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authornfenwick <nfenwick@pglaf.org>2025-03-01 18:26:15 -0800
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+The Project Gutenberg EBook of Persönlichkeit, by Rabindranath Tagore
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Persönlichkeit
+
+Author: Rabindranath Tagore
+
+Translator: Helene Meyer-Franck
+
+Release Date: March 17, 2014 [EBook #45163]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PERSÖNLICHKEIT ***
+
+
+
+
+Produced by Reiner Ruf, Norbert H. Langkau, Jana Srna and
+the Online Distributed Proofreading Team at
+http://www.pgdp.net
+
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+
+Anmerkungen zur Transkription
+#############################
+
+Kursiv gesetzer Text wird zwischen Unterstrichen (_) dargestellt;
+gesperrter Text steht zwischen Rautensymbolen (#).
+
+Die folgenden offensichtlichen Fehler wurden im Text korrigiert:
+
+ # S. 70: "Sterben" --> "Streben"
+ # S. 189: "... zu unserem persönlichen Wesen kommen. so finden wir
+ ..." Satzpunkt wurde durch Komma ersetzt.
+ # S. 199: nach "befreit." Anführungzeichen («) wurde ergänzt.
+ # S. 218: "Wagschale" --> "Waagschale"
+
+Dieser Text enthält eine Reihe von Zitaten, die in Sanskrit abgefasst
+und in lateinischer Transliteration mit Hilfe diakritischer
+Zeichen dargestellt werden. Sollte Ihr Text-Editor bzw. Ihre
+Textverarbeitungssoftware diese Zeichen nicht sinnvoll anzeigen, ist es
+notwendig, eine Unicode-fähige Schrift zu verwenden.
+
+Das Sanskrit-Zitat auf S. 197 wurde wie im ursprünglichen
+Text wiedergegeben. Das Originalzitat nach
+http://fiindolo.sub.uni-goettingen.de/gretil/1_sanskr/1_veda/1_sam/1_rv/rvpp_05u.htm
+lautet:
+
+"viśvā ni deva savitaḥ duḥ-itāni parā suva yat bhadram tat naḥ ā suva"
+
+
+
+
+ RABINDRANATH TAGORE
+
+ PERSÖNLICHKEIT
+
+ MÜNCHEN
+
+ KURT WOLFF VERLAG
+
+
+
+
+Einzig autorisierte deutsche Ausgabe. Nach der von Rabindranath Tagore
+ selbst veranstalteten englischen Ausgabe ins Deutsche übertragen von
+ Helene Meyer-Franck
+
+ 1.-40. Tausend
+
+ Copyright 1921 by Kurt Wolff Verlag A.-G. in München
+
+
+
+
+ C. F. ANDREWS
+ GEWIDMET
+
+ *
+
+
+
+
+INHALT
+
+
+WAS IST KUNST? 1
+
+DIE WELT DER PERSÖNLICHKEIT 49
+
+DIE WIEDERGEBURT 94
+
+MEINE SCHULE 134
+
+RELIGIÖSE BETRACHTUNG 182
+
+DIE FRAU
+
+
+
+
+PERSÖNLICHKEIT
+
+
+
+
+WAS IST KUNST?
+
+
+Wir stehen dieser großen Welt Auge in Auge gegenüber, und mannigfach
+sind unsre Beziehungen zu ihr. Eine derselben ist die Notwendigkeit zu
+leben: wir müssen den Boden beackern, uns Nahrung suchen, uns kleiden,
+und zu allem muß uns die Natur den Stoff liefern. Da wir unausgesetzt
+bemüht sein müssen, unsre Bedürfnisse zu befriedigen, sind wir in
+beständiger Berührung mit der Natur. So halten Hunger und Durst und all
+unsre physischen Bedürfnisse die stete Beziehung zu dieser großen Welt
+aufrecht.
+
+Aber wir haben auch einen Geist, und dieser Geist sucht sich seine
+eigene Nahrung. Auch er hat seine Bedürfnisse. Er muß den Sinn der
+Dinge finden. Er steht einer Vielfältigkeit von Tatsachen gegenüber
+und ist verwirrt, wenn er kein einheitliches Prinzip finden kann,
+das die Verschiedenartigkeit der Dinge vereinfacht. Der Mensch ist
+so veranlagt, daß er sich nicht mit Tatsachen begnügen kann, sondern
+gewisse Gesetze finden muß, die ihm die Last der bloßen Zahl und Menge
+erleichtern.
+
+Doch es ist noch ein drittes Ich in mir neben dem physischen und
+geistigen, das seelische Ich. Dies Ich hat seine Neigungen und
+Abneigungen und sucht etwas, das sein Bedürfnis nach Liebe erfüllt.
+Dies seelische Ich gehört der Sphäre an, wo wir frei sind von aller
+Notwendigkeit, wo die Bedürfnisse des Körpers und des Geistes keinen
+Einfluß haben, wo nach Nutzen oder Zweck nicht gefragt wird. Dies
+seelische Ich ist das Höchste im Menschen. Es hat seine eigenen
+persönlichen Beziehungen zu der großen Welt und sucht persönliche
+Befriedigung in ihr.
+
+Die Welt der Naturwissenschaft ist nicht eine Welt der Wirklichkeit,
+sondern eine abstrakte Welt der Kräfte. Wir können sie uns mit Hilfe
+unsres Verstandes zunutze machen, aber wir können sie nicht mit unsrer
+Seele erfassen. Sie gleicht einer Schar von Handwerkern, die, wenn
+sie auch Dinge für uns als persönliche Wesen herstellen, doch bloße
+Schatten für uns sind.
+
+Aber es gibt noch eine andre Welt, die Wirklichkeit für uns hat. Wir
+sehen sie, wir fühlen sie, wir nehmen mit all unsern Empfindungen an
+ihr teil. Doch wir können sie nicht erklären und messen, und daher
+bleibt sie uns ewig geheimnisvoll. Wir können nur in freudigem Erkennen
+sagen: »Da bist du ja.«
+
+Dies ist die Welt, von der die Naturwissenschaft sich abwendet, und in
+der die Kunst ihren Sitz hat. Und wenn es uns gelingt, die Frage, was
+Kunst ist, zu beantworten, so werden wir auch wissen, was für eine Welt
+es ist, mit der die Kunst so nahe verwandt ist.
+
+Es ist an sich keine wichtige Frage. Denn die Kunst wächst wie das
+Leben selbst aus eigenem Antrieb, und der Mensch freut sich an ihr,
+ohne daß er sich genau klar macht, was sie ist. Und wir könnten diese
+Frage ruhig im Untergrunde des Bewußtseins schlummern lassen, wo alles
+Lebendige im Dunkel gehegt und genährt wird.
+
+Aber wir leben in einem Zeitalter, wo unsre Welt um und um gekehrt und
+alles, was auf dem Grunde verborgen lag, an die Oberfläche gezerrt
+wird. Selbst den Vorgang des Lebens, der ganz unbewußt ist, bringen
+wir unter das Seziermesser der Wissenschaft, -- auf Kosten des Lebens
+selbst, das wir durch unsre Untersuchung in ein totes Museumsexemplar
+verwandeln.
+
+Die Frage »Was ist Kunst?« ist oft aufgeworfen und auf verschiedene
+Weise beantwortet worden. Solche Erörterungen bringen immer etwas von
+bewußter Absicht in ein Gebiet hinein, wo sowohl das Schaffen wie das
+Genießen spontan und nur halb bewußt ist. Sie gehen darauf aus, unser
+Kunsturteil mit ganz bestimmten Maßstäben zu versehen. Und so hören wir
+heutzutage Kunstrichter nach selbstgefertigten Regeln ihr vernichtendes
+Urteil fällen über das, was seit Jahrhunderten als groß und unsterblich
+anerkannt wurde.
+
+Diese meteorologische Störung in der Sphäre der Kunstkritik, die ihren
+Ursprung im Abendlande hat, ist auch an unsre Küste nach Bengalen
+gekommen und trübt unsern klaren Himmel mit Nebel und Wolken. Auch
+wir haben angefangen, uns zu fragen, ob Schöpfungen der Kunst nicht
+danach beurteilt werden sollten, entweder wie weit sie geeignet sind
+allgemein verstanden zu werden, oder was für eine Lebensphilosophie
+sie enthalten, oder wieviel sie zur Lösung der großen Zeitprobleme
+beitragen, oder ob sie etwas zum Ausdruck bringen, was dem Geist des
+Volkes, dem der Dichter angehört, eigentümlich ist. Wenn also die
+Menschen allen Ernstes dabei sind, für die Kunst Normen und Maßstäbe
+aufzustellen, die gar nicht zu ihrem Wesen gehören, wenn man sozusagen
+die Herrlichkeit eines Flusses von dem Gesichtspunkt des Kanals aus
+beurteilt, können wir die Frage nicht auf sich beruhen lassen, sondern
+müssen uns in die Debatte einmischen.
+
+Sollten wir zunächst versuchen, den Begriff »Kunst« zu definieren? Aber
+wenn man lebendige Dinge zu definieren sucht, so heißt dies im Grunde,
+daß man sein Gesichtsfeld einengt, um deutlicher sehen zu können.
+Und Deutlichkeit ist nicht ohne weiteres die einzige oder wichtigste
+Seite bei der Wahrheit. Die Blendlaterne gibt uns ein deutliches, aber
+nicht ein vollständiges Bild. Wenn wir ein Rad in Bewegung kennen
+lernen sollen, so macht es nichts, wenn wir die Speichen nicht zählen
+können. Wenn es nicht auf die Genauigkeit seiner Form, sondern auf
+die Schnelligkeit seiner Bewegung ankommt, so müssen wir uns mit
+einem etwas undeutlichen Bilde des Rades begnügen. Lebendige Dinge
+sind eng verwachsen mit ihrer Umgebung und ihre Wurzeln reichen oft
+tief hinab in den Boden. Wir können in unserm Erkenntniseifer die
+Wurzeln und Zweige eines Baumes abhauen und ihn in einen Holzklotz
+verwandeln, der sich leichter von Klasse zu Klasse rollen und in einem
+Lehrbuch darstellen läßt. Aber man kann doch nicht sagen, daß solch ein
+Holzklotz, weil er nackt und deutlich vor aller Augen liegt, vom Baum
+als Ganzem ein richtigeres Bild gäbe.
+
+Daher will ich nicht versuchen, den Begriff der Kunst zu definieren,
+sondern ich will nach dem Grunde ihres Daseins fragen und
+herauszufinden suchen, ob sie um irgendeines sozialen Zweckes willen
+da ist, oder um uns ästhetischen Genuß zu verschaffen, oder ob sie
+entstanden ist aus dem Bedürfnis, unser eigenes Wesen zum Ausdruck zu
+bringen.
+
+Man hat sich lange um das Wort »L'art pour l'art« gestritten, das bei
+einem Teil der abendländischen Kritiker in Mißkredit gekommen ist. Es
+ist ein Zeichen, daß das asketische Ideal des puritanischen Zeitalters
+wiederkehrt, wo Genuß als Selbstzweck für sündhaft gehalten wurde.
+Aber jeder Puritanismus ist eine Reaktion. Er kann die Wahrheit nicht
+mit unbefangenem Auge und daher nicht in ihrer wahren Gestalt sehen.
+Wenn der Genuß die unmittelbare Berührung mit dem Leben verliert und
+in der Welt seiner künstlich und mühsam ausgearbeiteten Konventionen
+immer wählerischer und phantastischer wird, dann kommt der Ruf nach
+Entsagung, die das Glück selbst als eine Schlinge des Verderbens von
+sich weist. Ich will mich nicht auf die Geschichte der modernen Kunst
+einlassen, ich fühle mich hierzu durchaus nicht kompetent, doch ich
+kann als allgemeine Wahrheit behaupten: wenn der Mensch seinen Trieb
+nach Freude zu unterdrücken sucht und ihn in einen bloßen Trieb nach
+Erkenntnis oder Wohltun umwandelt, so muß der Grund darin liegen, daß
+seine Freudefähigkeit ihre natürliche Frische und Gesundheit verloren
+hat.
+
+Die Ästhetiker im alten Indien trugen kein Bedenken zu sagen, daß
+Freude, selbstlose Freude, die Seele der Dichtkunst sei. Aber das Wort
+»Freude« muß richtig verstanden werden. Wenn wir es analysieren, so
+zeigt uns sein Spektrum eine unendliche Reihe von Streifen, deren Farbe
+und Intensität je nach den verschiedenen Welten unendlich verschieden
+ist. Die Welt der Kunst enthält Elemente, die ganz offenbar nur ihr
+angehören und Strahlen aussenden, die ihre besondere Leuchtkraft und
+Eigentümlichkeit haben. Es ist unsre Pflicht, sie zu unterscheiden und
+ihrem Ursprung und Wachstum nachzugehen.
+
+Der wichtigste Unterschied zwischen dem Tier und dem Menschen ist
+der, daß das Tier fast ganz in den Schranken seiner Bedürfnisse
+eingeschlossen ist, da der größte Teil seiner Tätigkeit zur
+Selbsterhaltung und zur Erhaltung der Gattung nötig ist. Es hat, wie
+der Kleinhändler, keinen großen Gewinn auf dem Markt des Lebens,
+sondern die Hauptmasse seiner Einnahme muß als Zins auf die Bank
+gezahlt werden. Es braucht den größten Teil seiner Mittel nur, um sein
+Dasein zu fristen. Aber der Mensch ist auf dem Markte des Lebens ein
+Großkaufmann. Er verdient sehr viel mehr, als er unbedingt ausgeben
+muß. Daher hat das Leben des Menschen ein ungeheures Übermaß von
+Reichtum, das ihm die Freiheit gibt, Verantwortung und Nutzen in weitem
+Maße außer acht zu lassen. An den Bereich seiner Bedürfnisse schließen
+sich noch weite Gebiete, deren Gegenstände ihm Selbstzweck sind.
+
+Die Tiere brauchen bestimmte Kenntnisse, die sie für ihre Lebenszwecke
+anwenden müssen. Aber damit begnügen sie sich auch. Sie müssen ihre
+Umgebung kennen, um Obdach und Nahrung finden zu können, sie müssen
+die Eigentümlichkeiten bestimmter Dinge kennen, um sich Wohnungen
+bauen zu können, die Anzeichen der verschiedenen Jahreszeiten, um sich
+dem Wechsel anpassen zu können. Auch der Mensch braucht bestimmte
+Kenntnisse, um leben zu können. Aber der Mensch hat einen Überschuß,
+von dem er stolz behaupten kann: das Wissen ist um des Wissens willen
+da. Dies Wissen gewährt ihm reine Freude, denn es ist Freiheit. Dieser
+Überschuß ist der Fonds, von dem seine Wissenschaft und Philosophie
+lebt.
+
+Wiederum hat auch das Tier ein gewisses Maß von Altruismus: den
+Altruismus der Elternschaft, den Altruismus der Herde und des
+Bienenstocks. Dieser Altruismus ist unbedingt nötig zur Erhaltung der
+Gattung. Aber der Mensch hat mehr. Zwar muß auch er gut sein, weil es
+für die Gattung nötig ist, aber er geht weit darüber hinaus. Seine Güte
+ist nicht eine magere Kost, die nur gerade genügt, um sein sittliches
+Dasein kümmerlich zu fristen. Er kann mit vollem Recht sagen, daß er
+das Gute um des Guten willen tut. Und auf diesem Reichtum an Güte, --
+die die Ehrlichkeit nicht darum schätzt, weil sie die beste Politik
+ist, sondern weil sie mehr wert ist als Politik und es sich leisten
+kann, aller Politik Trotz zu bieten -- auf diesen Reichtum an Güte
+gründet sich die Sittlichkeit des Menschen.
+
+Auch die Idee »L'art pour l'art« hat ihren Ursprung in dieser Region
+des Überflusses. Wir wollen daher versuchen festzustellen, welche
+Tätigkeit es ist, aus deren Überschuß die Kunst entsprießt.
+
+Für den Menschen wie für die Tiere ist es ein Bedürfnis, ihre Gefühle
+der Lust und Unlust, der Furcht, des Zorns und der Liebe zum Ausdruck
+zu bringen. Bei den Tieren gehen diese Gefühlsausdrücke wenig über
+die Grenzen der Nützlichkeit hinaus. Aber wenn sie auch beim Menschen
+noch in ihrem ursprünglichen Zweck ihre Wurzel haben, so sind sie
+doch aus ihrem Boden hoch in die Luft emporgewachsen und breiten ihre
+Zweige nach allen Richtungen weit in den unendlichen Himmel. Der Mensch
+hat einen Vorrat an Gefühlskraft, den er für seine Selbsterhaltung
+nicht verbraucht. Dieser Überschuß sucht seinen Ausfluß in der
+Kunstschöpfung, denn die Kultur des Menschen baut sich auf seinem
+Überfluß auf.
+
+Der Krieger begnügt sich nicht mit dem Kampf, zu dem ihn die
+Notwendigkeit zwingt, er hat auch das Bedürfnis, seinem gesteigerten
+Kriegerbewußtsein durch Musik und Schmuck Ausdruck zu geben, was nicht
+nur nicht notwendig, sondern unter Umständen geradezu selbstmörderisch
+ist. Ein Mensch von starker Religiosität verehrt seine Gottheit nicht
+nur mit aller Andacht, sondern sein religiöses Gefühl verlangt nach
+Ausdruck in der Pracht des Tempels und in dem reichen Zeremoniell des
+Gottesdienstes. Wenn in unserm Herzen ein Gefühl erregt wird, das weit
+hinausgeht über das, was der Gegenstand, der es hervorbrachte, in sich
+aufnehmen kann, so schlagen seine Wogen wieder auf uns zurück und
+erwecken unser Bewußtsein von uns selbst. Wenn wir arm sind, ist unsre
+ganze Aufmerksamkeit nach außen gerichtet, auf die Gegenstände, die
+wir zur Stillung unsres Bedürfnisses erwerben müssen. Aber wenn unser
+Reichtum weit größer ist als unsre Bedürfnisse, so fällt sein Licht auf
+uns zurück, und wir haben das frohlockende Gefühl, daß wir reich sind.
+Daher kommt es, daß von allen Geschöpfen nur der Mensch sich selbst
+kennt, weil sein Erkenntnistrieb sich draußen nicht ausgibt und so zu
+ihm selbst zurückkehrt. Er fühlt seine Persönlichkeit intensiver als
+andere Geschöpfe, weil seine Fähigkeit zu fühlen durch die Gegenstände
+außer ihm nicht erschöpft wird. Dies Bewußtsein seiner Persönlichkeit
+will sich zum Ausdruck bringen. Daher offenbart der Mensch in der Kunst
+sich selbst und nicht die Gegenstände. Diese haben ihren Platz in
+wissenschaftlichen Lehrbüchern, wo er selbst sich ganz verbergen muß.
+
+Ich weiß, mancher wird Anstoß daran nehmen, wenn ich das Wort
+Persönlichkeit gebrauche, das einen so weiten Sinn hat. Solche
+unbestimmten Wörter können Begriffe nicht nur verschiedenen Umfangs,
+sondern auch verschiedener Art umschließen. Sie sind wie Regenmäntel,
+die in der Halle hinter der Haustür hängen und von zerstreuten
+Besuchern, die kein Eigentumsrecht an sie haben, weggenommen werden
+können.
+
+Als Wissender ist der Mensch noch nicht völlig er selbst, durch
+sein bloßes Wissen offenbart er noch nicht sein Wesen. Aber als
+Persönlichkeit ist er ein Organismus, der von Natur die Macht hat, sich
+die Dinge aus seiner Umgebung auszusuchen und sich zu eigen zu machen.
+Er hat seine Anziehungs- und Abstoßungskraft, durch die er nicht nur
+Dinge um sich her anhäuft, sondern auch sein Selbst hervorbringt. Die
+hauptsächlichsten schöpferischen Kräfte, welche die Dinge in unser
+lebendiges Selbst umwandeln, sind Gefühlskräfte. Ein religiöser Mensch
+ist als solcher eine Persönlichkeit, aber er ist es nicht als bloßer
+Theologe. Sein Gefühl für das Göttliche ist schöpferisch. Aber sein
+bloßes Wissen um das Göttliche läßt sich nicht in sein eigenes Wesen
+umwandeln, weil ihm der schöpferische Funke des Gefühls fehlt.
+
+Wir wollen versuchen, uns klarzumachen, worin diese Persönlichkeit
+besteht und welcher Art ihre Beziehungen zur äußeren Welt sind.
+Diese Welt erscheint uns als eine Einheit, und nicht als ein bloßes
+Bündel unsichtbarer Kräfte. Dies verdankt sie, wie jeder weiß, zum
+großen Teil unsern eigenen Sinnen und unserm eigenen Geiste. Diese
+Welt der Erscheinungen ist die Welt des Menschen. Sie erhält ihre
+charakteristischen Züge in bezug auf Gestalt, Farbe und Bewegung
+durch den Umfang und die Qualitäten unsrer Wahrnehmung. Sie ist das,
+was unsre beschränkten Sinne eigens für uns erworben, aufgebaut und
+umgrenzt haben. Nicht nur die physischen und chemischen Kräfte, sondern
+auch die Wahrnehmungskräfte des Menschen sind die in ihr wirksamen
+Faktoren, denn es ist eine Welt des Menschen und nicht eine abstrakte
+Welt der Physik oder Metaphysik.
+
+Diese Welt, die durch die Form unsrer Wahrnehmung ihre Gestalt
+erhält, ist doch erst die unvollkommene Welt unsrer Sinne und unsres
+Verstandes. Sie kehrt als Gast bei uns ein, aber nicht als Verwandter.
+Erst im Bereich unsres Gefühls machen wir sie uns ganz zu eigen.
+Wenn unsre Liebe und unser Haß, unsre Freude und unser Schmerz,
+unsre Furcht und unser Staunen beständig auf sie wirken, wird sie
+ein Teil unsrer Persönlichkeit. Sie wächst und wandelt sich, wie wir
+wachsen und uns wandeln. Wir sind groß oder klein in dem Maße, wie
+wir sie uns einverleiben. Wenn diese Welt verschwände, so würde unsre
+Persönlichkeit ihren ganzen Inhalt verlieren.
+
+Unsre Empfindungen sind die Magensäfte, die diese Welt der
+Erscheinungen in die innere Welt der Gefühle umwandeln. Doch auch
+diese äußere Welt hat ihre besonderen Säfte, die ihre besonderen
+Eigenschaften haben, kraft deren sie unser Gefühlsleben anregen. Eine
+Dichtung enthält solche Säfte. Sie bringt uns Vorstellungen, die durch
+Gefühle Leben erhalten haben und die unsre Natur als Lebenssubstanz
+aufnehmen kann.
+
+Bloße Mitteilung von Tatsachen ist nicht Literatur, denn die bloßen
+Tatsachen hängen nicht mit unserm innern Leben zusammen. Wenn man
+uns immer die Tatsachen wiederholte, daß die Sonne rund, das Wasser
+durchsichtig und das Feuer heiß ist, so wäre dies unerträglich. Aber
+eine Schilderung der Schönheit des Sonnenaufgangs verliert nie ihr
+Interesse für uns, denn hier ist es nicht die Tatsache, sondern das
+Erlebnis des Sonnenaufgangs, was der Gegenstand unsres dauerndes
+Interesses ist.
+
+Die Upanischaden lehren, daß wir den Reichtum lieben nicht um des
+Reichtums willen, sondern um unsrer selbst willen. Das heißt: wir
+fühlen uns selbst in unserm Reichtum, und daher lieben wir ihn. Die
+Dinge, die unsre Gefühle erregen, erregen unser Selbst-Gefühl. Es ist,
+wie wenn wir die Harfensaite berühren: ist die Berührung zu schwach, so
+spüren wir nichts anderes als die Berührung selbst; aber wenn sie stark
+ist, so kehrt sie in Tönen zu uns zurück und erhöht unser Bewußtsein.
+
+Es gibt die Welt der Naturwissenschaft. Aus ihr ist alles Persönliche
+sorgfältig ausgeschieden. Hier sind unsre Gefühle nicht am Platze. Aber
+zu der großen weiten Welt der Wirklichkeit stehen wir in persönlicher
+Beziehung. Wir müssen sie nicht nur erkennen und dann beiseite lassen,
+sondern wir müssen sie fühlen, denn indem wir sie fühlen, fühlen wir
+uns selbst.
+
+Aber wie können wir unsre Persönlichkeit zum Ausdruck bringen, die
+wir nur durch unser Gefühl kennen? Ein Naturwissenschaftler kann das,
+was er gelernt hat, durch Analyse und Experiment bekannt machen. Aber
+was ein Künstler zu sagen hat, kann er nicht einfach durch lehrhafte
+Auseinandersetzung ausdrücken. Um zu sagen, was ich von der Rose
+weiß, genügt die einfachste Sprache, aber ganz anders ist es, wenn
+ich sagen will, was ich bei der Rose empfinde. Dies hat nichts mit
+äußeren Tatsachen oder Naturgesetzen zu tun, sondern ist eine Sache
+des Schönheitssinnes, der nur durch den Schönheitssinn wahrgenommen
+werden kann. Daher sagen unsre alten Meister, daß der Dichter Worte
+brauchen muß, die ihren eigenen Duft und ihre eigene Farbe haben, die
+nicht nur reden, sondern malen und singen. Denn Bilder und Lieder sind
+keine bloßen Tatsachen, sie sind persönliche Erlebnisse. Sie sind nicht
+nur sie selbst, sondern drücken auch unser Selbst aus. Sie lassen sich
+nicht analysieren und haben unmittelbaren Zugang zu unserm Herzen.
+
+Wir müssen allerdings zugeben, daß der Mensch auch in der Welt
+des Nützlichen seine Persönlichkeit offenbart. Aber hier ist
+Selbstoffenbarung nicht sein erster und wesentlicher Zweck. Im
+Alltagsleben, wo wir zumeist durch unsre Gewohnheiten bestimmt werden,
+sind wir sparsam damit, denn dort ist unser Seelenbewußtsein im
+Zustand der Ebbe; es hat eben Fülle genug, um in den Rinnen seiner
+Gewohnheit dahinzugleiten. Aber wenn unser Herz in Liebe oder in einem
+andern großen Gefühl voll erwacht, dann hat unsre Persönlichkeit ihre
+Flutzeit. Dann möchte sie ihr innerstes Wesen offenbaren, -- nur um
+der Offenbarung willen. Dann kommt die Kunst, und wir vergessen die
+Forderungen der Notdurft und die Vorteile der Nützlichkeit, -- dann
+suchen die Türme unsres Tempels die Sterne zu küssen und die Töne
+unsrer Musik die Tiefe des Unaussprechlichen zu ergründen.
+
+Die Energien des Menschen, die in zwei getrennten Bahnen, der des
+Nutzens und der der Selbstoffenbarung, nebeneinander herlaufen,
+haben immer das Bestreben, sich zu treffen und zu vereinen. Um unsre
+Gebrauchsgegenstände lagert sich nach und nach eine ganze Schicht von
+Gefühlen, die die Kunst einladen, sie zu offenbaren. Und so tut sich im
+verzierten Schwert des Kriegers sein Stolz und seine Liebe kund, und im
+prunkenden Weinkelch die Kameradschaftlichkeit festlicher Gelage.
+
+In der Regel zeichnet sich das Bureau des Rechtsanwalts nicht gerade
+durch Schönheit aus, und das ist begreiflich. Aber in einer Stadt, wo
+die Menschen stolz sind auf ihr Bürgertum, müssen die öffentlichen
+Gebäude durch ihre Bauart diesen Stolz zum Ausdruck bringen. Als
+der Sitz der britischen Regierung von Kalkutta nach Delhi verlegt
+und dies die Hauptstadt wurde, beratschlagte man über den Baustil,
+den die neuen Gebäude haben sollten. Einige waren für den indischen
+Stil der Mongolenzeit -- den Stil, der aus der Vereinigung des
+mongolischen und des indischen Geistes entsprungen war. Man übersah
+dabei die Tatsache, daß jede echte Kunst ihren Ursprung im Gefühl
+hat. Sowohl das mongolische Delhi wie das mongolische Agra bringen
+in ihren Bauten menschliche Persönlichkeit zum Ausdruck. Die
+Mongolenkaiser waren Menschen, nicht bloße Verwaltungsbeamte. Sie
+lebten und starben, liebten und kämpften in Indien. Das Andenken an
+ihre Herrschaft lebt nicht in Trümmern von Fabriken und Amtsgebäuden,
+sondern in unsterblichen Werken der Kunst, nicht nur der Baukunst,
+sondern auch der Malerei, der Musik, des Kunsthandwerks in Stein und
+Metall und der Webekunst. Aber die britische Regierung in Indien hat
+nichts Persönliches. Sie ist amtlich und daher abstrakt. Sie hat
+nichts in der wahren Sprache der Kunst auszudrücken. Denn Gesetz,
+mechanische Tüchtigkeit und Ausbeutung gestaltet sich nicht zu
+steinernen Heldengedichten. Lord Lytton[1], der zu seinem Unglück
+mit mehr Phantasie ausgestattet war als ein indischer Vizekönig
+braucht, versuchte eine der mongolischen Staatsfeierlichkeiten, die
+Durbar[2]-Zeremonie, nachzumachen. Aber solche Staatsfeierlichkeiten
+sind Kunstwerke. Sie haben ihren natürlichen Ursprung in der
+wechselseitigen persönlichen Beziehung zwischen dem Volk und seinem
+Monarchen. Wenn sie nachgemacht werden, tragen sie alle Anzeichen der
+Unechtheit.
+
+Wie sich Zweckmäßigkeit und Gefühl in verschiedenen Formen zum Ausdruck
+bringen, sehen wir, wenn wir die Kleidung des Mannes mit der der Frau
+vergleichen. Der Mann vermeidet im allgemeinen alles Überflüssige, was
+nur als Schmuck dient. Die Frau dagegen wählt von Natur das Dekorative,
+nicht nur in ihrer Kleidung, sondern auch in ihrem Benehmen und in
+ihrer ganzen Lebensart. Sie muß schön und harmonisch sein, um das zu
+offenbaren, was sie in Wahrheit ist, denn sie ist durch die Aufgabe,
+die sie in dieser Welt hat, konkreter und persönlicher als der Mann.
+Sie will nicht nach ihrem Nutzen gewertet werden, sondern nach der
+Freude, die sie gibt. Daher ist sie immer darauf bedacht, nicht ihren
+Beruf, sondern ihre Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen.
+
+Da nun der Ausdruck der Persönlichkeit und nicht der irgendeiner
+abstrakten oder analysierbaren Sache auch das Hauptziel der Kunst
+ist, so bedient sie sich mit Notwendigkeit der Sprache der Malerei
+und Musik. Dies hat uns zu der falschen Annahme geführt, daß die
+Hervorbringung von Schönheit das Ziel der Kunst sei. Doch die Schönheit
+ist für die Kunst nichts weiter als ein Mittel, sie ist nicht ihr
+ganzer und letzter Sinn.
+
+Infolgedessen hat man oft die Frage erörtert, ob nicht die Form
+mehr als der Stoff das wesentliche Element der Kunst sei. Mit
+solchen Erörterungen kommt man ebensowenig zum Ziel, als wollte man
+ein bodenloses Faß mit Wasser füllen. Denn man geht dabei von der
+Vorstellung aus, daß die Schönheit das letzte Ziel der Kunst sei, und
+da der Stoff an sich nicht die Eigenschaft der Schönheit haben kann,
+fragt man sich, ob nicht die Form der wesentliche Faktor der Kunst sei.
+
+Aber auf dem Wege der Analyse werden wir das wahre Wesen der Kunst
+nie entdecken. Denn das wahre Prinzip der Kunst ist das Prinzip
+der Einheit. Wenn wir den Nährwert gewisser Speisen wissen wollen,
+so müssen wir die Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzen,
+untersuchen; aber ihr Geschmackswert besteht in ihrer Einheit
+und läßt sich nicht analysieren. Sowohl Stoff wie Form sind
+Abstraktionen, die wir vornehmen; der Stoff für sich genommen fällt
+der naturwissenschaftlichen Betrachtung zu, die Form als solche fällt
+unter die Gesetze der Ästhetik. Aber wenn sie unlösbar eins sind,
+finden sie die Gesetze ihrer Harmonie in unsrer Persönlichkeit, die ein
+organischer Komplex von Stoff und Form, Gedanken und Dingen, Motiven
+und Handlungen ist.
+
+Daher sehen wir, daß alle abstrakten Ideen in der wahren Kunst nicht
+am Platze sind; um Zutritt zu gewinnen, müssen sie persönliche
+Gestalt annehmen. So kommt es, daß die Dichtkunst Worte zu wählen
+sucht, die voll von Leben sind, Worte, die nicht nur der bloßen
+Mitteilung dienen und durch beständigen Gebrauch abgegriffen sind,
+sondern in unserm Herzen Heimatrecht haben. Zum Beispiel ist das
+deutsche Wort »Bewußtsein« noch nicht aus seinem scholastischen
+Verpuppungszustand zum Schmetterlingsdasein vorgedrungen, daher kommt
+es in der Poesie selten vor, während das ihm entsprechende indische
+Wort _cetana_ lebendige Kraft hat und in der Dichtkunst ganz heimisch
+ist. Dagegen ist das deutsche Wort »Gefühl« von Leben durchblutet,
+aber das bengalische _anubhūti_ findet in der Dichtung keinen
+Zutritt, weil es nur Sinn, aber keinen Duft hat. Und so gibt es auch
+naturwissenschaftliche und philosophische Wahrheiten, die Farbe und
+Geschmack des Lebens gewonnen haben, und andere, die abstrakt und
+unpersönlich geblieben sind. Solange sie dies sind, müssen sie wie
+ungekochte Gemüse beim Festmahl der Kunst draußen bleiben. Solange die
+Geschichte sich die Naturwissenschaft zum Vorbild nimmt und sich in
+Abstraktionen bewegt, bleibt sie außerhalb der Domäne der Literatur.
+Aber wenn sie Begebenheiten darstellt, stellt sie sich dem Epos an die
+Seite. Denn die Darstellung von Begebenheiten bringt uns die Zeit, in
+der sie sich zutrugen, persönlich nahe. Durch sie wird jene Zeit für
+uns lebendig; wir fühlen ihren Herzschlag.
+
+Die Welt und des Menschen Persönlichkeit stehen sich Antlitz in Antlitz
+gegenüber wie Freunde, die ihre innersten Geheimnisse austauschen. Die
+Welt fragt den innern Menschen: »Freund, siehst du mich? liebst du
+mich? -- nicht als einen, der dir Nahrung und Genuß verschafft, nicht
+als einen, dessen Gesetze du entdeckt hast, sondern als persönliches
+Wesen?«
+
+Der Künstler antwortet: »Ja, ich sehe dich, ich kenne und liebe dich,
+-- nicht weil ich deiner bedarf, nicht weil ich deine Gesetze zu meinen
+eigenen Machtzwecken brauchen will. Ich kenne die Kräfte, die in dir
+wirken und treiben und die zu Macht führen, aber das ist es nicht. Ich
+sehe und liebe dich da, wo du mir gleich bist.«
+
+Aber wie können wir wissen, daß der Künstler dieses Welt-Ich erkannt
+und von Angesicht zu Angesicht geschaut hat?
+
+Wenn wir jemand zum erstenmal begegnen, der noch nicht unser Freund
+ist, so bemerken wir zahllose unwesentliche Züge, die beim ersten Blick
+unsre Aufmerksamkeit anziehen; und in dem Gewirr der verschiedenen
+Einzelheiten verlieren wir den, der unser Freund werden sollte.
+
+Als unser Schiff an der japanischen Küste landete, befand sich
+unter den Passagieren ein Japaner, der von Rangoon in die Heimat
+zurückkehrte, während wir andern zum erstenmal in unserm Leben diese
+Küste betraten. Es war ein großer Unterschied in der Art, wie wir
+Ausschau hielten. Wir sahen jede kleine Besonderheit, und unzählige
+bedeutungslose Dinge zogen unsre Aufmerksamkeit an. Aber der Japaner
+tauchte sogleich in die Persönlichkeit, in die Seele des Landes ein,
+wo seine eigene Seele Befriedigung fand. Er sah weniger Dinge als
+wir, aber was er sah, war die Seele Japans. Zu ihr konnte man nicht
+gelangen, indem man eine möglichst große Masse von Einzelheiten ins
+Auge faßte, sondern durch etwas Unsichtbares, das tiefer lag. Weil wir
+all jene unzähligen Dinge sahen, sahen wir Japan nicht besser als er,
+im Gegenteil, die Dinge verbauten uns das eigentliche Japan.
+
+Wenn wir jemand, der nicht Künstler ist, bitten, irgendeinen besonderen
+Baum zu zeichnen, so versucht er, jede Einzelheit genau wiederzugeben,
+aus Furcht, die Eigentümlichkeit könne sonst verloren gehen; er
+vergißt, daß die Eigentümlichkeit des Baumes nicht seine Persönlichkeit
+ist. Doch wenn der wahre Künstler kommt, so kümmert er sich nicht um
+die Einzelheiten und geht auf das, was wesentlich und charakteristisch
+für den Baum ist.
+
+Auch unser Verstand sucht für die Vielheit der Dinge ein inneres,
+einheitliches Prinzip; er sucht sich von den Einzelheiten zu befreien
+und in den Kern der Dinge einzudringen, wo sie eins sind. Aber der
+Unterschied ist der: der Naturwissenschaftler sucht ein unpersönliches
+Einheitsprinzip, das sich auf alle Dinge anwenden läßt. Er zerstört zum
+Beispiel den menschlichen Leib, der etwas Individuelles ist, um der
+Physiologie willen, die unpersönlich und allgemein ist.
+
+Aber der Künstler erkennt das Eigenartige, das Individuelle, das im
+Kern des Universalen ist. Wenn er den Baum ansieht, so sieht er im
+Baum das Einzigartige, nicht das allgemein Typische wie der Botaniker,
+der alles in Klassen einteilt. Es ist die Aufgabe des Künstlers, die
+Eigenart dieses einen Baumes darzustellen. Wie macht er das? Nicht
+indem er die besondere Eigentümlichkeit aufweist, die der Mißklang der
+Eigenart ist, sondern die Seele, die Persönlichkeit des Baumes, die
+Harmonie ist. Daher muß er den Zusammenklang dieses einen Dinges mit
+allen Dingen ringsum zum Ausdruck bringen.
+
+Die Größe und Schönheit der orientalischen, besonders der japanischen
+und chinesischen Kunst besteht darin, daß die Künstler diese Seele der
+Dinge erkannt haben und an sie glauben. Das Abendland glaubt wohl an
+die Seele des Menschen, aber es glaubt nicht wirklich, daß das Weltall
+eine Seele hat. Doch dies ist der Glaube des Morgenlandes, und alles,
+was der Osten der Menschheit an geistigem Gut gebracht hat, ist von
+dieser Idee erfüllt. Daher haben wir Bewohner des Ostens nicht das
+Bedürfnis, auf Einzelheiten Nachdruck zu legen, denn das Wesentliche
+ist für uns die Weltseele, über die unsre Weisen nachgesonnen und die
+unsre Künstler zum Ausdruck gebracht haben.
+
+Weil wir im Osten den Glauben an diese Weltseele haben, wissen wir, daß
+Wahrheit, Macht und Schönheit da zu finden sind, wo Schlichtheit ist,
+wo der innere Blick nicht durch Außendinge gehemmt wird. Daher haben
+all unsre Weisen versucht, ihr Leben einfach und rein zu gestalten,
+weil sie so in einer Wahrheit leben, die, wenn auch unsichtbar, doch
+wirklicher ist als das, was durch Umfang und Zahl sich aufdrängt.
+
+Wenn wir sagen, daß die Kunst es nur mit persönlichen Wahrheiten zu tun
+hat, so wollen wir damit nicht die philosophischen Ideen ausschließen,
+die scheinbar abstrakt sind. Sie sind ganz heimisch in unsrer indischen
+Dichtung, da sie mit allen Fasern unsres persönlichen Wesens verbunden
+sind. Ich möchte hier ein Beispiel zur Erklärung geben. Das Folgende
+ist die Übersetzung eines indischen Liedes, das eine Dichterin des
+Mittelalters gedichtet hat und das das Leben besingt.
+
+ Ich grüße das Leben, das wie das keimende Saatkorn
+ Mit dem einen Arm hinauf in das Licht, mit dem andern hinab in das
+ Dunkel greift;
+ Das Leben, das eins ist in seiner äußern Form und in seinem innern
+ Saft;
+ Das Leben, das immer wieder emportaucht und immer wieder
+ entschwindet.
+ Ich grüße das Leben, das kommt, und das Leben, das scheidet;
+ Ich grüße das Leben, das sich offenbart, und das in Verborgenheit
+ schlummert;
+ Ich grüße das Leben, das wie der Berg in reglosem Schweigen gebannt
+ ist,
+ Und das Leben, das wie ein Feuermeer auftobt;
+ Das Leben, das zart ist wie ein Lotus, und das Leben, das hart ist
+ wie Donnerkeil.
+ Ich grüße das Leben des Geistes, um das Licht und Dunkel sich
+ streiten.
+ Ich grüße das Leben, das seine Heimstatt gefunden, und das Leben,
+ das draußen in der Fremde irrt;
+ Das Leben, das freudejauchzend dahintanzt, und das Leben, das
+ leidmüde seine Straße schleicht;
+ Das ewig schaukelnde Leben, das die Welt zur Ruhe wiegt,
+ Das tiefe, stille Leben, das hervorbricht in brausenden Wogen.
+
+Diese Idee vom Leben ist keine bloße logische Abstraktion; sie ist der
+Dichterin ebensosehr lebendige Wirklichkeit wie die Luft dem Vogel,
+der sie bei jedem Flügelschlag fühlt. Die Frau hat das Geheimnis des
+Lebens in ihrem Kinde tiefer gespürt, als der Mann es je gekonnt. Diese
+Frauennatur in der Dichterin hat gefühlt, wie überall in der Welt das
+Leben sich regt. Sie hat seine Unendlichkeit erkannt -- nicht auf
+dem Wege verstandesmäßiger Überlegung, sondern durch die Erleuchtung
+ihres Gefühls. Daher wird dieselbe Idee, die für den, dessen
+Lebensgefühl auf eine enge Sphäre beschränkt ist, bloße Abstraktion
+bleibt, für einen Menschen mit weitem Lebensgefühl leuchtend klare
+Wirklichkeit. Wir hören oft, daß die Europäer den indischen Geist als
+metaphysisch bezeichnen, weil er immer bereit ist, sich ins Unendliche
+aufzuschwingen. Aber man muß dabei bedenken, daß das Unendliche für
+Indien mehr ist als ein Gegenstand philosophischer Spekulation; es
+ist uns ebensosehr Wirklichkeit wie das Sonnenlicht. Wir können ohne
+es nicht leben, wir müssen es sehen und fühlen und unserm Leben
+einverleiben. Daher begegnen wir ihm immer wieder in der Literatur und
+in der Symbolik unsres Gottesdienstes. Der Dichter der Upanischad sagt:
+»Auch nicht das leiseste Sichregen von Leben wäre möglich, wenn nicht
+der Raum von unendlicher Freude erfüllt wäre[3].« Diese Allgegenwart
+des Unendlichen war ebenso wirklich für ihn wie die Erde unter seinen
+Füßen, ja sie war es noch mehr. Ein Lied eines indischen Dichters aus
+dem 15. Jahrhundert[4] gibt diesem Gefühl Ausdruck:
+
+ Dort wechseln Leben und Tod in rhythmischem Spiel,
+ Dort sprudelt Entzücken und strahlt der Raum von Licht,
+ Dort ertönt die Luft von Musik, dem Liebeschor dreier Welten,
+ Dort brennen Millionen Lampen von Sonnen und Monden,
+ Dort schlägt die Trommel und schwingt sich die Liebe im Spiel,
+ Dort erklingen Lieder der Minne, und Licht strömt in Schauern herab.
+
+Unsre indische Dichtung ist zum größten Teil religiös, weil Gott für
+uns kein ferner Gott ist. Er ist uns ebenso nahe in unserm Heim wie in
+unsern Tempeln. Wir fühlen seine Nähe in allen menschlichen Beziehungen
+der Liebe und Freundschaft, und bei unsern Festen ist er der Ehrengast.
+In der Blütenpracht des Frühlings, in den Gewitterschauern des Sommers,
+in der Früchtefülle des Herbstes sehen wir den Saum seines Mantels und
+hören seine Tritte. Wo immer wir wahrhaft verehren, verehren wir Ihn;
+wo immer wir wahrhaft lieben, lieben wir Ihn. Im Weibe, das gut ist,
+fühlen wir Ihn; im Mann, der wahr ist, erkennen wir Ihn; in unsern
+Kindern wird er immer wieder geboren, Er, das Ewige Kind. Daher sind
+religiöse Lieder unsre Liebeslieder, und unsre häuslichen Erlebnisse
+wie die Geburt eines Sohnes oder die Einkehr der Tochter aus dem Hause
+des Gatten ins Haus der Eltern und ihr erneutes Scheiden haben in der
+Dichtung symbolische Bedeutung erhalten.
+
+So erstreckt sich das Gebiet der Dichtkunst bis in die Sphäre,
+die in geheimnisvolles Dunkel gehüllt ist, und gibt ihr Licht und
+Sprache. Es gewinnt immer mehr Raum, wie der menschliche Geist auf dem
+Gebiete der Wahrheit. Es greift nicht nur in die Geschichte, in die
+Naturwissenschaft und Philosophie über, sondern auch in unser soziales
+Leben, in dem Maße, wie sich unser Bewußtsein weitet und unsre Umgebung
+liebend und verstehend umfaßt. In der klassischen Literatur der alten
+Zeit gab es nur Heilige, Könige und Helden. Sie warf ihr Licht nicht
+auf die Menschen, die im Dunkel liebten und litten. Aber wie das Licht
+des menschlichen Geistes seinen Schein über einen immer größeren Raum
+wirft und in verborgene Winkel dringt, so geht auch die Kunst über ihre
+Schranken hinaus und dehnt ihre Grenzen in unerforschte Gebiete aus.
+So verkündet die Kunst des Menschen Siegeszug über die Welt, indem
+sie Symbole von Schönheit aufrichtet an Orten, wo sonst keine Stimme
+ertönt und keine Farbe leuchtet. Sie webt ihm sein Banner, unter dem
+er vorwärtsschreitet im Kampf gegen Leere und Trägheit und weit und
+breit in Gottes Schöpfung die Rechte des Lebens geltend macht. Selbst
+der Geist der Wüste hat seine Verwandtschaft mit ihm anerkannt, und die
+einsamen Pyramiden stehen da als Denkmäler des erhabenen Schweigens,
+in dem sich die Natur und der menschliche Geist begegneten. Das
+Dunkel der Höhlen hat der Menschenseele seine Stille gegeben und ist
+dafür heimlich mit dem Kranz der Kunst gekrönt. Glocken läuten in
+Tempeln, in Dörfern und volkreichen Städten und verkünden, daß das
+Unendliche dem Menschen keine bloße Leere ist. Dies Sichausbreiten der
+menschlichen Persönlichkeit hat keine Grenze, und selbst die Märkte und
+Fabriken unsrer Zeit, selbst die Gefängnisse, in die man Verbrecher
+einsperrt, und die Schulen, in die man Kinder einsperrt, werden durch
+die Berührung der Kunst gemildert und verlieren etwas von ihrer
+unerbittlichen Lebensfeindlichkeit. Denn des Menschen Persönlichkeit
+ist immer bestrebt, allem, wozu sie nähere Beziehung hat, den Stempel
+ihres Geistes aufzudrücken. Und die Kunst ist der grüne Pflanzenwuchs,
+der zeigt, wie weit der Mensch sich die Wüste zu eigen gemacht hat.
+
+Wir haben schon gesagt, daß überall, wo die Beziehung unsres Herzens
+zur Welt über das Notwendige hinausgeht, Kunst geboren wird. Mit andern
+Worten: wo unsre Persönlichkeit ihren Reichtum fühlt, entfaltet sie
+sich in Schönheit. Was wir für unsre Bedürfnisse brauchen, wird ganz
+verbraucht und hinterläßt keine Spur. Was über sie hinausgeht, nimmt
+Gestalt an. Bloße Nützlichkeit gleicht der Hitze, sie ist dunkel. Wenn
+sie über sich hinausgeht, wird sie weiß und leuchtend, dann hat sie
+ihren Ausdruck gefunden.
+
+Nehmen wir zum Beispiel unsre Freude am Essen. Sie ist bald erschöpft,
+sie gibt uns keine Ahnung von dem Unendlichen. Daher hat sie, obwohl
+sie allgemeiner und weiter verbreitet ist als irgendeine andre
+Leidenschaft, im Reich der Kunst keinen Zutritt. Da geht es ihr wie
+dem Einwanderer an der amerikanischen Küste, wenn er mit leerem Beutel
+kommt.
+
+In unserm Leben haben wir eine endliche Seite, wo wir uns mit jedem
+Schritt ganz ausgeben, und wir haben eine andre Seite, wo unser
+Streben, unsre Freude und unsre Opfer unendlich sind. Diese unendliche
+Seite des Menschen offenbart sich in Symbolen, die etwas von dem Wesen
+der Unsterblichkeit haben. In ihnen sucht sie Vollendung zum Ausdruck
+zu bringen. Daher verschmäht sie alles, was nichtig und schwach und
+widersinnig ist. Sie erbaut sich zum Wohnsitz ein Paradies und wählt
+dazu nur solche Baustoffe, die die Vergänglichkeit des Irdischen
+abgestreift haben.
+
+Denn die Menschen sind Kinder des Lichts. Sobald sie sich ganz
+erkennen, fühlen sie ihre Unsterblichkeit. Und in dem Maße, wie sie sie
+fühlen, dehnen sie das Reich der Unsterblichkeit auf jedes Gebiet des
+menschlichen Lebens aus.
+
+Und das ist nun der Beruf der Kunst: die wahre Welt des Menschen, die
+lebendige Welt der Wahrheit und Schönheit, aufzubauen.
+
+Der Mensch ist ganz er selbst, wo er seine Unendlichkeit fühlt, wo er
+göttlich ist, und das Göttliche ist das Schöpferische in ihm. Daher
+ist er schöpferisch, sobald er zu seinem wahren Wesen gelangt. Er kann
+wahrhaft in seiner eigenen Schöpfung leben, indem er aus Gottes Welt
+seine eigene Welt macht. Das ist in Wahrheit sein eigener Himmel, der
+Himmel zur Vollendung gestalteter Ideen, mit denen er sich umgibt; wo
+seine Kinder geboren werden, wo sie lernen, wie sie leben und sterben,
+lieben und kämpfen müssen, wo sie lernen, daß das Wirkliche nicht nur
+das äußerlich Sichtbare ist und daß es andre Reichtümer gibt als die
+Schätze der Erde. Wenn der Mensch nur die Stimme hören könnte, die
+aus dem Herzen seiner eigenen Schöpfung aufsteigt, würde er dieselbe
+Botschaft vernehmen, die in alter Zeit der indische Weise verkündete:
+
+»Hört auf mich, ihr Kinder des Unsterblichen, ihr Bewohner der
+himmlischen Welten, ich habe den Höchsten erkannt, der als Licht von
+jenseits der Finsternis kommt[5].«
+
+Ja, es ist der Höchste, der sich dem Menschen offenbart hat und durch
+den dieses ganze Weltall für ihn mit persönlichem Leben erfüllt ist.
+Daher sind Indiens Pilgerstätten dort, wo unser Herz in der Vereinigung
+von Strom und Meer oder im ewigen Schnee der Bergesspitzen oder in
+der Einsamkeit des Seegestades etwas von dem Wesen des Unendlichen
+spürt. Dort hat der Mensch in seinen Bildnissen und Tempeln dies
+Wort hinterlassen: »Hört auf mich, ich habe den Höchsten erkannt.«
+Erforschen können wir ihn nicht, nicht in den Dingen dieser Welt, noch
+in ihren Gesetzen; doch wo der Himmel blau ist und das Gras grün, wo
+die Blume ihre Schönheit und die Frucht ihren Wohlgeschmack spendet, wo
+nicht nur der Wille zur Erhaltung der Gattung, sondern Freude am Leben
+und Liebe zu allen Wesen, Mitgefühl und Selbstverleugnung herrscht,
+dort offenbart sich uns der Unendliche. Dort prasseln nicht nur
+Tatsachen auf uns nieder, sondern wir fühlen, wie das Band persönlicher
+Verwandtschaft unsre Herzen ewig mit dieser Welt verbindet. Und dies
+ist Wirklichkeit, ist Wahrheit, die wir uns zu eigen gemacht haben,
+Wahrheit, die ewig eins mit dem Höchsten ist. Diese Welt, deren Seele
+sehnsüchtig nach Ausdruck sucht in dem endlosen Rhythmus ihrer Linien
+und Farben, Musik und Bewegung, in leisem Flüstern und heimlichen
+Winken und all den Versuchen, das Unaussprechliche ahnen zu lassen, --
+diese Welt findet ihre Harmonie in dem unaufhörlichen Verlangen des
+menschlichen Herzens, in seinen eigenen Schöpfungen den Höchsten zu
+offenbaren.
+
+Dieses Verlangen macht uns verschwenderisch mit allem, was wir haben.
+Solange wir Reichtümer ansammeln, legen wir uns Rechenschaft ab von
+jedem Pfennig; wir rechnen genau und handeln sorgfältig. Aber sobald
+wir unserm Reichtum Ausdruck geben wollen, kennen wir keine Schranken
+mehr. Ja, niemand unter uns hat Reichtümer genug, um das, was wir
+unter Reichtum verstehen, voll zum Ausdruck zu bringen. Wenn wir
+versuchen, unser Leben gegen den Angriff des Feindes zu schützen,
+sind wir vorsichtig in unsern Bewegungen. Aber wenn wir uns getrieben
+fühlen, unsrer persönlichen Tapferkeit Ausdruck zu geben, so nehmen
+wir freiwillig Gefahren auf uns, wenn es uns auch das Leben kostet.
+Im Alltagsleben sind wir vorsichtig mit unsern Ausgaben, aber bei
+festlichen Gelegenheiten, wenn wir unsre Freude ausdrücken, sind wir
+so verschwenderisch, daß wir selbst über unsre Mittel hinaus gehen.
+Denn wenn wir uns unsrer eigenen Persönlichkeit intensiv bewußt sind,
+haben wir kein Auge mehr für die Tyrannei der Tatsachen. Wir sind
+maßvoll und zurückhaltend dem Menschen gegenüber, mit dem uns nur
+Klugheitsinteresse verbindet. Aber wir fühlen, daß alles, was wir
+haben und geben können, für die noch nicht genug ist, die wir lieben.
+Der Dichter sagt zu der Geliebten: »Mir ist, als sei ich vom Anfang
+meines Daseins an in den Anblick deiner Schönheit versunken gewesen,
+als hätte ich dich seit Jahrtausenden in meinen Armen gehalten, und
+doch ist meine Sehnsucht noch nicht gestillt.« »Die Steine möchten in
+Zärtlichkeit schmelzen, wenn der Saum deines Mantels sie streift.« Er
+fühlt, daß »seine Augen wie Vögel ausfliegen möchten, um die Geliebte
+zu sehen.« Vom Standpunkt der Vernunft aus sind dies Übertreibungen,
+aber vom Standpunkt des Herzens aus, das von den Schranken der
+Tatsachen befreit ist, sind sie wahr.
+
+Ist es nicht ebenso in Gottes Schöpfung? Dort sind Kraft und Stoff
+auch bloße Tatsachen; sie können gemessen und gewogen werden, und es
+wird genau Buch über sie geführt. Allein die Schönheit ist keine bloße
+Tatsache; sie läßt sich nicht verrechnen, sie läßt sich nicht auf ihren
+Wert abschätzen und verzeichnen. Sie ist Ausdruck. Tatsachen sind
+die Becher, die den Wein halten, er verdeckt und überrinnt sie. Die
+Schönheit ist unendlich in ihren Kundgebungen und überschwänglich in
+ihrer Sprache. Und nur die Seele, nicht die Wissenschaft, kann diese
+Sprache verstehen. Sie singt wie jener Dichter: »Mir ist, als sei ich
+vom Anfang meines Daseins an in den Anblick deiner Schönheit versunken
+gewesen, als hätte ich dich seit Jahrtausenden in meinen Armen
+gehalten, und doch ist meine Sehnsucht noch nicht gestillt.«
+
+So sehen wir, daß unsre Welt des Ausdrucks der Welt der Tatsachen nicht
+genau entspricht, da die Persönlichkeit nach allen Richtungen über
+die Tatsachen hinausgeht. Sie ist sich ihrer Unendlichkeit bewußt und
+schafft aus ihrem Überfluß heraus, und da in der Kunst die Dinge nach
+ihrem Ewigkeitswert gemessen werden, verlieren die, die im gewöhnlichen
+Leben wichtig sind, ihre Wirklichkeit, sobald sie auf das Piedestal der
+Kunst erhoben werden. Der Zeitungsbericht von irgendeinem häuslichen
+Ereignis im Leben eines Geschäftsmagnaten ruft vielleicht in der
+Gesellschaft große Aufregung hervor, doch im Reich der Kunst verliert
+er alle seine Bedeutung. Wenn er dort durch irgendeinen grausamen
+Zufall neben Keats' »Ode auf eine griechische Urne« geriete, müßte er
+in Scham sein Gesicht verbergen.
+
+Und doch könnte dasselbe Ereignis, wenn es in seiner Tiefe erfaßt und
+seiner konventionellen Oberflächlichkeit entkleidet würde, noch eher
+einen Platz in der Kunst finden als die Unterhandlungen über eine große
+chinesische Geldanleihe oder die Niederlage der britischen Diplomatie
+in der Türkei. Ein bloßes Familienereignis, die Eifersuchtstat eines
+Gatten, wie Shakespeare sie in einer seiner Tragödien schildert,
+hat im Reich der Kunst größeren Wert als die Kastenordnung in Manus
+Gesetzbuch[6] oder das Gesetz, das den Bewohner des einen Weltteils
+hindert, auf einem andern menschlich behandelt zu werden. Denn wenn
+Tatsachen nichts als die Glieder einer Kette von Tatsachen sind, weist
+die Kunst sie zurück.
+
+Wenn jedoch solche Gesetze und Verordnungen, wie ich sie eben erwähnte,
+uns in ihrer Anwendung auf einen bestimmten Menschen gezeigt werden,
+wenn wir die ganze Ungerechtigkeit und Grausamkeit und das ganze Elend,
+das sie im Gefolge haben, sehen, dann werden sie ein Gegenstand für die
+Kunst. Die Anordnung einer großen Schlacht mag eine wichtige Tatsache
+sein, aber für den Zweck der Kunst ist sie unbrauchbar. Aber was
+diese Schlacht einem einzelnen Soldaten bringt, der von seinen Lieben
+losgerissen, auf Lebenszeit verkrüppelt wird, das hat für die Kunst,
+die es mit der lebendigen Wirklichkeit zu tun hat, den höchsten Wert.
+
+Des Menschen soziale Welt gleicht einem Nebelsternsystem; sie besteht
+zum größten Teile aus abstrakten Begriffen wie: Gesellschaft,
+Staat, Nation, Handel, Politik und Krieg. Im dichten Nebel dieser
+Begriffe ist der Mensch verborgen und die Wahrheit verwischt. Die
+ganz unbestimmte Idee des Krieges allein schon verdeckt unserm Blick
+eine Menge von Elend und trübt unsern Wirklichkeitssinn. Die Nation
+ist schuld an Verbrechen, die uns entsetzen würden, wenn man einen
+Augenblick den Nebel um sie verscheuchen könnte. Die Idee Gesellschaft
+hat zahllose Formen von Sklaverei geschaffen, die wir nur dulden,
+weil sie unser Gefühl für die menschliche Persönlichkeit abgestumpft
+hat. Und im Namen der Religion konnten Taten verübt werden, für die
+die Hölle selbst nicht Strafen genug haben kann, weil sie fast den
+ganzen fühlenden Leib der Menschheit mit einer gefühllos machenden
+Kruste von Glaubensbekenntnissen und Dogmen überzogen hat. Überall
+in der Menschenwelt leidet die Gottheit darunter, daß die lebendige
+Wirklichkeit des Menschen unter der Last von Abstraktionen erstickt
+wird. In unsern Schulen verbirgt der Begriff Klasse die Individualität
+der Kinder, sie werden _nur_ Schüler. Wir empfinden es gar nicht mehr,
+wenn wir sehen, wie das Leben der Kinder in der Klasse erdrückt wird,
+wie Blumen, die man in einem Buch preßt. In der Regierung hat die
+Bureaukratie es nur mit Klassenbegriffen und nicht mit Menschen zu
+tun, und so verübt sie unbedenklich Grausamkeiten im großen. Sobald
+wir einen wissenschaftlichen Grundsatz wie den der »natürlichen
+Auslese« als Wahrheit anerkennen, verwandelt er sofort die ganze
+Welt der menschlichen Persönlichkeit in eine trostlose Wüste von
+Abstraktionen, wo alle Dinge furchtbar einfach werden, weil sie ihres
+Lebensgeheimnisses beraubt sind.
+
+Auf diesen weiten Nebelstrecken erschafft die Kunst ihre Sterne. Durch
+sie erkennen wir uns als Kinder des Unsterblichen und als Erben der
+himmlischen Welten.
+
+Was ist es, das dem Menschen trotz der unleugbaren Tatsache des
+Todes doch die Gewißheit der Unsterblichkeit gibt? Es ist weder
+seine physische noch seine geistige Organisation. Es ist jene innere
+Einheit, jenes letzte Geheimnis in ihm, das aus dem Zentrum seiner
+Welt nach allen Seiten ausstrahlt, das in seinem Körper und in seinem
+Geiste ist und doch über beide hinausgeht, das sich durch alle Dinge,
+die ihm gehören, offenbart und doch etwas anderes ist als sie; das
+seine Gegenwart füllt und die Ufer seiner Vergangenheit und Zukunft
+überflutet. Es ist die Persönlichkeit des Menschen, die sich ihrer
+unerschöpflichen Fülle bewußt ist, die den scheinbaren Widerspruch in
+sich trägt, daß sie mehr ist als sie selbst, mehr als von ihr sichtbar
+und erkennbar ist. Und dies Unendlichkeitsbewußtsein im Menschen strebt
+immer nach unvergänglichem Ausdruck und sucht sich die ganze Welt zu
+eigen zu machen. Die Werke der Kunst sind Grüße, die die menschliche
+Seele dem Höchsten als Antwort sendet, wenn er sich uns durch die
+dunkle Welt von Tatsachen hindurch in einer Welt unendlicher Schönheit
+offenbart.
+
+
+
+
+DIE WELT DER PERSÖNLICHKEIT
+
+
+»Die Nacht ist ein dunkles Kind, das eben vom Tag geboren ist.
+Millionen von Sternen stehen dicht gedrängt um seine Wiege und
+beobachten es, regungslos, damit es nicht aufwacht.«
+
+So will ich fortfahren, aber die Naturwissenschaft unterbricht mich
+lachend. Sie nimmt Anstoß an meiner Behauptung, daß die Sterne
+stillstehen.
+
+Doch wenn ich mich irre, so bin nicht ich schuld daran, sondern die
+Sterne selbst. Es ist ganz offenbar, daß sie stillstehen. Es ist eine
+Tatsache, die sich nicht wegdisputieren läßt.
+
+Allein die Wissenschaft hat nun einmal die Gewohnheit, zu disputieren.
+Sie sagt: »Wenn du meinst, daß die Sterne stillstehen, so beweist dies
+nur, daß du zu weit von ihnen entfernt bist.«
+
+Ich antworte prompt: »Wenn ihr sagt, daß die Sterne umherrasen, so
+beweist das nur, daß ihr ihnen zu nahe seid.«
+
+Die Naturwissenschaft ist erstaunt über meine Verwegenheit.
+
+Aber ich bleibe hartnäckig bei meiner Behauptung und sage, daß, wenn
+die Naturwissenschaft sich die Freiheit nimmt, den Standpunkt der
+Nähe zu wählen und den der Ferne zu mißachten, sie mich nicht tadeln
+darf, wenn ich den entgegengesetzten Standpunkt einnehme und die
+Glaubwürdigkeit der Nähe bezweifle.
+
+Die Naturwissenschaft ist unerschütterlich überzeugt, daß der Anblick
+aus der Nähe der zuverlässigste ist.
+
+Aber ich zweifle, ob sie in ihren Ansichten konsequent ist. Denn als
+ich sicher war, daß die Erde unter meinen Füßen flach sei, da belehrte
+sie mich eines Bessern, indem sie mir sagte, daß der Anblick aus der
+Nähe nicht das richtige Bild gäbe und daß man Abstand nehmen müsse, um
+zur vollkommenen Wahrheit zu gelangen.
+
+Ich will ihr gern zustimmen. Denn sehen wir nicht an uns selbst,
+daß wir, wenn wir unserm Ich zu nahe bleiben, es mit den Augen der
+Selbstsucht sehen und eine flache und isolierte Ansicht von uns
+gewinnen, aber wenn wir über uns hinausgehen und uns in andern sehen,
+so erhalten wir ein rundes und zusammenhängendes Bild, das uns unser
+wahres Wesen zeigt?
+
+Aber wenn die Naturwissenschaft überhaupt glaubt, daß der Abstand von
+den Dingen uns ein richtigeres Bild von ihnen gibt, so muß sie auch
+ihren Aberglauben von der Ruhelosigkeit der Sterne aufgeben. Wir Kinder
+der Erde gehen in die Schule der Nacht, um einen Blick auf die Welt
+als Ganzes zu werfen. Unser großer Meister weiß, daß wir den vollen
+Anblick des Weltalls ebensowenig ertragen könnten wie den Anblick der
+Mittagssonne. Wir müssen sie durch ein geschwärztes Glas sehen. Die
+gütige Natur hält das dunkle Glas der Nacht vor unsre Augen und läßt
+uns das Weltall aus der Ferne sehen. Und was ist es, was wir sehen? Wir
+sehen, daß die Welt der Sterne stillsteht. Denn wir sehen diese Sterne
+in ihrer Beziehung zueinander, und sie erscheinen uns wie Ketten von
+Diamanten um den Hals einer schweigenden Gottheit. Aber die Astronomie
+reißt wie ein neugieriges Kind einen einzelnen Stern von der Kette los
+und stellt dann fest, daß er umherrollt.
+
+Wem soll man nun glauben? Die Glaubwürdigkeit der Sternenwelt kommt
+nicht in Frage. Man braucht nur seine Augen aufzuheben und ihnen
+ins Antlitz sehen, so muß man ihnen glauben. Sie bringen keine
+scharfsinnigen Beweisgründe vor, und das erscheint mir immer als bester
+Beweis der Zuverlässigkeit. Sie geraten nicht außer sich, wenn man
+ihnen nicht glaubt. Aber wenn ein einzelner von diesen Sternen von
+der Tribüne des Weltalls heruntersteigt und der Mathematik verstohlen
+sein Geheimnis ins Ohr flüstert, so sehen wir, daß die Sache sich ganz
+anders verhält.
+
+Daher wollen wir kühn behaupten, daß beide Aussagen gleich wahr
+sind. Laßt uns annehmen, daß die Sterne auf der Ebene des Abstands
+stillstehen und auf der Ebene der Nähe sich bewegen. Auf die eine Weise
+angesehen, sind die Sterne in Wahrheit regungslos und auf die andere in
+Bewegung. Nähe und Ferne sind die Hüter zweier verschiedener Reihen von
+Tatsachen, aber beide sind _einer_ Wahrheit untertan. Wenn wir daher
+uns auf Seite der einen stellen und die andere schmähen, so verletzen
+wir die Wahrheit, die beide umfaßt.
+
+Von dieser Wahrheit sagt die Ischa-Upanischad[7]: »Sie bewegt sich. Sie
+bewegt sich nicht. Sie ist fern. Sie ist nahe.«
+
+Der Sinn ist der: Wenn wir die Wahrheit in ihren einzelnen Teilen, die
+uns nahe sind, verfolgen, so sehen wir sie sich bewegen. Wenn wir die
+Wahrheit von einem gewissen Abstand aus als Ganzes überblicken, so
+steht sie still. Es ist, wie wenn wir ein Buch lesen: alles in ihm ist
+in Bewegung, so lange wir den Inhalt von Kapitel zu Kapitel verfolgen,
+doch wenn wir damit fertig sind, wenn wir das ganze Buch kennen, steht
+es still und umfaßt zugleich alle Kapitel in ihren gegenseitigen
+Beziehungen.
+
+Es gibt im Geheimnis des Daseins einen Punkt, wo Gegensätze sich
+vereinen, wo Bewegung nicht nur Bewegung und Ruhe nicht nur Ruhe ist,
+wo Idee und Form, Inneres und Äußeres eins werden, wo das Unendliche
+endlich wird, ohne seine Unendlichkeit zu verlieren. Wenn diese Einheit
+aufgehoben ist, verlieren die Dinge ihr wahres Wesen.
+
+Wenn ich ein Rosenblatt durch ein Mikroskop betrachte, sehe ich es
+ausgedehnter als es mir gewöhnlich erscheint. Je mehr ich seine
+Ausdehnung vergrößere, um so unbestimmter wird es, bis es im
+unendlichen Raum weder ein Rosenblatt noch sonst etwas ist. Es wird
+erst ein Rosenblatt, wo das Unendliche in einem bestimmten Raum
+Endlichkeit wird. Wenn wir die Grenzen dieses Raumes weiter oder enger
+ziehen, so beginnt das Rosenblatt seine Wirklichkeit zu verlieren.
+
+Wie mit dem Raum, so ist es auch mit der Zeit. Wenn ich durch
+irgendeinen Zufall die Schnelligkeit der Zeit in bezug auf das
+Rosenblatt steigern könnte, indem ich, sagen wir, einen Monat in eine
+Minute verdichtete, während ich selbst dabei auf meiner normalen
+Zeitebene bliebe, so würde es mit solcher rasenden Geschwindigkeit vom
+Punkt des ersten Erscheinens bis zum Punkt des Verschwindens eilen,
+daß ich nicht imstande wäre, es wahrzunehmen. Wir können sicher sein,
+daß es Dinge in dieser Welt gibt, die andre Geschöpfe wahrnehmen, aber
+die für uns nicht da sind, da ihre Zeit der unsern nicht entspricht.
+Unsre Geruchsnerven halten nicht Schritt mit denen des Hundes, daher
+existieren viele Erscheinungen für uns gar nicht, die ein Hund als
+Geruch wahrnimmt.
+
+Wir hören zum Beispiel von mathematischen Wunderkindern, die in
+unglaublich kurzer Zeit schwierige Aufgaben ausrechnen. Ihr Geist
+arbeitet in bezug auf mathematische Berechnungen auf einer andern
+Zeitebene nicht nur als unserer, sondern auch als ihrer eigenen in den
+übrigen Lebensgebieten. Es ist, als ob der mathematische Teil ihres
+Geistes auf einem Kometen lebte, während die andern Teile Bewohner
+dieser Erde sind. Daher ist der Vorgang, durch den sie zu ihrem
+Resultat kommen, nicht nur uns unsichtbar, sondern auch sie selbst
+sehen ihn nicht.
+
+Es ist eine ganz bekannte Tatsache, daß unsre Träume oft in einem
+Zeitmaß dahinfließen, das ganz verschieden von dem unsres wachen
+Bewußtseins ist. Fünfzig Minuten der Sonnenuhr unsres Traumlandes sind
+vielleicht fünf Minuten unsrer Stubenuhr. Wenn wir von dem Terrain
+unsres wachen Bewußtseins aus diese Träume beobachten könnten, so
+würden sie wie ein Schnellzug an uns vorbeirasen. Oder wenn wir vom
+Fenster unsrer schnell dahinfliehenden Träume aus die langsamere Welt
+unsres wachen Bewußtseins beobachten könnten, so würde sie mit großer
+Geschwindigkeit hinter uns zurückzuweichen scheinen. Ja, wenn die
+Gedanken, die sich in andern Hirnen bewegen, offen vor uns lägen, so
+würden wir sie anders wahrnehmen als jene selbst, da unser geistiges
+Zeitmaß ein anderes ist. Wenn wir den Maßstab unsrer Zeitwahrnehmung
+nach Belieben vergrößern oder verkleinern könnten, so würden wir den
+Wasserfall stillstehen und den Fichtenwald wie einen grünen Niagara
+schnell dahinrauschen sehen.
+
+So ist es fast ein Gemeinplatz, wenn wir sagen, die Welt ist das,
+als was wir sie wahrnehmen. Wir bilden uns ein, unser Geist sei
+ein Spiegel, der mehr oder weniger genau das zurückwirft, was sich
+draußen ereignet. Im Gegenteil, unser Geist selbst ist der eigentliche
+Schöpfer. Während ich die Welt beobachte, erschaffe ich sie mir
+unaufhörlich selbst in Zeit und Raum.
+
+Die Ursache der Mannigfaltigkeit der Schöpfung ist, daß der Geist die
+verschiedenen Erscheinungen in verschiedener zeitlicher und räumlicher
+Einstellung wahrnimmt. Wenn er die Sterne in einem Raum sieht, den man
+bildlich als dicht bezeichnen könnte, so sind sie nahe beieinander
+und bewegungslos. Wenn er die Planeten sieht, so sieht er sie in weit
+geringerer Raumdichtigkeit, und da erscheinen sie weit voneinander
+entfernt und in Bewegung. Wenn wir die Moleküle eines Eisenstückes in
+einem ganz andern Raum sehen könnten, so würden wir sehen, wie sie sich
+bewegen. Aber da wir die Dinge in ihren bestimmten Raum- und Zeitmaßen
+sehen, ist Eisen für uns Eisen, Wasser ist Wasser und Wolken sind
+Wolken.
+
+Es ist eine ganz bekannte psychologische Tatsache, daß durch Änderung
+unsrer geistigen Einstellung Gegenstände ihr Wesen zu verändern
+scheinen; was uns angenehm war, wird uns zuwider, und umgekehrt. In
+einem gewissen Zustande der Verzücktheit haben die Menschen in der
+Kasteiung ihres Fleisches Genuß gesucht. Die außerordentlichen Leiden
+der Märtyrer scheinen uns übermenschlich, weil wir die geistige
+Haltung, unter deren Einfluß man sie ertragen, ja ersehnen kann, noch
+nicht an uns erfahren haben. In Indien hat man oft gesehen, daß Fakire
+über glühendes Eisen gingen, wenn solche Fälle auch wissenschaftlich
+noch nicht untersucht sind. Man kann verschiedener Meinung sein über
+die Wirksamkeit der Glaubensheilung, die den Einfluß des Geistes auf
+die Materie zeigt, aber seit den frühesten Zeiten haben Menschen an sie
+geglaubt und danach gehandelt. Unsre sittliche Erziehung gründet sich
+auf die Tatsache, daß durch unsre veränderte geistige Einstellung unsre
+Perspektive, ja in gewisser Hinsicht die ganze Welt eine andre wird,
+worin alles einen andern Wert bekommt. Daher wird das, was für einen
+Menschen wertvoll ist, solange er sittlich unentwickelt ist, schlimmer
+als wertlos für ihn, wenn er zu einer höhern Sittlichkeit gelangt.
+
+Walt Whitman zeigt in seinen Gedichten eine große Geschicklichkeit,
+seinen geistigen Standpunkt zu wechseln und damit seiner Welt eine
+neue und von der der andern Menschen verschiedene Gestalt zu geben,
+indem er die Verhältnisse der Dinge umordnet und ihnen dadurch eine
+ganz neue Bedeutung gibt. Solche Beweglichkeit des Geistes wirft alle
+Konventionen über den Haufen. Daher sagt er in einem seiner Gedichte:
+
+ Ich höre, man macht mir den Vorwurf, ich wolle die Institutionen
+ zerstören.
+ Doch was sind mir Institutionen?
+ Was habe ich mit ihnen zu schaffen, und was sollte mir ihre
+ Zerstörung?
+ Nur _eine_ Institution gibt es, die ich gründen will,
+ In dir, Mannahatta, und in jeder Stadt dieser Staaten, im
+ Binnenlande und an der Küste,
+ In Feldern und Wäldern und auf der See, über jedem Kiel, der ihre
+ Wasser durchschneidet;
+ Ich will sie gründen ohne Haus, ohne Hüter und ohne Satzungen:
+ Die Institution treuer Bruderliebe.
+
+Solide Institutionen von massivem Bau lösen sich in der Welt dieses
+Dichters in Dunst auf. Sie ist wie eine Welt von Röntgenstrahlen, für
+die manche festen Dinge als solche nicht bestehen. Dagegen hat die
+Bruderliebe, die in der gewöhnlichen Welt etwas Fließendes ist, wie die
+Wolken, die über den Himmel hinziehen ohne eine Spur zurückzulassen,
+in der Welt des Dichters mehr Festigkeit und Dauer als alle
+Institutionen. Hier sieht er die Dinge in einer Zeit, wo die Berge wie
+Schatten dahinschwinden und wo die Regenwolken mit ihrer scheinbaren
+Vergänglichkeit ewig sind. Hier erkennt er, daß die Bruderliebe wie die
+Wolken, die keines festen Fundamentes bedürfen, Halt und Dauer hat,
+ohne Haus, ohne Hüter und ohne Satzungen.
+
+Whitman steht auf einer andern Zeitebene, seine Welt fällt noch nicht
+in Trümmer, wenn man sie aus den Angeln hebt, weil sie seine eigene
+Persönlichkeit zum Zentrum hat. Alle Geschehnisse und Gestalten dieser
+Welt haben ihre Beziehung zu dieser zentralen schöpferischen Kraft,
+daher sind sie auch ganz von selbst untereinander verbunden. Seine Welt
+mag wohl ein Komet unter Sternen sein und ihre eigene Bewegung haben,
+aber sie hat auch ihre eigene Gesetzmäßigkeit durch die Zentralkraft
+der Persönlichkeit. Es mag eine verwegene, ja eine tolle Welt sein,
+deren exzentrischer Schweif eine ungeheure Bahn beschreibt, aber eine
+Welt ist es.
+
+Doch mit der Naturwissenschaft ist es anders. Denn sie versucht, jene
+zentrale Persönlichkeit ganz auszuschalten, durch die die Welt erst
+eine Welt wird. Die Naturwissenschaft stellt einen unpersönlichen und
+unveränderlichen Maßstab für Raum und Zeit auf, der nicht der Maßstab
+der Schöpfung ist. Daher wirkt seine Berührung so vernichtend auf die
+lebendige Wirklichkeit der Welt, daß sie zu einem leeren Begriff wird
+und ihre Dinge sich in Nichts auflösen. Denn die Welt ist etwas anderes
+als Atome und Moleküle oder Radioaktivität und andere Kräfte, der
+Diamant ist etwas anderes als Kohlenstoff, und Licht ist etwas anderes
+als Schwingungen des Äthers. Auf dem Wege der Auflösung und Zerstörung
+wird man nie zur Wahrheit der Schöpfung gelangen. Nicht nur die Welt,
+sondern Gott selbst wird von der Naturwissenschaft seiner Wirklichkeit
+entkleidet; sie unterwirft ihn im Laboratorium der Vernunft, wo jede
+persönliche Beziehung aufhört, einer chemischen Analyse und verkündet
+als Resultat, daß man nichts von ihm weiß noch wissen kann. Es ist eine
+bloße Tautologie, zu behaupten, daß Gott unerkennbar ist, wenn man den,
+der ihn allein kennt und kennen kann, die menschliche Persönlichkeit,
+ganz außer Betracht läßt. Es ist, als ob man von einer Speise sagte,
+sie sei ungenießbar, wenn niemand da ist, sie zu essen. Unsre trocknen
+Moralisten machen es ebenso, sie lenken unser Herz von dem Ziel seiner
+Sehnsucht ab. Statt uns eine Welt zu erschaffen, in der die sittlichen
+Ideale in ihrer natürlichen Schönheit leben, versuchen sie, unsre Welt,
+die wir uns, wenn auch noch so unvollkommen, selbst erbaut haben, zu
+verkümmern. Statt menschlicher Persönlichkeiten stellen sich moralische
+Grundsätze vor uns auf und zeigen uns die Dinge im Zustande der
+Auflösung, um zu beweisen, daß hinter ihrer Erscheinung abscheulicher
+Trug ist. Aber wenn man die Wahrheit ihrer äußern Erscheinung beraubt,
+so verliert sie damit den besten Teil ihrer Wirklichkeit. Denn die
+Erscheinung ist es, durch die sie zu mir in persönlicher Beziehung
+steht, sie ist eigens für mich da. Von dieser Erscheinung, die nur
+Oberfläche zu sein scheint, die aber von dem innern Wesen Botschaft
+bringt, sagt euer Dichter:
+
+ Der erste Schritt schon brachte mir soviel Freude!
+ Das bloße Bewußtsein, all diese Formen, die Kraft der Bewegung,
+ Das kleinste Insekt oder Tier, die Sinne, das Schauen, die Liebe --
+ Was brachte der erste Schritt schon an Staunen und Freude!
+ Ich bin noch nicht weiter gegangen und möcht' es auch kaum,
+ Ich möchte nur immer verweilen und in ekstatischen Liedern
+ lobpreisen!
+
+Unsre wissenschaftliche Welt ist unsre Welt des Verstandes. Sie hat
+ihre Größe und ihren Nutzen und ihre Reize. Wir wollen ihr gern die
+ihr gebührende Huldigung erweisen. Aber wenn sie sich rühmt, die
+wirkliche Welt erst für uns entdeckt zu haben und über alle Welten der
+einfältigen Geister lacht, dann erscheint sie uns wie ein Feldherr,
+der, durch seine Macht berauscht, den Thron seines Königs usurpiert.
+Denn die Welt in ihrer lebendigen Wirklichkeit ist das Reich der
+menschlichen Persönlichkeit und nicht des Verstandes, der, mag er noch
+so nützlich und groß sein, doch nicht der Mensch selbst ist.
+
+Wenn wir ein Musikstück als das, was es in Beethovens Geist war,
+vollkommen erkennen könnten, so könnten wir selbst jeder ein Beethoven
+werden. Aber weil wir sein Geheimnis nicht ergründen können, so
+können wir auch bezweifeln, daß etwas von Beethovens Persönlichkeit
+in seiner Sonate lebt, -- obgleich wir uns wohl bewußt sind, daß ihr
+wahrer Wert in ihrer Wirkung auf unsre eigene Persönlichkeit besteht.
+Doch es ist noch einfacher, diese Tatsachen zu beobachten, wenn diese
+Sonate auf dem Klavier gespielt wird. Wir können die schwarzen und
+weißen Tasten der Klaviatur zählen, die Länge der Saiten messen, die
+Kraft, Geschwindigkeit und Reihenfolge in den Bewegungen der Finger
+feststellen und dann triumphierend behaupten, dies sei Beethovens
+Sonate. Und nicht nur das, wir können vorhersagen, daß, wo und wann
+auch immer der Versuch in der beobachteten Weise wiederholt wird, auch
+genau dieselbe Sonate wieder ertönt. Wenn wir die Sonate nur immer von
+diesem Gesichtspunkt aus betrachten, so vergessen wir leicht, daß ihr
+Ursprung und ihr Ziel die menschliche Persönlichkeit ist und daß, wie
+genau und vollkommen auch die technische Ausführung sein mag, diese
+doch noch nicht die letzte Wirklichkeit der Musik umfaßt.
+
+Ein Spiel ist ein Spiel, sobald ein Spieler da ist, der es spielt.
+Natürlich hat das Spiel seine Regeln, die man kennen und beherrschen
+muß. Aber wenn jemand behaupten wollte, daß in diesen Regeln das wahre
+Wesen des Spiels läge, so müßten wir das ablehnen. Denn das Spiel ist
+das, was es für die Spieler bedeutet. Es wechselt seinen Charakter
+nach der Persönlichkeit der Spieler: für einige hat es den Zweck, ihre
+Gewinnsucht zu befriedigen, andern dient es zur Befriedigung ihres
+Ehrgeizes; einigen ist es ein Mittel, die Zeit hinzubringen, und andern
+ein Mittel, ihrem Hang zur Geselligkeit zu frönen; und noch andere
+gibt es, die ganz frei von eigennützigen Zwecken nur seine Geheimnisse
+studieren wollen. Und doch bleibt bei allen diesen mannigfachen
+Gesichtspunkten das Gesetz des Spiels immer das gleiche. Denn die Natur
+des wahren Seins ist die Einheit in der Mannigfaltigkeit. Und die Welt
+ist für uns wie solch ein Spiel, sie ist für uns alle die gleiche und
+doch nicht die gleiche.
+
+Die Naturwissenschaft hat es nur mit der Gleichartigkeit zu tun, mit
+dem Gesetz der Perspektive und Farbenzusammenstellung und nicht mit
+dem Gemälde --, dem Gemälde, das die Schöpfung einer Persönlichkeit
+ist und sich an die Persönlichkeit dessen wendet, die es sieht. Die
+Naturwissenschaft will aus ihrem Forschungsgebiet die schöpferische
+Persönlichkeit ganz ausschalten und ihre Aufmerksamkeit nur auf das
+Medium der Schöpfung richten.
+
+Was ist dieses Medium? Es ist das Medium der Endlichkeit, durch das
+der Unendliche sich uns offenbaren will. Es ist das Medium, das seine
+selbstauferlegten Begrenzungen darstellt, das Gesetz von Zeit und Raum,
+Form und Bewegung. Dies Gesetz ist die Vernunft, die allen gemeinsam
+ist, die Vernunft, die den endlosen Rhythmus der schöpferischen Idee
+leitet, wenn sie sich uns in immer wechselnden Formen offenbart.
+
+Unsre Einzelseelen sind die Saiten, die bei den Schwingungen dieser
+Weltseele mitschwingen und in der Musik von Raum und Zeit Antwort
+geben. Diese Saiten sind untereinander verschieden an Tonhöhe und
+Klangfarbe und sind noch nicht zur Vollkommenheit gestimmt, aber ihr
+Gesetz ist das Gesetz der Weltseele, des Instrumentes, auf dem der
+ewige Spieler seinen Schöpfungstanz spielt.
+
+Durch diese Seeleninstrumente, die wir in uns haben, sind auch wir
+Schöpfer. Wir schaffen nicht nur Kunst und soziale Organisationen,
+sondern auch uns selbst, unsre innere Natur und unsre Umgebung, deren
+Wesenserfüllung von ihrer Harmonie mit dem Gesetz der Weltseele
+abhängt. Freilich sind unsre Schöpfungen bloße Variationen der großen
+Weltmelodie Gottes. Wenn wir Dissonanzen hervorbringen, so müssen
+sie sich entweder in Wohlklang auflösen oder verstummen. Unsre
+Schöpferfreiheit findet ihre höchste Freude darin, daß sie ihre eigene
+Stimme in den Chor der Welt-Musik einfügt.
+
+Die Naturwissenschaft traut dem gesunden Verstand des Dichters
+nicht recht. Sie weist die paradoxe Behauptung, daß das Unendliche
+Endlichkeit annehme, zurück.
+
+Ich kann zu meiner Verteidigung sagen, daß diese Paradoxie viel älter
+ist als ich. Es ist dieselbe Paradoxie, die an der Wurzel allen Seins
+liegt. Sie ist ebenso geheimnisvoll und einfach zugleich wie die
+Tatsache, daß ich imstande bin, diese Wand wahrzunehmen, was im letzten
+Grunde ein unerklärliches Wunder ist.
+
+Kehren wir noch einmal zu der Ischa-Upanischad zurück, um zu hören, was
+der Weise über den Widerspruch des Unendlichen und des Endlichen sagt.
+Er sagt:
+
+»Die geraten ins Dunkel, die sich nur mit der Erkenntnis des Endlichen
+beschäftigen, aber die geraten in ein noch größeres Dunkel, die sich
+nur mit der Erkenntnis des Unendlichen beschäftigen.«
+
+Wer die Erkenntnis des Endlichen sucht um ihrer selbst willen, wird
+die Wahrheit nicht finden. Denn diese Erkenntnis ist ihm nur eine tote
+Mauer, die ihm das Drüben verbaut. Sie hilft ihm nur zu materiellem
+Gewinn, aber sie leuchtet ihm nicht. Sie ist wie eine Lampe ohne Licht,
+wie eine Geige ohne Musik. Man kann ein Buch nicht kennen lernen, wenn
+man es mißt und wägt und seine Seiten zählt oder sein Papier chemisch
+untersucht. Eine neugierige Maus kann sich in das Innere eines Klaviers
+hineinnagen und zwischen seinen Saiten herumstöbern, soviel sie will,
+der Musik kommt sie dadurch nicht näher. So machen es die, die das
+Endliche um seiner selbst willen suchen.
+
+Aber die Upanischad lehrt uns, daß das alleinige Streben nach
+Erkenntnis des Unendlichen in ein noch tieferes Dunkel führt. Denn
+das schlechthin Unendliche ist Leere. Jedes Endliche ist etwas.
+Vielleicht ist es nur ein Scheckbuch ohne Guthaben auf der Bank. Aber
+das schlechthin Unendliche hat weder Geld noch Scheckbuch. Wie tief
+das geistige Dunkel des primitiven Menschen auch sein mag, der in der
+Überzeugung lebt, daß jeder Apfel nach seiner Laune zu Boden fällt, es
+ist noch nichts gegen die Blindheit dessen, der sein Leben im Grübeln
+über das Gesetz der Schwere verbringt, ohne den fallenden Apfel zu
+sehen.
+
+Daher lehrt die Ischa-Upanischad:
+
+»Wer da weiß, daß die Erkenntnis des Endlichen und Unendlichen eins
+ist, überschreitet den Abgrund des Todes mit Hilfe der Erkenntnis
+des Endlichen und erringt Unsterblichkeit durch die Erkenntnis des
+Unendlichen.«
+
+Das Unendliche und das Endliche sind eins wie Lied und Gesang. Das
+Singen ist das Endliche, das durch beständiges Streben das Lied, das
+vollkommen ist, hervorbringt. Das schlechthin Unendliche ist wie Musik
+ohne alle bestimmten Töne und daher ohne Sinn.
+
+Das schlechthin Ewige ist Zeitlosigkeit, ein leeres Wort, das nichts
+sagt. Die Wirklichkeit des Ewigen umfaßt alle Zeiten.
+
+Daher heißt es in der Upanischad:
+
+»Die geraten ins Dunkel, die nur nach dem Vergänglichen streben. Aber
+die geraten in ein noch tieferes Dunkel, die nur nach dem Ewigen
+streben. Wer da weiß, daß Vergängliches und Ewiges eins sind, der
+überschreitet den Abgrund des Todes mit Hilfe des Vergänglichen und
+gewinnt Unsterblichkeit mit Hilfe des Ewigen.«
+
+Wir haben gesehen, daß die Formen der Dinge in ihrem mannigfaltigen
+Wechsel keine absolute Wirklichkeit haben. Ihre Wirklichkeit ist nur
+in unsrer Persönlichkeit. Wir haben gesehen, daß ein Berg oder ein
+Wasserfall etwas ganz anderes oder auch nichts mehr für uns sein würde,
+wenn unser Geist seine Einstellung in bezug auf Zeit und Raum änderte.
+
+Wir haben ebenfalls gesehen, daß diese relative Welt keine Welt der
+Willkür ist. Sie ist persönlich und allgemein zugleich. Meine Welt ist
+meine eigene, eine Welt meines Geistes, und doch ist sie nicht etwas
+ganz anderes als die Welt der andern. Sie hat also ihre Wirklichkeit
+nicht in meinem Einzel-Ich, sondern in einem unendlichen Ich.
+
+Wenn wir das Naturgesetz an die Stelle dieser Wirklichkeit setzen, so
+löst sich die ganze Welt in Abstraktionen auf; dann besteht sie nur
+noch aus Elementen und Kräften, Ionen und Elektronen; sie verliert ihre
+äußere Erscheinung, man sieht und spürt sie nicht mehr; das Welt-Drama
+mit der Sprache der Schönheit verstummt, die Musik schweigt, die Bühne
+steht im Dunkel da wie ihr eigenes Gespenst, ein wesenloser Schatten,
+dem der Zuschauer fehlt.
+
+Hier möchte ich wieder den Dichterpropheten Walt Whitman reden lassen:
+
+ Als ich den gelehrten Astronomen hörte,
+ Als seine Zahlen und Beweise in langen Reihen mich anstarrten,
+ Als ich die Sternkarten und Zeichnungen nun selbst vergleichen und
+ messen sollte,
+ Als ich dasaß im Hörsaal und den Astronomen
+ Mit großem Beifall seinen Vortrag halten hörte,
+ Wie ward mir da so seltsam müde und elend zumute!
+ Bis ich mich hinausschlich und einsam meines Weges ging,
+ Hinaus in das geheimnisvolle Dunkel der feuchten Nacht,
+ Und nur von Zeit zu Zeit einen stillen Blick
+ Nach oben sandte zu den Sternen.
+
+Die Prosodie der Sterne, ihre rhythmische Bewegung, läßt sich durch
+Zeichnungen an der Wandtafel darstellen, aber die Poesie der Sterne
+liegt in der schweigenden Begegnung der Seele mit der Seele, beim
+Zusammenfluß von Licht und Dunkel, wo das Unendliche die Stirn des
+Endlichen küßt, wo wir die Musik des großen Welt-Ich von dem gewaltigen
+Orgelwerk der Schöpfung in endloser Harmonie erbrausen hören.
+
+Es ist vollkommen klar, daß die Welt Bewegung ist. (Das Sanskritwort
+für Welt bedeutet »die sich Bewegende«.) All ihre Formen sind
+vergänglich, aber das ist nur ihre negative Seite. Durch all ihre
+Wandlungen geht eine Kette von Verwandtschaft, die ewig ist. Es ist
+wie in einem Geschichtenbuch, ein Satz folgt auf den andern, aber
+das positive Element des Buches ist der Zusammenhang der Sätze in
+der Geschichte. Dieser Zusammenhang offenbart, daß in dem Verfasser
+ein persönlicher Wille wirksam ist, wodurch eine Harmonie mit der
+Persönlichkeit des Lesers hergestellt wird. Wenn das Buch eine Sammlung
+losgelöster Worte ohne Bewegung und Sinn wäre, so könnten wir es mit
+Recht ein Zufallsprodukt nennen, und in diesem Fall würde es in der
+Persönlichkeit des Lesers keinen Widerhall finden. Ebenso ist auch
+die Welt in all ihren Wandlungen kein flüchtiger Schein, der uns
+entgleitet, sondern offenbart uns gerade durch ihre Bewegung etwas, was
+ewig ist.
+
+Zur Offenbarung einer Idee ist Form unbedingt nötig. Aber die Idee,
+die unendlich ist, kann nicht in Formen ihren Ausdruck finden, die
+schlechthin endlich sind. Daher müssen die Formen sich beständig
+wandeln und bewegen, sie müssen vergehen, um das Unvergängliche zu
+offenbaren. Der Ausdruck als Ausdruck muß bestimmt sein, und das kann
+er nur in der Form; aber als Ausdruck des Unendlichen muß er zugleich
+unbestimmt sein, und das kann er nur in der Bewegung. Daher geht die
+Welt in allen ihren Gestalten immer über diese hinaus, sie zerbricht
+immer wieder achtlos ihre eigenen Formen, um zu sagen, daß sie ihren
+ganzen Sinn doch nie fassen können.
+
+Der Moralist schüttelt traurig den Kopf und sagt, daß die Welt eitel
+ist. Aber diese Eitelkeit ist nicht Leere, nein, diese Eitelkeit
+selbst schließt Wahrheit in sich. Wenn die Welt stillstände und
+damit endgültig würde, dann würde sie zu einem Gefängnis verwaister
+Tatsachen, die die Freiheit der Wahrheit verloren hätten, der Wahrheit,
+die unendlich ist. Daher hat der moderne Denker darin recht, daß in der
+Bewegung der Sinn aller Dinge liegt, weil dieser Sinn nicht gänzlich
+den Dingen selbst innewohnt, sondern dem, worauf sie hindeuten, wenn
+sie über ihre Grenzen hinauswachsen. Dies meint die Ischa-Upanischad,
+wenn sie sagt, daß weder das Vergängliche, noch das Ewige für sich
+einen Sinn hat. Erst wenn wir sie im Einklang miteinander erkennen,
+gelangen wir über das Vergängliche hinaus und erfassen das Ewige.
+
+Weil diese Welt die Welt unendlicher Persönlichkeit ist, ist es das
+Ziel unsres Lebens, uns in eine vollkommene und persönliche Beziehung
+zu ihr zu setzen. So lehrt die Ischa-Upanischad. Daher beginnt sie mit
+dem Verse:
+
+»Wisse, daß alles, was in dieser Welt lebt und webt, von der
+Unendlichkeit Gottes getragen wird, und genieße das, was er dir
+hingibt. Begehre keinen andern Besitz.«
+
+Das heißt, wir sollen erkennen, daß die Bewegungen dieser Welt nicht
+sinnlos und zufällig sind, sondern zu dem Willen eines höchsten Ich in
+Beziehung stehen. Ein bloßes Wissen um die Wahrheit ist unvollkommen,
+da es unpersönlich ist. Aber Freude ist persönlich, und der Gott
+meiner Freude ist Bewegung, Handeln, Selbsthingabe. In dieser Hingabe
+hat der Unendliche die Gestalt des Endlichen angenommen und ist daher
+Wirklichkeit geworden, so daß ich meine Freude in ihm haben kann.
+
+Im Schmelztiegel unsrer Vernunft verschwindet die Welt der
+Erscheinungen, und wir nennen sie Täuschung. Dies ist die negative
+Seite des Erlebens. Aber unsre Freude ist positiv. Eine Blume ist
+nichts, wenn wir sie zergliedern, aber sie ist in Wahrheit eine Blume,
+wenn wir uns an ihr freuen. Diese Freude ist etwas Wirkliches, weil sie
+etwas Persönliches ist. Und die Wahrheit kann in ihrer Vollkommenheit
+nur durch unsre Persönlichkeit erkannt werden.
+
+Und daher lehrt die Upanischad: »Weder Verstand noch Worte können ihn
+fassen. Aber wer die Freude Brahmas erkannt hat, für den gibt es keine
+Furcht mehr.«
+
+Das Folgende ist die Übersetzung eines andern Verses aus der
+Ischa-Upanischad, der von der passiven und aktiven Natur Brahmas
+handelt:
+
+»Er, der Fleckenlose, Körperlose, Unverwundbare, Reine, dem kein Übel
+anhaftet, geht in alles ein. Der Dichter, der Beherrscher des Geistes,
+der in allen Gestalten Lebende, aus sich selbst Geborene, spendet den
+endlosen Jahren vollkommene Erfüllung.«
+
+Die negative Natur Brahmas ist Ruhe, die positive ist Bewegung, die in
+alle Zeiten wirkt. Er ist der Dichter, dessen Instrument die Seele ist,
+er offenbart sich in Schranken, und diese Offenbarung hat ihren Grund
+nicht in irgendeinem äußern Zwange, sondern in der Überfülle seiner
+Freude. Daher ist er es, der durch endlose Zeiten all unser Verlangen
+stillen kann, indem er sich selbst hingibt.
+
+Mit dieser Erkenntnis haben wir auch den Sinn und Zweck unsres Daseins
+gefunden. Beständige Selbsthingabe ist die Wahrheit unsres Lebens, und
+je vollkommener unsre Selbsthingabe ist, um so vollkommener ist unser
+Leben. Wir müssen dies unser Leben in all seinen Ausdrucksformen zu
+einem Gedicht gestalten; es muß von unsrer Seele zeugen, die unendlich
+ist, und nicht nur von unserm irdischen Besitz, der keinen Sinn in
+sich selbst hat. Das Bewußtsein des Unendlichen in uns tut sich in
+der Freude kund, mit der wir uns aus der Fülle unsres Überflusses
+hingeben. Dann ist unser Leben ein unaufhörliches, selbstentsagendes
+Sichausströmen wie das Leben des Flusses.
+
+Laßt uns leben. Laßt uns die wahre Lebensfreude kosten, die Freude des
+Dichters, dessen Seele sich in sein Gedicht ergießt. Laßt uns unser
+unvergängliches Wesen in allen Dingen um uns her zum Ausdruck bringen,
+in der Arbeit, die wir tun, in den Dingen, die wir gebrauchen, in den
+Menschen, mit denen wir zu tun haben, in unsrer Freude an der Welt, die
+uns umgibt. Laßt unsre Seele alles um uns her mit ihrem Wesen füllen
+und in allen Dingen Gestalt werden und ihren Reichtum offenbaren, indem
+sie das hervorbringt, was der Menschheit ewig Bedürfnis ist. Dies unser
+Leben ist mit den Gaben des unendlichen Gebers angefüllt. Die Sterne
+singen ihm ihr Lied, der Morgen überströmt es täglich mit segnendem
+Licht, die Früchte bieten ihm ihre Süße dar, und die Erde breitet
+ihren Grasteppich aus, damit es darauf ruhe. So laßt seine Seele bei
+dieser Berührung der unendlichen Seele in den vollen Strom ihrer Musik
+ausbrechen.
+
+Daher sagt der Dichter der Ischa-Upanischad:
+
+»Wenn du in dieser Welt schaffst und wirkst, so solltest du wünschen,
+hundert Jahre zu leben. So und nicht anders soll dein Wirken sein. Laß
+nicht dein Werk an dir haften.«
+
+Nur wenn wir unser Leben voll leben, können wir darüber hinauswachsen.
+Wenn die Lebenszeit der Frucht erfüllt ist, die Zeit, wo sie im Winde
+tanzend und in der Sonne reifend den Saft aus dem Zweige sog, dann
+fühlt sie in ihrem Kern den Ruf des Jenseits und bereitet sich zu
+einem weiteren Leben. Aber die Weisheit des Lebens besteht in dem,
+was uns die Kraft gibt, es aufzugeben. Denn der Tod ist das Tor zur
+Unsterblichkeit. Daher heißt es: Tu deine Arbeit, aber laß nicht deine
+Arbeit dich festhalten. Denn die Arbeit ist nur Ausdruck deines Lebens,
+solange sie mit seinem Strom fließt; doch wenn sie sich festklammert,
+wird sie zum Hemmnis und zeugt nicht von deinem Leben, sondern nur
+von sich selbst. Dann ist sie wie der Sand, den der Fluß mitführt:
+sie hemmt den Strom deiner Seele. Die Tätigkeit der Glieder gehört
+zur Natur des physischen Lebens, doch wenn die Glieder sich im Krampf
+bewegen, so sind die Bewegungen nicht in Harmonie mit dem Leben,
+sondern eine Krankheit, wie eine Arbeit, die einen Menschen umklammert
+und seine Seele erdrosselt.
+
+Nein, wir dürfen unsre Seele nicht töten. Wir dürfen nicht vergessen,
+daß unser Leben das Ewige in uns zum Ausdruck bringen soll. Wenn wir
+unser Bewußtsein des Unendlichen entweder durch Trägheit verkümmern
+lassen oder durch leidenschaftliches Jagen nach vergänglichen
+und nichtigen Dingen ersticken, so sinken wir ins Ur-Dunkel des
+Gestaltlosen zurück wie die Frucht, deren Same tot ist. Das Leben ist
+unaufhörliche Schöpfung, es findet seinen Sinn, wenn es über sich
+hinaus ins Unendliche wächst. Doch wenn es stillsteht und Schätze
+aufhäuft und immer wieder zu sich selbst zurückkehrt, wenn es den
+Ausblick auf das Jenseits verloren hat, so muß es sterben. Dann wird es
+aus der Welt des Wachstums ausgestoßen und zerfällt mit all seiner Habe
+in Staub. Von solchem Leben heißt es in der Ischa-Upanischad: »Die ihre
+Seele töten, gehen dahin ins Dunkel der sonnenlosen Welt.«
+
+Auf die Frage: »Was ist die Seele?« gibt die Ischa-Upanischad folgende
+Antwort:
+
+»Sie ist das Eine, das, obgleich bewegungslos, schneller ist als der
+Gedanke; die Sinne können es nicht erreichen; während es stillsteht,
+überholt es die, die dahineilen; in ihm sind die fließenden Kräfte des
+Lebens enthalten.«
+
+Der Geist hat seine Schranken, die Sinnesorgane sind jedes für sich
+mit seinen Aufgaben beschäftigt, aber es ist ein Prinzip der Einheit
+in uns, das über die Gedanken des Geistes und über die Funktionen der
+Körperorgane hinausgeht, das in seinem gegenwärtigen Augenblick eine
+ganze Ewigkeit umfaßt, während durch seine Gegenwart der Lebenstrieb
+die Lebenskräfte immer weiterdrängt. Weil wir dies Eine in uns fühlen,
+das mehr ist als alles, was von ihm umfaßt wird, das im beständigen
+Wandel seiner Teile sich gleich bleibt, können wir nicht glauben, daß
+es sterben kann. Weil es eins ist, weil es mehr ist als seine Teile,
+weil es ein beständiges Überleben, ein beständiges Überfließen ist,
+fühlen wir, daß es jenseits der Schranken des Todes ist.
+
+Dies Bewußtsein der Einheit und Ganzheit über alle Schranken
+hinaus ist das Bewußtsein der Seele. Und von dieser Seele sagt die
+Ischa-Upanischad: »Sie bewegt sich, und sie bewegt sich nicht. Sie ist
+fern, und sie ist nah. Sie ist in allem, und sie ist außerhalb von
+allem.«
+
+Dies heißt, die Seele erkennen als jenseits aller Schranken des Nahen
+und Fernen, des Innen und Außen. Ich habe dies Wunder aller Wunder
+erkannt, dies Eine in mir, das das Zentrum alles wahren Seins für mich
+ist. Aber ich kann mit meiner Erkenntnis hier nicht stehenbleiben. Ich
+kann nicht sagen, daß es über alle Grenzen hinausgeht und doch von mir
+selbst begrenzt wird. Daher heißt es in der Ischa-Upanischad:
+
+»Wer alle Dinge in der Seele und die Seele in allen Dingen sieht, der
+braucht sich nicht mehr zu verbergen.«
+
+Wir sind in uns selbst verborgen, wie eine Wahrheit in den einzelnen
+Tatsachen verborgen ist. Wenn wir wissen, daß dies Eine in uns zugleich
+das Eine in allen ist, dann erst haben wir die letzte Wahrheit erkannt.
+
+Aber diese Erkenntnis von der Einheit der Seele darf kein bloßes
+abstraktes Wissen sein. Nicht jene negative Art des Universalismus,
+die weder sich selbst noch andern angehört. Nicht eine abstrakte
+Seele, sondern meine eigene Seele muß ich in andern erkennen. Ich muß
+erkennen, daß, wenn meine Seele ausschließlich mein wäre, sie noch
+nicht zu ihrem wahren Wesen gelangt wäre, daß aber wiederum, wenn sie
+nicht zuinnerst mein wäre, sie überhaupt keine Wirklichkeit hätte.
+
+Auf dem Wege der Logik wären wir niemals zu der Wahrheit gelangt, daß
+die Seele, die das Prinzip der Einheit in uns ist, in der Vereinigung
+mit andern ihre Vollendung findet. Wir haben diese Wahrheit durch die
+Freude, die sie gibt, erkannt. Denn unsre Freude ist, uns in andern
+wiederzufinden. Wenn ich liebe, mit andern Worten, wenn ich mein
+eigenes Wesen wahrer und reiner in andern erkenne als in mir selber,
+dann bin ich froh, denn das Eine in mir kommt zu seiner Verwirklichung,
+indem es sich mit andern vereint, und darin hat es seine Freude.
+
+Daher braucht das Prinzip der Einheit in Gott die Vielen, um die
+Einheit zu verwirklichen. Gott gibt sich in Liebe allen hin. Die
+Ischa-Upanischad sagt: »Du sollst genießen, was Gott hingibt.« Er gibt
+beständig hin, und ich bin voll Freude, wenn ich fühle, daß er sich
+selbst hingibt. Denn diese meine Freude ist die Freude der Liebe, die
+aus meiner Selbsthingabe an ihn entspringt.
+
+Da, wo die Upanischad uns ermahnt, diese Hingabe Gottes zu genießen,
+fährt sie fort: »Laß dich nicht gelüsten nach dem Besitz anderer.«
+Denn die Begierde hemmt die Liebe. Sie geht in einer der Wahrheit
+entgegengesetzten Richtung und gelangt zu der Täuschung, daß unser Ich
+unser letztes Ziel sei.
+
+Daher hat die Verwirklichung unsrer Seele eine sittliche und
+eine religiöse Seite. Das Sittliche besteht in der Übung der
+Selbstlosigkeit, in der Zügelung der Begierden; das Religiöse in
+Mitgefühl und Liebe. Beide Seiten sollten nie getrennt, sondern immer
+vereint geübt werden. Die Entwicklung der rein sittlichen Seite
+unsrer Natur führt uns zu Engherzigkeit und Härte, zu Intoleranz und
+Pharisäertum; die einseitige Entwicklung des Religiösen führt uns zum
+Schwelgen im ungezügelten Spiel der Phantasie.
+
+Indem wir dem Dichter der Upanischad soweit gefolgt sind, haben wir
+den Sinn alles wahren Seins gefunden: Die Endlichkeit ist die Form,
+in der sich der Unendliche hingibt. Die Welt ist der Ausdruck einer
+Persönlichkeit, ebenso wie ein Gedicht oder ein anderes Kunstwerk.
+Der Höchste gibt sich selbst in seiner Welt und ich mache sie zu der
+meinen, wie ich mir ein Gedicht zu eigen mache, indem ich mich selbst
+darin wiederfinde. Wenn meine eigene Persönlichkeit das Zentrum meiner
+Welt verläßt, so verliert diese in einem Augenblick ihr ganzes Wesen.
+Daraus erkenne ich, daß meine Welt nur in Beziehung zu mir existiert,
+und ich weiß, daß sie meinem persönlichen Ich durch ein persönliches
+Wesen gegeben ist. Die Naturwissenschaft kann wohl ihre Feststellungen
+darüber machen, wie dieses Geben vor sich geht, aber die Gabe selbst
+erfaßt sie nicht. Denn die Gabe ist die Seele, die sich der Seele
+schenkt, daher kann nur die Seele sie sich durch Freude zu eigen
+machen, aber nicht die Vernunft durch Logik.
+
+Daher ist es immer das sehnlichste Verlangen des Menschen gewesen, den
+Höchsten zu erkennen. Vom Anfang seiner Geschichte an hat der Mensch in
+der ganzen Schöpfung die Berührung eines persönlichen Wesens gespürt
+und versucht, ihm Namen und Gestalt zu geben; er hat sein Leben und das
+Leben seines Geschlechts mit Sagen von ihm umwoben, ihm Altäre gebaut
+und durch unzählige heilige Bräuche Beziehung zu ihm hergestellt.
+Dies Ahnen und Fühlen eines persönlichen Wesens hat dem zentrifugalen
+Triebe im Menschenherzen den Impuls gegeben, in einem unerschöpflichen
+Strom von Gegenwirkung hervorzubrechen in Liedern und Bildern und
+Gedichten, in Statuen und Tempeln und Festlichkeiten. Dies Gefühl
+war die Zentripetalkraft, die die Menschen bewog, sich in Haufen und
+Stämmen und Gemeindeorganisationen zusammenzuschließen. Und während der
+Mensch seinen Acker pflügt und seine Kleider webt, heiratet und Kinder
+aufzieht, sich um Reichtum abmüht und um Macht kämpft, vergißt er
+nicht, in Worten von feierlichem Rhythmus, in geheimnisvollen Symbolen,
+in majestätischen Steinbauten zu verkünden, daß er im Herzen seiner
+Welt dem Unsterblichen begegnet ist. Im Leid des Todes und im Schmerz
+der Verzweiflung, wenn das Vertrauen verraten und die Liebe entweiht
+wurde, wenn das Dasein fade und sinnlos wird, streckt der Mensch, auf
+den Trümmern seiner Hoffnungen stehend, die Hände zum Himmel, um durch
+das Dunkel seiner Welt hindurch die Berührung dieses Einen zu spüren.
+
+Der Mensch hat die Beziehung seines Ichs zu diesem Welt-Ich auch
+unmittelbar erfahren, unmittelbar, nicht durch die Welt der Formen
+und Wandlungen, die Welt der Ausdehnung in Raum und Zeit, sondern in
+der innersten Einsamkeit des Bewußtseins, in der Welt der Tiefe und
+Intensität. Durch diese Begegnung hat er die Schöpfung einer neuen Welt
+gefühlt, einer Welt von Licht und Liebe, die keine Sprache hat als die
+Musik des Schweigens.
+
+Von dieser Welt hat der Dichter[8] gesungen:
+
+ Es gibt eine endlose Welt, o mein Bruder,
+ Und ein namenloses Wesen, von dem nichts gesagt werden kann.
+ Nur der, der ihre Ufer erreicht hat, weiß:
+ Sie ist anders als alles, wovon man hört und sagt.
+ Da ist nicht Form, nicht Stoff, nicht Länge, nicht Breite,
+ Wie kann ich dir sagen, welcher Art sie ist?
+ Kabir sagt: »Keine Zunge kann sie mit Worten schildern, und keine
+ Feder kann sie beschreiben.
+ Wie soll der Stumme auch klar machen, welche Süße er gekostet hat?«
+
+Nein, es kann nicht geschildert, es muß erlebt werden; und wenn dem
+Menschen dies Erlebnis zuteil geworden ist, singt er[9]:
+
+ Das Innen und das Außen sind zu #einem# Himmel vereint,
+ Das Unendliche und Endliche sind eins geworden;
+ Ich bin trunken vom Anblick des Alls.
+
+Der Dichter hat das wahre Sein erlangt, das unaussprechlich ist, wo
+alle Widersprüche sich in Harmonie gelöst haben. Denn dies wahre
+Sein, die letzte Wirklichkeit, liegt in der Persönlichkeit, nicht
+in Gesetz und Stoff. Und der Mensch muß fühlen: wenn dies Weltall
+nicht die Offenbarung einer höchsten Persönlichkeit wäre, so wäre es
+ein ungeheurer Betrug und eine beständige Schmach für ihn. Er muß
+wissen, daß unter einer solch ungeheuren Last von Fremdheit seine
+eigene Persönlichkeit gleich am Anfang zermalmt und zu einer leeren
+Abstraktion geworden wäre, für die selbst die Grundlage eines Geistes
+fehlte, der sie hätte konzipieren können.
+
+Der Dichter der Upanischad bricht am Ende seiner Lehren plötzlich in
+ein Lied aus, das in seiner tiefen Schlichtheit das lyrische Schweigen
+der weiten Erde in sich trägt, wenn sie die Morgensonne anschaut. Er
+singt:
+
+»In dem goldnen Gefäß verbirgt sich das Antlitz der Wahrheit. O du
+Spender des Lebens, decke es auf, daß wir das Gesetz der Wahrheit
+erkennen. O du Spender des Lebens, der du aus eigener Kraft wirkst
+und schaffst, der du die Schöpfung lenkst, du Herr aller Kreaturen,
+breite aus deine Strahlen, sammle all dein Licht, laß mich in dir das
+heiligste aller Wesen schauen, -- den Einen, der da ist, der da ist,
+das wahre Ich[10].«
+
+Und am Schluß singt dieser Dichter der unsterblichen Persönlichkeit vom
+Tode:
+
+»Der Lebensodem ist der Odem der Unsterblichkeit. Der Leib wird zu
+Asche. O mein Wille[11], gedenke deiner Taten! O mein Wille, gedenke
+deiner Taten! O Gott, o Feuer, du kennst alle Taten. Führe uns auf
+guten Wegen zur Vollendung. Halte die Sünde von uns fern, die krumme
+Wege wandelt. Dir bieten wir unsern Gruß.«
+
+Hiermit endet der Dichter der Upanischad, der vom Leben zum Tode und
+vom Tode wieder zum Leben gepilgert ist; der die Kühnheit gehabt hat,
+in Brahma das unendliche Sein und das endliche Werden zugleich zu
+sehen; der verkündet, daß wahres Leben Arbeit bedeutet, Arbeit, in der
+sich die Seele ausdrückt; der uns lehrt, daß unsre Seele ihr wahres
+Wesen in dem höchsten Wesen findet, indem sie sich selbst aufgibt und
+eins mit dem All wird.
+
+Die tiefe Wahrheit, die der Dichter der Upanischad verkündet, ist die
+Wahrheit des einfältigen Herzens, das das geheimnisvolle Leben mit
+tiefer Liebe liebt und nicht an die Endgültigkeit jener Logik glauben
+kann, die mit ihrer zersetzenden Methode das Weltall an den Rand der
+Auflösung bringt.
+
+Erschien mir nicht das Licht der Sonne heller, der Glanz des Mondes
+weicher und tiefer, wenn mein Herz in plötzlicher Liebe aufwallte
+in der Gewißheit, daß die Welt eins ist mit meiner Seele? Wenn ich
+die heraufziehenden Wolken besang, so fand der prasselnde Regen
+seinen leidenschaftlichen Ausdruck in meinen Liedern. Vom Anfang der
+Geschichte an haben die Dichter und Künstler dieses Dasein mit den
+Farben und der Musik ihrer Seele getränkt. Und dies gibt mir die
+Gewißheit, daß Erde und Himmel aus den Fibern des Menschengeistes, der
+zugleich der Allgeist ist, gewoben sind. Wenn dies nicht wahr wäre,
+so wäre Poesie Lüge und Musik Täuschung, und die stumme Welt würde
+des Menschen Herz für immer in Schweigen erstarren machen. Der große
+Meister spielt die Flöte: der Atem ist sein, das Instrument ist unsre
+Seele, durch die er seine Schöpfungslieder ertönen läßt; und daher
+weiß ich, daß ich kein bloßer Fremdling bin, der auf der Reise seines
+Daseins in der Herberge dieser Erde Rast macht, sondern ich lebe in
+einer Welt, deren Leben mit dem meinen eng verknüpft ist. Der Dichter
+wußte, daß das Sein dieser Welt ein persönliches Sein ist, und sang[12]:
+
+ Die Erde ist seine Freude, seine Freude ist der Himmel;
+ Seine Freude ist der Glanz von Sonne und Mond;
+ Seine Freude ist der Anfang, die Mitte und das Ende;
+ Seine Freude ist das Schauen, das Dunkel und das Licht.
+ Ozean und Wogen sind seine Freude;
+ Seine Freude ist die Sarasvati, die Jamuna und der Ganges.
+ Er ist der All-Eine: und Leben und Tod,
+ Vereinigung und Trennung sind Spiele seiner Freude.
+
+
+
+
+DIE WIEDERGEBURT
+
+
+Für uns ist die leblose Natur die Seite des Daseins, die wir nur von
+außen sehen. Wir wissen nur, wie sie uns erscheint, aber wir wissen
+nicht, was sie in Wahrheit ist. Dies können wir nur durch die Liebe
+erfassen.
+
+Aber da hebt sich der Vorhang, das Leben erscheint auf der Bühne, das
+Drama beginnt und wir verstehen seinen Sinn an den Gebärden und der
+Sprache, die den unsern gleich sind. Wir erkennen das Leben, nicht
+an seinen äußeren Zügen, nicht durch Zerlegung in seine einzelnen
+Teile, sondern durch die unmittelbare Wahrnehmung, die auf innerer
+Verwandtschaft beruht. Und dies ist wirkliche Erkenntnis.
+
+Wir sehen einen Baum. Er ist durch die Tatsache seines individuellen
+Lebens von seiner Umgebung abgesondert. Sein ganzes Streben geht dahin,
+diese Besonderheit seiner schöpferischen Individualität gegenüber dem
+ganzen Weltall aufrecht zu erhalten. Sein Leben gründet sich auf einen
+Dualismus -- auf der einen Seite diese Individualität des Baumes, und
+auf der andern das Weltall.
+
+Aber wenn dieser Dualismus in sich Feindschaft und gegenseitige
+Ausschließung bedeutete, so gäbe es für den Baum keine Möglichkeit,
+sein Dasein zu behaupten; er würde von der vereinten Gewalt
+dieser ungeheuren Kräfte in Stücke gerissen werden. Jedoch dieser
+Dualismus bedeutet Verwandtschaft. Je vollkommener die Harmonie
+des Baumes mit der Außenwelt, mit Sonne, Erdboden und Jahreszeiten
+ist, je vollkommener entwickelt sich seine Individualität. Es wird
+verhängnisvoll für ihn, wenn diese gegenseitige Beziehung gestört wird.
+Daher muß das Leben an seinem negativen Pol die Abgesondertheit von
+allem andern aufrecht halten, während es an seinem positiven Pol die
+Einheit mit dem Weltall wahrt. In dieser Einheit liegt seine Erfüllung.
+
+Im Leben eines Tieres ist auf der negativen Seite das Element der
+Abgesondertheit noch entschiedener, und deswegen ist auf der positiven
+Seite die Beziehung zur Welt viel weiter ausgedehnt. Das Tier ist von
+seiner Nahrung viel mehr abgetrennt als der Baum. Es muß sie suchen
+und kennenlernen, getrieben von Lust und Schmerz. Daher steht sie in
+engerer Beziehung zu seiner Erkenntnis- und Gefühlswelt. Dasselbe gilt
+in bezug auf die Trennung der Geschlechter. Diese Trennung und das
+daraus folgende Streben nach Vereinigung bewirken ein gesteigertes
+Lebensgefühl und Ichbewußtsein bei den Tieren und bereichern ihre
+Persönlichkeit durch die Begegnung mit unvorhergesehenen Hindernissen
+und unerwarteten Möglichkeiten. Bei den Bäumen wird die Trennung von
+ihrer Nachkommenschaft jedesmal zu einer endgültigen, während bei den
+Tieren die Beziehung bestehen bleibt. So gewinnt das Lebensinteresse
+der Tiere durch diese Trennungen noch an Weite und Intensität und
+ihr Bewußtsein umfaßt ein viel größeres Gebiet. Dies weitere Reich
+ihrer Individualität müssen sie beständig durch die mannigfachen
+Beziehungen zu ihrer Welt behaupten. Jede Hemmung dieser Beziehungen
+ist verhängnisvoll.
+
+Beim Menschen ist dieser Dualismus des physischen Lebens noch
+mannigfaltiger. Seine Bedürfnisse sind nicht nur größer an Zahl und
+erfordern daher ein weiteres Feld für ihre Befriedigung, sondern sie
+sind auch komplizierter und verlangen eine tiefere Kenntnis der Dinge.
+Dies gibt ihm ein stärkeres Bewußtsein seiner selbst. Sein Geist tritt
+an Stelle der Triebe und Instinkte, die die Bewegungen und Tätigkeiten
+der Bäume und Tiere leiten. Dieser Geist hat auch seine negative und
+positive Seite der Absonderung und der Einheit. Denn einerseits trennt
+er die Gegenstände seiner Erkenntnis von dem Erkennenden ab, dann aber
+läßt er beide durch die Erkenntnis eins werden. Zu der Beziehung von
+Hunger und Liebe, auf die sich das physische Leben gründet, tritt in
+zweiter Reihe die geistige Beziehung. So machen wir uns diese Welt auf
+doppelte Weise zu eigen, indem wir in ihr leben und sie erkennen.
+
+Aber es gibt noch einen andern Dualismus im Menschen, der sich nicht
+aus der Art seines physischen Lebens erklären läßt. Es ist der
+Zwiespalt in seinem Bewußtsein zwischen dem, was ist, und dem, was sein
+sollte. Das Tier kennt diesen Zwiespalt nicht; bei ihm besteht der
+Widerstreit zwischen dem, was es hat, und dem, was es begehrt, während
+er beim Menschen zwischen dem, was er begehrt, und dem, was er begehren
+sollte, besteht. Unsre Begierden entspringen unserm natürlichen Leben,
+das wir mit den Tieren teilen, aber das, was wir begehren sollten,
+gehört einem Leben an, das weit darüber hinausgeht.
+
+So hat im Menschen eine Wiedergeburt stattgefunden. Wenn er auch noch
+sehr viele Gewohnheiten und Triebe seines Tierlebens beibehalten hat,
+so liegt doch sein wahres Leben in der Sphäre dessen, was sein sollte.
+Durch diese Tatsache wird eine Verbindung, aber auch zugleich ein
+Widerstreit geschaffen. Viele Dinge, die gut für das eine Leben sind,
+sind schädlich für das andere. Daraus entsteht die Notwendigkeit eines
+innern Kampfes, der in des Menschen Persönlichkeit das hineinbringt,
+was man Charakter nennt. Aus dem Triebleben führt er den Menschen zum
+Zweckleben. Dies ist das Leben der sittlichen Welt.
+
+Hier gelangen wir aus der Welt der Natur in die des Menschentums.
+Wir leben und wirken und haben unser Sein im Allgemeinmenschlichen.
+Das Menschenkind wird in zwei Welten zugleich hineingeboren, in die
+Welt der Natur und in die Menschenwelt. Diese letztere ist eine
+Welt von Ideen und Einrichtungen, von Erkenntnisschätzen und durch
+Erziehung erlangten Gewohnheiten. Sie ist durch rastloses Streben von
+Jahrtausenden, durch Märtyrerleiden heldenhafter Menschen erbaut. Ihre
+verschiedenen Schichten sind Niederschläge von Entsagungen zahlloser
+Einzelwesen aller Zeitalter und Länder. Sie hat ihre guten und bösen
+Elemente, denn die Ungleichheiten ihrer Oberfläche und Temperatur
+machen den Fluß des Lebens reich an Überraschungen.
+
+Dies ist die Welt der Wiedergeburt des Menschen, die außernatürliche
+Welt, wo der Dualismus des Tierlebens und der Sittlichkeit uns unsrer
+Persönlichkeit als Mensch bewußt macht. Alles, was dies Menschenleben
+daran hindert, die Beziehung zu seiner sittlichen Welt vollkommen zu
+machen, ist vom Übel. Es bedeutet Tod, einen viel schlimmeren Tod als
+den Tod des natürlichen Lebens.
+
+In der Welt der Natur wandelt der Mensch mit Hilfe der Wissenschaft die
+Tyrannei der Naturkräfte in Gehorsam.
+
+Aber in seiner sittlichen Welt hat er eine schwerere Aufgabe zu
+erfüllen. Er hat die Tyrannei seiner eigenen Leidenschaften und
+Begierden in Gehorsam zu wandeln. Und in allen Zeiten und Ländern
+ist dies das Ziel menschlichen Strebens gewesen. Fast alle unsre
+Institutionen sind das Resultat dieses Strebens. Sie geben unserm
+Willen die Richtung und graben ihm Kanäle, damit er ungehindert und
+ohne unnützen Kraftverlust seinen Lauf nehmen kann.
+
+Wir haben gesehen, daß das physische Leben allmählich in das
+geistige hineinwuchs. Die geistigen Fähigkeiten der Tiere sind
+vollkommen in Anspruch genommen von der Sorge für ihre unmittelbaren
+Lebensbedürfnisse. Diese Bedürfnisse sind beim Menschen mannigfaltiger,
+und daher bedarf er größerer geistiger Fähigkeiten. So kam er zu der
+Erkenntnis, daß die Welt seiner unmittelbaren Bedürfnisse eins ist mit
+einer Welt, die weit über seine unmittelbaren Bedürfnisse hinausgeht.
+Er erkannte, daß diese Welt nicht nur seinen Leib mit Nahrung versieht,
+sondern auch seinen Geist; daß er durch seinen Geist auf unsichtbare
+Weise mit allen Dingen verbunden ist.
+
+Was der Intellekt in der Welt der Natur ist, das ist der Wille in der
+sittlichen Welt. Je freier und weiter er wird, desto wahrer, weiter und
+mannigfacher werden auch unsre sittlichen Beziehungen. Seine äußere
+Freiheit ist die Unabhängigkeit von Lust- und Schmerzempfindungen,
+seine innere Freiheit ist die Befreiung aus der Enge der Selbstsucht.
+Wir wissen, daß, wenn der Intellekt von den Banden des Eigennutzes
+befreit ist, er die Welt der allgemeinen Vernunft erkennt, mit der
+er in Harmonie sein muß, um seine Bedürfnisse ganz befriedigen zu
+können; ebenso erkennt auch der Wille, wenn er aus seinen Schranken
+befreit ist, wenn er gut wird, d. h. wenn er alle Menschen und alle
+Zeiten umfaßt, eine Welt, die über die sittliche Welt der Menschheit
+hinausgeht. Er entdeckt eine Welt, wo alle Lehren unsres sittlichen
+Lebens ihre letzte Wahrheit finden, und unser Geist erhebt sich zu dem
+Gedanken, daß es ein unendliches Medium der Wahrheit gibt, durch das
+das Gute seinen Sinn erhält. Daß ich mehr werde durch die Vereinigung
+mit andern, ist keine bloße mathematische Tatsache. Wir haben erkannt,
+wenn verschiedene Menschen sich in Liebe, die das Band vollkommener
+Einheit ist, zusammenschließen, so wird nicht einfach Kraft zu Kraft
+gefügt, sondern das, was unvollkommen war, findet seine Vollendung
+in der Wahrheit und daher in der Freude; was sinnlos war, solange es
+isoliert war, findet seinen vollen Sinn in der Vereinigung. Diese
+Vollendung ist nicht etwas, was sich messen oder analysieren läßt,
+sie ist ein Ganzes, das über die Summe seiner Teile hinausgeht. Sie
+eröffnet uns das tiefste Geheimnis aller Dinge, das zugleich jenseits
+aller Dinge liegt, wie die Schönheit einer Blume weit mehr ist als ihre
+botanischen Tatsachen; wie der Sinn der Menschheit selbst sich nicht im
+bloßen Herdenleben erschöpft.
+
+Diese Vollendung in der Liebe, die vollkommene Einheit ist, öffnet uns
+das Tor der Welt des Unendlichen, der sich in der Einheit aller Wesen
+offenbart; der Verlust, Selbstaufopferung und Tod mit reicherem Gewinn
+und höherem Leben krönt; der durch seine eigene Fülle die Leere der
+Entsagung in Fülle wandelt. Dies ist der größte Dualismus in uns, der
+Dualismus des Endlichen und Unendlichen. Durch ihn werden wir uns der
+Verwandtschaft bewußt zwischen dem, was in uns ist, und dem, was über
+uns hinausgeht, zwischen dem Gegenwärtigen und Zukünftigen.
+
+Dies Bewußtsein dämmerte in uns auf mit unserm physischen Leben,
+wo Trennung und Vereinigung stattfand zwischen unserm Einzelleben
+und der allgemeinen Welt der Dinge; es vertiefte sich in unserm
+geistigen Leben, wo Trennung und Vereinigung stattfand zwischen
+unserm individuellen Geist und der allgemeinen Welt der Vernunft; es
+erweiterte sich, wo Trennung und Vereinigung stattfand zwischen unserm
+Einzelwillen und der allgemeinen Welt der menschlichen Persönlichkeit;
+es fand seinen letzten Sinn in der Trennung und Harmonie unsrer
+Einzelseele mit der All-Seele. Und auf dieser Stufe der ewigen Trennung
+und Wiedervereinigung beider bricht der Mensch aus in das wundervolle
+Lied:
+
+ Dies ist der höchste Pfad,
+ Dies ist der höchste Schatz,
+ Dies ist die höchste Welt,
+ Dies ist die höchste Wonne[13].
+
+Das Leben ist in beständiger Verbindung mit diesem Höchsten. Die Welt
+der Dinge und Menschen bewegt sich beständig in mannigfachen Weisen
+nach diesem Rhythmus, doch sie selbst kennt seinen Sinn nicht, bis er
+sich ihr in der vollkommenen Vereinigung mit dem Höchsten offenbart.
+
+So nahe die Beziehung des noch ungeborenen Kindes zum Mutterleibe auch
+ist, so hat sie doch noch nicht ihren letzten Sinn gefunden. Wenn auch
+alle seine Bedürfnisse ihm dort bis ins einzelnste befriedigt werden,
+so bleibt sein größtes Bedürfnis noch ungestillt. Es muß in die Welt
+von Licht und Raum und freiem Handeln hineingeboren werden. Diese Welt
+ist in jeder Hinsicht so gänzlich verschieden von der des Mutterleibes,
+daß das ungeborne Kind, wenn es die Fähigkeit zu denken hätte, sich nie
+eine Vorstellung von jener weiteren Welt machen könnte. Und doch hat es
+seine Glieder, die erst in der Freiheit von Luft und Licht ihren Sinn
+bekommen.
+
+So hat auch der Mensch in der Welt der Natur alles, was er zur
+Ernährung seines Ichs braucht. Dort ist sein Ich seine Hauptsorge --
+das Ich, dessen Interesse von dem der andern abgesondert ist. Wie mit
+seinem Ich so ist es auch mit den Dingen seiner Welt; sie haben für ihn
+keine andere Bedeutung als die des Nutzens. Aber es entwickeln sich
+Fähigkeiten in ihm wie die Glieder beim ungeborenen Kinde, die ihm die
+Kraft geben, die Einheit der Welt zu erkennen -- die Einheit, die der
+Seele und nicht den Dingen eigen ist. Er hat im Schönheitssinn und in
+der Liebe die Fähigkeit, an andern mehr Freude zu finden als an sich
+selbst. Die Fähigkeit, die ihn irdische Freuden verschmähen und Schmerz
+und Tod auf sich nehmen läßt, treibt ihn, unaufhaltsam vorwärts zu
+streben und führt ihn zu Erkenntnissen und Taten, die scheinbar keinen
+Nutzen für ihn haben. Dies führt zum Widerstreit mit den Gesetzen der
+Welt der Natur, und das Prinzip der Auslese der Tauglichsten ändert
+seinen Sinn.
+
+Und damit kommen wir zu dem Dualismus, durch den der Mensch am
+meisten leidet: dem Dualismus von Natur und Seele. Das Übel, das den
+natürlichen Menschen verletzt, ist der Schmerz, aber das Übel, das
+seine Seele verletzt, hat einen besonderen Namen erhalten, es heißt
+Sünde. Denn wenn es auch durchaus nicht als Schmerz empfunden wird,
+so ist es doch ein Übel, ebenso wie Blindheit oder Lahmheit für den
+Embryo nichts bedeutet, aber nach der Geburt zu einem großen Übel wird,
+das den Zweck des Lebens hemmt. Das Verbrechen richtet sich gegen den
+Menschen, die Sünde richtet sich gegen das Göttliche in uns.
+
+Was ist dieses Göttliche? Es ist das, was seinen eigentlichen und
+wahren Sinn im Unendlichen hat, was in dem embryonischen Leben des Ichs
+nicht die letzte Wahrheit sieht. Die ganze Geschichte der Menschheit
+ist eine Geschichte von Geburtswehen, eine Geschichte von Leiden, wie
+kein Tier sie je durchzumachen hat. Die Menschheit hat keine Ruhe,
+all ihre Triebkräfte drängen sie vorwärts. Wenn sie sich auf ihrem
+Wohlstand zur Ruhe legt, ihr Leben durch Konventionen einschnürt, ihre
+Ideale zu verhöhnen beginnt und all ihre Kräfte auf die Vergrößerung
+ihres Ichs verwendet, dann beginnt ihr Verfall und Tod; alles, was
+sie an Kraft hat, wirkt nur noch zerstörend, denn sie braucht diese
+Kraft nur, um Zurüstungen für den Tod zu machen, weil sie nicht an
+unsterbliches Leben glaubt.
+
+Für alle andern Kreaturen ist das natürliche Leben alles. Leben, die
+Gattung fortpflanzen und sterben, das ist ihr Daseinszweck. Und damit
+sind sie zufrieden. Sie rufen nie sehnsüchtig nach Erlösung, nach
+Befreiung aus den Schranken des Lebens; sie fühlen sich nie eingeengt
+und erstickt und schlagen verzweifelt gegen die Grenzmauern ihrer Welt;
+sie wissen nicht, was es heißt, ein Leben des Überflusses aufgeben und
+durch Entsagung den Eintritt ins Reich himmlischer Wonne zu gewinnen.
+Sie schämen sich nicht ihrer Begierden und empfinden sie nicht als
+unrein, denn sie gehören zu ihrem vollen Leben. Sie sind nicht grausam
+in ihrer Grausamkeit, nicht gierig in ihrer Gier, denn Grausamkeit
+und Gier reichen nicht weiter als die Gegenstände derselben, die an
+sich endlich sind. Aber der Mensch hat seine Unendlichkeit, und daher
+verachtet er jene Leidenschaften, die seine Unsterblichkeit nicht
+anerkennen.
+
+Im Menschen hat das Leben des Tiers seinen Bereich geweitet. Er ist
+an die Schwelle einer Welt gekommen, die erst durch seinen eigenen
+Willen und seine eigene Kraft geschaffen werden muß. Er ist über das
+rezeptive Stadium hinaus, wo das Ich versucht, alles, was es umgibt,
+in sein eigenes Zentrum zu ziehen, ohne selbst etwas zu geben. Jetzt
+beginnt des Menschen schöpferisches Leben, wo er von seinem Überfluß
+spendet. Durch unaufhörliches Entsagen soll er wachsen. Alles was die
+Freiheit dieses endlosen Wachstums hemmt, ist Sünde, das Übel, das
+seiner Unsterblichkeit entgegenarbeitet. Diese schöpferische Kraft
+im Menschen hat sich schon von Anfang seines Lebens an gezeigt. Denn
+selbst sein physischer Bedarf wird ihm in der Kinderstube der Natur
+nicht gebrauchsfertig vorgesetzt. Von seinen ersten Tagen an ist er
+geschäftig gewesen, sich aus dem Rohmaterial, das um ihn herumliegt,
+seinen Lebensbedarf zu bereiten. Selbst seine Speisegerichte sind seine
+eigene Schöpfung, und im Gegensatz zu den Tieren wird er nackt geboren
+und muß sich seine Kleidung selbst schaffen. Dies beweist, daß der
+Mensch aus der Welt der Naturzwecke in die Welt der Freiheit geboren
+ist.
+
+Denn Schaffen bedeutet Freiheit. Wir leben in einem Gefängnis, wenn wir
+in dem leben müssen, was schon da ist, denn es bedeutet in etwas leben,
+was etwas anderes ist als wir selbst. Dort müssen wir ohnmächtig es der
+Natur überlassen, mit uns zu schalten und walten und für uns zu wählen,
+und so kommen wir unter das Gesetz der natürlichen Auslese. Aber in
+unsrer eigenen Schöpfung leben wir in dem, was unser ist, und dort wird
+die Welt mehr und mehr eine Welt unsrer eigenen Auslese; sie bewegt
+sich mit uns im gleichen Schritt und gibt uns Raum, wohin wir uns auch
+wenden. So kommt es, daß der Mensch sich nicht mit der ihm gegebenen
+Welt begnügt; er strebt danach, sie zu seiner eigenen Welt zu machen.
+Und er legt den ganzen Mechanismus des Weltalls auseinander, um ihn zu
+studieren und wieder nach seinen eigenen Bedürfnissen zusammenzusetzen.
+Er lehnt sich auf gegen den Zwang der Naturgesetze. Sie hemmen bei
+jedem Schritt die Freiheit seines Laufes, und er muß die Tyrannei
+der Materie erdulden, die seine Natur sich sträubt als endgültig und
+unvermeidlich anzuerkennen.
+
+Schon in der Zeit seiner Wildheit versuchte er durch Zaubermittel die
+Ordnung der Dinge zu durchbrechen. Er träumte von Aladdins Wunderlampe
+und von mächtigen Geistern, die ihm gehorchen und die Welt auf den
+Kopf stellen mußten, wenn es ihm einfiel. Denn sein freier Geist stieß
+immer wieder gegen Dinge, die ohne Rücksicht auf ihn eingerichtet
+waren. Er mußte sich scheinbar in die ihm aufgezwungene Naturordnung
+fügen oder sterben. Aber im tiefsten Herzen konnte er doch trotz
+der ihn widerlegenden harten Tatsachen nicht daran glauben. Daher
+träumte er von einem Paradiese der Freiheit, vom Märchenlande, vom
+Heldenzeitalter, wo der Mensch in beständigem Verkehr mit Göttern
+lebte, vom Stein der Weisen, vom Lebenselixier. Obgleich er nirgends
+das Tor finden konnte, das in die Freiheit führte, suchte er doch
+unermüdlich tastend danach, er härmte sich in Sehnsucht ab und betete
+inbrünstig um Befreiung. Denn er fühlte instinktiv, daß diese Welt
+nicht seine endgültige Welt ist und daß seine Seele nur eine sinnlose
+Qual für ihn bedeuten würde, wenn es nicht eine andre Welt für ihn gäbe.
+
+Die Naturwissenschaft hat die Führung in der Rebellion des Menschen
+gegen die Herrschaft der Natur. Sie versucht, der Natur den Zauberstab
+der Macht zu entwinden und ihn dem Menschen in die Hand zu geben;
+sie will unsern Geist aus der Sklaverei der Dinge befreien. Die
+Naturwissenschaft hat ein materialistisches Aussehen, weil sie damit
+beschäftigt ist, den Kerker der Materie zu zerbrechen, und auf seinem
+Trümmerhaufen arbeitet. Beim Einfall in ein neues Land ist Plünderung
+die Losung des Tages. Doch wenn das Land erobert ist, werden die Dinge
+anders, und die, die eben noch raubten, werden zu Polizisten und
+stellen Frieden und Ordnung wieder her. Die Naturwissenschaft beginnt
+eben erst den Einfall in die materielle Welt, und alles hascht gierig
+nach Beute und verleugnet schamlos die wahre Natur des Menschen. Aber
+die Zeit wird kommen, wo die großen Kräfte der Natur jedem Einzelnen
+zu Gebote stehen, und wo mit wenig Kosten und Mühe für die elementaren
+Lebensbedürfnisse aller gesorgt werden kann. Wo es für den Menschen
+ebenso leicht sein wird zu leben wie zu atmen und sein Geist frei ist,
+sich seine eigene Welt zu schaffen.
+
+In früheren Zeiten, als die Naturwissenschaft den Schlüssel zum
+Vorratshause der Naturkräfte noch nicht gefunden hatte, hatte der
+Mensch doch schon den stoischen Mut, die Materie zu verachten. Er
+sagte, er könne sich ohne Nahrung behelfen und könne auch die Kleidung
+als Schutz gegen Kälte entbehren. Er war stolz darauf, seinen Leib zu
+kasteien. Es war ihm eine Lust, offen zu verkünden, daß er der Natur
+nur sehr wenig von dem Zoll zahlte, den sie von ihm forderte. Er
+bewies, daß er die Angst vor Schmerz und Tod, mit deren Hilfe die Natur
+ihn zu knechten suchte, aufs äußerste verachtete.
+
+Woher dieser Stolz? Warum hat der Mensch sich von jeher gegen die
+demütigende Zumutung aufgelehnt, seinen Nacken unter physische
+Notwendigkeiten zu beugen? Warum konnte er sich nie damit aussöhnen,
+die Beschränkungen, die die Natur ihm auferlegte, als unbedingt geltend
+hinzunehmen? Warum konnte er in seiner physischen und sittlichen Welt
+die kühnsten Unmöglichkeiten versuchen, ohne je, trotz wiederholter
+Enttäuschungen, eine Niederlage zuzugeben?
+
+Vom Standpunkt der Natur aus betrachtet, ist der Mensch töricht. Er
+traut der Welt, in der er lebt, nicht ganz. Er hat vom Anfang seiner
+Geschichte an Krieg mit ihr geführt. Er scheint sich durchaus an allen
+Ecken stoßen und verletzen zu wollen. Es ist schwer, sich vorzustellen,
+wie die sorgsame Meisterin der natürlichen Auslese Schlupflöcher lassen
+konnte, durch die solche überflüssigen und gefährlichen Elemente in
+ihre Wirtschaft hineingelangen und den Menschen ermutigen konnten,
+dieselbe Welt, die ihn erhält, zu durchbrechen. Aber das junge Vöglein
+benimmt sich genau so unbegreiflich töricht, wenn es die Wand seiner
+kleinen Welt durchbricht. Es hat doch mit der unbeirrbaren Sicherheit
+des Instinkts gefühlt, daß jenseits seines lieben Schalenkerkers etwas
+auf ihn wartet, das seinem Dasein Erfüllung bringen wird, wie seine
+Phantasie sie nie träumen kann.
+
+So glaubt auch der Mensch fast blindlings seinem Instinkt, daß er,
+wie dicht auch die Hülle sein mag, die ihn hier umgibt, doch aus dem
+Mutterschoße der Natur in die Welt des Geistes geboren werden soll,
+in die Welt, wo er seine schöpferische Freiheit erlangt, wo er an
+der Schöpfung des Unendlichen teilnimmt, wo er im Zusammenwirken mit
+dem Unendlichen schafft, wo seine Schöpfung und Gottes Schöpfung in
+Harmonie eins werden.
+
+In fast allen Religionssystemen gibt es ein großes Feld des
+Pessimismus, wo das Leben als ein Übel und die Welt als Fallstrick
+und Trug angesehen wird, wo der Mensch in der Welt um ihn her seinen
+erbittertsten Feind sieht. Er fühlt den Druck der Dinge so intensiv,
+daß er glaubt, es müsse ein böser Geist in der Welt sein, der ihn
+versuche und mit arger List ihn ins Verderben zu reißen trachte. In
+seiner Verzweiflung beschließt der Mensch dann, sich ganz von der Natur
+abzuwenden und zu beweisen, daß er sich selbst genügt.
+
+Aber dies ist der heftige und schmerzhafte Kampf des Kindeslebens gegen
+das Leben der Mutter an der Schwelle seiner Geburt. Er ist grausam und
+zerstörend und sieht in dem Augenblick wie Undank aus. Aller religiöse
+Pessimismus ist schwärzester Undank, der den Menschen treibt, nach dem
+zu schlagen, was ihn so lange mit seinem eigenen Leben getragen und
+genährt hat.
+
+Und doch macht uns die Tatsache, daß es eine so unmögliche Paradoxie
+gibt, nachdenklich. Wir sind zu Zeiten geneigt, unsre Geschichte
+ganz aus den Augen zu verlieren und zu glauben, solche Anfälle von
+Pessimismus seien mit Absicht und Überlegung von gewissen Mönchen
+und Priestern hervorgerufen, die in einer Zeit der Gesetzlosigkeit
+unter unnatürlichen Bedingungen lebten. Wir vergessen dabei, daß
+Verschwörungen Erzeugnisse der Geschichte sind, aber die Geschichte
+nicht ein Erzeugnis von Verschwörungen. Die menschliche Natur wird
+von innen heraus mit Heftigkeit getrieben, sich selbst den Krieg
+zu erklären. Und wenn diese Heftigkeit auch nachläßt, so ist der
+Schlachtruf doch noch nicht ganz verstummt.
+
+Wir müssen wissen, daß Übergangsperioden ihre Sprache haben, die man
+nicht buchstäblich nehmen darf. Wenn die Seele sich zum erstenmal im
+Menschen bemerkbar macht, so betont sie ihren Gegensatz zur Natur mit
+solcher Heftigkeit, als wäre sie bereit, einen Vernichtungskrieg gegen
+sie zu beginnen. Aber dies ist die negative Seite. Wenn die Revolution,
+die die Freiheit aufrichten will, ausbricht, hat sie das Aussehen der
+Anarchie. Doch ihr wahrer Sinn ist nicht die Zerstörung der Regierung,
+sondern die Freiheit der Regierung.
+
+So ist auch die Geburt der Seele in die geistige Welt nicht die
+Auflösung der Beziehung zu dem, was wir Natur nennen, sondern
+vollkommene Verwirklichung dieser Beziehung in der Freiheit.
+
+In der Natur sind wir blind und lahm wie ein Kind vor seiner Geburt.
+Aber im geistigen Leben sind wir frei geboren. Und sobald wir aus der
+blinden Knechtschaft der Natur befreit sind, steht sie uns im hellen
+Licht gegenüber, und wo wir bisher nichts als Hülle sahen, erkennen wir
+jetzt die Mutter.
+
+Aber was ist das Endziel der Freiheit, zu der des Menschen Leben
+gelangt ist? Sie muß ihren Sinn in etwas haben, über das hinaus wir
+nicht zu forschen brauchen. Die Antwort ist dieselbe, die uns das Leben
+des Tieres gibt, wenn wir nach seinem letzten Sinn fragen. Wenn die
+Tiere ihren Hunger und ihre andern Begierden befriedigen, so fühlen
+sie, daß sie sind. Und das ist auch unser Sinn und Ziel: zu wissen, daß
+wir sind. Das Tier weiß es, aber sein Wissen ist wie Rauch, nicht wie
+Feuer, es kommt als blindes Gefühl, nicht als Erleuchtung, und wenn es
+auch die Wahrheit aus ihrem Schlummer aufweckt, so läßt es sie doch im
+Dunkel. Es ist das Bewußtsein, das anfängt, das Ich vom Nicht-Ich zu
+unterscheiden. Es hat gerade genug Umfang, um sich als Mittelpunkt zu
+fühlen.
+
+Auch das letzte Ziel der Freiheit ist zu wissen, daß »ich bin«. Doch
+dieses Ich-Bewußtsein ist ein anderes: es ist das Bewußtsein der
+Einheit mit dem All im Gegensatz zu dem der Abgesondertheit von allem
+andern. Diese Freiheit findet ihre Vollendung nicht in der Extensität,
+sondern in der Intensität, in der Liebe. Die Freiheit, zu der das Kind
+gelangt, wenn es aus dem Mutterleibe geboren wird, besteht nicht darin,
+daß es sich seiner Mutter völliger bewußt wird, sondern daß es zum
+intensiven Bewußtsein ihrer in der Liebe gelangt. Im Mutterleibe wurde
+es genährt und warm gehalten, aber es war in seiner Einsamkeit ganz
+auf sich selbst beschränkt. Nachdem das Kind in die Freiheit geboren
+ist, bringt die wechselseitige Beziehung der Liebe zwischen Mutter
+und Kind dem Kinde die Freude des vollkommensten Bewußtseins seines
+Ichs. Diese Mutterliebe gibt seiner ganzen Welt ihren Sinn. Wenn das
+Kind nur ein vegetierender Organismus wäre, dann brauchte es sich nur
+mit seinen Wurzeln in seiner Welt festzuklammern und könnte gedeihen.
+Aber das Kind ist eine Persönlichkeit, und diese Persönlichkeit strebt
+nach vollkommener Verwirklichung, die nie in der Gefangenschaft des
+Mutterleibes geschehen kann. Sie muß frei sein, und diese Freiheit
+findet ihre Erfüllung nicht in sich selbst, sondern in einer andern
+Persönlichkeit, und dies ist Liebe.
+
+Es ist nicht wahr, daß die Tiere keine Liebe empfinden. Aber sie ist
+zu schwach, um das Bewußtsein so weit zu erleuchten, daß es ihnen die
+ganze Wahrheit der Liebe offenbaren könnte. Ihre Liebe ist ein leises
+Glühen, das ihr Ich erhellt, aber nicht die Flamme, die über das
+Geheimnis des eigenen Ichs hinausgeht. Ihr Bereich ist zu eng umgrenzt,
+um bis an die paradoxe Wahrheit zu reichen, daß die Persönlichkeit,
+die das Bewußtsein der Einheit im eigenen Selbst ist, doch erst in der
+Einheit mit andern ihre ganze Wahrheit findet.
+
+Diese Paradoxie hat den Menschen zu der Erkenntnis geführt, daß die
+Natur, in die hinein wir geboren werden, nur eine unvollkommene
+Wahrheit ist wie die Wahrheit des Mutterleibes. Die volle Wahrheit ist,
+daß wir im Schoß der unendlichen Persönlichkeit geboren werden. Unsere
+wahre Welt ist nicht die Welt der Naturgesetze, der Gesetze von Kraft
+und Stoff, sondern die Welt der Persönlichkeit. Wenn wir das vollkommen
+erkannt haben, haben wir unsre wahre Freiheit gefunden. Dann verstehen
+wir das Wort der Upanischad:
+
+»Erkenne alles, was in der Welt lebt und wirkt, als von Gott
+umschlossen, und genieße, was er dir hingibt[14].«
+
+Wir haben gesehen, daß das Bewußtsein der Persönlichkeit mit dem
+Gefühl der Abgesondertheit von allen andern beginnt und in dem Gefühl
+der Einheit mit allen gipfelt. Selbstverständlich ist das Bewußtsein
+der Abgetrenntheit auch zugleich mit einem Bewußtsein der Einheit
+verbunden, denn es kann nicht für sich allein existieren. Das Leben,
+wo das Bewußtsein der Abgesondertheit an erster und das der Einheit
+an zweiter Stelle steht, und wo infolgedessen die Persönlichkeit eng
+und vom Licht der Wahrheit nur matt erleuchtet ist, -- dies Leben ist
+das Leben des Ichs. Aber das Leben, wo das Bewußtsein der Einheit der
+erste Faktor ist, und wo daher die Persönlichkeit weit und vom Licht
+der Wahrheit hell erleuchtet ist, dies Leben ist das Leben der Seele.
+Die ganze Aufgabe des Menschen liegt darin, vom Ich-Bewußtsein zum
+Seelenbewußtsein zu gelangen, seinen inneren Kräften die Richtung
+auf das Unendliche zu geben und so von der Verengung des Ichs in der
+Begierde zur Ausweitung der Seele in der Liebe fortzuschreiten.
+
+Dies Seelenbewußtsein, das das bewußte Prinzip der Einheit, der
+Mittelpunkt aller Beziehungen ist, ist das wahre Sein und daher das
+letzte Ziel alles Strebens. Ich muß auf diese Tatsache den größten
+Nachdruck legen, daß diese Welt nur in ihrer Beziehung zu einer
+zentralen Persönlichkeit Wirklichkeit hat. Ohne diesen Mittelpunkt
+fällt sie auseinander, wird zu einem Haufen von Abstraktionen, wie
+Kraft und Stoff, und selbst diese, die blassesten Spiegelungen des
+Seins, würden in absolutes Nichts verschwinden, wenn das denkende Ich
+im Mittelpunkt, zu dem sie durch eine gewisse Vernunftharmonie in
+Beziehung stehen, fehlte.
+
+Aber es gibt unzählige solche Zentren. Jedes Wesen hat seine eigene
+kleine Welt, deren Zentrum es ist. Daher stellt sich uns unwillkürlich
+die Frage: »Gibt es ebensoviele unüberbrückbar voneinander verschiedene
+Wirklichkeiten?«
+
+Unsre ganze Natur lehnt sich auf gegen die Bejahung dieser Frage. Denn
+wir wissen, daß das Prinzip der Einheit in uns die Grundlage alles
+wahren Seins ist. Daher ist der Mensch vom trüben Dämmerlicht seiner
+Fragen und Vorstellungen durch all seine Zweifel und Erörterungen
+zu der Wahrheit gekommen, daß es einen ewigen Mittelpunkt gibt, zu
+dem alle Persönlichkeiten und daher die ganze Welt der Wirklichkeit
+ihre Beziehung hat. Dies ist »_Mahān puruṣaḥ_«, die eine höchste
+Persönlichkeit; es ist »_Satyaṃ_«, die eine höchste Wahrheit; es ist
+»_Jn̆ānaṃ_«, der die höchste Erkenntnis in sich hat und daher sich
+selbst in allem erkennt; es ist »_Sarvānubhūḥ_«, der die Gefühle aller
+Wesen in sich und daher sich in allen Wesen fühlt.
+
+Aber dieser Höchste, der Mittelpunkt alles Seins, ist nicht nur ein
+passives, rezeptives Wesen, er ist _ānanda-rūpam amṛtaṃ yad vibhāti_
+-- die Freude, die sich in Formen offenbart. Sein Wille ist es, der
+schafft.
+
+Der Wille findet seine höchste Erfüllung nicht in der Welt des
+Gesetzes, sondern in der Welt der Freiheit, nicht in der Welt der
+Natur, sondern in der geistigen Welt.
+
+Dies erkennen wir an uns selbst. Unsre Sklaven tun, was wir ihnen
+befehlen, und versehen uns mit dem, was wir brauchen, aber unsre
+Beziehung zu ihnen ist unvollkommen. Wir haben unsre Willensfreiheit,
+die nur in der Willensfreiheit anderer ihre Harmonie finden kann.
+Wo wir selbst Sklaven sind, in unsern selbstsüchtigen Begierden, da
+befriedigt uns das Sklaventum in andern. Denn die Sklaverei entspricht
+unserm eigenen Sklaventum und läßt uns in ihm Genüge finden. Als daher
+Amerika seine Sklaven befreite, befreite es in Wahrheit sich selbst.
+Wir finden unsre höchste Freude in der Liebe. Denn in ihr sehen wir die
+Willensfreiheit anderer verwirklicht. Bei unsern Freunden begegnet ihr
+Wille unserm Willen in vollkommener Freiheit, nicht im Zwang der Not
+oder der Furcht; daher findet unsre Persönlichkeit in dieser Liebe ihre
+höchste Verwirklichung.
+
+Weil die Wahrheit unsres Willens in seiner Freiheit besteht, daher ist
+auch reine Freude nur in der Freiheit möglich. Wir finden Freude in
+der Befriedigung unsrer Bedürfnisse, aber diese Freude ist negativer
+Art. Denn das Bedürfnis ist eine Sklaverei, von der wir durch die
+Befriedigung des Bedürfnisses befreit werden. Aber damit ist auch die
+Freude zu Ende. Es ist anders mit unsrer Freude an der Schönheit. Sie
+ist positiver Art. Im harmonischen Rhythmus finden wir die Vollendung.
+Dort sehen wir nicht die Substanz oder das Gesetz, sondern die
+reine Form, die mit unsrer Persönlichkeit in Harmonie ist. Aus der
+Knechtschaft bloßen Stoffes und bloßer Linien geht das hervor, was
+über alle Schranken hinaus ist. Wir fühlen uns sogleich frei von der
+tyrannischen Sinnlosigkeit der Einzeldinge, -- jetzt geben sie uns
+etwas, was zu unserm eignen Selbst in persönlicher Beziehung steht.
+Die Offenbarung der Einheit in ihrer passiven Vollkommenheit, die wir
+in der Natur finden, ist die Schönheit; die Offenbarung der Einheit in
+ihrer aktiven Vollkommenheit, die wir in der geistigen Welt finden,
+ist die Liebe. Diese besteht nicht in der Harmonie der äußeren Formen,
+sondern in der Harmonie der Willen. Der Wille, der frei ist, bedarf zur
+Verwirklichung seiner Harmonie andrer Willen, die auch frei sind, und
+darin liegt die Bedeutung des religiösen Lebens. Der ewige Mittelpunkt
+alles Seins, das höchste Wesen, das seine Freude ausstrahlt, indem es
+sich in Freiheit hingibt, muß andre Freiheitszentren schaffen, um sich
+mit ihnen in Harmonie zu einen. Die Schönheit ist die Harmonie, die
+sich in Dingen verwirklicht, die durch das Naturgesetz gebunden sind.
+Die Liebe ist die Harmonie, die sich in Willen verwirklicht, welche
+frei sind.
+
+Im Menschen sind solche Freiheitszentren geschaffen. Er soll kein
+bloßer Empfänger von Gaben der Natur sein; er soll sich voll
+ausstrahlen im Schaffen seiner Kraft und in der Vervollkommnung
+seiner Liebe. Sein Ziel muß der Unendliche sein, wie der Unendliche
+in ihm sein Ziel hat. Die Schöpfung der natürlichen Welt ist Gottes
+eigene Schöpfung, wir können sie nur empfangen und dadurch uns zu
+eigen machen. Aber bei der Schöpfung der geistigen Welt sind wir
+Gottes Partner. Bei dieser Arbeit muß Gott warten, daß unser Wille
+mit dem seinen übereinstimmt. Nicht Macht ist es, was diese geistige
+Welt aufbaut; nirgends, auch nicht in dem entferntesten Winkel, gibt
+es in ihr Passivität oder Zwang. Das Bewußtsein muß alle Nebel der
+Täuschung abgestreift haben, der Wille muß von allen Gegenkräften
+der Leidenschaften und Begierden befreit sein, bevor wir an Gottes
+Schöpfungswerk teilnehmen. Solange wir nur Empfänger seiner Gaben sind,
+hat unser Verhältnis zu ihm noch nicht seine volle Wahrheit gefunden,
+denn es ist einseitig und daher unvollkommen. Wie er uns aus seiner
+eigenen Fülle gibt, sollen auch wir ihm von unserm Überfluß geben.
+Daraus quillt reine Freude, nicht nur für uns, sondern auch für Gott.
+
+In unserm Lande haben die Wischnusänger diese Wahrheit erkannt und sie
+kühn verkündet, indem sie sagten, erst in den Menschenseelen fände
+Gott die Erfüllung seiner Liebe. In der Liebe muß Freiheit sein, daher
+muß Gott nicht nur warten, bis unsre Seele freiwillig den Einklang
+mit seiner Seele sucht, sondern er muß auch leiden, wenn sie dieser
+Harmonie widerstrebt und sich gegen ihn auflehnt.
+
+Daher hat es bei der Schöpfung der geistigen Welt, an der der Mensch
+in Gemeinschaft mit Gott arbeiten muß, Leiden gegeben, von denen die
+Tiere keine Ahnung haben können. Beim Stimmen der Instrumente haben
+die Saiten oft in schrillen Dissonanzen aufgeschrien, und oft sind
+sie gerissen. Wenn wir die Mitarbeit des Menschen am Werke Gottes von
+dieser Seite sehen, so erscheint sie uns sinnlos und schädlich. Das
+Ideal, das im Herzen dieser Schöpfung ist, läßt uns jeden Fehler und
+Mißton wie einen Dolchstoß empfinden, und die Seele stöhnt und blutet.
+Oft hat die Freiheit sich in ihr Gegenteil gewandelt, um zu beweisen,
+daß sie Freiheit ist, und der Mensch hat gelitten, und Gott mit ihm,
+auf daß diese Welt des Geistes geläutert und rein aus ihrem Feuerbade
+hervorgehen möge, mit leuchtenden Gliedern wie ein göttliches Kind.
+Es hat Heuchelei und Lüge gegeben, grausame Überhebung, die sich
+über die Wunden entrüstet, die sie selbst geschlagen, geistlichen
+Hochmut, der im Namen Gottes den Menschen schmäht, Machthochmut, der
+Gott lästert, indem er ihn seinen Verbündeten nennt; jahrhundertelang
+hat man den Schmerzensschrei der Gequälten gewaltsam erstickt und
+Menschenkinder ihres rechten Armes beraubt, um sie für alle Zeit wehr-
+und hilflos zu machen; man hat die Felder mit dem blutigen Schweiß der
+Sklaverei gedüngt, um Leckerbissen darauf zu bauen, und seinen Reichtum
+aufgerichtet auf Mangel und Hungersnot. Aber ich frage: Hat dieser
+Riesengeist der Verneinung gesiegt? Ist das Leiden, das er im Herzen
+des Unendlichen hervorgerufen hat, nicht seine größte Niederlage?
+Und wird sein gefühlloser Stolz nicht in jedem Augenblick seines
+aufgeblasenen Daseins selbst durch das Gras am Wege und die Blumen auf
+dem Felde beschämt? Trägt nicht das Verbrechen an Gott und Menschen
+seine Strafe selbst als Krone der Häßlichkeit auf dem Haupte? Ja, das
+Göttliche im Menschen läßt sich durch Erfolg oder Organisationen seines
+Gegners nicht einschüchtern; es setzt sein Vertrauen nicht auf die
+Größe seiner Macht und auf kluge Vorsicht. Seine Stärke liegt nicht in
+Muskel- oder Maschinenkraft, nicht in Klugheit der Politik, noch in
+Robustheit des Gewissens, sondern in seinem Streben nach Vollendung.
+Wenn auch das Heute es verhöhnt, so hat es doch die Ewigkeit des Morgen
+auf seiner Seite. Dem Anschein nach ist es hilflos wie ein neugebornes
+Kind, aber seine nächtlichen Leidenstränen setzen alle unsichtbaren
+Kräfte des Himmels in Bewegung, sie rufen in der ganzen Schöpfung die
+Mutter wach. Kerkermauern fallen ein, ungeheure Berge von Reichtümern
+stürzen, vom Mißverhältnis ihrer eigenen Last umgerissen, kopfüber in
+den Staub. Die Geschichte der Erde ist die Geschichte von Erdbeben
+und Sintfluten und vulkanischen Ausbrüchen, und doch ist sie bei
+alledem die Geschichte der grünen Felder und der murmelnden Bäche, der
+Schönheit und des fruchtbaren Lebens. Und die geistige Welt, die aus
+dem Leben des Menschen und dem Leben Gottes emporwächst, wird diese
+Zeit der ersten Kindheit, wo sie immer wieder hilflos zu Fall kommt
+und sich verletzt, hinter sich lassen und eines Tages in der Kraft
+der Jugend auf festen Füßen stehen, in frohem Genuß der Schönheit und
+Freiheit ihrer Bewegung.
+
+Das Leiden gerade ist unsre größte Hoffnung. Denn es ist der
+Sehnsuchtsschrei der Unvollkommenheit, der von ihrem Glauben an
+Vollkommenheit zeugt, wie der Schrei des Kindes von dem Glauben an die
+Mutter. Dies Leiden treibt den Menschen dazu, mit seinem Gebet ans Tor
+des Unendlichen, des Göttlichen in ihm zu pochen und so seinen tiefsten
+Instinkt, seinen unmittelbaren Glauben an das Ideal zu beweisen, den
+Glauben, mit dem er dem Tode mutig entgegentritt und allem entsagt,
+was zu seinem engeren Selbst gehört. Gottes Leben, das sich in seine
+Schöpfung ergießt, hat das Leben des Menschen berührt, das nun auch
+der Freiheit zuströmt. Immer wenn in die Harmonie des Schöpfungsliedes
+hinein eine Dissonanz schrillt, ruft der Mensch aus: »_Asato mā sad
+gamaya_«, »Hilf mir aus dem Nichtsein zum wahren Sein.« Er gibt
+sein Selbst hin, daß es für die Musik der Seele gestimmt werde. Auf
+diese Hingabe wartet Gott, denn die geistige Harmonie kann nur durch
+Freiheit entstehen. Daher ist die freiwillige Hingabe des Menschen an
+den Unendlichen der Anfang der vollkommenen Vereinigung mit ihm. Erst
+dann, durch das Medium der Freiheit, kann Gottes Liebe voll auf die
+Menschenseele wirken. Diese Hingabe besteht in der freien Wahl unsrer
+Seele, ihr Leben dem Werke Gottes zu weihen, die Welt des Naturgesetzes
+in eine Welt der Liebe umzuwandeln.
+
+In der Geschichte des Menschen hat es Augenblicke gegeben, wo sein
+Leben mit der Musik von Gottes Leben in vollkommener Harmonie
+zusammenklang. Wir haben gesehen, wie des Menschen Persönlichkeit in
+restloser Selbsthingabe aus überquellender Liebe ihre Vollendung fand,
+indem sie selbst göttliches Wesen erlangte. Es sind Menschen in dieser
+Welt der Natur geboren, mit menschlichen Begierden und Schwächen,
+die dennoch bewiesen haben, daß sie in der Welt des Geistes atmeten,
+daß die höchste Wirklichkeit die Freiheit der Persönlichkeit in der
+vollkommenen Vereinigung der Liebe ist. Sie machten sich frei von allen
+selbstsüchtigen Wünschen und Begierden, von allen engen Vorurteilen der
+Kaste und der Nationalität, von der Menschenfurcht und der Knechtschaft
+der Glaubensdogmen und Konventionen. Sie wurden eins mit ihrem Gott im
+freien, tätigen Wirken mit ihm. Sie liebten und litten. Sie boten ihre
+Brust den Pfeilen des Bösen und bewiesen, daß der Geist unsterbliches
+Leben hat. Große Königreiche wechseln ihre Formen und verschwinden
+wie Wolken, Institutionen zerfließen in der Luft wie Träume, Nationen
+spielen ihre Rolle und versinken in Dunkel, aber jene Einzelwesen
+tragen das unsterbliche Leben der ganzen Menschheit in sich: Ihr Leben
+fließt wie ein ewiger, gewaltiger Strom durch grüne Felder und Wüsten
+und durch die langen, dunklen Höhlen der Vergessenheit in die tanzende
+Freude des Sonnenlichts hinein und bringt im endlosen Lauf der Jahre
+Wasser des Lebens an die Türen von Millionen Menschen, das ihren Durst
+löscht und ihre Leiden heilt und sie reinigt vom Staub des Alltags, und
+singt mit heller Stimme durch den Lärm der Märkte das Lied des ewigen
+Lebens, das Jubellied:
+
+ Dies ist der höchste Pfad,
+ Dies ist der höchste Schatz,
+ Dies ist die höchste Welt,
+ Dies ist die höchste Wonne.
+
+
+
+
+MEINE SCHULE
+
+
+Als ich mich den Vierzigern näherte, eröffnete ich eine Schule in
+Bengalen. Das hatte man sicherlich nicht von mir erwartet, der ich den
+größten Teil meines Lebens damit zugebracht hatte, Verse zu machen.
+Daher dachten die Menschen natürlich, daß diese Anstalt wohl keine
+Musterschule werden würde; jedenfalls aber würde sie etwas unerhört
+Neues sein, da ich mich so ganz ohne alle Erfahrung an das Unternehmen
+gewagt hatte.
+
+Dies ist der Grund, warum ich so oft gefragt werde, was denn eigentlich
+die Idee ist, die meiner Schule zugrunde liegt. Die Frage setzt
+mich sehr in Verlegenheit, denn ich darf nichts Alltägliches darauf
+antworten, wenn ich die Erwartung der Fragenden befriedigen will. Ich
+will jedoch der Versuchung, originell zu sein, widerstehen und mich
+damit begnügen, nur wahr zu sein.
+
+Ich muß gleich gestehen, daß es schwer für mich ist, diese Frage
+überhaupt zu beantworten. Denn eine Idee ist nicht etwas wie ein festes
+Fundament, worauf man ein Gebäude errichtet. Sie ist mehr wie ein
+Samenkorn, das auch nicht gleich, so wie es anfängt zu keimen und zu
+wachsen, auseinandergelegt und erklärt werden kann.
+
+Nun aber verdankt diese Schule ihren Ursprung gar nicht irgendeiner
+neuen Erziehungstheorie, sondern einfach der Erinnerung an meine eigene
+Schulzeit.
+
+Wenn diese Zeit für mich eine unglückliche war, so liegt der Grund
+dafür nicht nur in meiner persönlichen Anlage oder in den besonderen
+Übelständen der Schulen, die ich besuchte. Es kann schon sein, daß
+ich, wenn ich etwas robuster gewesen wäre, mich dem Druck allmählich
+angepaßt und es schließlich bis zum Abschluß des Universitätsstudiums
+gebracht hätte. Aber Schulen sind nun einmal Schulen, wenn auch einige
+besser sind als andere, je nach dem Maßstab, den sie an sich legen.
+
+Die Vorsehung hat dafür gesorgt, daß die Kinder sich von der Milch der
+Mutter nähren. Sie finden ihre Mutter und ihre Nahrung zu gleicher
+Zeit, und Körper und Seele kommen zugleich zu ihrem Recht. So lernen
+sie gleich die große Wahrheit, daß die wahre Beziehung des Menschen zur
+Welt die persönliche Liebe ist und nicht das mechanische Kausalgesetz.
+
+Einleitung und Schluß eines Buches haben ähnlichen Charakter. In
+beiden wird die Wahrheit als Ganzes vor den Leser hingestellt, ohne
+daß die Einzelheiten entwickelt werden. Der Unterschied ist nur, daß
+diese Wahrheit uns in der Einleitung einfach erscheint, weil sie noch
+nicht analysiert ist, und am Schluß, weil die Analyse vollständig ist.
+Zwischen beiden entfaltet sich die Wahrheit, hier verwickelt sie sich,
+stößt sich an Hindernissen und bricht ganz auseinander, um sich endlich
+in vollkommener Einheit wiederzufinden.
+
+So wird auch dem Menschen gleich beim Eintritt in die Welt der
+Weisheit letzter Schluß in dieser einfachen Form offenbart. Er wird
+in eine Welt geboren, die für ihn intensivstes Leben ist, wo er als
+Einzelwesen die volle Aufmerksamkeit seiner Umgebung in Anspruch nimmt.
+Wie er heranwächst, geht ihm die naive Sicherheit in der Auffassung
+der Wirklichkeit verloren, er kann sich in der Kompliziertheit der
+Dinge nicht mehr zurechtfinden und trennt sich von seiner Umgebung,
+oft im Geiste des Widerspruchs. Doch wenn so die Einheit der
+Wahrheit zerbricht und ein hartnäckiger Bürgerkrieg zwischen seiner
+Persönlichkeit und seiner Umgebung anhebt, so kann Sinn und Ziel doch
+nicht ewige Zwietracht sein. Um diesen Sinn und den rechten Schluß für
+sein Leben zu finden, muß er über den Umweg des Zweifels wieder den Weg
+zur schlichten, vollkommenen Wahrheit finden, zur Einheit mit der Welt
+durch das Band unendlicher Liebe.
+
+Daher sollte man dem Menschen in seiner Kindheit sein volles Maß vom
+Trunk des Lebens geben, nach dem ihn so unaufhörlich dürstet. Das
+junge Gemüt sollte ganz von dem Gefühl durchdrungen werden, daß es
+hineingeboren ist in eine Menschenwelt, die in Harmonie ist mit der
+umgebenden Welt. Und dies gerade ist es, was unsere herkömmliche
+Schule mit überlegener Weisheitsmiene streng und hochmütig übersieht.
+Sie reißt die Kinder mit Gewalt aus einer Welt, die voll ist von dem
+geheimnisvollen Wirken Gottes, voll von Hindeutungen auf persönliches
+Leben. Aus bloßen Gründen der Schulzucht weigert sie sich, das
+einzelne Kind zu berücksichtigen. Sie ist eine Fabrik, die eigens
+dazu eingerichtet ist, Waren von möglichst gleichförmigem Schliff
+herzustellen. Sie zieht eine gerade Linie nach dem Durchschnittsmaß,
+und dieser Linie folgt sie, wenn sie die Kanäle des Unterrichts gräbt.
+Aber das Leben hält sich nicht an die gerade Linie, es hat seinen Spaß
+daran, mit dieser Durchschnittslinie auf- und abzuwippen, und lädt
+so den Zorn der Schule auf sein Haupt. Denn nach der Auffassung der
+Schule ist das Leben vollkommen, wenn es sich behandeln läßt, als ob
+es tot sei, so daß man es nach Belieben symmetrisch zerlegen kann. Das
+war es, worunter ich litt, als ich zur Schule geschickt wurde. Denn
+plötzlich entwich meine Welt rings um mich her und machte hölzernen
+Bänken und geraden Wänden Platz, die mich mit dem leeren Blick des
+Blinden anstarrten. Der Schulmeister hatte mich nicht geschaffen, das
+Unterrichtsministerium war nicht zu Rate gezogen, als ich in diese Welt
+kam. Aber war das ein Grund, das Versehen meines Schöpfers an mir zu
+rächen?
+
+Doch die Sage lehrt uns ja, daß man nicht im Paradiese bleiben darf,
+wenn man vom Baum der Erkenntnis ißt. Daher müssen die Kinder der
+Menschen aus ihrem Paradiese in ein Reich des Todes verbannt werden,
+in dem der Geist der Uniform herrscht. So mußte mein Geist sich in die
+enge Hülle der Schule zwängen lassen, die wie die Schuhe der Chinesin
+meine Natur bei jeder Bewegung überall drückte und quetschte. Ich war
+glücklich genug, mich ihrer zu entledigen, bevor mein Gefühl ganz
+abstarb.
+
+Obgleich ich nicht die volle Bußzeit abzudienen brauchte, die die
+Menschen meines Standes auf sich nehmen müssen, um Zutritt zu der
+Gesellschaft der Gebildeten zu erlangen, so bin ich doch froh, daß mir
+ihre Plage nicht ganz erspart blieb. Denn so habe ich an mir selbst das
+Unrecht erfahren, das die Kinder der Menschen erleiden.
+
+Die Ursache dieses Unrechts ist, daß der Erziehungsplan der Menschen
+dem Plan Gottes zuwiderläuft. Wie wir unsre Geschäfte betreiben, ist
+unsre Sache, und daher können wir in unserm Geschäftsbureau schaffen
+und wirken, wie es unserm besonderen Zweck entspricht. Aber solch ein
+Geschäftsbetrieb paßt nicht für Gottes Schöpfung. Und die Kinder sind
+Gottes eigene Schöpfung.
+
+Wir sind in diese Welt gekommen, nicht nur, daß wir sie kennen, sondern
+daß wir sie bejahen. Macht können wir durch Wissen erlangen, aber zur
+Vollendung gelangen wir nur durch die Liebe. Die höchste Erziehung ist
+die, welche sich nicht damit begnügt, uns Kenntnisse zu vermitteln,
+sondern die unser Leben in Harmonie bringt mit allem Sein. Aber wir
+finden, daß man diese Erziehung zur Harmonie in den Schulen nicht
+nur systematisch außer acht läßt, sondern daß man sie konsequent
+unterdrückt. Von klein auf werden wir so erzogen und unterrichtet, daß
+wir der Natur entfremdet und unsre innere und äußere Welt in Gegensatz
+zueinander gestellt werden. So wird die höchste Erziehung, die Gott
+uns bestimmte, vernachlässigt, und man nimmt uns unsre Welt, um uns
+dafür einen Sack voll Wissen zu geben. Wir berauben das Kind seiner
+Erde, um es Erdkunde zu lehren, seiner Sprache, um es Grammatik zu
+lehren. Es hungert nach Heldengeschichten, aber man gibt ihm nüchterne
+Tatsachen und Daten. Es wurde in die Menschenwelt geboren, aber es
+wird in die Welt lebender Grammophone verbannt, um für die Erbsünde,
+in Unwissenheit geboren zu sein, zu büßen. Die Natur des Kindes lehnt
+sich mit der ganzen Kraft des Leidens gegen solch Elend auf, bis sie
+schließlich durch Strafen zum Schweigen gebracht wird.
+
+Wir alle wissen, Kinder lieben den Staub der Erde; Leib und Seele
+dieser kleinen Geschöpfe dürsten nach Luft und Sonnenschein wie die
+Blumen. Sie sind immer bereit, den Einladungen zu unmittelbarem Verkehr
+zu folgen, die fortwährend aus der Welt an ihre Sinne gelangen.
+
+Aber zum Unglück für die Kinder leben ihre Eltern in ihrer eigenen
+Welt von Gewohnheiten, wie sie ihr Beruf und die gesellschaftliche
+Tradition mit sich gebracht haben. Das läßt sich in mancher Beziehung
+nicht ändern. Denn die Menschen sind durch die Verhältnisse und durch
+das Bedürfnis nach sozialer Gleichförmigkeit gezwungen, sich nach einer
+bestimmten Richtung hin zu entwickeln.
+
+Aber unsre Kindheit ist die Zeit, wo wir noch frei sind -- oder sein
+sollten -- frei von dem Zwang, uns innerhalb der engen Grenzen zu
+entwickeln, welche berufliche und gesellschaftliche Konventionen
+aufgerichtet haben.
+
+Ich erinnere mich noch sehr gut, welch unwilliges Erstaunen ein
+erfahrener Schuldirektor, der den Ruf hatte, vorzügliche Disziplin
+zu halten, zeigte, als er sah, wie einer meiner Schüler auf einen
+Baum kletterte, um oben auf der Gabelung eines Astes seine Aufgaben
+zu lernen. Ich mußte ihm zur Erklärung sagen: die Kindheit ist die
+einzige Zeit, wo ein zivilisierter Mensch noch die Wahl hat zwischen
+den Zweigen eines Baumes und einem Wohnzimmerstuhl; sollte ich, weil
+mir als einem Erwachsenen dies Vorrecht versagt ist, es darum dem
+Knaben rauben? Überraschend ist es, daß derselbe Direktor ganz damit
+einverstanden war, daß die Knaben Botanik studierten. Er legt Gewicht
+auf eine unpersönliche Kenntnis von dem Baume, weil das Wissenschaft
+ist, aber er hält nichts von einer persönlichen Bekanntschaft mit ihm.
+
+Diese wachsende Erfahrung bildet allmählich den Instinkt, der das
+Ergebnis der Methode ist, nach welcher die Natur ihre Geschöpfe lehrt.
+Die Knaben meiner Schule haben eine instinktive Kenntnis von der
+äußeren Erscheinung des Baumes gewonnen. Durch die leiseste Berührung
+wissen sie, wo sie auf einem scheinbar ungastlichen Baumstamm Fuß
+fassen können; sie wissen, wie weit sie sich auf die Zweige wagen
+dürfen, wie sie ihr Körpergewicht verteilen müssen, um den jungen Ästen
+nicht zu schwer zu werden. Meine Schüler verstehen es, den Baum auf
+die bestmögliche Weise zu benutzen, sei es nun, daß sie seine Früchte
+pflücken, auf seinen Zweigen ausruhen oder sich vor unerwünschten
+Verfolgern in ihnen verbergen. Ich selbst bin in einem gebildeten
+städtischen Heim aufgewachsen und habe mich mein ganzes Leben lang so
+benehmen müssen, als ob ich in einer Welt lebte, in der es keine Bäume
+gäbe. Daher betrachte ich es als einen Teil meiner Erziehungsaufgabe,
+meinen Schülern in vollem Maße begreiflich zu machen, daß Bäume in
+diesem Weltsystem eine wirkliche Tatsache sind, daß sie nicht nur dazu
+da sind, um Chlorophyll zu erzeugen und die Kohlensäure aus der Luft zu
+nehmen, sondern daß sie lebendige Wesen sind.
+
+Von Natur sind unsre Fußsohlen so gemacht, daß sie die besten Werkzeuge
+zum Stehen und Gehen auf der Erde sind. Von dem Tage an, wo wir
+anfingen, Schuhe zu tragen, setzten wir die Bedeutung unsrer Füße
+herab. Dadurch, daß wir ihre Verantwortlichkeit verminderten, nahmen
+wir ihnen ihre Würde, und jetzt lassen sie sich Socken und Pantoffeln
+von allen Preisen und Formen oder Unformen gefallen. Es ist, als ob wir
+Gott Vorwürfe machten, daß er uns nicht Hufe gegeben hat, statt der mit
+schöner Empfindungsfähigkeit ausgestatteten Sohlen.
+
+Ich will gar nicht die Fußbekleidung völlig aus dem Gebrauch der
+Menschen verbannen. Aber ich möchte doch dafür eintreten, daß man den
+Fußsohlen der Kinder die Erziehung, die ihnen die Natur kostenlos gibt,
+nicht vorenthalten soll. Von allen unsern Gliedern sind die Füße am
+geeignetsten, mit der Erde durch Berührung vertraut zu werden. Denn die
+Erde hat ihre fein geschwungenen Konturen, die sich nur ihren echten
+Liebhabern, den Füßen, zum Kusse darbieten.
+
+Ich muß wiederum gestehen, daß ich in einem respektablen Hause
+aufwuchs, wo meine Füße von klein auf sorgfältig vor der nackten
+Berührung mit dem Staube gehütet wurden. Wenn ich versuche, es meinen
+Schülern im Barfußgehen gleichzutun, dann wird es mir schmerzhaft klar,
+welch dicke Schicht von Unwissenheit in bezug auf die Erde ich unter
+meinen Füßen trage. Ich suche mit unfehlbarer Sicherheit die Dornen
+aus, um darauf zu treten, in einer Weise, daß es eine wahre Lust für
+die Dornen ist. Meinen Füßen fehlt der Instinkt, den Linien zu folgen,
+die am wenigsten Widerstand bieten. Denn selbst die ebenste Erdfläche
+hat ihre winzigen Hügel und Täler, die nur fein gebildete Füße spüren.
+Ich habe mich oft gewundert über das scheinbar zwecklose Zickzack
+von Wegen, die über vollkommen ebene Felder führten. Und es ist noch
+unbegreiflicher, wenn man bedenkt, daß ein Fußpfad nicht durch die
+Laune eines Einzelnen entsteht. Wenn nicht die meisten Fußgänger genau
+dieselbe Laune hätten, so könnten solche augenscheinlich unzweckmäßigen
+Steige nicht entstehen. Aber die wahre Ursache liegt in den feinen
+Eingebungen von seiten der Erde, denen unsre Füße unbewußt folgen.
+Die, denen solche natürlichen Beziehungen nicht abgeschnitten sind,
+können die Muskeln ihrer Füße mit großer Schnelligkeit dem geringsten
+Winke anpassen. So können sie sich gegen das Eindringen von Dornen
+schützen, selbst wenn sie auf sie treten, und sie können ohne das
+geringste Unbehagen barfuß über einen Kiesweg gehen. Ich weiß, daß
+es in der Praxis heutzutage ohne Schuhe, ohne gepflasterte Straßen
+und ohne Wagen nicht geht. Aber sollte man die Kinder nicht in ihrer
+Erziehungszeit die Wahrheit erfahren lassen, daß die Welt nicht überall
+Gesellschaftszimmer ist, daß es so etwas wie Natur gibt, und daß ihre
+Glieder für den Verkehr mit ihr wunderbar geschaffen sind?
+
+Es gibt Leute, welche glauben, daß ich durch die Einfachheit der
+Lebensweise, die ich in meiner Schule eingeführt habe, das Ideal der
+Armut, das das Mittelalter beherrschte, predigen will. Ich kann diesen
+Gegenstand an dieser Stelle nicht nach allen Seiten erörtern; aber wenn
+wir ihn vom Standpunkt der Erziehung aus betrachten, müssen wir da
+nicht zugeben, daß die Armut die Schule ist, in der der Mensch seinen
+ersten Unterricht und seine beste Erziehung empfängt? Selbst der Sohn
+eines Millionärs wird in hilfloser Armut geboren und muß die Aufgabe
+seines Lebens von Anfang an lernen. Er muß gehen lernen wie das ärmste
+Kind, wenn er auch die Mittel hat, ohne Beine durch die Welt zu kommen.
+Die Armut bringt uns in die engste Berührung mit dem Leben und der
+Welt, denn als Reicher leben, heißt meistens durch Stellvertreter leben
+und infolgedessen in einer Welt von geringerer Wirklichkeit. Dies mag
+gut sein für unser Vergnügen oder unsren Stolz, aber nicht für unsre
+Erziehung. Der Reichtum ist ein goldener Käfig, in dem den Kindern
+der Reichen ihre natürlichen Gaben künstlich ertötet werden. Daher
+mußte ich in meiner Schule, zum Entsetzen der Leute mit kostspieligen
+Gewohnheiten, für diese große Lehrmeisterin -- diese Dürftigkeit der
+Ausstattung -- sorgen, nicht um der Armut selbst willen, sondern weil
+sie zu persönlicher Welterfahrung führt.
+
+Mein Vorschlag ist, daß jedem Menschen in seinem Leben ein begrenzter
+Zeitraum vorbehalten sein müßte, wo er in ursprünglicher Einfachheit
+das Leben des Naturmenschen lebt. Die geschäftigen Kulturmenschen
+müssen das ungeborene Kind noch in Frieden lassen. Im Leib der
+Mutter hat es Muße, die erste Entwicklungsstufe vegetativen Lebens
+durchzumachen. Aber sobald es geboren ist, ausgerüstet mit allen
+Instinkten für die nächste Stufe, nämlich für das natürliche Leben, da
+stürzt sich sofort die Gesellschaft mit ihren kultivierten Gewohnheiten
+darauf und reißt es aus den offenen Armen von Erde, Wasser und Himmel,
+von Luft und Sonnenlicht. Zuerst sträubt es sich und weint bitterlich,
+und dann vergißt es allmählich, daß Gottes ganze Schöpfung sein Erbe
+ist; dann schließt es seine Fenster, zieht die Vorhänge herab und ist
+stolz auf das, was es auf Kosten seiner Welt und vielleicht gar seiner
+Seele angehäuft hat.
+
+Die Welt der Zivilisation mit ihren Konventionen und toten Dingen
+beherrscht die Mitte des täglichen Lebenslaufs. Anfang und Ende
+desselben sind nicht ihr Reich. Ihre ungeheure Kompliziertheit und ihre
+Anstandsregeln haben ihren Nutzen. Aber wenn sie sie als Selbstzweck
+ansieht und es zur Regel macht, daß dem Menschen kein grünes Fleckchen
+bleibt, wohin er aus ihrem Gebiet von Rauch und Lärm, von drapierter
+und dekorierter Korrektheit, fliehen kann, dann leiden die Kinder,
+und bei der Jugend entsteht Weltmüdigkeit, während das Alter es
+verlernt, in Frieden und Schönheit alt zu werden, und nichts weiter als
+verfallene Jugend ist, die sich ihrer Löcher und Flicken schämt.
+
+Es ist jedoch gewiß, daß die Kinder, als sie bereit waren, auf dieser
+Erde geboren zu werden, kein Verlangen hatten nach einer so eingeengten
+und verhangenen Welt äußeren Anstands. Wenn sie geahnt hätten, daß
+sie ihre Augen dem Licht nur öffneten, um sich in der Gewalt des
+Schulbetriebes zu finden, bis sie die Frische ihres Geistes und die
+Schärfe ihrer Sinne verloren haben, so würden sie es sich noch einmal
+überlegt haben, bevor sie sich auf die menschliche Lebensbahn wagten.
+Gottes Einrichtungen haben nicht die Anmaßung spezieller Einrichtungen.
+Sie haben immer die Harmonie der Ganzheit und des ununterbrochenen
+Zusammenhanges mit allen Dingen. Was mich daher in meiner Schulzeit
+quälte, war die Tatsache, daß die Schule nicht die Vollständigkeit der
+Welt hatte. Sie war eine besondere Einrichtung für den Unterricht. Sie
+konnte nur für Erwachsene passen, die sich der besonderen Notwendigkeit
+solcher Orte bewußt und bereit waren, mit dem Unterricht die Trennung
+vom Leben in den Kauf zu nehmen. Aber Kinder lieben das Leben, und es
+ist ihre erste Liebe. Es lockt sie mit all seinen Farben und seiner
+Bewegung. Und sind wir unsrer Weisheit so sicher, wenn wir diese Liebe
+ersticken? Kinder werden nicht als Asketen geboren, daß sie geeignet
+wären, sich sogleich der Mönchszucht zu unterwerfen, indem sie ihr
+Streben ganz auf den Erwerb von Kenntnissen richten. Ihr erstes Wissen
+sammeln sie durch ihre Liebe zum Leben, dann entsagen sie dem Leben,
+um Wissen zu erwerben, und endlich kehren sie mit reicher Weisheit zum
+volleren Leben zurück.
+
+Aber die Gesellschaft hat ihre eigenen Einrichtungen getroffen, um den
+Geist der Menschen nach ihrem besonderen Muster zuzustutzen. Diese
+Einrichtungen sind so dicht gefügt, daß es schwer ist, eine Lücke zu
+finden, wo die Natur hineinkommen kann. Eine ganze Reihenfolge von
+Strafen droht dem, der es wagt, gegen irgendeine dieser Einrichtungen
+zu verstoßen, und gelte es auch sein Seelenheil. Daher heißt, die
+Wahrheit erkennen, noch nicht, sie praktisch anwenden, da der ganze
+Strom des herrschenden Systems ihr entgegenläuft. So kam es, daß ich
+bei der Frage, welche Erziehung ich meinem Sohn geben sollte, in
+Verlegenheit war, wie ich sie praktisch lösen könnte. Das erste, was
+ich tat, war, daß ich ihn aus der städtischen Umgebung fortnahm und
+in ein Dorf brachte, wo er, soweit es heutzutage möglich ist, ein
+Leben in natürlicher Freiheit leben konnte. Da war ein Fluß, der als
+gefährlich bekannt war; hier konnte er nach Herzenslust schwimmen
+und rudern, ohne durch die Ängstlichkeit der Erwachsenen gehindert
+zu werden. Er verbrachte seine Zeit draußen im Feld und auf den
+unbetretenen Sandbänken, und niemand stellte ihn zur Rede, wenn er zu
+spät zum Essen kam. Er besaß keinen von jenen Luxusgegenständen, die
+Knaben seines Standes sonst haben und von denen man meint, daß sie sie
+anständigerweise haben müssen. Ich bin sicher, daß die Leute, denen
+die Gesellschaft die Welt bedeutet, ihn wegen dieser Entbehrungen
+bemitleideten und seine Eltern tadelten. Aber ich wußte, daß
+Luxusgegenstände für Knaben eine Last sind, die Last der Gewohnheiten
+anderer, die Last, die sie um des Stolzes und Vergnügens ihrer Eltern
+willen tragen müssen.
+
+Doch als Einzelner, mit beschränkten Mitteln, konnte ich meinen
+Erziehungsplan nur zum Teil ausführen. Immerhin hatte mein Sohn
+Bewegungsfreiheit; es waren nur sehr wenige von den Schranken
+geblieben, die der Reichtum und die Gesetze äußeren Anstandes zwischen
+den Menschen und der Natur aufrichten. So hatte er eine bessere
+Gelegenheit, diese Welt wirklich kennen zu lernen, als ich sie je
+gehabt habe. Aber eine Frage beschäftigte mich, die mir wichtiger
+schien als alles andere. Das Ziel der Erziehung ist nicht, dem Menschen
+einzelne Kenntnisse zu vermitteln, sondern ihn zur Erkenntnis der
+Wahrheit als Ganzes zu führen. Früher, als das Leben noch einfach war,
+da waren all die verschiedenen Elemente des Menschen in vollständiger
+Harmonie. Aber als das Intellektuelle sich vom Seelischen und
+Physischen trennte, legte die Schulerziehung den ganzen Nachdruck auf
+die intellektuelle und physische Seite des Menschen. Wir widmen unsre
+ganze Aufmerksamkeit der Vermittlung von Kenntnissen und bedenken
+nicht, daß wir durch diese einseitige Ausbildung des Intellekts einen
+Bruch herbeiführen zwischen dem intellektuellen, physischen und
+seelischen Leben des Kindes.
+
+Ich glaube an eine geistige Welt, nicht als etwas, was außerhalb dieser
+Welt ist, sondern als ihre innerste Wahrheit. Mit jedem Atemzuge müssen
+wir diese Wahrheit fühlen: daß wir in Gott leben. Als Kinder dieser
+großen Welt, die erfüllt ist von dem Geheimnis des Unendlichen, können
+wir unser Dasein nicht als eine flüchtige Laune des Zufalls ansehen,
+das auf dem Strom der Materie einem ewigen Nichts zutreibt. Wir können
+unser Leben nicht ansehen als Traumgebilde eines Träumers, für den
+es nie ein Erwachen gibt. Wir sind als Persönlichkeiten geschaffen,
+für die Stoff und Kraft nichts bedeuten, wenn sie nicht auf eine
+unendliche Persönlichkeit bezogen werden, deren Natur wir in gewissem
+Maße wiederfinden in der menschlichen Liebe, in der Größe des Guten,
+im Martyrium der Heldenseelen, in der unaussprechlichen Schönheit der
+Natur, die nicht eine rein physische Tatsache, sondern nur der Ausdruck
+einer Persönlichkeit sein kann.
+
+Die Erfahrung dieser geistigen Welt, die uns nicht zuteil wird, weil
+wir von klein auf gewöhnt werden, sie zu übersehen, müssen die Kinder
+dadurch gewinnen, daß sie ganz darin leben; sie kann ihnen nicht
+durch theologische Belehrung zugänglich gemacht werden. Aber wie dies
+geschehen soll, ist heutzutage ein schwieriges Problem. Denn die
+Menschen haben es fertig gebracht, ihre Zeit so zu besetzen, daß sie
+gar nicht Muße haben, darüber nachzudenken, wie ihre ganze Tätigkeit
+nur Bewegung ist, ohne wahren Sinn, und wie heimatlos ihre Seele ist.
+
+In Indien halten wir noch die Überlieferung von den Waldkolonien großer
+Lehrer in hohen Ehren. Diese Orte waren weder Schulen noch Klöster im
+heutigen Sinn des Wortes. Sie bestanden aus Heimstätten, wo Männer
+mit ihrer Familie lebten, deren Ziel war, die Welt in Gott zu sehen
+und ihr eigenes Leben in ihm zu begreifen. Obgleich sie außerhalb der
+menschlichen Gesellschaft lebten, so waren sie ihr doch, was die Sonne
+den Planeten ist, der Mittelpunkt, von dem sie Leben und Licht empfing.
+Und hier wuchsen die Knaben auf im nahen Anschauen des Ewigen, bevor
+man sie für geeignet hielt, Haupt einer Familie zu werden.
+
+So war im alten Indien Schule und Leben vereinigt. Da wurden die
+Schüler nicht in der akademischen Atmosphäre von Gelehrsamkeit
+und Wissenschaft oder in dem verstümmelten Leben mönchischer
+Abgeschlossenheit erzogen, sondern in der Atmosphäre lebendigen Wirkens
+und Strebens. Sie brachten das Vieh auf die Weide, sammelten Brennholz,
+pflückten Obst, waren gütig zu allen Geschöpfen und nahmen zu an Geist
+zugleich mit ihren Lehrern. Dies war möglich, weil der Hauptzweck
+dieser Orte nicht der Unterricht war, sondern denen Zuflucht und Schutz
+zu bieten, die ein Leben in Gott leben wollten.
+
+Daß diese Überlieferung von dem familienhaften Zusammenleben von
+Lehrern und Schülern nicht eine bloße romantische Erdichtung ist,
+sehen wir noch an vereinzelten Schulen, die ein Überbleibsel dieses
+einheimischen Erziehungssystems sind. Dies System ist, nachdem es
+Jahrhunderte hindurch seine Unabhängigkeit bewahrt hat, jetzt im
+Begriff, der bureaukratischen Kontrolle der Fremdherrschaft zu
+erliegen. Diese _catuspāṭhī_, wie man auf Sanskrit die Universitäten
+nennt, haben nicht den Charakter einer Schule. Die Schüler leben im
+Hause ihres Lehrers wie die Kinder des Hauses, ohne für Wohnung, Kost
+und Erziehung zu bezahlen. Der Lehrer geht seinen eigenen Studien nach,
+indem er ein Leben der Einfachheit lebt und seinen Schülern bei ihrem
+Studium hilft, was er nicht als sein Geschäft betrachtet, sondern als
+einen Teil seines Lebens.
+
+Dies Ideal einer Erziehung, die darin besteht, daß der Schüler an dem
+Leben und hohen Streben seines Lehrers teilnimmt, ließ mich nicht los.
+Die kerkerhafte Enge unsrer Zukunft und die Trostlosigkeit unsrer
+beschnittenen Möglichkeiten drängten mich nur noch mehr zu seiner
+Verwirklichung. Die in anderen Ländern mit unbegrenzten Aussichten auf
+weltlichen Gewinn begünstigt sind, können sich solche Dinge zum Ziel
+der Erziehung setzen. Der Spielraum ihres Lebens ist mannigfach und
+weit genug, um ihnen die Freiheit zu gewähren, die sie zur Entfaltung
+ihrer Kräfte brauchen. Aber wenn wir die Selbstachtung bewahren sollen,
+die wir uns und unserm Schöpfer schulden, so darf unser Erziehungsziel
+nicht hinter dem höchsten Ziel des Menschen überhaupt, der größten
+Vollkommenheit und Freiheit der Seele zurückbleiben. Es ist kläglich,
+wenn man nach kleinen Gaben irdischen Besitzes haschen muß. Laßt
+uns nur trachten nach dem Zugang zum Leben, das über alle äußeren
+Lebenslagen erhaben ist und über den Tod hinausgeht, laßt uns Gott
+suchen, laßt uns leben für jene endgültige Wahrheit, die uns frei macht
+von der Knechtschaft des Staubes und uns den wahren Reichtum gibt:
+nicht Reichtum an toten Dingen, sondern an innerem Licht, nicht an
+Macht, sondern an Liebe. Solche Befreiung der Seele haben wir in unserm
+Lande gefunden bei Menschen, denen jede Bücherweisheit fehlte und die
+in vollständiger Armut lebten. Wir haben in Indien das Erbe dieses
+Schatzes geistiger Weisheit. Laßt das Ziel unsrer Erziehung sein, es
+vor uns auszubreiten und die Kraft zu gewinnen, im Leben den rechten
+Gebrauch davon zu machen, auf daß wir es einst, wenn die Zeit kommt,
+der übrigen Welt darbieten als unsern Beitrag zu ihrem ewigen Heil.
+
+Ich war ganz in meine literarische Tätigkeit vertieft, als dieser
+Gedanke mich mit schmerzhafter Heftigkeit packte. Ich hatte plötzlich
+ein Gefühl wie jemand, der unter einem Alpdruck stöhnt. Nicht nur meine
+eigene Seele, sondern die Seele meines Landes schien in mir nach Atem
+zu ringen. Ich fühlte klar, daß das, was uns not tut, nicht materieller
+Art ist, nicht Reichtum, Behagen oder Macht, sondern ein Erwachen zum
+vollen Bewußtsein unsrer seelischen Freiheit, der Freiheit, ein Leben
+in Gott zu führen, wo wir nicht in Feindschaft leben mit denen, die
+nicht anders können als kämpfen, und nicht im Wettbewerb mit denen,
+deren einziges Ziel Geldgewinn ist, wo wir vor allen Angriffen und
+Schmähungen sicher sind.
+
+Zum Glück hatte ich schon einen Platz bereit, wo ich meine Arbeit
+beginnen konnte. Mein Vater hatte auf einer seiner zahlreichen Reisen
+sich diesen einsamen Ort erwählt, der ihm geeignet schien zu einem
+Leben stiller Gemeinschaft mit Gott. Diesen Ort hatte er mit allem,
+was zum Lebensunterhalt nötig war, denen gestiftet, die Ruhe und
+Abgeschlossenheit für religiöse Übungen und Betrachtungen suchten. Ich
+hatte etwa zehn Knaben bei mir, als ich dorthin ging, und begann mein
+neues Leben ohne irgendwelche frühere Erfahrung.
+
+Die Gegend, die unsre Einsiedelei umgibt, ist weites offenes Land, ganz
+kahl bis an den Horizont hin, nur daß hier und da ein paar verkümmerte
+Dattelpalmen oder Dornsträucher die Ameisenhügel zu überragen suchen.
+Jenseits der Felder und tiefer als diese erstreckt sich eine Fläche
+mit zahllosen Erdhügeln und kleinen Hügelchen von rotem Kies und
+Kieseln von allen Formen und Farben, die von schmalen Regenrinnen
+durchschnitten wird. In geringer Entfernung nach Süden zu, nahe beim
+Dorfe, sieht man durch eine Reihe von Palmen hindurch die stahlblaue
+Fläche des Wassers glitzern, das sich in einer Vertiefung des Bodens
+angesammelt hat. Ein Pfad, den die Dorfleute benützen, wenn sie ihre
+Einkäufe in der Stadt machen, schlängelt sich durch die einsamen
+Felder und schimmert rötlich in der Sonne. Die Reisenden, die diesen
+Pfad hinaufkommen, können schon in der Ferne auf dem höchsten Punkt
+des welligen Hügellandes die Spitze eines Tempels und das Dach eines
+Gebäudes sehen. Denn hier liegt inmitten von Myrobalanenhainen die
+Einsiedelei Santi-Niketan, zu der eine Allee von stattlichen Salbäumen
+hinanführt.
+
+Und hier hat sich nun seit mehr als fünfzehn Jahren die Schule
+entwickelt. Manchen Wechsel und manche ernste Krisis hat sie erlebt.
+Da ich den üblen Ruf hatte, ein Dichter zu sein, wurde es mir sehr
+schwer, das Vertrauen meiner Landsleute zu gewinnen und dem Verdacht
+der Bureaukratie zu entgehen. Wenn ich am Ende einen gewissen Erfolg
+hatte, so liegt es daran, daß ich ihn nie erwartete, sondern meinen
+eigenen Weg ging, ohne auf Beifall, Rat oder Hilfe von außen zu warten.
+Meine Mittel waren außerordentlich gering, da das Unternehmen mich tief
+in Schulden gestürzt hatte. Aber diese Armut selbst gab mir Kraft und
+lehrte mich, mein Vertrauen auf die Macht der Idee zu setzen, statt auf
+äußere Hilfsmittel.
+
+Da die Entwicklung der Schule meine eigene Entwicklung bedeutete und
+nicht die bloße Verwirklichung meiner Theorien, so wandelten sich ihre
+Ideale auch während ihres Reifens, wie eine reifende Frucht nicht nur
+größer wird und sich tiefer färbt, sondern auch in der Beschaffenheit
+ihres Fleisches Veränderungen erfährt. Als ich anfing, hatte ich
+die Idee, daß ich einen wohltätigen Zweck verfolgte. Ich arbeitete
+angestrengt; doch die einzige Befriedigung, die ich hatte, war, daß ich
+mir ausrechnete, welche Opfer an Geld und Kraft und Zeit ich brachte,
+und dabei meine unermüdliche Güte bewunderte. Aber was dabei herauskam,
+hatte wenig Wert. Ich baute nur immer ein System auf das andere auf, um
+nachher alles wieder umzureißen. So tat ich im Grunde nichts anderes,
+als meine Zeit ausfüllen; was ich schuf, war innerlich leer. Ich weiß
+noch, wie ein alter Schüler meines Vaters kam und zu mir sagte: »Was
+ich hier sehe, ist wie ein Hochzeitssaal, wo alles bereit ist, nur
+der Bräutigam fehlt.« Der Fehler, den ich gemacht hatte, war, daß ich
+meinte, mein eigener Zweck sei dieser Bräutigam. Aber allmählich fand
+mein Herz diesen Mittelpunkt. Er war nicht in der Arbeit, nicht in
+meinen Wünschen, sondern in der Wahrheit. Ich saß allein auf der oberen
+Terrasse des Hauses Santi-Niketan und schaute auf die Baumwipfel der
+Salallee vor mir. Ich löste mein Herz los von meinen eigenen Plänen
+und Berechnungen, von den Kämpfen des Tages, und hob es schweigend
+hinauf zu dem, dessen Gegenwart und Frieden den Himmel durchflutete,
+und allmählich wurde mein Herz von ihm erfüllt. Ich begann, die Welt
+rings um mich her mit den Augen meiner Seele zu sehen. Die Bäume
+erschienen mir wie stille Lobgesänge, die aus dem stummen Herzen der
+Erde aufstiegen, und das Rufen und Lachen der Knaben, das durch die
+Abendluft zu mir herauftönte, erklang mir wie ein Quell von lebendigen
+Tönen, der aus der Tiefe des Menschenlebens aufstieg. Ich vernahm die
+Botschaft in dem Sonnenlicht, das meine Seele in ihrer Tiefe berührte,
+und ich fühlte ein süßes Gestilltsein in den Lüften, die das Wort des
+alten Meisters zu mir sprachen: »_Ko hy evānyāt kaḥ prānyāt yady eṣa
+ākāśa ānando na syāt._«[15] »Wer könnte je in dieser Welt leben und
+hoffen und streben, wenn der Raum nicht mit Liebe gefüllt wäre.« Und
+als ich dann den Kampf um Erfolg und meinen Ehrgeiz, andern wohlzutun,
+aufgab und das eine, was not tut, begriff; als ich fühlte, daß der, der
+sein eigenes Leben in Wahrheit lebt, das Leben der ganzen Welt lebt, da
+klärte sich die trübe Atmosphäre äußeren Kampfes, und die natürliche
+Schöpferkraft brach sich Bahn zum Kern aller Dinge. Und wenn es jetzt
+noch mancherlei Oberflächliches und Wertloses im Betrieb unsrer Anstalt
+gibt, so hat es seine Ursache in dem Mißtrauen gegen den Geist, das
+uns noch immer anhaftet, in der unausrottbaren Überzeugung von unsrer
+eigenen Wichtigkeit, in der Gewohnheit, die Ursache unserer Fehlschläge
+anderswo als bei uns zu suchen, und in dem Bestreben, alle Lockerheit
+und Schlaffheit in unsrer Arbeit dadurch wieder gutzumachen, daß wir
+die Schrauben der Organisation fester anziehen. Aus eigener Erfahrung
+weiß ich, daß da, wo der Eifer, andere zu belehren, allzu groß ist,
+besonders wenn es sich um geistige Dinge handelt, das Ergebnis dürftig
+und nicht ganz wahr ist. Alle Heuchelei und Selbsttäuschung bei unsern
+religiösen Überzeugungen und Übungen sind die Folge von dem Übereifer
+geistlicher Mentoren. Auf geistigem Gebiet ist Erwerben und Spenden
+eins; wie die Lampe andern Licht gibt, sobald sie selbst leuchtet.
+Wenn ein Mensch es zu seinem Beruf macht, seinen Mitmenschen Gott zu
+predigen, so wird er viel mehr Staub aufwirbeln, als zur Wahrheit
+führen. Religion läßt sich nicht in der Form von Unterricht mitteilen,
+sondern nur durch religiöses Leben selbst. So bewährt sich das Ideal
+der Waldkolonie jener Gottsucher auch heute noch als die wahre Schule
+religiösen Lebens. Religion ist nicht etwas, was man in Stücke zerlegen
+und in bestimmten Wochen- oder Tagesrationen austeilen kann als eins
+der verschiedenen Fächer des Schulprogramms. Sie ist die Wahrheit
+unsres ganzen Seins, das Bewußtsein unsrer persönlichen Beziehung zum
+Unendlichen; sie ist der wahre Schwerpunkt unsres Lebens. Sie kann
+uns in unsrer Kindheit zuteil werden, wenn wir ganz an einem Orte
+leben, wo die Wahrheit der geistigen Welt nicht durch eine Menge von
+Notwendigkeiten verdunkelt wird, die sich Bedeutung anmaßen; wo das
+Leben einfach ist und reich an Muße, an Raum und reiner Luft und an dem
+tiefen Frieden der Natur, und wo die Menschen in festem Glauben den
+Blick auf das Ewige gerichtet haben.
+
+Nun wird man mich fragen, ob ich in meiner Schule das Ideal erreicht
+habe. Ich muß darauf antworten, daß die Erreichung unsrer höchsten
+Ideale sich schwer nach äußern Maßstäben messen läßt. Ihre Wirkung
+läßt sich nicht gleich an Resultaten nachweisen. Wir tragen in unsrer
+Einsiedelei den Ungleichheiten und Mannigfaltigkeiten des menschlichen
+Lebens in vollem Maße Rechnung. Wir versuchen nie, eine Art äußere
+Gleichförmigkeit zu erzielen, indem wir die Verschiedenheiten der
+Anlage und Erziehung unsrer Schüler auszurotten suchen. Einige von uns
+gehören zur Sekte des Brāhma Samādsch, einige zu andern Hindu-Sekten,
+und einige von uns sind Christen. Da wir uns nicht mit Bekenntnissen
+und Dogmen beschäftigen, entstehen aus der Verschiedenheit unsres
+religiösen Glaubens durchaus keine Schwierigkeiten. Auch weiß ich,
+daß das Gefühl von Ehrfurcht für das Ideal dieser Schule und für das
+Leben, das wir hier führen, unter denen, die sich in dieser Einsiedelei
+versammelt haben, an Ernst und Tiefe sehr verschieden ist. Ich weiß,
+daß unsre Begeisterung für ein höheres Leben doch noch immer nicht
+weit hinausgekommen ist über unser Trachten nach weltlichen Gütern und
+weltlichem Ruhm. Und doch bin ich vollkommen gewiß und habe zahlreiche
+Beweise dafür, daß das Ideal unsrer Einsiedelei von Tag zu Tag immer
+mehr in unsrer Natur Wurzel faßt. Ohne daß wir es merken, werden die
+Saiten unsres Lebens zu immer reinerem, seelenvollerem Klang gestimmt.
+Was es auch war, das uns zuerst hierher führte, durch alle Disharmonie
+tönt doch unaufhörlich der Ruf: _śāntam, śivam, advaitam_ -- du Gott
+des Friedens, Allgütiger, Einziger! Die Luft scheint hier von der
+Stimme des Unendlichen erfüllt, die dem Frieden des frühen Morgens und
+der Stille der Nacht tiefen Sinn gibt und durch die weißen Scharen von
+_shiuli_-Blumen im Herbst und _mālatī_-Blumen im Sommer das Evangelium
+von der Schönheit predigt, die anbetend sich selbst als Opfer darbringt.
+
+Es ist schwer für die, die nicht Inder sind, sich klar zu machen,
+welche Vorstellungen sich alle mit dem Wort _āśrama_, Waldheiligtum,
+verbinden. Denn es blühte wie die Lotusblume in Indien unter einem
+Himmel, der freigebig ist mit Sonnenlicht und Sternenglanz. Indiens
+Klima ruft uns ins Freie; die Stimme seiner mächtigen Ströme ertönt
+in feierlichem Gesang; die endlose Weite seiner Ebenen umgibt unsre
+Heimstätten mit dem Schweigen einer andern Welt; die Sonne steigt am
+Rand der grünen Erde auf wie eine Opferflamme, die das Unsichtbare auf
+dem Altar des Unbekannten entzündet, und sie steigt am Abend im Westen
+herab wie ein prächtiges Freudenfeuer, mit dem die Natur das Ewige
+begrüßt. In Indien ist der Schatten der Bäume gastlich, der Staub der
+Erde streckt seine braunen Arme nach uns aus, die Luft schlägt liebend
+ihren warmen Mantel um uns. Das sind die unwandelbaren Tatsachen, die
+immer wieder zu unsrer Seele sprechen, und daher empfinden wir es als
+Indiens Aufgabe, durch diese Verbundenheit mit der Seele der Welt die
+menschliche Seele als eins mit der göttlichen Seele zu erkennen. Diese
+Aufgabe hat in den Waldschulen der alten Zeit ihre natürliche Form
+gefunden. Und sie treibt uns an, das Unendliche in allen Gestalten
+der Schöpfung, in den Beziehungen menschlicher Liebe zu suchen; es zu
+fühlen in der Luft, die wir atmen, in dem Licht, dem wir unsre Augen
+öffnen, im Wasser, in dem wir baden, in der Erde, auf der wir leben und
+sterben. Daher weiß ich -- und weiß es aus eigener Erfahrung --, daß
+die Schüler und Lehrer, die sich in dieser Einsiedelei zusammengefunden
+haben, an Freiheit des Geistes täglich wachsen und immer mehr eins
+werden mit dem Unendlichen, nicht durch irgendwelchen Unterricht oder
+äußere Übungen, sondern kraft der unsichtbaren geistigen Atmosphäre,
+die diesen Ort umgibt, und des Andenkens an einen frommen Mann, der
+hier in inniger Gemeinschaft mit Gott lebte.
+
+Ich hoffe, es ist mir gelungen, darzulegen, wie das bewußte Streben,
+das mich leitete, als ich meine Schule in der Einsiedelei gründete,
+allmählich seine Selbständigkeit verlor und eins wurde mit dem Streben,
+das die Seele dieses Ortes ist. Mit einem Wort: mein Werk erhielt
+seine Seele durch den Geist der Einsiedelei. Aber diese Seele hat ohne
+Zweifel ihre äußere Gestalt in der Einrichtung der Schule. Und ich habe
+alle diese Jahre hindurch versucht, in dem Lehrsystem dieser Schule
+meine Erziehungstheorie zu verwirklichen, die sich auf meine Erfahrung
+von der Kindesseele gründet.
+
+Ich glaube, wie ich schon vorher andeutete, daß das unbewußte Empfinden
+bei den Kindern viel tätiger ist als das bewußte Denken. Eine große
+Menge der wichtigsten Lehren ist uns durch jenes vermittelt. Die
+Erfahrungen zahlloser Generationen sind uns durch seine Wirksamkeit
+in Fleisch und Blut übergegangen, nicht nur ohne uns zu ermüden,
+sondern so, daß sie uns froh machten. Diese unterbewußte Fähigkeit des
+Gewahrwerdens ist ganz eins mit unserm Leben. Sie ist nicht wie eine
+Laterne, die man von außen anzündet und putzt, sondern wie das Licht,
+das der Glühwurm durch die Ausübung seiner Lebensfunktionen erzeugt.
+
+Zu meinem Glück wuchs ich in einer Familie auf, wo der Sinn für
+Literatur, Musik und Kunst instinktiv geworden war. Meine Brüder
+und Vettern lebten im freien Reich der Gedanken, und die meisten
+von ihnen hatten natürliche künstlerische Anlagen. Durch solche
+Umgebung angeregt, begann ich früh zu denken und zu träumen und meine
+Gedanken zum Ausdruck zu bringen. In bezug auf religiöse oder soziale
+Anschauungen war unsre Familie frei von aller Konvention, da sie
+wegen ihrer Abweichung von orthodoxen Glaubenslehren und Sitten von
+der Gesellschaft in den Bann getan war. Dies machte uns furchtlos in
+unsrer geistigen Freiheit, und wir wagten neue Versuche auf allen
+Gebieten des Lebens. So war die Erziehung, die ich in meiner frühesten
+Kindheit hatte, Freiheit und Freude in der Übung meiner geistigen
+und künstlerischen Kräfte. Und weil dies meinem Geist lebhaft zum
+Bewußtsein brachte, wo sein natürlicher Nährboden war, wurde die
+Schleifmühle des Schulbetriebes so unerträglich für mich.
+
+Diese Erfahrung aus meiner frühen Kindheit war alles, was ich an
+Schulerfahrung hatte, als ich an mein Unternehmen ging. Ich fühlte, daß
+das Wichtigste und Notwendigste nicht die äußere Lehrmethode, sondern
+der lebendige Odem der Kultur selbst war. Zum Glück für mich gewann
+Satish Chandra Roy, ein hochbegabter junger Student, der sich auf sein
+Staatsexamen vorbereitete, lebhaftes Interesse für meine Schule und
+machte es sich zur Lebensaufgabe, meine Idee auszuführen. Er war erst
+neunzehn Jahre alt, aber ein Mensch von hohem Geistesfluge, mit einer
+für alles Große und Schöne wunderbar empfänglichen Seele. Er war ein
+Dichter, der sicher unter den Unsterblichen der Weltliteratur seinen
+Platz gefunden hätte, wenn er am Leben geblieben wäre; aber er starb
+schon mit zwanzig Jahren und konnte so unsrer Schule seine Kraft nur
+ein kurzes Jahr lang widmen. Bei ihm hatten die Knaben nie das Gefühl,
+auf ihr Unterrichtsfach beschränkt zu sein, sondern es war, als öffnete
+er ihnen alle Tore der Welt. Mit ihm gingen sie in den Wald, wenn im
+Frühling die Salbäume in voller Blüte standen; dann deklamierte er
+ihnen, ganz berauscht von Begeisterung, seine Lieblingsgedichte. Er
+las ihnen Shakespeare und selbst Browning -- denn er war ein großer
+Verehrer Brownings -- und erläuterte ihnen mit wunderbarer Kraft des
+Ausdrucks die Dichtungen in bengalischer Sprache. Niemals zweifelte
+er an der Verständnisfähigkeit der Knaben, er sprach und las ihnen
+über jeden Gegenstand, der ihn selbst interessierte. Er wußte, daß
+es durchaus nicht nötig war, daß die Schüler alles wörtlich und
+genau verstanden, sondern daß ihr Geist aufgerüttelt und ihre Seelen
+geweckt wurden, und dies gelang ihm immer. Er war nicht, wie andre
+Lehrer, ein bloßer Vermittler von Bücherwissen. Er gestaltete seinen
+Unterricht persönlich, er schöpfte aus seiner eigenen Tiefe, und daher
+war das, was er den Schülern bot, lebendige Nahrung, die die lebendige
+menschliche Natur sich leicht aneignet. Der wahre Grund seines Erfolges
+war seine intensive Teilnahme an dem Leben, an den Ideen, an allem
+um ihn her, vor allem an den Knaben, die mit ihm in Berührung kamen.
+Er schöpfte seine Begeisterung nicht aus Büchern, sondern aus der
+unmittelbaren Berührung seiner empfänglichen Seele mit der Welt. Der
+Wechsel der Jahreszeiten hatte auf ihn dieselbe Wirkung wie auf die
+Pflanzen. Er schien in seinem Blut die unsichtbaren Boten der Natur zu
+spüren, die immer durch den Weltenraum eilen, in der Luft schweben,
+am Himmel schimmern und aus den Wurzeln der Grashalme aus der Erde
+herauftönen. Seine Literaturstudien hatten nicht den Modergeruch der
+Bibliothek an sich. Er hatte die Gabe, die Ideen so greifbar deutlich
+und lebendig vor sich zu sehen, wie er seine Freunde sah.
+
+So hatten die Knaben unsrer Schule das seltene Glück, ihren Unterricht
+von einem lebendigen Lehrer und nicht aus Büchern zu erhalten. Haben
+nicht unsre Bücher, wie die meisten Dinge des täglichen Gebrauchs,
+sich zwischen uns und unsre Welt gestellt? Wir haben uns gewöhnt, die
+Fenster unsres Geistes mit ihren Seiten zu verdecken und Bücherphrasen
+als Pflaster auf unsre geistige Haut zu kleben, so daß sie für jede
+direkte Berührung der Wahrheit unempfindlich geworden ist. Wir haben
+uns aus einer ganzen Welt von Bücherweisheit eine Festung gebaut
+mit hohen Ringmauern, wohinter wir uns verschanzt haben und vor der
+Berührung mit Gottes Schöpfung sicher sind. Gewiß würde es töricht
+sein, den Wert von Büchern im allgemeinen zu bestreiten. Aber man
+muß auch zu gleicher Zeit zugeben, daß Bücher ihre Grenzen und
+ihre Gefahren haben. Jedenfalls sollten den Kindern in den ersten
+Jahren ihrer Erziehung die Wahrheiten, die sie zu lernen haben, auf
+natürlichem Wege, das heißt durch die Menschen und die Dinge selbst
+vermittelt werden.
+
+Da ich hiervon überzeugt bin, habe ich alles, was ich konnte, getan, um
+in unsrer Einsiedelei eine geistige Atmosphäre zu schaffen. Ich mache
+Lieder, aber ich mache sie nicht eigens für die Jugend zurecht. Es
+sind Lieder, die ein Dichter sich zu seiner eigenen Freude singt. So
+sind die meisten meiner Gitanjali-Lieder hier entstanden. Diese Lieder
+singe ich, so wie sie mir erblühen, den Knaben vor, und sie kommen
+scharenweise, um sie zu lernen. Sie singen sie in ihren Mußestunden,
+in Gruppen unter freiem Himmel sitzend, in Mondscheinnächten oder im
+Schatten der drohenden Juliwolken. Alle meine späteren Dramen sind
+hier entstanden und unter Teilnahme der Knaben aufgeführt. Ich habe
+ihnen lyrische Dramen für ihre Jahresfeste geschrieben. Sie dürfen
+immer dabei sein, wenn ich den Lehrern irgend etwas von meinen neuen
+Sachen in Prosa oder Versen vorlese, welchen Inhalts es auch sei.
+Und von dieser Erlaubnis machen sie Gebrauch, ohne daß der geringste
+Druck auf sie ausgeübt wird, ja, sie sind sehr traurig, wenn sie nicht
+aufgefordert werden. Einige Wochen vor meiner Abreise von Indien las
+ich ihnen Brownings Drama »Luria« und übertrug es, während ich las,
+ins Bengalische. Es nahm zwei Abende in Anspruch, aber die zweite
+Versammlung war ebenso zahlreich wie die erste. Wer gesehen hat,
+wie diese Knaben ihre Rollen spielen, ist überrascht, wie stark sie
+als Schauspieler wirken. Das kommt daher, weil sie nie eigentlichen
+Unterricht in dieser Kunst gehabt haben. Sie erfassen instinktiv den
+Geist der Dichtung, obgleich diese Dramen keine bloßen Schuldramen
+sind und ein feines Verständnis und Mitempfinden erfordern. Bei aller
+Ängstlichkeit und überkritischen Empfindlichkeit, die ein Dichter der
+Aufführung seines Stückes gegenüber hat, war ich nie enttäuscht von
+meinen Schülern, und ich habe selten einem Lehrer erlaubt, die Knaben
+in ihrer eigenen Darstellung der Charaktere zu stören. Häufig schreiben
+sie selbst Stücke oder improvisieren sie, und dann werden wir zu der
+Aufführung eingeladen. Sie haben ihre literarischen Vereine und haben
+mindestens drei illustrierte Zeitschriften, die von drei Gruppen der
+Schule geleitet werden. Die interessanteste dieser Zeitschriften
+ist die der »Kleinen«. Eine ganze Anzahl unsrer Schüler haben ein
+beachtenswertes Talent für Zeichnen und Malerei gezeigt. Wir entwickeln
+dies Talent nicht mit Hilfe der alten, hier in den Schulen noch immer
+üblichen Kopiermethode, sondern lassen die Schüler ihrer eigenen
+Neigung folgen und helfen ihnen nur dadurch, daß wir hin und wieder
+Künstler zu uns einladen, die die Knaben durch ihre eigenen Arbeiten
+anregen und begeistern.
+
+Als ich meine Schule anfing, zeigten die Knaben keine besondere Liebe
+zur Musik. Daher stellte ich zuerst noch keinen Musiklehrer an und
+zwang die Knaben nicht, Musikstunden zu nehmen. Ich sorgte nur für
+Gelegenheiten, wo die, die für diese Kunst begabt waren, sie üben
+und zeigen konnten. Dies hatte die Wirkung, daß das Ohr der Knaben
+sich unbewußt übte. Und als nach und nach die meisten von ihnen große
+Neigung und Liebe zur Musik zeigten und ich sah, daß sie bereit sein
+würden, regelrechten Unterricht darin zu nehmen, berief ich einen
+Musiklehrer.
+
+In unsrer Schule stehen die Knaben des Morgens sehr früh auf,
+bisweilen vor Tagesanbruch. Sie besorgen selbst das Wasser für ihr
+Bad. Sie machen ihre Betten. Sie tun alle die Dinge, die den Geist der
+Selbsthilfe in ihnen entwickeln.
+
+Ich glaube an den Wert regelmäßiger religiöser Betrachtung, und ich
+setze morgens und abends eine Viertelstunde dafür an. Ich halte
+darauf, daß diese Zeit innegehalten wird, ohne jedoch von den Knaben
+zu erwarten, daß sie so tun, als ob sie in religiöse Betrachtungen
+versenkt wären. Aber ich verlange, daß sie still sind, daß sie
+Selbstbeherrschung üben, wenn sie auch, statt an Gott zu denken, die
+Eichhörnchen beobachten, die die Bäume hinauflaufen.
+
+Jede Schilderung solcher Schule kann nicht anders als unzulänglich
+sein. Denn das Wichtigste von ihr ist ihre Atmosphäre und die Tatsache,
+daß es keine Schule ist, die den Knaben von autokratischen Behörden
+aufgezwungen ist, in der sie ihr eigenes Leben leben sollen. Sie nehmen
+teil an der Schulverwaltung, und in Straffällen verlassen wir uns
+meistens auf ihren eigenen Gerichtshof.
+
+Zum Schluß möchte ich meine Zuhörer warnen, ein falsches oder
+übertriebenes Bild von dieser Einsiedelei mit nach Hause zu nehmen.
+Wenn man so seine Ideen vorträgt, so erscheinen sie ganz einfach und
+vollkommen. Aber ihre Verkörperung in der Wirklichkeit ist nicht
+so klar und vollkommen, weil das Material lebendig und mannigfach
+und immer wechselnd ist. Es treten uns Hindernisse entgegen sowohl
+in der menschlichen Natur wie in den äußeren Umständen. Einige von
+uns vergessen nur zu leicht, daß die Geister der Knaben lebendige
+Organismen sind, und andere sind von Natur geneigt, das Gute mit
+Gewalt durchsetzen zu wollen. Die Knaben ihrerseits sind nicht alle
+in gleichem Maße empfänglich, und so haben wir manchen Mißerfolg zu
+verzeichnen. Vergehen treten unerwartet auf, die uns an der wirkenden
+Kraft unsrer Ideale zweifeln lassen. Es kommen trübe Zeiten, voll von
+Rückschlägen und Zweifeln. Aber dies Schwanken und diese Konflikte
+gehören nun einmal zum wahren Bilde des wirklichen Lebens. Lebendige
+Ideale können nicht als Uhrwerk aufgezogen werden, das nun jede Sekunde
+genau angibt. Und wer den festen Glauben an ein Ideal hat, muß die
+Wahrheit desselben dadurch beweisen, daß er sich durch die niemals
+ausbleibenden Widerstände und Mißerfolge nicht vom Wege abbringen läßt.
+Ich für mein Teil halte mehr von dem Prinzip des Lebens, von der Seele
+des Menschen, als von Methoden. Ich glaube, daß das Ziel der Erziehung
+die sittliche Freiheit ist, die nur auf dem Wege der Freiheit erreicht
+werden kann, obgleich die Freiheit ihre Gefahren und ihre Verantwortung
+hat, wie das Leben überhaupt sie hat. Ich weiß gewiß, wenn auch die
+meisten Menschen es vergessen zu haben scheinen, daß Kinder lebendige
+Wesen sind, lebendiger als Erwachsene, die schon in einer Rinde von
+Gewohnheiten stecken. Daher ist es für ihre geistige Gesundheit und
+Entwicklung unbedingt nötig, daß man sie nicht in Schulen steckt, deren
+einziger Zweck der Unterricht ist, sondern daß sie in einer Welt leben,
+deren leitender Geist die persönliche Liebe ist. Solch eine Welt ist
+die Einsiedelei, der _āśrama_, wo die Menschen sich im Frieden der
+Natur zu dem höchsten Lebensziel vereint haben; wo sie sich nicht nur
+frommen Betrachtungen hingeben, sondern auch mit offenen Augen in die
+Welt schauen und tätig wirkend in ihr schaffen; wo man den Schülern
+nicht unausgesetzt den Glauben beibringt, daß die Selbstvergötterung
+der Nation das höchste Ideal für sie ist; wo sie begreifen lernen,
+daß diese Menschenwelt Gottes Königreich ist, dessen Bürger zu werden
+sie streben sollen; wo Sonnenauf- und -untergang und die stille
+Herrlichkeit der Sterne nicht täglich unbeachtet bleiben; wo der
+Mensch freudig teilnimmt an den Festen, die die Natur mit ihren Blüten
+und Früchten feiert, und wo jung und alt, Lehrer und Schüler sich an
+denselben Tisch setzen und das tägliche Brot wie das Brot des Lebens
+miteinander teilen.
+
+
+
+
+RELIGIÖSE BETRACHTUNG
+
+
+Es gibt Dinge, die wir von außen bekommen und als Besitz an uns nehmen.
+Aber mit der religiösen Betrachtung ist es umgekehrt. Hier treten wir
+mitten in eine große Wahrheit ein und werden von ihr in Besitz genommen.
+
+Laßt uns im Gegensatz dazu sehen, was Reichtum ist. Geld repräsentiert
+eine entsprechende Summe von Arbeit. Vermittelst des Geldes kann ich
+die Arbeit vom Menschen loslösen und sie in mein Eigentum verwandeln.
+Ich erwerbe sie von außen und wandle sie in eigene Kraft um.
+
+Oder nehmen wir das Wissen. Es gibt eine Art, die wir von andern
+übernehmen, und eine andre Art, die wir uns durch Beobachtung,
+Experimente und Nachdenken erwerben.
+
+Alles dies sind Versuche, uns etwas, was wir nicht haben, zu eigen zu
+machen. Bei diesen Dingen sind unsre geistigen und physischen Kräfte in
+ganz entgegengesetzter Weise tätig als bei der religiösen Betrachtung.
+
+Die höchste Wahrheit können wir nur erfassen, indem wir uns in sie
+versenken. Und wenn unser Bewußtsein ganz in sie eingetaucht ist, dann
+wissen wir, daß sie kein bloßer Besitz ist, den wir erworben haben,
+sondern daß wir eins mit ihr sind.
+
+So werden durch solches Versenken, wo unsre Seele ihre wahre Beziehung
+zur höchsten Wahrheit findet, auch alle unsre Handlungen und Worte,
+unser ganzes Wesen wahr.
+
+Ich möchte hier einen Text anführen, der uns in Indien zu solcher
+Versenkung dient.
+
+ _Om bhūr bhuvaḥ svaḥ.
+ tát savitúr váreṇyam
+ bhárgo devásya dhīmahi
+ dhíyo yó naḥ pracodáyāt[16]._
+
+_Om._ Das heißt Vollkommenheit; es ist in der Tat das symbolische Wort
+für das Unendliche, Vollkommene, Ewige. Der Laut an sich schon ist
+vollkommen und stellt die Ganzheit aller Dinge dar.
+
+All unsre religiösen Betrachtungen beginnen mit Om und enden mit Om. Es
+soll den Geist mit der Ahnung der ewigen Vollkommenheit erfüllen und
+ihn aus der Welt der engen Selbstsucht befreien.
+
+_Bhūr bhuvaḥ svaḥ._
+
+_Bhūr_ bedeutet die Erde.
+
+_Bhuvaḥ_ bedeutet die mittlere Region, den Luftraum.
+
+_Svaḥ_ bedeutet die Region der Sterne.
+
+Erde, Luft- und Sternenraum. Mitten ins Herz dieses Weltalls sollst
+du deinen Geist richten. Du sollst dir gegenwärtig halten, daß du im
+Unendlichen geboren bist, daß du nicht nur einem besonderen Fleck
+dieser Erde angehörst, sondern der ganzen Welt.
+
+_Tát savitúr váreṇyam bhárgo devásya dhīmahi._ Laßt uns nachdenken
+über die anbetungswürdige Kraft des Weltschöpfers. Das Wort Schöpfer
+ist durch beständigen Gebrauch abgegriffen. Aber wir müssen uns die
+Unermeßlichkeit des Weltalls ins Bewußtsein rufen, wenn wir sagen,
+daß Gott das Weltall aus seiner unendlichen Schöpferkraft erschafft,
+nicht durch eine einmalige Schöpfungstat, sondern unaufhörlich, jeden
+Augenblick.
+
+Alles dies ist ein Ausdruck des ewigen Schöpferwillens. Dieser ist
+nicht wie das Gesetz der Schwere oder andere Naturgesetze etwas
+Abstraktes, das wir nicht verehren können und das auf unsre Verehrung
+keinen Anspruch erheben kann. Sondern unser Text sagt, daß jene Kraft
+»anbetungswürdig« ist, daß sie unsre Verehrung fordert, weil sie einem
+höchsten Wesen angehört und keine bloße Abstraktion ist.
+
+Wodurch offenbart sich diese Kraft?
+
+Auf der einen Seite durch Erde, Luftraum und Sternenhimmel, auf der
+andern durch unser Bewußtsein.
+
+Es besteht eine ewige Verbindung zwischen uns und der Welt, weil diese
+Welt in unserm Bewußtsein erst ihre volle Verwirklichung findet.
+Ohne dies Bewußtsein und ohne das höchste Bewußtsein als Quelle und
+Mittelpunkt, könnte es keine Welt geben.
+
+Gottes Kraft strahlt von ihm aus und strömt als Bewußtsein in mir und
+in der Außenwelt. Wir selbst trennen gewöhnlich diese beiden Welten,
+aber in Wahrheit sind sie zwei Seiten derselben Schöpfung, sie sind
+gleichen Ursprungs und daher eng miteinander verbunden.
+
+So vergegenwärtigt mir diese Betrachtung, daß mein Bewußtsein und die
+weite Welt außer mir eins sind. Und worin besteht diese Einheit?
+
+Sie besteht in der großen Kraft, die zugleich mich und die Welt
+außerhalb meiner mit Bewußtsein durchströmt.
+
+Durch solche Versenkung erwerbe ich nicht etwas für mich, sondern ich
+gebe mich selbst auf und werde eins mit der ganzen Schöpfung.
+
+Dies ist also unser Text, und wir richten unsre Gedanken ganz auf ihn
+und wiederholen ihn immer wieder, bis unsre Seele still ist und nichts
+uns mehr zerstreut. In diesem Zustand kann kein Verlust, keine Angst,
+kein Schmerz uns berühren, wir sind frei. Dies bedeutet also religiöse
+Versenkung: wir tauchen ganz ein in die höchste Weisheit, wir leben und
+weben in ihr und haben in ihr unser Sein.
+
+Ein anderer Text, der in unsrer Schule den Knaben zu ihrer täglichen
+Andachtsübung dient, lautet:
+
+_Om. Pitā no 'si, pitā no bodhi. Namas te 'stu[17]._
+
+_Pitā no 'si._ Du bist unser Vater.
+
+_Pitā no bodhi._ Gib uns das Bewußtsein, das Erwachen zu der Gewißheit,
+daß du unser Vater bist.
+
+_Namas te 'stu._ Für _namaḥ_ läßt sich schwer ein genau entsprechendes
+Wort finden, vielleicht kommt »Verneigung« oder »Verehrung« seiner
+Bedeutung am nächsten.
+
+Meine Anbetung dir -- laß sie wahr werden.
+
+Dies ist der erste Teil des Textes unsrer Andachtsübung. Ich will
+versuchen, zu erklären, was ich darunter verstehe.
+
+_Pitā no 'si._ Der Text beginnt mit der Versicherung, daß Gott in
+Wahrheit unser Vater _ist_.
+
+Aber diese Wahrheit ist in unserm Leben noch nicht als solche erfaßt
+und zum Ausdruck gekommen, und das ist die Ursache all unsrer
+Unvollkommenheiten und Sünden und all unsres Elends. Daher beten wir,
+daß sie in unserm Bewußtsein Wirklichkeit werde.
+
+Dann schließt der Vers mit _Namas te_. Laß meine Anbetung wahr werden!
+Weil Anbetung die Haltung ist, die uns ihm gegenüber gebührt. Wenn
+ich diese große Wahrheit -- _Pitā no 'si_ -- vollkommen erkannt habe,
+dann bringt mein Leben sein wahres Wesen zum Ausdruck, durch demütige
+Selbsthingabe und anbetende Verehrung.
+
+Beim Gebet brauchen wir mitunter Worte, die zwar unserm Empfinden
+Ausdruck geben, die wir aber doch nur mechanisch äußern, ohne uns in
+dem Augenblick ihre volle Bedeutung klarzumachen. Solch ein Wort ist
+»Vater«.
+
+Daher versuchen wir in dieser Betrachtung seinen Sinn in seiner ganzen
+Tiefe zu erfassen und unser Herz in Einklang mit seiner Wahrheit zu
+bringen.
+
+Wir können diese Welt als das nehmen, als was sie uns erscheint. Wir
+können in unserm Geiste die Vorstellung haben, sie sei eine Welt der
+Kraft und des Stoffes; dann wird unsre Beziehung zu ihr die rein
+mechanische Beziehung der Naturwissenschaft. Aber auf diesem Wege
+gelangen wir nie zu der höchsten Wahrheit, die im Menschen offenbar
+wird. Denn was ist der Mensch? Er ist ein persönliches Wesen. Das
+Naturgesetz kümmert sich darum nicht. Das Naturgesetz hat es mit
+der Physiologie und Psychologie, mit dem Mechanismus unsrer Natur
+zu tun. Und wenn wir zu unserm persönlichen Wesen kommen, so finden
+wir kein Naturgesetz, das es uns erklären könnte. Daher hat die
+Naturwissenschaft keine Ahnung von dem, was die Grundlage unsres Wesens
+ist. Für sie wird die ganze Welt zur Maschine, und so kann sie nicht
+auf den Gedanken kommen, in dem Schöpfer den Vater zu sehen oder »die
+Mutter«, wie wir Inder ihn oft nennen.
+
+Wenn wir in der Welt nur ein Zusammenwirken verschiedener Kräfte
+sehen, so kann von Anbetung keine Rede sein. Aber wir sind nicht nur
+Gegenstände der Physiologie und Psychologie. Wir sind Männer und
+Frauen. Und wir müssen versuchen zu erkennen, welchen Sinn es für uns
+und für die ganze Welt hat, daß wir Menschen sind.
+
+Die Existenz meines Körpers erklärt die Naturwissenschaft aus
+allgemeinen Gesetzen. So erkenne ich, daß mein Körper nicht eine
+isolierte Schöpfung ist, sondern ein Teil eines großen Ganzen. Dann
+komme ich zu der weiteren Erkenntnis, daß auch das Denken meines
+Verstandes im Einklang mit allen Vorgängen in der Welt steht, und so
+kann ich mit Hilfe meines Verstandes all die großen Gesetze, die das
+Weltall regieren, erkennen.
+
+Aber die Naturwissenschaft verlangt, daß ich hier stehen bleibe. Für
+sie haben Körper und Geist ihren Hintergrund in dem Weltall, aber für
+die Persönlichkeit gibt es keinen solchen Hintergrund. Jedoch unser
+Gefühl wehrt sich gegen solche Behauptung. Denn wenn diese unsre
+Persönlichkeit keine ewige Beziehung zur Wahrheit hat, wie alles
+andre, was für eine Zufallserscheinung ist sie denn? Wozu ist sie denn
+überhaupt da und wie ist ihr Dasein möglich? Diese Tatsache meiner
+Persönlichkeit bedarf zu ihrer Stütze der Wahrheit der unendlichen
+Persönlichkeit. Durch die unmittelbare Wahrnehmung des Ichs in uns sind
+wir zu der großen Entdeckung gekommen, daß es ein unendliches Ich geben
+muß.
+
+Dann stellt sich uns die Frage: Wie ist unsre Beziehung zu diesem
+unendlichen Ich? In seinem innersten Herzen findet der Mensch die
+Antwort, daß es die engste aller Beziehungen, daß es die Beziehung der
+Liebe ist.
+
+Es kann keine andere sein, denn es gibt keine vollkommene Beziehung
+außer der der Liebe.
+
+Die Beziehung zwischen König und Untertan, zwischen Herr und Diener,
+zwischen dem Gesetzgeber und denen, die dem Gesetz gehorchen, -- alle
+solche Beziehungen sind einseitig und dienen einem besonderen Zwecke.
+Sie umfassen nicht das ganze Wesen. Aber die Beziehung zwischen dem
+Einzel-Ich und dem Welt-Ich muß vollkommen sein. Denn nur in der Liebe
+findet unsere Persönlichkeit vollkommene Befriedigung, und daher muß
+auch unsre Beziehung zu der unendlichen Persönlichkeit die der Liebe
+sein. Und so hat der Mensch gelernt zu sagen: »Unser Vater«. Gott ist
+nicht nur unser König oder unser Herr, er ist unser Vater.
+
+Das heißt, es ist etwas in Ihm, woran wir teilhaben, etwas Gemeinsames
+zwischen diesem ewigen Ich und dem endlichen kleinen Ich.
+
+Aber man könnte noch fragen, warum wir denn das Wort Vater gebrauchen,
+das doch eine persönliche Beziehung zwischen menschlichen Wesen
+ausdrückt? Warum suchen wir nicht nach einem anderen Wort? Ist dies
+nicht zu klein und begrenzt?
+
+Das Wort Vater schließt in unsrer Sanskritsprache den Begriff Mutter
+mit ein. Sehr oft gebrauchen wir dies Wort in seiner Dualform
+_Pitarau_, das» Vater und Mutter« bedeutet. Der Mensch wird in die Arme
+der Mutter geboren. Wir kommen nicht einfach so auf die Erde, wie der
+Regen aus der Wolke kommt. Das Große für uns ist, daß wir von Vater und
+Mutter ins Leben geleitet werden. Es zeigt, daß unsre Beziehung zur
+Welt von vornherein eine persönliche ist. Und so finden wir auch unsre
+Beziehung zum Unendlichen. Wir wissen, daß wir aus der Liebe geboren
+sind, unsre ersten und nächsten Beziehungen sind die der Liebe, und wir
+fühlen, daß unser Verhältnis zu den Eltern das wahre Symbol ist für
+unser ewiges Verhältnis zu Gott. Diese Wahrheit müssen wir uns jeden
+Augenblick gegenwärtig halten. Wir müssen wissen, daß wir auf ewig mit
+unserm Vater verbunden sind. Dann erheben wir uns über die Nichtigkeit
+der Dinge, und die ganze Welt bekommt für uns einen Sinn.
+
+Daher ist das erste Gebet, daß wir Gott als Vater erkennen. Du, der
+du die unendliche Welt von Sternen und Welten schaffst, ich kann dein
+Wesen nicht erfassen, und doch weiß ich eines ganz gewiß: Du bist
+_Pitā_, bist mein Vater.
+
+Das Kindchen weiß noch nicht viel von dem, was die Mutter tut, aber es
+weiß, daß es seine Mutter ist.
+
+So weiß ich auch sonst nichts von Gott, aber das Eine weiß ich: Er ist
+mein Vater.
+
+Laß mein ganzes Bewußtsein von diesem Gedanken durchglüht sein: Du bist
+mein Vater. Jeden Tag laß dies das eine Zentrum all meiner Gedanken
+sein, daß der Höchste, der das ganze Weltall regiert, mein Vater ist.
+
+_Pitā no bodhi._ Laß mich im Licht dieser großen Wahrheit erwachen: Du
+bist mein Vater.
+
+Laß mich all meine Gedanken wie ein nacktes Kind in deine Arme legen,
+daß du sie den Tag über behütest und beschützest.
+
+Und dann: _Namaḥ_.
+
+Meine völlige Selbsthingabe wird Wahrheit werden. Hierin findet die
+Liebe des Menschen ihre höchste Freude.
+
+_Namas te, namaḥ_ -- Anbetung dir -- laß es wahr werden!
+
+Ich bin mit dem unendlichen Ich verbunden, und daher ist meine wahre
+Haltung nicht Stolz oder Selbstzufriedenheit, sondern Selbsthingabe.
+_Namas te 'stu._
+
+Dies ist noch nicht der ganze Text, der meinen Schülern zu ihren
+Gebeten und Betrachtungen dient.
+
+Dies Gebet ist nämlich verschiedenen Stellen unserer ältesten
+Schriften, der Veden, entnommen. Es steht nirgends im Zusammenhange.
+Aber mein Vater, der sein Leben dem Dienste Gottes weihte, sammelte
+diese Worte aus dem unerschöpflichen Schatzhaus unsterblicher Weisheit,
+den Veden und Upanischaden.
+
+Der nächste Vers lautet:
+
+_Mā mā hiṃsi._ Triff mich nicht mit dem Tode.
+
+Wir müssen uns genau den Sinn dieses Gebetes klar machen. Ich sagte,
+daß der erste Vers lautete: »Du bist mein Vater.« Dies ist der Anfang
+und das Ende aller Wahrheit. In sie müssen wir ganz hineingeboren
+werden, wenn unser Leben seine Erfüllung finden soll.
+
+Doch wenn es auch wahr ist, daß wir mit unserm Vater in alle Ewigkeit
+verbunden sind, so ist doch eine Schranke da, die uns hindert, diese
+Wahrheit ganz zu erfassen und dies ist die größte Quelle unsrer Leiden.
+Die Tiere haben auch ihre Schmerzen, sie leiden durch die Angriffe von
+Feinden und durch physische Unvollkommenheit, und dies Leiden spornt
+sie noch mehr an, nach Befriedigung ihrer natürlichen Lebensbedürfnisse
+zu streben und gegen Hindernisse anzukämpfen. Dies Streben und Kämpfen
+an sich ist Freude. Und wir können sicher sein, daß sie in Wahrheit
+ihr Leben genießen, weil durch jenen Ansporn ihre ganze Lebensenergie
+geweckt wird. Sonst würde ihr Leben wie das der Pflanzenwelt sein. Das
+Leben braucht zu seiner Erfüllung Hemmnisse, um im beständigen Kampf
+gegen diese materiellen Widerstände sich seiner eigenen Überlegenheit
+und Würde bewußt zu werden. Aber all diese Hemmnisse werden von den
+Tieren als Schmerz empfunden.
+
+Allein der Mensch hat noch eine tiefere Leidensquelle. Auch er muß
+seinen Lebensunterhalt suchen und sich gegen all die Feindseligkeiten
+der Natur und der Menschen behaupten. Aber das ist nicht alles. Das
+Wunder ist, daß der Mensch, der in derselben Welt geboren ist, wie
+die Tiere, der dieselben Lebensprobleme zu lösen hat wie sie, noch
+etwas anderes hat, um das er kämpft und sorgt, obgleich er es nie ganz
+zu erfassen vermag. Nur in flüchtigen Augenblicken spürt er seine
+unmittelbare Berührung, und mitten im Genuß seines Reichtums, in Luxus
+und äußerem Behagen, umgeben von allen Schätzen dieser Welt fühlt der
+Mensch doch immer, daß diese Dinge ihm nicht genügen, und aus der Tiefe
+seines Herzens ringt sich das Gebet, das er nicht an die Naturkräfte
+der Erde richtet, an Luft oder Feuer, sondern an ein Wesen, das er nur
+dunkel ahnt -- das Gebet: »Rette mich, triff mich nicht mit dem Tode!«
+
+Wir meinen damit nicht physischen Tod, denn wir alle wissen, daß wir
+sterben müssen. Der Mensch fühlt instinktiv, daß dies Leben nicht sein
+endgültiges Leben ist, daß er nach einem höheren Leben trachten muß.
+Und dann ruft er zu Gott: »Laß mich nicht in diesem Tal des Todes.
+Hier findet meine Seele keine Befriedigung. Ich esse und schlafe, und
+finde doch weder Sättigung noch Ruhe. Ich darbe mitten in all diesem
+Reichtum.« Wie das Kind nach der Nahrung schreit, die aus dem eigenen
+Leben der Mutter quillt, so schreit unsre Seele nach der ewigen Mutter:
+»Errette mich vom Tode, gib mir Leben von deinem Leben. Ich darbe! Hier
+finde ich keine Nahrung, und der Tod breitet schon seine Schwingen über
+mich. Errette mich!«
+
+_Vī́śvāni deva savitar duritā́ni párā suva!_[18]
+
+O Gott, mein Vater, nimm diese Welt von Sünden von mir! Wenn dies
+Selbst alles für sich zu gewinnen sucht, dann stößt es sich beständig
+wund. Denn das Leben der engen Selbstsucht ist gegen seine wahre Natur;
+sein wahres Leben ist ein Leben der Freiheit, und daher verletzt es
+unaufhörlich seine Flügel an den Käfigwänden. Das Selbst kann in
+solchem Gefängnis kein Genüge und keinen Sinn finden. Es ruft aus:
+»Ich gelange nicht zu meiner Erfüllung!« Es schlägt gegen die Stäbe
+des Käfigs, und seine Schmerzen sagen uns, daß nicht das Leben des
+Ichs, sondern das weitere Leben der Seele sein wahres Leben ist. Dann
+rufen wir: »Zerbrich dies Gefängnis, ich sage mich los von diesem Ich.
+Zerbrich alle seine Sünden, all sein selbstsüchtiges Wünschen und
+Trachten, und nimm mich als dein Kind an, -- dein Kind, nicht das Kind
+dieser Welt des Todes.«
+
+_Yád bhadráṃ tán na ā́ suva[19]!_ Gib uns das, was gut ist. Sehr oft
+sprechen wir dies Gebet und bitten unsern Vater, uns das zu geben, was
+gut ist, aber wir wissen nicht, wie Furchtbares uns zuteil würde, wenn
+Gott uns unsre Bitte in vollem Maße gewährte. Es gibt nur sehr wenige
+unter uns, die, wenn sie erkennen, was das höchste Gute ist, noch darum
+bitten können. Nur der kann es, der sein Leben gereinigt und es aus den
+Ketten des Bösen befreit hat, der furchtlos Gott bitten kann, sein Werk
+an ihm zu tun. Er, der sagen kann: »Ich habe meinen Geist von allen
+selbstsüchtigen Impulsen und von aller Angst und Sorge des engen Lebens
+im Ich befreit,« und nun kann ich voll Zuversicht beten: »Gib mir, was
+gut ist, in welcher Gestalt es auch sei, sei es Leid, Verlust, Schmach,
+Verlassenheit -- ich werde es mit Freuden hinnehmen, denn ich weiß, es
+kommt von dir.«
+
+Aber wie schwach wir auch sein mögen, dies muß unser Gebet sein. Denn
+wir wissen, daß, wer in Gott seinen Vater erkannt hat, alles, was aus
+seinen Händen kommt, willig hinnimmt, und müßte er auch in Leid und
+Elend versinken. Das ist wahre Freiheit. Denn Freiheit ist nicht da,
+wo nur äußeres Glück ist. Sondern wenn wir Gefahr und Tod, Mangel und
+Leid Trotz bieten können und uns doch frei fühlen, wenn wir nicht den
+geringsten Zweifel haben, daß wir in unserm Vater leben, dann kommt
+alles wie eine frohe Botschaft zu uns, und wir können es mit Demut und
+Freude empfangen und unser Haupt in Dankbarkeit beugen.
+
+ _Námaḥ śambhavā́ya_[20].
+
+»Anbetung dir, von dem alle Freuden des Lebens kommen.« Wir heißen sie
+froh willkommen, all die verschiedenen Ströme der Freude, die du durch
+verschiedene Kanäle uns zuleitest, und wir neigen uns in Anbetung vor
+dir.
+
+ _Mayobhavā́yaca_.
+
+»Anbetung dir, von dem die Wohlfahrt der Menschen kommt.« Wohlfahrt
+enthält beides, Freude und Leid, Gewinn und Verlust. Dir, der du mit
+Schmerz, Sorge und Not unser Leben segnest, -- dir sei Anbetung.
+
+ _Námaḥ śivā́ya ca śivátarāya ca_[20].
+
+»Anbetung dir, dem Gütigen, dem Allgütigen.«
+
+Dies ist der vollständige Text. Der erste Teil ist das Gebet um
+Erkenntnis, daß wir nicht nur in der Welt der Natur, in der Welt von
+Erde, Luft und Wasser leben, sondern in der wahren Welt der Seele, in
+der Welt der Liebe. Und wenn wir erkannt haben, daß wir von dieser
+Liebe getragen werden, dann empfinden wir die Disharmonie unsres
+Lebens, das von Liebe nichts weiß. Wir empfinden sie erst, wenn
+wir Gott als unsern Vater erkannt haben. Aber sobald wir zu dieser
+Erkenntnis gekommen sind, fühlen wir die Disharmonie unsres Lebens so
+stark, daß sie uns vernichtet und wir dies Leben als Tod empfinden. Wir
+können es nicht mehr ertragen, sobald wir uns bewußt werden, daß die
+Liebe unsres Vaters uns umgibt.
+
+Dann kommt das Gebet um Befreiung aus der Gewalt der Dinge und um das
+höchste Gut, um die Freiheit in Gott.
+
+Und dann der Schluß. Wir beugen uns in Anbetung vor Ihm, in dem alle
+unsre Freuden sind, in dem die Wohlfahrt unsrer Seele ist, in dem das
+Gute ist:
+
+ _Om, S̀āntiḥ, S̀āntiḥ, S̀āntiḥ. Om._
+
+
+
+
+DIE FRAU
+
+
+Wenn die männlichen Geschöpfe ihrer natürlichen Neigung zum Kämpfen
+nachgeben und einander töten, so läßt die Natur dies zu, weil die
+weiblichen Wesen ihrem Zweck unmittelbar, die männlichen ihm dagegen
+nur mittelbar dienen. Sparsam, wie sie ist, liegt ihr nicht besonders
+an der Erhaltung der hungrigen Brut, die mit zänkischer Gefräßigkeit
+über alles herfällt und doch sehr wenig dazu beiträgt, die Rechnung der
+Natur zu bezahlen. Daher können wir beobachten, wie in der Insektenwelt
+die Weibchen dafür sorgen, daß die männliche Bevölkerung sich auf die
+kleine Zahl beschränkt, die zur Erhaltung der Art unbedingt notwendig
+ist.
+
+Weil nun aber den männlichen Wesen in der Menschenwelt so wenig
+Pflichten und Verantwortung der Natur gegenüber blieben, so waren sie
+frei, anderen Beschäftigungen und Abenteuern nachzugehen. Man definiert
+den Menschen als das Tier, das Werkzeuge macht. Dies Werkzeugmachen
+liegt nicht mehr im Plan der Natur. Ja, durch unser Vermögen, Werkzeuge
+zu machen, sind wir imstande, der Natur Trotz zu bieten. Der männliche
+Mensch, der den größten Teil seiner Kräfte frei hatte, entwickelte dies
+Vermögen und wurde furchtbar. So ist es gekommen, daß, wenn auch auf
+den Gebieten des natürlichen Lebens das Weib noch den Thron behauptet,
+den die Natur ihr zuerkannt, auf geistigem Gebiet der Mann seine eigene
+Herrschaft errichtet und ausgedehnt hat. Denn zu diesem großen Werk
+brauchte er Bewegungsfreiheit und innere Ungebundenheit.
+
+Der Mann machte sich diese verhältnismäßige Freiheit von physischer und
+seelischer Gebundenheit zunutze und ging unbelastet an die Erweiterung
+seines Lebensgebiets. Hierbei beschritt er den gefahrvollen Weg
+gewaltsamer Umwälzungen und Zerstörungen. Immer wieder wurde von Zeit
+zu Zeit alles, was er mit großem Fleiß angehäuft, hinweggefegt und der
+Strom des Fortschritts an der Quelle verschüttet. Und wenn auch der
+Gewinn beträchtlich war, so war im Vergleich damit der Verlust noch
+ungeheurer, besonders wenn man bedenkt, daß mit dem Wohlstand eines
+Volks oft auch seine Geschichte unterging. Aus diesen wiederholten
+Katastrophen hat der Mensch die Wahrheit gelernt, wenn er sie sich
+auch noch nicht völlig zunutze gemacht hat, daß er bei allem, was er
+schafft, das sittliche Gleichmaß wahren muß, wenn sein Werk nicht
+untergehen soll; daß ein bloßes unbegrenztes Anhäufen von Macht nicht
+zu wahrem Fortschritt führt; daß Ebenmaß des Baues und Harmonie mit
+seiner Basis zu wirklichem Gedeihen nötig sind.
+
+Dies Ideal der Festigkeit und Dauerhaftigkeit ist in der Natur der Frau
+tief gegründet. Es macht ihr niemals Freude, nur immer weiterzueilen
+und dabei Pfeile eitler Neugierde mitten ins Dunkel hinein zu schießen.
+Sie wirkt instinktiv mit allen ihren Kräften dahin, die Dinge zu einer
+gewissen Vollendung zu bringen, -- denn das ist das Gesetz des Lebens.
+Wenn auch in der Bewegung des Lebens nichts endgültig ist, so ist doch
+jeder Schritt desselben ein vollständiges rhythmisches Ganze. Selbst
+die Knospe hat ihr Ideal vollkommener Rundung, ebenso die Blume und die
+Frucht. Aber ein unvollendetes Gebäude hat nicht das Ideal der Ganzheit
+in sich. Wenn es sich daher unbegrenzt immer weiter ausdehnt, so wächst
+es über sein Maß hinaus und verliert das Gleichgewicht. Die männlichen
+Schöpfungen intellektueller Kultur sind babylonische Türme, sie wagen
+es, ihrer Basis zu trotzen, und stürzen daher immer wieder ein. So
+wächst die Menschheitsgeschichte auf Trümmerschichten empor, es ist
+kein ruhig fortschreitendes Wachsen unmittelbar aus der mütterlichen
+Erde. Der gegenwärtige Krieg gibt ein Bild davon. Die wirtschaftlichen
+und politischen Organisationen, die nur mechanische Kraft darstellen,
+die aus dem Intellekt geboren ist, sind geneigt zu vergessen, daß ihr
+Schwerpunkt in dem Mutterboden des Lebens liegen muß. Die Gier, Macht
+und Besitz anzuhäufen, die ihr Ziel niemals vollständig erreichen kann,
+die nicht im Einklang steht mit dem Ideal sittlicher und geistiger
+Vollkommenheit, muß schließlich mit eigener Hand ihren schwerfälligen
+Bau einreißen.
+
+Im gegenwärtigen Stadium der Geschichte ist die Kultur fast
+ausschließlich männlich; es ist eine Kultur der Macht, welche die
+Frau abseits in den Schatten gedrängt hat. Daher hat diese Kultur ihr
+Gleichgewicht verloren und taumelt nur von einem Krieg zum anderen.
+Ihre Triebkräfte sind zerstörender Art, und ihr Kultus fordert eine
+erschreckende Zahl von Menschenopfern. Diese einseitige Kultur stürzt
+eben wegen ihrer Einseitigkeit mit ungeheurer Schnelligkeit von
+Katastrophe zu Katastrophe. Und endlich ist die Zeit gekommen, wo
+die Frau eingreifen und diesem rücksichtslosen Lauf der Macht ihren
+Lebensrhythmus mitteilen muß.
+
+Denn die Aufgabe der Frau ist die passive Aufgabe, die der Erdboden
+hat, der nicht nur dem Baum hilft, daß er wachsen kann, sondern auch
+sein Wachstum in Schranken hält. Der Baum muß die Freiheit haben,
+sich ins Leben hineinzuwagen und seine Zweige nach allen Seiten
+auszubreiten, aber all seine tieferen Bande werden vom mütterlichen
+Boden geborgen und festgehalten, und nur dadurch kann der Baum leben.
+Unsre Kultur muß auch ihr passives Element haben, auf dem sie tief
+und fest gegründet steht. Sie muß nicht bloßes Wachstum, sondern
+harmonische Entfaltung sein. Sie muß nicht nur ihre Melodie, sondern
+auch ihren Takt haben. Dieser Takt ist keine Schranke, er ist das,
+was die Ufer dem Fluß sind: sie geben seinen Wassern, die sich sonst
+im Morast verlieren würden, dauernden Lauf. Dieser Takt ist Rhythmus,
+ein Rhythmus, der die Bewegung der Welt nicht hemmt, sondern sie zu
+Wahrheit und Schönheit rundet.
+
+Die Frau ist in weit höherem Maße mit den passiven Eigenschaften der
+Keuschheit, Bescheidenheit, Hingebung und Opferfähigkeit begabt als der
+Mann. Die passiven Eigenschaften der Natur sind es, die ihre ungeheuren
+Riesenkräfte zu vollendeten Schöpfungen der Schönheit umwandeln, --
+die die wilden Elemente zähmen, daß sie mit zarter Fürsorge dem Leben
+dienen. Diese passiven Eigenschaften haben der Frau jene große und
+tiefe Seelenruhe gegeben, die so nötig ist, um das Leben zu heilen, zu
+nähren und zu hegen. Wenn das Leben sich nur immerfort ausgäbe, so wäre
+es wie eine Rakete, die in einem Blitzstrahl aufsteigt und im nächsten
+Augenblick als Asche niederfällt. Das Leben aber soll einer Lampe
+gleichen, die noch weit mehr Leuchtkraft in sich birgt, als ihre Flamme
+zeigt. Und die passive Natur der Frau ist es, in der dieser Vorrat von
+Lebenskraft aufgespeichert ist.
+
+Ich habe an einer anderen Stelle gesagt, daß man bei der Frau des
+Westens eine gewisse Ruhelosigkeit beobachtet, die nicht ihrer
+wahren Natur entsprechen kann. Denn Frauen, die besonderer und
+gewaltsamer Anregung in ihrer Umgebung bedürfen, um ihre Interessen
+wachzuhalten, beweisen nur, daß sie die Berührung mit ihrer eigenen,
+wahren Welt verloren haben. Offenbar gibt es im Westen eine große
+Anzahl von Frauen, die, ebenso wie die Männer, alles, was gewöhnlich
+und alltäglich ist, verachten. Sie sind immer darauf aus, etwas
+Außergewöhnliches zu finden, und strengen alle ihre Kräfte an, eine
+unechte Originalität hervorzubringen, die, wenn sie auch nicht
+befriedigt, doch überrascht. Aber solche Anstrengungen sind nicht das
+Zeichen wahrer Lebenskraft. Und sie müssen den Frauen verderblicher
+sein als den Männern, weil die Frauen mehr als die Männer die Träger
+der Lebenskräfte sind. Sie sind die Mütter des Menschengeschlechts, und
+sie haben ein lebendiges Interesse an den Dingen, die sie umgeben, eben
+an den Dingen des alltäglichen Lebens; wenn sie dies Interesse nicht
+hätten, müßte die Menschheit untergehen.
+
+Wenn sie dadurch, daß sie beständig Anregung von außen suchen, einer
+Art geistiger Trunksucht verfallen, so daß sie ohne ihre tägliche Dosis
+sensationeller Erregung nicht mehr auskommen können, so verlieren sie
+das feine Empfinden, das sie von Natur haben, und mit ihm die schönste
+Blüte ihrer Weiblichkeit, und zugleich die Kraft, die Menschheit mit
+dem zu versehen, was sie am nötigsten braucht.
+
+Des Mannes Interesse für seine Mitmenschen wird erst wirklich ernst,
+wenn er sieht, daß sie besondere Fähigkeiten besitzen oder von
+besonderem Nutzen sein können, aber eine Frau fühlt Interesse für
+ihre Mitmenschen, weil sie lebendige Geschöpfe, weil sie Menschen
+sind, nicht weil sie einem besonderen Zweck dienen können oder weil
+sie eine Fähigkeit haben, die sie besonders bewundert. Und weil die
+Frau diese Gabe hat, übt sie solchen Zauber auf unsre Seele aus; die
+überschwängliche Fülle ihres Lebensinteresses ist so anziehend, daß sie
+allem an ihr, ihrer Rede, ihrem Lachen, ihrer Bewegung, Anmut verleiht;
+denn Anmut fließt aus dieser Harmonie mit dem Leben, das uns umgibt.
+
+Zum Glück für uns hat unsre Alltagswelt die feine und unaufdringliche
+Schönheit des Alltäglichen, und wir brauchen nur unser eigenes
+Empfinden offen zu halten, um seine Wunder zu begreifen, die nicht
+in die Augen fallen, weil sie geistiger Art sind. Wenn wir durch den
+äußeren Vorhang hindurchblicken, so finden wir, daß die Welt in ihren
+alltäglichen Erscheinungen ein Wunder ist.
+
+Wir erfassen diese Wahrheit unmittelbar durch die Gabe der Liebe,
+und die Frauen erkennen durch diese Gabe, daß der Gegenstand ihrer
+Liebe und Zuneigung trotz seiner zerlumpten Hülle und scheinbaren
+Alltäglichkeit unendlichen Wert hat. Wenn die Frauen die Teilnahme
+am Alltäglichen verloren haben, dann schreckt die Muße sie mit ihrer
+Leerheit, weil, nachdem ihr natürliches Empfinden abgestumpft ist,
+sie nichts mehr in ihrer Umgebung finden, das ihre Aufmerksamkeit
+beschäftigt. Daher schwirren sie von einer Tätigkeit zur anderen, nur
+um die Zeit auszufüllen, nicht um sie zu nützen. Unsre alltägliche Welt
+ist wie eine Rohrflöte, ihr wahrer Wert liegt nicht in ihr selber,
+sondern in der Musik, die der Unendliche durch ihr leeres Innere
+ertönen läßt, und die alle die vernehmen, welche die Gabe und die Ruhe
+des Gemüts haben, auf sie zu hören. Aber wenn die Frauen sich gewöhnen,
+jedes Ding nach dem Wert einzuschätzen, den es für sie selbst hat,
+dann können wir darauf gefaßt sein, daß sie wütend gegen unsern Geist
+Sturm laufen, um unsre Seele von der stillen Begegnung mit dem Ewigen
+fortzulocken und uns dahin zu bringen, daß wir versuchen, die Stimme
+des Unendlichen durch den sinnlosen Lärm rastloser Geschäftigkeit zu
+übertäuben.
+
+Ich will damit nicht sagen, daß das häusliche Leben das einzige Leben
+für eine Frau sei. Ich meine, daß die Welt des Menschlichen die Welt
+der Frau ist, sei es die häusliche Welt oder sei es draußen im Leben,
+solange nur ihre Betätigung dort dem Menschen gewidmet ist, und nicht
+abstraktes Streben nach Organisation.
+
+Alles rein Persönliche und Menschliche ist das Gebiet der Frau. Die
+häusliche Welt ist die Welt, wo jedes Individuum nach seinem eigenen
+Wert geschätzt wird; hier gilt nicht der Marktwert, sondern der Wert,
+den die Liebe gibt, das heißt der Wert, den Gott in seiner unendlichen
+Gnade allen seinen Geschöpfen beilegt. Diese häusliche Welt hat Gott
+der Frau zu eigen gegeben. Sie kann die Strahlen ihrer Liebe nach allen
+Seiten weit über ihre Grenzen hinaus leuchten lassen, ja, sie kann
+selbst aus dieser ihrer Welt hinaustreten, wenn der Ruf an sie ergeht,
+daß sie als Weib sich draußen bewähre. Aber eins ist gewiß, und diese
+Wahrheit darf sie nie vergessen: im Augenblick, wo sie geboren ist und
+die Mutterarme sie zuerst umschließen, da ist sie im Mittelpunkt ihrer
+eigenen, wahren Welt, in der Welt rein menschlicher Beziehungen.
+
+Die Frau sollte ihre Gabe gebrauchen, durch die Oberfläche hindurch
+ans Herz der Dinge zu gelangen, wo in dem Geheimnis des Lebens ein
+unendlicher Reiz verborgen liegt. Der Mann hat diese Gabe nicht in dem
+Maße. Aber die Frau hat sie, wenn sie sie nicht in sich ertötet, -- und
+daher liebt sie die Geschöpfe, die nicht wegen ihrer hervorragenden
+Eigenschaften liebenswert sind. Der Mann hat seine Pflichten in seiner
+eigenen Welt, wo er beständig Macht und Reichtum und Organisationen
+aller Arten schafft. Aber Gott hat die Frau gesandt, daß sie die
+Welt liebe. Und diese Welt ist eine Welt alltäglicher Dinge und
+Begebenheiten, keine Märchenwelt, wo die schöne Frau Jahrhunderte
+schläft, bis sie von dem Zauberstab berührt wird. In Gottes Welt haben
+die Frauen überall ihren Zauberstab, der ihr Herz wach hält -- und dies
+ist weder der goldene Zauberstab des Reichtums, noch das eiserne Zepter
+der Macht.
+
+Alle unsre geistigen Führer haben den unendlichen Wert des Individuums
+verkündet. Der überhandnehmende Materialismus der heutigen Zeit ist
+es, der die einzelnen den blutdürstigen Götzen der Organisation
+erbarmungslos opfert. Als die Religion materialistisch war, als die
+Menschen ihren Göttern dienten, weil sie ihre Tücke fürchteten oder
+dadurch Reichtum und Macht zu erlangen hofften, da war ihr Kultus
+grausam und forderte Opfer ohne Zahl. Aber mit der Entwicklung unsres
+geistigen Lebens wurde unser Gottesdienst der Gottesdienst der Liebe.
+
+In dem gegenwärtigen Stadium der Kultur, wo die Verstümmelung von
+Individuen nicht nur geübt, sondern verherrlicht wird, schämen die
+Frauen sich ihres weiblichen Gefühls. Denn Gott hat sie mit seinem
+Evangelium der Liebe gesandt als Schutzengel der einzelnen, und in
+diesem ihrem göttlichen Beruf bedeuten ihnen die einzelnen mehr als
+Heer und Flotte und Parlament, mehr als Kaufhäuser und Fabriken. Sie
+haben hier ihren Dienst in Gottes eigenem Tempel der Wirklichkeit, wo
+Liebe mehr gilt als Macht.
+
+Aber weil die Männer in ihrem Stolz auf Macht angefangen haben,
+lebendige Dinge und menschliche Beziehungen zu verspotten, so schreien
+eine große Anzahl von Frauen sich heiser, um zu beweisen, daß sie
+nicht Frauen sind, daß sie ihrem wahren Wesen treu sind, wenn sie
+Macht und Organisation vertreten. Sie fühlen sich heutzutage in ihrem
+Stolz verletzt, wenn man in ihnen nur die Mütter der Menschheit sieht,
+die ihren einfachen Lebensbedürfnissen und ihrem tieferen seelischen
+Bedürfnis nach Mitgefühl und Liebe dienen.
+
+Weil die Männer mit salbungsvoller Frömmigkeit den Dienst ihrer
+selbstgefertigten Götzenbilder: Staat, Nation usw., predigen,
+zerbrechen die Frauen beschämt den Altar ihres wahren Gottes, der
+vergebens auf ihr Opfer dienender Liebe wartet.
+
+Schon lange sind unterhalb der festen Rinde der Gesellschaft, auf
+die die Welt der Frau gegründet ist, Wandlungen vor sich gegangen.
+Neuerdings ist die Kultur mit Hilfe der Wissenschaft in wachsendem Maße
+männlich geworden, so daß man sich um das Wesen und die Eigenart der
+einzelnen immer weniger kümmert. Die Organisation greift über auf das
+Gebiet persönlicher Beziehungen, und das Gefühl muß dem Gesetz weichen.
+Es hat von männlichen Idealen geleitete Gemeinschaften gegeben, in
+denen der Kindesmord herrschte, der grausam das weibliche Element der
+Bevölkerung soweit wie möglich niederhielt. Dasselbe, nur in anderer
+Form, geschieht in der modernen Kultur. In ihrer zügellosen Gier nach
+Macht und Reichtum hat sie die Frau fast ganz aus ihrer Welt gedrängt,
+und das Heim muß von Tag zu Tag immer mehr dem Geschäftszimmer Platz
+machen. Sie beansprucht die ganze Welt für sich und läßt der Frau fast
+keinen Raum mehr. Sie schädigt sie nicht nur, sondern verhöhnt sie.
+
+Aber der Mann kann durch seinen Machtwillen die Frau nicht ein
+für allemal zum bloßen Zierstück herabwürdigen. Denn sie ist der
+Kultur nicht weniger notwendig als er, vielleicht mehr. In der
+Entwicklungsgeschichte der Erde sind große verheerende Umwälzungen über
+sie hingegangen, als die Erde noch nicht die lockere Weichheit ihrer
+Reifezeit erreicht hatte, die allen gewaltsamen Kraftentfaltungen Trotz
+bietet. Und auch die Kultur des materiellen Wettbewerbs und des Kampfes
+der Kräfte muß einem Zeitalter der Vollkommenheit weichen, dessen Kraft
+tief in Güte und Schönheit wurzelt. Zu lange schon steht der Ehrgeiz
+am Steuer unsrer Geschichte, so daß der einzelne sein Recht erst
+jedesmal den Machthabern mit Gewalt entwinden und die Hilfe des Bösen
+in Anspruch nehmen muß, um das zu erlangen, was gut für ihn ist. Aber
+solche Zustände können immer nur eine Zeitlang dauern, denn die Saat,
+die die Gewalt ausgestreut hat, liegt wartend und heimlich wachsend in
+den Rissen und Spalten und bereitet im Dunkel den Zusammenbruch vor,
+der hereinbricht, wenn man es am wenigsten erwartet.
+
+Obgleich daher in dem gegenwärtigen Stadium der Geschichte der
+Mann seine männliche Überlegenheit behauptet und seine Kultur mit
+Steinblöcken aufbaut, ohne sich um das Prinzip des wachsenden Lebens
+zu kümmern, so kann er doch die Natur der Frau nicht ganz in Staub
+zermalmen oder in totes Baumaterial umwandeln. Man kann wohl der Frau
+ihr Heim zertrümmern, aber sie selbst, ihre Art, kann man nicht töten.
+Was die Frau zu erlangen sucht, ist nicht nur die Freiheit, sich ihren
+Lebensunterhalt zu verdienen, indem sie dem Mann die Alleinherrschaft
+im Erwerbsleben zu entreißen sucht, sondern sie kämpft auch gegen
+seine Alleinherrschaft auf dem Gebiete der Kultur, wo er ihr täglich
+das Herz bricht und ihr Leben verödet. Sie muß das verlorene soziale
+Gleichgewicht wiederherstellen, indem sie das volle Gewicht ihrer
+Weiblichkeit der männlichen Schöpfung gegenüber in die Waagschale
+wirft. Der Riesenwagen der Organisation fährt kreischend und krachend
+auf der Heerstraße des Lebens dahin, Elend und Verstümmelung auf
+seinen Spuren zurücklassend, denn was kümmert's ihn, wenn er nur eilig
+weiterkommt. Daher muß die Frau in die zerquetschte und zertrümmerte
+Welt der Einzelwesen eintreten und sie alle als die Ihrigen in Anspruch
+nehmen, die Unbedeutenden und Unbrauchbaren. Sie muß die schönen Blumen
+des Gefühls liebend schützen vor dem tötenden Spott kalter, kluger
+Tüchtigkeit. Sie muß all das Ungesunde und Unreine hinwegfegen, das die
+organisierte Machtgier in der Menschheit hervorrief, als sie sie ihrer
+natürlichen Lebensbedingungen beraubte. Die Zeit ist gekommen, wo die
+Verantwortung der Frau größer ist als je zuvor, wo ihr Arbeitsfeld weit
+über die Sphäre häuslichen Lebens hinausreicht. Die Welt ruft durch
+ihre geschmähten Individuen ihre Hilfe an. Diese Individuen müssen
+wieder in ihrem wahren Wert erkannt werden, sie müssen wieder ihr Haupt
+zur Sonne heben dürfen und durch die erbarmende Liebe der Frau den
+Glauben an die Liebe Gottes wiedergewinnen.
+
+Die Menschen haben die Widersinnigkeit der heutigen Kultur gesehen, die
+auf Nationalismus gegründet ist, d. h. auf Volkswirtschaft und Politik
+und den daraus folgenden Militarismus. Sie haben gesehen, daß sie ihre
+Freiheit und Menschlichkeit aufgeben mußten, um sich den ungeheuren
+mechanischen Organisationen anzupassen. So können wir hoffen, daß sie
+ihre kommende Kultur nicht nur auf wirtschaftlichen und politischen
+Wettbewerb und Ausbeutung gründen werden, sondern auf soziales
+Zusammenwirken aller Völker, auf die geistigen Ideale der Nächstenliebe
+und gegenseitigen Hilfe, und nicht auf die wirtschaftlichen Ideale des
+größtmöglichen Nutzungswerts und der mechanischen Tüchtigkeit. Und dann
+werden die Frauen an ihrem wahren Platz sein.
+
+Weil die Männer so riesige und ungeheuerliche Organisationen zustande
+gebracht haben, sind sie zu dem Glauben gekommen, daß diese Macht,
+andere zu verdrängen, ein Zeichen von Größe und Vollkommenheit sei.
+Dieser Glaube hat bei ihnen so fest Wurzel geschlagen, daß sie schwer
+die Unwahrheit ihres gegenwärtigen Fortschrittsideals erkennen werden.
+
+Aber die Frau kann mit ihrem unverfälschten Gefühl und mit der ganzen
+Kraft ihrer Menschenliebe an diese neue Aufgabe, eine geistige Kultur
+aufzubauen, gehen, wenn sie sich nur einmal ihrer Verantwortlichkeit
+bewußt wird; denn freilich, wenn sie oberflächlich und kurzsichtig ist,
+wird sie ihre Mission verfehlen. Und gerade weil die Frau von dem Mann
+beiseite gedrängt war und gewissermaßen im Dunkel lebte, wird ihr jetzt
+in der kommenden Kultur volle Entschädigung werden.
+
+Und jene menschlichen Wesen, die sich ihrer Macht rühmen und mit ihrer
+Ausbeutung nirgends haltmachen wollen, die den Glauben an den wahren
+Sinn der Lehre ihres Herrn und Meisters, daß die Friedfertigen das
+Erdreich besitzen sollen, verloren haben, sie werden in der nächsten
+Lebensgeneration zuschanden werden. Es wird ihnen ergehen, wie es
+in den alten, vorgeschichtlichen Zeiten den großen Ungeheuern, den
+Mammuts und den Dinosauriern erging. Sie haben ihr Erbe auf dieser
+Welt verloren. Sie hatten Riesenmuskeln für ungeheure körperliche
+Leistungen, aber sie mußten Geschöpfen weichen, die weit schwächere
+Muskeln hatten und weit weniger Raum einnahmen. Und so werden auch in
+der kommenden Kulturperiode die Frauen, die schwächeren Geschöpfe --
+schwächer wenigstens nach ihrer äußeren Erscheinung --, die weniger
+muskulös sind und immer zurückstanden, immer im Schatten dieser großen
+Geschöpfe, der Männer, lebten, ihren Platz einnehmen, und jene größeren
+Geschöpfe werden ihnen weichen müssen.
+
+
+
+
+FUSSNOTEN:
+
+[1] Edward Robert Bulwer-Lytton, Sohn des Dichters Edward Bulwer und
+selbst Dichter, 1876-80 Vizekönig von Indien.
+
+[2] pers. durbār oder darbār, Audienz, öffentlicher Empfang der
+mongolischen Fürsten.
+
+[3] Taittiriya -- Upaniṣad 2, 7, 1.
+
+[4] #Kabīr#, einer der Begründer der neueren indischen Mystik, Sohn
+eines armen muhammedanischen Webers in Benares, lebte von etwa 1440
+bis 1518. Ein Schüler Rāmānandas, verkündete er seine Religion der
+Gottesliebe, in der indische und muhammedanische Vorstellungen
+zusammenflossen, wurde von beiden Lagern als Ketzer verfolgt und
+schließlich 1495 aus Benares verbannt. Seine Lieder wurden aus
+schriftlichen Quellen und mündlicher Überlieferung von Kshiti Mohan
+Sen, einem Lehrer an Tagores Schule, gesammelt und in vier Bänden
+herausgegeben. Danach hat der Dichter selbst eine Auswahl ins Englische
+übertragen: Songs of Kabir. Translated by Rabindranath Tagore. London
+1915. Kabir pflegt seine Lieder zu zeichnen, indem er am Anfang der
+letzten Strophe seinen Namen nennt (vgl. S. 89). -- Die angeführte
+Stelle aus XVII, p. 62 f.
+
+[5] S. Sādhanā S. 28. (Der Anfang Ṛgveda 10, 113, 1.)
+
+[6] Die älteste erhaltene Kodifizierung der indischen Rechtssatzungen
+und Sitten; berühmtes Lehrgedicht, das unter dem Namen Manu's, des
+mythischen Vaters des Menschengeschlechts, geht.
+
+[7] Eine der schönsten und der kürzesten Upanischaden (Texte der
+altindischen Mystik), gewöhnlich nach dem ersten Wort als Iśā-Upaniṣad
+bezeichnet. S. Sechzig Upanishads des Veda, aus dem Sanskrit übersetzt
+von Paul Deussen. (Leipzig 1905.) S. 523-8.
+
+[8] Songs of Kabir (s. S. 32) LXXVI, p. 121.
+
+[9] Ebenda XVII, p. 67.
+
+[10] Der Schluss ist kaum richtig wiedergegeben. Genauer Deussen: »ja,
+ich sehe sie, deine lieblichste Gestalt; und jener dort, der Mann dort,
+ich bin es selbst!« (Tagore: he is I Am.)
+
+[11] Das vieldeutige Wort #kratu# ist eher mit Geist wiederzugeben.
+
+[12] Songs of Kabir LXXXII, p. 129.
+
+[13]
+
+ Eṣāsya paramā gatiḥ,
+ Eṣāsya paramā sampat,
+ Eṣo 'sya paramo lokaḥ,
+ Eṣo 'sya parama ānandaḥ.
+ (Bṛhad āraṇyaka-Upaniṣad 4, 3, 32).
+
+[14] Vgl. oben S. 76.
+
+[15] Taittirīya-Up. 2, 7, 1.
+
+[16] Mit Ausnahme der 4 ersten Worte die berühmte Gāyatrī (Ṛgveda 3,
+62, 10), s. Sādhanā S. 15.
+
+[17] Du bist unser Vater. Sei unser Vater! Anbetung sei dir! (_bodhi_
+kann »sei« und »erwache, merke auf etwas« bedeuten. Die Erklärung des
+Textes nimmt es in letzterem Sinne, zu dem Verb _budh_ -- erwachen,
+bewußt werden, wissen).
+
+[18] Ṛgveda 5, 82, 5.
+
+[19] Ṛgveda 5, 82, 5.
+
+[20] Vājasaneyi-Saṃhitā 16, 41. Ebenso die folgenden Zitate.
+
+
+
+
+ [Illustration]
+
+ Gedruckt
+ im Sommer 1921
+ bei Poeschel & Trepte
+ in Leipzig
+ *
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Persönlichkeit, by Rabindranath Tagore
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PERSÖNLICHKEIT ***
+
+***** This file should be named 45163-0.txt or 45163-0.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/4/5/1/6/45163/
+
+Produced by Reiner Ruf, Norbert H. Langkau, Jana Srna and
+the Online Distributed Proofreading Team at
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+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
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+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
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+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
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+request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
+form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
+License as specified in paragraph 1.E.1.
+
+1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
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+that
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+ the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
+ you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
+ owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
+ address specified in Section 4, "Information about donations to
+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
+ License. You must require such a user to return or
+ destroy all copies of the works possessed in a physical medium
+ and discontinue all use of and all access to other copies of
+ Project Gutenberg-tm works.
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+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days
+ of receipt of the work.
+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
+forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
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+Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
+Foundation as set forth in Section 3 below.
+
+1.F.
+
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+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
+DAMAGE.
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+defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
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+received the work on a physical medium, you must return the medium with
+your written explanation. The person or entity that provided you with
+the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
+refund. If you received the work electronically, the person or entity
+providing it to you may choose to give you a second opportunity to
+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
+promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation information page at www.gutenberg.org
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at 809
+North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email
+contact links and up to date contact information can be found at the
+Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For forty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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index 0000000..8d76ae9
--- /dev/null
+++ b/45163/45163-8.txt
@@ -0,0 +1,4481 @@
+The Project Gutenberg EBook of Persnlichkeit, by Rabindranath Tagore
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Persnlichkeit
+
+Author: Rabindranath Tagore
+
+Translator: Helene Meyer-Franck
+
+Release Date: March 17, 2014 [EBook #45163]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PERSNLICHKEIT ***
+
+
+
+
+Produced by Reiner Ruf, Norbert H. Langkau, Jana Srna and
+the Online Distributed Proofreading Team at
+http://www.pgdp.net
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+Anmerkungen zur Transkription
+#############################
+
+Kursiv gesetzer Text wird zwischen Unterstrichen (_) dargestellt;
+gesperrter Text steht zwischen Rautensymbolen (#).
+
+Die folgenden offensichtlichen Fehler wurden im Text korrigiert:
+
+ # S. 70: "Sterben" --> "Streben"
+ # S. 189: "... zu unserem persnlichen Wesen kommen. so finden wir
+ ..." Satzpunkt wurde durch Komma ersetzt.
+ # S. 199: nach "befreit." Anfhrungzeichen () wurde ergnzt.
+ # S. 218: "Wagschale" --> "Waagschale"
+
+Dieser Text enthlt eine Reihe von Zitaten, die in Sanskrit abgefasst
+sind und mit Hilfe der folgenden Transliterationssymbole dargestellt
+werden:
+
+ [=a] Kleinbuchstabe a mit Makron
+ [h.] Kleinbuchstabe h mit Punkt unten
+ [=i] Kleinbuchstabe i mit Makron
+ [m.] Kleinbuchstabe m mit Punkt unten
+ [n.] Kleinbuchstabe n mit Punkt unten
+ [)n] Kleinbuchstabe n mit Brevis oben
+ [r.] Kleinbuchstabe r mit Punkt unten
+ [R.] Grobuchstabe R mit Punkt unten
+ [s.] Kleinbuchstabe s mit Punkt unten
+ [s] Kleinbuchstabe s mit Akut
+ [`S] Grobuchstabe S mit Gravis
+ [t.] Kleinbuchstabe t mit Punkt unten
+ [=u] Kleinbuchstabe u mit Makron
+ [=a] Kleinbuchstabe a mit Akut ber Makron
+ [=i] Kleinbuchstabe i mit Akut ber Makron
+
+Das Sanskrit-Zitat auf S. 197 wurde wie im ursprnglichen Text
+wiedergegeben. Das Originalzitat nach
+http://fiindolo.sub.uni-goettingen.de/gretil/1_sanskr/1_veda/1_sam/1_rv/rvpp_05u.htm
+lautet:
+
+"vi[s]v[=a]ni deva savita[h.] du[h.]-it[=a]ni par[=a] suva yat bhadram
+tat na[h.] [=a] suva"
+
+
+
+
+ RABINDRANATH TAGORE
+
+ PERSNLICHKEIT
+
+ MNCHEN
+
+ KURT WOLFF VERLAG
+
+
+
+
+Einzig autorisierte deutsche Ausgabe. Nach der von Rabindranath Tagore
+ selbst veranstalteten englischen Ausgabe ins Deutsche bertragen von
+ Helene Meyer-Franck
+
+ 1.-40. Tausend
+
+ Copyright 1921 by Kurt Wolff Verlag A.-G. in Mnchen
+
+
+
+
+ C. F. ANDREWS
+ GEWIDMET
+
+ *
+
+
+
+
+INHALT
+
+
+WAS IST KUNST? 1
+
+DIE WELT DER PERSNLICHKEIT 49
+
+DIE WIEDERGEBURT 94
+
+MEINE SCHULE 134
+
+RELIGISE BETRACHTUNG 182
+
+DIE FRAU 202
+
+
+
+
+PERSNLICHKEIT
+
+
+
+
+WAS IST KUNST?
+
+
+Wir stehen dieser groen Welt Auge in Auge gegenber, und mannigfach
+sind unsre Beziehungen zu ihr. Eine derselben ist die Notwendigkeit zu
+leben: wir mssen den Boden beackern, uns Nahrung suchen, uns kleiden,
+und zu allem mu uns die Natur den Stoff liefern. Da wir unausgesetzt
+bemht sein mssen, unsre Bedrfnisse zu befriedigen, sind wir in
+bestndiger Berhrung mit der Natur. So halten Hunger und Durst und all
+unsre physischen Bedrfnisse die stete Beziehung zu dieser groen Welt
+aufrecht.
+
+Aber wir haben auch einen Geist, und dieser Geist sucht sich seine
+eigene Nahrung. Auch er hat seine Bedrfnisse. Er mu den Sinn der
+Dinge finden. Er steht einer Vielfltigkeit von Tatsachen gegenber
+und ist verwirrt, wenn er kein einheitliches Prinzip finden kann,
+das die Verschiedenartigkeit der Dinge vereinfacht. Der Mensch ist
+so veranlagt, da er sich nicht mit Tatsachen begngen kann, sondern
+gewisse Gesetze finden mu, die ihm die Last der bloen Zahl und Menge
+erleichtern.
+
+Doch es ist noch ein drittes Ich in mir neben dem physischen und
+geistigen, das seelische Ich. Dies Ich hat seine Neigungen und
+Abneigungen und sucht etwas, das sein Bedrfnis nach Liebe erfllt.
+Dies seelische Ich gehrt der Sphre an, wo wir frei sind von aller
+Notwendigkeit, wo die Bedrfnisse des Krpers und des Geistes keinen
+Einflu haben, wo nach Nutzen oder Zweck nicht gefragt wird. Dies
+seelische Ich ist das Hchste im Menschen. Es hat seine eigenen
+persnlichen Beziehungen zu der groen Welt und sucht persnliche
+Befriedigung in ihr.
+
+Die Welt der Naturwissenschaft ist nicht eine Welt der Wirklichkeit,
+sondern eine abstrakte Welt der Krfte. Wir knnen sie uns mit Hilfe
+unsres Verstandes zunutze machen, aber wir knnen sie nicht mit unsrer
+Seele erfassen. Sie gleicht einer Schar von Handwerkern, die, wenn
+sie auch Dinge fr uns als persnliche Wesen herstellen, doch bloe
+Schatten fr uns sind.
+
+Aber es gibt noch eine andre Welt, die Wirklichkeit fr uns hat. Wir
+sehen sie, wir fhlen sie, wir nehmen mit all unsern Empfindungen an
+ihr teil. Doch wir knnen sie nicht erklren und messen, und daher
+bleibt sie uns ewig geheimnisvoll. Wir knnen nur in freudigem Erkennen
+sagen: Da bist du ja.
+
+Dies ist die Welt, von der die Naturwissenschaft sich abwendet, und in
+der die Kunst ihren Sitz hat. Und wenn es uns gelingt, die Frage, was
+Kunst ist, zu beantworten, so werden wir auch wissen, was fr eine Welt
+es ist, mit der die Kunst so nahe verwandt ist.
+
+Es ist an sich keine wichtige Frage. Denn die Kunst wchst wie das
+Leben selbst aus eigenem Antrieb, und der Mensch freut sich an ihr,
+ohne da er sich genau klar macht, was sie ist. Und wir knnten diese
+Frage ruhig im Untergrunde des Bewutseins schlummern lassen, wo alles
+Lebendige im Dunkel gehegt und genhrt wird.
+
+Aber wir leben in einem Zeitalter, wo unsre Welt um und um gekehrt
+und alles, was auf dem Grunde verborgen lag, an die Oberflche gezerrt
+wird. Selbst den Vorgang des Lebens, der ganz unbewut ist, bringen
+wir unter das Seziermesser der Wissenschaft, -- auf Kosten des Lebens
+selbst, das wir durch unsre Untersuchung in ein totes Museumsexemplar
+verwandeln.
+
+Die Frage Was ist Kunst? ist oft aufgeworfen und auf verschiedene
+Weise beantwortet worden. Solche Errterungen bringen immer etwas von
+bewuter Absicht in ein Gebiet hinein, wo sowohl das Schaffen wie das
+Genieen spontan und nur halb bewut ist. Sie gehen darauf aus, unser
+Kunsturteil mit ganz bestimmten Mastben zu versehen. Und so hren wir
+heutzutage Kunstrichter nach selbstgefertigten Regeln ihr vernichtendes
+Urteil fllen ber das, was seit Jahrhunderten als gro und unsterblich
+anerkannt wurde.
+
+Diese meteorologische Strung in der Sphre der Kunstkritik, die ihren
+Ursprung im Abendlande hat, ist auch an unsre Kste nach Bengalen
+gekommen und trbt unsern klaren Himmel mit Nebel und Wolken. Auch
+wir haben angefangen, uns zu fragen, ob Schpfungen der Kunst nicht
+danach beurteilt werden sollten, entweder wie weit sie geeignet sind
+allgemein verstanden zu werden, oder was fr eine Lebensphilosophie
+sie enthalten, oder wieviel sie zur Lsung der groen Zeitprobleme
+beitragen, oder ob sie etwas zum Ausdruck bringen, was dem Geist des
+Volkes, dem der Dichter angehrt, eigentmlich ist. Wenn also die
+Menschen allen Ernstes dabei sind, fr die Kunst Normen und Mastbe
+aufzustellen, die gar nicht zu ihrem Wesen gehren, wenn man sozusagen
+die Herrlichkeit eines Flusses von dem Gesichtspunkt des Kanals aus
+beurteilt, knnen wir die Frage nicht auf sich beruhen lassen, sondern
+mssen uns in die Debatte einmischen.
+
+Sollten wir zunchst versuchen, den Begriff Kunst zu definieren? Aber
+wenn man lebendige Dinge zu definieren sucht, so heit dies im Grunde,
+da man sein Gesichtsfeld einengt, um deutlicher sehen zu knnen.
+Und Deutlichkeit ist nicht ohne weiteres die einzige oder wichtigste
+Seite bei der Wahrheit. Die Blendlaterne gibt uns ein deutliches,
+aber nicht ein vollstndiges Bild. Wenn wir ein Rad in Bewegung kennen
+lernen sollen, so macht es nichts, wenn wir die Speichen nicht zhlen
+knnen. Wenn es nicht auf die Genauigkeit seiner Form, sondern auf
+die Schnelligkeit seiner Bewegung ankommt, so mssen wir uns mit
+einem etwas undeutlichen Bilde des Rades begngen. Lebendige Dinge
+sind eng verwachsen mit ihrer Umgebung und ihre Wurzeln reichen oft
+tief hinab in den Boden. Wir knnen in unserm Erkenntniseifer die
+Wurzeln und Zweige eines Baumes abhauen und ihn in einen Holzklotz
+verwandeln, der sich leichter von Klasse zu Klasse rollen und in einem
+Lehrbuch darstellen lt. Aber man kann doch nicht sagen, da solch ein
+Holzklotz, weil er nackt und deutlich vor aller Augen liegt, vom Baum
+als Ganzem ein richtigeres Bild gbe.
+
+Daher will ich nicht versuchen, den Begriff der Kunst zu definieren,
+sondern ich will nach dem Grunde ihres Daseins fragen und
+herauszufinden suchen, ob sie um irgendeines sozialen Zweckes willen
+da ist, oder um uns sthetischen Genu zu verschaffen, oder ob sie
+entstanden ist aus dem Bedrfnis, unser eigenes Wesen zum Ausdruck zu
+bringen.
+
+Man hat sich lange um das Wort L'art pour l'art gestritten, das bei
+einem Teil der abendlndischen Kritiker in Mikredit gekommen ist. Es
+ist ein Zeichen, da das asketische Ideal des puritanischen Zeitalters
+wiederkehrt, wo Genu als Selbstzweck fr sndhaft gehalten wurde.
+Aber jeder Puritanismus ist eine Reaktion. Er kann die Wahrheit nicht
+mit unbefangenem Auge und daher nicht in ihrer wahren Gestalt sehen.
+Wenn der Genu die unmittelbare Berhrung mit dem Leben verliert und
+in der Welt seiner knstlich und mhsam ausgearbeiteten Konventionen
+immer whlerischer und phantastischer wird, dann kommt der Ruf nach
+Entsagung, die das Glck selbst als eine Schlinge des Verderbens von
+sich weist. Ich will mich nicht auf die Geschichte der modernen Kunst
+einlassen, ich fhle mich hierzu durchaus nicht kompetent, doch ich
+kann als allgemeine Wahrheit behaupten: wenn der Mensch seinen Trieb
+nach Freude zu unterdrcken sucht und ihn in einen bloen Trieb nach
+Erkenntnis oder Wohltun umwandelt, so mu der Grund darin liegen, da
+seine Freudefhigkeit ihre natrliche Frische und Gesundheit verloren
+hat.
+
+Die sthetiker im alten Indien trugen kein Bedenken zu sagen, da
+Freude, selbstlose Freude, die Seele der Dichtkunst sei. Aber das Wort
+Freude mu richtig verstanden werden. Wenn wir es analysieren, so
+zeigt uns sein Spektrum eine unendliche Reihe von Streifen, deren Farbe
+und Intensitt je nach den verschiedenen Welten unendlich verschieden
+ist. Die Welt der Kunst enthlt Elemente, die ganz offenbar nur ihr
+angehren und Strahlen aussenden, die ihre besondere Leuchtkraft und
+Eigentmlichkeit haben. Es ist unsre Pflicht, sie zu unterscheiden und
+ihrem Ursprung und Wachstum nachzugehen.
+
+Der wichtigste Unterschied zwischen dem Tier und dem Menschen ist
+der, da das Tier fast ganz in den Schranken seiner Bedrfnisse
+eingeschlossen ist, da der grte Teil seiner Ttigkeit zur
+Selbsterhaltung und zur Erhaltung der Gattung ntig ist. Es hat, wie
+der Kleinhndler, keinen groen Gewinn auf dem Markt des Lebens,
+sondern die Hauptmasse seiner Einnahme mu als Zins auf die Bank
+gezahlt werden. Es braucht den grten Teil seiner Mittel nur, um sein
+Dasein zu fristen. Aber der Mensch ist auf dem Markte des Lebens ein
+Grokaufmann. Er verdient sehr viel mehr, als er unbedingt ausgeben
+mu. Daher hat das Leben des Menschen ein ungeheures berma von
+Reichtum, das ihm die Freiheit gibt, Verantwortung und Nutzen in weitem
+Mae auer acht zu lassen. An den Bereich seiner Bedrfnisse schlieen
+sich noch weite Gebiete, deren Gegenstnde ihm Selbstzweck sind.
+
+Die Tiere brauchen bestimmte Kenntnisse, die sie fr ihre Lebenszwecke
+anwenden mssen. Aber damit begngen sie sich auch. Sie mssen ihre
+Umgebung kennen, um Obdach und Nahrung finden zu knnen, sie mssen
+die Eigentmlichkeiten bestimmter Dinge kennen, um sich Wohnungen
+bauen zu knnen, die Anzeichen der verschiedenen Jahreszeiten, um sich
+dem Wechsel anpassen zu knnen. Auch der Mensch braucht bestimmte
+Kenntnisse, um leben zu knnen. Aber der Mensch hat einen berschu,
+von dem er stolz behaupten kann: das Wissen ist um des Wissens willen
+da. Dies Wissen gewhrt ihm reine Freude, denn es ist Freiheit. Dieser
+berschu ist der Fonds, von dem seine Wissenschaft und Philosophie
+lebt.
+
+Wiederum hat auch das Tier ein gewisses Ma von Altruismus: den
+Altruismus der Elternschaft, den Altruismus der Herde und des
+Bienenstocks. Dieser Altruismus ist unbedingt ntig zur Erhaltung der
+Gattung. Aber der Mensch hat mehr. Zwar mu auch er gut sein, weil es
+fr die Gattung ntig ist, aber er geht weit darber hinaus. Seine Gte
+ist nicht eine magere Kost, die nur gerade gengt, um sein sittliches
+Dasein kmmerlich zu fristen. Er kann mit vollem Recht sagen, da er
+das Gute um des Guten willen tut. Und auf diesem Reichtum an Gte, --
+die die Ehrlichkeit nicht darum schtzt, weil sie die beste Politik
+ist, sondern weil sie mehr wert ist als Politik und es sich leisten
+kann, aller Politik Trotz zu bieten -- auf diesen Reichtum an Gte
+grndet sich die Sittlichkeit des Menschen.
+
+Auch die Idee L'art pour l'art hat ihren Ursprung in dieser Region
+des berflusses. Wir wollen daher versuchen festzustellen, welche
+Ttigkeit es ist, aus deren berschu die Kunst entspriet.
+
+Fr den Menschen wie fr die Tiere ist es ein Bedrfnis, ihre Gefhle
+der Lust und Unlust, der Furcht, des Zorns und der Liebe zum Ausdruck
+zu bringen. Bei den Tieren gehen diese Gefhlsausdrcke wenig ber
+die Grenzen der Ntzlichkeit hinaus. Aber wenn sie auch beim Menschen
+noch in ihrem ursprnglichen Zweck ihre Wurzel haben, so sind sie
+doch aus ihrem Boden hoch in die Luft emporgewachsen und breiten ihre
+Zweige nach allen Richtungen weit in den unendlichen Himmel. Der Mensch
+hat einen Vorrat an Gefhlskraft, den er fr seine Selbsterhaltung
+nicht verbraucht. Dieser berschu sucht seinen Ausflu in der
+Kunstschpfung, denn die Kultur des Menschen baut sich auf seinem
+berflu auf.
+
+Der Krieger begngt sich nicht mit dem Kampf, zu dem ihn die
+Notwendigkeit zwingt, er hat auch das Bedrfnis, seinem gesteigerten
+Kriegerbewutsein durch Musik und Schmuck Ausdruck zu geben, was nicht
+nur nicht notwendig, sondern unter Umstnden geradezu selbstmrderisch
+ist. Ein Mensch von starker Religiositt verehrt seine Gottheit nicht
+nur mit aller Andacht, sondern sein religises Gefhl verlangt nach
+Ausdruck in der Pracht des Tempels und in dem reichen Zeremoniell des
+Gottesdienstes. Wenn in unserm Herzen ein Gefhl erregt wird, das weit
+hinausgeht ber das, was der Gegenstand, der es hervorbrachte, in sich
+aufnehmen kann, so schlagen seine Wogen wieder auf uns zurck und
+erwecken unser Bewutsein von uns selbst. Wenn wir arm sind, ist unsre
+ganze Aufmerksamkeit nach auen gerichtet, auf die Gegenstnde, die
+wir zur Stillung unsres Bedrfnisses erwerben mssen. Aber wenn unser
+Reichtum weit grer ist als unsre Bedrfnisse, so fllt sein Licht auf
+uns zurck, und wir haben das frohlockende Gefhl, da wir reich sind.
+Daher kommt es, da von allen Geschpfen nur der Mensch sich selbst
+kennt, weil sein Erkenntnistrieb sich drauen nicht ausgibt und so zu
+ihm selbst zurckkehrt. Er fhlt seine Persnlichkeit intensiver als
+andere Geschpfe, weil seine Fhigkeit zu fhlen durch die Gegenstnde
+auer ihm nicht erschpft wird. Dies Bewutsein seiner Persnlichkeit
+will sich zum Ausdruck bringen. Daher offenbart der Mensch in der Kunst
+sich selbst und nicht die Gegenstnde. Diese haben ihren Platz in
+wissenschaftlichen Lehrbchern, wo er selbst sich ganz verbergen mu.
+
+Ich wei, mancher wird Ansto daran nehmen, wenn ich das Wort
+Persnlichkeit gebrauche, das einen so weiten Sinn hat. Solche
+unbestimmten Wrter knnen Begriffe nicht nur verschiedenen Umfangs,
+sondern auch verschiedener Art umschlieen. Sie sind wie Regenmntel,
+die in der Halle hinter der Haustr hngen und von zerstreuten
+Besuchern, die kein Eigentumsrecht an sie haben, weggenommen werden
+knnen.
+
+Als Wissender ist der Mensch noch nicht vllig er selbst, durch
+sein bloes Wissen offenbart er noch nicht sein Wesen. Aber als
+Persnlichkeit ist er ein Organismus, der von Natur die Macht hat, sich
+die Dinge aus seiner Umgebung auszusuchen und sich zu eigen zu machen.
+Er hat seine Anziehungs- und Abstoungskraft, durch die er nicht nur
+Dinge um sich her anhuft, sondern auch sein Selbst hervorbringt. Die
+hauptschlichsten schpferischen Krfte, welche die Dinge in unser
+lebendiges Selbst umwandeln, sind Gefhlskrfte. Ein religiser Mensch
+ist als solcher eine Persnlichkeit, aber er ist es nicht als bloer
+Theologe. Sein Gefhl fr das Gttliche ist schpferisch. Aber sein
+bloes Wissen um das Gttliche lt sich nicht in sein eigenes Wesen
+umwandeln, weil ihm der schpferische Funke des Gefhls fehlt.
+
+Wir wollen versuchen, uns klarzumachen, worin diese Persnlichkeit
+besteht und welcher Art ihre Beziehungen zur ueren Welt sind.
+Diese Welt erscheint uns als eine Einheit, und nicht als ein bloes
+Bndel unsichtbarer Krfte. Dies verdankt sie, wie jeder wei, zum
+groen Teil unsern eigenen Sinnen und unserm eigenen Geiste. Diese
+Welt der Erscheinungen ist die Welt des Menschen. Sie erhlt ihre
+charakteristischen Zge in bezug auf Gestalt, Farbe und Bewegung
+durch den Umfang und die Qualitten unsrer Wahrnehmung. Sie ist das,
+was unsre beschrnkten Sinne eigens fr uns erworben, aufgebaut und
+umgrenzt haben. Nicht nur die physischen und chemischen Krfte,
+sondern auch die Wahrnehmungskrfte des Menschen sind die in ihr
+wirksamen Faktoren, denn es ist eine Welt des Menschen und nicht eine
+abstrakte Welt der Physik oder Metaphysik.
+
+Diese Welt, die durch die Form unsrer Wahrnehmung ihre Gestalt
+erhlt, ist doch erst die unvollkommene Welt unsrer Sinne und unsres
+Verstandes. Sie kehrt als Gast bei uns ein, aber nicht als Verwandter.
+Erst im Bereich unsres Gefhls machen wir sie uns ganz zu eigen.
+Wenn unsre Liebe und unser Ha, unsre Freude und unser Schmerz,
+unsre Furcht und unser Staunen bestndig auf sie wirken, wird sie
+ein Teil unsrer Persnlichkeit. Sie wchst und wandelt sich, wie wir
+wachsen und uns wandeln. Wir sind gro oder klein in dem Mae, wie
+wir sie uns einverleiben. Wenn diese Welt verschwnde, so wrde unsre
+Persnlichkeit ihren ganzen Inhalt verlieren.
+
+Unsre Empfindungen sind die Magensfte, die diese Welt der
+Erscheinungen in die innere Welt der Gefhle umwandeln. Doch auch
+diese uere Welt hat ihre besonderen Sfte, die ihre besonderen
+Eigenschaften haben, kraft deren sie unser Gefhlsleben anregen. Eine
+Dichtung enthlt solche Sfte. Sie bringt uns Vorstellungen, die durch
+Gefhle Leben erhalten haben und die unsre Natur als Lebenssubstanz
+aufnehmen kann.
+
+Bloe Mitteilung von Tatsachen ist nicht Literatur, denn die bloen
+Tatsachen hngen nicht mit unserm innern Leben zusammen. Wenn man
+uns immer die Tatsachen wiederholte, da die Sonne rund, das Wasser
+durchsichtig und das Feuer hei ist, so wre dies unertrglich. Aber
+eine Schilderung der Schnheit des Sonnenaufgangs verliert nie ihr
+Interesse fr uns, denn hier ist es nicht die Tatsache, sondern das
+Erlebnis des Sonnenaufgangs, was der Gegenstand unsres dauerndes
+Interesses ist.
+
+Die Upanischaden lehren, da wir den Reichtum lieben nicht um des
+Reichtums willen, sondern um unsrer selbst willen. Das heit: wir
+fhlen uns selbst in unserm Reichtum, und daher lieben wir ihn. Die
+Dinge, die unsre Gefhle erregen, erregen unser Selbst-Gefhl. Es ist,
+wie wenn wir die Harfensaite berhren: ist die Berhrung zu schwach,
+so spren wir nichts anderes als die Berhrung selbst; aber wenn
+sie stark ist, so kehrt sie in Tnen zu uns zurck und erhht unser
+Bewutsein.
+
+Es gibt die Welt der Naturwissenschaft. Aus ihr ist alles Persnliche
+sorgfltig ausgeschieden. Hier sind unsre Gefhle nicht am Platze. Aber
+zu der groen weiten Welt der Wirklichkeit stehen wir in persnlicher
+Beziehung. Wir mssen sie nicht nur erkennen und dann beiseite lassen,
+sondern wir mssen sie fhlen, denn indem wir sie fhlen, fhlen wir
+uns selbst.
+
+Aber wie knnen wir unsre Persnlichkeit zum Ausdruck bringen, die
+wir nur durch unser Gefhl kennen? Ein Naturwissenschaftler kann das,
+was er gelernt hat, durch Analyse und Experiment bekannt machen. Aber
+was ein Knstler zu sagen hat, kann er nicht einfach durch lehrhafte
+Auseinandersetzung ausdrcken. Um zu sagen, was ich von der Rose
+wei, gengt die einfachste Sprache, aber ganz anders ist es, wenn
+ich sagen will, was ich bei der Rose empfinde. Dies hat nichts mit
+ueren Tatsachen oder Naturgesetzen zu tun, sondern ist eine Sache
+des Schnheitssinnes, der nur durch den Schnheitssinn wahrgenommen
+werden kann. Daher sagen unsre alten Meister, da der Dichter Worte
+brauchen mu, die ihren eigenen Duft und ihre eigene Farbe haben, die
+nicht nur reden, sondern malen und singen. Denn Bilder und Lieder sind
+keine bloen Tatsachen, sie sind persnliche Erlebnisse. Sie sind nicht
+nur sie selbst, sondern drcken auch unser Selbst aus. Sie lassen sich
+nicht analysieren und haben unmittelbaren Zugang zu unserm Herzen.
+
+Wir mssen allerdings zugeben, da der Mensch auch in der Welt
+des Ntzlichen seine Persnlichkeit offenbart. Aber hier ist
+Selbstoffenbarung nicht sein erster und wesentlicher Zweck. Im
+Alltagsleben, wo wir zumeist durch unsre Gewohnheiten bestimmt werden,
+sind wir sparsam damit, denn dort ist unser Seelenbewutsein im
+Zustand der Ebbe; es hat eben Flle genug, um in den Rinnen seiner
+Gewohnheit dahinzugleiten. Aber wenn unser Herz in Liebe oder in einem
+andern groen Gefhl voll erwacht, dann hat unsre Persnlichkeit ihre
+Flutzeit. Dann mchte sie ihr innerstes Wesen offenbaren, -- nur um
+der Offenbarung willen. Dann kommt die Kunst, und wir vergessen die
+Forderungen der Notdurft und die Vorteile der Ntzlichkeit, -- dann
+suchen die Trme unsres Tempels die Sterne zu kssen und die Tne
+unsrer Musik die Tiefe des Unaussprechlichen zu ergrnden.
+
+Die Energien des Menschen, die in zwei getrennten Bahnen, der des
+Nutzens und der der Selbstoffenbarung, nebeneinander herlaufen,
+haben immer das Bestreben, sich zu treffen und zu vereinen. Um unsre
+Gebrauchsgegenstnde lagert sich nach und nach eine ganze Schicht von
+Gefhlen, die die Kunst einladen, sie zu offenbaren. Und so tut sich im
+verzierten Schwert des Kriegers sein Stolz und seine Liebe kund, und im
+prunkenden Weinkelch die Kameradschaftlichkeit festlicher Gelage.
+
+In der Regel zeichnet sich das Bureau des Rechtsanwalts nicht gerade
+durch Schnheit aus, und das ist begreiflich. Aber in einer Stadt, wo
+die Menschen stolz sind auf ihr Brgertum, mssen die ffentlichen
+Gebude durch ihre Bauart diesen Stolz zum Ausdruck bringen. Als
+der Sitz der britischen Regierung von Kalkutta nach Delhi verlegt
+und dies die Hauptstadt wurde, beratschlagte man ber den Baustil,
+den die neuen Gebude haben sollten. Einige waren fr den indischen
+Stil der Mongolenzeit -- den Stil, der aus der Vereinigung des
+mongolischen und des indischen Geistes entsprungen war. Man bersah
+dabei die Tatsache, da jede echte Kunst ihren Ursprung im Gefhl
+hat. Sowohl das mongolische Delhi wie das mongolische Agra bringen
+in ihren Bauten menschliche Persnlichkeit zum Ausdruck. Die
+Mongolenkaiser waren Menschen, nicht bloe Verwaltungsbeamte. Sie
+lebten und starben, liebten und kmpften in Indien. Das Andenken an
+ihre Herrschaft lebt nicht in Trmmern von Fabriken und Amtsgebuden,
+sondern in unsterblichen Werken der Kunst, nicht nur der Baukunst,
+sondern auch der Malerei, der Musik, des Kunsthandwerks in Stein und
+Metall und der Webekunst. Aber die britische Regierung in Indien hat
+nichts Persnliches. Sie ist amtlich und daher abstrakt. Sie hat
+nichts in der wahren Sprache der Kunst auszudrcken. Denn Gesetz,
+mechanische Tchtigkeit und Ausbeutung gestaltet sich nicht zu
+steinernen Heldengedichten. Lord Lytton[1], der zu seinem Unglck
+mit mehr Phantasie ausgestattet war als ein indischer Vizeknig
+braucht, versuchte eine der mongolischen Staatsfeierlichkeiten, die
+Durbar[2]-Zeremonie, nachzumachen. Aber solche Staatsfeierlichkeiten
+sind Kunstwerke. Sie haben ihren natrlichen Ursprung in der
+wechselseitigen persnlichen Beziehung zwischen dem Volk und seinem
+Monarchen. Wenn sie nachgemacht werden, tragen sie alle Anzeichen der
+Unechtheit.
+
+Wie sich Zweckmigkeit und Gefhl in verschiedenen Formen zum Ausdruck
+bringen, sehen wir, wenn wir die Kleidung des Mannes mit der der Frau
+vergleichen. Der Mann vermeidet im allgemeinen alles berflssige, was
+nur als Schmuck dient. Die Frau dagegen whlt von Natur das Dekorative,
+nicht nur in ihrer Kleidung, sondern auch in ihrem Benehmen und in
+ihrer ganzen Lebensart. Sie mu schn und harmonisch sein, um das zu
+offenbaren, was sie in Wahrheit ist, denn sie ist durch die Aufgabe,
+die sie in dieser Welt hat, konkreter und persnlicher als der Mann.
+Sie will nicht nach ihrem Nutzen gewertet werden, sondern nach der
+Freude, die sie gibt. Daher ist sie immer darauf bedacht, nicht ihren
+Beruf, sondern ihre Persnlichkeit zum Ausdruck zu bringen.
+
+Da nun der Ausdruck der Persnlichkeit und nicht der irgendeiner
+abstrakten oder analysierbaren Sache auch das Hauptziel der Kunst
+ist, so bedient sie sich mit Notwendigkeit der Sprache der Malerei
+und Musik. Dies hat uns zu der falschen Annahme gefhrt, da die
+Hervorbringung von Schnheit das Ziel der Kunst sei. Doch die Schnheit
+ist fr die Kunst nichts weiter als ein Mittel, sie ist nicht ihr
+ganzer und letzter Sinn.
+
+Infolgedessen hat man oft die Frage errtert, ob nicht die Form mehr
+als der Stoff das wesentliche Element der Kunst sei. Mit solchen
+Errterungen kommt man ebensowenig zum Ziel, als wollte man ein
+bodenloses Fa mit Wasser fllen. Denn man geht dabei von der
+Vorstellung aus, da die Schnheit das letzte Ziel der Kunst sei, und
+da der Stoff an sich nicht die Eigenschaft der Schnheit haben kann,
+fragt man sich, ob nicht die Form der wesentliche Faktor der Kunst sei.
+
+Aber auf dem Wege der Analyse werden wir das wahre Wesen der Kunst
+nie entdecken. Denn das wahre Prinzip der Kunst ist das Prinzip
+der Einheit. Wenn wir den Nhrwert gewisser Speisen wissen wollen,
+so mssen wir die Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzen,
+untersuchen; aber ihr Geschmackswert besteht in ihrer Einheit
+und lt sich nicht analysieren. Sowohl Stoff wie Form sind
+Abstraktionen, die wir vornehmen; der Stoff fr sich genommen fllt
+der naturwissenschaftlichen Betrachtung zu, die Form als solche fllt
+unter die Gesetze der sthetik. Aber wenn sie unlsbar eins sind,
+finden sie die Gesetze ihrer Harmonie in unsrer Persnlichkeit, die ein
+organischer Komplex von Stoff und Form, Gedanken und Dingen, Motiven
+und Handlungen ist.
+
+Daher sehen wir, da alle abstrakten Ideen in der wahren Kunst nicht
+am Platze sind; um Zutritt zu gewinnen, mssen sie persnliche
+Gestalt annehmen. So kommt es, da die Dichtkunst Worte zu whlen
+sucht, die voll von Leben sind, Worte, die nicht nur der bloen
+Mitteilung dienen und durch bestndigen Gebrauch abgegriffen sind,
+sondern in unserm Herzen Heimatrecht haben. Zum Beispiel ist das
+deutsche Wort Bewutsein noch nicht aus seinem scholastischen
+Verpuppungszustand zum Schmetterlingsdasein vorgedrungen, daher kommt
+es in der Poesie selten vor, whrend das ihm entsprechende indische
+Wort _cetana_ lebendige Kraft hat und in der Dichtkunst ganz heimisch
+ist. Dagegen ist das deutsche Wort Gefhl von Leben durchblutet,
+aber das bengalische _anubh[=u]ti_ findet in der Dichtung keinen
+Zutritt, weil es nur Sinn, aber keinen Duft hat. Und so gibt es auch
+naturwissenschaftliche und philosophische Wahrheiten, die Farbe und
+Geschmack des Lebens gewonnen haben, und andere, die abstrakt und
+unpersnlich geblieben sind. Solange sie dies sind, mssen sie wie
+ungekochte Gemse beim Festmahl der Kunst drauen bleiben. Solange die
+Geschichte sich die Naturwissenschaft zum Vorbild nimmt und sich in
+Abstraktionen bewegt, bleibt sie auerhalb der Domne der Literatur.
+Aber wenn sie Begebenheiten darstellt, stellt sie sich dem Epos an die
+Seite. Denn die Darstellung von Begebenheiten bringt uns die Zeit, in
+der sie sich zutrugen, persnlich nahe. Durch sie wird jene Zeit fr
+uns lebendig; wir fhlen ihren Herzschlag.
+
+Die Welt und des Menschen Persnlichkeit stehen sich Antlitz in Antlitz
+gegenber wie Freunde, die ihre innersten Geheimnisse austauschen. Die
+Welt fragt den innern Menschen: Freund, siehst du mich? liebst du
+mich? -- nicht als einen, der dir Nahrung und Genu verschafft, nicht
+als einen, dessen Gesetze du entdeckt hast, sondern als persnliches
+Wesen?
+
+Der Knstler antwortet: Ja, ich sehe dich, ich kenne und liebe dich,
+-- nicht weil ich deiner bedarf, nicht weil ich deine Gesetze zu meinen
+eigenen Machtzwecken brauchen will. Ich kenne die Krfte, die in dir
+wirken und treiben und die zu Macht fhren, aber das ist es nicht. Ich
+sehe und liebe dich da, wo du mir gleich bist.
+
+Aber wie knnen wir wissen, da der Knstler dieses Welt-Ich erkannt
+und von Angesicht zu Angesicht geschaut hat?
+
+Wenn wir jemand zum erstenmal begegnen, der noch nicht unser Freund
+ist, so bemerken wir zahllose unwesentliche Zge, die beim ersten Blick
+unsre Aufmerksamkeit anziehen; und in dem Gewirr der verschiedenen
+Einzelheiten verlieren wir den, der unser Freund werden sollte.
+
+Als unser Schiff an der japanischen Kste landete, befand sich
+unter den Passagieren ein Japaner, der von Rangoon in die Heimat
+zurckkehrte, whrend wir andern zum erstenmal in unserm Leben diese
+Kste betraten. Es war ein groer Unterschied in der Art, wie wir
+Ausschau hielten. Wir sahen jede kleine Besonderheit, und unzhlige
+bedeutungslose Dinge zogen unsre Aufmerksamkeit an. Aber der Japaner
+tauchte sogleich in die Persnlichkeit, in die Seele des Landes ein,
+wo seine eigene Seele Befriedigung fand. Er sah weniger Dinge als
+wir, aber was er sah, war die Seele Japans. Zu ihr konnte man nicht
+gelangen, indem man eine mglichst groe Masse von Einzelheiten ins
+Auge fate, sondern durch etwas Unsichtbares, das tiefer lag. Weil wir
+all jene unzhligen Dinge sahen, sahen wir Japan nicht besser als er,
+im Gegenteil, die Dinge verbauten uns das eigentliche Japan.
+
+Wenn wir jemand, der nicht Knstler ist, bitten, irgendeinen besonderen
+Baum zu zeichnen, so versucht er, jede Einzelheit genau wiederzugeben,
+aus Furcht, die Eigentmlichkeit knne sonst verloren gehen; er
+vergit, da die Eigentmlichkeit des Baumes nicht seine Persnlichkeit
+ist. Doch wenn der wahre Knstler kommt, so kmmert er sich nicht um
+die Einzelheiten und geht auf das, was wesentlich und charakteristisch
+fr den Baum ist.
+
+Auch unser Verstand sucht fr die Vielheit der Dinge ein inneres,
+einheitliches Prinzip; er sucht sich von den Einzelheiten zu befreien
+und in den Kern der Dinge einzudringen, wo sie eins sind. Aber der
+Unterschied ist der: der Naturwissenschaftler sucht ein unpersnliches
+Einheitsprinzip, das sich auf alle Dinge anwenden lt. Er zerstrt
+zum Beispiel den menschlichen Leib, der etwas Individuelles ist, um der
+Physiologie willen, die unpersnlich und allgemein ist.
+
+Aber der Knstler erkennt das Eigenartige, das Individuelle, das im
+Kern des Universalen ist. Wenn er den Baum ansieht, so sieht er im
+Baum das Einzigartige, nicht das allgemein Typische wie der Botaniker,
+der alles in Klassen einteilt. Es ist die Aufgabe des Knstlers, die
+Eigenart dieses einen Baumes darzustellen. Wie macht er das? Nicht
+indem er die besondere Eigentmlichkeit aufweist, die der Miklang der
+Eigenart ist, sondern die Seele, die Persnlichkeit des Baumes, die
+Harmonie ist. Daher mu er den Zusammenklang dieses einen Dinges mit
+allen Dingen ringsum zum Ausdruck bringen.
+
+Die Gre und Schnheit der orientalischen, besonders der japanischen
+und chinesischen Kunst besteht darin, da die Knstler diese Seele der
+Dinge erkannt haben und an sie glauben. Das Abendland glaubt wohl an
+die Seele des Menschen, aber es glaubt nicht wirklich, da das Weltall
+eine Seele hat. Doch dies ist der Glaube des Morgenlandes, und alles,
+was der Osten der Menschheit an geistigem Gut gebracht hat, ist von
+dieser Idee erfllt. Daher haben wir Bewohner des Ostens nicht das
+Bedrfnis, auf Einzelheiten Nachdruck zu legen, denn das Wesentliche
+ist fr uns die Weltseele, ber die unsre Weisen nachgesonnen und die
+unsre Knstler zum Ausdruck gebracht haben.
+
+Weil wir im Osten den Glauben an diese Weltseele haben, wissen wir, da
+Wahrheit, Macht und Schnheit da zu finden sind, wo Schlichtheit ist,
+wo der innere Blick nicht durch Auendinge gehemmt wird. Daher haben
+all unsre Weisen versucht, ihr Leben einfach und rein zu gestalten,
+weil sie so in einer Wahrheit leben, die, wenn auch unsichtbar, doch
+wirklicher ist als das, was durch Umfang und Zahl sich aufdrngt.
+
+Wenn wir sagen, da die Kunst es nur mit persnlichen Wahrheiten zu tun
+hat, so wollen wir damit nicht die philosophischen Ideen ausschlieen,
+die scheinbar abstrakt sind. Sie sind ganz heimisch in unsrer indischen
+Dichtung, da sie mit allen Fasern unsres persnlichen Wesens verbunden
+sind. Ich mchte hier ein Beispiel zur Erklrung geben. Das Folgende
+ist die bersetzung eines indischen Liedes, das eine Dichterin des
+Mittelalters gedichtet hat und das das Leben besingt.
+
+ Ich gre das Leben, das wie das keimende Saatkorn
+ Mit dem einen Arm hinauf in das Licht, mit dem andern hinab in das
+ Dunkel greift;
+ Das Leben, das eins ist in seiner uern Form und in seinem innern Saft;
+ Das Leben, das immer wieder emportaucht und immer wieder
+ entschwindet.
+ Ich gre das Leben, das kommt, und das Leben, das scheidet;
+ Ich gre das Leben, das sich offenbart, und das in Verborgenheit
+ schlummert;
+ Ich gre das Leben, das wie der Berg in reglosem Schweigen gebannt
+ ist,
+ Und das Leben, das wie ein Feuermeer auftobt;
+ Das Leben, das zart ist wie ein Lotus, und das Leben, das hart ist
+ wie Donnerkeil.
+ Ich gre das Leben des Geistes, um das Licht und Dunkel sich
+ streiten.
+ Ich gre das Leben, das seine Heimstatt gefunden, und das Leben,
+ das drauen in der Fremde irrt;
+ Das Leben, das freudejauchzend dahintanzt, und das Leben, das
+ leidmde seine Strae schleicht;
+ Das ewig schaukelnde Leben, das die Welt zur Ruhe wiegt,
+ Das tiefe, stille Leben, das hervorbricht in brausenden Wogen.
+
+Diese Idee vom Leben ist keine bloe logische Abstraktion; sie ist der
+Dichterin ebensosehr lebendige Wirklichkeit wie die Luft dem Vogel,
+der sie bei jedem Flgelschlag fhlt. Die Frau hat das Geheimnis des
+Lebens in ihrem Kinde tiefer gesprt, als der Mann es je gekonnt. Diese
+Frauennatur in der Dichterin hat gefhlt, wie berall in der Welt das
+Leben sich regt. Sie hat seine Unendlichkeit erkannt -- nicht auf
+dem Wege verstandesmiger berlegung, sondern durch die Erleuchtung
+ihres Gefhls. Daher wird dieselbe Idee, die fr den, dessen
+Lebensgefhl auf eine enge Sphre beschrnkt ist, bloe Abstraktion
+bleibt, fr einen Menschen mit weitem Lebensgefhl leuchtend klare
+Wirklichkeit. Wir hren oft, da die Europer den indischen Geist als
+metaphysisch bezeichnen, weil er immer bereit ist, sich ins Unendliche
+aufzuschwingen. Aber man mu dabei bedenken, da das Unendliche fr
+Indien mehr ist als ein Gegenstand philosophischer Spekulation; es
+ist uns ebensosehr Wirklichkeit wie das Sonnenlicht. Wir knnen ohne
+es nicht leben, wir mssen es sehen und fhlen und unserm Leben
+einverleiben. Daher begegnen wir ihm immer wieder in der Literatur und
+in der Symbolik unsres Gottesdienstes. Der Dichter der Upanischad sagt:
+Auch nicht das leiseste Sichregen von Leben wre mglich, wenn nicht
+der Raum von unendlicher Freude erfllt wre[3]. Diese Allgegenwart
+des Unendlichen war ebenso wirklich fr ihn wie die Erde unter seinen
+Fen, ja sie war es noch mehr. Ein Lied eines indischen Dichters aus
+dem 15. Jahrhundert[4] gibt diesem Gefhl Ausdruck:
+
+ Dort wechseln Leben und Tod in rhythmischem Spiel,
+ Dort sprudelt Entzcken und strahlt der Raum von Licht,
+ Dort ertnt die Luft von Musik, dem Liebeschor dreier Welten,
+ Dort brennen Millionen Lampen von Sonnen und Monden,
+ Dort schlgt die Trommel und schwingt sich die Liebe im Spiel,
+ Dort erklingen Lieder der Minne, und Licht strmt in Schauern herab.
+
+Unsre indische Dichtung ist zum grten Teil religis, weil Gott fr
+uns kein ferner Gott ist. Er ist uns ebenso nahe in unserm Heim wie in
+unsern Tempeln. Wir fhlen seine Nhe in allen menschlichen Beziehungen
+der Liebe und Freundschaft, und bei unsern Festen ist er der Ehrengast.
+In der Bltenpracht des Frhlings, in den Gewitterschauern des Sommers,
+in der Frchteflle des Herbstes sehen wir den Saum seines Mantels und
+hren seine Tritte. Wo immer wir wahrhaft verehren, verehren wir Ihn;
+wo immer wir wahrhaft lieben, lieben wir Ihn. Im Weibe, das gut ist,
+fhlen wir Ihn; im Mann, der wahr ist, erkennen wir Ihn; in unsern
+Kindern wird er immer wieder geboren, Er, das Ewige Kind. Daher sind
+religise Lieder unsre Liebeslieder, und unsre huslichen Erlebnisse
+wie die Geburt eines Sohnes oder die Einkehr der Tochter aus dem Hause
+des Gatten ins Haus der Eltern und ihr erneutes Scheiden haben in der
+Dichtung symbolische Bedeutung erhalten.
+
+So erstreckt sich das Gebiet der Dichtkunst bis in die Sphre,
+die in geheimnisvolles Dunkel gehllt ist, und gibt ihr Licht und
+Sprache. Es gewinnt immer mehr Raum, wie der menschliche Geist auf dem
+Gebiete der Wahrheit. Es greift nicht nur in die Geschichte, in die
+Naturwissenschaft und Philosophie ber, sondern auch in unser soziales
+Leben, in dem Mae, wie sich unser Bewutsein weitet und unsre Umgebung
+liebend und verstehend umfat. In der klassischen Literatur der alten
+Zeit gab es nur Heilige, Knige und Helden. Sie warf ihr Licht nicht
+auf die Menschen, die im Dunkel liebten und litten. Aber wie das Licht
+des menschlichen Geistes seinen Schein ber einen immer greren Raum
+wirft und in verborgene Winkel dringt, so geht auch die Kunst ber
+ihre Schranken hinaus und dehnt ihre Grenzen in unerforschte Gebiete
+aus. So verkndet die Kunst des Menschen Siegeszug ber die Welt,
+indem sie Symbole von Schnheit aufrichtet an Orten, wo sonst keine
+Stimme ertnt und keine Farbe leuchtet. Sie webt ihm sein Banner, unter
+dem er vorwrtsschreitet im Kampf gegen Leere und Trgheit und weit
+und breit in Gottes Schpfung die Rechte des Lebens geltend macht.
+Selbst der Geist der Wste hat seine Verwandtschaft mit ihm anerkannt,
+und die einsamen Pyramiden stehen da als Denkmler des erhabenen
+Schweigens, in dem sich die Natur und der menschliche Geist begegneten.
+Das Dunkel der Hhlen hat der Menschenseele seine Stille gegeben und
+ist dafr heimlich mit dem Kranz der Kunst gekrnt. Glocken luten in
+Tempeln, in Drfern und volkreichen Stdten und verknden, da das
+Unendliche dem Menschen keine bloe Leere ist. Dies Sichausbreiten der
+menschlichen Persnlichkeit hat keine Grenze, und selbst die Mrkte und
+Fabriken unsrer Zeit, selbst die Gefngnisse, in die man Verbrecher
+einsperrt, und die Schulen, in die man Kinder einsperrt, werden durch
+die Berhrung der Kunst gemildert und verlieren etwas von ihrer
+unerbittlichen Lebensfeindlichkeit. Denn des Menschen Persnlichkeit
+ist immer bestrebt, allem, wozu sie nhere Beziehung hat, den Stempel
+ihres Geistes aufzudrcken. Und die Kunst ist der grne Pflanzenwuchs,
+der zeigt, wie weit der Mensch sich die Wste zu eigen gemacht hat.
+
+Wir haben schon gesagt, da berall, wo die Beziehung unsres Herzens
+zur Welt ber das Notwendige hinausgeht, Kunst geboren wird. Mit
+andern Worten: wo unsre Persnlichkeit ihren Reichtum fhlt, entfaltet
+sie sich in Schnheit. Was wir fr unsre Bedrfnisse brauchen, wird
+ganz verbraucht und hinterlt keine Spur. Was ber sie hinausgeht,
+nimmt Gestalt an. Bloe Ntzlichkeit gleicht der Hitze, sie ist dunkel.
+Wenn sie ber sich hinausgeht, wird sie wei und leuchtend, dann hat
+sie ihren Ausdruck gefunden.
+
+Nehmen wir zum Beispiel unsre Freude am Essen. Sie ist bald erschpft,
+sie gibt uns keine Ahnung von dem Unendlichen. Daher hat sie, obwohl sie
+allgemeiner und weiter verbreitet ist als irgendeine andre Leidenschaft,
+im Reich der Kunst keinen Zutritt. Da geht es ihr wie dem Einwanderer an
+der amerikanischen Kste, wenn er mit leerem Beutel kommt.
+
+In unserm Leben haben wir eine endliche Seite, wo wir uns mit jedem
+Schritt ganz ausgeben, und wir haben eine andre Seite, wo unser
+Streben, unsre Freude und unsre Opfer unendlich sind. Diese unendliche
+Seite des Menschen offenbart sich in Symbolen, die etwas von dem Wesen
+der Unsterblichkeit haben. In ihnen sucht sie Vollendung zum Ausdruck
+zu bringen. Daher verschmht sie alles, was nichtig und schwach und
+widersinnig ist. Sie erbaut sich zum Wohnsitz ein Paradies und whlt
+dazu nur solche Baustoffe, die die Vergnglichkeit des Irdischen
+abgestreift haben.
+
+Denn die Menschen sind Kinder des Lichts. Sobald sie sich ganz
+erkennen, fhlen sie ihre Unsterblichkeit. Und in dem Mae, wie sie sie
+fhlen, dehnen sie das Reich der Unsterblichkeit auf jedes Gebiet des
+menschlichen Lebens aus.
+
+Und das ist nun der Beruf der Kunst: die wahre Welt des Menschen, die
+lebendige Welt der Wahrheit und Schnheit, aufzubauen.
+
+Der Mensch ist ganz er selbst, wo er seine Unendlichkeit fhlt, wo er
+gttlich ist, und das Gttliche ist das Schpferische in ihm. Daher
+ist er schpferisch, sobald er zu seinem wahren Wesen gelangt. Er kann
+wahrhaft in seiner eigenen Schpfung leben, indem er aus Gottes Welt
+seine eigene Welt macht. Das ist in Wahrheit sein eigener Himmel, der
+Himmel zur Vollendung gestalteter Ideen, mit denen er sich umgibt; wo
+seine Kinder geboren werden, wo sie lernen, wie sie leben und sterben,
+lieben und kmpfen mssen, wo sie lernen, da das Wirkliche nicht nur
+das uerlich Sichtbare ist und da es andre Reichtmer gibt als die
+Schtze der Erde. Wenn der Mensch nur die Stimme hren knnte, die
+aus dem Herzen seiner eigenen Schpfung aufsteigt, wrde er dieselbe
+Botschaft vernehmen, die in alter Zeit der indische Weise verkndete:
+
+Hrt auf mich, ihr Kinder des Unsterblichen, ihr Bewohner der
+himmlischen Welten, ich habe den Hchsten erkannt, der als Licht von
+jenseits der Finsternis kommt[5].
+
+Ja, es ist der Hchste, der sich dem Menschen offenbart hat und durch
+den dieses ganze Weltall fr ihn mit persnlichem Leben erfllt ist.
+Daher sind Indiens Pilgersttten dort, wo unser Herz in der Vereinigung
+von Strom und Meer oder im ewigen Schnee der Bergesspitzen oder in
+der Einsamkeit des Seegestades etwas von dem Wesen des Unendlichen
+sprt. Dort hat der Mensch in seinen Bildnissen und Tempeln dies
+Wort hinterlassen: Hrt auf mich, ich habe den Hchsten erkannt.
+Erforschen knnen wir ihn nicht, nicht in den Dingen dieser Welt, noch
+in ihren Gesetzen; doch wo der Himmel blau ist und das Gras grn, wo
+die Blume ihre Schnheit und die Frucht ihren Wohlgeschmack spendet, wo
+nicht nur der Wille zur Erhaltung der Gattung, sondern Freude am Leben
+und Liebe zu allen Wesen, Mitgefhl und Selbstverleugnung herrscht,
+dort offenbart sich uns der Unendliche. Dort prasseln nicht nur
+Tatsachen auf uns nieder, sondern wir fhlen, wie das Band persnlicher
+Verwandtschaft unsre Herzen ewig mit dieser Welt verbindet. Und dies
+ist Wirklichkeit, ist Wahrheit, die wir uns zu eigen gemacht haben,
+Wahrheit, die ewig eins mit dem Hchsten ist. Diese Welt, deren Seele
+sehnschtig nach Ausdruck sucht in dem endlosen Rhythmus ihrer Linien
+und Farben, Musik und Bewegung, in leisem Flstern und heimlichen
+Winken und all den Versuchen, das Unaussprechliche ahnen zu lassen, --
+diese Welt findet ihre Harmonie in dem unaufhrlichen Verlangen des
+menschlichen Herzens, in seinen eigenen Schpfungen den Hchsten zu
+offenbaren.
+
+Dieses Verlangen macht uns verschwenderisch mit allem, was wir haben.
+Solange wir Reichtmer ansammeln, legen wir uns Rechenschaft ab von
+jedem Pfennig; wir rechnen genau und handeln sorgfltig. Aber sobald
+wir unserm Reichtum Ausdruck geben wollen, kennen wir keine Schranken
+mehr. Ja, niemand unter uns hat Reichtmer genug, um das, was wir
+unter Reichtum verstehen, voll zum Ausdruck zu bringen. Wenn wir
+versuchen, unser Leben gegen den Angriff des Feindes zu schtzen,
+sind wir vorsichtig in unsern Bewegungen. Aber wenn wir uns getrieben
+fhlen, unsrer persnlichen Tapferkeit Ausdruck zu geben, so nehmen
+wir freiwillig Gefahren auf uns, wenn es uns auch das Leben kostet.
+Im Alltagsleben sind wir vorsichtig mit unsern Ausgaben, aber bei
+festlichen Gelegenheiten, wenn wir unsre Freude ausdrcken, sind wir
+so verschwenderisch, da wir selbst ber unsre Mittel hinaus gehen.
+Denn wenn wir uns unsrer eigenen Persnlichkeit intensiv bewut sind,
+haben wir kein Auge mehr fr die Tyrannei der Tatsachen. Wir sind
+mavoll und zurckhaltend dem Menschen gegenber, mit dem uns nur
+Klugheitsinteresse verbindet. Aber wir fhlen, da alles, was wir
+haben und geben knnen, fr die noch nicht genug ist, die wir lieben.
+Der Dichter sagt zu der Geliebten: Mir ist, als sei ich vom Anfang
+meines Daseins an in den Anblick deiner Schnheit versunken gewesen,
+als htte ich dich seit Jahrtausenden in meinen Armen gehalten, und
+doch ist meine Sehnsucht noch nicht gestillt. Die Steine mchten in
+Zrtlichkeit schmelzen, wenn der Saum deines Mantels sie streift. Er
+fhlt, da seine Augen wie Vgel ausfliegen mchten, um die Geliebte
+zu sehen. Vom Standpunkt der Vernunft aus sind dies bertreibungen,
+aber vom Standpunkt des Herzens aus, das von den Schranken der
+Tatsachen befreit ist, sind sie wahr.
+
+Ist es nicht ebenso in Gottes Schpfung? Dort sind Kraft und Stoff
+auch bloe Tatsachen; sie knnen gemessen und gewogen werden, und es
+wird genau Buch ber sie gefhrt. Allein die Schnheit ist keine bloe
+Tatsache; sie lt sich nicht verrechnen, sie lt sich nicht auf ihren
+Wert abschtzen und verzeichnen. Sie ist Ausdruck. Tatsachen sind
+die Becher, die den Wein halten, er verdeckt und berrinnt sie. Die
+Schnheit ist unendlich in ihren Kundgebungen und berschwnglich in
+ihrer Sprache. Und nur die Seele, nicht die Wissenschaft, kann diese
+Sprache verstehen. Sie singt wie jener Dichter: Mir ist, als sei ich
+vom Anfang meines Daseins an in den Anblick deiner Schnheit versunken
+gewesen, als htte ich dich seit Jahrtausenden in meinen Armen
+gehalten, und doch ist meine Sehnsucht noch nicht gestillt.
+
+So sehen wir, da unsre Welt des Ausdrucks der Welt der Tatsachen nicht
+genau entspricht, da die Persnlichkeit nach allen Richtungen ber
+die Tatsachen hinausgeht. Sie ist sich ihrer Unendlichkeit bewut und
+schafft aus ihrem berflu heraus, und da in der Kunst die Dinge nach
+ihrem Ewigkeitswert gemessen werden, verlieren die, die im gewhnlichen
+Leben wichtig sind, ihre Wirklichkeit, sobald sie auf das Piedestal der
+Kunst erhoben werden. Der Zeitungsbericht von irgendeinem huslichen
+Ereignis im Leben eines Geschftsmagnaten ruft vielleicht in der
+Gesellschaft groe Aufregung hervor, doch im Reich der Kunst verliert
+er alle seine Bedeutung. Wenn er dort durch irgendeinen grausamen
+Zufall neben Keats' Ode auf eine griechische Urne geriete, mte er
+in Scham sein Gesicht verbergen.
+
+Und doch knnte dasselbe Ereignis, wenn es in seiner Tiefe erfat und
+seiner konventionellen Oberflchlichkeit entkleidet wrde, noch eher
+einen Platz in der Kunst finden als die Unterhandlungen ber eine groe
+chinesische Geldanleihe oder die Niederlage der britischen Diplomatie
+in der Trkei. Ein bloes Familienereignis, die Eifersuchtstat eines
+Gatten, wie Shakespeare sie in einer seiner Tragdien schildert,
+hat im Reich der Kunst greren Wert als die Kastenordnung in Manus
+Gesetzbuch[6] oder das Gesetz, das den Bewohner des einen Weltteils
+hindert, auf einem andern menschlich behandelt zu werden. Denn wenn
+Tatsachen nichts als die Glieder einer Kette von Tatsachen sind, weist
+die Kunst sie zurck.
+
+Wenn jedoch solche Gesetze und Verordnungen, wie ich sie eben erwhnte,
+uns in ihrer Anwendung auf einen bestimmten Menschen gezeigt werden,
+wenn wir die ganze Ungerechtigkeit und Grausamkeit und das ganze Elend,
+das sie im Gefolge haben, sehen, dann werden sie ein Gegenstand fr die
+Kunst. Die Anordnung einer groen Schlacht mag eine wichtige Tatsache
+sein, aber fr den Zweck der Kunst ist sie unbrauchbar. Aber was
+diese Schlacht einem einzelnen Soldaten bringt, der von seinen Lieben
+losgerissen, auf Lebenszeit verkrppelt wird, das hat fr die Kunst,
+die es mit der lebendigen Wirklichkeit zu tun hat, den hchsten Wert.
+
+Des Menschen soziale Welt gleicht einem Nebelsternsystem; sie besteht
+zum grten Teile aus abstrakten Begriffen wie: Gesellschaft,
+Staat, Nation, Handel, Politik und Krieg. Im dichten Nebel dieser
+Begriffe ist der Mensch verborgen und die Wahrheit verwischt. Die
+ganz unbestimmte Idee des Krieges allein schon verdeckt unserm Blick
+eine Menge von Elend und trbt unsern Wirklichkeitssinn. Die Nation
+ist schuld an Verbrechen, die uns entsetzen wrden, wenn man einen
+Augenblick den Nebel um sie verscheuchen knnte. Die Idee Gesellschaft
+hat zahllose Formen von Sklaverei geschaffen, die wir nur dulden,
+weil sie unser Gefhl fr die menschliche Persnlichkeit abgestumpft
+hat. Und im Namen der Religion konnten Taten verbt werden, fr die
+die Hlle selbst nicht Strafen genug haben kann, weil sie fast den
+ganzen fhlenden Leib der Menschheit mit einer gefhllos machenden
+Kruste von Glaubensbekenntnissen und Dogmen berzogen hat. berall
+in der Menschenwelt leidet die Gottheit darunter, da die lebendige
+Wirklichkeit des Menschen unter der Last von Abstraktionen erstickt
+wird. In unsern Schulen verbirgt der Begriff Klasse die Individualitt
+der Kinder, sie werden _nur_ Schler. Wir empfinden es gar nicht mehr,
+wenn wir sehen, wie das Leben der Kinder in der Klasse erdrckt wird,
+wie Blumen, die man in einem Buch pret. In der Regierung hat die
+Bureaukratie es nur mit Klassenbegriffen und nicht mit Menschen zu
+tun, und so verbt sie unbedenklich Grausamkeiten im groen. Sobald
+wir einen wissenschaftlichen Grundsatz wie den der natrlichen
+Auslese als Wahrheit anerkennen, verwandelt er sofort die ganze
+Welt der menschlichen Persnlichkeit in eine trostlose Wste von
+Abstraktionen, wo alle Dinge furchtbar einfach werden, weil sie ihres
+Lebensgeheimnisses beraubt sind.
+
+Auf diesen weiten Nebelstrecken erschafft die Kunst ihre Sterne. Durch
+sie erkennen wir uns als Kinder des Unsterblichen und als Erben der
+himmlischen Welten.
+
+Was ist es, das dem Menschen trotz der unleugbaren Tatsache des
+Todes doch die Gewiheit der Unsterblichkeit gibt? Es ist weder
+seine physische noch seine geistige Organisation. Es ist jene innere
+Einheit, jenes letzte Geheimnis in ihm, das aus dem Zentrum seiner
+Welt nach allen Seiten ausstrahlt, das in seinem Krper und in seinem
+Geiste ist und doch ber beide hinausgeht, das sich durch alle Dinge,
+die ihm gehren, offenbart und doch etwas anderes ist als sie; das
+seine Gegenwart fllt und die Ufer seiner Vergangenheit und Zukunft
+berflutet. Es ist die Persnlichkeit des Menschen, die sich ihrer
+unerschpflichen Flle bewut ist, die den scheinbaren Widerspruch in
+sich trgt, da sie mehr ist als sie selbst, mehr als von ihr sichtbar
+und erkennbar ist. Und dies Unendlichkeitsbewutsein im Menschen strebt
+immer nach unvergnglichem Ausdruck und sucht sich die ganze Welt zu
+eigen zu machen. Die Werke der Kunst sind Gre, die die menschliche
+Seele dem Hchsten als Antwort sendet, wenn er sich uns durch die
+dunkle Welt von Tatsachen hindurch in einer Welt unendlicher Schnheit
+offenbart.
+
+
+
+
+DIE WELT DER PERSNLICHKEIT
+
+
+Die Nacht ist ein dunkles Kind, das eben vom Tag geboren ist.
+Millionen von Sternen stehen dicht gedrngt um seine Wiege und
+beobachten es, regungslos, damit es nicht aufwacht.
+
+So will ich fortfahren, aber die Naturwissenschaft unterbricht mich
+lachend. Sie nimmt Ansto an meiner Behauptung, da die Sterne
+stillstehen.
+
+Doch wenn ich mich irre, so bin nicht ich schuld daran, sondern die
+Sterne selbst. Es ist ganz offenbar, da sie stillstehen. Es ist eine
+Tatsache, die sich nicht wegdisputieren lt.
+
+Allein die Wissenschaft hat nun einmal die Gewohnheit, zu disputieren.
+Sie sagt: Wenn du meinst, da die Sterne stillstehen, so beweist dies
+nur, da du zu weit von ihnen entfernt bist.
+
+Ich antworte prompt: Wenn ihr sagt, da die Sterne umherrasen, so
+beweist das nur, da ihr ihnen zu nahe seid.
+
+Die Naturwissenschaft ist erstaunt ber meine Verwegenheit.
+
+Aber ich bleibe hartnckig bei meiner Behauptung und sage, da, wenn
+die Naturwissenschaft sich die Freiheit nimmt, den Standpunkt der
+Nhe zu whlen und den der Ferne zu miachten, sie mich nicht tadeln
+darf, wenn ich den entgegengesetzten Standpunkt einnehme und die
+Glaubwrdigkeit der Nhe bezweifle.
+
+Die Naturwissenschaft ist unerschtterlich berzeugt, da der Anblick
+aus der Nhe der zuverlssigste ist.
+
+Aber ich zweifle, ob sie in ihren Ansichten konsequent ist. Denn als
+ich sicher war, da die Erde unter meinen Fen flach sei, da belehrte
+sie mich eines Bessern, indem sie mir sagte, da der Anblick aus der
+Nhe nicht das richtige Bild gbe und da man Abstand nehmen msse, um
+zur vollkommenen Wahrheit zu gelangen.
+
+Ich will ihr gern zustimmen. Denn sehen wir nicht an uns selbst,
+da wir, wenn wir unserm Ich zu nahe bleiben, es mit den Augen der
+Selbstsucht sehen und eine flache und isolierte Ansicht von uns
+gewinnen, aber wenn wir ber uns hinausgehen und uns in andern sehen,
+so erhalten wir ein rundes und zusammenhngendes Bild, das uns unser
+wahres Wesen zeigt?
+
+Aber wenn die Naturwissenschaft berhaupt glaubt, da der Abstand von
+den Dingen uns ein richtigeres Bild von ihnen gibt, so mu sie auch
+ihren Aberglauben von der Ruhelosigkeit der Sterne aufgeben. Wir Kinder
+der Erde gehen in die Schule der Nacht, um einen Blick auf die Welt
+als Ganzes zu werfen. Unser groer Meister wei, da wir den vollen
+Anblick des Weltalls ebensowenig ertragen knnten wie den Anblick der
+Mittagssonne. Wir mssen sie durch ein geschwrztes Glas sehen. Die
+gtige Natur hlt das dunkle Glas der Nacht vor unsre Augen und lt
+uns das Weltall aus der Ferne sehen. Und was ist es, was wir sehen? Wir
+sehen, da die Welt der Sterne stillsteht. Denn wir sehen diese Sterne
+in ihrer Beziehung zueinander, und sie erscheinen uns wie Ketten von
+Diamanten um den Hals einer schweigenden Gottheit. Aber die Astronomie
+reit wie ein neugieriges Kind einen einzelnen Stern von der Kette los
+und stellt dann fest, da er umherrollt.
+
+Wem soll man nun glauben? Die Glaubwrdigkeit der Sternenwelt kommt
+nicht in Frage. Man braucht nur seine Augen aufzuheben und ihnen
+ins Antlitz sehen, so mu man ihnen glauben. Sie bringen keine
+scharfsinnigen Beweisgrnde vor, und das erscheint mir immer als bester
+Beweis der Zuverlssigkeit. Sie geraten nicht auer sich, wenn man
+ihnen nicht glaubt. Aber wenn ein einzelner von diesen Sternen von
+der Tribne des Weltalls heruntersteigt und der Mathematik verstohlen
+sein Geheimnis ins Ohr flstert, so sehen wir, da die Sache sich ganz
+anders verhlt.
+
+Daher wollen wir khn behaupten, da beide Aussagen gleich wahr
+sind. Lat uns annehmen, da die Sterne auf der Ebene des Abstands
+stillstehen und auf der Ebene der Nhe sich bewegen. Auf die eine
+Weise angesehen, sind die Sterne in Wahrheit regungslos und auf die
+andere in Bewegung. Nhe und Ferne sind die Hter zweier verschiedener
+Reihen von Tatsachen, aber beide sind _einer_ Wahrheit untertan. Wenn
+wir daher uns auf Seite der einen stellen und die andere schmhen, so
+verletzen wir die Wahrheit, die beide umfat.
+
+Von dieser Wahrheit sagt die Ischa-Upanischad[7]: Sie bewegt sich. Sie
+bewegt sich nicht. Sie ist fern. Sie ist nahe.
+
+Der Sinn ist der: Wenn wir die Wahrheit in ihren einzelnen Teilen, die
+uns nahe sind, verfolgen, so sehen wir sie sich bewegen. Wenn wir die
+Wahrheit von einem gewissen Abstand aus als Ganzes berblicken, so
+steht sie still. Es ist, wie wenn wir ein Buch lesen: alles in ihm ist
+in Bewegung, so lange wir den Inhalt von Kapitel zu Kapitel verfolgen,
+doch wenn wir damit fertig sind, wenn wir das ganze Buch kennen, steht
+es still und umfat zugleich alle Kapitel in ihren gegenseitigen
+Beziehungen.
+
+Es gibt im Geheimnis des Daseins einen Punkt, wo Gegenstze sich
+vereinen, wo Bewegung nicht nur Bewegung und Ruhe nicht nur Ruhe ist,
+wo Idee und Form, Inneres und ueres eins werden, wo das Unendliche
+endlich wird, ohne seine Unendlichkeit zu verlieren. Wenn diese Einheit
+aufgehoben ist, verlieren die Dinge ihr wahres Wesen.
+
+Wenn ich ein Rosenblatt durch ein Mikroskop betrachte, sehe ich es
+ausgedehnter als es mir gewhnlich erscheint. Je mehr ich seine
+Ausdehnung vergrere, um so unbestimmter wird es, bis es im
+unendlichen Raum weder ein Rosenblatt noch sonst etwas ist. Es wird
+erst ein Rosenblatt, wo das Unendliche in einem bestimmten Raum
+Endlichkeit wird. Wenn wir die Grenzen dieses Raumes weiter oder enger
+ziehen, so beginnt das Rosenblatt seine Wirklichkeit zu verlieren.
+
+Wie mit dem Raum, so ist es auch mit der Zeit. Wenn ich durch
+irgendeinen Zufall die Schnelligkeit der Zeit in bezug auf das
+Rosenblatt steigern knnte, indem ich, sagen wir, einen Monat in eine
+Minute verdichtete, whrend ich selbst dabei auf meiner normalen
+Zeitebene bliebe, so wrde es mit solcher rasenden Geschwindigkeit vom
+Punkt des ersten Erscheinens bis zum Punkt des Verschwindens eilen,
+da ich nicht imstande wre, es wahrzunehmen. Wir knnen sicher sein,
+da es Dinge in dieser Welt gibt, die andre Geschpfe wahrnehmen, aber
+die fr uns nicht da sind, da ihre Zeit der unsern nicht entspricht.
+Unsre Geruchsnerven halten nicht Schritt mit denen des Hundes, daher
+existieren viele Erscheinungen fr uns gar nicht, die ein Hund als
+Geruch wahrnimmt.
+
+Wir hren zum Beispiel von mathematischen Wunderkindern, die in
+unglaublich kurzer Zeit schwierige Aufgaben ausrechnen. Ihr Geist
+arbeitet in bezug auf mathematische Berechnungen auf einer andern
+Zeitebene nicht nur als unserer, sondern auch als ihrer eigenen in den
+brigen Lebensgebieten. Es ist, als ob der mathematische Teil ihres
+Geistes auf einem Kometen lebte, whrend die andern Teile Bewohner
+dieser Erde sind. Daher ist der Vorgang, durch den sie zu ihrem
+Resultat kommen, nicht nur uns unsichtbar, sondern auch sie selbst
+sehen ihn nicht.
+
+Es ist eine ganz bekannte Tatsache, da unsre Trume oft in einem
+Zeitma dahinflieen, das ganz verschieden von dem unsres wachen
+Bewutseins ist. Fnfzig Minuten der Sonnenuhr unsres Traumlandes sind
+vielleicht fnf Minuten unsrer Stubenuhr. Wenn wir von dem Terrain
+unsres wachen Bewutseins aus diese Trume beobachten knnten, so
+wrden sie wie ein Schnellzug an uns vorbeirasen. Oder wenn wir vom
+Fenster unsrer schnell dahinfliehenden Trume aus die langsamere Welt
+unsres wachen Bewutseins beobachten knnten, so wrde sie mit groer
+Geschwindigkeit hinter uns zurckzuweichen scheinen. Ja, wenn die
+Gedanken, die sich in andern Hirnen bewegen, offen vor uns lgen, so
+wrden wir sie anders wahrnehmen als jene selbst, da unser geistiges
+Zeitma ein anderes ist. Wenn wir den Mastab unsrer Zeitwahrnehmung
+nach Belieben vergrern oder verkleinern knnten, so wrden wir den
+Wasserfall stillstehen und den Fichtenwald wie einen grnen Niagara
+schnell dahinrauschen sehen.
+
+So ist es fast ein Gemeinplatz, wenn wir sagen, die Welt ist das,
+als was wir sie wahrnehmen. Wir bilden uns ein, unser Geist sei
+ein Spiegel, der mehr oder weniger genau das zurckwirft, was sich
+drauen ereignet. Im Gegenteil, unser Geist selbst ist der eigentliche
+Schpfer. Whrend ich die Welt beobachte, erschaffe ich sie mir
+unaufhrlich selbst in Zeit und Raum.
+
+Die Ursache der Mannigfaltigkeit der Schpfung ist, da der Geist die
+verschiedenen Erscheinungen in verschiedener zeitlicher und rumlicher
+Einstellung wahrnimmt. Wenn er die Sterne in einem Raum sieht, den man
+bildlich als dicht bezeichnen knnte, so sind sie nahe beieinander
+und bewegungslos. Wenn er die Planeten sieht, so sieht er sie in weit
+geringerer Raumdichtigkeit, und da erscheinen sie weit voneinander
+entfernt und in Bewegung. Wenn wir die Molekle eines Eisenstckes in
+einem ganz andern Raum sehen knnten, so wrden wir sehen, wie sie sich
+bewegen. Aber da wir die Dinge in ihren bestimmten Raum- und Zeitmaen
+sehen, ist Eisen fr uns Eisen, Wasser ist Wasser und Wolken sind
+Wolken.
+
+Es ist eine ganz bekannte psychologische Tatsache, da durch nderung
+unsrer geistigen Einstellung Gegenstnde ihr Wesen zu verndern
+scheinen; was uns angenehm war, wird uns zuwider, und umgekehrt. In
+einem gewissen Zustande der Verzcktheit haben die Menschen in der
+Kasteiung ihres Fleisches Genu gesucht. Die auerordentlichen Leiden
+der Mrtyrer scheinen uns bermenschlich, weil wir die geistige
+Haltung, unter deren Einflu man sie ertragen, ja ersehnen kann, noch
+nicht an uns erfahren haben. In Indien hat man oft gesehen, da Fakire
+ber glhendes Eisen gingen, wenn solche Flle auch wissenschaftlich
+noch nicht untersucht sind. Man kann verschiedener Meinung sein ber
+die Wirksamkeit der Glaubensheilung, die den Einflu des Geistes auf
+die Materie zeigt, aber seit den frhesten Zeiten haben Menschen an sie
+geglaubt und danach gehandelt. Unsre sittliche Erziehung grndet sich
+auf die Tatsache, da durch unsre vernderte geistige Einstellung unsre
+Perspektive, ja in gewisser Hinsicht die ganze Welt eine andre wird,
+worin alles einen andern Wert bekommt. Daher wird das, was fr einen
+Menschen wertvoll ist, solange er sittlich unentwickelt ist, schlimmer
+als wertlos fr ihn, wenn er zu einer hhern Sittlichkeit gelangt.
+
+Walt Whitman zeigt in seinen Gedichten eine groe Geschicklichkeit,
+seinen geistigen Standpunkt zu wechseln und damit seiner Welt eine
+neue und von der der andern Menschen verschiedene Gestalt zu geben,
+indem er die Verhltnisse der Dinge umordnet und ihnen dadurch eine
+ganz neue Bedeutung gibt. Solche Beweglichkeit des Geistes wirft alle
+Konventionen ber den Haufen. Daher sagt er in einem seiner Gedichte:
+
+ Ich hre, man macht mir den Vorwurf, ich wolle die Institutionen
+ zerstren.
+ Doch was sind mir Institutionen?
+ Was habe ich mit ihnen zu schaffen, und was sollte mir ihre
+ Zerstrung?
+ Nur _eine_ Institution gibt es, die ich grnden will,
+ In dir, Mannahatta, und in jeder Stadt dieser Staaten, im Binnenlande
+ und an der Kste,
+ In Feldern und Wldern und auf der See, ber jedem Kiel, der ihre
+ Wasser durchschneidet;
+ Ich will sie grnden ohne Haus, ohne Hter und ohne Satzungen:
+ Die Institution treuer Bruderliebe.
+
+Solide Institutionen von massivem Bau lsen sich in der Welt dieses
+Dichters in Dunst auf. Sie ist wie eine Welt von Rntgenstrahlen, fr
+die manche festen Dinge als solche nicht bestehen. Dagegen hat die
+Bruderliebe, die in der gewhnlichen Welt etwas Flieendes ist, wie die
+Wolken, die ber den Himmel hinziehen ohne eine Spur zurckzulassen,
+in der Welt des Dichters mehr Festigkeit und Dauer als alle
+Institutionen. Hier sieht er die Dinge in einer Zeit, wo die Berge wie
+Schatten dahinschwinden und wo die Regenwolken mit ihrer scheinbaren
+Vergnglichkeit ewig sind. Hier erkennt er, da die Bruderliebe wie die
+Wolken, die keines festen Fundamentes bedrfen, Halt und Dauer hat,
+ohne Haus, ohne Hter und ohne Satzungen.
+
+Whitman steht auf einer andern Zeitebene, seine Welt fllt noch nicht
+in Trmmer, wenn man sie aus den Angeln hebt, weil sie seine eigene
+Persnlichkeit zum Zentrum hat. Alle Geschehnisse und Gestalten dieser
+Welt haben ihre Beziehung zu dieser zentralen schpferischen Kraft,
+daher sind sie auch ganz von selbst untereinander verbunden. Seine Welt
+mag wohl ein Komet unter Sternen sein und ihre eigene Bewegung haben,
+aber sie hat auch ihre eigene Gesetzmigkeit durch die Zentralkraft
+der Persnlichkeit. Es mag eine verwegene, ja eine tolle Welt sein,
+deren exzentrischer Schweif eine ungeheure Bahn beschreibt, aber eine
+Welt ist es.
+
+Doch mit der Naturwissenschaft ist es anders. Denn sie versucht, jene
+zentrale Persnlichkeit ganz auszuschalten, durch die die Welt erst
+eine Welt wird. Die Naturwissenschaft stellt einen unpersnlichen und
+unvernderlichen Mastab fr Raum und Zeit auf, der nicht der Mastab
+der Schpfung ist. Daher wirkt seine Berhrung so vernichtend auf die
+lebendige Wirklichkeit der Welt, da sie zu einem leeren Begriff wird
+und ihre Dinge sich in Nichts auflsen. Denn die Welt ist etwas anderes
+als Atome und Molekle oder Radioaktivitt und andere Krfte, der
+Diamant ist etwas anderes als Kohlenstoff, und Licht ist etwas anderes
+als Schwingungen des thers. Auf dem Wege der Auflsung und Zerstrung
+wird man nie zur Wahrheit der Schpfung gelangen. Nicht nur die Welt,
+sondern Gott selbst wird von der Naturwissenschaft seiner Wirklichkeit
+entkleidet; sie unterwirft ihn im Laboratorium der Vernunft, wo jede
+persnliche Beziehung aufhrt, einer chemischen Analyse und verkndet
+als Resultat, da man nichts von ihm wei noch wissen kann. Es ist eine
+bloe Tautologie, zu behaupten, da Gott unerkennbar ist, wenn man den,
+der ihn allein kennt und kennen kann, die menschliche Persnlichkeit,
+ganz auer Betracht lt. Es ist, als ob man von einer Speise sagte,
+sie sei ungeniebar, wenn niemand da ist, sie zu essen. Unsre trocknen
+Moralisten machen es ebenso, sie lenken unser Herz von dem Ziel seiner
+Sehnsucht ab. Statt uns eine Welt zu erschaffen, in der die sittlichen
+Ideale in ihrer natrlichen Schnheit leben, versuchen sie, unsre Welt,
+die wir uns, wenn auch noch so unvollkommen, selbst erbaut haben, zu
+verkmmern. Statt menschlicher Persnlichkeiten stellen sich moralische
+Grundstze vor uns auf und zeigen uns die Dinge im Zustande der
+Auflsung, um zu beweisen, da hinter ihrer Erscheinung abscheulicher
+Trug ist. Aber wenn man die Wahrheit ihrer uern Erscheinung beraubt,
+so verliert sie damit den besten Teil ihrer Wirklichkeit. Denn die
+Erscheinung ist es, durch die sie zu mir in persnlicher Beziehung
+steht, sie ist eigens fr mich da. Von dieser Erscheinung, die nur
+Oberflche zu sein scheint, die aber von dem innern Wesen Botschaft
+bringt, sagt euer Dichter:
+
+ Der erste Schritt schon brachte mir soviel Freude!
+ Das bloe Bewutsein, all diese Formen, die Kraft der Bewegung,
+ Das kleinste Insekt oder Tier, die Sinne, das Schauen, die Liebe --
+ Was brachte der erste Schritt schon an Staunen und Freude!
+ Ich bin noch nicht weiter gegangen und mcht' es auch kaum,
+ Ich mchte nur immer verweilen und in ekstatischen Liedern
+ lobpreisen!
+
+Unsre wissenschaftliche Welt ist unsre Welt des Verstandes. Sie hat
+ihre Gre und ihren Nutzen und ihre Reize. Wir wollen ihr gern die
+ihr gebhrende Huldigung erweisen. Aber wenn sie sich rhmt, die
+wirkliche Welt erst fr uns entdeckt zu haben und ber alle Welten der
+einfltigen Geister lacht, dann erscheint sie uns wie ein Feldherr,
+der, durch seine Macht berauscht, den Thron seines Knigs usurpiert.
+Denn die Welt in ihrer lebendigen Wirklichkeit ist das Reich der
+menschlichen Persnlichkeit und nicht des Verstandes, der, mag er noch
+so ntzlich und gro sein, doch nicht der Mensch selbst ist.
+
+Wenn wir ein Musikstck als das, was es in Beethovens Geist war,
+vollkommen erkennen knnten, so knnten wir selbst jeder ein Beethoven
+werden. Aber weil wir sein Geheimnis nicht ergrnden knnen, so knnen
+wir auch bezweifeln, da etwas von Beethovens Persnlichkeit in seiner
+Sonate lebt, -- obgleich wir uns wohl bewut sind, da ihr wahrer
+Wert in ihrer Wirkung auf unsre eigene Persnlichkeit besteht. Doch
+es ist noch einfacher, diese Tatsachen zu beobachten, wenn diese
+Sonate auf dem Klavier gespielt wird. Wir knnen die schwarzen und
+weien Tasten der Klaviatur zhlen, die Lnge der Saiten messen, die
+Kraft, Geschwindigkeit und Reihenfolge in den Bewegungen der Finger
+feststellen und dann triumphierend behaupten, dies sei Beethovens
+Sonate. Und nicht nur das, wir knnen vorhersagen, da, wo und wann
+auch immer der Versuch in der beobachteten Weise wiederholt wird, auch
+genau dieselbe Sonate wieder ertnt. Wenn wir die Sonate nur immer von
+diesem Gesichtspunkt aus betrachten, so vergessen wir leicht, da ihr
+Ursprung und ihr Ziel die menschliche Persnlichkeit ist und da, wie
+genau und vollkommen auch die technische Ausfhrung sein mag, diese
+doch noch nicht die letzte Wirklichkeit der Musik umfat.
+
+Ein Spiel ist ein Spiel, sobald ein Spieler da ist, der es spielt.
+Natrlich hat das Spiel seine Regeln, die man kennen und beherrschen
+mu. Aber wenn jemand behaupten wollte, da in diesen Regeln das wahre
+Wesen des Spiels lge, so mten wir das ablehnen. Denn das Spiel ist
+das, was es fr die Spieler bedeutet. Es wechselt seinen Charakter
+nach der Persnlichkeit der Spieler: fr einige hat es den Zweck, ihre
+Gewinnsucht zu befriedigen, andern dient es zur Befriedigung ihres
+Ehrgeizes; einigen ist es ein Mittel, die Zeit hinzubringen, und andern
+ein Mittel, ihrem Hang zur Geselligkeit zu frnen; und noch andere
+gibt es, die ganz frei von eigenntzigen Zwecken nur seine Geheimnisse
+studieren wollen. Und doch bleibt bei allen diesen mannigfachen
+Gesichtspunkten das Gesetz des Spiels immer das gleiche. Denn die Natur
+des wahren Seins ist die Einheit in der Mannigfaltigkeit. Und die Welt
+ist fr uns wie solch ein Spiel, sie ist fr uns alle die gleiche und
+doch nicht die gleiche.
+
+Die Naturwissenschaft hat es nur mit der Gleichartigkeit zu tun, mit
+dem Gesetz der Perspektive und Farbenzusammenstellung und nicht mit
+dem Gemlde --, dem Gemlde, das die Schpfung einer Persnlichkeit
+ist und sich an die Persnlichkeit dessen wendet, die es sieht. Die
+Naturwissenschaft will aus ihrem Forschungsgebiet die schpferische
+Persnlichkeit ganz ausschalten und ihre Aufmerksamkeit nur auf das
+Medium der Schpfung richten.
+
+Was ist dieses Medium? Es ist das Medium der Endlichkeit, durch das
+der Unendliche sich uns offenbaren will. Es ist das Medium, das seine
+selbstauferlegten Begrenzungen darstellt, das Gesetz von Zeit und Raum,
+Form und Bewegung. Dies Gesetz ist die Vernunft, die allen gemeinsam
+ist, die Vernunft, die den endlosen Rhythmus der schpferischen Idee
+leitet, wenn sie sich uns in immer wechselnden Formen offenbart.
+
+Unsre Einzelseelen sind die Saiten, die bei den Schwingungen dieser
+Weltseele mitschwingen und in der Musik von Raum und Zeit Antwort
+geben. Diese Saiten sind untereinander verschieden an Tonhhe und
+Klangfarbe und sind noch nicht zur Vollkommenheit gestimmt, aber ihr
+Gesetz ist das Gesetz der Weltseele, des Instrumentes, auf dem der
+ewige Spieler seinen Schpfungstanz spielt.
+
+Durch diese Seeleninstrumente, die wir in uns haben, sind auch wir
+Schpfer. Wir schaffen nicht nur Kunst und soziale Organisationen,
+sondern auch uns selbst, unsre innere Natur und unsre Umgebung,
+deren Wesenserfllung von ihrer Harmonie mit dem Gesetz der Weltseele
+abhngt. Freilich sind unsre Schpfungen bloe Variationen der groen
+Weltmelodie Gottes. Wenn wir Dissonanzen hervorbringen, so mssen
+sie sich entweder in Wohlklang auflsen oder verstummen. Unsre
+Schpferfreiheit findet ihre hchste Freude darin, da sie ihre eigene
+Stimme in den Chor der Welt-Musik einfgt.
+
+Die Naturwissenschaft traut dem gesunden Verstand des Dichters
+nicht recht. Sie weist die paradoxe Behauptung, da das Unendliche
+Endlichkeit annehme, zurck.
+
+Ich kann zu meiner Verteidigung sagen, da diese Paradoxie viel lter
+ist als ich. Es ist dieselbe Paradoxie, die an der Wurzel allen Seins
+liegt. Sie ist ebenso geheimnisvoll und einfach zugleich wie die
+Tatsache, da ich imstande bin, diese Wand wahrzunehmen, was im letzten
+Grunde ein unerklrliches Wunder ist.
+
+Kehren wir noch einmal zu der Ischa-Upanischad zurck, um zu hren, was
+der Weise ber den Widerspruch des Unendlichen und des Endlichen sagt.
+Er sagt:
+
+Die geraten ins Dunkel, die sich nur mit der Erkenntnis des Endlichen
+beschftigen, aber die geraten in ein noch greres Dunkel, die sich
+nur mit der Erkenntnis des Unendlichen beschftigen.
+
+Wer die Erkenntnis des Endlichen sucht um ihrer selbst willen, wird
+die Wahrheit nicht finden. Denn diese Erkenntnis ist ihm nur eine tote
+Mauer, die ihm das Drben verbaut. Sie hilft ihm nur zu materiellem
+Gewinn, aber sie leuchtet ihm nicht. Sie ist wie eine Lampe ohne Licht,
+wie eine Geige ohne Musik. Man kann ein Buch nicht kennen lernen, wenn
+man es mit und wgt und seine Seiten zhlt oder sein Papier chemisch
+untersucht. Eine neugierige Maus kann sich in das Innere eines Klaviers
+hineinnagen und zwischen seinen Saiten herumstbern, soviel sie will,
+der Musik kommt sie dadurch nicht nher. So machen es die, die das
+Endliche um seiner selbst willen suchen.
+
+Aber die Upanischad lehrt uns, da das alleinige Streben nach
+Erkenntnis des Unendlichen in ein noch tieferes Dunkel fhrt. Denn
+das schlechthin Unendliche ist Leere. Jedes Endliche ist etwas.
+Vielleicht ist es nur ein Scheckbuch ohne Guthaben auf der Bank. Aber
+das schlechthin Unendliche hat weder Geld noch Scheckbuch. Wie tief
+das geistige Dunkel des primitiven Menschen auch sein mag, der in der
+berzeugung lebt, da jeder Apfel nach seiner Laune zu Boden fllt, es
+ist noch nichts gegen die Blindheit dessen, der sein Leben im Grbeln
+ber das Gesetz der Schwere verbringt, ohne den fallenden Apfel zu
+sehen.
+
+Daher lehrt die Ischa-Upanischad:
+
+Wer da wei, da die Erkenntnis des Endlichen und Unendlichen eins
+ist, berschreitet den Abgrund des Todes mit Hilfe der Erkenntnis
+des Endlichen und erringt Unsterblichkeit durch die Erkenntnis des
+Unendlichen.
+
+Das Unendliche und das Endliche sind eins wie Lied und Gesang. Das
+Singen ist das Endliche, das durch bestndiges Streben das Lied, das
+vollkommen ist, hervorbringt. Das schlechthin Unendliche ist wie Musik
+ohne alle bestimmten Tne und daher ohne Sinn.
+
+Das schlechthin Ewige ist Zeitlosigkeit, ein leeres Wort, das nichts
+sagt. Die Wirklichkeit des Ewigen umfat alle Zeiten.
+
+Daher heit es in der Upanischad:
+
+Die geraten ins Dunkel, die nur nach dem Vergnglichen streben. Aber
+die geraten in ein noch tieferes Dunkel, die nur nach dem Ewigen
+streben. Wer da wei, da Vergngliches und Ewiges eins sind, der
+berschreitet den Abgrund des Todes mit Hilfe des Vergnglichen und
+gewinnt Unsterblichkeit mit Hilfe des Ewigen.
+
+Wir haben gesehen, da die Formen der Dinge in ihrem mannigfaltigen
+Wechsel keine absolute Wirklichkeit haben. Ihre Wirklichkeit ist nur
+in unsrer Persnlichkeit. Wir haben gesehen, da ein Berg oder ein
+Wasserfall etwas ganz anderes oder auch nichts mehr fr uns sein wrde,
+wenn unser Geist seine Einstellung in bezug auf Zeit und Raum nderte.
+
+Wir haben ebenfalls gesehen, da diese relative Welt keine Welt der
+Willkr ist. Sie ist persnlich und allgemein zugleich. Meine Welt ist
+meine eigene, eine Welt meines Geistes, und doch ist sie nicht etwas
+ganz anderes als die Welt der andern. Sie hat also ihre Wirklichkeit
+nicht in meinem Einzel-Ich, sondern in einem unendlichen Ich.
+
+Wenn wir das Naturgesetz an die Stelle dieser Wirklichkeit setzen, so
+lst sich die ganze Welt in Abstraktionen auf; dann besteht sie nur
+noch aus Elementen und Krften, Ionen und Elektronen; sie verliert ihre
+uere Erscheinung, man sieht und sprt sie nicht mehr; das Welt-Drama
+mit der Sprache der Schnheit verstummt, die Musik schweigt, die Bhne
+steht im Dunkel da wie ihr eigenes Gespenst, ein wesenloser Schatten,
+dem der Zuschauer fehlt.
+
+Hier mchte ich wieder den Dichterpropheten Walt Whitman reden lassen:
+
+ Als ich den gelehrten Astronomen hrte,
+ Als seine Zahlen und Beweise in langen Reihen mich anstarrten,
+ Als ich die Sternkarten und Zeichnungen nun selbst vergleichen und
+ messen sollte,
+ Als ich dasa im Hrsaal und den Astronomen
+ Mit groem Beifall seinen Vortrag halten hrte,
+ Wie ward mir da so seltsam mde und elend zumute!
+ Bis ich mich hinausschlich und einsam meines Weges ging,
+ Hinaus in das geheimnisvolle Dunkel der feuchten Nacht,
+ Und nur von Zeit zu Zeit einen stillen Blick
+ Nach oben sandte zu den Sternen.
+
+Die Prosodie der Sterne, ihre rhythmische Bewegung, lt sich durch
+Zeichnungen an der Wandtafel darstellen, aber die Poesie der Sterne
+liegt in der schweigenden Begegnung der Seele mit der Seele, beim
+Zusammenflu von Licht und Dunkel, wo das Unendliche die Stirn des
+Endlichen kt, wo wir die Musik des groen Welt-Ich von dem gewaltigen
+Orgelwerk der Schpfung in endloser Harmonie erbrausen hren.
+
+Es ist vollkommen klar, da die Welt Bewegung ist. (Das Sanskritwort
+fr Welt bedeutet die sich Bewegende.) All ihre Formen sind
+vergnglich, aber das ist nur ihre negative Seite. Durch all ihre
+Wandlungen geht eine Kette von Verwandtschaft, die ewig ist. Es ist
+wie in einem Geschichtenbuch, ein Satz folgt auf den andern, aber
+das positive Element des Buches ist der Zusammenhang der Stze in
+der Geschichte. Dieser Zusammenhang offenbart, da in dem Verfasser
+ein persnlicher Wille wirksam ist, wodurch eine Harmonie mit der
+Persnlichkeit des Lesers hergestellt wird. Wenn das Buch eine Sammlung
+losgelster Worte ohne Bewegung und Sinn wre, so knnten wir es mit
+Recht ein Zufallsprodukt nennen, und in diesem Fall wrde es in der
+Persnlichkeit des Lesers keinen Widerhall finden. Ebenso ist auch
+die Welt in all ihren Wandlungen kein flchtiger Schein, der uns
+entgleitet, sondern offenbart uns gerade durch ihre Bewegung etwas, was
+ewig ist.
+
+Zur Offenbarung einer Idee ist Form unbedingt ntig. Aber die Idee,
+die unendlich ist, kann nicht in Formen ihren Ausdruck finden, die
+schlechthin endlich sind. Daher mssen die Formen sich bestndig
+wandeln und bewegen, sie mssen vergehen, um das Unvergngliche zu
+offenbaren. Der Ausdruck als Ausdruck mu bestimmt sein, und das kann
+er nur in der Form; aber als Ausdruck des Unendlichen mu er zugleich
+unbestimmt sein, und das kann er nur in der Bewegung. Daher geht die
+Welt in allen ihren Gestalten immer ber diese hinaus, sie zerbricht
+immer wieder achtlos ihre eigenen Formen, um zu sagen, da sie ihren
+ganzen Sinn doch nie fassen knnen.
+
+Der Moralist schttelt traurig den Kopf und sagt, da die Welt eitel
+ist. Aber diese Eitelkeit ist nicht Leere, nein, diese Eitelkeit
+selbst schliet Wahrheit in sich. Wenn die Welt stillstnde und
+damit endgltig wrde, dann wrde sie zu einem Gefngnis verwaister
+Tatsachen, die die Freiheit der Wahrheit verloren htten, der Wahrheit,
+die unendlich ist. Daher hat der moderne Denker darin recht, da in der
+Bewegung der Sinn aller Dinge liegt, weil dieser Sinn nicht gnzlich
+den Dingen selbst innewohnt, sondern dem, worauf sie hindeuten, wenn
+sie ber ihre Grenzen hinauswachsen. Dies meint die Ischa-Upanischad,
+wenn sie sagt, da weder das Vergngliche, noch das Ewige fr sich
+einen Sinn hat. Erst wenn wir sie im Einklang miteinander erkennen,
+gelangen wir ber das Vergngliche hinaus und erfassen das Ewige.
+
+Weil diese Welt die Welt unendlicher Persnlichkeit ist, ist es das
+Ziel unsres Lebens, uns in eine vollkommene und persnliche Beziehung
+zu ihr zu setzen. So lehrt die Ischa-Upanischad. Daher beginnt sie mit
+dem Verse:
+
+Wisse, da alles, was in dieser Welt lebt und webt, von der
+Unendlichkeit Gottes getragen wird, und geniee das, was er dir
+hingibt. Begehre keinen andern Besitz.
+
+Das heit, wir sollen erkennen, da die Bewegungen dieser Welt nicht
+sinnlos und zufllig sind, sondern zu dem Willen eines hchsten Ich in
+Beziehung stehen. Ein bloes Wissen um die Wahrheit ist unvollkommen,
+da es unpersnlich ist. Aber Freude ist persnlich, und der Gott
+meiner Freude ist Bewegung, Handeln, Selbsthingabe. In dieser Hingabe
+hat der Unendliche die Gestalt des Endlichen angenommen und ist daher
+Wirklichkeit geworden, so da ich meine Freude in ihm haben kann.
+
+Im Schmelztiegel unsrer Vernunft verschwindet die Welt der
+Erscheinungen, und wir nennen sie Tuschung. Dies ist die negative
+Seite des Erlebens. Aber unsre Freude ist positiv. Eine Blume ist
+nichts, wenn wir sie zergliedern, aber sie ist in Wahrheit eine Blume,
+wenn wir uns an ihr freuen. Diese Freude ist etwas Wirkliches,
+weil sie etwas Persnliches ist. Und die Wahrheit kann in ihrer
+Vollkommenheit nur durch unsre Persnlichkeit erkannt werden.
+
+Und daher lehrt die Upanischad: Weder Verstand noch Worte knnen ihn
+fassen. Aber wer die Freude Brahmas erkannt hat, fr den gibt es keine
+Furcht mehr.
+
+Das Folgende ist die bersetzung eines andern Verses aus der
+Ischa-Upanischad, der von der passiven und aktiven Natur Brahmas
+handelt:
+
+Er, der Fleckenlose, Krperlose, Unverwundbare, Reine, dem kein bel
+anhaftet, geht in alles ein. Der Dichter, der Beherrscher des Geistes,
+der in allen Gestalten Lebende, aus sich selbst Geborene, spendet den
+endlosen Jahren vollkommene Erfllung.
+
+Die negative Natur Brahmas ist Ruhe, die positive ist Bewegung, die in
+alle Zeiten wirkt. Er ist der Dichter, dessen Instrument die Seele ist,
+er offenbart sich in Schranken, und diese Offenbarung hat ihren Grund
+nicht in irgendeinem uern Zwange, sondern in der berflle seiner
+Freude. Daher ist er es, der durch endlose Zeiten all unser Verlangen
+stillen kann, indem er sich selbst hingibt.
+
+Mit dieser Erkenntnis haben wir auch den Sinn und Zweck unsres Daseins
+gefunden. Bestndige Selbsthingabe ist die Wahrheit unsres Lebens, und
+je vollkommener unsre Selbsthingabe ist, um so vollkommener ist unser
+Leben. Wir mssen dies unser Leben in all seinen Ausdrucksformen zu
+einem Gedicht gestalten; es mu von unsrer Seele zeugen, die unendlich
+ist, und nicht nur von unserm irdischen Besitz, der keinen Sinn in
+sich selbst hat. Das Bewutsein des Unendlichen in uns tut sich in
+der Freude kund, mit der wir uns aus der Flle unsres berflusses
+hingeben. Dann ist unser Leben ein unaufhrliches, selbstentsagendes
+Sichausstrmen wie das Leben des Flusses.
+
+Lat uns leben. Lat uns die wahre Lebensfreude kosten, die Freude des
+Dichters, dessen Seele sich in sein Gedicht ergiet. Lat uns unser
+unvergngliches Wesen in allen Dingen um uns her zum Ausdruck bringen,
+in der Arbeit, die wir tun, in den Dingen, die wir gebrauchen, in
+den Menschen, mit denen wir zu tun haben, in unsrer Freude an der
+Welt, die uns umgibt. Lat unsre Seele alles um uns her mit ihrem
+Wesen fllen und in allen Dingen Gestalt werden und ihren Reichtum
+offenbaren, indem sie das hervorbringt, was der Menschheit ewig
+Bedrfnis ist. Dies unser Leben ist mit den Gaben des unendlichen
+Gebers angefllt. Die Sterne singen ihm ihr Lied, der Morgen berstrmt
+es tglich mit segnendem Licht, die Frchte bieten ihm ihre Se dar,
+und die Erde breitet ihren Grasteppich aus, damit es darauf ruhe. So
+lat seine Seele bei dieser Berhrung der unendlichen Seele in den
+vollen Strom ihrer Musik ausbrechen.
+
+Daher sagt der Dichter der Ischa-Upanischad:
+
+Wenn du in dieser Welt schaffst und wirkst, so solltest du wnschen,
+hundert Jahre zu leben. So und nicht anders soll dein Wirken sein. La
+nicht dein Werk an dir haften.
+
+Nur wenn wir unser Leben voll leben, knnen wir darber hinauswachsen.
+Wenn die Lebenszeit der Frucht erfllt ist, die Zeit, wo sie im Winde
+tanzend und in der Sonne reifend den Saft aus dem Zweige sog, dann
+fhlt sie in ihrem Kern den Ruf des Jenseits und bereitet sich zu
+einem weiteren Leben. Aber die Weisheit des Lebens besteht in dem,
+was uns die Kraft gibt, es aufzugeben. Denn der Tod ist das Tor zur
+Unsterblichkeit. Daher heit es: Tu deine Arbeit, aber la nicht deine
+Arbeit dich festhalten. Denn die Arbeit ist nur Ausdruck deines Lebens,
+solange sie mit seinem Strom fliet; doch wenn sie sich festklammert,
+wird sie zum Hemmnis und zeugt nicht von deinem Leben, sondern nur
+von sich selbst. Dann ist sie wie der Sand, den der Flu mitfhrt:
+sie hemmt den Strom deiner Seele. Die Ttigkeit der Glieder gehrt
+zur Natur des physischen Lebens, doch wenn die Glieder sich im Krampf
+bewegen, so sind die Bewegungen nicht in Harmonie mit dem Leben,
+sondern eine Krankheit, wie eine Arbeit, die einen Menschen umklammert
+und seine Seele erdrosselt.
+
+Nein, wir drfen unsre Seele nicht tten. Wir drfen nicht vergessen,
+da unser Leben das Ewige in uns zum Ausdruck bringen soll. Wenn wir
+unser Bewutsein des Unendlichen entweder durch Trgheit verkmmern
+lassen oder durch leidenschaftliches Jagen nach vergnglichen
+und nichtigen Dingen ersticken, so sinken wir ins Ur-Dunkel des
+Gestaltlosen zurck wie die Frucht, deren Same tot ist. Das Leben ist
+unaufhrliche Schpfung, es findet seinen Sinn, wenn es ber sich
+hinaus ins Unendliche wchst. Doch wenn es stillsteht und Schtze
+aufhuft und immer wieder zu sich selbst zurckkehrt, wenn es den
+Ausblick auf das Jenseits verloren hat, so mu es sterben. Dann wird es
+aus der Welt des Wachstums ausgestoen und zerfllt mit all seiner Habe
+in Staub. Von solchem Leben heit es in der Ischa-Upanischad: Die ihre
+Seele tten, gehen dahin ins Dunkel der sonnenlosen Welt.
+
+Auf die Frage: Was ist die Seele? gibt die Ischa-Upanischad folgende
+Antwort:
+
+Sie ist das Eine, das, obgleich bewegungslos, schneller ist als der
+Gedanke; die Sinne knnen es nicht erreichen; whrend es stillsteht,
+berholt es die, die dahineilen; in ihm sind die flieenden Krfte des
+Lebens enthalten.
+
+Der Geist hat seine Schranken, die Sinnesorgane sind jedes fr sich
+mit seinen Aufgaben beschftigt, aber es ist ein Prinzip der Einheit
+in uns, das ber die Gedanken des Geistes und ber die Funktionen der
+Krperorgane hinausgeht, das in seinem gegenwrtigen Augenblick eine
+ganze Ewigkeit umfat, whrend durch seine Gegenwart der Lebenstrieb
+die Lebenskrfte immer weiterdrngt. Weil wir dies Eine in uns fhlen,
+das mehr ist als alles, was von ihm umfat wird, das im bestndigen
+Wandel seiner Teile sich gleich bleibt, knnen wir nicht glauben, da
+es sterben kann. Weil es eins ist, weil es mehr ist als seine Teile,
+weil es ein bestndiges berleben, ein bestndiges berflieen ist,
+fhlen wir, da es jenseits der Schranken des Todes ist.
+
+Dies Bewutsein der Einheit und Ganzheit ber alle Schranken
+hinaus ist das Bewutsein der Seele. Und von dieser Seele sagt die
+Ischa-Upanischad: Sie bewegt sich, und sie bewegt sich nicht. Sie ist
+fern, und sie ist nah. Sie ist in allem, und sie ist auerhalb von
+allem.
+
+Dies heit, die Seele erkennen als jenseits aller Schranken des Nahen
+und Fernen, des Innen und Auen. Ich habe dies Wunder aller Wunder
+erkannt, dies Eine in mir, das das Zentrum alles wahren Seins fr mich
+ist. Aber ich kann mit meiner Erkenntnis hier nicht stehenbleiben. Ich
+kann nicht sagen, da es ber alle Grenzen hinausgeht und doch von mir
+selbst begrenzt wird. Daher heit es in der Ischa-Upanischad:
+
+Wer alle Dinge in der Seele und die Seele in allen Dingen sieht, der
+braucht sich nicht mehr zu verbergen.
+
+Wir sind in uns selbst verborgen, wie eine Wahrheit in den einzelnen
+Tatsachen verborgen ist. Wenn wir wissen, da dies Eine in uns zugleich
+das Eine in allen ist, dann erst haben wir die letzte Wahrheit erkannt.
+
+Aber diese Erkenntnis von der Einheit der Seele darf kein bloes
+abstraktes Wissen sein. Nicht jene negative Art des Universalismus,
+die weder sich selbst noch andern angehrt. Nicht eine abstrakte
+Seele, sondern meine eigene Seele mu ich in andern erkennen. Ich mu
+erkennen, da, wenn meine Seele ausschlielich mein wre, sie noch
+nicht zu ihrem wahren Wesen gelangt wre, da aber wiederum, wenn sie
+nicht zuinnerst mein wre, sie berhaupt keine Wirklichkeit htte.
+
+Auf dem Wege der Logik wren wir niemals zu der Wahrheit gelangt, da
+die Seele, die das Prinzip der Einheit in uns ist, in der Vereinigung
+mit andern ihre Vollendung findet. Wir haben diese Wahrheit durch die
+Freude, die sie gibt, erkannt. Denn unsre Freude ist, uns in andern
+wiederzufinden. Wenn ich liebe, mit andern Worten, wenn ich mein
+eigenes Wesen wahrer und reiner in andern erkenne als in mir selber,
+dann bin ich froh, denn das Eine in mir kommt zu seiner Verwirklichung,
+indem es sich mit andern vereint, und darin hat es seine Freude.
+
+Daher braucht das Prinzip der Einheit in Gott die Vielen, um die
+Einheit zu verwirklichen. Gott gibt sich in Liebe allen hin. Die
+Ischa-Upanischad sagt: Du sollst genieen, was Gott hingibt. Er gibt
+bestndig hin, und ich bin voll Freude, wenn ich fhle, da er sich
+selbst hingibt. Denn diese meine Freude ist die Freude der Liebe, die
+aus meiner Selbsthingabe an ihn entspringt.
+
+Da, wo die Upanischad uns ermahnt, diese Hingabe Gottes zu genieen,
+fhrt sie fort: La dich nicht gelsten nach dem Besitz anderer.
+Denn die Begierde hemmt die Liebe. Sie geht in einer der Wahrheit
+entgegengesetzten Richtung und gelangt zu der Tuschung, da unser Ich
+unser letztes Ziel sei.
+
+Daher hat die Verwirklichung unsrer Seele eine sittliche und
+eine religise Seite. Das Sittliche besteht in der bung der
+Selbstlosigkeit, in der Zgelung der Begierden; das Religise in
+Mitgefhl und Liebe. Beide Seiten sollten nie getrennt, sondern immer
+vereint gebt werden. Die Entwicklung der rein sittlichen Seite
+unsrer Natur fhrt uns zu Engherzigkeit und Hrte, zu Intoleranz und
+Pharisertum; die einseitige Entwicklung des Religisen fhrt uns zum
+Schwelgen im ungezgelten Spiel der Phantasie.
+
+Indem wir dem Dichter der Upanischad soweit gefolgt sind, haben wir
+den Sinn alles wahren Seins gefunden: Die Endlichkeit ist die Form,
+in der sich der Unendliche hingibt. Die Welt ist der Ausdruck einer
+Persnlichkeit, ebenso wie ein Gedicht oder ein anderes Kunstwerk.
+Der Hchste gibt sich selbst in seiner Welt und ich mache sie zu der
+meinen, wie ich mir ein Gedicht zu eigen mache, indem ich mich selbst
+darin wiederfinde. Wenn meine eigene Persnlichkeit das Zentrum meiner
+Welt verlt, so verliert diese in einem Augenblick ihr ganzes Wesen.
+Daraus erkenne ich, da meine Welt nur in Beziehung zu mir existiert,
+und ich wei, da sie meinem persnlichen Ich durch ein persnliches
+Wesen gegeben ist. Die Naturwissenschaft kann wohl ihre Feststellungen
+darber machen, wie dieses Geben vor sich geht, aber die Gabe selbst
+erfat sie nicht. Denn die Gabe ist die Seele, die sich der Seele
+schenkt, daher kann nur die Seele sie sich durch Freude zu eigen
+machen, aber nicht die Vernunft durch Logik.
+
+Daher ist es immer das sehnlichste Verlangen des Menschen gewesen,
+den Hchsten zu erkennen. Vom Anfang seiner Geschichte an hat der
+Mensch in der ganzen Schpfung die Berhrung eines persnlichen Wesens
+gesprt und versucht, ihm Namen und Gestalt zu geben; er hat sein
+Leben und das Leben seines Geschlechts mit Sagen von ihm umwoben, ihm
+Altre gebaut und durch unzhlige heilige Bruche Beziehung zu ihm
+hergestellt. Dies Ahnen und Fhlen eines persnlichen Wesens hat dem
+zentrifugalen Triebe im Menschenherzen den Impuls gegeben, in einem
+unerschpflichen Strom von Gegenwirkung hervorzubrechen in Liedern und
+Bildern und Gedichten, in Statuen und Tempeln und Festlichkeiten. Dies
+Gefhl war die Zentripetalkraft, die die Menschen bewog, sich in Haufen
+und Stmmen und Gemeindeorganisationen zusammenzuschlieen. Und whrend
+der Mensch seinen Acker pflgt und seine Kleider webt, heiratet und
+Kinder aufzieht, sich um Reichtum abmht und um Macht kmpft, vergit
+er nicht, in Worten von feierlichem Rhythmus, in geheimnisvollen
+Symbolen, in majesttischen Steinbauten zu verknden, da er im Herzen
+seiner Welt dem Unsterblichen begegnet ist. Im Leid des Todes und im
+Schmerz der Verzweiflung, wenn das Vertrauen verraten und die Liebe
+entweiht wurde, wenn das Dasein fade und sinnlos wird, streckt der
+Mensch, auf den Trmmern seiner Hoffnungen stehend, die Hnde zum
+Himmel, um durch das Dunkel seiner Welt hindurch die Berhrung dieses
+Einen zu spren.
+
+Der Mensch hat die Beziehung seines Ichs zu diesem Welt-Ich auch
+unmittelbar erfahren, unmittelbar, nicht durch die Welt der Formen
+und Wandlungen, die Welt der Ausdehnung in Raum und Zeit, sondern in
+der innersten Einsamkeit des Bewutseins, in der Welt der Tiefe und
+Intensitt. Durch diese Begegnung hat er die Schpfung einer neuen Welt
+gefhlt, einer Welt von Licht und Liebe, die keine Sprache hat als die
+Musik des Schweigens.
+
+Von dieser Welt hat der Dichter[8] gesungen:
+
+ Es gibt eine endlose Welt, o mein Bruder,
+ Und ein namenloses Wesen, von dem nichts gesagt werden kann.
+ Nur der, der ihre Ufer erreicht hat, wei:
+ Sie ist anders als alles, wovon man hrt und sagt.
+ Da ist nicht Form, nicht Stoff, nicht Lnge, nicht Breite,
+ Wie kann ich dir sagen, welcher Art sie ist?
+ Kabir sagt: Keine Zunge kann sie mit Worten schildern, und keine
+ Feder kann sie beschreiben.
+ Wie soll der Stumme auch klar machen, welche Se er gekostet hat?
+
+Nein, es kann nicht geschildert, es mu erlebt werden; und wenn dem
+Menschen dies Erlebnis zuteil geworden ist, singt er[9]:
+
+ Das Innen und das Auen sind zu #einem# Himmel vereint,
+ Das Unendliche und Endliche sind eins geworden;
+ Ich bin trunken vom Anblick des Alls.
+
+Der Dichter hat das wahre Sein erlangt, das unaussprechlich ist, wo
+alle Widersprche sich in Harmonie gelst haben. Denn dies wahre
+Sein, die letzte Wirklichkeit, liegt in der Persnlichkeit, nicht
+in Gesetz und Stoff. Und der Mensch mu fhlen: wenn dies Weltall
+nicht die Offenbarung einer hchsten Persnlichkeit wre, so wre
+es ein ungeheurer Betrug und eine bestndige Schmach fr ihn. Er mu
+wissen, da unter einer solch ungeheuren Last von Fremdheit seine
+eigene Persnlichkeit gleich am Anfang zermalmt und zu einer leeren
+Abstraktion geworden wre, fr die selbst die Grundlage eines Geistes
+fehlte, der sie htte konzipieren knnen.
+
+Der Dichter der Upanischad bricht am Ende seiner Lehren pltzlich in
+ein Lied aus, das in seiner tiefen Schlichtheit das lyrische Schweigen
+der weiten Erde in sich trgt, wenn sie die Morgensonne anschaut. Er
+singt:
+
+In dem goldnen Gef verbirgt sich das Antlitz der Wahrheit. O du
+Spender des Lebens, decke es auf, da wir das Gesetz der Wahrheit
+erkennen. O du Spender des Lebens, der du aus eigener Kraft wirkst
+und schaffst, der du die Schpfung lenkst, du Herr aller Kreaturen,
+breite aus deine Strahlen, sammle all dein Licht, la mich in dir das
+heiligste aller Wesen schauen, -- den Einen, der da ist, der da ist,
+das wahre Ich[10].
+
+Und am Schlu singt dieser Dichter der unsterblichen Persnlichkeit vom
+Tode:
+
+Der Lebensodem ist der Odem der Unsterblichkeit. Der Leib wird zu
+Asche. O mein Wille[11], gedenke deiner Taten! O mein Wille, gedenke
+deiner Taten! O Gott, o Feuer, du kennst alle Taten. Fhre uns auf
+guten Wegen zur Vollendung. Halte die Snde von uns fern, die krumme
+Wege wandelt. Dir bieten wir unsern Gru.
+
+Hiermit endet der Dichter der Upanischad, der vom Leben zum Tode und
+vom Tode wieder zum Leben gepilgert ist; der die Khnheit gehabt hat,
+in Brahma das unendliche Sein und das endliche Werden zugleich zu
+sehen; der verkndet, da wahres Leben Arbeit bedeutet, Arbeit, in der
+sich die Seele ausdrckt; der uns lehrt, da unsre Seele ihr wahres
+Wesen in dem hchsten Wesen findet, indem sie sich selbst aufgibt und
+eins mit dem All wird.
+
+Die tiefe Wahrheit, die der Dichter der Upanischad verkndet, ist die
+Wahrheit des einfltigen Herzens, das das geheimnisvolle Leben mit
+tiefer Liebe liebt und nicht an die Endgltigkeit jener Logik glauben
+kann, die mit ihrer zersetzenden Methode das Weltall an den Rand der
+Auflsung bringt.
+
+Erschien mir nicht das Licht der Sonne heller, der Glanz des Mondes
+weicher und tiefer, wenn mein Herz in pltzlicher Liebe aufwallte
+in der Gewiheit, da die Welt eins ist mit meiner Seele? Wenn ich
+die heraufziehenden Wolken besang, so fand der prasselnde Regen
+seinen leidenschaftlichen Ausdruck in meinen Liedern. Vom Anfang der
+Geschichte an haben die Dichter und Knstler dieses Dasein mit den
+Farben und der Musik ihrer Seele getrnkt. Und dies gibt mir die
+Gewiheit, da Erde und Himmel aus den Fibern des Menschengeistes, der
+zugleich der Allgeist ist, gewoben sind. Wenn dies nicht wahr wre,
+so wre Poesie Lge und Musik Tuschung, und die stumme Welt wrde
+des Menschen Herz fr immer in Schweigen erstarren machen. Der groe
+Meister spielt die Flte: der Atem ist sein, das Instrument ist unsre
+Seele, durch die er seine Schpfungslieder ertnen lt; und daher
+wei ich, da ich kein bloer Fremdling bin, der auf der Reise seines
+Daseins in der Herberge dieser Erde Rast macht, sondern ich lebe in
+einer Welt, deren Leben mit dem meinen eng verknpft ist. Der Dichter
+wute, da das Sein dieser Welt ein persnliches Sein ist, und sang[12]:
+
+ Die Erde ist seine Freude, seine Freude ist der Himmel;
+ Seine Freude ist der Glanz von Sonne und Mond;
+ Seine Freude ist der Anfang, die Mitte und das Ende;
+ Seine Freude ist das Schauen, das Dunkel und das Licht.
+ Ozean und Wogen sind seine Freude;
+ Seine Freude ist die Sarasvati, die Jamuna und der Ganges.
+ Er ist der All-Eine: und Leben und Tod,
+ Vereinigung und Trennung sind Spiele seiner Freude.
+
+
+
+
+DIE WIEDERGEBURT
+
+
+Fr uns ist die leblose Natur die Seite des Daseins, die wir nur von
+auen sehen. Wir wissen nur, wie sie uns erscheint, aber wir wissen
+nicht, was sie in Wahrheit ist. Dies knnen wir nur durch die Liebe
+erfassen.
+
+Aber da hebt sich der Vorhang, das Leben erscheint auf der Bhne, das
+Drama beginnt und wir verstehen seinen Sinn an den Gebrden und der
+Sprache, die den unsern gleich sind. Wir erkennen das Leben, nicht
+an seinen ueren Zgen, nicht durch Zerlegung in seine einzelnen
+Teile, sondern durch die unmittelbare Wahrnehmung, die auf innerer
+Verwandtschaft beruht. Und dies ist wirkliche Erkenntnis.
+
+Wir sehen einen Baum. Er ist durch die Tatsache seines individuellen
+Lebens von seiner Umgebung abgesondert. Sein ganzes Streben geht dahin,
+diese Besonderheit seiner schpferischen Individualitt gegenber dem
+ganzen Weltall aufrecht zu erhalten. Sein Leben grndet sich auf einen
+Dualismus -- auf der einen Seite diese Individualitt des Baumes, und
+auf der andern das Weltall.
+
+Aber wenn dieser Dualismus in sich Feindschaft und gegenseitige
+Ausschlieung bedeutete, so gbe es fr den Baum keine Mglichkeit,
+sein Dasein zu behaupten; er wrde von der vereinten Gewalt
+dieser ungeheuren Krfte in Stcke gerissen werden. Jedoch dieser
+Dualismus bedeutet Verwandtschaft. Je vollkommener die Harmonie
+des Baumes mit der Auenwelt, mit Sonne, Erdboden und Jahreszeiten
+ist, je vollkommener entwickelt sich seine Individualitt. Es wird
+verhngnisvoll fr ihn, wenn diese gegenseitige Beziehung gestrt wird.
+Daher mu das Leben an seinem negativen Pol die Abgesondertheit von
+allem andern aufrecht halten, whrend es an seinem positiven Pol die
+Einheit mit dem Weltall wahrt. In dieser Einheit liegt seine Erfllung.
+
+Im Leben eines Tieres ist auf der negativen Seite das Element der
+Abgesondertheit noch entschiedener, und deswegen ist auf der positiven
+Seite die Beziehung zur Welt viel weiter ausgedehnt. Das Tier ist von
+seiner Nahrung viel mehr abgetrennt als der Baum. Es mu sie suchen
+und kennenlernen, getrieben von Lust und Schmerz. Daher steht sie in
+engerer Beziehung zu seiner Erkenntnis- und Gefhlswelt. Dasselbe gilt
+in bezug auf die Trennung der Geschlechter. Diese Trennung und das
+daraus folgende Streben nach Vereinigung bewirken ein gesteigertes
+Lebensgefhl und Ichbewutsein bei den Tieren und bereichern ihre
+Persnlichkeit durch die Begegnung mit unvorhergesehenen Hindernissen
+und unerwarteten Mglichkeiten. Bei den Bumen wird die Trennung von
+ihrer Nachkommenschaft jedesmal zu einer endgltigen, whrend bei den
+Tieren die Beziehung bestehen bleibt. So gewinnt das Lebensinteresse
+der Tiere durch diese Trennungen noch an Weite und Intensitt und
+ihr Bewutsein umfat ein viel greres Gebiet. Dies weitere Reich
+ihrer Individualitt mssen sie bestndig durch die mannigfachen
+Beziehungen zu ihrer Welt behaupten. Jede Hemmung dieser Beziehungen
+ist verhngnisvoll.
+
+Beim Menschen ist dieser Dualismus des physischen Lebens noch
+mannigfaltiger. Seine Bedrfnisse sind nicht nur grer an Zahl und
+erfordern daher ein weiteres Feld fr ihre Befriedigung, sondern sie
+sind auch komplizierter und verlangen eine tiefere Kenntnis der Dinge.
+Dies gibt ihm ein strkeres Bewutsein seiner selbst. Sein Geist tritt
+an Stelle der Triebe und Instinkte, die die Bewegungen und Ttigkeiten
+der Bume und Tiere leiten. Dieser Geist hat auch seine negative und
+positive Seite der Absonderung und der Einheit. Denn einerseits trennt
+er die Gegenstnde seiner Erkenntnis von dem Erkennenden ab, dann aber
+lt er beide durch die Erkenntnis eins werden. Zu der Beziehung von
+Hunger und Liebe, auf die sich das physische Leben grndet, tritt in
+zweiter Reihe die geistige Beziehung. So machen wir uns diese Welt auf
+doppelte Weise zu eigen, indem wir in ihr leben und sie erkennen.
+
+Aber es gibt noch einen andern Dualismus im Menschen, der sich nicht
+aus der Art seines physischen Lebens erklren lt. Es ist der
+Zwiespalt in seinem Bewutsein zwischen dem, was ist, und dem, was
+sein sollte. Das Tier kennt diesen Zwiespalt nicht; bei ihm besteht der
+Widerstreit zwischen dem, was es hat, und dem, was es begehrt, whrend
+er beim Menschen zwischen dem, was er begehrt, und dem, was er begehren
+sollte, besteht. Unsre Begierden entspringen unserm natrlichen Leben,
+das wir mit den Tieren teilen, aber das, was wir begehren sollten,
+gehrt einem Leben an, das weit darber hinausgeht.
+
+So hat im Menschen eine Wiedergeburt stattgefunden. Wenn er auch noch
+sehr viele Gewohnheiten und Triebe seines Tierlebens beibehalten hat,
+so liegt doch sein wahres Leben in der Sphre dessen, was sein sollte.
+Durch diese Tatsache wird eine Verbindung, aber auch zugleich ein
+Widerstreit geschaffen. Viele Dinge, die gut fr das eine Leben sind,
+sind schdlich fr das andere. Daraus entsteht die Notwendigkeit eines
+innern Kampfes, der in des Menschen Persnlichkeit das hineinbringt,
+was man Charakter nennt. Aus dem Triebleben fhrt er den Menschen zum
+Zweckleben. Dies ist das Leben der sittlichen Welt.
+
+Hier gelangen wir aus der Welt der Natur in die des Menschentums.
+Wir leben und wirken und haben unser Sein im Allgemeinmenschlichen.
+Das Menschenkind wird in zwei Welten zugleich hineingeboren, in die
+Welt der Natur und in die Menschenwelt. Diese letztere ist eine
+Welt von Ideen und Einrichtungen, von Erkenntnisschtzen und durch
+Erziehung erlangten Gewohnheiten. Sie ist durch rastloses Streben von
+Jahrtausenden, durch Mrtyrerleiden heldenhafter Menschen erbaut. Ihre
+verschiedenen Schichten sind Niederschlge von Entsagungen zahlloser
+Einzelwesen aller Zeitalter und Lnder. Sie hat ihre guten und bsen
+Elemente, denn die Ungleichheiten ihrer Oberflche und Temperatur
+machen den Flu des Lebens reich an berraschungen.
+
+Dies ist die Welt der Wiedergeburt des Menschen, die auernatrliche
+Welt, wo der Dualismus des Tierlebens und der Sittlichkeit uns unsrer
+Persnlichkeit als Mensch bewut macht. Alles, was dies Menschenleben
+daran hindert, die Beziehung zu seiner sittlichen Welt vollkommen zu
+machen, ist vom bel. Es bedeutet Tod, einen viel schlimmeren Tod als
+den Tod des natrlichen Lebens.
+
+In der Welt der Natur wandelt der Mensch mit Hilfe der Wissenschaft die
+Tyrannei der Naturkrfte in Gehorsam.
+
+Aber in seiner sittlichen Welt hat er eine schwerere Aufgabe zu
+erfllen. Er hat die Tyrannei seiner eigenen Leidenschaften und
+Begierden in Gehorsam zu wandeln. Und in allen Zeiten und Lndern
+ist dies das Ziel menschlichen Strebens gewesen. Fast alle unsre
+Institutionen sind das Resultat dieses Strebens. Sie geben unserm
+Willen die Richtung und graben ihm Kanle, damit er ungehindert und
+ohne unntzen Kraftverlust seinen Lauf nehmen kann.
+
+Wir haben gesehen, da das physische Leben allmhlich in das
+geistige hineinwuchs. Die geistigen Fhigkeiten der Tiere sind
+vollkommen in Anspruch genommen von der Sorge fr ihre unmittelbaren
+Lebensbedrfnisse. Diese Bedrfnisse sind beim Menschen mannigfaltiger,
+und daher bedarf er grerer geistiger Fhigkeiten. So kam er zu der
+Erkenntnis, da die Welt seiner unmittelbaren Bedrfnisse eins ist mit
+einer Welt, die weit ber seine unmittelbaren Bedrfnisse hinausgeht.
+Er erkannte, da diese Welt nicht nur seinen Leib mit Nahrung versieht,
+sondern auch seinen Geist; da er durch seinen Geist auf unsichtbare
+Weise mit allen Dingen verbunden ist.
+
+Was der Intellekt in der Welt der Natur ist, das ist der Wille in der
+sittlichen Welt. Je freier und weiter er wird, desto wahrer, weiter und
+mannigfacher werden auch unsre sittlichen Beziehungen. Seine uere
+Freiheit ist die Unabhngigkeit von Lust- und Schmerzempfindungen,
+seine innere Freiheit ist die Befreiung aus der Enge der Selbstsucht.
+Wir wissen, da, wenn der Intellekt von den Banden des Eigennutzes
+befreit ist, er die Welt der allgemeinen Vernunft erkennt, mit der
+er in Harmonie sein mu, um seine Bedrfnisse ganz befriedigen zu
+knnen; ebenso erkennt auch der Wille, wenn er aus seinen Schranken
+befreit ist, wenn er gut wird, d. h. wenn er alle Menschen und alle
+Zeiten umfat, eine Welt, die ber die sittliche Welt der Menschheit
+hinausgeht. Er entdeckt eine Welt, wo alle Lehren unsres sittlichen
+Lebens ihre letzte Wahrheit finden, und unser Geist erhebt sich zu dem
+Gedanken, da es ein unendliches Medium der Wahrheit gibt, durch das
+das Gute seinen Sinn erhlt. Da ich mehr werde durch die Vereinigung
+mit andern, ist keine bloe mathematische Tatsache. Wir haben erkannt,
+wenn verschiedene Menschen sich in Liebe, die das Band vollkommener
+Einheit ist, zusammenschlieen, so wird nicht einfach Kraft zu Kraft
+gefgt, sondern das, was unvollkommen war, findet seine Vollendung
+in der Wahrheit und daher in der Freude; was sinnlos war, solange es
+isoliert war, findet seinen vollen Sinn in der Vereinigung. Diese
+Vollendung ist nicht etwas, was sich messen oder analysieren lt,
+sie ist ein Ganzes, das ber die Summe seiner Teile hinausgeht. Sie
+erffnet uns das tiefste Geheimnis aller Dinge, das zugleich jenseits
+aller Dinge liegt, wie die Schnheit einer Blume weit mehr ist als ihre
+botanischen Tatsachen; wie der Sinn der Menschheit selbst sich nicht im
+bloen Herdenleben erschpft.
+
+Diese Vollendung in der Liebe, die vollkommene Einheit ist, ffnet uns
+das Tor der Welt des Unendlichen, der sich in der Einheit aller Wesen
+offenbart; der Verlust, Selbstaufopferung und Tod mit reicherem Gewinn
+und hherem Leben krnt; der durch seine eigene Flle die Leere der
+Entsagung in Flle wandelt. Dies ist der grte Dualismus in uns, der
+Dualismus des Endlichen und Unendlichen. Durch ihn werden wir uns der
+Verwandtschaft bewut zwischen dem, was in uns ist, und dem, was ber
+uns hinausgeht, zwischen dem Gegenwrtigen und Zuknftigen.
+
+Dies Bewutsein dmmerte in uns auf mit unserm physischen Leben,
+wo Trennung und Vereinigung stattfand zwischen unserm Einzelleben
+und der allgemeinen Welt der Dinge; es vertiefte sich in unserm
+geistigen Leben, wo Trennung und Vereinigung stattfand zwischen
+unserm individuellen Geist und der allgemeinen Welt der Vernunft; es
+erweiterte sich, wo Trennung und Vereinigung stattfand zwischen unserm
+Einzelwillen und der allgemeinen Welt der menschlichen Persnlichkeit;
+es fand seinen letzten Sinn in der Trennung und Harmonie unsrer
+Einzelseele mit der All-Seele. Und auf dieser Stufe der ewigen Trennung
+und Wiedervereinigung beider bricht der Mensch aus in das wundervolle
+Lied:
+
+ Dies ist der hchste Pfad,
+ Dies ist der hchste Schatz,
+ Dies ist die hchste Welt,
+ Dies ist die hchste Wonne[13].
+
+Das Leben ist in bestndiger Verbindung mit diesem Hchsten. Die Welt
+der Dinge und Menschen bewegt sich bestndig in mannigfachen Weisen
+nach diesem Rhythmus, doch sie selbst kennt seinen Sinn nicht, bis er
+sich ihr in der vollkommenen Vereinigung mit dem Hchsten offenbart.
+
+So nahe die Beziehung des noch ungeborenen Kindes zum Mutterleibe auch
+ist, so hat sie doch noch nicht ihren letzten Sinn gefunden. Wenn auch
+alle seine Bedrfnisse ihm dort bis ins einzelnste befriedigt werden,
+so bleibt sein grtes Bedrfnis noch ungestillt. Es mu in die Welt
+von Licht und Raum und freiem Handeln hineingeboren werden. Diese Welt
+ist in jeder Hinsicht so gnzlich verschieden von der des Mutterleibes,
+da das ungeborne Kind, wenn es die Fhigkeit zu denken htte, sich nie
+eine Vorstellung von jener weiteren Welt machen knnte. Und doch hat es
+seine Glieder, die erst in der Freiheit von Luft und Licht ihren Sinn
+bekommen.
+
+So hat auch der Mensch in der Welt der Natur alles, was er zur
+Ernhrung seines Ichs braucht. Dort ist sein Ich seine Hauptsorge --
+das Ich, dessen Interesse von dem der andern abgesondert ist. Wie mit
+seinem Ich so ist es auch mit den Dingen seiner Welt; sie haben fr ihn
+keine andere Bedeutung als die des Nutzens. Aber es entwickeln sich
+Fhigkeiten in ihm wie die Glieder beim ungeborenen Kinde, die ihm die
+Kraft geben, die Einheit der Welt zu erkennen -- die Einheit, die der
+Seele und nicht den Dingen eigen ist. Er hat im Schnheitssinn und in
+der Liebe die Fhigkeit, an andern mehr Freude zu finden als an sich
+selbst. Die Fhigkeit, die ihn irdische Freuden verschmhen und Schmerz
+und Tod auf sich nehmen lt, treibt ihn, unaufhaltsam vorwrts zu
+streben und fhrt ihn zu Erkenntnissen und Taten, die scheinbar keinen
+Nutzen fr ihn haben. Dies fhrt zum Widerstreit mit den Gesetzen der
+Welt der Natur, und das Prinzip der Auslese der Tauglichsten ndert
+seinen Sinn.
+
+Und damit kommen wir zu dem Dualismus, durch den der Mensch am
+meisten leidet: dem Dualismus von Natur und Seele. Das bel, das den
+natrlichen Menschen verletzt, ist der Schmerz, aber das bel, das
+seine Seele verletzt, hat einen besonderen Namen erhalten, es heit
+Snde. Denn wenn es auch durchaus nicht als Schmerz empfunden wird,
+so ist es doch ein bel, ebenso wie Blindheit oder Lahmheit fr den
+Embryo nichts bedeutet, aber nach der Geburt zu einem groen bel wird,
+das den Zweck des Lebens hemmt. Das Verbrechen richtet sich gegen den
+Menschen, die Snde richtet sich gegen das Gttliche in uns.
+
+Was ist dieses Gttliche? Es ist das, was seinen eigentlichen und
+wahren Sinn im Unendlichen hat, was in dem embryonischen Leben des Ichs
+nicht die letzte Wahrheit sieht. Die ganze Geschichte der Menschheit
+ist eine Geschichte von Geburtswehen, eine Geschichte von Leiden, wie
+kein Tier sie je durchzumachen hat. Die Menschheit hat keine Ruhe,
+all ihre Triebkrfte drngen sie vorwrts. Wenn sie sich auf ihrem
+Wohlstand zur Ruhe legt, ihr Leben durch Konventionen einschnrt, ihre
+Ideale zu verhhnen beginnt und all ihre Krfte auf die Vergrerung
+ihres Ichs verwendet, dann beginnt ihr Verfall und Tod; alles, was
+sie an Kraft hat, wirkt nur noch zerstrend, denn sie braucht diese
+Kraft nur, um Zurstungen fr den Tod zu machen, weil sie nicht an
+unsterbliches Leben glaubt.
+
+Fr alle andern Kreaturen ist das natrliche Leben alles. Leben, die
+Gattung fortpflanzen und sterben, das ist ihr Daseinszweck. Und damit
+sind sie zufrieden. Sie rufen nie sehnschtig nach Erlsung, nach
+Befreiung aus den Schranken des Lebens; sie fhlen sich nie eingeengt
+und erstickt und schlagen verzweifelt gegen die Grenzmauern ihrer Welt;
+sie wissen nicht, was es heit, ein Leben des berflusses aufgeben und
+durch Entsagung den Eintritt ins Reich himmlischer Wonne zu gewinnen.
+Sie schmen sich nicht ihrer Begierden und empfinden sie nicht als
+unrein, denn sie gehren zu ihrem vollen Leben. Sie sind nicht grausam
+in ihrer Grausamkeit, nicht gierig in ihrer Gier, denn Grausamkeit
+und Gier reichen nicht weiter als die Gegenstnde derselben, die an
+sich endlich sind. Aber der Mensch hat seine Unendlichkeit, und daher
+verachtet er jene Leidenschaften, die seine Unsterblichkeit nicht
+anerkennen.
+
+Im Menschen hat das Leben des Tiers seinen Bereich geweitet. Er ist
+an die Schwelle einer Welt gekommen, die erst durch seinen eigenen
+Willen und seine eigene Kraft geschaffen werden mu. Er ist ber das
+rezeptive Stadium hinaus, wo das Ich versucht, alles, was es umgibt,
+in sein eigenes Zentrum zu ziehen, ohne selbst etwas zu geben. Jetzt
+beginnt des Menschen schpferisches Leben, wo er von seinem berflu
+spendet. Durch unaufhrliches Entsagen soll er wachsen. Alles was die
+Freiheit dieses endlosen Wachstums hemmt, ist Snde, das bel, das
+seiner Unsterblichkeit entgegenarbeitet. Diese schpferische Kraft
+im Menschen hat sich schon von Anfang seines Lebens an gezeigt. Denn
+selbst sein physischer Bedarf wird ihm in der Kinderstube der Natur
+nicht gebrauchsfertig vorgesetzt. Von seinen ersten Tagen an ist er
+geschftig gewesen, sich aus dem Rohmaterial, das um ihn herumliegt,
+seinen Lebensbedarf zu bereiten. Selbst seine Speisegerichte sind seine
+eigene Schpfung, und im Gegensatz zu den Tieren wird er nackt geboren
+und mu sich seine Kleidung selbst schaffen. Dies beweist, da der
+Mensch aus der Welt der Naturzwecke in die Welt der Freiheit geboren
+ist.
+
+Denn Schaffen bedeutet Freiheit. Wir leben in einem Gefngnis, wenn wir
+in dem leben mssen, was schon da ist, denn es bedeutet in etwas leben,
+was etwas anderes ist als wir selbst. Dort mssen wir ohnmchtig es der
+Natur berlassen, mit uns zu schalten und walten und fr uns zu whlen,
+und so kommen wir unter das Gesetz der natrlichen Auslese. Aber in
+unsrer eigenen Schpfung leben wir in dem, was unser ist, und dort wird
+die Welt mehr und mehr eine Welt unsrer eigenen Auslese; sie bewegt
+sich mit uns im gleichen Schritt und gibt uns Raum, wohin wir uns auch
+wenden. So kommt es, da der Mensch sich nicht mit der ihm gegebenen
+Welt begngt; er strebt danach, sie zu seiner eigenen Welt zu machen.
+Und er legt den ganzen Mechanismus des Weltalls auseinander, um ihn zu
+studieren und wieder nach seinen eigenen Bedrfnissen zusammenzusetzen.
+Er lehnt sich auf gegen den Zwang der Naturgesetze. Sie hemmen bei
+jedem Schritt die Freiheit seines Laufes, und er mu die Tyrannei
+der Materie erdulden, die seine Natur sich strubt als endgltig und
+unvermeidlich anzuerkennen.
+
+Schon in der Zeit seiner Wildheit versuchte er durch Zaubermittel die
+Ordnung der Dinge zu durchbrechen. Er trumte von Aladdins Wunderlampe
+und von mchtigen Geistern, die ihm gehorchen und die Welt auf den
+Kopf stellen muten, wenn es ihm einfiel. Denn sein freier Geist stie
+immer wieder gegen Dinge, die ohne Rcksicht auf ihn eingerichtet
+waren. Er mute sich scheinbar in die ihm aufgezwungene Naturordnung
+fgen oder sterben. Aber im tiefsten Herzen konnte er doch trotz
+der ihn widerlegenden harten Tatsachen nicht daran glauben. Daher
+trumte er von einem Paradiese der Freiheit, vom Mrchenlande, vom
+Heldenzeitalter, wo der Mensch in bestndigem Verkehr mit Gttern
+lebte, vom Stein der Weisen, vom Lebenselixier. Obgleich er nirgends
+das Tor finden konnte, das in die Freiheit fhrte, suchte er doch
+unermdlich tastend danach, er hrmte sich in Sehnsucht ab und betete
+inbrnstig um Befreiung. Denn er fhlte instinktiv, da diese Welt
+nicht seine endgltige Welt ist und da seine Seele nur eine sinnlose
+Qual fr ihn bedeuten wrde, wenn es nicht eine andre Welt fr ihn gbe.
+
+Die Naturwissenschaft hat die Fhrung in der Rebellion des Menschen
+gegen die Herrschaft der Natur. Sie versucht, der Natur den Zauberstab
+der Macht zu entwinden und ihn dem Menschen in die Hand zu geben;
+sie will unsern Geist aus der Sklaverei der Dinge befreien. Die
+Naturwissenschaft hat ein materialistisches Aussehen, weil sie damit
+beschftigt ist, den Kerker der Materie zu zerbrechen, und auf seinem
+Trmmerhaufen arbeitet. Beim Einfall in ein neues Land ist Plnderung
+die Losung des Tages. Doch wenn das Land erobert ist, werden die Dinge
+anders, und die, die eben noch raubten, werden zu Polizisten und
+stellen Frieden und Ordnung wieder her. Die Naturwissenschaft beginnt
+eben erst den Einfall in die materielle Welt, und alles hascht gierig
+nach Beute und verleugnet schamlos die wahre Natur des Menschen. Aber
+die Zeit wird kommen, wo die groen Krfte der Natur jedem Einzelnen
+zu Gebote stehen, und wo mit wenig Kosten und Mhe fr die elementaren
+Lebensbedrfnisse aller gesorgt werden kann. Wo es fr den Menschen
+ebenso leicht sein wird zu leben wie zu atmen und sein Geist frei ist,
+sich seine eigene Welt zu schaffen.
+
+In frheren Zeiten, als die Naturwissenschaft den Schlssel zum
+Vorratshause der Naturkrfte noch nicht gefunden hatte, hatte der
+Mensch doch schon den stoischen Mut, die Materie zu verachten. Er
+sagte, er knne sich ohne Nahrung behelfen und knne auch die Kleidung
+als Schutz gegen Klte entbehren. Er war stolz darauf, seinen Leib
+zu kasteien. Es war ihm eine Lust, offen zu verknden, da er der
+Natur nur sehr wenig von dem Zoll zahlte, den sie von ihm forderte.
+Er bewies, da er die Angst vor Schmerz und Tod, mit deren Hilfe die
+Natur ihn zu knechten suchte, aufs uerste verachtete.
+
+Woher dieser Stolz? Warum hat der Mensch sich von jeher gegen die
+demtigende Zumutung aufgelehnt, seinen Nacken unter physische
+Notwendigkeiten zu beugen? Warum konnte er sich nie damit ausshnen,
+die Beschrnkungen, die die Natur ihm auferlegte, als unbedingt geltend
+hinzunehmen? Warum konnte er in seiner physischen und sittlichen Welt
+die khnsten Unmglichkeiten versuchen, ohne je, trotz wiederholter
+Enttuschungen, eine Niederlage zuzugeben?
+
+Vom Standpunkt der Natur aus betrachtet, ist der Mensch tricht. Er
+traut der Welt, in der er lebt, nicht ganz. Er hat vom Anfang seiner
+Geschichte an Krieg mit ihr gefhrt. Er scheint sich durchaus an allen
+Ecken stoen und verletzen zu wollen. Es ist schwer, sich vorzustellen,
+wie die sorgsame Meisterin der natrlichen Auslese Schlupflcher lassen
+konnte, durch die solche berflssigen und gefhrlichen Elemente in
+ihre Wirtschaft hineingelangen und den Menschen ermutigen konnten,
+dieselbe Welt, die ihn erhlt, zu durchbrechen. Aber das junge Vglein
+benimmt sich genau so unbegreiflich tricht, wenn es die Wand seiner
+kleinen Welt durchbricht. Es hat doch mit der unbeirrbaren Sicherheit
+des Instinkts gefhlt, da jenseits seines lieben Schalenkerkers etwas
+auf ihn wartet, das seinem Dasein Erfllung bringen wird, wie seine
+Phantasie sie nie trumen kann.
+
+So glaubt auch der Mensch fast blindlings seinem Instinkt, da er,
+wie dicht auch die Hlle sein mag, die ihn hier umgibt, doch aus dem
+Mutterschoe der Natur in die Welt des Geistes geboren werden soll,
+in die Welt, wo er seine schpferische Freiheit erlangt, wo er an
+der Schpfung des Unendlichen teilnimmt, wo er im Zusammenwirken mit
+dem Unendlichen schafft, wo seine Schpfung und Gottes Schpfung in
+Harmonie eins werden.
+
+In fast allen Religionssystemen gibt es ein groes Feld des
+Pessimismus, wo das Leben als ein bel und die Welt als Fallstrick
+und Trug angesehen wird, wo der Mensch in der Welt um ihn her seinen
+erbittertsten Feind sieht. Er fhlt den Druck der Dinge so intensiv,
+da er glaubt, es msse ein bser Geist in der Welt sein, der ihn
+versuche und mit arger List ihn ins Verderben zu reien trachte. In
+seiner Verzweiflung beschliet der Mensch dann, sich ganz von der Natur
+abzuwenden und zu beweisen, da er sich selbst gengt.
+
+Aber dies ist der heftige und schmerzhafte Kampf des Kindeslebens gegen
+das Leben der Mutter an der Schwelle seiner Geburt. Er ist grausam und
+zerstrend und sieht in dem Augenblick wie Undank aus. Aller religise
+Pessimismus ist schwrzester Undank, der den Menschen treibt, nach dem
+zu schlagen, was ihn so lange mit seinem eigenen Leben getragen und
+genhrt hat.
+
+Und doch macht uns die Tatsache, da es eine so unmgliche Paradoxie
+gibt, nachdenklich. Wir sind zu Zeiten geneigt, unsre Geschichte
+ganz aus den Augen zu verlieren und zu glauben, solche Anflle von
+Pessimismus seien mit Absicht und berlegung von gewissen Mnchen
+und Priestern hervorgerufen, die in einer Zeit der Gesetzlosigkeit
+unter unnatrlichen Bedingungen lebten. Wir vergessen dabei, da
+Verschwrungen Erzeugnisse der Geschichte sind, aber die Geschichte
+nicht ein Erzeugnis von Verschwrungen. Die menschliche Natur wird
+von innen heraus mit Heftigkeit getrieben, sich selbst den Krieg
+zu erklren. Und wenn diese Heftigkeit auch nachlt, so ist der
+Schlachtruf doch noch nicht ganz verstummt.
+
+Wir mssen wissen, da bergangsperioden ihre Sprache haben, die man
+nicht buchstblich nehmen darf. Wenn die Seele sich zum erstenmal im
+Menschen bemerkbar macht, so betont sie ihren Gegensatz zur Natur mit
+solcher Heftigkeit, als wre sie bereit, einen Vernichtungskrieg gegen
+sie zu beginnen. Aber dies ist die negative Seite. Wenn die Revolution,
+die die Freiheit aufrichten will, ausbricht, hat sie das Aussehen der
+Anarchie. Doch ihr wahrer Sinn ist nicht die Zerstrung der Regierung,
+sondern die Freiheit der Regierung.
+
+So ist auch die Geburt der Seele in die geistige Welt nicht die
+Auflsung der Beziehung zu dem, was wir Natur nennen, sondern
+vollkommene Verwirklichung dieser Beziehung in der Freiheit.
+
+In der Natur sind wir blind und lahm wie ein Kind vor seiner Geburt.
+Aber im geistigen Leben sind wir frei geboren. Und sobald wir aus der
+blinden Knechtschaft der Natur befreit sind, steht sie uns im hellen
+Licht gegenber, und wo wir bisher nichts als Hlle sahen, erkennen wir
+jetzt die Mutter.
+
+Aber was ist das Endziel der Freiheit, zu der des Menschen Leben
+gelangt ist? Sie mu ihren Sinn in etwas haben, ber das hinaus wir
+nicht zu forschen brauchen. Die Antwort ist dieselbe, die uns das Leben
+des Tieres gibt, wenn wir nach seinem letzten Sinn fragen. Wenn die
+Tiere ihren Hunger und ihre andern Begierden befriedigen, so fhlen
+sie, da sie sind. Und das ist auch unser Sinn und Ziel: zu wissen, da
+wir sind. Das Tier wei es, aber sein Wissen ist wie Rauch, nicht wie
+Feuer, es kommt als blindes Gefhl, nicht als Erleuchtung, und wenn es
+auch die Wahrheit aus ihrem Schlummer aufweckt, so lt es sie doch im
+Dunkel. Es ist das Bewutsein, das anfngt, das Ich vom Nicht-Ich zu
+unterscheiden. Es hat gerade genug Umfang, um sich als Mittelpunkt zu
+fhlen.
+
+Auch das letzte Ziel der Freiheit ist zu wissen, da ich bin. Doch
+dieses Ich-Bewutsein ist ein anderes: es ist das Bewutsein der
+Einheit mit dem All im Gegensatz zu dem der Abgesondertheit von allem
+andern. Diese Freiheit findet ihre Vollendung nicht in der Extensitt,
+sondern in der Intensitt, in der Liebe. Die Freiheit, zu der das Kind
+gelangt, wenn es aus dem Mutterleibe geboren wird, besteht nicht darin,
+da es sich seiner Mutter vlliger bewut wird, sondern da es zum
+intensiven Bewutsein ihrer in der Liebe gelangt. Im Mutterleibe wurde
+es genhrt und warm gehalten, aber es war in seiner Einsamkeit ganz
+auf sich selbst beschrnkt. Nachdem das Kind in die Freiheit geboren
+ist, bringt die wechselseitige Beziehung der Liebe zwischen Mutter und
+Kind dem Kinde die Freude des vollkommensten Bewutseins seines Ichs.
+Diese Mutterliebe gibt seiner ganzen Welt ihren Sinn. Wenn das Kind
+nur ein vegetierender Organismus wre, dann brauchte es sich nur mit
+seinen Wurzeln in seiner Welt festzuklammern und knnte gedeihen. Aber
+das Kind ist eine Persnlichkeit, und diese Persnlichkeit strebt
+nach vollkommener Verwirklichung, die nie in der Gefangenschaft des
+Mutterleibes geschehen kann. Sie mu frei sein, und diese Freiheit
+findet ihre Erfllung nicht in sich selbst, sondern in einer andern
+Persnlichkeit, und dies ist Liebe.
+
+Es ist nicht wahr, da die Tiere keine Liebe empfinden. Aber sie ist
+zu schwach, um das Bewutsein so weit zu erleuchten, da es ihnen die
+ganze Wahrheit der Liebe offenbaren knnte. Ihre Liebe ist ein leises
+Glhen, das ihr Ich erhellt, aber nicht die Flamme, die ber das
+Geheimnis des eigenen Ichs hinausgeht. Ihr Bereich ist zu eng umgrenzt,
+um bis an die paradoxe Wahrheit zu reichen, da die Persnlichkeit,
+die das Bewutsein der Einheit im eigenen Selbst ist, doch erst in der
+Einheit mit andern ihre ganze Wahrheit findet.
+
+Diese Paradoxie hat den Menschen zu der Erkenntnis gefhrt, da die
+Natur, in die hinein wir geboren werden, nur eine unvollkommene
+Wahrheit ist wie die Wahrheit des Mutterleibes. Die volle Wahrheit ist,
+da wir im Scho der unendlichen Persnlichkeit geboren werden. Unsere
+wahre Welt ist nicht die Welt der Naturgesetze, der Gesetze von Kraft
+und Stoff, sondern die Welt der Persnlichkeit. Wenn wir das vollkommen
+erkannt haben, haben wir unsre wahre Freiheit gefunden. Dann verstehen
+wir das Wort der Upanischad:
+
+Erkenne alles, was in der Welt lebt und wirkt, als von Gott
+umschlossen, und geniee, was er dir hingibt[14].
+
+Wir haben gesehen, da das Bewutsein der Persnlichkeit mit dem
+Gefhl der Abgesondertheit von allen andern beginnt und in dem Gefhl
+der Einheit mit allen gipfelt. Selbstverstndlich ist das Bewutsein
+der Abgetrenntheit auch zugleich mit einem Bewutsein der Einheit
+verbunden, denn es kann nicht fr sich allein existieren. Das Leben,
+wo das Bewutsein der Abgesondertheit an erster und das der Einheit
+an zweiter Stelle steht, und wo infolgedessen die Persnlichkeit eng
+und vom Licht der Wahrheit nur matt erleuchtet ist, -- dies Leben
+ist das Leben des Ichs. Aber das Leben, wo das Bewutsein der Einheit
+der erste Faktor ist, und wo daher die Persnlichkeit weit und vom
+Licht der Wahrheit hell erleuchtet ist, dies Leben ist das Leben der
+Seele. Die ganze Aufgabe des Menschen liegt darin, vom Ich-Bewutsein
+zum Seelenbewutsein zu gelangen, seinen inneren Krften die Richtung
+auf das Unendliche zu geben und so von der Verengung des Ichs in der
+Begierde zur Ausweitung der Seele in der Liebe fortzuschreiten.
+
+Dies Seelenbewutsein, das das bewute Prinzip der Einheit, der
+Mittelpunkt aller Beziehungen ist, ist das wahre Sein und daher das
+letzte Ziel alles Strebens. Ich mu auf diese Tatsache den grten
+Nachdruck legen, da diese Welt nur in ihrer Beziehung zu einer
+zentralen Persnlichkeit Wirklichkeit hat. Ohne diesen Mittelpunkt
+fllt sie auseinander, wird zu einem Haufen von Abstraktionen, wie
+Kraft und Stoff, und selbst diese, die blassesten Spiegelungen des
+Seins, wrden in absolutes Nichts verschwinden, wenn das denkende Ich
+im Mittelpunkt, zu dem sie durch eine gewisse Vernunftharmonie in
+Beziehung stehen, fehlte.
+
+Aber es gibt unzhlige solche Zentren. Jedes Wesen hat seine eigene
+kleine Welt, deren Zentrum es ist. Daher stellt sich uns unwillkrlich
+die Frage: Gibt es ebensoviele unberbrckbar voneinander verschiedene
+Wirklichkeiten?
+
+Unsre ganze Natur lehnt sich auf gegen die Bejahung dieser Frage. Denn
+wir wissen, da das Prinzip der Einheit in uns die Grundlage alles
+wahren Seins ist. Daher ist der Mensch vom trben Dmmerlicht seiner
+Fragen und Vorstellungen durch all seine Zweifel und Errterungen zu
+der Wahrheit gekommen, da es einen ewigen Mittelpunkt gibt, zu dem
+alle Persnlichkeiten und daher die ganze Welt der Wirklichkeit ihre
+Beziehung hat. Dies ist _Mah[=a]n puru[s.]a[h.]_, die eine hchste
+Persnlichkeit; es ist _Satya[m.]_, die eine hchste Wahrheit; es ist
+_J[)n][=a]na[m.]_, der die hchste Erkenntnis in sich hat und daher
+sich selbst in allem erkennt; es ist _Sarv[=a]nubh[=u][h.]_, der die
+Gefhle aller Wesen in sich und daher sich in allen Wesen fhlt.
+
+Aber dieser Hchste, der Mittelpunkt alles Seins, ist nicht nur ein
+passives, rezeptives Wesen, er ist _[=a]nanda-r[=u]pam am[r.]ta[m.] yad
+vibh[=a]ti_ -- die Freude, die sich in Formen offenbart. Sein Wille ist
+es, der schafft.
+
+Der Wille findet seine hchste Erfllung nicht in der Welt des
+Gesetzes, sondern in der Welt der Freiheit, nicht in der Welt der
+Natur, sondern in der geistigen Welt.
+
+Dies erkennen wir an uns selbst. Unsre Sklaven tun, was wir ihnen
+befehlen, und versehen uns mit dem, was wir brauchen, aber unsre
+Beziehung zu ihnen ist unvollkommen. Wir haben unsre Willensfreiheit,
+die nur in der Willensfreiheit anderer ihre Harmonie finden kann.
+Wo wir selbst Sklaven sind, in unsern selbstschtigen Begierden, da
+befriedigt uns das Sklaventum in andern. Denn die Sklaverei entspricht
+unserm eigenen Sklaventum und lt uns in ihm Genge finden. Als daher
+Amerika seine Sklaven befreite, befreite es in Wahrheit sich selbst.
+Wir finden unsre hchste Freude in der Liebe. Denn in ihr sehen wir die
+Willensfreiheit anderer verwirklicht. Bei unsern Freunden begegnet ihr
+Wille unserm Willen in vollkommener Freiheit, nicht im Zwang der Not
+oder der Furcht; daher findet unsre Persnlichkeit in dieser Liebe ihre
+hchste Verwirklichung.
+
+Weil die Wahrheit unsres Willens in seiner Freiheit besteht, daher ist
+auch reine Freude nur in der Freiheit mglich. Wir finden Freude in
+der Befriedigung unsrer Bedrfnisse, aber diese Freude ist negativer
+Art. Denn das Bedrfnis ist eine Sklaverei, von der wir durch die
+Befriedigung des Bedrfnisses befreit werden. Aber damit ist auch die
+Freude zu Ende. Es ist anders mit unsrer Freude an der Schnheit. Sie
+ist positiver Art. Im harmonischen Rhythmus finden wir die Vollendung.
+Dort sehen wir nicht die Substanz oder das Gesetz, sondern die
+reine Form, die mit unsrer Persnlichkeit in Harmonie ist. Aus der
+Knechtschaft bloen Stoffes und bloer Linien geht das hervor, was
+ber alle Schranken hinaus ist. Wir fhlen uns sogleich frei von der
+tyrannischen Sinnlosigkeit der Einzeldinge, -- jetzt geben sie uns
+etwas, was zu unserm eignen Selbst in persnlicher Beziehung steht.
+Die Offenbarung der Einheit in ihrer passiven Vollkommenheit, die wir
+in der Natur finden, ist die Schnheit; die Offenbarung der Einheit in
+ihrer aktiven Vollkommenheit, die wir in der geistigen Welt finden,
+ist die Liebe. Diese besteht nicht in der Harmonie der ueren Formen,
+sondern in der Harmonie der Willen. Der Wille, der frei ist, bedarf zur
+Verwirklichung seiner Harmonie andrer Willen, die auch frei sind, und
+darin liegt die Bedeutung des religisen Lebens. Der ewige Mittelpunkt
+alles Seins, das hchste Wesen, das seine Freude ausstrahlt, indem es
+sich in Freiheit hingibt, mu andre Freiheitszentren schaffen, um sich
+mit ihnen in Harmonie zu einen. Die Schnheit ist die Harmonie, die
+sich in Dingen verwirklicht, die durch das Naturgesetz gebunden sind.
+Die Liebe ist die Harmonie, die sich in Willen verwirklicht, welche
+frei sind.
+
+Im Menschen sind solche Freiheitszentren geschaffen. Er soll kein
+bloer Empfnger von Gaben der Natur sein; er soll sich voll
+ausstrahlen im Schaffen seiner Kraft und in der Vervollkommnung
+seiner Liebe. Sein Ziel mu der Unendliche sein, wie der Unendliche
+in ihm sein Ziel hat. Die Schpfung der natrlichen Welt ist Gottes
+eigene Schpfung, wir knnen sie nur empfangen und dadurch uns zu
+eigen machen. Aber bei der Schpfung der geistigen Welt sind wir
+Gottes Partner. Bei dieser Arbeit mu Gott warten, da unser Wille
+mit dem seinen bereinstimmt. Nicht Macht ist es, was diese geistige
+Welt aufbaut; nirgends, auch nicht in dem entferntesten Winkel, gibt
+es in ihr Passivitt oder Zwang. Das Bewutsein mu alle Nebel der
+Tuschung abgestreift haben, der Wille mu von allen Gegenkrften
+der Leidenschaften und Begierden befreit sein, bevor wir an Gottes
+Schpfungswerk teilnehmen. Solange wir nur Empfnger seiner Gaben sind,
+hat unser Verhltnis zu ihm noch nicht seine volle Wahrheit gefunden,
+denn es ist einseitig und daher unvollkommen. Wie er uns aus seiner
+eigenen Flle gibt, sollen auch wir ihm von unserm berflu geben.
+Daraus quillt reine Freude, nicht nur fr uns, sondern auch fr Gott.
+
+In unserm Lande haben die Wischnusnger diese Wahrheit erkannt und sie
+khn verkndet, indem sie sagten, erst in den Menschenseelen fnde
+Gott die Erfllung seiner Liebe. In der Liebe mu Freiheit sein, daher
+mu Gott nicht nur warten, bis unsre Seele freiwillig den Einklang
+mit seiner Seele sucht, sondern er mu auch leiden, wenn sie dieser
+Harmonie widerstrebt und sich gegen ihn auflehnt.
+
+Daher hat es bei der Schpfung der geistigen Welt, an der der Mensch
+in Gemeinschaft mit Gott arbeiten mu, Leiden gegeben, von denen die
+Tiere keine Ahnung haben knnen. Beim Stimmen der Instrumente haben
+die Saiten oft in schrillen Dissonanzen aufgeschrien, und oft sind
+sie gerissen. Wenn wir die Mitarbeit des Menschen am Werke Gottes von
+dieser Seite sehen, so erscheint sie uns sinnlos und schdlich. Das
+Ideal, das im Herzen dieser Schpfung ist, lt uns jeden Fehler und
+Miton wie einen Dolchsto empfinden, und die Seele sthnt und blutet.
+Oft hat die Freiheit sich in ihr Gegenteil gewandelt, um zu beweisen,
+da sie Freiheit ist, und der Mensch hat gelitten, und Gott mit ihm,
+auf da diese Welt des Geistes gelutert und rein aus ihrem Feuerbade
+hervorgehen mge, mit leuchtenden Gliedern wie ein gttliches Kind.
+Es hat Heuchelei und Lge gegeben, grausame berhebung, die sich
+ber die Wunden entrstet, die sie selbst geschlagen, geistlichen
+Hochmut, der im Namen Gottes den Menschen schmht, Machthochmut, der
+Gott lstert, indem er ihn seinen Verbndeten nennt; jahrhundertelang
+hat man den Schmerzensschrei der Gequlten gewaltsam erstickt und
+Menschenkinder ihres rechten Armes beraubt, um sie fr alle Zeit wehr-
+und hilflos zu machen; man hat die Felder mit dem blutigen Schwei der
+Sklaverei gedngt, um Leckerbissen darauf zu bauen, und seinen Reichtum
+aufgerichtet auf Mangel und Hungersnot. Aber ich frage: Hat dieser
+Riesengeist der Verneinung gesiegt? Ist das Leiden, das er im Herzen
+des Unendlichen hervorgerufen hat, nicht seine grte Niederlage?
+Und wird sein gefhlloser Stolz nicht in jedem Augenblick seines
+aufgeblasenen Daseins selbst durch das Gras am Wege und die Blumen auf
+dem Felde beschmt? Trgt nicht das Verbrechen an Gott und Menschen
+seine Strafe selbst als Krone der Hlichkeit auf dem Haupte? Ja, das
+Gttliche im Menschen lt sich durch Erfolg oder Organisationen
+seines Gegners nicht einschchtern; es setzt sein Vertrauen nicht auf
+die Gre seiner Macht und auf kluge Vorsicht. Seine Strke liegt nicht
+in Muskel- oder Maschinenkraft, nicht in Klugheit der Politik, noch in
+Robustheit des Gewissens, sondern in seinem Streben nach Vollendung.
+Wenn auch das Heute es verhhnt, so hat es doch die Ewigkeit des Morgen
+auf seiner Seite. Dem Anschein nach ist es hilflos wie ein neugebornes
+Kind, aber seine nchtlichen Leidenstrnen setzen alle unsichtbaren
+Krfte des Himmels in Bewegung, sie rufen in der ganzen Schpfung die
+Mutter wach. Kerkermauern fallen ein, ungeheure Berge von Reichtmern
+strzen, vom Miverhltnis ihrer eigenen Last umgerissen, kopfber in
+den Staub. Die Geschichte der Erde ist die Geschichte von Erdbeben
+und Sintfluten und vulkanischen Ausbrchen, und doch ist sie bei
+alledem die Geschichte der grnen Felder und der murmelnden Bche, der
+Schnheit und des fruchtbaren Lebens. Und die geistige Welt, die aus
+dem Leben des Menschen und dem Leben Gottes emporwchst, wird diese
+Zeit der ersten Kindheit, wo sie immer wieder hilflos zu Fall kommt
+und sich verletzt, hinter sich lassen und eines Tages in der Kraft
+der Jugend auf festen Fen stehen, in frohem Genu der Schnheit und
+Freiheit ihrer Bewegung.
+
+Das Leiden gerade ist unsre grte Hoffnung. Denn es ist der
+Sehnsuchtsschrei der Unvollkommenheit, der von ihrem Glauben an
+Vollkommenheit zeugt, wie der Schrei des Kindes von dem Glauben an die
+Mutter. Dies Leiden treibt den Menschen dazu, mit seinem Gebet ans Tor
+des Unendlichen, des Gttlichen in ihm zu pochen und so seinen tiefsten
+Instinkt, seinen unmittelbaren Glauben an das Ideal zu beweisen, den
+Glauben, mit dem er dem Tode mutig entgegentritt und allem entsagt,
+was zu seinem engeren Selbst gehrt. Gottes Leben, das sich in seine
+Schpfung ergiet, hat das Leben des Menschen berhrt, das nun auch
+der Freiheit zustrmt. Immer wenn in die Harmonie des Schpfungsliedes
+hinein eine Dissonanz schrillt, ruft der Mensch aus: _Asato m[=a]
+sad gamaya_, Hilf mir aus dem Nichtsein zum wahren Sein. Er gibt
+sein Selbst hin, da es fr die Musik der Seele gestimmt werde. Auf
+diese Hingabe wartet Gott, denn die geistige Harmonie kann nur durch
+Freiheit entstehen. Daher ist die freiwillige Hingabe des Menschen an
+den Unendlichen der Anfang der vollkommenen Vereinigung mit ihm. Erst
+dann, durch das Medium der Freiheit, kann Gottes Liebe voll auf die
+Menschenseele wirken. Diese Hingabe besteht in der freien Wahl unsrer
+Seele, ihr Leben dem Werke Gottes zu weihen, die Welt des Naturgesetzes
+in eine Welt der Liebe umzuwandeln.
+
+In der Geschichte des Menschen hat es Augenblicke gegeben, wo sein
+Leben mit der Musik von Gottes Leben in vollkommener Harmonie
+zusammenklang. Wir haben gesehen, wie des Menschen Persnlichkeit in
+restloser Selbsthingabe aus berquellender Liebe ihre Vollendung fand,
+indem sie selbst gttliches Wesen erlangte. Es sind Menschen in dieser
+Welt der Natur geboren, mit menschlichen Begierden und Schwchen,
+die dennoch bewiesen haben, da sie in der Welt des Geistes atmeten,
+da die hchste Wirklichkeit die Freiheit der Persnlichkeit in der
+vollkommenen Vereinigung der Liebe ist. Sie machten sich frei von allen
+selbstschtigen Wnschen und Begierden, von allen engen Vorurteilen der
+Kaste und der Nationalitt, von der Menschenfurcht und der Knechtschaft
+der Glaubensdogmen und Konventionen. Sie wurden eins mit ihrem Gott im
+freien, ttigen Wirken mit ihm. Sie liebten und litten. Sie boten ihre
+Brust den Pfeilen des Bsen und bewiesen, da der Geist unsterbliches
+Leben hat. Groe Knigreiche wechseln ihre Formen und verschwinden
+wie Wolken, Institutionen zerflieen in der Luft wie Trume, Nationen
+spielen ihre Rolle und versinken in Dunkel, aber jene Einzelwesen
+tragen das unsterbliche Leben der ganzen Menschheit in sich: Ihr Leben
+fliet wie ein ewiger, gewaltiger Strom durch grne Felder und Wsten
+und durch die langen, dunklen Hhlen der Vergessenheit in die tanzende
+Freude des Sonnenlichts hinein und bringt im endlosen Lauf der Jahre
+Wasser des Lebens an die Tren von Millionen Menschen, das ihren Durst
+lscht und ihre Leiden heilt und sie reinigt vom Staub des Alltags, und
+singt mit heller Stimme durch den Lrm der Mrkte das Lied des ewigen
+Lebens, das Jubellied:
+
+ Dies ist der hchste Pfad,
+ Dies ist der hchste Schatz,
+ Dies ist die hchste Welt,
+ Dies ist die hchste Wonne.
+
+
+
+
+MEINE SCHULE
+
+
+Als ich mich den Vierzigern nherte, erffnete ich eine Schule in
+Bengalen. Das hatte man sicherlich nicht von mir erwartet, der ich den
+grten Teil meines Lebens damit zugebracht hatte, Verse zu machen.
+Daher dachten die Menschen natrlich, da diese Anstalt wohl keine
+Musterschule werden wrde; jedenfalls aber wrde sie etwas unerhrt
+Neues sein, da ich mich so ganz ohne alle Erfahrung an das Unternehmen
+gewagt hatte.
+
+Dies ist der Grund, warum ich so oft gefragt werde, was denn eigentlich
+die Idee ist, die meiner Schule zugrunde liegt. Die Frage setzt
+mich sehr in Verlegenheit, denn ich darf nichts Alltgliches darauf
+antworten, wenn ich die Erwartung der Fragenden befriedigen will. Ich
+will jedoch der Versuchung, originell zu sein, widerstehen und mich
+damit begngen, nur wahr zu sein.
+
+Ich mu gleich gestehen, da es schwer fr mich ist, diese Frage
+berhaupt zu beantworten. Denn eine Idee ist nicht etwas wie ein festes
+Fundament, worauf man ein Gebude errichtet. Sie ist mehr wie ein
+Samenkorn, das auch nicht gleich, so wie es anfngt zu keimen und zu
+wachsen, auseinandergelegt und erklrt werden kann.
+
+Nun aber verdankt diese Schule ihren Ursprung gar nicht irgendeiner
+neuen Erziehungstheorie, sondern einfach der Erinnerung an meine eigene
+Schulzeit.
+
+Wenn diese Zeit fr mich eine unglckliche war, so liegt der Grund
+dafr nicht nur in meiner persnlichen Anlage oder in den besonderen
+belstnden der Schulen, die ich besuchte. Es kann schon sein, da
+ich, wenn ich etwas robuster gewesen wre, mich dem Druck allmhlich
+angepat und es schlielich bis zum Abschlu des Universittsstudiums
+gebracht htte. Aber Schulen sind nun einmal Schulen, wenn auch einige
+besser sind als andere, je nach dem Mastab, den sie an sich legen.
+
+Die Vorsehung hat dafr gesorgt, da die Kinder sich von der Milch
+der Mutter nhren. Sie finden ihre Mutter und ihre Nahrung zu gleicher
+Zeit, und Krper und Seele kommen zugleich zu ihrem Recht. So lernen
+sie gleich die groe Wahrheit, da die wahre Beziehung des Menschen zur
+Welt die persnliche Liebe ist und nicht das mechanische Kausalgesetz.
+
+Einleitung und Schlu eines Buches haben hnlichen Charakter. In
+beiden wird die Wahrheit als Ganzes vor den Leser hingestellt, ohne
+da die Einzelheiten entwickelt werden. Der Unterschied ist nur, da
+diese Wahrheit uns in der Einleitung einfach erscheint, weil sie noch
+nicht analysiert ist, und am Schlu, weil die Analyse vollstndig ist.
+Zwischen beiden entfaltet sich die Wahrheit, hier verwickelt sie sich,
+stt sich an Hindernissen und bricht ganz auseinander, um sich endlich
+in vollkommener Einheit wiederzufinden.
+
+So wird auch dem Menschen gleich beim Eintritt in die Welt der Weisheit
+letzter Schlu in dieser einfachen Form offenbart. Er wird in eine Welt
+geboren, die fr ihn intensivstes Leben ist, wo er als Einzelwesen
+die volle Aufmerksamkeit seiner Umgebung in Anspruch nimmt. Wie
+er heranwchst, geht ihm die naive Sicherheit in der Auffassung
+der Wirklichkeit verloren, er kann sich in der Kompliziertheit der
+Dinge nicht mehr zurechtfinden und trennt sich von seiner Umgebung,
+oft im Geiste des Widerspruchs. Doch wenn so die Einheit der
+Wahrheit zerbricht und ein hartnckiger Brgerkrieg zwischen seiner
+Persnlichkeit und seiner Umgebung anhebt, so kann Sinn und Ziel doch
+nicht ewige Zwietracht sein. Um diesen Sinn und den rechten Schlu fr
+sein Leben zu finden, mu er ber den Umweg des Zweifels wieder den Weg
+zur schlichten, vollkommenen Wahrheit finden, zur Einheit mit der Welt
+durch das Band unendlicher Liebe.
+
+Daher sollte man dem Menschen in seiner Kindheit sein volles Ma vom
+Trunk des Lebens geben, nach dem ihn so unaufhrlich drstet. Das
+junge Gemt sollte ganz von dem Gefhl durchdrungen werden, da es
+hineingeboren ist in eine Menschenwelt, die in Harmonie ist mit der
+umgebenden Welt. Und dies gerade ist es, was unsere herkmmliche
+Schule mit berlegener Weisheitsmiene streng und hochmtig bersieht.
+Sie reit die Kinder mit Gewalt aus einer Welt, die voll ist von dem
+geheimnisvollen Wirken Gottes, voll von Hindeutungen auf persnliches
+Leben. Aus bloen Grnden der Schulzucht weigert sie sich, das
+einzelne Kind zu bercksichtigen. Sie ist eine Fabrik, die eigens
+dazu eingerichtet ist, Waren von mglichst gleichfrmigem Schliff
+herzustellen. Sie zieht eine gerade Linie nach dem Durchschnittsma,
+und dieser Linie folgt sie, wenn sie die Kanle des Unterrichts grbt.
+Aber das Leben hlt sich nicht an die gerade Linie, es hat seinen Spa
+daran, mit dieser Durchschnittslinie auf- und abzuwippen, und ldt
+so den Zorn der Schule auf sein Haupt. Denn nach der Auffassung der
+Schule ist das Leben vollkommen, wenn es sich behandeln lt, als ob
+es tot sei, so da man es nach Belieben symmetrisch zerlegen kann. Das
+war es, worunter ich litt, als ich zur Schule geschickt wurde. Denn
+pltzlich entwich meine Welt rings um mich her und machte hlzernen
+Bnken und geraden Wnden Platz, die mich mit dem leeren Blick des
+Blinden anstarrten. Der Schulmeister hatte mich nicht geschaffen, das
+Unterrichtsministerium war nicht zu Rate gezogen, als ich in diese Welt
+kam. Aber war das ein Grund, das Versehen meines Schpfers an mir zu
+rchen?
+
+Doch die Sage lehrt uns ja, da man nicht im Paradiese bleiben darf,
+wenn man vom Baum der Erkenntnis it. Daher mssen die Kinder der
+Menschen aus ihrem Paradiese in ein Reich des Todes verbannt werden,
+in dem der Geist der Uniform herrscht. So mute mein Geist sich in die
+enge Hlle der Schule zwngen lassen, die wie die Schuhe der Chinesin
+meine Natur bei jeder Bewegung berall drckte und quetschte. Ich war
+glcklich genug, mich ihrer zu entledigen, bevor mein Gefhl ganz
+abstarb.
+
+Obgleich ich nicht die volle Buzeit abzudienen brauchte, die die
+Menschen meines Standes auf sich nehmen mssen, um Zutritt zu der
+Gesellschaft der Gebildeten zu erlangen, so bin ich doch froh, da mir
+ihre Plage nicht ganz erspart blieb. Denn so habe ich an mir selbst das
+Unrecht erfahren, das die Kinder der Menschen erleiden.
+
+Die Ursache dieses Unrechts ist, da der Erziehungsplan der Menschen
+dem Plan Gottes zuwiderluft. Wie wir unsre Geschfte betreiben, ist
+unsre Sache, und daher knnen wir in unserm Geschftsbureau schaffen
+und wirken, wie es unserm besonderen Zweck entspricht. Aber solch ein
+Geschftsbetrieb pat nicht fr Gottes Schpfung. Und die Kinder sind
+Gottes eigene Schpfung.
+
+Wir sind in diese Welt gekommen, nicht nur, da wir sie kennen, sondern
+da wir sie bejahen. Macht knnen wir durch Wissen erlangen, aber zur
+Vollendung gelangen wir nur durch die Liebe. Die hchste Erziehung ist
+die, welche sich nicht damit begngt, uns Kenntnisse zu vermitteln,
+sondern die unser Leben in Harmonie bringt mit allem Sein. Aber wir
+finden, da man diese Erziehung zur Harmonie in den Schulen nicht
+nur systematisch auer acht lt, sondern da man sie konsequent
+unterdrckt. Von klein auf werden wir so erzogen und unterrichtet, da
+wir der Natur entfremdet und unsre innere und uere Welt in Gegensatz
+zueinander gestellt werden. So wird die hchste Erziehung, die Gott
+uns bestimmte, vernachlssigt, und man nimmt uns unsre Welt, um uns
+dafr einen Sack voll Wissen zu geben. Wir berauben das Kind seiner
+Erde, um es Erdkunde zu lehren, seiner Sprache, um es Grammatik zu
+lehren. Es hungert nach Heldengeschichten, aber man gibt ihm nchterne
+Tatsachen und Daten. Es wurde in die Menschenwelt geboren, aber es
+wird in die Welt lebender Grammophone verbannt, um fr die Erbsnde,
+in Unwissenheit geboren zu sein, zu ben. Die Natur des Kindes lehnt
+sich mit der ganzen Kraft des Leidens gegen solch Elend auf, bis sie
+schlielich durch Strafen zum Schweigen gebracht wird.
+
+Wir alle wissen, Kinder lieben den Staub der Erde; Leib und Seele
+dieser kleinen Geschpfe drsten nach Luft und Sonnenschein wie die
+Blumen. Sie sind immer bereit, den Einladungen zu unmittelbarem Verkehr
+zu folgen, die fortwhrend aus der Welt an ihre Sinne gelangen.
+
+Aber zum Unglck fr die Kinder leben ihre Eltern in ihrer eigenen
+Welt von Gewohnheiten, wie sie ihr Beruf und die gesellschaftliche
+Tradition mit sich gebracht haben. Das lt sich in mancher Beziehung
+nicht ndern. Denn die Menschen sind durch die Verhltnisse und durch
+das Bedrfnis nach sozialer Gleichfrmigkeit gezwungen, sich nach einer
+bestimmten Richtung hin zu entwickeln.
+
+Aber unsre Kindheit ist die Zeit, wo wir noch frei sind -- oder sein
+sollten -- frei von dem Zwang, uns innerhalb der engen Grenzen zu
+entwickeln, welche berufliche und gesellschaftliche Konventionen
+aufgerichtet haben.
+
+Ich erinnere mich noch sehr gut, welch unwilliges Erstaunen ein
+erfahrener Schuldirektor, der den Ruf hatte, vorzgliche Disziplin
+zu halten, zeigte, als er sah, wie einer meiner Schler auf einen
+Baum kletterte, um oben auf der Gabelung eines Astes seine Aufgaben
+zu lernen. Ich mute ihm zur Erklrung sagen: die Kindheit ist die
+einzige Zeit, wo ein zivilisierter Mensch noch die Wahl hat zwischen
+den Zweigen eines Baumes und einem Wohnzimmerstuhl; sollte ich, weil
+mir als einem Erwachsenen dies Vorrecht versagt ist, es darum dem
+Knaben rauben? berraschend ist es, da derselbe Direktor ganz damit
+einverstanden war, da die Knaben Botanik studierten. Er legt Gewicht
+auf eine unpersnliche Kenntnis von dem Baume, weil das Wissenschaft
+ist, aber er hlt nichts von einer persnlichen Bekanntschaft mit ihm.
+
+Diese wachsende Erfahrung bildet allmhlich den Instinkt, der das
+Ergebnis der Methode ist, nach welcher die Natur ihre Geschpfe lehrt.
+Die Knaben meiner Schule haben eine instinktive Kenntnis von der
+ueren Erscheinung des Baumes gewonnen. Durch die leiseste Berhrung
+wissen sie, wo sie auf einem scheinbar ungastlichen Baumstamm Fu
+fassen knnen; sie wissen, wie weit sie sich auf die Zweige wagen
+drfen, wie sie ihr Krpergewicht verteilen mssen, um den jungen sten
+nicht zu schwer zu werden. Meine Schler verstehen es, den Baum auf
+die bestmgliche Weise zu benutzen, sei es nun, da sie seine Frchte
+pflcken, auf seinen Zweigen ausruhen oder sich vor unerwnschten
+Verfolgern in ihnen verbergen. Ich selbst bin in einem gebildeten
+stdtischen Heim aufgewachsen und habe mich mein ganzes Leben lang so
+benehmen mssen, als ob ich in einer Welt lebte, in der es keine Bume
+gbe. Daher betrachte ich es als einen Teil meiner Erziehungsaufgabe,
+meinen Schlern in vollem Mae begreiflich zu machen, da Bume in
+diesem Weltsystem eine wirkliche Tatsache sind, da sie nicht nur dazu
+da sind, um Chlorophyll zu erzeugen und die Kohlensure aus der Luft zu
+nehmen, sondern da sie lebendige Wesen sind.
+
+Von Natur sind unsre Fusohlen so gemacht, da sie die besten Werkzeuge
+zum Stehen und Gehen auf der Erde sind. Von dem Tage an, wo wir
+anfingen, Schuhe zu tragen, setzten wir die Bedeutung unsrer Fe
+herab. Dadurch, da wir ihre Verantwortlichkeit verminderten, nahmen
+wir ihnen ihre Wrde, und jetzt lassen sie sich Socken und Pantoffeln
+von allen Preisen und Formen oder Unformen gefallen. Es ist, als ob wir
+Gott Vorwrfe machten, da er uns nicht Hufe gegeben hat, statt der mit
+schner Empfindungsfhigkeit ausgestatteten Sohlen.
+
+Ich will gar nicht die Fubekleidung vllig aus dem Gebrauch der
+Menschen verbannen. Aber ich mchte doch dafr eintreten, da man den
+Fusohlen der Kinder die Erziehung, die ihnen die Natur kostenlos gibt,
+nicht vorenthalten soll. Von allen unsern Gliedern sind die Fe am
+geeignetsten, mit der Erde durch Berhrung vertraut zu werden. Denn die
+Erde hat ihre fein geschwungenen Konturen, die sich nur ihren echten
+Liebhabern, den Fen, zum Kusse darbieten.
+
+Ich mu wiederum gestehen, da ich in einem respektablen Hause
+aufwuchs, wo meine Fe von klein auf sorgfltig vor der nackten
+Berhrung mit dem Staube gehtet wurden. Wenn ich versuche, es meinen
+Schlern im Barfugehen gleichzutun, dann wird es mir schmerzhaft klar,
+welch dicke Schicht von Unwissenheit in bezug auf die Erde ich unter
+meinen Fen trage. Ich suche mit unfehlbarer Sicherheit die Dornen
+aus, um darauf zu treten, in einer Weise, da es eine wahre Lust fr
+die Dornen ist. Meinen Fen fehlt der Instinkt, den Linien zu folgen,
+die am wenigsten Widerstand bieten. Denn selbst die ebenste Erdflche
+hat ihre winzigen Hgel und Tler, die nur fein gebildete Fe spren.
+Ich habe mich oft gewundert ber das scheinbar zwecklose Zickzack von
+Wegen, die ber vollkommen ebene Felder fhrten. Und es ist noch
+unbegreiflicher, wenn man bedenkt, da ein Fupfad nicht durch die
+Laune eines Einzelnen entsteht. Wenn nicht die meisten Fugnger genau
+dieselbe Laune htten, so knnten solche augenscheinlich unzweckmigen
+Steige nicht entstehen. Aber die wahre Ursache liegt in den feinen
+Eingebungen von seiten der Erde, denen unsre Fe unbewut folgen.
+Die, denen solche natrlichen Beziehungen nicht abgeschnitten sind,
+knnen die Muskeln ihrer Fe mit groer Schnelligkeit dem geringsten
+Winke anpassen. So knnen sie sich gegen das Eindringen von Dornen
+schtzen, selbst wenn sie auf sie treten, und sie knnen ohne das
+geringste Unbehagen barfu ber einen Kiesweg gehen. Ich wei, da
+es in der Praxis heutzutage ohne Schuhe, ohne gepflasterte Straen
+und ohne Wagen nicht geht. Aber sollte man die Kinder nicht in ihrer
+Erziehungszeit die Wahrheit erfahren lassen, da die Welt nicht berall
+Gesellschaftszimmer ist, da es so etwas wie Natur gibt, und da ihre
+Glieder fr den Verkehr mit ihr wunderbar geschaffen sind?
+
+Es gibt Leute, welche glauben, da ich durch die Einfachheit der
+Lebensweise, die ich in meiner Schule eingefhrt habe, das Ideal der
+Armut, das das Mittelalter beherrschte, predigen will. Ich kann diesen
+Gegenstand an dieser Stelle nicht nach allen Seiten errtern; aber wenn
+wir ihn vom Standpunkt der Erziehung aus betrachten, mssen wir da
+nicht zugeben, da die Armut die Schule ist, in der der Mensch seinen
+ersten Unterricht und seine beste Erziehung empfngt? Selbst der Sohn
+eines Millionrs wird in hilfloser Armut geboren und mu die Aufgabe
+seines Lebens von Anfang an lernen. Er mu gehen lernen wie das rmste
+Kind, wenn er auch die Mittel hat, ohne Beine durch die Welt zu kommen.
+Die Armut bringt uns in die engste Berhrung mit dem Leben und der
+Welt, denn als Reicher leben, heit meistens durch Stellvertreter leben
+und infolgedessen in einer Welt von geringerer Wirklichkeit. Dies mag
+gut sein fr unser Vergngen oder unsren Stolz, aber nicht fr unsre
+Erziehung. Der Reichtum ist ein goldener Kfig, in dem den Kindern
+der Reichen ihre natrlichen Gaben knstlich erttet werden. Daher
+mute ich in meiner Schule, zum Entsetzen der Leute mit kostspieligen
+Gewohnheiten, fr diese groe Lehrmeisterin -- diese Drftigkeit der
+Ausstattung -- sorgen, nicht um der Armut selbst willen, sondern weil
+sie zu persnlicher Welterfahrung fhrt.
+
+Mein Vorschlag ist, da jedem Menschen in seinem Leben ein begrenzter
+Zeitraum vorbehalten sein mte, wo er in ursprnglicher Einfachheit
+das Leben des Naturmenschen lebt. Die geschftigen Kulturmenschen
+mssen das ungeborene Kind noch in Frieden lassen. Im Leib der
+Mutter hat es Mue, die erste Entwicklungsstufe vegetativen Lebens
+durchzumachen. Aber sobald es geboren ist, ausgerstet mit allen
+Instinkten fr die nchste Stufe, nmlich fr das natrliche Leben, da
+strzt sich sofort die Gesellschaft mit ihren kultivierten Gewohnheiten
+darauf und reit es aus den offenen Armen von Erde, Wasser und Himmel,
+von Luft und Sonnenlicht. Zuerst strubt es sich und weint bitterlich,
+und dann vergit es allmhlich, da Gottes ganze Schpfung sein Erbe
+ist; dann schliet es seine Fenster, zieht die Vorhnge herab und ist
+stolz auf das, was es auf Kosten seiner Welt und vielleicht gar seiner
+Seele angehuft hat.
+
+Die Welt der Zivilisation mit ihren Konventionen und toten Dingen
+beherrscht die Mitte des tglichen Lebenslaufs. Anfang und Ende
+desselben sind nicht ihr Reich. Ihre ungeheure Kompliziertheit und ihre
+Anstandsregeln haben ihren Nutzen. Aber wenn sie sie als Selbstzweck
+ansieht und es zur Regel macht, da dem Menschen kein grnes Fleckchen
+bleibt, wohin er aus ihrem Gebiet von Rauch und Lrm, von drapierter
+und dekorierter Korrektheit, fliehen kann, dann leiden die Kinder,
+und bei der Jugend entsteht Weltmdigkeit, whrend das Alter es
+verlernt, in Frieden und Schnheit alt zu werden, und nichts weiter als
+verfallene Jugend ist, die sich ihrer Lcher und Flicken schmt.
+
+Es ist jedoch gewi, da die Kinder, als sie bereit waren, auf dieser
+Erde geboren zu werden, kein Verlangen hatten nach einer so eingeengten
+und verhangenen Welt ueren Anstands. Wenn sie geahnt htten, da
+sie ihre Augen dem Licht nur ffneten, um sich in der Gewalt des
+Schulbetriebes zu finden, bis sie die Frische ihres Geistes und die
+Schrfe ihrer Sinne verloren haben, so wrden sie es sich noch einmal
+berlegt haben, bevor sie sich auf die menschliche Lebensbahn wagten.
+Gottes Einrichtungen haben nicht die Anmaung spezieller Einrichtungen.
+Sie haben immer die Harmonie der Ganzheit und des ununterbrochenen
+Zusammenhanges mit allen Dingen. Was mich daher in meiner Schulzeit
+qulte, war die Tatsache, da die Schule nicht die Vollstndigkeit der
+Welt hatte. Sie war eine besondere Einrichtung fr den Unterricht. Sie
+konnte nur fr Erwachsene passen, die sich der besonderen Notwendigkeit
+solcher Orte bewut und bereit waren, mit dem Unterricht die Trennung
+vom Leben in den Kauf zu nehmen. Aber Kinder lieben das Leben, und es
+ist ihre erste Liebe. Es lockt sie mit all seinen Farben und seiner
+Bewegung. Und sind wir unsrer Weisheit so sicher, wenn wir diese Liebe
+ersticken? Kinder werden nicht als Asketen geboren, da sie geeignet
+wren, sich sogleich der Mnchszucht zu unterwerfen, indem sie ihr
+Streben ganz auf den Erwerb von Kenntnissen richten. Ihr erstes Wissen
+sammeln sie durch ihre Liebe zum Leben, dann entsagen sie dem Leben,
+um Wissen zu erwerben, und endlich kehren sie mit reicher Weisheit zum
+volleren Leben zurck.
+
+Aber die Gesellschaft hat ihre eigenen Einrichtungen getroffen, um den
+Geist der Menschen nach ihrem besonderen Muster zuzustutzen. Diese
+Einrichtungen sind so dicht gefgt, da es schwer ist, eine Lcke zu
+finden, wo die Natur hineinkommen kann. Eine ganze Reihenfolge von
+Strafen droht dem, der es wagt, gegen irgendeine dieser Einrichtungen
+zu verstoen, und gelte es auch sein Seelenheil. Daher heit, die
+Wahrheit erkennen, noch nicht, sie praktisch anwenden, da der ganze
+Strom des herrschenden Systems ihr entgegenluft. So kam es, da ich
+bei der Frage, welche Erziehung ich meinem Sohn geben sollte, in
+Verlegenheit war, wie ich sie praktisch lsen knnte. Das erste, was
+ich tat, war, da ich ihn aus der stdtischen Umgebung fortnahm und
+in ein Dorf brachte, wo er, soweit es heutzutage mglich ist, ein
+Leben in natrlicher Freiheit leben konnte. Da war ein Flu, der als
+gefhrlich bekannt war; hier konnte er nach Herzenslust schwimmen
+und rudern, ohne durch die ngstlichkeit der Erwachsenen gehindert
+zu werden. Er verbrachte seine Zeit drauen im Feld und auf den
+unbetretenen Sandbnken, und niemand stellte ihn zur Rede, wenn er zu
+spt zum Essen kam. Er besa keinen von jenen Luxusgegenstnden, die
+Knaben seines Standes sonst haben und von denen man meint, da sie sie
+anstndigerweise haben mssen. Ich bin sicher, da die Leute, denen
+die Gesellschaft die Welt bedeutet, ihn wegen dieser Entbehrungen
+bemitleideten und seine Eltern tadelten. Aber ich wute, da
+Luxusgegenstnde fr Knaben eine Last sind, die Last der Gewohnheiten
+anderer, die Last, die sie um des Stolzes und Vergngens ihrer Eltern
+willen tragen mssen.
+
+Doch als Einzelner, mit beschrnkten Mitteln, konnte ich meinen
+Erziehungsplan nur zum Teil ausfhren. Immerhin hatte mein Sohn
+Bewegungsfreiheit; es waren nur sehr wenige von den Schranken
+geblieben, die der Reichtum und die Gesetze ueren Anstandes zwischen
+den Menschen und der Natur aufrichten. So hatte er eine bessere
+Gelegenheit, diese Welt wirklich kennen zu lernen, als ich sie je
+gehabt habe. Aber eine Frage beschftigte mich, die mir wichtiger
+schien als alles andere. Das Ziel der Erziehung ist nicht, dem Menschen
+einzelne Kenntnisse zu vermitteln, sondern ihn zur Erkenntnis der
+Wahrheit als Ganzes zu fhren. Frher, als das Leben noch einfach war,
+da waren all die verschiedenen Elemente des Menschen in vollstndiger
+Harmonie. Aber als das Intellektuelle sich vom Seelischen und
+Physischen trennte, legte die Schulerziehung den ganzen Nachdruck auf
+die intellektuelle und physische Seite des Menschen. Wir widmen unsre
+ganze Aufmerksamkeit der Vermittlung von Kenntnissen und bedenken
+nicht, da wir durch diese einseitige Ausbildung des Intellekts einen
+Bruch herbeifhren zwischen dem intellektuellen, physischen und
+seelischen Leben des Kindes.
+
+Ich glaube an eine geistige Welt, nicht als etwas, was auerhalb dieser
+Welt ist, sondern als ihre innerste Wahrheit. Mit jedem Atemzuge mssen
+wir diese Wahrheit fhlen: da wir in Gott leben. Als Kinder dieser
+groen Welt, die erfllt ist von dem Geheimnis des Unendlichen, knnen
+wir unser Dasein nicht als eine flchtige Laune des Zufalls ansehen,
+das auf dem Strom der Materie einem ewigen Nichts zutreibt. Wir knnen
+unser Leben nicht ansehen als Traumgebilde eines Trumers, fr den
+es nie ein Erwachen gibt. Wir sind als Persnlichkeiten geschaffen,
+fr die Stoff und Kraft nichts bedeuten, wenn sie nicht auf eine
+unendliche Persnlichkeit bezogen werden, deren Natur wir in gewissem
+Mae wiederfinden in der menschlichen Liebe, in der Gre des Guten,
+im Martyrium der Heldenseelen, in der unaussprechlichen Schnheit der
+Natur, die nicht eine rein physische Tatsache, sondern nur der Ausdruck
+einer Persnlichkeit sein kann.
+
+Die Erfahrung dieser geistigen Welt, die uns nicht zuteil wird, weil
+wir von klein auf gewhnt werden, sie zu bersehen, mssen die Kinder
+dadurch gewinnen, da sie ganz darin leben; sie kann ihnen nicht
+durch theologische Belehrung zugnglich gemacht werden. Aber wie dies
+geschehen soll, ist heutzutage ein schwieriges Problem. Denn die
+Menschen haben es fertig gebracht, ihre Zeit so zu besetzen, da sie
+gar nicht Mue haben, darber nachzudenken, wie ihre ganze Ttigkeit
+nur Bewegung ist, ohne wahren Sinn, und wie heimatlos ihre Seele ist.
+
+In Indien halten wir noch die berlieferung von den Waldkolonien groer
+Lehrer in hohen Ehren. Diese Orte waren weder Schulen noch Klster im
+heutigen Sinn des Wortes. Sie bestanden aus Heimsttten, wo Mnner
+mit ihrer Familie lebten, deren Ziel war, die Welt in Gott zu sehen
+und ihr eigenes Leben in ihm zu begreifen. Obgleich sie auerhalb der
+menschlichen Gesellschaft lebten, so waren sie ihr doch, was die Sonne
+den Planeten ist, der Mittelpunkt, von dem sie Leben und Licht empfing.
+Und hier wuchsen die Knaben auf im nahen Anschauen des Ewigen, bevor
+man sie fr geeignet hielt, Haupt einer Familie zu werden.
+
+So war im alten Indien Schule und Leben vereinigt. Da wurden die
+Schler nicht in der akademischen Atmosphre von Gelehrsamkeit
+und Wissenschaft oder in dem verstmmelten Leben mnchischer
+Abgeschlossenheit erzogen, sondern in der Atmosphre lebendigen
+Wirkens und Strebens. Sie brachten das Vieh auf die Weide, sammelten
+Brennholz, pflckten Obst, waren gtig zu allen Geschpfen und nahmen
+zu an Geist zugleich mit ihren Lehrern. Dies war mglich, weil der
+Hauptzweck dieser Orte nicht der Unterricht war, sondern denen Zuflucht
+und Schutz zu bieten, die ein Leben in Gott leben wollten.
+
+Da diese berlieferung von dem familienhaften Zusammenleben von
+Lehrern und Schlern nicht eine bloe romantische Erdichtung ist,
+sehen wir noch an vereinzelten Schulen, die ein berbleibsel dieses
+einheimischen Erziehungssystems sind. Dies System ist, nachdem es
+Jahrhunderte hindurch seine Unabhngigkeit bewahrt hat, jetzt im
+Begriff, der bureaukratischen Kontrolle der Fremdherrschaft zu
+erliegen. Diese _catusp[=a][t.]h[=i]_, wie man auf Sanskrit die
+Universitten nennt, haben nicht den Charakter einer Schule. Die
+Schler leben im Hause ihres Lehrers wie die Kinder des Hauses, ohne
+fr Wohnung, Kost und Erziehung zu bezahlen. Der Lehrer geht seinen
+eigenen Studien nach, indem er ein Leben der Einfachheit lebt und
+seinen Schlern bei ihrem Studium hilft, was er nicht als sein Geschft
+betrachtet, sondern als einen Teil seines Lebens.
+
+Dies Ideal einer Erziehung, die darin besteht, da der Schler an dem
+Leben und hohen Streben seines Lehrers teilnimmt, lie mich nicht los.
+Die kerkerhafte Enge unsrer Zukunft und die Trostlosigkeit unsrer
+beschnittenen Mglichkeiten drngten mich nur noch mehr zu seiner
+Verwirklichung. Die in anderen Lndern mit unbegrenzten Aussichten auf
+weltlichen Gewinn begnstigt sind, knnen sich solche Dinge zum Ziel
+der Erziehung setzen. Der Spielraum ihres Lebens ist mannigfach und
+weit genug, um ihnen die Freiheit zu gewhren, die sie zur Entfaltung
+ihrer Krfte brauchen. Aber wenn wir die Selbstachtung bewahren sollen,
+die wir uns und unserm Schpfer schulden, so darf unser Erziehungsziel
+nicht hinter dem hchsten Ziel des Menschen berhaupt, der grten
+Vollkommenheit und Freiheit der Seele zurckbleiben. Es ist klglich,
+wenn man nach kleinen Gaben irdischen Besitzes haschen mu. Lat
+uns nur trachten nach dem Zugang zum Leben, das ber alle ueren
+Lebenslagen erhaben ist und ber den Tod hinausgeht, lat uns Gott
+suchen, lat uns leben fr jene endgltige Wahrheit, die uns frei macht
+von der Knechtschaft des Staubes und uns den wahren Reichtum gibt:
+nicht Reichtum an toten Dingen, sondern an innerem Licht, nicht an
+Macht, sondern an Liebe. Solche Befreiung der Seele haben wir in unserm
+Lande gefunden bei Menschen, denen jede Bcherweisheit fehlte und die
+in vollstndiger Armut lebten. Wir haben in Indien das Erbe dieses
+Schatzes geistiger Weisheit. Lat das Ziel unsrer Erziehung sein, es
+vor uns auszubreiten und die Kraft zu gewinnen, im Leben den rechten
+Gebrauch davon zu machen, auf da wir es einst, wenn die Zeit kommt,
+der brigen Welt darbieten als unsern Beitrag zu ihrem ewigen Heil.
+
+Ich war ganz in meine literarische Ttigkeit vertieft, als dieser
+Gedanke mich mit schmerzhafter Heftigkeit packte. Ich hatte pltzlich
+ein Gefhl wie jemand, der unter einem Alpdruck sthnt. Nicht nur
+meine eigene Seele, sondern die Seele meines Landes schien in mir nach
+Atem zu ringen. Ich fhlte klar, da das, was uns not tut, nicht
+materieller Art ist, nicht Reichtum, Behagen oder Macht, sondern
+ein Erwachen zum vollen Bewutsein unsrer seelischen Freiheit, der
+Freiheit, ein Leben in Gott zu fhren, wo wir nicht in Feindschaft
+leben mit denen, die nicht anders knnen als kmpfen, und nicht im
+Wettbewerb mit denen, deren einziges Ziel Geldgewinn ist, wo wir vor
+allen Angriffen und Schmhungen sicher sind.
+
+Zum Glck hatte ich schon einen Platz bereit, wo ich meine Arbeit
+beginnen konnte. Mein Vater hatte auf einer seiner zahlreichen Reisen
+sich diesen einsamen Ort erwhlt, der ihm geeignet schien zu einem
+Leben stiller Gemeinschaft mit Gott. Diesen Ort hatte er mit allem,
+was zum Lebensunterhalt ntig war, denen gestiftet, die Ruhe und
+Abgeschlossenheit fr religise bungen und Betrachtungen suchten. Ich
+hatte etwa zehn Knaben bei mir, als ich dorthin ging, und begann mein
+neues Leben ohne irgendwelche frhere Erfahrung.
+
+Die Gegend, die unsre Einsiedelei umgibt, ist weites offenes Land, ganz
+kahl bis an den Horizont hin, nur da hier und da ein paar verkmmerte
+Dattelpalmen oder Dornstrucher die Ameisenhgel zu berragen suchen.
+Jenseits der Felder und tiefer als diese erstreckt sich eine Flche
+mit zahllosen Erdhgeln und kleinen Hgelchen von rotem Kies und
+Kieseln von allen Formen und Farben, die von schmalen Regenrinnen
+durchschnitten wird. In geringer Entfernung nach Sden zu, nahe beim
+Dorfe, sieht man durch eine Reihe von Palmen hindurch die stahlblaue
+Flche des Wassers glitzern, das sich in einer Vertiefung des Bodens
+angesammelt hat. Ein Pfad, den die Dorfleute bentzen, wenn sie ihre
+Einkufe in der Stadt machen, schlngelt sich durch die einsamen
+Felder und schimmert rtlich in der Sonne. Die Reisenden, die diesen
+Pfad hinaufkommen, knnen schon in der Ferne auf dem hchsten Punkt
+des welligen Hgellandes die Spitze eines Tempels und das Dach eines
+Gebudes sehen. Denn hier liegt inmitten von Myrobalanenhainen die
+Einsiedelei Santi-Niketan, zu der eine Allee von stattlichen Salbumen
+hinanfhrt.
+
+Und hier hat sich nun seit mehr als fnfzehn Jahren die Schule
+entwickelt. Manchen Wechsel und manche ernste Krisis hat sie erlebt.
+Da ich den blen Ruf hatte, ein Dichter zu sein, wurde es mir sehr
+schwer, das Vertrauen meiner Landsleute zu gewinnen und dem Verdacht
+der Bureaukratie zu entgehen. Wenn ich am Ende einen gewissen Erfolg
+hatte, so liegt es daran, da ich ihn nie erwartete, sondern meinen
+eigenen Weg ging, ohne auf Beifall, Rat oder Hilfe von auen zu warten.
+Meine Mittel waren auerordentlich gering, da das Unternehmen mich tief
+in Schulden gestrzt hatte. Aber diese Armut selbst gab mir Kraft und
+lehrte mich, mein Vertrauen auf die Macht der Idee zu setzen, statt auf
+uere Hilfsmittel.
+
+Da die Entwicklung der Schule meine eigene Entwicklung bedeutete und
+nicht die bloe Verwirklichung meiner Theorien, so wandelten sich ihre
+Ideale auch whrend ihres Reifens, wie eine reifende Frucht nicht nur
+grer wird und sich tiefer frbt, sondern auch in der Beschaffenheit
+ihres Fleisches Vernderungen erfhrt. Als ich anfing, hatte ich
+die Idee, da ich einen wohlttigen Zweck verfolgte. Ich arbeitete
+angestrengt; doch die einzige Befriedigung, die ich hatte, war, da
+ich mir ausrechnete, welche Opfer an Geld und Kraft und Zeit ich
+brachte, und dabei meine unermdliche Gte bewunderte. Aber was dabei
+herauskam, hatte wenig Wert. Ich baute nur immer ein System auf das
+andere auf, um nachher alles wieder umzureien. So tat ich im Grunde
+nichts anderes, als meine Zeit ausfllen; was ich schuf, war innerlich
+leer. Ich wei noch, wie ein alter Schler meines Vaters kam und zu
+mir sagte: Was ich hier sehe, ist wie ein Hochzeitssaal, wo alles
+bereit ist, nur der Brutigam fehlt. Der Fehler, den ich gemacht
+hatte, war, da ich meinte, mein eigener Zweck sei dieser Brutigam.
+Aber allmhlich fand mein Herz diesen Mittelpunkt. Er war nicht in der
+Arbeit, nicht in meinen Wnschen, sondern in der Wahrheit. Ich sa
+allein auf der oberen Terrasse des Hauses Santi-Niketan und schaute
+auf die Baumwipfel der Salallee vor mir. Ich lste mein Herz los von
+meinen eigenen Plnen und Berechnungen, von den Kmpfen des Tages,
+und hob es schweigend hinauf zu dem, dessen Gegenwart und Frieden den
+Himmel durchflutete, und allmhlich wurde mein Herz von ihm erfllt.
+Ich begann, die Welt rings um mich her mit den Augen meiner Seele
+zu sehen. Die Bume erschienen mir wie stille Lobgesnge, die aus
+dem stummen Herzen der Erde aufstiegen, und das Rufen und Lachen der
+Knaben, das durch die Abendluft zu mir herauftnte, erklang mir wie
+ein Quell von lebendigen Tnen, der aus der Tiefe des Menschenlebens
+aufstieg. Ich vernahm die Botschaft in dem Sonnenlicht, das meine Seele
+in ihrer Tiefe berhrte, und ich fhlte ein ses Gestilltsein in
+den Lften, die das Wort des alten Meisters zu mir sprachen: _Ko hy
+ev[=a]ny[=a]t ka[h.] pr[=a]ny[=a]t yady e[s.]a [=a]k[=a][s]a [=a]nando
+na sy[=a]t._[15] Wer knnte je in dieser Welt leben und hoffen und
+streben, wenn der Raum nicht mit Liebe gefllt wre. Und als ich
+dann den Kampf um Erfolg und meinen Ehrgeiz, andern wohlzutun, aufgab
+und das eine, was not tut, begriff; als ich fhlte, da der, der sein
+eigenes Leben in Wahrheit lebt, das Leben der ganzen Welt lebt, da
+klrte sich die trbe Atmosphre ueren Kampfes, und die natrliche
+Schpferkraft brach sich Bahn zum Kern aller Dinge. Und wenn es jetzt
+noch mancherlei Oberflchliches und Wertloses im Betrieb unsrer Anstalt
+gibt, so hat es seine Ursache in dem Mitrauen gegen den Geist, das
+uns noch immer anhaftet, in der unausrottbaren berzeugung von unsrer
+eigenen Wichtigkeit, in der Gewohnheit, die Ursache unserer Fehlschlge
+anderswo als bei uns zu suchen, und in dem Bestreben, alle Lockerheit
+und Schlaffheit in unsrer Arbeit dadurch wieder gutzumachen, da wir
+die Schrauben der Organisation fester anziehen. Aus eigener Erfahrung
+wei ich, da da, wo der Eifer, andere zu belehren, allzu gro ist,
+besonders wenn es sich um geistige Dinge handelt, das Ergebnis drftig
+und nicht ganz wahr ist. Alle Heuchelei und Selbsttuschung bei unsern
+religisen berzeugungen und bungen sind die Folge von dem bereifer
+geistlicher Mentoren. Auf geistigem Gebiet ist Erwerben und Spenden
+eins; wie die Lampe andern Licht gibt, sobald sie selbst leuchtet.
+Wenn ein Mensch es zu seinem Beruf macht, seinen Mitmenschen Gott zu
+predigen, so wird er viel mehr Staub aufwirbeln, als zur Wahrheit
+fhren. Religion lt sich nicht in der Form von Unterricht mitteilen,
+sondern nur durch religises Leben selbst. So bewhrt sich das Ideal
+der Waldkolonie jener Gottsucher auch heute noch als die wahre Schule
+religisen Lebens. Religion ist nicht etwas, was man in Stcke zerlegen
+und in bestimmten Wochen- oder Tagesrationen austeilen kann als eins
+der verschiedenen Fcher des Schulprogramms. Sie ist die Wahrheit
+unsres ganzen Seins, das Bewutsein unsrer persnlichen Beziehung zum
+Unendlichen; sie ist der wahre Schwerpunkt unsres Lebens. Sie kann
+uns in unsrer Kindheit zuteil werden, wenn wir ganz an einem Orte
+leben, wo die Wahrheit der geistigen Welt nicht durch eine Menge von
+Notwendigkeiten verdunkelt wird, die sich Bedeutung anmaen; wo das
+Leben einfach ist und reich an Mue, an Raum und reiner Luft und an dem
+tiefen Frieden der Natur, und wo die Menschen in festem Glauben den
+Blick auf das Ewige gerichtet haben.
+
+Nun wird man mich fragen, ob ich in meiner Schule das Ideal erreicht
+habe. Ich mu darauf antworten, da die Erreichung unsrer hchsten
+Ideale sich schwer nach uern Mastben messen lt. Ihre Wirkung
+lt sich nicht gleich an Resultaten nachweisen. Wir tragen in
+unsrer Einsiedelei den Ungleichheiten und Mannigfaltigkeiten
+des menschlichen Lebens in vollem Mae Rechnung. Wir versuchen
+nie, eine Art uere Gleichfrmigkeit zu erzielen, indem wir die
+Verschiedenheiten der Anlage und Erziehung unsrer Schler auszurotten
+suchen. Einige von uns gehren zur Sekte des Br[=a]hma Sam[=a]dsch,
+einige zu andern Hindu-Sekten, und einige von uns sind Christen. Da
+wir uns nicht mit Bekenntnissen und Dogmen beschftigen, entstehen
+aus der Verschiedenheit unsres religisen Glaubens durchaus keine
+Schwierigkeiten. Auch wei ich, da das Gefhl von Ehrfurcht fr das
+Ideal dieser Schule und fr das Leben, das wir hier fhren, unter
+denen, die sich in dieser Einsiedelei versammelt haben, an Ernst und
+Tiefe sehr verschieden ist. Ich wei, da unsre Begeisterung fr ein
+hheres Leben doch noch immer nicht weit hinausgekommen ist ber
+unser Trachten nach weltlichen Gtern und weltlichem Ruhm. Und doch
+bin ich vollkommen gewi und habe zahlreiche Beweise dafr, da das
+Ideal unsrer Einsiedelei von Tag zu Tag immer mehr in unsrer Natur
+Wurzel fat. Ohne da wir es merken, werden die Saiten unsres Lebens
+zu immer reinerem, seelenvollerem Klang gestimmt. Was es auch war,
+das uns zuerst hierher fhrte, durch alle Disharmonie tnt doch
+unaufhrlich der Ruf: _[s][=a]ntam, [s]ivam, advaitam_ -- du Gott
+des Friedens, Allgtiger, Einziger! Die Luft scheint hier von der
+Stimme des Unendlichen erfllt, die dem Frieden des frhen Morgens und
+der Stille der Nacht tiefen Sinn gibt und durch die weien Scharen
+von _shiuli_-Blumen im Herbst und _m[=a]lat[=i]_-Blumen im Sommer das
+Evangelium von der Schnheit predigt, die anbetend sich selbst als
+Opfer darbringt.
+
+Es ist schwer fr die, die nicht Inder sind, sich klar zu machen,
+welche Vorstellungen sich alle mit dem Wort _[=a][s]rama_,
+Waldheiligtum, verbinden. Denn es blhte wie die Lotusblume in Indien
+unter einem Himmel, der freigebig ist mit Sonnenlicht und Sternenglanz.
+Indiens Klima ruft uns ins Freie; die Stimme seiner mchtigen Strme
+ertnt in feierlichem Gesang; die endlose Weite seiner Ebenen umgibt
+unsre Heimsttten mit dem Schweigen einer andern Welt; die Sonne steigt
+am Rand der grnen Erde auf wie eine Opferflamme, die das Unsichtbare
+auf dem Altar des Unbekannten entzndet, und sie steigt am Abend im
+Westen herab wie ein prchtiges Freudenfeuer, mit dem die Natur das
+Ewige begrt. In Indien ist der Schatten der Bume gastlich, der
+Staub der Erde streckt seine braunen Arme nach uns aus, die Luft
+schlgt liebend ihren warmen Mantel um uns. Das sind die unwandelbaren
+Tatsachen, die immer wieder zu unsrer Seele sprechen, und daher
+empfinden wir es als Indiens Aufgabe, durch diese Verbundenheit mit
+der Seele der Welt die menschliche Seele als eins mit der gttlichen
+Seele zu erkennen. Diese Aufgabe hat in den Waldschulen der alten Zeit
+ihre natrliche Form gefunden. Und sie treibt uns an, das Unendliche
+in allen Gestalten der Schpfung, in den Beziehungen menschlicher
+Liebe zu suchen; es zu fhlen in der Luft, die wir atmen, in dem
+Licht, dem wir unsre Augen ffnen, im Wasser, in dem wir baden, in
+der Erde, auf der wir leben und sterben. Daher wei ich -- und wei
+es aus eigener Erfahrung --, da die Schler und Lehrer, die sich in
+dieser Einsiedelei zusammengefunden haben, an Freiheit des Geistes
+tglich wachsen und immer mehr eins werden mit dem Unendlichen, nicht
+durch irgendwelchen Unterricht oder uere bungen, sondern kraft der
+unsichtbaren geistigen Atmosphre, die diesen Ort umgibt, und des
+Andenkens an einen frommen Mann, der hier in inniger Gemeinschaft mit
+Gott lebte.
+
+Ich hoffe, es ist mir gelungen, darzulegen, wie das bewute Streben,
+das mich leitete, als ich meine Schule in der Einsiedelei grndete,
+allmhlich seine Selbstndigkeit verlor und eins wurde mit dem Streben,
+das die Seele dieses Ortes ist. Mit einem Wort: mein Werk erhielt
+seine Seele durch den Geist der Einsiedelei. Aber diese Seele hat ohne
+Zweifel ihre uere Gestalt in der Einrichtung der Schule. Und ich habe
+alle diese Jahre hindurch versucht, in dem Lehrsystem dieser Schule
+meine Erziehungstheorie zu verwirklichen, die sich auf meine Erfahrung
+von der Kindesseele grndet.
+
+Ich glaube, wie ich schon vorher andeutete, da das unbewute Empfinden
+bei den Kindern viel ttiger ist als das bewute Denken. Eine groe
+Menge der wichtigsten Lehren ist uns durch jenes vermittelt. Die
+Erfahrungen zahlloser Generationen sind uns durch seine Wirksamkeit
+in Fleisch und Blut bergegangen, nicht nur ohne uns zu ermden,
+sondern so, da sie uns froh machten. Diese unterbewute Fhigkeit des
+Gewahrwerdens ist ganz eins mit unserm Leben. Sie ist nicht wie eine
+Laterne, die man von auen anzndet und putzt, sondern wie das Licht,
+das der Glhwurm durch die Ausbung seiner Lebensfunktionen erzeugt.
+
+Zu meinem Glck wuchs ich in einer Familie auf, wo der Sinn fr
+Literatur, Musik und Kunst instinktiv geworden war. Meine Brder
+und Vettern lebten im freien Reich der Gedanken, und die meisten
+von ihnen hatten natrliche knstlerische Anlagen. Durch solche
+Umgebung angeregt, begann ich frh zu denken und zu trumen und
+meine Gedanken zum Ausdruck zu bringen. In bezug auf religise oder
+soziale Anschauungen war unsre Familie frei von aller Konvention, da
+sie wegen ihrer Abweichung von orthodoxen Glaubenslehren und Sitten
+von der Gesellschaft in den Bann getan war. Dies machte uns furchtlos
+in unsrer geistigen Freiheit, und wir wagten neue Versuche auf allen
+Gebieten des Lebens. So war die Erziehung, die ich in meiner frhesten
+Kindheit hatte, Freiheit und Freude in der bung meiner geistigen
+und knstlerischen Krfte. Und weil dies meinem Geist lebhaft zum
+Bewutsein brachte, wo sein natrlicher Nhrboden war, wurde die
+Schleifmhle des Schulbetriebes so unertrglich fr mich.
+
+Diese Erfahrung aus meiner frhen Kindheit war alles, was ich an
+Schulerfahrung hatte, als ich an mein Unternehmen ging. Ich fhlte, da
+das Wichtigste und Notwendigste nicht die uere Lehrmethode, sondern
+der lebendige Odem der Kultur selbst war. Zum Glck fr mich gewann
+Satish Chandra Roy, ein hochbegabter junger Student, der sich auf sein
+Staatsexamen vorbereitete, lebhaftes Interesse fr meine Schule und
+machte es sich zur Lebensaufgabe, meine Idee auszufhren. Er war erst
+neunzehn Jahre alt, aber ein Mensch von hohem Geistesfluge, mit einer
+fr alles Groe und Schne wunderbar empfnglichen Seele. Er war ein
+Dichter, der sicher unter den Unsterblichen der Weltliteratur seinen
+Platz gefunden htte, wenn er am Leben geblieben wre; aber er starb
+schon mit zwanzig Jahren und konnte so unsrer Schule seine Kraft nur
+ein kurzes Jahr lang widmen. Bei ihm hatten die Knaben nie das Gefhl,
+auf ihr Unterrichtsfach beschrnkt zu sein, sondern es war, als ffnete
+er ihnen alle Tore der Welt. Mit ihm gingen sie in den Wald, wenn im
+Frhling die Salbume in voller Blte standen; dann deklamierte er
+ihnen, ganz berauscht von Begeisterung, seine Lieblingsgedichte. Er
+las ihnen Shakespeare und selbst Browning -- denn er war ein groer
+Verehrer Brownings -- und erluterte ihnen mit wunderbarer Kraft des
+Ausdrucks die Dichtungen in bengalischer Sprache. Niemals zweifelte
+er an der Verstndnisfhigkeit der Knaben, er sprach und las ihnen
+ber jeden Gegenstand, der ihn selbst interessierte. Er wute, da
+es durchaus nicht ntig war, da die Schler alles wrtlich und
+genau verstanden, sondern da ihr Geist aufgerttelt und ihre Seelen
+geweckt wurden, und dies gelang ihm immer. Er war nicht, wie andre
+Lehrer, ein bloer Vermittler von Bcherwissen. Er gestaltete seinen
+Unterricht persnlich, er schpfte aus seiner eigenen Tiefe, und daher
+war das, was er den Schlern bot, lebendige Nahrung, die die lebendige
+menschliche Natur sich leicht aneignet. Der wahre Grund seines Erfolges
+war seine intensive Teilnahme an dem Leben, an den Ideen, an allem
+um ihn her, vor allem an den Knaben, die mit ihm in Berhrung kamen.
+Er schpfte seine Begeisterung nicht aus Bchern, sondern aus der
+unmittelbaren Berhrung seiner empfnglichen Seele mit der Welt. Der
+Wechsel der Jahreszeiten hatte auf ihn dieselbe Wirkung wie auf die
+Pflanzen. Er schien in seinem Blut die unsichtbaren Boten der Natur zu
+spren, die immer durch den Weltenraum eilen, in der Luft schweben,
+am Himmel schimmern und aus den Wurzeln der Grashalme aus der Erde
+herauftnen. Seine Literaturstudien hatten nicht den Modergeruch der
+Bibliothek an sich. Er hatte die Gabe, die Ideen so greifbar deutlich
+und lebendig vor sich zu sehen, wie er seine Freunde sah.
+
+So hatten die Knaben unsrer Schule das seltene Glck, ihren Unterricht
+von einem lebendigen Lehrer und nicht aus Bchern zu erhalten. Haben
+nicht unsre Bcher, wie die meisten Dinge des tglichen Gebrauchs,
+sich zwischen uns und unsre Welt gestellt? Wir haben uns gewhnt, die
+Fenster unsres Geistes mit ihren Seiten zu verdecken und Bcherphrasen
+als Pflaster auf unsre geistige Haut zu kleben, so da sie fr jede
+direkte Berhrung der Wahrheit unempfindlich geworden ist. Wir haben
+uns aus einer ganzen Welt von Bcherweisheit eine Festung gebaut
+mit hohen Ringmauern, wohinter wir uns verschanzt haben und vor der
+Berhrung mit Gottes Schpfung sicher sind. Gewi wrde es tricht
+sein, den Wert von Bchern im allgemeinen zu bestreiten. Aber man
+mu auch zu gleicher Zeit zugeben, da Bcher ihre Grenzen und
+ihre Gefahren haben. Jedenfalls sollten den Kindern in den ersten
+Jahren ihrer Erziehung die Wahrheiten, die sie zu lernen haben, auf
+natrlichem Wege, das heit durch die Menschen und die Dinge selbst
+vermittelt werden.
+
+Da ich hiervon berzeugt bin, habe ich alles, was ich konnte, getan, um
+in unsrer Einsiedelei eine geistige Atmosphre zu schaffen. Ich mache
+Lieder, aber ich mache sie nicht eigens fr die Jugend zurecht. Es
+sind Lieder, die ein Dichter sich zu seiner eigenen Freude singt. So
+sind die meisten meiner Gitanjali-Lieder hier entstanden. Diese Lieder
+singe ich, so wie sie mir erblhen, den Knaben vor, und sie kommen
+scharenweise, um sie zu lernen. Sie singen sie in ihren Muestunden,
+in Gruppen unter freiem Himmel sitzend, in Mondscheinnchten oder im
+Schatten der drohenden Juliwolken. Alle meine spteren Dramen sind
+hier entstanden und unter Teilnahme der Knaben aufgefhrt. Ich habe
+ihnen lyrische Dramen fr ihre Jahresfeste geschrieben. Sie drfen
+immer dabei sein, wenn ich den Lehrern irgend etwas von meinen neuen
+Sachen in Prosa oder Versen vorlese, welchen Inhalts es auch sei. Und
+von dieser Erlaubnis machen sie Gebrauch, ohne da der geringste Druck
+auf sie ausgebt wird, ja, sie sind sehr traurig, wenn sie nicht
+aufgefordert werden. Einige Wochen vor meiner Abreise von Indien las
+ich ihnen Brownings Drama Luria und bertrug es, whrend ich las,
+ins Bengalische. Es nahm zwei Abende in Anspruch, aber die zweite
+Versammlung war ebenso zahlreich wie die erste. Wer gesehen hat,
+wie diese Knaben ihre Rollen spielen, ist berrascht, wie stark sie
+als Schauspieler wirken. Das kommt daher, weil sie nie eigentlichen
+Unterricht in dieser Kunst gehabt haben. Sie erfassen instinktiv den
+Geist der Dichtung, obgleich diese Dramen keine bloen Schuldramen
+sind und ein feines Verstndnis und Mitempfinden erfordern. Bei aller
+ngstlichkeit und berkritischen Empfindlichkeit, die ein Dichter der
+Auffhrung seines Stckes gegenber hat, war ich nie enttuscht von
+meinen Schlern, und ich habe selten einem Lehrer erlaubt, die Knaben
+in ihrer eigenen Darstellung der Charaktere zu stren. Hufig schreiben
+sie selbst Stcke oder improvisieren sie, und dann werden wir zu der
+Auffhrung eingeladen. Sie haben ihre literarischen Vereine und haben
+mindestens drei illustrierte Zeitschriften, die von drei Gruppen
+der Schule geleitet werden. Die interessanteste dieser Zeitschriften
+ist die der Kleinen. Eine ganze Anzahl unsrer Schler haben ein
+beachtenswertes Talent fr Zeichnen und Malerei gezeigt. Wir entwickeln
+dies Talent nicht mit Hilfe der alten, hier in den Schulen noch immer
+blichen Kopiermethode, sondern lassen die Schler ihrer eigenen
+Neigung folgen und helfen ihnen nur dadurch, da wir hin und wieder
+Knstler zu uns einladen, die die Knaben durch ihre eigenen Arbeiten
+anregen und begeistern.
+
+Als ich meine Schule anfing, zeigten die Knaben keine besondere Liebe
+zur Musik. Daher stellte ich zuerst noch keinen Musiklehrer an und
+zwang die Knaben nicht, Musikstunden zu nehmen. Ich sorgte nur fr
+Gelegenheiten, wo die, die fr diese Kunst begabt waren, sie ben
+und zeigen konnten. Dies hatte die Wirkung, da das Ohr der Knaben
+sich unbewut bte. Und als nach und nach die meisten von ihnen groe
+Neigung und Liebe zur Musik zeigten und ich sah, da sie bereit sein
+wrden, regelrechten Unterricht darin zu nehmen, berief ich einen
+Musiklehrer.
+
+In unsrer Schule stehen die Knaben des Morgens sehr frh auf,
+bisweilen vor Tagesanbruch. Sie besorgen selbst das Wasser fr ihr
+Bad. Sie machen ihre Betten. Sie tun alle die Dinge, die den Geist der
+Selbsthilfe in ihnen entwickeln.
+
+Ich glaube an den Wert regelmiger religiser Betrachtung, und ich
+setze morgens und abends eine Viertelstunde dafr an. Ich halte
+darauf, da diese Zeit innegehalten wird, ohne jedoch von den Knaben
+zu erwarten, da sie so tun, als ob sie in religise Betrachtungen
+versenkt wren. Aber ich verlange, da sie still sind, da sie
+Selbstbeherrschung ben, wenn sie auch, statt an Gott zu denken, die
+Eichhrnchen beobachten, die die Bume hinauflaufen.
+
+Jede Schilderung solcher Schule kann nicht anders als unzulnglich
+sein. Denn das Wichtigste von ihr ist ihre Atmosphre und die Tatsache,
+da es keine Schule ist, die den Knaben von autokratischen Behrden
+aufgezwungen ist, in der sie ihr eigenes Leben leben sollen. Sie nehmen
+teil an der Schulverwaltung, und in Straffllen verlassen wir uns
+meistens auf ihren eigenen Gerichtshof.
+
+Zum Schlu mchte ich meine Zuhrer warnen, ein falsches oder
+bertriebenes Bild von dieser Einsiedelei mit nach Hause zu nehmen.
+Wenn man so seine Ideen vortrgt, so erscheinen sie ganz einfach und
+vollkommen. Aber ihre Verkrperung in der Wirklichkeit ist nicht
+so klar und vollkommen, weil das Material lebendig und mannigfach
+und immer wechselnd ist. Es treten uns Hindernisse entgegen sowohl
+in der menschlichen Natur wie in den ueren Umstnden. Einige von
+uns vergessen nur zu leicht, da die Geister der Knaben lebendige
+Organismen sind, und andere sind von Natur geneigt, das Gute mit
+Gewalt durchsetzen zu wollen. Die Knaben ihrerseits sind nicht alle
+in gleichem Mae empfnglich, und so haben wir manchen Mierfolg zu
+verzeichnen. Vergehen treten unerwartet auf, die uns an der wirkenden
+Kraft unsrer Ideale zweifeln lassen. Es kommen trbe Zeiten, voll von
+Rckschlgen und Zweifeln. Aber dies Schwanken und diese Konflikte
+gehren nun einmal zum wahren Bilde des wirklichen Lebens. Lebendige
+Ideale knnen nicht als Uhrwerk aufgezogen werden, das nun jede Sekunde
+genau angibt. Und wer den festen Glauben an ein Ideal hat, mu die
+Wahrheit desselben dadurch beweisen, da er sich durch die niemals
+ausbleibenden Widerstnde und Mierfolge nicht vom Wege abbringen lt.
+Ich fr mein Teil halte mehr von dem Prinzip des Lebens, von der Seele
+des Menschen, als von Methoden. Ich glaube, da das Ziel der Erziehung
+die sittliche Freiheit ist, die nur auf dem Wege der Freiheit erreicht
+werden kann, obgleich die Freiheit ihre Gefahren und ihre Verantwortung
+hat, wie das Leben berhaupt sie hat. Ich wei gewi, wenn auch die
+meisten Menschen es vergessen zu haben scheinen, da Kinder lebendige
+Wesen sind, lebendiger als Erwachsene, die schon in einer Rinde von
+Gewohnheiten stecken. Daher ist es fr ihre geistige Gesundheit und
+Entwicklung unbedingt ntig, da man sie nicht in Schulen steckt, deren
+einziger Zweck der Unterricht ist, sondern da sie in einer Welt leben,
+deren leitender Geist die persnliche Liebe ist. Solch eine Welt ist
+die Einsiedelei, der _[=a][s]rama_, wo die Menschen sich im Frieden
+der Natur zu dem hchsten Lebensziel vereint haben; wo sie sich nicht
+nur frommen Betrachtungen hingeben, sondern auch mit offenen Augen in
+die Welt schauen und ttig wirkend in ihr schaffen; wo man den Schlern
+nicht unausgesetzt den Glauben beibringt, da die Selbstvergtterung
+der Nation das hchste Ideal fr sie ist; wo sie begreifen lernen,
+da diese Menschenwelt Gottes Knigreich ist, dessen Brger zu werden
+sie streben sollen; wo Sonnenauf- und -untergang und die stille
+Herrlichkeit der Sterne nicht tglich unbeachtet bleiben; wo der
+Mensch freudig teilnimmt an den Festen, die die Natur mit ihren Blten
+und Frchten feiert, und wo jung und alt, Lehrer und Schler sich an
+denselben Tisch setzen und das tgliche Brot wie das Brot des Lebens
+miteinander teilen.
+
+
+
+
+RELIGISE BETRACHTUNG
+
+
+Es gibt Dinge, die wir von auen bekommen und als Besitz an uns nehmen.
+Aber mit der religisen Betrachtung ist es umgekehrt. Hier treten wir
+mitten in eine groe Wahrheit ein und werden von ihr in Besitz genommen.
+
+Lat uns im Gegensatz dazu sehen, was Reichtum ist. Geld reprsentiert
+eine entsprechende Summe von Arbeit. Vermittelst des Geldes kann ich
+die Arbeit vom Menschen loslsen und sie in mein Eigentum verwandeln.
+Ich erwerbe sie von auen und wandle sie in eigene Kraft um.
+
+Oder nehmen wir das Wissen. Es gibt eine Art, die wir von andern
+bernehmen, und eine andre Art, die wir uns durch Beobachtung,
+Experimente und Nachdenken erwerben.
+
+Alles dies sind Versuche, uns etwas, was wir nicht haben, zu eigen
+zu machen. Bei diesen Dingen sind unsre geistigen und physischen
+Krfte in ganz entgegengesetzter Weise ttig als bei der religisen
+Betrachtung.
+
+Die hchste Wahrheit knnen wir nur erfassen, indem wir uns in sie
+versenken. Und wenn unser Bewutsein ganz in sie eingetaucht ist, dann
+wissen wir, da sie kein bloer Besitz ist, den wir erworben haben,
+sondern da wir eins mit ihr sind.
+
+So werden durch solches Versenken, wo unsre Seele ihre wahre Beziehung
+zur hchsten Wahrheit findet, auch alle unsre Handlungen und Worte,
+unser ganzes Wesen wahr.
+
+Ich mchte hier einen Text anfhren, der uns in Indien zu solcher
+Versenkung dient.
+
+ _Om bh[=u]r bhuva[h.] sva[h.].
+ tt savitr vre[n.]yam
+ bhrgo devsya dh[=i]mahi
+ dhyo y na[h.] pracody[=a]t[16]._
+
+_Om._ Das heit Vollkommenheit; es ist in der Tat das symbolische Wort
+fr das Unendliche, Vollkommene, Ewige. Der Laut an sich schon ist
+vollkommen und stellt die Ganzheit aller Dinge dar.
+
+All unsre religisen Betrachtungen beginnen mit Om und enden mit Om. Es
+soll den Geist mit der Ahnung der ewigen Vollkommenheit erfllen und
+ihn aus der Welt der engen Selbstsucht befreien.
+
+_Bh[=u]r bhuva[h.] sva[h.]._
+
+_Bh[=u]r_ bedeutet die Erde.
+
+_Bhuva[h.]_ bedeutet die mittlere Region, den Luftraum.
+
+_Sva[h.]_ bedeutet die Region der Sterne.
+
+Erde, Luft- und Sternenraum. Mitten ins Herz dieses Weltalls sollst
+du deinen Geist richten. Du sollst dir gegenwrtig halten, da du im
+Unendlichen geboren bist, da du nicht nur einem besonderen Fleck
+dieser Erde angehrst, sondern der ganzen Welt.
+
+_Tt savitr vre[n.]yam bhrgo devsya dh[=i]mahi._ Lat uns
+nachdenken ber die anbetungswrdige Kraft des Weltschpfers. Das Wort
+Schpfer ist durch bestndigen Gebrauch abgegriffen. Aber wir mssen
+uns die Unermelichkeit des Weltalls ins Bewutsein rufen, wenn wir
+sagen, da Gott das Weltall aus seiner unendlichen Schpferkraft
+erschafft, nicht durch eine einmalige Schpfungstat, sondern
+unaufhrlich, jeden Augenblick.
+
+Alles dies ist ein Ausdruck des ewigen Schpferwillens. Dieser ist
+nicht wie das Gesetz der Schwere oder andere Naturgesetze etwas
+Abstraktes, das wir nicht verehren knnen und das auf unsre Verehrung
+keinen Anspruch erheben kann. Sondern unser Text sagt, da jene Kraft
+anbetungswrdig ist, da sie unsre Verehrung fordert, weil sie einem
+hchsten Wesen angehrt und keine bloe Abstraktion ist.
+
+Wodurch offenbart sich diese Kraft?
+
+Auf der einen Seite durch Erde, Luftraum und Sternenhimmel, auf der
+andern durch unser Bewutsein.
+
+Es besteht eine ewige Verbindung zwischen uns und der Welt, weil diese
+Welt in unserm Bewutsein erst ihre volle Verwirklichung findet.
+Ohne dies Bewutsein und ohne das hchste Bewutsein als Quelle und
+Mittelpunkt, knnte es keine Welt geben.
+
+Gottes Kraft strahlt von ihm aus und strmt als Bewutsein in mir und
+in der Auenwelt. Wir selbst trennen gewhnlich diese beiden Welten,
+aber in Wahrheit sind sie zwei Seiten derselben Schpfung, sie sind
+gleichen Ursprungs und daher eng miteinander verbunden.
+
+So vergegenwrtigt mir diese Betrachtung, da mein Bewutsein und die
+weite Welt auer mir eins sind. Und worin besteht diese Einheit?
+
+Sie besteht in der groen Kraft, die zugleich mich und die Welt
+auerhalb meiner mit Bewutsein durchstrmt.
+
+Durch solche Versenkung erwerbe ich nicht etwas fr mich, sondern ich
+gebe mich selbst auf und werde eins mit der ganzen Schpfung.
+
+Dies ist also unser Text, und wir richten unsre Gedanken ganz auf ihn
+und wiederholen ihn immer wieder, bis unsre Seele still ist und nichts
+uns mehr zerstreut. In diesem Zustand kann kein Verlust, keine Angst,
+kein Schmerz uns berhren, wir sind frei. Dies bedeutet also religise
+Versenkung: wir tauchen ganz ein in die hchste Weisheit, wir leben und
+weben in ihr und haben in ihr unser Sein.
+
+Ein anderer Text, der in unsrer Schule den Knaben zu ihrer tglichen
+Andachtsbung dient, lautet:
+
+_Om. Pit[=a] no 'si, pit[=a] no bodhi. Namas te 'stu[17]._
+
+_Pit[=a] no 'si._ Du bist unser Vater.
+
+_Pit[=a] no bodhi._ Gib uns das Bewutsein, das Erwachen zu der
+Gewiheit, da du unser Vater bist.
+
+_Namas te 'stu._ Fr _nama[h.]_ lt sich schwer ein genau
+entsprechendes Wort finden, vielleicht kommt Verneigung oder
+Verehrung seiner Bedeutung am nchsten.
+
+Meine Anbetung dir -- la sie wahr werden.
+
+Dies ist der erste Teil des Textes unsrer Andachtsbung. Ich will
+versuchen, zu erklren, was ich darunter verstehe.
+
+_Pit[=a] no 'si._ Der Text beginnt mit der Versicherung, da Gott in
+Wahrheit unser Vater _ist_.
+
+Aber diese Wahrheit ist in unserm Leben noch nicht als solche
+erfat und zum Ausdruck gekommen, und das ist die Ursache all unsrer
+Unvollkommenheiten und Snden und all unsres Elends. Daher beten wir,
+da sie in unserm Bewutsein Wirklichkeit werde.
+
+Dann schliet der Vers mit _Namas te_. La meine Anbetung wahr werden!
+Weil Anbetung die Haltung ist, die uns ihm gegenber gebhrt. Wenn ich
+diese groe Wahrheit -- _Pit[=a] no 'si_ -- vollkommen erkannt habe,
+dann bringt mein Leben sein wahres Wesen zum Ausdruck, durch demtige
+Selbsthingabe und anbetende Verehrung.
+
+Beim Gebet brauchen wir mitunter Worte, die zwar unserm Empfinden
+Ausdruck geben, die wir aber doch nur mechanisch uern, ohne uns in
+dem Augenblick ihre volle Bedeutung klarzumachen. Solch ein Wort ist
+Vater.
+
+Daher versuchen wir in dieser Betrachtung seinen Sinn in seiner ganzen
+Tiefe zu erfassen und unser Herz in Einklang mit seiner Wahrheit zu
+bringen.
+
+Wir knnen diese Welt als das nehmen, als was sie uns erscheint. Wir
+knnen in unserm Geiste die Vorstellung haben, sie sei eine Welt
+der Kraft und des Stoffes; dann wird unsre Beziehung zu ihr die rein
+mechanische Beziehung der Naturwissenschaft. Aber auf diesem Wege
+gelangen wir nie zu der hchsten Wahrheit, die im Menschen offenbar
+wird. Denn was ist der Mensch? Er ist ein persnliches Wesen. Das
+Naturgesetz kmmert sich darum nicht. Das Naturgesetz hat es mit
+der Physiologie und Psychologie, mit dem Mechanismus unsrer Natur
+zu tun. Und wenn wir zu unserm persnlichen Wesen kommen, so finden
+wir kein Naturgesetz, das es uns erklren knnte. Daher hat die
+Naturwissenschaft keine Ahnung von dem, was die Grundlage unsres Wesens
+ist. Fr sie wird die ganze Welt zur Maschine, und so kann sie nicht
+auf den Gedanken kommen, in dem Schpfer den Vater zu sehen oder die
+Mutter, wie wir Inder ihn oft nennen.
+
+Wenn wir in der Welt nur ein Zusammenwirken verschiedener Krfte
+sehen, so kann von Anbetung keine Rede sein. Aber wir sind nicht nur
+Gegenstnde der Physiologie und Psychologie. Wir sind Mnner und
+Frauen. Und wir mssen versuchen zu erkennen, welchen Sinn es fr uns
+und fr die ganze Welt hat, da wir Menschen sind.
+
+Die Existenz meines Krpers erklrt die Naturwissenschaft aus
+allgemeinen Gesetzen. So erkenne ich, da mein Krper nicht eine
+isolierte Schpfung ist, sondern ein Teil eines groen Ganzen. Dann
+komme ich zu der weiteren Erkenntnis, da auch das Denken meines
+Verstandes im Einklang mit allen Vorgngen in der Welt steht, und so
+kann ich mit Hilfe meines Verstandes all die groen Gesetze, die das
+Weltall regieren, erkennen.
+
+Aber die Naturwissenschaft verlangt, da ich hier stehen bleibe. Fr
+sie haben Krper und Geist ihren Hintergrund in dem Weltall, aber fr
+die Persnlichkeit gibt es keinen solchen Hintergrund. Jedoch unser
+Gefhl wehrt sich gegen solche Behauptung. Denn wenn diese unsre
+Persnlichkeit keine ewige Beziehung zur Wahrheit hat, wie alles
+andre, was fr eine Zufallserscheinung ist sie denn? Wozu ist sie denn
+berhaupt da und wie ist ihr Dasein mglich? Diese Tatsache meiner
+Persnlichkeit bedarf zu ihrer Sttze der Wahrheit der unendlichen
+Persnlichkeit. Durch die unmittelbare Wahrnehmung des Ichs in uns sind
+wir zu der groen Entdeckung gekommen, da es ein unendliches Ich geben
+mu.
+
+Dann stellt sich uns die Frage: Wie ist unsre Beziehung zu diesem
+unendlichen Ich? In seinem innersten Herzen findet der Mensch die
+Antwort, da es die engste aller Beziehungen, da es die Beziehung der
+Liebe ist.
+
+Es kann keine andere sein, denn es gibt keine vollkommene Beziehung
+auer der der Liebe.
+
+Die Beziehung zwischen Knig und Untertan, zwischen Herr und Diener,
+zwischen dem Gesetzgeber und denen, die dem Gesetz gehorchen, -- alle
+solche Beziehungen sind einseitig und dienen einem besonderen Zwecke.
+Sie umfassen nicht das ganze Wesen. Aber die Beziehung zwischen dem
+Einzel-Ich und dem Welt-Ich mu vollkommen sein. Denn nur in der Liebe
+findet unsere Persnlichkeit vollkommene Befriedigung, und daher mu
+auch unsre Beziehung zu der unendlichen Persnlichkeit die der Liebe
+sein. Und so hat der Mensch gelernt zu sagen: Unser Vater. Gott ist
+nicht nur unser Knig oder unser Herr, er ist unser Vater.
+
+Das heit, es ist etwas in Ihm, woran wir teilhaben, etwas Gemeinsames
+zwischen diesem ewigen Ich und dem endlichen kleinen Ich.
+
+Aber man knnte noch fragen, warum wir denn das Wort Vater gebrauchen,
+das doch eine persnliche Beziehung zwischen menschlichen Wesen
+ausdrckt? Warum suchen wir nicht nach einem anderen Wort? Ist dies
+nicht zu klein und begrenzt?
+
+Das Wort Vater schliet in unsrer Sanskritsprache den Begriff Mutter
+mit ein. Sehr oft gebrauchen wir dies Wort in seiner Dualform
+_Pitarau_, das Vater und Mutter bedeutet. Der Mensch wird in die Arme
+der Mutter geboren. Wir kommen nicht einfach so auf die Erde, wie der
+Regen aus der Wolke kommt. Das Groe fr uns ist, da wir von Vater und
+Mutter ins Leben geleitet werden. Es zeigt, da unsre Beziehung zur
+Welt von vornherein eine persnliche ist. Und so finden wir auch unsre
+Beziehung zum Unendlichen. Wir wissen, da wir aus der Liebe geboren
+sind, unsre ersten und nchsten Beziehungen sind die der Liebe, und
+wir fhlen, da unser Verhltnis zu den Eltern das wahre Symbol ist fr
+unser ewiges Verhltnis zu Gott. Diese Wahrheit mssen wir uns jeden
+Augenblick gegenwrtig halten. Wir mssen wissen, da wir auf ewig mit
+unserm Vater verbunden sind. Dann erheben wir uns ber die Nichtigkeit
+der Dinge, und die ganze Welt bekommt fr uns einen Sinn.
+
+Daher ist das erste Gebet, da wir Gott als Vater erkennen. Du, der
+du die unendliche Welt von Sternen und Welten schaffst, ich kann dein
+Wesen nicht erfassen, und doch wei ich eines ganz gewi: Du bist
+_Pit[=a]_, bist mein Vater.
+
+Das Kindchen wei noch nicht viel von dem, was die Mutter tut, aber es
+wei, da es seine Mutter ist.
+
+So wei ich auch sonst nichts von Gott, aber das Eine wei ich: Er ist
+mein Vater.
+
+La mein ganzes Bewutsein von diesem Gedanken durchglht sein: Du bist
+mein Vater. Jeden Tag la dies das eine Zentrum all meiner Gedanken
+sein, da der Hchste, der das ganze Weltall regiert, mein Vater ist.
+
+_Pit[=a] no bodhi._ La mich im Licht dieser groen Wahrheit erwachen:
+Du bist mein Vater.
+
+La mich all meine Gedanken wie ein nacktes Kind in deine Arme legen,
+da du sie den Tag ber behtest und beschtzest.
+
+Und dann: _Nama[h.]_.
+
+Meine vllige Selbsthingabe wird Wahrheit werden. Hierin findet die
+Liebe des Menschen ihre hchste Freude.
+
+_Namas te, nama[h.]_ -- Anbetung dir -- la es wahr werden!
+
+Ich bin mit dem unendlichen Ich verbunden, und daher ist meine wahre
+Haltung nicht Stolz oder Selbstzufriedenheit, sondern Selbsthingabe.
+_Namas te 'stu._
+
+Dies ist noch nicht der ganze Text, der meinen Schlern zu ihren
+Gebeten und Betrachtungen dient.
+
+Dies Gebet ist nmlich verschiedenen Stellen unserer ltesten
+Schriften, der Veden, entnommen. Es steht nirgends im Zusammenhange.
+Aber mein Vater, der sein Leben dem Dienste Gottes weihte, sammelte
+diese Worte aus dem unerschpflichen Schatzhaus unsterblicher
+Weisheit, den Veden und Upanischaden.
+
+Der nchste Vers lautet:
+
+_M[=a] m[=a] hi[m.]si._ Triff mich nicht mit dem Tode.
+
+Wir mssen uns genau den Sinn dieses Gebetes klar machen. Ich sagte,
+da der erste Vers lautete: Du bist mein Vater. Dies ist der Anfang
+und das Ende aller Wahrheit. In sie mssen wir ganz hineingeboren
+werden, wenn unser Leben seine Erfllung finden soll.
+
+Doch wenn es auch wahr ist, da wir mit unserm Vater in alle Ewigkeit
+verbunden sind, so ist doch eine Schranke da, die uns hindert, diese
+Wahrheit ganz zu erfassen und dies ist die grte Quelle unsrer Leiden.
+Die Tiere haben auch ihre Schmerzen, sie leiden durch die Angriffe von
+Feinden und durch physische Unvollkommenheit, und dies Leiden spornt
+sie noch mehr an, nach Befriedigung ihrer natrlichen Lebensbedrfnisse
+zu streben und gegen Hindernisse anzukmpfen. Dies Streben und Kmpfen
+an sich ist Freude. Und wir knnen sicher sein, da sie in Wahrheit
+ihr Leben genieen, weil durch jenen Ansporn ihre ganze Lebensenergie
+geweckt wird. Sonst wrde ihr Leben wie das der Pflanzenwelt sein. Das
+Leben braucht zu seiner Erfllung Hemmnisse, um im bestndigen Kampf
+gegen diese materiellen Widerstnde sich seiner eigenen berlegenheit
+und Wrde bewut zu werden. Aber all diese Hemmnisse werden von den
+Tieren als Schmerz empfunden.
+
+Allein der Mensch hat noch eine tiefere Leidensquelle. Auch er mu
+seinen Lebensunterhalt suchen und sich gegen all die Feindseligkeiten
+der Natur und der Menschen behaupten. Aber das ist nicht alles. Das
+Wunder ist, da der Mensch, der in derselben Welt geboren ist, wie
+die Tiere, der dieselben Lebensprobleme zu lsen hat wie sie, noch
+etwas anderes hat, um das er kmpft und sorgt, obgleich er es nie ganz
+zu erfassen vermag. Nur in flchtigen Augenblicken sprt er seine
+unmittelbare Berhrung, und mitten im Genu seines Reichtums, in Luxus
+und uerem Behagen, umgeben von allen Schtzen dieser Welt fhlt
+der Mensch doch immer, da diese Dinge ihm nicht gengen, und aus
+der Tiefe seines Herzens ringt sich das Gebet, das er nicht an die
+Naturkrfte der Erde richtet, an Luft oder Feuer, sondern an ein Wesen,
+das er nur dunkel ahnt -- das Gebet: Rette mich, triff mich nicht mit
+dem Tode!
+
+Wir meinen damit nicht physischen Tod, denn wir alle wissen, da wir
+sterben mssen. Der Mensch fhlt instinktiv, da dies Leben nicht sein
+endgltiges Leben ist, da er nach einem hheren Leben trachten mu.
+Und dann ruft er zu Gott: La mich nicht in diesem Tal des Todes.
+Hier findet meine Seele keine Befriedigung. Ich esse und schlafe, und
+finde doch weder Sttigung noch Ruhe. Ich darbe mitten in all diesem
+Reichtum. Wie das Kind nach der Nahrung schreit, die aus dem eigenen
+Leben der Mutter quillt, so schreit unsre Seele nach der ewigen Mutter:
+Errette mich vom Tode, gib mir Leben von deinem Leben. Ich darbe! Hier
+finde ich keine Nahrung, und der Tod breitet schon seine Schwingen ber
+mich. Errette mich!
+
+_V[=i][s]v[=a]ni deva savitar durit[=a]ni pr[=a] suva!_[18]
+
+O Gott, mein Vater, nimm diese Welt von Snden von mir! Wenn dies
+Selbst alles fr sich zu gewinnen sucht, dann stt es sich bestndig
+wund. Denn das Leben der engen Selbstsucht ist gegen seine wahre Natur;
+sein wahres Leben ist ein Leben der Freiheit, und daher verletzt es
+unaufhrlich seine Flgel an den Kfigwnden. Das Selbst kann in
+solchem Gefngnis kein Genge und keinen Sinn finden. Es ruft aus:
+Ich gelange nicht zu meiner Erfllung! Es schlgt gegen die Stbe
+des Kfigs, und seine Schmerzen sagen uns, da nicht das Leben des
+Ichs, sondern das weitere Leben der Seele sein wahres Leben ist. Dann
+rufen wir: Zerbrich dies Gefngnis, ich sage mich los von diesem Ich.
+Zerbrich alle seine Snden, all sein selbstschtiges Wnschen und
+Trachten, und nimm mich als dein Kind an, -- dein Kind, nicht das Kind
+dieser Welt des Todes.
+
+_Yd bhadr[m.] tn na [=a] suva[19]!_ Gib uns das, was gut ist. Sehr
+oft sprechen wir dies Gebet und bitten unsern Vater, uns das zu geben,
+was gut ist, aber wir wissen nicht, wie Furchtbares uns zuteil wrde,
+wenn Gott uns unsre Bitte in vollem Mae gewhrte. Es gibt nur sehr
+wenige unter uns, die, wenn sie erkennen, was das hchste Gute ist,
+noch darum bitten knnen. Nur der kann es, der sein Leben gereinigt
+und es aus den Ketten des Bsen befreit hat, der furchtlos Gott bitten
+kann, sein Werk an ihm zu tun. Er, der sagen kann: Ich habe meinen
+Geist von allen selbstschtigen Impulsen und von aller Angst und Sorge
+des engen Lebens im Ich befreit, und nun kann ich voll Zuversicht
+beten: Gib mir, was gut ist, in welcher Gestalt es auch sei, sei es
+Leid, Verlust, Schmach, Verlassenheit -- ich werde es mit Freuden
+hinnehmen, denn ich wei, es kommt von dir.
+
+Aber wie schwach wir auch sein mgen, dies mu unser Gebet sein. Denn
+wir wissen, da, wer in Gott seinen Vater erkannt hat, alles, was aus
+seinen Hnden kommt, willig hinnimmt, und mte er auch in Leid und
+Elend versinken. Das ist wahre Freiheit. Denn Freiheit ist nicht da,
+wo nur ueres Glck ist. Sondern wenn wir Gefahr und Tod, Mangel und
+Leid Trotz bieten knnen und uns doch frei fhlen, wenn wir nicht den
+geringsten Zweifel haben, da wir in unserm Vater leben, dann kommt
+alles wie eine frohe Botschaft zu uns, und wir knnen es mit Demut und
+Freude empfangen und unser Haupt in Dankbarkeit beugen.
+
+ _Nma[h.] [s]ambhav[=a]ya_[20].
+
+Anbetung dir, von dem alle Freuden des Lebens kommen. Wir heien sie
+froh willkommen, all die verschiedenen Strme der Freude, die du durch
+verschiedene Kanle uns zuleitest, und wir neigen uns in Anbetung vor
+dir.
+
+ _Mayobhav[=a]yaca_.
+
+Anbetung dir, von dem die Wohlfahrt der Menschen kommt. Wohlfahrt
+enthlt beides, Freude und Leid, Gewinn und Verlust. Dir, der du mit
+Schmerz, Sorge und Not unser Leben segnest, -- dir sei Anbetung.
+
+ _Nma[h.] ['s]iv[=a]ya ca [s]ivtar[=a]ya ca_[20].
+
+Anbetung dir, dem Gtigen, dem Allgtigen.
+
+Dies ist der vollstndige Text. Der erste Teil ist das Gebet um
+Erkenntnis, da wir nicht nur in der Welt der Natur, in der Welt von
+Erde, Luft und Wasser leben, sondern in der wahren Welt der Seele, in
+der Welt der Liebe. Und wenn wir erkannt haben, da wir von dieser
+Liebe getragen werden, dann empfinden wir die Disharmonie unsres
+Lebens, das von Liebe nichts wei. Wir empfinden sie erst, wenn
+wir Gott als unsern Vater erkannt haben. Aber sobald wir zu dieser
+Erkenntnis gekommen sind, fhlen wir die Disharmonie unsres Lebens so
+stark, da sie uns vernichtet und wir dies Leben als Tod empfinden. Wir
+knnen es nicht mehr ertragen, sobald wir uns bewut werden, da die
+Liebe unsres Vaters uns umgibt.
+
+Dann kommt das Gebet um Befreiung aus der Gewalt der Dinge und um das
+hchste Gut, um die Freiheit in Gott.
+
+Und dann der Schlu. Wir beugen uns in Anbetung vor Ihm, in dem alle
+unsre Freuden sind, in dem die Wohlfahrt unsrer Seele ist, in dem das
+Gute ist:
+
+ _Om, [`S][=a]nti[h.], [`S][=a]nti[h.], [`S][=a]nti[h.]. Om._
+
+
+
+
+DIE FRAU
+
+
+Wenn die mnnlichen Geschpfe ihrer natrlichen Neigung zum Kmpfen
+nachgeben und einander tten, so lt die Natur dies zu, weil die
+weiblichen Wesen ihrem Zweck unmittelbar, die mnnlichen ihm dagegen
+nur mittelbar dienen. Sparsam, wie sie ist, liegt ihr nicht besonders
+an der Erhaltung der hungrigen Brut, die mit znkischer Gefrigkeit
+ber alles herfllt und doch sehr wenig dazu beitrgt, die Rechnung der
+Natur zu bezahlen. Daher knnen wir beobachten, wie in der Insektenwelt
+die Weibchen dafr sorgen, da die mnnliche Bevlkerung sich auf die
+kleine Zahl beschrnkt, die zur Erhaltung der Art unbedingt notwendig
+ist.
+
+Weil nun aber den mnnlichen Wesen in der Menschenwelt so wenig
+Pflichten und Verantwortung der Natur gegenber blieben, so waren
+sie frei, anderen Beschftigungen und Abenteuern nachzugehen. Man
+definiert den Menschen als das Tier, das Werkzeuge macht. Dies
+Werkzeugmachen liegt nicht mehr im Plan der Natur. Ja, durch unser
+Vermgen, Werkzeuge zu machen, sind wir imstande, der Natur Trotz
+zu bieten. Der mnnliche Mensch, der den grten Teil seiner Krfte
+frei hatte, entwickelte dies Vermgen und wurde furchtbar. So ist
+es gekommen, da, wenn auch auf den Gebieten des natrlichen Lebens
+das Weib noch den Thron behauptet, den die Natur ihr zuerkannt,
+auf geistigem Gebiet der Mann seine eigene Herrschaft errichtet
+und ausgedehnt hat. Denn zu diesem groen Werk brauchte er
+Bewegungsfreiheit und innere Ungebundenheit.
+
+Der Mann machte sich diese verhltnismige Freiheit von physischer und
+seelischer Gebundenheit zunutze und ging unbelastet an die Erweiterung
+seines Lebensgebiets. Hierbei beschritt er den gefahrvollen Weg
+gewaltsamer Umwlzungen und Zerstrungen. Immer wieder wurde von Zeit
+zu Zeit alles, was er mit groem Flei angehuft, hinweggefegt und der
+Strom des Fortschritts an der Quelle verschttet. Und wenn auch der
+Gewinn betrchtlich war, so war im Vergleich damit der Verlust noch
+ungeheurer, besonders wenn man bedenkt, da mit dem Wohlstand eines
+Volks oft auch seine Geschichte unterging. Aus diesen wiederholten
+Katastrophen hat der Mensch die Wahrheit gelernt, wenn er sie sich
+auch noch nicht vllig zunutze gemacht hat, da er bei allem, was er
+schafft, das sittliche Gleichma wahren mu, wenn sein Werk nicht
+untergehen soll; da ein bloes unbegrenztes Anhufen von Macht nicht
+zu wahrem Fortschritt fhrt; da Ebenma des Baues und Harmonie mit
+seiner Basis zu wirklichem Gedeihen ntig sind.
+
+Dies Ideal der Festigkeit und Dauerhaftigkeit ist in der Natur der Frau
+tief gegrndet. Es macht ihr niemals Freude, nur immer weiterzueilen
+und dabei Pfeile eitler Neugierde mitten ins Dunkel hinein zu schieen.
+Sie wirkt instinktiv mit allen ihren Krften dahin, die Dinge zu einer
+gewissen Vollendung zu bringen, -- denn das ist das Gesetz des Lebens.
+Wenn auch in der Bewegung des Lebens nichts endgltig ist, so ist doch
+jeder Schritt desselben ein vollstndiges rhythmisches Ganze. Selbst
+die Knospe hat ihr Ideal vollkommener Rundung, ebenso die Blume und die
+Frucht. Aber ein unvollendetes Gebude hat nicht das Ideal der Ganzheit
+in sich. Wenn es sich daher unbegrenzt immer weiter ausdehnt, so wchst
+es ber sein Ma hinaus und verliert das Gleichgewicht. Die mnnlichen
+Schpfungen intellektueller Kultur sind babylonische Trme, sie wagen
+es, ihrer Basis zu trotzen, und strzen daher immer wieder ein. So
+wchst die Menschheitsgeschichte auf Trmmerschichten empor, es ist
+kein ruhig fortschreitendes Wachsen unmittelbar aus der mtterlichen
+Erde. Der gegenwrtige Krieg gibt ein Bild davon. Die wirtschaftlichen
+und politischen Organisationen, die nur mechanische Kraft darstellen,
+die aus dem Intellekt geboren ist, sind geneigt zu vergessen, da ihr
+Schwerpunkt in dem Mutterboden des Lebens liegen mu. Die Gier, Macht
+und Besitz anzuhufen, die ihr Ziel niemals vollstndig erreichen kann,
+die nicht im Einklang steht mit dem Ideal sittlicher und geistiger
+Vollkommenheit, mu schlielich mit eigener Hand ihren schwerflligen
+Bau einreien.
+
+Im gegenwrtigen Stadium der Geschichte ist die Kultur fast
+ausschlielich mnnlich; es ist eine Kultur der Macht, welche die
+Frau abseits in den Schatten gedrngt hat. Daher hat diese Kultur ihr
+Gleichgewicht verloren und taumelt nur von einem Krieg zum anderen.
+Ihre Triebkrfte sind zerstrender Art, und ihr Kultus fordert eine
+erschreckende Zahl von Menschenopfern. Diese einseitige Kultur strzt
+eben wegen ihrer Einseitigkeit mit ungeheurer Schnelligkeit von
+Katastrophe zu Katastrophe. Und endlich ist die Zeit gekommen, wo
+die Frau eingreifen und diesem rcksichtslosen Lauf der Macht ihren
+Lebensrhythmus mitteilen mu.
+
+Denn die Aufgabe der Frau ist die passive Aufgabe, die der Erdboden
+hat, der nicht nur dem Baum hilft, da er wachsen kann, sondern auch
+sein Wachstum in Schranken hlt. Der Baum mu die Freiheit haben,
+sich ins Leben hineinzuwagen und seine Zweige nach allen Seiten
+auszubreiten, aber all seine tieferen Bande werden vom mtterlichen
+Boden geborgen und festgehalten, und nur dadurch kann der Baum leben.
+Unsre Kultur mu auch ihr passives Element haben, auf dem sie tief
+und fest gegrndet steht. Sie mu nicht bloes Wachstum, sondern
+harmonische Entfaltung sein. Sie mu nicht nur ihre Melodie, sondern
+auch ihren Takt haben. Dieser Takt ist keine Schranke, er ist das,
+was die Ufer dem Flu sind: sie geben seinen Wassern, die sich sonst
+im Morast verlieren wrden, dauernden Lauf. Dieser Takt ist Rhythmus,
+ein Rhythmus, der die Bewegung der Welt nicht hemmt, sondern sie zu
+Wahrheit und Schnheit rundet.
+
+Die Frau ist in weit hherem Mae mit den passiven Eigenschaften der
+Keuschheit, Bescheidenheit, Hingebung und Opferfhigkeit begabt als der
+Mann. Die passiven Eigenschaften der Natur sind es, die ihre ungeheuren
+Riesenkrfte zu vollendeten Schpfungen der Schnheit umwandeln, --
+die die wilden Elemente zhmen, da sie mit zarter Frsorge dem Leben
+dienen. Diese passiven Eigenschaften haben der Frau jene groe und
+tiefe Seelenruhe gegeben, die so ntig ist, um das Leben zu heilen,
+zu nhren und zu hegen. Wenn das Leben sich nur immerfort ausgbe,
+so wre es wie eine Rakete, die in einem Blitzstrahl aufsteigt und im
+nchsten Augenblick als Asche niederfllt. Das Leben aber soll einer
+Lampe gleichen, die noch weit mehr Leuchtkraft in sich birgt, als ihre
+Flamme zeigt. Und die passive Natur der Frau ist es, in der dieser
+Vorrat von Lebenskraft aufgespeichert ist.
+
+Ich habe an einer anderen Stelle gesagt, da man bei der Frau des
+Westens eine gewisse Ruhelosigkeit beobachtet, die nicht ihrer
+wahren Natur entsprechen kann. Denn Frauen, die besonderer und
+gewaltsamer Anregung in ihrer Umgebung bedrfen, um ihre Interessen
+wachzuhalten, beweisen nur, da sie die Berhrung mit ihrer eigenen,
+wahren Welt verloren haben. Offenbar gibt es im Westen eine groe
+Anzahl von Frauen, die, ebenso wie die Mnner, alles, was gewhnlich
+und alltglich ist, verachten. Sie sind immer darauf aus, etwas
+Auergewhnliches zu finden, und strengen alle ihre Krfte an, eine
+unechte Originalitt hervorzubringen, die, wenn sie auch nicht
+befriedigt, doch berrascht. Aber solche Anstrengungen sind nicht das
+Zeichen wahrer Lebenskraft. Und sie mssen den Frauen verderblicher
+sein als den Mnnern, weil die Frauen mehr als die Mnner die Trger
+der Lebenskrfte sind. Sie sind die Mtter des Menschengeschlechts, und
+sie haben ein lebendiges Interesse an den Dingen, die sie umgeben, eben
+an den Dingen des alltglichen Lebens; wenn sie dies Interesse nicht
+htten, mte die Menschheit untergehen.
+
+Wenn sie dadurch, da sie bestndig Anregung von auen suchen, einer
+Art geistiger Trunksucht verfallen, so da sie ohne ihre tgliche Dosis
+sensationeller Erregung nicht mehr auskommen knnen, so verlieren sie
+das feine Empfinden, das sie von Natur haben, und mit ihm die schnste
+Blte ihrer Weiblichkeit, und zugleich die Kraft, die Menschheit mit
+dem zu versehen, was sie am ntigsten braucht.
+
+Des Mannes Interesse fr seine Mitmenschen wird erst wirklich ernst,
+wenn er sieht, da sie besondere Fhigkeiten besitzen oder von
+besonderem Nutzen sein knnen, aber eine Frau fhlt Interesse fr
+ihre Mitmenschen, weil sie lebendige Geschpfe, weil sie Menschen
+sind, nicht weil sie einem besonderen Zweck dienen knnen oder weil
+sie eine Fhigkeit haben, die sie besonders bewundert. Und weil die
+Frau diese Gabe hat, bt sie solchen Zauber auf unsre Seele aus; die
+berschwngliche Flle ihres Lebensinteresses ist so anziehend, da sie
+allem an ihr, ihrer Rede, ihrem Lachen, ihrer Bewegung, Anmut verleiht;
+denn Anmut fliet aus dieser Harmonie mit dem Leben, das uns umgibt.
+
+Zum Glck fr uns hat unsre Alltagswelt die feine und unaufdringliche
+Schnheit des Alltglichen, und wir brauchen nur unser eigenes
+Empfinden offen zu halten, um seine Wunder zu begreifen, die nicht
+in die Augen fallen, weil sie geistiger Art sind. Wenn wir durch den
+ueren Vorhang hindurchblicken, so finden wir, da die Welt in ihren
+alltglichen Erscheinungen ein Wunder ist.
+
+Wir erfassen diese Wahrheit unmittelbar durch die Gabe der Liebe,
+und die Frauen erkennen durch diese Gabe, da der Gegenstand ihrer
+Liebe und Zuneigung trotz seiner zerlumpten Hlle und scheinbaren
+Alltglichkeit unendlichen Wert hat. Wenn die Frauen die Teilnahme am
+Alltglichen verloren haben, dann schreckt die Mue sie mit ihrer
+Leerheit, weil, nachdem ihr natrliches Empfinden abgestumpft ist,
+sie nichts mehr in ihrer Umgebung finden, das ihre Aufmerksamkeit
+beschftigt. Daher schwirren sie von einer Ttigkeit zur anderen, nur
+um die Zeit auszufllen, nicht um sie zu ntzen. Unsre alltgliche Welt
+ist wie eine Rohrflte, ihr wahrer Wert liegt nicht in ihr selber,
+sondern in der Musik, die der Unendliche durch ihr leeres Innere
+ertnen lt, und die alle die vernehmen, welche die Gabe und die Ruhe
+des Gemts haben, auf sie zu hren. Aber wenn die Frauen sich gewhnen,
+jedes Ding nach dem Wert einzuschtzen, den es fr sie selbst hat,
+dann knnen wir darauf gefat sein, da sie wtend gegen unsern Geist
+Sturm laufen, um unsre Seele von der stillen Begegnung mit dem Ewigen
+fortzulocken und uns dahin zu bringen, da wir versuchen, die Stimme
+des Unendlichen durch den sinnlosen Lrm rastloser Geschftigkeit zu
+bertuben.
+
+Ich will damit nicht sagen, da das husliche Leben das einzige Leben
+fr eine Frau sei. Ich meine, da die Welt des Menschlichen die Welt
+der Frau ist, sei es die husliche Welt oder sei es drauen im Leben,
+solange nur ihre Bettigung dort dem Menschen gewidmet ist, und nicht
+abstraktes Streben nach Organisation.
+
+Alles rein Persnliche und Menschliche ist das Gebiet der Frau. Die
+husliche Welt ist die Welt, wo jedes Individuum nach seinem eigenen
+Wert geschtzt wird; hier gilt nicht der Marktwert, sondern der Wert,
+den die Liebe gibt, das heit der Wert, den Gott in seiner unendlichen
+Gnade allen seinen Geschpfen beilegt. Diese husliche Welt hat Gott
+der Frau zu eigen gegeben. Sie kann die Strahlen ihrer Liebe nach allen
+Seiten weit ber ihre Grenzen hinaus leuchten lassen, ja, sie kann
+selbst aus dieser ihrer Welt hinaustreten, wenn der Ruf an sie ergeht,
+da sie als Weib sich drauen bewhre. Aber eins ist gewi, und diese
+Wahrheit darf sie nie vergessen: im Augenblick, wo sie geboren ist und
+die Mutterarme sie zuerst umschlieen, da ist sie im Mittelpunkt ihrer
+eigenen, wahren Welt, in der Welt rein menschlicher Beziehungen.
+
+Die Frau sollte ihre Gabe gebrauchen, durch die Oberflche hindurch
+ans Herz der Dinge zu gelangen, wo in dem Geheimnis des Lebens ein
+unendlicher Reiz verborgen liegt. Der Mann hat diese Gabe nicht in dem
+Mae. Aber die Frau hat sie, wenn sie sie nicht in sich erttet, -- und
+daher liebt sie die Geschpfe, die nicht wegen ihrer hervorragenden
+Eigenschaften liebenswert sind. Der Mann hat seine Pflichten in seiner
+eigenen Welt, wo er bestndig Macht und Reichtum und Organisationen
+aller Arten schafft. Aber Gott hat die Frau gesandt, da sie die
+Welt liebe. Und diese Welt ist eine Welt alltglicher Dinge und
+Begebenheiten, keine Mrchenwelt, wo die schne Frau Jahrhunderte
+schlft, bis sie von dem Zauberstab berhrt wird. In Gottes Welt haben
+die Frauen berall ihren Zauberstab, der ihr Herz wach hlt -- und dies
+ist weder der goldene Zauberstab des Reichtums, noch das eiserne Zepter
+der Macht.
+
+Alle unsre geistigen Fhrer haben den unendlichen Wert des Individuums
+verkndet. Der berhandnehmende Materialismus der heutigen Zeit ist
+es, der die einzelnen den blutdrstigen Gtzen der Organisation
+erbarmungslos opfert. Als die Religion materialistisch war, als die
+Menschen ihren Gttern dienten, weil sie ihre Tcke frchteten oder
+dadurch Reichtum und Macht zu erlangen hofften, da war ihr Kultus
+grausam und forderte Opfer ohne Zahl. Aber mit der Entwicklung unsres
+geistigen Lebens wurde unser Gottesdienst der Gottesdienst der Liebe.
+
+In dem gegenwrtigen Stadium der Kultur, wo die Verstmmelung von
+Individuen nicht nur gebt, sondern verherrlicht wird, schmen die
+Frauen sich ihres weiblichen Gefhls. Denn Gott hat sie mit seinem
+Evangelium der Liebe gesandt als Schutzengel der einzelnen, und in
+diesem ihrem gttlichen Beruf bedeuten ihnen die einzelnen mehr als
+Heer und Flotte und Parlament, mehr als Kaufhuser und Fabriken. Sie
+haben hier ihren Dienst in Gottes eigenem Tempel der Wirklichkeit, wo
+Liebe mehr gilt als Macht.
+
+Aber weil die Mnner in ihrem Stolz auf Macht angefangen haben,
+lebendige Dinge und menschliche Beziehungen zu verspotten, so schreien
+eine groe Anzahl von Frauen sich heiser, um zu beweisen, da sie
+nicht Frauen sind, da sie ihrem wahren Wesen treu sind, wenn sie
+Macht und Organisation vertreten. Sie fhlen sich heutzutage in ihrem
+Stolz verletzt, wenn man in ihnen nur die Mtter der Menschheit sieht,
+die ihren einfachen Lebensbedrfnissen und ihrem tieferen seelischen
+Bedrfnis nach Mitgefhl und Liebe dienen.
+
+Weil die Mnner mit salbungsvoller Frmmigkeit den Dienst ihrer
+selbstgefertigten Gtzenbilder: Staat, Nation usw., predigen,
+zerbrechen die Frauen beschmt den Altar ihres wahren Gottes, der
+vergebens auf ihr Opfer dienender Liebe wartet.
+
+Schon lange sind unterhalb der festen Rinde der Gesellschaft, auf
+die die Welt der Frau gegrndet ist, Wandlungen vor sich gegangen.
+Neuerdings ist die Kultur mit Hilfe der Wissenschaft in wachsendem Mae
+mnnlich geworden, so da man sich um das Wesen und die Eigenart der
+einzelnen immer weniger kmmert. Die Organisation greift ber auf das
+Gebiet persnlicher Beziehungen, und das Gefhl mu dem Gesetz weichen.
+Es hat von mnnlichen Idealen geleitete Gemeinschaften gegeben, in
+denen der Kindesmord herrschte, der grausam das weibliche Element der
+Bevlkerung soweit wie mglich niederhielt. Dasselbe, nur in anderer
+Form, geschieht in der modernen Kultur. In ihrer zgellosen Gier nach
+Macht und Reichtum hat sie die Frau fast ganz aus ihrer Welt gedrngt,
+und das Heim mu von Tag zu Tag immer mehr dem Geschftszimmer Platz
+machen. Sie beansprucht die ganze Welt fr sich und lt der Frau fast
+keinen Raum mehr. Sie schdigt sie nicht nur, sondern verhhnt sie.
+
+Aber der Mann kann durch seinen Machtwillen die Frau nicht ein
+fr allemal zum bloen Zierstck herabwrdigen. Denn sie ist der
+Kultur nicht weniger notwendig als er, vielleicht mehr. In der
+Entwicklungsgeschichte der Erde sind groe verheerende Umwlzungen ber
+sie hingegangen, als die Erde noch nicht die lockere Weichheit ihrer
+Reifezeit erreicht hatte, die allen gewaltsamen Kraftentfaltungen Trotz
+bietet. Und auch die Kultur des materiellen Wettbewerbs und des Kampfes
+der Krfte mu einem Zeitalter der Vollkommenheit weichen, dessen Kraft
+tief in Gte und Schnheit wurzelt. Zu lange schon steht der Ehrgeiz
+am Steuer unsrer Geschichte, so da der einzelne sein Recht erst
+jedesmal den Machthabern mit Gewalt entwinden und die Hilfe des Bsen
+in Anspruch nehmen mu, um das zu erlangen, was gut fr ihn ist. Aber
+solche Zustnde knnen immer nur eine Zeitlang dauern, denn die Saat,
+die die Gewalt ausgestreut hat, liegt wartend und heimlich wachsend in
+den Rissen und Spalten und bereitet im Dunkel den Zusammenbruch vor,
+der hereinbricht, wenn man es am wenigsten erwartet.
+
+Obgleich daher in dem gegenwrtigen Stadium der Geschichte der
+Mann seine mnnliche berlegenheit behauptet und seine Kultur mit
+Steinblcken aufbaut, ohne sich um das Prinzip des wachsenden Lebens
+zu kmmern, so kann er doch die Natur der Frau nicht ganz in Staub
+zermalmen oder in totes Baumaterial umwandeln. Man kann wohl der Frau
+ihr Heim zertrmmern, aber sie selbst, ihre Art, kann man nicht tten.
+Was die Frau zu erlangen sucht, ist nicht nur die Freiheit, sich ihren
+Lebensunterhalt zu verdienen, indem sie dem Mann die Alleinherrschaft
+im Erwerbsleben zu entreien sucht, sondern sie kmpft auch gegen
+seine Alleinherrschaft auf dem Gebiete der Kultur, wo er ihr tglich
+das Herz bricht und ihr Leben verdet. Sie mu das verlorene soziale
+Gleichgewicht wiederherstellen, indem sie das volle Gewicht ihrer
+Weiblichkeit der mnnlichen Schpfung gegenber in die Waagschale
+wirft. Der Riesenwagen der Organisation fhrt kreischend und krachend
+auf der Heerstrae des Lebens dahin, Elend und Verstmmelung auf
+seinen Spuren zurcklassend, denn was kmmert's ihn, wenn er nur eilig
+weiterkommt. Daher mu die Frau in die zerquetschte und zertrmmerte
+Welt der Einzelwesen eintreten und sie alle als die Ihrigen in Anspruch
+nehmen, die Unbedeutenden und Unbrauchbaren. Sie mu die schnen Blumen
+des Gefhls liebend schtzen vor dem ttenden Spott kalter, kluger
+Tchtigkeit. Sie mu all das Ungesunde und Unreine hinwegfegen, das die
+organisierte Machtgier in der Menschheit hervorrief, als sie sie ihrer
+natrlichen Lebensbedingungen beraubte. Die Zeit ist gekommen, wo die
+Verantwortung der Frau grer ist als je zuvor, wo ihr Arbeitsfeld weit
+ber die Sphre huslichen Lebens hinausreicht. Die Welt ruft durch
+ihre geschmhten Individuen ihre Hilfe an. Diese Individuen mssen
+wieder in ihrem wahren Wert erkannt werden, sie mssen wieder ihr Haupt
+zur Sonne heben drfen und durch die erbarmende Liebe der Frau den
+Glauben an die Liebe Gottes wiedergewinnen.
+
+Die Menschen haben die Widersinnigkeit der heutigen Kultur gesehen, die
+auf Nationalismus gegrndet ist, d. h. auf Volkswirtschaft und Politik
+und den daraus folgenden Militarismus. Sie haben gesehen, da sie ihre
+Freiheit und Menschlichkeit aufgeben muten, um sich den ungeheuren
+mechanischen Organisationen anzupassen. So knnen wir hoffen, da sie
+ihre kommende Kultur nicht nur auf wirtschaftlichen und politischen
+Wettbewerb und Ausbeutung grnden werden, sondern auf soziales
+Zusammenwirken aller Vlker, auf die geistigen Ideale der Nchstenliebe
+und gegenseitigen Hilfe, und nicht auf die wirtschaftlichen Ideale des
+grtmglichen Nutzungswerts und der mechanischen Tchtigkeit. Und dann
+werden die Frauen an ihrem wahren Platz sein.
+
+Weil die Mnner so riesige und ungeheuerliche Organisationen zustande
+gebracht haben, sind sie zu dem Glauben gekommen, da diese Macht,
+andere zu verdrngen, ein Zeichen von Gre und Vollkommenheit sei.
+Dieser Glaube hat bei ihnen so fest Wurzel geschlagen, da sie schwer
+die Unwahrheit ihres gegenwrtigen Fortschrittsideals erkennen werden.
+
+Aber die Frau kann mit ihrem unverflschten Gefhl und mit der ganzen
+Kraft ihrer Menschenliebe an diese neue Aufgabe, eine geistige Kultur
+aufzubauen, gehen, wenn sie sich nur einmal ihrer Verantwortlichkeit
+bewut wird; denn freilich, wenn sie oberflchlich und kurzsichtig ist,
+wird sie ihre Mission verfehlen. Und gerade weil die Frau von dem Mann
+beiseite gedrngt war und gewissermaen im Dunkel lebte, wird ihr jetzt
+in der kommenden Kultur volle Entschdigung werden.
+
+Und jene menschlichen Wesen, die sich ihrer Macht rhmen und mit ihrer
+Ausbeutung nirgends haltmachen wollen, die den Glauben an den wahren
+Sinn der Lehre ihres Herrn und Meisters, da die Friedfertigen das
+Erdreich besitzen sollen, verloren haben, sie werden in der nchsten
+Lebensgeneration zuschanden werden. Es wird ihnen ergehen, wie es
+in den alten, vorgeschichtlichen Zeiten den groen Ungeheuern, den
+Mammuts und den Dinosauriern erging. Sie haben ihr Erbe auf dieser
+Welt verloren. Sie hatten Riesenmuskeln fr ungeheure krperliche
+Leistungen, aber sie muten Geschpfen weichen, die weit schwchere
+Muskeln hatten und weit weniger Raum einnahmen. Und so werden auch in
+der kommenden Kulturperiode die Frauen, die schwcheren Geschpfe --
+schwcher wenigstens nach ihrer ueren Erscheinung --, die weniger
+muskuls sind und immer zurckstanden, immer im Schatten dieser groen
+Geschpfe, der Mnner, lebten, ihren Platz einnehmen, und jene greren
+Geschpfe werden ihnen weichen mssen.
+
+
+
+
+FUSSNOTEN:
+
+[1] Edward Robert Bulwer-Lytton, Sohn des Dichters Edward Bulwer und
+selbst Dichter, 1876-80 Vizeknig von Indien.
+
+[2] pers. durb[=a]r oder darb[=a]r, Audienz, ffentlicher Empfang der
+mongolischen Frsten.
+
+[3] Taittiriya -- Upani[s.]ad 2, 7, 1.
+
+[4] #Kab[=i]r#, einer der Begrnder der neueren indischen Mystik, Sohn
+eines armen muhammedanischen Webers in Benares, lebte von etwa 1440
+bis 1518. Ein Schler R[=a]m[=a]nandas, verkndete er seine Religion
+der Gottesliebe, in der indische und muhammedanische Vorstellungen
+zusammenflossen, wurde von beiden Lagern als Ketzer verfolgt und
+schlielich 1495 aus Benares verbannt. Seine Lieder wurden aus
+schriftlichen Quellen und mndlicher berlieferung von Kshiti Mohan
+Sen, einem Lehrer an Tagores Schule, gesammelt und in vier Bnden
+herausgegeben. Danach hat der Dichter selbst eine Auswahl ins Englische
+bertragen: Songs of Kabir. Translated by Rabindranath Tagore. London
+1915. Kabir pflegt seine Lieder zu zeichnen, indem er am Anfang der
+letzten Strophe seinen Namen nennt (vgl. S. 89). -- Die angefhrte
+Stelle aus XVII, p. 62 f.
+
+[5] S. S[=a]dhan[=a] S. 28. (Der Anfang [R.]gveda 10, 113, 1.)
+
+[6] Die lteste erhaltene Kodifizierung der indischen Rechtssatzungen
+und Sitten; berhmtes Lehrgedicht, das unter dem Namen Manu's, des
+mythischen Vaters des Menschengeschlechts, geht.
+
+[7] Eine der schnsten und der krzesten Upanischaden (Texte
+der altindischen Mystik), gewhnlich nach dem ersten Wort als
+I[s][=a]-Upani[s.]ad bezeichnet. S. Sechzig Upanishads des Veda, aus
+dem Sanskrit bersetzt von Paul Deussen. (Leipzig 1905.) S. 523-8.
+
+[8] Songs of Kabir (s. S. 32) LXXVI, p. 121.
+
+[9] Ebenda XVII, p. 67.
+
+[10] Der Schluss ist kaum richtig wiedergegeben. Genauer Deussen: ja,
+ich sehe sie, deine lieblichste Gestalt; und jener dort, der Mann dort,
+ich bin es selbst! (Tagore: he is I Am.)
+
+[11] Das vieldeutige Wort #kratu# ist eher mit Geist wiederzugeben.
+
+[12] Songs of Kabir LXXXII, p. 129.
+
+[13]
+
+ E[s.][=a]sya param[=a] gati[h.],
+ E[s.][=a]sya param[=a] sampat,
+ E[s.]o 'sya paramo loka[h.],
+ E[s.]o 'sya parama [=a]nanda[h.].
+ (B[r.]had [=a]ra[n.]yaka-Upani[s.]ad 4, 3, 32).
+
+[14] Vgl. oben S. 76.
+
+[15] Taittir[=i]ya-Up. 2, 7, 1.
+
+[16] Mit Ausnahme der 4 ersten Worte die berhmte G[=a]yatr[=i]
+([R.]gveda 3, 62, 10), s. S[=a]dhan[=a] S. 15.
+
+[17] Du bist unser Vater. Sei unser Vater! Anbetung sei dir! (_bodhi_
+kann sei und erwache, merke auf etwas bedeuten. Die Erklrung des
+Textes nimmt es in letzterem Sinne, zu dem Verb _budh_ -- erwachen,
+bewut werden, wissen).
+
+[18] [R.]gveda 5, 82, 5.
+
+[19] [R.]gveda 5, 82, 5.
+
+[20] V[=a]jasaneyi-Sa[m.]hit[=a] 16, 41. Ebenso die folgenden Zitate.
+
+
+
+
+ [Illustration]
+
+ Gedruckt
+ im Sommer 1921
+ bei Poeschel & Trepte
+ in Leipzig
+ *
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Persnlichkeit, by Rabindranath Tagore
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PERSNLICHKEIT ***
+
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+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
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+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
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+
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+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation information page at www.gutenberg.org
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
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+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at 809
+North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email
+contact links and up to date contact information can be found at the
+Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
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+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
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+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
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+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+
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+works.
+
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--- /dev/null
+++ b/45163/45163-h.zip
Binary files differ
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@@ -0,0 +1,4934 @@
+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN"
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+ The Project Gutenberg eBook of Persnlichkeit, by Rabindranath Tagore.
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+
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+.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */
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+ins.comment {
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+ border-bottom: thin dotted red
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+/* Images */
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+
+
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+ </style>
+
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+<body>
+
+
+<pre>
+
+The Project Gutenberg EBook of Persnlichkeit, by Rabindranath Tagore
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Persnlichkeit
+
+Author: Rabindranath Tagore
+
+Translator: Helene Meyer-Franck
+
+Release Date: March 17, 2014 [EBook #45163]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PERSNLICHKEIT ***
+
+
+
+
+Produced by Reiner Ruf, Norbert H. Langkau, Jana Srna and
+the Online Distributed Proofreading Team at
+http://www.pgdp.net
+
+
+
+
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+
+
+<div class="tnotes covernote break-after">
+<p>The cover image was created by the transcriber and is placed in the public domain.</p>
+</div>
+
+<div class="pagenum"><a name="Page_cover" id="Page_cover"></a></div>
+<div class="figcenter coverimage">
+ <a id="coverpage" name="coverpage"></a>
+ <img src="images/cover.jpg"
+ alt="Book Cover"
+ title="Book Cover" />
+</div>
+ <p class="covercaption">Cover</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_f0001" id="Page_f0001"></a></span></p>
+
+<hr class="chap covercaption" />
+
+<p class="top2 s150 center">RABINDRANATH TAGORE</p>
+
+<h1>PERSNLICHKEIT</h1>
+
+<p class="top3 s125 center">MNCHEN</p>
+
+<p class="top1 s125 center">KURT WOLFF VERLAG</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_f0002" id="Page_f0002"></a></span></p>
+
+<p class="s115 center">Einzig autorisierte deutsche Ausgabe. Nach der von Rabindranath Tagore
+selbst veranstalteten englischen Ausgabe ins Deutsche bertragen von
+Helene Meyer-Franck</p>
+
+<p class="s90 top2 center">1.-40. Tausend</p>
+
+<p class="s90 top2 center">Copyright 1921 by Kurt Wolff Verlag A.-G. in Mnchen</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_f0003" id="Page_f0003"></a></span></p>
+
+<p class="s150 top1 center">C. F. ANDREWS GEWIDMET</p>
+
+<p class="s200 top1 center break-after">*</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_f0004" id="Page_f0004"></a></span></p>
+
+<hr class="chap" />
+
+<p class="top2 s150 center">INHALT</p>
+
+<p class="s115">
+WAS IST KUNST?
+<a href="#Page_p0001">1</a><br />
+<br />
+</p>
+
+<p class="s115">
+DIE WELT DER PERSNLICHKEIT
+<a href="#Page_p0049">49</a><br />
+<br />
+</p>
+
+<p class="s115">
+DIE WIEDERGEBURT
+<a href="#Page_p0094">94</a><br />
+<br />
+</p>
+
+<p class="s115">
+MEINE SCHULE
+<a href="#Page_p0134">134</a><br />
+<br />
+</p>
+
+<p class="s115">
+RELIGISE BETRACHTUNG
+<a href="#Page_p0182">182</a><br />
+<br />
+</p>
+
+<p class="s115 bottom3">
+DIE FRAU
+<a href="#Page_p0202">202</a><br />
+</p>
+
+<hr class="chap" />
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0001" id="Page_p0001"></a></span></p>
+<p class="s200 top2 center">PERSNLICHKEIT</p>
+
+<h2><a name="WAS_IST_KUNST" id="WAS_IST_KUNST">WAS IST KUNST?</a></h2>
+
+<p class="drop-cap2">WIR stehen dieser groen Welt Auge in Auge gegenber, und mannigfach
+sind unsre Beziehungen zu ihr. Eine derselben ist die Notwendigkeit zu
+leben: wir mssen den Boden beackern, uns Nahrung suchen, uns kleiden,
+und zu allem mu uns die Natur den Stoff liefern. Da wir unausgesetzt
+bemht sein mssen, unsre Bedrfnisse zu befriedigen, sind wir in
+bestndiger Berhrung mit der Natur. So halten Hunger und Durst und all
+unsre physischen Bedrfnisse die stete Beziehung zu dieser groen Welt
+aufrecht.</p>
+
+<p>Aber wir haben auch einen Geist, und dieser Geist sucht sich seine
+eigene Nahrung. Auch er hat seine Bedrfnisse. Er mu den Sinn der
+Dinge finden. Er steht einer Vielfltigkeit von Tatsachen gegenber
+und ist verwirrt, wenn er kein einheitliches Prinzip finden kann,
+das die Verschiedenartigkeit der<span class="pagenum"><a name="Page_p0002" id="Page_p0002">[Pg 002]</a></span> Dinge vereinfacht. Der Mensch ist
+so veranlagt, da er sich nicht mit Tatsachen begngen kann, sondern
+gewisse Gesetze finden mu, die ihm die Last der bloen Zahl und Menge
+erleichtern.</p>
+
+<p>Doch es ist noch ein drittes Ich in mir neben dem physischen und
+geistigen, das seelische Ich. Dies Ich hat seine Neigungen und
+Abneigungen und sucht etwas, das sein Bedrfnis nach Liebe erfllt.
+Dies seelische Ich gehrt der Sphre an, wo wir frei sind von aller
+Notwendigkeit, wo die Bedrfnisse des Krpers und des Geistes keinen
+Einflu haben, wo nach Nutzen oder Zweck nicht gefragt wird. Dies
+seelische Ich ist das Hchste im Menschen. Es hat seine eigenen
+persnlichen Beziehungen zu der groen Welt und sucht persnliche
+Befriedigung in ihr.</p>
+
+<p>Die Welt der Naturwissenschaft ist nicht eine Welt der Wirklichkeit,
+sondern eine abstrakte Welt der Krfte. Wir knnen sie uns mit Hilfe
+unsres Verstandes zunutze machen, aber wir knnen sie nicht mit unsrer
+Seele erfassen. Sie gleicht einer Schar von Handwerkern, die, wenn
+sie auch Dinge fr uns<span class="pagenum"><a name="Page_p0003" id="Page_p0003">[Pg 003]</a></span> als persnliche Wesen herstellen, doch bloe
+Schatten fr uns sind.</p>
+
+<p>Aber es gibt noch eine andre Welt, die Wirklichkeit fr uns hat. Wir
+sehen sie, wir fhlen sie, wir nehmen mit all unsern Empfindungen an ihr
+teil. Doch wir knnen sie nicht erklren und messen, und daher bleibt
+sie uns ewig geheimnisvoll. Wir knnen nur in freudigem Erkennen sagen:
+&bdquo;Da bist du ja.&ldquo;</p>
+
+<p>Dies ist die Welt, von der die Naturwissenschaft sich abwendet, und in
+der die Kunst ihren Sitz hat. Und wenn es uns gelingt, die Frage, was
+Kunst ist, zu beantworten, so werden wir auch wissen, was fr eine Welt
+es ist, mit der die Kunst so nahe verwandt ist.</p>
+
+<p>Es ist an sich keine wichtige Frage. Denn die Kunst wchst wie das Leben
+selbst aus eigenem Antrieb, und der Mensch freut sich an ihr, ohne da
+er sich genau klar macht, was sie ist. Und wir knnten diese Frage ruhig
+im Untergrunde des Bewutseins schlummern lassen, wo alles Lebendige im
+Dunkel gehegt und genhrt wird.</p>
+
+<p>Aber wir leben in einem Zeitalter, wo unsre<span class="pagenum"><a name="Page_p0004" id="Page_p0004">[Pg 004]</a></span> Welt um und um gekehrt und
+alles, was auf dem Grunde verborgen lag, an die Oberflche gezerrt wird.
+Selbst den Vorgang des Lebens, der ganz unbewut ist, bringen wir unter
+das Seziermesser der Wissenschaft, &mdash; auf Kosten des Lebens selbst, das
+wir durch unsre Untersuchung in ein totes Museumsexemplar verwandeln.</p>
+
+<p>Die Frage &bdquo;Was ist Kunst?&ldquo; ist oft aufgeworfen und auf verschiedene
+Weise beantwortet worden. Solche Errterungen bringen immer etwas von
+bewuter Absicht in ein Gebiet hinein, wo sowohl das Schaffen wie das
+Genieen spontan und nur halb bewut ist. Sie gehen darauf aus, unser
+Kunsturteil mit ganz bestimmten Mastben zu versehen. Und so hren wir
+heutzutage Kunstrichter nach selbstgefertigten Regeln ihr vernichtendes
+Urteil fllen ber das, was seit Jahrhunderten als gro und unsterblich
+anerkannt wurde.</p>
+
+<p>Diese meteorologische Strung in der Sphre der Kunstkritik, die ihren
+Ursprung im Abendlande hat, ist auch an unsre Kste nach Bengalen
+gekommen und trbt unsern klaren<span class="pagenum"><a name="Page_p0005" id="Page_p0005">[Pg 005]</a></span> Himmel mit Nebel und Wolken. Auch wir
+haben angefangen, uns zu fragen, ob Schpfungen der Kunst nicht danach
+beurteilt werden sollten, entweder wie weit sie geeignet sind allgemein
+verstanden zu werden, oder was fr eine Lebensphilosophie sie enthalten,
+oder wieviel sie zur Lsung der groen Zeitprobleme beitragen, oder
+ob sie etwas zum Ausdruck bringen, was dem Geist des Volkes, dem der
+Dichter angehrt, eigentmlich ist. Wenn also die Menschen allen Ernstes
+dabei sind, fr die Kunst Normen und Mastbe aufzustellen, die gar
+nicht zu ihrem Wesen gehren, wenn man sozusagen die Herrlichkeit eines
+Flusses von dem Gesichtspunkt des Kanals aus beurteilt, knnen wir die
+Frage nicht auf sich beruhen lassen, sondern mssen uns in die Debatte
+einmischen.</p>
+
+<p>Sollten wir zunchst versuchen, den Begriff &bdquo;Kunst&ldquo; zu definieren? Aber
+wenn man lebendige Dinge zu definieren sucht, so heit dies im Grunde,
+da man sein Gesichtsfeld einengt, um deutlicher sehen zu knnen.
+Und Deutlichkeit ist nicht ohne weiteres die einzige oder wichtigste
+Seite bei der Wahrheit.<span class="pagenum"><a name="Page_p0006" id="Page_p0006">[Pg 006]</a></span> Die Blendlaterne gibt uns ein deutliches,
+aber nicht ein vollstndiges Bild. Wenn wir ein Rad in Bewegung kennen
+lernen sollen, so macht es nichts, wenn wir die Speichen nicht zhlen
+knnen. Wenn es nicht auf die Genauigkeit seiner Form, sondern auf die
+Schnelligkeit seiner Bewegung ankommt, so mssen wir uns mit einem
+etwas undeutlichen Bilde des Rades begngen. Lebendige Dinge sind eng
+verwachsen mit ihrer Umgebung und ihre Wurzeln reichen oft tief hinab in
+den Boden. Wir knnen in unserm Erkenntniseifer die Wurzeln und Zweige
+eines Baumes abhauen und ihn in einen Holzklotz verwandeln, der sich
+leichter von Klasse zu Klasse rollen und in einem Lehrbuch darstellen
+lt. Aber man kann doch nicht sagen, da solch ein Holzklotz, weil
+er nackt und deutlich vor aller Augen liegt, vom Baum als Ganzem ein
+richtigeres Bild gbe.</p>
+
+<p>Daher will ich nicht versuchen, den Begriff der Kunst zu definieren,
+sondern ich will nach dem Grunde ihres Daseins fragen und herauszufinden
+suchen, ob sie um irgendeines sozialen Zweckes willen da ist, oder um<span class="pagenum"><a name="Page_p0007" id="Page_p0007">[Pg 007]</a></span>
+uns sthetischen Genu zu verschaffen, oder ob sie entstanden ist aus
+dem Bedrfnis, unser eigenes Wesen zum Ausdruck zu bringen.</p>
+
+<p>Man hat sich lange um das Wort &bdquo;L'art pour l'art&ldquo; gestritten, das bei
+einem Teil der abendlndischen Kritiker in Mikredit gekommen ist. Es
+ist ein Zeichen, da das asketische Ideal des puritanischen Zeitalters
+wiederkehrt, wo Genu als Selbstzweck fr sndhaft gehalten wurde. Aber
+jeder Puritanismus ist eine Reaktion. Er kann die Wahrheit nicht mit
+unbefangenem Auge und daher nicht in ihrer wahren Gestalt sehen. Wenn
+der Genu die unmittelbare Berhrung mit dem Leben verliert und in der
+Welt seiner knstlich und mhsam ausgearbeiteten Konventionen immer
+whlerischer und phantastischer wird, dann kommt der Ruf nach Entsagung,
+die das Glck selbst als eine Schlinge des Verderbens von sich weist.
+Ich will mich nicht auf die Geschichte der modernen Kunst einlassen,
+ich fhle mich hierzu durchaus nicht kompetent, doch ich kann als
+allgemeine Wahrheit behaupten: wenn der Mensch seinen Trieb nach Freude
+zu unterdrcken sucht und ihn in<span class="pagenum"><a name="Page_p0008" id="Page_p0008">[Pg 008]</a></span> einen bloen Trieb nach Erkenntnis
+oder Wohltun umwandelt, so mu der Grund darin liegen, da seine
+Freudefhigkeit ihre natrliche Frische und Gesundheit verloren hat.</p>
+
+<p>Die sthetiker im alten Indien trugen kein Bedenken zu sagen, da
+Freude, selbstlose Freude, die Seele der Dichtkunst sei. Aber das Wort
+&bdquo;Freude&ldquo; mu richtig verstanden werden. Wenn wir es analysieren, so
+zeigt uns sein Spektrum eine unendliche Reihe von Streifen, deren Farbe
+und Intensitt je nach den verschiedenen Welten unendlich verschieden
+ist. Die Welt der Kunst enthlt Elemente, die ganz offenbar nur ihr
+angehren und Strahlen aussenden, die ihre besondere Leuchtkraft und
+Eigentmlichkeit haben. Es ist unsre Pflicht, sie zu unterscheiden und
+ihrem Ursprung und Wachstum nachzugehen.</p>
+
+<p>Der wichtigste Unterschied zwischen dem Tier und dem Menschen ist
+der, da das Tier fast ganz in den Schranken seiner Bedrfnisse
+eingeschlossen ist, da der grte Teil seiner Ttigkeit zur
+Selbsterhaltung und zur Erhaltung der Gattung ntig ist. Es hat, wie
+der Kleinhndler, keinen groen Gewinn auf dem Markt<span class="pagenum"><a name="Page_p0009" id="Page_p0009">[Pg 009]</a></span> des Lebens,
+sondern die Hauptmasse seiner Einnahme mu als Zins auf die Bank gezahlt
+werden. Es braucht den grten Teil seiner Mittel nur, um sein Dasein zu
+fristen. Aber der Mensch ist auf dem Markte des Lebens ein Grokaufmann.
+Er verdient sehr viel mehr, als er unbedingt ausgeben mu. Daher hat
+das Leben des Menschen ein ungeheures berma von Reichtum, das ihm
+die Freiheit gibt, Verantwortung und Nutzen in weitem Mae auer acht
+zu lassen. An den Bereich seiner Bedrfnisse schlieen sich noch weite
+Gebiete, deren Gegenstnde ihm Selbstzweck sind.</p>
+
+<p>Die Tiere brauchen bestimmte Kenntnisse, die sie fr ihre Lebenszwecke
+anwenden mssen. Aber damit begngen sie sich auch. Sie mssen ihre
+Umgebung kennen, um Obdach und Nahrung finden zu knnen, sie mssen
+die Eigentmlichkeiten bestimmter Dinge kennen, um sich Wohnungen
+bauen zu knnen, die Anzeichen der verschiedenen Jahreszeiten, um sich
+dem Wechsel anpassen zu knnen. Auch der Mensch braucht bestimmte
+Kenntnisse, um leben zu knnen. Aber der Mensch<span class="pagenum"><a name="Page_p0010" id="Page_p0010">[Pg 010]</a></span> hat einen berschu,
+von dem er stolz behaupten kann: das Wissen ist um des Wissens willen
+da. Dies Wissen gewhrt ihm reine Freude, denn es ist Freiheit. Dieser
+berschu ist der Fonds, von dem seine Wissenschaft und Philosophie lebt.</p>
+
+<p>Wiederum hat auch das Tier ein gewisses Ma von Altruismus: den
+Altruismus der Elternschaft, den Altruismus der Herde und des
+Bienenstocks. Dieser Altruismus ist unbedingt ntig zur Erhaltung der
+Gattung. Aber der Mensch hat mehr. Zwar mu auch er gut sein, weil es
+fr die Gattung ntig ist, aber er geht weit darber hinaus. Seine Gte
+ist nicht eine magere Kost, die nur gerade gengt, um sein sittliches
+Dasein kmmerlich zu fristen. Er kann mit vollem Recht sagen, da er das
+Gute um des Guten willen tut. Und auf diesem Reichtum an Gte, &mdash; die
+die Ehrlichkeit nicht darum schtzt, weil sie die beste Politik ist,
+sondern weil sie mehr wert ist als Politik und es sich leisten kann,
+aller Politik Trotz zu bieten &mdash; auf diesen Reichtum an Gte grndet
+sich die Sittlichkeit des Menschen.</p>
+
+<p>Auch die Idee &bdquo;L'art pour l'art&ldquo; hat ihren Ursprung<span class="pagenum"><a name="Page_p0011" id="Page_p0011">[Pg 011]</a></span> in dieser Region
+des berflusses. Wir wollen daher versuchen festzustellen, welche
+Ttigkeit es ist, aus deren berschu die Kunst entspriet.</p>
+
+<p>Fr den Menschen wie fr die Tiere ist es ein Bedrfnis, ihre Gefhle
+der Lust und Unlust, der Furcht, des Zorns und der Liebe zum Ausdruck
+zu bringen. Bei den Tieren gehen diese Gefhlsausdrcke wenig ber die
+Grenzen der Ntzlichkeit hinaus. Aber wenn sie auch beim Menschen noch
+in ihrem ursprnglichen Zweck ihre Wurzel haben, so sind sie doch aus
+ihrem Boden hoch in die Luft emporgewachsen und breiten ihre Zweige
+nach allen Richtungen weit in den unendlichen Himmel. Der Mensch hat
+einen Vorrat an Gefhlskraft, den er fr seine Selbsterhaltung nicht
+verbraucht. Dieser berschu sucht seinen Ausflu in der Kunstschpfung,
+denn die Kultur des Menschen baut sich auf seinem berflu auf.</p>
+
+<p>Der Krieger begngt sich nicht mit dem Kampf, zu dem ihn die
+Notwendigkeit zwingt, er hat auch das Bedrfnis, seinem gesteigerten
+Kriegerbewutsein durch Musik und Schmuck Ausdruck zu geben, was nicht
+nur nicht notwendig,<span class="pagenum"><a name="Page_p0012" id="Page_p0012">[Pg 012]</a></span> sondern unter Umstnden geradezu selbstmrderisch
+ist. Ein Mensch von starker Religiositt verehrt seine Gottheit nicht
+nur mit aller Andacht, sondern sein religises Gefhl verlangt nach
+Ausdruck in der Pracht des Tempels und in dem reichen Zeremoniell des
+Gottesdienstes. Wenn in unserm Herzen ein Gefhl erregt wird, das weit
+hinausgeht ber das, was der Gegenstand, der es hervorbrachte, in sich
+aufnehmen kann, so schlagen seine Wogen wieder auf uns zurck und
+erwecken unser Bewutsein von uns selbst. Wenn wir arm sind, ist unsre
+ganze Aufmerksamkeit nach auen gerichtet, auf die Gegenstnde, die
+wir zur Stillung unsres Bedrfnisses erwerben mssen. Aber wenn unser
+Reichtum weit grer ist als unsre Bedrfnisse, so fllt sein Licht auf
+uns zurck, und wir haben das frohlockende Gefhl, da wir reich sind.
+Daher kommt es, da von allen Geschpfen nur der Mensch sich selbst
+kennt, weil sein Erkenntnistrieb sich drauen nicht ausgibt und so zu
+ihm selbst zurckkehrt. Er fhlt seine Persnlichkeit intensiver als
+andere Geschpfe, weil seine Fhigkeit zu fhlen durch die Gegenstnde<span class="pagenum"><a name="Page_p0013" id="Page_p0013">[Pg 013]</a></span>
+auer ihm nicht erschpft wird. Dies Bewutsein seiner Persnlichkeit
+will sich zum Ausdruck bringen. Daher offenbart der Mensch in der Kunst
+sich selbst und nicht die Gegenstnde. Diese haben ihren Platz in
+wissenschaftlichen Lehrbchern, wo er selbst sich ganz verbergen mu.</p>
+
+<p>Ich wei, mancher wird Ansto daran nehmen, wenn ich das Wort
+Persnlichkeit gebrauche, das einen so weiten Sinn hat. Solche
+unbestimmten Wrter knnen Begriffe nicht nur verschiedenen Umfangs,
+sondern auch verschiedener Art umschlieen. Sie sind wie Regenmntel,
+die in der Halle hinter der Haustr hngen und von zerstreuten
+Besuchern, die kein Eigentumsrecht an sie haben, weggenommen werden
+knnen.</p>
+
+<p>Als Wissender ist der Mensch noch nicht vllig er selbst, durch
+sein bloes Wissen offenbart er noch nicht sein Wesen. Aber als
+Persnlichkeit ist er ein Organismus, der von Natur die Macht hat, sich
+die Dinge aus seiner Umgebung auszusuchen und sich zu eigen zu machen.
+Er hat seine Anziehungs- und Abstoungskraft, durch die er nicht nur
+Dinge<span class="pagenum"><a name="Page_p0014" id="Page_p0014">[Pg 014]</a></span> um sich her anhuft, sondern auch sein Selbst hervorbringt. Die
+hauptschlichsten schpferischen Krfte, welche die Dinge in unser
+lebendiges Selbst umwandeln, sind Gefhlskrfte. Ein religiser Mensch
+ist als solcher eine Persnlichkeit, aber er ist es nicht als bloer
+Theologe. Sein Gefhl fr das Gttliche ist schpferisch. Aber sein
+bloes Wissen um das Gttliche lt sich nicht in sein eigenes Wesen
+umwandeln, weil ihm der schpferische Funke des Gefhls fehlt.</p>
+
+<p>Wir wollen versuchen, uns klarzumachen, worin diese Persnlichkeit
+besteht und welcher Art ihre Beziehungen zur ueren Welt sind.
+Diese Welt erscheint uns als eine Einheit, und nicht als ein bloes
+Bndel unsichtbarer Krfte. Dies verdankt sie, wie jeder wei, zum
+groen Teil unsern eigenen Sinnen und unserm eigenen Geiste. Diese
+Welt der Erscheinungen ist die Welt des Menschen. Sie erhlt ihre
+charakteristischen Zge in bezug auf Gestalt, Farbe und Bewegung durch
+den Umfang und die Qualitten unsrer Wahrnehmung. Sie ist das, was unsre
+beschrnkten Sinne eigens fr uns erworben, aufgebaut und umgrenzt
+haben.<span class="pagenum"><a name="Page_p0015" id="Page_p0015">[Pg 015]</a></span> Nicht nur die physischen und chemischen Krfte, sondern auch die
+Wahrnehmungskrfte des Menschen sind die in ihr wirksamen Faktoren, denn
+es ist eine Welt des Menschen und nicht eine abstrakte Welt der Physik
+oder Metaphysik.</p>
+
+<p>Diese Welt, die durch die Form unsrer Wahrnehmung ihre Gestalt erhlt,
+ist doch erst die unvollkommene Welt unsrer Sinne und unsres Verstandes.
+Sie kehrt als Gast bei uns ein, aber nicht als Verwandter. Erst im
+Bereich unsres Gefhls machen wir sie uns ganz zu eigen. Wenn unsre
+Liebe und unser Ha, unsre Freude und unser Schmerz, unsre Furcht
+und unser Staunen bestndig auf sie wirken, wird sie ein Teil unsrer
+Persnlichkeit. Sie wchst und wandelt sich, wie wir wachsen und
+uns wandeln. Wir sind gro oder klein in dem Mae, wie wir sie uns
+einverleiben. Wenn diese Welt verschwnde, so wrde unsre Persnlichkeit
+ihren ganzen Inhalt verlieren.</p>
+
+<p>Unsre Empfindungen sind die Magensfte, die diese Welt der Erscheinungen
+in die innere Welt der Gefhle umwandeln. Doch auch diese uere Welt
+hat ihre besonderen Sfte, die ihre<span class="pagenum"><a name="Page_p0016" id="Page_p0016">[Pg 016]</a></span> besonderen Eigenschaften haben,
+kraft deren sie unser Gefhlsleben anregen. Eine Dichtung enthlt solche
+Sfte. Sie bringt uns Vorstellungen, die durch Gefhle Leben erhalten
+haben und die unsre Natur als Lebenssubstanz aufnehmen kann.</p>
+
+<p>Bloe Mitteilung von Tatsachen ist nicht Literatur, denn die bloen
+Tatsachen hngen nicht mit unserm innern Leben zusammen. Wenn man
+uns immer die Tatsachen wiederholte, da die Sonne rund, das Wasser
+durchsichtig und das Feuer hei ist, so wre dies unertrglich. Aber
+eine Schilderung der Schnheit des Sonnenaufgangs verliert nie ihr
+Interesse fr uns, denn hier ist es nicht die Tatsache, sondern das
+Erlebnis des Sonnenaufgangs, was der Gegenstand unsres dauerndes
+Interesses ist.</p>
+
+<p>Die Upanischaden lehren, da wir den Reichtum lieben nicht um des
+Reichtums willen, sondern um unsrer selbst willen. Das heit: wir fhlen
+uns selbst in unserm Reichtum, und daher lieben wir ihn. Die Dinge, die
+unsre Gefhle erregen, erregen unser Selbst-Gefhl. Es ist, wie wenn wir
+die Harfensaite<span class="pagenum"><a name="Page_p0017" id="Page_p0017">[Pg 017]</a></span> berhren: ist die Berhrung zu schwach, so spren wir
+nichts anderes als die Berhrung selbst; aber wenn sie stark ist, so
+kehrt sie in Tnen zu uns zurck und erhht unser Bewutsein.</p>
+
+<p>Es gibt die Welt der Naturwissenschaft. Aus ihr ist alles Persnliche
+sorgfltig ausgeschieden. Hier sind unsre Gefhle nicht am Platze. Aber
+zu der groen weiten Welt der Wirklichkeit stehen wir in persnlicher
+Beziehung. Wir mssen sie nicht nur erkennen und dann beiseite lassen,
+sondern wir mssen sie fhlen, denn indem wir sie fhlen, fhlen wir uns
+selbst.</p>
+
+<p>Aber wie knnen wir unsre Persnlichkeit zum Ausdruck bringen, die
+wir nur durch unser Gefhl kennen? Ein Naturwissenschaftler kann das,
+was er gelernt hat, durch Analyse und Experiment bekannt machen. Aber
+was ein Knstler zu sagen hat, kann er nicht einfach durch lehrhafte
+Auseinandersetzung ausdrcken. Um zu sagen, was ich von der Rose
+wei, gengt die einfachste Sprache, aber ganz anders ist es, wenn
+ich sagen will, was ich bei der Rose empfinde.<span class="pagenum"><a name="Page_p0018" id="Page_p0018">[Pg 018]</a></span> Dies hat nichts mit
+ueren Tatsachen oder Naturgesetzen zu tun, sondern ist eine Sache des
+Schnheitssinnes, der nur durch den Schnheitssinn wahrgenommen werden
+kann. Daher sagen unsre alten Meister, da der Dichter Worte brauchen
+mu, die ihren eigenen Duft und ihre eigene Farbe haben, die nicht nur
+reden, sondern malen und singen. Denn Bilder und Lieder sind keine
+bloen Tatsachen, sie sind persnliche Erlebnisse. Sie sind nicht nur
+sie selbst, sondern drcken auch unser Selbst aus. Sie lassen sich nicht
+analysieren und haben unmittelbaren Zugang zu unserm Herzen.</p>
+
+<p>Wir mssen allerdings zugeben, da der Mensch auch in der Welt
+des Ntzlichen seine Persnlichkeit offenbart. Aber hier ist
+Selbstoffenbarung nicht sein erster und wesentlicher Zweck. Im
+Alltagsleben, wo wir zumeist durch unsre Gewohnheiten bestimmt werden,
+sind wir sparsam damit, denn dort ist unser Seelenbewutsein im
+Zustand der Ebbe; es hat eben Flle genug, um in den Rinnen seiner
+Gewohnheit dahinzugleiten. Aber wenn unser Herz in Liebe oder in einem
+andern groen<span class="pagenum"><a name="Page_p0019" id="Page_p0019">[Pg 019]</a></span> Gefhl voll erwacht, dann hat unsre Persnlichkeit ihre
+Flutzeit. Dann mchte sie ihr innerstes Wesen offenbaren, &mdash; nur um
+der Offenbarung willen. Dann kommt die Kunst, und wir vergessen die
+Forderungen der Notdurft und die Vorteile der Ntzlichkeit, &mdash; dann
+suchen die Trme unsres Tempels die Sterne zu kssen und die Tne unsrer
+Musik die Tiefe des Unaussprechlichen zu ergrnden.</p>
+
+<p>Die Energien des Menschen, die in zwei getrennten Bahnen, der des
+Nutzens und der der Selbstoffenbarung, nebeneinander herlaufen,
+haben immer das Bestreben, sich zu treffen und zu vereinen. Um unsre
+Gebrauchsgegenstnde lagert sich nach und nach eine ganze Schicht von
+Gefhlen, die die Kunst einladen, sie zu offenbaren. Und so tut sich im
+verzierten Schwert des Kriegers sein Stolz und seine Liebe kund, und im
+prunkenden Weinkelch die Kameradschaftlichkeit festlicher Gelage.</p>
+
+<p>In der Regel zeichnet sich das Bureau des Rechtsanwalts nicht gerade
+durch Schnheit aus, und das ist begreiflich. Aber in einer Stadt, wo
+die Menschen stolz sind auf ihr Brgertum, mssen die ffentlichen
+Gebude<span class="pagenum"><a name="Page_p0020" id="Page_p0020">[Pg 020]</a></span> durch ihre Bauart diesen Stolz zum Ausdruck bringen. Als der
+Sitz der britischen Regierung von Kalkutta nach Delhi verlegt und dies
+die Hauptstadt wurde, beratschlagte man ber den Baustil, den die
+neuen Gebude haben sollten. Einige waren fr den indischen Stil der
+Mongolenzeit &mdash; den Stil, der aus der Vereinigung des mongolischen
+und des indischen Geistes entsprungen war. Man bersah dabei die
+Tatsache, da jede echte Kunst ihren Ursprung im Gefhl hat. Sowohl
+das mongolische Delhi wie das mongolische Agra bringen in ihren Bauten
+menschliche Persnlichkeit zum Ausdruck. Die Mongolenkaiser waren
+Menschen, nicht bloe Verwaltungsbeamte. Sie lebten und starben, liebten
+und kmpften in Indien. Das Andenken an ihre Herrschaft lebt nicht
+in Trmmern von Fabriken und Amtsgebuden, sondern in unsterblichen
+Werken der Kunst, nicht nur der Baukunst, sondern auch der Malerei,
+der Musik, des Kunsthandwerks in Stein und Metall und der Webekunst.
+Aber die britische Regierung in Indien hat nichts Persnliches. Sie
+ist amtlich und daher abstrakt. Sie hat nichts in der wahren Sprache
+der<span class="pagenum"><a name="Page_p0021" id="Page_p0021">[Pg 021]</a></span> Kunst auszudrcken. Denn Gesetz, mechanische Tchtigkeit und
+Ausbeutung gestaltet sich nicht zu steinernen Heldengedichten. Lord
+Lytton
+<a name="FNanchor_1" id="FNanchor_1"></a>
+<a href="#Footnote_1" class="fnanchor"><sup>[1]</sup></a>
+, der zu seinem Unglck mit mehr Phantasie ausgestattet war
+als ein indischer Vizeknig braucht, versuchte eine der mongolischen
+Staatsfeierlichkeiten, die Durbar
+<a name="FNanchor_2" id="FNanchor_2"></a>
+<a href="#Footnote_2" class="fnanchor"><sup>[2]</sup></a>
+-Zeremonie, nachzumachen. Aber
+solche Staatsfeierlichkeiten sind Kunstwerke. Sie haben ihren
+natrlichen Ursprung in der wechselseitigen persnlichen Beziehung
+zwischen dem Volk und seinem Monarchen. Wenn sie nachgemacht werden,
+tragen sie alle Anzeichen der Unechtheit.</p>
+
+<p>Wie sich Zweckmigkeit und Gefhl in verschiedenen Formen zum Ausdruck
+bringen, sehen wir, wenn wir die Kleidung des Mannes mit der der Frau
+vergleichen. Der Mann vermeidet im allgemeinen alles berflssige, was
+nur als Schmuck dient. Die Frau dagegen whlt von Natur das Dekorative,
+nicht nur in ihrer <span class="pagenum"><a name="Page_p0022" id="Page_p0022">[Pg 022]</a></span>Kleidung, sondern auch in ihrem Benehmen und in
+ihrer ganzen Lebensart. Sie mu schn und harmonisch sein, um das zu
+offenbaren, was sie in Wahrheit ist, denn sie ist durch die Aufgabe, die
+sie in dieser Welt hat, konkreter und persnlicher als der Mann. Sie
+will nicht nach ihrem Nutzen gewertet werden, sondern nach der Freude,
+die sie gibt. Daher ist sie immer darauf bedacht, nicht ihren Beruf,
+sondern ihre Persnlichkeit zum Ausdruck zu bringen.</p>
+
+<p>Da nun der Ausdruck der Persnlichkeit und nicht der irgendeiner
+abstrakten oder analysierbaren Sache auch das Hauptziel der Kunst ist,
+so bedient sie sich mit Notwendigkeit der Sprache der Malerei und Musik.
+Dies hat uns zu der falschen Annahme gefhrt, da die Hervorbringung von
+Schnheit das Ziel der Kunst sei. Doch die Schnheit ist fr die Kunst
+nichts weiter als ein Mittel, sie ist nicht ihr ganzer und letzter Sinn.</p>
+
+<p>Infolgedessen hat man oft die Frage errtert, ob nicht die Form mehr
+als der Stoff das wesentliche Element der Kunst sei. Mit solchen
+Errterungen kommt man ebensowenig<span class="pagenum"><a name="Page_p0023" id="Page_p0023">[Pg 023]</a></span> zum Ziel, als wollte man ein
+bodenloses Fa mit Wasser fllen. Denn man geht dabei von der
+Vorstellung aus, da die Schnheit das letzte Ziel der Kunst sei, und da
+der Stoff an sich nicht die Eigenschaft der Schnheit haben kann, fragt
+man sich, ob nicht die Form der wesentliche Faktor der Kunst sei.</p>
+
+<p>Aber auf dem Wege der Analyse werden wir das wahre Wesen der Kunst nie
+entdecken. Denn das wahre Prinzip der Kunst ist das Prinzip der Einheit.
+Wenn wir den Nhrwert gewisser Speisen wissen wollen, so mssen wir die
+Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzen, untersuchen; aber ihr
+Geschmackswert besteht in ihrer Einheit und lt sich nicht analysieren.
+Sowohl Stoff wie Form sind Abstraktionen, die wir vornehmen; der Stoff
+fr sich genommen fllt der naturwissenschaftlichen Betrachtung zu, die
+Form als solche fllt unter die Gesetze der sthetik. Aber wenn sie
+unlsbar eins sind, finden sie die Gesetze ihrer Harmonie in unsrer
+Persnlichkeit, die ein organischer Komplex von Stoff und Form, Gedanken
+und Dingen, Motiven und Handlungen ist.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0024" id="Page_p0024">[Pg 024]</a></span></p>
+
+<p>Daher sehen wir, da alle abstrakten Ideen in der wahren Kunst nicht
+am Platze sind; um Zutritt zu gewinnen, mssen sie persnliche Gestalt
+annehmen. So kommt es, da die Dichtkunst Worte zu whlen sucht,
+die voll von Leben sind, Worte, die nicht nur der bloen Mitteilung
+dienen und durch bestndigen Gebrauch abgegriffen sind, sondern in
+unserm Herzen Heimatrecht haben. Zum Beispiel ist das deutsche Wort
+&bdquo;Bewutsein&ldquo; noch nicht aus seinem scholastischen Verpuppungszustand zum
+Schmetterlingsdasein vorgedrungen, daher kommt es in der Poesie selten
+vor, whrend das ihm entsprechende indische Wort <i>cetana</i> lebendige
+Kraft hat und in der Dichtkunst ganz heimisch ist. Dagegen ist das
+deutsche Wort &bdquo;Gefhl&ldquo; von Leben durchblutet, aber das bengalische
+<i>anubh&#363;ti</i> findet in der Dichtung keinen Zutritt, weil es nur Sinn,
+aber keinen Duft hat. Und so gibt es auch naturwissenschaftliche und
+philosophische Wahrheiten, die Farbe und Geschmack des Lebens gewonnen
+haben, und andere, die abstrakt und unpersnlich geblieben sind. Solange
+sie dies sind, mssen sie wie ungekochte<span class="pagenum"><a name="Page_p0025" id="Page_p0025">[Pg 025]</a></span> Gemse beim Festmahl der Kunst
+drauen bleiben. Solange die Geschichte sich die Naturwissenschaft zum
+Vorbild nimmt und sich in Abstraktionen bewegt, bleibt sie auerhalb
+der Domne der Literatur. Aber wenn sie Begebenheiten darstellt, stellt
+sie sich dem Epos an die Seite. Denn die Darstellung von Begebenheiten
+bringt uns die Zeit, in der sie sich zutrugen, persnlich nahe. Durch
+sie wird jene Zeit fr uns lebendig; wir fhlen ihren Herzschlag.</p>
+
+<p>Die Welt und des Menschen Persnlichkeit stehen sich Antlitz in Antlitz
+gegenber wie Freunde, die ihre innersten Geheimnisse austauschen. Die
+Welt fragt den innern Menschen: &bdquo;Freund, siehst du mich? liebst du mich?
+&mdash; nicht als einen, der dir Nahrung und Genu verschafft, nicht als
+einen, dessen Gesetze du entdeckt hast, sondern als persnliches Wesen?&ldquo;</p>
+
+<p>Der Knstler antwortet: &bdquo;Ja, ich sehe dich, ich kenne und liebe dich,
+&mdash; nicht weil ich deiner bedarf, nicht weil ich deine Gesetze zu meinen
+eigenen Machtzwecken brauchen will. Ich kenne die Krfte, die in dir
+wirken und treiben und die zu Macht fhren, aber das ist<span class="pagenum"><a name="Page_p0026" id="Page_p0026">[Pg 026]</a></span> es nicht. Ich
+sehe und liebe dich da, wo du mir gleich bist.&ldquo;</p>
+
+<p>Aber wie knnen wir wissen, da der Knstler dieses Welt-Ich erkannt und
+von Angesicht zu Angesicht geschaut hat?</p>
+
+<p>Wenn wir jemand zum erstenmal begegnen, der noch nicht unser Freund
+ist, so bemerken wir zahllose unwesentliche Zge, die beim ersten Blick
+unsre Aufmerksamkeit anziehen; und in dem Gewirr der verschiedenen
+Einzelheiten verlieren wir den, der unser Freund werden sollte.</p>
+
+<p>Als unser Schiff an der japanischen Kste landete, befand sich unter den
+Passagieren ein Japaner, der von Rangoon in die Heimat zurckkehrte,
+whrend wir andern zum erstenmal in unserm Leben diese Kste betraten.
+Es war ein groer Unterschied in der Art, wie wir Ausschau hielten.
+Wir sahen jede kleine Besonderheit, und unzhlige bedeutungslose Dinge
+zogen unsre Aufmerksamkeit an. Aber der Japaner tauchte sogleich in
+die Persnlichkeit, in die Seele des Landes ein, wo seine eigene Seele
+Befriedigung fand. Er sah weniger Dinge als wir, aber was er sah, war
+die<span class="pagenum"><a name="Page_p0027" id="Page_p0027">[Pg 027]</a></span> Seele Japans. Zu ihr konnte man nicht gelangen, indem man eine
+mglichst groe Masse von Einzelheiten ins Auge fate, sondern durch
+etwas Unsichtbares, das tiefer lag. Weil wir all jene unzhligen Dinge
+sahen, sahen wir Japan nicht besser als er, im Gegenteil, die Dinge
+verbauten uns das eigentliche Japan.</p>
+
+<p>Wenn wir jemand, der nicht Knstler ist, bitten, irgendeinen besonderen
+Baum zu zeichnen, so versucht er, jede Einzelheit genau wiederzugeben,
+aus Furcht, die Eigentmlichkeit knne sonst verloren gehen; er vergit,
+da die Eigentmlichkeit des Baumes nicht seine Persnlichkeit ist.
+Doch wenn der wahre Knstler kommt, so kmmert er sich nicht um die
+Einzelheiten und geht auf das, was wesentlich und charakteristisch fr
+den Baum ist.</p>
+
+<p>Auch unser Verstand sucht fr die Vielheit der Dinge ein inneres,
+einheitliches Prinzip; er sucht sich von den Einzelheiten zu befreien
+und in den Kern der Dinge einzudringen, wo sie eins sind. Aber der
+Unterschied ist der: der Naturwissenschaftler sucht ein unpersnliches
+Einheitsprinzip, das sich auf alle Dinge<span class="pagenum"><a name="Page_p0028" id="Page_p0028">[Pg 028]</a></span> anwenden lt. Er zerstrt
+zum Beispiel den menschlichen Leib, der etwas Individuelles ist, um der
+Physiologie willen, die unpersnlich und allgemein ist.</p>
+
+<p>Aber der Knstler erkennt das Eigenartige, das Individuelle, das im Kern
+des Universalen ist. Wenn er den Baum ansieht, so sieht er im Baum das
+Einzigartige, nicht das allgemein Typische wie der Botaniker, der alles
+in Klassen einteilt. Es ist die Aufgabe des Knstlers, die Eigenart
+dieses einen Baumes darzustellen. Wie macht er das? Nicht indem er die
+besondere Eigentmlichkeit aufweist, die der Miklang der Eigenart ist,
+sondern die Seele, die Persnlichkeit des Baumes, die Harmonie ist.
+Daher mu er den Zusammenklang dieses einen Dinges mit allen Dingen
+ringsum zum Ausdruck bringen.</p>
+
+<p>Die Gre und Schnheit der orientalischen, besonders der japanischen
+und chinesischen Kunst besteht darin, da die Knstler diese Seele der
+Dinge erkannt haben und an sie glauben. Das Abendland glaubt wohl an die
+Seele des Menschen, aber es glaubt nicht wirklich, da das Weltall eine
+Seele hat. Doch<span class="pagenum"><a name="Page_p0029" id="Page_p0029">[Pg 029]</a></span> dies ist der Glaube des Morgenlandes, und alles, was
+der Osten der Menschheit an geistigem Gut gebracht hat, ist von dieser
+Idee erfllt. Daher haben wir Bewohner des Ostens nicht das Bedrfnis,
+auf Einzelheiten Nachdruck zu legen, denn das Wesentliche ist fr uns
+die Weltseele, ber die unsre Weisen nachgesonnen und die unsre Knstler
+zum Ausdruck gebracht haben.</p>
+
+<p>Weil wir im Osten den Glauben an diese Weltseele haben, wissen wir, da
+Wahrheit, Macht und Schnheit da zu finden sind, wo Schlichtheit ist, wo
+der innere Blick nicht durch Auendinge gehemmt wird. Daher haben all
+unsre Weisen versucht, ihr Leben einfach und rein zu gestalten, weil sie
+so in einer Wahrheit leben, die, wenn auch unsichtbar, doch wirklicher
+ist als das, was durch Umfang und Zahl sich aufdrngt.</p>
+
+<p>Wenn wir sagen, da die Kunst es nur mit persnlichen Wahrheiten zu tun
+hat, so wollen wir damit nicht die philosophischen Ideen ausschlieen,
+die scheinbar abstrakt sind. Sie sind ganz heimisch in unsrer indischen
+Dichtung, da sie mit allen Fasern unsres persnlichen<span class="pagenum"><a name="Page_p0030" id="Page_p0030">[Pg 030]</a></span> Wesens verbunden
+sind. Ich mchte hier ein Beispiel zur Erklrung geben. Das Folgende
+ist die bersetzung eines indischen Liedes, das eine Dichterin des
+Mittelalters gedichtet hat und das das Leben besingt.<br /></p>
+
+<p class="poem top2">Ich gre das Leben, das wie das keimende Saatkorn<br />
+Mit dem einen Arm hinauf in das Licht, mit dem andern hinab in das Dunkel greift;<br />
+Das Leben, das eins ist in seiner uern Form und in seinem innern Saft;<br />
+Das Leben, das immer wieder emportaucht und immer wieder entschwindet.<br />
+Ich gre das Leben, das kommt, und das Leben, das scheidet;<br />
+Ich gre das Leben, das sich offenbart, und das in Verborgenheit schlummert;<br />
+Ich gre das Leben, das wie der Berg in reglosem Schweigen gebannt ist,<br />
+Und das Leben, das wie ein Feuermeer auftobt;<br />
+Das Leben, das zart ist wie ein Lotus, und das Leben, das hart ist wie Donnerkeil.<br />
+Ich gre das Leben des Geistes, um das Licht und Dunkel sich streiten.<br />
+Ich gre das Leben, das seine Heimstatt gefunden, und das Leben, das drauen in der Fremde irrt;<br />
+Das Leben, das freudejauchzend dahintanzt, und das Leben, das leidmde seine Strae schleicht;<br />
+Das ewig schaukelnde Leben, das die Welt zur Ruhe wiegt,<br />
+Das tiefe, stille Leben, das hervorbricht in brausenden Wogen.<br />
+</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0031" id="Page_p0031">[Pg 031]</a></span></p>
+
+<p class="top2">Diese Idee vom Leben ist keine bloe logische Abstraktion; sie ist der
+Dichterin ebensosehr lebendige Wirklichkeit wie die Luft dem Vogel,
+der sie bei jedem Flgelschlag fhlt. Die Frau hat das Geheimnis des
+Lebens in ihrem Kinde tiefer gesprt, als der Mann es je gekonnt. Diese
+Frauennatur in der Dichterin hat gefhlt, wie berall in der Welt das
+Leben sich regt. Sie hat seine Unendlichkeit erkannt &mdash; nicht auf dem
+Wege verstandesmiger berlegung, sondern durch die Erleuchtung ihres
+Gefhls. Daher wird dieselbe Idee, die fr den, dessen Lebensgefhl auf
+eine enge Sphre beschrnkt ist, bloe Abstraktion<span class="pagenum"><a name="Page_p0032" id="Page_p0032">[Pg 032]</a></span> bleibt, fr einen
+Menschen mit weitem Lebensgefhl leuchtend klare Wirklichkeit. Wir hren
+oft, da die Europer den indischen Geist als metaphysisch bezeichnen,
+weil er immer bereit ist, sich ins Unendliche aufzuschwingen. Aber
+man mu dabei bedenken, da das Unendliche fr Indien mehr ist als
+ein Gegenstand philosophischer Spekulation; es ist uns ebensosehr
+Wirklichkeit wie das Sonnenlicht. Wir knnen ohne es nicht leben,
+wir mssen es sehen und fhlen und unserm Leben einverleiben. Daher
+begegnen wir ihm immer wieder in der Literatur und in der Symbolik
+unsres Gottesdienstes. Der Dichter der Upanischad sagt: &bdquo;Auch nicht
+das leiseste Sichregen von Leben wre mglich, wenn nicht der Raum von
+unendlicher Freude erfllt wre
+
+<a name="FNanchor_3" id="FNanchor_3"></a>
+<a href="#Footnote_3" class="fnanchor"><sup>[3]</sup></a>
+
+.&ldquo; Diese Allgegenwart des Unendlichen
+war ebenso wirklich fr ihn wie die Erde unter seinen Fen, ja sie
+war es noch mehr. Ein Lied eines indischen Dichters aus dem 15.
+Jahrhundert
+<a name="FNanchor_4" id="FNanchor_4"></a>
+<a href="#Footnote_4" class="fnanchor"><sup>[4]</sup></a>
+ gibt diesem Gefhl Ausdruck:</p>
+
+
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0033" id="Page_p0033">[Pg 033]</a></span></p>
+
+
+<p class="poem top2">Dort wechseln Leben und Tod in rhythmischem Spiel,<br />
+Dort sprudelt Entzcken und strahlt der Raum von Licht,<br />
+Dort ertnt die Luft von Musik, dem Liebeschor dreier Welten,<br />
+Dort brennen Millionen Lampen von Sonnen und Monden,<br />
+Dort schlgt die Trommel und schwingt sich die Liebe im Spiel,<br />
+Dort erklingen Lieder der Minne, und Licht strmt in Schauern herab.</p>
+
+<p class="top2">Unsre indische Dichtung ist zum grten Teil religis, weil Gott fr
+uns kein ferner Gott ist.<span class="pagenum"><a name="Page_p0034" id="Page_p0034">[Pg 034]</a></span> Er ist uns ebenso nahe in unserm Heim wie in
+unsern Tempeln. Wir fhlen seine Nhe in allen menschlichen Beziehungen
+der Liebe und Freundschaft, und bei unsern Festen ist er der Ehrengast.
+In der Bltenpracht des Frhlings, in den Gewitterschauern des Sommers,
+in der Frchteflle des Herbstes sehen wir den Saum seines Mantels und
+hren seine Tritte. Wo immer wir wahrhaft verehren, verehren wir Ihn; wo
+immer wir wahrhaft lieben, lieben wir Ihn. Im Weibe, das gut ist, fhlen
+wir Ihn; im Mann, der wahr ist, erkennen wir Ihn; in unsern Kindern wird
+er immer wieder geboren, Er, das Ewige Kind. Daher sind religise Lieder
+unsre Liebeslieder, und unsre huslichen Erlebnisse wie die Geburt eines
+Sohnes oder die Einkehr der Tochter aus dem Hause des Gatten ins Haus
+der Eltern und ihr erneutes Scheiden haben in der Dichtung symbolische
+Bedeutung erhalten.</p>
+
+<p>So erstreckt sich das Gebiet der Dichtkunst bis in die Sphre,
+die in geheimnisvolles Dunkel gehllt ist, und gibt ihr Licht und
+Sprache. Es gewinnt immer mehr Raum, wie der menschliche Geist auf dem
+Gebiete der<span class="pagenum"><a name="Page_p0035" id="Page_p0035">[Pg 035]</a></span> Wahrheit. Es greift nicht nur in die Geschichte, in die
+Naturwissenschaft und Philosophie ber, sondern auch in unser soziales
+Leben, in dem Mae, wie sich unser Bewutsein weitet und unsre Umgebung
+liebend und verstehend umfat. In der klassischen Literatur der alten
+Zeit gab es nur Heilige, Knige und Helden. Sie warf ihr Licht nicht
+auf die Menschen, die im Dunkel liebten und litten. Aber wie das Licht
+des menschlichen Geistes seinen Schein ber einen immer greren Raum
+wirft und in verborgene Winkel dringt, so geht auch die Kunst ber ihre
+Schranken hinaus und dehnt ihre Grenzen in unerforschte Gebiete aus.
+So verkndet die Kunst des Menschen Siegeszug ber die Welt, indem
+sie Symbole von Schnheit aufrichtet an Orten, wo sonst keine Stimme
+ertnt und keine Farbe leuchtet. Sie webt ihm sein Banner, unter dem
+er vorwrtsschreitet im Kampf gegen Leere und Trgheit und weit und
+breit in Gottes Schpfung die Rechte des Lebens geltend macht. Selbst
+der Geist der Wste hat seine Verwandtschaft mit ihm anerkannt, und die
+einsamen Pyramiden<span class="pagenum"><a name="Page_p0036" id="Page_p0036">[Pg 036]</a></span> stehen da als Denkmler des erhabenen Schweigens,
+in dem sich die Natur und der menschliche Geist begegneten. Das Dunkel
+der Hhlen hat der Menschenseele seine Stille gegeben und ist dafr
+heimlich mit dem Kranz der Kunst gekrnt. Glocken luten in Tempeln, in
+Drfern und volkreichen Stdten und verknden, da das Unendliche dem
+Menschen keine bloe Leere ist. Dies Sichausbreiten der menschlichen
+Persnlichkeit hat keine Grenze, und selbst die Mrkte und Fabriken
+unsrer Zeit, selbst die Gefngnisse, in die man Verbrecher einsperrt,
+und die Schulen, in die man Kinder einsperrt, werden durch die Berhrung
+der Kunst gemildert und verlieren etwas von ihrer unerbittlichen
+Lebensfeindlichkeit. Denn des Menschen Persnlichkeit ist immer
+bestrebt, allem, wozu sie nhere Beziehung hat, den Stempel ihres
+Geistes aufzudrcken. Und die Kunst ist der grne Pflanzenwuchs, der
+zeigt, wie weit der Mensch sich die Wste zu eigen gemacht hat.</p>
+
+<p>Wir haben schon gesagt, da berall, wo die Beziehung unsres Herzens zur
+Welt ber das Notwendige hinausgeht, Kunst geboren<span class="pagenum"><a name="Page_p0037" id="Page_p0037">[Pg 037]</a></span> wird. Mit andern
+Worten: wo unsre Persnlichkeit ihren Reichtum fhlt, entfaltet sie
+sich in Schnheit. Was wir fr unsre Bedrfnisse brauchen, wird ganz
+verbraucht und hinterlt keine Spur. Was ber sie hinausgeht, nimmt
+Gestalt an. Bloe Ntzlichkeit gleicht der Hitze, sie ist dunkel. Wenn
+sie ber sich hinausgeht, wird sie wei und leuchtend, dann hat sie
+ihren Ausdruck gefunden.</p>
+
+<p>Nehmen wir zum Beispiel unsre Freude am Essen. Sie ist bald erschpft,
+sie gibt uns keine Ahnung von dem Unendlichen. Daher hat sie, obwohl sie
+allgemeiner und weiter verbreitet ist als irgendeine andre Leidenschaft,
+im Reich der Kunst keinen Zutritt. Da geht es ihr wie dem Einwanderer an
+der amerikanischen Kste, wenn er mit leerem Beutel kommt.</p>
+
+<p>In unserm Leben haben wir eine endliche Seite, wo wir uns mit jedem
+Schritt ganz ausgeben, und wir haben eine andre Seite, wo unser Streben,
+unsre Freude und unsre Opfer unendlich sind. Diese unendliche Seite
+des Menschen offenbart sich in Symbolen, die etwas von dem Wesen der
+Unsterblichkeit haben. In ihnen sucht sie Vollendung zum Ausdruck<span class="pagenum"><a name="Page_p0038" id="Page_p0038">[Pg 038]</a></span>
+zu bringen. Daher verschmht sie alles, was nichtig und schwach und
+widersinnig ist. Sie erbaut sich zum Wohnsitz ein Paradies und whlt
+dazu nur solche Baustoffe, die die Vergnglichkeit des Irdischen
+abgestreift haben.</p>
+
+<p>Denn die Menschen sind Kinder des Lichts. Sobald sie sich ganz
+erkennen, fhlen sie ihre Unsterblichkeit. Und in dem Mae, wie sie sie
+fhlen, dehnen sie das Reich der Unsterblichkeit auf jedes Gebiet des
+menschlichen Lebens aus.</p>
+
+<p>Und das ist nun der Beruf der Kunst: die wahre Welt des Menschen, die
+lebendige Welt der Wahrheit und Schnheit, aufzubauen.</p>
+
+<p>Der Mensch ist ganz er selbst, wo er seine Unendlichkeit fhlt, wo er
+gttlich ist, und das Gttliche ist das Schpferische in ihm. Daher
+ist er schpferisch, sobald er zu seinem wahren Wesen gelangt. Er kann
+wahrhaft in seiner eigenen Schpfung leben, indem er aus Gottes Welt
+seine eigene Welt macht. Das ist in Wahrheit sein eigener Himmel, der
+Himmel zur Vollendung gestalteter Ideen, mit denen er sich umgibt; wo
+seine Kinder geboren werden, wo sie lernen, wie sie leben und sterben,
+lieben<span class="pagenum"><a name="Page_p0039" id="Page_p0039">[Pg 039]</a></span> und kmpfen mssen, wo sie lernen, da das Wirkliche nicht nur
+das uerlich Sichtbare ist und da es andre Reichtmer gibt als die
+Schtze der Erde. Wenn der Mensch nur die Stimme hren knnte, die
+aus dem Herzen seiner eigenen Schpfung aufsteigt, wrde er dieselbe
+Botschaft vernehmen, die in alter Zeit der indische Weise verkndete:</p>
+
+<p>&bdquo;Hrt auf mich, ihr Kinder des Unsterblichen, ihr Bewohner der
+himmlischen Welten, ich habe den Hchsten erkannt, der als Licht von
+jenseits der Finsternis kommt
+
+<a name="FNanchor_5" id="FNanchor_5"></a>
+<a href="#Footnote_5" class="fnanchor"><sup>[5]</sup></a>
+
+.&ldquo;</p>
+
+<p>Ja, es ist der Hchste, der sich dem Menschen offenbart hat und durch
+den dieses ganze Weltall fr ihn mit persnlichem Leben erfllt ist.
+Daher sind Indiens Pilgersttten dort, wo unser Herz in der Vereinigung
+von Strom und Meer oder im ewigen Schnee der Bergesspitzen oder in
+der Einsamkeit des Seegestades etwas von dem Wesen des Unendlichen
+sprt. Dort hat der Mensch in seinen Bildnissen und Tempeln dies Wort
+hinterlassen: &bdquo;Hrt auf mich, ich habe den Hchsten erkannt.&ldquo; Erforschen
+<span class="pagenum"><a name="Page_p0040" id="Page_p0040">[Pg 040]</a></span>knnen wir ihn nicht, nicht in den Dingen dieser Welt, noch in ihren
+Gesetzen; doch wo der Himmel blau ist und das Gras grn, wo die Blume
+ihre Schnheit und die Frucht ihren Wohlgeschmack spendet, wo nicht nur
+der Wille zur Erhaltung der Gattung, sondern Freude am Leben und Liebe
+zu allen Wesen, Mitgefhl und Selbstverleugnung herrscht, dort offenbart
+sich uns der Unendliche. Dort prasseln nicht nur Tatsachen auf uns
+nieder, sondern wir fhlen, wie das Band persnlicher Verwandtschaft
+unsre Herzen ewig mit dieser Welt verbindet. Und dies ist Wirklichkeit,
+ist Wahrheit, die wir uns zu eigen gemacht haben, Wahrheit, die ewig
+eins mit dem Hchsten ist. Diese Welt, deren Seele sehnschtig nach
+Ausdruck sucht in dem endlosen Rhythmus ihrer Linien und Farben, Musik
+und Bewegung, in leisem Flstern und heimlichen Winken und all den
+Versuchen, das Unaussprechliche ahnen zu lassen, &mdash; diese Welt findet
+ihre Harmonie in dem unaufhrlichen Verlangen des menschlichen Herzens,
+in seinen eigenen Schpfungen den Hchsten zu offenbaren.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0041" id="Page_p0041">[Pg 041]</a></span></p>
+
+<p>Dieses Verlangen macht uns verschwenderisch mit allem, was wir haben.
+Solange wir Reichtmer ansammeln, legen wir uns Rechenschaft ab von
+jedem Pfennig; wir rechnen genau und handeln sorgfltig. Aber sobald
+wir unserm Reichtum Ausdruck geben wollen, kennen wir keine Schranken
+mehr. Ja, niemand unter uns hat Reichtmer genug, um das, was wir
+unter Reichtum verstehen, voll zum Ausdruck zu bringen. Wenn wir
+versuchen, unser Leben gegen den Angriff des Feindes zu schtzen,
+sind wir vorsichtig in unsern Bewegungen. Aber wenn wir uns getrieben
+fhlen, unsrer persnlichen Tapferkeit Ausdruck zu geben, so nehmen
+wir freiwillig Gefahren auf uns, wenn es uns auch das Leben kostet.
+Im Alltagsleben sind wir vorsichtig mit unsern Ausgaben, aber bei
+festlichen Gelegenheiten, wenn wir unsre Freude ausdrcken, sind wir
+so verschwenderisch, da wir selbst ber unsre Mittel hinaus gehen.
+Denn wenn wir uns unsrer eigenen Persnlichkeit intensiv bewut sind,
+haben wir kein Auge mehr fr die Tyrannei der Tatsachen. Wir sind
+mavoll und zurckhaltend dem Menschen<span class="pagenum"><a name="Page_p0042" id="Page_p0042">[Pg 042]</a></span> gegenber, mit dem uns nur
+Klugheitsinteresse verbindet. Aber wir fhlen, da alles, was wir haben
+und geben knnen, fr die noch nicht genug ist, die wir lieben. Der
+Dichter sagt zu der Geliebten: &bdquo;Mir ist, als sei ich vom Anfang meines
+Daseins an in den Anblick deiner Schnheit versunken gewesen, als htte
+ich dich seit Jahrtausenden in meinen Armen gehalten, und doch ist meine
+Sehnsucht noch nicht gestillt.&ldquo; &bdquo;Die Steine mchten in Zrtlichkeit
+schmelzen, wenn der Saum deines Mantels sie streift.&ldquo; Er fhlt, da
+&bdquo;seine Augen wie Vgel ausfliegen mchten, um die Geliebte zu sehen.&ldquo;
+Vom Standpunkt der Vernunft aus sind dies bertreibungen, aber vom
+Standpunkt des Herzens aus, das von den Schranken der Tatsachen befreit
+ist, sind sie wahr.</p>
+
+<p>Ist es nicht ebenso in Gottes Schpfung? Dort sind Kraft und Stoff
+auch bloe Tatsachen; sie knnen gemessen und gewogen werden, und es
+wird genau Buch ber sie gefhrt. Allein die Schnheit ist keine bloe
+Tatsache; sie lt sich nicht verrechnen, sie lt sich nicht auf ihren
+Wert abschtzen und<span class="pagenum"><a name="Page_p0043" id="Page_p0043">[Pg 043]</a></span> verzeichnen. Sie ist Ausdruck. Tatsachen sind
+die Becher, die den Wein halten, er verdeckt und berrinnt sie. Die
+Schnheit ist unendlich in ihren Kundgebungen und berschwnglich in
+ihrer Sprache. Und nur die Seele, nicht die Wissenschaft, kann diese
+Sprache verstehen. Sie singt wie jener Dichter: &bdquo;Mir ist, als sei ich
+vom Anfang meines Daseins an in den Anblick deiner Schnheit versunken
+gewesen, als htte ich dich seit Jahrtausenden in meinen Armen gehalten,
+und doch ist meine Sehnsucht noch nicht gestillt.&ldquo;</p>
+
+<p>So sehen wir, da unsre Welt des Ausdrucks der Welt der Tatsachen nicht
+genau entspricht, da die Persnlichkeit nach allen Richtungen ber
+die Tatsachen hinausgeht. Sie ist sich ihrer Unendlichkeit bewut und
+schafft aus ihrem berflu heraus, und da in der Kunst die Dinge nach
+ihrem Ewigkeitswert gemessen werden, verlieren die, die im gewhnlichen
+Leben wichtig sind, ihre Wirklichkeit, sobald sie auf das Piedestal der
+Kunst erhoben werden. Der Zeitungsbericht von irgendeinem huslichen
+Ereignis im Leben eines Geschftsmagnaten ruft vielleicht in der
+Gesellschaft<span class="pagenum"><a name="Page_p0044" id="Page_p0044">[Pg 044]</a></span> groe Aufregung hervor, doch im Reich der Kunst verliert
+er alle seine Bedeutung. Wenn er dort durch irgendeinen grausamen Zufall
+neben Keats' &bdquo;Ode auf eine griechische Urne&ldquo; geriete, mte er in Scham
+sein Gesicht verbergen.</p>
+
+<p>Und doch knnte dasselbe Ereignis, wenn es in seiner Tiefe erfat und
+seiner konventionellen Oberflchlichkeit entkleidet wrde, noch eher
+einen Platz in der Kunst finden als die Unterhandlungen ber eine groe
+chinesische Geldanleihe oder die Niederlage der britischen Diplomatie
+in der Trkei. Ein bloes Familienereignis, die Eifersuchtstat eines
+Gatten, wie Shakespeare sie in einer seiner Tragdien schildert,
+hat im Reich der Kunst greren Wert als die Kastenordnung in Manus
+Gesetzbuch
+
+<a name="FNanchor_6" id="FNanchor_6"></a>
+<a href="#Footnote_6" class="fnanchor"><sup>[6]</sup></a>
+
+ oder das Gesetz, das den Bewohner des einen Weltteils
+hindert, auf einem andern menschlich behandelt zu werden. Denn wenn
+Tatsachen nichts als die Glieder einer <span class="pagenum"><a name="Page_p0045" id="Page_p0045">[Pg 045]</a></span>Kette von Tatsachen sind, weist
+die Kunst sie zurck.</p>
+
+<p>Wenn jedoch solche Gesetze und Verordnungen, wie ich sie eben erwhnte,
+uns in ihrer Anwendung auf einen bestimmten Menschen gezeigt werden,
+wenn wir die ganze Ungerechtigkeit und Grausamkeit und das ganze Elend,
+das sie im Gefolge haben, sehen, dann werden sie ein Gegenstand fr die
+Kunst. Die Anordnung einer groen Schlacht mag eine wichtige Tatsache
+sein, aber fr den Zweck der Kunst ist sie unbrauchbar. Aber was
+diese Schlacht einem einzelnen Soldaten bringt, der von seinen Lieben
+losgerissen, auf Lebenszeit verkrppelt wird, das hat fr die Kunst, die
+es mit der lebendigen Wirklichkeit zu tun hat, den hchsten Wert.</p>
+
+<p>Des Menschen soziale Welt gleicht einem Nebelsternsystem; sie besteht
+zum grten Teile aus abstrakten Begriffen wie: Gesellschaft,
+Staat, Nation, Handel, Politik und Krieg. Im dichten Nebel dieser
+Begriffe ist der Mensch verborgen und die Wahrheit verwischt. Die
+ganz unbestimmte Idee des Krieges allein schon verdeckt unserm Blick
+eine<span class="pagenum"><a name="Page_p0046" id="Page_p0046">[Pg 046]</a></span> Menge von Elend und trbt unsern Wirklichkeitssinn. Die Nation
+ist schuld an Verbrechen, die uns entsetzen wrden, wenn man einen
+Augenblick den Nebel um sie verscheuchen knnte. Die Idee Gesellschaft
+hat zahllose Formen von Sklaverei geschaffen, die wir nur dulden,
+weil sie unser Gefhl fr die menschliche Persnlichkeit abgestumpft
+hat. Und im Namen der Religion konnten Taten verbt werden, fr die
+die Hlle selbst nicht Strafen genug haben kann, weil sie fast den
+ganzen fhlenden Leib der Menschheit mit einer gefhllos machenden
+Kruste von Glaubensbekenntnissen und Dogmen berzogen hat. berall
+in der Menschenwelt leidet die Gottheit darunter, da die lebendige
+Wirklichkeit des Menschen unter der Last von Abstraktionen erstickt
+wird. In unsern Schulen verbirgt der Begriff Klasse die Individualitt
+der Kinder, sie werden <i>nur</i> Schler. Wir empfinden es gar nicht mehr,
+wenn wir sehen, wie das Leben der Kinder in der Klasse erdrckt wird,
+wie Blumen, die man in einem Buch pret. In der Regierung hat die
+Bureaukratie es nur mit Klassenbegriffen und nicht<span class="pagenum"><a name="Page_p0047" id="Page_p0047">[Pg 047]</a></span> mit Menschen zu
+tun, und so verbt sie unbedenklich Grausamkeiten im groen. Sobald
+wir einen wissenschaftlichen Grundsatz wie den der &bdquo;natrlichen
+Auslese&ldquo; als Wahrheit anerkennen, verwandelt er sofort die ganze
+Welt der menschlichen Persnlichkeit in eine trostlose Wste von
+Abstraktionen, wo alle Dinge furchtbar einfach werden, weil sie ihres
+Lebensgeheimnisses beraubt sind.</p>
+
+<p>Auf diesen weiten Nebelstrecken erschafft die Kunst ihre Sterne. Durch
+sie erkennen wir uns als Kinder des Unsterblichen und als Erben der
+himmlischen Welten.</p>
+
+<p class="bottom3">Was ist es, das dem Menschen trotz der unleugbaren Tatsache des
+Todes doch die Gewiheit der Unsterblichkeit gibt? Es ist weder
+seine physische noch seine geistige Organisation. Es ist jene innere
+Einheit, jenes letzte Geheimnis in ihm, das aus dem Zentrum seiner
+Welt nach allen Seiten ausstrahlt, das in seinem Krper und in seinem
+Geiste ist und doch ber beide hinausgeht, das sich durch alle Dinge,
+die ihm gehren, offenbart und doch etwas anderes ist als sie; das
+seine Gegenwart fllt und die Ufer seiner Vergangenheit<span class="pagenum"><a name="Page_p0048" id="Page_p0048">[Pg 048]</a></span> und Zukunft
+berflutet. Es ist die Persnlichkeit des Menschen, die sich ihrer
+unerschpflichen Flle bewut ist, die den scheinbaren Widerspruch in
+sich trgt, da sie mehr ist als sie selbst, mehr als von ihr sichtbar
+und erkennbar ist. Und dies Unendlichkeitsbewutsein im Menschen strebt
+immer nach unvergnglichem Ausdruck und sucht sich die ganze Welt zu
+eigen zu machen. Die Werke der Kunst sind Gre, die die menschliche
+Seele dem Hchsten als Antwort sendet, wenn er sich uns durch die
+dunkle Welt von Tatsachen hindurch in einer Welt unendlicher Schnheit
+offenbart.<br /><br /></p>
+
+<hr class="chap" />
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0049" id="Page_p0049">[Pg 049]</a></span></p>
+
+<h2 class="top2"><a name="DIE_WELT_DER_PERSONLICHKEIT"
+id="DIE_WELT_DER_PERSONLICHKEIT">DIE WELT DER PERSNLICHKEIT</a></h2>
+
+<p class="drop-cap2">&bdquo;DIE Nacht ist ein dunkles Kind, das eben vom Tag geboren ist. Millionen
+von Sternen stehen dicht gedrngt um seine Wiege und beobachten es,
+regungslos, damit es nicht aufwacht.&ldquo;</p>
+
+<p>So will ich fortfahren, aber die Naturwissenschaft unterbricht mich
+lachend. Sie nimmt Ansto an meiner Behauptung, da die Sterne
+stillstehen.</p>
+
+<p>Doch wenn ich mich irre, so bin nicht ich schuld daran, sondern die
+Sterne selbst. Es ist ganz offenbar, da sie stillstehen. Es ist eine
+Tatsache, die sich nicht wegdisputieren lt.</p>
+
+<p>Allein die Wissenschaft hat nun einmal die Gewohnheit, zu disputieren.
+Sie sagt: &bdquo;Wenn du meinst, da die Sterne stillstehen, so beweist dies
+nur, da du zu weit von ihnen entfernt bist.&ldquo;<span class="pagenum"><a name="Page_p0050" id="Page_p0050">[Pg 050]</a></span></p>
+
+<p>Ich antworte prompt: &bdquo;Wenn ihr sagt, da die Sterne umherrasen, so
+beweist das nur, da ihr ihnen zu nahe seid.&ldquo;</p>
+
+<p>Die Naturwissenschaft ist erstaunt ber meine Verwegenheit.</p>
+
+<p>Aber ich bleibe hartnckig bei meiner Behauptung und sage, da, wenn die
+Naturwissenschaft sich die Freiheit nimmt, den Standpunkt der Nhe zu
+whlen und den der Ferne zu miachten, sie mich nicht tadeln darf, wenn
+ich den entgegengesetzten Standpunkt einnehme und die Glaubwrdigkeit
+der Nhe bezweifle.</p>
+
+<p>Die Naturwissenschaft ist unerschtterlich berzeugt, da der Anblick
+aus der Nhe der zuverlssigste ist.</p>
+
+<p>Aber ich zweifle, ob sie in ihren Ansichten konsequent ist. Denn als ich
+sicher war, da die Erde unter meinen Fen flach sei, da belehrte sie
+mich eines Bessern, indem sie mir sagte, da der Anblick aus der Nhe
+nicht das richtige Bild gbe und da man Abstand nehmen msse, um zur
+vollkommenen Wahrheit zu gelangen.</p>
+
+<p>Ich will ihr gern zustimmen. Denn sehen<span class="pagenum"><a name="Page_p0051" id="Page_p0051">[Pg 051]</a></span> wir nicht an uns selbst,
+da wir, wenn wir unserm Ich zu nahe bleiben, es mit den Augen der
+Selbstsucht sehen und eine flache und isolierte Ansicht von uns
+gewinnen, aber wenn wir ber uns hinausgehen und uns in andern sehen, so
+erhalten wir ein rundes und zusammenhngendes Bild, das uns unser wahres
+Wesen zeigt?</p>
+
+<p>Aber wenn die Naturwissenschaft berhaupt glaubt, da der Abstand von
+den Dingen uns ein richtigeres Bild von ihnen gibt, so mu sie auch
+ihren Aberglauben von der Ruhelosigkeit der Sterne aufgeben. Wir Kinder
+der Erde gehen in die Schule der Nacht, um einen Blick auf die Welt
+als Ganzes zu werfen. Unser groer Meister wei, da wir den vollen
+Anblick des Weltalls ebensowenig ertragen knnten wie den Anblick der
+Mittagssonne. Wir mssen sie durch ein geschwrztes Glas sehen. Die
+gtige Natur hlt das dunkle Glas der Nacht vor unsre Augen und lt
+uns das Weltall aus der Ferne sehen. Und was ist es, was wir sehen? Wir
+sehen, da die Welt der Sterne stillsteht. Denn wir sehen diese Sterne
+in ihrer Beziehung zueinander, und sie er<span class="pagenum"><a name="Page_p0052" id="Page_p0052">[Pg 052]</a></span>scheinen uns wie Ketten von
+Diamanten um den Hals einer schweigenden Gottheit. Aber die Astronomie
+reit wie ein neugieriges Kind einen einzelnen Stern von der Kette los
+und stellt dann fest, da er umherrollt.</p>
+
+<p>Wem soll man nun glauben? Die Glaubwrdigkeit der Sternenwelt kommt
+nicht in Frage. Man braucht nur seine Augen aufzuheben und ihnen
+ins Antlitz sehen, so mu man ihnen glauben. Sie bringen keine
+scharfsinnigen Beweisgrnde vor, und das erscheint mir immer als bester
+Beweis der Zuverlssigkeit. Sie geraten nicht auer sich, wenn man ihnen
+nicht glaubt. Aber wenn ein einzelner von diesen Sternen von der Tribne
+des Weltalls heruntersteigt und der Mathematik verstohlen sein Geheimnis
+ins Ohr flstert, so sehen wir, da die Sache sich ganz anders verhlt.</p>
+
+<p>Daher wollen wir khn behaupten, da beide Aussagen gleich wahr sind.
+Lat uns annehmen, da die Sterne auf der Ebene des Abstands stillstehen
+und auf der Ebene der Nhe sich bewegen. Auf die eine Weise angesehen,
+sind die Sterne in Wahrheit regungslos und auf die andere in Bewegung.
+Nhe<span class="pagenum"><a name="Page_p0053" id="Page_p0053">[Pg 053]</a></span> und Ferne sind die Hter zweier verschiedener Reihen von
+Tatsachen, aber beide sind <i>einer</i> Wahrheit untertan. Wenn wir daher uns
+auf Seite der einen stellen und die andere schmhen, so verletzen wir
+die Wahrheit, die beide umfat.</p>
+
+<p>Von dieser Wahrheit sagt die Ischa-Upanischad
+
+<a name="FNanchor_7" id="FNanchor_7"></a>
+<a href="#Footnote_7" class="fnanchor"><sup>[7]</sup></a>
+
+: &bdquo;Sie bewegt sich. Sie
+bewegt sich nicht. Sie ist fern. Sie ist nahe.&ldquo;</p>
+
+<p>Der Sinn ist der: Wenn wir die Wahrheit in ihren einzelnen Teilen, die
+uns nahe sind, verfolgen, so sehen wir sie sich bewegen. Wenn wir die
+Wahrheit von einem gewissen Abstand aus als Ganzes berblicken, so
+steht sie still. Es ist, wie wenn wir ein Buch lesen: alles in ihm ist
+in Bewegung, so lange wir den Inhalt von Kapitel zu Kapitel verfolgen,
+doch wenn wir damit fertig sind, wenn wir das ganze Buch kennen, steht
+es still und umfat zugleich alle Kapitel in ihren gegenseitigen
+Beziehungen.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0054" id="Page_p0054">[Pg 054]</a></span></p>
+
+<p>Es gibt im Geheimnis des Daseins einen Punkt, wo Gegenstze sich
+vereinen, wo Bewegung nicht nur Bewegung und Ruhe nicht nur Ruhe ist,
+wo Idee und Form, Inneres und ueres eins werden, wo das Unendliche
+endlich wird, ohne seine Unendlichkeit zu verlieren. Wenn diese Einheit
+aufgehoben ist, verlieren die Dinge ihr wahres Wesen.</p>
+
+<p>Wenn ich ein Rosenblatt durch ein Mikroskop betrachte, sehe ich es
+ausgedehnter als es mir gewhnlich erscheint. Je mehr ich seine
+Ausdehnung vergrere, um so unbestimmter wird es, bis es im unendlichen
+Raum weder ein Rosenblatt noch sonst etwas ist. Es wird erst ein
+Rosenblatt, wo das Unendliche in einem bestimmten Raum Endlichkeit wird.
+Wenn wir die Grenzen dieses Raumes weiter oder enger ziehen, so beginnt
+das Rosenblatt seine Wirklichkeit zu verlieren.</p>
+
+<p>Wie mit dem Raum, so ist es auch mit der Zeit. Wenn ich durch
+irgendeinen Zufall die Schnelligkeit der Zeit in bezug auf das
+Rosenblatt steigern knnte, indem ich, sagen wir, einen Monat in eine
+Minute verdichtete, whrend ich selbst dabei auf meiner normalen<span class="pagenum"><a name="Page_p0055" id="Page_p0055">[Pg 055]</a></span>
+Zeitebene bliebe, so wrde es mit solcher rasenden Geschwindigkeit vom
+Punkt des ersten Erscheinens bis zum Punkt des Verschwindens eilen,
+da ich nicht imstande wre, es wahrzunehmen. Wir knnen sicher sein,
+da es Dinge in dieser Welt gibt, die andre Geschpfe wahrnehmen, aber
+die fr uns nicht da sind, da ihre Zeit der unsern nicht entspricht.
+Unsre Geruchsnerven halten nicht Schritt mit denen des Hundes, daher
+existieren viele Erscheinungen fr uns gar nicht, die ein Hund als
+Geruch wahrnimmt.</p>
+
+<p>Wir hren zum Beispiel von mathematischen Wunderkindern, die in
+unglaublich kurzer Zeit schwierige Aufgaben ausrechnen. Ihr Geist
+arbeitet in bezug auf mathematische Berechnungen auf einer andern
+Zeitebene nicht nur als unserer, sondern auch als ihrer eigenen in den
+brigen Lebensgebieten. Es ist, als ob der mathematische Teil ihres
+Geistes auf einem Kometen lebte, whrend die andern Teile Bewohner
+dieser Erde sind. Daher ist der Vorgang, durch den sie zu ihrem Resultat
+kommen, nicht nur uns unsichtbar, sondern auch sie selbst sehen ihn
+nicht.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0056" id="Page_p0056">[Pg 056]</a></span></p>
+
+<p>Es ist eine ganz bekannte Tatsache, da unsre Trume oft in einem
+Zeitma dahinflieen, das ganz verschieden von dem unsres wachen
+Bewutseins ist. Fnfzig Minuten der Sonnenuhr unsres Traumlandes sind
+vielleicht fnf Minuten unsrer Stubenuhr. Wenn wir von dem Terrain
+unsres wachen Bewutseins aus diese Trume beobachten knnten, so
+wrden sie wie ein Schnellzug an uns vorbeirasen. Oder wenn wir vom
+Fenster unsrer schnell dahinfliehenden Trume aus die langsamere Welt
+unsres wachen Bewutseins beobachten knnten, so wrde sie mit groer
+Geschwindigkeit hinter uns zurckzuweichen scheinen. Ja, wenn die
+Gedanken, die sich in andern Hirnen bewegen, offen vor uns lgen, so
+wrden wir sie anders wahrnehmen als jene selbst, da unser geistiges
+Zeitma ein anderes ist. Wenn wir den Mastab unsrer Zeitwahrnehmung
+nach Belieben vergrern oder verkleinern knnten, so wrden wir den
+Wasserfall stillstehen und den Fichtenwald wie einen grnen Niagara
+schnell dahinrauschen sehen.</p>
+
+<p>So ist es fast ein Gemeinplatz, wenn wir<span class="pagenum"><a name="Page_p0057" id="Page_p0057">[Pg 057]</a></span> sagen, die Welt ist das, als
+was wir sie wahrnehmen. Wir bilden uns ein, unser Geist sei ein Spiegel,
+der mehr oder weniger genau das zurckwirft, was sich drauen ereignet.
+Im Gegenteil, unser Geist selbst ist der eigentliche Schpfer. Whrend
+ich die Welt beobachte, erschaffe ich sie mir unaufhrlich selbst in
+Zeit und Raum.</p>
+
+<p>Die Ursache der Mannigfaltigkeit der Schpfung ist, da der Geist die
+verschiedenen Erscheinungen in verschiedener zeitlicher und rumlicher
+Einstellung wahrnimmt. Wenn er die Sterne in einem Raum sieht, den man
+bildlich als dicht bezeichnen knnte, so sind sie nahe beieinander
+und bewegungslos. Wenn er die Planeten sieht, so sieht er sie in weit
+geringerer Raumdichtigkeit, und da erscheinen sie weit voneinander
+entfernt und in Bewegung. Wenn wir die Molekle eines Eisenstckes in
+einem ganz andern Raum sehen knnten, so wrden wir sehen, wie sie sich
+bewegen. Aber da wir die Dinge in ihren bestimmten Raum- und Zeitmaen
+sehen, ist Eisen fr uns Eisen, Wasser ist Wasser und Wolken sind
+Wolken.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0058" id="Page_p0058">[Pg 058]</a></span></p>
+
+<p>Es ist eine ganz bekannte psychologische Tatsache, da durch nderung
+unsrer geistigen Einstellung Gegenstnde ihr Wesen zu verndern
+scheinen; was uns angenehm war, wird uns zuwider, und umgekehrt. In
+einem gewissen Zustande der Verzcktheit haben die Menschen in der
+Kasteiung ihres Fleisches Genu gesucht. Die auerordentlichen Leiden
+der Mrtyrer scheinen uns bermenschlich, weil wir die geistige Haltung,
+unter deren Einflu man sie ertragen, ja ersehnen kann, noch nicht an
+uns erfahren haben. In Indien hat man oft gesehen, da Fakire ber
+glhendes Eisen gingen, wenn solche Flle auch wissenschaftlich noch
+nicht untersucht sind. Man kann verschiedener Meinung sein ber die
+Wirksamkeit der Glaubensheilung, die den Einflu des Geistes auf die
+Materie zeigt, aber seit den frhesten Zeiten haben Menschen an sie
+geglaubt und danach gehandelt. Unsre sittliche Erziehung grndet sich
+auf die Tatsache, da durch unsre vernderte geistige Einstellung unsre
+Perspektive, ja in gewisser Hinsicht die ganze Welt eine andre wird,
+worin alles einen andern Wert bekommt. Daher wird das, was fr<span class="pagenum"><a name="Page_p0059" id="Page_p0059">[Pg 059]</a></span> einen
+Menschen wertvoll ist, solange er sittlich unentwickelt ist, schlimmer
+als wertlos fr ihn, wenn er zu einer hhern Sittlichkeit gelangt.</p>
+
+<p>Walt Whitman zeigt in seinen Gedichten eine groe Geschicklichkeit,
+seinen geistigen Standpunkt zu wechseln und damit seiner Welt eine neue
+und von der der andern Menschen verschiedene Gestalt zu geben, indem er
+die Verhltnisse der Dinge umordnet und ihnen dadurch eine ganz neue
+Bedeutung gibt. Solche Beweglichkeit des Geistes wirft alle Konventionen
+ber den Haufen. Daher sagt er in einem seiner Gedichte:</p>
+
+<p class="poem top2">Ich hre, man macht mir den Vorwurf, ich wolle die Institutionen zerstren.<br />
+Doch was sind mir Institutionen?<br />
+Was habe ich mit ihnen zu schaffen, und was sollte mir ihre Zerstrung?<br />
+Nur <i>eine</i> Institution gibt es, die ich grnden will,<br />
+In dir, Mannahatta, und in jeder Stadt dieser Staaten, im Binnenlande und an der Kste,<br />
+In Feldern und Wldern und auf der See, ber jedem Kiel, der ihre Wasser durchschneidet;<br />
+Ich will sie grnden ohne Haus, ohne Hter und ohne Satzungen:<br />
+Die Institution treuer Bruderliebe.</p>
+
+
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0060" id="Page_p0060">[Pg 060]</a></span></p>
+
+<p class="top2">Solide Institutionen von massivem Bau lsen sich in der Welt dieses
+Dichters in Dunst auf. Sie ist wie eine Welt von Rntgenstrahlen,
+fr die manche festen Dinge als solche nicht bestehen. Dagegen hat
+die Bruderliebe, die in der gewhnlichen Welt etwas Flieendes
+ist, wie die Wolken, die ber den Himmel hinziehen ohne eine Spur
+zurckzulassen, in der Welt des Dichters mehr Festigkeit und Dauer als
+alle Institutionen. Hier sieht er die Dinge in einer Zeit, wo die Berge
+wie Schatten dahinschwinden und wo die Regenwolken mit ihrer scheinbaren
+Vergnglichkeit ewig sind. Hier erkennt er, da die Bruderliebe wie die
+Wolken, die keines festen Fundamentes bedrfen, Halt und Dauer hat, ohne
+Haus, ohne Hter und ohne Satzungen.</p>
+
+<p>Whitman steht auf einer andern Zeitebene, seine Welt fllt noch nicht
+in Trmmer, wenn man sie aus den Angeln hebt, weil sie seine eigene
+Persnlichkeit zum Zentrum hat. Alle<span class="pagenum"><a name="Page_p0061" id="Page_p0061">[Pg 061]</a></span> Geschehnisse und Gestalten dieser
+Welt haben ihre Beziehung zu dieser zentralen schpferischen Kraft,
+daher sind sie auch ganz von selbst untereinander verbunden. Seine Welt
+mag wohl ein Komet unter Sternen sein und ihre eigene Bewegung haben,
+aber sie hat auch ihre eigene Gesetzmigkeit durch die Zentralkraft der
+Persnlichkeit. Es mag eine verwegene, ja eine tolle Welt sein, deren
+exzentrischer Schweif eine ungeheure Bahn beschreibt, aber eine Welt ist
+es.</p>
+
+<p>Doch mit der Naturwissenschaft ist es anders. Denn sie versucht, jene
+zentrale Persnlichkeit ganz auszuschalten, durch die die Welt erst
+eine Welt wird. Die Naturwissenschaft stellt einen unpersnlichen und
+unvernderlichen Mastab fr Raum und Zeit auf, der nicht der Mastab
+der Schpfung ist. Daher wirkt seine Berhrung so vernichtend auf die
+lebendige Wirklichkeit der Welt, da sie zu einem leeren Begriff wird
+und ihre Dinge sich in Nichts auflsen. Denn die Welt ist etwas anderes
+als Atome und Molekle oder Radioaktivitt und andere Krfte, der
+Diamant ist etwas anderes als Kohlenstoff, und Licht ist<span class="pagenum"><a name="Page_p0062" id="Page_p0062">[Pg 062]</a></span> etwas anderes
+als Schwingungen des thers. Auf dem Wege der Auflsung und Zerstrung
+wird man nie zur Wahrheit der Schpfung gelangen. Nicht nur die Welt,
+sondern Gott selbst wird von der Naturwissenschaft seiner Wirklichkeit
+entkleidet; sie unterwirft ihn im Laboratorium der Vernunft, wo jede
+persnliche Beziehung aufhrt, einer chemischen Analyse und verkndet
+als Resultat, da man nichts von ihm wei noch wissen kann. Es ist eine
+bloe Tautologie, zu behaupten, da Gott unerkennbar ist, wenn man den,
+der ihn allein kennt und kennen kann, die menschliche Persnlichkeit,
+ganz auer Betracht lt. Es ist, als ob man von einer Speise sagte,
+sie sei ungeniebar, wenn niemand da ist, sie zu essen. Unsre trocknen
+Moralisten machen es ebenso, sie lenken unser Herz von dem Ziel seiner
+Sehnsucht ab. Statt uns eine Welt zu erschaffen, in der die sittlichen
+Ideale in ihrer natrlichen Schnheit leben, versuchen sie, unsre Welt,
+die wir uns, wenn auch noch so unvollkommen, selbst erbaut haben, zu
+verkmmern. Statt menschlicher Persnlichkeiten stellen sich moralische
+Grundstze vor uns auf<span class="pagenum"><a name="Page_p0063" id="Page_p0063">[Pg 063]</a></span> und zeigen uns die Dinge im Zustande der
+Auflsung, um zu beweisen, da hinter ihrer Erscheinung abscheulicher
+Trug ist. Aber wenn man die Wahrheit ihrer uern Erscheinung beraubt,
+so verliert sie damit den besten Teil ihrer Wirklichkeit. Denn die
+Erscheinung ist es, durch die sie zu mir in persnlicher Beziehung
+steht, sie ist eigens fr mich da. Von dieser Erscheinung, die nur
+Oberflche zu sein scheint, die aber von dem innern Wesen Botschaft
+bringt, sagt euer Dichter:</p>
+
+<p class="poem top2">Der erste Schritt schon brachte mir soviel Freude!<br />
+Das bloe Bewutsein, all diese Formen, die Kraft der Bewegung,<br />
+Das kleinste Insekt oder Tier, die Sinne, das Schauen, die Liebe &mdash;<br />
+Was brachte der erste Schritt schon an Staunen und Freude!<br />
+Ich bin noch nicht weiter gegangen und mcht' es auch kaum,<br />
+Ich mchte nur immer verweilen und in ekstatischen Liedern lobpreisen!</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0064" id="Page_p0064">[Pg 064]</a></span></p>
+
+<p class="top2">Unsre wissenschaftliche Welt ist unsre Welt des Verstandes. Sie hat
+ihre Gre und ihren Nutzen und ihre Reize. Wir wollen ihr gern die ihr
+gebhrende Huldigung erweisen. Aber wenn sie sich rhmt, die wirkliche
+Welt erst fr uns entdeckt zu haben und ber alle Welten der einfltigen
+Geister lacht, dann erscheint sie uns wie ein Feldherr, der, durch
+seine Macht berauscht, den Thron seines Knigs usurpiert. Denn die
+Welt in ihrer lebendigen Wirklichkeit ist das Reich der menschlichen
+Persnlichkeit und nicht des Verstandes, der, mag er noch so ntzlich
+und gro sein, doch nicht der Mensch selbst ist.</p>
+
+<p>Wenn wir ein Musikstck als das, was es in Beethovens Geist war,
+vollkommen erkennen knnten, so knnten wir selbst jeder ein Beethoven
+werden. Aber weil wir sein Geheimnis nicht ergrnden knnen, so knnen
+wir auch bezweifeln, da etwas von Beethovens Persnlichkeit in seiner
+Sonate lebt, &mdash; obgleich wir uns wohl bewut sind, da ihr wahrer Wert
+in ihrer Wirkung auf unsre eigene Persnlichkeit besteht. Doch es ist
+noch einfacher, diese Tatsachen zu beobachten, wenn<span class="pagenum"><a name="Page_p0065" id="Page_p0065">[Pg 065]</a></span> diese Sonate
+auf dem Klavier gespielt wird. Wir knnen die schwarzen und weien
+Tasten der Klaviatur zhlen, die Lnge der Saiten messen, die Kraft,
+Geschwindigkeit und Reihenfolge in den Bewegungen der Finger feststellen
+und dann triumphierend behaupten, dies sei Beethovens Sonate. Und nicht
+nur das, wir knnen vorhersagen, da, wo und wann auch immer der Versuch
+in der beobachteten Weise wiederholt wird, auch genau dieselbe Sonate
+wieder ertnt. Wenn wir die Sonate nur immer von diesem Gesichtspunkt
+aus betrachten, so vergessen wir leicht, da ihr Ursprung und ihr Ziel
+die menschliche Persnlichkeit ist und da, wie genau und vollkommen
+auch die technische Ausfhrung sein mag, diese doch noch nicht die
+letzte Wirklichkeit der Musik umfat.</p>
+
+<p>Ein Spiel ist ein Spiel, sobald ein Spieler da ist, der es spielt.
+Natrlich hat das Spiel seine Regeln, die man kennen und beherrschen
+mu. Aber wenn jemand behaupten wollte, da in diesen Regeln das wahre
+Wesen des Spiels lge, so mten wir das ablehnen. Denn das Spiel ist
+das, was es fr die Spieler be<span class="pagenum"><a name="Page_p0066" id="Page_p0066">[Pg 066]</a></span>deutet. Es wechselt seinen Charakter
+nach der Persnlichkeit der Spieler: fr einige hat es den Zweck, ihre
+Gewinnsucht zu befriedigen, andern dient es zur Befriedigung ihres
+Ehrgeizes; einigen ist es ein Mittel, die Zeit hinzubringen, und andern
+ein Mittel, ihrem Hang zur Geselligkeit zu frnen; und noch andere
+gibt es, die ganz frei von eigenntzigen Zwecken nur seine Geheimnisse
+studieren wollen. Und doch bleibt bei allen diesen mannigfachen
+Gesichtspunkten das Gesetz des Spiels immer das gleiche. Denn die Natur
+des wahren Seins ist die Einheit in der Mannigfaltigkeit. Und die Welt
+ist fr uns wie solch ein Spiel, sie ist fr uns alle die gleiche und
+doch nicht die gleiche.</p>
+
+<p>Die Naturwissenschaft hat es nur mit der Gleichartigkeit zu tun, mit
+dem Gesetz der Perspektive und Farbenzusammenstellung und nicht mit
+dem Gemlde &mdash;, dem Gemlde, das die Schpfung einer Persnlichkeit
+ist und sich an die Persnlichkeit dessen wendet, die es sieht. Die
+Naturwissenschaft will aus ihrem Forschungsgebiet die schpferische
+Persnlichkeit ganz ausschalten und ihre Aufmerk<span class="pagenum"><a name="Page_p0067" id="Page_p0067">[Pg 067]</a></span>samkeit nur auf das
+Medium der Schpfung richten.</p>
+
+<p>Was ist dieses Medium? Es ist das Medium der Endlichkeit, durch das
+der Unendliche sich uns offenbaren will. Es ist das Medium, das seine
+selbstauferlegten Begrenzungen darstellt, das Gesetz von Zeit und Raum,
+Form und Bewegung. Dies Gesetz ist die Vernunft, die allen gemeinsam
+ist, die Vernunft, die den endlosen Rhythmus der schpferischen Idee
+leitet, wenn sie sich uns in immer wechselnden Formen offenbart.</p>
+
+<p>Unsre Einzelseelen sind die Saiten, die bei den Schwingungen dieser
+Weltseele mitschwingen und in der Musik von Raum und Zeit Antwort geben.
+Diese Saiten sind untereinander verschieden an Tonhhe und Klangfarbe
+und sind noch nicht zur Vollkommenheit gestimmt, aber ihr Gesetz ist das
+Gesetz der Weltseele, des Instrumentes, auf dem der ewige Spieler seinen
+Schpfungstanz spielt.</p>
+
+<p>Durch diese Seeleninstrumente, die wir in uns haben, sind auch wir
+Schpfer. Wir schaffen nicht nur Kunst und soziale Organisationen,
+sondern auch uns selbst, unsre innere<span class="pagenum"><a name="Page_p0068" id="Page_p0068">[Pg 068]</a></span> Natur und unsre Umgebung, deren
+Wesenserfllung von ihrer Harmonie mit dem Gesetz der Weltseele abhngt.
+Freilich sind unsre Schpfungen bloe Variationen der groen Weltmelodie
+Gottes. Wenn wir Dissonanzen hervorbringen, so mssen sie sich entweder
+in Wohlklang auflsen oder verstummen. Unsre Schpferfreiheit findet
+ihre hchste Freude darin, da sie ihre eigene Stimme in den Chor der
+Welt-Musik einfgt.</p>
+
+<p>Die Naturwissenschaft traut dem gesunden Verstand des Dichters nicht
+recht. Sie weist die paradoxe Behauptung, da das Unendliche Endlichkeit
+annehme, zurck.</p>
+
+<p>Ich kann zu meiner Verteidigung sagen, da diese Paradoxie viel lter
+ist als ich. Es ist dieselbe Paradoxie, die an der Wurzel allen Seins
+liegt. Sie ist ebenso geheimnisvoll und einfach zugleich wie die
+Tatsache, da ich imstande bin, diese Wand wahrzunehmen, was im letzten
+Grunde ein unerklrliches Wunder ist.</p>
+
+<p>Kehren wir noch einmal zu der Ischa-Upanischad zurck, um zu hren, was
+der Weise ber den Widerspruch des Unendlichen und des Endlichen sagt.
+Er sagt:</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0069" id="Page_p0069">[Pg 069]</a></span></p>
+
+<p>&bdquo;Die geraten ins Dunkel, die sich nur mit der Erkenntnis des Endlichen
+beschftigen, aber die geraten in ein noch greres Dunkel, die sich nur
+mit der Erkenntnis des Unendlichen beschftigen.&ldquo;</p>
+
+<p>Wer die Erkenntnis des Endlichen sucht um ihrer selbst willen, wird
+die Wahrheit nicht finden. Denn diese Erkenntnis ist ihm nur eine tote
+Mauer, die ihm das Drben verbaut. Sie hilft ihm nur zu materiellem
+Gewinn, aber sie leuchtet ihm nicht. Sie ist wie eine Lampe ohne Licht,
+wie eine Geige ohne Musik. Man kann ein Buch nicht kennen lernen, wenn
+man es mit und wgt und seine Seiten zhlt oder sein Papier chemisch
+untersucht. Eine neugierige Maus kann sich in das Innere eines Klaviers
+hineinnagen und zwischen seinen Saiten herumstbern, soviel sie will,
+der Musik kommt sie dadurch nicht nher. So machen es die, die das
+Endliche um seiner selbst willen suchen.</p>
+
+<p>Aber die Upanischad lehrt uns, da das alleinige Streben nach Erkenntnis
+des Unendlichen in ein noch tieferes Dunkel fhrt. Denn das schlechthin
+Unendliche ist Leere. Jedes<span class="pagenum"><a name="Page_p0070" id="Page_p0070">[Pg 070]</a></span> Endliche ist etwas. Vielleicht ist es
+nur ein Scheckbuch ohne Guthaben auf der Bank. Aber das schlechthin
+Unendliche hat weder Geld noch Scheckbuch. Wie tief das geistige Dunkel
+des primitiven Menschen auch sein mag, der in der berzeugung lebt, da
+jeder Apfel nach seiner Laune zu Boden fllt, es ist noch nichts gegen
+die Blindheit dessen, der sein Leben im Grbeln ber das Gesetz der
+Schwere verbringt, ohne den fallenden Apfel zu sehen.</p>
+
+<p>Daher lehrt die Ischa-Upanischad:</p>
+
+<p>&bdquo;Wer da wei, da die Erkenntnis des Endlichen und Unendlichen eins
+ist, berschreitet den Abgrund des Todes mit Hilfe der Erkenntnis
+des Endlichen und erringt Unsterblichkeit durch die Erkenntnis des
+Unendlichen.&ldquo;</p>
+
+<p>Das Unendliche und das Endliche sind eins wie Lied und Gesang. Das
+Singen ist das Endliche, das durch bestndiges Strebendas Lied, das
+vollkommen ist, hervorbringt. Das schlechthin Unendliche ist wie Musik
+ohne alle bestimmten Tne und daher ohne Sinn.</p>
+
+<p>Das schlechthin Ewige ist Zeitlosigkeit, ein leeres Wort, das nichts
+sagt. Die Wirklichkeit des Ewigen umfat alle Zeiten.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0071" id="Page_p0071">[Pg 071]</a></span></p>
+
+<p>Daher heit es in der Upanischad:</p>
+
+<p>&bdquo;Die geraten ins Dunkel, die nur nach dem Vergnglichen streben. Aber
+die geraten in ein noch tieferes Dunkel, die nur nach dem Ewigen
+streben. Wer da wei, da Vergngliches und Ewiges eins sind, der
+berschreitet den Abgrund des Todes mit Hilfe des Vergnglichen und
+gewinnt Unsterblichkeit mit Hilfe des Ewigen.&ldquo;</p>
+
+<p>Wir haben gesehen, da die Formen der Dinge in ihrem mannigfaltigen
+Wechsel keine absolute Wirklichkeit haben. Ihre Wirklichkeit ist nur
+in unsrer Persnlichkeit. Wir haben gesehen, da ein Berg oder ein
+Wasserfall etwas ganz anderes oder auch nichts mehr fr uns sein wrde,
+wenn unser Geist seine Einstellung in bezug auf Zeit und Raum nderte.</p>
+
+<p>Wir haben ebenfalls gesehen, da diese relative Welt keine Welt der
+Willkr ist. Sie ist persnlich und allgemein zugleich. Meine Welt ist
+meine eigene, eine Welt meines Geistes, und doch ist sie nicht etwas
+ganz anderes als die Welt der andern. Sie hat also ihre Wirklichkeit
+nicht in meinem Einzel-Ich, sondern in einem unendlichen Ich.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0072" id="Page_p0072">[Pg 072]</a></span></p>
+
+<p>Wenn wir das Naturgesetz an die Stelle dieser Wirklichkeit setzen, so
+lst sich die ganze Welt in Abstraktionen auf; dann besteht sie nur
+noch aus Elementen und Krften, Ionen und Elektronen; sie verliert ihre
+uere Erscheinung, man sieht und sprt sie nicht mehr; das Welt-Drama
+mit der Sprache der Schnheit verstummt, die Musik schweigt, die Bhne
+steht im Dunkel da wie ihr eigenes Gespenst, ein wesenloser Schatten,
+dem der Zuschauer fehlt.</p>
+
+<p>Hier mchte ich wieder den Dichterpropheten Walt Whitman reden lassen:</p>
+
+<p class="poem top2">Als ich den gelehrten Astronomen hrte,<br />
+Als seine Zahlen und Beweise in langen Reihen mich anstarrten,<br />
+Als ich die Sternkarten und Zeichnungen nun selbst vergleichen und messen sollte,<br />
+Als ich dasa im Hrsaal und den Astronomen<br />
+Mit groem Beifall seinen Vortrag halten hrte,<br />
+Wie ward mir da so seltsam mde und elend zumute!<br />
+Bis ich mich hinausschlich und einsam meines Weges ging,<br />
+Hinaus in das geheimnisvolle Dunkel der feuchten Nacht,<br />
+Und nur von Zeit zu Zeit einen stillen Blick<br />
+Nach oben sandte zu den Sternen.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0073" id="Page_p0073">[Pg 073]</a></span></p>
+
+
+<p class="top2">Die Prosodie der Sterne, ihre rhythmische Bewegung, lt sich durch
+Zeichnungen an der Wandtafel darstellen, aber die Poesie der Sterne
+liegt in der schweigenden Begegnung der Seele mit der Seele, beim
+Zusammenflu von Licht und Dunkel, wo das Unendliche die Stirn des
+Endlichen kt, wo wir die Musik des groen Welt-Ich von dem gewaltigen
+Orgelwerk der Schpfung in endloser Harmonie erbrausen hren.</p>
+
+<p>Es ist vollkommen klar, da die Welt Bewegung ist. (Das Sanskritwort fr
+Welt bedeutet &bdquo;die sich Bewegende&ldquo;.) All ihre Formen sind vergnglich,
+aber das ist nur ihre negative Seite. Durch all ihre Wandlungen geht
+eine Kette von Verwandtschaft, die ewig ist. Es ist wie in einem
+Geschichtenbuch, ein Satz folgt auf den andern, aber das positive
+Element des Buches ist der Zusammenhang der Stze in der Geschichte.
+Dieser Zu<span class="pagenum"><a name="Page_p0074" id="Page_p0074">[Pg 074]</a></span>sammenhang offenbart, da in dem Verfasser ein persnlicher
+Wille wirksam ist, wodurch eine Harmonie mit der Persnlichkeit des
+Lesers hergestellt wird. Wenn das Buch eine Sammlung losgelster
+Worte ohne Bewegung und Sinn wre, so knnten wir es mit Recht ein
+Zufallsprodukt nennen, und in diesem Fall wrde es in der Persnlichkeit
+des Lesers keinen Widerhall finden. Ebenso ist auch die Welt in all
+ihren Wandlungen kein flchtiger Schein, der uns entgleitet, sondern
+offenbart uns gerade durch ihre Bewegung etwas, was ewig ist.</p>
+
+<p>Zur Offenbarung einer Idee ist Form unbedingt ntig. Aber die Idee,
+die unendlich ist, kann nicht in Formen ihren Ausdruck finden, die
+schlechthin endlich sind. Daher mssen die Formen sich bestndig wandeln
+und bewegen, sie mssen vergehen, um das Unvergngliche zu offenbaren.
+Der Ausdruck als Ausdruck mu bestimmt sein, und das kann er nur in der
+Form; aber als Ausdruck des Unendlichen mu er zugleich unbestimmt sein,
+und das kann er nur in der Bewegung. Daher geht die Welt in allen ihren
+Gestalten immer ber diese hinaus, sie zerbricht immer<span class="pagenum"><a name="Page_p0075" id="Page_p0075">[Pg 075]</a></span> wieder achtlos
+ihre eigenen Formen, um zu sagen, da sie ihren ganzen Sinn doch nie
+fassen knnen.</p>
+
+<p>Der Moralist schttelt traurig den Kopf und sagt, da die Welt eitel
+ist. Aber diese Eitelkeit ist nicht Leere, nein, diese Eitelkeit selbst
+schliet Wahrheit in sich. Wenn die Welt stillstnde und damit endgltig
+wrde, dann wrde sie zu einem Gefngnis verwaister Tatsachen, die die
+Freiheit der Wahrheit verloren htten, der Wahrheit, die unendlich ist.
+Daher hat der moderne Denker darin recht, da in der Bewegung der Sinn
+aller Dinge liegt, weil dieser Sinn nicht gnzlich den Dingen selbst
+innewohnt, sondern dem, worauf sie hindeuten, wenn sie ber ihre Grenzen
+hinauswachsen. Dies meint die Ischa-Upanischad, wenn sie sagt, da weder
+das Vergngliche, noch das Ewige fr sich einen Sinn hat. Erst wenn wir
+sie im Einklang miteinander erkennen, gelangen wir ber das Vergngliche
+hinaus und erfassen das Ewige.</p>
+
+<p>Weil diese Welt die Welt unendlicher Persnlichkeit ist, ist es das Ziel
+unsres Lebens, uns in eine vollkommene und persnliche Be<span class="pagenum"><a name="Page_p0076" id="Page_p0076">[Pg 076]</a></span>ziehung zu
+ihr zu setzen. So lehrt die Ischa-Upanischad. Daher beginnt sie mit dem
+Verse:</p>
+
+<p>&bdquo;Wisse, da alles, was in dieser Welt lebt und webt, von der
+Unendlichkeit Gottes getragen wird, und geniee das, was er dir hingibt.
+Begehre keinen andern Besitz.&ldquo;</p>
+
+<p>Das heit, wir sollen erkennen, da die Bewegungen dieser Welt nicht
+sinnlos und zufllig sind, sondern zu dem Willen eines hchsten Ich in
+Beziehung stehen. Ein bloes Wissen um die Wahrheit ist unvollkommen,
+da es unpersnlich ist. Aber Freude ist persnlich, und der Gott
+meiner Freude ist Bewegung, Handeln, Selbsthingabe. In dieser Hingabe
+hat der Unendliche die Gestalt des Endlichen angenommen und ist daher
+Wirklichkeit geworden, so da ich meine Freude in ihm haben kann.</p>
+
+<p>Im Schmelztiegel unsrer Vernunft verschwindet die Welt der
+Erscheinungen, und wir nennen sie Tuschung. Dies ist die negative Seite
+des Erlebens. Aber unsre Freude ist positiv. Eine Blume ist nichts,
+wenn wir sie zergliedern, aber sie ist in Wahrheit eine Blume, wenn wir
+uns an ihr freuen. Diese<span class="pagenum"><a name="Page_p0077" id="Page_p0077">[Pg 077]</a></span> Freude ist etwas Wirkliches, weil sie etwas
+Persnliches ist. Und die Wahrheit kann in ihrer Vollkommenheit nur
+durch unsre Persnlichkeit erkannt werden.</p>
+
+<p>Und daher lehrt die Upanischad: &bdquo;Weder Verstand noch Worte knnen ihn
+fassen. Aber wer die Freude Brahmas erkannt hat, fr den gibt es keine
+Furcht mehr.&ldquo;</p>
+
+<p>Das Folgende ist die bersetzung eines andern Verses aus der
+Ischa-Upanischad, der von der passiven und aktiven Natur Brahmas handelt:</p>
+
+<p>&bdquo;Er, der Fleckenlose, Krperlose, Unverwundbare, Reine, dem kein bel
+anhaftet, geht in alles ein. Der Dichter, der Beherrscher des Geistes,
+der in allen Gestalten Lebende, aus sich selbst Geborene, spendet den
+endlosen Jahren vollkommene Erfllung.&ldquo;</p>
+
+<p>Die negative Natur Brahmas ist Ruhe, die positive ist Bewegung, die in
+alle Zeiten wirkt. Er ist der Dichter, dessen Instrument die Seele ist,
+er offenbart sich in Schranken, und diese Offenbarung hat ihren Grund
+nicht in irgendeinem uern Zwange, sondern in der berflle seiner
+Freude. Daher ist er es, der durch<span class="pagenum"><a name="Page_p0078" id="Page_p0078">[Pg 078]</a></span> endlose Zeiten all unser Verlangen
+stillen kann, indem er sich selbst hingibt.</p>
+
+<p>Mit dieser Erkenntnis haben wir auch den Sinn und Zweck unsres Daseins
+gefunden. Bestndige Selbsthingabe ist die Wahrheit unsres Lebens, und
+je vollkommener unsre Selbsthingabe ist, um so vollkommener ist unser
+Leben. Wir mssen dies unser Leben in all seinen Ausdrucksformen zu
+einem Gedicht gestalten; es mu von unsrer Seele zeugen, die unendlich
+ist, und nicht nur von unserm irdischen Besitz, der keinen Sinn in sich
+selbst hat. Das Bewutsein des Unendlichen in uns tut sich in der Freude
+kund, mit der wir uns aus der Flle unsres berflusses hingeben. Dann
+ist unser Leben ein unaufhrliches, selbstentsagendes Sichausstrmen wie
+das Leben des Flusses.</p>
+
+<p>Lat uns leben. Lat uns die wahre Lebensfreude kosten, die Freude des
+Dichters, dessen Seele sich in sein Gedicht ergiet. Lat uns unser
+unvergngliches Wesen in allen Dingen um uns her zum Ausdruck bringen,
+in der Arbeit, die wir tun, in den Dingen, die wir gebrauchen, in den
+Menschen, mit denen wir zu<span class="pagenum"><a name="Page_p0079" id="Page_p0079">[Pg 079]</a></span> tun haben, in unsrer Freude an der Welt, die
+uns umgibt. Lat unsre Seele alles um uns her mit ihrem Wesen fllen
+und in allen Dingen Gestalt werden und ihren Reichtum offenbaren, indem
+sie das hervorbringt, was der Menschheit ewig Bedrfnis ist. Dies unser
+Leben ist mit den Gaben des unendlichen Gebers angefllt. Die Sterne
+singen ihm ihr Lied, der Morgen berstrmt es tglich mit segnendem
+Licht, die Frchte bieten ihm ihre Se dar, und die Erde breitet
+ihren Grasteppich aus, damit es darauf ruhe. So lat seine Seele bei
+dieser Berhrung der unendlichen Seele in den vollen Strom ihrer Musik
+ausbrechen.</p>
+
+<p>Daher sagt der Dichter der Ischa-Upanischad:</p>
+
+<p>&bdquo;Wenn du in dieser Welt schaffst und wirkst, so solltest du wnschen,
+hundert Jahre zu leben. So und nicht anders soll dein Wirken sein. La
+nicht dein Werk an dir haften.&ldquo;</p>
+
+<p>Nur wenn wir unser Leben voll leben, knnen wir darber hinauswachsen.
+Wenn die Lebenszeit der Frucht erfllt ist, die Zeit, wo sie im Winde
+tanzend und in der Sonne rei<span class="pagenum"><a name="Page_p0080" id="Page_p0080">[Pg 080]</a></span>fend den Saft aus dem Zweige sog, dann
+fhlt sie in ihrem Kern den Ruf des Jenseits und bereitet sich zu einem
+weiteren Leben. Aber die Weisheit des Lebens besteht in dem, was uns die
+Kraft gibt, es aufzugeben. Denn der Tod ist das Tor zur Unsterblichkeit.
+Daher heit es: Tu deine Arbeit, aber la nicht deine Arbeit dich
+festhalten. Denn die Arbeit ist nur Ausdruck deines Lebens, solange sie
+mit seinem Strom fliet; doch wenn sie sich festklammert, wird sie zum
+Hemmnis und zeugt nicht von deinem Leben, sondern nur von sich selbst.
+Dann ist sie wie der Sand, den der Flu mitfhrt: sie hemmt den Strom
+deiner Seele. Die Ttigkeit der Glieder gehrt zur Natur des physischen
+Lebens, doch wenn die Glieder sich im Krampf bewegen, so sind die
+Bewegungen nicht in Harmonie mit dem Leben, sondern eine Krankheit, wie
+eine Arbeit, die einen Menschen umklammert und seine Seele erdrosselt.</p>
+
+<p>Nein, wir drfen unsre Seele nicht tten. Wir drfen nicht vergessen,
+da unser Leben das Ewige in uns zum Ausdruck bringen soll. Wenn wir
+unser Bewutsein des Unend<span class="pagenum"><a name="Page_p0081" id="Page_p0081">[Pg 081]</a></span>lichen entweder durch Trgheit verkmmern
+lassen oder durch leidenschaftliches Jagen nach vergnglichen und
+nichtigen Dingen ersticken, so sinken wir ins Ur-Dunkel des Gestaltlosen
+zurck wie die Frucht, deren Same tot ist. Das Leben ist unaufhrliche
+Schpfung, es findet seinen Sinn, wenn es ber sich hinaus ins
+Unendliche wchst. Doch wenn es stillsteht und Schtze aufhuft und
+immer wieder zu sich selbst zurckkehrt, wenn es den Ausblick auf das
+Jenseits verloren hat, so mu es sterben. Dann wird es aus der Welt des
+Wachstums ausgestoen und zerfllt mit all seiner Habe in Staub. Von
+solchem Leben heit es in der Ischa-Upanischad: &bdquo;Die ihre Seele tten,
+gehen dahin ins Dunkel der sonnenlosen Welt.&ldquo;</p>
+
+<p>Auf die Frage: &bdquo;Was ist die Seele?&ldquo; gibt die Ischa-Upanischad folgende
+Antwort:</p>
+
+<p>&bdquo;Sie ist das Eine, das, obgleich bewegungslos, schneller ist als der
+Gedanke; die Sinne knnen es nicht erreichen; whrend es stillsteht,
+berholt es die, die dahineilen; in ihm <span class="pagenum"><a name="Page_p0082" id="Page_p0082">[Pg 082]</a></span>sind die flieenden Krfte des
+Lebens enthalten.&ldquo;</p>
+
+<p>Der Geist hat seine Schranken, die Sinnesorgane sind jedes fr sich
+mit seinen Aufgaben beschftigt, aber es ist ein Prinzip der Einheit
+in uns, das ber die Gedanken des Geistes und ber die Funktionen der
+Krperorgane hinausgeht, das in seinem gegenwrtigen Augenblick eine
+ganze Ewigkeit umfat, whrend durch seine Gegenwart der Lebenstrieb
+die Lebenskrfte immer weiterdrngt. Weil wir dies Eine in uns fhlen,
+das mehr ist als alles, was von ihm umfat wird, das im bestndigen
+Wandel seiner Teile sich gleich bleibt, knnen wir nicht glauben, da es
+sterben kann. Weil es eins ist, weil es mehr ist als seine Teile, weil
+es ein bestndiges berleben, ein bestndiges berflieen ist, fhlen
+wir, da es jenseits der Schranken des Todes ist.</p>
+
+<p>Dies Bewutsein der Einheit und Ganzheit ber alle Schranken
+hinaus ist das Bewutsein der Seele. Und von dieser Seele sagt die
+Ischa-Upanischad: &bdquo;Sie bewegt sich, und sie bewegt sich nicht. Sie ist
+fern, und sie ist nah. Sie ist in allem, und sie ist auerhalb von
+<span class="pagenum"><a name="Page_p0083" id="Page_p0083">[Pg 083]</a></span>allem.&ldquo;</p>
+
+<p>Dies heit, die Seele erkennen als jenseits aller Schranken des Nahen
+und Fernen, des Innen und Auen. Ich habe dies Wunder aller Wunder
+erkannt, dies Eine in mir, das das Zentrum alles wahren Seins fr mich
+ist. Aber ich kann mit meiner Erkenntnis hier nicht stehenbleiben. Ich
+kann nicht sagen, da es ber alle Grenzen hinausgeht und doch von mir
+selbst begrenzt wird. Daher heit es in der Ischa-Upanischad:</p>
+
+<p>&bdquo;Wer alle Dinge in der Seele und die Seele in allen Dingen sieht, der
+braucht sich nicht mehr zu verbergen.&ldquo;</p>
+
+<p>Wir sind in uns selbst verborgen, wie eine Wahrheit in den einzelnen
+Tatsachen verborgen ist. Wenn wir wissen, da dies Eine in uns zugleich
+das Eine in allen ist, dann erst haben wir die letzte Wahrheit erkannt.</p>
+
+<p>Aber diese Erkenntnis von der Einheit der Seele darf kein bloes
+abstraktes Wissen sein. Nicht jene negative Art des Universalismus,
+die weder sich selbst noch andern angehrt. Nicht eine abstrakte
+Seele, sondern meine eigene Seele mu ich in andern erkennen. Ich<span class="pagenum"><a name="Page_p0084" id="Page_p0084">[Pg 084]</a></span> mu
+erkennen, da, wenn meine Seele ausschlielich mein wre, sie noch nicht
+zu ihrem wahren Wesen gelangt wre, da aber wiederum, wenn sie nicht
+zuinnerst mein wre, sie berhaupt keine Wirklichkeit htte.</p>
+
+<p>Auf dem Wege der Logik wren wir niemals zu der Wahrheit gelangt, da
+die Seele, die das Prinzip der Einheit in uns ist, in der Vereinigung
+mit andern ihre Vollendung findet. Wir haben diese Wahrheit durch die
+Freude, die sie gibt, erkannt. Denn unsre Freude ist, uns in andern
+wiederzufinden. Wenn ich liebe, mit andern Worten, wenn ich mein eigenes
+Wesen wahrer und reiner in andern erkenne als in mir selber, dann bin
+ich froh, denn das Eine in mir kommt zu seiner Verwirklichung, indem es
+sich mit andern vereint, und darin hat es seine Freude.</p>
+
+<p>Daher braucht das Prinzip der Einheit in Gott die Vielen, um die
+Einheit zu verwirklichen. Gott gibt sich in Liebe allen hin. Die
+Ischa-Upanischad sagt: &bdquo;Du sollst genieen, was Gott hingibt.&ldquo; Er gibt
+bestndig hin, und ich bin voll Freude, wenn ich fhle, da er sich
+selbst hingibt. Denn diese meine Freude<span class="pagenum"><a name="Page_p0085" id="Page_p0085">[Pg 085]</a></span> ist die Freude der Liebe, die
+aus meiner Selbsthingabe an ihn entspringt.</p>
+
+<p>Da, wo die Upanischad uns ermahnt, diese Hingabe Gottes zu genieen,
+fhrt sie fort: &bdquo;La dich nicht gelsten nach dem Besitz anderer.&ldquo;
+Denn die Begierde hemmt die Liebe. Sie geht in einer der Wahrheit
+entgegengesetzten Richtung und gelangt zu der Tuschung, da unser Ich
+unser letztes Ziel sei.</p>
+
+<p>Daher hat die Verwirklichung unsrer Seele eine sittliche und eine
+religise Seite. Das Sittliche besteht in der bung der Selbstlosigkeit,
+in der Zgelung der Begierden; das Religise in Mitgefhl und Liebe.
+Beide Seiten sollten nie getrennt, sondern immer vereint gebt werden.
+Die Entwicklung der rein sittlichen Seite unsrer Natur fhrt uns zu
+Engherzigkeit und Hrte, zu Intoleranz und Pharisertum; die einseitige
+Entwicklung des Religisen fhrt uns zum Schwelgen im ungezgelten Spiel
+der Phantasie.</p>
+
+<p>Indem wir dem Dichter der Upanischad soweit gefolgt sind, haben wir
+den Sinn alles wahren Seins gefunden: Die Endlichkeit ist die Form,
+in der sich der Unendliche hingibt.<span class="pagenum"><a name="Page_p0086" id="Page_p0086">[Pg 086]</a></span> Die Welt ist der Ausdruck einer
+Persnlichkeit, ebenso wie ein Gedicht oder ein anderes Kunstwerk. Der
+Hchste gibt sich selbst in seiner Welt und ich mache sie zu der meinen,
+wie ich mir ein Gedicht zu eigen mache, indem ich mich selbst darin
+wiederfinde. Wenn meine eigene Persnlichkeit das Zentrum meiner Welt
+verlt, so verliert diese in einem Augenblick ihr ganzes Wesen. Daraus
+erkenne ich, da meine Welt nur in Beziehung zu mir existiert, und ich
+wei, da sie meinem persnlichen Ich durch ein persnliches Wesen
+gegeben ist. Die Naturwissenschaft kann wohl ihre Feststellungen darber
+machen, wie dieses Geben vor sich geht, aber die Gabe selbst erfat sie
+nicht. Denn die Gabe ist die Seele, die sich der Seele schenkt, daher
+kann nur die Seele sie sich durch Freude zu eigen machen, aber nicht die
+Vernunft durch Logik.</p>
+
+<p>Daher ist es immer das sehnlichste Verlangen des Menschen gewesen, den
+Hchsten zu erkennen. Vom Anfang seiner Geschichte an hat der Mensch in
+der ganzen Schpfung die Berhrung eines persnlichen Wesens gesprt
+und versucht, ihm Namen und Gestalt zu<span class="pagenum"><a name="Page_p0087" id="Page_p0087">[Pg 087]</a></span> geben; er hat sein Leben und
+das Leben seines Geschlechts mit Sagen von ihm umwoben, ihm Altre
+gebaut und durch unzhlige heilige Bruche Beziehung zu ihm hergestellt.
+Dies Ahnen und Fhlen eines persnlichen Wesens hat dem zentrifugalen
+Triebe im Menschenherzen den Impuls gegeben, in einem unerschpflichen
+Strom von Gegenwirkung hervorzubrechen in Liedern und Bildern und
+Gedichten, in Statuen und Tempeln und Festlichkeiten. Dies Gefhl
+war die Zentripetalkraft, die die Menschen bewog, sich in Haufen und
+Stmmen und Gemeindeorganisationen zusammenzuschlieen. Und whrend der
+Mensch seinen Acker pflgt und seine Kleider webt, heiratet und Kinder
+aufzieht, sich um Reichtum abmht und um Macht kmpft, vergit er nicht,
+in Worten von feierlichem Rhythmus, in geheimnisvollen Symbolen, in
+majesttischen Steinbauten zu verknden, da er im Herzen seiner Welt
+dem Unsterblichen begegnet ist. Im Leid des Todes und im Schmerz der
+Verzweiflung, wenn das Vertrauen verraten und die Liebe entweiht wurde,
+wenn das Dasein fade und sinnlos wird, streckt<span class="pagenum"><a name="Page_p0088" id="Page_p0088">[Pg 088]</a></span> der Mensch, auf den
+Trmmern seiner Hoffnungen stehend, die Hnde zum Himmel, um durch das
+Dunkel seiner Welt hindurch die Berhrung dieses Einen zu spren.</p>
+
+<p>Der Mensch hat die Beziehung seines Ichs zu diesem Welt-Ich auch
+unmittelbar erfahren, unmittelbar, nicht durch die Welt der Formen
+und Wandlungen, die Welt der Ausdehnung in Raum und Zeit, sondern in
+der innersten Einsamkeit des Bewutseins, in der Welt der Tiefe und
+Intensitt. Durch diese Begegnung hat er die Schpfung einer neuen Welt
+gefhlt, einer Welt von Licht und Liebe, die keine Sprache hat als die
+Musik des Schweigens.</p>
+
+<p>Von dieser Welt hat der Dichter
+
+<a name="FNanchor_8" id="FNanchor_8"></a>
+<a href="#Footnote_8" class="fnanchor"><sup>[8]</sup></a>
+
+ gesungen:</p>
+
+<p class="poem top2">Es gibt eine endlose Welt, o mein Bruder,<br />
+Und ein namenloses Wesen, von dem nichts gesagt werden kann.<br />
+Nur der, der ihre Ufer erreicht hat, wei:<br />
+Sie ist anders als alles, wovon man hrt und sagt.<br />
+Da ist nicht Form, nicht Stoff, nicht Lnge, nicht Breite,<br />
+Wie kann ich dir sagen, welcher Art sie ist?<br />
+Kabir sagt: &bdquo;Keine Zunge kann sie mit Worten schildern, und keine Feder kann sie beschreiben.<br />
+Wie soll der Stumme auch klar machen, welche Se er gekostet hat?&ldquo;<br />
+</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0089" id="Page_p0089">[Pg 089]</a></span></p>
+
+<p class="top2">Nein, es kann nicht geschildert, es mu erlebt werden; und wenn dem
+Menschen dies Erlebnis zuteil geworden ist, singt er
+
+<a name="FNanchor_9" id="FNanchor_9"></a>
+<a href="#Footnote_9" class="fnanchor"><sup>[9]</sup></a>
+
+:</p>
+
+<p class="poem top2">Das Innen und das Auen sind zu <em class="gesperrt">einem</em> Himmel vereint,<br />
+Das Unendliche und Endliche sind eins geworden;<br />
+Ich bin trunken vom Anblick des Alls.</p>
+
+<p class="top2">Der Dichter hat das wahre Sein erlangt, das unaussprechlich ist, wo
+alle Widersprche sich in Harmonie gelst haben. Denn dies wahre
+Sein, die letzte Wirklichkeit, liegt in der Persnlichkeit, nicht in
+Gesetz und Stoff. Und der Mensch mu fhlen: wenn dies Weltall nicht
+die Offenbarung einer hchsten Persnlichkeit <span class="pagenum"><a name="Page_p0090" id="Page_p0090">[Pg 090]</a></span>wre, so wre es ein
+ungeheurer Betrug und eine bestndige Schmach fr ihn. Er mu wissen,
+da unter einer solch ungeheuren Last von Fremdheit seine eigene
+Persnlichkeit gleich am Anfang zermalmt und zu einer leeren Abstraktion
+geworden wre, fr die selbst die Grundlage eines Geistes fehlte, der
+sie htte konzipieren knnen.</p>
+
+<p>Der Dichter der Upanischad bricht am Ende seiner Lehren pltzlich in ein
+Lied aus, das in seiner tiefen Schlichtheit das lyrische Schweigen der
+weiten Erde in sich trgt, wenn sie die Morgensonne anschaut. Er singt:</p>
+
+<p>&bdquo;In dem goldnen Gef verbirgt sich das Antlitz der Wahrheit. O du
+Spender des Lebens, decke es auf, da wir das Gesetz der Wahrheit
+erkennen. O du Spender des Lebens, der du aus eigener Kraft wirkst und
+schaffst, der du die Schpfung lenkst, du Herr aller Kreaturen, breite
+aus deine Strahlen, sammle all dein Licht, la mich in dir das heiligste
+aller Wesen schauen, &mdash; den Einen, der da ist, der da ist, das wahre
+Ich
+
+<a name="FNanchor_10" id="FNanchor_10"></a>
+<a href="#Footnote_10" class="fnanchor"><sup>[10]</sup></a>
+
+.&ldquo;</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0091" id="Page_p0091">[Pg 091]</a></span></p>
+
+<p>Und am Schlu singt dieser Dichter der unsterblichen Persnlichkeit vom
+Tode:</p>
+
+<p>&bdquo;Der Lebensodem ist der Odem der Unsterblichkeit. Der Leib wird zu
+Asche. O mein Wille
+
+<a name="FNanchor_11" id="FNanchor_11"></a>
+<a href="#Footnote_11" class="fnanchor"><sup>[11]</sup></a>
+
+, gedenke deiner Taten! O mein Wille, gedenke
+deiner Taten! O Gott, o Feuer, du kennst alle Taten. Fhre uns auf guten
+Wegen zur Vollendung. Halte die Snde von uns fern, die krumme Wege
+wandelt. Dir bieten wir unsern Gru.&ldquo;</p>
+
+<p>Hiermit endet der Dichter der Upanischad, der vom Leben zum Tode und vom
+Tode wieder zum Leben gepilgert ist; der die Khnheit gehabt hat, in
+Brahma das unendliche Sein und das endliche Werden zugleich zu sehen;
+der verkndet, da wahres Leben Arbeit bedeutet, Arbeit, in der sich die
+Seele ausdrckt; der uns lehrt, da unsre Seele ihr wahres Wesen in dem
+hchsten Wesen findet, indem sie sich selbst aufgibt und eins mit dem
+All wird.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0092" id="Page_p0092">[Pg 092]</a></span></p>
+
+<p>Die tiefe Wahrheit, die der Dichter der Upanischad verkndet, ist die
+Wahrheit des einfltigen Herzens, das das geheimnisvolle Leben mit
+tiefer Liebe liebt und nicht an die Endgltigkeit jener Logik glauben
+kann, die mit ihrer zersetzenden Methode das Weltall an den Rand der
+Auflsung bringt.</p>
+
+<p>Erschien mir nicht das Licht der Sonne heller, der Glanz des Mondes
+weicher und tiefer, wenn mein Herz in pltzlicher Liebe aufwallte in
+der Gewiheit, da die Welt eins ist mit meiner Seele? Wenn ich die
+heraufziehenden Wolken besang, so fand der prasselnde Regen seinen
+leidenschaftlichen Ausdruck in meinen Liedern. Vom Anfang der Geschichte
+an haben die Dichter und Knstler dieses Dasein mit den Farben und der
+Musik ihrer Seele getrnkt. Und dies gibt mir die Gewiheit, da Erde
+und Himmel aus den Fibern des Menschengeistes, der zugleich der Allgeist
+ist, gewoben sind. Wenn dies nicht wahr wre, so wre Poesie Lge und
+Musik Tuschung, und die stumme Welt wrde des Menschen Herz fr immer
+in Schweigen erstarren machen. Der groe Meister spielt die<span class="pagenum"><a name="Page_p0093" id="Page_p0093">[Pg 093]</a></span> Flte:
+der Atem ist sein, das Instrument ist unsre Seele, durch die er seine
+Schpfungslieder ertnen lt; und daher wei ich, da ich kein bloer
+Fremdling bin, der auf der Reise seines Daseins in der Herberge dieser
+Erde Rast macht, sondern ich lebe in einer Welt, deren Leben mit dem
+meinen eng verknpft ist. Der Dichter wute, da das Sein dieser Welt
+ein persnliches Sein ist, und sang
+
+<a name="FNanchor_12" id="FNanchor_12"></a>
+<a href="#Footnote_12" class="fnanchor"><sup>[12]</sup></a>
+
+:</p>
+
+
+<p class="poem top2 bottom3">Die Erde ist seine Freude, seine Freude ist der Himmel;<br />
+Seine Freude ist der Glanz von Sonne und Mond;<br />
+Seine Freude ist der Anfang, die Mitte und das Ende;<br />
+Seine Freude ist das Schauen, das Dunkel und das Licht.<br />
+Ozean und Wogen sind seine Freude;<br />
+Seine Freude ist die Sarasvati, die Jamuna und der Ganges.<br />
+Er ist der All-Eine: und Leben und Tod,<br />
+Vereinigung und Trennung sind Spiele seiner Freude.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0094" id="Page_p0094">[Pg 094]</a></span></p>
+
+<hr class="chap" />
+<h2 class="top2"><a name="DIE_WIEDERGEBURT" id="DIE_WIEDERGEBURT">DIE WIEDERGEBURT</a></h2>
+
+<p class="drop-cap2">FR uns ist die leblose Natur die Seite des Daseins, die wir nur von
+auen sehen. Wir wissen nur, wie sie uns erscheint, aber wir wissen
+nicht, was sie in Wahrheit ist. Dies knnen wir nur durch die Liebe
+erfassen.</p>
+
+<p>Aber da hebt sich der Vorhang, das Leben erscheint auf der Bhne, das
+Drama beginnt und wir verstehen seinen Sinn an den Gebrden und der
+Sprache, die den unsern gleich sind. Wir erkennen das Leben, nicht
+an seinen ueren Zgen, nicht durch Zerlegung in seine einzelnen
+Teile, sondern durch die unmittelbare Wahrnehmung, die auf innerer
+Verwandtschaft beruht. Und dies ist wirkliche Erkenntnis.</p>
+
+<p>Wir sehen einen Baum. Er ist durch die Tatsache seines individuellen
+Lebens von seiner Umgebung abgesondert. Sein ganzes Streben geht dahin,
+diese Besonderheit seiner schpfe<span class="pagenum"><a name="Page_p0095" id="Page_p0095">[Pg 095]</a></span>rischen Individualitt gegenber dem
+ganzen Weltall aufrecht zu erhalten. Sein Leben grndet sich auf einen
+Dualismus &mdash; auf der einen Seite diese Individualitt des Baumes, und
+auf der andern das Weltall.</p>
+
+<p>Aber wenn dieser Dualismus in sich Feindschaft und gegenseitige
+Ausschlieung bedeutete, so gbe es fr den Baum keine Mglichkeit,
+sein Dasein zu behaupten; er wrde von der vereinten Gewalt dieser
+ungeheuren Krfte in Stcke gerissen werden. Jedoch dieser Dualismus
+bedeutet Verwandtschaft. Je vollkommener die Harmonie des Baumes mit der
+Auenwelt, mit Sonne, Erdboden und Jahreszeiten ist, je vollkommener
+entwickelt sich seine Individualitt. Es wird verhngnisvoll fr ihn,
+wenn diese gegenseitige Beziehung gestrt wird. Daher mu das Leben
+an seinem negativen Pol die Abgesondertheit von allem andern aufrecht
+halten, whrend es an seinem positiven Pol die Einheit mit dem Weltall
+wahrt. In dieser Einheit liegt seine Erfllung.</p>
+
+<p>Im Leben eines Tieres ist auf der negativen Seite das Element der
+Abgesondertheit noch entschiedener, und deswegen ist auf der posi<span class="pagenum"><a name="Page_p0096" id="Page_p0096">[Pg 096]</a></span>tiven
+Seite die Beziehung zur Welt viel weiter ausgedehnt. Das Tier ist von
+seiner Nahrung viel mehr abgetrennt als der Baum. Es mu sie suchen und
+kennenlernen, getrieben von Lust und Schmerz. Daher steht sie in engerer
+Beziehung zu seiner Erkenntnis- und Gefhlswelt. Dasselbe gilt in
+bezug auf die Trennung der Geschlechter. Diese Trennung und das daraus
+folgende Streben nach Vereinigung bewirken ein gesteigertes Lebensgefhl
+und Ichbewutsein bei den Tieren und bereichern ihre Persnlichkeit
+durch die Begegnung mit unvorhergesehenen Hindernissen und
+unerwarteten Mglichkeiten. Bei den Bumen wird die Trennung von ihrer
+Nachkommenschaft jedesmal zu einer endgltigen, whrend bei den Tieren
+die Beziehung bestehen bleibt. So gewinnt das Lebensinteresse der Tiere
+durch diese Trennungen noch an Weite und Intensitt und ihr Bewutsein
+umfat ein viel greres Gebiet. Dies weitere Reich ihrer Individualitt
+mssen sie bestndig durch die mannigfachen Beziehungen zu ihrer Welt
+behaupten. Jede Hemmung dieser Beziehungen ist verhngnisvoll.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0097" id="Page_p0097">[Pg 097]</a></span></p>
+
+<p>Beim Menschen ist dieser Dualismus des physischen Lebens noch
+mannigfaltiger. Seine Bedrfnisse sind nicht nur grer an Zahl und
+erfordern daher ein weiteres Feld fr ihre Befriedigung, sondern sie
+sind auch komplizierter und verlangen eine tiefere Kenntnis der Dinge.
+Dies gibt ihm ein strkeres Bewutsein seiner selbst. Sein Geist tritt
+an Stelle der Triebe und Instinkte, die die Bewegungen und Ttigkeiten
+der Bume und Tiere leiten. Dieser Geist hat auch seine negative und
+positive Seite der Absonderung und der Einheit. Denn einerseits trennt
+er die Gegenstnde seiner Erkenntnis von dem Erkennenden ab, dann aber
+lt er beide durch die Erkenntnis eins werden. Zu der Beziehung von
+Hunger und Liebe, auf die sich das physische Leben grndet, tritt in
+zweiter Reihe die geistige Beziehung. So machen wir uns diese Welt auf
+doppelte Weise zu eigen, indem wir in ihr leben und sie erkennen.</p>
+
+<p>Aber es gibt noch einen andern Dualismus im Menschen, der sich nicht aus
+der Art seines physischen Lebens erklren lt. Es ist der Zwiespalt
+in seinem Bewutsein zwischen dem,<span class="pagenum"><a name="Page_p0098" id="Page_p0098">[Pg 098]</a></span> was ist, und dem, was sein sollte.
+Das Tier kennt diesen Zwiespalt nicht; bei ihm besteht der Widerstreit
+zwischen dem, was es hat, und dem, was es begehrt, whrend er beim
+Menschen zwischen dem, was er begehrt, und dem, was er begehren sollte,
+besteht. Unsre Begierden entspringen unserm natrlichen Leben, das wir
+mit den Tieren teilen, aber das, was wir begehren sollten, gehrt einem
+Leben an, das weit darber hinausgeht.</p>
+
+<p>So hat im Menschen eine Wiedergeburt stattgefunden. Wenn er auch noch
+sehr viele Gewohnheiten und Triebe seines Tierlebens beibehalten hat,
+so liegt doch sein wahres Leben in der Sphre dessen, was sein sollte.
+Durch diese Tatsache wird eine Verbindung, aber auch zugleich ein
+Widerstreit geschaffen. Viele Dinge, die gut fr das eine Leben sind,
+sind schdlich fr das andere. Daraus entsteht die Notwendigkeit eines
+innern Kampfes, der in des Menschen Persnlichkeit das hineinbringt,
+was man Charakter nennt. Aus dem Triebleben fhrt er den Menschen zum
+Zweckleben. Dies ist das Leben der sittlichen Welt.</p>
+
+<p>Hier gelangen wir aus der Welt der Natur<span class="pagenum"><a name="Page_p0099" id="Page_p0099">[Pg 099]</a></span> in die des Menschentums. Wir
+leben und wirken und haben unser Sein im Allgemeinmenschlichen. Das
+Menschenkind wird in zwei Welten zugleich hineingeboren, in die Welt der
+Natur und in die Menschenwelt. Diese letztere ist eine Welt von Ideen
+und Einrichtungen, von Erkenntnisschtzen und durch Erziehung erlangten
+Gewohnheiten. Sie ist durch rastloses Streben von Jahrtausenden,
+durch Mrtyrerleiden heldenhafter Menschen erbaut. Ihre verschiedenen
+Schichten sind Niederschlge von Entsagungen zahlloser Einzelwesen
+aller Zeitalter und Lnder. Sie hat ihre guten und bsen Elemente, denn
+die Ungleichheiten ihrer Oberflche und Temperatur machen den Flu des
+Lebens reich an berraschungen.</p>
+
+<p>Dies ist die Welt der Wiedergeburt des Menschen, die auernatrliche
+Welt, wo der Dualismus des Tierlebens und der Sittlichkeit uns unsrer
+Persnlichkeit als Mensch bewut macht. Alles, was dies Menschenleben
+daran hindert, die Beziehung zu seiner sittlichen Welt vollkommen zu
+machen, ist vom bel. Es bedeutet Tod, einen viel schlimmeren Tod als
+den Tod des natrlichen Lebens.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0100" id="Page_p0100">[Pg 100]</a></span></p>
+
+<p>In der Welt der Natur wandelt der Mensch mit Hilfe der Wissenschaft die
+Tyrannei der Naturkrfte in Gehorsam.</p>
+
+<p>Aber in seiner sittlichen Welt hat er eine schwerere Aufgabe zu
+erfllen. Er hat die Tyrannei seiner eigenen Leidenschaften und
+Begierden in Gehorsam zu wandeln. Und in allen Zeiten und Lndern
+ist dies das Ziel menschlichen Strebens gewesen. Fast alle unsre
+Institutionen sind das Resultat dieses Strebens. Sie geben unserm Willen
+die Richtung und graben ihm Kanle, damit er ungehindert und ohne
+unntzen Kraftverlust seinen Lauf nehmen kann.</p>
+
+<p>Wir haben gesehen, da das physische Leben allmhlich in das
+geistige hineinwuchs. Die geistigen Fhigkeiten der Tiere sind
+vollkommen in Anspruch genommen von der Sorge fr ihre unmittelbaren
+Lebensbedrfnisse. Diese Bedrfnisse sind beim Menschen mannigfaltiger,
+und daher bedarf er grerer geistiger Fhigkeiten. So kam er zu der
+Erkenntnis, da die Welt seiner unmittelbaren Bedrfnisse eins ist mit
+einer Welt, die weit ber seine unmittelbaren Bedrfnisse hinaus<span class="pagenum"><a name="Page_p0101" id="Page_p0101">[Pg 101]</a></span>geht.
+Er erkannte, da diese Welt nicht nur seinen Leib mit Nahrung versieht,
+sondern auch seinen Geist; da er durch seinen Geist auf unsichtbare
+Weise mit allen Dingen verbunden ist.</p>
+
+<p>Was der Intellekt in der Welt der Natur ist, das ist der Wille in der
+sittlichen Welt. Je freier und weiter er wird, desto wahrer, weiter und
+mannigfacher werden auch unsre sittlichen Beziehungen. Seine uere
+Freiheit ist die Unabhngigkeit von Lust- und Schmerzempfindungen,
+seine innere Freiheit ist die Befreiung aus der Enge der Selbstsucht.
+Wir wissen, da, wenn der Intellekt von den Banden des Eigennutzes
+befreit ist, er die Welt der allgemeinen Vernunft erkennt, mit der er
+in Harmonie sein mu, um seine Bedrfnisse ganz befriedigen zu knnen;
+ebenso erkennt auch der Wille, wenn er aus seinen Schranken befreit ist,
+wenn er gut wird, d. h. wenn er alle Menschen und alle Zeiten umfat,
+eine Welt, die ber die sittliche Welt der Menschheit hinausgeht. Er
+entdeckt eine Welt, wo alle Lehren unsres sittlichen Lebens ihre letzte
+Wahrheit finden, und unser Geist erhebt sich<span class="pagenum"><a name="Page_p0102" id="Page_p0102">[Pg 102]</a></span> zu dem Gedanken, da es
+ein unendliches Medium der Wahrheit gibt, durch das das Gute seinen
+Sinn erhlt. Da ich mehr werde durch die Vereinigung mit andern, ist
+keine bloe mathematische Tatsache. Wir haben erkannt, wenn verschiedene
+Menschen sich in Liebe, die das Band vollkommener Einheit ist,
+zusammenschlieen, so wird nicht einfach Kraft zu Kraft gefgt, sondern
+das, was unvollkommen war, findet seine Vollendung in der Wahrheit und
+daher in der Freude; was sinnlos war, solange es isoliert war, findet
+seinen vollen Sinn in der Vereinigung. Diese Vollendung ist nicht etwas,
+was sich messen oder analysieren lt, sie ist ein Ganzes, das ber die
+Summe seiner Teile hinausgeht. Sie erffnet uns das tiefste Geheimnis
+aller Dinge, das zugleich jenseits aller Dinge liegt, wie die Schnheit
+einer Blume weit mehr ist als ihre botanischen Tatsachen; wie der Sinn
+der Menschheit selbst sich nicht im bloen Herdenleben erschpft.</p>
+
+<p>Diese Vollendung in der Liebe, die vollkommene Einheit ist, ffnet uns
+das Tor der Welt des Unendlichen, der sich in der Ein<span class="pagenum"><a name="Page_p0103" id="Page_p0103">[Pg 103]</a></span>heit aller Wesen
+offenbart; der Verlust, Selbstaufopferung und Tod mit reicherem Gewinn
+und hherem Leben krnt; der durch seine eigene Flle die Leere der
+Entsagung in Flle wandelt. Dies ist der grte Dualismus in uns, der
+Dualismus des Endlichen und Unendlichen. Durch ihn werden wir uns der
+Verwandtschaft bewut zwischen dem, was in uns ist, und dem, was ber
+uns hinausgeht, zwischen dem Gegenwrtigen und Zuknftigen.</p>
+
+<p>Dies Bewutsein dmmerte in uns auf mit unserm physischen Leben, wo
+Trennung und Vereinigung stattfand zwischen unserm Einzelleben und der
+allgemeinen Welt der Dinge; es vertiefte sich in unserm geistigen Leben,
+wo Trennung und Vereinigung stattfand zwischen unserm individuellen
+Geist und der allgemeinen Welt der Vernunft; es erweiterte sich, wo
+Trennung und Vereinigung stattfand zwischen unserm Einzelwillen und der
+allgemeinen Welt der menschlichen Persnlichkeit; es fand seinen letzten
+Sinn in der Trennung und Harmonie unsrer Einzelseele mit der All-Seele.
+Und auf dieser Stufe der ewigen Trennung und Wiedervereinigung beider<span class="pagenum"><a name="Page_p0104" id="Page_p0104">[Pg 104]</a></span>
+bricht der Mensch aus in das wundervolle Lied:</p>
+
+<p class="poem top2">Dies ist der hchste Pfad,<br />
+Dies ist der hchste Schatz,<br />
+Dies ist die hchste Welt,<br />
+Dies ist die hchste Wonne<a name="FNanchor_13" id="FNanchor_13"></a>
+<a href="#Footnote_13" class="fnanchor"><sup>[13]</sup></a>.</p>
+
+<p class="top2">Das Leben ist in bestndiger Verbindung mit diesem Hchsten. Die Welt
+der Dinge und Menschen bewegt sich bestndig in mannigfachen Weisen nach
+diesem Rhythmus, doch sie selbst kennt seinen Sinn nicht, bis er sich
+ihr in der vollkommenen Vereinigung mit dem Hchsten offenbart.</p>
+
+<p>So nahe die Beziehung des noch ungeborenen Kindes zum Mutterleibe auch
+ist, so hat sie doch noch nicht ihren letzten Sinn gefunden. Wenn auch
+alle seine Bedrfnisse ihm dort bis ins einzelnste befriedigt werden, so
+bleibt sein grtes Bedrfnis noch ungestillt. Es mu in die Welt von
+Licht und Raum <span class="pagenum"><a name="Page_p0105" id="Page_p0105">[Pg 105]</a></span>und freiem Handeln hineingeboren werden. Diese Welt ist
+in jeder Hinsicht so gnzlich verschieden von der des Mutterleibes, da
+das ungeborne Kind, wenn es die Fhigkeit zu denken htte, sich nie eine
+Vorstellung von jener weiteren Welt machen knnte. Und doch hat es seine
+Glieder, die erst in der Freiheit von Luft und Licht ihren Sinn bekommen.</p>
+
+<p>So hat auch der Mensch in der Welt der Natur alles, was er zur Ernhrung
+seines Ichs braucht. Dort ist sein Ich seine Hauptsorge &mdash; das Ich,
+dessen Interesse von dem der andern abgesondert ist. Wie mit seinem
+Ich so ist es auch mit den Dingen seiner Welt; sie haben fr ihn
+keine andere Bedeutung als die des Nutzens. Aber es entwickeln sich
+Fhigkeiten in ihm wie die Glieder beim ungeborenen Kinde, die ihm die
+Kraft geben, die Einheit der Welt zu erkennen &mdash; die Einheit, die der
+Seele und nicht den Dingen eigen ist. Er hat im Schnheitssinn und in
+der Liebe die Fhigkeit, an andern mehr Freude zu finden als an sich
+selbst. Die Fhigkeit, die ihn irdische Freuden verschmhen und Schmerz
+und Tod auf sich nehmen lt, treibt ihn, unaufhalt<span class="pagenum"><a name="Page_p0106" id="Page_p0106">[Pg 106]</a></span>sam vorwrts zu
+streben und fhrt ihn zu Erkenntnissen und Taten, die scheinbar keinen
+Nutzen fr ihn haben. Dies fhrt zum Widerstreit mit den Gesetzen der
+Welt der Natur, und das Prinzip der Auslese der Tauglichsten ndert
+seinen Sinn.</p>
+
+<p>Und damit kommen wir zu dem Dualismus, durch den der Mensch am meisten
+leidet: dem Dualismus von Natur und Seele. Das bel, das den natrlichen
+Menschen verletzt, ist der Schmerz, aber das bel, das seine Seele
+verletzt, hat einen besonderen Namen erhalten, es heit Snde. Denn wenn
+es auch durchaus nicht als Schmerz empfunden wird, so ist es doch ein
+bel, ebenso wie Blindheit oder Lahmheit fr den Embryo nichts bedeutet,
+aber nach der Geburt zu einem groen bel wird, das den Zweck des Lebens
+hemmt. Das Verbrechen richtet sich gegen den Menschen, die Snde richtet
+sich gegen das Gttliche in uns.</p>
+
+<p>Was ist dieses Gttliche? Es ist das, was seinen eigentlichen und wahren
+Sinn im Unendlichen hat, was in dem embryonischen Leben des Ichs nicht
+die letzte Wahrheit sieht. Die ganze Geschichte der Menschheit ist
+eine<span class="pagenum"><a name="Page_p0107" id="Page_p0107">[Pg 107]</a></span> Geschichte von Geburtswehen, eine Geschichte von Leiden, wie kein
+Tier sie je durchzumachen hat. Die Menschheit hat keine Ruhe, all ihre
+Triebkrfte drngen sie vorwrts. Wenn sie sich auf ihrem Wohlstand
+zur Ruhe legt, ihr Leben durch Konventionen einschnrt, ihre Ideale zu
+verhhnen beginnt und all ihre Krfte auf die Vergrerung ihres Ichs
+verwendet, dann beginnt ihr Verfall und Tod; alles, was sie an Kraft
+hat, wirkt nur noch zerstrend, denn sie braucht diese Kraft nur, um
+Zurstungen fr den Tod zu machen, weil sie nicht an unsterbliches Leben
+glaubt.</p>
+
+<p>Fr alle andern Kreaturen ist das natrliche Leben alles. Leben, die
+Gattung fortpflanzen und sterben, das ist ihr Daseinszweck. Und damit
+sind sie zufrieden. Sie rufen nie sehnschtig nach Erlsung, nach
+Befreiung aus den Schranken des Lebens; sie fhlen sich nie eingeengt
+und erstickt und schlagen verzweifelt gegen die Grenzmauern ihrer Welt;
+sie wissen nicht, was es heit, ein Leben des berflusses aufgeben und
+durch Entsagung den Eintritt ins Reich himmlischer Wonne zu gewinnen.
+Sie schmen sich nicht ihrer Begier<span class="pagenum"><a name="Page_p0108" id="Page_p0108">[Pg 108]</a></span>den und empfinden sie nicht als
+unrein, denn sie gehren zu ihrem vollen Leben. Sie sind nicht grausam
+in ihrer Grausamkeit, nicht gierig in ihrer Gier, denn Grausamkeit
+und Gier reichen nicht weiter als die Gegenstnde derselben, die an
+sich endlich sind. Aber der Mensch hat seine Unendlichkeit, und daher
+verachtet er jene Leidenschaften, die seine Unsterblichkeit nicht
+anerkennen.</p>
+
+<p>Im Menschen hat das Leben des Tiers seinen Bereich geweitet. Er ist
+an die Schwelle einer Welt gekommen, die erst durch seinen eigenen
+Willen und seine eigene Kraft geschaffen werden mu. Er ist ber das
+rezeptive Stadium hinaus, wo das Ich versucht, alles, was es umgibt,
+in sein eigenes Zentrum zu ziehen, ohne selbst etwas zu geben. Jetzt
+beginnt des Menschen schpferisches Leben, wo er von seinem berflu
+spendet. Durch unaufhrliches Entsagen soll er wachsen. Alles was die
+Freiheit dieses endlosen Wachstums hemmt, ist Snde, das bel, das
+seiner Unsterblichkeit entgegenarbeitet. Diese schpferische Kraft im
+Menschen hat sich schon von Anfang seines Lebens an gezeigt. Denn selbst
+sein physischer Be<span class="pagenum"><a name="Page_p0109" id="Page_p0109">[Pg 109]</a></span>darf wird ihm in der Kinderstube der Natur nicht
+gebrauchsfertig vorgesetzt. Von seinen ersten Tagen an ist er geschftig
+gewesen, sich aus dem Rohmaterial, das um ihn herumliegt, seinen
+Lebensbedarf zu bereiten. Selbst seine Speisegerichte sind seine eigene
+Schpfung, und im Gegensatz zu den Tieren wird er nackt geboren und mu
+sich seine Kleidung selbst schaffen. Dies beweist, da der Mensch aus
+der Welt der Naturzwecke in die Welt der Freiheit geboren ist.</p>
+
+<p>Denn Schaffen bedeutet Freiheit. Wir leben in einem Gefngnis, wenn wir
+in dem leben mssen, was schon da ist, denn es bedeutet in etwas leben,
+was etwas anderes ist als wir selbst. Dort mssen wir ohnmchtig es der
+Natur berlassen, mit uns zu schalten und walten und fr uns zu whlen,
+und so kommen wir unter das Gesetz der natrlichen Auslese. Aber in
+unsrer eigenen Schpfung leben wir in dem, was unser ist, und dort wird
+die Welt mehr und mehr eine Welt unsrer eigenen Auslese; sie bewegt
+sich mit uns im gleichen Schritt und gibt uns Raum, wohin wir uns auch
+wenden. So kommt es, da der Mensch<span class="pagenum"><a name="Page_p0110" id="Page_p0110">[Pg 110]</a></span> sich nicht mit der ihm gegebenen
+Welt begngt; er strebt danach, sie zu seiner eigenen Welt zu machen.
+Und er legt den ganzen Mechanismus des Weltalls auseinander, um ihn zu
+studieren und wieder nach seinen eigenen Bedrfnissen zusammenzusetzen.
+Er lehnt sich auf gegen den Zwang der Naturgesetze. Sie hemmen bei jedem
+Schritt die Freiheit seines Laufes, und er mu die Tyrannei der Materie
+erdulden, die seine Natur sich strubt als endgltig und unvermeidlich
+anzuerkennen.</p>
+
+<p>Schon in der Zeit seiner Wildheit versuchte er durch Zaubermittel die
+Ordnung der Dinge zu durchbrechen. Er trumte von Aladdins Wunderlampe
+und von mchtigen Geistern, die ihm gehorchen und die Welt auf den Kopf
+stellen muten, wenn es ihm einfiel. Denn sein freier Geist stie immer
+wieder gegen Dinge, die ohne Rcksicht auf ihn eingerichtet waren.
+Er mute sich scheinbar in die ihm aufgezwungene Naturordnung fgen
+oder sterben. Aber im tiefsten Herzen konnte er doch trotz der ihn
+widerlegenden harten Tatsachen nicht daran glauben. Daher trumte er von
+einem Paradiese der Freiheit, vom Mrchenlande,<span class="pagenum"><a name="Page_p0111" id="Page_p0111">[Pg 111]</a></span> vom Heldenzeitalter,
+wo der Mensch in bestndigem Verkehr mit Gttern lebte, vom Stein der
+Weisen, vom Lebenselixier. Obgleich er nirgends das Tor finden konnte,
+das in die Freiheit fhrte, suchte er doch unermdlich tastend danach,
+er hrmte sich in Sehnsucht ab und betete inbrnstig um Befreiung. Denn
+er fhlte instinktiv, da diese Welt nicht seine endgltige Welt ist und
+da seine Seele nur eine sinnlose Qual fr ihn bedeuten wrde, wenn es
+nicht eine andre Welt fr ihn gbe.</p>
+
+<p>Die Naturwissenschaft hat die Fhrung in der Rebellion des Menschen
+gegen die Herrschaft der Natur. Sie versucht, der Natur den Zauberstab
+der Macht zu entwinden und ihn dem Menschen in die Hand zu geben;
+sie will unsern Geist aus der Sklaverei der Dinge befreien. Die
+Naturwissenschaft hat ein materialistisches Aussehen, weil sie damit
+beschftigt ist, den Kerker der Materie zu zerbrechen, und auf seinem
+Trmmerhaufen arbeitet. Beim Einfall in ein neues Land ist Plnderung
+die Losung des Tages. Doch wenn das Land erobert ist, werden die Dinge
+anders, und die,<span class="pagenum"><a name="Page_p0112" id="Page_p0112">[Pg 112]</a></span> die eben noch raubten, werden zu Polizisten und
+stellen Frieden und Ordnung wieder her. Die Naturwissenschaft beginnt
+eben erst den Einfall in die materielle Welt, und alles hascht gierig
+nach Beute und verleugnet schamlos die wahre Natur des Menschen. Aber
+die Zeit wird kommen, wo die groen Krfte der Natur jedem Einzelnen
+zu Gebote stehen, und wo mit wenig Kosten und Mhe fr die elementaren
+Lebensbedrfnisse aller gesorgt werden kann. Wo es fr den Menschen
+ebenso leicht sein wird zu leben wie zu atmen und sein Geist frei ist,
+sich seine eigene Welt zu schaffen.</p>
+
+<p>In frheren Zeiten, als die Naturwissenschaft den Schlssel zum
+Vorratshause der Naturkrfte noch nicht gefunden hatte, hatte der Mensch
+doch schon den stoischen Mut, die Materie zu verachten. Er sagte, er
+knne sich ohne Nahrung behelfen und knne auch die Kleidung als Schutz
+gegen Klte entbehren. Er war stolz darauf, seinen Leib zu kasteien. Es
+war ihm eine Lust, offen zu verknden, da er der Natur nur sehr wenig
+von dem Zoll zahlte, den sie von ihm forderte. Er bewies, da er die
+Angst vor Schmerz<span class="pagenum"><a name="Page_p0113" id="Page_p0113">[Pg 113]</a></span> und Tod, mit deren Hilfe die Natur ihn zu knechten
+suchte, aufs uerste verachtete.</p>
+
+<p>Woher dieser Stolz? Warum hat der Mensch sich von jeher gegen die
+demtigende Zumutung aufgelehnt, seinen Nacken unter physische
+Notwendigkeiten zu beugen? Warum konnte er sich nie damit ausshnen,
+die Beschrnkungen, die die Natur ihm auferlegte, als unbedingt geltend
+hinzunehmen? Warum konnte er in seiner physischen und sittlichen Welt
+die khnsten Unmglichkeiten versuchen, ohne je, trotz wiederholter
+Enttuschungen, eine Niederlage zuzugeben?</p>
+
+<p>Vom Standpunkt der Natur aus betrachtet, ist der Mensch tricht. Er
+traut der Welt, in der er lebt, nicht ganz. Er hat vom Anfang seiner
+Geschichte an Krieg mit ihr gefhrt. Er scheint sich durchaus an allen
+Ecken stoen und verletzen zu wollen. Es ist schwer, sich vorzustellen,
+wie die sorgsame Meisterin der natrlichen Auslese Schlupflcher lassen
+konnte, durch die solche berflssigen und gefhrlichen Elemente in
+ihre Wirtschaft hineingelangen und den Menschen ermutigen konnten,
+dieselbe Welt, die ihn erhlt, zu<span class="pagenum"><a name="Page_p0114" id="Page_p0114">[Pg 114]</a></span> durchbrechen. Aber das junge Vglein
+benimmt sich genau so unbegreiflich tricht, wenn es die Wand seiner
+kleinen Welt durchbricht. Es hat doch mit der unbeirrbaren Sicherheit
+des Instinkts gefhlt, da jenseits seines lieben Schalenkerkers etwas
+auf ihn wartet, das seinem Dasein Erfllung bringen wird, wie seine
+Phantasie sie nie trumen kann.</p>
+
+<p>So glaubt auch der Mensch fast blindlings seinem Instinkt, da er,
+wie dicht auch die Hlle sein mag, die ihn hier umgibt, doch aus dem
+Mutterschoe der Natur in die Welt des Geistes geboren werden soll,
+in die Welt, wo er seine schpferische Freiheit erlangt, wo er an der
+Schpfung des Unendlichen teilnimmt, wo er im Zusammenwirken mit dem
+Unendlichen schafft, wo seine Schpfung und Gottes Schpfung in Harmonie
+eins werden.</p>
+
+<p>In fast allen Religionssystemen gibt es ein groes Feld des Pessimismus,
+wo das Leben als ein bel und die Welt als Fallstrick und Trug angesehen
+wird, wo der Mensch in der Welt um ihn her seinen erbittertsten Feind
+sieht. Er fhlt den Druck der Dinge so in<span class="pagenum"><a name="Page_p0115" id="Page_p0115">[Pg 115]</a></span>tensiv, da er glaubt, es
+msse ein bser Geist in der Welt sein, der ihn versuche und mit arger
+List ihn ins Verderben zu reien trachte. In seiner Verzweiflung
+beschliet der Mensch dann, sich ganz von der Natur abzuwenden und zu
+beweisen, da er sich selbst gengt.</p>
+
+<p>Aber dies ist der heftige und schmerzhafte Kampf des Kindeslebens gegen
+das Leben der Mutter an der Schwelle seiner Geburt. Er ist grausam und
+zerstrend und sieht in dem Augenblick wie Undank aus. Aller religise
+Pessimismus ist schwrzester Undank, der den Menschen treibt, nach dem
+zu schlagen, was ihn so lange mit seinem eigenen Leben getragen und
+genhrt hat.</p>
+
+<p>Und doch macht uns die Tatsache, da es eine so unmgliche Paradoxie
+gibt, nachdenklich. Wir sind zu Zeiten geneigt, unsre Geschichte
+ganz aus den Augen zu verlieren und zu glauben, solche Anflle von
+Pessimismus seien mit Absicht und berlegung von gewissen Mnchen
+und Priestern hervorgerufen, die in einer Zeit der Gesetzlosigkeit
+unter unnatrlichen Bedingungen lebten. Wir vergessen dabei, da
+Verschwrungen Erzeug<span class="pagenum"><a name="Page_p0116" id="Page_p0116">[Pg 116]</a></span>nisse der Geschichte sind, aber die Geschichte
+nicht ein Erzeugnis von Verschwrungen. Die menschliche Natur wird
+von innen heraus mit Heftigkeit getrieben, sich selbst den Krieg
+zu erklren. Und wenn diese Heftigkeit auch nachlt, so ist der
+Schlachtruf doch noch nicht ganz verstummt.</p>
+
+<p>Wir mssen wissen, da bergangsperioden ihre Sprache haben, die man
+nicht buchstblich nehmen darf. Wenn die Seele sich zum erstenmal im
+Menschen bemerkbar macht, so betont sie ihren Gegensatz zur Natur mit
+solcher Heftigkeit, als wre sie bereit, einen Vernichtungskrieg gegen
+sie zu beginnen. Aber dies ist die negative Seite. Wenn die Revolution,
+die die Freiheit aufrichten will, ausbricht, hat sie das Aussehen der
+Anarchie. Doch ihr wahrer Sinn ist nicht die Zerstrung der Regierung,
+sondern die Freiheit der Regierung.</p>
+
+<p>So ist auch die Geburt der Seele in die geistige Welt nicht die
+Auflsung der Beziehung zu dem, was wir Natur nennen, sondern
+vollkommene Verwirklichung dieser Beziehung in der Freiheit.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0117" id="Page_p0117">[Pg 117]</a></span></p>
+
+<p>In der Natur sind wir blind und lahm wie ein Kind vor seiner Geburt.
+Aber im geistigen Leben sind wir frei geboren. Und sobald wir aus der
+blinden Knechtschaft der Natur befreit sind, steht sie uns im hellen
+Licht gegenber, und wo wir bisher nichts als Hlle sahen, erkennen wir
+jetzt die Mutter.</p>
+
+<p>Aber was ist das Endziel der Freiheit, zu der des Menschen Leben gelangt
+ist? Sie mu ihren Sinn in etwas haben, ber das hinaus wir nicht zu
+forschen brauchen. Die Antwort ist dieselbe, die uns das Leben des
+Tieres gibt, wenn wir nach seinem letzten Sinn fragen. Wenn die Tiere
+ihren Hunger und ihre andern Begierden befriedigen, so fhlen sie, da
+sie sind. Und das ist auch unser Sinn und Ziel: zu wissen, da wir sind.
+Das Tier wei es, aber sein Wissen ist wie Rauch, nicht wie Feuer, es
+kommt als blindes Gefhl, nicht als Erleuchtung, und wenn es auch die
+Wahrheit aus ihrem Schlummer aufweckt, so lt es sie doch im Dunkel. Es
+ist das Bewutsein, das anfngt, das Ich vom Nicht-Ich zu unterscheiden.
+Es hat gerade genug Umfang, um sich als Mittelpunkt zu fhlen.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0118" id="Page_p0118">[Pg 118]</a></span></p>
+
+<p>Auch das letzte Ziel der Freiheit ist zu wissen, da &bdquo;ich bin&ldquo;. Doch
+dieses Ich-Bewutsein ist ein anderes: es ist das Bewutsein der Einheit
+mit dem All im Gegensatz zu dem der Abgesondertheit von allem andern.
+Diese Freiheit findet ihre Vollendung nicht in der Extensitt, sondern
+in der Intensitt, in der Liebe. Die Freiheit, zu der das Kind gelangt,
+wenn es aus dem Mutterleibe geboren wird, besteht nicht darin, da es
+sich seiner Mutter vlliger bewut wird, sondern da es zum intensiven
+Bewutsein ihrer in der Liebe gelangt. Im Mutterleibe wurde es genhrt
+und warm gehalten, aber es war in seiner Einsamkeit ganz auf sich selbst
+beschrnkt. Nachdem das Kind in die Freiheit geboren ist, bringt die
+wechselseitige Beziehung der Liebe zwischen Mutter und Kind dem Kinde
+die Freude des vollkommensten Bewutseins seines Ichs. Diese Mutterliebe
+gibt seiner ganzen Welt ihren Sinn. Wenn das Kind nur ein vegetierender
+Organismus wre, dann brauchte es sich nur mit seinen Wurzeln in
+seiner Welt festzuklammern und knnte gedeihen. Aber das Kind ist eine
+Persnlichkeit,<span class="pagenum"><a name="Page_p0119" id="Page_p0119">[Pg 119]</a></span> und diese Persnlichkeit strebt nach vollkommener
+Verwirklichung, die nie in der Gefangenschaft des Mutterleibes geschehen
+kann. Sie mu frei sein, und diese Freiheit findet ihre Erfllung nicht
+in sich selbst, sondern in einer andern Persnlichkeit, und dies ist
+Liebe.</p>
+
+<p>Es ist nicht wahr, da die Tiere keine Liebe empfinden. Aber sie ist zu
+schwach, um das Bewutsein so weit zu erleuchten, da es ihnen die ganze
+Wahrheit der Liebe offenbaren knnte. Ihre Liebe ist ein leises Glhen,
+das ihr Ich erhellt, aber nicht die Flamme, die ber das Geheimnis des
+eigenen Ichs hinausgeht. Ihr Bereich ist zu eng umgrenzt, um bis an die
+paradoxe Wahrheit zu reichen, da die Persnlichkeit, die das Bewutsein
+der Einheit im eigenen Selbst ist, doch erst in der Einheit mit andern
+ihre ganze Wahrheit findet.</p>
+
+<p>Diese Paradoxie hat den Menschen zu der Erkenntnis gefhrt, da die
+Natur, in die hinein wir geboren werden, nur eine unvollkommene Wahrheit
+ist wie die Wahrheit des Mutterleibes. Die volle Wahrheit ist, da wir<span class="pagenum"><a name="Page_p0120" id="Page_p0120">[Pg 120]</a></span>
+im Scho der unendlichen Persnlichkeit geboren werden. Unsere wahre
+Welt ist nicht die Welt der Naturgesetze, der Gesetze von Kraft und
+Stoff, sondern die Welt der Persnlichkeit. Wenn wir das vollkommen
+erkannt haben, haben wir unsre wahre Freiheit gefunden. Dann verstehen
+wir das Wort der Upanischad:</p>
+
+<p>&bdquo;Erkenne alles, was in der Welt lebt und wirkt, als von Gott
+umschlossen, und geniee, was er dir hingibt
+
+<a name="FNanchor_14" id="FNanchor_14"></a>
+<a href="#Footnote_14" class="fnanchor"><sup>[14]</sup></a>
+
+.&ldquo;</p>
+
+<p>Wir haben gesehen, da das Bewutsein der Persnlichkeit mit dem
+Gefhl der Abgesondertheit von allen andern beginnt und in dem Gefhl
+der Einheit mit allen gipfelt. Selbstverstndlich ist das Bewutsein
+der Abgetrenntheit auch zugleich mit einem Bewutsein der Einheit
+verbunden, denn es kann nicht fr sich allein existieren. Das Leben,
+wo das Bewutsein der Abgesondertheit an erster und das der Einheit
+an zweiter Stelle steht, und wo infolgedessen die Persnlichkeit eng
+und vom Licht der Wahrheit nur matt erleuchtet ist, <span class="pagenum"><a name="Page_p0121" id="Page_p0121">[Pg 121]</a></span>&mdash; dies Leben
+ist das Leben des Ichs. Aber das Leben, wo das Bewutsein der Einheit
+der erste Faktor ist, und wo daher die Persnlichkeit weit und vom
+Licht der Wahrheit hell erleuchtet ist, dies Leben ist das Leben der
+Seele. Die ganze Aufgabe des Menschen liegt darin, vom Ich-Bewutsein
+zum Seelenbewutsein zu gelangen, seinen inneren Krften die Richtung
+auf das Unendliche zu geben und so von der Verengung des Ichs in der
+Begierde zur Ausweitung der Seele in der Liebe fortzuschreiten.</p>
+
+<p>Dies Seelenbewutsein, das das bewute Prinzip der Einheit, der
+Mittelpunkt aller Beziehungen ist, ist das wahre Sein und daher das
+letzte Ziel alles Strebens. Ich mu auf diese Tatsache den grten
+Nachdruck legen, da diese Welt nur in ihrer Beziehung zu einer
+zentralen Persnlichkeit Wirklichkeit hat. Ohne diesen Mittelpunkt fllt
+sie auseinander, wird zu einem Haufen von Abstraktionen, wie Kraft und
+Stoff, und selbst diese, die blassesten Spiegelungen des Seins, wrden
+in absolutes Nichts verschwinden, wenn das denkende Ich im Mittelpunkt,
+zu dem sie durch<span class="pagenum"><a name="Page_p0122" id="Page_p0122">[Pg 122]</a></span> eine gewisse Vernunftharmonie in Beziehung stehen,
+fehlte.</p>
+
+<p>Aber es gibt unzhlige solche Zentren. Jedes Wesen hat seine eigene
+kleine Welt, deren Zentrum es ist. Daher stellt sich uns unwillkrlich
+die Frage: &bdquo;Gibt es ebensoviele unberbrckbar voneinander verschiedene
+Wirklichkeiten?&ldquo;</p>
+
+<p>Unsre ganze Natur lehnt sich auf gegen die Bejahung dieser Frage. Denn
+wir wissen, da das Prinzip der Einheit in uns die Grundlage alles
+wahren Seins ist. Daher ist der Mensch vom trben Dmmerlicht seiner
+Fragen und Vorstellungen durch all seine Zweifel und Errterungen zu
+der Wahrheit gekommen, da es einen ewigen Mittelpunkt gibt, zu dem
+alle Persnlichkeiten und daher die ganze Welt der Wirklichkeit ihre
+Beziehung hat. Dies ist &bdquo;<i>Mah&#257;n puru&#7779;a&#7717;</i>&ldquo;, die eine hchste
+Persnlichkeit; es ist &bdquo;<i>Satya&#7747;</i>&ldquo;, die eine hchste Wahrheit; es ist
+&bdquo;<i>Jn&#774;&#257;na&#7747;</i>&ldquo;, der die hchste Erkenntnis in sich hat und daher
+sich selbst in allem erkennt; es ist &bdquo;<i>Sarv&#257;nubh&#363;&#7717;</i>&ldquo;, der die
+Gefhle aller Wesen in sich und daher sich in allen Wesen fhlt.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0123" id="Page_p0123">[Pg 123]</a></span></p>
+
+<p>Aber dieser Hchste, der Mittelpunkt alles Seins, ist nicht nur ein
+passives, rezeptives Wesen, er ist <i>&#257;nanda-r&#363;pam am&#7771;ta&#7747; yad
+vibh&#257;ti</i> &mdash; die Freude, die sich in Formen offenbart. Sein Wille ist
+es, der schafft.</p>
+
+<p>Der Wille findet seine hchste Erfllung nicht in der Welt des Gesetzes,
+sondern in der Welt der Freiheit, nicht in der Welt der Natur, sondern
+in der geistigen Welt.</p>
+
+<p>Dies erkennen wir an uns selbst. Unsre Sklaven tun, was wir ihnen
+befehlen, und versehen uns mit dem, was wir brauchen, aber unsre
+Beziehung zu ihnen ist unvollkommen. Wir haben unsre Willensfreiheit,
+die nur in der Willensfreiheit anderer ihre Harmonie finden kann.
+Wo wir selbst Sklaven sind, in unsern selbstschtigen Begierden, da
+befriedigt uns das Sklaventum in andern. Denn die Sklaverei entspricht
+unserm eigenen Sklaventum und lt uns in ihm Genge finden. Als daher
+Amerika seine Sklaven befreite, befreite es in Wahrheit sich selbst.
+Wir finden unsre hchste Freude in der Liebe. Denn in ihr sehen wir die
+Willensfreiheit anderer verwirklicht. Bei unsern Freunden begegnet ihr
+Wille un<span class="pagenum"><a name="Page_p0124" id="Page_p0124">[Pg 124]</a></span>serm Willen in vollkommener Freiheit, nicht im Zwang der Not
+oder der Furcht; daher findet unsre Persnlichkeit in dieser Liebe ihre
+hchste Verwirklichung.</p>
+
+<p>Weil die Wahrheit unsres Willens in seiner Freiheit besteht, daher ist
+auch reine Freude nur in der Freiheit mglich. Wir finden Freude in
+der Befriedigung unsrer Bedrfnisse, aber diese Freude ist negativer
+Art. Denn das Bedrfnis ist eine Sklaverei, von der wir durch die
+Befriedigung des Bedrfnisses befreit werden. Aber damit ist auch die
+Freude zu Ende. Es ist anders mit unsrer Freude an der Schnheit. Sie
+ist positiver Art. Im harmonischen Rhythmus finden wir die Vollendung.
+Dort sehen wir nicht die Substanz oder das Gesetz, sondern die
+reine Form, die mit unsrer Persnlichkeit in Harmonie ist. Aus der
+Knechtschaft bloen Stoffes und bloer Linien geht das hervor, was
+ber alle Schranken hinaus ist. Wir fhlen uns sogleich frei von der
+tyrannischen Sinnlosigkeit der Einzeldinge, &mdash; jetzt geben sie uns
+etwas, was zu unserm eignen Selbst in persnlicher Beziehung steht.
+Die Offenbarung der Einheit<span class="pagenum"><a name="Page_p0125" id="Page_p0125">[Pg 125]</a></span> in ihrer passiven Vollkommenheit, die wir
+in der Natur finden, ist die Schnheit; die Offenbarung der Einheit in
+ihrer aktiven Vollkommenheit, die wir in der geistigen Welt finden,
+ist die Liebe. Diese besteht nicht in der Harmonie der ueren Formen,
+sondern in der Harmonie der Willen. Der Wille, der frei ist, bedarf zur
+Verwirklichung seiner Harmonie andrer Willen, die auch frei sind, und
+darin liegt die Bedeutung des religisen Lebens. Der ewige Mittelpunkt
+alles Seins, das hchste Wesen, das seine Freude ausstrahlt, indem es
+sich in Freiheit hingibt, mu andre Freiheitszentren schaffen, um sich
+mit ihnen in Harmonie zu einen. Die Schnheit ist die Harmonie, die sich
+in Dingen verwirklicht, die durch das Naturgesetz gebunden sind. Die
+Liebe ist die Harmonie, die sich in Willen verwirklicht, welche frei
+sind.</p>
+
+<p>Im Menschen sind solche Freiheitszentren geschaffen. Er soll kein bloer
+Empfnger von Gaben der Natur sein; er soll sich voll ausstrahlen im
+Schaffen seiner Kraft und in der Vervollkommnung seiner Liebe. Sein
+Ziel mu der Unendliche sein, wie der Unendliche<span class="pagenum"><a name="Page_p0126" id="Page_p0126">[Pg 126]</a></span> in ihm sein Ziel hat.
+Die Schpfung der natrlichen Welt ist Gottes eigene Schpfung, wir
+knnen sie nur empfangen und dadurch uns zu eigen machen. Aber bei der
+Schpfung der geistigen Welt sind wir Gottes Partner. Bei dieser Arbeit
+mu Gott warten, da unser Wille mit dem seinen bereinstimmt. Nicht
+Macht ist es, was diese geistige Welt aufbaut; nirgends, auch nicht in
+dem entferntesten Winkel, gibt es in ihr Passivitt oder Zwang. Das
+Bewutsein mu alle Nebel der Tuschung abgestreift haben, der Wille mu
+von allen Gegenkrften der Leidenschaften und Begierden befreit sein,
+bevor wir an Gottes Schpfungswerk teilnehmen. Solange wir nur Empfnger
+seiner Gaben sind, hat unser Verhltnis zu ihm noch nicht seine volle
+Wahrheit gefunden, denn es ist einseitig und daher unvollkommen. Wie
+er uns aus seiner eigenen Flle gibt, sollen auch wir ihm von unserm
+berflu geben. Daraus quillt reine Freude, nicht nur fr uns, sondern
+auch fr Gott.</p>
+
+<p>In unserm Lande haben die Wischnusnger diese Wahrheit erkannt und sie
+khn verkndet, indem sie sagten, erst in den Men<span class="pagenum"><a name="Page_p0127" id="Page_p0127">[Pg 127]</a></span>schenseelen fnde
+Gott die Erfllung seiner Liebe. In der Liebe mu Freiheit sein, daher
+mu Gott nicht nur warten, bis unsre Seele freiwillig den Einklang mit
+seiner Seele sucht, sondern er mu auch leiden, wenn sie dieser Harmonie
+widerstrebt und sich gegen ihn auflehnt.</p>
+
+<p>Daher hat es bei der Schpfung der geistigen Welt, an der der Mensch
+in Gemeinschaft mit Gott arbeiten mu, Leiden gegeben, von denen die
+Tiere keine Ahnung haben knnen. Beim Stimmen der Instrumente haben
+die Saiten oft in schrillen Dissonanzen aufgeschrien, und oft sind
+sie gerissen. Wenn wir die Mitarbeit des Menschen am Werke Gottes von
+dieser Seite sehen, so erscheint sie uns sinnlos und schdlich. Das
+Ideal, das im Herzen dieser Schpfung ist, lt uns jeden Fehler und
+Miton wie einen Dolchsto empfinden, und die Seele sthnt und blutet.
+Oft hat die Freiheit sich in ihr Gegenteil gewandelt, um zu beweisen,
+da sie Freiheit ist, und der Mensch hat gelitten, und Gott mit ihm,
+auf da diese Welt des Geistes gelutert und rein aus ihrem Feuerbade
+hervorgehen mge, mit<span class="pagenum"><a name="Page_p0128" id="Page_p0128">[Pg 128]</a></span> leuchtenden Gliedern wie ein gttliches Kind.
+Es hat Heuchelei und Lge gegeben, grausame berhebung, die sich
+ber die Wunden entrstet, die sie selbst geschlagen, geistlichen
+Hochmut, der im Namen Gottes den Menschen schmht, Machthochmut, der
+Gott lstert, indem er ihn seinen Verbndeten nennt; jahrhundertelang
+hat man den Schmerzensschrei der Gequlten gewaltsam erstickt und
+Menschenkinder ihres rechten Armes beraubt, um sie fr alle Zeit wehr-
+und hilflos zu machen; man hat die Felder mit dem blutigen Schwei der
+Sklaverei gedngt, um Leckerbissen darauf zu bauen, und seinen Reichtum
+aufgerichtet auf Mangel und Hungersnot. Aber ich frage: Hat dieser
+Riesengeist der Verneinung gesiegt? Ist das Leiden, das er im Herzen des
+Unendlichen hervorgerufen hat, nicht seine grte Niederlage? Und wird
+sein gefhlloser Stolz nicht in jedem Augenblick seines aufgeblasenen
+Daseins selbst durch das Gras am Wege und die Blumen auf dem Felde
+beschmt? Trgt nicht das Verbrechen an Gott und Menschen seine Strafe
+selbst als Krone der Hlichkeit auf dem Haupte? Ja, das Gttliche im
+Men<span class="pagenum"><a name="Page_p0129" id="Page_p0129">[Pg 129]</a></span>schen lt sich durch Erfolg oder Organisationen seines Gegners
+nicht einschchtern; es setzt sein Vertrauen nicht auf die Gre seiner
+Macht und auf kluge Vorsicht. Seine Strke liegt nicht in Muskel- oder
+Maschinenkraft, nicht in Klugheit der Politik, noch in Robustheit des
+Gewissens, sondern in seinem Streben nach Vollendung. Wenn auch das
+Heute es verhhnt, so hat es doch die Ewigkeit des Morgen auf seiner
+Seite. Dem Anschein nach ist es hilflos wie ein neugebornes Kind, aber
+seine nchtlichen Leidenstrnen setzen alle unsichtbaren Krfte des
+Himmels in Bewegung, sie rufen in der ganzen Schpfung die Mutter wach.
+Kerkermauern fallen ein, ungeheure Berge von Reichtmern strzen, vom
+Miverhltnis ihrer eigenen Last umgerissen, kopfber in den Staub. Die
+Geschichte der Erde ist die Geschichte von Erdbeben und Sintfluten und
+vulkanischen Ausbrchen, und doch ist sie bei alledem die Geschichte
+der grnen Felder und der murmelnden Bche, der Schnheit und des
+fruchtbaren Lebens. Und die geistige Welt, die aus dem Leben des
+Menschen und dem Leben Gottes<span class="pagenum"><a name="Page_p0130" id="Page_p0130">[Pg 130]</a></span> emporwchst, wird diese Zeit der ersten
+Kindheit, wo sie immer wieder hilflos zu Fall kommt und sich verletzt,
+hinter sich lassen und eines Tages in der Kraft der Jugend auf festen
+Fen stehen, in frohem Genu der Schnheit und Freiheit ihrer Bewegung.</p>
+
+<p>Das Leiden gerade ist unsre grte Hoffnung. Denn es ist der
+Sehnsuchtsschrei der Unvollkommenheit, der von ihrem Glauben an
+Vollkommenheit zeugt, wie der Schrei des Kindes von dem Glauben an die
+Mutter. Dies Leiden treibt den Menschen dazu, mit seinem Gebet ans Tor
+des Unendlichen, des Gttlichen in ihm zu pochen und so seinen tiefsten
+Instinkt, seinen unmittelbaren Glauben an das Ideal zu beweisen, den
+Glauben, mit dem er dem Tode mutig entgegentritt und allem entsagt,
+was zu seinem engeren Selbst gehrt. Gottes Leben, das sich in seine
+Schpfung ergiet, hat das Leben des Menschen berhrt, das nun auch
+der Freiheit zustrmt. Immer wenn in die Harmonie des Schpfungsliedes
+hinein eine Dissonanz schrillt, ruft der Mensch aus: &bdquo;<i>Asato m&#257;
+sad gamaya</i>&ldquo;, &bdquo;Hilf mir aus dem Nichtsein zum wahren Sein.&ldquo; Er gibt
+sein<span class="pagenum"><a name="Page_p0131" id="Page_p0131">[Pg 131]</a></span> Selbst hin, da es fr die Musik der Seele gestimmt werde. Auf
+diese Hingabe wartet Gott, denn die geistige Harmonie kann nur durch
+Freiheit entstehen. Daher ist die freiwillige Hingabe des Menschen an
+den Unendlichen der Anfang der vollkommenen Vereinigung mit ihm. Erst
+dann, durch das Medium der Freiheit, kann Gottes Liebe voll auf die
+Menschenseele wirken. Diese Hingabe besteht in der freien Wahl unsrer
+Seele, ihr Leben dem Werke Gottes zu weihen, die Welt des Naturgesetzes
+in eine Welt der Liebe umzuwandeln.</p>
+
+<p>In der Geschichte des Menschen hat es Augenblicke gegeben, wo sein
+Leben mit der Musik von Gottes Leben in vollkommener Harmonie
+zusammenklang. Wir haben gesehen, wie des Menschen Persnlichkeit in
+restloser Selbsthingabe aus berquellender Liebe ihre Vollendung fand,
+indem sie selbst gttliches Wesen erlangte. Es sind Menschen in dieser
+Welt der Natur geboren, mit menschlichen Begierden und Schwchen,
+die dennoch bewiesen haben, da sie in der Welt des Geistes atmeten,
+da die hchste Wirklichkeit die Freiheit der<span class="pagenum"><a name="Page_p0132" id="Page_p0132">[Pg 132]</a></span> Persnlichkeit in der
+vollkommenen Vereinigung der Liebe ist. Sie machten sich frei von allen
+selbstschtigen Wnschen und Begierden, von allen engen Vorurteilen der
+Kaste und der Nationalitt, von der Menschenfurcht und der Knechtschaft
+der Glaubensdogmen und Konventionen. Sie wurden eins mit ihrem Gott im
+freien, ttigen Wirken mit ihm. Sie liebten und litten. Sie boten ihre
+Brust den Pfeilen des Bsen und bewiesen, da der Geist unsterbliches
+Leben hat. Groe Knigreiche wechseln ihre Formen und verschwinden
+wie Wolken, Institutionen zerflieen in der Luft wie Trume, Nationen
+spielen ihre Rolle und versinken in Dunkel, aber jene Einzelwesen tragen
+das unsterbliche Leben der ganzen Menschheit in sich: Ihr Leben fliet
+wie ein ewiger, gewaltiger Strom durch grne Felder und Wsten und durch
+die langen, dunklen Hhlen der Vergessenheit in die tanzende Freude des
+Sonnenlichts hinein und bringt im endlosen Lauf der Jahre Wasser des
+Lebens an die Tren von Millionen Menschen, das ihren Durst lscht und
+ihre Leiden heilt und sie reinigt vom Staub des Alltags, und singt<span class="pagenum"><a name="Page_p0133" id="Page_p0133">[Pg 133]</a></span> mit
+heller Stimme durch den Lrm der Mrkte das Lied des ewigen Lebens, das
+Jubellied:</p>
+
+<p class="poem top2 bottom3">Dies ist der hchste Pfad,<br />
+Dies ist der hchste Schatz,<br />
+Dies ist die hchste Welt,<br />
+Dies ist die hchste Wonne.</p>
+
+<hr class="chap" />
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0134" id="Page_p0134">[Pg 134]</a></span></p>
+
+<h2 class="top2"><a name="MEINE_SCHULE" id="MEINE_SCHULE">MEINE SCHULE</a></h2>
+
+<p class="drop-cap2">ALS ich mich den Vierzigern nherte, erffnete ich eine Schule in
+Bengalen. Das hatte man sicherlich nicht von mir erwartet, der ich den
+grten Teil meines Lebens damit zugebracht hatte, Verse zu machen.
+Daher dachten die Menschen natrlich, da diese Anstalt wohl keine
+Musterschule werden wrde; jedenfalls aber wrde sie etwas unerhrt
+Neues sein, da ich mich so ganz ohne alle Erfahrung an das Unternehmen
+gewagt hatte.</p>
+
+<p>Dies ist der Grund, warum ich so oft gefragt werde, was denn eigentlich
+die Idee ist, die meiner Schule zugrunde liegt. Die Frage setzt
+mich sehr in Verlegenheit, denn ich darf nichts Alltgliches darauf
+antworten, wenn ich die Erwartung der Fragenden befriedigen will. Ich
+will jedoch der Versuchung, originell zu sein, widerstehen und mich
+damit begngen, nur wahr zu sein.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0135" id="Page_p0135">[Pg 135]</a></span></p>
+
+<p>Ich mu gleich gestehen, da es schwer fr mich ist, diese Frage
+berhaupt zu beantworten. Denn eine Idee ist nicht etwas wie ein festes
+Fundament, worauf man ein Gebude errichtet. Sie ist mehr wie ein
+Samenkorn, das auch nicht gleich, so wie es anfngt zu keimen und zu
+wachsen, auseinandergelegt und erklrt werden kann.</p>
+
+<p>Nun aber verdankt diese Schule ihren Ursprung gar nicht irgendeiner
+neuen Erziehungstheorie, sondern einfach der Erinnerung an meine eigene
+Schulzeit.</p>
+
+<p>Wenn diese Zeit fr mich eine unglckliche war, so liegt der Grund
+dafr nicht nur in meiner persnlichen Anlage oder in den besonderen
+belstnden der Schulen, die ich besuchte. Es kann schon sein, da ich,
+wenn ich etwas robuster gewesen wre, mich dem Druck allmhlich angepat
+und es schlielich bis zum Abschlu des Universittsstudiums gebracht
+htte. Aber Schulen sind nun einmal Schulen, wenn auch einige besser
+sind als andere, je nach dem Mastab, den sie an sich legen.</p>
+
+<p>Die Vorsehung hat dafr gesorgt, da die<span class="pagenum"><a name="Page_p0136" id="Page_p0136">[Pg 136]</a></span> Kinder sich von der Milch
+der Mutter nhren. Sie finden ihre Mutter und ihre Nahrung zu gleicher
+Zeit, und Krper und Seele kommen zugleich zu ihrem Recht. So lernen sie
+gleich die groe Wahrheit, da die wahre Beziehung des Menschen zur Welt
+die persnliche Liebe ist und nicht das mechanische Kausalgesetz.</p>
+
+<p>Einleitung und Schlu eines Buches haben hnlichen Charakter. In
+beiden wird die Wahrheit als Ganzes vor den Leser hingestellt, ohne
+da die Einzelheiten entwickelt werden. Der Unterschied ist nur, da
+diese Wahrheit uns in der Einleitung einfach erscheint, weil sie noch
+nicht analysiert ist, und am Schlu, weil die Analyse vollstndig ist.
+Zwischen beiden entfaltet sich die Wahrheit, hier verwickelt sie sich,
+stt sich an Hindernissen und bricht ganz auseinander, um sich endlich
+in vollkommener Einheit wiederzufinden.</p>
+
+<p>So wird auch dem Menschen gleich beim Eintritt in die Welt der Weisheit
+letzter Schlu in dieser einfachen Form offenbart. Er wird in eine Welt
+geboren, die fr ihn intensivstes Leben ist, wo er als Einzelwesen
+die volle Auf<span class="pagenum"><a name="Page_p0137" id="Page_p0137">[Pg 137]</a></span>merksamkeit seiner Umgebung in Anspruch nimmt. Wie er
+heranwchst, geht ihm die naive Sicherheit in der Auffassung der
+Wirklichkeit verloren, er kann sich in der Kompliziertheit der Dinge
+nicht mehr zurechtfinden und trennt sich von seiner Umgebung, oft im
+Geiste des Widerspruchs. Doch wenn so die Einheit der Wahrheit zerbricht
+und ein hartnckiger Brgerkrieg zwischen seiner Persnlichkeit
+und seiner Umgebung anhebt, so kann Sinn und Ziel doch nicht ewige
+Zwietracht sein. Um diesen Sinn und den rechten Schlu fr sein Leben
+zu finden, mu er ber den Umweg des Zweifels wieder den Weg zur
+schlichten, vollkommenen Wahrheit finden, zur Einheit mit der Welt durch
+das Band unendlicher Liebe.</p>
+
+<p>Daher sollte man dem Menschen in seiner Kindheit sein volles Ma vom
+Trunk des Lebens geben, nach dem ihn so unaufhrlich drstet. Das
+junge Gemt sollte ganz von dem Gefhl durchdrungen werden, da es
+hineingeboren ist in eine Menschenwelt, die in Harmonie ist mit der
+umgebenden Welt. Und dies gerade ist es, was unsere herkmmliche
+Schule<span class="pagenum"><a name="Page_p0138" id="Page_p0138">[Pg 138]</a></span> mit berlegener Weisheitsmiene streng und hochmtig bersieht.
+Sie reit die Kinder mit Gewalt aus einer Welt, die voll ist von dem
+geheimnisvollen Wirken Gottes, voll von Hindeutungen auf persnliches
+Leben. Aus bloen Grnden der Schulzucht weigert sie sich, das
+einzelne Kind zu bercksichtigen. Sie ist eine Fabrik, die eigens
+dazu eingerichtet ist, Waren von mglichst gleichfrmigem Schliff
+herzustellen. Sie zieht eine gerade Linie nach dem Durchschnittsma, und
+dieser Linie folgt sie, wenn sie die Kanle des Unterrichts grbt. Aber
+das Leben hlt sich nicht an die gerade Linie, es hat seinen Spa daran,
+mit dieser Durchschnittslinie auf- und abzuwippen, und ldt so den Zorn
+der Schule auf sein Haupt. Denn nach der Auffassung der Schule ist das
+Leben vollkommen, wenn es sich behandeln lt, als ob es tot sei, so da
+man es nach Belieben symmetrisch zerlegen kann. Das war es, worunter
+ich litt, als ich zur Schule geschickt wurde. Denn pltzlich entwich
+meine Welt rings um mich her und machte hlzernen Bnken und geraden
+Wnden Platz, die mich mit dem leeren Blick des Blinden anstarrten.<span class="pagenum"><a name="Page_p0139" id="Page_p0139">[Pg 139]</a></span> Der
+Schulmeister hatte mich nicht geschaffen, das Unterrichtsministerium
+war nicht zu Rate gezogen, als ich in diese Welt kam. Aber war das ein
+Grund, das Versehen meines Schpfers an mir zu rchen?</p>
+
+<p>Doch die Sage lehrt uns ja, da man nicht im Paradiese bleiben darf,
+wenn man vom Baum der Erkenntnis it. Daher mssen die Kinder der
+Menschen aus ihrem Paradiese in ein Reich des Todes verbannt werden,
+in dem der Geist der Uniform herrscht. So mute mein Geist sich in die
+enge Hlle der Schule zwngen lassen, die wie die Schuhe der Chinesin
+meine Natur bei jeder Bewegung berall drckte und quetschte. Ich war
+glcklich genug, mich ihrer zu entledigen, bevor mein Gefhl ganz
+abstarb.</p>
+
+<p>Obgleich ich nicht die volle Buzeit abzudienen brauchte, die die
+Menschen meines Standes auf sich nehmen mssen, um Zutritt zu der
+Gesellschaft der Gebildeten zu erlangen, so bin ich doch froh, da mir
+ihre Plage nicht ganz erspart blieb. Denn so habe ich an mir selbst das
+Unrecht erfahren, das die Kinder der Menschen erleiden.</p>
+
+<p>Die Ursache dieses Unrechts ist, da der<span class="pagenum"><a name="Page_p0140" id="Page_p0140">[Pg 140]</a></span> Erziehungsplan der Menschen
+dem Plan Gottes zuwiderluft. Wie wir unsre Geschfte betreiben, ist
+unsre Sache, und daher knnen wir in unserm Geschftsbureau schaffen
+und wirken, wie es unserm besonderen Zweck entspricht. Aber solch ein
+Geschftsbetrieb pat nicht fr Gottes Schpfung. Und die Kinder sind
+Gottes eigene Schpfung.</p>
+
+<p>Wir sind in diese Welt gekommen, nicht nur, da wir sie kennen, sondern
+da wir sie bejahen. Macht knnen wir durch Wissen erlangen, aber zur
+Vollendung gelangen wir nur durch die Liebe. Die hchste Erziehung ist
+die, welche sich nicht damit begngt, uns Kenntnisse zu vermitteln,
+sondern die unser Leben in Harmonie bringt mit allem Sein. Aber wir
+finden, da man diese Erziehung zur Harmonie in den Schulen nicht
+nur systematisch auer acht lt, sondern da man sie konsequent
+unterdrckt. Von klein auf werden wir so erzogen und unterrichtet, da
+wir der Natur entfremdet und unsre innere und uere Welt in Gegensatz
+zueinander gestellt werden. So wird die hchste Erziehung, die Gott uns
+bestimmte, vernachlssigt, und man nimmt uns<span class="pagenum"><a name="Page_p0141" id="Page_p0141">[Pg 141]</a></span> unsre Welt, um uns dafr
+einen Sack voll Wissen zu geben. Wir berauben das Kind seiner Erde, um
+es Erdkunde zu lehren, seiner Sprache, um es Grammatik zu lehren. Es
+hungert nach Heldengeschichten, aber man gibt ihm nchterne Tatsachen
+und Daten. Es wurde in die Menschenwelt geboren, aber es wird in die
+Welt lebender Grammophone verbannt, um fr die Erbsnde, in Unwissenheit
+geboren zu sein, zu ben. Die Natur des Kindes lehnt sich mit der
+ganzen Kraft des Leidens gegen solch Elend auf, bis sie schlielich
+durch Strafen zum Schweigen gebracht wird.</p>
+
+<p>Wir alle wissen, Kinder lieben den Staub der Erde; Leib und Seele dieser
+kleinen Geschpfe drsten nach Luft und Sonnenschein wie die Blumen. Sie
+sind immer bereit, den Einladungen zu unmittelbarem Verkehr zu folgen,
+die fortwhrend aus der Welt an ihre Sinne gelangen.</p>
+
+<p>Aber zum Unglck fr die Kinder leben ihre Eltern in ihrer eigenen
+Welt von Gewohnheiten, wie sie ihr Beruf und die gesellschaftliche
+Tradition mit sich gebracht haben. Das lt sich in mancher Beziehung
+nicht ndern.<span class="pagenum"><a name="Page_p0142" id="Page_p0142">[Pg 142]</a></span> Denn die Menschen sind durch die Verhltnisse und durch
+das Bedrfnis nach sozialer Gleichfrmigkeit gezwungen, sich nach einer
+bestimmten Richtung hin zu entwickeln.</p>
+
+<p>Aber unsre Kindheit ist die Zeit, wo wir noch frei sind &mdash; oder sein
+sollten &mdash; frei von dem Zwang, uns innerhalb der engen Grenzen zu
+entwickeln, welche berufliche und gesellschaftliche Konventionen
+aufgerichtet haben.</p>
+
+<p>Ich erinnere mich noch sehr gut, welch unwilliges Erstaunen ein
+erfahrener Schuldirektor, der den Ruf hatte, vorzgliche Disziplin zu
+halten, zeigte, als er sah, wie einer meiner Schler auf einen Baum
+kletterte, um oben auf der Gabelung eines Astes seine Aufgaben zu
+lernen. Ich mute ihm zur Erklrung sagen: die Kindheit ist die einzige
+Zeit, wo ein zivilisierter Mensch noch die Wahl hat zwischen den Zweigen
+eines Baumes und einem Wohnzimmerstuhl; sollte ich, weil mir als einem
+Erwachsenen dies Vorrecht versagt ist, es darum dem Knaben rauben?
+berraschend ist es, da derselbe Direktor ganz damit einverstanden
+war, da die Knaben Botanik studierten. Er legt Gewicht auf eine
+unper<span class="pagenum"><a name="Page_p0143" id="Page_p0143">[Pg 143]</a></span>snliche Kenntnis von dem Baume, weil das Wissenschaft ist, aber
+er hlt nichts von einer persnlichen Bekanntschaft mit ihm.</p>
+
+<p>Diese wachsende Erfahrung bildet allmhlich den Instinkt, der das
+Ergebnis der Methode ist, nach welcher die Natur ihre Geschpfe lehrt.
+Die Knaben meiner Schule haben eine instinktive Kenntnis von der
+ueren Erscheinung des Baumes gewonnen. Durch die leiseste Berhrung
+wissen sie, wo sie auf einem scheinbar ungastlichen Baumstamm Fu
+fassen knnen; sie wissen, wie weit sie sich auf die Zweige wagen
+drfen, wie sie ihr Krpergewicht verteilen mssen, um den jungen sten
+nicht zu schwer zu werden. Meine Schler verstehen es, den Baum auf
+die bestmgliche Weise zu benutzen, sei es nun, da sie seine Frchte
+pflcken, auf seinen Zweigen ausruhen oder sich vor unerwnschten
+Verfolgern in ihnen verbergen. Ich selbst bin in einem gebildeten
+stdtischen Heim aufgewachsen und habe mich mein ganzes Leben lang so
+benehmen mssen, als ob ich in einer Welt lebte, in der es keine Bume
+gbe. Daher betrachte ich es als einen Teil meiner Er<span class="pagenum"><a name="Page_p0144" id="Page_p0144">[Pg 144]</a></span>ziehungsaufgabe,
+meinen Schlern in vollem Mae begreiflich zu machen, da Bume in
+diesem Weltsystem eine wirkliche Tatsache sind, da sie nicht nur dazu
+da sind, um Chlorophyll zu erzeugen und die Kohlensure aus der Luft zu
+nehmen, sondern da sie lebendige Wesen sind.</p>
+
+<p>Von Natur sind unsre Fusohlen so gemacht, da sie die besten Werkzeuge
+zum Stehen und Gehen auf der Erde sind. Von dem Tage an, wo wir
+anfingen, Schuhe zu tragen, setzten wir die Bedeutung unsrer Fe
+herab. Dadurch, da wir ihre Verantwortlichkeit verminderten, nahmen
+wir ihnen ihre Wrde, und jetzt lassen sie sich Socken und Pantoffeln
+von allen Preisen und Formen oder Unformen gefallen. Es ist, als ob wir
+Gott Vorwrfe machten, da er uns nicht Hufe gegeben hat, statt der mit
+schner Empfindungsfhigkeit ausgestatteten Sohlen.</p>
+
+<p>Ich will gar nicht die Fubekleidung vllig aus dem Gebrauch der
+Menschen verbannen. Aber ich mchte doch dafr eintreten, da man den
+Fusohlen der Kinder die Erziehung, die ihnen die Natur kostenlos gibt,
+nicht vor<span class="pagenum"><a name="Page_p0145" id="Page_p0145">[Pg 145]</a></span>enthalten soll. Von allen unsern Gliedern sind die Fe am
+geeignetsten, mit der Erde durch Berhrung vertraut zu werden. Denn die
+Erde hat ihre fein geschwungenen Konturen, die sich nur ihren echten
+Liebhabern, den Fen, zum Kusse darbieten.</p>
+
+<p>Ich mu wiederum gestehen, da ich in einem respektablen Hause aufwuchs,
+wo meine Fe von klein auf sorgfltig vor der nackten Berhrung mit
+dem Staube gehtet wurden. Wenn ich versuche, es meinen Schlern im
+Barfugehen gleichzutun, dann wird es mir schmerzhaft klar, welch dicke
+Schicht von Unwissenheit in bezug auf die Erde ich unter meinen Fen
+trage. Ich suche mit unfehlbarer Sicherheit die Dornen aus, um darauf
+zu treten, in einer Weise, da es eine wahre Lust fr die Dornen ist.
+Meinen Fen fehlt der Instinkt, den Linien zu folgen, die am wenigsten
+Widerstand bieten. Denn selbst die ebenste Erdflche hat ihre winzigen
+Hgel und Tler, die nur fein gebildete Fe spren. Ich habe mich oft
+gewundert ber das scheinbar zwecklose Zickzack von Wegen, die ber
+vollkommen ebene Felder fhrten. Und es ist noch<span class="pagenum"><a name="Page_p0146" id="Page_p0146">[Pg 146]</a></span> unbegreiflicher, wenn
+man bedenkt, da ein Fupfad nicht durch die Laune eines Einzelnen
+entsteht. Wenn nicht die meisten Fugnger genau dieselbe Laune htten,
+so knnten solche augenscheinlich unzweckmigen Steige nicht entstehen.
+Aber die wahre Ursache liegt in den feinen Eingebungen von seiten der
+Erde, denen unsre Fe unbewut folgen. Die, denen solche natrlichen
+Beziehungen nicht abgeschnitten sind, knnen die Muskeln ihrer Fe
+mit groer Schnelligkeit dem geringsten Winke anpassen. So knnen sie
+sich gegen das Eindringen von Dornen schtzen, selbst wenn sie auf sie
+treten, und sie knnen ohne das geringste Unbehagen barfu ber einen
+Kiesweg gehen. Ich wei, da es in der Praxis heutzutage ohne Schuhe,
+ohne gepflasterte Straen und ohne Wagen nicht geht. Aber sollte man
+die Kinder nicht in ihrer Erziehungszeit die Wahrheit erfahren lassen,
+da die Welt nicht berall Gesellschaftszimmer ist, da es so etwas
+wie Natur gibt, und da ihre Glieder fr den Verkehr mit ihr wunderbar
+geschaffen sind?</p>
+
+<p>Es gibt Leute, welche glauben, da ich<span class="pagenum"><a name="Page_p0147" id="Page_p0147">[Pg 147]</a></span> durch die Einfachheit der
+Lebensweise, die ich in meiner Schule eingefhrt habe, das Ideal der
+Armut, das das Mittelalter beherrschte, predigen will. Ich kann diesen
+Gegenstand an dieser Stelle nicht nach allen Seiten errtern; aber wenn
+wir ihn vom Standpunkt der Erziehung aus betrachten, mssen wir da nicht
+zugeben, da die Armut die Schule ist, in der der Mensch seinen ersten
+Unterricht und seine beste Erziehung empfngt? Selbst der Sohn eines
+Millionrs wird in hilfloser Armut geboren und mu die Aufgabe seines
+Lebens von Anfang an lernen. Er mu gehen lernen wie das rmste Kind,
+wenn er auch die Mittel hat, ohne Beine durch die Welt zu kommen. Die
+Armut bringt uns in die engste Berhrung mit dem Leben und der Welt,
+denn als Reicher leben, heit meistens durch Stellvertreter leben und
+infolgedessen in einer Welt von geringerer Wirklichkeit. Dies mag
+gut sein fr unser Vergngen oder unsren Stolz, aber nicht fr unsre
+Erziehung. Der Reichtum ist ein goldener Kfig, in dem den Kindern
+der Reichen ihre natrlichen Gaben knstlich erttet werden. Daher
+mute<span class="pagenum"><a name="Page_p0148" id="Page_p0148">[Pg 148]</a></span> ich in meiner Schule, zum Entsetzen der Leute mit kostspieligen
+Gewohnheiten, fr diese groe Lehrmeisterin &mdash; diese Drftigkeit der
+Ausstattung &mdash; sorgen, nicht um der Armut selbst willen, sondern weil
+sie zu persnlicher Welterfahrung fhrt.</p>
+
+<p>Mein Vorschlag ist, da jedem Menschen in seinem Leben ein begrenzter
+Zeitraum vorbehalten sein mte, wo er in ursprnglicher Einfachheit das
+Leben des Naturmenschen lebt. Die geschftigen Kulturmenschen mssen
+das ungeborene Kind noch in Frieden lassen. Im Leib der Mutter hat es
+Mue, die erste Entwicklungsstufe vegetativen Lebens durchzumachen. Aber
+sobald es geboren ist, ausgerstet mit allen Instinkten fr die nchste
+Stufe, nmlich fr das natrliche Leben, da strzt sich sofort die
+Gesellschaft mit ihren kultivierten Gewohnheiten darauf und reit es aus
+den offenen Armen von Erde, Wasser und Himmel, von Luft und Sonnenlicht.
+Zuerst strubt es sich und weint bitterlich, und dann vergit es
+allmhlich, da Gottes ganze Schpfung sein Erbe ist; dann schliet es
+seine Fenster, zieht die Vorhnge herab und ist stolz<span class="pagenum"><a name="Page_p0149" id="Page_p0149">[Pg 149]</a></span> auf das, was es
+auf Kosten seiner Welt und vielleicht gar seiner Seele angehuft hat.</p>
+
+<p>Die Welt der Zivilisation mit ihren Konventionen und toten Dingen
+beherrscht die Mitte des tglichen Lebenslaufs. Anfang und Ende
+desselben sind nicht ihr Reich. Ihre ungeheure Kompliziertheit und ihre
+Anstandsregeln haben ihren Nutzen. Aber wenn sie sie als Selbstzweck
+ansieht und es zur Regel macht, da dem Menschen kein grnes Fleckchen
+bleibt, wohin er aus ihrem Gebiet von Rauch und Lrm, von drapierter und
+dekorierter Korrektheit, fliehen kann, dann leiden die Kinder, und bei
+der Jugend entsteht Weltmdigkeit, whrend das Alter es verlernt, in
+Frieden und Schnheit alt zu werden, und nichts weiter als verfallene
+Jugend ist, die sich ihrer Lcher und Flicken schmt.</p>
+
+<p>Es ist jedoch gewi, da die Kinder, als sie bereit waren, auf dieser
+Erde geboren zu werden, kein Verlangen hatten nach einer so eingeengten
+und verhangenen Welt ueren Anstands. Wenn sie geahnt htten, da
+sie ihre Augen dem Licht nur ffneten, um sich in der Gewalt des
+Schulbetriebes zu finden, bis<span class="pagenum"><a name="Page_p0150" id="Page_p0150">[Pg 150]</a></span> sie die Frische ihres Geistes und die
+Schrfe ihrer Sinne verloren haben, so wrden sie es sich noch einmal
+berlegt haben, bevor sie sich auf die menschliche Lebensbahn wagten.
+Gottes Einrichtungen haben nicht die Anmaung spezieller Einrichtungen.
+Sie haben immer die Harmonie der Ganzheit und des ununterbrochenen
+Zusammenhanges mit allen Dingen. Was mich daher in meiner Schulzeit
+qulte, war die Tatsache, da die Schule nicht die Vollstndigkeit der
+Welt hatte. Sie war eine besondere Einrichtung fr den Unterricht. Sie
+konnte nur fr Erwachsene passen, die sich der besonderen Notwendigkeit
+solcher Orte bewut und bereit waren, mit dem Unterricht die Trennung
+vom Leben in den Kauf zu nehmen. Aber Kinder lieben das Leben, und es
+ist ihre erste Liebe. Es lockt sie mit all seinen Farben und seiner
+Bewegung. Und sind wir unsrer Weisheit so sicher, wenn wir diese Liebe
+ersticken? Kinder werden nicht als Asketen geboren, da sie geeignet
+wren, sich sogleich der Mnchszucht zu unterwerfen, indem sie ihr
+Streben ganz auf den Erwerb von Kenntnissen richten. Ihr erstes Wissen<span class="pagenum"><a name="Page_p0151" id="Page_p0151">[Pg 151]</a></span>
+sammeln sie durch ihre Liebe zum Leben, dann entsagen sie dem Leben,
+um Wissen zu erwerben, und endlich kehren sie mit reicher Weisheit zum
+volleren Leben zurck.</p>
+
+<p>Aber die Gesellschaft hat ihre eigenen Einrichtungen getroffen, um den
+Geist der Menschen nach ihrem besonderen Muster zuzustutzen. Diese
+Einrichtungen sind so dicht gefgt, da es schwer ist, eine Lcke zu
+finden, wo die Natur hineinkommen kann. Eine ganze Reihenfolge von
+Strafen droht dem, der es wagt, gegen irgendeine dieser Einrichtungen
+zu verstoen, und gelte es auch sein Seelenheil. Daher heit, die
+Wahrheit erkennen, noch nicht, sie praktisch anwenden, da der ganze
+Strom des herrschenden Systems ihr entgegenluft. So kam es, da ich
+bei der Frage, welche Erziehung ich meinem Sohn geben sollte, in
+Verlegenheit war, wie ich sie praktisch lsen knnte. Das erste, was
+ich tat, war, da ich ihn aus der stdtischen Umgebung fortnahm und
+in ein Dorf brachte, wo er, soweit es heutzutage mglich ist, ein
+Leben in natrlicher Freiheit leben konnte. Da war ein Flu, der als
+gefhrlich be<span class="pagenum"><a name="Page_p0152" id="Page_p0152">[Pg 152]</a></span>kannt war; hier konnte er nach Herzenslust schwimmen
+und rudern, ohne durch die ngstlichkeit der Erwachsenen gehindert
+zu werden. Er verbrachte seine Zeit drauen im Feld und auf den
+unbetretenen Sandbnken, und niemand stellte ihn zur Rede, wenn er zu
+spt zum Essen kam. Er besa keinen von jenen Luxusgegenstnden, die
+Knaben seines Standes sonst haben und von denen man meint, da sie sie
+anstndigerweise haben mssen. Ich bin sicher, da die Leute, denen
+die Gesellschaft die Welt bedeutet, ihn wegen dieser Entbehrungen
+bemitleideten und seine Eltern tadelten. Aber ich wute, da
+Luxusgegenstnde fr Knaben eine Last sind, die Last der Gewohnheiten
+anderer, die Last, die sie um des Stolzes und Vergngens ihrer Eltern
+willen tragen mssen.</p>
+
+<p>Doch als Einzelner, mit beschrnkten Mitteln, konnte ich meinen
+Erziehungsplan nur zum Teil ausfhren. Immerhin hatte mein Sohn
+Bewegungsfreiheit; es waren nur sehr wenige von den Schranken geblieben,
+die der Reichtum und die Gesetze ueren Anstandes zwischen den Menschen
+und der Natur auf<span class="pagenum"><a name="Page_p0153" id="Page_p0153">[Pg 153]</a></span>richten. So hatte er eine bessere Gelegenheit, diese
+Welt wirklich kennen zu lernen, als ich sie je gehabt habe. Aber eine
+Frage beschftigte mich, die mir wichtiger schien als alles andere.
+Das Ziel der Erziehung ist nicht, dem Menschen einzelne Kenntnisse
+zu vermitteln, sondern ihn zur Erkenntnis der Wahrheit als Ganzes
+zu fhren. Frher, als das Leben noch einfach war, da waren all die
+verschiedenen Elemente des Menschen in vollstndiger Harmonie. Aber als
+das Intellektuelle sich vom Seelischen und Physischen trennte, legte
+die Schulerziehung den ganzen Nachdruck auf die intellektuelle und
+physische Seite des Menschen. Wir widmen unsre ganze Aufmerksamkeit der
+Vermittlung von Kenntnissen und bedenken nicht, da wir durch diese
+einseitige Ausbildung des Intellekts einen Bruch herbeifhren zwischen
+dem intellektuellen, physischen und seelischen Leben des Kindes.</p>
+
+<p>Ich glaube an eine geistige Welt, nicht als etwas, was auerhalb dieser
+Welt ist, sondern als ihre innerste Wahrheit. Mit jedem Atemzuge mssen
+wir diese Wahrheit fhlen: da wir in Gott leben. Als Kinder dieser
+groen<span class="pagenum"><a name="Page_p0154" id="Page_p0154">[Pg 154]</a></span> Welt, die erfllt ist von dem Geheimnis des Unendlichen, knnen
+wir unser Dasein nicht als eine flchtige Laune des Zufalls ansehen,
+das auf dem Strom der Materie einem ewigen Nichts zutreibt. Wir knnen
+unser Leben nicht ansehen als Traumgebilde eines Trumers, fr den
+es nie ein Erwachen gibt. Wir sind als Persnlichkeiten geschaffen,
+fr die Stoff und Kraft nichts bedeuten, wenn sie nicht auf eine
+unendliche Persnlichkeit bezogen werden, deren Natur wir in gewissem
+Mae wiederfinden in der menschlichen Liebe, in der Gre des Guten,
+im Martyrium der Heldenseelen, in der unaussprechlichen Schnheit der
+Natur, die nicht eine rein physische Tatsache, sondern nur der Ausdruck
+einer Persnlichkeit sein kann.</p>
+
+<p>Die Erfahrung dieser geistigen Welt, die uns nicht zuteil wird, weil
+wir von klein auf gewhnt werden, sie zu bersehen, mssen die Kinder
+dadurch gewinnen, da sie ganz darin leben; sie kann ihnen nicht
+durch theologische Belehrung zugnglich gemacht werden. Aber wie dies
+geschehen soll, ist heutzutage ein schwieriges Problem. Denn die
+Menschen<span class="pagenum"><a name="Page_p0155" id="Page_p0155">[Pg 155]</a></span> haben es fertig gebracht, ihre Zeit so zu besetzen, da sie
+gar nicht Mue haben, darber nachzudenken, wie ihre ganze Ttigkeit nur
+Bewegung ist, ohne wahren Sinn, und wie heimatlos ihre Seele ist.</p>
+
+<p>In Indien halten wir noch die berlieferung von den Waldkolonien groer
+Lehrer in hohen Ehren. Diese Orte waren weder Schulen noch Klster im
+heutigen Sinn des Wortes. Sie bestanden aus Heimsttten, wo Mnner
+mit ihrer Familie lebten, deren Ziel war, die Welt in Gott zu sehen
+und ihr eigenes Leben in ihm zu begreifen. Obgleich sie auerhalb der
+menschlichen Gesellschaft lebten, so waren sie ihr doch, was die Sonne
+den Planeten ist, der Mittelpunkt, von dem sie Leben und Licht empfing.
+Und hier wuchsen die Knaben auf im nahen Anschauen des Ewigen, bevor man
+sie fr geeignet hielt, Haupt einer Familie zu werden.</p>
+
+<p>So war im alten Indien Schule und Leben vereinigt. Da wurden die Schler
+nicht in der akademischen Atmosphre von Gelehrsamkeit und Wissenschaft
+oder in dem verstmmelten Leben mnchischer Abgeschlossenheit er<span class="pagenum"><a name="Page_p0156" id="Page_p0156">[Pg 156]</a></span>zogen,
+sondern in der Atmosphre lebendigen Wirkens und Strebens. Sie brachten
+das Vieh auf die Weide, sammelten Brennholz, pflckten Obst, waren gtig
+zu allen Geschpfen und nahmen zu an Geist zugleich mit ihren Lehrern.
+Dies war mglich, weil der Hauptzweck dieser Orte nicht der Unterricht
+war, sondern denen Zuflucht und Schutz zu bieten, die ein Leben in Gott
+leben wollten.</p>
+
+<p>Da diese berlieferung von dem familienhaften Zusammenleben von Lehrern
+und Schlern nicht eine bloe romantische Erdichtung ist, sehen wir
+noch an vereinzelten Schulen, die ein berbleibsel dieses einheimischen
+Erziehungssystems sind. Dies System ist, nachdem es Jahrhunderte
+hindurch seine Unabhngigkeit bewahrt hat, jetzt im Begriff, der
+bureaukratischen Kontrolle der Fremdherrschaft zu erliegen. Diese
+<i>catusp&#257;&#7789;h&#299;</i>, wie man auf Sanskrit die Universitten nennt,
+haben nicht den Charakter einer Schule. Die Schler leben im Hause ihres
+Lehrers wie die Kinder des Hauses, ohne fr Wohnung, Kost und Erziehung
+zu bezahlen. Der Lehrer geht seinen eigenen Studien nach, indem er ein
+Leben der<span class="pagenum"><a name="Page_p0157" id="Page_p0157">[Pg 157]</a></span> Einfachheit lebt und seinen Schlern bei ihrem Studium hilft,
+was er nicht als sein Geschft betrachtet, sondern als einen Teil seines
+Lebens.</p>
+
+<p>Dies Ideal einer Erziehung, die darin besteht, da der Schler an dem
+Leben und hohen Streben seines Lehrers teilnimmt, lie mich nicht los.
+Die kerkerhafte Enge unsrer Zukunft und die Trostlosigkeit unsrer
+beschnittenen Mglichkeiten drngten mich nur noch mehr zu seiner
+Verwirklichung. Die in anderen Lndern mit unbegrenzten Aussichten auf
+weltlichen Gewinn begnstigt sind, knnen sich solche Dinge zum Ziel
+der Erziehung setzen. Der Spielraum ihres Lebens ist mannigfach und
+weit genug, um ihnen die Freiheit zu gewhren, die sie zur Entfaltung
+ihrer Krfte brauchen. Aber wenn wir die Selbstachtung bewahren sollen,
+die wir uns und unserm Schpfer schulden, so darf unser Erziehungsziel
+nicht hinter dem hchsten Ziel des Menschen berhaupt, der grten
+Vollkommenheit und Freiheit der Seele zurckbleiben. Es ist klglich,
+wenn man nach kleinen Gaben irdischen Besitzes haschen mu. Lat uns nur
+trachten nach dem Zugang zum Leben, das<span class="pagenum"><a name="Page_p0158" id="Page_p0158">[Pg 158]</a></span> ber alle ueren Lebenslagen
+erhaben ist und ber den Tod hinausgeht, lat uns Gott suchen, lat
+uns leben fr jene endgltige Wahrheit, die uns frei macht von der
+Knechtschaft des Staubes und uns den wahren Reichtum gibt: nicht
+Reichtum an toten Dingen, sondern an innerem Licht, nicht an Macht,
+sondern an Liebe. Solche Befreiung der Seele haben wir in unserm Lande
+gefunden bei Menschen, denen jede Bcherweisheit fehlte und die in
+vollstndiger Armut lebten. Wir haben in Indien das Erbe dieses Schatzes
+geistiger Weisheit. Lat das Ziel unsrer Erziehung sein, es vor uns
+auszubreiten und die Kraft zu gewinnen, im Leben den rechten Gebrauch
+davon zu machen, auf da wir es einst, wenn die Zeit kommt, der brigen
+Welt darbieten als unsern Beitrag zu ihrem ewigen Heil.</p>
+
+<p>Ich war ganz in meine literarische Ttigkeit vertieft, als dieser
+Gedanke mich mit schmerzhafter Heftigkeit packte. Ich hatte pltzlich
+ein Gefhl wie jemand, der unter einem Alpdruck sthnt. Nicht nur meine
+eigene Seele, sondern die Seele meines Landes schien in mir nach Atem zu
+ringen. Ich fhlte klar,<span class="pagenum"><a name="Page_p0159" id="Page_p0159">[Pg 159]</a></span> da das, was uns not tut, nicht materieller
+Art ist, nicht Reichtum, Behagen oder Macht, sondern ein Erwachen zum
+vollen Bewutsein unsrer seelischen Freiheit, der Freiheit, ein Leben in
+Gott zu fhren, wo wir nicht in Feindschaft leben mit denen, die nicht
+anders knnen als kmpfen, und nicht im Wettbewerb mit denen, deren
+einziges Ziel Geldgewinn ist, wo wir vor allen Angriffen und Schmhungen
+sicher sind.</p>
+
+<p>Zum Glck hatte ich schon einen Platz bereit, wo ich meine Arbeit
+beginnen konnte. Mein Vater hatte auf einer seiner zahlreichen Reisen
+sich diesen einsamen Ort erwhlt, der ihm geeignet schien zu einem
+Leben stiller Gemeinschaft mit Gott. Diesen Ort hatte er mit allem,
+was zum Lebensunterhalt ntig war, denen gestiftet, die Ruhe und
+Abgeschlossenheit fr religise bungen und Betrachtungen suchten. Ich
+hatte etwa zehn Knaben bei mir, als ich dorthin ging, und begann mein
+neues Leben ohne irgendwelche frhere Erfahrung.</p>
+
+<p>Die Gegend, die unsre Einsiedelei umgibt, ist weites offenes Land, ganz
+kahl bis an den Horizont hin, nur da hier und da ein paar<span class="pagenum"><a name="Page_p0160" id="Page_p0160">[Pg 160]</a></span> verkmmerte
+Dattelpalmen oder Dornstrucher die Ameisenhgel zu berragen suchen.
+Jenseits der Felder und tiefer als diese erstreckt sich eine Flche mit
+zahllosen Erdhgeln und kleinen Hgelchen von rotem Kies und Kieseln von
+allen Formen und Farben, die von schmalen Regenrinnen durchschnitten
+wird. In geringer Entfernung nach Sden zu, nahe beim Dorfe, sieht man
+durch eine Reihe von Palmen hindurch die stahlblaue Flche des Wassers
+glitzern, das sich in einer Vertiefung des Bodens angesammelt hat. Ein
+Pfad, den die Dorfleute bentzen, wenn sie ihre Einkufe in der Stadt
+machen, schlngelt sich durch die einsamen Felder und schimmert rtlich
+in der Sonne. Die Reisenden, die diesen Pfad hinaufkommen, knnen
+schon in der Ferne auf dem hchsten Punkt des welligen Hgellandes die
+Spitze eines Tempels und das Dach eines Gebudes sehen. Denn hier liegt
+inmitten von Myrobalanenhainen die Einsiedelei Santi-Niketan, zu der
+eine Allee von stattlichen Salbumen hinanfhrt.</p>
+
+<p>Und hier hat sich nun seit mehr als fnfzehn Jahren die Schule
+entwickelt. Manchen<span class="pagenum"><a name="Page_p0161" id="Page_p0161">[Pg 161]</a></span> Wechsel und manche ernste Krisis hat sie erlebt.
+Da ich den blen Ruf hatte, ein Dichter zu sein, wurde es mir sehr
+schwer, das Vertrauen meiner Landsleute zu gewinnen und dem Verdacht der
+Bureaukratie zu entgehen. Wenn ich am Ende einen gewissen Erfolg hatte,
+so liegt es daran, da ich ihn nie erwartete, sondern meinen eigenen Weg
+ging, ohne auf Beifall, Rat oder Hilfe von auen zu warten. Meine Mittel
+waren auerordentlich gering, da das Unternehmen mich tief in Schulden
+gestrzt hatte. Aber diese Armut selbst gab mir Kraft und lehrte mich,
+mein Vertrauen auf die Macht der Idee zu setzen, statt auf uere
+Hilfsmittel.</p>
+
+<p>Da die Entwicklung der Schule meine eigene Entwicklung bedeutete und
+nicht die bloe Verwirklichung meiner Theorien, so wandelten sich ihre
+Ideale auch whrend ihres Reifens, wie eine reifende Frucht nicht nur
+grer wird und sich tiefer frbt, sondern auch in der Beschaffenheit
+ihres Fleisches Vernderungen erfhrt. Als ich anfing, hatte ich
+die Idee, da ich einen wohlttigen Zweck verfolgte. Ich arbeitete
+angestrengt; doch die einzige Befriedi<span class="pagenum"><a name="Page_p0162" id="Page_p0162">[Pg 162]</a></span>gung, die ich hatte, war, da ich
+mir ausrechnete, welche Opfer an Geld und Kraft und Zeit ich brachte,
+und dabei meine unermdliche Gte bewunderte. Aber was dabei herauskam,
+hatte wenig Wert. Ich baute nur immer ein System auf das andere auf, um
+nachher alles wieder umzureien. So tat ich im Grunde nichts anderes,
+als meine Zeit ausfllen; was ich schuf, war innerlich leer. Ich wei
+noch, wie ein alter Schler meines Vaters kam und zu mir sagte: &bdquo;Was
+ich hier sehe, ist wie ein Hochzeitssaal, wo alles bereit ist, nur
+der Brutigam fehlt.&ldquo; Der Fehler, den ich gemacht hatte, war, da ich
+meinte, mein eigener Zweck sei dieser Brutigam. Aber allmhlich fand
+mein Herz diesen Mittelpunkt. Er war nicht in der Arbeit, nicht in
+meinen Wnschen, sondern in der Wahrheit. Ich sa allein auf der oberen
+Terrasse des Hauses Santi-Niketan und schaute auf die Baumwipfel der
+Salallee vor mir. Ich lste mein Herz los von meinen eigenen Plnen und
+Berechnungen, von den Kmpfen des Tages, und hob es schweigend hinauf
+zu dem, dessen Gegenwart und Frieden den Himmel durchflutete, und
+allmhlich<span class="pagenum"><a name="Page_p0163" id="Page_p0163">[Pg 163]</a></span> wurde mein Herz von ihm erfllt. Ich begann, die Welt rings
+um mich her mit den Augen meiner Seele zu sehen. Die Bume erschienen
+mir wie stille Lobgesnge, die aus dem stummen Herzen der Erde
+aufstiegen, und das Rufen und Lachen der Knaben, das durch die Abendluft
+zu mir herauftnte, erklang mir wie ein Quell von lebendigen Tnen, der
+aus der Tiefe des Menschenlebens aufstieg. Ich vernahm die Botschaft in
+dem Sonnenlicht, das meine Seele in ihrer Tiefe berhrte, und ich fhlte
+ein ses Gestilltsein in den Lften, die das Wort des alten Meisters
+zu mir sprachen: &bdquo;<i>Ko hy ev&#257;ny&#257;t ka&#7717; pr&#257;ny&#257;t yady e&#7779;a
+&#257;k&#257;&#347;a &#257;nando na sy&#257;t.</i>&ldquo;
+
+<a name="FNanchor_15" id="FNanchor_15"></a>
+<a href="#Footnote_15" class="fnanchor"><sup>[15]</sup></a>
+
+ &bdquo;Wer knnte je in dieser Welt
+leben und hoffen und streben, wenn der Raum nicht mit Liebe gefllt
+wre.&ldquo; Und als ich dann den Kampf um Erfolg und meinen Ehrgeiz, andern
+wohlzutun, aufgab und das eine, was not tut, begriff; als ich fhlte,
+da der, der sein eigenes Leben in Wahrheit lebt, das Leben der ganzen
+Welt lebt, da klrte sich die trbe Atmosphre ueren Kampfes, und<span class="pagenum"><a name="Page_p0164" id="Page_p0164">[Pg 164]</a></span>
+die natrliche Schpferkraft brach sich Bahn zum Kern aller Dinge. Und
+wenn es jetzt noch mancherlei Oberflchliches und Wertloses im Betrieb
+unsrer Anstalt gibt, so hat es seine Ursache in dem Mitrauen gegen den
+Geist, das uns noch immer anhaftet, in der unausrottbaren berzeugung
+von unsrer eigenen Wichtigkeit, in der Gewohnheit, die Ursache unserer
+Fehlschlge anderswo als bei uns zu suchen, und in dem Bestreben, alle
+Lockerheit und Schlaffheit in unsrer Arbeit dadurch wieder gutzumachen,
+da wir die Schrauben der Organisation fester anziehen. Aus eigener
+Erfahrung wei ich, da da, wo der Eifer, andere zu belehren, allzu gro
+ist, besonders wenn es sich um geistige Dinge handelt, das Ergebnis
+drftig und nicht ganz wahr ist. Alle Heuchelei und Selbsttuschung
+bei unsern religisen berzeugungen und bungen sind die Folge von
+dem bereifer geistlicher Mentoren. Auf geistigem Gebiet ist Erwerben
+und Spenden eins; wie die Lampe andern Licht gibt, sobald sie selbst
+leuchtet. Wenn ein Mensch es zu seinem Beruf macht, seinen Mitmenschen
+Gott zu predigen, so wird er viel mehr Staub<span class="pagenum"><a name="Page_p0165" id="Page_p0165">[Pg 165]</a></span> aufwirbeln, als zur
+Wahrheit fhren. Religion lt sich nicht in der Form von Unterricht
+mitteilen, sondern nur durch religises Leben selbst. So bewhrt sich
+das Ideal der Waldkolonie jener Gottsucher auch heute noch als die
+wahre Schule religisen Lebens. Religion ist nicht etwas, was man in
+Stcke zerlegen und in bestimmten Wochen- oder Tagesrationen austeilen
+kann als eins der verschiedenen Fcher des Schulprogramms. Sie ist
+die Wahrheit unsres ganzen Seins, das Bewutsein unsrer persnlichen
+Beziehung zum Unendlichen; sie ist der wahre Schwerpunkt unsres Lebens.
+Sie kann uns in unsrer Kindheit zuteil werden, wenn wir ganz an einem
+Orte leben, wo die Wahrheit der geistigen Welt nicht durch eine Menge
+von Notwendigkeiten verdunkelt wird, die sich Bedeutung anmaen; wo das
+Leben einfach ist und reich an Mue, an Raum und reiner Luft und an dem
+tiefen Frieden der Natur, und wo die Menschen in festem Glauben den
+Blick auf das Ewige gerichtet haben.</p>
+
+<p>Nun wird man mich fragen, ob ich in meiner Schule das Ideal erreicht
+habe. Ich mu dar<span class="pagenum"><a name="Page_p0166" id="Page_p0166">[Pg 166]</a></span>auf antworten, da die Erreichung unsrer hchsten
+Ideale sich schwer nach uern Mastben messen lt. Ihre Wirkung
+lt sich nicht gleich an Resultaten nachweisen. Wir tragen in unsrer
+Einsiedelei den Ungleichheiten und Mannigfaltigkeiten des menschlichen
+Lebens in vollem Mae Rechnung. Wir versuchen nie, eine Art uere
+Gleichfrmigkeit zu erzielen, indem wir die Verschiedenheiten der Anlage
+und Erziehung unsrer Schler auszurotten suchen. Einige von uns gehren
+zur Sekte des Br&#257;hma Sam&#257;dsch, einige zu andern Hindu-Sekten,
+und einige von uns sind Christen. Da wir uns nicht mit Bekenntnissen
+und Dogmen beschftigen, entstehen aus der Verschiedenheit unsres
+religisen Glaubens durchaus keine Schwierigkeiten. Auch wei ich,
+da das Gefhl von Ehrfurcht fr das Ideal dieser Schule und fr das
+Leben, das wir hier fhren, unter denen, die sich in dieser Einsiedelei
+versammelt haben, an Ernst und Tiefe sehr verschieden ist. Ich wei,
+da unsre Begeisterung fr ein hheres Leben doch noch immer nicht weit
+hinausgekommen ist ber unser Trachten nach weltlichen Gtern und<span class="pagenum"><a name="Page_p0167" id="Page_p0167">[Pg 167]</a></span>
+weltlichem Ruhm. Und doch bin ich vollkommen gewi und habe zahlreiche
+Beweise dafr, da das Ideal unsrer Einsiedelei von Tag zu Tag immer
+mehr in unsrer Natur Wurzel fat. Ohne da wir es merken, werden die
+Saiten unsres Lebens zu immer reinerem, seelenvollerem Klang gestimmt.
+Was es auch war, das uns zuerst hierher fhrte, durch alle Disharmonie
+tnt doch unaufhrlich der Ruf: <i>&#347;&#257;ntam, &#347;ivam, advaitam</i> &mdash;
+du Gott des Friedens, Allgtiger, Einziger! Die Luft scheint hier von
+der Stimme des Unendlichen erfllt, die dem Frieden des frhen Morgens
+und der Stille der Nacht tiefen Sinn gibt und durch die weien Scharen
+von <i>shiuli</i>-Blumen im Herbst und <i>m&#257;lat&#299;</i>-Blumen im Sommer das
+Evangelium von der Schnheit predigt, die anbetend sich selbst als Opfer
+darbringt.</p>
+
+<p>Es ist schwer fr die, die nicht Inder sind, sich klar zu machen, welche
+Vorstellungen sich alle mit dem Wort <i>&#257;&#347;rama</i>, Waldheiligtum,
+verbinden. Denn es blhte wie die Lotusblume in Indien unter einem
+Himmel, der freigebig ist mit Sonnenlicht und Sternenglanz. Indiens
+Klima ruft uns ins Freie; die Stimme seiner<span class="pagenum"><a name="Page_p0168" id="Page_p0168">[Pg 168]</a></span> mchtigen Strme ertnt
+in feierlichem Gesang; die endlose Weite seiner Ebenen umgibt unsre
+Heimsttten mit dem Schweigen einer andern Welt; die Sonne steigt am
+Rand der grnen Erde auf wie eine Opferflamme, die das Unsichtbare auf
+dem Altar des Unbekannten entzndet, und sie steigt am Abend im Westen
+herab wie ein prchtiges Freudenfeuer, mit dem die Natur das Ewige
+begrt. In Indien ist der Schatten der Bume gastlich, der Staub der
+Erde streckt seine braunen Arme nach uns aus, die Luft schlgt liebend
+ihren warmen Mantel um uns. Das sind die unwandelbaren Tatsachen, die
+immer wieder zu unsrer Seele sprechen, und daher empfinden wir es als
+Indiens Aufgabe, durch diese Verbundenheit mit der Seele der Welt die
+menschliche Seele als eins mit der gttlichen Seele zu erkennen. Diese
+Aufgabe hat in den Waldschulen der alten Zeit ihre natrliche Form
+gefunden. Und sie treibt uns an, das Unendliche in allen Gestalten
+der Schpfung, in den Beziehungen menschlicher Liebe zu suchen; es zu
+fhlen in der Luft, die wir atmen, in dem Licht, dem wir unsre Augen
+ffnen, im<span class="pagenum"><a name="Page_p0169" id="Page_p0169">[Pg 169]</a></span> Wasser, in dem wir baden, in der Erde, auf der wir leben und
+sterben. Daher wei ich &mdash; und wei es aus eigener Erfahrung &mdash;, da
+die Schler und Lehrer, die sich in dieser Einsiedelei zusammengefunden
+haben, an Freiheit des Geistes tglich wachsen und immer mehr eins
+werden mit dem Unendlichen, nicht durch irgendwelchen Unterricht oder
+uere bungen, sondern kraft der unsichtbaren geistigen Atmosphre, die
+diesen Ort umgibt, und des Andenkens an einen frommen Mann, der hier in
+inniger Gemeinschaft mit Gott lebte.</p>
+
+<p>Ich hoffe, es ist mir gelungen, darzulegen, wie das bewute Streben,
+das mich leitete, als ich meine Schule in der Einsiedelei grndete,
+allmhlich seine Selbstndigkeit verlor und eins wurde mit dem Streben,
+das die Seele dieses Ortes ist. Mit einem Wort: mein Werk erhielt seine
+Seele durch den Geist der Einsiedelei. Aber diese Seele hat ohne Zweifel
+ihre uere Gestalt in der Einrichtung der Schule. Und ich habe alle
+diese Jahre hindurch versucht, in dem Lehrsystem dieser Schule meine
+Erziehungstheorie zu verwirklichen, die sich<span class="pagenum"><a name="Page_p0170" id="Page_p0170">[Pg 170]</a></span> auf meine Erfahrung von
+der Kindesseele grndet.</p>
+
+<p>Ich glaube, wie ich schon vorher andeutete, da das unbewute Empfinden
+bei den Kindern viel ttiger ist als das bewute Denken. Eine groe
+Menge der wichtigsten Lehren ist uns durch jenes vermittelt. Die
+Erfahrungen zahlloser Generationen sind uns durch seine Wirksamkeit
+in Fleisch und Blut bergegangen, nicht nur ohne uns zu ermden,
+sondern so, da sie uns froh machten. Diese unterbewute Fhigkeit des
+Gewahrwerdens ist ganz eins mit unserm Leben. Sie ist nicht wie eine
+Laterne, die man von auen anzndet und putzt, sondern wie das Licht,
+das der Glhwurm durch die Ausbung seiner Lebensfunktionen erzeugt.</p>
+
+<p>Zu meinem Glck wuchs ich in einer Familie auf, wo der Sinn fr
+Literatur, Musik und Kunst instinktiv geworden war. Meine Brder und
+Vettern lebten im freien Reich der Gedanken, und die meisten von ihnen
+hatten natrliche knstlerische Anlagen. Durch solche Umgebung angeregt,
+begann ich frh zu denken und zu trumen und meine Gedanken zum<span class="pagenum"><a name="Page_p0171" id="Page_p0171">[Pg 171]</a></span>
+Ausdruck zu bringen. In bezug auf religise oder soziale Anschauungen
+war unsre Familie frei von aller Konvention, da sie wegen ihrer
+Abweichung von orthodoxen Glaubenslehren und Sitten von der Gesellschaft
+in den Bann getan war. Dies machte uns furchtlos in unsrer geistigen
+Freiheit, und wir wagten neue Versuche auf allen Gebieten des Lebens. So
+war die Erziehung, die ich in meiner frhesten Kindheit hatte, Freiheit
+und Freude in der bung meiner geistigen und knstlerischen Krfte.
+Und weil dies meinem Geist lebhaft zum Bewutsein brachte, wo sein
+natrlicher Nhrboden war, wurde die Schleifmhle des Schulbetriebes so
+unertrglich fr mich.</p>
+
+<p>Diese Erfahrung aus meiner frhen Kindheit war alles, was ich an
+Schulerfahrung hatte, als ich an mein Unternehmen ging. Ich fhlte, da
+das Wichtigste und Notwendigste nicht die uere Lehrmethode, sondern
+der lebendige Odem der Kultur selbst war. Zum Glck fr mich gewann
+Satish Chandra Roy, ein hochbegabter junger Student, der sich auf sein
+Staatsexamen vorbereitete, lebhaftes Interesse fr meine Schule und
+machte es sich<span class="pagenum"><a name="Page_p0172" id="Page_p0172">[Pg 172]</a></span> zur Lebensaufgabe, meine Idee auszufhren. Er war erst
+neunzehn Jahre alt, aber ein Mensch von hohem Geistesfluge, mit einer
+fr alles Groe und Schne wunderbar empfnglichen Seele. Er war ein
+Dichter, der sicher unter den Unsterblichen der Weltliteratur seinen
+Platz gefunden htte, wenn er am Leben geblieben wre; aber er starb
+schon mit zwanzig Jahren und konnte so unsrer Schule seine Kraft nur
+ein kurzes Jahr lang widmen. Bei ihm hatten die Knaben nie das Gefhl,
+auf ihr Unterrichtsfach beschrnkt zu sein, sondern es war, als ffnete
+er ihnen alle Tore der Welt. Mit ihm gingen sie in den Wald, wenn im
+Frhling die Salbume in voller Blte standen; dann deklamierte er
+ihnen, ganz berauscht von Begeisterung, seine Lieblingsgedichte. Er
+las ihnen Shakespeare und selbst Browning &mdash; denn er war ein groer
+Verehrer Brownings &mdash; und erluterte ihnen mit wunderbarer Kraft des
+Ausdrucks die Dichtungen in bengalischer Sprache. Niemals zweifelte
+er an der Verstndnisfhigkeit der Knaben, er sprach und las ihnen
+ber jeden Gegenstand, der ihn selbst interessierte. Er wute, da es<span class="pagenum"><a name="Page_p0173" id="Page_p0173">[Pg 173]</a></span>
+durchaus nicht ntig war, da die Schler alles wrtlich und genau
+verstanden, sondern da ihr Geist aufgerttelt und ihre Seelen geweckt
+wurden, und dies gelang ihm immer. Er war nicht, wie andre Lehrer, ein
+bloer Vermittler von Bcherwissen. Er gestaltete seinen Unterricht
+persnlich, er schpfte aus seiner eigenen Tiefe, und daher war das, was
+er den Schlern bot, lebendige Nahrung, die die lebendige menschliche
+Natur sich leicht aneignet. Der wahre Grund seines Erfolges war seine
+intensive Teilnahme an dem Leben, an den Ideen, an allem um ihn her, vor
+allem an den Knaben, die mit ihm in Berhrung kamen. Er schpfte seine
+Begeisterung nicht aus Bchern, sondern aus der unmittelbaren Berhrung
+seiner empfnglichen Seele mit der Welt. Der Wechsel der Jahreszeiten
+hatte auf ihn dieselbe Wirkung wie auf die Pflanzen. Er schien in seinem
+Blut die unsichtbaren Boten der Natur zu spren, die immer durch den
+Weltenraum eilen, in der Luft schweben, am Himmel schimmern und aus den
+Wurzeln der Grashalme aus der Erde herauftnen. Seine Literaturstudien
+hatten nicht den Modergeruch der Bibliothek<span class="pagenum"><a name="Page_p0174" id="Page_p0174">[Pg 174]</a></span> an sich. Er hatte die Gabe,
+die Ideen so greifbar deutlich und lebendig vor sich zu sehen, wie er
+seine Freunde sah.</p>
+
+<p>So hatten die Knaben unsrer Schule das seltene Glck, ihren Unterricht
+von einem lebendigen Lehrer und nicht aus Bchern zu erhalten. Haben
+nicht unsre Bcher, wie die meisten Dinge des tglichen Gebrauchs,
+sich zwischen uns und unsre Welt gestellt? Wir haben uns gewhnt, die
+Fenster unsres Geistes mit ihren Seiten zu verdecken und Bcherphrasen
+als Pflaster auf unsre geistige Haut zu kleben, so da sie fr jede
+direkte Berhrung der Wahrheit unempfindlich geworden ist. Wir haben uns
+aus einer ganzen Welt von Bcherweisheit eine Festung gebaut mit hohen
+Ringmauern, wohinter wir uns verschanzt haben und vor der Berhrung mit
+Gottes Schpfung sicher sind. Gewi wrde es tricht sein, den Wert von
+Bchern im allgemeinen zu bestreiten. Aber man mu auch zu gleicher Zeit
+zugeben, da Bcher ihre Grenzen und ihre Gefahren haben. Jedenfalls
+sollten den Kindern in den ersten Jahren ihrer Erziehung die Wahrheiten,
+die sie zu lernen haben, auf<span class="pagenum"><a name="Page_p0175" id="Page_p0175">[Pg 175]</a></span> natrlichem Wege, das heit durch die
+Menschen und die Dinge selbst vermittelt werden.</p>
+
+<p>Da ich hiervon berzeugt bin, habe ich alles, was ich konnte, getan, um
+in unsrer Einsiedelei eine geistige Atmosphre zu schaffen. Ich mache
+Lieder, aber ich mache sie nicht eigens fr die Jugend zurecht. Es sind
+Lieder, die ein Dichter sich zu seiner eigenen Freude singt. So sind die
+meisten meiner Gitanjali-Lieder hier entstanden. Diese Lieder singe ich,
+so wie sie mir erblhen, den Knaben vor, und sie kommen scharenweise,
+um sie zu lernen. Sie singen sie in ihren Muestunden, in Gruppen
+unter freiem Himmel sitzend, in Mondscheinnchten oder im Schatten der
+drohenden Juliwolken. Alle meine spteren Dramen sind hier entstanden
+und unter Teilnahme der Knaben aufgefhrt. Ich habe ihnen lyrische
+Dramen fr ihre Jahresfeste geschrieben. Sie drfen immer dabei sein,
+wenn ich den Lehrern irgend etwas von meinen neuen Sachen in Prosa oder
+Versen vorlese, welchen Inhalts es auch sei. Und von dieser Erlaubnis
+machen sie Gebrauch, ohne da der geringste Druck auf sie ausgebt
+wird, ja, sie sind sehr traurig,<span class="pagenum"><a name="Page_p0176" id="Page_p0176">[Pg 176]</a></span> wenn sie nicht aufgefordert werden.
+Einige Wochen vor meiner Abreise von Indien las ich ihnen Brownings
+Drama &bdquo;Luria&ldquo; und bertrug es, whrend ich las, ins Bengalische. Es
+nahm zwei Abende in Anspruch, aber die zweite Versammlung war ebenso
+zahlreich wie die erste. Wer gesehen hat, wie diese Knaben ihre Rollen
+spielen, ist berrascht, wie stark sie als Schauspieler wirken. Das
+kommt daher, weil sie nie eigentlichen Unterricht in dieser Kunst
+gehabt haben. Sie erfassen instinktiv den Geist der Dichtung, obgleich
+diese Dramen keine bloen Schuldramen sind und ein feines Verstndnis
+und Mitempfinden erfordern. Bei aller ngstlichkeit und berkritischen
+Empfindlichkeit, die ein Dichter der Auffhrung seines Stckes
+gegenber hat, war ich nie enttuscht von meinen Schlern, und ich habe
+selten einem Lehrer erlaubt, die Knaben in ihrer eigenen Darstellung
+der Charaktere zu stren. Hufig schreiben sie selbst Stcke oder
+improvisieren sie, und dann werden wir zu der Auffhrung eingeladen. Sie
+haben ihre literarischen Vereine und haben mindestens drei illustrierte
+Zeitschriften, die von drei Gruppen<span class="pagenum"><a name="Page_p0177" id="Page_p0177">[Pg 177]</a></span> der Schule geleitet werden. Die
+interessanteste dieser Zeitschriften ist die der &bdquo;Kleinen&ldquo;. Eine ganze
+Anzahl unsrer Schler haben ein beachtenswertes Talent fr Zeichnen und
+Malerei gezeigt. Wir entwickeln dies Talent nicht mit Hilfe der alten,
+hier in den Schulen noch immer blichen Kopiermethode, sondern lassen
+die Schler ihrer eigenen Neigung folgen und helfen ihnen nur dadurch,
+da wir hin und wieder Knstler zu uns einladen, die die Knaben durch
+ihre eigenen Arbeiten anregen und begeistern.</p>
+
+<p>Als ich meine Schule anfing, zeigten die Knaben keine besondere Liebe
+zur Musik. Daher stellte ich zuerst noch keinen Musiklehrer an und
+zwang die Knaben nicht, Musikstunden zu nehmen. Ich sorgte nur fr
+Gelegenheiten, wo die, die fr diese Kunst begabt waren, sie ben und
+zeigen konnten. Dies hatte die Wirkung, da das Ohr der Knaben sich
+unbewut bte. Und als nach und nach die meisten von ihnen groe Neigung
+und Liebe zur Musik zeigten und ich sah, da sie bereit sein wrden,
+regelrechten Unterricht darin zu nehmen, berief ich einen Musiklehrer.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0178" id="Page_p0178">[Pg 178]</a></span></p>
+
+<p>In unsrer Schule stehen die Knaben des Morgens sehr frh auf, bisweilen
+vor Tagesanbruch. Sie besorgen selbst das Wasser fr ihr Bad. Sie machen
+ihre Betten. Sie tun alle die Dinge, die den Geist der Selbsthilfe in
+ihnen entwickeln.</p>
+
+<p>Ich glaube an den Wert regelmiger religiser Betrachtung, und ich
+setze morgens und abends eine Viertelstunde dafr an. Ich halte darauf,
+da diese Zeit innegehalten wird, ohne jedoch von den Knaben zu
+erwarten, da sie so tun, als ob sie in religise Betrachtungen versenkt
+wren. Aber ich verlange, da sie still sind, da sie Selbstbeherrschung
+ben, wenn sie auch, statt an Gott zu denken, die Eichhrnchen
+beobachten, die die Bume hinauflaufen.</p>
+
+<p>Jede Schilderung solcher Schule kann nicht anders als unzulnglich
+sein. Denn das Wichtigste von ihr ist ihre Atmosphre und die Tatsache,
+da es keine Schule ist, die den Knaben von autokratischen Behrden
+aufgezwungen ist, in der sie ihr eigenes Leben leben sollen. Sie nehmen
+teil an der Schulverwaltung, und in Straffllen ver<span class="pagenum"><a name="Page_p0179" id="Page_p0179">[Pg 179]</a></span>lassen wir uns
+meistens auf ihren eigenen Gerichtshof.</p>
+
+<p class="bottom3">Zum Schlu mchte ich meine Zuhrer warnen, ein falsches oder
+bertriebenes Bild von dieser Einsiedelei mit nach Hause zu nehmen.
+Wenn man so seine Ideen vortrgt, so erscheinen sie ganz einfach und
+vollkommen. Aber ihre Verkrperung in der Wirklichkeit ist nicht
+so klar und vollkommen, weil das Material lebendig und mannigfach
+und immer wechselnd ist. Es treten uns Hindernisse entgegen sowohl
+in der menschlichen Natur wie in den ueren Umstnden. Einige von
+uns vergessen nur zu leicht, da die Geister der Knaben lebendige
+Organismen sind, und andere sind von Natur geneigt, das Gute mit
+Gewalt durchsetzen zu wollen. Die Knaben ihrerseits sind nicht alle
+in gleichem Mae empfnglich, und so haben wir manchen Mierfolg zu
+verzeichnen. Vergehen treten unerwartet auf, die uns an der wirkenden
+Kraft unsrer Ideale zweifeln lassen. Es kommen trbe Zeiten, voll von
+Rckschlgen und Zweifeln. Aber dies Schwanken und diese Konflikte
+gehren nun einmal zum wahren Bilde<span class="pagenum"><a name="Page_p0180" id="Page_p0180">[Pg 180]</a></span> des wirklichen Lebens. Lebendige
+Ideale knnen nicht als Uhrwerk aufgezogen werden, das nun jede Sekunde
+genau angibt. Und wer den festen Glauben an ein Ideal hat, mu die
+Wahrheit desselben dadurch beweisen, da er sich durch die niemals
+ausbleibenden Widerstnde und Mierfolge nicht vom Wege abbringen lt.
+Ich fr mein Teil halte mehr von dem Prinzip des Lebens, von der Seele
+des Menschen, als von Methoden. Ich glaube, da das Ziel der Erziehung
+die sittliche Freiheit ist, die nur auf dem Wege der Freiheit erreicht
+werden kann, obgleich die Freiheit ihre Gefahren und ihre Verantwortung
+hat, wie das Leben berhaupt sie hat. Ich wei gewi, wenn auch die
+meisten Menschen es vergessen zu haben scheinen, da Kinder lebendige
+Wesen sind, lebendiger als Erwachsene, die schon in einer Rinde von
+Gewohnheiten stecken. Daher ist es fr ihre geistige Gesundheit und
+Entwicklung unbedingt ntig, da man sie nicht in Schulen steckt, deren
+einziger Zweck der Unterricht ist, sondern da sie in einer Welt leben,
+deren leitender Geist die persnliche Liebe ist. Solch eine Welt ist
+die Ein<span class="pagenum"><a name="Page_p0181" id="Page_p0181">[Pg 181]</a></span>siedelei, der <i>&#257;&#347;rama</i>, wo die Menschen sich im Frieden
+der Natur zu dem hchsten Lebensziel vereint haben; wo sie sich nicht
+nur frommen Betrachtungen hingeben, sondern auch mit offenen Augen in
+die Welt schauen und ttig wirkend in ihr schaffen; wo man den Schlern
+nicht unausgesetzt den Glauben beibringt, da die Selbstvergtterung der
+Nation das hchste Ideal fr sie ist; wo sie begreifen lernen, da diese
+Menschenwelt Gottes Knigreich ist, dessen Brger zu werden sie streben
+sollen; wo Sonnenauf- und -untergang und die stille Herrlichkeit der
+Sterne nicht tglich unbeachtet bleiben; wo der Mensch freudig teilnimmt
+an den Festen, die die Natur mit ihren Blten und Frchten feiert, und
+wo jung und alt, Lehrer und Schler sich an denselben Tisch setzen und
+das tgliche Brot wie das Brot des Lebens miteinander teilen.<br /><br /></p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0182" id="Page_p0182">[Pg 182]</a></span></p>
+
+<hr class="chap" />
+<h2 class="top2"><a name="RELIGIOSE_BETRACHTUNG" id="RELIGIOSE_BETRACHTUNG">RELIGISE BETRACHTUNG</a></h2>
+
+<p class="drop-cap2">ES gibt Dinge, die wir von auen bekommen und als Besitz an uns nehmen.
+Aber mit der religisen Betrachtung ist es umgekehrt. Hier treten wir
+mitten in eine groe Wahrheit ein und werden von ihr in Besitz genommen.</p>
+
+<p>Lat uns im Gegensatz dazu sehen, was Reichtum ist. Geld reprsentiert
+eine entsprechende Summe von Arbeit. Vermittelst des Geldes kann ich die
+Arbeit vom Menschen loslsen und sie in mein Eigentum verwandeln. Ich
+erwerbe sie von auen und wandle sie in eigene Kraft um.</p>
+
+<p>Oder nehmen wir das Wissen. Es gibt eine Art, die wir von andern
+bernehmen, und eine andre Art, die wir uns durch Beobachtung,
+Experimente und Nachdenken erwerben.</p>
+
+<p>Alles dies sind Versuche, uns etwas, was wir nicht haben, zu eigen zu
+machen. Bei diesen<span class="pagenum"><a name="Page_p0183" id="Page_p0183">[Pg 183]</a></span> Dingen sind unsre geistigen und physischen Krfte in
+ganz entgegengesetzter Weise ttig als bei der religisen Betrachtung.</p>
+
+<p>Die hchste Wahrheit knnen wir nur erfassen, indem wir uns in sie
+versenken. Und wenn unser Bewutsein ganz in sie eingetaucht ist, dann
+wissen wir, da sie kein bloer Besitz ist, den wir erworben haben,
+sondern da wir eins mit ihr sind.</p>
+
+<p>So werden durch solches Versenken, wo unsre Seele ihre wahre Beziehung
+zur hchsten Wahrheit findet, auch alle unsre Handlungen und Worte,
+unser ganzes Wesen wahr.</p>
+
+<p>Ich mchte hier einen Text anfhren, der uns in Indien zu solcher
+Versenkung dient.</p>
+
+<p class="poem top2"><i>Om bh&#363;r bhuva&#7717; sva&#7717;.</i><br />
+<i>tt savitr vre&#7751;yam</i><br />
+<span class="left1"><i>ebhrgo devsya dh&#299;mahi</i></span><br />
+<span class="left1"><i>dhyo y na&#7717; pracody&#257;t</i>
+<a name="FNanchor_16" id="FNanchor_16"></a>
+<a href="#Footnote_16" class="fnanchor"><sup>[16]</sup></a>
+.</span></p>
+
+<p class="top2"><i>Om.</i> Das heit Vollkommenheit; es ist in der Tat das symbolische Wort
+fr das Unendliche, Vollkommene, Ewige. Der Laut an sich <span class="pagenum"><a name="Page_p0184" id="Page_p0184">[Pg 184]</a></span>schon ist
+vollkommen und stellt die Ganzheit aller Dinge dar.</p>
+
+<p>All unsre religisen Betrachtungen beginnen mit Om und enden mit Om. Es
+soll den Geist mit der Ahnung der ewigen Vollkommenheit erfllen und ihn
+aus der Welt der engen Selbstsucht befreien.</p>
+
+<p class="poem top2"><i>Bh&#363;r bhuva&#7717; sva&#7717;.</i></p>
+
+
+<p class="top2"><i>Bh&#363;r</i> bedeutet die Erde.</p>
+
+<p><i>Bhuva&#7717;</i> bedeutet die mittlere Region, den Luftraum.</p>
+
+<p><i>Sva&#7717;</i> bedeutet die Region der Sterne.</p>
+
+<p>Erde, Luft- und Sternenraum. Mitten ins Herz dieses Weltalls sollst
+du deinen Geist richten. Du sollst dir gegenwrtig halten, da du im
+Unendlichen geboren bist, da du nicht nur einem besonderen Fleck dieser
+Erde angehrst, sondern der ganzen Welt.</p>
+
+<p><i>Tt savitr vre&#7751;yam bhrgo devsya dh&#299;mahi.</i> Lat uns nachdenken
+ber die anbetungswrdige Kraft des Weltschpfers. Das Wort Schpfer
+ist durch bestndigen Gebrauch abgegriffen. Aber wir mssen uns die
+Unermelichkeit des Weltalls ins Bewutsein rufen, wenn wir sagen,
+da Gott das Weltall<span class="pagenum"><a name="Page_p0185" id="Page_p0185">[Pg 185]</a></span> aus seiner unendlichen Schpferkraft erschafft,
+nicht durch eine einmalige Schpfungstat, sondern unaufhrlich, jeden
+Augenblick.</p>
+
+<p>Alles dies ist ein Ausdruck des ewigen Schpferwillens. Dieser ist
+nicht wie das Gesetz der Schwere oder andere Naturgesetze etwas
+Abstraktes, das wir nicht verehren knnen und das auf unsre Verehrung
+keinen Anspruch erheben kann. Sondern unser Text sagt, da jene Kraft
+&bdquo;anbetungswrdig&ldquo; ist, da sie unsre Verehrung fordert, weil sie einem
+hchsten Wesen angehrt und keine bloe Abstraktion ist.</p>
+
+<p>Wodurch offenbart sich diese Kraft?</p>
+
+<p>Auf der einen Seite durch Erde, Luftraum und Sternenhimmel, auf der
+andern durch unser Bewutsein.</p>
+
+<p>Es besteht eine ewige Verbindung zwischen uns und der Welt, weil diese
+Welt in unserm Bewutsein erst ihre volle Verwirklichung findet.
+Ohne dies Bewutsein und ohne das hchste Bewutsein als Quelle und
+Mittelpunkt, knnte es keine Welt geben.</p>
+
+<p>Gottes Kraft strahlt von ihm aus und strmt als Bewutsein in mir und in
+der Auen<span class="pagenum"><a name="Page_p0186" id="Page_p0186">[Pg 186]</a></span>welt. Wir selbst trennen gewhnlich diese beiden Welten, aber
+in Wahrheit sind sie zwei Seiten derselben Schpfung, sie sind gleichen
+Ursprungs und daher eng miteinander verbunden.</p>
+
+<p>So vergegenwrtigt mir diese Betrachtung, da mein Bewutsein und die
+weite Welt auer mir eins sind. Und worin besteht diese Einheit?</p>
+
+<p>Sie besteht in der groen Kraft, die zugleich mich und die Welt
+auerhalb meiner mit Bewutsein durchstrmt.</p>
+
+<p>Durch solche Versenkung erwerbe ich nicht etwas fr mich, sondern ich
+gebe mich selbst auf und werde eins mit der ganzen Schpfung.</p>
+
+<p>Dies ist also unser Text, und wir richten unsre Gedanken ganz auf ihn
+und wiederholen ihn immer wieder, bis unsre Seele still ist und nichts
+uns mehr zerstreut. In diesem Zustand kann kein Verlust, keine Angst,
+kein Schmerz uns berhren, wir sind frei. Dies bedeutet also religise
+Versenkung: wir tauchen ganz ein in die hchste Weisheit, wir leben und
+weben in ihr und haben in ihr unser Sein.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0187" id="Page_p0187">[Pg 187]</a></span></p>
+
+<p>Ein anderer Text, der in unsrer Schule den Knaben zu ihrer tglichen
+Andachtsbung dient, lautet:</p>
+
+<p class="poem top2"><i>Om. Pit&#257; no 'si, pit&#257; no bodhi. Namas te 'stu</i>
+
+<a name="FNanchor_17" id="FNanchor_17"></a>
+<a href="#Footnote_17" class="fnanchor"><sup>[17]</sup></a>
+.</p>
+
+<p class="top2"><i>Pit&#257; no 'si.</i> Du bist unser Vater.</p>
+
+<p><i>Pit&#257; no bodhi.</i> Gib uns das Bewutsein, das Erwachen zu der
+Gewiheit, da du unser Vater bist.</p>
+
+<p><i>Namas te 'stu.</i> Fr <i>nama&#7717;</i> lt sich schwer ein genau
+entsprechendes Wort finden, vielleicht kommt &bdquo;Verneigung&ldquo; oder
+&bdquo;Verehrung&ldquo; seiner Bedeutung am nchsten.</p>
+
+<p>Meine Anbetung dir &mdash; la sie wahr werden.</p>
+
+<p>Dies ist der erste Teil des Textes unsrer Andachtsbung. Ich will
+versuchen, zu erklren, was ich darunter verstehe.</p>
+
+<p><i>Pit&#257; no 'si.</i> Der Text beginnt mit der Versicherung, da Gott in
+Wahrheit unser Vater <i>ist</i>.</p>
+
+<p>Aber diese Wahrheit ist in unserm Leben <span class="pagenum"><a name="Page_p0188" id="Page_p0188">[Pg 188]</a></span>noch nicht als solche
+erfat und zum Ausdruck gekommen, und das ist die Ursache all unsrer
+Unvollkommenheiten und Snden und all unsres Elends. Daher beten wir,
+da sie in unserm Bewutsein Wirklichkeit werde.</p>
+
+<p>Dann schliet der Vers mit <i>Namas te</i>. La meine Anbetung wahr werden!
+Weil Anbetung die Haltung ist, die uns ihm gegenber gebhrt. Wenn ich
+diese groe Wahrheit &mdash; <i>Pit&#257; no 'si</i> &mdash; vollkommen erkannt habe,
+dann bringt mein Leben sein wahres Wesen zum Ausdruck, durch demtige
+Selbsthingabe und anbetende Verehrung.</p>
+
+<p>Beim Gebet brauchen wir mitunter Worte, die zwar unserm Empfinden
+Ausdruck geben, die wir aber doch nur mechanisch uern, ohne uns in dem
+Augenblick ihre volle Bedeutung klarzumachen. Solch ein Wort ist &bdquo;Vater&ldquo;.</p>
+
+<p>Daher versuchen wir in dieser Betrachtung seinen Sinn in seiner ganzen
+Tiefe zu erfassen und unser Herz in Einklang mit seiner Wahrheit zu
+bringen.</p>
+
+<p>Wir knnen diese Welt als das nehmen, als was sie uns erscheint. Wir
+knnen in unserm<span class="pagenum"><a name="Page_p0189" id="Page_p0189">[Pg 189]</a></span> Geiste die Vorstellung haben, sie sei eine Welt
+der Kraft und des Stoffes; dann wird unsre Beziehung zu ihr die rein
+mechanische Beziehung der Naturwissenschaft. Aber auf diesem Wege
+gelangen wir nie zu der hchsten Wahrheit, die im Menschen offenbar
+wird. Denn was ist der Mensch? Er ist ein persnliches Wesen. Das
+Naturgesetz kmmert sich darum nicht. Das Naturgesetz hat es mit der
+Physiologie und Psychologie, mit dem Mechanismus unsrer Natur zu tun.
+Und wenn wir zu unserm persnlichen Wesen kommen, so finden wir kein
+Naturgesetz, das es uns erklren knnte. Daher hat die Naturwissenschaft
+keine Ahnung von dem, was die Grundlage unsres Wesens ist. Fr sie wird
+die ganze Welt zur Maschine, und so kann sie nicht auf den Gedanken
+kommen, in dem Schpfer den Vater zu sehen oder &bdquo;die Mutter&ldquo;, wie wir
+Inder ihn oft nennen.</p>
+
+<p>Wenn wir in der Welt nur ein Zusammenwirken verschiedener Krfte
+sehen, so kann von Anbetung keine Rede sein. Aber wir sind nicht nur
+Gegenstnde der Physiologie und Psychologie. Wir sind Mnner und
+Frauen.<span class="pagenum"><a name="Page_p0190" id="Page_p0190">[Pg 190]</a></span> Und wir mssen versuchen zu erkennen, welchen Sinn es fr uns
+und fr die ganze Welt hat, da wir Menschen sind.</p>
+
+<p>Die Existenz meines Krpers erklrt die Naturwissenschaft aus
+allgemeinen Gesetzen. So erkenne ich, da mein Krper nicht eine
+isolierte Schpfung ist, sondern ein Teil eines groen Ganzen. Dann
+komme ich zu der weiteren Erkenntnis, da auch das Denken meines
+Verstandes im Einklang mit allen Vorgngen in der Welt steht, und so
+kann ich mit Hilfe meines Verstandes all die groen Gesetze, die das
+Weltall regieren, erkennen.</p>
+
+<p>Aber die Naturwissenschaft verlangt, da ich hier stehen bleibe. Fr sie
+haben Krper und Geist ihren Hintergrund in dem Weltall, aber fr die
+Persnlichkeit gibt es keinen solchen Hintergrund. Jedoch unser Gefhl
+wehrt sich gegen solche Behauptung. Denn wenn diese unsre Persnlichkeit
+keine ewige Beziehung zur Wahrheit hat, wie alles andre, was fr eine
+Zufallserscheinung ist sie denn? Wozu ist sie denn berhaupt da und wie
+ist ihr Dasein mglich? Diese Tatsache meiner Persnlichkeit bedarf
+zu ihrer Sttze der<span class="pagenum"><a name="Page_p0191" id="Page_p0191">[Pg 191]</a></span> Wahrheit der unendlichen Persnlichkeit. Durch
+die unmittelbare Wahrnehmung des Ichs in uns sind wir zu der groen
+Entdeckung gekommen, da es ein unendliches Ich geben mu.</p>
+
+<p>Dann stellt sich uns die Frage: Wie ist unsre Beziehung zu diesem
+unendlichen Ich? In seinem innersten Herzen findet der Mensch die
+Antwort, da es die engste aller Beziehungen, da es die Beziehung der
+Liebe ist.</p>
+
+<p>Es kann keine andere sein, denn es gibt keine vollkommene Beziehung
+auer der der Liebe.</p>
+
+<p>Die Beziehung zwischen Knig und Untertan, zwischen Herr und Diener,
+zwischen dem Gesetzgeber und denen, die dem Gesetz gehorchen, &mdash; alle
+solche Beziehungen sind einseitig und dienen einem besonderen Zwecke.
+Sie umfassen nicht das ganze Wesen. Aber die Beziehung zwischen dem
+Einzel-Ich und dem Welt-Ich mu vollkommen sein. Denn nur in der Liebe
+findet unsere Persnlichkeit vollkommene Befriedigung, und daher mu
+auch unsre Beziehung zu der unendlichen Persnlichkeit die der Liebe
+sein. Und so hat der<span class="pagenum"><a name="Page_p0192" id="Page_p0192">[Pg 192]</a></span> Mensch gelernt zu sagen: &bdquo;Unser Vater&ldquo;. Gott ist
+nicht nur unser Knig oder unser Herr, er ist unser Vater.</p>
+
+<p>Das heit, es ist etwas in Ihm, woran wir teilhaben, etwas Gemeinsames
+zwischen diesem ewigen Ich und dem endlichen kleinen Ich.</p>
+
+<p>Aber man knnte noch fragen, warum wir denn das Wort Vater gebrauchen,
+das doch eine persnliche Beziehung zwischen menschlichen Wesen
+ausdrckt? Warum suchen wir nicht nach einem anderen Wort? Ist dies
+nicht zu klein und begrenzt?</p>
+
+<p>Das Wort Vater schliet in unsrer Sanskritsprache den Begriff Mutter mit
+ein. Sehr oft gebrauchen wir dies Wort in seiner Dualform <i>Pitarau</i>,
+das&bdquo; Vater und Mutter&ldquo; bedeutet. Der Mensch wird in die Arme der Mutter
+geboren. Wir kommen nicht einfach so auf die Erde, wie der Regen aus
+der Wolke kommt. Das Groe fr uns ist, da wir von Vater und Mutter
+ins Leben geleitet werden. Es zeigt, da unsre Beziehung zur Welt von
+vornherein eine persnliche ist. Und so finden wir auch unsre Beziehung
+zum Unendlichen. Wir wissen, da wir aus der Liebe geboren sind, unsre
+ersten<span class="pagenum"><a name="Page_p0193" id="Page_p0193">[Pg 193]</a></span> und nchsten Beziehungen sind die der Liebe, und wir fhlen, da
+unser Verhltnis zu den Eltern das wahre Symbol ist fr unser ewiges
+Verhltnis zu Gott. Diese Wahrheit mssen wir uns jeden Augenblick
+gegenwrtig halten. Wir mssen wissen, da wir auf ewig mit unserm Vater
+verbunden sind. Dann erheben wir uns ber die Nichtigkeit der Dinge, und
+die ganze Welt bekommt fr uns einen Sinn.</p>
+
+<p>Daher ist das erste Gebet, da wir Gott als Vater erkennen. Du, der du
+die unendliche Welt von Sternen und Welten schaffst, ich kann dein Wesen
+nicht erfassen, und doch wei ich eines ganz gewi: Du bist <i>Pit&#257;</i>,
+bist mein Vater.</p>
+
+<p>Das Kindchen wei noch nicht viel von dem, was die Mutter tut, aber es
+wei, da es seine Mutter ist.</p>
+
+<p>So wei ich auch sonst nichts von Gott, aber das Eine wei ich: Er ist
+mein Vater.</p>
+
+<p>La mein ganzes Bewutsein von diesem Gedanken durchglht sein: Du bist
+mein Vater. Jeden Tag la dies das eine Zentrum all meiner Gedanken
+sein, da der Hchste, der das ganze Weltall regiert, mein Vater ist.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0194" id="Page_p0194">[Pg 194]</a></span></p>
+
+<p><i>Pit&#257; no bodhi.</i> La mich im Licht dieser groen Wahrheit erwachen:
+Du bist mein Vater.</p>
+
+<p>La mich all meine Gedanken wie ein nacktes Kind in deine Arme legen,
+da du sie den Tag ber behtest und beschtzest.</p>
+
+<p>Und dann: <i>Nama&#7717;</i>.</p>
+
+<p>Meine vllige Selbsthingabe wird Wahrheit werden. Hierin findet die
+Liebe des Menschen ihre hchste Freude.</p>
+
+<p><i>Namas te, nama&#7717;</i> &mdash; Anbetung dir &mdash; la es wahr werden!</p>
+
+<p>Ich bin mit dem unendlichen Ich verbunden, und daher ist meine wahre
+Haltung nicht Stolz oder Selbstzufriedenheit, sondern Selbsthingabe.
+<i>Namas te 'stu.</i></p>
+
+<p>Dies ist noch nicht der ganze Text, der meinen Schlern zu ihren Gebeten
+und Betrachtungen dient.</p>
+
+<p>Dies Gebet ist nmlich verschiedenen Stellen unserer ltesten Schriften,
+der Veden, entnommen. Es steht nirgends im Zusammenhange. Aber mein
+Vater, der sein Leben dem Dienste Gottes weihte, sammelte diese Worte
+aus dem<span class="pagenum"><a name="Page_p0195" id="Page_p0195">[Pg 195]</a></span> unerschpflichen Schatzhaus unsterblicher Weisheit, den Veden
+und Upanischaden.</p>
+
+<p>Der nchste Vers lautet:</p>
+
+<p><i>M&#257; m&#257; hi&#7747;si.</i> Triff mich nicht mit dem Tode.</p>
+
+<p>Wir mssen uns genau den Sinn dieses Gebetes klar machen. Ich sagte, da
+der erste Vers lautete: &bdquo;Du bist mein Vater.&ldquo; Dies ist der Anfang und
+das Ende aller Wahrheit. In sie mssen wir ganz hineingeboren werden,
+wenn unser Leben seine Erfllung finden soll.</p>
+
+<p>Doch wenn es auch wahr ist, da wir mit unserm Vater in alle Ewigkeit
+verbunden sind, so ist doch eine Schranke da, die uns hindert, diese
+Wahrheit ganz zu erfassen und dies ist die grte Quelle unsrer Leiden.
+Die Tiere haben auch ihre Schmerzen, sie leiden durch die Angriffe von
+Feinden und durch physische Unvollkommenheit, und dies Leiden spornt
+sie noch mehr an, nach Befriedigung ihrer natrlichen Lebensbedrfnisse
+zu streben und gegen Hindernisse anzukmpfen. Dies Streben und Kmpfen
+an sich ist Freude. Und wir knnen sicher sein, da sie in Wahrheit<span class="pagenum"><a name="Page_p0196" id="Page_p0196">[Pg 196]</a></span>
+ihr Leben genieen, weil durch jenen Ansporn ihre ganze Lebensenergie
+geweckt wird. Sonst wrde ihr Leben wie das der Pflanzenwelt sein. Das
+Leben braucht zu seiner Erfllung Hemmnisse, um im bestndigen Kampf
+gegen diese materiellen Widerstnde sich seiner eigenen berlegenheit
+und Wrde bewut zu werden. Aber all diese Hemmnisse werden von den
+Tieren als Schmerz empfunden.</p>
+
+<p>Allein der Mensch hat noch eine tiefere Leidensquelle. Auch er mu
+seinen Lebensunterhalt suchen und sich gegen all die Feindseligkeiten
+der Natur und der Menschen behaupten. Aber das ist nicht alles. Das
+Wunder ist, da der Mensch, der in derselben Welt geboren ist, wie
+die Tiere, der dieselben Lebensprobleme zu lsen hat wie sie, noch
+etwas anderes hat, um das er kmpft und sorgt, obgleich er es nie ganz
+zu erfassen vermag. Nur in flchtigen Augenblicken sprt er seine
+unmittelbare Berhrung, und mitten im Genu seines Reichtums, in Luxus
+und uerem Behagen, umgeben von allen Schtzen dieser Welt fhlt der
+Mensch doch immer, da diese Dinge ihm nicht gengen, und aus der Tiefe<span class="pagenum"><a name="Page_p0197" id="Page_p0197">[Pg 197]</a></span>
+seines Herzens ringt sich das Gebet, das er nicht an die Naturkrfte
+der Erde richtet, an Luft oder Feuer, sondern an ein Wesen, das er nur
+dunkel ahnt &mdash; das Gebet: &bdquo;Rette mich, triff mich nicht mit dem Tode!&ldquo;</p>
+
+<p>Wir meinen damit nicht physischen Tod, denn wir alle wissen, da wir
+sterben mssen. Der Mensch fhlt instinktiv, da dies Leben nicht sein
+endgltiges Leben ist, da er nach einem hheren Leben trachten mu.
+Und dann ruft er zu Gott: &bdquo;La mich nicht in diesem Tal des Todes.
+Hier findet meine Seele keine Befriedigung. Ich esse und schlafe, und
+finde doch weder Sttigung noch Ruhe. Ich darbe mitten in all diesem
+Reichtum.&ldquo; Wie das Kind nach der Nahrung schreit, die aus dem eigenen
+Leben der Mutter quillt, so schreit unsre Seele nach der ewigen Mutter:
+&bdquo;Errette mich vom Tode, gib mir Leben von deinem Leben. Ich darbe! Hier
+finde ich keine Nahrung, und der Tod breitet schon seine Schwingen ber
+mich. Errette mich!&ldquo;</p>
+
+<p class="poem top2"><i>V&#299;&#769;&#347;v&#257;ni deva savitar durit&#257;&#769;ni pr&#257; suva!</i>
+<a name="FNanchor_18" id="FNanchor_18"></a>
+<a href="#Footnote_18" class="fnanchor"><sup>[18]</sup></a>
+</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0198" id="Page_p0198">[Pg 198]</a></span></p>
+
+<p class="top2">O Gott, mein Vater, nimm diese Welt von Snden von mir! Wenn dies
+Selbst alles fr sich zu gewinnen sucht, dann stt es sich bestndig
+wund. Denn das Leben der engen Selbstsucht ist gegen seine wahre Natur;
+sein wahres Leben ist ein Leben der Freiheit, und daher verletzt es
+unaufhrlich seine Flgel an den Kfigwnden. Das Selbst kann in solchem
+Gefngnis kein Genge und keinen Sinn finden. Es ruft aus: &bdquo;Ich gelange
+nicht zu meiner Erfllung!&ldquo; Es schlgt gegen die Stbe des Kfigs, und
+seine Schmerzen sagen uns, da nicht das Leben des Ichs, sondern das
+weitere Leben der Seele sein wahres Leben ist. Dann rufen wir: &bdquo;Zerbrich
+dies Gefngnis, ich sage mich los von diesem Ich. Zerbrich alle seine
+Snden, all sein selbstschtiges Wnschen und Trachten, und nimm mich
+als dein Kind an, &mdash; dein Kind, nicht das Kind dieser Welt des Todes.&ldquo;</p>
+
+<p><i>Yd bhadr&#7747; tn na &#257;&#769; suva</i>
+
+<a name="FNanchor_19" id="FNanchor_19"></a>
+<a href="#Footnote_19" class="fnanchor"><sup>[19]</sup></a>
+
+! Gib uns das, was gut ist. Sehr
+oft sprechen wir dies Gebet und bitten unsern Vater, uns das zu geben,
+was <span class="pagenum"><a name="Page_p0199" id="Page_p0199">[Pg 199]</a></span>gut ist, aber wir wissen nicht, wie Furchtbares uns zuteil wrde,
+wenn Gott uns unsre Bitte in vollem Mae gewhrte. Es gibt nur sehr
+wenige unter uns, die, wenn sie erkennen, was das hchste Gute ist, noch
+darum bitten knnen. Nur der kann es, der sein Leben gereinigt und es
+aus den Ketten des Bsen befreit hat, der furchtlos Gott bitten kann,
+sein Werk an ihm zu tun. Er, der sagen kann: &bdquo;Ich habe meinen Geist von
+allen selbstschtigen Impulsen und von aller Angst und Sorge des engen
+Lebens im Ich befreit&ldquo;, und nun kann ich voll Zuversicht beten: &bdquo;Gib
+mir, was gut ist, in welcher Gestalt es auch sei, sei es Leid, Verlust,
+Schmach, Verlassenheit &mdash; ich werde es mit Freuden hinnehmen, denn ich
+wei, es kommt von dir.&ldquo;</p>
+
+<p>Aber wie schwach wir auch sein mgen, dies mu unser Gebet sein. Denn
+wir wissen, da, wer in Gott seinen Vater erkannt hat, alles, was aus
+seinen Hnden kommt, willig hinnimmt, und mte er auch in Leid und
+Elend versinken. Das ist wahre Freiheit. Denn Freiheit ist nicht da,
+wo nur ueres Glck ist. Sondern wenn wir Gefahr und Tod, Mangel<span class="pagenum"><a name="Page_p0200" id="Page_p0200">[Pg 200]</a></span> und
+Leid Trotz bieten knnen und uns doch frei fhlen, wenn wir nicht den
+geringsten Zweifel haben, da wir in unserm Vater leben, dann kommt
+alles wie eine frohe Botschaft zu uns, und wir knnen es mit Demut und
+Freude empfangen und unser Haupt in Dankbarkeit beugen.</p>
+
+<p class="poem top2"><i>Nma&#7717; &#347;ambhav&#257;&#769;ya</i>
+<a name="FNanchor_20" id="FNanchor_20"></a>
+<a href="#Footnote_20" class="fnanchor"><sup>[20]</sup></a>
+.</p>
+
+<p class="top2">&bdquo;Anbetung dir, von dem alle Freuden des Lebens kommen.&ldquo; Wir heien sie
+froh willkommen, all die verschiedenen Strme der Freude, die du durch
+verschiedene Kanle uns zuleitest, und wir neigen uns in Anbetung vor
+dir.</p>
+
+<p class="poem top2"><i>Mayobhav&#257;&#769;yaca</i>.</p>
+
+<p class="top2">&bdquo;Anbetung dir, von dem die Wohlfahrt der Menschen kommt.&ldquo; Wohlfahrt
+enthlt beides, Freude und Leid, Gewinn und Verlust. Dir, der du mit
+Schmerz, Sorge und Not unser Leben segnest, &mdash; dir sei Anbetung.</p>
+
+<p class="poem top2"><i>Nma&#7717; &#347;iv&#257;&#769;ya ca &#347;ivtar&#257;ya ca</i>
+<a name="FNanchor_99" id="FNanchor_99"></a>
+<a href="#Footnote_20" class="fnanchor"><sup>[20]</sup></a>
+.</p>
+
+<p class="top2">&bdquo;Anbetung dir, dem Gtigen, dem Allgtigen.&ldquo;</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0201" id="Page_p0201">[Pg 201]</a></span></p>
+
+<p>Dies ist der vollstndige Text. Der erste Teil ist das Gebet um
+Erkenntnis, da wir nicht nur in der Welt der Natur, in der Welt von
+Erde, Luft und Wasser leben, sondern in der wahren Welt der Seele, in
+der Welt der Liebe. Und wenn wir erkannt haben, da wir von dieser Liebe
+getragen werden, dann empfinden wir die Disharmonie unsres Lebens, das
+von Liebe nichts wei. Wir empfinden sie erst, wenn wir Gott als unsern
+Vater erkannt haben. Aber sobald wir zu dieser Erkenntnis gekommen
+sind, fhlen wir die Disharmonie unsres Lebens so stark, da sie uns
+vernichtet und wir dies Leben als Tod empfinden. Wir knnen es nicht
+mehr ertragen, sobald wir uns bewut werden, da die Liebe unsres Vaters
+uns umgibt.</p>
+
+<p>Dann kommt das Gebet um Befreiung aus der Gewalt der Dinge und um das
+hchste Gut, um die Freiheit in Gott.</p>
+
+<p>Und dann der Schlu. Wir beugen uns in Anbetung vor Ihm, in dem alle
+unsre Freuden sind, in dem die Wohlfahrt unsrer Seele ist, in dem das
+Gute ist:</p>
+
+<p class="poem top2 bottom3"><i>Om, S&#768;&#257;nti&#7717;, S&#768;&#257;nti&#7717;, S&#768;&#257;nti&#7717;. Om.</i></p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0202" id="Page_p0202">[Pg 202]</a></span></p>
+
+
+
+<hr class="chap" />
+<h2 class="top2"><a name="DIE_FRAU" id="DIE_FRAU">DIE FRAU</a></h2>
+
+<p class="drop-cap2">WENN die mnnlichen Geschpfe ihrer natrlichen Neigung zum Kmpfen
+nachgeben und einander tten, so lt die Natur dies zu, weil die
+weiblichen Wesen ihrem Zweck unmittelbar, die mnnlichen ihm dagegen nur
+mittelbar dienen. Sparsam, wie sie ist, liegt ihr nicht besonders an
+der Erhaltung der hungrigen Brut, die mit znkischer Gefrigkeit ber
+alles herfllt und doch sehr wenig dazu beitrgt, die Rechnung der Natur
+zu bezahlen. Daher knnen wir beobachten, wie in der Insektenwelt die
+Weibchen dafr sorgen, da die mnnliche Bevlkerung sich auf die kleine
+Zahl beschrnkt, die zur Erhaltung der Art unbedingt notwendig ist.</p>
+
+<p>Weil nun aber den mnnlichen Wesen in der Menschenwelt so wenig
+Pflichten und Verantwortung der Natur gegenber blieben, so waren sie
+frei, anderen Beschftigungen und<span class="pagenum"><a name="Page_p0203" id="Page_p0203">[Pg 203]</a></span> Abenteuern nachzugehen. Man definiert
+den Menschen als das Tier, das Werkzeuge macht. Dies Werkzeugmachen
+liegt nicht mehr im Plan der Natur. Ja, durch unser Vermgen, Werkzeuge
+zu machen, sind wir imstande, der Natur Trotz zu bieten. Der mnnliche
+Mensch, der den grten Teil seiner Krfte frei hatte, entwickelte dies
+Vermgen und wurde furchtbar. So ist es gekommen, da, wenn auch auf
+den Gebieten des natrlichen Lebens das Weib noch den Thron behauptet,
+den die Natur ihr zuerkannt, auf geistigem Gebiet der Mann seine eigene
+Herrschaft errichtet und ausgedehnt hat. Denn zu diesem groen Werk
+brauchte er Bewegungsfreiheit und innere Ungebundenheit.</p>
+
+<p>Der Mann machte sich diese verhltnismige Freiheit von physischer und
+seelischer Gebundenheit zunutze und ging unbelastet an die Erweiterung
+seines Lebensgebiets. Hierbei beschritt er den gefahrvollen Weg
+gewaltsamer Umwlzungen und Zerstrungen. Immer wieder wurde von Zeit
+zu Zeit alles, was er mit groem Flei angehuft, hinweggefegt und der
+Strom des Fortschritts an der Quelle ver<span class="pagenum"><a name="Page_p0204" id="Page_p0204">[Pg 204]</a></span>schttet. Und wenn auch der
+Gewinn betrchtlich war, so war im Vergleich damit der Verlust noch
+ungeheurer, besonders wenn man bedenkt, da mit dem Wohlstand eines
+Volks oft auch seine Geschichte unterging. Aus diesen wiederholten
+Katastrophen hat der Mensch die Wahrheit gelernt, wenn er sie sich auch
+noch nicht vllig zunutze gemacht hat, da er bei allem, was er schafft,
+das sittliche Gleichma wahren mu, wenn sein Werk nicht untergehen
+soll; da ein bloes unbegrenztes Anhufen von Macht nicht zu wahrem
+Fortschritt fhrt; da Ebenma des Baues und Harmonie mit seiner Basis
+zu wirklichem Gedeihen ntig sind.</p>
+
+<p>Dies Ideal der Festigkeit und Dauerhaftigkeit ist in der Natur der Frau
+tief gegrndet. Es macht ihr niemals Freude, nur immer weiterzueilen
+und dabei Pfeile eitler Neugierde mitten ins Dunkel hinein zu schieen.
+Sie wirkt instinktiv mit allen ihren Krften dahin, die Dinge zu einer
+gewissen Vollendung zu bringen, &mdash; denn das ist das Gesetz des Lebens.
+Wenn auch in der Bewegung des Lebens nichts endgltig ist, so ist doch
+jeder<span class="pagenum"><a name="Page_p0205" id="Page_p0205">[Pg 205]</a></span> Schritt desselben ein vollstndiges rhythmisches Ganze. Selbst
+die Knospe hat ihr Ideal vollkommener Rundung, ebenso die Blume und die
+Frucht. Aber ein unvollendetes Gebude hat nicht das Ideal der Ganzheit
+in sich. Wenn es sich daher unbegrenzt immer weiter ausdehnt, so wchst
+es ber sein Ma hinaus und verliert das Gleichgewicht. Die mnnlichen
+Schpfungen intellektueller Kultur sind babylonische Trme, sie wagen
+es, ihrer Basis zu trotzen, und strzen daher immer wieder ein. So
+wchst die Menschheitsgeschichte auf Trmmerschichten empor, es ist
+kein ruhig fortschreitendes Wachsen unmittelbar aus der mtterlichen
+Erde. Der gegenwrtige Krieg gibt ein Bild davon. Die wirtschaftlichen
+und politischen Organisationen, die nur mechanische Kraft darstellen,
+die aus dem Intellekt geboren ist, sind geneigt zu vergessen, da ihr
+Schwerpunkt in dem Mutterboden des Lebens liegen mu. Die Gier, Macht
+und Besitz anzuhufen, die ihr Ziel niemals vollstndig erreichen kann,
+die nicht im Einklang steht mit dem Ideal sittlicher und geistiger
+Vollkommenheit, mu schlielich<span class="pagenum"><a name="Page_p0206" id="Page_p0206">[Pg 206]</a></span> mit eigener Hand ihren schwerflligen
+Bau einreien.</p>
+
+<p>Im gegenwrtigen Stadium der Geschichte ist die Kultur fast
+ausschlielich mnnlich; es ist eine Kultur der Macht, welche die
+Frau abseits in den Schatten gedrngt hat. Daher hat diese Kultur ihr
+Gleichgewicht verloren und taumelt nur von einem Krieg zum anderen.
+Ihre Triebkrfte sind zerstrender Art, und ihr Kultus fordert eine
+erschreckende Zahl von Menschenopfern. Diese einseitige Kultur strzt
+eben wegen ihrer Einseitigkeit mit ungeheurer Schnelligkeit von
+Katastrophe zu Katastrophe. Und endlich ist die Zeit gekommen, wo
+die Frau eingreifen und diesem rcksichtslosen Lauf der Macht ihren
+Lebensrhythmus mitteilen mu.</p>
+
+<p>Denn die Aufgabe der Frau ist die passive Aufgabe, die der Erdboden hat,
+der nicht nur dem Baum hilft, da er wachsen kann, sondern auch sein
+Wachstum in Schranken hlt. Der Baum mu die Freiheit haben, sich ins
+Leben hineinzuwagen und seine Zweige nach allen Seiten auszubreiten,
+aber all seine tieferen Bande werden vom mtterlichen Boden<span class="pagenum"><a name="Page_p0207" id="Page_p0207">[Pg 207]</a></span> geborgen
+und festgehalten, und nur dadurch kann der Baum leben. Unsre Kultur mu
+auch ihr passives Element haben, auf dem sie tief und fest gegrndet
+steht. Sie mu nicht bloes Wachstum, sondern harmonische Entfaltung
+sein. Sie mu nicht nur ihre Melodie, sondern auch ihren Takt haben.
+Dieser Takt ist keine Schranke, er ist das, was die Ufer dem Flu sind:
+sie geben seinen Wassern, die sich sonst im Morast verlieren wrden,
+dauernden Lauf. Dieser Takt ist Rhythmus, ein Rhythmus, der die Bewegung
+der Welt nicht hemmt, sondern sie zu Wahrheit und Schnheit rundet.</p>
+
+<p>Die Frau ist in weit hherem Mae mit den passiven Eigenschaften der
+Keuschheit, Bescheidenheit, Hingebung und Opferfhigkeit begabt als der
+Mann. Die passiven Eigenschaften der Natur sind es, die ihre ungeheuren
+Riesenkrfte zu vollendeten Schpfungen der Schnheit umwandeln, &mdash;
+die die wilden Elemente zhmen, da sie mit zarter Frsorge dem Leben
+dienen. Diese passiven Eigenschaften haben der Frau jene groe und tiefe
+Seelenruhe gegeben, die so ntig ist, um das Leben zu heilen, zu nhren
+und zu hegen. Wenn das<span class="pagenum"><a name="Page_p0208" id="Page_p0208">[Pg 208]</a></span> Leben sich nur immerfort ausgbe, so wre es
+wie eine Rakete, die in einem Blitzstrahl aufsteigt und im nchsten
+Augenblick als Asche niederfllt. Das Leben aber soll einer Lampe
+gleichen, die noch weit mehr Leuchtkraft in sich birgt, als ihre Flamme
+zeigt. Und die passive Natur der Frau ist es, in der dieser Vorrat von
+Lebenskraft aufgespeichert ist.</p>
+
+<p>Ich habe an einer anderen Stelle gesagt, da man bei der Frau des
+Westens eine gewisse Ruhelosigkeit beobachtet, die nicht ihrer wahren
+Natur entsprechen kann. Denn Frauen, die besonderer und gewaltsamer
+Anregung in ihrer Umgebung bedrfen, um ihre Interessen wachzuhalten,
+beweisen nur, da sie die Berhrung mit ihrer eigenen, wahren Welt
+verloren haben. Offenbar gibt es im Westen eine groe Anzahl von Frauen,
+die, ebenso wie die Mnner, alles, was gewhnlich und alltglich ist,
+verachten. Sie sind immer darauf aus, etwas Auergewhnliches zu
+finden, und strengen alle ihre Krfte an, eine unechte Originalitt
+hervorzubringen, die, wenn sie auch nicht befriedigt, doch berrascht.
+Aber solche Anstrengungen sind nicht das Zeichen wahrer<span class="pagenum"><a name="Page_p0209" id="Page_p0209">[Pg 209]</a></span> Lebenskraft.
+Und sie mssen den Frauen verderblicher sein als den Mnnern, weil
+die Frauen mehr als die Mnner die Trger der Lebenskrfte sind. Sie
+sind die Mtter des Menschengeschlechts, und sie haben ein lebendiges
+Interesse an den Dingen, die sie umgeben, eben an den Dingen des
+alltglichen Lebens; wenn sie dies Interesse nicht htten, mte die
+Menschheit untergehen.</p>
+
+<p>Wenn sie dadurch, da sie bestndig Anregung von auen suchen, einer
+Art geistiger Trunksucht verfallen, so da sie ohne ihre tgliche Dosis
+sensationeller Erregung nicht mehr auskommen knnen, so verlieren sie
+das feine Empfinden, das sie von Natur haben, und mit ihm die schnste
+Blte ihrer Weiblichkeit, und zugleich die Kraft, die Menschheit mit dem
+zu versehen, was sie am ntigsten braucht.</p>
+
+<p>Des Mannes Interesse fr seine Mitmenschen wird erst wirklich ernst,
+wenn er sieht, da sie besondere Fhigkeiten besitzen oder von
+besonderem Nutzen sein knnen, aber eine Frau fhlt Interesse fr
+ihre Mitmenschen, weil sie lebendige Geschpfe, weil sie Menschen
+sind, nicht weil sie einem besonderen<span class="pagenum"><a name="Page_p0210" id="Page_p0210">[Pg 210]</a></span> Zweck dienen knnen oder weil
+sie eine Fhigkeit haben, die sie besonders bewundert. Und weil die
+Frau diese Gabe hat, bt sie solchen Zauber auf unsre Seele aus; die
+berschwngliche Flle ihres Lebensinteresses ist so anziehend, da sie
+allem an ihr, ihrer Rede, ihrem Lachen, ihrer Bewegung, Anmut verleiht;
+denn Anmut fliet aus dieser Harmonie mit dem Leben, das uns umgibt.</p>
+
+<p>Zum Glck fr uns hat unsre Alltagswelt die feine und unaufdringliche
+Schnheit des Alltglichen, und wir brauchen nur unser eigenes Empfinden
+offen zu halten, um seine Wunder zu begreifen, die nicht in die Augen
+fallen, weil sie geistiger Art sind. Wenn wir durch den ueren Vorhang
+hindurchblicken, so finden wir, da die Welt in ihren alltglichen
+Erscheinungen ein Wunder ist.</p>
+
+<p>Wir erfassen diese Wahrheit unmittelbar durch die Gabe der Liebe, und
+die Frauen erkennen durch diese Gabe, da der Gegenstand ihrer Liebe und
+Zuneigung trotz seiner zerlumpten Hlle und scheinbaren Alltglichkeit
+unendlichen Wert hat. Wenn die Frauen die Teilnahme am Alltglichen
+verloren haben,<span class="pagenum"><a name="Page_p0211" id="Page_p0211">[Pg 211]</a></span> dann schreckt die Mue sie mit ihrer Leerheit,
+weil, nachdem ihr natrliches Empfinden abgestumpft ist, sie nichts
+mehr in ihrer Umgebung finden, das ihre Aufmerksamkeit beschftigt.
+Daher schwirren sie von einer Ttigkeit zur anderen, nur um die Zeit
+auszufllen, nicht um sie zu ntzen. Unsre alltgliche Welt ist wie eine
+Rohrflte, ihr wahrer Wert liegt nicht in ihr selber, sondern in der
+Musik, die der Unendliche durch ihr leeres Innere ertnen lt, und die
+alle die vernehmen, welche die Gabe und die Ruhe des Gemts haben, auf
+sie zu hren. Aber wenn die Frauen sich gewhnen, jedes Ding nach dem
+Wert einzuschtzen, den es fr sie selbst hat, dann knnen wir darauf
+gefat sein, da sie wtend gegen unsern Geist Sturm laufen, um unsre
+Seele von der stillen Begegnung mit dem Ewigen fortzulocken und uns
+dahin zu bringen, da wir versuchen, die Stimme des Unendlichen durch
+den sinnlosen Lrm rastloser Geschftigkeit zu bertuben.</p>
+
+<p>Ich will damit nicht sagen, da das husliche Leben das einzige Leben
+fr eine Frau sei. Ich meine, da die Welt des Menschlichen<span class="pagenum"><a name="Page_p0212" id="Page_p0212">[Pg 212]</a></span> die Welt
+der Frau ist, sei es die husliche Welt oder sei es drauen im Leben,
+solange nur ihre Bettigung dort dem Menschen gewidmet ist, und nicht
+abstraktes Streben nach Organisation.</p>
+
+<p>Alles rein Persnliche und Menschliche ist das Gebiet der Frau. Die
+husliche Welt ist die Welt, wo jedes Individuum nach seinem eigenen
+Wert geschtzt wird; hier gilt nicht der Marktwert, sondern der Wert,
+den die Liebe gibt, das heit der Wert, den Gott in seiner unendlichen
+Gnade allen seinen Geschpfen beilegt. Diese husliche Welt hat Gott
+der Frau zu eigen gegeben. Sie kann die Strahlen ihrer Liebe nach allen
+Seiten weit ber ihre Grenzen hinaus leuchten lassen, ja, sie kann
+selbst aus dieser ihrer Welt hinaustreten, wenn der Ruf an sie ergeht,
+da sie als Weib sich drauen bewhre. Aber eins ist gewi, und diese
+Wahrheit darf sie nie vergessen: im Augenblick, wo sie geboren ist und
+die Mutterarme sie zuerst umschlieen, da ist sie im Mittelpunkt ihrer
+eigenen, wahren Welt, in der Welt rein menschlicher Beziehungen.</p>
+
+<p>Die Frau sollte ihre Gabe gebrauchen, durch<span class="pagenum"><a name="Page_p0213" id="Page_p0213">[Pg 213]</a></span> die Oberflche hindurch
+ans Herz der Dinge zu gelangen, wo in dem Geheimnis des Lebens ein
+unendlicher Reiz verborgen liegt. Der Mann hat diese Gabe nicht in dem
+Mae. Aber die Frau hat sie, wenn sie sie nicht in sich erttet, &mdash; und
+daher liebt sie die Geschpfe, die nicht wegen ihrer hervorragenden
+Eigenschaften liebenswert sind. Der Mann hat seine Pflichten in seiner
+eigenen Welt, wo er bestndig Macht und Reichtum und Organisationen
+aller Arten schafft. Aber Gott hat die Frau gesandt, da sie die
+Welt liebe. Und diese Welt ist eine Welt alltglicher Dinge und
+Begebenheiten, keine Mrchenwelt, wo die schne Frau Jahrhunderte
+schlft, bis sie von dem Zauberstab berhrt wird. In Gottes Welt haben
+die Frauen berall ihren Zauberstab, der ihr Herz wach hlt &mdash; und dies
+ist weder der goldene Zauberstab des Reichtums, noch das eiserne Zepter
+der Macht.</p>
+
+<p>Alle unsre geistigen Fhrer haben den unendlichen Wert des Individuums
+verkndet. Der berhandnehmende Materialismus der heutigen Zeit ist
+es, der die einzelnen den blutdrstigen Gtzen der Organisation
+erbarmungs<span class="pagenum"><a name="Page_p0214" id="Page_p0214">[Pg 214]</a></span>los opfert. Als die Religion materialistisch war, als die
+Menschen ihren Gttern dienten, weil sie ihre Tcke frchteten oder
+dadurch Reichtum und Macht zu erlangen hofften, da war ihr Kultus
+grausam und forderte Opfer ohne Zahl. Aber mit der Entwicklung unsres
+geistigen Lebens wurde unser Gottesdienst der Gottesdienst der Liebe.</p>
+
+<p>In dem gegenwrtigen Stadium der Kultur, wo die Verstmmelung von
+Individuen nicht nur gebt, sondern verherrlicht wird, schmen die
+Frauen sich ihres weiblichen Gefhls. Denn Gott hat sie mit seinem
+Evangelium der Liebe gesandt als Schutzengel der einzelnen, und in
+diesem ihrem gttlichen Beruf bedeuten ihnen die einzelnen mehr als Heer
+und Flotte und Parlament, mehr als Kaufhuser und Fabriken. Sie haben
+hier ihren Dienst in Gottes eigenem Tempel der Wirklichkeit, wo Liebe
+mehr gilt als Macht.</p>
+
+<p>Aber weil die Mnner in ihrem Stolz auf Macht angefangen haben,
+lebendige Dinge und menschliche Beziehungen zu verspotten, so schreien
+eine groe Anzahl von Frauen sich heiser, um zu beweisen, da sie
+nicht Frauen<span class="pagenum"><a name="Page_p0215" id="Page_p0215">[Pg 215]</a></span> sind, da sie ihrem wahren Wesen treu sind, wenn sie
+Macht und Organisation vertreten. Sie fhlen sich heutzutage in ihrem
+Stolz verletzt, wenn man in ihnen nur die Mtter der Menschheit sieht,
+die ihren einfachen Lebensbedrfnissen und ihrem tieferen seelischen
+Bedrfnis nach Mitgefhl und Liebe dienen.</p>
+
+<p>Weil die Mnner mit salbungsvoller Frmmigkeit den Dienst ihrer
+selbstgefertigten Gtzenbilder: Staat, Nation usw., predigen, zerbrechen
+die Frauen beschmt den Altar ihres wahren Gottes, der vergebens auf ihr
+Opfer dienender Liebe wartet.</p>
+
+<p>Schon lange sind unterhalb der festen Rinde der Gesellschaft, auf
+die die Welt der Frau gegrndet ist, Wandlungen vor sich gegangen.
+Neuerdings ist die Kultur mit Hilfe der Wissenschaft in wachsendem Mae
+mnnlich geworden, so da man sich um das Wesen und die Eigenart der
+einzelnen immer weniger kmmert. Die Organisation greift ber auf das
+Gebiet persnlicher Beziehungen, und das Gefhl mu dem Gesetz weichen.
+Es hat von mnnlichen Idealen geleitete Gemeinschaften gegeben, in
+denen der Kindesmord herrschte,<span class="pagenum"><a name="Page_p0216" id="Page_p0216">[Pg 216]</a></span> der grausam das weibliche Element der
+Bevlkerung soweit wie mglich niederhielt. Dasselbe, nur in anderer
+Form, geschieht in der modernen Kultur. In ihrer zgellosen Gier nach
+Macht und Reichtum hat sie die Frau fast ganz aus ihrer Welt gedrngt,
+und das Heim mu von Tag zu Tag immer mehr dem Geschftszimmer Platz
+machen. Sie beansprucht die ganze Welt fr sich und lt der Frau fast
+keinen Raum mehr. Sie schdigt sie nicht nur, sondern verhhnt sie.</p>
+
+<p>Aber der Mann kann durch seinen Machtwillen die Frau nicht ein
+fr allemal zum bloen Zierstck herabwrdigen. Denn sie ist der
+Kultur nicht weniger notwendig als er, vielleicht mehr. In der
+Entwicklungsgeschichte der Erde sind groe verheerende Umwlzungen ber
+sie hingegangen, als die Erde noch nicht die lockere Weichheit ihrer
+Reifezeit erreicht hatte, die allen gewaltsamen Kraftentfaltungen Trotz
+bietet. Und auch die Kultur des materiellen Wettbewerbs und des Kampfes
+der Krfte mu einem Zeitalter der Vollkommenheit weichen, dessen Kraft
+tief in Gte und Schnheit wurzelt. Zu lange schon steht<span class="pagenum"><a name="Page_p0217" id="Page_p0217">[Pg 217]</a></span> der Ehrgeiz
+am Steuer unsrer Geschichte, so da der einzelne sein Recht erst
+jedesmal den Machthabern mit Gewalt entwinden und die Hilfe des Bsen
+in Anspruch nehmen mu, um das zu erlangen, was gut fr ihn ist. Aber
+solche Zustnde knnen immer nur eine Zeitlang dauern, denn die Saat,
+die die Gewalt ausgestreut hat, liegt wartend und heimlich wachsend in
+den Rissen und Spalten und bereitet im Dunkel den Zusammenbruch vor, der
+hereinbricht, wenn man es am wenigsten erwartet.</p>
+
+<p>Obgleich daher in dem gegenwrtigen Stadium der Geschichte der
+Mann seine mnnliche berlegenheit behauptet und seine Kultur mit
+Steinblcken aufbaut, ohne sich um das Prinzip des wachsenden Lebens
+zu kmmern, so kann er doch die Natur der Frau nicht ganz in Staub
+zermalmen oder in totes Baumaterial umwandeln. Man kann wohl der Frau
+ihr Heim zertrmmern, aber sie selbst, ihre Art, kann man nicht tten.
+Was die Frau zu erlangen sucht, ist nicht nur die Freiheit, sich ihren
+Lebensunterhalt zu verdienen, indem sie dem Mann die Alleinherrschaft
+im Erwerbsleben zu entreien sucht, sondern sie kmpft<span class="pagenum"><a name="Page_p0218" id="Page_p0218">[Pg 218]</a></span> auch gegen
+seine Alleinherrschaft auf dem Gebiete der Kultur, wo er ihr tglich
+das Herz bricht und ihr Leben verdet. Sie mu das verlorene soziale
+Gleichgewicht wiederherstellen, indem sie das volle Gewicht ihrer
+Weiblichkeit der mnnlichen Schpfung gegenber in die Waagschale wirft. Der Riesenwagen der Organisation fhrt kreischend und krachend
+auf der Heerstrae des Lebens dahin, Elend und Verstmmelung auf
+seinen Spuren zurcklassend, denn was kmmert's ihn, wenn er nur eilig
+weiterkommt. Daher mu die Frau in die zerquetschte und zertrmmerte
+Welt der Einzelwesen eintreten und sie alle als die Ihrigen in Anspruch
+nehmen, die Unbedeutenden und Unbrauchbaren. Sie mu die schnen Blumen
+des Gefhls liebend schtzen vor dem ttenden Spott kalter, kluger
+Tchtigkeit. Sie mu all das Ungesunde und Unreine hinwegfegen, das die
+organisierte Machtgier in der Menschheit hervorrief, als sie sie ihrer
+natrlichen Lebensbedingungen beraubte. Die Zeit ist gekommen, wo die
+Verantwortung der Frau grer ist als je zuvor, wo ihr Arbeitsfeld weit
+ber die Sphre huslichen Lebens<span class="pagenum"><a name="Page_p0219" id="Page_p0219">[Pg 219]</a></span> hinausreicht. Die Welt ruft durch
+ihre geschmhten Individuen ihre Hilfe an. Diese Individuen mssen
+wieder in ihrem wahren Wert erkannt werden, sie mssen wieder ihr Haupt
+zur Sonne heben drfen und durch die erbarmende Liebe der Frau den
+Glauben an die Liebe Gottes wiedergewinnen.</p>
+
+<p>Die Menschen haben die Widersinnigkeit der heutigen Kultur gesehen, die
+auf Nationalismus gegrndet ist, d. h. auf Volkswirtschaft und Politik
+und den daraus folgenden Militarismus. Sie haben gesehen, da sie ihre
+Freiheit und Menschlichkeit aufgeben muten, um sich den ungeheuren
+mechanischen Organisationen anzupassen. So knnen wir hoffen, da sie
+ihre kommende Kultur nicht nur auf wirtschaftlichen und politischen
+Wettbewerb und Ausbeutung grnden werden, sondern auf soziales
+Zusammenwirken aller Vlker, auf die geistigen Ideale der Nchstenliebe
+und gegenseitigen Hilfe, und nicht auf die wirtschaftlichen Ideale des
+grtmglichen Nutzungswerts und der mechanischen Tchtigkeit. Und dann
+werden die Frauen an ihrem wahren Platz sein.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_p0220" id="Page_p0220">[Pg 220]</a></span></p>
+
+<p>Weil die Mnner so riesige und ungeheuerliche Organisationen zustande
+gebracht haben, sind sie zu dem Glauben gekommen, da diese Macht,
+andere zu verdrngen, ein Zeichen von Gre und Vollkommenheit sei.
+Dieser Glaube hat bei ihnen so fest Wurzel geschlagen, da sie schwer
+die Unwahrheit ihres gegenwrtigen Fortschrittsideals erkennen werden.</p>
+
+<p>Aber die Frau kann mit ihrem unverflschten Gefhl und mit der ganzen
+Kraft ihrer Menschenliebe an diese neue Aufgabe, eine geistige Kultur
+aufzubauen, gehen, wenn sie sich nur einmal ihrer Verantwortlichkeit
+bewut wird; denn freilich, wenn sie oberflchlich und kurzsichtig ist,
+wird sie ihre Mission verfehlen. Und gerade weil die Frau von dem Mann
+beiseite gedrngt war und gewissermaen im Dunkel lebte, wird ihr jetzt
+in der kommenden Kultur volle Entschdigung werden.</p>
+
+<p class="bottom3">Und jene menschlichen Wesen, die sich ihrer Macht rhmen und mit ihrer
+Ausbeutung nirgends haltmachen wollen, die den Glauben an den wahren
+Sinn der Lehre ihres Herrn und Meisters, da die Friedfertigen das<span class="pagenum"><a name="Page_p0221" id="Page_p0221">[Pg 221]</a></span>
+Erdreich besitzen sollen, verloren haben, sie werden in der nchsten
+Lebensgeneration zuschanden werden. Es wird ihnen ergehen, wie es in den
+alten, vorgeschichtlichen Zeiten den groen Ungeheuern, den Mammuts und
+den Dinosauriern erging. Sie haben ihr Erbe auf dieser Welt verloren.
+Sie hatten Riesenmuskeln fr ungeheure krperliche Leistungen, aber
+sie muten Geschpfen weichen, die weit schwchere Muskeln hatten
+und weit weniger Raum einnahmen. Und so werden auch in der kommenden
+Kulturperiode die Frauen, die schwcheren Geschpfe &mdash; schwcher
+wenigstens nach ihrer ueren Erscheinung &mdash;, die weniger muskuls sind
+und immer zurckstanden, immer im Schatten dieser groen Geschpfe,
+der Mnner, lebten, ihren Platz einnehmen, und jene greren Geschpfe
+werden ihnen weichen mssen.</p>
+
+<hr class="chap" />
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_q0001" id="Page_q0001"></a></span></p>
+
+
+<div class="footnotes top2">
+
+<div class="s125 center top1">FUSSNOTEN:</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_1" id="Footnote_1"></a>
+ <a href="#FNanchor_1">
+ <span class="label">[1]</span></a>
+Edward Robert Bulwer-Lytton, Sohn des Dichters Edward Bulwer und
+selbst Dichter, 1876-80 Vizeknig von Indien.</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_2" id="Footnote_2"></a>
+ <a href="#FNanchor_2">
+ <span class="label">[2]</span></a>
+pers. durb&#257;r oder darb&#257;r, Audienz, ffentlicher Empfang der
+mongolischen Frsten.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_3" id="Footnote_3"></a>
+ <a href="#FNanchor_3">
+ <span class="label">[3]</span></a>
+Taittiriya &mdash; Upani&#7779;ad 2, 7, 1.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_4" id="Footnote_4"></a>
+ <a href="#FNanchor_4">
+ <span class="label">[4]</span></a>
+
+<em class="gesperrt">Kab&#299;r</em>, einer der Begrnder der neueren indischen
+Mystik, Sohn eines armen muhammedanischen Webers in Benares, lebte
+von etwa 1440 bis 1518. Ein Schler R&#257;m&#257;nandas, verkndete er
+seine Religion der Gottesliebe, in der indische und muhammedanische
+Vorstellungen zusammenflossen, wurde von beiden Lagern als Ketzer
+verfolgt und schlielich 1495 aus Benares verbannt. Seine Lieder wurden
+aus schriftlichen Quellen und mndlicher berlieferung von Kshiti Mohan
+Sen, einem Lehrer an Tagores Schule, gesammelt und in vier Bnden
+herausgegeben. Danach hat der Dichter selbst eine Auswahl ins Englische
+bertragen: Songs of Kabir. Translated by Rabindranath Tagore. London
+1915. Kabir pflegt seine Lieder zu zeichnen, indem er am Anfang der
+letzten Strophe seinen Namen nennt (vgl. S. 89). &mdash; Die angefhrte
+Stelle aus XVII, p. 62 f.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_5" id="Footnote_5"></a>
+ <a href="#FNanchor_5">
+ <span class="label">[5]</span></a>
+S. S&#257;dhan&#257; S. 28. (Der Anfang &#7770;gveda 10, 113, 1.)
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_6" id="Footnote_6"></a>
+ <a href="#FNanchor_6">
+ <span class="label">[6]</span></a>
+Die lteste erhaltene Kodifizierung der indischen Rechtssatzungen
+und Sitten; berhmtes Lehrgedicht, das unter dem Namen Manu's, des
+mythischen Vaters des Menschengeschlechts, geht.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_7" id="Footnote_7"></a>
+ <a href="#FNanchor_7">
+ <span class="label">[7]</span></a>
+Eine der schnsten und der krzesten Upanischaden (Texte
+der altindischen Mystik), gewhnlich nach dem ersten Wort als
+I&#347;&#257;-Upani&#7779;ad bezeichnet. S. Sechzig Upanishads des Veda, aus
+dem Sanskrit bersetzt von Paul Deussen. (Leipzig 1905.) S. 523-8.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_8" id="Footnote_8"></a>
+ <a href="#FNanchor_8">
+ <span class="label">[8]</span></a>
+Songs of Kabir (s. S. 32) LXXVI, p. 121.</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_9" id="Footnote_9"></a>
+ <a href="#FNanchor_9">
+ <span class="label">[9]</span></a>
+Ebenda XVII, p. 67.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_10" id="Footnote_10"></a>
+ <a href="#FNanchor_10">
+ <span class="label">[10]</span></a>
+Der Schluss ist kaum richtig wiedergegeben. Genauer Deussen: &bdquo;ja,
+ich sehe sie, deine lieblichste Gestalt; und jener dort, der Mann dort,
+ich bin es selbst!&ldquo; (Tagore: he is I Am.)
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_11" id="Footnote_11"></a>
+ <a href="#FNanchor_11">
+ <span class="label">[11]</span></a>
+Das vieldeutige Wort <em class="gesperrt">kratu</em> ist eher mit Geist wiederzugeben.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_12" id="Footnote_12"></a>
+ <a href="#FNanchor_12">
+ <span class="label">[12]</span></a>
+Songs of Kabir LXXXII, p. 129.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_13" id="Footnote_13"></a>
+ <a href="#FNanchor_13">
+ <span class="label">[13]</span></a>
+E&#7779;&#257;sya param&#257; gati&#7717;,<br />
+E&#7779;&#257;sya param&#257; sampat,<br />
+E&#7779;o 'sya paramo loka&#7717;,<br />
+E&#7779;o 'sya parama &#257;nanda&#7717;.<br />
+(B&#7771;had &#257;ra&#7751;yaka-Upani&#7779;ad 4, 3, 32).<br />
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_14" id="Footnote_14"></a>
+ <a href="#FNanchor_14">
+ <span class="label">[14]</span></a>
+Vgl. oben
+
+<a href="#Page_p0076">S. 76.</a><br />
+
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_15" id="Footnote_15"></a>
+ <a href="#FNanchor_15">
+ <span class="label">[15]</span></a>
+Taittir&#299;ya-Up. 2, 7, 1.
+</p>
+</div>
+
+
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_16" id="Footnote_16"></a>
+ <a href="#FNanchor_16">
+ <span class="label">[16]</span></a>
+Mit Ausnahme der 4 ersten Worte die berhmte G&#257;yatr&#299;
+(&#7770;gveda 3, 62, 10), s. S&#257;dhan&#257; S. 15.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_17" id="Footnote_17"></a>
+ <a href="#FNanchor_17">
+ <span class="label">[17]</span></a>
+Du bist unser Vater. Sei unser Vater! Anbetung sei dir! (<i>bodhi</i>
+kann &bdquo;sei&ldquo; und &bdquo;erwache, merke auf etwas&ldquo; bedeuten. Die Erklrung des
+Textes nimmt es in letzterem Sinne, zu dem Verb <i>budh</i> &mdash; erwachen,
+bewut werden, wissen).
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_18" id="Footnote_18"></a>
+ <a href="#FNanchor_18">
+ <span class="label">[18]</span></a>
+&#7770;gveda 5, 82, 5.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_19" id="Footnote_19"></a>
+ <a href="#FNanchor_19">
+ <span class="label">[19]</span></a>
+&#7770;gveda 5, 82, 5.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p>
+ <a name="Footnote_20" id="Footnote_20"></a>
+ <a href="#FNanchor_20">
+ <span class="label">[20]</span></a>
+V&#257;jasaneyi-Sa&#7747;hit&#257; 16, 41. Ebenso die folgenden Zitate.
+</p>
+</div>
+</div>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_q0002" id="Page_q0002"></a></span></p>
+
+
+
+<div class="top3 figcenter">
+ <a id="logo" name="logo"></a>
+ <img src="images/logo_pt.png"
+ alt="End"
+ title="End" />
+</div>
+
+<p class="s115 center top2">Gedruckt</p>
+<p class="s115 center">im Sommer 1921</p>
+<p class="s115 center">bei Poeschel &amp; Trepte</p>
+<p class="s115 center">in Leipzig</p>
+<p class="s200 center top2">*</p>
+
+<div class="tnotes top2">
+<p><b>Anmerkungen zur Transkription:</b><br /></p>
+
+<p>Die folgenden offensichtlichen Fehler wurden im Text korrigiert:</p>
+
+<p># S. <a href='#Page_p0070'>70</a>: &bdquo;Sterben&ldquo; &#8594; &bdquo;Streben&ldquo;<br />
+# S. <a href='#Page_p0189'>189</a>: &bdquo;&hellip; zu unserem persnlichen Wesen kommen.
+so finden wir &hellip;&ldquo; Satzpunkt wurde durch Komma ersetzt.<br />
+# S. <a href='#Page_p0199'>199</a>: nach &bdquo;befreit.&ldquo; Anfhrungzeichen (&ldquo;) wurde ergnzt.<br />
+# S. <a href='#Page_p0218'>218</a>: &bdquo;Wagschale&ldquo; &#8594; &bdquo;Waagschale&ldquo;<br />
+</p>
+
+<p>Dieser Text enthlt eine Reihe von Zitaten, die in Sanskrit abgefasst
+und in lateinischer Transliteration mit Hilfe diakritischer
+Zeichen dargestellt werden. Sollte Ihr Browser diese Zeichen nicht sinnvoll anzeigen, ist es
+notwendig, eine Unicode-fhige Schrift zu verwenden.</p>
+
+<p>Das Sanskrit-Zitat auf S. <a href='#Page_p0197'>197</a> wurde wie im ursprnglichen Text wiedergegeben.
+Das Originalzitat nach http://fiindolo.sub.uni-goettingen.de/gretil/1_sanskr/1_veda/1_sam/1_rv/rvpp_05u.htm
+lautet:</p>
+
+<p>&bdquo;vi&#347;v&#257; ni deva savita&#7717; du&#7717;-it&#257;ni par&#257; suva yat bhadram tat na&#7717; &#257; suva&ldquo;
+</p>
+</div>
+
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Persnlichkeit, by Rabindranath Tagore
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PERSNLICHKEIT ***
+
+***** This file should be named 45163-h.htm or 45163-h.zip *****
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+works. See paragraph 1.E below.
+
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+terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
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+
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+work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
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+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation information page at www.gutenberg.org
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
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+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at 809
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+
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+ Chief Executive and Director
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+
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+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
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+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
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+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
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+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For forty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
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