Kienbretter roch, -- ha, alle Reize
-meines Guben standen vor mir. Wenn ich den Streusand über ein
-beschriebenes Blatt spritzte, so war mir Das, was der Kuhreigen dem
-biedern Schweizer ist. Kleinstädtisch, voll armseliger Rücksichten wurde
-ich auch in Eurer Gesellschaft; wenn ich mich einmal aufschwingen wollte
-auf den Adlersfittigen meiner Begeisterung, -- was habe ich von den
-kleinartigen, niemals nach vollen Zügen durstigen Seelen aushalten
-müssen! Von der Hippokrene, oder dem musenberauschenden Quell des
-Parnassus soll der Mensch gar nicht, oder recht tief, voll, in den
-mächtigsten Wogen trinken; so sprechen die weisen Alten. Man sei völlig
-nüchtern, -- oder -- nun ja, was? Ihr würdet als Plebejer vielleicht von
-knüppel- oder hageldick, oder was die guten Deutschen sonst noch
-kümmeltürkenartig an den schändlichen Ausdruck »besoffen« anknüpfen,
-sprechen: Sieben ist die böse, aber auch die heilige Zahl, und ein alter
-Jäger hier sagt von einem so Begeisterten: er sei halb Sieben. -- Herr
-Walther kann mir also das Geld, welches er mir noch schuldig ist, nach
-meiner geliebten Vaterstadt senden. Vielleicht besucht mich derselbe
-hohe Mann, sowie der Crucifix- und Nepomuksjäger, der zarte
-katholisirende Ferdinand dort. Wenn derselbe einmal mit christlichem
-Legendencostüm als ein Wegweiser ausgehauen und mit Grün und Gold
-angemalt an die Landstraße gestellt würde, hätte er seine Harmodius- und
-Aristogiton-Statue und Vergötterung verdient und erreicht. Seh ich Euch,
-Freunde, in diesem sterbenden Leben oder in dieser lebenden
-Sterblichkeit noch einmal wieder, so wird es mir immer, so viel ich auch
-höher strebe, einige, wenn auch nicht die größte Freude gewähren.
-
- Wachtel.
-
-Dresden, den 9. August 1803.
-
-Nachdem dieser Brief gelesen war, fragte Ferdinand, ob er jetzt in
-seinem Manuscripte fortfahren solle; doch Walther, der noch mit dem
-Briefe beschäftigt schien, war sehr zerstreut und verstimmt, sodaß er
-kurz aufbrach, ein Licht nahm und seinem Gefährten eine gute Nacht
-wünschte. Als Walther allein war, las er für sich das Postscript noch
-einmal aufmerksam, welches so lautete: -- Indem ich hier im Engel alles
-Dies abfertige, drängt sich ein junger Herr in mein Zimmer, derselbe
-Herr von Bärwald, den wir in der Kirche zu Graupen zu bewundern
-Gelegenheit hatten, und zwingt mir noch diesen versiegelten Zettel für
-den Herrn Walther auf. Er meint, der Inhalt sei für Sie von der
-allergrößten Wichtigkeit.
-
-»In Dresden werde ich die Ehre haben, Sie zu sehn, und Sie werden auch
-Denjenigen kennen lernen, welcher Ihnen einliegendes Blatt sendet.«
-
-Das versiegelte Blatt enthielt folgende Worte: »Den Entführer, welchen
-Sie suchen, können Sie nur den vierzehnten August bei, oder in Guben
-treffen, wenn Sie ihn im Hause des Herrn Wachtel erfragen wollen, wo
-alsdann die sichere Nachricht, wo sich dieser Herr von Linden aufhält,
-Sie erreichen soll.«
-
-Sonderbar! sagte Walther zu sich selbst, also dort soll ich den Elenden
-nun antreffen, von wo gewissermaßen mein Umstreifen in diesen deutschen
-Provinzen begann? Und -- kann ich es mir verleugnen? -- jetzt, nach
-Monaten erscheint mir die Ahndung seiner That und die Bestrafung dieses
-Mannes nicht mehr so nothwendig, wie damals, als ich mich zu diesem
-Geschäfte drängte. Scheint es doch auch, daß mein Vetter in Warschau
-sich längst getröstet hat; indessen habe ich mich einmal damit
-eingelassen und mich dazu verpflichtet, sodaß die kühlere Ueberlegung zu
-spät kommt. Und ist die schöne Maschinka am Ende mit diesem Entführer
-glücklich, so möchte ich mich jetzt fragen, was diese Leiden und Freuden
-mich eigentlich angehn, da die Verwandten des Mädchens, wenn doch einmal
-etwas geschehn sollte, Jenen verfolgen und zur Rechenschaft ziehn
-konnten. Sie haben nicht weniger Muße dazu, als ich. Nun wird also doch
-zum Beschluß meiner Reise eintreffen, was nach meiner Meinung am Anfange
-geschehn sollte.
-
-Nachdem man am andern Morgen mit dem Gastwirth die Rechnung berichtigt
-hatte, fuhr man, als die Hitze schon eingetreten war, nach Freiberg ab.
-Dort verweilten die Freunde nur, um einige Merkwürdigkeiten in
-Augenschein zu nehmen, und kamen, nachdem es schon Nacht geworden war,
-in Tharand an.
-
-Walther freute sich darauf, am folgenden Morgen die Schönheit dieser
-Thäler, des Buchenwaldes und der Aussicht von der Ruine zu genießen, als
-Ferdinand ihm plötzlich ankündigte, er würde noch in dieser schönen
-kühlen Nacht zu Fuß nach Dresden gehn. Die Einwendungen Walther's wurden
-nicht angehört, sondern, obgleich es dunkel war, Ferdinand wanderte
-sogleich wohlgemuth weiter, nachdem er nur eben aus dem Wagen gestiegen
-war. Walther glaubte bemerkt zu haben, daß ein Unbekannter ihm beim
-Ankommen einen Brief überreicht habe, den Ferdinand in größter Hast,
-beim ungewissen Schein eines flackernden Lichtes angesehn habe und durch
-ihn in diese Unruhe gerathen sei.
-
-Zum Argwohn aufgereizt, konnte es Walther nicht unterlassen, dem
-Gefährten, nachdem dieser in der Dunkelheit manchen Schritt voraushatte,
-eilig und ohne Geräusch nachzugehn. Als er das Städtchen verlassen
-hatte, glaubte er in der stillen Einsamkeit Stimmen, ganz nahe vor sich,
-zu vernehmen. Als er weiter schritt, mußte er vermuthen, daß es nur das
-Rauschen des Gebirgstromes sei, welches ihn so getäuscht habe. An der
-waldbewachsnen Bergwand hinwandelnd, glaubte er im Dunkeln eine weiße
-weibliche Gestalt neben einer dunkeln männlichen zu unterscheiden; bald
-überzeugte er sich auch von der Wahrheit, aber es waren Menschen, die
-ihm entgegenkamen und wohl zur Mühle des Ortes zurückwandern mochten.
-Noch mehr wie einmal glaubte er in der Entfernung Klagen, Zank oder
-Gelächter zu vernehmen, und immer wieder mußte er sich überzeugen, daß
-es das Geräusch des kleinen Stromes sei, das ihn in der stillen Nacht so
-getäuscht habe. Beschämt ging er endlich zurück, verdrüßlich über sich
-selbst, daß er sich, ohne etwas erfahren zu haben, zum Horchen und
-Belauschen herabgewürdigt habe.
-
-Am klaren frischen Morgen durchstreifte er die reizenden Gegenden bei
-Tharand, die dem Naturfreunde immer neu und anmuthig bleiben, wenn er
-auch aus der Schweiz oder Tyrol eben zurückkehrt. Diese Thäler, die so
-einsam von der lärmenden Straße entfernt sind, vom köstlichen Waldstrom
-durchrauscht, von schönen Hügeln und Buchen und Tannen bekränzt, sind so
-lieblich, daß man hier gern die weiten Blicke über den schönen Elbfluß
-vergißt. Von der Natur geläutert, Alles, was er in Guben wollte, oder
-gestern Abend ihn bewegt hatte, vergessend, fuhr er dann bei schönem
-Wetter nach Dresden und stieg bald nach der Tischzeit vor dem goldnen
-Engel von seinem Wagen.
-
-Als er sein Geschäft mit seinem Bankier berichtigt hatte, fiel es ihm
-erst auf, daß er seinen Reisegefährten Ferdinand noch nicht war
-ansichtig geworden. Er forschte im Gasthofe nach ihm, aber er hatte sich
-hier nicht, wie die Freunde doch abgeredet hatten, gemeldet. Sonderbar!
-sagte Walther zu sich selbst, ich bin ihm noch eine bedeutende Summe
-schuldig, er hatte, so viel ich weiß, gar kein Geld bei sich, und so
-entschwindet er nun plötzlich, ohne Abschied, ohne Nachweisung, ob und
-wo wir uns treffen können.
-
-Jetzt suchte ihn der junge Baron von Bärwald in seinem Zimmer auf. Was
-mir das leid gethan hat, rief der junge Mensch, daß wir uns vor einigen
-Wochen in Graupen und Teplitz verfehlt haben; ich hätte wahrscheinlich
-die ganze Reise mit Ihnen machen können, und mein Freund, der mit mir
-war, ebenfalls.
-
-Doch wie, fragte Walther, sind Sie auf die sichre Spur jenes Linden
-gekommen?
-
-Eben jener junge Freund, der auch mit mir in Graupen und Teplitz war,
-antwortete der Baron, hat mir umständlich die ganze Geschichte erzählt.
-Er ist mit beiderseitigen Familien, sowohl der des Herrn von Linden, als
-der schönen Maschinka, befreundet. Er steht mit jenen Bekannten in
-Warschau in ununterbrochenem Briefwechsel, und von dort, ich weiß nicht,
-wie, hat er erfahren, daß an jenem Tage, den ich Ihnen meldete, die
-schöne Maschinka sowie der Herr von Linden in Guben seyn werden. Was sie
-dort, oder wohin sie von dort wollen, ist mir freilich unbekannt.
-
-Der bestimmte Tag war ganz nahe. Walther, um nicht mit dem jungen
-ungestümen Baron zu reisen, der sich ihm schon angeboten hatte, schützte
-Geschäfte vor, die er auf einigen Gütern abzumachen hatte, und begab
-sich auf die Straße nach Guben. Die öde Gegend, durch welche er reisete,
-vermehrte seinen Mißmuth.
-
-Am zweiten Tage, als es schon spät am Abend war, erreichte er Guben. Im
-Dunkeln fragte er sich nach Wachtel's Hause hin, aber dieser sowohl, als
-seine Gattin war nicht zugegen, und man wußte, so sagte der Dienstbote,
-nicht, wann sie zurückkommen würden. -- So wollte Walther nach dem
-Innern der Stadt zurückkehren, verfehlte aber, weil er die
-entgegengesetzte Richtung nahm, den Weg und gerieth in die freie
-Landschaft. Es kam ihm nicht darauf an, sich nicht noch etwas zu ergehn
-und abzukühlen. Er gerieth auf eine Wiese und glaubte hinter einigen
-Gebüschen Klagelaute zu vernehmen. Er suchte sich mit Behutsamkeit, um
-im Finstern nicht zu fallen, der Stelle zu nähern, und als er die Worte
-unterscheiden konnte, hörte er deutlich folgendes Gespräch: So raffe
-Dich nur auf. -- Was, raffen! das ist ein dummes Wort! Was kann man an
-sich selber raffen? Hier liegt sich's gut, und ich will wenigstens bis
-zur Regenzeit hier wohnen bleiben. -- Was für ein Kreuz mit solchem
-Mann! Kannst Du denn wirklich gar nicht stehn? -- Als wenn das eine
-nothwendige Sache wäre, wenn man so angenehm liegt, wie ich hier. --
-Wenn nur ein Mensch zur Hülfe in der Nähe wäre! -- Ja, keiner, weil sie
-Alle in meiner Position, wenn auch nicht derselben Situation, in ihren
-Betten liegen.
-
-Walther hatte gleich im Anfang Wachtel's Stimme erkannt, und halb
-gerührt über die Wehklage der Frau, halb lachend über den so ganz
-unverbesserlichen Reisegefährten, ging er näher, um seine Hülfe
-anzubieten, damit der Trunkene so nach Hause geschafft werden könne.
-
-Ach Gott! seufzte die Frau, immer muß so ein fremder Herr als ein Engel
-vom Himmel mir zur Hülfe herbeikommen. -- Mit gemeinsamer Anstrengung
-richteten sie den Taumelnden endlich auf, der in seinem Rausch den
-Reisegefährten nicht wiedererkannte. Walther und die Frau faßten ihn
-unter die Arme und richteten ihre künstliche Wanderung nach der Stadt,
-die aber, so sehr sie den Zögernden auch schoben oder zogen, dennoch nur
-sehr langsam vor sich gehen konnte. Ja, gnädigster Herr, klagte die
-Gattin, er hat sich da, so wunderlich er nun ist, einen höllischen Trank
-verschrieben und kommen lassen, den er die Menschenessenz nennt, und
-behauptet, Abraham und Isaak hätten den Soff schon im Paradiese gehabt.
-So rennt er nun heut so heraus, wie er es treibt, um die Nachtwelt
-aufzusuchen und ihr vorzupredigen, und da denkt er, die dumme Nachtwelt
-antwortet ihm, wenn es die Frösche sind, die im Sumpfe quaken.
-
-Frösche, Sumpf, quaken! rief Wachtel im Zorn: schlechte Worte! Quaken,
-was das ein Mißlaut ist! Und dann, wie einfältig, die ordinäre
-Nachtwelt, zu welcher freilich Frösche, Eulen und Fledermäuse gehören,
-mit meiner Nachtwelt, die ich heut aufgesucht und gefunden habe, zu
-verwechseln! -- Er hielt an, stemmte sich mit aller Kraft an Walther und
-bestrebte sich, ihm in das Gesicht zu sehn. -- Erlauben Sie mir,
-unbekannter Herr Menschen-, aber nicht Wortführer, Ihnen eine
-authentische Nachricht von jener Begebenheit zu geben, welche diese
-Person, die eine Frau und zugleich meine Frau ist, ziemlich confuse
-vorzutragen sich bemüht, als ob sie keine Frau, sondern ein Narr wäre.
--- Jetzt ging er wieder weiter, mit seiner ganzen Schwere auf Walther
-gestützt, der schon, von der Anstrengung erhitzt, häufigen Schweiß
-vergoß. -- Sie werden es oft empfunden haben, fuhr Wachtel, etwas
-lallend fort, daß der denkende Mann mit seiner Gegenwart und der ganzen
-Zeit unzufrieden ist. Alles, was wir denken, wissen, wollen, die
-edelsten Bestrebungen unsers bessern Menschen, auch wenn wir nicht
-soeben die echte Menschenessenz genossen haben, legen wir sauber hin auf
-den großen Ladentisch dieser alten Krämermadam, der Zeit. Sie sitzt nun
-immer da, mit der Brille auf der spitzen Nase und die blöde gewordenen
-Augen aufreißend und zukneifend, und sucht aus und wählt, hebt auf und
-registrirt, schreibt ein und streicht aus, und weiß vor vielem Thun und
-Wissen nicht, was sie thut, und vergißt immer wieder, was sie sich
-merkt. Die Kunden stehn vor dem Tisch übelgelaunt da und fordern und
-fragen, und erhalten nichts oder nur schlechtes Zeug. Der will vom
-feinsten Battist und kriegt alten, abgelegenen Cattun in die Hände, der
-will eine schöne politische Blondengarnitur, und die dumme Alte schiebt
-ihm ein verwittertes, längst aus der Mode gekommenes legitimes
-Haubenmuster hin, mit erstickter Stickerei und ausgewaschenen Knötchen.
-Treffliches Westenzeug möchte der recht blank und glänzend sich
-aneignen, und alten Hosencamelot aus Osten steckt sie ihm zu. Die beste
-reformirte Religionskräuselei und Krause fordert der, und sie will ihn
-mit schlechtem steifgestärkten moralischen Pietismus abspeisen. Schreit
-der nach der einfachen Kunst ohne Form und Gesetz, ein Bildwerk für des
-Herzlichsten Herz, so fährt sie ihm mit einer alten Mosaik entgegen,
-lauter zusammengesetzte schroffe Einzelheit; der will das Platonische,
-sie giebt ihm das Platte oder höchstens Plattirte: Lucretius und
-Lucretiensaft, Archangel und Erzengel, Peter Madsen und Matthison,
-Shakspeare und Käsebier, Racine und Ratzen, Alles verwechselt die dumme
-Creatur. Die Käufer laufen fort, die besten Arbeiter wollen ihr nichts
-mehr liefern, denn sie verzettelt die schönsten und edelsten Zeuge, daß
-sie unter den großen Ladentisch fallen, wo nachher sich Hunde und Katzen
-ihre Nester drin bauen. Und die Nachwelt -- nun, die steht in der Ferne,
-sperrt das Maul auf, und wünscht doch etwas aus unsrer Zeit zu
-überkommen. Den Unfug hatte ich nun lange geduldig mitangesehn, und
-hatte mich überzeugen müssen, daß die gute Nachwelt nur Schund und
-Schofel, Spreu und Asche, Sägespäne (die auch vielleicht für Shakspeare
-ausgeschrien werden) und Kohlenstaub in Magen, Herz und Gehirn kriegen
-wird. So, gestärkt durch einen starken Zug aus dem Quell der
-Begeisterung, machte ich mich heut an diesem heißen Tage, an welchem das
-Thermometer hoch auf Zukunft steht, auf, um mit der Nachwelt selbst zu
-sprechen und ihr im voraus die Lehren, Gedanken und Winke zu
-überliefern, die ich für die besten unsrer Tage halte. Dort in der
-Einsamkeit des Waldes fand ich sie denn auch, sie hatte sich's bei der
-großen Hitze bequem gemacht, und war fast ohne Hülle, sie war so
-aufgelöst und auseinander gequollen, daß sie in der That in unsre
-Gegenwart, die sich auch hatte gehn lassen, hineinreichte. Sie nahm
-alles von mir gütig auf und sagte freundlich zu Allem Ja; sodaß unsrer
-Enkel Enkel durch meine redliche Bemühung doch etwas von den guten
-Fabrikationen unsrer Zeit ungefälscht erhalten haben. Und dies, mein
-geehrter Herr Lieutenant, der Sie im Gehn gewissermaßen meine Stelle
-vertreten und mein Treten wieder übergehn müssen, ist Das, was der
-vorige einfältige Berichterstatter als Nachtwelt, als Sumpf, als Frosch
-und Quaken charakterisiren wollte. Sie aber, erleuchteter Mann, sehn
-jetzt genau ein, wie Alles zusammenhängt. -- Sollten wir nicht aber
-schon in der Stadt und vor meinem derzeitigen Hause seyn?
-
-Und so war es in der That. Der Trunkene dankte für die Ehre der
-Begleitung, die ihm ein fremder Mann in so später Nacht erwiesen hatte,
-und ging mit der Frau in seine Thür, wo ihn ein Diener und die Magd
-schon erwarteten.
-
-Am andern Morgen war Wachtel ganz ernüchtert, als Walther zu ihm
-eintrat; er konnte ihm über Alles Rede und Antwort geben, was dieser nur
-zu wissen begehrte. Es ist wirklich wahr, erzählte er, das junge, schöne
-Frauenzimmer, welches schon einmal bei uns gewohnt hat, ist wieder hier
-durchgekommen und hat wieder eine Nacht oben geschlafen; ein alter
-Diener und eine Magd, welche mit ihr waren, nannten sie Maschinka. Sie
-war wieder ebenso eilig, wie damals, sodaß ich sie fast gar nicht gesehn
-habe, und ist dann über die Oder gegangen. Aber ein junger Mann hat sich
-auch gemeldet und nach Ihnen gefragt, Sie möchten nur an Herrn von
-Linden ein Billet schreiben, so würde dieser sich gewiß in den nächsten
-Stunden stellen, im Fall Sie ihn nur an der Oder erwarten möchten.
-
-Wachtel schrieb also einige Zeilen, welche binnen kurzem auch wirklich
-abgeholt wurden. Der Herr von Bärwald stellte sich ebenfalls ein und bot
-sich zum Sekundanten Walther's an, und Wachtel, der ängstlich um seinen
-Reisegefährten war, ließ es sich nicht ausreden, diesen ebenfalls zu
-begleiten.
-
-Sie hatten sich einen Platz an der Oder zur Ruhestätte erwählt, nachdem
-sie den Wagen verlassen hatten, von wo sie einen großen Theil des
-Flusses übersehn konnten und gegenüber die sogenannte Kretschem vor sich
-hatten. Als es etwas kühler wurde, sahen sie, wie die Fähre
-herüberruderte. Sie bemerkten, daß eine elegante herrschaftliche Kutsche
-darauf stand, und wie das Fahrzeug näher kam, unterschieden sie, wie
-zwei Männer, Arm in Arm, da standen und nach dem Ufer hinüberschauten.
-Der ältere und größere glänzte in einer reichen Uniform.
-
-Man war nicht wenig verwundert, als Walther und Wachtel beim Anlanden
-der Fähre in dem jüngeren Manne ihren Freund Ferdinand erkannten. Man
-umarmte sich und Ferdinand sagte eilig: ich kann hier bei Ihnen nicht
-verweilen, denn mich erwartet ein dringendes Geschäft, welches ich erst
-abthun muß, dann wollen wir uns sprechen.
-
-Mit mir ist es eben so beschaffen, erwiederte Walther; aber wir sehn uns
-hoffentlich bald wieder und verbringen in der Stadt den Abend fröhlich
-mit einander.
-
-Der General, denn dies war der angesehene Fremde, mischte sich in das
-Gespräch und der junge Herr von Bärwald, der nicht Zeit und Umstände
-gern berücksichtigte, brach mit der Nachricht heraus, daß Walther auf
-einen Herr von Linden wartete, um mit diesem ein Duell auszufechten.
-
-Ferdinand trat mit Erstaunen von Walther zurück, und der General rief
-aus: Wie? Sie sind jener Herr von Hellbusch, der meinen Neffen gefordert
-hat?
-
-So ist es, erwiederte Walther, dieses ist auch mein wahrer Name, ich
-reisete unter einem erborgten, um, wie ich mir einbildete, besser
-beobachten und, selbst weniger bemerkt, Nachrichten einziehn zu können.
-
-Sonderbar! höchst sonderbar! rief jetzt Ferdinand aus: ich nahm drüben
-und in Warschau den Namen Linden an, um mich nachher in Deutschland
-leichter den Nachforschungen meiner Gegner und den Verwandten meiner
-Frau entziehn zu können.
-
-Frau? fragte Walther jetzt mit der größten Lebhaftigkeit. Allerdings,
-sagte der General lächelnd, vor drei Tagen ist meine Nichte Maschinka
-meinem guten Neffen Ferdinand drüben im Preußischen in meiner Gegenwart
-und auf mein Wort und meine Bürgschaft, als seine rechtmäßige Gemahlin
-angetraut worden. Und Sie, Herr von Hellbusch (indem er sich an Walther
-wendete), können mit dem besten Gewissen Kampf und Krieg aufgeben, denn
-Brüder und Verwandte sind durch meine Vermittlung mit dem neuen Gatten
-ausgesöhnt, und Ihr Vetter, welcher Ansprüche auf Maschinka zu haben
-glaubte, hat sich ebenfalls verheirathet.
-
-Da Alles sich so gefügt hat, sagte Walther, so bin ich der glücklichste
-aller Menschen; denn ich darf den Mann als Freund umarmen, den zu lieben
-und hochzuschätzen mir schon längst auf meiner Reise zum Bedürfniß
-geworden war.
-
-Indem öffnete ein Jäger den Schlag der Kutsche und eine schöne Dame
-stieg aus derselben, um Walther höflich zu begrüßen. Wachtel, der sie
-mit Verwundrung angesehn hatte, rief aus: Ei, wie kann man denn so
-reizend seyn! das heißt mit dem Schönsein kein Maß halten! Das versteht
-meine Frau viel besser, die sich wohl hütet, die häßlichste auf der Welt
-zu seyn. Aber eigen ist es zugegangen, daß zwei Menschen, die sich als
-Todfeinde verfolgen, ein paar hundert Meilen in ein und demselben Wagen
-so gelassen und schläfrig neben einander sitzen.
-
-Jetzt nahm Ferdinand das Wort und erzählte, wie Maschinka seinetwegen
-ihre Familie verlassen und in Angst nach Deutschland herübergekommen
-sei. Sie fürchtete, zu einer Verbindung gezwungen zu werden, und da der
-Oheim abwesend war, so wußte sie keinen andern Rath, als sich den
-Ihrigen, welche sie tyrannisirten, zu entziehen. Ferdinand war
-vorangegangen, um einen sichern Aufenthalt zu suchen. So kam sie über
-die Oder, und von einem Briefe einer Freundin gelenkt, suchte sie sich,
-wenn auch nur auf kurze Zeit, bei der Gattin Wachtel's zu verbergen, der
-die Freundin sie empfohlen hatte, ohne von ihren Schicksalen etwas
-Näheres zu melden. Hier erfuhr sie, daß man ihr nachstelle, daß ein
-Vetter des Mannes, dem sie hatte vermählt werden sollen, von Warschau
-ihr nachgereiset sei, und daß die Brüder dieses aufdringlichen
-Bräutigams sie ebenfalls suchten. Sie war also, nachdem sie ihrem
-Geliebten eine kurze Nachricht nach Madlitz gesendet hatte, schon wieder
-entschwunden, als dieser nach Guben kam.
-
-Ich habe die gnädige Erscheinung damals, wie jetzt, sagte Wachtel, nach
-meinen besten Kräften beherbergt.
-
-Meine Braut und jetzige Gattin, erzählte Ferdinand, wußte von meiner
-Irrfahrt, sie war mir immer um einige Stationen voraus, und so trafen
-wir uns, um Abrede zu nehmen, in dem alten Schlosse Glich, oberhalb
-Bamberg, wo sie in der Maske eines Förstermädchens erschien. Hier hatte
-ich Gelegenheit, das Nähere mit ihr zu besprechen, und wir nahmen die
-Abrede, in Würzburg oder Heidelberg uns zu verbinden.
-
-Sieh! sieh! rief Wachtel aus, drum! drum! Ei ja freilich, es ist auch
-dasselbe hübsche Gesichtchen. -- Er sah hiebei Walther mit einem
-bedeutenden Blicke an, und dieser lächelte halb verlegen.
-
-In Würzburg aber, erzählte Ferdinand, kam ein junger Pole, der Begleiter
-eines Herrn von Bärwald, meiner Geliebten auf die Spur. Er machte
-Anstalt, sich ihrer zu bemächtigen, und sie, benachrichtigt davon, rief
-mich auf zur Hülfe, da sie mich in jene Bude hatte eingehn sehn, wo wir
-uns, kindisch genug, mit einer russischen Schaukel ergötzten. In der
-Bude aber stand, ohne daß ich es wissen konnte, neben dem Herrn des
-Kunststückes, eben dieser junge Pole, der meine Braut persönlich kannte,
-und ihren Namen laut ausrief, als sie in die Bude hineinblickte. Alles
-stürzte ihr nach, ich aber, als der Schnellste, fand Mittel, sie im
-Getümmel des Jahrmarktes zu verbergen und vor den Nachstellungen zu
-retten.
-
-Ei! rief Wachtel aus, unser Freund Walther, welcher den Jungfrauenraub
-zu bestrafen ausgereiset war, saß indessen mit eingelegter Lanze hoch
-oben wie ein rächender Gott in der einsamen Bude.
-
-In Heidelberg, fuhr Ferdinand fort, erfuhr ich endlich aus ihren
-Briefen, daß unser gütiger Onkel sich unser annehmen und Alles
-schlichten wolle, nur machte er es zur Bedingung, daß wir umkehrten, um
-nicht als Abentheurer in fremden Regionen den Ruf meiner Geliebten
-unnöthig auf das Spiel zu setzen. In eines jungen Gelehrten, Keyser's,
-Gesellschaft, welcher seine Braut besuchte, sprach ich die geliebte
-Maschinka, und wir beredeten unsre Rückreise. Aber wir durften uns noch
-nicht vereinigen, um uns nicht dem Ungestüm der Verwandten, welche uns
-verfolgten, auszusetzen. Ich hatte in Briefen und aus dem Munde meiner
-Braut von einem wüthenden und rachsüchtigen Hellbusch gehört, und konnte
-mir nicht träumen lassen, daß dieser derselbe freundliche Mann sei, an
-dessen Seite ich die schöne Reise durch Deutschland machte. So kehrten
-wir denn um, und schrieben hie und da Merkworte ein, die der Andre fand
-und die kein Fremder verstehen konnte. In der Höhle von Liebenstein
-trafen wir uns an jenem schönen Sonntage, und dort, als ich mich hatte
-von der Barke auf dem unterirdischen Gewässer übersetzen lassen, sprach
-ich im Dunkel, und von der ganzen Welt abgesondert, meine Geliebte. Bei
-Tharand bestellte sie mich und ich traf sie in der Nacht dort im schönen
-Thal. Sie reisete sogleich hieher nach Guben, ihrem gütigsten Oheim
-entgegen, und der großmüthige Mann hat auch mich seinen Neffen genannt
-und durch seine Güte alle die Irrsale geschlichtet. --
-
-So fuhren sie nach Guben zurück und ergötzten sich an den kleinen
-Begebenheiten ihrer Reise. Von dort begaben sie sich mit dem Oheim nach
-der Schweiz, und Walther, welcher seinen Reisegefährten Ferdinand
-herzlich liebgewonnen hatte, bat sich die Erlaubniß aus, mit ihnen
-reisen zu dürfen, um in ihrer Gesellschaft einige Zeit in dem schönen
-Lande dort zu leben.
-
- * * * * *
-
-Es waren zehn Jahre verflossen, als dem Erzähler dieser Geschichte
-Walther und Ferdinand wieder begegneten. Die seltsamen Begebenheiten des
-Befreiungskrieges hatten uns in Prag im Sommer des Jahrs 1813 vereinigt.
-Ferdinand war mit seiner Frau, die noch immer schön zu nennen war,
-glücklich, er hatte einige allerliebste Kinder, mit denen er gern
-spielte. Auch Walther war verheirathet, und wir erfreuten uns Alle des
-Wiedersehns und der erneuten Vertraulichkeit. Nur war es mir merkwürdig,
-daß der schwärmende Ferdinand jetzt ein eifriger, möcht' ich doch sagen,
-einseitiger Verfechter der protestantischen Lehre war, und Walther im
-Gegentheil war zur katholischen Kirche übergetreten und mit vollem Ernst
-und ganzem Herzen ein Bekenner ihrer Glaubens-Artikel.
-
-Wie dieses sich zugetragen hatte, läßt sich vielleicht in Zukunft
-mittheilen, da es für denkende Leser, die selbst etwas erlebt haben,
-nicht ohne Interesse seyn dürfte. Auch läßt sich um so unparteiischer
-diese Seelengeschichte erzählen, da beide Freunde, sowie der dritte, der
-humoristische Wachtel, vor Jahren nach Italien gereiset sind, und dort
-froh und glücklich leben. Als heitre Beilage und Episode dürften alsdann
-auch die beiden Novellen, welche die freundlichen Feinde, die sich als
-solche nicht kannten, im Gasthofe zu Chemnitz ausarbeiteten, nicht
-unwillkommen seyn.
-
-
-
-
- Die Wundersüchtigen.
- 1831.
-
-
-Der Geheimerath von Seebach lebte in seinem großen, wohleingerichteten
-Hause glücklich in der Residenz. Da er reich war und eine angesehene
-Stelle bekleidete, viele Verbindungen hatte, und eine große
-Correspondenz führte, so war bei ihm oft der Sammelplatz angesehener und
-merkwürdiger Fremden und Reisenden. Häufig aber waren unter diesen
-Besuchenden auch solche Gestalten, die von seiner Familie weniger gern,
-oder nur mit Mißtrauen gesehen wurden, weil der Rath früher ein Mitglied
-mancher Gesellschaften gewesen war, die sich höherer Kenntnisse oder
-wunderbarer Geheimnisse rühmten, und obgleich der thätige Geschäftsmann
-schon seit Jahren alle diese Verhältnisse aufgelöset, und sich von
-diesen Verbindungen zurückgezogen hatte, so sorgte die Tochter, die den
-Vater genau kannte, doch immer, daß irgendwo ein Faden wieder
-aufgenommen werden möchte, der nicht zerrissen war, um Verwicklung,
-Zeitverlust, oder auch wohl Kummer zu veranlassen. Der lebhafte, heitre
-Sohn war gegen viele Wanderer mehr deswegen eingenommen, weil ihr
-Einsprechen dem Rathe manches Geldstück kostete, denn so wie er die
-Geheimnisse und Wunder verlachte, war er doch neugierig genug, immer
-wieder auf die Erzählung von seltsamen Entdeckungen oder unbegreiflichen
-Begebenheiten mit Eifer hinzuhören.
-
-In alten Papieren kramend, saß der Rath an seinem Schreibepulte, und
-neben ihm Anton, sein Sohn, ihm gegenüber sein Schwiegervater, der
-Obrist von Dorneck, der schon seit lange seinen Abschied genommen hatte.
-
-Ich kann das Dokument nicht finden, sagte der Rath endlich unwillig, und
-begreife nicht, wie, oder wohin es kann verloren seyn. In diesem fatalen
-Prozeß, der mich nun schon seit zwei Jahren beunruhigt, gilt es mir die
-volle Summe von zwanzigtausend Thalern, wenn ich diesen wichtigsten
-Beweis nicht herbei schaffen kann.
-
-Der Obrist erwiederte: Lieber Sohn, ich bin überzeugt, daß Sie es
-irgendwo recht sorgsam hingelegt haben, weil es Ihnen eben so wichtig
-war, und daß Ihre Geschäfte Sie nur den Ort haben vergessen machen.
-Geben Sie sich Ruhe, und es fällt Ihnen wohl am ersten bei, indem Sie
-gar nicht darüber denken, wie es mit Namen von Menschen so oft geht, die
-wir durchaus nicht wieder finden, indem wir es von uns erzwingen wollen,
-und die uns dann plötzlich, ungesucht, indem wir zerstreut, oder
-unterhalten sind, wieder beifallen.
-
-Sie mögen Recht haben, antwortete der Rath; soll sich aber ein
-Geschäftsmann solcher Vergeßlichkeit nicht schämen? Ich habe niemals die
-zerstreuten Menschen leiden mögen, und nun muß mir selbst dergleichen
-begegnen.
-
-Anton warf ein: wenn wir jetzt nur den berühmten Grafen Feliciano hier
-hätten, von dem so viele Wunderdinge erzählt werden, so könnte er mit
-einer einzigen Geisterbeschwörung die Sache aufhellen und in Ordnung
-bringen.
-
-Gewiß, sagte der Obrist, wenn er sich zu uns herablassen wollte, denn
-Bücher, Zeitungen und Briefe seiner Freunde erzählen ja Dinge von ihm,
-die noch viel wundervoller sind, als dies kleine Mirakel, das er auf
-unser inständiges Bitten vielleicht verrichten möchte.
-
-Der Rath schwieg, indem er wieder eifrig suchte. Was sind das für
-Figuren da? fragte der Sohn, indem er nach einem Blatte langte.
-
-Du bist zwar kein Eingeweihter, erwiederte der Vater, indessen ist das
-Papier auch nicht von denen, durch welche ich eine Indiscretion begehe,
-wenn Du es betrachtest. Vor vielen Jahren hat ein Freund, ich weiß nicht
-aus welchem astrologisch-magischen Zauber-Manuscript, mir diesen Unsinn
-als denkwürdig abgeschrieben.
-
-Bin ich auch kein Geweihter, erwiederte der Sohn, so habe ich doch, wie
-Sie wissen, so Manches über diese Verbrüderung gelesen, so manche
-kabbalistischen Manuscripte durchblättert, daß mir gerade der Unsinn
-mancher Leute nicht ganz fremd ist, wenn er mir auch immer
-unverständlich bleibt.
-
-Die Figur war eigentlich eine vieleckige, in Gestalt eines Sternes. Die
-meisten Linien waren Zeilen, theils Sprüche der Bibel, theils Gebete,
-manche auch wundersame Namen, die, wie man sah, Geister bezeichnen
-sollten, nach allen Richtungen begegnete sich das Wort Abracadabra, bald
-in einzelnen Sylben und Buchstaben, bald vor-, bald rückwärts
-geschrieben, bald von Sternzeichen, Hieroglyphen und andern seltsamen
-Figuren unterbrochen. In der Mitte las man Adonai, gegenüber Jehovah,
-mit lateinischen und auch mit hebräischen Lettern geschrieben. Auf der
-Rückseite war bemerkt, daß dieses heilige Amulet von vielfältigem
-Gebrauche sei, im Kriege wie gegen Krankheit, vor Einwirkung der bösen
-Geister schütze, und Demjenigen, der die Kunst inne habe, Geister
-herbeizurufen, unentbehrlich sei.
-
-Der Rath und der Obrist lachten, als der junge, stets heitre Anton das
-aberwitzige Blatt mit so ernsthafter, tiefsinniger Miene betrachtete.
-Ich will ein andermal auch über diesen Unsinn spotten, unterbrach sie
-Anton, aber gestehen Sie mir nur ein, daß das Ding auch eine ernsthafte
-Seite habe, die man wohl in Betrachtung ziehen dürfe. Nicht wahr,
-derselbe Menschengeist, der fähig ist, Philosophie und Kunst zu
-umfassen, der die Bahn der Sterne berechnet und die Unermeßlichkeit des
-Himmels mißt, der in Liebe und Andacht sich dem Ewigen nähert, --
-derselbe hat auch dieses Blatt so umrissen, bekritzelt und durchfurcht
-mit einer thörichten Lüge, die doch irgendwo im Anfang mit der Wahrheit
-zusammen hängt, in dieser nur wurzelt, und aus dem Guten als
-stachlichtes Unkraut empor gewachsen ist.
-
-Das mag seyn, nahm der Obrist das Wort, denn alles Schlechte und
-Nichtige keimt wohl aus dem Guten; nur möchte es schwer zu entdecken
-seyn, wo und wie es Lüge und Thorheit wird.
-
-Der Rath war ebenfalls plötzlich ernsthaft geworden, und fügte hinzu:
-das ist eben die große Frage, ob das Böse ein zeitliches, oder ewig sei.
-Ein Nichts ist es, und wird, vom Menschengeist erweckt, ein Ungeheures,
-nimmt von diesem Kraft und Thätigkeit, und wandelt als Schicksal und
-Unglück umher, das Länder verwüstet und Tausende opfert. Wahrlich, hier
-möchte das Auge das Herbeirufen von Geistern aus dem Abgrunde, das
-Beleben eines Todtenreiches wahrnehmen können, viel größer und
-wundersamer als Alles, was man von alten oder neuen Thaumaturgen
-erzählt.
-
-Sie meinen, wenn ich Sie recht verstehe, antwortete Anton, daß durch die
-Leidenschaften der Menschen, die sich in das Unwahre oder dem Nichts
-ergeben, die Weltgeschichte großentheils durch Gespenster regiert und
-fortgetrieben wird, die, wenn sie nicht im wilden Kampf der Verwirrung
-aufgeweckt werden, unsichtbar bleiben, oder höchstens nur Erscheinungen
-sind, über welche der Spekulant oder Witzige gutmüthig lächeln möchte.
-Wenn mir dies auch wahr scheint, so ist es mit diesem Blatte hier denn
-doch etwas anders.
-
-Eigentlich nicht, sagte der Vater: denn dasselbe, was hier nur Spiel
-ist, hat auch schon zum Feldgeschrei und Panier der Schlachten gedient.
-Es wäre zu wünschen, daß der böse Geist mit allen seinen Wirkungen sich
-immerdar in solchen Galimathias hinein zaubern ließe. Aber er wird auch
-von dergleichen Kinderei irgend einmal wieder erweckt, und so fluthet
-und ebbet die Masse der Erscheinungen hin und her, und das eigentliche
-Fortschreiten, das wahre Besserwerden der Welt ist nur aus einer weiten
-Ferne wahrzunehmen.
-
-Ich werde mir dieses künstlich verzauberte Blatt in geweihter Stunde an
-meinen Hals hängen, sagte Anton, so durch alle Gemächer des Hauses um
-Mitternacht schreiten, und so hoffe ich jenes Dokument zu entdecken, das
-uns Allen so wichtig seyn muß.
-
-Nein, sagte der Obrist, gieb es mir, lieber Enkel: von alten Zeiten bin
-ich noch mit den Leuten in Verbindung, die jetzt in der Residenz des
-Nachbar-Landes wieder anfangen, sich auszubreiten. Ich meine jene, die
-sich für die rechtgläubigen Brüder halten, und die vernünftigen
-verlästern und verfolgen. Immer erhalte ich noch Briefe und Anmahnungen,
-mich ihnen wieder anzuschließen. Diesen kann ich vielleicht mit dieser
-sinnverwirrten Schrift ein angenehmes Geschenk machen.
-
-Nehmen Sie es, sagte der Rath, so ist in meinem Hause eine Thorheit
-weniger. Man erzählt, daß sich diese abergläubischen Menschen aus leicht
-zu errathenden Absichten an den Erbprinzen dort drängen, um sich ihm
-angenehm und unentbehrlich zu machen. Wer weiß, was uns die Zukunft noch
-für Erscheinungen zeigt, welcher Aberglaube sich von Neuem entwickelt,
-so sicher wir jetzt zu seyn glauben, und, wenn ich meiner Aengstlichkeit
-folgte, so möchte ich darum das Papier nicht aus meiner Hand geben. Es
-kann auch Schaden stiften, so kindisch es ist.
-
-Lassen Sie, lieber Sohn, sagte der Alte, beunruhigen Sie Ihren Geist
-nicht, wenn dergleichen auch geschehn könnte, so ist es doch nur wie ein
-Steinwurf ins Wasser. Der Kreis wird immer größer, aber verliert sich,
-wenn er sich am weitesten ausgebreitet hat. So lange noch solche Geister
-in Deutschland regieren, wie hier uns nahe Friedrich der Zweite, und
-dort Joseph der Zweite, so lange noch ein Mann wie Lessing schreibt und
-wirkt, haben wir Nichts zu fürchten. Und warum sollen denn unsre
-Nachkommen eben wieder ausarten?
-
-Er schlug lächelnd das Papier zusammen, und freute sich schon im Voraus,
-welche Erquickung Viele in jener Brüderschaft aus ihm ziehen würden, die
-sich für Rosenkreuzer und Adepten hielten, und so ernsthaft nach dem
-Stein der Weisen forschten, wenn, wie der Obrist zu verstehen gab, auch
-wohl Einige unter ihnen seyn mochten, die das Spiel nur mitmachten, um
-andere, irdischere Zwecke durchzusetzen.
-
-Friedrich der Zweite, fing der Rath wieder an, ist alt, vielleicht auf
-der Neige, und es ist möglich, daß er bald abgerufen wird. Wissen wir
-denn auch, wie jene Gesellschaften, über die wir jetzt nur lächeln,
-verbreitet sind, wie sie in Zukunft ihre Netze weit hinausspinnen mögen?
-Daß andre Brüderschaften gegen sie kämpfen, mag an der Zeit und
-nothwendig seyn. Wie glücklich, daß ich alle diese Dinge, die mich
-früherhin interessirten, und mein Leben in Bewegung setzten, hinter mir
-habe, und auf alle diese Strömungen mit klarem gleichgültigen Auge hinab
-sehn kann.
-
-Der Bediente gab einen Brief ab, der eben von der Post gekommen war. Das
-Siegel war wunderlich, und als der Geheimerath den Brief durchgesehn
-hatte, sagte er: nun wahrlich, sonderbar genug! Nicht gerade der
-berühmte Wunderthäter Graf Feliciano wird zu uns kommen, aber doch ein
-andrer seltsamer Mann, von dem auch schon oft die Rede gewesen ist:
-jener Sangerheim, der sich ebenfalls berühmt, große Geheimnisse zu
-besitzen, der auch Geister erscheinen läßt, Todte und Abwesende befragt,
-und einen neuen Orden gründet.
-
-Anton freute sich, da er vernahm, daß dieser Wundermann ihr Haus zuerst
-besuchen würde, aber der alte Obrist Dorneck wünschte, daß man sich mit
-dem Abentheurer nicht einlassen möge. Sie wissen, lieber Sohn, beschloß
-er, wie ängstlich Ihre Frau und Ihre Tochter bei solchen Gelegenheiten
-sind, und es ist wahr, man kann niemals wissen, welches Unheil uns mit
-solchen wirren Geistern über die Schwelle schreitet. Sie haben ihre
-Bestimmung darin gesetzt, die Menschen zu täuschen, und es ist nicht zu
-berechnen, auf welche Art sie hintergehn, welche Schwächen, die wir
-selbst nicht kennen, sie benutzen und erwecken, und wie weit wir in
-ihren Wandel verflochten werden.
-
-Seien Sie ganz ruhig, lieber Vater, sagte der Rath heiter; dieser Brief
-macht es mir unmöglich, den wunderlichen Mann ganz abzuweisen, um so
-weniger, da ich so vielen Andern mein Haus schon eröffnet habe; diese
-Bekannten, die ich achten und schonen muß, und die mir diesen Mann so
-dringend empfehlen, würden mein Betragen unbegreiflich und sich
-beleidigt finden.
-
-Und, gestehn Sie nur, lieber Vater, rief Anton im frohen Muthe aus, daß
-Sie eben so neugierig sind, wie ich. Nein, er komme nur, der große
-Wundermann, er prophezeie uns, er zeige uns Geister, er grabe Schätze,
-was und so viel er will, wir wollen Alles dankbar von ihm annehmen. Ist
-doch außerdem schon lange nichts Neues vorgefallen, ist doch im ganzen
-Europa Friede. Wollen sich die Lebendigen nicht rühren, so müssen die
-Todten in Bewegung gesetzt werden.
-
-Als die Mutter und Tochter bei Tische diese Neuigkeit erfuhren, nahmen
-diese die Sache weniger heiter und leicht auf, als die Männer. In ihrem
-stillen Rath war vorzüglich Clara verdrüßlich und verstimmt. Wohin,
-sagte sie fast weinend zur Mutter, soll es nur führen, daß wir unser
-Leben so gar nicht für uns selbst einrichten und ableben sollen? Der
-Vater hat nun, wie er sagt, alle diese Verbindungen aufgegeben, und ist
-doch seitdem neugieriger und gespannter auf Alles, was in dieser Art
-vorgeht, als ehemals, -- und mein Verlobter, dieser gute Schmaling, die
-Leichtgläubigkeit selbst. Ist es wohl recht, den Wunderglauben dieses
-Jünglings immer von Neuem aufzuregen? Wissen wir denn, wie weit diese
-Sucht gehn kann, oder vermögen wir es, ihr Schranken zu setzen? Wenn ich
-nachher unglücklich bin, Schmaling verwirrt, und leidenschaftlich
-aufgeregt, mit den geheimnißvollen Menschen verflochten: wird mir denn
-ein Trost meines Vaters, oder ein Spaß meines leichtsinnigen Bruders
-ersetzen können, was ich verloren habe?
-
-Der Obrist trat zu ihrer kummervollen Berathung und sagte, nachdem er
-die Klagen gehört hatte: Uebertreibt nicht die Sache, Kinder, hier meine
-verständige Tochter, Deine Mutter, kennt ja Deinen Vater, liebe Clara.
-Und Schmaling wird Vernunft und guten Rath annehmen, er ist kein Kind.
-Glaube mir, meine liebe Tochter, es ist nicht gut, wenn man immerdar dem
-Menschen alle Steine, an die er sich stoßen könnte, aus dem Wege zu
-räumen sucht. Jede Leidenschaft in uns, die es wirklich ist, muß
-wachsen, reifen, und sich selber erkennen lernen. Der Mensch muß sie
-dann aus eigner Kraft, nicht bloß durch fremde Hülfe zu überwinden
-vermögen. Dann wird das, was wohl als Thorheit erscheinen mochte, oft
-Kraft und Charakter, und der Mann gewinnt in dieser Schule gerade seinen
-edelsten Besitz. Wird er aber in der Jugend gehindert, ganz sich in
-seinen Gelüsten kennen zu lernen, erfährt er gar nicht, wohin sie ihn
-führen können, so bleibt er Zeitlebens ein Näscher, der immer wieder von
-Neuem der Verführung ausgesetzt ist.
-
-So muß, sagte die Mutter, dies die Geschichte meines Mannes seyn. Denn
-glauben Sie mir nur, Vater, stelle er sich, wie er will, hätte er nicht
-die vielen Geschäfte, die ihm sein Amt auferlegt, und die ihm oft die
-Nächte rauben, so würde er mit Heftigkeit Alles, was sich ihm aus dieser
-sonderbaren Gegend des Geheimnisses anbietet, ergreifen. Er meint,
-diesen Wunderglauben, die Geheimnißkrämerei, ganz überwunden zu haben,
-aber ich habe ihn seit so vielen Jahren beobachtet, und kenne ihn
-besser, als er sich selbst: Alles reizt, Alles beschäftigt ihn. Er
-spräche vielleicht nicht so oft, und mit solcher Bestimmtheit über diese
-Gegenstände, wenn er seiner selbst ganz sicher wäre. Sie haben sich oft
-verwundert, warum ich mit Ihnen und andern Freunden nicht in den Wunsch
-einstimme, daß er seine Stelle niederlegen und auf dem Gute leben
-möchte: ich kann es nicht, aus Furcht, er könne sich in andre Geschäfte
-und Arbeiten dann leidenschaftlich verwickeln, die weder so nützlich
-seyn dürften, noch seinem Geist die Kraft und den Adel zuführen würden,
-mit denen wir ihn jetzt so freudig seinen Beruf erfüllen sehn.
-
-Am folgenden Tage schon erschien Sangerheim, der sonderbare Freund, als
-Gast im Hause des Geheimenrathes. Er war ein schöner, großer und
-schlanker Mann, der eben nicht viel älter als dreißig Jahr seyn konnte:
-sein Auge war feurig, der Ton seiner Stimme wohllautend, und der Accent
-des Ausländers, eine Fremdheit in seinen Manieren stand ihm gut. Sein
-Wesen und seine heitre Gesprächigkeit gewannen ihm auch bald das
-Wohlwollen, selbst das Vertrauen des Rathes, indessen ihn der alte
-Obrist schärfer und mißtrauisch beobachtete. Am meisten aber war ihm
-Clara aufsässig, denn der junge Rath Schmaling war völlig in Rede und
-Gespräch des merkwürdigen Fremden verloren. Ein Gelehrter, Ferner, nahm
-Antheil an der Gesellschaft, so wie der Arzt des Hauses, Huber, und
-Jeder beobachtete von seinem Standpunkt aus den Reisenden, der sich
-Jedem mit ungezwungener Offenheit mittheilte. Darum war auch Anton
-heiter und gesprächig und die Mutter ließ bald ihren Widerwillen fahren,
-mit dem sie zuerst sich am Tische an der Seite des verdächtigen Mannes
-niedergelassen hatte.
-
-Als die Mahlzeit geendigt war, begaben sich die Männer in ein andres
-Zimmer, und die Frauen verließen die Gesellschaft. Nach einigen
-unbedeutenden Reden kam man auf den Gegenstand, der Alle interessirte,
-da Jeder wünschte, daß der Fremde von sich und seinem Treiben etwas
-Bestimmteres aussagen möge. Schmaling machte sich vorzüglich an den
-vorgeblichen Wunderthäter und nahm jedes Wort, was dieser sprach,
-begierig auf; doch der Obrist, der mit Clara Mitleid hatte, und ihre
-Aengstlichkeit gewissermaßen theilte, suchte diese Gespräche zu stören.
-Ob es denn niemals, fing er an, um die Unterredung zu lenken, irgend mit
-Sicherheit wird ausgemacht werden, wie alt diese weltbekannte
-Gesellschaft der Freimaurer eigentlich sei.
-
-Vielleicht, antwortete der Rath, ist der ganze Streit mehr um Worte und
-Buchstaben, als um die Sache geführt worden. Mögen wir annehmen, daß
-dieses geheim öffentliche Institut, wie es in unsern Tagen besteht,
-schon uralt sei, daß es in frühern Jahrhunderten, unter ganz andern
-Bedingungen, als andre Bedürfnisse waren und man die jetzigen nicht
-kannte, habe daseyn können: behaupten wir dies alles, und geben nur zu,
-wie wir es müssen, daß diese Vereinigung, im Fall sie alt ist, sich
-völlig verwandelt und nach den verschiedenen Zeiten auch verschiedene
-Zwecke beabsichtigt habe, so ist mit dieser Einräumung auch der Streit,
-wenn nicht völlig geschlichtet, doch beseitigt.
-
-Um so mehr, sagte Ferner, der Gelehrte, da wir es selbst erlebt haben,
-wie in kurzen Zeiträumen sich viele Zwecke der Brüder verändern, sie mit
-einander streiten, jede Sekte die richtige und älteste Constitution zu
-haben vorgiebt, eine Verfassung die andre verdammt, und immerdar neue
-Einrichtungen die vorigen ablösen.
-
-Freilich, sagte der Rath, und so ist es nur Geheimnißkrämerei und Sucht
-zum Wunderbaren, die Entstehung der Gesellschaft hoch hinauf zu setzen,
-sie in andern Verbindungen wieder erkennen zu wollen, und anzunehmen,
-daß Tradition aus den ältesten Zeiten uns in dieser Einrichtung, die oft
-sich so geheimnißvoll stellt, mit dunkeln Geschichten und Sagen in
-unmittelbare Verknüpfung setzen könne.
-
-Und doch, sagte Schmaling, handelt es sich hierum einzig und allein,
-oder die ganze Sache verliert ihr Interesse.
-
-Das Wunderbare, fuhr der Geheimerath fort, aber das Interesse wohl
-nicht. Oder wir können es auch so ausdrücken: daß unsre Bildung eben
-dahin sich ausarbeiten soll, um zu erfahren, was wir mit Recht wunderbar
-nennen. Es fragt sich, ob dann nicht ein ganz umgekehrtes Verhältniß
-erscheinen wird, daß alles jenes Wunder, welches unsre unerfahrne Jugend
-reizte, uns gleichgültig oder lächerlich wird, und wir das ächte Wunder
-da wahrnehmen, wo das blöde Auge gar Nichts, oder das Gleichgültige
-erschaut.
-
-Sehr wahr, fuhr der Gelehrte fort, die Natur, das Erkennen derselben,
-Kunst und Wissenschaft, das einfache, edle Leben unschuldiger Menschen,
-die Gegenwart unverdorbner Kinder, der Liebreiz des Frühlings, das
-Verständniß der Poesie und die Fähigkeit, ihn, den Ewigen allenthalben
-wahrzunehmen, hier findet der ächte Schüler das Wunder und dessen
-Verständniß. Verwandelt der Schwärmer dagegen Wissenschaft, Natur, ja
-seinen Glauben an den Höchsten in ein Gespenst, sieht er mit seltsamen
-Grauen in die Natur und den Geist des Menschen hinein, kitzelt er sich
-mit dem Gefühl, durch Zahlen, Zeichen, willkührliche Worte und Geberden
-Annäherung zu fremdartigen Geistern, ja Herrschaft über sie zu erlangen,
-so ist er schon für das Verständniß der Dinge und jene Freiheit des
-Geistes verloren, die den gesunden klaren Menschen so liebenswerth und
-so ehrwürdig macht.
-
-Gut gesagt, erwiederte Schmaling; aber er wird auch hier an Worten und
-Zeichen sich zerstoßen, sein Geist wird dürsten und verschmachten, und
-wenn er recht in das Innre dieser scheinbaren Erkenntnisse eindringen
-will, so wird er sich verirren, und wenn er erwacht, sich in einer
-tauben, leeren Wüste wieder finden. Ist denn nicht eben jene
-Glaubensfähigkeit, die sie Wunderglauben oder Wundersucht taufen und
-schelten, die innerste Federkraft unsrer Seele? In ihr schlummert der
-Funke, der zu Licht und Flamme sich ausbreitet und erhellt. --
-
-Mag es seyn, erwiederte der Rath, daß wir ohne diese Fähigkeit des
-Glaubens, ohne dies Gefühl der Liebe und eines unbedingten Vertrauens
-weder glücklich seyn könnten, noch die Stufe der Menschheit erreichen,
-zu der wir bestimmt sind. Diese einfache Liebe und Hingebung aber, die
-zur Glaubenskraft erstarken soll, ist völlig von jenem Vorwitz
-unterschieden, der ergründen, fassen und beherrschen will, was dem
-Menschen versagt ist, und der sich, weil er Nichts erobern kann, nun in
-das Gebiet der Nichtigkeit stürzt, sich mit dem Schein und der Lüge
-verbindet, und so den Geist des Menschen, seine Seele bis an die
-Selbstvernichtung führt. Denn so kann man doch wohl das nennen, wenn der
-Mensch für die nächste und unentbehrlichste Wahrheit Träume und
-Hirngespinnste eintauscht.
-
-Jetzt nahm Sangerheim das Wort und sagte: Hier aber ist es, wo der
-Streit ein wirklicher wird, denn es läßt sich doch auch fragen: wer denn
-die Wahrheit zu solcher stempeln soll? Demjenigen, der nüchtern und
-einfach fort lebt, der sich niemals erhebt, dem dürfen die Wahrheiten
-der Religion, wie die Ahndungen der Geisterwelt als leere Träume
-erscheinen. Wer es aber erlebt und erfahren hat, wie jedes Wort und jede
-Gestalt nur dadurch wahres Sein erhält, daß sie vieldeutig sind, daß das
-Alltägliche und Aeußere auf ein Inneres und Geheimnißvolles deutet, der
-kann unmöglich alle höhere Forschung und Erkenntniß als unzulässig
-abweisen, weil sich ihm das, was in früherer Entfernung Traum und
-Aberwitz schien, nun näher gerückt, deutlich in nahe Wahrheit, in die
-unerläßliche Bedingung aller ächten Erkenntniß verwandelt.
-
-Schmaling gab dem Fremden die Hand, von diesem Worte hoch erfreut. Der
-Fremde fuhr fort: Ist es wahr, daß diese ächten Geheimnisse, wie alles
-Große und Geistige, schlecht bewahrt und mit falschem Sinne erkannt,
-verwahrloset und durch Mißbrauch bis zur Sünde herabgewürdigt werden
-können, so ist es gut und nothwendig, wenn sie sich in dunkeln,
-tiefsinnigen Schriften dem Verständniß der blöden Menge entziehn, wenn
-eine beschlossene Gesellschaft edler Menschen sie als etwas Frommes und
-Heiliges bewahrt. Es ist löblich und nothwendig, daß, da der Zutritt
-nicht eigensinnig versagt werden kann, Prüfung und Läuterung voran geht,
-und nur Auserwählte, die in verschiedenen untern Graden bewiesen haben,
-daß sie der Erleuchtung fähig und würdig sind, zum Lichte vordringen
-dürfen. So war es seit uralten Zeiten, und diese Ueberlieferung bewahrt
-unser Bund, und dies ist es, was wir versprechen können. Darum werden
-jene andern nüchternen Sekten der Brüderschaft, die alle nicht wissen,
-was sie wollen, von selbst verschwinden und sich vernichten.
-
-Dieser Gesang, antwortete der geheime Rath, ist nicht neu, er läßt sich
-von Zeit zu Zeit immer wieder vernehmen. Die wahre ächte Maurerei, die
-ich für solche erkenne, ist aber diesem Glauben und dieser Absicht
-völlig entgegen gesetzt.
-
-Und diese ächte Maurerei? fragte der Fremde. Anton trat hinzu und sagte:
-Darf ich, als der einzige Ungeweihte hier, auch zugegen bleiben? -- Der
-Vater erwiederte lächelnd: Ich werde nichts verrathen, was nicht Jeder
-hören dürfte. -- Wie sich die Menschheit in Gesellschaft und Staat
-gebildet hat, und diese nicht entbehren kann, so fühlte der
-Einsichtsvollere doch auch zu allen Zeiten, daß mit diesem unendlichen
-Gewinnst gegenüber ein Verlust verbunden sei, und seyn müsse, der wohl
-eben so schmerzlich falle, als der Gewinn gegenüber erfreuen dürfe. Die
-Gesetze ordnen und zerstören, die Religion erhebt und verfolgt, die
-Moral veredelt und verdammt, und Alles in so großen Verhältnissen, so
-durchgreifend und nach allen Seiten, daß es unmöglich scheint, die
-Ausgleichung und Versöhnung dieser Wohlthaten und Uebel zu finden.
-Religiöse, wie dichterische Sagen setzen diesen unerläßlichen Zwiespalt
-schon vor alle Schöpfung hinaus; Mystiker suchen aus ihm die Entstehung
-der Welt zu erklären. Der Inhalt unsrer Religion ist die Lehre der
-Versöhnung, um durch ein neues Räthsel das ältere zu lösen. Schon die
-alte Mythologie und Dichtung der Griechen wollte ebenfalls manche
-Schuld, grause Verbrechen, die jedes Gesetz verdammt, zur Tugend, zur
-Aufgabe eines Gottes machen, und Orest ist eine wundersame Frage an den
-innern Geist, wie Timoleon in spätern Zeiten. Durch alle Adern des
-Daseins dringt der Tod des nothwendigen Buchstaben, und jeder Edle, sei
-er Fürst, Staatsmann, Krieger oder Handwerker und Bauer, findet in
-seinem Leben tausendfältige Gelegenheit, hülfreich zu seyn, wo Staat,
-Religion, Gesetz und Lehre nicht ausreichen, um zu vermitteln, wenn er
-seinen Sinn frei genug erhalten hat, und so das Geistigste, das, was
-unantastbar seyn sollte, und was doch immerdar verletzt werden muß,
-still und behutsam zu schützen. Nur in den allerneuesten Zeiten war es
-möglich, daß verschiedene Freigesinnte, edle Menschen darauf fielen, in
-einen geheim öffentlichen Bund zusammenzutreten, um dieses Unsichtbare,
-Unaussprechliche zu wirken, dieses ächte, große Geheimniß zu bewahren,
-welches sich freilich niemals verrathen läßt, weil es ganz geistiger
-Natur ist, das schon verschwindet, indem man es nur in bestimmte Worte
-fassen will.
-
-Anton sagte lebhaft: Ja freilich, so angesehn, ist eine solche
-Vereinigung verständiger Männer das Edelste, was man sich denken kann:
-die ächte Aufklärung, um ein so oft gemißbrauchtes Wort einmal in seinem
-wahren Sinne zu brauchen.
-
-Der Vater winkte ihm freundlich, und fuhr fort: Wenn Menschen, so
-gestimmt, sich zusammenfanden, so durften sie hoffen, daß die
-Vereinigung ihre Gesinnungen stärken, ihnen das Gute, was sie ausrichten
-wollten, erleichtern würde. Der Unterschied der Sekten, der
-Glaubensmeinungen und Stände hörte in dieser geistigen Gemeinschaft auf.
-Sie konnten nicht darauf fallen, Etwas gegen den Staat zu unternehmen,
-so sehr sie dessen Gebrechen fühlten, denn sie hätten sich ja dadurch
-dem todten Buchstaben wieder hingegeben, dem sie entfliehen wollten. Es
-genügte, klar zu sehn, fein zu fühlen, den Leidenschaften und
-Vorurtheilen nicht zu huldigen. Um so mehr Patrioten, um so weniger
-legten sie Hand an, Räder auszuheben, oder die Maschine anders
-einzurichten. Es genügte, daß sie ohne That und Kampf das Gute wieder
-vorbereiteten; der Fromme mußte frei genug seyn, um in und durch die
-Gesellschaft seine Sekte nicht verbreiten zu wollen; noch weniger aber
-konnte es dem Aufgeklärten beikommen, die Religion des Landes
-untergraben zu wollen, nüchterne Freigeisterei zu befördern, oder
-feindselige Gesinnungen zu verbreiten, er fühlte, daß Liebe, Milde,
-Sanftmuth und Duldung genügten. Je frommer der Fromme war, so weniger
-konnte er aber auch, als Mitglied solcher Gesellschaft, den Satzungen
-eigensinniger Priester huldigen, oder eine geschichtliche Form der
-Religion für etwas Anders als Form und Buchstaben halten. In dieser
-ächten Loge meines Sinnes, wie konnte es in ihr mehr als einen Grad
-geben? Was hätten die Eingeweihten denn noch finden und entdecken
-sollen? Genügte irgend einem dieses hohe, unsichtbare und
-unaussprechliche Geheimniß nicht, so stand er ja in dieser
-Ungenügsamkeit wieder außen, und hatte Weihe und Erkenntniß verloren.
-
-Und wo, wo, rief Anton lebhaft aus, wo sind diese ächten, wahren Maurer
-zu finden, daß auch ich mich ihnen mit allen meinen Kräften anschließe?
-
-Wo? antwortete der Vater; nirgend in aller weiten Welt sind sie zu
-finden, nirgend und allenthalben; denn jeder wahre Mensch ist dieses
-Salz der Erde, und ist ohne Gesellschaft, Eid und Verbindniß dieser
-ächte Freimaurer. -- Als nun Christoph Wren in London die neue Loge
-stiftete, oder nur neu belebte, ging von hier aus wohl eine Gesinnung,
-oder eine ihr ähnliche aus, wie ich eben geschildert habe. Unter jenen
-Freimaurern ist Ashmole der erste, der davon spricht, und wenn er die
-Gesellschaft und Verbrüderung eine sehr alte nennt, so mögen
-meinethalben die Baukorporationen schon längst ihre Constitutionen und
-Symbole gehabt haben, doch war dieser erlaubte und edle Kosmopolitismus
-in dieser Gestaltung den früheren Jahrhunderten unbekannt und unmöglich.
-
-Und wie selten, wie wenig mag er auch in England, wie in Deutschland,
-zum Bewußtsein gekommen seyn, fiel der Obrist Dorneck ein. In meiner
-Jugend schloß ich mich, aus einem unbestimmten Wissenstriebe, Menschen
-an, die sich für erleuchtet ausgaben. Die Gesellschaft war aber damals
-nicht so ausgebreitet, wie jetzt, noch war sie in so viele Sekten und
-Constitutionen getheilt. Schon die Menge der Lehrlinge, die Kassen, die
-der Aufzunehmenden bedürfen, die weltlichen Absichten, die sich mehr
-oder minder eingeschlichen haben, machen jene Vereinigung, von der Sie,
-theurer Sohn, sprechen, völlig unmöglich. Und es ist zu fürchten, wie es
-denn auch schon begonnen hat, daß sich kluge Köpfe dieser Verbindungen
-bemeistern werden, um völlig das Gegentheil aus ihnen zu machen, wozu
-sie bestimmt waren. Bemächtigt sich erst ein solcher Schwindel der Zeit,
-so steht wohl zu besorgen, daß ein viel schlimmerer Buchstabe mit
-tödtender Kraft herrschen wird, als vormals in der äußern Welt, und
-ihren Gesetzen, Gewöhnungen und Rechten.
-
-Wie gesagt, erwiederte der Rath, die Zeit erklärt und erzeugt Alles.
-Manche Völker, vorzüglich Deutschland, waren nach dem Frieden von 1648
-in sich selbst matt zurück gesunken, bei uns war alles öffentliche Leben
-dahin, das Interesse für den Staat völlig abgeschwächt. Hier in
-Deutschland konnte sich allgemach der Gedanke erzeugen, statt des
-öffentlichen Geistes einen unsichtbaren still wohlthätig walten zu
-lassen. Vielleicht, daß hie und da, auf kurze Zeit, die ächte Maurerei,
-nach meinem Sinne, ausgeübt wurde. Entstellungen zeigten sich früh,
-Mißbräuche schlichen ein, und Alle ängstigten sich, geheim oder
-eingestehend, daß sie kein sprechendes, faßliches Mysterium den
-wißbegierigen Lehrlingen zu verrathen hatten, worin doch eben, daß sie
-dessen ermangelten, ihr Wesen und ihr Stolz hätte bestehen müssen.
-
-Dieses Geheimniß, fiel der Obrist ein, hat mich schon in meiner Jugend
-herumgejagt. Ich ließ mich früh aufnehmen, und unser Meister vom Stuhl
-war denn auch ein Wunderthäter. Bald war die Stadt, es war im Anfange
-des Krieges, nicht sicher genug. Ein Schloß im Gebirge, das einsam lag,
-ward zu den Versammlungen der Geweihten auserlesen. Der geheimnißvolle
-Meister setzte uns junge Leute immerdar in ängstliche Thätigkeit. Jetzt
-kam diese geheime Botschaft, und nun jene, dieser große Monarch, dann
-jener benachbarte Fürst waren dem Magus auf die Spur. Nachtwachen,
-gerüstete Freunde, Waffen und Schwur sollten den seiner Weisheit wegen
-Verfolgten beschützen. Eine berittene Garde umgab bei Tag und Nacht das
-Castell, und streifte in der Gegend umher, um Kundschaft einzusammeln.
-Je mehr wir uns ängstigten, je größer und erhabener erschien uns unser
-Meister. Freilich waren auch einige prosaische Zweifler unter uns, und
-diese folgten eben so unermüdet der Spur des Betruges, wie wir der der
-Verfolgung, und ermittelten endlich mehr als wir. Unser hohe Magus war
-am Ende nichts, als der gemeinste Betrüger, vom niedrigsten Stande, der
-sich schon früh vieler verächtlichen Schelmereien schuldig gemacht
-hatte, und nicht einmal Maurer war. Ein strenger, rechtlicher Mann nahm
-sich nun unsrer an, und eine Zeitlang wollten und fühlten wir Alle etwas
-Aehnliches, als Sie, Herr Sohn, uns vorher geschildert haben.
-
-Die Sage, fing der Rath wieder an, ward nun beliebt, daß die
-Freimaurerei eine Fortsetzung und neue Belebung des alten Ordens der
-Tempelherren sei, der so willkührlich und mit so vieler Grausamkeit
-aufgehoben wurde. Wie ich schon aussprach, ich will über Dergleichen
-nicht streiten. Mögen die Einsichtigen des Templerordens die Freimaurer
-ihrer Zeit gewesen seyn, möglich, daß ihr Bund sich der fast
-allmächtigen Hierarchie und dem weltlichen Despotismus widersetzte; daß
-aber die neue Brüderschaft eine Fortsetzung des vertilgten Ordens,
-unmittelbar von entflohenen Brüdern gestiftet, sei, wird man niemals
-befriedigend nachweisen können. Andre können mit demselben Recht die
-Wiklefiten zu Maurern machen. Wohin wir sehen, giebt es Verbindungen in
-der Geschichte, die sich der herrschenden Kraft mit Glück oder Unglück,
-mit Gewalt oder heimlich widersetzen. Oft ist die Weisheit und das
-Bessere beim Widerspruch; oft aber wird dies auch früh vom Schlechten,
-Frevelhaften vertilgt. Warum sollen, so verstanden, die ersten
-Albigenser nicht ebenfalls Freimaurer gewesen seyn? Daß sie Rebellen
-wurden, dazu zwang sie vielleicht die zu rasche Maßregel der Kirche und
-die Grausamkeit der Priester. Ich kann Nichts dagegen haben, will man
-den Orden in den uralten Culdeern auf den schottischen Inseln
-wiedererkennen, die sich schon in den frühesten Jahrhunderten dem
-anwachsenden Papstthum widersetzten, und eine reinere Lehre, ein
-ursprünglich ächtes Christenthum zu besitzen glaubten. Warum will man
-die Gnostiker ausschließen? Ja die jüdische Sekte der Essäer? Auch
-hindert uns Nichts, die Pythagoräer dafür zu nehmen. Oder die besseren
-der ägyptischen Priester: eben so Diejenigen, die die ächte Lehre der
-Perser bewahrten. Man kann sich das früheste Judenthum, oder selbst das
-religiöse Geheimniß der Patriarchen so denken. Wie aber Abrahams
-Judenthum (wenn man es so nennen will) ein ganz andres war, als das der
-Pharisäer zu Josephus Zeiten, oder als jene jüdischen Sekten, die die
-Kabbala und alle wunderlichen sinnreichen Träume der Rabbinen annehmen
-und aus diesen erst rückwärts die Propheten und Moses verstehn, so ist
-auch jene willkührlich so genannte Freimaurerei von der neuesten noch
-weit mehr unterschieden, und ihr völlig unähnlich. Denn so können wir
-die Bundeslade, das verlorne Feuer, die wiedergefundenen Bücher, und was
-wir nur wollen, willkührlich deuten, und es geschieht der Sache nicht zu
-viel, wenn wir Noahs Arche zu einer Loge machen, und den Gründer der
-Brüderschaft in Seth, oder selbst Abel suchen. Ist man mit Typen und
-Vorbildern zufrieden, so ist es keine so gar schwere Kunst, aus Allem
-Alles zu machen, und es sollte mich nicht großes Studium kosten, die
-Brüderschaft, ihre Geschichte und Symbole aus der Comödie des Dante,
-oder aus der wilden Prosa des Rabelais heraus zu deuteln.
-
-Scherzen Sie nicht, sagte der Gelehrte, es ist noch nicht aller Tage
-Abend, und wir können nicht wissen, welche Aufgaben sich der Scharfsinn
-und die Combinations-Gabe unserer Tage noch setzen werden. Es ist
-sonderbar genug, daß die Säule Boaz noch niemals auf den
-vielbesprochenen Baffomet ist gedeutet worden.
-
-Oder beide Säulen J und B, Jachin und Boaz, auf Jacob Böhme, der doch
-gewiß bei den Parazelsisten und Adepten der Brüderschaft eine große
-Rolle gespielt hat.
-
-Vielleicht, sagte Schmaling, da ich noch nicht durch viele Grade
-gedrungen bin, erfahre ich künftig dies und noch mehr. Könnte aber ein
-wissender Meister nicht neue Deutungen in die Symbole legen?
-
-Dergleichen, erwiederte der Rath, ist vielfach geschehen; und so sind
-durch Erklärungen Geheimnisse, und aus diesen wieder neue Erklärungen
-entstanden, um eine Sache zu verwirren, die nur in schlichter Einfalt
-wohlthätig und segensreich seyn konnte.
-
-Wie kommt es nur, sagte Ferner, der Gelehrte, daß man noch niemals die
-Schulen der Magie und Zauberei, oder Nekromantik, Nekromancie, wie die
-Dichter des Mittelalters sie nennen, für Logen gehalten hat? Nach Toledo
-in Spanien, als dem Centrum und der wahren Universität oder großen
-Mutterloge, weisen alte Gedichte hin. Kunststücke, Zauberei,
-Verwandlung, Beherrschung der bösen und guten Geister wurde dort
-gelehrt. Auf dem Vatikan liegt ein Gedicht von den Heymonskindern und
-dem Zauberer Malegys. Dieser lernt aus den Büchern eines andern Magus,
-Balderus, die hohe Kunst, er besiegt nachher diesen und einen andern
-berühmten Künstler Iwert; und so hätten wir denn vielleicht hier wieder
-das I und B, was in der Maurerei eine so bedeutende Rolle spielt.
-
-Halten Sie ein, Professor! rief Anton aus, sonst machen Sie noch alle
-unsre reisenden Taschenspieler zu Meistern vom Stuhl, oder unbekannten
-Obern.
-
-Doch ohne allen Scherz gesprochen, erwiederte Ferner, ich wundre mich,
-daß unter den vielen Maurern und Freunden der Maurerei, von denen doch
-so viele Bücher gelesen und für die Sache geschrieben sind, noch keiner
-sich die Mühe gegeben hat, ein höchst merkwürdiges Gedicht aus dem
-Mittel-Alter zu studiren, das, wenn irgend eins, eine Geheimlehre
-enthält, ein Christenthum, Mythe und Symbolik, die gewiß nicht mit den
-herkömmlichen und angenommenen der katholischen Kirche übereinstimmen.
-Dieses Gedicht heißt »die Pfleger des Graal,« und besteht aus zwei
-Theilen, wovon der erste Parzifal, und der zweite Titurell genannt wird.
-Dieser heilige Graal ist ein Geheimniß, das nur Eingeweihten zugänglich
-und verständlich ist, eine Erfüllung aller Wünsche, eine Heiligung alles
-Menschlichen und Irdischen, er giebt Gesundheit, Leben, Freude und
-Glück. Durch Forschen, Fragen, wenn der Ritter zufällig in den Saal
-tritt und aufgenommen wird, macht er sich des Mysteriums würdig, und der
-junge Parzifal, weil er zu bescheiden ist, verscherzt in früher Jugend
-auf lange durch sein Stillschweigen diesen Besitz. Die Heidenschaft und
-der Calif der Muselmänner erscheinen nicht so feindlich und gehässig,
-wie in den übrigen Gedichten des Zeitalters. Eine kirchliche christliche
-Gemeinschaft der Frommen und Edlen, eine mystische Lehre wird
-vorgetragen, die selten mit dem allgemein Gültigen jener herrschenden
-Kirche überein zu stimmen scheint. Auch der Tempel und die Baukunst sind
-mystisch behandelt und sind dem Werke höchst wichtig, wenn gleich die
-heilige Masseney, die Tempelherren oder Tempeleise ganz in Art und Weise
-der Ritterwelt dargestellt sind. Auch der Priester Johannes spielt eine
-große Rolle, und Alles bezieht sich in verschiedenen Richtungen auf
-Johannes den Evangelisten. Wie sehr der Täufer bei den Maurern gilt und
-geehrt wird, ist bekannt, und, wenn sie wirklich älteren Ursprunges seyn
-sollten, so ist wohl noch zu untersuchen, ob nicht ursprünglich der
-Evangelist gemeint sei. Die Forschungen über dieses tiefsinnige Gedicht
-des Mittelalters sind auch in anderer Hinsicht noch lange nicht
-abgeschlossen, und der Maurer, der die Geschichte der Poesie kennt,
-dürfte hier auf manche Entdeckung gerathen, die seinem gläubigen
-Vorurtheil mehr und stärkere Waffen gäbe, als jener Sanct Albanus, der
-die Bauleute in England zuerst beschützte, oder der Prinz Edwin, oder
-die Culdeer, Wiklefiten, oder was man nur sonst in die Untersuchung
-gezogen hat.
-
-Mir fällt eine Frage ein, sagte Anton: hat man noch nie den sinnigen
-Shakspeare zum Maurer gemacht? Viele seiner Sprüche, z. B. »es giebt
-viele Dinge im Himmel und auf Erden, von denen sich eure Schulweisheit
-nichts träumen läßt« hat man oft genug gebraucht und gemißbraucht. Es
-ist aber bekannt, daß der edle Philipp Sidney ein Freund und Beschützer
-des berühmten und berüchtigten Jordanus Bruno war, den man nachher als
-Ketzer in Italien verbrannte. Wie, wenn diese beiden Männer ächte Maurer
-gewesen wären, und in jener merkwürdigen Zeit eine Loge gestiftet
-hätten, in welcher unser Shakspeare später wäre aufgenommen worden? In
-dem kleinen London und in einem kurzen Zeitraum von dreißig Jahren waren
-so viele große und herrliche Männer, wie sich nur selten auf Erden so
-enge zusammen drängen.
-
-Jetzt stand Huber, der Arzt, auf und sagte: ich habe bis jetzt
-geschwiegen, weil ich nicht andern Meinungen voreilen wollte. Dieses
-Geheimniß eines Nicht-Geheimnisses, wie es unser Freund Seebach
-ausgeführt hat, will mir keinesweges gefallen. Es sei, daß die Maurerei
-Nichts gegen Staat und Religion unternehmen soll, und daß wir deshalb
-jene frühen englischen Logen tadeln mögen, von denen die Sage berichtet,
-daß sie unter Cromwell bedeutend zur Wiedereinsetzung der Stuarts
-mitgewirkt haben. Aber eben dadurch, daß der Maçon von Politik und
-Kirche sich zurückhält, um nicht zu stören, ist ihm ein so größerer und
-schönerer Wirkungskreis in der Natur eröffnet. Weisen wir die früheren
-Sagen von Adepten ab, so ist eben jener Elias Ashmole, der einer der
-frühesten authentischen Maurer der neuen Zeit ist, zugleich als ein
-Freund der Astrologie und der Verwandlungskunst bekannt genug.
-Beschäftigen sich also die Universitäten, um die Jugend nicht irre zu
-führen, mit der Naturwissenschaft in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes,
-so ist es um so erfreulicher, wenn ein Kreis erfahrner Männer, zum
-Geheimniß durch Wort und That verbunden, jenen Geist aufsucht und
-herbeiziehn will, jene Kraft, Wunder zu wirken, die wohl schon sonst
-auserwählten Sterblichen beigewohnt hat, kurz, sich in dem zu üben und
-zu vervollkommnen, was gemeinhin Magie genannt wird. Diese Wissenschaft,
-die Natur aufzuschließen und sie zu verwandeln, ist des Strebens der
-Edelsten nicht unwürdig. Es ist leichter, sie zu verlachen, als die
-Meister dieser Kunst und die Anschauungen, die uns entgegen kommen,
-abzuweisen und zu widerlegen; und namentlich die Kunst des Adepten, Gold
-zu machen, den Stein der Weisen hervor zu bringen. Die nüchterne Welt
-kennt nur einen Weg, indem sie die Erzählung von Flamel als Lüge
-verschreit, was Paracelsus erzählt und ein Mann wie Helmont betheuert,
-Mährchen nennt, den tiefsinnigsten der Philosophen, Jacob Böhme, nicht
-anhört und versteht, und Alles, was in unsern Tagen ein erleuchteter
-Saint Martin begeistert predigt, nur mit mitleidigem Achselzucken
-beantwortet. Aber ist es denn nun schon unwidersprechlich dargethan, daß
-uns Saint Germain belog und betrog? Die Kunst, Gold aus andern Metallen
-zu machen, scheint so nahe zu liegen, da wir so viele Verwandlungen
-hervor bringen können. Sie soll ja nur den Meister beurkunden, ihm
-seinen Meisterbrief schreiben, als einen Beweis, daß er die Natur
-bezwungen hat, und sie beherrscht. Die moralische Besserung und
-Vergeistigung des Menschen ist die höhere Kunst des Adepten. Aber Wunder
-zu glauben, in der Vorzeit, um Religionen und Heilige zu bekräftigen und
-ihrem Wirken Glauben zu verschaffen, und anzunehmen, daß diese Kraft
-erlöschen müsse, und in unsern Tagen und niemals wieder erweckt werden
-könne und dürfe, heißt, um mich gelinde auszudrücken, auf das Mindeste
-sehr inkonsequent glauben und lehren. Mein Freund Seebach kennt meine
-Ueberzeugung, die ich hiemit wiederhole. --
-
-Jetzt nahm Sangerheim, der Reisende, wieder das Wort: Wie die Kunst der
-Verwandlung das eine Unterpfand des Maurers und Meisters ist, so ist die
-Macht über die Geister die zweite Beglaubigung, daß er Bahn gewonnen,
-und den Sieg im Laufe errungen hat. Diese Hoheit ist dem ächten Schüler
-der Weisheit seit uralten Zeiten überkommen, von alten Meistern und
-Obern, und jeder Lehrling, der sich in der Prüfung würdig erweiset, kann
-dies Siegel der Vollendung erringen. Wenn die Rosenkreuzer diesem hohen
-Berufe nachstreben, so ist es löblich, erringen sie ihn, dann ist ihre
-Kunst und ihr Weg der wahre. Er ist aber nicht der meinige. Doch werde
-ich den würdigsten Brüdern, die schon erfahren sind, gern, wenn sie
-Glauben und Vertrauen haben, die Weihe nach Graden der Prüfung zukommen
-lassen. Doch bin ich hierin ganz der entgegengesetzten Ueberzeugung des
-Herrn von Seebach. Ein einziger Grad ist keiner; was diese Freimaurerei
-will und soll, kann Jeder am besten isolirt und ohne alle Verbindung
-erlangen.
-
-Schmaling sah begeistert aus und drängte sich an den Fremden, auch der
-Arzt Huber gab ihm die Hand. Auf der Seite des Rathes blieben der
-Obrist, der Gelehrte und Anton. So war in dieser kleinen Gesellschaft
-ein Gegensatz von Meinungen, die sich auf keine Weise vermitteln ließen.
-
-Man trennte sich, und beim Abschiednehmen bat der geheime Rath den
-Fremden, der so große Dinge ankündigte, noch etwas zu verweilen. Er trug
-ihm seine Verlegenheit vor in Ansehung des verlornen Dokumentes und
-schloß dann: Getrauen Sie sich wohl, durch Ihre übernatürliche
-Wissenschaft, deren Sie sich rühmen, mir diesen Bogen, an dem mir so
-viel gelegen ist, wieder zu verschaffen?
-
-Sangerheim, der bisher in der Gesellschaft bescheiden in Wort und
-Haltung gewesen war, richtete sich jetzt stolz auf und sah den Rath mit
-einem kühnen Blick von oben herab mit seinen feurigen Augen an und
-sagte: Ist dies nur eine leere Erfindung, um mich zu prüfen, so dürfte
-es schlimm für Sie ausgehn, wenn ich jene Kräfte für diese Unwahrheit in
-Thätigkeit setzte; ist es Wahrheit, was Sie mir sagten, so verspreche
-ich Ihnen meine Hülfe.
-
-Seebach erzählte ihm umständlicher die Sache, den Inhalt des Dokumentes,
-wie lange er es besessen, und daß es jetzt zur günstigen Entscheidung
-des Prozesses unentbehrlich sei. Ich glaube Ihnen, sagte Sangerheim, und
-spreche Sie morgen Nachmittag in der vierten Stunde.
-
- * * * * *
-
-Am folgenden Abend war der Rath im Kreise seiner Familie, kein Fremder
-war zugegen, auch Schmaling fehlte. Es war sichtbar, daß er nachdenkend
-war und an den Gesprächen der Uebrigen nur wenigen Antheil nahm. Der
-Obrist sagte endlich, als er in die Fröhlichkeit der Uebrigen nicht
-einstimmte: Was ist Ihnen, Lieber? Wir fangen uns an zu ängstigen;
-theilen Sie uns Ihren Kummer oder Ihre Leiden mit.
-
-Es ist nichts dergleichen, erwiederte der Vater, ich sinne nur darüber
-nach, wie man so nach und nach alt wird, und doch niemals ausgelernt
-hat. Ich glaubte über Alles, was man Wunderglauben nennt, hinaus zu
-seyn, und war selbst in meiner Jugend dieser Schwachheit nicht
-ausgesetzt: und nun berührt mich Etwas so stark, daß ich mich vor mir
-selber fürchte, wenn der Ausgang sich so ergeben sollte, wie er mir ist
-versprochen worden.
-
-Die Mutter und Tochter sahen sich mit bedeutenden Blicken an, Anton war
-gespannt und der Obrist sagte: Nun, Werthester, was ist Ihnen
-versprochen? Dürfen Sie es uns mittheilen?
-
-Es ist mir nicht verboten worden, erwiederte der Vater. Gestern, als wir
-uns trennten, erzählte ich dem Fremden von dem verlornen Dokument. Er
-schien erst unwillig, weil er die Sache für Erfindung hielt, ihn auf die
-Probe zu stellen. Wie er meinen Ernst sah, versprach er mir heut
-Nachmittag Antwort zu geben. Er erschien, und seine erste Frage war, ob
-ich nicht in der Stadt noch ein andres Haus besäße. Ich bejahte, wir
-gingen hin und er betrachtete die Zimmer und den Saal, welche leer
-stehen, da ich immer noch unentschlossen bin, ob wir hinüber ziehn. Er
-ließ sich ein drittes Zimmer aufschließen, eilte hinein, und indessen
-ich noch draußen verweilte, und die Gemälde betrachtete, hörte ich
-drinnen Geräusch, wie von verschiedenen Menschen, auch Stimmen durch
-einander. Ich eilte durch die offenstehende Thüre, und fand meinen
-Fremden allein in der Mitte des Zimmers, tief sinnend. Er bemerkte mich
-erst nicht, dann sagte er: Gehn wir morgen in der Mittagsstunde,
-zwischen Zwölf und Eins, wieder hieher, und ich hoffe Ihnen etwas
-Bestimmteres sagen zu können. Wir verließen das Haus, und ich fragte
-ihn, ob er es erlaube, daß uns noch Jemand begleite. Sehr gern,
-erwiederte er, nur bitte ich, dem jungen Herrn Schmaling vorerst nicht
-die Sache mitzutheilen, oder ihn zum Begleiter zu wählen, er ist zu
-heftig, er schwärmt und würde mich stören; vielleicht geht Ihr
-zweifelnder Sohn mit uns. -- Seht, Freunde, das ist mir heut begegnet,
-und Ihr müßt gestehn, daß, wenn dieser Mensch ein Betrüger ist, er einen
-neuen und originellen Weg erwählt.
-
-Aber wie ein Betrüger? sagte der Obrist: wenn er Ihnen wohl morgen schon
-das Dokument schafft, oder Ihnen eine bestimmte Antwort giebt.
-
-Das wird er eben nicht thun, antwortete der Rath, er wird morgen mit
-einer neuen Zweideutigkeit mich abfertigen, mich wieder auf einen andern
-Tag vertrösten, und, wenn er meine Leichtgläubigkeit, oder meinen
-Charakter bei dieser Spannung beobachtet und kennen gelernt hat, mich
-mit diesen oder jenen Mährchen abspeisen, von denen er glaubt, daß sie
-mir zusagen. Alles das sage ich mir und wiederhole es mir, und doch kann
-ich es mir nicht leugnen, daß ich ungeduldig die Stunde des Wiedersehens
-erwarte, daß ich mir jenes seltsame, unbegreifliche Geräusch in der
-Erinnerung wiederhole, und darüber sinne. Es war, wie von vielen
-Menschen, wie Zank und Streit, ja Thätlichkeit, verschiedene Stimmen
-antworteten sich heftig, so daß ich erstaunt die halb angelehnte Thür
-öffne, in der sonderbaren Erwartung, viele fremde, heftige Menschen in
-Gezänk in meinem verschlossenen Zimmer zu finden, und ihn doch nur
-allein still in der Mitte des Raumes stehen fand. Es war Tag, nicht
-Mitternacht, keine Vorbereitung war vorangegangen, ich kenne das Haus
-und er nicht, -- wie soll man darüber denken?
-
-Lassen wir es, sagte Anton, bis morgen; die Stunde ist nicht so gar
-entfernt, und erlauben Sie mir, Sie zu begleiten.
-
-Keine Kreise gezogen? fiel der Obrist ein: kein Zauber-Apparat? keine
-Citation? Sonderbar genug. Jenes habe ich auch einmal in meinem Leben
-gesehn und mitgemacht, und es wies sich nachher als Betrügerei aus, aber
-man hatte uns, die wir zugelassen wurden, durch Geheimniß, Rauchwerk,
-Gebet, Fasten und Kasteiung so exaltirt und betäubt, daß unsere
-Imagination dem Magus schon auf drei Viertheil seines Weges entgegen
-ging.
-
-Als die Mutter in der Nacht mit der Tochter bei einer häuslichen Arbeit
-verweilte, sagte sie: Ich kann Dir nicht beschreiben, wie widerwärtig
-mir diese Geschichte ist, die sich da anspinnt. Wir waren einige Jahre
-so ruhig, und nun wird Dein Vater wieder in solche Verwicklungen und
-Gedanken hinein gezogen, die ich auf immer für abgethan hielt. Er meint,
-er hat Alles überwunden, und läßt sich immer wieder von Neuem anlocken.
-Was ist es nur im Menschen, das der Vernunft zum Trotz, auf die sich die
-Meisten doch so viel einbilden, immer Herz und Phantasie in das Seltsame
-und Unbegreifliche hinüberzieht. Ich habe noch keinen Menschen gekannt,
-der nicht abergläubig gewesen wäre.
-
-Möchten sie es doch, antwortete Clara, denn ich bin es auch; und wie
-kann man sich gewissen Wahrnehmungen oder Eindrücken mancher Träume, den
-Vorahndungen und dergleichen entziehn; wenn sie nur nicht mit ihrer
-scheinbaren Philosophie so bedeutende Schlüsse aus Kindereien zögen, und
-so schwerfällige Systeme darauf erbauten. So Vieles im Leben hat nur
-dadurch einen Sinn, daß es eben mit nichts Anderm zusammenhängt, daß es
-Nichts bedeutet. Sie wären aber im Stande, in einem Seufzer oder Kuß das
-ganze Universum zu lesen, und die Ewigkeit der Höllenstrafen daraus zu
-beweisen. Nun, meinen Schmaling werden mir die Geisterseher schön
-zurichten. Wären die Menschen doch nur damit zufrieden, ihren eignen
-Geist kennen zu lernen. Weil es aber da eben hapert, so sind sie
-freilich gezwungen, so viele fremde herbei zu zitiren, um den eignen zu
-verstärken.
-
-Am Morgen waren Alle beim Frühstück sehr einsylbig. Selbst Anton konnte
-sich nicht verbergen, daß er in einer Spannung sei, die seinem Wesen
-sonst ganz fremd war. Gegen zwölf Uhr erschien Sangerheim. Unterwegs
-sagte er: Ich bitte Sie, von dem, was Sie vielleicht sehn werden, nicht
-zu laut und gegen Jedermann zu sprechen. Was geht die Menge und das
-unwissende Volk unser Wesen an?
-
-Das große Haus des Rathes lag in der Vorstadt. Es stand leer, weil die
-Familie Willens war, hieher zu ziehn. Dies hatte freilich sein
-Beschwerliches, wenn Seebach sein Amt nicht aufgab. So war es geschehn,
-daß man es in dieser schwankenden Unentschlossenheit seit Jahren nur
-selten besucht hatte. Der Rath öffnete und verschloß hinter sich die
-Thüren wieder. Im Saale angelangt, ging Sangerheim wieder in jenes
-Zimmer, in welchem er gestern schon gewesen war. Er ließ die Thüre
-hinter sich halb offen, Anton und der Vater blieben im Saal. Plötzlich
-hörten beide ein verwirrtes Getöse, wie Schlagen an den Tapeten und
-Degenklirren, dann Gespräch, Gezänk, Hin- und Widerreden verschiedener
-Stimmen; auf verschiedene Fragen, die der Magus that, hörte man ein
-bestimmtes: Nein! nein! Es geschieht nicht! näher und ferner ertönen.
-Endlich erfolgte ein Knall, wie von einer Pistole; Beide stürzten in das
-Zimmer und der Magus stand in der Mitte, in heftiger Bewegung und
-erhitzt. Er faßte die Hand der Eintretenden und sagte: Nur bis heut
-Abend lassen Sie mir Zeit und ich sage Ihnen Gewißheit. Noch
-widerspricht man mir, man will nicht nachgeben, aber es wird sich
-ändern, wenn ich in meiner Wohnung noch eine Operation vorgenommen habe.
-Sie trennten sich und Anton wie der Rath kamen nachdenklich zu ihrer
-Familie zurück, die sie mit Aengstlichkeit erwartete.
-
-Anton sagte: Der Mann ist ein recht künstlicher Taschenspieler, der
-einige neue Stücke gelernt hat, die die Uebrigen noch nicht wissen. Man
-schwört darauf, daß man verschiedene Menschen oder Geister vernimmt, man
-hört ein Rauschen und Schwirren, Rasseln und Prasseln, wie ein
-Handgemenge, endlich sogar einen bestimmten Pistolenschuß, aber es ist
-kein Dampf oder Geruch vom Pulver zu spüren. Das Unkluge bei dieser
-Geschicklichkeit scheint mir nur darin zu bestehn, daß er sich immer so
-kurze Termine setzt, so daß sich seine Vertröstungen schnell wiederholen
-und bald ermüden müssen. Mit den beiden Kunststücken von heut und
-gestern hätte er uns wenigstens einige Wochen hinhalten können.
-
-Es kann nicht so seyn, wie Du es Dir denkst, sagte der Vater. Er muß auf
-Etwas fußen, das ihn so sicher macht. Wäre die Sache, wie Du sie
-schilderst, so müßte er übermorgen oder in einigen Tagen beschämt
-abziehn, denn ich habe mich wohl gehütet, irgend großes Erstaunen oder
-entgegenkommende Leichtgläubigkeit merken zu lassen. Gab er sich doch
-auch nicht einmal die Mühe, uns auszufragen, so beschäftigt war er mit
-sich selber. Ihm selbst ist es Ernst, und seine Aufmerksamkeit ist ganz
-auf die Sache, nicht auf uns hingerichtet.
-
-Du bist schon bekehrt und gläubig, sagte die Mutter.
-
-Unmöglich, Liebe, antwortete der Rath, denn ich glaube noch gar Nichts,
-auch giebt es noch Nichts zu glauben, sondern ich bin nur erstaunt, und
-kann in dieser verwirrenden Verwunderung meine Seelenkräfte noch gar
-nicht wiederfinden.
-
-Das ist vielleicht, bemerkte Clara, die beste Stimmung, um Wunder zu
-glauben.
-
-Kinder, sagte der Vater mit einiger Empfindlichkeit, tragt ihr nicht
-auch dazu bei, meine Unruhe zu vermehren. Mein ganzes Leben hindurch
-habe ich gegen den Aberglauben gekämpft, und es soll der Thorheit
-wenigstens mich zu besiegen nicht so leicht werden, als ihr es für
-möglich zu halten scheint. Gelingt es dem vorgeblichen Magus, uns diese
-große Summe zu retten, so sind wir ihm ohne Zweifel Dank schuldig: kann
-er es nicht möglich machen, was er, fast mit sicherm Versprechen,
-unternahm, so will ich denn auch nicht weiter grübeln, wie er die
-sonderbaren Stimmen und das seltsame Geräusch hervorbrachte.
-
-Alle waren scheinbar beruhigt, als der Rath, indem sich eben jeder in
-sein Schlafzimmer begeben wollte, folgenden Brief noch in dieser
-nächtlichen Stunde erhielt, der der ganzen Familie Ermüdung und Ruhe
-nahm:
-
-Da es nicht bloß eine Aufgabe fürwitziger Neugier war, was meine Kräfte
-und Kenntnisse in Anspruch genommen hat, da die Wohlfahrt einer
-hochachtungswürdigen Familie gewissermaßen an die Erfüllung meines etwas
-voreiligen Versprechens geknüpft ist, so hat der Widerspruch und
-Starrsinn Derer nachgelassen, von denen Sie heut, wenn Jene auch nicht
-sichtbar wurden, einige Kunde empfingen. Nicht unmittelbar, aber nach
-einigen kleineren Zimmern, die verschlossen blieben, muß sich in jenem
-Hause, zu dem Sie mich heut führten, noch ein Kabinet befinden, dessen
-Fenster auf den Garten gehn. In diesem Kabinete ist ein Wandschrank, dem
-Auge nicht sichtbar, der sich durch den Druck einer Feder öffnet. Nimmt
-man hier einen gewöhnlichen Kasten heraus, so zeigt sich unten ein
-Schieber, unter welchem sich dieses Papier, nebst einigen andern
-Schriften, wohl finden wird.
-
-Bei den letzten Worten, indem der Rath den Brief laut vorlas, schlug er
-sich mit der flachen Hand heftig vor den Kopf, ward glühend roth und
-plötzlich wieder todtenbleich, und rief mit lauter Stimme: O ich
-Dummkopf! Und daß ich es vergessen konnte! Und daß mir ein ganz fremder
-Mensch, von dem ich niemals in meinem Leben Etwas gehört habe, mir so
-auf meine Erinnerungen helfen muß.
-
-Die Frauen, so wie Anton und der Obrist, waren um so mehr erstaunt und
-erschrocken, da sie niemals, obgleich sie das Kabinet kannten, von
-diesem heimlichen Wandschrank Etwas erfahren hatten. Vergebt mir dies
-Verschweigen, sagte der Vater, es ist mir eigen und eine Gewohnheit, die
-ich von Jugend auf hatte, auch vor meinen Nächsten und Vertrautesten
-noch Etwas geheim zu halten. So habe ich mir in jenem Hause diesen
-Versteck, um den kein Mensch wußte, angelegt. Er ist so künstlich
-gemacht, daß, wenn man die Sache nicht weiß, ich auch das schärfste Auge
-auffordern will, die Feder nur zu entdecken, die die Wand eröffnet und
-verschließt. Vor vier Jahren, wißt ihr, wohnten wir Alle drüben, weil
-dies Haus hier ausgebaut und anders eingerichtet wurde. Indem wir wieder
-herüber zogen, fiel jene Reise vor, die ich eiligst in Angelegenheit
-meines Fürsten machen mußte. Ich arbeitete die ganze Nacht, ohne fast
-Nahrung zu mir zu nehmen. Auch meine eigenen Sachen ordnete ich, und
-jenes Dokument war mir wichtig genug. Ich nahm es, so war ich fest
-überzeugt, mit mir hier herüber, verschloß es in das geheime Schubfach
-meines Schreibepultes, reisete ab, und kam erst nach drei verdrüßlichen,
-arbeitsreichen Monaten zurück. Ich fand, so glaubte ich, alle meine
-wichtigen Papiere in Ordnung, und, sei es die Reise, mag es von den
-Kränkungen herrühren, die ich erlitten hatte, ihr wißt, daß ich in ein
-tödtliches Nervenfieber verfiel, von dem ich nur schwer und langsam
-wieder genas. In dieser schlimmen Zeit hatte ich mein Gedächtniß ganz
-verloren. Als ich wieder zum Leben erwachte, war es mir die bestimmteste
-Ueberzeugung, daß ich das Dokument hier aufgehoben, und seit meiner
-Rückkehr schon mehr wie einmal gesehn hatte. Darum wurde ich eben ganz
-verwirrt, als es nun, nach Jahren, die wichtige Sache entscheiden
-sollte, und sich nirgend antreffen ließ. -- Doch laßt schnell anspannen,
-so spät es ist, ich will noch in der Nacht jenen Wandschrank
-untersuchen.
-
-Es wurde dem Kutscher eiligst der Befehl gegeben. -- Wie kam es nur,
-fragte der Obrist, daß Sie, auch nur aus müßiger Neugier, jene Stelle
-drüben im Hause nicht untersuchten, und so zufällig das Papier fanden?
-
-Sie wissen ja, antwortete der Rath, wie der Mensch ist. Hier diesen
-Schrank, die Zimmer des Hauses hier kehrte ich mehr als einmal um, ich
-suchte mit Heftigkeit an allen unmöglichen Orten, war aber so fest und
-unwidersprechlich überzeugt, daß ich das Heft von dort nach der Stadt
-genommen hatte, daß ich mich selbst über die Frage als wahnsinnig
-verlacht haben würde, ob der Schrank es noch bewahren könne. Und
-außerdem -- -- der Rath zögerte, und als der Obrist in ihn drang, fuhr
-er fort: Lieber Vater, jene Wand enthält außerdem alle Beweise und
-Erinnerungen meiner jugendlichen Schwärmereien und Thorheiten, viele
-Arbeiten, die ich als Schüler dieses und jenes geheimen Ordens entwarf,
-Abschriften aus seltenen Büchern, kabbalistische Rechnungen, Recepte zur
-Tinktur, und was weiß ich Alles. Eins jener tollen Blätter hatte sich
-zufällig hieher verirrt, das ich jetzt an eine andre Behörde geschickt
-habe, wo man es vielleicht mehr achten wird, als hier geschah. Diesen
-Wust habe ich seit Jahren nicht angesehn, weil mir davor graut. Denn,
-gestehe ich's doch, ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, daß ich
-nicht hie und da lesen und wieder lesen sollte, wenn ich mich einmal der
-Truhe nähere. Und bezwingt mich auch das Material des verwirrenden
-Inhalts nicht, so ängstige ich mich doch mit Recht, mich wieder in alle
-jene Stimmungen und Zustände zu versetzen, in welchen ich jenes Zeug
-zusammengeschrieben habe.
-
-Der Wagen fuhr vor, und der Rath, Anton und der Obrist stiegen ein. Als
-sie allein waren, warf sich Clara der Mutter, heftig weinend, an die
-Brust. Wie ist Dir, mein Kind? fragte die Mutter. Ach, Liebste!
-erwiederte Clara, Sie werden mich vielleicht schelten, daß ich bei
-diesen Sonderbarkeiten, bei diesen Dingen, die uns Alle so gewaltsam
-aufregen, etwas recht Albernes sage. Ich kann Alles das nicht leiden.
-Sie sehn, wie gemein es klingt, aber ich kann keinen andern Ausdruck
-finden, mag ich auch suchen, wie ich will. Wenn das Alles ist (und es
-ist ja vor unsern Augen da, wir können es nicht mehr ableugnen), so ist
-mir das Leben selbst widerwärtig. Mir entgeht alle Sicherheit, alle Lust
-zu denken und zu handeln, denn meine Freude war es eben, daß Alles so
-unbewußt sich bewegt und genießt, daß jedes Gefühl, jeder Gedanke um
-sein selbst willen da ist. Nun soll Alles Zusammenhang haben, sich
-geistig auf einander beziehn. Es ist mir unerträglich, so mit
-Gespenstern in innige Verbindung zu treten. Gespenst! Ist denn so was
-nicht der ächte Gegensatz, der völligste Widerspruch mit Geist? Sehn
-Sie, Liebste, das Alles handthiert nun so gewaltsam in meinem Innern,
-daß ich lieber gleich im Fieber selbst phantasiren möchte, als von
-diesen Sachen hören: und nun gar sie erleben müssen!
-
-Tröste Dich, beruhige Dich, mein Kind, sagte die sorgende Mutter, Du
-sprichst schon, wie im Fieber. Ich glaube Dich zu verstehn, und doch
-scheinen mir Deine Ausdrücke zu herbe. Alles, was Du so schmähst, macht
-ja für viele verständige Männer den Reiz des Lebens aus. Wie Vieles
-würde mancher der Besten darum geben, wenn er sich durch dergleichen
-Wunder überzeugen könnte, die uns geboten worden, und die wir so wenig
-suchten, daß man sie uns aufdrängen muß.
-
-Das ist es eben, sagte Clara: ich kann mir keine Vorstellung davon
-machen, wie steppendürre, wie öde es im Geist und Herzen solcher
-Menschen aussehen muß, die sich dergleichen wünschen, die ihm nachjagen
-können. Ein heitrer Blick aus dem lieben, unschuldigen Auge des Kindes,
-seine Kartenhäuserchen, die es mühsam erbaut und lachend wieder umwirft,
-jedes Geschäft des Hauses, Backen und Nähen und Stricken, der
-Handlanger, der mit dem Schweiß seiner Arbeit seine Familie ernährt, o
-nennen Sie, was Sie wollen, auch das Allergeringste, es ist ja
-ehrwürdiger und edler, als es diese Raritäten sind, die sich so vornehm
-anstellen. Möchten doch lieber diese zwanzigtausend Thaler verloren
-gegangen seyn, als daß sie wiederkommen, und uns dieses Irrsal mit in
-das Haus schleppen.
-
-Ich kann Dir nicht ganz Recht geben, Tochter, sagte die Mutter: mir
-graut auch vor der Sache, aber dankbar müssen wir dem Manne doch seyn,
-wenn wir durch ihn um so viel reicher werden.
-
-Nein! rief Clara, wenn ich es nur hindern könnte. Ich habe immer über
-unsern Consistorialrath gelacht, zu dessen Christenthum der Teufel
-eigentlich die nothwendigste und unentbehrlichste Person ist, aber jetzt
-bin ich der Meinung des heftigen frommen Priesters. Nur der Satan bringt
-diese Künste hervor, und Jeder, der sich damit einläßt, ergiebt sich
-ihm. Die Langeweile plagt natürlich den alten verdammten bösen Geist,
-und da weiß er sich nun keinen bessern Zeitvertreib, als die Menschen
-durch allerhand Blendwerk dumm und konfus zu machen. Es wird schon so
-seyn. Diese fatalen Beschwörer glauben ihn zu beherrschen, er spielt mit
-ihnen, wie die Katze mit der Maus, und nachher sehen sie denn mit
-Entsetzen, daß sie immerdar in seinen Stricken und seine leibeignen
-Knechte waren. -- Ach! und mein Schmaling! der ist nun auch so ein
-kleiner goldner Fisch, den sich die Unbarmherzigen mit ihren eisernen
-Haken herauf angeln und über sein Bluten nur lachen. Welch hartes,
-sonderbares Schicksal, daß mich eine Leidenschaft zu einem Manne
-ergriffen hat, den ich eigentlich nicht ganz achten kann. Ich liebe ihn
-und gebe ihm mein ganzes Herz, ich fühle es, ich kann ohne ihn nicht
-seyn und leben, -- und doch widerstrebt mir so Vieles in seinem Wesen:
-Sie werden sehn, dieser Blutsauger, der Sangerheim, macht mir mein
-Liebchen, meinen Auserwählten noch ganz verrückt. -- Ich muß wider
-Willen lachen. Vergeben Sie mir, Mutter.
-
-Sie lachte laut, um nachher um so heftiger zu weinen. Die Mutter, die
-zwar die sonderbare Gemüthsart ihrer Tochter kannte, wurde doch besorgt,
-daß sie krank werden möchte, und wollte sie bereden, sich nieder zu
-legen: Clara wollte aber durchaus die Rückkunft des Vaters erwarten, und
-erfahren, wie das seltsame Abentheuer geendigt habe. --
-
-Man war in der Vorstadt abgestiegen, um mit einer Laterne in das finstre
-Haus zu gehn. Die Stimmung der drei Männer war feierlich und der
-Geheimerath Seebach zitterte, indem er die breiten und widerhallenden
-Stufen hinauf stieg. Im Saale standen sie still, ruhten und zündeten
-einige Kerzen an. Sie eröffneten die übrigen Zimmer, gingen hindurch und
-gelangten endlich vor jenes Kabinet. Ehe der Rath aufschloß, sagte er zu
-seinen Begleitern: Ich muß Euch bitten, Theure, wenn ich den Wandschrank
-eröffnet habe, und nach jenen Blättern suche, daß Ihr mich ganz allein
-gewähren lasset, weil ich nicht wünsche, daß Sie, lieber Vater, und noch
-weniger mein Sohn, Etwas in jenen Skripturen lesen mögen, die so Vieles
-enthalten, das ich jetzt selbst ganz vergessen habe. Der Rath schloß
-auf. In dem kleinen Zimmer, das, wie alle übrigen, lange nicht geöffnet
-war, war ein seltsamer Dunst. Der beklemmte Rath öffnete das Fenster,
-ein frischer Luftstrom zog herein, und man vernahm das Flüstern der
-Linde und das Rauschen des Holunderbaumes, die dicht vor dem Fenster
-standen. Ist es Euch so seltsam, wie mir, zu Muthe? fing der Rath wieder
-an. Mir dünkt, es kommt mir jetzt schon viel weniger darauf an, diesen
-bedeutenden Theil meines Vermögens zu retten, als nur die Wahrhaftigkeit
-jenes wunderbaren Mannes bestätigt zu finden: ob ich gleich von ihr
-schon überzeugt bin.
-
-Er drückte an die ganz glatte Wand und sie eröffnete sich. Oben in der
-Mauer standen einige Geräthe und Gefäße, die auch eine magische
-Bedeutung haben mochten. Seebach bückte sich und holte einen schweren
-Kasten aus dem Behältniß, der Briefe, Bücher, Maurer-Symbole und
-dergleichen enthielt. Er ließ, indem er in den Verschlag trat, den Sohn
-hinein leuchten. Man sah Nichts, und nur der Vater konnte den
-künstlichen Schieber finden, der zurückgedrängt wieder eine andere
-geräumige Oeffnung entdeckte. Gleich oben lag das vermißte Dokument und
-ein großer Zettel daneben, auf welchem mit großen Buchstaben stand: Das
-Dokument über die zwanzigtausend Thaler findet sich in meinem geheimen
-Wandschrank, unten, im Hause der Vorstadt. -- Es war auch hinzugefügt:
-Sollte ich auf der Reise sterben, so suche man -- und hier war genau für
-den Fremden beschrieben, wo man die Feder und den Schieber entdecken
-könne.
-
-Seht, Freunde, rief der Rath, dieses Blatt wollte ich aus Vorsorge in
-mein Schreibpult legen, um das Dokument ja nicht zu vergessen. Aber die
-eilige Arbeit, die Wichtigkeit der Geschäfte, die nahe Abreise machten,
-daß das Vergessen den Sieg, wie es so oft geschieht, über die Vorsicht
-davon trug. Für meine Familie, im Fall ich von der Reise nicht
-zurückkommen sollte, war noch diese genaue Bezeichnung hinzugefügt.
-
-Er übergab das Dokument seinem Sohne, der es sorgfältig in die
-Brieftasche legte. Hierauf bückte sich der Vater wieder und nahm alle
-übrigen Papiere aus jenem tiefen Raume, die in mehreren verschlossenen
-Mappen und sorgfältig zugeschnürten großen Heften enthalten waren. --
-Was machen Sie da? fragte der Obrist. -- Da das Geheimniß des Schrankes,
-sagte der Rath, jetzt ein öffentliches ist, so will ich alle diese
-Papiere mit mir nehmen, um sie in meinem Stadthause sicher zu verwahren.
--- Er trug sie selbst mit Anstrengung die Treppen hinunter und in den
-Wagen, und wollte sich weder vom Obristen, noch seinem Sohne helfen
-lassen.
-
-Als sie wieder im Wagen saßen, fing der Rath an: Was soll man nun, meine
-Lieben, von dieser ganzen Sache denken? -- Denken? erwiederte der Sohn,
-fürs Erste wohl gar Nichts, denn wir haben noch lange an unserm
-Erstaunen zu genießen. Dann wollen wir uns des Geldes und des gewonnenen
-Prozesses freuen, und Clara vorzüglich mag dem Magus danken, weil ohne
-ihn ihre Aussteuer wäre verkürzt worden. Mit dem Zauberer müssen wir
-auch Freundschaft halten, der unserm Hause geholfen hat. Mit allen
-diesen Dingen können wir uns eine Weile die Zeit so leidlich vertreiben,
-denn es scheint mir gefährlich und bedenklich, zu früh über diese Sache
-denken zu wollen. Haben wir doch genug daran zu thun, sie zu glauben.
-Und ableugnen läßt sie sich nun einmal nicht.
-
-Ich begreife Deinen Leichtsinn nicht, erwiederte der Vater. Kannte
-dieser Sangerheim mich und meine Familie? und wenn dies war, konnte er
-von diesem Papiere wissen? und wenn er davon erfahren hätte, konnte er
-diesen geheimen Schrank entdecken? Setzen wir auch den noch
-wunderbarsten und seltensten Zufall, er habe nach mehr als zwanzig
-Jahren den Tischler gefunden, der ihm diesen Schlupfwinkel verrathen
-hätte: wie viel Unerklärliches bleibt noch zu erklären? Und wie viel
-Unnatürliches, Unmögliches muß man schon gewaltthätig zusammen raffen,
-um nur das Leugnen des Wunderbaren und Unbegreiflichen bis zu dieser
-Spitze zu treiben?
-
-Darum eben, mein lieber Vater, antwortete Anton, ist diese Entfernung
-von allem Grübeln, sich aller Gedanken zu entschlagen, was Sie, um mir
-einen Vorwurf zu machen, Leichtsinn nennen, hier recht an der Stelle.
-Helfen wir uns doch mit nichts Besserm, als diesem Leichtsinn, der aber
-auch edler Natur seyn kann, bei den allerwichtigsten, heiligsten und
-höchsten Dingen, wenn wir uns nicht geradehin der Verzweiflung oder dem
-Wahnsinn ergeben wollen. Wenn unsre Gedanken vor dem Bilde der Ewigkeit
-scheu umkehren, oder an der Gottheit und Allmacht des Schöpfers ermatten
-müssen: -- was können wir anders thun, als uns in diesen Leichtsinn
-retten, der uns so kindlich, so tröstend entgegen kommt? Mag es nicht
-eben so Pflicht und Weisheit seyn, zu Zeiten gewissen Gedanken
-auszuweichen, wie es ein andermal unerläßlich ist, sie aufzusuchen, und
-bis in das Innerste hinein zu ergründen? Nicht jeder Stunde geziemt
-Alles.
-
-Weisheit! sagte der Alte unwillig; wenn die Unerfahrenheit sie lehren
-will! -- Sie waren angelangt und stiegen zum Wohnzimmer hinauf, in
-welchem Clara und die Mutter sie erwarteten. Man sprach, erzählte noch,
-und der Vater sorgte vorzüglich, seine Skripturen in Sicherheit zu
-bringen. -- Der frühe Morgen überraschte sie noch im Gespräch, sie
-legten sich nieder, um noch einige Stunden zu schlafen, aber Keinem von
-Allen ward mehr als ein unruhiger Schlummer zu Theil, der sie nicht
-erquickte.
-
- * * * * *
-
-Diese Begebenheit, obgleich sich Alle vorgenommen hatten, nur zu den
-Vertrautesten von ihr zu sprechen, war bald in der Stadt bekannt, und
-machte großes Aufsehn. Und, wie es zu geschehen pflegt, erzählte man
-sich den seltsamen Vorfall bald mit den wunderlichsten Zusätzen, indem
-Jeder glaubte, am Besten von dem Wunder unterrichtet zu seyn.
-Sangerheim, der dieses gerade hatte vermeiden wollen, war hiedurch sehr
-verstimmt, und wurde es noch mehr, als er erfuhr, daß der regierende
-Fürst selbst sich von seinem Rathe Seebach die denkwürdige Sache hatte
-vortragen lassen. So kam es denn, daß Sangerheim nicht nur zu allen
-Versammlungen und Gesellschaften sehr gesucht wurde, sondern daß auch am
-Hofe Nachfrage nach ihm geschah. Alles dies schien ihm sehr
-gleichgültig, denn er bekannte selbst, nur einen Zweck im Auge zu haben,
-nehmlich die gewöhnliche Freimaurerei verächtlich zu machen und zu
-stürzen, zu welcher sich in dieser Provinz die angesehensten Männer
-bekannten, und die zugleich die größte Achtung genossen. Es gelang ihm
-auch, die Logen zu stören und verdächtig zu machen, und viele der
-eifrigsten Brüder zu sich hinüber zu ziehn.
-
-Indem er mit diesen arbeitete, ihnen den Irrthum deutlich machte, in
-welchem sie bisher gewandelt waren, verschiedene Grade einrichtete und
-geheimnißvolle Weihungen vornahm, mysteriöse Zeichen, Amulete und
-Gehänge austheilte, deren Deutung er sich vorbehielt, saß der geheime
-Rath Seebach in seinem Zimmer und vertiefte sich in jenen Schriften, die
-ihm seine leidenschaftliche, sonderbare Jugend wieder vergegenwärtigten.
-Er hatte mit Recht die zauberhafte Wirkung dieser Papiere gefürchtet,
-denn er verlor sich so in Erinnerungen, daß die Gegenwart fast gar keine
-Gewalt über ihn ausübte. Vieles hatte er ganz vergessen, über Manches
-dachte er jetzt anders, aber doch erschien ihm Alles in einem andern
-Lichte, als er erwartet hatte, denn er fand zu seinem Leidwesen, daß die
-großen Fragen keinesweges so abgeschlossen waren, als er es neuerdings,
-ohne wiederholte Untersuchung, zu seiner Beruhigung angenommen hatte.
-
-Diejenigen, die den alten Logen treu geblieben waren, sprachen über
-Sangerheim sehr erbittert, und behandelten ihn, ohne daß sie es beweisen
-konnten, wie einen Betrüger. Schmaling, so wie der Arzt Huber, die
-gleich seine eifrigsten Anhänger geworden waren, kämpften mit
-aufgeregter Leidenschaft diesen Verleumdern entgegen, und die ganze
-Stadt, die viele Jahre hindurch ruhig gewesen war, nahm heftig Parthei
-für und gegen den Fremden. Dieser und seine Freunde bemühten sich, den
-elenden Zustand der neueren Maurerei und das Unwesen der Logen in das
-grellste Licht zu stellen. Man berechnete, wie viel die Lehrlinge, deren
-keiner abgewiesen wurde, jährlich einbrächten, wie die älteren Brüder
-nur dahin strebten, Vorsteher, Redner und Meister vom Stuhl zu werden,
-um durch diese und andre Würden freien Theil am Schmause zu erhalten.
-Man zeigte, wie verdächtig die Wohlthätigkeit dieser Maurer sei, und
-erzählte und wiederholte ärgerliche Geschichten, die allgemeinen Anstoß
-gaben. Man machte sich lustig darüber, wie sehnsüchtig sie irgend einem
-Geheimniß entgegen sähen, wenn sich nur irgendwo eins wolle auftreiben
-lassen; wie gern man es sich, behutsam verpackt, aus England oder
-Schottland verschreiben möchte, und keine Kosten spare, damit man den
-sehnsüchtigen Forschern doch nur irgend Etwas zu verheißen hätte. Jene
-Logen der strikten Observanz hatten aber auch Manches mitzutheilen, was
-der Wißbegierige und Schadenfrohe gerne anhörte. Man erzählte: dieser
-Sangerheim sei nichts anders als ein Spion, von einer großen Macht des
-südlichen Deutschlands ausgesendet, um in den nördlichen Provinzen
-Zwiespalt auszusäen, und Mißtrauen zwischen Volk und Regierung zu
-erregen. Der verhaßte Name der Jesuiten wurde nicht geschont, um ihn und
-seine Freunde zu bezeichnen und verdächtig zu machen. Man wollte in
-seiner Wohnung eine weiße Frau, oder vielmehr ein entsetzliches Gespenst
-gesehn haben, und der neuerungssüchtige Pöbel fügte hinzu, daß Kobolde
-und Teufel in seiner Wohnung freien Aus- und Eingang hätten. Man scheute
-sich nicht, zu behaupten, er stelle dem Leben des regierenden Herrn und
-seiner Familie nach, und es gab keine so abgeschmackte Lüge, die nicht
-in irgend einem Kreise einen Schwachkopf fand, der sie geglaubt hätte.
-So sehr diese ältern, aufgeklärten Logen den eindringenden Neuling aber
-auch haßten, so sehr beneideten sie seine Kenntnisse und Geheimnisse,
-und wären ihm gern freundlich entgegen gekommen, wenn er ihnen nicht so
-unverhohlen den Krieg angekündigt hätte.
-
-So war die freundliche Stadt, die sich bis dahin einer schönen
-Geselligkeit erfreut hatte, von Zwiespalt zerrissen, der sogar viele
-Familien ergriffen, und die nächsten Freunde und Verwandte einander
-entfremdet hatte. Wie man stritt und verleumdete, bewies und zankte, die
-Meinungen hin und her schob, so merkte von Allem Derjenige, der
-eigentlich die Veranlassung dazu gegeben hatte, der geheime Rath
-Seebach, am wenigsten von dieser Verwirrung, weil er bei Tage wie in der
-Nacht fast immer über jenen Papieren sann und brütete, die er aus seinem
-Schranke gleichsam von Neuem erbeutet hatte. Alle Träume und Wünsche
-seiner Jugend wurden nun lebendig in ihm, er konnte nicht begreifen, wie
-er bis dahin alle diese Gedanken und Erfahrungen als Kindereien so
-unbedingt hatte abweisen können. Er war seitdem gegen seine Familie weit
-zurückhaltender, und ihn gereute selbst das Wenige, was er seinem Sohne
-vertraut hatte. Die Mutter klagte, die Tochter trauerte, und der Obrist
-war verdrüßlich, aber ohne Erfolg. Nur Anton blieb in seiner heitern
-Laune und sagte: Was wollt Ihr? Mein Vater verjüngt sich wieder; ist
-denn das nicht ein Glück, welches wir gern unsern Geliebten gönnen, und
-es ihnen immerdar wünschen? Warum sollen wir denn unsre Erfahrungen auch
-nicht einmal von rückwärts erneuern? Zum Kindischwerden hat es mit
-meinem lieben Alten noch Zeit, aber die Kindlichkeit ist ja fromme
-Tugend und ein Glück der Erde.
-
-Er ging dem verdächtigen Sangerheim aus dem Wege, so oft er diesem
-begegnete. Und dazu fand er oft Gelegenheit, denn so wenig der Magier
-auch zur Familie gehörte, so besuchte er sie doch täglich, und oft kam
-er zweimal am Tage, um den Herrn des Hauses zu sehn, und sich mit diesem
-einzuschließen. Sie arbeiteten dann, lasen, schrieben, und man wollte in
-der Familie sagen, daß sie gemeinschaftlich magische Operationen
-vorgenommen hätten.
-
-Als unmittelbar nach jener Nacht der geheime Rath sich dem Unbekannten
-hatte dankbar erzeigen wollen, sagte dieser: Demüthigen Sie mich nicht,
-verehrter Bruder, durch ein solches Anerbieten. Ich habe, was ich
-brauche, und es wird mir nicht leicht fehlen. Sollten sich irgend einmal
-die Verhältnisse anders gestalten, so werde ich mich mit Vertrauen
-zuerst an Sie wenden, und Sie werden mir dann meine Bitte nicht
-abschlagen.
-
-Als der Rath ihm von Neuem seine Dankbarkeit ausdrückte und zugleich den
-Wunsch aussprach, ihn näher kennen zu lernen, erwiederte der Fremde: Was
-ich von mir weiß, oder Ihnen sagen darf, will ich Ihnen, geliebter
-Bruder, gern mittheilen, denn wir verstehn den Freund um so besser, wenn
-wir seine äußere Geschichte, die Umrisse seines Lebens ebenfalls vor uns
-sehn. So wissen Sie also, daß ich im Jahr 1745 geboren bin, und zwar in
-Paris. Mein Vater war nichts Geringeres, als ein Prinz von königlichem
-Geblüt, aber meine Mutter war eine Bürgerliche, die sich durch schöne
-Worte, Versprechungen, vorzüglich aber durch die einnehmende Gestalt
-meines Vaters hatte täuschen lassen. Ich wurde gut erzogen, und der
-theuerste Lehrmeister für jede Kunst und Wissenschaft mir gehalten. Mein
-Vater hatte große Freude an mir, und verzog und verzärtelte mich. Das
-ist das größte Unglück, das einem Kinde meiner Art widerfahren kann,
-denn in spätern Jahren wird es doch wieder in die Bahn zurückgewiesen,
-in die es nach den Einrichtungen der Welt gehört. An einem sittenlosen
-Hofe war meine Abstammung eines jener öffentlichen Geheimnisse, das alle
-Welt kennt und belacht, und eben so Jeder, wenn es ein ernstes Wort
-gilt, verleugnet. Ich hatte oft das Glück, den König zu sehn, der
-zuweilen so mit mir spielte, als wenn er selbst ein Kind gewesen wäre.
-So lange man als Kind hübsch und artig ist, wird man über die Gebühr von
-Weibern und Mädchen bewundert; treten die Jahre ein, in denen sich der
-Knabe streckt und auswächst, so wird er von verwöhnten Menschen um so
-mehr übersehn, wohl gar verfolgt, und das Beste im Kinde wird verhöhnt,
-wie früherhin das Gleichgültigste vergöttert ward. Auch diese Erfahrung
-mußte ich machen, so wie späterhin die noch schlimmere, daß mein Vater,
-der sich mit einer jungen tugendhaften Dame vermählte, nachdem er einige
-Jahre als Wittwer gelebt hatte, mich aus Engherzigkeit und
-mißverstandener Moral verleugnete. Damals bemächtigte sich eine tödtende
-Bitterkeit meines jungen Herzens. Nachher ging mein Haß in Verachtung
-über, und ich vermied, wie ich nur irgend konnte, den Anblick des
-Prinzen. Ich erhielt eine Stelle beim Regiment, ward Lieutenant,
-Hauptmann, Obrist, und man ersparte mir sogar den Dank für diese
-Wohlthaten und Auszeichnungen.
-
-Die Maurerei war in Frankreich etwas so Gewöhnliches, daß jeder junge
-Mann von Welt und Erziehung zur Brüderschaft gehören mußte. Es war fast
-nicht mehr, als wie man eine Loge im Theater nimmt. Der Krieg brachte
-mich nach Deutschland und ich lernte hier einige ernstere Brüder und ein
-tieferes Forschen kennen. Als aber mein Wissenstrieb erwachte, konnte
-mir Keiner eigentlichen Bescheid geben. Jeder hoffte vom Andern das zu
-erfahren, was er so schmerzlich entbehrte, und was Jeder nur ungern, und
-endlich mit Scham gestand, nicht zu besitzen. Ich ging durch alle Grade,
-durch alle Sekten, hatte viele hochklingende Namen, vielerlei Kreuze und
-Kleidungen erworben und als aufmunternde Amulete erhalten, aber
-eigentlich Nichts erfahren. Das Sonderbarste war, wenn ich mich
-erforschte, daß ich eigentlich selbst nicht wußte, was ich denn nun
-wissen wollte. Jenes leere Ideal, jener nüchterne Cosmopolitismus, den
-Sie uns neulich schilderten, war mir freilich auch von Einigen gepredigt
-worden, aber er konnte meiner brennenden Wißbegier am wenigsten genügen.
-Wenn wir sehn, wie uns durch mechanische Kunst die Thiere gehorchen, wie
-der Wind das Segel schwellt und dem Schiffer dient, wie das Feuer uns
-die Berge und ihre Metalle zu leibeignen Vasallen macht, und eine arme
-Mischung von Kohlenstaub, Salpeter und Schwefel uns Mauern und Thürme
-niederwirft, so meinte ich, der so vorgeschrittne Mensch dürfe auch in
-das Geisterreich seine gebietende Hand hineinstrecken, und auch die
-Kräfte müßten ihm gehorchen, die man nur gemeinhin die unsichtbaren und
-unbekannten nennt, weil Keiner das Auge dreist erhebt.
-
-Aber nirgend fand ich Rath und Hülfe. Auch in England nicht;
-gewissermaßen hier am wenigsten. Ich kam auf die Vermuthung, die sich
-mir späterhin als Wahrheit bestätigt hat, daß alle diese Menschen von
-Klügeren mit Spielwerk und nüchternen Reflexionen, oder Symbolen der
-ehemaligen Tempelherrn nur hingehalten werden, damit sie ja nicht
-erwachen und das wahre Licht erkennen. Nach dem Frieden verließ ich den
-Dienst und Soldatenstand, und nur meine Sehnsucht, so wie die Verehrung
-der Kunst trieb mich nach Italien.
-
-Hier nun war es, vorzüglich in Florenz und Rom, wo mein Leben in eine so
-andre, bis dahin nie geahndete Bahn gerieth, daß ich Ihnen, geliebter
-Bruder, wenigstens für jetzt, von den Erfahrungen, die ich machte, von
-den Erkenntnissen, die mir mitgetheilt wurden, Nichts offenbaren darf.
-Aber die Zeit wird kommen, ich sehe sie schon vor mir dämmern, wo ich
-Ihnen Nichts mehr zu verschweigen brauche. Als ich nach Frankreich
-zurück kam, bemerkte ich, wie Saint Martin und seine Schüler Manches in
-der Ferne gesehn haben, wie Fludd und die deutschen Rosenkreuzer nicht
-zu verwerfen sind, und wie vorzüglich ihr großer Jacob Böhme oft fast
-unmittelbar an das Centrum des heiligen Geheimnisses geräth, von dem
-auch Paracelsus und der tiefsinnige van Helmont schon einen Anblick, wie
-durch einen fliehenden Nebel hatten. Diesen großen Männern fehlte
-Nichts, als Bekanntschaften in Italien, wie sie mir ein günstiger Zufall
-verschaffte, um schon in der Kunst die höchste Stufe zu ersteigen. Ich
-bin auch überzeugt, daß hie und da ein Deutscher, weil diese Nation
-vielleicht das größte Talent zum Tiefsinn besitzt, wohl das Mysterium
-gefunden hat. Es Unwürdigen mittheilen, ist die größte Sünde, und
-deshalb sind Prüfungen verschiedener Art und mancherlei Grade
-nothwendig.
-
-Der Rath Seebach schien im Wesentlichen mit diesen Ansichten
-übereinzustimmen. Er theilte dem neugewonnenen Freunde viele jener
-jugendlichen Schriften, Auszüge und Bemerkungen mit, und Sangerheim
-sagte nach einigen Tagen: es ist, verehrter Bruder, wie ein Wunder, daß
-Sie in Ihrer Jugend schon so sicher auf dem richtigen Wege gingen, sich
-aber doch zu bald durch Schwierigkeiten und einige Blendwerke, die ihnen
-die Meister wohl absichtlich entgegen schickten, zurück schrecken
-ließen. Wer so früh so vorgearbeitet hat, dem muß es im reifen Alter ein
-Leichtes seyn, auch das Allerhöchste zu erringen.
-
-Der Obrist, der sich zurückgesetzt fand, war mürrisch und verdrüßlich,
-und es gelang dem wunderbaren Gaste nur schwer, ihn wieder zu gewinnen.
-Als dies geschehn war, arbeitete der Greis, um auch Vorschritte zu
-machen, um so eifriger. Schmaling, der dem Magier ganz ergeben war,
-fühlte sich in Gegenwart seiner Geliebten nicht mehr so heiter und froh,
-als ehemals, und der Arzt Huber war glücklich, daß er endlich einen
-Bruder gefunden hatte, der Talent und Einsicht genug besaß, sein System,
-dessen Anhänger er schon lange war, dem Geheimenrathe gegenüber so
-geltend zu machen, daß dieser selbst sich dazu schon halb bekannte.
-
-Der weibliche Theil der Familie war in tiefer Trauer, denn Clara's
-scharfes Auge bemerkte sehr gut die Veränderung, die mit ihrem Geliebten
-vorgegangen war. Er sah sie selten, und wenn er in ihre Nähe kam, war er
-tiefsinnig oder zerstreut. Ihn ergötzte kein Spaziergang mehr, kein
-Gespräch konnte ihn aufheitern, so sehr war er seinen seltsamen
-Forschungen hingegeben. Die Gesellschaft Antons vermied er mit
-auffallender Aengstlichkeit, weil dessen Scherz ihn einigemal verwundet
-hatte. Welche reizbaren Geister, sagte dieser zur Schwester, müssen es
-seyn, die durchaus gar keinen Spaß verstehn? Könnte man sich dergleichen
-Unsterbliche wohl zu seinem Umgange wünschen? Ich wenigstens gewiß
-nicht. Aber unser Schmaling muß, ich weiß nicht welchem trübsinnigen
-Elfenkönig, den feierlichen Eid abgelegt haben, niemals wieder zu
-lachen. Und wenn der junge Mann doch nur einsehn wollte, wie schlecht
-ihm diese Feierlichkeit zu Gesichte steht. Er ist, wenn er lacht und
-heiter blickt, zehnmal so liebenswürdig. Fährt er aber so fort, so
-bekommt er Runzeln und Falten, wie ein Rhinozeros. Solche Stirnrunzel
-sieht aus, als wenn ein ganzer Acker fruchtbarer Erde aus dem Kopfe
-genommen wäre. Es sind die wahren Lückenbüßer, die andeuten, wie alle
-Gedanken entflogen sind. Die Stirn hat immer, so wie sie es merkte,
-nachgeschnappt, um festzuhalten; so sind diese Gruben geworden.
-
-Mir ist Dein Scherz zuwider, sagte Clara, denn ich sehe das Glück meines
-Lebens gestört. Dieser unglückliche Besuch hat Alles geändert und der
-aufgereizte Schmaling bedurfte nur einer solchen Veranlassung, um sein
-ganzes Wesen umzuwandeln.
-
-Sei über ihn beruhigt, antwortete der Bruder, ich habe schon dafür
-gesorgt, daß er wieder curirt werden soll. Mir ist ein Mittel
-beigefallen, das ich für untrüglich halte.
-
-Wenn es nur, erwiederte die Schwester, durch diese Cur nicht noch
-schlimmer wird, wie es wohl zuweilen der Fall ist. Wer kann überhaupt
-wissen, was noch aus Arzt und Kranken wird.
-
-Um mich darfst Du unbesorgt seyn, sagte Anton, laut lachend, denn mein
-Wesen ist zu prosaisch, um sich umstimmen zu lassen.
-
-Wir erleben, antwortete die Schwester, so Manches, was wir nicht
-erwarteten. Bist Du Deiner so gewiß?
-
- * * * * *
-
-Die Gegenwart Sangerheims hatte in allen Gemüthern Empfindungen,
-Ansichten und Neugier aufgeweckt, alte Erzählungen wieder neu in Umlauf
-gebracht, die man schon vergessen hatte, und es war kein Haus, in
-welchem nicht Meinungen behauptet und bestritten wurden. Die Maurer der
-vorigen Tage waren in das größte Gedränge gekommen und viele, und zum
-Theil die angesehensten, hatten den Fremden für ihren Meister anerkannt.
-Als der Gelehrte sah, mit welchem Eifer man für und wider kämpfte,
-vorzüglich aber als er bemerkte, wie die Familie seines alten Freundes
-in Verwirrung gerathe, nahm er sich vor, Etwas zu thun, um die vorige
-Ruhe und Behaglichkeit wieder her zu stellen. Man hatte ihm erzählt, wie
-sehr der Rath sich an den verdächtigen Fremden schließe, und wie dies
-nicht allein Frau und Tochter betrübe, sondern ihm vom Minister und dem
-Fürsten selber nicht gut ausgelegt werde. Ferner sagte eines Tages zu
-Anton: dieser Trieb in uns, ohne welchen wir kein Interesse an
-Wissenschaft und Geschichte nehmen könnten, muß sorgsam bewacht und
-gehütet werden, wenn er den Geist nicht in Gegenden verlocken soll, in
-denen aller ächte Trieb zum Wissen erlischt. Alle Kräfte in uns sollen
-im Gleichgewichte stehn und nur dann ist der Mensch gebildet und
-verständig; darum kann ihn, wie es so oft geschieht, ein überwiegendes
-Talent unglücklich machen. Die Lust am Geheimniß und Wunder darf auch
-nur verstärkt werden, wenn Witz und Scharfsinn, Vernunft und Verstand
-ebenfalls sich beleben. Diese Harmonie des Menschen fällt aber nicht ins
-Auge, und darum dünkt sie auch oft den Aufgeregten etwas Geringes und
-selbst Verächtliches.
-
-Anton hatte dem Professor einen Plan mitgetheilt, um Schmaling, der sich
-am unbedingtesten der Schwärmerei ergab, auf gelinde Weise durch
-Beschämung wieder zur Vernunft zurück zu führen. Er hatte die
-Bekanntschaft eines Mannes gemacht, und ihn auch in das Haus seines
-Freundes, des Professors, geführt, der sich in kurzer Zeit das ganze
-Vertrauen des Jünglings erworben hatte. Es schien in der That, als wenn
-dieser Freund, der sich Anderson nannte, Jeden gewinnen müsse, dem er
-sich nähere; so konnte er durch Scherz und Ernst, Witz und Tiefsinn,
-Laune und Munterkeit in das Wesen der verschiedensten Charaktere
-eingehn, indem er bald in jedem Menschen eine Seite auffand, für die er
-sich interessirte, und so im geistreichen Gespräch den Mitsprechenden
-klüger und einsichtsvoller machte, als dieser sich sonst erschienen war.
-Wer dieses Talent besitzt, gewinnt die Menschen am sichersten. In den
-meisten ist irgend eine Gegend des Geistes fruchtbar, und bringt
-eigenthümliche Gewächse hervor. Die Natur hatte wohl die Absicht, daß
-von hieraus die Originalität des Wesens hervorgehn, und das Individuelle
-desselben sich geistreich ausbilden sollte. Aber unsre Erziehung,
-einförmige und conventionelle Cultur, Geschäfte und Vielwisserei
-ersticken bei den Meisten schon früh diesen Keim. Die meisten Gespräche
-werden nur geführt, damit Jeder sich selbst hört, und den Andern so
-wenig äußerlich wie innerlich zu Worte kommen läßt. Geräth aber ein
-Menschenkünstler, ein ächter Virtuos, über diese verwahrlosten
-Instrumente, so weiß er auch den baufälligsten wundersame Töne zu
-entlocken.
-
-So war Jedermann in der Gesellschaft dieses Anderson klüger und
-witziger, als für sich selbst, oder im Umgang mit Andern. Er war daher
-in allen Gesellschaften gern gesehn, die er auch nicht vermied und
-allenthalben Unterhaltung fand. Sein Aeußeres war eben nicht sehr
-empfehlend, er war klein und stark, von breiten Schultern, und sein Kopf
-stand zwischen diesen etwas eingepreßt auf einem dicken Halse.
-
-Durch Sangerheim waren alle früheren Nachrichten von dem großen
-Wunderthäter, dem Grafen Feliciano, neu belebt worden. Briefe
-bestätigten von Neuem seine unbegreiflichen und schnellen Heilungen der
-schwierigsten und tödtlichsten Krankheiten, die die größten Aerzte schon
-verzweifelnd aufgegeben hatten. Man erzählte sich, wie er in einer
-großen Stadt des Auslandes in einem Palaste ganz wie ein Fürst lebe, von
-glänzender Dienerschaft umringt. Kein Armer verlasse seine Schwelle, der
-nicht reichlich beschenkt würde. Geld achte er wie Spreu, er bedürfe der
-Gnade keines Königs, denn er habe jüngst einem Staate eine ungeheure
-Summe geschenkt, um den Fürsten aus einer Verlegenheit zu ziehn. Daß das
-Auflegen seiner Hand tödtliche Wunden schließe und die hartnäckigsten
-Krämpfe löse, war nur etwas Unbedeutendes: denn Todte sollte er schon
-geweckt haben, Abwesende aus fernen Ländern zitiren können, so daß sie
-den Freunden oder der Familie in sichtbarer Bildung erschienen, so wie
-er seinem eignen Geiste zuweilen gestatte, aus dem Körper zu wandern, um
-plötzlich in Asien oder Amerika einem Freunde, der ihn magisch gerufen
-habe, beizustehn. Daß alle Geister ihm zu Gebote ständen, die guten wie
-die bösen, bezweifelte Keiner, der mit Vertrauen und Glauben von ihm
-sprach. -- Schmaling, der wenig in Gesellschaft kam, sondern ganz seinen
-sonderbaren Studien und seinem Meister lebte, war dem merkwürdigen
-Anderson niemals begegnet, und darum hatte diesem heitern und gefälligen
-Manne der übermüthige Anton den sonderbaren Vorschlag gemacht, daß er
-die Rolle des berühmten Feliciano spielen solle, um so Schmaling zu
-täuschen, und ihn so, indem er einsähe, wie leicht er hintergangen
-werden könne, in seiner Verehrung Sangerheims irre zu machen. Der muntre
-Anderson war auf diesen Plan eingegangen, und um so lieber, weil er oft
-tadelnd von diesem Sangerheim und dessen Arbeiten sprach. Im Hause des
-Professor Ferner wollte man eine geheimnißvolle Zusammenkunft
-veranstalten, von der aber der Magus Sangerheim nichts erfahren dürfe.
-
-Ferner war lange diesem Projekt entgegen gewesen. Er sagte auch jetzt:
-ich bin kein Freund von dergleichen Mystificationen. Sie sind nach
-meinem Gefühl ganz und gar dem Wesen und dem Anstand einer gebildeten
-Gesellschaft entgegen. Der Hintergangene hat Ursach, es nachzutragen,
-und es ist ihm nicht zu verargen, wenn er niemals wieder Vertrauen faßt.
-Indessen mag eine gute Absicht diesmal die Sache entschuldigen; nur
-fürchte ich, daß Sie sich mit unserm Schmaling völlig verrechnet haben.
-
-Der Versuch wird immer das Uebel nicht ärger machen, antwortete Anton:
-auch ist es gerade in der Hinsicht ein glücklicher Zeitpunkt, weil die
-Freunde Feliciano's melden, er habe jene Stadt wieder verlassen, um von
-Neuem eine Reise nach Aegypten zu machen, und aus den Pyramiden viele
-Mysterien hervor zu suchen.
-
-Man traf noch eine nähere Abrede, und Anton ging, um jenen Anderson, zu
-welchem er eine große Zärtlichkeit gefaßt hatte, wieder aufzusuchen.
-
-Der Rath Seebach stand oft in seinem Zimmer, vor seinen Papieren, die
-vor ihm ausgebreitet lagen, und dachte seinem Leben und den wechselnden
-Empfindungen nach, die ihn in den verschiedenen Perioden seiner Bildung
-bestürmt hatten. Wohin geht dieser Lauf? sagte er eines Morgens zu sich
-selbst; dasjenige, was ich als einen festen Besitz errungen zu haben
-glaubte, droht mir wieder wie Wasser zwischen den Fingern zu entrinnen.
-Bleibt es doch wahr, daß in jener Nüchternheit, die ich vormals rühmte,
-die sichre Grundlage des Lebens ruht. Meine Jugend, und alle jene
-wilden, ungezügelten Bestrebungen überströmen wieder alle Dämme und
-Ufer, schon beginnt mir der Anblick dessen, was ich so lange als das
-Schöne und Edle erkannte, Langeweile, Widerwillen und Ekel zu erregen,
-denn zu unbedeutend, unbestimmt und mittelmäßig dehnt es sich vor mir
-aus. Hingehalten durch Hoffnungen, eingewiegt mit Versprechungen,
-aufgeregt durch Winke, und betäubt durch Erscheinungen, die ich sehe,
-aber nicht begreife, die mich erschrecken, und an die ich doch nicht
-glauben kann, wird mein Dasein zum Traum. Welch sonderbares Band zieht
-mich zu diesem fremden Mann, und verknüpft mich ihm: ihm, dem ich mein
-ganzes Vertrauen schenken möchte, und der in diesen Momenten der
-Hingebung mich am meisten zurück stößt? Ich sehe, daß er geheime
-Kenntnisse besitzt, die er mir mitzutheilen verspricht, und mir dennoch
-vorenthält. Heut ist er ganz Offenheit, morgen lauter zurück haltende
-Förmlichkeit. In seiner Gegenwart fühle ich das Gelüste, gerade das zu
-glauben, was meinem Verstande am widersinnigsten erscheint, und wieder
-überschleicht mich eine Empfindung, daß ich im selben Augenblick ihn und
-mich verlachen möchte.
-
-Sangerheim traf und störte ihn in diesen Betrachtungen. Sie übersehn,
-Theurer, sagte er beim Eintreten, indem er die Thür verschloß, wieder
-Ihre Studien und Erfahrungen. Es ist sonderbar, wie wir Menschen schon
-so oft in der Jugend das höhere Wort vernehmen, den Ton desselben
-fassen, und uns späterhin Aussprache und Bedeutung wieder entfliehen
-können. Doch kehren wir in reifen Jahren mit tieferem Sinn, mit
-stärkerer Innigkeit zu denselben Wahrheiten zurück, wie es Ihnen
-geschieht; unbewußt hat die Seele die Geheimnisse ausgearbeitet, und die
-Glaubensfähigkeit steht gewappnet an derselben Stelle, wo noch gestern
-Zweifel und Unglaube nackt und wehrlos zitterten.
-
-Gestern, sagte der Rath, haben wir gerechnet und Figuren gezeichnet, die
-sonderbare Erscheinung, die Sie mir vorführten, überraschte mich;
-nachdem vernahm ich, indem Sie neben mir saßen, jene Stimme aus dem
-Zimmer dort, die mir die geheimnißvollen Worte zurief -- Alles dieses,
-Lieber, sehe und erlebe ich; aber ich kann es mir nicht aneignen, es hat
-keine Bedeutung für mich, es fährt Alles wie leere Phantome, nur
-erschreckend, mir vorüber. Ich habe genug erfahren, um irre zu werden,
-aber dieses Räthsel meines Innern, welches sich immer mehr verschlingt,
-ringt mit allen Kräften meines Herzens zur Lösung hin. Weder in diesen
-wechselnden Schauern von Licht und Schatten, noch in stiller Resignation
-kann ich meine Befriedigung finden, und ich fange an, meine Zweifel
-wieder als die bessere Weisheit aufzusuchen.
-
-Und doch waren wir übereingekommen, sagte Sangerheim mit feierlichem
-Ton, Sie hatten mit mir die Nothwendigkeit eingesehn, daß es Prüfungen,
-Grade geben müsse, daß die Geduld die unerläßlichste Tugend sei, um dem
-Geheimniß näher zu kommen.
-
-Nur eine einzige Frage, und die beantworten Sie mir auf Ihr Gewissen,
-sagte der geheime Rath eben so feierlich: Können Sie mir bei Gott und
-allem Heiligen, das Sie glauben, schwören, daß Sie mir irgend einmal,
-wenn auch später, die Lösung mittheilen wollen, und daß Sie selbst von
-Ihrem Beruf überzeugt sind?
-
-Ja! rief der Fremde, und erhob die Hand. -- Gut denn, sagte der Rath,
-empfangen Sie dann diese Brieftasche, und in ihr, was Sie wünschten, ich
-will, ich muß Ihnen vertrauen.
-
-Auch ich, sagte Sangerheim, will mich Ihnen verpfänden, mit dem
-Theuersten, was ich besitze, mit Allem, was ich Ihnen nur geben kann. Er
-zog ein Paket hervor, mit seltsamen Zeichen versiegelt und fest in
-einander geschnürt. Legen Sie, sagte er, hier auch Ihr Siegel an. In
-diesem kleinen Raum ist Alles, was ich weiß, enthalten; mein ganzes
-Dasein, Alles, was Sie erfahren wollen, umschließt diese Sammlung. Löse
-ich sie zu der festgesetzten Zeit nicht aus, sterbe ich vor diesem
-Zeitpunkt, so fällt Ihnen diese Erbschaft zu und Sie mögen damit
-schalten nach Ihrer Willkühr.
-
-Der Rath nahm das Paket in die Hand, schlug es ein, überschrieb es mit
-einer Nachricht, daß dies das Eigenthum Sangerheims sei, versiegelte es
-und legte es in seinen Schrank. Sich besinnend nahm er es wieder und
-sagte: doch kommen meine Kinder zuweilen hieher, in jenem Pult ist eine
-geheime Schieblade. Er trug es hin und indem er es einzwängte, geschah
-ein Knall, und die Masse selbst erzitterte. Sehn Sie, sagte Sangerheim,
-Sie sind ohne Noth besorgt, es bewacht sich selbst.
-
-Der Rath hatte sich entfärbt. Sangerheim sah ihn fest an und schien sich
-an der Verlegenheit des alten Mannes zu weiden, die dieser nicht
-verbergen konnte, so sehr er sich auch bemühte. Er sammelte seine
-zerstreuten Skripturen wieder, warf sie in den Schrank und sagte dann:
-also, Geduld, und bis dahin habe ich mich Ihnen unbedingt ergeben. Es
-ist wunderbar genug, wir entziehn uns gewissermaßen der Kirche und der
-Religion des Staates, wir nennen es unsre Weisheit, anders und weniger
-zu glauben, als der gemeine Mann, -- und geben uns im Entfernen vom
-Hergebrachten und Autorisirten andern viel unglaublichern Dingen hin,
-und sind zufrieden, nur zu sehn und zu ahnden, ohne daß uns die Lösung
-gegeben wird, die wir doch in der Religion suchten und forderten.
-
-Richtig bemerkt, erwiederte Sangerheim; ist denn aber dieser Widerspruch
-nicht vielleicht eine Vorbereitung zu einer ächtern Religiosität, zu
-einem wahren Glauben? Immerdar, wenn wir uns widersprechen, ist es nur
-Schein, wir suchen die Bindung, den unsichtbaren Mittelpunkt, der den
-Widerstreit aufhebt.
-
-Das ist aber gegen die Abrede, erwiederte der Rath, daß ich wieder durch
-Gedanken und ihren wechselnden Kampf das Richtige und Wahre finden
-sollte, ich sollte es ja unmittelbar schauen, und es als einen wahren
-Besitz von dannen tragen.
-
-Wenn Sie denn, fing Sangerheim zögernd an, sich nicht fügen können und
-wollen, so gäbe es in Ihrem frommen und erweckten Sinn allerdings ein
-Mittel, das rasch die Hemmung wegnehmen, und Sie ohne Umwege zum Ziele
-führen könnte.
-
-Und dieses Mittel? fragte der Rath eifrig.
-
-Auch ohne dieses können Sie zu einem glänzenden Ziele gelangen,
-antwortete Jener, aber langsamer, und niemals erreichten Sie die Würde,
-so viel Sie auch schauen werden, eines höchsten Obern.
-
-Und dieses Mittel, fragte der Rath wieder, könnte mir diese Würde und
-die schnellere Einsicht in alle Geheimnisse verschaffen?
-
-Ohne Zweifel. -- Sehnen Sie sich heftig?
-
-Unbeschreiblich! fing der Rath wieder an, und, da Sie so weit gegangen
-sind, so nennen Sie es auch, sonst sind Sie nicht mein Freund.
-
-Was Sie immerdar hemmen wird, antwortete Sangerheim mit einer Thräne im
-Auge, ist, daß Sie nicht ein Mitglied meiner Kirche sind. --
-
-Der Rath trat einen Schritt zurück und suchte noch mehr wie vorher die
-Bewegung seines Innern zu verbergen. Sangerheim sah ihn mit einem festen
-prüfenden Blicke an, als wenn er seine Augen durchbohren wollte, aber
-der Rath erwiederte diesen festen Blick, und nach einigen Augenblicken
-entfernte sich der Fremde.
-
-Tief erschüttert ging der Alte im Saale auf und ab. -- Das ist es also?
-sagte er endlich zu sich selber; also dorthin liegt das eigentliche und
-wahre Geheimniß? -- Habe ich doch den Einreden so mancher vernünftigen
-und kaltblütigen Freunde nicht glauben wollen. Ich hielt es nur für
-Fabel, weil es einem Mährchen so ähnlich sieht; und ist also nun doch
-Wahrheit. -- Sie bemächtigen sich einer Einrichtung, die im Beginn gut
-und edel war, die sich dann selbst vergaß, und in deren unbedeutenden
-Nüchternheit nun leicht die Sehnsucht zu Wundern und Seltsamkeiten Raum
-finden kann. -- Wie verbreitet die Logen sind, so mögen sich diese, oder
-ähnliche Schwindler leicht jetzt oder in Zukunft der Menge bemeistern,
-um ihre Pläne, die sich noch nicht an das Licht wagen, durchzusetzen. --
-Diese Emissäre gehören also einer Propaganda an, und es läßt sich nun
-wohl begreifen, wer und was diese geheimen Obern sind, -- Alles, was man
-von diesem Nachbarstaate erzählt, wo man auf verschiedene Art den
-Erbprinzen bearbeitet, hier und anderswo die Störung der Logen, das
-Eindringen und Vorschieben alter Meinungen. -- Die Herren haben also
-doch ihre Herrschsucht und die alten Plane noch nicht aufgegeben! -- Ja,
-ich bin durch dieses einzige Wort zum Licht hindurch gedrungen, aber
-sehr gegen deinen Willen, mein guter Magus. -- Seine Kunststücke
-begreife ich freilich nicht; aber was gehen sie mich denn eigentlich an?
-Vor meinem guten verständigen Sohne muß ich mich jetzt schämen, der doch
-in seiner Art, wie er jenes Wunder betrachtete, sehr Recht hatte. -- Zu
-schnell, zu plötzlich mag ich aber freilich auch nicht zurücktreten; ich
-will ihn noch beobachten: ich kann es jetzt wie ein Spiel treiben und
-genießen. --
-
-Mit Beschämung dachte er nun der Summen, die er dem Magier ausgeliefert,
-noch der letzten großen, die er ihm heut gegeben hatte. Sangerheim hatte
-zwar Anfangs jeden Dank und Lohn ausgeschlagen, aber bald hatte er bei
-dem großmüthigen Freunde Hülfe gesucht, der nun um so lieber und
-reichlicher mittheilte, da der Wunderthäter sich erst uneigennützig
-gezeigt hatte. Zu den Beschwörungen und zum Geister-Apparat, so wie zu
-Einrichtung der Oefen und Herbeischaffung alles Geräthes, um den Stein
-der Weisen hervorzubringen, war wieder ein Kapital nöthig gewesen.
-Nachher zu geheimen Plänen, die Sangerheim noch nicht nennen durfte, auf
-Geheiß jener unbekannten Obern, war wieder eine bedeutende Summe in
-Anspruch genommen worden. Für die letzteren großen Auslagen hatte der
-Magier seinem gläubigen Schüler eben jene versiegelten und zauberhaft
-verschlossenen Schriften verpfändet, die er bald wieder, durch
-Erstattung jener Summe, auszulösen versprach.
-
-Sangerheim machte einen großen Aufwand und lebte in der Stadt ganz als
-ein vornehmer Mann. Der feinen und neugierigen Welt war es ein
-Geheimniß, daß sie nicht ergründen konnte, wovon er seine Ausgaben
-bestritt. Der geheime Rath Seebach hätte darüber Bescheid ertheilen
-können, denn beschämt gestand er es sich nicht gern, daß ein großer
-Theil jener so wunderbar geretteten Summe schon wieder geschwunden sei,
-wenn der Zauberer nicht seine Schuld bezahle, woran der Gläubiger zu
-zweifeln anfing. -- Mit Schmerz dachte er an den jungen Schmaling,
-seinen künftigen Schwiegersohn, so wie an seinen Hausfreund, den Arzt,
-denn er wußte, daß Beide eifrig mit Sangerheim laborirten.
-
-Die Familie war erfreut, als der Vater nach langer Zeit wieder bei
-Tische heiter war. Clara besonders wollte daraus für ihr Schicksal etwas
-Glückliches lesen. Als sie mit dem Bruder über die Veränderung des
-Vaters sprach, sagte Anton: Dergleichen Verblendung, liebes Kind, kann
-niemals lange dauern. Hätte ich nicht andre Sorgen, so wollte ich mich
-anheischig machen, diesen Kummer mit etwas Geduld zu überwinden, oder
-mit Verstand und Zeit die Getäuschten zu heilen. Heut Abend wird nun
-unser Schmaling gründlich in die Lehre genommen werden, und ich möchte
-Vieles verwetten, daß ich ihn Dir schon morgen als einen andern Menschen
-vorführen kann. --
-
-Sangerheim war, jenes Wortes wegen, das er hatte fallen lassen, mit sich
-selber sehr unzufrieden. Er hatte bemerkt, wie der Rath dadurch war
-überrascht worden. -- Mag seyn, sprach er zu sich, daß es unbesonnen und
-zu früh ausgesprochen wurde, ich kann mit mir und dem Erfolg zufrieden
-seyn. Sie müssen meine Bemühungen erkennen, jene großen, jene mächtigen
-Männer. Und welches Glück, ihnen beigezählt zu werden! Welche Aussicht,
-daß Natur, Geisterreich und Welt mir dient, daß vor mir jedes Geheimniß
-die entstellende Hülle abwirft. -- Und bin ich denn noch so weit von
-diesem glänzenden Ziele entfernt? Habe ich denn nicht die Zusage der
-Edelsten, daß mir bald, in weniger Frist Alles soll gewährt seyn? Wie
-sie mich durch Wissen, Kunst und Gold unterstützen, so werden sie mir
-auch die herrlichsten Güter nicht lange mehr verweigern.
-
-So träumte Sangerheim, und verlor sich in sonderbare und weitaussehende
-Plane.
-
- * * * * *
-
-Der Professor Ferner hatte dem jungen Schmaling unter dem Siegel der
-Verschwiegenheit vertraut, daß, wenn er es wünsche, er am Abend den
-weltberühmten Grafen Feliciano in seinem Hause sehn könne, welcher
-incognito angekommen sei, um schnell weiter zu reisen. Er machte es ihm
-aber zur Pflicht, seiner Schwester, wie seinen Eltern Nichts davon zu
-sagen, weil sie Beide sonst sich den Zorn des Grafen zuziehen würden.
-Schmaling war über diese Nachricht entzückt, und versprach, nicht
-auszubleiben, indem er zugleich versichern mußte, daß sein Herr und
-Meister, Sangerheim, auch Nichts davon erfahren solle.
-
-Anton stellte sich früher bei Ferner ein, um mit Anderson einige
-Vorkehrungen zu treffen. Wenn es Effekt machen soll, sagte der heitre
-Anderson, so muß ich Euer Haus und die Einrichtung desselben etwas
-genauer kennen lernen. Aber sagt mir doch, von welcher Art ist denn
-jener Kunstjünger selbst, den wir heut unserm Genius und dessen Launen
-aufopfern wollen?
-
-Anton nahm das Wort und sagte: Der junge Mann wird jetzt acht und
-zwanzig Jahre alt seyn und kann im Bau des Körpers, im Angesicht, Blick
-und Wesen fast für einen vollkommen schönen Jüngling gelten. Sein Wesen
-ist sanft und einschmeichelnd, sein Charakter ist weich und nachgiebig,
-und so fügte es sich, daß er meiner Schwester, die er schon seit lange
-verehrt hatte, gefiel. Er hat außerdem Viel gelernt, ist ein tüchtiger
-Geschäftsmann, und von seinen Vorgesetzten so geachtet, daß sie ihn, so
-jung er auch ist, schon zum Rath ernannt haben. Meine Schwester würde
-einer glücklichen Ehe entgegen sehn, wenn diese Geheimnißkrämerei, diese
-Sucht, sich die Weisheit der Rosenkreuzer und andrer Schwärmer
-anzueignen, nicht das schöne Verhältniß jetzt für eine Zeitlang völlig
-zerstört hätte. Ihr kennt ja, theurer Mann, die Begebenheit, die sich in
-unserm Hause zugetragen hat. Seitdem ist er diesem Sangerheim, aus dem
-wir Alle nicht klug werden können, wie mit Leib und Seele verschrieben.
-Könnt Ihr nun, indem Ihr den Leichtgläubigen in einer Maske täuscht, ihn
-dahin bringen, daß er von seiner Wundersucht nachläßt, so sind wir Euch
-den größten Dank schuldig.
-
-Wir werden ja sehn, was wir ausrichten können, erwiederte Anderson. Er
-ging, um sich die Zimmer zu betrachten, indessen Ferner bemerkte: Wie
-seltsam ist es doch, daß wir uns zu einer solchen Maskerade vorsätzlich
-einrichten, indessen jener Sangerheim, der so Viele täuscht, doch auch
-kein wirklicher Charakter, sondern nur ein angenommener seyn kann. Man
-kann aber die Bemerkung machen, daß man auf jeder Redoute, sobald man
-die erste Betäubung überstanden hat, an alle die seltsamen Masken, die
-man sieht, glaubt, sich diese Wesen in ihren seltsamen Bedeutungen
-vergegenwärtigt, und selbst den vertrautesten Freund, wenn er sich nicht
-ganz hölzern beträgt, sich nicht in seinem wahren Charakter deutlich
-vorstellen kann. Diese sonderbare Eigenschaft unsrer Seele, die so gern
-freiwillig der Täuschung entgegen geht, erklärt es einigermaßen, warum
-die Betrüger in der wirklichen Welt in der Regel so leichtes Spiel
-haben.
-
-Anderson trat wieder zu ihnen und sagte: Um meiner Sache gewisser zu
-werden, fange ich nun schon an, den Feliciano zu spielen, den Grafen,
-den Menschenfreund, den Heilkünstler und Geisterseher. Mein Bedienter
-ist auch draußen, und wird mit bei Tische aufwarten, um der Gesellschaft
-mehr Ansehn zu geben.
-
-Schmaling trat schon, früher als man vermuthet hatte, vor Freude
-zitternd herein. Man begrüßte sich und der nachgeahmte Feliciano
-behandelte ihn, so wie den Professor und Anton kalt, und mit ruhigem,
-herablassendem Stolz. Man sprach nur wenig und setzte sich bald an den
-Tisch zu einem leckern Abendessen nieder. Die feinen Weine waren nicht
-gespart.
-
-Es wollte lange kein lebhaftes Gespräch in den Gang kommen, denn
-Schmaling war zu sehr von Ehrfurcht durchdrungen, und der Professor so
-wie Anton wußten nicht recht, wie sie sich nehmen sollten, um nicht zu
-Viel zu thun, und Anderson selbst schien es darauf angelegt zu haben,
-diese beiden Freunde etwas zu quälen, denn es war nicht zu verkennen,
-daß ihre Verlegenheit ihn unterhielt. Endlich, um diese drückende
-Schwüle aufzulösen, fing er an, von seinen Reisen zu erzählen, und der
-Professor erstaunte, mit welcher Sicherheit er alle Gegenden
-bezeichnete, wie richtig er über Werke der Malerei und Baukunst
-urtheilte. Als Feliciano nun von Aegypten sprach, von den Wüsten
-Arabiens, von Palästina, Syrien und Persien, und alle Gegenstände mit
-der ruhigen Kunde eines Augenzeugen beschrieb, dachte Ferner leise
-erröthend an seine vorige Bemerkung, denn er hatte wirklich während der
-Rede vergessen, daß dieser Feliciano eigentlich Anderson sei.
-
-Jetzt war auch der glückliche Schmaling dreister geworden, und er wagte
-es, auf den Gegenstand seiner Forschungen und Wißbegier einzulenken. Er
-war sehr freudig überrascht, daß der Wunderthäter auch hierüber frei und
-offen sprach, daß er jene seltsamen Kuren nicht leugnete, und selbst
-andeutete, wie der Stein der Weisen kein Mährchen sei, wie ihn Viele
-schon besessen hätten, und Mancher lebe, der Kenntniß von ihm habe.
-
-So halten Sie, fragte Schmaling wieder schüchtern, die wunderbare
-Erzählung vom Flamel für keine Fabel?
-
-Wie sollte ich es, antwortete Feliciano, da ich den guten Mann selbst
-noch hundert Jahre früher, als Paul Lucas Kunde von ihm bekam, in Indien
-gesprochen habe?
-
-Anton fuhr zurück, denn diese Aeußerung schien ihm zu stark und den
-Fremden bloß zu geben, doch Schmaling war von seinem Glück schon so
-berauscht, daß dieser gewagte Ausspruch seinen Taumel nur vermehrte.
-
-Es ist sonderbar, fuhr Feliciano fort, wenigstens erscheint es uns
-Kundigen so, deren Leben nicht wie Spreu verweht, wenn die Menschen
-Dinge wunderbar, seltsam und unbegreiflich nennen, die eigentlich die
-einfachsten und natürlichsten sind. Ist denn der Mensch ursprünglich
-dazu geschaffen, um den Thau aus der Blume, wie der Schmetterling, zu
-saugen, und wie dieser Augenblicks wieder zu vergehn? Sagt nicht die
-Schrift das Gegentheil? Wenn nun Weisheit und Kenntniß der Patriarchen
-und andrer Heiligen, sorgsam aufbewahrt von Geschlecht zu Geschlecht,
-dem Auserwählten, der sich dessen würdig macht, mitgetheilt wird, -- wo
-ist das Unbegreifliche, oder nur Seltsame? Die Erzväter lebten
-Jahrhunderte, und wer ihrer nicht unwürdig ist, mag auch noch jetzt
-ihnen darin ähnlich werden. Wir haben vielleicht noch den Vorzug vor
-ihnen, daß wir Wissenschaft und Kunst späterer Zeit mit jenen uralten
-der früheren Tage, die für die meisten Menschen schon längst verloren
-gegangen sind, vereinigen können.
-
-Anton winkte dem Gelehrten, als freue er sich, daß Anderson so geschickt
-seine vorige Uebertreibung verbessert habe. Feliciano fuhr fort: Und so
-mag ich Ihnen sagen, und Sie werden sich hoffentlich nicht mehr darüber
-verwundern, daß ich noch frühere Personen gesehn und gekannt habe. Es
-war mir vergönnt, ein Freund des großen und heiligen Dante zu seyn.
-Viele Verwirrungen der Welt, viele große Entwicklungen der Geschichte
-habe ich gesehn, und immer wieder, wenn mein Gemüth durch dieses
-weltliche Treiben zu sehr gestört wurde, zog ich mich in die Wüsten
-Aegyptens oder Arabiens zurück, oder begab mich in meine
-Lieblingslandschaften an dem Ganges, wo ich denn wieder mit Flamel und
-manchem andern Adepten lebte. Ich habe bemerkt, daß seit drei
-Jahrhunderten die Kunst sehr gesunken ist, denn so lange wird es jetzt
-seyn, daß ich keinen neuen Ankömmling in unserm Kreise gesehn habe.
-
-Schmaling sagte verlegen: und möglich wäre es, sich diesen hohen
-Sterblichen, die man fast Unsterbliche nennen möchte, anzuschließen? Ist
-es zu hoffen, daß diese großen Geister den Schüler, der ihnen gegenüber
-immerdar unwürdig erscheinen muß, nicht zurückweisen werden?
-
-Alles hängt davon ab, antwortete Feliciano, welche Bahn dieser Lehrling
-wandelt, ob er sich zu der rechten gesellt, und ob seine Lehrer ihn
-nicht vielleicht der Weihe unfähig machen.
-
-Und woran soll man das Wahre oder Falsche erkennen? fragte Schmaling.
-
-Auf vielfache Weise, erwiederte der Magus: ich dürfte nur geradezu
-sagen, ich selbst kann Euch aus meinem Munde den besten und sichersten
-Bescheid ertheilen. Indessen -- ist ein Kind hier im Hause? fragte er,
-gegen den Professor gewendet.
-
-Ich habe zwei Knaben, antwortete dieser in der höchsten Verlegenheit,
-denn dies war gegen die Abrede, und Ferner begriff nicht, wohin dies
-führen sollte.
-
-Wie alt? fragte Feliciano.
-
-Der Eine zwölf, der Jüngere neun Jahr.
-
-So laßt mir den Jüngeren kommen, Freund, war die Antwort, und daß uns
-dann die Dienerschaft nicht störe.
-
-Ferner ging, verwirrt und in sich selber ungewiß. Er kam mit dem
-heitern, blondlockigen Knaben zurück, der hell und klar aus seinen
-großen freundlichen Augen schaute.
-
-Der Zauberer ließ das Kind zu sich kommen, beschaute es ernst, hieß die
-Hände zeigen, betastete den Kopf des Kindes, und indem er mit
-feierlichem Anstande die rechte Hand auf dem Haupte des Knaben ruhen
-ließ, fragte er ihn: Wie ist Dir jetzt? Empfindest Du Etwas?
-
-Ach! rief das Kind: mir wird so wohl, so hell, mir ist, als könnt' ich
-singen, so leicht als möcht' ich fliegen, das Auge so licht, als könnt'
-ich durch die Wände sehn.
-
-Bleibe so stehn, mein Sohn, sagte Feliciano sehr ernst, und, da nichts
-Anders zugegen ist, das uns dienen könnte, so hefte Deine Augen auf den
-klaren Kristall dieser Wasserflasche, und sage mir, was Du siehst.
-
-Anton wie Ferner waren im höchsten Erstaunen, was sich aus dieser
-Anstalt, von der sie nicht die kleinste Ahndung gehabt hatten, ergeben
-solle. Schmaling war in Bewunderung aufgelöst. Die größte Stille
-herrschte.
-
-Ich sehe, fing das Kind an, einen jungen Herrn, einen schönen jungen
-Herrn, hübsch in Kleidern, schlank gewachsen: mir ist, ich kenne den
-Herrn. Ich glaube, es ist der Mann hier in der Stube. Er steht aber in
-einem fremden Zimmer: ganz fremd. Da kommt ein andrer Herr: auch der ist
-noch nicht alt; etwas größer. Sie sprechen. Dreiecke, Vierecke sind
-aufgestellt: Sonnen, Monde. Sie sprechen. Ach! -- mit lautem Ruf sagte
-der Kleine -- da schwebt so klar, ganz hell, glänzend, ein schönes
-Frauenbild zwischen ihnen herab. Es küßt den hübschen Herrn auf die
-Stirn.
-
-Genug, sagte der Magus, und zog die Hand zurück. -- Siehst Du noch
-Etwas?
-
-Unsre Wasserflasche, sagte der Kleine, und ich bin ganz müde.
-
-Jüngling, sagte der Magus hierauf zu Schmaling, Du bist dermalen auf dem
-richtigen Wege, verfolge ihn mit Muth und Standhaftigkeit, und das Ziel
-wird Dir nicht entgehn. Dein Führer, dem Du Dich anvertraut hast, ist
-der wahre, sonst wäre die göttliche Sophia nicht niedergeschwebt, und
-hätte, dem Kinde sichtbar, Deine Stirn mit einem Himmelskusse berührt.
--- Er reichte dem Jüngling die Hand, und dieser küßte sie mit
-inbrünstiger Ehrfurcht.
-
-Anton war höchst betreten, überrascht, und konnte in leidenschaftlicher
-Verwirrung nicht seine Begriffe ordnen und sammeln. Dies Alles war so
-sehr gegen die Abrede, Anderson erschien ihm so fremd, in einer so neuen
-Gestalt, daß ihm das Wort auf der Zunge versagte, als er ihn anreden
-wollte, denn der Magus sah ihn mit einem so feurigen, durchdringenden
-Blicke an, daß er verlegen die Augen niederschlug. Der Gelehrte war eben
-so verwirrt, denn die Scene hatte sich so völlig umgestaltet, daß er
-sich im eignen Wohnzimmer als ein Fremder fühlte.
-
-Du glaubtest, mein Anton, fing der Zauberer an, durch einen fremden Mann
-diesem Jüngling einen Scherz und Trug zu bereiten, und Du,
-Kurzsichtiger, bist der Getäuschte. Ja, wisse denn, ich bin wirklich und
-in der That jener weit bekannte Feliciano, den die Welt früher schon mit
-andern Namen nannte. Du staunst? Du zweifelst noch? Er faßte das Kind,
-stellte es wieder vor den Tisch, murmelte einige Worte, blickte starr
-eine geraume Zeit empor, indem er die Lippen bewegte, und legte dann
-seine rechte Hand wieder auf den Kopf des Kindes. Was siehst Du für ein
-Schicksal? fragte er dann mit schneidendem Ton.
-
-Ei! ei! rief der Kleine; ach! grüne Bäume, ein Dorf: ein kleines, liebes
-Haus da, auch eine Wiese, ein klares Wässerchen, und eine Mühle nicht
-weit davon. Ein junger Herr spaziert da, ich kenne ihn auch, er kommt
-oft zu uns, ja er ist jetzt bei uns. Schau, da tritt ein hübsches
-Bauernmädchen zu ihm, und sie gehn in das kleine Haus.
-
-Anton war blaß. Er hatte sich erhoben, konnte sich aber zitternd nicht
-mehr aufrechthalten und setzte sich nieder.
-
-Der Knabe fuhr fort, in das Glas schauend: sie streiten heftig im
-Zimmer, sie nimmt ein Bild aus ihrem Busen und tritt es mit Füßen. Er
-geht und droht. Sie reißt ihre Mütze vom Kopf, die Haare fliegen. Sie
-rennt nach dem Tische und zieht ein großes Messer hervor. Dann sieht sie
-nach dem Bach und dem Wasser. Sie schwört, sie macht schreckliche
-Geberden.
-
-Der Magus ließ die Hand vom Kopf des Kleinen und ein gelber Blitz zuckte
-blendend durch das Zimmer, ein lauter Donnerschlag erschütterte das
-Haus. Wie ein Rauch stand plötzlich ein blasses Frauenbild da, drohend
-die Hand gegen Anton erhoben. Dieser stürzte entsetzt vom Sessel auf den
-Boden. Alles verschwand und die Lichter brannten wieder hell.
-
-Nun, wendete sich der Zauberer zum Gelehrten, soll ich Dir auch noch
-beweisen, daß ich der wahre Feliciano und kein Trugbild sei? Soll ich
-Dir Deine geheimsten Gedanken und Absichten oder Deine Zukunft sagen?
-
-Ferner erwiederte bleich und geängstigt nur Weniges. Du glaubtest, fuhr
-Feliciano fort, indem er den zerstörten Anton vom Boden erhob, kein
-Mensch in der Stadt kenne Dein Verhältniß zu jenem unglücklichen
-Mädchen, die Du Deinem Ehrgeiz aufopferst. Noch ist die letzte Zeit,
-noch kannst Du sie retten.
-
-Es war schon spät, aber Anton stürzte fort und eilte zu Pferde noch in
-der Nacht zu seiner Geliebten hinaus. Der Magus hatte sich entfernt,
-aber Niemand hatte ihn zur Thür hinaus gehn sehn.
-
- * * * * *
-
-So hatte diese Zusammenkunft ganz anders geendet, als es die Freunde und
-Clara erwartet hatten. Diese sah ihren Bruder am Abend nicht und auch
-nicht am folgenden Morgen. Man war im Hause um ihn besorgt. Der Vater,
-der einen kurzen, leidenschaftlichen Brief von Anton erhalten hatte,
-lösete mit kummervollem Antlitz das Räthsel.
-
-Der Sohn war in der Nacht angekommen. Er vernahm, daß um die Zeit, als
-das unglückliche verführte Mädchen ihm im Zimmer seines Freundes
-erschienen war, sie in einem Todtenschlafe, so daß sie nicht zu erwecken
-war, gelegen hatte. Als sie sich wieder besonnen und mit den tief
-bekümmerten Eltern gesprochen hatte, legten sich diese, nach einem
-kurzen Abendessen, zur Ruhe. Als im Hause Alles still war, hatte sie
-noch einen Brief an ihren Ungetreuen geschrieben, der sich ihrer
-schämte, und ihre Dürftigkeit und ihren Stand verachtete. Als sie mühsam
-und unter vielen Thränen den Brief geendigt hatte, ging sie noch lange
-auf und ab, um ihr Elend ganz zu fühlen und ihren schrecklichen
-Entschluß in sich reif werden zu lassen. Sie hatte nicht den Muth, sich
-ihren Eltern zu vertrauen, weil sie den Zorn des heftigen Vaters
-fürchtete. Sie fühlte, wie nahe sie ihrer Niederkunft sei, und hatte
-keinen Vertrauten, wußte keine Hülfe zu ersinnen. Anton hatte sie in der
-Stadt als eine Unbekannte unterbringen, und für sie sorgen wollen, sie
-aber hatte mit Abscheu alle seine Vorschläge abgewiesen, da er nicht
-mehr für sie zu thun gesonnen war, so dringend sie ihn auch an seine
-früheren Versprechungen und Eide erinnerte. Er wollte aufschieben und
-Zeit gewinnen: er fürchtete ebenfalls seinen Vater, seine Vorgesetzten,
-auch war die frühere Liebe wohl erkaltet. Sie sah keinen Ausweg und ging
-jetzt in der finstern Nacht den Bach entlang, um in den brausenden
-Mühlsturz sich und ihr ungebornes Kind und alle ihre Sorgen zu begraben.
-
-Indem sie nach der Mühle zulenkte, hörte sie auf der Landstraße ein
-brausendes, jagendes Pferd. Es war Anton. Seine Todesangst erkannte
-schon aus der Ferne ihren Schatten.
-
-Der geheime Rath Seebach meldete seiner Familie, daß sich sein Sohn am
-frühen Morgen mit einem Bauermädchen verheirathet habe. Was der kurze,
-heftige Brief nicht sagte, ergänzte seine Ahndung. Die Mutter, aus einer
-alten adeligen Familie, einem angesehenen Edelmanne vermählt, war außer
-sich, weil dieser Sohn ihr Stolz und ihre größte Hoffnung gewesen war.
-Clara war mehr verwundert als betrübt, und zürnte dem Bruder, daß er ihr
-und den Eltern aus diesem Verhältniß ein Geheimniß gemacht hatte.
-
-Traurig ist es, sagte der Vater, denn er hat sich durch den raschen
-Schritt, durch diese Unbesonnenheit die Thüre zu allen höheren Stellen
-verschlossen. Es ist aber so, mag es auch kommen, wie es will, besser,
-als wenn er ein Verbrechen begangen hätte. Wir werden uns an die Tochter
-gewöhnen, und wenn mein Sohn Ehrenstellen einbüßt, so hält er doch sein
-Wort und bleibt ein Mann von Ehre. Wo das Schicksal so ernst in die
-Verhältnisse des Lebens tritt, da soll man nicht mehr klügeln, sondern
-in Demuth den hohen Willen anerkennen. Ich weiß, daß die Liebe seiner
-Eltern nicht dadurch wird vermindert werden.
-
-Die Mutter weinte heftig, so sehr sie auch der Vater und Clara zu
-beruhigen suchten. Der Vater schrieb dem Sohne mit dem rückgehenden
-Boten einen herzlichen Brief, in welchem er ihm Alles vergab und ihn
-ermunterte, sein Leben nun tüchtig und stark anzufassen. Die Stadt war
-bald von dieser sonderbaren Begebenheit angefüllt, über welche Jeder
-nach seinem Standpunkt und seinen Vorurtheilen sprach.
-
- * * * * *
-
-So war nun in allen Verhältnissen der Familie eine große Veränderung
-eingetreten. Der Sohn kam vor der Niederkunft seiner Frau nicht zur
-Stadt. Nachher zeigte er sich den Eltern, getröstet, aber nicht froh,
-und späterhin führte er Agnes, die Bäuerin, bei ihnen ein, mit der er
-ein eignes kleines Haus in der Vorstadt bezog. Nichts wollte sich fügen
-und in einander schicken, und Jeder gestand sich, daß, wenn die Sache
-unabänderlich war, diese Frau, durch welche die Laufbahn des Sohnes
-gehemmt war, in den Kreis der Familie doch nicht passe. Es war schon die
-Rede davon, daß er das Gut des Vaters bewirthschaften solle; indessen
-schien auch dieses bedenklich, da Anton sich niemals um die
-Landwirthschaft gekümmert hatte. Was den Vater aber mehr, als diese
-Stellung seines Sohnes kümmerte, war, daß er ein schwärmerischer
-Anhänger dieses Feliciano geworden, von dessen Seite er kaum mehr wich,
-und so erlebte er nun, daß Sohn und Schwiegersohn sich diesem Schwindel
-ergaben, von dem er selbst wieder geheilt schien. Er erstaunte, daß auch
-sein ruhiger Freund, der Gelehrte, der ihm immer ein Muster in der
-ruhigen Haltung erschienen war, ebenfalls nach jener Begebenheit sich
-als einen fanatischen Anhänger des Feliciano erklärte. Auch der alte
-Obrist neigte zu dieser Schwärmerei hinüber, und nicht bloß im Hause des
-geheimen Rathes, sondern in den meisten Häusern der Stadt, wurde
-Feliciano der erste und wunderbarste aller Menschen genannt.
-
-Ein Taumel bemächtigte sich, als es erst bekannt worden war, daß der
-berühmte Feliciano zugegen sei, der ganzen Stadt. Jedermann wollte ihn
-kennen lernen, jede Gesellschaft wollte ihn in ihrer Mitte sehn. Er
-gewann in kurzer Zeit viele Anhänger und Freunde, und die angesehensten
-Männer, die höchsten vom Adel bewarben sich um seine Gunst. Er erklärte,
-daß er nur kurze Zeit verweilen könne, weil er in großen und wichtigen
-Geschäften nach dem Norden gehn müsse, auch erlaubten ihm seine
-geheimnißvollen Arbeiten nicht, sich zu sehr in der Welt zu verbreiten.
-Die wichtigsten Männer versammelte er um sich in seiner Loge. Man sprach
-von den seltsamsten Wundern, die hier in geheimen Zusammenkünften
-vorgefallen waren. Der Professor, so schien es, hatte seinen jüngsten
-Knaben ganz dem Wunderthäter überlassen, denn das Kind weissagte oft aus
-dem Kristall, den Feliciano künstlicher, als es an jenem Abend geschehen
-war, in seinen Gesellschaften aufstellte. Der Arzt Huber arbeitete
-indessen mit Sangerheim und Schmaling, Jeder bestrebte sich, von allen
-diesen geheimen Künsten Zeuge zu seyn, oder durch Freunde wenigstens
-Etwas von ihnen zu vernehmen, und selbst die Frauen und Mädchen
-wünschten an diesen Wunderwerken Theil zu nehmen, oder auch in irgend
-eine mysteriöse Verbindung zu treten. Feliciano hatte sie eigentlich
-selbst zuerst auf diesen Wunsch geführt, und er stiftete auch bald
-darauf eine Loge für Damen, die nun auch mit mystischen Abzeichen
-prangten, sich gegenseitig an Gruß und Handdruck erkannten, und von
-Fortschritten in Weisheit und Wissenschaft träumten. Auch die Mutter
-Clara's hatte sich in diesen Orden aufnehmen lassen.
-
-So war die arme Clara von Jedermann verlassen, denn beim Vater, der über
-alle diese Sachen verstimmt war, konnte sie nur wenig Trost finden. Der
-Graf Feliciano hatte alle Künste der Ueberredung angewendet, das schöne
-Mädchen auch zu dem Uebertritt in seinen neugestifteten Orden zu
-überreden, in welchem seine Gemahlin, die seitdem auch aus dem Inkognito
-hervor getreten war, den Vorsitz führte. Es gelang ihm aber so wenig,
-daß im Gegentheil der Widerwille Clara's gegen alle diese Dinge immer
-mehr gesteigert wurde. Wie kann der Mensch, sagte sie einmal in einer
-aufgeregten Stimmung zu ihrem Vater, nur so verkehrt seyn, in der
-Umkehrung des Natürlichen sein Heil zu suchen? Man fühlt sich ja als
-Mensch nur wohl, wenn Alles in der gewöhnlichen Bahn fortschreitet, wenn
-das, was sich als nothwendig ankündigt, ganz einfach und schlicht
-geschieht. Entwickelt sich in diesem Lebensgange eine große That, eine
-schöne Aufopferung, so freut es uns um so mehr, daß uns das Göttliche
-aus den Elementen gewebt ist, die uns zunächst umgeben, daß wir fühlen,
-auch uns könnte in einer geweihten Stunde dasselbe begegnen, oder unsre
-Seele könnte auch dieselbe Höhe erstreben. Ziehn wir uns doch mit
-Widerwillen von der Nahrung zurück, die uns zu fremdartig dünkt, deren
-Zurichtung unserm Gaumen widersteht: aber schlimmer als überreifes Wild,
-oder der verpestete ^haut goût^ der Assa fötida, und der Vogelnester und
-ähnlicher abscheulicher Dinge ist es, diese Knoblauch-Tinktur von
-Wunderglauben, tollen Fabeln und aberwitzigen Bestrebungen in seine
-Seele aufzunehmen.
-
-Der Vater erwiederte: Du bist zu zornig, liebes Kind. Laß die Menschen
-gewähren, der Krankheitsstoff muß austoben. Alles Sprechen dagegen nutzt
-nicht, unfruchtbar ist das Moralisiren; der Dämon, der die Menschen
-besitzt und treibt, wird endlich seines Spieles selbst müde. Deine kühne
-Vergleichung paßt auch nicht ganz; man könnte eben so gut die
-entgegengesetzten Bilder brauchen. Wen versucht nicht der reife,
-köstliche Pfirsich? die duftende Ananas? die lockende, rothe Kirsche,
-vorzüglich in der Jugend? Und was wäre unser Leben, wenn Alles so plan
-verständlich wäre? Alle Tage unausgesetzt die nahrhafte Hausmannskost
-des redlichen Treibens, der guten Gedanken? Aus Natur und Kunst, aus
-Liebe und Scherz, aus Religion und Gemüth winkt uns ein Geheimniß an,
-dem wir näher kommen möchten: es zieht uns nach durch Gefild und Wald.
-Jetzt glauben wir es zu erblicken, dann ist es wieder entschwunden. Von
-dieser Sehnsucht, die ohne Gegenstand scheint, werden die besten Kräfte
-unsrer Seele getränkt, und wenn sie erlöschen könnte, würden wir in uns
-selbst verschmachten. Alle schönen Triebe der Freundschaft, des
-Wohlwollens, der Menschenliebe, aller Enthusiasmus für das Gute und
-Schöne quillt ebenfalls aus dieser geheimnißvollen Gegend unsrer Seele.
-
-Mag es seyn, antwortete die Tochter, aber ich sehe und erlebe es doch,
-daß, wenn diese Sucht, oder der Trieb auch innigst mit dem Schönen eins
-ist, sie doch auf ihrem fortgesetzten Wege sich in das gespenstig
-Aberwitzige verwandeln können. Der Mensch muß ja doch mit festem
-Charakter und unbezwinglichem Willen in der Mitte stehen bleiben, daß
-Glauben sich nicht in Aberglauben, Sinn in Thorheit, Tugend nicht in
-Laster verwandle. Ist jene Sehnsucht überirdischer Natur, so ist dieser
-einfache starke Wille wohl auch göttlicher Abkunft, der wie ein
-unüberwindlicher Riese den Schatz der Vernunft und des Guten bewachen
-soll, welcher dem Menschen von Gott ist anvertraut worden. Mir dünkt,
-gegen tausend wunderliche Dinge, die auf uns eindringen, gegen unzählige
-Gelüste, die uns überreden möchten, giebt es keine andre Waffe, als daß
-ich sage und immer wieder sage: es soll nicht seyn! Lasse ich dieses
-Schwert im Schlummer einmal fallen, so kann ich gar nicht mehr wissen,
-wohin mich alle jene Sophistereien führen könnten.
-
-Diese starre Vernunft, sagte der Vater, reicht aber auch nicht aus: sie
-kann Tugend seyn, widersteht aber eben so oft der Liebe als dem Unrecht,
-läßt auch die Wahrheit, indem sich die Liebe abkämpft, nicht auf sich
-eindringen.
-
-Wahrheit! das große Wort! rief sie aus, das eben so wohl Alles wie
-Nichts bedeutet. Wer hat es nicht schon gemißbraucht? Je demüthiger wir
-uns dem unterwerfen, was das Leben von uns verlangt, je sanfter und
-stiller wir dem folgen, was uns zu unserm Heil offenbart ist, je weniger
-wir grübeln und klügeln, und die Anmaßung von uns fern halten, über dem
-Begreifen zu stehen, es zu meistern und nach Gutdünken zu handhaben, um
-so mehr wir dem Vorwitz Einhalt thun, da nicht hinschauen zu wollen, wo
-sich in der Leere unserm irdischen Blick nur Gespenster erschaffen, um
-so mehr, glaube ich, bleiben wir der Wahrheit getreu.
-
-Wohl mein Kind, sagte der Rath: denn wie ich schon sonst behauptete,
-wenn das Böse auch ein Nichts ist, so erwecken wir es doch wohl und
-theilen ihm unsre Kräfte mit, indem wir es glauben und uns dem Nichtigen
-ergeben. Hat es erst von uns diese Stärke empfangen, so wird es wohl oft
-so gewaltig, daß es uns und jeden Widerstand besiegt, der nicht die
-göttliche Wahrheit selbst zu Hülfe ruft. In diesem Bilde kann man sich
-die Erscheinung der bösen Geister denken, die der Magier aufruft. -- Und
-so möchte man freilich glauben, Wahrheit sei in allen Dingen zu finden,
-sie liege auch dem Irrthum zum Grunde, nur hüte sich der Mensch, einer
-Regung, einer Aufwallung, oder einem Gedanken unbedingt und zu dreist zu
-folgen, denn rechts und links liegt die Unwahrheit und Täuschung, und er
-wandelt nur recht auf einer schmalen Linie.
-
-Wenn es so ist, erwiederte Clara, so ist es eben das Sicherste, dem
-Alltäglichen getreu zu bleiben, was vielen beflügelten Geistern als das
-Gemeine erscheint. Will sich der Mensch erheben, wird er, wie der
-fliegende Schmetterling, von Schwalben und Sperlingen weggehascht, und
-bleibt er unten am Boden, so wohnt er beim Gewürm, aber nährt sich auch
-vom Thau, der in den Rosen und Lilien glänzt. --
-
-Nicht nur die Familie des Rathes war in Verwirrung gerathen, sondern man
-konnte dies von der ganzen Stadt behaupten. Dem alten Seebach war es
-aber verdrüßlich, daß von den Vernünftigen, die sich nicht hinreißen
-ließen, Alles was geschah, mit ihm und seinem Sohn, so wie mit jener
-Entdeckung Sangerheims in Verbindung gebracht wurde. Es ließ sich nicht
-leugnen, daß jener Vorfall, der viel Aufsehn erregt hatte, zu allen
-spätern Wunderlichkeiten gleichsam das Signal gegeben hatte. Die
-sonderbare Verheirathung des Sohnes, die Schwärmerei Schmalings, die
-Operationen des Grafen so wie Sangerheims, die weibliche Loge, in die
-sich seine Gattin sehr gegen seinen Willen hatte aufnehmen lassen, die
-Seltsamkeiten, die sowohl der Arzt Huber, wie der Professor Ferner,
-vernehmen ließen, die Ausschweifungen mancher Reichen, die sich ganz der
-Hoffnung ergaben, die Kunst des Goldmachens zu entdecken, und in dieser
-Aussicht ihr Vermögen verschwendeten, Geister-Erscheinungen, durch
-welche man in mächtigen Familien dieses und jenes hatte durchsetzen
-wollen, alles Dies, vergrößert, mit Erfindungen ausgeschmückt, Alles
-wurde hauptsächlich auf Rechnung des alten erfahrnen Seebach
-geschrieben, um so mehr, weil man wußte, daß er auf eine Zeitlang sich
-diesen seltsamen Künsten ergeben hatte. Es half ihm Nichts, daß er sich
-wieder zurückgezogen hatte, daß er den Umgang Sangerheims und noch mehr
-des Grafen vermied, die meisten Menschen, auch seine Collegen und selbst
-seine Freunde hielten ihn für den Stifter aller dieser Irrungen. So
-bedrängte ihn, außer den häuslichen Kränkungen, noch das Gefühl, daß er
-so vielen wackern und einflußreichen Leuten für einen zweideutigen und
-gefährlichen Mann galt. Vieles von diesem geheimnißvollen Umtreiben kam
-auch vor das Ohr des Fürsten, der, da die Sache laut und weltkundig
-wurde, ein großes Mißfallen bezeigte, und dem Rathe, der sich gar nicht
-mehr mit diesen Dingen befassen mochte, andeuten ließ, sich zu mäßigen.
-Am schlimmsten aber waren dem gekränkten Seebach die Maurer von der
-alten Ordnung aufsässig, die in Allem nur die Absicht sahen, daß sie
-gestürzt werden sollten, -- welches die mystischen Logen auch laut genug
-aussprachen, -- und nun empört den Rath als einen abtrünnigen Bruder
-behandelten, der aus weit ausgreifenden Absichten sich diesen Rebellen
-verbunden habe, um als das Haupt dieser geheimnißvollen Gesellschaft
-Verderbliches zu wirken.
-
-Meine Tochter hat Recht, sagte der Rath zu sich selber, wie hart werde
-ich für meine Neugier oder Wißbegier gestraft, die Anfangs so löblich
-oder unschuldig aussah. Hielt ich mich doch für so kühl und weise, um
-allen Versuchungen Widerstand leisten zu können. Aber ein Glied reiht
-sich an das andre, und unvermerkt ist die Kette fertig.
-
-Es schien aber, als wenn zwei Wunderthäter für Eine Stadt, wenn sie auch
-groß war, zu viel seien. Der Graf hatte sogleich abreisen wollen,
-verlängerte aber seinen Aufenthalt von einem Tag zum andern. Sein
-Wirkungskreis schien sich auszubreiten, so wie der Sangerheims abnahm,
-da viele von dessen Jüngern zum größern Meister abfielen. Darum führte
-Sangerheim den Vorsatz aus, zu welchem er schon seit einiger Zeit Alles
-vorbereitet hatte, sich nach einer andern reichen und angesehenen Stadt
-zu begeben, wo er, da sein Ruf ihm schon vorangegangen war, gleich mit
-dem größten Glanze auftrat, die ältern Maurer beschimpfte, ihnen ihre
-Lehrlinge entzog, und Zeichen und Wunder aller Art verrichtete. Der
-Geheimrath erlebte die neue Kränkung, daß Schmaling, unter dem Vorwande
-einer Krankheit, von seinem Minister einen unbestimmten Urlaub nahm, und
-dem Abentheurer nach jener Stadt hin folgte, um in seiner Nähe und nach
-seiner Anweisung seine geheimnißvollen Arbeiten fortzusetzen. Schmalings
-Abschied von Clara war kalt, und sie war so erzürnt, daß nur Wenig
-fehlte, so hätten Beide ihre Trennung für immer ausgesprochen. Aber da
-Beide sich noch mäßigten, so blieb es bei unbestimmten Ausdrücken, die
-Jeder nach Gefallen deuten konnte.
-
-Seinen Sohn sah der Rath nur selten, weil er ganz dem Grafen und dessen
-Befehlen und Operationen lebte. Die Gattin war in der weiblichen Loge
-sehr thätig, und jetzt mit der niedrig gebornen Frau ihres Sohnes ganz
-ausgesöhnt, weil auch diese, die allen Glanz ihrer Jugend wieder
-erhalten hatte, vom Grafen zur Bundesschwester war geweiht worden. Huber
-war ebenfalls dem Adepten Sangerheim nachgereiset, um in seiner Kunst
-vollkommener zu werden.
-
-Clara war im Schmerz außer sich, als der Vater nach einiger Zeit von
-Schmaling einen sonderbaren Brief erhielt, den er der Tochter mittheilen
-mußte. Der künftige Schwiegersohn schrieb nehmlich Folgendes:
-
-Im Begriff, einen sehr wichtigen und entscheidenden Schritt in meinem
-Leben zu thun, halte ich es für meine Pflicht, Sie, Verehrter, und meine
-geliebte Clara in Kenntniß zu setzen, was ich zu thun gesonnen bin, was
-ich nicht unterlassen kann und darf. Daß mein Gemüth sich seit lange dem
-Reiche der Geheimnisse zugewendet hat, wissen Sie schon, daß mein Herz
-nur Ruhe finden kann, wenn diese Sehnsucht gestillt wird, werden Sie
-begreifen. Aber wie kann, wie soll es geschehn? Ich habe manche Grade
-erhalten, ich bin Zeuge von vielen Wundern gewesen, seltne Kenntnisse
-sind mir geworden, große, heilige Schauungen haben meine Seele erst
-erschüttert, und sind mir dann einheimisch geblieben. Daß ich niemals zu
-jenen Verächtern unserer Religion gehört habe, die in unsern Tagen den
-Ton angeben, wissen Sie ebenfalls. Ich habe geforscht, die heiligen
-Schriften sind mir vertraut und ehrwürdig, aber was die Kirche und ihre
-Priester mir gaben, konnte meinem brünstigen Geiste nicht genügen. Auch
-hier hat mir der begeisterte Sangerheim neue Wege gewiesen. Die
-Tradition, die Wunder der ältern katholischen Kirche, ihre heilige
-Messe, die himmlischen Legenden, die Gegenwart, die unmittelbare,
-Christi in der Hostie, die Liebe der Mutter Gottes, die Bilder und die
-Musik, -- warum sollen wir unser reiches Herz allen diesen Gaben
-verschließen? Warum nicht nehmen, was uns so liebreich geboten wird? Um
-ganz der Einweihung in die Mysterien würdig zu werden, um die Grade
-empfangen zu können, und die Strahlen des Lichtes, nach denen ich mich
-sehne, ist es nothwendig, wie mir mein Lehrer sagt, daß ich meinen
-jetzigen Standpunkt in der Kirche aufgebe, die Ueberzeugung, die mir ja
-niemals eine war, weil sie mein brennendes Herz so leer ließ, daß ich
-zur ältern, eigentlichen christlichen Kirche zurückkehre, die mütterlich
-jedem Verirrten die Arme entgegenbreitet. Ist dieser nothwendige Schritt
-geschehn, so sind mir alle Geheimnisse des Ordens zugänglich und offen,
-die Vereinigung mit jenen ehrwürdigen Männern, den unbekannten Obern,
-ist mir dann möglich, mit jenen erhabnen Geistern, denen die Verwahrung
-aller Geheimnisse anvertraut ist. Diese nahe Weihe, diese Nothwendigkeit
-der Veränderung hat der Meister mir nur allein, als seinem Lieblinge,
-entdeckt, die andern Schüler sind dieser Erklärung noch nicht fähig und
-würdig. -- Von Ihnen, verehrter Mann, bin ich nun keiner Einreden und
-keiner Mißbilligung gewärtig, da ich weiß, wie billig Sie sind, wie
-aufgeklärt Sie denken. Es kann bei Ihnen unmöglich in Anschlag kommen,
-daß ich meine jetzige Stelle und jeden künftigen Staatsdienst aufgeben
-muß, denn den höheren Pflichten müssen die niedrigern weichen. Es ist ja
-nichts Weltliches, Ehre oder Reichthum, was ich durch diese Rückkehr in
-die Mutterkirche erstrebe: sondern das Unsterbliche, die Erleuchtung,
-das Verständniß selbst. Wie aber wird Clara es aufnehmen, wenn sie
-meinen Entschluß erfährt? Sie klebt, fürchte ich, allzusehr am
-Irdischen, um sich in die freiere Region des Geistes erheben zu können.
-Ich hatte immer gehofft, ihr Sinn würde sich in der Liebe poetischer
-bilden, daß sie es wenigstens fühlte, wenn auch nicht einsähe, wie arm
-jenes Leben ist, dem sie sich ergeben hat. Suchen Sie sie zu stimmen,
-verehrter Vater, daß sie mich nicht mißversteht, Sie, der Sie ja auch
-der Wissenschaft manches Opfer brachten. Und was ist es denn auch mit
-dem Weltlichen und Irdischen? Besitze ich nicht eignes Vermögen? Auch
-Clara ist nicht arm, und braucht sich also niemals von mir ganz abhängig
-zu empfinden. Und soll einmal dergleichen in Anspruch kommen, so darf
-ich wohl die Aussicht, daß mir in Zukunft, vielleicht bald, Alles zu
-Gebote steht, was ich nur wünsche, keine Fata Morgana nennen. Welche
-Kraft und Gewalt mir anvertraut mag werden, um da zu herrschen, wo
-unsere Ahndung sonst nur hinstrebt, mag ich nicht weiter andeuten und
-aussprechen. Ist sie aber mit mir einverstanden, so bin ich der
-Glücklichste der Menschen. --
-
-Nein, wahrlich nicht! rief Clara im höchsten Unwillen aus, nun und
-nimmermehr! Welchen Gimpel haben sie schon jetzt aus dem allerliebsten
-Menschen gemacht, und was muß nicht erst aus ihm werden, wenn sie ihm
-noch mehr Grade und Geheimnisse aufhalsen! O wahrlich, er wird ihnen in
-den Strängen geduldiger als ein Maulthier ziehn, und allen frommen
-Gläubigen zum Exempel und Vorbild dienen. Mich mit ihm verbinden?
-Vielleicht haben sie noch einen andern geheimen Grad irgendwo im Winkel
-liegen, und um den zu ergattern, muß er wohl auch noch sein Vermögen
-dran geben, und dann, um die letzte und beste Niete zu ziehn, Capuziner
-werden. Nein, ehe er seinen Verstand nicht aus dem Monde wieder herunter
-geholt hat, mag ich Nichts von ihm wissen. Wie er der jüngern Kirche
-entsagt hat, um die ältere lieben zu können, so giebt es auch vielleicht
-hinter dem Vorhang eine ältere mütterliche Braut, die zu ehlichen seine
-unsterbliche Pflicht ist, denn ich merke, diese Wunderthäter können
-Alles möglich machen. Ich hörte sonst wohl, die katholische Kirche habe
-die Freimaurerei in schweren Bann gethan, ich sehe aber wohl, es gibt
-Ausnahmen für Alles. Sonst wurden viele junge Menschen Maurer, um auf
-Reisen eine gute Aufnahme und gastfreie Brüder zu finden, eine
-unschuldige Ursache, sich einweihen zu lassen. Jetzt aber, -- wie
-Kunstreiter auf ihre Geschicklichkeit, Taschenspieler auf ihre schnellen
-Hände, so reiset dieser Sangerheim auf die Kunst herum, allenthalben die
-bestehenden Logen zu stürzen. Wenn er denn Geister zitiren kann, so mag
-er dem armen Schmaling den seinigen wiederschaffen. Vielleicht ist der
-aber schon in der Loge verbaut, oder als Winkelmaß eingerichtet. Also
-nach Rom hin sieht denn dieser Orient? Schmaling wird gewiß einmal diese
-Herren segnen, die ihn jetzt so reich und groß machen, wenn er erst sein
-ganzes Elend kennt, und ihm sein verarmtes Herz zerbricht.
-
-Sie überließ sich der Trostlosigkeit und weinte heftig. Der Vater wußte
-ihr Nichts zu sagen, er beschwor sie, nur nicht in der ersten Entrüstung
-den Brief zu beantworten. Er selbst schrieb an Schmaling, um ihn mit
-allen Gründen, die er aufführen konnte, von dem Schritte abzuhalten, den
-er zu thun im Begriff war.
-
- * * * * *
-
-Endlich bestimmte sich auch der Graf Feliciano, seine große Reise
-fortzusetzen. So sehr der Rath seinem Sohn Anton Alles vorhielt, was
-Vernunft und Gefühl ihm nur eingeben konnte, so ließ sich Anton dennoch
-durch Nichts abhalten, mit seiner jungen Frau, deren Kind bald nach der
-Geburt gestorben war, dem Grafen zu folgen. Auch der Professor gab
-seinen Knaben, wenigstens für einige Zeit, dem berühmten Feliciano mit
-auf die Reise, weil der Magier gefunden hatte, daß dieses Kind
-vorzüglich begabt sei, die Visionen zu sehn. Die Mutter hatte sich
-indessen von der Loge wieder zurückgezogen, denn es war ihr zu
-empfindlich gewesen, daß das Bauermädchen eines größeren Ansehns, als
-sie selber, genoß; man hatte sogar in Vorschlag gebracht, daß die
-Unerzogene nach der Abreise des Grafen und seiner Gemahlin Vorsteherin
-derselben werden sollte; da sie aber die Wunderthäter begleitete, um
-noch höhere Grade zu empfangen, und der höchsten Geheimnisse theilhaftig
-zu werden, so war der Räthin die Würde angetragen worden, die sie nach
-diesen Vorfällen mit Verachtung ausgeschlagen hatte.
-
-Wenn also der Rath um seinen Sohn und dessen Schicksal bekümmert seyn
-mußte, so hatte er wenigstens die Beruhigung, daß seine Gattin mit ihm
-und der Tochter wieder einverstanden war. Die Frau, die nicht ohne
-Charakter und Verstand war, bereute jetzt ihre kurze Verblendung um so
-mehr, als sie jetzt, kühler geworden, einzusehn glaubte, wohin das
-Gaukelspiel ziele. Durch die Loge hatten sich mehrere Liebschaften und
-Verbindungen, und zwar nicht von den anständigsten, angeknüpft; auch
-Scheidungen fielen vor, und man hielt es bald für verdächtig, dieser
-Gesellschaft anzugehören, so daß die Frauen selbst nach kurzer Zeit
-dieses Logenspiel wieder aufgaben, und um so leichter, da man nur
-Wenigen Geheimnisse mitgetheilt hatte. Diese Wenigen waren nachher von
-Allen vermieden, die ein strengeres Leben führen wollten.
-
-In jener großen Stadt hatte sich Sangerheim indessen eingerichtet und
-einen viel größern Anhang, als in der Residenz gefunden. Die dortigen
-Freimaurer waren durch ihn gewissermaßen aufgelöst worden, viele
-derselben in seine Loge getreten, und man sprach fast nur von dieser
-neugebildeten Brüderschaft, die sich großer Geheimnisse rühme. Es fehlte
-nicht an seltsamen Berichten. Man wollte Geister gesehn, die größten
-Dinge prophezeit haben, man war auf dem Wege, den Stein der Weisen zu
-entdecken, oder der Meister war vielmehr im Besitz desselben, und die
-liebsten Jünger durften hoffen, desselben bald auch theilhaftig zu
-werden.
-
-Auf seinem Zuge berührte der Graf Feliciano auch diese Stadt, und
-beschloß, mindestens einige Tage hier zu verweilen. In dieser Zeit
-gewann er den enthusiastischen Schmaling sehr lieb, und hatte ihn fast
-immer um sich, mit ihm über seine Bestimmung, das Geheimniß und das
-Licht zu sprechen. Dieser junge Mann und Anton, die sich früher in allen
-Dingen widersprochen hatten, waren jetzt in allen Ueberzeugungen
-miteinander einverstanden. Der Arzt Huber, welcher auch schon, um
-Sangerheims Umgang zu genießen, nach dieser Stadt gekommen war, vereinte
-sich mit ihnen. Sie erfreuten sich jetzt an Antons Weisheit, der fast
-der Heftigste von ihnen war, und lernten dankbar und demüthig von dem,
-der ihnen vor weniger Zeit noch als ein unbedeutender Freigeist
-erschienen war.
-
-Eine Versammlung der vertrautesten Brüder war zu einer Abendmahlzeit bei
-Sangerheim vereinigt. Huber und Schmaling fanden sich ein, und der Graf
-beehrte mit Anton durch seine Gegenwart die Gesellschaft, die zahlreich
-war, weil noch Manche in der Stadt, die Sangerheims Vertrauen genossen
-und die begierig waren, den fremden Wunderthäter kennen zu lernen, sich
-mit Bitten hinzugedrängt hatten.
-
-Der Graf wußte seine Person geltend zu machen und wurde von allen
-Anwesenden wie ein überirdisches Wesen verehrt. Er war im Anfange
-zurückhaltend und karg mit seinen Worten, nach und nach aber ward er
-gesprächig, heiter und mittheilend. Er suchte, so schien es, die
-Gesinnung und das Wesen Sangerheims ausforschen zu wollen, ohne ihm
-selbst näher zu treten.
-
-Sangerheim, der sich vor seinen Schülern und Anhängern keine
-Verlegenheit wollte zu Schulden kommen lassen, erörterte viele Punkte,
-die er sonst lieber vermieden hätte, zu denen ihn aber der forschende
-Graf in künstlichen Wendungen hindrängte. Dadurch gewann der Klügere so
-sehr die Oberhand, daß Sangerheim dem Grafen gegenüber selbst als
-Schüler und Lehrling erschien. Am meisten fiel dies dem wißbegierigen
-Schmaling auf, der bis dahin seinen Meister für den ersten Menschen der
-Welt gehalten hatte. Wie sonderbar, sagte er zu sich selbst, daß mein
-Meister, die große, edle Gestalt mit dem Feuerauge und der hohen Stirn,
-mit diesem kräftigen und vollen Ton, diesem untersetzten Manne, mit den
-hohen Schultern, dem matten Auge und der schwachen krähenden Stimme
-gegenüber klein erscheinen kann. Erkennt er denn vielleicht in ihm ein
-höheres Wesen? Ist dieser Fremde wohl einer der unbekannten Obern, von
-denen ich immer so viel sprechen höre?
-
-Auch Huber und manche der Gegenwärtigen mochten etwas Aehnliches denken.
-Da bei dem leckern Mahle die feinen Weine nicht gespart waren, so
-belebte sich das Gespräch immer mehr. Jeder der Anwesenden wollte sich
-vor dem großen Fremden mit seinen Gedanken und Kenntnissen zeigen, oder
-Etwas von ihm lernen, und wenn auf viele Fragen die Antworten des Grafen
-auch nicht klar und glänzend ausfielen, so gab die Dunkelheit oder das
-Zweideutige derselben doch immer Vieles zu denken.
-
-Schmaling lenkte endlich das Gespräch auf die Religion, und Sangerheim
-sah sich genöthigt, den Wink, den er Manchen im Geheim gegeben hatte,
-jetzt als eine Lehre laut auszusprechen, daß nur Derjenige, der zur
-katholischen Kirche gehöre oder überträte, der höchsten Grade und der
-wichtigsten Geheimnisse theilhaftig werden könne.
-
-Feliciano sah ihn lange mit einem großen fragenden Blicke an und sagte
-nach einer Pause, die alle Anwesenden in der größten Spannung erhielt:
-Ist das Euer Ernst, großer Meister?
-
-Wie anders? fuhr Sangerheim fort, da die übrigen Partheien, die sich
-ebenfalls Christen nennen, immerdar ein geistiges Geheimniß verletzen
-und sich der Wundergabe, der Inspiration, der Anschauung der Mysterien
-entziehn? Sie können Vieles sehn und erforschen, aber der Anblick des
-Allerheiligsten ist ihnen nicht vergönnt; sie können nur von den sieben
-höheren Graden fünfe erringen. Ihre Sekte an sich selbst schließt sie
-nicht aus, wohl aber ihre Glaubensunfähigkeit: überwinden sie aber diese
-in der Rührung ihres Herzens, so treibt sie der eigne Geist von selbst,
-sich der älteren Kirche wieder anzuschließen.
-
-Der älteren? nahm Feliciano mit großem Ernste das Wort auf; welche ist
-diese? Kennt Ihr sie? War vor dieser ältern nicht wohl eine noch ältere
-und ächtere? Wozu Eure vielen Grade, wenn Euch dieses wichtigste
-Mysterium mangelt?
-
-Hindert Euch Nichts, großer Mann, fiel Schmaling ein, dieses etwas
-deutlicher auszusagen?
-
-Wir sind nur von Brüdern umringt, antwortete der Graf, die früher oder
-später von selbst das finden werden, was ich ihnen andeuten kann, und
-darum brauche ich in dieser edlen Gesellschaft, die keine weltliche ist,
-meine Worte nicht ängstlich abzumessen. -- Was die Christenheit spaltet,
-ist neu und zeitlich, Priesterwort und willkührliche Satzung ist schwer
-vom ächten Fundament desselben zu unterscheiden, und so kommt es, daß in
-den protestantischen Kirchen vieles ächter und wahrer ist, als was die
-Katholiken in ihrer Lehre vortragen, die Alles, was Luther predigte, nur
-Neuerung nennen. Aus beiden Kirchen ist zu lernen, aber nur dem ist es
-möglich, dem der Sinn frei geblieben ist. Gab es denn nicht, längst vor
-Entstehung des Christenthums, die ächte, völlig ausgebildete Maurerei?
-Diese war denn doch wohl noch älter, als die alte Kirche. Und was bedarf
-sie denn also dieser, um der Wunder, des Wissens, der Geheimnisse
-theilhaftig zu werden? Sie genügt sich selbst, und sie wäre nicht das
-Höchste und Beste, was der Mensch erringen kann, wenn sie in irgend
-einer Religion eine Stütze oder Bestätigung finden könnte.
-
-Sangerheim schien erstaunt, aber Feliciano fuhr fort: gedenkt nur an den
-großen, weisen Salomo und seinen Tempelbau, an Hiram, und an alle
-Legenden und Symbole, die auf unsern großen und alten Meister, den
-weisesten des Orientes, hindeuten. Ihr wißt es Alle, wie den Lehrlingen
-mit diesen Symbolen und ihren Deutungen der Kopf verwirrt, wie sie
-zerstreut werden, damit sie nur die Wahrheit nicht finden sollen, die
-ein Eigenthum der höhern Geister bleibt. Salomo empfing, als ein
-Würdiger, das Geheimniß der Maurer von großen unsterblichen Obern, er
-baute den Tempel und stiftete die Loge des Geheimnisses, indessen der
-gemeine Mann im Prachtgebäude auf herkömmliche Weise den Gott anbetete,
-den er nur für einen Gott seiner Nation ansehn konnte, der mächtiger
-sei, als die Götter der andern Völker. Wo steht in unsern Büchern und
-Sagen, in Allem, was uns von Salomo überliefert ist, daß er von Gott
-abfiel, daß er ein Götzendiener wurde? Er hätte, wenn dies gegründet
-war, nicht mehr Meister des heiligsten Stuhles, nicht mehr Oberer und
-Bewahrer des Geheimnisses bleiben können. Diese falsche Legende ließen
-die Priester nur in die Schrift hinein schreiben, weil er sich ihnen
-entzog, und ihrer Zunft nicht die Gabe zu weissagen, Wunder zu thun,
-Todte zu erwecken, Geister zu rufen und zu bannen, Gold zu machen,
-mittheilen wollte. Diese Kräfte, diese Herrschaft über die Geister,
-diese Geheimnisse der Loge, die nur Wenigen mitgetheilt wurden, welche
-die höchsten Weihen schon empfangen hatten, diese sind die hohen
-Gewalten, die von der Unwissenheit der Priester Götzen genannt wurden.
-Freilich waren es ihnen ausländische, fremde Götter, weil ihnen die
-Kenntniß derselben entzogen wurde.
-
-Diese herrliche, glänzende Zeit der Maurerei verfiel nach dem Abscheiden
-des großen Königs und Meisters. Die Obern zogen sich zurück, die meisten
-nach Indien. Späterhin finden wir Elias und Elisa als Eingeweihte
-wieder, die von der tauben Menge und von den verstockten Königen nicht
-verstanden wurden. Ganz verbarg sich nachher die hehre Kunst, und
-wandelte aus dem Tempel und Jerusalem in die Wüste. Da treffen wir sie
-unter den Essäern oder Essenern wieder an. Das heißt, die Gelehrten, die
-Geschichtforscher der Welt wissen nun wieder Etwas von ihr, denn für den
-wahren Maurer giebt es in der Geschichte seiner Kunst keine Lücke. Ich
-führe nun auf das, was Allen bekannter ist. Diese Männer hatten schon
-seit lange im Stillen gearbeitet: seit vielen Jahrhunderten war es ein
-Grundgesetz der Maurerei, welches Salomo und Andre beobachtet oder noch
-fester gegründet hatten, daß die ächte Erkenntniß ein Geheimniß seyn und
-bleiben müsse, da die blöde, rohe Welt, die unwissende Menge das
-Heilige, wenn es sich ihr mittheilen wolle, nur mißverstehn und
-entweihen könne. Hier stehn wir nun an der großen und merkwürdigen
-Geschichts-Epoche. Die heilige Gesellschaft der Essäer zertrennte sich
-um jene Zeit in zwei sich widersprechende Gesellschaften. Ein Theil
-beharrte auf dem Grundsatz, Alles müsse geheim bleiben, weil nur so die
-Verbindung aus der Ferne wohlthätig auf die Menschen und ihr vielfaches
-Unglück wirken könne. Aber viele erleuchtete Männer waren vom Gegentheil
-überzeugt. Zwei große Geweihte wurden ausgesendet, der zweite noch
-mächtiger und größer, als der erste, Johannes der Täufer, und der
-göttliche Stifter der christlichen Religion, der erhabene
-Menschenfreund, der aus Erbarmen gegen seine unglücklichen, im Elend
-schmachtenden Brüder ihnen das Wort des Lebens mittheilen wollte. Lange
-kämpften die beiden Partheien der Erleuchteten gegen einander. Das
-Mysterium war auf eine Zeit lang offenbar worden, aber, neben der
-Wohlthat brachte es im Mißverständniß unermeßliches Elend über die
-Länder und Völker. Der große Eingeweihte selbst und seine Freunde sahen
-es ein, und er starb den Versöhnungstod. Nach und nach ward das
-Mysterium dem Volke wieder entzogen, das spätere Christenthum und die
-Hierarchie bildeten sich aus, und verdeckten mit Satzungen, Gebräuchen,
-Ceremonien, Putz und Kunst das geistige Geheimniß, das wir nur hie und
-da im Lauf der Zeiten aufleuchten, und wie einen Blitz vorüber fahren
-sehn. Dem Kundigen genug, um das Licht zu erkennen; dem Unwissenden nur
-eine Blendung oder Veranlassung, sich wieder einer leidenschaftlichen
-Sektirerei zu ergeben. -- Wozu also, großer Meister Sangerheim, wenn Ihr
-diese Wahrheiten erkennt, ist Euch zur Weihe die katholische Kirche noch
-nöthig, da diese selbst nur eine abgeleitete aus unserm ältern, ächten
-Orden ist? da sie Nichts darstellt, als das Mißverständniß eines
-Geheimnisses, das ihr freilich Anfangs lauter übergeben ward? Und darum
-sagte ich, daß in gewissen Punkten der Protestant eine ältere Kirche
-besitze, und Ihr werdet nun, mein Freund, wahrscheinlich verstehn, wie
-dieser kurze Ausspruch gemeint war.
-
-Der Graf mußte es bemerken, welchen sonderbaren Eindruck dieser Vortrag
-auf die meisten seiner Zuhörer machte. Bei Einigen war das Erstaunen mit
-Unwillen gemischt, Einige gaben Beifall, den man einen schadenfrohen
-hätte nennen mögen, denn sie sahen mit bedeutsamem Lächeln nach
-Sangerheim hinüber, der, so sehr er sich zwang, seine Verlegenheit jetzt
-nicht mehr verbergen konnte, und sich, Hülfe suchend, an Diejenigen
-wendete, die mit der Rede des Grafen unzufrieden schienen. Er sagte
-endlich, nach einigen Erörterungen: So sehr wir verbunden seyn mögen, so
-sind wir also doch wieder getrennt; es mag seyn, daß sich die Wahrheit
-unterschiedliche Bahnen sucht. Nach Ihrer Ueberzeugung ist die Maurerei
-das Einzige und Höchste; ich stütze mich noch auf die Heiligkeit der
-Kirche und offenbarten Religion.
-
-So gebt die Maurerei auf, rief der Graf, der erhitzt schien: wozu soll
-sie Euch helfen, wenn Euer Herz und Glaube sich in der Religion
-befriedigt und sättigt? Und woher kommt denn diese Religion? Ist sie
-denn nicht, wie ich schon sagte, ein ungeschickter Versuch, einige der
-verschwiegenen Mysterien zu offenkundigen Wahrheiten zu machen? Und
-damit diese wenigen Wahrheiten sich erhalten können, meistentheils nur
-scheinbar, weil sie doch unverstanden sind, muß das Gerüst des
-Kirchendienstes dazu erbaut, muß der große Teppich gewirkt werden, der
-bedeckend herumgehangen wird, und diese wenigen Wahrheiten wieder in
-Geheimnisse verwandelt, die keiner sieht und findet, indessen sich das
-Volk an den bunten Bildwerken ergötzt, und die Priester sich zanken, und
-die Verständigsten unter den Layen von der ganzen Sache eigentlich gar
-keine Notiz nehmen. Seht, Meister, so steht es wahrhaft, wenn ich denn
-doch einmal reden soll, ohne, wie man sprichtwörtlich sagt, ein Blatt
-vor den Mund zu nehmen.
-
-Großer Meister, erwiederte Sangerheim, Euer Geist ist gewaltig und groß,
-Ihr fahrt wie ein Sturmwind daher, und predigt wie die Begeisterung. Was
-Ihr weissagt, habe ich wohl verstanden, aber die Obern, die ich verehren
-muß, würden auch Euch, so stark Ihr seid, so viele Zeitalter Ihr gesehn
-haben mögt, Hochachtung abzwingen, und wohl eine andre Ueberzeugung Euch
-geben.
-
-Mir? sagte der fremde Meister: wißt Ihr denn, ob ich sie nicht längst
-kenne? Es ist aber noch die Frage, ob sie mich auch kennen, auch wenn
-ich vor ihnen stände.
-
-Wie meint Ihr das, Großmeister? fragte Sangerheim.
-
-Ihr fragt, und fragt immer wieder, antwortete der Magus erhitzt und mit
-funkelnden Augen, und wollt doch auch Großmeister seyn. Obere nennt Ihr
-sie? Gut. Aber es kann doch auch wohl einen Obersten dieser Obern geben,
-die diesem dienen und gehorchen müssen, denen er nur so viel Weisheit
-zukommen läßt, als ihm dienlich scheint, die deshalb verschiedene
-Systeme ausbreiten, die er alle von seiner Höhe lenkt. So sind diese
-katholisch, jene protestantisch; einige nennen sich Rosenkreuzer, andre
-Tempelritter; der will Vernunft und Freiheit des Volks, jener Mystik und
-die Würde des Königs begründen und verbreiten; diese Ritter des Grabes,
-des Todes und Lebens, Illuminaten, und wie sie vielfältig sich betiteln,
--- können sie nicht vielleicht alle von einem unbekannten obersten Obern
-abhängen? Und ist Euch diese alte Sage, da Ihr doch so Vieles wißt und
-erfahren, in Euerm Orden noch nicht vorgekommen?
-
-Wer seid Ihr? rief Sangerheim wie entsetzt aus.
-
-_Ich bin, der ich bin!_ antwortete der Fremde. Erkennt Ihr mich daran
-noch nicht? -- Ob ich auch Feliciano, oder einen ältern Namen nenne,
-gilt dem Nichtwissenden gleichviel. Seid Ihr aber ein Wissender, so will
-ich in einer Chiffer, einem kleinen Symbol aussprechen, wer ich bin.
-Reicht mir das Blatt und den Stift.
-
-Er zeichnete und gab dann mit Lächeln das Papier dem Meister hinüber,
-indem er scharf sagte: Wenn Ihr der seid, für den Ihr Euch ausgebt, so
-müßt Ihr mich nun erkennen. Doch zeigt es Niemand.
-
-Sangerheim nahm das Blatt, sah und erblaßte. Er wickelte die Zeichnung
-zusammen und ließ sie schnell am Licht verbrennen. Ich sehe nun, daß Ihr
-jener wahre Oberste seid, dessen Zeichenschrift man nur denen der
-höchsten Weihe vorzeigt. Ich beuge meine Knie und meinen Geist vor Euch.
-
-Die letzte, entscheidende Erklärung hatte alle Gegenwärtigen in
-Verehrung und Demuth zum Grafen hinüber gezogen. Feliciano stand auf,
-machte ein Zeichen, das alle verstanden, und sagte: Kraft meines Amtes
-schließe ich hiemit diese Loge. Alle erhoben sich. Der Graf faßte
-hierauf die Hand Sangerheims und sagte: Junger Mann, Du wandelst einen
-gefahrvollen Weg, aber Du bist so weit vorgeschritten, daß ich nur
-warnen, Dich nicht mehr lenken kann und darf. Du kennst die Geister, Du
-bezwingst sie und sie gehorchen Dir, -- aber, sie kennen Dich besser,
-als Du sie kennst. Dir sind sie geheimnißvolle, wunderbare,
-unbegreifliche Wesen, und Du bist ihnen so verständlich und klar, daß
-sie Alles wissen, was in Deinem Gemüthe ist. Das Verhältniß des ächten
-Magiers muß aber das ganz umgekehrte seyn, Du mußt Deinen Geistern ein
-ganz wundervoll, geheimnißreiches Wesen bleiben, mit Furcht und
-Schaudern müssen sie Dir dienen. Kannst Du sie nicht noch zu Sklaven
-machen, daß sie vor Dir erbeben, wird ihnen Deine Natur immer klarer
-näher gebracht, wähnst Du gar, Freundschaft mit ihnen stiften zu können,
-dann -- wehe Dir! Furchtbar werden sie Dich einst, vielleicht bald,
-wegen ihrer aufgezwungenen Dienste zur Rechenschaft ziehn. --
-
-Er ging mit feierlichem Schritte fort, und Schmaling folgte ihm
-zitternd. Die Zurückgebliebenen sahen sich forschend an, und wußten
-nicht, was sie aus diesen letzten Worten machen sollten. Nur Sangerheim
-schien sie zu verstehn und sank bleich und von Anstrengung erschöpft, in
-einen Sessel zurück. Meine Freunde, sagte er nach einiger Zeit, ihr seid
-Alle Zeugen der wunderbaren Begebenheit, die sich zugetragen hat. Ihr
-wißt nun Alle, welche Kämpfe, welche Gefahren ich noch zu bestehn haben
-werde: welche Angriffe mir aus dem Geisterreiche her drohen. Erliege ich
-in meinen großen Bemühungen, so war es doch nicht Unkunde, die mich auf
-diesen gefahrvollen Weg trieb, sondern die Liebe zum Heiligsten der
-Wissenschaft.
-
-Alle verließen den Meister, dankend, hoffend, ihn ermunternd, und Jeder
-ging tiefdenkend nach seinem Hause.
-
- * * * * *
-
-Schmaling trat mit dem Großmeister, dem unbekannten Obersten, zu welchem
-ihn eine ungemessene Ehrfurcht, eine Art von Anbetung hinzog, zugleich
-in sein elegantes Schlafgemach, indem er an allen Gliedern zitterte. Ich
-wage es, Ihnen zu folgen, Größter aller Sterblichen, -- doch, was sage
-ich? vielleicht einem Unsterblichen.
-
-Feliciano sah ihn mit einem hochrothen Gesicht und glänzenden Augen an.
-Dem Jüngling erschien der Meister in einem wunderbaren Lichte, denn er
-sah, daß Dieser wankte, und sich lachend niedersetzte. Ei! mein Kind,
-fing er darauf an, da bist Du ja auch! Das ist schön, daß Du kommst, so
-können wir noch in stiller Nacht ein wenig mit einander schwatzen.
-
-Er stand wieder auf, und wankte nach einem Schranke hin. Ich habe mich
-verleiten lassen, fing er wieder an, heute, meiner Gewohnheit entgegen,
-viel zu sprechen, und noch mehr von den starken Weinen zu trinken.
-Unpolitisch. Ich will mich nun an diesem Trank, den ich nur meinen
-ägyptischen Wein zu nennen pflege, wieder nüchtern zechen, weil dieser
-noch viel stärker ist, als dort das beste Getränk. -- Er leerte einen
-großen Becher, den er aus einer sonderbaren Flasche gefüllt hatte, die
-in allen Farben glänzte und mit vielfachen Hieroglyphen bemalt war. --
-Trink, mein Söhnchen, sagte er dann, und reichte dem jungen Manne den
-Becher, koste wenigstens diesen Wundertrank.
-
-Schmaling setzte bald ab, denn diese Essenz, aus Gewürzen abgezogen, war
-ihm zu stark. Feliciano sah ihn freundlich lächelnd an und sagte: Liebes
-Bürschchen, kein Mensch in der Welt hat mir noch so sehr als Du
-gefallen, begleite mich, sei mein Freund und wahrer Schüler, und ich
-will Dir alle meine Weisheit mittheilen. Das andre Menschenvolk ist so
-plump und unliebenswürdig, Keiner ist mir noch aufgestoßen, dem ich mich
-ganz ergeben möchte. Du allein hast mein Herz gewonnen, und zu Dir
-möchte ich wahr und offen seyn können, weil mich das Zusammenschnüren,
-wie ich es der Uebrigen wegen mit mir treiben muß, genirt und langweilt.
--- Aber was wolltest Du noch von mir erfahren oder erfragen?
-
-Die Stimme des Mannes lallte, und es schien, als wenn dieser ägyptische
-Wein eher das Gegentheil, als die beabsichtigte Wirkung hervor gebracht
-hätte. Schmaling war verlegen und mochte sich selber nicht gestehn, was
-er zu bemerken glaubte; er sagte: Großer Meister, wenn es mir erlaubt
-ist, zu fragen, und noch einen Augenblick bei Ihnen zu verweilen, so
-möchte ich wohl erfahren, wie Sie es gemeint haben, was meinem Freunde
-die Geister, und auf welche Art sie ihm schaden könnten: was Sie sagten,
-schien zwar ein gewisses Licht zu geben, war mir aber doch noch
-unverständlich.
-
-Feliciano schlug in seinem Sessel ein lautes Gelächter auf, an dem er
-sich nur nach geraumer Zeit ersättigte, dann sagte er: Je, Kind,
-liebstes Kind, nimm doch Vernunft an. Was ich dort gesagt haben mag,
-weiß ich nicht mehr, aber ich meine, es wird mit seinen Geistern und
-allen den Geschichten ein klägliches Ende nehmen, weil der Gimpel selbst
-an seine Geister glaubt.
-
-Weil er an sie glaubt? fragte Schmaling im höchsten Erstaunen.
-
-Ja, liebes Närrchen, fuhr der Magus fort, sieh, deswegen muß es ja
-nothwendig und natürlich ein ganz miserables Ende mit ihm nehmen. Er
-betrügt die Welt und seine Schüler, und das ist recht und billig; mit
-den unter uns bekannten Kunststücken läßt er Geister und Gespenster
-erscheinen, aber der erste Dummkopf in der Welt ist, der selbst durch
-sich selbst getäuscht wird. Ich kam ihm in allen Richtungen entgegen und
-erwartete sein Bekenntniß, das mir allein am Tisch verständlich gewesen
-wäre. Aber seine Obern haben den Menschen auf eine mir unbegreifliche
-Art so dumm gemacht, daß, wie er auch betrügt und Andre täuscht, er doch
-glaubt, es werde sich ihm mit der Zeit das ächte wahre Wunder
-mittheilen.
-
-Schmaling wußte nicht, wie ihm geschah. Er betrachtete die Decke und
-wieder den verehrten Meister, sich selbst, den Fußboden und wieder den
-trunknen Wahrsager, der jetzt von Wein geschwächt und von seinem
-Uebermuth begeistert so Vieles aussagte und verrieth, was er nüchtern
-geworden am Morgen wahrscheinlich bereute.
-
-Laß die Narrenpossen, sagte der Graf, und mache es möglich, daß wir uns
-Beide verständigen. Du bist zu gut, um unter dem aberwitzigen Jan Hagel
-so mitzulaufen, Du verdienst es, die höchsten Grade und alle mit
-einander in einem Augenblicke zu erhalten. Ich höre, Du willst da in
-Deiner Stadt heirathen. Zieh mit mir, die ganze Welt steht einem so
-schönen, so feinen und schmiegsamen Mann, wie Du es bist, offen; alle
-Weiber, die schönsten und vornehmsten, werden Dir entgegen laufen. Du
-wärst mir dazu ganz anders brauchbar, als der tölpische Anton, Dein
-Jugendfreund, der aus einem Freigeist und Uebervernünftigen so mit
-beiden Beinen in die Dummheit hinein gesprungen ist.
-
-Er lachte wieder, daß er vor Schmerzen inne halten mußte. Du weißt
-vielleicht, fing er wieder an, wie ich schon ein Weilchen in Eurer
-komischen Stadt als ein Herr Anderson lebte. Ich hatte so die beste
-Gelegenheit, Alles auszuspioniren, und mein pfiffiger Bedienter noch
-mehr. Ich kannte schon alle Verhältnisse, auch die Mesalliance des Herrn
-Anton mit einem hübschen Bauernmädchen, die er nun in seiner kühlen
-Verständigkeit so schlechthin aufzuopfern dachte. Dieser tugendhafte
-Anton wollte nun Dich, mein liebes Kind, bessern und korrigiren, daß Du
-den Aberglauben ließest. Das kam mir ganz erwünscht in den Weg gelaufen,
-daß ich mich für den großen, berühmten Feliciano ausgeben sollte, der
-ich zufällig selber war. Die Bäuerin hatte ich kennen lernen und ihre
-Verzweiflung gesehn: ich hatte von ihr ein Bildchen machen lassen, das
-ziemlich ähnlich war. Sollte es doch auch nur für einen Augenblick
-dienen. Der Professor Ferner hat ein allerliebstes Kind, einen überaus
-klugen Jungen. Man glaubt nicht, wenn man es nicht so oft, wie ich,
-erfahren hat, wie schon der ganze Spitzbube in den Kindern steckt. Das
-Lügen, das den meisten angeboren ist, darf nur ein wenig erfrischt und
-aufgemuntert werden, so geräth es fast besser, als bei den Erwachsenen,
-die immer darin fehlen, daß sie es zu klug, zu verwickelt machen wollen.
-So ein Kind wird wahrhaft begeistert, wenn es gebraucht werden soll, die
-Großen und Vorgesetzten zu betrügen, und es lernt eine solche Lection
-besser, als jede in der Schule. Mit diesem Jungen, der noch bei mir ist,
-hatte ich schon unvermerkt mein Spiel verabredet. Mein Diener hatte die
-Blendlaterne und das Bild bei der Hand, sammt dem nöthigen Rauch, die
-Domestiken des Hauses waren entfernt worden, und um die Sache noch
-schauerlicher zu machen, hatte die gute Bauernnymphe unterdessen, daß
-sie im Zimmer leiblich erscheinen sollte, einen Schlaftrunk erhalten. So
-wurde denn der Spuk und die Comödie glücklich so gespielt, wie Du sie
-selber mit angesehn hast.
-
-Immer noch war es dem glaubensfähigen Schmaling, als wenn er in einem
-ängstlichen Traume läge. Und heute nun, fing er wieder an, als mein
-Lehrer und Meister sich Eurer höheren Wissenschaft so unbedingt beugen
-mußte?
-
-Kluges Kind, antwortete Jener, siehst Du denn nicht ein, daß wer die
-Menschen betrügen will, es ja nicht zu fein anfangen muß? So wie es fein
-ist, wird ja auch der Scharfsinn Jener geweckt, sie werden aufmerksam,
-denken, passen auf, und das Kunstwerk steht auf der Nadelspitze. Grob,
-plump muß der Menschenkenner zu Werke gehn. Die sich dann nicht damit
-einlassen wollen, wenden sich ganz ab, und auch das ist Gewinn; die
-Andern denken: Nein, so einfältig ist doch Keiner, die Sache zu
-erfinden, wenn nicht irgend Etwas daran wäre. Sagst Du ihnen, Du hast
-Carl den Zwölften gekannt, so lachen sie Dir ins Gesicht, behauptest Du
-aber dreist, Du habest mit Johann Huß Brüderschaft getrunken, so glauben
-sie Dir. -- Also mein Herz, laß Dich überreden, mit mir, als Deinem
-bekannten Obersten, durch die Welt zu ziehn, und ihre Schätze und Gunst
-mit mir zu theilen. -- Oberster! Ha ha! Weil ich so viele Logen aller
-Art durchkrochen bin, so wurde mir denn auch von einigen Rosenkreuzern
-eine Signatur gezeigt, die den Messias bezeichnen sollte, der einmal
-erscheinen würde, um ein himmlisches Reich auf Erden zu stiften. -- Du
-siehst, mit welcher angenehmen Dreistigkeit ich Deinen großen Meister
-mit dem Bagatell verblüfft habe. -- Nein, als ein ehrlicher, schlichter
-Mann könnte ich verhungern, als ein berühmter Charlatan bin ich reich
-und beherrsche Männer und Weiber und kann wie ein Sultan gebieten und
-walten. Lockt Dich denn diese Aussicht nicht, liebstes Kind? Du bist so
-viel schöner, als ich, Du kannst ja Deine Jugend nicht besser genießen.
-Mir hat so ein Wesen noch immer zu meinen Erscheinungen gefehlt, wer
-weiß, welchen Engel wir droben im Norden aus Dir machen. Wer weiß,
-welche Monarchin Dir ins Netz läuft, -- wer weiß -- kurz, komm mit!
-
-Der ägyptische Wein hatte so stark gewirkt, daß der Großmeister jetzt
-einschlief. Am Morgen, als er erwachte und sich besann, konnte er sich
-nur dunkel erinnern, was er gethan und gesprochen hatte. Aber das
-drückte ihn schwer, daß er sich gegen Schmaling auf irgend eine Weise zu
-sehr herausgelassen habe. Er sendete sogleich nach diesem, um entweder
-mit Klugheit ihm Alles wieder auszureden, oder, wenn dies unmöglich sei,
-ihn im halben Vertrauen stehen zu lassen und durch Drohungen zum
-Schweigen zu zwingen. -- Aber Schmaling war verschwunden und nirgends zu
-finden, auch Sangerheim konnte keine Nachricht von ihm geben, der mit
-Schmerz und Aengstlichkeit die unbegreifliche Entfernung des Jünglings
-beklagte.
-
-Als nicht zu helfen war, schickte Feliciano einen drohenden Befehl an
-Sangerheim, den jungen Schmaling niemals wieder als Bruder in seine Loge
-zuzulassen, dieses Verbot auch andern Logen mitzutheilen, die mit ihm in
-Verbindung ständen, das Gleiche würde er allen Brüdergemeinden zusenden,
-die von ihm abhängig wären, weil er entdeckt habe, daß dieser Schmaling
-ein Bösewicht, Verleumder und ganz unwürdiger Bruder sei, der nur damit
-umgehe, alle Geheimnisse des Ordens auf eine schändliche Weise zu
-verrathen, und die Meister selbst durch die abscheulichsten Lügen
-öffentlich zu beschimpfen.
-
-Sangerheim zitterte, und Feliciano eilte, mit seinem Zuge seine Reise
-nach dem fernen Norden fortzusetzen. --
-
-Schmaling war mit den schnellsten Postpferden zur Residenz
-zurückgekehrt. Er wußte nicht, wie er sich benehmen sollte, er hatte
-nicht den Muth, in das Haus seines Schwiegervaters zu gehen, er konnte
-es sich nicht als möglich denken, nur den Bedienten gegenüber zu treten,
-um sich melden zu lassen.
-
-In dieser unbehaglichen Lage sagte er zu sich selber: Ist es denn etwas
-Anderes, wenn ein Freund, der im hitzigen, oder Faulfieber liegt, von
-allen Aerzten schon aufgegeben, von allen Freunden schon als todt
-beklagt, wieder geneset? Sonderbar, daß wir immer so großen Unterschied
-zwischen den Krankheiten unsrer Seele und unsers Körpers machen wollen.
-Eins ist selten ohne das andre. Dem Elenden, der im Fieber phantasirt,
-vergiebt man es gern, man tröstet ihn sogar freundlich, wenn er Gott und
-Menschen, seine Liebsten und Nächsten gelästert hat, man nennt es nur
-Abwesenheit, Vergessen seiner selbst: und der Arme, dessen Seele
-zerrissen wurde, der, peinlich hinauf getrieben, zwischen den Extremen
-schwankte, der sich selbst verlor: ihm vergiebt man nicht, ihm rechnet
-man die Aeußerungen seiner Krankheit als Verbrechen an, und er muß es
-mit Dankbarkeit erkennen, wenn man es ihm nur nach Jahren vergißt, daß
-er diese und jene auffallende Meinung äußerte. Und so bin ich genesen,
-ich kehre von einer Brunnenkur zurück, da alle meine Freunde mich schon
-aufgegeben hatten. Wollen sie mich nicht, die mir die Liebsten und
-Nächsten sind, als einen Wiederhergestellten anerkennen, nun so ist es
-an ihnen, krank zu seyn, sie mögen dann irgend ein Bad besuchen, und es
-kömmt nachher auf mich an, ob ich sie als Gesunde begrüßen oder als
-Unheilbare von mir weisen will.
-
-Mit diesen Gesinnungen und Entschlüssen ging er nach dem Hause des
-Geheimenrathes Seebach. Die Bedienten, die ihn schon von ehemals
-kannten, ließen ihn ungehindert eintreten. Er fragte nach Fräulein
-Clara; man sagte ihm, daß sie ungestört seyn wolle, weil sie sich unwohl
-fühle, sie habe daher erklärt, keine Besuche annehmen zu wollen. Er
-sagte dem Kammerdiener, daß er der Familie kein Fremder sei, und daß er
-alle Verantwortung auf sich nehmen wolle.
-
-Er ging über den wohlbekannten Gang nach dem Gemache seiner
-Jugendfreundin. Lange stand er vor der Thür. Er lauschte mit
-hochklopfendem Herzen. Ihm war, als wenn er drinnen Gesang und die Töne
-einer Laute vernähme. Und so war es auch. Clara, um ihren Gram
-einigermaßen zu beschwichtigen, hatte alle ihre alten Musikstücke hervor
-gesucht, um sich an diesen zu trösten. Sie spielte und sang, und wiegte
-so, als sei er ein ungezogenes, schreiendes Kind, ihren immer wachen
-Kummer ein. Einige Blätter hatte sie bis jetzt überschlagen. Sie faßte
-den Muth, sie vor sich hinzulegen, um sie zu singen. Es waren einige
-Compositionen, die in bessern Zeiten Schmaling selbst zu ihren
-Lieblingsliedern gesetzt hatte, es waren sogar einige Lieder darunter,
-die von ihm gedichtet waren, und zu denen er ebenfalls die Melodie
-gesungen. Lange hatte sie den Trost der Musik entbehrt und darum ergab
-sie sich heute diesem Genusse wie eine Berauschte. Schmaling horchte
-entzückt an der Thür; alle Jugenderinnerungen, alle jene süßen Stunden
-der Unschuld kehrten in sein bewegtes Gemüth zurück. Ihm war, als hätte
-er den ganzen Zwischenraum, zwischen jenen Tagen und dem heutigen, nur
-in einem schweren Traum gelegen.
-
-Clara hörte in ihrem lauten Gesange nicht, wie er klopfte. Als er das
-Zeichen wiederholt gegeben hatte, öffnete er die Thür und trat in das
-Zimmer. Sie saß mit dem Rücken gegen die Wand und hatte seinen Eintritt
-nicht vernommen. Sie sang so laut und heftig, als wenn sie an dem Liede
-sterben wolle. Er hatte es ihr vor drei Jahren zu ihrem Geburtstage
-komponirt, nicht lange nachher, als sie mit einander bekannt geworden.
-Er konnte sich nicht zurückhalten, er weinte laut und stürzte zu ihren
-Füßen nieder. --
-
-Die Laute entfiel ihrer Hand. -- Wie? rief sie aus; was sehen meine
-Augen? Täuscht mich kein Blendwerk? Die alte Zeit kommt wieder, der
-Calender lügt und mein Ferdinand ist wieder da.
-
-Ja! rief der tiefbewegte Jüngling: da, um nie wieder von Dir zu
-scheiden. Zurückgekehrt, wie der verlorne Sohn, von den Trebern des
-Aberwitzes und der Lüge, um bei seinem Vater Schutz und Nahrung zu
-suchen.
-
-So? sagte Clara, indem sie ihn aufhob; stehe auf, lieber Freund, wenn
-ich Dich noch so nennen darf. Also, meinst Du, soll ich nun wie das Kalb
-geschlachtet und verspeiset werden?
-
-Ich bin leider das Kalb gewesen, antwortete der Beschämte, aber nun,
-meine süße Geliebte, nachdem ich genesen, nachdem ich die Dummheit
-meiner erhabenen Meister eingesehn habe, werde ich mich niemals wieder
-verführen lassen. Nein, auf immer bin ich zu Dir, zu jenem schlichten,
-einfachen Leben zurückgekehrt, das ich vor Kurzem noch mit Verachtung
-ansah. Fühle ich doch in allen Fasern meines Herzens und in jedem
-Tropfen meines Blutes, daß das Einfache, scheinbar Arme, das
-Nächstliegende eben das Reiche, Wohlthätige, Himmlische ist! Vergiebst
-Du mir meinen Wahnsinn, so bin ich der Glückseligste aller Menschen, und
-ich erwarte, daß Fürsten von mir Almosen begehren sollen.
-
-Nun, nun, sagte Clara, nicht eben so eifrig, mein Freund, in der
-Bekehrung und Reue wie erst in der Sünde. Also jetzt willst Du kein
-Kapuziner, nicht katholisch werden?
-
-Sie lachte so anmuthig, daß Schmaling den Muth faßte, sie in die Arme zu
-nehmen und herzlich zu küssen. Noch niemals hatte sie ihm den Kuß mit
-diesem Feuer erwiedert. Hierauf zog sie beide Glocken in ihrem Zimmer
-mit der größten Heftigkeit, tanzte im Gemach auf und ab, und als mehrere
-Diener ängstlich erschienen, rief sie diesen mit lauter Stimme zu: meine
-Eltern sollen kommen! Aber gleich! Mit der größten Schnelligkeit! Es
-verlohnt sich schon der Mühe, zu eilen.
-
-Man verwunderte sich im ganzen Hause über das ungewöhnliche Geräusch.
-Der alte Kammerdiener lief in Angst hin und her, weil er meinte, daß
-irgendwo Feuer ausgebrochen sei. Endlich traten Mutter und Vater zu
-Clara in das Zimmer. Was giebt es denn? fragten Beide; warum lässest Du
-uns so gewaltsam rufen?
-
-Sie sagte: wenn es nicht unbillig ist, daß bei der Geburt eines Prinzen
-alle Glocken geläutet und Kanonen abgeschossen werden, so darf man schon
-einigen Spektakel in einer honetten Familie machen, wenn ein junger Mann
-seinen gesunden Menschenverstand wieder gefunden hat. Ja, liebste
-Eltern, hier steht der bescheidene Jüngling, dessen Edelmuth es nicht
-wagt, dergleichen Ungeheures von sich auszusagen, weil er seit so vielen
-Wochen auf den entgegengesetzten Bahnen irrte.
-
-Der Vater schloß entzückt den jungen Mann in seine Arme, die Mutter war
-verlegen und gerührt. Und Sie entsagen, fragte der Rath, Ihrem Meister
-Sangerheim?
-
-Mit vollem Ja, kann ich antworten, rief Schmaling, und eben so dem
-Großmeister Feliciano, der vielleicht Judas Maccabäus seyn mag, oder
-Ischariot, und dem Teufel und seiner Großmutter, und allen ihren Spuk-
-und Zauberwerken, die keine Stecknadel werth sind, und für die wir ihnen
-unsre Seele verkaufen müssen.
-
-Ja wohl, sagte der Vater, müssen wir ihnen, den Unterirdischen, den
-Reichen des Wahnwitzes, das Theuerste verschreiben, um das Verächtliche
-dafür zurück zu erhalten.
-
-Ich bin genesen, rief Schmaling aus, und begreife jetzt nicht, wie ich
-den Himmelsblick meiner Geliebten, ihr Herz, alles Glück einer
-entzückenden Häuslichkeit und des nächsten Besitzes, gegen jene
-Kartenkünste aufopfern konnte.
-
-Als man sich mehr beruhigt hatte, erzählte er dem Vater auf dessen
-stillem Zimmer Alles, was ihm begegnet war. Man erfuhr auch bald, daß
-der junge Schmaling, wegen schwerer Vergehungen, von vielen Logen
-ausgeschlossen sei. Dies störte nicht das Glück des Hauses, denn seine
-Verlobung mit Clara wurde bekannt gemacht, und bald darauf die Hochzeit
-gefeiert.
-
-Könnte ich doch, klagte der Vater an diesem fröhlichen Abend, meinen
-Sohn Anton eben so in meine Arme schließen, und mich überzeugen, daß er
-mir zurückgegeben sei.
-
- * * * * *
-
-Die Scene, die sich mit dem größeren Magus ereignet hatte, war für
-Sangerheim von Folgen gewesen. Seine Schüler hatten es gesehn, daß er
-verlegen und irre an sich selber wurde; sie hatten Andern diese
-Bemerkung mitgetheilt, und Viele wendeten sich von ihm ab. Die ältere
-Loge beobachtete ihn genauer, und faßte mehr Muth, sich ihm öffentlich
-zu widersetzen. Unter Denen aber, die ihm unwandelbar treu blieben, und
-auf seine Worte schwuren, stand der Arzt Huber oben an; diese Anhänger
-beredeten sich, daß die Wirkungen, welche Feliciano hervorbrachte, durch
-die Hülfe böser Geister geschähen, und er selbst durchaus verwerflich
-und gottlos, seine Lehre verdammlich zu nennen sei.
-
-Jetzt ward es den Vertrauteren, und späterhin den Uebrigen bekannt, daß
-Sangerheim verheirathet sei, und seine Frau bei ihm wohne. Da sie krank
-und leidend war, hatte er ihr Dasein Allen verschwiegen. Die Wenigen,
-die sie zuweilen auf einen Augenblick sahen, bemitleideten sie, oder
-entsetzten sich vor ihr, wie vor einer Geistererscheinung. Sie war noch
-jung, aber todtenbleich, schwach und matt. In dem weißen und
-abgemagerten Gesicht glänzten die Augen mit einem sonderbaren Feuer. Sie
-hatte kaum Stärke genug, aus einem Zimmer in das andre zu gehn, und es
-geschah wohl, daß sie mitten in ihrer Rede abbrach und einschlief. Dann
-sprach sie sonderbar, oft unzusammenhängend, oft, als wenn sie
-Erscheinungen sähe. Sie hatte keinen Arzt, sondern der Mann, der sich
-die größten Kenntnisse zutraute, behandelte sie selbst auf eine
-geheimnißvolle Weise: er suchte sie durch Gebet, Händeauflegen und
-Beschwören zu stärken. Wegen dieses sonderbaren Zustandes der Leidenden
-war es selbst den Vertrautesten nur durch Zufall möglich gewesen, sie
-auf Augenblicke zu sehn und zu beobachten.
-
-Nach einer schlimmen Nacht, in welcher sie von Schmerzen sehr gequält
-war, sagte sie am Morgen zu ihrem Gatten: Ach, Alexander! das war nicht
-die Aussicht, die wir hatten, als Du mich heimlich, fast mit Gewalt aus
-dem Hause meiner guten Eltern nahmst. Welche Pläne machten wir damals,
-was hofften wir Alles von unsrer Liebe. Nun ist Alles dem Tode
-verfallen! Ach! und welch gespenstisch Leben, welch sterbendes Dasein
-ward mir in Deiner Nähe. Nun, ich fühl' es, es ist zu Ende.
-
-Nein, geliebte Theodora, tröstete sie der Mann: nein, meine Geliebteste,
-ohne die das Leben mir selbst nur eine Last seyn würde. Glaube mir,
-Alles nähert sich einer glücklichen Entwicklung. Ich sehe, Du wirst mit
-jedem Tage besser, in wenigen Monaten ist Deine Gesundheit und die
-Blüthe Deines Leibes wiedergekehrt. Du bist wieder heiter und froh, Du
-hast wieder Muth und Kraft, wie in den ersten Tagen unsrer Liebe.
-
-Liebst Du mich denn noch? fragte die Kranke, mit einem sterbenden Blick.
-
-Theodora, rief Sangerheim, außer sich vor Schmerz; diese Frage und
-dieser Blick könnten mich tödten. Es wühlt mein Herz um, und zernichtet
-meine Kräfte, daß diese Zweifel Dir immer wiederkehren.
-
-Ich darf nicht sprechen, antwortete sie matt, denn Deine Heftigkeit geht
-dann wie ein schneidend Messer durch meinen Leib und meine Seele.
-
-Ich will sanft seyn, milde, Geliebte, antwortete er demüthig, sprich
-Deinen Kummer aus, nur zweifle an meiner Liebe nicht.
-
-Was nennst Du so? fuhr sie fort; Deine Liebe ist Dir doch nicht heilig,
-Du opferst sie auf, sie ist Dir nur Mittel zu andern Zwecken. O, mein
-Engel, wenn Du Dich von jener Verbindung losmachen könntest, o zerbrich
-sie, mein süßes Herz, entzieh Dich jener Gesellschaft, die mir immer
-schrecklicher erscheint, die Dich verderben wird.
-
-Nein, meine Liebste, antwortete Sangerheim gerührt, ich erkenne Deine
-Liebe in jedem Deiner Worte, aber diese Männer, von denen ich Dir einmal
-in einer schwachen Stunde erzählt habe, kennst und würdigst Du nicht.
-Denke nur zurück, wie arm, wie dürftig unser Leben war. Als
-österreichischer Offizier, in einer kleinen Garnison, von rohen,
-unwissenden Menschen umgeben, mit schmalem, unbedeutendem Gehalt, ohne
-Hoffnung, es weiter zu bringen, -- was war da unser Loos? Wie armselig,
-dürftig und verächtlich war diese Existenz! Und betrachte jetzt den
-Ueberfluß, die Ehre, den Schwarm der Freunde und Bewunderer.
-
-O Alexander, seufzte sie, führe mich in jene enge Dürftigkeit zurück,
-gieb mir unser damaliges Leben wieder, und ich will Dir auf den Knieen
-danken. Wir waren gesund, wir hatten uns keine Vorwürfe zu machen, denn
-die Eltern waren mir wieder ausgesöhnt. War unser Einkommen klein, unsre
-Habe unbedeutend, so genossen wir Alles mit kindlichem dankbaren Sinn
-und mit einem reinen Gewissen. Als Du in jene Verbindung getreten warst,
-nahmst Du Deinen Abschied, mußtest ihn nehmen. Seitdem ist Alles so
-unklar und unheimlich. Und unser Wohlstand: mir ist, Du stehst auf einer
-dünnen, dünnen Eisrinde, und unter Dir liegt der tiefe Abgrund.
-
-Geliebteste, Freundin, Gattin, erwiederte er liebkosend, beruhige doch
-endlich Deine Seele über diesen Punkt. Wie wird sich Alles anders, und
-zu Deiner schönsten Zufriedenheit entwickeln. Jenen edlen Männern darf
-ich vertrauen, denn ich war ja Zeuge, daß sie Uebermenschliches vermögen
-und wissen. Wie viel haben sie mir schon anvertraut, wie Vieles vermag
-ich durch sie. Mit jeder Post kann es ankommen, das Größte, das Beste,
-was noch zurück ist, in jedem Reisenden kann der Ersehnte vom Wagen
-steigen, der mir Alles enthüllt, so daß keine Frage und kein Wunsch mehr
-übrig bleibt. Alle ihre Briefe deuten auch dahin.
-
-Brauche ich Dir zu sagen, antwortete die Kranke, daß Alles, was Du bis
-jetzt errungen hast, Kunststücke sind, die nur darum den Menschen
-unbegreiflich und wundervoll erscheinen, weil die Wissenschaft sie noch
-nicht gefunden hat? Jeder Gelehrte kann sie zufällig entdecken, und
-diese donnernden Explosionen, die sich durch einen Wurf, ohne Spur
-entladen, werden dann vielleicht ein Spielwerk, mit dem sich die Kinder
-erschrecken. Und Deine Operationen, diese Blendwerke der Erscheinungen,
-diese Bilder, die Du zeigst, Deine künstliche, innerliche Sprache, die,
-wie aus der Ferne, wie die eines Fremden klingt, und womit Du so Viele
-entsetzest, und sie zu Deinen Zwecken führst; daß ich selbst auch als
-Geist auftreten muß, -- o Alexander, wohin sind wir gekommen? Wie muß
-die Welt uns ansehn, wenn Alles einmal bekannt wird.
-
-Liebste Frau, sagte Sangerheim beängstigt, Du hättest Recht, wenn wir
-nicht mit den Edelsten aller Menschen, mit den Uneigennützigsten, mit
-den Weisesten in Verbindung ständen. Daß sie das Beste wollen, daß ihre
-Pläne gut sind und zum Heil aller Menschen hinstreben, davon dürfen wir
-uns überzeugt halten, so seltsam auch ihre Wege, so krumm sie auch
-laufen mögen. Ihnen liegt es ob, dies zu verantworten, wenn sie im
-Unrecht seyn sollten. Ich muß erfüllen, was ich ihnen gelobt habe. Ich
-kenne die Täuschung, die ich mir erlaube, aber ich bin vom guten Zweck
-überzeugt. Und jenseit aller Täuschung sind wir ja im Besitz so manches
-wahren Wunders. Dein Gebet wirkt kräftig, das meinige stimmt Deinen
-Geist. Du siehst, Du sprichst mit abgeschiedenen Freunden, sie entdecken
-Dir Geheimnisse; Du siehst in weite Ferne und durch verschlossene
-Thüren. Dir ist, wenn Du fest willst, Nichts verborgen.
-
-Die blasse, leidende Gestalt seufzte schwer. Ach, Liebster! klagte sie
-dann mit erlöschenden Tönen, daß ich auf diese Weise in Deinen
-weltlichen Absichten Dir habe helfen müssen, ist vielleicht die größte
-Sünde, die Dir der Himmel nicht anrechnen, und mir meine Schwäche und
-Nachgiebigkeit verzeihen möge. Die Liebe zu Dir hat mich weit geführt.
-Dieser künstliche Schlaf, dieser unnatürliche, den Du mir Anfangs
-erregtest, und der sich jetzt immer mehr von selbst einstellt, hat mir
-Gesundheit und alle Kräfte aufgezehrt. Oft weiß ich nicht mehr, ob ich
-noch bin, und kann mich auf meinen eignen Namen, oder auf Deine Gestalt
-nicht besinnen. Ja wohl ist dies eine Zauberei zu nennen, die den
-Menschen aus seinem eignen Innersten entrückt; aber eine verderbliche.
-So Vieles habe ich Dir entdecken müssen, hier und in jener Stadt. Mir
-ist, ich habe nicht allein die Kräfte meines Körpers, sondern auch
-Theile meiner Seele dabei zugesetzt. Wenn Du mich so auf eine Frage
-gewaltsam hinheftest, wenn ich im Schlafe sehen und finden muß, was Du
-verlangst, so dehnt es sich in meiner Brust, in meinem Kopf. Diese
-fließenden leichten Gewölke werden immer dünner und feiner, und mein
-Selbst, mein Sein weicht wie in eine schwindelnde Ferne hinweg, daß ich
-in einer entsetzlichen Angst nach ihm zurückblicke. Jenes fließende,
-fliehende Wesen, das ich selbst nicht mehr bin, faßt und sieht dann in
-meinen Körper, in Dich, in alle Wesen mit einem kalten Schauder hinein.
-Ich frage, ohne den Sinn zu wissen, und höre von Geistern die Antwort,
-und sage sie Dir im Schlaf, und Alles ist nur ein Echo. Oft, wenn ich
-dann wieder erwachen soll, greift das blasse, fließende und entflohene
-Wesen nach dem eigentlichen Ich mit Entsetzen zurück, und kann es nicht
-wieder finden. Nein, mein Ich ist manchmal fort; ich kann mich auf mich
-selbst nicht besinnen. Der Geist fürchtet, er könne vergehn, sich selbst
-vernichten. Nein, Liebster, wenn Du noch einiges Erbarmen mit mir hast,
-nicht mehr diese Experimente, versprich es mir.
-
-Sangerheim gab ihr geängstigt stumm die Hand. Er wußte wohl, wie viel er
-ihren künstlich erregten Visionen zu danken hatte. Durch dieses Mittel
-hatte er damals für den Rath Seebach jenes Dokument gefunden. Er stand
-jetzt an einem furchtbaren Scheidewege seines Lebens. Denn ohne daß
-seine Gattin ihn so schmerzlich zu erinnern brauchte, war er selbst
-schon mehr wie einmal an sich und seinem Beginnen irre geworden. Er fing
-in manchen Stunden an zu zweifeln, ob denn der Zweck die Mittel heiligen
-könne. Eine Lehre, die ihm bis dahin als unerschütterlich erschienen
-war. Mit Angst wartete er auf Briefe und Aufschlüsse, die man ihm
-verheißen hatte, damit er den Trug könne fallen lassen, seinen
-Eingeweihten ein eigentliches Geheimniß sagen und erklären, und im
-Besitz wirklicher Wunderkraft, des Steines der Weisen und der Tinktur
-glücklich seyn. Er hatte nach seiner Ueberzeugung erfüllt, was er
-versprochen hatte, ja mehr ausgerichtet, als man erwarten konnte, aber
-die letzten Briefe, die er erhalten und die er sehnend erwartet,
-sprachen so zweideutig, erfüllten so wenig, was er forderte, und
-umgingen die Frage so behutsam, daß er sich mit allen Kräften der
-Hoffnung und des Vertrauens nur einigermaßen beruhigen und auf die
-nächsten Nachrichten vertrösten konnte.
-
-In dieser Verstimmung seines Gemüthes faßte er die Hand der Kranken, und
-machte, ohne daß sie es bemerkte, die Striche, die den Schlaf herbei
-riefen. Sie entschlummerte mit einer Zuckung Augenblicks, indem sie nur
-noch wimmernd: nicht Wort gehalten! im halben Wachen ausstieß. --
-
-Er fragte sie jetzt um die Zukunft. Der Busen der Kranken arbeitete
-schwer. Ach! Nichts! Nichts sehe ich, sagte sie, wie schluchzend in
-sonderbaren Tönen: da liege ich, weit, weit weg; nicht ich, -- die
-Hülle. -- Glanz, Licht, -- aber ohne Schein. Es saugt mich hinauf. Meine
-Mutter nimmt mich, nicht meine Mutter, ihre Liebe, das ist mehr als sie.
-Wie rein ist ihr Herz. Das reinigt auch meinen Geist, mich. Mir wird so
-leicht, so wohl. Das, was ist, ist nicht eigentlich. Wir verstehn es
-unten nicht. Alles nur Schein, Hülse, der Tod. Das Sein ist anders: kann
-unten nicht gefaßt werden.
-
-Sangerheim richtete durch Fragen ihre Gedanken anders. O weh! rief sie
-in einem scharfen Ton: -- da ist Dunkel, Verwirrung, das Elend. O du
-Lügner, warum verkehrst du mit der Lüge so holdselig? Dein Herz bricht,
-dein Kopf zerspringt. -- Nach jenem Dunkeln soll ich forschen, sehn?
-Mein Auge reicht nicht hin, mein Zittern verdämmert mir den Blick. Alles
-schwarz. Aber näher kommt's. Grauen, Angst, kein Licht. Sie brüten
-selbst, sie suchen. Keine Liebe in ihnen. -- Ja wohl ist es aus, aus für
-dieses Leben. Brief geschrieben, gesiegelt. Kann nicht -- kann nicht
-lesen. Wär' es gut, könnt' ich's; die Liebe könnte lesen, so bleibt's
-finster. -- Ach! -- du, -- du -- auch fort, weggetragen, -- willst mich
-nicht kennen, nicht hier kennen, wo Friede ist? Sehe dich gehen, höre
-deine Stimme, kann dein Gesicht nicht finden; wo die lieben Augen? --
-Alles weg!
-
-Ach! so, so ist es gemeint? fing sie nach einer Pause wieder an; ja, ja,
-es wird ihm schwer gemacht. Er hieß Alexander. Gut war ich ihm, er war
-so lieb. Wird wieder, aber spät, spät, -- ach! kann er glauben? Gott, du
-bist gnädig. -- Laß ihn nicht zu sehr verfinstern. Jesus, vergieb ihm.
--- Nun ist es weg. Nun ist mir wohl. Nie werde ich mehr in die Tiefe des
-Irdischen schauen. Alle Tiefe vergeht; es wird Alles Ein Augenblick,
-Eine Gegenwart, Ein Lichtpunkt, und ich unsichtbar, mir selbst
-unfühlbar, in der Mitte des himmlischen Punktes. Nichts war, Alles ist
-und bleibt. Es zieht, es flieht nicht mehr, festes Bild wird es. -- Nun
-reicht der Strahl aus mir nicht mehr zurück, er ist zu kurz, das Leben
-ist fern, weit und fern: besser so, -- denn -- nein -- besser so -- ach!
-kein Sehnen mehr, kein Schmerz mehr, -- die Freude war schon lange todt.
-
-Sie verstummte: er horchte, er wiederholte die Striche und verstärkte
-seine innere Aufmerksamkeit, aber die Entschlafene sprach nicht. Da sein
-Bemühen heut, was noch nie gewesen, vergeblich war, so strich er mit den
-Händen in entgegengesetzter Richtung, um sie wieder zu erwecken, aber
-eben so fruchtlos, sie erwachte nicht wieder, denn sie war gestorben.
-
-Als er sich nach manchen vergeblichen Bemühungen, sie wieder ins Leben
-zu rufen, von der Wirklichkeit ihres Todes überzeugen mußte, warf er
-sich verzweifelnd zu ihren Füßen nieder, und wüthete gegen sich selber.
-Wie er etwas mehr zur Besinnung gekommen war, rief er aus: ja, du, du
-Unglückseligster, hast die Aermste ermordet! Was ist mir alles Leben nun
-ohne sie? Ohne sie, für die ich mir Glanz und Wohlstand wünschte? Wie
-schaal und abgenutzt liegt jetzt mein ganzes Dasein vor mir, wie arm,
-was ich etwa noch erstreben kann. Und wie liebte sie, die Aermste, mich
-Unwürdigen! Als sie damals, wie ihre Krankheit zuerst sich verkündigte,
-von der langen Ohnmacht erwachte, war ihr erstes Lebenszeichen, daß ihr
-redlicher Blick mich gleich suchte. Sie hatte alles Andre vergessen,
-aber nicht, daß ich um sie bekümmert war. Sie hätte mir ja auf unsern
-Spaziergängen gern jeden rauhen Stein aus dem Wege geräumt. Und mein
-Dank für alle diese Hingebung? -- Daß ich ihre Gesundheit durch diese
-magnetischen Künste vernichtete, daß ich ihren Geist verwirrte, daß ich
-muthwillig ihr liebendes Herz zerbrach. Nein es giebt keine größere
-Sünde, es giebt gar keine andre, als die der Mensch gegen die Liebe
-begeht. -- Ach! Du Süßeste! wo ist jetzt Deine blühende Jugend? Wo sind
-die Rosenwangen, und das Grübchen des freundlichen Lächelns, mit dem ich
-Dich neckte, wenn wir im kleinen Garten Deiner Eltern zwischen den
-Rosenbüschen saßen? Wo sind nun alle die Träume der Liebe? Wo die Pläne,
-die wir für das Leben entwarfen? Diese blasse Hülle, die hagre Gestalt
-ist von all der Lust und Freude übrig geblieben, um mir zu sagen, wie
-armselig und kläglich das menschliche Leben sei, um mir zuzurufen, daß
-ich ein Bösewicht, ein Verworfner bin, der trotzig durch das Leben geht,
-und Dich, süße Blume, roh zertreten hat.
-
-Er setzte sich wieder zum Leichnam nieder, faßte die dürre Hand,
-bedeckte sie mit Küssen, und weinte bitterlich.
-
-Wort müssen, Wort werden sie mir halten, sagte er nach einer Weile zu
-sich selber; mein Elend wäre zu unermeßlich, wenn sich auch diese
-Hoffnung in Tod und Leiche verwandelte. Was bliebe mir? Die nackte,
-kahle Lüge, der verächtliche Betrug. Dem könnte, dem möchte ich nicht
-ferner leben. Ist denn sterben so schwer? Sie ist erloschen, wie die
-Kerze, wie der letzte still verborgne Funke in der Asche. Wenn ich
-verloren bin, so will ich kein Dasein erbetteln, und in Lumpen und dem
-Auskehricht des Lebens Kleinodien suchen, die ich wirklich besaß und
-wegschleuderte, als ich noch wie ein König glücklich war. Jenseit will
-ich sie dann wieder aufsuchen und das keck verachten, was Verachtung
-verdient. -- --
-
-Bei ihrem Begräbniß folgten die vertrautesten der Brüder. Er schien
-seine Fassung wieder errungen zu haben. In fester Stellung, mit edlem
-Schmerz stand er am Grabe der Geliebten und sah die theuern Ueberreste
-versenken. Freilich war es ihm oft, als wenn alles Leben nur ein Traum
-sei, oder ein Schauspiel, in welchem er mit Anstand seine Rolle zu Ende
-führen müsse.
-
-Als er nach Hause kam, fand er folgenden Brief, den er hastig erbrach:
-
-Die -- -- sind mit Euch, mein Freund, nichts weniger, als zufrieden,
-denn Ihr setzt ihr Geheimniß, ihren Ruf und ihre Ehre auf ein zu
-leichtsinniges Spiel. Das ist es nicht, was Ihr verheißen habt, und was
-man von Euch erwartete. Es hat sich erwiesen, daß der Rath -- --, dessen
-Ihr so sicher zu seyn glaubtet, sich kalt zurückgezogen hat, daß Ihr
-jene Stadt meiden mußtet. Und wie lange werdet Ihr in der jetzigen Euer
-Spiel noch forttreiben können? Man verwundert sich, man forscht nach,
-und, was das schlimmste ist, man lacht. Wie schlecht seid Ihr dem
-Charlatan, dem Feliciano, gegenüber bestanden! Wer solche plumpe
-Angriffe nicht einmal zurück zu schlagen versteht, der ist zum Missionar
-verdorben. Auf die Anfragen, auf Eure Forderungen, kann ich nichts
-Bestimmtes erwiedern. Es heißt, die Loge wird verlegt werden: wenn es
-geschieht, so ist noch nicht entschieden, wohin. -- --
-
-Sangerheim knirschte. Mit Todesschweiß schrieb er schnell einige
-drängende, fordernde, beschwörende und beredte Briefe, um das Aeußerste
-und Letzte zu versuchen, denn seine Hoffnung, ein wahrer Magier zu
-werden, war nun fast schon verschwunden.
-
-Wenn sie mich so um mein Leben betrogen hätten! rief er aus, büßen
-sollten sie es! -- Doch nein, ich zittre vor mir selber: weiß ich ja
-doch, daß sie jeden Laut in der Ferne vernehmen, und daß sie jeden
-meiner Gedanken kennen. Drum muß ich, will ich alle meine Gefühle
-unterdrücken, und nur das Beste, Edelste von ihnen erwarten.
-
- * * * * *
-
-Im Hause des Geheimenrathes war Alles so ziemlich wieder zur Ordnung
-zurückgekehrt. Die Hochzeit der Tochter näherte sich, und Schmaling war
-im Bewußtsein seines Glückes in solcher Stimmung, daß er selbst die
-Namen Feliciano oder Sangerheim nur ungern nennen hörte. Er verdammte
-den Trieb, sich vom Wunderbaren und Geheimnißvollen anlocken zu lassen,
-so unbedingt, daß selbst Clara ihn tadelte, wenn er auf
-Geistergeschichten oder Erzählungen schalt, die durch ein gewisses
-Grauen die Aufmerksamkeit spannen, und die Phantasie in Thätigkeit
-setzen. Er wollte kein unschuldiges Spiel hierin mehr erkennen, sondern
-meinte, diese Anlage und Stimmung unseres Geistes sei durchaus
-verderblicher Natur, und könne nur zum Unheil führen, es sei daher die
-Pflicht eines jeden Verständigen, diesen Trieb in sich völlig
-auszurotten.
-
-Der Vater hatte unterdessen an seinen Sohn Anton geschrieben, um ihn zu
-bewegen, zu seiner Familie zurückzukehren. Nur Einiges hatte er ihm von
-jenen Geständnissen gemeldet, die der trunkene Magier gegen Schmaling
-halb unbewußt gethan hatte; er hatte ihn auf die Gefährlichkeit dieser
-Verbindung, auf seine bedenkliche Stellung zur Welt aufmerksam gemacht,
-er hatte ganz den Vater und die väterliche Autorität, so milde der Brief
-war, sprechen lassen, aber vergeblich. Der Sohn antwortete in einem
-scharfen, höhnenden Tone: wie sonderbar es sei, daß der Vater jetzt
-gegen Geheimnisse spreche und große Charaktere verfolge, da doch er, der
-Sohn, von Jugend auf so viel von diesen Geschichten in seiner Familie
-habe vernehmen müssen. Es sei ja bekannt genug, wie er selbst früher
-gegen alle leere Schwärmerei, Geistersucht und dergleichen gesprochen
-habe, er habe sich nie blenden lassen, und wenn er jetzt einer andern
-Ueberzeugung folge, so könne man ihm wohl zutrauen, daß er geprüft und
-untersucht habe, und nicht leichtsinnig einem unreifen Gelüste folge.
-Wenn Verleumder seinen großen Meister lästerten, so geschehe nur, was
-sich seit den ältesten Zeiten ereignet habe, daß der Pöbel die
-Wohlthäter der Menschen und die leuchtenden Genien verfolge. Was seinen
-Schwager Schmaling betreffe, so verachte er einen solchen Elenden zu
-tief, um irgend noch Worte über ihn zu verlieren. Sein Meister habe ihm
-diesen Lügner und dessen Verächtlichkeit hinlänglich geschildert. Er
-hoffe übrigens, in der Lage zu seyn und zu bleiben, daß er weder auf
-einen Theil des väterlichen Vermögens, noch auf irgend eine
-Unterstützung Ansprüche zu machen brauche, wünsche aber dagegen, daß man
-ihn nicht hofmeistere, als ein Kind behandle, das der Zurechtweisung
-noch bedürfe. Er werde in Zukunft, wenn er der Familie selbst zu Glanz
-und Ehre verhelfe, übrigens gern vergessen, daß er früher einmal von
-seinen allernächsten Verwandten so sei verkannt worden.
-
-Der Vater, der Obrist und Alle erstaunten über die ungeheure Verblendung
-des Sohnes, vorzüglich, wenn sie seiner früheren Art gedachten.
-
-Die Zeit war indessen herangekommen, in welcher Sangerheim versprochen
-hatte, durch Rückzahlung des letzten Capitals seine geheimnißvollen
-Papiere auszulösen. Geschah es nicht, so gehörten dem Rathe diese
-Mysterien, die von der höchsten Wichtigkeit seyn sollten, und von denen
-selbst das Leben Sangerheims, wie er geäußert hatte, abhinge. Der
-geheime Rath machte sich also mit jenen wichtigen, fest verschlossenen
-und vielfach seltsam versiegelten Dokumenten auf den Weg nach jener
-Stadt, in welcher der Magier seitdem seinen Sitz aufgeschlagen hatte.
-Der Professor Ferner begleitete ihn. Sie reiseten in der Nacht, und
-wechselten vielfältige Gespräche, indem sie sich alter Zeiten und vieler
-Erfahrungen erinnerten. Der Professor sagte endlich: Sei der Mensch auch
-so ruhig und fest, wie er immer wolle, er hat eine Stimmung, einen
-Moment der Schwäche, wo ihn doch Dasjenige wiederum ergreifen und
-beherrschen kann, was er längst abgeschüttelt zu haben glaubt. Und so
-ist es mit Zeiten und Völkern auch. Wer kann unterscheiden oder bestimmt
-verneinen, ob es nicht physische Krankheit sey? Ob es oft nicht in der
-Luft liege, und wie jede Seuche anstecke? Es scheint zu Zeiten
-unmöglich, sich gegen den Einfluß der Thorheit zu schützen, so wie wenn
-der Körper erst durch Mangel an Diät oder Zufälligkeiten so gestimmt
-ist, man der Erkältung durchaus nicht ausweichen kann, verwahre man sich
-auch, wie man will. Jetzt ist es mir völlig unbegreiflich, wie ich mein
-geliebtes Kind jenem Wunderthäter hingeben konnte, es erscheint mir
-jetzt als ein völliger Wahnsinn, als gottlose Sünde; und doch pries ich
-mein Geschick (und seitdem sind nicht viele Monde verflossen), daß jener
-große Mann den Knaben würdigen wollte, ihn in die Schule und sich seiner
-anzunehmen. Ist aber unsre Schwäche so groß, oder ist es zuweilen ein
-Fatum, das uns ergreift, eine unausweichliche Nothwendigkeit, so sollten
-wir wohl im Leben gegen unsre Nächsten, oder in der Geschichte gegen
-merkwürdige Verirrungen billiger und nachsichtiger seyn, als wir uns
-bewußt sind, diese Nachsicht auszuüben.
-
-Es muß sich austoben, erwiederte der Rath; das ist ein Ausdruck, den ich
-mir seit einiger Zeit angewöhnt habe. Das ist der einzige trostlose
-Trost, den ich mir in Ansehung meines Sohnes geben kann, den ich für
-verloren achten muß. -- --
-
-Sangerheim war indessen in einer Stimmung und Gemüthsverfassung, die
-sich schwerlich darstellen läßt. Auf seine vielen und dringenden
-Schreiben hatte er noch einmal eine kurze Antwort von einem Manne
-erhalten, der sich früher seinen Freund nannte, und der ihm jetzt
-meldete, dies sei der letzte Brief, den er ihm senden könne, indem er
-eben in den Wagen steige, um nach Italien, und von dort nach
-Griechenland und Constantinopel zu reisen. Von Geldsendungen war keine
-Rede, und doch hatte Sangerheim auf diese, und zwar auf sehr bedeutende,
-gerechnet. Er meinte, er dürfe es, nach allen früheren Betheuerungen und
-Versprechungen. Er war von Schulden bedrängt; um glänzend aufzutreten,
-hatte er Alles wieder ausgegeben, was ihm von Freunden und Schülern
-zugeflossen war. Um sein Ansehn zu vergrößern, und sich mehr Zutrauen zu
-erwerben, war er in der Wohlthätigkeit ein Verschwender gewesen. Er
-schrieb noch einmal, und zwar unmittelbar an einen Mann, den er für
-einen jener Obern halten mußte, aber indem er in Angst die Sekunden auf
-seiner Uhr zählte, und der Antwort Flügel wünschte, kam sein eigner
-Brief ihm zurück, mit der Anweisung vom Postamt, kein Mann von dem Namen
-sei in der Stadt zu finden.
-
-Nun sah er, daß man ihn völlig verlassen, daß man ihn ausgestoßen hatte.
-Es wurde ihm hell in allen Sinnen, daß er gebraucht sei, eine Büberei
-auszuführen, und daß man jetzt diese nothgedrungen aufgegeben habe, oder
-ihn wenigstens für unpassend halte, sie zu vollbringen. Er war bis dahin
-überzeugt gewesen, wenn er auch die Pläne seiner Obern nicht ganz
-durchschaute, daß er etwas Gutes und Edles wirke, wenn auch durch
-Mittel, die sich nicht vor der strengen Moral rechtfertigen ließen. Ihm
-war ein brennender Haß gegen die sogenannte Aufklärung, gegen jenen
-Indifferentismus, der seine Zeit charakterisirte, beigebracht worden. Er
-hielt es für nothwendig, daß jene Freimaurer, die sich der
-Rosenkreuzerei, dem Goldmachen und Geisterrufen widersetzten, als
-Schädliche und Verderbliche ausgerottet werden müßten, weil sie
-hauptsächlich durch ihren Einfluß und ihre Logen jene lebentödtende
-Aufklärung verbreiteten. Er glaubte wohl, daß ein Werben für die
-katholische Kirche auch eine Aufgabe seiner Sendung sei, unterzog sich
-aber auch diesem gern, weil er in dieser Lehre auferzogen war, und sie,
-ohne sie zu prüfen, oder die protestantische zu kennen, für die bessere
-hielt. Mit seinem Wunderglauben und seiner Schwärmerei hatte er sich
-eine eigne Lehre ausgebildet, die der orthodoxe Katholik gewiß nicht
-gebilligt hätte. So hin und her geworfen von Leidenschaften und
-chimärischen Hoffnungen, wähnend, ganz nahe an die Erfüllungen seiner
-höchsten Wünsche zu reichen, durch sophistische Ausreden über sein
-trügendes Thun beruhigt, sich als Lügner kennend, und sich dennoch für
-einen wahren Wunderthäter haltend, seine Gattin liebend, und sie doch
-seinen verdächtigen Zwecken aufopfernd, war er in allen diesen tollen
-Widersprüchen fast in ein gespenstisches Wesen verwandelt worden, das
-ohne innern Halt jeden Tag nur so hingaukelte, von Neuem täuschte und
-getäuscht wurde, und nie zur Besinnung kam. Jetzt fielen alle diese
-Larven von ihm ab, er lernte sich selbst erst kennen, und entsetzte sich
-vor dem Auge der Wahrheit und seiner eignen Nacktheit.
-
-So bin ich denn, sagte er zu sich selbst, zugleich der Unglückseligste
-und Verworfenste aller Menschen. Der Inhalt meines Lebens ist ein
-Possenspiel, über das man lachen möchte, und zugleich so tragisch und
-entsetzlich, daß sich mir die Haare aufrichten. Wie können jene
-Menschen, die sich gut und weise nennen, es irgend mit ihrem Herzen
-ausgleichen, daß sie mich geschlachtet, und mir Geist und Leib zu Grunde
-gerichtet haben. So einsam, so ganz zernichtet war noch nie ein Mensch.
-Die Freunde, Beschützer, Mächtigen, auf die ich mich so sicher mit
-meinem ganzen Glücke lehnte, sind gar nicht da in aller weiten Welt,
-nirgend zu erfragen, wie Traumgestalten, wie Wolken verschwunden. Jeder
-Mensch, dem ich meine Noth klagen wollte, müßte es für wahnwitzige Lüge
-halten. -- Ach Theodora! wie Recht hattest du. Warum vernahm ich denn
-deine Bitten und Warnungen nicht? Auch sie ist zertreten worden, so wie
-ich. O wenn sie noch da wäre, wie gern würde ich mit ihr als Tagelöhner,
-als Bettler leben. Und Nichts bleibt mir; nicht die elendeste Hülfe,
-nicht der kümmerlichste Trost.
-
-Er sann hin und her, was er beginnen könne, aber jede Aussicht war
-verschlossen. Sein Trug mußte entdeckt werden, dem Manche schon auf die
-Spur gekommen waren. Die prophetische Gabe seiner unglücklichen Gattin
-konnte ihm auch Nichts mehr fruchten, um seine künstlichen Lügen mit
-halber Wahrheit oder seltsamen Entdeckungen zu unterstützen. Er dachte
-wohl daran, ob er nicht einige von Denen um Hülfe ansprechen sollte,
-denen er, als ihm große Summen zu Gebote standen, reichlich geholfen
-hatte, aber er verwarf diesen Gedanken sogleich als unstatthaft, weil er
-einsah, daß Dieselben, die ihn in der Noth als ein göttliches Wesen
-behandelt hatten, ihm jetzt kalt den Rücken kehren würden. Und so,
-dachte er, habe ich von meinem verlornen Leben nicht einmal den Nutzen,
-den jeder Dieb genießt, bevor er zum Galgen geführt wird, daß er Geld
-und Gut besitzt, oder mit seinen Spießgesellen schwelgt, und Wein und
-Wollust ihn übersättigen.
-
-Er fiel darauf, sich dem geheimen Rath ganz zu entdecken. Dachte er aber
-an das Auge des ernsten Mannes, und wie viel er von ihm gezogen hatte,
-so verwarf er auch diesen Gedanken. Nein, rief er, die Ehre verbietet
-mir diese schmähliche Auskunft, die mich zu sehr erniedrigen würde.
-
-Sonderbar, daß in der Verzweiflung und tiefsten Selbstverachtung die
-Menschen noch von diesem Phantom regiert werden können, das nur
-Wesenheit erhält, wenn der Edle, Tugendhafte sich von Rücksichten lenken
-läßt, um die gute Meinung seiner Zeitgenossen, sei es auch im
-Vorurtheil, zu erhalten. Der Lügner will aber oft mit den
-abscheulichsten Lügen die Erde lieber verlassen, als durch eine Handlung
-der Tugend, seine erste vielleicht, indem er die Wahrheit bekennt, vor
-der Menge beschämt werden. Diese Ehre hielt ihn von dem edlen,
-mitleidigen Manne zurück, und stellte sich zwischen ihn und diesen wie
-eine Mauer.
-
-Denn mit den besten Gesinnungen für den Unglücklichen langte der alte
-Seebach an. Er kannte zwar Sangerheims Verbindungen nicht, und wußte
-eben so wenig, wie diese jetzt so ganz von ihm abgefallen waren, aber er
-war der Ueberzeugung, daß Sangerheim sein Versprechen nicht halten
-könne, und er war darauf gefaßt, die große Summe schwinden zu lassen,
-ohne ihm seine Schriften zurückzuhalten, oder ihn öffentlich zu
-beschimpfen, wozu der Magier ihm ein Recht gegeben hatte, wenn er seinem
-Worte untreu würde. Wie erstaunte daher der Rath, als ihm Sangerheim mit
-großem Vertrauen und fester Sicherheit entgegentrat, und auf übermorgen
-mit leichtem Sinn die Auslösung der Schriften verhieß. Er war selbst
-heiter, obgleich er mit Schmerz von dem Tode seiner geliebten Gattin
-sprach. Dies Betragen war so, daß der Rath selbst wieder unsicher wurde,
-und dem schönen großen Manne gegenüber sich im Stillen Vorwürfe machte,
-daß er ihm so sehr Unrecht gethan habe.
-
-Der Tag ging hin unter Besuchen und Zerstreuungen. Der Arzt Huber,
-dieser fanatische Anhänger Sangerheims, erzählte viel von seinen
-Hoffnungen, deren Erfüllung er in kurzer Zeit zu erleben gedachte.
-
-Am andern Morgen machte der Rath mit dem Arzte, Sangerheim, Ferner und
-noch einigen Vertrauten einen Spaziergang. Als sie die Stadt im Rücken
-hatten, entspann sich in der Kühlung des schönen Morgens ein sonderbares
-Gespräch. Sangerheim sprach von der Flüchtigkeit des Lebens, das, gegen
-die unerschöpflichen Tiefen der Kunst und Wissenschaft gehalten, viel zu
-kurz sei.
-
-Sie gingen einem Bach vorüber. Alle diese Wellen, sagte Sangerheim,
-gelangen in den Ocean, der dadurch nicht voller wird. Ist es nicht eben
-so mit unsern Seelen? Der Tod entführt sie -- wohin? Zu Gott, der keinen
-Mangel kennt, und durch sie nicht größer wird.
-
-In der Einsamkeit sagte er endlich: Nur zu sehr hatte jener Feliciano
-Recht, daß ich schwere Kämpfe mit den Geistern, die nur ungern
-gehorchen, würde zu bestehn haben. Sie wollen es nicht dulden, daß ein
-Sterblicher so große Gewalt über sie erringe. In jeder Minute muß ich
-wachsam seyn. Verabsäume ich gewisse Gebete, könnte ich diese oder jene
-unerläßlichen Vorkehrungen vergessen, so wäre mein Leben Augenblicks in
-Gefahr. Von wie vielen ausgezeichneten Männern, die das Reich der
-Geister sich unterwürfig gemacht, wissen wir es nicht, daß sie eines
-unnatürlichen oder gewaltsamen Todes gestorben sind. Oft war es auch die
-Veranstaltung dieser rebellischen Geister, daß die weltliche Macht sich
-eines dieser Männer als eines solchen bemächtigte, der mit der Hölle im
-Bunde stehe, und ihn nach dieser falschen Beschuldigung auf den
-Scheiterhaufen setzte.
-
-Hin und her wurde über diese Behauptung gestritten. Plötzlich rief
-Sangerheim: Still! meine Freunde. -- Er blieb stehn, als wenn er auf
-Etwas horchte, dann nickte er, schüttelte mit dem Kopfe, murmelte einige
-Worte, und machte wieder die Geberde, als wenn er gespannt einer Rede
-zuhöre. Nach einer Weile sagte er: Warten Sie hier einen Augenblick.
-Wovon ich eben sprach, hat leider stattgefunden. Eine Kleinigkeit habe
-ich heute beim Aufstehn unterlassen, das Zeichen vor meinem Bette und an
-der Thür meines Schlafzimmers ist nicht in rechter Weise aufgelöset
-worden, nun jagen mir die Ungestümen nach und wagen es, zu drohen.
-Warten Sie hier einen Augenblick, dort in der Einsamkeit werde ich sie
-schon zu zwingen wissen, sie sollen zitternd ihren Meister erkennen, und
-mir nicht zum zweiten Male drohen.
-
-Er entfernte sich mit triumphirender Miene und in stolzer Zuversicht.
-Als er hinter den Gebüschen verschwunden war, hörte man Zank und Streit
-von vielen verschiedenen Stimmen, und Sangerheims donnernden Ton
-abwechselnd dazwischen, dann einen Knall, wie einen Schuß. Hierauf
-Stille.
-
-Alle sahen sich erwartend an. Der Rath ging ahndungsvoll zuerst nach dem
-Platz. Der Unglückliche lag todt am Boden, das Pistol neben ihm.
-
-Die Geister haben ihn ermordet! schrie der Arzt heftig: o die Elenden,
-Schändlichen! O Liebster, so bist Du denn doch das Opfer Deines
-Enthusiasmus, Deines brennenden Eifers für die Wissenschaft geworden!
-
-Der Rath sagte kein Wort; jedes schien ihm überflüssig. -- Man machte in
-der Stadt eine Anzeige von diesem Vorfall, und am folgenden Tage ward
-der Leichnam beerdigt.
-
-Seltsam genug, daß manche der aufgeklärten Freimaurer, die von diesem
-Sangerheim so schlimm waren verfolgt worden, jetzt auch die Meinung
-aussprachen, er sei von seinen Geistern, die aber bösartige wären, zur
-Strafe aller seiner Frevel vernichtet worden. --
-
-Am andern Tage versammelte der geheime Rath die vertrautesten Freunde
-des Abgeschiedenen in seiner Wohnung. Man lösete langsam und bedächtig
-die Siegel des geheimnißreichen Paketes, eine Scheide nach der andern,
-und wickelte einen Umschlag aus dem andern. Jener Knall, der schon
-einmal den Rath erschreckt hatte, ließ sich wieder hören. Keiner von
-Allen war in solcher Spannung, als der Arzt Huber. Endlich war Nichts
-mehr aufzuknüpfen und kein Petschaft mehr aufzubrechen, und offen lag
-vor Aller Augen der Inhalt. -- Eine alte französische Grammatik, drei
-alte Kalender, viel Makulatur.
-
-Die Erbschaft eines Wunderthäters, sagte der Rath kalt. Erst jetzt
-verachtete er den Magier völlig. Nein! rief Huber in großem Eifer; die
-boshaften Geister haben auch seine wichtigen Geheimnisse scheinbar
-verwandelt, um unser Aller Augen auf eine Zeitlang zu blenden. Wenn wir
-uns nicht thören lassen, so müssen bald die ächten Skripturen an die
-Stelle dieser Makulatur zurückkehren. Und so bemächtige ich mich, im
-Namen der Kunst, dieser unscheinbaren Papiere, um sie vom Untergange zu
-retten. Kann auch seyn, daß im Bande, zwischen den Blättern, oder in
-Punkten und unterstrichenen Buchstaben das Mysterium niedergelegt ist.
-Ich werde wenigstens Tag und Nacht studiren.
-
-Man ließ ihn gewähren und würdigte ihn keiner Antwort. --
-
- * * * * *
-
-Das Schicksal Sangerheims war beschlossen, und die meisten seiner
-ehemaligen Bewunderer gaben ihre Bestrebungen auf, retteten Geld und
-Zeit und kehrten zu besseren Beschäftigungen zurück. Nur Huber saß
-unermüdet bei seinen Makulaturen, den alten Kalendern und seiner
-französischen Grammatik, suchte und rechnete, und glaubte, nachdem er
-lange studirt hatte, auch viel Wichtiges gefunden zu haben.
-
-Schmaling und Clara waren verheirathet. Ihr Glück ward durch gute und
-gesunde Kinder erhöht und man konnte die Familie des Rathes eine
-glückliche nennen, wenn nicht Anton in ihr gefehlt hätte, von dem man
-seit Jahren gar keine Nachricht hatte. Auch Feliciano, nachdem er lange
-an verschiedenen Orten in Europa mit mehr oder minder Glück seine Rolle
-gespielt hatte, war endlich, da Keiner mehr, auch der erst Verblendete
-nicht, an seinem Betruge zweifelte, nach manchen Abentheuern
-untergegangen.
-
-Die Gattin des Rathes pflegte ihre Enkel, und Clara, die jetzt Nichts
-mehr zu bekämpfen hatte, durfte mit Sicherheit ihren Charakter, so wie
-die Anlagen ihres Geistes ausbilden. Sie fürchtete nun nicht mehr die
-Bilder der Phantasie, die poetischen Mährchen, oder das Geheimnißvolle
-in dieser oder jener Dichtung, weil es ihr nicht mehr feindlich
-gegenüber stand, und sie über den Charakter ihres liebenswürdigen Gatten
-beruhigt war. Dieser, einmal enttäuscht, fühlte niemals die Versuchung
-wieder, sich in jenes Labyrinth zu begeben, dessen Irrgänge er hatte
-kennen lernen, und denen er so glücklich entflohen war.
-
-So waren im ruhigen Glücke mehr als zwölf Jahre verflossen, als sich an
-einem Morgen früh beim geheimen Rathe ein Fremder anmelden ließ, der
-darauf bestand, den Herrn selbst zu sprechen, und sich vom Diener nicht
-wollte abweisen lassen. Die Thüre des Arbeitszimmers ward ihm endlich
-geöffnet, und es trat ein Mann von mittlerem Alter hinein, verwildert,
-ohne Haltung und Betragen, der, als ihn der Rath fragte, was er begehre,
-nur kurz antwortete: Und Sie kennen mich wirklich nicht mehr? Eine
-Ahndung ergriff den Vater: Sie sind doch nicht -- Du bist doch nicht
-Anton? -- Er schwankte und der unkenntlich gewordene Sohn fing ihn in
-seinen Armen auf. Sie umfingen sich zärtlich und gerührt, dann setzten
-sich Beide, um sich von ihrer Erschütterung zu erholen.
-
-Bist Du wieder da? fing der Vater nach einer Weile an; aber es ist Dir,
-wie es scheint, nicht gut ergangen.
-
-Ja, lieber Vater, sagte Anton, Ihr Kind, wenn Sie es noch dafür erkennen
-wollen, tritt fast wie der verlorne Sohn in sein väterliches Haus wieder
-ein. Mein Schicksal ist ein elendes, mein Leben ein verlornes. Wenn Sie
-mich verstoßen, so bin ich aller Schmach wieder dahin gegeben, dem
-kläglichsten Jammer, dem ich freilich gern entfliehn möchte.
-
-Wenn ich Dich Sohn, Anton nenne, sagte der Vater, so heißt das, daß Du
-mir eben das seyn wirst, was Du mir ehemals warst. Du hattest Dich
-verblenden lassen, und ich wenigstens kann Dir kein strenger Richter
-seyn.
-
-Wohl war ich verblendet, erwiederte Anton, und wie sehr! so, daß ich
-noch jetzt immer vor diesem Zustande meiner Seele zurück schaudre. Das
-gemeinste Kunststück, die elendeste Kundschafterei hatte damals den
-Charlatan in den Besitz meines Geheimnisses gesetzt, das ich vor Ihnen
-und vor allen meinen Freunden sorgsam verborgen hielt. Ich gestand mir
-meine eigne Schlechtigkeit nicht, und hoffte, thöricht genug, Alles
-solle sich wieder zurecht finden und ohne Spur vorüber gehn. Denn der
-Gedanke war mir fürchterlich, Ihnen oder gar meiner Mutter eine solche
-Schwiegertochter vorzuführen, in der Stadt alle meine Verbindungen zu
-zerstören, und durch diese auffallende That mir selbst jeden Vorschritt
-im bürgerlichen Leben unmöglich zu machen. Wie jener Feliciano nun mein
-Gemüth so durch eine plötzliche Erschütterung, durch ein scheinbares
-Wunder in seine Gewalt bekommen hatte, war ich ihm unbedingt und
-leibeigen angehörig. Er war mir kein Sterblicher mehr, und dieselben
-Künste und Studien, die ich noch kürzlich verlacht hatte, schienen mir
-jetzt die einzigen würdigen. Ich wollte mein Leben an ihre Erforschung
-setzen. Auch bildete ich mir ein, der Lieblingsschüler meines großen
-Meisters zu seyn, der mich verachtete, weil mein hartes einfaches Wesen
-für seine Absichten unbrauchbar erschien. -- Welche Gaukeleien er hier
-trieb, wie sich selbst meine verständige Mutter eine Zeitlang von ihm
-bethören ließ, von allen diesen Dingen sind Sie selbst Zeuge gewesen.
-Aber wie wundersam vielgestaltig ist die menschliche Natur. So
-unbegreiflich, und doch wieder so verständlich. Meine Gattin, dieses
-schlichte Bauernmädchen, dieses ehrliche Wesen, dem früher meine Liebe
-das Höchste, ja das einzige Gut des Lebens gewesen war, ward bald ein
-Liebling meines großen Lehrers. Er behauptete, sie sei von der Natur
-ganz eigen begabt, um der wichtigsten Geheimnisse theilhaftig zu werden,
-sie würde in den weiblichen Logen bald die höchsten Grade ersteigen, und
-dann ebenso wie seine eigne Gattin, das Mysterium finden, Jahrhunderte
-zu überleben, und mit Geistern und Abgeschiedenen Gemeinschaft zu haben.
-Ich glaubte Alles und erwartete von jeder Woche, dann von jedem Monat,
-ebenfalls ein Eingeweihter zu werden. Mein Lehrer spielte indessen dort
-im Norden eine wichtige Rolle und ein großes Spiel. Gold und Juwelen,
-die größten Summen, schienen ihm, wie er damit umging, nur Tand. Was
-verhieß er mir, welche Aussichten eröffnete er meinen trunkenen
-Hoffnungen. Aber auch Opfer begehrte er von mir. Um mich zur Weihe
-vorzubereiten, mußte ich die Gesellschaft meiner Gattin vermeiden,
-fasten, jede weltliche Lust und Zerstreuung fliehen. Meine Frau, die mir
-schon im Wissen vorgeschritten war, drang jetzt darauf, damit sie kein
-Hinderniß mehr fände, sich mit den Geistern in Verbindung zu setzen und
-selbst eine Unsterbliche zu werden, ich sollte einwilligen, daß wir
-durch die Gerichte förmlich wieder getrennt und geschieden würden. Man
-hatte meine Phantasie so erhitzt, ich erwartete selbst so wundersame
-Dinge zu erfahren, sie strebte so eifrig nach dem höchsten Grade, daß
-ich mich endlich überreden ließ, ja daß ich endlich die Nothwendigkeit
-dieser Scheidung selber einsahe. Bald darauf war sie verschwunden. Der
-Meister erklärte sich nicht, sondern sprach nur in geheimnißvollen
-Winken, und gab zu verstehen, daß sie in diesen Augenblicken eines
-großen Glückes genösse. Meine Einweihung zu den höheren Graden lehrte
-mich aber nichts Neues, und ohnerachtet meiner blinden Ergebenheit und
-meines Aberglaubens fing ich doch an, ungeduldig zu werden. Man
-beschwichtigte mich wieder. Eine Thorheit löste die andere ab und so
-verging die Zeit.
-
-Wir mußten uns endlich schnell entfernen, und unsere Abreise glich fast
-einer Flucht. Der Magier sagte mir zwar, daß große Begebenheiten und
-Operationen, die sich nicht länger aufschieben ließen, ihn nach einem
-fernen Lande riefen, indessen sah ich doch die Angst des Meisters, ich
-bemerkte, wie seine wichtigsten Anhänger sich von ihm entfernten, und
-die Binde fiel allgemach von meinen Augen nieder. Da ich aufmerksam
-geworden war und ihn nicht mehr so, wie bisher fürchtete, konnte ich ihn
-auch beobachten. Auf unsrer übereilten Reise gab er mir Bücher und
-Papiere, auch viele offene Briefe, die, wie er mir sagte, keinen Werth
-hätten, und die ich gelegentlich verbrennen könne. Für mich waren diese
-aber sehr bedeutend, denn da ich, indem ich vorangeschickt wurde, um
-sein Quartier zu machen, nur einen flüchtigen Blick in einige Blätter
-gethan, sah ich wohl, daß der Weiseste der Menschen in Angst und
-Uebereilung einen dummen Streich gemacht hatte. Er dachte nicht daran,
-die Sachen zu vernichten, und Zeit mangelte ihm, sie anzusehn. Viele
-Briefe enthielten die Geschichte meiner Frau. Sie war einem reichen
-Fürsten geradezu verkauft worden. Sie hatte um die ganze Verhandlung
-gewußt und sich mit der größten Feinheit und List betragen, und zwar so
-sehr, daß sie den bethörten Fürsten vermocht hatte, sie zu seiner
-Gemahlin zu erheben. Dieser aber, so wie sie, hatten dem Magier dafür,
-daß er mich zur Scheidung bewogen und daß er den Fürsten ebenfalls
-verblendet hatte, große Summen zahlen müssen. So war sie denn, was die
-Welt so nennt, glücklich geworden. Gegen mich hatte sie sich schlecht
-betragen, indessen verzieh ich ihr, da ich früher gegen sie nicht besser
-gewesen war, und ich empfand einen tiefen Schmerz und Reue, indem ich
-die Veranlassung gewesen, daß ein schlichtes einfaches Wesen so die
-Talente zu List und Betrug zur Verderbniß ihrer Seele entwickelt hatte.
-Denn aus den Briefen ging hervor, daß sie und der Graf sich völlig
-verstanden, daß sie mit ihm über die Einfalt der Menschen, vorzüglich
-über die meinige, lachte.
-
-Als ich mit meinem großen Beschützer an Ort und Stelle gelangt war,
-blieb ich noch eine Zeitlang in seiner Nähe, um seine Künste zu
-beobachten, zu denen er mich oft gebrauchte. Ich lebte im Ueberfluß,
-aber ich kam mir vor, als sei ich der Croupier eines falschen Spielers.
-
-Ich konnte es nicht länger ertragen. Ich schrieb ihm Alles, was ich von
-ihm wußte und dachte, und verließ ihn. Und gut, daß ich es gethan, denn
-sonst wäre ich mit in jene Prozesse verwickelt worden, die sich bald
-gegen ihn erhoben. Ich war nun frei, aber auch Nichts als frei, das
-heißt, der armseligste Sclave, der Tyrannei eines jeden Augenblicks
-Preis gegeben, vom Mangel und den Bedürfnissen der Natur gemißhandelt.
-Mich Ihnen zu nähern, zurückzukehren, verbot mir eine mächtige Scham,
-wohl eine falsche, denn Nichts wird so sehr mißverstanden, als das Wort
-und der Begriff Ehre. Bald war ich Schreiber, bald Aufseher in einem
-Hause, einigemal Comödiant, auch versuchte ich mich als Schriftsteller.
-Ich konnte mich nie ganz fallen lassen und zu jener naiven
-Niederträchtigkeit hinunter steigen, die ich an andern meines Gelichters
-wahrnahm. Endlich nun, an mir und allen Menschen verzweifelnd, thu' ich
-den Schritt, den ich vor manchem Jahre hätte wagen sollen.
-
-Der Vater tröstete, beruhigte den Sohn. Er ließ ihm Kleider und Wäsche
-holen, damit die Mutter nicht zu sehr erschreckt würde, wenn sie ihn in
-dieser Gestalt wieder sehn sollte. Freude und Trauer war über seine
-Rückkehr zugleich in der Familie, indessen fand man sich nach und nach
-wieder zurecht und in einander und Anton zog auf das väterliche Gut
-hinaus. Hier arbeitete er redlich mit dem Verwalter, lernte die
-Landwirthschaft kennen und konnte nach einigen Jahren selber die
-Bewirthschaftung desselben übernehmen. Er gewann die Liebe eines reichen
-Fräuleins, mit der er als nützlicher Landmann glücklich lebte.
-
-Ferner hatte indessen von seinem verlorenen Sohne nie wieder Etwas
-erfahren, so sehr er sich auch bemüht und nach allen Gegenden
-geschrieben hatte. Er war verschollen und der Vater glaubte, er sei
-gestorben. Der Gelehrte mußte in Familienangelegenheiten eine Reise nach
-dem südlichen Deutschland unternehmen. In einer mäßigen Stadt zeigte ein
-Italiener, ein Taschenspieler, seine Künste. Der Professor war sonst
-kein Freund dieser Gaukeleien, indessen ist auch der strenge Mann in der
-Fremde leichteren Sinnes, als zu Hause, und da man von dem jungen Mann
-als einem wahren Wunderthäter sprach, der Dinge zeige, die selbst andre
-Spieler nicht begreifen könnten, so ging Ferner mit einer Gesellschaft,
-neugierig gemacht, nach dem Saale. Was der junge Künstler ausführte, war
-in der That bewunderungswürdig, besonders durch die leichte Sicherheit,
-mit der er das Schwierigste scherzend zu Stande brachte. Indem der
-Professor die schönen leichtfertigen Hände des Spielers betrachtete,
-fiel ihm ein kleines braunes Mal am rechten Zeigefinger auf, er ward
-aufmerksamer, betrachtete das Gesicht und forschte in den Augen, und
-glaubte endlich überzeugt seyn zu können, dieser Taschenspieler sei sein
-verlorener Sohn. Sein Herz war bewegt, und er konnte an den vielen
-wunderbaren Erscheinungen keinen Antheil mehr nehmen.
-
-Als das Schauspiel vorüber war, und sich die Zuschauer vergnügt und
-befriedigt entfernten, blieb er, unbeobachtet, allein im Saale zurück.
-Als dieser ganz leer war, redete er den fremden Künstler italienisch an,
-um seine Frage vorzubereiten, dieser aber antwortete gleich deutsch, und
-warf sich dem Vater in die Arme.
-
-Nach einigen Reden, in welchen der Vater die Verlornen Jahre des Sohnes
-beklagte, sagte dieser: Liebster Vater, ich erkannte Sie sogleich, als
-Sie in den Saal traten, und alsbald nahm ich mir auch vor, mich Ihnen zu
-erkennen zu geben, ob ich gleich bis jetzt gezögert habe, an Sie zu
-schreiben, und mich Ihnen wieder zu nähern. Schelten Sie mein Handwerk
-nicht, denn es nährt seinen Mann. Sie sehn auch, daß ich mich Professor
-schreibe. Zwar habe ich Ihren geehrten Namen nicht beibehalten wollen,
-sondern spiegle dem Volke vor, ich sei ein Italiener. Glauben Sie nur,
-was ich jetzt treibe, ist ehrsam und achtenswürdig gegen das, was ich
-bei jenem berühmten Grafen spielen mußte. Es ist Gnade des Himmels, daß
-ich kein Bösewicht geworden, und noch so mit einem blauen Auge davon
-gekommen bin. In der Hinsicht habe ich bei meinem Wunderthäter meine
-Zeit nicht ganz verloren, indem ich ihm sehr scharf auf die Hände gesehn
-habe. Ich habe Vieles von ihm gelernt, und so zeige ich unschuldig für
-Geld so Manches, was er zu schlimmen Absichten und Betrug gebrauchte.
-Ich unterhalte die Menschen, er plünderte sie, indem er sie zugleich
-wahnsinnig machte. -- Ich verspreche Ihnen, nie nach Ihrer Stadt zu
-kommen, aber besuchen Sie mich, wenn ich einmal in Ihrer Nähe bin.
-Schreiben wir uns, Liebster, damit wir in Verbindung bleiben.
-
-Diese Abrede wurde genommen und man führte sie aus. Der Vater war über
-seinen Sohn beruhigt, und dieser gewann durch die Leichtigkeit seiner
-Hand ein ziemliches Vermögen. --
-
-In Seebachs Hause wäre Alles glücklich und heiter gewesen, wenn der
-neunzigjährige Obrist nicht Clara, die Mutter und Schmaling neuerdings
-geängstigt hätte. Gegen ihn, der schwach wurde, ließ sich der Rath am
-meisten gehn, und so war der Greis der Vertraute von so manchem kleinen
-Geheimniß, das den Uebrigen verschwiegen wurde. Diesen erzählte der
-Obrist in vertrauten Stunden, daß sein Schwiegersohn sich wiederum in
-eine Correspondenz eingelassen habe, die ihm gar nicht gefallen wolle.
-Der Ton dieser Briefe sei sehr fromm und mysteriös: Anfangs habe der
-Rath Alles von sich gewiesen, dann habe er nach und nach Interesse
-gefaßt, sei gläubiger geworden, und hoffe nun doch noch von ehrbaren
-Männern, die sich ihm in jedem Briefe näherten und bestimmter
-bezeichneten, etwas Großes zu erfahren. Und so ist es merkwürdig, schloß
-der Alte seinen Bericht, daß eine bestimmte Leidenschaft zwar schlafen,
-aber bei den meisten Menschen nie ganz vertilgt werden kann.
-
-Diese Briefe kamen aus dem südlichen Deutschland und sprachen von
-Geheimnissen, die nicht entweiht werden dürften, die sich aber doch wohl
-allgemach geprüften Männern mittheilen ließen. Der Rath war unvermerkt
-in eine gläubige Stimmung gekommen, und war in seinen Antworten auf
-Manches näher eingegangen, was jene Unbekannten erwähnten. So hatte er
-sein Abentheuer mit Sangerheim und seine Beobachtungen und Erfahrungen
-über ihn mitgetheilt, auch alle seine Zweifel und was ihm dunkel
-geblieben. Auf diese Punkte antwortete der neueste Brief.
-
- Geliebter Bruder in dem Herrn!
-
-Was Sie uns von jenem verlorenen Bruder Sangerheim melden, war uns nicht
-neu. Allerdings stand der Unglückliche mit uns in Verbindung, ihm wurde,
-als einem hoffnungsvollen Lehrlinge, Einiges mitgetheilt. Als er von uns
-schied, bemächtigten sich andre Menschen seiner, die in weltlichen
-Planen handthieren und das himmlische Kleinod entweihen. Er verrieth uns
-diesen, so viel er es vermochte, und hat sich so selbst sein tragisches
-Schicksal bereitet, da er der Lüge und dem Betruge anheim gefallen war.
-Auch jene Weltlichen sahen seinen Sturz gern und entzogen sich ihm, weil
-sie fürchten mußten, daß er sie ebenfalls verrathen könne. Kommen wir
-uns näher, so wird Ihnen, Geehrter, Nichts dunkel bleiben und größere
-Dinge werden sich Ihnen erschließen. Zwar sind Sie nicht für unsre
-Kirche, aber doch nicht unbedingt gegen sie, und wir gehn Ihnen mit dem
-größten Vertrauen entgegen. Kommt Jemand zu Ihnen, der Ihnen das Wort
-Emanuel sendet, so nehmen Sie ihn auf, als von uns. Er wird das erste
-Kleinod Ihren treuen Händen übergeben. --
-
-Der Rath war in großer Spannung. Nach zehn Tagen etwa trat der Diener
-ein und meldete, ein sonderbarer Fremder stehe draußen und sage, er möge
-nur Emanuel sprechen. Der Rath ließ den alten Mann ein, der feierlich
-die Thür verschloß und dann ein seltsames Gespräch begann. Der Rath
-fühlte sich erbaut und gestärkt, in diesen Gesichtspunkt waren ihm
-manche Gedanken von Wunderfähigkeit, Glauben und einer einzigen
-herrschenden Kirche noch niemals gerückt worden. Beim Abschied nahm der
-Fremde ein Paket aus dem Busen, küßte es mit Salbung und überreichte es
-demüthig und feierlich dem Rathe, indem er sagte: Geliebter Bruder,
-dieses ist das erste Pfand der hohen, den gewöhnlichen Menschen
-unsichtbaren Gesellschaft. Achten Sie noch die Siegel und erbrechen Sie
-sie nur in geweihter Stunde nach Mitternacht. Doch thun Sie gut, sich
-durch Gebet vorzubereiten. Zwar wird Ihnen das Geheimniß des Kleinodes
-noch unverständlich seyn, aber schon die bloße Gegenwart desselben
-schützt Sie. Die Erklärung selbst wird in vier Wochen folgen. Aber:
-Finger auf den Mund. Wir zeigen mindestens, wie wir Sie ehren, wie groß
-wir von Ihnen denken.
-
-Eine feierliche Umarmung beschloß das seltsame Gespräch. Geheimnißvoll
-entfernte sich der Unbekannte, und der Rath mußte sich gestehn, daß noch
-niemals ein Mensch einen solchen Eindruck auf ihn gemacht habe. Seine
-Umgebung bemerkte seine wunderbare Stimmung, aber er schwieg gegen Alle,
-auch gegen den Obristen. Clara fürchtete eine Krankheit, aber der
-rauhere Soldat, der seither so Manches mit dem Schwiegersohn
-durchgesprochen hatte, sagte: Dieser Mann ist einer der verständigsten,
-und Ihr werdet sehn, sie übertölpeln ihn doch, den Einen fangen sie auf
-die, den Zweiten auf eine andre Weise.
-
-Am Abend schloß sich der Rath ein und entfernte alle Diener. Seine
-Stimmung war erhoben. Er betete und las in Andachtsbüchern. Er nahm das
-Evangelium und erschien sich so verjüngt, so jugendlich glaubend, so
-fromm und lauter, daß er die Thränen der Rührung nicht unterdrücken
-konnte und wollte. Endlich schlug es Mitternacht, und er eröffnete
-behutsam und zitternd die Siegel, ohne die geheimnißvollen Zeichen zu
-zerbrechen. Als er den innern Umschlag geöffnet hatte, fiel ihm in die
-Augen -- -- jene abgeschmackte Figur mit dem vielfältigen ^Abracadabra^,
-die er damals an abergläubische Brüder nach der nahen Residenz gesendet
-hatte. Er lachte laut auf, und wurde plötzlich ernst, denn er bedachte,
-wie in jenem Lande dort der als Monarch herrsche, der damals nur
-nächster Erbe gewesen war, und welche Thorheiten dort in der Nähe des
-Thrones getrieben wurden.
-
-Er rief seine Familie zusammen, die noch, um ihn besorgt, wachte. Er
-erzählte Alles, las einige Briefe, auch den letzten, und zeigte dann das
-magische, von damals dem Schwiegervater noch wohlbekannte Blatt.
-
-Nun endlich, schloß er, habe ich Alles, was mich immer stört, von mir
-abgeschüttelt. O wie leicht ist mir, ihr Geliebten, daß ich nun noch
-einmal mit euch den fröhlichen Entschluß fassen, das vielsinnige Wort
-mit euch ausrufen kann: laßt uns, da es uns vergönnt ist, vernünftig
-seyn! --
-
-Auf Emanuel durften nun die Bedienten nicht wieder achten, und jetzt
-erst hatten alle Mitglieder der Familie diese Krankheit der Wundersucht
-überwunden.
-
-
-
-
- Pietro von Abano
- oder
- Petrus Apone.
- Eine Zaubergeschichte.
- 1838.
-
-
-Die untergehende Sonne warf schon ihre rothen Strahlen an die Thürme,
-und über die Häuser von Padua, als ein junger Fremder, der eben
-angekommen war, durch ein Volksgewühl, ein Eilen, ein Rennen aufmerksam
-gemacht, und auf seinem Wege von der Menge mit fortgerissen wurde. Er
-fragte ein junges Mädchen, welches ihm ebenfalls schnell vorüber ging,
-was denn alle diese Menschen in so ungewohnte Bewegung setze. Wißt Ihr
-es denn nicht? antwortete diese, die schöne Crescentia, das junge Kind,
-wird jetzt beerdigt; alle wollen sie noch einmal sehn, da sie immer für
-die anmuthigste Jungfrau in der ganzen Stadt gegolten hat. Die Eltern
-sind trostlos. Die letzten Worte rief sie schon aus der Entfernung
-zurück.
-
-Der Fremde beugte um den finstern Palast in die große Straße hinein, und
-ihm tönte schon Leichengesang, ihm wehte der Schein der blaßrothen
-Fackeln entgegen. Als er näher kam, sah er, nachdem das Gedränge des
-Volkes ihn vorgeschoben hatte, ein Gerüst, mit schwarzem Tuche verdeckt.
-Um dieses waren Sitze, ebenfalls schwarz, erhöht, auf welchem die
-traurenden Eltern und Verwandten saßen, alle im finsteren Ernst, einige
-Gesichter mit dem Ausdruck der Trostlosigkeit. Jetzt bewegten sich
-Figuren aus der Thür des Hauses, Priester und schwarze Gestalten trugen
-einen offenen Sarg, aus welchem Blumenkränze und grüne Gewinde
-niederhingen. Zwischen den blühenden bunten Pflanzen lag auf Kissen die
-weibliche Gestalt, blaß, im weißen Kleide, die zarten lieblichen Hände
-gefaltet, die ein Crucifix hielten, die Augen geschlossen, dunkle
-schwarze Ringellocken voll und schwer um das Haupt, auf welchem ein
-Kranz von Rosen, Cypressen und Myrthen prangte. Man stellte den Sarg mit
-seiner schönen Leiche auf das Gerüst, die Priester warfen sich zum Beten
-nieder, die Eltern erhuben sich wie verzweifelnd, noch klagender
-ertönten die Hymnen, und alles umher, die Fremden selbst, schluchzten
-und weinten. Der Reisende glaubte noch nie ein so schönes weibliches
-Wesen gesehn zu haben, als diese Leiche, die so wehmüthig an die
-Vergänglichkeit und den nichtigen Reiz des Lebens erinnerte.
-
-Jetzt ertönte das feierliche Geläute der Glocken, und die Träger wollten
-eben den Sarg erheben, um die Leiche in das gewölbte Grab der großen
-Kirche zu tragen, als ein lauter tobender Jubelruf, schallendes
-Gelächter und das Geschrei einer ausgelassenen Freude, die Eltern,
-Verwandten, Priester und Leidtragende störte und erschreckte. Alles sah
-unwillig umher, und aus der andern Gasse schwärmte ein froher Zug junger
-Leute heran, singend, jauchzend, ihrem ehrwürdigen Lehrer immer wieder
-von neuem ein Lebehoch zurufend. Es waren die Studirenden der
-Universität, die auf einem Sessel hoch auf den Schultern einen bejahrten
-Mann von dem edelsten Ansehn trugen, der wie in einem Throne saß, mit
-einem Purpurmantel bedeckt, das Haupt mit dem Doktorhute geschmückt,
-unter welchem weiße Silberlocken hervor quollen, so wie ein weißer
-langer Bart auf das schwarzsammtne Wamms majestätisch herabfloß. Ein
-begleitender Narr mit Schellen und in bunter Tracht sprang umher, und
-wollte schlagend und scherzend dem Zuge durch das Volk und die
-Trauerleute Platz machen, doch auf einen Wink des ehrwürdigen Alten
-senkten die Schüler die Trage, er stieg herab und näherte sich gerührt
-und mit feierlichem Anstande den weinenden Eltern. Vergebt, sagte er
-ernst und mit einer Thräne im Auge, daß dieses wilde Geschrei so eure
-Leichenfeier stört, die mich innigst erschüttert und entsetzt. Ich komme
-von meiner Reise endlich zurück, meine Schüler wollen meinen Einzug
-durch ihre Freude verherrlichen, ich gebe ihren Bitten und Anstalten
-nach, und finde nun, -- wie? eure Crescentia, das Musterbild aller
-Holdseligkeit und Tugend, hier vor euch im Sarge? Umher diesen düstern
-Prunk und jene Trauergestalten, um sie mit Thränen und Herzensweh zu
-ihrer Ruhestelle zu geleiten? -- Er winkte seinen Begleitern und sprach
-einige Worte. Alles war schon längst still und stumm geworden, und die
-meisten entfernten sich jetzt, um die Leichenfeier nicht zu stören. Da
-kam die Mutter zitternd näher und sank an der Gestalt des Alten nieder,
-indem sie im krampfhaften Schmerze dessen Knie umschlang. Ach! warum
-seid Ihr nicht zugegen gewesen? rief sie verzweifelnd; Eure Kunst, Euer
-Wissen hätte sie gerettet. O Pietro! Pietro! Ihr, der Freund unsers
-Hauses! habt Ihr denn so Euren Liebling, Euren Augapfel können untergehn
-lassen? Kommt! Erweckt sie noch jetzt! Flößt ihr noch jetzt von den
-Wunderessenzen ein, die Ihr zu bereiten wißt, und nehmt dafür zum Dank
-alles, was wir besitzen, wenn sie nur wieder da ist, unter uns wandelt
-und mit uns spricht!
-
-Laßt eure Verzweiflung nicht das Wort führen, antwortete Pietro: der
-Herr hatte sie euch geliehen, er hat sie euch wieder abgefordert; der
-Mensch vermesse sich nie, in den Arm seines weisen Rathschlusses zu
-greifen. Wer sind wir, daß wir gegen ihn murren sollten? Will der Sohn
-des Staubes, der im Winde verweht, mit seinem schwachen Athem gegen die
-ewigen Beschlüsse zürnen? Nein, meine Geliebten, fühlt als Eltern und
-Freunde ganz euren Schmerz: er soll unserm Herzen so einheimisch wie
-Lust und Freude seyn, auch er wird von dem Vater zu uns gesendet, der
-jede unsrer Thränen sieht, der wohl unsre Herzen kennt und prüft, und
-weiß, was der schwache Mensch ertragen kann. So traget denn dieses große
-übermächtige Leid um seinetwillen, aus Liebe zu ihm, denn nur Liebe ist
-es, was er euch auch auferlegen mag. Ist denn der Schmerz, das Herz in
-seiner Zerknirschung, die Seele, die in Wehmuth zerrinnen will, sind sie
-nicht ein heiliges göttliches Opfer, welches ihr in euren brennenden
-Thränen der höchsten, der ewigen Liebe als euer Köstlichstes darbringt?
-So rechnet es auch jener dort, der alle eure Seufzer und Thränen zählt.
-Aber der böse Feind, der immer an unsrer Seite lauert, beneidet uns die
-Heiligkeit dieser himmlischen Schmerzen, er ist es, der sie euch zur
-Verzweiflung, zum Zorn gegen den Schöpfer der Liebe und des Leides
-erhöhen will, damit ihr im Jammer nicht jener höchsten Liebe noch
-inniger verbunden werdet, sondern in den Abgrund des Hasses untergeht.
-Er, dieser Geist der Lüge, täuscht euch jetzt, und raunt euch boshaft
-seine Fabeln zu, als wenn ihr sie auf ewig verloren hättet, die doch nur
-in Geist und Seele und Liebe eins mit euch war, und euch nur als
-Unsichtbare zugehörte. Er will, daß ihr es vergessen sollt, wie diese
-schöne Hülle nur ihr Kleid war, dem Staube verwandt, zum Staube jetzt
-wiederkehrend. Werft ihn zurück, diesen Lügengeist, daß er sich vor der
-ewigen allmächtigen Wahrheit schämen muß, die ihr ihm entgegen haltet,
-daß sie noch euer ist, noch neben, nah um euch, ja weit mehr, weit
-inniger euer, als da euch diese Schranken des sterblichen Fleisches noch
-trennten, und euch in der Liebe selbst einander entfremdeten. Alle euere
-Erinnerung, Hoffnung, Schmerz und Lust ist sie von heute an; sie
-leuchtet euch in jedem erfreulichen Lichte, sie tröstet euch in den
-Blumen des Frühlings, sie küßt euch im zarten Hauch, der eure Wangen
-rührt, und jedes Entzücken, das fortan in euren Herzen aufblüht, ist ihr
-Herz und ihre Liebe zu euch, und dieses Entzücken, und diese ewige,
-unsterbliche Liebe sind eins mit Gott. So tragt sie denn zu ihrer
-Ruhestelle, und folgt ihr in stiller, gottergebner Demuth, damit durch
-euch nicht ihr Geist im Aufenthalt des ewigen Friedens gestört und
-geängstigt werde.
-
-Alle schienen mehr beruhigt, der Vater reichte ihm stumm die Hand mit
-dem Ausdruck der Herzlichkeit und des gefühlten Trostes. Man ordnete
-sich, der Zug setzte sich in Bewegung, die Verlarvten, die
-Brüderschaften, die es sich zur Pflicht machen, die Leichen zu
-begleiten, reihten sich in ihren weißen Gewändern, und mit verdecktem
-Antlitz, von welchem nur die Augen sichtbar waren. Stumm bewegte sich
-der Zug fort, sie hatten jetzt fast schon die Kirche erreicht, als ihnen
-ein Reiter auf schäumendem Rosse entgegen sprengte. Was giebt es? schrie
-der Jüngling. Er warf einen Blick in den Sarg, und mit einem Ausruf der
-Verzweiflung wandte er das Roß, stürzte fort, und verlor in wilder Hast
-den Hut, so daß ihm die langen Locken im Abendwinde nachflatterten. Er
-war der Bräutigam, der zur Hochzeit kam.
-
-Die Finsterniß umgab das Trauergefolge und die stille Feier, indem die
-schöne Leiche in das Gewölbe ihrer Familie hinabgesenkt wurde.
-
- * * * * *
-
-Als sich alle zerstreut hatten, wendete sich der junge Fremdling, der in
-staunendem Schmerze dem Zuge gefolgt war, an einen alten Priester, der
-allein am Grabe betend verweilte. Er brannte zu erfahren, wer jener
-majestätische Greis sei, der ihm wie mit göttlichen Kräften und
-überirdischer Weisheit begabt erschien. Als der Jüngling dem Geistlichen
-die bescheidene Frage vortrug, stand dieser still, und sah ihm beim
-Scheine eines Lichtes, das aus einem Fenster auf sie schien, scharf ins
-Auge. Der Alte war eine kleine magere Gestalt, ein blasses schmales
-Antlitz erhob das Feuer der Augen um so mehr, und die eingekniffenen
-Lippen zitterten, als er ihm in heiserem Tone antwortete: Wie? Ihr kennt
-ihn nicht? Unsern weltberühmten Petrus von Apone, oder Abano, von dem
-man in Paris, London, dem deutschen Reiche und ganz Italien spricht?
-Kennt nicht den größten Weltweisen und Arzt, den Astronomen und
-Astrologen, von dem zu lernen und ihn zu schauen die wilde Jugend aus
-dem fernen Polenlande hieher schwärmt?
-
-Der junge Spanier, Alfons, war im entzückten Erstaunen einen Schritt
-zurück getreten, denn der Ruhm dieses großen Lehrers hatte auch ihn von
-Barcelona über die See getrieben. Also er war es, er war es selbst? rief
-er begeistert aus: darum war auch mein Herz so tief bewegt. Mein Geist
-erkannte den seinigen. O edler, frommer Mann, wie lieb' ich Euch darum,
-daß Ihr ihn nicht minder verehrt, wie alle Edlen und Guten der
-christlichen Welt.
-
-Wollt wohl auch unter ihm studiren? fragte der Priester im grimmigen
-Ton.
-
-Gewiß, antwortete jener, wenn er mich würdiget, sich meiner anzunehmen.
-
-Der Alte stand still, legte seine Hand auf die Schulter des Jünglings
-und sagte dann milder: Lieber junger Freund, noch ist es Zeit, hört noch
-meine väterliche Warnung, bevor es zu spät ist. Täuscht Euch nicht
-selbst, wie es so Viele, Unzählige schon gethan haben, seid auf Eurer
-Hut und wahret Eurer Seele. Seid Ihr denn Eurer Ruhe und künftigen
-Seligkeit schon im voraus überdrüssig, wollt Ihr dem Heiland seine Liebe
-damit vergelten, daß Ihr ihm abtrünnig werdet, ihn leugnet, und als ein
-Rebell die Waffen gegen ihn schwingt?
-
-Ich verstehe Euch nicht, alter Mann, erwiederte Alfonso: habt Ihr nicht
-selbst gesehn und gehört, wie fromm, wie christlich, mit welcher
-eindringlichen Majestät der Herrliche sprach, und den verirrten Schmerz
-der Liebe durch himmlischen Trost wieder in seine rechte Bahn lenkte?
-
-Was vermag, was kann der nicht alles! dieser Künstler und Zauberer! rief
-der alte Priester bewegt aus.
-
-Zauberer? fragte Alfonso. Ihr wollt also auch den Wahn des Pöbels
-theilen, der die Wissenschaft hoher Geister nicht zu würdigen weiß und
-lieber das Abgeschmackte glauben, als die eigne Seele an der Erhabenheit
-des Mitbruders stärken will?
-
-Fahrt nur so fort, sagte der Priester erzürnt, so habt Ihr kaum nöthig,
-in seine weltberühmte Schule zu treten. Es ist augenscheinlich, sein
-Zauber hat Euch schon umstrickt, so wie er jedes Herz bezwingt, das nur
-in seiner Nähe schlägt. Ja wohl, der Heide, hat er heut wie ein Priester
-gesprochen und geweissagt, und seiner Lüge auch einmal diese Farbe
-angestrichen. So regiert er auch das Haus des Podesta's. Die arme
-Crescentia konnte kaum in ihren letzten Stunden den Rückweg zur heiligen
-Kirche wieder finden, so war ihre Seele in den Irrlehren befangen, die
-der böse Heuchler wie giftige Netze um den jungen Geist geworfen hatte.
-Jetzt ist sie ihm entronnen, der Herr hat sie zu sich gerufen, und
-sandte diese Krankheit, um ihre Seele mit dem Verluste des Leibes zu
-retten.
-
-Die Sprechenden waren auf den großen Platz gekommen. Der Jüngling war
-empört und sagte jetzt, um seinem Gefühle Luft zu machen: wozu nur,
-geistlicher Herr, diesen grimmigen Neid? Seht ihr denn, erkennt ihr es
-denn nicht, wie die Welt nur um so mehr von euch abfällt, um so mehr ihr
-mit Bann und Fluch und Verfolgung den neuen Geist ersticken wollt? den
-Geist der ewigen Wahrheit, der jetzt alle Landschaften erregt? Der nicht
-wieder, trotz eurer Künste, untertauchen wird, um gläubig euren Legenden
-zu horchen.
-
-Wohl, sagte der Alte im hohen Zorne; haben wir doch jetzt Averroes statt
-Christus, und Aristoteles statt des Allmächtigen, und diesen Euren
-Pietro, diesen Ischarioth, statt des Geistes! Nicht wahr, der Erdgeist
-hat ihn groß und schlank auferbaut, und ihm ein feuriges Auge, edle
-Stirn, schönen Mund der Ueberredung, und majestätische Geberden
-geliehen, um zu gaukeln und zu täuschen: indeß ich, der unwürdige Diener
-des Herrn, hier krank, schwach und unansehnlich wandle, und nur mein
-Bekenntniß, meinen Glauben habe, um darzuthun, daß ich ein Christ sei.
-Ich kann nicht so in die Tiefen glänzender Weisheit hinabsteigen, nicht
-den Lauf der Sterne berechnen, Glück und Unglück vorhersagen, ich werde
-von den Ueberklugen geschmäht und verachtet, aber ich trage es demüthig,
-ihm zu Liebe, der mir alles auferlegt hat. Doch erwartet das Ende, und
-seht, ob ihn seine sieben Geister, die er im Zauberbanne hält, erretten
-können, ob ihm sein Famulus, das Höllengebild, dann zur Hülfe seyn wird.
-
-War sein Famulus zugegen? fragte Alfonso neugierig.
-
-Habt Ihr das Gespenst nicht bemerkt, antwortete der Mönch, das sich als
-Narr ausstaffirt hatte? die Mißgeburt mit dem Höcker, den verdrehten
-Händen und Armen, den krummen Beinen, den schielenden Augen und der
-ungeheuren Nase in dem Fratzengesicht?
-
-Ich hielt alles dies für Maske.
-
-Nein, dieser, erwiederte der Alte, braucht sich nicht zu verlarven. So
-wie er da ist, ist er Larve und Gespenst, ein Geist der Hölle, dieser
-Beresynth, wie sie ihn nennen. -- Wollt Ihr die Nacht in meinem Kloster
-zubringen, junger Mensch, bis Ihr eine Wohnung gefunden habt?
-
-Nein, antwortete dieser sehr entschlossen, ich mag die Gastfreundschaft
-dem Manne nicht schuldig seyn, der so den Herrlichen durch Verläumdung
-schmäht, dessen Name mich schon im Vaterlande entzückt hat, der mir hier
-als Vorbild wandeln und leuchten soll. Schlimm genug, daß ich
-dergleichen von Euch habe anhören müssen, von einem Manne, dessen Stand
-und Alter mir verbeut, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehn. Soll der nur
-fromm heißen, der die Wissenschaft verachtet, nur der ein Christ, der im
-wachen Schlummer die Tage seines Lebens und die Kräfte seiner Seele
-hinwegträumt, so trete ich aus dieser dumpfen Gemeinschaft. Aber dem ist
-nicht so, und nicht der Mensch, der Christ oder Priester haben aus Euch
-gesprochen, sondern nur die Zunft. Lebt wohl, wenn Ihr es mit diesen
-Gesinnungen könnt.
-
-Sie trennten sich, beide verstimmt.
-
- * * * * *
-
-Der junge Florentiner, welcher in der Stadt dem Leichenzuge begegnet
-war, sprengte wie rasend durch das Thor und rannte dann in ungemessener
-Eil durch Feld und Wald. Als er sich im Freien sah, stieß er
-Verwünschungen gegen Welt und Schicksal aus, raufte sein Haar, fluchte
-seinen Sternen und seiner Jugend und eilte dann wie bewußtlos weiter. Er
-spornte dem Winde entgegen, der sich nächtlicherweise aufmachte, als
-wenn er die Glut seiner Wangen abkühlen wollte. Als es später ward, sank
-das Roß, das schon oft gestolpert war und das er knirschend immer wieder
-aufriß, ermattet nieder, und er war gezwungen, seinen Weg zu Fuß
-fortzusetzen. Er wußte nicht, wo er war, noch weniger, wohin er wollte;
-nur sein Elend stand mit unauslöschlichen Zügen vor ihm, die Nichtigkeit
-der Welt, die Unbeständigkeit alles Glücks. Verruchter Wahnsinn des
-Lebens! rief er verzweifelnd durch die Nacht; so, so grausam erweckst du
-mich aus meinem Schlummer? Tödtlich muß ich dich hassen um deine
-Gaukeleien, deinen Aberwitz, um alle jene unsinnigen Hoffnungen, die
-unsre Jugend anlachen, so freundlich auf unserm Wege mit uns gehn, und
-wenn sie uns in die Wüste geführt, grinsend und höhnend davon fliegen.
-Leben! Was ist dieses thörichte Gespinnst, dieser alberne Traum eines
-Fieberkranken? Ein matter Schauer folgt auf den andern, ein verrücktes
-Gebild verjagt das andre, unsre Wünsche springen in der kahlen Einöde
-umher, und erkennen sich selber nicht. O Tod, o Ruhe, o Nichtsein, komm
-zu mir, laß dich umarmen, und löse dieses stürmende Herz. Könnt' ich nur
-gleich meine letzten Minuten in Krämpfen verknirschen, daß die
-Morgensonne meine Stätte nicht mehr fände, daß kein Gedanke in mir ihrem
-neuen Strahl entgegen grüßte. Bin ich denn nicht das elendeste Geschöpf,
-das athmet? Um so ärmer, wie ich nur vor wenigen Stunden mich das
-glücklichste dünkte. Wehe der Jugend, wehe der Liebe, wehe dem Gefühl
-des Herzens, die sich so leicht, so gröblich täuschen lassen.
-
-Ein Regen stöberte jetzt durch die kalte Luft, und bald wurden die
-Tropfen größer und dichter. Der Jüngling wußte nicht, wohin er gerathen
-war, der Wald lag schon fern hinter ihm, kein Obdach war in der Nähe. Er
-fing an, seine Erinnerungen wieder zu sammeln, sein Schmerz ward milder,
-Thränen flossen aus seinen Augen. Er haßte das Leben schon weniger, ihm
-war, als wenn die Nacht selbst ihn trösten und seinen Kummer lindern
-wollte. Ungewiß, ob er das gestürzte Roß wieder aufsuchen, ob er sich in
-einem Graben vor dem Unwetter bergen sollte, sah er noch einmal um sich,
-und entdeckte endlich, weit, weit hinab, hinter Thal und Busch ein
-hüpfend Lichtlein, welches ihn wie ein freundliches Auge durch die dicke
-Finsterniß zu sich winkte. Er eilte dem ungewissen Scheine nach, der
-bald verschwand, bald wieder erglänzte. Alle seine Kräfte, seine Gefühle
-waren wie in einem Schlummer gebunden, sein ganzes Dasein war wie in
-einen Traum zergangen.
-
-Ein Sturm machte sich auf, und schwere, tiefhangende Gewitterwolken
-wälzten sich langsam herbei. Schon kam er Bäumen näher, wie es ihm
-dünkte, aber die Finsterniß machte es ihm unmöglich, irgend etwas zu
-unterscheiden. Er stürzte in eine Grube, als ein Blitz ihn blendete und
-ein lauter Donnerschlag betäubte; wie er sich wieder aufraffte, war das
-Licht, welches ihn gelockt hatte, schon nahe. Er klopfte an das kleine
-Fenster, welches sich hinter einigen Bäumen zeigte, und bat um Einlaß
-gegen Sturm und Ungewitter. Eine laute heisere Stimme antwortete von
-innen, doch vernahm der Jüngling kein Wort, denn Sturm und Gewitter und
-Regen, das Rauschen der Bäume, alles tobte jetzt so heftig
-durcheinander, daß jeder andre Laut erstarb.
-
-Die Thür des kleinen Hauses ging nach dem Garten, er mußte durch diesen
-eilen, dann faßte ihn eine weibliche Hand, leitete ihn durch einen
-finstern Gang, und eröffnete eine kleine Stube, aus welcher ihm der
-Schein einer Lampe und das Feuer auf dem Heerde entgegen schimmerte. In
-der Ecke saß bei der Lampe eine häßliche Alte und spann, das junge
-Mädchen, das ihn hereingeführt hatte, machte sich am Heerde zu thun, und
-lange konnte er vor dem ungewissen wankenden Schein die Gestalten nicht
-näher prüfen, lange konnte kein Gespräch gangbar werden, weil das Getöse
-des Donners alles übertäubte.
-
-Das ist ein grausames Unwetter, sagte in einer Pause die Alte mit
-krächzender Stimme. Woher seid Ihr denn, junger Mensch?
-
-Ich komme von Padua, seit heut Abend.
-
-Weither, rief die Alte, liegt ja sechs Stunden von hier. Wo wollt Ihr
-denn hin, da hier keine Landstraße geht?
-
-Weiß es nicht, mag es auch nicht wissen. Der Unglückliche ist nicht
-fähig, einen Plan zu entwerfen, oder für die Zukunft zu sorgen. Wie wohl
-würde mir seyn, wenn es für mich gar keine Zukunft gäbe.
-
-Sprecht irre, junger Mensch, und das muß nicht seyn. -- Ei! rief sie
-aus, indem sie die Lampe erhob und ihn näher betrachtete, ja gar ein
-Florentiner! Das Wamms und den Kragen habe ich lange nicht gesehn. Je
-nun, das hat mir wohl auch was Gutes zu bedeuten. Hat mir das garstige
-Gewitter also einen lieben Gast bescheert; denn wißt nur, mein junger
-Herr, ich bin auch aus dem gesegneten Lande. Ja, Florenz! Ach, wer doch
-einmal wieder auf deinen Boden treten und die theuren Berge und Gärten
-wieder sehn könnte! Und Euer Name, lieber, junger Herr?
-
-Antonio Cavalcanti, sagte der Jüngling, der wegen der Landsmannschaft zu
-der häßlichen Alten mehr Vertrauen faßte.
-
-O welcher Ton, rief sie wie begeistert aus: ja Cavalcanti, so einen habe
-ich vor Jahren wohl auch gekannt, einen Guido.
-
-Der war mein Vater, rief Antonio.
-
-Und lebt nicht mehr?
-
-Nein, sagte der junge Mann, auch meine Mutter ist mir schon seit lange
-entrissen.
-
-Weiß es, weiß es, liebes, schönes, junges Kind. Ja, ja, es werden jetzt
-schon fünfzehn Jahre seyn, daß sie gestorben ist. Ach ja, sie mußte wohl
-dazumal in der bösen Zeit den Geist aufgeben. Und Euer lieber, guter
-Vater, dem habe ich es einzig zu verdanken, daß die Richter mich nicht
-einige Jahre nachher auf den Scheiterhaufen setzten, sie hatten sich's
-einmal in den Kopf genommen, ich sei eine Hexe, und da half kein
-Widersprechen. Aber der Herr Guido kämpfte mich durch, mit Vernunft und
-Drohung, mit Bitten und Zorn, und sie haben mich denn bloß aus dem
-lieben Lande verbannt. Und nun bringt mir das Donnerwetter den Sohn
-meines Wohlthäters in meine kleine, arme Hütte. Gebt mir doch auch die
-Hand darauf, junges Blut.
-
-Antonio gab sie der Alten schaudernd, die er jetzt erst näher betrachten
-konnte. Sie grinste ihn freundlich an, und zeigte zwei schwarze, lange
-Zähne, die einen widerwärtigen Mund noch häßlicher machten, die Augen
-waren klein und scharf, die Stirn gefurcht, das Kinn lang, sie streckte
-zwei dürre Arme nach ihm aus, und als er sie wider Willen umfassen
-mußte, fühlte er den Höcker, der die Häßlichkeit noch abscheulicher
-machte. Nicht wahr? sagte sie mit erzwungenem Lachen, ich bin nicht
-sonderlich hübsch, war es auch in meiner Jugend nicht. Es ist mit der
-Schönheit etwas Besonderes, man kann eigentlich niemals sagen und
-beschreiben, worin sie besteht, es ist immer nur eine Abwesenheit von
-gewissen Dingen, die, wenn sie in ihrer Bestimmtheit da sind, das
-ausmachen, was die Leute die Häßlichkeit nennen. Sagt mir einmal, was
-findet Ihr denn nun so an mir wohl am widerwärtigsten?
-
-Liebe Alte, sagte der Jüngling verlegen --
-
-Nein, rief sie, rund mit der Wahrheit heraus, ohne alle Schmeichelei!
-Jeder Mensch hat doch nun einmal die oder jene Gabe, und so bilde ich
-mir nicht wenig darauf ein, daß mir alles das abgeht, was sie in der
-Welt schön nennen. Nun, zeigt einmal Euren Geschmack. Sprecht!
-
-Wenn ich muß, stotterte Antonio, dem trotz seiner Trauer ein Lächeln
-jetzt auf die Lippen trat, die beiden Zähne wollen mir --
-
-Ha, ha! rief die Alte laut lachend, die beiden guten lieben alten
-schwarzen Zähne wollen Euch am wenigsten gefallen. Ich glaub' es wohl,
-sie stehen wie zwei verbrannte Palisaden an einer zerstörten Vestung da
-in dem weiten leeren Raum. Aber Ihr hättet mich vor zehn Jahren sehn
-sollen, da war das Ding noch viel schlimmer. Dazumal hatt' ich den
-ganzen Mund voll solcher entsetzlichen Hauer, und die mich lieb hatten,
-wollten mir sagen, es sähe gräßlich aus. So fielen sie denn nach und
-nach aus, und die beiden Stammhalter sind nur noch übrig geblieben. Wenn
-sie einmal abgehn, so klappt das Maul völlig zu, die Oberlippe wird
-dreimal so lang, und man kann wieder nicht wissen, was für ein Bildniß
-dadurch zu Stande kommt. Die Zeit, mein lieber junger Freund, ist, wie
-schon vor vielen Jahren einer gesagt hat, eine thörichte Künstlerin, sie
-macht ein Bild leidlich hübsch, dann künstelt, schnitzelt, reckt und
-stümpert sie am Menschen herum, zieht Nase und Kinn in die Länge, drückt
-die Backen ein, pinselt die Stirn voller Falten, bis sie ein
-Fratzengesicht zu Stande gebracht hat; dann schämt sie sich am Ende,
-schmeißt den ganzen Bettel hin und deckt ihn mit Erde zu, damit nicht
-alle Welt ihre Schande sehe. So glatt bleibt Ihr auch nicht, wie Ihr
-jetzt in Eurer Politur glänzt. Ah! zeigt! freilich, Ihr habt Zähnchen
-wie die reinsten Perlen. Schade, daß die müssen gebraucht werden, um
-Brod und Rinderbraten zu kauen. Ei, ei, -- zeigt -- weiter auf den Mund
--- die stehn aber so sonderbar, -- hm! und der Augenzahn! Nun, das ist
-zu bedenken.
-
-Antonio wußte nicht, ob er schelten oder lachen sollte; doch zwang er
-sich heiter zu seyn, und dem Geschwätz der Alten nachzugeben, die
-gleichsam wegen früher Bekanntschaft mit der Familie eine sonderbare
-Gewalt an ihm ausübte. Wie fuhr er aber entsetzt zusammen, als sie
-plötzlich: Crescentia! ausrief.
-
-Ums Himmels willen! sprach er erschüttert, kennt Ihr sie? Saht Ihr sie?
-wißt Ihr von ihr?
-
-Was ist Euch? heulte die Alte, muß ich sie doch wohl kennen, da sie
-meine eigne Tochter ist. Seht nur selbst, wie die träge Dirne da
-eingeschlafen sitzt, das Feuer ausgehn und die Suppe verkühlen läßt.
-
-Sie nahm die Lampe und näherte sich dem Heerde; aber wie ward dem
-Jünglinge, als er seine Geliebte heute zum zweitenmale wiedersah, fast
-eben so, wie am Abend. Das blasse Haupt lag gesenkt, die Augen
-geschlossen, alle Lineamente, auch die dunkeln Locken seiner Braut, eben
-so hatte sie die kleinen Händchen gefaltet, zwischen welchen sie
-ebenfalls ein Christusbild hielt. Das weiße Gewand half die Täuschung
-erhöhen, nur fehlten die Blumen, doch webte die Dämmerung wie Kränze
-schweren dunkeln Laubes um ihre Locken. Sie ist todt, seufzte Antonio,
-sie starr betrachtend. -- Faul ist sie, die träge Dirne, sagte die Alte,
-und schüttelte die schöne Schläferin wach; nichts als beten und
-schlummern kann das unnütze Geschöpf.
-
-Crescentia ermunterte sich, und ihre Verwirrung erhöhte noch ihre
-Anmuth. Antonio fühlte sich dem Wahnsinne nahe, daß er diejenige wieder
-vor sich sah, die er doch auf ewig verloren hatte. Alte Zauberin! rief
-er heftig aus, wo bin ich? Und welche Gebilde führst Du vor die irren
-Sinne? Sprich, wer ist jenes holdselige Wesen? Crescentia, bist Du
-wieder da? Erkennst Du mich noch als den Deinen? Wie bist Du hieher
-gerathen?
-
-Holla! mein junger Prinz, schrie die Alte, Ihr faselt ja, als wenn Ihr
-Euer bischen Verstand verloren hättet. Rumort Euch das Gewitter im Kopf
-herum? Hat der Blitz etwa in Euern Witz geschlagen? Es ist meine
-Tochter, und ist es von je an gewesen.
-
-Ich kenne Euch nicht, sagte die bleiche Crescentia hold erröthend. Ich
-bin nie in der Stadt gewesen.
-
-Setzt Euch, unterbrach sie die Alte, genießt, was da ist. Die Suppe
-wurde aufgetragen, einige Früchte, und aus einem kleinen Wandschrank
-nahm die Alte eine Flasche köstlichen florentinischen Weins. Antonio
-konnte nur wenig genießen, sein Auge war auf Crescentia hingebannt, und
-seine verwirrte und erschütterte Phantasie wollte ihn immer wieder von
-Neuem bereden, diese sei seine gestorbene Braut. Oft glaubte er dann
-wieder, in einem schweren Traum gefesselt zu liegen, oder von einem
-Wahnsinn befangen zu seyn, der alle Gegenstände um ihn verwandele, daß
-er vielleicht in der Stadt, oder in seiner Heimath weile, nur seine
-Einbildungen sehe, und keinen seiner Freunde erkenne und vernehme, die
-wohl tröstend oder klagend um ihn stehn möchten.
-
-Das Gewitter hatte ausgetobt, und die Sterne glänzten am beruhigten
-dunkeln Himmel. Die Alte aß mit Begier und trank noch eifriger von dem
-süßen Weine. Nun endlich, junger Antonio, fing sie nach einiger Zeit an,
-erzählet uns doch, was Euch nach Padua, was Euch hieher getrieben hat.
-
-Antonio fuhr wie erwachend auf. Ihr könnt wohl, erwiederte er, einige
-Nachrichten von Eurem Gaste verlangen, da Ihr obenein meinen Vater, und
-vielleicht auch meine Mutter gekannt habt.
-
-Wohl habe ich sie gekannt, sagte die Alte schmunzelnd, kein Mensch so
-gut als ich. Ja, ja, sie starb sechs Monat zuvor, ehe Euer Vater seine
-zweite Ehe mit der Marchese Manfredi stiftete.
-
-Also das wißt Ihr auch?
-
-Ist mir doch, fuhr jene fort, als sähe ich das schmucke Püppchen noch
-immer vor mir. Nun, lebt die schöne Stiefmutter denn noch? Als sie mich
-aus dem Lande jagten, war sie noch in ihrer schönsten Blüthe.
-
-Ich mag es Euch nicht wiederholen, sagte Antonio mit einem Seufzer, was
-ich durch diese mir fremde Mutter litt; sie hatte meinen Vater wie
-bezaubert, der lieber allen seinen alten Freunden, lieber seinem Sohne
-Unrecht thun, als sie irgend beleidigen wollte. Endlich aber änderte
-sich dieses Verhältniß, doch brach mein Herz fast beim Anblick dieses
-Hasses, wenn es früher nur über erlittene Kränkungen geblutet hatte.
-
-Also recht bitter böse, fragte die Alte mit widerwärtigem Lächeln, ging
-es in der Haushaltung zu?
-
-Antonio betrachtete sie mit scharfem Blicke und sagte verwirrt: Ich weiß
-nicht, wie ich dazu komme, hier von meinem und dem Elend meiner Eltern
-zu erzählen.
-
-Die Alte leerte ein Glas rothen Wein, der wie Blut im Glase stand. Mit
-lautem Lachen sagte sie dann: weiß ich mir doch kein herrlicheres
-Vergnügen, versteht, was man so recht Wonne und Seligkeit nennen kann,
-als wenn so zwei Ehehälften, die früher einmal zwei Liebesleute waren,
-sich wie Katze und Hund, oder wie zwei Tigerthiere herumbeißen,
-schelten, einander verfluchen, und Herz und Seele dem Satan opfern
-möchten, um eins das andere zu kränken, oder seiner los zu werden. Das,
-junger Fant, ist die wahre Herrlichkeit des sterblichen Lebens.
-Besonders aber, wenn die beiden Verbündeten vorher aus Liebe recht
-geraset haben, alles, auch das Ungewöhnliche für einander gethan, wohl
-gar manches begangen, was andre fromme Leutchen Verbrechen nennen, um
-nur zu einander zu kommen, um nur endlich und endlich das nun so
-verhaßte Band zu schlingen. Glaubt mir, das ist alsdann für den Satan
-und die ganze Hölle ein hohes Fest, ein Jubeln und Cymbelnklang der
-Unterirdischen. Und hier nun gar, -- doch, ich schweige, ich könnte
-leicht zu viel sagen.
-
-Crescentia sah den Erstaunten wehmüthig an. Verzeiht ihr, sagte sie
-lispelnd, Ihr seht, sie ist trunken, die Unglückliche.
-
-In Antonio's Seele aber erwachte die Vorzeit und alle ihre trüben Scenen
-mit frischer Kraft. Der trübe Tag kam ihm zurück, als er seine
-Stiefmutter auf ihrem Sterbebette sah, als sein Vater verzweifelte und
-sich und die Stunde seiner Geburt verfluchte, als er den Geist seiner
-ersten Gattin anrief und um Vergebung flehte.
-
-Habt Ihr nichts mehr zu erzählen? fragte die Alte, und weckte ihn
-dadurch aus seiner staunenden Träumerei.
-
-Was soll's? sagte Antonio im tiefsten Schmerz, scheint Ihr doch alles zu
-wissen, oder durch Weissagung erfahren zu haben. Brauche ich es Euch zu
-sagen, daß ein alter Diener, Roberto, sie vergiftet hatte, von ihrem Haß
-verfolgt und zur Rache angespornt? Daß dieser boshaft und verrucht
-meinem Vater das Verbrechen zuwälzen wollte? Er entsprang aus dem
-Gefängnisse, übersteigt die Gartenmauer und stößt in der Grotte meinem
-Vater den Dolch in die Brust!
-
-Der alte Roberto? Roberto? rief die Alte, fast wie im frohen Jubel; ei,
-sieh doch! was man an den Leuten nicht erlebt! Ja, ja, der Schleicher
-war in jüngern Jahren so ein rechter Tuckmäuser, ein scheinheiliger
-Hund, ist aber nachher ein resoluter Bursche geworden, wie ich höre. In
-der Grotte also? Wie sich alles so wunderbar fügen muß. Da saß Euer
-Vater in frühern Jahren so oft mit der ersten Gattin, dort hat er ihr
-zuerst, als ihr Bräutigam, ewige Liebe geschworen. Dazumal trug Roberto
-gewiß schon jenen Dolch, wußte aber nicht, daß er ihn erst nach zwanzig
-Jahren so sonderbar brauchen sollte. Dort hat auch die zweite Gemahlin
-oft bei dem kühlen Brunnen geschlummert, da lag der Mann wieder zu ihren
-Füßen. Nicht wahr, Antonio, Kind, das Leben ist ein recht buntes, recht
-dummes, recht abgeschmacktes und recht grauliches Fabelgemisch? Kein
-Mensch kann sagen: dahin will ich nicht! Die Schmerzen und Gefühle, die
-Stacheln und das Rasen, die die schwarzen Gesellen in der Hölle
-schmieden, das alles kommt und kommt langsam, wunderlich, näher und
-immer näher, mit einemmale ist das Entsetzliche im Hause, und der
-Verzweifelte sitzt dann damit im Winkel und nagt daran, so wie der Hund
-am Knochen. Trink, trink, mein Söhnchen, durch diesen Saft wird alles
-besser, wenn seine Geister in die Seele steigen. -- Nun, und Du? Erzähle
-doch weiter.
-
-Ich schwur dem Vater Rache, sagte Antonio.
-
-So ist es recht, erwiederte die Alte; sieh, mein Kind, wann so ein Brand
-erst in ein Haus geschleudert ist, so muß er niemals, niemals wieder
-erlöschen. Von Geschlecht zu Geschlecht, zum Enkel und zum Vetter erbt
-das Gift, die Kinder rasen schon, die Wunde blutet immer wieder, ein
-neuer Aderlaß muß wieder das Unglück retten und auf die Beine bringen,
-das sonst vielleicht gar verscheiden könnte. O Rache, Rache ist ein
-köstliches Wort.
-
-Aber Roberto, sagte Antonio, war entflohen und nirgends zu finden.
-
-Schade, Schade, rief die Alte aus. Nun trieb Dich Deine Rache wohl in
-die Welt?
-
-Ja wohl, ich erwuchs, ich sah Italien, forschte in allen Städten, konnte
-aber keine Spur des Mörders entdecken. Der Ruf Pietro's von Abano hielt
-mich endlich in Padua fest. Ich wollte von ihm Weisheit lernen, aber als
-ich in das Haus des Podesta kam --
-
-Nun? sprich heraus, Kind!
-
-Was soll ich sagen? Ich weiß nicht, ob ich rase oder träume. Dort sah
-ich die Tochter, die holde, die liebreizende Crescentia. Und ich sehe
-sie jetzt wieder vor mir, ja sie ist es selbst, jener Leichenzug war ein
-böser, ungeziemender Scherz, und diese Verkleidung, diese Flucht in die
-Wüste hieher ist wieder eine unziemliche Verlarvung. Gieb Dich endlich,
-endlich zu erkennen, theure, holdselige Crescentia. Weißt Du es ja doch,
-daß mein Herz nur in Deinem Busen lebt. Wozu diese grausamen Proben?
-Sind Deine Eltern vielleicht dort in der Kammer, und hören alles, was
-wir sprechen? Laß sie nun endlich, endlich herein treten, es sei nun der
-grausamen Prüfung, die mich wahnsinnig machen kann, genug geschehn.
-
-Die bleiche Crescentia sah ihn mit einem unbeschreiblichen Blicke an,
-eine solche Wehmuth im Angesicht, daß ihm die Thränen aus den Augen
-stürzten. Er ist wahrlich schon betrunken! heulte die Alte. Sprecht,
-sagt, ist denn die Tochter des Podesta todt? Gestorben wäre sie? und
-wann?
-
-Heut Abend, sagte der Weinende, bin ich ihrer Leiche begegnet.
-
-Also auch die? fuhr die Alte lustig fort, indem sie wieder einschenkte.
-Nun, da wird sich ja die Familie Markone in Venedig freuen.
-
-Warum?
-
-Weil sie nun die einzigen Erben des reichen Mannes sind. Das haben die
-Klugen immer gewünscht, es aber niemals hoffen können.
-
-Weib! rief Antonio mit neuem Entsetzen aus, Du weißt ja Alles.
-
-Nicht Alles, erwiederte Jene, aber Etwas. Und manches läßt sich dann
-auch wohl errathen. Und freilich, etwas Hexerei ist auch im Spiele.
-Erschreckt nur nicht gar zu sehr. Es war auch nicht so ganz um gar
-nichts, daß mich die Herren Florentiner auf den Holzstoß setzen wollten,
-einige kleine unbedeutende Ursächelchen konnten sie immer für diesen
-Wunsch anführen. -- Schau mir ins Gesicht, Knabe, streiche die Locken
-aus der Stirn: gut! Nun gieb die linke Hand: die rechte; ei! ei!
-sonderbar und wunderlich! Ja, ja, Dir steht ein nahes Unglück bevor,
-aber wenn Du es überlebst, wirst Du Deine Geliebte noch wiedersehn.
-
-Jenseit! seufzte Antonio.
-
-Jenseit? was ist Jenseit? rief die Alte im Taumel; nein, diesseit, was
-wir hier auf Erden nennen. Was die Narren für Worte brauchen. Es giebt
-kein Jenseit, alberner Kindskopf, wer hier nicht schon das Fett von der
-Brühe abschöpft, der ist übel betrogen. Aber damit kirren sie die
-Gelbschnäbel, daß sie hübsch im Geleise bleiben, wohin man sie lenken
-will, wer aber ihren Fabeln nicht glaubt, der ist auch dafür frei, und
-kann thun, was ihn gelüstet.
-
-Antonio sah sie zürnend an, und wollte ihr heftig erwiedern, aber die
-blasse Crescentia legte einen so demüthig flehenden Blick für ihre
-Mutter ein, daß sein Zorn entwaffnet wurde. Die Alte gähnte und rieb
-sich die Augen, und es währte nicht lange, so war sie, vom häufigen
-Genuß des starken Weins betäubt, fest eingeschlafen. Das Feuer auf dem
-Heerde war erloschen, und die Lampe warf nur noch matte Schimmer.
-Antonio fiel in ein tiefes Nachsinnen, und Crescentia saß am Fenster auf
-einem niedrigen Schemel. Kann ich wo schlafen? sagte der erschöpfte
-Jüngling endlich.
-
-Oben ist noch eine Kammer, sagte Crescentia schluchzend, und er bemerkte
-nun erst, daß sie die ganze Zeit über heftig geweint hatte. Sie putzte
-die Lampe, daß sie heller brenne, und ging schweigend voran. Er folgte
-eine schmale Treppe hinauf, und als sie oben in dem engen finstern
-Behältnisse waren, setzte das Mädchen die Leuchte auf einen kleinen
-Tisch und war im Begriff sich zu entfernen. Doch schon an der Thür
-kehrte sie noch einmal um, betrachtete den jungen Mann wie mit einem
-Todtenblicke, stand bebend vor ihm, und fiel dann laut schluchzend und
-in unverständlichen heftigen Klagen wie in Krämpfen zu seinen Füßen
-nieder. Was ist Dir, mein holdes Kind? rief er aus, und wollte sie
-aufheben; beruhige Dich: sage mir Dein Leid.
-
-Nein, laßt mich hier liegen, rief die Klagende, ach! wenn ich doch hier
-zu Euren Füßen, wenn ich doch jetzt sterben könnte! Nein, es ist zu
-entsetzlich! Und daß ich nichts thun, nichts hindern kann, daß ich den
-Gräuel nur stumm und ohnmächtig anschauen muß. Aber Ihr müßt es
-erfahren.
-
-So sammle Dich nur, sagte tröstend Antonio, daß Du nur Deine Stimme, daß
-Du nur die Worte wieder findest.
-
-Ich sehe, sprach jene vom Weinen unterbrochen heftig fort, Eurer
-gestorbenen Geliebten ähnlich, und ich bin es, die Euch an der Hand in
-die Mördergrube führen muß. Meine Mutter kann leicht prophezeien, daß
-Euch ein nahes Unglück bevorsteht: kennt sie doch die Gesellen, die
-allnächtlich hier einkehren. Dieser Höhle ist noch Keiner lebendig
-entronnen. Jede Minute führt ihn näher und näher, den greulichen
-Ildefons, oder den verruchten Andrea, mit ihren Knechten und Gehülfen.
-Ach! und ich kann nur der Herold Eures Todes seyn, Euch keine Hülfe,
-Euch keine Rettung bieten.
-
-Antonio entsetzte sich. Bleich und zitternd faßte er nach seinem
-Schwert, versuchte seinen Dolch, und sammelte Muth und Entschlossenheit
-wieder. So sehr er den Tod erst gewünscht hatte, so war es ihm doch zu
-furchtbar, in einer Räuberhöhle endigen zu müssen. Du aber, fing er an,
-Du mit diesem Angesichte, mit dieser Gestalt, kannst es über Dich
-gewinnen, eine Gesellin, eine Gehülfin der Verruchten zu seyn?
-
-Ich kann nicht entfliehen, seufzte die Trostlose, wie gern entwiche ich
-diesem Hause. Ach! und diese Nacht, morgen soll ich von hier und über
-das Meer geschleppt werden, die Gattin des Andrea oder Ildefons soll ich
-seyn. Ist es nicht besser, jetzt zu sterben?
-
-Komm, rief Antonio, die Thür ist offen, entflieh mit mir, die Nacht, der
-Wald werden uns ihren Schutz verleihen.
-
-Seht Euch nur um, sagte das Mädchen, seht nur, wie hier und im untern
-Gemache die Fenster mit starken Eisenstäben verwahrt sind, die Thür des
-Hauses ist mit einem großen Schlüssel versperrt, den die Mutter nicht
-von sich giebt. Saht Ihr nicht, wie sie die Thür ins Schloß warf, als
-Ihr hereingetreten wart?
-
-So falle die Alte zuerst, rief Antonio, wir entreißen ihr den Schlüssel
---
-
-Meine Mutter sterben! schrie die blasse Mädchengestalt, und klammerte
-sich mit Heftigkeit an ihn, um ihn fest zu halten.
-
-Antonio beruhigte sie. Er schlug ihr vor, der Alten, da sie berauscht
-sei, und fest schlafe, den großen Schlüssel der Thüre leise von ihrer
-Seite zu nehmen, dann zu öffnen und zu entfliehen. Von diesem Plane
-schien Crescentia einige Hoffnung zu fassen, sie gingen still wieder in
-das untere Gemach und fanden die Alte noch fest schlafend. Crescentia
-machte sich zitternd an sie, suchte und fand den Schlüssel, und es
-gelang ihr nach einiger Zeit, ihn vom Bande des Gürtels abzulösen. Sie
-winkte dem Jüngling, behutsam näherten sie sich der Thür, mit Vorsicht
-brachten sie den eisernen Schlüssel in das Schloß, mit fester Hand
-wollte Antonio jetzt ohne Geräusch den Riegel zurückschieben, als er
-fühlte, daß draußen eben so geräuschlos ein andrer am Schlosse arbeite.
-Die Thür öffnete sich sacht und herein trat, Antlitz an Antlitz dem
-Antonio, ein großer wilder Mann. Ildefonso! schrie das Mädchen auf, und
-der Jüngling erkannte in ihm auf den ersten Blick den Mörder Roberto.
-
-Was ist das? sagte dieser mit dumpfer Stimme; woher habt Ihr den
-Schlüssel? Wohin?
-
-Roberto! schrie Antonio und faßte den ungeheuren Mann wüthend an der
-Kehle. Sie rangen heftig mit einander, doch gelang es der Kraft des
-Jünglings, den Bösewicht auf den Boden zu werfen, dann kniete er ihm auf
-die Brust und senkte seinen Dolch ihm in das Herz. Mit lautem Geschrei
-war indessen die Alte erwacht, sie sprang auf, als sie den Kampf sah und
-riß unter Geheul und Verwünschungen die Tochter hinweg, sie schleppte
-sie zur Kammer hinauf, und verriegelte von innen die Thür. Jetzt wollte
-Antonio hinauf, um sich die Kammer mit Gewalt zu öffnen, als mehrere
-dunkle Gestalten herein traten, und nicht wenig erstaunten, ihren
-Anführer todt am Boden zu finden. Jetzt bin ich Euer Hauptmann! rief
-eine breite, bärtige Figur, indem dieser das Schwert zog. Wenn
-Crescentia mein ist! antwortete trotzig ein jüngerer Räuber. Beide, auf
-ihrem Sinne bestehend, fielen sich mörderisch an. Die Lampe ward
-umgestürzt, und unter Geheul und Fluchen wälzte sich der Kampf in der
-Finsterniß von einer Ecke zur andern. Seid ihr unsinnig? schrie eine
-andre Stimme dazwischen; ihr laßt den Fremden entfliehn, schlagt ihn
-zuerst darnieder und fechtet dann eure Händel aus! Doch jene, vor Wuth
-blind, vernahmen ihn nicht. Schon dämmerte der erste graue ungewisse
-Strahl des frühen Morgens. Da fühlte Antonio die Mörderfaust an seiner
-Brust, aber schnell und rüstig stieß er den Angreifenden nieder. Ich bin
-erschlagen, rief dieser, auf den Boden fallend: Wahnsinnige, besetzt die
-Thür, laßt ihn nicht entrinnen. Antonio hatte indessen diese gefunden,
-er sprang durch den kleinen Garten und über den Zaun, die Räuber,
-welchen unterdeß die Besinnung gekommen war, eilten ihm nach. Er war nur
-um wenige Schritte voraus, und sie suchten ihm die Bahn abzugewinnen.
-Einer warf mit Feldsteinen nach ihm, die aber ihres Ziels verfehlten.
-Unter Geschrei und Drohworten waren sie in den Wald gekommen. Hier
-zeigten sich verschiedene Richtungen, und Antonio war ungewiß, welche er
-wählen sollte. Da sah er zurück und die Räuber getrennt, er stellte sich
-dem nächsten und verwundete ihn im Kampf, daß jener das Schwert mußte
-sinken lassen. Doch zugleich vernahm er Geschrei und sah von einem
-Seitenwege neue Gestalten daher eilen, die ihm den Weg bald verrennen
-mußten. In dieser höchsten Noth traf er auf einer kleinen Waldwiese sein
-Roß wieder an. Es schien sich von der gestrigen Uebermüdung erholt zu
-haben. Er schwang sich hinauf, nachdem er schnell den Zaum ergriffen und
-geordnet hatte, und mit der größten Schnelle, als wenn das Thier seine
-Gefahr gefühlt hätte, trug es ihn auf einem gebahnten Pfade aus dem
-Walde. Nach und nach ertönte das Geschrei seiner Verfolger immer ferner
-und ferner, der Wald lichtete sich, und als er schon glauben mußte,
-nichts mehr befürchten zu dürfen, sah er die Stadt im Sonnenglanze vor
-sich liegen.
-
-Menschen begegneten ihm, Landleute gingen dieselbe Straße zur Stadt,
-Reisende gesellten sich zu ihm, und so kam er nach Padua zurück, indem
-er nur weniges auf die vielfachen Fragen und Erkundigungen antwortete,
-warum sein Anzug so verwildert, warum er ohne Hut sei. Die Bürger sahen
-ihn mit Verwunderung an, als er vor dem großen Hause des Podesta
-abstieg.
-
- * * * * *
-
-In der Stadt hatte sich in derselben Nacht etwas Wunderbares zugetragen,
-was bis jetzt noch allen Menschen ein Geheimniß war. Kaum hatte sich die
-Finsterniß dicht und dichter verbreitet, als Pietro, den man
-gemeiniglich nur von seiner Geburtsstadt Apone, oder Abano nannte, im
-innersten Zimmer seines Hauses alle Geräthe, alle seine künstlichen
-Instrumente zu einer geheimen und seltsamen Operation in Ordnung
-richtete. Er selbst war in lange Gewänder gekleidet, die mit
-wunderlichen Hieroglyphen bezeichnet waren, in seinem Saal hatte er die
-magischen Kreise beschrieben, und alles kunstreich geordnet, um seiner
-Wirkung gewiß zu seyn. Er hatte den Stand der Gestirne genau erforscht,
-und erwartete jetzt den günstigsten Augenblick.
-
-Sein Gefährte, der häßliche Beresynth, war auch mit magischen Kleidern
-angethan. Er holte und stellte auf den Befehl seines Gebieters alles so,
-wie dieser es nöthig erachtete. Bemalte Decken waren an den Wänden
-verbreitet, der Boden des Zimmers verkleidet, der große Zauberspiegel
-aufgerichtet, und näher rückte und näher der Moment, den der Magier für
-den glücklichsten erachtete.
-
-Hast Du die Kristalle in die Kreise gestellt? rief jetzt Pietro. Ja,
-antwortete der geschäftige Gesell, dessen Fratze sich zwischen den
-Phiolen, Spiegeln, menschlichen Gerippen und allen dem seltsamen
-Hausrath munter und unermüdlich tummelte. Jetzt wurde das Räuchwerk
-gebracht, eine Flamme entzündete sich auf dem Altar, und der Magier nahm
-vorsichtig, fast bebend, aus seinem geheimsten Schranke das große Buch.
-Geht's los? rief Beresynth. -- Schweig, erwiederte der Alte feierlich,
-und störe die heilige Handlung durch keine frevelnden, durch keine
-unnützen Worte. Er las, erst leise, dann lauter und eifriger, indem er
-mit gemessenen Schritten auf und nieder, dann im Kreise wandelte. Nach
-einer Weile hielt er inne und befahl: schau hinaus, wie sich der Himmel
-gestaltet.
-
-Dichte Finsterniß, sagte der rückkehrende Diener, hat den Himmel
-umzogen, Wolken jagen sich, ein Regen fängt an zu träufeln. -- Sie sind
-mir günstig, rief der Alte, es muß gelingen! Jetzt kniete er nieder, und
-berührte oft, die Beschwörung murmelnd, mit der Stirn den Boden. Sein
-Gesicht war erhitzt, seine Augen funkelten. Man hörte ihn die heiligen
-Namen nennen, die verboten sind auszusprechen, und er sandte nach langer
-Zeit seinen Diener wieder hinaus, um nach dem Firmament zu schauen.
-Indessen vernahm man den heranbrausenden Sturm, Blitz und Donner jagten
-sich, und das Haus schien in seinen Grundfesten zu erbeben. Hört das
-Wetter, rief Beresynth, eilig zurückkehrend. Die Hölle hat sich von
-unten herauf gemacht, und wüthet mit Feuer und wilden krachenden
-Donnerschlägen, ein Sturm braust dazwischen, und die Erde zittert.
-Haltet inne mit Beschwören, daß nicht die Speichen brechen, und die
-Fugen, die die Welt zusammen halten, zerspringen.
-
-Thörichter! Blödsinniger! rief der Magier; genug der unnützen Worte!
-Alle Thüren reiß auf, eröffne auch das Thor des Hauses.
-
-Der Zwerg entfernte sich, um die Gebote seines Herrn auszurichten.
-Dieser entzündete indeß die geweihten Kerzen, mit Schaudern nahte er
-sich der großen Fackel, die auf dem hohen Leuchter stand, auch sie
-brannte endlich, dann wand er sich auf dem Boden und beschwor lauter und
-lauter. Seine Augen funkelten, seine Glieder bebten alle, zuckten wie in
-Krämpfen, und ein kalter Schweiß der Angst floß von seinem Haupte. Mit
-wilder Geberde sprang der Zwerg wie entsetzt wieder herein und rettete
-sich in die Kreise. Die Welt geht unter, schrie er bleich und mit den
-Zähnen klappernd, die Gewitter ziehn fort, aber alles ist in der stillen
-Nacht Entsetzen und Graus, jedes Geschöpf hat sich in das innerste
-Gemach und die Kissen des Bettes geflüchtet, um der Angst zu entweichen.
-
-Der Alte erhob vom Boden ein todtenbleiches Antlitz, und verzerrt und
-unkenntlich schrie er mit fremdem Laute: Schweig, Unglückseliger, und
-störe das Werk nicht. Gieb Acht, und behalte Deine Sinne. Das Größte ist
-noch zurück.
-
-Mit einer Stimme, als wollte er seine Brust zersprengen, las und
-beschwor er wieder, der Athem schien ihm oft zu fehlen, es war, als
-müsse die ungeheure Anstrengung ihn tödten. Da hörte man plötzlich
-Stimmen durcheinander, wie im Streit, dann wie Gespräch, sie flüsterten,
-sie tobten und lachten, Gesang ertönte, und verworrener Klang von
-wundersamen Instrumenten. Alle Geräthe wurden lebendig und schritten vor
-und gingen wieder zurück, und aus den Wänden in allen Gemächern quollen
-Wesen aller Art, Gethier und Ungeheuer und abentheuerliche Fratzen im
-buntesten Gewirre.
-
-Herr! schrie Beresynth, das Haus wird zu enge! Wohin mit allen diesen
-Geistern? Einer muß den andern fressen. O weh! o weh! Immer greulicher,
-immer toller wickelt sich einer aus dem andern: ich verliere den
-Verstand! Und diese Musik dazu, dies Gellen und Pfeifen, Gelächter
-dazwischen, und rührende Klagegesänge. Seht, Herr! seht! die Wände, die
-Zimmer dehnen sich aus: alles wird zu unermeßlichen Sälen, zu hohen
-Gewölben, und noch schießen die Creaturen hervor, und vermehren sich mit
-dem wachsenden Raume. Könnt Ihr nicht rathen, könnt Ihr nicht helfen?
-
-Ganz ermattet erhob sich jetzt Pietro, er war verwandelt und wie
-sterbend. Schau noch einmal hinaus, sprach er leise, wende Dein Auge
-nach dem Dom, und berichte mir, was Du siehst.
-
-Ich trete dem Gesindel hier auf den Kopf, schrie der verwirrte
-Beresynth, sie winden sich spielend wie die Schlangen um mich her, und
-lachen höhnisch über mich. Sind es Geister? sind es Kobolde oder leere
-Phantome? Ei was! wenn ihr nicht aus dem Wege gehn wollt, so trete ich
-euch in die grünlichen und blauen Schnauzen hinein! Jeder ist sich
-selbst der Nächste. Er polterte murrend hinaus.
-
-Jetzt ward es still, und Pietro stand auf. Er winkte, und alle jene
-Wundergestalten, die sich am Boden gekrümmt, die sich in der Luft
-durcheinander gewunden hatten, verschwanden wieder. Er trocknete Schweiß
-und Thränen ab und holte freier Athem. Sein Diener kam zurück und sagte:
-Herr! alles ist ruhig und gut, aber lichte Gebilde zogen mir vorüber und
-verschwanden in den dunklen Himmel hinein: darauf, wie ich unverwandt
-nach dem Dom hinschaue, ertönt ein gewaltiger Klang, wie wenn alle
-Saiten einer Harfe zugleich rissen, und ein Schlag geschah, daß die
-Straße und alle Häuser zitterten. So riß sich dann die große Thür der
-Kirche auf, Flöten erklangen süß und lieblich, und eine sanfte lichte
-Klarheit ergoß sich aus dem Innern der Kirche. Gleich darauf trat ein
-weibliches Gebild in den Schein, blaß, aber glänzend, mit Blumenkronen
-geschmückt, sie schwebte aus dem Thor und Lichtstrahlen bereiteten ihr
-eine Straße, auf welcher sie wandeln sollte. Das Haupt gerade, die Hände
-gefaltet, so schwebt sie heran, auf unsre Wohnung zu. Ist es denn diese,
-auf welche Ihr gewartet habt?
-
-Nimm den goldnen Schlüssel, antwortete Pietro, und eröffne mit ihm das
-innerste kostbarste Gemach meines Hauses. Die Purpurdecke ist
-ausgebreitet, die Wohlgerüche duften. Dann fort und lege Dich nieder.
-Forsche nicht weiter nach, was geschieht. Sei gehorsam und verschwiegen,
-wenn Du Dein Leben achtest.
-
-Kenne ich Euch doch, antwortete der Zwerg und entfernte sich mit dem
-Schlüssel, indem er noch einmal wie einen schadenfrohen Blick zurück
-warf.
-
-Indem kam ein liebliches Gesäusel näher, Pietro ging nach dem Vorsaal,
-und herein schwebte die blasse Leichengestalt der Crescentia, in ihrem
-Todtenschmucke, das Crucifix noch in den gefaltenen Händen haltend. Er
-stand vor ihr, sie schlug die großen Augen auf und schauderte in
-lebhafter Bewegung vor ihm zurück, so daß vom schüttelnden Haupte die
-Blumenkränze niedersanken. Stumm bog er die festgeschlossenen Hände
-auseinander, in der linken aber behielt sie das Kreuz fest eingeklemmt.
-An der rechten Hand führte er sie durch seine Gemächer, und sie ging
-neben ihm, starr und ohne Theilnahme, ohne sich umzusehn.
-
-Das fernste Gemach empfing sie. Purpur und Gold, Seide und Sammet
-schmückten es kostbar aus. Durch die schweren Vorhänge schimmerte am
-Tage das Licht nur matt herein. Er deutete hin auf das Lager, und die
-Bewußtlose, wunderbar Belebte senkte und neigte sich wie eine
-Lilienblume, die der Wind bewegt, sie fiel auf die rothen Decken und
-athmete schmerzlich. Aus einem goldnen Fläschchen goß der Alte eine
-kostbare Essenz in eine kleine Schale von Kristall und legte ihr diese
-an den Mund. Die blassen Lippen schlürften den wunderbaren Trank, sie
-schlug noch einmal das Auge auf, betrachtete ihren vormaligen Freund,
-wandte sich mit dem Ausdruck des Abscheues um, und fiel in einen tiefen
-Schlaf.
-
-Sorgfältig verschloß der Alte wieder das Gemach. Alles im Hause war
-ruhig. Er begab sich auf sein Zimmer, um unter seinen Büchern und
-Zaubergeräthen den Aufgang der Sonne und die Geschäfte des Tages zu
-erwarten.
-
- * * * * *
-
-Als der unglückliche Jüngling Antonio geruht hatte, ritt der Podesta am
-folgenden Tage mit ihm und einem großen bewaffneten Gefolge aus, um jene
-Hütte, die häßliche Alte und die Räuber aufzusuchen und zu fangen. Nach
-der Erzählung Antonio's war der trostlose Vater sehr begierig geworden,
-jenes Mädchen zu sehn, welches seiner verstorbenen Tochter so ähnlich
-seyn sollte. Kann es seyn, sagte der Alte unterwegs, daß ein Traum, dem
-ich mich nur zu oft überlassen habe, wirklich werden sollte?
-
-Der Vater war so eilig, daß er dem Jüngling nicht weiter Rede stand. Sie
-kamen in den benachbarten Wald, und hier glaubte sich Antonio noch zu
-erkennen, und die Spuren wieder zu finden. Aber jene Nacht hatte ihn so
-verwirrt, und seine Lebensgeister so heftig erschüttert, daß er nachher
-seinen Weg nicht entdecken konnte, den er während des Sturmes und dem
-Krachen des Donners, betäubt, zu Fuß, und über Acker und Feld irrend,
-fortgesetzt hatte. Sie kreuzten das weite Gefilde nach allen Richtungen;
-wo nur Bäume oder Gebüsche sich entdecken ließen, dahin spornte Antonio,
-um die Räuberhütte und in ihr jene wundersame Erscheinung wieder
-anzutreffen, oder wenigstens, wenn die Einwohner auch verschwunden seyn
-sollten, wie er wohl glauben mußte, irgend eine Nachweisung zu erhalten.
-Der Podesta glaubte endlich, als man schon einen großen Theil des Tages
-so umgeirrt war, die erhitzte Einbildung des Jünglings habe nur in der
-Verwilderung seines Schmerzes diese Erscheinungen gesehn. Das Glück,
-rief er aus, wäre zu groß, und ich bin nur zum Unglück geboren.
-
-In einem Dorfe mußte man die Pferde und die Diener verschnaufen lassen.
-Die Bewohner wollten nichts von so verdächtigen Nachbarn wissen, auch
-hatte man in der Umgegend die Leichname der Erschlagenen nicht gefunden.
-Nach kurzer Frist machte sich Antonio wieder auf den Weg, obgleich der
-Podesta ihm mit größerem Mißtrauen folgte. Bei jedem Bauer, der ihnen
-aufstieß, wurden Erkundigungen eingezogen, doch keiner wußte irgend eine
-bestimmte Nachricht zu geben. Gegen Abend traf man auf einen scheinbar
-zerstörten Platz, Asche und Schutt lag umher, einige verkohlte Balken
-zeigten sich zwischen den Steinen: Bäume, die nahe standen, waren
-verbrannt. Jetzt schien sich der Jüngling wieder zu erkennen. Hier, so
-meinte er mit Bestimmtheit, sei der Aufenthalt der Mörder und jener
-wunderbaren Crescentia gewesen. Man machte Halt. Weit und breit war in
-der wüsten Gegend kein Haus zu sehn, kein Mensch war zu errufen. Ein
-Diener ritt zum nächsten Ort und brachte nach einer Stunde einen Alten
-zu Pferde mit sich. Dieser wollte wissen, daß schon seit einem Jahre
-eine Hütte hier abgebrannt sei, von Soldaten angezündet, der Eigenthümer
-des Feldes sei schon seit zehn Jahren in Rom, wo er ein versprochenes
-geistliches Amt erwarte, der Verwalter desselben aber nach Ravenna
-gereist, um eine alte Schuld einzukassiren.
-
-Verdrossen und ermüdet begaben sich die Reisenden zur Stadt zurück. Der
-Podesta Ambrosio ging damit um, seine Stelle aufzugeben, sich von allen
-Geschäften zurück zu ziehn, und selbst Padua zu verlassen, wo ihn alles
-nur an sein Unglück erinnerte. Antonio wollte in der Schule des
-berühmten Apone sein Elend ertragen und vielleicht vergessen lernen. Er
-zog in das Haus dieses großen Mannes, welcher ihm schon seit lange
-gewogen war.
-
- * * * * *
-
-Also auch Ihr, sagte nach einiger Zeit der kleine Priester zum
-tiefsinnigen Antonio, habt Euch diesem unglücklichen Studio und jenem
-verderblichen Manne ergeben, der Eure Seele verführen wird?
-
-Warum zürnt Ihr, antwortete Antonio freundlich, Ihr frommer Mann? Soll
-Religion und Wissenschaft sich nicht freundlich die Hand bieten dürfen,
-wie es in diesem trefflichen Lehrer geschieht? Er, den die ganze Welt
-verehrt, den die Fürsten schätzen und lieben, den der heilige Vater
-selber bald zu einer geistlichen Würde erheben will? Warum haßt Ihr den,
-der Euch und jedermann mit Liebe entgegen kommt? Wüßtet Ihr, wie seine
-Lehre mich tröstet, wie er meinen Geist erhebt und zum Himmel richtet,
-wie in seinem Munde Frömmigkeit und Religion die begeisterten Worte und
-Bilder finden, die seine Schüler, wie mit Schwingen des Geistes, in die
-überirdischen Regionen führen, Ihr würdet nicht so unbillig von ihm
-denken und sprechen. Lernt ihn näher kennen, sucht seinen Umgang, kommt
-dem, der keinen zurück weiset, freundlich entgegen, und Ihr werdet mit
-Reue und in Liebe Euren Haß, Euer voreiliges Urtheil über ihn
-widerrufen.
-
-Ihm? rief der Priester, nein nimmermehr! Wahrt Euch selbst, Jüngling,
-vor ihm und seinem höllenbezeichneten Diener, der keinen so arglistig,
-wie sein Meister, belügen kann.
-
-Es ist wahr, erwiederte Antonio, der kleine Beresynth ist eine
-lächerliche und auch häßliche Figur, mich wundert selbst, daß ihn der
-edle Pietro so beständig in allen seinen Zimmern und Geschäften um sich
-dulden mag: aber sollen Höcker und andre häßliche Abzeichen uns gegen
-einen Armen, den die Natur vernachlässigt hat, grausam machen?
-
-Schöne Worte, herrliche Redensarten! rief der Priester ungeduldig aus:
-bei diesen Gesinnungen gedeihen freilich Zauberer und Betrüger. Seht! da
-kommt das Scheusal, das ich nicht anschauen, viel weniger mit ihm etwas
-verhandeln mag. Wen der Herr auf diese Weise gezeichnet hat, der ist
-kenntlich genug, und jedermann, in dem noch nicht alles Gefühl erloschen
-ist, gehe ihm aus dem Wege.
-
-Beresynth, der die letzten Worte gehört hatte, machte sich in einigen
-seltsamen Sprüngen herbei. Hochwürdiger Herr, rief er aus, seid Ihr denn
-etwa selbst von so ausbündiger Schönheit, daß Ihr so unbillig urtheilen
-dürft? Mein Herr ist von Jugend auf ein majestätischer herrlicher Mann
-gewesen, und der denkt doch von mir und meines gleichen ganz anders.
-Was? Ihr kleiner, untersetzter, verstumpfter, kollriger Mann, dem die
-Nase vor Zorne fast immer roth anläuft? Ihr mit Euren krummen
-Mundwinkeln, mit den verzwickten Falten in der kleinen Stirn, Ihr wollt
-von meiner Häßlichkeit rumoren? Kuckt das Zwerglein doch kaum über die
-Kanzel hinaus, wenn es dorten handthiert, und ist so schmalbeinig und
-schmächtig, daß er nicht über den großen Platz gehn darf, wenn der Wind
-einmal stark weht; den die Gemeine kaum erkennt, wenn er vor dem Altar
-gestikulirt, wobei ihr der christliche Glaube nachhelfen muß, in der
-Hoffnung, er sei wirklich zugegen: -- wie, ein solcher Knirps und
-geistlicher Nirgendgesehn will hier wie Goliath Rede führen? Laßt Euch
-dienen, unansehnlich Gottseliger, daß man aus meiner Nase allein einen
-solchen Glaubenshelden, wie Ihr seid, formiren könnte, wobei ich meinen
-doppelten Höcker vorn und hinten noch gar nicht einmal in die Rechnung
-bringe.
-
-Der erzürnte Priester Theodor hatte sich schon vor dem Schluß dieser
-Rede entfernt, und der melancholische Antonio verwies dem kleinen
-Gesellen seinen Muthwillen; doch dieser rief aus: fangt Ihr nur nicht
-auch an zu moralisiren! das leide ich einmal von keinem andern als
-meinem Herrn, denn der ist dazu in der Welt, die Moral, die Philosophie
-und dergleichen zu doziren. Aber diese Windfahne von Mönch da, die nur
-von Neid und Bosheit so knarrend herum gedreht wird, weil er meint, ihm
-geschieht durch meinen herrlichen Meister ein Abbruch an Autorität, Geld
-und Gut, der soll nicht den zahnlosen Mund aufthun, wo ich mein
-ungewaschnes Maul nur irgend brauchen kann; und von einem jungen
-Studenten leide ich auch keine Widerrede, denn ich habe mir schon den
-Bart verschneiden lassen, als Euer Vater noch im Westerhemdchen lief;
-Prügel in der Schule und den Esel bekam ich schon umgehängt, als sie
-Eurem erlauchten Großvater die ersten Hosen anthaten, darum erzeigt den
-Respect da, wo er hingehört und vergeßt niemals, wen Ihr vor Euch habt.
-
-Erzürne Dich nicht, kleiner Mann, sagte Antonio, ich meine es gut mit
-Dir.
-
-Meint's, wie Ihr wollt, rief jener. Mein Herr wird Prälat, wißt Ihr das
-schon? Und Rektor der Universität! Und eine neue goldne Gnadenkette hat
-er von Paris erhalten! Und Ihr sollt zu ihm kommen, weil er verreisen
-und Euch vorher noch einmal sprechen will. Schleppt Euch nicht mit
-Pfaffen so herum, wenn Ihr ein Philosoph seyn wollt.
-
-In krummen, wunderlichen Sätzen sprang er wieder die Straße hinüber, und
-Antonio sagte zu Alfonso, der jetzt hinzutrat, und seit einiger Zeit
-sich oft freundlich zu ihm gesellte: ich weiß niemals, wenn ich mit der
-kleinen Mißgeburt rede, ob sie ihre Worte ernsthaft, oder nur im Scherze
-meint. Scheint er doch über sich selbst und alle Creatur zu spotten.
-
-Das ist ihm, antwortete Alfonso, ein nothwendiger Ersatz, um sich über
-seine Ungestalt zu trösten, denn durch seinen Hohn macht er in seiner
-Einbildung alle übrigen Geschöpfe sich gleich. Aber wißt Ihr schon von
-den neuen Ehren, die unserm herrlichen Lehrer und Meister zugetheilt
-sind?
-
-Die Welt, erwiederte Antonio, erkennt sein hohes Verdienst, und daß auch
-der Papst, unser heiliger Vater, ihn jetzt zum Prälaten macht, das wird
-den neidischen Priestern und Mönchen, die den tugendhaften und frommen
-Mann immerdar verketzern wollen, endlich Schweigen gebieten.
-
-Sie trennten sich, und Antonio eilte, von seinem Lehrer auf einige Tage
-Abschied zu nehmen. Der kleine Zwerg Beresynth erwartete ihn schon in
-der Thür mit grinsender Freundlichkeit.
-
- * * * * *
-
-In den Zimmern war es schon trübe, und da Beresynth den Jüngling
-verließ, so ging dieser, der seinen Lehrer im Saale, auch in seiner
-Bücherstube nicht traf, durch die vielen Gemächer, und gelangte so bis
-in das innerste, welches er noch niemals betreten hatte. Bei einer
-dämmernden Lampe saß hier Pietro und verwunderte sich nicht wenig, den
-Florentiner eintreten zu sehn, der über die Gerippe, seltsamen
-Instrumente und den wunderlichen Hausrath des Greises erstaunt war.
-Nicht ohne Verlegenheit näherte sich der Alte. Ich hatte Euch hier nicht
-erwartet, sagte er, sondern dachte Euch draußen zu treffen, oder Euch
-oben in Eurem eigenen Zimmer aufzusuchen. Ich soll dem Abgesandten des
-Papstes, unsers heiligen Vaters, entgegen reisen, um sein Schreiben und
-die neue Würde, die seine Gnade und väterliche Güte mir mittheilt,
-demüthig und dankbar vom Prälaten dort anzunehmen.
-
-Antonio war befangen, und schien die Instrumente und den unbekannten
-Apparat genau zu betrachten. Ihr verwundert Euch, sagte der Alte
-endlich, über alle diese Dinge, die mir zu meinen Studien nöthig sind;
-wenn Ihr einmal meine Vorlesungen über die Natur besucht habt, werde ich
-Euch in Zukunft alles erklären können, was Euch jetzt vielleicht
-unbegreiflich erscheint.
-
-Doch in diesem Augenblicke ereignete sich etwas, das Antonio's
-Aufmerksamkeit von allen diesen Gegenständen abzog. Eine Thür, die
-verschlossen schien, war nur angelehnt, sie that sich auf, und der
-Jüngling sah in ein Gemach, das mit purpurrothem Lichte erfüllt war,
-aber in dieser Rosengluth stand an der Thür ein bleiches Gespenst,
-welches winkte und lächelte. Mit Blitzesschnelle wendete der Alte sich
-um, warf donnernd die Thür in das Schloß, und verriegelte sie mit einem
-goldenen Schlüssel. Zitternd und leichenblaß warf er sich dann in einen
-Sessel, indem ihm große Schweißtropfen von der Stirne rannen. Als er
-sich etwas erholt hatte, winkte er, noch immer zitternd, Antonio herbei
-und sagte mit bebender Stimme: auch dieses Geheimniß, mein junger
-Freund, wird Euch einmal deutlich werden; denke, mein geliebter Sohn,
-das Beste von mir. Dich vor allen, Du Leidender, Du Vielgeliebter, will
-ich in mein tiefstes Wissen dringen lassen, Du sollst mein wahrer
-Schüler, mein Erbe werden. Aber laß mich jetzt, geh nun hinauf zu Deinem
-einsamen Zimmer und rufe im brünstigen Gebete den Himmel und seine
-heiligen Kräfte zu Deinem Beistande auf.
-
-Antonio konnte nicht antworten, so war er von der Erscheinung überrascht
-und entsetzt, so hatte ihn die Rede seines verehrten Lehrers verwirrt,
-denn ihm schien, als müsse dieser einen Zorn unterdrücken, als leuchte
-ein verhaltener Grimm aus seinen feurigen Augen, die nach dem
-plötzlichen Erlöschen schnell einen stärkern Glanz ausstrahlten.
-
-Er ging und im Vorzimmer fand er Beresynth, der mit grinsendem Gesicht
-Fliegen haschte, die er dann einem Affen zuwarf. Beide schienen im
-Wettstreit begriffen, wer die ärgsten Fratzen hervorbringen könnte. Der
-Meister rief jetzt laut den Diener, und die Mißgestalt hüpfte hinein.
-Antonio vernahm einen lauten Wortwechsel, und Pietro schien sehr zornig.
-Weinend und heulend kam Beresynth aus dem Zimmer, ein Blutstrom floß
-über die ungeheure Nase hinab. Kann er nicht selbst seine Thüren
-verschließen, krächzte die Mißgeburt, der Allerweltsweise und
-Allmächtige? Ist der Herr dumm, so muß der Diener die Schuld tragen.
-Scheert Ihr Euch, Allverehrtester, auf Eure Dachkammer hinauf, und laßt
-mich mit meinem guten Freund, dem lieben Pavian da, in Ruhe. Der hat
-noch ein menschliches Herz, der liebe, getreue. Ein lustiger Bruder, wie
-er ist, und doch in der Zartheit ein recht ausbündiger Kerl. Marsch da!
-Der Pylades will wieder Fliegen speisen, die ihm sein Orest
-zusammenfangen muß.
-
-Antonio verließ wie betäubt den Saal.
-
- * * * * *
-
-Der florentinische Jüngling war in das Haus seines Lehrers gezogen, um
-ganz ungestört seinen Leiden und Studien leben zu können. Oben im
-entferntesten und höchsten Gemache des Hauses hatte er sich
-eingerichtet, um recht einsam und von Menschen unbesucht zu leben. Wenn
-er von hier die schönen und fruchtbaren Gefilde des Landes übersah und
-dem Laufe des Stromes mit den Blicken folgte, so dachte er um so inniger
-seiner entschwundenen Geliebten. Er hatte ihr Bild von den Eltern
-bekommen, und einiges Geräth, mit welchem sie als Kind gespielt hatte;
-vorzüglich lieb war ihm eine Nachtigall, die ihm in ihren rührenden
-Klagegesängen nur sein eigenes Leid auszutönen schien. Dieser Vogel war
-von Crescentien mit Sorgfalt und Liebe gepflegt worden, und der
-schwärmende Jüngling bewahrte ihn als ein Heiligthum, als den letzten
-Ueberrest seines irdischen Glückes.
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-Andre Jünglinge seines Alters sahe er nicht, außer dem Spanier Alfonso,
-mit welchem ihn der gleiche Enthusiasmus für die Größe des Pietro Abano
-vereinigte. Der Podesta Ambrosio hatte seine Stelle niedergelegt und die
-Stadt verlassen, er wollte in Rom seine letzten Tage verleben, um sich
-seinen Verwandten in Venedig zu entziehn. Er hatte es aufgegeben, die
-frühgeraubte Zwillingstochter wieder zu finden, und es schmerzte ihn um
-so inniger, daß Antonio ihm diese Hoffnung so erschütternd wieder in
-seine Seele gerufen hatte. Er war überzeugt, der Jüngling habe ihn und
-sich selbst mit den Fieber-Phantasien jener Nacht getäuscht.
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-Am Morgen reiste Pietro mit seinem getreuen Diener ab. Antonio war ganz
-allein im großen Hause, dessen Zimmer alle verschlossen waren. Die Nacht
-war ihm schlaflos hingegangen. Immer stand ihm das entsetzliche Gebild
-vor Augen, das ihm, wie es ihn erschüttert hatte, doch die schönsten
-Empfindungen zurück rief. Ihm war, als wenn jede Kraft zu denken in ihm
-erstorben sei, Gebilde, die er nicht festhalten konnte, bewegten sich in
-ewig umschwingenden Kreisen vor seiner Phantasie. Die Empfindung war ihm
-fürchterlich, daß er an seinem verehrten Lehrer irre wurde, daß er
-unerlaubte Geheimnisse und ein Entsetzen ahndete, das seit jenem Blick
-ins Gemach hinein auf ihn zu warten schien, um ihm allen Lebensmuth zu
-rauben, oder ihn einem verzweifelnden Wahnsinn zu überliefern.
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-Die Nachtigall sang eben vor seinem Fenster, und er sah, daß es stürmte
-und regnete. Vorsorglich nahm er sie herein und stellte sie hoch auf
-einen alten Wandschrank hinauf. Indem er sich überbog, um den Käfig
-sicher zu stellen, riß die Kette, an welcher er das Bildniß seiner
-Geliebten trug, und das Gemälde rollte nach der Wand zu, und hinter den
-eichenen alten Brettern hinab. Der Unglückliche wird auch von
-Kleinigkeiten erschreckt. Eilig stieg er hinunter, um sein geliebtes
-Kleinod wieder zu suchen. Er bückte sich, aber so sehr er auch forschte,
-war es unter dem großen schweren Schranke nicht anzutreffen. Alles, das
-Große wie das Kleine in seinem Leben, schien ihn wie eine Bezauberung zu
-verfolgen. Er schüttelte an dem alten Gerüste, und wollte es aus der
-Stelle schieben, aber es war in der Mauer verfestigt. Sein Ungestüm
-wurde mit jedem Hinderniß heftiger. Er faßte eine alte Eisenstange, die
-er im Vorzimmer fand, und arbeitete mit aller Anstrengung seiner Kräfte,
-den Schrein zu rücken, und endlich, nach vielem Heben, Stemmen und
-hundert vergeblichen Bemühungen geschah ein Riß mit lautem Krachen, als
-wenn eine eiserne Klammer oder Kette gesprungen wäre. Jetzt wich
-allmählig das Gebäude und Antonio vermochte es endlich, sich zwischen
-dieses und die Wand einzudrängen. Er sah sogleich sein geliebtes
-Bildniß. Es lag auf dem breiten Knauf einer Thür, die in der Mauer war.
-Er küßte es, und drehte den Griff, welcher nachgab. Die Thür öffnete
-sich, und er fiel darauf, den großen Schrank noch etwas mehr zurück zu
-schieben, um diese Seltsamkeit näher zu untersuchen, denn er glaubte,
-daß der Besitzer des Hauses diese geheime Oeffnung, die mit so vieler
-Sorgfalt, und wie es schien, seit so langer Zeit verdeckt war, selber
-nicht kenne. Als er sich mehr Raum verschafft hatte, sah er, daß hinter
-der Thür eine enge gewundene Stiege sich hinabsenkte. Er stieg einige
-Stufen hinunter, die dichteste Finsterniß umgab ihn. Er schritt weiter
-und immer weiter, die Treppe schien bis in die untern Gemächer
-hinabzuführen. Schon wollte er umkehren, als er auf eine Hemmung stieß,
-denn die Wendelstiege war nun zu Ende. Indem er in der Dunkelheit auf
-und nieder tastete, traf seine Hand auf einen erznen Ring, den er anzog,
-und sogleich öffnete sich die Mauer und ein rother Glanz quoll ihm
-entgegen. Noch ehe er in die Oeffnung hineintrat, untersuchte er die
-Thür und fand, daß eine Feder, die der Ring in Bewegung gesetzt, sie ihm
-aufgethan hatte. Er lehnte sie an und schritt behutsam in das Gemach.
-Rothe kostbare Teppiche schmückten es, mit Purpurdecken von schwerer
-Seide waren die Fenster verhängt, ein Bett, von glänzendem Scharlach mit
-Gold verziert, stand im Zimmer. Alles war still, man hörte das Getöse
-der Straße nicht, die Fenster gingen nach dem kleinen Garten. Mit
-beklemmter Brust stand der Jüngling im Gemach, er horchte aufmerksam und
-endlich dünkte ihm, er vernähme das Säuseln des Athems, wie von einem
-Schlafenden. Mit klopfendem Herzen wandte er sich um, und ging vor, um
-zu spähn, ob auf dem Bette jemand ruhe, er schlug die seidenen Vorhänge
-zurück -- und glaubte nur zu träumen, denn vor ihm lag, leichenblaß,
-aber süß schlummernd, das Bildniß seiner geliebtesten Crescentia. Der
-Busen hob sich sichtlich, wie eine leichte Röthe war den blassen Lippen
-angeflogen, die, zart geschlossen, von einem sanften Lächeln unmerklich
-bewegt wurden. Das Haar war aufgelöst und lag in seinen schweren dunkeln
-Locken auf den Schultern. Das Kleid war weiß, der Gürtel eine goldne
-Spange. Lange stand Antonio im Anschauen versenkt, endlich, wie von
-einer übernatürlichen Gewalt getrieben, faßte er die weiße, schöne Hand,
-und wollte die Schläferin gewaltsam emporziehen. Diese stieß einen
-klagenden Schrei aus, und erschreckt ließ er den Arm wieder fahren, der
-ermüdet in die Kissen sank. Doch war der Traum, so schien es, entflogen,
-das Netz des Schlummers, welches das wundersame Bildniß umschlossen
-hielt, war zerrissen, und wie Wolken und Nebel sich im leisen
-Morgenwinde in wallenden Gestaltungen an den Bergen hinbewegen und
-wechselnd auf und nieder sinken, so rührte sich die Schläferin, dehnte
-sich wie ohnmächtig, und strebte in langsamen anmuthigen Bewegungen dem
-Erwachen entgegen. Die Arme streckten sich empor, so daß die weiten
-Aermel zurück fielen und die volle schöne Rundung zeigten, die Hände
-falteten sich und sanken dann wieder nieder; das Haupt erhob sich und
-der glänzende Nacken richtete sich frei auf, doch waren die Augen immer
-noch geschlossen, die Locken fielen schwarz in das Gesicht hinein, doch
-strichen die feinen langen Finger sie zurück; ganz aufrecht sitzend
-kreuzte die Schöne nun die Arme über die Brust, stieß einen schweren
-Seufzer aus und plötzlich standen die großen Augen weit offen und
-glänzend.
-
-Sie betrachtete den Jüngling, als sähe sie ihn nicht, sie schüttelte das
-Haupt und ergriff jetzt die goldne Quaste, die über ihr am Bette
-befestigt war, richtete sich kräftig auf, und auf den Füßen stand jetzt
-in der purpurnen Umhüllung hoch aufgerichtet die große schlanke Gestalt,
-sie schritt dann sicher und fest vom Lager herunter, ging auf Antonio,
-der zurück gewichen war, einige Schritte zu, und mit einem kindischen
-Ausruf der Ueberraschung, wie wenn Kinder sich plötzlich über ein neues
-Spielzeug erfreuen, legte sie ihm die Hand auf die Schulter, lächelte
-ihn holdselig an und rief mit sanfter Stimme: Antonio!
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-Dieser von Furcht, Entsetzen, Freude, Ueberraschung und dem tiefsten
-Mitleiden durchdrungen, wußte nicht, ob er fliehen, sie umarmen, zu
-ihren Füßen stürzen, oder in Thränen aufgelöst sterben sollte. Das war
-derselbe Ton, den er sonst so oft und so gern vernommen hatte, bei dem
-sich sein ganzes Herz umwendete. Du lebst? rief er mit einer Stimme, die
-sein überschwellendes Gefühl erstickte.
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-Das süße Lächeln, das von den blassen Lippen aus über die Wangen bis in
-die strahlenden Augen aufgegangen war, zerbrach plötzlich und ging in
-einen starren Ausdruck des tiefsten, des unsäglichsten Schmerzes unter.
-Antonio konnte den Blick dieser Augen nicht aushalten, er bedeckte mit
-den Händen sein Gesicht und schrie: bist Du ein Gespenst?
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-Die Erscheinung trat noch näher, drückte mit ihren Händen seine Arme
-nieder, so daß sein Antlitz frei wurde, und sagte mit sanft bebender
-Stimme: Nein, sieh mich an, ich bin nicht todt, und lebe doch nicht.
-Reich' mir die Schaale dort.
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-Eine duftende Flüssigkeit schwebte in dem kristallenen Gefäß, er reichte
-es ihr zitternd, sie setzte es an den Mund und schlürfte den Trank in
-langsamen Zügen. Ach, mein armer Antonio! sagte sie dann, ich will nur
-diese irdischen Kräfte erborgen, um Dir den ungeheuersten Frevel kund zu
-thun, um Hülfe von Dir zu erflehen, um Dich zu vermögen, mir zu der Ruhe
-zu verhelfen, nach welcher sich alle meine Gefühle so inbrünstig sehnen.
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-Sie war wieder in den Armstuhl gesunken, und Antonio saß zu ihren Füßen.
-Höllische Künste, fing sie wieder an, haben mich scheinbar vom Tode
-erweckt. Derselbe Mann, den meine unerfahrene Jugend wie einen Apostel
-verehrte, ist ein Geist des Abgrunds. Er gab mir den Schatten dieses
-Lebens. Er liebt mich, wie er sagt. Wie schauderte mein Gefühl vor ihm
-zurück, als ihn mein erwachendes Auge erkannte. Ich schlummere, ich
-athme, ich kann ganz, wenn ich will, zum Leben wieder genesen, so hat es
-mir der Böse verheißen, wenn ich mich ihm mit ganzem Herzen ergebe, wenn
-er, in geheimer Verborgenheit, mein Gatte werden darf. -- O Antonio, wie
-schwer wird mir jedes Wort, jeder Gedanke. Alle seine Kunst zerbricht an
-meiner Sehnsucht zum Tode. Das war fürchterlich, als mein Geist, schon
-in der Ruhe, schon in der Entwickelung neuer Anschauungen, aus dem
-stillen Frieden so gräßlich zurückgerissen wurde. Mein Leib war mir
-schon fremd, feindlich und verhaßt worden. Zurück kam ich, wie der
-befreite Sklave zu Ketten und Gefängniß. Hilf mir, Treuer, rette mich.
-
-Wie? sagte Antonio: Gott im Himmel! was erleb' ich? Wie muß ich Dich
-wieder finden? Und Du kannst, Du darfst nicht ganz zum Leben
-zurückkehren? Du kannst nicht mir und Deinen Eltern wieder angehören?
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-Unmöglich! rief Crescentia mit einem ängstlichen Ton, und ihre Blässe
-wurde vor Entsetzen noch bleicher. Ach! das Leben! Wie kann der es
-wieder suchen, der schon davon gelöst war? Du Armer fassest die tiefe
-Sehnsucht nicht, die Liebe, das Entzücken, womit ich den Tod denke und
-wünsche. Noch inniger, wie ich Dich ehemals liebte, noch brünstiger, wie
-meine Lippen am Osterfeste nach der heiligen Hostie schmachteten, ist
-mein Wunsch zu ihm. Dann liebe ich Dich freier und inniger in Gott. Dann
-bin ich meinen Eltern wiedergegeben. Dann leb' ich, sonst war ich
-gestorben, jetzt bin ich Nebel und Schatten, mir und Dir ein Räthsel.
-Ach, wenn Deine Liebe und unsre Jugend in mein jetziges Dasein hinein
-schien, wenn ich von oben herab die wohlbekannte Nachtigall hier in
-meiner Einsamkeit schlagen hörte, welch süßes Grauen, welche finstre
-Freude und Angst rieselte dann durch die Dämmerung meines Wesens. O hilf
-mir los von der Kette.
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-Was kann ich für Dich thun? fragte Antonio.
-
-Die Reden hatten wieder die Kraft der Erscheinung gebrochen: sie ruhte
-eine Weile mit geschlossenen Augenliedern, dann sagte sie matt: Ach!
-wenn ich eine Kirche betreten könnte, wenn ich zugegen wäre, indem der
-Herr im Sakrament erhoben wird und der Gemeinde erscheint, dann würde
-ich in diesem seligen Augenblicke vor Entzücken sterben.
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-Was hindert mich, sprach Antonio, den Bösewicht anzugeben, ihn den
-Gerichten und der Inquisition zu überliefern?
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-Nein! nein! nein! ächzte das Bildniß in der höchsten Angst: Du kennst
-ihn nicht, er ist zu mächtig, er würde entfliehn und mich wieder mit
-sich in den Kreis seiner Bosheit reißen. Stille, ruhig nur kann es
-gelingen, wenn er sicher ist. Ein Zufall hat Dich zu mir geführt. Du
-mußt ihn ganz sicher machen, alles verschweigen.
-
-Der Jüngling sammelte seine Sinne, er sprach viel mit seiner vormaligen
-Braut, ihr ward das Reden immer schwerer, die Augen fielen ihr zu, sie
-trank noch einmal von dem Wundertrank, dann ließ sie sich nach dem Lager
-führen. Lebe wohl, rief sie schon wie träumend, vergiß mich nicht. --
-Sie bestieg das Bett, legte sich ruhig nieder, die Hände suchten das
-Crucifix, das sie mit geschlossenen Augen küßte, dann reichte sie dem
-Liebenden die Hand, und winkte ihn hinweg, indem sie sich zum Schlummer
-hinstreckte. Antonio betrachtete sie noch, dann ließ er die Feder die
-unsichtbare Thür wieder einfugen, schlich die enge Wendeltreppe bis zu
-seinem Gemache wieder hinan, stellte den Schrank an seine vorige Stelle,
-und brach in heiße Thränen aus, als ihn der Gesang der Nachtigall mit
-seinen schwellenden Klagetönen bewillkommte. Auch er sehnte sich nach
-dem Tode, und wünschte nur vorher diejenige, die noch vor wenigen Wochen
-seine irdische Braut gewesen war, von ihrem wundersamen schrecklichen
-Zustande zu erlösen.
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- * * * * *
-
-Um seinem Lehrer auszuweichen, wenn er von seiner Reise zurück käme,
-hatte Antonio die Schritte nach der einsamsten Stelle des Waldes
-gelenkt. Es war ihm ungelegen, daß ihm hier sein Freund, der Spanier,
-begegnete, denn er war nicht gestimmt, ein Gespräch zu führen. Doch
-konnte er dem Gespielen nicht mehr ausweichen, und so ergab er sich in
-stiller Trauer der Gesellschaft, die ihm sonst erfreulich und tröstend
-gewesen war. Nur halb hörte er auf dessen Reden, und erwiederte nur
-sparsam. Wie fast immer war wieder Pietro der Gegenstand von Alfonso's
-ungemessener Bewunderung. Warum seid Ihr heut so karglaut? fing er
-endlich verdrüßlich an: ist Euch meine Gesellschaft zuwider, oder seid
-Ihr nicht mehr wie sonst fähig, unsern erhabenen Lehrer zu verehren, und
-ihm den Preis zu geben, den er verdient?
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-Antonio mußte sich sammeln, um nicht ganz in seinen träumenden Zustand
-zu versinken. Was ist Euch? fragte Alfonso wieder, es scheint, daß ich
-Euch beleidigt habe. -- Ihr habt es nicht, rief der Florentiner, aber
-wenn Ihr mich irgend liebt, wenn Ihr nicht meinen Zorn erregen wollt,
-wenn nicht die bittersten Gefühle mein Herz zerreißen sollen, so
-unterlaßt heut das Lobpreisen Eures vergötterten Pietro. Sprechen wir
-von andern Gegenständen.
-
-Ha! bei Gott! rief Alfonso aus, die Pfaffen haben Euch doch noch den
-schwachen Sinn umgewendet. Geht nur fernerhin Eures Weges, junger
-Mensch, denn die Weisheit, das seh' ich nun wohl ein, ist Euch ein zu
-erhabenes Gut. Euer Kopf ist dieser Kost zu schwach, und Ihr sehnt Euch
-wieder nach den Kinderspeisen Eurer ehemaligen Seelenwärter. Bleibt nur
-bei diesen so lange, bis Euch die Milchzähne ausgefallen sind.
-
-Ihr sprecht übermüthig, rief Antonio erzürnt, oder vielmehr wißt Ihr gar
-nicht, was Ihr sagt, und ich verdiene das nicht um Euch.
-
-Wodurch verdient es unser Lehrer, sagte der Spanier eifrig, der Euch wie
-ein Vater aufgenommen hat, der Euch vor allen Jünglingen dieser
-Universität so hoch würdiget, daß Ihr in seinem Hause wohnen dürft, der
-Euch sein innigstes Vertrauen schenkt, wodurch hat dieser es
-verschuldet, daß Ihr ihn so kleinmüthig verleugnet?
-
-Wenn ich nun antworte, sprach Antonio zornig, daß Ihr ihn nicht kennt,
-daß ich Ursache, und die vollständigste habe, anders von ihm zu denken,
-so würdet Ihr mich wieder nicht verstehn.
-
-Ihr seid wohl schon, sagte Alfonso höhnisch, so hoch in seine geheime
-Philosophie hinein gestiegen, daß der gewöhnliche, unbegünstigte
-Erdensohn Euch nicht zu folgen vermag? Wieder zeigt es sich, daß das
-halbe und Viertel-Verdienst sich am höchsten aufbläht. Pietro Abano ist
-demüthiger, als Ihr, seine schwächliche Copie.
-
-Ihr seid ungezogen, rief der junge Florentiner in der höchsten
-Erbitterung aus. Wenn ich Euch nun bei meiner Ehre, bei meinem Glauben,
-beim Himmel und bei allem, was mir und Euch heilig und ehrenwerth seyn
-muß, versichere, daß es in ganz Italien, in Europa, keinen so argen
-Bösewicht, keinen so verruchten Heuchler giebt als diesen --
-
-Wen? schrie Alfonso.
-
-Pietro Abano, sagte Antonio gemäßigt: was würdet Ihr dann sagen?
-
-Nichts, rief jener wüthend, der ihn nicht hatte endigen lassen, als daß
-Ihr und jedermann, der dergleichen zu sprechen wagt, der nichtswürdigste
-Schurke sei, der je das Heilige zu lästern sich erfrechte. Zieht, wenn
-Ihr nicht eine eben so verächtliche Memme, als ein niederträchtiger
-Verleumder heißen wollt.
-
-Das gezogene Eisen begegnete dem Ausfordernden schon eben so schnell,
-und es half nichts, daß ihnen eine heisere ängstliche Stimme: Halt!
-zurief. Alfonso war in der Brust verwundet, und zu gleicher Zeit rann
-Blut aus dem Arm Antonio's. Der alte Priester, der die Erbitterten hatte
-trennen wollen, eilte nun herbei, er verband die Wunden und stillte das
-Blut, darauf rief er andere Studirende herzu, die er in der Nähe schon
-gesehen hatte, die den ermatteten Alfonso nach der Stadt führen sollten.
-Ehe sich dieser entfernte, ging Antonio noch einmal zu ihm, und raunte
-ihm ins Ohr: wenn Ihr ein Edelmann seid, so kommt von der Ursache unsers
-Zwistes kein Wort über Eure Lippen. In vier Tagen sprechen wir uns
-wieder, und wenn Ihr dann nicht meiner Ueberzeugung seid, bin ich zu
-jeder Genugthuung erbötig.
-
-Alfonso versprach feierlich, auch alle Umstehenden versicherten, daß die
-Wunde so wie das Gefecht selbst verschwiegen bleiben sollten, um den
-jungen Florentiner keiner Gefahr auszusetzen. Als sich alle entfernt
-hatten, ging Antonio mit dem Priester Theodor tiefer in den Wald. Warum,
-fing dieser an, wollt Ihr Euch, eines Verdammten wegen, selber der Hölle
-überliefern? Ich sehe, daß Ihr jetzt anderer Meinung seid; aber ist das
-Schwert wohl der Redner, der andre bekehren darf? -- Antonio war
-ungewiß, in wie weit er sich dem Mönche entdecken sollte, doch
-verschwieg er ihm noch die wunderbare Begebenheit, welche er erlebt
-hatte, und bedung sich nur die Erlaubniß aus, bei dem nahe
-bevorstehenden Osterfeste, während des Hochamtes, durch die Sakristei in
-der Nähe des Altars zum großen Tempel eingehen zu dürfen. Nach einigen
-Einwürfen gab Theodor nach, ob er gleich nicht begriff, was der Jüngling
-mit dieser Erlaubniß bezwecken könne. Ich will einen Gast so in die
-Kirche einführen, sagte dieser nur noch, dem man am großen Thor den
-Eingang vielleicht versagen würde.
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- * * * * *
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-Alle Glocken der Stadt läuteten, um das heilige Osterfest in Freuden und
-Andacht zu begehn. Das Volk strömte nach dem Dom, um das froheste
-christliche Fest zu feiern, und auch den berühmten Apone in seiner neuen
-Würde zu erblicken. Die Studirenden begleiteten ihren berühmten Lehrer,
-der vom Adel, dem Rath und der Bürgerschaft ehrfurchtvoll begrüßt in
-anscheinender Frömmigkeit und Demuth dahin wandelte, Allen ein Beispiel,
-der Stolz der Stadt, das begeisternde Vorbild der Jugend. An der Thür
-des Tempels wich das Gedränge in scheuer Verehrung zurück, um dem
-Gefeierten Platz zu machen, der in der Tracht des Prälaten, mit der
-goldenen Kette geschmückt, im weißen Bart und lockigen Haupthaar einem
-Kaiser oder einem alten Lehrer der Kirche in seinem majestätischen
-Anstande zu vergleichen war.
-
-In der Nähe des Altars war dem berühmten Manne ein erhobener Sitz
-zubereitet, daß Schüler und Volk ihn sehn konnten, und als die Menge der
-Andächtigen in den Tempel hereingeströmt war, begann das Hochamt.
-Theodor, der kleine Priester, las an diesem Tage die Messe, und Jung und
-Alt, Vornehm und Geringe war in Freudigkeit, das Fest der Auferstehung
-des Herrn würdig zu begehn, den wiederkehrenden Glanz zu schauen, und
-sich nach den Tagen der strengen Fasten, nach den betrübenden
-Vorstellungen der Leiden und des Schmerzes an dem Gefühl des wieder
-erwachten Lebens zu trösten.
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-Schon war der erste Theil des Gottesdienstes geendigt, da sah man mit
-Erstaunen an der Seite des Altars Antonio Cavalcanti in die Kirche
-treten, der eine dicht verschleierte Figur an seiner Hand führte. Er
-stellte diese auf die Erhöhung, dem Pietro dicht gegenüber, und warf
-sich dann betend am Altare nieder. Die Verschleierte stand starr und
-hoch da, und man sah unter der Verhüllung die brennend schwarzen Augen.
-Pietro erhob sich vom Sessel, und sank bleich und zitternd in denselben
-zurück. Die Musik der Messe strömte und wogte in volleren Accorden,
-jetzt wickelte sich die Verhüllte langsam aus ihren Schleiern, das
-Antlitz war frei, und die Nächsten erkannten mit Entsetzen die
-gestorbene Crescentia. Ein Schauder ging durch die ganze Kirche, auch
-die Fernsten faßte ein heimliches Grauen, das todtenbleiche Bild so hoch
-dort stehn zu sehn, das so andächtig betete und die großen feurigen
-Augen nicht vom Priester am Altar verwendete. Auch der große mächtige
-Pietro schien in eine Leiche verwandelt, man hätte ihn den entstellten
-Zügen nach für todt halten können, wenn sich sein Leben nicht im
-heftigen Zittern verrathen hätte. Nun wendete sich der Priester, und
-erhob die geweihte Hostie, Trompeten verkündigten die erneute Gegenwart
-des Herrn, und mit einem Jubelton, mit hochentzücktem Antlitz, die Arme
-weit ausgebreitet, indem sie laut Hosiannah! rief, daß die Kirche
-wiedertönte, brach nun die bleiche Erscheinung zusammen, und lag todt,
-starr und bewegungslos zu Pietro's Füßen hingestürzt. Das Volk lief
-hinzu, die Musik verstummte, Fragen, Verwundern, Entsetzen und Schreck
-sprach und forschte aus jeder Miene, der Adel und die Studirenden
-wollten den ehrwürdigen Greis, der so tief erschüttert schien, trösten
-und unterstützen, als Antonio mit gellendem Tone: Zeter! Zeter! schrie,
-und die furchtbarste Anklage, die schrecklichste Erzählung begann, die
-höllische Kunst, die verworfene Magie des zagenden Sünders aufdeckte,
-von sich und Crescentia und ihrem schaudervollen Wiederfinden sprach, so
-daß Zorn, Wuth, Verwünschung, Abscheu und Fluch, wie ein stürmendes
-Meer, um den Geängsteten tobte und ihn zu vernichten, im Wahnsinn des
-Grimmes zu zerreißen drohte. Man sprach von Schergen und Fesseln, die
-Inquisitoren nahten, als sich Pietro wie rasend erhub, mit geballten
-Fäusten um sich stieß und schlug, und riesenhaft sich auszudehnen
-schien. Er trat zu Crescentia's Leichnam, der lächelnd wie das Bild
-einer Heiligen dalag, betrachtete sie noch einmal, und ging dann
-brüllend und mit funkelnden Augen durch die Menge. Ein neues Entsetzen
-ergriff das Volk, man machte dem Ungeheuren Platz, alles wich zurück. So
-kam Pietro auf die freie Straße, doch nun besann sich der Pöbel, und mit
-Geschrei, Verfluchung und Schimpfreden verfolgte er den Fliehenden, der
-in Eil dahin rannte, indem sein Talar ihm weit nachflog, und die goldne
-Kette schallend auf Brust und Schultern schlug. Das Gesindel grub die
-Steine aus dem Boden und warf nach ihm, da es ihn nicht einholen konnte,
-und verwundet, blutend, triefend von Schweiß, die Zähne klappend vor
-Angst erreichte Pietro endlich die Schwelle seines Hauses.
-
-Er verbarg sich in den innersten Gemächern, und der neugierige Beresynth
-trat fragend und forschend dem Pöbel und dem Andrang des Volkes
-entgegen. Nehmt die Teufelslarve, den Famulus, schrieen alle, zerreißt
-den Gottvergessenen, der nie eine Kirche besucht hat! Er wurde in die
-Straße geführt und gestoßen, auf seine Fragen, Bitten, auf sein Heulen
-und Schreien ward ihm keine Antwort, auch vernahm man in dem stürmenden
-Getümmel nichts anders als Flüche und Todesdrohung. Bringt mich ins
-Verhör! schrie endlich der Zwerg, da wird meine Unschuld offenbar
-werden! Die herbeigerufenen Schergen ergriffen ihn, und führten ihn nach
-dem Gefängniß. Alles Volk drängte sich nach. Hier hinein! rief der
-Anführer der Häscher, Ketten und Holzstoß warten Deiner. Er wollte sich
-losreißen, die Schergen packten ihn und stießen ihn hin und her, der
-faßte ihn am Kragen, jener am Arm, der hing sich an sein Bein, um ihn
-fest zu halten, ein anderer packte den Kopf, um seiner gewiß zu werden.
-Indem sie ihn so unter Geschrei, Fluchen und Lachen hin und wieder
-zerrten, fuhren alle plötzlich auseinander, denn jeder hatte nur ein
-Kleidungsstück, Aermel, Mütze oder Schuh des Mißgeschaffenen, er selbst
-war nirgend zu sehn. Entflohen konnte er nicht seyn, er schien
-verschwunden, doch keiner begriff wie.
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-Als man Apone's Zimmer erbrochen hatte, fanden ihn die Eindringenden
-todt und verblutet auf seinem Bette liegen. Man plünderte das Haus, die
-magischen Instrumente, die Bücher, der seltsame Hausrath, alles wurde
-den Flammen übergeben, und durch die ganze Stadt erscholl nichts als
-Verfluchung des Mannes, den gestern noch alle wie einen Abgesandten der
-Gottheit verehrt hatten. Der Abscheu, mit welchem sie sich von dem
-Trugbild wendeten, war nun um so größer.
-
- * * * * *
-
-Als sich das Getümmel des aufgeregten Volkes etwas beruhigt hatte, wurde
-der Leichnam Pietro's still in der Nacht, außerhalb des geweihten
-Kirchhofes, beigesetzt. Antonio und Alfonso versöhnten sich wieder, und
-schlossen sich dem frommen Theodor an, der zum zweitenmal, mit
-Feierlichkeit und einer andächtigen Rede, den Leichnam der schönen
-Crescentia in die ihr bestimmte Gruft legen ließ. Antonio konnte nun
-nicht länger in Padua bleiben, er wollte seine Vaterstadt wieder
-besuchen, um seine Angelegenheiten zu ordnen, und sich dann vielleicht
-in einem Kloster aufnehmen zu lassen. Alfonso faßte den Entschluß, nach
-Rom zu wallfahrten, wohin der heilige Vater ein Jubeljahr und Ablaß von
-Sünden ausgeschrieben hatte. Nicht nur in Italien regte sich alles,
-sondern auch aus Frankreich, Deutschland und Spanien kamen viele Züge
-von Pilgrimmen an, um diese bis dahin unerhörte Feierlichkeit, dieses
-große Kirchenfest in der heiligen Stadt zu begehn.
-
-Nachdem die Freunde sich getrennt hatten, verfolgte Antonio seine
-einsame Bahn, denn er vermied die große Straße, theils um seiner
-Schwermuth desto ungestörter nachhängen zu können, theils um die
-Schwärme zu vermeiden, die sich auf dem großen Wege drängten, und in den
-Nachtlagern beschwerlich fielen.
-
-So seiner Laune folgend, streifte er durch die Fluren und die Thäler des
-Apennins. Einst ging die Sonne unter, und keine Herberge wollte sich
-zeigen. Indem die Schatten dichter wuchsen, hörte er seitwärts im Walde
-das Glöcklein eines Einsiedlers schallen. Er ging dem Tone nach und
-gelangte, als die Dunkelheit der Nacht schon hereingebrochen war, an die
-kleine Hütte, zu welcher ein schmaler Steg von Brettern über den Bach in
-das Buschwerk hinein führte. Er fand einen alten gebrechlichen Greis in
-tiefster Andacht vor einem Crucifixe betend. Der Einsiedler nahm den
-Jüngling, der ihn freundlich begrüßte, mit Wohlwollen auf, bereitete ihm
-im Felsen, der durch eine Thür von der Einsiedelei getrennt war, ein
-Lager auf Moos, und setzte ihm von seinen Früchten, Wasser und etwas
-Wein vor. Als Antonio erquickt war, erfreute er sich am Gespräche des
-Mönchs, der früher in der Welt gelebt und als Soldat manchen Feldzug
-mitgemacht hatte. So war es tiefe Nacht geworden, und der Jüngling begab
-sich zur Ruhe, indem ein anderer kranker und schwacher Mönch hereintrat,
-der mit dem Einsiedler in Gebeten die Nacht zubringen wollte.
-
-Als Antonio eine Stunde geruht hatte, fuhr er plötzlich aus dem Schlafe
-auf. Ihm dünkte, er vernähme laute Stimmen und Streit. Er richtete sich
-empor, und es blieb ihm über das Gezänk und den Wortwechsel kein Zweifel
-übrig. Auch die Töne schienen ihm bekannt, und er fragte sich selber, ob
-er nicht träume. Er näherte sich der Thüre und entdeckte eine Spalte,
-durch welche er in den vordern Raum schauen konnte. Wie erstaunte er,
-als er Pietro Abano gewahr wurde, den er für gestorben halten mußte, der
-mit zornigen Augen und rothem Antlitz laut sprach und sich in heftigen
-Geberden bewegte. Ihm gegenüber stand die Fratze des kleinen Beresynth.
-Also Euren Verfolger, rief dieser mit krächzender Stimme, der Euch
-unglücklich gemacht, den verliebten frommen Narren, habt Ihr hier in
-Eurem Hause? der ist von selbst, wie ein Kaninchen, zu Euch in die Grube
-gefallen? Und Ihr zögert noch, ihn abzuschlachten? -- Schweig, rief die
-große Figur, ich habe mich schon mit meinen Geistern berathen, sie
-wollen nicht einwilligen, ich kann ihm nichts anhaben, denn er ist in
-keiner Sünde befangen. -- So schlagt ihn, sagte der Kleine, ohne Eure
-Geister, mit Euren eigenen huldreichen Händen todt, so wird ihm seine
-Tugend und Sündenlosigkeit nicht viel helfen, und ich müßte ein elender
-Diener seyn, wenn ich Euch in so löblicher That nicht beistehen sollte.
--- So laß uns, rief Pietro, an das Werk gehn, nimm den Hammer Du, ich
-führe das Beil, jetzt schläft er fest. -- Sie näherten sich der Thür,
-doch Antonio riß diese auf, um den Bösewichtern muthig entgegen zu
-treten. Er hatte sein Schwert gezogen, aber er blieb wie eine Bildsäule,
-mit aufgehobenem Arme stehn, als er zwei kranke, gebrechliche Einsiedler
-auf den Knieen vor dem Kreuze liegend fand, die ihre Gebete murmelten.
-Wollt Ihr etwas? fragte ihn sein Wirth, der sich mühsam vom Boden erhob.
-Antonio konnte verwundert keine Antwort geben. Warum das Schwert? fragte
-der gebückte, schwache Eremit; wozu diese feindlichen Blicke? Antonio
-zog sich zurück mit der Entschuldigung, daß ihn ein böser Traum
-erschreckt und geängstigt habe. Er konnte nicht wieder einschlafen, so
-verstört waren seine Sinne. Da vernahm er wieder deutlich Beresynths
-krähende Stimme, und Pietro sagte mit vollem klaren Tone: laß ab, denn
-Du siehst, er ist bewaffnet und gewarnt, er wird sich dem Schlafe nicht
-von neuem überlassen. -- Wir müssen ihn überwältigen! schrie der Kleine,
-da er uns nun wieder erkannt hat, sind wir ja auf alle Weise verloren!
-Der Knecht giebt uns morgen der Inquisition an, und das Volk ist auch
-dann gleich mit dem Verbrennen bei der Hand.
-
-Durch die zerrissene Thür erkannte er die beiden Zauberer. Er stürzte
-wieder mit gezogenem Schwerte hinein, und fand wieder zwei kranke Alte,
-im Gebete flehend, am Boden liegen. Erbittert über die Truggestalten
-ergriff er sie in seine Arme, und rang kräftig mit ihnen, sie wehrten
-sich verzweifelnd, bald war es Pietro, bald der Eremit, bald das
-Gespenst Beresynth, bald ein kranker Greis. Unter Geschrei, Toben,
-Fluchen und Wehklagen gelang es ihm endlich, sie aus der Zelle zu
-werfen, die er dann fest verriegelte. Nun hörte er draußen Gewinsel,
-Bitten und Aechzen, dazwischen ein Flüstern von vielen Stimmen, Gesang
-und Geheul, nachher schien Regen und Sturm sich aufzumachen und ein
-fernes Gewitter grollte zwischen das mannigfache Getöse. Betäubt schlief
-endlich Antonio, auf sein Schwert gelehnt, vor dem Crucifixe ruhend ein,
-und als ihn der kalte Morgenwind erweckte, fand er sich auf der höchsten
-Spitze einer schmalen Klippe, mitten im dicken Walde wieder, und
-glaubte, hinter sich ein Hohngelächter zu vernehmen. Nur mit
-Lebensgefahr gelang es ihm, von der schroffen Höhe hinab zu klimmen,
-indem er die Kleider zerriß und Antlitz und Hand und Fuß verwundete.
-Mühselig mußte er durch die Wälder irren, kein Mensch war zu errufen,
-keine Hütte, so oft er auch die Anhöhe bestieg, weit umher zu entdecken.
-Erst in der Nacht traf er, von Müdigkeit, Hunger und Erschöpfung
-aufgelöst, auf einen alten Köhler, der ihn in seiner kleinen Hütte
-erquickte. Er erfuhr, daß er von jener Einsiedelei, die er gestern
-getroffen hatte, wohl zwölf Meilen und mehr entfernt sei. Erst spät am
-folgenden Tage konnte er, etwas gestärkt und ermuntert, seine Reise nach
-Florenz wieder fortsetzen.
-
- * * * * *
-
-Antonio hatte sich nach Florenz begeben, um seine Verwandten und sein
-väterliches Haus wieder zu besuchen. Er konnte sich nicht entscheiden,
-welchen Lebenslauf er beginnen sollte, da ihm alles Glück des Daseins so
-treulos geworden war, da sich die Wirklichkeit ihm nur als ein wilder
-Traum erwiesen hatte. Er ordnete seine Angelegenheiten und ergab sich in
-dem großen väterlichen Palaste dem Gram, um in jener Grotte, in den
-wohlbekannten Zimmern sein Unglück und das seiner Eltern sich recht
-lebhaft zu vergegenwärtigen. Er gedachte jener scheußlichen Hexe, die in
-sein Verhängniß verflochten, und jener Crescentia, die ihm eben so
-wunderbar wie seine Braut erschienen und wieder verschwunden war. Hätte
-er nur irgend eine Hoffnung fassen können, so wäre es ihm möglich
-gewesen, sich mit dem Leben wieder auszusöhnen. Endlich ging ihm der
-Wunsch, wie ein blasser Stern, in seiner Seele auf, nach Rom zu
-wallfahrten, welches er noch nicht kannte, dort an den Gnaden der
-Gläubigen Theil zu nehmen, die berühmten Kirchen und Heiligthümer zu
-besuchen, sich in der wogenden Volksmenge, in dem Gedränge der
-unzähligen Fremden, die aus allen Theilen der Erde dorthin zogen, zu
-zerstreuen, und seinen Freund Alfonso auszuforschen. Er vermuthete auch,
-den alten Ambrosio in der großen Stadt anzutreffen, sich von diesem
-Leidenden, der ihm Vater hatte werden wollen, trösten zu lassen, und dem
-Bekümmerten wohl auch Trost gewähren zu können. Mit diesen Gesinnungen
-und Erwartungen machte er sich auf den Weg und langte nach einiger Zeit
-in Rom an.
-
-Er erstaunte, als er in die große Stadt eintrat. So hatte er sich ihre
-Macht, ihre Denkmäler, und das Getümmel der unzähligen Fremden nicht
-vorgestellt. Hier war es ein Wunder zu nennen, einen Freund oder
-Bekannten aufzufinden, wenn man seine Wohnung nicht schon genau
-bezeichnen konnte. Und doch begegnete ihm dieser wunderbare Zufall, daß
-er den Ambrosio plötzlich antraf, indem er das Kapitol hinaufsteigen
-wollte, von welchem der Alte niederschritt. Der Podesta nahm ihn
-sogleich mit in seine Wohnung, in welcher Antonio die trauernde Mutter
-begrüßte. Der Ruf von dem seltsamen Ende Pietro's, von der
-Wiederbelebung Crescentia's und ihrem Hinscheiden war schon bis Rom
-erschollen, diese wunderbare Geschichte war im Munde aller Pilger,
-entstellt, mit verworrenen Zusätzen und Widersprüchen, von der
-oftmaligen Wiederholung bis zu ihrem eigenen Gegentheil ausgebildet. Die
-Eltern hörten mit Freude und Schmerz die Begebenheit aus Antonio's
-Munde, so furchtbar das Entsetzen auch beide, vorzüglich die Mutter,
-ergriff, die mit Abscheu den alten scheinheiligen Magier verwünschte,
-von dem sie in ihrer Erbitterung selbst zu glauben schien, daß er den
-Tod ihrer Tochter, vielleicht sogar von der Familie Markoni erkauft,
-herbeigeführt habe, um die Leiche nur wieder zu seinem wahnsinnigen
-Frevel erwecken zu können.
-
-Ueberlassen wir, sagte der Alte, alles dem Himmel; was geschah und
-stadt- und landkundig wurde, ist erschrecklich genug, um nicht andere,
-die doch vielleicht unschuldig sind, in diese ungeheure Bosheit zu
-verwickeln. Mag es sich mit den Markonis verhalten, wie es wolle, so bin
-ich wenigstens dahin entschlossen, ihnen das Erbe meines Vermögens zu
-entziehen. Durch meine Beschützer hier werde ich es möglich machen,
-meine Besitzungen Klöstern oder frommen Stiftungen zu übertragen, und
-mein Lebensüberdruß bewegt mich vielleicht, selbst als Mönch oder
-Klausner mein Leben zu enden.
-
-Wie aber, wandte die Mutter mit Thränen ein, wenn es doch noch möglich
-wäre, jene zweite Crescentia, von der uns Antonio erzählt hat, wieder
-aufzufinden? Das Kind wurde mir in Deiner Abwesenheit auf eine
-unbegreifliche Art geraubt, jene Hexe, die die Markonis in jener Nacht
-genannt hat, die Aehnlichkeit, alles, alles trifft ja so seltsam
-überein, daß wir die Hoffnung, das allerhöchste Gut des Lebens, nicht zu
-früh, nicht übereilt aus Verzweiflung aufgeben sollen.
-
-Gute Eudoxia, sagte der Vater, laß, laß alle jene Träume, Sagen und
-Einbildungen fahren, für uns ist auf dieser Erde nichts mehr gewiß, als
-der Tod, und daß dieser fromm und sanft sei, müssen wir wünschen und vom
-Himmel erflehen.
-
-Und wenn nun nachher, und zu spät, rief die Mutter aus, unser armes
-verwaistes Kind sich wieder finden sollte, dürfte uns die Unglückselige
-nicht mit Recht schelten, daß wir der Barmherzigkeit des Himmels nicht
-vertraut, und ihr Wiederkommen mit etwas mehr Ruhe und Geduld abgewartet
-haben?
-
-Ambrosio warf einen finstern Blick auf den Jüngling und sagte dann: es
-gehört noch zur Vergrößerung unsers Elends, daß Ihr die Arme mit Euren
-kranken Einbildungen angesteckt, und ihr dadurch die letzte Ruhe des
-Lebens geraubt habt.
-
-Wie meint Ihr das? fragte Antonio.
-
-Junger Mann, antwortete der Vater, schon seit jenem Ritt durch Feld und
-Wald, wo Ihr mir jenes Mährchen aufgeheftet, das Euch in der vorigen
-Nacht begegnet seyn sollte --
-
-Herr Ambrosio! rief Antonio, und seine Hand fiel unwillkührlich auf sein
-Schwert.
-
-Laßt das, fuhr der Alte gelassen fort, fern sei es von mir, Euch einer
-Lüge bezüchtigen zu wollen, ich kenne ja seit lange Euren Edelmuth, wie
-Eure Wahrheitsliebe. Aber ist es Euch denn nicht, armer Jüngling, ohne
-meine Erinnerung beigefallen, daß seit jener Nacht, als Ihr dem Sarge
-meiner Tochter begegnetet, die Ihr am folgenden Tage als Braut
-heimzuführen gedachtet, Eure Sinne in Unordnung gerathen sind, Eure
-Vernunft geschwächt ist? In der einsamen Nacht, im Gewitter, in
-aufgeregter Leidenschaft, glaubtet Ihr die Gestorbene wieder zu sehen,
-daran knüpfte sich die Erinnerung an Euren unglücklichen Vater, an Eure
-früh gestorbene Mutter. So entstanden Euch jene Gebilde, und setzten
-sich in Eurem Gehirn fest. Fanden wir denn wohl eine Spur jener Hütte?
-Wußte uns irgend ein Mensch in der Umgegend von jenen getödteten
-Bewohnern zu sagen? Jenes furchtbare Erscheinen meiner wahren Tochter,
-an welches ich wohl glauben muß, ist allein hinreichend, auch das
-kälteste Gefühl bis zum Wahnsinn zu treiben, und soll ich mich nun
-verwundern, wenn Ihr wieder etwas Unmögliches erlebt haben wollt, daß
-Ihr im Gebirge den gestorbenen Pietro wiedergefunden, und ihn nicht
-erkannt habt, daß jenes fast lächerliche Gaukelspiel mit Euch
-vorgenommen sei, das Ihr uns eben so bestimmt erzählt habt? Nein, junger
-Freund, Gram und Schmerz haben Euren gesunden Sinn zerrüttet, daß Ihr
-nun Dinge seht und glaubt, die nicht in der Wirklichkeit sind.
-
-Antonio war verlegen und wußte nicht, was er antworten sollte. Wie sehr
-ihn der Verlust seiner Geliebten in allen seinen Seelenkräften
-erschüttert hatte, so war er sich doch der erlebten Begebenheiten zu
-deutlich bewußt, um sie auf diese Weise in Zweifel ziehen zu können. Er
-fühlte einen neuen Trieb zur Thätigkeit, er wünschte wenigstens darthun
-zu können, daß die Geschichte jener Nacht kein Traumbild, daß jene
-zweite Crescentia ein wirkliches Wesen sei, und darum war es sein
-lebhaftester Wunsch, sie wiederzufinden, um sie den trauernden Eltern
-zurück zu geben, oder Ambrosio wenigstens beschämen zu können. In dieser
-Stimmung verließ er den alten Freund, und streifte durch die Stadt,
-allenthalben vom Gewühl des Volks gedrängt und vom mannigfaltigen
-Geschrei, Fragen und Erzählen in allen Sprachen betäubt. So war er von
-den Massen geschoben und gestoßen bis zum Lateran fortgetrieben worden,
-als er ganz deutlich, aber fern, so wie sich zu Zeiten das Gewühl etwas
-öffnete, jene häßliche Alte wahrzunehmen glaubte, die Mutter des schönen
-Mädchens, die ebenfalls Crescentia genannt wurde. Er strebte nun in ihre
-Nähe zu kommen, und es schien ihm schon zu gelingen, als ein
-entgegenströmender Zug von Pilgern ihn wieder völlig von jener
-Erscheinung abschnitt, und alles weitere Vordringen unmöglich machte.
-Indem er am heftigsten kämpfte und sich auf die Stufen des Tempels des
-heiligen Johannes empor arbeitete, um weiter um sich sehn zu können,
-fühlte er einen freundlichen Schlag einer Hand auf seiner Schulter, und
-eine bekannte Stimme nannte seinen Namen. Es war der Spanier Alfonso. So
-finde ich Dich also genau an der Stelle, sagte er freudig, wo ich Dich
-zu finden hoffte?
-
-Wie meinst Du das? fragte Antonio.
-
-Laß uns nur aus dem Gedränge und dieser Strömung kommen, rief jener,
-hier vernimmt man vor tausendfältigem Sprechen, und vor dem Gesumme der
-ungeheuren babylonischen Verwirrung kein Wort.
-
-Sie begaben sich in das Gefilde, und hier eröffnete ihm Alfonso, daß,
-seitdem er sich in Rom befinde, er sich der Wissenschaft der Astrologie,
-der Wahrsagekunst und ähnlichen Dingen ergeben habe, die er vormals
-gehaßt, weil er der Ueberzeugung gewesen, sie könnten nur durch
-verdammliche Mittel und Hülfe der bösen Geister errungen werden. Seit
-ich aber, fuhr er fort, die Bekanntschaft des unvergleichlichen Castalio
-gemacht habe, erscheint mir dies Wissen in einem gar höheren und
-verklärteren Lichte.
-
-Ist es möglich, rief Antonio aus, daß nach jener furchtbaren Begebenheit
-in Padua Du Deine Seele doch wieder der Gefahr bloß stellen kannst? Dir
-leuchtet nicht ein, daß dasjenige, was auf natürlichem Wege und mittelst
-der Vernunft zu erreichen steht, nicht der Mühe verlohnt, weil es
-geringfügige Künste sind, die nur Scherz und Gelächter veranlassen
-können; alles Höhere aber, welches nicht auf leere Täuschung hinausgeht,
-allerdings nur durch böse und verdammliche Kräfte aufzuregen ist?
-
-Eifern, sagte der Spanier, ist kein Beweisen; wir sind noch zu jung, um
-unsere Natur ganz zu verstehn, viel weniger die übrige Welt und alle
-Geheimnisse zu fassen. Siehst Du den Mann, dem ich so viel zu verdanken
-habe, so werden alle Deine Zweifel verschwinden. Fromm, einfach, ja
-kindlich, wie er ist, leuchtet uns aus jedem seiner Blicke das schönste
-Vertrauen entgegen.
-
-Und wie war es mit jenem Apone? warf Antonio ein.
-
-Der, erwiederte der Freund, wollte ja doch wie ein überirdisches Wesen
-auftreten, er bestrebte sich mit Kunst und Bewußtsein, als ein
-Abgesandter des Himmels zu erscheinen, und mit erkünsteltem Glanz die
-gewöhnlichen Söhne der Menschen zu blenden. Er erfreute sich des Pompes,
-er ließ sich zwar herab, aber nur, um den ungeheuren Abstand zwischen
-ihm und uns noch fühlbarer zu machen. Schwelgte er nicht in der
-Bewunderung, die ihm Vornehm und Gering, Jugend und Alter zollen mußten?
-Aber mein jetziger Freund (denn das ist er, weil er sich mir ganz gleich
-stellt) will nicht groß und erhaben erscheinen, er belächelt dies
-Bestreben so vieler Menschen, und meint, schon dies leiste Gewähr, daß
-etwas Unächtes, Gebrechliches verhüllt werden solle, denn ein klares
-Bewußtsein wolle nur gelten als das, was es sich fühlt, und der größte
-der Sterblichen müsse sich ja doch gestehn, daß er eben so, wie der
-blödsinnige Bettler auch, nur ein Sohn des Staubes sei.
-
-Du machst mich begierig, sagte Antonio: er kennt also Zukunft und
-Vergangenheit? Die Schicksale der Menschen? Und weiß mir zu sagen, wie
-glücklich oder unglücklich noch meine Verhängnisse seyn werden? Ob
-gewisse, geheimnißvolle Wünsche sich erfüllen können? Kann er denn
-errathen und entziffern, was mir selbst in meiner eigenen Geschichte
-undeutlich ist?
-
-Das eben ist seine Weisheit, sagte Alfonso begeistert, daß er durch
-Buchstaben und Zahlen auf die einfachste und unschuldigste Weise alles
-erfährt, wozu jene Unglückseligen Beschwörungen, Formeln, Heulen,
-Geschrei und Todesangst anwenden müssen. Darum findest Du auch jenen
-widerwärtigen Zauberapparat nicht bei ihm: keine Kristalle und
-eingesperrte Geister, keine Spiegel und Gerippe, kein Rauchwerk und
-keine fratzenhaften Phantome, sondern er ist sich selbst genug. Ich
-sagte ihm von Dir, und er fand in seiner Rechnung, daß ich Dich heut, in
-dieser Stunde auf den Stufen der Lateranskirche ganz gewiß antreffen
-würde. So ist es nun auch in derselben Minute geschehn.
-
-Antonio wurde begierig, den wunderbegabten Mann kennen zu lernen, und
-von ihm sein eigenes Schicksal zu erfahren. Sie speisten in einem Garten
-und gingen gegen Abend zur Stadt zurück. Die Straßen waren etwas mehr
-beruhigt, sie konnten ungestörter ihren Weg fortsetzen. In der Dämmerung
-kamen sie in die Gassen, die sich eng hinter dem Grabmal des Augustus
-zogen. Sie schritten durch ein Gärtchen: ein freundliches Licht
-schimmerte ihnen aus den Fenstern eines kleinen Hauses entgegen. Sie
-zogen die Glocke, die Thür öffnete sich, und mit den sonderbarsten und
-gespanntesten Erwartungen trat Antonio mit seinem Freunde in den Saal.
-
- * * * * *
-
-Antonio war verwundert, einen schlichten, nicht großen jungen Mann vor
-sich zu sehen, der noch, dem Anschein nach, nicht viel über dreißig
-Jahre alt seyn konnte. Mit einfacher Geberde begrüßte er den
-eintretenden Jüngling wie einen alten Bekannten. Seid mir willkommen,
-sprach er mit wohllautender Stimme, Euer spanischer Freund hat mir so
-viel Gutes von Euch gesagt, daß ich mich schon längst auf Euren Umgang
-gefreut habe. Nur müßt Ihr freilich nicht wähnen, daß Ihr zu einem
-Weisen, zu einem Adepten gekommen seid, oder gar zu einem Manne, vor
-welchem die Hölle in ihren Grundfesten zittert, sondern Ihr findet hier
-einen Sterblichen, wie Ihr seid und werden könnt, so wie jeder, den die
-ernsten Studien und die Entfernung vom eitlen Weltgetümmel nicht
-abschrecken.
-
-Antonio fühlte sich wohl und behaglich, so sehr er auch überrascht war,
-er musterte die Stube, die, außer einigen Büchern und einer Laute,
-nichts Ungewöhnliches aufwies. Er verglich in Gedanken dieses kleine
-Haus und seinen schlichten Bewohner mit dem Palaste und Gepränge, den
-Instrumenten und den Geheimnissen seines ehemaligen Lehrers und sagte:
-freilich sieht man hier keine Spuren jener hohen und geheimen Weisheit,
-die mir mein Freund gerühmt und in welcher Ihr untrüglich seyn sollt.
-
-Castalio lachte herzlich und sagte dann: Nein, mein junger Freund, nicht
-untrüglich, denn so weit kommt kein Sterblicher. Seht Euch nur um,
-dieses ist mein Wohnzimmer, dort in jener kleinen Kammer steht mein
-Bett; hier ist weder Raum noch Möglichkeit, trügerische Anstalten zu
-verbergen, oder künstliche Maschinen in Thätigkeit zu setzen. Alle jene
-Kreise, Gläser, Himmelsgloben und Sternbilder, die jene Beschwörer zu
-ihren Künsten nöthig haben, finden hier keinen Platz, und jene Elenden
-werden auch nur vom Geist der Lüge hintergangen, weil sie die Kräfte
-ihres eignen Geistes nicht wollen kennen lernen. Wer aber in die Tiefen
-seiner Seele, von Demuth und frommen Sinn geleitet, steigt, wem es Ernst
-ist, sich selbst zu erkennen, der findet auch hier alles, was er
-vergebens durch künstliche und verzweifelte Mittel von Himmel und Hölle
-erzwingen will. »Werdet wie die Kinder!« In diesem Aufruf liegt das
-ganze Geheimniß verborgen. Ist unser Gemüth ungefälscht, können wir,
-wenn auch nur auf Stunden und Augenblicke, das wieder von uns werfen,
-welches unsre ersten Eltern mit frevlem Muthwillen an sich zogen, so
-wandeln wir wieder im Paradiese und die Natur mit allen ihren Kräften
-tritt wie damals, im bräutlichen Jugendalter der Welt, dem verklärten
-Menschen entgegen. Ist denn unser Geist nicht eben dadurch Geist, daß
-körperliche Schranken, verwirrender Raum und Zeit, ihn nicht hemmen
-sollen? Er schwingt sich ja schon, von Sehnsucht und Andacht beflügelt,
-über alle Sternenräume hinaus, nichts hemmt seinen Flug, als jene
-Erdengewalt, die sich in der Sünde erst auf ihn geworfen, und ihn zu
-ihrem Knechte gemacht hat. Diese können und sollen wir aber wieder
-bezwingen, durch Gebet, durch Zerknirschung vor dem Herrn, durch
-Erkennen unsrer großen Schuld und durch ungemessene Dankbarkeit für
-seine überschwengliche Liebe, und dann sehn und hören wir, was sich uns
-durch Raum und Zeit entzieht, wir sind dort und hier, die Zukunft tritt
-heran, und schüttet, so wie die Vergangenheit, ihre Geheimnisse vor uns
-aus, das ganze Reich des Wissens, Begreifens steht uns offen, die
-himmlischen Kräfte werden freiwillig unsre Diener; und dennoch ist dem
-ächten Weisen Ein Blick in die Geheimnisse der Gottheit, Eine Rührung
-seines Herzens, indem er ihre Liebe fühlt, mehr und wünschenswerther,
-als alle Schätze, die sich dem forschenden Geiste bieten, als alle
-Enthüllungen der Geschichte und Gegenwart, als die Kniebeugungen von
-tausend Engeln, die ihn ihren Meister nennen wollen.
-
-Alfonso sah seinen Freund mit begeisterten Blicken an, und Antonio
-konnte sich nicht erwehren, sich zu gestehn, daß ihm hier im Gewande
-einfacher Demuth mehr entgegen komme, als ihn aus Apone's Munde, zur
-Zeit seiner größten Verehrung des prunkenden Weltweisen, jemals
-angesprochen hatte. Faßte er doch jetzt die Ueberzeugung, daß die
-Weisheit, welche man die übernatürliche nennt, sich wohl mit Frömmigkeit
-und der völligen Ergebung in den Herrn vereinigen lasse.
-
-Wißt Ihr nun von meinen Schicksalen? fragte der Jüngling bewegt; könnt
-Ihr mir von meiner Zukunft etwas sagen?
-
-Wenn ich das Jahr, den Tag und die Stunde Eurer Geburt weiß, antwortete
-Castalio, mit dem Horoskop, das ich dann stelle, die Lineamente Eures
-Antlitzes und die Züge Eurer Hand vergleiche, nachher mit meinem freien
-Geiste mich der Anschauung ergebe, so zweifle ich kaum, Euch etwas davon
-offenbaren zu können.
-
-Antonio übergab ihm ein Taschenbuch, in welchem sein Vater selbst seine
-Geburtsstunde bemerkt hatte. Castalio schenkte den Jünglingen Wein ein,
-indem er selber ein wenig von diesem genoß, schlug einige Bücher auf und
-setzte sich alsdann zum Rechnen nieder, ohne nebenher seine Gespräche
-mit den Jünglingen völlig abzubrechen. Es schien nur, als wenn der junge
-heitre Mann ein ganz gewöhnliches Geschäft vornehme, das bei weitem
-nicht seine ganze Aufmerksamkeit erfordere. So mochte unter Lachen und
-fröhlichen Gesprächen eine Stunde verflossen seyn, als Castalio aufstand
-und Antonio zu sich in ein Fenster winkte. Ich weiß nicht, fing er an,
-wie viel Ihr Eurem Freunde dort vertraut, was Ihr ihm etwa verschweigen
-wollt. Er betrachtete hierauf Antonio's Gesicht, so wie seine Hände sehr
-aufmerksam, und erzählte ihm dann zusammenhängend die Geschichte und das
-Unglück seiner Eltern, den frühen gewaltsamen Tod der Mutter, die
-verirrte Leidenschaft des Vaters, dessen Ermordung durch seinen
-frevelhaften Mitschuldigen: hierauf kam er auf Antonio's eigne
-Begebenheiten, wie er den Mörder gesucht und verfolgt, und selbst von
-einer Leidenschaft in Padua sei festgehalten worden. Ihr seid also,
-beschloß er, was ich nicht ohne Erstaunen erfahren habe, jener Jüngling,
-der jüngst die Bosheit des verruchten Apone auf wunderbare Weise
-entdeckt hat, der den Schändlichen seiner Strafe überlieferte, obgleich
-er selbst nur um so unglücklicher wurde, weil er seine Geliebte zweimal
-auf entsetzliche Weise verlieren mußte.
-
-Antonio bestätigte dem freundlichen Manne alles, und hatte ein solches
-Zutrauen zu ihm gewonnen, daß es ihm war, als wenn er nur mit sich
-selber spräche. Er erzählte ihm hierauf noch von den Abentheuern jener
-Nacht, der zweiten Crescentia und jener widerlichen Hexe, die ihm, wie
-er glauben müsse, heute von neuem erschienen sei. Könnt Ihr mir nun,
-fragte er eifrig, sagen, ob dieses Wahrheit sei, wer jene Crescentia
-ist, ob ich sie wiedersehn und ihren Eltern zuführen werde?
-
-Castalio war nachdenklicher als zuvor. Wenn jener abentheuerliche
-Beresynth, die Fratze, welche den Zauberer begleitete, sich nicht als
-Weib verstellt hat, um den Nachforschungen zu entgehn, so getraue ich
-mir dieses Weib aufzufinden. Geduldet Euch nur bis morgen und ich sage
-Euch Bescheid. Uebrigens sind die Begebenheiten jener Nacht keine
-Phantasien Eures Innern, sondern Wirklichkeit gewesen, damit mögt Ihr
-fürs Erste Euch und Euren ältern Freund beruhigen.
-
-Nachdenkend verließen die jungen Leute den wunderbaren Mann, und Antonio
-dankte dem Spanier herzlich, daß er ihm diese Bekanntschaft verschafft
-hatte.
-
- * * * * *
-
-Antonio hatte sich aber nicht getäuscht. Es war wirklich die Alte, die
-er im Gedränge wahrgenommen hatte. Sie wohnte in einer kleinen Hütte,
-hinter verfallenen Häusern, unweit des Laterans. Verfolgt, dürftig, von
-aller Welt verlassen, gehaßt und gefürchtet, war sie hier, im
-Aufenthalte des Elendes, der Verzweiflung nahe. Sie wagte es nur selten,
-sich zu zeigen, und war auch nur an diesem Tage gezwungen worden,
-auszugehn, um ihre Crescentia, die ihr entlaufen war, wieder zu finden.
-Da jedermann ihr scheu aus dem Wege ging, da es ihr selbst schwer wurde,
-nur hie und da ein Almosen zu erhalten, und ihre ehemaligen Künste keine
-Liebhaber fanden, so war sie nicht wenig erstaunt, als sie am Abend an
-ihre Thür klopfen hörte, indem draußen Geschrei und Lärmen tobte. Sie
-nahm ihre Lampe und machte auf, und sah draußen ein Rudel Gassenjungen
-und Pöbel, die eine kleine bucklige Figur, die in rothem Sammet mit Gold
-phantastisch gekleidet war, verfolgten. Wohnt hier nicht die würdige
-Frau Pankrazia? schrie der mißgestalte Zwerg. -- So ist es, sagte die
-Alte, indem sie mit Gewalt die Thür zuschlug und das Volk draußen mit
-Schimpfreden zu vertreiben suchte. -- Wer seid Ihr? würdiger Herr, was
-sucht Ihr bei einer alten verlassenen Frau?
-
-Setzt Euch nieder, sagte der Kleine, und zündet etwas mehr Licht an,
-damit wir uns schauen und betrachten können, und weil Ihr Euch arm
-nennt, so nehmt diese Goldstücke, und wir wollen auf bessere
-Bekanntschaft ein Gläschen Wein mit einander leeren.
-
-Die Alte schmunzelte, zündete einige Wachskerzen an, die sie in einer
-Schieblade verwahrte und sagte: ich habe noch ein Fläschchen guten
-Florentiner, ehrwürdiger Herr, der uns schmecken soll. Sie öffnete einen
-kleinen Schrank und setzte die rothe Labung auf den Tisch, dem
-Unbekannten zuerst einschenkend.
-
-Warum nennt Ihr mich ehrwürdig? fragte dieser.
-
-Sagen es die Goldstücke nicht aus, antwortete sie, Euer Wamms, die
-Tressen darauf, die Feder auf dem Hut? Seid Ihr kein Prinz, kein Magnat?
-
-Nein, schrie der Kleine: ei poz tausend, Muhme, kennt Ihr mich denn gar
-nicht? hat man mir doch schon in der Jugend damit schmeicheln wollen,
-daß wir uns einigermaßen ähnlich sehen, und wahrlich, wenn ich so Eure
-Statur, Physiognomie, den Ausdruck, das Lächeln und das Blinzeln der
-Augen unpartheiisch betrachte und erwäge, so sind die Muhme Pankrazia,
-aus dem Hause Posaterrena aus Florenz, und der kleine Beresynth, aus der
-Familie Fuocoterrestro aus Mailand, so in Verwandtschaftszügen, wie
-Muhme und Vetter, sich ähnlich genug.
-
-Jemine! schrie die Alte erfreut, so seid Ihr der Beresynth aus Mailand,
-von dem ich in meiner Kindheit wohl habe reden hören? Ei! ei! so muß ich
-so spät, im hohen Alter, noch einen so liebwerthen Vetter von Angesicht
-zu Angesicht kennen lernen!
-
-Ja, sagte der Kleine, recht von Nase zu Nase, denn die aufgeworfene hohe
-Schanze ist doch das größte Knochenstück in unsrem Gesicht. Curiosität
-halber, liebe Muhme, probiren wir einmal, ob wir uns wohl einen
-vetterlichen Kuß geben können. -- Nein, pur unmöglich, die weit
-ausgestreckten Vorgebirge rasseln gleich aneinander, und schließen unsre
-demüthigen Lippen von jeder sanften Begrüßung aus. Man müßte mit beiden
-Fäusten die edlen Römernasen seitwärts zwängen. So. Laßt nicht
-abschnappen, Frau Muhme, ich möchte eine Ohrfeige kriegen, daß mir die
-letzten Zähne ausfielen.
-
-Unter herzlichem Lachen rief die Alte: Ei! so fröhlich bin ich lange
-nicht gewesen. Was wollte man denn von Euch da draußen, Vetter?
-
-Was? schrie der Kleine: mich ansehn, sich über mich freuen, weiter
-nichts. Ist der Mensch nicht, werthgeschätzte Frau Muhme, eine ganz
-dumme Figur? Hier in Rom sind nun seit Monaten Hunderttausende
-versammelt, ihrem Erlöser zu Ehren, so wie sie vorgeben, und ihre Sünden
-abzubüßen, und, so wie ich nur aus dem Fenster kucke (ich bin erst seit
-vorgestern hier), sei es auch nur in der Schlafmütze, oder gar mit
-ganzer Figur und in meinem besten Anzuge auf den Markt hinaus trete, so
-müßte man doch schwören, daß das ganze Gezeug bloß meinetwegen von allen
-Ecken Europa's ausgezogen sei, so kucken, äugeln, forschen, fragen sie,
-lachen und freuen sich. Reich, so scheint es, könnte ich werden, wenn
-ich mich die Zeit hier für Geld wollte sehen lassen, und wenn ich ihnen
-nun einmal umsonst die Freude mache, so schreit und lärmt das dumme Volk
-hinter mir drein. Eine Meerkatze, Affen oder Seehunde zu beschauen,
-müßten sie sich in Unkosten setzen, und statt meine Großmuth ruhig und
-wie gesetzte Leute zu genießen, tobt und schimpft der Pöbel um mich her,
-und sucht alle Ekelnamen aus der Naturgeschichte zusammen, um seine
-krasse Ignoranz an den Tag zu geben.
-
-Ja wohl, ja wohl, seufzte die Alte: es geht mir nicht besser. Sind die
-Thiere wohl so dumm? Da mag einer Nase, Augen und Kinn nach Gutdünken
-haben, und es geht ihm ruhig hin.
-
-Seht nur die sonst einfältigen Fische an, fuhr Beresynth fort, welche
-philosophische Toleranz! Und unter denen sind manche Kerle doch ganz
-Schnauze, und halten den Forschern der Tiefe eine Physiognomie entgegen,
-ernst, kalt, ruhig im Bewußtsein ihrer Originalität, und umher krümmelt
-und wimmelt es von andren seltsamen Angesichtern, Kiefern, Zähnen,
-vorgequollnen Augen und von frappantem Ausdruck aller Art, aber ruhig
-und still wandelt jedes Ungeheuer dort seinen Gang, ungeschoren und
-unmolestirt. Nur der Mensch ist so thöricht, daß er über das
-Nebengeschöpf lacht und spottet.
-
-Und worauf, sagte die Alte, läuft denn nun der mächtige Unterschied
-hinaus? Ich habe doch noch keine Nase gesehn, die nur eine einzige Elle
-lang wäre, ein Zoll, höchstens zwei, kaum drei ist der Unterschied
-zwischen der sogenannten Mißgeburt und dem, was sie Schönheit nennen.
-Und auf den Höcker zu kommen. Wenn er im Bett nicht manchmal unbequem
-wäre, nicht wahr, so ist er eigentlich viel angenehmer, als so ein
-dummer, gerader Rücken, wo sich bei manchem großgewachsenen Schlingel
-die langweilige gerade Linie, ohne Verzierung und Schnörkel, bis ins
-Unermeßliche hinauf erstreckt.
-
-Recht habt Ihr, Frau Muhme, rief der schon trunkne Beresynth der
-Trunknen entgegen. Was macht denn die Natur, wenn sie solche gerade
-Katze, solche sogenannte Schönheit von der Töpferscheibe laufen läßt?
-Das ist ja kaum der Mühe werth, die Arbeit nur anzufangen. Aber solche
-Kabinetstücke, wie wir, da kann die schaffende Kraft, oder das
-Naturprinzip, oder Weltgeist, oder wie man das Ding nennen will, doch
-mit einer gewissen Beruhigung und Befriedigung seine Produktion
-anschauen. Das rundet sich doch, das bricht in merkwürdige Ecken aus,
-das zackt sich wie Korallen, springt hervor in Kristallen, formirt sich
-wie Basalt, und rennt und springt und hüpfelt in allen Linien um unsern
-Körper. Wir, Base, sind die verzognen, verhätschelten Kinder der
-Formation, und darum ist der Pöbel der Natur auch so boshaft und
-neidisch auf uns. Das schlanke miserable Wesen gränzt an den kläglichen
-Aal, da ist keine Auferbauung. Von der dummen Figur zur Seespinne ist
-schon sehr weit, und wie fern dann Meerkalb, wie übertreffen wir dieses,
-so wie den Seestern, Krebs und Hummer, getreuste Cousine, mit unsern
-Abnormitäten, die sich in keine Rechnung bringen lassen. -- Wo habt Ihr
-nur die herrlichen beiden Zähne her? Diese unvergleichlichen Mordanten
-figuriren so recht schwarz und düster in der tiefsinnigen Fugirung Eures
-unergründlichen Mundes.
-
-O Schäker, o Schmeichler, lachte die Alte, aber Euer liebes Kinn, das
-sich so huldreich und dienstfertig hervordrängt und tischartig umbeugt.
-Könntet Ihr nicht einen ziemlichen Teller bequem darauf setzen, und von
-ihm ungestört mit den Lippen herunter naschen, indessen Eure Hände
-anderswo Arbeit suchten? Das nenne ich ökonomische Einrichtung.
-
-Wir wollen uns nicht durch Lobeserhebungen verderben, sagte der Zwerg,
-sind wir ja doch schon auf unsre Vorzüge eitel genug, die wir uns nicht
-selbst gegeben haben.
-
-Ihr habt Recht, sagte sie, aber, was treibt Ihr, Vetter? Wo lebt Ihr?
-
-Kurios genug, antwortete Beresynth, bald hier, bald dort, wie ein
-Vagabund; jetzt aber will ich mich zur Ruhe setzen, und da ich hörte,
-daß noch eine nahe Verwandte von mir lebte, so wollte ich die aufsuchen,
-und sie bitten, mit mir zu ziehn. So komm ich zu Euch. In meiner Jugend
-war ich Apotheker in Calabrien, da jagten sie mich fort, weil sie
-meinten, ich fabrizire Liebespulver. Du liebe Zeit! als wenn es deren
-noch bedürfte. Dann war ich einmal Schneider, es hieß, ich stöhle zu
-arg; als Pastetenbäcker wieder die Beschuldigung, daß ich Katzen und
-Hunden nachstellte. Ich wollte Mönch werden, aber kein Kloster wollte
-mich einlassen. Als Doctor sollt' ich verbrannt werden, denn sie
-sprachen gar von Hexerei. Ich wurde gelehrt; schrieb, dichtete, das Volk
-meinte, ich lästre Gott und die Christenheit. Nach vielen Jahren kam ich
-zum weltberühmten Pietro Apone, und wurde dessen Famulus, nachher
-Eremit, und was nicht Alles; am besten, daß ich in jedem Stande Geld
-gemacht und zurückgelegt habe, so daß ich meine alten Tage ohne Noth und
-Sorge beschließen kann. -- Und Ihr, Muhme, Eure Geschichte?
-
-Wie die Eurige, antwortete die Base: man wird immer unschuldig verfolgt.
-Ich habe etlichemal am Pranger stehn müssen, aus einigen Ländern bin ich
-verwiesen, sie wollten mich unter andern auch verbrennen: es hieß, ich
-hexte, ich stöhle Kinder, ich verzauberte die Leute, ich kochte Gift.
-
-Nicht wahr, sagte Beresynth treuherzig, es war auch etwas an diesem
-Gerede? Ich muß es wenigstens von mir bekennen, und vielleicht liegt es
-in der Familie, daß ich manche dem ähnliche Künste getrieben habe. Zarte
-Freundin, wer einmal vom lieben Hexen ein Bischen weg hat, der kann es
-nachher Zeitlebens nicht wieder lassen. Das Ding ist wie mit dem
-Weintrinken. Einmal den Geschmack gewonnen, und Zunge, Kehle, Gaumen, ja
-Lung und Leber lassen von dem Dinge nicht wieder los.
-
-Ihr seid ein Menschenkenner, lieber Vetter, sagte die Alte mit
-selbstgefälligem Lächeln. So etwas Mord und Hexerei, Gift und Diebstahl
-läuft auch beim Unschuldigsten mit unter. Das Kuppeln hat mir nie
-einschlagen wollen. Und was soll man sagen, wenn man an eignen Kindern
-Undank und Unheil erlebt? Meine Tochter, die nun gesehn hat, wie ich
-Hunger und Kummer leiden muß, wie ich mir an meinem alten Munde
-absparte, um sie nur schön in Kleidung zu setzen, die ungerathne Dirne
-hat sich nie von mir erweichen lassen, auch nur einen Groschen zu
-verdienen. Früher konnte sie gute Heirathen treffen: Ildefons, Andrea
-und noch einige andere tapfere Männer, die unser ganzes Haus und sie mit
-erhielten; da brauchte sie den armseligen Vorwand, daß die Herren Räuber
-und Mörder wären, denen sie ihr Herz verschließen müsse. Die Männer
-waren so großmüthig, daß sie sich wirklich die Dirne wollten antrauen
-lassen, aber die dumme Jugend hat weder Verstand noch Tugend. Nun ruhen
-sie im Grabe, die vorzüglichen Männer, und sind auf eine schnöde Art
-umgekommen. Doch das rührt sie so wenig, wie mein Kummer und Elend, so
-daß sie nicht drein willigen mochte, mit einem jungen reichen vornehmen
-Herrn, dem Neffen eines Cardinals, zu leben, der unsre ganze Stube mit
-Gold überziehen konnte. Weggelaufen ist die einfältige Dirne, und man
-will sie mir gar nicht wieder ausliefern. So werden heut zu Tage die
-Eltern verachtet.
-
-Laßt sie laufen, die Verächtliche, sagte Beresynth, wir wollen ohne sie
-schon glücklich miteinander leben, denn unsre Neigungen und Gemüther
-sind sich gleich.
-
-Warum aber weglaufen, sagte die Alte, wie eine ungetreue, geprügelte
-Katze? Wir hätten uns ja wie Liebende, wie vernünftige Wesen trennen
-können. Es fand sich gewiß Gelegenheit, die bleichsüchtige Dirne
-vortheilhaft zu verkaufen, an Alt oder an Jung, und das hätte auch wohl
-gelingen können, wenn sie sich nicht einen einfältigen jungen Burschen
-ins Herz geschlossen hätte, den sie liebt, wie sie sagt.
-
-O hört auf, schrie Beresynth, taumelnd, und schon halb im Schlaf, wenn
-Ihr von Liebe sprecht, Base, so verfalle ich in so konvulsivisches
-Lachen, daß ich mich in drei Tagen nicht wieder erhole. Liebe! das dumme
-Wort hat meinem berühmten Meister Pietro den Hals gebrochen. Ohne den
-Taranteltanz säße die große Habichtsnase noch als Professor auf seinem
-Katheder, und kraute die jungen Gänse mit Philosophie und Tiefsinn an
-ihren dummen Köpfen, die ihm die Gelbschnäbel entgegen reckten. Ja, ja,
-Alte, das Affenthum von Liebe und platonischer Seelentrunkenheit hätte
-uns beiden, Euch und mir, nur noch gefehlt, um die Wunderthat unsrer
-heroischen Existenz vollständig zu machen. -- Nun lebt wohl, Alte,
-morgen in der Nacht um diese Zeit hole ich Euch ab, und dann trennen wir
-uns nie wieder.
-
-Vetter, sagte Pankrazia, auf Wiedersehn. Seit Ihr zu mir eingetreten
-seid, bin ich ein ganz andres Wesen geworden. Wir wollen in Zukunft eine
-herrliche Haushaltung führen.
-
-Haben wir unser Jubeljahr doch nun auch gefeiert, lallte Beresynth, der
-schon auf der Straße stand, und in dunkler Nacht nach seiner Wohnung
-taumelte.
-
- * * * * *
-
-Antonio hatte indessen den alten Ambrosio und dessen Gattin schon darauf
-vorbereitet, daß er gewiß jene widerwärtige Alte, und so auch deren
-Tochter Crescentia wieder auffinden würde. Die Mutter glaubte ihm gern,
-aber der Vater blieb bei seinen Zweifeln. Noch vor Sonnenuntergang begab
-sich der Jüngling mit seinem Freunde wieder zum weisen Castalio. Dieser
-kam ihnen schon lächelnd entgegen und sagte: Hier, Antonio, nehmt dieses
-Blatt, Ihr findet auf ihm verzeichnet, in welcher Gasse, in welchem
-Hause Ihr jene Unholdin antreffen werdet. Wenn Ihr sie aufgefunden habt,
-werdet Ihr an meiner Wissenschaft nicht mehr zweifeln.
-
-Schon jetzt bin ich überzeugt, sagte Antonio, ich war es schon gestern.
-Ihr seid der weiseste der Sterblichen, und werdet mich durch Eure Kunst
-zum glücklichsten machen. Ich gehe, die böse Alte aufzusuchen, und wenn
-Crescentia nicht gestorben, oder verloren ist, so führe ich sie in die
-Arme ihrer Eltern.
-
-Bewegt und voller Erwartung wollte er sich eilig entfernen, er hatte
-schon den Drücker der Thür in der Hand, als sich ein leises ängstliches
-Klopfen draußen ankündigte, von einem heisern Husten und Scharren der
-Füße begleitet. Wer ist da? rief Castalio, und da die Freunde öffneten,
-trat Beresynth herein, der sich gleich in die Mitte des Zimmers stellte,
-und unter vielen fratzenhaften Verbeugungen, so wie Verzerrungen des
-Gesichtes dem weisen Manne seine Dienste anbot.
-
-Wer seid Ihr? rief Castalio, der sich verfärbt hatte und mit blassem
-Angesicht einige Schritte zurückgewichen war.
-
-Ein Bösewicht ist der Verruchte! rief Antonio, ein Zauberer, den wir der
-Inquisition überliefern müssen, der verruchte Beresynth selbst ist es,
-dessen Namen Ihr, verehrter Mann, schon kennt, und von dem ich Euch
-erzählt habe.
-
-Meint Ihr, junges Blut? sagte Beresynth mit dem Ausdruck der tiefsten
-Verachtung. Mit Euch, ihr Kinder, habe ich nichts zu schaffen. Kennt Ihr
-mich nicht? rief er zu Castalio gewendet, und könnt auch meine Dienste
-nicht brauchen?
-
-Wie sollt ich? sagte Castalio mit ungewisser Stimme, ich habe Euch nie
-gesehn. Entfernt Euch, ich muß Eure Dienste ablehnen. In meinem kleinen
-Hause bedarf ich keines fremden Wesens.
-
-Beresynth ging mit großen Schritten auf und ab. Also, Ihr kennt mich
-nicht? Kann seyn; man verändert sich manchmal, denn der Mensch bleibt
-nicht in seiner Blüthe. Doch, mein' ich, sollte man mich nicht so bald
-vergessen, oder mit andern verwechseln, wie so manchen glatten, fein
-gemalten, unbedeutenden Tropfen. -- Und ihr, indem er sich zu den jungen
-Leuten wendete, kennt wohl jenen Weisheitsfinder auch nicht?
-
-O ja, sagte Antonio, er ist unser Freund, der treffliche Castalio.
-
-Da erhub der Kleine ein so ungeheures Lachen, daß Wände und Fenster des
-Zimmers erklirrten und wiederhallten. Castalio! Castalio! schrie er wie
-besessen; warum nicht auch Aganippe oder Hippokrene? Also, ihr habt den
-Brill vor den Augen, mit Kalbsblicken schaut eure Seele aus dem runden
-Kürbis eurer Köpfe dumm heraus? Reibt euch die Nase, und seht und
-erkennt doch euren verehrten Pietro von Abano, den großen
-Tausendkünstler aus Padua!
-
-Derjenige, der sich Castalio nannte, war wie ohnmächtig in einen Sessel
-gesunken, sein Zittern war so heftig, daß alle Glieder seines Körpers
-flogen, die Muskeln seines Antlitzes bebten so gewaltsam, daß kein Zug
-in ihm wahrzunehmen war, und nachdem die jungen Leute dies einige Zeit
-staunend betrachtet hatten, glaubten sie mit Entsetzen wahrzunehmen, daß
-aus den sich verwirrenden Lineamenten die alte Bildung des bekannten
-greisen Apone hervorstiege. Laut schreiend erhub sich der Zauberer vom
-Sessel, ballte die Fäuste und schäumte mit dem Munde, er schien in
-seiner Wuth riesengroß. Nun ja, brüllte er im Donnerton, ich bin es,
-jener Pietro, und Du, Knecht, verdirbst mir jetzt mein Spiel, jene junge
-Brut dort auf einem neuen Wege zu vernichten. Was willst Du, Wurm, von
-mir, der ich, Dein Meister, Dich nicht mehr anerkenne? Zitterst Du nicht
-in allen Gebeinen vor meiner Rache und Strafe?
-
-Beresynth erhub wieder jenes schallende, entsetzliche Gelächter. Strafe?
-Rache? wiederholte er grinsend; Dummkopf ohne Gleichen! Mußt Du denn
-jetzt erst merken, daß Dir diese Sprache zu mir nicht geziemt? Daß Du,
-Gaukler, Dich vor mir im Staube krümmen mußt? daß ein Blick meines
-Auges, ein Griff meines erznen Armes Dich zerschmettert, Du erdgebornes
-Larvenspiel elender Künste, die nur ich gelingen ließ?
-
-Ein Scheusal stand im Saal. Seine Augen sprühten Feuer, seine Arme
-dehnten sich wie zwei Adlerschwingen aus, das Haupt berührte die Decke;
-Pietro lag winselnd und heulend zu seinen Füßen. Ich war es, fuhr der
-Dämon fort, der Deine arme Gaukelei beförderte, der die Menschen
-täuschte, der den Frevel durch meine Macht erschuf. Du tratst mich mit
-Füßen, ich war Dein Hohn, Deine hochmüthige Weisheit triumphirte ob
-meinem Blödsinn. Nun bin ich Dein Herr! Jetzt folgst Du mir als mein
-leibeigner Knecht in mein Gebiet. -- Entfernt euch, ihr Elenden! rief er
-den Jünglingen zu, was wir noch verhandeln, geziemt euch nicht zu
-schauen! Und ein ungeheurer Donnerschlag erschütterte das Haus in seinen
-Tiefen, geblendet, entsetzt stürzten Antonio und Alfonso hinaus, ihre
-Knie wankten, ihre Zähne klappten. Ohne zu wissen wie, befanden sie sich
-wieder auf der Straße, sie flüchteten in einen nahen Tempel, denn eine
-heulende Windsbraut erhob sich mit Donner und Blitzen, und die Wohnung,
-als sie hinter sich sahen, brannte in zerfallenen Trümmern, zwei dunkle
-Schatten schwebten über dem Brande, kämpfend, so schien es, und sich in
-Verschlingungen hin und her werfend und ringend, Geheul der Verzweiflung
-und lautes Lachen des Hohnes erklangen abwechselnd zwischen den Pausen
-des lautrasenden Sturmwinds.
-
- * * * * *
-
-Erst nach langer Zeit konnte sich Antonio so viel sammeln, daß er stark
-genug war, nach der gegebenen Anweisung das Haus der Alten aufzusuchen.
-Er fand sie geschmückt und sie rief ihm frohlockend entgegen: ei!
-Florentiner! seid Ihr auch einmal wieder da?
-
-Wo ist Eure Tochter? fragte Antonio, zitternd vor Eil.
-
-Wenn Ihr sie jetzt haben wollt, sagte die Alte, so will ich sie Euch
-nicht vorenthalten. Aber bezahlen müßt Ihr rechtschaffen für sie, oder
-der Podesta von Padua, wenn er noch lebt, denn sie ist sein Kind, das
-ich ihm damals gestohlen habe, weil mir die Herren Markoni ein
-ansehnliches Stück Geld dafür gönnten.
-
-Wenn Ihr es beweisen könnt, sagte der Jüngling, so fordert.
-
-Beweise, so viel Ihr wollt, rief die Alte, Windeln mit Wappen, Kleider
-von damals, ein Maal auf der rechten Schulter, was ja die Mutter am
-besten kennen muß. Aber auch Briefe von den Markonis sollt Ihr haben,
-Schriften vom Podesta selbst, die ich damals in der Eile mit wegfischte.
-Alles, nur Geld muß da seyn.
-
-Antonio zahlte ihr alles Gold, was er bei sich trug, und gab ihr noch
-die Edelsteine, die Hut und Kleidung schmückten, Perlen und eine goldne
-Kette. Sie strich alles lächelnd ein, indem sie sagte: wundert Euch
-nicht, daß ich so eilfertig und leicht zu befriedigen bin. Die Dirne ist
-mir weggelaufen, weil sie keinen Liebhaber wollte, und steckt im
-Nonnenkloster bei der Trajanssäule, die Aebtissin hat sie mir nicht
-herausgeben wollen, aber meldet Euch nur dort, das junge Blut wird Euch
-von selbst in die Arme springen, denn es träumt und denkt nur von Euch,
-so habt Ihr ihr thörichtes Herz bezaubert, daß sie seit jener Nacht, der
-Ihr Euch wohl noch erinnern werdet, kein vernünftiges Wort mehr
-gesprochen hat, daß sie weder Liebhaber noch Mann mehr leiden konnte.
-Froh bin ich, daß ich sie so los werde, ich gehe mit einem vornehmen
-Vetter, Herrn Beresynth, der mich eigen dazu aufgesucht hat, noch heut
-Nacht auf seine Güter. Lebt wohl, junger Narr, und seid mit Eurer
-Crescentia glücklich.
-
-Antonio nahm alle Briefschaften, die Kleidungen des Kindes, alle Beweise
-ihrer Geburt. In der Thür begegnete ihm schon jener Furchtbare, der sich
-Beresynth nannte. Er eilte, und war so leichten Herzens, so beflügelt,
-daß er den Sturm hinter sich nicht vernahm, der die Gegend zu verwüsten
-und die Häuser aus ihren Gründungen zu heben drohte.
-
-Bei nächtlicher Weile untersuchten die überglücklichen Eltern die
-Briefe, und diese, so wie die Kleider überzeugten sie, daß diese zweite
-Crescentia ihr Kind sei, die Zwillingsschwester jener gestorbenen, die
-sie in der Taufe damals Cäcilie genannt hatten. Der Vater holte am
-Morgen das schöne bleiche Mädchen aus dem Kloster, die sich wie im
-Himmel fühlte, edlen Eltern anzugehören, und einen Jüngling, der sie
-anbetete, wieder gefunden zu haben, dem sie in jener Nacht auf ewig ihr
-ganzes Herz hatte schenken müssen.
-
-Rom sprach einige Zeit von den beiden Unglücklichen, welche das Gewitter
-erschlagen hatte, und Ambrosio lebte nachher mit seiner Gattin, der
-wieder gefundenen Tochter und seinem Eidam Antonio in der Nähe von
-Neapel. Der Jüngling verschmerzte im Glück der Liebe die Leiden seiner
-Jugend, und an Kindern und Enkeln trösteten sich die Eltern über den
-Verlust der schönen und innig geliebten Crescentia.
-
-
-
-
-Anmerkungen zur Transkription
-
-
-Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
-Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
-gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind,
-wurden ^so^ markiert.
-
-Die variierende Schreibweise des Originales wurde weitgehend
-beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert,
-teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben, wie hier aufgeführt
-(vorher/nachher):
-
- [S. 11]:
- ... Gesprächen zu und wünschte sowie die Andern über ungesalzene ...
- ... Gesprächen zu und wünschte so wie die Andern über ungesalzene ...
-
- [S. 16]:
- ... in dieseir Hinsicht so vieles zu verbessern ist. ...
- ... in dieser Hinsicht so vieles zu verbessern ist. ...
-
- [S. 16]:
- ... Schon n der Nähe des freundlichen Thorschreibers fielen ...
- ... Schon in der Nähe des freundlichen Thorschreibers fielen ...
-
- [S. 57]:
- ... hatte, hielt, nachdem viel über die Fortschritte in ...
- ... hatten, hielt, nachdem viel über die Fortschritte in ...
-
- [S. 102]:
- ... verließen sie die Chausse, um auf schlechten Wegen nach dem ...
- ... verließen sie die Chaussee, um auf schlechten Wegen nach dem ...
-
- [S. 124]:
- ... Stücke, die gespielt wurden. Sie waren so origiginell, ...
- ... Stücke, die gespielt wurden. Sie waren so originell, ...
-
- [S. 131]:
- ... selsam zu seyn glaubt, die Stellen nachweisen, die er nur ...
- ... seltsam zu seyn glaubt, die Stellen nachweisen, die er nur ...
-
- [S. 148]:
- ... Eulen und Fledermäuse gehören, mit meiner Nachwelt, die ...
- ... Eulen und Fledermäuse gehören, mit meiner Nachtwelt, die ...
-
- [S. 149]:
- ... und zukneifend, und sucht aus und wählt, hebt auf und
- registirt, ...
- ... und zukneifend, und sucht aus und wählt, hebt auf und
- registrirt, ...
-
- [S. 221]:
- ... kommen, denn Schmaling war zu sehr von Ehrfurch durchdrungen, ...
- ... kommen, denn Schmaling war zu sehr von Ehrfurcht
- durchdrungen, ...
-
- [S. 243]:
- ... zu denen ihn aber der forschende Graf in künstlichen
- Wendnngen ...
- ... zu denen ihn aber der forschende Graf in künstlichen
- Wendungen ...
-
- [S. 254]:
- ... Freigeist und Uebervernünftigen so mit beiden Beiden in die ...
- ... Freigeist und Uebervernünftigen so mit beiden Beinen in die ...
-
- [S. 279]:
- ... Verbindungen nicht, und wußte eben so wnig, wie diese jetzt ...
- ... Verbindungen nicht, und wußte eben so wenig, wie diese jetzt ...
-
- [S. 317]:
- ... flehenden Blick für ihre Mutter ein, daß se n Zorn entwaffnet ...
- ... flehenden Blick für ihre Mutter ein, daß sein Zorn entwaffnet ...
-
- [S. 354]:
- ... der Erde dorthin zogen, zu zersteuen, und seinen Freund ...
- ... der Erde dorthin zogen, zu zerstreuen, und seinen Freund ...
-
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Schriften 23: Novellen 7, by Ludwig Tieck
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 23: NOVELLEN 7 ***
-
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-<title>The Project Gutenberg eBook of Schriften 23: Novellen 7, by Ludwig Tieck</title>
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-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Schriften 23: Novellen 7, by Ludwig Tieck
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Schriften 23: Novellen 7
- Eine Sommerreise / Die Wundersüchtigen / Pietro von Abano
-
-Author: Ludwig Tieck
-
-Release Date: December 18, 2015 [EBook #50714]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 23: NOVELLEN 7 ***
-
-
-
-
-Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski,
-and the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<div class="titlematter">
-<p class="ser">
-<span class="line1">Ludwig Tieck&rsquo;s</span><br />
-<span class="line2">Schriften.</span>
-</p>
-
-<p class="vol">
-Dreiundzwanzigster Band.
-</p>
-
-<h1 class="title">
-Novellen.
-</h1>
-
-<p class="pub">
-Berlin,<br />
-Druck und Verlag von Georg Reimer.<br />
-1853.
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="titlematter">
-<p class="ser">
-<span class="line1">Ludwig Tieck&rsquo;s</span><br />
-<span class="line2">gesammelte Novellen.</span>
-</p>
-
-<p class="ed">
-Vollständige auf&rsquo;s Neue durchgesehene Ausgabe.
-</p>
-
-<p class="vol">
-Siebenter Band.
-</p>
-
-<p class="pub">
-Berlin,<br />
-Druck und Verlag von Georg Reimer.<br />
-1853.
-</p>
-
-</div>
-
-<h2 class="part" id="part-1">
-<span class="line1">Inhalt.</span>
-</h2>
-
-<div class="table">
-<table class="toc" summary="TOC">
-<tbody>
- <tr>
- <td class="col1">&nbsp;</td>
- <td class="col_page">Seite</td>
- </tr>
- <tr>
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- <tr>
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- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Pietro von Abano</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-295">295</a></td>
- </tr>
-</tbody>
-</table>
-</div>
-
-<p class="tit">
-<a id="page-1" class="pagenum" title="1"></a>
-<span class="line1">Ludwig Tieck&rsquo;s</span><br />
-<span class="line2">gesammelte Novellen.</span><br />
-<span class="line3">Siebenter Band.</span>
-</p>
-
-<h2 class="part" id="part-2">
-<a id="page-3" class="pagenum" title="3"></a>
-<span class="line1">Eine Sommerreise.</span><br />
-<span class="line2">1834.</span>
-</h2>
-
-<h3 class="chapter" id="chapter-2-1">
-<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a>
-Einleitung.
-</h3>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">U</span>nter abwechselnden Vorfällen und Erfahrungen, die
-sich mir im Lauf meines Lebens auf Reisen oder beim längeren
-Aufenthalt in fremden Städten aufdrängten, ist mir
-die Erinnerung so mancher Bekanntschaften erfreulich, so
-manche Beobachtung lehrreich und ich kann es nicht unterlassen,
-Einiges davon mitzutheilen, welches vielleicht manche
-befreundete Gemüther auf anmuthige Weise anregt.
-</p>
-
-<p>
-Schon manches Jahr ist verflossen, seit mir einige interessante
-Tagebücher und Briefe in die Hände geriethen,
-die mir um so bedeutender wurden, als ich die Verfasser
-derselben späterhin im Verlauf der Zeiten in ganz veränderten
-Verhältnissen und mit umgewandelten Gesinnungen wiedersah.
-Jetzt sind die Theilnehmer an nachfolgender kleinen
-Begebenheit gestorben oder nach fernen Gegenden gezogen, so
-daß es harmlos erscheint, Dasjenige mitzutheilen, was ich
-<a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a>
-früher schon für vertraute Freunde aus jenen Tagebüchern
-und Briefen ausgezogen habe. Die Erzählung ist aus
-Schriften der drei Hauptpersonen verarbeitet und wird, der
-Deutlichkeit wegen, mehr wie einmal durch die eigenen Worte
-der erscheinenden Personen unterbrochen werden.
-</p>
-
-<h3 class="chapter" id="chapter-2-2">
-<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
-Walther von Reineck an den Grafen Bilizki in
-Warschau.
-</h3>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">V</span>on Deiner schönen Cousine, die ich damals leider
-nur einmal sah, habe ich bisher noch nichts in Erfahrung
-bringen mögen. Und sehr begreiflich, da ich erst in Franken,
-oder gar in der Nähe des Rheins, wie ich es ja weiß, Kundige
-finde, die mir von ihren Schicksalen und ihrer seltsamen
-Flucht etwas mittheilen können. Sollte ich das schöne Bild
-selbst irgendwo wiedersehn? Wenn ich nur wenigstens ihn
-finde, der sie zu dieser Uebereilung verleitet hat, welche sie
-Dir entriß, um an ihm die Rache zu nehmen, die ich Dir
-versprach, so wenig Du sie auch gefordert hast. Ich weiß
-es, daß ich zu hitzig bin; indessen Du bist beschäftigt, im
-Dienst des Staates, gehörst Deiner kranken Mutter, und ich
-bin müßig und frei genug, um diesen Sommer mich umzutreiben,
-zu sehn oder zu gaffen, zu lernen oder zu vergessen,
-und mir dabei einzubilden, ich thue Dir und der Menschheit
-einen großen Dienst, indem ich einen andern Müßiggänger
-aufsuche, um ihn zur Rechenschaft zu ziehn.
-</p>
-
-<p>
-Bis jetzt hat das Wetter mich sehr begünstigt. Und
-eine interessante Bekanntschaft habe ich auch schon gemacht.
-Ich war queer durch das traurige Land gereiset, zwischen den
-Städten Frankfurt an der Oder und Crossen hindurch, weil
-<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a>
-ich in Balkow, einem Dorfe, meine Freundschaft mit der Familie
-Tauenzien erneuen wollte, die Du auch kennst, weil die
-vortreffliche Frau aus Warschau gebürtig ist. Hier herum
-ist eine seltsame Landesart und fast wilde Einsamkeit, beinah
-so wie in Polen. So kommt man denn durch abgelegene
-Wege, immer durch Wald bis an die Oder, wo den Reisenden,
-an sumpfiger Stelle, die Kretschem genannt, eine Fähre
-übersetzt. Hier fand ich zu meinem Erstaunen einen eleganten
-Wagen und einen jungen höflichen Mann, welcher ebenfalls
-die Fähre erwartete, welche auf wiederholtes Rufen
-auch schon herübersteuerte. Der junge Mann hatte jenen
-dunkeln, tiefsinnigen Blick, den ich an Männern wie an
-Frauen liebe, und so kam ich seiner Freundlichkeit mit Wohlwollen
-entgegen, und wir behandelten uns nach einigen Minuten,
-als wenn wir alte Bekannte wären. Er sagte mir,
-diese sumpfige Stelle wäre im Frühling und Herbst ziemlich
-gefährlich, weil die Fähre nicht ganz nahe kommen könne
-und der Wagen alsdann tief im Wasser fahre. Ich lernte
-daraus, daß er hier herum bekannt seyn müsse. Und so erfuhr
-ich es denn auch, als wir auf der Fähre neben einander
-standen: er ist lange in Ziebingen und Madlitz gewesen,
-zweien Gütern, die der Finkenstein&rsquo;schen Familie gehören.
-Von dieser Familie, den Töchtern wie den Eltern, spricht
-er wie ein Begeisterter. Der Vater, der Präsident Graf
-Finkenstein, ist der Sohn des berühmten Staatsministers
-und der Präsident selbst ist in der Geschichte, durch jenen
-vielbesprochenen Arnold&rsquo;schen Proceß, nicht unbekannt, in welchem
-er sich als einen wackern und höchst rechtlichen wie unerschrockenen
-Mann zeigte. &bdquo;Wer in dieser Familie, rief
-mein neuer Bekannter aus, eine Weile gelebt hat, der kann
-sich rühmen, die echte Humanität und Urbanität, das Leben
-in seiner schönsten Erscheinung kennen gelernt zu haben. Die
-<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
-Mutter, eine würdige Matrone, ist die Freundlichkeit selbst,
-in ihrer Nähe muß jedem wohl werden, der ein echter Mensch
-ist. Begeisternd, aber freilich weniger sicher ist die Gesellschaft
-der drei schönen und edeln Töchter. Die zweite ernst,
-die dritte muthwillig und froh und die älteste graziös und
-lieblich, erscheinen sie, im Gesange vereinigt, wie das Chor
-der Himmlischen. Vorzüglich die Stimme dieser älteren
-Schwester ist der reinste, vollste und auch höchste Sopran,
-den ich jemals vernommen habe. Wäre sie nicht als Gräfin
-geboren, so würde sie den Namen auch der berühmtesten
-Sängerinnen verdunkeln. Hört man diese Henriette die großen
-leidenschaftlichen Arien unsers musikalischen Sophokles,
-des einzigen Gluck, vortragen, so hat man das Höchste erlebt
-und genossen. Oft verherrlicht noch ein großer Musikkenner,
-der Minister Voß, die Gesellschaft, und durch seine
-Vermittlung und aus der Sammlung dieses vortrefflichen
-Mannes haben die Töchter große Sachen von Jomelli, ältere
-von Durante, Leo, Lotti und Allegri, einige höchst seltene
-vom alten Palestrina und dessen Zeitgenossen erhalten,
-und diese erhabenen Kirchengesänge werden in dieser Familie
-so vorgetragen, wie man es vielleicht kaum in Rom so rein
-und großartig vernimmt. Der Vater, nachdem er seine Geschäfte
-und juristische Laufbahn aufgegeben hat, bewirthschaftet
-seine Güter und hat mit malerischem Sinn für Natur
-in Madlitz einen der schönsten Gärten angelegt und ausgeführt,
-der uns einfach und ohne Prätension die Herrlichkeit
-der Bäume und Pflanzen zeigt und an hundert anmuthigen
-Plätzen zum poetischen Sinnen und phantasiereichen Träumen
-einladet. Dieser Mann studirt und übersetzt den Theokrit
-und Virgil&rsquo;s Eklogen, so wie einige Gedichte Pindar&rsquo;s.
-Er kennt, was noch so vielen Poesiefreunden eine geheimnißvolle
-Gegend ist, viele alt-deutsche Gesänge und weiß das
-<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a>
-erhabene Epos der Nibelungen fast auswendig. So oft ich
-in diesem Kreise war, bin ich besser und unterrichteter aus
-ihm geschieden.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Aus dieser begeisternden Rede schloß ich, daß mein neuer
-Bekannter der Liebe sehr zugeneigt, in diesem selben Augenblick
-wohl schon ein Verliebter sei, daß er wohl auch Anlage
-zum Dichter besitze. Er heißt Ferdinand von Erlenbach
-und reiset mit noch weniger Absicht als ich in die weite
-Welt hinein. Wir werden wenigstens bis Dresden beisammenbleiben,
-er sendet auch von hier, von Guben, seinen Wagen
-zurück, und wir haben in diesem Städtchen eine Chaise
-bis Dresden gemiethet.
-</p>
-
-<p>
-Nach vielfachen Gesprächen, in welchen sich der enthusiastische
-Charakter meines neuen Freundes noch mehr entwickelte,
-kamen wir, nachdem unsre Kutscher sich ohne Noth
-im Fichtenwalde verirrt hatten, gegen Abend in dem Städtchen
-Guben an, welches für die hiesige Landesart eine ganz
-leidliche Lage hat. Er, der Aufgeregte, ist bei dem schönen
-Wetter noch nach dem Vogelschießen, auf der Wiese draußen,
-zu dieser Bürgerlustbarkeit hinausgegangen. Ich habe keinen
-Sinn für dergleichen poetische Prosa. Das Knallen der
-Büchsen, diese Gespräche beim Bier, der Pfahlwitz dieser
-Schützen, Alles dies kann weder meine Neugierde noch mein
-Behagen erregen. Er reizt sich aber auf, um dergleichen
-aus Willkür interessant zu finden; will wohl auch die Menschen
-studiren. Auch denkt er einen Jugendfreund aufzusuchen,
-den er seit vielen Jahren nicht gesehn, der sich hier
-angekauft und verheirathet hat. Ich zog vor zu essen, zu
-trinken und Dir diesen flüchtigen Brief zu schreiben. Gedenke
-Deines treuen Walthers.
-</p>
-
-<p class="dateend">
-Guben, den 15. Junius 1803.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
-Ferdinand war in der That bis zum Abend beim Scheibenschießen.
-Er liebte dergleichen Volksfeste fast übermäßig
-und seine Phantasie, wenn er gleich nicht mehr in der ersten
-Jugend war, überzog die Gegenwart, die Andern dürr und
-finster erschien, mit einem glänzenden Firniß. Trotz seinem
-Nachforschen wollte es ihm aber nicht gelingen, seinen Schulfreund
-Wachtel anzutreffen. Die Schützen bedeuteten ihm
-auch, daß dieser nicht zu ihrer Gilde gehöre. In der Vorstadt,
-wo das ziemlich große Haus seines Freundes gelegen
-war, traf er ihn ebenfalls nicht. Er spazierte also halb verdrossen
-in der Gegend umher und vernahm aus der Ferne
-die Schüsse, die nach der Scheibe zielten, dann begab er sich
-wieder in das zerstreuende Geräusch, hörte hier und dort den
-Gesprächen zu und wünschte <a id="corr-0"></a>so wie die Andern über ungesalzene
-Geschichten oder Familienspäße lachen zu können. So
-ward es Abend und finster und er war immer noch zu verdrossen,
-um nach dem Gasthofe in der Stadt zurückzugehen,
-und sein Lager aufzusuchen.
-</p>
-
-<p>
-Schon entfernten sich nach und nach die Schützen mit
-ihren Frauen und Kindern, ein anmuthig erfrischender Wind
-strich beruhigend über das Gefilde und die Sterne traten
-heller und bestimmter aus der dunkelblauen Wölbung; Ferdinand,
-der gern in der Nacht umherwandelte, war fast entschlossen,
-im Freien zu bleiben. Da hörte er im nahen Gebüsch
-wie ein Klagen, Seufzen und Schelten durch die Stille
-des Abends, und als er näher trat, bot sich ihm eine Scene
-wie von Teniers und Ostade dar, die zu seinen süßen Träumen
-gar nicht passen wollte. Ein trunkener Mann lag auf
-dem grünen Rasen und eine Frau, die bald ermahnte, bald
-wehklagte, bestrebte sich, ihn, indem sie ihn am Arme hielt,
-emporzurichten. Sie freute sich, als ein anderer Mann ihr
-nahte, weil sie in ihrer Angst dessen Hülfe sogleich in Anspruch
-<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
-nahm, um den Besinnungslosen nach Hause schaffen
-zu können. Indem Ferdinand den Betäubten aufzurichten
-suchte, erzählte die Frau, wie der Gatte auf einem Kindtaufschmause
-beim Amtmann des nahen Dorfes immerdar gelacht
-und getrunken, so christlich sie ihn auch ermahnt habe;
-mehr vom Gelächter noch als Wein berauscht, sei er auf dem
-Rückwege zur Stadt, indem auf dieser Stelle erst seine
-Krankheit sich vollständig gezeigt habe, hier schlafend und wie
-todt niedergesunken. Lachend und weinend stemmte sich die
-Frau, durch Ferdinand&rsquo;s kraftvolle Unterstützung sichrer gemacht,
-bis Beide durch richtig angewendete Hebelkraft den
-Ehemann aufrecht gestellt hatten. Beschämt und gerührt
-fühlte sich Ferdinand, der schon seit einiger Zeit im Lallenden
-und Ohnmächtigen seinen humoristischen Freund Wachtel
-wieder erkannt hatte. Er war nur darüber froh, daß jener
-Walther, der neue Bekannte, bei dieser Nichterkennungsscene
-nicht zugegen war, da er ihm von diesem Herrlichen
-so viel Gutes und Schönes erzählt hatte, das ihm selber
-jetzt als Unwahrheit erschien. Die beiden Hülfreichen führten
-nicht ohne Mühe und Anstrengung den Unbeholfenen in
-sein Haus, und Ferdinand entfernte sich in der höchsten Verstimmung.
-Er durchstreifte wieder die Landschaft und erfreute
-sich der lieblichen Sommernacht, die warm und doch
-erfrischend, labend und milde nach dem heißen Tage auf
-den Feldern und Wäldern webte. Die Lichter des Städtchens
-erloschen nach und nach, und seinen Lebenslauf übersinnend,
-kam der Träumende nach einer Stunde zurück, um
-seinen Gasthof aufzusuchen. Er mußte vor dem Hause des
-trunkenen Freundes vorüber, und als er in die Nähe desselben
-kam, vernahm er deutlich Wachtel&rsquo;s Stimme. Er war
-unten in einer großen Stube zur ebenen Erde und alle Fenster
-standen, der Sommerwärme wegen, offen. Ferdinand
-<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
-kam leise näher und unterschied in der Dämmerung seinen
-Freund, der ruhig neben seiner Frau saß und so in seiner
-gemessenen Rede fortfuhr: &mdash; denn alle Weisheit ist nur
-Stückwerk, und alle Tugend nichts als Flickwerk. Ich betheure
-Dir, ich war nicht betrunken, wie Du Dir einzubilden
-scheinst, sondern nur etwas anders, als gewöhnlich, gestimmt;
-auch war ich nicht abwesend oder gar besinnungslos,
-wie Du behaupten möchtest, sondern mein Geist schwärmte
-nur in andern Regionen und war eben mit der Lösung der
-tiefsinnigsten Probleme beschäftigt. So geht es mir ja oft,
-daß auf meinem Zimmer sich beim Buch oder im Nachdenken
-mein Geist in hohen Genüssen ergeht, und ich Dich ebenfalls
-alsdann nicht oder meinen Gevatter Wendling bemerke.
-Was nun die Behauptung betrifft, Du selbst habest mich
-nebst einem ganz fremden Manne, unwissend meiner selbst,
-hieher in mein Häuslein geschleppt, &mdash; so ist das nichts weiter,
-als was mir und Dir alle Tage geschieht, wenn wir im
-Wagen sitzen, über dieses und jenes anmuthig genug discurriren
-und weder wissen noch bedenken mögen, ob weiße
-oder schwarze Pferde uns von der Stelle bewegen. Contrair
-zeigt es nur von einem geringen Sinne, sich um diese
-Nebendinge allzuängstlich zu kümmern; und wie würdest Du
-selbst mich verachten, wenn ich in einer schönen Landschaft,
-an welcher sich Dein Auge ergötzte, Dich immer wieder auf
-die Schimmel und den rothnasigen Fuhrmann aufmerksam
-machen wollte. Also, nicht einseitig abgeurtheilt, liebe Gattin.
-Wären wir nicht so schnell stillgestanden, was Du selbst
-verlangtest, um zu verschnaufen, wie Du Dich ausdrücktest,
-so wäre ich dort am Abhang nicht in die Knie und alsbald
-mit dem ganzen Leichnam hinab gesunken oder geschurrt;
-denn Beine und Schenkel und alle jene Muskeln, welche
-zum Wandeln in Bewegung gesetzt werden müssen, thaten
-<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a>
-ihre Schuldigkeit ganz leidlich, Wille und Vollstreckung immerdar
-im Takt, Eins zwei, Eins zwei; &mdash; nun aber die
-plötzliche Hemmung &mdash; das war den Sehnen, Muskeln, Gebeinen,
-und wie sie Namen haben mögen, ganz unerwartet
-wie ein Blitzschlag; &mdash; die Geister, die schon Reißaus genommen
-hatten und in Indien und Calekut schwärmten,
-vergaßen von ihrer interessanten Pilgerschaft zurückzukommen,
-der Wille lauerte vergeblich auf Befehl, und die Sehnen und
-Muskeln, die schon lange des langweiligen Takttretens müde
-waren, fielen ohne von Willen und Geistbefehl und jenem
-hartherzigen Bewußtsein tyrannisirt zu werden, zusammen
-und blieben liegen. Sieh, Schatz, dies ist die pragmatische
-Geschichte jenes von Dir mißverstandenen Vorfalls.
-</p>
-
-<p>
-Ganz gut, sagte die Frau, aber ich weiß, was ich weiß,
-Du kannst mir meine Sinne nicht abdisputiren. Vor acht
-Tagen sagtest Du wieder, wenn ich Dich unterwegs nur eine
-einzige Minute hätte ausruhen lassen, so wärst Du hier in
-der Stube nicht so hingeschlagen, daß es Dir zwei Tage im
-Kopfe brummte.
-</p>
-
-<p>
-Richtig, mein Kind, erwiederte der Gatte, mein Genius
-brummte und knurrte damals lange aus Verdruß, daß man
-auf seine Weisung nicht gemerkt hatte. Denn ich war mit
-Bewußtsein dazumal überfüllt, es waren zu viele Lebensgeister
-gegenwärtig und ein Ueberschwang von Gedanken, philosophischen
-Begriffen und tiefsinniger Nüchternheit quälte mich;
-so war denn nicht Ein Wille bloß meinem Gehn und den
-Beinen zu Gebot, sondern wohl zehn Willenskräfte hantirten
-in mir und zankten gleichsam mit den Lebensgeistern und der
-obersten Hauptseele oder dem wahren Ich. Du sahst auch, wie
-die Beine zu schnell liefen, wie ich mit den Händen haspelte
-und gestikulirte, die in Wandelsbegeisterung auch Beine zu seyn
-strebten. Hätte ich nun etwas im Freien geruht, so konnte die
-<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
-Hauptseele so ein Dutzend Lebensgeister nach allen Richtungen
-fortsenden, mein zu starkes Bewußtsein wurde vernünftig
-und gemäßigt, und ich fiel nachher aus pur übertriebener
-Nüchternheit nicht hier auf den Fußboden hin. &mdash; Aber noch
-schlimmer, daß Du mich bei der fremden Dame, die seit
-gestern bei uns logirt und morgen, oder vielmehr heut, oder
-vielmehrest übermorgen, das heißt, da jetzt Mitternacht vorüber
-ist, eigentlich morgen früh abreisen will, in so schlechten
-Ruf gebracht hast, als wenn ich ein Trunkenbold wäre.
-Sieh, mein Engel, das fremde gutherzige Frauenzimmer reiset
-nun in alle Welt und hängt mir in den allerentferntesten
-Ländern einen Schandfleck an, und macht mir so in Gegenden
-einen bösen Namen, wo ich noch nicht einmal einen guten
-oder gleichgültigen Ruf errungen habe; es ist sogar
-möglich, ich werde da schon im voraus lächerlich, wo man
-mich noch gar nicht kennt; denn Verleumdung findet weit
-leichter als Verehrung eine Herberge und Wohnung in der
-Brust der mannichfach redenden Menschen.
-</p>
-
-<p>
-Er ist also auch in der Ehe unverbesserlich geblieben,
-dachte der erzürnte Ferdinand und ging in die Stadt. Es
-war ihm in seiner Verstimmung unmöglich, sich jetzt seinem
-ehemaligen Freunde zu erkennen zu geben.
-</p>
-
-<p>
-In einem nicht gar bequemen Fuhrwerke verließen die
-Reisenden Guben und zogen langsam durch die Steppen und
-Fichtenwälder jener Gegend der wendischen Lausitz. Sie
-übernachteten in Wermsdorf und waren erfreut, bei Königsbrück
-eine grünere und freundlichere Natur zu finden. Ein
-schöner, voller und dichter Tannenhain, mit vielen alten Bäumen,
-von schönen Buchen und Birken erhellt, empfing sie
-nachher, und gegen Abend sahen sie von einer Waldhöhe
-herab in seiner ganzen Schönheit am anmuthig gewundenen
-Strom das liebliche Dresden vor sich liegen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
-Ich war schon oft in dieser Stadt, sagte Ferdinand,
-und doch bleibt mir der Anblick dieser Gegend immer neu.
-Die Hügel, die sanften Thäler umher, der schöne Strom,
-das Grün und die Waldpartien, Alles ist zierlich und ergötzlich
-zu nennen. Erhaben, ernst, feierlich ist diese Natur
-nicht und wir hören hier keine jener Stimmen, die das Ohr
-unsers Geistes wohl in Gebirgen vernimmt. Darum hat
-diese Gegend so recht eigentlich etwas Wohnliches, Behagliches,
-daß Jedem hier wohl wird, der eines Umganges mit
-der Natur fähig ist.
-</p>
-
-<p>
-Sollten das nicht alle Menschen seyn? fragte Walther.
-</p>
-
-<p>
-Ich zweifle sehr, erwiederte jener: suchen so viele nicht
-und vermissen in freundlichen Ebenen den Reiz der Gebirge?
-Entbehren nicht viele schmerzlich in schöner Abgelegenheit den
-Wirrwarr der großen Städte?
-</p>
-
-<p>
-Das gehört auch, erwiederte Walther, zu den Erfreulichkeiten
-Sachsens und dieser Residenz, daß man sich frei
-fühlt, nicht von Mauth und deren Dienern grob und stürmisch
-angefahren und genirt wird; daß keine Habgier die
-Bestechung wie einen Tribut erwartet. Das bildet einen
-starken Abstich gegen das große benachbarte Land, in welchem
-in <a id="corr-1"></a>dieser Hinsicht so vieles zu verbessern ist.
-</p>
-
-<p>
-Schon <a id="corr-2"></a>in der Nähe des freundlichen Thorschreibers fielen
-diese Reden vor und die Reisenden stiegen müde vor
-dem Gasthause, der goldene Engel, ab, in welchem sie Erquickung
-und gute Bewirthung fanden.
-</p>
-
-<h3 class="chapter" id="chapter-2-3">
-<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
-Walther von Reineck an den Grafen Bilizki.
-</h3>
-
-<p class="date">
-Dresden, den 19. Juni 1803.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Man sagt mir hier, die Familie Ensen sei in Karlsbad,
-und dahin werde ich also vorerst mit meinem Schwärmer
-meinen Zug richten, weil ich hoffen kann, von diesen
-Leuten, welche alle Verhältnisse so genau kannten, von der
-schönen Maschinka, oder ihrem Entführer etwas zu erfahren.
-Ferdinand, wie ich ihn der Abkürzung wegen nennen will,
-führte mich sogleich zu einem wackern Schwaben, einem Maler
-Hartmann hin, so wie zu einem sehr poetischen eigenthümlichen
-Landschaftmaler, Friedrich, aus Schwedisch-Pommern
-gebürtig. Diese wahrhaft wunderbare Natur hat mich
-heftig ergriffen, wenn mir gleich Vieles in seinem Wesen
-dunkel geblieben ist. Jene religiöse Stimmung und Aufreizung,
-die seit kurzem unsre deutsche Welt wieder auf eigenthümliche
-Weise zu beleben scheint, eine feierliche Wehmuth
-sucht er feinsinnig in landschaftlichen Vorwürfen auszudrücken
-und anzudeuten. Dieses Bestreben findet viele Freunde und
-Bewunderer, und, was noch mehr zu begreifen ist, viele Gegner.
-Historie, und noch mehr viele Kirchenbilder haben sich
-wie oft ganz in Symbolik oder Allegorie aufgelöset, und die
-Landschaft scheint mehr dazu gemacht, ein sinnendes Träumen,
-ein Wohlbehagen, oder Freude an der nachgeahmten
-Wirklichkeit, an die sich von selbst ein anmuthiges Sehnen
-und Phantasiren knüpft, hervorzurufen. Friedrich strebt dagegen
-mehr, ein bestimmtes Gefühl, eine wirkliche Anschauung,
-und in dieser festgestellte Gedanken und Begriffe zu erzeugen,
-die mit jener Wehmuth und Feierlichkeit aufgehn und eins
-werden. So versucht er also in Licht und Schatten belebte
-und erstorbene Natur, Schnee und Wasser, und eben so in der
-<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
-Staffage Allegorie und Symbolik einzuführen, ja gewissermaßen
-die Landschaft, die uns immer als ein so unbestimmter
-Vorwurf, als Traum und Willkür erschien, über Geschichte
-und Legende durch die bestimmte Deutlichkeit der
-Begriffe und der Absichtlichkeit in der Phantasie zu erheben.
-Dies Streben ist neu, und es ist zu verwundern, wie viel
-er mehr wie einmal mit wenigen Mitteln erreicht hat. So
-meldet sich bei uns in Poesie und Kunst, wie in der Philosophie
-und Geschichte, ein neues Frühlingsleben. Ganz ähnlich,
-und vielleicht noch tiefsinniger, strebte ein Freund, der
-erst seit kurzem von hier in sein Vaterland, Pommern (auch
-das schwedische), zurückgekehrt ist, die phantastisch spielende
-Arabeske zu einem philosophischen, religiösen Kunstausdruck
-zu erziehn. Dieser lebenskräftige Runge hat in seinen Tageszeiten,
-die bald in Kupferstichen erscheinen werden, etwas so
-Originelles und Neues hervorgebracht, daß es leichter ist,
-über diese vier merkwürdigen Blätter ein Buch zu schreiben,
-als über sie in Kürze etwas Genügendes zu sagen. Es
-war eine Freude, diesen gesunden Menschen diese Zeichnungen
-selbst erklären zu hören, und zu vernehmen, was er Alles
-dabei gedacht. Ich suchte ihn im vorigen Jahr, als ich
-mich auch hier befand, darauf aufmerksam zu machen, daß
-er, besonders in den Randzeichnungen, die die Hauptgestalten
-umgeben, mehr wie einmal aus dem Symbol und der
-Allegorie in die zu willkürliche Bezeichnung, in die Hieroglyphe
-gefallen sei. Der bittre Saft, der aus der Aloe
-trieft, die Rittersporn, die im Deutschen durch Zufall so
-heißen, können nicht im Bilde an sich Leiden, Reue oder
-Tapferkeit und Muth andeuten. So ist in diesen Bildern
-manches, was Runge wohl nur allein versteht, und es ist
-zu fürchten, daß bei seiner verbindenden reichen Phantasie
-er noch tiefer in das Gebiet der Willkür geräth und er die
-<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
-Erscheinung selbst als solche zu sehr vernachlässigen möchte.
-In derselben Gefahr befindet sich auch wohl Friedrich. Ist
-es nicht sonderbar, daß gerade die Zeit, die mehr Phantasie
-entwickelt, als die vorigen Menschenalter, zugleich im Phantastischen
-und Wunder mehr Bedeutung, Vernunft und äußere
-und innere Beziehung finden will, als früher die Menschen
-von jenen Productionen der Künste verlangten, die doch gewissermaßen
-ganz aus der Verständigkeit hervorgegangen
-waren? Man sieht aber wieder, wie Ein Geist immerdar
-sich im Zeitalter in vielen Gegenden und Gemüthern meldet.
-Die Novalis auch nicht kennen oder verstehn, sind doch
-mit ihm verwandt. War es denn auch so zur Zeit des
-Dante? So weit ich jene Jahre kenne, entdecke ich dort
-diese Verwandtschaft nicht. Dieser große Prophet hat in
-seinem Geheimniß dieses Streben, Sache und Deutung,
-Wirklichkeit und Allegorie immerdar in Eins zu wandeln,
-auf das mächtigste aufgefaßt. Ihn verstehn und fühlen setzt
-voraus und fordert eine große poetische Schöpferkraft; mit
-dem gewöhnlichen Auffassen ist hier nichts gewonnen. Soll
-man sich aber selbst so loben? Im Briefe vielleicht. Und
-doch gemahnt es mich, als sei dies kein Lob. Nur Geweihte
-sollen Dante&rsquo;s Gedicht lesen. Es ist ja keine Bürger- und
-Menschenpflicht.
-</p>
-
-<p>
-Sonderbar, daß viele Menschen, die mit Recht sich etwas
-darauf einbilden, daß sie Runge&rsquo;s und Friedrich&rsquo;s Bemühungen
-nicht abweisen, weil ihr Poesiesinn den Schöpfungen
-entgegenkommt, doch die tiefsinnige und ebenso liebliche Symbolik
-und Allegorie in Correggio&rsquo;s einzigen Werken nicht fühlen
-und anerkennen. Wer nichts als den Maler in ihm
-sieht, der mit Lichteffekten spielt, mag nicht gescholten werden,
-wenn er mehr als einen Niederländer höher stellt.
-Runge selbst war immer von diesem großen Dichter auf das
-<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
-tiefste ergriffen, und es ließ sich mit diesem hochbegabten
-deutschen Jünglinge über diese Gegenstände sehr anmuthig
-sprechen und schwärmen. Freilich merke ich wohl, daß ich,
-gegen meinen Begleiter Ferdinand gehalten, mich noch sehr
-prosaisch ausnehme.
-</p>
-
-<p>
-Wir standen vor Rafael&rsquo;s sogenannter Sixtinischen
-Madonna. Es ist schwer, von einem so ewigen, ganz vollendeten
-Werke etwas Bedeutendes zu sagen, und um so
-schwerer, je öfter und weitläuftiger schon begeisterte Bewunderer
-oder forschende Kenner sich darüber haben vernehmen
-lassen.
-</p>
-
-<p>
-Kein Werk, darin kommen alle überein, ist von Rafael
-so leicht, mit so weniger Farbe, so weniger Ausführung gemalt.
-Es hat darüber, weil es wohl rasch gefördert ist, fast
-den Charakter eines Freskobildes; in Hinsicht der Einfachheit,
-Erhabenheit, steht es vielleicht, wenn man einmal unterordnen
-will, allen Arbeiten dieses größten Malers voran.
-Es kommt mir vor, als wenn diese sublime Erscheinung jene
-Ausführlichkeit so vieler anderer Meisterwerke nicht zuließe.
-Denn wie eine Erscheinung wirkt dieses Kunstwerk. Es ist
-sehr zu tadeln, daß man es so nachlässig eingerahmt hat;
-denn oben ist vielleicht eine Handbreit oder mehr umwickelt,
-wodurch die grünen Vorhänge und der obere lichte Raum
-verkürzt sind. Denkt man sich dieses jetzt Mangelnde hinzu,
-so schwebt die Gestalt der Maria, sowie des Sixtus und der
-Barbara noch deutlicher, noch mehr und lebendiger herab.
-Die Vision der drei Heiligen steigt in die Kirche selbst hernieder,
-sie erscheint über dem Altar, und Maria bewegt sich
-im Niederschweben mit dem ernsten Kinde in den Armen
-zugleich vor. Diese doppelte Bewegung erklärt den Flug
-des Schleiers, sowie das Zurückstreben des blauen Gewandes;
-der verklärte Papst, im brünstigen Gebet, ist gleich in
-<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
-dieser knieenden Anbetung und Stellung gewesen. Die heilige
-Barbara stand der Mutter Gottes nahe, doch geblendet
-von der Majestät und fast erschreckt von den tiefsinnigen
-Augen des Kindes ist sie so eben in die Knie gesunken und
-wendet das Antlitz. Diese Verbindung der früheren und
-späteren Bewegung liebte Rafael, fast alle seine Bilder zeigen
-sie, und keiner hat ihn in dieser Kunst, auf diese Weise
-wahres Leben, Seele in die Stellungen und Gruppen zu
-bringen, jemals erreicht. Die Engel, als Herolde, sind schon
-früher angelangt, und stützen sich unten ruhend auf dem
-Altar selbst. Getrost, kindlich unbefangen erwarten sie die
-Heiligen, und der Tiefsinn der Kindheit contrastirt mit dem
-Angesicht Christi und dem strengen Ernst seiner Augen gar
-schön. Mir unbegreiflich, wie manche seyn wollende Kenner
-dieser Barbara etwas Weltliches oder gar Coquettes haben
-andichten wollen. Andre meinen, das Bild sei noch edler,
-wenn die Figur der Maria ohne alle Begleitung erschiene.
-Für wie Viele, und die doch gern mitsprechen, ist das Vollendete
-doch immerdar ein fest versiegeltes Buch, und eben
-darum, weil es vollendet ist. Die Mehrzahl der Menschen
-kann sich nur am Einzelnen entzücken. Ihr Streben, sowie
-sich ihnen in Kunst oder Poesie etwas Mächtiges und Schönes
-anbietet, ist, sogleich das Werk zu vereinzeln, um sich
-dieses und jenes, entweder mit Kälte oder Hitze anzueignen.
-Die Kalten sind die sogenannten Kenner, die oft mit solcher
-Wegwerfung diese oder jene Zufälligkeit oder eine Nebensache
-bewundern, daß man, ihren Reden nach, auf den Argwohn
-kommen müßte, es sei besser, wenn gar keine Kunst oder
-Poesie die Welt verwirre. Die Hitzigen versetzen sich zuweilen
-bis zu Thränen in eine ängstliche Leidenschaftlichkeit,
-um ja nur recht bestimmt etwas zu isoliren, irgend ein Schönes,
-das freilich sich wohl auch im Kunstwerke findet. Nur
-<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a>
-verdient dieses Einzelne erst das Lob, und kann nur verständig
-seyn, wenn es aus dem Innern des Werkes und seiner
-Totalität verstanden wird. Aber von dieser innern, nothwendigen
-Vollendung, wodurch erst ein Kunstwerk diesen Namen
-verdient, von dieser Ueberzeugung wollen die Eifernden
-wie die Besonnenen in der Regel nichts wissen; diesen Glauben
-erklären sie geradezu für Aberglauben. Sie können ein
-Werk nur bewundern, wenn sie es für eine Annäherung,
-aber freilich mangelhafte, zu jenem unsichtbaren, unfühlbaren
-und unbezeichneten Ideal halten, welches ihnen im chaotischen
-Nebel vorschwebt.
-</p>
-
-<p>
-Es ist merkwürdig, wie sich so oft die Extreme berühren.
-Diese Rafael&rsquo;sche Maria hätte vielleicht niemals copirt
-werden sollen und kein anderes Bild ist von Stümpern und
-geschickten Zeichnern so oft wiederholt worden. Den besten
-aber fehlt das geistige Auge, die wahre Gestalt der Maria
-wieder zu finden. Vielleicht wäre dem schaffenden Meister
-selbst keine Copie ganz gelungen. Am schlimmsten sind einige
-Oelbilder, bloß die ganze Figur der Maria, ausgefallen.
-Ich kenne welche, die aus dieser erhabenen Gestalt etwas
-Freches und Gemeines gemacht haben.
-</p>
-
-<p>
-Unser Entzücken vor dem Gemälde wurde auf eine sonderbare
-Art gestört und unterbrochen. Ein Mann in mittleren
-Jahren, mit einem scharfen Gesicht und einer etwas
-rothen Nase, kam mit stolperndem Gang und einem schreienden
-Ton auf uns zu, und schloß meinen verzückten Ferdinand,
-ob sich dieser gleich etwas sträubte, fast zu heftig in seine
-Arme. Er nannte sich Wachtel, kam von Guben herüber
-und hatte unsre Namen im Thorzettel gelesen. &bdquo;Ihr steht
-hier&ldquo;, rief er unmittelbar nach der Begrüßung, &bdquo;vor dem
-allercuriosesten Tableau, das der Mensch nur ersinnen kann.
-Es ist ohne Inhalt und stellt eigentlich gar nichts dar. Man
-<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
-kann sich aus den Abendwolken bessere Geschichten zusammensetzen.
-Wo kommen diese Creaturen her? Wo wollen sie
-hin? Warum blieben sie nicht, wo sie waren? Das kommt
-mir vor wie manche Menschen, die immer eine wichtige
-Miene machen und hinter diesem nachdenklichen Gesichte doch
-gar nichts denken. Der Zuschauer muß sich nun zwingen,
-noch weniger zu denken, und das nennt er dann eine erhabene
-Stimmung. Wie man beim Feuer, wenn es mächtig
-um sich greift, oft klug thut, zwei oder drei Häuser einzureißen,
-damit nicht hundert zu Grunde gehn, so sollte ein
-durchgreifender Menschenfreund, wie der Kalif Omar, einmal
-so ein tausend gepriesene Meisterwerke in den Ofen
-stecken, damit eine Kluft, ein leerer Raum entstünde, und
-diese Krankheit von unnützer Bewundrung, die immer weiter
-um sich greift, in sich erstickte, daß die armen Menschen einmal
-wieder frische Luft holten und zur Besinnung kämen.
-Was seht ihr z. B. auch dort an dem Tizianschen Christus
-mit der Münze? Ich habe einen Schacherjuden gekannt, der
-ganz wie dieser angebliche Heiland aussah. Diese Maler
-sind lustige, boshafte Kerle gewesen, und es ist zu verwundern,
-daß ihnen die Geistlichkeit nicht mehr auf die Finger
-klopfte. Die Satire, wie der Jude hier die Münze und den
-Versucher ansieht, wie die langen Finger so gern mit dem
-Geldstück eins werden möchten, ist doch allzusehr in die Augen
-fallend.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand, der mir vor einigen Tagen soviel Wunder
-und Schönes von diesem Jugendfreunde erzählt hatte, hätte
-aus der Haut fahren mögen und durfte doch den täppischen
-Gesellen nicht verleugnen. Er war aber dunkelroth vor
-Scham, denn noch kurz zuvor hatte er mir und den Umstehenden
-bewiesen, wie in diesem Bilde, &bdquo;Christus mit der
-Münze,&ldquo; sich Tizian, der nur selten erhaben sei, selber übertroffen
-<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
-habe. So sehr er sich wehrte, mußte er sich doch
-von seinem Freunde zu den Teniers und einigen andern niederländischen
-Bauernscenen schleppen lassen, wo dieser Wachtel
-sich unter lautem Lachen ganz glücklich und behaglich
-fühlte. &mdash;
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Nachdem Walther diesen Brief abgesendet hatte, kehrte
-er zu seinem Freunde Ferdinand zurück, den er im heftigen
-Wortwechsel mit Wachtel antraf. Was giebt es, fragte er,
-worüber man so laut streiten könnte? Wachtel nahm sogleich
-das Wort und erzählte mit großer Lebhaftigkeit: die Sache,
-werthgeschätzter Unbekannter, betrifft, kürzlich zu sagen, das
-Herz und die Liebe. Ich bin des Undankbaren ältester
-Freund, und er will es mir verwehren, hier mit ihm zu
-seyn und ihn nach Teplitz und Karlsbad zu begleiten. Ist
-das nicht reelle Undankbarkeit? Ich komme her, sehe ihn
-nach Jahren wieder, und will mein verdumpftes Herz in
-lichtender, frischer Liebe auslüften und durch heilsame Erschütterungen
-von Motten und allem unnützen Gespinste reinigen,
-und er will es mir verwehren, ihn zu begleiten, weil
-ich ihn, wie er vorgiebt, in seiner verstimmten Erhebung
-nur störe. Auch hat er, wie immer, allerhand von Geheimnissen,
-die ich ihm allzuroh und derb betasten, oder vielleicht
-gar erdrücken möchte, denn er liebt es, sich selbst zu verhätscheln,
-und doch hat der arme Schelm seine ganze Schwärmerei
-nur einzig und allein von mir gelernt, was er freilich
-jetzt, nach so manchen Jahren, nicht mehr Wort haben will.
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand mußte lachen und sagte: nun, so begleite
-mich denn, Freund Wunderlich, wenn jener Herr, mit welchem
-ich mich schon für einige Zeit versprochen habe, nichts
-gegen die Vermehrung der Gesellschaft hat. Walther schien
-<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
-über die neue Bekanntschaft erfreut, die ihm manche Aufheiterung
-versprach, und man nahm sogleich die Abrede, vorerst
-nach Teplitz zu reisen, um zu erfahren, wie man sich
-untereinander vertrüge.
-</p>
-
-<p>
-An einem trüben Tage reisete die Gesellschaft von
-Dresden ab, ziemlich spät, so sehr auch Ferdinand getrieben
-hatte, damit man noch zeitig in Teplitz anlangen könne.
-Der bequeme Walther aber, der es nicht in der Art hatte,
-Zeit und Stunde sehr zu beachten, hatte die Stunde versäumt.
-Die schöne Gegend bei Pirna, die anmuthige bei
-Gießhübel, die Waldpartien, die wechselnden Aussichten ergötzten
-alle. Auf der Grenze wurden die Reisenden, die
-nicht viel Gepäck mit sich führten, nur wenig aufgehalten.
-Der Weg bis zum Nollendorfer Berg hinauf war ermüdend
-und langweilig, denn schon in Peterswalde hatte sich ein
-dichter Nebel herabgesenkt, der jede Aussicht verdeckte. Oben
-auf dem höchsten Punkte des Berges von Nollendorf steht
-eine kleine Kirche. Hier stiegen die Reisenden aus, um, wo
-möglich, etwas von der Schönheit der Natur zu genießen.
-</p>
-
-<p>
-Der Wagen fuhr indessen das Thal hinunter, als die
-Naturbeobachter noch oben im dichten Nebel standen und
-kaum die nächsten Sträucher am Wege unterscheiden konnten.
-Wachtel sagte: Eigentlich, meine Freunde, ist dies, was wir
-hier nicht sehn, und indem wir nichts sehn, der erhabenste
-Anblick der Natur. Dies ist ein Bild vom alten uranfänglichen
-Chaos, welches der wundersame Großvater aller Formen
-und Gestaltungen war. Wir übereilen uns, wenn wir
-uns das Nichts als nichts denken wollen: was sich weder
-denken noch vorstellen läßt. Nein, so wie wir es hier
-vor uns sehen, ist das Nichts beschaffen. Alles, so weit
-man sieht und denkt, ein unreifer Brei, eine angehende Milch,
-ein blöder Lehrling für ein Sein. Wie Silhouetten-Gespenster
-<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
-dort die Bäume und Sträucher, eben nur zu errathen, Finsterniß
-in diesem bleichen Dunkel, dort ebenso die Wand der
-Kirche. Alles nur Räthsel: steht da, wie Aberglauben im
-Meere der Unvernunft. Wenden wir nun einmal dieses
-eingebräute Gleichniß vor uns auf unsre eignen Köpfe an,
-so &mdash; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Hier versagte dem Schwatzenden das Wort im Munde,
-denn einem Wunder gleich riß sich eine große breite Spalte
-in dem dichtgewundenen Nebel, und grünes Land, sonnenbeglänzter
-Wald lag unten, gegenüber funkelnde Berge im
-wachsenden Lichte. Kaum entdeckt, brachen links und rechts
-neue Klüfte im weißen Nebelmeer auf, und wie selige Inseln
-zeigten sich von allen Seiten Gebirg und Flur im spielenden
-Glanz des fluthenden Sonnenscheines, indessen noch
-dazwischen wie Wände oder Säulen die ineinandergeflochtenen
-Wolken alle Aussicht deckten. Nun entstand ein Kampf
-zwischen Licht und Dunkel: Alles wallte und zog hin und
-wieder. Die Wolken löseten sich in Streifen, die leichter
-und wolliger zerflossen und sich endlich in den Glanz verloren
-und untertauchten. So wurden von unsichtbarer Hand
-allgemach die Vorhänge weggehoben und das ganze Gebirge
-mit seinen schönen Formen lag weit ausgebreitet in allen
-Abstufungen des vollen und gemilderten Lichtes vor den
-Augen der entzückten Beschauer.
-</p>
-
-<p>
-Diese Landschaft, rief endlich Ferdinand aus, muß eine
-der schönsten in Deutschland seyn.
-</p>
-
-<p>
-Wie oft ich auch die Reise machte, sagte Walther, so
-habe ich doch niemals dieses überraschende Entzücken genossen,
-welches mich heut ergriffen hat. Wie herrlich wäre es, wenn
-der Elbstrom durch dieses Thal flösse, denn nur Wasser fehlt
-dieser lieblichen Natur.
-</p>
-
-<p>
-Sprechen wir nur nicht so, rief Wachtel aus, wie ich
-<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
-dergleichen schon so oft habe hören müssen. Ihr waret ja
-eben noch entzückt, Freunde, und schon fangt ihr an, Mangel
-zu empfinden, zu kritteln und zu kritisiren. Wie schön
-der Anblick eines gewundenen Stromes auch sei, wenn er
-wie ein belebender Geist hin durch die Landschaft glänzt, so
-paßt er doch nicht in jede Naturscene hinein. Hier, wo
-Alles lieblich, so einklingend ist, würde er mich nur stören:
-er höbe das Gefühl dieser behaglichen Einsamkeit gewissermaßen
-auf. Rhein, Neckar, Mosel und der schöne Theil
-der Elbe beherrschen die Gegend, durch welche sie strömen,
-prägen ihr den Flußcharakter auf; hier aber führen die schönen
-Gebirge unmittelbar selbst das Wort. Stören kann oft
-eine kahle, unbedeutend schroffe Wand, wenn sie zwischen
-den schönen Linien der Gebirge sich eindrängt, ein nackter
-Hügel, dem man die Waldung geraubt hat, eine wüste
-Sandfläche, die sich todtenbleich und krank zwischen lustiges,
-lebensvolles Grün der Fluren wirft, aber hier, Freunde,
-ist Alles so ganz und voll, daß euch nichts mangeln sollte.
-</p>
-
-<p>
-Sie stiegen jetzt beim schönsten Wetter den Berg hinab.
-Ein Fußpfad führte sie durch den Wald, aus welchem sie
-bald hier, bald dort wieder den freien Ausblick zu den Gebirgen
-hatten. Die Frühlingsvögel sangen nicht mehr, aber
-durch die feierliche Einsamkeit schrillten und zirpten die kleinen
-Vögelchen ihre einfachen kindischen Melodien.
-</p>
-
-<p>
-Sie trafen im Thale ihren Wagen wieder, aber die
-Abendsonne beschien die Kapelle oberhalb Culm und den
-Weingarten, auf welchem sie schimmerte, so einladend, daß
-die Uebrigen Walther&rsquo;s Vorschlage gerne folgten, noch zum
-Hügel hinaufzuklimmen, um den Untergang der Sonne von
-dort zu genießen. Die Freude an der Natur erzeugt oft,
-indem man in der Aufregung keine Ermüdung fühlt, eine
-Art von Rausch, welcher dann Mattigkeit und Ernüchterung
-<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a>
-herbeiführt, wenn man, wie beim Wein, die Sättigung zu
-lange hinausschiebt. So erging es den Reisenden. Die
-Sonne war untergesunken, sie stiegen in der Dämmerung
-hinab und hatten noch bis zum Nachtquartier einen ziemlich
-weiten Weg vor sich. Der Fuhrmann schmollte über die
-unnütze Verzögerung, um so mehr, da die Finsterniß, schnell
-wachsend, hereinbrach. Jetzt fühlten die Abentheurer obenein,
-daß sie, aus Freude an der Reise und weil sie spät
-von Dresden ausgefahren, das Mittagmahl versäumt hatten,
-und mit der zunehmenden Ermüdung und Dunkelheit
-wuchs in ihnen Hunger und verdrüßliche Stimmung. Es
-wurde völlig finster, so daß man die nächsten Gegenstände,
-selbst den Weg nicht mehr unterscheiden konnte, und der
-Fuhrmann, der der Gegend unkundig war, erklärte auf das
-Bestimmteste, daß er in dieser pechrabenschwarzen Nacht unmöglich
-schneller fahren könne, wenn er nicht sich und seine
-verehrten Herren der wahrscheinlichsten Lebensgefahr aussetzen
-wolle.
-</p>
-
-<p>
-Mühselig, verdrossen, langsam ging die Reise fort.
-Immer noch erschien Teplitz nicht, und Mitternacht war
-schon längst vorüber. Endlich ersahen die Verstimmten eine
-dunkle Masse, in welcher nur wenige Lichtpunkte flimmerten,
-vor sich. Der Kutscher fuhr seitwärts, wie es schien, um
-das Thor zu finden. Keine Antwort auf wiederholtes Rufen
-und Klopfen. Endlich hörte man von innen, daß dies die
-Wohnung des Küsters und der Eingang zum Kirchhof sei.
-Der Kutscher tastete herum und fand ein großes Gatterthor.
-Noch weniger ward hier auf das laute Klopfen und Schreien
-Rücksicht genommen. Es war vom Felde her der Eingang
-zum sogenannten Fürstenhause. Mühselig fand man sich in
-der trüben Finsterniß zum Thore und zur Töpferschenke hin.
-Hier schlief aber längst Alles. Ein Kellner und eine Küchenmagd
-<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
-erschienen endlich, nur halb erwacht. Der Wagen
-ward untergeschoben, die Zimmer schloß man auf. Die Aufwartenden
-verwunderten sich übermäßig, daß die Ankommenden
-noch zu speisen begehrten. Butter, Schinken und ein
-kaltes Huhn wurden, nach vielem Widerspruch, nebst einer
-Flasche Wein noch herbeigeschafft. Die Betten waren in
-Ordnung. Aus Mitleid ließ man die Aufwärter wieder
-schlafen gehen. Doch Walther bildete sich ein, er fröre
-und habe sich erkältet. Ein großes Kamin war im Zimmer,
-und Wachtel, der allenthalben die Augen hatte, entdeckte auf
-dem Gange einige Scheite Holz. Man versuchte ein Feuer
-zu machen, das anfangs hell brannte, bald aber das Zimmer
-mit Rauch anfüllte. Es ward entdeckt, daß das Kamin
-oben zugemauert, also nicht zu gebrauchen war. Die Uebermüden
-hatten viele Noth, bis sie den Rauch wieder durch
-die Fenster hinausgetrieben hatten. So, ungesättigt, matt,
-verdrossen und überreizt begaben sie sich auf ihr Lager, indem
-Wachtel noch behauptete, es sei nichts so mit Pein versalzen,
-als die Vergnügungen des Lebens.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<div class="poem">
- <p class="line">&mdash; Viel lieber durch Leiden</p>
- <p class="line">Möcht&rsquo; ich mich schlagen,</p>
- <p class="line">Als so viel Freuden</p>
- <p class="line">Des Lebens ertragen. &mdash;</p>
-</div>
-
-<p class="noindent">
-So sang am Morgen Wachtel mit lauter Stimme und
-erweckte die beiden schlafenden Freunde. Als Alle munter
-und angekleidet waren, erschien das Frühstück und mit ihm
-die Wirthin, die es entschuldigte, daß die Reisenden in der
-Nacht eine so schlechte Aufnahme gefunden hätten. In der
-Entschuldigung wegen des Rauches war ein gelinder Vorwurf
-eingehüllt, daß man sich ohne Anfrage zu willkührlich
-<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a>
-des Feuers bemächtigt habe. Bei der neuen Einrichtung,
-schloß die Frau, sollten diese Zimmer nur für den Sommer
-benutzt werden, und ich will diesen ungeschickten Kamin auch
-noch fortschaffen lassen, damit er nicht öfter Irrungen veranlaßt.
-</p>
-
-<p>
-Der Spaziergang nach Dorna ergötzte die Freunde,
-sie wandelten dann nach der Liebemay, einem anmuthigen
-Walde. Allenthalben erfreute der Anblick der Gebirge.
-</p>
-
-<p>
-Am folgenden Tage sollte ihr Kutscher sie nach Dux
-bringen, sie geriethen aber, da er des Weges unkundig war,
-nach Kloster Ossek. Auf dem Rückwege besahen sie Dux
-und die Andenken an den berühmten und berüchtigten Wallenstein,
-der seit einigen Jahren durch des edlen Schillers
-Gedicht für die deutsche Nation ein neues Interesse bekommen
-hatte.
-</p>
-
-<p>
-Die Bergstadt Graupen und ihre alte Kirche, die Ruine
-oben und die schöne Gegend nahmen den folgenden Tag in
-Anspruch. In der Kirche traf Walther zwei Damen aus
-Berlin, Mutter und Tochter, und sie beschlossen, die Spaziergänge
-in Gemeinschaft zu besuchen. Wir werden noch den
-jungen Herrn von Bärwalde hier sehen, den wir gestern in
-Bilin fanden, sagte die Mutter, einen jungen Mann, den
-wir im vorigen Winter kennen lernten. Ein bescheidenes,
-stilles Wesen, setzte die Tochter die Beschreibung fort, ich
-habe in meiner Vaterstadt, in Berlin, mit ihm getanzt: er
-war fast zu ernst und verschlossen und tanzte auch mit einer
-gewissen feierlichen Miene. Alles dies wurde still und fast
-ängstlich während des Gottesdienstes in der Kirche verhandelt,
-und so leise sie sprachen, sahen die andächtigen Böhmen
-doch mehr wie einmal drohend nach den Ketzern sich um.
-Plötzlich sprangen zwei junge, wohlgekleidete Leute durch die
-Thür der Kirche, stellten sich laut sprechend in die Mitte,
-<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
-den Rücken gegen den Altar und Priester gekehrt, und kritisirten
-die Gruppen der hölzernen Figuren, die gegenüber
-auf dem Chore einen Theil der Leidensgeschichte, kräftig und
-wild ausgearbeitet, darstellten, so wie man unten an der
-Seite durch gelbgefärbtes Glas in das Fegefeuer und die
-Qual der Sünder hineinsah; Alles auch ganze Figuren.
-Waren diese Gegenstände auch nicht der Kunst, vielleicht selbst
-der Kirche nicht ganz geziemend, so war das überlaute Gespräch
-und Lachen der Jünglinge ungezogen und so anstößig,
-daß die Damen, von den drei Reisenden begleitet, in großer
-Angst aus der Kirche flüchteten.
-</p>
-
-<p>
-Um des Himmels Willen! rief das junge Mädchen,
-indem sie die Höhe hinanstiegen, kennen Sie, liebe Mutter,
-den sanften, trocknen, zu bescheidenen Tänzer in diesem
-übermüthigen, affektirten Don Juan wieder?
-</p>
-
-<p>
-Ist Ihnen denn, werthes Fräulein, sagte Walther, dieser
-Ton der sogenannten feinern Welt noch unbekannt geblieben?
-Diese neumodischen ungezogenen Herren, die in
-Gesellschaften, im Schauspiel und in der Kirche sich lärmend
-und schreiend betragen, sind beim Tanze so steif und ehrbar,
-daß sie um Alles nicht lachen oder lächeln und ihre Tänzerin
-kaum noch mit einem finstern, halb abgekehrten Blicke ansehen.
-Auf dem Balle darf sich keine Spur von Fröhlichkeit
-zeigen, sie tanzen, als wenn sie zur Frohn arbeiteten, oder
-wie die Baugefangenen mit Schellen und Klötzen an den
-Beinen.
-</p>
-
-<p>
-Die Frauen hatten solche Furcht vor jenen beiden Jünglingen,
-daß sie in der Gesellschaft der Reisenden über Maria-Schein
-schnell nach Teplitz zurückkehrten. Nach dem Mittagsessen
-traf man sich auf dem Schloßberge wieder, von wo
-man am schönsten das ganze Thal von Teplitz übersieht,
-und Abends begab man sich in das kleine Theater.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
-Ein ächt deutsches Stück wurde gegeben: &bdquo;Der seltne
-Prozeß.&ldquo; Ein verarmter, rechtlicher, frommer und bibelfester
-Weber weiß seiner Noth kein Ende, um so weniger,
-da seine Frau ihn seit Kurzem mit Zwillingen beschenkt hat.
-Der Segen des Himmels, den beide dankbar anerkennen,
-drückt sie aber so zu Boden, daß nach langem Kampfe und
-vielem Schmerz sie sich entschließen, das eine Kind in der
-Nacht einem reichen Manne heimlich zu übergeben. Dieser
-aber hat in derselben Nacht schon ein Wickelkind erhalten, er
-läßt Acht geben, und als der Arme jetzt mit schwerem Herzen
-seinen Sohn dem Zufall und der Menschenliebe übergeben
-will, wird er ergriffen, gescholten und ihm, der nicht
-zu Worte kommt, das dritte Kind mit Gewalt in die Arme
-gelegt. Mit diesem Segen und Jammer befrachtet, muß er
-nach Hause gehen, und die Klagelieder der Frau kann sich
-Jeder denken. Indessen ist schon die unerwartete Hülfe nah.
-Eine Summe Geldes bringt der neue Ankömmling mit und
-ein Schreiben, daß für die Ernährung des Kindes reichlich
-soll gezahlt werden. Nun wird große Freude aus der Trauer.
-Aber der Reiche erfährt diese Entwickelung, er will das Kind
-sammt dem Gelde und der Verköstigung zurück haben, und
-so wird der seltne Prozeß vor Gericht geführt. Ein edler
-Advokat, der die Sache des armen Webers führt, weist sich
-endlich als der Vater des Findlings aus, und Alle werden
-am Schluß zufriedengestellt. Ein komischer Richter erheitert
-die Verhandlung.
-</p>
-
-<p>
-Es waren noch nicht viele Brunnengäste in Teplitz und
-darum, besonders bei dem schönen Wetter, das Theater sehr
-menschenleer. Eine hohe, edle Gestalt gab sich die Mühe, den
-Schauspielern und dem schlechten Stücke oft zu klatschen und
-sie durch lauten Beifall zu ermuntern. Walther erkannte,
-als sie nach dem Stücke noch den Garten besuchten, in ihm
-<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
-den berühmten witzigen Prinzen de Ligne, der hier meist den
-Sommer zubrachte. Als Walther ihm seine Begleiter vorgestellt
-hatte, erklärte der geistreiche Prinz, daß es ihm nicht
-darum zu thun sei, die gespielte Armseligkeit für etwas
-Gutes auszugeben, sondern es komme ihm nur darauf an,
-die armen Schauspieler etwas zu ermuthigen.
-</p>
-
-<p>
-Ist es nicht, fügte Walther hinzu, um diese ernsthaften
-Deutschen etwas Sonderbares! Wenn der heutige Schwank
-theatralisch gelten sollte, so müßte er eben als Schwank, als
-Posse vorgetragen werden. In diesem Sinne sah ich die
-Geschichte vor einigen Jahren in Rom spielen. Ein eigensinniger
-Misogyn jagt seinen Bedienten, Truffaldin, aus
-dem Dienst, weil er gehört hat, er sei verheirathet. In komischer
-Verzweiflung kommt der Spaßmacher nach Hause und
-findet die Zwillinge. Possierlicher Jammer der Aeltern, was
-anzufangen sei. Der Entschluß wird gefaßt, das Kind dem
-Findelhaus zu übergeben. Aber welches? Beide Kinder
-machen auf gleiche Liebe Anspruch. Man streitet, zankt,
-weint und lacht: der Zufall soll es entscheiden, und die Kinder
-werden wie Loose übereinandergerollt und Truffaldin
-greift blindlings hinein. Beim Findelhaus wird ihm aber
-der dritte Säugling nach einigen Schlägen, die er mitnehmen
-muß, aufgezwungen, und in dieser burlesken Art entwickelt
-sich, ohne Prozeß, so viel ich mich erinnern kann,
-das tolle Lustspiel. Die Italiener, die gerne lachen, hatten
-große Freude an dieser lustigen Parodie der Väterlichkeit
-und des menschlichen Elends, viele gesetzte Deutsche aber,
-die sich alle zu den guten und besten Köpfen rechneten, meistens
-Vornehme, die sich sonst nicht von der Moral geniren
-ließen, fanden den Spaß äußerst unsittlich und folgerten aus
-dem Lachen des unbefangenen Volks, das durch halbe Cultur
-noch nicht verdreht war, die tiefe Versunkenheit der Italiener,
-<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a>
-weil sie beim mindesten edeln Gefühl dergleichen Abscheulichkeit
-nicht würden dulden können.
-</p>
-
-<p>
-Das Albern-Sentimentale, fuhr Wachtel im Gespräch
-fort, diese Krankheit, die dem wahren Gefühle ganz entgegengesetzt
-ist, hat von je bei den Deutschen gütige Aufnahme
-gefunden. Doch sind die Franzosen in vielen ihrer
-Dramen und Romane auch nicht frei von dieser nervösen
-Hautkrankheit. Den schlimmsten Ausschlag hat wohl unser
-Kotzebue gehabt und gegeben. Hiob rieb sich in seinem
-Elend mit Scherben: wir gehn in die Komödie, um uns zu
-erleichtern. &bdquo;Der kratze sich, den es juckt,&ldquo; sagt Hamlet:
-das thun wir denn redlich.
-</p>
-
-<p>
-Der Fürst lachte und nach einigen Wechselreden trennte
-man sich, weil es schon spät geworden war. Von Karlsbad
-schrieb Walther folgenden Brief an seinen Freund nach
-Warschau.
-</p>
-
-<p class="date">
-Karlsbad, den 28. Junius 1803.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Die Familie Essen habe ich aufgesucht, so wie ich nur
-hieher kam. Aber ich weiß nichts Bestimmteres, da diese
-Leute, die etwas träge scheinen, selber keine nähern Nachrichten
-haben. Nur so viel scheint aus Allem hervorzugehen,
-daß der Entführer oder Verführer sich unter verschiedenen
-Namen herumgetrieben hat, und daß es deswegen um so
-schwieriger ist, ihm auf die Spur zu kommen. Nach Franken
-deuten die etwanigen unbestimmten Anzeigen. Ich muß
-es also fast dem Zufalle überlassen, ob ich ihn oder sie auf
-meiner seltsamen Pilgerfahrt antreffen werde. Man wird
-selber saumselig, wenn man sieht, wie wenig die Menschen
-sich ereifern, die die Sache doch auch, der Verwandtschaft
-wegen, interessirt.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
-Mein wunderbarer Reisegefährte Ferdinand wird mir
-um so lieber, je öfter ich mit ihm zanke, je weniger ich in
-eine von seinen seltsamen Meinungen eingehen kann. So
-wie man von Sachsen aus die böhmische Grenze betritt, ist
-Natur und Menschenstamm anders. Am auffallendsten aber
-ist das katholische Wesen, die Heiligenbilder und Crucifixe
-auf Wegen und Stegen, in Dörfern und Städten, abseits
-auf dem Felde, wo man nur hinsieht, begegnen dem Auge
-diese hölzernen und aus Stein gemeißelten Figuren, die
-meisten, wie sich von selbst versteht, widerwärtig, schroff,
-und die Gemälde und angestrichenen Passionsfiguren blutig
-und unannehmlich. Engel, die in Kelchen das Blut des
-Heilandes auffangen, das Antlitz des Erlösers beregnet von
-rothen Tropfen, Maria meist mit nußgroßen Thränen, und
-Alles, wie in der Kirche zu Graupen, darauf hingearbeitet,
-um Schauder und Grauen zu erregen.
-</p>
-
-<p>
-Als ich nun einmal darüber klagte, wie so Vieles in
-unserm Vaterlande, welches öffentlich aufgestellt wird, mehr
-dazu dient, die Barbarei zu befördern und das Auge zu
-verderben, anstatt den Sinn für Schönheit zu nähren und
-zu erhöhen, gerieth er in einen erhabenen Zorn und rief
-nach manchen Aeußerungen: Wüßten wir doch nur erst, was
-Schönheit ist und was wir so nennen sollen! Ist sie denn
-nicht so oft nur eine Verlarvung des Lebens und der Wahrheit?
-Auch die alten Griechen, uns Musterbilder im Schönfühlen,
-hegten vor jenen Klötzen und Unformen, die ihnen
-aus uralter, fast vorgeschichtlicher Zeit überkommen waren,
-eine heilige Ehrfurcht und Scheu, und die Frommen fühlten
-vor diesen Fratzenbildern in Ahndung und Erinnerung mehr,
-als vor jenen neuen, schöngeschnitzten Götterbildern. Die
-Süßlichkeit mancher neuen Maler oder Bildner, wenn sie
-den Heiland als einen Siegwart, oder empfindsamen verliebten
-<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a>
-Landprediger, oder im Akt des Brodbrechens als
-einen idealisirten Bäckergesellen darstellen, ist mir das Verhaßteste
-in allen Verirrungen unserer gefühlvollen Zeit. Das
-Leiden des Gottmenschen, die Geheimnisse unserer Religion,
-die Wehmuth, der Schreck unseres Innern, die uns von
-dieser dunkeln, zu nahen Erde in die himmlischen Regionen
-des Glaubens und Anschauens hinaufrücken sollen, können
-und dürfen anderer Natur seyn, als jene Bewegungen, die
-uns das Schöne erregt. Wo der Landmann seine Aecker
-überschaut, der wilde Jäger aus seinem Forst tritt, der
-fremde Wandersmann in den Bezirk kommt, sehen sie die
-Hinweisung auf Erlösung, Erbarmen, Mitleid und das
-Wunder des Ueberirdischen. Wird durch Fleiß und Thätigkeit,
-durch Tugend und Kraftanstrengung nicht immerdar
-etwas Geistig-Göttliches von der Qual und vom Tode erlöst?
-Geschieht nicht auch dieses in Arbeit und Mühe durch
-Schmerz und Aufopferung? Der Bettler empfängt in jedem
-Brodschnitt nicht nur die Milde des Gebers, sondern auch
-dessen Kampf und Schweiß. So weit diese Bilder hier in
-den frommen Gauen stehen, werfen sie ihre leuchtenden
-Strahlen segnend über die Aehren und die Früchte, über den
-jungen Wald, Bäche und Wege dahin, und Alles, so weit
-das Auge reicht, ist wie gesegnet und über den Tod und
-Fluch des Irdischen erhaben.
-</p>
-
-<p>
-Wir fuhren über Dux, Brixen und Saatz, wo wir
-Mittag machten. Der Abend und der schönste Sonnenuntergang
-traf uns auf der Höhe vor Engelhaus. Ich erinnere
-mich kaum, in meinem Leben etwas so Wundervolles
-in der Natur gesehen zu haben. Ferdinand, bei dem alle
-Gefühle leicht in Rührung übergehen, hatte Thränen in den
-Augen. Sie standen seinem hübschen blühenden Gesichte sehr
-gut, was mit daher rührt, weil der liebe Mensch von aller
-<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
-Affectation völlig frei ist. Was er nun sprach, war wirklich
-wie in Entzückung, und als wenn er eben einer Vision theilhaftig
-wäre.
-</p>
-
-<p>
-Kann man nicht diese Glut, diesen Purpurbrand und
-alle diese Röthen in ihren Abstufungen bis zum lichten Rosenschmelz,
-als Blut des Heilandes, vom Haupte strömend,
-aus der Seite, den Füßen und Händen fließend, anschauen?
-Sein Haupt, die Sonne, sinkt tiefer und tiefer hinab, der
-Nacht und dem Tode entgegen; nun ist die göttliche Scheibe
-verschwunden, und die Röthe gleitet ihr dunkler und farbloser
-nach. Er ist scheinbar todt, der göttliche Tag, und
-sein Alles erleuchtendes Licht erloschen. Ueber uns thürmen
-sich Wolken und kreisen umher, vom letzten Licht getroffen
-und schwach gefärbt. Sie bäumen sich auf und ergreifen
-flockend, anwachsend, sich lösend, diese und jene Gestalt. Es
-sind die alten Fabelgötter, die ein Traum- und Scheinleben
-erringen. Da sitzt der alte Jupiter, ungeheuer und in sich
-schwankend, auf seinem bebenden Dunstthrone, Bacchus erhebt
-trotzig und jubelnd den Pokal, und so wie er trinken
-will, zerfließt und schwindet der große Arm und die Figur
-des Trunkenen wandelt sich unvermerkt in den springenden
-Pardel, der jetzt den leeren Wagen zieht. Von dort schreitet
-der Juno erhabene große Gestalt durch das dunkle Blau,
-sie sucht ihren Gemahl und schrickt zusammen, weil dort
-schon ein goldner Stern durch den Aether blinkt. Haupt
-und Locken lösen sich, die gewölbte Brust schmilzt wie Silber
-im Ofen, die zerbrochenen Formen leuchten noch einmal auf
-und tauchen dort in den finstern Streif, in welchen sich alle
-rollenden Bildnisse versenken. Der Traum ist ausgeträumt
-und die dunkle Nacht tritt herauf. Ein Sternbild nach dem
-andern bricht aus dem finstern Dome glänzend hervor; oben
-die unvergänglichen festen Lichter, unten auf Erden Dunkelheit,
-<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a>
-Nacht, Tod; kein Fels, kein Wald mehr zu unterscheiden,
-Alles unkenntlich in eine schwarze Masse zerronnen,
-die ohne Anfang, die ohne Ende ist. Beides ein Bild der
-stummen Ewigkeit. So steht die Nacht fest, unerschütterlich,
-wie es scheint. Abend- und Morgenroth sind Wahn; die
-erhabne Unendlichkeit der Gestirne, die unzählbaren Lichter
-und Welten in unermeßlichen Fernen wandeln dem rückgekehrten
-Blick die Erde in nichtig Spielwerk und den Glauben
-an Gnade und Erlösung in Fieberphantasie. Der Zweifel
-und das Dahingeben in das Unbegrenzte, Schrankenlose,
-giebt sich für Wahrheit und Religion. Da erzittert die ewige
-Nacht in sich selbst, die finstern Wälder schütteln sich im
-Morgenhauch, die ergrauende Dämmerung wächst wie weissagend
-am Horizont empor. Plötzlich tritt die liebliche Morgenröthe
-hervor, mit ihren Wundern über die Berge klimmend;
-Farbe, Licht, Wonne, Gestalt vertreiben siegreich den
-Unglauben der formlosen Nacht, und der Glaube tritt wieder
-in die jauchzende Natur. Sie trägt, die trostreiche, freundliche
-Mutter, den glänzenden, auferstandenen Sohn als
-leuchtendes Kind in ihren Armen, und Wälder und Gebirge
-sind im blauen und grünen Schimmer der letzte Saum des
-fließenden Gewandes, wie sie aufgerichtet steht, hoch in die
-Himmel ragend. Und die Ströme jauchzen und schluchzen
-in Freude, und die Blumen lachen und duften, und die
-Felsen erklingen, und die Waldung rauscht Lobgesang.
-</p>
-
-<p>
-Wir konnten seine begeisterten Augen nicht mehr sehen,
-denn es war ganz finstere Nacht geworden. Wundersam
-leuchteten von unten die zerstreuten Lichter aus Karlsbad,
-und nach vielem Rütteln und Stoßen unseres Wagens, indem
-einmal der große hölzerne Hemmschuh brach, der hier
-dem Rade untergelegt wird, gelangten wir spät und nicht
-ohne Gefahr in dem Städtchen an.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
-Am andern Morgen &mdash; wen traf ich? Unsern theuern
-Carl von Hardenberg, den jüngern Bruder unsers vielgeliebten
-nur kürzlich und leider für die ganze Welt zu früh
-gestorbenen Novalis. Er ist mit seiner jungen, angenehmen
-Frau hier, um die Bäder zu gebrauchen. Er sieht wohl
-aus und ist stärker geworden. An männlicher Schönheit ist
-er mit Novalis nicht zu vergleichen. Der schwärmende Ferdinand
-hat sogleich sein ganzes Herz erobert und mich, den
-ältern Freund, in den Hintergrund gestellt. Aber sehr begreiflich,
-weil sie sich in Stimmung und Ansicht begegnen.
-Carl Hardenberg hat uns seine Schrift: &bdquo;Die Pilgerschaft
-nach Eleusis,&ldquo; vorgelesen, die mein Freund sehr billigte,
-wenn er gleich nicht Alles loben mochte. Dieser jüngere
-Bruder nennt sich in seinen schriftstellerischen Arbeiten <em>Rostorf</em>,
-nach einem Gute in Sachsen, nach welchem die eine
-Linie Hardenberg diesen unterscheidenden Namen führt. &mdash;
-Eben so ist <em>Novalis</em> ein Gut, nach welchem die ältere
-Linie sich unterscheidet, und welchen Namen unser Freund
-annahm, bloß deshalb, um sich nicht Hardenberg zu unterschreiben.
-Wie viel Unnützes haben schlechte Köpfe, die sich
-immerdar dem Bessern widersetzen, über diesen Namen Novalis
-gefabelt und gewitzelt.
-</p>
-
-<p>
-Solltest Du nun nach Allem, was ich erzählt habe, nicht
-glauben, mein Reisegefährte Ferdinand sei katholisch geboren
-und erzogen? Allein nichts weniger, er ist Protestant und
-aus einem protestantischen Lande. Der wunderliche Wachtel,
-der sich die Miene giebt, ihn ganz genau zu kennen, ihn aber
-doch vielleicht nicht immer begreift, behauptet mit seiner gewöhnlichen
-Kälte und Sicherheit: wenn Ferdinand in einem
-katholischen Lande erzogen wäre, oder wenn es nur schon
-Ton und Mode wäre, wie es vielleicht dahin käme, sich katholisch
-zu dünken, so würde unser Schwärmer eben so extravagant
-<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a>
-ein Protestant seyn. Ich lasse das dahingestellt
-seyn. Denn wer mag dergleichen behaupten oder widerlegen?
-</p>
-
-<p>
-Wir sind mit Hardenberg und seiner liebenswürdigen
-Frau nach dem sogenannten Heilingsfelsen gefahren. Eine
-von jenen Sagen, mit denen die Phantasie nicht viel anzufangen
-weiß, knüpft sich an diese Gegend. Die Spitzen der
-Felsen sind grotesk und gleichen in der Ferne gewissermaßen
-menschlichen Gestalten. Nun fabelt man, es sei eine Hochzeit,
-die plötzlich, mit allem Gefolge, in früher Vorzeit sei
-versteinert worden. &mdash; Mich dünkt, der Vielschreiber Spieß
-hat einen Geisterroman daraus gemacht. Diese gelesenen,
-beliebten Autoren lösen in Deutschland einander nach gewissen
-Zeiträumen ab, und selten, daß der neue Liebling besser als
-der abgesetzte Vorfahr ist. Dieselben Leser aber, die den
-neuen Demagogen bewundern, können alsdann nicht fassen,
-wie der frühere ihnen nur irgend etwas habe seyn können.
-</p>
-
-<p>
-Man erlebt immer noch unerwartete, möchte man doch
-sagen wunderbare Dinge. In einer geistreichen, vornehmen
-Gesellschaft, in welche wir ebenfalls eintraten, als wir oben
-vom Hirschsprung zurückgekehrt waren, erhob sich zwischen
-zwei Baronen, schon bejahrten Leuten, ein unerwarteter und
-lebhafter Streit. Der ältere meinte und behauptete, das
-Thal von Karlsbad übertreffe nicht nur das Teplitzer bei
-weitem, sondern sei auch außerdem eine der schönsten Gegenden
-in Deutschland. Ich habe wohl erlebt, daß man
-Bücher, Autoren, Musiker und Schauspieler protegirt, und
-daß der Protektor seine Meinung, wenn er ein Vornehmer
-ist, so zur Ehrensache macht, daß ihm keiner, höchstens etwa
-ein Gleichgestellter, doch immer nur milde, widerspricht.
-Daß man aber in demselben Sinne auch die Natur protegiren
-könne, war mir eine ganz neue Erscheinung. Der
-<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
-Baron B. focht nun aber mit allen Waffen gegen Herrn A.
-für sein geliebtes Teplitz, und behauptete, dieses sei ohne
-Bedenken durch seine Heiterkeit, schöne Fernen, milde Luft
-und Bergfiguren dem elenden, bedrängten und drückenden
-Karlsbad vorzuziehen, wo die nahen Berge wie die Mauern
-eines Gefängnisses jedes Gemüth, das noch irgend Sinn
-für Natur habe, beängstigten. Als die beiden Gegner immer
-empfindlicher wurden und sich mit jeder Gegenrede schärferer
-Ausdrücke bedienten, wollte unser Wachtel den Streit durch
-gutgemeinte Uebertreibung schlichten oder lächerlich machen,
-indem er rief: &bdquo;Meine Herren! Karlsbad, so wie Teplitz in
-Ehren! Aber, abgesehn von aller partiellen Vorliebe, wo
-immer eine gewisse Einseitigkeit sich meldet, auf die ein
-universeller Naturfreund, der ich zu seyn glaube, keine Rücksicht
-zu nehmen hat, so glaube und behaupte ich gegen sie
-Beide: daß der Hirschsprung dort oben schöner sei, wie
-irgend etwas in dieser Gegend oder bei Teplitz, ja in ganz
-Deutschland wenigstens, um nicht Europa zu sagen. Aber
-zugegeben selbst, Karlsbad sei ausbündig schön, wie schön
-dann der Hirschsprung, der hier unbedingt und ohne Frage
-das Schönste ist. Von tausend und aber tausend Malern
-ist nur Ein Rafael, der das Höchste und Vollkommenste erreicht
-hat; unter seinen vielen Bildern muß Eins das vorzüglichste
-seyn; auf diesem vorzüglichsten Tableau wird ohne
-Zweifel Eine Figur die beste seyn und &mdash; um ganz vollständig
-das Argument zu endigen &mdash; auf und an dieser Figur
-wird die Nase, der rechte Arm oder das linke Bein, oder
-wohl ein verkürzter Finger das allerkunstreichste darstellen &mdash;
-und, Vortrefflichste, diesen Finger, oder die Nase, oder was
-es nun sei, weise man mir nach, und ich bin in meiner
-Ueberzeugung glücklich, und fühle mich im Mittelpunkt der
-Kunst und scheere mich um den ganzen Rafael nichts mehr,
-<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
-die übrigen Sudler, Stümper oder vollendete große Meister
-gar nicht zu erwähnen. Und so ist mir mein Hirschsprung
-mein Delphi, mein Nabel der Erde.
-</p>
-
-<p>
-Dieser Scherz aber, statt die Stimmung der Kriegführenden
-zu mildern, erbitterte sie nur noch mehr, und er
-endigte, wie ich gleich fürchtete, mit einer Ausforderung.
-Zum Glück ist die Sache gut abgelaufen, die Kugeln sind
-ganz nahe dem Ziele vorbei gegangen, ohne zu verletzen,
-und der Teplitzer Fanatiker ist nach seinem Lieblingsorte unmittelbar
-nach dem Kampfe abgereist, indem er in das Fremdenbuch
-seine Verachtung der hiesigen Gegend mit starken
-Ausdrücken eingezeichnet hat. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Kann ein Gebildeter, so hat Baron A. diese Schmähung
-im Gastbuche zu widerlegen gesucht, so unbillig seyn,
-die Natur entgelten zu lassen, was bloß seine eigne Verstimmung,
-oder sein Mangel an Sinn verschuldet hat? Die
-Engherzigkeit kann kein Urtheil fällen, am wenigsten über ein
-Geheimniß, und ein solches ist und bleibt die Schönheit der
-Natur. Der Krittler wird immer mit ihr über den Fuß
-gespannt seyn.
-</p>
-
-<p>
-O wie wahr! sagte Wachtel zum Schreibenden, denn
-nun verstehe ich erst, warum ich diesen meinen lieben Hirschsprung
-allen Dingen in der Welt vorziehe. Meine Vorliebe
-ist eigentlich das Herz und der Kern der Ihrigen, Herr
-Baron, wie dieser Felsen nur ein Theil des Ganzen; darum
-kann meine Liebe aber auch um so inniger seyn, weil sie sich
-durch nichts zerstreuen läßt. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Doch genug von diesen Thorheiten; der gute Wachtel,
-so habe ich entdeckt, liebt den Wein noch mehr, wie irgend
-eine Schönheit in Kunst oder Natur. Er absentirt sich oft
-und huldigt im Geheim seiner Leidenschaft. Besonders ist
-es die sogenannte Mennische Essenz, ein vortrefflicher rother
-<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
-und süßer Ungarwein, der sein Herz ganz gewonnen hat.
-Ferdinand sieht ihn nachher oft mit seinen großen braunen
-Augen an, und kann aus den Faseleien und wilden Reden
-nicht klug werden, die Wachtel dann ohne Kritik und Aengstlichkeit
-von sich giebt. In diesem halben oder ganzen Rausch
-scheint sich dieser wunderliche Mensch am meisten zu gefallen. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Nächstens mehr, und hoffentlich eine bestimmte Nachweisung.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Die drei Reisenden, welche man jetzt schon die drei
-Freunde nennen konnte, nahmen von dem trefflichen Hardenberg
-Abschied und reiseten den folgenden Tag bis nach Eger.
-Hier fällt der große stämmige Menschenschlag auf, sowie die
-dürre, kalte und unfreundliche Gegend. Man besuchte, aus
-Verehrung gegen den großen Dichter noch am Abend das
-Haus, in welchem Wallenstein war ermordet worden. Am
-folgenden Tage fuhr man über Thiersheim nach Wunsiedel
-und Sichersreuth, dem Bade, welches Alexanderbrunnen genannt
-wird. Hier ruhten die Freunde bei stechender Mittagshitze
-aus und erfreuten sich an der sonderbaren Gegend
-und Aussicht. Die Natur zeigt sich hier wild, man möchte
-den Ausdruck einen trotzigen nennen; dazwischen erfreuen
-Wald und grüne Wiesenstellen, und wunderbar zeigt sich die
-nahe Luxburg und der Burgstein. In diesem wundersamen
-Geklipp und durcheinander und übereinander geworfenen und
-kühn geschleuderten Felsenmassen erhebt sich das Gemüth in
-der Einsamkeit der unabsehbaren Tannenwälder zu den kühnsten
-Träumen. Ein poetisches Grauen weht in diesen Klüften
-und auf den steilen Höhen.
-</p>
-
-<p>
-Diese Seltsamkeiten des Fichtelgebirges, die Nähe von
-<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a>
-Wunsiedel, die barocke Gestalt der Natur, die doch nicht ohne
-Lieblichkeit ist, führte das Angedenken der Freunde von selbst
-auf ihren geliebten Jean Paul Richter. Man sprach viel
-über diese echt deutsche Natur und über seine wundersamen
-Werke, deren Ruhm sich mit jedem Jahre mehr in Deutschland
-verbreitet hatte. Mehr noch traten und glänzender die
-Gestalten der hohen Reisenden hervor, die kürzlich hier gewandelt
-hatten. Der Name des Königs von Preußen und
-seiner schönen Gemahlin war in Aller Munde. Alt und
-Jung rühmten die Milde und Herablassung, die Holdseligkeit
-der edeln Frau, und wo man nur einen merkwürdigen
-Fleck des Gebirges betrat, waren Spuren, Namen, Denksprüche
-der Einwohner, um den Regierern die Verehrung
-und Liebe der gerührten Herzen zu wiederholen. Wie hatte
-sich seit zehn Jahren die Stimmung hier und allenthalben
-im Baireuthschen geändert. Denn damals ging das Volk
-nur ungern zur preußischen Herrschaft über. Jetzt fand man
-sich beglückt und Alle sahn mit Vertrauen und fester Liebe
-zu ihren Herrschern hin; und die Reise des Königs und der
-Königin hierher hatte die Gemüther aller Einwohner noch
-mehr erhoben.
-</p>
-
-<p>
-Als man sich am andern Morgen auf dem Wege nach
-Baireuth befand, sagte Ferdinand: sonderbar ist es, Freunde,
-daß man immer, wenn man die Stätte selbst betritt, wo
-eine merkwürdige Geschichte vorgefallen ist, wo ein großer
-Mann wandelte, sich in der Regel abgekühlt und ernüchtert
-fühlt. Es ist, als wenn die Phantasie ohne Nachhülfe der
-Wirklichkeit die Sachen viel besser und passender verarbeitet.
-So hat mir in Eger das Haus des Bürgermeisters, in welchem
-der Feldherr ermordet wurde, nur einen trüben Eindruck
-gemacht. Schiller&rsquo;s tönende Reden und ergreifenden
-Scenen wollen sich nicht recht in diese Localität fügen; man
-<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
-wird durch diese Umgebung herabgestimmt und das tragische
-Gefühl sinkt dort zur peinlichen Empfindung eines widerwärtigen
-Meuchelmordes herab.
-</p>
-
-<p>
-Ja freilich, antwortete Wachtel, ist es fast immer so
-und kann auch nicht anders seyn. Die meisten Menschen
-prickeln und kneifen dann an ihrem lamentirenden Herzen,
-um sich hinaufzuschrauben. Ein Anderes ist es freilich, in
-dem schönen Sanssouci zu wandeln und an Friedrich den
-zweiten zu denken; die Wiesen zu betreten, die sich am Avon
-bei Stratford hinziehn und sich dort Shakspeare als Knabe
-und Mann vorzustellen. Hier läßt uns die Natur frei dichten.
-Kirchen, wie der Strasburger Münster, Schlösser wie
-das zu Warwick, erheben, indem sie große Kunstwerke sind,
-das Gemüth auch, wenn es sich dort Geschichte und Sage
-vergegenwärtigt; aber so ordinaire Fleckchen, Häuser, dunkle
-Zimmer, Kirchhöfe, stimmen herab. Unser lieber wunderlicher
-Jean Paul hat mir oft erklärt, er schildere die Gegenden
-am liebsten, die er niemals gesehn, würde auch den Anblick
-derselben vermeiden, weil ihn die Wirklichkeit nur stören
-möchte.
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand hatte eine große Vorliebe für Berneck und
-die Uebrigen erstiegen mit ihm die Ruine. Hinter Berneck
-tritt man in die Ebene und hatte nur zuweilen den Rückblick
-auf das Fichtelgebirge. Als man in Baireuth zu Mittag
-gegessen hatte, begab man sich nach dem Garten, der
-Eremitage. Hier war Ferdinand sehr unzufrieden, weil man
-Vieles geändert hatte, um in dieser sonderbaren Composition,
-die aber nicht ohne poetischen Sinn entstanden war, einige
-sogenannte englische Partien hineinzubringen, die den gut
-geführten französischen Anlagen ganz unharmonisch widersprachen.
-Es war aber noch so viel des Schönen übrig geblieben,
-daß die Freunde in dem warmen Sommerwetter
-<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
-sich sehr behaglich in diesen grünen Laubengewölben ergingen.
-</p>
-
-<p>
-Bald wandelte man, bald setzte man sich nieder, und da
-der Garten von Menschen nicht besucht war, so konnten sie
-ungestört von den Werken ihres Freundes, Jean Paul, sich
-unterhalten. So sehr sie ihn bewunderten und lobten, so
-kamen doch Alle darin überein, daß man der Kunst und
-Poesie Unrecht thue, wenn man seine wundersamen Bücher
-Romane nennen wolle. Ein Roman sei ohne besonnene
-Kunstanlage unmöglich, und die Plane Richter&rsquo;s seien so
-willkürlich, unzusammenhängend und von Laune und Eigensinn
-gesponnen, daß gerade die scheinbare Einheit, der precaire
-Zusammenhang um so mehr verletze, um so mehr er
-oft mit falscher Künstlichkeit berechnet sei. So, fuhr Walther
-fort, haben wir wohl nur einen wahren Roman in
-deutscher Sprache, unsern Wilhelm Meister, den man nie
-genug studiren kann.
-</p>
-
-<p>
-Wachtel sagte: dieser Wilhelm verdient gewiß alle Achtung,
-wenn man ihn nur nicht gegen den einzigen Don
-Quixote messen will. Dieses große Kunstwerk steht nun
-jetzt seit zwei Jahrhunderten als ein unerreichtes und als
-ein Musterbild da. Nicht als Muster insofern, daß andre
-Romane diesem ähnlich seyn sollten, sondern als Vorbild,
-wie jeder in seiner Welt, die er darstellt, in seinem Zweck,
-den er verfolgt, so durchaus ein Ganzes und Befriedigendes
-seyn könne und müsse.
-</p>
-
-<p>
-Man hat an diesem herrlichen Buche, fiel Walther ein,
-ohne Noth so viel getadelt, was der weise Autor doch gerade
-mit vielem Bedacht seiner sinnreichen Geschichte eingewebt
-hat. Zum Beispiel kommen nicht die meisten Kritiker darin
-überein, die musterhafte Novelle des Neugierigen sei überflüssig
-und störend? Unser lieber Manchaner selbst, so treu,
-<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
-edel und herzhaft er ist, nimmt sich etwas vor, das, obgleich
-es schön und herrlich ist, es auszuführen er keine Mittel
-besitzt. Dieses Kämpfen für Recht und Unschuld, dieses
-Ritterthum und Kriegführen, wie er es sich vormalt, war
-aber auch zweitens niemals so in der Welt und konnte niemals
-so da seyn. Auch ein Herkules oder ein Amadis, mit
-allen Kräften und Tugenden ausgestattet, müßte einer solchen
-wahnsinnigen Aufgabe des Lebens erliegen. Nur hie
-und da, in verschiedenen Zeiten und Ländern, that sich etwas,
-mehr oder minder, von dieser poetischen Ritterwelt in
-der wirklichen Geschichte hervor. Die Phantasie des ebenso
-braven als poetischen Manchaners ist durch jene Bücher verschoben,
-die schon längst der Poesie ebenso sehr wie der
-Wahrheit abgesagt hatten. Das, was noch in ihnen poetisch
-war, oder jenes Phantastische, was das Unmögliche erstrebte,
-sowie die schönen Sitten der Ritterzeit, alles Dies durfte
-der ehrsame Herr Quixada wohl in einem feinen Sinne bewahren,
-ja sich zu jener adligen Tugend seines eingebildeten
-Ritters hinan erziehn; &mdash; wenn er nicht darauf ausgegangen
-wäre, diese Fabelwelt in der wirklichen aufzusuchen und in
-diesem von Sonne und Mond zugleich beschienenen Gemälde
-den Mittelpunkt und die Hauptfigur selbst zu formiren. Er
-war aber im Recht, wenn er, manchen seiner Zeitgenossen
-entgegen, die Lichtseite und die Poesie jener entschwundenen
-Zeit und Sitte würdigte, wenn er sich selbst als Dichterfreund
-an dem ganz Thörichten und Phantastischen seiner
-Bücher ergötzte. Nun aber zog er aus, alles Das, was ihm
-begeisternd vorschwebte, selbst zu erleben; jenes unsichtbare
-Wunder, welches ihn reizte, wollte er mit seinen körperlichen
-Händen erfassen und als einen Besitz sich aneignen.
-</p>
-
-<p>
-Sehr richtig, erwiederte Ferdinand, und deshalb ist die
-getadelte Novelle des Neugierigen nur ein tiefsinniges Gegenbild,
-<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a>
-welches von einer andern Seite die Thorheit des
-Manchaners erläutert. Auch Anselm will das Unsichtbare,
-welches wir nur im edlen Glauben besitzen, sichtbar, körperlich
-in der Hand haben; das Richtige, Irdische soll ein
-Himmlisches vertreten und ihm die Gewähr der Treue und
-Liebe seyn. So zerstört er durch Aberweisheit, durch <span class="antiqua">impertinente
-curiosidad</span>, was wir nicht übersetzen können, die
-Keuschheit und den Adel seines Weibes, die ohne diese Anfechtung
-wohl nie jene List und schreckliche Kunstfertigkeit, die
-widerwärtigen Feinde der reinen Unschuld, in sich entwickelt
-hätte. Zweifel also auf der einen Seite, und ein thörichtes
-Bestreben, das Unsichtbare sichtbar zu machen, zerstören so
-einen geistigen Schatz, jene Treue, die der Zweifler eben so
-mit Recht Aberwitz schilt, wie der edle Glaube sie für felsenfest
-ansieht und durch eigene Kraft ihr die Unerschütterlichkeit
-mittheilt.
-</p>
-
-<p>
-Wir sind hierüber einverstanden, antwortete Walther,
-geht es Ihnen aber, theurer Ferdinand, nicht vielleicht eben
-so? Ihre aufgeregte Phantasie würdigt die schöne und bildreiche
-Seite des katholischen Cultus, Sie sind in unsern
-späten Tagen von jener Rührung durchdrungen, die einst
-kräftige Jahrhunderte begeisterten. Seit kurzem ist ein religiöser
-Sinn bei jungen Gemüthern in Deutschland wiedererwacht,
-Novalis und dessen Freunde sprechen, reimen und
-dichten, um das verkannte Heilige in seine Rechte wieder
-einzusetzen; aber diese Anerkennung, diese süße Poesie des
-stillen Gemüthes in der Wirklichkeit suchen oder erschaffen
-wollen, scheint mir ganz derselbe Mißverstand zu seyn, den
-wir eben charakterisirt haben.
-</p>
-
-<p>
-Sehr wahr, warf sich Wachtel eifernd dazwischen, &mdash;
-wie schön ist es, wie uns Herder einmal auf den tiefen und
-rührenden Sinn mancher Heiligenlegenden hingewiesen hat;
-<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a>
-nachher hat der romanhafte Kosegarten einige mit mehr oder
-minder Glück vorgetragen. Im vorigen Jahre sah ich den
-Verfasser der Genovefa und des Oktavian wieder und er
-erzählte mir von einem Buch und zeigte mir einige Blätter
-davon, welches denselben Gegenstand behandeln sollte. Die
-Einleitung und Form war nicht unglücklich. In einem schönen
-Gebirgslande verirrt sich ein edler Jüngling, der ganz
-in der zweifelnden Aufgeklärtheit seiner Zeit erzogen, aber
-dabei schwärmerisch verliebt ist, in der Einsamkeit des Waldgebirges.
-Unvermuthet trifft er auf einen einsiedelnden Greis,
-der den Ermüdeten in seine Zelle aufnimmt und ihn erquickt.
-Des Alten Freundlichkeit gewinnt das Herz des jungen Mannes
-und sie werden ganz vertraut mit einander. Ueber den
-Beruf der Einsiedler, über die Wunder der Kirche, über die
-Legende und Alles, was sich in diesem Kreise bewegt, verwundert
-sich der Jüngling und kann es nicht unterlassen,
-auf seine Weise zu spotten und mit Witz des Zweiflers zu
-verhöhnen. &bdquo;Wie? ruft der Greis dann aus, Du bist in
-Liebe entzündet, Du schwärmst für Deine Sophie und kannst
-doch kein Wunder fassen? Ist die Blume, das Band, welches
-Dein Mädchen berührt, die Locke, die sie Dir geschenkt
-hat, nicht Reliquie, empfindest, siehst Du an ihnen nicht
-Licht und Weihe, die kein andrer Gegenstand Dir bietet?
-Wo Du mit ihr wandelst, ist heiliger Boden, wenn sie Dir
-die Hand oder die Lippen zur Berührung reicht, bist Du
-verzückt, &mdash; und doch verkennst Du in der Geschichte der
-Vorzeit den Ausdruck dieser Liebe, in den seltsamen Entwicklungen
-begeisterter Gemüther, bloß weil sie diese Sehnsucht
-und Herzenstrunkenheit nicht auf ein Weib hingelenkt
-haben?&ldquo; &mdash; Der Jüngling wird nachdenkend und besucht den
-Alten nun, so oft er die Stunde erübrigen kann. In diesen
-Zeiträumen erzählt ihm der Greis jene wundersamen
-<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a>
-Legenden von Einsiedlern, Jungfrauen, Männern und Kirchenältesten,
-die ihr ganzes Gemüth der Beschauung des
-Himmlischen, der Entfaltung jener geheimnißvollen Liebe widmeten.
-Diese Kämpfe des Zweifels, diese Erscheinungen aus
-fremder Welt, diese uns unbegreiflichen Aufopferungen werden
-nach und nach vorgeführt, wo sich aus dem Erzählten
-selbst die Erklärung und das Verständniß ergiebt. Nach
-einigen Monaten kommt der junge Liebende wieder zum
-Greise und dankt ihm, wie einem Vater, der ihm den Geist
-geweckt und ihm ein neues Leben erschaffen habe; er sei
-darum auch entschlossen, in den Schooß der alten Kirche zurückzukehren.
-&bdquo;Nein, ruft der Greis bei dieser Erklärung,
-verwechsele nicht diese unsichtbare Liebe, mein Sohn, mit den
-Zufällen der Wirklichkeit. Du würdest, anstatt des Göttlichen,
-nur die Schwachheit unserer Priester kennen lernen.
-Wozu, daß Du Deine innern Entzückungen, die im Geheimniß
-Deiner Brust Wahrheit und Bedeutung haben, in die
-kalte Wirklichkeit verpflanzen willst, an welcher sie erstarren
-und verwelken müssen?&ldquo; So rieth ihm derselbe Greis ab,
-der ihn erst in die Liebe und Bedeutung jener Visionen eingeweiht
-hatte. &mdash; Und ich wende das Resultat jenes noch
-nicht erschienenen Buches wieder auf Dich an, mein Ferdinand.
-Das erste Wahrnehmen, der Blick der Begeisterung,
-die Aufregung der Liebe findet immer und trinkt den reinen
-Brunnquell des Lebens; &mdash; aber nun will der Mensch im
-Schauen das Wahre noch wahrer machen, der Eigensinn der
-Consequenz bemächtigt sich des Gefühls und spinnt aus dem
-Wahren eine Fabel heraus, die dann oft mit den Wahngeburten
-der Irrenhäusler in ziemlich naher Verbindung steht.
-</p>
-
-<p>
-Somit wäre also, rief Ferdinand aus, der Indifferentismus,
-der nur Alles gesehn und erfahren hat, nichts aber
-seinem Gemüthe sich einbürgern läßt, die höchste Weisheit
-<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a>
-und Menschenwürde! Es kann aber die Zeit kommen, in
-welcher edle Geister sich wieder öffentlich zu dieser Kirche,
-dem alten, echten Christenthum bekennen.
-</p>
-
-<p>
-Möglich, sagte Walther, wüßte man nur bestimmt und
-klar, welches das älteste Christenthum sei. Jeder deutet sich
-die Sache in seiner Weise aus. Auch möglich, daß die jetzt
-vergessenen Pietisten durch diese religiöse Anregung und Begeisterung
-wieder erwachen; vielleicht giebt es in einigen
-Jahren deutsche Puritaner und Methodisten. Die geistige
-feine Linie, auf welcher hier das Wahre und Schöne schwebt,
-kann so leicht hüben und drüben überschritten werden; &mdash;
-und bemächtigt sich erst die Menge, die Leidenschaft, die
-Turba dieser Vision &mdash; welche Religions-Manieristen mögen
-da noch zum Vorschein kommen, wenn nicht sogar Verfinsterung
-und Verfolgung, Inquisition und Haß von katholischen
-Priestern und vermeintlich orthodoxen Protestanten
-wieder gepredigt wird. &mdash; Das scheint aber wohl, daß Verliebte
-in ihrer erhöhten Stimmung mehr der katholischen,
-als einer andern Kirche zugeneigt seien, und daß Sie, lieber
-Ferdinand, ein Verliebter sind, habe ich Ihnen angefühlt,
-seit wir uns dort hinten auf der Oder zuerst kennen
-lernten.
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand ward blutroth, und verleugnete schwach und
-stotternd die Anklage. Er ist eigentlich kein Jüngling mehr,
-sagte Wachtel, aber seit ich ihn kenne, ist er immerdar verliebt
-gewesen. Doch so tief, wie er jetzt seyn mag, ist es
-ihm wohl noch niemals ins Herz gegangen, denn er ist bedenklich
-und viel tiefsinniger und launenhafter als in ältern
-Zeiten.
-</p>
-
-<p>
-In einer schönen Mondnacht fuhren die Freunde von
-Baireuth ab und kamen früh, schon vor Sonnenaufgang, in
-Streitberg an. Sie bestiegen die Berge und besuchten die
-<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a>
-merkwürdigen Höhlen. Ferdinand, der, wie die Uebrigen, die
-Gegend schon kannte, war wie trunken von der schönen Natur.
-Ueber Ebermannstadt näherte man sich dann der Ebene;
-hinter diesem Orte sind die Wege so schlecht, daß man einen
-Vorspann von Ochsen herbeiholen mußte, um aus der
-versumpften Stelle den nicht schweren Wagen fortbringen zu
-können.
-</p>
-
-<p>
-Hinter Bayersdorf streckt sich die sandige Ebene aus
-und man sieht ein großes, wüstes Schloß, welches in neuem
-Styl errichtet, aber nicht ausgebaut ist und als wunderliche
-Ruine dasteht.
-</p>
-
-<p>
-Sehr begierig bin ich, so erzählte Ferdinand, hier einen
-ehemaligen Bekannten wieder aufzusuchen. Ich war ihm vor
-geraumer Zeit begegnet, und so kam er vor einigen Jahren
-wieder zu mir; er ist gelehrt und ein Enthusiast für die
-Dichtkunst; er läßt aber nur einzig und allein die Griechen
-aus der großen Zeit für Dichter gelten, und unter diesen
-stellt er wieder seinen Liebling Sophokles allen voran. Es
-ist nicht übertrieben, wenn ich sage, daß er diesen auswendig
-weiß. Er kennt alle Commentatoren seines Freundes genau,
-er ist unermüdet, ihn zu studiren und die schwierigen Stellen
-zu erklären, so daß wir von diesem Eifer gewiß schöne
-Früchte erwarten dürfen. Dieser wackre Termheim, denn so
-heißt er, hat aber gar keinen Sinn für die Schönheiten der
-Neueren; oder vielmehr, er behauptet, sie, von seinem Standpunkte
-aus, zu verstehn und von dort ihre Nüchternheit und
-Verwerflichkeit einzusehn. Er belächelt mitleidig Diejenigen,
-welche den Shakspeare bewundern; er behauptet, die Barbarei
-dieses Naturkindes sei höchstens für den Psychologen
-interessant, der von seiner Stelle diese Waldnatur allenthalben
-zurecht weisen könne. Die Leidenschaften fast pathologisch
-richtig zu schildern, sei noch lange nicht hinreichend, um
-<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a>
-sich der Schönheit auch nur von fern zu nähern. Die Großheit
-der Alten habe recht geflissentlich alles das verschmäht,
-worauf die Neuern ihren Stolz gründen wollten. Unsern
-Göthe nennt er nur eine Ausgeburt neuester Kränklichkeit,
-der, zu schwach, das Große und Starke zu erfassen, und zu
-vornehm, um die eigentliche Gestalt des Lebens zu verstehn,
-in einer unsichern, schwankenden Mitte nur der Verzärtelung
-fröhne. Das klare Aetherlicht, der Hinüberblick über die
-Natur und Welt, jene gesunde Freiheit des Menschen, der
-Alles sieht und fühlt und sich nur dem Besten befreundet,
-sei nur in Homer, Pindar, Aeschylus und Sophokles zu
-finden, in Herodot, Thucydides, Plato und Aristoteles; mit
-Euripides und Xenophon melde sich schon das Krank- und
-Schlaffwerden der edeln Lebenskräfte. Unter den Neueren
-kann fast einzig und allein unser Winkelmann bei ihm Anerkennung
-finden.
-</p>
-
-<p>
-Wenn dieser gelehrte Mann, sagte Wachtel, kein Pedant
-ist, so ist er ein Narr, der auch mehr vor das Forum
-der Pathologie, als der Kritik gehört.
-</p>
-
-<p>
-Sein wir nicht so unbillig, erwiederte Walther, es kann
-wohl seyn, daß ein innigstes Durchdringen, ein tiefsinniges
-Anerkennen der echten Schönheit den Blick für die nah verwandte,
-wie vielmehr für die entfernte, abstumpft.
-</p>
-
-<p>
-Das leugne ich eben, sagte Wachtel, die neue Zeit muß
-uns die alte, und umgekehrt die alte die neue erklären. Es
-sind zwei Hälften, die sich, um ein echtes Erkenntniß zu gewinnen,
-nicht trennen lassen. Solche absprechende, hochmüthige
-Einseitigkeit kann nur so sicher und stolz in sich selber
-ruhn, wenn ein völliger Mangel an Kunstsinn jeden
-Zweifel, wie jede tiefsinnigere Untersuchung unmöglich macht.
-</p>
-
-<p>
-Spät nur kamen sie in Erlangen an. Dieser fränkische
-Kreis, sagte Wachtel im Gasthofe, bildet eigentlich das ganze
-<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a>
-Deutschland recht hübsch im Kleinen ab. Hier sind wir nun
-wieder in der sandigen Mark Brandenburg; Tyrol im Kleinen
-ist nicht fern, der Rhein und die Donau werden von
-dem artigen Mainstrom recht hübsch gespielt, und Schwaben
-und Baiern liegen in den fruchtbaren und heiteren Landesarten
-dieses anmuthigen Kreises, in welchem die Physiognomie
-der Natur immer so schnell wechselt. Ich habe immer
-den Instinkt oder die Einsicht unsers alten Maximilian bewundern
-müssen. Wie er sich zur Martinswand hinauf verirrt
-hatte, stand er ziemlich hoch, vielleicht ist ihm in der
-Todesangst die Eingebung gekommen, sein deutsches Reich
-so richtig in zehn Kreise einzutheilen, wo in jedem Natur
-und Menschenstamm sich so bestimmt von benachbarten absondern;
-oder die dortige Vogelperspektive gab ihm den richtigen
-Ein- und Ueberblick.
-</p>
-
-<p>
-Am folgenden Morgen machte ein jeder der Reisenden
-seine Besuche. Walther erhielt einen Brief, indem er allein
-war, und sowie er ihn öffnete, rief er: ha! in Bamberg
-also! Endlich doch eine bestimmte Hinweisung. Ferdinand
-hatte seinen älteren Freund, den Professor Mehmel, besucht,
-wo er die Bekanntschaft des reformirten Pfarrers Le Pique
-machte, zu dessen warmer Herzlichkeit er sich sogleich hingezogen
-fühlte.
-</p>
-
-<p>
-Nachmittags gingen die Freunde zu dem griechischen
-Gelehrten Termheim. Er freute sich sehr, Ferdinand wiederzusehen,
-indem er sich, ganz erhitzt, aus einem Schwall
-von Büchern und Papieren erhob. Jetzt werden wir einig
-seyn, rief er dem Freunde zu, wie sehr hatten Sie Recht,
-Verehrtester, mich wegen meiner einseitigen Bestrebungen zu
-tadeln. Jetzt begreife ich erst Ihre Natur, Freundlichster
-der Menschen, denn gewiß müssen wir uns unter dem Nächsten
-umsehn, um uns mit dem Fernen zu verständigen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a>
-Erlauben Sie, unbekannter Herr, fiel Wachtel ein, ich
-will gewiß keine Blasphemie sagen, aber Sie verstehn mich
-wohl, wenn ich den Spruch hierauf anwende: wer seinen
-Nächsten nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben,
-den er nicht sieht? &mdash; Die Neueren, von Dante an, Ariost,
-dann Shakspeare und besonders unser Göthe, alle Diese sind
-unsre Brüder und Gespielen, mit uns aufgewachsen, und
-wenn ich von Denen nichts begreife, die doch in demselben
-Elemente mit mir hantiren, &mdash; wie soll ich jene fassen, die
-mir durch Jahrtausende entrückt sind?
-</p>
-
-<p>
-Sehr wahr, rief der Begeisterte aus, und so freuen Sie
-sich denn mit mir, Sie fremder oder längstgekannter Freund,
-daß unser Werth mir endlich aufgegangen ist; ich habe ihn,
-den Deutschen, nun endlich ausgefunden, der die Griechen
-überwiegt und übersieht.
-</p>
-
-<p>
-So haben Sie, rief Ferdinand, Göthe&rsquo;s schöne Natur
-endlich verstanden? Wenn Sie auch sein Lob übertreiben
-(und kann man wohl einen so großen Mann <em>über</em>schätzen?),
-so freue ich mich doch, daß wir jetzt, nach Jahren, endlich
-derselben Ueberzeugung geworden sind.
-</p>
-
-<p>
-Göthe! rief der Gelehrte mit einem sonderbaren Ausdruck
-des Unwillens aus, &mdash; dieser verstimmte, kranke Geist!
-Nein, so sehr werde ich mich nie vergessen, diesen über meine
-angebeteten Griechen zu erheben.
-</p>
-
-<p>
-Nun, fragte Ferdinand sehr gespannt, wer ist es denn
-also von unsern Deutschen, der Ihnen das Verständniß eröffnet
-hat?
-</p>
-
-<p>
-Und Sie zweifeln noch? rief jener; kann man so verblendet
-seyn? Sehen Sie denn nicht hier die vielen Bände
-seiner unvergleichlichen Werke? Wer als der einzige, unvergleichliche
-Kotzebue kann mit den Heroen der Welt um die
-Krone ringen? Unablässig, tief in die Nächte hinein, studire
-<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a>
-ich jetzt die begeisternden Productionen dieses Genius. Seine
-Schalkheit, sein Witz, seine Darstellung der Leidenschaften,
-seine Charakterzeichnung der Menschen aus allen Ständen
-und Ländern, die Malerei seiner naiven Mädchen, das tiefe
-Gefühl der Liebe, die Scenen der Armuth und des Erbarmens,
-diese lächerlichen Personagen, die doch nicht übertrieben
-sind, die Mutter-, die Kindesliebe, die Kenntniß der Vorzeit,
-Alles, Alles, was man nur als rühmlich erwähnen kann,
-vereinigt dieser Geist in seinen Werken und überflügelt durch
-seine Vielseitigkeit Sophokles und alle Griechen.
-</p>
-
-<p>
-Gewiß! rief Wachtel, der sich zuerst von seinem Erstaunen
-erholt hatte, diese Griecherei ist nur eine Kriecherei und
-Kotzebue kann künftig als Fluch oder Betheuerung dienen,
-wie man wohl mißbräuchlich Kotzsapperment! oder Kotzelement
-statt Gottes Element auf ungezogene Weise sagt.
-</p>
-
-<p>
-Mehr als verwundert über diese neue Lehre gingen die
-Reisenden in ihren Gasthof zurück.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-In Erlangen war am Johannistage ein Student beim
-Baden ertrunken. Die besten Schwimmer hatten ihn nicht
-retten, die künstlichen Mittel den Jüngling nicht ins Leben
-zurückrufen können. Man war einem alten, angesehenen
-Manne böse, welcher Alles für unnütz erklärt hatte, weil jeder
-Fluß an diesem bedenklichen Tage sein Opfer fordere. Die
-jüngern Leute vorzüglich schalten mit Heftigkeit auf solchen
-Aberglauben, der in manchen Gegenden den gemeinen Mann
-wohl selbst hindere, rettend beizuspringen. Wachtel bemerkte,
-daß es in Deutschland noch immer Provinzen und Städte
-gebe, wo der Bürgersmann des festen Glaubens sei, daß
-am Johannistage einer aus dem Orden der Freimaurer vom
-Teufel geholt werde. Als man bei Le Pique, dem verständigen
-<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a>
-Pfarrer versammelt war, wo sich der scharfsinnige
-Naturforscher Serbeck, sowie der Professor Mehmel eingefunden
-<a id="corr-3"></a>hatten, hielt, nachdem viel über die Fortschritte in
-jener Kunst gesprochen war, durch welche Scheintodte wieder
-zum Leben gefördert werden können, Wachtel folgende Rede:
-</p>
-
-<p class="adr">
-<span class="line1">Verehrte Gesellschaft und präsumtive Zuhörer!</span>
-</p>
-
-<p>
-Ich will gewiß nicht zurückbleiben, die Größe unserer
-Zeit anzuerkennen, blicken wir aber rückwärts, um nicht zu
-einseitig zu werden, so gebe ich mich für den Geschichtschreiber,
-oder Bemerker, oder Würdiger einer nicht ganz neuen,
-aber noch eben nicht besprochenen Kunst &mdash; der Kunst nehmlich,
-die <em>Scheinlebendigen zu tödten</em>.
-</p>
-
-<p>
-Es sei mir erlaubt, von unsern Vorfahren anzuheben.
-Ehe die Welt, nehmlich unsere Erde und ihre atmosphärischen
-Pertinenzien zur Schöpfung, wie der Rahm, zusammengeronnen
-war, gab es, dem Sein gegenüber, ein Nichtsein. Von
-diesem Nichtdaseienden wurde lange Zeit keine Notiz genommen,
-denn es machte sich nicht merkbar. Leiber und Geister
-trieben ihr Wesen hand- und fußgerecht, und man lebte so
-recht frisch auf Gottes Güte und in den alten Kaiser hinein,
-als wenn diese Zeitlichkeit schon die reelle künftige Ewigkeit
-wäre. Neben kräftiger Tugend und vielfachen Thaten
-nahmen sich Uebermuth und Laster denn freilich auch Vieles
-heraus, und wie rüstige Kupferschmiede hämmerten Gute und
-Böse mit leidenschaftlichem Treiben auf das Leben los, daß
-Propheten und fromme Menschen oft dachten und weissagten,
-die ganze Schöpfung müsse zusammenbrechen. Jahre kamen,
-Jahre gingen. Schwermuth, Empfindsamkeit, Sentimentalität,
-Ohnmacht und Unkraft zu Tugend oder Laster gingen
-im Schwange: &mdash; es war nehmlich die Zeit gekommen, wo
-sich das uralte Nichts allgemach in das Dasein eingeschustert
-und eingeschlichen hatte. Ich konnte aus der Welt und meinen
-<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a>
-sonst löblichen Nebenmenschen nicht klug werden, bis mir
-denn ein Seherblick einmal in einem merkwürdigen Traume
-aufging. Im Orbis Pictus hatte ich in meiner Kindheit
-mir wohl die Umrisse in feinen Punkten eingeprägt, welche
-in jenem Buche die Formen der Seelen ausdrücken sollten.
-Wie ich also im Traume meinen Guide, einen weisen Geist,
-nach dem Zustande der Dinge fragte, that mir dieser mein
-inneres Auge auf, und &mdash; o Jupiter! o Gemini! wie sah
-ich Alles anders! Viele Menschen waren robust, voll, kurz
-angebunden, von sich und ihrer Meinung überzeugt. Andere
-thätig im Gewerk und Landbau, &mdash; aber Unzählige liefen,
-von allen Ständen und Altern, so als fein gepunktete
-Schaaren herum, nichts wissend, wollend, denkend, aber sich
-vieler Dinge anmaßend. Wundre dich nicht, sagte mein Engel
-oder was mein Führer seyn mochte, über diese Entdeckung,
-welche du jetzt machst. Es ist nicht ohne, daß die Welt allgemach
-wieder ihrem Untergange entgegenwandelt. Die Nichtigkeit
-hat sich in alle Räder und Schwungtriebe der großen
-Maschine eingeschlichen. Der Mensch war als der Mittelpunkt
-mit seiner Kraft hingestellt, um den Körper der Welt,
-damit er niemals ein Leichnam werde, frisch zu erhalten.
-Jetzt werden es, ich weiß nicht wie viele Jahre seyn, daß
-die Menschheit auch mit Nullitäten angefüllt ist. Alles das
-Punktirte, was du wahrnimmst, sind Leiber ohne alle Seelen.
-Diese Körper stellen sich nur lebendig an und führen ein
-Scheinleben.
-</p>
-
-<p>
-Abscheulich! rief ich aus: ich sehe fast mehr Tättowirte,
-als wirkliche Menschen. Kann die Vorsehung denn dergleichen
-zugeben oder gestatten?
-</p>
-
-<p>
-Die Vorsehung, erwiederte mein geistlicher Präceptor,
-bedient sich in allen Dingen mittelbarer Mittel, und greift
-<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a>
-niemals persönlich in ihr geschaffenes, vielseitiges Getriebe.
-So hat sie denn, damit diese Scheinlebendigen nicht am Ende
-alles wirkliche Leben verdrängen und allein von der Erde
-Besitz nehmen, Gesetzgeber, Fürsten und echte Volkslehrer
-inspirirt, die sich, so viel es möglich ist, diesem Unwesen
-widersetzen und das Reich der Nichtigkeit auf verschiedene
-Weise zu zerstören suchen.
-</p>
-
-<p>
-Recht! Recht! sprach ich eifernd: o groß ist Allah! würde
-der Muselmann hier ausrufen. &mdash; Da war eine sehr weise
-Cantoneinrichtung, wo die Punktirten, Nichtigen, die Eindringlinge
-so von Lieutenants, Fähndrichen und Unteroffizieren
-tribulirt, gehänselt, geplagt und ganz simpel geprügelt
-wurden, daß wirklich viele von diesen Scheinlebenden die
-Geduld verloren und sich wieder aus dem Staube machten.
-Ob ein Knopf so oder so saß, die Binde um den Hals um
-das Sechzigtheil eines Zolles zu niedrig oder zu hoch war,
-war ein Capitalverbrechen. Was man nur an dem Volke
-zwicken und kneifen konnte, geschah redlich, und ich mußte
-nur mit innigem Bedauern sehen, daß auch wirkliche lebendige
-Menschen von der übrigens weisen Anstalt molestirt
-wurden. Liefen die Kerle etwa davon und wurden wiedererhascht,
-so war ihnen eigentlich das Leben abgesprochen; die
-Gnade erhielten, wurden so mit Ruthen gestrichen, daß sie
-auch oft die Verstellung aufgaben, die Maske fallen ließen
-und wirklich starben. O wie trefflich fand ich die Schulen
-und Universitäten versorgt! Eine so fürchterliche Langeweile
-wurde mit Kunst da vertrieben, daß eine eiserne Geduld
-dazu gehörte, um sich nicht in diesen sogenannten Wissenschaften
-sterben zu lassen. Half Alles nichts, so wurden die
-Scheinseelen nachher noch examinirt, und von neuem ins
-Examen genommen, und wieder geprüft, daß Viele wirklich
-sich während dieses Examinirens davon machten. War aber
-<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a>
-Alles umsonst, so hatte man eine wundersame Art von
-Bündel erfunden, die man Akten nannte und die sich unsterblich
-immer vermehrten und vermehrten, diese wurden
-den Gequälten ins Haus geschickt, um wieder neue Akten
-daraus zu machen, so daß sehr viele zu sterben sich entschlossen.
-Nun gab es außerdem noch Trinkstuben, wo man
-mit Verstand schlechten Wein und noch schlechteres Bier fabricirte,
-um das elende Volk zu vergiften. Von dem Branntwein,
-der noch schneller wirkte, brauche ich gar nicht einmal
-zu sprechen. Hübsch war es auch, daß das Spazierengehen
-und die Freude an der Natur war erfunden worden, um
-das unnütze Volk aus dem Wege zu räumen: denn schon in
-den Schulen wurde es den Kindern beigebracht, daß sie sich
-ja regelmäßig erkälten müßten, weil es so möglich war, daß
-sie doch irgend einmal am Naturgenuß erstarben. Oft blitzte
-es in den punktirten Nichtseienden: es kam wie ein Bewußtsein
-über sie, daß sie leere Särge wären, es schien, als
-wollten sie sich zu Tausenden ermannen, um wie die Fliegen
-hinzufallen, damit das nüchterne Spiel nur aus sei. Es
-wäre auch wohl geschehen, und die Staatstabellen würden
-über die ungeheure plötzliche Sterblichkeit gewinselt haben, &mdash;
-aber da gab es eine höllische Erfindung, die ihnen trotz Prügel,
-Akten, Examen, Naturgenuß, Bier und Branntwein
-dennoch dies lumpige nicht lebendige Leben wieder annehmlich
-machte &mdash; sie rauchten nehmlich Tabak, um sich von dem entsetzlichen
-Gedanken, der sie befallen hatte, daß es ein wirkliches
-Leben gebe, wieder zu erholen und zu zerstreuen. &mdash;
-Ich sah nun ein, daß diese Tödtungsanstalten in jeder Hinsicht
-als Wohlthat für die wirklich Lebenden zu betrachten
-seien, und daß viele Menschenfeinde und der Verfasser &bdquo;des
-menschlichen Elendes&ldquo; wohl anders würden geschrieben haben,
-wenn ihnen, wie mir, das Auge wäre eröffnet worden.
-<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a>
-Freilich möchte sich bei Untersuchung finden, daß die meisten
-dieser Autoren auch nur Scheinmenschen sind. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Die Gesellschaft begab sich am andern Tage nach Nürnberg,
-um die Merkwürdigkeiten dieser guten alten Stadt in
-Augenschein zu nehmen und den lebenden Panzer und Dürers
-Grab auf dem Johanniskirchhof zu besuchen. Die schönen
-Kirchen und das Rathhaus wurden mit Aufmerksamkeit betrachtet,
-und im rothen Rosse, dem besten Gasthofe, erzählte
-Walther, wie vor zehn Jahren in diesem Hause sich etwas
-Seltenes zugetragen habe. Freysing, ein Student von Kopf,
-aber leichten Sitten, hatte in Erlangen weit mehr verbraucht,
-als ihm sein wohlhabender Vater bewilligt hatte. Eine große
-Schuldenlast drückte ihn, der letzte Wechsel, der ihm, um
-abzugehen, gesendet wurde, reichte bei weitem nicht aus.
-Er bezahlte daher nur die ärmsten seiner Gläubiger und
-verjubelte mit seinen Trinkbrüdern auf Spazierritten und in
-frohen Gelagen die ganze Summe. Am letzten Tage besaß
-er nur noch sechs Louisd&rsquo;or, die kaum hinreichten, um auf
-dem gewöhnlichen Postwagen und mit Entbehrungen aller
-Art in seine Heimath zu gelangen. Ob mein Alter, rief er
-im Uebermuthe aus, jetzt mehr oder weniger schilt, kommt
-auf eins hinaus, denn mit dieser Lumperei reise ich auf keinen
-Fall zurück. Er ging nach Nürnberg und wagte die
-wenigen Goldstücke im Pharo. Das launische Glück war
-ihm so wunderbar günstig, daß er in einer Nacht so viel
-gewann, daß er allen seinen Gläubigern bis auf den letzten
-Heller zahlen konnte, welches mit Wucherzins eine sehr ansehnliche
-Summe ausmachte, und noch tausend und mehr
-Thaler von seinem Gewinne übrig behielt.
-</p>
-
-<p>
-Beim Kunsthändler Frauenholz sahen die Freunde ein
-wundersames Bild von einem unbekannten Meister. Es ist
-die Mutter mit dem Kinde, ein gewöhnlicher Gegenstand,
-<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a>
-aber hier mit einer Innigkeit behandelt, die die Beschauenden
-entzückte. Sie küßt das Kind, und der Ausdruck in
-Mund und Augen ist so herzlich und ergreifend, daß man,
-obgleich die Gestalten nicht eigentlich durchaus schön sind,
-nichts Süßeres und Lieblicheres finden kann. Das Antlitz
-der Mutter ist so zart und fein gemalt, daß es wie aus
-aufknospenden Rosen gebildet ist. Die Nebensachen, Blumen
-und Verzierungen sind mit einem liebevollen Fleiß behandelt.
-Der Besitzer schrieb es unverständig dem Lucas von Leyden
-zu. Der Preis von zweitausend Gulden, den er forderte,
-war für einen Reichen nur eine mäßige Summe, um mit
-dieser Wunderblume sein Gemach auszuschmücken.
-</p>
-
-<p>
-Als sie nach Erlangen zurückgekommen waren, reiseten
-sie am folgenden Morgen nach Pommersfelden. Man war
-verdrüßlich über den schlechten Weg, und Wachtel suchte sie
-mit Scherzen zu erheitern. Unter anderm sagte er, als sie
-von der Gemäldegallerie in Pommersfelden sprachen: Es ist
-sehr verdrüßlich, daß sich die Kunstgeschichte immerdar erweitert.
-Unzufrieden mit dem Besitz, entdeckt man neue Zeiten,
-Manieren, Unterschiede und Künstlernamen, von denen
-unsre guten Vorfahren nichts wußten. Wer sonst ein steifes
-Bild sah, nannte es zu seiner und Aller Befriedigung einen
-Albrecht Dürer, wie sie es in Italien noch machen. Konnte
-man bei einer etwas abweichenden Manier den Namen Lucas
-von Leyden einsetzen, so galt man schon für einen Gelehrten.
-Dergleichen Abkürzungen und Anhäufungen vieler auf Einen
-Namen ist immerdar in Geschichte wie Mythologie sehr ersprießlich
-gewesen; man kann mit Einem Herkules, Sesostris
-und Pharao zufrieden seyn, diese behalten sich, und man
-muß es der Abbreviatur der Vorzeit danken, daß sie uns
-das Studium bequemer eingerichtet hat. Die Aufstöberer
-von Unterschieden und neuen Personen sind als Aufrührer
-<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a>
-zu betrachten, die die legitimen, wohlerworbenen Rechte jener
-Gesammtmenschen umstoßen wollen. So war vor zehn Jahren
-eine vortreffliche ältliche Castellanin in Pommersfelden,
-welche den Fremden die Zimmer des Schlosses und die Gemälde
-zeigte und erklärte. Es giebt einen berühmten Correggio,
-von welchem jede Gallerie wenigstens ein Stück besitzen
-will, drei Caracci, Ludwig, Augustin und Hannibal,
-zwei Caravaggio, den frühern und spätern, dazu glaube ich
-noch einen Cagnacci, zwei Carpaccio ungerechnet, diese Herren
-sämmtlich, nebst allen, die nur irgend mit ihrem Namen
-sich dem <em>acci</em> näherten, hatte die unvergleichliche Frau mit
-weiser Umsicht in den einzigen berühmten Maler <em>Karbatsch</em>
-zusammengearbeitet. Auf diesen großen Meister wälzte sie
-zugleich alle jene Bilder, auf deren Urheber sie sich nicht besinnen
-konnte.
-</p>
-
-<p>
-In der Gallerie befindet sich ein schönes Bild, welches
-dort Rafael genannt wird: eine Mutter mit dem Kinde.
-Es hat einen wundersamen Ausdruck und den Anschein wie
-aus der ältern lombardischen Schule. In dem großartigen
-Styl ist zugleich wie etwas moderne Sentimentalität. Das
-Bild hat an einigen Stellen gelitten und es scheint fast, als
-ob es durch die hinzugefügte Urne irgend eine persönliche
-Beziehung habe.
-</p>
-
-<p>
-Mit großer Freude sahen die Reisenden das alte Bamberg
-wieder. Von Würzburg schrieb Walther an seinen
-Freund nach Warschau:
-</p>
-
-<p class="date">
-Würzburg, den 10. Julius 1803.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Ich verzweifle jetzt fast, eine Spur zu finden, da meine
-Hinweisung auf Bamberg nur eine trügende war. Ein
-Doctor Marx, der aus dem Polnischen hieher gezogen ist
-und seit wenigen Monaten hier lebt, sollte mir Nachrichten
-<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a>
-geben, wo sie, Maschinka, sich verborgen habe, oder wo
-derjenige hier in der Gegend sei, dem sie zu folgen sich hat
-bereden lassen. Wir lernten einen Narren in Erlangen kennen,
-der den Kotzebue höher als alle Autoren stellt, und
-meine neuen Freunde spannen über diese Erscheinung, die
-mir nicht so wichtig schien, vielfältige Betrachtungen aus.
-Wachtel behauptete, in jedem Menschen stecke irgendwo etwas,
-das, gepflegt oder durch Leidenschaft aus seinem Winkel zu
-sehr hervorgezogen, zur bestimmten Narrheit werden könne.
-Auch erscheine wohl ein jeder Mensch andern aberwitzig und
-verrückt, wenn diese ihn mit der Ueberzeugung, er sei unklug,
-anhörten und betrachteten. Ich bekämpfte diese Meinung.
-Nachdem wir den alten Dom in Bamberg besehen hatten,
-über welchen Ferdinand in übertriebene, thränenweiche Entzückung
-gerieth, machten wir dem berühmten Doctor Marcus
-einen Besuch. Er zeigte uns die unvergleichlichen Krankenanstalten
-und erzählte uns von der Art der Behandlung, so
-wie von manchen sehr merkwürdigen Leidenden. Ich konnte
-nicht begreifen, warum er mich so besonders ins Auge faßte.
-Als wir in der Abtheilung waren, in welcher die Geistesverwirrten
-verpflegt wurden, waren, indem ich mich umsah,
-meine Gefährten verschwunden. Es kam mir vor, als hätte
-früher Wachtel mich noch einigemal mit einem seltsamen Blick
-von der Seite betrachtet. Verstimmt wie ich war, gefielen mir
-des Doctors Mienen, den ich jetzt beobachtete, ebenfalls nicht.
-Mit einemmale überraschte es mich, daß dieser Mann jener
-Doctor sei, der mir Nachricht von der Entflohenen geben
-könne. Ich erkundigte mich mit leidenschaftlicher Heftigkeit,
-erzählte, fragte, beschrieb und wurde immer ungeduldiger,
-je weniger er auf meine Reden eingehen oder mich verstehen
-wollte. Als ich Abschied nahm, sagte der Mann mit der
-größten Freundlichkeit: Sie bleiben fürs Erste bei uns, und
-<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a>
-es wird Ihnen schon bei uns gefallen. Ich habe schon seit
-acht Tagen die Nachricht empfangen, daß Sie eintreffen würden,
-und so wie Sie nur mein Haus betraten, erkannte ich
-sogleich in den ersten Reden Ihr Uebel. Ihr Zustand ist
-noch nicht der schlimmste; nur müssen Sie fürs Erste jene
-Geschichte, die Sie mir da erzählt haben, sich ganz aus dem
-Sinne schlagen, und ich werde schon für Unterhaltung und
-Zerstreuung sorgen. Es ergab sich nun, daß er mich für
-einen Geisteszerrütteten hielt, welchen er erwartete, und ebenfalls,
-daß er nicht jener Marx sei, mit welchem ich ihn in
-leidenschaftlicher Uebereilung verwechselt hatte. Indessen mußte
-ich bis in die späte Nacht dort bleiben, weil er sich von meinem
-richtig eingefügten Verstande durchaus nicht überzeugen
-konnte. Endlich waren meine Reisegefährten in unserm Gasthofe
-wieder angelangt, sie kamen und brachten meine Brieftasche
-und meinen Paß mit, nach dessen Besichtigung und
-ihrem Zeugniß wurde ich dann als ein Kluger entlassen,
-nachdem der ironische Medicus mir noch viele Entschuldigungen
-machte, und ebenfalls behauptete, daß man jeden Menschen,
-auch seinen besten Reden nach, für einen Irren halten
-würde, wenn man das Vorurtheil einmal gegen ihn gefaßt
-habe. Am folgenden Morgen suchte ich den einfältigen Doctor
-Marx auf, der von gar nichts wußte und von mir zuerst
-die Begebenheit erfuhr.
-</p>
-
-<p>
-Wir besuchten Bambergs schöne Umgebungen und begaben
-uns vorgestern nach dem Schlosse Glich, einer merkwürdigen,
-gut erhaltenen Ruine. Noch viele Zimmer sind
-im Stande und zeigen uns die Wohnung der Vorfahren
-deutlich. Eine herrliche Aussicht ist von oben auf Bamberg
-hinab. Ein alter Förster wohnt oben, der nicht zugegen
-war, und seine Tochter, ein wunderschönes Mädchen, der
-die einfache bürgerliche Kleidung sehr gut stand, führte uns
-<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a>
-herum. Unser Ferdinand, der schon seit einigen Tagen noch
-schwärmerischer ist, als sonst, war über Alles entzückt. Er
-schwatzte so viel und war dann wieder so verlegen, daß ich
-glauben mußte, er habe sich urplötzlich in das Mädchen verliebt.
-Als wir Alles betrachtet und unsern Dank zugleich
-mit einem Geschenke ausgesprochen hatten, und sie sich entfernt
-hatte, rannte der Schwärmer noch einmal zurück und
-dem Mädchen nach, unter dem Vorwande, daß er seine
-Brieftasche in einem der Säle habe liegen lassen. Wir wandelten
-indessen draußen umher und mußten ziemlich lange
-auf ihn warten. Sehr erhitzt und verlegen, wie es schien,
-kam er endlich zu uns zurück. Er ward aber zornig, wie
-ich ihn noch nie gesehen habe, als sich Wachtel einige unfeine
-Scherze und Anspielungen erlauben wollte. Oben liegt
-auf einem steilen Felsen eine Kapelle, sie war offen, von
-hier zeigt sich Alles umher reizend und lieblich. Ein uralter
-Greis schlich mit langsamen Schritten an seinem Stabe aus
-der Kapelle die Stufen der Treppe hinab: ein rührender
-Anblick. Ferdinand ging in die Kapelle, und als er sich
-nicht mehr von uns beobachtet glaubte, nahm er vom Weihbrunnen
-und bekreuzte sich mit andächtiger Miene, dann
-kniete er vor dem Altare nieder. So sind die Menschen.
-Er trat wieder zu uns, und Keiner mochte von Dem sprechen,
-was wir gesehen hatten, weder im Scherz noch Ernst.
-</p>
-
-<p>
-Schon in Bamberg hatte er im Dom vor einem wunderlichen
-alten Marienbilde mit der tiefsten Rührung gestanden.
-Die Madonna ist hier in einem Charakter dargestellt,
-der völlig von dem gewöhnlichen und hergebrachten
-abweicht. Das Bild ist auf Goldgrund, goldne Strahlen
-umgeben es wie Flammen von allen Seiten. Es ist eine
-Copie nach einem alten florentinischen, welches schon seit
-lange mit Tüchern verhängt und dem Anblick unzugänglich
-<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a>
-gemacht ist, weil es dort in Italien auf die gläubigen Beschauer
-die ungeheuersten Wirkungen soll ausgeübt haben.
-Ferdinand scheint mir gar nicht ungeneigt, alle dergleichen
-Wunder zu glauben und für wahr zu nehmen. Wohin verirrt
-sich der Mensch, wenn Leidenschaft und Phantasie seine
-einzigen Führer sind!
-</p>
-
-<p>
-Wir aßen wieder in Bamberg, gingen dann Nachmittags
-nach dem reizend gelegenen Buch und fuhren in
-lieblicher Abendkühle auf dem Wasser nach der Stadt zurück.
-</p>
-
-<p>
-In der Stadt hat Ferdinand allerhand alte katholische
-Sagen und Legenden zusammengekauft. In Glich war er
-entzückt, dem dortigen Küster ein bambergisches Gesangbuch,
-wonach er in der Stadt vergebens gesucht hatte, abschwatzen
-und abkaufen zu können. Dieses hält er für einen großen
-Schatz und er las uns sogleich viele der Gedichte vor, die
-allerdings einen lieblichen frommen Sinn athmen, wenn
-man sich einmal diesen träumerischen Gefühlen, diesem Anklang
-wiederkehrender Wunder, diesem vertraulichen, kosenden
-und zärtlich glühenden Verhältniß zu Gott, dem Heiland
-und dessen Mutter hingeben kann. Dann erscheinen die
-Heiligen, die Schutzgeister, Christus, wie oft, in Kindergestalt,
-so auch die Abgestorbenheit so vieler Mönche und
-Einsiedler. Auch mit der Natur tritt ein geheimnißvolles
-Liebesverhältniß ein, wie es in den zart duftenden Liedern
-des Spee uns so innig rührt, die der Schwärmer hier auch
-aufgetrieben und uns Abends aus dem Büchelchen mit großer
-Bewegung vorgelesen hat. Und dann muß ich wieder an die
-Begebenheit mit der Försterstochter denken. Vielleicht ist es
-die Pflicht des Freundes, einmal ernsthaft mit ihm darüber
-zu sprechen.
-</p>
-
-<p>
-Seine Stimmung ist übrigens im schreiendsten Contrast
-mit dem, was die neue bairische Regierung hier thut und
-<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a>
-wie manche ihrer Beamten sich hier betragen. Du weißt,
-daß die Stifter Bamberg und Würzburg, diese alten geistlichen
-Fürstenthümer, unlängst dem Churfürsten von Baiern
-zugesprochen worden sind. Eiligst hat man, um mit Rom
-und dessen Hierarchie ganz und auf immer zu brechen, alle
-Klöster aufgehoben, die Mönche zum Theil vertrieben, theils
-auf sehr schmale Pension gesetzt. Alles hat den Charakter
-angenommen, daß der gemeine Mann es wie eine Sache
-nimmt, die den ehemaligen Christenverfolgungen ähnlich sieht.
-Es ist unklug und unschicklich, wie im Dom, während am
-Nebenaltar eine stille Messe gefeiert wurde, die silbernen
-Kirchengefäße und sauber gearbeiteten Crucifixe in Kisten mit
-dem größten Geräusch und Lärmen gepackt und geworfen
-wurden. Die Käufer der Sachen waren zugegen und man
-zerbrach einige Kreuze mit großem Geräusch, die sich dem
-Kasten nicht fügen wollten. Den frommen abgesetzten Fürstbischof,
-so erzählt man, hat man in den Gemächern der
-Residenz gestört und gequält, indem man von allen Seiten
-Bauanstalten traf, einriß und verbesserte, ohne von ihm die
-mindeste Notiz zu nehmen. Viele Geistliche wandeln im stillen
-Grimm umher, den Küster im Dom sah ich in verbissener
-Wuth bei jenem Getöse Thränen vergießen. Viele gemeine
-Leute (das Volk ist hier religiös, selbst bigott) werden
-irre an sich und ihren Vorgesetzten.
-</p>
-
-<p>
-Alles, was so unziemlich geschieht, ist denn wohl ein
-Rückschlag von vielen, welche jetzt regieren, da sie lange die
-Geißel und Verfolgung der Priester und Pfaffen erdulden
-mußten. Die Hauptumwälzung, die sich hier zugetragen
-hat, ist von der Zeit selbst herbeigeführt worden, sie ist
-vielleicht zu entschuldigen, kann seyn, daß sie nothwendig
-war; aber mit Anstand und Schonung konnte alles Unvermeidliche
-und Festbeschlossene geschehen, die politische Begebenheit
-<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a>
-brauchte nicht den Charakter einer verhöhnenden Rache
-anzunehmen.
-</p>
-
-<p>
-Ueber diese Gegenstände ist Ferdinand empört und ergrimmt,
-und er zügelt seine Worte nicht, wenn er mit den
-Freunden dieser Neuerung spricht. Er behauptet, daß wir
-es Alle noch erleben würden, wie man neue Klöster stiftet,
-und er verachtet das spottende Lächeln seiner Gegner.
-</p>
-
-<p>
-Vieles Schöne ist in dieser Reform schon zu Grunde
-gegangen, noch mehr wird verschwinden, aber meine trüben
-Blicke werden nicht bloß durch Das, was wir jetzt sehen,
-was dicht vor uns liegt, so tief bekümmert; &mdash; was soll
-aus allem Besitzstand werden, da dies so schnell ohne Widerspruch
-hat eintreten können? Wo ist eine Sicherheit für
-irgend eine Regierung? Welche Folgerungen wird die Zeit,
-ein fremder Sieger, die Politik aus diesen Vorgängen ziehn?
-</p>
-
-<p>
-Wie hat sich seit zehn Jahren die Welt verändert! und
-es scheint, als würden alle Verwandlungen immer rascher
-und rascher auf einander folgen.
-</p>
-
-<p>
-Du siehst, ich fange an, Deine Cousine, die Strafe
-des Liebhabers, Deine und meine Angelegenheit über dergleichen
-Gedanken und Befürchtungen zu vergessen.
-</p>
-
-<h3 class="chapter" id="chapter-2-4">
-Walther an seinen Freund.
-</h3>
-
-<p class="date">
-Würzburg, den 11. Julius 1803.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Ich schreibe Dir sogleich noch einmal nach meinem kaum
-abgegangenen Briefe, denn das ist das Mittel, mich zu zerstreuen
-und zugleich zu sammeln. Ich kann mit meiner
-Umgebung nicht Das sprechen, was mich am meisten interessirt,
-und so unterhalte ich mich mit Dir.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a>
-Hier in der Stadt ist unser Ferdinand in seinem Element.
-Es ist wahr, ich habe noch niemals eine so feierliche
-Messe erlebt, als die war, die gestern im Dom uns Alle
-bewegte; an neun Altären war zugleich Gottesdienst, eine
-Prozession der Domherren, die in schöner malerischer Tracht
-waren, ergötzte das Auge.
-</p>
-
-<p>
-Die Stadt wimmelt von Fremden, Alles drängt sich,
-denn es ist zugleich der größte Jahrmarkt. Das Schloß in
-der Stadt ist prächtig und wohl eins der größten in Europa.
-Ein wunderliches, knitterndes Echo ist unten vor der Treppe,
-an dem wir uns Alle wie die Kinder erlustigten. Heut Nachmittag
-trieben wir uns wieder im Jahrmarktsgedränge um,
-welches vorzüglich in einer fremden Stadt etwas Bezauberndes
-hat. Vor dem Thore ging ein uralter Capuziner von sehr
-ehrwürdiger Gestalt, dem kleine Mädchen im Vorübergehen
-mit Ehrerbietung die Hand küßten. Diese seltene Ruine
-einer ehemaligen Zeit verfolgte unser Ferdinand lange mit
-seinen sehnsüchtigen Blicken, und es schien der Wunsch in
-seinen gerührten Augen zu liegen, daß er gern an die Stelle
-der unmündigen Mädchen getreten wäre.
-</p>
-
-<p>
-In einer frohen Jahrmarktstimmung traten wir in eine
-hohe hölzerne Bude, in welcher eine Art von Caroussel mit
-einer russischen Schaukel vereinigt war. Indem die schwebenden
-Sitze auf und nieder gingen, stach ein Jeder der
-Sitzenden mit einer Lanze nach einem Ringe. Der Besitzer
-und Erfinder dieser schwebenden Kunstanstalt erklärte uns
-mit vieler Genügsamkeit die Herrlichkeit seiner neuen Erfindung.
-Steigen Sie ein, rief er, und wenn Sie gleich
-nur Dreie sind, so werden Sie doch das Kunstwerk genießen
-können, denn darauf bilde ich mir am meisten ein, daß ich
-es so eingerichtet habe, daß der angefüllte schwere Sitz niemals
-den leichten, ihm gegenüberstehenden durch seine Last
-<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a>
-niederzieht, wie dies an den ordinairen einfältigen russischen
-Schaukeln der Fall ist, wo die unwissenden Menschen sich
-alsdann mit eingelegten Steinen zu helfen suchen, wenn ein
-Sitz ledig bleibt. Wie die Kinder ließen wir uns bereden
-hineinzusteigen. Die Maschine ging sehr hoch und ein Nervenschwacher
-hätte wohl Schwindel empfinden können. So stiegen
-wir auf und ab und stachen mit mehr oder minder Glück
-die Ringe ab.
-</p>
-
-<p>
-Plötzlich entsteht draußen ein lautes Geschrei. Die Thür
-der Bude wird aufgerissen, und ein wunderschöner Lockenkopf,
-das Antlitz eines himmlischen Mädchens blickt wie ein
-Blitz auf einen Augenblick in die Narrenbude. Sie schreit
-auf, so wie sie uns da schweben sieht, und <em>Maschinka</em>
-kreischt einer; ob Ferdinand, ob Wachtel, ob der Herr des
-Kunststückes, das konnte ich nicht unterscheiden, der Maschinendreher
-war es nicht, denn dieser orgelte noch einen Augenblick
-an seinen Kunsträdern. Das Mädchen ist verschwunden
-und Ferdinand, der unten schwebt, springt aus seinem Käfig,
-der Eigenthümer des Kunstwerkes ihm schreiend nach, dies
-erschreckt den subalternen Drehkünstler, er rennt auch hinaus,
-und Wachtel kann eben noch vom Einfluß der Bewegung so
-viel genießen, daß er im Herabschweben seinen Sitz verläßt,
-ebenfalls hinausläuft und die Thür der Bude hinter sich
-zuschlägt.
-</p>
-
-<p>
-Aber ich &mdash; ich nun oben, auf dem höchsten Punkte, in
-meiner Schwebekutsche sitzend, hatte nun Zeit und Gelegenheit,
-das Schicksal und die zu künstliche Einrichtung der verfluchten
-Maschine zu verwünschen! O wie sehr hätte ich sie
-gelobt und verehrt, wenn ich durch eigne Schwere jetzt herabgesunken
-wäre, um auch das Freie zu suchen und jenem
-Mädchen nachzulaufen. Ich sah mich in meiner obern Sternregion
-um, ob ich nicht aussteigen und die vierzig oder funfzig
-<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a>
-Fuß hinunterklettern könne. Aber es war ganz unmöglich.
-Durch die eine Ritze konnte ich etwas von Stadt und
-Feld erblicken, aber in der entgegengesetzten Richtung, in
-welcher sich jene Erscheinung gezeigt hatte.
-</p>
-
-<p>
-Endlich, es mochte wenigstens eine halbe Stunde verflossen
-seyn, zeigte sich der Besitzer des Kunstwerkes wieder;
-er schien mich vergessen zu haben und war sehr erfreut, mich
-dort oben noch, wie den Sokrates in seinem Studienkorbe,
-wiederzufinden. Er schrob und orgelte mich durch seinen
-Kunstorganismus herab und ging auf meine Fragen über
-die Erscheinung jenes Mädchens gar nicht ein. Er hatte sie
-nicht gesehn und war in der Meinung, es sei ein großer
-Volksaufruhr, hinausgelaufen.
-</p>
-
-<p>
-Wichtiger war ihm die Verhandlung um die Bezahlung.
-In der Einsamkeit, und da er meine Eil sah, machte er eine
-ungeheure Rechnung. Ich begriff sie zwar nicht, wollte mich
-aber zur Zahlung bequemen. Da wir die gemeinsame Casse
-an diesem Tage unsern Wachtel führen ließen, fehlte es mir
-an baarem Gelde. Ich mußte meine goldne Uhr zum Pfande
-lassen, die ich erst am späten Abend wieder einlöste.
-</p>
-
-<p>
-So wie die kleinen Schulknaben hatte ich ein Abentheuer
-bestanden und wollte bei meinen Reisegefährten Rath und
-Trost suchen. Ferdinand behauptete, das Schaukeln habe
-ihm Schwindel erregt und so sei er entsprungen, um zugleich
-den Volksauflauf zu sehn. Dieser sei schnell geendigt gewesen
-und er habe die Uebelkeit seitdem im Bett verschlafen.
-Wachtel meinte, ein großes Spektakel sei hinter einem Kapuziner
-heraufgekommen; dieses Schauspiel habe er genießen
-wollen. &mdash; Ich erfuhr nichts und so stehn unsre Angelegenheiten.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a>
-Walther hatte jetzt seine Pläne aufgegeben und überließ
-sich nun ganz dem Zufalle, ob er durch diesen auf die Spur
-seines Feindes oder jenes schönen Mädchens gerathen würde.
-Ferdinand und Wachtel waren ihm in der kurzen Zeit ihrer
-Bekanntschaft schon unentbehrlich geworden, und so lud sie
-die schöne Jahreszeit, die Muße, die Lust umherzuschwärmen,
-ein, noch einige schöne Gegenden Deutschlands zu besuchen.
-Ferdinand war seit einiger Zeit viel sinnender und finsterer
-geworden; Walther hatte bemerkt, daß er Briefe erhielt, die
-er sorgfältig verbarg und die ihn verstimmten. Zuweilen
-fiel es Walther ein, er könne mit Ferdinand über seine
-Trauer sprechen, er dürfe es wohl mit Empfindlichkeit rügen,
-daß er daraus, was ihn so betrübe, dem Freunde ein Geheimniß
-mache; doch bedachte er dann, daß er selbst ja eben
-so gegen Ferdinand verfahre und von der Absicht seines
-Ritterzuges gegen diesen nichts verlauten lasse.
-</p>
-
-<p>
-Die Freunde nahmen von Würzburg aus den Weg nach
-dem Spessart und erfreuten sich dieses Waldgebirges und
-der herrlichen Aussichten, die sich ihnen links und rechts in
-die Unermeßlichkeit der frischen Wälder darboten. In Aschaffenburg
-hielten sie sich nicht auf, sondern begaben sich nach Darmstadt,
-um über die schöne und altberühmte Bergstraße nach
-Heidelberg zu gehn. Die Nacht, welche sie überraschte, verweilten
-sie in Heppenheim, und Walther und Ferdinand
-stiegen zur Ruine, der Starkenburg, hinauf, und erfreuten
-sich in der anbrechenden Dämmerung der Aussicht auf den
-Rhein, an welchem sie Worms, Speyer und das ferne
-Manheim sahen. Die Aussicht in den Odenwald auf der
-andern Seite war noch schöner, die wundervolle Einsamkeit,
-die schönen Formen der Berge, welche alle dicht mit Wäldern
-bewachsen sind, erhoben das Gemüth der Freunde zu
-edeln Gefühlen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a>
-Wachtel, der den steilen Aufgang zur Ruine fürchtete,
-war im Gasthofe zurückgeblieben, und schrieb indessen seiner
-Frau nach Guben folgenden Brief:
-</p>
-
-<p class="date">
-Heppenheim, den 13. Julius 1803.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebes Weib, ich muß Dir doch auch einmal schreiben,
-damit Du nicht auf die Meinung geräthst, ich sei gar verloren
-gegangen oder, wie der Ausrufer in Teplitz sich ausdrückt,
-in den Verlust gerathen, was im Grunde besser ist,
-als jener hochdeutsche Ausdruck.
-</p>
-
-<p>
-Du kennst aber schon meine Art und Weise, daß ich
-gern praktisch, deutlich, einfach schreibe und mich nicht mit
-Gefühl und Schwärmerei befasse. Des Handelns, Schaffens
-ist so viel in der Welt, daß ein rechtlicher Mann zum
-Schwärmen, zur Mystik oder dem übertrieben feinen Denken
-keine Zeit behält.
-</p>
-
-<p>
-Wie nüchtern und gefaßt ich aus Guben mit dem frühesten
-ausreisete, wird Dir wohl noch erinnerlich seyn. Meinen
-Ferdinand traf ich nebst einem gewissen Walther, einem
-halb polnischen Menschen, im unmittelbaren Himmelreich
-einer Rafaelischen Entzückung. Ich war eben nicht zum
-Umgang mit Engeln aufgelegt, denn ich hatte noch den Reisestaub
-an den Füßen. Wenn man überhaupt gewohnt ist,
-in der großen Welt zu leben, wie wir in Guben es sind, so
-wird einem jegliche Kleinstädterei verhaßt. Ich versichere
-Dich, die ganze Bergstadt hier, von der soviel gesprochen
-wird, ist im Wesentlichen in Nichts von unserm gewöhnlichen
-Spaziergang bei Guben verschieden, außer daß hier die ziemlich
-hohen Berge sind, wo wir dort den hölzernen Zaun haben
-und auf der andern Seite die Fichtenschonung. Was
-ist denn nun die Dresdner Brücke so Großes? Ich habe
-immer an unsre hölzerne denken müssen. Diese ist nicht so
-<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a>
-lang, aber man sieht doch auch rechts und links recht hübsche
-Kiefern in der Ferne, und Brombeerngesträuch und etwas
-Sand. So ein <span class="antiqua">Badaud</span> oder <span class="antiqua">Plat pied</span> aus irgend einer
-großen Stadt spricht immer, wenn er unser Guben nicht
-gesehn hat, vom Pariser Louvre, oder dem Straßburger
-Münster, wohl gar von der London-Brücke oder dem Wasserfall
-von Niagara. Sollen sich da deutsche Herzen nicht empören?
-Als wenn unsre romantische Tümpel, die Haideflecke
-bei Lübben und Luckau, unsre Sandpartien nach der Oder
-zu, der hübsche Sumpf eine Viertelmeile von uns, so gar
-nichts wären!
-</p>
-
-<p>
-So kamen wir denn also auf den Nollendorfer Berg.
-Es war so dicker Nebel, daß ich mich gleich von meinen
-Kameraden verlor und in eine Wolke, wie in einen großen
-Wollsack gerieth. Ich trat mit meinen Reisestiefeln auf die
-Flocken und ging hübsch darauf spazieren; und es geht sich
-schnell, sodaß, ich weiß nicht wie weit, ich schon in die böhmischen
-Dörfer hineingerieth, ohne allen Weg und ohne
-Straße. Herrliche Anstalt, gleich diesen dicken Nebel, wie
-die Wolke der Bundeslade, zwischen Sachsen und Böhmen
-oder zwischen Deutschland und Oestreich zu stellen. Tausend,
-wie marschirte ich nun fort! Statistisch-ökonomisch-politisch-historische
-Bemerkung für meine hydraulisch-aphoristische
-künftige Reisebeschreibung der spanischen Schlösser und böhmischen
-Dörfer: &mdash; Ich fand nehmlich, daß Angestellte
-(Beamte, die oft durchfallend sind, aber selbst niemals umfallen)
-auf eine auffallende Weise die besten und kräftigsten
-Stücke des Nebels auf Flaschen zogen, wie es wohl auch bei
-den Gesundbrunnen geschieht. Schäumt die unnütze Kraft
-ab, so wird ein hübsches Getränk und magenstärkender Saft
-aus dem leichten Dinge, welches dann Professoren und
-Schüler, Geistliche und Denker, feinfühlende Autoren, die
-<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a>
-gern <span class="antiqua">scherzando</span> schreiben, und billige Staatsmänner wie
-altherkömmliche Gesetzkünstler und Fabrikanten gern genießen
-und sich einander mittheilen. Trifft es nicht richtig ein, daß
-<em>Nebel</em> rückwärts gelesen <em>Leben</em> heißt, und Leben Nebel?
-Eins ist die Quadratwurzel vom andern. Darauf sollten
-unsre Denker mehr lossteuern. Siehe, mein Kind: &mdash; wenn
-ich zu Einem sage, der noch nicht reif ist und es gern werden
-möchte: <em>Lese!</em> so sieht das wie ein guter, verständiger
-Rath aus. Hat er aber tiefern Sinn und buchstabirt rückwärts,
-so merkt er im stillen Gemüthe wohl, daß ich ihn
-nur einen <em>Esel</em> gescholten habe. O es ist ein unergründlicher
-Tiefsinn in diesen Betrachtungen. Nicht wahr, es
-giebt Mülleresel, wilde Esel, Esel zu Spazierritten u. s. w. &mdash;
-aber der völlig unvertilgbare, von vorn wie hinten sich immer
-gleich bleibende ist der von mir entdeckte <em>Lese-Esel</em>.
-Auch wenn ich imperativisch oder imperatorisch sage: <em>Esel,
-lese!</em> bleibt er sich gleich, doch gefällt obige Thierart in der
-Bezeichnung besser, denn es stempelt sich darin jenes ewig
-unermüdliche Geschöpf, jene unverwüstbare Creatur, die wir
-hinter Ladentischen, auf Caffeehäusern, unter den lieben Zeitungen
-und allerliebsten Journalen, Tagesblättern, Broschüren,
-Libellen (nicht den Insekten), Romanen und dergleichen
-sitzen sehn und schlingen &mdash; mit einem Wort, den in unserm
-Jahrhundert ausgebildeten <em>Leseesel</em>. Die vergleichende Anatomie
-sollte sich nur seiner bemächtigen und Gall seinen Schädel
-untersuchen. Wie in Afrika oder Indien jene wandernden
-Ameisenheere oft unsäglichen Schaden anrichten und
-Verderben verbreiten, so fürchte ich für Europa und noch
-mehr für unser Deutschland die traurigsten Verheerungen
-von der Vermehrung und dem Ueberhandnehmen dieses Lese-Esels.
-Wie er denn nun von vorn oder hinten immerdar
-ein Leseesel bleibt, so sprach ich neulich schon mit einem denkenden
-<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a>
-Medicus über den Fall, ob das Thier nicht wirklich
-die Qualität noch erhalten könne und würde, auch von hinten,
-mit dem Sitztheile, sowie vorne mit seinen Augen zu
-lesen. Der Philosoph approbirte sehr meine Hypothese und
-meinte, das Monstrose sei immerdar nicht den gewöhnlichen
-Naturgesetzen unterworfen. Und wirklich, wie ich wieder die
-sogenannte Ressource besuchte, wo ich die beste Sorte und
-die qualificirtesten dieser Leseesel zu finden gewohnt war, bemerkte
-ich zu meinem Erstaunen, daß diejenigen, die in der
-Entwicklung am meisten vorgeschritten waren, unruhig auf
-ihren gepolsterten Bänken beim aufmerksamen Lesen hin und
-wieder ruschten, sich bald stärker auf das Polster drückten,
-bald lüfteten, bald sich rechts, bald links hin bewegten, als
-wenn sie ein besseres Licht erstrebten. Ich sah aber deutlich,
-daß ihnen oben nichts fehlte, ihr Fundament aber einen
-Mangel verspürte. Der Vorsteher dieser Ressourcen-Anstalt
-oder dieses Casino-Wesens ist ein denkender Mann; ich nahm
-ihn beiseit in ein Nebenzimmer, von wo man durch Glasthüren
-Alles im Saal beobachten kann, und machte ihn auf
-jenes bedenkliche Hin- und Herrutschen aufmerksam. &bdquo;Wollen
-Sie denn nicht, suchte ich ihn zu persuadiren, vielleicht morgen
-den Versuch machen und einige gute lesbare Journale,
-oder einige scharfe Schriften gegen die Regierung über jene
-Polster spannen lassen, um zu sehn, ob meine Vermuthung
-sich bestätigt?&ldquo; &bdquo;Wie, Herr, fuhr mich der Mann an, indem
-er mich mit seinen großen Augen betrachtete: was fabeln
-Sie mir da von einer neuentdeckten Thierart? Es sind
-lauter würdige Herren und ausgezeichnete Männer, die das
-Beste des Landes und der Welt im Auge behalten. Sie
-rutschen heute übermäßig, das ist wahr, das kann aber auch
-vom Denken oder vom bewegten Gemüthe herrühren. Auf
-keinen Fall aber dürfte ich es gestatten, wenn Sie auch
-<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a>
-wirklich Recht hätten, daß alle diese Mitglieder in Naturalibus
-da säßen, um zwei Zeitungen zu gleicher Zeit lesen
-zu können.&ldquo; &bdquo;O Sie kurzsichtiger Mann! rief ich aus; brauchen
-Sie denn nicht selbst Brillengläser? Sieht man nicht
-durch einen Flor und Sieb? Und so würden sich die Beingewande
-gestalten; Fabrikherren würden mit scharfem Blick
-die Zeuge entdecken und verfertigen, durch welche sich am
-besten lesen ließe; neuer Flor des Gewerbes, frische Aufmunterung
-zur Arbeit und Speculation.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-So stand die Sache vor meiner Abreise, ehe ich in das
-Nebelleben oder den Leben-Nebel gerieth. Wie ich zu meinen
-Reisengefährten wieder zurück kam, weiß ich selbst nicht,
-wie aber in der Nacht der Camin so gar gewaltig rauchte,
-war ich wieder bei ihnen und bei mir. Aus dem soliden
-Nebel gerieth ich aber in eine noch wolligere und flockenreichere
-Väterlichkeit und Mutterempfindung mit Zwillingen
-und Drillingen u. s. w. Was aber merkwürdiger ist, als
-solche Lappalien, ist, daß man unter feierlichem Schießen
-Carlsbad noch höher als Teplitz gestellt hat, es noch drüber
-hinauf gesetzt; so kommt die Meeresfläche immer tiefer, und
-da das Meer außerdem schon abnimmt, so wird es kein
-Wunder seyn, wenn wir ganz auf das Trockne gerathen.
-Bei den Heiling-Felsen sind Braut und Bräutigam, Priester
-und Brautjungfern in Stein verwandelt, ich habe sie selber
-stehn sehn. Daß die Leute nach der Hochzeit recht ledern
-und hölzern werden, erleben wir alle Tage, es ist kein großes
-Wunder, daß diese damals, in einem noch unaufgeklärten
-Jahrhundert, das Prävenire gespielt haben, um in jenem
-beliebten Stein der Hölzernheit zu entgehen.
-</p>
-
-<p>
-Aber in den herrlichen Gegenden habe ich etwas sehr
-Wichtiges, und wovon ich noch keine Erfahrung hatte, kennen
-gelernt. Immer habe ich es geglaubt und Dir gepredigt,
-<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a>
-daß Adam und Eva vor ihrem Falle nicht so körperliche
-grobe Speisen genossen, wie wir jetzt mit den thierischen
-Zähnen sie zerbeißen und zermalmen, sondern daß sie die
-geistigen Essenzen, die unsichtbare Kraft der schönsten Gewächse
-und der himmlischen Kräfte einsogen. Wie einem
-denkenden Forscher nun wohl wird, wenn sich ihm eine solche
-mystische Ueberzeugung durch unumstößlichen Beweis vergegenwärtigt,
-ist mit Worten nicht auszusprechen. Sie nennen&rsquo;s
-in ihrer sterblichen Unbeholfenheit einen rothen Ungarwein,
-und mit anmaßendem Kunstausdruck die Mennische
-Essenz. Wer aber die wahre Sprache kennt und den Urtext
-versteht, sieht durch den grob ersonnenen philologischen Kniff,
-und erkennt aus der echten Etymologie, daß Adam es damals
-auf seinem höhern kritischen Standpunkt die <em>Menschen-Essenz</em>
-nannte; und das ist sie denn auch, und mein Forschen
-und Ergründen dieser Materie gereut mich so wenig,
-daß binnen kurzem mehrere Flaschen von diesem Liquor, dieser
-Essenz, bei Dir in Guben eintreffen werden, die ich wohl
-aufzubewahren Dich bitte. Wie sehr es Sünde war, vom
-Baum der Erkenntniß zu naschen, darin, wie in allen meinen
-religiösen Ueberzeugungen, hat mich diese Wunder-Essenz
-von neuem gekräftigt. Denn wie man sie nur ein Weilchen
-genossen hat, und sie wieder schmeckt, und von neuem versucht,
-führt sie uns bald in jenes selige Land, wo alle Kenntniß
-aufhört und verschwindet, wo das trockne, kümmerliche
-Bewußtsein immer mehr verdämmert und verdunstet, um,
-wenigstens auf einige Zeit, den sündhaften Zustand der Erkenntniß
-des Guten und Bösen abzuschütteln. Nein, dieser
-Gegensatz hört dann auf, und man lebt einzig und allein im
-Guten, in dieser Menschen-Essenz. O wie neidisch meine
-Freunde waren, daß ich diese Entdeckung gemacht hatte, die
-unsrer ganzen Weltgeschichte eine andre Richtung geben kann.
-<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a>
-Uebrigens liegen im Hochheimer und Johannisberger auch
-ganz respektable Richtungen verborgen, und eben jetzt steht
-eine Flasche vom letzteren neben mir, aus welcher ich Deine
-Gesundheit trinke.
-</p>
-
-<p>
-Unser Weg muß sonderbarer Weise vor Prag vorbeigegangen
-seyn, denn die Straße führt nicht durch, und doch
-soll Prag die Hauptstadt von ganz Böhmen seyn. Wir sind
-wenigstens durch Franken gekommen. Endlich aber ist doch
-unser Kotzebue anerkannt, und es hat sich erwiesen, daß er
-alle Alten und Neuen übertrifft; man sollte ihn aber zum
-Patentdichter machen, daß kein andrer, so lange er lebte,
-Theaterstücke schreiben dürfte.
-</p>
-
-<p>
-In Würzburg in der würzhaften Landschaft haben wir
-im Wirthshause mit vieler Anmuth gewohnt, denn in Bamberg
-hatten sie einen ambulanten Gottesdienst und cassirten
-mit vielem Spektakel die silbernen Sachen von Werth ein,
-weshalb es uns dort nicht gefiel, so alt auch der Dom seyn
-mag. Wir haben auch auf der Stelle gestanden, wo Otto
-von Wittelsbach den Kaiser Philipp ermordet hat. Die
-Ruine gehört einem berühmten jüdischen Arzt, welcher mit
-aller Gewalt unsern Freund Walther trepaniren wollte. Er
-ist aber bis dato noch nicht rasend, und erhielt eine Ehrenerklärung.
-Nur kaufen will dieser neugierige Mann vielerlei,
-und er kann es, weil er reich genug zu seyn scheint.
-Bei der Treppe im fürstlichen Schloß zu Würzburg ist ein
-kurioses vielfaches Echo, das hat er richtig erstanden, um es
-bei sich zu Hause, in seinem Garten anzubringen. Man
-war dabei, es sehr vorsichtig einzupacken. Das Auspacken
-an Ort und Stelle aber muß mit noch größerer Circumspection
-geschehen. Denn die Sache ist fast, nur im Großen,
-wie mit einer Champagnerflasche. Das Ding darf nicht in
-alle Lüfte verflattern, wo es keinem Menschen zum Gewinn
-<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a>
-ist. Im Garten muß es an der rechten Wand sehr künstlich
-eingefugt und eingeleimt werden, damit es richtig antwortet
-und nicht auf Schwarz Weiß, auf Ja ein Nein spricht.
-Herr Walther will sich dann einen tüchtigen Mann vom
-Amt kommen lassen, der mit Echos umzugehen weiß, und
-selbst nur ein Widerhall seines gnädigen Herrn ist, der soll
-ihm das Ding pfropfen oder inokuliren, damit es noch öfter
-und lauter jede Anrede nachspricht. Ein in Ruhestand versetzter
-Geheimer Rath braucht sein Echo nicht mehr in der
-Sitzung abzugeben, und dieser, hofft Walther, wird ihm dieses
-für ein Billiges ablassen. Denn das ist auch zu observiren,
-daß das Echo, wenn es nun wieder gelüftet wird,
-nicht dem Freunde Walther oder einem andern würdigen
-Manne in den Hals fährt. Davon hat man schon merkwürdige
-und traurige Beispiele. Der Minister in &mdash; (ja
-da um die Ecke, rechts oder links von uns, Du brauchst es
-eben nicht so genau zu wissen) war der beste Kopf im Lande,
-nur widersprach er dem regierenden Herrn immerdar. Plötzlich
-(und die gewöhnlichen Menschen meinen, es sei durch
-eine Gehaltsverdopplung bewirkt, was aber die Erscheinung
-weder psychologisch noch physiologisch erklären würde) spricht
-er wörtlich und buchstäblich Alles so, wie sein Landesvater.
-Zur Erheiterung war dieser große Kopf in ein Bad gereiset,
-in dessen Nähe sich ein ganz vorzügliches Echo aufhielt. Der
-Minister spielt mit dem Dinge, wie mit einem jungen Kätzchen,
-frägt, läßt antworten, schreit und singt, um das Wesen
-recht von allen Seiten kennen zu lernen; darüber wird er
-müde, er gähnt, ohne die Hand vor den Mund zu halten,
-und die boshafte Creatur benutzt den Moment und springt
-ihm in den Hals hinein. Nun kann er es nicht loswerden,
-so sehr er Medicin braucht. Im Bade ist das Echo seitdem
-<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a>
-fort. Die Dummen behaupten, weil die Bergleute eine vorlaufende
-Felsenwand weggesprengt haben. Nein, auf eben
-beschriebene Art sind sehr viele dieser Echoisten entstanden,
-die der gemeine Mann zu oft mit den Egoisten verwechselt, die
-freilich auch manchmal nahe an einander grenzen, wie die
-Buchstaben g und h.
-</p>
-
-<p>
-Unser Walther hat neulich etwas gethan, wovon alle
-Philosophen und Denker immerdar ausgesagt haben, es sei
-unmöglich. Er schwang sich nehmlich auf dem Rade der
-Fortuna um, und es gelang ihm, oben auf dem Gipfel wenigstens
-eine halbe Stunde lang ungestört zu verharren.
-Er hätte also den Nagel oben einschlagen können, wenn er
-nicht selbst vernagelt gewesen wäre, denn er fluchte und wetterte,
-um nur wieder hinabzugelangen. Ein wunderliches
-Frauenzimmer, vielleicht die Fortuna selbst, sah ihn dort
-oben thronen und lachte, wie es mir schien. Ich konnte sie
-aber nicht erhaschen. Man schrie ihr Maschinka nach. Hieß
-nicht die geheimnißvolle Unbekannte so, die bei uns logirte?
-Mir schien auch, aber ungewisser Schein nur, als sähe sie
-jener Flüchtigen ähnlich. Aber mein Studium und der
-Genuß der himmlischen Essenzen macht, daß ich mich solcher
-irdischen Dinge nur sehr dunkel erinnere und keine Rechenschaft
-davon geben kann. Wenn sie es war, ist sie mir und
-den Uebrigen wieder entlaufen, ob wir gleich alle hinter ihr
-drein waren. Walther, der Herabgestiegene, auch. Fortuna
-aber oder Maschinka war verschwunden.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Die Beiden kamen spät von der Starkenburg zurück,
-und indem sie in das Zimmer traten, hörten sie, wie Wachtel
-sich selber den letzten Theil und Beschluß seines Briefes
-vorlas. Walther fuhr auf ihn zu und fragte: was war das
-<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a>
-für eine Dame, die jener in Würzburg ähnlich war? Auch
-Ferdinand setzte ihm leidenschaftlich mit Reden zu; doch
-Wachtel, der jetzt seine Flasche Johannisberger völlig geleert
-hatte, sagte: Meine Herren und Freunde, ich habe da einen
-häuslichen vertraulichen Brief an meine Gattin geschrieben,
-welcher nichts, als Familienverhältnisse und Versicherungen
-meiner Liebe enthält, diesen kann ich Euch also unmöglich
-mittheilen; die letzte Anspielung, die Ihr zufällig vernommen
-habt, ist nichts weiter als die Beziehung auf eine Sache, die
-ich selber nicht verstehe und das Wenige, was ich davon
-wußte, seitdem völlig vergessen habe. Ich war, als jenes
-Frauenzimmer schnell in unser Zimmer dort in Guben trat,
-eben in Gedanken und Studien versenkt; kurzum, sie hatte
-einen Brief an meine Frau, den ich damals nicht lesen
-konnte oder wollte, und ein alter Mann begleitete sie, von
-dem es unentwickelt vor mir liegt, ob er ein Herr oder ein
-Bedienter war. Kurz, mit einem Wort, sie bewohnte ein
-Zimmer, als ich schon schlief. Sie kam mir hübsch vor, und
-nachher, als ich sie wiedersah, konnte ich mich nicht bestimmt
-erinnern, ob es noch dieselbe oder eine andre war. Diese
-zweite war aber noch schöner. Vielleicht hatte sie aber die
-Frische des Morgens so gefärbt. Nun fragte ich wieder
-nach ihr, und sie war schon abgereist, und da es mich nichts
-anging, schlug ich es mir aus dem Sinn, und so vergaß ich
-es, und so reiste ich nach Dresden ab, und so sind wir nun
-hieher gerathen, und das Briefschreiben hat mich angegriffen,
-und der Johannisberger hat mich gestärkt, und das ist Alles,
-was ich von der Sache weiß.
-</p>
-
-<p>
-Daß mich die Sache interessirt, sagte Walther, darüber
-könnte ich meine Gründe angeben; aber warum Sie, Ferdinand,
-so neugierig sind, begreife ich nicht.
-</p>
-
-<p>
-Ich weiß selbst nicht, antwortete dieser, weshalb ich mich
-<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a>
-darnach erkundige; man macht seinen Freunden in der Regel
-Alles nach, weil sie nach einiger Zeit ein gemeinsames
-Interesse verknüpft. Und, gestehe ich es nur, in jener Nacht,
-als wir in Guben waren, hörte ich durch die offenstehenden
-Fenster der untern Zimmer meinen Freund Wachtel schon
-mit seiner Frau von dieser Dame reden, ich war schon damals
-neugierig, aber mein Freund Wachtel war in einem
-so bedenklichen Zustande, daß ich mich ihm nicht zu erkennen
-geben mochte; auch rückte schon der erste Morgen herauf und
-unsre Abreise drängte.
-</p>
-
-<p>
-Sieh! sieh! sagte Wachtel gähnend, meine confuse Frau
-hat mir damals eine noch confusere Geschichte vorgetragen,
-von einem sehr hübschen Menschen, den sie hundertmal einen
-Engel nannte. Sie schien zu meinen, ohne des Engels Beihülfe,
-der sich so edel betragen, hätte ich die ganze Nacht
-draußen im Grase liegen müssen. Sie machte ein Mährchen
-draus, wie das von der Martinswand ist. Und nun
-entwickelt es sich also, daß Du dieser Engel warst. So
-verschwinden bei nur mäßiger Forschung alle Wunder aus
-der Geschichte.
-</p>
-
-<p>
-Nach einer kurzen Ruhe fuhren die Freunde am schönen
-Morgen weiter, aber nur langsam, um die Gegend
-zu genießen. Sie kamen schon früh in Heidelberg an.
-</p>
-
-<p>
-Der Pfarrer Le Pique hatte dem jungen Ferdinand
-einige Briefe an Freunde mitgegeben, und so lernte dieser
-einen rüstigen, geistreichen Mann, Keyser, welcher Lehrer an
-der Schule war, kennen. Sie besuchten gemeinschaftlich den
-biedern Daub, sowie den herrlichen Creuzer, und in der
-schönen Umgebung, unter wissenschaftlichen und heitern Mittheilungen
-verflossen ihnen die Stunden und Tage im lieblichsten
-Wohlbehagen. Auch den trefflichen Pfarrer Abegg
-lernten sie in Lohmen kennen, und die muntern Freunde, die
-<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a>
-Alle noch jugendlich kräftig waren, durchstreiften das Gebirge
-und die blühenden Kastanienwälder, die vielen Bergen
-hier einen ganz südlichen Charakter geben, und erkletterten
-alle irgend zugänglichen Theile des großen Heidelberger
-Schlosses.
-</p>
-
-<p>
-Mit Keyser ging Ferdinand in einer Nacht nach Zweibrücken
-hinüber, und Walther verwunderte sich, daß der
-Freund ihm aus dieser Wanderschaft ein Geheimniß gemacht
-hatte.
-</p>
-
-<p>
-Walther, der noch wenig mit Gelehrten und mehr mit
-dem Adel gelebt hatte, war höchlich erfreut, in dem Professor
-Daub die schöne Biederkeit echter deutscher Natur, und in
-Creuzer diese Gewandtheit des Geistes, sowie diese edle Urbanität
-kennen zu lernen; Abegg&rsquo;s Milde wirkte wohlthätig
-und fein auf den witzigen Streit, der sich manchmal zur
-Heftigkeit erhob und den besonders der lebhafte Keyser gern
-veranlaßte. Wenn wahre Gelehrte, die zugleich als echte
-und edle Menschen den Ton des Umganges haben, in freundlicher
-Hingebung scherzend und ernst durch alle Gänge des
-Wissens und Forschens wandeln, so findet sich in dieser
-Umgebung eine Unterhaltung, die der Menschenkenner und
-Weltmann vergebens in den andern Zirkeln der Gesellschaft
-suchen wird.
-</p>
-
-<p>
-Ein schöner Friede schien alle Gelehrte in Heidelberg
-zu vereinigen und Ferdinand erzählte viel von einer schönen
-Zeit, in welcher er vor wenigen Jahren in Jena in dem
-Kreise lebte, den Wilhelm und Friedrich Schlegel, Novalis
-und Schelling bildeten. Er schilderte diese Wochen als das
-reichste und üppigste Geistesbankett, das er jemals schwelgend
-genossen habe.
-</p>
-
-<p>
-Nach einigen Tagen schrieb Ferdinand an eine Freundin,
-Charlotte von Birken, nach Berlin.
-</p>
-
-<p class="date">
-<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a>
-Heilbronn, den 18. Julius 1803.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Meine theilnehmende Freundin, ich benutze die Nacht,
-indem meine Reisegefährten schlafen, um endlich mein Versprechen
-zu erfüllen und Ihnen einige Nachrichten von mir
-mitzutheilen.
-</p>
-
-<p>
-Die Spannung, in welcher mich diese unfreiwillige Reise
-erhält, muß oft der Entzückung und der Begeisterung weichen,
-in welche mich die abwechselnden großen und lieblichen
-Naturscenen versetzen, an welchen unser schönes Deutschland
-so reich ist und die unsre Landsleute immer noch nicht gehörig
-zu würdigen wissen.
-</p>
-
-<p>
-Von meinen Aussichten, Plänen, meinem künftigen
-Glück weiß ich Ihnen noch nichts zu sagen. Alles zieht sich
-in die Länge, Alles wird fast ungewisser, als es war. Ein
-junger Mann in Heidelberg, Keyser, der mein ganzes Herz
-gewonnen hat, führte mich nach Zweibrücken zu seiner reizenden
-und liebenswürdigen Braut, und hier fand ich denn endlich
-einen Brief vom Onkel, der etwas Bestimmteres aussagte,
-und der, sonderbar genug, mich wahrscheinlich bald
-wieder in Ihre Nähe führen wird, da ich bis jetzt glauben
-mußte, Basel sei die Richtung, die ich nur nehmen könne,
-und die Schweiz sei mein künftiger Aufenthalt. Indessen
-ist schon viel gewonnen, daß der einflußreiche angesehene
-Mann sich zum Vermittler anbietet. Ich mag Ihnen von
-manchen Dingen, die mir zugestoßen sind, nichts Näheres
-mittheilen, weil ich Alles einem mündlichen Gespräche vorbehalte,
-man auch nicht wissen kann, wie ein Brief verunglückt,
-oder, bei der größten Vorsicht, in die unrechten
-Hände geräth.
-</p>
-
-<p>
-Von dem schönen Heidelberg aus haben wir eine kleine
-Fußreise gemacht, um Neckar-Steinach und die drei Ruinen
-zu sehen, die dort dicht neben einander liegen. Das eine
-<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a>
-wüste Schloß war der Aufenthalt des berüchtigten Lindenschmidt.
-Ein runder, steiler Hügel, der Dielsberg, macht
-dort einen sonderbaren Anblick; hier verließ uns Keyser, der
-uns begleitet hatte, um nach Heidelberg zurückzukehren. Wir
-hatten jetzt einen schönen Weg nach Hirschhorn, welches am
-Neckar liegt. Ein altes Schloß und Kloster sind hier, die
-uns durch ihre Alterthümlichkeit große Freude machten. Wir
-nahmen ein Schiff, und fuhren, von einem Pferde gezogen,
-den Neckar stromaufwärts. Die Gegend ist reizend, viele
-alte Schlösser, die noch ganz in ihrem ehemaligen Zustande
-sind, werden bewohnt. In Eberbach war viel Getümmel
-und ein Aufzug der Bürger. Nach einigen Stunden jenseits
-dieses Städtchens verließen wir das Schiff wieder, um
-zu Fuß zu wandern. Minneberg und zwei Hügel dort bilden
-eine reizende Gegend. Bei Neckar-Els öffnet sich das
-Thal. Vor der Stadt nahm uns ein schlechtes Wirthshaus
-auf und Walther miethete aus Eigensinn ein sonderbares
-Fuhrwerk, um sich nur mit keinem Hauderer, der vielleicht
-auch nicht vorzüglich gewesen wäre, einzulassen. In den
-meisten Menschen, selbst vernünftigen, offenbart sich zuweilen
-eine falsche Poesie, die sie im Leben selbst suchen oder unmittelbar
-in dieses hineintragen wollen. Bei den ganz dummen
-Wirthsleuten hatte er auf Erkundigung erfahren, sie
-hätten einen leichten Einspänner, der auf zwei Rädern laufe.
-Vielleicht fielen ihm die italienischen Sedien oder ein flüchtiges
-Cabriolet ein; genug, er miethet das Ding, um so
-mit uns am folgenden Mittag in Heilbronn anzukommen.
-Ich entsetzte mich nicht wenig, als am Morgen das elende
-Gespann vorfuhr. Was war es? Ein viereckter, grob geflochtener
-Korb, der auf zwei hohen Rädern unmittelbar auf
-der Axe lag. Man hatte Säcke und Stroh hineingelegt.
-Ich schlug vor, lieber zu Fuß zu wandern, aber der boshafte
-<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a>
-Wachtel hatte seine Freude an diesem Skandal, und
-Walther wollte sich kein Dementi geben. Wir klemmten uns,
-so gut es gehn wollte, in den verwünschten Korb hinein,
-und ein blödsinniger Knecht unternahm es, uns mit einem
-steifen Gaul so in Heilbronn im Triumph aufzuführen. Zwei
-Stunden von dort liegt der Hornberg, welchen Götz von
-Berlichingen von Conrad Schott kaufte und wo er den größten
-Theil seines Lebens hauste. Der steile Berg ist auf
-zwei Seiten mit Wein bebaut, von oben hat man die Aussicht
-über das offene Neckarthal und über die gegenüber liegenden
-niedrigern Felsen. Auf der Hinterseite des Berges
-ist ein enges Thal und ein herrlicher Wald, der sich bis
-dicht an die Burg erstreckt. Alles ist oben, auf dem Wege
-zur eigentlichen Festung, mit wüstem, verwachsnem Gestrüpp
-bedeckt. Aus den Zimmern und Sälen des Schlosses genießt
-man einer vortrefflichen Aussicht. Vor kurzem hätte das
-ganze Haus noch mit wenigen Kosten zum Bewohnen erhalten
-werden können, jetzt ist es verfallen und wird nach einigen
-Jahren wohl ganz zerstört seyn.
-</p>
-
-<p>
-Wir fuhren dann durch ein Städtchen Gudelsheim, das
-den deutschen Herrn gehört, und ließen uns nach Wimpfen
-übersetzen. Vor Heilbronn verließen wir doch, trotz unsrer
-Aufklärung, unsern Karrn und zogen zu Fuß in die Stadt
-ein. Alles wurde hier zur Huldigung des neuen Herrn eingerichtet,
-der Altar in der protestantischen Kirche war abgetragen,
-recht gut scheinende Gemälde waren, ihm zu Ehren,
-neu übermalt und verdorben. Kirche und Thurm gehören
-zu den merkwürdigen Gebäuden. Der berühmte wasserreiche
-Brunnen der Stadt hat durch eine neue schlechte Balustrade,
-um die man die alte Einfassung, die besser war, wegreißen
-mußte, viel an seinem Wasser verloren. Am Rathhause
-wurde eben ein schönes steinernes Geländer weggebrochen,
-<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a>
-um Latten besser anbringen zu können, an welchen die Lampen
-zur Illumination befestigt werden. Wir besuchten die
-Orte, die uns von früher Jugend auf durch den Berlichingen
-und Göthe&rsquo;s Werk so merkwürdig sind. Auch den gewundenen
-Thurm kletterten wir hinauf und standen oben,
-neben dem Ritter, wie mich dünkt, dem heiligen Kilian.
-</p>
-
-<p>
-Hätten wir es unterlassen können, nach Weinsberg hinauszufahren?
-Durch Bürger&rsquo;s Romanze ist dieser Ort und
-die That der Weinsberger Frauen im Munde alles deutschen
-Volkes. So manches die Kritik gegen Bürger&rsquo;s Balladen
-und Romanzen mit Recht ausstellen kann, so vorsätzlich er
-so oft den alten einfachen Ton, jenes Geheimniß, im Wenigen
-und im Verschweigen viel zu sagen, worin Göthe der
-größte Meister ist, vermied und nicht finden konnte, so bin
-ich doch überzeugt, Bürger&rsquo;s Balladen werden bei uns länger,
-als die von Schiller leben, der (in wenigen ausgenommen)
-noch mehr jene stille Einfachheit verletzt hat.
-</p>
-
-<p>
-Um Heilbronn ist eine schöne grüne Natur und wir
-waren alle mit unserm Tagewerk zufrieden. Wie schön ist
-es, in einem Lande zu leben, wo Städte, Bildwerke, Felsen
-und Berge auf alte Geschichte, auf große Kaiser und merkwürdige
-Begebenheiten hinweisen. Wie herrlich ist in dieser
-Hinsicht Deutschland ausgestattet! Mir kommt es fürchterlich
-vor, in Amerika leben zu müssen. Und die verschiedenen
-Epochen der Kaiserherrschaft, des Aufblühens der Familien,
-des stets wechselnden Verhältnisses, der großen wie kleinen
-Fehden und die mannigfaltigen Gestaltungen und Umwandlungen
-des Ritterthums, von der höchsten Bildung und der
-schwärmenden, poetisch-fanatischen Verehrung der Frauen bis
-zum niedrigen, rohen Räuberhandwerk hinab, alles Dies,
-glaube ich, hat sich nirgends so wundersam, vielseitig, grell
-abstechend gewiesen, als in unserm Deutschland. Unsere unwissenden
-<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a>
-Autoren, die diese Gegenstände behandeln, haben
-sich aber eine gewisse rohe Manier gebildet, die immer in
-Zank, Großsprecherei und leeren Worten wiedertönt, ohne
-uns auch nur im mindesten ein Bild und anschauliches Gemälde
-jener Zeiten zu geben. Andre sehen nur Greuel, Verwilderung
-und Mord in jenen Tagen der merkwürdigsten
-Entwicklung, und bedenken nicht, daß, wenn die Welt so beschaffen
-gewesen wäre, wie sie sie verlästern, in kurzem weder
-Gute noch Böse, Freie und Knechte würden übrig geblieben seyn.
-</p>
-
-<p>
-Wie aber Gefühle absterben, wie der Sinn für das
-Schönste sich verlieren kann, muß ich täglich mehr erfahren.
-Rührt uns schon in Stadt und Feld die Hinweisung auf
-Geschichte und belebt und weiht den todten Stein und den
-Wald, wie viel mehr jenes Mahnen an die Wunder und die
-Süßigkeit unserer Religion. Und diese forttönende Poesie,
-dieses Erklingen der feierlichen Harfensaiten, diesen still
-lebenden und stumm beredten Gottesdienst in der Einsamkeit
-der Natur, im Gewühl des Marktes, in Felsgrotten und
-Wäldern, im Verherrlichen der Brücken und Ströme finde
-ich nur noch in den katholischen Provinzen. An Zoll und
-Polizei, an Argwohn und Paß, an Aufsicht und Visitation
-werden wir im Protestantischen genug erinnert, an die Bedeutung
-des Christenthums fast niemals. Ja, jene Wundersagen,
-jene Bildwerke, Hymnen, Klöster, Mönche, heilige
-Jungfrauen, Vorbitten und Schutzheilige sind Gegenstände
-des Spottes und Hasses. Und die besten Menschen können
-sich oft von diesem Aberglauben gegen den Aberglauben,
-von dieser Gespensterfurcht, daß der Glaube an Gespenster
-wieder kommen könnte, nicht frei erhalten. So konnte es
-mein neu erworbener Freund, Keyser, nicht begreifen, wenn
-ich behauptete, die Reformation sei zwar eine nothwendige
-gewesen, sie habe der Welt und namentlich Deutschland unendliches
-<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a>
-Heil gebracht; aber viel Schönes, Großes und Heiliges
-sei mit Zerstörung des Schlechten zugleich vernichtet
-worden, und dies sei es, was der eifrige Protestant nie anerkennen
-wolle und was die Katholiken selbst nicht zu würdigen
-wissen. Auch ein schlechtes Bild an der Landstraße rührt
-mich, weil es auf jene Geheimnisse hindeutet, die wir nie
-vergessen sollen, wenn wir sie gleich auf dem gewöhnlichen
-Wege niemals begreifen können. Die Fratzen in manchen
-Kirchen stören mich so wenig wie die oft ungelenken Priester;
-denn auch im unansehnlichen Dornbusch blüht der Frühling
-heraus und bewegt mich, als ein Zeichen der allgemeinen
-Auferstehung des Lebendigen.
-</p>
-
-<p>
-Dies Gefühl des Mitleidens in der höchsten Liebe, daß
-wir durch Selbstaufopferung das Opfer der Liebe vergüten
-möchten, diese schönsten Gefühle sind es gerade, die die meisten
-Menschen von sich abweisen oder die Härteren als unrecht
-verdammen. So heben sie sich für den Sonntag, für
-Orgel und Predigt die feierlichen Empfindungen auf, oder
-sie schließen einen verständigen Contrakt mit dem unbegreiflichen
-Wesen, welches sie Gott nennen, um gegenseitige
-Pflichten und Verbindlichkeiten klar im Auge zu behalten.
-Der Vers eines Liedes aber, Abends unter einem Crucifix
-still und andächtig gesungen, der Blick des betenden Greises
-auf einsamem Waldplatz zum leidenden Heiland hinauf, der
-Kuß, den das Kind auf seinen Rosenkranz drückt, die Thräne
-der Mutter, welche auch den Sohn verlor, vor der Mater
-dolorosa, sagen mehr, als alle jene kalte Weisheit verkündigen
-und lehren kann.
-</p>
-
-<p>
-Sie kennen ja aber, theure Freundin, meine Gesinnungen
-über diese Gegenstände und stimmen mir bei. Ich hoffe
-Sie bald zu sehn; im Herbst gewiß.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a>
-Walther war aus andrer Ursache nachdenklich von Weinsberg
-zurückgekommen. Er hatte an der Wand der Kapelle,
-auf welcher die Geschichte der treuen Weinsberger Weiber
-gemalt ist, mit Bleifeder frisch angeschrieben deutlich die
-Worte gelesen: &bdquo;Romeo, in der Höhle zu Liebenstein findest
-Du den 24. Juli M &mdash; Julia.&ldquo; &mdash; Seine Gefährten hatten
-die Schrift nicht bemerkt, ihm aber flüsterte sein Genius
-zu, diese Hinweisung rühre von jener vielgesuchten Maschinka
-her, die den Mann, welchen er verfolgte, in Liebenstein erwarte.
-Sein Entschluß war daher gefaßt, nach Liebenstein
-zu gehn und gewiß am 24. Julius in dieser Höhle zu seyn,
-in welcher er diesen Romeo zu entdecken hoffte. Er konnte
-sich selber keine Rechenschaft davon geben, warum er sich die
-wenigen Worte so erklärte, warum er der Meinung war,
-sie müßten von jener entflohenen Maschinka herrühren, deren
-Handschrift er niemals gesehn hatte. Aber dieser blinde
-Trieb, dieser Instinkt schien ihm gerade ein Beweis dafür,
-daß er auf der richtigen Spur seyn müsse.
-</p>
-
-<p>
-Am folgenden Morgen trug er, ohne seine Gründe anzugeben,
-darauf an, daß man noch einiges Merkwürdige in
-der Nähe betrachten, dann aber nach Liebenstein reisen möge.
-Mein theurer Freund, sagte Ferdinand, mit einiger Heftigkeit:
-wie kommen Sie auf diesen Entschluß? Warum nach
-Liebenstein? Ich hoffte, wir würden von hier aus uns mehr
-südlich und nach dem Schwarzwald, vielleicht sogar nach der
-Schweiz wenden, um einen Theil des Herbstes in den schönen
-Alpengegenden und an den erfrischenden Seen zuzubringen.
-Und nun schon, noch so zeitig im Jahre, uns wieder
-nach Norden wenden? das sieht schon wie Rückkehr aus, die
-ich in diesem wahrhaft schönen Sommer, der uns vielleicht
-noch lange begünstigt, weit hinausschieben möchte.
-</p>
-
-<p>
-Schon umkehren? rief Wachtel aus: wie? Ich habe auf
-<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a>
-den Rhein und die schönen Weinplätze Bacharach, Rüdesheim,
-Nierenstein gehofft &mdash; und nun wieder in das kalte
-Bierland hineinreisen? Ei, welch ein böser Geist hat Ihnen,
-verehrter Freund, den bösen Gedanken zugeraunt?
-</p>
-
-<p>
-Sie wissen, fuhr Ferdinand fort, mir ist nur in den
-Gegenden, wenn ich in der Fremde bin, recht wohl, wo ich
-die alten Münster, den katholischen Cultus, die Bilder und
-Feierlichkeiten, so wie Alles, was damit zusammenhängt,
-sehe und mein Gemüth erhebe. Haben wir doch oft genug
-darüber gestritten. Es ist fast, als wenn ich eine Geliebte
-verlassen, indem ich diesen schönen Provinzen wieder den
-Rücken wenden soll.
-</p>
-
-<p>
-Geliebte! sehr wahr! rief Wachtel, fast schluchzend. Ich
-kenne das schon, um wie viel theurer und schlechter der Wein
-in den Gegenden dort oben ist. Nun habe ich mein Herz
-hier so weit hinweg spazieren geführt und es so recht gemüthlich
-im Sonnenschein der Andacht ausgelabt und eingesommert.
-Ich kann schwören, mit jeder Meile, die mich von
-meiner Frau um eine mehr entfernt, fühle ich meine Liebe
-zu der vortrefflichen Person inniger und brünstiger. Welchen
-schönen Liebesträumen hing ich nun nach, daß noch wenigstens
-hundert Meilen sich zwischen uns legen sollten, um
-mich so recht und voll in die erste Jugendliebe hinein reisen
-und rasen zu lassen. Das hätte vielleicht eine so ausbündige
-Verliebtheit zu Stande gebracht, wie nur jemals zwischen
-Abälard und Heloisa stattgefunden hat, &mdash; und nun soll ich
-plötzlich ernüchtert werden, denn das weiß ich im voraus,
-mit jeder Meile, die ich jetzt schon, um so vieles zu früh,
-der Theuern näher komme, wird mein Herz kälter, und Sie
-haben es zu verantworten, Baron, wenn ich als ein rechter
-Gimpel, als kalter Frosch, als miserabler Philister meiner
-Alten ganz herzlos und krüppelmatt an den Hals falle.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a>
-Walther sagte lachend: liebe Freunde, es kann nicht
-meine Absicht seyn, Sie irgend in Ihrer Reiselust hemmen
-oder auf falsche Wege verlocken zu wollen. Unsre Trennung,
-wenn sie jetzt so viel früher eintritt, wird mich schmerzen;
-aber wir finden uns wohl später wieder. Was mich jetzt
-nach Liebenstein zieht, ist ein kleines Geschäft. Sie wissen,
-wir Alle hatten bei unsrer Abreise von Dresden keinen festen
-Plan, wir wollten uns leichtsinnig dem Zufall und unsrer
-Laune ganz überlassen. Vergessen haben Sie aber ganz,
-daß wir beim Abschiede in Karlsbad unserm Freunde Carl
-Hardenberg fest versprachen, ihn in Liebenstein wiederzusehn.
-Diese Zeit ist jetzt, und versäumen wir sie, so treffen
-wir ihn dort nicht mehr an und er hat uns vergeblich
-erwartet.
-</p>
-
-<p>
-Es ist wahr, sagte Ferdinand, wie aus tiefem Nachsinnen
-erwachend; dieses Versprechen, welches fast ein feierliches
-war, ist mir seitdem ganz entschwunden. Und so begleite
-ich Sie denn, lieber Walther, theils um meiner Pflicht
-gegen jenen Freund zu genügen, andrerseits aber, um länger
-in Ihrer Gesellschaft zu seyn und mit Ihnen die Schönheiten
-unsrer Reise zu genießen.
-</p>
-
-<p>
-Sei&rsquo;s drauf gewagt, rief Wachtel, sollte ich auch mit
-ganz eiskaltem und erfrornem Herzen zu meiner vielgeliebten
-Gattin zurückkommen. Ich weiß nicht, ob es Heilige giebt,
-denen sich ein kalt werdender Liebhaber und Gatte empfehlen
-kann, oder ob Protektoren der zärtlichen Ehe angestellt sind,
-die die Flammen so anfachen, wie der heilige Kilian sie auslöscht;
-wenn Du mir, Ferdinand, keinen zu nennen weißt,
-so ist das eine große Lücke in Deinem vielgepriesenen, bilderreichen
-und wundervollen katholischen Cultus. Der Abälard,
-der dazu passen könnte, war außerdem schon ein Ketzer;
-und seine Heloisa gilt auch für eine fromme Sünderin; und
-<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a>
-so hat die Kirche die beste Gelegenheit versäumt, durch zeitgemäßes
-Canonisiren diesem Bedürfniß abzuhelfen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Die Freunde reiseten nach diesem Entschlusse queer durch
-das Kocherthal und besuchten Neustadt an der Linde. Von
-einer außerordentlich großen Linde hat dieses Städtchen seinen
-Beinamen. Nach dieser anmuthigen Gegend kamen sie
-durch den Harthäuser Wald. Das Thal der Jaxt ist zerrissen,
-die Weinberge schroff, kahl und weiß, und das Land
-ist hier weniger fruchtbar, als das Thal der Kocher. Eine
-sehr große und schöngebaute Brücke führt über den Jaxtfluß,
-der jetzt so klein war, daß er fast gar kein Wasser enthielt.
-</p>
-
-<p>
-Aus Verehrung für Göthe betraten sie das alte Haus,
-die Burg Jaxthausen, in einer feierlichen Stimmung. Der
-berühmte Gottfried, oder Götz, hat hier nur in seiner
-Kindheit und frühen Jugend gelebt. Ein älterer Bruder,
-Philipp, erbte diesen Stammsitz der Familie, und lebte,
-wie es scheint, ruhig und glücklich auf diesem seinem Schlosse.
-</p>
-
-<p>
-Alles ist hier alterthümlich, fest und mannhaft, wenn
-auch nicht großartig. Das Archiv ist in einem großen, runden
-Thurm. Die Wandschränke, viele Sessel und Stühle
-schienen noch aus der Ritterzeit. Die Wendeltreppe ist vortrefflich
-gebaut. Fest kann, ungeachtet der Gräben, das
-Haus doch nicht gewesen seyn; es liegt niedrig, auf ebenem
-Boden und hat das Ansehn eines reichen Adelhofes.
-</p>
-
-<p>
-Ein neues, anmuthiges Schloß von mäßigem Umfang,
-welches eine Familie Gemmingen bewohnt, liegt nahe bei
-Jaxthausen, und nicht weit davon, an der Jaxt die Ruine
-der alten Burg Berlichingen, die alle Leute in der Gegend
-dort Berlinchen nennen.
-</p>
-
-<p>
-Eine Meile von Jaxthausen findet man in anmuthiger
-Waldgegend das Kloster Schönthal. Hier ist das Erbbegräbniß
-<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a>
-der Berlichingen; Götz ist als der letzte hier begraben
-worden, weil nachher die Familie protestantisch war.
-Die Kirche ist schön, und Ferdinand hörte die Erzählung
-mit Ingrimm, daß man nicht nur alle goldne und silberne
-Gefäße, sondern selbst zwei heilige Leiber bei der Aufhebung
-des Klosters den Juden verkauft habe.
-</p>
-
-<p>
-Ein Mönch verzeichnete die Bücher der Bibliothek, weil
-diese abgeliefert werden sollte. Der Mann schien unwissend
-und sich mit den alten Drucken oder Handschriften, bei denen
-er die Titel nicht finden konnte, sehr zu quälen. Ferdinand
-machte sich an ihn und half ihm bei einigen. Im Verlauf
-des Gespräches jammerte der Mönch über die Aufhebung des
-Klosters. Ferdinand stimmte mit ein und sprach von den Vortheilen
-und Reizen der Einsamkeit, und wie schön die Einrichtung
-gewesen, daß vielen Geistern, die den Beruf gefühlt, Freistätten
-seien gestiftet worden, in welchen sie sich ganz und völlig
-von der Welt unabhängig, den Betrachtungen der höchsten Gegenstände
-hätte widmen können. Seit lange aber, fuhr er
-fort, ist die Einsamkeit verrufen, Alle, so hört man immerdar,
-sollen und müssen in die vielfachen Wirbel und in die Verwirrung
-der Welt hineingetrieben werden; praktisch, so ruft
-man schon dem Kinde zu, mußt Du werden, um die Geschäfte,
-die Aufgaben des Lebens verwalten und lösen zu
-können. Die Namen eines Stubengelehrten, einsamen Denkers,
-stillen Forschers sind wie die Benennungen Einsiedler,
-Klostermönch, abergläubischer Priester, zu Schimpfnamen
-geworden. Und dennoch &mdash; wenn man diese Weltmenschen
-kennt und beobachtet, die in den Rädern der großen Weltmaschine
-hanthiren und immerdar mit dem Gewühle der
-verwirrten Masse umtreiben &mdash; wie ist ihr Gemüth abgestumpft
-und keiner großen Eindrücke und Entschließungen
-fähig. Ungewohnt, einen wahren, echten Gedanken zu fassen,
-<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a>
-eine belebende Idee zu ergreifen und sie dann anwendbar zu
-machen, ist ihr ganzes praktisches Treiben nur wie das des
-Maulthieres in der Drehmühle, thätig ohne Geschäft, im
-Mechanismus als Maschine arbeitend. Lehrt uns denn nicht
-die Geschichte, daß so oft jene stillen Menschen, die sich der
-Einsamkeit ergaben, in Zeiten der Noth hervortraten, um
-Das zu ordnen und zu beschwichtigen, was allen Weltregierenden
-und in der Welt Erzogenen zu mächtig geworden
-war? Einige der edelsten Päpste nicht nur waren in der
-Stille des Klosters gebildet und herrschten im großen Sinne,
-als sie berufen wurden, auch außer so manchen Bischöfen
-und Aebten waren es oft einfache Mönche, die in Zeiten
-der Drangsal auftraten, um mit dem Seherblick, den gerade
-die Einsamkeit geschärft hatte, Kräfte zu entdecken, die die
-verderblichste Verwirrung in lichte Ordnung umwandelten.
-</p>
-
-<p>
-Darum, sagte der Mönch, der von Zeit zu Zeit von
-seinem Cataloge aufsah, ist es Unrecht, wie man jetzt mit
-uns umgeht. Nicht anders, als wenn wir Mordbrenner
-und Landesverräther wären. Und grausam ist es obenein.
-Denn unser eins hat nun von Jugend auf nichts anders
-gelernt, wir können uns auf keine andre Weise ernähren,
-und doch stößt man uns in die Welt ohne alle Versorgung,
-denn die armselige Pension, die man uns auswirft, kann
-kaum gerechnet werden.
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand wendete sich mit dem Ausdruck der tiefsten
-Verachtung von dem Manne ab. Als sie draußen waren,
-fragte ihn Wachtel: was ist Dir nur, daß Du plötzlich so
-sehr verstimmt bist? &mdash; Wenn mir, rief Ferdinand aus, der
-ich ein Laie, ein Protestant bin, das Herz brechen möchte,
-weil ich in einem Zeitalter geboren bin, in welchem eine
-ganze Welt von Herrlichkeit, Poesie und Kunst in ein großes
-<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a>
-Grab höhnend geschüttet wird, eine Welt, in welcher so
-Großes erwuchs und geschaffen wurde, die für Bildung,
-Gelehrsamkeit und echte Freiheit so viel that, die durch so
-viele geistliche Helden und Märtyrer verherrlicht ist, &mdash; und
-ich sehe einen Mönch, der diesem zerstörten Tempel angehört,
-um nichts als sein tägliches Brot seufzen, den nur die Küche
-dauert, die zugleich mit dem Wunderdom zerfällt, so möchte
-ich verzweifeln. Er fühlt sich nicht gekränkt und im tiefsten
-und heiligsten Ehrgefühl seines hohen Standes verletzt, nein,
-er wäre zufrieden, wenn er nur in irgend einem Pallast
-seiner Verfolger wieder Küchenjunge werden könnte. Giebt
-es freilich viele dieser Art, haben manche Regierende wohl
-selber so gedacht, so ist diese große Kirchenanstalt in sich
-selbst, auch ohne äußern Anstoß und ohne die weltliche Habsucht,
-zusammengebrochen.
-</p>
-
-<p>
-Sei nicht unbillig, rief Wachtel aus, wie soll ein gewöhnlicher
-Mönch, von frühster Jugend zum unbedingten
-Gehorsam gewöhnt, dessen größte Tugend es seyn mußte,
-den eignen Willen zu brechen, Deinen Enthusiasmus theilen
-oder verstehn? der bei Dir auch nur um so feuriger ist,
-weil Du, in einer ganz anders gestalteten Fremde erzogen,
-als Fremdling in diese zerstörte Welt hineinschaust. Du bist
-noch ziemlich jung, wohlhabend, hast niemals Mangel empfunden,
-kannst es also in Deinem übermüthigen Blute nicht
-wissen, wie bitter die Nahrungssorgen sind. Außerdem bist
-Du so erzogen und unterrichtet, daß Du im äußersten Fall
-zu hundert Geschäften greifen könntest, um Dich zu ernähren;
-hast auch, durch den Weltumgang, Dreistigkeit gewonnen,
-mit Menschen umzugehn und Dir Beschützer zu
-suchen. So ein Armer aber, wie dieser, von frühester Kindheit
-verschüchtert, erniedrigt und eingezwängt, wenn dem die
-Maschine zerbrochen wird, an der er arbeitet, und er gar
-<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a>
-nichts gelernt hat, als an dieser einen Stift einzufugen, der
-ist unendlich zu bedauern.
-</p>
-
-<p>
-An diesem Tage kamen die Reisenden noch bis Mergentheim
-und setzten am folgenden Morgen ihren Weg fort,
-längs der Tauber. Die Gegend bis Bischofsheim ist nicht
-schön, das Thal der Tauber ziemlich kahl. Von Bischofsheim
-bis Würzburg war die Gegend auch nicht interessant
-und Ferdinand sagte: ich glaube fast, daß wir gestern den
-letzten eigentlich poetischen Tag unserer Reise genossen haben.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind nur, antwortete Walther, gegen das Zurückkehren
-und scheinen mir eine zu große Vorliebe für das unbestimmte
-Herumschwärmen zu verrathen.
-</p>
-
-<p>
-So ist es, rief Wachtel aus, das war von früher Jugend
-an seine Passion. Er ist ein schlechter Staatsbürger
-und Patriot.
-</p>
-
-<p>
-Das Reisen selbst, erwiederte Ferdinand, ist für Den,
-welcher es versteht, eine so poetische Kunst, daß ich mich in
-diesem Sinne gern als gebornen Vagabunden bekenne. Mich
-dünkt, der merkwürdige Theophrastus Paracelsus sagt schon,
-das Reisen sei das Lesen eines herrlichen Buches, in welchem
-man die Blätter mit den Füßen umschlage. Die Natur und
-jede ihrer Launen kennen zu lernen, sich ihr ganz zu eigen
-zu geben, Heiterkeit und Genuß wie Regen und Sturm mit
-Dank empfangen, dies verstehn nur wenige, und die es vermögen,
-sind schon Eingeweihte. Dann die Kunst, zu lernen,
-wie man mit dem Volke leben kann, daß man aus allen
-Gesinnungen etwas Neues hört, daß man die Spur findet,
-wo auch in anscheinender Einfalt die Weisheit unbewußt
-spricht, wie die Wahrheit immer hinter allen Masken der
-Lüge hervorblitzt, alles Dies dient, unsern Geist zu erheben
-und reif zu machen. Dazu die Wunder, das Staunenswürdige,
-das uns Kunst, Natur, das Firmament und die
-<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a>
-Elemente bieten, oft auch die unscheinbare Gesellschaft und
-der zufällige Spaziergang. Schon in Teplitz sah ich dergleichen,
-und ihr Alle, die ihr doch gern staunen mögt, habt
-es ebenfalls angeschaut, doch ohne es zu beachten. Dorthin
-kommen alle Sommer aus dem innersten Ungarn Menschen,
-welche die deutsche Sprache nicht verstehen. Sie verkaufen
-Draht, Mäusefallen und andere geringfügige Sachen, dabei
-bessern sie kupfernes Geschirr aus und umflechten Töpfe und
-Schüsseln. Sie gehen in braunen, langen und weiten Jacken,
-und nur in dem Einen Aermel steckt in der Regel der eine
-Arm, sie haben keine Schuhe und Strümpfe nach unserer
-Art, sondern tragen eine Art von Sandalen, und mit Tuch
-oder Leinwand ist das Bein umwickelt, so wie es vor der
-Erfindung der Strickerei und Weberei gebräuchlich war. Ihr
-Gang hat nichts von unserer Dressur, sondern ist so frei
-und leicht, wie ihn kein Tanzmeister erreichen oder nur nachahmen
-könnte; dabei ist in ihren Schritten aber nichts von
-dem festen Springegang, den man an den Tyrolern beobachten
-kann. Eben so hat ihr Auge nichts von dem kühnen
-Umblick jener Bergjäger, sondern es sieht ruhig und in stiller
-Schwermuth geradeaus und nieder, ist aber niemals forschend
-oder neugierig. Diese Armen, weil ihr Gesicht von
-ihrem Geschäft in der Regel schwarz und ungewaschen und
-von der Sonne und dem langen Wege gebräunt ist, werden
-von manchem Badegast wie Banditen und Bösewichter angesehen.
-Ich bin ihnen stundenlang nachgegangen, um sie zu
-beobachten, ich habe mich mit ihnen zu verständigen gesucht
-und ihnen manche Gabe zukommen lassen, weil mir ihr Wesen
-so edel und echt menschlich schien. Sie sammeln, was
-sie an kleiner Kupfermünze einnehmen, und schütten es in
-einen Aermel ihrer Kutte, den sie unten zubinden, um mit
-dem geringen Erwerb mühsam in ihr fernes Vaterland zurückzukehren.
-<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a>
-Der Ausdruck ihres Gesichtes ist so schwermüthig,
-daß man sich angezogen fühlt, und was das Merkwürdigste
-ist, ich habe niemals einen von ihnen lachen, oder
-auch nur lächeln sehn, sei es ein junger Mensch oder ältlicher
-Mann, selbst wenn ich ihnen eine Gabe mittheilte, die
-ihre Erwartung übertraf. Ein milder, dankender Blick hat
-mich gerührt, und sie waren augenblicks so ruhig, wie immer.
-Wer sind diese Menschen, die mir als ein Wunder in unsrer
-Welt erschienen? Sind sie eine Art Paria? Mit den Zigeunern
-haben sie keine Aehnlichkeit. Ich konnte sie nicht
-ausfragen, weil sie mich nicht verstanden, die übrigen Menschen
-gingen gleichgültig an ihnen vorüber, und ich würde
-einen Otaheiten oder Chinesen nicht mehr als diese umherwandernden
-Kesselflicker anstaunen.
-</p>
-
-<p>
-Du magst nicht Unrecht haben, sagte Wachtel, es thut
-mir leid, daß ich diese Slawaken, oder Croaten und Wallachen
-nicht besser beachtet habe. Kommt mir einmal wieder
-einer in den Wurf, so will ich ihn gewiß unter mein Mikroskop
-nehmen.
-</p>
-
-<p>
-Nach Tische verließ die Gesellschaft Würzburg und begab
-sich nach dem Lustschlosse Werneck. Im Garten dieses
-ehemals fürstbischöflichen Schlosses sind noch einige schöngeflochtene
-Berceaus, nach alter französischer Art, und Ferdinand
-ergoß sich in Lobpreisungen dieser jetzt verschmähten
-Gartenkunst, für welche er eine fast übertriebene Vorliebe
-zeigte. Nichts so Entzückendes, rief er aus, als ein solches
-dichtgeflochtenes hohes Gewölbe von glänzendem, jungem
-Buchenlaub. Die Sonnenhitze kann nicht durchdringen, und
-man wandelt wie in einem lebendigen Saale oder dem Schiff
-einer Kirche, dessen Wölbung das glänzende Licht in Smaragden
-verwandelt. Die erfrischende Kühle spielt durch den
-weiten, langen Raum; im Sturm und Regen ist der Gartenfreund
-<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a>
-hier wie im Schlosse selbst gesichert. Um zu lesen
-oder ein vertrautes Gespräch zu führen, ist ein solcher Gang
-vorzüglich geeignet, ja er erzeugt durch das Offene, Heitere
-und zugleich Abgeschlossene Vertrauen, und das auffallend
-Künstliche dieser Bogenwölbung, so innigst mit der Baumschönheit
-verbunden, ist so lieblich und phantastisch, daß es
-wie von selbst Poesie und zarte Wunderträume erregt. Preise
-man nur nicht so unmäßig jene monotonen, melancholischen
-englischen Gärten, die weit eher ein Rückschritt zur Barbarei
-zu nennen sind, als daß sie die echte, höhere Gartenkunst
-sich rühmen, oder gar für die einzig wahre ausgeben
-dürften.
-</p>
-
-<p>
-Sie blieben die Nacht in Schweinfurt, einem wohlhabenden,
-behaglichen Städtchen. Am folgenden Morgen
-verließen sie die <a id="corr-4"></a>Chaussee, um auf schlechten Wegen nach dem
-Badeort Kissingen zu gehen; der Ort ist nur klein und es
-waren nur wenige Trinkgäste zugegen. Eine Meile entfernt
-ist das Dorf und Bad Bocklet. Hier ist eine schöne grüne
-Natur, waldbewachsene Hügel, frische Thalwiesen und eine
-anmuthige, feierliche Einsamkeit. Nach einem ziemlich langen
-Spaziergang kamen sie in den Speisesaal zur versammelten
-Gesellschaft. Ferdinand traf einige Damen und
-Fräulein, die er wohl sonst in Berlin gesehen hatte. Es
-überraschte ihn seltsam, in diesem einsamen kleinen Orte
-Figuren wiederzufinden, die er sich bis dahin nur in den
-großen erleuchteten Salons hatte denken können.
-</p>
-
-<p>
-Hören Sie, sagte Walther zu Wachtel, den er bei Seite
-nahm, mit welchem Enthusiasmus unser Freund wiederum
-von seinen berlinischen Freundinnen, vorzüglich aber von der
-Familie aus Madlitz spricht. Er ist übermäßig glücklich, daß
-er einige Dämchen getroffen hat, die doch einigermaßen, wenn
-auch ungern, in das Lob seiner Schönheiten einstimmen;
-<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a>
-denn es ist mehr als ungalant, man kann es unartig nennen,
-gegen junge Damen andere abwesende in so hohen Tonarten
-zu loben. Bemerken Sie nur, wie alle diese Badeschönheiten
-die zierlichen Lippen aufwerfen und die Näschen
-rümpfen, wie sie so leicht und schonend diesen und jenen
-Tadel der gefeierten Grazien einschlüpfen lassen, um der zu
-schmetternden Trompete unsers Freundes einen kleinen Dämpfer
-aufzusetzen. Er ist nicht zu entschuldigen, wenn er nicht
-dort, wie ich zu glauben Ursach habe, schon versprochen ist.
-</p>
-
-<p>
-Bei Tische war man heiter, und nur Ferdinand, der
-es wohl fühlte, daß die anwesenden Schönen nicht mit ihm
-zufrieden waren, verließ mit einem kleinen Mißmuth den
-Saal. Er ging mit Wachtel und Walther auf den Kirchhof
-des Ortes, um das Grab der Auguste Böhmer, der Stieftochter
-Wilhelm Schlegels, aufzusuchen. Nicht ohne Thränen
-konnte er ihrer gedenken, und sagte endlich: Wie schwach
-sind doch die Menschen, daß sie nur selten das Lob eines
-vorzüglich begabten Menschen, sei er durch Schönheit, sei
-er durch Geist ausgezeichnet, mit edler, wahrer Theilnahme
-anhören können. Gleich glauben sie, es würde ihnen etwas
-entzogen, oder man setze sie gar herab, und so eilen sie denn,
-sich in Reihe und Glied zu stellen, was im Grunde lächerlich
-ist, weil sie voraussetzen, man müsse sie ebenfalls zu
-jenen Hochbegabten rechnen. Von den Verstorbenen ertragen
-sie schon eher die rühmliche Nachrede. Wie traurig, daß
-das Andenken eines so schönen Wesens, wie diese Auguste
-war, so schnell erlöschen muß. Diese natürliche Heiterkeit,
-der Frohsinn dieses Mädchens, ihr unschuldiger Witz und
-sanfte Schalkheit, gepaart mit Verstand und Geschmack, war
-in ihrer schönen Jugend eine zauberhafte Erscheinung. Schlegel
-hat ihrem Andenken einige vorzüglich schöne Trauergedichte
-gewidmet. Diese liebliche Erscheinung gehörte ebenfalls
-<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a>
-zu der frohen, geistreichen Gesellschaft, von der ich neulich
-in so starken Ausdrücken sprach, so wie die feine, geistreiche
-Mutter dieser Auguste, eine höchst gebildete Frau, die jetzt
-die Gattin Schellings ist. Diese Frau hatte ein so feines,
-geübtes Ohr, daß Schlegel sie bei seinen Gedichten und
-Uebersetzungen zu Rathe zog, und sie entschied fast immer,
-wenn er zwischen drei oder vier verschiedenen Lesearten ungewiß
-war, welche er als die wohllautendste oder passendste
-wählen sollte. Diese Frau, so wie die Gattin Hubers und
-noch wenige, gehörten ohne Zweifel zu den frühesten und
-entschiedensten Bewunderern unsers Göthe; viele der künftigen
-Literatoren werden es vielleicht nicht glauben wollen, wie
-sehr edle und geistreiche Frauen in unserer deutschen Literatur
-den Ausschlag gegeben haben. Als ich vor ungefähr
-zehn Jahren Berlin wiedersah, war unter den vorzüglichsten
-der dortigen Frauen Das längst ausgemacht, was Recensenten,
-Dichter und Gelehrte nicht begreifen wollten, daß
-Göthe unser größter Nationaldichter sei, ein Poet in wahrster
-und höchster Bedeutung, und daß die großen Talente,
-die mitunter selbst im Einzelnen etwas Größeres als er leisten
-möchten, sich doch mit der Großheit und Vollendung
-seines Wesens nicht messen dürften. Die Mutter Auguste&rsquo;s
-reisete vor drei Jahren hieher, um die Bäder zu brauchen,
-und mußte ihre schöne, liebenswürdige Tochter hier begraben
-sehen.
-</p>
-
-<p>
-Am Abend gelangten sie noch bis Neustadt an der Sale.
-Die Formen der Berge waren hart und rauh, Alles schien
-nördlich und unfreundlich. Die Freunde waren zu verdrossen,
-um die Ruine, eine der ältesten, in der Nähe der Stadt
-zu besteigen.
-</p>
-
-<p>
-Bei der Fortsetzung der Reise schalten sie am folgenden
-kalten Morgen über die finstern, widerwärtigen Gestalten der
-<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a>
-Berge. Kurz vor Meiningen liegt die Ruine Henneberg zwischen
-schönen Tannen. In Meiningen fragten sie nach Jean
-Paul, der aber schon nach Franken gezogen. Durch schöne
-Gegenden und Thäler fuhren sie nach Bad Liebenstein, dessen
-romantische Lage sie wieder erfreute, und fanden hier ihren
-Freund Carl von Hardenberg wieder, den ein jüngerer Bruder,
-Anton, begleitet hatte.
-</p>
-
-<p>
-Die schöne Gegend wurde am folgenden Tage durchstreift,
-die alte Burg, die kräftigen Wälder, die grottenartigen
-Felsen besucht. Man speisete im Freien unter schönen
-großen Bäumen, durch den Berg gegen Winde geschützt.
-Am Nachmittage fuhr ein prächtiger Postzug mit vier schönen
-Rappen vor, und die Freunde glaubten irgend einen
-Prinzen ankommen zu sehen, als zu Walther&rsquo;s Erstaunen
-jener Freysing, den er vor zehn Jahren in Erlangen gekannt
-hatte, aus dem Wagen springt, von seinen Bedienten unterstützt.
-Sind Sie&rsquo;s wirklich? fragte Walther, und der Fremde
-eilte, den lange nicht Gesehenen zu umarmen.
-</p>
-
-<p>
-Nachdem man sich begrüßt hatte, gingen Walther und
-Freysing zu einer einsamen Stelle, ziemlich weit vom Bade
-entfernt. Es freut mich, fing Walther an, Sie so wohlhabend
-und reich wiederzufinden; Sie müssen in glücklichen
-Umständen leben.
-</p>
-
-<p>
-Glücklich? rief Freysing aus: Sie sehen den unglücklichsten
-Kerl auf Erden vor sich! Reich? o ja, insofern ein
-Spieler sich so nennen kann. Sie wissen um den sonderbaren
-Zufall, daß ich damals in Nürnberg jene große Summe
-gewann, durch welche ich alle meine Gläubiger befriedigen
-konnte. Statt nach meiner Heimath zurückzukehren und eine
-Bestimmung zu suchen, ging ich mit den dreihundert Goldstücken,
-die mir noch übrig waren, nach einem großen Badeorte,
-<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a>
-Wo hoch gespielt wurde, und gewann wieder auf seltsame,
-unerhörte Weise. Ich war in dem Zaubernetz gefangen,
-daß ich nur Karten dachte und träumte. War die Nacht
-schon weit vorgerückt und ich übermüdet und demnach fieberhaft
-aufgereizt, so war es, als wenn ein Dämon meine Finger
-in meiner Betäubung regiere, und ich, so stumpf ich
-war, bestimmt wisse, welche Karte gewinnen müsse. Wer es
-nicht selbst erlebt und diese quälende Lust an sich erfahren
-hat, hat keinen Begriff davon, wie teuflisch wild, wie gräßlich
-heiter das Leben eines Spielers ist. Ich war bald reich
-genug, selbst Bank zu halten. So ist der grüne Tisch, Gold
-und Karten meine Heimath, mein Ein und Alles, mir Frau
-und Kind und Religion und Natur. Ich habe keinen Sinn
-für irgend was. Wenn meine Gehülfen schon in der Nacht
-kaum noch die Augen aufzwingen können, fluche ich über
-mein verdammtes Geschäft, lege mich betäubt und krank nieder,
-wandle umher, esse, und kann die Zeit nicht erwarten,
-bis das Geklirr und Rauschen des Goldes auf dem grünen
-Tische wieder anhebt. Ich stehe auf, um fünf- oder sechstausend
-reicher, und es macht mir keine Freude; ich verliere
-ebensoviel, und es ist mir ganz gleichgültig, und doch ist der
-verfluchte Gewinn der Sporn, welcher mich stachelt. Wenn
-ich reise, so kommt oft, wie ferne Erinnerung aus Wald und
-Fels, ein edles Gefühl auf mich zu, eine Wehmuth ergreift
-mich über mein zerstörtes Leben, und ich entlaufe dem Gefühl
-im Pharo; oft schon dachte ich, ein schönes, liebes Mädchen
-könne an meiner Seite mit mir meines Reichthums genießen;
-aber plötzlich fallen mir die Fratzenbilder der Kartendamen
-ein, und welche mir schon große Summen gewonnen,
-und Leben und Schönheit erblaßt vor diesen Gespenstern.
-Meine Eltern sind gestorben und ich habe sie nicht wiedergesehen.
-Wenn ich einmal Alles verlieren sollte, so werde
-<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a>
-ich mir mit der größten Kaltblütigkeit eine Kugel durch mein
-zerrüttetes Hirn jagen.
-</p>
-
-<p>
-Walther würde vielleicht von dem Wahnsinn und Elend
-seines ehemaligen Freundes noch tiefer erschüttert worden
-seyn, wenn er nicht stets nach der großen, wunderbaren Höhle
-geblickt hätte, in deren Nähe sie wandelten, die jetzt verschlossen
-war, und die morgen, am Sonntage, magisch erleuchtet werden
-sollte, zu welcher Festlichkeit sich viele Menschen aus der
-Umgegend, sowie aus Meiningen versammelten. In dieser
-Menschenmasse hoffte er denn morgen auch seinen Feind, den
-er so lange schon vergeblich verfolgt hatte, sowie die schöne
-Maschinka, anzutreffen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der Sonntag, der 24. Julius, war erschienen. Ferdinand
-begriff nicht, weshalb Walther so feierlich sei; dieser,
-indem er jede Art von Unterhaltung vermied, schien auf
-etwas gespannt, das sich im nächsten Augenblicke erklären
-müsse.
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand schien ebenso bewegt, und Wachtel beobachtete
-die beiden Freunde, indem er zu sich selber sagte: Narren
-sind beide, das ist gewiß, aber jeder nimmt einen aparten
-Anlauf, um vollständig thöricht zu seyn. Der Ferdinand
-bereitet sich auf die Höhlenerleuchtung vor, wie auf das Einweihungsfest
-eines Rosenkreuzers, und der Walther, der weit
-mehr Baron ist, wird, so bärbeißig er auch jetzt thut, die
-Sache nachher als Lappalie behandeln. Kürzlich soll der
-Pfarrer einmal in der Höhle gepredigt haben, kann seyn,
-daß man nächstens ein Melodram, ein Banditenstück, oder
-ein allegorisches, mit Erdgeistern drin spielt.
-</p>
-
-<p>
-Beim heitern Sonnenlicht ging man eine Stunde vor
-Mittag in die große und von vielfachen Gängen durchschnittene
-<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a>
-Höhle, welche man erst seit einigen Jahren entdeckt
-hatte. Schwebende Lampen erhellten von oben das Gewölbe,
-versteckte Lichter, die unten und ungesehen brannten, erleuchteten
-seltsam die Gänge, die bald höher, bald niedriger, bald
-breiter oder enger sich durch die Räume zogen. Ferdinand
-war bezaubert, Walther erstaunt und Wachtel geblendet.
-Unglaublich viele Menschen waren in diesen unterirdischen
-Räumen versammelt und wogten hin und her, redend, flüsternd,
-lachend, allerhand Dinge erzählend, und andere wieder
-lallend bewundernd, oder bei jeder Beugung des Ganges
-staunende Ausrufungen ausstoßend. Wahrlich, sagte
-Wachtel, wer sich hier ein Liebchen herbestellen könnte, Oheim,
-oder Vater, oder Vormund zum Trotz, der hätte ein Rendezvous,
-um nicht das dumme Stelldichein zu brauchen, allhier,
-wie sonst in Europa kein zweites. Läuft nicht Alles
-wie Feen und Geister so zwitschernd und flüsternd durcheinander?
-Und bei der Geistercompagnie hört man nichts
-Bestimmtes, man vernimmt nur wie unterirdische Chöre.
-Man sieht nicht deutlich, sondern ist nur geblendet, bald ist
-es finster, bald zu hell, und der Widerschein von den dunkeln
-Felsengruppen mischt sich wie ein Traum in jedes Verständniß.
-Meine alte Muhme, sowie meine häusliche liebe
-Gattin könnten mir hier zur Helena oder einem thessalischen
-Zauberbilde werden. Stoßen Sie mich nicht so sehr mit
-dem Ellenbogen, mein Herr von Spuk; zwar in der Unterwelt
-vergessen sich alle Höflichkeiten.
-</p>
-
-<p>
-Was der Freund hier im Gebiet der Phantasterei
-schwadronirt, sagte Walther, doch horch &mdash; still &mdash; was ist
-das? &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Wundersame Musik von Waldhörnern klang herüber.
-Ein Chor von blasenden Musikanten war oberhalb, ohne
-daß man sie sehen konnte, in einer Felsennische aufgestellt.
-<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a>
-Immer wunderbarer! rief Walther aus. Mich schwindelt!
-Und es war nicht unbegreiflich, da surrend, brummend, flüsternd
-und halb leise sprechend so viele Gestalten vorübergingen,
-sich begegnend, grüßend, andere geblendet und sich
-nicht kennend. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Jetzt standen sie vor einem kleinen See. Ein Nachen
-fuhr von jenseit herüber, und Ferdinand stieg hinein. Ein
-anderer Fremder drängte sich hinzu, und Walther vernahm
-von einer weiblichen Stimme den leisen Ausruf: Romeo!
-</p>
-
-<p>
-Walther machte die Bewegung, in den Kahn nachzusteigen,
-als dieser schon abfuhr und sich in der Dämmerung
-entfernte. Bei dem ungewissen Licht konnte er die Gestalten
-nicht mehr unterscheiden; ja, er war selber ungewiß, ob sich
-Ferdinand auch unter jenen Gestalten befunden, die im Dunkel
-schon ganz verschwunden waren. Er wendete sich rückwärts,
-um Wachtel wieder aufzusuchen, der sich ihm im
-Getümmel verloren hatte, aber er konnte, so sehr er sich bestrebte,
-Niemand genau erkennen, so blendeten die vielfach
-zerstreuten und sich kreuzenden Lichter. Sinnverwirrend war
-das Geflüster, und die hin und wieder fliehenden Worte und
-Reden der Wandernden, die sich begegneten, kreuzten, suchten
-und sich wieder verloren. Endlich sah er Wachteln und
-bat diesen, bei ihm zu bleiben. Wachtel stellte sich neben
-ihn, und da die Musik der Hörner jetzt wieder begann, so
-kehrten sie um, um die wunderbare Harmonie näher zu hören.
-Können Sie es begreifen, sagte Wachtel, daß unser
-Ferdinand die Höhle und dieses magische Schauspiel, welches
-doch recht eigentlich für ihn eingerichtet zu seyn scheint, schon
-wieder verlassen hat?
-</p>
-
-<p>
-Wie? rief Walther, ich hätte schwören wollen, ich habe
-ihn da hinten den finstern Kahn besteigen sehn, um die stygische
-Flut zu überschiffen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a>
-Nein, sagte Wachtel, er ist unlängst mir vorbeigelaufen,
-um, wie er sagte, zur alten Burg hinaufzusteigen, weil ihn
-dies Getümmel hier zu sehr betäube.
-</p>
-
-<p>
-Man wird thöricht und verwirrt, erwiederte Walther,
-so wunderlich und romantisch das Ganze auch angeordnet ist.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt ließen sich einige polnische Reden in der Nähe
-vernehmen, und da Walther der Sprache kundig war, so
-verstand er, daß zwei Männer ein Frauenzimmer suchten,
-die mit einem Hauptmann in der Höhle spazieren wandle.
-Jetzt war Walther überzeugt, diese wären Mitwissende und
-könnten nur von der verlorenen Maschinka reden. Er hielt
-sich in der Nähe dieser Fremden und verlor darüber seinen
-Freund Wachtel wieder aus dem Gesichte.
-</p>
-
-<p>
-Die Polen wurden immer eifriger im Suchen, endlich
-sagte der eine in seiner Sprache: ich fürchte nur, bei ihrer
-großen Reizbarkeit und Nervenschwäche wird sie nach diesem
-sonderbaren Tage wieder auf lange krank seyn.
-</p>
-
-<p>
-Doch, antwortete der Andere, übersteht sie oft Alles
-besser, als man es fürchten muß, wenn sie ihre Imagination
-nur beschäftigen kann, und diese findet doch hier des Spieles
-genug. Nur ruhen muß sie nachher.
-</p>
-
-<p>
-Ein lauter Ausruf entstand, indem man sich vorwärts
-bewegte, denn ein Kind war gefallen, welches einige Damen
-liebkosend und tröstend aufhoben. Indem glaubte Walther
-in der gedrängten Gruppe die Gestalt Ferdinands wieder
-wahrzunehmen. Als er sich aus dem Gedränge freigemacht
-hatte, waren, indem er umherblickte, die Polen seinem Auge
-wieder entschwunden. Er eilte verwirrt nach einer andern
-Richtung und jetzt glaubte er deutlich wahrzunehmen, daß
-Ferdinand in einiger Entfernung vor ihm hergehe und ein
-schön gewachsenes, reich gekleidetes Frauenzimmer am Arme
-führe. Er suchte in ihre Nähe zu kommen, und indem er
-<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a>
-schon seinen Arm ausstreckte, um seinen Freund zu berühren,
-rief die Stimme des Polen dicht hinter ihm: Maschinka!
-Jetzt sah er, daß Derjenige, welcher die Dame führte, nicht
-Ferdinand sei, aber seine Ahndung, hier Maschinka und ihren
-Entführer endlich zu treffen, war doch in Erfüllung gegangen.
-Er packte also den Fremden ziemlich unsanft am Arm
-und rief: Hier habe ich Sie also doch, nach vielen Mühungen,
-mit Ihrer Maschinka entdeckt! Indem war der Pole
-mit einem Ausruf der Verwunderung ebenfalls näher gekommen,
-und wie erstaunt und beschämt war Walther, als er
-in dem Festgehaltenen seinen Reisegefährten Wachtel erkannte
-und sich jetzt die Dame, eine hochbejahrte Frau, herumwendete.
-Wie? mein Herr! fragte der Pole: Sie wagen es,
-meine Schwester zu beleidigen?
-</p>
-
-<p>
-Keine Beleidigung, mein Herr, rief Walther, ich hielt
-die Dame und diesen meinen Freund für ganz andere Wesen,
-und bitte, mir meinen Irrthum und die Uebereilung zu
-verzeihen.
-</p>
-
-<p>
-Die alte Dame faßte jetzt den Arm des Bruders, indem
-sie sagte: Als ich Dich verloren hatte und ziemlich
-ängstlich umherirrte, war dieser Herr so gütig, sich meiner
-anzunehmen. Der Pole dankte Wachteln mit artigen Worten
-und dieser erwiederte lachend: Es ist Nichts natürlicher,
-als daß man in diesem unterirdischen Reiche der Phantasterei
-etwas confuse wird.
-</p>
-
-<p>
-Das Gedränge von Menschen, welches sich in dem engen
-Raume aus Neugier versammelt hatte, lösete sich wieder auf,
-und Walther eilte jetzt verdrossen und verstimmt aus der
-Höhle und Wachtel folgte ihm, um ihm im Freien seine
-Klagen vorzutragen.
-</p>
-
-<p>
-Mein Theuerster, fing er, als sie im Felde standen, an,
-Sie haben mitunter sonderbare Launen, die man nicht begreift.
-<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a>
-Was haben Sie mit dem Namen Maschinka, daß
-er Sie immer so außer sich versetzt? Sie haben mich so
-stark in meinen Arm gezwickt, als wenn Sie ihn mir zerbrechen
-wollten, und in Ihrem Tone, mit dem Sie sprachen,
-lag etwas so Drohendes und Beleidigendes, daß ich vorher
-recht böse auf Sie hätte werden mögen.
-</p>
-
-<p>
-Sie haben ja gehört, rief Walther unmuthig aus, daß
-ich mich geirrt, daß ich Sie für wen ganz Andern nahm.
-Eine gewisse Maschinka ist eine Bekannte von mir, eine junge
-Dame, ein Frauenzimmer, das ich kenne, eine weitläufige
-Anverwandte, die ich gerne wiedersehen möchte, und die sich
-wahrscheinlich im Auslande befindet, ein wohlgebildetes Fräulein,
-die wohl vielleicht schon verheirathet ist, &mdash; mit einem
-Worte, eine Dame, die ich gerne wiedersehen möchte.
-</p>
-
-<p>
-Wachtel lachte laut auf und sagte dann: Ich danke für
-dieses herzliche Vertrauen und diese offene Mittheilung. Er
-lachte wieder, und Walther, dessen Verlegenheit sichtbar war,
-bat ihn, wieder ernsthaft zu seyn und ihm zu vergeben, daß
-er ihm nicht mehr sagen könne. Haben Sie die Gefälligkeit
-für mich, fügte er dann hinzu, unserm Ferdinand von
-dieser lächerlichen Scene nichts zu erzählen. Genug, daß
-ich vor Ihnen und jenen Fremden beschämt und verlegen
-gestanden habe, und daß Sie mich so von Herzen auslachten,
-scheint mir Strafe genug. Versprechen Sie mir das, denn
-ich bin in diesem Punkt vielleicht etwas zu empfindlich.
-</p>
-
-<p>
-Ich gebe Ihnen mein Wort, ihm kein Wort davon mitzutheilen,
-antwortete Wachtel; aber auch gegen meinen Ferdinand
-sind Sie seit einiger Zeit nicht mehr so herzlich, als
-Sie es im Anfange unserer Pilgerschaft schienen. Wenn
-Sie auch in den meisten Dingen anderer Meinung sind, so
-sollten Sie doch sein Gutes und seine Freundschaft für Sie
-anerkennen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a>
-Daß wir die meisten Dinge der Welt aus einem verschiedenen
-Standpunkte ansehen, erwiederte Walther, macht
-mir ihn nur lieber, seine Schwärmerei und sein Hang zum
-Aberglauben ist mir an ihm interessant; aber &mdash; um ganz
-aufrichtig zu seyn &mdash; seit wir da oben auf dem Schlosse bei
-Bamberg waren, in Glich, bin ich mißtrauisch gegen seinen
-Charakter geworden. Wenn ich seine frommen Reden bedenke,
-wenn ich höre, wie sentimental er von der Liebe spricht,
-wie verschämt er in Gesellschaft roher Menschen thut, für
-einen Mann fast tadelnswürdig jungfrauenhaft, und denke
-dann daran, wie er uns entlief und wieder zu dem schönen
-Mädchen nach dem einsamen Saale hinaufeilte, so halte ich
-ihn für einen Lüstling, der zugleich heuchelt und den Tugendhaften
-spielt. Mich wundert nur, daß jenes schöne Kind,
-die Tochter des Försters, ihn sogleich erhören konnte, wie es
-doch schien. Er erhält Briefe, die er verheimlicht, er weicht
-uns oft aus und entfernt sich unter den nichtigsten Vorwänden;
-hat er etwas Wichtiges zu verschweigen, so sollte er
-mir dies wenigstens eingestehn; sind aber seine Heimlichkeiten
-immer kleine unerlaubte Liebeshändel, so ist sein Charakter
-nicht so beschaffen, daß ich ihn zum Freunde behalten
-möchte.
-</p>
-
-<p>
-Mein Herr, sagte Wachtel mit einiger Feierlichkeit, sind
-Sie etwa damals in Glich auf unsern Freund gar nicht
-eifersüchtig gewesen? denn das schöne Mädchen schien Ihnen
-auch zu gefallen. Was er liebt, wie er liebt, wie orthodox
-oder heterodox, sentimental oder liberal er die Sache betreibt,
-ob sein Herz nur Raum für einen Gegenstand hat, ob es
-vielen zugleich Quartier geben kann, ob die eine seine Göttin
-ist und andere nur Dienerinnen, oder Zerstreuerinnen
-seiner Melancholie, über alles Dieses erlaube ich mir kein
-Urtheil und keinen Richterspruch, wenn er mich nicht selbst
-<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a>
-in seine Geheimnisse einweiht. Aber er ist gut und edel,
-darauf kenne ich ihn von Jugend auf. Geheimnißkrämerei
-ist immer seine Liebhaberei gewesen. Und Sie sind ebenfalls
-geheimnißvoll gegen ihn. Mir scheint, keiner weiß vom
-Andern etwas Bedeutendes, Zufall und Laune haben Sie
-vereinigt, aber das Leben, die Verhältnisse eines Jeden sind
-dem Andern verborgen. Ich kenne Ferdinand seit lange und
-bin vertraut mit seinem früheren Leben, aber was seit zehn
-Jahren mit ihm geworden ist, liegt für mich auch ganz im
-Dunkel.
-</p>
-
-<p>
-Walther reichte ihm die Hand und sagte: Sie haben
-nicht Unrecht; ich hoffe, im Verlauf der Reise wird sich noch
-die Gelegenheit finden, daß wir unsere Verhältnisse näher
-kennen, dann sollen Sie erfahren, warum ich jetzt Ihnen so
-wenig als Ferdinand von meinen Verbindungen und Absichten
-etwas vertrauen kann.
-</p>
-
-<p>
-Beim Badehause fanden Sie Ferdinand lesend unter
-den Bäumen, unter welchen die lange Mittagstafel schon bereitet
-war. Ich konnte es in der Höhle, sagte er, nicht aushalten,
-so beängstigte mich der Schimmer und der Dunst
-der Lampen. Jetzt kamen die Gebrüder Hardenberg und
-nach und nach versammelte sich die Tischgesellschaft. Der
-Herzog von Meiningen speisete auch an der Table d&rsquo;hote,
-und der Anblick der Landleute, die sich versammelt hatten,
-und neugierig oben vom Hügel zwischen den grünen Bäumen
-auf ihren Fürsten und die Fremden herniederschauten,
-alle diese fröhlichen Gesichter von Alt und Jung machten
-einen sehr erfreulichen Anblick.
-</p>
-
-<p>
-Nach Tische ließ sich der Fürst durch Hardenberg, den
-er schon längst persönlich kannte, dessen Freunde vorstellen.
-Er sprach lange und freundlich mit ihnen, indem er ungesucht
-vielfache Kenntnisse und eine echte Bildung zeigte. Er
-<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a>
-war schlank, hatte blondes, fast graues Haar, ein gealtertes
-Gesicht, in welchem der Ausdruck des Ernstes und der Melancholie
-vorherrschte, das sich aber schnell in Freundlichkeit
-und schalkhaften Ausdruck verwandeln konnte.
-</p>
-
-<p>
-Es war eine mittelmäßige Schauspielertruppe, die zuweilen
-in einem kleinen Saale ihre Vorstellungen gab. Heut
-aber wurde in einem andern Local ein Puppenspiel mit großen
-Marionetten aufgeführt; die übrigen Freunde interessirten
-sich für diese Kinderei nicht, aber Ferdinand, der dergleichen
-Seltsamkeit leidenschaftlich liebte, freute sich auf den
-Genuß dieses Abends.
-</p>
-
-<p>
-Walther ging mit Hardenberg spazieren, Wachtel blieb
-im Badehause und Ferdinand eilte dem Marionettentheater
-zu. Er zahlte für den ersten Platz und drängte sich in den
-übervollen Saal. Bauern, Bauermädchen, Bürger, Soldaten,
-Offiziere, Alles war so fest ineinandergeschoben, daß sich
-weder Hand noch Fuß regen konnte. Ferdinand wollte seinen
-ersten Platz gewinnen und bat, ihm Raum dahin zu
-gönnen, weil er meinte, er befände sich noch auf der letzten
-und wohlfeilsten Stelle. Was ihm am empfindlichsten auffiel,
-war, daß Tabaksdampf, der ihm verhaßt war, den ganzen
-Saal anfüllte, denn Alles, bis auf die Bauernknechte,
-rauchte aus größeren oder kleineren Pfeifenköpfen. Er hoffte,
-da hier Alles noch stand, vorn zum Sitzen zu gelangen und
-sich aus den stinkenden Wolken zu entfernen; vor ihm war
-ein Mann im grünen Ueberrock, welchen er anstieß und höflich
-sagte: Machen Sie mir gefälligst etwas Raum, denn
-ich habe für den Ersten Platz bezahlt. &mdash; Ja, erwiederte der
-Mann, der aus einem ungeheuern Meerschaumkopfe rauchte,
-das, mein guter Freund, haben wir Alle, hier sind wir Alle
-gleich, wie im Paradiese. Indem Ferdinand etwas näher
-gekommen war, erkannte er in diesem Sprechenden den Fürsten.
-<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a>
-Gewiß war er also auf dem ersten und vornehmsten
-Platze und genoß der Ehre, den Fürsten zu drängen und
-von ihm geklemmt zu werden. Von der früheren Vorstellung
-und dem feinen Hof- und wissenschaftlichen Gespräch war in
-dieser Atmosphäre nicht mehr die Rede, ja es wäre lächerlich
-gewesen, sich darauf zu beziehen, denn der Herr erschien
-hier ganz verwandelt. Ihn störten nicht die plumpsten und
-ungezogensten Späße seiner Umgebung, manche Militairs
-trieben die Ausgelassenheit und den Scherz mit einigen
-Bauerdirnen über jede Grenze, und diese Armen hatten
-Mühe, aus dem Gedränge zu entkommen und das freie
-Feld wieder zu gewinnen. Als schon manche von den Honoratioren
-sich entfernt, der Fürst selbst nach einiger Zeit
-die Bude verließ, so zögerte auch Ferdinand nicht länger, im
-Wald und auf dem Berge wieder eine reinere Luft zu
-athmen.
-</p>
-
-<p>
-Im Saale war Ball, in welchem Alle, die Theil nehmen
-wollten, ohne Gene tanzten: Edelleute, Damen und
-Handlungsdiener; auch die Herzogin von Hildburghausen war
-unter den Tanzenden und gütig und herablassend mit Jedermann.
-In einem andern Saale wurde gespielt, und hier
-traf Walther seinen Freund Freysing in seinem glänzenden
-Beruf. Die Bank, die dieser aufgelegt hatte, war sehr ansehnlich.
-Walther sah nur zu, ohne mitzuspielen. Er fand
-wieder, was ihn so oft entsetzt hatte, wenn er in den Spielsälen
-stand, diese verzerrten Gesichter, die Habgier oder
-Wuth und Verzweiflung ausdrückten, einige, die kalt und
-gleichgültig scheinen wollten, waren todtenblaß, sie zwängten
-den Zorn und die Angst in sich zurück. Freysing betrug
-sich wie ein König, nur etwas zu stolz, weil bei seinen aufgethürmten
-Goldhaufen ihm der Satz der Pointirenden wohl
-zu unbedeutend scheinen mochte.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a>
-Walther hatte seit lange einen Mann beobachtet, welcher
-schon viele Goldstücke verloren hatte und dem der kalte Todesschweiß
-über das bleiche Antlitz in großen Tropfen rann.
-Er verließ oft ingrimmig und wie verzweifelnd den Saal,
-ging draußen mit sich ringend auf und ab und kam dann
-nach einiger Zeit zurück, nachdem er von Neuem Geld von
-seinem Zimmer geholt hatte, welches er dann eben so schnell,
-wie die vorigen Friedrichsd&rsquo;or verlor. Er spielte so leidenschaftlich
-und wild, daß er durchaus nicht die gehörige Aufmerksamkeit
-auf sein Spiel haben konnte. Freysing beobachtete
-ihn sehr aufmerksam von seinem Sitze und schien nur
-ungern die Goldstücke des Armen einzuziehen. Im Nebenzimmer
-erkundigte sich Walther bei einem freundlichen Manne,
-wer dieser tollkühne Spieler sei, und erfuhr, er sei ein Geschäftsmann
-aus Meiningen, der mit Frau und einigen
-Kindern von einem mäßigen Gehalt leben müsse. Er habe
-sich wohl verleiten lassen, seine Umstände verbessern zu wollen,
-der Verlust setze ihn in Angst, und er suche, was er
-verloren wie mit Gewalt wiederzugewinnen. Diese Leidenschaft,
-sagte der Erzählende, in welche die Pointeurs immerdar
-gerathen, ist eigentlich das sicherste Capital der Bank.
-Der arme Mann, der ansehnlich verloren hat, wird nun
-Schulden machen müssen, er verliert seinen Namen, seine
-Familie darbt und er endet vielleicht in Verzweiflung.
-</p>
-
-<p>
-Als Walther in den Spielsaal zurückging, kam ihm dieser
-Herr Anders mit verzerrten Mienen der Todesverzweiflung
-entgegen. Er lief eilig aus dem Hause und schien keinen
-der Anwesenden zu bemerken, die ihm mitleidig oder auch
-wohl mit Hohn und Schadenfreude nachsahen.
-</p>
-
-<p>
-Er kam nicht wieder, und Walther war überzeugt, er
-habe Alles verloren. So verging eine geraume Zeit, neue
-Spieler kamen, geplünderte entfernten sich, doch vermehrte
-<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a>
-sich die Anzahl um den Spieltisch. Da trat jener Anders
-wieder taumelnd herein, er schwankte umher und sein bleiches
-Angesicht schaute den Spielenden mit gläsernen Augen
-über die Schultern. Er biß sich auf die Lippen, als er
-einige Pointeurs bedeutende Summen gewinnen sah. Plötzlich
-machte er sich Platz und schob den einen Zuschauer mit Ungestüm
-zurück, indem er sich neben den erschreckten Walther
-eilig hinstellte. Er griff hastig nach einer Karte und, ohne
-sie fast zu betrachten, besetzte er sie mit einigen Goldstücken.
-Die bleichen Lippen zitterten ihm, und sowie die Karte verlor,
-zuckte es wie ein Blitz über sein Antlitz hin. Er schob
-mit krampfhaftem Zittern die Goldstücke dem Bankier hin,
-und dieser, ihm einen scharfen Blick zuwerfend, schleuderte
-sie wieder nach des Spielers Platz, indem er kalt sagte:
-Führen Sie so die Nymphen auf der Gasse mit solchem
-Golde ab. Es war eine Todtenstille im Saale, Walther
-fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Der Hausvater, der Geschäftsmann,
-die unauslöschliche Beschimpfung des Aermsten,
-seine wahrscheinliche Verzweiflung, Alles dies ergriff ihn mit
-ungeheurer Gewalt. Ein Moment, in welchem er vernichtet
-war, aber schnell ermannte er sich und rief mit festem
-Tone dem Bankier zu: Herr Bankier, Sie thun meinem
-Freunde, dem Herrn neben mir, sehr Unrecht; ich habe ihm
-aus Versehen die Spielmarken statt der Goldstücke eingehändigt,
-weil ich sie bei mir trug, ich bin mit ihm Moitié, und
-so zahle ich den Verlust. Sie werden nicht glauben, daß
-ein solcher Irrthum ein vorsätzlicher war, da Sie mich persönlich
-kennen.
-</p>
-
-<p>
-Freysing erhob sich von seinem Sitze, bückte sich sehr
-tief und sagte, da er die Absicht seines Bekannten sogleich
-durchschaute: Mein Herr Baron, ich bitte Sie und den
-Herrn, mit welchem Sie gemeinschaftlich spielen, hiemit um
-<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a>
-Vergebung. Ich war im Unrecht, die geehrten Herren mögen
-von der Güte seyn, meine Uebereilung, die ungeziemlich
-war, zu vergessen.
-</p>
-
-<p>
-Walther hatte mit einem stummen Druck den beängstigten
-Anders neben sich auf einen Stuhl niedergezogen. Er
-spielte jetzt und gewann binnen Kurzem eine ansehnliche
-Summe, der Haufen Goldes, welcher vor ihm lag, wuchs
-mit jeder Minute. Als dreihundert oder mehr Goldstücke
-gewonnen waren, stand er auf und sagte höflich: Jetzt, Herr
-Anders, haben Sie die Güte, mir zu folgen, daß wir uns
-berechnen können.
-</p>
-
-<p>
-Er führte den Zitternden und Erstaunten auf sein Zimmer
-und händigte ihm hier die ganze Summe ein, indem
-er sagte: Hier, Sie Armer, Bethörter, empfangen Sie, was
-ich in Ihrem Namen gewann, es ist, so viel ich habe beobachten
-können, um ein Beträchtliches mehr, als Ihr Verlust.
-Richten Sie sich ein, spielen Sie nicht wieder, Sie sehen,
-wie unglücklich man werden kann.
-</p>
-
-<p>
-Mein Wohlthäter, sagte der Zerknirschte stammelnd,
-was Sie mir geben, ist mehr als das Vierfache meines Verlustes.
-Es giebt Thaten, für die jeder Dank zu klein ist.
-Sie retten meine Familie, meine Ehre, mein Leben, denn
-ich mußte mich nach dieser Beschimpfung ermorden, wie ich
-auch beschlossen hatte, wenn ich verlor.
-</p>
-
-<p>
-Mit Thränen entfernte sich der Beglückte und Walther
-begleitete ihn vor das Haus. Wachtel, der im Alkoven Alles
-angehört hatte, sagte für sich: Das ist bei alle dem ein
-kreuzbraver Kerl, dieser Walther!
-</p>
-
-<p>
-Walther ging in den Spielsaal und sagte in einer Pause
-heimlich zu Freysing: Ich hätte Sie für großmüthiger gehalten,
-warum einen solchen Elenden vernichten?
-</p>
-
-<p>
-Ich sollte es wohl seyn, erwiederte Jener, der Aerger
-<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a>
-übereilte mich. Sie haben mir aber eine hübsche Lection
-gegeben, an welche ich bei einem ähnlichen Falle denken
-werde.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-In Gesellschaft Hardenberg&rsquo;s und dessen Bruders, sowie
-der Verwandten, die sich in Liebenstein zusammengefunden
-hatten, oder die in der Nähe wohnten, ging die Zeit
-gar anmuthig hin. Man erzählte viel charakteristische Züge
-von den sonderbaren Launen des trefflichen Fürsten; dabei
-aber verkannte man nicht, was er für die gute Einrichtung
-dieses Bades, vorzüglich aber für die Wohlfahrt seines Ländchens
-gethan hatte.
-</p>
-
-<p>
-An der heitern Mittagstafel, als die Freunde unter sich
-und keine Damen zugegen waren, sagte Wachtel: Ich bin
-Euch noch schuldig, meine Freunde, wie ich gestern Nachmittag
-meine Zeit hingebracht habe, zu berichten. Ich
-mochte das Puppentheater so wenig wie den glänzenden
-Ball besuchen, aber ich hatte erfahren, daß der berühmte
-Oberforstmeister Cramer von Meiningen hieher in das Bad,
-aber nur für diesen Sonntag gekommen sei. Wie Ferrara
-seinen Ariost und Tasso, Florenz seinen Dante, Leipzig
-seinen Gottsched, Anspach seinen Utz und Weimar seinen
-Göthe hat, so besitzt seit lange schon Meiningen seinen
-Cramer. Ich sah den Mann, er ist groß, ziemlich corpulent,
-und sein Gesicht eins von denen, die das Glück und
-die Auszeichnung haben, gar keinen Ausdruck zu besitzen.
-Diese sogenannte Gutmüthigkeit oder Bonhommie, wie man
-dergleichen nennt, welche nur die trivialste Alltäglichkeit ist,
-lockt jeden noch so simpeln Dummkopf herbei, um sich ohne
-Aengstlichkeit in der Gegenwart eines solchen harmlosen
-Autors ganz seiner Einfalt zu überlassen und den berüchtigten
-<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a>
-Vetter Michel für den Vorsteher der Grazien zu halten.
-Glücklicher Weise habe ich in früheren Jahren, weil ich ein
-unnützer Bengel war, die meisten Romane dieses Cramer,
-vom Erasmus Schleicher bis zum Paul Ysop, gelesen. Ich
-sah neben ihm einen Halbbekannten und benutzte dies, um
-mich dem genialen Deutschen vorstellen zu lassen. Wir setzten
-uns dann dorthin, vor dem Badehause, dem Geländer
-nahe, den Blick auf die Landstraße gerichtet. Der große
-Mann hatte kein Arg daraus, ob ich ihn auch für den Autor
-erkannte, für den ihn die Abonnenten der Leihbibliotheken
-eine Zeitlang hielten. Ein schmaler, schwindsüchtiger Medicus
-sagte: O Bruder Cramer, erinnerst Du Dich noch unseres
-verewigten Freundes auf der Universität, des seligen
-Lange, mit dem wir so manchen seligen Abend durchschwärmt
-haben?
-</p>
-
-<p>
-Wohl, sagte Cramer, indem er sein Glas erhob und
-der große Mund lächelnd durch die Nähte der Pockennarben
-brach: das war ein großer Mensch! Himmel, wie idealisch
-konnte er beim Sonnenaufgang oder in den Frühlingsmonaten
-gestimmt seyn! Es war eine Wonne, mit der kräftigen
-Menschheit des Kerls zu harmoniren. Viele von Klopstocks
-Oden wußte er ganz auswendig; wenn er sie deklamirte, zitterte
-er vor Entzücken, wie ein eingefangenes Rothkehlchen.
-Wir nannten ihn nur Selmar, &mdash; und das arme Vieh hat
-nachher so miserabel crepiren müssen!
-</p>
-
-<p>
-Wie so? fragten die Freunde, indem sie die Weingläser
-niedersetzten.
-</p>
-
-<p>
-Weil der Schwernothshund, sagte der Autor mit edelm
-Ingrimm, es nicht lassen konnte, sich trotz seines Aufschwungs
-mit liederlichen Menschern einzulassen. Das war nun einmal
-seine schwache Seite. Petrarch und Laukhard, oder ein
-Anderer der Zunft, Bahrdt, oder wer es sei, war er in
-<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a>
-demselben Augenblick. O seine zarte, himmlische Jenny!
-was das hohe Wesen über diese zu weit getriebene Vielseitigkeit
-des hochgestimmten Schwärmers gelitten hat! Die Creatur
-war doch wirklich so, als wenn ein himmlischer Engel
-in dieses Erdenleben herabgestiegen wäre, um uns eine Darstellung
-der hohen Flüge eines Plato im sterblichen Abbild
-zu geben. Mehr als Sophronia und Clorinde des Tasso,
-höher als Werthers Lotte, oder die Sophie des Fielding war
-sie so einzig, daß die Brutalität selbst in ihrer Nähe zur
-Tugend wurde. Tausendschwernoth noch einmal! Wenn sie
-so mit ihrem Inamorato dahinwalzte! Als den nun, wie
-Ihr wißt, Freunde, an der schlechten Krankheit der Teufel
-so rein weggeholt hatte, so gab sie endlich den Bitten des
-dünnbeinigen Assessors Gehör und verheirathete sich mit der
-verfluchten Massette. Sie hatte aber schon von ihrer ersten
-Liebe ein Kind gehabt, das sie heimlich erziehen ließ. Der
-Junge bekam nachher das böse Wesen und verreckte im Hospital.
-Die himmlische Laura ergab sich dem Branntwein und
-es war, wegen des Athems, in den letzten Jahren nicht
-mehr bei ihr auszuhalten. So verwelken die edelsten Blüten
-des Lebens.
-</p>
-
-<p>
-Und Alfonso, fragte der Schmächtige, jener aufgeklärte
-Theologe, er hieß eigentlich Wackelbein, &mdash; was ist aus dem
-geworden?
-</p>
-
-<p>
-Im Narrenhause, sagte Cramer, hat er an der Kette
-verendet. Er war zu genialisch, und wollte immer Werther
-und Guelfo in den Zwillingen von Klinger zugleich seyn.
-Als er in der Stadt lebte und der Superintendent ihn zum
-Adjunctus in sein Haus nahm, hatte er seine höchste genialische
-Zeit. Was er damals schrieb oder sagte, war classisch.
-Er selbst aber immer besoffen. Das Schwärmen hätte ihn
-aber doch nicht so sehr daran gehindert, daß der große Geist
-<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a>
-wäre in eine gute Stelle gesetzt worden; &mdash; aber, wie nun
-sein schönstes Buch sollte gedruckt werden (eine Nachahmung
-meines Erasmus, wo er zugleich den Bambino Klingers
-hineingebracht hatte), kam es heraus, daß die Köchin im
-Hause von ihm schwanger und die Kirchenkasse bestohlen, ja
-eigentlich ganz weggeraubt sei. Von beiden war er der
-Thäter, und er konnte es nicht leugnen; schon täglich besoffen,
-wurde er vom Kummer verrückt und fuhr so dahin. &mdash;
-So habe ich so manche echte Genies, die die Zierde unseres
-Vaterlandes werden konnten, zum Teufel fahren sehen. Ich
-habe mich gehalten, so viel ich auch erlebt, so viel ich auch
-erduldet habe. Der Dienst der Musen ist kein leichter. Mit
-dem Teufel ist nicht zu spaßen.
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand erzählte, wie schlimm es ihm in dem Marionettenspiel
-gegangen sei, worauf Walther sagte: Sie haben
-also, meine Freunde, einmal recht die deutscheste Deutschheit
-verkostet. Sonderbar, daß es noch immer viele Gegenden
-und Gesellschaften giebt, wo ein solcher Ton für das Herzliche
-und Biedere gilt. Bei diesen steht dann Grazie und
-Urbanität als Heuchelei und Affektation im schlimmsten Verruf.
-Aus den Büchern, in welchen der hiesige Ariost die
-Sitten edler und treuherziger Männer geschildert hat, bildeten
-sich früherhin manche Studenten auf der Universität,
-und aus diesen Reminiscenzen schrieben Manche wieder in
-späteren Jahren Bücher in demselben Ton. Diese rohe
-Manier verliert sich jetzt mehr und mehr bei unsern Landsleuten.
-</p>
-
-<p>
-Ich zweifle, fuhr Ferdinand fort, daß der Gebildete in
-irgend einem andern Lande an dieser vorgeblichen Herzlichkeit,
-Biedertreue und Ungeschlachtheit zu leiden hat. Dies Marionettenspiel
-selbst war eben so schlecht, daß, wer nach diesem
-meine Vorliebe für diese groteske Unterhaltung beurtheilen
-<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a>
-wollte, mir sehr Unrecht thäte. Es werden jetzt ungefähr
-zehn Jahre seyn, als ich auf einer Reise durch den Harz
-in Quedlinburg dieses wunderliche Drama zuerst entdeckte.
-Ich kann es wohl eine Entdeckung nennen, denn es wich
-völlig von jenem Zeitvertreib der gebräuchlichen Puppenspiele
-ab, und dieses, wie jene gewöhnlichen dienten nur dem
-Volke zur Aufheiterung, und der Gebildete wendete sich mit
-Verhöhnung ab. Diese Figuren, die ich jetzt kennen lernte,
-waren ziemlich groß und wurden sehr geschickt durch eine
-künstliche Wage und Gewichte regiert, die die Glieder in
-Bewegung setzten, indem die Fäden an den Fingern der
-Dirigirenden hingen. Am künstlichsten aber war die Figur
-des Lustigmachers oder des Casperle, wie er hier genannt
-wurde. Nach einiger Zeit glaubte man ein wirkliches lebendes
-Wesen zu sehn; man zweifelte nicht mehr an dem Mienenspiel
-und er machte mich so lachen, wie ich es nur selten
-im Leben vermocht habe. Ich erkannte hieraus, wie die
-Maske, wenn ein gutes Gedicht nur übrigens gut gespielt
-würde, gewiß nicht die Täuschung stören oder aufheben könne.
-Am meisten aber überraschten und interessirten mich die wunderbaren
-Stücke, die gespielt wurden. Sie waren so <a id="corr-5"></a>originell,
-so großartig erfunden und so kühn durchgeführt, daß
-ich sie mit keinen andern bekannten vergleichen konnte. Der
-Don Juan z. B., den sie darstellten, wich sehr von jenem
-ab, der nach dem Moliere und den Italienern gearbeitet ist.
-Nach einigen Jahren sah ich mit Erstaunen, daß er nach
-dem eigentlichen Original des Spaniers Tirso de Molina
-umgewandelt war. Von einem andern Stücke entdeckte ich
-später, daß es ganz, aber so, wie dieses Marionettentheater
-es brauchen konnte, nach einem höchst wunderbaren und religiösen
-Schauspiel des Mira de Mescua gearbeitet sei.
-Eine &bdquo;heilige Dorothea&ldquo; folgte ziemlich genau der Tragödie,
-<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a>
-welche die Engländer Massinger und Decker über diesen
-Gegenstand gedichtet haben. Ich wollte die Directoren der
-hölzernen Truppe schon damals bereden, in Berlin ihre
-Künste zu zeigen, was sie aber jetzt noch nicht wagten, sondern
-erst sieben oder acht Jahre nachher den Versuch machten
-und großen Beifall fanden, vorzüglich bei den Freunden
-der ältern Poesie. Die Herren Dreher und Schütz (diese
-waren die Dirigenten) erzählten mir, daß alle ihre Manuscripte
-alt seien, daß sie noch viele besäßen, die sie aber
-niemals darstellten, unter andern einen König Lear, der aber
-mit dem weltbekannten Gedichte kaum eine Aehnlichkeit habe.
-Ich wollte sie überreden, mir diese Gedichte zur Ansicht zu
-vertrauen, was sie aber standhaft verweigerten, so wie sie
-auch von dem Rath nichts wissen wollten, diese Sachen durch
-den Druck bekannt zu machen. Sie glaubten, daß sie sich
-ihre Aufführungen dadurch verderben möchten. Ich wußte,
-daß zu Shakspeare&rsquo;s Zeiten von einsichtigen Mechanikern
-eine neue Art war erfunden worden, ziemlich große Marionetten
-künstlich in Bewegung zu setzen. Die Spiele dieser
-Puppen machten Aufsehen und fanden großen Beifall. Ben
-Jonson spottet selbst einmal darüber, daß dieses hölzerne
-Theaterspiel Mode sei und von Manchem dem der Komödien
-vorgezogen werde. Man gab die Schauspiele, die die populärsten
-waren, und gute Köpfe, die gerade nichts Besseres
-zu thun hatten, arbeiteten für diese Bühne und nahmen die
-besten Komödien berühmter Dichter, um sie für die Marionetten
-abzukürzen und mit mehr Spaß und Tollheit auszustatten.
-Die Marionetten zogen hierauf nach den Niederlanden,
-und in Brüssel und Antwerpen, wo damals viele
-spanische Komödien gespielt wurden, nahmen sie von diesen
-die beliebtesten und wunderbarsten in ihr Repertoir auf.
-Manchen, die ich damals und später in Berlin sah, habe ich
-<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a>
-noch nicht auf die Spur kommen können; sehr merkwürdig
-war die Geschichte eines Königssohnes, der sich wahnsinnig
-stellte, aber nichts mit Hamlet gemein hatte. Der verlorne
-Sohn ist nach einem alten englischen Schauspiel, und jener
-landkundige Faust, der unserm großen Dichter in seiner Jugend
-wohl zuerst den Anstoß zum wunderbarsten seiner Werke
-gab, ist im Wesentlichen dem Faust des Marlow nachgebildet.
-Man kann dem Barocken und toll Poetischen nur
-mit einer gewissen Leidenschaft sich hingeben, eine ruhige
-kritische Billigung ist unpassend und dem Gegenstande nicht
-angemessen; und so gestehe ich gern, daß ich damals diese
-mir noch neuen Spiele vielleicht überschätzte, aber auch jene
-Menschen, die sich ganz davon abwendeten, nicht tadeln
-konnte. &mdash; Hier aber war von jenem Poetischen, was mich
-damals so sehr erfreute, auch keine Spur mehr. Die Marionetten
-waren schlecht und spielten ungeschickt, der Text
-war ganz modern, aus Kotzebue und einigen beliebten Opern
-zusammengestoppelt, so daß mich weder Publikum noch Theater
-auf lange fesseln konnte. Große, wunderbare Verhältnisse,
-das Tolle, Phantastische und ganz Tragische paßt nur
-für diese Volksbühne.
-</p>
-
-<p>
-Die Freunde genossen noch die schöne Gegend um Liebenstein,
-alle diese reizenden Naturscenen, und nahmen dann
-von Wald und Berg und den freundlichen Menschen, die sie
-hatten kennen lernen, Abschied. Carl von Hardenberg begleitete
-sie noch bis Eisenach. Der Weg geht queer durch
-den Thüringer Wald, und reizend liegt das Jagdschloß
-Wilhelmsthal mitten in einem schönen Walde. Die Buchen
-hier und in der Umgegend sind von herrlichem Wuchs.
-</p>
-
-<p>
-In Eisenach besuchte man die Wartburg und erinnerte
-sich des Gedichtes von Friedrich Schlegel. Der Deutsche,
-bemerkte Ferdinand, hat immer noch seine eigenthümliche
-<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a>
-Freude an der Herrlichkeit der Wälder; vor diesen Ausblicken,
-die uns entzücken, graut dem Italiäner und die übrigen Nationen
-empfinden doch schwerlich jenes heilige Grauen oder
-jene feierlich andächtige Stimmung, die uns in Waldgebirgen
-oder im einsamen dunkeln Forst ergreift.
-</p>
-
-<p>
-Hardenberg kehrte nach Liebenstein zurück, und von
-Altenburg schrieb Ferdinand an seine Freundin Charlotte
-nach Berlin:
-</p>
-
-<p class="date">
-Altenburg, den 1. August 1803.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Kann man sich so ungewiß im Kreise drehen, wie ich
-es nun seit mehreren Wochen gethan habe? Menschen betrachte
-ich und lerne sie kennen, Frauen und Mädchen, Naturscenen
-gehn an mir vorüber, und nichts ergreift und
-durchdringt mich so, wie es sollte, weil eine Leidenschaft,
-eine Unruhe, eine unselige Melancholie mich allenthalben
-verfolgt. Ich habe die feste Hoffnung, möchte ich doch fast
-sagen die sichere Aussicht, daß sich in wenigen Tagen dieser
-Zustand ändern wird. Sie kennen mein Schicksal nicht, und
-können es also auch nicht fassen, in welchem seltsamen Räthsel
-ich mich umtreibe.
-</p>
-
-<p>
-Ich müßte mich sehr irren, oder mein Reisegefährte
-Walther wird von einer ähnlichen Leidenschaft gequält, die
-er mir verheimlicht, geflissentlich Alles umgeht, was auf eine
-Spur führen oder eine vertrauliche Herzensergießung veranlassen
-könnte. Dieser Mann, der anfangs so kalt und ruhig
-schien, verliert immer mehr jene sichere Haltung, die den
-Gleichgültigen nur sich anzueignen möglich ist.
-</p>
-
-<p>
-Zuweilen erscheint mir das Leben grauenvoll, wenn es
-mir jene kalte, gleichgültige Seite aufdeckt, die die Herzlosen
-für das wahre Antlitz, und Jugend, Empfindung und Liebe nur
-für eine schöne Larve erklären. Als wir in Würzburg waren,
-<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a>
-erinnerte ich mich einer Begebenheit, die mich schon vor
-Jahren manche Thräne gekostet hat. Ein junger Edelmann
-lebte hier, reich, gesund und schön, und mit dem schönsten
-Mädchen in der Stadt versprochen. Die Vermählung war
-nahe, das Glück der Liebenden beneidenswerth, als der Geliebte
-mit einem andern Offizier um eine unbedeutende Kleinigkeit
-in Streit geräth und von dem rohen jungen Mann
-so beschimpft und beleidigt wird, daß sich die Ehre des Gekränkten,
-nach unsern Begriffen, nur durch ein Duell wiederherstellen
-läßt.
-</p>
-
-<p>
-Sie treffen sich im Walde und der Liebende hat das
-Unglück, seinen Gegner zu erstechen. Die Flucht ist unvermeidlich,
-und die Anverwandten des Erschlagenen, angesehene
-Familien, treiben es dahin, daß er mit gerichtlicher Strenge
-verfolgt wird und in sein Vaterland nicht zurückkommen darf.
-Er wagt es selbst nicht, unter seinem wahren Namen im
-Auslande zu leben, er kann nur selten und auf Umwegen
-schreiben und noch seltener kann er von seiner Familie oder
-seiner Braut etwas erfahren. So vergehn einige Jahre.
-Seine schlimmsten Feinde sterben indeß, die andern lassen
-sich versöhnen, und mit vieler Mühe wird ihm die Gnade
-des Fürstbischofs ausgewirkt, nachdem dieser überzeugt ist,
-daß er zu jenem unseligen Duell ist gezwungen worden. Er
-wirft sich, von frischer Jugend beseelt, in den Wagen, einige
-Meilen vor Würzburg besteigt er ein rasches Pferd, um
-noch früher in den Armen seiner Braut zu liegen. Schon
-sieht er die altbekannte Stadt und begrüßt jubelnd ihre Tempel
-und Paläste; sein Weg führt vor dem Kirchhofe vorbei,
-ein großer Zug, Alt und Jung, bewegt sich aus der Stadt
-dahin. Er fragt einen Vorübergehenden, wer die Leiche sei,
-und erfährt, seine Braut wird beerdigt. Der lange Gram,
-dann die Freude habe sie so geschwächt, daß ihr ermüdeter
-<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a>
-Körper dem Anfall eines Fiebers keine Lebenskraft mehr
-entgegenstellen konnte. Betäubt, entsetzt, lebensüberdrüssig
-kehrt er um, ohne seine Familie wiederzusehn. Er verläßt
-die Landstraße, irrt in Wäldern umher und begiebt sich endlich
-nach Erfurt, um hier im Orden der schweigsamen Karthäuser
-das Ordenskleid zu nehmen. Nun arbeitet er im
-Garten und an seinem Grabe, spricht mit Niemand und
-antwortet seinen Brüdern wie den Fremden nur mit dem
-trübseligen: <span class="antiqua">Memento mori!</span> &mdash; Wie oft war ich in Erfurt
-in diesem einsam liegenden Kloster, sah die wandernden Brüder
-an, oder in der Kirche bei ihrem stillen Gottesdienste,
-und gedachte dieser Geschichte. Jetzt komme ich mit meinen
-Reisegefährten wieder nach Erfurt. Die Klöster sind alle
-aufgehoben und Mönche und Nonnen von ihren Gelübden
-befreit. Ich finde den jungen Prinzen W. wieder, der hier
-als preußischer Major in Garnison steht, und er bittet uns
-bei sich zu Tische. Er spricht mir von diesem Mönch, den
-er kennt, und sagt uns, er würde unser Tischgenosse seyn.
-Als wir uns versammelt haben, tritt ein ältlicher Mann in
-bürgerlicher Kleidung herein, der stattlich aussieht, dessen
-Embonpoint aber schon an das Komische grenzt. Sein Gesicht
-ist nicht unedel, aber ganz gewöhnlich, selbst unbedeutend,
-und der Ausdruck seiner Physiognomie ist mehr jovial,
-als ernst, oder tiefsinnig. Ich konnte mich bei diesem Anblick
-einer gewissen Verstimmung nicht erwehren. Er erzählte
-viel und mit großer Redseligkeit; es schien, als wollte er für
-sein vieljähriges Schweigen sich nun endlich wieder an mannichfaltigen
-und selbst überflüssigen Worten eine Güte thun.
-Von seiner melancholischen Jugendgeschichte redete er nicht,
-das wäre auch zu unangenehm gewesen; aber wohl setzte er
-auseinander, wie die Diät des Klosters, selbst die strenge,
-bei dem Mangel an Bewegung, den Körper anschwelle. Das
-<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a>
-Reiten, besonders das schnelle, wollte ihm noch nicht recht
-zusagen, aber dennoch sprach er mit wahrem Entzücken von
-den Exercitien der preußischen Cavallerie, die er zu Pferde
-angesehn und gewissermaßen mitgemacht habe; der Soldat,
-so fügte er hinzu, sei wieder mit allen Kräften in ihm aufgewacht,
-und wenn er nicht zu alt geworden sei, würde er
-sich mit Enthusiasmus diesem Stande widmen. Jetzt sei er
-entschlossen, die wenigen Jahre seines Lebens hier in Erfurt,
-mit seinen militärischen Freunden, deren er manche habe, zu
-verbringen und von seiner kleinen Pension zu leben. Seine
-Familie sei ausgestorben, Verwandte habe oder kenne er
-nicht, und die etwanigen Erben seines kleinen väterlichen Vermögens
-wolle er nicht in Verlegenheit setzen, daß sie den
-Argwohn faßten, er könne auf irgend etwas Ansprüche
-machen. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Es ist verdrüßlich, wenn die mächtigsten Leidenschaften
-und wahrhaft tragische Begebenheiten nicht mehr Spur im
-Menschen zurücklassen. Und doch erscheine ich mir wieder in
-diesen Gefühlen unbillig und lieblos, weil ich nicht wissen
-kann, was der Arme gelitten hat, und mit welcher Scheu
-und Vorsicht er wohl immerdar vor dem Grabe seiner Jugend
-vorübergeht. Sollte er seinen Schmerz und seine Erfahrung
-einer gewöhnlichen frohen Tischgesellschaft mittheilen
-und das Edelste seines Lebens entweihen?
-</p>
-
-<p>
-In Weimar war mir der Park, Göthe&rsquo;s Haus, alle
-Umgebung, wie heilig. Im Garten, der allenthalben so
-lieblich und edel die dort dürftige Natur verschönert und
-verdeckt, muß man bei jedem Schritte unsers Dichters gedenken.
-Er war nicht zugegen, aber den Herzog trafen wir,
-als wir das Schloß besichtigten. Der edle, geistreiche Fürst
-sprach lange mit uns über verschiedenartige Gegenstände.
-Das Schloß ist von dem Baumeister Genz, dem Bruder des
-<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a>
-politischen Schriftstellers, vortrefflich eingerichtet; Alles hier
-ist mit Sinn angeordnet, und der große Saal, für Feierlichkeiten
-bestimmt, erfreut besonders. Es war nicht leicht,
-aus Dem, was der große Brand von dem Gebäude hatte
-stehn lassen, diese zierliche und großartige Einrichtung herauszubringen.
-Von Friedrich Tieck sieht man schöne Basreliefs
-und Figuren, zwar nur in Gips, aber so gut ersonnen und
-ausgeführt, daß sie dem edeln Hause zum Schmuck gereichen.
-</p>
-
-<p>
-Von Weimar begleitete uns ein junger Dichter, Thorbeck,
-dessen sich Göthe und Schiller freundlichst angenommen
-hatten. Er rezitirte uns im Wagen einige seiner Gedichte,
-in welchen ich nur zu sehr die Manier unsers Schiller
-wiederfand. Die Verse schienen mir für einen Anfänger
-fast zu gut.
-</p>
-
-<p>
-In Jena führte uns Wachtel zur Fromann&rsquo;schen Familie,
-die ich früher schon gekannt hatte. Den geistreichen
-Naturforscher Ritter fand ich hier, so wie Clemens Brentano.
-Von Beiden, die ohne Zweifel große Talente entwickeln
-können, muß man wünschen, daß sie sich nicht von
-einer falschen Genialität blenden lassen. Eine bewußtvolle
-Originalität ist keine; auch kann man dem jungen Dichter
-wohl allenthalben in seinen Versuchen, wo er recht neu und
-<a id="corr-6"></a>seltsam zu seyn glaubt, die Stellen nachweisen, die er nur
-nachgeahmt hat. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Wann werde ich Sie wiedersehn? Unter welchen Umständen?
-Wo?
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Von Altenburg begaben sich die Freunde nach Chemnitz.
-Walther schien völlig verstimmt, und als sie im Gasthofe
-abgestiegen waren, verschloß er sich in seinem Zimmer und
-<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a>
-ließ sich mit einer Unpäßlichkeit entschuldigen, die ihn verhindere,
-zum Abendessen zu kommen. Wachtel, der wohlgemuth
-war, ließ ihn gewähren und sagte nur zu Ferdinand:
-unser Moralist fängt an, etwas langweilig zu werden, und
-weil es ihm nicht so recht gelingen will, so wirft er sich in
-das verdrüßliche Fach; denn glaube mir, Freund, wer was
-Rechtes in der Langeweile leisten will, der muß schon früh,
-in der Jugend dazu thun, die Erziehung kann eigentlich nur
-den besten Grund dazu legen, und wenn das Genie freilich
-angeboren ist, so thun doch Ausbildung, Kunst, Uebung und
-tüchtige Vorbilder auch das Ihrige. Auf dem halben Wege
-stehen bleiben, wie es unserm lieben Walther begegnen kann,
-ist das Kläglichste. Ich habe Männer in dem Fache gekannt,
-die eigentlich von der Natur die herrlichste Anlage hatten,
-unausstehlich langweilig zu seyn; aber sie hatten das Unglück
-gehabt, eine Zeitlang unter die Geistreichen zu gerathen, und
-der Zunftgeist dieser Menschen hatte sich ihnen einigermaßen
-mitgetheilt, um sie zu ruiniren. Sie hatten die Gabe,
-Anekdoten ohne Salz und ohne Spitze breit, mit Parenthesen,
-sich wiederholend und sich widersprechend mit der
-größten Verwirrung vorzutragen, und zwar solche Geschichten,
-die jedes Kind schon weiß; aber demungeachtet waren
-ihnen, wie Fliegen in alten Spinnweben, einige gute Einfälle
-und Gedanken hängen geblieben, die demnach, wenn
-auch schlecht vorgetragen, das Kunstwerk ihres miserablen
-Vortrages hinderten, ein Vollendetes zu werden. Der rechte
-Virtuose müßte es dahin bringen können, einen heftigen,
-ungeduldigen und dabei verständigen Menschen geradezu umzubringen.
-Kann das durch Schreck geschehn, sind Menschen
-am Lachen oder an der Freude verschieden, so wäre es wohl
-der Mühe werth, einmal einen Künstler heranzubilden, den
-ein eifersüchtiger Fürst oder Minister nur auf diesen und
-<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a>
-jenen Verdächtigen oder Verhaßten loszulassen brauchte, um
-dem guten Kopf, welcher sich dem Wohl des Vaterlandes
-nicht fügen will, den Garaus zu machen. Was unsre löblichen
-Kanzelredner leisten, was Theater- oder religiöse und
-moralische Dichter thun, die Familiengemälde, viele Romanciers,
-das ist alles nur Bagatell. Bis zum Uebelwerden,
-selbst Erbrechen können es Gutmeinende bringen; was ist das
-aber gegen die Wirkung der Leidenschaften, der Elemente
-oder des Krieges? Wie oft hat man Gefangene, denen man
-übel wollte, molestirt und torquirt, Grausamkeiten mit spitzfindigem
-Grübeln ersonnen, &mdash; bildeten Staaten und Schulen
-aber mehr jene wahrhaften Langweiligen aus, von denen das
-Ideal meiner regen Phantasie vorschwebt, so könnte das Unerhörte
-geleistet werden.
-</p>
-
-<p>
-Hüte Dich nur, sagte Ferdinand lächelnd, nicht selbst
-ein Pfuscher in diesem Handwerke zu werden. Es steht
-keinem an der Stirne geschrieben, wie er einst im Alter
-endigen werde.
-</p>
-
-<p>
-Am folgenden Morgen trat Walther mit einer gewissen
-Feierlichkeit bei den Freunden zum Frühstück ein. Ich habe
-eine schlechte Nacht gehabt, begann er dann, weil ich mich
-schäme, Euch etwas vorzutragen, das ich Euch doch mittheilen
-muß. Wir sind hier in einer kleinen Stadt, die nicht
-ohne Anmuth ist, aber wir würden doch nicht eben Ursach
-haben, lange hier zu verweilen, da wir so mancher viel
-merkwürdigern nur einige Stunden geschenkt haben, &mdash; und
-doch begreife ich noch nicht, wie wir sobald von hier wegkommen
-wollen.
-</p>
-
-<p>
-Wie käme denn das? rief Wachtel aus. Welcher Zauber
-sollte uns denn hier bannen können?
-</p>
-
-<p>
-Der die ganze Welt bannt und fesselt, antwortete Walther.
-Ich habe die Reisekasse geführt und mich mit Euch
-<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a>
-berechnet, in Meiningen gabt Ihr mir, was Ihr noch bei
-Euch trugt, und es war mehr als reichlich, um nach Dresden,
-Berlin, Hamburg oder wohin wir noch streben mochten,
-zu gelangen. In Liebenstein spielte ich und gewann für
-einen Unglücklichen, der ohne meine Dazwischenkunft verloren
-war &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Sie haben sich herrlich gegen ihn benommen, rief Wachtel
-aus, und ich hörte auch noch die vortrefflichen Ermahnungen,
-die Sie dem Spieler gaben.
-</p>
-
-<p>
-Ich hätte sie selber nur zu gut brauchen können, antwortete
-Walther. Seit vielen Jahren hatte ich nicht gespielt,
-nun ging es mir wie dem gezähmten Löwen, wenn er wieder
-einmal Blut kostet. Unmittelbar nach jenen moralischen
-Reden begab ich mich wieder an den Spieltisch und verlor,
-bis auf eine Kleinigkeit, Alles, was mir gehörte, und auch
-Euer Eigenthum. Ihr werdet bemerkt haben, wie knapp
-und ängstlich ich seitdem auf der Reise war, weil ich hoffte,
-mindestens bis Dresden auszureichen; gestern Abend gab ich
-unserm Fuhrmann als Trinkgeld das Letzte. Wir Alle führen
-keine Creditbriefe mit uns, weil die baare Summe
-übergenug war; so stehe ich denn hier, beschämt wie ein
-Schulknabe, vor Euch, und begreife jetzt selbst nicht, wie der
-Aberwitz mich ergriff, unser Vermögen zu verschleudern. In
-Dresden, so hoffe ich, können wir uns wieder helfen; aber
-wie die wenigen Meilen dahin zurücklegen? Sollten wir uns
-so beschimpfen, Uhren oder Ringe hier zu versetzen? Freysing
-hat mich in Liebenstein tüchtig ausgelacht, daß ich ihm
-solche Summe noch zugewendet habe.
-</p>
-
-<p>
-Am klügsten und kürzesten ist es, rief Wachtel aus, daß
-ich mich so schnell als möglich nach Dresden hinstümpere,
-dort habe ich Bekanntschaft und Credit, ich schicke alsbald
-das Nöthige her, Ihr unterhaltet Euch indessen hier, so gut
-<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a>
-Ihr könnt, und wir treffen uns in Dresden wieder, wo
-Sie dann, Freund Walther, sich wieder in Baarschaft setzen
-können, um mir und Ferdinand Das wieder zu geben, was
-Sie uns schuldig geworden sind.
-</p>
-
-<p>
-Als Walther das beschämende Geständniß überstanden
-hatte, lachte er mit den Uebrigen recht herzlich über seine
-Unbesonnenheit. Man ließ sogleich einen Fuhrmann der
-Stadt kommen, und Wachtel bat sich aus, das Geschäft mit
-diesem allein abzumachen. Der Mann kam und Wachtel
-fragte ihn: ob er im Stande sei, ihn noch an diesem Tage
-nach Dresden zu schaffen, ihn allein mit einem kleinen Gepäck.
-Der Fuhrmann sah dem Fragenden ins Gesicht,
-schaute dann an die Decke, hierauf zum Boden nieder, als
-wenn die Beantwortung dieser Frage viel Nachdenken und
-Grübeln erforderte. Es ginge zur Noth wohl, sagte er mit
-langer Verzögerung, wir haben noch lange Tage, meine
-Pferde sind gut, die Last nicht schwer. &mdash; Und wie viel verlangt
-Ihr, Mann? &mdash; Ja, sagte jener, wenn nur die Ernte
-nicht wäre, und das Vieh ist jetzt auch nicht so, wie späterhin,
-und das Futter ist jetzt theuer; unter sechs Speciesthalern
-kann ich es nicht thun. &mdash; Aber ich kann sogleich
-abfahren? &mdash; Gefressen haben die Pferde, erwiederte der
-Kutscher, also hat es keinen Anstand. &mdash; So macht Euch
-fertig, Freund, ich setze mich gleich ein, Eure Forderung
-ist nicht unbillig, auch verlange ich Euern Schaden nicht,
-und verspreche Euch, wenn Ihr mich zeitig nach Dresden
-hinschafft, sieben Species, außer Euerm Trinkgelde. So
-kann ich Ihre Geschäfte, Herr Baron und Herr Graf (indem
-er sich mit der höflichsten Verbeugung an seine Reisegefährten
-wendete), gleich morgen früh besorgen, und wenn
-Sie mir in einem oder zweien Tagen nachfolgen, so treffen
-Sie Ihren ergebensten Diener im goldenen Engel. Nur
-<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a>
-eins noch, mein guter Fuhrmann, bedinge ich mir aus, daß
-Ihr Chaussee und dergleichen Alles, auch was ich im Gasthofe
-bedürfen möchte, auslegt, weil es mir unerträglich ist,
-mich mit Zoll und Geleit und Kellnern und Wirthschaft einzulassen,
-und daß Ihr mir morgen in Dresden Alles genau
-und gewissenhaft berechnet. Und so geht denn, Freund, und
-spannt an.
-</p>
-
-<p>
-Der Fuhrmann entfernte sich in Demuth und zufrieden,
-und Wachtel sagte lachend: ich habe Dich, lieber Ferdinand,
-zum Grafen erhöht, um seine Auslagen leichter zu erlangen.
-Zum Glück geht die Reise nicht weit, es bedarf keiner großen
-Summe, und ich bin in Dresden meiner Bekanntschaft
-gewiß.
-</p>
-
-<p>
-So reisete Wachtel ab, indem er sich noch einmal, beim
-Einsteigen, der Gewogenheit des Herrn Grafen und Barons
-empfahl. Wir können nun rechnen, sagte Walther, wenigstens
-noch zwei Tage in dieser kleinen Stadt bleiben zu müssen;
-heut Abend kommt unser Wachtel in Dresden an, ein Tag
-geht wenigstens hin, bis das Geld hieher kommt und vielleicht,
-wenn er es nicht durch den Fuhrmann senden will,
-währt es noch länger. Wir müssen also sehn, wie wir uns
-hier ergötzen.
-</p>
-
-<p>
-Sie gingen aus, um die Stadt und Gegend näher
-kennen zu lernen. Nach ihrem Spaziergange trafen sie auf
-ein Haus, in welchem Bücher verliehen wurden, und Ferdinand
-nahm einige, deren Titel ihn anlockten, mit nach dem
-Gasthof. Sie blätterten in den Erzählungen, lasen abwechselnd
-einiges laut, und warfen sie dann verdrüßlich hin.
-Ist es nicht sonderbar, daß die Deutschen, welche so viel
-schreiben, immer noch nicht lernen (wenige Autoren abgerechnet),
-wie man eine Erzählung vortragen kann und soll?
-Gelingt es auch hie und da Diesem und Jenem, uns ein
-<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a>
-Interesse abzugewinnen, so trägt er uns gleich darauf Dinge
-vor, die nicht zur Sache gehören, die uns nichts angehn,
-und verschweigt im Gegentheil, worauf wir neugierig sind.
-So lernen es die wenigsten, sich der Form, selbst der leichtesten,
-zu bemächtigen, und schwanken ungewiß und unsicher
-hin und her, nirgend festen Fuß fassend, weitschweifig zur
-Ermüdung, und doch, wie Cervantes sagt, das Beste im
-Dintenfasse lassend.
-</p>
-
-<p>
-Wir können bemerken, erwiederte Ferdinand, daß das
-Beste, was bei uns erscheint, indem es Mode wird, alsbald
-zur Nachahmung dient und sich tausendfältig schwächer und
-immer schwächer wiederholt; aber diese Scribenten, die ihr
-Vorbild verwässern, studiren nicht dessen Tugenden, oder
-machen sich klar, wodurch es vortrefflich ist, sondern sie bemächtigen
-sich nur obenhin der Manier und hängen an den
-Zufälligkeiten. Andre Modeschriftsteller ergreifen den rohen
-Stoff, sprechen Gesinnungen aus, die gerade an der Tagesordnung
-sind, heute Frivolität, morgen Pietismus, bald
-Patriotismus, bald Rebellion, Haß gegen die Obrigkeit oder
-süß frömmelnde Liebe, dann wieder Rohheit gemeiner Wachstuben,
-die sie uns für Rittersinn verkaufen, oder Gespenstergrauen,
-wenn nicht Familien der Landprediger sammt Liebe
-und Sehnsucht, die sich schon in den Kindern entwickeln.
-Es haftet und dauert von allen diesen schlechten Manieren
-keine, aber eine jede läßt ihre schlimmen Folgen zurück.
-So ist die Masse des Volkes, welches sich jetzt gern das
-gebildetste in Europa nennen hört, in Ansehung seiner Modelectüre
-ohne Zweifel das roheste von allen.
-</p>
-
-<p>
-Wie entzückt Denjenigen, welcher zu lesen versteht, fuhr
-Walther fort, jede, auch die kleinste Novelle des Boccaz,
-des feinen Cervantes gar nicht einmal zu erwähnen. Aber
-<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a>
-auch die ruhige Klarheit eines Sacchetti erfreut, und fast
-jeder Italiener der früheren Zeit weiß die Sache, die er
-mittheilen will, geschickt vorzutragen. Und so können uns
-leicht und heiter aufgefaßte Geschichten ergötzen, die sonst
-gar keinen Inhalt haben, und manches in dieser Art haben
-die Franzosen auch sehr glücklich geleistet.
-</p>
-
-<p>
-Man sollte vielleicht aus unsrer komischen Geldnoth,
-sagte Ferdinand, die uns hier zu bleiben zwingt, eine heitere
-Novelle bilden können. Zwei Reisende treffen zum Beispiel
-in einem Gasthofe von verschiedenen Gegenden her zusammen,
-sie beleidigen sich, und doch zwingt sie die Noth, daß
-einer sich dem andern eröffnet, um Hülfe von ihm zu begehren;
-nun erfährt jeder vom andern, warum sie sich nicht
-beistehn können, und wie jeder von ihnen in diese lächerliche
-Verlegenheit gerathen ist.
-</p>
-
-<p>
-Recht, rief Walther aus, der eine kann, zum Beispiel,
-ein Mädchen entführt haben, sie wartet auf ihn in einer
-gewissen Entfernung, wohin sie ihn bestellt hat, und er
-kann nun durchaus nicht zu ihr, weil es ihm am Gelde
-mangelt.
-</p>
-
-<p>
-Nicht übel, sagte Ferdinand, doch geriethen wir da vielleicht
-zu sehr in das Sentimentale. Könnten die beiden
-Fremden nicht Verwandte seyn, aus verschiedenen Ländern,
-die sich gegenseitig aufgesucht haben, und die jetzt ein läppischer
-Zwist daran hindert, sich einander zu erkennen, da sie
-unter erborgten Namen reisen? Es könnte so weit kommen,
-daß sie sich forderten, daß man alle Mühe anwenden müßte,
-um Diejenigen, die sich liebend seit lange suchen, vom mörderischen
-Kampfe abzuhalten.
-</p>
-
-<p>
-Das würde mir darum nicht gefallen, sagte Walther
-mit verdrüßlicher Miene, weil es an die Komödie der Irrungen
-und an andre Geschichten, die auf ähnliche Art verwickelt
-<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a>
-sind, erinnert. Aber, fuhr er heitrer fort, bearbeiten
-wir jeder auf unserm Zimmer heute und morgen, da wir
-doch nichts anders zu thun haben, diesen Gegenstand und
-lesen wir uns morgen Abend unsre Productionen vor.
-</p>
-
-<p>
-Es sei! rief Ferdinand mit Lebhaftigkeit aus, nur Schade,
-daß wir keinen Schiedsrichter haben, der einem von uns den
-Preis ertheilen möchte.
-</p>
-
-<p>
-Jeder begab sich auf sein Zimmer, und Ferdinand, um
-sich zu zerstreuen, schrieb mit Laune und Heiterkeit, obgleich
-er nicht unterlassen konnte, einige Umstände aus seiner eigenen
-Geschichte einzuflechten. Die Aufgabe interessirte ihn
-dadurch so sehr, daß er unvermerkt dieses und jenes der
-Erzählung hinzufügte, was er um keinen Preis seinem
-Freunde erzählt haben würde. Er meinte aber, so vermischt
-mit der Erdichtung würde sich die Wahrheit als eine solche
-nicht verkündigen. Walther gab seiner Erzählung einen
-ernsteren Inhalt; aber sowie er fortfuhr, kam ungesucht die
-Aufgabe in die Geschichte, die ihn selbst auf die Reise getrieben
-hatte, nehmlich der Wunsch, einen Gegner, der, nach
-seiner Meinung, Strafe verdiene, aufzufinden; nur machte
-er aus diesem Gegner einen Nebenbuhler, damit sich die
-Fabel mehr runden möchte.
-</p>
-
-<p>
-So waren die Freunde zwei Tage beschäftiget und kamen
-sehr heiter und mit sich selbst zufrieden zum Abendessen
-zusammen. Nachdem sie gesättigt waren, holten sie ihre
-Manuscripte und Walther sagte: Sie, von welchem der Gedanke
-unsrer Schriftstellerei ausging, müssen Ihre Novelle
-auch zuerst vortragen, damit die meinige alsdann beschließen
-könne, und morgen, nachdem wir geschlafen haben, soll
-jeder des andern Versuch kritisch prüfen und scharf untersuchen.
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand zog den Tisch, nachdem Alles entfernt war,
-<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a>
-an sich und fing an: <em>Der Taube von Benevent, Novelle</em>.
-&mdash; Wie? rief Walther; ich muß mich sogleich als
-Rezensent melden und Einspruch thun, denn dieser Titel
-schon scheint mir gegen unsre Abrede zu seyn. Ich bildete
-mir ein, die Scene müsse nach Deutschland verlegt werden,
-und darum habe ich meine Erzählung genannt: <em>Der Weltentdecker
-in Verlegenheit</em>.
-</p>
-
-<p>
-Auch sonderbar genug, sagte Ferdinand, hinter dem Titel
-sollte kein Mensch die verabredete Aufgabe suchen.
-</p>
-
-<p>
-Doch, sagte Walther, ein Reisender, der schon die halbe
-Welt durchstrichen ist, der immer etwas Neues sieht und
-sucht, und sich nicht wenig damit weiß, für Alles Rath zu
-schaffen und die Menschen zu kennen, muß, wie Sie sehn
-werden, in dem elenden Wirthshause eines kleinen Städtchens
-lange kleben bleiben, und verliert so die wichtigsten
-Vortheile seiner Reise, ja gewissermaßen das Glück seines
-Lebens. Doch ich störe Sie und halte Sie auf.
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand begann: Es war nicht lange nach jenem berühmten
-Erdbeben in Calabrien, welches so viele Orte zerstört
-hatte, daß &mdash; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Hier entstand ein lautes Sprechen draußen, und ein
-Klopfen an der Thür, und der Genius des Verfassers, oder
-der Zufall wollte nicht, daß Ferdinand jetzt seine Erzählung
-weiter vortragen sollte. Der Fuhrmann kam nehmlich zurück
-und händigte den Freunden ein großes Paket ein. Der
-Herr, sagte er, der gestern mit mir fortreisete, hat mir
-gleich heut Morgen dieses vielfach versiegelte Schreiben eingehändigt
-und mir auf meine Seele befohlen, gleich, gleich
-zurückzueilen, und es ja noch heut Abend, wenn ich auch
-spät ankommen sollte, in Ihre Hände zu überliefern. Und
-da mich der wackre Herr sehr gut und über meine Erwartung
-belohnt hat, so schien es mir eine Gewissenssache, seine Befehle
-<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a>
-prompt und schnell auszurichten. Ich habe daher auch
-auf keine Retourgesellschaft gewartet, sondern mich eilig aufgemacht,
-um nicht zu spät anzukommen.
-</p>
-
-<p>
-Walther beschied ihn auf morgen, wenn auch nicht sehr
-zeitig, damit die Pferde ausruhen könnten, überzählte, als
-sie allein waren, die Summe, welche Wachtel in Gold überschickt
-hatte, und las alsdann den Brief des Freundes vor:
-</p>
-
-<p>
-Hiebei das Nöthige, gleich durch den Kutscher, weil die
-Post es sechsunddreißig Stunden später würde abgeliefert
-haben. Aber zugleich muß ich Euch melden, daß Ihr mich
-in Dresden nicht mehr treffen werdet, denn sowie ich diesen
-Brief geendigt habe, springe ich mit gleichen Beinen in eine
-schon bestellte Kalesche, und fahre nach Guben, um meinen
-umirrenden Ritterzug zu endigen. Glaubt Ihr denn, Ihr
-von mir leidenschaftlich Geliebteste, daß Ihr niemals langweilig
-seid? <span class="antiqua">Anzi, pur troppo</span>, wie wir Italianisirten zu
-sagen pflegen. Sapperment noch einmal! Ihr vergeßt es
-ja immerdar, daß ich, wenn ich mich recht besinne, ein zärtlicher
-Gatte bin. Soll ich meine Liebe denn ganz vernachlässigen
-und so in der öden, weiten Welt herumrasen? Wer
-freilich so ledern ist, wie Ihr Beide, so ganz ohne Liebessehnsucht,
-wessen Herz niemals im Enthusiasmus überschwillt,
-kurz, wer so nur der Gegenwart und dem flüchtigen Augenblick
-lebt, wie Ihr, Nächte am Spieltische vergeudet, jungen
-hübschen Mädchen in allen Ruinen nachläuft, oder wie ein
-Deserteur auf dem hölzernen Esel stundenlang in der russischen
-Drehmaschine unverwandt und stieren Blicks die dürren
-Bretter einer hölzernen Bude anschauen kann, &mdash; solche
-Leute sind für Schwärmer, wie ich einer bin, eine zu trockne
-Gesellschaft. Mein pochendes Herz treibt mich zu meiner
-Gattin, die gewiß bei jedem Kloß, den sie einrührt, dieses
-meines Herzens gedenkt. Und dann, &mdash; hat das Vaterland, &mdash;
-<a id="page-142" class="pagenum" title="142"></a>
-meine Vaterstadt &mdash; keine Rechte, keine Forderungen an mich?
-Man verliert in dieser Kosmopoliterei allen Sinn für das
-Einheimische, selbst Heimische und Heimelnde; und wenn Ihr
-auch heimlich gegen mich wart, und Jeder von Euch seine
-Heimlichkeiten vor dem Andern hat, so ist mein heimelndes
-Heimathgefühl, mein Heimweh, viel edlerer Natur. Wenn ich
-so bei den Sägemühlen die frischgeschnittenen Kienbretter roch,
-&mdash; ha, alle Reize meines Guben standen vor mir. Wenn ich
-den Streusand über ein beschriebenes Blatt spritzte, so war mir
-Das, was der Kuhreigen dem biedern Schweizer ist. Kleinstädtisch,
-voll armseliger Rücksichten wurde ich auch in Eurer
-Gesellschaft; wenn ich mich einmal aufschwingen wollte auf den
-Adlersfittigen meiner Begeisterung, &mdash; was habe ich von den
-kleinartigen, niemals nach vollen Zügen durstigen Seelen aushalten
-müssen! Von der Hippokrene, oder dem musenberauschenden
-Quell des Parnassus soll der Mensch gar nicht, oder
-recht tief, voll, in den mächtigsten Wogen trinken; so sprechen
-die weisen Alten. Man sei völlig nüchtern, &mdash; oder &mdash; nun ja,
-was? Ihr würdet als Plebejer vielleicht von knüppel- oder
-hageldick, oder was die guten Deutschen sonst noch kümmeltürkenartig
-an den schändlichen Ausdruck &bdquo;besoffen&ldquo; anknüpfen,
-sprechen: Sieben ist die böse, aber auch die heilige Zahl,
-und ein alter Jäger hier sagt von einem so Begeisterten:
-er sei halb Sieben. &mdash; Herr Walther kann mir also das
-Geld, welches er mir noch schuldig ist, nach meiner geliebten
-Vaterstadt senden. Vielleicht besucht mich derselbe hohe Mann,
-sowie der Crucifix- und Nepomuksjäger, der zarte katholisirende
-Ferdinand dort. Wenn derselbe einmal mit christlichem
-Legendencostüm als ein Wegweiser ausgehauen und
-mit Grün und Gold angemalt an die Landstraße gestellt
-würde, hätte er seine Harmodius- und Aristogiton-Statue
-und Vergötterung verdient und erreicht. Seh ich Euch,
-<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a>
-Freunde, in diesem sterbenden Leben oder in dieser lebenden
-Sterblichkeit noch einmal wieder, so wird es mir immer, so
-viel ich auch höher strebe, einige, wenn auch nicht die größte
-Freude gewähren.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Wachtel.
-</p>
-
-<p class="dateend">
-Dresden, den 9. August 1803.
-</p>
-
-<p>
-Nachdem dieser Brief gelesen war, fragte Ferdinand, ob
-er jetzt in seinem Manuscripte fortfahren solle; doch Walther,
-der noch mit dem Briefe beschäftigt schien, war sehr
-zerstreut und verstimmt, sodaß er kurz aufbrach, ein Licht
-nahm und seinem Gefährten eine gute Nacht wünschte. Als
-Walther allein war, las er für sich das Postscript noch einmal
-aufmerksam, welches so lautete: &mdash; Indem ich hier im
-Engel alles Dies abfertige, drängt sich ein junger Herr in
-mein Zimmer, derselbe Herr von Bärwald, den wir in der
-Kirche zu Graupen zu bewundern Gelegenheit hatten, und
-zwingt mir noch diesen versiegelten Zettel für den Herrn
-Walther auf. Er meint, der Inhalt sei für Sie von der
-allergrößten Wichtigkeit.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;In Dresden werde ich die Ehre haben, Sie zu sehn,
-und Sie werden auch Denjenigen kennen lernen, welcher
-Ihnen einliegendes Blatt sendet.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Das versiegelte Blatt enthielt folgende Worte: &bdquo;Den
-Entführer, welchen Sie suchen, können Sie nur den vierzehnten
-August bei, oder in Guben treffen, wenn Sie ihn im
-Hause des Herrn Wachtel erfragen wollen, wo alsdann die
-sichere Nachricht, wo sich dieser Herr von Linden aufhält,
-Sie erreichen soll.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Sonderbar! sagte Walther zu sich selbst, also dort soll
-ich den Elenden nun antreffen, von wo gewissermaßen mein
-Umstreifen in diesen deutschen Provinzen begann? Und &mdash;
-kann ich es mir verleugnen? &mdash; jetzt, nach Monaten erscheint
-mir die Ahndung seiner That und die Bestrafung dieses
-<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a>
-Mannes nicht mehr so nothwendig, wie damals, als ich
-mich zu diesem Geschäfte drängte. Scheint es doch auch,
-daß mein Vetter in Warschau sich längst getröstet hat; indessen
-habe ich mich einmal damit eingelassen und mich dazu
-verpflichtet, sodaß die kühlere Ueberlegung zu spät kommt.
-Und ist die schöne Maschinka am Ende mit diesem Entführer
-glücklich, so möchte ich mich jetzt fragen, was diese Leiden
-und Freuden mich eigentlich angehn, da die Verwandten
-des Mädchens, wenn doch einmal etwas geschehn sollte, Jenen
-verfolgen und zur Rechenschaft ziehn konnten. Sie haben
-nicht weniger Muße dazu, als ich. Nun wird also doch
-zum Beschluß meiner Reise eintreffen, was nach meiner Meinung
-am Anfange geschehn sollte.
-</p>
-
-<p>
-Nachdem man am andern Morgen mit dem Gastwirth
-die Rechnung berichtigt hatte, fuhr man, als die Hitze schon
-eingetreten war, nach Freiberg ab. Dort verweilten die
-Freunde nur, um einige Merkwürdigkeiten in Augenschein
-zu nehmen, und kamen, nachdem es schon Nacht geworden
-war, in Tharand an.
-</p>
-
-<p>
-Walther freute sich darauf, am folgenden Morgen die
-Schönheit dieser Thäler, des Buchenwaldes und der Aussicht
-von der Ruine zu genießen, als Ferdinand ihm plötzlich ankündigte,
-er würde noch in dieser schönen kühlen Nacht zu
-Fuß nach Dresden gehn. Die Einwendungen Walther&rsquo;s
-wurden nicht angehört, sondern, obgleich es dunkel war, Ferdinand
-wanderte sogleich wohlgemuth weiter, nachdem er nur
-eben aus dem Wagen gestiegen war. Walther glaubte bemerkt
-zu haben, daß ein Unbekannter ihm beim Ankommen
-einen Brief überreicht habe, den Ferdinand in größter Hast,
-beim ungewissen Schein eines flackernden Lichtes angesehn
-habe und durch ihn in diese Unruhe gerathen sei.
-</p>
-
-<p>
-Zum Argwohn aufgereizt, konnte es Walther nicht unterlassen,
-<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a>
-dem Gefährten, nachdem dieser in der Dunkelheit
-manchen Schritt voraushatte, eilig und ohne Geräusch nachzugehn.
-Als er das Städtchen verlassen hatte, glaubte er
-in der stillen Einsamkeit Stimmen, ganz nahe vor sich, zu
-vernehmen. Als er weiter schritt, mußte er vermuthen, daß
-es nur das Rauschen des Gebirgstromes sei, welches ihn so
-getäuscht habe. An der waldbewachsnen Bergwand hinwandelnd,
-glaubte er im Dunkeln eine weiße weibliche Gestalt
-neben einer dunkeln männlichen zu unterscheiden; bald überzeugte
-er sich auch von der Wahrheit, aber es waren Menschen,
-die ihm entgegenkamen und wohl zur Mühle des Ortes
-zurückwandern mochten. Noch mehr wie einmal glaubte
-er in der Entfernung Klagen, Zank oder Gelächter zu vernehmen,
-und immer wieder mußte er sich überzeugen, daß es
-das Geräusch des kleinen Stromes sei, das ihn in der stillen
-Nacht so getäuscht habe. Beschämt ging er endlich zurück,
-verdrüßlich über sich selbst, daß er sich, ohne etwas erfahren
-zu haben, zum Horchen und Belauschen herabgewürdigt habe.
-</p>
-
-<p>
-Am klaren frischen Morgen durchstreifte er die reizenden
-Gegenden bei Tharand, die dem Naturfreunde immer
-neu und anmuthig bleiben, wenn er auch aus der Schweiz
-oder Tyrol eben zurückkehrt. Diese Thäler, die so einsam
-von der lärmenden Straße entfernt sind, vom köstlichen
-Waldstrom durchrauscht, von schönen Hügeln und Buchen
-und Tannen bekränzt, sind so lieblich, daß man hier gern
-die weiten Blicke über den schönen Elbfluß vergißt. Von
-der Natur geläutert, Alles, was er in Guben wollte, oder
-gestern Abend ihn bewegt hatte, vergessend, fuhr er dann
-bei schönem Wetter nach Dresden und stieg bald nach der
-Tischzeit vor dem goldnen Engel von seinem Wagen.
-</p>
-
-<p>
-Als er sein Geschäft mit seinem Bankier berichtigt hatte,
-fiel es ihm erst auf, daß er seinen Reisegefährten Ferdinand
-<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a>
-noch nicht war ansichtig geworden. Er forschte im Gasthofe
-nach ihm, aber er hatte sich hier nicht, wie die Freunde doch
-abgeredet hatten, gemeldet. Sonderbar! sagte Walther zu
-sich selbst, ich bin ihm noch eine bedeutende Summe schuldig,
-er hatte, so viel ich weiß, gar kein Geld bei sich, und
-so entschwindet er nun plötzlich, ohne Abschied, ohne Nachweisung,
-ob und wo wir uns treffen können.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt suchte ihn der junge Baron von Bärwald in seinem
-Zimmer auf. Was mir das leid gethan hat, rief der
-junge Mensch, daß wir uns vor einigen Wochen in Graupen
-und Teplitz verfehlt haben; ich hätte wahrscheinlich die
-ganze Reise mit Ihnen machen können, und mein Freund,
-der mit mir war, ebenfalls.
-</p>
-
-<p>
-Doch wie, fragte Walther, sind Sie auf die sichre Spur
-jenes Linden gekommen?
-</p>
-
-<p>
-Eben jener junge Freund, der auch mit mir in Graupen
-und Teplitz war, antwortete der Baron, hat mir umständlich
-die ganze Geschichte erzählt. Er ist mit beiderseitigen
-Familien, sowohl der des Herrn von Linden, als der
-schönen Maschinka, befreundet. Er steht mit jenen Bekannten
-in Warschau in ununterbrochenem Briefwechsel, und von
-dort, ich weiß nicht, wie, hat er erfahren, daß an jenem
-Tage, den ich Ihnen meldete, die schöne Maschinka sowie
-der Herr von Linden in Guben seyn werden. Was sie dort,
-oder wohin sie von dort wollen, ist mir freilich unbekannt.
-</p>
-
-<p>
-Der bestimmte Tag war ganz nahe. Walther, um nicht
-mit dem jungen ungestümen Baron zu reisen, der sich ihm
-schon angeboten hatte, schützte Geschäfte vor, die er auf einigen
-Gütern abzumachen hatte, und begab sich auf die Straße
-nach Guben. Die öde Gegend, durch welche er reisete, vermehrte
-seinen Mißmuth.
-</p>
-
-<p>
-Am zweiten Tage, als es schon spät am Abend war,
-<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a>
-erreichte er Guben. Im Dunkeln fragte er sich nach Wachtel&rsquo;s
-Hause hin, aber dieser sowohl, als seine Gattin war
-nicht zugegen, und man wußte, so sagte der Dienstbote, nicht,
-wann sie zurückkommen würden. &mdash; So wollte Walther nach
-dem Innern der Stadt zurückkehren, verfehlte aber, weil er
-die entgegengesetzte Richtung nahm, den Weg und gerieth
-in die freie Landschaft. Es kam ihm nicht darauf an, sich
-nicht noch etwas zu ergehn und abzukühlen. Er gerieth auf
-eine Wiese und glaubte hinter einigen Gebüschen Klagelaute
-zu vernehmen. Er suchte sich mit Behutsamkeit, um im
-Finstern nicht zu fallen, der Stelle zu nähern, und als er
-die Worte unterscheiden konnte, hörte er deutlich folgendes
-Gespräch: So raffe Dich nur auf. &mdash; Was, raffen! das ist
-ein dummes Wort! Was kann man an sich selber raffen?
-Hier liegt sich&rsquo;s gut, und ich will wenigstens bis zur Regenzeit
-hier wohnen bleiben. &mdash; Was für ein Kreuz mit solchem
-Mann! Kannst Du denn wirklich gar nicht stehn? &mdash; Als
-wenn das eine nothwendige Sache wäre, wenn man so angenehm
-liegt, wie ich hier. &mdash; Wenn nur ein Mensch zur
-Hülfe in der Nähe wäre! &mdash; Ja, keiner, weil sie Alle in
-meiner Position, wenn auch nicht derselben Situation, in
-ihren Betten liegen.
-</p>
-
-<p>
-Walther hatte gleich im Anfang Wachtel&rsquo;s Stimme erkannt,
-und halb gerührt über die Wehklage der Frau, halb
-lachend über den so ganz unverbesserlichen Reisegefährten,
-ging er näher, um seine Hülfe anzubieten, damit der Trunkene
-so nach Hause geschafft werden könne.
-</p>
-
-<p>
-Ach Gott! seufzte die Frau, immer muß so ein fremder
-Herr als ein Engel vom Himmel mir zur Hülfe herbeikommen.
-&mdash; Mit gemeinsamer Anstrengung richteten sie den
-Taumelnden endlich auf, der in seinem Rausch den Reisegefährten
-nicht wiedererkannte. Walther und die Frau faßten
-<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a>
-ihn unter die Arme und richteten ihre künstliche Wanderung
-nach der Stadt, die aber, so sehr sie den Zögernden
-auch schoben oder zogen, dennoch nur sehr langsam vor sich
-gehen konnte. Ja, gnädigster Herr, klagte die Gattin, er
-hat sich da, so wunderlich er nun ist, einen höllischen Trank
-verschrieben und kommen lassen, den er die Menschenessenz
-nennt, und behauptet, Abraham und Isaak hätten den Soff
-schon im Paradiese gehabt. So rennt er nun heut so heraus,
-wie er es treibt, um die Nachtwelt aufzusuchen und ihr
-vorzupredigen, und da denkt er, die dumme Nachtwelt antwortet
-ihm, wenn es die Frösche sind, die im Sumpfe quaken.
-</p>
-
-<p>
-Frösche, Sumpf, quaken! rief Wachtel im Zorn: schlechte
-Worte! Quaken, was das ein Mißlaut ist! Und dann, wie
-einfältig, die ordinäre Nachtwelt, zu welcher freilich Frösche,
-Eulen und Fledermäuse gehören, mit meiner <a id="corr-7"></a>Nachtwelt, die
-ich heut aufgesucht und gefunden habe, zu verwechseln! &mdash;
-Er hielt an, stemmte sich mit aller Kraft an Walther und
-bestrebte sich, ihm in das Gesicht zu sehn. &mdash; Erlauben Sie
-mir, unbekannter Herr Menschen-, aber nicht Wortführer,
-Ihnen eine authentische Nachricht von jener Begebenheit zu
-geben, welche diese Person, die eine Frau und zugleich meine
-Frau ist, ziemlich confuse vorzutragen sich bemüht, als ob
-sie keine Frau, sondern ein Narr wäre. &mdash; Jetzt ging er
-wieder weiter, mit seiner ganzen Schwere auf Walther gestützt,
-der schon, von der Anstrengung erhitzt, häufigen
-Schweiß vergoß. &mdash; Sie werden es oft empfunden haben,
-fuhr Wachtel, etwas lallend fort, daß der denkende Mann
-mit seiner Gegenwart und der ganzen Zeit unzufrieden ist.
-Alles, was wir denken, wissen, wollen, die edelsten Bestrebungen
-unsers bessern Menschen, auch wenn wir nicht soeben
-die echte Menschenessenz genossen haben, legen wir sauber
-hin auf den großen Ladentisch dieser alten Krämermadam,
-<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a>
-der Zeit. Sie sitzt nun immer da, mit der Brille auf der
-spitzen Nase und die blöde gewordenen Augen aufreißend
-und zukneifend, und sucht aus und wählt, hebt auf und <a id="corr-8"></a>registrirt,
-schreibt ein und streicht aus, und weiß vor vielem
-Thun und Wissen nicht, was sie thut, und vergißt immer
-wieder, was sie sich merkt. Die Kunden stehn vor dem Tisch
-übelgelaunt da und fordern und fragen, und erhalten nichts
-oder nur schlechtes Zeug. Der will vom feinsten Battist
-und kriegt alten, abgelegenen Cattun in die Hände, der will
-eine schöne politische Blondengarnitur, und die dumme Alte
-schiebt ihm ein verwittertes, längst aus der Mode gekommenes
-legitimes Haubenmuster hin, mit erstickter Stickerei und
-ausgewaschenen Knötchen. Treffliches Westenzeug möchte der
-recht blank und glänzend sich aneignen, und alten Hosencamelot
-aus Osten steckt sie ihm zu. Die beste reformirte
-Religionskräuselei und Krause fordert der, und sie will ihn
-mit schlechtem steifgestärkten moralischen Pietismus abspeisen.
-Schreit der nach der einfachen Kunst ohne Form und Gesetz,
-ein Bildwerk für des Herzlichsten Herz, so fährt sie ihm mit
-einer alten Mosaik entgegen, lauter zusammengesetzte schroffe
-Einzelheit; der will das Platonische, sie giebt ihm das Platte
-oder höchstens Plattirte: Lucretius und Lucretiensaft, Archangel
-und Erzengel, Peter Madsen und Matthison, Shakspeare
-und Käsebier, Racine und Ratzen, Alles verwechselt
-die dumme Creatur. Die Käufer laufen fort, die besten
-Arbeiter wollen ihr nichts mehr liefern, denn sie verzettelt
-die schönsten und edelsten Zeuge, daß sie unter den großen
-Ladentisch fallen, wo nachher sich Hunde und Katzen ihre
-Nester drin bauen. Und die Nachwelt &mdash; nun, die steht in
-der Ferne, sperrt das Maul auf, und wünscht doch etwas
-aus unsrer Zeit zu überkommen. Den Unfug hatte ich nun
-lange geduldig mitangesehn, und hatte mich überzeugen müssen,
-<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a>
-daß die gute Nachwelt nur Schund und Schofel, Spreu
-und Asche, Sägespäne (die auch vielleicht für Shakspeare
-ausgeschrien werden) und Kohlenstaub in Magen, Herz und
-Gehirn kriegen wird. So, gestärkt durch einen starken Zug
-aus dem Quell der Begeisterung, machte ich mich heut an
-diesem heißen Tage, an welchem das Thermometer hoch auf
-Zukunft steht, auf, um mit der Nachwelt selbst zu sprechen
-und ihr im voraus die Lehren, Gedanken und Winke zu
-überliefern, die ich für die besten unsrer Tage halte. Dort
-in der Einsamkeit des Waldes fand ich sie denn auch, sie
-hatte sich&rsquo;s bei der großen Hitze bequem gemacht, und war
-fast ohne Hülle, sie war so aufgelöst und auseinander gequollen,
-daß sie in der That in unsre Gegenwart, die sich
-auch hatte gehn lassen, hineinreichte. Sie nahm alles von
-mir gütig auf und sagte freundlich zu Allem Ja; sodaß
-unsrer Enkel Enkel durch meine redliche Bemühung doch etwas
-von den guten Fabrikationen unsrer Zeit ungefälscht
-erhalten haben. Und dies, mein geehrter Herr Lieutenant,
-der Sie im Gehn gewissermaßen meine Stelle vertreten und
-mein Treten wieder übergehn müssen, ist Das, was der
-vorige einfältige Berichterstatter als Nachtwelt, als Sumpf,
-als Frosch und Quaken charakterisiren wollte. Sie aber,
-erleuchteter Mann, sehn jetzt genau ein, wie Alles zusammenhängt.
-&mdash; Sollten wir nicht aber schon in der Stadt und
-vor meinem derzeitigen Hause seyn?
-</p>
-
-<p>
-Und so war es in der That. Der Trunkene dankte für
-die Ehre der Begleitung, die ihm ein fremder Mann in so
-später Nacht erwiesen hatte, und ging mit der Frau in seine
-Thür, wo ihn ein Diener und die Magd schon erwarteten.
-</p>
-
-<p>
-Am andern Morgen war Wachtel ganz ernüchtert, als
-Walther zu ihm eintrat; er konnte ihm über Alles Rede und
-Antwort geben, was dieser nur zu wissen begehrte. Es ist
-<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a>
-wirklich wahr, erzählte er, das junge, schöne Frauenzimmer,
-welches schon einmal bei uns gewohnt hat, ist wieder hier
-durchgekommen und hat wieder eine Nacht oben geschlafen;
-ein alter Diener und eine Magd, welche mit ihr waren,
-nannten sie Maschinka. Sie war wieder ebenso eilig, wie
-damals, sodaß ich sie fast gar nicht gesehn habe, und ist
-dann über die Oder gegangen. Aber ein junger Mann hat
-sich auch gemeldet und nach Ihnen gefragt, Sie möchten nur
-an Herrn von Linden ein Billet schreiben, so würde dieser
-sich gewiß in den nächsten Stunden stellen, im Fall Sie ihn
-nur an der Oder erwarten möchten.
-</p>
-
-<p>
-Wachtel schrieb also einige Zeilen, welche binnen kurzem
-auch wirklich abgeholt wurden. Der Herr von Bärwald
-stellte sich ebenfalls ein und bot sich zum Sekundanten
-Walther&rsquo;s an, und Wachtel, der ängstlich um seinen Reisegefährten
-war, ließ es sich nicht ausreden, diesen ebenfalls
-zu begleiten.
-</p>
-
-<p>
-Sie hatten sich einen Platz an der Oder zur Ruhestätte
-erwählt, nachdem sie den Wagen verlassen hatten, von wo
-sie einen großen Theil des Flusses übersehn konnten und
-gegenüber die sogenannte Kretschem vor sich hatten. Als es
-etwas kühler wurde, sahen sie, wie die Fähre herüberruderte.
-Sie bemerkten, daß eine elegante herrschaftliche Kutsche darauf
-stand, und wie das Fahrzeug näher kam, unterschieden sie,
-wie zwei Männer, Arm in Arm, da standen und nach dem
-Ufer hinüberschauten. Der ältere und größere glänzte in
-einer reichen Uniform.
-</p>
-
-<p>
-Man war nicht wenig verwundert, als Walther und
-Wachtel beim Anlanden der Fähre in dem jüngeren Manne
-ihren Freund Ferdinand erkannten. Man umarmte sich und
-Ferdinand sagte eilig: ich kann hier bei Ihnen nicht verweilen,
-<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a>
-denn mich erwartet ein dringendes Geschäft, welches ich
-erst abthun muß, dann wollen wir uns sprechen.
-</p>
-
-<p>
-Mit mir ist es eben so beschaffen, erwiederte Walther;
-aber wir sehn uns hoffentlich bald wieder und verbringen in
-der Stadt den Abend fröhlich mit einander.
-</p>
-
-<p>
-Der General, denn dies war der angesehene Fremde,
-mischte sich in das Gespräch und der junge Herr von Bärwald,
-der nicht Zeit und Umstände gern berücksichtigte, brach
-mit der Nachricht heraus, daß Walther auf einen Herr von
-Linden wartete, um mit diesem ein Duell auszufechten.
-</p>
-
-<p>
-Ferdinand trat mit Erstaunen von Walther zurück, und
-der General rief aus: Wie? Sie sind jener Herr von Hellbusch,
-der meinen Neffen gefordert hat?
-</p>
-
-<p>
-So ist es, erwiederte Walther, dieses ist auch mein
-wahrer Name, ich reisete unter einem erborgten, um, wie
-ich mir einbildete, besser beobachten und, selbst weniger bemerkt,
-Nachrichten einziehn zu können.
-</p>
-
-<p>
-Sonderbar! höchst sonderbar! rief jetzt Ferdinand aus:
-ich nahm drüben und in Warschau den Namen Linden an,
-um mich nachher in Deutschland leichter den Nachforschungen
-meiner Gegner und den Verwandten meiner Frau entziehn
-zu können.
-</p>
-
-<p>
-Frau? fragte Walther jetzt mit der größten Lebhaftigkeit.
-Allerdings, sagte der General lächelnd, vor drei Tagen
-ist meine Nichte Maschinka meinem guten Neffen Ferdinand
-drüben im Preußischen in meiner Gegenwart und auf
-mein Wort und meine Bürgschaft, als seine rechtmäßige
-Gemahlin angetraut worden. Und Sie, Herr von Hellbusch
-(indem er sich an Walther wendete), können mit dem besten
-Gewissen Kampf und Krieg aufgeben, denn Brüder und Verwandte
-sind durch meine Vermittlung mit dem neuen Gatten
-<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a>
-ausgesöhnt, und Ihr Vetter, welcher Ansprüche auf Maschinka
-zu haben glaubte, hat sich ebenfalls verheirathet.
-</p>
-
-<p>
-Da Alles sich so gefügt hat, sagte Walther, so bin ich
-der glücklichste aller Menschen; denn ich darf den Mann als
-Freund umarmen, den zu lieben und hochzuschätzen mir schon
-längst auf meiner Reise zum Bedürfniß geworden war.
-</p>
-
-<p>
-Indem öffnete ein Jäger den Schlag der Kutsche und
-eine schöne Dame stieg aus derselben, um Walther höflich
-zu begrüßen. Wachtel, der sie mit Verwundrung angesehn
-hatte, rief aus: Ei, wie kann man denn so reizend seyn!
-das heißt mit dem Schönsein kein Maß halten! Das versteht
-meine Frau viel besser, die sich wohl hütet, die häßlichste
-auf der Welt zu seyn. Aber eigen ist es zugegangen,
-daß zwei Menschen, die sich als Todfeinde verfolgen, ein
-paar hundert Meilen in ein und demselben Wagen so gelassen
-und schläfrig neben einander sitzen.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt nahm Ferdinand das Wort und erzählte, wie
-Maschinka seinetwegen ihre Familie verlassen und in Angst
-nach Deutschland herübergekommen sei. Sie fürchtete, zu
-einer Verbindung gezwungen zu werden, und da der Oheim
-abwesend war, so wußte sie keinen andern Rath, als sich den
-Ihrigen, welche sie tyrannisirten, zu entziehen. Ferdinand
-war vorangegangen, um einen sichern Aufenthalt zu suchen.
-So kam sie über die Oder, und von einem Briefe einer
-Freundin gelenkt, suchte sie sich, wenn auch nur auf kurze
-Zeit, bei der Gattin Wachtel&rsquo;s zu verbergen, der die Freundin
-sie empfohlen hatte, ohne von ihren Schicksalen etwas
-Näheres zu melden. Hier erfuhr sie, daß man ihr nachstelle,
-daß ein Vetter des Mannes, dem sie hatte vermählt
-werden sollen, von Warschau ihr nachgereiset sei, und daß
-die Brüder dieses aufdringlichen Bräutigams sie ebenfalls
-suchten. Sie war also, nachdem sie ihrem Geliebten eine
-<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a>
-kurze Nachricht nach Madlitz gesendet hatte, schon wieder entschwunden,
-als dieser nach Guben kam.
-</p>
-
-<p>
-Ich habe die gnädige Erscheinung damals, wie jetzt,
-sagte Wachtel, nach meinen besten Kräften beherbergt.
-</p>
-
-<p>
-Meine Braut und jetzige Gattin, erzählte Ferdinand,
-wußte von meiner Irrfahrt, sie war mir immer um einige
-Stationen voraus, und so trafen wir uns, um Abrede zu
-nehmen, in dem alten Schlosse Glich, oberhalb Bamberg,
-wo sie in der Maske eines Förstermädchens erschien. Hier
-hatte ich Gelegenheit, das Nähere mit ihr zu besprechen, und
-wir nahmen die Abrede, in Würzburg oder Heidelberg uns
-zu verbinden.
-</p>
-
-<p>
-Sieh! sieh! rief Wachtel aus, drum! drum! Ei ja freilich,
-es ist auch dasselbe hübsche Gesichtchen. &mdash; Er sah hiebei
-Walther mit einem bedeutenden Blicke an, und dieser
-lächelte halb verlegen.
-</p>
-
-<p>
-In Würzburg aber, erzählte Ferdinand, kam ein junger
-Pole, der Begleiter eines Herrn von Bärwald, meiner
-Geliebten auf die Spur. Er machte Anstalt, sich ihrer zu
-bemächtigen, und sie, benachrichtigt davon, rief mich auf zur
-Hülfe, da sie mich in jene Bude hatte eingehn sehn, wo wir
-uns, kindisch genug, mit einer russischen Schaukel ergötzten.
-In der Bude aber stand, ohne daß ich es wissen konnte,
-neben dem Herrn des Kunststückes, eben dieser junge Pole,
-der meine Braut persönlich kannte, und ihren Namen laut
-ausrief, als sie in die Bude hineinblickte. Alles stürzte ihr
-nach, ich aber, als der Schnellste, fand Mittel, sie im Getümmel
-des Jahrmarktes zu verbergen und vor den Nachstellungen
-zu retten.
-</p>
-
-<p>
-Ei! rief Wachtel aus, unser Freund Walther, welcher
-den Jungfrauenraub zu bestrafen ausgereiset war, saß indessen
-<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a>
-mit eingelegter Lanze hoch oben wie ein rächender
-Gott in der einsamen Bude.
-</p>
-
-<p>
-In Heidelberg, fuhr Ferdinand fort, erfuhr ich endlich
-aus ihren Briefen, daß unser gütiger Onkel sich unser annehmen
-und Alles schlichten wolle, nur machte er es zur Bedingung,
-daß wir umkehrten, um nicht als Abentheurer in
-fremden Regionen den Ruf meiner Geliebten unnöthig auf
-das Spiel zu setzen. In eines jungen Gelehrten, Keyser&rsquo;s,
-Gesellschaft, welcher seine Braut besuchte, sprach ich die geliebte
-Maschinka, und wir beredeten unsre Rückreise. Aber
-wir durften uns noch nicht vereinigen, um uns nicht dem
-Ungestüm der Verwandten, welche uns verfolgten, auszusetzen.
-Ich hatte in Briefen und aus dem Munde meiner Braut
-von einem wüthenden und rachsüchtigen Hellbusch gehört,
-und konnte mir nicht träumen lassen, daß dieser derselbe
-freundliche Mann sei, an dessen Seite ich die schöne Reise
-durch Deutschland machte. So kehrten wir denn um, und
-schrieben hie und da Merkworte ein, die der Andre fand
-und die kein Fremder verstehen konnte. In der Höhle von
-Liebenstein trafen wir uns an jenem schönen Sonntage, und
-dort, als ich mich hatte von der Barke auf dem unterirdischen
-Gewässer übersetzen lassen, sprach ich im Dunkel, und
-von der ganzen Welt abgesondert, meine Geliebte. Bei
-Tharand bestellte sie mich und ich traf sie in der Nacht dort
-im schönen Thal. Sie reisete sogleich hieher nach Guben,
-ihrem gütigsten Oheim entgegen, und der großmüthige Mann
-hat auch mich seinen Neffen genannt und durch seine Güte
-alle die Irrsale geschlichtet. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-So fuhren sie nach Guben zurück und ergötzten sich an
-den kleinen Begebenheiten ihrer Reise. Von dort begaben
-sie sich mit dem Oheim nach der Schweiz, und Walther,
-welcher seinen Reisegefährten Ferdinand herzlich liebgewonnen
-<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a>
-hatte, bat sich die Erlaubniß aus, mit ihnen reisen zu dürfen,
-um in ihrer Gesellschaft einige Zeit in dem schönen
-Lande dort zu leben.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Es waren zehn Jahre verflossen, als dem Erzähler dieser
-Geschichte Walther und Ferdinand wieder begegneten.
-Die seltsamen Begebenheiten des Befreiungskrieges hatten
-uns in Prag im Sommer des Jahrs 1813 vereinigt. Ferdinand
-war mit seiner Frau, die noch immer schön zu nennen
-war, glücklich, er hatte einige allerliebste Kinder, mit
-denen er gern spielte. Auch Walther war verheirathet, und
-wir erfreuten uns Alle des Wiedersehns und der erneuten
-Vertraulichkeit. Nur war es mir merkwürdig, daß der
-schwärmende Ferdinand jetzt ein eifriger, möcht&rsquo; ich doch sagen,
-einseitiger Verfechter der protestantischen Lehre war,
-und Walther im Gegentheil war zur katholischen Kirche übergetreten
-und mit vollem Ernst und ganzem Herzen ein Bekenner
-ihrer Glaubens-Artikel.
-</p>
-
-<p>
-Wie dieses sich zugetragen hatte, läßt sich vielleicht in
-Zukunft mittheilen, da es für denkende Leser, die selbst etwas
-erlebt haben, nicht ohne Interesse seyn dürfte. Auch läßt
-sich um so unparteiischer diese Seelengeschichte erzählen, da
-beide Freunde, sowie der dritte, der humoristische Wachtel,
-vor Jahren nach Italien gereiset sind, und dort froh und
-glücklich leben. Als heitre Beilage und Episode dürften alsdann
-auch die beiden Novellen, welche die freundlichen Feinde,
-die sich als solche nicht kannten, im Gasthofe zu Chemnitz
-ausarbeiteten, nicht unwillkommen seyn.
-</p>
-
-<h2 class="part" id="part-3">
-<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a>
-<span class="line1">Die Wundersüchtigen.</span><br />
-<span class="line2">1831.</span>
-</h2>
-
-<p class="pbb first">
-<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a>
-<span class="firstchar">D</span>er Geheimerath von Seebach lebte in seinem großen,
-wohleingerichteten Hause glücklich in der Residenz. Da er
-reich war und eine angesehene Stelle bekleidete, viele Verbindungen
-hatte, und eine große Correspondenz führte, so
-war bei ihm oft der Sammelplatz angesehener und merkwürdiger
-Fremden und Reisenden. Häufig aber waren unter
-diesen Besuchenden auch solche Gestalten, die von seiner
-Familie weniger gern, oder nur mit Mißtrauen gesehen
-wurden, weil der Rath früher ein Mitglied mancher Gesellschaften
-gewesen war, die sich höherer Kenntnisse oder wunderbarer
-Geheimnisse rühmten, und obgleich der thätige
-Geschäftsmann schon seit Jahren alle diese Verhältnisse aufgelöset,
-und sich von diesen Verbindungen zurückgezogen
-hatte, so sorgte die Tochter, die den Vater genau kannte,
-doch immer, daß irgendwo ein Faden wieder aufgenommen
-werden möchte, der nicht zerrissen war, um Verwicklung,
-Zeitverlust, oder auch wohl Kummer zu veranlassen. Der
-lebhafte, heitre Sohn war gegen viele Wanderer mehr deswegen
-eingenommen, weil ihr Einsprechen dem Rathe manches
-Geldstück kostete, denn so wie er die Geheimnisse und
-Wunder verlachte, war er doch neugierig genug, immer wieder
-auf die Erzählung von seltsamen Entdeckungen oder unbegreiflichen
-Begebenheiten mit Eifer hinzuhören.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a>
-In alten Papieren kramend, saß der Rath an seinem
-Schreibepulte, und neben ihm Anton, sein Sohn, ihm gegenüber
-sein Schwiegervater, der Obrist von Dorneck, der schon
-seit lange seinen Abschied genommen hatte.
-</p>
-
-<p>
-Ich kann das Dokument nicht finden, sagte der Rath
-endlich unwillig, und begreife nicht, wie, oder wohin es
-kann verloren seyn. In diesem fatalen Prozeß, der mich
-nun schon seit zwei Jahren beunruhigt, gilt es mir die volle
-Summe von zwanzigtausend Thalern, wenn ich diesen wichtigsten
-Beweis nicht herbei schaffen kann.
-</p>
-
-<p>
-Der Obrist erwiederte: Lieber Sohn, ich bin überzeugt,
-daß Sie es irgendwo recht sorgsam hingelegt haben, weil
-es Ihnen eben so wichtig war, und daß Ihre Geschäfte Sie
-nur den Ort haben vergessen machen. Geben Sie sich Ruhe,
-und es fällt Ihnen wohl am ersten bei, indem Sie gar nicht
-darüber denken, wie es mit Namen von Menschen so oft
-geht, die wir durchaus nicht wieder finden, indem wir es
-von uns erzwingen wollen, und die uns dann plötzlich, ungesucht,
-indem wir zerstreut, oder unterhalten sind, wieder
-beifallen.
-</p>
-
-<p>
-Sie mögen Recht haben, antwortete der Rath; soll sich
-aber ein Geschäftsmann solcher Vergeßlichkeit nicht schämen?
-Ich habe niemals die zerstreuten Menschen leiden mögen,
-und nun muß mir selbst dergleichen begegnen.
-</p>
-
-<p>
-Anton warf ein: wenn wir jetzt nur den berühmten
-Grafen Feliciano hier hätten, von dem so viele Wunderdinge
-erzählt werden, so könnte er mit einer einzigen Geisterbeschwörung
-die Sache aufhellen und in Ordnung bringen.
-</p>
-
-<p>
-Gewiß, sagte der Obrist, wenn er sich zu uns herablassen
-wollte, denn Bücher, Zeitungen und Briefe seiner
-Freunde erzählen ja Dinge von ihm, die noch viel wundervoller
-<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a>
-sind, als dies kleine Mirakel, das er auf unser inständiges
-Bitten vielleicht verrichten möchte.
-</p>
-
-<p>
-Der Rath schwieg, indem er wieder eifrig suchte. Was
-sind das für Figuren da? fragte der Sohn, indem er nach
-einem Blatte langte.
-</p>
-
-<p>
-Du bist zwar kein Eingeweihter, erwiederte der Vater,
-indessen ist das Papier auch nicht von denen, durch welche
-ich eine Indiscretion begehe, wenn Du es betrachtest. Vor
-vielen Jahren hat ein Freund, ich weiß nicht aus welchem
-astrologisch-magischen Zauber-Manuscript, mir diesen Unsinn
-als denkwürdig abgeschrieben.
-</p>
-
-<p>
-Bin ich auch kein Geweihter, erwiederte der Sohn, so
-habe ich doch, wie Sie wissen, so Manches über diese Verbrüderung
-gelesen, so manche kabbalistischen Manuscripte
-durchblättert, daß mir gerade der Unsinn mancher Leute
-nicht ganz fremd ist, wenn er mir auch immer unverständlich
-bleibt.
-</p>
-
-<p>
-Die Figur war eigentlich eine vieleckige, in Gestalt eines
-Sternes. Die meisten Linien waren Zeilen, theils Sprüche
-der Bibel, theils Gebete, manche auch wundersame Namen,
-die, wie man sah, Geister bezeichnen sollten, nach allen
-Richtungen begegnete sich das Wort Abracadabra, bald in
-einzelnen Sylben und Buchstaben, bald vor-, bald rückwärts
-geschrieben, bald von Sternzeichen, Hieroglyphen und andern
-seltsamen Figuren unterbrochen. In der Mitte las man
-Adonai, gegenüber Jehovah, mit lateinischen und auch mit
-hebräischen Lettern geschrieben. Auf der Rückseite war bemerkt,
-daß dieses heilige Amulet von vielfältigem Gebrauche
-sei, im Kriege wie gegen Krankheit, vor Einwirkung der
-bösen Geister schütze, und Demjenigen, der die Kunst inne
-habe, Geister herbeizurufen, unentbehrlich sei.
-</p>
-
-<p>
-Der Rath und der Obrist lachten, als der junge, stets
-<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a>
-heitre Anton das aberwitzige Blatt mit so ernsthafter, tiefsinniger
-Miene betrachtete. Ich will ein andermal auch über
-diesen Unsinn spotten, unterbrach sie Anton, aber gestehen
-Sie mir nur ein, daß das Ding auch eine ernsthafte Seite
-habe, die man wohl in Betrachtung ziehen dürfe. Nicht
-wahr, derselbe Menschengeist, der fähig ist, Philosophie und
-Kunst zu umfassen, der die Bahn der Sterne berechnet und
-die Unermeßlichkeit des Himmels mißt, der in Liebe und
-Andacht sich dem Ewigen nähert, &mdash; derselbe hat auch dieses
-Blatt so umrissen, bekritzelt und durchfurcht mit einer
-thörichten Lüge, die doch irgendwo im Anfang mit der Wahrheit
-zusammen hängt, in dieser nur wurzelt, und aus dem
-Guten als stachlichtes Unkraut empor gewachsen ist.
-</p>
-
-<p>
-Das mag seyn, nahm der Obrist das Wort, denn alles
-Schlechte und Nichtige keimt wohl aus dem Guten; nur
-möchte es schwer zu entdecken seyn, wo und wie es Lüge und
-Thorheit wird.
-</p>
-
-<p>
-Der Rath war ebenfalls plötzlich ernsthaft geworden,
-und fügte hinzu: das ist eben die große Frage, ob das Böse
-ein zeitliches, oder ewig sei. Ein Nichts ist es, und wird,
-vom Menschengeist erweckt, ein Ungeheures, nimmt von diesem
-Kraft und Thätigkeit, und wandelt als Schicksal und
-Unglück umher, das Länder verwüstet und Tausende opfert.
-Wahrlich, hier möchte das Auge das Herbeirufen von Geistern
-aus dem Abgrunde, das Beleben eines Todtenreiches
-wahrnehmen können, viel größer und wundersamer als Alles,
-was man von alten oder neuen Thaumaturgen erzählt.
-</p>
-
-<p>
-Sie meinen, wenn ich Sie recht verstehe, antwortete
-Anton, daß durch die Leidenschaften der Menschen, die sich
-in das Unwahre oder dem Nichts ergeben, die Weltgeschichte
-großentheils durch Gespenster regiert und fortgetrieben wird,
-die, wenn sie nicht im wilden Kampf der Verwirrung aufgeweckt
-<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a>
-werden, unsichtbar bleiben, oder höchstens nur Erscheinungen
-sind, über welche der Spekulant oder Witzige
-gutmüthig lächeln möchte. Wenn mir dies auch wahr scheint,
-so ist es mit diesem Blatte hier denn doch etwas anders.
-</p>
-
-<p>
-Eigentlich nicht, sagte der Vater: denn dasselbe, was
-hier nur Spiel ist, hat auch schon zum Feldgeschrei und
-Panier der Schlachten gedient. Es wäre zu wünschen, daß
-der böse Geist mit allen seinen Wirkungen sich immerdar in
-solchen Galimathias hinein zaubern ließe. Aber er wird
-auch von dergleichen Kinderei irgend einmal wieder erweckt,
-und so fluthet und ebbet die Masse der Erscheinungen hin
-und her, und das eigentliche Fortschreiten, das wahre
-Besserwerden der Welt ist nur aus einer weiten Ferne wahrzunehmen.
-</p>
-
-<p>
-Ich werde mir dieses künstlich verzauberte Blatt in geweihter
-Stunde an meinen Hals hängen, sagte Anton, so
-durch alle Gemächer des Hauses um Mitternacht schreiten,
-und so hoffe ich jenes Dokument zu entdecken, das uns Allen
-so wichtig seyn muß.
-</p>
-
-<p>
-Nein, sagte der Obrist, gieb es mir, lieber Enkel: von
-alten Zeiten bin ich noch mit den Leuten in Verbindung, die
-jetzt in der Residenz des Nachbar-Landes wieder anfangen,
-sich auszubreiten. Ich meine jene, die sich für die rechtgläubigen
-Brüder halten, und die vernünftigen verlästern
-und verfolgen. Immer erhalte ich noch Briefe und Anmahnungen,
-mich ihnen wieder anzuschließen. Diesen kann ich
-vielleicht mit dieser sinnverwirrten Schrift ein angenehmes
-Geschenk machen.
-</p>
-
-<p>
-Nehmen Sie es, sagte der Rath, so ist in meinem
-Hause eine Thorheit weniger. Man erzählt, daß sich diese
-abergläubischen Menschen aus leicht zu errathenden Absichten
-an den Erbprinzen dort drängen, um sich ihm angenehm
-<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a>
-und unentbehrlich zu machen. Wer weiß, was uns die Zukunft
-noch für Erscheinungen zeigt, welcher Aberglaube sich
-von Neuem entwickelt, so sicher wir jetzt zu seyn glauben,
-und, wenn ich meiner Aengstlichkeit folgte, so möchte ich
-darum das Papier nicht aus meiner Hand geben. Es kann
-auch Schaden stiften, so kindisch es ist.
-</p>
-
-<p>
-Lassen Sie, lieber Sohn, sagte der Alte, beunruhigen
-Sie Ihren Geist nicht, wenn dergleichen auch geschehn könnte,
-so ist es doch nur wie ein Steinwurf ins Wasser. Der Kreis
-wird immer größer, aber verliert sich, wenn er sich am
-weitesten ausgebreitet hat. So lange noch solche Geister in
-Deutschland regieren, wie hier uns nahe Friedrich der Zweite,
-und dort Joseph der Zweite, so lange noch ein Mann wie
-Lessing schreibt und wirkt, haben wir Nichts zu fürchten.
-Und warum sollen denn unsre Nachkommen eben wieder ausarten?
-</p>
-
-<p>
-Er schlug lächelnd das Papier zusammen, und freute sich
-schon im Voraus, welche Erquickung Viele in jener Brüderschaft
-aus ihm ziehen würden, die sich für Rosenkreuzer und Adepten
-hielten, und so ernsthaft nach dem Stein der Weisen
-forschten, wenn, wie der Obrist zu verstehen gab, auch wohl
-Einige unter ihnen seyn mochten, die das Spiel nur mitmachten,
-um andere, irdischere Zwecke durchzusetzen.
-</p>
-
-<p>
-Friedrich der Zweite, fing der Rath wieder an, ist alt,
-vielleicht auf der Neige, und es ist möglich, daß er bald abgerufen
-wird. Wissen wir denn auch, wie jene Gesellschaften,
-über die wir jetzt nur lächeln, verbreitet sind, wie sie
-in Zukunft ihre Netze weit hinausspinnen mögen? Daß andre
-Brüderschaften gegen sie kämpfen, mag an der Zeit und
-nothwendig seyn. Wie glücklich, daß ich alle diese Dinge,
-die mich früherhin interessirten, und mein Leben in Bewegung
-<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a>
-setzten, hinter mir habe, und auf alle diese Strömungen
-mit klarem gleichgültigen Auge hinab sehn kann.
-</p>
-
-<p>
-Der Bediente gab einen Brief ab, der eben von der
-Post gekommen war. Das Siegel war wunderlich, und als
-der Geheimerath den Brief durchgesehn hatte, sagte er: nun
-wahrlich, sonderbar genug! Nicht gerade der berühmte Wunderthäter
-Graf Feliciano wird zu uns kommen, aber doch
-ein andrer seltsamer Mann, von dem auch schon oft die
-Rede gewesen ist: jener Sangerheim, der sich ebenfalls berühmt,
-große Geheimnisse zu besitzen, der auch Geister erscheinen
-läßt, Todte und Abwesende befragt, und einen neuen
-Orden gründet.
-</p>
-
-<p>
-Anton freute sich, da er vernahm, daß dieser Wundermann
-ihr Haus zuerst besuchen würde, aber der alte Obrist
-Dorneck wünschte, daß man sich mit dem Abentheurer nicht
-einlassen möge. Sie wissen, lieber Sohn, beschloß er, wie
-ängstlich Ihre Frau und Ihre Tochter bei solchen Gelegenheiten
-sind, und es ist wahr, man kann niemals wissen,
-welches Unheil uns mit solchen wirren Geistern über die
-Schwelle schreitet. Sie haben ihre Bestimmung darin gesetzt,
-die Menschen zu täuschen, und es ist nicht zu berechnen, auf
-welche Art sie hintergehn, welche Schwächen, die wir selbst
-nicht kennen, sie benutzen und erwecken, und wie weit wir
-in ihren Wandel verflochten werden.
-</p>
-
-<p>
-Seien Sie ganz ruhig, lieber Vater, sagte der Rath
-heiter; dieser Brief macht es mir unmöglich, den wunderlichen
-Mann ganz abzuweisen, um so weniger, da ich so
-vielen Andern mein Haus schon eröffnet habe; diese Bekannten,
-die ich achten und schonen muß, und die mir diesen
-Mann so dringend empfehlen, würden mein Betragen unbegreiflich
-und sich beleidigt finden.
-</p>
-
-<p>
-Und, gestehn Sie nur, lieber Vater, rief Anton im
-<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a>
-frohen Muthe aus, daß Sie eben so neugierig sind, wie ich.
-Nein, er komme nur, der große Wundermann, er prophezeie
-uns, er zeige uns Geister, er grabe Schätze, was und so
-viel er will, wir wollen Alles dankbar von ihm annehmen.
-Ist doch außerdem schon lange nichts Neues vorgefallen, ist
-doch im ganzen Europa Friede. Wollen sich die Lebendigen
-nicht rühren, so müssen die Todten in Bewegung gesetzt
-werden.
-</p>
-
-<p>
-Als die Mutter und Tochter bei Tische diese Neuigkeit
-erfuhren, nahmen diese die Sache weniger heiter und leicht
-auf, als die Männer. In ihrem stillen Rath war vorzüglich
-Clara verdrüßlich und verstimmt. Wohin, sagte sie fast
-weinend zur Mutter, soll es nur führen, daß wir unser Leben
-so gar nicht für uns selbst einrichten und ableben sollen?
-Der Vater hat nun, wie er sagt, alle diese Verbindungen
-aufgegeben, und ist doch seitdem neugieriger und
-gespannter auf Alles, was in dieser Art vorgeht, als ehemals,
-&mdash; und mein Verlobter, dieser gute Schmaling, die
-Leichtgläubigkeit selbst. Ist es wohl recht, den Wunderglauben
-dieses Jünglings immer von Neuem aufzuregen?
-Wissen wir denn, wie weit diese Sucht gehn kann, oder
-vermögen wir es, ihr Schranken zu setzen? Wenn ich nachher
-unglücklich bin, Schmaling verwirrt, und leidenschaftlich
-aufgeregt, mit den geheimnißvollen Menschen verflochten:
-wird mir denn ein Trost meines Vaters, oder ein Spaß
-meines leichtsinnigen Bruders ersetzen können, was ich verloren
-habe?
-</p>
-
-<p>
-Der Obrist trat zu ihrer kummervollen Berathung und
-sagte, nachdem er die Klagen gehört hatte: Uebertreibt nicht
-die Sache, Kinder, hier meine verständige Tochter, Deine
-Mutter, kennt ja Deinen Vater, liebe Clara. Und Schmaling
-wird Vernunft und guten Rath annehmen, er ist kein
-<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a>
-Kind. Glaube mir, meine liebe Tochter, es ist nicht gut,
-wenn man immerdar dem Menschen alle Steine, an die er
-sich stoßen könnte, aus dem Wege zu räumen sucht. Jede
-Leidenschaft in uns, die es wirklich ist, muß wachsen, reifen,
-und sich selber erkennen lernen. Der Mensch muß sie
-dann aus eigner Kraft, nicht bloß durch fremde Hülfe zu
-überwinden vermögen. Dann wird das, was wohl als
-Thorheit erscheinen mochte, oft Kraft und Charakter, und
-der Mann gewinnt in dieser Schule gerade seinen edelsten
-Besitz. Wird er aber in der Jugend gehindert, ganz sich in
-seinen Gelüsten kennen zu lernen, erfährt er gar nicht, wohin
-sie ihn führen können, so bleibt er Zeitlebens ein Näscher,
-der immer wieder von Neuem der Verführung ausgesetzt
-ist.
-</p>
-
-<p>
-So muß, sagte die Mutter, dies die Geschichte meines
-Mannes seyn. Denn glauben Sie mir nur, Vater, stelle
-er sich, wie er will, hätte er nicht die vielen Geschäfte, die
-ihm sein Amt auferlegt, und die ihm oft die Nächte rauben,
-so würde er mit Heftigkeit Alles, was sich ihm aus dieser
-sonderbaren Gegend des Geheimnisses anbietet, ergreifen.
-Er meint, diesen Wunderglauben, die Geheimnißkrämerei,
-ganz überwunden zu haben, aber ich habe ihn seit so vielen
-Jahren beobachtet, und kenne ihn besser, als er sich selbst:
-Alles reizt, Alles beschäftigt ihn. Er spräche vielleicht nicht
-so oft, und mit solcher Bestimmtheit über diese Gegenstände,
-wenn er seiner selbst ganz sicher wäre. Sie haben sich oft
-verwundert, warum ich mit Ihnen und andern Freunden
-nicht in den Wunsch einstimme, daß er seine Stelle niederlegen
-und auf dem Gute leben möchte: ich kann es nicht,
-aus Furcht, er könne sich in andre Geschäfte und Arbeiten
-dann leidenschaftlich verwickeln, die weder so nützlich seyn
-dürften, noch seinem Geist die Kraft und den Adel zuführen
-<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a>
-würden, mit denen wir ihn jetzt so freudig seinen Beruf erfüllen
-sehn.
-</p>
-
-<p>
-Am folgenden Tage schon erschien Sangerheim, der
-sonderbare Freund, als Gast im Hause des Geheimenrathes.
-Er war ein schöner, großer und schlanker Mann, der eben
-nicht viel älter als dreißig Jahr seyn konnte: sein Auge war
-feurig, der Ton seiner Stimme wohllautend, und der Accent
-des Ausländers, eine Fremdheit in seinen Manieren stand
-ihm gut. Sein Wesen und seine heitre Gesprächigkeit gewannen
-ihm auch bald das Wohlwollen, selbst das Vertrauen
-des Rathes, indessen ihn der alte Obrist schärfer und mißtrauisch
-beobachtete. Am meisten aber war ihm Clara aufsässig,
-denn der junge Rath Schmaling war völlig in Rede
-und Gespräch des merkwürdigen Fremden verloren. Ein Gelehrter,
-Ferner, nahm Antheil an der Gesellschaft, so wie
-der Arzt des Hauses, Huber, und Jeder beobachtete von
-seinem Standpunkt aus den Reisenden, der sich Jedem mit
-ungezwungener Offenheit mittheilte. Darum war auch Anton
-heiter und gesprächig und die Mutter ließ bald ihren Widerwillen
-fahren, mit dem sie zuerst sich am Tische an der
-Seite des verdächtigen Mannes niedergelassen hatte.
-</p>
-
-<p>
-Als die Mahlzeit geendigt war, begaben sich die Männer
-in ein andres Zimmer, und die Frauen verließen die
-Gesellschaft. Nach einigen unbedeutenden Reden kam man
-auf den Gegenstand, der Alle interessirte, da Jeder wünschte,
-daß der Fremde von sich und seinem Treiben etwas Bestimmteres
-aussagen möge. Schmaling machte sich vorzüglich
-an den vorgeblichen Wunderthäter und nahm jedes Wort,
-was dieser sprach, begierig auf; doch der Obrist, der mit
-Clara Mitleid hatte, und ihre Aengstlichkeit gewissermaßen
-theilte, suchte diese Gespräche zu stören. Ob es denn niemals,
-fing er an, um die Unterredung zu lenken, irgend
-<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a>
-mit Sicherheit wird ausgemacht werden, wie alt diese weltbekannte
-Gesellschaft der Freimaurer eigentlich sei.
-</p>
-
-<p>
-Vielleicht, antwortete der Rath, ist der ganze Streit
-mehr um Worte und Buchstaben, als um die Sache geführt
-worden. Mögen wir annehmen, daß dieses geheim öffentliche
-Institut, wie es in unsern Tagen besteht, schon uralt
-sei, daß es in frühern Jahrhunderten, unter ganz andern
-Bedingungen, als andre Bedürfnisse waren und man die
-jetzigen nicht kannte, habe daseyn können: behaupten wir dies
-alles, und geben nur zu, wie wir es müssen, daß diese Vereinigung,
-im Fall sie alt ist, sich völlig verwandelt und nach
-den verschiedenen Zeiten auch verschiedene Zwecke beabsichtigt
-habe, so ist mit dieser Einräumung auch der Streit, wenn
-nicht völlig geschlichtet, doch beseitigt.
-</p>
-
-<p>
-Um so mehr, sagte Ferner, der Gelehrte, da wir es
-selbst erlebt haben, wie in kurzen Zeiträumen sich viele Zwecke
-der Brüder verändern, sie mit einander streiten, jede Sekte
-die richtige und älteste Constitution zu haben vorgiebt, eine
-Verfassung die andre verdammt, und immerdar neue Einrichtungen
-die vorigen ablösen.
-</p>
-
-<p>
-Freilich, sagte der Rath, und so ist es nur Geheimnißkrämerei
-und Sucht zum Wunderbaren, die Entstehung der
-Gesellschaft hoch hinauf zu setzen, sie in andern Verbindungen
-wieder erkennen zu wollen, und anzunehmen, daß Tradition
-aus den ältesten Zeiten uns in dieser Einrichtung,
-die oft sich so geheimnißvoll stellt, mit dunkeln Geschichten
-und Sagen in unmittelbare Verknüpfung setzen könne.
-</p>
-
-<p>
-Und doch, sagte Schmaling, handelt es sich hierum
-einzig und allein, oder die ganze Sache verliert ihr Interesse.
-</p>
-
-<p>
-Das Wunderbare, fuhr der Geheimerath fort, aber das
-Interesse wohl nicht. Oder wir können es auch so ausdrücken:
-<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a>
-daß unsre Bildung eben dahin sich ausarbeiten soll,
-um zu erfahren, was wir mit Recht wunderbar nennen. Es
-fragt sich, ob dann nicht ein ganz umgekehrtes Verhältniß
-erscheinen wird, daß alles jenes Wunder, welches unsre unerfahrne
-Jugend reizte, uns gleichgültig oder lächerlich wird,
-und wir das ächte Wunder da wahrnehmen, wo das blöde
-Auge gar Nichts, oder das Gleichgültige erschaut.
-</p>
-
-<p>
-Sehr wahr, fuhr der Gelehrte fort, die Natur, das
-Erkennen derselben, Kunst und Wissenschaft, das einfache,
-edle Leben unschuldiger Menschen, die Gegenwart unverdorbner
-Kinder, der Liebreiz des Frühlings, das Verständniß
-der Poesie und die Fähigkeit, ihn, den Ewigen allenthalben
-wahrzunehmen, hier findet der ächte Schüler das
-Wunder und dessen Verständniß. Verwandelt der Schwärmer
-dagegen Wissenschaft, Natur, ja seinen Glauben an den
-Höchsten in ein Gespenst, sieht er mit seltsamen Grauen in
-die Natur und den Geist des Menschen hinein, kitzelt er sich
-mit dem Gefühl, durch Zahlen, Zeichen, willkührliche Worte
-und Geberden Annäherung zu fremdartigen Geistern, ja
-Herrschaft über sie zu erlangen, so ist er schon für das Verständniß
-der Dinge und jene Freiheit des Geistes verloren,
-die den gesunden klaren Menschen so liebenswerth und so
-ehrwürdig macht.
-</p>
-
-<p>
-Gut gesagt, erwiederte Schmaling; aber er wird auch
-hier an Worten und Zeichen sich zerstoßen, sein Geist wird
-dürsten und verschmachten, und wenn er recht in das Innre
-dieser scheinbaren Erkenntnisse eindringen will, so wird er
-sich verirren, und wenn er erwacht, sich in einer tauben,
-leeren Wüste wieder finden. Ist denn nicht eben jene Glaubensfähigkeit,
-die sie Wunderglauben oder Wundersucht taufen
-und schelten, die innerste Federkraft unsrer Seele? In
-<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a>
-ihr schlummert der Funke, der zu Licht und Flamme sich
-ausbreitet und erhellt. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Mag es seyn, erwiederte der Rath, daß wir ohne diese
-Fähigkeit des Glaubens, ohne dies Gefühl der Liebe und
-eines unbedingten Vertrauens weder glücklich seyn könnten,
-noch die Stufe der Menschheit erreichen, zu der wir bestimmt
-sind. Diese einfache Liebe und Hingebung aber,
-die zur Glaubenskraft erstarken soll, ist völlig von jenem
-Vorwitz unterschieden, der ergründen, fassen und beherrschen
-will, was dem Menschen versagt ist, und der sich, weil er
-Nichts erobern kann, nun in das Gebiet der Nichtigkeit
-stürzt, sich mit dem Schein und der Lüge verbindet, und so
-den Geist des Menschen, seine Seele bis an die Selbstvernichtung
-führt. Denn so kann man doch wohl das nennen,
-wenn der Mensch für die nächste und unentbehrlichste Wahrheit
-Träume und Hirngespinnste eintauscht.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt nahm Sangerheim das Wort und sagte: Hier
-aber ist es, wo der Streit ein wirklicher wird, denn es läßt
-sich doch auch fragen: wer denn die Wahrheit zu solcher
-stempeln soll? Demjenigen, der nüchtern und einfach fort
-lebt, der sich niemals erhebt, dem dürfen die Wahrheiten
-der Religion, wie die Ahndungen der Geisterwelt als leere
-Träume erscheinen. Wer es aber erlebt und erfahren hat,
-wie jedes Wort und jede Gestalt nur dadurch wahres Sein
-erhält, daß sie vieldeutig sind, daß das Alltägliche und
-Aeußere auf ein Inneres und Geheimnißvolles deutet, der
-kann unmöglich alle höhere Forschung und Erkenntniß als
-unzulässig abweisen, weil sich ihm das, was in früherer
-Entfernung Traum und Aberwitz schien, nun näher gerückt,
-deutlich in nahe Wahrheit, in die unerläßliche Bedingung
-aller ächten Erkenntniß verwandelt.
-</p>
-
-<p>
-Schmaling gab dem Fremden die Hand, von diesem
-<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a>
-Worte hoch erfreut. Der Fremde fuhr fort: Ist es wahr,
-daß diese ächten Geheimnisse, wie alles Große und Geistige,
-schlecht bewahrt und mit falschem Sinne erkannt, verwahrloset
-und durch Mißbrauch bis zur Sünde herabgewürdigt
-werden können, so ist es gut und nothwendig, wenn sie sich
-in dunkeln, tiefsinnigen Schriften dem Verständniß der blöden
-Menge entziehn, wenn eine beschlossene Gesellschaft edler
-Menschen sie als etwas Frommes und Heiliges bewahrt.
-Es ist löblich und nothwendig, daß, da der Zutritt nicht
-eigensinnig versagt werden kann, Prüfung und Läuterung
-voran geht, und nur Auserwählte, die in verschiedenen untern
-Graden bewiesen haben, daß sie der Erleuchtung fähig
-und würdig sind, zum Lichte vordringen dürfen. So war
-es seit uralten Zeiten, und diese Ueberlieferung bewahrt
-unser Bund, und dies ist es, was wir versprechen können.
-Darum werden jene andern nüchternen Sekten der Brüderschaft,
-die alle nicht wissen, was sie wollen, von selbst verschwinden
-und sich vernichten.
-</p>
-
-<p>
-Dieser Gesang, antwortete der geheime Rath, ist nicht
-neu, er läßt sich von Zeit zu Zeit immer wieder vernehmen.
-Die wahre ächte Maurerei, die ich für solche erkenne,
-ist aber diesem Glauben und dieser Absicht völlig entgegen
-gesetzt.
-</p>
-
-<p>
-Und diese ächte Maurerei? fragte der Fremde. Anton
-trat hinzu und sagte: Darf ich, als der einzige Ungeweihte
-hier, auch zugegen bleiben? &mdash; Der Vater erwiederte lächelnd:
-Ich werde nichts verrathen, was nicht Jeder hören dürfte. &mdash;
-Wie sich die Menschheit in Gesellschaft und Staat gebildet
-hat, und diese nicht entbehren kann, so fühlte der Einsichtsvollere
-doch auch zu allen Zeiten, daß mit diesem unendlichen
-Gewinnst gegenüber ein Verlust verbunden sei, und seyn
-müsse, der wohl eben so schmerzlich falle, als der Gewinn
-<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a>
-gegenüber erfreuen dürfe. Die Gesetze ordnen und zerstören,
-die Religion erhebt und verfolgt, die Moral veredelt und
-verdammt, und Alles in so großen Verhältnissen, so durchgreifend
-und nach allen Seiten, daß es unmöglich scheint,
-die Ausgleichung und Versöhnung dieser Wohlthaten und
-Uebel zu finden. Religiöse, wie dichterische Sagen setzen
-diesen unerläßlichen Zwiespalt schon vor alle Schöpfung hinaus;
-Mystiker suchen aus ihm die Entstehung der Welt zu
-erklären. Der Inhalt unsrer Religion ist die Lehre der
-Versöhnung, um durch ein neues Räthsel das ältere zu
-lösen. Schon die alte Mythologie und Dichtung der Griechen
-wollte ebenfalls manche Schuld, grause Verbrechen, die
-jedes Gesetz verdammt, zur Tugend, zur Aufgabe eines
-Gottes machen, und Orest ist eine wundersame Frage an
-den innern Geist, wie Timoleon in spätern Zeiten. Durch
-alle Adern des Daseins dringt der Tod des nothwendigen
-Buchstaben, und jeder Edle, sei er Fürst, Staatsmann, Krieger
-oder Handwerker und Bauer, findet in seinem Leben
-tausendfältige Gelegenheit, hülfreich zu seyn, wo Staat, Religion,
-Gesetz und Lehre nicht ausreichen, um zu vermitteln,
-wenn er seinen Sinn frei genug erhalten hat, und so das
-Geistigste, das, was unantastbar seyn sollte, und was doch
-immerdar verletzt werden muß, still und behutsam zu schützen.
-Nur in den allerneuesten Zeiten war es möglich, daß verschiedene
-Freigesinnte, edle Menschen darauf fielen, in einen
-geheim öffentlichen Bund zusammenzutreten, um dieses Unsichtbare,
-Unaussprechliche zu wirken, dieses ächte, große
-Geheimniß zu bewahren, welches sich freilich niemals verrathen
-läßt, weil es ganz geistiger Natur ist, das schon
-verschwindet, indem man es nur in bestimmte Worte fassen
-will.
-</p>
-
-<p>
-Anton sagte lebhaft: Ja freilich, so angesehn, ist eine
-<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a>
-solche Vereinigung verständiger Männer das Edelste, was
-man sich denken kann: die ächte Aufklärung, um ein so oft
-gemißbrauchtes Wort einmal in seinem wahren Sinne zu
-brauchen.
-</p>
-
-<p>
-Der Vater winkte ihm freundlich, und fuhr fort: Wenn
-Menschen, so gestimmt, sich zusammenfanden, so durften sie
-hoffen, daß die Vereinigung ihre Gesinnungen stärken, ihnen
-das Gute, was sie ausrichten wollten, erleichtern würde.
-Der Unterschied der Sekten, der Glaubensmeinungen und
-Stände hörte in dieser geistigen Gemeinschaft auf. Sie
-konnten nicht darauf fallen, Etwas gegen den Staat zu
-unternehmen, so sehr sie dessen Gebrechen fühlten, denn sie
-hätten sich ja dadurch dem todten Buchstaben wieder hingegeben,
-dem sie entfliehen wollten. Es genügte, klar zu sehn,
-fein zu fühlen, den Leidenschaften und Vorurtheilen nicht zu
-huldigen. Um so mehr Patrioten, um so weniger legten sie
-Hand an, Räder auszuheben, oder die Maschine anders einzurichten.
-Es genügte, daß sie ohne That und Kampf das
-Gute wieder vorbereiteten; der Fromme mußte frei genug
-seyn, um in und durch die Gesellschaft seine Sekte nicht verbreiten
-zu wollen; noch weniger aber konnte es dem Aufgeklärten
-beikommen, die Religion des Landes untergraben zu
-wollen, nüchterne Freigeisterei zu befördern, oder feindselige
-Gesinnungen zu verbreiten, er fühlte, daß Liebe, Milde,
-Sanftmuth und Duldung genügten. Je frommer der Fromme
-war, so weniger konnte er aber auch, als Mitglied solcher
-Gesellschaft, den Satzungen eigensinniger Priester huldigen,
-oder eine geschichtliche Form der Religion für etwas Anders
-als Form und Buchstaben halten. In dieser ächten Loge
-meines Sinnes, wie konnte es in ihr mehr als einen Grad
-geben? Was hätten die Eingeweihten denn noch finden und
-entdecken sollen? Genügte irgend einem dieses hohe, unsichtbare
-<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a>
-und unaussprechliche Geheimniß nicht, so stand er ja
-in dieser Ungenügsamkeit wieder außen, und hatte Weihe und
-Erkenntniß verloren.
-</p>
-
-<p>
-Und wo, wo, rief Anton lebhaft aus, wo sind diese ächten,
-wahren Maurer zu finden, daß auch ich mich ihnen mit
-allen meinen Kräften anschließe?
-</p>
-
-<p>
-Wo? antwortete der Vater; nirgend in aller weiten
-Welt sind sie zu finden, nirgend und allenthalben; denn jeder
-wahre Mensch ist dieses Salz der Erde, und ist ohne
-Gesellschaft, Eid und Verbindniß dieser ächte Freimaurer. &mdash;
-Als nun Christoph Wren in London die neue Loge stiftete,
-oder nur neu belebte, ging von hier aus wohl eine Gesinnung,
-oder eine ihr ähnliche aus, wie ich eben geschildert
-habe. Unter jenen Freimaurern ist Ashmole der erste, der
-davon spricht, und wenn er die Gesellschaft und Verbrüderung
-eine sehr alte nennt, so mögen meinethalben die Baukorporationen
-schon längst ihre Constitutionen und Symbole
-gehabt haben, doch war dieser erlaubte und edle Kosmopolitismus
-in dieser Gestaltung den früheren Jahrhunderten
-unbekannt und unmöglich.
-</p>
-
-<p>
-Und wie selten, wie wenig mag er auch in England,
-wie in Deutschland, zum Bewußtsein gekommen seyn, fiel
-der Obrist Dorneck ein. In meiner Jugend schloß ich mich,
-aus einem unbestimmten Wissenstriebe, Menschen an, die
-sich für erleuchtet ausgaben. Die Gesellschaft war aber damals
-nicht so ausgebreitet, wie jetzt, noch war sie in so viele
-Sekten und Constitutionen getheilt. Schon die Menge der
-Lehrlinge, die Kassen, die der Aufzunehmenden bedürfen, die
-weltlichen Absichten, die sich mehr oder minder eingeschlichen
-haben, machen jene Vereinigung, von der Sie, theurer Sohn,
-sprechen, völlig unmöglich. Und es ist zu fürchten, wie es
-denn auch schon begonnen hat, daß sich kluge Köpfe dieser
-<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a>
-Verbindungen bemeistern werden, um völlig das Gegentheil
-aus ihnen zu machen, wozu sie bestimmt waren. Bemächtigt
-sich erst ein solcher Schwindel der Zeit, so steht wohl
-zu besorgen, daß ein viel schlimmerer Buchstabe mit tödtender
-Kraft herrschen wird, als vormals in der äußern Welt,
-und ihren Gesetzen, Gewöhnungen und Rechten.
-</p>
-
-<p>
-Wie gesagt, erwiederte der Rath, die Zeit erklärt und
-erzeugt Alles. Manche Völker, vorzüglich Deutschland, waren
-nach dem Frieden von 1648 in sich selbst matt zurück
-gesunken, bei uns war alles öffentliche Leben dahin, das Interesse
-für den Staat völlig abgeschwächt. Hier in Deutschland
-konnte sich allgemach der Gedanke erzeugen, statt des
-öffentlichen Geistes einen unsichtbaren still wohlthätig walten
-zu lassen. Vielleicht, daß hie und da, auf kurze Zeit, die
-ächte Maurerei, nach meinem Sinne, ausgeübt wurde. Entstellungen
-zeigten sich früh, Mißbräuche schlichen ein, und
-Alle ängstigten sich, geheim oder eingestehend, daß sie kein
-sprechendes, faßliches Mysterium den wißbegierigen Lehrlingen
-zu verrathen hatten, worin doch eben, daß sie dessen
-ermangelten, ihr Wesen und ihr Stolz hätte bestehen müssen.
-</p>
-
-<p>
-Dieses Geheimniß, fiel der Obrist ein, hat mich schon
-in meiner Jugend herumgejagt. Ich ließ mich früh aufnehmen,
-und unser Meister vom Stuhl war denn auch ein
-Wunderthäter. Bald war die Stadt, es war im Anfange
-des Krieges, nicht sicher genug. Ein Schloß im Gebirge,
-das einsam lag, ward zu den Versammlungen der Geweihten
-auserlesen. Der geheimnißvolle Meister setzte uns junge
-Leute immerdar in ängstliche Thätigkeit. Jetzt kam diese geheime
-Botschaft, und nun jene, dieser große Monarch, dann
-jener benachbarte Fürst waren dem Magus auf die Spur.
-Nachtwachen, gerüstete Freunde, Waffen und Schwur sollten
-den seiner Weisheit wegen Verfolgten beschützen. Eine berittene
-<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a>
-Garde umgab bei Tag und Nacht das Castell, und
-streifte in der Gegend umher, um Kundschaft einzusammeln.
-Je mehr wir uns ängstigten, je größer und erhabener erschien
-uns unser Meister. Freilich waren auch einige prosaische
-Zweifler unter uns, und diese folgten eben so unermüdet
-der Spur des Betruges, wie wir der der Verfolgung,
-und ermittelten endlich mehr als wir. Unser hohe
-Magus war am Ende nichts, als der gemeinste Betrüger,
-vom niedrigsten Stande, der sich schon früh vieler verächtlichen
-Schelmereien schuldig gemacht hatte, und nicht einmal
-Maurer war. Ein strenger, rechtlicher Mann nahm sich
-nun unsrer an, und eine Zeitlang wollten und fühlten wir
-Alle etwas Aehnliches, als Sie, Herr Sohn, uns vorher
-geschildert haben.
-</p>
-
-<p>
-Die Sage, fing der Rath wieder an, ward nun beliebt,
-daß die Freimaurerei eine Fortsetzung und neue Belebung
-des alten Ordens der Tempelherren sei, der so willkührlich
-und mit so vieler Grausamkeit aufgehoben wurde. Wie ich
-schon aussprach, ich will über Dergleichen nicht streiten. Mögen
-die Einsichtigen des Templerordens die Freimaurer ihrer
-Zeit gewesen seyn, möglich, daß ihr Bund sich der fast allmächtigen
-Hierarchie und dem weltlichen Despotismus widersetzte;
-daß aber die neue Brüderschaft eine Fortsetzung des
-vertilgten Ordens, unmittelbar von entflohenen Brüdern gestiftet,
-sei, wird man niemals befriedigend nachweisen können.
-Andre können mit demselben Recht die Wiklefiten zu Maurern
-machen. Wohin wir sehen, giebt es Verbindungen in
-der Geschichte, die sich der herrschenden Kraft mit Glück oder
-Unglück, mit Gewalt oder heimlich widersetzen. Oft ist die
-Weisheit und das Bessere beim Widerspruch; oft aber wird
-dies auch früh vom Schlechten, Frevelhaften vertilgt. Warum
-sollen, so verstanden, die ersten Albigenser nicht ebenfalls
-<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a>
-Freimaurer gewesen seyn? Daß sie Rebellen wurden, dazu
-zwang sie vielleicht die zu rasche Maßregel der Kirche und
-die Grausamkeit der Priester. Ich kann Nichts dagegen haben,
-will man den Orden in den uralten Culdeern auf den
-schottischen Inseln wiedererkennen, die sich schon in den frühesten
-Jahrhunderten dem anwachsenden Papstthum widersetzten,
-und eine reinere Lehre, ein ursprünglich ächtes Christenthum
-zu besitzen glaubten. Warum will man die Gnostiker
-ausschließen? Ja die jüdische Sekte der Essäer? Auch hindert
-uns Nichts, die Pythagoräer dafür zu nehmen. Oder
-die besseren der ägyptischen Priester: eben so Diejenigen, die
-die ächte Lehre der Perser bewahrten. Man kann sich das
-früheste Judenthum, oder selbst das religiöse Geheimniß der
-Patriarchen so denken. Wie aber Abrahams Judenthum
-(wenn man es so nennen will) ein ganz andres war, als
-das der Pharisäer zu Josephus Zeiten, oder als jene jüdischen
-Sekten, die die Kabbala und alle wunderlichen sinnreichen
-Träume der Rabbinen annehmen und aus diesen erst
-rückwärts die Propheten und Moses verstehn, so ist auch jene
-willkührlich so genannte Freimaurerei von der neuesten noch
-weit mehr unterschieden, und ihr völlig unähnlich. Denn so
-können wir die Bundeslade, das verlorne Feuer, die wiedergefundenen
-Bücher, und was wir nur wollen, willkührlich deuten,
-und es geschieht der Sache nicht zu viel, wenn wir
-Noahs Arche zu einer Loge machen, und den Gründer der
-Brüderschaft in Seth, oder selbst Abel suchen. Ist man mit
-Typen und Vorbildern zufrieden, so ist es keine so gar
-schwere Kunst, aus Allem Alles zu machen, und es sollte
-mich nicht großes Studium kosten, die Brüderschaft, ihre Geschichte
-und Symbole aus der Comödie des Dante, oder aus
-der wilden Prosa des Rabelais heraus zu deuteln.
-</p>
-
-<p>
-Scherzen Sie nicht, sagte der Gelehrte, es ist noch nicht
-<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a>
-aller Tage Abend, und wir können nicht wissen, welche Aufgaben
-sich der Scharfsinn und die Combinations-Gabe unserer
-Tage noch setzen werden. Es ist sonderbar genug, daß
-die Säule Boaz noch niemals auf den vielbesprochenen Baffomet
-ist gedeutet worden.
-</p>
-
-<p>
-Oder beide Säulen J und B, Jachin und Boaz, auf
-Jacob Böhme, der doch gewiß bei den Parazelsisten und
-Adepten der Brüderschaft eine große Rolle gespielt hat.
-</p>
-
-<p>
-Vielleicht, sagte Schmaling, da ich noch nicht durch viele
-Grade gedrungen bin, erfahre ich künftig dies und noch mehr.
-Könnte aber ein wissender Meister nicht neue Deutungen in
-die Symbole legen?
-</p>
-
-<p>
-Dergleichen, erwiederte der Rath, ist vielfach geschehen;
-und so sind durch Erklärungen Geheimnisse, und aus diesen
-wieder neue Erklärungen entstanden, um eine Sache zu verwirren,
-die nur in schlichter Einfalt wohlthätig und segensreich
-seyn konnte.
-</p>
-
-<p>
-Wie kommt es nur, sagte Ferner, der Gelehrte, daß
-man noch niemals die Schulen der Magie und Zauberei,
-oder Nekromantik, Nekromancie, wie die Dichter des Mittelalters
-sie nennen, für Logen gehalten hat? Nach Toledo in
-Spanien, als dem Centrum und der wahren Universität oder
-großen Mutterloge, weisen alte Gedichte hin. Kunststücke,
-Zauberei, Verwandlung, Beherrschung der bösen und guten
-Geister wurde dort gelehrt. Auf dem Vatikan liegt ein Gedicht
-von den Heymonskindern und dem Zauberer Malegys.
-Dieser lernt aus den Büchern eines andern Magus, Balderus,
-die hohe Kunst, er besiegt nachher diesen und einen
-andern berühmten Künstler Iwert; und so hätten wir denn
-vielleicht hier wieder das I und B, was in der Maurerei
-eine so bedeutende Rolle spielt.
-</p>
-
-<p>
-Halten Sie ein, Professor! rief Anton aus, sonst machen
-<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a>
-Sie noch alle unsre reisenden Taschenspieler zu Meistern vom
-Stuhl, oder unbekannten Obern.
-</p>
-
-<p>
-Doch ohne allen Scherz gesprochen, erwiederte Ferner,
-ich wundre mich, daß unter den vielen Maurern und Freunden
-der Maurerei, von denen doch so viele Bücher gelesen
-und für die Sache geschrieben sind, noch keiner sich die Mühe
-gegeben hat, ein höchst merkwürdiges Gedicht aus dem Mittel-Alter
-zu studiren, das, wenn irgend eins, eine Geheimlehre
-enthält, ein Christenthum, Mythe und Symbolik, die gewiß
-nicht mit den herkömmlichen und angenommenen der katholischen
-Kirche übereinstimmen. Dieses Gedicht heißt &bdquo;die
-Pfleger des Graal,&ldquo; und besteht aus zwei Theilen, wovon
-der erste Parzifal, und der zweite Titurell genannt wird.
-Dieser heilige Graal ist ein Geheimniß, das nur Eingeweihten
-zugänglich und verständlich ist, eine Erfüllung aller
-Wünsche, eine Heiligung alles Menschlichen und Irdischen,
-er giebt Gesundheit, Leben, Freude und Glück. Durch Forschen,
-Fragen, wenn der Ritter zufällig in den Saal tritt
-und aufgenommen wird, macht er sich des Mysteriums würdig,
-und der junge Parzifal, weil er zu bescheiden ist, verscherzt
-in früher Jugend auf lange durch sein Stillschweigen
-diesen Besitz. Die Heidenschaft und der Calif der Muselmänner
-erscheinen nicht so feindlich und gehässig, wie in den
-übrigen Gedichten des Zeitalters. Eine kirchliche christliche
-Gemeinschaft der Frommen und Edlen, eine mystische Lehre
-wird vorgetragen, die selten mit dem allgemein Gültigen jener
-herrschenden Kirche überein zu stimmen scheint. Auch
-der Tempel und die Baukunst sind mystisch behandelt und
-sind dem Werke höchst wichtig, wenn gleich die heilige Masseney,
-die Tempelherren oder Tempeleise ganz in Art und
-Weise der Ritterwelt dargestellt sind. Auch der Priester
-Johannes spielt eine große Rolle, und Alles bezieht sich in
-<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a>
-verschiedenen Richtungen auf Johannes den Evangelisten.
-Wie sehr der Täufer bei den Maurern gilt und geehrt wird,
-ist bekannt, und, wenn sie wirklich älteren Ursprunges seyn
-sollten, so ist wohl noch zu untersuchen, ob nicht ursprünglich
-der Evangelist gemeint sei. Die Forschungen über dieses
-tiefsinnige Gedicht des Mittelalters sind auch in anderer Hinsicht
-noch lange nicht abgeschlossen, und der Maurer, der die
-Geschichte der Poesie kennt, dürfte hier auf manche Entdeckung
-gerathen, die seinem gläubigen Vorurtheil mehr und stärkere
-Waffen gäbe, als jener Sanct Albanus, der die Bauleute in
-England zuerst beschützte, oder der Prinz Edwin, oder die
-Culdeer, Wiklefiten, oder was man nur sonst in die Untersuchung
-gezogen hat.
-</p>
-
-<p>
-Mir fällt eine Frage ein, sagte Anton: hat man noch
-nie den sinnigen Shakspeare zum Maurer gemacht? Viele
-seiner Sprüche, z. B. &bdquo;es giebt viele Dinge im Himmel und
-auf Erden, von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen
-läßt&ldquo; hat man oft genug gebraucht und gemißbraucht. Es
-ist aber bekannt, daß der edle Philipp Sidney ein Freund
-und Beschützer des berühmten und berüchtigten Jordanus
-Bruno war, den man nachher als Ketzer in Italien verbrannte.
-Wie, wenn diese beiden Männer ächte Maurer
-gewesen wären, und in jener merkwürdigen Zeit eine Loge
-gestiftet hätten, in welcher unser Shakspeare später wäre
-aufgenommen worden? In dem kleinen London und in einem
-kurzen Zeitraum von dreißig Jahren waren so viele
-große und herrliche Männer, wie sich nur selten auf Erden
-so enge zusammen drängen.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt stand Huber, der Arzt, auf und sagte: ich habe
-bis jetzt geschwiegen, weil ich nicht andern Meinungen voreilen
-wollte. Dieses Geheimniß eines Nicht-Geheimnisses,
-wie es unser Freund Seebach ausgeführt hat, will mir keinesweges
-<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a>
-gefallen. Es sei, daß die Maurerei Nichts gegen
-Staat und Religion unternehmen soll, und daß wir deshalb
-jene frühen englischen Logen tadeln mögen, von denen die
-Sage berichtet, daß sie unter Cromwell bedeutend zur Wiedereinsetzung
-der Stuarts mitgewirkt haben. Aber eben dadurch,
-daß der Maçon von Politik und Kirche sich zurückhält,
-um nicht zu stören, ist ihm ein so größerer und schönerer
-Wirkungskreis in der Natur eröffnet. Weisen wir die
-früheren Sagen von Adepten ab, so ist eben jener Elias
-Ashmole, der einer der frühesten authentischen Maurer der
-neuen Zeit ist, zugleich als ein Freund der Astrologie und
-der Verwandlungskunst bekannt genug. Beschäftigen sich also
-die Universitäten, um die Jugend nicht irre zu führen, mit
-der Naturwissenschaft in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes,
-so ist es um so erfreulicher, wenn ein Kreis erfahrner
-Männer, zum Geheimniß durch Wort und That verbunden,
-jenen Geist aufsucht und herbeiziehn will, jene Kraft, Wunder
-zu wirken, die wohl schon sonst auserwählten Sterblichen
-beigewohnt hat, kurz, sich in dem zu üben und zu vervollkommnen,
-was gemeinhin Magie genannt wird. Diese Wissenschaft,
-die Natur aufzuschließen und sie zu verwandeln,
-ist des Strebens der Edelsten nicht unwürdig. Es ist leichter,
-sie zu verlachen, als die Meister dieser Kunst und die
-Anschauungen, die uns entgegen kommen, abzuweisen und zu
-widerlegen; und namentlich die Kunst des Adepten, Gold
-zu machen, den Stein der Weisen hervor zu bringen. Die
-nüchterne Welt kennt nur einen Weg, indem sie die Erzählung
-von Flamel als Lüge verschreit, was Paracelsus erzählt
-und ein Mann wie Helmont betheuert, Mährchen nennt, den
-tiefsinnigsten der Philosophen, Jacob Böhme, nicht anhört
-und versteht, und Alles, was in unsern Tagen ein erleuchteter
-Saint Martin begeistert predigt, nur mit mitleidigem
-<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a>
-Achselzucken beantwortet. Aber ist es denn nun schon unwidersprechlich
-dargethan, daß uns Saint Germain belog und
-betrog? Die Kunst, Gold aus andern Metallen zu machen,
-scheint so nahe zu liegen, da wir so viele Verwandlungen
-hervor bringen können. Sie soll ja nur den Meister beurkunden,
-ihm seinen Meisterbrief schreiben, als einen Beweis,
-daß er die Natur bezwungen hat, und sie beherrscht. Die
-moralische Besserung und Vergeistigung des Menschen ist
-die höhere Kunst des Adepten. Aber Wunder zu glauben,
-in der Vorzeit, um Religionen und Heilige zu bekräftigen
-und ihrem Wirken Glauben zu verschaffen, und anzunehmen,
-daß diese Kraft erlöschen müsse, und in unsern Tagen und
-niemals wieder erweckt werden könne und dürfe, heißt, um
-mich gelinde auszudrücken, auf das Mindeste sehr inkonsequent
-glauben und lehren. Mein Freund Seebach kennt
-meine Ueberzeugung, die ich hiemit wiederhole. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Jetzt nahm Sangerheim, der Reisende, wieder das
-Wort: Wie die Kunst der Verwandlung das eine Unterpfand
-des Maurers und Meisters ist, so ist die Macht über die
-Geister die zweite Beglaubigung, daß er Bahn gewonnen,
-und den Sieg im Laufe errungen hat. Diese Hoheit ist
-dem ächten Schüler der Weisheit seit uralten Zeiten überkommen,
-von alten Meistern und Obern, und jeder Lehrling,
-der sich in der Prüfung würdig erweiset, kann dies Siegel
-der Vollendung erringen. Wenn die Rosenkreuzer diesem
-hohen Berufe nachstreben, so ist es löblich, erringen sie ihn,
-dann ist ihre Kunst und ihr Weg der wahre. Er ist aber
-nicht der meinige. Doch werde ich den würdigsten Brüdern,
-die schon erfahren sind, gern, wenn sie Glauben und Vertrauen
-haben, die Weihe nach Graden der Prüfung zukommen
-lassen. Doch bin ich hierin ganz der entgegengesetzten
-Ueberzeugung des Herrn von Seebach. Ein einziger Grad
-<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a>
-ist keiner; was diese Freimaurerei will und soll, kann Jeder
-am besten isolirt und ohne alle Verbindung erlangen.
-</p>
-
-<p>
-Schmaling sah begeistert aus und drängte sich an den
-Fremden, auch der Arzt Huber gab ihm die Hand. Auf der
-Seite des Rathes blieben der Obrist, der Gelehrte und Anton.
-So war in dieser kleinen Gesellschaft ein Gegensatz
-von Meinungen, die sich auf keine Weise vermitteln ließen.
-</p>
-
-<p>
-Man trennte sich, und beim Abschiednehmen bat der
-geheime Rath den Fremden, der so große Dinge ankündigte,
-noch etwas zu verweilen. Er trug ihm seine Verlegenheit
-vor in Ansehung des verlornen Dokumentes und schloß dann:
-Getrauen Sie sich wohl, durch Ihre übernatürliche Wissenschaft,
-deren Sie sich rühmen, mir diesen Bogen, an dem
-mir so viel gelegen ist, wieder zu verschaffen?
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim, der bisher in der Gesellschaft bescheiden in
-Wort und Haltung gewesen war, richtete sich jetzt stolz auf
-und sah den Rath mit einem kühnen Blick von oben herab
-mit seinen feurigen Augen an und sagte: Ist dies nur eine
-leere Erfindung, um mich zu prüfen, so dürfte es schlimm
-für Sie ausgehn, wenn ich jene Kräfte für diese Unwahrheit
-in Thätigkeit setzte; ist es Wahrheit, was Sie mir sagten,
-so verspreche ich Ihnen meine Hülfe.
-</p>
-
-<p>
-Seebach erzählte ihm umständlicher die Sache, den Inhalt
-des Dokumentes, wie lange er es besessen, und daß es
-jetzt zur günstigen Entscheidung des Prozesses unentbehrlich
-sei. Ich glaube Ihnen, sagte Sangerheim, und spreche Sie
-morgen Nachmittag in der vierten Stunde.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Am folgenden Abend war der Rath im Kreise seiner
-Familie, kein Fremder war zugegen, auch Schmaling fehlte.
-Es war sichtbar, daß er nachdenkend war und an den Gesprächen
-<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a>
-der Uebrigen nur wenigen Antheil nahm. Der
-Obrist sagte endlich, als er in die Fröhlichkeit der Uebrigen
-nicht einstimmte: Was ist Ihnen, Lieber? Wir fangen uns
-an zu ängstigen; theilen Sie uns Ihren Kummer oder Ihre
-Leiden mit.
-</p>
-
-<p>
-Es ist nichts dergleichen, erwiederte der Vater, ich sinne
-nur darüber nach, wie man so nach und nach alt wird, und
-doch niemals ausgelernt hat. Ich glaubte über Alles, was
-man Wunderglauben nennt, hinaus zu seyn, und war selbst
-in meiner Jugend dieser Schwachheit nicht ausgesetzt: und
-nun berührt mich Etwas so stark, daß ich mich vor mir selber
-fürchte, wenn der Ausgang sich so ergeben sollte, wie er
-mir ist versprochen worden.
-</p>
-
-<p>
-Die Mutter und Tochter sahen sich mit bedeutenden
-Blicken an, Anton war gespannt und der Obrist sagte: Nun,
-Werthester, was ist Ihnen versprochen? Dürfen Sie es uns
-mittheilen?
-</p>
-
-<p>
-Es ist mir nicht verboten worden, erwiederte der Vater.
-Gestern, als wir uns trennten, erzählte ich dem Fremden
-von dem verlornen Dokument. Er schien erst unwillig,
-weil er die Sache für Erfindung hielt, ihn auf die Probe
-zu stellen. Wie er meinen Ernst sah, versprach er mir heut
-Nachmittag Antwort zu geben. Er erschien, und seine erste
-Frage war, ob ich nicht in der Stadt noch ein andres Haus
-besäße. Ich bejahte, wir gingen hin und er betrachtete die
-Zimmer und den Saal, welche leer stehen, da ich immer
-noch unentschlossen bin, ob wir hinüber ziehn. Er ließ sich
-ein drittes Zimmer aufschließen, eilte hinein, und indessen
-ich noch draußen verweilte, und die Gemälde betrachtete,
-hörte ich drinnen Geräusch, wie von verschiedenen Menschen,
-auch Stimmen durch einander. Ich eilte durch die offenstehende
-Thüre, und fand meinen Fremden allein in der
-<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a>
-Mitte des Zimmers, tief sinnend. Er bemerkte mich erst
-nicht, dann sagte er: Gehn wir morgen in der Mittagsstunde,
-zwischen Zwölf und Eins, wieder hieher, und ich
-hoffe Ihnen etwas Bestimmteres sagen zu können. Wir
-verließen das Haus, und ich fragte ihn, ob er es erlaube,
-daß uns noch Jemand begleite. Sehr gern, erwiederte er,
-nur bitte ich, dem jungen Herrn Schmaling vorerst nicht die
-Sache mitzutheilen, oder ihn zum Begleiter zu wählen, er
-ist zu heftig, er schwärmt und würde mich stören; vielleicht
-geht Ihr zweifelnder Sohn mit uns. &mdash; Seht, Freunde, das
-ist mir heut begegnet, und Ihr müßt gestehn, daß, wenn dieser
-Mensch ein Betrüger ist, er einen neuen und originellen
-Weg erwählt.
-</p>
-
-<p>
-Aber wie ein Betrüger? sagte der Obrist: wenn er
-Ihnen wohl morgen schon das Dokument schafft, oder Ihnen
-eine bestimmte Antwort giebt.
-</p>
-
-<p>
-Das wird er eben nicht thun, antwortete der Rath, er
-wird morgen mit einer neuen Zweideutigkeit mich abfertigen,
-mich wieder auf einen andern Tag vertrösten, und, wenn er
-meine Leichtgläubigkeit, oder meinen Charakter bei dieser
-Spannung beobachtet und kennen gelernt hat, mich mit diesen
-oder jenen Mährchen abspeisen, von denen er glaubt, daß
-sie mir zusagen. Alles das sage ich mir und wiederhole es
-mir, und doch kann ich es mir nicht leugnen, daß ich ungeduldig
-die Stunde des Wiedersehens erwarte, daß ich mir
-jenes seltsame, unbegreifliche Geräusch in der Erinnerung
-wiederhole, und darüber sinne. Es war, wie von vielen
-Menschen, wie Zank und Streit, ja Thätlichkeit, verschiedene
-Stimmen antworteten sich heftig, so daß ich erstaunt die halb
-angelehnte Thür öffne, in der sonderbaren Erwartung, viele
-fremde, heftige Menschen in Gezänk in meinem verschlossenen
-Zimmer zu finden, und ihn doch nur allein still in der
-<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a>
-Mitte des Raumes stehen fand. Es war Tag, nicht Mitternacht,
-keine Vorbereitung war vorangegangen, ich kenne
-das Haus und er nicht, &mdash; wie soll man darüber denken?
-</p>
-
-<p>
-Lassen wir es, sagte Anton, bis morgen; die Stunde ist
-nicht so gar entfernt, und erlauben Sie mir, Sie zu begleiten.
-</p>
-
-<p>
-Keine Kreise gezogen? fiel der Obrist ein: kein Zauber-Apparat?
-keine Citation? Sonderbar genug. Jenes habe
-ich auch einmal in meinem Leben gesehn und mitgemacht,
-und es wies sich nachher als Betrügerei aus, aber man hatte
-uns, die wir zugelassen wurden, durch Geheimniß, Rauchwerk,
-Gebet, Fasten und Kasteiung so exaltirt und betäubt,
-daß unsere Imagination dem Magus schon auf drei Viertheil
-seines Weges entgegen ging.
-</p>
-
-<p>
-Als die Mutter in der Nacht mit der Tochter bei einer
-häuslichen Arbeit verweilte, sagte sie: Ich kann Dir nicht
-beschreiben, wie widerwärtig mir diese Geschichte ist, die sich
-da anspinnt. Wir waren einige Jahre so ruhig, und nun
-wird Dein Vater wieder in solche Verwicklungen und Gedanken
-hinein gezogen, die ich auf immer für abgethan hielt.
-Er meint, er hat Alles überwunden, und läßt sich immer
-wieder von Neuem anlocken. Was ist es nur im Menschen,
-das der Vernunft zum Trotz, auf die sich die Meisten doch
-so viel einbilden, immer Herz und Phantasie in das Seltsame
-und Unbegreifliche hinüberzieht. Ich habe noch keinen
-Menschen gekannt, der nicht abergläubig gewesen wäre.
-</p>
-
-<p>
-Möchten sie es doch, antwortete Clara, denn ich bin es
-auch; und wie kann man sich gewissen Wahrnehmungen oder
-Eindrücken mancher Träume, den Vorahndungen und dergleichen
-entziehn; wenn sie nur nicht mit ihrer scheinbaren
-Philosophie so bedeutende Schlüsse aus Kindereien zögen,
-und so schwerfällige Systeme darauf erbauten. So Vieles
-<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a>
-im Leben hat nur dadurch einen Sinn, daß es eben mit
-nichts Anderm zusammenhängt, daß es Nichts bedeutet. Sie
-wären aber im Stande, in einem Seufzer oder Kuß das
-ganze Universum zu lesen, und die Ewigkeit der Höllenstrafen
-daraus zu beweisen. Nun, meinen Schmaling werden mir
-die Geisterseher schön zurichten. Wären die Menschen doch
-nur damit zufrieden, ihren eignen Geist kennen zu lernen.
-Weil es aber da eben hapert, so sind sie freilich gezwungen,
-so viele fremde herbei zu zitiren, um den eignen zu verstärken.
-</p>
-
-<p>
-Am Morgen waren Alle beim Frühstück sehr einsylbig.
-Selbst Anton konnte sich nicht verbergen, daß er in einer
-Spannung sei, die seinem Wesen sonst ganz fremd war.
-Gegen zwölf Uhr erschien Sangerheim. Unterwegs sagte er:
-Ich bitte Sie, von dem, was Sie vielleicht sehn werden,
-nicht zu laut und gegen Jedermann zu sprechen. Was geht
-die Menge und das unwissende Volk unser Wesen an?
-</p>
-
-<p>
-Das große Haus des Rathes lag in der Vorstadt. Es
-stand leer, weil die Familie Willens war, hieher zu ziehn.
-Dies hatte freilich sein Beschwerliches, wenn Seebach sein
-Amt nicht aufgab. So war es geschehn, daß man es in
-dieser schwankenden Unentschlossenheit seit Jahren nur selten
-besucht hatte. Der Rath öffnete und verschloß hinter sich
-die Thüren wieder. Im Saale angelangt, ging Sangerheim
-wieder in jenes Zimmer, in welchem er gestern schon gewesen
-war. Er ließ die Thüre hinter sich halb offen, Anton
-und der Vater blieben im Saal. Plötzlich hörten beide
-ein verwirrtes Getöse, wie Schlagen an den Tapeten und
-Degenklirren, dann Gespräch, Gezänk, Hin- und Widerreden
-verschiedener Stimmen; auf verschiedene Fragen, die der
-Magus that, hörte man ein bestimmtes: Nein! nein! Es
-geschieht nicht! näher und ferner ertönen. Endlich erfolgte
-<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a>
-ein Knall, wie von einer Pistole; Beide stürzten in das
-Zimmer und der Magus stand in der Mitte, in heftiger
-Bewegung und erhitzt. Er faßte die Hand der Eintretenden
-und sagte: Nur bis heut Abend lassen Sie mir Zeit und
-ich sage Ihnen Gewißheit. Noch widerspricht man mir, man
-will nicht nachgeben, aber es wird sich ändern, wenn ich in
-meiner Wohnung noch eine Operation vorgenommen habe.
-Sie trennten sich und Anton wie der Rath kamen nachdenklich
-zu ihrer Familie zurück, die sie mit Aengstlichkeit erwartete.
-</p>
-
-<p>
-Anton sagte: Der Mann ist ein recht künstlicher Taschenspieler,
-der einige neue Stücke gelernt hat, die die Uebrigen
-noch nicht wissen. Man schwört darauf, daß man verschiedene
-Menschen oder Geister vernimmt, man hört ein Rauschen
-und Schwirren, Rasseln und Prasseln, wie ein Handgemenge,
-endlich sogar einen bestimmten Pistolenschuß, aber
-es ist kein Dampf oder Geruch vom Pulver zu spüren. Das
-Unkluge bei dieser Geschicklichkeit scheint mir nur darin zu
-bestehn, daß er sich immer so kurze Termine setzt, so daß
-sich seine Vertröstungen schnell wiederholen und bald ermüden
-müssen. Mit den beiden Kunststücken von heut und gestern
-hätte er uns wenigstens einige Wochen hinhalten können.
-</p>
-
-<p>
-Es kann nicht so seyn, wie Du es Dir denkst, sagte
-der Vater. Er muß auf Etwas fußen, das ihn so sicher
-macht. Wäre die Sache, wie Du sie schilderst, so müßte er
-übermorgen oder in einigen Tagen beschämt abziehn, denn
-ich habe mich wohl gehütet, irgend großes Erstaunen oder
-entgegenkommende Leichtgläubigkeit merken zu lassen. Gab
-er sich doch auch nicht einmal die Mühe, uns auszufragen,
-so beschäftigt war er mit sich selber. Ihm selbst ist es Ernst,
-und seine Aufmerksamkeit ist ganz auf die Sache, nicht auf
-uns hingerichtet.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a>
-Du bist schon bekehrt und gläubig, sagte die Mutter.
-</p>
-
-<p>
-Unmöglich, Liebe, antwortete der Rath, denn ich glaube
-noch gar Nichts, auch giebt es noch Nichts zu glauben, sondern
-ich bin nur erstaunt, und kann in dieser verwirrenden
-Verwunderung meine Seelenkräfte noch gar nicht wiederfinden.
-</p>
-
-<p>
-Das ist vielleicht, bemerkte Clara, die beste Stimmung,
-um Wunder zu glauben.
-</p>
-
-<p>
-Kinder, sagte der Vater mit einiger Empfindlichkeit,
-tragt ihr nicht auch dazu bei, meine Unruhe zu vermehren.
-Mein ganzes Leben hindurch habe ich gegen den Aberglauben
-gekämpft, und es soll der Thorheit wenigstens mich zu besiegen
-nicht so leicht werden, als ihr es für möglich zu halten
-scheint. Gelingt es dem vorgeblichen Magus, uns diese
-große Summe zu retten, so sind wir ihm ohne Zweifel
-Dank schuldig: kann er es nicht möglich machen, was er,
-fast mit sicherm Versprechen, unternahm, so will ich denn
-auch nicht weiter grübeln, wie er die sonderbaren Stimmen
-und das seltsame Geräusch hervorbrachte.
-</p>
-
-<p>
-Alle waren scheinbar beruhigt, als der Rath, indem sich
-eben jeder in sein Schlafzimmer begeben wollte, folgenden
-Brief noch in dieser nächtlichen Stunde erhielt, der der ganzen
-Familie Ermüdung und Ruhe nahm:
-</p>
-
-<p>
-Da es nicht bloß eine Aufgabe fürwitziger Neugier war,
-was meine Kräfte und Kenntnisse in Anspruch genommen
-hat, da die Wohlfahrt einer hochachtungswürdigen Familie
-gewissermaßen an die Erfüllung meines etwas voreiligen Versprechens
-geknüpft ist, so hat der Widerspruch und Starrsinn
-Derer nachgelassen, von denen Sie heut, wenn Jene auch
-nicht sichtbar wurden, einige Kunde empfingen. Nicht unmittelbar,
-aber nach einigen kleineren Zimmern, die verschlossen
-blieben, muß sich in jenem Hause, zu dem Sie mich
-<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a>
-heut führten, noch ein Kabinet befinden, dessen Fenster auf
-den Garten gehn. In diesem Kabinete ist ein Wandschrank,
-dem Auge nicht sichtbar, der sich durch den Druck einer Feder
-öffnet. Nimmt man hier einen gewöhnlichen Kasten heraus,
-so zeigt sich unten ein Schieber, unter welchem sich dieses
-Papier, nebst einigen andern Schriften, wohl finden wird.
-</p>
-
-<p>
-Bei den letzten Worten, indem der Rath den Brief laut
-vorlas, schlug er sich mit der flachen Hand heftig vor den
-Kopf, ward glühend roth und plötzlich wieder todtenbleich,
-und rief mit lauter Stimme: O ich Dummkopf! Und daß
-ich es vergessen konnte! Und daß mir ein ganz fremder
-Mensch, von dem ich niemals in meinem Leben Etwas gehört
-habe, mir so auf meine Erinnerungen helfen muß.
-</p>
-
-<p>
-Die Frauen, so wie Anton und der Obrist, waren um
-so mehr erstaunt und erschrocken, da sie niemals, obgleich sie
-das Kabinet kannten, von diesem heimlichen Wandschrank
-Etwas erfahren hatten. Vergebt mir dies Verschweigen,
-sagte der Vater, es ist mir eigen und eine Gewohnheit, die
-ich von Jugend auf hatte, auch vor meinen Nächsten und
-Vertrautesten noch Etwas geheim zu halten. So habe ich
-mir in jenem Hause diesen Versteck, um den kein Mensch
-wußte, angelegt. Er ist so künstlich gemacht, daß, wenn
-man die Sache nicht weiß, ich auch das schärfste Auge auffordern
-will, die Feder nur zu entdecken, die die Wand eröffnet
-und verschließt. Vor vier Jahren, wißt ihr, wohnten
-wir Alle drüben, weil dies Haus hier ausgebaut und
-anders eingerichtet wurde. Indem wir wieder herüber zogen,
-fiel jene Reise vor, die ich eiligst in Angelegenheit meines
-Fürsten machen mußte. Ich arbeitete die ganze Nacht, ohne
-fast Nahrung zu mir zu nehmen. Auch meine eigenen Sachen
-ordnete ich, und jenes Dokument war mir wichtig genug.
-Ich nahm es, so war ich fest überzeugt, mit mir hier
-<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a>
-herüber, verschloß es in das geheime Schubfach meines
-Schreibepultes, reisete ab, und kam erst nach drei verdrüßlichen,
-arbeitsreichen Monaten zurück. Ich fand, so glaubte
-ich, alle meine wichtigen Papiere in Ordnung, und, sei es
-die Reise, mag es von den Kränkungen herrühren, die ich
-erlitten hatte, ihr wißt, daß ich in ein tödtliches Nervenfieber
-verfiel, von dem ich nur schwer und langsam wieder
-genas. In dieser schlimmen Zeit hatte ich mein Gedächtniß
-ganz verloren. Als ich wieder zum Leben erwachte, war es
-mir die bestimmteste Ueberzeugung, daß ich das Dokument
-hier aufgehoben, und seit meiner Rückkehr schon mehr wie
-einmal gesehn hatte. Darum wurde ich eben ganz verwirrt,
-als es nun, nach Jahren, die wichtige Sache entscheiden
-sollte, und sich nirgend antreffen ließ. &mdash; Doch laßt schnell
-anspannen, so spät es ist, ich will noch in der Nacht jenen
-Wandschrank untersuchen.
-</p>
-
-<p>
-Es wurde dem Kutscher eiligst der Befehl gegeben. &mdash;
-Wie kam es nur, fragte der Obrist, daß Sie, auch nur
-aus müßiger Neugier, jene Stelle drüben im Hause nicht
-untersuchten, und so zufällig das Papier fanden?
-</p>
-
-<p>
-Sie wissen ja, antwortete der Rath, wie der Mensch
-ist. Hier diesen Schrank, die Zimmer des Hauses hier kehrte
-ich mehr als einmal um, ich suchte mit Heftigkeit an allen
-unmöglichen Orten, war aber so fest und unwidersprechlich
-überzeugt, daß ich das Heft von dort nach der Stadt genommen
-hatte, daß ich mich selbst über die Frage als wahnsinnig
-verlacht haben würde, ob der Schrank es noch bewahren
-könne. Und außerdem &mdash; &mdash; der Rath zögerte, und als
-der Obrist in ihn drang, fuhr er fort: Lieber Vater, jene
-Wand enthält außerdem alle Beweise und Erinnerungen meiner
-jugendlichen Schwärmereien und Thorheiten, viele Arbeiten,
-die ich als Schüler dieses und jenes geheimen Ordens
-<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a>
-entwarf, Abschriften aus seltenen Büchern, kabbalistische Rechnungen,
-Recepte zur Tinktur, und was weiß ich Alles. Eins
-jener tollen Blätter hatte sich zufällig hieher verirrt, das ich
-jetzt an eine andre Behörde geschickt habe, wo man es vielleicht
-mehr achten wird, als hier geschah. Diesen Wust habe
-ich seit Jahren nicht angesehn, weil mir davor graut. Denn,
-gestehe ich&rsquo;s doch, ich weiß nicht, ob ich stark genug bin,
-daß ich nicht hie und da lesen und wieder lesen sollte, wenn
-ich mich einmal der Truhe nähere. Und bezwingt mich auch
-das Material des verwirrenden Inhalts nicht, so ängstige
-ich mich doch mit Recht, mich wieder in alle jene Stimmungen
-und Zustände zu versetzen, in welchen ich jenes
-Zeug zusammengeschrieben habe.
-</p>
-
-<p>
-Der Wagen fuhr vor, und der Rath, Anton und der
-Obrist stiegen ein. Als sie allein waren, warf sich Clara
-der Mutter, heftig weinend, an die Brust. Wie ist Dir,
-mein Kind? fragte die Mutter. Ach, Liebste! erwiederte
-Clara, Sie werden mich vielleicht schelten, daß ich bei diesen
-Sonderbarkeiten, bei diesen Dingen, die uns Alle so gewaltsam
-aufregen, etwas recht Albernes sage. Ich kann
-Alles das nicht leiden. Sie sehn, wie gemein es klingt, aber
-ich kann keinen andern Ausdruck finden, mag ich auch suchen,
-wie ich will. Wenn das Alles ist (und es ist ja vor unsern
-Augen da, wir können es nicht mehr ableugnen), so ist mir
-das Leben selbst widerwärtig. Mir entgeht alle Sicherheit,
-alle Lust zu denken und zu handeln, denn meine Freude war
-es eben, daß Alles so unbewußt sich bewegt und genießt,
-daß jedes Gefühl, jeder Gedanke um sein selbst willen da
-ist. Nun soll Alles Zusammenhang haben, sich geistig auf
-einander beziehn. Es ist mir unerträglich, so mit Gespenstern
-in innige Verbindung zu treten. Gespenst! Ist denn
-so was nicht der ächte Gegensatz, der völligste Widerspruch
-<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a>
-mit Geist? Sehn Sie, Liebste, das Alles handthiert nun so
-gewaltsam in meinem Innern, daß ich lieber gleich im Fieber
-selbst phantasiren möchte, als von diesen Sachen hören:
-und nun gar sie erleben müssen!
-</p>
-
-<p>
-Tröste Dich, beruhige Dich, mein Kind, sagte die sorgende
-Mutter, Du sprichst schon, wie im Fieber. Ich glaube
-Dich zu verstehn, und doch scheinen mir Deine Ausdrücke zu
-herbe. Alles, was Du so schmähst, macht ja für viele verständige
-Männer den Reiz des Lebens aus. Wie Vieles
-würde mancher der Besten darum geben, wenn er sich durch
-dergleichen Wunder überzeugen könnte, die uns geboten worden,
-und die wir so wenig suchten, daß man sie uns aufdrängen
-muß.
-</p>
-
-<p>
-Das ist es eben, sagte Clara: ich kann mir keine Vorstellung
-davon machen, wie steppendürre, wie öde es im Geist
-und Herzen solcher Menschen aussehen muß, die sich dergleichen
-wünschen, die ihm nachjagen können. Ein heitrer
-Blick aus dem lieben, unschuldigen Auge des Kindes, seine
-Kartenhäuserchen, die es mühsam erbaut und lachend wieder
-umwirft, jedes Geschäft des Hauses, Backen und Nähen und
-Stricken, der Handlanger, der mit dem Schweiß seiner Arbeit
-seine Familie ernährt, o nennen Sie, was Sie wollen,
-auch das Allergeringste, es ist ja ehrwürdiger und edler, als
-es diese Raritäten sind, die sich so vornehm anstellen. Möchten
-doch lieber diese zwanzigtausend Thaler verloren gegangen
-seyn, als daß sie wiederkommen, und uns dieses Irrsal
-mit in das Haus schleppen.
-</p>
-
-<p>
-Ich kann Dir nicht ganz Recht geben, Tochter, sagte die
-Mutter: mir graut auch vor der Sache, aber dankbar müssen
-wir dem Manne doch seyn, wenn wir durch ihn um so viel
-reicher werden.
-</p>
-
-<p>
-Nein! rief Clara, wenn ich es nur hindern könnte. Ich
-<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a>
-habe immer über unsern Consistorialrath gelacht, zu dessen
-Christenthum der Teufel eigentlich die nothwendigste und unentbehrlichste
-Person ist, aber jetzt bin ich der Meinung des
-heftigen frommen Priesters. Nur der Satan bringt diese
-Künste hervor, und Jeder, der sich damit einläßt, ergiebt
-sich ihm. Die Langeweile plagt natürlich den alten verdammten
-bösen Geist, und da weiß er sich nun keinen bessern
-Zeitvertreib, als die Menschen durch allerhand Blendwerk
-dumm und konfus zu machen. Es wird schon so seyn.
-Diese fatalen Beschwörer glauben ihn zu beherrschen, er
-spielt mit ihnen, wie die Katze mit der Maus, und nachher
-sehen sie denn mit Entsetzen, daß sie immerdar in seinen
-Stricken und seine leibeignen Knechte waren. &mdash; Ach! und
-mein Schmaling! der ist nun auch so ein kleiner goldner
-Fisch, den sich die Unbarmherzigen mit ihren eisernen Haken
-herauf angeln und über sein Bluten nur lachen. Welch hartes,
-sonderbares Schicksal, daß mich eine Leidenschaft zu
-einem Manne ergriffen hat, den ich eigentlich nicht ganz
-achten kann. Ich liebe ihn und gebe ihm mein ganzes Herz,
-ich fühle es, ich kann ohne ihn nicht seyn und leben, &mdash; und
-doch widerstrebt mir so Vieles in seinem Wesen: Sie werden
-sehn, dieser Blutsauger, der Sangerheim, macht mir
-mein Liebchen, meinen Auserwählten noch ganz verrückt. &mdash;
-Ich muß wider Willen lachen. Vergeben Sie mir, Mutter.
-</p>
-
-<p>
-Sie lachte laut, um nachher um so heftiger zu weinen.
-Die Mutter, die zwar die sonderbare Gemüthsart ihrer
-Tochter kannte, wurde doch besorgt, daß sie krank werden
-möchte, und wollte sie bereden, sich nieder zu legen: Clara
-wollte aber durchaus die Rückkunft des Vaters erwarten,
-und erfahren, wie das seltsame Abentheuer geendigt habe. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Man war in der Vorstadt abgestiegen, um mit einer
-Laterne in das finstre Haus zu gehn. Die Stimmung der
-<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a>
-drei Männer war feierlich und der Geheimerath Seebach
-zitterte, indem er die breiten und widerhallenden Stufen
-hinauf stieg. Im Saale standen sie still, ruhten und zündeten
-einige Kerzen an. Sie eröffneten die übrigen Zimmer,
-gingen hindurch und gelangten endlich vor jenes Kabinet.
-Ehe der Rath aufschloß, sagte er zu seinen Begleitern: Ich
-muß Euch bitten, Theure, wenn ich den Wandschrank eröffnet
-habe, und nach jenen Blättern suche, daß Ihr mich
-ganz allein gewähren lasset, weil ich nicht wünsche, daß Sie,
-lieber Vater, und noch weniger mein Sohn, Etwas in jenen
-Skripturen lesen mögen, die so Vieles enthalten, das ich
-jetzt selbst ganz vergessen habe. Der Rath schloß auf. In
-dem kleinen Zimmer, das, wie alle übrigen, lange nicht
-geöffnet war, war ein seltsamer Dunst. Der beklemmte
-Rath öffnete das Fenster, ein frischer Luftstrom zog herein,
-und man vernahm das Flüstern der Linde und das Rauschen
-des Holunderbaumes, die dicht vor dem Fenster standen.
-Ist es Euch so seltsam, wie mir, zu Muthe? fing der Rath
-wieder an. Mir dünkt, es kommt mir jetzt schon viel weniger
-darauf an, diesen bedeutenden Theil meines Vermögens
-zu retten, als nur die Wahrhaftigkeit jenes wunderbaren
-Mannes bestätigt zu finden: ob ich gleich von ihr schon überzeugt
-bin.
-</p>
-
-<p>
-Er drückte an die ganz glatte Wand und sie eröffnete
-sich. Oben in der Mauer standen einige Geräthe und Gefäße,
-die auch eine magische Bedeutung haben mochten.
-Seebach bückte sich und holte einen schweren Kasten aus dem
-Behältniß, der Briefe, Bücher, Maurer-Symbole und dergleichen
-enthielt. Er ließ, indem er in den Verschlag trat,
-den Sohn hinein leuchten. Man sah Nichts, und nur der
-Vater konnte den künstlichen Schieber finden, der zurückgedrängt
-wieder eine andere geräumige Oeffnung entdeckte.
-<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a>
-Gleich oben lag das vermißte Dokument und ein großer Zettel
-daneben, auf welchem mit großen Buchstaben stand: Das
-Dokument über die zwanzigtausend Thaler findet sich in meinem
-geheimen Wandschrank, unten, im Hause der Vorstadt.
-&mdash; Es war auch hinzugefügt: Sollte ich auf der Reise sterben,
-so suche man &mdash; und hier war genau für den Fremden
-beschrieben, wo man die Feder und den Schieber entdecken
-könne.
-</p>
-
-<p>
-Seht, Freunde, rief der Rath, dieses Blatt wollte ich
-aus Vorsorge in mein Schreibpult legen, um das Dokument
-ja nicht zu vergessen. Aber die eilige Arbeit, die Wichtigkeit
-der Geschäfte, die nahe Abreise machten, daß das Vergessen
-den Sieg, wie es so oft geschieht, über die Vorsicht davon
-trug. Für meine Familie, im Fall ich von der Reise nicht
-zurückkommen sollte, war noch diese genaue Bezeichnung hinzugefügt.
-</p>
-
-<p>
-Er übergab das Dokument seinem Sohne, der es sorgfältig
-in die Brieftasche legte. Hierauf bückte sich der Vater
-wieder und nahm alle übrigen Papiere aus jenem tiefen
-Raume, die in mehreren verschlossenen Mappen und sorgfältig
-zugeschnürten großen Heften enthalten waren. &mdash; Was
-machen Sie da? fragte der Obrist. &mdash; Da das Geheimniß
-des Schrankes, sagte der Rath, jetzt ein öffentliches ist, so
-will ich alle diese Papiere mit mir nehmen, um sie in meinem
-Stadthause sicher zu verwahren. &mdash; Er trug sie selbst
-mit Anstrengung die Treppen hinunter und in den Wagen,
-und wollte sich weder vom Obristen, noch seinem Sohne helfen
-lassen.
-</p>
-
-<p>
-Als sie wieder im Wagen saßen, fing der Rath an:
-Was soll man nun, meine Lieben, von dieser ganzen Sache
-denken? &mdash; Denken? erwiederte der Sohn, fürs Erste wohl
-gar Nichts, denn wir haben noch lange an unserm Erstaunen
-<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a>
-zu genießen. Dann wollen wir uns des Geldes und des
-gewonnenen Prozesses freuen, und Clara vorzüglich mag
-dem Magus danken, weil ohne ihn ihre Aussteuer wäre
-verkürzt worden. Mit dem Zauberer müssen wir auch Freundschaft
-halten, der unserm Hause geholfen hat. Mit allen
-diesen Dingen können wir uns eine Weile die Zeit so leidlich
-vertreiben, denn es scheint mir gefährlich und bedenklich,
-zu früh über diese Sache denken zu wollen. Haben wir doch
-genug daran zu thun, sie zu glauben. Und ableugnen läßt
-sie sich nun einmal nicht.
-</p>
-
-<p>
-Ich begreife Deinen Leichtsinn nicht, erwiederte der Vater.
-Kannte dieser Sangerheim mich und meine Familie?
-und wenn dies war, konnte er von diesem Papiere wissen?
-und wenn er davon erfahren hätte, konnte er diesen geheimen
-Schrank entdecken? Setzen wir auch den noch wunderbarsten
-und seltensten Zufall, er habe nach mehr als zwanzig
-Jahren den Tischler gefunden, der ihm diesen Schlupfwinkel
-verrathen hätte: wie viel Unerklärliches bleibt noch zu
-erklären? Und wie viel Unnatürliches, Unmögliches muß
-man schon gewaltthätig zusammen raffen, um nur das Leugnen
-des Wunderbaren und Unbegreiflichen bis zu dieser Spitze
-zu treiben?
-</p>
-
-<p>
-Darum eben, mein lieber Vater, antwortete Anton, ist
-diese Entfernung von allem Grübeln, sich aller Gedanken zu
-entschlagen, was Sie, um mir einen Vorwurf zu machen,
-Leichtsinn nennen, hier recht an der Stelle. Helfen wir uns
-doch mit nichts Besserm, als diesem Leichtsinn, der aber auch
-edler Natur seyn kann, bei den allerwichtigsten, heiligsten
-und höchsten Dingen, wenn wir uns nicht geradehin der
-Verzweiflung oder dem Wahnsinn ergeben wollen. Wenn
-unsre Gedanken vor dem Bilde der Ewigkeit scheu umkehren,
-oder an der Gottheit und Allmacht des Schöpfers ermatten
-<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a>
-müssen: &mdash; was können wir anders thun, als uns in diesen
-Leichtsinn retten, der uns so kindlich, so tröstend entgegen
-kommt? Mag es nicht eben so Pflicht und Weisheit seyn,
-zu Zeiten gewissen Gedanken auszuweichen, wie es ein
-andermal unerläßlich ist, sie aufzusuchen, und bis in das
-Innerste hinein zu ergründen? Nicht jeder Stunde geziemt
-Alles.
-</p>
-
-<p>
-Weisheit! sagte der Alte unwillig; wenn die Unerfahrenheit
-sie lehren will! &mdash; Sie waren angelangt und stiegen
-zum Wohnzimmer hinauf, in welchem Clara und die Mutter
-sie erwarteten. Man sprach, erzählte noch, und der Vater
-sorgte vorzüglich, seine Skripturen in Sicherheit zu bringen.
-&mdash; Der frühe Morgen überraschte sie noch im Gespräch, sie
-legten sich nieder, um noch einige Stunden zu schlafen, aber
-Keinem von Allen ward mehr als ein unruhiger Schlummer
-zu Theil, der sie nicht erquickte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Diese Begebenheit, obgleich sich Alle vorgenommen hatten,
-nur zu den Vertrautesten von ihr zu sprechen, war bald
-in der Stadt bekannt, und machte großes Aufsehn. Und,
-wie es zu geschehen pflegt, erzählte man sich den seltsamen
-Vorfall bald mit den wunderlichsten Zusätzen, indem Jeder
-glaubte, am Besten von dem Wunder unterrichtet zu seyn.
-Sangerheim, der dieses gerade hatte vermeiden wollen, war
-hiedurch sehr verstimmt, und wurde es noch mehr, als er
-erfuhr, daß der regierende Fürst selbst sich von seinem Rathe
-Seebach die denkwürdige Sache hatte vortragen lassen. So
-kam es denn, daß Sangerheim nicht nur zu allen Versammlungen
-und Gesellschaften sehr gesucht wurde, sondern daß
-auch am Hofe Nachfrage nach ihm geschah. Alles dies schien
-ihm sehr gleichgültig, denn er bekannte selbst, nur einen Zweck
-<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a>
-im Auge zu haben, nehmlich die gewöhnliche Freimaurerei
-verächtlich zu machen und zu stürzen, zu welcher sich in dieser
-Provinz die angesehensten Männer bekannten, und die
-zugleich die größte Achtung genossen. Es gelang ihm auch,
-die Logen zu stören und verdächtig zu machen, und viele der
-eifrigsten Brüder zu sich hinüber zu ziehn.
-</p>
-
-<p>
-Indem er mit diesen arbeitete, ihnen den Irrthum
-deutlich machte, in welchem sie bisher gewandelt waren, verschiedene
-Grade einrichtete und geheimnißvolle Weihungen
-vornahm, mysteriöse Zeichen, Amulete und Gehänge austheilte,
-deren Deutung er sich vorbehielt, saß der geheime
-Rath Seebach in seinem Zimmer und vertiefte sich in jenen
-Schriften, die ihm seine leidenschaftliche, sonderbare Jugend
-wieder vergegenwärtigten. Er hatte mit Recht die zauberhafte
-Wirkung dieser Papiere gefürchtet, denn er verlor sich
-so in Erinnerungen, daß die Gegenwart fast gar keine Gewalt
-über ihn ausübte. Vieles hatte er ganz vergessen, über
-Manches dachte er jetzt anders, aber doch erschien ihm Alles
-in einem andern Lichte, als er erwartet hatte, denn er fand
-zu seinem Leidwesen, daß die großen Fragen keinesweges
-so abgeschlossen waren, als er es neuerdings, ohne wiederholte
-Untersuchung, zu seiner Beruhigung angenommen hatte.
-</p>
-
-<p>
-Diejenigen, die den alten Logen treu geblieben waren,
-sprachen über Sangerheim sehr erbittert, und behandelten
-ihn, ohne daß sie es beweisen konnten, wie einen Betrüger.
-Schmaling, so wie der Arzt Huber, die gleich seine eifrigsten
-Anhänger geworden waren, kämpften mit aufgeregter
-Leidenschaft diesen Verleumdern entgegen, und die ganze
-Stadt, die viele Jahre hindurch ruhig gewesen war, nahm
-heftig Parthei für und gegen den Fremden. Dieser und
-seine Freunde bemühten sich, den elenden Zustand der neueren
-Maurerei und das Unwesen der Logen in das grellste
-<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a>
-Licht zu stellen. Man berechnete, wie viel die Lehrlinge,
-deren keiner abgewiesen wurde, jährlich einbrächten, wie die
-älteren Brüder nur dahin strebten, Vorsteher, Redner und
-Meister vom Stuhl zu werden, um durch diese und andre
-Würden freien Theil am Schmause zu erhalten. Man
-zeigte, wie verdächtig die Wohlthätigkeit dieser Maurer sei,
-und erzählte und wiederholte ärgerliche Geschichten, die allgemeinen
-Anstoß gaben. Man machte sich lustig darüber,
-wie sehnsüchtig sie irgend einem Geheimniß entgegen sähen,
-wenn sich nur irgendwo eins wolle auftreiben lassen; wie
-gern man es sich, behutsam verpackt, aus England oder
-Schottland verschreiben möchte, und keine Kosten spare, damit
-man den sehnsüchtigen Forschern doch nur irgend Etwas
-zu verheißen hätte. Jene Logen der strikten Observanz hatten
-aber auch Manches mitzutheilen, was der Wißbegierige
-und Schadenfrohe gerne anhörte. Man erzählte: dieser
-Sangerheim sei nichts anders als ein Spion, von einer großen
-Macht des südlichen Deutschlands ausgesendet, um in
-den nördlichen Provinzen Zwiespalt auszusäen, und Mißtrauen
-zwischen Volk und Regierung zu erregen. Der verhaßte
-Name der Jesuiten wurde nicht geschont, um ihn und
-seine Freunde zu bezeichnen und verdächtig zu machen. Man
-wollte in seiner Wohnung eine weiße Frau, oder vielmehr
-ein entsetzliches Gespenst gesehn haben, und der neuerungssüchtige
-Pöbel fügte hinzu, daß Kobolde und Teufel in seiner
-Wohnung freien Aus- und Eingang hätten. Man scheute
-sich nicht, zu behaupten, er stelle dem Leben des regierenden
-Herrn und seiner Familie nach, und es gab keine so abgeschmackte
-Lüge, die nicht in irgend einem Kreise einen Schwachkopf
-fand, der sie geglaubt hätte. So sehr diese ältern,
-aufgeklärten Logen den eindringenden Neuling aber auch haßten,
-so sehr beneideten sie seine Kenntnisse und Geheimnisse,
-<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a>
-und wären ihm gern freundlich entgegen gekommen, wenn
-er ihnen nicht so unverhohlen den Krieg angekündigt hätte.
-</p>
-
-<p>
-So war die freundliche Stadt, die sich bis dahin einer
-schönen Geselligkeit erfreut hatte, von Zwiespalt zerrissen,
-der sogar viele Familien ergriffen, und die nächsten Freunde
-und Verwandte einander entfremdet hatte. Wie man stritt
-und verleumdete, bewies und zankte, die Meinungen hin und
-her schob, so merkte von Allem Derjenige, der eigentlich die
-Veranlassung dazu gegeben hatte, der geheime Rath Seebach,
-am wenigsten von dieser Verwirrung, weil er bei Tage
-wie in der Nacht fast immer über jenen Papieren sann und
-brütete, die er aus seinem Schranke gleichsam von Neuem
-erbeutet hatte. Alle Träume und Wünsche seiner Jugend
-wurden nun lebendig in ihm, er konnte nicht begreifen, wie
-er bis dahin alle diese Gedanken und Erfahrungen als Kindereien
-so unbedingt hatte abweisen können. Er war seitdem
-gegen seine Familie weit zurückhaltender, und ihn gereute
-selbst das Wenige, was er seinem Sohne vertraut hatte.
-Die Mutter klagte, die Tochter trauerte, und der Obrist
-war verdrüßlich, aber ohne Erfolg. Nur Anton blieb in
-seiner heitern Laune und sagte: Was wollt Ihr? Mein
-Vater verjüngt sich wieder; ist denn das nicht ein Glück,
-welches wir gern unsern Geliebten gönnen, und es ihnen
-immerdar wünschen? Warum sollen wir denn unsre Erfahrungen
-auch nicht einmal von rückwärts erneuern? Zum
-Kindischwerden hat es mit meinem lieben Alten noch Zeit,
-aber die Kindlichkeit ist ja fromme Tugend und ein Glück
-der Erde.
-</p>
-
-<p>
-Er ging dem verdächtigen Sangerheim aus dem Wege,
-so oft er diesem begegnete. Und dazu fand er oft Gelegenheit,
-denn so wenig der Magier auch zur Familie gehörte,
-so besuchte er sie doch täglich, und oft kam er zweimal am
-<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a>
-Tage, um den Herrn des Hauses zu sehn, und sich mit diesem
-einzuschließen. Sie arbeiteten dann, lasen, schrieben,
-und man wollte in der Familie sagen, daß sie gemeinschaftlich
-magische Operationen vorgenommen hätten.
-</p>
-
-<p>
-Als unmittelbar nach jener Nacht der geheime Rath sich
-dem Unbekannten hatte dankbar erzeigen wollen, sagte dieser:
-Demüthigen Sie mich nicht, verehrter Bruder, durch ein
-solches Anerbieten. Ich habe, was ich brauche, und es wird
-mir nicht leicht fehlen. Sollten sich irgend einmal die Verhältnisse
-anders gestalten, so werde ich mich mit Vertrauen
-zuerst an Sie wenden, und Sie werden mir dann meine
-Bitte nicht abschlagen.
-</p>
-
-<p>
-Als der Rath ihm von Neuem seine Dankbarkeit ausdrückte
-und zugleich den Wunsch aussprach, ihn näher kennen
-zu lernen, erwiederte der Fremde: Was ich von mir
-weiß, oder Ihnen sagen darf, will ich Ihnen, geliebter
-Bruder, gern mittheilen, denn wir verstehn den Freund um
-so besser, wenn wir seine äußere Geschichte, die Umrisse seines
-Lebens ebenfalls vor uns sehn. So wissen Sie also,
-daß ich im Jahr 1745 geboren bin, und zwar in Paris.
-Mein Vater war nichts Geringeres, als ein Prinz von königlichem
-Geblüt, aber meine Mutter war eine Bürgerliche, die
-sich durch schöne Worte, Versprechungen, vorzüglich aber
-durch die einnehmende Gestalt meines Vaters hatte täuschen
-lassen. Ich wurde gut erzogen, und der theuerste Lehrmeister
-für jede Kunst und Wissenschaft mir gehalten. Mein Vater
-hatte große Freude an mir, und verzog und verzärtelte mich.
-Das ist das größte Unglück, das einem Kinde meiner Art
-widerfahren kann, denn in spätern Jahren wird es doch
-wieder in die Bahn zurückgewiesen, in die es nach den Einrichtungen
-der Welt gehört. An einem sittenlosen Hofe war
-meine Abstammung eines jener öffentlichen Geheimnisse, das
-<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a>
-alle Welt kennt und belacht, und eben so Jeder, wenn es
-ein ernstes Wort gilt, verleugnet. Ich hatte oft das Glück,
-den König zu sehn, der zuweilen so mit mir spielte, als
-wenn er selbst ein Kind gewesen wäre. So lange man als
-Kind hübsch und artig ist, wird man über die Gebühr von
-Weibern und Mädchen bewundert; treten die Jahre ein, in
-denen sich der Knabe streckt und auswächst, so wird er von
-verwöhnten Menschen um so mehr übersehn, wohl gar verfolgt,
-und das Beste im Kinde wird verhöhnt, wie früherhin
-das Gleichgültigste vergöttert ward. Auch diese Erfahrung
-mußte ich machen, so wie späterhin die noch schlimmere,
-daß mein Vater, der sich mit einer jungen tugendhaften
-Dame vermählte, nachdem er einige Jahre als Wittwer gelebt
-hatte, mich aus Engherzigkeit und mißverstandener Moral
-verleugnete. Damals bemächtigte sich eine tödtende Bitterkeit
-meines jungen Herzens. Nachher ging mein Haß in Verachtung
-über, und ich vermied, wie ich nur irgend konnte,
-den Anblick des Prinzen. Ich erhielt eine Stelle beim Regiment,
-ward Lieutenant, Hauptmann, Obrist, und man
-ersparte mir sogar den Dank für diese Wohlthaten und Auszeichnungen.
-</p>
-
-<p>
-Die Maurerei war in Frankreich etwas so Gewöhnliches,
-daß jeder junge Mann von Welt und Erziehung zur
-Brüderschaft gehören mußte. Es war fast nicht mehr, als
-wie man eine Loge im Theater nimmt. Der Krieg brachte
-mich nach Deutschland und ich lernte hier einige ernstere
-Brüder und ein tieferes Forschen kennen. Als aber mein
-Wissenstrieb erwachte, konnte mir Keiner eigentlichen Bescheid
-geben. Jeder hoffte vom Andern das zu erfahren, was er
-so schmerzlich entbehrte, und was Jeder nur ungern, und
-endlich mit Scham gestand, nicht zu besitzen. Ich ging durch
-alle Grade, durch alle Sekten, hatte viele hochklingende Namen,
-<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a>
-vielerlei Kreuze und Kleidungen erworben und als aufmunternde
-Amulete erhalten, aber eigentlich Nichts erfahren.
-Das Sonderbarste war, wenn ich mich erforschte, daß ich
-eigentlich selbst nicht wußte, was ich denn nun wissen wollte.
-Jenes leere Ideal, jener nüchterne Cosmopolitismus, den
-Sie uns neulich schilderten, war mir freilich auch von Einigen
-gepredigt worden, aber er konnte meiner brennenden
-Wißbegier am wenigsten genügen. Wenn wir sehn, wie uns
-durch mechanische Kunst die Thiere gehorchen, wie der Wind
-das Segel schwellt und dem Schiffer dient, wie das Feuer
-uns die Berge und ihre Metalle zu leibeignen Vasallen
-macht, und eine arme Mischung von Kohlenstaub, Salpeter
-und Schwefel uns Mauern und Thürme niederwirft, so
-meinte ich, der so vorgeschrittne Mensch dürfe auch in das
-Geisterreich seine gebietende Hand hineinstrecken, und auch
-die Kräfte müßten ihm gehorchen, die man nur gemeinhin
-die unsichtbaren und unbekannten nennt, weil Keiner das
-Auge dreist erhebt.
-</p>
-
-<p>
-Aber nirgend fand ich Rath und Hülfe. Auch in England
-nicht; gewissermaßen hier am wenigsten. Ich kam auf
-die Vermuthung, die sich mir späterhin als Wahrheit bestätigt
-hat, daß alle diese Menschen von Klügeren mit Spielwerk
-und nüchternen Reflexionen, oder Symbolen der ehemaligen
-Tempelherrn nur hingehalten werden, damit sie ja
-nicht erwachen und das wahre Licht erkennen. Nach dem
-Frieden verließ ich den Dienst und Soldatenstand, und nur
-meine Sehnsucht, so wie die Verehrung der Kunst trieb mich
-nach Italien.
-</p>
-
-<p>
-Hier nun war es, vorzüglich in Florenz und Rom, wo
-mein Leben in eine so andre, bis dahin nie geahndete Bahn
-gerieth, daß ich Ihnen, geliebter Bruder, wenigstens für
-jetzt, von den Erfahrungen, die ich machte, von den Erkenntnissen,
-<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a>
-die mir mitgetheilt wurden, Nichts offenbaren
-darf. Aber die Zeit wird kommen, ich sehe sie schon vor
-mir dämmern, wo ich Ihnen Nichts mehr zu verschweigen
-brauche. Als ich nach Frankreich zurück kam, bemerkte ich,
-wie Saint Martin und seine Schüler Manches in der Ferne
-gesehn haben, wie Fludd und die deutschen Rosenkreuzer nicht
-zu verwerfen sind, und wie vorzüglich ihr großer Jacob
-Böhme oft fast unmittelbar an das Centrum des heiligen
-Geheimnisses geräth, von dem auch Paracelsus und der
-tiefsinnige van Helmont schon einen Anblick, wie durch einen
-fliehenden Nebel hatten. Diesen großen Männern fehlte
-Nichts, als Bekanntschaften in Italien, wie sie mir ein günstiger
-Zufall verschaffte, um schon in der Kunst die höchste
-Stufe zu ersteigen. Ich bin auch überzeugt, daß hie und
-da ein Deutscher, weil diese Nation vielleicht das größte
-Talent zum Tiefsinn besitzt, wohl das Mysterium gefunden
-hat. Es Unwürdigen mittheilen, ist die größte Sünde, und
-deshalb sind Prüfungen verschiedener Art und mancherlei
-Grade nothwendig.
-</p>
-
-<p>
-Der Rath Seebach schien im Wesentlichen mit diesen
-Ansichten übereinzustimmen. Er theilte dem neugewonnenen
-Freunde viele jener jugendlichen Schriften, Auszüge und
-Bemerkungen mit, und Sangerheim sagte nach einigen Tagen:
-es ist, verehrter Bruder, wie ein Wunder, daß Sie
-in Ihrer Jugend schon so sicher auf dem richtigen Wege
-gingen, sich aber doch zu bald durch Schwierigkeiten und
-einige Blendwerke, die ihnen die Meister wohl absichtlich
-entgegen schickten, zurück schrecken ließen. Wer so früh so
-vorgearbeitet hat, dem muß es im reifen Alter ein Leichtes
-seyn, auch das Allerhöchste zu erringen.
-</p>
-
-<p>
-Der Obrist, der sich zurückgesetzt fand, war mürrisch
-und verdrüßlich, und es gelang dem wunderbaren Gaste nur
-<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a>
-schwer, ihn wieder zu gewinnen. Als dies geschehn war,
-arbeitete der Greis, um auch Vorschritte zu machen, um so
-eifriger. Schmaling, der dem Magier ganz ergeben war,
-fühlte sich in Gegenwart seiner Geliebten nicht mehr so heiter
-und froh, als ehemals, und der Arzt Huber war glücklich,
-daß er endlich einen Bruder gefunden hatte, der Talent
-und Einsicht genug besaß, sein System, dessen Anhänger er
-schon lange war, dem Geheimenrathe gegenüber so geltend
-zu machen, daß dieser selbst sich dazu schon halb bekannte.
-</p>
-
-<p>
-Der weibliche Theil der Familie war in tiefer Trauer,
-denn Clara&rsquo;s scharfes Auge bemerkte sehr gut die Veränderung,
-die mit ihrem Geliebten vorgegangen war. Er sah
-sie selten, und wenn er in ihre Nähe kam, war er tiefsinnig
-oder zerstreut. Ihn ergötzte kein Spaziergang mehr, kein
-Gespräch konnte ihn aufheitern, so sehr war er seinen seltsamen
-Forschungen hingegeben. Die Gesellschaft Antons
-vermied er mit auffallender Aengstlichkeit, weil dessen Scherz
-ihn einigemal verwundet hatte. Welche reizbaren Geister,
-sagte dieser zur Schwester, müssen es seyn, die durchaus
-gar keinen Spaß verstehn? Könnte man sich dergleichen
-Unsterbliche wohl zu seinem Umgange wünschen? Ich wenigstens
-gewiß nicht. Aber unser Schmaling muß, ich weiß
-nicht welchem trübsinnigen Elfenkönig, den feierlichen Eid
-abgelegt haben, niemals wieder zu lachen. Und wenn der
-junge Mann doch nur einsehn wollte, wie schlecht ihm diese
-Feierlichkeit zu Gesichte steht. Er ist, wenn er lacht und
-heiter blickt, zehnmal so liebenswürdig. Fährt er aber so
-fort, so bekommt er Runzeln und Falten, wie ein Rhinozeros.
-Solche Stirnrunzel sieht aus, als wenn ein ganzer
-Acker fruchtbarer Erde aus dem Kopfe genommen wäre. Es
-sind die wahren Lückenbüßer, die andeuten, wie alle Gedanken
-entflogen sind. Die Stirn hat immer, so wie sie es
-<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a>
-merkte, nachgeschnappt, um festzuhalten; so sind diese Gruben
-geworden.
-</p>
-
-<p>
-Mir ist Dein Scherz zuwider, sagte Clara, denn ich
-sehe das Glück meines Lebens gestört. Dieser unglückliche
-Besuch hat Alles geändert und der aufgereizte Schmaling
-bedurfte nur einer solchen Veranlassung, um sein ganzes
-Wesen umzuwandeln.
-</p>
-
-<p>
-Sei über ihn beruhigt, antwortete der Bruder, ich
-habe schon dafür gesorgt, daß er wieder curirt werden soll.
-Mir ist ein Mittel beigefallen, das ich für untrüglich halte.
-</p>
-
-<p>
-Wenn es nur, erwiederte die Schwester, durch diese
-Cur nicht noch schlimmer wird, wie es wohl zuweilen der
-Fall ist. Wer kann überhaupt wissen, was noch aus Arzt
-und Kranken wird.
-</p>
-
-<p>
-Um mich darfst Du unbesorgt seyn, sagte Anton, laut
-lachend, denn mein Wesen ist zu prosaisch, um sich umstimmen
-zu lassen.
-</p>
-
-<p>
-Wir erleben, antwortete die Schwester, so Manches,
-was wir nicht erwarteten. Bist Du Deiner so gewiß?
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Die Gegenwart Sangerheims hatte in allen Gemüthern
-Empfindungen, Ansichten und Neugier aufgeweckt, alte Erzählungen
-wieder neu in Umlauf gebracht, die man schon
-vergessen hatte, und es war kein Haus, in welchem nicht
-Meinungen behauptet und bestritten wurden. Die Maurer
-der vorigen Tage waren in das größte Gedränge gekommen
-und viele, und zum Theil die angesehensten, hatten den
-Fremden für ihren Meister anerkannt. Als der Gelehrte
-sah, mit welchem Eifer man für und wider kämpfte, vorzüglich
-aber als er bemerkte, wie die Familie seines alten
-Freundes in Verwirrung gerathe, nahm er sich vor, Etwas
-<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a>
-zu thun, um die vorige Ruhe und Behaglichkeit wieder her
-zu stellen. Man hatte ihm erzählt, wie sehr der Rath sich
-an den verdächtigen Fremden schließe, und wie dies nicht
-allein Frau und Tochter betrübe, sondern ihm vom Minister
-und dem Fürsten selber nicht gut ausgelegt werde. Ferner
-sagte eines Tages zu Anton: dieser Trieb in uns, ohne welchen
-wir kein Interesse an Wissenschaft und Geschichte nehmen
-könnten, muß sorgsam bewacht und gehütet werden,
-wenn er den Geist nicht in Gegenden verlocken soll, in denen
-aller ächte Trieb zum Wissen erlischt. Alle Kräfte in uns
-sollen im Gleichgewichte stehn und nur dann ist der Mensch
-gebildet und verständig; darum kann ihn, wie es so oft geschieht,
-ein überwiegendes Talent unglücklich machen. Die
-Lust am Geheimniß und Wunder darf auch nur verstärkt
-werden, wenn Witz und Scharfsinn, Vernunft und Verstand
-ebenfalls sich beleben. Diese Harmonie des Menschen fällt
-aber nicht ins Auge, und darum dünkt sie auch oft den Aufgeregten
-etwas Geringes und selbst Verächtliches.
-</p>
-
-<p>
-Anton hatte dem Professor einen Plan mitgetheilt, um
-Schmaling, der sich am unbedingtesten der Schwärmerei ergab,
-auf gelinde Weise durch Beschämung wieder zur Vernunft
-zurück zu führen. Er hatte die Bekanntschaft eines
-Mannes gemacht, und ihn auch in das Haus seines Freundes,
-des Professors, geführt, der sich in kurzer Zeit das ganze
-Vertrauen des Jünglings erworben hatte. Es schien in der
-That, als wenn dieser Freund, der sich Anderson nannte,
-Jeden gewinnen müsse, dem er sich nähere; so konnte er
-durch Scherz und Ernst, Witz und Tiefsinn, Laune und
-Munterkeit in das Wesen der verschiedensten Charaktere eingehn,
-indem er bald in jedem Menschen eine Seite auffand,
-für die er sich interessirte, und so im geistreichen Gespräch
-den Mitsprechenden klüger und einsichtsvoller machte, als dieser
-<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a>
-sich sonst erschienen war. Wer dieses Talent besitzt, gewinnt
-die Menschen am sichersten. In den meisten ist irgend
-eine Gegend des Geistes fruchtbar, und bringt eigenthümliche
-Gewächse hervor. Die Natur hatte wohl die Absicht,
-daß von hieraus die Originalität des Wesens hervorgehn,
-und das Individuelle desselben sich geistreich ausbilden sollte.
-Aber unsre Erziehung, einförmige und conventionelle Cultur,
-Geschäfte und Vielwisserei ersticken bei den Meisten schon
-früh diesen Keim. Die meisten Gespräche werden nur geführt,
-damit Jeder sich selbst hört, und den Andern so wenig
-äußerlich wie innerlich zu Worte kommen läßt. Geräth
-aber ein Menschenkünstler, ein ächter Virtuos, über diese
-verwahrlosten Instrumente, so weiß er auch den baufälligsten
-wundersame Töne zu entlocken.
-</p>
-
-<p>
-So war Jedermann in der Gesellschaft dieses Anderson
-klüger und witziger, als für sich selbst, oder im Umgang mit
-Andern. Er war daher in allen Gesellschaften gern gesehn,
-die er auch nicht vermied und allenthalben Unterhaltung fand.
-Sein Aeußeres war eben nicht sehr empfehlend, er war klein
-und stark, von breiten Schultern, und sein Kopf stand zwischen
-diesen etwas eingepreßt auf einem dicken Halse.
-</p>
-
-<p>
-Durch Sangerheim waren alle früheren Nachrichten von
-dem großen Wunderthäter, dem Grafen Feliciano, neu belebt
-worden. Briefe bestätigten von Neuem seine unbegreiflichen
-und schnellen Heilungen der schwierigsten und tödtlichsten
-Krankheiten, die die größten Aerzte schon verzweifelnd
-aufgegeben hatten. Man erzählte sich, wie er in einer großen
-Stadt des Auslandes in einem Palaste ganz wie ein
-Fürst lebe, von glänzender Dienerschaft umringt. Kein Armer
-verlasse seine Schwelle, der nicht reichlich beschenkt würde.
-Geld achte er wie Spreu, er bedürfe der Gnade keines Königs,
-denn er habe jüngst einem Staate eine ungeheure
-<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a>
-Summe geschenkt, um den Fürsten aus einer Verlegenheit
-zu ziehn. Daß das Auflegen seiner Hand tödtliche Wunden
-schließe und die hartnäckigsten Krämpfe löse, war nur etwas
-Unbedeutendes: denn Todte sollte er schon geweckt haben,
-Abwesende aus fernen Ländern zitiren können, so daß sie
-den Freunden oder der Familie in sichtbarer Bildung erschienen,
-so wie er seinem eignen Geiste zuweilen gestatte,
-aus dem Körper zu wandern, um plötzlich in Asien oder
-Amerika einem Freunde, der ihn magisch gerufen habe, beizustehn.
-Daß alle Geister ihm zu Gebote ständen, die guten
-wie die bösen, bezweifelte Keiner, der mit Vertrauen und
-Glauben von ihm sprach. &mdash; Schmaling, der wenig in Gesellschaft
-kam, sondern ganz seinen sonderbaren Studien und
-seinem Meister lebte, war dem merkwürdigen Anderson niemals
-begegnet, und darum hatte diesem heitern und gefälligen
-Manne der übermüthige Anton den sonderbaren Vorschlag
-gemacht, daß er die Rolle des berühmten Feliciano
-spielen solle, um so Schmaling zu täuschen, und ihn so, indem
-er einsähe, wie leicht er hintergangen werden könne,
-in seiner Verehrung Sangerheims irre zu machen. Der
-muntre Anderson war auf diesen Plan eingegangen, und
-um so lieber, weil er oft tadelnd von diesem Sangerheim
-und dessen Arbeiten sprach. Im Hause des Professor Ferner
-wollte man eine geheimnißvolle Zusammenkunft veranstalten,
-von der aber der Magus Sangerheim nichts erfahren
-dürfe.
-</p>
-
-<p>
-Ferner war lange diesem Projekt entgegen gewesen. Er
-sagte auch jetzt: ich bin kein Freund von dergleichen Mystificationen.
-Sie sind nach meinem Gefühl ganz und gar
-dem Wesen und dem Anstand einer gebildeten Gesellschaft
-entgegen. Der Hintergangene hat Ursach, es nachzutragen,
-und es ist ihm nicht zu verargen, wenn er niemals wieder
-<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a>
-Vertrauen faßt. Indessen mag eine gute Absicht diesmal
-die Sache entschuldigen; nur fürchte ich, daß Sie sich mit unserm
-Schmaling völlig verrechnet haben.
-</p>
-
-<p>
-Der Versuch wird immer das Uebel nicht ärger machen,
-antwortete Anton: auch ist es gerade in der Hinsicht ein
-glücklicher Zeitpunkt, weil die Freunde Feliciano&rsquo;s melden,
-er habe jene Stadt wieder verlassen, um von Neuem eine
-Reise nach Aegypten zu machen, und aus den Pyramiden
-viele Mysterien hervor zu suchen.
-</p>
-
-<p>
-Man traf noch eine nähere Abrede, und Anton ging,
-um jenen Anderson, zu welchem er eine große Zärtlichkeit
-gefaßt hatte, wieder aufzusuchen.
-</p>
-
-<p>
-Der Rath Seebach stand oft in seinem Zimmer, vor seinen
-Papieren, die vor ihm ausgebreitet lagen, und dachte
-seinem Leben und den wechselnden Empfindungen nach, die
-ihn in den verschiedenen Perioden seiner Bildung bestürmt
-hatten. Wohin geht dieser Lauf? sagte er eines Morgens
-zu sich selbst; dasjenige, was ich als einen festen Besitz errungen
-zu haben glaubte, droht mir wieder wie Wasser zwischen
-den Fingern zu entrinnen. Bleibt es doch wahr, daß
-in jener Nüchternheit, die ich vormals rühmte, die sichre
-Grundlage des Lebens ruht. Meine Jugend, und alle jene
-wilden, ungezügelten Bestrebungen überströmen wieder alle
-Dämme und Ufer, schon beginnt mir der Anblick dessen, was
-ich so lange als das Schöne und Edle erkannte, Langeweile,
-Widerwillen und Ekel zu erregen, denn zu unbedeutend, unbestimmt
-und mittelmäßig dehnt es sich vor mir aus. Hingehalten
-durch Hoffnungen, eingewiegt mit Versprechungen,
-aufgeregt durch Winke, und betäubt durch Erscheinungen, die
-ich sehe, aber nicht begreife, die mich erschrecken, und an die
-ich doch nicht glauben kann, wird mein Dasein zum Traum.
-Welch sonderbares Band zieht mich zu diesem fremden
-<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a>
-Mann, und verknüpft mich ihm: ihm, dem ich mein ganzes
-Vertrauen schenken möchte, und der in diesen Momenten der
-Hingebung mich am meisten zurück stößt? Ich sehe, daß er
-geheime Kenntnisse besitzt, die er mir mitzutheilen verspricht,
-und mir dennoch vorenthält. Heut ist er ganz Offenheit,
-morgen lauter zurück haltende Förmlichkeit. In seiner Gegenwart
-fühle ich das Gelüste, gerade das zu glauben, was
-meinem Verstande am widersinnigsten erscheint, und wieder
-überschleicht mich eine Empfindung, daß ich im selben Augenblick
-ihn und mich verlachen möchte.
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim traf und störte ihn in diesen Betrachtungen.
-Sie übersehn, Theurer, sagte er beim Eintreten, indem
-er die Thür verschloß, wieder Ihre Studien und Erfahrungen.
-Es ist sonderbar, wie wir Menschen schon so
-oft in der Jugend das höhere Wort vernehmen, den Ton
-desselben fassen, und uns späterhin Aussprache und Bedeutung
-wieder entfliehen können. Doch kehren wir in reifen
-Jahren mit tieferem Sinn, mit stärkerer Innigkeit zu denselben
-Wahrheiten zurück, wie es Ihnen geschieht; unbewußt
-hat die Seele die Geheimnisse ausgearbeitet, und die Glaubensfähigkeit
-steht gewappnet an derselben Stelle, wo noch
-gestern Zweifel und Unglaube nackt und wehrlos zitterten.
-</p>
-
-<p>
-Gestern, sagte der Rath, haben wir gerechnet und Figuren
-gezeichnet, die sonderbare Erscheinung, die Sie mir
-vorführten, überraschte mich; nachdem vernahm ich, indem
-Sie neben mir saßen, jene Stimme aus dem Zimmer dort,
-die mir die geheimnißvollen Worte zurief &mdash; Alles dieses,
-Lieber, sehe und erlebe ich; aber ich kann es mir nicht aneignen,
-es hat keine Bedeutung für mich, es fährt Alles wie
-leere Phantome, nur erschreckend, mir vorüber. Ich habe
-genug erfahren, um irre zu werden, aber dieses Räthsel
-meines Innern, welches sich immer mehr verschlingt, ringt
-<a id="page-214" class="pagenum" title="214"></a>
-mit allen Kräften meines Herzens zur Lösung hin. Weder
-in diesen wechselnden Schauern von Licht und Schatten, noch
-in stiller Resignation kann ich meine Befriedigung finden,
-und ich fange an, meine Zweifel wieder als die bessere Weisheit
-aufzusuchen.
-</p>
-
-<p>
-Und doch waren wir übereingekommen, sagte Sangerheim
-mit feierlichem Ton, Sie hatten mit mir die Nothwendigkeit
-eingesehn, daß es Prüfungen, Grade geben müsse,
-daß die Geduld die unerläßlichste Tugend sei, um dem Geheimniß
-näher zu kommen.
-</p>
-
-<p>
-Nur eine einzige Frage, und die beantworten Sie mir
-auf Ihr Gewissen, sagte der geheime Rath eben so feierlich:
-Können Sie mir bei Gott und allem Heiligen, das Sie
-glauben, schwören, daß Sie mir irgend einmal, wenn auch
-später, die Lösung mittheilen wollen, und daß Sie selbst von
-Ihrem Beruf überzeugt sind?
-</p>
-
-<p>
-Ja! rief der Fremde, und erhob die Hand. &mdash; Gut
-denn, sagte der Rath, empfangen Sie dann diese Brieftasche,
-und in ihr, was Sie wünschten, ich will, ich muß
-Ihnen vertrauen.
-</p>
-
-<p>
-Auch ich, sagte Sangerheim, will mich Ihnen verpfänden,
-mit dem Theuersten, was ich besitze, mit Allem, was
-ich Ihnen nur geben kann. Er zog ein Paket hervor, mit
-seltsamen Zeichen versiegelt und fest in einander geschnürt.
-Legen Sie, sagte er, hier auch Ihr Siegel an. In diesem
-kleinen Raum ist Alles, was ich weiß, enthalten; mein ganzes
-Dasein, Alles, was Sie erfahren wollen, umschließt
-diese Sammlung. Löse ich sie zu der festgesetzten Zeit nicht
-aus, sterbe ich vor diesem Zeitpunkt, so fällt Ihnen diese
-Erbschaft zu und Sie mögen damit schalten nach Ihrer
-Willkühr.
-</p>
-
-<p>
-Der Rath nahm das Paket in die Hand, schlug es ein,
-<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a>
-überschrieb es mit einer Nachricht, daß dies das Eigenthum
-Sangerheims sei, versiegelte es und legte es in seinen Schrank.
-Sich besinnend nahm er es wieder und sagte: doch kommen
-meine Kinder zuweilen hieher, in jenem Pult ist eine geheime
-Schieblade. Er trug es hin und indem er es einzwängte,
-geschah ein Knall, und die Masse selbst erzitterte. Sehn
-Sie, sagte Sangerheim, Sie sind ohne Noth besorgt, es bewacht
-sich selbst.
-</p>
-
-<p>
-Der Rath hatte sich entfärbt. Sangerheim sah ihn fest
-an und schien sich an der Verlegenheit des alten Mannes
-zu weiden, die dieser nicht verbergen konnte, so sehr er sich
-auch bemühte. Er sammelte seine zerstreuten Skripturen
-wieder, warf sie in den Schrank und sagte dann: also, Geduld,
-und bis dahin habe ich mich Ihnen unbedingt ergeben. Es
-ist wunderbar genug, wir entziehn uns gewissermaßen der
-Kirche und der Religion des Staates, wir nennen es unsre
-Weisheit, anders und weniger zu glauben, als der gemeine
-Mann, &mdash; und geben uns im Entfernen vom Hergebrachten
-und Autorisirten andern viel unglaublichern Dingen hin, und
-sind zufrieden, nur zu sehn und zu ahnden, ohne daß uns
-die Lösung gegeben wird, die wir doch in der Religion suchten
-und forderten.
-</p>
-
-<p>
-Richtig bemerkt, erwiederte Sangerheim; ist denn aber
-dieser Widerspruch nicht vielleicht eine Vorbereitung zu einer
-ächtern Religiosität, zu einem wahren Glauben? Immerdar,
-wenn wir uns widersprechen, ist es nur Schein, wir
-suchen die Bindung, den unsichtbaren Mittelpunkt, der den
-Widerstreit aufhebt.
-</p>
-
-<p>
-Das ist aber gegen die Abrede, erwiederte der Rath,
-daß ich wieder durch Gedanken und ihren wechselnden Kampf
-das Richtige und Wahre finden sollte, ich sollte es ja unmittelbar
-<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a>
-schauen, und es als einen wahren Besitz von dannen
-tragen.
-</p>
-
-<p>
-Wenn Sie denn, fing Sangerheim zögernd an, sich
-nicht fügen können und wollen, so gäbe es in Ihrem frommen
-und erweckten Sinn allerdings ein Mittel, das rasch
-die Hemmung wegnehmen, und Sie ohne Umwege zum Ziele
-führen könnte.
-</p>
-
-<p>
-Und dieses Mittel? fragte der Rath eifrig.
-</p>
-
-<p>
-Auch ohne dieses können Sie zu einem glänzenden Ziele
-gelangen, antwortete Jener, aber langsamer, und niemals
-erreichten Sie die Würde, so viel Sie auch schauen werden,
-eines höchsten Obern.
-</p>
-
-<p>
-Und dieses Mittel, fragte der Rath wieder, könnte mir
-diese Würde und die schnellere Einsicht in alle Geheimnisse
-verschaffen?
-</p>
-
-<p>
-Ohne Zweifel. &mdash; Sehnen Sie sich heftig?
-</p>
-
-<p>
-Unbeschreiblich! fing der Rath wieder an, und, da Sie
-so weit gegangen sind, so nennen Sie es auch, sonst sind
-Sie nicht mein Freund.
-</p>
-
-<p>
-Was Sie immerdar hemmen wird, antwortete Sangerheim
-mit einer Thräne im Auge, ist, daß Sie nicht ein
-Mitglied meiner Kirche sind. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Der Rath trat einen Schritt zurück und suchte noch
-mehr wie vorher die Bewegung seines Innern zu verbergen.
-Sangerheim sah ihn mit einem festen prüfenden Blicke an,
-als wenn er seine Augen durchbohren wollte, aber der Rath
-erwiederte diesen festen Blick, und nach einigen Augenblicken
-entfernte sich der Fremde.
-</p>
-
-<p>
-Tief erschüttert ging der Alte im Saale auf und ab. &mdash;
-Das ist es also? sagte er endlich zu sich selber; also dorthin
-liegt das eigentliche und wahre Geheimniß? &mdash; Habe
-ich doch den Einreden so mancher vernünftigen und kaltblütigen
-<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a>
-Freunde nicht glauben wollen. Ich hielt es nur für
-Fabel, weil es einem Mährchen so ähnlich sieht; und ist also
-nun doch Wahrheit. &mdash; Sie bemächtigen sich einer Einrichtung,
-die im Beginn gut und edel war, die sich dann selbst
-vergaß, und in deren unbedeutenden Nüchternheit nun leicht
-die Sehnsucht zu Wundern und Seltsamkeiten Raum finden
-kann. &mdash; Wie verbreitet die Logen sind, so mögen sich diese,
-oder ähnliche Schwindler leicht jetzt oder in Zukunft der
-Menge bemeistern, um ihre Pläne, die sich noch nicht an das
-Licht wagen, durchzusetzen. &mdash; Diese Emissäre gehören also
-einer Propaganda an, und es läßt sich nun wohl begreifen,
-wer und was diese geheimen Obern sind, &mdash; Alles, was
-man von diesem Nachbarstaate erzählt, wo man auf verschiedene
-Art den Erbprinzen bearbeitet, hier und anderswo die
-Störung der Logen, das Eindringen und Vorschieben alter
-Meinungen. &mdash; Die Herren haben also doch ihre Herrschsucht
-und die alten Plane noch nicht aufgegeben! &mdash; Ja, ich bin
-durch dieses einzige Wort zum Licht hindurch gedrungen,
-aber sehr gegen deinen Willen, mein guter Magus. &mdash; Seine
-Kunststücke begreife ich freilich nicht; aber was gehen sie mich
-denn eigentlich an? Vor meinem guten verständigen Sohne
-muß ich mich jetzt schämen, der doch in seiner Art, wie er
-jenes Wunder betrachtete, sehr Recht hatte. &mdash; Zu schnell,
-zu plötzlich mag ich aber freilich auch nicht zurücktreten; ich
-will ihn noch beobachten: ich kann es jetzt wie ein Spiel
-treiben und genießen. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Mit Beschämung dachte er nun der Summen, die er
-dem Magier ausgeliefert, noch der letzten großen, die er ihm
-heut gegeben hatte. Sangerheim hatte zwar Anfangs jeden
-Dank und Lohn ausgeschlagen, aber bald hatte er bei dem
-großmüthigen Freunde Hülfe gesucht, der nun um so lieber
-und reichlicher mittheilte, da der Wunderthäter sich erst uneigennützig
-<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a>
-gezeigt hatte. Zu den Beschwörungen und zum
-Geister-Apparat, so wie zu Einrichtung der Oefen und Herbeischaffung
-alles Geräthes, um den Stein der Weisen hervorzubringen,
-war wieder ein Kapital nöthig gewesen. Nachher
-zu geheimen Plänen, die Sangerheim noch nicht nennen
-durfte, auf Geheiß jener unbekannten Obern, war wieder
-eine bedeutende Summe in Anspruch genommen worden.
-Für die letzteren großen Auslagen hatte der Magier seinem
-gläubigen Schüler eben jene versiegelten und zauberhaft verschlossenen
-Schriften verpfändet, die er bald wieder, durch
-Erstattung jener Summe, auszulösen versprach.
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim machte einen großen Aufwand und lebte in
-der Stadt ganz als ein vornehmer Mann. Der feinen und
-neugierigen Welt war es ein Geheimniß, daß sie nicht ergründen
-konnte, wovon er seine Ausgaben bestritt. Der geheime
-Rath Seebach hätte darüber Bescheid ertheilen können,
-denn beschämt gestand er es sich nicht gern, daß ein großer
-Theil jener so wunderbar geretteten Summe schon wieder
-geschwunden sei, wenn der Zauberer nicht seine Schuld bezahle,
-woran der Gläubiger zu zweifeln anfing. &mdash; Mit
-Schmerz dachte er an den jungen Schmaling, seinen künftigen
-Schwiegersohn, so wie an seinen Hausfreund, den Arzt,
-denn er wußte, daß Beide eifrig mit Sangerheim laborirten.
-</p>
-
-<p>
-Die Familie war erfreut, als der Vater nach langer
-Zeit wieder bei Tische heiter war. Clara besonders wollte
-daraus für ihr Schicksal etwas Glückliches lesen. Als sie
-mit dem Bruder über die Veränderung des Vaters sprach,
-sagte Anton: Dergleichen Verblendung, liebes Kind, kann
-niemals lange dauern. Hätte ich nicht andre Sorgen, so
-wollte ich mich anheischig machen, diesen Kummer mit etwas
-Geduld zu überwinden, oder mit Verstand und Zeit die Getäuschten
-zu heilen. Heut Abend wird nun unser Schmaling
-<a id="page-219" class="pagenum" title="219"></a>
-gründlich in die Lehre genommen werden, und ich möchte
-Vieles verwetten, daß ich ihn Dir schon morgen als einen
-andern Menschen vorführen kann. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim war, jenes Wortes wegen, das er hatte
-fallen lassen, mit sich selber sehr unzufrieden. Er hatte bemerkt,
-wie der Rath dadurch war überrascht worden. &mdash;
-Mag seyn, sprach er zu sich, daß es unbesonnen und zu
-früh ausgesprochen wurde, ich kann mit mir und dem Erfolg
-zufrieden seyn. Sie müssen meine Bemühungen erkennen,
-jene großen, jene mächtigen Männer. Und welches
-Glück, ihnen beigezählt zu werden! Welche Aussicht, daß
-Natur, Geisterreich und Welt mir dient, daß vor mir jedes
-Geheimniß die entstellende Hülle abwirft. &mdash; Und bin ich
-denn noch so weit von diesem glänzenden Ziele entfernt?
-Habe ich denn nicht die Zusage der Edelsten, daß mir bald,
-in weniger Frist Alles soll gewährt seyn? Wie sie mich
-durch Wissen, Kunst und Gold unterstützen, so werden sie
-mir auch die herrlichsten Güter nicht lange mehr verweigern.
-</p>
-
-<p>
-So träumte Sangerheim, und verlor sich in sonderbare
-und weitaussehende Plane.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der Professor Ferner hatte dem jungen Schmaling unter
-dem Siegel der Verschwiegenheit vertraut, daß, wenn er es
-wünsche, er am Abend den weltberühmten Grafen Feliciano
-in seinem Hause sehn könne, welcher incognito angekommen
-sei, um schnell weiter zu reisen. Er machte es ihm aber
-zur Pflicht, seiner Schwester, wie seinen Eltern Nichts davon
-zu sagen, weil sie Beide sonst sich den Zorn des Grafen
-zuziehen würden. Schmaling war über diese Nachricht
-entzückt, und versprach, nicht auszubleiben, indem er zugleich
-<a id="page-220" class="pagenum" title="220"></a>
-versichern mußte, daß sein Herr und Meister, Sangerheim,
-auch Nichts davon erfahren solle.
-</p>
-
-<p>
-Anton stellte sich früher bei Ferner ein, um mit Anderson
-einige Vorkehrungen zu treffen. Wenn es Effekt machen
-soll, sagte der heitre Anderson, so muß ich Euer Haus und
-die Einrichtung desselben etwas genauer kennen lernen. Aber
-sagt mir doch, von welcher Art ist denn jener Kunstjünger
-selbst, den wir heut unserm Genius und dessen Launen aufopfern
-wollen?
-</p>
-
-<p>
-Anton nahm das Wort und sagte: Der junge Mann
-wird jetzt acht und zwanzig Jahre alt seyn und kann im
-Bau des Körpers, im Angesicht, Blick und Wesen fast für
-einen vollkommen schönen Jüngling gelten. Sein Wesen ist
-sanft und einschmeichelnd, sein Charakter ist weich und nachgiebig,
-und so fügte es sich, daß er meiner Schwester, die
-er schon seit lange verehrt hatte, gefiel. Er hat außerdem
-Viel gelernt, ist ein tüchtiger Geschäftsmann, und von seinen
-Vorgesetzten so geachtet, daß sie ihn, so jung er auch
-ist, schon zum Rath ernannt haben. Meine Schwester würde
-einer glücklichen Ehe entgegen sehn, wenn diese Geheimnißkrämerei,
-diese Sucht, sich die Weisheit der Rosenkreuzer und
-andrer Schwärmer anzueignen, nicht das schöne Verhältniß
-jetzt für eine Zeitlang völlig zerstört hätte. Ihr kennt ja,
-theurer Mann, die Begebenheit, die sich in unserm Hause
-zugetragen hat. Seitdem ist er diesem Sangerheim, aus
-dem wir Alle nicht klug werden können, wie mit Leib und
-Seele verschrieben. Könnt Ihr nun, indem Ihr den Leichtgläubigen
-in einer Maske täuscht, ihn dahin bringen, daß
-er von seiner Wundersucht nachläßt, so sind wir Euch den
-größten Dank schuldig.
-</p>
-
-<p>
-Wir werden ja sehn, was wir ausrichten können, erwiederte
-Anderson. Er ging, um sich die Zimmer zu betrachten,
-<a id="page-221" class="pagenum" title="221"></a>
-indessen Ferner bemerkte: Wie seltsam ist es doch,
-daß wir uns zu einer solchen Maskerade vorsätzlich einrichten,
-indessen jener Sangerheim, der so Viele täuscht, doch
-auch kein wirklicher Charakter, sondern nur ein angenommener
-seyn kann. Man kann aber die Bemerkung machen, daß
-man auf jeder Redoute, sobald man die erste Betäubung
-überstanden hat, an alle die seltsamen Masken, die man
-sieht, glaubt, sich diese Wesen in ihren seltsamen Bedeutungen
-vergegenwärtigt, und selbst den vertrautesten Freund,
-wenn er sich nicht ganz hölzern beträgt, sich nicht in seinem
-wahren Charakter deutlich vorstellen kann. Diese sonderbare
-Eigenschaft unsrer Seele, die so gern freiwillig der Täuschung
-entgegen geht, erklärt es einigermaßen, warum die
-Betrüger in der wirklichen Welt in der Regel so leichtes
-Spiel haben.
-</p>
-
-<p>
-Anderson trat wieder zu ihnen und sagte: Um meiner
-Sache gewisser zu werden, fange ich nun schon an, den Feliciano
-zu spielen, den Grafen, den Menschenfreund, den
-Heilkünstler und Geisterseher. Mein Bedienter ist auch draußen,
-und wird mit bei Tische aufwarten, um der Gesellschaft
-mehr Ansehn zu geben.
-</p>
-
-<p>
-Schmaling trat schon, früher als man vermuthet hatte,
-vor Freude zitternd herein. Man begrüßte sich und der
-nachgeahmte Feliciano behandelte ihn, so wie den Professor
-und Anton kalt, und mit ruhigem, herablassendem Stolz.
-Man sprach nur wenig und setzte sich bald an den Tisch zu
-einem leckern Abendessen nieder. Die feinen Weine waren
-nicht gespart.
-</p>
-
-<p>
-Es wollte lange kein lebhaftes Gespräch in den Gang
-kommen, denn Schmaling war zu sehr von <a id="corr-9"></a>Ehrfurcht durchdrungen,
-und der Professor so wie Anton wußten nicht recht,
-wie sie sich nehmen sollten, um nicht zu Viel zu thun, und
-<a id="page-222" class="pagenum" title="222"></a>
-Anderson selbst schien es darauf angelegt zu haben, diese
-beiden Freunde etwas zu quälen, denn es war nicht zu verkennen,
-daß ihre Verlegenheit ihn unterhielt. Endlich, um
-diese drückende Schwüle aufzulösen, fing er an, von seinen
-Reisen zu erzählen, und der Professor erstaunte, mit welcher
-Sicherheit er alle Gegenden bezeichnete, wie richtig er über
-Werke der Malerei und Baukunst urtheilte. Als Feliciano
-nun von Aegypten sprach, von den Wüsten Arabiens, von
-Palästina, Syrien und Persien, und alle Gegenstände mit
-der ruhigen Kunde eines Augenzeugen beschrieb, dachte Ferner
-leise erröthend an seine vorige Bemerkung, denn er hatte
-wirklich während der Rede vergessen, daß dieser Feliciano
-eigentlich Anderson sei.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt war auch der glückliche Schmaling dreister geworden,
-und er wagte es, auf den Gegenstand seiner Forschungen
-und Wißbegier einzulenken. Er war sehr freudig überrascht,
-daß der Wunderthäter auch hierüber frei und offen
-sprach, daß er jene seltsamen Kuren nicht leugnete, und selbst
-andeutete, wie der Stein der Weisen kein Mährchen sei, wie
-ihn Viele schon besessen hätten, und Mancher lebe, der Kenntniß
-von ihm habe.
-</p>
-
-<p>
-So halten Sie, fragte Schmaling wieder schüchtern, die
-wunderbare Erzählung vom Flamel für keine Fabel?
-</p>
-
-<p>
-Wie sollte ich es, antwortete Feliciano, da ich den guten
-Mann selbst noch hundert Jahre früher, als Paul Lucas
-Kunde von ihm bekam, in Indien gesprochen habe?
-</p>
-
-<p>
-Anton fuhr zurück, denn diese Aeußerung schien ihm zu
-stark und den Fremden bloß zu geben, doch Schmaling war
-von seinem Glück schon so berauscht, daß dieser gewagte
-Ausspruch seinen Taumel nur vermehrte.
-</p>
-
-<p>
-Es ist sonderbar, fuhr Feliciano fort, wenigstens erscheint
-es uns Kundigen so, deren Leben nicht wie Spreu
-<a id="page-223" class="pagenum" title="223"></a>
-verweht, wenn die Menschen Dinge wunderbar, seltsam und
-unbegreiflich nennen, die eigentlich die einfachsten und natürlichsten
-sind. Ist denn der Mensch ursprünglich dazu geschaffen,
-um den Thau aus der Blume, wie der Schmetterling,
-zu saugen, und wie dieser Augenblicks wieder zu vergehn?
-Sagt nicht die Schrift das Gegentheil? Wenn nun
-Weisheit und Kenntniß der Patriarchen und andrer Heiligen,
-sorgsam aufbewahrt von Geschlecht zu Geschlecht, dem Auserwählten,
-der sich dessen würdig macht, mitgetheilt wird, &mdash;
-wo ist das Unbegreifliche, oder nur Seltsame? Die Erzväter
-lebten Jahrhunderte, und wer ihrer nicht unwürdig ist,
-mag auch noch jetzt ihnen darin ähnlich werden. Wir haben
-vielleicht noch den Vorzug vor ihnen, daß wir Wissenschaft
-und Kunst späterer Zeit mit jenen uralten der früheren Tage,
-die für die meisten Menschen schon längst verloren gegangen
-sind, vereinigen können.
-</p>
-
-<p>
-Anton winkte dem Gelehrten, als freue er sich, daß Anderson
-so geschickt seine vorige Uebertreibung verbessert habe.
-Feliciano fuhr fort: Und so mag ich Ihnen sagen, und Sie
-werden sich hoffentlich nicht mehr darüber verwundern, daß
-ich noch frühere Personen gesehn und gekannt habe. Es war
-mir vergönnt, ein Freund des großen und heiligen Dante
-zu seyn. Viele Verwirrungen der Welt, viele große Entwicklungen
-der Geschichte habe ich gesehn, und immer wieder,
-wenn mein Gemüth durch dieses weltliche Treiben zu sehr
-gestört wurde, zog ich mich in die Wüsten Aegyptens oder
-Arabiens zurück, oder begab mich in meine Lieblingslandschaften
-an dem Ganges, wo ich denn wieder mit Flamel
-und manchem andern Adepten lebte. Ich habe bemerkt, daß
-seit drei Jahrhunderten die Kunst sehr gesunken ist, denn so
-lange wird es jetzt seyn, daß ich keinen neuen Ankömmling
-in unserm Kreise gesehn habe.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-224" class="pagenum" title="224"></a>
-Schmaling sagte verlegen: und möglich wäre es, sich
-diesen hohen Sterblichen, die man fast Unsterbliche nennen
-möchte, anzuschließen? Ist es zu hoffen, daß diese großen
-Geister den Schüler, der ihnen gegenüber immerdar unwürdig
-erscheinen muß, nicht zurückweisen werden?
-</p>
-
-<p>
-Alles hängt davon ab, antwortete Feliciano, welche
-Bahn dieser Lehrling wandelt, ob er sich zu der rechten gesellt,
-und ob seine Lehrer ihn nicht vielleicht der Weihe unfähig
-machen.
-</p>
-
-<p>
-Und woran soll man das Wahre oder Falsche erkennen?
-fragte Schmaling.
-</p>
-
-<p>
-Auf vielfache Weise, erwiederte der Magus: ich dürfte
-nur geradezu sagen, ich selbst kann Euch aus meinem Munde
-den besten und sichersten Bescheid ertheilen. Indessen &mdash; ist
-ein Kind hier im Hause? fragte er, gegen den Professor
-gewendet.
-</p>
-
-<p>
-Ich habe zwei Knaben, antwortete dieser in der höchsten
-Verlegenheit, denn dies war gegen die Abrede, und Ferner
-begriff nicht, wohin dies führen sollte.
-</p>
-
-<p>
-Wie alt? fragte Feliciano.
-</p>
-
-<p>
-Der Eine zwölf, der Jüngere neun Jahr.
-</p>
-
-<p>
-So laßt mir den Jüngeren kommen, Freund, war die
-Antwort, und daß uns dann die Dienerschaft nicht störe.
-</p>
-
-<p>
-Ferner ging, verwirrt und in sich selber ungewiß. Er
-kam mit dem heitern, blondlockigen Knaben zurück, der hell
-und klar aus seinen großen freundlichen Augen schaute.
-</p>
-
-<p>
-Der Zauberer ließ das Kind zu sich kommen, beschaute
-es ernst, hieß die Hände zeigen, betastete den Kopf des Kindes,
-und indem er mit feierlichem Anstande die rechte Hand
-auf dem Haupte des Knaben ruhen ließ, fragte er ihn: Wie
-ist Dir jetzt? Empfindest Du Etwas?
-</p>
-
-<p>
-Ach! rief das Kind: mir wird so wohl, so hell, mir ist,
-<a id="page-225" class="pagenum" title="225"></a>
-als könnt&rsquo; ich singen, so leicht als möcht&rsquo; ich fliegen, das
-Auge so licht, als könnt&rsquo; ich durch die Wände sehn.
-</p>
-
-<p>
-Bleibe so stehn, mein Sohn, sagte Feliciano sehr ernst,
-und, da nichts Anders zugegen ist, das uns dienen könnte,
-so hefte Deine Augen auf den klaren Kristall dieser Wasserflasche,
-und sage mir, was Du siehst.
-</p>
-
-<p>
-Anton wie Ferner waren im höchsten Erstaunen, was
-sich aus dieser Anstalt, von der sie nicht die kleinste Ahndung
-gehabt hatten, ergeben solle. Schmaling war in Bewunderung
-aufgelöst. Die größte Stille herrschte.
-</p>
-
-<p>
-Ich sehe, fing das Kind an, einen jungen Herrn, einen
-schönen jungen Herrn, hübsch in Kleidern, schlank gewachsen:
-mir ist, ich kenne den Herrn. Ich glaube, es ist der Mann
-hier in der Stube. Er steht aber in einem fremden Zimmer:
-ganz fremd. Da kommt ein andrer Herr: auch der ist
-noch nicht alt; etwas größer. Sie sprechen. Dreiecke, Vierecke
-sind aufgestellt: Sonnen, Monde. Sie sprechen. Ach! &mdash;
-mit lautem Ruf sagte der Kleine &mdash; da schwebt so klar, ganz
-hell, glänzend, ein schönes Frauenbild zwischen ihnen herab.
-Es küßt den hübschen Herrn auf die Stirn.
-</p>
-
-<p>
-Genug, sagte der Magus, und zog die Hand zurück. &mdash;
-Siehst Du noch Etwas?
-</p>
-
-<p>
-Unsre Wasserflasche, sagte der Kleine, und ich bin ganz
-müde.
-</p>
-
-<p>
-Jüngling, sagte der Magus hierauf zu Schmaling, Du
-bist dermalen auf dem richtigen Wege, verfolge ihn mit Muth
-und Standhaftigkeit, und das Ziel wird Dir nicht entgehn.
-Dein Führer, dem Du Dich anvertraut hast, ist der wahre,
-sonst wäre die göttliche Sophia nicht niedergeschwebt, und
-hätte, dem Kinde sichtbar, Deine Stirn mit einem Himmelskusse
-berührt. &mdash; Er reichte dem Jüngling die Hand, und
-dieser küßte sie mit inbrünstiger Ehrfurcht.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-226" class="pagenum" title="226"></a>
-Anton war höchst betreten, überrascht, und konnte in
-leidenschaftlicher Verwirrung nicht seine Begriffe ordnen und
-sammeln. Dies Alles war so sehr gegen die Abrede, Anderson
-erschien ihm so fremd, in einer so neuen Gestalt, daß
-ihm das Wort auf der Zunge versagte, als er ihn anreden
-wollte, denn der Magus sah ihn mit einem so feurigen,
-durchdringenden Blicke an, daß er verlegen die Augen niederschlug.
-Der Gelehrte war eben so verwirrt, denn die Scene
-hatte sich so völlig umgestaltet, daß er sich im eignen Wohnzimmer
-als ein Fremder fühlte.
-</p>
-
-<p>
-Du glaubtest, mein Anton, fing der Zauberer an, durch
-einen fremden Mann diesem Jüngling einen Scherz und
-Trug zu bereiten, und Du, Kurzsichtiger, bist der Getäuschte.
-Ja, wisse denn, ich bin wirklich und in der That jener weit
-bekannte Feliciano, den die Welt früher schon mit andern
-Namen nannte. Du staunst? Du zweifelst noch? Er faßte
-das Kind, stellte es wieder vor den Tisch, murmelte einige
-Worte, blickte starr eine geraume Zeit empor, indem er die
-Lippen bewegte, und legte dann seine rechte Hand wieder
-auf den Kopf des Kindes. Was siehst Du für ein Schicksal?
-fragte er dann mit schneidendem Ton.
-</p>
-
-<p>
-Ei! ei! rief der Kleine; ach! grüne Bäume, ein Dorf:
-ein kleines, liebes Haus da, auch eine Wiese, ein klares
-Wässerchen, und eine Mühle nicht weit davon. Ein junger
-Herr spaziert da, ich kenne ihn auch, er kommt oft zu uns,
-ja er ist jetzt bei uns. Schau, da tritt ein hübsches Bauernmädchen
-zu ihm, und sie gehn in das kleine Haus.
-</p>
-
-<p>
-Anton war blaß. Er hatte sich erhoben, konnte sich
-aber zitternd nicht mehr aufrechthalten und setzte sich nieder.
-</p>
-
-<p>
-Der Knabe fuhr fort, in das Glas schauend: sie streiten
-heftig im Zimmer, sie nimmt ein Bild aus ihrem Busen und
-tritt es mit Füßen. Er geht und droht. Sie reißt ihre
-<a id="page-227" class="pagenum" title="227"></a>
-Mütze vom Kopf, die Haare fliegen. Sie rennt nach dem
-Tische und zieht ein großes Messer hervor. Dann sieht sie
-nach dem Bach und dem Wasser. Sie schwört, sie macht
-schreckliche Geberden.
-</p>
-
-<p>
-Der Magus ließ die Hand vom Kopf des Kleinen und
-ein gelber Blitz zuckte blendend durch das Zimmer, ein lauter
-Donnerschlag erschütterte das Haus. Wie ein Rauch
-stand plötzlich ein blasses Frauenbild da, drohend die Hand
-gegen Anton erhoben. Dieser stürzte entsetzt vom Sessel auf
-den Boden. Alles verschwand und die Lichter brannten wieder
-hell.
-</p>
-
-<p>
-Nun, wendete sich der Zauberer zum Gelehrten, soll
-ich Dir auch noch beweisen, daß ich der wahre Feliciano
-und kein Trugbild sei? Soll ich Dir Deine geheimsten Gedanken
-und Absichten oder Deine Zukunft sagen?
-</p>
-
-<p>
-Ferner erwiederte bleich und geängstigt nur Weniges.
-Du glaubtest, fuhr Feliciano fort, indem er den zerstörten
-Anton vom Boden erhob, kein Mensch in der Stadt kenne
-Dein Verhältniß zu jenem unglücklichen Mädchen, die Du
-Deinem Ehrgeiz aufopferst. Noch ist die letzte Zeit, noch
-kannst Du sie retten.
-</p>
-
-<p>
-Es war schon spät, aber Anton stürzte fort und eilte
-zu Pferde noch in der Nacht zu seiner Geliebten hinaus.
-Der Magus hatte sich entfernt, aber Niemand hatte ihn zur
-Thür hinaus gehn sehn.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-So hatte diese Zusammenkunft ganz anders geendet,
-als es die Freunde und Clara erwartet hatten. Diese sah
-ihren Bruder am Abend nicht und auch nicht am folgenden
-Morgen. Man war im Hause um ihn besorgt. Der Vater,
-<a id="page-228" class="pagenum" title="228"></a>
-der einen kurzen, leidenschaftlichen Brief von Anton erhalten
-hatte, lösete mit kummervollem Antlitz das Räthsel.
-</p>
-
-<p>
-Der Sohn war in der Nacht angekommen. Er vernahm,
-daß um die Zeit, als das unglückliche verführte Mädchen
-ihm im Zimmer seines Freundes erschienen war, sie in
-einem Todtenschlafe, so daß sie nicht zu erwecken war, gelegen
-hatte. Als sie sich wieder besonnen und mit den tief
-bekümmerten Eltern gesprochen hatte, legten sich diese, nach
-einem kurzen Abendessen, zur Ruhe. Als im Hause Alles
-still war, hatte sie noch einen Brief an ihren Ungetreuen geschrieben,
-der sich ihrer schämte, und ihre Dürftigkeit und
-ihren Stand verachtete. Als sie mühsam und unter vielen
-Thränen den Brief geendigt hatte, ging sie noch lange auf
-und ab, um ihr Elend ganz zu fühlen und ihren schrecklichen
-Entschluß in sich reif werden zu lassen. Sie hatte nicht
-den Muth, sich ihren Eltern zu vertrauen, weil sie den Zorn
-des heftigen Vaters fürchtete. Sie fühlte, wie nahe sie ihrer
-Niederkunft sei, und hatte keinen Vertrauten, wußte keine
-Hülfe zu ersinnen. Anton hatte sie in der Stadt als eine
-Unbekannte unterbringen, und für sie sorgen wollen, sie aber
-hatte mit Abscheu alle seine Vorschläge abgewiesen, da er
-nicht mehr für sie zu thun gesonnen war, so dringend sie
-ihn auch an seine früheren Versprechungen und Eide erinnerte.
-Er wollte aufschieben und Zeit gewinnen: er fürchtete
-ebenfalls seinen Vater, seine Vorgesetzten, auch war die
-frühere Liebe wohl erkaltet. Sie sah keinen Ausweg und
-ging jetzt in der finstern Nacht den Bach entlang, um in
-den brausenden Mühlsturz sich und ihr ungebornes Kind und
-alle ihre Sorgen zu begraben.
-</p>
-
-<p>
-Indem sie nach der Mühle zulenkte, hörte sie auf der
-Landstraße ein brausendes, jagendes Pferd. Es war Anton.
-Seine Todesangst erkannte schon aus der Ferne ihren Schatten.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-229" class="pagenum" title="229"></a>
-Der geheime Rath Seebach meldete seiner Familie, daß
-sich sein Sohn am frühen Morgen mit einem Bauermädchen
-verheirathet habe. Was der kurze, heftige Brief nicht sagte,
-ergänzte seine Ahndung. Die Mutter, aus einer alten adeligen
-Familie, einem angesehenen Edelmanne vermählt, war
-außer sich, weil dieser Sohn ihr Stolz und ihre größte
-Hoffnung gewesen war. Clara war mehr verwundert als
-betrübt, und zürnte dem Bruder, daß er ihr und den Eltern
-aus diesem Verhältniß ein Geheimniß gemacht hatte.
-</p>
-
-<p>
-Traurig ist es, sagte der Vater, denn er hat sich durch
-den raschen Schritt, durch diese Unbesonnenheit die Thüre zu
-allen höheren Stellen verschlossen. Es ist aber so, mag es
-auch kommen, wie es will, besser, als wenn er ein Verbrechen
-begangen hätte. Wir werden uns an die Tochter
-gewöhnen, und wenn mein Sohn Ehrenstellen einbüßt, so
-hält er doch sein Wort und bleibt ein Mann von Ehre. Wo
-das Schicksal so ernst in die Verhältnisse des Lebens tritt,
-da soll man nicht mehr klügeln, sondern in Demuth den
-hohen Willen anerkennen. Ich weiß, daß die Liebe seiner
-Eltern nicht dadurch wird vermindert werden.
-</p>
-
-<p>
-Die Mutter weinte heftig, so sehr sie auch der Vater
-und Clara zu beruhigen suchten. Der Vater schrieb dem
-Sohne mit dem rückgehenden Boten einen herzlichen Brief,
-in welchem er ihm Alles vergab und ihn ermunterte, sein
-Leben nun tüchtig und stark anzufassen. Die Stadt war
-bald von dieser sonderbaren Begebenheit angefüllt, über
-welche Jeder nach seinem Standpunkt und seinen Vorurtheilen
-sprach.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-So war nun in allen Verhältnissen der Familie eine
-große Veränderung eingetreten. Der Sohn kam vor der
-<a id="page-230" class="pagenum" title="230"></a>
-Niederkunft seiner Frau nicht zur Stadt. Nachher zeigte er
-sich den Eltern, getröstet, aber nicht froh, und späterhin
-führte er Agnes, die Bäuerin, bei ihnen ein, mit der er
-ein eignes kleines Haus in der Vorstadt bezog. Nichts wollte
-sich fügen und in einander schicken, und Jeder gestand sich,
-daß, wenn die Sache unabänderlich war, diese Frau, durch
-welche die Laufbahn des Sohnes gehemmt war, in den Kreis
-der Familie doch nicht passe. Es war schon die Rede davon,
-daß er das Gut des Vaters bewirthschaften solle; indessen
-schien auch dieses bedenklich, da Anton sich niemals
-um die Landwirthschaft gekümmert hatte. Was den Vater
-aber mehr, als diese Stellung seines Sohnes kümmerte,
-war, daß er ein schwärmerischer Anhänger dieses Feliciano
-geworden, von dessen Seite er kaum mehr wich, und so erlebte
-er nun, daß Sohn und Schwiegersohn sich diesem
-Schwindel ergaben, von dem er selbst wieder geheilt schien.
-Er erstaunte, daß auch sein ruhiger Freund, der Gelehrte,
-der ihm immer ein Muster in der ruhigen Haltung erschienen
-war, ebenfalls nach jener Begebenheit sich als einen
-fanatischen Anhänger des Feliciano erklärte. Auch der alte
-Obrist neigte zu dieser Schwärmerei hinüber, und nicht bloß
-im Hause des geheimen Rathes, sondern in den meisten
-Häusern der Stadt, wurde Feliciano der erste und wunderbarste
-aller Menschen genannt.
-</p>
-
-<p>
-Ein Taumel bemächtigte sich, als es erst bekannt worden
-war, daß der berühmte Feliciano zugegen sei, der ganzen
-Stadt. Jedermann wollte ihn kennen lernen, jede Gesellschaft
-wollte ihn in ihrer Mitte sehn. Er gewann in
-kurzer Zeit viele Anhänger und Freunde, und die angesehensten
-Männer, die höchsten vom Adel bewarben sich um
-seine Gunst. Er erklärte, daß er nur kurze Zeit verweilen
-könne, weil er in großen und wichtigen Geschäften nach dem
-<a id="page-231" class="pagenum" title="231"></a>
-Norden gehn müsse, auch erlaubten ihm seine geheimnißvollen
-Arbeiten nicht, sich zu sehr in der Welt zu verbreiten.
-Die wichtigsten Männer versammelte er um sich in seiner
-Loge. Man sprach von den seltsamsten Wundern, die hier
-in geheimen Zusammenkünften vorgefallen waren. Der Professor,
-so schien es, hatte seinen jüngsten Knaben ganz dem
-Wunderthäter überlassen, denn das Kind weissagte oft aus
-dem Kristall, den Feliciano künstlicher, als es an jenem
-Abend geschehen war, in seinen Gesellschaften aufstellte. Der
-Arzt Huber arbeitete indessen mit Sangerheim und Schmaling,
-Jeder bestrebte sich, von allen diesen geheimen Künsten
-Zeuge zu seyn, oder durch Freunde wenigstens Etwas von
-ihnen zu vernehmen, und selbst die Frauen und Mädchen
-wünschten an diesen Wunderwerken Theil zu nehmen, oder
-auch in irgend eine mysteriöse Verbindung zu treten. Feliciano
-hatte sie eigentlich selbst zuerst auf diesen Wunsch geführt,
-und er stiftete auch bald darauf eine Loge für Damen,
-die nun auch mit mystischen Abzeichen prangten, sich gegenseitig
-an Gruß und Handdruck erkannten, und von Fortschritten
-in Weisheit und Wissenschaft träumten. Auch die
-Mutter Clara&rsquo;s hatte sich in diesen Orden aufnehmen lassen.
-</p>
-
-<p>
-So war die arme Clara von Jedermann verlassen, denn
-beim Vater, der über alle diese Sachen verstimmt war, konnte
-sie nur wenig Trost finden. Der Graf Feliciano hatte alle
-Künste der Ueberredung angewendet, das schöne Mädchen
-auch zu dem Uebertritt in seinen neugestifteten Orden zu
-überreden, in welchem seine Gemahlin, die seitdem auch aus
-dem Inkognito hervor getreten war, den Vorsitz führte. Es
-gelang ihm aber so wenig, daß im Gegentheil der Widerwille
-Clara&rsquo;s gegen alle diese Dinge immer mehr gesteigert
-wurde. Wie kann der Mensch, sagte sie einmal in einer
-aufgeregten Stimmung zu ihrem Vater, nur so verkehrt seyn,
-<a id="page-232" class="pagenum" title="232"></a>
-in der Umkehrung des Natürlichen sein Heil zu suchen? Man
-fühlt sich ja als Mensch nur wohl, wenn Alles in der
-gewöhnlichen Bahn fortschreitet, wenn das, was sich als
-nothwendig ankündigt, ganz einfach und schlicht geschieht.
-Entwickelt sich in diesem Lebensgange eine große That, eine
-schöne Aufopferung, so freut es uns um so mehr, daß uns
-das Göttliche aus den Elementen gewebt ist, die uns zunächst
-umgeben, daß wir fühlen, auch uns könnte in einer
-geweihten Stunde dasselbe begegnen, oder unsre Seele könnte
-auch dieselbe Höhe erstreben. Ziehn wir uns doch mit Widerwillen
-von der Nahrung zurück, die uns zu fremdartig dünkt,
-deren Zurichtung unserm Gaumen widersteht: aber schlimmer
-als überreifes Wild, oder der verpestete <span class="antiqua">haut goût</span> der
-Assa fötida, und der Vogelnester und ähnlicher abscheulicher
-Dinge ist es, diese Knoblauch-Tinktur von Wunderglauben,
-tollen Fabeln und aberwitzigen Bestrebungen in seine Seele
-aufzunehmen.
-</p>
-
-<p>
-Der Vater erwiederte: Du bist zu zornig, liebes Kind.
-Laß die Menschen gewähren, der Krankheitsstoff muß austoben.
-Alles Sprechen dagegen nutzt nicht, unfruchtbar ist
-das Moralisiren; der Dämon, der die Menschen besitzt und
-treibt, wird endlich seines Spieles selbst müde. Deine kühne
-Vergleichung paßt auch nicht ganz; man könnte eben so gut
-die entgegengesetzten Bilder brauchen. Wen versucht nicht
-der reife, köstliche Pfirsich? die duftende Ananas? die lockende,
-rothe Kirsche, vorzüglich in der Jugend? Und was wäre
-unser Leben, wenn Alles so plan verständlich wäre? Alle
-Tage unausgesetzt die nahrhafte Hausmannskost des redlichen
-Treibens, der guten Gedanken? Aus Natur und Kunst,
-aus Liebe und Scherz, aus Religion und Gemüth winkt uns
-ein Geheimniß an, dem wir näher kommen möchten: es zieht
-uns nach durch Gefild und Wald. Jetzt glauben wir es zu
-<a id="page-233" class="pagenum" title="233"></a>
-erblicken, dann ist es wieder entschwunden. Von dieser Sehnsucht,
-die ohne Gegenstand scheint, werden die besten Kräfte
-unsrer Seele getränkt, und wenn sie erlöschen könnte, würden
-wir in uns selbst verschmachten. Alle schönen Triebe der
-Freundschaft, des Wohlwollens, der Menschenliebe, aller
-Enthusiasmus für das Gute und Schöne quillt ebenfalls aus
-dieser geheimnißvollen Gegend unsrer Seele.
-</p>
-
-<p>
-Mag es seyn, antwortete die Tochter, aber ich sehe und
-erlebe es doch, daß, wenn diese Sucht, oder der Trieb auch
-innigst mit dem Schönen eins ist, sie doch auf ihrem fortgesetzten
-Wege sich in das gespenstig Aberwitzige verwandeln
-können. Der Mensch muß ja doch mit festem Charakter und
-unbezwinglichem Willen in der Mitte stehen bleiben, daß
-Glauben sich nicht in Aberglauben, Sinn in Thorheit, Tugend
-nicht in Laster verwandle. Ist jene Sehnsucht überirdischer
-Natur, so ist dieser einfache starke Wille wohl auch
-göttlicher Abkunft, der wie ein unüberwindlicher Riese den
-Schatz der Vernunft und des Guten bewachen soll, welcher
-dem Menschen von Gott ist anvertraut worden. Mir dünkt,
-gegen tausend wunderliche Dinge, die auf uns eindringen,
-gegen unzählige Gelüste, die uns überreden möchten, giebt
-es keine andre Waffe, als daß ich sage und immer wieder
-sage: es soll nicht seyn! Lasse ich dieses Schwert im Schlummer
-einmal fallen, so kann ich gar nicht mehr wissen, wohin
-mich alle jene Sophistereien führen könnten.
-</p>
-
-<p>
-Diese starre Vernunft, sagte der Vater, reicht aber auch
-nicht aus: sie kann Tugend seyn, widersteht aber eben so oft
-der Liebe als dem Unrecht, läßt auch die Wahrheit, indem
-sich die Liebe abkämpft, nicht auf sich eindringen.
-</p>
-
-<p>
-Wahrheit! das große Wort! rief sie aus, das eben so
-wohl Alles wie Nichts bedeutet. Wer hat es nicht schon
-gemißbraucht? Je demüthiger wir uns dem unterwerfen,
-<a id="page-234" class="pagenum" title="234"></a>
-was das Leben von uns verlangt, je sanfter und stiller wir
-dem folgen, was uns zu unserm Heil offenbart ist, je weniger
-wir grübeln und klügeln, und die Anmaßung von uns
-fern halten, über dem Begreifen zu stehen, es zu meistern
-und nach Gutdünken zu handhaben, um so mehr wir dem
-Vorwitz Einhalt thun, da nicht hinschauen zu wollen, wo
-sich in der Leere unserm irdischen Blick nur Gespenster erschaffen,
-um so mehr, glaube ich, bleiben wir der Wahrheit
-getreu.
-</p>
-
-<p>
-Wohl mein Kind, sagte der Rath: denn wie ich schon
-sonst behauptete, wenn das Böse auch ein Nichts ist, so erwecken
-wir es doch wohl und theilen ihm unsre Kräfte mit,
-indem wir es glauben und uns dem Nichtigen ergeben. Hat
-es erst von uns diese Stärke empfangen, so wird es wohl oft
-so gewaltig, daß es uns und jeden Widerstand besiegt, der
-nicht die göttliche Wahrheit selbst zu Hülfe ruft. In diesem
-Bilde kann man sich die Erscheinung der bösen Geister denken,
-die der Magier aufruft. &mdash; Und so möchte man freilich
-glauben, Wahrheit sei in allen Dingen zu finden, sie liege
-auch dem Irrthum zum Grunde, nur hüte sich der Mensch,
-einer Regung, einer Aufwallung, oder einem Gedanken unbedingt
-und zu dreist zu folgen, denn rechts und links liegt
-die Unwahrheit und Täuschung, und er wandelt nur recht
-auf einer schmalen Linie.
-</p>
-
-<p>
-Wenn es so ist, erwiederte Clara, so ist es eben das
-Sicherste, dem Alltäglichen getreu zu bleiben, was vielen beflügelten
-Geistern als das Gemeine erscheint. Will sich der
-Mensch erheben, wird er, wie der fliegende Schmetterling,
-von Schwalben und Sperlingen weggehascht, und bleibt er
-unten am Boden, so wohnt er beim Gewürm, aber nährt sich
-auch vom Thau, der in den Rosen und Lilien glänzt. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Nicht nur die Familie des Rathes war in Verwirrung
-<a id="page-235" class="pagenum" title="235"></a>
-gerathen, sondern man konnte dies von der ganzen Stadt
-behaupten. Dem alten Seebach war es aber verdrüßlich, daß
-von den Vernünftigen, die sich nicht hinreißen ließen, Alles
-was geschah, mit ihm und seinem Sohn, so wie mit jener
-Entdeckung Sangerheims in Verbindung gebracht wurde. Es
-ließ sich nicht leugnen, daß jener Vorfall, der viel Aufsehn
-erregt hatte, zu allen spätern Wunderlichkeiten gleichsam das
-Signal gegeben hatte. Die sonderbare Verheirathung des
-Sohnes, die Schwärmerei Schmalings, die Operationen des
-Grafen so wie Sangerheims, die weibliche Loge, in die sich
-seine Gattin sehr gegen seinen Willen hatte aufnehmen lassen,
-die Seltsamkeiten, die sowohl der Arzt Huber, wie der
-Professor Ferner, vernehmen ließen, die Ausschweifungen
-mancher Reichen, die sich ganz der Hoffnung ergaben, die
-Kunst des Goldmachens zu entdecken, und in dieser Aussicht
-ihr Vermögen verschwendeten, Geister-Erscheinungen, durch
-welche man in mächtigen Familien dieses und jenes hatte
-durchsetzen wollen, alles Dies, vergrößert, mit Erfindungen
-ausgeschmückt, Alles wurde hauptsächlich auf Rechnung des
-alten erfahrnen Seebach geschrieben, um so mehr, weil man
-wußte, daß er auf eine Zeitlang sich diesen seltsamen Künsten
-ergeben hatte. Es half ihm Nichts, daß er sich wieder
-zurückgezogen hatte, daß er den Umgang Sangerheims und
-noch mehr des Grafen vermied, die meisten Menschen, auch
-seine Collegen und selbst seine Freunde hielten ihn für den
-Stifter aller dieser Irrungen. So bedrängte ihn, außer
-den häuslichen Kränkungen, noch das Gefühl, daß er so vielen
-wackern und einflußreichen Leuten für einen zweideutigen
-und gefährlichen Mann galt. Vieles von diesem geheimnißvollen
-Umtreiben kam auch vor das Ohr des Fürsten, der,
-da die Sache laut und weltkundig wurde, ein großes Mißfallen
-bezeigte, und dem Rathe, der sich gar nicht mehr mit
-<a id="page-236" class="pagenum" title="236"></a>
-diesen Dingen befassen mochte, andeuten ließ, sich zu mäßigen.
-Am schlimmsten aber waren dem gekränkten Seebach
-die Maurer von der alten Ordnung aufsässig, die in Allem
-nur die Absicht sahen, daß sie gestürzt werden sollten, &mdash;
-welches die mystischen Logen auch laut genug aussprachen, &mdash;
-und nun empört den Rath als einen abtrünnigen Bruder
-behandelten, der aus weit ausgreifenden Absichten sich diesen
-Rebellen verbunden habe, um als das Haupt dieser geheimnißvollen
-Gesellschaft Verderbliches zu wirken.
-</p>
-
-<p>
-Meine Tochter hat Recht, sagte der Rath zu sich selber,
-wie hart werde ich für meine Neugier oder Wißbegier
-gestraft, die Anfangs so löblich oder unschuldig aussah. Hielt
-ich mich doch für so kühl und weise, um allen Versuchungen
-Widerstand leisten zu können. Aber ein Glied reiht sich an
-das andre, und unvermerkt ist die Kette fertig.
-</p>
-
-<p>
-Es schien aber, als wenn zwei Wunderthäter für Eine
-Stadt, wenn sie auch groß war, zu viel seien. Der Graf
-hatte sogleich abreisen wollen, verlängerte aber seinen Aufenthalt
-von einem Tag zum andern. Sein Wirkungskreis schien
-sich auszubreiten, so wie der Sangerheims abnahm, da viele
-von dessen Jüngern zum größern Meister abfielen. Darum
-führte Sangerheim den Vorsatz aus, zu welchem er schon
-seit einiger Zeit Alles vorbereitet hatte, sich nach einer andern
-reichen und angesehenen Stadt zu begeben, wo er, da
-sein Ruf ihm schon vorangegangen war, gleich mit dem
-größten Glanze auftrat, die ältern Maurer beschimpfte, ihnen
-ihre Lehrlinge entzog, und Zeichen und Wunder aller Art
-verrichtete. Der Geheimrath erlebte die neue Kränkung,
-daß Schmaling, unter dem Vorwande einer Krankheit, von
-seinem Minister einen unbestimmten Urlaub nahm, und dem
-Abentheurer nach jener Stadt hin folgte, um in seiner Nähe
-und nach seiner Anweisung seine geheimnißvollen Arbeiten
-<a id="page-237" class="pagenum" title="237"></a>
-fortzusetzen. Schmalings Abschied von Clara war kalt, und
-sie war so erzürnt, daß nur Wenig fehlte, so hätten Beide
-ihre Trennung für immer ausgesprochen. Aber da Beide
-sich noch mäßigten, so blieb es bei unbestimmten Ausdrücken,
-die Jeder nach Gefallen deuten konnte.
-</p>
-
-<p>
-Seinen Sohn sah der Rath nur selten, weil er ganz
-dem Grafen und dessen Befehlen und Operationen lebte.
-Die Gattin war in der weiblichen Loge sehr thätig, und jetzt
-mit der niedrig gebornen Frau ihres Sohnes ganz ausgesöhnt,
-weil auch diese, die allen Glanz ihrer Jugend wieder
-erhalten hatte, vom Grafen zur Bundesschwester war geweiht
-worden. Huber war ebenfalls dem Adepten Sangerheim
-nachgereiset, um in seiner Kunst vollkommener zu werden.
-</p>
-
-<p>
-Clara war im Schmerz außer sich, als der Vater nach
-einiger Zeit von Schmaling einen sonderbaren Brief erhielt,
-den er der Tochter mittheilen mußte. Der künftige Schwiegersohn
-schrieb nehmlich Folgendes:
-</p>
-
-<p>
-Im Begriff, einen sehr wichtigen und entscheidenden
-Schritt in meinem Leben zu thun, halte ich es für meine
-Pflicht, Sie, Verehrter, und meine geliebte Clara in Kenntniß
-zu setzen, was ich zu thun gesonnen bin, was ich nicht
-unterlassen kann und darf. Daß mein Gemüth sich seit lange
-dem Reiche der Geheimnisse zugewendet hat, wissen Sie
-schon, daß mein Herz nur Ruhe finden kann, wenn diese
-Sehnsucht gestillt wird, werden Sie begreifen. Aber wie
-kann, wie soll es geschehn? Ich habe manche Grade erhalten,
-ich bin Zeuge von vielen Wundern gewesen, seltne
-Kenntnisse sind mir geworden, große, heilige Schauungen
-haben meine Seele erst erschüttert, und sind mir dann einheimisch
-geblieben. Daß ich niemals zu jenen Verächtern
-unserer Religion gehört habe, die in unsern Tagen den Ton
-angeben, wissen Sie ebenfalls. Ich habe geforscht, die heiligen
-<a id="page-238" class="pagenum" title="238"></a>
-Schriften sind mir vertraut und ehrwürdig, aber was
-die Kirche und ihre Priester mir gaben, konnte meinem brünstigen
-Geiste nicht genügen. Auch hier hat mir der begeisterte
-Sangerheim neue Wege gewiesen. Die Tradition, die Wunder
-der ältern katholischen Kirche, ihre heilige Messe, die
-himmlischen Legenden, die Gegenwart, die unmittelbare,
-Christi in der Hostie, die Liebe der Mutter Gottes, die
-Bilder und die Musik, &mdash; warum sollen wir unser reiches
-Herz allen diesen Gaben verschließen? Warum nicht nehmen,
-was uns so liebreich geboten wird? Um ganz der Einweihung
-in die Mysterien würdig zu werden, um die Grade
-empfangen zu können, und die Strahlen des Lichtes, nach
-denen ich mich sehne, ist es nothwendig, wie mir mein Lehrer
-sagt, daß ich meinen jetzigen Standpunkt in der Kirche
-aufgebe, die Ueberzeugung, die mir ja niemals eine war,
-weil sie mein brennendes Herz so leer ließ, daß ich zur
-ältern, eigentlichen christlichen Kirche zurückkehre, die mütterlich
-jedem Verirrten die Arme entgegenbreitet. Ist dieser
-nothwendige Schritt geschehn, so sind mir alle Geheimnisse
-des Ordens zugänglich und offen, die Vereinigung mit jenen
-ehrwürdigen Männern, den unbekannten Obern, ist mir
-dann möglich, mit jenen erhabnen Geistern, denen die Verwahrung
-aller Geheimnisse anvertraut ist. Diese nahe Weihe,
-diese Nothwendigkeit der Veränderung hat der Meister mir
-nur allein, als seinem Lieblinge, entdeckt, die andern Schüler
-sind dieser Erklärung noch nicht fähig und würdig. &mdash;
-Von Ihnen, verehrter Mann, bin ich nun keiner Einreden
-und keiner Mißbilligung gewärtig, da ich weiß, wie billig
-Sie sind, wie aufgeklärt Sie denken. Es kann bei Ihnen
-unmöglich in Anschlag kommen, daß ich meine jetzige Stelle
-und jeden künftigen Staatsdienst aufgeben muß, denn den
-höheren Pflichten müssen die niedrigern weichen. Es ist ja
-<a id="page-239" class="pagenum" title="239"></a>
-nichts Weltliches, Ehre oder Reichthum, was ich durch diese
-Rückkehr in die Mutterkirche erstrebe: sondern das Unsterbliche,
-die Erleuchtung, das Verständniß selbst. Wie aber
-wird Clara es aufnehmen, wenn sie meinen Entschluß erfährt?
-Sie klebt, fürchte ich, allzusehr am Irdischen, um
-sich in die freiere Region des Geistes erheben zu können.
-Ich hatte immer gehofft, ihr Sinn würde sich in der Liebe
-poetischer bilden, daß sie es wenigstens fühlte, wenn auch
-nicht einsähe, wie arm jenes Leben ist, dem sie sich ergeben
-hat. Suchen Sie sie zu stimmen, verehrter Vater, daß sie
-mich nicht mißversteht, Sie, der Sie ja auch der Wissenschaft
-manches Opfer brachten. Und was ist es denn auch mit
-dem Weltlichen und Irdischen? Besitze ich nicht eignes Vermögen?
-Auch Clara ist nicht arm, und braucht sich also
-niemals von mir ganz abhängig zu empfinden. Und soll
-einmal dergleichen in Anspruch kommen, so darf ich wohl die
-Aussicht, daß mir in Zukunft, vielleicht bald, Alles zu Gebote
-steht, was ich nur wünsche, keine Fata Morgana nennen.
-Welche Kraft und Gewalt mir anvertraut mag werden,
-um da zu herrschen, wo unsere Ahndung sonst nur hinstrebt,
-mag ich nicht weiter andeuten und aussprechen. Ist
-sie aber mit mir einverstanden, so bin ich der Glücklichste
-der Menschen. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Nein, wahrlich nicht! rief Clara im höchsten Unwillen
-aus, nun und nimmermehr! Welchen Gimpel haben sie schon
-jetzt aus dem allerliebsten Menschen gemacht, und was muß
-nicht erst aus ihm werden, wenn sie ihm noch mehr Grade
-und Geheimnisse aufhalsen! O wahrlich, er wird ihnen in
-den Strängen geduldiger als ein Maulthier ziehn, und allen
-frommen Gläubigen zum Exempel und Vorbild dienen. Mich
-mit ihm verbinden? Vielleicht haben sie noch einen andern
-geheimen Grad irgendwo im Winkel liegen, und um den zu
-<a id="page-240" class="pagenum" title="240"></a>
-ergattern, muß er wohl auch noch sein Vermögen dran geben,
-und dann, um die letzte und beste Niete zu ziehn, Capuziner
-werden. Nein, ehe er seinen Verstand nicht aus dem Monde
-wieder herunter geholt hat, mag ich Nichts von ihm wissen.
-Wie er der jüngern Kirche entsagt hat, um die ältere lieben
-zu können, so giebt es auch vielleicht hinter dem Vorhang
-eine ältere mütterliche Braut, die zu ehlichen seine unsterbliche
-Pflicht ist, denn ich merke, diese Wunderthäter können
-Alles möglich machen. Ich hörte sonst wohl, die katholische
-Kirche habe die Freimaurerei in schweren Bann gethan, ich
-sehe aber wohl, es gibt Ausnahmen für Alles. Sonst wurden
-viele junge Menschen Maurer, um auf Reisen eine gute
-Aufnahme und gastfreie Brüder zu finden, eine unschuldige
-Ursache, sich einweihen zu lassen. Jetzt aber, &mdash; wie Kunstreiter
-auf ihre Geschicklichkeit, Taschenspieler auf ihre schnellen
-Hände, so reiset dieser Sangerheim auf die Kunst herum,
-allenthalben die bestehenden Logen zu stürzen. Wenn er denn
-Geister zitiren kann, so mag er dem armen Schmaling den
-seinigen wiederschaffen. Vielleicht ist der aber schon in der
-Loge verbaut, oder als Winkelmaß eingerichtet. Also nach
-Rom hin sieht denn dieser Orient? Schmaling wird gewiß
-einmal diese Herren segnen, die ihn jetzt so reich und groß
-machen, wenn er erst sein ganzes Elend kennt, und ihm sein
-verarmtes Herz zerbricht.
-</p>
-
-<p>
-Sie überließ sich der Trostlosigkeit und weinte heftig.
-Der Vater wußte ihr Nichts zu sagen, er beschwor sie, nur
-nicht in der ersten Entrüstung den Brief zu beantworten.
-Er selbst schrieb an Schmaling, um ihn mit allen Gründen,
-die er aufführen konnte, von dem Schritte abzuhalten, den
-er zu thun im Begriff war.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-241" class="pagenum" title="241"></a>
-Endlich bestimmte sich auch der Graf Feliciano, seine
-große Reise fortzusetzen. So sehr der Rath seinem Sohn
-Anton Alles vorhielt, was Vernunft und Gefühl ihm nur
-eingeben konnte, so ließ sich Anton dennoch durch Nichts abhalten,
-mit seiner jungen Frau, deren Kind bald nach der
-Geburt gestorben war, dem Grafen zu folgen. Auch der
-Professor gab seinen Knaben, wenigstens für einige Zeit,
-dem berühmten Feliciano mit auf die Reise, weil der Magier
-gefunden hatte, daß dieses Kind vorzüglich begabt sei,
-die Visionen zu sehn. Die Mutter hatte sich indessen von
-der Loge wieder zurückgezogen, denn es war ihr zu empfindlich
-gewesen, daß das Bauermädchen eines größeren Ansehns,
-als sie selber, genoß; man hatte sogar in Vorschlag gebracht,
-daß die Unerzogene nach der Abreise des Grafen und seiner
-Gemahlin Vorsteherin derselben werden sollte; da sie aber
-die Wunderthäter begleitete, um noch höhere Grade zu empfangen,
-und der höchsten Geheimnisse theilhaftig zu werden,
-so war der Räthin die Würde angetragen worden, die sie
-nach diesen Vorfällen mit Verachtung ausgeschlagen hatte.
-</p>
-
-<p>
-Wenn also der Rath um seinen Sohn und dessen Schicksal
-bekümmert seyn mußte, so hatte er wenigstens die Beruhigung,
-daß seine Gattin mit ihm und der Tochter wieder
-einverstanden war. Die Frau, die nicht ohne Charakter und
-Verstand war, bereute jetzt ihre kurze Verblendung um so
-mehr, als sie jetzt, kühler geworden, einzusehn glaubte, wohin
-das Gaukelspiel ziele. Durch die Loge hatten sich mehrere
-Liebschaften und Verbindungen, und zwar nicht von den
-anständigsten, angeknüpft; auch Scheidungen fielen vor, und
-man hielt es bald für verdächtig, dieser Gesellschaft anzugehören,
-so daß die Frauen selbst nach kurzer Zeit dieses Logenspiel
-wieder aufgaben, und um so leichter, da man nur Wenigen
-Geheimnisse mitgetheilt hatte. Diese Wenigen waren
-<a id="page-242" class="pagenum" title="242"></a>
-nachher von Allen vermieden, die ein strengeres Leben führen
-wollten.
-</p>
-
-<p>
-In jener großen Stadt hatte sich Sangerheim indessen
-eingerichtet und einen viel größern Anhang, als in der Residenz
-gefunden. Die dortigen Freimaurer waren durch ihn
-gewissermaßen aufgelöst worden, viele derselben in seine Loge
-getreten, und man sprach fast nur von dieser neugebildeten
-Brüderschaft, die sich großer Geheimnisse rühme. Es fehlte
-nicht an seltsamen Berichten. Man wollte Geister gesehn,
-die größten Dinge prophezeit haben, man war auf dem Wege,
-den Stein der Weisen zu entdecken, oder der Meister war
-vielmehr im Besitz desselben, und die liebsten Jünger durften
-hoffen, desselben bald auch theilhaftig zu werden.
-</p>
-
-<p>
-Auf seinem Zuge berührte der Graf Feliciano auch
-diese Stadt, und beschloß, mindestens einige Tage hier zu
-verweilen. In dieser Zeit gewann er den enthusiastischen
-Schmaling sehr lieb, und hatte ihn fast immer um sich, mit
-ihm über seine Bestimmung, das Geheimniß und das Licht
-zu sprechen. Dieser junge Mann und Anton, die sich früher
-in allen Dingen widersprochen hatten, waren jetzt in allen
-Ueberzeugungen miteinander einverstanden. Der Arzt Huber,
-welcher auch schon, um Sangerheims Umgang zu genießen,
-nach dieser Stadt gekommen war, vereinte sich mit ihnen.
-Sie erfreuten sich jetzt an Antons Weisheit, der fast der
-Heftigste von ihnen war, und lernten dankbar und demüthig
-von dem, der ihnen vor weniger Zeit noch als ein unbedeutender
-Freigeist erschienen war.
-</p>
-
-<p>
-Eine Versammlung der vertrautesten Brüder war zu
-einer Abendmahlzeit bei Sangerheim vereinigt. Huber und
-Schmaling fanden sich ein, und der Graf beehrte mit Anton
-durch seine Gegenwart die Gesellschaft, die zahlreich war,
-weil noch Manche in der Stadt, die Sangerheims Vertrauen
-<a id="page-243" class="pagenum" title="243"></a>
-genossen und die begierig waren, den fremden Wunderthäter
-kennen zu lernen, sich mit Bitten hinzugedrängt hatten.
-</p>
-
-<p>
-Der Graf wußte seine Person geltend zu machen und
-wurde von allen Anwesenden wie ein überirdisches Wesen
-verehrt. Er war im Anfange zurückhaltend und karg mit
-seinen Worten, nach und nach aber ward er gesprächig, heiter
-und mittheilend. Er suchte, so schien es, die Gesinnung
-und das Wesen Sangerheims ausforschen zu wollen, ohne
-ihm selbst näher zu treten.
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim, der sich vor seinen Schülern und Anhängern
-keine Verlegenheit wollte zu Schulden kommen lassen,
-erörterte viele Punkte, die er sonst lieber vermieden hätte,
-zu denen ihn aber der forschende Graf in künstlichen <a id="corr-10"></a>Wendungen
-hindrängte. Dadurch gewann der Klügere so sehr
-die Oberhand, daß Sangerheim dem Grafen gegenüber selbst
-als Schüler und Lehrling erschien. Am meisten fiel dies
-dem wißbegierigen Schmaling auf, der bis dahin seinen
-Meister für den ersten Menschen der Welt gehalten hatte.
-Wie sonderbar, sagte er zu sich selbst, daß mein Meister,
-die große, edle Gestalt mit dem Feuerauge und der hohen
-Stirn, mit diesem kräftigen und vollen Ton, diesem untersetzten
-Manne, mit den hohen Schultern, dem matten Auge
-und der schwachen krähenden Stimme gegenüber klein erscheinen
-kann. Erkennt er denn vielleicht in ihm ein höheres Wesen?
-Ist dieser Fremde wohl einer der unbekannten Obern, von
-denen ich immer so viel sprechen höre?
-</p>
-
-<p>
-Auch Huber und manche der Gegenwärtigen mochten
-etwas Aehnliches denken. Da bei dem leckern Mahle die
-feinen Weine nicht gespart waren, so belebte sich das Gespräch
-immer mehr. Jeder der Anwesenden wollte sich vor
-dem großen Fremden mit seinen Gedanken und Kenntnissen
-zeigen, oder Etwas von ihm lernen, und wenn auf viele
-<a id="page-244" class="pagenum" title="244"></a>
-Fragen die Antworten des Grafen auch nicht klar und glänzend
-ausfielen, so gab die Dunkelheit oder das Zweideutige
-derselben doch immer Vieles zu denken.
-</p>
-
-<p>
-Schmaling lenkte endlich das Gespräch auf die Religion,
-und Sangerheim sah sich genöthigt, den Wink, den er Manchen
-im Geheim gegeben hatte, jetzt als eine Lehre laut auszusprechen,
-daß nur Derjenige, der zur katholischen Kirche
-gehöre oder überträte, der höchsten Grade und der wichtigsten
-Geheimnisse theilhaftig werden könne.
-</p>
-
-<p>
-Feliciano sah ihn lange mit einem großen fragenden
-Blicke an und sagte nach einer Pause, die alle Anwesenden
-in der größten Spannung erhielt: Ist das Euer Ernst,
-großer Meister?
-</p>
-
-<p>
-Wie anders? fuhr Sangerheim fort, da die übrigen
-Partheien, die sich ebenfalls Christen nennen, immerdar ein
-geistiges Geheimniß verletzen und sich der Wundergabe, der
-Inspiration, der Anschauung der Mysterien entziehn? Sie
-können Vieles sehn und erforschen, aber der Anblick des
-Allerheiligsten ist ihnen nicht vergönnt; sie können nur von
-den sieben höheren Graden fünfe erringen. Ihre Sekte an
-sich selbst schließt sie nicht aus, wohl aber ihre Glaubensunfähigkeit:
-überwinden sie aber diese in der Rührung ihres
-Herzens, so treibt sie der eigne Geist von selbst, sich der älteren
-Kirche wieder anzuschließen.
-</p>
-
-<p>
-Der älteren? nahm Feliciano mit großem Ernste das
-Wort auf; welche ist diese? Kennt Ihr sie? War vor dieser
-ältern nicht wohl eine noch ältere und ächtere? Wozu
-Eure vielen Grade, wenn Euch dieses wichtigste Mysterium
-mangelt?
-</p>
-
-<p>
-Hindert Euch Nichts, großer Mann, fiel Schmaling
-ein, dieses etwas deutlicher auszusagen?
-</p>
-
-<p>
-Wir sind nur von Brüdern umringt, antwortete der
-<a id="page-245" class="pagenum" title="245"></a>
-Graf, die früher oder später von selbst das finden werden,
-was ich ihnen andeuten kann, und darum brauche ich in
-dieser edlen Gesellschaft, die keine weltliche ist, meine Worte
-nicht ängstlich abzumessen. &mdash; Was die Christenheit spaltet,
-ist neu und zeitlich, Priesterwort und willkührliche Satzung
-ist schwer vom ächten Fundament desselben zu unterscheiden,
-und so kommt es, daß in den protestantischen Kirchen vieles
-ächter und wahrer ist, als was die Katholiken in ihrer Lehre
-vortragen, die Alles, was Luther predigte, nur Neuerung
-nennen. Aus beiden Kirchen ist zu lernen, aber nur dem
-ist es möglich, dem der Sinn frei geblieben ist. Gab es
-denn nicht, längst vor Entstehung des Christenthums, die
-ächte, völlig ausgebildete Maurerei? Diese war denn doch
-wohl noch älter, als die alte Kirche. Und was bedarf sie
-denn also dieser, um der Wunder, des Wissens, der Geheimnisse
-theilhaftig zu werden? Sie genügt sich selbst, und sie
-wäre nicht das Höchste und Beste, was der Mensch erringen
-kann, wenn sie in irgend einer Religion eine Stütze oder
-Bestätigung finden könnte.
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim schien erstaunt, aber Feliciano fuhr fort:
-gedenkt nur an den großen, weisen Salomo und seinen Tempelbau,
-an Hiram, und an alle Legenden und Symbole, die
-auf unsern großen und alten Meister, den weisesten des
-Orientes, hindeuten. Ihr wißt es Alle, wie den Lehrlingen
-mit diesen Symbolen und ihren Deutungen der Kopf verwirrt,
-wie sie zerstreut werden, damit sie nur die Wahrheit
-nicht finden sollen, die ein Eigenthum der höhern Geister
-bleibt. Salomo empfing, als ein Würdiger, das Geheimniß
-der Maurer von großen unsterblichen Obern, er baute
-den Tempel und stiftete die Loge des Geheimnisses, indessen
-der gemeine Mann im Prachtgebäude auf herkömmliche Weise
-den Gott anbetete, den er nur für einen Gott seiner Nation
-<a id="page-246" class="pagenum" title="246"></a>
-ansehn konnte, der mächtiger sei, als die Götter der andern
-Völker. Wo steht in unsern Büchern und Sagen, in Allem,
-was uns von Salomo überliefert ist, daß er von Gott abfiel,
-daß er ein Götzendiener wurde? Er hätte, wenn dies
-gegründet war, nicht mehr Meister des heiligsten Stuhles,
-nicht mehr Oberer und Bewahrer des Geheimnisses bleiben
-können. Diese falsche Legende ließen die Priester nur in die
-Schrift hinein schreiben, weil er sich ihnen entzog, und ihrer
-Zunft nicht die Gabe zu weissagen, Wunder zu thun, Todte
-zu erwecken, Geister zu rufen und zu bannen, Gold zu machen,
-mittheilen wollte. Diese Kräfte, diese Herrschaft über
-die Geister, diese Geheimnisse der Loge, die nur Wenigen
-mitgetheilt wurden, welche die höchsten Weihen schon empfangen
-hatten, diese sind die hohen Gewalten, die von der Unwissenheit
-der Priester Götzen genannt wurden. Freilich waren
-es ihnen ausländische, fremde Götter, weil ihnen die
-Kenntniß derselben entzogen wurde.
-</p>
-
-<p>
-Diese herrliche, glänzende Zeit der Maurerei verfiel
-nach dem Abscheiden des großen Königs und Meisters. Die
-Obern zogen sich zurück, die meisten nach Indien. Späterhin
-finden wir Elias und Elisa als Eingeweihte wieder, die
-von der tauben Menge und von den verstockten Königen nicht
-verstanden wurden. Ganz verbarg sich nachher die hehre
-Kunst, und wandelte aus dem Tempel und Jerusalem in die
-Wüste. Da treffen wir sie unter den Essäern oder Essenern
-wieder an. Das heißt, die Gelehrten, die Geschichtforscher
-der Welt wissen nun wieder Etwas von ihr, denn für den
-wahren Maurer giebt es in der Geschichte seiner Kunst keine
-Lücke. Ich führe nun auf das, was Allen bekannter ist.
-Diese Männer hatten schon seit lange im Stillen gearbeitet:
-seit vielen Jahrhunderten war es ein Grundgesetz der Maurerei,
-welches Salomo und Andre beobachtet oder noch fester
-<a id="page-247" class="pagenum" title="247"></a>
-gegründet hatten, daß die ächte Erkenntniß ein Geheimniß
-seyn und bleiben müsse, da die blöde, rohe Welt, die unwissende
-Menge das Heilige, wenn es sich ihr mittheilen
-wolle, nur mißverstehn und entweihen könne. Hier stehn
-wir nun an der großen und merkwürdigen Geschichts-Epoche.
-Die heilige Gesellschaft der Essäer zertrennte sich um jene
-Zeit in zwei sich widersprechende Gesellschaften. Ein Theil
-beharrte auf dem Grundsatz, Alles müsse geheim bleiben,
-weil nur so die Verbindung aus der Ferne wohlthätig auf
-die Menschen und ihr vielfaches Unglück wirken könne. Aber
-viele erleuchtete Männer waren vom Gegentheil überzeugt.
-Zwei große Geweihte wurden ausgesendet, der zweite noch
-mächtiger und größer, als der erste, Johannes der Täufer,
-und der göttliche Stifter der christlichen Religion, der erhabene
-Menschenfreund, der aus Erbarmen gegen seine unglücklichen,
-im Elend schmachtenden Brüder ihnen das Wort
-des Lebens mittheilen wollte. Lange kämpften die beiden
-Partheien der Erleuchteten gegen einander. Das Mysterium
-war auf eine Zeit lang offenbar worden, aber, neben der
-Wohlthat brachte es im Mißverständniß unermeßliches Elend
-über die Länder und Völker. Der große Eingeweihte selbst
-und seine Freunde sahen es ein, und er starb den Versöhnungstod.
-Nach und nach ward das Mysterium dem Volke
-wieder entzogen, das spätere Christenthum und die Hierarchie
-bildeten sich aus, und verdeckten mit Satzungen, Gebräuchen,
-Ceremonien, Putz und Kunst das geistige Geheimniß, das
-wir nur hie und da im Lauf der Zeiten aufleuchten, und
-wie einen Blitz vorüber fahren sehn. Dem Kundigen genug,
-um das Licht zu erkennen; dem Unwissenden nur eine Blendung
-oder Veranlassung, sich wieder einer leidenschaftlichen
-Sektirerei zu ergeben. &mdash; Wozu also, großer Meister Sangerheim,
-wenn Ihr diese Wahrheiten erkennt, ist Euch zur
-<a id="page-248" class="pagenum" title="248"></a>
-Weihe die katholische Kirche noch nöthig, da diese selbst nur
-eine abgeleitete aus unserm ältern, ächten Orden ist? da
-sie Nichts darstellt, als das Mißverständniß eines Geheimnisses,
-das ihr freilich Anfangs lauter übergeben ward?
-Und darum sagte ich, daß in gewissen Punkten der Protestant
-eine ältere Kirche besitze, und Ihr werdet nun, mein
-Freund, wahrscheinlich verstehn, wie dieser kurze Ausspruch
-gemeint war.
-</p>
-
-<p>
-Der Graf mußte es bemerken, welchen sonderbaren Eindruck
-dieser Vortrag auf die meisten seiner Zuhörer machte.
-Bei Einigen war das Erstaunen mit Unwillen gemischt,
-Einige gaben Beifall, den man einen schadenfrohen hätte
-nennen mögen, denn sie sahen mit bedeutsamem Lächeln nach
-Sangerheim hinüber, der, so sehr er sich zwang, seine Verlegenheit
-jetzt nicht mehr verbergen konnte, und sich, Hülfe
-suchend, an Diejenigen wendete, die mit der Rede des Grafen
-unzufrieden schienen. Er sagte endlich, nach einigen Erörterungen:
-So sehr wir verbunden seyn mögen, so sind wir
-also doch wieder getrennt; es mag seyn, daß sich die Wahrheit
-unterschiedliche Bahnen sucht. Nach Ihrer Ueberzeugung
-ist die Maurerei das Einzige und Höchste; ich stütze mich noch
-auf die Heiligkeit der Kirche und offenbarten Religion.
-</p>
-
-<p>
-So gebt die Maurerei auf, rief der Graf, der erhitzt
-schien: wozu soll sie Euch helfen, wenn Euer Herz und
-Glaube sich in der Religion befriedigt und sättigt? Und woher
-kommt denn diese Religion? Ist sie denn nicht, wie ich
-schon sagte, ein ungeschickter Versuch, einige der verschwiegenen
-Mysterien zu offenkundigen Wahrheiten zu machen? Und
-damit diese wenigen Wahrheiten sich erhalten können, meistentheils
-nur scheinbar, weil sie doch unverstanden sind, muß
-das Gerüst des Kirchendienstes dazu erbaut, muß der große
-Teppich gewirkt werden, der bedeckend herumgehangen wird,
-<a id="page-249" class="pagenum" title="249"></a>
-und diese wenigen Wahrheiten wieder in Geheimnisse verwandelt,
-die keiner sieht und findet, indessen sich das Volk an
-den bunten Bildwerken ergötzt, und die Priester sich zanken,
-und die Verständigsten unter den Layen von der ganzen Sache
-eigentlich gar keine Notiz nehmen. Seht, Meister, so steht
-es wahrhaft, wenn ich denn doch einmal reden soll, ohne,
-wie man sprichtwörtlich sagt, ein Blatt vor den Mund zu
-nehmen.
-</p>
-
-<p>
-Großer Meister, erwiederte Sangerheim, Euer Geist ist
-gewaltig und groß, Ihr fahrt wie ein Sturmwind daher,
-und predigt wie die Begeisterung. Was Ihr weissagt, habe
-ich wohl verstanden, aber die Obern, die ich verehren muß,
-würden auch Euch, so stark Ihr seid, so viele Zeitalter Ihr
-gesehn haben mögt, Hochachtung abzwingen, und wohl eine
-andre Ueberzeugung Euch geben.
-</p>
-
-<p>
-Mir? sagte der fremde Meister: wißt Ihr denn, ob ich
-sie nicht längst kenne? Es ist aber noch die Frage, ob sie
-mich auch kennen, auch wenn ich vor ihnen stände.
-</p>
-
-<p>
-Wie meint Ihr das, Großmeister? fragte Sangerheim.
-</p>
-
-<p>
-Ihr fragt, und fragt immer wieder, antwortete der
-Magus erhitzt und mit funkelnden Augen, und wollt doch
-auch Großmeister seyn. Obere nennt Ihr sie? Gut. Aber
-es kann doch auch wohl einen Obersten dieser Obern geben,
-die diesem dienen und gehorchen müssen, denen er nur so
-viel Weisheit zukommen läßt, als ihm dienlich scheint, die
-deshalb verschiedene Systeme ausbreiten, die er alle von seiner
-Höhe lenkt. So sind diese katholisch, jene protestantisch;
-einige nennen sich Rosenkreuzer, andre Tempelritter; der will
-Vernunft und Freiheit des Volks, jener Mystik und die
-Würde des Königs begründen und verbreiten; diese Ritter
-des Grabes, des Todes und Lebens, Illuminaten, und wie
-sie vielfältig sich betiteln, &mdash; können sie nicht vielleicht alle
-<a id="page-250" class="pagenum" title="250"></a>
-von einem unbekannten obersten Obern abhängen? Und ist
-Euch diese alte Sage, da Ihr doch so Vieles wißt und erfahren,
-in Euerm Orden noch nicht vorgekommen?
-</p>
-
-<p>
-Wer seid Ihr? rief Sangerheim wie entsetzt aus.
-</p>
-
-<p>
-<em>Ich bin, der ich bin!</em> antwortete der Fremde. Erkennt
-Ihr mich daran noch nicht? &mdash; Ob ich auch Feliciano,
-oder einen ältern Namen nenne, gilt dem Nichtwissenden
-gleichviel. Seid Ihr aber ein Wissender, so will ich in einer
-Chiffer, einem kleinen Symbol aussprechen, wer ich bin.
-Reicht mir das Blatt und den Stift.
-</p>
-
-<p>
-Er zeichnete und gab dann mit Lächeln das Papier dem
-Meister hinüber, indem er scharf sagte: Wenn Ihr der seid,
-für den Ihr Euch ausgebt, so müßt Ihr mich nun erkennen.
-Doch zeigt es Niemand.
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim nahm das Blatt, sah und erblaßte. Er
-wickelte die Zeichnung zusammen und ließ sie schnell am
-Licht verbrennen. Ich sehe nun, daß Ihr jener wahre Oberste
-seid, dessen Zeichenschrift man nur denen der höchsten Weihe
-vorzeigt. Ich beuge meine Knie und meinen Geist vor Euch.
-</p>
-
-<p>
-Die letzte, entscheidende Erklärung hatte alle Gegenwärtigen
-in Verehrung und Demuth zum Grafen hinüber gezogen.
-Feliciano stand auf, machte ein Zeichen, das alle verstanden,
-und sagte: Kraft meines Amtes schließe ich hiemit
-diese Loge. Alle erhoben sich. Der Graf faßte hierauf die
-Hand Sangerheims und sagte: Junger Mann, Du wandelst
-einen gefahrvollen Weg, aber Du bist so weit vorgeschritten,
-daß ich nur warnen, Dich nicht mehr lenken kann und darf.
-Du kennst die Geister, Du bezwingst sie und sie gehorchen
-Dir, &mdash; aber, sie kennen Dich besser, als Du sie kennst.
-Dir sind sie geheimnißvolle, wunderbare, unbegreifliche Wesen,
-und Du bist ihnen so verständlich und klar, daß sie
-Alles wissen, was in Deinem Gemüthe ist. Das Verhältniß
-<a id="page-251" class="pagenum" title="251"></a>
-des ächten Magiers muß aber das ganz umgekehrte seyn,
-Du mußt Deinen Geistern ein ganz wundervoll, geheimnißreiches
-Wesen bleiben, mit Furcht und Schaudern müssen sie
-Dir dienen. Kannst Du sie nicht noch zu Sklaven machen,
-daß sie vor Dir erbeben, wird ihnen Deine Natur immer
-klarer näher gebracht, wähnst Du gar, Freundschaft mit ihnen
-stiften zu können, dann &mdash; wehe Dir! Furchtbar werden sie
-Dich einst, vielleicht bald, wegen ihrer aufgezwungenen Dienste
-zur Rechenschaft ziehn. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Er ging mit feierlichem Schritte fort, und Schmaling
-folgte ihm zitternd. Die Zurückgebliebenen sahen sich forschend
-an, und wußten nicht, was sie aus diesen letzten Worten
-machen sollten. Nur Sangerheim schien sie zu verstehn
-und sank bleich und von Anstrengung erschöpft, in einen
-Sessel zurück. Meine Freunde, sagte er nach einiger Zeit,
-ihr seid Alle Zeugen der wunderbaren Begebenheit, die sich
-zugetragen hat. Ihr wißt nun Alle, welche Kämpfe, welche
-Gefahren ich noch zu bestehn haben werde: welche Angriffe
-mir aus dem Geisterreiche her drohen. Erliege ich in meinen
-großen Bemühungen, so war es doch nicht Unkunde, die
-mich auf diesen gefahrvollen Weg trieb, sondern die Liebe
-zum Heiligsten der Wissenschaft.
-</p>
-
-<p>
-Alle verließen den Meister, dankend, hoffend, ihn ermunternd,
-und Jeder ging tiefdenkend nach seinem Hause.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Schmaling trat mit dem Großmeister, dem unbekannten
-Obersten, zu welchem ihn eine ungemessene Ehrfurcht, eine
-Art von Anbetung hinzog, zugleich in sein elegantes Schlafgemach,
-indem er an allen Gliedern zitterte. Ich wage es,
-Ihnen zu folgen, Größter aller Sterblichen, &mdash; doch, was
-sage ich? vielleicht einem Unsterblichen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-252" class="pagenum" title="252"></a>
-Feliciano sah ihn mit einem hochrothen Gesicht und
-glänzenden Augen an. Dem Jüngling erschien der Meister
-in einem wunderbaren Lichte, denn er sah, daß Dieser
-wankte, und sich lachend niedersetzte. Ei! mein Kind, fing
-er darauf an, da bist Du ja auch! Das ist schön, daß Du
-kommst, so können wir noch in stiller Nacht ein wenig mit
-einander schwatzen.
-</p>
-
-<p>
-Er stand wieder auf, und wankte nach einem Schranke
-hin. Ich habe mich verleiten lassen, fing er wieder an,
-heute, meiner Gewohnheit entgegen, viel zu sprechen, und
-noch mehr von den starken Weinen zu trinken. Unpolitisch.
-Ich will mich nun an diesem Trank, den ich nur meinen
-ägyptischen Wein zu nennen pflege, wieder nüchtern zechen,
-weil dieser noch viel stärker ist, als dort das beste Getränk. &mdash;
-Er leerte einen großen Becher, den er aus einer sonderbaren
-Flasche gefüllt hatte, die in allen Farben glänzte und mit
-vielfachen Hieroglyphen bemalt war. &mdash; Trink, mein Söhnchen,
-sagte er dann, und reichte dem jungen Manne den
-Becher, koste wenigstens diesen Wundertrank.
-</p>
-
-<p>
-Schmaling setzte bald ab, denn diese Essenz, aus Gewürzen
-abgezogen, war ihm zu stark. Feliciano sah ihn
-freundlich lächelnd an und sagte: Liebes Bürschchen, kein
-Mensch in der Welt hat mir noch so sehr als Du gefallen,
-begleite mich, sei mein Freund und wahrer Schüler, und ich
-will Dir alle meine Weisheit mittheilen. Das andre Menschenvolk
-ist so plump und unliebenswürdig, Keiner ist mir
-noch aufgestoßen, dem ich mich ganz ergeben möchte. Du
-allein hast mein Herz gewonnen, und zu Dir möchte ich
-wahr und offen seyn können, weil mich das Zusammenschnüren,
-wie ich es der Uebrigen wegen mit mir treiben
-muß, genirt und langweilt. &mdash; Aber was wolltest Du noch
-von mir erfahren oder erfragen?
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-253" class="pagenum" title="253"></a>
-Die Stimme des Mannes lallte, und es schien, als
-wenn dieser ägyptische Wein eher das Gegentheil, als die
-beabsichtigte Wirkung hervor gebracht hätte. Schmaling war
-verlegen und mochte sich selber nicht gestehn, was er zu bemerken
-glaubte; er sagte: Großer Meister, wenn es mir erlaubt
-ist, zu fragen, und noch einen Augenblick bei Ihnen
-zu verweilen, so möchte ich wohl erfahren, wie Sie es gemeint
-haben, was meinem Freunde die Geister, und auf
-welche Art sie ihm schaden könnten: was Sie sagten, schien
-zwar ein gewisses Licht zu geben, war mir aber doch noch
-unverständlich.
-</p>
-
-<p>
-Feliciano schlug in seinem Sessel ein lautes Gelächter
-auf, an dem er sich nur nach geraumer Zeit ersättigte, dann
-sagte er: Je, Kind, liebstes Kind, nimm doch Vernunft an.
-Was ich dort gesagt haben mag, weiß ich nicht mehr, aber
-ich meine, es wird mit seinen Geistern und allen den Geschichten
-ein klägliches Ende nehmen, weil der Gimpel selbst
-an seine Geister glaubt.
-</p>
-
-<p>
-Weil er an sie glaubt? fragte Schmaling im höchsten
-Erstaunen.
-</p>
-
-<p>
-Ja, liebes Närrchen, fuhr der Magus fort, sieh, deswegen
-muß es ja nothwendig und natürlich ein ganz miserables
-Ende mit ihm nehmen. Er betrügt die Welt und
-seine Schüler, und das ist recht und billig; mit den unter
-uns bekannten Kunststücken läßt er Geister und Gespenster
-erscheinen, aber der erste Dummkopf in der Welt ist, der
-selbst durch sich selbst getäuscht wird. Ich kam ihm in allen
-Richtungen entgegen und erwartete sein Bekenntniß, das mir
-allein am Tisch verständlich gewesen wäre. Aber seine Obern
-haben den Menschen auf eine mir unbegreifliche Art so
-dumm gemacht, daß, wie er auch betrügt und Andre täuscht,
-<a id="page-254" class="pagenum" title="254"></a>
-er doch glaubt, es werde sich ihm mit der Zeit das ächte
-wahre Wunder mittheilen.
-</p>
-
-<p>
-Schmaling wußte nicht, wie ihm geschah. Er betrachtete
-die Decke und wieder den verehrten Meister, sich selbst,
-den Fußboden und wieder den trunknen Wahrsager, der jetzt
-von Wein geschwächt und von seinem Uebermuth begeistert
-so Vieles aussagte und verrieth, was er nüchtern geworden
-am Morgen wahrscheinlich bereute.
-</p>
-
-<p>
-Laß die Narrenpossen, sagte der Graf, und mache es
-möglich, daß wir uns Beide verständigen. Du bist zu gut,
-um unter dem aberwitzigen Jan Hagel so mitzulaufen, Du
-verdienst es, die höchsten Grade und alle mit einander in einem
-Augenblicke zu erhalten. Ich höre, Du willst da in Deiner
-Stadt heirathen. Zieh mit mir, die ganze Welt steht einem so
-schönen, so feinen und schmiegsamen Mann, wie Du es bist,
-offen; alle Weiber, die schönsten und vornehmsten, werden Dir
-entgegen laufen. Du wärst mir dazu ganz anders brauchbar,
-als der tölpische Anton, Dein Jugendfreund, der aus einem
-Freigeist und Uebervernünftigen so mit beiden <a id="corr-11"></a>Beinen in die
-Dummheit hinein gesprungen ist.
-</p>
-
-<p>
-Er lachte wieder, daß er vor Schmerzen inne halten
-mußte. Du weißt vielleicht, fing er wieder an, wie ich schon
-ein Weilchen in Eurer komischen Stadt als ein Herr Anderson
-lebte. Ich hatte so die beste Gelegenheit, Alles auszuspioniren,
-und mein pfiffiger Bedienter noch mehr. Ich
-kannte schon alle Verhältnisse, auch die Mesalliance des
-Herrn Anton mit einem hübschen Bauernmädchen, die er
-nun in seiner kühlen Verständigkeit so schlechthin aufzuopfern
-dachte. Dieser tugendhafte Anton wollte nun Dich, mein
-liebes Kind, bessern und korrigiren, daß Du den Aberglauben
-ließest. Das kam mir ganz erwünscht in den Weg gelaufen,
-daß ich mich für den großen, berühmten Feliciano
-<a id="page-255" class="pagenum" title="255"></a>
-ausgeben sollte, der ich zufällig selber war. Die Bäuerin
-hatte ich kennen lernen und ihre Verzweiflung gesehn: ich
-hatte von ihr ein Bildchen machen lassen, das ziemlich ähnlich
-war. Sollte es doch auch nur für einen Augenblick dienen.
-Der Professor Ferner hat ein allerliebstes Kind, einen
-überaus klugen Jungen. Man glaubt nicht, wenn man es
-nicht so oft, wie ich, erfahren hat, wie schon der ganze Spitzbube
-in den Kindern steckt. Das Lügen, das den meisten
-angeboren ist, darf nur ein wenig erfrischt und aufgemuntert
-werden, so geräth es fast besser, als bei den Erwachsenen,
-die immer darin fehlen, daß sie es zu klug, zu verwickelt
-machen wollen. So ein Kind wird wahrhaft begeistert, wenn
-es gebraucht werden soll, die Großen und Vorgesetzten zu
-betrügen, und es lernt eine solche Lection besser, als jede in der
-Schule. Mit diesem Jungen, der noch bei mir ist, hatte ich
-schon unvermerkt mein Spiel verabredet. Mein Diener hatte
-die Blendlaterne und das Bild bei der Hand, sammt dem
-nöthigen Rauch, die Domestiken des Hauses waren entfernt
-worden, und um die Sache noch schauerlicher zu machen,
-hatte die gute Bauernnymphe unterdessen, daß sie im Zimmer
-leiblich erscheinen sollte, einen Schlaftrunk erhalten. So
-wurde denn der Spuk und die Comödie glücklich so gespielt,
-wie Du sie selber mit angesehn hast.
-</p>
-
-<p>
-Immer noch war es dem glaubensfähigen Schmaling,
-als wenn er in einem ängstlichen Traume läge. Und heute
-nun, fing er wieder an, als mein Lehrer und Meister sich
-Eurer höheren Wissenschaft so unbedingt beugen mußte?
-</p>
-
-<p>
-Kluges Kind, antwortete Jener, siehst Du denn nicht
-ein, daß wer die Menschen betrügen will, es ja nicht zu fein
-anfangen muß? So wie es fein ist, wird ja auch der Scharfsinn
-Jener geweckt, sie werden aufmerksam, denken, passen
-auf, und das Kunstwerk steht auf der Nadelspitze. Grob,
-<a id="page-256" class="pagenum" title="256"></a>
-plump muß der Menschenkenner zu Werke gehn. Die sich
-dann nicht damit einlassen wollen, wenden sich ganz ab, und
-auch das ist Gewinn; die Andern denken: Nein, so einfältig
-ist doch Keiner, die Sache zu erfinden, wenn nicht irgend
-Etwas daran wäre. Sagst Du ihnen, Du hast Carl den
-Zwölften gekannt, so lachen sie Dir ins Gesicht, behauptest
-Du aber dreist, Du habest mit Johann Huß Brüderschaft
-getrunken, so glauben sie Dir. &mdash; Also mein Herz, laß Dich
-überreden, mit mir, als Deinem bekannten Obersten, durch
-die Welt zu ziehn, und ihre Schätze und Gunst mit mir zu
-theilen. &mdash; Oberster! Ha ha! Weil ich so viele Logen aller
-Art durchkrochen bin, so wurde mir denn auch von einigen
-Rosenkreuzern eine Signatur gezeigt, die den Messias bezeichnen
-sollte, der einmal erscheinen würde, um ein himmlisches
-Reich auf Erden zu stiften. &mdash; Du siehst, mit welcher
-angenehmen Dreistigkeit ich Deinen großen Meister mit dem
-Bagatell verblüfft habe. &mdash; Nein, als ein ehrlicher, schlichter
-Mann könnte ich verhungern, als ein berühmter Charlatan
-bin ich reich und beherrsche Männer und Weiber und kann
-wie ein Sultan gebieten und walten. Lockt Dich denn diese
-Aussicht nicht, liebstes Kind? Du bist so viel schöner, als
-ich, Du kannst ja Deine Jugend nicht besser genießen. Mir
-hat so ein Wesen noch immer zu meinen Erscheinungen gefehlt,
-wer weiß, welchen Engel wir droben im Norden aus
-Dir machen. Wer weiß, welche Monarchin Dir ins Netz
-läuft, &mdash; wer weiß &mdash; kurz, komm mit!
-</p>
-
-<p>
-Der ägyptische Wein hatte so stark gewirkt, daß der
-Großmeister jetzt einschlief. Am Morgen, als er erwachte
-und sich besann, konnte er sich nur dunkel erinnern, was er
-gethan und gesprochen hatte. Aber das drückte ihn schwer,
-daß er sich gegen Schmaling auf irgend eine Weise zu sehr
-herausgelassen habe. Er sendete sogleich nach diesem, um
-<a id="page-257" class="pagenum" title="257"></a>
-entweder mit Klugheit ihm Alles wieder auszureden, oder,
-wenn dies unmöglich sei, ihn im halben Vertrauen stehen
-zu lassen und durch Drohungen zum Schweigen zu zwingen.
-&mdash; Aber Schmaling war verschwunden und nirgends zu finden,
-auch Sangerheim konnte keine Nachricht von ihm geben,
-der mit Schmerz und Aengstlichkeit die unbegreifliche Entfernung
-des Jünglings beklagte.
-</p>
-
-<p>
-Als nicht zu helfen war, schickte Feliciano einen drohenden
-Befehl an Sangerheim, den jungen Schmaling niemals
-wieder als Bruder in seine Loge zuzulassen, dieses Verbot
-auch andern Logen mitzutheilen, die mit ihm in Verbindung
-ständen, das Gleiche würde er allen Brüdergemeinden zusenden,
-die von ihm abhängig wären, weil er entdeckt habe,
-daß dieser Schmaling ein Bösewicht, Verleumder und ganz
-unwürdiger Bruder sei, der nur damit umgehe, alle Geheimnisse
-des Ordens auf eine schändliche Weise zu verrathen,
-und die Meister selbst durch die abscheulichsten Lügen öffentlich
-zu beschimpfen.
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim zitterte, und Feliciano eilte, mit seinem
-Zuge seine Reise nach dem fernen Norden fortzusetzen. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Schmaling war mit den schnellsten Postpferden zur Residenz
-zurückgekehrt. Er wußte nicht, wie er sich benehmen
-sollte, er hatte nicht den Muth, in das Haus seines Schwiegervaters
-zu gehen, er konnte es sich nicht als möglich denken,
-nur den Bedienten gegenüber zu treten, um sich melden
-zu lassen.
-</p>
-
-<p>
-In dieser unbehaglichen Lage sagte er zu sich selber:
-Ist es denn etwas Anderes, wenn ein Freund, der im
-hitzigen, oder Faulfieber liegt, von allen Aerzten schon aufgegeben,
-von allen Freunden schon als todt beklagt, wieder
-geneset? Sonderbar, daß wir immer so großen Unterschied
-zwischen den Krankheiten unsrer Seele und unsers Körpers
-<a id="page-258" class="pagenum" title="258"></a>
-machen wollen. Eins ist selten ohne das andre. Dem
-Elenden, der im Fieber phantasirt, vergiebt man es gern,
-man tröstet ihn sogar freundlich, wenn er Gott und Menschen,
-seine Liebsten und Nächsten gelästert hat, man nennt
-es nur Abwesenheit, Vergessen seiner selbst: und der Arme,
-dessen Seele zerrissen wurde, der, peinlich hinauf getrieben,
-zwischen den Extremen schwankte, der sich selbst verlor: ihm
-vergiebt man nicht, ihm rechnet man die Aeußerungen seiner
-Krankheit als Verbrechen an, und er muß es mit Dankbarkeit
-erkennen, wenn man es ihm nur nach Jahren vergißt,
-daß er diese und jene auffallende Meinung äußerte.
-Und so bin ich genesen, ich kehre von einer Brunnenkur zurück,
-da alle meine Freunde mich schon aufgegeben hatten.
-Wollen sie mich nicht, die mir die Liebsten und Nächsten
-sind, als einen Wiederhergestellten anerkennen, nun so ist es
-an ihnen, krank zu seyn, sie mögen dann irgend ein Bad
-besuchen, und es kömmt nachher auf mich an, ob ich sie als
-Gesunde begrüßen oder als Unheilbare von mir weisen will.
-</p>
-
-<p>
-Mit diesen Gesinnungen und Entschlüssen ging er nach
-dem Hause des Geheimenrathes Seebach. Die Bedienten,
-die ihn schon von ehemals kannten, ließen ihn ungehindert
-eintreten. Er fragte nach Fräulein Clara; man sagte ihm,
-daß sie ungestört seyn wolle, weil sie sich unwohl fühle, sie
-habe daher erklärt, keine Besuche annehmen zu wollen. Er
-sagte dem Kammerdiener, daß er der Familie kein Fremder
-sei, und daß er alle Verantwortung auf sich nehmen wolle.
-</p>
-
-<p>
-Er ging über den wohlbekannten Gang nach dem Gemache
-seiner Jugendfreundin. Lange stand er vor der Thür.
-Er lauschte mit hochklopfendem Herzen. Ihm war, als wenn
-er drinnen Gesang und die Töne einer Laute vernähme.
-Und so war es auch. Clara, um ihren Gram einigermaßen
-zu beschwichtigen, hatte alle ihre alten Musikstücke hervor gesucht,
-<a id="page-259" class="pagenum" title="259"></a>
-um sich an diesen zu trösten. Sie spielte und sang,
-und wiegte so, als sei er ein ungezogenes, schreiendes Kind,
-ihren immer wachen Kummer ein. Einige Blätter hatte sie
-bis jetzt überschlagen. Sie faßte den Muth, sie vor sich
-hinzulegen, um sie zu singen. Es waren einige Compositionen,
-die in bessern Zeiten Schmaling selbst zu ihren Lieblingsliedern
-gesetzt hatte, es waren sogar einige Lieder darunter,
-die von ihm gedichtet waren, und zu denen er ebenfalls
-die Melodie gesungen. Lange hatte sie den Trost der Musik
-entbehrt und darum ergab sie sich heute diesem Genusse wie
-eine Berauschte. Schmaling horchte entzückt an der Thür;
-alle Jugenderinnerungen, alle jene süßen Stunden der Unschuld
-kehrten in sein bewegtes Gemüth zurück. Ihm war,
-als hätte er den ganzen Zwischenraum, zwischen jenen Tagen
-und dem heutigen, nur in einem schweren Traum gelegen.
-</p>
-
-<p>
-Clara hörte in ihrem lauten Gesange nicht, wie er klopfte.
-Als er das Zeichen wiederholt gegeben hatte, öffnete er die
-Thür und trat in das Zimmer. Sie saß mit dem Rücken
-gegen die Wand und hatte seinen Eintritt nicht vernommen.
-Sie sang so laut und heftig, als wenn sie an dem Liede
-sterben wolle. Er hatte es ihr vor drei Jahren zu ihrem
-Geburtstage komponirt, nicht lange nachher, als sie mit
-einander bekannt geworden. Er konnte sich nicht zurückhalten,
-er weinte laut und stürzte zu ihren Füßen nieder. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Die Laute entfiel ihrer Hand. &mdash; Wie? rief sie aus;
-was sehen meine Augen? Täuscht mich kein Blendwerk?
-Die alte Zeit kommt wieder, der Calender lügt und mein
-Ferdinand ist wieder da.
-</p>
-
-<p>
-Ja! rief der tiefbewegte Jüngling: da, um nie wieder
-von Dir zu scheiden. Zurückgekehrt, wie der verlorne Sohn,
-<a id="page-260" class="pagenum" title="260"></a>
-von den Trebern des Aberwitzes und der Lüge, um bei seinem
-Vater Schutz und Nahrung zu suchen.
-</p>
-
-<p>
-So? sagte Clara, indem sie ihn aufhob; stehe auf, lieber
-Freund, wenn ich Dich noch so nennen darf. Also, meinst
-Du, soll ich nun wie das Kalb geschlachtet und verspeiset
-werden?
-</p>
-
-<p>
-Ich bin leider das Kalb gewesen, antwortete der Beschämte,
-aber nun, meine süße Geliebte, nachdem ich genesen,
-nachdem ich die Dummheit meiner erhabenen Meister eingesehn
-habe, werde ich mich niemals wieder verführen lassen.
-Nein, auf immer bin ich zu Dir, zu jenem schlichten, einfachen
-Leben zurückgekehrt, das ich vor Kurzem noch mit
-Verachtung ansah. Fühle ich doch in allen Fasern meines
-Herzens und in jedem Tropfen meines Blutes, daß das Einfache,
-scheinbar Arme, das Nächstliegende eben das Reiche,
-Wohlthätige, Himmlische ist! Vergiebst Du mir meinen
-Wahnsinn, so bin ich der Glückseligste aller Menschen, und
-ich erwarte, daß Fürsten von mir Almosen begehren sollen.
-</p>
-
-<p>
-Nun, nun, sagte Clara, nicht eben so eifrig, mein
-Freund, in der Bekehrung und Reue wie erst in der Sünde.
-Also jetzt willst Du kein Kapuziner, nicht katholisch werden?
-</p>
-
-<p>
-Sie lachte so anmuthig, daß Schmaling den Muth
-faßte, sie in die Arme zu nehmen und herzlich zu küssen.
-Noch niemals hatte sie ihm den Kuß mit diesem Feuer erwiedert.
-Hierauf zog sie beide Glocken in ihrem Zimmer
-mit der größten Heftigkeit, tanzte im Gemach auf und ab,
-und als mehrere Diener ängstlich erschienen, rief sie diesen
-mit lauter Stimme zu: meine Eltern sollen kommen! Aber
-gleich! Mit der größten Schnelligkeit! Es verlohnt sich schon
-der Mühe, zu eilen.
-</p>
-
-<p>
-Man verwunderte sich im ganzen Hause über das ungewöhnliche
-Geräusch. Der alte Kammerdiener lief in Angst
-<a id="page-261" class="pagenum" title="261"></a>
-hin und her, weil er meinte, daß irgendwo Feuer ausgebrochen
-sei. Endlich traten Mutter und Vater zu Clara in
-das Zimmer. Was giebt es denn? fragten Beide; warum
-lässest Du uns so gewaltsam rufen?
-</p>
-
-<p>
-Sie sagte: wenn es nicht unbillig ist, daß bei der Geburt
-eines Prinzen alle Glocken geläutet und Kanonen abgeschossen
-werden, so darf man schon einigen Spektakel in einer
-honetten Familie machen, wenn ein junger Mann seinen
-gesunden Menschenverstand wieder gefunden hat. Ja, liebste
-Eltern, hier steht der bescheidene Jüngling, dessen Edelmuth
-es nicht wagt, dergleichen Ungeheures von sich auszusagen,
-weil er seit so vielen Wochen auf den entgegengesetzten Bahnen
-irrte.
-</p>
-
-<p>
-Der Vater schloß entzückt den jungen Mann in seine
-Arme, die Mutter war verlegen und gerührt. Und Sie
-entsagen, fragte der Rath, Ihrem Meister Sangerheim?
-</p>
-
-<p>
-Mit vollem Ja, kann ich antworten, rief Schmaling,
-und eben so dem Großmeister Feliciano, der vielleicht Judas
-Maccabäus seyn mag, oder Ischariot, und dem Teufel und
-seiner Großmutter, und allen ihren Spuk- und Zauberwerken,
-die keine Stecknadel werth sind, und für die wir
-ihnen unsre Seele verkaufen müssen.
-</p>
-
-<p>
-Ja wohl, sagte der Vater, müssen wir ihnen, den
-Unterirdischen, den Reichen des Wahnwitzes, das Theuerste
-verschreiben, um das Verächtliche dafür zurück zu erhalten.
-</p>
-
-<p>
-Ich bin genesen, rief Schmaling aus, und begreife jetzt
-nicht, wie ich den Himmelsblick meiner Geliebten, ihr Herz,
-alles Glück einer entzückenden Häuslichkeit und des nächsten
-Besitzes, gegen jene Kartenkünste aufopfern konnte.
-</p>
-
-<p>
-Als man sich mehr beruhigt hatte, erzählte er dem Vater
-auf dessen stillem Zimmer Alles, was ihm begegnet war.
-Man erfuhr auch bald, daß der junge Schmaling, wegen
-<a id="page-262" class="pagenum" title="262"></a>
-schwerer Vergehungen, von vielen Logen ausgeschlossen sei.
-Dies störte nicht das Glück des Hauses, denn seine Verlobung
-mit Clara wurde bekannt gemacht, und bald darauf
-die Hochzeit gefeiert.
-</p>
-
-<p>
-Könnte ich doch, klagte der Vater an diesem fröhlichen
-Abend, meinen Sohn Anton eben so in meine Arme schließen,
-und mich überzeugen, daß er mir zurückgegeben sei.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Die Scene, die sich mit dem größeren Magus ereignet
-hatte, war für Sangerheim von Folgen gewesen. Seine
-Schüler hatten es gesehn, daß er verlegen und irre an sich
-selber wurde; sie hatten Andern diese Bemerkung mitgetheilt,
-und Viele wendeten sich von ihm ab. Die ältere Loge beobachtete
-ihn genauer, und faßte mehr Muth, sich ihm öffentlich
-zu widersetzen. Unter Denen aber, die ihm unwandelbar
-treu blieben, und auf seine Worte schwuren, stand der Arzt
-Huber oben an; diese Anhänger beredeten sich, daß die Wirkungen,
-welche Feliciano hervorbrachte, durch die Hülfe böser
-Geister geschähen, und er selbst durchaus verwerflich und
-gottlos, seine Lehre verdammlich zu nennen sei.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt ward es den Vertrauteren, und späterhin den
-Uebrigen bekannt, daß Sangerheim verheirathet sei, und
-seine Frau bei ihm wohne. Da sie krank und leidend war,
-hatte er ihr Dasein Allen verschwiegen. Die Wenigen, die
-sie zuweilen auf einen Augenblick sahen, bemitleideten sie,
-oder entsetzten sich vor ihr, wie vor einer Geistererscheinung.
-Sie war noch jung, aber todtenbleich, schwach und matt.
-In dem weißen und abgemagerten Gesicht glänzten die Augen
-mit einem sonderbaren Feuer. Sie hatte kaum Stärke genug,
-aus einem Zimmer in das andre zu gehn, und es geschah
-wohl, daß sie mitten in ihrer Rede abbrach und einschlief.
-<a id="page-263" class="pagenum" title="263"></a>
-Dann sprach sie sonderbar, oft unzusammenhängend,
-oft, als wenn sie Erscheinungen sähe. Sie hatte keinen Arzt,
-sondern der Mann, der sich die größten Kenntnisse zutraute,
-behandelte sie selbst auf eine geheimnißvolle Weise: er suchte
-sie durch Gebet, Händeauflegen und Beschwören zu stärken.
-Wegen dieses sonderbaren Zustandes der Leidenden war es
-selbst den Vertrautesten nur durch Zufall möglich gewesen,
-sie auf Augenblicke zu sehn und zu beobachten.
-</p>
-
-<p>
-Nach einer schlimmen Nacht, in welcher sie von Schmerzen
-sehr gequält war, sagte sie am Morgen zu ihrem Gatten:
-Ach, Alexander! das war nicht die Aussicht, die wir
-hatten, als Du mich heimlich, fast mit Gewalt aus dem
-Hause meiner guten Eltern nahmst. Welche Pläne machten
-wir damals, was hofften wir Alles von unsrer Liebe. Nun
-ist Alles dem Tode verfallen! Ach! und welch gespenstisch
-Leben, welch sterbendes Dasein ward mir in Deiner Nähe.
-Nun, ich fühl&rsquo; es, es ist zu Ende.
-</p>
-
-<p>
-Nein, geliebte Theodora, tröstete sie der Mann: nein,
-meine Geliebteste, ohne die das Leben mir selbst nur eine
-Last seyn würde. Glaube mir, Alles nähert sich einer glücklichen
-Entwicklung. Ich sehe, Du wirst mit jedem Tage
-besser, in wenigen Monaten ist Deine Gesundheit und die
-Blüthe Deines Leibes wiedergekehrt. Du bist wieder heiter
-und froh, Du hast wieder Muth und Kraft, wie in den
-ersten Tagen unsrer Liebe.
-</p>
-
-<p>
-Liebst Du mich denn noch? fragte die Kranke, mit einem
-sterbenden Blick.
-</p>
-
-<p>
-Theodora, rief Sangerheim, außer sich vor Schmerz;
-diese Frage und dieser Blick könnten mich tödten. Es wühlt
-mein Herz um, und zernichtet meine Kräfte, daß diese Zweifel
-Dir immer wiederkehren.
-</p>
-
-<p>
-Ich darf nicht sprechen, antwortete sie matt, denn Deine
-<a id="page-264" class="pagenum" title="264"></a>
-Heftigkeit geht dann wie ein schneidend Messer durch meinen
-Leib und meine Seele.
-</p>
-
-<p>
-Ich will sanft seyn, milde, Geliebte, antwortete er
-demüthig, sprich Deinen Kummer aus, nur zweifle an meiner
-Liebe nicht.
-</p>
-
-<p>
-Was nennst Du so? fuhr sie fort; Deine Liebe ist Dir
-doch nicht heilig, Du opferst sie auf, sie ist Dir nur Mittel
-zu andern Zwecken. O, mein Engel, wenn Du Dich von
-jener Verbindung losmachen könntest, o zerbrich sie, mein
-süßes Herz, entzieh Dich jener Gesellschaft, die mir immer
-schrecklicher erscheint, die Dich verderben wird.
-</p>
-
-<p>
-Nein, meine Liebste, antwortete Sangerheim gerührt,
-ich erkenne Deine Liebe in jedem Deiner Worte, aber diese
-Männer, von denen ich Dir einmal in einer schwachen Stunde
-erzählt habe, kennst und würdigst Du nicht. Denke nur zurück,
-wie arm, wie dürftig unser Leben war. Als österreichischer
-Offizier, in einer kleinen Garnison, von rohen,
-unwissenden Menschen umgeben, mit schmalem, unbedeutendem
-Gehalt, ohne Hoffnung, es weiter zu bringen, &mdash; was
-war da unser Loos? Wie armselig, dürftig und verächtlich
-war diese Existenz! Und betrachte jetzt den Ueberfluß, die
-Ehre, den Schwarm der Freunde und Bewunderer.
-</p>
-
-<p>
-O Alexander, seufzte sie, führe mich in jene enge Dürftigkeit
-zurück, gieb mir unser damaliges Leben wieder, und
-ich will Dir auf den Knieen danken. Wir waren gesund,
-wir hatten uns keine Vorwürfe zu machen, denn die Eltern
-waren mir wieder ausgesöhnt. War unser Einkommen klein,
-unsre Habe unbedeutend, so genossen wir Alles mit kindlichem
-dankbaren Sinn und mit einem reinen Gewissen. Als
-Du in jene Verbindung getreten warst, nahmst Du Deinen
-Abschied, mußtest ihn nehmen. Seitdem ist Alles so unklar
-und unheimlich. Und unser Wohlstand: mir ist, Du stehst
-<a id="page-265" class="pagenum" title="265"></a>
-auf einer dünnen, dünnen Eisrinde, und unter Dir liegt
-der tiefe Abgrund.
-</p>
-
-<p>
-Geliebteste, Freundin, Gattin, erwiederte er liebkosend,
-beruhige doch endlich Deine Seele über diesen Punkt. Wie
-wird sich Alles anders, und zu Deiner schönsten Zufriedenheit
-entwickeln. Jenen edlen Männern darf ich vertrauen,
-denn ich war ja Zeuge, daß sie Uebermenschliches vermögen
-und wissen. Wie viel haben sie mir schon anvertraut, wie
-Vieles vermag ich durch sie. Mit jeder Post kann es ankommen,
-das Größte, das Beste, was noch zurück ist, in
-jedem Reisenden kann der Ersehnte vom Wagen steigen, der
-mir Alles enthüllt, so daß keine Frage und kein Wunsch
-mehr übrig bleibt. Alle ihre Briefe deuten auch dahin.
-</p>
-
-<p>
-Brauche ich Dir zu sagen, antwortete die Kranke, daß
-Alles, was Du bis jetzt errungen hast, Kunststücke sind, die
-nur darum den Menschen unbegreiflich und wundervoll erscheinen,
-weil die Wissenschaft sie noch nicht gefunden hat?
-Jeder Gelehrte kann sie zufällig entdecken, und diese donnernden
-Explosionen, die sich durch einen Wurf, ohne Spur
-entladen, werden dann vielleicht ein Spielwerk, mit dem sich
-die Kinder erschrecken. Und Deine Operationen, diese Blendwerke
-der Erscheinungen, diese Bilder, die Du zeigst, Deine
-künstliche, innerliche Sprache, die, wie aus der Ferne, wie
-die eines Fremden klingt, und womit Du so Viele entsetzest,
-und sie zu Deinen Zwecken führst; daß ich selbst auch als
-Geist auftreten muß, &mdash; o Alexander, wohin sind wir gekommen?
-Wie muß die Welt uns ansehn, wenn Alles einmal
-bekannt wird.
-</p>
-
-<p>
-Liebste Frau, sagte Sangerheim beängstigt, Du hättest
-Recht, wenn wir nicht mit den Edelsten aller Menschen, mit
-den Uneigennützigsten, mit den Weisesten in Verbindung ständen.
-Daß sie das Beste wollen, daß ihre Pläne gut sind
-<a id="page-266" class="pagenum" title="266"></a>
-und zum Heil aller Menschen hinstreben, davon dürfen wir
-uns überzeugt halten, so seltsam auch ihre Wege, so krumm
-sie auch laufen mögen. Ihnen liegt es ob, dies zu verantworten,
-wenn sie im Unrecht seyn sollten. Ich muß erfüllen,
-was ich ihnen gelobt habe. Ich kenne die Täuschung, die ich
-mir erlaube, aber ich bin vom guten Zweck überzeugt. Und
-jenseit aller Täuschung sind wir ja im Besitz so manches
-wahren Wunders. Dein Gebet wirkt kräftig, das meinige
-stimmt Deinen Geist. Du siehst, Du sprichst mit abgeschiedenen
-Freunden, sie entdecken Dir Geheimnisse; Du siehst
-in weite Ferne und durch verschlossene Thüren. Dir ist,
-wenn Du fest willst, Nichts verborgen.
-</p>
-
-<p>
-Die blasse, leidende Gestalt seufzte schwer. Ach, Liebster!
-klagte sie dann mit erlöschenden Tönen, daß ich auf
-diese Weise in Deinen weltlichen Absichten Dir habe helfen
-müssen, ist vielleicht die größte Sünde, die Dir der Himmel
-nicht anrechnen, und mir meine Schwäche und Nachgiebigkeit
-verzeihen möge. Die Liebe zu Dir hat mich weit geführt.
-Dieser künstliche Schlaf, dieser unnatürliche, den Du mir
-Anfangs erregtest, und der sich jetzt immer mehr von selbst
-einstellt, hat mir Gesundheit und alle Kräfte aufgezehrt. Oft
-weiß ich nicht mehr, ob ich noch bin, und kann mich auf
-meinen eignen Namen, oder auf Deine Gestalt nicht besinnen.
-Ja wohl ist dies eine Zauberei zu nennen, die den
-Menschen aus seinem eignen Innersten entrückt; aber eine
-verderbliche. So Vieles habe ich Dir entdecken müssen, hier
-und in jener Stadt. Mir ist, ich habe nicht allein die
-Kräfte meines Körpers, sondern auch Theile meiner Seele
-dabei zugesetzt. Wenn Du mich so auf eine Frage gewaltsam
-hinheftest, wenn ich im Schlafe sehen und finden muß,
-was Du verlangst, so dehnt es sich in meiner Brust, in
-meinem Kopf. Diese fließenden leichten Gewölke werden
-<a id="page-267" class="pagenum" title="267"></a>
-immer dünner und feiner, und mein Selbst, mein Sein
-weicht wie in eine schwindelnde Ferne hinweg, daß ich in einer
-entsetzlichen Angst nach ihm zurückblicke. Jenes fließende,
-fliehende Wesen, das ich selbst nicht mehr bin, faßt und sieht
-dann in meinen Körper, in Dich, in alle Wesen mit einem
-kalten Schauder hinein. Ich frage, ohne den Sinn zu wissen,
-und höre von Geistern die Antwort, und sage sie Dir
-im Schlaf, und Alles ist nur ein Echo. Oft, wenn ich dann
-wieder erwachen soll, greift das blasse, fließende und entflohene
-Wesen nach dem eigentlichen Ich mit Entsetzen zurück,
-und kann es nicht wieder finden. Nein, mein Ich ist manchmal
-fort; ich kann mich auf mich selbst nicht besinnen.
-Der Geist fürchtet, er könne vergehn, sich selbst vernichten.
-Nein, Liebster, wenn Du noch einiges Erbarmen mit mir
-hast, nicht mehr diese Experimente, versprich es mir.
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim gab ihr geängstigt stumm die Hand. Er
-wußte wohl, wie viel er ihren künstlich erregten Visionen zu
-danken hatte. Durch dieses Mittel hatte er damals für den
-Rath Seebach jenes Dokument gefunden. Er stand jetzt an
-einem furchtbaren Scheidewege seines Lebens. Denn ohne
-daß seine Gattin ihn so schmerzlich zu erinnern brauchte, war
-er selbst schon mehr wie einmal an sich und seinem Beginnen
-irre geworden. Er fing in manchen Stunden an zu
-zweifeln, ob denn der Zweck die Mittel heiligen könne. Eine
-Lehre, die ihm bis dahin als unerschütterlich erschienen war.
-Mit Angst wartete er auf Briefe und Aufschlüsse, die man
-ihm verheißen hatte, damit er den Trug könne fallen lassen,
-seinen Eingeweihten ein eigentliches Geheimniß sagen und
-erklären, und im Besitz wirklicher Wunderkraft, des Steines
-der Weisen und der Tinktur glücklich seyn. Er hatte nach
-seiner Ueberzeugung erfüllt, was er versprochen hatte, ja
-mehr ausgerichtet, als man erwarten konnte, aber die letzten
-<a id="page-268" class="pagenum" title="268"></a>
-Briefe, die er erhalten und die er sehnend erwartet, sprachen
-so zweideutig, erfüllten so wenig, was er forderte, und
-umgingen die Frage so behutsam, daß er sich mit allen
-Kräften der Hoffnung und des Vertrauens nur einigermaßen
-beruhigen und auf die nächsten Nachrichten vertrösten
-konnte.
-</p>
-
-<p>
-In dieser Verstimmung seines Gemüthes faßte er die
-Hand der Kranken, und machte, ohne daß sie es bemerkte,
-die Striche, die den Schlaf herbei riefen. Sie entschlummerte
-mit einer Zuckung Augenblicks, indem sie nur noch
-wimmernd: nicht Wort gehalten! im halben Wachen ausstieß. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Er fragte sie jetzt um die Zukunft. Der Busen der
-Kranken arbeitete schwer. Ach! Nichts! Nichts sehe ich, sagte
-sie, wie schluchzend in sonderbaren Tönen: da liege ich, weit,
-weit weg; nicht ich, &mdash; die Hülle. &mdash; Glanz, Licht, &mdash; aber
-ohne Schein. Es saugt mich hinauf. Meine Mutter nimmt
-mich, nicht meine Mutter, ihre Liebe, das ist mehr als sie.
-Wie rein ist ihr Herz. Das reinigt auch meinen Geist, mich.
-Mir wird so leicht, so wohl. Das, was ist, ist nicht eigentlich.
-Wir verstehn es unten nicht. Alles nur Schein, Hülse,
-der Tod. Das Sein ist anders: kann unten nicht gefaßt
-werden.
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim richtete durch Fragen ihre Gedanken anders.
-O weh! rief sie in einem scharfen Ton: &mdash; da ist
-Dunkel, Verwirrung, das Elend. O du Lügner, warum
-verkehrst du mit der Lüge so holdselig? Dein Herz bricht,
-dein Kopf zerspringt. &mdash; Nach jenem Dunkeln soll ich forschen,
-sehn? Mein Auge reicht nicht hin, mein Zittern verdämmert
-mir den Blick. Alles schwarz. Aber näher kommt&rsquo;s.
-Grauen, Angst, kein Licht. Sie brüten selbst, sie suchen.
-<a id="page-269" class="pagenum" title="269"></a>
-Keine Liebe in ihnen. &mdash; Ja wohl ist es aus, aus für dieses
-Leben. Brief geschrieben, gesiegelt. Kann nicht &mdash; kann
-nicht lesen. Wär&rsquo; es gut, könnt&rsquo; ich&rsquo;s; die Liebe könnte lesen,
-so bleibt&rsquo;s finster. &mdash; Ach! &mdash; du, &mdash; du &mdash; auch fort, weggetragen,
-&mdash; willst mich nicht kennen, nicht hier kennen, wo
-Friede ist? Sehe dich gehen, höre deine Stimme, kann dein
-Gesicht nicht finden; wo die lieben Augen? &mdash; Alles weg!
-</p>
-
-<p>
-Ach! so, so ist es gemeint? fing sie nach einer Pause
-wieder an; ja, ja, es wird ihm schwer gemacht. Er hieß
-Alexander. Gut war ich ihm, er war so lieb. Wird wieder,
-aber spät, spät, &mdash; ach! kann er glauben? Gott, du
-bist gnädig. &mdash; Laß ihn nicht zu sehr verfinstern. Jesus,
-vergieb ihm. &mdash; Nun ist es weg. Nun ist mir wohl. Nie
-werde ich mehr in die Tiefe des Irdischen schauen. Alle
-Tiefe vergeht; es wird Alles Ein Augenblick, Eine Gegenwart,
-Ein Lichtpunkt, und ich unsichtbar, mir selbst unfühlbar,
-in der Mitte des himmlischen Punktes. Nichts war,
-Alles ist und bleibt. Es zieht, es flieht nicht mehr, festes
-Bild wird es. &mdash; Nun reicht der Strahl aus mir nicht mehr
-zurück, er ist zu kurz, das Leben ist fern, weit und fern:
-besser so, &mdash; denn &mdash; nein &mdash; besser so &mdash; ach! kein Sehnen
-mehr, kein Schmerz mehr, &mdash; die Freude war schon
-lange todt.
-</p>
-
-<p>
-Sie verstummte: er horchte, er wiederholte die Striche
-und verstärkte seine innere Aufmerksamkeit, aber die Entschlafene
-sprach nicht. Da sein Bemühen heut, was noch
-nie gewesen, vergeblich war, so strich er mit den Händen in
-entgegengesetzter Richtung, um sie wieder zu erwecken, aber
-eben so fruchtlos, sie erwachte nicht wieder, denn sie war
-gestorben.
-</p>
-
-<p>
-Als er sich nach manchen vergeblichen Bemühungen, sie
-wieder ins Leben zu rufen, von der Wirklichkeit ihres Todes
-<a id="page-270" class="pagenum" title="270"></a>
-überzeugen mußte, warf er sich verzweifelnd zu ihren Füßen
-nieder, und wüthete gegen sich selber. Wie er etwas mehr
-zur Besinnung gekommen war, rief er aus: ja, du, du Unglückseligster,
-hast die Aermste ermordet! Was ist mir alles
-Leben nun ohne sie? Ohne sie, für die ich mir Glanz und
-Wohlstand wünschte? Wie schaal und abgenutzt liegt jetzt
-mein ganzes Dasein vor mir, wie arm, was ich etwa noch
-erstreben kann. Und wie liebte sie, die Aermste, mich Unwürdigen!
-Als sie damals, wie ihre Krankheit zuerst sich
-verkündigte, von der langen Ohnmacht erwachte, war ihr
-erstes Lebenszeichen, daß ihr redlicher Blick mich gleich suchte.
-Sie hatte alles Andre vergessen, aber nicht, daß ich um sie
-bekümmert war. Sie hätte mir ja auf unsern Spaziergängen
-gern jeden rauhen Stein aus dem Wege geräumt. Und
-mein Dank für alle diese Hingebung? &mdash; Daß ich ihre Gesundheit
-durch diese magnetischen Künste vernichtete, daß ich
-ihren Geist verwirrte, daß ich muthwillig ihr liebendes Herz
-zerbrach. Nein es giebt keine größere Sünde, es giebt gar
-keine andre, als die der Mensch gegen die Liebe begeht. &mdash;
-Ach! Du Süßeste! wo ist jetzt Deine blühende Jugend? Wo
-sind die Rosenwangen, und das Grübchen des freundlichen
-Lächelns, mit dem ich Dich neckte, wenn wir im kleinen
-Garten Deiner Eltern zwischen den Rosenbüschen saßen?
-Wo sind nun alle die Träume der Liebe? Wo die Pläne,
-die wir für das Leben entwarfen? Diese blasse Hülle, die
-hagre Gestalt ist von all der Lust und Freude übrig geblieben,
-um mir zu sagen, wie armselig und kläglich das menschliche
-Leben sei, um mir zuzurufen, daß ich ein Bösewicht,
-ein Verworfner bin, der trotzig durch das Leben geht, und
-Dich, süße Blume, roh zertreten hat.
-</p>
-
-<p>
-Er setzte sich wieder zum Leichnam nieder, faßte die
-dürre Hand, bedeckte sie mit Küssen, und weinte bitterlich.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-271" class="pagenum" title="271"></a>
-Wort müssen, Wort werden sie mir halten, sagte er
-nach einer Weile zu sich selber; mein Elend wäre zu unermeßlich,
-wenn sich auch diese Hoffnung in Tod und Leiche
-verwandelte. Was bliebe mir? Die nackte, kahle Lüge, der
-verächtliche Betrug. Dem könnte, dem möchte ich nicht ferner
-leben. Ist denn sterben so schwer? Sie ist erloschen,
-wie die Kerze, wie der letzte still verborgne Funke in der
-Asche. Wenn ich verloren bin, so will ich kein Dasein erbetteln,
-und in Lumpen und dem Auskehricht des Lebens
-Kleinodien suchen, die ich wirklich besaß und wegschleuderte,
-als ich noch wie ein König glücklich war. Jenseit will ich
-sie dann wieder aufsuchen und das keck verachten, was Verachtung
-verdient. &mdash; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Bei ihrem Begräbniß folgten die vertrautesten der Brüder.
-Er schien seine Fassung wieder errungen zu haben. In
-fester Stellung, mit edlem Schmerz stand er am Grabe der
-Geliebten und sah die theuern Ueberreste versenken. Freilich
-war es ihm oft, als wenn alles Leben nur ein Traum sei,
-oder ein Schauspiel, in welchem er mit Anstand seine Rolle
-zu Ende führen müsse.
-</p>
-
-<p>
-Als er nach Hause kam, fand er folgenden Brief, den
-er hastig erbrach:
-</p>
-
-<p>
-Die &mdash; &mdash; sind mit Euch, mein Freund, nichts weniger,
-als zufrieden, denn Ihr setzt ihr Geheimniß, ihren
-Ruf und ihre Ehre auf ein zu leichtsinniges Spiel. Das ist
-es nicht, was Ihr verheißen habt, und was man von Euch
-erwartete. Es hat sich erwiesen, daß der Rath &mdash; &mdash;, dessen
-Ihr so sicher zu seyn glaubtet, sich kalt zurückgezogen
-hat, daß Ihr jene Stadt meiden mußtet. Und wie lange
-werdet Ihr in der jetzigen Euer Spiel noch forttreiben können?
-Man verwundert sich, man forscht nach, und, was das
-schlimmste ist, man lacht. Wie schlecht seid Ihr dem Charlatan,
-<a id="page-272" class="pagenum" title="272"></a>
-dem Feliciano, gegenüber bestanden! Wer solche plumpe
-Angriffe nicht einmal zurück zu schlagen versteht, der ist zum
-Missionar verdorben. Auf die Anfragen, auf Eure Forderungen,
-kann ich nichts Bestimmtes erwiedern. Es heißt,
-die Loge wird verlegt werden: wenn es geschieht, so ist noch
-nicht entschieden, wohin. &mdash; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim knirschte. Mit Todesschweiß schrieb er
-schnell einige drängende, fordernde, beschwörende und beredte
-Briefe, um das Aeußerste und Letzte zu versuchen, denn
-seine Hoffnung, ein wahrer Magier zu werden, war nun
-fast schon verschwunden.
-</p>
-
-<p>
-Wenn sie mich so um mein Leben betrogen hätten! rief
-er aus, büßen sollten sie es! &mdash; Doch nein, ich zittre vor
-mir selber: weiß ich ja doch, daß sie jeden Laut in der Ferne
-vernehmen, und daß sie jeden meiner Gedanken kennen. Drum
-muß ich, will ich alle meine Gefühle unterdrücken, und nur
-das Beste, Edelste von ihnen erwarten.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Im Hause des Geheimenrathes war Alles so ziemlich
-wieder zur Ordnung zurückgekehrt. Die Hochzeit der Tochter
-näherte sich, und Schmaling war im Bewußtsein seines
-Glückes in solcher Stimmung, daß er selbst die Namen Feliciano
-oder Sangerheim nur ungern nennen hörte. Er verdammte
-den Trieb, sich vom Wunderbaren und Geheimnißvollen
-anlocken zu lassen, so unbedingt, daß selbst Clara ihn
-tadelte, wenn er auf Geistergeschichten oder Erzählungen schalt,
-die durch ein gewisses Grauen die Aufmerksamkeit spannen, und
-die Phantasie in Thätigkeit setzen. Er wollte kein unschuldiges
-Spiel hierin mehr erkennen, sondern meinte, diese Anlage und
-Stimmung unseres Geistes sei durchaus verderblicher Natur,
-und könne nur zum Unheil führen, es sei daher die Pflicht
-<a id="page-273" class="pagenum" title="273"></a>
-eines jeden Verständigen, diesen Trieb in sich völlig auszurotten.
-</p>
-
-<p>
-Der Vater hatte unterdessen an seinen Sohn Anton
-geschrieben, um ihn zu bewegen, zu seiner Familie zurückzukehren.
-Nur Einiges hatte er ihm von jenen Geständnissen
-gemeldet, die der trunkene Magier gegen Schmaling halb
-unbewußt gethan hatte; er hatte ihn auf die Gefährlichkeit
-dieser Verbindung, auf seine bedenkliche Stellung zur Welt
-aufmerksam gemacht, er hatte ganz den Vater und die väterliche
-Autorität, so milde der Brief war, sprechen lassen,
-aber vergeblich. Der Sohn antwortete in einem scharfen,
-höhnenden Tone: wie sonderbar es sei, daß der Vater jetzt
-gegen Geheimnisse spreche und große Charaktere verfolge, da
-doch er, der Sohn, von Jugend auf so viel von diesen Geschichten
-in seiner Familie habe vernehmen müssen. Es sei
-ja bekannt genug, wie er selbst früher gegen alle leere Schwärmerei,
-Geistersucht und dergleichen gesprochen habe, er habe
-sich nie blenden lassen, und wenn er jetzt einer andern Ueberzeugung
-folge, so könne man ihm wohl zutrauen, daß er geprüft
-und untersucht habe, und nicht leichtsinnig einem unreifen
-Gelüste folge. Wenn Verleumder seinen großen Meister
-lästerten, so geschehe nur, was sich seit den ältesten Zeiten
-ereignet habe, daß der Pöbel die Wohlthäter der Menschen
-und die leuchtenden Genien verfolge. Was seinen Schwager
-Schmaling betreffe, so verachte er einen solchen Elenden
-zu tief, um irgend noch Worte über ihn zu verlieren. Sein
-Meister habe ihm diesen Lügner und dessen Verächtlichkeit
-hinlänglich geschildert. Er hoffe übrigens, in der Lage zu
-seyn und zu bleiben, daß er weder auf einen Theil des
-väterlichen Vermögens, noch auf irgend eine Unterstützung
-Ansprüche zu machen brauche, wünsche aber dagegen, daß
-<a id="page-274" class="pagenum" title="274"></a>
-man ihn nicht hofmeistere, als ein Kind behandle, das der
-Zurechtweisung noch bedürfe. Er werde in Zukunft, wenn
-er der Familie selbst zu Glanz und Ehre verhelfe, übrigens
-gern vergessen, daß er früher einmal von seinen allernächsten
-Verwandten so sei verkannt worden.
-</p>
-
-<p>
-Der Vater, der Obrist und Alle erstaunten über die
-ungeheure Verblendung des Sohnes, vorzüglich, wenn sie
-seiner früheren Art gedachten.
-</p>
-
-<p>
-Die Zeit war indessen herangekommen, in welcher Sangerheim
-versprochen hatte, durch Rückzahlung des letzten Capitals
-seine geheimnißvollen Papiere auszulösen. Geschah es
-nicht, so gehörten dem Rathe diese Mysterien, die von der
-höchsten Wichtigkeit seyn sollten, und von denen selbst das
-Leben Sangerheims, wie er geäußert hatte, abhinge. Der
-geheime Rath machte sich also mit jenen wichtigen, fest verschlossenen
-und vielfach seltsam versiegelten Dokumenten auf
-den Weg nach jener Stadt, in welcher der Magier seitdem
-seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Der Professor Ferner begleitete
-ihn. Sie reiseten in der Nacht, und wechselten vielfältige
-Gespräche, indem sie sich alter Zeiten und vieler Erfahrungen
-erinnerten. Der Professor sagte endlich: Sei der
-Mensch auch so ruhig und fest, wie er immer wolle, er hat
-eine Stimmung, einen Moment der Schwäche, wo ihn doch
-Dasjenige wiederum ergreifen und beherrschen kann, was er
-längst abgeschüttelt zu haben glaubt. Und so ist es mit Zeiten
-und Völkern auch. Wer kann unterscheiden oder bestimmt
-verneinen, ob es nicht physische Krankheit sey? Ob es oft
-nicht in der Luft liege, und wie jede Seuche anstecke? Es
-scheint zu Zeiten unmöglich, sich gegen den Einfluß der Thorheit
-zu schützen, so wie wenn der Körper erst durch Mangel
-an Diät oder Zufälligkeiten so gestimmt ist, man der Erkältung
-<a id="page-275" class="pagenum" title="275"></a>
-durchaus nicht ausweichen kann, verwahre man sich
-auch, wie man will. Jetzt ist es mir völlig unbegreiflich,
-wie ich mein geliebtes Kind jenem Wunderthäter hingeben
-konnte, es erscheint mir jetzt als ein völliger Wahnsinn, als
-gottlose Sünde; und doch pries ich mein Geschick (und seitdem
-sind nicht viele Monde verflossen), daß jener große
-Mann den Knaben würdigen wollte, ihn in die Schule und
-sich seiner anzunehmen. Ist aber unsre Schwäche so groß,
-oder ist es zuweilen ein Fatum, das uns ergreift, eine unausweichliche
-Nothwendigkeit, so sollten wir wohl im Leben
-gegen unsre Nächsten, oder in der Geschichte gegen merkwürdige
-Verirrungen billiger und nachsichtiger seyn, als wir
-uns bewußt sind, diese Nachsicht auszuüben.
-</p>
-
-<p>
-Es muß sich austoben, erwiederte der Rath; das ist
-ein Ausdruck, den ich mir seit einiger Zeit angewöhnt habe.
-Das ist der einzige trostlose Trost, den ich mir in Ansehung
-meines Sohnes geben kann, den ich für verloren achten
-muß. &mdash; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Sangerheim war indessen in einer Stimmung und Gemüthsverfassung,
-die sich schwerlich darstellen läßt. Auf seine
-vielen und dringenden Schreiben hatte er noch einmal eine
-kurze Antwort von einem Manne erhalten, der sich früher
-seinen Freund nannte, und der ihm jetzt meldete, dies sei
-der letzte Brief, den er ihm senden könne, indem er eben in
-den Wagen steige, um nach Italien, und von dort nach
-Griechenland und Constantinopel zu reisen. Von Geldsendungen
-war keine Rede, und doch hatte Sangerheim auf
-diese, und zwar auf sehr bedeutende, gerechnet. Er meinte,
-er dürfe es, nach allen früheren Betheuerungen und Versprechungen.
-Er war von Schulden bedrängt; um glänzend
-aufzutreten, hatte er Alles wieder ausgegeben, was ihm von
-<a id="page-276" class="pagenum" title="276"></a>
-Freunden und Schülern zugeflossen war. Um sein Ansehn
-zu vergrößern, und sich mehr Zutrauen zu erwerben, war
-er in der Wohlthätigkeit ein Verschwender gewesen. Er schrieb
-noch einmal, und zwar unmittelbar an einen Mann, den er
-für einen jener Obern halten mußte, aber indem er in Angst
-die Sekunden auf seiner Uhr zählte, und der Antwort Flügel
-wünschte, kam sein eigner Brief ihm zurück, mit der Anweisung
-vom Postamt, kein Mann von dem Namen sei in
-der Stadt zu finden.
-</p>
-
-<p>
-Nun sah er, daß man ihn völlig verlassen, daß man
-ihn ausgestoßen hatte. Es wurde ihm hell in allen Sinnen,
-daß er gebraucht sei, eine Büberei auszuführen, und daß
-man jetzt diese nothgedrungen aufgegeben habe, oder ihn
-wenigstens für unpassend halte, sie zu vollbringen. Er war
-bis dahin überzeugt gewesen, wenn er auch die Pläne seiner
-Obern nicht ganz durchschaute, daß er etwas Gutes und
-Edles wirke, wenn auch durch Mittel, die sich nicht vor der
-strengen Moral rechtfertigen ließen. Ihm war ein brennender
-Haß gegen die sogenannte Aufklärung, gegen jenen Indifferentismus,
-der seine Zeit charakterisirte, beigebracht
-worden. Er hielt es für nothwendig, daß jene Freimaurer,
-die sich der Rosenkreuzerei, dem Goldmachen und Geisterrufen
-widersetzten, als Schädliche und Verderbliche ausgerottet
-werden müßten, weil sie hauptsächlich durch ihren
-Einfluß und ihre Logen jene lebentödtende Aufklärung verbreiteten.
-Er glaubte wohl, daß ein Werben für die katholische
-Kirche auch eine Aufgabe seiner Sendung sei, unterzog
-sich aber auch diesem gern, weil er in dieser Lehre auferzogen
-war, und sie, ohne sie zu prüfen, oder die protestantische
-zu kennen, für die bessere hielt. Mit seinem Wunderglauben
-und seiner Schwärmerei hatte er sich eine eigne
-<a id="page-277" class="pagenum" title="277"></a>
-Lehre ausgebildet, die der orthodoxe Katholik gewiß nicht
-gebilligt hätte. So hin und her geworfen von Leidenschaften
-und chimärischen Hoffnungen, wähnend, ganz nahe an die
-Erfüllungen seiner höchsten Wünsche zu reichen, durch sophistische
-Ausreden über sein trügendes Thun beruhigt, sich als
-Lügner kennend, und sich dennoch für einen wahren Wunderthäter
-haltend, seine Gattin liebend, und sie doch seinen
-verdächtigen Zwecken aufopfernd, war er in allen diesen tollen
-Widersprüchen fast in ein gespenstisches Wesen verwandelt
-worden, das ohne innern Halt jeden Tag nur so hingaukelte,
-von Neuem täuschte und getäuscht wurde, und nie zur Besinnung
-kam. Jetzt fielen alle diese Larven von ihm ab, er
-lernte sich selbst erst kennen, und entsetzte sich vor dem Auge
-der Wahrheit und seiner eignen Nacktheit.
-</p>
-
-<p>
-So bin ich denn, sagte er zu sich selbst, zugleich der
-Unglückseligste und Verworfenste aller Menschen. Der Inhalt
-meines Lebens ist ein Possenspiel, über das man lachen
-möchte, und zugleich so tragisch und entsetzlich, daß sich mir
-die Haare aufrichten. Wie können jene Menschen, die sich
-gut und weise nennen, es irgend mit ihrem Herzen ausgleichen,
-daß sie mich geschlachtet, und mir Geist und Leib zu
-Grunde gerichtet haben. So einsam, so ganz zernichtet war
-noch nie ein Mensch. Die Freunde, Beschützer, Mächtigen,
-auf die ich mich so sicher mit meinem ganzen Glücke lehnte,
-sind gar nicht da in aller weiten Welt, nirgend zu erfragen,
-wie Traumgestalten, wie Wolken verschwunden. Jeder Mensch,
-dem ich meine Noth klagen wollte, müßte es für wahnwitzige
-Lüge halten. &mdash; Ach Theodora! wie Recht hattest du. Warum
-vernahm ich denn deine Bitten und Warnungen nicht? Auch
-sie ist zertreten worden, so wie ich. O wenn sie noch da
-wäre, wie gern würde ich mit ihr als Tagelöhner, als Bettler
-<a id="page-278" class="pagenum" title="278"></a>
-leben. Und Nichts bleibt mir; nicht die elendeste Hülfe,
-nicht der kümmerlichste Trost.
-</p>
-
-<p>
-Er sann hin und her, was er beginnen könne, aber jede
-Aussicht war verschlossen. Sein Trug mußte entdeckt werden,
-dem Manche schon auf die Spur gekommen waren.
-Die prophetische Gabe seiner unglücklichen Gattin konnte ihm
-auch Nichts mehr fruchten, um seine künstlichen Lügen mit
-halber Wahrheit oder seltsamen Entdeckungen zu unterstützen.
-Er dachte wohl daran, ob er nicht einige von Denen um
-Hülfe ansprechen sollte, denen er, als ihm große Summen
-zu Gebote standen, reichlich geholfen hatte, aber er verwarf
-diesen Gedanken sogleich als unstatthaft, weil er einsah, daß
-Dieselben, die ihn in der Noth als ein göttliches Wesen behandelt
-hatten, ihm jetzt kalt den Rücken kehren würden.
-Und so, dachte er, habe ich von meinem verlornen Leben
-nicht einmal den Nutzen, den jeder Dieb genießt, bevor er
-zum Galgen geführt wird, daß er Geld und Gut besitzt,
-oder mit seinen Spießgesellen schwelgt, und Wein und Wollust
-ihn übersättigen.
-</p>
-
-<p>
-Er fiel darauf, sich dem geheimen Rath ganz zu entdecken.
-Dachte er aber an das Auge des ernsten Mannes,
-und wie viel er von ihm gezogen hatte, so verwarf er auch
-diesen Gedanken. Nein, rief er, die Ehre verbietet mir
-diese schmähliche Auskunft, die mich zu sehr erniedrigen
-würde.
-</p>
-
-<p>
-Sonderbar, daß in der Verzweiflung und tiefsten Selbstverachtung
-die Menschen noch von diesem Phantom regiert
-werden können, das nur Wesenheit erhält, wenn der Edle,
-Tugendhafte sich von Rücksichten lenken läßt, um die gute
-Meinung seiner Zeitgenossen, sei es auch im Vorurtheil, zu
-erhalten. Der Lügner will aber oft mit den abscheulichsten
-<a id="page-279" class="pagenum" title="279"></a>
-Lügen die Erde lieber verlassen, als durch eine Handlung
-der Tugend, seine erste vielleicht, indem er die Wahrheit
-bekennt, vor der Menge beschämt werden. Diese Ehre hielt
-ihn von dem edlen, mitleidigen Manne zurück, und stellte
-sich zwischen ihn und diesen wie eine Mauer.
-</p>
-
-<p>
-Denn mit den besten Gesinnungen für den Unglücklichen
-langte der alte Seebach an. Er kannte zwar Sangerheims
-Verbindungen nicht, und wußte eben so <a id="corr-12"></a>wenig, wie diese jetzt
-so ganz von ihm abgefallen waren, aber er war der Ueberzeugung,
-daß Sangerheim sein Versprechen nicht halten
-könne, und er war darauf gefaßt, die große Summe schwinden
-zu lassen, ohne ihm seine Schriften zurückzuhalten, oder
-ihn öffentlich zu beschimpfen, wozu der Magier ihm ein Recht
-gegeben hatte, wenn er seinem Worte untreu würde. Wie
-erstaunte daher der Rath, als ihm Sangerheim mit großem
-Vertrauen und fester Sicherheit entgegentrat, und auf übermorgen
-mit leichtem Sinn die Auslösung der Schriften verhieß.
-Er war selbst heiter, obgleich er mit Schmerz von
-dem Tode seiner geliebten Gattin sprach. Dies Betragen
-war so, daß der Rath selbst wieder unsicher wurde, und
-dem schönen großen Manne gegenüber sich im Stillen Vorwürfe
-machte, daß er ihm so sehr Unrecht gethan habe.
-</p>
-
-<p>
-Der Tag ging hin unter Besuchen und Zerstreuungen.
-Der Arzt Huber, dieser fanatische Anhänger Sangerheims,
-erzählte viel von seinen Hoffnungen, deren Erfüllung er in
-kurzer Zeit zu erleben gedachte.
-</p>
-
-<p>
-Am andern Morgen machte der Rath mit dem Arzte,
-Sangerheim, Ferner und noch einigen Vertrauten einen
-Spaziergang. Als sie die Stadt im Rücken hatten, entspann
-sich in der Kühlung des schönen Morgens ein sonderbares
-Gespräch. Sangerheim sprach von der Flüchtigkeit des
-<a id="page-280" class="pagenum" title="280"></a>
-Lebens, das, gegen die unerschöpflichen Tiefen der Kunst
-und Wissenschaft gehalten, viel zu kurz sei.
-</p>
-
-<p>
-Sie gingen einem Bach vorüber. Alle diese Wellen,
-sagte Sangerheim, gelangen in den Ocean, der dadurch nicht
-voller wird. Ist es nicht eben so mit unsern Seelen? Der
-Tod entführt sie &mdash; wohin? Zu Gott, der keinen Mangel
-kennt, und durch sie nicht größer wird.
-</p>
-
-<p>
-In der Einsamkeit sagte er endlich: Nur zu sehr hatte
-jener Feliciano Recht, daß ich schwere Kämpfe mit den Geistern,
-die nur ungern gehorchen, würde zu bestehn haben.
-Sie wollen es nicht dulden, daß ein Sterblicher so große
-Gewalt über sie erringe. In jeder Minute muß ich wachsam
-seyn. Verabsäume ich gewisse Gebete, könnte ich diese
-oder jene unerläßlichen Vorkehrungen vergessen, so wäre mein
-Leben Augenblicks in Gefahr. Von wie vielen ausgezeichneten
-Männern, die das Reich der Geister sich unterwürfig
-gemacht, wissen wir es nicht, daß sie eines unnatürlichen
-oder gewaltsamen Todes gestorben sind. Oft war es auch
-die Veranstaltung dieser rebellischen Geister, daß die weltliche
-Macht sich eines dieser Männer als eines solchen bemächtigte,
-der mit der Hölle im Bunde stehe, und ihn nach
-dieser falschen Beschuldigung auf den Scheiterhaufen setzte.
-</p>
-
-<p>
-Hin und her wurde über diese Behauptung gestritten.
-Plötzlich rief Sangerheim: Still! meine Freunde. &mdash; Er
-blieb stehn, als wenn er auf Etwas horchte, dann nickte er,
-schüttelte mit dem Kopfe, murmelte einige Worte, und machte
-wieder die Geberde, als wenn er gespannt einer Rede zuhöre.
-Nach einer Weile sagte er: Warten Sie hier einen
-Augenblick. Wovon ich eben sprach, hat leider stattgefunden.
-Eine Kleinigkeit habe ich heute beim Aufstehn unterlassen,
-das Zeichen vor meinem Bette und an der Thür meines
-<a id="page-281" class="pagenum" title="281"></a>
-Schlafzimmers ist nicht in rechter Weise aufgelöset worden,
-nun jagen mir die Ungestümen nach und wagen es, zu drohen.
-Warten Sie hier einen Augenblick, dort in der Einsamkeit
-werde ich sie schon zu zwingen wissen, sie sollen zitternd
-ihren Meister erkennen, und mir nicht zum zweiten
-Male drohen.
-</p>
-
-<p>
-Er entfernte sich mit triumphirender Miene und in
-stolzer Zuversicht. Als er hinter den Gebüschen verschwunden
-war, hörte man Zank und Streit von vielen verschiedenen
-Stimmen, und Sangerheims donnernden Ton abwechselnd
-dazwischen, dann einen Knall, wie einen Schuß. Hierauf
-Stille.
-</p>
-
-<p>
-Alle sahen sich erwartend an. Der Rath ging ahndungsvoll
-zuerst nach dem Platz. Der Unglückliche lag todt
-am Boden, das Pistol neben ihm.
-</p>
-
-<p>
-Die Geister haben ihn ermordet! schrie der Arzt heftig:
-o die Elenden, Schändlichen! O Liebster, so bist Du denn
-doch das Opfer Deines Enthusiasmus, Deines brennenden
-Eifers für die Wissenschaft geworden!
-</p>
-
-<p>
-Der Rath sagte kein Wort; jedes schien ihm überflüssig.
-&mdash; Man machte in der Stadt eine Anzeige von diesem Vorfall,
-und am folgenden Tage ward der Leichnam beerdigt.
-</p>
-
-<p>
-Seltsam genug, daß manche der aufgeklärten Freimaurer,
-die von diesem Sangerheim so schlimm waren verfolgt worden,
-jetzt auch die Meinung aussprachen, er sei von seinen
-Geistern, die aber bösartige wären, zur Strafe aller seiner
-Frevel vernichtet worden. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Am andern Tage versammelte der geheime Rath die
-vertrautesten Freunde des Abgeschiedenen in seiner Wohnung.
-Man lösete langsam und bedächtig die Siegel des geheimnißreichen
-Paketes, eine Scheide nach der andern, und wickelte
-<a id="page-282" class="pagenum" title="282"></a>
-einen Umschlag aus dem andern. Jener Knall, der schon
-einmal den Rath erschreckt hatte, ließ sich wieder hören.
-Keiner von Allen war in solcher Spannung, als der Arzt
-Huber. Endlich war Nichts mehr aufzuknüpfen und kein
-Petschaft mehr aufzubrechen, und offen lag vor Aller Augen
-der Inhalt. &mdash; Eine alte französische Grammatik, drei alte
-Kalender, viel Makulatur.
-</p>
-
-<p>
-Die Erbschaft eines Wunderthäters, sagte der Rath
-kalt. Erst jetzt verachtete er den Magier völlig. Nein! rief
-Huber in großem Eifer; die boshaften Geister haben auch
-seine wichtigen Geheimnisse scheinbar verwandelt, um unser
-Aller Augen auf eine Zeitlang zu blenden. Wenn wir uns
-nicht thören lassen, so müssen bald die ächten Skripturen an
-die Stelle dieser Makulatur zurückkehren. Und so bemächtige
-ich mich, im Namen der Kunst, dieser unscheinbaren Papiere,
-um sie vom Untergange zu retten. Kann auch seyn, daß im
-Bande, zwischen den Blättern, oder in Punkten und unterstrichenen
-Buchstaben das Mysterium niedergelegt ist. Ich
-werde wenigstens Tag und Nacht studiren.
-</p>
-
-<p>
-Man ließ ihn gewähren und würdigte ihn keiner Antwort. &mdash;
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Das Schicksal Sangerheims war beschlossen, und die
-meisten seiner ehemaligen Bewunderer gaben ihre Bestrebungen
-auf, retteten Geld und Zeit und kehrten zu besseren Beschäftigungen
-zurück. Nur Huber saß unermüdet bei seinen
-Makulaturen, den alten Kalendern und seiner französischen
-Grammatik, suchte und rechnete, und glaubte, nachdem er
-lange studirt hatte, auch viel Wichtiges gefunden zu haben.
-</p>
-
-<p>
-Schmaling und Clara waren verheirathet. Ihr Glück
-<a id="page-283" class="pagenum" title="283"></a>
-ward durch gute und gesunde Kinder erhöht und man konnte
-die Familie des Rathes eine glückliche nennen, wenn nicht
-Anton in ihr gefehlt hätte, von dem man seit Jahren gar
-keine Nachricht hatte. Auch Feliciano, nachdem er lange an
-verschiedenen Orten in Europa mit mehr oder minder Glück
-seine Rolle gespielt hatte, war endlich, da Keiner mehr, auch
-der erst Verblendete nicht, an seinem Betruge zweifelte, nach
-manchen Abentheuern untergegangen.
-</p>
-
-<p>
-Die Gattin des Rathes pflegte ihre Enkel, und Clara,
-die jetzt Nichts mehr zu bekämpfen hatte, durfte mit Sicherheit
-ihren Charakter, so wie die Anlagen ihres Geistes ausbilden.
-Sie fürchtete nun nicht mehr die Bilder der Phantasie,
-die poetischen Mährchen, oder das Geheimnißvolle in
-dieser oder jener Dichtung, weil es ihr nicht mehr feindlich
-gegenüber stand, und sie über den Charakter ihres liebenswürdigen
-Gatten beruhigt war. Dieser, einmal enttäuscht,
-fühlte niemals die Versuchung wieder, sich in jenes Labyrinth
-zu begeben, dessen Irrgänge er hatte kennen lernen, und
-denen er so glücklich entflohen war.
-</p>
-
-<p>
-So waren im ruhigen Glücke mehr als zwölf Jahre
-verflossen, als sich an einem Morgen früh beim geheimen
-Rathe ein Fremder anmelden ließ, der darauf bestand, den
-Herrn selbst zu sprechen, und sich vom Diener nicht wollte
-abweisen lassen. Die Thüre des Arbeitszimmers ward ihm
-endlich geöffnet, und es trat ein Mann von mittlerem Alter
-hinein, verwildert, ohne Haltung und Betragen, der, als
-ihn der Rath fragte, was er begehre, nur kurz antwortete:
-Und Sie kennen mich wirklich nicht mehr? Eine Ahndung
-ergriff den Vater: Sie sind doch nicht &mdash; Du bist doch nicht
-Anton? &mdash; Er schwankte und der unkenntlich gewordene Sohn
-fing ihn in seinen Armen auf. Sie umfingen sich zärtlich
-<a id="page-284" class="pagenum" title="284"></a>
-und gerührt, dann setzten sich Beide, um sich von ihrer
-Erschütterung zu erholen.
-</p>
-
-<p>
-Bist Du wieder da? fing der Vater nach einer Weile
-an; aber es ist Dir, wie es scheint, nicht gut ergangen.
-</p>
-
-<p>
-Ja, lieber Vater, sagte Anton, Ihr Kind, wenn Sie
-es noch dafür erkennen wollen, tritt fast wie der verlorne
-Sohn in sein väterliches Haus wieder ein. Mein Schicksal
-ist ein elendes, mein Leben ein verlornes. Wenn Sie mich
-verstoßen, so bin ich aller Schmach wieder dahin gegeben,
-dem kläglichsten Jammer, dem ich freilich gern entfliehn
-möchte.
-</p>
-
-<p>
-Wenn ich Dich Sohn, Anton nenne, sagte der Vater,
-so heißt das, daß Du mir eben das seyn wirst, was Du
-mir ehemals warst. Du hattest Dich verblenden lassen, und
-ich wenigstens kann Dir kein strenger Richter seyn.
-</p>
-
-<p>
-Wohl war ich verblendet, erwiederte Anton, und wie
-sehr! so, daß ich noch jetzt immer vor diesem Zustande meiner
-Seele zurück schaudre. Das gemeinste Kunststück, die
-elendeste Kundschafterei hatte damals den Charlatan in den
-Besitz meines Geheimnisses gesetzt, das ich vor Ihnen und
-vor allen meinen Freunden sorgsam verborgen hielt. Ich
-gestand mir meine eigne Schlechtigkeit nicht, und hoffte,
-thöricht genug, Alles solle sich wieder zurecht finden und
-ohne Spur vorüber gehn. Denn der Gedanke war mir
-fürchterlich, Ihnen oder gar meiner Mutter eine solche
-Schwiegertochter vorzuführen, in der Stadt alle meine Verbindungen
-zu zerstören, und durch diese auffallende That mir
-selbst jeden Vorschritt im bürgerlichen Leben unmöglich zu
-machen. Wie jener Feliciano nun mein Gemüth so durch
-eine plötzliche Erschütterung, durch ein scheinbares Wunder
-<a id="page-285" class="pagenum" title="285"></a>
-in seine Gewalt bekommen hatte, war ich ihm unbedingt
-und leibeigen angehörig. Er war mir kein Sterblicher mehr,
-und dieselben Künste und Studien, die ich noch kürzlich verlacht
-hatte, schienen mir jetzt die einzigen würdigen. Ich wollte mein
-Leben an ihre Erforschung setzen. Auch bildete ich mir ein, der
-Lieblingsschüler meines großen Meisters zu seyn, der mich
-verachtete, weil mein hartes einfaches Wesen für seine Absichten
-unbrauchbar erschien. &mdash; Welche Gaukeleien er hier trieb,
-wie sich selbst meine verständige Mutter eine Zeitlang von ihm
-bethören ließ, von allen diesen Dingen sind Sie selbst Zeuge
-gewesen. Aber wie wundersam vielgestaltig ist die menschliche
-Natur. So unbegreiflich, und doch wieder so verständlich.
-Meine Gattin, dieses schlichte Bauernmädchen, dieses
-ehrliche Wesen, dem früher meine Liebe das Höchste, ja das
-einzige Gut des Lebens gewesen war, ward bald ein Liebling
-meines großen Lehrers. Er behauptete, sie sei von der
-Natur ganz eigen begabt, um der wichtigsten Geheimnisse
-theilhaftig zu werden, sie würde in den weiblichen Logen
-bald die höchsten Grade ersteigen, und dann ebenso wie seine
-eigne Gattin, das Mysterium finden, Jahrhunderte zu überleben,
-und mit Geistern und Abgeschiedenen Gemeinschaft zu
-haben. Ich glaubte Alles und erwartete von jeder Woche,
-dann von jedem Monat, ebenfalls ein Eingeweihter zu werden.
-Mein Lehrer spielte indessen dort im Norden eine wichtige
-Rolle und ein großes Spiel. Gold und Juwelen, die
-größten Summen, schienen ihm, wie er damit umging, nur
-Tand. Was verhieß er mir, welche Aussichten eröffnete er
-meinen trunkenen Hoffnungen. Aber auch Opfer begehrte
-er von mir. Um mich zur Weihe vorzubereiten, mußte ich
-die Gesellschaft meiner Gattin vermeiden, fasten, jede weltliche
-Lust und Zerstreuung fliehen. Meine Frau, die mir
-<a id="page-286" class="pagenum" title="286"></a>
-schon im Wissen vorgeschritten war, drang jetzt darauf, damit
-sie kein Hinderniß mehr fände, sich mit den Geistern in
-Verbindung zu setzen und selbst eine Unsterbliche zu werden,
-ich sollte einwilligen, daß wir durch die Gerichte förmlich
-wieder getrennt und geschieden würden. Man hatte meine
-Phantasie so erhitzt, ich erwartete selbst so wundersame
-Dinge zu erfahren, sie strebte so eifrig nach dem höchsten
-Grade, daß ich mich endlich überreden ließ, ja daß ich endlich
-die Nothwendigkeit dieser Scheidung selber einsahe.
-Bald darauf war sie verschwunden. Der Meister erklärte
-sich nicht, sondern sprach nur in geheimnißvollen Winken,
-und gab zu verstehen, daß sie in diesen Augenblicken eines
-großen Glückes genösse. Meine Einweihung zu den höheren
-Graden lehrte mich aber nichts Neues, und ohnerachtet
-meiner blinden Ergebenheit und meines Aberglaubens fing
-ich doch an, ungeduldig zu werden. Man beschwichtigte
-mich wieder. Eine Thorheit löste die andere ab und so verging
-die Zeit.
-</p>
-
-<p>
-Wir mußten uns endlich schnell entfernen, und unsere
-Abreise glich fast einer Flucht. Der Magier sagte mir
-zwar, daß große Begebenheiten und Operationen, die sich
-nicht länger aufschieben ließen, ihn nach einem fernen Lande
-riefen, indessen sah ich doch die Angst des Meisters, ich
-bemerkte, wie seine wichtigsten Anhänger sich von ihm entfernten,
-und die Binde fiel allgemach von meinen Augen
-nieder. Da ich aufmerksam geworden war und ihn nicht
-mehr so, wie bisher fürchtete, konnte ich ihn auch beobachten.
-Auf unsrer übereilten Reise gab er mir Bücher und Papiere,
-auch viele offene Briefe, die, wie er mir sagte, keinen Werth
-hätten, und die ich gelegentlich verbrennen könne. Für mich
-waren diese aber sehr bedeutend, denn da ich, indem ich
-<a id="page-287" class="pagenum" title="287"></a>
-vorangeschickt wurde, um sein Quartier zu machen, nur
-einen flüchtigen Blick in einige Blätter gethan, sah ich wohl,
-daß der Weiseste der Menschen in Angst und Uebereilung
-einen dummen Streich gemacht hatte. Er dachte nicht daran,
-die Sachen zu vernichten, und Zeit mangelte ihm, sie
-anzusehn. Viele Briefe enthielten die Geschichte meiner Frau.
-Sie war einem reichen Fürsten geradezu verkauft worden.
-Sie hatte um die ganze Verhandlung gewußt und sich mit
-der größten Feinheit und List betragen, und zwar so sehr,
-daß sie den bethörten Fürsten vermocht hatte, sie zu seiner
-Gemahlin zu erheben. Dieser aber, so wie sie, hatten dem
-Magier dafür, daß er mich zur Scheidung bewogen und daß
-er den Fürsten ebenfalls verblendet hatte, große Summen
-zahlen müssen. So war sie denn, was die Welt so nennt,
-glücklich geworden. Gegen mich hatte sie sich schlecht betragen,
-indessen verzieh ich ihr, da ich früher gegen sie nicht
-besser gewesen war, und ich empfand einen tiefen Schmerz
-und Reue, indem ich die Veranlassung gewesen, daß ein
-schlichtes einfaches Wesen so die Talente zu List und Betrug
-zur Verderbniß ihrer Seele entwickelt hatte. Denn aus den
-Briefen ging hervor, daß sie und der Graf sich völlig verstanden,
-daß sie mit ihm über die Einfalt der Menschen,
-vorzüglich über die meinige, lachte.
-</p>
-
-<p>
-Als ich mit meinem großen Beschützer an Ort und
-Stelle gelangt war, blieb ich noch eine Zeitlang in seiner
-Nähe, um seine Künste zu beobachten, zu denen er mich
-oft gebrauchte. Ich lebte im Ueberfluß, aber ich kam mir
-vor, als sei ich der Croupier eines falschen Spielers.
-</p>
-
-<p>
-Ich konnte es nicht länger ertragen. Ich schrieb ihm
-Alles, was ich von ihm wußte und dachte, und verließ ihn.
-<a id="page-288" class="pagenum" title="288"></a>
-Und gut, daß ich es gethan, denn sonst wäre ich mit in
-jene Prozesse verwickelt worden, die sich bald gegen ihn erhoben.
-Ich war nun frei, aber auch Nichts als frei, das
-heißt, der armseligste Sclave, der Tyrannei eines jeden
-Augenblicks Preis gegeben, vom Mangel und den Bedürfnissen
-der Natur gemißhandelt. Mich Ihnen zu nähern,
-zurückzukehren, verbot mir eine mächtige Scham, wohl eine
-falsche, denn Nichts wird so sehr mißverstanden, als das
-Wort und der Begriff Ehre. Bald war ich Schreiber, bald
-Aufseher in einem Hause, einigemal Comödiant, auch versuchte
-ich mich als Schriftsteller. Ich konnte mich nie ganz
-fallen lassen und zu jener naiven Niederträchtigkeit hinunter
-steigen, die ich an andern meines Gelichters wahrnahm.
-Endlich nun, an mir und allen Menschen verzweifelnd, thu&rsquo;
-ich den Schritt, den ich vor manchem Jahre hätte wagen
-sollen.
-</p>
-
-<p>
-Der Vater tröstete, beruhigte den Sohn. Er ließ ihm
-Kleider und Wäsche holen, damit die Mutter nicht zu sehr
-erschreckt würde, wenn sie ihn in dieser Gestalt wieder sehn
-sollte. Freude und Trauer war über seine Rückkehr zugleich
-in der Familie, indessen fand man sich nach und nach wieder
-zurecht und in einander und Anton zog auf das väterliche
-Gut hinaus. Hier arbeitete er redlich mit dem Verwalter,
-lernte die Landwirthschaft kennen und konnte nach
-einigen Jahren selber die Bewirthschaftung desselben übernehmen.
-Er gewann die Liebe eines reichen Fräuleins, mit
-der er als nützlicher Landmann glücklich lebte.
-</p>
-
-<p>
-Ferner hatte indessen von seinem verlorenen Sohne nie
-wieder Etwas erfahren, so sehr er sich auch bemüht und
-nach allen Gegenden geschrieben hatte. Er war verschollen
-<a id="page-289" class="pagenum" title="289"></a>
-und der Vater glaubte, er sei gestorben. Der Gelehrte
-mußte in Familienangelegenheiten eine Reise nach dem südlichen
-Deutschland unternehmen. In einer mäßigen Stadt
-zeigte ein Italiener, ein Taschenspieler, seine Künste. Der
-Professor war sonst kein Freund dieser Gaukeleien, indessen
-ist auch der strenge Mann in der Fremde leichteren Sinnes,
-als zu Hause, und da man von dem jungen Mann als
-einem wahren Wunderthäter sprach, der Dinge zeige, die
-selbst andre Spieler nicht begreifen könnten, so ging Ferner
-mit einer Gesellschaft, neugierig gemacht, nach dem Saale.
-Was der junge Künstler ausführte, war in der That bewunderungswürdig,
-besonders durch die leichte Sicherheit,
-mit der er das Schwierigste scherzend zu Stande brachte.
-Indem der Professor die schönen leichtfertigen Hände des
-Spielers betrachtete, fiel ihm ein kleines braunes Mal am
-rechten Zeigefinger auf, er ward aufmerksamer, betrachtete
-das Gesicht und forschte in den Augen, und glaubte endlich
-überzeugt seyn zu können, dieser Taschenspieler sei sein
-verlorener Sohn. Sein Herz war bewegt, und er konnte
-an den vielen wunderbaren Erscheinungen keinen Antheil mehr
-nehmen.
-</p>
-
-<p>
-Als das Schauspiel vorüber war, und sich die Zuschauer
-vergnügt und befriedigt entfernten, blieb er, unbeobachtet,
-allein im Saale zurück. Als dieser ganz leer
-war, redete er den fremden Künstler italienisch an, um seine
-Frage vorzubereiten, dieser aber antwortete gleich deutsch,
-und warf sich dem Vater in die Arme.
-</p>
-
-<p>
-Nach einigen Reden, in welchen der Vater die Verlornen
-Jahre des Sohnes beklagte, sagte dieser: Liebster Vater,
-ich erkannte Sie sogleich, als Sie in den Saal traten,
-und alsbald nahm ich mir auch vor, mich Ihnen zu erkennen
-<a id="page-290" class="pagenum" title="290"></a>
-zu geben, ob ich gleich bis jetzt gezögert habe, an Sie
-zu schreiben, und mich Ihnen wieder zu nähern. Schelten
-Sie mein Handwerk nicht, denn es nährt seinen Mann.
-Sie sehn auch, daß ich mich Professor schreibe. Zwar habe
-ich Ihren geehrten Namen nicht beibehalten wollen, sondern
-spiegle dem Volke vor, ich sei ein Italiener. Glauben Sie
-nur, was ich jetzt treibe, ist ehrsam und achtenswürdig gegen
-das, was ich bei jenem berühmten Grafen spielen mußte.
-Es ist Gnade des Himmels, daß ich kein Bösewicht geworden,
-und noch so mit einem blauen Auge davon gekommen
-bin. In der Hinsicht habe ich bei meinem Wunderthäter
-meine Zeit nicht ganz verloren, indem ich ihm sehr scharf
-auf die Hände gesehn habe. Ich habe Vieles von ihm gelernt,
-und so zeige ich unschuldig für Geld so Manches,
-was er zu schlimmen Absichten und Betrug gebrauchte. Ich
-unterhalte die Menschen, er plünderte sie, indem er sie zugleich
-wahnsinnig machte. &mdash; Ich verspreche Ihnen, nie nach
-Ihrer Stadt zu kommen, aber besuchen Sie mich, wenn ich
-einmal in Ihrer Nähe bin. Schreiben wir uns, Liebster,
-damit wir in Verbindung bleiben.
-</p>
-
-<p>
-Diese Abrede wurde genommen und man führte sie aus.
-Der Vater war über seinen Sohn beruhigt, und dieser gewann
-durch die Leichtigkeit seiner Hand ein ziemliches Vermögen. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-In Seebachs Hause wäre Alles glücklich und heiter gewesen,
-wenn der neunzigjährige Obrist nicht Clara, die
-Mutter und Schmaling neuerdings geängstigt hätte. Gegen
-ihn, der schwach wurde, ließ sich der Rath am meisten gehn,
-und so war der Greis der Vertraute von so manchem kleinen
-Geheimniß, das den Uebrigen verschwiegen wurde. Diesen
-<a id="page-291" class="pagenum" title="291"></a>
-erzählte der Obrist in vertrauten Stunden, daß sein
-Schwiegersohn sich wiederum in eine Correspondenz eingelassen
-habe, die ihm gar nicht gefallen wolle. Der Ton
-dieser Briefe sei sehr fromm und mysteriös: Anfangs habe
-der Rath Alles von sich gewiesen, dann habe er nach und
-nach Interesse gefaßt, sei gläubiger geworden, und hoffe
-nun doch noch von ehrbaren Männern, die sich ihm in jedem
-Briefe näherten und bestimmter bezeichneten, etwas
-Großes zu erfahren. Und so ist es merkwürdig, schloß der
-Alte seinen Bericht, daß eine bestimmte Leidenschaft zwar
-schlafen, aber bei den meisten Menschen nie ganz vertilgt
-werden kann.
-</p>
-
-<p>
-Diese Briefe kamen aus dem südlichen Deutschland und
-sprachen von Geheimnissen, die nicht entweiht werden dürften,
-die sich aber doch wohl allgemach geprüften Männern
-mittheilen ließen. Der Rath war unvermerkt in eine gläubige
-Stimmung gekommen, und war in seinen Antworten
-auf Manches näher eingegangen, was jene Unbekannten erwähnten.
-So hatte er sein Abentheuer mit Sangerheim
-und seine Beobachtungen und Erfahrungen über ihn mitgetheilt,
-auch alle seine Zweifel und was ihm dunkel geblieben.
-Auf diese Punkte antwortete der neueste Brief.
-</p>
-
-<p class="adr">
-<span class="line1">Geliebter Bruder in dem Herrn!</span>
-</p>
-
-<p>
-Was Sie uns von jenem verlorenen Bruder Sangerheim
-melden, war uns nicht neu. Allerdings stand der Unglückliche
-mit uns in Verbindung, ihm wurde, als einem
-hoffnungsvollen Lehrlinge, Einiges mitgetheilt. Als er von
-uns schied, bemächtigten sich andre Menschen seiner, die in
-weltlichen Planen handthieren und das himmlische Kleinod
-entweihen. Er verrieth uns diesen, so viel er es vermochte,
-<a id="page-292" class="pagenum" title="292"></a>
-und hat sich so selbst sein tragisches Schicksal bereitet, da er
-der Lüge und dem Betruge anheim gefallen war. Auch jene
-Weltlichen sahen seinen Sturz gern und entzogen sich ihm,
-weil sie fürchten mußten, daß er sie ebenfalls verrathen könne.
-Kommen wir uns näher, so wird Ihnen, Geehrter, Nichts
-dunkel bleiben und größere Dinge werden sich Ihnen erschließen.
-Zwar sind Sie nicht für unsre Kirche, aber doch
-nicht unbedingt gegen sie, und wir gehn Ihnen mit dem
-größten Vertrauen entgegen. Kommt Jemand zu Ihnen,
-der Ihnen das Wort Emanuel sendet, so nehmen Sie ihn
-auf, als von uns. Er wird das erste Kleinod Ihren treuen
-Händen übergeben. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Der Rath war in großer Spannung. Nach zehn Tagen
-etwa trat der Diener ein und meldete, ein sonderbarer
-Fremder stehe draußen und sage, er möge nur Emanuel
-sprechen. Der Rath ließ den alten Mann ein, der feierlich
-die Thür verschloß und dann ein seltsames Gespräch begann.
-Der Rath fühlte sich erbaut und gestärkt, in diesen Gesichtspunkt
-waren ihm manche Gedanken von Wunderfähigkeit,
-Glauben und einer einzigen herrschenden Kirche noch niemals
-gerückt worden. Beim Abschied nahm der Fremde ein Paket
-aus dem Busen, küßte es mit Salbung und überreichte es
-demüthig und feierlich dem Rathe, indem er sagte: Geliebter
-Bruder, dieses ist das erste Pfand der hohen, den gewöhnlichen
-Menschen unsichtbaren Gesellschaft. Achten Sie noch
-die Siegel und erbrechen Sie sie nur in geweihter Stunde
-nach Mitternacht. Doch thun Sie gut, sich durch Gebet vorzubereiten.
-Zwar wird Ihnen das Geheimniß des Kleinodes
-noch unverständlich seyn, aber schon die bloße Gegenwart
-desselben schützt Sie. Die Erklärung selbst wird in vier
-Wochen folgen. Aber: Finger auf den Mund. Wir zeigen
-<a id="page-293" class="pagenum" title="293"></a>
-mindestens, wie wir Sie ehren, wie groß wir von Ihnen
-denken.
-</p>
-
-<p>
-Eine feierliche Umarmung beschloß das seltsame Gespräch.
-Geheimnißvoll entfernte sich der Unbekannte, und
-der Rath mußte sich gestehn, daß noch niemals ein Mensch
-einen solchen Eindruck auf ihn gemacht habe. Seine Umgebung
-bemerkte seine wunderbare Stimmung, aber er
-schwieg gegen Alle, auch gegen den Obristen. Clara fürchtete
-eine Krankheit, aber der rauhere Soldat, der seither so
-Manches mit dem Schwiegersohn durchgesprochen hatte, sagte:
-Dieser Mann ist einer der verständigsten, und Ihr werdet
-sehn, sie übertölpeln ihn doch, den Einen fangen sie auf
-die, den Zweiten auf eine andre Weise.
-</p>
-
-<p>
-Am Abend schloß sich der Rath ein und entfernte alle
-Diener. Seine Stimmung war erhoben. Er betete und
-las in Andachtsbüchern. Er nahm das Evangelium und erschien
-sich so verjüngt, so jugendlich glaubend, so fromm
-und lauter, daß er die Thränen der Rührung nicht unterdrücken
-konnte und wollte. Endlich schlug es Mitternacht,
-und er eröffnete behutsam und zitternd die Siegel, ohne die
-geheimnißvollen Zeichen zu zerbrechen. Als er den innern
-Umschlag geöffnet hatte, fiel ihm in die Augen &mdash; &mdash; jene
-abgeschmackte Figur mit dem vielfältigen <span class="antiqua">Abracadabra</span>, die
-er damals an abergläubische Brüder nach der nahen Residenz
-gesendet hatte. Er lachte laut auf, und wurde plötzlich ernst,
-denn er bedachte, wie in jenem Lande dort der als Monarch
-herrsche, der damals nur nächster Erbe gewesen war, und
-welche Thorheiten dort in der Nähe des Thrones getrieben
-wurden.
-</p>
-
-<p>
-Er rief seine Familie zusammen, die noch, um ihn besorgt,
-wachte. Er erzählte Alles, las einige Briefe, auch
-<a id="page-294" class="pagenum" title="294"></a>
-den letzten, und zeigte dann das magische, von damals dem
-Schwiegervater noch wohlbekannte Blatt.
-</p>
-
-<p>
-Nun endlich, schloß er, habe ich Alles, was mich immer
-stört, von mir abgeschüttelt. O wie leicht ist mir, ihr
-Geliebten, daß ich nun noch einmal mit euch den fröhlichen
-Entschluß fassen, das vielsinnige Wort mit euch ausrufen
-kann: laßt uns, da es uns vergönnt ist, vernünftig seyn! &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Auf Emanuel durften nun die Bedienten nicht wieder
-achten, und jetzt erst hatten alle Mitglieder der Familie diese
-Krankheit der Wundersucht überwunden.
-</p>
-
-<h2 class="part" id="part-4">
-<a id="page-295" class="pagenum" title="295"></a>
-<span class="line1">Pietro von Abano</span><br />
-<span class="line2">oder</span><br />
-<span class="line3">Petrus Apone.</span><br />
-<span class="line4">Eine Zaubergeschichte.</span><br />
-<span class="line5">1838.</span>
-</h2>
-
-<p class="pbb first">
-<a id="page-297" class="pagenum" title="297"></a>
-<span class="firstchar">D</span>ie untergehende Sonne warf schon ihre rothen Strahlen
-an die Thürme, und über die Häuser von Padua, als
-ein junger Fremder, der eben angekommen war, durch ein
-Volksgewühl, ein Eilen, ein Rennen aufmerksam gemacht,
-und auf seinem Wege von der Menge mit fortgerissen wurde.
-Er fragte ein junges Mädchen, welches ihm ebenfalls schnell
-vorüber ging, was denn alle diese Menschen in so ungewohnte
-Bewegung setze. Wißt Ihr es denn nicht? antwortete
-diese, die schöne Crescentia, das junge Kind, wird jetzt
-beerdigt; alle wollen sie noch einmal sehn, da sie immer für
-die anmuthigste Jungfrau in der ganzen Stadt gegolten hat.
-Die Eltern sind trostlos. Die letzten Worte rief sie schon
-aus der Entfernung zurück.
-</p>
-
-<p>
-Der Fremde beugte um den finstern Palast in die große
-Straße hinein, und ihm tönte schon Leichengesang, ihm wehte
-der Schein der blaßrothen Fackeln entgegen. Als er näher
-kam, sah er, nachdem das Gedränge des Volkes ihn vorgeschoben
-hatte, ein Gerüst, mit schwarzem Tuche verdeckt. Um
-dieses waren Sitze, ebenfalls schwarz, erhöht, auf welchem
-die traurenden Eltern und Verwandten saßen, alle im finsteren
-Ernst, einige Gesichter mit dem Ausdruck der Trostlosigkeit.
-Jetzt bewegten sich Figuren aus der Thür des
-Hauses, Priester und schwarze Gestalten trugen einen offenen
-Sarg, aus welchem Blumenkränze und grüne Gewinde niederhingen.
-<a id="page-298" class="pagenum" title="298"></a>
-Zwischen den blühenden bunten Pflanzen lag auf
-Kissen die weibliche Gestalt, blaß, im weißen Kleide, die zarten
-lieblichen Hände gefaltet, die ein Crucifix hielten, die
-Augen geschlossen, dunkle schwarze Ringellocken voll und schwer
-um das Haupt, auf welchem ein Kranz von Rosen, Cypressen
-und Myrthen prangte. Man stellte den Sarg mit seiner
-schönen Leiche auf das Gerüst, die Priester warfen sich zum
-Beten nieder, die Eltern erhuben sich wie verzweifelnd, noch
-klagender ertönten die Hymnen, und alles umher, die Fremden
-selbst, schluchzten und weinten. Der Reisende glaubte
-noch nie ein so schönes weibliches Wesen gesehn zu haben,
-als diese Leiche, die so wehmüthig an die Vergänglichkeit und
-den nichtigen Reiz des Lebens erinnerte.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt ertönte das feierliche Geläute der Glocken, und die
-Träger wollten eben den Sarg erheben, um die Leiche in
-das gewölbte Grab der großen Kirche zu tragen, als ein
-lauter tobender Jubelruf, schallendes Gelächter und das Geschrei
-einer ausgelassenen Freude, die Eltern, Verwandten,
-Priester und Leidtragende störte und erschreckte. Alles sah
-unwillig umher, und aus der andern Gasse schwärmte ein
-froher Zug junger Leute heran, singend, jauchzend, ihrem
-ehrwürdigen Lehrer immer wieder von neuem ein Lebehoch
-zurufend. Es waren die Studirenden der Universität, die
-auf einem Sessel hoch auf den Schultern einen bejahrten
-Mann von dem edelsten Ansehn trugen, der wie in einem
-Throne saß, mit einem Purpurmantel bedeckt, das Haupt
-mit dem Doktorhute geschmückt, unter welchem weiße Silberlocken
-hervor quollen, so wie ein weißer langer Bart auf das
-schwarzsammtne Wamms majestätisch herabfloß. Ein begleitender
-Narr mit Schellen und in bunter Tracht sprang umher,
-und wollte schlagend und scherzend dem Zuge durch das
-Volk und die Trauerleute Platz machen, doch auf einen Wink
-<a id="page-299" class="pagenum" title="299"></a>
-des ehrwürdigen Alten senkten die Schüler die Trage, er
-stieg herab und näherte sich gerührt und mit feierlichem Anstande
-den weinenden Eltern. Vergebt, sagte er ernst und
-mit einer Thräne im Auge, daß dieses wilde Geschrei so
-eure Leichenfeier stört, die mich innigst erschüttert und entsetzt.
-Ich komme von meiner Reise endlich zurück, meine Schüler
-wollen meinen Einzug durch ihre Freude verherrlichen, ich
-gebe ihren Bitten und Anstalten nach, und finde nun, &mdash;
-wie? eure Crescentia, das Musterbild aller Holdseligkeit und
-Tugend, hier vor euch im Sarge? Umher diesen düstern
-Prunk und jene Trauergestalten, um sie mit Thränen und
-Herzensweh zu ihrer Ruhestelle zu geleiten? &mdash; Er winkte
-seinen Begleitern und sprach einige Worte. Alles war schon
-längst still und stumm geworden, und die meisten entfernten
-sich jetzt, um die Leichenfeier nicht zu stören. Da kam die
-Mutter zitternd näher und sank an der Gestalt des Alten
-nieder, indem sie im krampfhaften Schmerze dessen Knie umschlang.
-Ach! warum seid Ihr nicht zugegen gewesen? rief
-sie verzweifelnd; Eure Kunst, Euer Wissen hätte sie gerettet.
-O Pietro! Pietro! Ihr, der Freund unsers Hauses! habt
-Ihr denn so Euren Liebling, Euren Augapfel können untergehn
-lassen? Kommt! Erweckt sie noch jetzt! Flößt ihr noch
-jetzt von den Wunderessenzen ein, die Ihr zu bereiten wißt,
-und nehmt dafür zum Dank alles, was wir besitzen, wenn
-sie nur wieder da ist, unter uns wandelt und mit uns spricht!
-</p>
-
-<p>
-Laßt eure Verzweiflung nicht das Wort führen, antwortete
-Pietro: der Herr hatte sie euch geliehen, er hat sie euch
-wieder abgefordert; der Mensch vermesse sich nie, in den Arm
-seines weisen Rathschlusses zu greifen. Wer sind wir, daß
-wir gegen ihn murren sollten? Will der Sohn des Staubes,
-der im Winde verweht, mit seinem schwachen Athem
-gegen die ewigen Beschlüsse zürnen? Nein, meine Geliebten,
-<a id="page-300" class="pagenum" title="300"></a>
-fühlt als Eltern und Freunde ganz euren Schmerz: er soll
-unserm Herzen so einheimisch wie Lust und Freude seyn, auch
-er wird von dem Vater zu uns gesendet, der jede unsrer
-Thränen sieht, der wohl unsre Herzen kennt und prüft, und
-weiß, was der schwache Mensch ertragen kann. So traget
-denn dieses große übermächtige Leid um seinetwillen, aus
-Liebe zu ihm, denn nur Liebe ist es, was er euch auch auferlegen
-mag. Ist denn der Schmerz, das Herz in seiner
-Zerknirschung, die Seele, die in Wehmuth zerrinnen will,
-sind sie nicht ein heiliges göttliches Opfer, welches ihr in
-euren brennenden Thränen der höchsten, der ewigen Liebe als
-euer Köstlichstes darbringt? So rechnet es auch jener dort,
-der alle eure Seufzer und Thränen zählt. Aber der böse
-Feind, der immer an unsrer Seite lauert, beneidet uns die
-Heiligkeit dieser himmlischen Schmerzen, er ist es, der sie
-euch zur Verzweiflung, zum Zorn gegen den Schöpfer der
-Liebe und des Leides erhöhen will, damit ihr im Jammer
-nicht jener höchsten Liebe noch inniger verbunden werdet, sondern
-in den Abgrund des Hasses untergeht. Er, dieser Geist
-der Lüge, täuscht euch jetzt, und raunt euch boshaft seine Fabeln
-zu, als wenn ihr sie auf ewig verloren hättet, die doch
-nur in Geist und Seele und Liebe eins mit euch war, und
-euch nur als Unsichtbare zugehörte. Er will, daß ihr es
-vergessen sollt, wie diese schöne Hülle nur ihr Kleid war,
-dem Staube verwandt, zum Staube jetzt wiederkehrend.
-Werft ihn zurück, diesen Lügengeist, daß er sich vor der
-ewigen allmächtigen Wahrheit schämen muß, die ihr ihm
-entgegen haltet, daß sie noch euer ist, noch neben, nah um
-euch, ja weit mehr, weit inniger euer, als da euch diese
-Schranken des sterblichen Fleisches noch trennten, und euch
-in der Liebe selbst einander entfremdeten. Alle euere Erinnerung,
-Hoffnung, Schmerz und Lust ist sie von heute an;
-<a id="page-301" class="pagenum" title="301"></a>
-sie leuchtet euch in jedem erfreulichen Lichte, sie tröstet euch
-in den Blumen des Frühlings, sie küßt euch im zarten Hauch,
-der eure Wangen rührt, und jedes Entzücken, das fortan in
-euren Herzen aufblüht, ist ihr Herz und ihre Liebe zu euch,
-und dieses Entzücken, und diese ewige, unsterbliche Liebe sind
-eins mit Gott. So tragt sie denn zu ihrer Ruhestelle, und
-folgt ihr in stiller, gottergebner Demuth, damit durch euch
-nicht ihr Geist im Aufenthalt des ewigen Friedens gestört
-und geängstigt werde.
-</p>
-
-<p>
-Alle schienen mehr beruhigt, der Vater reichte ihm stumm
-die Hand mit dem Ausdruck der Herzlichkeit und des gefühlten
-Trostes. Man ordnete sich, der Zug setzte sich in Bewegung,
-die Verlarvten, die Brüderschaften, die es sich zur
-Pflicht machen, die Leichen zu begleiten, reihten sich in ihren
-weißen Gewändern, und mit verdecktem Antlitz, von welchem
-nur die Augen sichtbar waren. Stumm bewegte sich der Zug
-fort, sie hatten jetzt fast schon die Kirche erreicht, als ihnen
-ein Reiter auf schäumendem Rosse entgegen sprengte. Was
-giebt es? schrie der Jüngling. Er warf einen Blick in den
-Sarg, und mit einem Ausruf der Verzweiflung wandte er
-das Roß, stürzte fort, und verlor in wilder Hast den Hut,
-so daß ihm die langen Locken im Abendwinde nachflatterten.
-Er war der Bräutigam, der zur Hochzeit kam.
-</p>
-
-<p>
-Die Finsterniß umgab das Trauergefolge und die stille
-Feier, indem die schöne Leiche in das Gewölbe ihrer Familie
-hinabgesenkt wurde.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Als sich alle zerstreut hatten, wendete sich der junge
-Fremdling, der in staunendem Schmerze dem Zuge gefolgt
-war, an einen alten Priester, der allein am Grabe betend
-verweilte. Er brannte zu erfahren, wer jener majestätische
-<a id="page-302" class="pagenum" title="302"></a>
-Greis sei, der ihm wie mit göttlichen Kräften und überirdischer
-Weisheit begabt erschien. Als der Jüngling dem Geistlichen
-die bescheidene Frage vortrug, stand dieser still, und
-sah ihm beim Scheine eines Lichtes, das aus einem Fenster
-auf sie schien, scharf ins Auge. Der Alte war eine kleine
-magere Gestalt, ein blasses schmales Antlitz erhob das Feuer
-der Augen um so mehr, und die eingekniffenen Lippen zitterten,
-als er ihm in heiserem Tone antwortete: Wie? Ihr
-kennt ihn nicht? Unsern weltberühmten Petrus von Apone,
-oder Abano, von dem man in Paris, London, dem deutschen
-Reiche und ganz Italien spricht? Kennt nicht den größten
-Weltweisen und Arzt, den Astronomen und Astrologen, von
-dem zu lernen und ihn zu schauen die wilde Jugend aus
-dem fernen Polenlande hieher schwärmt?
-</p>
-
-<p>
-Der junge Spanier, Alfons, war im entzückten Erstaunen
-einen Schritt zurück getreten, denn der Ruhm dieses
-großen Lehrers hatte auch ihn von Barcelona über die See
-getrieben. Also er war es, er war es selbst? rief er begeistert
-aus: darum war auch mein Herz so tief bewegt. Mein
-Geist erkannte den seinigen. O edler, frommer Mann, wie
-lieb&rsquo; ich Euch darum, daß Ihr ihn nicht minder verehrt, wie
-alle Edlen und Guten der christlichen Welt.
-</p>
-
-<p>
-Wollt wohl auch unter ihm studiren? fragte der Priester
-im grimmigen Ton.
-</p>
-
-<p>
-Gewiß, antwortete jener, wenn er mich würdiget, sich
-meiner anzunehmen.
-</p>
-
-<p>
-Der Alte stand still, legte seine Hand auf die Schulter
-des Jünglings und sagte dann milder: Lieber junger Freund,
-noch ist es Zeit, hört noch meine väterliche Warnung, bevor
-es zu spät ist. Täuscht Euch nicht selbst, wie es so Viele,
-Unzählige schon gethan haben, seid auf Eurer Hut und wahret
-Eurer Seele. Seid Ihr denn Eurer Ruhe und künftigen
-<a id="page-303" class="pagenum" title="303"></a>
-Seligkeit schon im voraus überdrüssig, wollt Ihr dem Heiland
-seine Liebe damit vergelten, daß Ihr ihm abtrünnig
-werdet, ihn leugnet, und als ein Rebell die Waffen gegen
-ihn schwingt?
-</p>
-
-<p>
-Ich verstehe Euch nicht, alter Mann, erwiederte Alfonso:
-habt Ihr nicht selbst gesehn und gehört, wie fromm, wie
-christlich, mit welcher eindringlichen Majestät der Herrliche
-sprach, und den verirrten Schmerz der Liebe durch himmlischen
-Trost wieder in seine rechte Bahn lenkte?
-</p>
-
-<p>
-Was vermag, was kann der nicht alles! dieser Künstler
-und Zauberer! rief der alte Priester bewegt aus.
-</p>
-
-<p>
-Zauberer? fragte Alfonso. Ihr wollt also auch den
-Wahn des Pöbels theilen, der die Wissenschaft hoher Geister
-nicht zu würdigen weiß und lieber das Abgeschmackte glauben,
-als die eigne Seele an der Erhabenheit des Mitbruders
-stärken will?
-</p>
-
-<p>
-Fahrt nur so fort, sagte der Priester erzürnt, so habt
-Ihr kaum nöthig, in seine weltberühmte Schule zu treten.
-Es ist augenscheinlich, sein Zauber hat Euch schon umstrickt,
-so wie er jedes Herz bezwingt, das nur in seiner Nähe schlägt.
-Ja wohl, der Heide, hat er heut wie ein Priester gesprochen
-und geweissagt, und seiner Lüge auch einmal diese Farbe
-angestrichen. So regiert er auch das Haus des Podesta&rsquo;s.
-Die arme Crescentia konnte kaum in ihren letzten Stunden
-den Rückweg zur heiligen Kirche wieder finden, so war ihre
-Seele in den Irrlehren befangen, die der böse Heuchler wie
-giftige Netze um den jungen Geist geworfen hatte. Jetzt ist
-sie ihm entronnen, der Herr hat sie zu sich gerufen, und
-sandte diese Krankheit, um ihre Seele mit dem Verluste des
-Leibes zu retten.
-</p>
-
-<p>
-Die Sprechenden waren auf den großen Platz gekommen.
-Der Jüngling war empört und sagte jetzt, um seinem Gefühle
-<a id="page-304" class="pagenum" title="304"></a>
-Luft zu machen: wozu nur, geistlicher Herr, diesen grimmigen
-Neid? Seht ihr denn, erkennt ihr es denn nicht,
-wie die Welt nur um so mehr von euch abfällt, um so mehr
-ihr mit Bann und Fluch und Verfolgung den neuen Geist
-ersticken wollt? den Geist der ewigen Wahrheit, der jetzt
-alle Landschaften erregt? Der nicht wieder, trotz eurer Künste,
-untertauchen wird, um gläubig euren Legenden zu horchen.
-</p>
-
-<p>
-Wohl, sagte der Alte im hohen Zorne; haben wir doch
-jetzt Averroes statt Christus, und Aristoteles statt des Allmächtigen,
-und diesen Euren Pietro, diesen Ischarioth, statt
-des Geistes! Nicht wahr, der Erdgeist hat ihn groß und
-schlank auferbaut, und ihm ein feuriges Auge, edle Stirn,
-schönen Mund der Ueberredung, und majestätische Geberden
-geliehen, um zu gaukeln und zu täuschen: indeß ich, der unwürdige
-Diener des Herrn, hier krank, schwach und unansehnlich
-wandle, und nur mein Bekenntniß, meinen Glauben
-habe, um darzuthun, daß ich ein Christ sei. Ich kann nicht
-so in die Tiefen glänzender Weisheit hinabsteigen, nicht den
-Lauf der Sterne berechnen, Glück und Unglück vorhersagen,
-ich werde von den Ueberklugen geschmäht und verachtet, aber
-ich trage es demüthig, ihm zu Liebe, der mir alles auferlegt
-hat. Doch erwartet das Ende, und seht, ob ihn seine sieben
-Geister, die er im Zauberbanne hält, erretten können, ob ihm
-sein Famulus, das Höllengebild, dann zur Hülfe seyn wird.
-</p>
-
-<p>
-War sein Famulus zugegen? fragte Alfonso neugierig.
-</p>
-
-<p>
-Habt Ihr das Gespenst nicht bemerkt, antwortete der
-Mönch, das sich als Narr ausstaffirt hatte? die Mißgeburt
-mit dem Höcker, den verdrehten Händen und Armen, den
-krummen Beinen, den schielenden Augen und der ungeheuren
-Nase in dem Fratzengesicht?
-</p>
-
-<p>
-Ich hielt alles dies für Maske.
-</p>
-
-<p>
-Nein, dieser, erwiederte der Alte, braucht sich nicht zu
-<a id="page-305" class="pagenum" title="305"></a>
-verlarven. So wie er da ist, ist er Larve und Gespenst, ein
-Geist der Hölle, dieser Beresynth, wie sie ihn nennen. &mdash;
-Wollt Ihr die Nacht in meinem Kloster zubringen, junger
-Mensch, bis Ihr eine Wohnung gefunden habt?
-</p>
-
-<p>
-Nein, antwortete dieser sehr entschlossen, ich mag die
-Gastfreundschaft dem Manne nicht schuldig seyn, der so den
-Herrlichen durch Verläumdung schmäht, dessen Name mich
-schon im Vaterlande entzückt hat, der mir hier als Vorbild
-wandeln und leuchten soll. Schlimm genug, daß ich dergleichen
-von Euch habe anhören müssen, von einem Manne, dessen
-Stand und Alter mir verbeut, ihn dafür zur Rechenschaft
-zu ziehn. Soll der nur fromm heißen, der die Wissenschaft
-verachtet, nur der ein Christ, der im wachen Schlummer die
-Tage seines Lebens und die Kräfte seiner Seele hinwegträumt,
-so trete ich aus dieser dumpfen Gemeinschaft. Aber
-dem ist nicht so, und nicht der Mensch, der Christ oder
-Priester haben aus Euch gesprochen, sondern nur die Zunft.
-Lebt wohl, wenn Ihr es mit diesen Gesinnungen könnt.
-</p>
-
-<p>
-Sie trennten sich, beide verstimmt.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der junge Florentiner, welcher in der Stadt dem Leichenzuge
-begegnet war, sprengte wie rasend durch das Thor und
-rannte dann in ungemessener Eil durch Feld und Wald. Als
-er sich im Freien sah, stieß er Verwünschungen gegen Welt
-und Schicksal aus, raufte sein Haar, fluchte seinen Sternen
-und seiner Jugend und eilte dann wie bewußtlos weiter.
-Er spornte dem Winde entgegen, der sich nächtlicherweise
-aufmachte, als wenn er die Glut seiner Wangen abkühlen
-wollte. Als es später ward, sank das Roß, das schon oft
-gestolpert war und das er knirschend immer wieder aufriß,
-ermattet nieder, und er war gezwungen, seinen Weg zu Fuß
-<a id="page-306" class="pagenum" title="306"></a>
-fortzusetzen. Er wußte nicht, wo er war, noch weniger, wohin
-er wollte; nur sein Elend stand mit unauslöschlichen
-Zügen vor ihm, die Nichtigkeit der Welt, die Unbeständigkeit
-alles Glücks. Verruchter Wahnsinn des Lebens! rief er
-verzweifelnd durch die Nacht; so, so grausam erweckst du mich
-aus meinem Schlummer? Tödtlich muß ich dich hassen um
-deine Gaukeleien, deinen Aberwitz, um alle jene unsinnigen
-Hoffnungen, die unsre Jugend anlachen, so freundlich auf
-unserm Wege mit uns gehn, und wenn sie uns in die Wüste
-geführt, grinsend und höhnend davon fliegen. Leben! Was
-ist dieses thörichte Gespinnst, dieser alberne Traum eines
-Fieberkranken? Ein matter Schauer folgt auf den andern,
-ein verrücktes Gebild verjagt das andre, unsre Wünsche springen
-in der kahlen Einöde umher, und erkennen sich selber
-nicht. O Tod, o Ruhe, o Nichtsein, komm zu mir, laß dich
-umarmen, und löse dieses stürmende Herz. Könnt&rsquo; ich nur
-gleich meine letzten Minuten in Krämpfen verknirschen, daß
-die Morgensonne meine Stätte nicht mehr fände, daß kein
-Gedanke in mir ihrem neuen Strahl entgegen grüßte. Bin
-ich denn nicht das elendeste Geschöpf, das athmet? Um so
-ärmer, wie ich nur vor wenigen Stunden mich das glücklichste
-dünkte. Wehe der Jugend, wehe der Liebe, wehe dem
-Gefühl des Herzens, die sich so leicht, so gröblich täuschen
-lassen.
-</p>
-
-<p>
-Ein Regen stöberte jetzt durch die kalte Luft, und bald
-wurden die Tropfen größer und dichter. Der Jüngling
-wußte nicht, wohin er gerathen war, der Wald lag schon fern
-hinter ihm, kein Obdach war in der Nähe. Er fing an,
-seine Erinnerungen wieder zu sammeln, sein Schmerz ward
-milder, Thränen flossen aus seinen Augen. Er haßte das
-Leben schon weniger, ihm war, als wenn die Nacht selbst ihn
-trösten und seinen Kummer lindern wollte. Ungewiß, ob er
-<a id="page-307" class="pagenum" title="307"></a>
-das gestürzte Roß wieder aufsuchen, ob er sich in einem
-Graben vor dem Unwetter bergen sollte, sah er noch einmal
-um sich, und entdeckte endlich, weit, weit hinab, hinter Thal
-und Busch ein hüpfend Lichtlein, welches ihn wie ein freundliches
-Auge durch die dicke Finsterniß zu sich winkte. Er
-eilte dem ungewissen Scheine nach, der bald verschwand, bald
-wieder erglänzte. Alle seine Kräfte, seine Gefühle waren
-wie in einem Schlummer gebunden, sein ganzes Dasein war
-wie in einen Traum zergangen.
-</p>
-
-<p>
-Ein Sturm machte sich auf, und schwere, tiefhangende
-Gewitterwolken wälzten sich langsam herbei. Schon kam er
-Bäumen näher, wie es ihm dünkte, aber die Finsterniß machte
-es ihm unmöglich, irgend etwas zu unterscheiden. Er stürzte
-in eine Grube, als ein Blitz ihn blendete und ein lauter
-Donnerschlag betäubte; wie er sich wieder aufraffte, war das
-Licht, welches ihn gelockt hatte, schon nahe. Er klopfte an
-das kleine Fenster, welches sich hinter einigen Bäumen zeigte,
-und bat um Einlaß gegen Sturm und Ungewitter. Eine
-laute heisere Stimme antwortete von innen, doch vernahm
-der Jüngling kein Wort, denn Sturm und Gewitter und
-Regen, das Rauschen der Bäume, alles tobte jetzt so heftig
-durcheinander, daß jeder andre Laut erstarb.
-</p>
-
-<p>
-Die Thür des kleinen Hauses ging nach dem Garten,
-er mußte durch diesen eilen, dann faßte ihn eine weibliche
-Hand, leitete ihn durch einen finstern Gang, und eröffnete
-eine kleine Stube, aus welcher ihm der Schein einer Lampe
-und das Feuer auf dem Heerde entgegen schimmerte. In
-der Ecke saß bei der Lampe eine häßliche Alte und spann,
-das junge Mädchen, das ihn hereingeführt hatte, machte sich
-am Heerde zu thun, und lange konnte er vor dem ungewissen
-wankenden Schein die Gestalten nicht näher prüfen, lange
-<a id="page-308" class="pagenum" title="308"></a>
-konnte kein Gespräch gangbar werden, weil das Getöse des
-Donners alles übertäubte.
-</p>
-
-<p>
-Das ist ein grausames Unwetter, sagte in einer Pause
-die Alte mit krächzender Stimme. Woher seid Ihr denn,
-junger Mensch?
-</p>
-
-<p>
-Ich komme von Padua, seit heut Abend.
-</p>
-
-<p>
-Weither, rief die Alte, liegt ja sechs Stunden von hier.
-Wo wollt Ihr denn hin, da hier keine Landstraße geht?
-</p>
-
-<p>
-Weiß es nicht, mag es auch nicht wissen. Der Unglückliche
-ist nicht fähig, einen Plan zu entwerfen, oder für
-die Zukunft zu sorgen. Wie wohl würde mir seyn, wenn es
-für mich gar keine Zukunft gäbe.
-</p>
-
-<p>
-Sprecht irre, junger Mensch, und das muß nicht seyn. &mdash;
-Ei! rief sie aus, indem sie die Lampe erhob und ihn näher
-betrachtete, ja gar ein Florentiner! Das Wamms und den
-Kragen habe ich lange nicht gesehn. Je nun, das hat mir
-wohl auch was Gutes zu bedeuten. Hat mir das garstige
-Gewitter also einen lieben Gast bescheert; denn wißt nur,
-mein junger Herr, ich bin auch aus dem gesegneten Lande.
-Ja, Florenz! Ach, wer doch einmal wieder auf deinen Boden
-treten und die theuren Berge und Gärten wieder sehn könnte!
-Und Euer Name, lieber, junger Herr?
-</p>
-
-<p>
-Antonio Cavalcanti, sagte der Jüngling, der wegen der
-Landsmannschaft zu der häßlichen Alten mehr Vertrauen
-faßte.
-</p>
-
-<p>
-O welcher Ton, rief sie wie begeistert aus: ja Cavalcanti,
-so einen habe ich vor Jahren wohl auch gekannt, einen
-Guido.
-</p>
-
-<p>
-Der war mein Vater, rief Antonio.
-</p>
-
-<p>
-Und lebt nicht mehr?
-</p>
-
-<p>
-Nein, sagte der junge Mann, auch meine Mutter ist
-mir schon seit lange entrissen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-309" class="pagenum" title="309"></a>
-Weiß es, weiß es, liebes, schönes, junges Kind. Ja,
-ja, es werden jetzt schon fünfzehn Jahre seyn, daß sie gestorben
-ist. Ach ja, sie mußte wohl dazumal in der bösen
-Zeit den Geist aufgeben. Und Euer lieber, guter Vater, dem
-habe ich es einzig zu verdanken, daß die Richter mich nicht einige
-Jahre nachher auf den Scheiterhaufen setzten, sie hatten sich&rsquo;s
-einmal in den Kopf genommen, ich sei eine Hexe, und da
-half kein Widersprechen. Aber der Herr Guido kämpfte mich
-durch, mit Vernunft und Drohung, mit Bitten und Zorn,
-und sie haben mich denn bloß aus dem lieben Lande verbannt.
-Und nun bringt mir das Donnerwetter den Sohn
-meines Wohlthäters in meine kleine, arme Hütte. Gebt mir
-doch auch die Hand darauf, junges Blut.
-</p>
-
-<p>
-Antonio gab sie der Alten schaudernd, die er jetzt erst
-näher betrachten konnte. Sie grinste ihn freundlich an, und
-zeigte zwei schwarze, lange Zähne, die einen widerwärtigen
-Mund noch häßlicher machten, die Augen waren klein und
-scharf, die Stirn gefurcht, das Kinn lang, sie streckte zwei
-dürre Arme nach ihm aus, und als er sie wider Willen umfassen
-mußte, fühlte er den Höcker, der die Häßlichkeit noch
-abscheulicher machte. Nicht wahr? sagte sie mit erzwungenem
-Lachen, ich bin nicht sonderlich hübsch, war es auch in meiner
-Jugend nicht. Es ist mit der Schönheit etwas Besonderes,
-man kann eigentlich niemals sagen und beschreiben, worin sie
-besteht, es ist immer nur eine Abwesenheit von gewissen Dingen,
-die, wenn sie in ihrer Bestimmtheit da sind, das ausmachen,
-was die Leute die Häßlichkeit nennen. Sagt mir
-einmal, was findet Ihr denn nun so an mir wohl am widerwärtigsten?
-</p>
-
-<p>
-Liebe Alte, sagte der Jüngling verlegen &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Nein, rief sie, rund mit der Wahrheit heraus, ohne alle
-Schmeichelei! Jeder Mensch hat doch nun einmal die oder
-<a id="page-310" class="pagenum" title="310"></a>
-jene Gabe, und so bilde ich mir nicht wenig darauf ein,
-daß mir alles das abgeht, was sie in der Welt schön nennen.
-Nun, zeigt einmal Euren Geschmack. Sprecht!
-</p>
-
-<p>
-Wenn ich muß, stotterte Antonio, dem trotz seiner Trauer
-ein Lächeln jetzt auf die Lippen trat, die beiden Zähne wollen
-mir &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Ha, ha! rief die Alte laut lachend, die beiden guten
-lieben alten schwarzen Zähne wollen Euch am wenigsten gefallen.
-Ich glaub&rsquo; es wohl, sie stehen wie zwei verbrannte
-Palisaden an einer zerstörten Vestung da in dem weiten leeren
-Raum. Aber Ihr hättet mich vor zehn Jahren sehn sollen,
-da war das Ding noch viel schlimmer. Dazumal hatt&rsquo; ich
-den ganzen Mund voll solcher entsetzlichen Hauer, und die
-mich lieb hatten, wollten mir sagen, es sähe gräßlich aus.
-So fielen sie denn nach und nach aus, und die beiden
-Stammhalter sind nur noch übrig geblieben. Wenn sie einmal
-abgehn, so klappt das Maul völlig zu, die Oberlippe
-wird dreimal so lang, und man kann wieder nicht wissen,
-was für ein Bildniß dadurch zu Stande kommt. Die Zeit,
-mein lieber junger Freund, ist, wie schon vor vielen Jahren
-einer gesagt hat, eine thörichte Künstlerin, sie macht ein Bild
-leidlich hübsch, dann künstelt, schnitzelt, reckt und stümpert sie
-am Menschen herum, zieht Nase und Kinn in die Länge,
-drückt die Backen ein, pinselt die Stirn voller Falten, bis
-sie ein Fratzengesicht zu Stande gebracht hat; dann schämt
-sie sich am Ende, schmeißt den ganzen Bettel hin und deckt
-ihn mit Erde zu, damit nicht alle Welt ihre Schande sehe.
-So glatt bleibt Ihr auch nicht, wie Ihr jetzt in Eurer Politur
-glänzt. Ah! zeigt! freilich, Ihr habt Zähnchen wie die
-reinsten Perlen. Schade, daß die müssen gebraucht werden,
-um Brod und Rinderbraten zu kauen. Ei, ei, &mdash; zeigt &mdash;
-<a id="page-311" class="pagenum" title="311"></a>
-weiter auf den Mund &mdash; die stehn aber so sonderbar, &mdash;
-hm! und der Augenzahn! Nun, das ist zu bedenken.
-</p>
-
-<p>
-Antonio wußte nicht, ob er schelten oder lachen sollte;
-doch zwang er sich heiter zu seyn, und dem Geschwätz der
-Alten nachzugeben, die gleichsam wegen früher Bekanntschaft
-mit der Familie eine sonderbare Gewalt an ihm ausübte.
-Wie fuhr er aber entsetzt zusammen, als sie plötzlich: Crescentia!
-ausrief.
-</p>
-
-<p>
-Ums Himmels willen! sprach er erschüttert, kennt Ihr
-sie? Saht Ihr sie? wißt Ihr von ihr?
-</p>
-
-<p>
-Was ist Euch? heulte die Alte, muß ich sie doch wohl
-kennen, da sie meine eigne Tochter ist. Seht nur selbst,
-wie die träge Dirne da eingeschlafen sitzt, das Feuer ausgehn
-und die Suppe verkühlen läßt.
-</p>
-
-<p>
-Sie nahm die Lampe und näherte sich dem Heerde;
-aber wie ward dem Jünglinge, als er seine Geliebte heute
-zum zweitenmale wiedersah, fast eben so, wie am Abend.
-Das blasse Haupt lag gesenkt, die Augen geschlossen, alle
-Lineamente, auch die dunkeln Locken seiner Braut, eben so
-hatte sie die kleinen Händchen gefaltet, zwischen welchen sie
-ebenfalls ein Christusbild hielt. Das weiße Gewand half
-die Täuschung erhöhen, nur fehlten die Blumen, doch webte
-die Dämmerung wie Kränze schweren dunkeln Laubes um
-ihre Locken. Sie ist todt, seufzte Antonio, sie starr betrachtend.
-&mdash; Faul ist sie, die träge Dirne, sagte die Alte, und
-schüttelte die schöne Schläferin wach; nichts als beten und
-schlummern kann das unnütze Geschöpf.
-</p>
-
-<p>
-Crescentia ermunterte sich, und ihre Verwirrung erhöhte
-noch ihre Anmuth. Antonio fühlte sich dem Wahnsinne
-nahe, daß er diejenige wieder vor sich sah, die er doch
-auf ewig verloren hatte. Alte Zauberin! rief er heftig aus,
-wo bin ich? Und welche Gebilde führst Du vor die irren
-<a id="page-312" class="pagenum" title="312"></a>
-Sinne? Sprich, wer ist jenes holdselige Wesen? Crescentia,
-bist Du wieder da? Erkennst Du mich noch als den Deinen?
-Wie bist Du hieher gerathen?
-</p>
-
-<p>
-Holla! mein junger Prinz, schrie die Alte, Ihr faselt
-ja, als wenn Ihr Euer bischen Verstand verloren hättet.
-Rumort Euch das Gewitter im Kopf herum? Hat der Blitz
-etwa in Euern Witz geschlagen? Es ist meine Tochter, und
-ist es von je an gewesen.
-</p>
-
-<p>
-Ich kenne Euch nicht, sagte die bleiche Crescentia hold
-erröthend. Ich bin nie in der Stadt gewesen.
-</p>
-
-<p>
-Setzt Euch, unterbrach sie die Alte, genießt, was da
-ist. Die Suppe wurde aufgetragen, einige Früchte, und aus
-einem kleinen Wandschrank nahm die Alte eine Flasche köstlichen
-florentinischen Weins. Antonio konnte nur wenig genießen,
-sein Auge war auf Crescentia hingebannt, und seine
-verwirrte und erschütterte Phantasie wollte ihn immer wieder
-von Neuem bereden, diese sei seine gestorbene Braut.
-Oft glaubte er dann wieder, in einem schweren Traum gefesselt
-zu liegen, oder von einem Wahnsinn befangen zu seyn,
-der alle Gegenstände um ihn verwandele, daß er vielleicht in
-der Stadt, oder in seiner Heimath weile, nur seine Einbildungen
-sehe, und keinen seiner Freunde erkenne und vernehme,
-die wohl tröstend oder klagend um ihn stehn möchten.
-</p>
-
-<p>
-Das Gewitter hatte ausgetobt, und die Sterne glänzten
-am beruhigten dunkeln Himmel. Die Alte aß mit Begier
-und trank noch eifriger von dem süßen Weine. Nun endlich,
-junger Antonio, fing sie nach einiger Zeit an, erzählet
-uns doch, was Euch nach Padua, was Euch hieher getrieben
-hat.
-</p>
-
-<p>
-Antonio fuhr wie erwachend auf. Ihr könnt wohl, erwiederte
-er, einige Nachrichten von Eurem Gaste verlangen,
-<a id="page-313" class="pagenum" title="313"></a>
-da Ihr obenein meinen Vater, und vielleicht auch meine
-Mutter gekannt habt.
-</p>
-
-<p>
-Wohl habe ich sie gekannt, sagte die Alte schmunzelnd,
-kein Mensch so gut als ich. Ja, ja, sie starb sechs Monat
-zuvor, ehe Euer Vater seine zweite Ehe mit der Marchese
-Manfredi stiftete.
-</p>
-
-<p>
-Also das wißt Ihr auch?
-</p>
-
-<p>
-Ist mir doch, fuhr jene fort, als sähe ich das schmucke
-Püppchen noch immer vor mir. Nun, lebt die schöne Stiefmutter
-denn noch? Als sie mich aus dem Lande jagten, war
-sie noch in ihrer schönsten Blüthe.
-</p>
-
-<p>
-Ich mag es Euch nicht wiederholen, sagte Antonio mit
-einem Seufzer, was ich durch diese mir fremde Mutter litt;
-sie hatte meinen Vater wie bezaubert, der lieber allen seinen
-alten Freunden, lieber seinem Sohne Unrecht thun, als sie
-irgend beleidigen wollte. Endlich aber änderte sich dieses
-Verhältniß, doch brach mein Herz fast beim Anblick dieses
-Hasses, wenn es früher nur über erlittene Kränkungen geblutet
-hatte.
-</p>
-
-<p>
-Also recht bitter böse, fragte die Alte mit widerwärtigem
-Lächeln, ging es in der Haushaltung zu?
-</p>
-
-<p>
-Antonio betrachtete sie mit scharfem Blicke und sagte
-verwirrt: Ich weiß nicht, wie ich dazu komme, hier von
-meinem und dem Elend meiner Eltern zu erzählen.
-</p>
-
-<p>
-Die Alte leerte ein Glas rothen Wein, der wie Blut
-im Glase stand. Mit lautem Lachen sagte sie dann: weiß
-ich mir doch kein herrlicheres Vergnügen, versteht, was man
-so recht Wonne und Seligkeit nennen kann, als wenn so
-zwei Ehehälften, die früher einmal zwei Liebesleute waren,
-sich wie Katze und Hund, oder wie zwei Tigerthiere herumbeißen,
-schelten, einander verfluchen, und Herz und Seele
-dem Satan opfern möchten, um eins das andere zu kränken,
-<a id="page-314" class="pagenum" title="314"></a>
-oder seiner los zu werden. Das, junger Fant, ist die wahre
-Herrlichkeit des sterblichen Lebens. Besonders aber, wenn
-die beiden Verbündeten vorher aus Liebe recht geraset haben,
-alles, auch das Ungewöhnliche für einander gethan, wohl
-gar manches begangen, was andre fromme Leutchen Verbrechen
-nennen, um nur zu einander zu kommen, um nur
-endlich und endlich das nun so verhaßte Band zu schlingen.
-Glaubt mir, das ist alsdann für den Satan und die ganze
-Hölle ein hohes Fest, ein Jubeln und Cymbelnklang der
-Unterirdischen. Und hier nun gar, &mdash; doch, ich schweige,
-ich könnte leicht zu viel sagen.
-</p>
-
-<p>
-Crescentia sah den Erstaunten wehmüthig an. Verzeiht
-ihr, sagte sie lispelnd, Ihr seht, sie ist trunken, die
-Unglückliche.
-</p>
-
-<p>
-In Antonio&rsquo;s Seele aber erwachte die Vorzeit und alle
-ihre trüben Scenen mit frischer Kraft. Der trübe Tag kam
-ihm zurück, als er seine Stiefmutter auf ihrem Sterbebette
-sah, als sein Vater verzweifelte und sich und die Stunde
-seiner Geburt verfluchte, als er den Geist seiner ersten Gattin
-anrief und um Vergebung flehte.
-</p>
-
-<p>
-Habt Ihr nichts mehr zu erzählen? fragte die Alte,
-und weckte ihn dadurch aus seiner staunenden Träumerei.
-</p>
-
-<p>
-Was soll&rsquo;s? sagte Antonio im tiefsten Schmerz, scheint
-Ihr doch alles zu wissen, oder durch Weissagung erfahren
-zu haben. Brauche ich es Euch zu sagen, daß ein alter
-Diener, Roberto, sie vergiftet hatte, von ihrem Haß verfolgt
-und zur Rache angespornt? Daß dieser boshaft und
-verrucht meinem Vater das Verbrechen zuwälzen wollte?
-Er entsprang aus dem Gefängnisse, übersteigt die Gartenmauer
-und stößt in der Grotte meinem Vater den Dolch in
-die Brust!
-</p>
-
-<p>
-Der alte Roberto? Roberto? rief die Alte, fast wie im
-<a id="page-315" class="pagenum" title="315"></a>
-frohen Jubel; ei, sieh doch! was man an den Leuten nicht
-erlebt! Ja, ja, der Schleicher war in jüngern Jahren so
-ein rechter Tuckmäuser, ein scheinheiliger Hund, ist aber
-nachher ein resoluter Bursche geworden, wie ich höre. In
-der Grotte also? Wie sich alles so wunderbar fügen muß.
-Da saß Euer Vater in frühern Jahren so oft mit der ersten
-Gattin, dort hat er ihr zuerst, als ihr Bräutigam, ewige
-Liebe geschworen. Dazumal trug Roberto gewiß schon jenen
-Dolch, wußte aber nicht, daß er ihn erst nach zwanzig Jahren
-so sonderbar brauchen sollte. Dort hat auch die zweite
-Gemahlin oft bei dem kühlen Brunnen geschlummert, da lag
-der Mann wieder zu ihren Füßen. Nicht wahr, Antonio,
-Kind, das Leben ist ein recht buntes, recht dummes, recht
-abgeschmacktes und recht grauliches Fabelgemisch? Kein Mensch
-kann sagen: dahin will ich nicht! Die Schmerzen und Gefühle,
-die Stacheln und das Rasen, die die schwarzen Gesellen in
-der Hölle schmieden, das alles kommt und kommt langsam,
-wunderlich, näher und immer näher, mit einemmale ist das
-Entsetzliche im Hause, und der Verzweifelte sitzt dann damit
-im Winkel und nagt daran, so wie der Hund am Knochen.
-Trink, trink, mein Söhnchen, durch diesen Saft wird alles
-besser, wenn seine Geister in die Seele steigen. &mdash; Nun, und
-Du? Erzähle doch weiter.
-</p>
-
-<p>
-Ich schwur dem Vater Rache, sagte Antonio.
-</p>
-
-<p>
-So ist es recht, erwiederte die Alte; sieh, mein Kind,
-wann so ein Brand erst in ein Haus geschleudert ist, so
-muß er niemals, niemals wieder erlöschen. Von Geschlecht
-zu Geschlecht, zum Enkel und zum Vetter erbt das Gift, die
-Kinder rasen schon, die Wunde blutet immer wieder, ein
-neuer Aderlaß muß wieder das Unglück retten und auf die
-Beine bringen, das sonst vielleicht gar verscheiden könnte.
-O Rache, Rache ist ein köstliches Wort.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-316" class="pagenum" title="316"></a>
-Aber Roberto, sagte Antonio, war entflohen und nirgends
-zu finden.
-</p>
-
-<p>
-Schade, Schade, rief die Alte aus. Nun trieb Dich
-Deine Rache wohl in die Welt?
-</p>
-
-<p>
-Ja wohl, ich erwuchs, ich sah Italien, forschte in allen
-Städten, konnte aber keine Spur des Mörders entdecken.
-Der Ruf Pietro&rsquo;s von Abano hielt mich endlich in Padua
-fest. Ich wollte von ihm Weisheit lernen, aber als ich in
-das Haus des Podesta kam &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Nun? sprich heraus, Kind!
-</p>
-
-<p>
-Was soll ich sagen? Ich weiß nicht, ob ich rase oder
-träume. Dort sah ich die Tochter, die holde, die liebreizende
-Crescentia. Und ich sehe sie jetzt wieder vor mir, ja sie ist
-es selbst, jener Leichenzug war ein böser, ungeziemender
-Scherz, und diese Verkleidung, diese Flucht in die Wüste
-hieher ist wieder eine unziemliche Verlarvung. Gieb Dich
-endlich, endlich zu erkennen, theure, holdselige Crescentia.
-Weißt Du es ja doch, daß mein Herz nur in Deinem Busen
-lebt. Wozu diese grausamen Proben? Sind Deine Eltern
-vielleicht dort in der Kammer, und hören alles, was wir
-sprechen? Laß sie nun endlich, endlich herein treten, es sei
-nun der grausamen Prüfung, die mich wahnsinnig machen
-kann, genug geschehn.
-</p>
-
-<p>
-Die bleiche Crescentia sah ihn mit einem unbeschreiblichen
-Blicke an, eine solche Wehmuth im Angesicht, daß ihm
-die Thränen aus den Augen stürzten. Er ist wahrlich schon
-betrunken! heulte die Alte. Sprecht, sagt, ist denn die Tochter
-des Podesta todt? Gestorben wäre sie? und wann?
-</p>
-
-<p>
-Heut Abend, sagte der Weinende, bin ich ihrer Leiche
-begegnet.
-</p>
-
-<p>
-Also auch die? fuhr die Alte lustig fort, indem sie wieder
-<a id="page-317" class="pagenum" title="317"></a>
-einschenkte. Nun, da wird sich ja die Familie Markone
-in Venedig freuen.
-</p>
-
-<p>
-Warum?
-</p>
-
-<p>
-Weil sie nun die einzigen Erben des reichen Mannes
-sind. Das haben die Klugen immer gewünscht, es aber
-niemals hoffen können.
-</p>
-
-<p>
-Weib! rief Antonio mit neuem Entsetzen aus, Du weißt
-ja Alles.
-</p>
-
-<p>
-Nicht Alles, erwiederte Jene, aber Etwas. Und manches
-läßt sich dann auch wohl errathen. Und freilich, etwas
-Hexerei ist auch im Spiele. Erschreckt nur nicht gar zu sehr.
-Es war auch nicht so ganz um gar nichts, daß mich die
-Herren Florentiner auf den Holzstoß setzen wollten, einige
-kleine unbedeutende Ursächelchen konnten sie immer für diesen
-Wunsch anführen. &mdash; Schau mir ins Gesicht, Knabe, streiche
-die Locken aus der Stirn: gut! Nun gieb die linke Hand:
-die rechte; ei! ei! sonderbar und wunderlich! Ja, ja, Dir
-steht ein nahes Unglück bevor, aber wenn Du es überlebst,
-wirst Du Deine Geliebte noch wiedersehn.
-</p>
-
-<p>
-Jenseit! seufzte Antonio.
-</p>
-
-<p>
-Jenseit? was ist Jenseit? rief die Alte im Taumel;
-nein, diesseit, was wir hier auf Erden nennen. Was die
-Narren für Worte brauchen. Es giebt kein Jenseit, alberner
-Kindskopf, wer hier nicht schon das Fett von der Brühe
-abschöpft, der ist übel betrogen. Aber damit kirren sie die
-Gelbschnäbel, daß sie hübsch im Geleise bleiben, wohin man
-sie lenken will, wer aber ihren Fabeln nicht glaubt, der ist
-auch dafür frei, und kann thun, was ihn gelüstet.
-</p>
-
-<p>
-Antonio sah sie zürnend an, und wollte ihr heftig erwiedern,
-aber die blasse Crescentia legte einen so demüthig
-flehenden Blick für ihre Mutter ein, daß <a id="corr-13"></a>sein Zorn entwaffnet
-wurde. Die Alte gähnte und rieb sich die Augen, und
-<a id="page-318" class="pagenum" title="318"></a>
-es währte nicht lange, so war sie, vom häufigen Genuß des
-starken Weins betäubt, fest eingeschlafen. Das Feuer auf
-dem Heerde war erloschen, und die Lampe warf nur noch
-matte Schimmer. Antonio fiel in ein tiefes Nachsinnen,
-und Crescentia saß am Fenster auf einem niedrigen Schemel.
-Kann ich wo schlafen? sagte der erschöpfte Jüngling
-endlich.
-</p>
-
-<p>
-Oben ist noch eine Kammer, sagte Crescentia schluchzend,
-und er bemerkte nun erst, daß sie die ganze Zeit über
-heftig geweint hatte. Sie putzte die Lampe, daß sie heller
-brenne, und ging schweigend voran. Er folgte eine schmale
-Treppe hinauf, und als sie oben in dem engen finstern Behältnisse
-waren, setzte das Mädchen die Leuchte auf einen
-kleinen Tisch und war im Begriff sich zu entfernen. Doch
-schon an der Thür kehrte sie noch einmal um, betrachtete
-den jungen Mann wie mit einem Todtenblicke, stand bebend
-vor ihm, und fiel dann laut schluchzend und in unverständlichen
-heftigen Klagen wie in Krämpfen zu seinen Füßen
-nieder. Was ist Dir, mein holdes Kind? rief er aus, und
-wollte sie aufheben; beruhige Dich: sage mir Dein Leid.
-</p>
-
-<p>
-Nein, laßt mich hier liegen, rief die Klagende, ach!
-wenn ich doch hier zu Euren Füßen, wenn ich doch jetzt
-sterben könnte! Nein, es ist zu entsetzlich! Und daß ich nichts
-thun, nichts hindern kann, daß ich den Gräuel nur stumm
-und ohnmächtig anschauen muß. Aber Ihr müßt es erfahren.
-</p>
-
-<p>
-So sammle Dich nur, sagte tröstend Antonio, daß Du
-nur Deine Stimme, daß Du nur die Worte wieder findest.
-</p>
-
-<p>
-Ich sehe, sprach jene vom Weinen unterbrochen heftig
-fort, Eurer gestorbenen Geliebten ähnlich, und ich bin es,
-die Euch an der Hand in die Mördergrube führen muß.
-Meine Mutter kann leicht prophezeien, daß Euch ein nahes
-<a id="page-319" class="pagenum" title="319"></a>
-Unglück bevorsteht: kennt sie doch die Gesellen, die allnächtlich
-hier einkehren. Dieser Höhle ist noch Keiner lebendig
-entronnen. Jede Minute führt ihn näher und näher, den
-greulichen Ildefons, oder den verruchten Andrea, mit ihren
-Knechten und Gehülfen. Ach! und ich kann nur der Herold
-Eures Todes seyn, Euch keine Hülfe, Euch keine Rettung
-bieten.
-</p>
-
-<p>
-Antonio entsetzte sich. Bleich und zitternd faßte er
-nach seinem Schwert, versuchte seinen Dolch, und sammelte
-Muth und Entschlossenheit wieder. So sehr er den Tod
-erst gewünscht hatte, so war es ihm doch zu furchtbar, in
-einer Räuberhöhle endigen zu müssen. Du aber, fing er
-an, Du mit diesem Angesichte, mit dieser Gestalt, kannst es
-über Dich gewinnen, eine Gesellin, eine Gehülfin der Verruchten
-zu seyn?
-</p>
-
-<p>
-Ich kann nicht entfliehen, seufzte die Trostlose, wie gern
-entwiche ich diesem Hause. Ach! und diese Nacht, morgen
-soll ich von hier und über das Meer geschleppt werden, die
-Gattin des Andrea oder Ildefons soll ich seyn. Ist es nicht
-besser, jetzt zu sterben?
-</p>
-
-<p>
-Komm, rief Antonio, die Thür ist offen, entflieh mit
-mir, die Nacht, der Wald werden uns ihren Schutz verleihen.
-</p>
-
-<p>
-Seht Euch nur um, sagte das Mädchen, seht nur, wie
-hier und im untern Gemache die Fenster mit starken Eisenstäben
-verwahrt sind, die Thür des Hauses ist mit einem
-großen Schlüssel versperrt, den die Mutter nicht von sich
-giebt. Saht Ihr nicht, wie sie die Thür ins Schloß warf,
-als Ihr hereingetreten wart?
-</p>
-
-<p>
-So falle die Alte zuerst, rief Antonio, wir entreißen
-ihr den Schlüssel &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Meine Mutter sterben! schrie die blasse Mädchengestalt,
-<a id="page-320" class="pagenum" title="320"></a>
-und klammerte sich mit Heftigkeit an ihn, um ihn fest zu
-halten.
-</p>
-
-<p>
-Antonio beruhigte sie. Er schlug ihr vor, der Alten,
-da sie berauscht sei, und fest schlafe, den großen Schlüssel
-der Thüre leise von ihrer Seite zu nehmen, dann zu öffnen
-und zu entfliehen. Von diesem Plane schien Crescentia
-einige Hoffnung zu fassen, sie gingen still wieder in das
-untere Gemach und fanden die Alte noch fest schlafend. Crescentia
-machte sich zitternd an sie, suchte und fand den Schlüssel,
-und es gelang ihr nach einiger Zeit, ihn vom Bande
-des Gürtels abzulösen. Sie winkte dem Jüngling, behutsam
-näherten sie sich der Thür, mit Vorsicht brachten sie den
-eisernen Schlüssel in das Schloß, mit fester Hand wollte
-Antonio jetzt ohne Geräusch den Riegel zurückschieben, als
-er fühlte, daß draußen eben so geräuschlos ein andrer am
-Schlosse arbeite. Die Thür öffnete sich sacht und herein
-trat, Antlitz an Antlitz dem Antonio, ein großer wilder
-Mann. Ildefonso! schrie das Mädchen auf, und der Jüngling
-erkannte in ihm auf den ersten Blick den Mörder Roberto.
-</p>
-
-<p>
-Was ist das? sagte dieser mit dumpfer Stimme; woher
-habt Ihr den Schlüssel? Wohin?
-</p>
-
-<p>
-Roberto! schrie Antonio und faßte den ungeheuren Mann
-wüthend an der Kehle. Sie rangen heftig mit einander, doch
-gelang es der Kraft des Jünglings, den Bösewicht auf den
-Boden zu werfen, dann kniete er ihm auf die Brust und
-senkte seinen Dolch ihm in das Herz. Mit lautem Geschrei
-war indessen die Alte erwacht, sie sprang auf, als sie den
-Kampf sah und riß unter Geheul und Verwünschungen die
-Tochter hinweg, sie schleppte sie zur Kammer hinauf, und
-verriegelte von innen die Thür. Jetzt wollte Antonio hinauf,
-um sich die Kammer mit Gewalt zu öffnen, als mehrere
-<a id="page-321" class="pagenum" title="321"></a>
-dunkle Gestalten herein traten, und nicht wenig erstaunten,
-ihren Anführer todt am Boden zu finden. Jetzt bin ich Euer
-Hauptmann! rief eine breite, bärtige Figur, indem dieser
-das Schwert zog. Wenn Crescentia mein ist! antwortete
-trotzig ein jüngerer Räuber. Beide, auf ihrem Sinne bestehend,
-fielen sich mörderisch an. Die Lampe ward umgestürzt,
-und unter Geheul und Fluchen wälzte sich der Kampf
-in der Finsterniß von einer Ecke zur andern. Seid ihr unsinnig?
-schrie eine andre Stimme dazwischen; ihr laßt den
-Fremden entfliehn, schlagt ihn zuerst darnieder und fechtet
-dann eure Händel aus! Doch jene, vor Wuth blind, vernahmen
-ihn nicht. Schon dämmerte der erste graue ungewisse
-Strahl des frühen Morgens. Da fühlte Antonio die
-Mörderfaust an seiner Brust, aber schnell und rüstig stieß
-er den Angreifenden nieder. Ich bin erschlagen, rief dieser,
-auf den Boden fallend: Wahnsinnige, besetzt die Thür, laßt
-ihn nicht entrinnen. Antonio hatte indessen diese gefunden,
-er sprang durch den kleinen Garten und über den Zaun, die
-Räuber, welchen unterdeß die Besinnung gekommen war,
-eilten ihm nach. Er war nur um wenige Schritte voraus,
-und sie suchten ihm die Bahn abzugewinnen. Einer warf
-mit Feldsteinen nach ihm, die aber ihres Ziels verfehlten.
-Unter Geschrei und Drohworten waren sie in den Wald gekommen.
-Hier zeigten sich verschiedene Richtungen, und
-Antonio war ungewiß, welche er wählen sollte. Da sah er
-zurück und die Räuber getrennt, er stellte sich dem nächsten
-und verwundete ihn im Kampf, daß jener das Schwert mußte
-sinken lassen. Doch zugleich vernahm er Geschrei und sah
-von einem Seitenwege neue Gestalten daher eilen, die ihm
-den Weg bald verrennen mußten. In dieser höchsten Noth
-traf er auf einer kleinen Waldwiese sein Roß wieder an.
-Es schien sich von der gestrigen Uebermüdung erholt zu haben.
-<a id="page-322" class="pagenum" title="322"></a>
-Er schwang sich hinauf, nachdem er schnell den Zaum ergriffen
-und geordnet hatte, und mit der größten Schnelle,
-als wenn das Thier seine Gefahr gefühlt hätte, trug es ihn
-auf einem gebahnten Pfade aus dem Walde. Nach und
-nach ertönte das Geschrei seiner Verfolger immer ferner und
-ferner, der Wald lichtete sich, und als er schon glauben
-mußte, nichts mehr befürchten zu dürfen, sah er die Stadt
-im Sonnenglanze vor sich liegen.
-</p>
-
-<p>
-Menschen begegneten ihm, Landleute gingen dieselbe
-Straße zur Stadt, Reisende gesellten sich zu ihm, und so
-kam er nach Padua zurück, indem er nur weniges auf die
-vielfachen Fragen und Erkundigungen antwortete, warum
-sein Anzug so verwildert, warum er ohne Hut sei. Die
-Bürger sahen ihn mit Verwunderung an, als er vor dem
-großen Hause des Podesta abstieg.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-In der Stadt hatte sich in derselben Nacht etwas Wunderbares
-zugetragen, was bis jetzt noch allen Menschen ein
-Geheimniß war. Kaum hatte sich die Finsterniß dicht und
-dichter verbreitet, als Pietro, den man gemeiniglich nur von
-seiner Geburtsstadt Apone, oder Abano nannte, im innersten
-Zimmer seines Hauses alle Geräthe, alle seine künstlichen
-Instrumente zu einer geheimen und seltsamen Operation in
-Ordnung richtete. Er selbst war in lange Gewänder gekleidet,
-die mit wunderlichen Hieroglyphen bezeichnet waren,
-in seinem Saal hatte er die magischen Kreise beschrieben,
-und alles kunstreich geordnet, um seiner Wirkung gewiß zu
-seyn. Er hatte den Stand der Gestirne genau erforscht, und
-erwartete jetzt den günstigsten Augenblick.
-</p>
-
-<p>
-Sein Gefährte, der häßliche Beresynth, war auch mit
-magischen Kleidern angethan. Er holte und stellte auf den
-<a id="page-323" class="pagenum" title="323"></a>
-Befehl seines Gebieters alles so, wie dieser es nöthig erachtete.
-Bemalte Decken waren an den Wänden verbreitet, der
-Boden des Zimmers verkleidet, der große Zauberspiegel aufgerichtet,
-und näher rückte und näher der Moment, den der
-Magier für den glücklichsten erachtete.
-</p>
-
-<p>
-Hast Du die Kristalle in die Kreise gestellt? rief jetzt
-Pietro. Ja, antwortete der geschäftige Gesell, dessen Fratze
-sich zwischen den Phiolen, Spiegeln, menschlichen Gerippen
-und allen dem seltsamen Hausrath munter und unermüdlich
-tummelte. Jetzt wurde das Räuchwerk gebracht, eine Flamme
-entzündete sich auf dem Altar, und der Magier nahm vorsichtig,
-fast bebend, aus seinem geheimsten Schranke das
-große Buch. Geht&rsquo;s los? rief Beresynth. &mdash; Schweig, erwiederte
-der Alte feierlich, und störe die heilige Handlung
-durch keine frevelnden, durch keine unnützen Worte. Er las,
-erst leise, dann lauter und eifriger, indem er mit gemessenen
-Schritten auf und nieder, dann im Kreise wandelte.
-Nach einer Weile hielt er inne und befahl: schau hinaus,
-wie sich der Himmel gestaltet.
-</p>
-
-<p>
-Dichte Finsterniß, sagte der rückkehrende Diener, hat
-den Himmel umzogen, Wolken jagen sich, ein Regen fängt
-an zu träufeln. &mdash; Sie sind mir günstig, rief der Alte, es
-muß gelingen! Jetzt kniete er nieder, und berührte oft, die
-Beschwörung murmelnd, mit der Stirn den Boden. Sein
-Gesicht war erhitzt, seine Augen funkelten. Man hörte ihn
-die heiligen Namen nennen, die verboten sind auszusprechen,
-und er sandte nach langer Zeit seinen Diener wieder hinaus,
-um nach dem Firmament zu schauen. Indessen vernahm
-man den heranbrausenden Sturm, Blitz und Donner jagten
-sich, und das Haus schien in seinen Grundfesten zu erbeben.
-Hört das Wetter, rief Beresynth, eilig zurückkehrend. Die
-Hölle hat sich von unten herauf gemacht, und wüthet mit
-<a id="page-324" class="pagenum" title="324"></a>
-Feuer und wilden krachenden Donnerschlägen, ein Sturm
-braust dazwischen, und die Erde zittert. Haltet inne mit
-Beschwören, daß nicht die Speichen brechen, und die Fugen,
-die die Welt zusammen halten, zerspringen.
-</p>
-
-<p>
-Thörichter! Blödsinniger! rief der Magier; genug der
-unnützen Worte! Alle Thüren reiß auf, eröffne auch das
-Thor des Hauses.
-</p>
-
-<p>
-Der Zwerg entfernte sich, um die Gebote seines Herrn
-auszurichten. Dieser entzündete indeß die geweihten Kerzen,
-mit Schaudern nahte er sich der großen Fackel, die auf dem
-hohen Leuchter stand, auch sie brannte endlich, dann wand
-er sich auf dem Boden und beschwor lauter und lauter.
-Seine Augen funkelten, seine Glieder bebten alle, zuckten
-wie in Krämpfen, und ein kalter Schweiß der Angst floß
-von seinem Haupte. Mit wilder Geberde sprang der Zwerg
-wie entsetzt wieder herein und rettete sich in die Kreise. Die
-Welt geht unter, schrie er bleich und mit den Zähnen klappernd,
-die Gewitter ziehn fort, aber alles ist in der stillen
-Nacht Entsetzen und Graus, jedes Geschöpf hat sich in das
-innerste Gemach und die Kissen des Bettes geflüchtet, um
-der Angst zu entweichen.
-</p>
-
-<p>
-Der Alte erhob vom Boden ein todtenbleiches Antlitz,
-und verzerrt und unkenntlich schrie er mit fremdem Laute:
-Schweig, Unglückseliger, und störe das Werk nicht. Gieb
-Acht, und behalte Deine Sinne. Das Größte ist noch
-zurück.
-</p>
-
-<p>
-Mit einer Stimme, als wollte er seine Brust zersprengen,
-las und beschwor er wieder, der Athem schien ihm oft
-zu fehlen, es war, als müsse die ungeheure Anstrengung ihn
-tödten. Da hörte man plötzlich Stimmen durcheinander, wie
-im Streit, dann wie Gespräch, sie flüsterten, sie tobten und
-lachten, Gesang ertönte, und verworrener Klang von wundersamen
-<a id="page-325" class="pagenum" title="325"></a>
-Instrumenten. Alle Geräthe wurden lebendig und
-schritten vor und gingen wieder zurück, und aus den Wänden
-in allen Gemächern quollen Wesen aller Art, Gethier
-und Ungeheuer und abentheuerliche Fratzen im buntesten Gewirre.
-</p>
-
-<p>
-Herr! schrie Beresynth, das Haus wird zu enge! Wohin
-mit allen diesen Geistern? Einer muß den andern fressen.
-O weh! o weh! Immer greulicher, immer toller wickelt
-sich einer aus dem andern: ich verliere den Verstand! Und
-diese Musik dazu, dies Gellen und Pfeifen, Gelächter dazwischen,
-und rührende Klagegesänge. Seht, Herr! seht!
-die Wände, die Zimmer dehnen sich aus: alles wird zu unermeßlichen
-Sälen, zu hohen Gewölben, und noch schießen
-die Creaturen hervor, und vermehren sich mit dem wachsenden
-Raume. Könnt Ihr nicht rathen, könnt Ihr nicht
-helfen?
-</p>
-
-<p>
-Ganz ermattet erhob sich jetzt Pietro, er war verwandelt
-und wie sterbend. Schau noch einmal hinaus, sprach
-er leise, wende Dein Auge nach dem Dom, und berichte
-mir, was Du siehst.
-</p>
-
-<p>
-Ich trete dem Gesindel hier auf den Kopf, schrie der
-verwirrte Beresynth, sie winden sich spielend wie die Schlangen
-um mich her, und lachen höhnisch über mich. Sind es
-Geister? sind es Kobolde oder leere Phantome? Ei was! wenn
-ihr nicht aus dem Wege gehn wollt, so trete ich euch in
-die grünlichen und blauen Schnauzen hinein! Jeder ist sich
-selbst der Nächste. Er polterte murrend hinaus.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt ward es still, und Pietro stand auf. Er winkte,
-und alle jene Wundergestalten, die sich am Boden gekrümmt,
-die sich in der Luft durcheinander gewunden hatten, verschwanden
-wieder. Er trocknete Schweiß und Thränen ab
-und holte freier Athem. Sein Diener kam zurück und sagte:
-<a id="page-326" class="pagenum" title="326"></a>
-Herr! alles ist ruhig und gut, aber lichte Gebilde zogen mir
-vorüber und verschwanden in den dunklen Himmel hinein:
-darauf, wie ich unverwandt nach dem Dom hinschaue, ertönt
-ein gewaltiger Klang, wie wenn alle Saiten einer Harfe zugleich
-rissen, und ein Schlag geschah, daß die Straße und
-alle Häuser zitterten. So riß sich dann die große Thür der
-Kirche auf, Flöten erklangen süß und lieblich, und eine
-sanfte lichte Klarheit ergoß sich aus dem Innern der Kirche.
-Gleich darauf trat ein weibliches Gebild in den Schein,
-blaß, aber glänzend, mit Blumenkronen geschmückt, sie
-schwebte aus dem Thor und Lichtstrahlen bereiteten ihr eine
-Straße, auf welcher sie wandeln sollte. Das Haupt gerade,
-die Hände gefaltet, so schwebt sie heran, auf unsre Wohnung
-zu. Ist es denn diese, auf welche Ihr gewartet habt?
-</p>
-
-<p>
-Nimm den goldnen Schlüssel, antwortete Pietro, und
-eröffne mit ihm das innerste kostbarste Gemach meines Hauses.
-Die Purpurdecke ist ausgebreitet, die Wohlgerüche duften.
-Dann fort und lege Dich nieder. Forsche nicht weiter
-nach, was geschieht. Sei gehorsam und verschwiegen, wenn
-Du Dein Leben achtest.
-</p>
-
-<p>
-Kenne ich Euch doch, antwortete der Zwerg und entfernte
-sich mit dem Schlüssel, indem er noch einmal wie
-einen schadenfrohen Blick zurück warf.
-</p>
-
-<p>
-Indem kam ein liebliches Gesäusel näher, Pietro ging
-nach dem Vorsaal, und herein schwebte die blasse Leichengestalt
-der Crescentia, in ihrem Todtenschmucke, das Crucifix
-noch in den gefaltenen Händen haltend. Er stand vor ihr,
-sie schlug die großen Augen auf und schauderte in lebhafter
-Bewegung vor ihm zurück, so daß vom schüttelnden Haupte
-die Blumenkränze niedersanken. Stumm bog er die festgeschlossenen
-Hände auseinander, in der linken aber behielt sie
-das Kreuz fest eingeklemmt. An der rechten Hand führte er
-<a id="page-327" class="pagenum" title="327"></a>
-sie durch seine Gemächer, und sie ging neben ihm, starr und
-ohne Theilnahme, ohne sich umzusehn.
-</p>
-
-<p>
-Das fernste Gemach empfing sie. Purpur und Gold,
-Seide und Sammet schmückten es kostbar aus. Durch die
-schweren Vorhänge schimmerte am Tage das Licht nur matt
-herein. Er deutete hin auf das Lager, und die Bewußtlose,
-wunderbar Belebte senkte und neigte sich wie eine Lilienblume,
-die der Wind bewegt, sie fiel auf die rothen Decken
-und athmete schmerzlich. Aus einem goldnen Fläschchen goß
-der Alte eine kostbare Essenz in eine kleine Schale von Kristall
-und legte ihr diese an den Mund. Die blassen Lippen
-schlürften den wunderbaren Trank, sie schlug noch einmal
-das Auge auf, betrachtete ihren vormaligen Freund, wandte
-sich mit dem Ausdruck des Abscheues um, und fiel in einen
-tiefen Schlaf.
-</p>
-
-<p>
-Sorgfältig verschloß der Alte wieder das Gemach. Alles
-im Hause war ruhig. Er begab sich auf sein Zimmer, um
-unter seinen Büchern und Zaubergeräthen den Aufgang der
-Sonne und die Geschäfte des Tages zu erwarten.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Als der unglückliche Jüngling Antonio geruht hatte, ritt
-der Podesta am folgenden Tage mit ihm und einem großen
-bewaffneten Gefolge aus, um jene Hütte, die häßliche Alte
-und die Räuber aufzusuchen und zu fangen. Nach der Erzählung
-Antonio&rsquo;s war der trostlose Vater sehr begierig geworden,
-jenes Mädchen zu sehn, welches seiner verstorbenen
-Tochter so ähnlich seyn sollte. Kann es seyn, sagte der Alte
-unterwegs, daß ein Traum, dem ich mich nur zu oft überlassen
-habe, wirklich werden sollte?
-</p>
-
-<p>
-Der Vater war so eilig, daß er dem Jüngling nicht
-weiter Rede stand. Sie kamen in den benachbarten Wald,
-<a id="page-328" class="pagenum" title="328"></a>
-und hier glaubte sich Antonio noch zu erkennen, und die
-Spuren wieder zu finden. Aber jene Nacht hatte ihn so
-verwirrt, und seine Lebensgeister so heftig erschüttert, daß er
-nachher seinen Weg nicht entdecken konnte, den er während des
-Sturmes und dem Krachen des Donners, betäubt, zu Fuß,
-und über Acker und Feld irrend, fortgesetzt hatte. Sie
-kreuzten das weite Gefilde nach allen Richtungen; wo nur
-Bäume oder Gebüsche sich entdecken ließen, dahin spornte
-Antonio, um die Räuberhütte und in ihr jene wundersame
-Erscheinung wieder anzutreffen, oder wenigstens, wenn die
-Einwohner auch verschwunden seyn sollten, wie er wohl
-glauben mußte, irgend eine Nachweisung zu erhalten. Der
-Podesta glaubte endlich, als man schon einen großen Theil
-des Tages so umgeirrt war, die erhitzte Einbildung des
-Jünglings habe nur in der Verwilderung seines Schmerzes
-diese Erscheinungen gesehn. Das Glück, rief er aus, wäre
-zu groß, und ich bin nur zum Unglück geboren.
-</p>
-
-<p>
-In einem Dorfe mußte man die Pferde und die Diener
-verschnaufen lassen. Die Bewohner wollten nichts von so
-verdächtigen Nachbarn wissen, auch hatte man in der Umgegend
-die Leichname der Erschlagenen nicht gefunden. Nach
-kurzer Frist machte sich Antonio wieder auf den Weg, obgleich
-der Podesta ihm mit größerem Mißtrauen folgte.
-Bei jedem Bauer, der ihnen aufstieß, wurden Erkundigungen
-eingezogen, doch keiner wußte irgend eine bestimmte
-Nachricht zu geben. Gegen Abend traf man auf einen scheinbar
-zerstörten Platz, Asche und Schutt lag umher, einige
-verkohlte Balken zeigten sich zwischen den Steinen: Bäume,
-die nahe standen, waren verbrannt. Jetzt schien sich der
-Jüngling wieder zu erkennen. Hier, so meinte er mit Bestimmtheit,
-sei der Aufenthalt der Mörder und jener wunderbaren
-Crescentia gewesen. Man machte Halt. Weit und
-<a id="page-329" class="pagenum" title="329"></a>
-breit war in der wüsten Gegend kein Haus zu sehn, kein
-Mensch war zu errufen. Ein Diener ritt zum nächsten Ort
-und brachte nach einer Stunde einen Alten zu Pferde mit
-sich. Dieser wollte wissen, daß schon seit einem Jahre eine
-Hütte hier abgebrannt sei, von Soldaten angezündet, der
-Eigenthümer des Feldes sei schon seit zehn Jahren in Rom,
-wo er ein versprochenes geistliches Amt erwarte, der Verwalter
-desselben aber nach Ravenna gereist, um eine alte
-Schuld einzukassiren.
-</p>
-
-<p>
-Verdrossen und ermüdet begaben sich die Reisenden zur
-Stadt zurück. Der Podesta Ambrosio ging damit um, seine
-Stelle aufzugeben, sich von allen Geschäften zurück zu ziehn,
-und selbst Padua zu verlassen, wo ihn alles nur an sein
-Unglück erinnerte. Antonio wollte in der Schule des berühmten
-Apone sein Elend ertragen und vielleicht vergessen
-lernen. Er zog in das Haus dieses großen Mannes, welcher
-ihm schon seit lange gewogen war.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Also auch Ihr, sagte nach einiger Zeit der kleine Priester
-zum tiefsinnigen Antonio, habt Euch diesem unglücklichen
-Studio und jenem verderblichen Manne ergeben, der Eure
-Seele verführen wird?
-</p>
-
-<p>
-Warum zürnt Ihr, antwortete Antonio freundlich, Ihr
-frommer Mann? Soll Religion und Wissenschaft sich nicht
-freundlich die Hand bieten dürfen, wie es in diesem trefflichen
-Lehrer geschieht? Er, den die ganze Welt verehrt, den
-die Fürsten schätzen und lieben, den der heilige Vater selber
-bald zu einer geistlichen Würde erheben will? Warum haßt
-Ihr den, der Euch und jedermann mit Liebe entgegen kommt?
-Wüßtet Ihr, wie seine Lehre mich tröstet, wie er meinen
-Geist erhebt und zum Himmel richtet, wie in seinem Munde
-<a id="page-330" class="pagenum" title="330"></a>
-Frömmigkeit und Religion die begeisterten Worte und Bilder
-finden, die seine Schüler, wie mit Schwingen des Geistes,
-in die überirdischen Regionen führen, Ihr würdet nicht so
-unbillig von ihm denken und sprechen. Lernt ihn näher kennen,
-sucht seinen Umgang, kommt dem, der keinen zurück
-weiset, freundlich entgegen, und Ihr werdet mit Reue und
-in Liebe Euren Haß, Euer voreiliges Urtheil über ihn widerrufen.
-</p>
-
-<p>
-Ihm? rief der Priester, nein nimmermehr! Wahrt
-Euch selbst, Jüngling, vor ihm und seinem höllenbezeichneten
-Diener, der keinen so arglistig, wie sein Meister, belügen
-kann.
-</p>
-
-<p>
-Es ist wahr, erwiederte Antonio, der kleine Beresynth
-ist eine lächerliche und auch häßliche Figur, mich wundert
-selbst, daß ihn der edle Pietro so beständig in allen seinen
-Zimmern und Geschäften um sich dulden mag: aber sollen
-Höcker und andre häßliche Abzeichen uns gegen einen Armen,
-den die Natur vernachlässigt hat, grausam machen?
-</p>
-
-<p>
-Schöne Worte, herrliche Redensarten! rief der Priester
-ungeduldig aus: bei diesen Gesinnungen gedeihen freilich
-Zauberer und Betrüger. Seht! da kommt das Scheusal,
-das ich nicht anschauen, viel weniger mit ihm etwas verhandeln
-mag. Wen der Herr auf diese Weise gezeichnet
-hat, der ist kenntlich genug, und jedermann, in dem noch
-nicht alles Gefühl erloschen ist, gehe ihm aus dem Wege.
-</p>
-
-<p>
-Beresynth, der die letzten Worte gehört hatte, machte
-sich in einigen seltsamen Sprüngen herbei. Hochwürdiger
-Herr, rief er aus, seid Ihr denn etwa selbst von so ausbündiger
-Schönheit, daß Ihr so unbillig urtheilen dürft?
-Mein Herr ist von Jugend auf ein majestätischer herrlicher
-Mann gewesen, und der denkt doch von mir und meines
-gleichen ganz anders. Was? Ihr kleiner, untersetzter, verstumpfter,
-<a id="page-331" class="pagenum" title="331"></a>
-kollriger Mann, dem die Nase vor Zorne fast
-immer roth anläuft? Ihr mit Euren krummen Mundwinkeln,
-mit den verzwickten Falten in der kleinen Stirn, Ihr wollt
-von meiner Häßlichkeit rumoren? Kuckt das Zwerglein doch
-kaum über die Kanzel hinaus, wenn es dorten handthiert,
-und ist so schmalbeinig und schmächtig, daß er nicht über den
-großen Platz gehn darf, wenn der Wind einmal stark weht;
-den die Gemeine kaum erkennt, wenn er vor dem Altar gestikulirt,
-wobei ihr der christliche Glaube nachhelfen muß, in
-der Hoffnung, er sei wirklich zugegen: &mdash; wie, ein solcher
-Knirps und geistlicher Nirgendgesehn will hier wie Goliath
-Rede führen? Laßt Euch dienen, unansehnlich Gottseliger,
-daß man aus meiner Nase allein einen solchen Glaubenshelden,
-wie Ihr seid, formiren könnte, wobei ich meinen doppelten
-Höcker vorn und hinten noch gar nicht einmal in die Rechnung
-bringe.
-</p>
-
-<p>
-Der erzürnte Priester Theodor hatte sich schon vor dem
-Schluß dieser Rede entfernt, und der melancholische Antonio
-verwies dem kleinen Gesellen seinen Muthwillen; doch dieser
-rief aus: fangt Ihr nur nicht auch an zu moralisiren! das
-leide ich einmal von keinem andern als meinem Herrn, denn
-der ist dazu in der Welt, die Moral, die Philosophie und
-dergleichen zu doziren. Aber diese Windfahne von Mönch
-da, die nur von Neid und Bosheit so knarrend herum gedreht
-wird, weil er meint, ihm geschieht durch meinen herrlichen
-Meister ein Abbruch an Autorität, Geld und Gut,
-der soll nicht den zahnlosen Mund aufthun, wo ich mein
-ungewaschnes Maul nur irgend brauchen kann; und von
-einem jungen Studenten leide ich auch keine Widerrede, denn
-ich habe mir schon den Bart verschneiden lassen, als Euer
-Vater noch im Westerhemdchen lief; Prügel in der Schule
-und den Esel bekam ich schon umgehängt, als sie Eurem erlauchten
-<a id="page-332" class="pagenum" title="332"></a>
-Großvater die ersten Hosen anthaten, darum erzeigt
-den Respect da, wo er hingehört und vergeßt niemals, wen
-Ihr vor Euch habt.
-</p>
-
-<p>
-Erzürne Dich nicht, kleiner Mann, sagte Antonio, ich
-meine es gut mit Dir.
-</p>
-
-<p>
-Meint&rsquo;s, wie Ihr wollt, rief jener. Mein Herr wird
-Prälat, wißt Ihr das schon? Und Rektor der Universität!
-Und eine neue goldne Gnadenkette hat er von Paris erhalten!
-Und Ihr sollt zu ihm kommen, weil er verreisen und
-Euch vorher noch einmal sprechen will. Schleppt Euch nicht
-mit Pfaffen so herum, wenn Ihr ein Philosoph seyn wollt.
-</p>
-
-<p>
-In krummen, wunderlichen Sätzen sprang er wieder die
-Straße hinüber, und Antonio sagte zu Alfonso, der jetzt
-hinzutrat, und seit einiger Zeit sich oft freundlich zu ihm
-gesellte: ich weiß niemals, wenn ich mit der kleinen Mißgeburt
-rede, ob sie ihre Worte ernsthaft, oder nur im
-Scherze meint. Scheint er doch über sich selbst und alle
-Creatur zu spotten.
-</p>
-
-<p>
-Das ist ihm, antwortete Alfonso, ein nothwendiger Ersatz,
-um sich über seine Ungestalt zu trösten, denn durch seinen
-Hohn macht er in seiner Einbildung alle übrigen Geschöpfe
-sich gleich. Aber wißt Ihr schon von den neuen
-Ehren, die unserm herrlichen Lehrer und Meister zugetheilt
-sind?
-</p>
-
-<p>
-Die Welt, erwiederte Antonio, erkennt sein hohes Verdienst,
-und daß auch der Papst, unser heiliger Vater, ihn
-jetzt zum Prälaten macht, das wird den neidischen Priestern
-und Mönchen, die den tugendhaften und frommen Mann
-immerdar verketzern wollen, endlich Schweigen gebieten.
-</p>
-
-<p>
-Sie trennten sich, und Antonio eilte, von seinem Lehrer
-auf einige Tage Abschied zu nehmen. Der kleine Zwerg
-<a id="page-333" class="pagenum" title="333"></a>
-Beresynth erwartete ihn schon in der Thür mit grinsender
-Freundlichkeit.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-In den Zimmern war es schon trübe, und da Beresynth
-den Jüngling verließ, so ging dieser, der seinen Lehrer im
-Saale, auch in seiner Bücherstube nicht traf, durch die vielen
-Gemächer, und gelangte so bis in das innerste, welches
-er noch niemals betreten hatte. Bei einer dämmernden Lampe
-saß hier Pietro und verwunderte sich nicht wenig, den Florentiner
-eintreten zu sehn, der über die Gerippe, seltsamen
-Instrumente und den wunderlichen Hausrath des Greises
-erstaunt war. Nicht ohne Verlegenheit näherte sich der Alte.
-Ich hatte Euch hier nicht erwartet, sagte er, sondern dachte
-Euch draußen zu treffen, oder Euch oben in Eurem eigenen
-Zimmer aufzusuchen. Ich soll dem Abgesandten des Papstes,
-unsers heiligen Vaters, entgegen reisen, um sein Schreiben
-und die neue Würde, die seine Gnade und väterliche Güte
-mir mittheilt, demüthig und dankbar vom Prälaten dort
-anzunehmen.
-</p>
-
-<p>
-Antonio war befangen, und schien die Instrumente und
-den unbekannten Apparat genau zu betrachten. Ihr verwundert
-Euch, sagte der Alte endlich, über alle diese Dinge,
-die mir zu meinen Studien nöthig sind; wenn Ihr einmal
-meine Vorlesungen über die Natur besucht habt, werde ich
-Euch in Zukunft alles erklären können, was Euch jetzt vielleicht
-unbegreiflich erscheint.
-</p>
-
-<p>
-Doch in diesem Augenblicke ereignete sich etwas, das
-Antonio&rsquo;s Aufmerksamkeit von allen diesen Gegenständen abzog.
-Eine Thür, die verschlossen schien, war nur angelehnt,
-sie that sich auf, und der Jüngling sah in ein Gemach, das
-mit purpurrothem Lichte erfüllt war, aber in dieser Rosengluth
-<a id="page-334" class="pagenum" title="334"></a>
-stand an der Thür ein bleiches Gespenst, welches winkte
-und lächelte. Mit Blitzesschnelle wendete der Alte sich um,
-warf donnernd die Thür in das Schloß, und verriegelte sie
-mit einem goldenen Schlüssel. Zitternd und leichenblaß warf
-er sich dann in einen Sessel, indem ihm große Schweißtropfen
-von der Stirne rannen. Als er sich etwas erholt
-hatte, winkte er, noch immer zitternd, Antonio herbei und
-sagte mit bebender Stimme: auch dieses Geheimniß, mein
-junger Freund, wird Euch einmal deutlich werden; denke,
-mein geliebter Sohn, das Beste von mir. Dich vor allen,
-Du Leidender, Du Vielgeliebter, will ich in mein tiefstes
-Wissen dringen lassen, Du sollst mein wahrer Schüler, mein
-Erbe werden. Aber laß mich jetzt, geh nun hinauf zu Deinem
-einsamen Zimmer und rufe im brünstigen Gebete den
-Himmel und seine heiligen Kräfte zu Deinem Beistande auf.
-</p>
-
-<p>
-Antonio konnte nicht antworten, so war er von der Erscheinung
-überrascht und entsetzt, so hatte ihn die Rede seines
-verehrten Lehrers verwirrt, denn ihm schien, als müsse
-dieser einen Zorn unterdrücken, als leuchte ein verhaltener
-Grimm aus seinen feurigen Augen, die nach dem plötzlichen
-Erlöschen schnell einen stärkern Glanz ausstrahlten.
-</p>
-
-<p>
-Er ging und im Vorzimmer fand er Beresynth, der
-mit grinsendem Gesicht Fliegen haschte, die er dann einem
-Affen zuwarf. Beide schienen im Wettstreit begriffen, wer
-die ärgsten Fratzen hervorbringen könnte. Der Meister rief
-jetzt laut den Diener, und die Mißgestalt hüpfte hinein.
-Antonio vernahm einen lauten Wortwechsel, und Pietro
-schien sehr zornig. Weinend und heulend kam Beresynth
-aus dem Zimmer, ein Blutstrom floß über die ungeheure
-Nase hinab. Kann er nicht selbst seine Thüren verschließen,
-krächzte die Mißgeburt, der Allerweltsweise und Allmächtige?
-Ist der Herr dumm, so muß der Diener die Schuld tragen.
-<a id="page-335" class="pagenum" title="335"></a>
-Scheert Ihr Euch, Allverehrtester, auf Eure Dachkammer
-hinauf, und laßt mich mit meinem guten Freund, dem lieben
-Pavian da, in Ruhe. Der hat noch ein menschliches
-Herz, der liebe, getreue. Ein lustiger Bruder, wie er ist,
-und doch in der Zartheit ein recht ausbündiger Kerl. Marsch
-da! Der Pylades will wieder Fliegen speisen, die ihm sein
-Orest zusammenfangen muß.
-</p>
-
-<p>
-Antonio verließ wie betäubt den Saal.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der florentinische Jüngling war in das Haus seines
-Lehrers gezogen, um ganz ungestört seinen Leiden und Studien
-leben zu können. Oben im entferntesten und höchsten
-Gemache des Hauses hatte er sich eingerichtet, um recht einsam
-und von Menschen unbesucht zu leben. Wenn er von
-hier die schönen und fruchtbaren Gefilde des Landes übersah
-und dem Laufe des Stromes mit den Blicken folgte, so
-dachte er um so inniger seiner entschwundenen Geliebten.
-Er hatte ihr Bild von den Eltern bekommen, und einiges
-Geräth, mit welchem sie als Kind gespielt hatte; vorzüglich
-lieb war ihm eine Nachtigall, die ihm in ihren rührenden
-Klagegesängen nur sein eigenes Leid auszutönen schien. Dieser
-Vogel war von Crescentien mit Sorgfalt und Liebe gepflegt
-worden, und der schwärmende Jüngling bewahrte ihn
-als ein Heiligthum, als den letzten Ueberrest seines irdischen
-Glückes.
-</p>
-
-<p>
-Andre Jünglinge seines Alters sahe er nicht, außer
-dem Spanier Alfonso, mit welchem ihn der gleiche Enthusiasmus
-für die Größe des Pietro Abano vereinigte. Der
-Podesta Ambrosio hatte seine Stelle niedergelegt und die
-Stadt verlassen, er wollte in Rom seine letzten Tage verleben,
-um sich seinen Verwandten in Venedig zu entziehn.
-<a id="page-336" class="pagenum" title="336"></a>
-Er hatte es aufgegeben, die frühgeraubte Zwillingstochter
-wieder zu finden, und es schmerzte ihn um so inniger, daß
-Antonio ihm diese Hoffnung so erschütternd wieder in seine
-Seele gerufen hatte. Er war überzeugt, der Jüngling habe
-ihn und sich selbst mit den Fieber-Phantasien jener Nacht
-getäuscht.
-</p>
-
-<p>
-Am Morgen reiste Pietro mit seinem getreuen Diener
-ab. Antonio war ganz allein im großen Hause, dessen Zimmer
-alle verschlossen waren. Die Nacht war ihm schlaflos
-hingegangen. Immer stand ihm das entsetzliche Gebild vor
-Augen, das ihm, wie es ihn erschüttert hatte, doch die
-schönsten Empfindungen zurück rief. Ihm war, als wenn
-jede Kraft zu denken in ihm erstorben sei, Gebilde, die er
-nicht festhalten konnte, bewegten sich in ewig umschwingenden
-Kreisen vor seiner Phantasie. Die Empfindung war ihm
-fürchterlich, daß er an seinem verehrten Lehrer irre wurde,
-daß er unerlaubte Geheimnisse und ein Entsetzen ahndete,
-das seit jenem Blick ins Gemach hinein auf ihn zu warten
-schien, um ihm allen Lebensmuth zu rauben, oder ihn einem
-verzweifelnden Wahnsinn zu überliefern.
-</p>
-
-<p>
-Die Nachtigall sang eben vor seinem Fenster, und er
-sah, daß es stürmte und regnete. Vorsorglich nahm er sie
-herein und stellte sie hoch auf einen alten Wandschrank hinauf.
-Indem er sich überbog, um den Käfig sicher zu stellen,
-riß die Kette, an welcher er das Bildniß seiner Geliebten
-trug, und das Gemälde rollte nach der Wand zu, und hinter
-den eichenen alten Brettern hinab. Der Unglückliche
-wird auch von Kleinigkeiten erschreckt. Eilig stieg er hinunter,
-um sein geliebtes Kleinod wieder zu suchen. Er bückte
-sich, aber so sehr er auch forschte, war es unter dem großen
-schweren Schranke nicht anzutreffen. Alles, das Große wie
-das Kleine in seinem Leben, schien ihn wie eine Bezauberung
-<a id="page-337" class="pagenum" title="337"></a>
-zu verfolgen. Er schüttelte an dem alten Gerüste, und
-wollte es aus der Stelle schieben, aber es war in der Mauer
-verfestigt. Sein Ungestüm wurde mit jedem Hinderniß heftiger.
-Er faßte eine alte Eisenstange, die er im Vorzimmer
-fand, und arbeitete mit aller Anstrengung seiner Kräfte, den
-Schrein zu rücken, und endlich, nach vielem Heben, Stemmen
-und hundert vergeblichen Bemühungen geschah ein Riß
-mit lautem Krachen, als wenn eine eiserne Klammer oder
-Kette gesprungen wäre. Jetzt wich allmählig das Gebäude
-und Antonio vermochte es endlich, sich zwischen dieses und
-die Wand einzudrängen. Er sah sogleich sein geliebtes Bildniß.
-Es lag auf dem breiten Knauf einer Thür, die in der
-Mauer war. Er küßte es, und drehte den Griff, welcher
-nachgab. Die Thür öffnete sich, und er fiel darauf, den großen
-Schrank noch etwas mehr zurück zu schieben, um diese
-Seltsamkeit näher zu untersuchen, denn er glaubte, daß der
-Besitzer des Hauses diese geheime Oeffnung, die mit so vieler
-Sorgfalt, und wie es schien, seit so langer Zeit verdeckt
-war, selber nicht kenne. Als er sich mehr Raum verschafft
-hatte, sah er, daß hinter der Thür eine enge gewundene
-Stiege sich hinabsenkte. Er stieg einige Stufen hinunter,
-die dichteste Finsterniß umgab ihn. Er schritt weiter und
-immer weiter, die Treppe schien bis in die untern Gemächer
-hinabzuführen. Schon wollte er umkehren, als er auf eine
-Hemmung stieß, denn die Wendelstiege war nun zu Ende.
-Indem er in der Dunkelheit auf und nieder tastete, traf seine
-Hand auf einen erznen Ring, den er anzog, und sogleich
-öffnete sich die Mauer und ein rother Glanz quoll ihm entgegen.
-Noch ehe er in die Oeffnung hineintrat, untersuchte
-er die Thür und fand, daß eine Feder, die der Ring in
-Bewegung gesetzt, sie ihm aufgethan hatte. Er lehnte sie
-an und schritt behutsam in das Gemach. Rothe kostbare
-<a id="page-338" class="pagenum" title="338"></a>
-Teppiche schmückten es, mit Purpurdecken von schwerer Seide
-waren die Fenster verhängt, ein Bett, von glänzendem
-Scharlach mit Gold verziert, stand im Zimmer. Alles war
-still, man hörte das Getöse der Straße nicht, die Fenster
-gingen nach dem kleinen Garten. Mit beklemmter Brust
-stand der Jüngling im Gemach, er horchte aufmerksam und
-endlich dünkte ihm, er vernähme das Säuseln des Athems,
-wie von einem Schlafenden. Mit klopfendem Herzen wandte
-er sich um, und ging vor, um zu spähn, ob auf dem Bette
-jemand ruhe, er schlug die seidenen Vorhänge zurück &mdash; und
-glaubte nur zu träumen, denn vor ihm lag, leichenblaß,
-aber süß schlummernd, das Bildniß seiner geliebtesten Crescentia.
-Der Busen hob sich sichtlich, wie eine leichte Röthe
-war den blassen Lippen angeflogen, die, zart geschlossen, von
-einem sanften Lächeln unmerklich bewegt wurden. Das Haar
-war aufgelöst und lag in seinen schweren dunkeln Locken auf
-den Schultern. Das Kleid war weiß, der Gürtel eine goldne
-Spange. Lange stand Antonio im Anschauen versenkt, endlich,
-wie von einer übernatürlichen Gewalt getrieben, faßte
-er die weiße, schöne Hand, und wollte die Schläferin gewaltsam
-emporziehen. Diese stieß einen klagenden Schrei
-aus, und erschreckt ließ er den Arm wieder fahren, der ermüdet
-in die Kissen sank. Doch war der Traum, so schien
-es, entflogen, das Netz des Schlummers, welches das wundersame
-Bildniß umschlossen hielt, war zerrissen, und wie
-Wolken und Nebel sich im leisen Morgenwinde in wallenden
-Gestaltungen an den Bergen hinbewegen und wechselnd auf
-und nieder sinken, so rührte sich die Schläferin, dehnte sich
-wie ohnmächtig, und strebte in langsamen anmuthigen Bewegungen
-dem Erwachen entgegen. Die Arme streckten sich
-empor, so daß die weiten Aermel zurück fielen und die volle
-schöne Rundung zeigten, die Hände falteten sich und sanken
-<a id="page-339" class="pagenum" title="339"></a>
-dann wieder nieder; das Haupt erhob sich und der glänzende
-Nacken richtete sich frei auf, doch waren die Augen immer
-noch geschlossen, die Locken fielen schwarz in das Gesicht hinein,
-doch strichen die feinen langen Finger sie zurück; ganz
-aufrecht sitzend kreuzte die Schöne nun die Arme über die
-Brust, stieß einen schweren Seufzer aus und plötzlich standen
-die großen Augen weit offen und glänzend.
-</p>
-
-<p>
-Sie betrachtete den Jüngling, als sähe sie ihn nicht,
-sie schüttelte das Haupt und ergriff jetzt die goldne Quaste,
-die über ihr am Bette befestigt war, richtete sich kräftig auf,
-und auf den Füßen stand jetzt in der purpurnen Umhüllung
-hoch aufgerichtet die große schlanke Gestalt, sie schritt dann
-sicher und fest vom Lager herunter, ging auf Antonio, der
-zurück gewichen war, einige Schritte zu, und mit einem kindischen
-Ausruf der Ueberraschung, wie wenn Kinder sich
-plötzlich über ein neues Spielzeug erfreuen, legte sie ihm die
-Hand auf die Schulter, lächelte ihn holdselig an und rief
-mit sanfter Stimme: Antonio!
-</p>
-
-<p>
-Dieser von Furcht, Entsetzen, Freude, Ueberraschung
-und dem tiefsten Mitleiden durchdrungen, wußte nicht, ob
-er fliehen, sie umarmen, zu ihren Füßen stürzen, oder in
-Thränen aufgelöst sterben sollte. Das war derselbe Ton,
-den er sonst so oft und so gern vernommen hatte, bei dem
-sich sein ganzes Herz umwendete. Du lebst? rief er mit
-einer Stimme, die sein überschwellendes Gefühl erstickte.
-</p>
-
-<p>
-Das süße Lächeln, das von den blassen Lippen aus
-über die Wangen bis in die strahlenden Augen aufgegangen
-war, zerbrach plötzlich und ging in einen starren Ausdruck
-des tiefsten, des unsäglichsten Schmerzes unter. Antonio
-konnte den Blick dieser Augen nicht aushalten, er bedeckte
-mit den Händen sein Gesicht und schrie: bist Du ein Gespenst?
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-340" class="pagenum" title="340"></a>
-Die Erscheinung trat noch näher, drückte mit ihren
-Händen seine Arme nieder, so daß sein Antlitz frei wurde,
-und sagte mit sanft bebender Stimme: Nein, sieh mich an,
-ich bin nicht todt, und lebe doch nicht. Reich&rsquo; mir die
-Schaale dort.
-</p>
-
-<p>
-Eine duftende Flüssigkeit schwebte in dem kristallenen
-Gefäß, er reichte es ihr zitternd, sie setzte es an den Mund
-und schlürfte den Trank in langsamen Zügen. Ach, mein armer
-Antonio! sagte sie dann, ich will nur diese irdischen Kräfte
-erborgen, um Dir den ungeheuersten Frevel kund zu thun,
-um Hülfe von Dir zu erflehen, um Dich zu vermögen, mir
-zu der Ruhe zu verhelfen, nach welcher sich alle meine Gefühle
-so inbrünstig sehnen.
-</p>
-
-<p>
-Sie war wieder in den Armstuhl gesunken, und Antonio
-saß zu ihren Füßen. Höllische Künste, fing sie wieder an,
-haben mich scheinbar vom Tode erweckt. Derselbe Mann,
-den meine unerfahrene Jugend wie einen Apostel verehrte,
-ist ein Geist des Abgrunds. Er gab mir den Schatten
-dieses Lebens. Er liebt mich, wie er sagt. Wie schauderte
-mein Gefühl vor ihm zurück, als ihn mein erwachendes Auge
-erkannte. Ich schlummere, ich athme, ich kann ganz, wenn
-ich will, zum Leben wieder genesen, so hat es mir der Böse
-verheißen, wenn ich mich ihm mit ganzem Herzen ergebe,
-wenn er, in geheimer Verborgenheit, mein Gatte werden
-darf. &mdash; O Antonio, wie schwer wird mir jedes Wort, jeder
-Gedanke. Alle seine Kunst zerbricht an meiner Sehnsucht
-zum Tode. Das war fürchterlich, als mein Geist, schon in
-der Ruhe, schon in der Entwickelung neuer Anschauungen,
-aus dem stillen Frieden so gräßlich zurückgerissen wurde.
-Mein Leib war mir schon fremd, feindlich und verhaßt worden.
-Zurück kam ich, wie der befreite Sklave zu Ketten und
-Gefängniß. Hilf mir, Treuer, rette mich.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-341" class="pagenum" title="341"></a>
-Wie? sagte Antonio: Gott im Himmel! was erleb&rsquo; ich?
-Wie muß ich Dich wieder finden? Und Du kannst, Du
-darfst nicht ganz zum Leben zurückkehren? Du kannst nicht
-mir und Deinen Eltern wieder angehören?
-</p>
-
-<p>
-Unmöglich! rief Crescentia mit einem ängstlichen Ton,
-und ihre Blässe wurde vor Entsetzen noch bleicher. Ach! das
-Leben! Wie kann der es wieder suchen, der schon davon gelöst
-war? Du Armer fassest die tiefe Sehnsucht nicht, die
-Liebe, das Entzücken, womit ich den Tod denke und wünsche.
-Noch inniger, wie ich Dich ehemals liebte, noch brünstiger,
-wie meine Lippen am Osterfeste nach der heiligen Hostie
-schmachteten, ist mein Wunsch zu ihm. Dann liebe ich Dich
-freier und inniger in Gott. Dann bin ich meinen Eltern
-wiedergegeben. Dann leb&rsquo; ich, sonst war ich gestorben, jetzt
-bin ich Nebel und Schatten, mir und Dir ein Räthsel. Ach,
-wenn Deine Liebe und unsre Jugend in mein jetziges Dasein
-hinein schien, wenn ich von oben herab die wohlbekannte
-Nachtigall hier in meiner Einsamkeit schlagen hörte, welch
-süßes Grauen, welche finstre Freude und Angst rieselte dann
-durch die Dämmerung meines Wesens. O hilf mir los
-von der Kette.
-</p>
-
-<p>
-Was kann ich für Dich thun? fragte Antonio.
-</p>
-
-<p>
-Die Reden hatten wieder die Kraft der Erscheinung
-gebrochen: sie ruhte eine Weile mit geschlossenen Augenliedern,
-dann sagte sie matt: Ach! wenn ich eine Kirche betreten
-könnte, wenn ich zugegen wäre, indem der Herr im Sakrament
-erhoben wird und der Gemeinde erscheint, dann würde
-ich in diesem seligen Augenblicke vor Entzücken sterben.
-</p>
-
-<p>
-Was hindert mich, sprach Antonio, den Bösewicht anzugeben,
-ihn den Gerichten und der Inquisition zu überliefern?
-</p>
-
-<p>
-Nein! nein! nein! ächzte das Bildniß in der höchsten
-<a id="page-342" class="pagenum" title="342"></a>
-Angst: Du kennst ihn nicht, er ist zu mächtig, er würde entfliehn
-und mich wieder mit sich in den Kreis seiner Bosheit
-reißen. Stille, ruhig nur kann es gelingen, wenn er sicher
-ist. Ein Zufall hat Dich zu mir geführt. Du mußt ihn
-ganz sicher machen, alles verschweigen.
-</p>
-
-<p>
-Der Jüngling sammelte seine Sinne, er sprach viel mit
-seiner vormaligen Braut, ihr ward das Reden immer schwerer,
-die Augen fielen ihr zu, sie trank noch einmal von dem
-Wundertrank, dann ließ sie sich nach dem Lager führen.
-Lebe wohl, rief sie schon wie träumend, vergiß mich nicht. &mdash;
-Sie bestieg das Bett, legte sich ruhig nieder, die Hände
-suchten das Crucifix, das sie mit geschlossenen Augen küßte,
-dann reichte sie dem Liebenden die Hand, und winkte ihn
-hinweg, indem sie sich zum Schlummer hinstreckte. Antonio
-betrachtete sie noch, dann ließ er die Feder die unsichtbare
-Thür wieder einfugen, schlich die enge Wendeltreppe bis zu
-seinem Gemache wieder hinan, stellte den Schrank an seine
-vorige Stelle, und brach in heiße Thränen aus, als ihn der
-Gesang der Nachtigall mit seinen schwellenden Klagetönen
-bewillkommte. Auch er sehnte sich nach dem Tode, und
-wünschte nur vorher diejenige, die noch vor wenigen Wochen
-seine irdische Braut gewesen war, von ihrem wundersamen
-schrecklichen Zustande zu erlösen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Um seinem Lehrer auszuweichen, wenn er von seiner
-Reise zurück käme, hatte Antonio die Schritte nach der einsamsten
-Stelle des Waldes gelenkt. Es war ihm ungelegen,
-daß ihm hier sein Freund, der Spanier, begegnete, denn er
-war nicht gestimmt, ein Gespräch zu führen. Doch konnte
-er dem Gespielen nicht mehr ausweichen, und so ergab er
-sich in stiller Trauer der Gesellschaft, die ihm sonst erfreulich
-<a id="page-343" class="pagenum" title="343"></a>
-und tröstend gewesen war. Nur halb hörte er auf dessen
-Reden, und erwiederte nur sparsam. Wie fast immer war
-wieder Pietro der Gegenstand von Alfonso&rsquo;s ungemessener
-Bewunderung. Warum seid Ihr heut so karglaut? fing er
-endlich verdrüßlich an: ist Euch meine Gesellschaft zuwider,
-oder seid Ihr nicht mehr wie sonst fähig, unsern erhabenen
-Lehrer zu verehren, und ihm den Preis zu geben, den er
-verdient?
-</p>
-
-<p>
-Antonio mußte sich sammeln, um nicht ganz in seinen
-träumenden Zustand zu versinken. Was ist Euch? fragte Alfonso
-wieder, es scheint, daß ich Euch beleidigt habe. &mdash;
-Ihr habt es nicht, rief der Florentiner, aber wenn Ihr
-mich irgend liebt, wenn Ihr nicht meinen Zorn erregen
-wollt, wenn nicht die bittersten Gefühle mein Herz zerreißen
-sollen, so unterlaßt heut das Lobpreisen Eures vergötterten
-Pietro. Sprechen wir von andern Gegenständen.
-</p>
-
-<p>
-Ha! bei Gott! rief Alfonso aus, die Pfaffen haben
-Euch doch noch den schwachen Sinn umgewendet. Geht nur
-fernerhin Eures Weges, junger Mensch, denn die Weisheit,
-das seh&rsquo; ich nun wohl ein, ist Euch ein zu erhabenes Gut.
-Euer Kopf ist dieser Kost zu schwach, und Ihr sehnt Euch
-wieder nach den Kinderspeisen Eurer ehemaligen Seelenwärter.
-Bleibt nur bei diesen so lange, bis Euch die Milchzähne
-ausgefallen sind.
-</p>
-
-<p>
-Ihr sprecht übermüthig, rief Antonio erzürnt, oder vielmehr
-wißt Ihr gar nicht, was Ihr sagt, und ich verdiene
-das nicht um Euch.
-</p>
-
-<p>
-Wodurch verdient es unser Lehrer, sagte der Spanier
-eifrig, der Euch wie ein Vater aufgenommen hat, der Euch
-vor allen Jünglingen dieser Universität so hoch würdiget,
-daß Ihr in seinem Hause wohnen dürft, der Euch sein innigstes
-<a id="page-344" class="pagenum" title="344"></a>
-Vertrauen schenkt, wodurch hat dieser es verschuldet,
-daß Ihr ihn so kleinmüthig verleugnet?
-</p>
-
-<p>
-Wenn ich nun antworte, sprach Antonio zornig, daß
-Ihr ihn nicht kennt, daß ich Ursache, und die vollständigste
-habe, anders von ihm zu denken, so würdet Ihr mich wieder
-nicht verstehn.
-</p>
-
-<p>
-Ihr seid wohl schon, sagte Alfonso höhnisch, so hoch in
-seine geheime Philosophie hinein gestiegen, daß der gewöhnliche,
-unbegünstigte Erdensohn Euch nicht zu folgen vermag?
-Wieder zeigt es sich, daß das halbe und Viertel-Verdienst
-sich am höchsten aufbläht. Pietro Abano ist demüthiger, als
-Ihr, seine schwächliche Copie.
-</p>
-
-<p>
-Ihr seid ungezogen, rief der junge Florentiner in der
-höchsten Erbitterung aus. Wenn ich Euch nun bei meiner
-Ehre, bei meinem Glauben, beim Himmel und bei allem,
-was mir und Euch heilig und ehrenwerth seyn muß, versichere,
-daß es in ganz Italien, in Europa, keinen so
-argen Bösewicht, keinen so verruchten Heuchler giebt als
-diesen &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Wen? schrie Alfonso.
-</p>
-
-<p>
-Pietro Abano, sagte Antonio gemäßigt: was würdet
-Ihr dann sagen?
-</p>
-
-<p>
-Nichts, rief jener wüthend, der ihn nicht hatte endigen
-lassen, als daß Ihr und jedermann, der dergleichen zu sprechen
-wagt, der nichtswürdigste Schurke sei, der je das Heilige
-zu lästern sich erfrechte. Zieht, wenn Ihr nicht eine
-eben so verächtliche Memme, als ein niederträchtiger Verleumder
-heißen wollt.
-</p>
-
-<p>
-Das gezogene Eisen begegnete dem Ausfordernden schon
-eben so schnell, und es half nichts, daß ihnen eine heisere
-ängstliche Stimme: Halt! zurief. Alfonso war in der Brust
-verwundet, und zu gleicher Zeit rann Blut aus dem Arm
-<a id="page-345" class="pagenum" title="345"></a>
-Antonio&rsquo;s. Der alte Priester, der die Erbitterten hatte
-trennen wollen, eilte nun herbei, er verband die Wunden
-und stillte das Blut, darauf rief er andere Studirende herzu,
-die er in der Nähe schon gesehen hatte, die den ermatteten
-Alfonso nach der Stadt führen sollten. Ehe sich dieser entfernte,
-ging Antonio noch einmal zu ihm, und raunte ihm
-ins Ohr: wenn Ihr ein Edelmann seid, so kommt von der
-Ursache unsers Zwistes kein Wort über Eure Lippen. In
-vier Tagen sprechen wir uns wieder, und wenn Ihr dann
-nicht meiner Ueberzeugung seid, bin ich zu jeder Genugthuung
-erbötig.
-</p>
-
-<p>
-Alfonso versprach feierlich, auch alle Umstehenden versicherten,
-daß die Wunde so wie das Gefecht selbst verschwiegen
-bleiben sollten, um den jungen Florentiner keiner Gefahr
-auszusetzen. Als sich alle entfernt hatten, ging Antonio mit
-dem Priester Theodor tiefer in den Wald. Warum, fing
-dieser an, wollt Ihr Euch, eines Verdammten wegen, selber
-der Hölle überliefern? Ich sehe, daß Ihr jetzt anderer Meinung
-seid; aber ist das Schwert wohl der Redner, der andre
-bekehren darf? &mdash; Antonio war ungewiß, in wie weit er sich
-dem Mönche entdecken sollte, doch verschwieg er ihm noch
-die wunderbare Begebenheit, welche er erlebt hatte, und bedung
-sich nur die Erlaubniß aus, bei dem nahe bevorstehenden
-Osterfeste, während des Hochamtes, durch die Sakristei
-in der Nähe des Altars zum großen Tempel eingehen zu
-dürfen. Nach einigen Einwürfen gab Theodor nach, ob er
-gleich nicht begriff, was der Jüngling mit dieser Erlaubniß
-bezwecken könne. Ich will einen Gast so in die Kirche einführen,
-sagte dieser nur noch, dem man am großen Thor
-den Eingang vielleicht versagen würde.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-346" class="pagenum" title="346"></a>
-Alle Glocken der Stadt läuteten, um das heilige Osterfest
-in Freuden und Andacht zu begehn. Das Volk strömte
-nach dem Dom, um das froheste christliche Fest zu feiern,
-und auch den berühmten Apone in seiner neuen Würde zu
-erblicken. Die Studirenden begleiteten ihren berühmten Lehrer,
-der vom Adel, dem Rath und der Bürgerschaft ehrfurchtvoll
-begrüßt in anscheinender Frömmigkeit und Demuth
-dahin wandelte, Allen ein Beispiel, der Stolz der Stadt,
-das begeisternde Vorbild der Jugend. An der Thür des
-Tempels wich das Gedränge in scheuer Verehrung zurück,
-um dem Gefeierten Platz zu machen, der in der Tracht des
-Prälaten, mit der goldenen Kette geschmückt, im weißen
-Bart und lockigen Haupthaar einem Kaiser oder einem alten
-Lehrer der Kirche in seinem majestätischen Anstande zu vergleichen
-war.
-</p>
-
-<p>
-In der Nähe des Altars war dem berühmten Manne
-ein erhobener Sitz zubereitet, daß Schüler und Volk ihn
-sehn konnten, und als die Menge der Andächtigen in den
-Tempel hereingeströmt war, begann das Hochamt. Theodor,
-der kleine Priester, las an diesem Tage die Messe, und Jung
-und Alt, Vornehm und Geringe war in Freudigkeit, das
-Fest der Auferstehung des Herrn würdig zu begehn, den
-wiederkehrenden Glanz zu schauen, und sich nach den Tagen
-der strengen Fasten, nach den betrübenden Vorstellungen der
-Leiden und des Schmerzes an dem Gefühl des wieder erwachten
-Lebens zu trösten.
-</p>
-
-<p>
-Schon war der erste Theil des Gottesdienstes geendigt,
-da sah man mit Erstaunen an der Seite des Altars Antonio
-Cavalcanti in die Kirche treten, der eine dicht verschleierte
-Figur an seiner Hand führte. Er stellte diese auf die Erhöhung,
-dem Pietro dicht gegenüber, und warf sich dann
-betend am Altare nieder. Die Verschleierte stand starr und
-<a id="page-347" class="pagenum" title="347"></a>
-hoch da, und man sah unter der Verhüllung die brennend
-schwarzen Augen. Pietro erhob sich vom Sessel, und sank
-bleich und zitternd in denselben zurück. Die Musik der Messe
-strömte und wogte in volleren Accorden, jetzt wickelte sich die
-Verhüllte langsam aus ihren Schleiern, das Antlitz war frei,
-und die Nächsten erkannten mit Entsetzen die gestorbene
-Crescentia. Ein Schauder ging durch die ganze Kirche, auch
-die Fernsten faßte ein heimliches Grauen, das todtenbleiche
-Bild so hoch dort stehn zu sehn, das so andächtig betete und
-die großen feurigen Augen nicht vom Priester am Altar verwendete.
-Auch der große mächtige Pietro schien in eine
-Leiche verwandelt, man hätte ihn den entstellten Zügen nach
-für todt halten können, wenn sich sein Leben nicht im heftigen
-Zittern verrathen hätte. Nun wendete sich der Priester,
-und erhob die geweihte Hostie, Trompeten verkündigten die
-erneute Gegenwart des Herrn, und mit einem Jubelton,
-mit hochentzücktem Antlitz, die Arme weit ausgebreitet, indem
-sie laut Hosiannah! rief, daß die Kirche wiedertönte,
-brach nun die bleiche Erscheinung zusammen, und lag todt,
-starr und bewegungslos zu Pietro&rsquo;s Füßen hingestürzt. Das
-Volk lief hinzu, die Musik verstummte, Fragen, Verwundern,
-Entsetzen und Schreck sprach und forschte aus jeder Miene,
-der Adel und die Studirenden wollten den ehrwürdigen
-Greis, der so tief erschüttert schien, trösten und unterstützen,
-als Antonio mit gellendem Tone: Zeter! Zeter! schrie, und
-die furchtbarste Anklage, die schrecklichste Erzählung begann,
-die höllische Kunst, die verworfene Magie des zagenden Sünders
-aufdeckte, von sich und Crescentia und ihrem schaudervollen
-Wiederfinden sprach, so daß Zorn, Wuth, Verwünschung,
-Abscheu und Fluch, wie ein stürmendes Meer, um
-den Geängsteten tobte und ihn zu vernichten, im Wahnsinn
-des Grimmes zu zerreißen drohte. Man sprach von Schergen
-<a id="page-348" class="pagenum" title="348"></a>
-und Fesseln, die Inquisitoren nahten, als sich Pietro
-wie rasend erhub, mit geballten Fäusten um sich stieß und
-schlug, und riesenhaft sich auszudehnen schien. Er trat zu
-Crescentia&rsquo;s Leichnam, der lächelnd wie das Bild einer Heiligen
-dalag, betrachtete sie noch einmal, und ging dann
-brüllend und mit funkelnden Augen durch die Menge. Ein
-neues Entsetzen ergriff das Volk, man machte dem Ungeheuren
-Platz, alles wich zurück. So kam Pietro auf die
-freie Straße, doch nun besann sich der Pöbel, und mit Geschrei,
-Verfluchung und Schimpfreden verfolgte er den Fliehenden,
-der in Eil dahin rannte, indem sein Talar ihm
-weit nachflog, und die goldne Kette schallend auf Brust und
-Schultern schlug. Das Gesindel grub die Steine aus dem
-Boden und warf nach ihm, da es ihn nicht einholen konnte,
-und verwundet, blutend, triefend von Schweiß, die Zähne
-klappend vor Angst erreichte Pietro endlich die Schwelle
-seines Hauses.
-</p>
-
-<p>
-Er verbarg sich in den innersten Gemächern, und der
-neugierige Beresynth trat fragend und forschend dem Pöbel
-und dem Andrang des Volkes entgegen. Nehmt die Teufelslarve,
-den Famulus, schrieen alle, zerreißt den Gottvergessenen,
-der nie eine Kirche besucht hat! Er wurde in die Straße
-geführt und gestoßen, auf seine Fragen, Bitten, auf sein
-Heulen und Schreien ward ihm keine Antwort, auch vernahm
-man in dem stürmenden Getümmel nichts anders als Flüche
-und Todesdrohung. Bringt mich ins Verhör! schrie endlich
-der Zwerg, da wird meine Unschuld offenbar werden! Die
-herbeigerufenen Schergen ergriffen ihn, und führten ihn
-nach dem Gefängniß. Alles Volk drängte sich nach. Hier
-hinein! rief der Anführer der Häscher, Ketten und Holzstoß
-warten Deiner. Er wollte sich losreißen, die Schergen packten
-ihn und stießen ihn hin und her, der faßte ihn am
-<a id="page-349" class="pagenum" title="349"></a>
-Kragen, jener am Arm, der hing sich an sein Bein, um
-ihn fest zu halten, ein anderer packte den Kopf, um seiner
-gewiß zu werden. Indem sie ihn so unter Geschrei, Fluchen
-und Lachen hin und wieder zerrten, fuhren alle plötzlich auseinander,
-denn jeder hatte nur ein Kleidungsstück, Aermel,
-Mütze oder Schuh des Mißgeschaffenen, er selbst war nirgend
-zu sehn. Entflohen konnte er nicht seyn, er schien verschwunden,
-doch keiner begriff wie.
-</p>
-
-<p>
-Als man Apone&rsquo;s Zimmer erbrochen hatte, fanden ihn
-die Eindringenden todt und verblutet auf seinem Bette liegen.
-Man plünderte das Haus, die magischen Instrumente,
-die Bücher, der seltsame Hausrath, alles wurde den Flammen
-übergeben, und durch die ganze Stadt erscholl nichts
-als Verfluchung des Mannes, den gestern noch alle wie einen
-Abgesandten der Gottheit verehrt hatten. Der Abscheu, mit
-welchem sie sich von dem Trugbild wendeten, war nun um
-so größer.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Als sich das Getümmel des aufgeregten Volkes etwas
-beruhigt hatte, wurde der Leichnam Pietro&rsquo;s still in der
-Nacht, außerhalb des geweihten Kirchhofes, beigesetzt. Antonio
-und Alfonso versöhnten sich wieder, und schlossen sich
-dem frommen Theodor an, der zum zweitenmal, mit Feierlichkeit
-und einer andächtigen Rede, den Leichnam der schönen
-Crescentia in die ihr bestimmte Gruft legen ließ. Antonio
-konnte nun nicht länger in Padua bleiben, er wollte
-seine Vaterstadt wieder besuchen, um seine Angelegenheiten
-zu ordnen, und sich dann vielleicht in einem Kloster aufnehmen
-zu lassen. Alfonso faßte den Entschluß, nach Rom zu
-wallfahrten, wohin der heilige Vater ein Jubeljahr und Ablaß
-von Sünden ausgeschrieben hatte. Nicht nur in Italien
-<a id="page-350" class="pagenum" title="350"></a>
-regte sich alles, sondern auch aus Frankreich, Deutschland
-und Spanien kamen viele Züge von Pilgrimmen an, um
-diese bis dahin unerhörte Feierlichkeit, dieses große Kirchenfest
-in der heiligen Stadt zu begehn.
-</p>
-
-<p>
-Nachdem die Freunde sich getrennt hatten, verfolgte
-Antonio seine einsame Bahn, denn er vermied die große
-Straße, theils um seiner Schwermuth desto ungestörter nachhängen
-zu können, theils um die Schwärme zu vermeiden,
-die sich auf dem großen Wege drängten, und in den Nachtlagern
-beschwerlich fielen.
-</p>
-
-<p>
-So seiner Laune folgend, streifte er durch die Fluren
-und die Thäler des Apennins. Einst ging die Sonne unter,
-und keine Herberge wollte sich zeigen. Indem die Schatten
-dichter wuchsen, hörte er seitwärts im Walde das Glöcklein
-eines Einsiedlers schallen. Er ging dem Tone nach und gelangte,
-als die Dunkelheit der Nacht schon hereingebrochen
-war, an die kleine Hütte, zu welcher ein schmaler Steg von
-Brettern über den Bach in das Buschwerk hinein führte.
-Er fand einen alten gebrechlichen Greis in tiefster Andacht
-vor einem Crucifixe betend. Der Einsiedler nahm den Jüngling,
-der ihn freundlich begrüßte, mit Wohlwollen auf, bereitete
-ihm im Felsen, der durch eine Thür von der Einsiedelei
-getrennt war, ein Lager auf Moos, und setzte ihm
-von seinen Früchten, Wasser und etwas Wein vor. Als
-Antonio erquickt war, erfreute er sich am Gespräche des
-Mönchs, der früher in der Welt gelebt und als Soldat
-manchen Feldzug mitgemacht hatte. So war es tiefe Nacht
-geworden, und der Jüngling begab sich zur Ruhe, indem
-ein anderer kranker und schwacher Mönch hereintrat, der mit
-dem Einsiedler in Gebeten die Nacht zubringen wollte.
-</p>
-
-<p>
-Als Antonio eine Stunde geruht hatte, fuhr er plötzlich
-aus dem Schlafe auf. Ihm dünkte, er vernähme laute
-<a id="page-351" class="pagenum" title="351"></a>
-Stimmen und Streit. Er richtete sich empor, und es blieb
-ihm über das Gezänk und den Wortwechsel kein Zweifel
-übrig. Auch die Töne schienen ihm bekannt, und er fragte
-sich selber, ob er nicht träume. Er näherte sich der Thüre
-und entdeckte eine Spalte, durch welche er in den vordern
-Raum schauen konnte. Wie erstaunte er, als er Pietro
-Abano gewahr wurde, den er für gestorben halten mußte,
-der mit zornigen Augen und rothem Antlitz laut sprach und
-sich in heftigen Geberden bewegte. Ihm gegenüber stand die
-Fratze des kleinen Beresynth. Also Euren Verfolger, rief
-dieser mit krächzender Stimme, der Euch unglücklich gemacht,
-den verliebten frommen Narren, habt Ihr hier in Eurem
-Hause? der ist von selbst, wie ein Kaninchen, zu Euch in
-die Grube gefallen? Und Ihr zögert noch, ihn abzuschlachten?
-&mdash; Schweig, rief die große Figur, ich habe mich schon
-mit meinen Geistern berathen, sie wollen nicht einwilligen,
-ich kann ihm nichts anhaben, denn er ist in keiner Sünde
-befangen. &mdash; So schlagt ihn, sagte der Kleine, ohne Eure
-Geister, mit Euren eigenen huldreichen Händen todt, so
-wird ihm seine Tugend und Sündenlosigkeit nicht viel helfen,
-und ich müßte ein elender Diener seyn, wenn ich Euch
-in so löblicher That nicht beistehen sollte. &mdash; So laß uns,
-rief Pietro, an das Werk gehn, nimm den Hammer Du,
-ich führe das Beil, jetzt schläft er fest. &mdash; Sie näherten sich
-der Thür, doch Antonio riß diese auf, um den Bösewichtern
-muthig entgegen zu treten. Er hatte sein Schwert gezogen,
-aber er blieb wie eine Bildsäule, mit aufgehobenem Arme
-stehn, als er zwei kranke, gebrechliche Einsiedler auf den
-Knieen vor dem Kreuze liegend fand, die ihre Gebete murmelten.
-Wollt Ihr etwas? fragte ihn sein Wirth, der sich
-mühsam vom Boden erhob. Antonio konnte verwundert keine
-Antwort geben. Warum das Schwert? fragte der gebückte,
-<a id="page-352" class="pagenum" title="352"></a>
-schwache Eremit; wozu diese feindlichen Blicke? Antonio zog
-sich zurück mit der Entschuldigung, daß ihn ein böser Traum
-erschreckt und geängstigt habe. Er konnte nicht wieder einschlafen,
-so verstört waren seine Sinne. Da vernahm er
-wieder deutlich Beresynths krähende Stimme, und Pietro
-sagte mit vollem klaren Tone: laß ab, denn Du siehst, er
-ist bewaffnet und gewarnt, er wird sich dem Schlafe nicht
-von neuem überlassen. &mdash; Wir müssen ihn überwältigen!
-schrie der Kleine, da er uns nun wieder erkannt hat, sind
-wir ja auf alle Weise verloren! Der Knecht giebt uns morgen
-der Inquisition an, und das Volk ist auch dann gleich
-mit dem Verbrennen bei der Hand.
-</p>
-
-<p>
-Durch die zerrissene Thür erkannte er die beiden Zauberer.
-Er stürzte wieder mit gezogenem Schwerte hinein,
-und fand wieder zwei kranke Alte, im Gebete flehend, am
-Boden liegen. Erbittert über die Truggestalten ergriff er
-sie in seine Arme, und rang kräftig mit ihnen, sie wehrten
-sich verzweifelnd, bald war es Pietro, bald der Eremit, bald
-das Gespenst Beresynth, bald ein kranker Greis. Unter
-Geschrei, Toben, Fluchen und Wehklagen gelang es ihm
-endlich, sie aus der Zelle zu werfen, die er dann fest verriegelte.
-Nun hörte er draußen Gewinsel, Bitten und Aechzen,
-dazwischen ein Flüstern von vielen Stimmen, Gesang
-und Geheul, nachher schien Regen und Sturm sich aufzumachen
-und ein fernes Gewitter grollte zwischen das mannigfache
-Getöse. Betäubt schlief endlich Antonio, auf sein
-Schwert gelehnt, vor dem Crucifixe ruhend ein, und als ihn
-der kalte Morgenwind erweckte, fand er sich auf der höchsten
-Spitze einer schmalen Klippe, mitten im dicken Walde wieder,
-und glaubte, hinter sich ein Hohngelächter zu vernehmen.
-Nur mit Lebensgefahr gelang es ihm, von der schroffen
-Höhe hinab zu klimmen, indem er die Kleider zerriß und
-<a id="page-353" class="pagenum" title="353"></a>
-Antlitz und Hand und Fuß verwundete. Mühselig mußte
-er durch die Wälder irren, kein Mensch war zu errufen,
-keine Hütte, so oft er auch die Anhöhe bestieg, weit umher
-zu entdecken. Erst in der Nacht traf er, von Müdigkeit,
-Hunger und Erschöpfung aufgelöst, auf einen alten Köhler,
-der ihn in seiner kleinen Hütte erquickte. Er erfuhr, daß
-er von jener Einsiedelei, die er gestern getroffen hatte, wohl
-zwölf Meilen und mehr entfernt sei. Erst spät am folgenden
-Tage konnte er, etwas gestärkt und ermuntert, seine Reise
-nach Florenz wieder fortsetzen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Antonio hatte sich nach Florenz begeben, um seine Verwandten
-und sein väterliches Haus wieder zu besuchen. Er
-konnte sich nicht entscheiden, welchen Lebenslauf er beginnen
-sollte, da ihm alles Glück des Daseins so treulos geworden
-war, da sich die Wirklichkeit ihm nur als ein wilder Traum
-erwiesen hatte. Er ordnete seine Angelegenheiten und ergab
-sich in dem großen väterlichen Palaste dem Gram, um in
-jener Grotte, in den wohlbekannten Zimmern sein Unglück
-und das seiner Eltern sich recht lebhaft zu vergegenwärtigen.
-Er gedachte jener scheußlichen Hexe, die in sein Verhängniß
-verflochten, und jener Crescentia, die ihm eben so wunderbar
-wie seine Braut erschienen und wieder verschwunden
-war. Hätte er nur irgend eine Hoffnung fassen können, so
-wäre es ihm möglich gewesen, sich mit dem Leben wieder
-auszusöhnen. Endlich ging ihm der Wunsch, wie ein blasser
-Stern, in seiner Seele auf, nach Rom zu wallfahrten, welches
-er noch nicht kannte, dort an den Gnaden der Gläubigen
-Theil zu nehmen, die berühmten Kirchen und Heiligthümer
-zu besuchen, sich in der wogenden Volksmenge, in
-dem Gedränge der unzähligen Fremden, die aus allen Theilen
-<a id="page-354" class="pagenum" title="354"></a>
-der Erde dorthin zogen, zu <a id="corr-14"></a>zerstreuen, und seinen Freund
-Alfonso auszuforschen. Er vermuthete auch, den alten Ambrosio
-in der großen Stadt anzutreffen, sich von diesem Leidenden,
-der ihm Vater hatte werden wollen, trösten zu lassen,
-und dem Bekümmerten wohl auch Trost gewähren zu
-können. Mit diesen Gesinnungen und Erwartungen machte
-er sich auf den Weg und langte nach einiger Zeit in Rom an.
-</p>
-
-<p>
-Er erstaunte, als er in die große Stadt eintrat. So
-hatte er sich ihre Macht, ihre Denkmäler, und das Getümmel
-der unzähligen Fremden nicht vorgestellt. Hier war es
-ein Wunder zu nennen, einen Freund oder Bekannten aufzufinden,
-wenn man seine Wohnung nicht schon genau bezeichnen
-konnte. Und doch begegnete ihm dieser wunderbare
-Zufall, daß er den Ambrosio plötzlich antraf, indem er das
-Kapitol hinaufsteigen wollte, von welchem der Alte niederschritt.
-Der Podesta nahm ihn sogleich mit in seine Wohnung,
-in welcher Antonio die trauernde Mutter begrüßte.
-Der Ruf von dem seltsamen Ende Pietro&rsquo;s, von der Wiederbelebung
-Crescentia&rsquo;s und ihrem Hinscheiden war schon bis
-Rom erschollen, diese wunderbare Geschichte war im Munde
-aller Pilger, entstellt, mit verworrenen Zusätzen und Widersprüchen,
-von der oftmaligen Wiederholung bis zu ihrem
-eigenen Gegentheil ausgebildet. Die Eltern hörten mit
-Freude und Schmerz die Begebenheit aus Antonio&rsquo;s Munde,
-so furchtbar das Entsetzen auch beide, vorzüglich die Mutter,
-ergriff, die mit Abscheu den alten scheinheiligen Magier verwünschte,
-von dem sie in ihrer Erbitterung selbst zu glauben
-schien, daß er den Tod ihrer Tochter, vielleicht sogar von
-der Familie Markoni erkauft, herbeigeführt habe, um die
-Leiche nur wieder zu seinem wahnsinnigen Frevel erwecken
-zu können.
-</p>
-
-<p>
-Ueberlassen wir, sagte der Alte, alles dem Himmel;
-<a id="page-355" class="pagenum" title="355"></a>
-was geschah und stadt- und landkundig wurde, ist erschrecklich
-genug, um nicht andere, die doch vielleicht unschuldig
-sind, in diese ungeheure Bosheit zu verwickeln. Mag es
-sich mit den Markonis verhalten, wie es wolle, so bin ich
-wenigstens dahin entschlossen, ihnen das Erbe meines Vermögens
-zu entziehen. Durch meine Beschützer hier werde ich
-es möglich machen, meine Besitzungen Klöstern oder frommen
-Stiftungen zu übertragen, und mein Lebensüberdruß
-bewegt mich vielleicht, selbst als Mönch oder Klausner mein
-Leben zu enden.
-</p>
-
-<p>
-Wie aber, wandte die Mutter mit Thränen ein, wenn es
-doch noch möglich wäre, jene zweite Crescentia, von der uns
-Antonio erzählt hat, wieder aufzufinden? Das Kind wurde
-mir in Deiner Abwesenheit auf eine unbegreifliche Art geraubt,
-jene Hexe, die die Markonis in jener Nacht genannt
-hat, die Aehnlichkeit, alles, alles trifft ja so seltsam überein,
-daß wir die Hoffnung, das allerhöchste Gut des Lebens, nicht
-zu früh, nicht übereilt aus Verzweiflung aufgeben sollen.
-</p>
-
-<p>
-Gute Eudoxia, sagte der Vater, laß, laß alle jene
-Träume, Sagen und Einbildungen fahren, für uns ist auf
-dieser Erde nichts mehr gewiß, als der Tod, und daß dieser
-fromm und sanft sei, müssen wir wünschen und vom Himmel
-erflehen.
-</p>
-
-<p>
-Und wenn nun nachher, und zu spät, rief die Mutter
-aus, unser armes verwaistes Kind sich wieder finden sollte,
-dürfte uns die Unglückselige nicht mit Recht schelten, daß
-wir der Barmherzigkeit des Himmels nicht vertraut, und
-ihr Wiederkommen mit etwas mehr Ruhe und Geduld abgewartet
-haben?
-</p>
-
-<p>
-Ambrosio warf einen finstern Blick auf den Jüngling
-und sagte dann: es gehört noch zur Vergrößerung unsers
-Elends, daß Ihr die Arme mit Euren kranken Einbildungen
-<a id="page-356" class="pagenum" title="356"></a>
-angesteckt, und ihr dadurch die letzte Ruhe des Lebens geraubt
-habt.
-</p>
-
-<p>
-Wie meint Ihr das? fragte Antonio.
-</p>
-
-<p>
-Junger Mann, antwortete der Vater, schon seit jenem
-Ritt durch Feld und Wald, wo Ihr mir jenes Mährchen
-aufgeheftet, das Euch in der vorigen Nacht begegnet seyn
-sollte &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Herr Ambrosio! rief Antonio, und seine Hand fiel unwillkührlich
-auf sein Schwert.
-</p>
-
-<p>
-Laßt das, fuhr der Alte gelassen fort, fern sei es von
-mir, Euch einer Lüge bezüchtigen zu wollen, ich kenne ja seit
-lange Euren Edelmuth, wie Eure Wahrheitsliebe. Aber ist
-es Euch denn nicht, armer Jüngling, ohne meine Erinnerung
-beigefallen, daß seit jener Nacht, als Ihr dem Sarge meiner
-Tochter begegnetet, die Ihr am folgenden Tage als Braut
-heimzuführen gedachtet, Eure Sinne in Unordnung gerathen
-sind, Eure Vernunft geschwächt ist? In der einsamen Nacht,
-im Gewitter, in aufgeregter Leidenschaft, glaubtet Ihr die
-Gestorbene wieder zu sehen, daran knüpfte sich die Erinnerung
-an Euren unglücklichen Vater, an Eure früh gestorbene Mutter.
-So entstanden Euch jene Gebilde, und setzten sich in
-Eurem Gehirn fest. Fanden wir denn wohl eine Spur jener
-Hütte? Wußte uns irgend ein Mensch in der Umgegend von
-jenen getödteten Bewohnern zu sagen? Jenes furchtbare Erscheinen
-meiner wahren Tochter, an welches ich wohl glauben
-muß, ist allein hinreichend, auch das kälteste Gefühl bis zum
-Wahnsinn zu treiben, und soll ich mich nun verwundern,
-wenn Ihr wieder etwas Unmögliches erlebt haben wollt, daß
-Ihr im Gebirge den gestorbenen Pietro wiedergefunden, und
-ihn nicht erkannt habt, daß jenes fast lächerliche Gaukelspiel
-mit Euch vorgenommen sei, das Ihr uns eben so bestimmt
-erzählt habt? Nein, junger Freund, Gram und Schmerz
-<a id="page-357" class="pagenum" title="357"></a>
-haben Euren gesunden Sinn zerrüttet, daß Ihr nun Dinge
-seht und glaubt, die nicht in der Wirklichkeit sind.
-</p>
-
-<p>
-Antonio war verlegen und wußte nicht, was er antworten
-sollte. Wie sehr ihn der Verlust seiner Geliebten in
-allen seinen Seelenkräften erschüttert hatte, so war er sich
-doch der erlebten Begebenheiten zu deutlich bewußt, um sie
-auf diese Weise in Zweifel ziehen zu können. Er fühlte einen
-neuen Trieb zur Thätigkeit, er wünschte wenigstens darthun
-zu können, daß die Geschichte jener Nacht kein Traumbild,
-daß jene zweite Crescentia ein wirkliches Wesen sei, und
-darum war es sein lebhaftester Wunsch, sie wiederzufinden,
-um sie den trauernden Eltern zurück zu geben, oder Ambrosio
-wenigstens beschämen zu können. In dieser Stimmung
-verließ er den alten Freund, und streifte durch die
-Stadt, allenthalben vom Gewühl des Volks gedrängt und
-vom mannigfaltigen Geschrei, Fragen und Erzählen in allen
-Sprachen betäubt. So war er von den Massen geschoben
-und gestoßen bis zum Lateran fortgetrieben worden, als er
-ganz deutlich, aber fern, so wie sich zu Zeiten das Gewühl
-etwas öffnete, jene häßliche Alte wahrzunehmen glaubte, die
-Mutter des schönen Mädchens, die ebenfalls Crescentia
-genannt wurde. Er strebte nun in ihre Nähe zu kommen,
-und es schien ihm schon zu gelingen, als ein entgegenströmender
-Zug von Pilgern ihn wieder völlig von jener Erscheinung
-abschnitt, und alles weitere Vordringen unmöglich
-machte. Indem er am heftigsten kämpfte und sich auf die
-Stufen des Tempels des heiligen Johannes empor arbeitete,
-um weiter um sich sehn zu können, fühlte er einen freundlichen
-Schlag einer Hand auf seiner Schulter, und eine bekannte
-Stimme nannte seinen Namen. Es war der Spanier
-Alfonso. So finde ich Dich also genau an der Stelle,
-sagte er freudig, wo ich Dich zu finden hoffte?
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-358" class="pagenum" title="358"></a>
-Wie meinst Du das? fragte Antonio.
-</p>
-
-<p>
-Laß uns nur aus dem Gedränge und dieser Strömung
-kommen, rief jener, hier vernimmt man vor tausendfältigem
-Sprechen, und vor dem Gesumme der ungeheuren babylonischen
-Verwirrung kein Wort.
-</p>
-
-<p>
-Sie begaben sich in das Gefilde, und hier eröffnete ihm
-Alfonso, daß, seitdem er sich in Rom befinde, er sich der
-Wissenschaft der Astrologie, der Wahrsagekunst und ähnlichen
-Dingen ergeben habe, die er vormals gehaßt, weil er der
-Ueberzeugung gewesen, sie könnten nur durch verdammliche
-Mittel und Hülfe der bösen Geister errungen werden. Seit
-ich aber, fuhr er fort, die Bekanntschaft des unvergleichlichen
-Castalio gemacht habe, erscheint mir dies Wissen in einem
-gar höheren und verklärteren Lichte.
-</p>
-
-<p>
-Ist es möglich, rief Antonio aus, daß nach jener furchtbaren
-Begebenheit in Padua Du Deine Seele doch wieder
-der Gefahr bloß stellen kannst? Dir leuchtet nicht ein, daß
-dasjenige, was auf natürlichem Wege und mittelst der Vernunft
-zu erreichen steht, nicht der Mühe verlohnt, weil es
-geringfügige Künste sind, die nur Scherz und Gelächter veranlassen
-können; alles Höhere aber, welches nicht auf leere
-Täuschung hinausgeht, allerdings nur durch böse und verdammliche
-Kräfte aufzuregen ist?
-</p>
-
-<p>
-Eifern, sagte der Spanier, ist kein Beweisen; wir sind
-noch zu jung, um unsere Natur ganz zu verstehn, viel weniger
-die übrige Welt und alle Geheimnisse zu fassen. Siehst
-Du den Mann, dem ich so viel zu verdanken habe, so werden
-alle Deine Zweifel verschwinden. Fromm, einfach, ja
-kindlich, wie er ist, leuchtet uns aus jedem seiner Blicke das
-schönste Vertrauen entgegen.
-</p>
-
-<p>
-Und wie war es mit jenem Apone? warf Antonio ein.
-</p>
-
-<p>
-Der, erwiederte der Freund, wollte ja doch wie ein
-<a id="page-359" class="pagenum" title="359"></a>
-überirdisches Wesen auftreten, er bestrebte sich mit Kunst und
-Bewußtsein, als ein Abgesandter des Himmels zu erscheinen,
-und mit erkünsteltem Glanz die gewöhnlichen Söhne der
-Menschen zu blenden. Er erfreute sich des Pompes, er ließ
-sich zwar herab, aber nur, um den ungeheuren Abstand zwischen
-ihm und uns noch fühlbarer zu machen. Schwelgte er
-nicht in der Bewunderung, die ihm Vornehm und Gering,
-Jugend und Alter zollen mußten? Aber mein jetziger Freund
-(denn das ist er, weil er sich mir ganz gleich stellt) will
-nicht groß und erhaben erscheinen, er belächelt dies Bestreben
-so vieler Menschen, und meint, schon dies leiste Gewähr,
-daß etwas Unächtes, Gebrechliches verhüllt werden solle, denn
-ein klares Bewußtsein wolle nur gelten als das, was es sich
-fühlt, und der größte der Sterblichen müsse sich ja doch gestehn,
-daß er eben so, wie der blödsinnige Bettler auch, nur
-ein Sohn des Staubes sei.
-</p>
-
-<p>
-Du machst mich begierig, sagte Antonio: er kennt also
-Zukunft und Vergangenheit? Die Schicksale der Menschen?
-Und weiß mir zu sagen, wie glücklich oder unglücklich noch
-meine Verhängnisse seyn werden? Ob gewisse, geheimnißvolle
-Wünsche sich erfüllen können? Kann er denn errathen
-und entziffern, was mir selbst in meiner eigenen Geschichte
-undeutlich ist?
-</p>
-
-<p>
-Das eben ist seine Weisheit, sagte Alfonso begeistert,
-daß er durch Buchstaben und Zahlen auf die einfachste und
-unschuldigste Weise alles erfährt, wozu jene Unglückseligen
-Beschwörungen, Formeln, Heulen, Geschrei und Todesangst
-anwenden müssen. Darum findest Du auch jenen widerwärtigen
-Zauberapparat nicht bei ihm: keine Kristalle und
-eingesperrte Geister, keine Spiegel und Gerippe, kein Rauchwerk
-und keine fratzenhaften Phantome, sondern er ist sich
-selbst genug. Ich sagte ihm von Dir, und er fand in seiner
-<a id="page-360" class="pagenum" title="360"></a>
-Rechnung, daß ich Dich heut, in dieser Stunde auf den
-Stufen der Lateranskirche ganz gewiß antreffen würde. So
-ist es nun auch in derselben Minute geschehn.
-</p>
-
-<p>
-Antonio wurde begierig, den wunderbegabten Mann
-kennen zu lernen, und von ihm sein eigenes Schicksal zu erfahren.
-Sie speisten in einem Garten und gingen gegen
-Abend zur Stadt zurück. Die Straßen waren etwas mehr
-beruhigt, sie konnten ungestörter ihren Weg fortsetzen. In
-der Dämmerung kamen sie in die Gassen, die sich eng hinter
-dem Grabmal des Augustus zogen. Sie schritten durch
-ein Gärtchen: ein freundliches Licht schimmerte ihnen aus
-den Fenstern eines kleinen Hauses entgegen. Sie zogen die
-Glocke, die Thür öffnete sich, und mit den sonderbarsten und
-gespanntesten Erwartungen trat Antonio mit seinem Freunde
-in den Saal.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Antonio war verwundert, einen schlichten, nicht großen
-jungen Mann vor sich zu sehen, der noch, dem Anschein
-nach, nicht viel über dreißig Jahre alt seyn konnte. Mit
-einfacher Geberde begrüßte er den eintretenden Jüngling wie
-einen alten Bekannten. Seid mir willkommen, sprach er mit
-wohllautender Stimme, Euer spanischer Freund hat mir so viel
-Gutes von Euch gesagt, daß ich mich schon längst auf Euren
-Umgang gefreut habe. Nur müßt Ihr freilich nicht wähnen,
-daß Ihr zu einem Weisen, zu einem Adepten gekommen seid,
-oder gar zu einem Manne, vor welchem die Hölle in ihren
-Grundfesten zittert, sondern Ihr findet hier einen Sterblichen,
-wie Ihr seid und werden könnt, so wie jeder, den
-die ernsten Studien und die Entfernung vom eitlen Weltgetümmel
-nicht abschrecken.
-</p>
-
-<p>
-Antonio fühlte sich wohl und behaglich, so sehr er auch
-<a id="page-361" class="pagenum" title="361"></a>
-überrascht war, er musterte die Stube, die, außer einigen
-Büchern und einer Laute, nichts Ungewöhnliches aufwies.
-Er verglich in Gedanken dieses kleine Haus und seinen schlichten
-Bewohner mit dem Palaste und Gepränge, den Instrumenten
-und den Geheimnissen seines ehemaligen Lehrers und
-sagte: freilich sieht man hier keine Spuren jener hohen und
-geheimen Weisheit, die mir mein Freund gerühmt und in
-welcher Ihr untrüglich seyn sollt.
-</p>
-
-<p>
-Castalio lachte herzlich und sagte dann: Nein, mein
-junger Freund, nicht untrüglich, denn so weit kommt kein
-Sterblicher. Seht Euch nur um, dieses ist mein Wohnzimmer,
-dort in jener kleinen Kammer steht mein Bett; hier
-ist weder Raum noch Möglichkeit, trügerische Anstalten zu
-verbergen, oder künstliche Maschinen in Thätigkeit zu setzen.
-Alle jene Kreise, Gläser, Himmelsgloben und Sternbilder,
-die jene Beschwörer zu ihren Künsten nöthig haben, finden
-hier keinen Platz, und jene Elenden werden auch nur vom
-Geist der Lüge hintergangen, weil sie die Kräfte ihres eignen
-Geistes nicht wollen kennen lernen. Wer aber in die Tiefen
-seiner Seele, von Demuth und frommen Sinn geleitet, steigt,
-wem es Ernst ist, sich selbst zu erkennen, der findet auch
-hier alles, was er vergebens durch künstliche und verzweifelte
-Mittel von Himmel und Hölle erzwingen will. &bdquo;Werdet
-wie die Kinder!&ldquo; In diesem Aufruf liegt das ganze Geheimniß
-verborgen. Ist unser Gemüth ungefälscht, können
-wir, wenn auch nur auf Stunden und Augenblicke, das
-wieder von uns werfen, welches unsre ersten Eltern mit
-frevlem Muthwillen an sich zogen, so wandeln wir wieder
-im Paradiese und die Natur mit allen ihren Kräften tritt
-wie damals, im bräutlichen Jugendalter der Welt, dem verklärten
-Menschen entgegen. Ist denn unser Geist nicht eben
-dadurch Geist, daß körperliche Schranken, verwirrender Raum
-<a id="page-362" class="pagenum" title="362"></a>
-und Zeit, ihn nicht hemmen sollen? Er schwingt sich ja schon,
-von Sehnsucht und Andacht beflügelt, über alle Sternenräume
-hinaus, nichts hemmt seinen Flug, als jene Erdengewalt,
-die sich in der Sünde erst auf ihn geworfen, und
-ihn zu ihrem Knechte gemacht hat. Diese können und sollen
-wir aber wieder bezwingen, durch Gebet, durch Zerknirschung
-vor dem Herrn, durch Erkennen unsrer großen Schuld und
-durch ungemessene Dankbarkeit für seine überschwengliche Liebe,
-und dann sehn und hören wir, was sich uns durch Raum
-und Zeit entzieht, wir sind dort und hier, die Zukunft tritt
-heran, und schüttet, so wie die Vergangenheit, ihre Geheimnisse
-vor uns aus, das ganze Reich des Wissens, Begreifens
-steht uns offen, die himmlischen Kräfte werden freiwillig
-unsre Diener; und dennoch ist dem ächten Weisen Ein Blick
-in die Geheimnisse der Gottheit, Eine Rührung seines Herzens,
-indem er ihre Liebe fühlt, mehr und wünschenswerther,
-als alle Schätze, die sich dem forschenden Geiste bieten, als
-alle Enthüllungen der Geschichte und Gegenwart, als die
-Kniebeugungen von tausend Engeln, die ihn ihren Meister
-nennen wollen.
-</p>
-
-<p>
-Alfonso sah seinen Freund mit begeisterten Blicken an,
-und Antonio konnte sich nicht erwehren, sich zu gestehn, daß
-ihm hier im Gewande einfacher Demuth mehr entgegen komme,
-als ihn aus Apone&rsquo;s Munde, zur Zeit seiner größten Verehrung
-des prunkenden Weltweisen, jemals angesprochen hatte.
-Faßte er doch jetzt die Ueberzeugung, daß die Weisheit, welche
-man die übernatürliche nennt, sich wohl mit Frömmigkeit
-und der völligen Ergebung in den Herrn vereinigen lasse.
-</p>
-
-<p>
-Wißt Ihr nun von meinen Schicksalen? fragte der
-Jüngling bewegt; könnt Ihr mir von meiner Zukunft etwas
-sagen?
-</p>
-
-<p>
-Wenn ich das Jahr, den Tag und die Stunde Eurer
-<a id="page-363" class="pagenum" title="363"></a>
-Geburt weiß, antwortete Castalio, mit dem Horoskop, das
-ich dann stelle, die Lineamente Eures Antlitzes und die Züge
-Eurer Hand vergleiche, nachher mit meinem freien Geiste
-mich der Anschauung ergebe, so zweifle ich kaum, Euch etwas
-davon offenbaren zu können.
-</p>
-
-<p>
-Antonio übergab ihm ein Taschenbuch, in welchem sein
-Vater selbst seine Geburtsstunde bemerkt hatte. Castalio
-schenkte den Jünglingen Wein ein, indem er selber ein wenig
-von diesem genoß, schlug einige Bücher auf und setzte
-sich alsdann zum Rechnen nieder, ohne nebenher seine Gespräche
-mit den Jünglingen völlig abzubrechen. Es schien
-nur, als wenn der junge heitre Mann ein ganz gewöhnliches
-Geschäft vornehme, das bei weitem nicht seine ganze Aufmerksamkeit
-erfordere. So mochte unter Lachen und fröhlichen
-Gesprächen eine Stunde verflossen seyn, als Castalio
-aufstand und Antonio zu sich in ein Fenster winkte. Ich
-weiß nicht, fing er an, wie viel Ihr Eurem Freunde dort
-vertraut, was Ihr ihm etwa verschweigen wollt. Er betrachtete
-hierauf Antonio&rsquo;s Gesicht, so wie seine Hände sehr
-aufmerksam, und erzählte ihm dann zusammenhängend die
-Geschichte und das Unglück seiner Eltern, den frühen gewaltsamen
-Tod der Mutter, die verirrte Leidenschaft des Vaters,
-dessen Ermordung durch seinen frevelhaften Mitschuldigen:
-hierauf kam er auf Antonio&rsquo;s eigne Begebenheiten, wie er
-den Mörder gesucht und verfolgt, und selbst von einer Leidenschaft
-in Padua sei festgehalten worden. Ihr seid also,
-beschloß er, was ich nicht ohne Erstaunen erfahren habe, jener
-Jüngling, der jüngst die Bosheit des verruchten Apone
-auf wunderbare Weise entdeckt hat, der den Schändlichen
-seiner Strafe überlieferte, obgleich er selbst nur um so unglücklicher
-wurde, weil er seine Geliebte zweimal auf entsetzliche
-Weise verlieren mußte.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-364" class="pagenum" title="364"></a>
-Antonio bestätigte dem freundlichen Manne alles, und
-hatte ein solches Zutrauen zu ihm gewonnen, daß es ihm
-war, als wenn er nur mit sich selber spräche. Er erzählte
-ihm hierauf noch von den Abentheuern jener Nacht, der
-zweiten Crescentia und jener widerlichen Hexe, die ihm, wie
-er glauben müsse, heute von neuem erschienen sei. Könnt
-Ihr mir nun, fragte er eifrig, sagen, ob dieses Wahrheit
-sei, wer jene Crescentia ist, ob ich sie wiedersehn und ihren
-Eltern zuführen werde?
-</p>
-
-<p>
-Castalio war nachdenklicher als zuvor. Wenn jener
-abentheuerliche Beresynth, die Fratze, welche den Zauberer
-begleitete, sich nicht als Weib verstellt hat, um den Nachforschungen
-zu entgehn, so getraue ich mir dieses Weib aufzufinden.
-Geduldet Euch nur bis morgen und ich sage Euch
-Bescheid. Uebrigens sind die Begebenheiten jener Nacht keine
-Phantasien Eures Innern, sondern Wirklichkeit gewesen, damit
-mögt Ihr fürs Erste Euch und Euren ältern Freund beruhigen.
-</p>
-
-<p>
-Nachdenkend verließen die jungen Leute den wunderbaren
-Mann, und Antonio dankte dem Spanier herzlich, daß er
-ihm diese Bekanntschaft verschafft hatte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Antonio hatte sich aber nicht getäuscht. Es war wirklich
-die Alte, die er im Gedränge wahrgenommen hatte.
-Sie wohnte in einer kleinen Hütte, hinter verfallenen Häusern,
-unweit des Laterans. Verfolgt, dürftig, von aller
-Welt verlassen, gehaßt und gefürchtet, war sie hier, im
-Aufenthalte des Elendes, der Verzweiflung nahe. Sie wagte
-es nur selten, sich zu zeigen, und war auch nur an diesem
-Tage gezwungen worden, auszugehn, um ihre Crescentia,
-die ihr entlaufen war, wieder zu finden. Da jedermann ihr
-scheu aus dem Wege ging, da es ihr selbst schwer wurde,
-nur hie und da ein Almosen zu erhalten, und ihre ehemaligen
-<a id="page-365" class="pagenum" title="365"></a>
-Künste keine Liebhaber fanden, so war sie nicht wenig
-erstaunt, als sie am Abend an ihre Thür klopfen hörte, indem
-draußen Geschrei und Lärmen tobte. Sie nahm ihre
-Lampe und machte auf, und sah draußen ein Rudel Gassenjungen
-und Pöbel, die eine kleine bucklige Figur, die in
-rothem Sammet mit Gold phantastisch gekleidet war, verfolgten.
-Wohnt hier nicht die würdige Frau Pankrazia? schrie
-der mißgestalte Zwerg. &mdash; So ist es, sagte die Alte, indem sie
-mit Gewalt die Thür zuschlug und das Volk draußen mit
-Schimpfreden zu vertreiben suchte. &mdash; Wer seid Ihr? würdiger
-Herr, was sucht Ihr bei einer alten verlassenen Frau?
-</p>
-
-<p>
-Setzt Euch nieder, sagte der Kleine, und zündet etwas
-mehr Licht an, damit wir uns schauen und betrachten können,
-und weil Ihr Euch arm nennt, so nehmt diese Goldstücke,
-und wir wollen auf bessere Bekanntschaft ein Gläschen Wein
-mit einander leeren.
-</p>
-
-<p>
-Die Alte schmunzelte, zündete einige Wachskerzen an,
-die sie in einer Schieblade verwahrte und sagte: ich habe
-noch ein Fläschchen guten Florentiner, ehrwürdiger Herr,
-der uns schmecken soll. Sie öffnete einen kleinen Schrank
-und setzte die rothe Labung auf den Tisch, dem Unbekannten
-zuerst einschenkend.
-</p>
-
-<p>
-Warum nennt Ihr mich ehrwürdig? fragte dieser.
-</p>
-
-<p>
-Sagen es die Goldstücke nicht aus, antwortete sie, Euer
-Wamms, die Tressen darauf, die Feder auf dem Hut? Seid
-Ihr kein Prinz, kein Magnat?
-</p>
-
-<p>
-Nein, schrie der Kleine: ei poz tausend, Muhme, kennt
-Ihr mich denn gar nicht? hat man mir doch schon in der
-Jugend damit schmeicheln wollen, daß wir uns einigermaßen
-ähnlich sehen, und wahrlich, wenn ich so Eure Statur, Physiognomie,
-den Ausdruck, das Lächeln und das Blinzeln der
-Augen unpartheiisch betrachte und erwäge, so sind die Muhme
-<a id="page-366" class="pagenum" title="366"></a>
-Pankrazia, aus dem Hause Posaterrena aus Florenz, und
-der kleine Beresynth, aus der Familie Fuocoterrestro aus
-Mailand, so in Verwandtschaftszügen, wie Muhme und
-Vetter, sich ähnlich genug.
-</p>
-
-<p>
-Jemine! schrie die Alte erfreut, so seid Ihr der Beresynth
-aus Mailand, von dem ich in meiner Kindheit wohl
-habe reden hören? Ei! ei! so muß ich so spät, im hohen Alter,
-noch einen so liebwerthen Vetter von Angesicht zu Angesicht
-kennen lernen!
-</p>
-
-<p>
-Ja, sagte der Kleine, recht von Nase zu Nase, denn
-die aufgeworfene hohe Schanze ist doch das größte Knochenstück
-in unsrem Gesicht. Curiosität halber, liebe Muhme,
-probiren wir einmal, ob wir uns wohl einen vetterlichen Kuß
-geben können. &mdash; Nein, pur unmöglich, die weit ausgestreckten
-Vorgebirge rasseln gleich aneinander, und schließen unsre
-demüthigen Lippen von jeder sanften Begrüßung aus. Man
-müßte mit beiden Fäusten die edlen Römernasen seitwärts
-zwängen. So. Laßt nicht abschnappen, Frau Muhme, ich
-möchte eine Ohrfeige kriegen, daß mir die letzten Zähne
-ausfielen.
-</p>
-
-<p>
-Unter herzlichem Lachen rief die Alte: Ei! so fröhlich
-bin ich lange nicht gewesen. Was wollte man denn von
-Euch da draußen, Vetter?
-</p>
-
-<p>
-Was? schrie der Kleine: mich ansehn, sich über mich
-freuen, weiter nichts. Ist der Mensch nicht, werthgeschätzte
-Frau Muhme, eine ganz dumme Figur? Hier in Rom sind
-nun seit Monaten Hunderttausende versammelt, ihrem Erlöser
-zu Ehren, so wie sie vorgeben, und ihre Sünden abzubüßen,
-und, so wie ich nur aus dem Fenster kucke (ich bin
-erst seit vorgestern hier), sei es auch nur in der Schlafmütze,
-oder gar mit ganzer Figur und in meinem besten Anzuge
-auf den Markt hinaus trete, so müßte man doch schwören,
-<a id="page-367" class="pagenum" title="367"></a>
-daß das ganze Gezeug bloß meinetwegen von allen Ecken
-Europa&rsquo;s ausgezogen sei, so kucken, äugeln, forschen, fragen
-sie, lachen und freuen sich. Reich, so scheint es, könnte ich
-werden, wenn ich mich die Zeit hier für Geld wollte sehen
-lassen, und wenn ich ihnen nun einmal umsonst die Freude
-mache, so schreit und lärmt das dumme Volk hinter mir
-drein. Eine Meerkatze, Affen oder Seehunde zu beschauen,
-müßten sie sich in Unkosten setzen, und statt meine Großmuth
-ruhig und wie gesetzte Leute zu genießen, tobt und schimpft
-der Pöbel um mich her, und sucht alle Ekelnamen aus der
-Naturgeschichte zusammen, um seine krasse Ignoranz an den
-Tag zu geben.
-</p>
-
-<p>
-Ja wohl, ja wohl, seufzte die Alte: es geht mir nicht
-besser. Sind die Thiere wohl so dumm? Da mag einer
-Nase, Augen und Kinn nach Gutdünken haben, und es geht
-ihm ruhig hin.
-</p>
-
-<p>
-Seht nur die sonst einfältigen Fische an, fuhr Beresynth
-fort, welche philosophische Toleranz! Und unter denen sind
-manche Kerle doch ganz Schnauze, und halten den Forschern
-der Tiefe eine Physiognomie entgegen, ernst, kalt, ruhig im
-Bewußtsein ihrer Originalität, und umher krümmelt und
-wimmelt es von andren seltsamen Angesichtern, Kiefern, Zähnen,
-vorgequollnen Augen und von frappantem Ausdruck
-aller Art, aber ruhig und still wandelt jedes Ungeheuer dort
-seinen Gang, ungeschoren und unmolestirt. Nur der Mensch ist
-so thöricht, daß er über das Nebengeschöpf lacht und spottet.
-</p>
-
-<p>
-Und worauf, sagte die Alte, läuft denn nun der mächtige
-Unterschied hinaus? Ich habe doch noch keine Nase gesehn,
-die nur eine einzige Elle lang wäre, ein Zoll, höchstens
-zwei, kaum drei ist der Unterschied zwischen der sogenannten
-Mißgeburt und dem, was sie Schönheit nennen. Und auf
-den Höcker zu kommen. Wenn er im Bett nicht manchmal
-<a id="page-368" class="pagenum" title="368"></a>
-unbequem wäre, nicht wahr, so ist er eigentlich viel angenehmer,
-als so ein dummer, gerader Rücken, wo sich bei
-manchem großgewachsenen Schlingel die langweilige gerade
-Linie, ohne Verzierung und Schnörkel, bis ins Unermeßliche
-hinauf erstreckt.
-</p>
-
-<p>
-Recht habt Ihr, Frau Muhme, rief der schon trunkne
-Beresynth der Trunknen entgegen. Was macht denn die
-Natur, wenn sie solche gerade Katze, solche sogenannte Schönheit
-von der Töpferscheibe laufen läßt? Das ist ja kaum der
-Mühe werth, die Arbeit nur anzufangen. Aber solche Kabinetstücke,
-wie wir, da kann die schaffende Kraft, oder das
-Naturprinzip, oder Weltgeist, oder wie man das Ding nennen
-will, doch mit einer gewissen Beruhigung und Befriedigung
-seine Produktion anschauen. Das rundet sich doch, das
-bricht in merkwürdige Ecken aus, das zackt sich wie Korallen,
-springt hervor in Kristallen, formirt sich wie Basalt, und
-rennt und springt und hüpfelt in allen Linien um unsern
-Körper. Wir, Base, sind die verzognen, verhätschelten Kinder
-der Formation, und darum ist der Pöbel der Natur
-auch so boshaft und neidisch auf uns. Das schlanke miserable
-Wesen gränzt an den kläglichen Aal, da ist keine Auferbauung.
-Von der dummen Figur zur Seespinne ist schon
-sehr weit, und wie fern dann Meerkalb, wie übertreffen wir
-dieses, so wie den Seestern, Krebs und Hummer, getreuste
-Cousine, mit unsern Abnormitäten, die sich in keine Rechnung
-bringen lassen. &mdash; Wo habt Ihr nur die herrlichen beiden
-Zähne her? Diese unvergleichlichen Mordanten figuriren so
-recht schwarz und düster in der tiefsinnigen Fugirung Eures
-unergründlichen Mundes.
-</p>
-
-<p>
-O Schäker, o Schmeichler, lachte die Alte, aber Euer
-liebes Kinn, das sich so huldreich und dienstfertig hervordrängt
-und tischartig umbeugt. Könntet Ihr nicht einen ziemlichen
-Teller bequem darauf setzen, und von ihm ungestört mit den
-<a id="page-369" class="pagenum" title="369"></a>
-Lippen herunter naschen, indessen Eure Hände anderswo Arbeit
-suchten? Das nenne ich ökonomische Einrichtung.
-</p>
-
-<p>
-Wir wollen uns nicht durch Lobeserhebungen verderben,
-sagte der Zwerg, sind wir ja doch schon auf unsre Vorzüge
-eitel genug, die wir uns nicht selbst gegeben haben.
-</p>
-
-<p>
-Ihr habt Recht, sagte sie, aber, was treibt Ihr, Vetter?
-Wo lebt Ihr?
-</p>
-
-<p>
-Kurios genug, antwortete Beresynth, bald hier, bald
-dort, wie ein Vagabund; jetzt aber will ich mich zur Ruhe
-setzen, und da ich hörte, daß noch eine nahe Verwandte von
-mir lebte, so wollte ich die aufsuchen, und sie bitten, mit
-mir zu ziehn. So komm ich zu Euch. In meiner Jugend
-war ich Apotheker in Calabrien, da jagten sie mich fort, weil
-sie meinten, ich fabrizire Liebespulver. Du liebe Zeit! als
-wenn es deren noch bedürfte. Dann war ich einmal Schneider,
-es hieß, ich stöhle zu arg; als Pastetenbäcker wieder die
-Beschuldigung, daß ich Katzen und Hunden nachstellte. Ich
-wollte Mönch werden, aber kein Kloster wollte mich einlassen.
-Als Doctor sollt&rsquo; ich verbrannt werden, denn sie sprachen
-gar von Hexerei. Ich wurde gelehrt; schrieb, dichtete, das
-Volk meinte, ich lästre Gott und die Christenheit. Nach vielen
-Jahren kam ich zum weltberühmten Pietro Apone, und wurde
-dessen Famulus, nachher Eremit, und was nicht Alles; am
-besten, daß ich in jedem Stande Geld gemacht und zurückgelegt
-habe, so daß ich meine alten Tage ohne Noth und
-Sorge beschließen kann. &mdash; Und Ihr, Muhme, Eure Geschichte?
-</p>
-
-<p>
-Wie die Eurige, antwortete die Base: man wird immer
-unschuldig verfolgt. Ich habe etlichemal am Pranger stehn
-müssen, aus einigen Ländern bin ich verwiesen, sie wollten
-mich unter andern auch verbrennen: es hieß, ich hexte, ich
-stöhle Kinder, ich verzauberte die Leute, ich kochte Gift.
-</p>
-
-<p>
-Nicht wahr, sagte Beresynth treuherzig, es war auch
-<a id="page-370" class="pagenum" title="370"></a>
-etwas an diesem Gerede? Ich muß es wenigstens von mir
-bekennen, und vielleicht liegt es in der Familie, daß ich
-manche dem ähnliche Künste getrieben habe. Zarte Freundin,
-wer einmal vom lieben Hexen ein Bischen weg hat, der
-kann es nachher Zeitlebens nicht wieder lassen. Das Ding
-ist wie mit dem Weintrinken. Einmal den Geschmack gewonnen,
-und Zunge, Kehle, Gaumen, ja Lung und Leber
-lassen von dem Dinge nicht wieder los.
-</p>
-
-<p>
-Ihr seid ein Menschenkenner, lieber Vetter, sagte die
-Alte mit selbstgefälligem Lächeln. So etwas Mord und
-Hexerei, Gift und Diebstahl läuft auch beim Unschuldigsten
-mit unter. Das Kuppeln hat mir nie einschlagen wollen.
-Und was soll man sagen, wenn man an eignen Kindern
-Undank und Unheil erlebt? Meine Tochter, die nun gesehn
-hat, wie ich Hunger und Kummer leiden muß, wie ich mir
-an meinem alten Munde absparte, um sie nur schön in Kleidung
-zu setzen, die ungerathne Dirne hat sich nie von mir
-erweichen lassen, auch nur einen Groschen zu verdienen. Früher
-konnte sie gute Heirathen treffen: Ildefons, Andrea und
-noch einige andere tapfere Männer, die unser ganzes Haus
-und sie mit erhielten; da brauchte sie den armseligen Vorwand,
-daß die Herren Räuber und Mörder wären, denen
-sie ihr Herz verschließen müsse. Die Männer waren so großmüthig,
-daß sie sich wirklich die Dirne wollten antrauen lassen,
-aber die dumme Jugend hat weder Verstand noch Tugend.
-Nun ruhen sie im Grabe, die vorzüglichen Männer, und sind
-auf eine schnöde Art umgekommen. Doch das rührt sie so
-wenig, wie mein Kummer und Elend, so daß sie nicht drein
-willigen mochte, mit einem jungen reichen vornehmen Herrn,
-dem Neffen eines Cardinals, zu leben, der unsre ganze
-Stube mit Gold überziehen konnte. Weggelaufen ist die
-einfältige Dirne, und man will sie mir gar nicht wieder
-ausliefern. So werden heut zu Tage die Eltern verachtet.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-371" class="pagenum" title="371"></a>
-Laßt sie laufen, die Verächtliche, sagte Beresynth, wir
-wollen ohne sie schon glücklich miteinander leben, denn unsre
-Neigungen und Gemüther sind sich gleich.
-</p>
-
-<p>
-Warum aber weglaufen, sagte die Alte, wie eine ungetreue,
-geprügelte Katze? Wir hätten uns ja wie Liebende,
-wie vernünftige Wesen trennen können. Es fand sich gewiß
-Gelegenheit, die bleichsüchtige Dirne vortheilhaft zu verkaufen,
-an Alt oder an Jung, und das hätte auch wohl gelingen
-können, wenn sie sich nicht einen einfältigen jungen Burschen
-ins Herz geschlossen hätte, den sie liebt, wie sie sagt.
-</p>
-
-<p>
-O hört auf, schrie Beresynth, taumelnd, und schon halb
-im Schlaf, wenn Ihr von Liebe sprecht, Base, so verfalle
-ich in so konvulsivisches Lachen, daß ich mich in drei Tagen
-nicht wieder erhole. Liebe! das dumme Wort hat meinem berühmten
-Meister Pietro den Hals gebrochen. Ohne den
-Taranteltanz säße die große Habichtsnase noch als Professor
-auf seinem Katheder, und kraute die jungen Gänse mit Philosophie
-und Tiefsinn an ihren dummen Köpfen, die ihm die
-Gelbschnäbel entgegen reckten. Ja, ja, Alte, das Affenthum
-von Liebe und platonischer Seelentrunkenheit hätte uns beiden,
-Euch und mir, nur noch gefehlt, um die Wunderthat
-unsrer heroischen Existenz vollständig zu machen. &mdash; Nun
-lebt wohl, Alte, morgen in der Nacht um diese Zeit hole
-ich Euch ab, und dann trennen wir uns nie wieder.
-</p>
-
-<p>
-Vetter, sagte Pankrazia, auf Wiedersehn. Seit Ihr
-zu mir eingetreten seid, bin ich ein ganz andres Wesen
-geworden. Wir wollen in Zukunft eine herrliche Haushaltung
-führen.
-</p>
-
-<p>
-Haben wir unser Jubeljahr doch nun auch gefeiert, lallte
-Beresynth, der schon auf der Straße stand, und in dunkler
-Nacht nach seiner Wohnung taumelte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-372" class="pagenum" title="372"></a>
-Antonio hatte indessen den alten Ambrosio und dessen
-Gattin schon darauf vorbereitet, daß er gewiß jene widerwärtige
-Alte, und so auch deren Tochter Crescentia wieder
-auffinden würde. Die Mutter glaubte ihm gern, aber der
-Vater blieb bei seinen Zweifeln. Noch vor Sonnenuntergang
-begab sich der Jüngling mit seinem Freunde wieder zum weisen
-Castalio. Dieser kam ihnen schon lächelnd entgegen und
-sagte: Hier, Antonio, nehmt dieses Blatt, Ihr findet auf
-ihm verzeichnet, in welcher Gasse, in welchem Hause Ihr jene
-Unholdin antreffen werdet. Wenn Ihr sie aufgefunden habt,
-werdet Ihr an meiner Wissenschaft nicht mehr zweifeln.
-</p>
-
-<p>
-Schon jetzt bin ich überzeugt, sagte Antonio, ich war es
-schon gestern. Ihr seid der weiseste der Sterblichen, und werdet
-mich durch Eure Kunst zum glücklichsten machen. Ich gehe, die
-böse Alte aufzusuchen, und wenn Crescentia nicht gestorben,
-oder verloren ist, so führe ich sie in die Arme ihrer Eltern.
-</p>
-
-<p>
-Bewegt und voller Erwartung wollte er sich eilig entfernen,
-er hatte schon den Drücker der Thür in der Hand,
-als sich ein leises ängstliches Klopfen draußen ankündigte,
-von einem heisern Husten und Scharren der Füße begleitet.
-Wer ist da? rief Castalio, und da die Freunde öffneten, trat
-Beresynth herein, der sich gleich in die Mitte des Zimmers
-stellte, und unter vielen fratzenhaften Verbeugungen, so wie
-Verzerrungen des Gesichtes dem weisen Manne seine Dienste
-anbot.
-</p>
-
-<p>
-Wer seid Ihr? rief Castalio, der sich verfärbt hatte und
-mit blassem Angesicht einige Schritte zurückgewichen war.
-</p>
-
-<p>
-Ein Bösewicht ist der Verruchte! rief Antonio, ein Zauberer,
-den wir der Inquisition überliefern müssen, der verruchte
-Beresynth selbst ist es, dessen Namen Ihr, verehrter
-Mann, schon kennt, und von dem ich Euch erzählt habe.
-</p>
-
-<p>
-Meint Ihr, junges Blut? sagte Beresynth mit dem Ausdruck
-der tiefsten Verachtung. Mit Euch, ihr Kinder, habe
-<a id="page-373" class="pagenum" title="373"></a>
-ich nichts zu schaffen. Kennt Ihr mich nicht? rief er zu Castalio
-gewendet, und könnt auch meine Dienste nicht brauchen?
-</p>
-
-<p>
-Wie sollt ich? sagte Castalio mit ungewisser Stimme,
-ich habe Euch nie gesehn. Entfernt Euch, ich muß Eure
-Dienste ablehnen. In meinem kleinen Hause bedarf ich keines
-fremden Wesens.
-</p>
-
-<p>
-Beresynth ging mit großen Schritten auf und ab. Also,
-Ihr kennt mich nicht? Kann seyn; man verändert sich manchmal,
-denn der Mensch bleibt nicht in seiner Blüthe. Doch, mein&rsquo; ich,
-sollte man mich nicht so bald vergessen, oder mit andern verwechseln,
-wie so manchen glatten, fein gemalten, unbedeutenden
-Tropfen. &mdash; Und ihr, indem er sich zu den jungen Leuten
-wendete, kennt wohl jenen Weisheitsfinder auch nicht?
-</p>
-
-<p>
-O ja, sagte Antonio, er ist unser Freund, der treffliche
-Castalio.
-</p>
-
-<p>
-Da erhub der Kleine ein so ungeheures Lachen, daß
-Wände und Fenster des Zimmers erklirrten und wiederhallten.
-Castalio! Castalio! schrie er wie besessen; warum nicht
-auch Aganippe oder Hippokrene? Also, ihr habt den Brill
-vor den Augen, mit Kalbsblicken schaut eure Seele aus dem
-runden Kürbis eurer Köpfe dumm heraus? Reibt euch die
-Nase, und seht und erkennt doch euren verehrten Pietro von
-Abano, den großen Tausendkünstler aus Padua!
-</p>
-
-<p>
-Derjenige, der sich Castalio nannte, war wie ohnmächtig
-in einen Sessel gesunken, sein Zittern war so heftig, daß
-alle Glieder seines Körpers flogen, die Muskeln seines Antlitzes
-bebten so gewaltsam, daß kein Zug in ihm wahrzunehmen
-war, und nachdem die jungen Leute dies einige Zeit
-staunend betrachtet hatten, glaubten sie mit Entsetzen wahrzunehmen,
-daß aus den sich verwirrenden Lineamenten die
-alte Bildung des bekannten greisen Apone hervorstiege. Laut
-schreiend erhub sich der Zauberer vom Sessel, ballte die Fäuste
-und schäumte mit dem Munde, er schien in seiner Wuth
-<a id="page-374" class="pagenum" title="374"></a>
-riesengroß. Nun ja, brüllte er im Donnerton, ich bin es,
-jener Pietro, und Du, Knecht, verdirbst mir jetzt mein Spiel,
-jene junge Brut dort auf einem neuen Wege zu vernichten.
-Was willst Du, Wurm, von mir, der ich, Dein Meister,
-Dich nicht mehr anerkenne? Zitterst Du nicht in allen Gebeinen
-vor meiner Rache und Strafe?
-</p>
-
-<p>
-Beresynth erhub wieder jenes schallende, entsetzliche Gelächter.
-Strafe? Rache? wiederholte er grinsend; Dummkopf
-ohne Gleichen! Mußt Du denn jetzt erst merken, daß Dir
-diese Sprache zu mir nicht geziemt? Daß Du, Gaukler, Dich vor
-mir im Staube krümmen mußt? daß ein Blick meines Auges,
-ein Griff meines erznen Armes Dich zerschmettert, Du erdgebornes
-Larvenspiel elender Künste, die nur ich gelingen ließ?
-</p>
-
-<p>
-Ein Scheusal stand im Saal. Seine Augen sprühten
-Feuer, seine Arme dehnten sich wie zwei Adlerschwingen aus,
-das Haupt berührte die Decke; Pietro lag winselnd und heulend
-zu seinen Füßen. Ich war es, fuhr der Dämon fort,
-der Deine arme Gaukelei beförderte, der die Menschen täuschte,
-der den Frevel durch meine Macht erschuf. Du tratst mich
-mit Füßen, ich war Dein Hohn, Deine hochmüthige Weisheit
-triumphirte ob meinem Blödsinn. Nun bin ich Dein
-Herr! Jetzt folgst Du mir als mein leibeigner Knecht in mein
-Gebiet. &mdash; Entfernt euch, ihr Elenden! rief er den Jünglingen
-zu, was wir noch verhandeln, geziemt euch nicht zu schauen!
-Und ein ungeheurer Donnerschlag erschütterte das Haus in
-seinen Tiefen, geblendet, entsetzt stürzten Antonio und Alfonso
-hinaus, ihre Knie wankten, ihre Zähne klappten. Ohne zu
-wissen wie, befanden sie sich wieder auf der Straße, sie flüchteten
-in einen nahen Tempel, denn eine heulende Windsbraut
-erhob sich mit Donner und Blitzen, und die Wohnung, als
-sie hinter sich sahen, brannte in zerfallenen Trümmern, zwei
-dunkle Schatten schwebten über dem Brande, kämpfend, so
-schien es, und sich in Verschlingungen hin und her werfend
-<a id="page-375" class="pagenum" title="375"></a>
-und ringend, Geheul der Verzweiflung und lautes Lachen
-des Hohnes erklangen abwechselnd zwischen den Pausen des
-lautrasenden Sturmwinds.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Erst nach langer Zeit konnte sich Antonio so viel sammeln,
-daß er stark genug war, nach der gegebenen Anweisung
-das Haus der Alten aufzusuchen. Er fand sie geschmückt
-und sie rief ihm frohlockend entgegen: ei! Florentiner! seid
-Ihr auch einmal wieder da?
-</p>
-
-<p>
-Wo ist Eure Tochter? fragte Antonio, zitternd vor Eil.
-</p>
-
-<p>
-Wenn Ihr sie jetzt haben wollt, sagte die Alte, so will
-ich sie Euch nicht vorenthalten. Aber bezahlen müßt Ihr
-rechtschaffen für sie, oder der Podesta von Padua, wenn er
-noch lebt, denn sie ist sein Kind, das ich ihm damals gestohlen
-habe, weil mir die Herren Markoni ein ansehnliches
-Stück Geld dafür gönnten.
-</p>
-
-<p>
-Wenn Ihr es beweisen könnt, sagte der Jüngling, so
-fordert.
-</p>
-
-<p>
-Beweise, so viel Ihr wollt, rief die Alte, Windeln mit
-Wappen, Kleider von damals, ein Maal auf der rechten Schulter,
-was ja die Mutter am besten kennen muß. Aber auch
-Briefe von den Markonis sollt Ihr haben, Schriften vom
-Podesta selbst, die ich damals in der Eile mit wegfischte.
-Alles, nur Geld muß da seyn.
-</p>
-
-<p>
-Antonio zahlte ihr alles Gold, was er bei sich trug,
-und gab ihr noch die Edelsteine, die Hut und Kleidung
-schmückten, Perlen und eine goldne Kette. Sie strich alles
-lächelnd ein, indem sie sagte: wundert Euch nicht, daß ich so
-eilfertig und leicht zu befriedigen bin. Die Dirne ist mir
-weggelaufen, weil sie keinen Liebhaber wollte, und steckt im
-Nonnenkloster bei der Trajanssäule, die Aebtissin hat sie mir
-nicht herausgeben wollen, aber meldet Euch nur dort, das
-junge Blut wird Euch von selbst in die Arme springen, denn
-<a id="page-376" class="pagenum" title="376"></a>
-es träumt und denkt nur von Euch, so habt Ihr ihr thörichtes
-Herz bezaubert, daß sie seit jener Nacht, der Ihr Euch wohl
-noch erinnern werdet, kein vernünftiges Wort mehr gesprochen
-hat, daß sie weder Liebhaber noch Mann mehr leiden konnte.
-Froh bin ich, daß ich sie so los werde, ich gehe mit einem
-vornehmen Vetter, Herrn Beresynth, der mich eigen dazu
-aufgesucht hat, noch heut Nacht auf seine Güter. Lebt wohl,
-junger Narr, und seid mit Eurer Crescentia glücklich.
-</p>
-
-<p>
-Antonio nahm alle Briefschaften, die Kleidungen des
-Kindes, alle Beweise ihrer Geburt. In der Thür begegnete
-ihm schon jener Furchtbare, der sich Beresynth nannte. Er
-eilte, und war so leichten Herzens, so beflügelt, daß er den
-Sturm hinter sich nicht vernahm, der die Gegend zu verwüsten
-und die Häuser aus ihren Gründungen zu heben drohte.
-</p>
-
-<p>
-Bei nächtlicher Weile untersuchten die überglücklichen Eltern
-die Briefe, und diese, so wie die Kleider überzeugten
-sie, daß diese zweite Crescentia ihr Kind sei, die Zwillingsschwester
-jener gestorbenen, die sie in der Taufe damals Cäcilie
-genannt hatten. Der Vater holte am Morgen das
-schöne bleiche Mädchen aus dem Kloster, die sich wie im
-Himmel fühlte, edlen Eltern anzugehören, und einen Jüngling,
-der sie anbetete, wieder gefunden zu haben, dem sie in
-jener Nacht auf ewig ihr ganzes Herz hatte schenken müssen.
-</p>
-
-<p>
-Rom sprach einige Zeit von den beiden Unglücklichen,
-welche das Gewitter erschlagen hatte, und Ambrosio lebte
-nachher mit seiner Gattin, der wieder gefundenen Tochter
-und seinem Eidam Antonio in der Nähe von Neapel. Der
-Jüngling verschmerzte im Glück der Liebe die Leiden seiner
-Jugend, und an Kindern und Enkeln trösteten sich die
-Eltern über den Verlust der schönen und innig geliebten
-Crescentia.
-</p>
-
-
-<div class="trnote">
-<p id="trnote" class="part"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p>
-Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. <span class="handheld-only">Im Original
-g&nbsp;e&nbsp;s&nbsp;p&nbsp;e&nbsp;r&nbsp;r&nbsp;t
-hervorgehobener Text wurde in einem <em>anderen Schriftstil</em> markiert.</span>
-Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden in einem
-<span class="antiqua">anderen Schriftstil</span> markiert.
-</p>
-
-<p>
-Die variierende Schreibweise des Originales wurde weitgehend
-beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert,
-teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben, wie hier aufgeführt
-(vorher/nachher):
-</p>
-
-<ul>
-
-<li>
-... Gesprächen zu und wünschte <span class="underline">sowie</span> die Andern über ungesalzene ...<br />
-... Gesprächen zu und wünschte <a href="#corr-0"><span class="underline">so wie</span></a> die Andern über ungesalzene ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... in <span class="underline">dieseir</span> Hinsicht so vieles zu verbessern ist. ...<br />
-... in <a href="#corr-1"><span class="underline">dieser</span></a> Hinsicht so vieles zu verbessern ist. ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Schon <span class="underline">n</span> der Nähe des freundlichen Thorschreibers fielen ...<br />
-... Schon <a href="#corr-2"><span class="underline">in</span></a> der Nähe des freundlichen Thorschreibers fielen ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... <span class="underline">hatte</span>, hielt, nachdem viel über die Fortschritte in ...<br />
-... <a href="#corr-3"><span class="underline">hatten</span></a>, hielt, nachdem viel über die Fortschritte in ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... verließen sie die <span class="underline">Chausse</span>, um auf schlechten Wegen nach dem ...<br />
-... verließen sie die <a href="#corr-4"><span class="underline">Chaussee</span></a>, um auf schlechten Wegen nach dem ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Stücke, die gespielt wurden. Sie waren so <span class="underline">origiginell</span>, ...<br />
-... Stücke, die gespielt wurden. Sie waren so <a href="#corr-5"><span class="underline">originell</span></a>, ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... <span class="underline">selsam</span> zu seyn glaubt, die Stellen nachweisen, die er nur ...<br />
-... <a href="#corr-6"><span class="underline">seltsam</span></a> zu seyn glaubt, die Stellen nachweisen, die er nur ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Eulen und Fledermäuse gehören, mit meiner <span class="underline">Nachwelt</span>, die ...<br />
-... Eulen und Fledermäuse gehören, mit meiner <a href="#corr-7"><span class="underline">Nachtwelt</span></a>, die ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... und zukneifend, und sucht aus und wählt, hebt auf und <span class="underline">registirt</span>, ...<br />
-... und zukneifend, und sucht aus und wählt, hebt auf und <a href="#corr-8"><span class="underline">registrirt</span></a>, ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... kommen, denn Schmaling war zu sehr von <span class="underline">Ehrfurch</span> durchdrungen, ...<br />
-... kommen, denn Schmaling war zu sehr von <a href="#corr-9"><span class="underline">Ehrfurcht</span></a> durchdrungen, ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... zu denen ihn aber der forschende Graf in künstlichen <span class="underline">Wendnngen</span> ...<br />
-... zu denen ihn aber der forschende Graf in künstlichen <a href="#corr-10"><span class="underline">Wendungen</span></a> ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Freigeist und Uebervernünftigen so mit beiden <span class="underline">Beiden</span> in die ...<br />
-... Freigeist und Uebervernünftigen so mit beiden <a href="#corr-11"><span class="underline">Beinen</span></a> in die ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Verbindungen nicht, und wußte eben so <span class="underline">wnig</span>, wie diese jetzt ...<br />
-... Verbindungen nicht, und wußte eben so <a href="#corr-12"><span class="underline">wenig</span></a>, wie diese jetzt ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... flehenden Blick für ihre Mutter ein, daß <span class="underline">se n</span> Zorn entwaffnet ...<br />
-... flehenden Blick für ihre Mutter ein, daß <a href="#corr-13"><span class="underline">sein</span></a> Zorn entwaffnet ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... der Erde dorthin zogen, zu <span class="underline">zersteuen</span>, und seinen Freund ...<br />
-... der Erde dorthin zogen, zu <a href="#corr-14"><span class="underline">zerstreuen</span></a>, und seinen Freund ...<br />
-</li>
-</ul>
-</div>
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-End of Project Gutenberg's Schriften 23: Novellen 7, by Ludwig Tieck
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-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 23: NOVELLEN 7 ***
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
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-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
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