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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org/license + + +Title: Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil + Sein Leben und Wirken + +Author: Heinrich Eduard Brockhaus + +Release Date: January 15, 2014 [EBook #44677] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRIEDRICH ARNOLD BROCKHAUS - ERSTER THEIL *** + + + + +Produced by Constanze Hofmann, Karl Eichwalder, Norbert +Müller and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned +images of public domain material from the Google Print +project.) + + + + + + + + + + Friedrich Arnold Brockhaus. + + Erster Theil. + + + + + [Illustration: Portrait] + + + + + ~Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.~ + + + + + Friedrich Arnold Brockhaus. + + Sein Leben und Wirken + + nach Briefen und andern Aufzeichnungen geschildert + + + von + + seinem Enkel + + Heinrich Eduard Brockhaus. + + + Erster Theil. + + + Mit einem Bildniß nach Vogel von Vogelstein. + + [Illustration Verlagsemblem] + + Leipzig: + F. A. Brockhaus. + + 1872. + + + + + Vorwort. + + +Am 4. Mai dieses Jahres sind hundert Jahre seit dem Tage verflossen, an +welchem + + #Friedrich Arnold Brockhaus# + +geboren wurde. Dem Gedächtnisse des Verewigten sollen bei dieser +Jubelfeier nachfolgende Blätter geweiht sein. + + * * * * * + +Kaum mehr als die Hälfte dieses Zeitraums war ihm zu leben vergönnt: +am 20. August 1873 werden es funfzig Jahre, daß er im kräftigsten +Mannesalter den Seinigen und seinem Wirken entrissen worden ist. Und +nur achtzehn von den einundfunfzig Jahren seines Lebens wirkte er in +dem Berufe, zu dessen hervorragendsten und verdientesten Vertretern er +gehört. + +Was er in dieser kurzen Spanne Zeit erstrebt und geschaffen, gibt ihm +den Anspruch darauf, daß sein Gedächtniß in Ehren gehalten, sein Leben +und Wirken der Nachwelt vorgeführt werde. Friedrich Arnold Brockhaus +verdient ein Blatt in der Geschichte des deutschen Buchhandels, und der +Versuch, ihm ein solches zu widmen, bedarf darum keiner Rechtfertigung. + +Dagegen erscheint eine Erklärung nöthig, weshalb ein solcher Versuch +nicht schon früher gemacht wurde. + +Der Grund liegt hauptsächlich darin, daß für eine Biographie desselben +nur ein ungenügendes, geringes und lückenhaftes Material vorhanden +ist. Deshalb kam auch die bald nach seinem Tode von einem Freunde, +Professor Friedrich Christian August Hasse in Dresden, gehegte Absicht, +ihm ein literarisches Denkmal zu errichten, nicht zur Ausführung, obwol +er vor Vielen dazu berufen und befähigt gewesen wäre. Aus gleichem +Grunde trat in späterer Zeit der Gedanke an eine ausführlichere +biographische Schilderung immer mehr in den Hintergrund, je weniger es +trotz mehrfacher Bemühungen gelingen wollte, jene Lücken auszufüllen. +Die an den Tagen des 13. und 14. Juli 1856 begangene Jubelfeier des +funfzigjährigen Bestehens der Firma F. A. Brockhaus ließ den Wunsch nach +einer Lebensschilderung ihres Begründers wieder lebhafter hervortreten, +und sein hundertjähriger Geburtstag erschien als der passendste +Zeitpunkt zur Ausführung. + +Der Unterzeichnete, ein Enkel des Verstorbenen, übernahm die schwierige +Aufgabe; er fühlt vor allem die Verpflichtung, sich wegen dieses +Wagnisses zu entschuldigen, und muß dabei zunächst von sich selbst +sprechen. + + * * * * * + +Wie mein Vater Heinrich Brockhaus, der seit dem Tode seines Vaters, bis +1850 zusammen mit seinem ältern Bruder Friedrich, an der Spitze des +Geschäfts steht, und dessen funfzigjährige buchhändlerische Wirksamkeit +wir gleichzeitig mit dem hundertjährigen Geburtstage seines Vaters +feiern können, und wie mein jüngerer Bruder Heinrich Rudolf, habe ich +es mir zur Lebensaufgabe gemacht, die Firma F. A. Brockhaus im Geiste +ihres Gründers fortzuführen. Seit über 20 Jahren ihr angehörend, hegte +ich von jeher den lebhaften Wunsch, mich mit dem Leben meines Großvaters +näher bekannt zu machen und es dann auch Andern zu schildern. Meine +hohe Achtung für ihn und sein Wirken als Buchhändler stieg immer mehr, +je vertrauter ich mit seinen Schöpfungen wurde. Ich beschäftigte +mich eingehend mit dem trotz der Lückenhaftigkeit sehr umfänglichen +Material an Briefschaften sowie mit den Verlagsartikeln unserer Firma +aus jener Zeit, und es gelang mir auch wenigstens von einigen Seiten +wichtige Vervollständigungen jenes Materials zu erlangen. Als diese +wichtige Vorarbeit beendigt war, erkannte ich freilich, daß es nur +verhältnißmäßig Weniges sein würde, was ich daraus zusammenstellen +könnte, doch aber mußte ich mir sagen, daß es zu bedauern wäre, sollte +auch dieses Wenige verloren gehen. So ist es mir als Pflicht erschienen, +lieber das zu geben, was ich geben konnte, als, vor der Schwierigkeit +der Aufgabe zurückschreckend, die bessere Ausführung einer ungewissen +Zukunft zu überlassen. + +Denn auch die Ueberzeugung mußte ich bald gewinnen, daß ein ferner +Stehender oder einer spätern Generation Angehörender noch weniger im +Stande sein würde, ein einigermaßen treues Lebensbild meines Großvaters +zu entwerfen. Ich habe ihn allerdings nicht mehr persönlich gekannt -- +er starb sechs Jahre vor meiner Geburt; aber außer meinem Vater theilte +mir mein Onkel, Professor Hermann Brockhaus, der mich auch bei meiner +Arbeit vielfach durch seinen Rath unterstützt hat, manches Nähere über +mir sonst unbekannt gebliebene Verhältnisse mit, und ich konnte dadurch +sowie durch mündlichen und schriftlichen Verkehr mit Männern, die ihn +noch selbst gekannt hatten, jenen für einen Biographen stets mislichen +Mangel einigermaßen ersetzen. + +Als bloßen Versuch einer Biographie bitte ich aber meine Schilderung +anzusehen und, wenn sie selbst geringe Erwartungen nicht befriedigen +sollte, dies wenigstens zum Theil Umständen, die außer mir liegen, +zuzuschreiben. + +Ich bin nicht berufsmäßiger Schriftsteller, sondern praktischer +Geschäftsmann; außer der selbst bei vollständiger Befähigung +erforderlichen Uebung fehlte mir aber auch die zu einer bessern Lösung +der Aufgabe nöthige Zeit. + +Mit an der Spitze eines umfangreichen Geschäfts stehend, konnte ich nur +die wenigen Stunden der Muße und die sonst der Erholung bestimmte Zeit +zuerst auf die Lektüre der Tausende von Briefen sowie der einschlagenden +Literatur, dann auf die Ausarbeitung verwenden. So habe ich auf dem +Comptoir und zu Hause, auf dem Redactionsbureau und auf dem Reichstage, +namentlich aber auf Erholungsreisen, in Dresden und Thüringen, im +Seebade auf der Insel Wight und der Insel Sylt, seit Jahren fast +jede freie Stunde, seltener einige Wochen, der Arbeit gewidmet. Eine +zusammenhängende längere Zeit ausschließlich für sie zu gewinnen war mir +unmöglich. + + * * * * * + +Meine nächste Absicht war ferner nur die: den Mitgliedern der Familie +sowie den Angehörigen und Freunden unserer Firma ein Lebensbild +von Friedrich Arnold Brockhaus darzubieten, aus seinen und aus den +an ihn gerichteten Briefen das nach meiner Ansicht Wesentliche und +Charakteristische mitzutheilen, und nur so viel, als zum bessern +Verständniß desselben ganz nothwendig erschien, hinzuzufügen. Erst +während der Arbeit gewann ich die Ansicht, daß meine Mittheilungen +doch auch für weitere Kreise, zunächst für den deutschen Buchhandel, +Interesse haben könnten, und ich entschloß mich deshalb, sie nicht, wie +anfänglich beabsichtigt, blos als Manuscript für die Familie und für +Freunde drucken zu lassen, sondern sie auch allgemein zugänglich zu +machen. Ich hoffe damit zugleich meinerseits eine Anregung zu geben, +daß auch andere Buchhandlungen künftig mehr als bisher Mittheilungen +aus ihren Geschäftspapieren als Beiträge zu einer leider noch nicht +geschriebenen Geschichte des deutschen Buchhandels veröffentlichen. +Manche der abgedruckten Briefe und andern Actenstücke sowie die mit +möglichster bibliographischer Genauigkeit angefertigten Uebersichten +über die Verlagsthätigkeit meines Großvaters dürften wol auch auf +ein literarhistorisches Interesse Anspruch machen. Bei letztern hat +mir besonders der gleichzeitig mit diesem Buche von meinem Vater +herausgegebene chronologische Katalog der von 1806 bis 1872 im Verlage +der Firma F. A. Brockhaus erschienenen Werke, mit biographischen und +literarischen Notizen, treffliche Dienste geleistet. + + * * * * * + +Was die bei meiner Arbeit befolgte Methode betrifft, so habe ich es mir +zur Pflicht gemacht, die Auszüge aus Briefen und andern Aufzeichnungen +meist mit den Worten der Verfasser wiederzugeben, nicht in Bearbeitung. +Dieser wichtigste Bestandtheil der Arbeit ist von meinen mehr als +verbindendes Glied dienenden Bemerkungen auch äußerlich durch den +Druck unterschieden. Ich weiß, daß von Vielen die entgegengesetzte +Art, die Verarbeitung von Briefen und sonstigen Actenstücken zu +einer selbständigen neuen Schöpfung des Biographen, vorgezogen wird. +»Friedrich Perthes' Leben« von dessen Sohne Clemens Theodor Perthes +ist das mustergültige Beispiel einer in dieser Weise ausgeführten +Biographie. Allein abgesehen davon, daß eine solche Behandlung einen +Meister der Biographie verlangt, als welcher sich der Verfasser jenes +Werks bewährt und dasselbe zu einer Zierde unserer Literatur gemacht +hat, gestattete mir schon die Beschaffenheit meines Materials ein +ähnliches Verfahren nicht. Aus manchen Lebensperioden meines Großvaters, +zum Theil den wichtigsten, war so gut wie nichts vorhanden, über seine +Jugend und sein erstes Mannesalter wesentlich nur ein von ihm selbst +verfaßter Rückblick, während aus andern Jahren wieder zahlreichere +Mittheilungen vorlagen. So blieb mir nach reiflicher Prüfung nichts +Anderes übrig, als das Wenige, was ich fand, möglichst vollständig +und wortgetreu zu veröffentlichen. Daraus erklärt und entschuldigt +sich auch die größere Ausführlichkeit mancher minder wichtiger, die +verhältnismäßige Kürze anderer wichtigerer Abschnitte. + +Da ich den Namen Friedrich Perthes genannt habe, kann ich es mir +nicht versagen, darauf hinzuweisen, daß der hundertjährige Geburtstag +beider Männer beinahe zusammenfällt und daß ich diese Zeilen zum +Gedächtniß von Friedrich Arnold Brockhaus gerade an dem hundertjährigen +Geburtstage von Friedrich Perthes niederschreibe. Perthes und +Brockhaus gehören unzertrennlich zueinander als zwei Männer, auf die +der deutsche Buchhandel gleichmäßig stolz sein kann. Wie in ihrer +Geburt, so berührten sie sich auch vielfach in ihrem Leben und Wirken +als Buchhändler und als deutsche Patrioten; wie sie persönlich nahe +befreundet waren, werden auch nach dem Tode ihre Namen zusammen +fortleben. + +Daß ich in dem von mir Geschilderten nicht allein den Gründer unserer +Firma, sondern auch meinen Großvater verehre, hat mich nicht abgehalten, +die erste Pflicht jedes gewissenhaften Biographen: immer die Wahrheit +und zwar die volle Wahrheit zu sagen, auszuüben und obenan zu stellen. +Ich habe dies auch in solchen Fällen gethan, wo die Erfüllung dieser +Pflicht mir nicht leicht wurde, und alle entgegenstehenden Bedenken +fallen lassen. Auch Privatverhältnisse glaubte ich nicht übergehen oder +mich auf bloße Andeutungen darüber beschränken zu dürfen, wenn ihre +Vorführung zur Schilderung des äußern Lebens oder zur Charakterisirung +wesentlich erschien. + +Auch einen andern Fehler, in den häufig Biographen verfallen, bin ich +bestrebt gewesen zu vermeiden: den von mir oft empfundenen Uebelstand, +daß der Geschilderte lediglich verherrlicht und als Mittelpunkt der +ganzen Zeit, in der er gelebt und gewirkt, hingestellt wird. + + * * * * * + +Nur die Hälfte meiner Arbeit lege ich gegenwärtig vor und habe sie als +ersten Theil bezeichnet, da sich während der Abfassung und nach schon +begonnenem Drucke bald die Unthunlichkeit herausstellte, das Ganze in +einem Bande und zu dem gebotenen Termine zu vollenden. + +Dieser erste Theil schildert das Leben von Friedrich Arnold Brockhaus +bis zu seiner Uebersiedelung nach Leipzig und zwar zunächst die Jugend +und sein erstes Wirken in Dortmund, dann die Zeit in Amsterdam, darauf +die Zwischenperiode vor seiner Niederlassung in Altenburg, endlich die +in Altenburg verlebten Jahre. Das beigegebene Bildniß ist nach einem +von dem Maler Vogel von Vogelstein in Dresden gezeichneten Porträt +gestochen, das als sehr getroffen gilt. + +Der zweite Theil ist dem leider nur sehr kurzen Wirken des Verewigten +in Leipzig gewidmet und soll außer seiner dort entwickelten lebhaften +Verlagsthätigkeit auch die zahlreichen literarischen Streitigkeiten +schildern, in die er damals verwickelt wurde, seine Kämpfe gegen +den Nachdruck und für eine gesetzliche Regelung der deutschen +Preßgesetzgebung, die durch eine Recensur seines Verlags in Preußen +entstandenen Schwierigkeiten, endlich die letzte Lebenszeit. + +Diesen zweiten Theil hoffe ich dem ersten bald folgen lassen und damit +das Werk vollständig vorlegen zu können. + + * * * * * + +Zum Schluß fühle ich noch die Verpflichtung, allen Denen zu danken, die +mich durch Ueberlassung von Briefen, durch Ertheilung von Auskünften +oder in anderer Weise bei meiner Arbeit unterstützt haben. Ihre Zahl ist +so groß, daß ich darauf verzichten muß, ihnen hier einzeln meinen Dank +auszusprechen. + +Freilich kann ich aber auch nicht umhin, zugleich der Hoffnung Ausdruck +zu geben, daß mir aus Anlaß der Veröffentlichung dieses ersten Theils +noch manche werthvolle Beiträge zur Ausfüllung der vorhandenen Lücken +zufließen werden. Diese Ergänzungen sowie jede Berichtigung meiner +Darstellung werde ich auf das gewissenhafteste und dankbarste benutzen. + + * * * * * + +Ich empfehle meine Arbeit dem Wohlwollen und der Nachsicht meiner Leser. + +#Leipzig#, 21. April 1872. + + _Dr._ Heinrich Eduard Brockhaus. + + + + + Inhalt des ersten Theils. + + + #Vorwort# V + + #Erster Abschnitt.# Anfänge. + + 1. Vorfahren. 3 + 2. Jugendzeit und erstes Mannesalter. 14 + 3. Der Hiltrop'sche Proceß. 21 + 4. Ein Rückblick. 33 + + #Zweiter Abschnitt.# In Amsterdam. + + 1. Kaufmännische Thätigkeit. 41 + 2. Errichtung einer Buchhandlung. 49 + 3. Erste journalistische Verlegerthätigkeit. 60 + 4. Weitere Verlagsthätigkeit. 83 + 5. Reisen zur leipziger Buchhändlermesse. 101 + 6. Zerwürfnisse mit Baggesen. 121 + + #Dritter Abschnitt.# Von Amsterdam nach Altenburg. + + 1. Ende des amsterdamer Aufenthalts. 155 + 2. Vier Monate in Leipzig. 181 + 3. Beziehungen zur Hofräthin Spazier. 190 + 4. Abschluß der amsterdamer Zeit. 223 + + #Vierter Abschnitt.# In Altenburg. + + 1. Neues Leben. 251 + 2. Neue Verlagsthätigkeit. 270 + 3. Die »Deutschen Blätter«. 306 + 4. Geschichtliche und encyklopädische Verlagsthätigkeit. 356 + + + + + Erster Abschnitt. + + Anfänge. + + + + + 1. + + Vorfahren. + + +Die Familie, welcher Friedrich Arnold Brockhaus entstammt, gehört +Westfalen an, wo sie sich durch zwei Jahrhunderte verfolgen läßt; sie +ist dort noch jetzt in mehrern Zweigen vertreten, während er selbst und +die von ihm gegründete Firma sich in Leipzig niedergelassen haben. + +Die Vorfahren von Friedrich Arnold Brockhaus waren fast sämmtlich +geistlichen Standes, und unter ihnen befindet sich eine Reihe verdienter +evangelischer Pastoren; auch viele Glieder der in ihrem Vaterlande +gebliebenen Zweige der Familie haben sich diesem Berufe wieder gewidmet. + +Der Erste des Namens Brockhaus, von dessen Leben etwas bekannt ist, +war Adolf Heinrich Brockhaus, Pastor zu St.-Thomä in Soest, geboren +in Altena (einer kleinen Stadt im westfälischen Sauerlande, nahe bei +Lüdenscheid), 1699 ordinirt und 25 Jahre lang, bis 1724, in seinem +Amte wirkend. Im Kirchenbuche wird gesagt, daß er ein sehr tüchtiger, +fleißiger, ehrsamer, von Allen geliebter Pastor war und an seiner +Beerdigung die ganze Gemeinde theilnahm. Er war verheirathet mit +Margarethe Katharine Sybel, einer alten Predigerfamilie in Soest +angehörend, mit welcher die Familie Brockhaus noch mehrfach in +Verwandtschaftsverhältnisse trat. + +Aus früherer Zeit ist über die Familie nichts Sicheres zu erfahren, +da die ältern Kirchenbücher von Altena nicht mehr vorhanden sind. Wir +wissen deshalb auch nicht, ob die Familie schon länger in Altena lebte +oder von anderswoher dahin gekommen war. In Altena wird zwar noch ein +Vorfahr, Eberhardt Brockhaus aus Unna, seit 1665 als Vicar (zweiter +Prediger) genannt[1]; aber auch über ihn und seine Verwandtschaft mit +dem Pastor Adolf Heinrich ist nichts bekannt. Nach Familientraditionen +sollen die Vorfahren schon seit den Anfängen der Reformation lutherische +Prediger in Westfalen gewesen sein. + + * * * * * + +Mit dem bekannten holländischen Philologen und Dichter Brockhusius +(eigentlich Jan van Broekhuizen, gewöhnlich Janus Broukhusius genannt), +geb. 20. November 1649 zu Amsterdam, gest. 15. December 1707, scheint +die westfälische Familie Brockhaus in keinem Zusammenhang zu stehen. Die +vielfach verbreitete Annahme, daß dies der Fall sei, beruht außer auf +der Aehnlichkeit beider Namen wahrscheinlich nur darauf, daß Friedrich +Arnold Brockhaus eine Zeit lang in Amsterdam gelebt hat. + +Mit dem Geschlechte der Erp oder Erpp von Brockhauß (auch Brockhuß und +Brockhausen geschrieben) läßt sich ebensowenig eine Verwandtschaft +nachweisen, obwol sie wahrscheinlich ist, da diese Familie gleichfalls +aus Westfalen zu stammen scheint. Der Bekannteste aus derselben ist +Simon Anton Erp von Brockhauß oder Brockhausen, geb. 14. Mai 1611 zu +Lemgo, 1647 Professor der Rechte am Gymnasium zu Bremen, 1650 Rathsherr, +1665 Gesandter auf dem Reichstage zu Regensburg, später Bürgermeister +von Bremen, gest. 18. November 1682.[2] Auf dem Titel seiner 1640 in +Helmstedt gedruckten Doctordissertation: »_De litis contestatione_«, +ist er ausdrücklich als Westfale bezeichnet. Nach mehrern auf der +Bibliothek zu Bremen aufbewahrten Fliegenden Blättern hieß sein Vater +Johann Erp von Brockhauß und war »_Utriusque juris Doctor_, der +fürstlichen Aebtissin zu Hervord, Gräflich Bentheim-Tecklenburg'scher +und Lippe'scher Geheimrath und Hofgerichtsassessor«, sein Großvater +Tilemann Erp von Brockhauß war »Hochgräflich Hoy'scher und Lippe'scher +Geheimrath und Drost zu Hoya, Ucht und Freudenberg«. Jahreszahlen sind +bei Beiden nicht angegeben. Simon Anton hinterließ keine Söhne, nur +zwei Töchter, sodaß mit ihm der Mannesstamm erlosch. Dagegen ist auf +einer juristischen Dissertation aus Helmstedt: »_De nuptiis_«, 1654 +gedruckt, als Verfasser Anton Christian Erp Brockhuß genannt, mit dem +Zusatz _Old._ (aus Oldenburg), jedenfalls der Abkömmling eines andern +oldenburger Zweigs der Familie. + +In keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu der westfälischen Familie +Brockhaus scheint das pommersche Geschlecht Brockhausen zu stehen, das +in alten Urkunden Brockhuß, später aber auch Bruckhausen und Brockhusen +geschrieben wird. Der erste 1511 urkundlich Genannte dieses Geschlechts +ist Jürgen Brockhuß zu Groß-Justin im Kreise Cammin. Ein Nachkomme +desselben war der preußische Staatsminister Karl Friedrich Christian +Georg von Brockhausen (gest. 1829). + + * * * * * + +Ein Sohn des zuersterwähnten Pastors zu St.-Thomä in Soest, ebenfalls +mit Namen Adolf Heinrich Brockhaus, wurde 1740 von einer andern Gemeinde +der Stadt Soest, der zu St.-Walpurgis, zum Pastor gewählt. Seine Tochter +Josina verheirathete sich mit einem Pastor Sybel in Soest; ihr Enkel ist +der Geschichtschreiber Heinrich von Sybel in Bonn. + +Ein anderer, wahrscheinlich älterer Sohn des Pastors zu St.-Thomä, +Johann Diederich Melchior Brockhaus, geb. 1. Februar 1706, wurde mit 23 +Jahren, am 1. December 1728, zum Pastor in Meyerich bei Kirch-Welver +erwählt (beide Orte liegen zwischen Soest und Hamm, das Dorf Meyerich +westlich, die Kirche zu Welver östlich, von schönem Eichenwald umgeben; +in Meyerich befindet sich das Pfarrhaus, während die Kirche der Gemeinde +in Welver steht). Er starb 70 Jahre alt, am 16. November 1775, nachdem +er sein Amt 47 Jahre lang bekleidet hatte. + +Johann Diederich Melchior Brockhaus hat in dem Kirchenbuche von Welver +außer den kirchlichen Notizen hier und da besondere Ereignisse aus +seiner amtlichen Thätigkeit verzeichnet, die ihn selbst trefflich +charakterisiren und zugleich als interessante Beiträge zur Zeit- und +Sittengeschichte aufbewahrt zu werden verdienen. + +Die erste und ausführlichste Mittheilung, durch die Ueberschrift »_In +memoriam successorum_« als ein Fingerzeig für seine Amtsnachfolger +bezeichnet, betrifft einen Conflict des eifrig protestantisch gesinnten +Pastors mit einem katholischen Kloster. Dieses, ein Nonnenkloster, +befand sich ganz in der Nähe der Kirche zu Welver, und seine +Nachbarschaft scheint dem würdigen Pastor Melchior viel Sorge und Kampf +bereitet zu haben. + +Ueber die kirchlichen Verhältnisse daselbst sagt ein competenter +Geschichtschreiber[3]: + + Die Reformation ward in Welver definitiv im Jahre 1565 eingeführt. + Freilich werden schon vorher evangelische Prediger genannt; allein + die Gemeinde war erst seit dem genannten Jahre dem evangelischen + Bekenntniß entschieden zugethan. Nur das in Welver befindliche + freiadeliche Cistercienserinnenkloster, welches über die Pfarrei das + Collationsrecht hatte, blieb katholisch. Der evangelischen Gemeinde + erwuchsen hieraus oft die schwersten Bedrängnisse. Namentlich + hatte dieselbe zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zu leiden, + indem ihr durch Militärgewalt die Kirche entzogen und in derselben + der katholische Gottesdienst restaurirt wurde. Doch bald nach dem + Friedensschluß wurde am 19. December 1649 auf Befehl des Kurfürsten + Friedrich Wilhelm durch den Drosten von Neuhoff zu Altena und den + Richter _Dr._ Zahn zu Unna unter Hinzuziehung des Magistrats von Soest + den Evangelischen die Pfarrkirche wieder überwiesen. + + Späterhin machte das Kloster wiederholt den Versuch, durch seinen + Beichtiger in der Gemeinde Parochialhandlungen verrichten zu lassen. + Ein hierdurch veranlaßter heftiger Rechtsstreit wurde endlich durch + ein Decret vom 1. September 1709 dahin entschieden, daß dem Kloster + nur das Recht, innerhalb seiner Ringmauern (aber nicht außerhalb + derselben) Ministerialhandlungen verrichten zu lassen, zuerkannt wurde. + +Aus Anlaß dieser Verhältnisse entstanden natürlich häufige Reibungen +zwischen dem evangelischen Pastor und der Aebtissin des katholischen +Klosters. Die erwähnte eigenhändige Mittheilung des Pastors Melchior +lautet: + + Nachdem der zeitige evangelisch-lutherische Prediger zu Welver, + Johann Diederich Melchior Brockhaus, vernommen, daß die Nonnen zu + Welver bei ihrer abgöttischen Procession ihre Knechte pflegten + zu gebrauchen, daß sie den sogenannten Himmel (worunter das + _abominabile_[4] getragen wird) und die Fahnen (die vorhergetragen + werden) müssen tragen, und _anno_ 1732 vier lutherische Knechte aus + hiesiger Gemeinde im Kloster wohnen, so habe ich als ihr Seelsorger + dieselben Knechte zu vier verschiedenen Malen gewarnt, sich dieser + Abgötterung nicht theilhaftig zu machen, auch bedroht, daß ich sie + im Contraventionsfalle ohne vorhergehende Kirchenbuße nicht zum + heiligen Nachtmahl administriren würde, nämlich 1) _privatim_, 2) im + Beichtstuhl, 3) ordentlich auf der Kanzel _Dom. VI. p. pascha_ und 4) + am heiligen Pfingsttage nach der Nachmittagspredigt auf der Kanzel. + Demungeachtet aber hat die damalige unruhige _abdissin Biscopime_ + zwei von diesen Knechten durch 4 Butten Bier dazu _persuadirt_ oder + gezwungen (wie so hernach _coram protocollo ecclesiastico_ gestanden), + daß Einer die Fahne, die Anderen den blauen Himmel tragen sollten + und sind vor der _monstrance_ in die Knie gefallen. Wie ich nun am + folgenden Sonntage die Bosheit dieser Knechte öffentlich bestrafte + und sie 2 mal ins Kirchengebet geschlossen, schickte die verwegene + _abdissin_ 3 Kerls zu mir ins Haus und ließ mich fragen, warum ich + gegen ihre Knechte so scharf gepredigt. Darauf ich aber die Antwort + gab, sie sollten den Nonnen wiedersagen, sie haben sich um mein Amt + gar nicht zu kümmern und wäre ich allein verbunden Gott und unserm + Könige Rechenschaft davon zu geben. Darauf fragte ich die 3 Kerls, wie + sie daran kämen, daß sie mich in meinem Hause zur Rede stellten, nahm + den Besen und jagte sie zum Hause heraus. + + Wie nun nach einiger Zeit die Knechte zum heiligen Abendmahl gingen, + mußten sie sich erst ordentlich durch die Kirchenbuße mit der Gemeinde + aussöhnen. + + Darauf wurde nun diese Sache in _Cleve_ anhängig gemacht, da denn + sowohl an den Großrichter, als an den _Magistrath_ ein _rescript_ + kam, die Sache genau zu untersuchen und die _interessirten persohnen_ + eidlich abzuhören, damit die _abdissine_ sich nicht zu beschweren habe. + + Wie nun kurz darauf diese unruhige _abdissine_ wegging und ich bei + _Installation_ der neuen _abdissine_ ins Kloster zu Meßen genöthigt + wurde, begehrte der Praelate von Campen nebst den Nonnen von mir, daß + ich mich doch bemühen möchte, die Sache gütlich abzuthun. Die vorige + _abdissine_ sei eine unruhige Persona gewesen, sie wollten dergleichen + nicht wieder anfangen. Darauf antwortete ich ihnen, wenn sie mir die + Kosten wollten wiedergeben, die an diesen _process_ gelegt, und daß + sie es nicht wiederthun wollten, könnte die Sache liegenbleiben. Kurz + darauf haben sie mir 10 Reichsthaler rechtlich ausbezahlt. + +Nach einer Küsterwahl, die nicht nach seinem Willen erfolgte, schreibt +Pastor Melchior ins Kirchenbuch: + + Wenn nun dieser junge Mensch seinem Amte keine Genüge thun sollte + und sonderlich die Jungens in der _information_ versäumen, so fordere + ich, daß die Verwahrlos'ten von meinen Händen nicht gefordert + werden. Dem allwissenden Gott, wie auch meiner ganzen Gemeinde ist + bekannt, daß ich auf ein tüchtiges _subjectum_ sehe, nämlich auf den + Schulmeister in _Catrop_. Ich habe aber der Gewalt weichen müssen. Was + nun verwahrlos't und versäumt wird, das kommt auf die Menschen, welche + diesem jungen Menschen dazu behülflich gewesen. + +Bei einer andern Küsterwahl trägt der Pastor mit Stolz ins Kirchenbuch +ein, daß er das katholische Kloster durch ein drastisches Mittel, wie +er sie überhaupt geliebt zu haben scheint, verhinderte, an derselben +theilzunehmen: + + Das Kloster schickte (wie das wohl geschehen sollte) den Vogt in die + evangelische Kirche, daß er im Namen des Klosters votiren sollte. Ich + fragte ihn, was er wollte? Nichts. Darauf nahm ich den Chorstock[5] + und trieb ihn vor mir her zum großen Gelächter der ganzen Gemeinde aus + der Kirche und ließ die Kirche zuschließen. + + Ist also dieser Küster ohne _consens_ und _collation_ des Klosters + erwählt, es ist auch bei der Wahl Niemand vom Rathhause zugegen + gewesen; auch über 1½ Jahr von mir allein in Gegenwart des + Lehnherrn auf dem Chor eingeführt und ist kein Vogt dabei gewesen. + +Endlich hat der Pastor Melchior auch einen geheimnißvollen Vorfall +verzeichnet, ohne hinzuzufügen, was er selbst davon halte: + + 1757, den 7. October, hat sich des Abends um 7 Uhr Folgendes in + unserer Kirche zugetragen. + + Wie die Fräuleins des Klosters Welver um bemerkte Zeit in ihre + Kirche gehen wollten, sehen sie, daß es in unserer Kirche helle ist. + + Wie sie nun vermuthen, es möchten Diebe in der Kirche sein, müssen + nicht nur alle Bediente des Klosters, sondern auch die Leute, so zu + Welver am Kirchhofe wohnen, unsere Kirche besetzen. Die auch sämmtlich + das Licht in unsrer Kirche gesehen. + + Wie nun der Küster gezwungen wird, die Kirche zu öffnen, ist das + Licht auf einmal verschwunden. Die Leute sind durch die ganze Kirche + gegangen, ob etwas darin wäre, haben aber nichts verspürt. Ob nun + dieses eine Vorgeschichte ist, ob und wann es soll erfüllt werden, + wird die Zeit lehren; Gott wende Alles zum Besten. + +Einige nähere Lebensumstände dieses Mannes, des Großvaters von Friedrich +Arnold Brockhaus und jedenfalls des hervorragendsten unter dessen +Vorfahren, sind durch ein altes Buch erhalten, in das er außer seinen +Ausgaben (aus deren Verzeichnung hervorgeht, daß er auch ein tüchtiger +Oekonom und guter Haushalter war) dann und wann Nachrichten über seine +Erlebnisse einschrieb.[6] + +Pastor Melchior verzeichnet darin zunächst den Tag seiner Geburt und +Taufe und macht bei Nennung eines seiner Pathen, einer adelichen Dame, +die Bemerkung: »welche aber nach der Zeit zum _pabtum_ abgefallen und +ihren eigenen Taufbund gebrochen«. Dann fährt er fort: + + Gott gebe, daß mein nahme im Himmel unter der Zahl der außerwehlten + auch möge angeschrieben stehen. Habe Dank, Du frommer Gott, daß Du + mich wunderbarlich im mutterleibe gebildet, mit einer vernünftigen + Seele und gesunden Gliedmaßen von frommen Eltern hast lassen gebohren + werden und sonderlich in der heiligen Taufe einen ewigen Bund mit mir + gemacht. Gib gnade, mein Gott, daß ich in diesem Bunde leben, leyden + und sterben möge. + +Darauf erwähnt er seiner Studienzeit. Er ging im Februar 1724 (also 18 +Jahre alt) nach Halle, aber schon am 6. Juli dieses Jahres nach Jena: +»weil mir die _collegia theologica_ in Halle nicht anstehen wollten«; +von da reiste er am 2. August 1726 nach Leipzig und kam am 20. August +1727 über Frankfurt a. M., Köln und Altena (wo er einmal predigte, +wahrscheinlich weil diese Stadt der Geburtsort seines inzwischen als +Pastor in Soest verstorbenen Vaters war und dort noch Verwandte von ihm +lebten) nach Hause zurück. Er machte sein Examen und predigte mehrmals, +bezog indeß im Sommer 1728 nochmals die Universität Halle »wegen des +königlichen Befehls, daß niemand sollte befördert werden, der nicht +zuletzt in Halle studirt«. Am 28. August 1728 wieder in Soest angelangt, +wurde er am 1. December zum Prediger nach Meyerich berufen, am 8. +examinirt, am 9. ordinirt und am 12. December installirt. + +Ueber seine Studienzeit schreibt er folgende Selbstanklage nieder, die +indeß gleich der folgenden wol nicht ganz wörtlich zu nehmen ist: + + Wie ich nun mein Universitätsleben zugebracht, ist dem allwissenden + Gott am besten bekannt. Viel gutes habe ich daselbst gelernt, aber + auch durch Müßiggang, Verschwendung und auf andere Gott allein bewußte + Weise mich schwerlich versündiget. + + Ach Gott, wenn mir das kömmet ein, + Was ich mein Tage u. s. w. + +Dann fährt er fort, nach Erwähnung seiner Anstellung: + + Ob es mir nun gleich an genugsamer geschicklichkeit fehlet, ich auch + leyder sonderlich im Anfang meines ambtes Vieles versehen und also + Blutschulden auf meine arme Seele geladen (!), so verspreche ich doch + inskünftige zu verbessern, was ich bißanhero versehen habe, und glaube + festiglich, daß mein getreuer Erlöser _Jesus Christus_ mit seinem + theuern Blut meine Blutschulden tilgen werde. + +Die übrigen Notizen des Tagebuchs beziehen sich meist auf Ereignisse +in seiner Familie. Er war dreimal verheirathet und hatte funfzehn +Kinder (sechs Söhne und neun Töchter), von denen neun noch vor ihm +starben, meist in sehr zartem Alter. Seine erste Frau starb im ersten +Wochenbett und zwar, wie er bemerkt: »an eben dem Tage und in eben der +Stunde, darinnen wir vorm Jahre waren copuliret; so war sie auch an eben +demselben Tage vor 25 Jahren gebohren«; er fügt hinzu: »Gott gebe allen +frommen Christen eine solche dreifach glückselige Stunde!« Mit seiner +zweiten Frau, Maria Elisabeth, Tochter des Pastors Hennecke in Soest, +war er fast zwanzig Jahre verheirathet und sie wurde die Mutter von +zehn Kindern, darunter die beiden Söhne, die seinen Namen fortpflanzten. +Zum dritten male verheirathete er sich in seinem funfzigsten Jahre mit +Klara Dorothea Quante und lebte mit ihr ebenfalls fast zwanzig Jahre, +bis an seinen Tod (1775), während seine Witwe, die ihm vier Kinder +geboren hatte, erst 1808, 83 Jahre alt, starb. + +Noch einige Aeußerungen des Pastors Melchior in seinem Tagebuche seien +zu seiner Charakterisirung hier verzeichnet. + +Beim Verlust eines dreijährigen Töchterchens schreibt er: + + Mein halbes Herz ist mit ihr in die Erde gescharrt. Gott gebe, daß + wir in kurzer Zeit im Himmel uns mögen wiedersehen. + + Amen, Amen, komm du schöne + Freudenkrone, bleib nicht lange, + Deiner warte ich mit Verlangen. + +Und bei einem ähnlichen Verluste: + + Der Herr bescheere mir ein baldiges freudiges Wiedersehen dieses und + meiner übrigen in der Herrlichkeit triumphirenden Kinder, nach seinem + gnädigen Willen. _Dulce meum terra tegit._ Ich habe hier wenig guter + Tag u. s. w. + +Kaum 30 Jahre alt, wurde er von heftigen Leiden am Fuße heimgesucht; +diese verloren sich nach einigen Jahren und er erreichte dann das Alter +von 70 Jahren. Während seiner Leiden schreibt er einmal: + + Doch ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, der Herr + wirds wohl machen! Ich werde doch gewiß endlich, wo nicht in dieser + Zeit doch gewiß in der ewigkeit zu Gottes größe sagen: der Herr hat + alles wohl gemacht! + +Und nach seiner Genesung schreibt er: + + Gelobet sei der Herr täglich, Er leget uns eine Last auf, aber er + hilft uns auch. + +Der unmittelbare Amtsnachfolger dieses ersten Pastors in Meyerich war +sein zweiter Sohn Ludolph Wolrath (oder Wohlrath) Arnold Brockhaus, +geb. am 6. September 1744, eine Zeit lang Lehrer am Gymnasium zu Soest, +zum Pastor in Meyerich erwählt am 26. December 1775, also kaum sechs +Wochen nach dem Tode seines Vaters. Er trat sein Amt 1776 am Sonntage +Sexagesimä (11. Februar) an und bekleidete es 46 Jahre lang, bis 1822, +wo er es, 78 Jahre alt, wegen Altersschwäche niederlegte; er starb am 6. +Februar 1823. + +Diese beiden Pastoren, Vater und Sohn, haben also zusammen fast ein +volles Jahrhundert (93 Jahre lang) derselben Gemeinde vorgestanden. +Sie sind auch Beide in der kleinen Kirche zu Welver beerdigt, wo ihre +Grabstätten durch Leichensteine bezeichnet sind. Zu ihrem Gedächtniß +hat Heinrich Brockhaus (der zweite Sohn von Friedrich Arnold) im Jahre +1869 der Kirche zu Welver ein von Professor Andreae in Dresden gemaltes +Altarbild geschenkt. + +Der zweite Pastor zu Meyerich, Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, hatte +zwei Söhne, die sich beide gleichfalls dem geistlichen Berufe widmeten +und zwar nicht in Meyerich, aber in andern westfälischen Gemeinden +angestellt wurden: Ludolph Brockhaus, geb. am 28. September 1778, Pastor +in Lüdenscheid, und Theodor Brockhaus, geb. am 18. Mai 1780, Pastor in +Kierspe; Söhne und Enkel von ihnen wirken noch jetzt als Pastoren in +westfälischen Gemeinden. + + * * * * * + +Ein zweiter Sohn des ersten Pastors zu Meyerich, der ältere Bruder +des zweiten Pastors (die übrigen vier Söhne waren noch als Kinder +gestorben) wurde der Stammvater des nicht-theologischen, kaufmännischen +und buchhändlerischen Zweigs der Familie Brockhaus. Es war dies der +Vater von Friedrich Arnold Brockhaus, Johann Adolf Heinrich (oder +Henrich) Brockhaus, geb. zu Meyerich am 21. Mai 1739. Derselbe +erlernte die Handlung in Hamm und zog dann nach der damals Freien +Reichsstadt Dortmund, wo er 1767 Katharina Elisabeth Davidis (geb. +am 22. März 1736), Witwe des _Dr. med._ Kirchhoff, heirathete und +ein Materialwaarengeschäft begründete. Er war Mitglied des Raths und +überhaupt in seiner Vaterstadt angesehen, wo er am 26. März 1811 starb. + +Johann Adolf Heinrich Brockhaus hatte zwei Söhne, die er für seinen +Beruf, den kaufmännischen, bestimmte. + +Der ältere, Gottlieb Brockhaus, geb. am 4. September 1768, übernahm das +väterliche Geschäft und blieb bis an sein Lebensende (30. Mai 1828) in +Dortmund. + +Der jüngere Sohn war Friedrich Arnold Brockhaus, dessen Leben und Wirken +die nachfolgenden Blätter gewidmet sind. + + + + + 2. + + Jugendzeit und erstes Mannesalter. + + +Friedrich Arnold Brockhaus wurde zu Dortmund am 4. Mai 1772 geboren. +Nach dem Kirchenbuche der evangelischen Sanct-Reinoldi-Kirche daselbst +(bei welcher sein Vater das Amt eines Diakonen bekleidete) erhielt er +in der am 8. Mai im Hause des Predigers Mellmann vollzogenen Taufe die +Namen David Arnold Friederich, doch scheint er den erstern Vornamen nie +geführt zu haben und die beiden andern gebrauchte er in umgekehrter +Reihenfolge; sein Rufname war Arnold. Taufzeugen waren: David Friedrich +Davidis, Subdelegatus und Pastor zu Wennigern (wahrscheinlich der +Bruder seiner Mutter), Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, Lector an dem +Gymnasium zu Soest (der spätere Pastor zu Meyerich, ein jüngerer Bruder +seines Vaters) und Jungfrau Maria Elisabeth Davidis (vermuthlich eine +Schwester seiner Mutter). + +Seine Jugendzeit verlebte er in Dortmund. Für den Kaufmannsstand, zu +dem ihn sein Vater bestimmt hatte, zeigte er anfangs keine besondere +Neigung, dagegen von frühester Jugend an das lebhafteste Interesse +für die Literatur. Sein Vater suchte diese Neigung auf alle Art zu +unterdrücken und stellte ihn deshalb, während er ihn das dortige +Gymnasium besuchen ließ, in den Freistunden in seinem Verkaufsladen mit +an. Mit 16 Jahren, 1788, gab er ihn nach Düsseldorf in die Lehre zu +einem Kaufmanne Namens Friedrich Hoffmann, bei dem er die »Handlung« +erlernen sollte. Dieser Aufenthalt dauerte fünf bis sechs Jahre und +wurde von dem jungen Manne gut benutzt, sodaß ihn sein Principal trotz +seiner Jugend bald zu größern Handlungsreisen verwendete und ihm nach +und nach die wichtigsten Arbeiten übertrug. Derselbe scheint selbst +die Absicht gehabt zu haben, ihn zu seinem Compagnon zu machen, und +mit seiner Nichte, Maria Siebel, zu verheirathen; doch kam es zu einem +Zerwürfniß zwischen Principal und Gehülfen, und Brockhaus verließ +infolge dessen seine Stellung in Düsseldorf. + +Mit 21 Jahren, 1793, ins älterliche Haus nach Dortmund zurückgekehrt, +wo inzwischen (am 15. August 1789) seine von ihm stets hochverehrte +Mutter gestorben war, wurde er vom Vater wieder in dessen +Materialwaarenhandlung beschäftigt, fand aber an dem Verkehr mit den +nach der Stadt kommenden Bauern, dem Abwiegen von Kaffee und Zucker +begreiflicherweise jetzt noch weniger Gefallen als früher. Er hatte auf +seinen Geschäftsreisen weitere Gesichtspunkte erhalten, die ihm die +kleinbürgerlichen Verhältnisse seiner Vaterstadt und das Detailgeschäft +seines Vaters verleideten; er fühlte, daß ihm für seinen künftigen Beruf +als Kaufmann -- denn mit diesem schien er sich jetzt doch ausgesöhnt zu +haben -- noch Vieles fehle, was er in Dortmund nicht erlernen könne, +und bat deshalb den Vater, ihn in die Fremde ziehen zu lassen. Und +welchen Ort wählte er aus? Keinen andern als den Schauplatz seiner +spätern Hauptwirksamkeit als Buchhändler: Leipzig. Freilich dachte er +dabei wol nicht an den Mittelpunkt des deutschen Buchhandels, sondern +an die Handelsstadt, an die berühmten leipziger Messen, die auch von +den dortmunder Kaufleuten regelmäßig besucht wurden. Aber gewiß hatte +Leipzig als Buchhändlerstadt für ihn noch einen besondern Zauber, und +daß dort zugleich eine Universität war, fiel auch mit in die Wagschale. +Ja nach seinen eigenen Aeußerungen scheint es, daß er geradezu die +Absicht hatte, auf der dortigen Universität zu studiren. Der Vater +gab den Bitten des Sohnes nach. Vielleicht hatte er auch noch einen +besondern Grund, den Sohn für einige Zeit aus Dortmund zu entfernen: ein +Liebesverhältniß des Sohnes, das fast ein tragisches Ende genommen hätte. + +Als der einundzwanzigjährige Jüngling aus der düsseldorfer Lehre +zurückkehrte, traf er im älterlichen Hause eine Cousine aus dem +benachbarten Soest, die Tochter der an einen dortigen Kaufmann +verheiratheten Schwester seines Vaters, von dem Onkel zum längern Besuch +eingeladen. Die beiden jungen Leute fanden aneinander Gefallen und +besonders schien der junge Mann, der unter seinen Altersgenossen durch +lebhaften Geist, höhere Bildung und Interesse an Kunst und Literatur +hervorragte und viel von Düsseldorf und seinen Reisen zu erzählen +wußte, einen tiefen Eindruck auf das Gemüth des in den einfachsten +Verhältnissen aufgewachsenen Mädchens zu machen. Nach ihren eigenen +Erzählungen in spätern Lebensjahren sprudelte er damals von Frohsinn +und Lebensmuth über und hatte stets ein französisches Chanson auf der +Zunge. Sein Vater war natürlich der Ansicht, daß der Sohn noch nicht +ans Heirathen denken dürfe, und schritt energisch ein. Das Mädchen nahm +sich die Sache sehr zu Herzen: sie stürzte sich aus Verzweiflung in +den offenen Brunnen auf dem dortmunder Markte! Glücklich gerettet und +zu ihren Aeltern nach Soest gebracht, zog sie sich bald tiefsinnig in +ein dortiges Frauenstift zurück; später, nach Auflösung der Klöster und +Stifter unter Napoleon's Herrschaft, trat sie indeß ins bürgerliche +Leben zurück und heirathete 1809 (also erst in reiferm Alter, 16 Jahre +nach dem Liebesverhältniß mit dem jungen Vetter) einen Kaufmann in +Soest, wo sie 1843 starb. In ihrem Alter weilte sie immer gern bei +der Erinnerung an jene Zeit und erkundigte sich mit Interesse nach +allen Verhältnissen ihres verstorbenen Vetters. Wie auf diesen die vom +Vater getroffene Entscheidung, die Verzweiflungsthat des Mädchens und +ihr Schicksal eingewirkt, ist uns nicht bekannt. In spätern Jahren +erkundigte auch er sich oft nach seiner Cousine, ohne sie indeß je +wiederzusehen. + + * * * * * + +Im Sommer 1793 ging Brockhaus nach Leipzig und blieb dort fast +anderthalb Jahre, bis Ende 1794. Mit regem Eifer widmete er sich seiner +weitern Ausbildung: der Vervollkommnung in den neuern Sprachen sowie dem +Studium der allgemeinen Wissenschaften, obwol er unsers Wissens weder +in einem kaufmännischen Geschäft angestellt war, noch sich unter die +Studirenden aufnehmen lassen konnte. Von Professoren der Universität, +deren Vorlesungen er gehört, nennt er den Philosophen Ernst Platner, +den Mathematiker und Physiker Hindenburg und den Chemiker Eschenbach. +Auch an dem literarischen und buchhändlerischen Leben Leipzigs nahm +er das lebhafteste Interesse. Sehr oft besuchte er unter anderm die +Köhler'sche Buchhandlung, mit deren Besitzer er durch die mit diesem +nahe befreundete dortmunder Familie Varnhagen in Berührung gekommen war, +fleißig die neu erschienenen Bücher durchmusternd. + +Nur ein einziger Brief von ihm ist aus dieser Zeit erhalten, der aber +ein um so merkwürdigeres Actenstück bildet. Es ist dies ein förmlicher +Verlagsantrag des noch nicht ganz 22 Jahre zählenden jungen Kaufmanns +und Studenten an eine angesehene leipziger Verlagshandlung. Und daß +dieser Verlagsantrag kein bloßes Project war, auch keine Gedichtsammlung +oder kein Drama, wie sie mancher junge Mann dem Buchhändler als +Erstlingswerk anbietet, sondern ein größeres ernstes Werk betraf, geht +daraus hervor, daß er dem Briefe einen vollständigen »Plan« des auf 20 +Druckbogen berechneten Buchs in Form eines »Prospectus« und sogar einen +Theil des fertigen Manuscripts hinzufügt! + +Der Brief lautet wörtlich folgendermaßen: + + An die Herren Voß und Comp. + + Meine Herren! + + Aus dem auf der andern Seite folgenden Prospectus werden Sie den + Plan und aus den beifolgenden acht Bogen Manuscript die Behandlung + eines Buchs sehen, das ich diese Ostermesse -- etwa 20 Bogen in 8. + stark -- herausgeben möchte. + + Ich biete es Ihnen zum Verlag an; muß Sie aber ersuchen, mir bis + morgen Ihre Entscheidung darüber zukommen zu lassen; -- sollten Sie + mündlich mit mir darüber sprechen wollen, so wird mir Ihr Besuch + morgen früh in der Zeit von 10-12 Uhr sehr angenehm sein. + + Den 3. März 1794. Ihr ergebener Diener + F. A. Brockhaus. + + Wohnt in Nr. 75 im Hay'schen + Hause auf der Petersstraße bei dem + Friseur Dieterich. + +Die hier erwähnte »andere Seite« dieses Briefs mit dem »Plan« des Werks +findet sich leider in dem Archiv der noch jetzt bestehenden Buchhandlung +(die den Brief erst vor einigen Jahren auffand und der Firma F. A. +Brockhaus freundlich überließ) ebenso wenig, als die acht Bogen des +vermuthlich »Manuscript« gebliebenen Manuscripts vorhanden sind; wir +würden daraus wenigstens ersehen haben, auf welche Gegenstände die +Studien des jungen Autors in Leipzig vorzugsweise gerichtet waren. +Vermuthlich ist ihm von Herrn Voß Beides zurückgegeben worden, und +wahrscheinlich im Comptoir der Buchhandlung, nicht in seiner Wohnung, +wohin er naiverweise seinen künftigen Verleger bestellt hatte. +Ueberhaupt ist der Ton des Briefs, die Sicherheit des Auftretens, das +Verlangen einer Entscheidung »bis morgen«, die kurze geschäftsmäßige +Form charakteristisch für den Briefschreiber. Derselbe mochte damals +nicht ahnen (wie es in der Festrede von Heinrich Brockhaus beim +funfzigjährigen Jubiläum der Firma F. A. Brockhaus heißt), »daß er +selbst und eine von ihm gegründete Buchhandlung im Laufe der Zeiten +selbst so viele Verlagsanträge anzunehmen und -- abzulehnen haben würde.« + +In Leipzig knüpfte er mit dem Vertreter eines Hauses in Manchester an +und wurde von diesem gegen Ende 1794 engagirt, einer in Livorno zu +errichtenden Filiale jenes Hauses vorzustehen. In Amsterdam sollte er +mit dem Engländer zusammentreffen und zuvor wollte er nur seinen Vater +in Dortmund begrüßen. Da brach der Krieg zwischen Frankreich und Italien +aus und das englische Haus vertagte seinen Plan auf günstigere Zeiten. +Ein Anerbieten desselben, inzwischen eine Stelle auf dem Comptoir +in Manchester anzunehmen, lehnte er ab und beschloß, vorläufig in +Dortmund zu bleiben. Er etablirte sich auch bald darauf selbständig als +Kaufmann, zuerst in Dortmund, dann in Arnheim und endlich in Amsterdam. +Diese kaufmännische Wirksamkeit umfaßt die Jahre 1796-1805, also sein +dreiundzwanzigstes bis dreiunddreißigstes Lebensjahr. + + * * * * * + +Brockhaus errichtete in Dortmund ein En-gros-Geschäft in englischen +Manufacturen, besonders groben Wollenstoffen, und verband sich dazu +mit einem Freunde, Wilhelm Mallinckrodt; Beide nahmen bald darauf +noch einen dritten jungen Dortmunder, Gottfried Wilhelm Hiltrop, +zum Associé an, und so wurde zwischen ihnen am 15. September 1796 +ein Societätsvertrag abgeschlossen. Ihr Geschäft unter der Firma: +»Brockhaus, Mallinckrodt und Hiltrop«, nahm bald den erfreulichsten +Aufschwung; Brockhaus leitete das Comptoirgeschäft, Mallinckrodt machte +die Reisen und hatte das Waarenlager unter sich, während Hiltrop von +Anfang an nur eine untergeordnete Rolle spielte. Bald beschlossen denn +auch die beiden Freunde, sich von Hiltrop, den sie wesentlich seines +bedeutenden Vermögens halber zum Associé genommen hatten, wieder zu +trennen, zumal er ihnen seines unverträglichen Charakters wegen lästig +geworden war. Sie kündigten ihm im Jahre 1798, zahlten ihm seinen +Antheil heraus und zeichneten ihre Firma nunmehr, vom 1. Januar 1799 +an: »Brockhaus und Mallinckrodt«; Hiltrop gründete ein eigenes Geschäft +gleicher Art in Dortmund. Bald darauf errichteten sie ein zweites +Haus in Arnheim unter der Firma: »Mallinckrodt und Compagnie«, und +Mallinckrodt zog zu dessen Leitung im Jahre 1801 nach Arnheim, während +Brockhaus in Dortmund verblieb. Das Haus in Arnheim war besonders +deshalb gegründet worden, weil der Hauptabsatz des dortmunder Geschäfts +nach Holland stattfand. Ihr Geschäft nahm einen immer größern Umfang an +und die beiden jungen Kaufleute erwarben in wenig Jahren ein bedeutendes +Vermögen. + +In diese Zeit fällt Beider Verheirathung. Brockhaus vermählte sich am +30. September 1798 mit der Tochter eines der angesehensten dortmunder +Patricier, des Senators und Professors Johann Friedrich Beurhaus: Sophie +Wilhelmine Arnoldine, geb. 24. December 1777; Mallinckrodt mit einer +Freundin derselben. Brockhaus nannte später die ersten drei Jahre seiner +Ehe (1798-1800) die glücklichsten seines Lebens. Am 17. Juli 1799 wurde +ihm sein erstes Kind geboren: eine Tochter, Auguste; am 23. September +1800 sein erster Sohn: Friedrich. + +Dieses Glück sollte aber nicht lange dauern und die Veranlassung dazu +bildete der frühere Associé Beider, Hiltrop, obwol derselbe, als ein +Verwandter der Familie Beurhaus, mit Brockhaus verwandt geworden war und +später sogar sein Schwager wurde, indem er Elisabeth Beurhaus, eine +Schwester von Brockhaus' Frau, heirathete. Aus einer geschäftlichen +Angelegenheit entwickelten sich bald Verhältnisse der unangenehmsten +Art, die zunächst auf Brockhaus' äußeres Leben entscheidenden Einfluß +übten. Sie wurden die Ursache, daß er Dortmund verließ und nach Holland +zog, ja selbst, daß er sich dort später dem Buchhandel widmete, dem er +sich bei seinem Verbleiben in Dortmund schwerlich zugewendet haben würde. + +Brockhaus wurde nebst seinem Associé Mallinckrodt von Hiltrop in einen +Proceß verwickelt, der unter den Fehden und Anfechtungen, an denen sein +Leben reich war, eine der hervorragendsten Stellen einnimmt und ihn mit +kürzern oder längern Unterbrechungen bis an sein Lebensende verfolgte. +Da der Proceß in dieser Zeit seinen Ursprung hat und mit ihm die +nächsten Lebensschicksale von Brockhaus verknüpft sind, so müssen wir +denselben jetzt im Zusammenhange erzählen, wenn dadurch auch der Zeit +mehrfach vorgegriffen wird. + + + + + 3. + + Der Hiltrop'sche Proceß. + + +Die beste Grundlage zu einer Schilderung dieses Processes, dessen +vollständige Darstellung in vieler Hinsicht interessant wäre, hier aber +zu weit führen würde, bietet eine von Brockhaus kaum ein Jahr vor seinem +Tode veranstaltete und als Manuscript gedruckte Sammlung der darauf +bezüglichen wichtigsten Actenstücke, die sowol seine eigenen Eingaben +als die ergangenen Urtel, Gutachten u. s. w. enthält und somit ein +unparteiisches Urtheil ermöglicht.[7] + +Der Ursprung des Processes und sein erster Verlauf war in Kürze +folgender. + +Im October 1799 fallirte das Bankhaus Simon Moritz Bethmann in London, +mit dem sowol Hiltrop als die Firma Brockhaus & Mallinckrodt in +Geschäftsverbindung (Wechselgeschäften) standen. Hiltrop hatte an +Bethmann vom April bis September 1799 circa 2800 Pfd. St. remittirt und +dagegen Fabrikanten und Kaufleute im Innern von England angewiesen, für +Waaren, die sie ihm lieferten, auf Bethmann zu ziehen. Mehrere solche +Wechsel waren auch gezogen und bezahlt worden, Hiltrop's Guthaben an +Bethmann betrug aber bei Ausbruch des Concurses noch 1806 Pfd. St. +Die Firma Brockhaus & Mallinckrodt, welche ebenfalls in einem längern +Geschäftsverkehr mit Bethmann gestanden hatte, schuldete dagegen diesem +Hause eine Summe von 2204 Pfd. St., die sich aber auf 774 Pfd. St. +reducirte, da Bethmann ihnen mehrere Wechsel im Betrage von zusammen +1429 Pfd. St. zurückgegeben oder sie von den daraus entstandenen +Verbindlichkeiten gegen die Masse von W. L. Popert u. Comp. in Hamburg +(die in der damaligen allgemeinen Handelskrisis ebenfalls fallirten) +liberirt hatte. Brockhaus & Mallinckrodt gaben Hiltrop aus freien +Stücken Kenntniß von diesem Stande ihrer Rechnung mit Bethmann, um +ihm dadurch zur Rettung eines Theils seines Verlustes behülflich zu +sein. Hiltrop benutzte dies aber, um sofort unterm 25. November 1799 +auf die Forderung der Bethmann'schen Masse an Brockhaus & Mallinckrodt +gerichtlich Arrest legen zu lassen. Der Magistrat zu Dortmund bestätigte +diese Maßregel. + +Brockhaus & Mallinckrodt appellirten hiergegen an die höhern +Reichsgerichte, besonders aus Rücksicht auf Bethmann in London, da +diesem z. B. nur sechs Wochen Zeit zu Einreden gegeben wurde, während in +dem damaligen harten Winter von 1799 auf 1800 der Postenlauf zwischen +Cuxhaven und Harwich mehrere Monate lang unterbrochen war. Außerdem +waren sie inzwischen von der Firma Gebrüder Bethmann in Frankfurt a. M. +(Verwandte des londoner Hauses) beauftragt worden, eine Forderung an +Hiltrop im Betrage von 8000 Thlr. frankfurter Wechselgeld (10000 Thlr. +Berg. Courant) einzukassiren, und diese Forderung war ihnen selbst +zu diesem Zweck cedirt worden: gewiß ein Beweis großen Vertrauens zu +der jungen Firma von seiten jenes großen Hauses. Infolge alles dessen +entschloß sich Hiltrop, der trotz seines frühern großen Vermögens +infolge seiner geschäftlichen Unfähigkeit rasch in finanzielle +Verlegenheiten gerathen war und auch von andern Gläubigern hart +bedrängt wurde, zu einem gütlichen Vergleich, der durch Vermittelung +des gemeinschaftlichen Schwagers von Hiltrop und Brockhaus, Erbsaß +(später Justizcommissar) Heinrich Beurhaus zu Dortmund, unterm 24. +April 1800 abgeschlossen wurde. Danach sollte der Proceß von Gebrüder +Bethmann in Frankfurt gegen Hiltrop bis zur Erledigung des Processes von +Hiltrop gegen Bethmann in London sistirt werden, Hiltrop von Brockhaus +ein »Darlehn« von 1200 Pfd. St., das er ebenfalls erst nach Austrag +dieser Sache zurückerstatten sollte, empfangen, Letzterm dagegen (resp. +Beurhaus) seine Forderung an Bethmann in London cediren und für den Rest +seiner Schuld bei Gebrüder Bethmann in Frankfurt Waaren an Zahlungsstatt +geben, auch sein Conto-Corrent mit Bethmann in London als richtig +anerkennen. + +Schon fünf Monate nach Abschluß dieses Vergleichs machte indeß Hiltrop +den Versuch, denselben umzustoßen, und zwar wieder auf eine ihm von +Brockhaus vertraulich gemachte Mittheilung hin: daß die Bethmann'schen +Massecuratoren in London jenen Vergleich nicht genehmigen wollten. Er +fand an dem gegen Brockhaus sehr feindselig gesinnten Bürgermeister +Schäffer in Dortmund einen bereitwilligen Helfer, der bei dem traurigen +Zustand der damaligen reichsstädtischen Verfassung eigenmächtig +verfahren konnte; durch ihn erreichte er, daß sein wiederholtes +Arrestgesuch vom 15. September 1800 genehmigt und das Waarenlager von +Brockhaus & Mallinckrodt (das einen Werth von mindestens 100000 Thlr. +hatte) mit Arrest belegt und versiegelt wurde. Da alle Remonstrationen +gegen diese, wie Brockhaus sich ausdrückt, »fürchterlichen, im höchsten +Grade ungerechten Maßregeln, die den bürgerlichen Ruin der Beklagten +augenblicklich nach sich ziehen mußten«, erfolglos blieben, so +wendeten sich letztere an die höchsten Reichsgerichte um Schutz gegen +Unterdrückung und forderten Genugthuung sowie Schadenersatz. Da schien +endlich Hiltrop sein Unrecht einzusehen; er bat um Verzeihung für sein +»kränkendes und übereiltes Betragen« und versprach, in Zukunft nur in +dem ordentlichen Wege Rechtens gegen die Beklagten vorzugehen. + +Das Verdienst, dieses Resultat herbeigeführt zu haben, durch welches die +Angelegenheit wenigstens ihren gehässigen Charakter verlor, gebührt +Hiltrop's Frau, Elisabeth, einer Schwester von Brockhaus' Frau. Sie +wandte sich direct an Brockhaus, den von ihrem Manne so vielfach und +so empfindlich Gekränkten, und bat ihn, das Verfahren ihres Mannes zu +entschuldigen: gewiß ebenso ein Zeichen ihres richtigen Gefühls als +Frau, wie der wahren Achtung und des vollen Vertrauens, das sie zu ihrem +Schwager als einem Ehrenmanne hatte. + +Sie schreibt in diesem Briefe, dessen Datum uns nicht bekannt ist: + + Brockhaus! Brockhaus! Ich fordere Sie auf, mich anzuhören. Sehen + Sie, mein Herz ist voll trüben Gedenkens über eine Geschichte, + welche nie hätte geschehen müssen, und ich weiß mich an Niemand + sicherer zu wenden als an Sie selbst. Sie beurtheilen die Sache gewiß + richtig, davon bin ich überzeugt, und ich weiß auch, daß Sie glauben: + Uebereilung ist kein Verbrechen. Dieses hat sich Hiltrop zu Schulden + kommen lassen .... Brockhaus, Brockhaus, ich ahndete nichts von Allem, + was geschehen ist, und flehe ich zu Ihnen, mich und mein armes Kind + nicht unglücklich zu machen, da dieses doch jetzt nur einzig von Ihnen + abhängt. Verzeihen Sie Hiltrop, der sich hat bereden lassen und leider + jetzt mit Schaden einsehen muß, wie wenig man Leuten trauen darf. Es + thut ihm auch für mich leid und er glaubt es sich nicht vergeben zu + können, mir solche Unruhe zu machen, und hat mir deswegen gesagt, + ich könnte die Sache ganz nach meinem Wunsche einrichten. Theurer + Brockhaus, mein Herz will keine Feindschaft gegen Sie und Sophie, die + immer mehr meine Freundin als Schwester war. Jetzt, ich weiß es, sind + Sie aufgebracht gegen Hiltrop und über sonstiges Verfahren und wollen + die Sache nach Wetzlar berichten. Brockhaus, Gott! dieses können und + werden Sie nicht wollen. Lassen Sie Vergebung über Ihren gerechten + Zorn siegen! Denken Sie, daß es Uebereilung ist, welches mein armes + Mädchen noch so schwer büßen sollte; geben Sie mir Ihre Hand darauf, + so nicht zu verfahren, und im voraus danke ich Ihnen für Ihre Güte. + Daß es Güte ist, bin ich fähig zu fühlen .... + +Brockhaus erfüllte die Bitte seiner Schwägerin; er verzichtete auf +Genugthuung und Schadenersatz, wogegen Hiltrop am 3. October 1801 auf +Cassation aller Maßregeln gegen die Firma Brockhaus & Mallinckrodt beim +dortmunder Magistrat antrug, während der Proceß selbst seinen Fortgang +hatte. + +Indessen war Brockhaus der Aufenthalt in Dortmund durch die widrigen +Erlebnisse der beiden letzten Jahre so verleidet worden, daß er mit +dem Gedanken umging, das dortmunder Geschäft ganz aufzulösen und zu +Mallinckrodt nach Arnheim zu ziehen. Er hatte deshalb schon im Sommer +des Jahres 1801 eine Reise nach Holland gemacht, und als er im August +von dort zurückkehrte, verbreitete sich in Dortmund das Gerücht, daß +er die Stadt verlassen und nach Holland übersiedeln wolle. Die Sache +war damals indeß nur ein Project, das, wie Brockhaus selbst sagt, +»wahrscheinlich nie wäre ausgeführt worden«. Hiltrop wurde aber gerade +dadurch veranlaßt, seinen Arrestantrag zu wiederholen, Brockhaus mußte +eine bedeutende Caution stellen und wurde selbst persönlich verhaftet. +Dies veranlaßte ihn, sein Vorhaben wirklich auszuführen. Er verließ +seine Vaterstadt und zog noch im Spätherbst 1801 nach Arnheim, der +am Rhein (Leck) gelegenen Hauptstadt der Provinz Geldern, wo er mit +Mallinckrodt bereits ein Jahr vorher ein Haus errichtet hatte. + + * * * * * + +Arnheim bildete übrigens blos einen kurzen Durchgangspunkt für ihn. Die +Hauptstadt und erste Handelsstadt Hollands, Amsterdam, schien ihm ein +geeigneterer Wirkungskreis für seine Handelsspeculationen, besonders +seinen Verkehr mit England, und so zog er schon im Winter von 1801 auf +1802 dorthin. Vorher trennte er sich geschäftlich von Mallinckrodt, um +sein Glück allein weiter zu versuchen, und auch wol, weil Mallinckrodt +ihm die durch Hiltrop verschuldete Störung ihres Geschäfts zum Vorwurf +machte. Mallinckrodt blieb in Arnheim zurück und setzte das bisherige +Geschäft allein fort, scheint aber seinen Associé, der ihn jedenfalls +geistig bedeutend überragte, sehr vermißt zu haben. Er bewahrte für +diesen stets regstes Interesse und vollste Hochachtung und besuchte ihn +später in Leipzig. Durch Hiltrop's fortgesetzte Machinationen scheint +er mehr noch als Brockhaus gelitten zu haben und dadurch in seinem +Geschäfte wesentlich gestört worden zu sein. Hiltrop ging indeß erst +in späterer Zeit, 1815, direct und separat gegen Mallinckrodt vor, als +er in seinem Verfahren gegen Brockhaus nichts erreichen konnte. Er +brachte es im Sommer 1822 bis zur Execution gegen Mallinckrodt, gewann +dadurch aber nichts, da die hypothekarischen Gläubiger desselben den +Ertrag der auf diese Weise verkauften Mallinckrodt'schen Grundstücke, +Waaren und Mobilien völlig in Anspruch nahmen. So hatte Hiltrop die +traurige Genugthuung erlebt, wenigstens den einen der von ihm Verfolgten +geschäftlich und bürgerlich ruiniert zu haben, während Brockhaus' reger +Geist sich bald andern Bahnen zuwandte, auf denen ihn Hiltrop zwar +stören, aber nicht, wie es seine Absicht war, ebenfalls ruiniren konnte. + +Denn allerdings ließ Hiltrop nicht nach in seinem Vorgehen gegen +Brockhaus, das er, nachdem seine eigene bürgerliche und geschäftliche +Stellung dadurch empfindlich gelitten hatte, zum alleinigen traurigen +Geschäft seines Lebens gemacht zu haben scheint. Wir müssen deshalb +hier wieder anknüpfen an den oben geschilderten ersten Verlauf dieses +Processes und die weitern Stadien desselben vorführen. + + * * * * * + +Trotz der durch Hiltrop's Frau in so richtigem Gefühle angestrebten +Aussöhnung und Hiltrop's Selbstdemüthigung war der Proceß über die +Gültigkeit des am 24. April 1800 abgeschlossenen Vergleichs in Dortmund +anhängig geblieben, während Mallinckrodt und Brockhaus seitdem in +Arnheim und Amsterdam lebten. Die Acten sollten verschickt sein, waren +aber von der dortmunder Behörde verloren worden! Erst im August 1805 +wurden sie aus den Manualacten der Sachwalter wieder nothdürftig ergänzt +und am 19. Juli 1806 erfolgte ein Rechtsspruch der göttinger Facultät, +in welchem dem Kläger der Beweis, daß dem Verfahren der Beklagten gegen +ihn ein »Betrug«(!) zu Grunde liege, nachgelassen wurde. Hiltrop trat +die übrigen ihm auferlegten Beweise an; der Sachwalter der Beklagten, +obwol sonst ein geschickter Jurist, wußte sich in diese kaufmännischen +Verhältnisse nicht zu finden und übergab einen durchaus verfehlten +Gegenbeweis, doch hatten die Beklagten selbst ein Promemoria darüber +entworfen. Unterm 16. November 1809 wurde das den Beklagten ungünstige +erste Urtheil seitens der herzoglich bergischen Regierung gefällt, +verfaßt von dem Oberbergrichter Bölling in Essen. Es nahm den Beweis +für geführt an und verurtheilte die Beklagten, an Hiltrop 606 Pfd. +St. nebst Zinsen und Proceßkosten zu zahlen. Gegen dieses Erkenntniß +appellirten Brockhaus und Mallinckrodt und ließen eine von Brockhaus +selbst verfaßte »Rechtfertigung« dieser Appellation unterm 28. Februar +1810 (in Amsterdam) für ihre Freunde drucken. Sie belegten durch +zwei Parere, von der Kaufmannschaft zu Leipzig (vom 6. April 1800, +verfaßt vom Kramerconsulent _Dr._ Bahrt) und von der Kaufmannschaft +zu Elberfeld (vom November 1801, verfaßt von dem Syndikus derselben, +_Dr._ Brüninghaus), daß ihr Verfahren der Lage der Sache und dem +kaufmännischen Geschäftsgange durchaus angemessen gewesen sei. Später +erfolgten noch zwei Gutachten, welche sie ebenfalls von dem frivolen +Vorwurfe eines »Betrugs« vollkommen freisprachen: das eine von dem +Professor _Dr._ Dabelow in Halle, später in Dorpat, datirt Leipzig, 16. +Juli 1810, das andere von der Juristenfacultät zu Halle vom Januar 1813. +Dennoch wurde von dem neuerrichteten bergischen Appellationsgerichtshofe +zu Düsseldorf unterm 24. November 1813 das Erkenntniß erster Instanz +lediglich bestätigt. Dieses Urtheil kam jedoch nie zur Vollstreckung, +vielleicht infolge der eingetretenen politischen Ereignisse; es wurde +sogar dem inzwischen von Amsterdam nach Altenburg und später nach +Leipzig übergesiedelten Brockhaus gar nicht publicirt, wie durch eine +Bescheinigung der herzoglich sächsischen Landesregierung zu Altenburg +vom 16. März 1822 ausdrücklich beglaubigt wird. + +Hiltrop beruhigte sich aber nicht und reichte nach Verlauf mehrerer +Jahre, am 17. August 1819, eine neue Klage gegen Brockhaus ein. Damit +beginnt das dritte und letzte Stadium dieses langwierigen Processes. +Das königlich preußische Oberlandesgericht zu Hamm bestätigte durch +ein Erkenntniß vom 5. Januar 1822 die für den Beklagten ungünstigen +Urtheile von 1809 und 1813, während es unterm 30. März 1822 eine von +Brockhaus gegen einen Arrest auf ein Erbtheil seiner minorennen Kinder +erhobene Klage im wesentlichen zu seinen Gunsten entschied. Gegen +diese Erkenntnisse, insbesondere das erste, appellirte Brockhaus. Er +verfaßte für den Justizcommissar Cappel in Hamm selbst eine ausführliche +»Instruction« (worin er unter anderm sagt, daß diese Erkenntnisse »sich +ebenso wenig mit den anerkanntesten Sätzen des Völkerrechts als mit dem +Geiste der preußischen Proceßgesetzgebung, diesem Meisterstücke einer +legislativen Weisheit, vereinbaren lassen«) und ließ die obenerwähnte +»Sammlung von eilf Actenstücken« für das Gericht und für seine Freunde +drucken (das Vorwort dazu ist aus Leipzig vom 1. Juli 1822 datirt). +Indeß betätigte der zweite Senat des Oberlandesgerichts zu Münster +unterm 28. September 1822 lediglich die frühern Erkenntnisse. Brockhaus +gab sich aber noch immer nicht für besiegt, obwol er damals eben eine +lebensgefährliche Krankheit überstanden hatte, deren Wiederholung er +kaum ein Jahr darauf erlag: er ergriff das letzte Mittel, das ihm +übrigblieb, und wandte sich an das Geheime Obertribunal zu Berlin mit +der Bitte um Cassation, resp. Revision des Erkenntnisses von 1813. +In dem von ihm selbst wieder verfaßten »Revisionsbericht« (der kein +Datum hat, aber jedenfalls noch im Spätherbst 1822 geschrieben ist) +betont er, daß ihn zu diesem Antrage außer dem bedeutenden Objecte des +Processes (zuletzt gegen 10000 Thlr.) besonders der Umstand bestimme, +wegen eines vermeintlichen »Betrugs« und infolge eines irrigerweise für +»rechtskräftig« angenommenen Erkenntnisses verurtheilt zu werden. + +Noch ehe die Antwort von Berlin erfolgt war, starb Brockhaus. Erst +mehrere Jahre nach seinem Tode (1828) wurde der Proceß endlich von +seinen Erben durch einen Vergleich mit Hiltrop beendigt; letzterer starb +am 2. April 1845. + +Das Urtheil des Geheimen Obertribunals in Berlin vom 2. April 1824 +hatte die frühern Erkenntnisse bestätigt, doch war den Stadtgerichten +zu Leipzig durch ein allerhöchstes Rescript der königlich sächsischen +Landesregierung zu Dresden vom 23. October 1824 die Befolgung der +betreffenden Requisitionen untersagt worden. Hiltrop ruhte trotzdem noch +immer nicht, und um ihr in Preußen befindliches Eigenthum vor ihm zu +schützen, sah sich die Firma F. A. Brockhaus veranlaßt, ihre Rechnung +mit den preußischen Buchhandlungen in der Zeit vom 15. November 1824 bis +21. November 1828 unter der Firma »Literatur-Comptoir in Altenburg +_L^a B_« zu führen, wozu der mit ihr seit langem befreundete Besitzer +dieser Firma, Johann Friedrich Pierer in Altenburg, bereitwillig die Hand +bot. + +Dieser Proceß mußte hier, obwol er Brockhaus' Hauptthätigkeit, die +buchhändlerische, nicht berührt, ausführlicher dargestellt werden, weil +er ihn während seines ganzen Lebens beschäftigte und von ihm persönlich +mit der größten Energie und Ausdauer betrieben wurde. Es war in der +That, wie er sich selbst später ausdrückte, der »blutige Faden«, der +sich durch sein ganzes Leben hindurchzog und auf dasselbe mehrfach +entscheidend einwirkte: er hatte die Familie entzweit (obwol selbst +fast alle Verwandten Hiltrop's auf Brockhaus' Seite traten und dessen +Verfahren misbilligten); er hatte ihn aus seiner Vaterstadt vertrieben +und war die Veranlassung, daß er diese nur noch einmal (1811) besuchte; +er verfolgte ihn überallhin: nach Amsterdam, Altenburg und Leipzig, und +nöthigte ihn gerade auch in den, durch andere Aufregungen ihm schon +so verbitterten, letzten Jahren seines Lebens zu eigener aufreibender +Thätigkeit. + +Die Frage liegt hier nahe, ob denn im Laufe der 22 Jahre, die dieser +Proceß dauerte, nie Versuche zu Vergleichen gemacht worden seien. +Allerdings ist das geschehen und zwar -- zur Ehre und Rechtfertigung +von Brockhaus muß dies hervorgehoben werden -- insbesondere von seiner +Seite, jedoch, wie er selbst sagt, »von diesem einzig und allein nur +aus #dem# Grunde, daß er gewünscht hat, Ruhe zu gewinnen und sich von +dem Odiösen, was mit der Führung eines solchen Processes überhaupt +und besonders in weiten Entfernungen verbunden ist, völlig befreit zu +sehen: nie aber, daß er durch einen Vergleich habe anerkennen wollen, +als ob seitens Brockhaus und Mallinckrodt je etwas in dieser Sache +geschehen, was auf irgendeine Weise gegen kaufmännische Sitte und +Ehre und gegen kaufmännische Ordnung oder gegen kaufmännisches Recht +gewesen«. Abgesehen von dem unterm 24. April 1800 abgeschlossenen, +aber bald wieder von Hiltrop umgestoßenen Vergleiche sowie davon, daß +Brockhaus, wie früher berichtet, auf die Bitte von Hiltrop's Frau die +Klage gegen diesen beim Reichskammergericht in Wetzlar unterließ, bot er +1816 oder 1817 Hiltrop zur Niederschlagung alles Zwistes eine jährliche +Rente von 200 Thlr. an, die nach seinem Tode auf seine Kinder bis zur +Volljährigkeit des jüngsten übergehen solle. Und als Hiltrop dies +ablehnte, wollte sich Brockhaus 1821 selbst zur terminlichen Zahlung von +4000 Thlr. verstehen, einer Summe, die das, was Hiltrop ursprünglich +an Bethmann in London verloren, bedeutend überstieg. Aber auch dieses +Anerbieten war von Hiltrop unangenommen und sogar unbeachtet geblieben. +Selbst noch 1822 erklärte er sich bereit, »wesentliche, wenn auch bei +veränderter und günstigerer Lage der Sache nicht mehr so bedeutende +Opfer zu bringen, wenn ihm dazu auf angemessene Weise die Hand geboten +würde und der Gegner damit nicht zu lange warte«. So kann Brockhaus +sicherlich nicht der Vorwurf der Unversöhnlichkeit, Streitsucht oder +Rechthaberei gemacht werden. Eher könnte man ihn deshalb tadeln, daß +er, zunächst aus Theilnahme für seinen frühern Associé Hiltrop und um +diesen vor einem Verlust zu bewahren, sich in eine ihm ganz fremde +Angelegenheit gemischt und dann im Anfange des Processes dem Gegner +mehrfach selbst die Waffen gegen sich geliefert habe; er fühlte dies +auch selbst und that in dieser Beziehung die für ihn charakteristische, +aber gewiß nur ehrenvolle Aeußerung: es sei dies von seiner und +Mallinckrodt's Seite besonders geschehen »aus Ueberspanntheit, da wir +die Welt noch nicht nahmen, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte, +und die wir damals noch so einfältig waren, zu glauben, als ernte man +von dem Haufen der Menschen für große und rechtschaffene Handlungen Dank +ein.« + +Der Hiltrop'sche Proceß hat übrigens, wie aus Vorstehendem wol +hervorgegangen sein dürfte, außer dem persönlichen auch ein +mannichfaltiges allgemeineres Interesse, und es mögen deshalb zum +Schluß einige Stellen aus der mehrerwähnten Schrift folgen, die +Brockhaus über den Proceß 1822 zusammenstellte, in der Hoffnung, daß +sie »dem Sachkenner genügen werden, um sich über den Charakter der +darin handelnden Personen und über die Natur der stattgefundenen und +obschwebenden Verhältnisse zu orientiren«. + +In treffendster Weise, mit scharfem Verstande, klarem weitblickenden +Geiste und in prägnantem Stile charakterisirt er den Proceß und sein +Verhalten in demselben mit folgenden Worten: + + Bei einem Processe, der fast ein Vierteljahrhundert unter #vier# + verschiedenen Gesetzgebungen und Gerichtsformen geführt worden ist + und in welchem mehrere der Sachwalter die Sache selbst gar nicht + begriffen haben, läuft die Wahrheit am Ende Gefahr, unter der Masse + der stattgefundenen Verhandlungen und angehäuften Actenstöße völlig + erdrückt oder erstickt zu werden, sodaß es die größte Noth thut, + das Wichtige und Wesentliche von dem Unwichtigen und Unwesentlichen + zu scheiden, um dem künftigen Referenten und endlichen Richter die + Uebersicht und Beurtheilung zu erleichtern oder gar -- nur möglich zu + machen. Ohnehin haben die bloßen Juristen in Städten und Gegenden, + wo kein großer Handelsverkehr ist, in der Beurtheilung verwickelter + kaufmännischer Verhältnisse höherer Art selten große Stärke und + gerathen nur gar zu leicht auf Abwege, die von der Wahrheit entfernen. + Ich erinnere hier an die Verhandlungen im Fonk'schen Processe über + dessen Handlungsbücher und Berechnungen .... + + Der Proceß (Hiltrop) ist interessant durch den Wechsel der Gesetze + und gerichtlichen Formen, unter deren Herrschaft er geführt wurde. + Er begann zu einer Zeit, wo Dortmund noch als Freie Stadt dem + Deutschen Reiche angehörte; er wurde fortgesetzt unter der fürstlich + nassau-oranischen Regierung, unter der Herrschaft der französischen + Gesetze, welche im Jahre 1811 im Großherzogthum Berg in Kraft getreten + waren; er ist wieder aufgenommen unter der jetzigen königlich + preußischen Regierung und wird jetzt nach preußischen Rechten und + Formen verhandelt. Es ist für das Interesse der Rechtswissenschaft + von großer Wichtigkeit, die Verhältnisse dieser verschiedenen + Gesetzgebungen in ihrer Wechselwirkung und vorzüglich zu dem Zwecke + zu betrachten, um die Bedingungen und Grenzen der Rechtskraft und + Vollstreckbarkeit richtig zu bezeichnen. + + Er ist interessant durch die kaufmännischen Verhältnisse, welche + ihm zu Grunde liegen, deren Combinationen sich die Richter der ersten + und zweiten Instanz durchaus nicht klar zu machen vermocht haben, so + einfach sie auch jedem Sachkundigen erscheinen müssen. + + Er hat endlich in dem neuesten Abschnitte noch eine allgemeine + Wichtigkeit durch die völkerrechtliche Frage gewonnen, inwiefern + ein königlich preußischer Staatsbürger einen entfernten Ausländer + zwingen kann, vor den königlich preußischen Gerichten sich als + Beklagter zu stellen und den Vortheil aufzugeben, welcher mit der + Verhandlung der Sache vor seinem ordentlichen Richter, in gewohnten + Formen, nach bekannten Rechten, für ihn verknüpft ist. In der That + würden die von dem königlichen Oberlandesgericht zu Hamm in erster + Instanz hierüber aufgestellten Grundsätze alle Ausländer, welche in + Preußen Geschäfte treiben, und alle benachbarten Regierungen zur + besondern Aufmerksamkeit und zu abweichenden Maßregeln verpflichten. + Diese wichtige völkerrechtliche Frage macht in der jetzigen Lage der + Sache den Hauptpunkt des Streites aus. Der Gang der Sache ist nämlich + folgender .... + + So liegt die Sache in diesem Augenblicke; einfach an sich in jedem + ihrer Abschnitte, so verworren auch der erste Anblick derselben sein + mag. Zunächst dreht sie sich fast nur um Formalien, um Gerichtsstand + und Rechtskraft. Man ist nur zu sehr geneigt, auf denjenigen, welcher + mit der bloßen Form ficht, den Verdacht eines Bewußtseins des Unrechts + in der Sache fallen zu lassen, und daher war dem Beklagten an nichts + mehr gelegen als daran, zu zeigen, daß er sich gegen die Form nur im + Vertheidigungsstande befindet, nicht aber sie zur Schutzwehr einer + Ungerechtigkeit gebraucht. Man hat es ihm vielleicht verübelt, daß er + die Entscheidung eines königlich preußischen Gerichtshofs so eifrig + abzulehnen bemüht ist; allein man würde dabei aus den Augen gesetzt + haben, welchen großen Werth es für einen Jeden hat, nur von seinem + ordentlichen heimischen Gerichte nach bekannten Gesetzen und Formen + gerichtet zu werden. Wer irgend eine Erfahrung in dieser Art gemacht + hat, der vermag die großen Nachtheile zu würdigen, mit welchen schon + die bloße Entfernung den Betrieb eines Rechtsstreites umgibt. + + Man wird es unter diesen besondern Umständen dem Beklagten nicht + verargen, wenn er durch den gegenwärtigen Abdruck der wichtigsten + Actenstücke seines Processes sowol für das Urtheil seiner Richter als + für die Meinung seiner Freunde (für das größere Publikum sind diese + Blätter ohnehin nicht bestimmt) die Materialien in einer leichtern + Uebersicht zu liefern bemüht war. Er will dasselbe nicht bestechen, + nicht für sich einnehmen; denn er legt die Hauptsache so vollständig + vor, daß sie auch seinem Gegner zu statten kommen mag, wenn er selbst + sich in seinen Ansichten geirrt haben sollte. Allein ein mehr als + zwanzigjähriger Proceß, eine so vielfache Verkettung rechtloser Formen + und Fragen bedarf wol eines Fadens, in dessen Finden nicht immer + gerade derjenige am glücklichsten ist, welcher ihn für sich und andere + zu suchen bestellt ist. Der Erfahrene weiß, daß dies zu sagen weder + Anmaßung noch ein Vorwurf ist, und dreimal wenigstens wurde schon in + der gegenwärtigen Sache der richtige Weg verfehlt. + +Wir verlassen hiermit diesen unerquicklichen Proceß, der uns weit über +die Zeit hinausgeführt hat, die wir zunächst zu schildern haben, und +versetzen uns wieder nach Amsterdam und dem Jahre 1801, in welchem +Brockhaus sein Geschäft dorthin verlegte. + +Zuvor sei indeß noch ein von Brockhaus selbst herrührender Rückblick auf +sein Leben bis zu diesem Zeitpunkte mitgetheilt. + + + + + 4. + + Ein Rückblick. + + +Brockhaus schrieb in spätern Jahren, wahrscheinlich erst 1818 oder 1820, +einen Rückblick auf seine Erlebnisse nieder, um einer Schwägerin, die in +trüben Verhältnissen seine Vertraute geworden war, einen nähern Einblick +in sein Leben zu gewähren. »Sie kennen es nicht«, fügte er hinzu, »oder +nur durch verworrene Sagen, und doch liegt in jeder Vergangenheit der +Schlüssel und häufig die Bedingung der Gegenwart.« + + * * * * * + +Diese Selbstbiographie, die unsere bisherige Schilderung in manchen +Punkten ergänzt und den Verfasser trefflich charakterisirt, leider aber +nur bis zu dem Wendepunkte in seinem Leben reicht, an dem wir uns jetzt +befinden, lautet: + + Ich bin 1774 geboren.[8] Mein Vater, Sohn eines benachbarten + Predigers, hatte meine Mutter, die Tochter eines angesehenen + Kaufmanns, als Witwe geheirathet. Zwei Kinder erster Ehe waren + gestorben, und aus dieser Ehe entsprangen zwei Söhne, von denen ich + der jüngste bin, und der älteste mein noch in Dortmund lebender Bruder + ist. Mein Vater, der erst 1811 gestorben, war ein sehr braver und + wackerer Mann, aber nicht transcendent. Meine Mutter dagegen war eine + geistreiche, vortreffliche Frau, und ihr Bild steht noch immer als das + Ideal einer vollendeten Hausfrau vor meiner Seele. + + Ich war ein aufgeweckter Knabe mit einem brennenden Durst nach + Kenntnissen aller Art, und einer wahren Bücherwuth. Noch schwebt es + mir wie gestern in Andenken, und gibt dies zugleich ein Bild jener + Zeit, wie ich das erste Buch kaufte und wie es ablief. Ich mußte für + den Vater in den Bücherauctionen Folianten und Quartanten erstehen, + die er in seinem Laden als Maculatur gebrauchte. Hier kam nun auch + Voltaire's Leben von Karl XII. in der alten Uebersetzung unter den + Hammer. Niemand bot etwas. Ich hatte das größte Gelüste nach dem + Buch und wagte es, 2 Groschen zu bieten, und siehe da, ich erhielt + es und war der glückliche Besitzer! Aber der Vater, ein strenger + Mann, vermerkte es sehr übel, wie ihm überhaupt mein vieles Lesen in + den Tod zuwider war, verwies mir meine Verschwendung, und ohne das + Dazwischentreten der immer guten und verständigen Mutter hätte ich + wol noch eine Ohrfeige dazu erhalten. Es ist, als ob ein Jahrhundert + dazwischen läge zwischen dem, wie es damals war, und jetzt ist. + + Im funfzehnten Jahre kam ich nach Düsseldorf in eine dortige + große Schnitthandlung, die zugleich Bankiergeschäfte machte, in + die Lehre. Mein Lehrherr hieß Hofmann, er lebt noch und ist mein + Freund geblieben. Er zeichnete mich unter sechs andern Commis und + Burschen sehr aus, und zu sehr. Er bekam den Einfall, sein Geschäft + zu erweitern, da er ein sehr wohlhabender Mann war, und eine + Großhandlung neben der bestehenden Schnitt- und Wechselhandlung zu + errichten, und er warf auf mich, den jüngsten Lehrburschen, die + Augen, dazu die ersten Reisen zu machen, weil in dortigen Gegenden + Alles durch Reisediener besorgt werden muß, da die Messen zu fern + liegen. So wurde ich unerfahrener Mensch in einem Alter von kaum 17 + Jahren auf ziemlich große Reisen, die sich bis Hannover, Kassel, + Koblenz, Lüttich, Cleve ausdehnten, geschickt, um die neuen Geschäfte + zu gründen. Diese so frühen Reisen haben sehr nachtheilig auf mich + eingewirkt. Meine Bildung war noch nicht vollendet und wurde dadurch + ganz zerrissen, indem ich oft in Monaten nicht zu Hause kam, und + anstatt geführt zu werden, wie es dem Jünglinge ziemt, mußte ich mich + selbst führen. Gegen jetzt war damals eine große Sittenreinheit, aber + dagegen wieder eine größere Roheit. Die gänzliche Freiheit, worin + sich der siebzehnjährige Jüngling aber auf diesen Reisen befand, + das fortwährende Gasthofleben und die stete Gesellschaft mit andern + Reisedienern wirkte nothwendig nachtheilig auf Sitten und Charakter. + + Indessen vollzog ich meine Geschäfte zur höchsten Zufriedenheit + meines Herrn, ich bildete mich zu einem tüchtigen Geschäftsmann, + und mir ward vor Ablauf der Lehrzeit und noch nicht 20 Jahr (der + Auftrag?), das Geschäft auch nach Braunschweig auszudehnen und + dort die Messen zu beziehen. Mein Herr blieb dabei fein zu Hause, + und mir ganz allein war das schwierige und kitzliche Geschäft der + ganzen ersten Organisation übertragen. Und unser Geschäft war höchst + bedeutend. Auch hier ging Alles gut, und ich erntete Ehre und Lob + die Fülle. Auf der vierten Messe hatte ich das Unglück, daß mir 100 + Louisdor gestohlen wurden. Ich empfange solche vor Tisch, eben wie zum + Essen geläutet wird, und bin dadurch behindert, sie in mein Bureau zu + verschließen, lasse sie also auf dem Tische stehen. Wie ich nach Tisch + wiederkomme, sind sie weg. Dieser Vorfall hatte auf mein Schicksal + großen Einfluß. Herr Hofmann war darüber hart und ungerecht gegen + mich, ich indignirte mich deshalb und bot ihm den successiven Ersatz + an. Er war kleinsinnig genug, es anzunehmen, und dies empörte mich + vollends. Ich sagte ihm auf und verließ sein Haus. Wäre dieser Vorfall + nicht eingetreten, so wurde ich nach einigen Jahren gewiß Compagnon, + und dies um so leichter, da sich eine zarte Neigung zu einer nahen + Verwandten des Herrn Hofmann, Marie Sibel, in meiner Brust gebildet + hatte, die gebilligt und mit Innigkeit erwiedert wurde. Ich hatte + gegen Herrn Hofmann Unrecht, obgleich er nicht großmüthig handelte. + Mein kecker Trotz kam mir später theuer zu stehen. + + Ich ging in das väterliche Haus zurück. Meine gute Mutter sah ich + nicht wieder! Meine Liebe für Literatur und die Wissenschaften hatte + indessen nie geschlummert, und ihr, dieser Liebe, danke ich es gewiß, + daß ich auf den vielen Reisen und bei dem steten Herumschwärmen + nicht moralisch untergegangen war. Je mehr ich aber immer las, je + mehr fühlte ich auch die Lücken in meinem Wissen, da nirgends ein + solider Grund gelegt war. Der erste Schulunterricht war nach damaliger + Zeit sehr schlecht gewesen, und ich hatte keine Zeit gefunden, ihn + nachzuholen. Ich fühlte aber, daß ich mehr wissen müsse, um meinem + aufstrebenden Geiste Genüge zu leisten und höhern Aufgaben des + Lebens entsprechen zu können. So ungewöhnlich es daher auch war, so + bewog ich meinen Vater doch dahin, daß er mir erlaubte, ein Jahr + eine Akademie zu beziehen, und ich ging nun nach Leipzig, wo ich + _au 5^{me}_ in der Petersstraße bei einem Perrückenmacher anderthalb + ganz glückliche Jahre zubrachte und, ich darf es sagen, musterhaft + lebte und musterhaft fleißig war. Ich erwarb mir insbesondere die + neuern Sprachen und erlangte darin eine ziemliche Vollkommenheit + im mündlichen und schriftlichen Ausdruck; außerdem saß ich stets + zu Platner's und Hindenburg's und Eschenbach's Füßen, trieb + Philosophie, Physik und Chemie, was aber aus Mangel an gründlicher + Elementarbildung, die sich später nie ersetzen läßt, nicht tiefe + Wurzeln gefaßt hat. + + Nach Verlauf dieser glücklichen anderthalb Jahre engagirte ich + mich bei einem englischen Hause in Manchester und war bestimmt, die + Geschäfte desselben in Italien zu leiten. Wir gaben uns in Leipzig + das Rendez-vous in Amsterdam, und ich reiste ab, um die Erlaubniß + meines Vaters einzuholen und von ihm Abschied zu nehmen. Dieser, ein + Mann im alten Stil, sah diesen Plan nicht gerne. Ich war zu einem + Manne herangereift und galt für einen schönen Mann, ich hatte und + zeigte mehr Talent und Geist und Bildung, als in meiner Vaterstadt an + der Tagesordnung war -- was war natürlicher, als daß der gute Vater + auf mich Pläne baute und mich um sich zu behalten suchte? Bonaparte + unterstützte ihn und trat mir hier zuerst in meinen Weg. Er war eben + zum Heerführer der Armee ernannt, die gegen Italien focht. Seine + Siege führten ihn schnell über die Alpen und ganz Italien wurde + von ihm überzogen. Mein Haus in Manchester hob seine Commandite in + Livorno, wohin ich gehen sollte, auf, meldete mir dies und bot mir _en + attendant mieux_ eine Stelle auf seinem Comptoire an. Die mochte ich + nicht, und ich folgte nun williger den Wünschen des Vaters und um so + leichter, da ich in unserm Städtchen eine Art Phänomen war und meine + Eitelkeit täglich Triumphe feierte. + + Es dauerte nicht lange, als sich Gelegenheit zu einer + Handelsverbindung zeigte. Diese wurde auch geschlossen mit einem + wackern Freunde, Namens Mallinckrodt, und des Kapitals wegen, da + die unserigen nicht zuzureichen schienen, mit einem Dritten, Namens + Hiltrop, einem sehr reichen Menschen, den wir für dumm hielten und + glaubten auf diese Weise benutzen zu dürfen. Dies war ein großes + Unglück, dem ich unsägliche Leiden verdanke, denn dieser Mensch war + freilich dumm, aber zugleich ein verworrener Phantast und von dem + allerschlechtesten Charakter. Unser Geschäft bestand in englischen + Manufacturwaaren im Großen, insbesondere in groben Wollartikeln, + die in jenen Gegenden stark gebraucht wurden. Ich besorgte die + Comptoirgeschäfte, Mallinckrodt die Reisen und das Waarengeschäft. + Unsere Handlung hatte den glänzendsten Fortgang. Wir glaubten Hiltrop + (den dritten Compagnon) entbehren zu können; wir separirten uns + also von ihm und fanden ihn ab. Alles in der höchsten Ordnung und + Rechtlichkeit. + + Wir heiratheten nun. Ich meine Sophie, er (Mallinckrodt) eine + Freundin von ihr. Sophie war 19, ich eben 24 Jahre alt.[9] Sie war aus + der angesehensten Familie meiner Vaterstadt, ehemaligen Patriciern. + Sie war liebenswürdig, selbst schön, nicht geistreich, aber + verständig und von einem edlen und festen Charakter, der sich in den + schwierigsten Lebensverhältnissen erprobt hat. Dabei brachte sie mir + ein für dortige Gegenden sehr bedeutendes Vermögen zu. Wir waren die + glücklichsten Menschen unter der Sonne. Ach, wenn ich dieser Rosenzeit + meines Lebens, die drei volle Jahre dauerte, gedenke, so rollen, wie + auch jetzt, die hellen Thränen aus meinen Augen, denn in ihnen genoß + ich des höchsten menschlichen Glückes. In diesen Zeitraum fällt die + Geburt von Auguste und von Fritz. + + Aber nicht länger sollte unser Glück dauern. Unser Geschäft hatte + einen höchst genialen Charakter angenommen, etwa oder ganz in der Art, + wie ihn jetzt mein Buchhandel hat. Wir machten unerhörte Geschäfte, + hatten einen grenzenlosen Credit und gewannen große Summen. Unser + Geschäft hatte sich vorzüglich nach Holland gezogen; wir etablirten + ein Haus in Arnheim, und mein Associé zog dahin. In dieser Epoche + fielen die ungeheuern Bankrotte in Hamburg vor, von denen Sie wol + mal werden gehört haben. Wir wurden zwar nicht direct, aber in einer + indirecten Weise darin verflochten, die unserm Schicksal eine ganz + andere Richtung gab. Jener unser erster Associé Hiltrop hatte nach + seiner Trennung von uns ein ähnliches Geschäft, als es das unserige + war, begonnen, aber freilich nicht mit unserer _adresse_ und unserm + Geiste; er hatte sich also bald verfitzt, und als vollends sein + Bankier in London, ein Vetter der Bethmann in Frankfurt, die ihn aber + ruhig fallen ließen, Bankrott machte und er an diesem 15000 Thaler zu + verlieren befürchten mußte, kam er in Verzweiflung, und nicht fähig, + sich selbst zu retten, warf er sich uns in die Arme. Wir retteten ihn, + übernahmen seine Sachen, auch mit einem Verlust von nur einem Drittel + seine Forderung an den falliten Bethmann, da wir mit diesem auch in + Verbindung waren und uns schmeichelten, die Rechnungen compensiren + zu können. Wir arrangirten sein Creditwesen und handelten in jeder + Hinsicht mit der höchsten Großmuth und Liberalität, ohne jedoch das + kaufmännische Princip dabei aus den Augen zu lassen. + + Dieses _accomodement_ für und mit Hiltrop sollte für uns die + Ursache unübersehbarer Verdrießlichkeiten und Unglücks werden. + Dortmund war damals noch eine Reichsstadt, und das Unwesen in den + Gerichtsformen und bei Processen war bei der absoluten Unabhängigkeit + der Reichsstädte in den ersten Instanzen dort grenzenlos. Unsere + Handlung hatte einen Schwung genommen, von dem man sich in der + altväterischen Stadt nie eine Idee gemacht hatte, und ob wir gleich, + ich darf das sagen, unser Glück nicht durch Uebermuth geltend machten, + im Gegentheil allenthalben helfend mit der höchsten Uneigennützigkeit + eingriffen, so führte doch unsere Existenz und unser Geschäft einen + _train de vie_ mit sich, der dort neu war, großes Aufsehen machte und + uns die heftigsten Neider und daraus Verleumder zuzog. Man hetzte + jenen Phantasten Hiltrop, den wir vom Elend und Versinken #allein# + und mit der vollkommensten Rechtlichkeit gerettet hatten, gegen uns + auf, und dieser klagte nun gegen uns über jene stattgefundene Cession + seiner Forderung an uns, und daß wir ihn dabei verletzt hätten. Der + Proceß darüber nahm seinen Anfang, und da der Bürgermeister, die + Seele von Allem, was in dem Städtchen geschah, mein erbitterter + und entschiedener Feind war, so erwuchsen aus der Führung dieses + unglücklichen Processes für mich (denn mein Associé war in Arnheim) + namenlose Verdrießlichkeiten, und ich entschloß mich endlich, + Dortmund ganz zu verlassen und nach Holland zu ziehen. Aber kaum + verlautbarte dieser Entschluß, als mir erstlich eine ganz übertriebene + Cautionsleistung für den obschwebenden Proceß abgefordert wurde und + man sofort mit der Forderung von 10 Procent von unserm Vermögen + auftrat. Beide Forderungen wurden mit einer Art von fanatischer Wuth + bei unsern Widersprüchen verfolgt. An Hülfe war gar nicht zu denken, + denn der Magistrat hatte und erkannte keine andere Behörde über sich + als das Reichskammergericht in Wetzlar oder den Reichshofrath in + Wien. Ich mußte Kränkungen über Kränkungen erleiden. Erst wurde unser + ganzes Waarenlager mit Arrest belegt, meine Handlungsbücher wurden uns + fortgenommen und untersucht, ich selbst am Ende persönlich arretirt. + Ich mußte mich beugen und wenigstens die Caution für die 10 Procent + Vermögenssteuer leisten. Der andern (Maßregel?) entging ich zu meinem + Glücke durch Consequenz und Klugheit. + + So verließen wir unsere Vaterstadt und kamen fast wie Geächtete + in Arnheim an. Die Geschichte hatte das ungeheuerste Aufsehen + gemacht, der Haufen der Menschen war, wie ganz in der Regel, gegen + uns, die man hochfahrige, überklugseinwollende, vorwitzige Personen + nannte, denen hier Recht geschehen sei; unser Credit litt dadurch + außerordentlich, und im Auslande, wo man sich solchen Unsinn, als + der dortmunder Magistrat begangen, gar nicht denken konnte, mußte + man ganz irre werden, als wir anzeigen mußten, wir wohnen nicht mehr + in Dortmund, sondern jetzt in Arnheim. Dazu kamen nun die reellen + äußern Zerstörungen, die mit dieser gewaltsamen Geschäftsverpflanzung + verbunden sein mußten, und der Umstand, daß Alles allerdings auf die + Spitze getrieben war, indem wir das Geschäft aus dem Gesichtspunkt + betrieben hatten: man muß das Eisen schmieden, solange es glühend ist; + -- kurz, unsere Lage wurde bei diesen Umständen höchst kritisch. Mein + Associé, der blos das Waarengeschäft geleitet und von der einen Seite + die großen geernteten Vortheile kannte, nicht aber alle die Fäden, + die ich angesponnen, um das Geschäft in dieser Höhe zu erhalten, war + nun höchst befremdet über die Stockungen in unserm Creditsystem. + Er war unbillig genug gegen mich, der so unendlich gelitten und + Alles allein hatte erdulden müssen, mir Vorwürfe zu machen, und ich + war schwach genug, darüber so erbittert zu werden, daß ich ihm die + Compagnieschaft aufsagte. Wir separirten uns also. Ich zahlte ihm + ein Abfindungsquantum von baaren 60000 Gulden und übernahm das ganze + Geschäft und zog nach Amsterdam. Dies war im Winter 1801 auf 1802. + + + + + Zweiter Abschnitt. + + In Amsterdam. + + + + + 1. + + Kaufmännische Thätigkeit. + + +Als Brockhaus im Winter von 1801 auf 1802 Arnheim verließ und +nach Amsterdam übersiedelte, um hier das früher mit Mallinckrodt +betriebene Geschäft in englischen Manufacturen _en gros_ allein und +auf günstigerm Boden fortzusetzen, hatte er einen schweren Stand. +Durch den Hiltrop'scheu Proceß und die Verlegung seines Geschäfts von +Dortmund nach Arnheim hatte sein Credit schon leiden müssen, da die +kaufmännische Welt die nähern Umstände und die eigentliche Veranlassung +dazu nicht kannte. In Amsterdam hatte er somit eigentlich wieder von +vorn anzufangen. Indeß verlor er den Muth nicht, und das Glück schien +ihm auch bald wieder lächeln zu wollen. + +Es waren damals die letzten Jahre der Batavischen Republik unter ihrem +trefflichen Leiter, dem Großpensionär Schimmelpenninck; die frische Luft +des Freistaats, der lebhafte Verkehr der großen Handelsstadt sagten ihm +weit mehr zu, als die engen Verhältnisse der kleinen Provinzialstadt +Arnheim und seiner freilich ebenfalls »freien« Vaterstadt Dortmund. +Außerdem stand er in Amsterdam ganz auf eigenen Füßen und befand sich +in neuer Umgebung; er hatte auf keinen Associé Rücksicht zu nehmen und +wurde in der ersten Zeit wenigstens fast durch nichts mehr an frühere +widrige Verhältnisse erinnert. + +Alles das gab ihm eine zuversichtliche Stimmung. In dieser schreibt +er am 18. Mai 1802 an seinen Bruder Gottlieb in Dortmund, mit dem er +fortwährend in den herzlichsten Beziehungen verblieb: + + Wir fügen uns in unsere hiesigen neuen Verhältnisse Alle recht gut, + und wenn ich mal diejenigen der alten Handlung ganz in Ordnung habe + sowie mein properes Geschäft in gehörigem Vertrieb, so hoffe ich, + wird mir endlich Zufriedenheit und Ruhe zutheil werden; ich werde + gewiß mich für abermalige zu große Geschäfte hüten. Darin fehlte + Mallinckrodt und verführte er mich auch hauptsächlich. O ich danke + Gott, daß ich von ihm ab bin und allein handeln kann, wie ich jetzt + will. Ich könnte ihm große Vorwürfe machen -- ich thue es nicht und + ergebe mich in mein Schicksal. Die Zukunft verspricht mir auch ja so + viel Gutes und ich hoffe, daß, wenn wir uns mal wiedersehen, wir Beide + glücklicher sein werden als wie wir uns trennten. + +Auch materiell unterstützte ihn der Bruder durch seinen Credit und wie +er es sonst vermochte. Im Sommer 1804 besuchte er ihn in Amsterdam. +Folgender bald nach dessen Abreise geschriebene Brief von Arnold +Brockhaus an seinen Bruder Gottlieb (vom 4. September 1804) gibt von dem +herzlichen Verhältniß zwischen Beiden und von der warmen Empfindung des +Schreibers Zeugniß: + + Theuerster Bruder! + + Freilich: unsere höchsten Freuden grenzen oft nur um eine Linie an + den herbsten Schmerz. Wie glücklich verflossen uns die wenigen Tage, + die wir hier zusammen lebten und -- was mir unschätzbar bleibt -- + auch mit einander verlebten. Aber der Abschied von Dir, theuerster + Bruder, am Sonntag Morgen, -- der zerriß mir die Seele. Bin ich doch + nie von Schmerz, Betrübniß und Wehmuth so hingerissen, so aufgelöst + gewesen, als in den Stunden. Mir selbst fast unbegreiflich war auch + die Stimmung, worin ich mich befand. War es mir doch, als ob mit Dir + alle meine Hoffnungen, alle meine Freuden, alle Annehmlichkeiten des + Lebens dahinschwänden, als ob die Zukunft von jetzt an nur Grausen und + Schrecknisse für mich haben werde, als ob wir uns nie wieder sehen + würden, -- als ob ich nichts Theueres mehr auf der Welt hätte! + + Ich konnte mich auch nicht erholen. Nicht eine, sondern mehrere + Stunden lang saß ich in Schmerz versunken, ohne ein anderes Bewußtsein + auf der Seele, als daß oft unwillkürlich und gedankenlos helle + Thränenbäche mir aus den Augen stürzten. Nur die Liebkosungen der + Kinder, an dem Arme ihrer guten, mir so lieben Mutter, brachten mich + endlich wieder zu mir selbst. Der Tag verfloß uns so in feierlicher + Stille, und nur Du warst der Gegenstand unserer traulichen Reden. + Könnten wir Dich doch in unserer Mitte haben! Könnten wir doch nur + zusammen leben! Das war der ewige Wiederholungspunkt, worin sich + unsere Wünsche alle begegneten. + + Du eiltest in der Zwischenzeit der friedlichen Heimat zu. Jetzt ist + der Bruder #da#, nun ist er #da#. Nun ist er in Amersfoort, Arnheim, + Wesel -- nun eilt er in die Arme seiner lieben Frau, seiner geliebten + Kinder, jetzt drückt er sie froh an sein Herz, nun sind sie zu Hause + im kleinen Stübchen, jetzt erzählt der Bruder von uns -- und von + Amsterdam, dem horchenden Lottchen, den erstaunenden Freunden! So + warst Du uns stündlich und täglich gegenwärtig, so begleiteten wir + Dich allenthalben und lebten in der süßesten Täuschung. Denn ach, + -- wie schrecklich mußte der Uebergang von der Stimmung sein, mit + welcher Du in Bochum ankamst, bis Du es wieder verließest. Erinnerst + Du Dich des Vorfalls, den Du uns von dem Bauer in Brakel erzähltest, + der bei seiner Zurückkunft, wo er sein liebes Weib und seine Kinder + zu überraschen gedachte, ersteres und seinen Liebling von diesen todt + fand? War es mir doch, als Du es erzähltest, als ob mir eine geheime + Ahndung aufstieg. Das Herz brach mir fast, als Du es erzähltest! Gott, + wie schrecklich hattest Du hier selbst fühlen können, du gefühlvoller, + edler, einfacher Mensch, was Du mit so innigem Affecte von Andern + darstellen konntest! + + Wir Alle, theuerster Bruder, haben an diesem Deinem harten + Schicksale den innigsten Theil genommen und nehmen ihn noch immer. + Gebe nur der gute Gott, daß sich noch Alles zum Besten lenke. Gebe + er Dir Seelen- und Körperstärke, um die Gegenwart und die Zukunft + ertragen zu können! + + Wir bitten Dich innigst, uns doch jeden Posttag, wäre es auch nur + mit wenigen Zeilen, die Lage der Umstände zu melden. Wir befürchten + zwar Alles, hoffen aber auch noch Alles. + +Ein weiteres sprechendes Zeugniß der Liebe zu seinem Bruder Gottlieb +bietet ein Blatt, das dieser in seiner Wohnstube unter Glas und Rahmen +aufbewahrte. Es enthält eine bekannte Stelle aus Schiller's »Braut +von Messina« mit der Ueberschrift: »A. B. -- G. B.« und wurde ihm +wahrscheinlich einmal von seinem Bruder zum Geburtstage übersandt. Die +Worte (von Isabella nach dem zweiten Auftreten des Chors gesprochen) +lauten: + + Feindlich ist die Welt + Und falsch gesinnt! Es liebt ein Jeder nur + Sich selbst; unsicher, los und wandelbar + Sind alle Bande, die das leichte Glück + Geflochten -- Laune löst, was Laune knüpfte -- + Nur die Natur ist redlich! Sie allein + Liegt an dem ew'gen Ankergrunde fest, + Wenn alles And're auf den sturmbewegten Wellen + Des Lebens unstet treibt. Die Neigung gibt + Den Freund -- es gibt der Vortheil den Gefährten; + Wohl dem, dem die Geburt den #Bruder# gab! + Ihn kann das Glück nicht geben -- anerschaffen + Ist ihm der Freund, und gegen eine Welt + Voll Kriegs und Truges steht er zwiefach da. + +Sein nicht mehr bedeutendes Betriebskapital wußte Brockhaus auf +geschickte Weise zu vergrößern, indem er das Vertrauen benutzte, das man +ihm in Amsterdam von allen Seiten entgegenbrachte. So hatte sich schon +in Dortmund ein französischer Emigrant an ihn angeschlossen und ihm +nach und nach eine größere Summe anvertraut, worüber nun in Amsterdam +am 1. Juni 1802 ein Document ausgestellt wurde; es war dies der frühere +Prevôt von Valenciennes, Pierre Antoine Louis Lehardy de la Loge. +Freilich entstanden ihm später manche Unannehmlichkeiten aus diesem +Geldgeschäfte, da die nach dem Tode seines Freundes von dessen Erben +geforderten Rückzahlungen des Kapitals gerade in eine sehr schwierige +Zeit fielen. In ähnlicher Weise bot ihm ein anderer französischer +Emigrant, ein früherer Militär, Charles Louis Remy la Motte de la +Tournelle aus Rheims, ein kleines Kapital gegen eine Jahresrente an und +Brockhaus schloß am 15. März 1802 darüber einen Vertrag mit ihm. + +Aber auch in der kaufmännischen Welt gewann er rasch wieder bedeutenden +Credit. Allerdings ließ er sich dadurch verleiten, trotz seiner guten +Vorsätze wieder weiter zu gehen, als seine Kräfte erlaubten, und zudem +traten bald politische Verhältnisse ein, die das kaufmännische Geschäft +überhaupt sehr erschwerten. Es war die Zeit der Continentalsperre, +jener rücksichtslosen Maßregel Bonaparte's gegen England, durch welche +er dessen Macht zu brechen hoffte. Natürlich war es sein Streben, auch +die Nachbarländer zu gleichem Vorgehen gegen England zu bestimmen, da +er sich nur dann den gewünschten Erfolg versprechen konnte. So bot er +auch seinen ganzen Einfluß auf, um die schwache Batavische Republik zu +ähnlichen Maßregeln zu bringen, und diese vermochte dem Drängen des +mächtigen Nachbars auf die Länge nicht zu widerstehen. Die strengsten +Verordnungen wurden erlassen, um allen englischen Waaren den Eingang in +die Republik unmöglich zu machen. + +Dies war natürlich ein tödlicher Schlag für Brockhaus' eben im +Wiederaufblühen begriffenes Geschäft, dessen Hauptbezugsquelle immer +England gewesen war. Trotzdem verlor er den Muth nicht gleich, er suchte +den veränderten Umständen gemäß neue Wege auf und noch bis in den Herbst +des Jahres 1804 gelang es ihm, der ungünstigen Conjunctur die Spitze zu +bieten. Allein die Verlegenheiten mehrten sich. + +Unterm 30. September entwirft er dem Bruder folgendes anschauliche Bild +seiner Lage: + + Seit Deiner Abreise, lieber Bruder, habe ich viel Sorgen gehabt + und noch sind sie leider nicht vorbei. Ich will mich mit Dir sehr + offen unterhalten, gerade als ob wir traulich nebeneinander in der + Mitternachtstunde säßen, wie wir es bei Deinem Hiersein so manchmal + thaten. + + Ich habe unglücklicherweise noch immer nicht die goldene Kunst + erlernt, die Segel einzuziehen, wenn der Wind am vortheilhaftesten + hineinweht. Durch das günstige Geschäft in diesem Jahre verführt, + habe ich mich unglücklicherweise wieder zu tief hineingesteckt, + und es ist mir deshalb was über dem Kopf zusammengeschlagen. Dazu + kam die verdammte Speculation auf die Ladung des hier verkauften + Schiffes, wovon mir noch 12000 Gulden in Leipzig festsitzen und die + im Ganzen doch nicht gut rentirt. Drittens hatte es mir Anstrengung + gekostet, um an Hofmann & de Bri gleich eine Summe von circa 1500 £ + zu übermachen, in Absicht eines brillanten Debüts, da ich sonst + noch ein paar Monate das Geld hätte halten können. Auch habe ich das + Jahr zu viel comptant oder auf kurze Zeit gekauft .... Ich habe mich + inzwischen gehalten, allen Engagements Genüge geleistet und denke, + so Gott will, glücklich herauszukommen .... Es ist das Alles sehr + schlimm gewesen und noch ist es nicht wieder im rechten Haken, allein + so wie das Schlimme sehr nahe am Guten grenzt, so auch umgekehrt. + Es wird hieraus für mich wahrscheinlich viel Gutes hervorgehen. Die + Lehre, die ich jetzt erhalten, war scharf: meine Existenz stand auf + einer Nadelspitze -- die habe ich erhalten --, aber mein Credit hat + tief gelitten und das ersetzt sich schwerer, ob ich gleich hier auf + dem Platze keines besondern Credits bedarf. Ich habe es nämlich mir + selbst, meinem theuern Weibe, meinen geliebten Kindern heilig gelobt: + von jetzt an nur ein kleines Geschäft, das nur halb so groß ist als + mein jetziges, haben zu wollen. Ich werde nicht wieder wankend werden, + zuverlässig nicht, dazu ist mein Vornehmen diesmal zu bestimmt und + raisonnirt. #Das# Gute wird also aus meinen gehabten Verlegenheiten + sicher hervorgehen und ich blicke wirklich seit der Zeit schon mit + mehr Heiterkeit in die Zukunft als vorher. Ich habe allen Ideen + von weitläufigem und ausgebreitetem Geschäft auf das feierlichste + entsagt, und fortan werde ich mich nie wieder dazu verführen lassen, + noch von dem geraden Wege in meinen Transactionen abgehen .... Dies, + lieber Bruder, waren die Sorgen und die Verlegenheiten, worin ich + mich befunden habe. Sie waren groß, da sie alle wie ein Gewitter auf + mich zusammenstürzten, allein sie waren auch nicht größer als ich sie + Dir geschildert, und ich hoffe, daß ich so ziemlich dadurch bin. Ich + habe außer dem brüderlichen Hange, Dir auch nichts verschweigen zu + wollen, was mir Gutes und Uebles auf der Welt widerfährt, auch noch + #die# Ursache, Dir darüber zu schreiben, da es möglich wäre, daß durch + Königshoff oder sonst Jemanden etwas darüber nach Dortmund berichtet + würde, und damit Du dann weißt, was davon zu halten. + + Endlich noch eine brüderliche Mittheilung. Es ist unvermeidlich, + lieber Bruder, daß der Uebergang von meinen ansehnlichern zu den + kleinern Geschäften mich nicht geniren müßte, besonders da ich es als + ersten Grundsatz festgesetzt, mich dazu #auch nicht eines# insoliden + Hülfsmittels zu bedienen, ich vielmehr damit begonnen habe, solche + zu succificiren. Ueberhaupt fühle ich, daß ich doch dem ausgedehnten + Geschäfte nicht gewachsen war bei der hiesigen Solidität, und daß ein + #Manufactur#geschäft #hier# mit einem Fonds wie der meinige eigentlich + nur die Hälfte desjenigen solide thun kann, was ich ganz that. Außer + den Hülfsmitteln, die in mir selbst liegen und die dazu mit dienen + sollen, jenen Zweck zu erreichen, möchte ich aber auch noch gern alle + die ins Werk setzen, welche für mich erreichbar sind und die dazu mit + beitragen könnten, d. h. ich möchte gern alle die Fonds disponibel + haben, welche mir doch einmal gehören, durch unangenehme Dispute aber + nun für mich ohne Nutzen sind ..... + +Im weitern Verlaufe des Briefs macht er Vorschläge, die sich darauf +beziehen, daß er seinen Antheil an den gemeinschaftlichen Ländereien bei +Dortmund (circa 6 Morgen) abtreten und verschiedene Familienverhältnisse +geordnet haben möchte, wodurch er ein Kapital von 6000 Fl. zu erhalten +hofft. Außerdem bittet er seinen Bruder, ihn selbst noch auf etwa ein +Jahr mit einem besondern kleinen Kapitale von etwa 4000 holl. Fl. zu +unterstützen. Dann fährt er fort: + + Es soll sowol dies, als wenn ich jenes erhalte, nicht dazu dienen, + meine Geschäfte zu erweitern. Nein, es ist und bleibt der heiligste + und unabänderlichste Vorsatz bei mir, sie vielmehr sehr einschränken. + Es soll aber dazu mit dienen, um mir Verbindungen ganz entbehrlich zu + machen auf auswärtigen Plätzen, die, so wie sie sehr kostbar waren, + mich auch stets genirten und meine Thätigkeit von meinem eigentlichen + Geschäfte ablenkten. Ich habe vor, mich ganz aufs Reine zu setzen + und endlich einmal mir selbst und meiner Familie zu leben. Dieser + Uebergang kostet mir aber, wie Du denken kannst, sehr viel Mühe und + erfordert auch neue Fonds, indem bei einem großen Geschäfte auch der + Credit groß ist und eins das andere stopft. Daß Du mir das Kapital + mit Sicherheit anvertrauen kannst, dafür bürgt Dir mein Ehrenwort, + daß erstlich meine Sachen gut stehen, und zweitens, daß, möchten mich + auch unglückliche Umstände ereilen, es mir die heiligste Pflicht sein + würde, Dich vorzüglich zu decken. Ich weiß wol, lieber Bruder, daß + Deine Einrichtungen und auch Deine Fonds es nicht erlauben, daß Du + mich aus eigenen Mitteln bedeutend unterstützest, allein ich dachte, + daß Deine Verbindungen Dir vielleicht Mittel an die Hand böten, hier + oder da so ein Kapital von etwa bis zu 4000 Fl. zusammenzubringen. + Solltest Du inzwischen keine Gelegenheit haben, so sagst Du es mir nur + einfach und ich suche mich dann anders durchzuschlagen. Es braucht + zwischen uns keiner Complimente darin. Ein Ja ein Ja, ein Wort ein + Wort .... Kurz, lieber Bruder, Alles, was Du vermagst zu thun, das + thue in diesem Augenblicke, der durch das Zusammentreffen mehrerer + Umstände für mich sehr unangenehm ist. Die größte Krise habe ich zwar + überwunden, allein geheilt bin ich noch nicht, und es wird mir noch + große Anstrengungen kosten, ehe ich darüber bin .... Ich habe Dir + Alles sagen und Dir nichts verschweigen wollen. Du und Sophie sind die + einzigen Menschen auf der Erde, die meine wahrhaften Freunde sind. Ich + kann und will Beiden nie etwas verhehlen. Es wird Alles gut gehen, nur + der Augenblick war hart und ist es noch. Die herzlichste Umarmung! + +Die Antwort auf diesen Brief liegt nicht vor. Doch ist kaum zu +bezweifeln, daß der Bruder ihm auch in diesem Falle, wie in so manchen +frühern, nach Kräften geholfen, denn unterm 26. August 1805 dankt er +ihm, weil er »die 3000 Fl. wieder in seinen Händen gelassen«, mit +dem Bemerken: wenn er sie gern zurückhaben wolle, so werde ihn dies +nicht geniren, falls er nur etwas vorher davon unterrichtet sei. +Jedenfalls gelang es Brockhaus, seine Verhältnisse zu ordnen, und seinem +Vorsatze getreu schränkte er das kaufmännische Geschäft wesentlich +ein. Im October 1804 scheint er mehrere Wochen in Wesel zugebracht +zu haben, wahrscheinlich eben zur Abwickelung eines frühern größern +Waarengeschäfts. + +Diese Einschränkung in enge Verhältnisse konnte aber seinem regen, +weitstrebenden Geiste nicht lange genügen, und da er theils wegen der +Continentalsperre, theils nach den kaum überstandenen Bedrängnissen +daran festhielt, sein Geschäft in englischen Waaren nicht wieder +auszudehnen, so mochte für ihn der Gedanke nahe liegen, neben demselben +ein anderes Geschäft zu betreiben, das seinem Geiste bessere Nahrung +versprach und von dem er doch auch materielle Erfolge erwarten konnte. + + + + + 2. + + Errichtung einer Buchhandlung. + + +Von Jugend auf von dem lebhaftesten Interesse für die Literatur erfüllt, +hatte Brockhaus, wie schon erwähnt, eigentlich gegen seinen Willen, nur +auf Wunsch seines Vaters und durch zufällige Umstände darauf hingeführt, +den Kaufmannsstand erwählt. Mehr durch fremde als durch eigene Schuld +und durch die Zeitverhältnisse an der Durchführung seiner kühn und +großartig angelegten Handelsunternehmungen gehindert, griff er jetzt +zu der Idee zurück, die ihn seit seinem Aufenthalte in Leipzig oft +lebhaft beschäftigt haben mochte: sich dem Buchhandel zu widmen, als +einem Berufe, in dem er seine kaufmännischen Kenntnisse verwerthen +und doch zugleich seiner Lieblingsneigung, der Beschäftigung mit der +Literatur, leben konnte. Er stand noch in dem ersten Mannesalter, dem +dreiunddreißigsten Lebensjahre; er hatte reiche Erfahrungen gesammelt, +deren Schwere seinen Geist in keiner Weise zu beugen vermochte; er +lebte in den glücklichsten Familienverhältnissen, an der Seite einer +geliebten Frau, von blühenden Kindern umgeben: noch in Arnheim war ihm +am 12. Februar 1802 eine zweite Tochter, Karoline, am 4. Februar 1804 in +Amsterdam ein zweiter Sohn, Heinrich, geboren worden. Sollte er den Muth +sinken lassen und nicht vielmehr versuchen, ob ihm das Glück nicht auf +einem andern Felde lächeln werde? + +Im Sommer 1805 ging er an die Ausführung des neuen Plans, obwol +seine Buchhandlung formell erst am 15. October 1805 eröffnet wurde +und dieser also der Gründungstag der Firma F. A. Brockhaus ist. Von +diesem Tage datirt sein erstes buchhändlerisches Circular, allerdings +nicht mit seinem Namen, sondern mit der Firma »Rohloff und Compagnie« +unterzeichnet. Als Ausländer konnte er nämlich nicht Mitglied der +amsterdamer Buchhändlergilde werden, und so bewog er einen ihm bekannten +wackern Mann, den Buchdrucker J. G. Rohloff, zu erlauben, daß das +Geschäft auf dessen Namen geführt werde. Dieser war dabei weiter nicht +betheiligt, als daß er eine kleine Entschädigung für das Hergeben seines +Namens erhielt, und Brockhaus von Anfang an alleiniger Eigenthümer. +Auch ließ Brockhaus den Namen Rohloff's schon nach kaum zwei Jahren, +1807, ganz verschwinden und wählte für seine Firma die schon in jenem +ersten Circular zur Charakterisirung des neuen Geschäfts gebrauchte +Bezeichnung: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, ohne Hinzufügung eines +Namens.[10] Hierüber sagt er in einem Briefe: + + Aus Zartgefühl trennte ich bei zunehmenden Geschäften Hrn. Rohloff + von unserm Geschäfte, um auch nicht den Schatten von Besorglichkeit + in der Seele des guten Mannes aufkommen zu lassen, die er doch haben + mußte, da sein Name gebraucht wurde. + +Jenes erste Circular, aus dem die Absichten des Begründers gleich +deutlich hervorgehen, lautet: + + Amsterdam, den 15. October 1805. + + Die Unterzeichneten haben die Ehre, Ihnen hiermit anzuzeigen, daß + sie hierselbst ein Kunst- und Industrie-Comptoir errichtet haben, + welches einerseits zur Absicht hat, nationale Wissenschaft und + Kunst zu befördern und das Ausland damit bekannt zu machen, als + andererseits: den Freunden der Wissenschaften und schönen Künste in + den Vereinigten Niederlanden Gelegenheit zu geben, sich Alles, was + das gebildetere Ausland, vorzüglich Frankreich, England, Deutschland + und Italien, in diesen Hinsichten Merkwürdiges darbietet, schnell + verschaffen zu können. + + Wir werden uns bemühen, für die Batavische Republik einen Central- + und Verbindungspunkt zwischen nationaler und fremder Kunst und + Wissenschaft zu bilden und dadurch einem längst gefühlten und + allgemein anerkannten Bedürfnisse abzuhelfen. + + Jeder Auftrag des Auslandes, der sich also auf niederländische + Literatur und Kunst bezieht, wird demnach ebenso pünktlich und + sorgfältig ausgerichtet werden als wiederum alle inländischen + Literatur- und Kunstfreunde Gelegenheit haben, durch uns alle + Literatur-, Kunst- und Musikproducte des Auslandes schnell und zu + billigen Preisen erhalten zu können. Zu beiden Arten von Aufträgen + empfehlen wir uns also ergebenst und werden wir uns beeifern, das + Zutrauen, um welches wir bitten, durch die That zu verdienen. + + Rohloff & Co. + + +Dasselbe Circular wurde gleichzeitig in französischer Sprache versandt. +Der französische Text weicht nur darin von dem deutschen ab, daß es im +ersten Satze heißt: »_que les soussignés viennent d'établir en cette +ville un Institut de Commerce, ~sous la raison~: Bureau des Arts et des +Belles-lettres_«, woraus sich auch die bereits erwähnte, nach damaliger +Sitte ohne weitere Anzeige 1807 erfolgte Umänderung der Firma: Rohloff & +Co., in die von: Kunst- und Industrie-Comptoir, erklärt. + +Nähere Mittheilungen über die Gründung des buchhändlerischen +Etablissements enthält ein Brief von Brockhaus an seinen Bruder, dem +er sich natürlich gedrungen fühlte, sofort Kenntniß davon zu geben. Er +schreibt aus Amsterdam vom 26. August 1805: + + Ich habe Dir neulich ein paar Worte von einer neuen Unternehmung + gesagt, wobei ich mich interessirt habe.[11] Ich kann Dir jetzt + etwas mehr darüber mittheilen. Ein paar angesehene und sehr + wohlhabende Personen, Freunde der Wissenschaften und Künste, haben + sich nämlich mit mir zu einem Institut wie das Weimarer und Wiener + Industrie-Comptoir vereinigt, freilich sehr im Kleinen, um weniger + selbst etwas zu produciren als fremde Sachen zu debitiren. Der Plan + ist außer allem Zweifel ganz vortrefflich und verspricht, da durchaus + noch nichts Aehnliches im ganzen Lande besteht, reiche Belohnung. + Buch- und Kunst- und Musikalienhandel, activ und passiv, werden + seine Vorwürfe sein. Wir haben einen Hauptdirector und ich bin + Nebendirector, weil ich meiner sonstigen Geschäfte wegen nicht viel + Zeit dazu verwenden kann. Ich werde Dir nächstens mal den Plan, wie + wir ihn Schimmelpenninck vorgelegt haben, zur Einsicht mittheilen.[12] + Wir haben von diesem trefflichen Manne die lebhafteste Ermunterung + erhalten und das Versprechen, uns auf alle mögliche Weise zu + unterstützen. + + Fürchte nicht, lieber Bruder, daß es mich in zu große + Weitläufigkeiten setzen werde. Das wird nicht der Fall sein und kann + es nicht sein, besonders da ich mein eigentliches Geschäft blos sehr + mäßig treiben und höchstens darin einen Umschlag von 100000 Fl. + bezwecken werde. Du kennst übrigens meine Liebhaberei für Literatur + und Kunst und kannst also denken, wie angenehm es für mich sein wird, + mich auf diese Art damit zu beschäftigen. Das Museum, das jetzt an + 250 Mitglieder hat, wird unser Institut, da einer der Directoren, + Clifford, dabei interessirt ist, zu seinem Fournisseur wählen, und + schon dadurch allein ist uns ein Absatz von 6000 Fl. sicher. Die + Einrichtungen sind übrigens so getroffen oder werden es (denn noch ist + die Sache erst im Werden), daß ich wenig Arbeit damit habe, und es + wird mich dasselbe nicht verhindern, Euch dies Jahr noch zu besuchen, + wenn nicht von andern Seiten vielleicht was dazwischen kommt. + +Wer der in diesem Briefe erwähnte »Hauptdirector« des projectirten +buchhändlerischen Geschäfts war, neben dem sich Brockhaus nur als +»Nebendirector« bezeichnet, ist nicht bekannt. Entweder blieb die +Ernennung eines solchen ein bloßes Project, wie sich überhaupt das +Geschäft und Brockhaus' Wirksamkeit in demselben bald wesentlich anders +gestaltete, als er sie sich zuerst gedacht hatte. Oder -- und das +ist das Wahrscheinlichere -- unter dem »Hauptdirector« war derjenige +gemeint, der dem Publikum und speciell der »Gilde« gegenüber mit seinem +Namen hervorzutreten hatte, der Buchdrucker Rohloff, während Brockhaus +unter dem Namen eines »Nebendirectors« factisch der eigentliche Leiter +des Geschäfts wurde. Denn in einem spätern Briefe an seinen Bruder +(vom 25. August 1807) sagt er ausdrücklich, daß er der »alleinige +Eigenthümer« der Firma Rohloff & Co. gewesen sei. Auch die »angesehenen +und sehr wohlhabenden Personen«, von denen er in jenem frühern Briefe +sagt, daß sie mit ihm zur Gründung des Geschäfts sich vereinigt +hätten, sind wol schwerlich als Mitbegründer und Miteigenthümer des +Geschäfts anzusehen; es waren vielmehr »Freunde der Wissenschaften und +Künste«, die als solche und als seine persönlichen Freunde ihm mit +ihrem Einfluß und selbst mit materiellen Mitteln zur Seite standen. So +schreibt er einmal an seinen Bruder: »Ein wackerer Mann, dem ich mich +entdeckte, fand meine Idee sehr gut, und ich erhielt von diesem auch +noch dazu ein Kapital von 6000 Fl.« Dieser »wackere Mann« kann jener +ebenerwähnte Mitdirector des Museums, Clifford, oder der Großpensionär +Schimmelpenninck gewesen sein. Von letzterem wurde Brockhaus jedenfalls +auch materiell bei seinem neuen Unternehmen unterstützt, wie aus spätern +Rechnungspapieren hervorgeht. Ferner nennt er später einmal dankbar +folgende Namen als solcher Amsterdamer, die ihm in ähnlicher Weise +zu Hülfe kamen, ohne daß uns Weiteres als eben diese Namen bekannt +geworden: Gulcher, Falk, Hultmann, Rodde. Möglich ist indeß auch, daß es +ursprünglich auf ein Actienunternehmen abgesehen war, das sich später +zerschlug. + +Aus dem oben mitgetheilten Briefe geht ferner hervor, daß Brockhaus +zunächst durchaus nicht die Absicht hatte, sein »eigentliches« +kaufmännisches Geschäft aufzugeben; er wollte dieses nur, wie er es +schon Ende 1804 sich selbst und seinem Bruder versprochen hatte, +nach den bösen Erfahrungen der letzten Zeit wesentlich einschränken +und neben demselben, gewissermaßen als Liebhaberei, das neue +buchhändlerische Geschäft betreiben. Dieses beabsichtigte Verhältniß +kehrte sich allerdings bald um: das buchhändlerische Geschäft wurde +die Hauptsache, das kaufmännische die Nebensache, sei es, daß er das +letztere absichtlich immer mehr einschränkte, oder daß dasselbe immer +weniger rentirte, sei es, daß das erstere sein Interesse und seine +Thätigkeit mehr in Anspruch nahm als er sich gedacht hatte. Indeß gab er +das kaufmännische Geschäft immer noch nicht ganz auf, sondern betrieb +es nebenbei mehrere Jahre fort, bis zu seinem Weggange von Amsterdam, +obwol er noch mehrmals sich ganz davon loszumachen versuchte. Eine +solche Doppelstellung erscheint in unserer Zeit der Arbeitstheilung +ungewöhnlich; damals und bei dem raschen Wechsel der politischen +Verhältnisse kam sie öfter vor. + +Des Zusammenhangs wegen mögen aus dem bereits erwähnten spätern Briefe +an seinen Bruder vom 25. August 1807 einige Stellen gleich noch hier +folgen: + + Ich halte es für den glücklichsten Gedanken meines Lebens, daß ich, + als vor zwei Jahren ich die Unmöglichkeit begriff, mein Geschäft in + englischen Manufacturwaaren mit Glück, Ruhe und Segen fortführen zu + können, um davon meine schwere Haushaltung und Ausgaben zu bestreiten, + daß ich da den Entschluß faßte, hier ein Etablissement für Buch- und + Kunsthandel zu errichten, wie es in unserm Lande keines gab, das mir + ein gutes Auskommen versprach, keinen übergroßen Fonds erforderte + und das meinem Genius vollkommen angemessen war. Indessen hatte ich + zur Absicht, doch ein _noyau_ für Manufacturgeschäfte beizubehalten, + um in günstigern Zeiten es vielleicht wieder aufzufassen und weiter + auszudehnen. Ich war zu der Zeit einer der Directoren unsers Museums + und meine Idee wurde dadurch sehr begünstigt .... Durch die Kenntniß + und durch die Thätigkeit, welche ich in das neue, meinem Sinne so + angemessene Geschäft legte, wuchs solches bald bedeutend, und ich + entschloß mich, den _noyau_, den ich noch von Manufacturen angehalten + hatte, fahren zu lassen und mich ganz und allein dem neuen Geschäfte + zu widmen, für welches, wie wol Jeder gestehen wird, der mich kennt, + ich Jedem und mir selbst außerordentlich berechnet schien ... Antheil + hat Niemand am ganzen Geschäfte als ich allein. Ich lasse indessen im + Publikum die Idee gelten, als ob mehrere dabei interessirt wären. + +Er erwähnt dann noch, daß er seine »andere sehr lucrative aber lästige +Unternehmung« (den kaufmännischen _noyau_) zu verkaufen beabsichtige; +indeß findet sich keine Notiz, ob und wann dieser Plan zur Ausführung +gekommen. + + * * * * * + +Doch kehren wir zu dem Beginn seines buchhändlerischen Unternehmens im +Sommer 1805 zurück, das er, wie alles im Leben, sofort mit lebhaftem +Eifer und nach großartigen Gesichtspunkten anfaßte. + +Noch vor Erlaß des Circulars schrieb er an einige größere +Buchhandlungen, um gleich bei Eröffnung seines Geschäfts wohlgerüstet +auftreten zu können. Nur zwei solcher Briefe sind uns erhalten, beide an +Breitkopf & Härtel in Leipzig gerichtet.[13] + +In dem ersten, Amsterdam, 5. September 1805 datirt und noch nicht mit +der Firma des neuen Geschäfts, sondern »A. Brockhaus« unterzeichnet, +heißt es: + + Einige Freunde der Literatur und schönen Künste haben sich + entschlossen, hierselbst eine Buch- und Kunsthandlung anzulegen nach + einem ganz neuen Plane, und dadurch für unsere Republik einem sehr + gefühlten Bedürfnisse abzuhelfen. Es wird sich solche mit eigenem + Verlage und mit Sortiment befassen und sich überhaupt bemühen, der + Verbindungspunkt zwischen nationaler und ausländischer Wissenschaft + und Kunst zu werden. Der vollkommene Mangel eines solchen Instituts + in den Vereinigten Niederlanden, die glückliche Lage derselben zur + Unterhaltung eines Verkehrs mit allen Nationen, selbst mit fremden + Welttheilen, der Geist der Zeit überhaupt und endlich die Kenntnisse, + der Eifer und die Mittel der Unternehmer -- Alles dieses läßt der + Unternehmung mit Wahrscheinlichkeit einen guten Erfolg hoffen. + + Es sind noch einige Hindernisse, die in dem Zunft- und Gildenwesen + ihre Ursachen haben, zu beseitigen, und wir müssen also die + Herumsendung unserer Circulare, woraus Sie alles Nähere ersehen + werden, so lange aussetzen. In einigen Wochen wird solches aber + spätestens geschehen. Bis dahin habe ich, einer der Mitunternehmer, + übernommen, schon einige Einleitungscorrespondenz anzufangen, + und in dieser Qualität bin ich deshalb auch so frei, Ihnen das + Gegenwärtige zu adressiren. Es soll sich dasselbe heute allein auf + Ihren Musikverlag beziehen. Musikalienhandlung liegt vorzüglich + mit im Plane unsers Instituts, da wir darin uns des besten Erfolgs + schmeicheln dürfen, weil hierin fast nichts in unserer Republik gethan + ist, unerachtet in derselben eine ausgezeichnete Liebhaberei für jede + Gattung der Tonkunst statthat. Wir wünschen zu diesem Zwecke also mit + den vorzüglichsten Musikalienhandlungen in Deutschland, der Schweiz + und Frankreich in Verbindung zu treten und von denselben ihren Verlag + in Commission zu erhalten, indem -- wenigstens vor der Hand -- es ganz + unmöglich ist, sich selbigen gleich auf eigene Rechnung anzuschaffen. + + Meine ergebenste Frage an Sie ist also hierdurch: ob Sie sich hierzu + wol entschließen möchten, und wenn das: ob Sie sich, was wir wünschen + müssen, auf uns für unsere Republik einschränken und künftige ähnliche + Anfragen zurückweisen wollen, solange unser Verkehr und Vertrieb Ihnen + ansteht, und drittens: welches Ihre Bedingungen, Vortheile und Rabatte + sind, die Sie zugestehen. + +Aus einer Notiz auf dem Briefe ist zu ersehen, daß Breitkopf & Härtel in +Leipzig unterm 11. September antworteten: + + 40 Procent gegen Baarzahlung, wenn er für netto 100 Thlr. nimmt; das + franco Remittirte tauschen wir gegen andere Sachen aus. + +Darauf erwidert Brockhaus unterm 27. September: + + Ihre Zuschrift vom 11. d. M. habe ich wohl erhalten und sie unserm + Institute vorgelegt. Es hat dieses nichts dagegen, Ihnen zum Anfange + comptant zu zahlen, jedoch unter der von Ihnen selbst angebotenen + Bedingung, von Zeit zu Zeit das nicht Verkaufte gegen andere Artikel + vertauschen zu können, und unter der, daß Sie uns anstatt 40 : 50 + Procent Rabatt geben. Wenn Ihnen dies convenirt, so wollen Sie für + circa 400 Thlr. der neuesten und am meisten gesuchten Sachen -- ein + Sortiment von Allem -- für uns auslegen und über Zwoll p. Adr. des + Herrn F. L. Schlingemann an mich mit dem Postwagen absenden. Wir + bitten Sie, diese Auswahl in jeder Rücksicht auf das sorgfältigste und + geschmackvollste zu treffen. Es ist unser Debüt in diesem Artikel und + also um so nöthiger. Den ungefähren Betrag _de circa_ 200 Thlr. wollen + Sie in zwei Monat dato in holländischen Ct. Fl. (Courant-Gulden) nach + dem dortigen Course auf mich bei der Absendung entnehmen. Factura und + Avis über Ihre Tratte erwarte mit der Briefpost. + +Aus dieser Correspondenz ersieht man, wie leicht sich Brockhaus in die +neuen Geschäftsverhältnisse fand, die ihm bisher ganz fremd waren, da er +doch nie den Buchhandel oder gar den Musikalienhandel »erlernt« hatte, +und wie umsichtig er sein Geschäft begann. Für die bestellten Musikalien +fand er auch bald einen regelmäßigen Abnehmer, indem ihm die Direction +des großen Concerts die Lieferung ihres Bedarfs übertrug; dies geschah +indeß erst am 21. October, während er jene erste Bestellung bereits am +27. September aufgegeben hatte. Auch das Museum übertrug ihm sofort die +Lieferung seiner Zeitungen und Bücher. + +Um mit dem deutschen Buchhandel ordnungsmäßig verkehren zu können, hatte +er, auch noch vor Erlaß seines Circulars, einen Commissionär in Leipzig +gesucht und in der Person des Herrn Heinrich Gräff gefunden; er erwähnt +seiner bereits am 5. September in dem ersten Briefe an Breitkopf & +Härtel. + +Aber noch kühnere Ideen hegte er gleich bei Beginn seiner +buchhändlerischen Laufbahn: er dachte sofort auch an die Errichtung +einer Buchdruckerei in Amsterdam! In demselben Briefe heißt es: + + Durch Herrn Gräff habe ich mir auch schon eine Probe von Ihrer + Schriftgießerei erbeten, da wir die Absicht haben, auch ehestens eine + Druckerei anzulegen, wozu wir wol gezwungen sind, da in unserer ganzen + Republik keine Buchdruckerei existirt, die nur etwas Erträgliches zu + liefern im Stande wäre. + +Dieses Project kam freilich damals nicht zur Ausführung, sondern erst in +viel späterer Zeit (1818 in Leipzig), wie so manche Einrichtungen in dem +von ihm begründeten Geschäfte, zu denen er noch den Keim gelegt hatte. + +Daß er sich überhaupt auch für das seinem Ideenkreise ferner liegende +technische Gebiet interessirte, geht noch aus folgendem, unterm 12. +Juli 1805 an Professor Gubitz in Berlin gerichteten Briefe hervor, +der zugleich zeigt, wie sorgfältig er schon damals die deutsche +Journalliteratur verfolgte: + + Durch die Discussionen, die unlängst zwischen Ihnen und Hrn. N. N. + im »Freimüthigen« und in der »Zeitung für die elegante Welt« Platz + gehabt und meiner Meinung nach sich auf eine sehr schmeichelhafte + Weise für Sie und die schöne Kunst, der Sie mit einem so edlen + Enthusiasmus anhangen, geendigt haben[14], bin ich auf Ihre Bemerkung: + daß sich die Holzschneidekunst sehr zu unnachahmlichen Staatspapieren + u. dgl. eigne, und durch die Anzeige, daß Sie sich mit Versuchen + hierüber beschäftigten, insofern aufmerksam gemacht worden, daß + ich einen Freund hierselbst, der einen sehr ansehnlichen Debit in + gestochenen Wechseln (deutscher, holländischer und allen andern + Sprachen), in Assignationen, Leistungen u. dgl. hat und der jährlich + eine ganze Menge Platten abnutzt, ebenfalls aufmerksam gemacht habe, + daß sich Formen aus Holz hierzu wol besser eignen und ihm einen + ansehnlichern Vortheil abwerfen würden als Kupferplatten, die gleich + abgenutzt sind. Mein Freund hat meine Idee sehr gut gefunden, und er + hat mir demzufolge den Auftrag gegeben, mich mit Ihnen darüber zu + unterhalten, welches zu thun ich mir hierdurch also die Freiheit nehme. + + Meine ergebenste Frage an Sie wäre also: ob Sie sich auch wol + schon mit solchen Gegenständen beschäftigt, als oben erwähnt, und ob + Sie mir darüber nicht einige Proben einsenden können? Wenn das aber + nicht wäre -- ob Sie dann glauben, daß sich Ihre Kunst auch sehr zu + Buchstaben und Zahlenzeichen eigne? Dann, was eine Platte, wie z. B. + zu einliegendem Wechsel, kosten werde? Und endlich, ob Sie in den + ersten drei Monaten wol Zeit haben würden, um ein halbes oder ganzes + Dutzend von solchen und ähnlichen Formen fertig zu machen? + + Recht sehr angenehm wird es mir sein, hierüber baldmöglichst und + wenn's angeht mit umgehender Post ausführliche Antwort zu erhalten, + und in dieser Erwartung habe ich die Ehre, mich Ihnen auf das + höflichste und ergebenste zu empfehlen. + +Als ein Zeichen von Vertrauen zu dem neuerrichteten Geschäfte darf es +wol betrachtet werden, daß das altberühmte Haus Breitkopf & Härtel in +Leipzig ihm schon auf den ersten Brief hin den Antrag machte, auch +für den Vertrieb der Erzeugnisse seiner Pianofortefabrikation thätig +zu sein. Diesen Vorschlag glaubte Brockhaus indeß doch vor der Hand +ablehnen zu müssen. Er schrieb: + + Zu einem Geschäft mit Pianoforten oder sonstigen Instrumenten sind + wir noch nicht eingerichtet. Unser Institut ist erst im Beginnen und + kann nicht Alles zugleich unternehmen. Auch hält man hier nicht viel + von ausländischen Pianofortes, da man dafür hält, daß sie dem hiesigen + feuchten Klima nicht widerständen, sodaß man fast nur einheimische von + Van der Does, Meyer und andern ausgezeichneten Meistern gebraucht. + Da ich mir indessen selbst eins anschaffen will, so dürfte ich mich + vielleicht entschließen, dazu eins von Ihnen zu nehmen, und es könnte + solches dann als Muster dienen. Melden Sie mir also gefälligst die + Preise der verschiedenen Arten und Formen und melden Sie mir, welche + jetzt die beliebtesten und gesuchtesten sind. + +So nach allen Seiten hin blickend, legte Brockhaus mit sicherer Hand die +Grundlagen zu seinem neuen Geschäfte. + + + + + 3. + + Erste journalistische Verlegerthätigkeit. + + +Neben dem Sortimentsgeschäft: der Einführung ausländischer, besonders +deutscher und französischer Literatur, mit Einschluß der musikalischen, +nach Holland, widmete sich Brockhaus gleich im Beginne seiner +buchhändlerischen Laufbahn mit fast noch größerm Eifer der Begründung +eines Verlagsgeschäfts, das später die Hauptthätigkeit der von ihm +begründeten Firma bilden sollte. Er fühlte, daß dieses allein seinem +regen Geiste genügende Nahrung darbieten könne, wenn er auch wol noch +keine Ahnung davon hatte, zu welchem Umfange dasselbe allmählich +erwachsen werde. Und während er als Sortimentsbuchhändler von Anfang +an die internationale Seite vorzugsweise ins Auge faßte und in seinem +Geschäfte einen Mittelpunkt für den buchhändlerischen Verkehr der +verschiedenen Nationen zu schaffen suchte (eine Idee, die von seiner +Firma stets als ein Lieblingsgedanke gepflegt und, freilich erst lange +nach seinem Tode, in einer Weise verwirklicht worden ist, wie sie +ihm selbst vielleicht nur als Ideal vorgeschwebt haben mag), erfaßte +er als Verleger zunächst die nationale Seite, indem er, um seinem +Programm gemäß auch »nationale Wissenschaft und Kunst zu befördern«, +journalistische Unternehmungen zu begründen suchte. Auch darin also hat +er den Grund gelegt zu einer der Hauptthätigkeiten seines Hauses. + +Als Deutscher in Holland lebend und durch Vorliebe besonders zur +Literatur Frankreichs hingezogen, suchte er jeder dieser drei +Richtungen gerecht zu werden; er begründete kurz nacheinander eine +holländische politisch-literarische Zeitung: »_De Ster_«, eine deutsche +zeitgeschichtliche Monatsschrift: Cramer's »Individualitäten«, +endlich eine französische belletristische Vierteljahrsschrift: »_Le +Conservateur_«. + +Ueber diesen Beginn seiner Verlegerthätigkeit spricht er sich in einem +Briefe an Karl Friedrich Cramer aus, der in dessen »Individualitäten« +abgedruckt ist (wir kommen auf dieses Werk und seinen Verfasser bald +näher zu sprechen) und auch seines sonstigen Inhalts wegen hier +mitgetheilt zu werden verdient. Er schreibt aus Amsterdam vom 17. +October 1805, also zwei Tage nach Erlaß seines Circulars: + + Indem wir die Ehre haben, Ihnen angebogen ein Circular unsers + hierselbst angefangenen Geschäfts zu übersenden, können wir uns das + Vergnügen nicht versagen, uns noch näher mit Ihnen zu unterhalten; + sowol weil wir wünschen, mit Ihnen in eine fortlaufende Geschäfts- und + literarische Verbindung zu treten, als auch um Sie wegen Eines und + Andern um Rath zu fragen. + + Hr. B. (Brockhaus), Schreiber dieses, der vorzüglichere Unternehmer + und Eigenthümer unsers Geschäfts, hat nämlich stets an Ihren + Schicksalen den innigsten Theil genommen, und es gibt vielleicht + wenige Personen, zu deren Individualität er sich von jeher so + hingezogen gefühlt hätte als zu der Ihrigen. Als Knabe und Jüngling + schon -- er ist jetzo in den Dreißigern -- interessirte ihn vielleicht + kein Schriftsteller in dem Grade als Sie, mit Ihren rhapsodischen, + kühnen, aber alles Edle und Schöne mit der innigsten Wärme + umfassenden Schriften. Er schwärmte mit Ihnen bei der Morgenröthe der + französischen Freiheit; Klopstock und Ihre Lieblingsschriftsteller + waren die seinen; jede von Ihnen herausgegebene Schrift wurde von ihm + mit Begierde gelesen; er litt mit Ihnen bei Ihrem Weggange von Kiel; + er indignirte sich über die Xenien wider Sie; er begleitete Sie mit + einem sorgsamen ängstlichen Auge nach Paris, wo er sich um dieselbe + Zeit wegen Handlungsgeschäften gerade einige Wochen aufhielt, in + denen Sie dort eben angekommen waren (kurz nach dem berühmten XIII. + Vendémiaire), was er freilich nicht eher erfuhr als durch Reichardt's + Journal.[15] Seitdem forschte er nach, wo er nur konnte, ob es Ihnen + wohlgehe; er suchte Alles zu lesen, was Sie von Zeit zu Zeit in + Deutschland und Paris bekannt machten, und es ist ihm schwerlich + etwas entgangen vom »Bardieten« an bis zu den »Tempelherren«, von der + »hehren Jungfrau« bis zu Fischer's -- seines persönlichen Freundes + -- »Valencia«.[16] Auch von den Arbeiten, wo Sie sich nicht nannten, + wie oft im Journal »Frankreich«, in der »Eleganten Zeitung«, in den + »Französischen Miscellen«, in den »Europäischen Annalen«, hat er Sie, + und gewiß selten unrecht, errathen -- Sie sehen also, daß wir uns wol + als alte Bekannte constituiren können. + + Damit Sie aber auch wissen, wer dieser Ihr unbekannter Freund ist, + so wollen wir Ihnen das auch mit ein paar Worten sagen, Ihnen, der so + viel auf Namen und individuelle Hinstellung hält. Ihr Freund heißt + also .. Wilibald[17], ist ein Westfälinger, von Dortmund gebürtig ... + In Düsseldorf lernte er die Handlung. In Leipzig studirte er, wie man + sagt .. nach Ablauf der Lehrzeit. Im Jahre 1798 etablirte er sich + in seiner Vaterstadt und heirathete ein liebes Weib. Seine Handlung + zog ihn im Jahre 1802 nach Holland, wo er sich denn diese Zeit her + in Amsterdam niederließ und seine Handlung mit .... fortsetzt.[18] Es + geht ihm hier wohl und er lebt seinen Geschäften, seiner Familie und + nebenher den Wissenschaften. Das jetzige Prohibitivsystem unserer + Regierung gibt ihm in seiner Handlung mehr als gewöhnlich Muße, und + aus alter Liebhaberei für Literatur und schöne Künste hat er die Idee + zur Errichtung eines Kunst- und Industrie-Comptoirs gefaßt, und glaubt + Zeit und Kenntnisse genug zu haben, es neben seinen andern Geschäften + leiten zu können. + + Die Geschäfte unsers Comptoirs sollen in Buch-, Musik- und + Kunsthandel bestehen und in eigenen Verlagsunternehmungen, die uns + dem Geiste der Zeit angemessen scheinen. Zu unsern Commissionen in + Paris haben wir uns an Herrn Hinrichs gewendet .... besonders da wir + bereits den ehrenvollen Auftrag erhalten, für das hiesige Museum alle + und jede literarischen Neuigkeiten aller Sprachen zu liefern, ein + Auftrag, der in jeder Hinsicht so wichtig für uns ist, daß wir ihm + die größte Pünktlichkeit und Ordnung zu widmen schuldig sind. Wegen + unsers Musiklagers bleibt es uns durchaus nothwendig, daß wir uns auf + französische Musik legen. Die Mode will es; diese Musik ist jetzt hier + _à l'ordre du jour_ und da es in Amsterdam keine einzige gut oder auch + nur einmal erträglich organisirte Musikhandlung gibt, so würden wir ... + + Ich komme jetzt auf das Fach unserer eigenen Unternehmungen, die wir + successive auszuführen suchen werden und worüber wir uns ebenfalls + Ihren Rath und Beistand erbitten. Die ersten davon dürften sein: + +1) eine holländische politisch-literarische Zeitung, + +2) eine dergleichen für ....[19] + + Es gibt durchaus kein Land in der Welt, das ein größeres Interesse + an dem Wechsel der Weltbegebenheiten nimmt als das unsere, weil + keines ist, das den großen Herren in Westen, Süden, Osten und Norden + so viel Geld geliehen als unsere Nation und wo ein so großer Handel + mit Staatspapieren getrieben wird als hier. Man liest also in Holland + mit verschlingender Neugier Alles, was nur wie eine Zeitung aussieht. + Daher sind denn auch wol unsere Zeitungen ohne alle Ausnahme so + schlecht und Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine nach einem der + jetzigen Zeit mehr angemessenen Plane vielen Beifall und einen + brillanten Absatz haben würde. Wir haben also .... + + Das wären mithin unsere Zeitungsunternehmungen. Andere literarische + werden wir jede Messe einige machen, um in Leipzig Tauschartikel + zu haben, da wir viel deutsche Bücher beziehen müssen. Sollten Sie + also selbst etwas auf dem Amboß haben oder von Ihren literarischen + Freunden dergleichen wissen, so bitten wir Sie recht sehr, dabei + an uns zu denken. Sie werden es so gut fühlen als wir, daß unser + Comptoir als ein junges neues Geschäft doppelt vorsichtig bei der + Wahl seiner Verlagsartikel sein muß, und uns also nur so was anrathen + und anbieten, dessen Beifall und guter Aufnahme Sie sicher wären. Ich + habe in einem der neuesten Stücke der »Französischen Miscellen« die + Ursache ersehen, warum Sie Ihr hinreißend interessantes Tagebuch nicht + fortgesetzt haben, daß Sie es aber fortsetzen wollen. Haben Sie dazu + schon einen Verleger? Sonst bin ich Ihr Mann. Es würde mir sehr viel + Freude machen, wenn wir dieses anziehende Werk herausgeben könnten. + Melden Sie mir mit umgehender Post doch das Nähere hierüber. + + Ich denke, sollten Daunon, Chenier, Riouffe, Oelsner, Ginguené u. a. + nicht auch noch Memoiren oder andere Producte ähnlichen Inhalts in + ihrem Pulte besitzen? .... Sie kennen diese Männer alle. Denken Sie + dabei an uns. Wir bieten die Hand und besitzen jedes Mittel dazu; + u. s. w. + +Bevor wir Cramer's Antwort auf diesen Brief mittheilen und die daraus +hervorgehende geschäftliche und freundschaftliche Verbindung zwischen +beiden Männern schildern, haben wir über die holländische Zeitschrift +»_De Ster_« (»Der Stern«) zu berichten, da sie Brockhaus' erstes +Verlagsunternehmen war. + +Die erste Nummer dieser Zeitschrift erschien am 11. März 1806. Ein +Redacteur ist nicht genannt, jedenfalls besorgte Brockhaus selbst +die Redaction. Auch ein Verleger ist auf dem Blatte nicht namhaft +gemacht, wie überhaupt das Erforderniß solcher Angaben erst eine +Erfindung der spätern Preßgesetzgebung ist. Die Ankündigungen sind +entweder »Der Unternehmer« oder »Die Expedition des Stern« oder »Das +Expeditions-Comptoir in der Warmoesstraat No. 2« unterzeichnet. Gedruckt +wurde das Blatt von J. G. Rohloff, dem Firmaträger des Geschäfts. + +Der »_Ster_«, der dreimal wöchentlich in Klein-Folio-Format erschien, +war keine politische Zeitung, sondern eine politisch-literarische +Zeitschrift. In dem von »den Unternehmern« in holländischer Sprache +ausgegebenen Programme heißt es ausdrücklich: + + Das hauptsächlichste Ziel ihrer Zeitschrift soll nicht das sein, die + allgemeine Neugierde nach politischen Gegenständen auf die gewöhnliche + Art zu befriedigen, vielmehr werden alle sogenannten posttäglichen + Zeitungsnachrichten davon ausgeschlossen bleiben. Statt dessen werden + die Sammler dahin trachten, ihrer Nation die nähere Verbindung der + besondern Weltverhältnisse kennen zu lehren; den Fortschritt oder das + Zurückgehen der Cultur und Aufklärung bei andern Völkern zu ihrer + Wissenschaft zu bringen und ihr dadurch gewissermaßen einen Prüfstein + für ihre eigenen in die Hand zu geben; Nachrichten vom Zustande des + Handels, der Manufacturen und Fabriken in andern Ländern mitzutheilen; + Bemerkungen über dasjenige, was in dieser Rücksicht in unserm eigenen + Vaterlande Neues an den Tag tritt einzuschalten; das lesende Publikum + durch geistvolle Aufsätze aller Art angenehm und lehrreich zu + unterhalten; endlich durch unparteiische Beurtheilungen einen Versuch + zu machen, auf unsere Sitten, gesellschaftlichen Einrichtungen, + einige Zweige der Staatsverwaltung von einigem Einflusse zu sein: + eine Aussicht allerdings sehr weiten Umfangs, deren Nützlichkeit + aber Unternehmer und Redacteurs sich Mühe geben werden, nie aus dem + Gesichte zu verlieren. + +Diesem Programm gemäß brachte »_De Ster_« neben Besprechungen von +literarischen und Theaterangelegenheiten, die den größten Raum einnehmen +und eigenthümlicherweise bisweilen auch in französischer und deutscher +Sprache geschrieben sind, keine politischen Nachrichten, sondern +Erörterungen über die politische Lage Europas. Bei aller Bewunderung +der Französischen Revolution und ihrer Principien, die nach der +damaligen Zeitströmung begreiflich ist und von dem Herausgeber Brockhaus +persönlich getheilt wurde, hielt sich das Blatt doch fern von einer +Verherrlichung Napoleon's und verrieth durchaus keine Sympathien für +dessen nivellirende Maßregeln und immer deutlicher hervortretende +Absicht, der am 16. Mai 1795 mit französischer Hülfe proclamirten +Batavischen Republik wieder ein Ende zu machen; ja seine Politik wird +bald offen gemisbilligt, bald durch versteckte Satire angegriffen. + +Am 29. April 1805 war die Verfassung der Batavischen Republik auf +Napoleon's Wunsch zum dritten male umgeändert und der Patriot Rütger Jan +Schimmelpenninck, in dem er ein gefügiges Werkzeug für seine Plane zu +finden hoffte, als Groß- oder Rathspensionär (unter Erneuerung dieses +alten holländischen Staatsamtes) mit fast unbeschränkter königlicher +Macht an die Spitze derselben gestellt worden. Schimmelpenninck benutzte +seine Stellung aufs beste, um die durch Gebietsabtretungen an Frankreich +und England geschwächte und finanziell zerrüttete Republik wieder zu +heben. Doch gelang ihm dies nur zum kleinsten Theile, während er dadurch +Napoleon's Mistrauen erweckte. Als sich bald darauf ein Augenübel +Schimmelpenninck's so verschlimmerte, daß dieser fast ganz erblindete, +benutzte Napoleon diesen Umstand, um den ihm jetzt gefährlich +erscheinenden Patrioten zu beseitigen und mit seinem langgehegten Plane +offen hervorzutreten. Er schlug vor, seinen Bruder Ludwig Bonaparte zum +König von Holland zu wählen. Vergebens bemühte sich Schimmelpenninck, +diesem gewaltsamen Aufdrängen eines Fremdlings entgegenzuwirken; +Napoleon's Wunsch war damals so gut wie ein Befehl, und am 5. Juni 1806 +wurde sein Bruder zum König von Holland ausgerufen, die Batavische +Republik war todt. Das Königreich Holland von Napoleon's Gnaden hatte +freilich auch keinen langen Bestand: die neuen Unglücksfälle, die das +Land trafen, veranlaßten den König schon am 1. Juli 1810 die Krone zu +Gunsten seines ältesten Sohnes (des ältern Bruders Napoleon's III.) +niederzulegen, doch Napoleon erkannte dies nicht an; ein Decret vom +9. Juli 1810 vereinigte das Königreich Holland mit dem französischen +Kaiserreiche, und erst im Herbste 1813 wurde durch die Schlacht bei +Leipzig auch Hollands staatliche Selbständigkeit wiederhergestellt. + +Wir mußten an diese geschichtlichen Daten erinnern, weil durch sie die +Haltung und das Schicksal der jungen Zeitschrift erklärt wird. Als »_De +Ster_« am 11. März 1806 zu erscheinen begann, bestand die Batavische +Republik noch, und die Zeitschrift wirkte im Sinne des mit Brockhaus +persönlich befreundeten Großpensionärs Schimmelpenninck. Indeß schon +in ihrer Nummer 37 vom 3. Juni hat sie die Umwandlung der Republik in +ein Königreich zu melden; in der zweitfolgenden Nummer 39 vom 7. Juni +muß sie erklären, daß sie »auf Wunsch der Herren Magistratspersonen +der Stadt Amsterdam« nicht fortfahren kann, »betrachtende Artikel, den +gegenwärtigen Zustand unsers Vaterlandes betreffend«, aufzunehmen; die +nächste Nummer aber, Nr. 40 vom 10. Juni, ist zugleich die letzte: »_De +Ster_« war durch königlichen Befehl vom 9. Juni unterdrückt worden! +Gründe dieses Verbots sind in dem betreffenden Decrete nicht angegeben; +sie lagen wol darin, daß die neuen Machthaber überhaupt kein politisches +Blatt dulden wollten, das nicht ganz ihren Absichten huldigte. + +Trotz dieses Schlags verlor übrigens Brockhaus den Muth nicht; er +gründete sofort ein neues Blatt unter dem Titel »_Amsterdamsch +Avond-Journal_« oder vielmehr er änderte nur den bisherigen Titel +»_De Ster_« in jenen um, denn das neue Blatt gleicht dem alten +vollständig, sowol äußerlich wie innerlich, und tritt selbst so offen +als unmittelbare Fortsetzung desselben auf, daß Nr. 2 den Schluß eines +in der letzten Nummer des »_Ster_« begonnenen Artikels bringt! In +der vom 19. Juni (also nur neun Tage nach dem Erscheinen der letzten +Nummer des »_Ster_«) datirten Nr. 1 ist ein Auszug aus einem königlichen +Decrete vom 16. Juni abgedruckt, worin die Erlaubniß zu dem neuen +Blatte ertheilt ist. Dieses hielt sich indeß noch weniger lange als +das frühere; es erschienen davon nur zwanzig Nummern, die letzte am 2. +August, ohne daß über den Grund seines Aufhörens etwas mitgetheilt ist. + +Einige Aeußerungen Cramer's (in seinen »Individualitäten«) über den +»_Ster_« mögen als die einzige uns bekannte öffentliche Besprechung und +zur Charakterisirung der Zeitschrift wie ihres Begründers hier folgen. + +Cramer schreibt aus Amsterdam vom 17. Februar 1806: + + Es werden noch manche Sterne aufgehen, denke ich, am hiesigen sowie + an allen Horizonten der Welt. Einer, an dem ich einen so lebhaften + Antheil nehme, als hätte ich ihn selber hervorgerufen aus dem Nichts, + ist der, den uns unser Freund Wilibald[20] gleich in seinem ersten + Briefe an mich angekündigt hat, und womit er jetzo in voller Arbeit + begriffen ist. Die Zeitung, die er so nach einem bereits in Engelland + funkelnden benennt, aber die durchaus nicht ganz politisch sein soll, + scheint nun, nach den vorläufigen unvermeidlichen Geburtswehen, ihrem + ans Lichttreten ziemlich nah. Welch schönes Feld hat er darin, in + Gemeinschaft mit so vielen der besten hiesigen Geister, die daran + theilnehmen werden, für Wirkung auf Wissenschaft und Geschmack in all + den mannichfaltigen Aesten und Zweigen des großen Baums der Erkenntniß + Gutes und Böses vor sich! Es ist ein völlig jungfräulicher Boden; von + keinem -- zu meinem großen Verwundern! bisher in den sieben Provinzen + urbar gemacht; eine Idee, um die man beneiden ihn muß. Ich will nicht + sagen, daß sie unter den andern _Couranten_ von Amsterdam, Rotterdam, + Haag schimmern wird, »wie unter den Sternen der Mond«; -- denn diese + haben gar keinen Glanz; geben nichts als die magerste politische + Kost, ohne jemals ein Fünkchen Raisonnement, in einem Schwall der + tädiösesten Edictalcitationen, Tod- und Geburtannoncen, Nachrichten + angekommener Schiffer, oder Gewürzkrämer- und anderer Notizen + ersäuft, größtentheils auf schändlichem Papier mit noch schändlicher + stumpfen Lettern gedruckt .... sie wird durch ihren Inhalt für + denkende, gebildete Leser, für jeden Erkenntnißbegierigen ein + Komet, ein wahres Phänomen von neuem Weltkörper sein. Alle möglichen + literarischen auswärtigen Mittel, außer vielen inländischen, stehen + ihm, der ein Kaufmann aus unsers Sieveking's Kategorie ist, zu Gebot; + und da er im Kopfe den Zeug, aus Allem die Quintessenz zu wählen, + besitzt, wird es sehr leicht für ihn werden, daß er an Interesse die + »Freymüthigen«, die »Eleganten Zeitungen«, die »Auroren«, »Sphinxe«, + und was weiß ich, wie sie alle heißen? so weit übertreffe, als der + wieder aufgeweckte brüsselsche »_Esprit des Journaux_« nach dem ich + unter allen Tag- und Monatsschriften in Paris am happigsten greife, + die einzelnen Journale, aus denen ihn der Verfasser distillirt. Ueber + die Organisation und Nativitätstellung dieses Sterns haben wir uns in + den vergangenen Wochen fast tagtäglich unterredt; und uns gestern noch + mit Bestimmung des emblematischen Druckerstockes dazu amüsirt. Einer + aus Gille's Carte hat uns dazu zum Muster gedient, mit den gehörigen + Veränderungen jedoch; so daß der blitzführende Adler unten in den + siebenpfeiletragenden Löwen, und die Kaiserkrone in den batavischen + Freiheitshut umgewandelt worden ist; zur Seite ein Eichen- und + Lorbeerzweig, das Schöne zum Ernsten! -- dessen Kreis der Stern denn + durchstrahlt. Sobald was davon dem Telescop oder Auge sichtbar werden + wird, gebe ich Dir weitere Nachricht. + +Diese Nachricht findet sich in einem Briefe Cramer's vom 30. März, +ebenfalls aus Amsterdam: + + Als ich aus dem Ballet wieder zu Wilibald kam, fand ich seinen + Landsmann, den Kaufmann Mallinckrodt aus Arnheim[21], noch bei ihm, + einen vortrefflichen Gesellschafter und humanen Mann ..... Vom + »Sterne« hat er eben noch die ersten drei oder vier Blätter gesehen + und einstecken gekonnt, die mit sehr piquanter Speise angefüllt + sind; auf den ersten Netzwurf hat Wilibald doch gleich so viel + Abonnenten gehabt, daß die Kosten gedeckt sind durch den Fang, und + Tag vor Tag laufen der Schäflein mehr in die Hürden ein. Es stehen + leckere politische, ästhetische, mercantilische Artikel drin; jedem + Fremden, der holländisch mit Vergnügen lernen will, gibt der »Stern« + die empfehlungswürdigste Uebungschrestomathie ab; schon erste der + hiesigen Köpfe arbeiten daran (z. E. eine Kritik der Aufführung des + Trauerspiels »Tancred«), es wird also eine Elite wahrscheinlich + von Sprache, ein Schatz werden für das Lexikon und den Stil der + Nation. Im vierten Stücke steht eine treffliche Uebersetzung von + Sturzens Reise nach dem Deister, depaysirt, und hier nach Soesdyk + hinversetzt; auch kömmt die hiesige Plantage darin vor. Ich denke: + es wird den amsterdammer Damen gefallen, das Stück; und warum nicht + den Rotterdammerinnen Haagerinnen, Delfterinnen, Gröningerinnen &c. + auch? Giebt es Eine, in welcher Stadt auf der Erde es sei, der dies + Schalksstück nicht aus dem Herzen und dem Wandel wie abgeschrieben + gleichsam ist? + +Cramer's schon mehrfach erwähnte »Individualitäten« waren das zweite +journalistische Unternehmen des jungen Verlegers, ein deutsches neben +dem holländischen »_Ster_« und dem französischen »_Conservateur_«. Denn +wenn es uns auch nur in Buchform vorliegt, in vier Bändchen, die »Hefte« +genannt sind, so zeigt doch die ganze innere und äußere Einrichtung +(die Eintheilung in einzelne Abschnitte und Briefe mit fortlaufenden +Daten, vom 2. August 1805 bis 26. September 1806) den journalistischen +Charakter. Noch mehr geht dies aus dem am 15. März 1806 zwischen +Brockhaus und Cramer darüber abgeschlossenen Verlagscontracte hervor. +Danach handelte es sich um den in »freien Heften« herauszugebenden +»ersten Jahrgang« eines Werks unter dem Titel: »Individualitäten aus +und über Paris von Karl Friedrich Cramer und seinen Freunden.« Dieser +erste Jahrgang sollte in zwölf Heften (die also wol als Monatshefte +gedacht waren), jedes zu zwölf Bogen erscheinen; je drei Hefte sollten +gleichzeitig einen zweiten Titel erhalten und dadurch als neue +Theile des in den Jahren 1792-97 in Altona und Leipzig von Cramer +herausgegebenen »Menschlichen Leben« bezeichnet werden. Das Werk +sollte in Leipzig in der Breitkopf'schen Druckerei gedruckt werden und +jedes Heft die Handschrift eines Gelehrten u. s. w. in einem Facsimile +bringen, dessen Platte in Paris unter Cramer's Leitung zu stechen wäre. +Ueber eine Fortsetzung des Werks in einem zweiten, dritten u. s. w. +Jahrgange sollte neue Verständigung stattfinden. Also der Verleger in +Amsterdam, der Redacteur in Paris, der Drucker in Leipzig, monatlich 12 +Bogen (jährlich 144!), dazu artistische Beilagen und ein für damalige +Zeiten und ein derartiges Monatsjournal ansehnliches Honorar (24 +resp. 30 Francs für den Bogen klein Octav) -- jedenfalls ein kühnes +Unternehmen für einen angehenden deutschen Verleger im Auslande! Die +Ausführung entsprach denn auch nur theilweise diesem Vorhaben: statt +zwölf Heften erschienen nur vier (wenn auch meist mehr als zwölf Bogen +enthaltend und jedes mit einem Facsimile) im Laufe von dreiviertel +Jahren. Der Gehalt der Zeitschrift war indeß ein werthvoller, der ein +etwas näheres Eingehen verdient, zumal darin auch einige biographische +Mittheilungen über Brockhaus enthalten sind und der Herausgeber seinem +Verleger persönlich nahetrat. + +Vor allem müssen wir den Herausgeber selbst näher kennen lernen. Karl +Friedlich Cramer war eine eigenthümliche Natur, in vieler Hinsicht +der von Brockhaus ähnlich und diesen deshalb anziehend, wie Brockhaus +in seinem ersten Briefe an ihn (vgl. S. 61 fg.) selbst schildert. Am +7. März 1752 in Quedlinburg geboren, wo sein Vater, der verdiente +Kanzelredner Johann Andreas Cramer (auch als religiöser Dichter und +Biograph Gellert's bekannt), damals Oberhofprediger war, kam er mit +diesem noch als Kind nach Kopenhagen, dann nach Lübeck und Kiel. Er +studirte in Göttingen, wo er Anfang 1773 in den Göttinger Dichterbund +aufgenommen wurde, und lebte seitdem in Kiel, wo er erst Privatdocent, +1775 außerordentlicher und 1780 ordentlicher Professor der griechischen +Sprache, der orientalischen Sprachen und der Homiletik an der +Universität wurde. Als ein leidenschaftlicher Anhänger der Französischen +Revolution wurde er 1794 seines Amtes entsetzt und selbst aus Kiel +verwiesen. Den nächsten Anlaß dazu scheint er dadurch gegeben zu haben, +daß er den bekannten französischen Revolutionsmann Péthion (der erst +Jakobiner, dann Girondist war, als Royalist verdächtigt aus Paris +entfloh und im Juli 1793 in der Gegend von Bordeaux todt aufgefunden +wurde) in einer Ankündigung der Uebersetzung von dessen Werken einen +Mann von »menschenfreundlichstem Geiste«, »einen Märtyrer seiner +Rechtschaffenheit« genannt hatte! Nach kurzem Aufenthalt in Hamburg +ging er 1795 nach Paris und errichtete dort eine Buchhandlung und +Buchdruckerei, scheint damit aber schlechte Geschäfte gemacht und dabei +sein ganzes Vermögen eingebüßt zu haben. Eine Zeit lang war er deshalb +genöthigt, sich aus Paris zu entfernen. Er wendete sich nun wieder +literarischen Arbeiten zu und starb in Paris am 8. December 1807. + +Cramer war ein fruchtbarer, talentvoller und kenntnißreicher +Schriftsteller, der lange Zeit auch großes Ansehen genoß, aber +excentrisch und von einem Hang zum Sonderbaren beherrscht. Anfangs +concentrirte sich seine literarische Thätigkeit um seinen fast 30 +Jahre ältern Landsmann Klopstock (geb. 2. Juli 1724 in Quedlinburg), +der mit Cramer's Vater befreundet war und z. B. 1754 dessen Berufung +nach Kopenhagen veranlaßt hatte, nachdem dieser selbst 1751 auf +Graf Bernstorff's Veranlassung dorthin gegangen war. Auch war der +Göttinger Dichterbund, dem Cramer angehörte, der Mittelpunkt der +damaligen begeisterten Verehrung Klopstock's. Cramer schrieb in den +Jahren 1777-92 zwei große Werke über Klopstock, das eine aus zwei, das +andere aus fünf Bänden bestehend, und übersetzte unter anderm dessen +»Hermannsschlacht« ins Französische. Daß Klopstock auch seinerseits +viel auf Cramer hielt, geht schon daraus hervor, daß er eine seiner +schönsten Oden an ihn richtete; es ist die 1790 gedichtete Ode »An +Cramer, den Franken«, in der er das französische Volk vor neuen +Ueberschreitungen warnt, zugleich aber die Fürsten mahnt, sich durch das +Gespenst des untergegangenen Königthums warnen zu lassen. Ein zweites +Stadium der Schriftstellerlaufbahn Cramer's bildet das bereits erwähnte +Werk »Menschliches Leben«, ein drittes umfaßt drei von ihm in Paris +geschriebene Werke: ein »Tagebuch aus Paris« (2 Bände, Paris 1800), die +»Individualitäten aus und über Paris« und ein gleichfalls von Brockhaus +verlegtes Buch »Ansichten der Hauptstadt des französischen Kaiserreichs +vom Jahre 1806 an. Von Pinkerton, Mercier und C. F. Cramer« (2 Bände, +1807-8), außerdem ein Wörterbuch der deutschen und französischen Sprache +(2 Bände, Braunschweig und Paris 1805) und zahlreiche Uebersetzungen aus +dem Französischen ins Deutsche und umgekehrt, auch aus dem Dänischen, +sowie Artikel in französischen und deutschen Journalen. + +Brockhaus trat mit Cramer erst im Herbst 1805 in Beziehungen, indem +er am 17. October jenen Brief an ihn richtete, in welchem er ihm +seine Verehrung aussprach und mehrere literarische Anträge stellte. +Ihre Verbindung dauerte gerade nur zwei Jahre, da Cramer, wie eben +erwähnt, am 8. December 1807 starb, war aber in dieser kurzen Zeit eine +sehr freundschaftliche und selbst innige. Cramer antwortete auf den +erwähnten Brief sofort am 24. October, sichtlich erfreut über die warme +Begrüßung (seine Antwort folgt weiter unten) und es entspann sich daraus +ein lebhafter Briefwechsel, ja Cramer kam im Februar des nächsten Jahres +nach Amsterdam und blieb dort drei Monate, in täglichem geschäftlichen +und persönlichen Verkehr mit Brockhaus. Als diesem am 28. Januar dieses +Jahres (1806) der dritte Sohn geboren war, gab er ihm auf Cramer's Rath +den Namen Hermann. Er schreibt darüber unterm 25. Februar folgende Worte +an seinen Bruder Gottlieb, die am besten das Verhältniß zwischen ihm und +Cramer charakterisiren: + + Die Wahl dieses Namens machte mein Freund, der Professor Cramer + aus Paris, der sich seit einigen Wochen hier aufhält und während + seines hiesigen Aufenthalts unser unzertrennlicher Gesellschafter + ist, da vielleicht keine zwei Menschen auf der Erde existiren, die + eine größere Aehnlichkeit in ihren Neigungen, in ihrem Geschmacke und + in ihren Ansichten der Welt zusammen haben, als wir Beide. Er ist + überhaupt einer der interessantesten Menschen, die ich kenne, und + ich rechne die Wochen, die ich mit ihm verlebt, zu den glücklichsten + meines Lebens. + +Cramer äußert sich seinerseits mehrfach in ähnlicher Weise über +Brockhaus. So schreibt er aus Amsterdam unterm 30. März 1806 in den +»Individualitäten«: + + Fast alle meine Abende, wenn mir nicht gar zu arg von Morpheus + zugesetzt wird, bring' ich bei unserm Freund Wilibald zu und seinem + lieben Weibe, die an schöner deutscher Häuslichkeit, Gutheit, + Freundlichkeit und Verstand zu meinen Idealen gehört; ich glaube + mich manchmal in Eutin bei Vossen wieder zu sehen, dessen Ernestine + sie sehr gleicht. Bei Erdäpfeln, fast noch nationaler hier, als die + Canäle und Alexandriner sind, und die ich gebraten (_à l'italienne_) + sehr gern mag, Fischen und trefflichem Beaunewein schwatzen wir oft + bis tief in die Nächte hinein, schlummern dann und wann auch an der + Torfglut des englischen Camins ein Duettchen zusammen; ich habe + bei meiner Modehändlerin, Madame Müller, bei der ich, zehn Schritt + ab von seinem Hause, mich einquartirt, meine Zerstreutheit so in + Credit zu setzen gewußt, daß sie mir den Schlüssel zu ihrer Boutique + anvertraut und ich in der Kunst, sie mit einer eisernen Stange wieder + zu schließen, von ihr unterrichtet worden bin; so schlüpfe ich denn + manchmal des Nachts um 12 oder 1 erst wieder zu mir herein. + +Das obige schöne Wort über Brockhaus' Frau verdient um so mehr +mitgetheilt zu werden, als uns über dieselbe sonst leider sehr wenig +bekannt ist. Später richtet Cramer einmal einen (im vierten Hefte der +»Individualitäten« abgedruckten) Brief »An Sophie« statt »an Ihren +unmusikalischen Mann«, weil er über den Componisten Grétry spricht, und +fügt hinzu: + + Indem ich dies Stück Tagebuch schreibe, kömmt es mir vor als säße + ich bei Ihnen und läse Ihnen daraus, indem Sie die Fliegen von der + Wiege Ihres kleinen Hermann's verscheuchen ... ach! welch ein Name für + mein Herz. + +Brockhaus ließ in dieser Zeit auch das Porträt Cramer's für sich malen +(wahrscheinlich von dem ihm befreundeten Scheffer, dem Vater Ary +Scheffer's), und trennte sich später nur schwer davon, um es Cramer's +Witwe zu schenken. + +Cramer's früher schon erwähnte Antwort an Brockhaus, datirt Paris 2. +Brumaire XIV (24. October 1805), lautet: + + Seit langer Zeit ist mir kein lieber Brief zugekommen, der mir so + viel Freude gemacht, als der Ihrige; Freund Kühnwille! der Sie sind. + Wie sachte es einem so vielfach angefeindeten, gescheuchten, so oft + vorschnell verurtheilten Ismael thut, wenn er in den arabischen Syrten + auf einen Esau-Kühnwille trifft, einerlei zottigen Haares mit ihm; + davon hat nur ein Wüstenbewohner Begriff. Eng verbündet er sich und + willig mit ihm, der ihm so frank seine Gleichförmigkeit enthüllt; so + viel Edles von jugendlichem Antheil ihm sagt; ihn kennt und erkennt; + wie eng und wie gern, dazu schenken Sie ihm der Worte Weitläufigkeit + wohl. Er fühlt es, daß seine Seele mit der Ihrigen gebrochen ward aus + einerlei Gestein. Also kurz und bündig, wie er's izt kann, in dieser + herben und schnöden Zeit, zur Sache. Er nimmt die ihm vorgelegten + Materien sogleich Punktweise vor .... + + Wegen Ihres dritten Gedankens, mein weitaussehender Herr: _alors + comme alors_! Kömmt Zeit, kömmt auch Rath! Ich gehe mithin sogleich + an Ihren vierten Punkt, der die Uebernehmung der Fortsetzung meines + Tagebuches betrifft. Hätt' ich doch niemals geglaubt, ich Strauß, + der seine Eier sogleich, wie er sie gelegt, im Sande vergißt, daß + jenes seit acht Jahren verscharrte ausgebrütet worden sei; und ein + klein Sträußchen geworden, das sich bis zu Ihnen nach Amsterdam hin + verirrt! Ich wenigstens habe von keinem Menschen, über Aufnahme + oder Nichtaufnahme davon (außer von Klopstock, der mir mit meinem + »Marcus Sextus« darin seine vollste Zufriedenheit bezeugt) auch nur + ein Sylbchen gehört. Es ward, da ich mich in Frankreich nicht mehr + mit deutschem Verlage befassen gewollt, und August Campe mir dazu + seine »Vermittlerschaft« versagt, von ihm wider meinen Wunsch an + Kaven vertraut; bei dessen plötzlichem Hinschied auf einem Dorfe + zwischen Hamburg und Lüneburg, es in seine Masse, dann justizmäßig in + die Gläubigerklauen gerieth; so daß mir auch kein einziger kupferner + Sechsling Billons nur dafür ward. Nun -- da mich denn neulich von + Ohngefähr, bei Gelegenheit Raynouard's, der Fortsetzungskitzel dazu + stach, und Ihre Sympathie nebst Kühnwillen Sie hinreizt, zu meiner + »rhapsodischen kühnen Manier« -- wohlan, so seien Sie vor allen + Andern dazu denn mein .. Mann. An Stoff, in meiner und meines Vaters + Correspondenz, die gar manche Artikel von Ersten Nahmen aus unserm und + andern Vaterlanden enthält, und meinem Umherblick auf den Wüsten und + Aeckern der Menschheit, fehlt es mir eben nicht; unser Babylon hier + reichte mir deren allein schon genug. Ich brauche gegen Sie, der sich + auf _Dotem_ und Nicht-_Dotem Libellorum_ versteht, keiner weitläufigen + Verständigung deshalb. Die »Individualitäten« werden ohngefähr geben, + was mein »Menschliches Leben«, und jenes vergessene Ei, das von jenem + den zwanzigsten Theil füllt, enthielt; und da es, Ihrem Wunsche + gemäß, zu einer Art von periodischen _Salmi_ (aber um Gotteswillen, + in freien Heften! denken Sie ans .. Mühlenpferd!) gedeiht, gleich + den »Sphinxen«, »Auroren«, »Freymüthigen«, »Eleganten« u. s. w., + deren jedes »_Pages_« (siehe Diderot) und einige Quadersteine, nebst + vielen Sandbröckeln, Moëllons, und Kalkausfüllseln, euch gibt; nicht + bloß wilde Tellow-Ismaelitische Aufsätze reichen, im stricten und + strictissimen Verstand, sondern auch, als Schnabelweide für die + »Million«, eßbarere Hausmannskost, wie sie seit einigen Jahren, für + den allgemeinen Gaumen der Neugier, in den »Miscellen«, »Politischen + Annalen«, u. s. w. regelrechterer Art, und nicht ganz mit Verschmähung + abseiten des Leservolks, gargekocht, zurechtgestutzt und aufgetischt + worden sind. Ihr neuer Titel: »Individualitäten« bestimmt ihren .. + Tadel und ihren Zweck; sie werden von Ismael Abdallah, der auch + Artikel darin macht, herausgegeben und commentirt .. Die Tendenz + dieser .. Kriegsnahmen ist Ihnen aus meinem »Tagebuche« bekannt. + + Die Sosiasbedingungen dabei anlangend denn nun .... Ich erwarte + über diese, mit der nächsten Post, Wilibald's #Ja# oder #Nein#: -- + (»Euer Ja sei Ja! und Euer Nein sei Nein!«) .. vielleicht schreibe ich + Ihnen alsdann auch noch über ein andres Werk, das mich seit Jahr und + Tag in poetischer und prosaischer Zweisprache beschäftiget; und das, + von manchen Bauleuten verworfen bisher, zum Ecksteine Ihres jungen + Buchhandels vielleicht wird. Dieser Marmor ist -- wunderbar genug! + von einem .. Weibe in England, aus dem schönsten parischen Bruche + gehaun .. ich ciselire für Deutschland nur ein wenig daran; gelt, + Sie haben wie jeder Andre, der nicht etwa der Berlepsch »Caledonia« + las .. niemals etwas von .. Joanna Baillie gehört? Solch wunderbar + Unbekanntbleiben, selbst in unserer alles Ausländische verschlingenden + Lesenation, muß jeden Unbekannten für ein ähnlich Schicksal trösten + darin. Für heute soviel genug, und .. Allah's heiligem und würdigem + Schutze befohlen hiermit! .. + +Brockhaus erwiderte sofort mit folgendem Briefe, datirt Amsterdam, 7. +November 1805: + + Hätte ich den Raum von 50 oder 60 Meilen, der uns von einander + trennt, am Dienstage, wo ich Ihren lieben Brief vom 24. October + erhielt, doch durchfliegen können, um Sie an meine Brust zu drücken + und Sie zum Zeugen meiner Empfindungen über Ihre freundschaftlichen + gegen mich geäußerten Gesinnungen zu machen! Ja, in Wahrheit, ein + sympathetischer Zug treibt mich zu Ihnen hin, und mit Kindlichkeit + sehe ich zu Ihnen hinauf, Klopstock's, Gerstenberg's, Kunzens, + Schulzens, Baggesen's Freund ist mir ......[22] Aber so soll es auch + mit der innigsten Liebe, Freundschaft und .. zwischen uns bestehn, + bis Sie oder ich vom Freunde Charon in jenes unbekannte Land hinüber + gesteuert werden. So lange wir aber noch hienieden pilgern, und uns + mit dem prosaischen Troste des bürgerlichen Lebens herumschlagen, oder + uns wenigstens durchzuwinden haben, lassen Sie uns Einer dem Andern + nützlich sein; uns helfen und rathen; zusammen uns freuen und -- dem + Gemeinbesten frommen, wo und wie die Gelegenheit sich zeigt. Ich gebe + Ihnen meine Hand, daß Sie auf mich wie auf Ihr eignes Selbst rechnen + können. Wenn Sie mich einmal näher kennen, werden Sie mir, hoffe ich, + ein Gleiches zusichern. Sehr wahrscheinlich komme ich noch im Winter + auf einige Wochen zu Ihnen. Ich will Ihnen also lieber von meiner + Sehnsucht nach dorten Nichts sagen; denn wo könnte meine Prosa Worte + finden, mein glühendes Verlangen auszudrücken? + + Das dem Freunde; jetzt dem Geschäftsmann und Verfasser! .... Ich + komme zu dem mich am vorzüglichsten interessirenden Punkte davon: + der Herausgabe Ihres »Tagebuchs«. Sie haben also so wenig Urtheile + darüber vernommen? Ich glaube das wohl; und es ist auch wirklich + in Deutschland sehr wenig bekannt geworden. Ich selbst habe mir + unsägliche Mühe gegeben, ehe ich's erhalten konnte. Ich ruhte indeß + eher nicht, bis ich's hatte; und seitdem hat es immer mit zu meiner + Leibgarde gehört, die mich nicht verlassen darf. Noch gestern Abend + habe ich meinem lieben Weibe die beiden schönen Briefe an Kunzen + daraus vorgelesen und mich aufs neue an dem Freundschaftsbunde + gefreut, der zwischen Ihnen und jenem Edlen muß geschlossen sein. + Und dann las ich wieder die für mich hinreißende Stelle vor, wo Sie + von dem Funde des _Colchicum_ und Ihrer Begeisterung dabei erzählen. + Ach, wie haben wir Sie recht lieb; wie unsern Bruder und unsre + Jugendfreunde. + + Ich nehme Ihre Vorschläge zur Herausgabe alle an .... Der von Ihnen + gewählte Titel ist sehr gut; bis auf die _Noms de guerre_. Diese, + liebster Freund, wünschte ich ließen Sie weg. Ich könnte Ihnen diesen + Wunsch mit einer Menge von Gründen motiviren; ich unterlasse es aber, + da Sie, glaube ich, den größten Theil derselben ahnden werden. Nur + Das: daß ich sicher bin, daß dem Werke dadurch häufig der Eingang wird + erschwert werden; besonders hier in unserer Republik, wo ich doch auf + einen ansehnlichen Absatz rechnen muß ..... Ich sagte vorhin: ich + vermuthe, daß Sie meine übrigen Gründe wegen dieser Nahmen ahnden + werden. Thun Sie Das aber nicht, so werde ich sie Ihnen nächstens + mittheilen ... Ich wünschte, daß der Titel folgenden Zusatz erhielte: + von Cramer »und seinen Freunden«, damit Sie von diesen einige bewegen + möchten, dann und wann ... mitzutheilen. + + Auch glaube ich, daß es sehr gut wäre, wenn Sie anfingen, Ihre im + Journal »Frankreich« und anderswo zerstreuten Aufsätze und Briefe zu + sammeln; und besonders, als Supplement zu den »Individualitäten«, + oder als Vor- oder Nebenläufer derselben, herauszugeben. Es ist sehr + Vieles darunter, das, in der großen Masse jetzo ersäuft, so aufs neue + zusammengestellt, und allenfalls mit einigen neuen Schüsseln vermehrt, + als Ihr specielles Eigenthum Aufnahme finden dürfte; einige Artikel, + wo die Kurzsichtigkeit des Menschen scheiterte, als die Triumphgesänge + über den 18. Fructidor, die Erwartungen von Mercier's »Neuem Paris« + .. die allein, däucht mich, wären wegzulassen. Was denken Sie zu + dieser Idee? und wenn Sie sie goutiren und ausführen können, bin ich + Ihr Mann. Ihr ersticktes »Tagebuch« fände aufs neue einen Platz darin + ..... Da Sie mit Ihren Anspielungen ein solcher Sphinx nun einmal + sind, und es nur wenig Oedipe im Leservolke gibt, so dächte ich gar + sehr: Sie behielten allerdings Ihre exegetische Tagebuchmethode, + mit den angehängten Anmerkungen und Citaten, unten und hinter + den Capiteln, selbst auf die Gefahr hin ein Pedant ein wenig zu + erscheinen, bei ..... + +Cramer ging auf alle Wünsche seines Verlegers ein: die Veränderung des +Titels und selbst die Weglassung der »_noms de guerre_«, obwol nur +ungern, da er die Manie der Kriegsnamen nun einmal liebe und sie von +jeher geliebt habe; er beruft sich deshalb auf das Beispiel von Lorenz +Sterne (Yorik), Jung-Stilling und Jean Paul. + +Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der »Individualitäten« hier +näher einzugehen, obwol dieselben viele interessante Beiträge zur +Beurtheilung jener Zeit enthalten. Klopstock, Mirabeau, Grétry -- +literarische, musikalische, Theaterzustände von Paris und Amsterdam +-- feuilletonistische Plaudereien über die verschiedenartigsten +Themata: dies der bunte Inhalt jenes wunderlichen Mitteldings +zwischen Zeitschrift und Buch. Es ist nicht zu verwundern, daß die +»Individualitäten« keine weitere Verbreitung und kein längeres Leben +hatten: Cramer war trotz seiner unleugbaren Genialität nicht der +geeignete Herausgeber, Amsterdam und Paris waren nicht die richtigen +Ausgangspunkte einer für Deutschland bestimmten literarisch-politischen +Zeitschrift. Die Absicht, die der Verleger damit verfolgte, hat er +später -- im »Hermes« und im »Literarischen Wochenblatt« -- besser zu +verwirklichen vermocht. + + * * * * * + +Ein drittes journalistisches Unternehmen des jungen Verlegers neben +der deutschen Monatsschrift und der holländischen Zeitung war, wie +bereits erwähnt, eine französische Zeitschrift rein belletristischen +Charakters: »_Le Conservateur. Journal de littérature, de sciences et de +beaux-arts._« Dieselbe trat Anfang 1807 ins Leben, war also ebenfalls +schon im Laufe des Jahres 1806, gleichzeitig mit den beiden andern +Zeitschriften, vorbereitet worden. Sie erschien in Monatsheften von +acht bis zehn Octavbogen, wovon je drei einen Band mit besonderm Titel +bildeten, und war somit äußerlich wie auch innerlich ganz wie die großen +französischen Revuen unserer Tage, z. B. die »_Revue des deux Mondes_«, +angelegt. Die Zeitschrift bestand anderthalb Jahre lang, bis Mitte 1808, +sodaß im ganzen sechs Bände davon erschienen sind. Nur zwei derselben, +der dritte und vierte Band, liegen uns vor, die zugleich wenigstens ein +Inhaltsverzeichniß der ersten beiden Bände enthalten, während weder ein +Prospect noch ein Vorwort oder Schlußwort vorhanden ist. + +Den Inhalt dieser Zeitschrift bildeten historische (namentlich +zeitgeschichtliche), biographische, kunstgeschichtliche und +literargeschichtliche Abhandlungen; ferner Erzählungen, Novellen und +Gedichte; drittens Berichte über neue literarische Erscheinungen und +über die Theater von Paris und Amsterdam; endlich kleinere Artikel über +Verschiedenes, »_Variétés_« genannt. + +Unter den Mitarbeitern, die fast stets mit ihren Namen unterzeichnet +sind, befinden sich die besten französischen Schriftsteller jener Zeit, +wie Bonald, Boufflers, Chateaubriand, Chénier, Ch. de Dalberg, Despréz, +Dubois, Guingené, Lacretelle, Lebrun, Legouvé, Mercier, Bernardin de +Saint-Pierre, Charles de Villers u. s. w. + +Diesen Namen entsprechend ist der Inhalt der Zeitschrift ein sehr +gediegener, und manche Abhandlungen haben bleibenden Werth. Natürlich +beschäftigt sich die Mehrzahl der Artikel mit Frankreich; indeß hat +diese Zeitschrift ebenfalls einen entschieden internationalen Charakter, +indem sie auch England, in zweiter Linie Holland und am meisten +Deutschland berücksichtigt. Fast in jedem Hefte finden sich Artikel +aus oder über Deutschland. So bringt gleich das erste Heft einen Brief +des Professor Erhard über eine Audienz der Deputirten der Universität +Leipzig bei dem Kaiser Napoleon. In demselben Hefte beginnt Charles +de Villers (der später in nähere Beziehungen zu Brockhaus trat) eine +sich durch drei Hefte erstreckende Abhandlung über die wesentlich +verschiedene Weise, wie die französischen und die deutschen Dichter +die Liebe behandeln, wozu später noch ein Nachtrag kommt, der durch +eine Tabelle erläutert wird. Ferner schreibt Charles de Dalberg, +»_Prince-Primat de Germanie_«, über den Einfluß der schönen Künste +auf das allgemeine Wohlbefinden. Später folgt eine Beschreibung der +Düsseldorfer Galerie als Bruchstück einer noch nicht veröffentlichten +Reise, ohne Namensnennung. Daran schließt sich der Abdruck einer von +dem »_historiographe prussien_« Johannes von Müller am 20. Januar 1807 +in der berliner Akademie gehaltenen Rede über den Ruhm Friedrich's des +Großen. Im Aprilhefte von 1807 erschien auch zuerst der später als +besondere Schrift gedruckte (und von uns noch näher zu erwähnende) +Brief von Charles de Villers an die Gräfin Fanny von Beauharnais über +die Ereignisse in Lübeck am 6. November 1806, der Villers viele +Unannehmlichkeiten bereitete; er schildert darin offen die von seinen +Landsleuten bei der Erstürmung Lübecks begangenen Greuel. Vielleicht +als Gegengewicht gegen diesen Aufsatz ist in demselben Hefte eine +von Villers angefertigte Uebersetzung der Rede enthalten, welche der +bekannte Kirchenhistoriker Henke am 2. December 1806 zur Jahresfeier +der Krönung des Kaisers Napoleon in der Universitätskirche zu Helmstedt +hielt. + + * * * * * + +Ehe wir uns den übrigen Verlagsunternehmungen von Brockhaus in dieser +Zeit außer den drei journalistischen zuwenden, mögen noch zwei Briefe +desselben an seinen Bruder Gottlieb einschaltet werden. + +Der erste ist der schon oben erwähnte vom 25. Februar 1806, den er aus +Anlaß der Geburt seines dritten Sohnes schrieb: + + Hermann, lieber Bruder, so heißt das Schäflein, womit der Himmel + unsere kleine Heerde wieder vermehrt hat. So hieß der Edelste der + Deutschen! Wir müssen uns ja jetzt wohl an Namen halten! Wo sind jetzt + Männer unter unserer Nation? Oder vielmehr unter unsern Fürsten? + Würden wir sonst die Schmach kennen, die jetzt schwer beladen auf uns + liegt? O der schändlichen Rolle Preußens! Freilich für die Menschheit + ist es gut, daß Bonaparte mit seiner Herkuleskeule die Pinsel und + Knaben mit einem Schlage dahingestreckt hat. Wie würde Deutschland + von zahllosen, sich immer neu recrutirenden Armeen von Kosacken, + Kalmucken, Kroaten, italienischen und französischen Völkern zerrissen, + geplündert und zerfleischt worden sein, wenn die Vortheile der Armeen + sich balancirt hätten und nicht Schläge wie die von Ulm und Austerlitz + gefallen wären. Aber Deutschlands Ehre? -- sie ist zernichtet. + Unnennbar groß ist aber Bonaparte geworden! Es ist wirklich fast kein + Mensch, es ist ein Halbgott. Wäre er immer, was er zu zeiten ist, als + Mensch, denn über ihn als Krieger und Regenten kann nur eine Stimme + sein, wer würde ihn nicht unbedingt verehren, ja vor ihm niedersinken? + + Verzeih diese Digression, zu dem der Name meines kleinen Hermann + mich verleitet. + +Hier folgt die früher abgedruckte Stelle über Cramer, dem er die Wahl +dieses Namens verdanke. Darauf heißt es weiter: + + Ueber die politische Lage unsers Landes circuliren tausend + Gerüchte. Sehr fatal ist es, daß Schimmelpenninck so gut wie blind + ist, -- und daß man wenig Wahrscheinlichkeit zur Besserung hat. Das + gibt nun den besten Vorwand für ihn, sich zu entfernen, oder für die + Franzosen, sich unsers Gouvernements zu bemächtigen. Man spricht + von einem Könige von Batavien, das Louis, ein elender Mensch, sein + würde, Ostfriesland soll mit unserem Lande vereinigt werden u. s. w., + doch wer kann wissen? Daß Dortmund ebenfalls wieder unter andere + Herrschaft kommen wird, ist auch wol sicher. Wol Darmstädtisch oder + Braunschweigisch. Was denkt man bei Euch davon? + + Mit unserer literarischen Entreprise geht es immer _crescendo_. + Wir erhalten jetzt einen Factor aus Deutschland. Mit _medio_ März + wird ein eigenes Haus dazu bezogen. Die Unternehmung kann eben + so hochwichtig als sehr lucrativ werden. Mit dem 11. März fängt + sie mit der Herausgabe einer Zeitschrift an, deren Wichtigkeit + nicht berechnet werden kann, wenn sie einschlägt. Es ist dies eine + politisch-literarisch-historische Zeitung, wie noch keine .... + +Hier schließt der erste Briefbogen, der zweite ist leider nicht mehr +vorhanden; die eigenen Aeußerungen von Brockhaus über den »_Ster_« wären +von besonderm Interesse gewesen. + +Der zweite Brief ist der von ihm unterm 25. August 1807 geschriebene, +dessen auf sein Etablissement bezügliche wichtigste Stellen bereits +mitgetheilt wurden, während der in anderer Beziehung interessante Anfang +desselben hier folgen möge. Er schreibt: + + Dein Brief war meiner guten vortrefflichen Sophie und mir am + Donnerstag, als wir ihn erhielten, ein Fest der Erquickung, und + bis spät in die Nacht unterhielten wir uns über euch, ihr Lieben, + über Vergangenheit, Zukunft, und wie es einst noch werden möchte! + und werden könnte! und werden mag. So sitzen wir alle Abend, einen + wie den andern, da ich allein niemahlen für mich ausgehe, wenn ich + Abends 8 oder 9 Uhr vom Comptoir abkomme, zusammen und verplaudern + dann süße, dann bittere Stunden, je nachdem der Gegenstand heiter + oder traurig ist. Wie ich mich so an diese Häuslichkeit habe gewöhnen + können, daß es mir auch unmöglich ist, nur eine Stunde oder ein paar + es anderwärts auszuhalten, ohne von Langeweile und Ueberdruß bis zum + Aeußersten gefoltert zu werden; wie ich auch gar nicht mehr für diese + Abendgesellschaften, wo es lustig und fidel hergeht, passe und eine + recht alberne Figur darin spielen würde; wenn ich über diese wie + so manche Veränderung nachdenke, so fühle ich freilich wohl, welch + einen großen Theil daran die Begebenheiten meines stürmischen Lebens + haben, allein in dieser Hinsicht kann ich die Resultate davon doch + nicht anders als höchst beglückend finden. Dieses #innere# Leben! + diese Veredlung unserer ehelichen Verhältnisse und Rückwirkung von + da auf unser ganzes Gemüth, wodurch dieses etwas Hehres und Heiliges + erhalten, hat wirklich etwas so Beseligendes, daß ich nicht wünschen + kann, es möchte anders sein. + + Unsere Bekanntschaften sind jetzt noch eingeschränkter als + ehemals, und nur mit zweien Familien stehen wir auf einem wahren + freundschaftlichen Fuß: die eine ist die unsers Arztes, eines + vortrefflichen Mannes, der ein edles wackeres Weib hat; -- sie sind + nie einen Augenblick an uns irre geworden und ihre Freundschaft und + ihr Edelmuth hat alle Proben ausgehalten. Die andere ist eine wackere + Künstlerfamilie: er ein Deutscher, sie eine Holländerin. Beide große + Maler und sie wieder eine der liebenswürdigsten und gebildetesten + Frauen, die ich kenne. Auch ihr zwölfjähriger Sohn ist schon großer + Künstler. Alle drei: Vater, Mutter und Sohn, haben Baggesen gemalt, + wie er hier war, und nach der Zeichnung der Mutter lassen wir jetzt + einen Kupferstich machen. Sie wird auch Sophie und mich malen -- für + dich, mein bester theuerster Bruder, Schwester, Vater. Harry wird + Gustchen und Fritz malen, und das sollst du auch haben. Außer diesen + beiden Familien, mit denen wir innigst verbunden sind, haben wir + nur noch ein paar Bekanntschaften: wir sehnen uns aber auch nicht + nach mehreren, da uns diese genug sind. Desto mehr lebe und webe ich + dagegen im Briefwechsel mit mehreren auswärtigen Freunden, der eine + zweite Würze meines Lebens ist: Baggesen ist der erste darunter, von + Villers, der berühmte Verfasser des unsterblichen Werks über die + Reformation, der zweite, Professor Fischer in Würzburg und mehrere + andere schließen sich an sie an. So lebe ich. + +Die in diesem Briefe erwähnten beiden Familien waren die des Arztes +Nieuwenhuys und des Malers Jan Baptist Scheffer nebst seiner Gattin +Cornelia, Aeltern des hier als zwölfjähriger Knabe erwähnten, später +berühmt gewordenen Malers Ary Scheffer. Jan Baptist Scheffer war in +Manheim geboren; er ging nach Holland, wurde zum Hofmaler des Königs +Ludwig ernannt, starb aber schon 1809 in Amsterdam. Seine Gattin +Cornelia, eine Holländerin, war ebenfalls Künstlerin und eine sehr +anmuthige, auch literarisch gebildete Frau. Später zog sie mit ihren +Söhnen Ary und Heinrich nach Paris und starb dort 1839. Ary Scheffer +war am 10. Februar 1795 in Dordrecht geboren, kam dann mit seinen +Aeltern nach Amsterdam und verließ dieses erst 1812, um sich in Paris +weiter auszubilden; hier wirkte er bis zu seinem 1858 erfolgten Tode. +In Amsterdam war er der Spielgefährte der ältesten Kinder von Brockhaus +gewesen. + +Die hier erwähnten Porträts scheinen leider nicht mehr vorhanden zu +sein; über ihren Verbleib hat sich auch bei spätern durch Ary Scheffer +selbst angestellten Nachforschungen nichts ermitteln lassen. + + + + + 4. + + Weitere Verlagsthätigkeit. + + +Gleich im Beginne seiner Verlegerlaufbahn entwickelte Brockhaus auch auf +andern Gebieten der Literatur einen nicht minder regen, vielseitigen und +für einen Anfänger kühnen Unternehmungsgeist als den eben geschilderten +in der Herausgabe von Journalen. + +Von Cramer verlegte er außer den »Individualitäten« zunächst noch +Uebersetzungen von sechs Dramen der von diesem enthusiastisch verehrten +und Shakspeare zur Seite gestellten englischen Dichterin Joanna Baillie +(geb. 1762, gest. 1851). Sie erschienen noch 1806 unter dem von Cramer +herrührenden Titel »Die Leidenschaften« in drei Theilen, deren jeder +wieder einen ähnlichen charakterisirenden Titel führt: »Die Liebe«; +»Der Haß«; »Der Ehrgeiz«, später (1808 und 1809) auch einzeln in sechs +Separatausgaben unter ihren Originaltiteln. + +Außerdem veröffentlichte er noch (1807 und 1808) Cramer's deutsche +Bearbeitung der Werke des Engländers Pinkerton und des Franzosen Mercier +über das damalige Paris unter dem Titel: »Ansichten der Hauptstadt des +französischen Kaiserreichs vom Jahre 1806 an« (zwei Bände, jeder mit +einem Titelkupfer), von Cramer durch eigene Beiträge vervollständigt. +Die Idee zu diesem Werke scheint von Brockhaus ausgegangen zu sein; +Cramer sagt darüber in dem Vorberichte: + + Mein Freund Wilibald, Pflegevater meiner »Individualitäten«, glaubte + daher (und vielleicht nicht mit Unrecht), daß dieses Gemälde eines + Engländers (Pinkerton) ... eines deutschen Kupferstichs nicht unwerth + ... Er trug mir dieses Geschäft auf ... bat mich endlich sogar, von + dem Meinigen noch hinzuzuthun und Pinkerton's Gemälde mit einigen (wie + ich es für gut finden würde) Verzierungen oder _hors d'oeuvres_ zu + vermehren. Wenn ich (wünschte er weiter) den ersten großen Vorläufer + aller dieser Maler -- »_notre maître à nous tous!_« -- Mercier, dazu + bewegen könnte, mir sein Atelier zu öffnen ... so (meinte er) würde + diese Vereinbarung eines Engelländers, Deutschen und Franzosen eine + vielleicht nicht unpikante Sache sein, und an jener ursprünglich + hauptsächlich britischen Zeichnung wenigstens nichts verderben. + +Neben Cramer war Jens Baggesen, der bekannte dänische Dichter, der +gleichzeitig auch in deutscher Sprache schrieb (geb. 15. Februar +1764 zu Korsör, gest. 3. October 1826 zu Hamburg), einer der +ersten Schriftsteller, mit denen Brockhaus in geschäftliche und +freundschaftliche Verbindung trat. Er schloß mit Baggesen schon am 17. +Juni 1806 in Amsterdam, wo dieser damals zum Besuche war, einen Contract +über eine neue umgearbeitete Auflage seines idyllischen Epos »Parthenais +oder Die Alpenreise«, die 1808 erschien, und wenig Tage darauf (21. +Juni) über eine Sammlung seiner Briefe, die aber erst 25 Jahre später +(1831), als beide Contrahenten gestorben waren, herausgegeben wurde. +Im folgenden Jahre (16. Juli 1807) wurde dann ein neuer Contract über +Baggesen's neueste Gedichte abgeschlossen, die fast gleichzeitig mit der +»Parthenais« (auch 1808) unter dem Titel: »Heideblumen. Vom Verfasser +der Parthenais. Nebst einigen Proben der Oceania«, erschienen. Von der +»Parthenais« verlegte er außerdem eine französische Uebersetzung in +Prosa, von dem bekannten Gelehrten Fauriel gefertigt; hieran knüpfte +sich eine längere Correspondenz zwischen Brockhaus und Fauriel über das +durch Baggesen's Schuld vielfach getrübte Verhältniß zwischen diesem und +Brockhaus, worüber wir weiter unten Näheres mittheilen. + +Allein nicht blos journalistische und poetische Werke waren es, mit +denen sich der junge Verleger beschäftigte; er wagte sich sofort auch +an strengwissenschaftliche Werke größern Umfangs, deren Verlag zu allen +Zeiten mit Opfern verbunden zu sein pflegt. + +Schon 1807 erschien in seinem Verlage der erste starke Band einer +lateinisch geschriebenen Geschichte der Botanik von dem gelehrten Arzt +und Botaniker Kurt Sprengel in Halle: »_Historia rei herbariae_«, und +im nächsten Jahre folgte der zweite Band; eine deutsche Bearbeitung +desselben Werkes unter dem Titel: »Geschichte der Botanik«, erschien +erst 1817-18 in seinem Verlage. + +Fast gleichzeitig begann er ein noch umfangreicheres Werk desselben +Verfassers zu verlegen: »_Institutiones medicae_«, in sechs Bänden, +wovon der erste 1809 ausgegeben wurde, während die übrigen Bände in +den Jahren 1810, 1813, 1814 und 1816, in einer für den Verleger theils +seiner persönlichen, theils der politischen Verhältnisse wegen sehr +schwierigen Zeit, erschienen. Indeß wurde bei diesem Werke sein Muth +belohnt, indem er bereits wenige Jahre nach der Vollendung (1819) eine +zweite vermehrte und verbesserte Auflage desselben veranstalten konnte. + +Ein drittes wissenschaftliches Verlagswerk, das er gleich im Anfange +seiner Verlegerthätigkeit übernahm, war die berühmte Naturgeschichte +der Eingeweidewürmer von dem greifswalder (später berliner) Professor +Karl Asmund Rudolphi (aus Stockholm); sie erschien unter dem Titel: +»_Entozoorum sive vermium intestinalium historia naturalis_« (2 Bände, +Band 2 in 2 Abtheilungen, 1808-10, mit 12 Kupfertafeln). + +Ein viertes ebenfalls naturwissenschaftliches Werk, das er indeß +wahrscheinlich nur als Commissionsartikel übernahm (auf dem Titel sind +die Gebrüder van Cleef im Haag als Verleger genannt, während Heinsius' +»Bücher-Lexikon« das Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam als +solche bezeichnet) ist das Werk des bekannten französischen Botanikers +Brisseau-Mirbel (damals im Haag, später in Paris) über eine Theorie +des Gewächsbaues, mit französischem und deutschem Titel, herausgegeben +von dem holländischen Dichter Bilderdijk, der sich vielfach auch mit +naturwissenschaftlichen Studien beschäftigte. Eigenthümlicherweise +ist der Text des Werks gleichzeitig französisch (links) und deutsch +(rechts), während die Widmung an den König von Holland, die Vorrede +Bilderdijk's und die ausführlichen Noten blos französisch sind. +Bilderdijk entschuldigt sich in der Vorrede, daß er, in Amsterdam +geboren, weder das Französische wie ein Pariser, noch das Deutsche wie +ein »Sachse« schreibe; hiernach scheint auch die deutsche Uebersetzung +von dem holländischen Dichter herzurühren. + + * * * * * + +Dem Jahre 1807 gehören noch drei Werke an, die von geringerer Bedeutung +sind, aber gleich von Anfang an erkennen lassen, daß der Verleger die +möglichste Vielseitigkeit seines Verlags erstrebte: ein französisches +Reisehandbuch für Deutschland: »_Itinéraire de l'Allemagne_« (von dem +Postmeister Raabe in Holzminden verfaßt), mit einer Karte; eine deutsche +Uebersetzung des hauptsächlich nach Bossuet's Katechismus bearbeiteten, +vom päpstlichen Legaten in Paris approbirten und von Napoleon +obligatorisch eingeführten »Katechismus zum Gebrauche in allen Kirchen +des französischen Kaiserreichs«; endlich eine deutsche Uebersetzung der +berühmten Memoiren des französischen, in englische Dienste getretenen +Schriftstellers Louis Dutens, der 1812 als britischer Historiograph in +London starb, unter dem Titel: »Dutens Lebensbeschreibung oder Memoiren +eines Gereiseten, der ausruht« (2 Bände), von dem durch sein Bibelwerk +bekannten Johann Friedrich von Meyer in Frankfurt a. M. bearbeitet. + + * * * * * + +In dieser Zeit kam Brockhaus auch zuerst mit Villers in Beziehungen, +die sich bald in freundschaftliche verwandelten und bis zu des Letztern +Tode fortdauerten. Er veröffentlichte nämlich dessen berühmten »Brief an +die Gräfin Fanny von Beauharnois«, worin Villers die Erstürmung Lübecks +durch die Franzosen am 6. November 1806 und die dabei von denselben +verübten Greuel als Augenzeuge schildert. + +Charles François Dominique de Villers, geboren 4. November 1765 zu +Bolchen in Lothringen, 1792 Artilleriehauptmann, floh bei Ausbruch des +Revolutionskriegs 1793, von den Jakobinern bedroht, nach Deutschland, +das fortan seine zweite Heimat wurde, und lebte meist in Lübeck, wo er +viel mit der Familie Rodde verkehrte, besonders mit seiner geistreichen +Freundin Dorothea Rodde, der Tochter des Geschichtschreibers Schlözer; +1811 wurde er zum Professor der Philologe an der Universität Göttingen +ernannt, nachdem ihm 1809 wegen seiner »ausgezeichneten Verdienste um +die deutsche Literatur« und besonders auch wegen seiner Bemühungen um +das Wohl der Freien Hansestädte das Ehrenbürgerrecht von Bremen ertheilt +worden war. Er wurde erst von französischer, dann von deutscher Seite +mehrfach belästigt und starb 26. Februar 1815 in Leipzig.[23] Villers +machte es sich zur Lebensaufgabe, deutscher Literatur und deutschem +Wesen dieselbe Anerkennung und Achtung in Frankreich zu verschaffen, die +er selbst dafür empfand, und so beiden Ländern zu nützen. Wurm bemerkt +über Villers: + + Wie sehr es ihm Ernst war mit der wissenschaftlichen Erforschung + deutscher Zustände, das beweisen seine größern Arbeiten: die + Darstellung der Kant'schen Philosophie, und die gekrönte Preisschrift + über die Folgen der Reformation für die politische Lage der + verschiedenen Staaten Europas und für den Fortschritt der Aufklärung. + Das letztere Werk ist in wiederholten starken Auflagen und in einer + holländischen, zwei englischen und drei deutschen Uebersetzungen + verbreitet. + + In der Würdigung deutschen Geistes wetteiferten mit ihm Benjamin + Constant und Frau von Staël. Mit Beiden war Villers innig befreundet. + Constant hatte in Deutschland eine geistige Heimat gefunden, nur nach + und nach söhnte er mit dem Entschluß sich aus, den die Ereignisse ihm + fast wider Willen aufdrängten, seine wissenschaftliche Thätigkeit mit + einer politischen in Paris zu vertauschen. Frau von Staël gefiel sich + eine Weile in dem Gedanken, mit Villers vereint dahin zu arbeiten, + daß der Gegensatz zwischen deutschem und französischem Wesen sich + ausgleichen möge. Bald aber fand sie sich verletzt durch seine + ausgesprochene Vorliebe für Deutschland, die sie ihm in tadelnden, + selbst in harten Worten vorwarf. Als ihr selbst derselbe Vorwurf + -- freilich von ganz anderer Seite her und in ganz anderm Sinn -- + zurückgegeben ward, da flüchtete sie mit ihren Klagen zu dem alten + Freunde. + + Während ihrer langen Verbannung, der endlich der Sieg der fremden + Waffen ein Ziel setzte, hatte ihre Liebe zur Heimat nur noch stärkere + Wurzeln geschlagen. Anders war es mit Villers. Lebensschicksale, + geistige Gewohnheiten hielten ihn von Frankreich fern, nicht + irgendeine äußere, gebieterische Nothwendigkeit. In den frühern + geflügelten Worten der Frau von Staël lag ein Stachel, den er tief und + schmerzlich empfand. Glücklich, selbst inmitten einer ehrenvollen und + vielbewunderten Thätigkeit, ist seine Lage nicht gewesen. Sie konnte + es nicht sein. + + Wir Deutschen sind am spätesten zu dem Bewußtsein gelangt, daß die + Nationalität nichts Zufälliges, daß sie nicht ein Ding ist, das man + nach Belieben festhalten oder abstreifen und vertauschen mag. Es würde + besser um unser Vaterland bestellt sein, wenn wir eher aus unsern + weltbürgerlichen Träumen erwacht wären. Nicht daß es an kräftigen + Stimmen gefehlt hätte, die uns zuriefen, das heilige Feuer zu hüten. + Aber wir, wir schliefen und träumten.[24] + + In dieser beschämenden Betrachtung liegt gutentheils der Schlüssel + zu demjenigen, was Villers' Ruhm und was sein Unglück ausmachte. + Gewiß, wenn irgend Einer, so war er berufen, den geistigen Verkehr + zwischen Deutschland und Frankreich zu vermitteln. Aber er fand sich + zwischen beide Nationen gestellt. Und er trat zu uns herüber, als + die Gewaltherrschaft seiner Landsleute, ein unholder Alp, über unser + Vaterland sich ausbreitete, und jegliches Eigenthümliche zu erdrücken + drohte. Das Ritterliche seines Charakters hat ihn herübergeführt. Aber + seinen Landsleuten gegenüber, wie sollt' er da den Schein abwehren, + als habe er die eigene Heimat verleugnet? + + Daß er uns näher angehörte, können wir nicht bezweifeln, da er + selbst es eingestanden hat. Der Anlaß aber, bei welchem ihm das + Bekenntniß entschlüpfte, war der bitterste, der unverdienteste, + der ihm widerfahren konnte. Es war die unerhörte Behandlung, die + er von der wiederhergestellten hannoverschen Regierung erfuhr; das + absichtsvolle Misverständniß, als wär' er in Göttingen eben nur ein + Eindringling des westfälischen Zwitterreichs gewesen; das Abfinden + durch einen Gnadengehalt, in der Voraussetzung, er werde denselben in + Frankreich verzehren. Durch die spätere Erlaubniß, in Göttingen zu + bleiben, und durch eine Pensionszulage war das nicht wieder gut zu + machen. Die Kränkung hat sein Herz gebrochen. + + Uns Deutschen geziemt es, eingedenk zu sein, was er uns zum Opfer + gebracht hat. + +Villers' Brief an die Gräfin von Beauharnais wurde dadurch veranlaßt, +daß diese, die Tante der Kaiserin Josephine, nach den schrecklichen +Ereignissen von Lübeck der Villers wie ihr befreundeten Familie Rodde +Theilnahme ausdrücken und ihre Hülfe anbieten ließ. Villers benutzte +dies, um der einflußreichen geistvollen Dame, die in Paris seine +persönliche Bekanntschaft gesucht hatte, die traurige Lage Lübecks +vorzustellen. Der Brief, vom 15. December 1806 datirt, ging erst am +12. Februar 1807 an seine Adresse nach Paris; am 4. März traf die +Antwort ein, daß die Gräfin bereit sei, dem Kaiser den Brief vorzulegen +und aufs wärmste zu befürworten. Inzwischen hatte Villers denselben +in Lübeck als Manuscript drucken lassen und sandte am 5. März vier +Exemplare nach Paris, darunter eins an Bernadotte und eins an Daru. +Gleichzeitig schickte er auch ein Exemplar an Brockhaus; dieser ließ +schon im Aprilhefte seines »_Conservateur_« den Brief abdrucken (vgl. +S. 78) und außerdem Separatausgaben davon in französischer und deutscher +Sprache erscheinen, die großes Aufsehen erregten und rasch drei Auflagen +erlebten. Auch zu diesen Separatausgaben hatte Brockhaus jedenfalls +Villers' Zustimmung, denn in einem (nicht unterzeichneten) Vorberichte +heißt es: der Brief sei erst blos als Manuscript gedruckt worden, »da +aber diese Schrift schon hier und da herumgekommen und ihr Verfasser +sah, wie zweifelhaft es sei, einer voreiligen unerlaubten Bekanntmachung +zuvorkommen zu können, so hat er unserm Wunsche gern nachgegeben und +uns den Druck erlaubt« u. s. w. Der Brief war gleichzeitig in Paris +gedruckt, aber dort wie später auch in Amsterdam confiscirt worden. Wurm +sagt darüber: + + Hat nun bei den »hohen und höchsten Herrschaften« diese beredte + Fürsprache irgend Etwas ausgewirkt? Nein, nicht das Mindeste. Aber + die Darstellung selbst, die, wie sich erweisen läßt, nur für das + Auge einiger Wenigen bestimmt war, hat mit einem male die größte + Oeffentlichkeit erlangt. Wenige Flugschriften in jener bewegten Zeit + sind so verschlungen worden. Der Eindruck war tief und nachhaltig. + Ein richtiger Instinct sagte den Feldherren, daß der französischen + Herrschaft, daß dem Vertrauen der Völker zu französischer + Gerechtigkeit und zu französischem Schutz ein sehr schlechter Dienst + geleistet sei, indem die Wahrheit an den Tag komme. + + So fehlte es denn auch nicht an den Maßregeln, durch welche das böse + Gewissen sich zu verrathen pflegt. Die Schrift von Villers ward in + Paris confiscirt[25]: Baggesen, in einem ergötzlichen Brief, wünschte + dem Verfasser Glück dazu. Die Aufregung unter den Franzosen war so + groß, daß selbst die lübecker Censur sich endlich gemüßigt fand, die + Buchhändleranzeige, welche die Schrift zum Verkauf anbot, zu streichen. + + Bedenklicher war, daß Villers von sicherer Hand erfahren mußte, auch + Bernadotte habe an der Schrift Anstoß genommen. Doch war das gute + Vernehmen, wie man aus dem Schreiben eines Adjutanten des Prinzen + ersieht, dadurch nicht auf die Dauer gestört. Keinenfalls ließ Villers + sich irre machen. Er war sich keiner Uebertreibung bewußt, und + erklärte dies öffentlich im Vorwort zu einer spätern Auflage. + +Der von Wurm erwähnte Brief Baggesen's an Villers, aus Hamburg vom 27. +Juni 1807 datirt, lautete: + + Ich schicke Dir hier die ganze Saisirungsgeschichte aus Amsterdam + und Paris, die, wie ich hoffe, Dich mehr freuen als befremden wird. + In der That war es nicht leicht möglich, Dir und der Sache einen + größern Dienst zu erweisen, als eben durch diesen erzdummen Streich + der pariser Polizei geleistet worden ist. Eine Schrift, wovon schon + mehrere tausend Exemplare im Umlauf sind, zu confisciren, hieß + derselben außer dem Umlauf auch Einlauf -- Interesse ins Unendliche + -- außer dem moralischen auch religiösen Einfluß und selbst (das + Höchste, was in unsern Tagen ein Buch gewinnen kann) den Reiz der + Sünde, _vel quasi_ des Verbotenen, verschaffen. Wüßte ich nur mit + Gewißheit, daß man auch meine Sachen auf diese Weise saisiren würde, + den Augenblick gäbe ich die göttlichsten Dinger heraus -- allein ich + fürchte, man würde #mich# statt der Sachen saisiren. So wird dem + großen Sieger mitgespielt! Wäre ich an seiner Stelle, ich setzte meine + Polizei den Augenblick ab. Das Buch hätte sie, wenn sie ihr Geschäft + recht verstanden, laufen lassen sollen und dagegen von einem lübecker + Rathsherrn öffentlich bekannt machen lassen, daß der Verfasser nicht + gewußt, was er geschrieben, daß sie (die Lübecker) betheuern können, + es sei gerade das Gegentheil wahr u. s. w. Die Pariser, die nicht + nach Lübeck laufen können, um Syndicus den oder den zu fragen: »Haben + Sie das wirklich geschrieben?«, wären angeführt worden, wenigstens im + Zweifel -- jetzt wissen sie, was an der Sache ist. + +Diese Schrift sollte aber für Villers doch noch verhängnißvoll werden. +Vier Jahre nach ihrem Erscheinen, als er eben im Begriff stand, +Lübeck zu verlassen, um einem Rufe an die Universität Göttingen Folge +zu leisten, ließ ihn Marschall Davoust wegen derselben verhaften und +seine Papiere durchsuchen. Da man nichts ihn Compromittirendes fand, +ward er wieder freigelassen, aber aus den »von den französischen Waffen +besetzten« Ländern verwiesen. Er verließ Lübeck am 8. März 1811, die +Verfolgung ruhte auch in Göttingen nicht, und es ist unzweifelhaft, daß, +wie Wurm sagt, die damit verknüpften Kränkungen sein Herz gebrochen +haben; er starb, wie schon erwähnt, vier Jahre darauf (1815), kaum 50 +Jahre alt.[26] + +Brockhaus verlegte bald nach jenem Briefe noch ein anderes kleines Werk +von Villers: eine französische Uebersetzung der 1808 bei Friedrich +Perthes in Hamburg erschienenen Schrift »Der Kaufmann« von Johann +Albert Heinrich Reimarus, dem eigentlich auf einem andern Gebiete, +als Physiker, bekannten Sohne des Verfassers der »Wolfenbüttelschen +Fragmente«, Hermann Samuel Reimarus. Die Uebersetzung führt den Titel +»_Le commerce_« (1808) und ist mit einem Vorwort von Villers versehen. + +Außerdem druckte Brockhaus 1807 in dem ersten Hefte seines +»_Conservateur_« eine längere Abhandlung von Villers: »_Sur la manière +essentiellement différente, dont les poètes français et les allemands +traitent l'amour_«, und 1809 eine Schrift »_Coup d'oeil sur l'état +actuel de la littérature ancienne et de l'histoire en Allemagne_«, die +als ein Bericht an das _Institut de France_ und in einer Nachschrift als +eine Rechtfertigungsschrift seines »_Coup d'oeil sur les universités +allemandes_« (Kassel 1808) bezeichnet ist. + +Auch in späterer Zeit und bis zu Villers' Tode blieb Brockhaus mit +demselben in geschäftlicher Verbindung. So verlegte er 1814 dessen +letzte Schrift, in der die Wiederherstellung der drei Hansestädte warm +befürwortet wird: »_Constitutions des trois villes libres anséatiques, +Lubeck, Brêmen et Hambourg. Avec un mémoire sur le rang que doivent +occuper ces villes dans l'organisation commerciale de l'Europe._« Vorher +noch hatte er auf Brockhaus' Wunsch und zugleich auf den der Frau von +Staël eine Einführung zu ihrem berühmten Buche »_De l'Allemagne_«, +datirt Göttingen, 20. Juli 1814, geschrieben, die mit einer neuen +Ausgabe desselben 1815 bei Brockhaus erschien. Die erste 1810 in Paris +in 10000 Exemplaren gedruckte Auflage dieses Buchs war dort vor der +Ausgabe von der kaiserlichen Polizei confiscirt und vernichtet, die +Verfasserin aber aus Frankreich verbannt worden. Sie ließ es darauf 1814 +in London, 1815 in Genf und in Leipzig drucken und erst im folgenden +Jahre konnte in Frankreich selbst wieder eine neue Auflage erscheinen. + + * * * * * + +Von größern Verlagsunternehmungen Brockhaus' aus dieser Zeit ist +zunächst das »Historisch-militärische Handbuch für die Kriegsgeschichte +der Jahre 1792 bis 1808« von dem ehemaligen niederländischen +Oberstlieutenant A. G. Freiherrn von Groß (Amsterdam 1808) zu erwähnen. +Dasselbe war von einem großen »Historisch-militärischen Atlas« in +siebzehn in Kupfer gestochenen Tafeln begleitet, den Brockhaus in Weimar +von Legationsrath Bertuch, Besitzer des Landes-Industrie-Comptoirs, +herstellen ließ. Der Verfasser, 6. December 1756 geboren, diente zur +Zeit der Revolutionskriege in der niederländischen Armee, vertheidigte +unter anderm 1794 die Festung Grave gegen die Franzosen unter +Pichegru, lebte dann zurückgezogen mit dem Titel eines herzoglich +sachsen-weimarischen Kammerherrn in Weimar und starb daselbst am 18. +November 1809. Er war als Militärschriftsteller geschätzt, namentlich +wegen des genannten Werks und wegen eines frühern über die höhere Taktik +(Gera 1804). + +Im Jahre 1808 trat Brockhaus auch mit einem Manne in Verbindung, der +ihn in die ersten, für ihn später so verhängnißvollen Conflicte mit +der preußischen Regierung verwickelte. Es war der preußische Oberst +August Ludwig Christian von Massenbach. Dieser, 1758 geboren, in dem +unglücklichen Jahre 1806 Generalquartiermeister des Fürsten Hohenlohe, +veranlaßte, wie es scheint durch eine irrthümliche Meldung, die Ergebung +seines Corps bei Prenzlau. Deshalb in eine Untersuchung verwickelt, +lebte er erst auf einem ihm vom Könige von Preußen geschenkten Landgute +im Posenschen, dann in Würtemberg, und verfaßte dort drei Werke, die bei +Brockhaus erschienen und großes Aufsehen erregten. Nachdem er wiederholt +um seine Entlassung aus dem preußischen Kriegsdienste angehalten, +stellte er 1817 an den preußischen Hof und an den König persönlich +verschiedene Anträge, unter der Drohung, im Nichtgewährungsfalle +wichtige in seinem Besitze befindliche Papiere zu veröffentlichen. +Darauf in Würtemberg auf Ansuchen Preußens verhaftet, wurde er nach +Küstrin gebracht, dort kriegsgerichtlich zu 14 Jahren Festungshaft +verurtheilt (wegen beabsichtigten Landesverraths durch Bekanntmachung +amtlicher Schriften), 1820 nach Glatz gebracht, aber 1826 vom Könige +begnadigt. Er starb bald darauf, 27. November 1827. + +Massenbach war ein geistvoller politischer und militärischer +Schriftsteller, und seine Werke haben hohen Werth für die +Zeitgeschichte. Indessen litt er an großer Selbstüberhebung, indem er +fortwährend darzuthun suchte, daß er durch seine Rathschläge das Unglück +des preußischen Staats abgewendet haben würde, wenn sie befolgt worden +wären. Außerdem ließ er sich oft zu rücksichtslosen und unberechtigten +Angriffen auf die leitenden Persönlichkeiten des preußischen Staates +hinreißen. + +Die erwähnten drei Werke Massenbach's sind: »Rückerinnerungen an große +Männer« (2 Abtheilungen, Amsterdam 1808); »Memoiren zur Geschichte +des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II. +und Friedrich Wilhelm III.« (3 Bände, Amsterdam 1809); »Historische +Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preußischen Staats seit +dem Jahre 1794 nebst meinem Tagebuche über den Feldzug von 1806« (2 +Theile, Amsterdam 1809). Letzteres und das vorige Werk enthalten mehrere +Karten und Pläne. + +Noch drei andere Verlagswerke gehören in diese Zeit: »Parallelen« +von Christian Daniel Voß (Professor des Staatsrechts und der +Kameralwissenschaften in Halle, geb. 1761, gest. 1821), in zwei +Theilen (1808 und 1811 erschienen), eine vergleichende Darstellung der +Jahrhunderte Ludwig's XIV. und Napoleon's I.; Dschami's persischer +Liebesroman »Medschnun und Leila«, aus dem Französischen übersetzt +und erklärt von Anton Theodor Hartmann (damals in Oldenburg, später +schwerinischer Consistorialrath und Professor in Rostock, verdienter +Orientalist, geb. 1774, gest. 1838), 1808 in zwei Bändchen erschienen; +endlich, ebenfalls 1808, das dramatische Gedicht »Aladdin oder die +Wunderlampe« von Adam Oehlenschläger, dem bekannten dänischen Dichter +(geb. 1779, gest. 1850), der seine meisten Werke gleichzeitig auch in +deutscher Sprache veröffentlichte. + +Mit diesen drei hervorragenden Schriftstellern trat Brockhaus dadurch in +eine dauernde Verbindung, besonders mit Oehlenschläger. + + * * * * * + +Bei dieser für einen jungen Verleger mit beschränkten Mitteln +staunenswerthen Ausdehnung seiner Unternehmungen war es nicht zu +verwundern, daß Brockhaus bald wieder in finanzielle Verlegenheiten +gerieth. Die Früchte seiner Arbeit, wenn es überhaupt zu solchen kam, +reiften nicht so schnell, als seine sanguinische Natur es erwartete; +auch war er als früherer Kaufmann noch nicht daran gewöhnt, daß der +Verlagsbuchhändler im besten Falle ein Jahr lang auf das Erträgniß +seiner Thätigkeit zu warten hat. Es handelte sich zwar nicht um so große +Summen, wie in seinem frühern Geschäftsleben, aber um so ärgerlicher +war ihm bei seinem regen Streben und dem guten Gang des Geschäfts das +Ausbleiben der zum Fortbetriebe desselben erforderlichen mäßigen Gelder. + +In seiner Sorge wandte er sich natürlich wieder an seinen »einzigen +Freund«, wie er ihn oft nennt -- seinen Bruder in Dortmund. Er schreibt +ihm in dem bereits mehrfach erwähnten Briefe vom 25. August 1807: + + In dieser Zeit faßte ich den Gedanken, vor meine Person und + Familie aufs Land zu gehen und für mich nur die Direction der + Verlagsunternehmungen zu halten, meine andere sehr lucrative, aber + lästige Unternehmung[27] zu verkaufen, wenn ich 10000 Fl. dafür + erhalten könnte, da mir 6000 Fl. dafür geboten wurden, und die + Sortimentsgeschäfte mit Jemandem in Compagnie zu treiben, der sie + dann leiten sollte. Es war mein Lieblingsgedanke, der auch um so + eher ausführbar war, da ich auf dem Lande mit der Hälfte hätte leben + können und ich die mir vorbehaltenen Geschäfte von dort so gut wie + von hier (Amsterdam) hätte besorgen können. Indessen aus diesem + Idyllenplane wurde nichts, und ich fuhr dann fort, unser Geschäft + immer zu erweitern und zu consolidiren. Im Herbst vorigen Jahres + bekam ich von Hannover einen sehr geschickten Commis, der seitdem + den eigentlichen Sortimentshandel dirigirt und das Meßgeschäft + (er war auch Ostern in Leipzig), und mein Departement ist dagegen + Verlagsgeschäft, Correspondenz mit den Gelehrten und andere dahin + einschlagende Arbeit .... Das Geschäft ist übrigens vortrefflich, + und es wird und kann, wenn es so fort geht, mich nicht blos zu + einem wohlhabenden Manne machen, sondern auch recht innig zufrieden + mit meinem Schicksale und meiner Lage. Von unsern ostensibeln und + inostensibeln Verlagsunternehmungen haben wir bisjetzt an keinem + Schaden gehabt, an mehrern aber viel gewonnen. Ich werde Dir von + beiden Arten (unter den letztern sind die berühmten »Vertrauten Briefe + über die innern Verhältnisse am preußischen Hofe«[28], woran ich zum + Viertel interessirt bin), mit Gelegenheit ein Exemplar senden, daß + Du mal sehen kannst, was wir in diesem Fache getrieben haben. Außer + diesen Verlagsunternehmungen ist unser Sortimentsgeschäft (Verkauf + fremden Verlags hier im Lande) schon so bedeutend, daß wir monatlich + im Durchschnitt an 3000 Fl. debitiren. Es wird Dir bekannt sein, daß + man auf Bücher an 33 Procent Rabatt hat, und ist ein solcher Umsatz + also sehr ansehnlich, und kann sich derselbe, besonders wenn wir + mal Frieden bekommen, noch sehr vermehren. Da wir nun sogar unser + Sortiment großentheils wieder gegen Verlag changiren und wir am + Verlag wieder stark verdienen, so ist es mathematisch klar, daß mein + jetziges Geschäft recht sehr vortheilhaft ist und ich, ohne daß ich + mir unberufen schmeichele, die wahrhaft glücklichsten Resultate davon + erwarten kann. + + Nur in einem, aber in einem sehr wesentlichen Punkte finde ich + mich gedrückt, und ich erzähle Dir diesen nun um so eher, da ich auf + Sophiens Rath Dich darin zu meinem Vertrauten mache. Ich hätte es ohne + diesen nicht übers Herz bringen können, da es nun einmal leider mein + Charakter ist, daß ich mich lieber hindrücke und hinwürme, als über + solche Sachen laut zu werden. Es ist dies, daß, da wir bei diesen + Geschäften Alles und Alles auf Jahresrechnung stellen müssen und wir + etwa nur ein Funfzigstel baar verkaufen, alles Andere aber nicht vor + dem Anfang des folgenden Jahres einkommt, daß es mir da gegen Ende + des Jahres knapp in Casse wird, weil wir so unsaglich viel an Porten, + Frachten, Papieren, Buchdrucker- und Buchbinderlohnen beständig + ausgeben müssen, dabei die schweren Haushaltungsausgaben, Miethen + und Abgaben zu tragen haben, die alle so viele beständige Ausgaben + erfordern, wogegen wir im Laufe des Jahres fast nichts, sondern Alles + erst im Januar und Februar einnehmen. Dies genirt mich nun in diesem + Jahre besonders, da ich für mehrere Unternehmungen ein Ansehnliches + habe aufwenden müssen, das sich aber erst zu Ostern 1808 rentirt. + Recht sehr wünschte ich also, mit einigen Fonds in diesem Jahre + ausgeholfen zu werden, und ich frage Dich nun darum, ob Du das möglich + machen kannst, sei es durch Dich selbst oder durch Deinen Credit .... + + Es ist mir schwer gefallen, über diesen Punkt offen zu werden, und + ohne das Zureden Sophiens hätte ich es unmöglich gekonnt. Ich füge + weiter nichts hinzu, lieber Bruder, als daß jede Zeile, die ich Dir + heute schrieb, lautere nackte Wahrheit ist, und daß #ältere# Schulden + mich #keine# drückt noch ihrer mehr existirt. + +Auf diesen Brief erfolgte sofort in echt brüderlicher Weise Hülfe durch +Uebersendung einer ansehnlichen Summe. Brockhaus antwortete in einem +Briefe vom 18. September, dessen Anfang eine gemüthvolle Erinnerung an +seine Kinderzeit enthält: + + Woran erinnerst Du mich, lieber Bruder, durch die Erzählung Deiner + Reise zum guten lieben Onkel? An die auch für mich glücklichsten + Stunden meines Lebens, das damals so eben und heiter dahinfloß wie ein + rieselnder Bach! An die Jahre meiner Kindheit, meines Jünglingsalters, + die des jungen Mannes, wo ich, noch unbekannt mit den Täuschungen + des wirklichen Lebens, an der Pforte desselben stand und mit + hochfliegendem Sinne und Herzen, ach! die schönsten Hoffnungen von + der Zukunft und den Menschen überhaupt hatte und auch wol berufen und + geeignet war, sie haben zu dürfen. Damals ahndete ich den giftigen + Mehlthau nicht, der sich auf die Blume meines Lebens setzen und Jahre + lang desselben würde vergiften machen! O #die# Zeiten, lieber Bruder! + wie wir mit dem guten und geistvollen Onkel[29] dann durch die langen + und fruchtbaren Aecker und zwischen dem wogenden Meer der vollen sich + niedersenkenden Aehren einhergingen nach dem Kloster Welver, oder + nach Dinker oder zur Kirmeß -- ich weiß nicht wo, wie heitere und + seelenvolle Gespräche uns erquickten, ländliche Kost uns erfreute, wie + wir von Alt und Jung gegrüßt, ehrerbietig gegrüßt wurden, von allen + Menschen als Freunde behandelt und zärtlich gepflegt wurden. + + Mir ist der Onkel immer wie der ehrwürdige Pfarrer zu Grünau, von + dem Voß in seiner »Luise« ein so hinreißend entzückendes Gemälde + aufgestellt hat. Damals litt der gute Onkel immer viel, er war + kränklich und seinem Leben schienen nur noch kurze Tage zu harren. Es + freut mich unendlich, daß unsere Furcht sich darin nicht bewahrheitet, + und ich gebe noch keineswegs die Hoffnung auf, ihn noch einmal, ehe + er oder ich jene furchtbare Reise antreten, von der kein Wanderer + zurückkommt, an meine Brust zu drücken. Vielleicht ist diese Zeit + selbst näher als ich noch vor kurzem hätte denken können. Es ist + nämlich sehr wahrscheinlich, daß ich nächste Ostern selbst mit nach + Leipzig gehen werde. Unsere dortigen Geschäfte und Berechnungen, + Tausche, Einkäufe, Arrangements mit Druckereien, Papierhandlungen, + Autoren u. s. w. sind wichtig und mannichfaltig genug, um die Kräfte + eines Mannes alleine zu übersteigen und auch von zu bedeutenden + Folgen, um sie einem auch noch so guten Commis anvertrauen zu + können. Wenn es mir also nur irgend möglich ist, so habe ich zur + Absicht, alle Jahre, so Gott will, selbst Ostern nach Leipzig zu + gehen in Begleitung eines Gehülfen, der den mechanischen Theil des + Geschäftes und der Berechnungen besorgt. Ich habe zu einer solchen + Reise mehrere Reiserouten vor mir, werde aber gewiß, wenn meine + dortigen Angelegenheiten einmal in Ordnung sind, wofür ich möglichst + sorgen werde, zur Hin- oder Herreise immer die über Dortmund nehmen. + Bei Lesung Deines letzten Briefs, lieber Bruder, ist mir dabei der + Gedanke eingefallen, wie außerordentlich nützlich für Dein Geschäft, + erhebend für Deine Seele und stärkend für Deinen Körper es sein würde, + wenn auch Du es einrichtetest, alle Jahre einmal abwechselnd nach + Frankfurt oder Leipzig zu gehen, und wir dann vielleicht dann und wann + solche Reisen hin oder zurück zusammen machen könnten. Der Gedanke, + theuerster Bruder, ist mir so ausführbar vorgekommen, daß ich ihn gar + nicht loswerden kann! und doch ist es mir zu reizend, als daß ich es + mir wieder zu schmeicheln wagen mag, daß er wirklich werde ausgeführt + werden .... + + Zu meinem jetzigen Geschäfte, wie es jetzt geht, bedarf ich + durchaus noch einiger Fonds, und es ist nicht dem allermindesten + Zweifel unterworfen, daß, wenn ich nur noch so viele habe, als ich + oben gedachte, es mir möglich sein wird, dasselbe auf einen solchen + Fuß zu halten und zu setzen, daß für mich und meine Familie die + segensreichsten Folgen daraus entstehen werden. Die Zeiten der + Chimären und der Luftschlösser sind bei mir vorbei: was ich jetzt thue + und treibe, beruht auf dem sichersten Calcul. Nur der sehr gute Erfolg + mehrerer unserer Unternehmungen hat übrigens auch nur diese noch + nöthige Alimentation veranlaßt, da wir nicht im Stande sind, diese + Unternehmungen aufzuhalten, die Fonds dafür aber erst im nächsten + Jahre u. s. w. eingehen. So müssen wir von Villers' Briefe über Lübeck + schon wieder zwei neue deutsche und französische Auflagen machen, + ob wir gleich viele Tausend von der ersten haben drucken lassen. So + von einem französischen Handbuche für Reisende durch Deutschland + ebenfalls schon wieder die zweite Auflage, obgleich die erste von + 2000 Exemplaren erst im Januar und Februar erschienen. So ist das + Glück, das die »Vertrauten Briefe« machen, woran ich ein Viertel habe, + außerordentlich. Aber diese glücklichen Unternehmungen erfordern + gerade deswegen Nachschüsse, worauf ich nicht gerechnet, und die, + da wir im Laufe des Jahres so wenig einnehmen, mich sehr _en peine_ + setzen für den Rest des Jahres, besonders da es hier platterdings + gar keine Ressourcen für mich gibt, und ich Alles und Alles aus mir + selbst schöpfen muß. Es sind indessen keine großen Summen, deren ich + jetzt bedarf, und mit einigen tausend Gulden, die ehemals ein Tropfen + im Eimer gewesen wären, kann ich über die kleinen Sorgen nun alle + wegkommen. Und doch drücken solche außerordentlich und sie müssen auf + immer weggeräumt werden. + +Darauf folgt, unter herzlichem Danke für das zunächst Gewährte, die +Bitte um eine weitere größere Summe, die er bestimmt im nächsten Jahre +zurückerstatten will: »Du könntest darauf wie auf Deine Existenz +rechnen!« Er schließt: + + Du kennst nun meine Sorgen und meine Hoffnungen alle. Vertraue, + vertraue auf mich. Mein Dank, Sophiens Dank, unser Aller Dank wird + Dich für alles Gute, was Du uns schon gethan, Du allein uns gethan, + bis zum letzten Odemzuge begleiten .... Wir Alle grüßen euch Alle + tausendmal. + +Als auf diesen Brief eine abschlägige Antwort kam, weil der Bruder, +trotz seiner steten Bereitwilligkeit zu helfen, diesmal die Bitte +nicht erfüllen konnte, entschloß sich Brockhaus' Frau ohne Vorwissen +ihres Mannes nochmals an den Schwager zu schreiben. Ihr Brief, einer +der wenigen, die von ihr erhalten sind, gibt ein treues Bild ihrer +einfachen, aber gediegenen und gesunden Natur. Das im Eingang des Briefs +erwähnte sechste Kind, Max, war wenige Monate vorher, am 19. Juni 1807, +geboren worden; es starb übrigens nach kaum drei Jahren, im März 1810, +in Dortmund. Sie schreibt aus Amsterdam vom 29. September 1807: + + Lieber Herr Bruder! + + Ich schreibe Ihnen diesen Brief ohne Vorwissen meines guten + Brockhaus; dieser ist auf Comptoir, und ich sitze hier im Kreise aller + meiner Sechse, Max schläft eben, und das Kindermädchen mag sehen, + wie sie ein halb Stündchen mit den übrigen fertig wird, denn ich muß + absolut mit Ihnen sprechen. + + Daß es uns gut geht, daß wir zufrieden sind, daß Brockhaus in + seinen Geschäften glücklich ist, sich glücklich darin fühlt, daß wir + bei dem schrecklichen Lauf der Weltbegebenheiten und der Zernichtung + des englischen Handels hier (für den, der nicht über große Fonds zu + disponiren hat) sehr froh sind, die Trümmer unsers Vermögens in ein + Geschäft gerettet zu haben, das, wenn es, wie es scheint, mit dem + Glücke fortgeht, als es angefangen wurde, uns ein redliches Bestehen + sichern wird -- dies Alles, werthester Bruder, wissen Sie wohl und + gewiß von Brockhaus. Aber Brockhaus findet gerade jetzt in dem guten + Fortgange seines Geschäfts Veranlassung zu Sorgen, auf die er nicht + gefaßt war und die ihn erstaunlich angreifen, da er sich möglich + denkt, daß, wenn er gar nicht im Stande wäre Hülfe zu finden, alle + unsere guten Aussichten wieder zusammenfallen, er seinen unbegrenzten + Credit in Leipzig, den er sich so mühsam angebaut, verlieren, und wir + Alle dann eigentlich unglücklich werden könnten. Sie wie ich würden + ihm hier dann die Erinnerung machen können, daß er sich nach seinen + Mitteln hätte einschränken müssen; allein er bemerkt darauf, daß sich + das nicht auf ein paar tausend Gulden im ganzen Jahre lang berechnen + ließe &c. Das kann ich auch nicht beurtheilen. Aber die Sache ist, + daß hier in Brockhaus seinem Geschäft Alles auf Jahresrechnung geht, + er aber Vieles beständig bezahlen muß, Frachten, Papier, Druckerlohn + &c. beständig viel Geld wegnehmen, und daß Brockhaus, um Credit zu + kriegen, Vieles hat prompt bezahlen müssen, wo er in Zukunft Credit + haben wird -- kurz, Brockhaus hat für den Lauf dieses Jahres noch ein + paar tausend Gulden zu bezahlen, wozu er hier keine Aussicht hat, + um sie in diesem Jahre anschaffen zu können. Wir leben erstaunlich + eingezogen, haben fast mit keinem Menschen Umgang, und wo wir + Freundschaft mit haben, die haben keine Mittel, worüber sie disponiren + können, und in Amsterdam muß man nicht mit Geldfragen kommen: eine + kalte abschlägige Antwort ist, was man zu erwarten hat, und ihre + Achtung und Freundschaft, ja gar Vertrauen -- Alles ist weg. + + Brockhaus hat sich also, lieber Bruder, in seinen Sorgen um die paar + tausend Gulden, die ihm die Kohlen auf den Fuß legen, an Sie gewendet, + weil er hoffte, daß Sie in Ihrem Verhältnisse eher Rath dazu schaffen + könnten und aus Liebe für uns Alles thun würden, was in Ihren Kräften + wäre. Schrecklich war daher gestern seine Täuschung, als Ihr Brief + ihm sagte, daß Sie jetzt nicht könnten. Der Himmel weiß es, wie er es + machen wird, da ich weiß, daß er in acht Tagen schon ein paar Wechsel + bezahlen muß und im nächsten Monat Alles gebraucht. Mir ist also + eingefallen, ob Sie in Verbindung und in Ueberlegung mit Luise[30] und + Rittershaus die doch nicht gar große Summe zusammenbringen könnten. + Rittershaus hat Vermögen und Credit, und ich vertraue auf Luise, + daß sie etwas auf Rittershaus vermag und er ihr und mir eine solche + Gefälligkeit nicht abschlagen werde. Ich weiß auch, daß Brockhaus + im Stande ist, es ihm nöthigenfalls im Januar oder zur Ostermesse + wieder zurückzugeben, vielleicht könnte er ihm Kleie dafür senden. + Das Wenige, was mir früher oder später zufallen wird, gebe ich auch + gern bis zum Ersatz. Ueberlegen Sie es also mit Luise. Thun Sie, was + Sie können, Sie machen mich dadurch zum glücklichsten Weibe. Ich habe + nicht nöthig, Ihnen zu erinnern, daß es mir lieb sei, wenn darüber + kein Gerede entstehe. An Luise schreibe ich nur ein paar Zeilen, + Sie werden die Güte haben, sie von der wahren Lage der Sachen zu + unterrichten, daß es nicht Mangel überhaupt ist, sondern Verlegenheit + gegen Ende des Jahres und unvorhergesehene starke Ausgaben und da + wir keine Ressourcen haben. O wie glücklich würde ich sein, wenn der + nächste Posttag mir sagte, daß Sie etwas für uns thun könnten -- Ihr + Herz bürgt mir für Ihren Willen. + + Nicht mit ganz frohem Herzen sage ich Ihnen Lebewohl. An Lottchen + und Papa tausend Grüße. Ich bin Ihre Sie hochschätzende Schwester + + Sophie Brockhaus. + +Ob ihre Bitte Erfolg hatte, geht aus den wenigen aus dieser Zeit +erhaltenen Briefen nicht hervor, doch ist es wahrscheinlich, da in den +nächsten Monaten von finanziellen Verlegenheiten nicht weiter die Rede +ist. + + + + + 5. + + Reisen zur leipziger Buchhändlermesse. + + +Bei der Bedeutung und Ausdehnung, die Brockhaus' buchhändlerisches +Geschäft rasch erlangt hatte, war es (wie er auch unterm 18. September +1807 seinem Bruder schrieb) seine bestimmte Absicht, alljährlich Ostern +zur Buchhändlermesse nach Leipzig zu reisen. Ein Besuch derselben war zu +jener Zeit noch wichtiger als er es gegenwärtig ist, besonders für den +Besitzer eines neuerrichteten Geschäfts; auch hatte er bereits vielfache +geschäftliche Beziehungen in Leipzig, deren Pflege und Erweiterung ihm +am Herren lag; endlich freute er sich darauf, die Stadt wiederzusehen, +in der er als junger Mann eifrigen Studien obgelegen und wol zuerst den +Entschluß gefaßt hatte, selbst einmal den Buchhändlerstand zu wählen. + +Im Frühjahr 1808 hoffte er den langgehegten Plan zum ersten male +ausführen zu können, allein seine Hoffnung wurde wieder vereitelt. +Kurz nach der Michaelismesse 1807 hatte er plötzlich denjenigen +Gehülfen verloren, der, wie er in einem Circulare sagt, »zeither +unser schnell wichtig gewordenes deutsches Sortimentsgeschäft allein +besorgt und dirigirt hatte«; es war der in seinem Briefe vom 25. +August 1807 erwähnte Gehülfe, der im Herbst 1806 aus Hannover in +das Geschäft getreten war und in der Ostermesse 1807 das Kunst- und +Industrie-Comptoir in Leipzig vertreten hatte, doch ist uns weder sein +Name noch der Grund seines plötzlichen Wiederaustritts aus dem Geschäfte +bekannt. Brockhaus engagirte zwar sofort einen andern Gehülfen, Namens +Zinkernagel, der bisher in der Buchhandlung von Heinsius in Leipzig +angestellt gewesen war, schloß mit ihm nach damaliger Sitte sogar +einen Contract ab und schickte ihm Reisegeld sowie einen Vorschuß; +aber statt des sehnlichst erwarteten Gehülfen traf im Februar 1808 +ein Brief von dessen bisherigem Principale ein, worin dieser bat, ihm +denselben ganz oder wenigstens noch bis zur Ostermesse zu lassen, +wo er dann ja zugleich die Geschäfte seines neuen Hauses besorgen +könne. Brockhaus lehnte unterm 29. Februar diese »Zumuthung«, die ihm +»sehr auffallend und befremdend« sei, mit der ihm eigenthümlichen +Bestimmtheit und Offenheit ab, indem er dem Briefe an Heinsius in einem +Gemisch von Ironie und Zorn hinzufügte: »So vielen Antheil wir auch +an Ihrer persönlichen Wohlfahrt und an dem regelmäßigen Gange Ihrer +Geschäfte immerhin nehmen, so kann dieser Antheil sich doch nicht so +weit erstrecken, daß wir darum unsere eigene Wohlfahrt aufopfern und +unsere nicht unbedeutenden Geschäfte nur in Wirrwarr sich auflösen +lassen sollen. Es entspricht ebensowenig der Lage unserer Geschäfte, +Herrn Zinkernagel die Ostermeßgeschäfte thun zu lassen und ihm oder +Ihnen zuzugestehen, daß er in Erwartung derselben einstweilen dorten +bleibe. Der Chef unserer Handlung wird selbst diese Messe besuchen, und +geschieht das nicht, so werden wir diejenigen Maßregeln nehmen, die uns +am zweckmäßigsten dünken. Wir geben heute Herrn Zinkernagel wiederholt +auf, ohne Verzug eines einzigen Tags seine Reise hierher anzutreten.« +Trotz alledem scheint Zinkernagel gar nicht nach Amsterdam gekommen zu +sein. + +Nur wenige Wochen nach diesem Briefwechsel, am 12. April, schreibt +Brockhaus an den Buchhändler Heyse in Bremen: er habe von Herrn +Culemann in Hannover gehört, daß sich bei ihm ein junger Mann befinde, +der sich zum Gehülfen in seiner Handlung eigne, und bitte ihn um +Auskunft über denselben; er stehe zwar bereits mit einem andern in +Unterhandlung, diese werde sich aber wahrscheinlich zerschlagen. Heyse +scheint dem jungen Manne ein gutes Zeugniß gegeben zu haben, denn am +30. April meldet Brockhaus wieder an Heyse, daß er ihn engagire. Der +Betreffende kam denn auch wirklich nach Amsterdam. Es war dies Friedrich +Bornträger, der spätere Verlagsbuchhändler in Königsberg; er blieb +drei Jahre lang bei Brockhaus und wurde während dieser Zeit dessen +Vertrauter, sodaß wir ihm fortan viel begegnen werden. + +Leider konnte auch er nicht sofort, sondern erst im Sommer seine Stelle +antreten, wahrscheinlich weil Heyse ihn nicht eher entbehren konnte. +Brockhaus schreibt darüber an Letztern: + + Nun, es sei denn, haben wir uns seit 4-5 Monaten durchgeschlagen + und darüber sogar die Messe versäumen müssen, so mag es denn auch + noch 4 _à_ 5 Wochen hingehen. Aber wir rechnen auf Ihr Wort auf das + unbedingteste, daß Herr Bornträger am 12. Juni von Bremen abreisen + kann. Wir machen darüber nicht weiter viele Worte. Ein Wort für + hundert. + + Wir wünschen Ihnen die beste Reise zur Messe, und bedauern wir nur, + daß durch das Ausbleiben unsers engagirten Gehülfen es uns persönlich + reine Unmöglichkeit geworden ist, ebenfalls die Messe zu besuchen, da + wir in jeder Hinsicht so nothwendig dorten wären. Ob wir gleich Herrn + Reclam gefunden haben, der unsere Meßgeschäfte wahrnehmen will, so + kann er es doch nur halb. Vieles muß ganz versäumt werden, Vieles muß + noch besorgt werden, das für Herrn Bornträger seine erste Arbeit sein + muß. + +An Bornträger selbst meldet er unterm 27. Mai, daß er ihm einige seiner +letzten Kataloge mit Gelegenheit nach Aurich geschickt habe, und fügt +folgende Worte hinzu, aus denen hervorgeht, wie er jede Gelegenheit zum +Weiterausbau seines Geschäfts benutzte: + + Nehmen Sie solche in Empfang und machen Sie davon auf Ihrer + Hierherreise den möglichst nützlichsten Gebrauch. Da Ostfriesland + jetzt zu Holland gehört, mithin von dort viele Berührungen mit + Amsterdam, als dem Sitze des Gouvernements, Platz haben werden, wo + der reiche Adel hierhin zu Aemtern und Ehrenstellen gezogen wird und + manche andere Connexion stattfinden wird, so könnte Ostfriesland auch + für uns nicht ganz ohne Bedeutung werden. Früher haben wir dies sonst + nicht ambitionirt, weil damals Bremen und Hannover passender war. + +In der Besorgniß, daß der junge Mann sich deshalb zu lange unterwegs +aufhalten könne, warnt er ihn übrigens sofort, dies ja nicht zu thun, +und schließt: + + Wie gedenken Sie Ihre Reise hierhin zu machen? Und wann werden Sie + abreisen? Wir erwarten Sie mit dem lebhaftesten Verlangen und sind + Ihnen mit Freundschaft zugethan. + +Der Gebrauch des »wir« statt »ich« selbst in solchen Briefen +persönlicher Art erklärt sich daraus, daß Brockhaus in dieser Zeit alle +Briefe, auch eigenhändige, mit der Firma »Kunst- und Industrie-Comptoir« +unterschrieb und nur bisweilen noch seinen Namen hinzufügte. + +Daß er nicht nach Leipzig zur Messe kommen könne, zeigte er dem +Buchhandel in einem vom 24. April aus Amsterdam datirten Circulare +ausdrücklich an, vermuthlich, weil er schon Vielen sein Hinkommen +in Aussicht gestellt hatte. Er erwähnt darin, wie gegen Heyse, daß +auf seine Bitte Herr Karl Heinrich Reclam sich entschlossen habe, +diesmal für das Kunst- und Industrie-Comptoir zu rechnen und das ganze +Meßgeschäft zu besorgen. Daß Herr Gräff, sein bisheriger leipziger +Commissionär, dies nicht besorge, erklärt er damit, daß »unsere +Meßgeschäfte seinen ganzen Mann erfordern und Herr Gräff so sehr +mit eigener Arbeit überhäuft ist, daß wir diesem die unserige mit +wahrzunehmen nicht zumuthen konnten«; doch wird dies wol nur eine der +bei einem Wechsel des Commissionärs auch heutzutage noch üblichen +Höflichkeitsphrasen gewesen sein und der wahre Grund in Differenzen mit +Gräff gelegen haben. Zugleich kündigt er an, daß er in Ansehung der +ihm für sein Sortimentsgeschäft zu sendenden Neuigkeiten nothgedrungen +»eine neue Ordnung einführen« müsse; er erhalte zu viel für ihn unnütze +Artikel, werde deshalb künftig nach dem Meßkataloge selbst wählen und +bitte daraus einen Maßstab für seine Bedürfnisse außer den Messen zu +entnehmen. Dann fährt er fort: + + Bei der ununterbrochenen Aufmerksamkeit, die wir auf Alles haben, + was in Deutschland erscheint, entgehen uns ohnehin diejenigen + Artikel nicht leicht, welche wir hier besonders gebrauchen können. + Wir interessiren uns für die Verbreitung der deutschen Literatur + in Holland auf das lebhafteste, wie Ihnen nach dem Maße unsers + seitherigen Bedürfnisses bei so kurzer Dauer unsers Etablissements + schon wird bemerkbar gewesen sein. Jetzt, da unsere Stadt noch zur + königlichen Residenz erhoben worden ist, da sich das Gouvernement + und das diplomatische Corps ebenfalls hierher begibt, jetzt haben + wir bei unserer Thätigkeit Aussicht, daß unsere Geschäfte sich noch + bedeutend heben werden, besonders wenn wir einmal Frieden mit England + bekommen sollten. Uns in diesem Bestreben zu unterstützen, ist unsere + ergebenste Bitte an Sie. Wir werden uns bemühen, Ihnen dadurch selbst + nützlich zu werden, und Ihr Vertrauen gebührend zu achten wissen. + +Dem Circulare ist ein Verzeichniß seiner »Novitäten zur Ostermesse +1808«, der in seinem Verlage neu erschienenen und, wie damals üblich, +auf die Messe mitgebrachten Werke, beigefügt. Auch zahlreiche +»Commissionsartikel« werden dabei vorgeführt, meist Verlagsartikel +holländischer Buchhändler, darunter auch »der Schenkische Atlas von +Sachsen«, und Musikalien, mit der Bemerkung, daß das Kunst- und +Industrie-Comptoir es »gern übernehme, alle in Holland herausgekommenen +und herauskommenden Bücher zu besorgen, wenn solche noch im Buchhandel +zu haben« -- ein Zeichen, daß Brockhaus sein Geschäft nach allen +Richtungen hin ausdehnte und ihm namentlich immer mehr einen +internationalen Charakter zu geben suchte. + +Unter den »gegen Ende des Jahres erscheinenden Neuigkeiten« werden in +dem Circulare zwei Werke aufgeführt, die später weder bei ihm noch +unsers Wissens überhaupt erschienen sind: ein »Lehrbuch des Staatsrechts +des Rheinischen Bundes« von Hofrath und Professor Seidensticker in +Jena und eine »Deutsche und französische Encyklopädie für die Jugend +gebildeter Stände, in einem dreijährigen Cursus zum Unterricht in den +nöthigsten Vorkenntnissen und zur Beförderung der Fertigkeit, beide +Sprachen verstehen, schreiben und sprechen zu lernen«, von Hofrath und +Professor C. G. Schütz in Halle. Ueber letzteres Werk finden sich auch +zwei Briefe von Brockhaus an Schütz, in deren erstem (vom 22. Februar +1808) er den nähern Plan und einige Proben der ihm zuerst von Schütz +angebotenen Encyklopädie verlangt, während er in dem zweiten, ein volles +Jahr später (am 8. Mai 1809) geschriebenen, kurz sagt, daß er jetzt auf +die Anerbietung nicht eingehen könne. Charakteristisch ist die Vorsicht, +mit der er gleich anfangs das Anerbieten beantwortet: + + Wenn das Werk nur nicht zu bändereich werden sollte, was wir bei + unsern Unternehmungen gar nicht lieben, und es in nicht langer Zeit + kann complet geliefert werden, Ew. Wohlgeboren uns auch in Rücksicht + des Honorars nur sehr billige Bedingungen machten und der Plan + übrigens unsern Beifall erhielte, so dürften wir vielleicht auf die + Anerbietung eingehen. + +Noch interessanter für uns ist aber folgende Stelle desselben Briefs: + + Wir erlauben uns bei dieser Gelegenheit die Anfrage: ob nicht das + von Ew. Wohlgeboren schon seit geraumer Zeit angekündigt gewesene + Lehrbuch über encyklopädische Literatur bald erscheinen werde? + Schreiber Dieses erinnert sich mit sehr vielem Vergnügen einiger + Vorlesungen, die er vor etwa 10 Jahren bei einer Reise durch Jena + hierüber von Ew. Wohlgeboren hörte, und war es, glaubt er, schon + damals ein allgemeiner Wunsch, einen gedruckten Grundriß zu diesem + von Ew. Wohlgeboren jährlich wiederholten Cursus zu besitzen; seitdem + ist derselbe, wenn wir nicht irren, mehrmalen in den Meßkatalogen + angekündigt worden, aber, soviel wir wissen, immer nicht erschienen. + Sollten von seiten der Verlagshandlung Schwierigkeiten dabei + stattfinden, so würden wir uns darüber mit Ew. Wohlgeboren zu einigen + wünschen. + +Der hier erwähnte kurze Besuch in Jena hatte jedenfalls 1794 oder 1795 +während Brockhaus' Aufenthalts in Leipzig zu seiner Ausbildung oder nach +Beendigung desselben auf der Rückreise nach Dortmund stattgefunden; +er benutzte also die wenigen Tage seines Aufenthalts in Jena zum +Besuche der Vorlesungen des damals sehr angesehenen Hofraths Schütz und +wahrscheinlich noch anderer Professoren: ein neuer Beweis seines schon +damals regen Interesses für Literatur und Wissenschaft. + +Gleich in dieser ersten Zeit seiner Verlegerthätigkeit begnügte sich +Brockhaus nicht damit, die Manuscripte einfach so abzudrucken, wie sie +ihm von den Verfassern zukamen, vielmehr prüfte er sie genau und wirkte +oft auf ihre Abänderung hin. So sagt er in einem Briefe an Legationsrath +Bertuch in Weimar vom 12. Juli 1808, mit welchem er diesem das +Manuscript des (ebenfalls in Weimar lebenden) Freiherrn von Groß über +die Kriegsgeschichte der Jahre 1792-1808 zum Druck schickte: + + Wir schreiben dem Herrn Verfasser heute weitläuftiger über Titel, + Form und Inhalt, welche unsere Bemerkungen er Ihnen zur gefälligen + Mitbeurtheilung communiciren wird. Der Inhalt und der Plan wie die + ganze Idee des Werks hat unsern Beifall und wir haben daran nichts + oder wenig zu erinnern. Die Form und der Stil aber ist nicht so, wie + er sein könnte und wie er im jetzigen Zeitalter gefordert wird. Es + könnte diesem aber ohne besondere Mühe nachgeholfen werden, wenn vor + dem Drucke ein guter Stilist das Manuscript revidirte und hin und + wieder wegschnitte oder nachhülfe. Sie würden uns unendlich verbinden, + wenn Sie dazu Jemanden auffinden wollten. Wir verstehen uns gern zu + einer billigen Vergütung. Zum Titel haben wir dem Herrn Verfasser + zwei Vorschläge gemacht. Prüfen Sie solche gefälligst. Wir lassen uns + gerne sagen ..... Wir empfehlen Ihnen das Werk des Herrn von Groß + so, als wäre es Ihr eigenes. Dies ist genug gesagt. Rechnen Sie auf + unsern Dank und unsere Erkenntlichkeit. Es wird nicht möglich sein + wahrscheinlich, Ihnen in den ersten vier Wochen darüber näher zu + schreiben, da Schreiber dieses wahrscheinlich in der andern Woche nach + Paris reisen muß, indem wir mit einer französischen Buchhandlung wegen + Ueberlassung der Massenbach'schen Memoiren (im Manuscript) zu einer + französischen Uebersetzung in Unterhandlung sind, was auch mit Philips + in London der Fall ist. Handeln Sie darum in zweifelhaften Fällen nach + bester eigener Einsicht. Alles, was Sie thun, ist und wird wohlgethan + sein. Michaelis muß nur Alles fertig sein. Bei irgendeiner Möglichkeit + kommt Schreiber dieses zu Michaelis nach Leipzig. Die Verhältnisse + unserer Handlungen werden gewiß zu Ihrer Zufriedenheit auseinander- + und fortgesetzt werden. + +Ueber die Massenbach'schen Werke sagt er noch in demselben Briefe: + + Vom Obersten von Massenbach haben wir nun sein Tagebuch, seine + Memoiren von 1787 bis 1807 und Rückerinnerungen an große Männer + übernommen: ohne Zweifel mit die interessantesten Werke, welche über + die neuere Geschichte seit zwanzig Jahren sind bekannt gemacht worden. + Das bei Sander von Massenbach angekündigte Werk erscheint nicht und + wird in eins dieser verschmolzen. Die in Berlin gestochenen Karten + und Pläne, von denen schon sechs fertig sind, werden Ihnen als Kenner + viele Freude machen. Wir haben in Deutschland noch nichts von gleicher + Vollendung gesehen. + +Die mit einer französischen Handlung (Treuttel & Würtz in Paris) +angeknüpften Verhandlungen wegen einer Uebersetzung oder Bearbeitung der +Massenbach'schen Memoiren zerschlugen sich übrigens, und infolge dessen +unterblieb auch vorläufig die Reise nach Paris. + +Brockhaus reiste dagegen im Herbst 1808 zur Michaelismesse nach Leipzig; +es war das erste mal, daß er diese Stadt als Buchhändler besuchte, +damals wol nicht ahnend, daß er daselbst einen großen Theil der nächsten +Jahre, während sein Geschäft noch in Amsterdam war, zubringen und später +selbst mit seinem Geschäfte, nach einer kurzen Zwischenperiode in +Altenburg, bleibend dahin übersiedeln werde. + +Die Michaelismesse in Leipzig hatte damals für den Buchhandel eine +größere Wichtigkeit als jetzt, wo sie nur noch den Endtermin für die in +der Ostermesse nicht vollständig erledigten Zahlungen bildet. Brockhaus +wollte seine zu Ostern dieses Jahres unmöglich gewordene Reise nach +Leipzig nicht wieder bis zur Ostermesse des nächsten Jahres aufschieben, +weil es ihm nach dem im Juni erfolgten Eintritte des neuen Gehülfen +Bornträger eher möglich war, sich auf einige Wochen von Amsterdam zu +entfernen, und außerdem der Stand seiner Angelegenheiten in Leipzig eine +persönliche Anwesenheit daselbst dringend nöthig machte. + +Der dortige neue Commissionär Reclam hatte nämlich die ihm übertragenen +Meßgeschäfte durchaus nicht zu Brockhaus' Zufriedenheit besorgt. Ohne in +diesem Falle, wie in manchem ähnlichen, uns auf die eine oder die andere +Seite der streitenden Parteien zu stellen -- wozu die noch vorhandenen +Actenstücke meistens auch nicht ausreichen -- suchen wir die Sachlage +möglichst objectiv darzulegen. + +Brockhaus veröffentlichte sofort nach seiner Ende September erfolgten +Ankunft in Leipzig ein Circular, datirt Leipziger Michaelismesse 1808, +dem wir Folgendes entnehmen: + + Der Chef unserer Handlung, Herr Brockhaus, findet bei seiner + Ankunft in Leipzig zur Messe ein Circular des Herrn Reclam vor, worin + sich dieser Mann über die Vorwürfe, die wir ihm privatim wegen der + Besorgung unserer Geschäfte gemacht haben, öffentlich verantwortet. + Die Pflichten, die wir gegen unsere Handlung haben, erlauben es uns + nicht, zu diesem so ungewöhnlichen Circulare des Herrn Reclam ganz zu + schweigen, ob wir gleich glauben, daß Herr Reclam durch den Charakter + dieses seines Circulars gerade unsere Vertheidigung führe, da es nicht + auffallen kann, daß man mit Jemandem, dessen Seele sich so ausspricht, + als hier in diesem Circulare geschieht, leicht zerfallen könne und + mit ihm nicht gut zu leben und zu wirken sein müsse. Hier jedoch eine + kurze Erwiderung. + +Darauf folgt zunächst eine Erzählung der uns bereits bekannten Umstände, +daß er seit der Michaelismesse des vorigen Jahres seinen bisherigen +Gehülfen verloren habe u. s. w.; »noch nicht an das Mechanische dieses +Geschäfts gewöhnt und im Gedränge unserer sonstigen mannichfaltigen +Arbeiten, konnte es nicht anders sein, als daß in der Zwischenzeit +von Michaelis bis Ostern Manches nicht mit der Ordnung besorgt werden +konnte, die allerdings strenge genommen gefordert werden kann.« Er +habe trotzdem Ende April die Meßstrazzen an Reclam sowie die Noten der +Remittenden gesandt und ihn dadurch in den Stand gesetzt, wenigstens mit +allen Handlungen rechnen zu können. Dies sei aber großentheils nicht +geschehen und darüber ein Briefwechsel entstanden, »der von unserer +Seite vielleicht nicht ohne Heftigkeit (!), von der Seite des Herrn +Reclam mit roher Plumpheit (!) geführt wurde«. Leider ist dieser gewiß +auch für Brockhaus charakteristische Briefwechsel unsers Wissens nicht +erhalten, und ebenso wenig war es uns möglich, das betreffende Circular +Reclam's zu erhalten, dessen Fehlen uns verhindert, auch die andere +Partei zu hören. + +Brockhaus fährt fort: + + Wir eilten nun, alle Verhältnisse mit ihm abzubrechen, und wir + drangen mit Ungestüm auf Abrechnung und auf das Zurücksenden der + Bücher. Erstere erfolgte endlich gegen Ende Juli. Unser Soll und + Haben glichen sich ganz aus. Die Bücher aber haben wir erst den 9. + September, also vier Monate nach der Ostermesse, zurückerhalten!! + Diese unerhörte Vernachlässigung war für uns um so empfindlicher, da + wir, wie schon gesagt, ohne alle und jede detaillirte Berichte von + Herrn Reclam geblieben waren und wir uns ganz außer Stand gesetzt + sahen, irgendetwas zu unternehmen, was die Ausgleichung der offen + gebliebenen Contis _pro_ und _contra_ hätte befördern können. Daß + wir uns hierüber mit Nachdruck geäußert haben, wird Jeder begreifen, + der sich in unsere Lage hineindenken will, da durch die Folgen des + Betragens und der Geschäftsführung des Herrn Reclam sich unser ganzes + Sortimentsgeschäft aufzulösen drohte. Die Entschuldigungen des Herrn + Reclam, oder die Invectiven vielmehr, womit er uns zu überschütten + beliebt, sind ohne allen Grund: er war unser Commissionär, nicht + unser Chef. Er mußte entweder unser Geschäft nach unsern Angaben und + Aufträgen ausführen, oder -- es gleich #abgeben#. Dies hat er nicht + gethan; wir sind gezwungen gewesen, es ihm zu #nehmen#. + + So weit unsere Antwort durch #Worte#. Jetzt die durch die #That#. + Wir haben am 9. September unsere Bücher zurückerhalten. Zwölf Tage + nachher ging der Chef unserer Handlung schon wieder nach Leipzig. Es + war natürlich unmöglich, in dieser Zwischenzeit von Hause aus etwas + zur finalen Ausgleichung der für und gegen offenstehenden Rechnungen + zu thun. Es wird dies jetzt zur Messe geschehen: wir werden alle noch + restirenden Saldi rein und baar abbezahlen, sollte auch an uns, die + weit mehr zu empfangen als zu zahlen hatten, kein einziger Pfennig + hier eingehen. + + Jetzt beurtheile jeder rechtliche Mann das Betragen des Herrn Reclam + gegen uns, und Ton und Farbe seines Circulares! + + Wir haben uns hier an eine trockene Darstellung der Thatsachen + gehalten; wir achten uns zu sehr, um die Invectiven des Herrn Reclam + mit gleichen zu beantworten. Wir trauen es auch wenigstens seinem + eigenen Verstande zu, daß er -- um uns hier milde auszudrücken -- + seine Leidenschaftlichkeit und Unvorsichtigkeit erkennen, und darüber + nicht ohne Schamgefühl bleiben werde. + +Wie die Angelegenheit mit Reclam geordnet wurde, ist uns nicht bekannt; +wir wissen nur, daß zunächst der Buchhändler Johann August Gottlob +Weigel an Reclam's Stelle die leipziger Commission für Brockhaus +übernahm. Letzterer sagt in dem ersten aus Leipzig an Bornträger nach +Amsterdam geschriebenen Briefe vom 4. October: »Ich habe meiner Frau +über die wichtigsten Angelegenheiten direct geschrieben; sie wird +Ihnen das mittheilen, und ich beziehe mich darauf, um mich nicht zu +wiederholen, wozu es mir an Zeit fehlt.« Dieser Brief an seine Frau ist +aber leider nicht mehr vorhanden. + +Dagegen ist von dieser ersten Geschäftsreise nach Leipzig ein Actenstück +erhalten, dessen Gegenstand von der größten Wichtigkeit für sein ganzes +Leben wurde: der Contract über den Ankauf des »Conversations-Lexikon«. + +Brockhaus ist nicht sozusagen der »Erfinder« des +»Conversations-Lexikon«, wie Viele meinen; es hat vor seiner Zeit in +der deutschen wie in mancher andern Literatur ähnliche Werke gegeben, +und selbst dasjenige »Conversations-Lexikon«, das zum Grundstein seines +nach harten Schicksalsprüfungen endlich festbegründeten Hauses wurde und +seitdem den Mittelpunkt der umfassenden Verlagsthätigkeit desselben +gebildet hat, ist nicht von ihm selbst begonnen worden, sondern war in +der ersten Auflage bereits fast ganz vollendet, als er es ankaufte, +wie auch der Name »Conversations-Lexikon« nicht von ihm herrührt. Und +dennoch ist er als der eigentliche Begründer des Werks anzusehen und +gilt auch in der deutschen Literatur mit Recht als solcher, da er erst +durch seine Energie, Intelligenz und Umsicht dasselbe zu dem machte, +was es für ihn, für sein Geschäft und für die Welt geworden ist. Wenn +es überhaupt bei buchhändlerischen Unternehmungen viel weniger auf die +erste Idee, als auf die geschickte und praktische Ausführung derselben +ankommt, so trifft dies besonders in diesem Falle zu. + +Dasjenige Werk, welches in den Verlagskatalogen der Firma F. A. +Brockhaus als die erste Auflage ihres »Conversations-Lexikon« +bezeichnet ist, mit den spätern Auflagen desselben aber nicht viel mehr +noch als den Titel gemein hat, wurde im Jahre 1796 unter dem Titel: +»Conversations-Lexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen +Zeiten«, begonnen. Der (übrigens nicht genannte) Herausgeber war ein +sonst nicht weiter bekannter _Dr._ Renatus Gotthelf Löbel in Leipzig +(geb. 1. April 1767 zu Thallwitz bei Eilenburg, gest. 14. oder 4. +Februar 1799 zu Leipzig), der Verleger Friedrich August Leupold +daselbst. In der Vorrede ist gesagt: Vor 30, 40 Jahren habe Hübner's +»Zeitungs- und Conversations-Lexikon« hingereicht, das Bedürfniß +nach politischen Kenntnissen, die damals fast allein Gegenstand der +Conversation gewesen, zu befriedigen; jetzt aber, wo »ein allgemeineres +Streben nach Geistesbildung, wenigstens nach dem Scheine derselben« +herrsche, sei »ein dem gegenwärtigen Umfange der Conversation +angemessenes Wörterbuch« nothwendig. Am Schlusse heißt es, daß der +Verleger, um auch das »schöne Geschlecht« auf das Werk aufmerksam +zu machen, dasselbe auch unter dem Titel: »Frauenzimmer-Lexikon zur +Erleichterung der Conversation und Lectüre«, ausgeben werde, doch +scheint dies nicht geschehen zu sein. In den Jahren 1796-1800 erschienen +die vier ersten Theile, also kaum jedes Jahr ein Theil. Das Werk war +damit erst bis zum Ende des Buchstaben R gediehen und schien unvollendet +bleiben zu sollen. Endlich, nach einer Pause von sechs Jahren, 1806, +wurde der fünfte Theil bei einem andern Verleger, Johann Karl Werther +in Leipzig, und wieder zwei Jahre später, 1808, abermals bei einem neuen +Verleger, Johann Gottfried Herzog in Leipzig, der sechste und letzte +Theil veröffentlicht. Vor der Ausgabe desselben hatte indeß bereits +Brockhaus das Werk gekauft, jedoch nicht von dem letzten, auch auf dem +Titel genannten Verleger Herzog, sondern von dem Buchdrucker Friedrich +Richter in Leipzig. Dieser, der Besitzer des Leipziger Tageblattes, +hatte vermuthlich das Werk gedruckt und an Zahlungsstatt behalten +müssen; kein Wunder, daß er es gern wieder abgab, als sich ein Käufer +fand. + +Der darüber abgeschlossene Kaufcontract trägt das Datum des 25. October +1808. Das Werk war schon bis zur ersten Hälfte des sechsten (letzten) +Theils gedruckt und ausgegeben; es fehlte nur noch die zweite Hälfte +(das zweite Heft) desselben und der Verkäufer machte sich selbst bei +einer Conventionalstrafe von 100 Thalern verbindlich, dieses Heft, +das 16, höchstens aber 20 Bogen umfassen und das Werk zu Ende führen +sollte, bis zum 5. December desselben Jahres an den Käufer abzuliefern. +Wir stehen nicht an, ohne Rücksicht auf das in solchen Angelegenheiten +herrschende Geschäftsgeheimniß, die Kaufsumme zu nennen, für die +Brockhaus das »Conversations-Lexikon«, die gesammten (freilich wol +nicht bedeutenden) Vorräthe des Werks »mit allen Verlags- und sonstigen +Rechten« erwarb. Sie betrug 1800 Thaler, die in vier Terminen bezahlt +werden sollten: blos 100 Thaler sofort, 500 Thaler Ende Februar, je +600 Thaler zur Oster- und Michaelismesse des nächsten Jahres. Diese +Summe erscheint sehr klein gegenüber der großen Verbreitung, die das +Werk erlangt hat, und ist es auch in der That, selbst wenn man dabei +den damaligen höhern Werth des Geldes in Anschlag bringt. Indeß darf +dabei nicht übersehen werden, daß diese Verbreitung wesentlich das +Verdienst des neuen Besitzers, nicht der dem Werke zu Grunde liegenden +Idee war, deren ausschließliches Verlagsrecht er nicht erwerben konnte, +wie sie ja vor wie nach ihm von so Manchem, freilich meist mit weniger +Geschick und geringerm Erfolge, und vorzugsweise allerdings erst +nach seinem Vorgange und mit offener oder versteckter Nachahmung und +Benutzung seines Werks, ausgebeutet wurde. Ferner war es (und ist es +noch gegenwärtig) bei diesem Werke nicht wie bei andern sogenannten +»guten« Verlagsartikeln mit dem einfachen Abdruck eines druckfertigen +Manuscripts gethan, sondern dasselbe verlangte Umsicht in der geistigen +Herstellung, Thatkraft und Geschick in dem Vertriebe, vor allem aber +bedeutende Herstellungskosten, da es zunächst durch Nachträge, auf zwei +Bände berechnet, vervollständigt und eine völlige Neubearbeitung des +Ganzen sofort ins Auge gefaßt werden mußte. Endlich ist die genannte +Summe gegenüber den damaligen Vermögensverhältnissen des erst seit drei +Jahren etablirten und doch bereits durch zahlreiche und umfangreiche +Verlagsunternehmungen in Anspruch genommenen Verlegers, sowie bei dem +bisherigen geringen Erfolge des Werks, das schon viermal den Besitzer +gewechselt hatte, durchaus keine geringe zu nennen. Jedenfalls machte +ihm keine der damaligen großen Verlagshandlungen in Leipzig oder im +übrigen Deutschland den Besitz des ihnen lange bekannten Werks streitig +und hatte den Muth und das Vertrauen, dieselbe oder eine höhere Summe +dafür zu zahlen. + +Gleichzeitig mit dem Contracte über den Ankauf des Werks hatte +Brockhaus (am 16. November 1808) einen Vertrag mit dem »Redacteur und +Herausgeber der letzten Bände des bei Leupold und zuletzt bei Herzog +erschienenen Conversations-Lexikon«, dem Advocaten Christian Wilhelm +Franke zu Leipzig, abgeschlossen. In diesem Vertrage wurde derselbe +Schlußtermin für Ablieferung des Manuscripts wie in dem Contracte mit +Richter für Vollendung des Drucks und Ablieferung der fertigen Exemplare +festgesetzt, nämlich der 5. December des laufenden Jahres, nur ohne +Conventionalstrafe und mit eventueller Verlängerung um -- drei Tage: +»nach und nach bis zum 5., spätestens 8. December dieses Jahres, sodaß +der Druck in ungefähr derselben Zeit beendet werden kann«. Der Verleger +wird wol noch manchmal die Erfahrung gemacht haben, daß solche Termine +mit oder ohne Conventionalstrafe nicht gerade auf den Tag eingehalten +zu werden pflegen und oft nicht eingehalten werden können, wie es auch +diesmal schwerlich der Fall war. Außerdem wurde in diesem Vertrage +bestimmt, daß der Redacteur die (schon von den frühern Verlegern +beabsichtigten) Nachträge zu dem Werke in zwei Bänden zu je 30 Bogen +sofort in Angriff nehmen und das Manuscript zum ersten Bande (A-M) +bis Ende April, zum zweiten Bande (N-Z) bis Michaelis 1809 abliefern +solle. Als Honorar erhielt der Redacteur, wie bisher, für den Druckbogen +8 Thaler, wofür er, wie es scheint, das Manuscript ganz druckfertig +herzustellen, also auch etwaige Mitarbeiter zu entschädigen hatte -- +ebenfalls ein nicht eben kleiner Unterschied gegen die Honorare, die +heutigentags bei diesem Werke und ähnlichen Verlagsunternehmungen +gezahlt werden! + +Brockhaus' eigene Thätigkeit bei dieser Vervollständigung der ersten +Auflage des Conversations-Lexikon ist im Zusammenhange mit dem +Verdienste, das er sich überhaupt um dieses Werk und namentlich um die +spätern Umarbeitungen desselben erworben, an einer spätern Stelle zu +schildern. Hier sei nur noch erwähnt, daß der erste Band der »Nachträge« +1809, der zweite Band 1811 erschien und Brockhaus sofort auch (1809) das +Werk unter einem neuen, etwas veränderten Titel versandte. Er nannte +es: »Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch für die in +der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten +vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse +der ältern und neuern Zeit.« + +Auffallenderweise findet sich in Brockhaus' Briefen aus diesem und +den nächsten Jahren keine einzige Aeußerung über den für ihn doch so +wichtigen Ankauf des »Conversations-Lexikon«. Seine Correspondenz ist +indeß leider auch aus dieser Zeit nur theilweise erhalten und so kann +man daraus nicht folgern, daß er dem Unternehmen anfangs selbst keine +große Wichtigkeit beigelegt habe. + + * * * * * + +Wie lange Brockhaus seinen ersten Besuch Leipzigs als Buchhändler +ausgedehnt, ist nicht genau bekannt; am 16. November (1808) war er +jedenfalls noch dort, da an diesem Tage der Vertrag mit Advocat +Franke in Leipzig von ihm unterzeichnet wurde. Vermuthlich ist +er entweder im December 1808 oder aber erst im Februar 1809 nach +Amsterdam zurückgekehrt. Er schreibt aus Amsterdam vom 27. Februar +1809 an Bornträger: »Durch die Störungen vom December an bis zu meiner +Zurückkunft in diesem Monat sind wir auch wol um einen Monat mit den +Rechnungen hintenausgesetzt, wie Sie wol denken können.« Dieser Brief +ist nach Leipzig gerichtet, wo Bornträger sich seit kurzem befand, +und die »Störungen«, von denen die Rede ist, beziehen sich wol auf +dessen Abreise aus Amsterdam, die weniger durch geschäftliche als durch +persönliche Verhältnisse Bornträger's veranlaßt worden zu sein scheint. + +Bornträger mußte nämlich plötzlich aus Amsterdam flüchten, um der Gefahr +zu entgehen, als Conscriptionspflichtiger in das Militär eingereiht zu +werden. So unangenehm dies gewiß auch für Brockhaus war, der in ihm +endlich einen fähigen und zuverlässigen Gehülfen gefunden, so wußte er +doch sofort mit der ihm eigenthümlichen Umsicht und Thatkraft aus der +Noth eine Tugend zu machen: er behielt Bornträger in seinen Diensten +und veranlaßte ihn nach Leipzig zu gehen, um dort seine Geschäfte zu +besorgen, deren immer wachsende Bedeutung ohnedem neben dem dortigen +Commissionär eine directe Vertretung in Leipzig wünschenswerth machte. +Bornträger nahm dort den Namen Friedrich Schmidt an, um allen weitern +Unannehmlichkeiten zu entgehen, und blieb daselbst als Brockhaus' +Bevollmächtigter mit kurzen Unterbrechungen vom Februar 1809 bis August +1810. Dieser Aufenthalt Bornträger's in Leipzig war nicht nur für die +geschäftlichen Angelegenheiten seines Principals sehr förderlich, +sondern er hat nebenbei auch das Gute gehabt, daß er Veranlassung zu +einem lebhaften Briefwechsel zwischen Beiden gab, in welchem sich +Brockhaus in der eingehendsten und offensten Weise, wie man es nur +einem vertrauten Gehülfen und Freunde gegenüber thut, über seine +geschäftlichen und persönlichen Verhältnisse aussprach. Diese Briefe +von Brockhaus an Bornträger, die dann noch bis Anfang 1811 fortgesetzt +wurden, nachdem der Aufenthaltsort Beider seit Mitte 1810 sich geändert +hatte, sind glücklicherweise vollständig erhalten geblieben, da sie der +Adressat als eine theuere Erinnerung sorgfältig aufbewahrte und im Jahre +1862 der Verlagshandlung übergab. Sie bilden die hauptsächlichste Quelle +für die Lebensgeschichte von Brockhaus in den Jahren 1808-1811, deren +Darstellung ohne sie fast unmöglich gewesen wäre. + +Gleich jener eben erwähnte erste Brief, den Brockhaus nach Leipzig an +Bornträger richtete, enthält charakteristische Aeußerungen und zeigt, +wie offen, vertrauend und zugleich wie väterlich er sich gegen den +jungen Gehülfen ausspricht. Er schreibt: + + Ich habe dies Jahr weit geringere Engagements als die vorigen + Jahre und, so Gott will, werde ich noch vor der Ostermesse so + ziemlich im Stande sein, Alles oder doch das Meiste zu reguliren + .... Allerdings muß man suchen, den edlen vortrefflichen Friedrich + Christian Richter[31] zu erhalten. Sie kennen mich, mein Gemüth, meinen + Charakter! Am Wollen wird es nie fehlen. Am Können auch nicht, sobald + die Störungen, wie sie der Krieg und solche schlechte Leute wie ... + u. s. w. mir immer verursacht, nicht mehr statthaben. Ich werde alles + Ersinnliche thun, um mehrere Widersacher zu beschämen, und schmeichle + ich mir, daß es uns in keiner Hinsicht dazu an Kräften mangelt .... + Suchen Sie durch Ruhe, Anstand, Würde im Betragen günstig auf die + Leute zu wirken. Es thut dies sehr viel. Der elende ... verdarb Alles + durch seine Pinselhaftigkeit. Treten Sie aber allenthalben leise auf. + Nirgends Prahlen oder Großthun. Stille und bescheiden immer. Das ist + ja auch Ihr guter und liebenswürdiger ursprünglicher Charakter, den + ich, wie Sie wissen, mit Innigkeit verehre. + +Uebrigens kam Brockhaus trotz Bornträger's Anwesenheit in Leipzig +schon zur Ostermesse 1809 wieder dorthin, diesmal aber nur für kürzere +Zeit, denn am 15. Juni bereits war er wieder in Amsterdam. Vom 8. Mai +liegt uns ein Contract über eine von Brockhaus in Leipzig gemiethete +Niederlage vor; der Vermiether hieß Johann Georg Bering aus Naumburg, +und die Niederlage, wol die erste, die er in Leipzig besaß, befand sich +im Deutrich'schen Hause auf der Reichsstraße. + +In dieser Zeit wurde er in Leipzig durch Johann Friedrich Pierer aus +Altenburg zuerst mit dem Kammerverwalter Ludwig bekannt, der später +einer seiner vertrautesten Freunde werden sollte. Derselbe lebte in +Altenburg in einem literarisch und künstlerisch sehr regsamen Kreise und +trat auch selbst als Schriftsteller auf. + +Brockhaus schreibt an ihn aus Leipzig vom 12. Mai 1809: + + Ich rechne die Stunden, welche ich in dieser Messe an Ihrer Seite + und in Ihrer Unterhaltung verlebt und verplaudert, mit zu den + angenehmsten meines Lebens, und ich bedaure es unendlich, daß erst + so spät unsere Bekanntschaft etwas genauer wurde. Ich beschwöre Sie, + mit der Herausgabe Ihrer Ansichten und Bemerkungen zu eilen, und + ohne meinen Freunden Gräff und Nauck im mindesten zu nahe treten zu + wollen, füge ich nur noch die Versicherung hinzu, daß, im Fall diese + aus irgendeiner Ursache diese Herausgabe möchten hinhalten oder + hinaussetzen wollen, meine Handlung bereit sein würde, darin jeden + Ihrer Wünsche zu befriedigen. + + Auf jeden Fall habe ich aber doch noch eine Bitte an Sie, die Sie + mir, ich hoffe es, nicht abschlagen werden. + + Die Hofräthin Spazier hier in Leipzig gibt im Verlage meiner + Handlung noch in diesem Jahre ein neues Taschenbuch heraus unter dem + Titel »Urania«. Es haben sich die ausgezeichnetsten Männer und Frauen + (Jean Paul, Mahlmann, Kind, Böttiger, Seume, Frau von Ahlefeldt, + Luise Brachmann und viele Andere) an sie angeschlossen, und dieses + Taschenbuch wird in allen Hinsichten mit den vorzüglichsten wetteifern + und sie selbst zu übertreffen suchen. + + Ob die Herausgeberin gleich bereits viel mehr Aufsätze hat, als sie + im ersten Jahrgang aufnehmen kann, so wird sie doch auf mein Ersuchen + noch für einen Beitrag von Ihnen Raum finden, wenn Sie uns damit + beehren wollen. + + Ich ersuche Sie darum im Namen der Herausgeberin und in meinem + eigenen Namen. Irgendein oder mehrere Fragmente Ihrer Reise würden uns + dazu die liebsten sein. Hätten Sie aber auch sonst noch irgendetwas in + Ihrem Portefeuille, was Sie uns zu diesem Gebrauch mittheilen wollen, + so würden wir solches dankbar annehmen. + + Ich bleibe noch bis künftigen Sonnabend (vor Pfingsten) hier. Wäre + es Ihnen möglich, bis dahin mir mit einigen Zeilen zu antworten, oder + gar mir bereits dasjenige wirklich zu senden, was Sie uns möchten + bestimmen wollen, so würden Sie mich unendlich verbinden. + + Meine Idee, vielleicht über Altenburg selbst zurückzureisen, kann + ich leider nicht ausführen, da es in einer ganz andern Richtung liegt, + als ich mir gedacht hatte. + +Ein zweiter Brief an denselben, vom 22. Mai, lautet: + + Ich reise diesen Abend zurück nach den Ufern der Amstel. Vorher aber + noch ein paar Worte zur Antwort auf Ihren gütigen Brief vom 17. dieses. + + Sollte Gräff Ihr Manuscript nicht für den jetzigen Augenblick + gleich übernehmen wollen, so übernehme ich es gerne, um es Michaelis + zu liefern. Gräff muß aber freiwillig davon zurückstehen, und er + muß über das ganze Arrangement und über die Entstehung desselben + reine unterrichtet werden. Er ist zu sehr mein Freund, als daß + ich um irgendeinen Preis ihm nur Unzufriedenheit mit mir einflößen + möchte. Tritt er aber freiwillig zurück, und wollen Sie es mir dann + anvertrauen, so bitte ich Sie, das Manuscript baldmöglichst hiehin + nach Leipzig zu senden, an untenverzeichnete Adresse. Ich erhalte + es dann zur Post nach Amsterdam und sorge für schönen und eleganten + Druck, wie dies bei allen unsern Verlagsartikeln der Fall ist. + + Die nähern Bedingungen erlauben Sie mir seiner Zeit nach Kenntniß + der Sache selbst zu bestimmen. + + Da in diesem Falle der Kalender[32] mit dem Buche gleichzeitig + erscheinen würde, so dürfte eine Ausstellung aus demselben allerdings + nicht passend sein. Wollen Sie der Frau Hofräthin Spazier indessen + sonst etwas aus Ihrem Portefeuille mittheilen, so wird sie es gewiß + mit Vergnügen aufnehmen. Auch kleine Gedichte gehören allerdings in + ihren Plan. Ihre Adresse ist auf der Post bekannt genug, und also blos + einfach: an die Frau Hofräthin Spazier. + + Nun, auf alle Fälle beehren Sie mich mit Ihrer gütigen Antwort. + Leben Sie wohl bis zum Wiedersehen. Möge es unter glücklichern + Aussichten sein, als wir uns diesmal hier sahen. + +Brockhaus war damals oder schon im Herbst 1808 mit der Hofräthin Spazier +bekannt geworden und hatte mit ihr die Herausgabe eines Taschenbuchs +unter dem Titel »Urania« verabredet; dieses bekannte Sammelwerk erschien +zum ersten male für das Jahr 1810. Die Herausgeberin wird uns später +noch näher und in anderer Weise entgegentreten. + + * * * * * + +Außer mit der »Urania« und dem »Conversations-Lexikon« beschäftigte sich +Brockhaus in dieser Zeit auch noch mit manchen andern Verlagsartikeln +größern oder geringern Umfangs und entwickelte dabei fortwährend die +regste Thätigkeit. Die bekannten Schriften Massenbach's erschienen meist +im Jahre 1809, ebenso der erste Band von Sprengel's »_Institutiones +medicae_« und Villers' »_Coup d'oeil sur l'état actuel de la +littérature ancienne et de l'histoire en Allemagne_«. Neben diesen schon +früher von uns erwähnten Werken verlegte er in dieser Zeit besonders +noch drei andere: erstens »Die Hebräerin am Putztische und als Braut«, +von dem mit ihm bereits durch eine Uebersetzung Dschami's in Verbindung +getretenen Schriftsteller Anton Theodor Hartmann (3 Theile, Amsterdam +1809-10), ein damals sehr geschätztes Buch, das ein Seitenstück zu Karl +August Böttiger's 1803 erschienenem Werke: »Sabina oder Morgenscenen +einer reichen Römerin«, bilden sollte; ferner »Ansichten von der +Gegenwart und Aussicht in die Zukunft« von Friedrich August Koethe, +dem bekannten theologischen Schriftsteller (geb. 1781 zu Lübben, gest. +1850 zu Allstädt), von dem später noch mehrere Werke in seinem Verlage +erschienen, ein religiös-politisches Werk von patriotischem Schwunge, +»dem gesammten, untheilbaren theuern deutschen Vaterlande geweiht«; +drittens »Grundzüge der reinen Strategie, wissenschaftlich dargestellt« +von August Wagner (geb. 1777 zu Weißenfels, erst österreichischer, +dann preußischer Offizier, gest. 1854 zu Berlin als Generalmajor), ein +werthvolles kriegswissenschaftliches Werk. + +Endlich schloß Brockhaus in diesem Sommer noch mehrere wichtige +Verlagscontracte ab. + +Am 3. Juli einigte er sich mit dem verdienstvollen Begründer der +wissenschaftlichen deutschen Bibliographie, Johann Samuel Ersch (geb. +1766 zu Großglogau, Professor und Oberbibliothekar in Halle, gest. +daselbst 1828), über dessen berühmtes »Handbuch der deutschen Literatur +seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit«, das +wesentlich von Brockhaus veranlaßt und hervorgerufen wurde; dasselbe +erschien indeß erst später (2 Bände in je 4 Abtheilungen, Amsterdam +und Leipzig 1812-14; neue Ausgabe [zweite Auflage], 4 Bände in je 2 +Abtheilungen, Leipzig 1822-27). + +Am 13. Juli unterzeichnete er einen Contract mit dem bekannten +Jugendschriftsteller Jakob Glatz (geb. 1776 zu Poprad in Ungarn, erst +Lehrer in Schnepfenthal, dann evangelischer Geistlicher in Wien, gest. +1831 zu Preßburg) über dessen rühmlichst bekannt gewordenes Werk: »Die +Familie von Karlsberg oder die Tugendlehre. Anschaulich dargestellt in +einer Familiengeschichte. Ein Buch für den Geist und das Herz der Jugend +beiderlei Geschlechts«, das bald darauf auch ausgegeben wurde (2 Theile, +Amsterdam 1810; zweite Auflage, 2 Bände, Leipzig 1829). + +Zwei Tage darauf, am 15. Juli, schloß er noch einen Verlagscontract, +der aber nicht zur Ausführung kam: mit Geh. Rath Sigismund Hermbstaedt +in Berlin über ein »Technologisches Handwörterbuch«, das in zwei starken +Bänden erscheinen sollte. + +Die Jahreszahl 1810 tragen außer dem Werke von Jakob Glatz und dem +ersten Jahrgange der »Urania« noch folgende drei, ebenfalls im Jahre +1809 von Brockhaus verlegte Werke: »Ueber die Mittel, den öffentlichen +Credit in einem Staate herzustellen, dessen politische Oekonomie +zerstört worden ist«, von Herrenschwand, einem wenig bekannten +staatswirthschaftlichen Schriftsteller, nach dem Französischen deutsch +herausgegeben von dem Obersten von Massenbach; zweitens »Vertraute +Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen +Staaten zu Ende des Jahres 1808 und zu Anfang 1809« von Johann +Friedrich Reichardt, dem bekannten Componisten und Musiktheoretiker, +scharfe Beobachtungen über die musikalischen, literarischen und +gesellschaftlichen Zustände Wiens enthaltend; drittens der erste +Band der deutschen Bearbeitung eines Geschichtswerks des englischen +Historikers William Coxe (geb. 1747, gest. 1828): »Geschichte des +Hauses Oestreich von Rudolph von Habsburg bis auf Leopold des Zweiten +Tod, 1218-1792«, herausgegeben von Hans Karl Dippold und Adolf Wagner +(der zweite Band erschien 1811, der dritte und vierte erst 1817), für +welche sich unter anderm Freiherr von Hormayr sehr interessirte und die +in Oesterreich selbst solchen Beifall fand, daß man dort 1817 einen +Nachdruck derselben veranstaltete. + + * * * * * + +Ueberblickt man diese Reihe von Verlagswerken, die Brockhaus in den +ersten Jahren seiner buchhändlerischen Wirksamkeit übernahm, so muß +man ebenso sehr den vielseitigen Geist, das Geschick und das feine +Verständniß für den Geschmack und die Bedürfnisse des Publikums, wovon +er dadurch Beweise gab, anerkennen, wie man über seinen Muth und sein +Selbstvertrauen staunen muß. + + + + + 6. + + Zerwürfnisse mit Baggesen. + + +Außer durch seine umfassende Verlegerthätigkeit wurde Brockhaus während +der Jahre 1808 und 1809 geistig und gemüthlich vielfach durch eine +Angelegenheit in Anspruch genommen, die ihn zwar zunächst auch als +Verleger benachtheiligte, aber weit mehr innerlich afficirte. Es waren +dies Zerwürfnisse mit Jens Baggesen, dem ausgezeichneten, aber zugleich +übermäßig eiteln und empfindlichen Dichter, die ein Beispiel liefern, +daß es auch Mishandlungen eines Verlegers durch einen Schriftsteller +gibt, während die Literaturgeschichte meist nur von umgekehrten Fällen +zu berichten pflegt. + +Die Kenntniß der nähern Umstände dieses literarischen Streits (den +wir eingehender darstellen zu sollen glaubten, als vielleicht der +Gegenstand, um den es sich handelte, es erheischte, weil er für +Brockhaus' Verhalten in solchen Angelegenheiten charakteristisch ist) +verdanken wir einem längern Briefwechsel, den Brockhaus darüber mit +dem bekannten französischen Gelehrten Fauriel führte.[33] Dieser hatte +Baggesen's »Parthenais«, die 1808 von Brockhaus in neuer Ausgabe verlegt +wurde, nachdem das Gedicht zuerst 1804 bei einem andern Verleger +(Vollmer in Hamburg und Mainz) erschienen war, ins Französische +übersetzt, und seine Uebersetzung erschien unter dem Titeln »_La +Parthénéide. Poëme de M. J. Baggesen. Traduit de l'allemand_«, aber +ohne seinen Namen, ebenfalls bei Brockhaus (Amsterdam 1810, gleichzeitig +eine pariser Firma: Treuttel & Würtz, auf dem Titel tragend). + +Claude Charles Fauriel war 1772 zu St.-Etienne (Loire) geboren, lebte +meist in Paris und starb daselbst 1844; er hat zahlreiche ausgezeichnete +geschichtliche und literarhistorische Arbeiten geliefert, wie unter +anderm aus einem ihm von Sainte-Beuve in der »_Revue des deux mondes_« +(1845) gewidmeten Essay hervorgeht. Besonders interessirte er sich auch +für die deutsche Literatur und erwarb sich gleich Villers das Verdienst, +seine Landsleute mit derselben bekannt zu machen. + +Brockhaus war, wie wir bereits berichtet haben, im Sommer 1806 mit +Baggesen in Amsterdam, das dieser auf seinen häufigen Reisen öfters +besuchte, bekannt geworden und hatte mit ihm schon damals nicht nur über +die »Parthenais«, sondern fast gleichzeitig (am 21. Juni) auch über +eine Sammlung seiner Briefe einen Contract abgeschlossen. Der Umfang +des letzten Werks war nicht festgesetzt, sondern nur bestimmt worden, +daß die Verleger (damals noch Rohloff & Comp.) sich verpflichteten, die +Briefe »bandweise herauszugeben nach Bequemlichkeit des Verfassers, +der sie zu keinem bestimmten Termine unbedingt versprechen kann, den +ersten Band ausgenommen«; das Manuscript des letztern sollte »erst nach +Verlauf von vier Wochen _a dato_«, also eigentlich am 21. October 1806, +abgeliefert werden -- das Werk erschien aber erst 25 Jahre später, +1831, als beide Contrahenten längst gestorben waren! Als Honorar wurden +4 Louisdor per Druckbogen, »unmittelbar nach der Ablieferung des +Manuscripts zu zahlen«, festgesetzt. + +Im darauffolgenden Sommer (1807) war Baggesen wieder in Amsterdam, und +der beste Beweis seiner freundschaftlichen Beziehungen zu Brockhaus +liegt wol darin, daß er bei dessen viertem Sohne Max Pathenstelle +vertrat. Auch wurde in dieser Zeit (am 16. Juli) zwischen Beiden ein +neuer Contract über Baggesen's neueste Gedichte abgeschlossen, die 1808 +unter dem Titel »Heideblumen« erschienen. + +Aus dieser Zeit datirt der einzige uns bekannte Brief Baggesen's an +Brockhaus, am 1. August 1807 (also kurz nach seiner Abreise aus +Amsterdam) in Marly bei Paris, wo Baggesen damals wohnte, geschrieben, +der ebenfalls Zeugniß von ihrem herzlichen Verhältnisse gibt. Baggesen +schreibt: + + Indem ich mein Packet an Sie abschicken will, erhalte ich Ihren + Brief, mein Theuerster, vom 27. -- und ich kann nicht umhin, das + Packet wieder zu öffnen, um meinen herzlichen Dank dafür mit + hineinzulegen. + + Ich bin während acht Tagen im strengsten Sinne des Worts nicht + von der Seite meiner holdseligen Fanny und des kleinen vollkommenen + Engels Paul gewichen -- es schienen mir acht Minuten. Erst in den zwei + letzten Tagen habe ich des Morgens, bevor sie erwacht, angefangen + wieder zu arbeiten. + + Dank für Ihr warmes Interesse für das herrliche Weib, dessen höhere + Bedeutung ich sogleich, noch ehe ich wußte, daß sie Künstlerin sei, + wahrnahm. Sie schätzt Sie hoch und ist Ihnen und Ihrer holden Frau + herzlich ergeben. Gönnen Sie ihr öfters Ihren balsamischen, in + Amsterdam unschätzbaren Umgang! Ich kann ihr, ihrem Mann und ihrem + herrlichen Sohn noch nicht schreiben -- weil ich, zu betäubt und + entzückt vom glücklichen Wiedersehen, Niemandem ein vernünftiges Wort + schreiben kann -- und weil ich vor dem Empfang des Portraits von Ary + nicht schreiben will. Dieses erwarte ich mit Ungeduld, sowie die + Cramer'schen Musikalien, und die Recension, die schwerlich von Voß ist + .... + + Mit den »Heideblumen« wird es rasch gehen. Und die »Briefe« und die + »Dichterwanderungen« werden folgen. Wahrlich, das alles interessirt + mich von ganzer Seele. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob ich wirklich + wieder nach Norden kehre -- doch lassen Sie sich noch keinen Zweifel + darüber merken! + + Ihr Baggesen. + +Die hier erwähnte Künstlerin ist jedenfalls die Mutter Ary Scheffer's, +Cornelia, die nebst ihrem Manne zu dem nächsten Umgange Brockhaus' +gehörte und Baggesen also wahrscheinlich erst bei diesem kennen gelernt +hatte. + +Die neben den »Briefen« noch genannten »Dichterwanderungen« waren ein +zweites Project Baggesen's, das ebenso wenig als jenes erstere zur +Ausführung kam. Er hatte darüber mit Brockhaus zwar keinen schriftlichen +Contract abgeschlossen, ihm das Werk aber wiederholt schriftlich und +mündlich versprochen, wie aus einem weiter unten folgenden Briefe +ersichtlich ist. + +Wir lassen nun die Briefe von Brockhaus an Fauriel ihrem Hauptinhalte +nach folgen, auch diejenigen Stellen, welche andere Angelegenheiten +betreffen, da sie für die literarischen oder persönlichen Verhältnisse +des Briefschreibers theilweise von hohem Werthe sind. + +Der erste, Amsterdam 15. November 1807 datirt, lautet: + + Ich habe allerdings eine recht große Schuld gegen Sie, daß ich + Ihren so gütigen und freundschaftlichen Brief, den ich durch die + Vermittelung des Herrn Cramer erhielt -- gar nicht, daß ich Ihren + letzten Brief auch erst jetzt beantworte. Entschuldigen, hoffe ich, + werden Sie mich, wenn Sie den etwas nähern Zusammenhang, die Ursachen + hören werden, die mein Stillschweigen veranlaßten. + + Ihr erster Brief hatte die hauptsächliche Tendenz, mir die Ursachen + zu entwickeln, warum eine partielle Bekanntmachung der »_Parthénéide_« + nicht frommen und nützen könne. Ihren Gründen gebe ich meine + Beistimmung, da sie mir ebenfalls entscheidend vorkamen, und ich that + auf den Wunsch dazu Verzicht. Er enthielt weiter eine Angabe der + Schwierigkeiten, die sich der gänzlichen Vollendung Ihrer Uebersetzung + entgegenstellten, da Sie Aenderungen für nothwendig hielten, welche + Sie jedoch ohne Zustimmung und Zuratheziehung des Verfassers nicht + eigenwillig zu übernehmen wagten. Auch in diesem Punkte konnte ich + meine Beistimmung und Genehmigung nicht versagen. Solange indessen das + Manuscript nicht ganz vollendet war, konnte nicht an Bekanntmachung + des Werkes selbst gedacht werden; diese Vollendung hing von Baggesen's + Zurückkunft ab: dieser Zurückkunft sah ich acht Monate lang täglich + entgegen; ich wurde täglich getäuscht: mein Schweigen bis zur + Zurückkunft von Baggesen wird sich also, wie ich glaube, wenn auch + nicht ganz rechtfertigen, doch entschuldigen lassen. Baggesen kam + endlich im Juni, im Juli war er in Paris; an die endliche Vollendung + des Werks konnte nun gedacht werden, wie an die Bekanntmachung. Ich + erhielt darüber Ihren gütigen Brief, und ich würde mich beeifert + haben, ihn mit umgehender Post zu erwidern und auf der Stelle alle + und jede Anstalten zur Bekanntmachung zu machen, wären nicht in der + Zwischenzeit über die deutsche Taschenausgabe zwischen Baggesen und + mir Mistöne entstanden, die mir das ganze Werk, woran ich wie am + Verfasser bisher mit Begeisterung gehangen hatte, bis zum Namen hin + zum Ekel gemacht hätten. + + Es würde zu weitläufig sein, Ihnen die Discussionen, welche zwischen + mir und Baggesen darüber entstanden, in allen ihren Details zu + entwickeln: meine Discretion verbietet mir dies auch, wie ich auch + fühle, daß Ihnen wie mir die Kenntnißnehmung fremder Angelegenheiten + eine peinliche Aufgabe und Zumuthung sei. + + Etwas muß ich Ihnen aber doch darüber sagen: Baggesen bot mir + eine »Parthenais« zweite Ausgabe zum Verlag an. Er forderte 150, + sage hundertfunfzig Louisdor Honorar (circa 30 Bogen, jede Seite + zu 11 Hexameter, _à_ 5 Louisdor). Ohne daß Baggesen mir eine Zeile + Manuscript gab, zahlte ich ihm und Madame Baggesen gleich zwei Fünftel + voraus, als Avance. Ich zahlte die übrigen drei Fünftel dieses + Honorars ein paar Monate nachher und noch etwa 30 Louisdor mehr als + Avance auf künftige Werke, worüber Baggesen mit mir mündlich und + schriftlich contrahirt hatte. Die Umstände erlaubten es Baggesen und + mir indessen nicht, daß der ganze Contract konnte vollzogen werden. + Baggesen sollte die Zeichnung und den Stich der Kupfer in Paris + leiten und -- Baggesen kam gar nicht nach Paris zurück (erst ein Jahr + nachher), mir war die Ausführung dadurch also ganz unmöglich gemacht; + aber auch dadurch war die Ausgabe einer Luxus-Edition unvernünftig + geworden, daß in #der# Epoche ganz Deutschland bis aufs Blut durch + Contributionen und die Kriegsverheerungen aufgesogen wurde, sodaß + eine Luxus-Ausgabe eines Dichtwerkes in der Zeit zu den wahrhaft + unsinnigen Unternehmungen hätte müssen gezählt werden! Baggesen litt + darunter aber als Verfasser nichts! Ich hatte ihm sein volles Honorar + von 150 Louisdor circa bereits vergütet! Ich litt nur darunter, denn + ich war nur im Stande, die kleine Ausgabe, die fertig gemacht worden + war, freilich auch verspätet und unter den ungünstigsten Umständen + in Circulation zu setzen. Für das Alles konnte Baggesen nichts, + das erkannte ich, und wenn also Schaden statt Vortheil aus der + Unternehmung resultirte, so war dies nicht Baggesen's, sondern die + Schuld der Umstände. + + Aber nun kam und zeigte sich auch zum Schaden noch der Verdruß und + doppelter Schaden: Der Verleger der ersten Ausgabe der »Parthenais« + trat auf und behauptete, daß Baggesen #noch nicht# das Recht gehabt + hätte, eine zweite Ausgabe an einen andern Verleger als ihn zu + verkaufen. Als ich Baggesen dies nach Kopenhagen meldete, antwortete + er mir wie ein wackerer Mann: er werde das mit dem ersten Verleger + ausmachen, er werde mich gegen ihn schützen. Baggesen that aber nichts + für diesen Schutz, und der erste Verleger, der ohne alle Satisfaction + oder gar ohne Nachricht einmal von Baggesen blieb, druckte meine mit + 150 Louisdor bezahlte zweite Ausgabe vermöge seines angeblichen, + von Baggesen ihm #nicht# (durch vorgehaltenen Contract) widerlegten + Rechts nach und setzte sie in ganz Deutschland zur Hälfte des Preises + in Circulation! Meine Ausgabe sank nun ganz unter, denn jene war + um die Hälfte wohlfeiler, und da ich ein neuer Verleger war, jener + aber der erste Verleger, so galt #ich# für einen Nachdrucker, #er# + für den rechtmäßigen Besitzer! Ich forderte Baggesen auf, die Sache + auszugleichen: Baggesen war oder kam zu der Zeit in Hamburg, wo + es ihm ein Leichtes sein mußte, die Sache zu ordnen, da der erste + Verleger nur Satisfaction und geringe Entschädigung verlangte, + Baggesen that aber in Hamburg nichts Wesentliches. Die Sache blieb + hangen -- Baggesen kam her. In der Freude, ihn bei uns zu sehen, + wurde über diesen Punkt leicht weggeglitten: wie wollte es auch mit + Gastfreundschaft bestanden haben, ihn zu mahnen, mir mein Eigenthum, + das er mir freilich verkauft hatte, gegen einen #andern Käufer# + (#nicht# gegen einen #Dieb#, wie Baggesen es erklären will: Vollmer + constituirt sich nicht wie ein Nachdrucker, als Dieb, sondern als + Besitzer; er behandelt mich als Nachdrucker, mich, der 150 Louisdor + Honorar bezahlt habe) zu schützen; das konnte, mußte Baggesen durch + öffentliche Erklärung (keine Zeile ist von ihm darüber bekannt + gemacht worden!!) wehren und mich schützen! Ich sage: mein Gefühl von + Gastfreundschaft erlaubte mir nicht, Baggesen bei seiner Anwesenheit + in Amsterdam, in meinem Hause, an solche Verpflichtungen zu mahnen. O! + ich dachte, die sprächen sich auch selbst aus. Baggesen reisete nach + Paris. Ich erfahre in der Zwischenzeit die definitiven Reclamationen + des ersten Verlegers; sie scheinen mir billig, ich rathe Baggesen zum + Vergleich mit ihm, und ob Baggesen gleich zehnmal erklärt hatte, er + allein wolle mich schützen -- denn ich, wie auch recht war, habe in + jedem Falle nichts verbrochen --, so erbiete ich mich dennoch, #die + Hälfte desjenigen zu tragen#, was man dem ersten Verleger möchte als + Abmachung zuwenden müssen, und wolle ich den Vorschuß zum Ganzen + leisten. Auf jeden Fall, erkläre ich aber, müsse die Sache beendigt + werden, und da einer von uns Recht oder Unrecht haben müsse, so + schlage ich als Schiedsrichter darin #Baggesen's Freunde# _Dr._ Kerner + und Buchhändler Perthes in Hamburg vor. Mit deren Entscheidung erkläre + ich mich zufriedengeben zu wollen. Auf diesen meinen Brief habe ich + nun von Baggesen eine Antwort erhalten, worin er mir erklärt: »daß + #ihn# die ganze Reclamation des ersten Verlegers nichts anginge, daß + sie mich allein beträfe, und ich zu sehen habe, wie ich fertig mit + ihm würde, daß er die Sache einem Advocaten zur Betreibung übergeben + würde, daß er seine weitern Werke nicht bei mir herausgeben wolle, daß + es aber meine Pflicht sei, gleich eine Prachtausgabe der «Parthenais» + zu machen«, und dergleichen Kränkungen und Unvernunften viel mehr, + alle durch einen Schwall von Worten, aber mit keinem einzigen Belege + unterstützt, und alle Verhältnisse des Danks, der Verpflichtung, der + Freundschaft, der Zufriedenheit rein verleugnend!! + + Daß der Troß der Menschen so handelt, Worte für Thaten geben will, + und wo er Thaten geben soll, nur Worte hingibt, das hatte meine + Erfahrung mich schon gelehrt; aber daß Baggesen, den ich für einen der + edelsten Menschen, nicht blos für einen geistreichen Dichter hielt, + gegen mich so handeln könnte, dies hatte ich nicht erwartet. + + In der Einlage habe ich ihm mit Ruhe und Einfachheit Alles + beantwortet; ich adressire diese Antwort Ihnen mit der freundlichen + Bitte, sie Baggesen zu übergeben: es geschieht dies darum, damit der + wirkliche Empfang dieses Briefes, der meine heiligsten Rechte enthält, + nicht kann ignorirt werden.[34] + + Was die größere Ausgabe der »Parthenais« betrifft, von der Sie + schreiben, so kann diese unter den obwaltenden Umständen noch nicht + erscheinen. Die Ursache davon ist: + + 1) Baggesen hat durch seine spätere Zurückkunft nach Paris die + Erscheinung nach dem Buchstaben des Contractes unmöglich gemacht. + Die Umstände in Deutschland machten sie übrigens auch nicht möglich. + + 2) Jetzt, nachdem die kleine Ausgabe von uns und der Abdruck des + ersten Verlegers seit 18 Monaten in Deutschland circulirt, ist + eine große Luxus-Ausgabe aus folgenden Gründen unthunlich: + + Sie erschiene entweder unverändert nach der zweiten Ausgabe, oder + umgearbeitet als neue Ausgabe. + + Im ersten Falle wird sie sehr wenig gekauft werden, weil der + Reiz der Neuheit des Gedichts ganz vorüber ist. Nur Liebhaber von + Luxus-Ausgaben würden sie kaufen. Dieser Liebhaber existiren jetzt + aber in dem ausgesogenen Deutschland fast keine. Kein Buchhändler + in Deutschland macht jetzt Luxus-Ausgaben. Göschen läßt selbst die + Fortsetzungen von Klopstock, Wieland &c. beruhen bis auf bessere + Zeiten. + + Im zweiten Falle aber, daß Baggesen das Gedicht etwas verändere, + wird mir die des Mitabdrucks des ersten Verlegers wegen kaum zur + Hälfte verkaufte Auflage wieder Maculatur. Mein Schaden vermehrt sich + wieder, und da der erste Verleger das Recht zu haben versichert (was + Baggesen wol durch #Worte#, aber nicht durch #Documente# widerlegt), + sich die »Parthenais«, in welcher Form sie auch sei, anzueignen, so + lange sein erster Contract nicht abgelaufen, so würde er auch diese + Auflage (möge sie bei Didot oder bei Unger gedruckt sein) wieder + abdrucken, und das arme deutsche Publikum würde seine wohlfeile + Ausgabe lieber kaufen als unsere theure. + + Jetzt also ist in keinem Falle an die große Ausgabe der deutschen + »Parthenais« zu denken. Wenn Baggesen mich gegen den ersten Verleger + schützt, sei es unmittelbar, oder durch die Edition von Documenten + (Worte, Raisonniren hilft zu nichts), die mich in Stand setzen, den + ersten Verleger als Dieb zu behandeln (was in Leipzig auf der Messe + angeht, wo #alle# deutsche Buchhändler eine Jurisdiction haben) -- + dann soll sie erscheinen, sobald es vernünftig ist, d. h. sobald + die erste Auflage größtentheils verkauft ist, und das Publikum + empfänglicher für Luxus-Ausgaben ist. Schützt mich Baggesen aber nicht + gegen den ersten Verleger, so kann und wird nie eine größere Ausgabe + erscheinen und wird sicher nie irgendein anderer deutscher Buchhändler + darüber mit Baggesen contrahiren oder nie dagegen aufkommen. + + Es hängt ganz von Baggesen ab, wie er die Sache beendigen will. Ich + habe sie ihm auf das äußerste leicht gemacht, indem ich mich erboten, + die Hälfte desjenigen zu tragen, was man seinem ersten Verleger würde + zur Abmachung geben müssen, und das Ganze zu avanciren, und da diese + Hälfte etwa 12 Louisdor betragen würde, so glaube ich, daß Baggesen, + der 150 Louisdor Honorar erhalten, diese erbärmlichen 12 Louisdor, + da er offenbar die Verpflichtung zur #ganzen# Abmachung gegen mich + hat, könnte beigeben lassen, ohne dieserhalb, wie er thut, die + innigsten und freundschaftlichsten Verhältnisse mit mir zu brechen + und mich auf das unwürdigste zu mishandeln, als wolle ich ihn zu + hintergehen, zu misleiten, zu betrügen suchen! Mein Ehrgeiz und meine + Pflicht gegen meine Handlung erlaubt mir keine Linie weiter zu gehen + als ich gegangen bin, und wenn der Gegenstand einen Liard oder 1000 + Louis betrüge, der davon abhängen möchte! Baggesen hat meine Ehre + hineingezogen und nun hat Alles das schärfste Ziel. + + Verzeihen Sie tausendmal, werthester Herr Fauriel, daß ich Sie so + lange hiermit aufgehalten habe. Ich mußte es aber thun, da ich gewiß + bin, daß Baggesen gegen Sie beständig davon sprechen wird, da Sie mich + in Ihrem Brief selbst davon unterhalten, und da es Ihnen zeigen wird, + wie mir Alles, was auf die »Parthenais« bis zum Namen hin Beziehung + haben konnte, zuwider sein mußte. + + Ich hoffe indessen von Baggesen's Redlichkeit und Rechtlichkeit das + Beste, und ich denke also, daß Alles sich wieder ins Gleiche fügen + werde. + + Wäre dies aber auch nicht, so bleibe ich, wie sich versteht, meinem + Ihnen durch Herrn Cramer gegebenen Worte aufs heiligste getreu. Die + französische Uebersetzung der »Parthenais« erscheint und mache ich + hiermit darüber folgende Bestimmungen ..... + + Hiermit ist diese Verhandlung, denke ich, fest bestimmt, wie sich + ja jede Verhandlung fest bestimmen läßt in Kürze, wenn man es recht + miteinander meint. + + Ich bitte Sie indessen, nie weiter irgend Jemanden mit Aufträgen + hierüber an mich zu chargiren, sondern mir Alles selbst zu sagen; auch + würden Sie mich sehr verbinden, ebenfalls keine Aufträge von diesen + Andern an mich wieder anzunehmen. + + Es ist mir unendlich leid, daß ich Sie in meinem ersten Briefe mit + so vielem Odiösen habe unterhalten müssen! Die Nothwendigkeit dazu + ist mir peinlich und lästig genug gewesen. Sie werden mir dies gern + glauben. + +Dieser Brief und der eingeschlossene an Baggesen scheinen ihre +Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn der nächste berichtet von einer +Wiederversöhnung Beider, ohne freilich anzugeben, worin diese bestanden, +und ohne daß Brockhaus ahnen mochte, von welch kurzer Dauer sie sein +werde. Brockhaus schreibt nämlich an Fauriel unterm 16. Juni, also +gerade ein halbes Jahr nach dem ersten Briefe: Er habe in langer Zeit +keinen Brief erhalten, den er mit wahrerer Theilnahme gelesen. Auf +die französische Uebersetzung der »Parthenais« habe er schon beinahe +nicht mehr gerechnet und sei sehr gespannt auf die ersten Bogen, »da +es mir eine der außerordentlichsten Aufgaben scheint, Dichtungen wie +die 'Parthenais' mit ihren griechischen Silbenmaßen glücklich in +die französische Sprache zu übertragen«; Fauriel's Uebersetzung der +»Parthenais« wurde übrigens in Prosa abgefaßt. Darauf fährt Brockhaus +fort: + + Was meine Verhältnisse mit Baggesen selbst betrifft, so sind + sie insoweit wiederhergestellt, daß ich alle Kränkungen, die mir + widerfahren, längst vergessen habe. Baggesen ist einer der am eigenst + organisirten Menschen, die auf der Erde leben, und ich glaube, daß + er mehr wie Rousseau von sich sagen könnte, daß Niemand auf der + Erde ihm gleiche. Um Baggesen zu messen und zu beurtheilen, muß man + einen ganz andern Maßstab haben als für andere Menschen! Ich habe + dies zu Zeiten vergessen, daher viele Misverständnisse, Störungen, + Unannehmlichkeiten. Doch ich will mich darüber hier nun auch nicht + weiter verbreiten. Ich liebe und verehre Baggesen unendlich. + + Was Ihre gütige Mittheilung über Baggesen's Verhältnisse betrifft, + so sehe ich solche als einen Beweis Ihres Vertrauens gegen mich an. + Empfangen Sie dafür meinen herzlichsten Dank. Ich werde Ihnen ganz + aufrichtig darauf antworten. Wäre ich reich, so würde, um einen so + trefflichen Mann und Freund wie Baggesen zu unterstützen und ihm + bis auf bessere Zeiten Vorschüsse zu thun, bei mir keine Secunde + Bedenkzeit oder Bedenklichkeit stattfinden. Aber ich bin nicht reich, + und bei meiner Unternehmungslust, Thätigkeit und bei meinen jetzigen + vielfältigen Verbindungen mit den Koryphäen der Gelehrten-Republik in + Deutschland fehlt es mir an genügendem Fonds, als daß ich auch nur + etwas davon #da# gebrauchen könnte, wo Freundes-Gesinnung es mir wie + hier gebieten würde, ihn zu theilen. Daß ich als Hausvater und als + Vorsteher einer zahlreichen Familie auch in dieser Hinsicht Pflichten + habe, kann ich auch noch wol anführen. Indessen ist es auch eine nicht + mindere Pflicht, dem wackern und durch Umstände gedrückten Freunde + zu helfen, soviel man kann und soweit man darf. Kann unser Baggesen + also berechnen, daß er mir in einem gewissen Zeitraum, etwa in 2 _à_ + 3 Monaten, das Manuscript zu den mir seit langer Zeit zugesagten + »Dichterwanderungen« besorgen kann, so erlaube ich ihm selbst oder + Ihnen, dann gleich auf mich die Summe von 50 Louis _à_ 3 Monat dato + ziehen zu können, und, wenn ich bis dahin einiges Manuscript erhalten + habe, den 15. August nochmalen 50 Louis auf gleiche Weise ziehen + zu dürfen. Herr Toberheim oder ein Anderer wird, denke ich, diese + Tratten gern nehmen und Baggesen gleich den Betrag dafür auszahlen. + Ich lege Ihnen zu diesem Zweck eine Declaration hier bei, von welcher + Sie Gebrauch machen können. Fühlt Baggesen aber, daß seine physischen + und geistigen Kräfte ihm in diesem Augenblicke die Redaction jenes + Werks nicht erlauben, so werden die Tratten unterbleiben. Ich sage + »Redaction«, denn der Stoff des Werks liegt da, ist bereits von ihm + erschaffen, und es bedarf nur einer Form und Anordnung. Will er, + was unser und sein Plan war, aus seiner früher wirklich geführten + Correspondenz -- und wer schreibt Briefe wie er? -- das Werk + bereichern, so glaube ich, dürfte Baggesen nur einer kurzen Ermannung + und des ernsten Wollens bedürfen, um in kurzer Zeit unsern und den + Wunsch seiner zahlreichen Verehrer zu erfüllen, und zugleich sich und + seiner Familie, außer dem Danke des Publikums, eine ehrenvolle, wenn + auch kleine Unterstützung zu bereiten. + + Machen Sie, werthester Herr Fauriel, von diesen Eröffnungen den + zartesten und delicatesten Gebrauch. Baggesen ist oft wie die + Sensitive: nähert man sich ihr, so zieht sie sich zusammen; so auch + Baggesen nicht selten. + + Ich habe seit Ihrem Briefe noch nichts von Baggesen gesehen und bin + nun wol seit vier Monaten ohne alle Berichte von ihm. + +In zwei kurz darauf geschriebenen Briefen ist nichts Wichtiges enthalten. + +Brockhaus sagt unterm 25. Juli, daß er beabsichtige, bald nach Paris +zu kommen, und sich unendlich freuen würde, Fauriel's persönliche +Bekanntschaft zu machen; Baggesen, der Fauriel's Nachrichten zufolge +schon längst in Amsterdam hätte angekommen sein müssen, sei übrigens +noch nicht erschienen, und rechne er nun also schon nicht mehr auf seine +Ankunft. »Dies ist mir aber nicht neu mehr am Dichter der 'Parthenais'«, +fügt er lakonisch hinzu. + +Der nächste Brief, vom 15. August, handelt ebenfalls nicht näher von +den Baggesen'schen Angelegenheiten, sondern im Eingange von dem (später +wieder aufgegebenen) Projecte einer französischen Bearbeitung der +Massenbach'schen Manuscripte und dann von andern literarischen Dingen, +doch lassen wir ihn gleich hier mit folgen. Er lautet: + + Meinen herzlichsten Dank für die Eröffnungen Ihres letzten Briefes, + den Barometer Ihrer Preßfreiheit betreffend. Ja, man muß gestehen, daß + die große Nation ganz rasend frei ist und die Engländer z. B., bei + denen man Alles sagen darf, was ein gebildeter Mensch denken mag, in + einer schrecklichen Sklaverei leben! + + Von Treuttel & Würtz habe ich noch keine nähere Antwort. Aber sie + kann nicht bejahend oder einladend sein. Vor der Hand bleibe also das + Project suspendirt! Wir werden erst nur einen Theil des Originals + bekannt machen. Vielleicht findet sich dann die Sache eher ausführbar. + Eine nähere Analyse des Inhalts sende ich Ihnen lieber durch Treuttel + & Würtz. + + Auch für Frankreich würde ohnstreitig ein Werk dieser Art großes + Interesse haben. Haben Thiébault's »_Souvenirs_«, Mirabeau's + »_Lettres_«, Séguis' »_Histoires_«, jetzt Lamband's »_Matériaux_« + und die »_Caractères prussiens_« doch alle mehrere Auflagen erlebt; + haben Masson's »_Mémoires_«, Rulhière's und Carteras' Berichte nicht + großen Beifall gefunden? Diese Werke sämmtlich sind aber mit den + Memoiren, die wir jetzt herausgeben, in Hinsicht auf Originalität, + inneres Interesse und ihre historischen Enthüllungen keineswegs + zu vergleichen. Durch _coupures_ und Verschmelzungen von I-II und + französischen National-Zuschnitt würde, wir glauben es gewiß zu + sein, ein für ganz Europa von höchstem Interesse seiendes Werk + daraus geschaffen werden, da die französische Sprache es für ganz + Europa lesbar macht. Die individuelle Geschichte der Zernichtung + eines Staates wie der preußische, den ganz Europa seit einem halben + Jahrhundert als ein hohes Muster innerer und äußerer Vollkommenheit + betrachtete oder bewunderte, und durch dessen Fall der ganze Continent + in Sklaverei gerathen, diese Geschichte von einem höchst geistvollen + und genialen Manne, der Alles zu sehen und zu untersuchen Gelegenheit + hatte, der selbst auf dem höchsten Posten stand, in ihren Ursachen + und Wirkungen zerlegt und aufgehellt zu sehen, kann nicht anders als + für Mit- und Nachwelt das lebendigste Interesse haben. Es gibt hier + keine Abstractionen nach geschehenem Factum eines müßigen Scribenten. + Es ist hier die lebendige Erzählung eines Augenzeugen, der, mit der + reichsten Intelligenz ausgestattet, schon seit einer Reihe von Jahren + die Auflösung des für Europas Cultur und Freiheit wichtigsten Staates + herannahen sah, der Alles anwendete, ihr zu steuern, der endlich in + Augenblicken der höchsten Gefahr mit ans Steuerruder gesetzt wurde, + aber, da nichts mehr zu retten war, das Schiff zertrümmern sah. + Freilich sind die Werke für Deutschland vom #ersten# Interesse. + Allerdings. Sie werden dies dort auch erwägen, und sind wir einer + guten Unternehmung dadurch schon sicher. Wenn die ersten Bände heraus + sind, werde ich mir die Freiheit nehmen, sie Ihnen zu senden, und + bitte ich mir dann einmal Ihre nähere Meinung aus. + + Da ich in Paris noch mancherlei zu besorgen habe, so werde ich, um + all' das zusammen zu berichtigen, vielleicht gegen den Herbst oder + im Winter mal die im Grunde so kleine und doch in so vieler Hinsicht + angenehme Reise machen. + + Wenn Ihre »Parthenais«, von der Baggesen mir so unendlich viel + Gutes sagt, fertig ist, komme ich vielleicht dann, um den seltsamen + Eindruck zu beobachten, den dieser germanische ernste Gesang auf die + verweichlichten Nerven der verbildeten Bewohner der europäischen + Hauptstadt machen möchte! + + Für Ihre gefällige Anerbietung, mein Cicerone sein zu wollen, meinen + herzlichsten Dank. Ich werde Sie gewiß daran erinnern. + + Baggesen schreibe ich heute recht viel, auch von Ihnen! Er wird es + Ihnen schon sagen. + + Den »Aladdin« von Oehlenschläger, der bei uns herausgekommen, werden + Sie von Herrn Würtz erhalten. Sie wollen gütigst das Exemplar als ein + Zeichen meiner Ergebenheit annehmen. + + Von Herrn B. Constant habe ich auch Briefe von Coppet. Herr von + Villers hat mich schon vor einiger Zeit mit ihm in Verbindung gesetzt, + um sowol von ihm selbst einmal irgend ein interessantes Werk in Verlag + zu erhalten, als insbesondere durch ihn eins von Madame von Staël. + + Hierzu ist auch Hoffnung da. Madame de Staël schreibt Briefe + über Deutschland, seine gesellschaftliche und literarische Cultur, + und sie ist, wie mir Herr Constant schreibt, nicht abgeneigt, ihre + Bekanntmachung meiner Handlung zu übergeben. Dies würde für meine + Handlung ein kleines Glück sein! Sollten Sie gelegentlich und füglich + bei Herrn Constant zur Beförderung meines Wunsches mitzuwirken + thunlich finden, so bitte ich Sie, es zu thun. + + Nachschrift. Ich adressire meinen Brief an Baggesen nach Marly. Er + ist doch noch da, sodaß der Brief ihn treffen kann? + +Der nächste Brief ist aus Leipzig vom 20. October 1808 datirt und also +während der ersten Anwesenheit von Brockhaus auf der Buchhändlermesse +geschrieben. Brockhaus war wieder lange ohne Nachricht von Baggesen und +namentlich ohne Manuscript geblieben, obwol dieser zwei Wechsel auf +ihn abgegeben und versprochen hatte, selbst nach Leipzig zu kommen. So +wendet er sich denn wieder an Fauriel mit der Bitte um Auskunft über +Baggesen. Sein Brief lautet: + + Ich schreibe Ihnen, werthester Herr Fauriel, diese Zeilen von der + Messe aus im Gedränge meiner sonstigen Geschäfte. + + Ihren letzten Brief, den ich noch in Amsterdam erhielt, habe ich + nicht gleich zur Hand, und ich behalte mir dessen Beantwortung bis zu + einer gelegenern und ruhigen Zeit bevor. Heute will ich mich mit Ihnen + blos über unsern Baggesen unterhalten. + + Baggesen zog im Juli circa 55 Louis auf mich. Im Wechsel stand: + »_suivant l'avis_«. Diesen Avis hatte ich bei der Präsentation + nicht erhalten. Ich hätte also die Tratte mit Protest eigentlich + zurückweisen müssen, »_car il faut faire des affaires comme des + affaires_«. Ich that das aber doch nicht. Ich acceptirte den Wechsel + und ist er auch schon längst bezahlt. Den Avis habe ich nicht + erhalten. Ehe dieser erste Wechsel aber verfallen war, kam schon + wieder ein zweiter von auch 55 Louis, wieder »_suivant l'avis_«, aber + ich hatte wieder keinen »Avis«. Was hätte ich thun müssen? Denke sich + jeder in meine Lage als Geschäftsmann! Ich that das aber wieder nicht, + was ich als solcher thun #mußte#. + + Vor einigen Tagen erhalte ich nun aber endlich einen Brief von + Baggesen vom 15. September, der über Amsterdam gelaufen und mir + von da zugesandt worden. Hier erwähnt denn Baggesen dieser Tratten + beiläufig und ersucht mich, daß ich Toberheim vom Accept derselben + benachrichtigen möchte. Ich thue dies in der Einlage, die Sie die Güte + haben wollen an Herrn Toberheim abzugeben. Baggesen schreibt mir, daß + er auf dem Punkte stünde, Paris zu verlassen, daß er über Frankfurt + reisen, von dort nach Leipzig kommen und mich hier zur Messe besuchen + würde. Seit dem 15. September sind aber jetzt schon über fünf Wochen + verflossen, und ich muß also vermuthen, daß aus der Reise entweder gar + nichts geworden, oder daß Baggesen eine andere Route genommen. Ich + bleibe noch circa 14 Tage hier, eine Zeit, die hinreichend ist, um von + Ihnen, wenn Sie mir mit umgehender Post zu antworten die Güte haben, + hier noch Ihre Auskunft hierüber zu erhalten. + + Sie wissen, werthester Herr Fauriel, daß ich mich auf das + bestimmteste erklärt habe, daß, wenn Baggesen die Tratten auf mich + machte, ich auch dann schnell in Besitz einiges für den Druck fertigen + Manuscripts müßte gesetzt werden, um davon noch für dieses Jahr + Gebrauch machen zu können. Ich habe mich ohne Scheu und Scham über + meine Verhältnisse erklärt, offen gesagt, daß meine Lage mir durchaus + nicht erlaubte, unter andern Bedingungen diese Zahlungen zu leisten + und anzunehmen. Jetzt ist aber schon die eine Tratte von 55 Louis + bezahlt, und die andere ist acceptirt, was so gut ist als bezahlt. + Noch aber habe ich bis heute, Ende October, kein Blatt Manuscript. + + Meine Bitte an Sie ist also, daß, wenn Baggesen noch dort ist, + Sie ihm den Inhalt dieses Briefes mittheilen und mir mit umgehender + Post hierher Auskunft über Baggesen's Intentionen sowol, als über das + Gefördertsein des Manuscripts und wann und wie ich solches erhalten + soll, geben wollen. Die Pflichten, die ich gegen meine Handlung habe, + zwingen mich, daß ich darüber Gewißheit haben müsse. Baggesen kann + und wird es mir nicht übelnehmen, daß ich mich darüber an Sie und + nicht an ihn direct wende. Er ist nicht pünktlich im Antworten, Sie + sind es. Sie kennen aber auch außerdem alle unsere Verhältnisse; Sie + sind Baggesen's Freund, Sie sind gegen mich gütig gesinnt, Sie werden + meinen Auftrag mit all der Zartheit und Delicatesse, die er erfordert, + ausrichten. Sie werden meine Lage und meine Verhältnisse fassen und + würdigen. + + Ich wiederhole meine Bitte, mir mit umgehender Post darüber hierher + nach Leipzig zu schreiben. + + Wegen Ihrer »Parthenais« hoffe ich nun bald Ihren und Treuttel's + Bericht zu empfangen, daß mit dem Druck begonnen werde. Den mir + gütigst im Manuscript versprochenen Gesang werden Sie wol nach + Amsterdam gesandt haben. + + Die Massenbach'schen Werke sind noch nicht so weit gediehen, daß + ich Ihnen solche habe senden können bisjetzt. In Zeit von acht Tagen + werde ich Ihnen aber einen Theil derselben zusenden und für die Herren + Treuttel und Ihren Freund (Oelsner?) Exemplare beilegen. Was ich Ihnen + jetzt sende, ist das zweite und dritte Werk, welches wir angekündigt + haben. Von dem interessantesten: den Memoiren in drei oder vier + Bänden, erscheint der erste Band erst in vier Wochen, den Sie auch + sogleich erhalten sollen. + + Soweit auch ich das französische Publikum beurtheilen kann, + wird eine Bearbeitung und Ineinander-Verschmelzung dieser Werke + in Frankreich ein großes Publikum finden. In Deutschland ist die + Erwartung so darauf gespannt, daß wir so viele Bestellungen darauf + haben, um gezwungen zu sein, ehe die erste Auflage fertig ist, schon + eine zweite drucken zu lassen. + + Leben Sie wohl. Wenn Baggesen noch in Paris ist, tausend + Empfehlungen an ihn! + + Ihr Ihnen von ganzer Seele zugethaner + + Brockhaus. + Adr. Herrn Heinr. Graeff in Leipzig. + +Fauriel's Vermittelung scheint diesmal ganz ohne Erfolg gewesen zu sein. +Brockhaus ging nun die lange mit Baggesen geübte Geduld endlich aus. Er +schreibt an Fauriel aus Amsterdam vom 15. Juni 1809: + + Es ist beinahe ein ganzes Jahr, daß Sie nichts von mir, ich nichts + von Ihnen gehört habe. Sind wir uns auf einmal so fremd geworden? + Welch ein böser Genius hat die zarten freundschaftlichen Verhältnisse, + womit Sie mich zu beehren schienen, auf einmal so locker gemacht? Ich + weiß es nicht, was mich verhindert hat, Ihnen zu schreiben. Ich weiß + noch weniger, was allenfalls Sie könnte bewogen haben, gegen mich zu + schweigen: es sei denn, daß vielleicht _à la lettre_ Sie mir zuletzt + geschrieben hätten. Aber werden Sie dies so streng nehmen? Sie wissen + wie geschäftsvoll wir Geschäftsleute oft sind, und wie uns da oft + unser Gedächtniß über Brief-Beantwortungen, die nicht unmittelbar in + das kaufmännische Verhältniß eingreifen, untreu wird! Sie verdammen + mich deshalb gewiß nicht. Ich Sie auch nicht, daß Sie mir nicht + geschrieben haben. Wer weiß, was Sie daran verhindert hat? Sie werden + mir es sagen, auch wenn ein kleiner Groll die Ursache davon gewesen. + + Mit Baggesen bin ich leider ganz zerfallen. Ich möchte darüber + ganz gegen Sie schweigen, da es sonst den Anschein erhalten könnte, + als suchte ich ihn vielleicht bei Ihnen zu verkleinern, mich zu + entschuldigen oder ihn zu beschuldigen. Allein das Alles mag ich nicht + und kommt mir nicht in den Sinn. Nur historisch muß ich es Ihnen + doch sagen, daß wir zusammen zerfallen und warum wir es sind. Sie + erinnern sich, wie Sie mir im vorigen Jahre Baggesen's _abattement_ + und die Ursache davon, seine pecuniären Verlegenheiten, schilderten. + Sie wünschten, daß ich ihm 50 Louis avanciren möchte; Sie hatten + den Edelmuth, solche mit Ihrem künftigen Honorare zu garantiren. + Sie wissen, daß ich antwortete: »ich sei für den Augenblick und + überhaupt nicht in der Lage, Vorschüsse geben zu können; ich bedürfe + jedes Francs meines Capitals für mein laufendes Geschäft«; wenn also + Baggesen nicht moralisch und physisch gewiß sei, mir diejenigen + Manuscripte, worüber zwischen uns schriftliche Contracte oder + mündliche Zusagen existirten, in einer gewissen Zeit (ich glaube, + ich setzte drei Monate dazu) zu liefern, so könnte und dürfte ich + die verlangten 50 Louis nicht zugestehen; wäre aber, fuhr ich fort, + Baggesen dessen gewiß, so könnte er selbst 100 Louis auf mich + trassiren. Sie werden sich Alles dessen erinnern. Auch dessen, daß + Baggesen die Zusage machte, und daß er 100 Louis auf mich trassirte. + Sie werden sich erinnern, daß er seine Arbeiten, worauf diese 100 + Louis entnommen, unterbrach, weil ihm ein anderes Gedicht, der + »Faust«, in den Sinn gekommen war. Sie werden sich erinnern, wie Sie + selbst mir über diese neue Idee Baggesen's schrieben, und wie Sie + wünschten, daß ich solche der andern möchte vorgehen lassen. Baggesen + selbst sandte mir den ersten Act per reitende Post von Paris zu als + Probe und äußerte mit Ihnen gleichförmige Wünsche. Sechs Monate + verstrichen indessen und ich erhielt keine Zeile Manuscript irgend + einer Art, weder vom »Faust« noch von den mir zuerst zugesagten + Manuscripten. In der Zwischenzeit war Baggesen freilich einige Zeit in + Frankfurt unpäßlich geworden, und hatte mir dies Gelegenheit gegeben, + ihm aufs Neue meinen guten Willen zu zeigen, ihm dienen zu wollen. + Die Unpäßlichkeit war aber vorüber, und es fand sich dadurch jeder + Grund aufgehoben, das eine oder das andere seiner Versprechen zu + erfüllen. Es war dies unbedingt selbst seine Pflicht. Aber ich erhielt + immer keine Zeile Manuscript, wol aber beleidigende, ausweichende + Briefe. So ließ ich endlich gezwungen die zweiten 50 Louis, die + noch nicht bezahlt waren, protestiren (die ersten 50 Louis waren + bezahlt), da ich vollends hörte, daß er den mir zugesagten »Faust« + an einen andern Buchhändler in D. verhandelt hatte. Ich mag und will + die unangenehmen Discussionen, die hierüber zwischen Baggesen und + mir vorgefallen, nicht alle entwickeln; ich kann nur sagen, daß ich + in mir das Bewußtsein habe, zu jeder Zeit und in jedem Verhältnisse + gegen Baggesen als höchst rechtlicher Mann gehandelt zu haben; ich + habe vergebens Schiedsrichter aus unsern Freunden vorgeschlagen, im + Fall sich wirklich etwas zwischen uns zu erörtern fände (ich habe dazu + Villers und Perthes vorgeschlagen; ich schlage noch Sie und Herrn + Würtz dazu vor), Alles umsonst. Ich habe keine Zeile Manuscript bis + heute! Ich habe keinen Sou Rembours für die bezahlten 50 Louis und + noch etwa 300 Louisdor von sonstigen Avancen. Ich habe keine Antwort + auf meine Vorschläge: etwaige Differenzen, ob ich gleich im Grunde + dergleichen nicht kenne, da seit der Epoche, wo ich ihm auf Ihre + Vorsprache das Geld dargeliehen, nichts Anders zwischen uns verhandelt + ist. Baggesen will freilich diese 50 Louis anders compensiren: so + soll ich von den »Heideblumen«, wie er in seiner Idee glaubt, mehr + Exemplare haben drucken lassen als contractmäßig war (indem er + annimmt, sonst müsse die erste Auflage schon verkauft sein!!) u. s. w. + + Das heißt nun wol leeres Stroh gedroschen, aber was wollen Sie, + daß ich anders thun soll, anders thun kann, als zu sagen: »wenn Sie, + Baggesen, glauben, daß ich Ihnen zu wehe gethan habe, so entscheide + hier Ihr und mein Freund Perthes in Hamburg oder Würtz in Paris als + Buchhändler, Villers in Lübeck oder Fauriel in Paris als Gelehrte«? + Dann hatte man mit Ehre und Rechtlichkeit die Discussion geführt und + sie beendigt, anstatt daß sie jetzt tiefe Spuren der Erbitterung + hinterlassen und beide Theile beim neugierigen Publikum compromittiren + wird. Ich schweige darüber. Etwas mußte ich Ihnen doch darüber sagen. + Vielleicht kommt Baggesen nach Paris zurück, vielleicht auch nicht. + Ich weiß nicht, wo er ist und wohin er geht. + + Sie haben für die 50 Louis garantirt. Darum schreibe ich Ihnen + aber nicht. Ich werde Sie dieser Garantie unbedingt entlassen, wenn + nicht ein dritter Freund von uns Beiden (etwa Herr Würtz oder wen Sie + wollen) sein erklärtes oder bestimmtes Votum darüber gibt. Ich würde + hier gleich unbedingt Verzicht darauf thun, wenn ich nicht überzeugt + wäre, daß Ihre Delicatesse dieses nicht erlauben würde. Ich habe + Ihnen heute nur die Facta, die zwischen Baggesen und mir stattgehabt, + melden wollen: daß ich bis heute keine Zeile Manuscript erhalten, daß + Baggesen sich allen Verbindlichkeiten gegen mich zu entziehen sucht, + daß er in längst abgemachten Sachen Phrasen aufsucht, um mich damit + abzufertigen &c. &c. + + Wie leid es mir thut, in Baggesen den Menschen nicht so verehren + zu können als den Dichter, werden Sie mir ohne Versicherung glauben. + Auch die an Baggesen avancirten 50 und 25 Louis entbehre ich ungern. + Ich habe Ihnen und Baggesen oft und ohne Hehl gesagt: ich bin nicht + reich; ich #kann# nicht vorschießen, ich bedarf jedes Louisdor für + mein Geschäft und für meine zahlreiche Familie (ich bin Gatte und + Vater von sechs Kindern). Mein Geschäft erfordert beständig Fonds, + und so entbehre ich diese 75 Louis ebenfalls sehr schmerzlich. Ich + habe auch Baggesen das gesagt, aber der gefällt sich in seinen neuen + Verbindungen zu gut und ist zu wohl darin, als daß es ihm einfiele, + darauf zu achten einmal. + + Ob nun noch wol die französische »Parthenais« erscheinen wird in + meinem Verlage? Mein Wort ist und bleibt mir heilig darin, unerachtet + des nicht zu überwindenden Widerwillens an Allem, was von Baggesen + herkommt, solange mein ganzes Verhältniß zu ihm nicht hergestellt ist. + Ich werde gewiß Baggesen nicht nachahmen, der alle Verbindlichkeiten + für nicht verbindlich hält, wenn kein förmlicher Contract darüber da + ist. Sie sind ein zu edler Mann, um gleiche Grundsätze zu haben. Ihnen + und mir wird ein einfach gegebenes #Wort# selbst heiliger sein als ein + förmlicher Contract. Also ich bleibe der Verleger der französischen + »Parthenais«, und ich bin bereit, auf der Stelle damit anfangen zu + lassen, sobald Sie mir melden, daß das Manuscript vollendet sei. Herr + Würtz hat mir dies in Leipzig versichert. Ob ihm so ist, sagen Sie mir + selbst. Einstweilen bitte ich Sie aber dringend, mir doch irgend eine + Episode oder einen Gesang davon per Brief zuzusenden. Sie haben mir + dies lange versprochen, und ich mahne Sie daran. + + Mit dem Werke des Herrn von Massenbach geht es in Deutschland sehr + gut. Die »Memoiren« werden unstreitig das wichtigste Werk für die + neueste Geschichte Deutschlands. Sie werden dazu weit developpirter + als zuerst im Plan vorlag, und es dürften statt drei jetzt vier Bände + werden (außer den »Rückerinnerungen« und den »Denkwürdigkeiten«). Der + zweite Band ist eben erschienen, und ich schicke Ihnen denselben in + acht Tagen zu. Der dritte Band erscheint in sechs Wochen. Sobald Sie + diesen dritten Band der »Memoiren« erhalten haben, erbitte ich mir + Ihre Meinung darüber; eher nicht. + + Herr Würtz sagte mir, daß Sie die Güte haben wollten, eine Anzeige + der classischen Geschichte der Botanik, die in meinem Verlage + erschien[35], für den »Publicisten« zu besorgen. Ich danke Ihnen im + voraus dafür. Senden Sie mir die Anzeige aber doch zu, da ich den + »Publicisten« nicht mehr lese. + + Leben Sie wohl! Ich verbleibe Ihnen mit der innigsten Liebe + Freundschaft zugethan. + + Brockhaus. + +Fauriel antwortet bald auf diesen Brief, und es kommt nun wenigstens die +Angelegenheit über die französische Uebersetzung der »Parthenais« in +Ordnung. Brockhaus schreibt an Fauriel aus Amsterdam am 1. August 1809: + + Ich erfülle Ihren Wunsch, Ihnen recht bald auf Ihren gütigen Brief + vom 22. Juli zu antworten, dadurch, daß ich es gleich auf der Stelle + nach seinem Empfange thue. Sie werden dadurch mit mir zufrieden sein. + + Das Geschäft, worüber wir nun seit länger als zwei Jahren + miteinander correspondiren, muß doch auch endlich zu Ende gebracht + werden. Daß es das noch nicht ist, will ich Ihnen gewiß nicht + anrechnen, und Sie werden es mir auch nicht thun. Indessen lassen Sie + uns jetzt Beide zusammenwirken, daß nicht wieder ein neuer Aufenthalt + darin stattfinde. Meine Gesinnungen darüber haben sich im wesentlichen + in nichts geändert. Ich habe dazu einmal darin einen Entschluß + gefaßt gehabt, und da ich gewohnt bin, zu überlegen, #ehe# ich einen + Entschluß fasse, so bleibt es bei mir auch dabei und ich pflege davon + selten oder nie zurückzukommen. Daß meine persönlichen Verhältnisse + zum ursprünglichen Verfasser sich verändert, wirkt noch weniger auf + mich in Rücksicht meiner Bestimmungen darin. Es bleibt also damit ganz + so, wie wir darüber ein für allemal eins geworden. Ich schreibe heute + an die Herren Treuttel & Würtz, und gebe diesen die unbeschränkteste + Vollmacht, mit Ihnen alle die Maßregeln zu concertiren, welche zur + Herausgabe nöthig sind, als ich ihnen auch gleich für die dazu seiner + Zeit nöthigen Fonds bereits den erforderlichen Credit eröffne. Die + Stärke der Auflage überlasse ich Ihnen und Herrn Würtz zu bestimmen. + Für Holland, England, wohin ich Gelegenheit habe, Einiges zu + senden, und für Deutschland wünschte ich 4-500 Exemplare zu meiner + Disposition zu haben. Da man es für eine Art relativer Unmöglichkeit + hält, die »Parthenais« in französischer Sprache darzustellen, so + wird schon, abgesehen vom höhern ästhetischen Interesse, eine Art + von Neugierde den Verkauf der französischen »Parthenais« ziemlich + befördern. Da ich also 4-500 Exemplare für das Ausland hier bedarf, + so dürfte vielleicht eine Auflage von 1500 Exemplaren im Ganzen nicht + übertrieben sein. Ich überlasse aber, wie gesagt, die Bestimmung + derselben Herrn Würtz und Ihnen ..... + + So wäre denn alles Nöthige von mir besorgt, und ich überlasse es + nun Ihrer Sorgfalt, alle weitern Veranstaltungen zur wirklichen + Ausführung zu treffen. Benachrichtigen Sie mich bald vom Geschehenen. + Werden Sie mir aber nicht böse, wenn ich Sie nochmalen an Ihr altes, + altes Versprechen erinnere, mir doch einstweilen irgend ein isolirt + zu genießendes _morceau_ aus Ihrer »_Parthénéide_« mitzutheilen! Ich + bitte Sie selbst wiederholt darum, und ich werde es sehr gern sehen, + wenn Sie es mit Ihrer gütigen nächsten Antwort mittheilen wollen. + + Ich will Ihnen -- Sie sehen, daß ich dankbar bin -- auch noch etwas + mittheilen, das für Sie nicht ohne Interesse sein möchte; und zwar + für Ihren _Discours préliminaire_, auf den Sie ein wenig, wie wir + Alle recht viel halten. Sie erinnern sich der interessanten Recension + der »Parthenais«, welche vor etwa 1½ Jahr in der »Neuen Leipziger + Literatur-Zeitung« befindlich war. Baggesen glaubte, daß solche von + Professor Jacobs, damals in Gotha und jetzt in München, herrühre. + Es wird Baggesen interessiren zu hören, und ich bitte Sie es ihm + zu sagen, daß er sich darin geirrt. Ich habe auf meiner letzten + Reise zur leipziger Messe den Verfasser derselben persönlich kennen + gelernt und mir sein Vertrauen wie seine Freundschaft erworben. Es + ist der Doctor Apel in Leipzig, unstreitig einer der scharfsinnigsten + und geistvollsten Kritiker im ästhetischen Fache, den wir jetzt in + Deutschland besitzen, und zugleich selbst trefflicher und genialer + Dichter, obgleich ziemlich unbekannt und seinen Namen nicht + preisgebend, noch nicht von der Nation, sondern nur von den wenigen + Vertrauten seiner Muse gefeiert. Nun, von demselben ist auch unlängst + eine ganz treffliche und sehr umständliche Recension der »Louise« + von Voß erschienen, einem Gedichte, das man in Deutschland immer in + eine gewisse Art von Parallele mit Baggesen's »Parthenais« zu setzen + pflegt, eine Rezension, die in das Wesen dieser Dichtungsarten, den + Geist und das Technische derselben höchst geistvolle Blicke thut, + und deren Kenntniß Ihnen, wie ich glaube, recht lieb sein wird, wenn + Sie auch nichts besonderes Neues dadurch erfahren möchten. Ich will + Ihnen auch noch eine ganz herrliche Recension meines Freundes über + Jean Paul's »Vorschule der Aesthetik« mittheilen, die eben in der + »Jenaischen Literatur-Zeitung« befindlich, und die Ihnen ebenfalls + manche neue Ansicht wird kennen lehren. Das Buch selbst besitzt + Baggesen, wie ich weiß. Diese beiden Recensionen sende ich Ihnen mit + erster Gelegenheit durch die Herren Treuttel & Würtz. + + Ich werde Alles, was Baggesen und meine Verhältnisse mit demselben + _directe_ als _indirecte_ seinetwegen mit Ihnen betrifft, nie + weiter in meine Briefe an Sie aufnehmen, sondern darüber, so lange + Sie einigen Antheil daran nehmen wollen, separate Memoires lieber + beilegen. Ich werde dies auch heute thun und übergehe alles hierauf + Bezug Habende hier und in meinen weitern Briefen. + + Ich danke Ihnen schon vorläufig für Ihren guten Willen, über + Sprengel's »_Historia rei herbariae_« ein bedeutendes Wort im + »_Mercure_« sagen zu wollen. Uebrigens lese ich den »_Mercure_« ganz + regelmäßig, und haben Sie nicht nöthig, sich wegen der Zusendung der + Nummern besondere Mühe zu geben; es wäre denn dazu, daß ich sie dem + würdigen Verfasser mittheilen möchte. + + Von demselben Verfasser ist eben bei mir der erste Theil eines + andern vortrefflichen Werkes erschienen: »_Institutiones medicae_« + welches den ersten Theil der Physiologie enthält. Die vorläufige + Ankündigung davon lege ich Ihnen hier bei. Den ersten Theil selbst + werde ich so frei sein, Ihnen durch Herrn Würtz einhändigen zu lassen. + Es würde mich sehr freuen, wenn Sie Gelegenheit haben möchten, auch + für dieses Werk von irgend einem ganz der Wissenschaft gewachsenen + Manne für eines der größern Journale eine wahrhaft beurtheilende + Recension zu veranstalten ..... + + Ich höre nicht auf, Sie mit Bitten zu belästigen. Ich habe ihrer + noch einige an Sie. + + Dem vor etwa 14 Tagen durch Treuttel & Würtz an Sie abgesandten + Packete habe ich noch beigelegt ein Cahier Umrisse von Flaxman zu + Dante's »_Commedia divina_« und drei Hefte von Umrissen zu Ossian. + Jene bilden blos das erste Heft, und folgen demselben noch zwei Hefte + von gleicher Stärke. Es sind Nachstiche nur. Dieses -- die Umrisse zum + Ossian -- bilden aber ein Ganzes und Original und rühren von einem + gerühmten deutschen Künstler her mit Namen Rühl. Ich habe die Platten + dieser Zeichnungen (_les cuivres_) von der Handlung, welche solche hat + machen lassen, und welche Handlung durch Unglücksfälle zurückgegangen + ist, in vergangener leipziger Messe käuflich an mich gebracht; ich + lasse solche jetzt completiren, neu abdrucken, elegant cartonniren + u. s. w. Zu den deutschen Umrissen gehören zwei Abdrücke des Originals + in 4° und in 8°, ganz elegant gedruckt und höchst correct, und + zugleich eine deutsche Uebersetzung dieses Dichters von einem der + vorzüglichsten deutschen Schriftsteller und Dichter. Alles freilich + nach Willkür der Käufer, was sie nehmen wollen. Ueber den artistischen + Werth dieser Umrisse will ich mich hier nicht besonders auslassen, + sondern diesen Ihrem Urtheil anheimstellen und nur bemerken, daß von + Flaxman's Umrissen zu Dante das Original nicht allein im Buchhandel + gänzlich fehlt, sondern auch nur ganz wenige Exemplare im Publikum + existiren, daß die Platten selbst zernichtet und diese Copien höchst + genau sind. Die Frage wäre nur, und dies betrifft mein ganzes + Interesse dabei, ob nicht auch für Frankreich von dem einen und andern + ein kleiner Vortheil für mich zu ziehen und wie das am besten zu + befördern? Meine Wünsche sind darin sehr mäßig, da ich die Platten + auch sehr billig angekauft habe und ich in Deutschland meine Kosten + gewiß gedeckt erhalten werde; aber ob ich nicht vielleicht 50 _à_ + 100 Exemplare per Change gegen andere gute Bücher und Kunstsachen + in Paris möchte anbringen können, und ob ich nicht beides leichter + bewerkstelligen könne, wenn sowol zum Dante als zum Ossian ein + kurzer erklärender französischer Text gegeben würde, wie z. B. die + Loudon'schen Umrisse vom »_Museo_« mit einem solchen Text begleitet + sind -- dieses ist es, worüber ich wol Ihre Meinung wissen möchte ..... + + Ich begreife vollkommen, daß im Grunde meine Anfrage und + Angelegenheit blos mercantiler Art ist. Sie, werthester Herr Fauriel, + frage ich nun darüber, ob Sie die Ausführung der Zeichnungen zum + Ossian und zum Dante nicht ohne künstlerisches Verdienst finden, und + ob Sie einen kleinen Commentar darüber räthlich und thunlich finden, + und wie ich es wol anfangen müsse, mir denselben zu verschaffen? + + Es ist und bleibt mein fester Vorsatz, diesen Herbst noch eine + kleine Reise nach Paris zu machen. Mancherlei Geschäfte und + Verhältnisse zwingen mich dazu. Mein inneres Streben wünscht es + ebenfalls. Ich muß und werde suchen mir die Reise zugleich so nützlich + als möglich zu machen. Zu diesem Endzwecke möchte ich auch eine + Anzahl meiner dazu passenden Artikel _de fond_, als die beiden Werke + von Sprengel und Rudolphi, die beiden schönen 4° und 8° Ausgaben von + Dante, die »Umrisse« dazu und zum Ossian, ein paar kleine Schriften + von Villers und etwa noch 5 _à_ 6 andere interessante neue Artikel + meines Verlags in französischer und lateinischer Sprache gegen andere + gute französische Artikel zu changiren suchen, und mein Bestreben + muß also sein, diese meine Artikel so passend als möglich für den + französischen Buchhandel zu machen. + + Der dritte Band der Memoiren des Obersten von Massenbach wird + nun auch in einigen Tagen ganz fertig. Ich werde ihn Ihnen gleich + zuschicken und Sie bitten, mir aufrichtig Ihre Meinung zu sagen, + ob Sie glauben, daß ein »_Précis_« daraus für Frankreich Interesse + haben könne. Das Ganze dieser Memoiren wird sechs Bände betragen, die + sich schnell folgen werden. Aus den drei ersten läßt sich aber doch + einigermaßen das Interesse dieses Werks übersehen. + + Ich schließe meinen langen Brief. Wegen Baggesen wird's mir heute + zu spät zu schreiben. Das also ein andermal. Es eilt auch so sehr + nicht damit. + + Antworten Sie mir bald und vergessen Sie ja nicht mir eine kleine + Probe der französischen »Parthenais« beizulegen. + +Das hier versprochene »Mémoire« über Baggesen folgt unterm 11. August +in Form eines Briefs und enthält eine so eingehende, klare und ruhig +gehaltene Auseinandersetzung der Verhältnisse zwischen Brockhaus und +Baggesen, daß es keines weitern Commentars bedarf. Das Mémoire lautet: + + Vor einigen Tagen habe ich Ihnen über unsere persönlichen + Angelegenheiten geschrieben, heute schreibe ich Ihnen blos über + Baggesen. + + Sie haben einmal das mühselige und delicate Geschäft übernommen, + zwischen uns als Vermittler aufzutreten! Es ist mir dies unendlich + lieb. Wer sollte es sonst thun? Und eine persönliche Ausgleichung + scheint mir nicht möglich. Ich habe bereits vorgeschlagen und + auch Ihnen schon mehrmals gesagt, daß ich mich über die etwaigen + Differenzen zwischen uns dem Gutachten jedes verständigen und + unparteiischen Mannes unterwerfen will. Ich habe gleich eine Anzahl + solcher Männer vorgeschlagen: Villers, Perthes, Kerner, Würtz, Sie + selbst, wenn Sie wollen! Baggesen antwortet hierauf nicht und nichts. + Er sagt, Cotta würde die Sache in sich berichtigen. Diesem muß ich + widersprechen, wenn Cotta gegen mich wahr gewesen ist. Mir hat er auf + der leipziger Messe persönlich gesagt, daß er auch nicht das Geringste + von Baggesen's Verhältnissen zu mir wissen wolle und er auf keine + Weise ferner darin wirken oder eingreifen möchte. Ich erkläre indessen + wiederholt: daß ich mich unbedingt dem Gutachten jedes verständigen + Mannes bei meinen Differenzen mit Baggesen unterwerfen werde, wenn + Baggesen eine gleiche Erklärung und Gewährleistung gibt, und habe + ich selbst dagegen nichts, wenn wir diesen Schiedsrichter blos in + Paris wählen, wo Baggesen die Bequemlichkeit hat, demselben mündlich + alle nähern Elucidationen zu geben, wogegen ich blos mit todten + schriftlichen Erinnerungen einkommen könnte. Legen Sie oder Baggesen + dies nicht als Uebermuth aus; es ist blos die innere Ruhe meines + Bewußtseins, gegen Baggesen immer als ein rechtlicher und braver Mann + gehandelt zu haben. So kann, denke ich, nie ein Urtheil einfacher, + verständiger Menschen auch gegen mich sein, es sei denn in Sachen des + Verstandes, worin ich irren kann: und davon überzeugt zu werden, thut + mir nicht weh. Sie, Herr Fauriel, sind indessen jetzt einstweilen + zwischen uns getreten: es ist möglich, daß dadurch eine Ausgleichung + in unsern Geschäftsangelegenheiten kann bewirkt werden; und da ich + nichts mehr verlange als das, so folge ich Ihrer Einladung: genau + anzugeben, was ich von Baggesen verlange. + + Sie, Herr Fauriel, sagen: »stricte genommen, könne ich nichts + verlangen als _quelques volumes de correspondance_«. Es ist wahr, + nur hierüber existirt zwischen Baggesen und mir ein Contract in + #Form#. Ich bin indessen der Meinung gewesen, daß ein schriftlich + oder mündlich gegebenes #Wort# einen rechtlichen Mann noch weit mehr + binde als ein Contract. Diesen (einen Contract) muß auch ein Schurke + halten, weil ihn die Gesetze dazu zwingen, -- das gegebene #Wort# zu + halten, ist dagegen ein Wahrzeichen des Mannes von Ehre und reiner + Rechtlichkeit. Diesem ist das Wort #mehr# als der Contract. Zwischen + Ihnen, Herr Fauriel, und mir existirt auch kein Contract in Form, aber + ich bin moralisch gewiß, daß es Ihnen nie in den Sinn kommen werde, + darum unserer Abrede nicht nachkommen zu wollen; es wird mir ebenso + wenig je einfallen. + + Habe ich Unrecht, wenn ich diese Grundsätze auf Baggesen's + Verhältnisse zu mir anwandte? oder auf meine Verhältnisse zu Baggesen? + Ich wenigstens habe darnach gehandelt und würde nicht aufgehört haben + darnach zu handeln. + + Also Baggesen hat mir außer den contractmäßig zugesagten »Briefen« + auch sein liebstes, ihm theuerstes, seinen Genius am klarsten + aussprechendes Werk, die humoristische Beschreibung seiner Reisen + unter dem Titel: »Dichterwanderungen«, hundertmal mündlich und + ebenso oft schriftlich, oder vielmehr das in jedem Briefe seit zwei + Jahren zugesagt. Die Zeit der Ablieferung des Manuscripts dazu ist + nicht im Allgemeinen nur bestimmt worden; nein, der Monat, die Tage + gar waren es von Baggesen selbst. Auf beides geschahen auch die _à + conto_-Zahlungen, die auf Ihre Vermittelung statt hatten. Ich habe sie + auf diese so bestimmten und von meiner Seite nach meinen Grundsätzen + verbindend geglaubten Zusagen mehrmalen dem ganzen deutschen Publikum + nach deutscher Buchhändler-Sitte als erscheinend angekündigt. Die + Ehre meiner Buchhandlung erfordert, daß ich diese im Vertrauen auf + Baggesen's Worte dem deutschen Publikum und dem deutschen Buchhandel + gegebene Zusage halte; ich kann es darum nie zugeben, daß eine andere + Buchhandlung diese Werke je herausgebe. #Ich muß mein, im Vertrauen + auf Baggesen's Wort gegebenes Wort erfüllen.# Baggesen muß mich + darin unterstützen. #Er kann es.# Es ist hier von keiner genialen + Schöpfung irgend eines dichterischen Werks die Rede, sondern nur + von der Herausgabe von Collectaneen, die existiren und bereits in + Baggesen's Händen sein müssen (den Briefen); #dann# von der Herausgabe + einer Reise, die schon einmal oder gar zweimal in dänischer Sprache + (wenigstens zum Theil) von Baggesen herausgegeben ist, und zu der, + um sie mir im Manuscript deutsch zu liefern, nur einige _assiduité_ + erforderlich ist. Hätte Baggesen mit mir einen Contract über die + Vollendung der »Oceania« gemacht, ich würde auf dessen Erfüllung, + insofern Baggesen nicht in seinem Innern dazu den Beruf und den Impuls + fühlen möchte, nie dringen. Es ist klar wie der Tag, daß zur Haltung + eines solchen Contracts der höchste innere Beruf da sein müsse, + weshalb über solche Werke auch nie im voraus Contracte gemacht werden. + + Es ist das aber durchaus nicht der Fall mit der Herausgabe von + #wirklich geschriebenen#, also schon daseienden Briefen über + philosophische und literarische Gegenstände, die sich in Baggesen's + Portefeuille befinden werden oder befinden müssen, weil er darüber + contrahirt. Es ist dies derselbe Fall mit der Herausgabe seiner + Reisen, von denen wenigstens ein Theil (mehrere Bände) bereits in + dänischer und auch in deutscher Sprache erschienen sind, und die + nur, wenn Baggesen ihnen keinen höhern und andern Charakter geben + will, allenfalls von ihm übersetzt oder überarbeitet zu werden + brauchen. Voltaire konnte z. B. von einem Buchhändler nicht angehalten + werden, seine »Henriade« zu dichten, aber es konnte von Voltaire + verlangt werden, #wenn er darüber contrahirt hatte#, -- daß er seine + Correspondenz mit Friedrich, d'Alembert &c. herausgab oder die + #französische# Ausgabe eines Werks, das von ihm früher in irgend einer + #andern# Sprache geschrieben war. + + Ich glaube, man muß diese von mir hier aufgestellten Fälle sehr + bestimmt unterscheiden und dadurch fühlen, daß ich keineswegs etwas + Absurdes verlange, wenn ich von Baggesen das mir Zugesagte wirklich + fordere. Auch hat Baggesen mir so oft geschrieben, daß dies Alles nur + noch der letzten Revision und Feile bedürfe, daß alle Materialien + da und schon geordnet seien, um nicht annehmen zu #müssen#, daß es + auch wahr und es ihm mithin ein Leichtes sei, seine Zusage gegen mich + zu erfüllen und mich dadurch von dem Versprechen zu acquittiren, + was ich im #Vertrauen auf Baggesen# dem ganzen deutschen Publikum + mehrmalen und wiederholt gegeben habe -- und das also, meiner Ehre + als Buchhändler wegen, ich auch halten muß. Daß diese Rechtlichkeit + und dieser Ehrgeiz mich bei dieser Transaction hauptsächlich allein + leiten und nicht anderes Interesse, kann Baggesen gewiß am besten + beurtheilen, da es ihm nicht unbekannt sein wird, daß meiner + Buchhandlung jede Verbindung mit den ersten Talenten Deutschlands + leicht ist, und er es gewiß sehr gut weiß, wie geringen pecuniären + Vortheil ich seither vom Verlage seiner Werke gehabt habe. + + Was dagegen Herr Baggesen von #mir# verlangt, sei es in Rücksicht + des Honorars oder sonstiger Verbindlichkeiten, wird er mir nun eben so + offen und einfach sagen, als ich ihm Vorstehendes gesagt habe. Ob ich + gleich vollkommen weiß, was meine Verbindlichkeiten sind, so halte ich + es doch für unziemlich, darin die Initiative anzugeben. + + In Rücksicht Ihrer Garantie, Herr Fauriel, wegen der bezahlten 50 + Louis (500 Fl.), so nehme ich Ihre #neuere# Garantie gewiß nicht an. + Ich habe geglaubt, daß die #ältere# unbedingt wäre. Irrte ich mich + darin, so thue ich gern Verzicht darauf auch. Eine spätere anzunehmen, + verbieten mir meine Grundsätze. + +In dem nächsten Briefe, aus Amsterdam vom 15. October 1809, schreibt +Brockhaus an Fauriel: + + .... Da Sie einmal Herrn Baggesen meinen Brief vom 11. August + mitgetheilt haben, so habe ich Herrn Baggesen weiter nichts zu + sagen, als ihm den Inhalt dieses Briefs in seinem ganzen Umfange zu + bestätigen. Ihn zu wiederholen, würde für mich Zeitverschwendung sein + -- ihm nur eine, wenn auch nur geringe Ausgabe verursachen. Bei mir + gilt es überhaupt nur des alten deutschen Grundsatzes: »Ein Wort ein + Mann; ein Mann ein Wort.« Was ich Herrn Baggesen von jeher und Ihnen + in diesem Briefe vom 11. August zugesagt habe, wird mir immer der + heiligste Contract sein. + + #Ich# habe ihn indessen schon seit Jahren erfüllt, an Herrn Baggesen + ist die Reihe jetzt, zu handeln .... + + Was Sie von den Memoiren des Colonel Massenbach sagen, kann richtig + sein; Sie werden sich aber erinnern, daß Sie nach der Ankündigung doch + meinten: ein »_Précis_« davon würde für Frankreich viel Interesse + haben können, und das Werk ist auf jeden Fall weit anziehender, + als die erste Ankündigung noch erwarten ließ. Indessen ist es mir + sehr gleichgültig, ob diese Werke in Frankreich erscheinen, da, als + kaufmännische Entreprise betrachtet, der Debit in Deutschland &c. mich + zu meiner Genugthuung entschädigt. Der dritte Band ist eben erschienen. + +Weder auf das Mémoire vom 11. August noch auf vorstehende Bestätigung +desselben vom 15. October scheint eine Antwort Baggesen's in Worten oder +Thaten erfolgt zu sein. + +Brockhaus entsagte jetzt allen weitern Versuchen, durch Fauriel auf +Baggesen einzuwirken, obwol Fauriel selbst darin nicht nachließ, und +resignirte sich, von Baggesen trotz wiederholter Vertröstungen weder +die ihm geleistete Vorausbezahlung zurückerstattet, noch die ihm +versprochenen Manuscripte gesandt zu erhalten. + +In seinen beiden nächsten Briefen an Fauriel wird wieder Anderes +besprochen und Baggesen nur nebenbei erwähnt. Indessen mögen sie des +Zusammenhangs wegen gleich hier folgen. + +Unterm 8. November 1809 schreibt Brockhaus: + + Mit recht großer Ungeduld sehe ich Berichten von Ihnen entgegen wie + von Herrn Würtz über das, was Sie mit dem Druck der »_Parthénéide_« + beschlossen haben, und hoffe ich zugleich, daß mit dem Druck bereits + der Anfang gemacht sein wird. Ich habe von Ihnen einen Brief (ohne + Datum) erhalten, worin Sie mir Ihren Vorsatz melden, ehestens mit + Didot zu Würtz zu gehen. Es wird das geschehen sein seitdem, worüber + ich nun Ihre Berichte erwarte. + + Den sonstigen Inhalt dieses Ihres Briefs werde ich ein andermal + beantworten. Heute habe ich eine besondere Ursache, Ihnen zu schreiben. + + Kapellmeister J. F. Reichardt, bekannt unter anderm durch seine + »_Lettres confidentielles sur Paris_«, worüber zur Zeit der + Erscheinung auch in Paris viel in Journalen geschrieben wurde, + übrigens als einer der größten Componisten unserer Zeit berühmt, + gibt in unserm Verlage unter dem Titel: »Briefe über Wien und die + österreichischen Staaten; geschrieben auf einer Reise dahin in den + Jahren 1808 und 1809 von J. F. Reichardt« ein Werk heraus (in zwei + Bänden), das sicher allenthalben mit Begierde wird gelesen werden. + Ich bin überzeugt, daß es auch in Frankreich sehr viel Käufer finden + wird, wenn davon zeitig eine französische Ausgabe erschiene. Ich + könnte eine solche Unternehmung dadurch sehr begünstigen, wenn ich zu + dem Endzwecke die Bogen, sowie sie einzeln aus der Druckerei kommen, + gleich nach Paris schickte, und wäre es dadurch möglich, daß die + französische Ausgabe auf einige Tage noch mit dem Original zugleich + erschiene. Um einigermaßen Stil und Manier des Verfassers beurtheilen + zu können, sende ich Ihnen heute vier Aushängebogen davon _sous bande_ + zu. Es kommt mir vor, daß zu dieser Entreprise sich leicht eine + pariser Buchhandlung verstehen würde, sei es nun für gemeinschaftliche + Rechnung, oder daß sie mir ein gewisses Honorar bezahle für die + Mittheilung der einzelnen Bogen. Mir ist beides gleich und füge ich + hierunter für jeden Fall meine Bedingungen bei. Sehr angenehm wäre + es mir, wenn Sie die Güte hätten, über diese Entreprise mit einigen + Buchhandlungen zu sprechen und im Fall auf eine meiner Bedingungen + entrirt würde, mir davon gleich Nachricht zu geben, damit ich die + übrigen Bogen, sowie sie fertig würden, gleich absenden könne. Noch + in diesem Monate wird der erste Band und im December der zweite Band + fertig. + + Ich sollte denken, daß diese Entreprise etwas für Buisson oder + Nicolle oder Collin, oder auch für Treuttel & Würtz passend wäre. + + Verzeihen Sie, daß ich Sie wieder damit belästige. Ich hoffe, Sie + geben mir Gelegenheit, Ihnen wieder einmal nützlich zu sein. + + Nichts Neues von Baggesen? + +Darauf folgen zwei detaillirte Contractsvorschläge zu einer +französischen Uebersetzung des Reichardt'schen Werks, die in mehrfacher +Hinsicht interessant sind. Sie zeigen, daß Brockhaus in einer Zeit, +die weder den Schutz des geistigen Eigenthums noch viel weniger +internationale Verträge zum Schutz von Uebersetzungen kannte, diese +Verhältnisse bereits ins Auge faßte, und daß er in sehr geschickter +Weise Versuche machte, trotzdem auch von dem ausländischen Markte Nutzen +zu ziehen. + +Die beiden Vorschläge, die Fauriel einem französischen Verleger zur +Auswahl vorlegen sollte, lauten: + + Erster Vorschlag. + + 1) Ich theile die einzelnen Bogen, sowie sie aus der Druckerei + kommen, in doppelten Exemplaren sogleich mit und sende sie an die mir + aufgegebene Adresse _sous bande_ nach Paris. + + 2) Ich erhalte für diese Mittheilung für jeden Bogen 1 Louis, + zahlbar per Billet _à_ Ordre _à 3 mois de date_ vom Datum der + Lieferung des ersten Bogens. + + 3) Das Billet bleibt in den Händen eines Dritten, bis der letzte + Bogen jeden Bandes abgeliefert ist. Sobald dies geschehen, wird mir + das Billet zugestellt und für den zweiten Band wieder ein gleiches + Billet gemacht, womit es ebenso gehalten wird. Jeder Band wird zu 30 + Bogen gerechnet. + + 4) Bis zum 15. December circa wird der erste Band und bis zum 15. + Januar der zweite Band ganz ausgedruckt sein. + + Zweiter Vorschlag. + + 1) N. N. in Paris verbindet sich mit uns zur gemeinschaftlichen + Herausgabe auf gemeinschaftliche Kosten. + + 2) Wir erhalten für die Mittheilung der Idee und der Bogen per jeden + Bogen 1 Louis, die mit in die generale Unkostenrechnung kommen, sodaß + wir selbst die Hälfte davon tragen. + + 3) N. in Paris besorgt Uebersetzung, Druck und Papier. + + 4) Nach Vollendung des Druckes werden die generalen Unkosten + aufgemacht und N. in Paris remboursirt sich für die Hälfte der + Unkosten auf uns per Tratte _à 3 mois_, wobei uns indessen die + Vergütung des 1 Louis per Bogen in Abzug gebracht wird. + + 5) N. in Paris besorgt den Debit in Frankreich und Alles, was von + Paris aus verlangt wird. Wir besorgen ihn in Deutschland und Holland + und rechnen zu dem Zwecke 200 Exemplare für unsere Rechnung, wofür + wir ein Billet, zahlbar in 12 Monaten, an N. geben, der bei finaler + Abrechnung uns selbst eventuell damit bezahlen kann. + + 6) Nach Verlauf von 6 Monaten gibt Herr N. in Paris an, was verkauft + ist und was eingenommen, und wird derselbe die Hälfte der Einnahme per + Billet _à 3 mois_ an mich bezahlen. + + 7) N. in Paris erhält für Delcredere und für seine Bemühungen 10 + Procent Provision vom reinen Ertrage des Verkauften. + + 8) Bei einer zweiten und weitern Auflage wird nach denselben + Grundsätzen verfahren. + + 9) Es wird eine Conventionalstrafe von 50 Louis für Den festgesetzt, + der irgend eine Bedingung nicht hält. + + 10) Es wird ein förmlicher Contract gemacht, den beide Theile + zeichnen. + +Das hier besprochene Project selbst ließ Brockhaus übrigens auf +Fauriel's Rath fallen, wie aus seinem nächsten Briefe an diesen vom +4. December 1809, der zugleich wieder interessante Einblicke in seine +Verlegerthätigkeit gewährt, hervorgeht. Er schreibt: + + Sie haben Recht, es ist zum Tollwerden mit der »_Parthénéide_«. Mir + ist es nun auch wirklich zum Nachtheil, daß sie nicht im December + fertig wird. In Deutschland, Oesterreich u. s. w. kommt, was nicht + im December versandt wird, auf sogenannte neue Rechnung, die ein + Jahr später bezahlt wird. Ich empfehle Ihnen nochmal dringend die + schleunigste Beförderung an, und daß mir die Bogen einzeln, wie sie + aus der Druckerei kommen, zugesandt werden. Von Forssel's Gravüre + hätte ich gern einen Probeabdruck erhalten! Daß auch weder Sie, noch + Würtz, noch Forssel daran gedacht haben! + + Ich bin Ihnen recht vielen Dank schuldig für Ihre Mittheilung wegen + Reichardt. Ihre Bemerkungen über dieses Werk sind vollkommen richtig: + er ist sehr discret geworden! Das Buch paßt nicht für Frankreich. Was + für Frankreich Interessantes darin wäre, darf nicht in Frankreich + gedruckt werden, und was dort darf gedruckt werden, ist zu individuell + für Deutschland geschrieben, als daß man es in Frankreich goutiren + könnte. Ich habe also, aus Sorge für Würtzens Interesse mit, auf + die ganze Idee für Frankreich Verzicht gethan. Ich werde Ihnen ein + Exemplar davon zusenden. + + Es erscheint noch ein zweites Werk bei uns über Wien, wozu der + Verfasser sich nicht nennt. Kann dieses in Paris übersetzt werden, so + würde es außerordentliches Aufsehen machen. Aber ich zweifle daran, + da wir wegen des Druckes selbst in Deutschland große Schwierigkeiten + finden. Sie werden auf jeden Fall das Original von mir erhalten. + + Hierbei eine kleine Pièce, von der wir hier in acht Tagen 3000 + Exemplare verkauft haben. Man wundert sich, daß sie nicht verboten + wurde. + + Man erhält dorten leichter englische Bücher und Journale als hier. + Sollte es nicht möglich sein, daß Sie mir von Galignani, Borrdis + oder irgend Jemandem, der die englischen Journale regelmäßig erhält, + folgende drei Werke verschafften: + +1) _The life of W^m. Pitt by Gifford, 5 vol._ + +2) Coxe's _History of Austria, 2 vol._ + +3) J. Adolphus: _The political State of the British Empire, 4 vol. (1809)._ + + Wenn es Ihnen gelänge, diese drei Werke mir bald (etwa mit den + Gelegenheiten, womit die englischen Journale dort so regelmäßig + ankommen) verschaffen zu können, so würden Sie mich sehr verpflichten. + Die Regierung soll darin liberal sein. + + An das, was Sie mir von Baggesen sagen, glaube ich blutwenig. Er + wird nicht nach Dänemark reisen, er wird mir nicht schreiben, er wird + nicht nach Amsterdam kommen, er wird mir nichts liefern. + + Ich habe nichts dagegen, daß Sie einige Exemplare Ihrer + »_Parthénéide_« auf dem schönsten Velin drucken lassen! Für Ihr + Bedürfniß nehmen Sie übrigens so viel Exemplare der gewöhnlichen + Ausgabe als Sie wollen. In Deutschland bewilligt man dem Verfasser + gemeiniglich 12 -- 16 -- 18. + + Leben Sie wohl. Und melden Sie mir ja endlich etwas Endliches über + die ewige »_Parthénéide_«. + + Ganz Ihr + Brockhaus. + +Nur wenige Wochen liegen zwischen diesem Briefe und dem folgenden, dem +letzten, den Brockhaus, soviel wir wissen, an Fauriel richtete; aber +diese Wochen schließen den größten Schmerz in sich, von dem er in seinem +schweren Leben betroffen wurde: den Verlust seiner heißgeliebten Frau. +Tief erschüttert theilt er dem Freunde diese Trauerkunde mit und bittet +ihn, auch Baggesen davon zu unterrichten, indem er diesem in edler Weise +die Hand der Versöhnung reicht. + +Er schreibt an Fauriel am Heiligen Abende vor dem Weihnachtsfeste, wol +dem traurigsten, das er je erlebte, am 24. December 1809: + + Ich erhalte in diesem Augenblicke Ihren Brief vom 18. d. M. Ich + antworte Ihnen heute gleich einige Zeilen darauf, da ich im Begriff + stehe, aus der unglücklichsten aller Ursachen eine Reise zu machen, + die mich drei Wochen von hier wegweisen wird. + + Ich habe am 8. dieses an den Folgen einer etwas zu zeitigen + Niederkunft meine theure angebetete Gattin verloren! Für mich ist + jetzt keine Ruhe, kein Glück mehr auf der Welt. Ich habe mit ihr Alles + verloren, was mich mit der Menschheit verband. Auch meine Kinder -- + fesseln mich nicht mehr, denn sie mahnen mich an die Verklärte. Der + namenloseste Schmerz drückt mich nieder. Ich bin unsaglich unglücklich + geworden! + + Sagen Sie Baggesen mein Unglück. Er kannte die Verewigte. Er war vor + zwei Jahren Pathe bei unserm Max. Glücklicher Tag! Wie hat sich durch + diesen Tod für mich Alles -- Alles -- in finstere Nacht verwandelt. + Ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Meine Reise hat zur nächsten Absicht, + meine Kinder von hier weg, und zu unserm Vaterlande, nach Deutschland, + zurückzubringen, zu unsern Aeltern, Verwandten und Freunden. Wir waren + hier fremd und durch einen Orkan aus unsern primären Verhältnissen + dort gerissen, hier an dieses unwirthliche Ufer verschlagen worden. + Sophie sah das gute Vaterland nicht wieder! Ich kehre einstweilen in + einigen Wochen zurück, bis ich Gelegenheit finde, Amsterdam ganz zu + verlassen -- hier ist kein Glück mehr für mich. + + Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, damit Sie wissen, warum Sie in + einigen Wochen nichts von mir hören. Ich sage Ihnen heute nichts von + Geschäften, nichts von der »_Parthénéide_«, nichts von allen weitern + Ideen Ihres interessanten Briefes. + + Sie sind gewiß ein wackerer und ein gefühlvoller Mann. Sie werden + ahnden, wie gleichgültig mir für den Augenblick jedes mercantilische + Geschäft sein müsse. Nur was Pflicht unbedingt von mir fordert, kann + jetzt geschehen. Darum wird auch nichts von meinem Comptoir versäumt + werden, was auf die Beförderung der »_Parthénéide_« Bezug hat. Ich + erlaube mir selbst Sie und Herrn Würtz dringend zu bitten, die + wirkliche Erscheinung derselben möglichst zu beschleunigen. + + Die Aushängebogen erwarte ich, sowie sie aus der Presse kommen, + einzeln hierhin. Ich werde sie mir nachkommen lassen. Lassen Sie Herrn + Würtz nicht die 500 Exemplare, die wir für Deutschland bestimmen, auf + einmal hierhin senden: 250 Exemplare sende Herr Würtz über Frankfurt + nach Leipzig, und hierhin 100 Exemplare, beides _par diligence_. + + Jeder Sendung werden 5 Velin-Exemplare beigefügt. Die Exemplare + hierhin müssen zur Hälfte brochirt sein. Die leipziger brauchen es gar + nicht zu sein. Die Kupfer werden sorgfältig eingelegt, und wir von + Allem unterrichtet per directen Brief. Ich hoffe und erwarte selbst, + daß die Absendung noch im Januar geschehen könne. + + Lassen Sie Baggesen in meinem Namen 5 Exemplare auf Velin anbieten, + als ein Zeichen meiner Verehrung und Freundschaft. Die Wehmuth, die + jetzt meine Seele erfüllt, läßt mir keinen Raum mehr für feindselige + Verhältnisse irgend einer Art. Sagen Sie auch dies Baggesen. Er verlor + einst ebenfalls eine #Sophie#! Er ist ein gefühlvoller Mann; er + #kannte# auch #meine Sophie#! Er weiß also Alles, was ich verloren. In + solchen furchtbaren Momenten schließen sich menschliche Herzen wieder + aneinander. Ich bitte ihn selbst um diese neue Näherung! + + Leben Sie wohl und bedauern Sie + + Ihren unglücklichen + + Brockhaus. + +Dieser Brief bildet einen schmerzlichen, aber gewiß für Brockhaus +höchst ehrenvollen Abschluß seiner Zerwürfnisse mit Baggesen: er +reicht dem frühern Freunde, obwol dieser ihm als Geschäftsmann den +empfindlichsten Schaden bereitet, die Hand, unfähig, den Streit über das +Grab seiner Frau hinaus, die auch von Baggesen verehrt worden war, noch +fortzusetzen. Fauriel's und Baggesen's Antworten auf diesen Brief sind +uns nicht bekannt. + +Während der ganzen unerquicklichen Verhandlungen mit Baggesen hatte +sich Brockhaus übrigens stets edel, uneigennützig und versöhnlich +gezeigt. Ein aus Schriftstellern und Buchhändlern zusammengesetztes +Schiedsgericht, wie er es Baggesen wiederholt vorgeschlagen, würde +schwerlich damals anders entschieden haben oder heutigentags anders +entscheiden, als daß Brockhaus im Rechte gewesen und richtig +gehandelt, daß Baggesen aber seine gegen Brockhaus eingegangenen +Verpflichtungen nicht gehalten und gegen ihn, ganz abgesehen von ihren +freundschaftlichen Beziehungen, überhaupt nicht so verfahren habe, +wie es glücklicherweise sonst Brauch ist zwischen Schriftstellern und +Buchhändlern. + + * * * * * + +Der hier als Versöhnung wirkende Tod bildete nach vielen Seiten hin +einen Wendepunkt in Brockhaus' Leben: er war die nächste Veranlassung, +daß dieser Amsterdam bald für immer verließ; er nahm ihm die treue +Gefährtin seines Wirkens und Schaffens, zu der er sich immer geflüchtet +hatte aus all dem Widrigen, das ihm im Leben beschieden war; er brachte +ihn in neue Verhältnisse, die zunächst verwirrend und betäubend auf ihn +wirkten und aus denen er sich nur schwer hindurchzuarbeiten vermochte. + +Diese unmittelbar auf den Tod seiner Frau folgende Zeit, die als die +eigentliche Sturm- und Drangperiode seines Lebens bezeichnet werden +kann, obwol es ihm auch bisher nicht an Sturm und Drang gefehlt hatte, +umfaßt die anderthalb Jahre von Ende 1809 bis zum Frühjahre 1811. + + + + + Dritter Abschnitt. + + Von Amsterdam nach Altenburg. + + + + + 1. + + Ende des amsterdamer Aufenthalts. + + +Am 8. December 1809 war Sophie Brockhaus gestorben, nachdem sie am 24. +November einer Tochter das Leben gegeben, die nach ihr Sophie genannt +wurde. Schon in den letzten Monaten hatte sie viel gelitten; während +ihrer Krankheit und dann während des Wochenbetts war sie von ihrer +jüngsten Schwester Josina (die später den in holländischen Diensten +stehenden Obersten Eichler heirathete) gepflegt worden. Die ersten +Tage nach der Entbindung waren schon glücklich überstanden, als sie +sich durch zu zeitiges Aufstehen eine Erkältung zuzog, die ihren Tod +herbeiführte. + +Die damals zehn Jahre zählende älteste Tochter Auguste erinnert sich +gehört zu haben, daß in diesen Tagen ihr Vater sehr aufgeregt in das +Zimmer seiner Frau gekommen sei und unter deren Sachen eifrig nach +einem Briefe gesucht habe, der ihm wegen der traurigen Hiltrop'schen +Angelegenheit von Wichtigkeit war; da er den Brief nicht fand, sei +ihre Mutter dann selbst aufgestanden, um, wiewol ebenfalls vergeblich, +danach zu suchen, und infolge dieses vorzeitigen Aufstehens erkrankt. +In dem betreffenden Processe war kurz vorher (am 16. November 1809) +das für Brockhaus ungünstige erste Urtheil erfolgt, das ihn zu einer +(am 28. Februar 1810 erlassenen) Appellation veranlaßte, und jener +Brief war vermuthlich der von uns bei Darstellung dieser Angelegenheit +(S. 24) mitgetheilte Brief seiner Schwägerin Elisabeth Hiltrop, von dem +Brockhaus bei Abdruck desselben unter den Actenstücken des Processes +erwähnt, er habe ihn erst nach dem Tode seiner Frau unter ihren Papieren +vorgefunden. Ist diese Annahme begründet, so hat jener unglückselige +Proceß, der ihm das Leben so verbitterte und überhaupt so verhängnißvoll +für ihn war, selbst den Tod seiner Frau veranlaßt! + +Brockhaus hatte mit seiner Frau elf Jahre in der glücklichsten Ehe +gelebt. Sie hatte ihm sieben Kinder geboren, vier Söhne und drei +Töchter, die bei ihrem Tode noch sämmtlich am Leben waren. Wie glücklich +er mit ihr lebte, wie sie seine treueste Freundin und Beratherin in +den vielen schweren Zeiten war, die er bis dahin zu überstehen hatte, +ist aus manchen seiner von uns mitgetheilten Briefe zu ersehen; aus +den Briefen Anderer, daß ihr Werth auch von seinen nähern Freunden, +wie Cramer und Baggesen, erkannt wurde. Schrieb doch Cramer von ihr, +wie ebenfalls bereits mitgetheilt: »daß sie an schöner deutscher +Häuslichkeit, Gutheit, Freundlichkeit und Verstand zu seinen Idealen +gehöre« und der Gattin von Voß, Ernestine, sehr gleiche. Brockhaus hatte +ihr Porträt (wol von Cornelia Scheffer, der Mutter Ary Scheffer's) malen +und auch eine Büste seiner Frau anfertigen lassen, doch ist leider +nichts davon erhalten. + +Als er kurz nach ihrem Tode in Dortmund war und zuerst wieder das Haus +ihres Vaters betrat, warf er sich, vom Schmerz übermannt, auf den Boden +nieder und küßte die Schwelle des Hauses; auf die erstaunte Frage seines +jungen Neffen, der ihn begleitete, erwiderte er: »Hier habe ich meine +Sophie zum ersten male gesehen!« Und als er anderthalb Jahre später +wieder kurze Zeit in Amsterdam verweilte, da bildete das zwei Stunden +von der Stadt schön am Y gelegene Dorf Muiden, auf dessen Kirchhof er +sie begraben, seinen Lieblingsspaziergang und er brachte viele Abende +dort in stiller Wehmuth zu. + + * * * * * + +Der Tod seiner Frau wurde aber auch die entscheidende Veranlassung, daß +Brockhaus Amsterdam bald darauf für immer verließ. + +Die politischen Verhältnisse hatten ihm allerdings den Aufenthalt +daselbst schon seit einiger Zeit verleidet, da sie den buchhändlerischen +Verkehr nach allen Richtungen hin erschwerten. Brockhaus ließ seine +Verlagswerke meist in Deutschland drucken: in Leipzig bei Breitkopf & +Härtel, Hirschfeld und andern Buchdruckern, in Weimar bei Bertuch, in +Braunschweig bei Vieweg, in Halle und noch an andern Orten. Seitdem +nun Holland französisch geworden war, konnte er von seinen eigenen +Verlagswerken kein Exemplar nach Amsterdam zum Verkaufe in seinem +Sortimentsgeschäfte erhalten, ohne erst in Paris die Erlaubniß dazu +erbeten und die Anzahl der einzuführenden Exemplare dort »declarirt« zu +haben. Es läßt sich denken, welche Belästigungen und Umständlichkeiten +damit verbunden waren. In derselben Lage befanden sich freilich auch +die Sortimentshandlungen in den französisch gewordenen Provinzen +Norddeutschlands, im Hannöverschen, Westfalen, Bremen, Hamburg u. s. +w. Friedrich Perthes in Hamburg organisirte deshalb förmlich für sich +und befreundete Handlungen die mit vielen Formalitäten verknüpften +Manipulationen bei diesem Geschäftsgange und ließ selbst eine +Instruction darüber drucken. Auch Brockhaus fand einen einigermaßen +praktischen Ausweg, indem er für seine Geschäftsfreunde in den drei +französischen Departements Norddeutschlands die Anzahl der an sie zu +sendenden Verlagsartikel in Paris selbst declarirte und die Sendung dann +jedesmal nur an Eine Handlung zur Vertheilung an die übrigen gehen ließ. + +So hätte er wol noch längere Zeit in Amsterdam zu bleiben versucht, +und war selbst unablässig bemüht, sein Sortimentsgeschäft weiter +auszudehnen, besonders, um den eben geschilderten Uebelständen zu +begegnen. + +Am 11. November 1809 schreibt er an Heyse in Bremen: Er könne ihm +nicht direct von Amsterdam seine Verlagsartikel senden, sondern nur +von Leipzig aus, nach vorausgegangener Declaration in Paris; aber in +Zukunft könne sich Heyse deshalb nach Aurich (in Ostfriesland) wenden, +wo er, vom Gouvernement selbst dazu aufgefordert, »was sich nicht +wohl refusiren ließ«, ein Etablissement zu errichten versuchen werde. +Dieses Vorhaben kam auch wirklich zur Ausführung, und Bornträger, der +inzwischen von Leipzig nach Amsterdam zurückgekehrt war, wurde von ihm +deshalb nach Aurich geschickt. Indeß hatte das Etablissement in Aurich +nur einen sehr kurzen Bestand, aber nicht weil es sich als unzweckmäßig +herausstellte, sondern weil Bornträger seiner persönlichen Sicherheit +wegen dort ebenso wenig bleiben konnte wie früher in Amsterdam. + +Bornträger war Ende November 1809 über Groningen nach Aurich gereist, +aber kaum dort angekommen, machte er Brockhaus die Mittheilung, daß er +auch dort fürchten müsse, zum Militär ausgehoben zu werden. + +Brockhaus fügte darauf dem ersten an sein auricher Geschäft abgegangenen +Briefe vom 30. November, der zugleich der letzte sein sollte, folgende +Zuschrift an Bornträger vom 2. December hinzu: + + Ich danke Ihnen für die umständlichen Berichte. Bei dieser Lage ist + keine Wahl. Zurückkommen können Sie aus hundert Ursachen aber auch + nicht. Mein Entschluß ist also gefaßt: Sie gehen in Gottes Namen nach + Leipzig und treten in Weigel's[36] Stelle. Ich hatte gestern, durch + wiederholte Beschwerden über Weigeln zur Verzweiflung gebracht, einen + sehr umständlichen Brief an Gräff geschrieben und Weigeln das Geschäft + abgenommen und ihm (Gräff) oder Cnobloch übertragen. Sie finden diesen + Brief, den ich aus Gründen an meine Freundin, die Hofräthin Spazier, + offen schicken wollte und auch heute schicke, Ihnen also heute nicht + schicken kann, bei dieser. Hieraus werden Sie alles Nähere ersehen und + darin vorläufig alle zuerst nöthigen Instructionen finden. + + Sie kehren bei Ihrer Ankunft in Leipzig im Großen Joachimsthale + ein, wo Sie beim Wirth einstweilen accreditirt sein werden, der mich + von der Messe her sehr gut kennt. Sie werden dort auch von mir Briefe + vorfinden, die Ihnen sagen werden, wie Sie Ihre ersten Schritte + einzurichten haben. Heute annoncire ich einstweilen Ihre Ankunft. + +Darauf ertheilt er ihm noch genaue Instructionen über die Auflösung +des kaum begründeten auricher Etablissements, z. B. daß er mit den von +Leipzig beziehenden ostfriesischen Buchhändlern Verbindungen schließen +solle, um sie von Leipzig aus zu bedienen, und gibt ihm auch väterliche +Ermahnungen, die von der herzlichsten Theilnahme dictirt sind, wobei er +es ihm besonders zur Pflicht macht, den schon früher angenommenen Namen +Friedrich Schmidt streng festzuhalten. Er schließt: + + Sie reisen, nachdem dies Alles besorgt, mit erster Post ab. #Fr. + Schmidt# reist ab. Ich lege es demselben auf und mache es ihm zur + heiligsten und unerläßlichsten Pflicht (in Rücksicht seiner und + meiner!), diesem Charakter treu zu bleiben und in Bremen so wenig als + irgendwo, auch in Hannover nicht, irgend einen Menschen, er sei wer + er sei, zu besuchen! Dies #muß# sein! Seinetwegen und meinetwegen! + Sie müssen Niemanden aufsuchen oder besuchen! Einen Paß werden Sie in + Aurich oder Oldenburg leicht erhalten können. + + Benachrichtigen Sie mich von Ihrer Abreise, Ihrer Ankunft in + Braunschweig und augenblicklich von Ihrer Ankunft in Leipzig. Leben + Sie wohl! Der Himmel nehme Sie in seinen Schutz!! Der Himmel begleite + Sie! Bleiben Sie ein guter Mensch! Bleiben Sie im ganzen Sinne des + Worts #getreu#!! Thränen stürzen mir in die Augen! Zu Ostern drücke + ich Sie an meine Brust. Leben Sie wohl! Reisen Sie glücklich! + + (Nachschrift.) Wenn Sie den Muth haben, Vieweg zu sehen, so gehen + Sie zu ihm. Vielleicht kennt er Sie gar nicht. Ueberlegen Sie dann + Alles reiflich mit ihm, so weit etwas zu überlegen ist. -- Vielleicht + könnten Sie über Quedlinburg reisen und mit Basse fertig werden. -- In + Halle gehen Sie bei Sprengel vor. Sie werden auch da einen Brief von + mir erhalten. + +Die letztern Bemerkungen über Vieweg und Basse, durch die er seinen +strengen Befehl, daß Bornträger auf seiner Reise durchaus Niemand +besuchen solle, wieder einschränkte, beziehen sich auf eine frühere +Stelle jenes Briefs, die für die damaligen Censurverhältnisse +charakteristisch ist. Sie lautet: + + Das zweite Werk von R--dt[37] kann in Leipzig nicht gedruckt werden, + da man es zu frei findet. Wirklich ist es nach den mir mitgetheilten + Proben sehr keck und dreist, allein auch von außerordentlichem + Interesse, und bedürfte es nach meiner Einsicht, um es ausgeben zu + können, nur eines verständigen Redacteurs, der die Worte zu wägen und + anstößige gegen mildere umzuwechseln verstände. Ich habe das selbst + versucht und ist es mir, glaube ich, mit den paar Bogen, die ich + gehabt, erträglich gelungen. + + Ich leugne nicht, daß ich außerordentlich wünschte, daß es + erschiene. Es wird ungeheuere Abnahme finden. Bei dieser meiner + Neigung habe ich Viewegen den Vorschlag zum Drucke gemacht und diesem + gesagt, daß er allenfalls Basse in Quedlinburg darüber sprechen + möchte, und nach Leipzig habe ich Ordre gegeben, das ganze Manuscript + sofort an Viewegen zu senden. Ob nun Vieweg entrirt oder entriren + darf, weiß ich noch nicht. Ich schreibe ihm nun aber noch mit dieser + Post näher, daß er, im Fall er dorten nichts mit dem Manuscript + machen könne, es Ihnen nach Aurich schicken möchte. Vorläufig trage + ich Ihnen nun auf, sich in Oldenburg, Delmenhorst und Burgsteinfurt + zu informiren, ob man da etwas könne ohne besondere Censur gedruckt + erhalten und hoffen könne, es rasch fertig zu bekommen, wöchentlich + drei Bogen wenigstens. In Burgsteinfurt ist, wie ich weiß, eine gute + Druckerei und ohne alle Censur .... Sie werden anführen, daß gegen die + Franzosen nichts gesagt, es aber sonst frei geschrieben sei, weshalb + man wünschen müsse, eine liberale oder keine Censur zu haben. + +Bornträger verließ Aurich in den ersten Tagen des December und reiste +über Oldenburg und Celle zunächst nach Braunschweig. Dorthin schreibt +ihm Brockhaus unterm 19. December einen sieben Quartseiten langen Brief +mit den genauesten Vorschriften, wie er sich auf seiner weitern Reise, +in Braunschweig, Halberstadt, Halle, und bei seiner Ankunft in Leipzig +den betreffenden Personen gegenüber, die mit einigen scharfen Strichen +gezeichnet werden, zu verhalten habe. Er geht dabei, wie er selbst +schreibt, »nach meiner Ihnen bekannten Methode ganz systematisch zu +Werke«, indem er das Ganze in Form einer Tabelle schreibt, mit A, B, C +und darunter wieder mit Ziffern. + +Einige charakteristische Züge seien aus diesem Briefe hier mitgetheilt. + +Er bemerkt über den Tod seiner Frau: »Sie werden aus unsern frühern +Briefen Alles wissen, mein namenloses Unglück durch den Verlust Sophiens +und alle daraus entgehenden Folgen«, und fährt dann fort: »Vieweg ist +uns, glaube ich, sehr zugethan. Er wird eine höhere Idee von uns haben +als wir verdienen möchten. Sie werden sehr besonnen gegen ihn sprechen« +-- ein Beweis, daß Brockhaus bei allem ihm oft wol nicht mit Unrecht +vorgeworfenen zu starken Selbstbewußtsein doch auch bescheiden war. In +Halle empfiehlt er unter anderm, den »Romanschreiber A. G. Eberhardt«, +den »Directeur« der Renger'schen Buchhandlung zu besuchen, und nennt +ihn einen »feinen gewandten Kopf«, während er einen Buchdrucker, um +ihn kurz zu charakterisiren, einen »alten steifen Kerl« nennt und über +einen Professor, übrigens keinen namhaften, gar zu schreiben wagt: +»N. N. besuchen Sie nicht. Sollte er Sie aber treffen, so sagen Sie +ihm, daß wir, wenn Sie nicht irrten, von ihm Antwort erwarteten. Er +ist ein Esel.« Den Botaniker Sprengel in Halle bezeichnet er als einen +»höchst freundschaftlichen, aber sehr verständigen Mann«, den bekannten +Professor Ersch als einen »noch liebern, einfachern und uneigennützigern +Mann als Sprengel«. Ueber Reichardt's Individualität, seine Familie +u. s. w. verlangt er genauen Bericht. + +Für Leipzig endlich lautet die vorläufige, besonders charakteristische +Instruction: + + Ihr einziger erster Besuch sei bei der Hofräthin Spazier. Sie + erklären aber dort, daß Sie erst Ihre Instructionen abwarteten und + Sie bis dahin nichts sagen oder thun könnten. Sie werden diese + Instructionen mit nächster Post _poste restante_ erhalten und sich + auf der Post den Brief holen. Sie werden gegen die Hofräthin Spazier + einstweilen ernst und höflich, gegen Weigeln dasselbe sein, und sich, + unter jenem Vorwande, durchaus in keine Vertraulichkeiten einlassen, + sondern ganz denselben Ton annehmen, den man gegen Sie annimmt und der + wahrscheinlich kalt, feierlich und süffisant sein wird. Ich werde Sie + mit nächster Post ganz _au fait_ setzen. + + Leben Sie wohl! Ich vertraue Ihnen, wie Sie sehen, das Glück meines + Lebens an. Ich vertraue und schätze Sie. Sie werden mir im ganzen + Sinne des Worts treu und bieder dienen. Wir werden dort bald zusammen + sein. + +Uebrigens handelte es sich augenblicklich gar nicht, wie es nach +diesen emphatischen Worten scheinen könnte, um besonders wichtige +Entscheidungen, sondern um einige geschäftliche Verhandlungen +gewöhnlicher Art, und Brockhaus wünschte nur, daß der von ihm +sehr geschätzte, aber doch noch sehr jugendliche Gehülfe sich der +Schwierigkeit der Aufgabe, ihn überall richtig zu vertreten, recht +bewußt werde. + +Am 23. December schreibt Brockhaus an Bornträger, der ihm herzliche +Theilnahme an dem Verlust seiner Frau ausgesprochen hatte: + + Die paar Zeilen, die Sie mir von Braunschweig geschrieben, haben + mich tief erschüttert. Ja, Sie kannten das edle Gemüth der Verklärten + vielleicht mehr wie viele Menschen! Sie hielt auch unendlich viel + von Ihnen, und wir haben in den letzten Tagen ihres Lebens uns noch + zweimal sehr umständlich von Ihnen unterhalten. Sophie liebte Sie wie + eine zärtliche Mutter, wie eine treue Schwester. Sie erkannte das + viele Gute, das in Ihrer Seele liegt, nur fürchtete sie in der letzten + Epoche Ihres Hierseins für Sie, wie ich es auch that. Darüber sprachen + wir noch viel zusammen, als Ihr letzter Brief von Aurich eintraf und + ich mich entschloß, Sie zu bitten, nach Leipzig zu gehen. Sie stimmte + diesem Entschlusse vollkommen bei, da sie den namenlosen Verdruß + kannte, den mir und Ihnen die Besorgung der dortigen Geschäfte durch + Weigel verursacht hatte. + + Sie kennen die zahllosen Ursachen, die Weigel uns zu Klagen gegeben + hat. Sie wollen dies Alles aber nicht urgiren. Sie wollen Weigel mit + Liebe und Zartheit begegnen, denn er ist ein guter und ein edler und + ein unglücklicher Mensch. Er ist nur kein Geschäftsmann, besonders in + so verwickelten Verhältnissen, als die unserigen es sind .... Gegen + Jeden werden Sie sagen, ohne bestimmt Weigeln anzuklagen, daß ich + mich veranlaßt gefunden hätte, Jemanden, der sich ganz meinen dasigen + Geschäften widmen könnte, dort zu halten .... Der Frau Hofräthin + Spazier vertrauen Sie ganz. Sie wird Ihnen rathen und helfen, wo sie + kann. Sie ist meine wahre Freundin. + +Obwol Brockhaus so Alles that, um seinem Gehülfen die Ordnung und +Besorgung der für ihn in seiner Doppelstellung als Verlags- und als +Sortimentsbuchhändler besonders wichtigen Beziehungen in Leipzig zu +erleichtern, und das beste Vertrauen zu ihm hatte, ging er doch schon +seit dem Tode seiner Frau mit der Idee um, Amsterdam zu verlassen und +sein Geschäft ganz nach Leipzig zu verlegen. Die Stadt, in der er acht +Jahre an der Seite seiner Frau und von blühenden Kindern umgeben verlebt +hatte, zwar nicht so glückliche und ungetrübte wie die ersten drei Jahre +in Dortmund, aber in einem neuen, seinem Geiste endlich genügenden +Wirkungskreise, sie war ihm jetzt für immer verleidet. Dazu kamen die +schon erwähnten politischen und geschäftlichen Unannehmlichkeiten. +Endlich aber sah er immer mehr ein, daß der geeignete Boden für ihn +nicht eine holländische, jetzt gar französische Stadt sei, sondern +daß er sein Geschäft nach Deutschland und womöglich nach Leipzig, dem +Mittelpunkte des deutschen Buchhandels, verlegen müsse, um das von ihm +in kühnen Umrissen angelegte Gebäude auf festem Grund aufzubauen und +seine weitgehenden Plane zur Ausführung zu bringen. + +Aber freilich war eine solche Uebersiedelung mit vielen Schwierigkeiten +verbunden und jedenfalls erst nach und nach zu ermöglichen. Besondere +Sorge machte ihm dabei die Zukunft seiner Kinder, von denen das älteste +bei dem Tode der Mutter zehn Jahre, das jüngste erst wenige Wochen +zählte. Sollte er sie mit nach Leipzig nehmen, während er noch nicht +wußte, ob er dort selbst eine Heimat finden werde? Könnte er sie +in Amsterdam lassen, allein in der fremden Stadt, wo er zwar viele +Freunde, aber keine Verwandten hatte? Weder zu dem einen noch zu dem +andere vermochte er sich zu entschließen. Dagegen nahm er das herzliche +Anerbieten seiner dortmunder Verwandten und Freunde an, die Kinder, bis +er wieder einen festen Wohnsitz gefunden, in ihren Familien aufnehmen zu +wollen. Dazu kam, daß er selbst noch schwankte, ob er nicht doch lieber +in seine Vaterstadt Dortmund zurückkehren als nach dem fremden Leipzig +ziehen solle. Ersteres schien auch seine Frau gewünscht zu haben, +wenigstens hatte er ihr noch auf dem Todtenbette versprechen müssen, die +Kinder zunächst nach Dortmund zu bringen. Er schreibt darüber an den ihm +befreundeten Bankier Friedrich Christian Richter in Leipzig am 2. Januar +1810 aus Amsterdam: + + Morgen verreise ich von hier, um dem Willen meiner verewigten + Gattin gemäß meine Kinder zum Vaterlande zurückzubringen, zu meinem + noch lebenden Vater und meinem Bruder und zu den verheiratheten + Geschwistern meiner Frau. Es wäre mir hier auch unmöglich gewesen, + für die gute physische und moralische Erziehung derselben zu sorgen. + Ich bin selbst zu zernichtet, auch fürs künftige Leben. Zu Ostern + werde ich diesen Ort der Trauer auch wol ganz verlassen, mein hiesiges + Geschäft verkaufen oder administriren lassen und mich bei Ihnen in + Leipzig oder bei meinen Kindern in unserer guten Vaterstadt etabliren. + +Es wurde ihm gewiß ebenso schwer, sich von den Kindern, die ihn ja auch +fortwährend an ihre Mutter erinnerten, zu trennen, als es für diese hart +war, daß sie außer der Mutter vielleicht für längere Zeit auch den Vater +entbehren sollten. Indeß war es doch der einzige Ausweg, der sich ihm +darbot. + +Am 3. Januar 1810 trat er die traurige Reise mit seinen Kindern an, +von deren treuer Pflegerin seit dem Tode der Mutter, Tante Josina, +begleitet. Er wollte sie doch wenigstens selbst nach Dortmund bringen +und zugleich seinen alten Vater nach so langer Trennung und nach dem +schweren Verluste, den er erlitten, wiedersehen. + +Nur die kleine Sophie mußte er in Amsterdam zurücklassen, da er ihr die +beschwerliche Reise im Winter noch nicht zumuthen durfte; sein Freund +Kaufmann Trippler und dessen Frau baten sich die Kleine aus, zumal sie +selbst keine Kinder hatten, und sie blieb bei ihnen mehrere Jahre unter +der sorgsamsten Pflege. + +Die andern sechs Kinder wurden einzeln bei den dortmunder Verwandten, +bei dem Großvater, dem Onkel Gottlieb und den Familien Beurhaus, +Brökelmann, Rittershaus und Schmeemann untergebracht. Hier blieben sie +mehrere Jahre unter liebevollster Behandlung, bis sie nach und nach in +das neubegründete Haus des Vaters zurückkehrten. + + * * * * * + +Vor seiner Abreise nach Dortmund war es Brockhaus gelungen, an +Bornträger's Stelle außer einem holländischen einen neuen deutschen +Gehülfen Namens Krieger zu erhalten, der während seiner Abwesenheit +wenigstens das laufende Geschäft besorgen konnte. Dieser kam aus +Leipzig, wo er vor Bornträger's abermaliger Hinkunft auch schon eine +Zeit lang für Brockhaus beschäftigt gewesen war, vermuthlich bei dessen +Commissionär. + +Mit Bornträger blieb Brockhaus fortwährend im lebhaftesten Briefwechsel +und hatte die Freude, daß dessen Ankunft und erstes Auftreten in Leipzig +manche Uebelstände rasch beseitigte. Namentlich war es Bornträger +gelungen, die durch verschiedene Umstände gestörte Geschäftsverbindung +mit dem leipziger Bankier Richter wiederherzustellen. + +Schon im Herbst 1809 hatte Brockhaus ausführlich an Richter geschrieben, +weil einige von ihm ausgestellte und an Richter gegebene Wechsel von den +Betreffenden nicht honorirt worden waren. Dieser Brief, der wieder einen +vollen Einblick in sein Inneres gewährt, lautet: + + Sie werden es meinem Herzen und meinem Verstande zutrauen, wie sehr + der unangenehme Vorfall, worüber ich heut Ihrer Handlung Bericht gebe, + auf mich wirken muß. Obgleich persönlich und sachlich einigermaßen + entschuldigt durch die Lage der Sache, worüber die eingelegten + Briefe Sie unterrichtet, bin ich doch zu sehr mit der über solche + Punkte eingeführten Delikatesse bekannt, um nicht vollkommen den + schmerzlichen und unangenehmen Eindruck vorherzusehen, den dieser + Vorfall auf Sie als Kaufmann machen wird und machen muß. Ich sehe + dies Alles so sehr ein, daß ich kein Wort in dieser Hinsicht an Sie + adressiren will, um es zu versuchen, diesen Eindruck zu schwächen. Ich + weiß es, es gibt darin keine Rechtfertigung! Ich kenne die Strenge + der kaufmännischen Ansicht darin in ihrem ganzen Umfang! Ich muß es + zufrieden sein, wenn Sie mir Ihr Zutrauen augenblicklich ganz und rein + entziehen, gleich alle Verbindung mit mir aufheben. + + Ich wende mich also auch nicht an Sie als Kaufmann. Ich wende mich + an Sie als Mensch! An den Menschen adressire ich mich alleine! + + Ich bin ein ehrlicher, ein rechtlicher Mann! Ich werde Sie, Herr + Richter, nie täuschen! Ich habe ein Capital von circa .... Gulden in + meinem Geschäfte. Ich habe keine fremden Fonds darin. Alles ist mein + Eigenthum. Nur die jetzigen Zeiten drücken mich sehr und stark, und + der deutsche Buchhandel ist in den Händen so vieler .... und .... + Menschen, daß man durchaus nicht auf sie in Hinsicht auf die Fonds, + die man von ihnen zu erwarten hat, rechnen kann; ihre Effronterie im + Zurückhalten der Einem schuldigen Gelder ist ungeheuer. Ich habe im + vorigen Jahr auf einmal über 40000 Gulden in die Ihnen größtentheils + bekannten Unternehmungen gesteckt -- die Unternehmungen sind sämmtlich + vom Publikum gut aufgenommen worden! Ich mußte die Ostermesse einen + bedeutenden Betrag nothwendig zurückerhalten. Sie wissen, wie die + Ostermesse ausgefallen. Es hat mir dies um 10000 Gulden wenigstens in + meiner Einnahme geschadet. Es genirt mich dies, ich gestehe es. Hier + in Amsterdam gibt es überhaupt keine, durchaus keine Ressourcen. Der + Einwohner steht #nie# mit einem Banquier auf dem Platze in einiger + Verbindung. Der Cassier arbeitet nur mit größern Handlungen und er + avancirt nie. Man muß hier Alles in und aus sich selbst holen! Jeden + Gulden! Es ist nie in Holland ein Geschäft gewesen wie das meinige. + Man vermag es gar nicht zu beurtheilen, weil man es nie gesehen hat, + also nicht kennt. Man beurtheilt mich also oft falsch; -- man hält + mich für einen excentrischen Menschen! Ich weiß dies Alles: ich kann + es nicht ändern! Ich muß die Menschen gehen lassen! Ich schließe + Ihnen mein ganzes Herz auf, Herr Richter; Sie sind gewiß ein edler, + vortrefflicher Mann, Sie sind ein guter Mensch! Mein Inneres sagt mir + das! Ich darf und kann mich Ihnen ganz anvertrauen. Ich werde Ihr + Vertrauen dadurch nicht verlieren. + + Wollen Sie mir Ihr ferneres Vertrauen lassen, -- ich werde, ich + kann es nie misbrauchen. Wollen Sie mich ferner ein wenig und selbst + noch etwas mehr als seither -- um mich den kleinen _gênes_, die mich + noch dies Jahr drücken, zu entziehen -- unterstützen, so werden Sie + sich einem dankbaren Manne und einer dankbaren Familie für immer + verpflichten. Kann ich Ihnen dorten eine Art von Garantie geben -- + über mein dortiges Lager -- Lebens oder Sterbens wegen, ich bitte Sie, + geben Sie mir die Idee an, wie ich es anzufangen. Es geschieht gern. + + Die Zeiten werden wieder besser werden. Der vor einigen Monaten + erfolgte Tod meiner Schwiegermutter bringt mir wieder neue Fonds. Ich + werde mich einschränken, da ich jetzt schon mehr aus Erfahrung die + .... Menschen, die Mehrzahl der deutschen Buchhändler, kenne! + + Sie sehen, ich plaudere zu Ihnen wie zum Bruder, wie zum jahrelangen + Freunde! Möchten Sie mir der letztere werden! + + Leben Sie wohl! Ich erbitte mir auf diesen Brief einige Zeilen + Antwort, ebenso offen, wie es die meinigen gewesen sind! + +Infolge dieses Briefs scheint Richter schon damals die +Geschäftsverbindung mit Brockhaus wieder aufgenommen zu haben. Jetzt, +bei Bornträger's Uebersiedelung nach Leipzig, bedurfte Brockhaus +der Vermittelung und des Vertrauens Richter's noch mehr als früher. +Er schrieb ihm deshalb am 2. Januar 1810 folgenden, sein Innerstes +enthüllenden Brief: + + Ich habe Ihnen mit voriger Post 1100 Mark Bco. remittirt auf Fr. + Perthes in Hamburg. Hiermit gleichen sich ohngefähr jene beiden + unglücklichen Posten von 500 Fl. aus. Ich werde Ihnen weiter von + Monat zu Monat verhältnißmäßige Rimessen machen. Seien Sie ganz + und unbedingt ruhig! Ich habe kaufmännisch gegen Sie sehr gefehlt, + moralisch -- nicht! Ich will gegen Sie keine Exposition davon machen; + ich bin zu routinirt in Geschäften, um nicht den ganzen Umfang meiner + Abweichungen -- wenn auch gezwungen, doch immer Abweichungen -- zu + fühlen und in Klarheit zu erkennen. Ich will auch eine Entschuldigung + nicht einmal versuchen! Ich könnte Vieles, vielleicht sehr Vieles und + gar Genügendes zu meiner moralischen Entschuldigung vorbringen. Ich + thue es aber nicht! Ich schweige. Nur das sage ich, und #das# darf ich + sagen: Seien Sie ganz ruhig. Nur das Gedränge drückender, zu leicht + eingegangener Engagements; nur unverzeihliche Vernachlässigung dort + in Besorgung mancher bedeutenden Geschäfte und Verrichtungen, wodurch + ich mich veranlaßt gefunden habe, selbst jetzt mitten im Winter + einen Commis von hier nach dort zu senden; nur nicht zu gebieten + gewesene Täuschung über den Eingang erwarteter und nicht eingegangener + Fonds; endlich die Krankheit und zuletzt der Tod einer geliebten, + angebeteten Gattin und die daraus resultirte Zerstörung meines + Denk- und Ordnungsvermögens -- in diesen Grundzügen müßte ich meine + Entschuldigung suchen. + + Ich erkenne aber in voller Klarheit, daß ich #keine# Entschuldigung, + aus blos kaufmännischem Gesichtspunkte betrachtet, gegen Sie habe. Ich + verdamme mich darin selbst unbedingt. + + Nur das sage ich und das darf ich sagen: Seien Sie vollkommen ruhig. + Sie sind ein edler Mensch. Ich bin Ihrer Achtung und Werthschätzung + nicht unwerth. Es ist eine reine Unmöglichkeit, für mich individuell + und aus meiner ganzen Geschäftslage betrachtet, daß Sie je einen + Thaler an mich verlieren könnten. Wäre es mir möglich, den Gedanken + darüber zu fassen, ich würde Ihnen nie einen Wunsch weiter mittheilen. + + Handlungen müssen hier aber entscheiden. Ich erkenne das. Meine + erste sei, daß ich Ihnen, noch nicht außer dem Gedränge kleiner + Verlegenheiten, die aber sich zusammenwickelnd nicht ohne Bedeutung + sind, aber befreit von unmittelbaren Engagements, meine erste freie + Disposition widme, die ich habe erübrigen können: die 1100 Mark Bco. + per Hamburg. Ob Sie in diesem Zuge mich und meine Gesinnungen errathen + werden, muß ich erwarten. Ich erwarte es mit Resignation. + + Das hohe Vertrauen, das ich zu Ihnen als Mensch habe, erlaubt es + mir, Sie zu bitten, mich unerachtet aller stattgehabten Störungen + dennoch nicht ganz zu verlassen .... Ich habe, debarrassirt von meinen + drückenden Verbindlichkeiten, die Aussicht, im Laufe der nächsten + Monate aus meinem Sortimentsgeschäfte (worin alles auf Jahresrechnung + geht) bedeutende Summen einzunehmen. Ich habe keine einzige schlechte + Unternehmung gemacht. Ich bin nicht ohne eigene und nicht unbedeutende + Fonds. Ich bin ein häuslicher, ordentlicher, guter Mensch -- das darf + ich ja wol Alles sagen, ohne daß ich in den Schein von Ruhmredigkeit + falle. Darum sage ich es Ihnen, zu dem ich reines und großes + moralisches Vertrauen habe. + + Dieser Brief sei aber auch nur Ihnen geschrieben. Außer Ihnen muß + ihn Niemand sehen. Nur Sie werden mir ihn nachfühlen. + + Sie werden mir keine Vorwürfe machen über das Vergangene. Ich mache + sie mir selbst. Haben Sie die Güte, mich Ihres Vertrauens nicht ganz + unwerth zu finden. Ich darf es ja wol sagen, daß ich nicht glaube, + desselben unwerth zu sein im Innern .... + +Hier folgt die bereits früher mitgetheilte Stelle über seine Absicht, +nach Dortmund zu reisen, um die Kinder dort erziehen zu lassen. Der +Brief schließt dann: + + Daß ich Ihnen das Alles sage? + + Ich weiß selbst nicht oder kaum, wie ich dazu komme! Nur das erkenne + und weiß ich, daß ich mich einem edlen und wackern Biedermanne + anvertraue. + + Ob Sie in meine _vues_, die Geschäfte betreffend, eingehen oder + nicht, ist von meinem Urtheile und meiner Empfindung über Sie ganz + unabhängig. + + Leben Sie wohl. Ich bin Ihnen mit ganzer Seele zugethan. + + (Nachschrift.) Alle Geschäfte und Transactionen, die Herr Schmidt + macht, sind verbindlich, da er mit vollkommener gerichtlicher + Vollmacht versehen ist. + +An Bornträger schrieb Brockhaus gleichzeitig: + + Herr Richter ist ein höchst rechtlicher und wackerer Mann, auch ein + Freund von Literatur u. s. w., und es hängt unendlich viel davon ab, + sich mit ihm wieder zu einigen. Ich werde auch alles Mögliche thun, um + dies zu bewerkstelligen, und verzweifle ich keineswegs an dem Erfolg + davon, da ich die innere Ueberzeugung habe, sein Zutrauen wie das + Zutrauen jedes rechtlichen Mannes vollkommen zu verdienen. + + Besuchen Sie ihn in einer ruhigen Stunde in seinem Hause, sprechen + Sie mit Besonnenheit und Zuversicht. Deuten Sie auf die Stockungen + und Verwirrungen, ohne irgend Jemanden anzuklagen. Versichern Sie + ihn meiner unbegrenzten Ergebenheit und meines besten Willens, auch + meiner vollkommenen Kräfte. Sagen Sie etwas von dem verhängnißvollen + Schicksal, das jetzt auf mir ruht und mich zerschmettert hat. Seien + Sie in Allem wahr und ernst und bieder. Sprechen Sie zu meinem Besten, + aber mit Bescheidenheit. + +Die Antworten Richter's auf obige Briefe sind nicht erhalten, aber +jedenfalls lautete auch die auf den zweiten befriedigend, da Brockhaus +unmittelbar darauf wie auch später geschäftlich und freundschaftlich mit +ihm verkehrte. + + * * * * * + +Der Aufenthalt in Dortmund währte länger, als Brockhaus erwartete, +ungefähr einen Monat, bis Anfang Februar 1810. Die Ausgleichung alter +verwickelter Familienverhältnisse nahm viel Zeit in Anspruch, und +außerdem verfaßte er hier die Appellation gegen das erste Urtel im +Hiltrop'schen Processe, obwol sie vom 28. Februar dieses Jahres aus +Amsterdam datirt ist. + +Noch in Dortmund erhielt er die ersten günstigern Berichte von +Bornträger aus Leipzig. Er antwortet ihm am 21. Januar: + + Es freut mich, daß Sie durch ein männliches, ruhiges und gesetztes + Betragen schon Manches ins Gleiche gebracht haben. Es wird sich alles + Weitere geben, wenn nur einmal alle Verhältnisse zwischen dort und + Amsterdam ganz ineinander greifen, die Bücher in Ordnung sind und wir + uns so bemühen können, unsere ausstehenden Gelder beizutreiben, als + man uns, wenn wir schuldig sind, damit auf der Haut sitzt. + + Ob ich gleich in diesem Jahre gewiß noch viel zu kämpfen haben + werde, so ist von der andern Seite in diesem Jahre auch viel zu + hoffen. Es kommt hinzu, daß, so unglücklich ich auch als Mensch + durch den unersetzlichen Verlust meiner guten Sophie geworden bin, + ich durch die neuen Verhältnisse, worein ich dadurch getreten, von + den beinahe unerschwinglichen Kosten, womit mein Etat in Amsterdam + verknüpft wurde, befreit worden bin. Ich werde allerdings in meinen + Verlagsunternehmungen mich um so mehr auch einschränken können, da ich + gegenwärtig nur wenig bedarf und es meine feste Absicht ist, für die + Zukunft mir ein ruhigeres Leben zu erringen. + + Sie, guter Bornträger, gehören mit in meinen künftigen Lebensplan. + Entwickeln Sie die guten Anlagen, die zum Theil nur noch als Keime + in Ihnen liegen. Zerstören Sie das Feindselige, was gegen das Gute + in Ihnen kämpft, und gewöhnen Sie sich insbesondere an Manches, + was besonders in diesem Fache allein den guten Geschäftsmann im + Praktischen macht: an Besonnenheit, Ruhe und die pünktlichste Ordnung + in den Arbeiten. Krieger ist in diesen drei Punkten wirklich ein + Ideal. Auch ist er es in Rücksicht der Thätigkeit, da er keine + Arbeitszeit oder Stunde kennt, sondern nur fragt: was ist noch zu thun? + +Weiter spricht er darüber, wie er sich seine künftige Einrichtung in +Leipzig denke; seine Ansprüche waren sehr bescheiden: + + Ein Gewölbe wie jetzt bedürfen wir nicht. Es ist unbequem, feucht, + fatal zum Arbeiten; es ist unmöglich, darin ein ordentliches Comptoir + zu halten; es ist dazu theuer. Wir bedürfen nur eines geräumigen + Zimmers in einer ersten Etage, das man heizen kann allenfalls und + welches man mit Regalen versehen läßt. Es muß darin Raum genug sein, + um 20 Exemplare von jedem Verlagsartikel zur Hand zu haben, und + sonst Platz, um eingehende Artikel ordnen und packen und weggehende + einpacken zu können. In diesem Zimmer könnte allenfalls ein Pult + gestellt werden, woran zwei Personen ordentlich arbeiten können, + wenn es groß genug wäre, daß man Briefrepositorien, Platz für Bücher + u. s. w. auf eine ordentliche Weise daran mit anbringen könnte. Besser + wäre es aber noch, wenn ein kleines Comptoir als Nebenzimmer dabei + wäre. + + Außerdem wünschte ich, daß Sie und ich unmittelbar dabei schliefen + und wohnten, da dies die Leichtigkeit im Arbeiten so sehr befördert; + womöglich also zwei Schlafzimmer für mich und Sie, und außerdem ein + Wohn- oder Besuchzimmer. Also zusammen fünf Piècen, von denen zwei was + man in Leipzig Kammern nennt wol sein könnten. + + Die Frage und Aufgabe wäre also: sollte dazu Gelegenheit zu finden + sein und wo? Mir wäre es gleichgültig, ob es in oder außer Leipzig + (etwa in Reichel's Garten) sei. Ich fühle die kleinen Inconvenienzen, + die entstehen, wenn es außer der Stadt wäre, aber gewonnen würde + auch wol wieder durch größere Annehmlichkeit, wahrscheinlich + größere Wohlfeilheit; auch könnten manche Inconvenienzen durch + Gegeneinrichtungen gehoben werden. + + Meine Absicht ist durchaus nicht, ein Haus in Leipzig zu machen. + Sie wissen, wie einfach und prunklos ich bin, und wie mich alles das + anekelt, was auf Ostentation hinausläuft. Nur eine angenehme Existenz + möchte ich mir sichern. Ich werde nicht, was man nennt, in Leipzig + immer wohnen. Ich werde viel da sein; aber auch hier bei meinen + Kindern, Geschwistern und Jugendfreunden werde ich zu Zeiten sein. Ich + muß auch in Amsterdam ein paar Monate zubringen. + +Die Abreise von Amsterdam, wohin Brockhaus gegen Mitte Februar +zurückgekehrt war, mußte er von Woche zu Woche verschieben und konnte +sie erst Mitte Mai ausführen. + +Zunächst wurde er durch eine Untersuchung in Anspruch genommen, welche +über das Manuscript zu Reichardt's »Vertrauten Briefen auf einer Reise +nach Wien« eingeleitet worden war. Schon in Dortmund hatte er die erste +Nachricht darüber erhalten und auch deshalb seinen dortigen Aufenthalt +verlängert. In dem Briefe vom 21. Januar schreibt er an Bornträger: + + Auch habe ich noch einen geheimen Grund, hier zu bleiben. Das + Rdt'sche Manuscript über Wien ist von der Censur in Braunschweig + nicht zurückgegeben, sondern an das Justizministerium nach Kassel + geschickt worden. Ich möchte also auch gern hier abwarten, ob das + kasseler Ministerium nach Amsterdam Requisition erlassen wird, den + Verfasser zu erforschen, dessen Handschrift indessen in Kassel + hinreichend bekannt sein wird. Es möchte doch sehr gut sein, wenn Sie + auf irgendeine Weise R. davon prävenirten und Maßregeln beredeten, da + ich ihm nicht zu schreiben wage und Vieweg es auch gewiß nicht gethan + hat; auch daß er das weitere Manuscript zurückhielte. Ich überlasse + es Ihrer Klugheit, da Sie so nahe sind, was Sie darin thun wollen. + Für mich kann natürlich nichts Unangenehmes entstehen, da ich es der + Censur übergeben, nur die ersten Bogen gesehen, darin selbst Vieles + gestrichen und unbedingt verlangt habe, daß nichts gegen Napoleon + dürfe gesagt werden. Nur möchte ich den Verfasser auch nicht verrathen. + +Am 28. Januar schreibt er nochmals und ausführlicher darüber: Von +Amsterdam habe ihm sein Gehülfe Krieger gemeldet, daß man nach ihm +geschickt habe, und er könne nun nicht eher nach Amsterdam zurück, bis +das beseitigt sei. Bornträger solle deshalb lieber selbst nach Halle zu +Reichardt gehen, wenn dieser nicht etwa schon arretirt sei. Er könne +schließlich der Gewalt nicht widerstehen, ihn nennen zu müssen, wenn +er dazu irgendwo vom Gouvernement angehalten werde. Vielleicht auch +sei Reichardt von Halle weggegangen, doch werde Bornträger von dessen +Töchtern den Aufenthaltsort wol erfahren. Treffe er ihn, so solle er +ihn veranlassen, seine Papiere und Notizen zu retten. Uebrigens möge er +doch auch gleich über den beabsichtigten zweiten Theil mit ihm sprechen +und ihn auffordern, was er ihm auch schon selbst geschrieben habe, »mehr +Geist und Salz hineinzulegen«. + +Inzwischen müssen die Nachrichten von Amsterdam doch beruhigender +gelautet haben, denn Brockhaus reist dahin zurück und schreibt um 16. +Februar von dort an Bornträger: + + Wegen Rdt's »Wien« bin ich ganz unangefochten und wahrscheinlich + ist das ganze Wesen hier Cabale von N. N. und ähnlichen Schuften + gewesen, um mich von hier zu vertreiben. Der westfälische Gesandte + weiß von nichts, der Polizeiminister weiß von nichts, der Minister + der auswärtigen Angelegenheiten weiß ebenso wenig von etwas. Und der + _Hoofdofficier_ (Oberoffizier), dem ich geschrieben habe, daß ich hier + sei, hat mir antworten lassen, er habe mir nichts zu sagen. Dagegen + bin ich fortdauernd in anonymen Briefen gewarnt und ist mir gerathen + worden, von hier wegzugehen oder nicht zurückzukommen! + +Indessen hatte er zu früh gefrohlockt und ebenso war auch sein daran +geknüpfter Verdacht unbegründet gewesen. Denn schon am 24. Februar +schreibt er an Bornträger: + + Heute bin ich doch noch von der geheimen Polizei wegen »Wien« + verhört, aber sehr human behandelt worden. Den Namen des Verfassers, + den man wissen wollte, habe ich nicht genannt, sondern erklärt: »daß + ich dem Verfasser mein Ehrenwort gegeben habe, ihn nicht zu nennen, + also auf eine bloße Anfrage des westfälischen Gouvernements dies mein + Wort nicht brechen könne und nicht anders mich desselben entschlagen + urtheilen könnte als durch einen ausdrücklichen Befehl meines Königs; + daß aber, da _in casu_ Verfasser wie Verleger den gesetzmäßigen Weg + gegangen, indem sie dem Gouvernement ihre Gedanken -- das Manuscript + -- mitgetheilt und angefragt hätten, ob solche dürften bekannt + gemacht werden, der Name des Verfassers hier eine sehr fremdartige + Sache sei, die das Gouvernement nicht weiter interessiren könne; + wenigstens glaube ich für meine Person nicht, darin dem Gouvernement + als rechtlicher Mann an die Hand gehen zu dürfen«. Man ist hiermit + einstweilen zufrieden gewesen, und hat man nun das Nähere zu erwarten. + Ich denke aber, die Sache wird nun wol todt bluten. + +Damit scheint die Untersuchung allerdings erledigt gewesen zu sein; sie +wird in den fernern Briefen nicht weiter erwähnt, und Reichardt's Buch +erschien auch noch in demselben Jahre. Als ein Scherz ist es wol nur +anzusehen, wenn Brockhaus in einem Briefe erwähnt, daß er daran gedacht +habe, in höchster Noth den kurz vorher (1809) verstorbenen Freiherrn von +Groß in Weimar, von dem er auch ein Werk verlegt hatte, als Verfasser +anzugeben! + +Bornträger hatte sich übrigens entschlossen, der größern Sicherheit +wegen zu Fuße von Leipzig nach Halle und Giebichenstein zu gehen, um +Reichardt von der Sachlage zu benachrichtigen. Brockhaus trägt ihm auf, +bei dieser Gelegenheit Reichardt zu einem neuen Buche aufzufordern. Er +schreibt: + + Ich möchte ihm den Vorschlag thun, ein Buch zu schreiben wie die + vortrefflichen Briefe von Risbeck seiner Zeit waren: »Briefe eines + reisenden Franzosen«[38], Reichardt wäre ganz der Mann dazu. Man + könnte es betiteln: »Kreuz- und Querzüge eines reisenden Franzosen« + oder »eines reisenden Deutschen«. Theilen Sie Reichardt auch diese + Idee mit, die ich ihm jetzt nicht direct schreiben mag. Ich möchte + es erstaunlich gern, daß er darauf entrirte, da er vollkommen dafür + berechnet ist. Ein solches Buch, mit _sagacité_ geschrieben, würde + erstaunlichen Debit haben. + +Diese Anregung hat jedenfalls Reichardt zu seinen Ende 1811 bei +Brockhaus (unter der bekannten fingirten Firma »Köln bei Peter Hammer«) +anonym erschienenen »Briefen eines reisenden Nordländers. Geschrieben +in den Jahren 1807 bis 1809« veranlaßt und zeigt wieder, daß Brockhaus +sich nicht darauf beschränkte, ihm angebotene Manuscripte zu verlegen, +sondern daß er auch Schriftstellern eigene Ideen zur Ausführung neuer +Werke mittheilte. So rührt die Idee zu dem »Handbuch der deutschen +Literatur« von Ersch ebenfalls von Brockhaus her; er schreibt darüber +einmal an Bornträger: »Sie ist aus meiner Seele allein hervorgegangen.« + +Ein in dieser Zeit geschriebener Brief zeigt, daß Brockhaus auch mit +dem damals in Leipzig wohnenden Dichter Johann Gottfried Seume, den +er wahrscheinlich persönlich dort kennen gelernt, in Beziehungen +stand, und dieser ihm einen Verlagsantrag gemacht hatte. Er trägt +Bornträger auf, Seume zu sagen, daß er eine Copie seines Manuscripts +nach England geschickt habe; »es sei zu gefährlich, es in Holland zu +drucken; erzählen Sie ihm den Umstand jetzt mit 'Wien'; ich würde ihm +sein Original zu Ostern selbst zurückbringen oder auf Verlangen gleich +einschicken.« Seume starb indeß bald darauf (13. Juni 1810); jenes +Manuscript war vermuthlich Seume's Selbstbiographie, die nach seinem +Tode von Clodius herausgegeben wurde (Leipzig 1813). + + * * * * * + +Brockhaus sah bald ein, daß er Amsterdam doch noch nicht gleich +verlassen könne, besonders weil er das Geschäft seinem neuen Gehülfen +Krieger nicht allein anvertrauen mochte. Während er diesen früher gegen +Bornträger sehr gelobt, schreibt er letzterm jetzt am 6. März: Krieger +sei »zu weiter nichts gut als aus einem vollen Sacke Geld zu nehmen und +damit zu zahlen und es sich sonst sehr gut sein zu lassen«! Er fährt +fort: + + Ich opfere also lieber mich auf als mein Geschäft, und ich werde + nach der Ostermesse (aus Leipzig) gleich zurückkehren, dagegen im + Sommer eine Reise nach Paris machen. Sie, der Sie alle Verhältnisse + kennen, werden dies gut finden. Darum aber gebe ich meinen Plan für + die Zukunft nicht auf. Nur dies Jahr geht es noch nicht, und in diesem + Jahre muß sich Vieles entwickeln. Ich hoffe, Alles ziemlich gut! Die + Messe kann nicht schlecht werden, da durch die Verbindung Oesterreichs + mit Frankreich die Ruhe des Continents vorläufig sehr gewinnt und + namentlich Oesterreich einer bessern Epoche dadurch entgegengeht. + Oesterreich wird kaufen und zahlen, und von keiner Seite her wird man + Ursache haben, nicht zur Messe zu kommen. Sehr gut ist es auch, daß + die Messe so spät eintritt, weil selbst die Russen u. s. w. jetzt gut + eintreffen können. + +Die beabsichtigte Reise nach Paris sollte sechs Wochen dauern und +besonders wegen der Verlagswerke von Sprengel, Rudolphi, Villers, +Fauriel und Massenbach unternommen werden; sie unterblieb aber, ebenso +wie ein von ihm für den Herbst, »um einen Monat meinen Kindern zu +leben«, gehoffter wiederholter Aufenthalt in Dortmund. + +Gegenüber den vermehrten Ausgaben in Leipzig und in der Absicht, sein +amsterdamer Geschäft früher oder später aufzulösen, war er unablässig +bemüht, seine Außenstände in Holland einzuziehen. Er machte zu diesem +Zweck im März und April mehrere Reisen nach Utrecht, Rotterdam und +Harderwijk, Schiedam, Delft und dem Haag, leider aber meist mit +geringem Erfolge. Die Geldkrisis und die politischen Verhältnisse +wirkten lähmend auf Handel und Verkehr, und die Buchhändler wie die +Privatkunden vertrösteten ihn mit Versprechungen, während er selbst von +Schriftstellern und Buchdruckern in Deutschland gedrängt wurde. Bei der +Rückkehr von einem solchen Ausflug schreibt er einmal: + + Auf dieser Reise ist es mir unsaglich schlecht mit dem Einkassiren + gegangen: circa 2400 Fl. ausstehen, und ich habe kaum 200 Fl. Kassa + und circa 250 Fl. Papier mitgebracht. Entweder verreist oder nicht bei + Kasse! Das heißt Einen rasend machen! + +Er sah jetzt oft recht trüb in die Zukunft, ohne indeß den Muth zu +verlieren. So schreibt er am 6. März an Bornträger: + + Beruhigen Sie sich insbesondere wegen meiner äußern Lage. Ich bin + dies Jahr weniger gedrückt wie vorig Jahr und vor zwei Jahren, ob + ich gleich so unendlich schwere Ausgaben gehabt und dadurch so Vieles + anticipirt habe .... Demohnerachtet weiß ich vollkommen, daß es mir + noch sauer werden wird, aber ich sehe doch Durchkommen und habe mehr + Muth wie je, besonders da Sie jetzt dort sind. + +Und am 3. April schreibt er: + + Ich werde alle meine Kräfte aufbieten, um Sieger zu bleiben. Vieles + ist verloren. Aber nicht Alles. Durch Besonnenheit und Muth wird sich + Vieles, vielleicht Alles retten lassen. + +Aber nicht nur den Muth verlor er nicht, sondern bewahrte sich selbst +den Humor, wie folgende Anekdote über einen spaßhaften Handel mit einem +amsterdamer Antiquar oder vielmehr mit dessen Frau beweist. Er schreibt +an Bornträger unterm 16. März: + + Ich habe heut einen Handel gemacht, der Ihnen possirlich vorkommen + wird. Gestern gehe ich, wie ich aus dem Wappen von Bern, wo ich + oft esse, nach dem Museum gehen will, um die Zeitungen des Tages + zu lesen, dem Bücher-Antiquar Ros in Rooseboomsteeg vorbei und + bleibe wie gewöhnlich vor seinen ausgestellten Büchern stehen, um + die Titel zu beschauen. Ich finde zufällig einen alten Jahrgang des + historischen Calenders, der bei Haude herauskam, über Amerika, der + jetzt selten ist. Ich möchte den gern haben, denke ich, er wird wol + für ein Dübbelchen zu erstehen sein, und gehe hinein. »Wieviel für + _dat boekje_ (das Büchelchen)?«, frage ich. -- »_Vier Sestehalven._« + -- »Wie, vier Sestehalven? Ist sie klug?«, sage ich zu der Frau, + »_voor zoo een oud ding, dat al voor 20 jaar verschenen is?_« (für + so ein altes Ding, das schon vor 20 Jahren erschienen ist?) -- Ja, + unter 3 Shillings gebe sie es nicht. -- Kurz, wollte ich wohl oder + übel, nachdem ich wie ein Grasmäher gefeilscht hatte, einmal aus der + Boutique schon weggegangen war, und der Versuch, zurückgerufen zu + werden, ohne Erfolg war gemacht worden: ich mußte 15 Stüber geben. + »Aber«, sage ich, wie das Geld bezahlt war, »meine liebe Frau, #ich# + habe die 15 Stüber für _dat boekje_ gegeben, weil es eine Seltenheit + ist. Das weiß #Sie# nun aber nicht. Anders wäre es mir nichts werth + gewesen. Wie kann Sie ein solches Ding so hartnäckig auf einem solchen + Preis halten?« -- Ja, sagte sie, diese »_boekjens met platen_« + (Büchlein mit Illustrationen), die könnte sie sehr gut verkaufen, und + die fänden immer ihre Liebhaber. -- Hm, denke ich, dann könntest du + ja den Ueberschuß der »Urania« trefflich gebrauchen, welcher deinem + Auge sonst doch Verdruß genug sein wird. Ich theile ihr die Idee mit, + worauf sie gleich entrirt. »Aber ich habe viel«, sage ich. -- »Ja, + das macht nichts, _en als de Heer ook een paar honderd heeft_« (wenn + der Herr auch ein paar hundert hat). -- Ich bin wie aus den Wolken + gefallen. Wo bleibt das Weib damit? Ich renne wie besessen nach Hause, + hole ein hübsches in Maroquin, bringe das zur Probe und werde nun + Verkäufer statt Käufer. _Enfin_, einen Shilling bot sie mir noch am + Abend, und diesen Morgen haben wir es zu 8 Stüber hinaufgetrieben, + wozu ich ihr unsern traurigen Vorrath von 223 Stück -- leider sind + die 160 Ex., die nach Ostfriesland gegangen sind, alle angekommen und + gleich als Makulatur bei Seite gelegt worden -- gegen gleich comptante + Zahlung von ca. 90 Gulden. + + Ich habe mich halb krank über die _négociation_ gelacht, die wir + aber unter uns halten müssen, weil, wenn es die deutschen Buchhändler + erführen, daß man alte abgelebte Almanache beinahe für einen halben + Gulden loswerden könne, bald alle Landstraßen damit bedeckt sein + und der Handel _de fond à comble_ verdorben sein würde. Ein Triumph + meiner Phantasie würde es sein, wenn ich der Frau auch noch den + leipziger Ueberschuß, der eine ganz andere Masse bilden wird, + aufhängen könnte. Ich habe darauf angespielt; sie meinte aber, daß + an 223 sie einstweilen (!) doch genug habe. Ich denke es auch und + fürchte: für immer. Aber es ist wahr: in Amsterdam ist doch auch Alles + zu verkaufen! Indessen bin ich noch mit ihr im Handel über unsern + hiesigen Rest von .... (folgen einige Titel älterer Verlagswerke), + worüber ich bis Dienstag Rapport haben soll. Einzelne Exemplare kauft + das Weib nicht; sie macht Alles im Großen, _en bloc_. Original! + +Infolge der geistigen Aufregung und Ueberanstrengung in dieser ganzen +Zeit, wozu noch die häufigen rasch zurückgelegten Reisen kamen, wurde +Brockhaus bald darauf ernstlich unwohl. Schon am 24. März sagt er, +daß er sich seit kurzem gar nicht wohl fühle, keine Eßlust habe und +beständig ein kleines Fieber mit sich herumschleppe. Eine Folge dieses +Uebelbefindens und seiner Erregung ist es wol, wenn er weiter schreibt, +er habe in Erwartung eines Berichts von Bornträger mehrere Tage nicht +schlafen können, und in Bezug auf einige unberechtigte Forderungen von +Schriftstellern hinzufügt: + + Ich bin keineswegs geneigt, diesen Leuten einen Schritt zu weichen. + Göschen zeigte mir einmal ein dickes Convolut Papiere: »Dieses + enthält Documente zur Schande der Menschheit«, sagte er; »es sind die + Verhandlungen mit unsern berühmten Autoren.« + +Lange wehrte er sich gegen die Krankheit, ohne sich zu schonen; so +fuhr er einmal in einer Nacht nach Leyden und kehrte in der nächsten +Nacht nach Amsterdam zurück, um schon einige Tage darauf in ähnlicher +Weise nach Rotterdam und zurück zu reisen. Endlich aber mußte er sich +doch darein ergeben, seine Thätigkeit zu unterbrechen und sich zu +pflegen. Die Krankheit stellte sich als Gelenkrheumatismus und Gicht +heraus. Sechs Wochen lang, bis Anfang Mai, wurde er davon geplagt, und +mußte also so lange die Abreise nach Leipzig verschieben, obwol seine +Anwesenheit dort besonders während der Messe so nothwendig war. Während +dieser Zeit erhielt er auch aus Dortmund die Trauerkunde vom Tode seines +jüngsten, noch nicht ganz drei Jahre alten Sohnes Max, des Pathen +Baggesen's. + +Am 10. April schreibt er an Bornträger: + + Ich habe von meinem Rheumatism einen solchen fürchterlichen Rückfall + bekommen, daß ich seit Sonnabend, wo ich Ihnen schrieb, nicht aus dem + Hause gewesen bin und fast immer das Bett gehütet habe. Auch diese + Zeilen schreibe ich Ihnen aus dem Bette, und habe ich in diesen Tagen + nicht anders als durch Dictiren arbeiten können. Ich habe sehr heftige + Schmerzen in den Muskeln des Halses und des Kreuzes, sodaß ich leider + weder gut liegen noch irgendeine ruhige Stellung annehmen kann. Es + ist mir erstaunlich fatal, wie Sie denken können. Indessen hoffe ich + doch, daß durch Ruhe und Wärme sich Alles bald geben wird .... Mich + fatiguirt das Schreiben außerordentlich und ich schließe daher in Eile. + +Wenige Tage darauf, am 14. April, klagt er: + + Ich bin noch immer sehr krank, und wenn auch auf der Besserung, so + geht's doch langsam. Mein Rheumatismus hat einen heftigen Charakter, + der sich gar nicht fügsam beugen will. Indessen schreibe ich Ihnen + doch wieder außer dem Bette. Die Stube darf ich aber noch nicht + verlassen. Und morgen über vier Wochen soll ich schon in Leipzig sein! + Wie mich dies ergreift! Und doch muß und soll es möglich werden! Nur + Hygiea verlasse mich nicht, oder komme vielmehr, deine stärkende Hand + über mich zu erheben! + +In einem Briefe vom 21. April heißt es: + + Ich habe Ihnen Dienstag nicht geschrieben, weil ich Ihnen dann + hätte melden müssen, daß ich aller Berechnung nach nicht zur Messe + kommen könne. Ich war an diesem Tage von meiner vert........ Gicht in + Nacken, Rücken und Fußgelenken so gelähmt und so gepeinigt, daß ich + mich nicht rühren konnte. Es scheint aber das Maximum gewesen zu sein, + und ich gehe seit vorgestern an einem Stocke im Zimmer herum. Ich + hoffe nur jetzt, daß ich werde kommen können! Ich #hoffe# es und ich + #glaube# es! Schon wollte ich Ihnen alle Bücher schicken und Sie wie + mein Geschäft Gott anbefehlen. + + Ich habe hier übrigens Mühe mich durchzuwinden, wie Sie denken + können, besonders da ich krank bin; indessen guter Muth und Hoffnung, + die menschliche, verläßt mich nicht. + + Daß Sie auf sechs gute Groschen reducirt waren, hat mir ein wenig + Spaß gemacht, denn bei allem Ungemach und Sorgen verläßt mich mein + guter Humor nicht ganz. Vor der Messe unmittelbar ist die Auslieferung + immer schlecht. Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen! + +Im nächsten Briefe, vom 24. April, schreibt er: + + Seit Sonnabend bin ich mit meinem Uebel nichts gefördert. Es ist + um gar nichts besser geworden, und ich habe die beiden Ostertage + recht traurig zugebracht und die Nächte unter vielen und heftigen + Schmerzen, da es des Nachts immer schlimmer ist als am Tage. Aller + Gichtstoff hat sich jetzt auf den linken Fuß geworfen, der dadurch + sehr angeschwollen, sodaß die Haut außerordentlich gespannt ist .... + Da ich indessen, diesen Punkt ausgenommen, vollkommen gesund bin + und vielleicht jetzt der höchste Punkt des Uebels erreicht ist, so + bleiben meine Aerzte dabei, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach an + meiner Reise nicht werde gehindert werden. Ich begreife es selbst, daß + zwei bis drei Tage mir hinreichende Genesung geben können, aber Sie + können denken, wie angstvoll ich bin. Der Himmel wird mich nicht ganz + verlassen! + +Die gehoffte Besserung trat endlich ein und die Ausführung der Reise +nach Leipzig wurde fest beschlossen. Er schreibt an Bornträger unterm +28. April: + + Erst seit gestern Morgen darf ich jetzt wahre Hoffnung haben, die + Reise nach Leipzig noch machen zu können. Erst seit gestern ist + wahre Besserung da! Erst seit gestern Abend kann ich mich im Zimmer + herumbewegen. Noch ist aber nur der Anfang der Besserung da. Es muß + kein Rück-, kein Incidenzfall eintreten. Alles muß vortrefflich gehen, + wenn es möglich werden soll, daß die Reise geschehe. Wie sehr ich + aber auf diese Begünstigung der Glücksgöttin vertraue, sage Ihnen + der Umstand, daß ich am Mittwoch unter den heftigsten Zufällen, die + ich aber zu verschmerzen noch die Kraft hatte, mit Jemandem Abrede + wegen der Zusammenreise nahm und diese beschlossen wurde; wir stehen + jetzt selbst noch in Unterhandlung über den Kauf eines Reisewagens, + dessen ich besonders sehr bedurfte für diesmal. Auf jeden Fall riskire + ich freilich bei dieser Reise mein Leben oder den Verlust meiner + Gesundheit für immer. Aber gibt es hierin eine Wahl? Kann ich hier + bleiben, darf ich es, wenn nicht die gebieterischste Nothwendigkeit + mich ans Krankenbette fesselt? Mein Körper ist sehr schwach. Meine + Nerven sind in einem unglaublichen Grade gespannt und angegriffen; + mein furchtbarer Seelenzustand ist die Ursache meiner Krankheit; + diese fängt eben an, der sorglichsten Behandlung und aller Kunst + meiner Aerzte zu weichen, und schon im ersten Genesen soll ich diesen + zerrütteten schwachen Körper allen Beschwerlichkeiten und Gefahren + einer solchen Reise aussetzen, wo ich auf schlechten Wegen, in rauher, + kalter Witterung, und selbst des Nachts in der für mich unangenehmsten + Lage des Körpers in elenden offenen Wagen (wenn wir den Reisewagen + nicht kaufen) eine Reise von 150 Meilen machen soll! Indessen Pflicht + und Ehre rufen mich, und ich werde nicht wanken, wenn nur die Elemente + der Kraft dazu da sind. + +In den beiden letzten Briefen, die Brockhaus vor seiner Abreise von +Amsterdam am 1. und 5. Mai an Bornträger schreibt, spricht er die +zuversichtliche Hoffnung aus, daß seine Anwesenheit in Leipzig alles +Geschäftliche in Ordnung bringen werde. Er sagt: + + Wie Alles werden, sich ordnen und lösen solle, weiß ich nicht, + und um es zu wissen, müßte ich ein Halbgott sein .... Ich werde der + Gefahr ruhig unter die Augen treten und von der Gegenwart etwas + Erträgliches erkämpfen, für die Zukunft Besseres bereiten .... Ich + habe hierüber wie über hundert andere Dinge sehr Vieles mit Ihnen zu + sprechen. Besonders von der jetzt möglichen ganz neuen Einrichtung + unsers Geschäfts habe ich Ihnen sehr wichtige Ideen mitzutheilen. + Auf Sie, lieber Bornträger, vertraue ich Alles, und nur durch Ihre + Mitwirkung können diese Ideen ausgeführt werden. Ich glaube indessen + gewiß zu sein, daß bei ihrer Befolgung wir in ein paar Jahren sehr + glücklich leben werden und keine der Sorgen mehr kennen, die uns + Beiden jetzt das Leben verbittern. Mündlich von dem Allen .... Dies + ist eine jener Maßregeln mit: Oekonomie ist die Basis des Mehrsten. + Und die Unmöglichkeit, mich mit Oekonomie einrichten zu können, + das Unermeßliche, was meine Haushaltung verschlang, der Kampf + zwischen Gewohnheiten und nothwendigen Annehmungen, die _fierté_ + meines persönlichen Charakters, der alle die Wege nicht paßten, die + im jetzigen Berufe liegen -- dies war es, was mich gedrückt und + zurückgebracht, mich ausgesogen hat. Aber noch ist für Alles Rettung, + denke ich. Ich habe mit Ruhe auf meinem jetzigen Schmerzenslager + einen neuen Geschäfts- und Lebensplan entworfen, in den Sie, lieber + Bornträger, aber als ein nothwendiges Glied eingreifen. Sonst Niemand! + +Auf den 10. Mai setzt er nun seine Abreise von Amsterdam fest. Freilich +fügt er hinzu: er werde wol abreisen können, aber ob er bis nach Leipzig +komme, wisse der Himmel; er sei am Genesen, aber noch keineswegs +wirklich genesen. + +Indessen scheint er glücklich und ohne neue Erkrankung in Leipzig +angelangt zu sein, da sich kein weiterer Brief aus Amsterdam vorfindet, +wohl aber ein von ihm schon am 18. Mai in Leipzig unterzeichnetes +Actenstück. + +Ueber seinen Abschied von Amsterdam, das er nur noch einmal nach +Jahresfrist auf kurze Zeit wiedersah, und über die Reise, auf der er +wahrscheinlich Dortmund berührte, um seine Kinder wiederzusehen, ist uns +nichts bekannt. + + + + + 2. + + Vier Monate in Leipzig. + + +Noch während der Buchhändlermesse in Leipzig eingetroffen, gelang es +Brockhaus im Verein mit Bornträger alle geschäftlichen Verhältnisse +rasch in Ordnung zu bringen und dadurch das vielfach gegen ihn +entstandene Mistrauen zu beseitigen. Näheres darüber vermögen wir +nicht zu berichten, da unsere Hauptquelle für diesen Zeitabschnitt, +die Correspondenz mit Bornträger, während ihres Zusammenseins aufhört +und Brockhaus keinen andern Vertrauten für seine geschäftlichen +Mittheilungen hatte. + +Dagegen ist wenigstens ein von ihm unterzeichnetes Schriftstück aus +dieser Zeit erhalten. Dasselbe trägt das Datum: Leipzig, 18. Mai 1810, +und zeigt also, daß er, wie vorher erwähnt, an diesem Tage bereits +in Leipzig anwesend war. Der Inhalt dieses Actenstücks ist in vieler +Hinsicht interessant. + + * * * * * + +Die von uns schon mehrfach erwähnten Werke des Obersten von Massenbach, +die Brockhaus verlegte, hatten in hohem Grade das Misfallen der +preußischen Regierung erregt, besonders die »Memoiren zur Geschichte +des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II. und +Friedrich Wilhelm III.«, wovon 1809 die ersten drei Bände erschienen +waren und lebhaften Absatz gefunden hatten. Es sollten noch drei weitere +Bände folgen und der Verleger hatte dies bereits öffentlich angekündigt. +Der vierte Band war auch bereits in der Druckerei von Mauke & Söhne +in Jena bis auf die beiden letzten Bogen im Druck vollendet, als die +herzoglich weimarische Regierung, wahrscheinlich auf Requisition der +preußischen, die ganze Auflage in Jena mit Beschlag belegen ließ. +Gleichzeitig kam der preußische Oberstlieutenant Gustav von Rauch +nach Leipzig, um im Auftrage seiner Regierung den Verleger des Werks +zur Verzichtleistung auf die fernere Veröffentlichung desselben zu +bestimmen. Welche Gründe er dafür anführte, ist uns nicht bekannt, doch +waren es jedenfalls solche, die keine Ablehnung zuließen, denn Brockhaus +schloß mit ihm als dem Bevollmächtigen der preußischen Regierung einen +diese Verzichtleistung aussprechenden Vertrag ab. Dieses ist das +Actenstück vom 18. Mai 1810. + +In dem Vertrage wurde zunächst ausgesprochen: Brockhaus bewillige, +daß der zwischen ihm und dem Obersten von Massenbach über jenes +Werk abgeschlossene Vertrag aufgehoben und der Verfasser seiner +contractmäßigen Verpflichtung, dasselbe complet zu liefern, entbunden +werde; ferner, daß der vierte Band nicht erscheine oder im Publikum +ausgegeben werde, vielmehr, daß alle davon gedruckten Exemplare mit +Einschluß der an Brockhaus gesandten (in Amsterdam befindlichen) +sogenannten Aushängebogen, ohne Ausschluß eines einzigen, an Herrn +von Rauch abgeliefert würden. Sodann gab Brockhaus sein Ehrenwort, +daß er nie und in irgendeinem Falle den Versuch machen werde, diese +Memoiren fortzusetzen, und daß er die ihm darüber gemachten oder noch zu +machenden Anerbietungen gänzlich abweisen werde. Dagegen übernahm Herr +von Rauch die Bezahlung der Druckrechnung für den vierten Band sowie die +Regelung des Honorarverhältnisses zwischen Brockhaus und dem Obersten +von Massenbach, da letzterer von ersterm bereits das gesammte Honorar +auch für die letzten drei Bände (in drei Wechseln, jeder zu 500 Thlr.) +erhalten hatte. Brockhaus glaubte außerdem, und gewiß mit vollem Rechte, +wie es in dem Vertrage heißt, »daß für die Unterbrechung der Herausgabe +dieses Werks gerade in der Periode, wo es für den Haufen des Publikums +ein höheres Interesse erhalten mußte, daß ferner für die Nichtvollendung +des Werks, worauf er ansehnliche Kosten verwandt hat, die sich noch +nicht rentirt haben können, weil das Werk noch nicht vollständig +war, ihm eine Entschädigung gebühre«. Die Höhe dieser Entschädigung +hatte er »als Kaufmann und als Hausvater nach dem billigsten Maßstabe +festgesetzt«, doch stellte er dieselbe auf Wunsch des Herrn von Rauch, +»im Fall Se. Majestät von Preußen diese Entschädigungssumme unbillig +finden sollten, unbedingt der allerhöchsten Entscheidung Sr. Majestät +anheim, womit er in jedem Falle zufrieden zu sein hiermit förmlich +erklärt und also seine ad 1, 2, 3 und 4 gegebenen Versprechen durchaus +zu erfüllen bereit ist«. Nur die Berichtigung einer Summe von 500 +Thlrn., die Massenbach von Brockhaus noch zu fordern hatte, versprach +Herr von Rauch jedenfalls zu übernehmen. + +Weiter wurde festgesetzt, es solle »zur Sicherung der mercantilischen +Ehre des Herrn Brockhaus« in den öffentlichen Blättern eine Anzeige +erlassen werden: »daß auf Intercession eines hohen Gouvernements die +Verlagshandlung sich veranlaßt gefunden habe, die bereits im Werke +begriffen gewesene Herausgabe des vierten Bandes der Massenbach'schen +Memoiren zu unterdrücken, wie auch auf die Herausgabe des fünften und +sechsten Bandes Verzicht zu thun«. + +Freiwillig hatte Brockhaus Herrn von Rauch noch mitgetheilt, daß er +eine Anzahl Originalbriefe des verstorbenen regierenden Herzogs von +Braunschweig von dem Obersten von Massenbach erhalten habe, welche in +vieler Hinsicht höchst interessant wären und besonders den preußischen +Staat beträfen; er erklärte sich zur Auslieferung derselben bereit, wenn +dies verlangt würde. + +Schließlich verpflichtete sich Herr von Rauch, sobald als möglich, +spätestens aber in Zeit von drei Wochen, über die mit Brockhaus +gepflogenen Unterhandlungen bestimmte Auskunft zu ertheilen, während +beide Theile sich verbindlich machten, »der Schicklichkeit und anderer +verschiedener Rücksichten wegen« den Vertrag unter sich geheimzuhalten +und solchen zu keiner weitern Kenntniß zu bringen. + +Ein zweites Actenstück über diese Angelegenheit liegt uns nicht vor, +auch keine briefliche Aeußerung, und wir wissen also nicht, ob die vom +Oberstlieutenant von Rauch versprochene weitere »Auskunft« und die +Genehmigung des Vertrags durch den König von Preußen erfolgte, doch ist +beides wol nicht zu bezweifeln. Jedenfalls aber hat Brockhaus das von +ihm in loyaler Weise gegebene Versprechen auf das gewissenhafteste +gehalten. Selbst als ihm in späterer Zeit ein Exemplar des vierten +Bandes, so weit er gedruckt worden, zum Kauf angeboten wurde, wies +er diesen Antrag, seines Wortes eingedenk, zurück. In den vierziger +Jahren wurde von Berlin aus an die Firma das Ansuchen gestellt, die +an dem vierten Bande eines Exemplars fehlenden Bogen zu ergänzen, was +zu thun sie natürlich außer Stande war. Das Werk ist somit ein Torso +geblieben (die ersten drei Bände sind noch jetzt im Buchhandel, da +ihre Vernichtung, die ohnedem kaum ausführbar gewesen wäre, von der +preußischen Regierung gar nicht verlangt wurde), und es liegt hier der +seltene Fall vor, daß es gelungen ist, die theilweise bereits gedruckte +Fortsetzung eines Werks vollständig der Oeffentlichkeit zu entziehen. +Höchstens dürfte sich ein Exemplar an unzugänglicher Stelle in Berlin +befinden. + + * * * * * + +Wir lassen gleich hier einen mehrere Monate nach der Verhandlung mit +Herrn von Rauch geschriebenen und mit derselben nicht zusammenhängenden +Brief des preußischen Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg an Brockhaus +folgen, weil er eine ähnliche Angelegenheit betrifft. Der auch für +Hardenberg's Charakterisirung wichtige Brief, aus Berlin vom 15. +October 1810 datirt, also kurz nach der am 6. Juni erfolgten Erhebung +Hardenberg's zum Staatskanzler nach Stein's Rücktritt geschrieben, +lautet: + + Wohlgeborener, hochgeehrter Herr! + + Durch ein anonymes Schreiben bin ich benachrichtigt worden, + daß in einem unter der Presse befindlichen Buche ein Artikel mit + Privat-Anekdoten über mich abzudrucken beabsichtigt werde, und daß + ich, wenn ich solches verhindern wolle, mich an Ew. Wohlgeboren + unter Couvert des Herrn Buchhändler Rein in Leipzig wenden müsse. + Ich erkenne zwar die gute Absicht, welche dem anonymen Schreiben zu + Grunde liegt, sehr dankbar; aber warum wählte der Herr Schreiber + dieses Briefs die Anonymität? Ich liebe sie nicht. Was die Anekdoten + anbetrifft, womit man das Publikum über mich unterhalten will, so + wünsche ich, mehr um des Verfassers als um meinetwillen, daß sie + ungedruckt bleiben mögen, weil das wenige Wahre, was ihnen zum Grunde + liegt, dergestalt mit ganz falschen Umständen und irrigen Folgerungen + durchwebt und dadurch entstellt ist, daß dadurch das Ganze nothwendig + gleich in dem verdächtigsten Lichte erscheinen muß. Ich scheue die + Publicität gar nicht. Der rechtliche Theil des Publikums unterscheidet + bald das Wahre und Glaubwürdige von dem Falschen und absichtlich oder + leichtsinnig Verdrehten und Ausstaffirten. Mein Bewußtsein genügt + mir als Mensch; es #muß# mir als Staatsmann genügen, da ich mich + als solcher nicht vertheidigen #darf#. Um desto unedler ist aber + der Angriff auf ganz unrichtige oder halbwahre Thatsachen und auf + Grundsätze, die man nicht kennen und würdigen kann. So habe ich ganz + falsche Darstellungen meiner politischen Handlungen und Ansichten + betrachtet und werde sie forthin so betrachten. + + Hiernach überlasse ich es Ew. Wohlgeboren eigenem Gefühl, was Sie + wegen Verhinderung des Drucks des gedachten Artikels oder dessen + Einrückung in das erwähnte Buch veranlassen wollen, und beharre mit + vollkommenster Hochachtung + + Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster + + Hardenberg. + +Das Buch, um welches es sich handelte, war jedenfalls die erst ein +Jahr darauf, Ende 1811 (mit der Jahreszahl 1812), in Brockhaus' +Verlage anonym und, wie es scheint, ohne Verlagsort oder unter der +Firma »Peter Hammer in Köln« erschienene Schrift, die ihm auch andere +Unannehmlichkeiten zuzog: »Handzeichnungen aus dem Kreise des höhern +politischen und gesellschaftlichen Lebens. Zur Charakteristik der +letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts«, in welcher ein Abschnitt +»Minister Hardenberg« enthalten ist. Weshalb Brockhaus den Wunsch des +Staatskanzlers nicht erfüllte, ist uns nicht bekannt, da weder seine +Antwort auf obigen Brief noch irgendeine weitere Notiz darüber vorliegt. +Jedenfalls war es die erste Berührung, die Brockhaus mit dem lange Jahre +allmächtigen Staatskanzler Preußens hatte, und wenn sich daran auch +zunächst keine weitern Folgen knüpften, während er später mit demselben +in für ihn sehr verhängnißvolle Conflicte gerieth, so ist in ihr doch +vielleicht die erste Ursache zu letztern zu suchen. + + * * * * * + +Nachdem Brockhaus die mit der Ostermesse zusammenhängenden Arbeiten +erledigt und seine Beziehungen mit den Buchhändlern, Buchdruckern +und Schriftstellern in Leipzig und dessen Nähe geordnet hatte, +ging er mit Eifer an die Regelung seines Geschäfts in Amsterdam. +Es war ein eigenthümliches Verhältniß: er selbst nebst seinem +vertrautesten Commis in Leipzig, mit der Absicht, hier zu +bleiben und seine Verlagsunternehmungen von diesem dazu so viel +geeignetern Mittelpunkte des deutschen Buchhandels aus zu leiten; +sein eigentliches buchhändlerisches Geschäft, wenigstens der den +Sortimentsbuchhandel betreffende Theil desselben, unter der Firma +Kunst- und Industrie-Comptoir fortwährend noch in Amsterdam, unter +der Leitung eines zweiten Gehülfen, Krieger, der durchaus nicht sein +volles Vertrauen besaß. Er blieb zwar bei seinem Entschlusse, das +amsterdamer Geschäft aufzulösen, und sah auch bald ein, daß es für +ihn am besten sei, den Sortimentsbuchhandel ganz aufzugeben und nur +das Verlagsgeschäft ganz nach Leipzig zu verlegen. Aber mit welchen +Schwierigkeiten war das verbunden, mit welchen unvermeidlichen +Verlusten! Er selbst mochte nicht wieder nach Amsterdam zurückkehren, +das ihm seit dem Tode seiner Frau und nach seiner letzten Krankheit +ganz verleidet worden war und wo ihm außerdem wegen des Hiltrop'schen +Processes und der früher von uns kurz erwähnten Geldgeschäfte +mit zwei französischen Emigranten persönliche Unannehmlichkeiten +drohten. Es blieb kein anderer Ausweg übrig: Bornträger mußte sich +entschließen, wieder nach Amsterdam zu gehen, um dort zu retten, was +noch zu retten war, die ausstehenden Forderungen einzutreiben und das +Sortimentsgeschäft bestmöglich zu verkaufen. + +Aber auch dies hatte seine besondern Schwierigkeiten. Bornträger +erkannte in dem Antrage, den ihm Brockhaus machte, einen großen Beweis +von Vertrauen seitens seines Principals, die beste Anerkennung seiner +bisherigen Leistungen. Die Annahme schloß aber, ganz abgesehen von der +großen Verantwortlichkeit, eine persönliche Gefahr für ihn ein. Unter +seinem wirklichen Namen Bornträger in Amsterdam vielfach gekannt, sollte +er nun unter dem von ihm angenommenen Namen Friedrich Schmidt dort +auftreten, mit denselben Leuten in Berührung kommen, die sich seiner +aus der Zeit seines frühern dortigen Aufenthalts noch erinnern mußten, +und selbst die Vermittelung der Behörden in Anspruch nehmen. Wie leicht +konnte er von den Franzosen denuncirt werden und der ihm dann drohenden +harten Strafe als _conscrit réfractaire_ verfallen. Doch jugendlicher +Muth sowie Anhänglichkeit an seinen Principal, dem er sich vielfach +zu Dank verpflichtet fühlte und dessen verstorbener Frau er als seiner +mütterlichen Freundin das treueste Andenken bewahrte, bewogen ihn, +jenem Wunsche nachzugeben. Er verließ Leipzig und langte am 15. August +glücklich in Amsterdam an. + +Schon am 7. August schreibt Brockhaus wieder an ihn, wenn auch, wie er +sagt, der Brief wol früher als der Empfänger in Amsterdam sein werde. +Er verspricht ihm, mit nächster Post eine provisorische Cessionsacte zu +schicken, wahrscheinlich damit Bornträger formell als Eigenthümer des +Geschäfts erscheine, und wünscht ihm Muth und Kraft. + +Am 11. August schreibt er: + + Es bedarf wol keiner Erinnerung von mir, daß da, wo sich Gelegenheit + findet, von meinen hiesigen jetzigen und künftigen Verhältnissen, wenn + auch gewiß nicht ruhmredig, doch mit einer gewissen _assurance_ und + Bedeutung muß gesprochen werden. + +Am folgenden Tage bittet er ihn, in Amsterdam Niemand zu sagen, daß +er in Leipzig sei, sondern etwa, er wohne in Weimar oder Dresden. +Damit stimmt überein, wenn er ihn kurze Zeit darauf veranlaßt, in die +amsterdamer Blätter folgende Anzeige zu setzen: + + Die jetzigen Zeitumstände und meine bekanntlich veränderten + häuslichen Verhältnisse bewegen mich, vor der Hand nicht persönlich + nach Amsterdam zurückzukehren. Indem ich meinen Freunden und Bekannten + hiervon Nachricht gebe, ersuche ich Diejenigen, welche noch etwa + Forderungen an mich haben möchten, solche Herrn N. N. aufzugeben, + durch welchen sie, wenn solche richtig, auch baldigst ihre Bezahlung + erhalten werden. + + Weimar. + Friedrich Arnold Brockhaus. + +Als Bevollmächtigter soll ein amsterdamer Advocat, den Bornträger +unter mehrern ihm vorgeschlagenen auszuwählen hat, genannt werden; +gleichzeitig soll Bornträger an alle Correspondenten des Geschäfts, +damit diese und das Publikum nicht glauben, als ob das Geschäft ganz +aufhören werde, ein Circular etwa folgenden Inhalts richten: + + Amsterdam, ..... + + Herr Brockhaus, der seither unser hiesiges Sortimentsgeschäft + dirigirt hat, wird sich in Zukunft unserm Verlagsgeschäfte in + Deutschland widmen. Um Misverständnissen hierüber vorzubeugen, + zeigen wir hiermit an, daß hierdurch nicht die geringste Veränderung + in unserm hiesigen Geschäfte entstehen, sondern dasselbe mit der + nämlichen Thätigkeit wie seithero unter der Direction von dem + Mitunterzeichneten, Friedrich Bornträger genannt Schmidt, wird + fortgesetzt werden. + + Friedrich Bornträger genannt + Schmidt wird unterzeichnen: Kunst- und Industrie-Comptoir. + Kunst- und Industrie-Comptoir. + Friedrich Schmidt. + +Auffallend ist in diesen Veröffentlichungen, daß Bornträger's früher so +streng gehütete Pseudonymität auf einmal aufgegeben wird, und ferner, +daß Brockhaus Weimar statt Leipzig als seinen Aufenthaltsort angibt. +Letzteres hatte wol darin seinen Grund, daß er sich vor persönlichen +Behelligungen infolge der vorher erwähnten Processe schützen wollte. +Uebrigens war er auch noch nicht fest entschlossen, in Leipzig zu +bleiben; er schwankte zwischen mehrern Orten und schreibt in dieser Zeit +einmal an Bornträger: er wolle nächstens nach Berlin reisen, und es +sei auch gar nicht unwahrscheinlich, daß er sich vielleicht dort ganz +fixiren werde. + + * * * * * + +Brockhaus war seit Bornträger's Abreise aus Leipzig unablässig bemüht, +Klarheit in seine Verhältnisse zu bringen und vor allem über den Stand +des amsterdamer Geschäfts klar zu werden. Bornträger widmete sich zwar +der ihm übertragenen schweren Aufgabe mit vollem Eifer, vermochte sie +aber doch nicht vollständig zu lösen. Die ihm von Brockhaus übersandte +Cessionsurkunde trug er Bedenken zu unterzeichnen, obwol ihm sein +Principal wiederholt versicherte, daß dies ungefährlich sei und Niemand +dadurch benachtheiligt werde. Auch war der bisherige zweite Gehülfe +in Amsterdam, Krieger, von Bornträger bald nach seiner Rückkehr +in Brockhaus' Auftrage entlassen worden, da er seit des Letztern +Abreise von Amsterdam die dortigen Geschäfte durchaus nicht zu dessen +Zufriedenheit besorgt hatte, und Bornträger mochte Mühe haben, allein +fertig zu werden. + +Unter diesen Umständen verwickelten sich die Verhältnisse immer mehr, +statt sich zu klären, und es entsprangen daraus auch für Brockhaus +persönliche Unannehmlichkeiten der gefährlichsten Art. Er hatte an die +Gleditsch'sche Buchhandlung in Leipzig einen auf sein amsterdamer Haus +ausgestellten Wechsel gegeben, der noch vor Bornträger's Ankunft in +Amsterdam präsentirt und von dem zweiten Gehülfen Krieger zurückgewiesen +wurde, obwol die Deckung dafür von Brockhaus eingesandt worden war. +Daraus entstanden die ärgerlichsten Verhandlungen, die schließlich +Brockhaus veranlaßten, am 17. September Leipzig zu verlassen und sich +nach Altenburg zu wenden. + + * * * * * + +So wurde nicht Leipzig, wie er gehofft hatte, sondern Altenburg der +Rettungshafen, in dem er Schutz suchte vor den auf ihn anstürmenden +Wogen, die sein kühn aufgebautes und mit Beharrlichkeit gegen mancherlei +Stürme glücklich vertheidigtes Lebensschiff plötzlich, als er schon ganz +nahe am Ziele zu sein glaubte, völlig zu Grunde zu richten drohten. Und +hier endlich, wo er mit kurzen Unterbrechungen die Zeit vom September +1810 bis Ostern 1817 zubrachte, sollte er, wenn auch nicht die ersehnte +Ruhe, die ihm überhaupt eigentlich nie im Leben beschieden war, doch den +festen Grund finden, auf dem er das Gebäude seines Geschäfts endlich +dauerhaft begründen konnte. + +Zunächst freilich schlugen die Wogen fast über ihm zusammen, und diese +Zeit, wol die allertrübste seines schweren Lebens, haben wir noch vor +der Schilderung seiner Niederlassung in Altenburg vorzuführen. Sie +knüpft sich an den Namen einer Frau, die in verhängnißvoller Weise in +sein Leben eingriff. + + + + + 3. + + Beziehungen zur Hofräthin Spazier. + + +Als Brockhaus am 18. September 1810 Altenburg zum ersten male betrat, +geschah dies in Begleitung einer Freundin, an die er sich seit dem Tode +seiner Frau mehr und mehr angeschlossen, die während der letzten vier +Monate in Leipzig seine treue Beratherin gewesen war und ihn auch in der +Stunde der Gefahr nicht verließ. Es war dies die Hofräthin Spazier, die +bald seine erklärte Braut werden sollte. + + * * * * * + +Minna Spazier, mit ihrem vollen Vornamen Johanne Karoline Wilhelmine +und nach ihrem zweiten Manne gewöhnlich Uthe-Spazier genannt, von der +wir bisher meist nur als Herausgeberin des Taschenbuchs »Urania« zu +sprechen hatten, lebte seit dem Tode ihres Mannes, des am 19. Januar +1805 in Leipzig verstorbenen Hofraths _Dr._ Karl Spazier, Herausgebers +der »Zeitung für die elegante Welt«, zuerst in Neustrelitz, dann wieder +in Leipzig. Sie war die zweite Tochter des Geh. Tribunalraths Mayer in +Berlin und daselbst am 10. Mai 1779 (oder 1777) geboren. Ihre ältere +Schwester, Karoline, war an Jean Paul Friedrich Richter in Baireuth +verheirathet, die jüngere, Ernestine, die aber schon 1805 starb, an den +Hofrath August Mahlmann in Leipzig, der nach dem Tode seines Schwagers +Spazier die »Zeitung für die elegante Welt«, später (1810-18) zugleich +die »Leipziger Zeitung« redigirte und sich auch als Dichter einen Namen +gemacht hat. Mit ihren beiden Schwägern stand sie in guten Beziehungen, +und wurde von ihnen auch in ihrer literarischen Thätigkeit unterstützt. +Sie war Mitarbeiterin an verschiedenen Zeitschriften, gab seit 1801 +das »Taschenbuch der Liebe und Freundschaft« heraus, redigirte die +ersten beiden Jahrgänge (1810 und 1812) des von Brockhaus begründeten +Taschenbuchs »Urania«, übersetzte die von Frau von Staël französisch +herausgegebenen »Briefe, Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl +von Ligne« (Leipzig 1812) und die »Briefe der Lespinasse« (2 Bände, +Elberfeld 1810), die von Jean Paul günstig recensirt wurden, und gab +später auch eine Sammlung von Erzählungen unter dem Titel: »Sinngrün, +eine Folge romantischer Erzählungen, mit Theilnahme Jean Paul Richter's +und einiger deutscher Frauen Unterstützung« (Berlin 1819) heraus. In +Leipzig bewegte sie sich in den literarischen Kreisen und war namentlich +mit dem als Uebersetzer bekannten Adolf Wagner (dem Onkel Richard +Wagner's) und dem Dichter August Apel befreundet. + +Auch mit Varnhagen von Ense und dessen Gattin Rahel war sie näher +bekannt. Ersterer[39] schildert sie (1807) als »eine schriftstellernde, +lebhafte, liebenswürdige, nicht gleichgültig lassende Frau« und fügt +hinzu: + + Sie bekannte mir ihre ganze Lage, wie ihr Witwenstand sie dazu + dränge, sich irgendwo wieder anzuschließen, wie sie einige Bande + leichter Neigung festzuhalten gesucht, aber noch unentschieden + zwischen mehrern schwanke, die einstweilen gleicherweise von ihr + begünstigt wurden; auch ich sollte diese Begünstigung erfahren und + an solchem Band oder Bändchen mich gehalten fühlen, allein ich war + durch so viele scharfe Geschichten abgehärtet genug, um diesmal ohne + Zagen die noch schwachen Fäden gleich wieder abzureißen, obgleich mehr + gebunden war und zerrissen wurde, als ich damals ahndete und nachher + glauben wollte. + +Außer durch reichen Geist und Liebenswürdigkeit war sie auch durch +hervorragende Schönheit ausgezeichnet. + +Brockhaus hatte sie schon im Herbste 1808, als er Leipzig zum ersten +male als Buchhändler besuchte, kennen gelernt und, wie es scheint, +schon damals mit ihr wegen Herausgabe der »Urania« verhandelt. In einem +von ihm an Bornträger in Leipzig gerichteten Briefe aus Amsterdam vom +27. Februar 1809 finden wir sie zum ersten male erwähnt. Während der +Ostermesse 1809 verkehrte er viel mit ihr in Leipzig wegen der »Urania«. +Als Bornträger im Spätherbst 1809 wieder nach Leipzig reist, schickt +Brockhaus wichtige Geschäftsbriefe statt an seinen bisherigen dortigen +Commissionär Weigel an seine »Freundin«, die Hofräthin Spazier, und +weist Bornträger an, die Briefe bei ihr in Empfang zu nehmen. Der +betreffende Brief an Bornträger ist am 30. November 1809, also kurz +vor dem (am 8. December) erfolgten Tode seiner Frau geschrieben, und +bald nach diesem, in den früher von uns erwähnten Briefen vom 19. und +23. December, nennt er sie seine »wahre Freundin«, der Bornträger ganz +vertrauen könne, und fordert ihn auf, in Leipzig zunächst Niemand als +sie zu besuchen. + +Bornträger scheint ihr indeß doch nicht so vollständig wie Brockhaus +vertraut und diesen selbst vor ihr gewarnt zu haben, namentlich wol +unter Hinweisung auf ihren, auch von Varnhagen erwähnten vertrauten +Verkehr mit Andern. Darauf bezieht sich folgende Antwort von Brockhaus +in einem Briefe vom 21. Januar 1810: + + Ich habe noch ein Wort im Vertrauen mit Ihnen zu sprechen über mein + Verhältniß zur Hofräthin. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, daß + dies Verhältniß sehr innig sein müsse. Dies ist es. Ich glaube an ihr + eine treue und edle Freundin zu haben im ganzen Umfange des Worts. + Ich bin von Weibern und Männern in der Welt oft getäuscht worden, + ich glaube nicht, daß sie mich täuschen wird. Ich weiß es, daß ihr, + wie fast Jedem widerfährt, der sich von der Landstraße des Gemeinen + entfernt, vom geschwätzigen Publikum vieles Ueble nachgesagt wird + oder ist nachgesagt worden, und ich glaube selbst, daß Manches davon + nicht ungegründet sein mag. Mich kümmert das aber nicht. Ich werfe + darum keinen Stein auf sie, sondern frage nur: ist sie dir als treue + und biedere Freundin getreu? Ist und bleibt sie das, so kümmert mich + nichts weiter. + + Ihre Sorge, guter Bornträger, sei nur, dieses zu beobachten. Finden + Sie dies nach Ihrem unbefangenen Sinne bestätigt, so vertrauen Sie + ihr, wie ich ihr vertraut habe und noch vertraue. Finden Sie es aber + nur nach Ihrer Ansicht anders, so überlasse ich Ihnen, wie Sie handeln + wollen, und mache Ihnen nur das zur Pflicht, mich nicht eher von + Ihren Gegenideen zu unterhalten, bis Sie eine wenigstens relative Art + von Gewißheit über diese Ansichten möchten erworben haben. + + Noch füge ich hinzu, daß mein Verhältniß zur Hofräthin in Zukunft + nie einen andern Charakter erhalten kann, als den es jetzt hat. + +Nach diesem Briefe dachte Brockhaus damals gewiß noch nicht daran, Frau +Spazier zu heirathen. Noch deutlicher geht dies aus einem folgenden +Briefe vom 16. März hervor, in dem es heißt: Er beabsichtige in Leipzig +wieder eine kleine Haushaltung anzufangen und zwei seiner (eben in +Dortmund untergebrachten) Kinder abwechselnd um sich zu haben, wozu er +eine Haushälterin suche, die gebildet genug sei, auch das häusliche +Leben etwas erheitern zu können; heirathen werde er nicht wieder, aus +Gemüths- und aus Verstandesgründen. + +In einem der nächsten Briefe freut er sich, Bornträger melden zu können, +daß die Hofräthin auch ihn, der mit ihr so viel zu verkehren hatte, +liebgewonnen habe. Freilich findet sich auch einmal ein Zeichen von +Mistrauen gegen sie, indem er unterm 1. Mai 1810 schreibt: + + Die Entschuldigung der Hofräthin gegen Varnhagen war nicht edel, + und nur eigene drückende Verlegenheit kann sie dafür entschuldigen in + etwas. Ich vertraue auf die Hofräthin viel, ob zu viel, wird die Zeit + würdigen. + +Seit seiner bald nach diesem Briefe in den ersten Tagen des Mai +erfolgten Ankunft in Leipzig trat er allerdings in ein näheres +Verhältniß zu ihr; aus dieser Zeit, bis zu der Anfang August erfolgten +Abreise Bornträger's nach Amsterdam, fehlt indeß jede intimere +Correspondenz, die darüber Aufschluß geben könnte. Jedenfalls war er +bald darauf fest entschlossen, sie zu heirathen. Schon in dem ersten an +Bornträger nach Amsterdam gerichteten Briefe vom 7. August heißt es: +»Minna und ich werden Ihnen ewig danken, wenn Sie dort mit Mannessinn +handeln«; am 11. August schreibt er: »Sobald wir hier einigermaßen +rangirt sind, reisen wir bestimmt nach Berlin« (wo ihr Vater wohnte), +und trägt Bornträger auf, aus den Musikvorräthen des amsterdamer +Sortimentsgeschäfts zu schicken »was für Minna's Studien paßt«, +besonders Guitarrenmusik; am 25. August endlich sagt er: »Von Berlin +haben wir von Minna's Vater sehr angenehme Nachrichten jetzt, und wir +wünschten nun bald hinreisen zu können.« + +Bornträger machte den Versuch, ihn von der Heirath, der er von Anfang +an entgegen war, abzuhalten, und wählte dazu ein Mittel, das er bei dem +ihm wohlbekannten edeln Charakter seines Principals für das wirksamste +halten mochte. + +Er schrieb ihm in einem Briefe (dessen Concept uns jedoch nur vorliegt): + + Nun noch eine Bitte, die nicht mich betrifft, die ich aber auf die + Gefahr, Sie zu erzürnen, wage, die Sie aber lesen müssen. + + Niemand kann den Werth der Frau, die Sie an Ihr Leben und Ihr + Schicksal fesseln wollen, besser erkennen als Sie, und Niemand kann + den Stand Ihrer eigenen Geschäfte wieder besser kennen als Sie. Seien + Sie einmal ehrlich gegen sich selbst und thun Sie nicht eher einen + Schritt, von dem das Glück eben dieser Frau ganz abhängt, als bis Sie + sicher sind, daß Ihnen Beiden kein Unglück mehr droht. Sie wissen, wie + Vieles noch unentschieden ist. Sie wissen, wie viel auf dem Spiele + steht. Warten Sie den Erfolg erst ab, ehe Sie handeln -- wie edel + und wie uneigennützig die Frau denkt, wissen Sie; sollte sie es wol + verdienen, dieses Alles büßen zu müssen? + +Brockhaus antwortete auf diese wohlgemeinte und verständige Warnung zwar +nicht erzürnt, aber doch ausweichend unterm 28. August: + + In dem, was Sie mir über Minna sagen, erkenne ich Ihr gefühlvolles + theilnehmendes Freundesgemüth. Ich danke Ihnen dafür. Ich vertraue + und glaube, Alles wird wohl werden. Nur Muth, Thätigkeit und festes + Wollen, moralisch gut zu handeln! Ich und Minna vertrauen für dort auf + Sie. Vertrauen Sie auf uns! + +Am 1. September meldet er: »Minna ist diese Woche recht krank gewesen, +seit heute aber wieder wohler«, und einige Tage darauf fügt er hinzu: +»Mit unserer Heirath eilt es und eilen wir nicht.« + + * * * * * + +So standen die Sachen, als sich Brockhaus am 17. September 1810 +entschloß, Leipzig zu verlassen und nach Altenburg überzusiedeln. +Wir knüpfen hier den früher unterbrochenen Faden der Erzählung seiner +nächsten Lebensschicksale wieder an. + +Brockhaus schreibt an Bornträger noch an jenem Tage aus Leipzig in einer +Nachschrift zu einem längern Briefe: + + Unsere Schicksalsstunde hat geschlagen .... Wir reisen diese Nacht + ab. Nach Altenburg. Gott erhalte uns und die edle Minna, die wie eine + Römerin jetzt begeistert ihr Schicksal zu dem meinigen machen will. + Nur als meine Gattin kann Minna mein Schicksal theilen. Wir werden + thun, was denkbar ist, aber das Schicksal ist schwer. + +In Altenburg kannte Brockhaus den Kammerverwalter Ludwig (mit dem er +1808 in Leipzig zusammengetroffen war), den Buchhändler _Dr._ Pierer +und den Kriegsrath von Cölln, der jetzt hier lebte und den er erst +kurz vorher in Leipzig persönlich kennen gelernt hatte, obwol er an +dem Verlage seiner »Vertrauten Briefe über den preußischen Hof« mit +betheiligt war. Er schreibt über ihn: + + Dieser ist ein tüchtiger Mensch und voller _liaisons_ und Ideen. Auf + seine Verlagsanerbietungen sind wir nicht entrirt und sind darum um so + freier. Er hat sich aber sonst sehr an uns attachirt, und seine genaue + Freundschaft mit Schnorr[40] ist uns auch Bürge mit, daß er ein in sich + rechtlicher Mensch ist. + +Mit diesen Männern, die ihn sehr freundlich aufnahmen, und mit dem +Hofgerichtsadvocaten Ferdinand Hempel, den ihm Pierer zuführte und +der bald sein vertrautester Freund und Rathgeber wurde, besprach +Brockhaus seine Lage, und ihrem Rathe folgend entschloß er sich zu dem +verzweifelten, aber den Umständen nach gerechtfertigten und praktischen +Ausweg: sein Geschäft an seine zukünftige Braut zu verkaufen. Er glaubte +sich dann mit seinen Creditoren leichter arrangiren zu können, ohne +befürchten zu müssen, durch sofortiges Einschreiten einzelner derselben +der Möglichkeit, alle zu befriedigen, beraubt zu werden. Der Kaufvertrag +wurde am 5. resp. 6. October abgeschlossen, Kammerverwalter Ludwig zum +Curator der neuen Besitzerin, Hempel zu Brockhaus' Vertreter ernannt. +Die Betheiligten reisten nach Leipzig, um die Uebergabe des Geschäfts an +die neue Besitzerin zu vollziehen, zuerst Ludwig mit Frau Spazier, am +nächsten Tage Hempel, einen Tag später Brockhaus selbst. Die Uebergabe +ging ohne besondere Schwierigkeiten von statten. + +Die hierüber erlassenen Anzeigen und Circulare dürfen als zur Geschichte +der Firma F. A. Brockhaus gehörig, zumal das Geschäft dadurch sogar +eine neue Firma erhalten sollte, an dieser Stelle nicht fehlen, obwol +zweifelhaft ist, ob sie in die Oeffentlichkeit gelangten, und es +außerdem nur ein Scheinkauf war, der bereits zehn Tage darauf, am 16. +October, von den Betheiligten wieder aufgehoben wurde. + +Die zwei in Altenburg gedruckten Anzeigen, die uns in dem von Brockhaus +an Bornträger gesandten Exemplare (in Circularform) vorliegen, lauten: + + Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810. + + Als Eigenthümer der unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir, + bekannten Verlags- und Sortiments-Buchhandlung zeige ich hiermit + an, daß ich diese Handlung mit allen Vorräthen, Verlags-Rechten und + sämmtlichen Activ-Schulden an die Witwe Hofräthin Spazier, geb. Mayer, + verkauft habe; hiernächst aber die Liquidation der Passiven, insofern + diese nicht durch Gegenrechnungen, so weit sich solche bis _à dato_ in + den Handlungsbüchern verzeichnet finden, ausgeglichen werden könnten, + mir selbst vorbehalte. + + Friedrich Arnold Brockhaus. + + ----- + + Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810. + + Indem ich Obiges bestätige, füge ich hinzu, daß in Verbindung mit + mehrern Freunden eine neue Buchhandlung, unter der Firma: + + Typographisch-litterarisches Institut + in Amsterdam und Leipzig, + + errichtet ist, von welcher Firma hinführo der seitherige Verlag des + Kunst- und Industrie-Comptoirs allein wird zu erhalten sein. + + Es verbittet sich dies neue Geschäft jedoch einstweilen, bei den + in Holland eintretenden Veränderungen in Rücksicht des deutschen + Buchhandels, alle und jede Zusendung von Novitäten, bis es darüber + etwas Näheres anzeigen wird, und begnügt es sich vorläufig mit dem + Empfange der Continuationen, um deren prompte Zusendung gebeten wird. + Was die Sortiments-Handlung des neuen Geschäfts gebrauchen möchte, + wird es für feste Rechnung verlangen. + + Das, was von heute an noch für das Kunst- und Industrie-Comptoir + eingeht, wird von dem Typographisch-litterarischen Institute + verrechnet werden. + + Die Herren W. Rein und Comp. in Leipzig haben die Güte, die + Commission für dieses neue Geschäft zu übernehmen, und ich ersuche + dieserhalb, die mir als Käuferin des Kunst- und Industrie-Comptoirs + competirenden Saldo-Reste und alles Weitere diesen unsern + Commissionärs zuzustellen. + + Johanne Caroline Wilhelmine, Witwe Hofräthin Spazier, + geb. Mayer. + + ----- + +Das in Amsterdam gleichzeitig in deutscher und holländischer Fassung +gedruckte Circular lautet in ersterer: + + Leipzig und Amsterdam, 5. October 1810. + + Ich zeige Ihnen hiermit an, daß ich die Direction und meinen + Theil an dem seit 1806 hier in Amsterdam wie in Leipzig, unter + der Firma von Kunst- und Industrie-Comptoir, bestanden habenden + Buchhandlungs-Etablissement abgegeben und an die Hofräthin Witwe Joh. + Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer, unter heutigem Dato verkauft habe, + wodurch diese alleinige Eigenthümerin beider Geschäfte mit allen + Vorräthen, Verlagsrechten und ausstehenden Activ-Schulden geworden ist. + + F. A. Brockhaus. + + ----- + + Indem ich Obiges bestätige und hinzufüge, daß ich für Amsterdam + Herrn F. Schmidt zu meinem Commissionär ernannt, und ihn mit allen + nöthigen notariellen Vollmachten versehen habe, an den Sie sich also + von jetzt an, in Rücksicht alles dessen was Ihre Verhältnisse zum + ehemaligen Kunst- und Industrie-Comptoir betrifft allein wenden, und + dem, was von ihm darin geschieht, ganzen Glauben beimessen wollen, + zeige ich zugleich an, daß ich künftig allein das Verlagsgeschäft + und zwar unter der Firma Typographisch-litterarisches Institut + in Leipzig fortführen, hingegen die in Amsterdam bestehende + Sortiments-Buchhandlung aufheben werde, weil der deutsche Buchhandel + durch die franz. Gesetze sehr beschränkt und gehemmt werden wird, und + derselbe ohne gänzliche Freiheit nicht mit Vortheil bestehen kann. + + Um nun mein daselbst vorhandenes großes Lager noch möglichst + verkleinern zu können, biete ich Ihnen hierdurch alles ohne Ausnahme, + was Sie noch von den vorräthigen Artikeln, nach unsern bereits + erhaltenen Katalogen, zu acquiriren wünschen, gegen comptante Zahlung + mit 33 1/3 p. Ct. Rabatt an, doch erbitte ich mir Ihre Orders so bald + als möglich, da sie späterhin nicht gut mehr möchten ausgeführt werden + können. + + Joh. Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer. + + ----- + +Mit vollem Rechte konnte Brockhaus am 21. October an Bornträger +schreiben: der kühne Schritt sei gelungen und das Geschäft gerettet; +jedermann habe eingesehen, daß der Verkauf fingirt sei; derselbe habe +deshalb gesetzmäßig umgestoßen werden können, wenn man den Verdacht der +Insolvenz gehegt hätte, das sei aber glücklicherweise nicht der Fall, +wie auch kein Grund irgendwelcher Art zu einem solchen Verdacht vorliege. + +Ueber die Einwirkung aller dieser Verhältnisse auf seine dadurch +scheinbar so viel näher gerückte Heirath schreibt Brockhaus an +Bornträger unterm 14. October: + + Was unter diesen Umständen aus unserer Verbindung werden wird, weiß + Gott! Es versteht sich von selbst, daß sie nicht eher statthaben darf, + bis sie einigermaßen geordnet sind. Für mich fürchte ich in Rücksicht + meiner Gesinnungen nichts, da mir Minna theurer wie mein Leben ist + und ich höchst unglücklich sein würde, wenn ich sie verlöre. Von der + andern Seite denke ich aber auch zu zart, als daß ich auch nur auf die + leiseste Weise Ueberredung gebrauchen möchte, im Fall ich auch nur + einigermaßen ahnden könnte, als seien ihre Gesinnungen und ihre Liebe + verändert. Ich begreife vollkommen, wie diese Geschichten alle auf sie + influenciren müssen, und wie es geschäftige Rathgeber geben wird, die + ihr die Verhältnisse und mich mit Farben darstellen, die sie sicher + ängstlich machen müssen. Haben sich solche Rathgeber ja auch bei mir + eingefunden in Rücksicht auf sie. Man muß ihre und meine Verhältnisse + so genau und in allen ihren hundertfältigen Beziehungen kennen, als + Sie es thun, muß wissen, wie isolirt und verloren wir Beide standen + und getrennt wieder stehen würden, man muß unsere achtzehnmonatliche + genaue und innige Freundschaft kennen, man muß dies Alles genau + wissen, um unser Verhältniß ganz würdigen zu können .... + + Ich werde Minna nie freiwillig und aus Gründen, die in mir selbst + liegen könnten, verlassen. Ich kann es nicht, und ich würde es für + ein Verbrechen halten, wenn ich es wollen könnte. Aber ich werde sie + verlassen, sobald sie es wünscht, und gehe ich darüber auch, wie + ich voraussehe, ganz zu Grunde. Dies habe ich ihr auch mehrmalen in + schweren Momenten gesagt! Sie hat bisher immer erklärt, daß sie ihr + Leben dem meinigen unzertrennlich anschließen werde. Wenn das ihre + Gesinnung bleibt, so glaube ich, daß Alles wohl und gut enden werde + und enden könne. Voneinander getrennt, glaube ich aber, daß sie wie + ich moralisch und bürgerlich werden zu Grunde gehen .... + + Noch gereicht mir sehr zur Beruhigung, daß ich auch bei aller meiner + innigen Liebe, ja Anbetung für sie mich dennoch lange, wie Sie es + selbst wissen, sehr lange gesträubt habe, ehe ich zu einer Verbindung + mich entschlossen habe, und daß die Initiativen dazu nicht von mir, + sondern von ihr selbst ausgegangen sind. Auch hat sie das Verhältniß + meiner Handlung im ganzen gekannt wie es ist. + +Nach einigen Wochen, die er in der eifrigsten Thätigkeit für Ordnung +seiner Angelegenheiten und in angenehmem Verkehr mit seinen neuen +Bekannten in Altenburg verbrachte, äußert er gegen Bornträger unterm 10. +November: + + Ich habe Ihnen letzthin viel über meine und Minna's Verhältnisse + geschrieben. Sie haben sich wieder enger als je geknüpft, und sobald + die bürgerlichen Schwierigkeiten besiegt sind, werden wir heirathen. + Seit acht Tagen leidet sie erstaunlich an Krämpfen, ist seit heute + etwas wohler, aber noch unendlich krank und schwach. + + Uebrigens sind wir sehr geneigt, wenn Alles erträglich geht, uns + hier zu fixiren. Altenburg ist ein Ort von circa 10-12000 Einwohnern, + wo sich die Langeweile der ganz kleinen Städte nicht findet und + wirklich ein sehr angenehmer Ton herrscht. Es gibt höchst interessante + Cirkel, und Minna, die in mehrern Jahren in Leipzig beinahe keinen + Menschen mehr sah, ist wie in einer neuen Welt, wo sie durch ihre + Talente und ihren Geist sehr geschätzt ist. Das Reichenbach'sche Haus, + mit Reichenbach's zwei höchst interessanten verheiratheten Schwestern, + einer Madame Hoffmann und Madame Pierer, und das von Ludwig, der + einen Engel an Weib und reich an Talenten zur Frau hat, bilden den + Centralpunkt der bessern gesellschaftlichen Cirkel, worin Minna auch + aufgenommen ist und ich es bin, wie ich es wollen werde. Man kann mit + 1000 Thlr. hier ein ganz anständiges Haus machen und wird nicht blos, + wie in Amsterdam und in Leipzig, nach dem, was man mit Geld wiegt, + gewogen. Ueberhaupt ist das Land von allen Kriegsverheerungen beinahe + ganz verschont geblieben und ist unter der sanften Gothaischen + Regierung wol noch eins der glücklichsten Ländchen, die es in dem + jetzigen Sturme aller Verwirrung geben mag. + +So aufs neue Hoffnung schöpfend und mitten unter Stürmen dem ihm +vorschwebenden bescheidenen Ziele ganz nahe, wurde Brockhaus abermals +und in der entsetzlichsten Weise vom Schicksale getroffen, das wie ein +Blitz aus der schwülen Luft, die ihn umgab, herniederfuhr: seine Braut +-- wurde wahnsinnig! Und wenn sie auch wieder genesen sollte, sie war +auf immer für ihn verloren! + +Mit ergreifenden Worten schildert er selbst diese Vorgänge in einem +Briefe an Bornträger vom 21. November: + + Wo soll ich Worte hernehmen, um Ihnen den namenlosen Jammer + auszudrücken, worin ich gestürzt bin! O Gott! welch ein fürchterliches + Schicksal verfolgt mich, und wie wird sich Alles noch enden! Mein + letzter Brief an Sie war vom 9./11. November. Seit der Schreibung + desselben habe ich von Ihnen auch weiter keine Nachrichten erhalten, + sodaß also wohl morgen mehrere Briefe zusammen von Ihnen eintreffen + werden. Aber wo würde ich auch den Muth und die Zeit hergenommen + haben, Ihnen etwas sagen zu können? Wo nehme ich ihn jetzt her, am + Abend der fürchterlichsten Katastrophe meines Lebens? + + Schon in meinem letzten Briefe muß ich Ihnen gesagt haben, daß + Minna krank sei. Sie ist es geblieben -- sie ist es noch -- sie ist + -- entsetzen Sie sich nicht -- sie ist -- wahnsinnig! Ich vermag + es nicht, Ihnen den ganzen Hergang der fürchterlichen Krankheit zu + erzählen. Etwa gegen den 1. d. M. fing es mit einem Gliederreißen + an. Aus dem Gliederreißen wurde ein rheumatisches Fieber; dieses + artete in ein nervöses aus, es kamen hysterische Zufälle -- lebhaftes + Phantasiren -- Irrereden hinzu, und dies Alles hat mit dem Zustande + geendet, den ich Ihnen oben genannt habe, nicht aber nochmal nennen + kann. Ob eine Heilung möglich ist, steht dahin, das jetzt Factische + ist da, und mir ist jenes unwahrscheinlich -- aus psychologischen + Gründen. Wir haben täglich die rührendsten und herzerschütterndsten + Auftritte, aber auch die entsetzlichsten, wie die wildeste Phantasie + sie sich nur schaffen kann. Einer der entsetzlichsten hatte in der + Nacht vom Sonntag auf Montag statt, wo außer sonstigen Wächtern + Madame Ludwig -- ein Engel von Weib -- mit mir, der seit 16 Tagen + jetzt nicht aus den Kleidern gekommen, die oberste Wache hatte, und + wo sie einen heftigen Anfall von Wuth bekam, daß ich in Gefahr war + erdrosselt zu werden -- daß sie wüthend um sich und Emma in den Hals + biß -- und nachdem ich eine Viertelstunde lang den schrecklichsten + Kampf mit ihr gekämpft hatte, in dem Gott mich wunderbar stärkte, + und nachdem endlich Hülfe kam, sechs Männer es kaum vermochten, + sie zu bändigen, um sie binden zu können. Diese Anfälle haben sich + wiederholt, wenn auch mit minderer Stärke, sodaß wir wieder gewagt + haben, zu ihr zu gehen. Heute hat aber wieder ein Zufall stattgehabt, + der es mir verbietet und unmöglich macht, wieder zu ihr zu gehen, + wenigstens einstweilen nicht. Ein Charakter ihres Wahnsinns war + seither die außerordentlichste Liebe und Anhänglichkeit zu mir, sodaß + ich durch Zureden Alles vermochte, und meine nothwendigen, wenn auch + nur augenblicklichen Entfernungen immer die rührendsten Erscheinungen + hervorbrachten. Heute aber, gerade zu Mittag, wo ich mit Emma, einem + Wächter und unserm Hauswirthe bei ihr war, bekam sie einen Anfall, der + zunächst auf mich gerichtet war, und wo sie auf mich einstürzte, mich + anzufallen wagte, und mit geballten Händen auf mich einschlug, daß + Ströme Blut mir aus der Nase stürzten. Nur mit Mühe gelang es uns, sie + zu binden! Ich sehe sie seitdem nicht wieder und werde es einstweilen + nicht thun. + + Auch von der Möglichkeit ihrer Genesung abgesehen, könnte Minna doch + nie -- mein Weib mehr werden. In einer Stunde, die sie glaubte ihre + Todesstunde werden zu sollen, hat sie mir über alle ihre seitherigen + Verhältnisse die vollständigsten Aufschlüsse gegeben und mir die + schriftlichen Belege darüber zu Händen gestellt! Diese Aufschlüsse + machen es mir unmöglich -- ihr je meine Hand zu geben! O Gott, aus + welchem Himmel bin ich gestürzt! Wie bin ich argloser, gutmüthiger + Mensch getäuscht, betrogen, hintergangen worden! Diese Aufschlüsse + kann ich Ihnen vielleicht -- und nur Ihnen -- einst mittheilen, + wenn, wie ich wünschen muß, Minna sterben sollte! O Gott -- Gott -- + was habe ich in diesen vierzehn Tagen erfahren, geduldet, erlitten! + Welch einen Jammer, welch ein Zerreißen in meinem Innern! Diese + fürchterlichen Entdeckungen in Minna's Geschichte haben aber auf mein + äußeres Benehmen gegen sie in ihrem Unglück ebenso wenig Einfluß + gehabt, als sie mich auch sonst nicht bestimmen werden, wenn sie leben + bleibt, meine Hand von ihr abzuziehen. Aber für mich ist sie für immer + verloren! Denken Sie sich zu diesen meinen Empfindungen nun auch die + über ihren jetzigen Seelenzustand oder ihre Krankheit! Ich bin der + unglücklichste aller Menschen! + + Unser bürgerliches Verhältniß ist regulirt durch ihr Testament, das + sie ein paar Stunden nach jenen Entdeckungen machte, und durch einen + Rückkauf. + + Sonst ist durch diese Vorfälle Alles in Stocken gerathen, und kein + Circular weder ausgegeben, noch sonst das Geringste gethan worden. Sie + können sich die ganze Verwirrung denken .... + + Adieu, guter Schmidt! Gott stärke Sie und mich! + + Ihr unglücklicher Brockhaus. + +Vor allem hielt es Brockhaus für seine Pflicht, dem Vater Minna's, +Geh. Tribunalrath Mayer in Berlin, gleich Nachricht über das traurige +Schicksal der Tochter zu geben. Indeß konnte er es nicht über das Herz +bringen, ihm auch sofort die Auflösung der Verlobung mit ihr anzuzeigen, +zumal noch nicht entschieden war, ob nicht der Tod die versöhnendste +und für alle Theile wünschenswertheste Lösung der traurigen Katastrophe +herbeiführen werde. + +Er schrieb an ihn unterm 28. November: + + Hochwohlgebohrner Herr Geheimerrath! + + Es ist für mich diesmal die traurigste aller Veranlassungen, die + mich zu einer Unterhaltung mit Ew. führt. Anstatt, wie ich hoffte und + wie es mein innigster Wunsch war, Ihnen in diesem Briefe Nachricht + von dem Abschluß meiner ehelichen Verbindung mit Ihrer Frau Tochter + geben zu können, wozu Sie die Güte gehabt haben, Ihre väterliche + Einwilligung zu ertheilen, muß er leider Nachrichten enthalten, die + Ihrem väterlichen Herzen sehr wehe thun werden. + + Aus dem letzten Briefe Minna's wissen Sie zum Theil die + Schwierigkeiten, die unserer Verbindung in bürgerlicher Hinsicht + noch entgegenstanden, kennen jedoch auch die Unwandelbarkeit meiner + und ihrer Gesinnungen, und daß wir mit Sehnsucht dem Tage entgegen + verlangten, der uns für dieses Leben aufs innigste verbinden sollte, + und daß wir uns gegenwärtig nur mit den Mitteln beschäftigten, jene + Schwierigkeiten zu beseitigen und für unser künftiges Leben die + dauerhaftesten Grundlagen zu beiderseitigem Glücke zu legen. + + Ihre Frau Tochter hat Ihnen zugleich, wie sie mir gesagt hat, die + Veranlassung unsers hiesigen Aufenthalts mitgetheilt, Sie auch von + den Geschäftsverhältnissen unterrichtet, die bereits zwischen uns zum + allgemeinen und beiderseitigen Besten getroffen waren; sie hat mir + die nähere Angabe und Entwickelung von diesem Allen überlassen, und + würde ich mich -- da es mir zum Vergnügen gereichen muß -- darüber + auch schon gegen Ew. umständlich erklärt haben, wenn nicht die kurz + nachher eingetretene Krankheit meiner theuern Freundin alle meine + Aufmerksamkeit erfordert und mir jede andere Beschäftigung als die mit + der geliebten Kranken unmöglich gemacht hätte. Dieser ihr Zustand ist + auch jetzt noch so bedenklich, daß ich mich billig und allein hierüber + mit Ew. unterhalten darf. + + Dieser Krankheitszustand dauert jetzt schon in die vierte Woche, + und würden sowol ich als die übrigen edeln Freunde der Tochter dem + liebenden Vater längst Nachricht hiervon gegeben haben, wenn nicht + der Zustand selbst von einer so delicaten Natur gewesen wäre, daß + wir uns Alle nur sehr ungern darüber erklären können und wir, die + wir täglich Besserung oder Linderung erwarteten, diese auch nicht + unmöglich war, wünschen mußten, mit der Nachricht von der Krankheit + auch die von Aussichten zur Besserung geben zu können. Wirklich + scheint jetzt einige Besserung einzutreten, und ich beeile mich daher + in Verbindung mit einem andern Freunde, dem Herrn Kammerverwalter + Ludwig, der die Güte hat über Minna hier die Curatel zu übernehmen -- + welches nach hiesigen Landesgesetzen bei dem bürgerlichen Transact, + der zwischen ihr und mir am 6. October abgeschlossen wurde und von + welchem ich Ew., wie schon erwähnt, gelegentlich nähere Kenntniß geben + werde, nöthig war -- Ihnen alle die Nachrichten zu ertheilen, welche + den Krankheitszustand Ihrer Frau Tochter betreffen. + + Dieser äußerte sich zuerst zu Anfange dieses Monats durch ein + heftiges Gliederreißen, dem sie einestheils wol nicht zweckmäßig + begegnete, als es auch eben nicht sehr achtete, und es war bei der + diesjährigen allgemeinen Disposition zu rheumatischen Krankheiten + daher nicht zu verwundern, daß bald ein heftiges rheumatisches + Fieber eintrat. Unerachtet der sorgfältigsten ärztlichen Hülfe und + Freundespflege verschlimmerte sich der Zustand steigend und nahm die + mannichfaltigsten Formen an. Die außerordentliche Nervenreizbarkeit, + ein sehr afficirtes und bewegtes Gemüth und die unendlich lebhafte + Phantasie der Kranken war wol mit die Ursache, daß der rheumatische + Zustand noch mit den heftigsten Krämpfen begleitet wurde -- daß sehr + bestimmte und bedenkliche Nervenzufälle eintraten, die bald ein + Irrereden und endlich eine gänzliche Geistesverwirrung herbeiführten. + + So unendlich schmerzhaft es mir ist, Ew. diese Nachrichten geben zu + müssen, so erfordert es doch meine Pflicht, darin nichts Wesentliches + zu verschweigen, und ich darf es Ihnen selbst nicht verhehlen, daß + die Aerzte sich bisjetzt darüber noch nicht entschieden haben, ob bei + etwaiger Genesung des Körpers die Vernunft wieder ganz zurückkehren + werde oder wenigstens nicht Recidive zu erwarten seien. In diesem + Augenblicke hat die Kranke nur noch mäßiges Fieber, die Krämpfe sind + dagegen noch sehr lebhaft und erregen immer außerordentliche innere + Beängstigung. Schlaf ist selten und war noch nie beruhigend, sondern + nur immer ein Vorläufer großer Bewegung. Die Geistesverwirrung hat + seit zwei Tagen wieder wilde und excentrische Ausbrüche und ist mehr + fortwährendes Irrereden, obgleich es auch Momente gibt, wo sie den + ganzen Gebrauch ihrer Vernunft zu haben scheint. + + Von unserm allgemeinen Jammer und dem meinigen insbesondere will ich + den liebenden Vater hier nicht unterhalten, ihm aber die Beruhigung + geben, daß die unglückliche Kranke der allerherzlichsten Pflege + genießt, daß sie einen vortrefflichen Arzt hat, und daß von mir und + ihren edeln Freunden hier auch nichts versäumt wird, was ihr Zustand + verlangen und die zärtlichste Sorgfalt erfordern möchte. + + Ich werde es mir von jetzt an zur Pflicht machen, Ihnen von jeder + Veränderung im Guten und im Schlimmen Nachricht zu geben, und hoffe + ich, daß die jetzigen leisen Spuren eines verbesserten Zustandes sich + weiter entwickeln werden, ich also nur Nachrichten im Guten werde zu + melden haben .... + + Emma ist immer um die Mutter und gewährt ihr vielen Trost; das + Schicksal der Kinder beschäftigt die arme Kranke oft selbst in + erregten Momenten. + + Lassen Sie uns zur Vorsehung hoffen, daß Besserung zurückkehren + und Alles gut enden werde; vielleicht war diese Katastrophe nöthig + zur Gründung eines neuen und bessern Lebens! Erst im Laufe dieser + Krankheit hat die unglückliche Minna mir ihr ganzes Vertrauen im + vollsten Sinne des Wortes gegeben! Warum mußte sie es nicht früher + schon dem edeln Vater gegeben haben! + + Ich überlasse es Ihnen, ob Sie bei der jetzigen vollkommenen + Kenntniß des Zustandes von Minna glauben, etwas Besonderes für sie + thun zu können, oder darauf einwirken zu wollen; auf jeden Fall können + Sie als Vater versichert sein, daß sie von guten und theilnehmenden + Menschen umgeben ist, die sie innig lieben und die Alles aufbieten, + ihr Unglück zu mindern und einen bessern Zustand herbeizuführen. + + Ich bitte Sie, Ihrer Frau Gemahlin mich gehorsamst zu empfehlen + und den wackern Julius wie die beiden Andern herzlich zu grüßen, und + übrigens von meiner vollkommenen und innigen Ergebenheit und Verehrung + überzeugt zu sein. + +Die Antwort des Vaters an Brockhaus liegt nicht vor, dagegen ein Brief +desselben an den Kammerverwalter Ludwig, dem die Antwort an Brockhaus +beigeschlossen war. In diesem Briefe vom 8. December dankt Mayer für +die ihm auch von Ludwig gegebenen Nachrichten; sie hätten ihn tief +erschüttert und nur der Gedanke an die Theilnahme, die seine Tochter +von ihm (Ludwig) und den Seinigen sowie von Herrn Brockhaus erfahren, +habe ihn und seine Frau einigermaßen beruhigen können. Der Anlaß zu +der Geistesverwirrung seiner Tochter, wenigstens der nächste und +unmittelbarste, könne indeß kein anderer sein als die Verlegenheiten, +in denen sie sich befinde und die sie durch den Antheil, den sie an den +Angelegenheiten des Herrn Brockhaus genommen, noch mehr auf sich gehäuft +habe. Er wolle nicht bestreiten, daß auch übermäßige Anstrengung in +ihren literarischen Productionen den Zustand befördert haben könne, +zumal bei den körperlichen Fatiguen, die ihr der Abzug von Leipzig und +das Hin- und Herreisen zugezogen haben müsse. Jedenfalls müsse jetzt +alle Sorge nur dahin eingeschränkt sein, die Kranke wieder zur Vernunft +zurückzubringen. Er lege einige Zeilen an seine Tochter bei, worin er +sie auffordere, zu ihrer völligen Herstellung nach Berlin zu kommen, und +bitte, ihr dieselben in lichten Augenblicken mitzutheilen. + +Brockhaus fühlte sich durch diesen Brief, den ihm Ludwig glaubte +mittheilen zu müssen, begreiflicherweise sehr verletzt. Er schrieb +darüber an diesen: + + Freitag Morgen. + + Hierbei, lieber Ludwig, der Brief vom Vater zurück. Ich leugne + nicht, daß mich derselbe sehr afficirt hat, und daß ich wünschte, ihn + nicht gelesen zu haben. Wenn es vom Vater darin als etwas unbedingt + Ausgemachtes angenommen wird, daß der Zustand von Minna nur und + alleine aus ihrer Exaltation über meine persönlichen Angelegenheiten + #könne# entstanden sein, so setzt er mich auf einen Standpunkt zu + unserer Freundin, der mein ganzes Innere in Anspruch nimmt, und mich + -- ich muß es nur heraussagen -- wirklich empört. + + Es ist auch für den psychologischen Arzt, und wäre es ein zweiter + Willis[41], wol immer eine der schwersten Aufgaben, auch bei der + vollständigsten Kenntniß aller Verhältnisse und der sorgfältigsten + Beobachtung bei Kranken dieser Art, die Ursachen positiv anzugeben, + die die Entfernung des gesunden Denkvermögens bewirkt haben, und es + erfordert unendliche Zartheit, sich über solche mögliche Ursachen + auszusprechen. Der Vater handelt also sehr übereilt, wenn er bei + seiner mangelhaften Kenntniß aller Verhältnisse dennoch ein so + absprechendes und mich auch mit sehr verletzendes Urtheil wagt. + + Ich für mich glaube überzeugt sein zu dürfen, daß allerdings + jene äußern Ursachen auch etwas zur physischen Krankheit -- dem + rheumatischen Nervenfieber und den Krämpfen -- können beigetragen + haben, daß aber im Innersten von Minna's Seele der Keim zu der + eingetretenen Desorganisation ihres Seelenzustandes längst gelegen + hat und daß dieser früher oder später ausbrechen mußte. Die Ursachen + zu diesen Keimen gehören aber zu den unaussprechlichen Dingen und + sind also auch dem Vater, der in seiner Arglosigkeit nichts von ihnen + ahndet, nicht mitzutheilen. + + Ebenso unrichtig ist es, wenn der Vater annimmt, daß durch geistige + Anstrengung bei ihren literarischen Arbeiten Minna sich sehr könne + überspannt haben. In diesem ganzen Jahre hat Minna sich nur so + unbedeutend mit eigenen literarischen Arbeiten beschäftigt, daß es gar + nicht nennenswerth ist und, den gegebenen Stoff mitgerechnet, der blos + überarbeitet zu werden brauchte, gedruckt kaum fünf bis sechs Bogen + betragen würde. + +Durch diese unverdiente Kränkung ließ sich Brockhaus indeß in seiner +Sorge für die arme Kranke nicht stören. Er schreibt an Bornträger am 9. +December: + + Minna's Zustand bleibt bessernd, aber er ist immer noch + herzerschütternd. Ihre Nervenreizbarkeit ist wahrhaft sublimirt, wie + ihr Geist nie in solcher Blüte und Ueppigkeit gewesen. Ihre fixen + Ideen haben noch immer denselben Zirkel: Liebe, Eifersucht, Besorgniß + mich zu verlieren, Glauben, daß ich schon anderwärts verheirathet sei, + daß ich ein Zauberer wäre, auch andere: daß wir mit überirdischen + Wesen in Verbindung ständen u. dgl. Sie spricht eine Stunde wie ein + Gott, und in einer Minute, wenn sie auf irgendeine Idee kommt, die sie + an einer ihrer schwachen Seiten berührt, ist ihre Besonnenheit auf + einmal hin. Wir hoffen Alle indessen das Beste. + +Inzwischen war Minna's Schwester, Karoline Richter, die Gattin +Jean Paul's, aus Baireuth zu ihrer Pflege eingetroffen, die bisher +von der Tochter der Kranken, Emma, von Frau Ludwig und deren noch +unverheiratheten Schwester, Jeannette von Zschock, besorgt worden war. + +Auf die erste flüchtige Nachricht über das Befinden der Kranken +antwortete Jean Paul seiner Frau am 8. December: + + Die Krämpfe Deiner Schwester, so fürchterlich sie für den Zuschauer + sind, habe ich bei .... und Andern oft erlebt, sie sind ohne + Bedeutung, ja sogar ohne Empfindung, außer für das Auge. + +Am 20. December schreibt Karoline Richter ihrem Manne: + + Der Gesundheitszustand meiner Schwester hat sich seit ich hier bin + noch nicht sehr gebessert. Ob sie je zu völliger Klarheit des Geistes + kommen kann, ist ein Problem. Sie ist in einem Zustande des Traums + und je melancholischer, je mehr sie unter Menschen ist. Man redet + ihr zu, auszugehen, sich zu zerstreuen, besucht sie fleißig, und in + der That interessirt sie allgemein; aber es gleitet meist Alles ohne + Eindruck an ihr vorüber. Sollte sie wieder allein stehen, ohne mich, + so wäre sie sehr zu beklagen. Denn so sehr Herr Brockhaus sie liebt, + so äußerst aufopfernd und gefällig er ihre Stütze ist, so kann er ihr + in häuslichen Dingen nicht helfen. Sie ist wie ein Lamm, wie ein Kind, + und läßt Alles über sich ergehen. So kann die Verbindung natürlich + nicht vollzogen werden, solange sie nicht genesen ist, und bis dahin + muß sie unter Aufsicht theilnehmender Menschen sein. Wenn sie jetzt + zum Vater geht, ist es das Natürlichste und Beste. Brockhaus wünscht + das zwar nicht; er fürchtet sie alsdann zu verlieren; allein ich + glaube nicht, daß ihr Aufenthalt in Berlin ein Hinderniß sein würde.[42] + +Die Uebersiedelung Minna's in das älterliche Haus nach Berlin erschien +endlich allen Betheiligten doch als das Gerathenste, und Brockhaus +entschloß sich zu dem in seiner Gemüthsstimmung doppelt schweren +Opfer, sie dahin zu begleiten. In einem langen an verschiedenen Tagen +geschriebenen Briefe an Bornträger kommen neben geschäftlichen Notizen +mehrere darauf bezügliche Stellen vor. + +Am 29. December schreibt er: + + Der jetzige Zustand der Hofräthin läßt sich nicht gut beschreiben. + Krank ist sie nicht mehr, aber ihr ganzes Wesen ist zerbrochen -- alle + Elasticität der Seele ist von ihr gewichen, und ohne daß man sagen + könne: ihr Verstand sei noch in Unordnung, zeigen sich doch häufig + viele Irrungen und Besonderheiten, die darthun, daß sie durchaus + noch nicht zu klaren Begriffen gekommen. Gegen mich hat sie oft die + rührendste Innigkeit und dann auch wieder die schneidendste Kälte. + Ebenso geht's der Schwester und den besten Freunden. Am zerknicktesten + ist sie, sobald viele Menschen um sie sind. + + Wenn keine Aenderung statthat, so werden wir in acht Tagen zusammen + nach Berlin reisen, ich aber sogleich wieder hierhin zurückkommen. + +Am 3. Januar 1811 fügt er hinzu: + + Ich habe diesen Brief bisjetzt hier behalten, um Ihnen über + die berliner Reise noch bestimmter schreiben zu können. Es ist + diese jetzt auf morgen Abend festgesetzt. Ich mache sie mit der + Hofräthin und Emma alleine, da Madame Richter durchaus nicht mit + kann. Wir gedenken bis Dienstag Abend in Berlin zu sein. Da wir + einen Lohnkutscher von hier mitnehmen, so ist meine Absicht, 3 + _à_ 4 Tage in Berlin zu bleiben und dann hierher zurückzukehren, + wo ich bis zum 15./16. wieder einzutreffen gedenke. Der geistige + Zustand der Hofräthin ist noch immer derselbe, und sicher nur + unter andern Umgebungen, die sie nicht, wie jetzt hier, an den + dagewesenen traurigen Zustand beständig erinnern, und -- von der Alles + heilenden Zeit gänzliche Genesung zu hoffen. Die Zukunft ist mit dem + undurchdringlichsten Schleier über ihr und mein Schicksal bedeckt! + Lassen Sie es uns nicht versuchen, ihn mit frevelnder Hand lüften zu + wollen. Lassen Sie uns unser Schicksal mit Resignation erwarten, und + folgen, wie es uns in seiner Strenge führen will .... + + Mein Gemüth ist heute wieder sehr zerrissen. Das arme, arme + unglückliche Weib! Sie sollten sie jetzt sehen, die sonst von Leben, + Geist und Witz überfließende, wie sie stille und in sich gesenkt ihr + oft in Thränen schwimmendes Auge gen Himmel schlägt, Stunden lang kein + Wort spricht, über jedes Geräusch zusammenfährt, dann aufspringt und + mit zerrinnender Wehmuth mir in die Arme sinkt. Und dann wieder, wie + sie Jeden anfeindet, wie es ihr Niemand recht macht! Ach Gott! + + Welch ein Verhängniß, lieber Schmidt! Im vorigen Jahre #an demselben + Tage# trat ich die furchtbare Reise von Amsterdam nach Dortmund an! + Und #dies# Jahr mit Minna in diesem Zustande von Altenburg nach + Berlin! Finde ich Schicksals Deutung darin? Daß es anders werden + müßte? Wer weiß es! + +Am 4. Januar 1811 reiste Brockhaus mit der Kranken und ihrer Tochter +Emma (außer dieser hatte Minna Spazier noch drei Kinder aus ihrer ersten +Ehe, zwei Söhne und eine Tochter, die sich in Berlin bei den Großältern +befanden) von Altenburg ab und traf mit ihnen am 8. Januar abends in +Berlin ein. + +Von unterwegs, aus Leipzig, schreibt er an Ludwig: + + Wir haben es schlimm gehabt, da die Kälte herz- und hautzerschneidend + war und ist. Minna ist gut und duldend, Emma die leidendste. Ich -- + empfand wenig davon, wie ich kaum selbst begreife. + +Frau Spazier fügt folgende Zeilen für ihre Schwester bei: + + Liebste Karoline! Ich melde Dir mit wenigen Worten, daß wir der + harten Kälte ohnerachtet wohl angekommen sind. Theile diese Nachricht + Herrn und Madame Ludwig mit, sie werden sehr besorgt unsertwegen + sein. Lebe wohl, liebste Karoline, ich kann Dir nicht sagen, wie mir + zu Muthe ist. Emma hat sehr gefroren, ich freue mich sehr über das + Wiedersehen. + +Von Berlin aus schreibt Brockhaus gleich am 9. Januar an Ludwig: + + Ich eile, Ihnen mit wenigen Worten zu melden, daß wir gestern Abend + nach einer allerdings unendlich beschwerlichen und peniblen Reise hier + glücklich angekommen sind. Die Zusammenkunft Minna's mit ihren Kindern + und ihrem Vater war herzzerschneidend. Ich behalte mir vor, Ihnen bei + meiner Zurückkunft von Allem sehr umständlich Bericht zu geben. Da + zwischen Berlin und Leipzig ein bedeckter Postwagen fährt, so werde + ich mich dessen zu meiner Retour bedienen und Sonntag oder heute acht + Tage zurückreisen. + + Die ganze Mayer'sche Familie und Minna tragen mir auf, sie Ihnen und + den edeln Frauen Ihres Hauses, auch Herrn Hempel bestens und innigst + zu empfehlen und Sie vorläufig ihres ganzen Dankes zu versichern. + Meine Gesinnungen für Sie Alle sind Ihnen bekannt. + + Ganz Ihr + Brockhaus. + + Geben Sie Karolinen von diesem Briefe Kenntniß, da ich keine Zeit + habe, ihr selbst zu schreiben. + +Auf der Rückreise schreibt er aus Leipzig vom 15. Januar an Bornträger +(Schmidt) nach Amsterdam: + + Von meiner Reise nach Berlin mit der armen Minna in der + furchtbarsten Kälte, von unsern Beschwerden auf derselben, meinen + Sorgen und meinem Jammer, von unserer Ankunft im Hause des Vaters, von + der Scene der Zusammenkunft mit diesem und Julius, von dem allgemeinen + und besondern Benehmen des Vaters und der (Stief-) Mutter, endlich + von der herzzerreißenden Stunde des Abschieds und der Trennung -- + von allem Diesem, lieber Schmidt, kann ich Ihnen nur einmal mündlich + erzählen! + + Minna's Zustand ist immer derselbe noch: gänzliche Erschlaffung im + Geistigen. Sie denkt und spricht fast immer richtig, und wann sie es + nicht thut, so hat's Beziehung auf die Furcht, mich zu verlieren. + Sonst ist ihr #Alles# gleichgültig, was um sie her ist, und ihre + einzige Beschäftigung, wenn man sie nicht gleichsam gewaltsam + darin unterbricht, fortwährendes Stricken, wobei sie denn immer + so vor sich hin brütet und oft wehmüthig mit ihren schönen Augen + zum Himmel aufsieht. Es ist herzzerschneidend. Meine Theilnahme an + ihrem Schicksal ist, so sehr ich auch moralisch verletzt worden bin, + unveränderlich, und kann ich es möglich machen, ohne darüber zu Grunde + zu gehen, ihr Schicksal noch an das meinige zu ketten, so wird's + geschehen, wenn sie nur geneset und in geistiger Energie wieder die + alte göttliche Minna wird. + +Am 27. Februar schreibt er aus Altenburg an denselben, nachdem dieser +ihm in einem Privatbriefe offen seine Ansichten über Frau Spazier +ausgesprochen hatte: + + Gewiß sind Ihre Deutungen über der Hofräthin Betragen in vielen + Stücken richtig, und so wehe mir das Geständniß thut, so habe ich + jedoch immer noch Vertrauen genug, um mir ein zwiefaches Wesen in ihr + zu denken, von dem das Eine: die edle, gute und großherzige Minna, + das Ursprüngliche wäre, und das Andere: die astucieuse, coquette, + heuchelnde Hofräthin, die durch die Collisionen mit der Welt, ihrem + Blute und verkehrten ästhetischen Richtungen erst gebildet worden sei. + Ihr eigentliches, vielleicht später durch unsern hiesigen genauern + Umgang erst entstandenes Gefühl für mich spricht sich vielleicht + nirgends wahrer aus als in zwei Briefen, welche sie kurz nach der + heftigsten Epoche ihrer Krankheit, als sie anfing freie Stunden zu + haben, in denen sie wieder mit Klarheit dachte, an Karoline und an + ihren Sohn Julius schrieb, solche aber nicht abgehen ließ, sondern + wie ein Amulet seitdem immer an ihrem Herzen trug, bis sie sie einst + verlor. Es grenzt ans Wunderbare, wie dieses außerordentliche Wesen + in einem solchen Zustand von halber Zerstörung fähig gewesen, solche + Briefe, die wahre Meisterstücke von Diction sind, in einem Zuge + hinzuwerfen! + + Noch vor einigen Tagen habe ich von ihr directe Briefe. Sie leidet + körperlich und geistig noch sehr, und Gott weiß, wie es mit ihr werden + wird. + +Brockhaus war zunächst zwar nur durch Mitleid mit der Kranken sowie +durch den Wunsch, sich mit ihrem Vater über die eben verlebte furchtbare +Zeit auszusprechen und dann das Verhältniß auf eine möglichst schonende +Art zu lösen, zu der Reise nach Berlin veranlaßt worden. Aber +fortwährend hatte er einen innern Kampf zu bestehen, ob er im Fall der +Wiedergenesung seiner einstigen Braut nicht alles Vergangene vergessen +und ihr aufs neue die Hand zur Versöhnung und zur wirklichen Vereinigung +bieten solle. Durch das Benehmen ihres Vaters wurde ihm dieser Kampf +erleichtert, das Opfer, das er vielleicht doch noch gebracht hätte, +erspart, indem dieser jetzt selbst die Lösung des Verhältnisses betrieb +und ihm, den er als den Urheber des Unglücks seiner Tochter betrachtete, +überhaupt nicht freundlich und vertrauensvoll entgegenkam. + +Brockhaus spricht sich darüber in einem an Ludwig gerichteten Briefe vom +23. März aus, der in Amsterdam geschrieben ist; was ihn auf kurze Zeit +dahin zurückgeführt hatte, wird später zur Sprache kommen. Er schreibt: + + Hätte der Vater, wie ich ihn sonst zu nennen pflegte, oder, wie + ich ihn jetzt ferner nennen werde, Herr Geheime Rath Mayer mich + gewürdigt, genaue Kenntniß von meinen Verhältnissen zu nehmen, wozu + das Schicksal seiner unglücklichen Tochter ihn wol hätte bewegen + sollen, so konnte sich Alles schön und edel für mein und der armen + Minna Schicksal lösen. Mich würde Dankbarkeit -- der hervorstechendste + Zug meines Herzens -- an ihn und an sie dafür gefesselt haben, und + kein Opfer, das ich der Welt und meinem Innern hätte bringen müssen, + wäre mir dann zu hoch oder zu groß gewesen! Minna wäre auch genesen + dann, und bei bürgerlich ganz geordneten Verhältnissen und mit edeln + Menschen, besonders edeln Frauen, umgeben, würde sie auch edel gewesen + sein -- und anstatt daß jetzt durch ihr grauses Schicksal das ihrer + Kinder ewig mit zerrissen wird, anstatt daß selbst ins Leben des + Vaters kaum wieder reine Freude zurückkehren kann und auch seine + eigenen Verhältnisse dadurch furchtbar gestört bleiben müssen, wäre + ein ursprünglich gewiß herrliches und reiches Gemüth, das in den + Collisionen mit der Welt zu Grunde gegangen war, wieder neu geboren + worden, eine Seele war gerettet; wieder dem Leben zurückgegeben, + konnte die unglückliche Tochter durch Uebung und Erfüllung von + Pflichten Alles mit sich versöhnen, ihre Kinder ehren und deren + Laufbahn ordnen, dem Vater selbst wieder die schönsten Blumen auf den + Pfad seines Lebens streuen! + + So wollten Sie es, edler braver Ludwig, so wollte auch ich es! Und + nun werfe man noch einen Stein auf uns! + + Daß ich es nicht verstand, wie Karoline mir vorwarf, den Vater, + außer meiner Persönlichkeit, auch sonst zu interessiren für mein + Schicksal, kann ich mir nicht zum Vorwurf machen lassen. Es ist + freilich wahr, und es ist mit ein Grund auch meines allgemeinen + Schicksals, daß ich es so wenig verstehe mich geltend zu machen. Von + der einen Seite fühle ich, daß ich einigen Werth habe, und wenn ich + mich dann verkannt oder gar mishandelt sehe, so ist meine Erwiderung + entweder stolzes in mich Zurückziehen, oder es sind -- Thränen! + Karoline sagte darum auch wol nicht mit Unrecht: Sie sind halb Weib, + halb Mann! Von der andern Seite bin ich wenig beredt über mich selbst; + ich weiß auf keine Anklage etwas zu antworten, weil ich mir, wenn sie + gegründet auch nur in etwa, immer zehnmal mehr Vorwürfe mache als + Andere; ich bin furchtsam, ängstlich, dränge mich nirgends hervor oder + ein, weiß mit meinem Pfunde nicht zu wuchern, und welche negative + Eigenthümlichkeiten ich denn mehr habe. + + So wie ich nun also bin, konnte ich dem Vater freilich nichts anders + als das simple Factische ohne Schmuck oder Beredtsamkeit vorbringen, + aber mir dünkt, daß den wahren Menschenkenner diese Einfachheit eher + für die Wahrheit gewinnen als davon entfernen muß. + + Allerdings war ich nun auch bald stolz gegen ihn, und gewiß würde + ich es noch mehr sein, wenn sich weitere Gelegenheit finden möchte in + Contact zu kommen. Diese Gelegenheit wird sich aber wol nicht weiter + finden. + + Ich habe seit meiner Abreise von Altenburg weder von Berlin noch von + Baireuth Briefe, aber auch von Altenburg selbst noch keine. Der armen + Minna habe ich meine Reise aber gemeldet, damit sie wenigstens weiß, + wo ich bin. Die arme Minna! + +Wenige Tage darauf, am 26. März, schreibt er abermals an Ludwig: + + Heute etwas über der armen Minna Schicksal. Gestern erhielt ich von + Karolinen Briefe. Auch sie betrachtet unsere Trennung -- Minna's und + meine -- als entschieden durch den Willen des Vaters. Mein Herz zuckt + krampfhaft bei dieser Entscheidung, denn Minna war mir unendlich und + ist mir noch sehr theuer. Mein Verstand tritt aber der Entscheidung + des Vaters mit Beifall bei. Er sagt mir trocken weg, daß eine Ehe + ohne Schönheit und Reinheit der Gefühle, ohne innige Achtung, ohne + Vertrauen mich nur höchst unglücklich würde gemacht haben. »Der + Wahn ist kurz, die Reu' ist lang«, sagt Schiller so bedeutend, und + allerdings: das Leben ist zu ernst, als daß man poetische Gefühle + allein Gewalt darin dürfte über sich ausüben lassen. Ich habe schweres + Lehrgeld dafür gegeben! + +In seiner Antwort an Minna's Schwester, Karoline Richter, vom 30. März +heißt es: + + Mein eigenes Leben darf ich jetzt hoffen bald gerettet zu sehen. + Wäre es nur auch das von Minna, wenn auch von mir getrennt! Es werden + aber Wunder geschehen müssen, wenn sie nicht auf die eine oder andere + Weise zu Grunde gehen soll. + + Ich werde gewiß ihr Freund fürs Leben bleiben und wohlthätig auf + ihr Schicksal einzuwirken suchen, soviel es meine Pflichten erlauben. + Worin sie mich gekränkt und mir wehe gethan, das Unrecht, das sie + an mir geübt, den nachtheiligen Einfluß, den sie auf alle meine + Verhältnisse so gebietend gehabt -- ich verzeihe ihr Alles. Kein Groll + gegen sie ist in meinem Herzen. Auch ich habe gefehlt. Wie aber und + durch welche Motive geleitet oder bewogen, darüber richte derjenige, + der die Herzen der Menschen prüfet und würdiget in Wahrheit! .... + + Jene von dem Vater ausgesprochene Entsagung kann auch nicht wieder + zurückgenommen werden. Nicht daß Minna aufhörte mir theuer zu sein, + nein, gewiß nicht; aber ich betrachte diesen Ausspruch als eine neue + Weisung des Schicksals, das schon so oft deutlich über diese meine + Verbindung mit ihr gesprochen, die ich diesmal achten und nicht + zurückweisen will und dies um so mehr thun muß, da mein Verstand + diesen Ausspruch in allen Hinsichten bestätigt. Denn konnte, sagt mein + Verstand, eine Ehe glücklich sein, wo von der einen Seite alle schönen + und reinen Beziehungen verloren gegangen waren, wo echte innere + Hochachtung und Verehrung nicht mehr da sein konnte, wo kein Vertrauen + weiter möglich war beinahe, wo alle Energie fürs weitere Leben mußte + gebrochen sein, wo jede Rückerinnerung an die Vergangenheit nur mit + Vorwürfen oder mit bittern Gefühlen konnte gepaart sein, wo überhaupt + der wahre Charakter noch so problematisch? + + Mitleiden, Theilnahme, Herzensgefühle, der Wunsch, glücklich zu + machen, die Begehr, in den Augen der Welt consequent zu erscheinen -- + konnten jenes Fehlende nicht ersetzen, und wenn überhaupt schon Ehen + im Leben selten schön-glücklich sind, wie viel weniger konnte es diese + sein, wo so viele Elemente dazu fehlten! + + Auch mein Gefühl hat mich, wie fast immer, hierin sehr richtig + geleitet. Es sagte mir gleich in der ersten Stunde, wo die + Vergangenheit vor mir aufgerollt wurde: Minna kann nie dein Weib + werden! Es ist für mich eine Genugthuung, dieses Gefühl selbst gegen + die edelsten meiner Freunde, die mein ganzes Vertrauen hatten, + ausgesprochen zu haben. Man könnte es sonst jetzt für eine _arrière + pensée_ halten .... + + Ob ich fortfahren soll, dann und wann noch an Minna zu schreiben? + Mir dünkt das Unterlassen wol das Räthlichste. Wozu jetzt noch auch + nur die entferntesten Hoffnungen unterhalten oder Gefühle anfachen, da + dies nur das große Unglück der Armen vergrößern kann? .... + + Welch ein Spiegel fürs Leben wäre Minna's Geschichte, von Goethe, + Richter oder einem andern Richardson der Mit- und Nachwelt aufbewahrt! + Ja, der Vater hat recht gehabt, zu zerhauen, was sich nicht lösen + konnte! Er hat recht gethan! Er ist das Orakel geworden, das ich mir + ersehnte! + +Noch entschiedener spricht er seinen Entschluß, das Verhältniß ganz +zu lösen, und die Motive dazu in einem Briefe von demselben Tage an +Ferdinand Hempel in Altenburg aus: + + Je mehr ich jetzt überzeugt bin, daß meine Bekanntschaft mit der + Hofräthin und mein Verhältniß zu derselben die vorzüglichste Ursache + meines seitherigen Unglücks gewesen ist, je fester bin ich jetzt + entschlossen, die Bande, die zwar schon sehr gelockert mich noch an + sie knüpften, schnell zu zerreißen und für immer alle Verbindung + mit ihr aufzuheben. Ich bedarf Ruhe, und ich finde keine, so lange + noch auf die eine oder andere Weise mein Schicksal mit dem ihrigen + verflochten ist, oder auch nur meine Verbindung durch Briefe selbst + noch fortdauert. + + Das Schicksal der armen Frau geht mir unsäglich nah, und wo nicht + Pflichten in Collision kommen, da werde ich auf alle Weise wohlthätig + darauf einzuwirken suchen, so sehr ich auch überzeugt bin, daß sie + allein sich dieses Schicksal bereitet hat. Jedes Weib wird zu Grunde + gehen, moralisch oder physisch, das es wagt und unternimmt, so -- + aus dem Kreise herauszutreten, den die Natur und die bürgerliche + Gesellschaft den Frauen gezeichnet hat, und sicher würde ich einst + fürchterlich aus dem Traume sein aufgeschreckt worden, in welchen + die Künstliche mich durch Zauberlieder und lieblichen Sirenen-Gesang + einzulullen gesucht und auch verstanden hatte! + + Der Vater in Berlin hat weise gehandelt, daß er den Kampf, der in + meiner Seele vom ersten Augenblicke an mit tiefem Schmerz statthatte, + wo ich erkannte, daß meine kindliche Arglosigkeit, daß das edle + Vertrauen, das ich gehabt, so grausam war gegen mich selbst gewendet + worden, und daß ich nur als ein Faden hatte sollen gebraucht werden, + um aus dem Labyrinthe, worin man sich verwickelt hatte, sich nur + retten zu können -- und welcher Kampf sich so oft gegen Sie und die + edeln Mitglieder des Ludwig'schen Hauses ausgesprochen -- durch sein + Benehmen der Entscheidung so nahe gebracht hat. + + Diese Entscheidung ist jetzt in mir fest und unwiderruflich + beschlossen. Meine Ehre, die Ehre meiner Kinder, die Ehre meiner + respectabeln unbescholtenen Familie, die Ehre meiner vortrefflichen, + im Grabe ruhenden Frau, mein Glück und das Glück Aller, die durch + irgendein Band an mein Schicksal gekettet sind -- hat diesen Entschluß + geboten. Ich will und ich muß mein Leben neu ordnen. Ich kann es nur + frei von diesen Banden und mit Ruhe im Gemüthe. + +Die entscheidenden Briefe zwischen Brockhaus und Frau Spazier sind, wie +die ganze Correspondenz zwischen ihnen, nicht in unserm Besitze und +wahrscheinlich überhaupt nicht erhalten. Dagegen liegen aus dieser Zeit +einige Briefe von ihr selbst an ihre Schwester und einige Andere sowie +von diesen über sie vor. + +Am 8. März schreibt sie an Ludwig in Altenburg, um ihn als ihren Freund +und Curator zu bitten, ihre dortigen Angelegenheiten zu ordnen, ihre +zurückgebliebenen Möbel u. s. w. zu schicken; sie sagt: + + Es leidet keinen Zweifel, daß Ihnen aus meinen Briefen an Brockhaus + sowie aus dem, was er Ihnen aus der Zeit seines kurzen Aufenthalts + hier mitgetheilt haben wird, bekannt sei, welche Wendung meine äußern + Verhältnisse genommen! Wie das väterliche Herz die Erhaltung der + Tochter innig gewünscht, wie nach langem Kränkeln, wenngleich noch + unvollkommen, die gewohnte Thätigkeit zurückgekehrt scheint, und wie + auf diese Hoffnung der Plan meines Vaters gegründet ward, mich wenn + auch nicht in seinem Hause, doch unter seinen Augen leben zu lassen + .... Ich habe den Muth, mich an Sie zu wenden, aber es gehört mit + unter die qualvollsten Empfindungen meines Lebens, wenn ich mir denke, + wie ich Ihnen und Ihrem theuern Hause nun wieder als ein Gegenstand + der Beschwerde und nie, wie ich doch so schön in hoffnungsvollern + Tagen geträumt, als ein werthes Mitglied Ihres häuslichen Kreises + erscheinen dürfte. Dies Gefühl drängt alles Bittere des langen Kampfes + in sich zusammen, der mein Leben ausmacht und von dem sich noch immer + nicht sagen läßt, daß er vollbracht sei! .... + + In welcher Stimmung ich diese Zeilen schreibe, wird Ihr Herz Ihnen + sagen. Ich sehe Ihrer Antwort mit Spannung entgegen. Ebenso oft zu + Ihrer und der Ihrigen Erinnerung hingezogen, als durch eine tiefe + unüberwindliche Wehmuth davon zurückgescheucht, folge ich heute einer + äußern Veranlassung und fühle es doch schmerzlich, daß es eine äußere + Veranlassung gewesen, die mir nach so langem Schweigen den ersten + Brief an Sie eingibt. + + Lassen Sie mich bald ein Zeichen Ihres Andenkens sehen! Emma, der + Sie so gütige Theilnahme gönnten, empfiehlt sich Ihnen. + + Genehmigen Sie die Versicherung der innigen Liebe und Dankbarkeit, + mit welcher meine Seele in Gedanken unter Ihnen weilt; ich bin bis in + den Tod + + Ihre innig Sie verehrende + + M. Spazier, + geb. Mayer. + +Ludwig, der ihren Wunsch nicht sofort erfüllen konnte, antwortet ihr +unterm 31. März: + + Der Anblick Ihrer Schriftzüge, eines Briefes von Ihnen, meine + verehrte Freundin, worauf wir nun schon lange Verzicht gethan hatten, + that meinem Herzen wohl und weh zugleich. + + Es war uns Freude, nach so langem gänzlichen Schweigen ein Zeichen + Ihres Lebens und die Ueberzeugung zu erhalten, daß die Lebenskraft, + wenn auch noch nicht der Lebensmuth, bei Ihnen zugenommen habe; es war + uns Schmerz, daß es eines dringenden äußern Antriebs bedurft hatte, um + Sie zum Schreiben an Freunde zu vermögen, die diesen Namen durch die + That bewährt zu haben glauben dürfen. + + Ich sehe mit Betrübniß in Ihrem Briefe noch Spuren einer gewissen + Verschlossenheit und Niedergeschlagenheit, die uns in den Wochen Ihrer + Genesung und den letzten Ihres Hierseins oft so weh thaten, und die + damals in dem Grade zunahmen, als die Beweise von Liebe und Wohlwollen + der Sie umgebenden Menschen gerade Vertrauen und Ruhe in Ihrer Brust + hervorzurufen geeignet schienen. Mögen Sie mich, theuere Freundin, in + dieser Aeußerung ja nicht misverstehen! Sie ist nichts als der reine + Wunsch, daß Sie, welcher das Schicksal ohnehin so viel zu tragen + auflegte, sich nicht auch von den Wenigen selbst entfremden mögen, + die es wahrhaft gut mit Ihnen meinen, die in der Zeit der Noth ohne + Eigennutz, ohne Parteilichkeit und Leidenschaft Ihre Freunde waren. + + Glauben Sie indessen nicht, daß mir ein Schmerz nicht heilig sei, + der Ihre Brust nothwendig in diesem Augenblicke erfüllen muß, wenn + ich mich nicht in Ihrem Herzen geirrt habe -- ich meine den über + Ihre ausgesprochene Trennung von Brockhaus, der eine so seltene + Anhänglichkeit für Sie hatte und (ich bin überzeugt) noch hat, wenn er + gleich nun völlig außer Stand gesetzt ist, sie auf die zeitherige Art + zu äußern. Diesen Schmerz theile ich mit Ihnen, schweige aber darüber, + weil ich ihn nicht bei Ihnen erneuern will und nicht befugt bin, + über einen Schritt abzuurtheilen, von welchem ich nicht einmal weiß, + inwiefern er von einem fremden Willen, inwiefern er von Ihrer eigenen + Einsicht ausgeht, und auf welche Gründe gestützt diese über Gefühl und + Herz gesiegt hat. + + Nur das weiß ich, daß ich immer Ihr Freund bleiben und daher nichts + zugeben werde, was im geringsten wider Gesetz und Recht Ihnen zum + Nachtheil, von wem es auch sei, unternommen werden könnte. + + Sollten Sie diese Versicherung mit dem Nichtempfang Ihrer Sachen im + Widerspruch finden, sollten Sie unmuthig über mein Schweigen mehrerer + Wochen sein, so werden Ihnen die folgenden Zeilen gleichwol Alles + erklären. + + . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . + + Möge ich durch das bisher Gesagte in Ihren Augen nun gerechtfertigt + erscheinen. Mit wehmüthiger Erinnerung gedenke ich der vergangenen + Zeit, denn ich schreibe Ihnen auf derselben Stelle, wo Sie oft mit + mir und den Meinigen zusammensaßen, sich der Hoffnung einer heitern + Zukunft überlassend. Unserm Kreise näher angehörend wollten Sie leben; + das Schicksal hat es anders gewollt, wie es scheint -- doch, wenn auch + entfernt, mögen Sie nur glücklich und unsere Freundin sein! Meine + Achtung für Ihren seltenen Geist und meine Theilnahme für die Ruhe + Ihres Herzens werden immer dieselben sein. + +Karoline Richter hatte aus Liebe zu ihrer Schwester fortwährend auf die +Wiedervereinigung mit Brockhaus hinzuwirken gesucht. So schrieb sie an +Ludwig aus Baireuth vom 13. März, sie habe soeben von ihrer Schwester +einen Brief erhalten, welcher, was ihr zu wissen am wichtigsten sei, +deren eigentliche Gesinnung gegen Brockhaus ausdrücke: + + Diese ist nun immer dieselbe, wie wir sie Alle gekannt. Sie jammert + darin über seine größere Entfernung von ihr durch die Reise nach + Amsterdam, und es tönt Hoffnung der Vereinigung überall durch. Mir + bricht fast das Herz bei diesen Aeußerungen, und ich kann nicht + glauben, daß irgend Jemand, der die Unterordnung ihres Verfahrens + unter die väterliche Gewalt anerkennt, das kraftlose Opfer feindlich + behandeln kann. + +Sie erwartet deshalb von Brockhaus' Großherzigkeit und Ludwig's +freundschaftlichem Antheil die ganze bürgerliche Rettung ihrer +unglücklichen Schwester, selbst wenn die Trennung entschieden bleibe. +Brockhaus sei zu edel, um nicht Alles, was er vermöge, dazu beizutragen. + +In einem andern Briefe aus dieser Zeit (ohne Datum) bittet sie ihre +und ihrer Schwester Freundin Karoline von Ehrenberg in Altenburg um +Nachrichten: + + Schreibe mir etwas von Brockhaus, der mir mit Entzücken von Deiner + Amnestie erzählte. Sage mir, wie er Dir in der letzten Zeit erschienen + ist und was Minna von ihm wol noch zu erwarten hat. Ich kann Dir nicht + sagen, wie ich um ihretwillen leide; welche Fehler wären nicht durch + solches Unglück abgebüßt! + +Mehrere von Frau Spazier an Ludwig gerichtete Briefe aus dieser Zeit +legen von einer ruhigern Stimmung Zeugniß ab und können unser Mitleid +mit ihr nur vermehren. + +Sie schreibt ihm am 10. April wieder, noch ohne seinen oben +mitgetheilten Brief, der vom 31. März datirt, aber vielleicht erst +einige Tage später abgegangen war, empfangen zu haben, und wiederholt +ihre frühern Bitten: Er sei ja stets bereit, Bedrängten zu helfen, und +wenn er ihre jetzige Lage bedenke und auf die lange Folge schmerzvoller +Ereignisse zurücksehe, die sie seit ihrer Entfernung aus Leipzig +überstanden, so werde er sich gewiß nicht weigern, ihr den Namen einer +»Bedrängten« zuzugestehen. Sie fährt fort: + + Meiner Vorstellung kann nichts Gehässigeres sich aufdringen als + der Gedanke, daß zur völlig klaren Entscheidung dieser Angelegenheit + zuletzt noch gerichtliche Schritte gemacht werden könnten. Und würde + ich diese hintertreiben können? + + Mit der größten Bereitwilligkeit Alles aufzuopfern, was den Schmuck + des Lebens ausmacht, mit der überlegtesten Resignation, würde ich doch + nur für meine eigene Handelsweise gutsagen können, nicht aber für die + Maßregeln meines Vaters. + + Es mußte noch mehr hinzukommen, mich die Nichtigkeit meines Strebens + nach außen kennen zu lernen -- mehr noch als das lange Gefolge von + Widerwärtigkeiten, das zum Theil vor Ihren Augen an mir vorüberzog. + + Wenn meine körperliche Gesundheit, wenn meine ruhige Besonnenheit + sich in der letzten Zeit rühmen dürften, Fortschritte gemacht zu + haben, so scheinen geistige und leibliche Kräfte nur darum mir + wiedergeschenkt, um sie an dem Krankenlager meines ältesten Sohnes + zu üben, der seit vierzehn Tagen an einer Lungenentzündung schwer + daniederliegt, in sechsunddreißig Stunden fünfmal zur Ader gelassen + werden mußte, dessen völlige Wiederherstellung noch in diesem + Augenblicke ein Problem ist. Ich bin seine Wärterin -- es ist mir + möglich gewesen, elf Nächte hintereinander an seinem Lager zu wachen, + und an diesem merkwürdigen Falle sehe ich -- daß nicht unnütz war der + Gang, den mein Leben nahm, als er mich wieder hierherführte. + + Finden Sie, theuerer Herr Ludwig, in der Art und Weise, wie in + diesem Augenblick darauf hingearbeitet wird, die Trümmer meines + äußern Glücks zu retten, etwas Zweckwidriges, so bitte ich Sie nur, + die Nüchternheit, womit ich in diesem Augenblick mich den Maßregeln + desjenigen Willens unterwerfe, von dem der meinige völlig abhängig + geworden ist, keineswegs als eine feindselige Erkaltung gegen die + Bilder von Glück und Freude anzusehen, die ich mir noch vor wenigen + Monaten träumen durfte! + + Wenn irgend Jemand geneigt ist, den Grund des Mislingens seiner + theuersten Hoffnungen in sich selber zu suchen, so bin ich es. Das + Erwachen aus einem Zustande, in welchem man so gern seinen Kräften + vertrauen möchte, sich frei und im Besitz der Liebe achtungswerther + Menschen glaubte, ist schmerzhaft genug, auch ohne das Einsinken + äußerer Vortheile! .... + + Ich kenne in diesem Augenblick nur #ein# Verlangen: Friede mit mir + selbst und meinen Umgebungen! + +Einige Monate später, am 3. Juni, schreibt sie dankerfüllt über die von +Ludwig gegebene Aussicht auf endlichen Empfang ihrer Möbel und zugleich +hocherfreut über den Besuch einer Freundin aus Altenburg, der oben +erwähnten Karoline von Ehrenberg: + + Den Eindruck zu schildern, den das unerwartete Wiedersehen unserer + Freundin auf mich hervorgebracht hat, vermag dies ohnmächtige Wort + nicht, o mein theuerer Freund! Ich hatte mich am Freitag auf wenige + Minuten aus meiner Wohnung entfernt, die eben von rüstigen Händen + festtäglich gesäubert wurde, als ich beim Wiedereröffnen der Thür eine + Gestalt erblickte, über die mein Herz auch nicht einen Augenblick + zweifelhaft blieb. Es war Frau von Ehrenberg! Ich schloß sie in meine + Arme als eine theuere Bürgschaft #Ihrer# -- als eine Bürgschaft der + Gesinnungen so manches mir ewig unvergeßlichen Wesens aus Ihrer Mitte. + Ich fühlte es, daß ihr Kommen mir die Gewähr leiste, wie ich Sie Alle + früher oder später doch gewiß einmal wiedersehen und mit unbewölktem, + freiem, leidenschaftslosem Sinne mich an Ihre Brust werfen werde. + + Sie wollen von meinem Leben und Weben, von der Rückkehr meiner + moralischen und physischen Kraft ein deutliches Bild haben? Ich bin + wieder völlig wohl, und wenn mein voriges Sein wirklich etwas gewesen + wäre, wovon man eine freudige Selbstanschauung haben könnte, so dürfte + ich mich freuen, dieselbe wieder geworden zu sein, die ich war. + + Dagegen sind die von Außen auf mich einstürmenden Uebel noch immer + im lebhaftesten Wettstreit miteinander, welchem von ihnen es gelingen + möchte, in meinem Gefühl als das vornehmste zu gelten. + + Für meinen armen, noch immer in völliger Kraftlosigkeit + hinschwindenden Julius sind vor acht Tagen zwei Krücken vom Tischler + geliefert worden -- die er aber, als sie ankamen, als für jetzt + noch unbrauchbar auf die Seite stellen ließ. Und als ich am zweiten + Pfingstmorgen mich anschickte, mit unserer lieben Angekommenen die + Frische nach einem erquicklichen Regen in den schönsten Frühstunden + auf einem Gange durch den Thiergarten zu genießen, fand ich meinen + Richard in seinem Bette ächzend und in Fieberglut, und seit gestern + hat er das Scharlachfieber. So bin ich denn außer den wenigen Stunden, + die unsere Freundin uns hier auf meinem Zimmer gönnen konnte, zu + keinem vollständigen Genusse ihrer lieben Gegenwart gekommen. + + Mit welchem Antheil ich dagegen nach allen Einzelnheiten des + schönen Verhältnisses fragte, das zwischen ihr und Ihrem lieben Hause + obwalte, wie freudig ich den Beschreibungen Ihrer Kunstgenüsse, Ihrer + gesellschaftlichen Einrichtungen, Ihres Stilllebens mich hingab -- das + mag Frau von Ehrenberg's eigene seelenvolle Rede Ihnen sagen. + + Ich hatte mich auf einen recht langen Brief an Sie gefreut, mein + verehrter Freund, aber ich sehe nun doch, daß es anders kommt, als ich + dachte, und ich eilen muß, wenn ich der Unruhe meines kranken Richard, + an dessen Bett ich dies schreibe, die paar ruhigen Augenblicke + noch abgewinnen will, die ich dem leidigen Geschäftsinhalt unserer + Correspondenz noch zu widmen habe. + + Meine Antwort auf Hempel's Brief, mein letztes Schreiben an + Brockhaus werden Sie gelesen haben. Nichts also mehr über meine + allgemeine Ansicht, über die Entschließung, welche ich gefaßt haben + würde, wenn ich freie Hand gehabt hätte. Mir däucht's, daß Sie Ihrem + Sinne nach mit beiden Briefen zufrieden sein müßten. Diejenigen + jedoch, an welche diese Briefe gerichtet waren, scheinen dies nicht; + warum sollten sie mir nicht schon längst geantwortet haben? Denn auch + den Brief von Brockhaus, worauf Sie mich als auf eine Bestätigung der + frohen Hoffnung zur endlichen Ausgleichung verweisen, habe ich bis + heute noch nicht erhalten .... + + Frau von Ehrenberg übernimmt es, mündlich hinzuzufügen, was meinen + Worten versagt ist: den vollen, wahren Ausdruck der Liebe, des + sehnsuchtsvollen Antheils, mit welchem ich ewig sein werde + + Ihre M. Spazier, geb. Mayer. + +Brockhaus betrachtete sein Verhältniß zu ihr als definitiv gelöst, und +sie selbst schien sich auch darein zu ergeben, wie sich denn auch die +hier von ihr ausgesprochene Hoffnung auf »endliche Ausgleichung« nur auf +die noch immer nicht geordneten finanziellen Verwickelungen aus der Zeit +ihres Aufenthalts in Altenburg bezieht. Diese Verhandlungen berührten +Brockhaus nicht direct und wurden auch meist nur zwischen ihrem Vater +und dem Advocaten Hempel geführt. Doch gab sich Brockhaus alle Mühe, wie +er einmal schreibt, »die Verwickelung mit Milde zu lösen«. Auch blieb +er trotz allem Vorgefallenen mit ihr selbst in freundschaftlichem und +selbst geschäftlichem Verkehr, ohne daß ihr Verhältniß je wieder ein +näheres geworden wäre. + +Er schreibt darüber an Bornträger aus Altenburg vom 30. August 1811, +nachdem er ihm obige Verhandlungen mitgetheilt: + + Uebrigens ist die Hofräthin auf das vollkommenste hergestellt, + und ihr Geist blüht schöner als je. Zwischen uns ist ein rein und + innig freundschaftliches Verhältniß geblieben. Ich erhalte oft die + herrlichsten Briefe, worin sich ihr reiches und tiefes Gemüth auf die + außerordentlichste und mannichfaltigste Weise entwickelt. Auch schön + und edel, und ich zweifle nicht, daß bei bürgerlich ganz geordneten + Verhältnissen und wenn es möglich wäre, die Pfade der Vergangenheit + aus dem zerrissenen Herzen zu reißen, sie nach dieser Katastrophe ein + gutes und herrliches Weib sein würde. Offenbar sucht sie auf mich + lebhaft wieder einzuwirken und mich aufs neue zu fesseln. So sagte sie + in ihrem letzten Briefe: + + »Zuweilen bilde ich mir ein, daß Du mich liebst wie sonst, daß in + Dir dasselbe vorgeht, was meine geheimsten Gedanken beschäftigt, und + daß unsere Wiedervereinigung uns Beiden unbewußt das entfernte Ziel + unsers Hoffens und Ausharrens ist!« + +Brockhaus fügt dem hinzu: + + Ich würde gewiß außerordentlich zu kämpfen haben, wenn wir zusammen + wären .... + +Sie übersetzte in dieser Zeit für Brockhaus die von Frau von +Staël-Holstein französisch herausgegebenen »Briefe, Charaktere und +Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« ins Deutsche[43]; an der Herausgabe +der »Urania« war sie dagegen nicht weiter betheiligt, indem Brockhaus +diese vom dritten Jahrgange an selbst übernahm. + + * * * * * + +Während Brockhaus' fernere Schicksale später im Zusammenhange mit der +weitern Gestaltung seiner geschäftlichen Thätigkeit zur Darstellung +kommen, sei der Lebenslauf Minna Spazier's gleich hier kurz bis zu +seinem Ende verfolgt, zumal derselbe Brockhaus' Lebenswege nicht weiter +durchkreuzte. + +Nachdem sie die Jahre 1811-1814 im älterlichen Hause in Berlin +verbracht, folgte sie einem Rufe nach Neustrelitz als Lehrerin an der +dortigen herzoglichen Töchterschule, gab diese Stellung aber bald wieder +auf, um die Erziehung zweier Söhne eines Herrn von Jasmund daselbst zu +übernehmen. Im Jahre 1816 zog sie nach Dresden und verheirathete sich +mit dem dortigen auch als Physiker und Chemiker geschätzten königlichen +Hoforgelbauer Johann Andreas Uthe, nach dem sie sich auf ihren spätern +Schriften Uthe-Spazier nennt. Hier starb sie am 11. März 1825. + +Ihr jüngster Sohn erster Ehe, Richard Otto Spazier (geb. 1803), widmete +sich ebenfalls der literarischen Laufbahn. Nach dem Tode seiner Mutter +rief ihn sein Oheim Jean Paul im Herbst 1825 zu sich nach Baireuth, +um bei einer neuen Ausgabe seiner Werke sich von ihm unterstützen zu +lassen, doch starb Jean Paul bald darauf (am 14. November). Spazier +schrieb ein kleines Werk über Jean Paul's letzte Tage und Tod (Breslau +1826) und später eine Biographie desselben: »Jean Paul Friedrich +Richter. Ein biographischer Commentar zu dessen Werken« (5 Bände, +Leipzig 1833). Von Baireuth ging er erst nach Nürnberg, 1831 nach +Leipzig, wo er lebhaften Antheil an dem Schicksal Polens nahm und eine +Geschichte des polnischen Aufstandes der Jahre 1830 und 1831 in drei +Bänden schrieb, endlich 1833 nach Paris, wo er sich bleibend niederließ; +in sein Vaterland zurückgekehrt, starb er 1854, an Körper und Geist +gebrochen. + +Nach einer Angabe in einem Nekrolog seiner Mutter[44] hatte er die +Absicht, eine Beschreibung ihres Lebens herauszugeben, doch ist eine +solche unsers Wissens nie erschienen. + + + + + 4. + + Abschluß der amsterdamer Zeit. + + +Während der stürmischen Zeit, die sich an die Katastrophe mit der +Hofräthin Spazier anschloß, hatte Brockhaus nicht nur heftige Kämpfe +in seinem Innern zu bestehen, er hatte um seine ganze Existenz, um die +Aufrechthaltung seines mühsam aus kleinen Anfängen bereits zu Ansehen +gelangten buchhändlerischen Geschäfts zu ringen. Und es bedurfte seiner +ganzen Energie und Zähigkeit, seines rastlosen Fleißes und seines +Vertrauens auf die eigene Kraft, um in diesem doppelten Kampfe nicht zu +unterliegen. + + * * * * * + +Sofort nach seiner Ankunft in Altenburg und nach der nur zur Gewinnung +einer vorläufigen Ruhe erfolgten Abtretung seines Geschäfts an Frau +Spazier hatte er theils persönlich, theils durch seine altenburger +Freunde Schritte gethan, um die Gläubiger in Leipzig, die ihn am +meisten drängten, zu befriedigen. Es waren dies meist Buchdrucker, +bei denen er seine Verlagswerke drucken ließ, und Buchhändler, deren +Verlag er für sein amsterdamer Sortimentsgeschäft bezogen hatte. Die +Mehrzahl war auf seine Vorschläge und Anerbietungen eingegangen. Einige +aber wollten mit der Bezahlung ihrer ansehnlichen Forderungen nicht +warten. Dabei fehlte es ihm an allen Einnahmen, denn das von seinem +amsterdamer Sortimentsgeschäft Eingehende mußte zur Abwickelung dortiger +Verbindlichkeiten verwandt werden, und Bornträger konnte ihm somit +trotz wiederholter dringender Bitten keine Rimessen machen. Aus seinem +Verlagsgeschäfte aber konnte er nach der Einrichtung des deutschen +Buchhandels vor der Ostermesse keine Einnahmen erwarten. So war seine +finanzielle Lage in Altenburg nach der Rückkehr von Berlin eine äußerst +beengte, zumal er die neugewonnenen Freunde nicht um Unterstützung +ansprechen mochte. Am 8. Februar schreibt er an Bornträger: er habe +mit dem von der berliner Reise übrig behaltenen einzigen Louisdor bis +jetzt, also drei Wochen lang, auszukommen gesucht und zu dem Ende die +allerstrengste Oekonomie eingeführt, nie zu Abend gegessen, nicht +ordentlich gefrühstückt u. s. w.! + +Und dabei beschäftigte er sich in dieser selben Zeit außer mit der +Regelung seiner geschäftlichen Verhältnisse mit den Vorbereitungen +zu einer neuen Auflage des »Conversations-Lexikon«, nicht blos als +Verleger, sondern als Redacteur! + +In solcher Lage konnte er nicht lange bleiben, wenn er nicht ganz +untergehen sollte. Er hatte gehofft, daß es Bornträger gelingen +werde, das amsterdamer Geschäft entweder wieder in Schwung zu bringen +oder aber zu verkaufen, um ihm dadurch die Mittel zur vollständigen +Regelung seiner Angelegenheiten zu bieten. Als aber weder das Eine +noch das Andere erfolgte, obwol über jenen Verkauf schon mehrfache +Unterhandlungen stattgefunden hatten, da faßte er mit seiner gewohnten +Energie den raschen Entschluß: selbst wieder nach Amsterdam zu reisen. + + * * * * * + +Die nähern Umstände seiner plötzlichen Abreise von Altenburg am 5. März +und seine Ankunft in der Nähe von Amsterdam am 11. März schildert er in +folgendem an Bornträger gerichteten Briefe, der unterwegs in mehrern +Pausen geschrieben ist: + + Deventer, Nachts 12 Uhr, Sonntag, 10. März 1811. + + Sie werden nicht wenig erstaunen, lieber Schmidt, wenn Sie die + Ueberschrift Deventer erblicken von meiner Hand und den Datum + desselben Tags, wo Ihnen der Brief auch schon zukommt. Ich bin Ihnen + bei Empfang desselben noch viel näher, vielleicht gar nur wenige + Schritte von Ihnen entfernt! Mit Recht neues Erstaunen! Wie dem + eigentlich sei, erfahren Sie am Schluß dieses, da ich in diesem + Augenblicke selbst darüber noch keinen Entschluß genommen habe. Und + nun den Zusammenhang dieser phantastischen Nähe? + + Die unglückliche Unbestimmtheit und nichtssagende Kürze Ihres + Briefs vom 19. Februar, den ich erst am 3. März erhielt, hatte mich + gleich vom ersten Augenblicke an gewaltsam ergriffen und mich über + Ihre Indolenz bei einer so wichtigen Verhandlung in Verzweiflung + gebracht. Was blieb mir aber übrig anders als die traurige Ressource, + Ihnen in einem Briefe zu sagen, wie viel daran fehlt, daß Sie mich + in Stand gesetzt hätten, einmal ein Urtheil zu fällen, geschweige + denn einen Entschluß nehmen zu können! Hempel und Ludwig, denen ich + meine Ansichten mittheilte, theilten sie ganz, und wir alle konnten + nicht begreifen, wie Sie einen Gegenstand von so majeurer Wichtigkeit + mit einer solchen Indifferenz hatten behandeln können. Ich schrieb + also den Brief, den Sie einliegend finden. Als ich bis zu dem Punkt + gekommen war, wo Sie ihn abgebrochen finden, tritt Hempel zu mir + ins Zimmer und sagt: »Brockhaus, wie wär's, wenn Sie jetzt selbst + nach Amsterdam gingen und auf einem oder dem andern Wege Resultate + herbeiführten? Glauben Sie ohne persönliche Gefahr die Reise machen + zu können? Reisegeld steht Ihnen von mir zu Diensten.« Ich wurde + wie elektrisirt von diesen Worten. Ich hatte den Gedanken ob seiner + Kühnheit nicht haben dürfen. Und da ich der persönlichen Gefahr + durch Klugheit und verständiges Benehmen entgehen konnte, so war + mein Entschluß in der Minute gefaßt. »Ich reise!« Die Feder wurde + nun fortgeworfen, und wir eilen zu Ludwigs, um hier zu verkünden und + näher zu überlegen. »Ja, ja, reisen Sie, machen Sie, daß Sie dort + schnell abschließen, oder doch finale Entschlüsse nehmen, und kommen + Sie bald, bald wieder!« Die Reise wurde gleich auf den andern Morgen + festgesetzt, und ich brachte den Rest des Tags mit kleinen Anordnungen + und mit Abschiednehmen der genauern Freunde hin. Den Abend hatte man + im Ludwig'schen Hause noch eine kleine Abschiedfête veranstaltet, die + ebenso heiter als meine Trennung von diesen vortrefflichen Menschen + traurig war. + + Montag früh reiste ich nun über Leipzig ab, das nöthig war, weil ich + mir mit Mitzky[45] in Reudnitz ein Rendezvous gegeben hatte, das ich + nicht konnte absagen lassen aus Kürze der Zeit. Meine Unterhaltung + mit diesem in Reudnitz und wieder in Leipzig dauerte so lange, daß + ich erst Montag Abend um 10 Uhr von Leipzig nach Halle abfahren + konnte. Von Montag Abend 10 Uhr bis Sonnabend 11 Uhr habe ich also + die beschwerliche Reise von Leipzig bis Deventer gemacht, was bei den + grundlosen Wegen wirklich außerordentlich schnell gereist ist. Es sind + fünf Tage gerade. Ich bin aber auch wie gerädert! + + Unstreitig hätten Sie, wenn Sie eine Stunde mehr Zeit zu Ihrem + Briefe genommen hätten, mir die ganze Reise, ihre Beschwerden, ihre + Gefahren und die großen Kosten, die hin und her wenigstens 6-700 + Gulden betragen werden, ersparen können! Und Sie hätten mir dies + Alles, auch ohne Rücksichten auf die besondern Umstände, ersparen + sollen, da jeder Geschäftsbericht immer und nothwendig bestimmt und + erschöpfend sein muß. + + Die Rettung meines ganzen künftigen Lebens hängt von Momenten ab. + Gehen diese Momente unbenutzt vorüber, so ist mein ganzes künftiges + Leben verloren. Ich konnte also kein Bedenken tragen, Alles zu wagen + und daranzusetzen, um nur zu einem Resultate zu kommen! + + Ich komme aber gewiß nicht, um Ihnen Vorwürfe zu machen! Wir müssen + uns vereinigen, um schnell irgendein Resultat herbeizuführen. + + Der Postillon bläst schon zum dritten mal. Für hier also genug. + + Amersfoort, Morgens 10 Uhr. + + Ich habe mich entschlossen, bis Muiden nur zu fahren, von dort + diese Briefe per Expressen nach Amsterdam (zwei Stunden von Muiden) + zu schicken und Sie einzuladen, wie es hierdurch geschieht, entweder + noch diesen Abend zu mir nach Muiden hinauszukommen, oder sonst + morgen früh. Mein Logis werde ich Ihnen unten bezeichnen. Es bedarf + keiner Erinnerung, daß Sie auch #keiner# Seele etwas von meiner Nähe + sagen! Wir werden überlegen, wo ich eine Zeit lang verweilen könnte! + Unstreitig in Amsterdam selbst am sichersten und unbemerktesten. + Denken Sie gleich darüber nach, und wo das Schild: »_Hier zyn + gestofferde kamers te huur_« (hier sind möblirte Zimmer zu vermiethen) + aushängt, auf einer etwas abgelegenen Straße oder Gracht. + + Muiden, Abends halb 5 Uhr. + + Ich bin hier bei Meyer logirt, dem ersten Gasthof über der Brücke + rechter Hand von Amsterdam her. Ich schicke Ihnen diesen Brief per + Expressen, um sicher zu sein, daß er Ihnen heute zugekommen ist. Sind + Sie zu Hause gerade, wenn er kommt, so habe ich es gern, Sie noch + diesen Abend zu sehen. Sind Sie aber nicht zu Hause, so ist es mir + recht, wenn Sie erst morgen kommen; da ich in acht Tagen nicht zu + Bette gekommen, so bedarf ich ohnehin heute Ruhe. + + Nun, bis zum persönlichen Sehen! + + Ganz Ihr Brockhaus. + +In Muiden blieb Brockhaus ungefähr drei Wochen, hielt sich aber ab +und zu auch einen Tag in Amsterdam selbst auf. Seinem energischen +persönlichen Eingreifen gelang es bald, die seit Anfang des Jahres +schwebenden Unterhandlungen über den Verkauf des amsterdamer Geschäfts +zu einem erwünschten Abschlusse zu bringen. Dieser erfolgte am 21. März, +die Zahlung der Kaufsumme am 1. April. Käufer des Sortimentsgeschäfts +sammt dem ansehnlichen Lager war der Buchhändler Johannes Müller, der +zwei Jahre vorher (am 1. Mai 1809) eine Buchhandlung in Amsterdam unter +der Firma J. Müller & Co. errichtet hatte (1837 wurde diese Firma in +die noch jetzt bestehende: Johannes Müller, umgewandelt). Gleichzeitig +suchte Brockhaus, um die Transportkosten nach Leipzig zu ersparen, auch +die in Amsterdam lagernden Vorräthe seines ältern Verlags zu verkaufen, +ebenso die nicht unbedeutenden Außenstände seines bisherigen Geschäfts. +Es gelang ihm wenigstens, die Einleitungen dazu zu treffen, während +der Kaufvertrag darüber erst im folgenden Jahre, am 4. März 1812, +durch Bornträger in Amsterdam abgeschlossen wurde. Käufer hiervon war +der amsterdamer Buchhändler Christian George Sülpke, dessen Handlung +ebenfalls noch jetzt besteht. An keinen der beiden Käufer war übrigens +Brockhaus' bisherige Firma: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, mit +verkauft worden. Diese behielt vielmehr Brockhaus auch in Altenburg +vorläufig bei, nur daß er meist »von Amsterdam«, und als Verlagsort +»Altenburg« oder »Leipzig« hinzusetzte. + + * * * * * + +Der Aufenthalt in Muiden war für Brockhaus mit mancherlei Gefahren +verbunden. Er wollte seine Anwesenheit in der Nähe von Amsterdam +geheimhalten, um allen neugierigen Nachfragen und persönlichen +Belästigungen wegen des Hiltrop'schen Processes und anderer noch +schwebender Verhandlungen zu entgehen. So verkehrte er wesentlich nur +mit Bornträger, der ihn fast täglich in seinem Versteck besuchte, da +eine regelmäßige Verbindung zu Wasser zwischen Amsterdam und Muiden +durch eine mehrmals des Tags hin- und hergehende Schuyt bestand; +außerdem sah er nur noch zwei seiner ältesten Freunde, deren Namen +er aber in seinen Briefen nicht nennt. Eine weitere Schwierigkeit +entstand daraus, daß er Altenburg bei seiner eiligen Abreise ohne +Paß, diesen damals so nothwendigen Reisebegleiter, verlassen hatte, +vielleicht absichtlich, um eben nicht erkannt zu werden. Diesem letztern +Uebelstande half er dadurch ab, daß er sich von Bornträger dessen Paß +geben ließ und der holländischen Dorfbehörde vorlegte. Freilich konnte +er denselben mit ebenso viel oder -- so wenig Recht wie Bornträger +führen, da der Paß auf den Namen Friedrich Schmidt lautete! + +In einem der zahlreichen und oft ausführlichen Briefe, die er auch in +dieser Zeit trotz der häufigen Besprechungen an Bornträger sandte, +schreibt er: + + Gestern Abend habe ich denn auch hier Namen, Wohnort, Dauer des + Aufenthalts, Paß von woher? aufgeben müssen. Da ich meinen Namen nicht + nennen konnte, noch sagen, der Paß sei vom König u. s. w., so habe ich + gesagt: »Schmidt von Leipzig mit Paß vom dortigen Magistrat«, und um + zu vermeiden, darüber viel inquirirt zu werden, habe ich nur zwei bis + drei Tage Aufenthalt angegeben. Gott gebe nur, daß man heute nicht den + Paß zu sehen verlangt! Auf alle Fälle bringen Sie mir diesen Abend den + Ihrigen mit. Langes Bleiben ist auf diese Weise hier nicht. + +Und bevor er diesen Paß hat und weiß, ob er mit demselben sich +legitimiren kann, fordert er Bornträger auf, ihm noch einen andern Paß, +wieder auf dessen angenommenen Namen, zu einer Reise nach -- Paris zu +verschaffen! In demselben Briefe theilt er ihm nämlich mit, daß er +vorhabe, sobald der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen sei, einen +Abstecher nach Paris zu machen, um die Zwischenzeit während der weitern +Unterhandlungen über den Verkauf des ältern Verlags zweckmäßig in +geschäftlichem Interesse zu verwenden: + + _Enfin_: Nothwendigkeit, Langeweile und Unsicherheit hier, + Interesse, Lust vereinigt sich, mir diese Reise, wozu drei Wochen + hinreichen würden, anzurathen. Es ist nur (!) für einen Paß zu sorgen. + Ich wünschte immerhin, daß Sie es wieder versuchten, auf Ihren Namen + diesen Paß zu erhalten. Auf die Beschreibung der Person wird doch + nicht gesehen, und da ich in Paris durch Forssel und Schöll doch allen + Beistand finden würde, so habe ich gar keine Bedenklichkeit. Und #Sie# + brauchen gar keine zu haben. Ich wünschte also sehr, daß Sie womöglich + noch heute den Versuch dazu machten. + +Aus dieser Reise nach Paris wurde indeß nichts, vielleicht weil der +betreffende Paß doch nicht zu erlangen war; dagegen scheint der bereits +vorhandene Paß Bornträger's seine Schuldigkeit gethan zu haben, da +Brockhaus statt zwei bis drei Tage drei Wochen in Muiden und Amsterdam +blieb, ohne Anfechtungen zu erleiden; er benutzte denselben auch später +zur Rückreise nach Deutschland und schickte ihn auf halbem Wege, aus +Münster, mit bestem Dank an Bornträger zurück, mit der Bemerkung, daß er +ihn übrigens gar nicht gebraucht habe. + +Anfangs freilich war er in Muiden wegen seiner Sicherheit noch sehr +besorgt; er ließ sich von Bornträger einen Hut mitbringen, weil er +mit seiner Mütze keinen Schritt thun könne, ohne daß die Kinder ihm +nachhöhnten, und bat ihn, die Briefe, die er ihm schicke, selbst auf der +Postschuyt abzuholen, damit die häufige Correspondenz dem Markthelfer +Jan nicht auffalle. Dieser schien aber doch die Anwesenheit seines +Principals, an dem er sehr hing, bemerkt zu haben und suchte ihn eines +Tags in Muiden auf. Brockhaus meldet dies gleich an Bornträger: + + Ich hatte Ihnen schon die einliegende kleine Einlage geschrieben, + als zu meinem Entsetzen mir ein »Herr« gemeldet wird, der mich + sprechen wolle. Ich lasse seinen Namen fragen und da ist es denn -- + Jan! + +Wenn Bornträger einen Tag ausblieb, war Brockhaus gleich sehr gereizt. +So schreibt er ihm einmal: + + Ich leugne Ihnen nicht, daß ich gestern über Ihr Nichtkommen pikirt + gewesen bin. Zufolge Abrede hatte ich für Sie Essen mit machen lassen, + und so erwartete Sie auch dies von 2 bis 4 Uhr, wo statt Ihrer selbst + ein Brief kam. Im gemeinsten Leben schon wird dies für eine sehr große + Unhöflichkeit gehalten. Daß Sie um 5 Uhr schon zurückgemußt hätten, + dazu sehe ich die Nothwendigkeit nicht ein. Es geht noch eine spätere + Schuyt, und Muiden ist auch nicht so weit von Amsterdam, daß man im + äußersten Falle die zwei Stündchen nicht zu Fuße machen könnte. Sie + konnten aber auch des Nachts bleiben. Wenn man, wie ich gethan habe + und thun muß, 360 Stunden reist, um mündlich Explicationen zu holen + und zu geben, die schriftlich zu geben war versäumt worden, so ist + man eifersüchtig darauf, wenigstens die daseiende Gelegenheit ganz zu + benutzen. Von meiner Einsamkeit hier will ich nicht sprechen, da ich + mich immer zu unterhalten weiß, wenn ich auch allein bin. + + Einliegend ein Promemoria, dessen Ausführung ich Ihnen empfehle und + stete Wiedernachsehung und Fortführung desselben, bis Alles besorgt + ist. In einem Tage läßt es sich nicht besorgen, das weiß ich. Sie + heben dieses Promemoria auf. Wir werden es dann immer nachsehen und + beischreiben. Herüberkommen nach dem Reythuys werde ich weiter nicht; + es ist mir auch zu theuer. Könnte ich mit der Schuyt gehen, so würde + ich es thun, aber wegen der Menge Menschen, die darin, geht das nicht. + Kommen Sie also so oft hierhin, als es nöthig ist, oder schreiben Sie. + Jenes am besten per Schuyt, da das Reiten eher auffällt. + +Jenes Promemoria (eine Form der Mittheilung, die Brockhaus sehr +liebte) füllt zwei engbeschriebene Folioseiten und enthält 28 Punkte, +geschäftliche und persönliche Angelegenheiten betreffend. Er benutzte +eben die Zeit und Einsamkeit, um alles in Amsterdam noch zu Erledigende +von hier aus in Ordnung zu bringen. Als Punkt 10 bemerkt er: + + Ich wünschte meine Ihnen von August an geschriebenen Briefe mal + wieder durchzulesen. Legen Sie sie also zusammen und lassen sie durch + Jan heften, wie ich die Ihrigen habe. Meine Briefe lasse ich Ihnen + gern; ich möchte nur bei ihrem Durchlesen die furchtbare Zeit nochmal + durchleben. + +Außer in dieser jüngsten Vergangenheit (in die ihn auch die früher +von uns mitgetheilten, von hier aus geschriebenen Briefe an Karoline +Richter und die altenburger Freunde über die definitive Lösung seines +Verhältnisses zur Hofräthin Spazier zurückversetzten) lebte er viel +in der wehmüthigen Erinnerung an die jener Katastrophe vorangegangene +traurige Zeit, in der er seine heißgeliebte Frau verloren hatte. War sie +doch auf dem Kirchhofe desselben Dorfes Muiden, in dem er durch eine +eigenthümliche Schicksalsfügung jetzt längere Zeit verweilen mußte, +begraben. Nach ihrem Grabe richtete er fast täglich seine Schritte. Er +schreibt einmal an Bornträger: + + Ich war diesen Abend am Muiderberg. Ich habe Sophiens Grab wieder + besucht und zugleich die himmlischen Environs am Gestade des Y. Es + ist die schönste Partie, die ich je in Holland gesehen, und der Abend + war köstlich in seiner Linde und Heiterkeit. Wir müssen das nochmal + zusammen besuchen. Ich war sehr glücklich in meiner Wehmuth und + Trauer. + +In einem Briefe an Frau Ludwig in Altenburg vom 22. März gibt er eine +anziehende Beschreibung seines Zufluchtsorts und des Lebens daselbst: + + Meine hiesigen Geschäfte verlängern sich um einige Tage, eine Zeit, + die mir für meine Petulanz eine Ewigkeit dünkt. Ich hatte gehofft, + so viel Zeit zu gewinnen, um einen kleinen Abstecher nach dem + Sirenen-Gestade an der Seine zu machen, aber es ist nicht gelungen, + und ich muß darauf Verzicht thun. + + Da ich hier nur einen einzigen Zweck habe, so bekümmere ich mich + auch um keinen andern. Ich sehe Niemanden als zwei vertraute Freunde + und Schmidten, meinen guten mir sehr anhängigen Manus (so verkürzt man + hier den Domestikennamen Hermann) und mein kleines armes Mädchen! Ich + bin abwechselnd in meinem Hause und in Muiden. Aus dem Briefe an Ihre + Schwester wissen Sie, welch ein theures Andenken hier für mich ruht. + Die Reize dieser Gegend sind mir erst jetzt bekannt geworden. Hätte + ich Matthisson's, Forster's oder Ludwig's Griffel oder van der Velde's + oder Claude's Pinsel, so würde ich es versuchen, Ihnen ein Bild davon + zu geben. Aber so kann ich Ihnen nur einfach sagen, daß es eins der + reizendsten holländischen Dörfer ist, in einem herrlichen Buchen- + und Lindenwalde gelegen, umgürtet von den angenehmsten _campagnes_, + wahren Idyllen der schönen Gartenkunst (lassen Sie sich von Ludwig die + holländischen Landhäuser mal beschreiben), und gelehnt an den schönen + Meerbusen, das Y genannt. Hier ist mein gewöhnlicher Spaziergang. Für + mich gibt es nichts Erhabeneres und mehr Hebendes in der Natur als das + unendliche, immer gährende, immer kämpfende, immer sich vereinigende + Spiel der Wellen des Oceans. Doch hier ist der Charakter desselben + milde, da, wie Sie auf der Karte sehen könnten, obgleich Ausfluß der + Nordsee, seine tobende Gewalt doch gebrochen ist. Ich denke mir, daß + die schönen schweizer Landseen mit einem solchen Meerbusen viele + Aehnlichkeit haben werden. Die Aussicht von Muiden aus über denselben + weg ist wunderschön. Links ist der äußerste Horizont mit den Hunderten + von Thürmen und Mastbäumen Amsterdams und seines Hafens begrenzt, + gegenüber mit den Beweisen der thätigsten Industrie dieses fleißigen + Volks: den Windmühlen Nordhollands; rechts nach dem Pampus hin, wo es + in die Nordsee hinausgeht, sieht man auf unzähligen Punkten, so weit + das Auge reicht, Fischer mit aufgespannten Segeln in ihren Kähnen und + Booten halten und ihrem mühseligen Gewerbe obliegen. + + Einmal bin ich mit auf den Fang ausgewesen. Wir hatten eine tüchtige + Partie Heringe, die um die jetzige Zeit hier gefangen und getrocknet + werden, wo sie Bücklinge heißen, und auch einige Barsche gefangen, + welche eins der Lieblingsgerichte der Holländer und auch von mir + sind. Man kocht sie in Wasser mit Selleriewurzeln, und sie werden so + mit Butterbrot durchwürzt und mit gemengtem süßen weißen und rothen + Bordeauxwein als Zugabe genossen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß + ich ein wenig Gourmand bin, wo ich's haben kann, und so lasse ich + mir diese _waterzootjes_ (Gericht Barsche) oft herrlich schmecken. + Englische Austern, worauf ich mich so gefreut, gibt's aber dies + Jahr hier nicht, sie sind wol mit dem Englischen Pflaster und der + Englischen Krankheit in eine Kategorie gesetzt worden! Ueberhaupt hört + man nichts als Klagelieder und Verwünschungen der jetzigen Zeit und + ihres Beherrschers. Ich werde Ihnen über dies Alles mal viel erzählen + können. + +Wie er hier berichtet, wagte er sich doch auch nach der Stadt hinein, +besonders um sein jüngstes Kind Sophie, jetzt anderthalb Jahre alt, +öfters zu sehen, die bei dem Kaufmann Trippler und dessen Frau +untergebracht war. Freilich war dies mit Gefahr für ihn verbunden, +zumal in seinem eigenen Hause, wo er öfters bei Bornträger wohnte, ein +französischer Oberst einquartiert war. Hier mußte er sich auch an dem +officiell befohlenen Jubel über die am 20. März 1811 erfolgte Geburt +des Sohnes Napoleon's (des am 22. Juli 1832 gestorbenen Herzogs von +Reichstadt) betheiligen. + +Er beschreibt dies in folgendem, am 26. März an Ludwig gerichteten +Briefe, der zugleich über seine Stimmung und über sein Töchterchen +handelt: + + Sonnabend (23. März) war allgemeine Illumination wegen der Geburt + des Sohnes von Bonaparte. Wir mußten auch illuminiren! Mit welchem + Herzen es von uns und allen Bürgern geschah, darüber mag Gott + urtheilen. Es that mir ordentlich wehe, daß Amsterdam sich einzig + schön bei einer solchen Illumination ausnimmt. Nur Venedig kann darin + mit ihm rivalisiren. In den herrlichen breiten Kanälen reflectirt + das tausendfarbige Spiel der Lichter wunderschön, und man glaubt in + Armidens bezauberten Palästen zu wandeln. Der Abend und die Nacht war + herrlich und ganz sternenklar, und mehr wie hunderttausend Menschen + wogten auf den Straßen und Grachten. + + Mich drückte dies Alles aber sehr nieder. Ich fühle mich einsam + und verlassen hier, und meine Sehnsucht ist nur: wieder weg, zu + meiner neuen Heimat, die ich bei Ihnen, liebster Ludwig, setze. Wäre + Vieles nicht gewesen, so ließe sich vielleicht noch ein neues Leben + ordnen. Aber, was ist erst noch im alten Leben zu ordnen, ehe an eine + neue Ordnung kann gedacht werden! Ihre thätige Freundschaft, edler + Mensch, werde ich noch oft in Anspruch nehmen müssen. Ich bedarf einer + äußern Stütze immer. Immer habe ich den besten Willen, es fehlt mir + auch nicht an guten Ideen, aber ich bin muthlos geworden. Ich traue + mir selbst nicht recht mehr, und meine Kraft ist daher gelähmt. Die + bittern Erfahrungen, die ich in den letzten sechs Monaten gemacht + habe, haben meine Scheu und Furcht vor den Menschen sehr vermehrt, und + gewiß, hätte ich nicht in Ihnen und in Allem, was zu Ihrem Kreise, + lieber Ludwig, in der Nähe und Ferne gehört, ein Antidot gefunden, + das mich wieder mit der Welt versöhnt hätte, so würde ich Meinau's[46] + Charakter ins wirkliche Leben übergetragen haben. + + Die Sorge für mein kleines armes Mädchen Sophiechen beschäftigt mich + hier sehr. Ich habe es auf allerhand Weise überlegt, ob ich es nicht + mit mir nehmen könnte. Aber es geht nicht. Mein eigenes Schicksal ist + noch zu ungeordnet. Ohne häusliche Einrichtung würde ich gar nicht + wissen mit dem Würmchen, wo dort bleiben. Und dann, wie will ich es + mit mir fortkriegen? Ein holländisches Wartemädchen könnte ich doch + nie in Sachsen bei mir behalten, müßte es also zurückschicken, das + sehr viel kosten würde. Ich reise dazu so schnell und muß so schnell + reisen, daß ein Kind von so zartem Alter darüber würde zu Grunde + gehen. Nach Dortmund habe ich darüber geschrieben, aber keine günstige + Antwort bekommen. Seit Luisens Tode, der Schwester Sophiens, die + gerade starb, wie Minna mit Ihnen auf der Michaelismesse in Leipzig + war, ist für meine armen Kinder die zweite Mutter auch verloren! Ich + muß daher das kleine Mädchen noch hier lassen, so sehr sich auch mein + Herz und Alles in mir dagegen sträubt. Es ist zwar hier bei sehr guten + Leuten, die es wie ihr eigenes Kind lieben, aber es widerstrebt mir + auch besonders, es in der Stadt zu wissen. Ich werde vielleicht noch + Gelegenheit finden, es aufs Land zu thun, und morgen deshalb mit einem + Freunde aus der Stadt gehen. + + Verzeihen Sie, lieber Ludwig, daß ich Sie von diesen meinen + Particularissimis nur allein unterhalte. Aber wirklich, wofür kann ich + auch in diesem Augenblicke anders Sinn haben als dafür? Mein Schicksal + war seit funfzehn Monaten sehr schwer und düster. Einige Sonnenblicke + erhellen es jetzt. Darüber schweigt sich denn nicht gut. Man ist wie + ein genesender Kranker, der immer von seiner Krankheit erzählt. + + Leben Sie wohl, lieber Ludwig. Gruß an Alle, die Ihnen angehören! + +Ueber den hier erwähnten Tod seiner Schwägerin hatte er am 14. October +1810 aus Altenburg an Bornträger geschrieben: + + Noch muß ich Ihnen eine traurige Begebenheit melden, die ebenfalls + auf mein häusliches Verhältniß vielen Einfluß haben wird. Es ist der + Tod von Sophiens ältester Schwester Luise, der Madame Rittershaus, + bei der Fritz mit war. Sie war eins der edelsten Weiber, die ich je + gekannt habe; sie hatte Sophiens himmlische Güte, aber mehr Energie, + Kraft und Würde. Ihr Verlust ist unersetzlich auch für mich. Und + für die Welt. Sie war Mutter von vier Kindern erster Ehe. Mit ihrem + zweiten Manne erhielt sie noch zwei. Außerdem nahm sie noch meinen + Fritz zu sich und eine Tochter des unglücklichen Hiltrop, der mit mir + den Ihnen bekannten Proceß hat. Acht Kinder beweinen also das edle + Weib, und mit ihnen ihr trostloser Gatte, ihre Geschwister, Alle, + die sie kannten. Noch nie hat vielleicht in Dortmund ein Todesfall + solche Sensation erregt als dieser. Ich werde dadurch um so mehr eilen + müssen, ein oder zwei Kinder zu mir zurückzunehmen. Und das in dieser + Katastrophe! Wieder welch ein schweres Verhängniß! + +Nachdem endlich der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen war, rüstete +sich Brockhaus zur Abreise und beschäftigte sich nur noch mit dem Ordnen +der mitzunehmenden und der zurückbleibenden Gegenstände. Manches ihm +sehr Werthe mußte er in Amsterdam zurücklassen. »Wenn ich das Alles so +betrachte«, schreibt er, »so blutet mir das Herz. Die Beschäftigung +ist für mich unsäglich angreifend. Fast jedes Stück hat irgendeine mir +theuere Erinnerung.« + +Die Zahlung der Kaufsumme hatte contractmäßig erst elf Tage nach +der Unterzeichnung des Kaufvertrags, am 1. April, zu erfolgen, und +da Johannes Müller diese Frist streng einhielt, so verzögerte sich +Brockhaus' Abreise wieder. + +Er schreibt mit Bezug darauf an Bornträger: + + Ich sitze wie auf Nadeln. Denken Sie sich meine Stimmung und rechten + Sie noch über Worte! Meine Empfindungen für Sie kennen Sie! + + Heute sind zehn Dreispänner von Amersfoort hier durchgekommen, die + nach Amsterdam gingen, um dort morgen für Leipzig zu laden. Ich habe + selbst mit ihnen gesprochen. Wären nun unsere Sachen schon fertig, so + könnten sie mit versandt werden! + +An Hempel in Altenburg richtet er in dem bereits mehrfach erwähnten +Briefe vom 30. März folgende Worte, die am besten seine Stimmung nach +dem endlichen Abschlusse der amsterdamer Angelegenheiten wiedergeben: + + Gebe Gott, daß ich endlich zur Ruhe komme und aufs neue thätig und + nützlich wirken kann! Meine Sehnsucht nach dieser Ruhe und dieser + neuen fruchtbringenden Thätigkeit ist unaussprechlich! + +Am 1. April mittags konnte er endlich Amsterdam verlassen. Sein nächstes +Ziel war Münster, wohin sein Bruder Gottlieb mit den Kindern von +Dortmund kommen wollte, da Brockhaus wegen des Hiltrop'schen Processes +Bedenken tragen mußte, jetzt seine Vaterstadt zu betreten. Er reiste +über Arnheim, um seinen frühern Associé Mallinckrodt zu besuchen, und +mußte dort wider Willen trotz seiner Ungeduld einen ganzen Tag bleiben, +weil durch ein Versehen des Postillons sein Mantel in Amersfoort liegen +geblieben war. So kam er einen vollen Tag später, als er gewollt, am +3. April abends, in Münster an. Dort fand er nur zwei seiner Kinder, +Friedrich und Karoline, während die drei andern, Auguste, Heinrich und +Hermann, in Dortmund zurückgeblieben waren. + +Und noch ein anderer, größerer Schmerz sollte ihn hier treffen: die +Nachricht von dem Tode seines Vaters! Dieser war am 26. März in seinem +zweiundsiebzigsten Lebensjahre gestorben, und Gottlieb hatte es +seinem Bruder tags darauf gemeldet, doch war der Brief wol nicht mehr +rechtzeitig in Amsterdam eingetroffen. Dieser Trauerfall und die daraus +hervorgehende Störung in den Familienverhältnissen waren wol auch die +Ursache, daß weder die drei andern Kinder noch sein Bruder nach Münster +kamen. + +In jenem Briefe schrieb Gottlieb: + + Lieber Bruder! Ich habe Dir eine Nachricht zu melden, welche Dein + Herz auf das tiefste zerreißen wird. Unser guter, redlicher Vater + ist seit gestern Morgen nicht mehr unter uns. Er starb mit Ruhe und + Fassung; seine Leiden waren kurz. Wir haben Alles angewendet, um das + Leben des guten Greises zu retten, sein Arzt, der Herr Krupp, ist in + der Zeit mit mir fast nicht von seinem Bette gewichen, allein leider + blieben alle unsere Bemühungen fruchtlos. + + Noch gestern vor acht Tagen befand er sich recht wohl und war den + ganzen Tag über besonders heiter, aß den Mittag noch mit vielem + Appetit, trank den Nachmittag wie gewöhnlich seinen Thee und geht + darauf nach dem Balken, um das Malz nachzusehen, weil wir brauen + wollen. Hier sinkt er plötzlich nieder; ein Glück, daß gerade Jemand + bei ihm war; mit Mühe wird er von oben heruntergetragen und legt sich + darauf zu Bett, wo er sehr über Seitenstiche klagte. Wir ließen gleich + unsern Arzt rufen, der ein Brustfieber prophezeite, welches auch den + folgenden Tag eintrat, wozu sich bald noch andere bedenkliche Umstände + gesellten. + + Gern wäre der gute Vater noch bei uns geblieben, und er schied sehr + ungern von dieser Welt. Ich habe indeß die Beruhigung, daß wir ihn + immer mit Liebe behandelt, ihn in den vielen Krankheiten, die er in + den letzten Jahren erduldet, mit Sorgfalt verpfleget und seine, den + meisten alten Leuten anklebende Laune mit Nachsicht gern und willig + ertragen haben. Er fühlte dieses auch oft sehr tief, da er sah, wie + gern wir Alles gaben, um sein Alter so froh wie möglich zu machen. + + Bei den vielen Unruhen, welche mich jetzt wegen dem Todesfalle + unsers Vaters umgeben, ist es mir nicht wohl möglich, Dir heute mehr + schreiben zu können; nur so viel, daß Dein Heinrich wohl und munter + ist und gut lernt. + + Daß Du wohl, glücklich und zufrieden leben mögest, wünsche ich von + Herzen; Keiner in der Welt kann und wird daran innigern Antheil nehmen + als + + Dein treuer Bruder + + G. Brockhaus. + +In einem flüchtigen Briefe von Brockhaus an Bornträger aus Münster vom +5. April heißt es: + + Ich hatte gehofft, auch die andern Kinder hier zu finden, allein die + Freude war mir nicht gewährt. Noch hatte ich den Schmerz, hier auch + den Tod meines vortrefflichen Vaters zu erfahren! Gestern habe ich + mich hier verweilt. Heute geht's nun weiter, und ich hoffe bis Montag + (8. April) in Altenburg zu sein. Von da also mehr. + + Nun adieu. Ich danke Ihnen für alles Liebe und Gute! + +Brockhaus nahm die beiden Kinder, die nach Münster gekommen waren, +Friedrich und Karoline, gleich mit nach Altenburg, um daselbst, wie +er längst gewünscht hatte, endlich wieder einen eigenen Hausstand zu +begründen; die andern Kinder blieben einstweilen noch in Dortmund. Am +11. April schreibt er an Bornträger aus Altenburg, daß er glücklich dort +angekommen sei. + +Am 23. April reiste er für einige Tage nach Leipzig, kehrte am 28. nach +Altenburg zurück, fuhr aber schon am 30. wieder nach Leipzig, um auf der +Buchhändlermesse seine Angelegenheiten ganz in Ordnung zu bringen. Hier +blieb er drei Wochen lang, bis zum 20. Mai, und hatte die Freude, seinen +Zweck endlich der Hauptsache nach zu erreichen. + +In welcher Weise dies geschah, sei in der Kürze und ohne in Details +einzugehen mitgetheilt. + + * * * * * + +Die Berührung dieser Angelegenheit ist eine schmerzliche Pflicht +für den Verfasser, als einen Enkel des Geschilderten; sie ist aber +eben seine Pflicht, der er sich als gewissenhafter Biograph nicht +entziehen kann und nicht entziehen will, und sie wird ihm dadurch +wesentlich erleichtert, daß er gleichzeitig den für seinen Großvater +höchst ehrenvollen Ausgleich der Angelegenheit mittheilen kann. Es sei +also offen gesagt: daß Brockhaus sich in dieser Zeit genöthigt sah, +mit seinen Gläubigern für sie mit größern oder geringern Verlusten +verbundene Vergleiche abzuschließen, daß er aber später, sobald seine +sich günstiger gestaltenden Verhältnisse es ihm erlaubten, freiwillig +allen, trotz ihrer in aller Rechtsform ausgesprochenen Verzichtleistung, +den damaligen Verlust mit Zurechnung aller Zinsen ersetzt hat: ein in +der buchhändlerischen und überhaupt in der kaufmännischen Welt nicht +eben häufig vorkommender Fall. + +Einen eigentlichen Accord proponirte Brockhaus seinen Gläubigern +nicht, sondern ließ ihnen zwischen zwei Modalitäten die Wahl: entweder +sollten die Forderungen ein für allemal ausgeglichen werden, theils +durch baare Zahlung (ein Drittel), theils durch Waaren (ein Drittel +in Verlagswerken, ein Drittel in gangbaren Werken fremden Verlags +aus dem amsterdamer Sortimentslager), oder sie sollten vollständig, +aber nach und nach in Terminen, baar bezahlt werden. Die Mehrzahl der +Gläubiger, besonders die Verlagsbuchhändler, wählten die erstere, +andere, namentlich Buchdrucker und einige größere Verleger, die zweite +Alternative, worüber die Verhandlungen sich theilweise noch bis zum +Frühjahr 1812 hinzogen. Zu den Baarzahlungen wurde der größte Theil der +aus dem Verkauf des amsterdamer Geschäfts gelösten Summe verwendet. + +Brockhaus' Commissionär in Leipzig für den Verlag war bis gegen Ende +1810 die Buchhandlung Johann Friedrich Gleditsch gewesen, während +die Buchhandlung W. Rein & Comp. die Expedition an das amsterdamer +Sortimentsgeschäft besorgt hatte. Infolge seiner Differenzen mit der +erstern Handlung wollte Brockhaus in dem Circular über den Verkauf +seines Geschäfts an die Hofräthin Spazier die Rein'sche Buchhandlung als +neuen Commissionär nennen, allein der Besitzer der letztern, Wilhelm +Rein, war mit dem von Brockhaus beabsichtigten Arrangement nicht +einverstanden und wollte deshalb die ihm übersandten Circulare, in +denen er bereits als Commissionär genannt war, nicht ausgeben. Der von +Brockhaus nach seiner Abreise von Leipzig mit Vertretung seiner dortigen +Interessen beauftragte Professor _Dr._ Dabelow (der für ihn auch am 16. +Juli 1810 ein Gutachten wegen des Hiltrop'schen Prozesses verfaßte) +hatte sich ohne Brockhaus' Vorwissen an den Buchhändler Karl Heinrich +Reclam (mit dem Brockhaus 1808 einen heftigen Streit gehabt hatte, weil +er mit dessen Besorgung seiner Commission unzufrieden gewesen war) um +Rath gewandt. Zu Brockhaus' Ueberraschung hatte Reclam diesen Rath »in +sehr verständiger Form gegeben, und soll er bei dieser Gelegenheit +überhaupt durchaus keine Animosität gezeigt haben«, wie Brockhaus an +Bornträger schreibt. Reclam erklärte sich selbst zur Wiederübernahme der +Commission bereit. Außer ihm boten sich dafür noch zwei andere leipziger +Firmen an: Karl Cnobloch und Mitzky & Co. Brockhaus entschied sich für +letztere Firma, die im November 1810 die Commission übernahm und bis +Ende 1811 besorgte. Die Buchhandlung Mitzky & Co. wurde zu dieser Zeit +an einen bisher in derselben arbeitenden Gehülfen, Wilhelm Engelmann, +verkauft, der dieselbe am 20. December 1811 übernahm und unter seiner +eigenen Firma fortsetzte; dieser besorgte von da an auch Brockhaus' +Commission. + + * * * * * + +Die Buchhandlung, mit welcher es Brockhaus am schwersten wurde, zu einer +Einigung zu gelangen, war die Firma Johann Friedrich Gleditsch, die, wie +eben erwähnt, bis zu diesem Zeitpunkte Brockhaus' Commissionär gewesen +war. Der Besitzer derselben, Karl Friedrich Enoch Richter, war es, +der, wie früher mitgetheilt, zuerst streng gegen Brockhaus auftrat und +dadurch dessen Abreise nach Altenburg veranlaßte, indem er den Ersatz +für einen ihm von Brockhaus auf sein amsterdamer Geschäft gegebenen und +dort durch ein Zusammentreffen von Umständen nicht eingelösten Wechsel +in der dringendsten Weise verlangte. Brockhaus hat über Richter's +damaliges Auftreten selbst Folgendes niedergeschrieben: + + Er schlug die inständigsten Bitten, nur einen Posttag zu warten, ab; + er wies alles _accomodement_ durchaus von der Hand und verlangte auf + den folgenden Tag baare und nur baare Zahlung. Herr Enoch Richter war + die alleinige und einzige Ursache meiner Entfernung von Leipzig, weil + er schlechterdings auf der Stelle in Geld befriedigt sein wollte. + +Von Altenburg aus wurden weitere Unterhandlungen zwischen Brockhaus +und Enoch Richter eingeleitet. Letzterer wollte gegen Abtretung des +Verlagsrechts der »Urania« seine eigene Forderung und zugleich die +des Bankiers Christian Friedrich Richter als ausgeglichen betrachten. +Brockhaus war dazu auch bereit, zumal Enoch Richter ihm dafür eine +ihn selbst überraschende hohe Summe bot. Indeß reute Enoch Richter +dieses Anerbieten wieder, und er verlangte nun auch noch Abtretung +des »Conversations-Lexikon«! Darauf konnte und wollte Brockhaus nicht +eingehen. Nach langen Verhandlungen wurde endlich im Herbst 1811 eine +Verständigung auf andern Grundlagen abgeschlossen. Enoch Richter konnte +es sich dabei aber nicht versagen, Brockhaus' Auseinandersetzungen über +ihre Verständigung als »schöne Phrasen« zu bezeichnen, was diesen am 8. +December 1811 zu folgender Antwort veranlaßte: + + Da von meinen Briefen Copie genommen wird, so habe ich mit der + größten Resignation diesen letzten nochmal überlesen, und ich muß mir + selbst das Zeugniß geben, daß ich endlich kein Wort darin habe zu + finden vermocht, was jene Bezeichnung und Charakteristik verdiente, + und ich kann dessen auch um so gewisser sein, da in meiner Seele + nichts liegt, was diesen Charakter trüge, auch überhaupt es mein + Wesen nur zu wenig ist, Phrasen zu machen, da ich alle Verhältnisse + um mich her immer nur zu sehr in Wahrheit auffasse und mich darüber + ausspreche. Da mir als Mensch dieser Ihr Vorwurf sehr schmerzhaft + gewesen, so ist dies der einzige Punkt, gegen den ich in Ihrem Briefe + reclamire, indem ich Ihnen die Versicherung gebe, daß der sonstige + Inhalt mich befriedigt hat .... Weiter weiß ich nichts, und so wäre + unsere Fehde doch nicht in Unehre geendet! Ich wünsche Ihnen alles + Gute. + +In spätern Jahren veränderten sich die Verhältnisse der beiden Männer +und ihrer Firmen nicht unwesentlich; wir können nicht umhin, auf zwei +solcher Momente kurz hinzuweisen. + +Im Jahre 1819 hatte Brockhaus Veranlassung, aus Leipzig, derselben +Stadt, in der sich die altberühmte Gleditsch'sche Buchhandlung seit +ihrer Begründung befand, an den Besitzer derselben, Enoch Richter, der +ihn acht Jahre vorher so hart behandelt und aus jener Stadt vertrieben +hatte, als Besitzer einer weit jüngern, aber inzwischen zu immer +größerer Bedeutung gelangten Buchhandlung, zu schreiben: er könne ihm +weder mit Kasse noch mit fremden Papieren »aushelfen« (wegen der damals +herrschenden Handelskrisis) und habe ihm die frühern 3000 Fl. nur »aus +Gefälligkeit« überlassen. Jener hatte sich also schon zum zweiten male +um Unterstützung an ihn gewandt. + +Und eine noch eigenthümlichere Fügung des Schicksals ist es, daß die +Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem ihr Besitzer, Enoch Richter, +hatte liquidiren müssen, einige Jahre darauf mit dem größten Theile +ihrer umfassenden Verlagswerke für eine ansehnliche Kaufsumme in den +Besitz der Firma F. A. Brockhaus überging und Enoch Richter in den +letzten Jahren seines Lebens von dieser literarisch beschäftigt wurde! + +Enoch Richter war übrigens ein intelligenter Buchhändler und überhaupt +ein begabter Mann. Von ihm rührt die Idee zu der großen »Allgemeinen +Encyklopädie der Wissenschaften und Künste« von Ersch und Gruber her, +die seit 1818 in dem Gleditsch'schen Verlage erschien und mit diesem +1831 von der Firma F. A. Brockhaus erworben wurde. Ferner bearbeitete +er 1830 für letztere das »Vollständige Handwörterbuch der deutschen, +französischen und englischen Sprache«, welches so großen Beifall fand, +daß es 1870 in neunter umgearbeiteter Auflage erscheinen konnte. Richter +starb in Hamburg am 15. October 1831, und dies war gerade der Tag, +an dem die Gleditsch'sche Buchhandlung das Eigenthum der Firma F. A. +Brockhaus wurde! + +Die Gleditsch'sche Buchhandlung (über deren Geschichte einige Angaben +hier wol am Platze sind) war 1693 von Johann Friedrich Gleditsch +in Leipzig gegründet worden, nachdem derselbe schon seit 1681 die +Buchhandlung von Johann Fritsch geleitet hatte. Nach seinem Tode +(26. März 1716) von einem Sohne fortgeführt, kam sie später in den +Besitz von Wilhelm Heinsius (bekannt durch das von ihm begründete und +herausgegebene, später ebenfalls in den Verlag von F. A. Brockhaus +übergegangene »Allgemeine Bücher-Lexikon«); 1805 von Enoch Richter +angekauft, wurde sie Ende 1827, als dieser sich genöthigt sah, zu +liquidiren, von Johann Friedrich Schindler übernommen, nach dessen Tode +(15. December 1828) von seiner Tochter Anna Therese, verehelichten _Dr._ +Hahn; diese trat sie am 14. April 1830 an Christian Reichenbach's Erben +& Compagnie ab, worauf sie endlich, wie bereits erwähnt, am 15. October +1831 an die Firma F. A. Brockhaus überging. Von letzterer wurde die alte +Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem sie unter diesem Namen ihres +Begründers 138 Jahre lang bestanden und zu den angesehensten deutschen +Buchhandlungen gehört hatte, nicht weiter fortgeführt, sondern deren +Verlag (mit Ausnahme einiger vorher bereits an andere Verlagshandlungen +verkauften Werke) mit dem ihrigen vereinigt. + + * * * * * + +Fast so schwer wie mit Enoch Richter war für Brockhaus eine +Verständigung mit dem Bankier Friedrich Christian Richter, der mit +ihm während der letzten Jahre in lebhaftem geschäftlichen und selbst +in freundschaftlichem Verkehr gestanden hatte, wenn auch, wie die von +uns früher mitgetheilten Briefe zeigen, vorübergehend Störungen darin +eingetreten waren. + +Der jetzt zwischen Beiden geführten Correspondenz verdanken wir +folgenden Brief, der Brockhaus' ganze Lage in dieser Periode mit manchen +bisher noch nicht erwähnten Details klar darlegt, am 21. April 1811 aus +Altenburg an den frühern Freund gerichtet: + + Zwischen meinem Bevollmächtigten, Herrn Friedrich Ferdinand Hempel + hier, und Ew. Wohlgeboren haben seit dem vorigen October schriftliche + mich betreffende Unterhaltungen stattgehabt, die mir sämmtlich zur + Kenntniß gekommen sind. + + In dem letzten Briefe, womit Ew. Wohlgeboren ihn beehrt haben, + erklärten Sie sich auf die Anfrage, ob Sie geneigter seien, + Ihre Forderung an mich auf Termine zu setzen und sie dann ganz + zu empfangen, oder ob Sie es vorzögen, mit der Lage der Dinge + angemessenen Aufopferungen eine sofortige Liquidation zu erhalten: daß + Sie auf jenes nie eingehen würden, wohl aber in Erwägung der Umstände + sich zu diesem verstehen dürften. Eine gleiche oder ähnliche Antwort + ging von allen übrigen Creditoren ein. + + Die Aufgabe war also jetzt, Fonds zu finden, um dem Ansinnen und + dem Drange der Creditoren zu begegnen. Der Natur der Verhältnisse + wegen mußten die Creditoren sämmtlich und auf einmal befriedigt + werden, und es war demnach ein bedeutendes Kapital nothwendig. Wären + die Creditoren gleich nach der Michaelismesse dem Vorschlage des + Herrn Hempel beigetreten, mir provisorisch für eine gewisse Zeit + Ruhe zu lassen und persönliche Sicherheit zu garantiren, wogegen + er sich dann verpflichten wolle, ein den Umständen angemessenes + Kapital durch Negociation herbeizuschaffen, so würden die Creditoren + einerseits schneller sein befriedigt worden, sie würden gewiß + bessere Bedingungen als jetzt erhalten haben, und für mich wären + die schweren Aufopferungen nicht nöthig gewesen, die ich nachher + zu machen bin gezwungen worden. Die respectiven Creditoren wiesen + jenen gutgemeinten Vorschlag, der Alles vielleicht geeinigt hätte, + von der Hand, und so wie für sie selbst mit, so entstanden auch für + mich aus seiner Verwerfung sehr unangenehme Resultate. Einzelne von + den Creditoren suchten mich gerichtlich zu verfolgen, woraus odiose + und kostbare Processe entstanden. Hierdurch und durch die Heftigkeit + und die Leidenschaft, womit wieder Andere sich gegen mich erklärten, + wurde das Vertrauen, das man gegen mich und meine Angelegenheiten + gezeigt hatte und welches Vertrauen mir jene Fonds würde verschafft + haben, geschwächt! Das schwere neue häusliche Unglück, das durch die + fürchterliche Krankheit der Frau Hofräthin Spazier, die in jener + Periode nach einem heftigen Nervenfieber ihres Verstandes beraubt + wurde, mich traf und mich in namenlosen neuen Jammer stürzte, kam + hinzu, um jedes Vertrauen zu meiner äußern Lage, da ohnehin das + Geschäft jetzt ganz in Stockung gerieth, also täglich schlechter + wurde, vollends zu zernichten! + + Bei diesem neuen Stande der Dinge blieb nichts Anderes übrig + als Concurs, der aber den Creditoren Alles entzogen hätte bei + der Priorität meiner Kinder, oder schnelle Aufopferung von allen + concurrirenden Theilen (den Creditoren, von mir und den Vormündern der + Kinder), wenn wenigstens Etwas gerettet, jene nicht Alles verlieren + und ich nicht ganz zu Grunde gehen sollte. + + Pflicht der Menschlichkeit verbot es mir indessen, meine Freundin in + ihrem schrecklichen Zustande zu verlassen. Das habe ich auch damals + nicht gethan, trotz allen Gefahren, die mich umringten, obgleich + gegenwärtig unsere Verhältnisse gänzlich getrennt sind. Erst als ich + die arme unglückliche Frau nach einiger Genesung in Begleitung ihrer + Schwester, der Gattin Jean Paul Richter's, nach Berlin zu ihrem Vater + zurückgebracht hatte, konnte und durfte ich mich wieder mit meinen + eigenen Angelegenheiten beschäftigen! Wie sehr sich solche aber + verschlimmert hatten, bedarf keiner Ausführung! + + In diesen Zeitpunkt ohngefähr oder etwas früher fällt Herrn Hempel's + obengedachte Anfrage und auch Ihre Antwort, und wir haben jetzt den + Stand- und Zeitpunkt wieder, von dem mein heutiges Schreiben oben + ausging. + + Bei der Unmöglichkeit also, außer in mir selbst anderwärts Fonds zu + finden, blieb Nichts weiter übrig, als sich solche zu jedem Preise und + mit jeder Aufopferung durch Verkauf von Eigenthum zu verschaffen. Ich + beschloß demnach, die Sortimentshandlung in Amsterdam loszuschlagen, + und ich reiste zu diesem Endzweck Anfang März von Altenburg nach + Amsterdam. Meine dortige Bilanz, die ich Ihnen vorlegen kann, wie + ich Ihnen Alles, was ich sage, durch Documente zu beweisen im Stande + bin, hatte im November noch einen Ueberschuß von 30000 Fl. (nominell, + obgleich Alles ordentlich geschätzt und inventirt) dargeboten. + Allein sowol durch die jetzige Lage Hollands, da drei Viertel des + Nationalvermögens seit zwölf Monaten nach und nach verschwunden + ist, da alle öffentlichen Anstalten, Universitäten, Institute &c., + denen ihre Fonds sämmtlich auf Nationalpapieren beruhen, durch die + Tiercirung der Zinsen unfähig sind zu zahlen und zu kaufen, da endlich + die eigentlichen Nahrungsquellen dieses Landes durch die jetzigen + Maßregeln versiegt sind, -- so war, wie man erwarten mußte, jetzt dort + Alles entwerthet. + + Meine Handlung war ohnehin seit dem November größtentheils in + Stockung gerathen und unterbrochen worden; dagegen waren die Unkosten + fortgegangen; schwere Abgaben waren zu leisten gewesen, drückende + Einquartierungen hatten stattgehabt; mein und der Handlung Credit war + infolge aller Störungen zernichtet; mehrere Gläubiger auch dort hatten + alle disponibeln Kräfte durch ihren Druck ausgesogen. + + Jeder Billige und Verständige wird einsehen, wie unter solchen + Verhältnissen der Kapitalwerth meines dortigen Eigenthums seit sechs + Monaten mußte geschwächt worden sein, wie er täglich mehr schwinden + mußte, und welche Aufopferungen ich werde zu machen gezwungen gewesen + sein, um dasjenige, was noch dort war, schnell oder vielmehr auf der + Stelle gegen gleich baare Zahlung oder doch solche Garantien, auf + welche ich baare Fonds negociiren könnte, zu realisiren! Ich habe aber + alle diese Aufopferungen nicht gescheut und nicht scheuen dürfen, und + so habe ich mit einem reellen Verluste von wenigstens 20000 Fl. dort + ein Kapital gerettet, das ich jetzt bei meiner Zurückkunft aus Holland + auf der Stelle meinen Creditoren hier anbiete! + + Zwar gehört dies Kapital streng genommen meinen Kindern, und wenn + ich auf das Aeußerste hinauf- oder hinausgetrieben werde, so wird + es auch nur ihnen. Ich persönlich gehe dann zwar unter, und man + erreicht dann darin das, was man oft nur zu wollen geschienen hat oder + gesucht; aber Jene, die armen verwaisten Kinder, thun es doch nicht. + Ich sage, das Kapital gehört streng genommen zwar diesen, allein die + Hoffnung, daß, einmal gründlich debarrassirt von allen Störungen und + Hindernissen, es mir gelingen werde, durch neue Thätigkeit wieder zu + erwerben, was jetzt dahingegeben wird, hat mich den Entschluß fassen + lassen, es darauf zu wagen, jetzt alles Disponible nur hinzugeben, um + nur zu neuer und geregelter Thätigkeit zurückkehren zu können! + + Was wir bei dieser Lage der Umstände anzubieten und zu geben im + Stande sind, haben wir auch Ew. Wohlgeboren durch Herrn Mitzky + anbieten lassen. + + Es ist Niemand, der es schmerzhafter fühlt als ich selbst, wie + schwer jedem einzelnen Creditor die Aufopferung fallen muß, die ich + ihm zumuthe. Aber hier ist einmal kein anderes Mittel. Jetzt ist nicht + mehr da. Und es wird nie mehr da sein als jetzt. Jedem Creditor muß + die Wahrheit dieser Anführungen in die Augen springen. + + Nur von dem, was vom Verlagsgeschäft nach und nach spärlich eingeht, + und weiter von zu hoffender fremder Unterstützung soll und kann das + neue Leben begonnen werden. Kann ich aber über Jenes anticipirend + verfügen? Kann ich diese einmal begehren oder suchen oder annehmen, + solange das Alte nicht vorab geordnet ist? + + Gelingt es mir dagegen, einst neue Kräfte zu erhalten, so wird + mein Ehrgefühl mich von selbst bestimmen, das aus eigenem Motive + nachzuholen, was jetzt aufgeopfert wird. + + Ew. Wohlgeboren haben mündlich und schriftlich gegen Hempel sich + mit Härte und Wegwerfung, ja selbst mit Beschimpfung über mich + ausgedrückt. Ich antworte darauf nur: Ich habe es nicht verdient! + + Alles, was geschehen, ist durch das Gedränge der gebietendsten + Ursachen veranlaßt worden. Ich habe durch unverschuldete Verluste, + durch äußere Ursachen, die weder vorherzusehen noch zu berechnen + waren, schwere Verluste gehabt. Tod und Krankheit hat meine + moralischen und meine physischen Kräfte lange gelähmt. + + Alles, was ich Ihnen je in vertrauten Stunden gesagt, Ihnen in + vertrauten Briefen geschrieben, ist wahr gewesen. Ich habe Ihnen nie + ein wesentliches Wort gelogen. Ueber den einen speciellen Vorwurf, den + Sie mir direct und indirect gemacht, kann ich mich rechtfertigen. + + Werfen Sie jetzt noch einen Stein auf mich! + + Das Einzige, worüber ich mir Vorwürfe mache, wozu aber Sie nicht + das Recht haben, waren meine Verhältnisse zu einer geistreichen und + liebenswürdigen Frau, deren eigene Verhältnisse zur Welt mir aber + unbekannt waren. Aber diese haben auch nur von mir dürfen entdeckt + werden, um eine Verbindung für immer in dem Augenblick aufzuheben, wo + es mein Gefühl für Menschlichkeit und die Gesetze der Ehre erlaubten! + + Ich komme jetzt zur Hauptsache. (Folgen detaillirte Vorschläge.).... + + Wer Geschäfte kennt und die Erfahrung hat wie Sie, der weiß, daß ein + einmal stockendes Geschäft täglich schlechter wird. Bewilligte man mir + im October provisorische persönliche Ruhe und Sicherheit, so konnten + und würden wir gewiß weit bessere Offerten machen wie jetzt. Schlägt + man diese jetzigen abermalen aus, so werden die, welche wir über sechs + Monate machen können, von neuem in derselben Progression schlechter + sein! Dies ist mathematisch nothwendig. + + Ich will es nicht versuchen, Sie durch irgend weitere und andere + Mittel, als es die vorstehend gegebene einfache Exposition aller + Verhältnisse gewesen ist, überreden und bestimmen zu wollen! Sie sind + zu einsichtsvoll, um nicht die Lage der Dinge zu würdigen, und zu + edel, um mich zur Verzweiflung treiben und vindicativen Gesinnungen + Gehör geben zu wollen. Sollten Sie einen unserer Vorschläge annehmen, + so wird der Betrag nach Regulirung der Rechnung augenblicklich nach + empfangener Nachricht, die Sie gefälligst Herrn Mitzky mittheilen + wollen, baar angewiesen oder bezahlt. + +Dieser Brief blieb nicht ohne Erfolg, und Richter nahm in der Hauptsache +die ihm gemachten Vorschläge an. + +Brockhaus hatte so nach der Rückkehr von der leipziger Ostermesse +des Jahres 1811 zum ersten male nach langer Zeit die Beruhigung, +wieder festen Fuß fassen zu können. Die Regelung einiger anderer +Rechnungsverhältnisse (namentlich mit der J. G. Cotta'schen Buchhandlung +in Tübingen, Friedrich Vieweg in Braunschweig und Heinrich Gräff in +Leipzig) zog sich noch bis zur Ostermesse 1812 hin, ohne indeß den +Wiederbeginn seiner Thätigkeit zu stören. + +Daß aber Brockhaus seines (auch in dem eben mitgetheilten Briefe +gegebenen) Versprechens eingedenk war und dasselbe im vollsten Sinne des +Wortes einlöste, zeigt der von einem angesehenen leipziger Advocaten +unterm 15. März 1820 an Brockhaus' frühere Creditoren in dessen Auftrage +gerichtete Circularbrief, welcher der Zeit vorgreifend gleich hier +folgen möge: + + Ich bin von Herrn Brockhaus hier mit einem Auftrage beehrt worden, + dessen ich mich hierdurch mit besonderm Vergnügen entledige. + + In den Jahren 1811-1812 kam, wie Sie sich erinnern werden, das + Geschäft unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam, + aus Ursachen mancherlei Art in die unangenehme Lage, seine Creditoren + um Nachsicht bitten zu müssen. Diejenigen derselben, welche diese + Nachsicht zugestanden, wurden innerhalb eines Jahres vollständig + befriedigt. Ein anderer Theil, wozu auch Ew. Wohlgeboren gehörten, + lehnte diese Nachsicht ab und zog die ihnen gegebene Alternative vor, + gegen gleich baare Zahlung einen Theil ihrer Forderungen freiwillig + aufzuopfern. + + Zur Findung der hierzu erforderlichen Fonds wurde das + Sortimentsgeschäft der gedachten Firma für die Summe von 7000 Gulden + und mit einem Verluste von wol 30000 Gulden verkauft, ein Umstand, den + ich wie den, daß die im Laufe von 1811 nachgelieferten und während + 1810 theilweise zurückgehaltenen Journale vom Jahre 1810 am Ende nicht + mehr in Holland, das in der Zwischenzeit die französischen Gesetze + bekommen hatte, eingeführt werden konnten und sämmtlich confiscirt + wurden, welches einen Verlust von abermals gegen 5000 Gulden an + Journalcontis nach sich zog, zur richtigen Beurtheilung der damaligen + Verhältnisse mir besonders deshalb anzuführen erlaube, weil dieses + amsterdamer Sortimentsgeschäft und was damit verbunden, eigentlich den + Kindern erster Ehe des Herrn Brockhaus hätte zugewendet werden müssen, + Herr Brockhaus es aber verlangte, daß es auf diese Weise verwendet + wurde. + + Herr Brockhaus war der Chef der gedachten Firma sowie der alleinige + bekannte Eigenthümer derselben gewesen. Nach dieser Stockung hörte + die alte Firma auf, und das Geschäft wurde unter dem Namen des Herrn + Brockhaus und von jetzt an für seine alleinige Rechnung fortgesetzt. + + Es war von jeher die Absicht des Herrn Brockhaus, jene Nachlasse, ob + sie gleich freiwillig zugestanden waren und eine einjährige Nachsicht + sie ganz überflüssig gemacht und auch jenes Geschäft gerettet hätte, + unter günstigern Umständen nachzuberichtigen, und er hat auch + diejenigen, welche ihm eine höhere moralische Verbindlichkeit zu haben + schienen, successive längst beseitigt und vollständig liquidirt. + + Gegenwärtig, nachdem auch seine Kinder erster Ehe vorab für jene + Verluste beim Verkauf des amsterdamer Geschäfts vollständig von + ihm entschädigt worden sind, hat er infolge jener Absicht sich + entschlossen, diejenigen Nachlasse, welche in gedachten Jahren der + Firma des Kunst- und Industrie-Comptoirs zugestanden und die noch + nicht von ihm ersetzt worden, ohne Ausnahme und mit den Zinsen, vom + 1. Januar 1813 an gerechnet, sämmtlich nachzuliquidiren, und ich bin + in Gemäßheit dieses Vorsatzes beauftragt, Ew. Wohlgeboren, welche + sich in diesem Fall befinden, über den damaligen Abschluß der Rechnung + mit dem Kunst- und Industrie-Comptoir um einen Abzug _in duplo_ zu + ersuchen. + + Ich habe diese Notification folgenden Handlungen zu machen (folgen + die betreffenden Namen), indem diese, soviel Herrn Brockhaus bewußt, + die einzigen sind, gegen welche noch Verbindlichkeiten der gedachten + Art zu erfüllen wären. Da Herrn Brockhaus es beehrgeizt, daß auch + Niemand jetzt übergangen bleibe, so wünscht er, daß, im Fall Ihnen + noch Jemand bekannt sei, der hier nicht genannt ist und sich im + gleichen Falle befinde, Sie diesen veranlassen möchten, sich mir zu + erkennen zu geben. + + Weil diese Angelegenheit sich nicht durch die Handlungsbücher des + Herrn Brockhaus ziehen läßt, sondern von ihm privatim liquidirt wird, + so wollen Ew. Wohlgeboren Ihre Mittheilungen darüber nebst den schon + gedachten Auszügen auch nicht direct an Herrn Brockhaus, sondern an + mich adressiren, wie Sie denn auch durch mich späterhin nach erfolgter + Verification die Valuta erhalten werden .... + + Herr Brockhaus theilt Ihnen zugleich seinen aufrichtigen Wunsch mit, + daß, was zwischen Ihnen und ihm in jener Vergangenheit liege, und + das, wo man sich gegenseitig möge oder könne gekränkt haben, rein und + völlig vergessen sei oder es werde. + + Er ersucht Sie, ihm dieselben wohlwollenden und freundschaftlichen + Gesinnungen zu widmen, welche er gegen Ew. Wohlgeboren zu hegen + vollkommen geneigt ist. + +Dieses Schreiben bildet wol den würdigsten und versöhnendsten Abschluß +der Sturm- und Drangperiode in Brockhaus' Leben und bedarf keines +weitern Commentars von unserer Seite; wir versagen uns deshalb auch die +Wiedergabe der ebenso große Ueberraschung als Befriedigung zeigenden +Antworten, die darauf von allen Seiten eingingen. + +Als jenes Schreiben in seinem Auftrage erlassen wurde, hatte Brockhaus +allerdings Altenburg schon wieder verlassen und war in dem Hafen +angelangt, der den Ziel- und Endpunkt seiner Lebenswanderungen bilden +sollte. + +Bevor wir ihm aber dahin, nach Leipzig, folgen, haben wir die von ihm +dauernd in Altenburg zugebrachte Zeit vom Frühjahre 1811 bis Ostern 1817 +mit ihm zu durchleben. + + * * * * * + +Blicken wir vorher noch einmal zurück auf die anderthalb Jahre, welche +Brockhaus seit dem Tode seiner Frau bis zur Festsetzung in Altenburg +verlebte, so erfüllt uns gewiß ebenso reges Mitleid mit seinen +Schicksalen als volle Anerkennung der Energie, mit der er diese zu +überwinden verstand. Er hatte die schwersten innern Kämpfe zu bestehen +und gleichzeitig um seine äußere Existenz zu ringen, aber aus beiden +Kämpfen ging er endlich doch siegreich hervor. Seinen Hauptzweck: das +amsterdamer Geschäft zu verkaufen und sich bleibend in Deutschland +niederzulassen, hatte er wenn auch mit schweren Opfern erreicht; er +hatte mit der Vergangenheit abgeschlossen und konnte ein neues Leben +beginnen. + + + + + Vierter Abschnitt. + + In Altenburg. + + + + + 1. + + Neues Leben. + + +Mit der Rückkehr von der leipziger Buchhändlermesse nach Altenburg im +Mai 1811 beginnt ein neuer Abschnitt in Brockhaus' Leben und Wirken. + +Ein von ihm am 21. Mai geschriebener Brief, an Bornträger, der zur +vollständigen Abwickelung der alten Verhältnisse noch in Amsterdam +geblieben war, zeugt nach langer Zeit zum ersten male wieder von +besserer Stimmung, von wiedergewonnenem Vertrauen auf die eigene Kraft +und von energischer Wiederaufnahme der verlegerischen Thätigkeit. + +Mit diesem Tage beginnt auch das erste im Besitz der Firma befindliche +Copirbuch seiner Geschäftsbriefe; ebenso sind die an ihn in +Geschäftsangelegenheiten gerichteten Briefe erst von dieser Zeit an +vorhanden. + + * * * * * + +Altenburg, das von dieser Zeit an sechs Jahre hindurch (bis Ostern +1817) Brockhaus' bleibenden Aufenthalt bildete, war damals nicht +Residenz, was es erst 1826 als Hauptstadt des der Regentenfamilie +von Sachsen-Hildburghausen zugefallenen selbständigen Herzogthums +wurde. Das Land Altenburg war zwar auch bis dahin ein selbständiges +Fürstenthum, aber mit Gotha durch eine Art Personalunion zu dem +Herzogthum Sachsen-Gotha-Altenburg verbunden. Der gemeinschaftliche +Herzog Emil August residirte in Gotha, doch hatte Altenburg eine +gesonderte Gesetzgebung und Verwaltung, eigene Landstände und +Centralbehörden (Landesregierung, Kammercollegium, Consistorium +u. s. w.). Aus diesen eigenthümlichen Verhältnissen erklärt sich das +rege geistige Leben, das in diesen Jahren in Altenburg herrschte. +Der selbst geistig hervorragende Herzog hatte bedeutende Männer +an sich herangezogen, und diese bewegten sich, entfernt von den +unmittelbaren Einwirkungen einer fürstlichen Hofhaltung, um so freier. +Der Kammerpräsident, spätere Minister Hanns von Thümmel, Bruder des +Dichters und frühern sachsen-koburgischen Ministers Moritz August +von Thümmel, zeichnete sich durch geniale gesetzgeberische und +Verwaltungsthätigkeit aus; der Kanzler und Minister von Trützschler +durch juristische Werke; der Kammerrath, spätere Minister Bernhard +von Lindenau durch astronomische Werke und landständische Wirksamkeit +im liberalen Sinne. Andere hervorragende Mitglieder der altenburger +Gesellschaft waren: Generalsuperintendent Demme, Superintendent +Schuderoff, Gymnasialdirector Professor Matthiä (Verfasser der +bekannten griechischen Grammatik), Gymnasialprofessor Messerschmidt, +Kammerverwalter Ludwig, Regierungssecretär Hofrath Brümmer, Hofadvocat +Friedrich Ferdinand Hempel (durch seine satirischen Schriften unter +den Pseudonymen Spiritus Asper, Peregrinus Syntax u. s. w. bekannt), +Kammersecretär Lüders, Hofrath Buddeus, Geh. Kammerrath Zinkeisen, +Hofrath _Dr._ Pierer (Inhaber der Hofbuchdruckerei), endlich der +Bankier, spätere Geh. Finanzrath August Reichenbach. + +Hauptmittelpunkte des geistigen und geselligen Verkehrs bildeten die +Häuser von Ludwig und Reichenbach, besonders durch die denselben +angehörenden geistvollen Frauen: die Gattin Ludwig's nebst ihrer +unverheiratheten Schwester, die drei Schwestern Reichenbach's, Frau +Hoffmann, Frau Klein und Frau Hofräthin Pierer, und Karoline Hempel, +die Schwester Ferdinand Hempel's. Man lebte überaus gesellig und +veranstaltete oft Bälle, Concerte und Theateraufführungen, während die +Männer auch noch allein zu geistigem Verkehre zusammenkamen. + +In diesen Kreis, dessen Mitglieder uns zum Theil schon früher begegnet +sind, war Brockhaus gleich nach seiner Ankunft aufgenommen worden und +bildete bald einen Mittelpunkt desselben. + +Frau Professor Luise Förster in Dresden, die Gattin Karl Förster's und +Schwester Ernst und Friedrich Förster's, theilt uns über diesen Kreis, +dem sie in ihrem älterlichen Hause ebenfalls angehörte, Folgendes mit: + + Obschon Brockhaus als ein Fremder in Altenburg eintrat, wurde + er doch bald als ein willkommener Einheimischer betrachtet; sein + gediegener Charakter, eine tiefgehende Humanität, vielseitige + Kenntnisse, das ernste Streben, der Wissenschaft und durch dieselbe + allem Guten und Schönen förderlich zu werden, dabei ein nie + verletzender Humor, zu welchem eine gewinnende Persönlichkeit sich + gesellte, alle diese Vorzüge waren bald erkannt, und Brockhaus wurde + der Mittelpunkt der gebildeten kleinen Welt in Altenburg. Zu seinem + nähern Umgang gehörten: Hofrath Pierer, Professor Messerschmidt, + Ludwig, Brümmer, Hempel (Spiritus Asper), Bankier Reichenbach, + Königsdörfer, Minister von Thümmel und dessen Bruder, der durch + seine Schriften bekannte Moritz von Thümmel; auch der hochgeachtete + Generalsuperintendent Hermann Demme, durch seine literarische + Thätigkeit bekannt und gepriesen, stand dem geistverwandten Brockhaus + nicht fern. Der Umgang mit diesen Familien, wo das seichte Salonleben + weder unter Männern noch Frauen sich einbürgern konnte, war für + Brockhaus zusagend; er war für den geistigen Austausch in diesen + Kreisen das belebende Element, und obschon die zartern Formen der + Weltbildung ihm wol angeboren waren, so konnte man doch annehmen, daß + Goethe's Worte im »Tasso«: + + Willst du genau erfahren, was sich ziemt, + So frage nur bei edeln Frauen an, + + ihm ein treuer Wegweiser für geselligen Umgang waren. + + Der erwähnte kleine Kreis, welcher sich fast in jeder Woche einmal + vereinigte, wurde von den jenem Kreise Fernstehenden nicht ohne Ironie + die »Theegesellschaft« genannt; vielleicht auch, weil in jener Zeit + der Genuß des Thees, den nur die höhere Gesellschaft sich erlaubte, + als ein ungewöhnlicher, aber »matter« Luxus bezeichnet wurde. + +Besonders fühlte sich Brockhaus von der Ludwig'schen Familie angezogen, +der er zunächst durch geschäftlichen Verkehr mit Ludwig, als dem Curator +der Hofräthin Spazier, näher getreten war. Als er Anfang März Altenburg +plötzlich verließ, um nach Amsterdam zu reisen, drängte es ihn, noch von +Halle aus Frau Ludwig seine Empfindungen darüber auszusprechen. Dieser +spät in der Nacht vor der Weiterfahrt geschriebene Brief lautet: + + Ich wage es drauf, verehrteste Frau, und möchte ich auch + dafür ein wenig unbescheiden gehalten werden, Ihnen selbst und + ohne Vermittelung, die doch immer in etwas die Lebendigkeit der + Gedankenmittheilung unterbricht, zu sagen, wie sehr Sie und alle + Theile und Bilder Ihres würdigen Hauses mich beschäftigen, und + wie sehr es mein Wunsch ist, auch Ihnen Allen, die diesen schönen + Lebensverein bilden, in recht gutem Andenken zu bleiben. Ich kann + Ihnen die Empfindungen nicht durch Worte, noch weniger durch + Schriftzüge ausdrücken, die ich hatte, als ich Sonntag Morgen Ihnen, + Ihrer Schwester, Ludwig Lebewohl sagte. Es war mir, als hätte ich + für immer mit Ihnen Allen gelebt (so nahe fühlte ich mich Ihnen), + und wieder, als sei meine Trennung von Ihnen für ewig, so sehr + ergriff es mich. Wer weiß es auch, wie das Schicksal mein nun lange + her verworrenes Leben weiter noch verwirren will, oder auch, dies + ist ein Lichtstrahl durch den für mich umzogenen Himmel, ob sich + jetzt vielleicht Fäden zeigen werden, an die sich eine neue und + schöne Zukunft binden könnte. Seit dem 8. December -- es sind nun + 15 Monate -- wo ich das Theuerste verlor, was ich auf Erden hatte, + und von welchem Tage an mein Leben sich auch verwirrte, habe ich + keine andern #rein# glücklichen Stunden gehabt als die, welche ich + in Ihrem Anschauen, verehrte Frau, in der Betrachtung und Würdigung + Ihrer himmlischen Anmuth und Ihres Edelsinns gehabt habe. Aus + diesem Gesichtspunkte genommen könnte ich diese so unglückschwanger + gewesene Zeit selbst für einen schönen Zeitraum halten, und auch ohne + diesen meinen höchsten Schwung der Empfindung gibt es noch andere + Standpunkte, aus welchen ich diese Zeit für sehr reich -- für üppig + reich selbst -- für mein geistiges Dasein halten muß. Ich habe in den + fünf Monaten meines altenburger Aufenthalts geistig mehr gelebt und + erlebt, als manchem Erdenkinde im ganzen Leben oft beschieden wird, + und wenn auch das Unglück sich über mich in demselben erschöpfen zu + wollen schien, so hat es doch auch wieder einen Reichthum in sich + gehabt, daß mir das Unglück selbst fast theuer geworden ist durch den + Umfang der Erfahrungen und Beobachtungen, die ich in demselben habe + machen müssen, und durch die Gelegenheit, die ich in ihm gefunden + habe, Sie, verehrte Frau, Ihre vortreffliche Fräulein Schwester, dann + die lebenskluge und herrliche Karoline, und von Männern Ludwig und + Hempel näher kennen zu lernen. Ich werde nie vergessen, in welche + Lage des Lebens ich auch möge versetzt werden, was ich Ihnen Allen, + besonders auch Ihrem edeln Manne und dem von mir sehr hochgehaltenen + Ferdinand (Hempel) schuldig bin, und mein Leben wird immer dem + lebhaftesten Danke geweiht sein. + + Leben Sie wohl. Möge ich bald zu Ihnen zurückkehren können! Ihrer + von mir sehr verehrten Schwester die herzlichste Empfehlung. + +In anderer Weise bezeichnend für Brockhaus' Schreibweise und für den +in dem altenburger Kreise herrschenden Ton ist folgender Brief, den er +einige Tage darauf, am 8. März, aus Osnabrück an Ludwig richtete: + + Dem Himmel sei Dank, liebster Ludwig, mehr als zwei Drittel der + schweren Reise, nämlich 55 Meilen, sind zurückgelegt in den noch + nicht 4½ Tagen. Ich bin im Wesentlichen nie so schnell gereist + als diesmal. Den Montag vertrödelte ich nämlich ganz auf den wenigen + Meilen bis Leipzig und in Pourparlers mit meinem Commissionär, den ich + erst in Greudniz (Reudnitz) und nachher wieder in Leipzig sprach. Erst + um 8 Uhr abends kam ich von Leipzig weg. + + Jetzt aber hätte ich auf den Flügeln des Sturmwindes mein Ziel + ereilen mögen! Ich fand jedoch so viele prosaische Hindernisse + an grundlosen Wegen, schlechten Pferden, groben Postmeistern und + betrunkenen Postillonen, die meine poetische Eile gar nicht verstehen + wollten, daß ich nur durch große Resignation auf Alles, was zur + Restauration und zur Bequemlichkeit des äußern Lebens gehört, und mit + Unterstützung der gegenwärtig wirklich sehr guten neuen westfälischen + Postordnung -- wenn der Reisende auf die Ausführung dringt! -- es so + weit habe bringen können, jetzt schon hier zu sein. Aber ich habe + mich auch was geeilt, lieber Ludwig. Nur immer vorwärts, dachte ich, + um schnell wieder rückwärts zu kommen zu den biedern Altenburgern. + Kein Abenteuer ist also bestanden, denn daß ich einmal bin umgeworfen + worden und die elende Postchaise in tausend Stücke, ich aber in + heiler Haut davonging, ob es gleich possirlich genug war, wie es + hätte gefährlich sein können, ist nicht dahin zu rechnen. Nach keiner + Merkwürdigkeit habe ich mich umgesehen, keinen berühmten Mann habe + ich besucht, kein bedeutendes Wort habe ich sprechen hören, und ich + würde wahrlich in Verlegenheit sein, wie ich eine Reisebeschreibung + auch nur im kleinsten Sedez zu Stande bringen sollte. Da stehe ich + recht beschämt vor meinem weiland Collegen, dem großen Nicolai, der + über Nürnberg, wo er eine Nacht schlief, einen dicken, dicken Band von + 500 Seiten schrieb, und ich stehe auch neidisch gegen einen Spiritus + Asper, der über eine kleine Reise um seinen kleinen winzigen Tisch[47] + mehr Merkwürdiges und Geistreiches sagen wird als ich, wenn ich eine + Reise um die Welt machen und sie beschreiben sollte. Phantasie und + Reflexionen, wie Sie, liebster Ludwig, uns solche in so besonnener + Form gegeben -- oft zu besonnener, denn beim Reisen wie beim Leben muß + es oft heißen: _desipere in loco_ -- sind mir nun vollends gar nicht + viele in den Kopf gekommen, wie ich es ehrlich gestehen will. Es muß + mir am Zeuge dazu, den Gattungen selbst, wol ganz fehlen. Hätte ich + von meiner _étourderie_, denke ich mir, so 'nen vierten Theil, und + wäre es auch ein volles Drittel, weniger, und könnte ich mir dagegen + so ein Portiönchen Reflexion erkaufen! Von meiner Leidenschaftlichkeit + könnte ich wol gar die Hälfte missen, wenn ich sie auch mit 50% + Verlust gegen 25% Phantasie eintauschen könnte. Einen Tausch, lieber + Ludwig, will ich Ihnen nicht vorschlagen, weil meine Waare eigentlich + nicht, wie die Holländer sagen, _puyk puyk_ (fein, auserlesen) ist; + eher möchte ich ihn mit einem unserer modernen Philosophen und + Aesthetiker machen, die mir denn ihre Reste überließen und von dem, + was sie dagegen von mir erhielten, dann rein toll würden werden. + + Was ich gethan habe denn eigentlich? Antwort: so viel geschlafen als + möglich, aufrichtig gesprochen. Mit dem Denken in der kalten feuchten + Luft, auf einem offenen Karren, auf harten Bänken sitzend, erfroren + und erstarrt am ganzen Leibe, zerrüttelt und zerstoßen auf den + Chausseen, in den Koth sinkend auf den Landwegen, miserabel gefüttert + und getränkt in den Gasthöfen -- so will's bei mir wenigstens mit dem + Denken gar nicht recht fort. Ich habe darin Sancho Pansa's Natur. + Eine gemeine. Ich denke nicht besser und lieber als hinterm warmen + Ofen, auf 'm weichen Sofa, oder am fein besetzten Tische und beim + vollen Becher. Hätte ich Ihres edeln Freundes, des Herrn Reichenbach, + bequemen Wagen und seinen herrlichen Burgunder, von dem er die Güte + hatte mir in Lobstädt bis zum Ueberflusse mitzutheilen, zu meiner + Disposition gehabt, d. h. hätte ich auf der Reise immer in seinem + Wagen gesessen und immer so 'nen Burgunder im beständig gefüllten + Flaschenfutter gehabt, ich glaube, ich würde dann auch ganz prächtige + Gedanken gehabt oder doch bekommen haben. + + Das Posthorn ertönt, für mich wie auch für Sie wol eine + Sphärenmusik, und ich muß also schließen. Ich bin -- ernst gesprochen + -- außerordentlich fatiguirt, von dem schon viernächtigen Durchfahren + besonders. Es ist, weiß Gott, kein Spaß. So Gott will, bin ich Sonntag + früh in Amsterdam. Dienstag schreibe ich Ihnen von dort. Könnten nur + die Briefe immer in der Minute dort sein, wenn sie geschrieben sind. + Ist es nicht, als ob ihr Geist oft durch die lange Reise entflöge? + + Die herzlichsten Grüße an den großen Theoretiker, der so wenig + Uebung im Praktischen hat, an Muhme Morgenroth, die, wie Fielding + oder Rebhuhn im »Tom Jones« von Garrick sagte, recht garstig war, und + der Mamsell Sophie, die für ihren Muthwillen schon noch wird bestraft + werden. Adieu lieber, lieber Ludwig. + +Von Amsterdam aus schrieb Brockhaus an die Freunde in Altenburg +mehrere Briefe, aus denen wir schon früher Manches mittheilten. In +einem derselben sagt er, daß er gern ausführliche Briefe schreibe: +eine bekanntlich der ganzen damaligen Zeit eigenthümliche Liebhaberei, +der wir aber sehr werthvolle Beiträge zu seiner Biographie verdanken; +auch scheint es uns, daß er darin eine besondere Geschicklichkeit +entwickelte, sodaß seine Briefe oft als Muster ihrer Art gelten können +und man bisweilen denken könnte, sie seien ursprünglich für den Druck +bestimmt gewesen, was sicher nicht der Fall war. In demselben Briefe ist +eine Begegnung mit Klopstock erwähnt, von der uns sonst nichts bekannt +ist; da Klopstock bereits am 14. März 1803 starb, muß sie noch vor +Brockhaus' amsterdamer Aufenthalt oder während desselben stattgefunden +haben, wahrscheinlich durch den gemeinschaftlichen Freund Beider, Karl +Friedrich Cramer, veranlaßt. + +Die betreffende Stelle des am 22. März an Frau Ludwig gerichteten Briefs +lautet: + + Ob ich gleich hoffen darf, Sie, verehrte edle Frau, nicht viele Tage + später, als dieser Brief Ihnen kann zu Händen kommen, von Angesicht zu + Angesicht persönlich wiederzusehen und Ihnen meine Ergebenheit fürs + Leben zu bezeugen, so kann ich mir das Vergnügen doch nicht versagen, + bis dahin mich noch einmal mit Ihnen durchs Medium schriftlicher Worte + zu unterhalten. Ich liebe dieses Medium oft mehr als das der Rede + von Munde zu Munde. Es ist eine Art von Krankheit selbst, und ich + schreibe oft lieber einen eine ganze Seite langen Brief, ehe ich mich + entschließe, zwanzig Schritte zu gehen und dasselbe mit zwei Worten zu + sagen. + + Rousseau erzählt in den »_Confessions_« von Jemandem, der seine + Geliebte verließ, um -- ihr schreiben zu können. Das kommt mir nun + sehr möglich vor. Mir fällt dabei eine Anekdote ein, die mir Klopstock + mal erzählte, und die ich Ihnen so gut wiedergeben will, als ich es + noch vermag. + + Klopstock haßte nichts so sehr als das Briefschreiben. Es war seine + Schooßsünde oder, wie er sagte, seine Schooßtugend. Freilich, hätte + er darin sehr ordentlich sein wollen, so würde sein ganzes Leben nur + eine lange Correspondenz gewesen sein. Genies müssen sich mit solchen + kleinen Geschäften des menschlichen Lebens nicht befassen. Die Materie + des Briefschreibens war daher häufig eine der gewöhnlichsten seines + Scherzes und seiner Persiflage. Besonders mußten die Stolberge viel + darüber herhalten. Das Briefschreiben war und ist wol noch der ganzen + Familie wie angeboren, besonders dem Aeltesten Christian und der + Schwester Augusta Gräfin Schimmelmann. Feder und Tinte! -- erzählte + Klopstock nun -- ist das Erste, wonach der ruft, sobald er in ein + Wirthshaus tritt. Zu Hause, auf Reisen, wo es auch sei! Schreiben Sie + ihnen, und Sie haben den ersten Posttag Antwort. Die Gräfin Augusta + -- vom Morgen bis im Abend laufen die Depeschen bei ihr ein, wie bei + einem Staatsminister, und werden sorgfältiger abgefertigt als in einer + Kanzlei. + + Letzthin allegorisirte ich darüber mit Tellow (der Liebesname seines + und meines Freundes Cramer). + + Wo ist nun die Gräfin wieder? fragte ich (Klopstock). + + Cramer: Oben; schreibt Briefe. + + Klopstock: Das ist wahr! Die Stolbergs! Sie liegen am Briefschreiben + recht krank danieder. + + Cramer: Freilich, es ist eine Krankheit zum Tode. + + Klopstock: O! sie sind schon gestorben. + + Cramer: Und begraben dazu. + + Klopstock: Was? Sie sind schon auferstanden. + + Cramer: Ei! sie sind schon selig. + + Klopstock: Ja, nun -- kann ich nicht weiter. + + Hierüber kommt die Gräfin herunter. + + Wir sprachen, sagt ihr Klopstock, eben zusammen von Ihrer Krankheit, + Ihrem Begräbniß, Ihrer Auferstehung, Ihrer Seligkeit! + + Wie so? + + Ja, gestehen Sie es nur, schöne Gräfin, Ihr Briefschreiben ist doch + eine wahre Krankheit, eine Schwachheit, eine Seuche! + + Sie mögen aber doch wol selbst gern Briefe haben? + + Das mag ich wohl; -- o, das Briefe#lesen# ist eine ganz + vortreffliche Sache; aber das #Schreiben#! Es ist eine Schwachheit, + ein Fehler, sage ich, aber eine nicht eben unliebenswürdige + Schwachheit! Wenn sich die Briefe, die Antworten wenigstens, nur + selbst schrieben! + + Meine Anekdote ist zu Ende. Die mußte man freilich von Klopstock + selbst erzählen hören! + +In einem spätern Briefe, vom 30. März, an Ludwig findet sich eine +hübsche Stelle, die unter Weglassung anderer nicht hierher gehöriger +Bemerkungen hier noch folgen möge: + + Bald, vielleicht wenige Stunden später, als Sie diese Zeilen + erhalten, drücke ich Sie an meine Brust und sage Ihnen mündlich, + wie sehr ich Sie liebe und verehre. Mehr wie je. Es ist mit der + Freundschaft wie mit der Liebe. Die Entfernung tödtet schwache, sie + stärkt die echte und wahre. Den Frauen Ihres Hauses küsse ich mit + Verehrung die schönen Hände. + +Aus Amsterdam und dann von der leipziger Messe nach Altenburg wieder +zurückgekehrt, schreibt Brockhaus in dem schon erwähnten Briefe vom 21. +Mai an Bornträger: + + Meine freundschaftlichen Verhältnisse mit Ludwigs, Hempels und + Andern dauern ununterbrochen fort und consolidiren sich selbst immer + mehr. Seit einer Reihe von Jahren ist dieser Sommer der erste, wo + ich meines Lebens wieder froh bin. Die Pfingstfeiertage werde ich + mit meinen Freunden eine Tour nach Dresden machen. Fritz und Lina + sind in demselben Hause, wo ich wohne, in Kost und unter Aufsicht. + Wahrscheinlich werde ich Fritz, um ihm mehr Reibung zu geben, hier + in der Nähe in ein sehr gutes Institut thun. Lina behalte ich aber + bei mir. Was aus Sophiechen werden soll? Ich habe von Ihnen beständig + Nachricht erwartet über ihre Unterbringung in dem Dorfe bei Muiden. + Wo das arme Kind gut ist, da ist es mir recht bis dahin, daß ich es + von dort zu mir nehmen kann. Wäre es einmal hier, so wäre es gut + aufgehoben. Aber wie hierher bringen? + +Die für die Pfingstfeiertage 1811 beabsichtigte Reise mit Ludwigs nach +Dresden fand erst Mitte Juli statt. Brockhaus hatte von derselben +vielen Genuß, besonders von dem Aufenthalte in Dresden selbst, das er +wol zum ersten male sah, »dieser an Kunstschätzen und Naturschönheiten +einzigen Stadt«, wie er schreibt, ebenso von dem Zusammentreffen mit +interessanten Leuten. Unter diesen nennt er einen Baron von Heinse +aus Lübeck, mit dem zusammen er Ludwigs, die sich in Dresden von ihm +getrennt hatten, um einen längern Aufenthalt in dem Bade Teplitz zu +nehmen, dort besuchte und dann nach Dresden zurückkehrte. Anfang August +war er wieder in Altenburg, während Ludwigs erst am 4. September wieder +dort eintrafen. Die Schwester von Frau Ludwig, Jeannette von Zschock, +hatte nebst ihrer Freundin Karoline Hempel ebenfalls an der Reise nach +Dresden und Teplitz theilgenommen, Beide waren aber, wie es scheint, in +Brockhaus' Begleitung gleich mit nach Altenburg zurückgereist. + +Diese gemeinschaftliche Reise und die unmittelbar darauffolgende Zeit +brachten in Brockhaus einen Entschluß zur Reife, den er schon lange +mit sich herumtrug und der auch oft zwischen den Zeilen seiner von +uns mitgetheilten Briefe an Herrn und Frau Ludwig durchschimmert: er +verlobte sich mit Jeannette von Zschock, und der Verlobung, die nach +der Rückkehr ihrer Schwester und ihres Schwagers zuerst nur im Stillen +gefeiert, bald darauf aber auch öffentlich erklärt wurde, folgte gegen +Ende des nächsten Jahres die Verheirathung. + +Jeannette von Zschock (mit ihren vollen Vornamen Johanne Charlotte Luise +Rosine, aber gewöhnlich nur die französische Form des erstern führend) +war am 7. September 1775 in Offenbach geboren und lebte seit dem Tode +ihrer Mutter und ihres Vaters, der Rittmeister in schwäbischen Diensten +gewesen war, bei ihrer Schwester in Altenburg. Sie stand bei ihrer +Verlobung im siebenunddreißigsten Lebensjahre, Brockhaus im vierzigsten. + +Die einzigen Mittheilungen über die mit der Verlobung zusammenhängenden +Umstände finden sich wieder in einem Briefe von Brockhaus an Bornträger. +Er schreibt diesem aus Altenburg vom 30. August 1811: + + Heute endlich die Beantwortung Ihrer mehrmals geäußerten Wünsche, + mein jetziges inneres Leben zu kennen, meine Verhältnisse hier zur + Welt, zu meinen Freunden. Je wichtigere Nachrichten ich Ihnen über das + Höchste im Leben mitzutheilen habe, je mehr haben Sie Recht, darüber + etwas zu wissen, da Sie mit seltener Freundschaft mein Schicksal + theilen. Es hat sich in diesen Tagen viel entschieden. + +Hier folgt die früher schon mitgetheilte Stelle über die in dieser Zeit +von der Hofräthin Spazier gemachten neuen Anknüpfungsversuche, und daran +schließen sich folgende von uns dort absichtlich noch weggelassenen +Worte: + + Da aber der Verstand, beleidigte Ehre, Pflichtgefühl und auch zarte + und edle Neigung für ein anderes weibliches Wesen mich stärken und + schützen, so werde ich der Sirenenstimme, die von der Spree her zu mir + herüberschallt, nicht folgen. + +Er fährt dann fort: + + Mein Verhältniß hier zur Welt ist im ganzen noch dasselbe, wie ich + es Ihnen geschildert. Innige Freundschaft mit allen Gliedern des + Ludwig'schen Hauses ist jedoch das, was mich allein sehr anzieht. + Sie sind es auch allein, die mich ganz verstehen und würdigen. Ich + habe hier nämlich wieder das Schicksal, daß viele Menschen gegen mich + sind, daß mich diese für stolz, üppig, eingebildet und Gott weiß wofür + Alles halten, wozu ich freilich durch mein schneidendes, auch oft + sonst nie vorsichtiges Betragen Veranlassung gegeben habe. Ich bin + über die Ursachen und die einzelnen Gravamina lange in Unsicherheit + gewesen, da ich nur die Spuren in den Folgen entdeckte, ohne die + Ursachen errathen zu können, da die Winke, die ich von einer Seite + erhielt, nicht hinreichten, mir die nöthige Aufklärung zu geben. Jetzt + kenne ich aber alle Fäden der geheimsten Verhandlungen darüber und + auch alle Intriguen, die dabei stattgefunden und -finden. + + Mein Genius, der mir jene Winke und jetzt alle Offenbarungen gegeben + hat; der mein Interesse vom ersten Augenblicke, daß ich hier vor einem + Jahre aufgetreten bin, zum eigensten gemacht hat; dem ich und die + Hofräthin alles Gute und Liebe verdanken, das wir hier genossen; der + mich und sie mit gleicher Energie verfochten und vertreten; der durch + einen wunderbar sympathetischen Zug sich zu mir wie ich mich zu ihm + hinneigte, als auch noch nicht die allerentfernteste Möglichkeit da + war, daß je ein näheres Verhältniß eintreten könnte -- dieser Genius + ist jenes herrliche Mädchen, Ludwig's Schwägerin, Fräulein Jeannette + von Zschock -- seit einer Woche meine still Verlobte! Sie wird mir + fürs Leben angehören, wenn ich es vermag, mein bürgerliches Schicksal + ganz zu ordnen, die Einwilligung Ludwig's und ihrer Schwester, die + noch nicht von Teplitz zurück sind, zu erhalten und die Welt ganz mit + mir zu versöhnen. Wir werden aber Vieles zu kämpfen haben, ehe wir ans + Ziel kommen. + + Unsere Wahlverwandtschaft hat um so weniger unbeobachtet bleiben + können, da durch die Eifersucht der Hofräthin, die zu einer Zeit, + als der Gedanke daran zu den Märchen aus dem Monde gehörte, mich und + die arme Jeannette aufs Blut damit verfolgte, dies unser Verhältniß + die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, da es psychologisch + allerdings höchst interessant war und jetzt von neuem die Behauptung + Schubert's und Anderer gewissermaßen bestätigt, wie diese Art + Nervenkranker die Gabe der Voraussehung und Voraussagung haben. + Außerordentlich ist's, daß sie im Wahnsinn ihres Fiebers prophetisch + Alles ausgesprochen hat. »Ich bin«, sagte sie, indem sie unsere Hände + zusammenlegte, »Donna Elvira, mein Fräulein; ich werde nun gehen«.... + + Meinerseits bin ich überzeugt, daß meine Kinder eine vortreffliche + Mutter und Erzieherin, ich eine edle Freundin und treue Genossin + fürs Leben errungen habe, wenn es mir gelingt, unsere Verbindung zu + vollenden. Sie wissen, wie verarmt mein Leben war und wie es das + außerordentlichste Glück ist, wenn ich es auf diese Weise neu und + schön ordnen kann. Ich gedeihe nur in einem edeln Familienkreise, und + ohne solchen bin ich nichts. Und was wird und kann aus meinen Kindern + werden, wenn sie nicht wieder eine edle Mutter finden? Es ist der + lebhafteste Wunsch meiner Freundin, die kleine Sophie von Amsterdam + herüberzuhaben, und es werden daher ernste Ueberlegungen stattfinden + müssen, wenn Sie herüberkommen, wie dies zu bewerkstelligen. + +Der Schluß des Briefs enthält eine anziehende Schilderung des +altenburger Vogelschießens, eines damals mit weit mehr Glanz als jetzt +gefeierten Volksfestes: + + Ich würde Ihnen diesen Brief schon vor acht Tagen geschrieben haben, + wo er freilich noch nicht so klar und bestimmt hätte melden können, + was er jetzt enthält, wenn nicht in dieser Zeit gerade das hiesige + große Vogelschießen stattgefunden, das jede geregelte Arbeit beinahe + unmöglich macht. Sie können sich keinen Begriff davon bilden, mit + welchem Pompe, mit welchen Feierlichkeiten es begleitet ist, und wie + sich Geschmack und alle schönen Künste vereinigen, die Belustigungen + dabei zu veredeln und zu verschönern. Dies Jahr war noch eine neue + Loge erbaut worden, in der sich nun die Elite der Gesellschaft + versammelte, wo des Morgens _Déjeuner dansant_, dann _Dîner_, Abend + _Bal paré_, Spiel und _Souper_ unter den Colonnaden des Saals und in + den Nebenzimmern war. An einem Tage in den Zwischenzeiten war noch + Lotterie für Damen, an einem andern Tage Concert. Jeannette gewann + auf zwei von mir geschenkte Lose zwei Ringe! Sie können denken, wie + glücklich uns dieser Zufall oder diese Schicksalsdeutung machte. + Blos in dieser Loge speisten gewöhnlich 4-500 Personen. Ich glaube + nicht, daß es irgendwo brillantere oder angenehmere Bälle und Partien + geben könnte, als es die hier waren. Aus der ganzen Gegend bis von + Dresden her hatten sich lebenslustige Fremde in außerordentlicher + Zahl eingefunden, die täglich ab- und zuwogten. Dazu die zahlreichen + Buden auf der an einer sanften Anhöhe gelegenen Vogelwiese, von der + man eine wunderschöne Aussicht hat; die herrliche Witterung, die + schönen mondhellen Nächte, der Jubel der Volksmengen, denen diese + Woche das ist, was den Römern ihr Carneval; das Werfen der Schwärmer, + der Raketen, womit sich Jung und Alt amusirt; das ewige Musiciren + von zwanzig Orten her, das Trommeln bei jedem Schusse, der den Vogel + verwundet; die militärische Haltung aller Freunde und Bekannten, die + sämmtlich in ihren ebenso geschmackvollen als wohlkleidenden Uniformen + (dunkelgrün aufs brillanteste mit Silber gestickt, französischer + Offiziersschnitt) mit großen russischen Hüten und rothen Schwungfedern + erscheinen; die geputzten Weiber und Mädchen, von denen es wimmelt. + + Sie wissen, wie arm man in Holland an allem ist, was Vergnügen + heißt, und Sie können daher denken, wie sehr es auf mich einwirken + mußte. + + Ich war dazu doppelt glücklich, aber auch doppelt mäßig in jedem + Genusse, da am Vorabend des Festes meine edle Freundin mir mit ihrem + Herzen auch ihre Hand zugesagt hatte. Das geheimnißvolle Glück, das + eine ausgesprochene edle Liebe begleitet, deren Höhe von keinem Aber + geahndet wurde, goß einen besondern Reiz über unsere beiderseitige + Haltung und Wesen, die von unsern nähern Freunden nicht übersehen + wurde. + + Ich komme nochmal auf unsere Widersacher. Niemand ahndet zwar, daß + zwischen uns eine Erklärung stattgefunden und wir uns Beide vollkommen + verstehen; allein Jeder bemerkt leicht unsere gegenseitige Neigung, + und da ich in allen öffentlichen Orten ihr den Arm gebe, bei Tisch + ihr immer zur Seite bin, jeden ersten Tanz mit ihr tanze, mich _par + préférence_ mit ihr unterhalte, sie beständig nach Hause führe, + so hat man natürlich unsere gegenseitige Neigung nicht übersehen + können, davon abgesehen, daß da, wo ich nicht bin, sie mich hebt oder + nöthigenfalls vertheidigt, wie ich schon oben gedacht habe. + +Die weitere günstige Entwickelung der Verlobungsangelegenheit schildert +Brockhaus in einem fernern Briefe an Bornträger aus Leipzig vom 21. +September: + + Ich bin seit meinem vorigen Briefe ein paar mal in Leipzig gewesen, + wo ich auch jetzt mich schon wieder seit acht Tagen befinde, um + mehrere Expeditionen zu beschleunigen und vieles Andere zu reguliren, + da die Niederlage muß geräumt werden und hundert andere Dinge zu thun + sind. + + Seit jenem Briefe hat sich in den dort geschilderten Verhältnissen + viel geändert und zum Guten, sodaß ich hoffen darf, es werde sich + Alles schön und edel lösen. Ludwigs kamen den 4. September zurück. + Ich war in Leipzig und kam erst den 8. wieder nach Altenburg. Meine + Freundin hatte sich ihnen gleich erklärt und mit der entschiedensten + Energie sich ausgesprochen, daß nichts sie zurückhalten würde, + ihr Leben mit dem meinigen zu vereinigen, wenn meine bürgerlichen + Verhältnisse sich ordnen ließen. Ludwigs hatten es gut aufgenommen und + ihr allen Beistand zugesagt. + +Zu den »Widersachern«, von denen er mehrfach spricht, gehörte besonders +der mit dem Ludwig'schen Hause eng befreundete Bankier August +Reichenbach. Indessen gelang es Brockhaus und Frau Ludwig, auch ihn zu +gewinnen, ja er wurde ihm bald ein treuer Freund, der ihn auch materiell +durch Credit bei seinen Verlagsunternehmungen unterstützte. + +Wie sehr Brockhaus seine künftige Schwägerin Frau Ludwig verehrte, +zeigt folgendes Gratulationsschreiben, das er zu ihrem Geburtstage, 27. +December 1811, an sie richtete: + + Als ich vor einem Jahre der »Schönen und Guten« am heutigen Tage + ein Zeichen meiner Verehrung brachte, wie wenig kannte ich da noch + den Umfang Ihres herrlichen Geistes, den Adel Ihrer Seele, die Tiefe + Ihres Gemüths, die Wärme Ihres Herzens, die, zusammen vereint, Sie + zum Stolze und zur Ersten Ihres Geschlechtes machen, und Allen, die + Ihnen nahen und die Ihnen angehören, der sicherste Leitstern sind + fürs eigene Streben. Sie werden heute vielfach begrüßt werden, liebe + Ludwig, und gewiß von Vielen in Liebe und Treue und Wahrheit. Ich + geselle mich zu den Vielen, und in kunstloser Rede sage ich Ihnen + denn auch, Keinem wenigstens an Wahrheit, Treue und Freundschaft + nachstehend, wie sehr ich Sie verehre und wie meine heißesten Wünsche + für Ihr Glück, für Ihren Seelenfrieden, für Ihr Wohlsein sich mit + denen Ihrer ältern und besten Freunde vereinigen! Seien Sie so + glücklich, als Sie verdienen es zu sein! + + Wie fern stand ich Ihnen vor einem Jahre! Wie unglücklich war ich + damals! Vieles, wie Vieles hat sich in den schnell verflossenen + Monden geändert! Ich sehe für mich die Morgenröthe eines neuen Glücks + aufgehen, das um so größern Reiz für mich haben wird, je näher ich + Ihnen, Verehrte, dadurch zu stehen komme! + + Möge ich Sie zur nächsten Feier des heutigen Tags mit einem Namen + begrüßen dürfen, der für mich, außer dem Herrlichen, was er an sich in + sich faßt, die schönste Lebensmusik sein wird. + +Im Laufe dieses und des folgenden Jahres hatten sich Brockhaus' +geschäftliche Verhältnisse immer mehr befestigt. Die Verlobung wurde +jetzt veröffentlicht und den Verwandten und Freunden mitgetheilt. Von +allen Seiten kamen herzliche Glückwünsche; der kurze, aber treffende +Glückwunsch eines dortmunder Jugendfreundes, Johannes Rappe, an +Brockhaus lautete: + + Dein Genie hat Dich durch so mancherlei Labyrinthe des bürgerlichen + Lebens gejagt und geführt, daß Du meinen Glückwunsch zu Deinem frohen + Lebensgenuß in ruhiger Wirksamkeit für aufrichtig anerkennen und + Deiner praktischen Vernunft zur Ausführung anvertrauen wirst. + +Auch sein Bruder Gottlieb schrieb sehr herzlich, und die in Dortmund +noch weilenden drei Kinder feierten dort die Hochzeit ihres Vaters wol +deshalb besonders freudig, weil sie ihnen die Aussicht bot, wieder eine +Mutter zu bekommen und nunmehr bald in das älterliche Haus zurückkehren +zu können. + +Die Hochzeit fand in Altenburg am 26. November 1812 statt, unter regster +Theilnahme der neuen und alten Freunde des Bräutigams, die sich in +zahlreichen ernsten und humoristischen Gedichten kundgab. + +Mit Bedauern vermißte Brockhaus unter seinen anwesenden Freunden den +Professor Ersch aus Halle. Derselbe war im September bei ihm zu Besuch +gewesen und hatte ihm dann geschrieben: + + Immer wird die Erinnerung meines Aufenthalts in Altenburg an die + erfreulichsten meines Lebens sich anreihen; immer werde ich mit frohem + Gefühle der Stunden denken, in welchen ich Bekanntschaften mit guten + Menschen erneuerte und stiftete. + +Jetzt durch Krankheit abgehalten, an der Hochzeit theilzunehmen, schrieb +er an Brockhaus aus Halle vom 21. December: + + Wahrlich, Sie hätten nicht nöthig gehabt, durch Ihre Nachrichten + von Ihrer frohen Hochzeit und den Feierlichkeiten, mit welchen Ihre + Freunde sie ausstatteten, meine Trauer über die Entbehrung dieser + Freuden zu schärfen, und doch waren sie mir ungemein lieb und + interessant, vorzüglich erfreuend aber die Bemerkung, daß Sie und Ihre + gute Jeannette in Altenburg so viele Freunde haben. Wer, wie ich, den + höchsten Lebensgenuß in dem Besitz von Freunden findet, weiß dies Gut + zu würdigen. + +Die nächsten vier Jahre, 1813-1816, verbrachte Brockhaus meist in +Altenburg, im ruhigen Genusse seiner neuen Häuslichkeit, aber auch in +angestrengter Thätigkeit für den Wiederaufbau seines Geschäfts und +unter lebhafter Theilnahme an den großen Ereignissen dieser Zeit. +Außer häufigen Fahrten nach Leipzig machte er nur im Sommer 1814 in +Erbschaftsangelegenheiten seiner Frau eine dreimonatliche Reise nach +Stuttgart, Augsburg und München, von wo er über Strasburg, Frankfurt +a. M. und Braunschweig zurückkehrte, und kleinere Ausflüge nach Dresden, +Weimar, Dessau, Wittenberg, Berlin. + +Von seinen Kindern hatte er Auguste und Hermann im April 1814 von +Dortmund nach Altenburg kommen lassen, während Heinrich erst im Mai +1816 folgte und die jüngste Tochter, Sophie, endlich im August 1817 +von ihrem ältesten Bruder Friedrich aus Amsterdam abgeholt und nach +Altenburg gebracht wurde. Friedrich war im Herbst 1813 zu dem Pastor +Schlosser in Großzschocher bei Leipzig gekommen, wo er mit andern +Knaben zusammen erzogen und unterrichtet wurde; zu Neujahr 1816 nahm +ihn auf Wunsch seines Vaters der mit diesem befreundete und schon seit +der amsterdamer Zeit einen großen Theil seiner Verlagswerke druckende +Buchhändler und Buchdrucker Hans Friedrich Vieweg in Braunschweig +zu sich in die Lehre; er sollte hier gleichzeitig mit Vieweg's fast +gleichaltrigem Sohne Eduard die Buchdruckerkunst erlernen, weil sein +Vater die Absicht hatte, mit dem immer größere Ausdehnung erlangenden +Verlagsgeschäfte eine Druckerei zu errichten. Der jüngste Sohn Hermann +erhielt mit den Ludwig'schen Kindern zusammen Privatunterricht und kam +später gleich seinem ältern Bruder Heinrich, der an diesem Unterrichte +auch mit theilnahm, in die Erziehungsanstalt zu Wackerbarthsruhe bei +Dresden Die älteste Tochter Auguste wurde im Januar 1815 in eine Pension +nach Dresden gebracht und war dort bis zur Uebersiedelung ihres Vaters +nach Leipzig; die zweite Tochter, Karoline, blieb in Altenburg. + +Von seiner Frau wurden ihm in dieser Zeit zwei Kinder geboren, Alexander +und Luise, die aber bald wieder starben, ersterer am 20. August 1814, +letztere am 4. August 1818. Später wurden ihm noch zwei Töchter geboren: +Johanne Wilhelmine am 29. December 1817 noch in Altenburg und Marie +Ottilie am 18. Mai 1821 in Leipzig. + + * * * * * + +Brockhaus' langjähriger vertrauter Gehülfe und treuer Freund Bornträger +war nach dem Verkaufe des amsterdamer Geschäfts noch bis zum Frühjahre +1812 in Amsterdam geblieben, um die von dem Käufer, Johannes Müller, +nicht mit übernommenen Außenstände einzuziehen und alle sonstigen +Verhältnisse daselbst zu regeln. Als ihm dies gelungen war und er am +4. März 1812 den schon früher erwähnten Vertrag mit dem amsterdamer +Buchhändler Sülpke abgeschlossen, schrieb ihm Brockhaus offen: er könne +ihm augenblicklich keine feste Stellung in Altenburg anbieten, da seine +Verhältnisse noch zu wenig consolidirt seien, und rathe ihm seiner +selbst wegen eine andere Condition anzunehmen, zu deren Erlangung er +ihm gern behülflich sein werde; für alle Fälle sei ihm in seinem Hause +ein Asyl gesichert. Durch diese Mittheilung und wol auch durch manche +Vorwürfe verletzt, die ihm während der allerdings sehr schwierigen Zeit +seiner Geschäftsführung gemacht worden waren, kündigte Bornträger und +nahm eine untergeordnete Stellung bei dem Buchhändler Tasché in Gießen +an. Er schrieb aber bald darauf selbst an Brockhaus, daß er seinen +Entschluß bereue, und in spätern Jahren, bei Bornträger's regelmäßigem +Besuche der leipziger Messe, glichen sich alle Differenzen zwischen +ihnen vollständig aus. Bornträger rühmt selbst in einem spätern Briefe, +er habe sich der Freundschaft seines frühern Principals bis zu dessen +Tode zu erfreuen gehabt. + +In Gießen blieb Bornträger bis Anfang 1815, ging dann nach Berlin +zu Amelang und errichtete 1818 in Gemeinschaft mit seinem jüngern +Bruder Ludwig in Königsberg unter der Firma Gebrüder Bornträger eine +Sortimentsbuchhandlung, mit der bald auch Verlagsbuchhandel vereinigt +wurde. Diese Buchhandlung leitete er erst mit seinem Bruder, dann nach +dessen Tode (1843) allein bis zu seinem am 6. März 1866 in hohem Alter +(er war am 17. September 1787 zu Osterode am Harz geboren) erfolgten +Tode und wußte seiner (noch jetzt unter einem andern Besitzer in +Berlin fortblühenden) Verlagsbuchhandlung Ansehen zu verschaffen; sein +Sortimentsgeschäft war schon 1842 an Tag & Koch verkauft worden. Auch +persönlich genoß er hohe Achtung bei seinen Mitbürgern, die ihn 1843 zum +Stadtrath wählten. + +Die Verdienste, die sich Bornträger um Brockhaus als treuer Freund und +Berather in schwieriger Zeit erworben, werden auch von dessen Nachkommen +vollkommen gewürdigt und sein Andenken wird bei ihnen stets in Ehren +gehalten werden. + + * * * * * + +Bornträger's Nachfolger als Brockhaus' vertrauter Gehülfe und bald in +noch höherm Grade wie dieser als Freund des Hauses wurde Karl Ferdinand +Bochmann, der am 10. Juli 1813 in das Geschäft eintrat. Am 11. Februar +1788 zu Thurm bei Glauchau geboren, hatte er in der Buchhandlung des +Magister Sommer in Leipzig sechs Jahre lang den Buchhandel erlernt und +dann, von Wanderlust getrieben, im August 1808 eine Gehülfenstelle in +Amsterdam bei dem Buchhändler Hesse angenommen. Bezeichnend für die +damaligen Verhältnisse ist es, daß Hesse mit seinem neuen Gehülfen einen +förmlichen Vertrag abschloß, in dem sich dieser verpflichten mußte, sich +niemals in Amsterdam zu etabliren, ja selbst »nie mit den Principalen +der andern zwei dortigen deutschen Buchhandlungen und mit deren Leuten +sich einzulassen und allen Umgang mit denselben zu vermeiden, ansonsten +Er augenblickliche Entlassung seiner Condition zu erwarten hat«. +Trotzdem war er in Amsterdam mit Brockhaus bekannt geworden. Als Hesse +im Sommer 1813 seine amsterdamer Buchhandlung aufgab und nach Paris zog, +nahm Bochmann die ihm jetzt durch Vermittelung seiner an _Dr._ Bernhardi +in Altenburg verheiratheten Schwester angebotene Stelle bei Brockhaus um +so lieber an, als es ihm bei den aufgeregten politischen Verhältnissen +Hollands in Amsterdam nicht mehr gefiel und er sich nach der Heimat +sehnte. War er doch 1809 sogar gezwungen worden, in die amsterdamer +Bürgerwehr (_Schutterij_) einzutreten. So ergriff er am 11. Juni 1813 +den Wanderstab und legte die Reise nach Altenburg, wo er am 26. Juni +eintraf, zu Fuße zurück. Ueber seine Wanderung wie über die nächste so +ereignißreiche kriegerische Periode führte er ein Tagebuch, das manches +Interessante enthält. Er gewann bald Brockhaus' vollständiges Vertrauen +und war schon während der altenburger Zeit dessen Hauptstütze im +Geschäft. + + * * * * * + +Außer Bochmann hatte Brockhaus noch zwei Männer an sich gezogen, die ihn +bei seiner literarischen und redactionellen Thätigkeit unterstützten, +während Bochmann das rein Buchhändlerische besorgte: _Dr._ Ludwig Hain, +der im August 1812 eintrat, um ihn zunächst bei der Redaction des +»Conversations-Lexikon«, später auch bei der Herausgabe der »Deutschen +Blätter« zu unterstützen, und bis 1820 bei ihm blieb, und _Dr._ Sievers, +der im Herbst 1813 zu Hain's Unterstützung kam, seine Stellung aber +schon 1815 wieder aufgab. + +Während dieser Zeit vollzog sich auch die Umänderung der bisherigen +Firma des Geschäfts »Kunst- und Industrie-Comptoir« in die seitdem +beibehaltene Firma: »F. A. Brockhaus.« Und zwar erfolgte diese +Umänderung in ganz formloser Weise, da man überhaupt auf alle solche +Dinge damals wenig Gewicht legte. + +Wie schon früher erwähnt, gebrauchte Brockhaus seit Aufgabe des +amsterdamer Geschäfts die Firma desselben auch in Altenburg noch +fort, nur mit einem Zusatz, indem er »Kunst- und Industrie-Comptoir +von Amsterdam« firmirte und auf den Büchertiteln bald Altenburg, bald +Leipzig, bald beide Städte als Verlagsort nannte. In einem vom 15. +Januar 1814, und noch dazu nicht aus Altenburg, sondern aus Leipzig +(wo sich Brockhaus damals zufällig befand), datirten Circulare über +Rechnungsverhältnisse finden sich am Schluß ganz beiläufig folgende +Zeilen: + + Noch bemerken wir Ihnen, daß wir von jetzt an blos nach dem + Eigenthümer unserer Handlung mit F. A. #Brockhaus# firmiren werden. + +Diese Firmenzeichnung findet sich seitdem auf allen seinen +Verlagsartikeln, im Anfang noch abwechselnd mit »Altenburg« oder +»Leipzig« oder beiden Städten als Verlagsorten, seit 1817 meist und seit +1819 ausschließlich mit dem Verlagsort »Leipzig«. + + + + + 2. + + Neue Verlagsthätigkeit. + + +In Altenburg entfaltete Brockhaus, sobald er die Verwickelungen aus der +amsterdamer Periode zum Abschluß gebracht, gleich eine überaus rege und +umfassende Thätigkeit. Mit neuer Kraft und mit gewohnter Energie gelang +es ihm, von dem rasch wiederkehrenden Vertrauen der Buchhändlerwelt +gehoben und von seinen neugewonnenen Freunden in Altenburg moralisch und +materiell unterstützt, sein Verlagsgeschäft bald zu größerer Bedeutung +zu bringen, als es in Amsterdam gehabt, und dadurch auch seine äußere +Lage wieder zu einer günstigen zu gestalten. + + * * * * * + +Seine Verlagsthätigkeit in dieser altenburger Periode erstreckte sich +besonders nach drei Richtungen hin. Die eine umfaßt seine Thätigkeit +auf politisch-publicistischem Gebiete während der ereignißreichen +und für Deutschland so hochbedeutsamen Jahre 1813-1815. Die zweite +Hauptthätigkeit betrifft das »Conversations-Lexikon«, das er wesentlich +in diesen Jahren zu dem gestaltete, was es für ihn und für die deutsche +Literatur geworden ist. Die dritte Seite endlich ist die seiner +allgemeinen Verlagsthätigkeit auf fast allen Gebieten der Literatur. + +Die beiden ersten Gruppen einer schon durch ihre Wichtigkeit geforderten +eingehendem Schilderung vorbehaltend, beginnen wir mit der dritten, auch +der Zeit nach den andern beiden meist vorangehenden Gruppe. + +Zunächst hatte Brockhaus noch Unannehmlichkeiten wegen zweier früher +von ihm übernommener und von uns bereits erwähnter Verlagswerke, die im +Herbste 1811 mit der Jahreszahl 1812 und unter der bekannten fingirten +Verlegerfirma »Peter Hammer in Köln« erschienen waren: »Handzeichnungen +aus dem Kreise des höhern politischen und gesellschaftlichen Lebens« und +»Briefe eines reisenden Nordländers«. + +Der ungenannte Verfasser des erstern Buchs ist auch unbekannt +geblieben. Aus einer von Brockhaus selbst herrührenden Notiz geht nur +hervor, daß die Hofräthin Spazier es vor dem Druck redigirt hatte und +dafür 50 Thlr. »Redactionsgebühren« erhielt; verfaßt ist es von ihr +schwerlich, vielleicht von dem Kriegsrath von Cölln. Das kleine Buch +enthält eine Reihe meist hochgestellte Persönlichkeiten betreffender +Anekdoten und Erzählungen, die, ihre Wahrheit vorausgesetzt, allerdings +»zur Charakteristik der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts« +(wie noch auf dem Titel steht) dienen, aber zum Theil Skandale und +Verbrechen unter voller Namensnennung der Betreffenden enthüllen und +deshalb bei diesen wie im Publikum großes Aufsehen erregten. Der daraus +entstandene Conflict mit dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg, aus +dessen früherm Leben eine pikante Anekdote erzählt wird, wurde bereits +früher berichtet. Jetzt verursachte Fürst Hatzfeld in Berlin, von dessen +verstorbenem Bruder in dem Buche ebenfalls eine schlimme Gerichte +erzählt wird, dem Verleger ernstere Unannehmlichkeiten, indem auf seine +Veranlassung dasselbe gleich den »Briefen eines reisenden Nordländers« +in Leipzig mit Beschlag belegt wurde, nachdem er außerdem eine Klage +gegen ihn anhängig gemacht hatte. + +Die »Briefe eines reisenden Nordländers« sind von Reichardt, dem +bekannten Musiker und Reiseschriftsteller, verfaßt, von dem Brockhaus +bereits 1810 »Vertraute Briefe« über Wien und Oesterreich verlegt hatte, +und waren, wie früher erwähnt, von Brockhaus selbst hervorgerufen +worden. Das Buch erschien zuerst ebenfalls anonym, dagegen ist der +Verfasser auf der (1816 veranstalteten) neuen Auflage genannt, wenn auch +eigenthümlicherweise mit einem Druckfehler: Reichhardt statt Reichardt. + +Ueber die Conflicte wegen dieser beiden Bücher schreibt Brockhaus am 5. +December 1811 aus Altenburg an Bornträger: + + Ich befinde mich hier seit wenigen Tagen in einer besondern Krisis. + Von unserm Verlage haben die »Handzeichnungen« und die »Briefe des + Nordländers« große Sensation gemacht. Von den ersten sind in Leipzig + 73 Exemplare confiscirt und sind solche in vielen Orten verboten + worden. Auch die »Briefe des Nordländers« sind in Leipzig vor der + Hand verboten, doch nur erst dort, weil sie erst seit kurzem versandt + sind. In Leipzig soll ich von der Büchercommission gar, wie Mitzky mir + meldet, zu sechswöchentlichem _prison_ verdammt worden sein, weil ich + die Firma Peter Hammer gebraucht habe. + + Auch bin ich direct vom Fürsten von Hatzfeld in Berlin wegen + einer seinen verstorbenen Bruder betreffenden Anekdote in den + »Handzeichnungen« auf rechtlichem Wege in Anspruch genommen worden, + und habe ich deshalb heute eine Vernehmung zu erdulden gehabt. + + Dies ist es indessen weniger, was mich afficirt gerade, ob ich + gleich glaube, daß noch von vielen Seiten Reclamen wegen der + »Handzeichnungen« erfolgen werden. Es schützt mich hier so ziemlich + die passirte Censur und die Erlaubniß der Nennung des Verfassers, den + ich aber bisjetzt noch nicht genannt habe. + + Mehr bin ich besorgt wegen des »Nordländers« in Rücksicht des darin + wehenden Geistes, ob ich gleich alle marquanten Stellen gestrichen + habe. Die Gefahren scheinen aber demohnerachtet nicht unbedeutend zu + sein, da besonders heute sehr schreckbare Nachrichten eingelaufen + sind. So ist Hofrath Becker in Gotha vor drei Tagen durch 250, ich + sage 250 Mann französische Dragoner aus der Residenz ohne Vorwissen + des Herzogs und der Landesregierung aufgehoben und in Zeit von + 10 Minuten aus der Stadt mit allen seinen Papieren fortgefahren + worden, ohne daß man weiß wohin. So ist Hofrath Voigt in Jena wegen + leichtsinniger Censur des dritten Bandes von Seume's »Reise nach + Syrakus« ebenfalls beim Kopf genommen. In Leipzig ist, wie ebenfalls + heute die Nachricht eintrifft, die alte Büchercommission cassirt + und ein Einziger statt derselben angestellt worden mit den größten + Vollmachten. Dieser Einzige heißt Brückner, das Alles ist, was ich bis + zur Minute von ihm weiß. + + Von Gotha war ich von unbekannter Hand von der Hatzfeld'schen + Requisition vorab unterrichtet worden, und ich werde hier so leicht + nichts zu fürchten haben, wenn Alles im gewohnten rechtlichen Wege + ginge. Bei diesen außerordentlichen Begebenheiten ist aber für nichts + zu stehen, und die Freunde und die Freundinnen beschwören mich, mich + zu entfernen. Dies ist auch beschlossen, und werde ich eine längst + vorgehabte Reise unternehmen. + +Einige Tage darauf, am 11. December, schrieb Brockhaus: + + Ich habe die Idee, die ich Ihnen neulich mittheilte, wieder + aufgegeben, da mir die Gefahr bei näherer Ueberlegung minder dringlich + scheint. Adressiren Sie indessen Ihre Briefe nur immerhin an + Scholber[48], da doch ein Fall eintreten könnte. Wegen Becker weiß man + noch nichts Näheres. Man sagt, er sei nach Hamburg gebracht. + +Rudolf Zacharias Becker, der bekannte Volksschriftsteller und +Buchhändler, war auf Davoust's Befehl in Gotha verhaftet und nach +Magdeburg gebracht worden, wo er bis zum April 1813 gefangen gehalten +wurde; er hat dies selbst in der interessanten Schrift: »Becker's Leiden +und Freuden in siebzehnmonatlicher französischer Gefangenschaft« (Gotha +1814), geschildert. + +Wie die Angelegenheit mit jenen beiden Verlagswerken und speciell die +Klage des Fürsten Hatzfeld schließlich für Brockhaus verlief, wissen +wir nicht. Unter unsern Papieren findet sich darüber nur noch ein +eigenhändiges Concept folgender am 5. März 1812 von Brockhaus der +altenburger Regierung abgegebenen loyalen Erklärung: + + Ich wiederhole vollkommen, was ich in der ersten Vernehmung vom 5. + December v. J. hierüber bereits gesagt habe, und trage daher jetzt + auf ein rechtliches Erkenntniß über diesen Gegenstand an, indem ich + nur noch wünsche, daß mir gestattet werden möge, die Grundsätze, + welche hier in Anwendung kommen könnten, meinerseits in einem + mir zu bestimmenden Termine in einer nähern Deduction genauer zu + entwickeln. Sollte dieses rechtliche Erkenntniß dahin lauten, daß + seitens des Herrn Fürsten von mir, nach rechtlichen dabei eintretenden + Grundsätzen, der oder die quästionirten Namen können verlangt und + müßten mitgetheilt werden, so erkläre ich hierdurch ausdrücklich und + bestimmt, daß ich mich demselben ebenso unweigerlich unterwerfen + werde, als es mir jetzt unrechtlich und meine Pflicht als Verleger + verletzend erscheinen würde, schon gegenwärtig darin dem Herrn Fürsten + zu willfahren. Ich würde mir selbst, dem Verfasser oder den Personen, + von welchen ich das quästionirte historische Factum in Manuscript + erhalten habe, als feig und unedel erscheinen, wenn ich auf die bloße + Instanz eines Individuums, das ich auch bei gleicher Namenslautung + bisjetzt doch nur als dritte dabei nicht concernirte Person betrachten + muß, gleich pliirte und den Verfasser dadurch vielleicht unmittelbar + persönlichen oder Privatverfolgungen oder Ahndungen aussetzte, die + ich von ihm oder ihnen so lange abzuwehren für meine Pflicht halte, + als anerkannte rechtliche Grundsätze mich nicht dazu moralisch und + bürgerlich verbinden. Der Herr Fürst kann sich übrigens ja auch + vollkommen mit dieser Erklärung zufriedengeben. Entweder ist seine + Frage rechtlich begründet, oder sie ist es nicht. Im erstern Falle + wird das von mir provocirte rechtliche Erkenntniß ihm beistimmen, und + ich, da alsdann meine Ehre als Verleger gegen den Verfasser gerettet + ist, unterwerfe mich unbedingt dem Erkenntniß, soweit dasselbe die mir + jetzt vorgelegte Frage betrifft. Im letztern Falle darf der Herr Fürst + ja überhaupt keine Bewilligung seiner Instanz erwarten. + +Ein wichtigeres Verlagsunternehmen, dem sich Brockhaus seit seiner +Uebersiedelung nach Altenburg wieder mit Eifer widmete, und das er neben +dem »Conversations-Lexikon« mit besonderer Vorliebe pflegte, war das von +ihm begründete Taschenbuch »Urania«. + +Der erste Jahrgang war unter dem Titel: »Urania. Taschenbuch für das +Jahr 1810«, im Herbst 1809 erschienen und hatte viele Theilnahme +gefunden. Das vom 1. September 1809 datirte Vorwort ist ohne Zweifel +von der Hofräthin Spazier geschrieben und der Jahrgang auch von +ihr zusammengestellt. Er wird durch einen Aufsatz von Jean Paul: +»Erden-Kreis-Relazion« eröffnet, worauf andere abwechselnd prosaische +und poetische Beiträge folgen: von Friedrich Kind, Charlotte +von Ahlefeld, Theodor Körner, Luise Brachmann, Varnhagen, De la +Motte Fouqué, Mahlmann, Apel u. a. Die Ausstattung ist elegant: +Miniaturformat, gutes Papier, scharfer Druck (wahrscheinlich von Vieweg +in Braunschweig), hübsche Kupferstiche; das zierliche Bändchen wurde +cartonnirt mit Goldschnitt ausgegeben. + +Der zweite Jahrgang, in etwas größerm aber auch noch Miniaturformat, +erschien erst zwei Jahre nach dem ersten, im Herbste 1811, unter dem +Titel: »Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1812«; er war +gleichfalls noch von der Hofräthin Spazier zusammengestellt worden, doch +übernahm Brockhaus selbst die schließliche Redaction und behielt diese +für die Folge der Hauptsache nach in seinen Händen. + +Im December 1811 erließ er eine Aufforderung an zahlreiche +hervorragende deutsche Schriftsteller mit der Bitte um Beiträge für die +»Urania«. Der nächste Jahrgang erschien aber erst 1814 (für das Jahr +1815), während inzwischen (1812) der zweite Jahrgang nochmals mit einem +neuen Titel für 1813 und im Kriegsjahre 1813 überhaupt keiner ausgegeben +wurde. Jene Einladung erging an Zschokke, Oehlenschläger, Kotzebue, +August Wilhelm und Friedrich von Schlegel, Weißer, Haug, Therese Huber, +Henriette Schubart, Amalie von Helvig u. a. + +Auch an Baggesen schickte Brockhaus die in Circularform gehaltene +Aufforderung und fügte selbst noch folgende Worte hinzu, die nach ihren +frühern Zerwürfnissen ihm gewiß Ehre machen: + + Es würde mich sehr freuen, mein guter Baggesen, wenn wir auf diesem + Wege wieder zusammen in Berührung kämen. Wie Vieles hätte ich von + Ihnen zu erfragen, wie Vieles Ihnen zu erzählen! Ich bin Ihnen mit + alter Liebe und Freundschaft ergeben. + +Ein Versuch, auch Goethe »für die 'Urania' zu erobern«, wie Brockhaus +sich ausdrückt, schlug zwar in der Hauptsache fehl, verschaffte ihm aber +doch die Gelegenheit, Goethe's persönliche Bekanntschaft zu machen. Wol +hauptsächlich zu diesem Zwecke reiste er Anfang Januar 1812 nach Jena, +Weimar und Gotha. In dem Jahrgange für 1812 hatte die »Urania« Scenen +aus Goethe's »Wahlverwandtschaften« in acht Kupfern nach Zeichnungen +von Dähling gebracht. Für den nächsten Jahrgang waren Darstellungen +aus »Faust«, »Egmont« und »Tasso« gewählt, meist nach Zeichnungen von +Heinrich Naeke in Dresden, und diese legte er jetzt dem Dichter vor. +Nach seiner Rückkehr schrieb er an Naeke: + + Goethe war mit Ihren ersten beiden Zeichnungen (zum »Faust«) + sehr zufrieden, und er hat mir aufgetragen, Ihnen seinen Dank zu + bezeugen. Ihr erstes Bild, das Puttrich gekauft, war auch in Weimar, + und Schwerdgeburth hatte den Vorsatz, solches in großem Format in + Kupfer zu stechen. Er wird aber wahrscheinlich diese Idee aufgeben, + da ich auf eine andere gekommen bin: eine Goethe-Galerie in 12 oder + 24 Blättern in der Größe Ihrer Zeichnungen herauszugeben, sobald die + Zeitläufte eine solche Unternehmung nur einigermaßen begünstigen und + das Publikum Ruhe findet, sich dafür interessiren zu können. Mündlich, + da ich Sie bald persönlich zu sehen hoffe, hierüber mehr. + +Der Plan einer »Goethe-Galerie« in größern Kupferstichen kam nicht +zur Ausführung, zunächst wol der bald folgenden Kriegsjahre wegen. +Er ist, wie so manche von Brockhaus gefaßte Idee, von seiner Firma +in späterer Zeit ohne specielle Kenntniß dieser Absicht wieder +aufgenommen und ins Leben gerufen worden (in der 1863 von Friedrich +Pecht herausgegebenen »Goethe-Galerie«), ebenso ein im September 1817 +von Brockhaus angekündigter Plan einer »Shakspeare-Galerie«. In der +»Urania« erschienen übrigens zahlreiche kleine Abbildungen zu Goethe's +und Shakspeare's Dramen. + +Goethe interessirte sich fortgesetzt für die seine Dramen betreffenden +Zeichnungen und erhielt auf seinen Wunsch auch die übrigen zur +Begutachtung vorgelegt. Den Verkehr darüber vermittelte der seit 1793 +in Weimar lebende und 1806 vom Großherzog zum Legationsrath ernannte +Schriftsteller Johannes Daniel Falk (geb. 1768, gest. 1826), über dessen +Beziehungen zu Goethe das auf seinen Wunsch erst nach dessen Tode aus +seinem Nachlasse veröffentlichte Werk: »Goethe aus näherm persönlichen +Umgange dargestellt« (Leipzig 1832, 3. Aufl. 1856), berichtet. Falk +stand mit Brockhaus in geschäftlichen wie in freundschaftlichen +Beziehungen und schrieb auch die Erläuterungen zu den in der »Urania« +gegebenen Abbildungen zu Goethe's Werken. + +Ueber Goethe's Antheilnahme an diesen Zeichnungen schreibt Falk am 24. +April 1812 an Brockhaus: + + Die Zeichnung zum »Egmont« von Naeke ist allerliebst: Goethe, + dem ich sie zeigte und der das Bemühen Naeke's aufs dankbarste + anerkennt, äußerte blos den Wunsch, daß es dem jungen genievollen und + gemüthlichen Künstler gefallen möge, ihm die Sachen ehe sie fertig und + im Umriß zuzuschicken, wo liebevolle Erinnerungen eines freundlichen + Mannes kleinen Irrthümern zuvorkommen und oft mit ein paar Strichen + abhelfen können. So z. B. an der Lage der Hand des Klärchen im + »Egmont« hat der junge Künstler in der Unschuld seines Herzens kein + Aergerniß genommen: Goethen fiel dies sogleich auf, und der hiesige + französische Gesandte, der die Zeichnung von ungefähr sah und ungemein + damit zufrieden war, bemerkte unverabredet: _que c'était hors de la + convenance_. + + Eine jede Kritik muß einem so liebenden zarten Gemüth wie das von + Naeke nicht besser vorkommen als den Blumen ein Nachtfrost. Suchen + Sie es ihm nur beizubringen, daß diese Bemerkungen von Männern + herrühren, die sein schönes Bestreben mit Liebe zu umfassen aufs + allerbeste geneigt sind und die sich nie ein öffentliches liebloses + Wort gegen ihn erlauben würden. + +In demselben Briefe kommen noch zwei andere Goethe betreffende Stellen +vor. In der ersten schreibt Falk: + + Den Brief von Kestner, das Gedicht von Goethe, kann ich Ihnen nur + unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit in die Hände geben. + +Und an einer andern Stelle, in der Falk die Bitte ausspricht, Brockhaus +möge ein Werk von ihm ja nicht auswärts, sondern unter seinen Augen in +Weimar drucken lassen, sagt er: + + Es liegt etwas in dieser Bedingung für einen lebendigen Menschen, + und seien Sie versichert, daß Goethe z. B. mit Cotta, wie ich Goethe + kenne, nothwendig zerfallen müßte, wenn Cotta zur unerlaßlichen + Bedingung machte, die Sachen statt in Jena in Tübingen gedruckt zu + sehen. Nicht aus Eigensinn oder Bizarrerie von seiten Goethe's, + sondern aus einer Art von genialem Instinct, den Jeder begreift, der + selbst etwas zu produciren im Stande ist. + +Außer daß Goethe jene Zeichnungen begutachtete, scheint er sich an der +»Urania« nicht betheiligt zu haben. Einmal noch wird sein Name darin +genannt; bei Mittheilung eines Preisausschreibens im Juli 1816 sagt +Brockhaus: die von ihm um das Richteramt dabei gebetenen Schriftsteller +hätten gewünscht, »ihr Urtheil, bevor es bekannt gemacht würde, dem +Herrn Geheimen Rath von Goethe zur Genehmigung vorzulegen und sich auf +diese Weise unter die Auspicien unsers größten Meisters zu stellen«; es +sei deshalb an diesen ein solches Ansuchen ergangen. Indeß findet sich +weder ein solcher Brief an Goethe noch dessen Antwort oder irgendeine +andere Notiz darüber. + +Das ebenerwähnte Preisausschreiben wurde von Brockhaus im April 1816 +erlassen und den Lesern der »Urania« in dem vom Juli datirten Vorwort +zum Jahrgange 1817 mitgetheilt. Es folgten deren noch mehrere in den +nächsten Jahrgängen, und da sie meist von Brockhaus selbst verfaßt sind +und ihn von einer ganz neuen Seite zeigen, der einer directen Einwirkung +auf die belletristische Production und genauer Vertrautheit mit der +schönen Literatur, so ist ein näheres Eingehen darauf gerechtfertigt, +zumal sich auch vielfach literarhistorisches Interesse daran knüpft. + +In der »Urania« für 1817 theilt Brockhaus zunächst mit, daß er bereits +im April 1816 in Verbindung mit der Redaction der »Urania« folgende +Anzeige habe drucken lassen: + + Jedem Freunde der deutschen Poesie wird sich die Bemerkung + aufdringen, daß wir, bei einer Menge von Dichtern, doch wenige + Gedichte besitzen, die, zwischen den größern epischen und dramatischen + Darstellungen und den kleinen lyrischen Gattungen die Mitte haltend, + durch das Interesse eines reichhaltigen Stoffs sowol als durch + den Reiz einer gediegenen Kunstform zu stets wiederholtem Genusse + einladen und, statt flüchtig und gleichsam spurlos vorüberzugehen, den + Verstand und das Gemüth auf gleiche Weise befriedigen. Diese Wahrheit + hat sich mir zunächst bei näherer Ansicht unserer Taschenbücher + und Musenalmanache dargeboten, in denen wir Lieder, Sonette, Oden, + Elegien, Romanzen u. s. w. in Ueberfluß finden, welche allerdings, + insofern sie von wahrem poetischen Leben durchdrungen sind, ihren + eigenthümlichen Werth behaupten; dagegen fehlt es fast ganz an + gehaltvollen Gedichten von größerm Umfang, und wir haben, abgesehen + von einzelnen hinreichend bekannten Meisterwerken, in der bezeichneten + Art in Vergleich mit der englischen und französischen Literatur + verhältnißmäßig nur wenig aufzuweisen. Ohne auf Pope, Buckingham, + Roscommon, Boileau, Voltaire, Gresset und andere ältere Dichter von + entschiedenem Werth zurückgehen zu wollen, nenne ich nur einige + neuere, als Laharpe, Malfilâtre, Delille, Parny, Legouvé, Mollevaut, + Millevoye, Victorin Fabre, Hayley, Walter Scott, Byron u. s. w., die, + wenn sie auch nicht als höchste Muster gelten können, doch mehr oder + weniger wahres Verdienst haben. + + Der Wunsch, das bei mir erscheinende Taschenbuch »Urania« mit einem + immer reichern und gehaltvollen Inhalt auszustatten, hat mich auf + den Gedanken geführt, obige Bemerkung zu einigen Preisaufgaben zum + Behuf des genannten Taschenbuchs zu benutzen, und Alle, die sich der + Gunst der Musen erfreuen und die »Urania« mit ihrer Theilnahme zu + begünstigen geneigt sind, zu Versuchen in folgenden drei Gattungen + einzuladen: + + 1) in der poetischen Erzählung, wobei Stoff, Gattung und Einkleidung + der Wahl des Dichters überlassen bleibt; + + 2) in der Idylle, d. h. der poetischen Darstellung unschuldiger und + glücklicher Menschen, sie mag nun rein ideal oder mehr oder minder + aus der Wirklichkeit entlehnt sein; + + 3) in der poetischen Epistel aus dem Gebiet des Lebens oder der Kunst, + wobei nur die Heroide ausgeschlossen, dagegen eine didaktische + Tendenz als besonders willkommen bezeichnet wird. + + Die Wahl der Versart sowie die ganze äußere Form und Einrichtung + bleibt billig der freiesten Willkür des Dichters überlassen; in + Ansehung des Umfangs, der einem solchen Gedichte zu geben sein + möchte, haben mir Pope's »Lockenraub« (798 Verse) und »Versuch über + den Menschen« (1304 Verse) vorgeschwebt. Doch kann diese Bestimmung + bei den Schwierigkeiten, welche die harmonische Begrenzung eines + Kunstwerks hat, die einzig durch sich selbst bedingt wird, nur + andeutungsweise gemacht sein, und soll damit keineswegs ein festes Maß + angegeben sein. + + Für das beste Gedicht in jeder der bezeichneten drei Gattungen, + das mir bis zum 1. Januar 1817 mit Beobachtung der in solchen + Fällen gewöhnlichen Formen eingesandt wird, bestimme ich, insofern + es überhaupt ein gutes ist, einen Preis von 20 Friedrichdor, nehme + dasselbe in die »Urania« für das Jahr 1818 auf und behalte mir das + Verlagsrecht auf die nächsten fünf Jahre vor, nach welchen es dem + Verfasser als freies Eigenthum wieder anheimfällt. Ueberdies erbiete + ich mich, das gelungenste Gedicht nach dem gekrönten in jeder Gattung, + sofern es sich zur Aufnahme eignet, mit 4 Friedrichdor für den Bogen + zu honoriren. + + Würdige und kunstverständige Männer werden Richter sein; ihre + Namen sollen, wenn sie es verstatten, in der noch vor Michaelis + erscheinenden »Urania« auf 1817 dem Publikum angezeigt werden. + +Brockhaus fügt dieser frühern Anzeige jetzt noch folgende Bemerkungen +hinzu: + + Alles Obige hiermit nochmals bestätigend und zu einer recht + zahlreichen Concurrenz einladend, hat Unterzeichneter nur noch das am + Schlusse obiger Anzeige gethane Versprechen zu erfüllen. + + Eingeladen, das Richteramt zu übernehmen, sind worden die Herren + August Apel, Amadeus Wendt, Adolf Wagner in Leipzig, Messerschmid + in Altenburg, Riemer in Weimar und H. Voß der Sohn in Heidelberg. + Einige haben sich schon bereit erklärt, von den Andern dürfen wir eine + gleiche Willfährigkeit erwarten. (Hier folgt die oben mitgetheilte, + Goethe betreffende Stelle.) Ueber den Erfolg soll zu seiner Zeit die + bestimmteste Nachricht gegeben werden. + + Unabhängig von diesen Preisaufgaben werden übrigens alle + dichterischen Freunde der »Urania« freundlichst und ergebenst + eingeladen, sie auch künftig mit ihren Beiträgen zu schmücken. + +Das Preisausschreiben hatte den günstigsten Erfolg, indem infolge +desselben eine Dichtung eingesandt wurde, welche sofort als eine Zierde +der poetischen deutschen Literatur erkannt wurde und noch jetzt einen +ehrenvollen Platz in derselben einnimmt: »Die bezauberte Rose« von Ernst +Schulze, einem bis dahin fast ganz unbekannten jungen Dichter. + +Brockhaus verkündete dies sowie die übrigen Ergebnisse des +Preisausschreibens in der von ihm als »Herausgeber der 'Urania'« +unterzeichneten und vom September 1817 datirten Vorrede zum Jahrgang +1818 der »Urania«, in welchem auch »Die bezauberte Rose« zum ersten male +gedruckt erschien. Er sagte: + + Als wir zuerst im April 1816 drei poetische Preisaufgaben bekannt + machten, konnten wir uns allerdings einiger Bedenklichkeiten dabei + nicht erwehren. Einmal mußten wir besorgen, daß Tadelsucht oder + Ungunst uns einer Anmaßung beschuldigen möchte, die unserer Denkart + fremd ist, dann aber auch, daß wir uns in dem Vertrauen, welches + wir hegten und in Anspruch nahmen, getäuscht sehen könnten. Um so + erfreulicher muß es uns sein, bei der kurzen Rechenschaft, die wir + hiermit ablegen wollen, ein im ganzen sehr günstiges Resultat melden + und zugleich rühmen zu können, daß uns über unser Unternehmen kein + übelwollendes Urtheil, das irgend Werth für uns hätte haben können, + bekannt geworden ist. + + Zwar die von uns gelegentlich ausgesprochene Hoffnung, daß wir in + jeder der drei Dichtungsgattungen, auf welche sich die erste Aufgabe + bezog, auch einen Preis würden ertheilen können, ist in diesem Umfange + nicht in Erfüllung gegangen, da wir der Sache, den Theilnehmern und + uns durchaus schuldig zu sein glaubten, von den hohen und strengen + Forderungen der Kunstkritik nicht abzuweichen. Aber auch bei diesen + Grundsätzen haben wir des Preiswürdigen nicht ermangelt. + + Der gelungensten Arbeiten hat sich die poetische Erzählung zu + erfreuen gehabt. Der Ehrenplatz unter allen aber gebührt der + »Bezauberten Rose«, einer romantischen Erzählung in drei Gesängen + von Ernst Schulze. Ihr ist der erste Preis zuerkannt worden, und wir + achten sie für ein Werk von bleibendem Werthe in der vaterländischen + Poesie. Leider wird die Freude, ein Talent von echter Dichterweihe bei + dem Publikum einzuführen, durch den noch größern Schmerz getrübt, daß + uns dasselbe in dem Augenblicke, wo es sich in seiner Fülle entfaltet + hatte, auch schon wieder entrissen ist. Der junge Dichter starb, + nachdem er nur wenige Tage vorher die Nachricht von der Krönung seines + Gedichts erhalten hatte. + + Einen zweiten Preis in derselben Gattung hat K. G. Prätzel's + poetische Erzählung »Der Todtenkopf« erhalten. + + Von den übrigen zur Concurrenz eingesandten Erzählungen nennen wir + noch mit Auszeichnung »Saladin«, ein romantisches Gedicht in vier + Gesängen. + + In der Gattung der poetischen Epistel wurde unter den eingegangenen + Gedichten »Des Dichters Weihe« als das vorzüglichste erkannt und mit + dem zweiten Preise gekrönt. Bei Eröffnung der versiegelten Devise fand + sich der Name Hesekiel. + + Die für die Idylle ausgesetzten Preise haben von den vierzehn dafür + eingekommenen Gedichten keinem zuerkannt werden können; doch haben + drei derselben: »Die Hirten in der Herbstnacht«, »Amor und Hymen« und + »Ida«, sich vor den übrigen vortheilhaft auszuzeichnen geschienen. + +Ueber Ernst Schulze und seinen Tod sowie über dessen poetischen Nachlaß +bemerkt Brockhaus noch in einer Anmerkung: + + Er starb am 29. Juni (1817) zu Celle im achtundzwanzigsten Jahre + seines Lebens in den Armen seines tiefgebeugten Vaters, des _Dr._ + Schulze, Bürgermeisters und Stadtsyndikus daselbst. Er war eben im + Begriff, eine literarische Reise nach Italien anzutreten, auf welcher + er einige Jahre zuzubringen dachte, als ihn eine schwere Krankheit + auf das Lager niederwarf, von dem er nicht wieder aufstand. Den Keim + seiner Krankheit hatte er sich in der Belagerung von Hamburg, welcher + er als freiwilliger Jäger beiwohnte, zugezogen, und auf einer Reise + nach den Rheingegenden war durch geringe Sorge um die Gesundheit + dieser Keim entwickelt worden. Als unser Dichter die Nachricht von + dem ihm zuerkannten Preise erhielt, war seine Empfänglichkeit zur + Freude schon sehr gesunken, indessen erregte diese Anerkennung + seines poetischen Talents doch seine lebendigste Theilnahme. Seine + nachgelassenen poetischen Schriften, unter denen sich insbesondere + ein Heldengedicht »Cäcilie« befindet, an welchem er viele Jahre + gearbeitet, werden von Bouterwek gesammelt herausgegeben und von einer + Biographie des herrlichen jungen Dichters begleitet werden. Wir dürfen + ihnen bald entgegensehen. + +Die erste Separatausgabe der »Bezauberten Rose« erschien 1818, eine +Prachtausgabe in fünf verschiedenen Formen 1820. Das nachgelassene +größere Gedicht: »Cäcilie«, wurde 1818 und 1819 veröffentlicht als +erster und zweiter Band der von Professor Friedrich Bouterwek in +Göttingen, dem Lehrer und Freunde des Dichters, herausgegebenen +Gesammtausgabe der poetischen Werke Ernst Schulze's, deren zwei letzten +Bände (1819 und 1820 erschienen) die übrigen Dichtungen enthalten. +Ausführliche Mittheilungen über den so viel versprechenden, in der Blüte +seiner Jahre verstorbenen Dichter (er war am 22. März 1789 geboren und +starb am 29. Juni 1817) enthält eine von Hermann Marggraff verfaßte +Biographie (Leipzig 1855, zugleich den fünften Theil einer dritten +Auflage von Ernst Schulze's »Sämmtlichen poetischen Werken« bildend). +Im Jahre 1855 wurde des Dichters Grab in Celle von der Verlagshandlung +seiner Werke, gewiß im Geiste ihres Gründers, erneuert und mit einem +einfachen, würdigen Denkmal geschmückt. + +Die übrigen von den Preisrichtern gekrönten Dichtungen wurden ebenfalls +in der »Urania« veröffentlicht (1818 und 1819), ohne jedoch eine +ähnliche Theilnahme wie Ernst Schulze's »Bezauberte Rose« zu finden. + +Der günstige Erfolg des ersten Versuchs veranlaßte Brockhaus, ihn noch +mehrmals zu erneuern. Er sagt zunächst in demselben Vorwort noch: + + Dieser im ganzen unsern Wünschen genügende Erfolg hat uns bewogen, + bereits unter dem 30. Januar 1817 bekannt zu machen, daß wir dieselben + Preisaufgaben für das laufende Jahr nicht nur wiederholen, sondern + auch noch drei neue Preise hinzufügen. + + Demgemäß bestimmen wir einen Preis von 20 Friedrichdor für das beste + Gedicht, sofern es den Forderungen einer gerechten Kritik entspricht + und folglich ein vorzügliches ist: + + 1) in der poetischen Erzählung, wobei Stoff, Gattung und Einkleidung + dem Dichter frei bleiben; + + 2) in der Idylle, sie sei nun rein ideal oder mehr oder weniger der + Wirklichkeit entlehnt; + + 3) in der poetischen Epistel aus dem Gebiet des Lebens oder der + Wissenschaft und Kunst, wobei nur die Heroide ausgeschlossen, eine + didaktische Tendenz hingegen als besonders willkommen bezeichnet + wird. + + Ueberdies erbieten wir uns, das gelungenste Gedicht nach dem + gekrönten in jeder Gattung, wenn es sich zur Aufnahme in die »Urania« + eignet, mit 4 Friedrichdor für den Bogen zu honoriren. + + Die Wahl der Versart sowie die ganze äußere Form und Einrichtung + werden ganz der Willkür des Dichters anheimgegeben; ebenso können + wir nicht die Absicht haben, bei den Schwierigkeiten, welche die + harmonische Begrenzung eines Kunstwerks hat, die einzig durch sich + selbst bedingt wird, den Umfang scharf zu bestimmen, und wir fürchten + nicht, misverstanden zu werden, wenn wir andeutungsweise wiederholt + auf Pope's »Lockenraub« (798 Verse) und »Versuch über den Menschen« + (1304 Verse) hinweisen. + + Ferner bestimmen wir drei Preise, jeden von 6 Friedrichdor, für + das vorzüglichste Gedicht in der Gattung der Ode, der Elegie und für + den schönsten Sonettenkranz, insofern sie überhaupt eines Preises + würdig befunden werden. Auch hier bleiben Stoff und Form, soweit sie + nicht durch die Aufgabe selbst bestimmt sind, der Wahl des Dichters + überlassen, und gleich willkommen wird eine mit pindarischem Feuer + oder in anakreontisch-tändelnder Weise gedichtete Ode, eine Elegie im + Geiste der Alten oder Neuern, eine mehr oder minder zusammenhängende + Sonettenreihe, im Geiste Petrarca's oder Berni's, A. W. Schlegel's + oder Freimund Raimar's sein. + + Die gekrönten Gedichte werden in der »Urania« abgedruckt und der + Herausgeber derselben bedingt sich an ihnen das Verlagsrecht auf fünf + Jahre aus, nach welchen sie an ihre Verfasser als reines Eigenthum + zurückfallen. + +Diesmal erfolgten noch zahlreichere Einsendungen, und wenn auch +kein erster Preis ertheilt werden konnte, so wurden doch mehrere +wohlgelungene Gedichte ausgezeichnet und auch in der »Urania« +veröffentlicht. + +Für den nächsten Jahrgang (1820) beschränkte Brockhaus infolge des +»Urtheils stimmfähiger Kunstrichter und eigener Wahrnehmung« seine +Preisaufgaben auf die poetische Erzählung und die poetische Epistel, bei +letzterer einen bestimmten Stoff bezeichnend, indem er sich besonders an +diejenigen wandte, »die ihr poetisches Talent mehr im Stillen üben und +eine aufmunternde Veranlassung erwarten, um damit vor das große Publikum +zu treten«; zugleich konnte er freilich auch »den Wunsch nicht bergen, +mit Gedichten verschont zu bleiben, deren Unzulänglichkeit die Verfasser +bei einiger Selbstkenntniß und Selbstprüfung leicht selbst wahrnehmen +müssen«. + +Obwol wiederum keine der eingegangenen Dichtungen mit dem ersten Preise +gekrönt werden konnte und nur einige trotzdem abgedruckt wurden, schrieb +Brockhaus im August 1819 für den Jahrgang 1821 neue Preise aus, und zwar +in der Gattung der poetischen Erzählung, der poetischen dramatischen +Dichtung und für die Uebersetzung eines Gesangs von Byron's »_Childe +Harold_«. + +Ferner richtete er aber zum ersten male sein Augenmerk außer auf die +poetische auch auf die prosaische Production, indem er in seiner +Ankündigung fortfuhr: + + Zugleich aber wünschte ich auch zu Ausarbeitungen in Prosa für + die »Urania« aufzumuntern. Sehr willkommen werden mir historische + Ausarbeitungen sein; und um auch hier einen Stoff zu bezeichnen, + schlage ich andeutungsweise den für die vaterländische Geschichte so + wichtigen und glorreichen Zeitraum der Kaiser Heinrich's I. und Otto's + des Großen vor, worüber treffliche Quellen vorhanden sind. + + Nicht minder willkommen sollen mir Lobreden auf ausgezeichnete + Männer sein, doch dürften sie nicht blos rhetorische Lobrednerei, + sondern gediegene Charakterbilder mit Licht und Schatten sein und + müßten den Einfluß darlegen, den der Gepriesene auf das Leben und + Wesen seiner Zeit geübt habe. Ein solches Werk ist Johannes Müller's + Lobrede auf Friedrich den Großen. Ich schlage zunächst unsern + unsterblichen Lessing vor. + + Für die beste Arbeit in jeder der genannten Gattungen in Prosa + bestimme ich, sofern sie die Forderungen, die man gerechterweise daran + machen muß, befriedigt, ebenfalls 12 Friedrichdor. Der Umfang dürfte + etwa drei, höchstens vier Druckbogen betragen. + +Neben der »beifälligen und aufmunternden Zustimmung vieler Trefflichen +und Urtheilsfähigen« erwähnt Brockhaus jetzt zum ersten male auch +»Angriffe, die theils aus Uebelwollen und Ungunst mit Bitterkeit, +theils aus Lust zum Widerspruch auf mehr scherzhafte Weise gegen meine +Preisaufgaben gerichtet worden«, und fügt folgende Bemerkungen hinzu: + + Man hat es sonderbar gefunden, daß man nicht erfahren soll, wer + denn eigentlich die Richter oder, wie man sie scherzhaft genannt + hat, »die unbekannten Obern« sind, welche über den Werth und Unwerth + der eingesandten Gedichte absprechen. Darauf erwidere ich, daß, wenn + nur das Urtheil sich durch sich selbst rechtfertigt, der Name des + Urtheilenden völlig gleichgültig sein kann. + + Ist es doch bei allen unsern Recensiranstalten derselbe Fall. + Laufen Misbräuche mit unter, wohlan, die rüge man! Man zeige, daß + ein gelungeneres Gedicht einem minder gelungenen nachgesetzt, daß + einem Gedichte, dem der erste Preis gebührt hätte, nur der zweite + zuerkannt worden u. dgl. m. Letzteres, meint ein scharfsichtig in die + Zukunft Spähender, könne gar leicht geschehen, denn der Unternehmer + spare dabei. Diesem diene zur Antwort, daß bei der Art, wie das + Honorar für den zweiten Preis und jedes aufgenommene Gedicht bestimmt + ist, in dieser Hinsicht erster und zweiter Preis meistens ziemlich + gleich sind, daß also der Unternehmer schon aus diesem Grunde nichts + gewinnen, daß er vielmehr aus andern leicht sich darbietenden Gründen + dadurch verlieren würde. Doch wozu sich gegen so kleinliche und + unwürdige Bedenklichkeiten schützen wollen! + +Diesmal war der Erfolg noch geringer als früher; namentlich entsprach +keiner der eingegangenen prosaischen Aufsätze den gestellten +Anforderungen. Brockhaus sagt bei Mittheilung dieses Ergebnisses, +daß er theils zu solchen Aufsätzen habe aufmuntern wollen, die +von den Engländern mit dem Worte _Essays_ bezeichnet würden (eine +bekanntlich erst viel später in der deutschen Literatur eingebürgerte +Gattung), theils zu Aufsätzen wie die _Eloges_ der Franzosen. Nach +diesem Miserfolg beschränkte er sich darauf, für 1822 nur zwei Preise +auszuschreiben: 30 Friedrichdor für eine poetische Erzählung und 25 +Friedrichdor für eine prosaische Erzählung oder Novelle. Er bemerkt +dazu: »die Gewißheit, das Beste der Kunst nicht nur gewollt, sondern +auch gefördert zu haben«, sei der Redaction der »Urania« »das sicherste +Gegengift gegen die unrühmlichen und unredlichen Kämpfe« gewesen, »in +welche sie der hämische Geist des Widerspruchs, der alles Gute verfolgt, +zu verflechten gesucht hat«. + +Als auch diese Preisausschreibung nur wenig günstige Ergebnisse +lieferte, gab Brockhaus die Idee ganz auf und erklärte dies in einem +Vorworte vom 15. Juli 1821, das folgendermaßen schließt: + + Die zahlreichen und ausgezeichneten Verbindungen, deren der + Herausgeber der »Urania« sich erfreut, bewegen ihn zugleich, da er + in ihnen ein Mittel sieht, folgende Jahrgänge auf das reichhaltigste + auszustatten, auf künftige Preisaufgaben völlig Verzicht zu leisten. + Es sind ihm solche verschiedentlich gemisdeutet worden, und wenn + sich Misdeutungen dieser Art auch wol ertragen lassen, so können sie + wenigstens keine Aufmunterung sein, darin fortzufahren. + + Cotta und Andere haben ähnliche Ideen gehabt, sie auszuführen + gesucht, und sie haben sie aufgegeben, ohne selbst so glücklich + gewesen zu sein wie wir, die wenigstens genug belohnt worden sind, + dadurch #ein# Gedicht veranlaßt zu haben, das in seiner Art von + keinem ähnlichen in unserer poetischen Literatur überboten und nicht + untergehen wird. + + Der Herausgeber der »Urania« hat auch hier das gewöhnliche Schicksal + erfahren, das in den meisten Fällen Alles trifft, was der höhern + Entwickelung irgendeiner schönen, sich über das Alltägliche erhebenden + Idee gewidmet wird und, indem es blos allgemeine Zwecke verfolgt, + kleinlichen und persönlichen Interessen entgegentritt. + + Er beschwert sich nicht darüber, da sein Bestreben ihm im Einzelnen + auch theuere und schätzbare Freunde zuführte, deren Anerkennung + und Wohlwollen für ihn einen größern Werth hat, als ihm erlittene + Kränkungen und rohe Verunglimpfungen mögen wehe gethan haben. + +Jedenfalls war es Brockhaus gelungen, die »Urania« zu einem der +besten und gehaltvollsten Taschenbücher seiner Zeit zu gestalten, +und die Preisausschreibungen hatten theils direct, theils mittelbar +dazu beigetragen. Auf dem Gebiete der Poesie begegnen wir unter den +Mitarbeitern den besten Namen, die zum Theil darin zum ersten male +auftreten; außer Theodor Körner und Ernst Schulze seien nur folgende +genannt: Zacharias Werner (dessen »Vierundzwanzigster Februar« im +Jahrgange 1815 zuerst erschien), Friedrich Rückert, Adam Oehlenschläger, +Tiedge, Helmina von Chézy, Graf Kalckreuth, von der Malsburg, Graf von +Löben, Wilhelm Müller, Gustav Schwab, Adolf Streckfuß, Graf Platen. Noch +reicher ist die Liste der Mitarbeiter der »Urania« auf dem Gebiete der +Prosa, namentlich der Erzählung und Novelle, die in spätern Jahrgängen +immer mehr den Schwerpunkt der »Urania« bildete. Unter ihnen fehlt +kaum einer der beliebtesten Schriftsteller jener Zeit; neben Jean Paul +und den früher Genannten erwähnen wir noch: Friedrich Kind, Therese +Huber, De la Motte Fouqué, Winkler (Theodor Hell), Mosengeil, Böttiger. +Die eigentliche Blütezeit der deutschen Novelle, die in der »Urania« +ihre ausgezeichnetste Vertretung fand: in Ludwig Tieck, Wilhelm Häring +(Wilibald Alexis), Johanna Schopenhauer, Leopold Schefer, von Rehfues, +Sternberg, Eichendorff, Theodor Mügge, Ludwig Rellstab, Berthold +Auerbach, Karl Gutzkow, Levin Schücking u. a., fällt allerdings erst in +die Zeit nach dem Tode des Begründers der »Urania«. + +Das Taschenbuch erhielt sich bis zum Jahre 1848, in welchem es von der +Verlagshandlung bei der aufgeregten politischen, für derartige Lektüre +weniger empfänglichen Stimmung aufgegeben wurde, nachdem es 38 Jahre +lang in 35 Jahrgängen einen würdigen Sammelpunkt der besten Erzeugnisse +der deutschen schönen Literatur gebildet hatte. + +In der »Urania« trat Brockhaus auch selbst einmal als Schriftsteller +auf, wenn auch nicht unter seinem Namen und nur in der bescheidenen +Rolle eines Bearbeiters. Die im Jahrgange 1822 enthaltene Erzählung: +»Die Nebenbuhlerin ihrer selbst«, deren Verfasser »Guntram« genannt +ist, war von ihm nach dem Französischen bearbeitet; vielleicht war +sie nur ein Lückenbüßer zur Füllung des Bandes, zumal sie am Schluß +desselben steht und in dem Vorwort gesagt ist, die Redaction habe bei +dem zweifelhaften Ergebnisse der damaligen Preisausschreibung sich +selbst helfen müssen. Uebrigens hatte er wenig Lohn und Freude von +dieser seiner Arbeit, denn wegen derselben wurde dieser Jahrgang der +»Urania« für die österreichischen Staaten verboten, weil man in Wien +jene Erzählung auf eine vornehme österreichische Familie bezog. Nunmehr +erklärte Brockhaus in einer öffentlichen Anzeige unterm 29. October +1821: »daß diese Geschichte nach einer in den vorjährigen «_Annales de +la littérature_» von Quatremère de Quincy, Vanderbourg, Raoul Rochette, +wo sie '_Imprudence et bonheur_' heißt, von ihm selbst bearbeitet ist +und die gebrauchten Namen bloße Fictionen sind.« Die Bearbeitung der +spannenden, aber ästhetisch unerquicklichen Novelle ist übrigens sehr +geschickt und verräth kaum den nicht berufsmäßigen Schriftsteller. + + * * * * * + +Durch die »Urania« kam Brockhaus in interessante und auch geschäftlich +für ihn werthvolle Beziehungen zu hervorragenden Schriftstellern. + +Der Philosoph Bachmann in Jena schickte ihm am 26. April 1812 »einige +Gedichte eines jungen Mannes« mit der Bitte, dieselben in den nächsten +Jahrgang aufzunehmen. Der junge Mann heiße -- _Dr._ Rückert und habe ihn +um diese Vermittelung gebeten. Seitdem brachte fast jeder der nächsten +Jahrgänge der »Urania« Gedichte von Friedrich Rückert, bald unter dessen +Namen, bald unter dem bekannten Pseudonym Freimund Raimar, das erste +mal unter dem sonst nicht vorkommenden Pseudonym Fr. Rikard. Rückert +war damals Privatdocent an der Universität Jena und als Dichter noch +wenig bekannt; er wurde dies erst durch seine 1814 in Heidelberg, wohin +er sich gewandt hatte, erschienenen »Deutschen Gedichte«, welche auch +die »Geharnischten Sonette« enthielten. Brockhaus blieb mit ihm in +dauernder Verbindung, wenn auch Rückert's hauptsächlichste Werke bei +andern Verlegern erschienen, und verlegte 1822 die »Oestlichen Rosen«. +Der Druck derselben verzögerte sich etwas, weshalb Rückert aus Koburg +vom 10. April 1821 an Brockhaus schrieb: an neuen Schriften und neuem +Papier sei ihm so viel nicht gelegen »als daran, daß meine jungen Rosen +nicht in Ihrem Pulte alt werden«! In Betreff der »Urania« fügte er noch +hinzu: + + Dankbar bin ich Ihnen dagegen für die abermalige Einladung zur + »Urania«, ob ich gleich einige Abneigung fühle, mich auf die Scene + zu stellen, wo Ihre Preisconcurrenten figuriren; doch wenn der + Druck nicht ebenso schnell geht als meiner langsam, so will ich zum + Gründonnerstag noch mit einem Nachtrab eintreffen. + +Friedrich Rückert (geb. 1788, gest. 1866) blieb mit der Firma F. A. +Brockhaus auch nach dem Tode ihres Begründers in Beziehungen und sandte +ihr sein letztes Werk: »Ein Dutzend Kampflieder für Schleswig-Holstein«, +die anonym mit der Bezeichnung: »Von F--r«, 1864 erschienen, aber gleich +als von ihm gedichtet erkannt wurden und rasch zwei Auflagen erlebten.[49] + + * * * * * + +Auch mit Franz Grillparzer (geb. 1791, gest. 1872) trat Brockhaus +zunächst der »Urania« wegen in Verbindung. Ein Brief Grillparzer's +aus Wien vom 6. April 1818 enthält das Nähere darüber und möge auch +wegen seines sonstigen, nach mancher Seite hin interessanten Inhalts +vollständig hier folgen: + + Ew. Wohlgeboren Schreiben vom 26. März, das ich gestern erhielt, hat + mir um so größeres Vergnügen gemacht, je mehr ich mit ganz Deutschland + gewohnt bin, mit dem Namen Brockhaus nebst dem, daß er einen der + würdigsten Buchhändler bezeichnet, auch noch andere, nicht minder + ehrenvolle Begriffe zu verbinden. + + In Bezug auf Ihren freundlichen Antrag wegen Aufnahme meiner + »Sappho« in das Taschenbuch »Urania« habe ich vor allem Folgendes zu + erwidern: Erstens scheint mir für ein Werk, das zur Aufführung auf + der Bühne bestimmt ist und daselbst auf einigen Erfolg rechnet, ein + Taschenbuch eben nicht der beste Platz zu sein. Abgesehen von dem + Ungewöhnlichen einer solchen Erscheinung beschränkt man sich dadurch + das lesende und abnehmende Publikum auf eine weder Gewinn noch andern + Vortheil bringende Art. Zur Darstellung gebrachte Schauspiele haben + nämlich, wie Sie wol wissen, nebst dem #Leser# im strengen Verstande + noch ein zweites Publikum, das sich sonst mit der Literatur oft nicht + sehr abgibt, das der #Theaterbesucher# nämlich. Die »Sappho« in einem + theuern Taschenbuche erscheinen lassen, hieße auf diese ganz Verzicht + leisten. Sollte übrigens das Stück auf den Bühnen von Wien, Berlin, + Dresden und Weimar, die es zur Aufführung bereits übernommen haben, + und auf mehrern andern, mit denen ich darüber in Unterhandlung zu + treten gesonnen bin, Glück machen und Sie Lust haben, den Verlag + desselben als eines abgesonderten Werks zu übernehmen, oder nebst dem + Abdruck in der »Urania« noch eine zugleich erscheinende besondere + Auflage davon zu veranstalten, so würde es mir großes Vergnügen + machen, es Ihnen vor allen überlassen zu können. + + Wie wenig Sie übrigens -- vorausgesetzt, daß das Stück gefällt, + und das denke ich eben abzuwarten -- wie wenig Sie bei einem solchen + doppelten Abdruck riskiren, mag Ihnen der Umstand bezeugen, daß eben + jetzt, ein Jahr nach der Herausgabe meines ersten Trauerspiels »Die + Ahnfrau«, der wiener Verleger Wallishausser mir angekündigt hat, daß + die erste Auflage von 1500 Exemplaren fast vergriffen sei. Wenn das + der Fall mit einem Wallishausser ist, dessen Absatz und Verbindung mit + dem übrigen Deutschland so gering ist, daß ein Brockhaus ein Jahr nach + dem Erscheinen des gedruckten Werks fragen kann: ob es denn überhaupt + schon gedruckt sei? was wäre nicht bei dem Stande #Ihres# Verkehrs zu + hoffen; wozu noch kommt, daß mein Name gegenwärtig denn doch nicht + mehr so fremd in Deutschland klingt als beim Erscheinen der »Ahnfrau«. + Für jeden Fall aber forderte die _honnêteté_, mit der Herausgabe der + »Sappho« doch so lange zu warten, bis die Bühnen, welche mir das + Manuscript abgenommen haben, mit der Aufführung zu Stande gekommen + sind. + + Was im Falle eines wechselseitigen Verständnisses das Honorar + betrifft, so müßte ich Sie ersuchen, einen bestimmten Betrag + auszusprechen, da ich mich auf Berechnung nach Seiten und Zeilen und + auf Vergleichung der Handschrift mit dem Druck nicht verstehe. Nur + muß ich bekennen, daß, soviel ich herausklügeln kann, das Honorar von + vier Karolin für den Bogen von sechzehn Seiten mit kleiner Schrift + den Preis nicht erreichen würde, den ich bei mir selbst ungefähr + festgesetzt habe. Vier Karolin mögen ein allerdings ansehnliches + Honorar für Erzählungen und Gedichte und historische Darstellungen + &c. sein, wie man sie, halb zur eigenen Unterhaltung, halb eben der + vier Karolin wegen, für Taschenbücher macht. Auf meine »Sappho« habe + ich die Frucht mühevoller Studien, vielleicht künftige Lebensjahre + verwendet, und -- ich hoffe, sie soll einige Almanachsjahrgänge + überleben. Sie haben die »Sappho« noch nicht gelesen; ich bitte, thun + Sie es, ehe Sie mir antworten. + + Sie werden über meinen langen Brief, als Antwort auf Ihren kurzen, + lachen. Er gilt aber auch nur dem #Kunstfreund# Brockhaus, der + #Buchhändler# mag sich die Daten heraussuchen, die ihm zu wissen + noththun. + + Leben Sie recht wohl. + + Ihr ergebener F. Grillparzer. + +Brockhaus dankte am 6. Mai Grillparzer für seine Bereitwilligkeit, +bemerkte aber dabei: nach dem, was ihm sein Freund Böttiger in Dresden +(von dem er »so viel Herrliches« über die »Sappho« gehört) über den +Umfang des Stücks mitgetheilt, könne es doch nicht in die »Urania« +aufgenommen werden, und da es vorab auf den ersten Bühnen gegeben werden +solle, so sei es überhaupt noch nicht an der Zeit, es drucken zu lassen. +Der Brief schließt: + + Sobald Sie sich aber dazu bestimmen, haben Sie die Güte, mir Ihren + Entschluß mitzutheilen, sowie über das Honorar Ihrer Forderung. Ich + werde dann sehen, ob ich darauf eingehen kann. Es hat eine wunderbare + Bewandtniß mit dem Erfolg bei gedruckten Schauspielen. Noch habe ich + die kleine Auflage von Werner's »Vierundzwanzigstem Februar« und + die von Werners »Cunegunde« nicht abgesetzt. Ebenso wenig die von + Klingemann's »Faust«, so sehr dies -- übrigens sehr schlechte Stück + #meinem# Urtheile nach -- auf den deutschen Bühnen Glück gemacht hat + und fortwährend auf allen Repertoires ist. Diesen Erfahrungen gemäß + war meine Erbietung von vier Karolin per Bogen sehr bedeutend. Ihre + »Ahnfrau« habe ich mir verschafft, und ich lese sie eben. Auch wird + sie, wie ich höre, bald auf unsere Bühne kommen. + +Am 22. Mai läßt er indeß einen zweiten Brief folgen, in welchem +er Grillparzer zu dem Erfolge der inzwischen stattgehabten ersten +Aufführung des Stücks in Wien Glück wünscht und sich wiederholt zum +Verlage desselben bereit erklärt. Die Ausgabe könne etwa zu Weihnachten +erfolgen, wenn Grillparzer dann durch seine Contracte mit den Bühnen, +denen er es als Manuscript überlassen, nicht weiter genirt sei. Auch +würde er einige gute Abbildungen dazu anfertigen lassen, da er mit +mehrern genialen Zeichnern in genauer Verbindung stehe. Er fügt noch +hinzu: + + Endlich würde ich das wünschen, daß, wenn Sie einmal mit mir in + Verbindung träten, Sie diese Verbindung, solange ich Ihnen keine + Ursache zu Beschwerden gebe, nicht auflösen möchten. Der Dichter in + Weißenfels (Müllner) trägt seine Producte wie ein Waarenmäkler von + Bude zu Bude, feilscht sie in jeder aus, und wer einen Kreuzer mehr + gibt als der Nachbar, der ist sein Mann! + +Noch erbietet er sich, auch eine Ausgabe der »Ahnfrau« für +Norddeutschland zu übernehmen, falls Grillparzer eine solche neben der +in Wien erschienenen veranstalten dürfe. + +Grillparzer scheint sich aber inzwischen bereits mit seinem bisherigen +Verleger, Wallishausser in Wien, über den Verlag der »Sappho« geeinigt +zu haben, da sie kurz darauf bei diesem erschien, während uns keine +weitere Correspondenz zwischen Grillparzer und Brockhaus vorliegt. + +Von Zacharias Werner (geb. 1768, gest. 1823) verlegte Brockhaus eine +Separatausgabe der in der »Urania« zuerst veröffentlichten Tragödie +in einem Act: »Der vierundzwanzigste Februar«, und gleichzeitig +auch dessen: »Cunegunde die Heilige, Römisch-Deutsche Kaiserin. Ein +romantisches Schauspiel in fünf Akten« (beide Stücke 1815). + +Daß er übrigens die »Schicksalstragödien«, zu denen diese Dramen +gehören, selbst nicht überschätzte, zeigte er dadurch, daß er einige +Jahre darauf (1818) eine Parodie auf dieselben verlegte, die unter +dem Titel: »Der Schicksalsstrumpf. Tragödie in zwei Akten von den +Brüdern Fatalis« erschien. Die beiden Verfasser waren der bekannte +österreichische dramatische Dichter Ignaz Friedrich Castelli (geb. 1781, +gest. 1862) und der Arzt und Dramatiker Alois Jeitteles (geb. 1794, +gest. 1858). Castelli, wie es scheint der hauptsächlichste Verfasser, +schrieb an Brockhaus: »der Spuk der Schicksalstragödien gehe nachgerade +ein bischen zu weit«, weshalb er diese Parodie derselben geschrieben +habe, und ließ ihm das Manuscript durch Hofrath Winkler (in Dresden), +in dessen dresdener »Abendzeitung« ein Bruchstück davon veröffentlicht +worden war, zusenden. Brockhaus schreibt an Winkler: er habe des Spaßes +wegen »das närrische Ding« gleich in die Druckerei spedirt. Das Stück +fand großen Beifall und machte die Runde über die deutschen Bühnen. + +Das in dem Briefe an Grillparzer neben Werner's beiden Dramen erwähnte +Trauerspiel »Faust« von Ernst August Friedrich Klingemann (geb. 1777, +gest. 1831) erschien 1815. Brockhaus verlegte gleichzeitig von demselben +Dichter ein »dramatisches Spiel mit Gesang«: »Don Quixote und Sancho +Panza oder: Die Hochzeit des Camacho« und eine Bühnenbearbeitung von +Shakspeare's »Hamlet«. + +Von dramatischer Literatur erschienen in Altenburg in Brockhaus' Verlage +noch folgende Werke: »Dramatische Spiele« von Wenzel Lembert, mit +seinem Familiennamen Tremler (geb. 1780, gest. um 1838), langjährigem +Schauspieler an der Hofbühne zu Wien und Verfasser zahlreicher +bühnengerechter Theaterstücke; »Theater« von Adolf Wagner (geb. 1774, +gest. 1835), dem bekannten dramatischen Schriftsteller und Uebersetzer, +mit dem Brockhaus durch die Hofräthin Spazier näher bekannt geworden war +(beide Werke 1816); endlich (1817) »Jeanne d'Arc«, ein Trauerspiel von +Karl Friedrich Gottlob Wetzel (geb. 1779, gest. 1819), Redacteur des +»Fränkischen Merkur«. Von letzterm Schriftsteller hatte er kurz vorher +(1815) schon zwei Werke verlegt, eine Sammlung patriotischer Gedichte +unter dem Titel: »Aus dem Kriegs- und Siegesjahre Achtzehnhundert +Dreyzehn. Vierzig Lieder nebst Anhang«, und: »Prolog zum Großen Magen«, +eine gelungene Satire auf die Nützlichkeitstendenzen jener Zeit. + +Die satirische Literatur ist außer durch letztere Schrift und den +»Schicksalsstrumpf« in Brockhaus' Verlage aus dieser Zeit besonders +durch seinen schon vielfach erwähnten Freund Friedrich Ferdinand Hempel +(geb. 1778, gest. 1836) vertreten, der unter verschiedenen Pseudonymen +politische und literarische Zustände der Zeit scharf geiselte. Brockhaus +verlegte von ihm: »Politische Stachelnüsse gereift in den Jahren +1813-1814 aufgetischt von Spiritus Asper« (ohne Verlagsort und Firma +1814); »Politische Stachelnüsse geschüttelt von Spiritus Asper. Zweite +Lieferung« (1815); »Ein Paar mercantilische Stachelnüsse. Zur Messe +gebracht von Spiritus Asper« (1816). Hempel lieferte auch mehrere +Beiträge für die »Urania«, gab 1818 in Brockhaus' Verlage ein von dessen +und seinem Freunde Moritz August von Thümmel (geb. 1738, gest. 1817) +gedichtetes Epos: »Der heilige Kilian und das Liebes-Paar« heraus, +1822 wieder eine satirische Schrift: »Nüsse. Gesammelt von Frater +Timoleon« (mit Köln als Verlagsort), sowie ein »Taschenbuch ohne Titel +auf das Jahr 1822« (dem 1830 und 1832 noch zwei Jahrgänge folgten), und +verfaßte später das »Allgemeine deutsche Reimlexikon. Herausgegeben von +Peregrinus Syntax« (2 Bände, Leipzig 1826), das noch jetzt als das beste +Werk seiner Art gilt. + +Die poetische Literatur weist außer der »Urania« und den aus derselben +abgedruckten Dichtungen sowie den eben erwähnten Dramen in der +altenburger Zeit nur wenige Originalwerke auf, deren Verfasser meist +durch die »Urania« dem Verleger zugeführt worden waren. + +Schon 1812 verlegte er zwei Dichtungen der durch »Die Schwestern von +Lesbos« (1801) bekannt gewordenen Dichterin Amalie von Helvig, geborenen +von Imhoff[50] (geb. 1776, gest. 1831): »Die Schwestern auf Corcyra. +Eine dramatische Idylle in zwei Abtheilungen« (mit dem Nebentitel: +»Taschenbuch für das Jahr 1812«), und: »Die Tageszeiten. Ein Cyclus +griechischer Zeit und Sitte. In vier Idyllen.« + +Ein anderes größeres poetisches Werk seines Verlags ist eine Sammlung +von Dichtungen des Grafen Otto Heinrich von Loeben (geb. 1786, +gest. 1825) unter dem Titel: »Rosengarten« (2 Theile, 1817); als +Separatabdruck daraus erschien: »Cephalus und Procris.« Graf Loeben +schrieb sonst meist unter den Pseudonymen Isidorus Orientalis und +Kukuk Waldbruder; er lebte in Dresden und gehörte zu dem dortigen +»Liederkreise«. + +Ein eigenthümliches Werk ist das didaktische Gedicht in vier Gesängen: +»Die Heilquellen am Taunus« von Johann Isaak Freiherrn von Gerning (geb. +1767, gest. 1837), das 1814 erschien, und zwar in einer Prachtausgabe in +Quartformat, mit sieben Kupfern, einer Karte und Erläuterungen. + +Der altdeutschen Literatur gehören zwei Werke an: »Das Lied der +Nibelungen. Metrisch übersetzt« von Johann Gustav Büsching (geb. 1783, +gest. 1829), dem verdienten breslauer Professor der altdeutschen +Literatur, und: »Der Lobgesang auf den heiligen Anno«, mit Uebersetzung, +Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Georg August Friedrich +Goldmann, Rector des Gymnasiums zu Soest (Geburts- und Todesjahr +unbekannt); ersteres Werk 1815, letzteres 1816 erschienen. + +Das Gebiet der Belletristik berührt eine 1815 erschienene »Blumenlese +aus dem Stammbuche der deutschen mimischen Künstlerin, Frauen Henriette +Hendel-Schütz, gebornen Schüler« (geb. 1772, gest. 1849), herausgegeben +von dem vierten Gatten dieser durch ihre mimisch-plastischen +Darstellungen auf Reisen in allen Hauptländern Europas berühmt +gewordenen Künstlerin, Professor Friedrich Karl Julius Schütz in Halle. +Schon in der »Urania« für 1812 war ein (später auch in Separatausgabe +erschienener) Aufsatz von Falk über diese pantomimischen Darstellungen +mit Abbildungen veröffentlicht worden. + +Die Romanliteratur ist in dieser Zeit in Brockhaus' Verlage nur durch +ein Originalwerk vertreten: »Das Opfer« von Regina Frohberg (geb. 1783, +Todesjahr unbekannt), einen Roman, der gleich den zahlreichen übrigen +der Verfasserin jetzt vergessen ist; dann aber durch eine »Bibliothek +neuer englischer Romane« in sechs Bänden, deren erste beiden (1814) zwei +Werke von Maria Edgeworth brachten, übersetzt von Karoline von Woltmann +(geb. 1782, gest. 1847), der Gattin des bekannten Geschichtschreibers, +während die folgenden vier Bände (1816 und 1817) Romane von Amelia Opie +und Emma Parker, zwei gleich Maria Edgeworth damals sehr geschätzten +englischen Schriftstellerinnen, in Uebersetzungen von Henriette Schubart +(geb. 1770, gest. 1831) enthielten. + + * * * * * + +Die Uebersetzungsliteratur wurde überhaupt von Brockhaus in allen +Perioden seiner Verlagsthätigkeit mit besonderer Vorliebe gepflegt, weil +er sich persönlich für die fremden Literaturen, und insbesondere die +englische und französische, lebhaft interessirte. + +Schon 1811 hatte er mit Johannes Daniel Falk, dem bereits erwähnten +Vermittler seiner Bekanntschaft mit Goethe, ein »Römisches Theater der +Engländer und Franzosen« begonnen. Der erste Band sollte Shakspeare's +»Coriolan« enthalten; Brockhaus nennt den Helden des Stücks in seiner +Ankündigung »den kühnsten männlichen Charakter, den vielleicht die alte +Zeit hervorgebracht und Shakspeare's Genius dargestellt«, und fügt +hinzu: »kein Mann, der noch in Zeiten wie die unsern Anspruch darauf +macht, einer zu sein, sollte dies kühne Product jenes Feuergeistes +ungelesen lassen«. Der zweite Band sollte Racine's »Britannicus« +bringen, der dritte und vierte Band Charakteristiken und Auszüge aus +»Antonius und Kleopatra«, »Cinna«, »Cäsar« u. s. w. von Shakspeare, +Corneille, Voltaire, Racine, Crébillon, Lee u. s. w. Doch erschien nur +der erste Band, und das Unternehmen fand keinen Anklang, wol weil die +»freie Bearbeitung« des Uebersetzers dem deutschen Publikum weniger +zusagte als die Uebersetzungen Shakspeare's von Wieland, Eschenburg und +besonders August Wilhelm von Schlegel. + +Von Falk verlegte Brockhaus gleichzeitig eine Sammlung von Gedichten, +Erzählungen und Briefen unter dem Titel: »Ozeaniden«, und später: +»Johannes Falk's Liebe, Leben und Leiden in Gott. Zu Luther's Gedächtniß +herausgegeben von einem seiner Freunde und Verehrer im Jahr unsers +Herrn 1817« (mit der alterthümlichen Verlagsbezeichnung auf dem Titel: +»Altenburg, verlegt's F. A. Brockhaus«), sowie eine Auswahl aus dessen +Werken: »Johannes Falk's auserlesene Werke. (Alt und neu.)« in drei +Theilen (1819), deren erster die »Ozeaniden« unter dem neuen Titel: +»Seestücke« wieder enthält; letztere beiden Werke wurden von Falk's +Freunde Adolf Wagner in Leipzig veröffentlicht. + +Aus der englischen Literatur ist außer Shakspeare's »Coriolan« und +den englischen Romanen nur noch eine Uebersetzung von Walter Scott's +»Schottischen Liedern und Balladen« von Henriette Schubart (1817) zu +nennen. + +Noch mehr als die englische pflegte Brockhaus die französische +Literatur, wie zahlreiche Verlagswerke, Uebersetzungen und +Originalausgaben, beweisen. + +Außer der schon früher erwähnten, von der Hofräthin Spazier gefertigten +Uebersetzung der von Frau von Staël-Holstein herausgegebenen »Briefe, +Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« (1812) verlegte er: +ein »_Manuel pour la conversation dans les langues étrangères_«, ohne +Verfassernamen, aber von der berühmten französischen Schriftstellerin +Gräfin von Genlis herrührend, gleichzeitig auch eine deutsche +Uebersetzung davon (beide Werke ebenfalls 1812); eine freie Bearbeitung +des bekannten Werks Jean Nicolas Bouilly's »_Conseils à ma fille_«, +von dem schon genannten Mitredacteur des »Conversations-Lexikon« _Dr._ +Ludwig Hain, unter dem Titel: »Rath an meine Tochter in Beispielen aus +der wirklichen Welt« (2 Bändchen, 1814); Abdrücke der Originalausgaben +von Chateaubriand's »_Souvenirs d'Italie, d'Angleterre et d'Amérique_« +und Frau von Staël-Holstein's berühmtem Werke: »_De l'Allemagne_«, mit +einer werthvollen Einleitung des auch mit der Verfasserin befreundeten +Charles de Villers (beide Werke 1815); die Uebersetzung eines von +dem Verfasser Louis Simond ursprünglich englisch, dann aber auch +französisch geschriebenen Werks: »Reise eines Gallo-Amerikaners (M. +Simond's) durch Großbritannien in den Jahren 1810-1811« (2 Theile, +1817-1818), von Ludwig Schlosser, dem Pastor zu Großzschocher bei +Leipzig, bei dem Brockhaus' ältester Sohn Friedrich erzogen wurde (geb. +1774, gest. 1859); endlich eine von _Dr._ Ludwig Hain bearbeitete +und mit Anmerkungen begleitete deutsche Ausgabe des werthvollen +literarhistorischen Werks: »_Littérature du midi de l'Europe_« von Jean +Charles Léonard Simonde de Sismondi, unter dem Titel: »Die Literatur +des südlichen Europas« (2 Bände, 1816 und 1819). + +In der italienischen Literatur war es vor allem Dante, für dessen +Werke, insbesondere die »_Divina commedia_«, Brockhaus sich persönlich +interessirte, und er hat das Verdienst, der deutschen Literatur die +erste vollständige und noch jetzt als eine der besten anerkannte +Uebersetzung dieses Werks verschafft zu haben. Schon in Amsterdam begann +er die Veröffentlichung dieser von Karl Ludwig Kannegießer (geb. 1781, +gest. 1861) herausgegebenen Uebersetzung, die, wie dieser in seinem vom +April 1809 datirten Vorwort sagt, »von August Bode 1802 angefangen und +nach dessen Tode von Ludwig Hain und ihm fortgesetzt, vollendet und +gänzlich umgearbeitet wurde«. Der erste Theil: »Die Hölle«, erschien +1809, der zweite Theil: »Das Fegefeuer«, 1814 (nebst einer neuen, aber +nicht als solche bezeichneten Ausgabe des ersten Theils), der dritte +Theil: »Das Paradies«, erst 1821. Diese Uebersetzung wurde bei Lebzeiten +des Uebersetzers in vier Auflagen oder vielmehr Umarbeitungen ausgegeben +(1825, 1832 und 1843) und 1872 in fünfter Auflage gedruckt. Ebenfalls +in Amsterdam erschienen (1809) »Umrisse« zu Dante's »Hölle« von Hummel +nach Flaxman, 39 Kupferstiche in Querfolio enthaltend. Später übersetzte +Kannegießer auch die meisten übrigen Werke Dante's für denselben Verlag. + +Von Ludwig Hain verlegte Brockhaus auch eine Uebersetzung der +»Denkwürdigkeiten aus dem Leben Vittorio Alfieri's. Von ihm selbst +geschrieben« (1812), und dieses Werk war es, durch das er mit Hain +zuerst in nähere Verbindung trat. + +Einen würdigen Abschluß der den fremden Literaturen gewidmeten +Verlagsthätigkeit Brockhaus' in dieser Zeit bildet die von Georg +Bernhard Depping (geb. 1784 in Münster, gest. 1853 in Paris), dem +berühmten Kenner der spanischen Literatur, herausgegebene und mit einer +werthvollen Einleitung versehene »Sammlung der besten alten Spanischen +Historischen, Ritter- und Maurischen Romanzen« (1817), die später +in neuer vermehrter spanischer Ausgabe unter dem Titel: »_Romancero +castellano_« (2 Bände, 1844) erschien, wozu noch ein dritter Band: »_La +Rosa de Romances_« von Ferdinand Joseph Wolf hinzukam (1846). + +Neben den fremden Literaturen wendete indeß Brockhaus auch in dieser +Zeit seine Verlagsthätigkeit hauptsächlich der deutschen Literatur +zu, und zwar nicht blos den von uns bereits vorgeführten Gebieten der +sogenannten schönen Literatur, der poetischen und belletristischen, +sondern auch denen der wissenschaftlichen und überhaupt der ernstern +Literatur. + + * * * * * + +In erster Linie ist hier das Werk zu nennen, das uns nebst seinem +Verfasser bereits mehrfach begegnet ist: »Handbuch der deutschen +Literatur seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis auf die +neueste Zeit, systematisch bearbeitet und mit den nöthigen Registern +versehen von Johann Samuel Ersch, Professor und Bibliothekar auf der +Universität zu Halle.« Wie früher erwähnt, hatte Brockhaus bereits am +3. Juli 1809 in Amsterdam einen Contract über dieses von ihm selbst +veranlaßte Werk mit dem Verfasser abgeschlossen; indeß erschien der +aus vier Abtheilungen bestehende erste Band erst 1812 und die beiden +ersten Abtheilungen des zweiten Bandes folgten 1813, die beiden letzten +Abheilungen 1814, womit das Werk, das somit aus zwei Bänden zu je vier +Abtheilungen oder eigentlich aus acht Theilen bestand, zum ersten male +vollständig vorlag. Durch dieses Werk ist Ersch, nachdem er schon früher +werthvolle bibliographische Arbeiten geliefert hatte, der eigentliche +Begründer der deutschen Bibliographie geworden; innere Trefflichkeit und +äußere zweckmäßige Einrichtung haben dasselbe zu einem Muster gemacht, +wie die Literatur eines Volks geordnet werden soll, und es bildet +die Grundlage aller ähnlichen spätern Werke. Der Verleger wurde auch +durch den äußern Erfolg dieses Verlagsartikels für die auf denselben +verwendeten Sorgen und Unkosten entschädigt: nach seinem eigenen Zeugniß +war es nebst dem »Conversations-Lexikon« hauptsächlich dieses Werk, +dessen Ertrag ihm nach der Wiederaufnahme seiner Verlagsthätigkeit in +Altenburg die Mittel zur Ausführung weiterer Unternehmungen gewährte. +Eine zweite Auflage oder Umarbeitung wurde noch bei Brockhaus' Lebzeiten +(1822) begonnen, wobei sich Ersch von verschiedenen andern Mitarbeitern +unterstützen ließ, aber erst 1840 (in welchem Jahre nach längerer +Pause die letzte Abtheilung des zweiten Bandes erschien) vollendet. +Von einer dritten Auflage oder Umarbeitung sind nur die Abtheilungen +der philologischen und philosophischen Literatur (1845 und 1850), von +Christian Anton Geißler bearbeitet, ausgegeben worden. + +Daß Brockhaus die erste Idee zu dem Werke gegeben, zeigt außer seinen +Versicherungen auch folgende Stelle der aus Halle 14. September 1814 +datirten Vorrede des Verfassers zum letzten Bande: + + Aus mancherlei Gründen war ich, nach Vollendung des letzten + »Repertoriums der Literatur« (1796-1800) und nach einer noch längere + Zeit fortgesetzten Beschäftigung mit Vorarbeiten zu einer etwanigen + Fortsetzung, zu dem Entschlusse gekommen, für die Zukunft alle + bibliographischen Arbeiten für das Publikum aufzugeben und meine Muße + vorzugsweise dem Studium der Staatskunde und neuern Geschichte zu + widmen, als ich, eben mit ernstlichen Anstalten zu einem umfassenden + statistischen Werke beschäftigt, ganz unerwartet von dem Herrn + Buchhändler Brockhaus, damals zu Amsterdam, durch eine dringende + Aufforderung zu diesem neuen bibliographischen Werke überrascht + wurde. Nach den bisher von mir gelieferten Arbeiten mußte er dadurch + meinen eigenen Wünschen zu begegnen mit Gewißheit erwarten, und doch + war gerade damals der Fall anders. Lange sträubte ich mich daher + gegen die Ausführung des wohldurchdachten Plans, so sehr er auch im + ganzen meinen Beifall hatte. Endlich aber fand ich mich -- einerseits + durch die Vorliebe des Herrn Brockhaus für seinen Plan, die meine + eigene Neigung für diese Gattung von Arbeiten von neuem belebte, + und andererseits durch Hinsicht auf die Zeitumstände, die einer + freimüthigen Bearbeitung der Staatskunde und der neuern Geschichte + immer ungünstiger wurden -- zur Ausführung eines Werks bewogen, das + mir, statt eines andern jetzt weniger erfreulichen, eine jahrelange + Beschäftigung versprach, die, wie ich nach mehrmaliger Erfahrung nicht + ohne Grund hoffte, dazu beitragen würde, mir die trüben Zeitumstände + einigermaßen aufzuheitern. + +Außer mit Ersch war Brockhaus gleich in der ersten Zeit seines +Aufenthalts in Leipzig und Altenburg auch mit dessen späterm Collegen +Professor Johann Gottfried Gruber (geb. 1774, gest. 1851) in Verbindung +gekommen, zunächst wegen des »Conversations-Lexikon«, an dessen zweiter +Auflage Beide thätige Mitarbeiter waren. Die Namen Ersch und Gruber sind +erst später durch die gemeinschaftliche Herausgabe der »Allgemeinen +Encyklopädie der Wissenschaften und Künste« (seit 1818) in diejenige +enge Verbindung gekommen, in der sie noch mehr als durch ihre eigenen +Werke in der Literatur fortleben werden; seit Ende 1815 waren sie +Collegen an der Universität Halle, indem Gruber um diese Zeit dort +angestellt wurde, während Ersch schon seit 1803 daselbst wirkte. Als +Brockhaus mit Gruber in literarische Beziehungen trat, war Letzterer +Professor an der Universität zu Wittenberg; diese wurde 1812 infolge der +Kriegsunruhen aufgehoben, er ging nach Leipzig, als Ephorus der dahin +gewiesenen wittenberger Studenten, und wurde, wie erwähnt, Ende 1815 +nach der Vereinigung der beiden Universitäten Wittenberg und Halle, +worüber er selbst die Unterhandlungen zu führen hatte, nach Halle +versetzt. In Leipzig verfaßte er eine Lebensbeschreibung Wieland's +(gest. 20. Januar 1813), zu der er bei seinem mehrjährigen Aufenthalte +in Jena und Weimar (1803-1810) in vertrautem Umgange mit Wieland, der +ihn selbst zu seinem Biographen bestimmte, die Materialien gesammelt +hatte; sie erschien in Brockhaus' Verlage unter dem Titel: »Christoph +Martin Wieland. Geschildert von J. G. Gruber« (2 Theile, 1815 und 1816). +Später schrieb Gruber noch eine größere Biographie Wieland's (4 Bände, +Leipzig 1827) für die von ihm besorgte neue Ausgabe von Wieland's +sämmtlichen Werken in Göschen's Verlage (1818-1828). + + * * * * * + +Ein dritter hervorragender Schriftsteller, der zu Brockhaus' nähern +Freunden gehörte, war Karl Heinrich Ludwig Pölitz (geb. 1772, gest. +1838), der bekannte Historiker und Statistiker, damals (seit 1803) +wie Gruber Professor in Wittenberg, seit 1815 bis zu seinem Tode in +Leipzig, erst als Professor der sächsischen Geschichte und Statistik, +dann der Politik und Staatswissenschaften wirkend. Für Brockhaus war +Pölitz zunächst ebenfalls als Mitarbeiter am »Conversations-Lexikon« +thätig, verfaßte aber bald auch ein eigenes Werk für dessen Verlag, +eine Biographie seines Freundes und Gönners, des bekannten Theologen +Reinhard. Dieser, 1753 geboren, starb am 6. September 1812 als +Oberhofprediger zu Dresden, in welcher Stellung er seit 1792 segensreich +gewirkt hatte. Das Werk führte den Titel: »_D._ Franz Volkmar Reinhard +nach seinem Leben und Wirken dargestellt von Karl Heinrich Ludwig +Pölitz« (2 Abtheilungen, 1815). Das Vorwort zur ersten Abtheilung trägt +das Datum: 12. März 1813; sie ist wahrscheinlich schon 1813 erschienen. +Das Vorwort zur zweiten Abtheilung ist vom 17. Januar 1815 datirt und +in Schmiedeberg bei Pretzsch geschrieben, wo Pölitz seit der Aufhebung +der wittenberger Universität bis zu seiner Uebersiedelung nach Leipzig +gelebt hatte. + +Im Jahre 1817 verlegte Brockhaus das Hauptwerk von Pölitz: »Die +Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren« +(ursprünglich zwei Theile), wozu 1820 und 1825 noch zwei weitere +Theile als dritter und vierter hinzukamen. Eine zweite umgearbeitete +Auflage dieses Werks wurde 1832 und 1833 unter dem veränderten Titel: +»Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste +Zeit«, in drei Bänden veranstaltet, während 1847 noch die von Professor +Friedrich Bülau herausgegebene erste Abtheilung eines vierten Bandes +hinzukam, die, mit dem ersten Bande vereinigt, auch als ein besonderes +Werk unter dem Titel: »Die Verfassungen des teutschen Staatenbundes seit +dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit«, erschienen ist. + + * * * * * + +Dem Gebiete der Politik und Staatswirthschaft gehören noch folgende +Verlagsartikel aus diesen Jahren an: eine Schrift über »Das +Continentalsystem« (1812) von dem zu Brockhaus' nähern Bekannten in +Altenburg gehörenden Rath und Kammersecretär Ludwig Lüders (geb. um +1778, gest. 1822); die schon früher erwähnte Schrift von Charles de +Villers: »_Constitutions des trois villes libres-anséatiques, Lubeck, +Brêmen et Hambourg_« (1814); Chateaubriand's »_Essai historique, +politique et moral sur les révolutions, anciennes et modernes_« (2 +Bände, 1816); »Theorie des Geldes und der Münze« von _Dr._ Johann +Karl Adam Murhard in Kassel (geb. 1781, gest. 1863); »Grundzüge der +philosophischen Politik« von Gustav Anton Freiherrn von Seckendorff +(bekannter unter dem Namen Patrick Peale, geb. 1775 im Altenburgischen, +gest. 1823 in Nordamerika), letztere beiden Werke 1817 erschienen. Die +der Geschichte gewidmeten Verlagsartikel werden später erwähnt werden. + +Auch das Gebiet der Naturwissenschaften, dem Brockhaus von Anfang +an besondere Beachtung geschenkt hatte, weist mehrere gediegene +Verlagswerke auf. + +So veröffentlichte er in den Jahren 1817 und 1818 von Kurt Sprengel's +»_Historia rei herbariae_«, die 1807 und 1808 einen seiner ersten +Verlagsartikel in Amsterdam bildete, eine neue deutsche Bearbeitung des +Verfassers unter dem Titel: »Geschichte der Botanik« (2 Theile). + +Dann kaufte er aus dem Verlage von Achenwall & Co. in Berlin den bereits +gedruckten ersten Band eines »Handwörterbuch der allgemeinen Chemie« von +Johann Friedrich John, Professor an der Universität zu Frankfurt a. O. +und nach deren Aufhebung zu Berlin (geb. 1782, gest. 1847), und führte +es in vier Bänden (1817-1819) zu Ende. + +Ferner begann er den Verlag eines »Archiv für den Thierischen +Magnetismus«, von Professor Dietrich Georg Kiefer in Jena (geb. 1779, +gest. 1862) in Verbindung mit Professor Karl Adolf von Eschenmayer in +Tübingen (geb. 1768, gest. 1852) und Professor Christian Friedrich +Nasse (geb. 1778, gest. 1851) herausgegeben. Indeß veröffentlichte +Brockhaus blos vier Hefte (1817) und verkaufte das »Archiv« dann an die +Buchhandlung Hemmerde & Schwetschke in Halle, in deren Verlag bis 1827 +zwölf Bände davon erschienen. + +Uebrigens interessirte sich Brockhaus auch persönlich für diese nach +ihrem Erfinder Anton Mesmer gewöhnlich Mesmerismus genannte neue Lehre +von den geheimnißvollen Kräften des thierischen Magnetismus, welche in +Frankreich und Deutschland bis über das erste Viertel des Jahrhunderts +hinaus großes Aufsehen erregte. Er verlegte später Wolfart's »Jahrbücher +für den Lebens-Magnetismus oder Neues Askläpieion« (5 Bände, +1818-1823) und »Der Magnetismus nach der allseitigen Beziehung seines +Wesens, seiner Erscheinungen, Anwendung und Enträthselung in einer +geschichtlichen Entwickelung von allen Zeiten und bei allen Völkern +wissenschaftlich dargestellt«, von Professor Joseph Ennemoser in Bonn, +einem der Hauptvertreter dieser Lehre. Letzteres Werk erschien 1844 in +zweiter umgearbeiteter Auflage unter dem Doppeltitel: »Geschichte des +thierischen Magnetismus« und »Geschichte der Magie«. + + * * * * * + +Einen besonders werthvollen Zuwachs seines medicinischen Verlags erhielt +Brockhaus dadurch, daß er 1816 den gesammten Verlag der unter der +Firma »Literarisches Comptoir« in Altenburg bestehenden Pierer'schen +Buchhandlung übernahm. Die beiden wichtigsten Verlagswerke derselben +waren: »Medizinisches Realwörterbuch zum Handgebrauch praktischer Aerzte +und Wundärzte und zu belehrender Nachweisung für gebildete Personen +aller Stände«, und: »Allgemeine medizinische Annalen des neunzehnten +Jahrhunderts«. Beide Werke waren von dem Besitzer der Pierer'schen +Verlagsbuchhandlung begründet und wurden von ihm unter seinem Namen +herausgegeben, auch noch nach diesem Verkaufe. + +Johann Friedrich Pierer wurde schon mehrfach genannt: er hatte Brockhaus +1808 auf der leipziger Messe kennen gelernt und ihn dann bei seiner +Ankunft in Altenburg mit Rath und That unterstützt. Schon als Besitzer +der Hofbuchdruckerei, als Schwager des Bankiers Reichenbach und Freund +des Ludwig'schen Hauses nahm Pierer eine sehr hervorragende Stellung +in der altenburger Gesellschaft ein. Im Jahre 1767 geboren, studirte +er die Medicin und ließ sich 1790 in seiner Vaterstadt Altenburg +als praktischer Arzt nieder, begründete 1798 eine »Medizinische +Nationalzeitung für Deutschland«, die er 1800 »Allgemeine medizinische +Annalen« nannte, und kaufte 1799 die Richter'sche Hofbuchdruckerei in +Altenburg, mit der er 1801 ein buchhändlerisches Verlagsgeschäft für +seine Zeitschrift unter der Firma »Literarisches Comptoir« verband. +Dieses letztere verkaufte er sammt jener Zeitschrift, einigen andern +Verlagsartikeln und dem eben im Druck begonnenen »Medizinischen +Realwörterbuche« 1816 an Brockhaus. Nachdem er 1814 Amts- und +Stadtphysikus mit dem Titel Hofrath geworden war, wurde er 1826 zum +Obermedicinalrath und Leibarzt des Herzogs ernannt und starb 1832. + +Im Jahre 1823 (nach Brockhaus' Tode) nahm Johann Friedrich Pierer +sein Verlagsgeschäft unter der nur wenig veränderten Firma +»Literatur-Comptoir« wieder auf und übertrug die Leitung desselben +seinem Sohne Heinrich August Pierer (geb. 1794, gest. 1850), der +zuerst ebenfalls Medicin studirt hatte, aber 1813 mit ins Feld gezogen +war und 1831 seinen Abschied nahm, worauf er sich ausschließlich dem +Verlagsgeschäft widmete. Er hat sich namentlich durch Herausgabe +des »Universal-Lexikon« bekannt gemacht, das er 1824 noch bei +Lebzeiten seines Vaters und von diesem unterstützt unter dem Titel +»Encyklopädisches Wörterbuch« begonnen hatte. + +Von dem erstgenannten jener beiden von Brockhaus mit dem Pierer'schen +Verlage erworbenen Werke, dem »Medizinischen Realwörterbuch«, erschienen +in den Jahren 1816, 1818, 1819 und 1821 die ersten vier Bände, der +vierte mit herausgegeben von _Dr._ Ludwig Choulant (geb. 1791, gest. +1861 als Geh. Obermedicinalrath in Dresden), den Pierer zu seiner +Unterstützung 1817 aus Dresden nach Altenburg berufen hatte, wo er +bis 1821 blieb. Doch wurden diese vier Bände später an Pierer wieder +verkauft und von diesem die das Werk abschließenden Bände 5-8 in den +Jahren 1823-1829 selbst verlegt. + +Die »Allgemeinen medizinischen Annalen«, deren Redaction Pierer +ebenfalls beibehielt, seit 1821 auch dabei von Choulant unterstützt, +blieben nach der Wiedererrichtung der Pierer'schen Verlagsbuchhandlung +im Jahre 1823 doch im Verlage von F. A. Brockhaus, und zwar bis 1830, +worauf sie in die im Pierer'schen Verlage erscheinende »Allgemeine +medizinische Zeitung« umgewandelt wurden; letztere wurde nach Pierer's +Tode seit 1833 von _Dr._ Karl Pabst herausgegeben, ging 1837 wieder an +F. A. Brockhaus über, hörte aber mit Ende 1838 ganz auf. + +In dem am 11. Juni 1816 zwischen Pierer und Brockhaus abgeschlossenen +Vertrage über den Verkauf des »Literarischen Comptoir« verpflichtete +sich Letzterer zugleich, »die bisher bestandenen Druckereigeschäfte« mit +Ersterm fortzusetzen und nicht nur die von ihm übernommenen Verlagswerke +und »die noch rückständigen Bände des 'Conversations-Lexikon'« (zweite +Auflage) in Pierer's Druckerei anfertigen zu lassen, »sondern auch +dessen Pressen, deren Zahl um deswillen erhöht und mit dem nöthigen +Druckereipersonale versehen worden sind, auf längere Zeit hinaus +hinreichend und soviel es nur die Verhältnisse verstatten wollen zu +beschäftigen«. + +Verschiedenen Gebieten gehören endlich die folgenden drei von +Brockhaus im Jahre 1817 verlegten Werke an: »Reise nach Dalmatien und +in das Gebiet von Ragusa«, von Ernst Friedrich Germar, Professor der +Mineralogie zu Halle (geb. 1786, gest. 1853), ein Werk von zugleich +wissenschaftlichem Werthe, mit Kupfern und Karten; zweitens eine zwar +kleine Schrift, aber die erste bedeutendere Arbeit des später berühmt +gewordenen Geschichtschreibers der Philosophie Heinrich Ritter (geb. +1791, gest. 1869, erst Docent in Berlin und Kiel, seit 1837 eine Zierde +der Universität Göttingen) unter dem Titel: »Welchen Einfluß hat die +Philosophie des Cartesius auf die Ausbildung der des Spinoza gehabt, +und welche Berührungspunkte haben beide Philosophien mit einander +gemein? Nebst einer Zugabe: Ueber die Bildung des Philosophen durch +die Geschichte der Philosophie«; drittens: »Die Elemente der reinen +Mathematik« von dem königlich sächsischen Oberlandfeldmesser Wilhelm +Ernst August von Schlieben (geb. 1781, gest. 1829), wovon indeß nur +die erste Abtheilung: »Die Rechenkunst und Algebra«, in zwei Theilen +erschien. + +Eine gleichzeitig von Brockhaus mit dem Verfasser des letztern Werks +begonnene kriegsgeschichtliche Zeitschrift gehört in das Gebiet der +Publicistik, Geschichte und encyklopädischen Literatur, das einen +Hauptbestandtheil seiner Verlagsthätigkeit in den Jahren 1812-1817 +bildete und deshalb eine besondere Schilderung beansprucht. + +Vorher ist indeß noch ein einzelnes Verlagsunternehmen zu +charakterisiren, das Brockhaus vor allen andern in dieser Zeit +beschäftigte: die von ihm begründeten und herausgegebenen »Deutschen +Blätter«. + + + + + 3. + + Die »Deutschen Blätter«. + + +Wie Brockhaus seine Verlegerlaufbahn mit einer politisch-literarischen +Zeitung begonnen hatte (im Jahre 1806 mit dem holländischen Blatte »_De +Ster_«), so beschäftigte er sich auch gleich nach seiner Festsetzung +in Altenburg mit dem Gedanken, ein ähnliches in die Zeitverhältnisse +eingreifendes Unternehmen zu begründen. Ueberhaupt erkannte er stets +in vollem Maße die Bedeutung des Journalismus für ein Verlagsgeschäft, +das zu einer einflußreichen Stellung in der Literatur gelangen oder +diese behaupten will. In der mannichfachsten Weise hat er es in +den verschiedenen Perioden seiner Verlegerlaufbahn versucht, durch +Zeitschriften auf die öffentliche Meinung einzuwirken, bald auf rein +politischem, bald auf literarischem Gebiete, meist aber auf beiden +gleichzeitig, was der Zeitströmung und seiner eigenen Neigung am meisten +zusagte. + +Freilich waren die Zeitumstände in den Jahren 1811 und 1812 einer +solchen Absicht wenig günstig, ganz abgesehen davon, daß Altenburg ein +wenig geeigneter Ort für die Verwirklichung derselben schien und seine +pecuniären Mittel beschränkte waren. + + * * * * * + +Das erste Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts bildet eine der +traurigsten Epochen in der deutschen Geschichte: das Deutsche Reich +bricht nach tausendjährigem Bestande in sich selbst zusammen; +Frankreich verübt ungestraft Gewaltthaten gegen deutsche Länder; +Oesterreichs erste Erhebung gegen Napoleon (1805) mislingt und führt +zur Errichtung des Rheinbundes schmachvollen Andenkens, welcher ein +Drittheil des deutschen Landes in ein Vasallenverhältniß zu Frankreich +bringt; Preußens verspätete Erhebung gegen Napoleon (1806) scheitert +gleichfalls und kostet ihm die Hälfte seines Landes; Oesterreichs neuer +Versuch, die Napoleonische Herrschaft zu brechen (1809), mislingt +abermals; die ganze Nordseeküste Deutschlands wird (1810) mit Frankreich +vereinigt. + +In solch trüber Zeit ein politisches Blatt in Deutschland zu gründen, +wäre Vermessenheit gewesen, zumal die deutschen Fürsten nach und nach +eine Censur einführten, wie man sie bisher in Deutschland nicht gekannt +hatte; Napoleon hatte sie für den Verlust ihrer Unabhängigkeit dadurch +entschädigt, daß er ihnen einen neuen Begriff von der Souveränetät, die +er ihnen garantirte, beibrachte und sie zu unumschränkten Herren ihrer +Unterthanen machte. + +Die Besten des deutschen Volks fühlten von Anfang an die Schmach dieser +Zustände: die Namen eines Hofer, eines Schill, eines Dörnberg sind die +besten Zeugen dafür. Ihre kühnen Unternehmungen verunglückten, weil +sie von den Regierungen im Stich gelassen wurden und das deutsche Volk +zu allen Zeiten sich nur langsam zur That aufgerafft hat. Die Reformen +des Grafen Stadion in Oesterreich, Stein's und Scharnhorst's in Preußen +waren ein Zeichen der bald heranbrechenden Morgenröthe. Aber erst das +Scheitern des Zugs Napoleon's gegen Rußland (1812) gab das Signal zu +einer allgemeinen Erhebung in Deutschland. Alles athmete auf: der +Usurpator war nicht unbezwinglich. Stein's Verdienst ist es, Rußland +zur Verfolgung des fliehenden Feindes bis auf deutschen Boden vermocht +zu haben; Preußen wurde durch York's Capitulation mit fortgerissen zum +Kampfe gegen Napoleon auf Leben und Tod. Am 3. Februar 1813 erließ der +König von Preußen den Aufruf »An mein Volk«; die großartige Erhebung des +preußischen und bald auch des ganzen deutschen Volks war die Antwort. +Am 27. Februar schloß Preußen mit Rußland ein Bündniß und erklärte am +16. März Frankreich den Krieg. Das französische Heer hatte sich hinter +die Elbe zurückgezogen, behauptete aber diese Linie. Im Sommer traten +Schweden, England und Oesterreich dem preußisch-russischen Bündniß bei. +Von allen Seiten rückten die Heere nach Mitteldeutschland vor: hier +sollte die Entscheidung fallen. + + * * * * * + +Der Stadt Altenburg wurde in dieser denkwürdigen Zeit die Ehre zutheil, +mehrere Tage das Hauptquartier der verbündeten Armeen zu bilden. +Im Sommer 1813 oft von den Franzosen und den leider noch mit ihnen +verbündeten Baiern besetzt, wurde die Stadt zuerst am 24. August von +diesen verlassen, weil die Oesterreicher im Anmarsche waren. Am nächsten +Morgen rückten die ersten Oesterreicher und einige Kosacken ein. Am 2. +September erschienen die Franzosen wieder, flohen aber schon drei Tage +darauf, und am 8. September besetzte der österreichische Graf Mensdorff +mit einem österreichisch-russischen Corps die Stadt. Am 24. September +fand ein Gefecht bei Altenburg statt, General Thielmann zog sich vor +Oberst Lefèvre zurück, die Franzosen besetzten die Stadt wieder, bis +Thielmann, von dem Kosackenhetman Platow unterstützt, sie am 28. +September aufs neue daraus verjagte. Am 3. October rückten Polen unter +Fürst Poniatowski ein, zogen aber nach einigen Tagen wieder fort. Jetzt +begannen zahlreiche Durchmärsche der Verbündeten. Fürst Wittgenstein und +General Kleist kamen am 9. October mit ihren Corps an. Am folgenden Tage +verlegte Fürst Schwarzenberg, der Generalissimus der verbündeten Armeen, +sein Hauptquartier von Penig nach Altenburg, wo es bis zum 15. October +blieb. Der Kaiser Alexander von Rußland war kurz nach Schwarzenberg, +am Abend des 10. October, in Altenburg angekommen und ihm zu Ehren die +Stadt beleuchtet worden. Mit ihm kamen Großfürst Konstantin, Barclay +de Tolly und etwa vierzig russische, österreichische und preußische +Generale. In den Vormittagsstunden des 15. October brach alles, was zum +Hauptquartier gehörte, auf, nach Leipzig zu. Der Kaiser von Oesterreich +traf kurz darauf in Altenburg ein, ebenso der König von Preußen. + + * * * * * + +In diesen für Altenburg und seine Bewohner so ereignißreichen Tagen +reifte in Brockhaus der lange gehegte Entschluß, ein politisches Blatt +zu gründen, um auch an seinem Theile mitzuhelfen zur Befreiung des +Vaterlandes. In einem solchen Augenblicke konnte ein derartiges Blatt ja +nur Kriegsberichte bringen, und er beschloß, die günstige Gelegenheit, +die sich ihm durch die Anwesenheit des Hauptquartiers in Altenburg bot, +rasch zur Förderung seiner Absichten zu benutzen. Er erbat und erhielt +Audienzen beim Kaiser von Rußland und bei dem Fürsten Schwarzenberg. +Das Ergebniß derselben, über deren sonstigen Verlauf uns leider nichts +weiter bekannt ist, war ein »Befehl« zur Herausgabe eines »periodischen +Blattes« -- ein in der Geschichte der Journalistik gewiß seltener +Vorgang. + +Das geschichtlich denkwürdige Actenstück lautet: + + #Befehl.# + + Dem Buchhändler, Herrn Brockhaus, von hier wird hiermit befohlen, + alle von Seiten der Hohen Alliirten theils schon erschienene, theils + in der Zukunft noch zu erscheinende Nachrichten und officielle + Schriften durch den Druck bekannt zu machen und sie mittelst eines + periodischen Blattes, welches jedoch der Censur des jedesmaligen Herrn + Platz-Commandanten unterliegt, dem Publico mitzutheilen. + + Hauptquartier Altenburg, den 13. October 1813. + + Auf Befehl Sr. Durchlaucht des k. k. _en chef_ + commandirenden Herrn Feldmarschalls Fürsten + von Schwarzenberg. + + (Gez.) Langenau. + +Auf Grund dessen richtete Brockhaus sofort eine Eingabe an die +einheimische Behörde und erhielt darauf nachstehende Resolution: + + Dem Buchhändler Friedrich Arnold Brockhaus wird auf seine Eingabe + vom 14. d. M., die Herausgabe eines die von Seiten der Hohen Alliirten + theils schon erschienenen, theils noch erscheinenden Armee-Nachrichten + und officiellen Schriften liefernden periodischen Blattes und dessen + Censur betreffend, zur Resolution hiermit vermeldet: daß er dem + diesfalls von des _en chef_ commandirenden Herrn Feldmarschalls, + Fürsten von Schwarzenberg, Durchlaucht erhaltenen Befehle + lediglich nachzukommen und die Censur von dem jedesmaligen Herrn + Platz-Commandanten zu erwarten habe, daher bei diesen Blättern eine + Durchsicht der dießortigen Censur-Behörde nicht eintrete. + + Altenburg, am 18. October 1813. + + Herzogl. Sächs. verordnete Canzler u. Räthe das. + + (Gez.) F. C. A. von Trützschler. + +Brockhaus verlor keine Stunde mit der Ausführung des »Befehls«. Er ließ +sofort sein neues Blatt ins Leben treten, nannte es »Deutsche Blätter« +und stellte jenen Befehl an die Spitze der ersten Nummer, die schon vom +folgenden Tage, 14. October, datirt und wol noch an diesem oder dem +folgenden Tage erschienen ist. Unter den »Befehl« setzte er folgende +Benachrichtigung: + + In Beziehung auf obigen ehrenvollen Auftrag werden von den + »Deutschen Blättern« an unbestimmten Tagen, in Nummern von + halben und ganzen Bogen, wöchentlich mehrere erscheinen und + durch alle Buchhandlungen, Postämter u. s. w. zu erhalten sein. + Vierzig ganze Bogen bilden einen Band und erhalten Haupttitel und + Inhaltsverzeichniß. Bei Veranlassung werden Karten und Pläne beigefügt + werden. Der Pränumerationspreis für einen Band oder vierzig ganze + Bogen beträgt 1 Thlr. 8 Gr. sächsisch. Einzelne Nummern von einem + ganzen Bogen kosten 1 Gr. 6 Pf. und von einem halben Bogen 1 Gr. + + Bestellungen sowie dem Zweck der Blätter entsprechende Beiträge + werden adressirt: an die Expedition der »Deutschen Blätter« in + Altenburg. + + F. A. Brockhaus. + +Dies ist die Entstehungsgeschichte der »Deutschen Blätter«, die vom +Herbst 1813 bis zum Frühjahr 1816 bestanden und anerkanntermaßen zu den +besten der durch die Freiheitskriege hervorgerufenen und die Erhebung +des deutschen Volks auf das kräftigste fördernden Erzeugnissen der +deutschen politischen Presse gehörten. Sie sind nach Idee, Titel, +Form und Inhalt als eine Schöpfung von Brockhaus anzusehen, der auch +fortwährend die Seele des Blattes blieb, während _Dr._ Hain und _Dr._ +Sievers die Geschäfte der Redaction besorgten. Auf dem Blatte selbst +war übrigens nach damaliger Sitte zunächst weder der Redacteur noch der +Herausgeber, Verleger oder Drucker genannt; erst vom zweiten Bande an +nannte sich Brockhaus als Herausgeber. + +Daß Brockhaus sich einen »Befehl« zur Herausgabe des Blattes erwirkte, +geschah gewiß nicht aus Vorsicht, um etwa den französischen Militär- und +Civilbehörden gegenüber bei ungünstigem Verlaufe der Kriegsoperationen +durch diesen gedeckt zu sein. Denn wären die Franzosen nach dem am 15. +October, also einen Tag nach dem Datum der ersten Nummer, erfolgten +Wegzuge des Hauptquartiers aus Altenburg wieder einmal, wie in den +Wochen vorher öfters geschehen war, in die Stadt eingerückt, so hätte +jener »Befehl« den Herausgeber der »Deutschen Blätter« schwerlich vor +dem Schicksale Palm's oder wenigstens Becker's bewahrt, zumal er sofort +(in der dritten Nummer vom 17. October) einen über seine patriotische +Gesinnung keinen Zweifel lassenden Aufsatz: »Was ist (war) der +rheinische Bund?« brachte. Er erbat sich jenen »Befehl« vielmehr nur, +um die offiziellen Berichte über die Kriegsoperationen aus erster Hand +zu erhalten und dadurch seinem Blatte einen um so größern Leserkreis zu +sichern. + +Das Glück begünstigte ihn dabei insofern, als wenige Tage darauf +die Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen wurde und die »Deutschen +Blätter« bei ihren Beziehungen zu dem Hauptquartiere das erste Blatt +sein konnten, welches dem deutschen Volke die Kunde seiner Befreiung +und authentische Berichte über diese ewig denkwürdigen Tage brachte. +Die Geburt der »Deutschen Blätter« fiel so zusammen mit der Geburt der +deutschen Unabhängigkeit: ein günstiger Umstand, den der Herausgeber +trefflich zu benutzen verstand. + + * * * * * + +Das Hauptquartier der verbündeten Armeen war am 15. October von +Altenburg nach Pegau verlegt worden, und am Morgen des folgenden +Tags begann die leipziger Schlacht. Der Kaiser von Oesterreich hatte +Altenburg am 16. October früh 7 Uhr verlassen, der König von Preußen +erst einige Stunden später, Beide, um den Kaiser von Rußland und das +Hauptquartier in Pegau zu treffen. Schon auf der Fahrt dahin hörten sie +die heftige Kanonade dieses ersten Schlachttags: es war die Schlacht bei +Wachau, die gleichzeitig mit der von Blücher bei Möckern geschlagenen +Schlacht siegreich für die Verbündeten ausfiel und den 16. October zu +dem ersten Siegestage bei Leipzig machte. Die drei verbündeten Monarchen +hatten der Schlacht vom Wachberge aus beigewohnt; auch Napoleon war auf +dem Schlachtfelde und hatte bei der ersten für ihn günstigen Wendung der +Schlacht bereits den Befehl gegeben, in Leipzig zur Feier seines Siegs +die Glocken zu läuten. + +Der folgende Tag, der 17. October, ein Sonntag, verging ruhiger: +Napoleon unterhandelte und versäumte darüber den rechtzeitigen Rückzug. + +Am 18. October erfolgte der Hauptangriff der Verbündeten in drei +Colonnen auf die Stellung der Franzosen in und um Leipzig: überall, +wenn auch unter mörderischem Kampfe siegreich vordringend, hatten sie +am Abende dieses Hauptschlachttags die Franzosen von drei Seiten so +fest eingeschlossen, daß diesen nur der eine Rückzugsweg nach Westen +übrigblieb und Napoleon den Rückzug bereits um 11 Uhr vormittags +beginnen ließ. + +Am 19. October wurden die Vorstädte Leipzigs erstürmt; die drei +verbündeten Monarchen hielten um 1 Uhr mittags ihren Einzug in die +Stadt, die Napoleon um 10 Uhr erst verlassen hatte. + +Napoleon's Macht hatte den Todesstoß erhalten, Deutschland war frei: der +Einzug des Kaisers von Rußland und des Königs von Preußen in Paris am +31. März, Napoleon's Abdankung am 11. April, der Erste Pariser Friede +vom 30. Mai 1814 waren Folgen der Völkerschlacht bei Leipzig. + + * * * * * + +Die »Deutschen Blätter« brachten wol die ersten Nachrichten über +die große Entscheidungsschlacht. Sie vermochten dies aber nicht nur +deshalb, weil sie das officielle Organ des Hauptquartiers waren, sondern +ihr Herausgeber hatte, mit gewohnter Energie den rechten Augenblick +erfassend, sich sofort nach schnell nachgesuchter und erhaltener +Erlaubniß dem Hauptquartier angeschlossen, und konnte so seinem neu +gegründeten Blatte zugleich als erster Berichterstatter über die +wichtigste Schlacht des ganzen Kriegs dienen. Brockhaus war Augenzeuge +der Schlacht bei Wachau gewesen und sofort nach der Einnahme Leipzigs +von Rötha aus in die Stadt geeilt. + +Schon am Nachmittag des 18. October sandte er zwei kurze Berichte an +_Dr._ Hain in Altenburg, die dieser am nächsten Morgen sofort durch +ein »Extrablatt« (also nicht erst eine Erfindung der neuern Zeit!) dem +Publikum mittheilte und in Nr. 5 der »Deutschen Blätter« vom 19. October +nochmals abdruckte. Diese Briefe waren in Borna geschrieben, wo auch der +Kaiser von Oesterreich und der König von Preußen übernachtet hatten; +beide Fürsten begaben sich von hier nach Rötha zum Kaiser von Rußland, +um mit diesem zusammen am folgenden Mittag in Leipzig einzuziehen. +Brockhaus folgte ihnen mit dem Hauptquartier. + +Von Leipzig aus schrieb er gleich am Morgen des 20. October einen +längern Bericht über seine Erlebnisse für die »Deutschen Blätter«, der +mit der Ueberschrift »Brief an J.« (unter J. ist jedenfalls Jeannette, +seine Frau, gemeint) in Nr. 11 vom 21. October veröffentlicht wurde. + +Wir theilen daraus unter Weglassung der bekannten Einzelheiten der +Schlachttage folgende theils für den Schreiber charakteristische, theils +auch sonst interessante Stellen hier mit: + + Ich bin auf den Flügeln des Windes hierher geeilt, sobald ich in + Rötha die Nachricht von der Einnahme Leipzigs erhielt. Es sind zwei + göttliche Tage für mich gewesen. Am ersten die #Ahnung# und späterhin + am Abend schon die #Nachricht# von der Hermanns-Schlacht; der zweite + die vollendete Besiegung des stolzen Feindes, der nun seit zehn Jahren + mit ehrnem Fuß uns auf den Nacken trat und alle schönen Lebenskeime + zerstörte. Es ist der vollständigste Sieg, den die neuere Geschichte + kennt, erfochten worden, und die Folgen werden noch unermeßlicher + sein. Ich hoffe, auch kein Franzose werde über den Rhein zurückkehren, + um die Kunde ihrer Niederlagen in ihre Heimat zu bringen. So geht das + in Erfüllung, was ich oft sagte, wenn sie in nicht aufhörenden Zügen + an unsern friedlichen Wohnungen vorbeieilten .... + + Der Einzug in Leipzig ist ebenso rührend als verherrlichend gewesen. + Mit lautem Jubel bewillkommneten die Einwohner die Sieger und sahen + sie für ihre Befreier an. Aus allen Fenstern wurde ihnen mit weißen + Tüchern entgegengeflaggt. »Seid willkommen, seid willkommen!« -- + »Es lebe Franz, Alexander, Friedrich Wilhelm und der Kronprinz von + Schweden!« ist von tausend und wieder tausend Stimmen gerufen und von + den Siegern mit unaufhörlichem Hurrah beantwortet worden. Freunde, + Bekannte, Fremde umarmen sich auf öffentlicher Straße, und Thränen + der Freude und der Wehmuth stürzen ihnen aus den Augen. Auch haben + sich die Sieger wie wackere Männer in ihrem Triumphe gezeigt. Leipzig + war mit Sturm genommen und noch in den Straßen der Stadt lebhaft + gefochten worden. Das Los jeder so eroberten Stadt ist gewöhnlich die + Plünderung. Hier aber ist nicht im geringsten geplündert, sondern die + strengste Mannszucht gehalten worden. Wer erinnert sich hier nicht an + Lübeck, das 1806 drei Tage lang von den Marschällen Soult und Murat + allen Greueln der Verwüstung preisgegeben wurde! Auch damals schon + zeigte sich der Sinn des Kronprinzen von Schweden als edler Mann, + indem er bei seinem Corps die strengste Ordnung zu erhalten wußte. + Man ziehe hier Parallele zwischen diesen »Barbaren des Nordens« und + jenen »cultivirten Männern des Südens«! So auch nach der Schlacht bei + Lützen, die wir unter unsern Augen liefern sahen: die »Barbaren« zogen + sich in musterhafter Ordnung zurück und ihr Betragen war ebenfalls + musterhaft. Wie sich aber die »Sieger« benahmen, darüber frage man an + allen den Orten, wo ihr verheerender Zug sie hinführte. + + Selbst die Wohnungen, die Napoleon bezog, waren nicht vor Plünderung + sicher, wie wir in unserer Nähe ein empörendes Beispiel vernommen + haben, worüber ich jetzt aufs neue die Bestätigung erhielt. + + Meine Reise gestern von Rötha hierher war ohne die geringste + Unannehmlichkeit und Störung, was beinahe unbegreiflich scheint, wenn + man bedenkt, daß wir durch 100000 Mann Truppen fuhren, die in mehrern + Colonnen und in unabsehbaren Zügen nach Pegau defilirten. Man hatte + selbst die Gutmüthigkeit, uns, wo es sich thun ließ, Platz zu machen + oder sogar innezuhalten, damit wir nur um so rascher fahren könnten. + Keine Erkundigung nach Pässen fand statt. Man sah es uns wol an den + Gesichtern an, daß wir wackere Deutsche seien, die es mit der großen + Sache, für die sie Blut und Leben opfern, gut meinen. Wir brachten + jeder Truppenart auch immer ein freundliches: »Vivat Franz, Alexander + und Friedrich Wilhelm!« zu. Auch Sachsen begegneten uns; wir riefen + ihnen zu: »Es leben die braven Sachsen!« Auf der ganzen Straße von + Rötha bis Leipzig sieht man eine ungeheuere Verwüstung. Fast alle + Dörfer sind ganz oder theilweise beinahe stets von den Franzosen + abgebrannt, alle Gärten sind verwüstet, alle Landhäuser niedergerissen + oder doch spoliirt; man sieht keine Hecke, alle noch stehenden + Scheunen sind geleert, das Vieh ist weggeführt, und die Einwohner + halten sich, von Allem entblößt, in den Wäldern auf; keine Spur mehr + von alle dem, was in einer langen Reihe glücklicher Jahre in frühern + Zeiten für Bequemlichkeit und Schönheit gebildet und geschaffen worden + war. + + Mit welchen Gefühlen muß Napoleon aus Sachsen geschieden sein, mit + welchen muß er aus Aegypten, aus Rußland, aus Spanien, aus Schlesien, + aus Preußen, aus Oesterreich geschieden sein! Sollte er nicht endlich + einmal fühlen, daß Millionen Flüche ihn immer verfolgen und kein + einziger Segensruf ihn je begleitet? + + Eine Stunde von Rötha fängt das Schlachtfeld vom 16. October + an; eine Stunde weiterhin das vom 18., dem Tage der eigentlichen + Hermanns-Schlacht. Man sieht sowol auf dem Wege selbst als auf den + nahe gelegenen Feldern unzählige todte menschliche Leichname und + todte Pferde. Das Ganze erweckt die grausigsten Gefühle, die nur die + Glorreichheit des Tages mildern kann. + + In der Nähe von Leipzig mag es noch schlimmer aussehen. Die + Dunkelheit des Abends verhinderte mich, dies genau zu erkennen. Es + soll dies heute mein Geschäft sein. + + Gestern sind die Kaiser Franz und Alexander, der König von Preußen + und der Kronprinz hier gewesen und mit außerordentlichem Jubel + empfangen worden. Am Abend sind sie wieder zurückgegangen. Alle + besuchten sogleich, wie man mir sagte, was ich aber sehr bezweifle, + bei ihrer Ankunft den König von Sachsen, bei dem Napoleon früh von + 9 bis 10 Uhr gewesen war, der sich standhaft geweigert hatte, ihn + auf seiner Flucht zu begleiten. Kaiser Franz begegnete uns mit dem + Minister Metternich, den Generalen Meerfeld, Duka, Kutschera. Wir + wurden freundlich von allen gegrüßt .... + + Napoleon ist gegen 10 Uhr von hier weggeritten. Murat hat ihn + begleitet. Man hat vom Markt her beobachten können, wie er sich mit + der königlichen Familie unterhalten hat .... + + Am Tage der ersten Schlacht hat man zuerst Siegesnachrichten + verbreitet. Es sind Kuriere hereingesprengt gekommen, die auf allen + Straßen ausgerufen haben: »_Victoire! Vive l'Empereur!_« Allein es hat + dies nicht lange gedauert, weil im Augenblicke der Siegesverkündigung + sowol die Oesterreicher vorrückten, als auch der Kronprinz von + Schweden gar zu gewaltige Fortschritte machte und bis auf eine halbe + Stunde von der Stadt kam. Alle französischen Colonnen wurden geworfen, + und der Sieg der Alliirten lag den Tausenden der Zuschauer, die sich + auf allen Thürmen und hohen Häusern befanden, gar zu deutlich vor + Augen. + + Der Anblick des sonst so freundlichen Leipzig und seiner herrlichen + Umgebungen ist schauder- und ekelerregend. Viele der schönen Alleen + sind ganz umgehauen, alle Promenaden, alle Gärten sind zerstört + und verwüstet, die Landhäuser demolirt oder der Dächer und Fenster + beraubt. Auf jedem Schritte in den äußern Straßen und nahen Feldern + sieht man Leichname oder todte Pferde. Die Franzosen haben am 19. + viele Tausende hier verloren. + +Folgende Stelle eines spätern Briefs von Brockhaus, am 24. December +desselben Jahres aus Altenburg an Villers in Göttingen gerichtet[51], sei +gleich hier angefügt: + + O mein Gott, wer hätte es ahnen oder hoffen dürfen, daß man diese + Wiedergeburt der Welt selbst noch erleben würde! Und #wie# erleben + würde! Ich bin sehr glücklich darin gewesen und habe in den Tagen + der Hermanns-Schlacht wahrhaft göttliche Tage gelebt, da Alles + sich selbst unter meinen Augen ereignete und ich immer die von des + Feindes Blute getränkten Felder nur wenige Minuten später betrat, + als sein fliehender Fuß sie verlassen hatte. Ich war vom General _en + chef_ aller verbündeten Armeen mit dem Auftrag beehrt worden, ein + periodisches Blatt herauszugeben, woraus unsere »Deutschen Blätter« + entstanden, und so folgte ich nicht blos dem Hauptquartier, als es + am 14. (15.) October von hier aufbrach, sondern war auch -- »_vif et + étourdi, que je suis_«, der Schlacht möglichst nahe und oft nicht + geringen Gefahren ausgesetzt. Die Nächte vom 17.-18. und vom 18.-19. + brachte ich mitten in den österreichischen Bivuaks zu, und am 19. + war ich wenige Stunden nach der Einnahme von Leipzig schon in dieser + Stadt! Doch von dem Allen darf ich nicht anfangen zu erzählen. Wo da + das Ende finden? + +Die Nummer der »Deutschen Blätter«, in der Brockhaus' Brief vom 20. +October veröffentlicht wurde (Nr. 11 vom 21. October) war, wie es +scheint, gleich in Leipzig gedruckt und ausgegeben worden, nicht in +Altenburg, wie die frühern. Die Expedition des Blattes blieb von jetzt +an in Leipzig, und zwar bei Brockhaus' Commissionär W. Engelmann (in +der Ritterstraße), während der Druck abwechselnd hier und in Altenburg +erfolgte; in späterer Zeit ließ Brockhaus alle Nummern, in denen +irgendwie bedenkliche patriotische Artikel enthalten waren, in Altenburg +drucken, weil dort die Censur viel milder als in Leipzig gehandhabt +wurde. + +Aus jener Verlegung des Drucks und der Expedition nach Leipzig erklärt +es sich, daß die (in Altenburg gedruckten) Nummern 7-10 dieselben Daten: +21.-24. October, tragen wie die (in Leipzig gedruckten) Nummern 10-14. +Nr. 7 vom 21. October enthält am Schlusse die erste vorläufige Nachricht +von der wirklich erfolgten Entscheidung in folgender Fassung: + + Altenburg, den 20. October 1813. + + Leipzig ist infolge #des vollständigsten und glänzendsten Sieges# + am 19. von den Alliirten besetzt worden. Die officiellen und + ausführlichen Berichte von den Ereignissen der letzten Tage, welche + das Schicksal der französischen Armee und die Befreiung Deutschlands + entschieden haben, werden unverzüglich folgen. + +Die erste Nachricht über den Beginn der Schlacht vom 16. October +findet sich schon in Nr. 3 vom 17. October, freilich erst nur von +einer »äußerst heftigen Kanonade« berichtend, die man den ganzen Tag +über in Altenburg gehört habe. In Nr. 4 und 5 vom 18. und 19. October +wurden dann die ersten kurzen Mittheilungen von Brockhaus aus Borna +und einige andere vorläufige Notizen gebracht. Der erste officielle +Bericht über die Schlacht ist in Nr. 12 vom 22. October enthalten, +noch aus dem Hauptquartier Rötha, 19. October, datirt. Nr. 13 vom 23. +October bringt einen weitern kurzen Armeebericht aus Leipzig vom 22., +ein vorläufiges Bulletin des Kronprinzen von Schweden vom 20. und den +Brief eines Augenzeugen (der aber Brockhaus nicht gewesen sein kann) +über die Erstürmung von Leipzig; Nr. 14 vom 24. October enthält endlich +den ersten ausführlichen officiellen Bericht über die Schlacht in dem +»Dreiundzwanzigsten Armeebericht Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen +von Schweden«, datirt: »Hauptquartier Leipzig, den 21. October 1813«, +und wahrscheinlich von August Wilhelm von Schlegel, damals Geh. +Cabinetssecretär des Kronprinzen, verfaßt. Die betreffende Nummer der +»Deutschen Blätter« wurde, wie in der vorhergehenden angezeigt wird, +»im großen Fürsten-Collegio auf der Ritterstraße« ausgegeben, da die +Expedition der »Deutschen Blätter« in der Engelmann'schen Buchhandlung +Sonntags geschlossen sei. + +In dem (in der folgenden Nummer mitgetheilten) Schlusse dieses +officiellen Berichts heißt es unter anderm: + + Die Resultate der Schlachten von Leipzig sind unermeßlich und + entscheidend. Schon am 18. hatte der Kaiser Napoleon angefangen, seine + Armee auf den Straßen nach Lützen und Weißenfels den Rückzug antreten + zu lassen .... Die deutschen und polnischen Truppen verlassen seine + Fahnen in Scharen, und Alles zeigt an, daß die Freiheit Deutschlands + zu Leipzig erobert worden ist. + + Man begreift nicht, wie ein Mann, der in dreißig förmlichen + Schlachten befehligt und sich durch großen Kriegsruhm emporgeschwungen + hat, indem er sich jenen aller ehemaligen französischen Generale + zueignete, seine Armee in einer so ungünstigen Stellung hat + zusammendrängen können, wie diejenige ist, wo er sich aufgestellt + hatte. Die Elster und Pleiße im Rücken, eine morastige Gegend und blos + eine einzige Brücke, um 100000 Mann und 3000 Bagagewagen darüberziehen + zu lassen. Man fragt sich: ist dies der große Heerführer, vor dem + bisjetzt ganz Europa zitterte? + +Als Seitenstück und als Beweis, daß die Franzosen es zu allen Zeiten +verstanden haben, ihre Niederlagen als Siege auszurufen, eine Kunst, in +der Napoleon I. allerdings der anerkannte Meister war, seien auch einige +Stellen aus dem in spätern Nummern der »Deutschen Blätter« (vom 8. und +9. November) veröffentlichten und mit Anmerkungen begleiteten amtlichen +französischen Berichte über die Schlachten bei Leipzig mitgetheilt. + +Nachdem schon die beiden Schlachten des 16. October, bei Wachau und +Möckern, als Siege der Franzosen bezeichnet worden sind, heißt es über +den 18. October: + + Das Schlachtfeld blieb ganz in unserer Gewalt, und die französische + Armee war auf den Gefilden von Leipzig wie bei Wachau siegreich. Das + Feuer unserer Kanonen hatte bei Nacht auf allen Punkten eine Stunde + weit vom Schlachtfelde das Feuer des Feindes zum Schweigen gebracht. + +Wer dies liest, wird, auch wenn er schon an solche Verkehrung der +Wahrheit gewöhnt ist, wenigstens neugierig sein, wie der trotz dieser +»Siege« angetretene Rückzug der Franzosen erklärt worden sei. Napoleon +ist über eine solche Erklärung nicht verlegen: es war lediglich der +Mangel an Munition, der ihn zwang, sich trotz seiner Siege bei Leipzig +auf sein großes Depot in Erfurt zurückzuziehen, wo er dann freilich auch +nicht gar lange blieb! Er sagt wörtlich: + + Dieser Umstand zwang die französische Armee, auf die Früchte zweier + Siege Verzicht zu leisten, worin sie mit so viel Ruhm viel stärkere + Truppen und die Armeen vom ganzen Continent geschlagen hatte .... Der + Feind, der seit den Schlachten vom 16. und 18. bestürzt war, faßte + durch die Unfälle am 19. wieder Muth und betrachtete sich als Sieger. + Die französische Armee hat nach so glänzenden Erfolgen ihre siegreiche + Stellung verloren. + +Die Redaction der »Deutschen Blätter« bemerkt zu einer dieser Stellen, +die fast so viel Unwahrheiten als Worte enthalten, lakonisch: + + Hätten die Franzosen jederzeit so »gesiegt« wie bei Leipzig, so wäre + Napoleon weder erster Consul noch Kaiser geworden. + +Während der entscheidenden Tage und unmittelbar nach diesen hatte +übrigens die Redaction in Altenburg einen schweren Stand gehabt: Alles +verlangte nach Nachrichten, und diese gingen damals doch so viel +langsamer als gegenwärtig. + +_Dr._ Hain schrieb darüber aus Altenburg vom 21. October an Brockhaus +nach Leipzig: + + Die Nachrichten, welche Sie uns durch Staffette von Borna zusandten, + sind mir am Dienstag (19. October) früh halb acht Uhr mitgetheilt + worden. Um 10 Uhr war das Extrablatt gedruckt. Der Zulauf war für + einen Ort wie Altenburg ungeheuer. Die Druckerei hat sonst bei dem + halben Preise nur 300 Exemplare verkauft; wir haben circa 20 Thlr. + gelöst. Außerdem aber hatte das Extrablatt die gute Folge, daß viele + Personen dadurch auf die »Deutschen Blätter« aufmerksam gemacht und + zur Pränumeration bewogen wurden. Man fing an, unser Comptoir als die + Quelle der Neuigkeiten zu betrachten. Um so übler war es, daß wir von + der gewonnenen Schlacht den ganzen Mittwoch nichts mittheilen konnten, + während die ganze Stadt von den Siegesnachrichten ertönte. Die + Spannung war so groß, daß ich glaube, 50 Thlr. wären rein zu gewinnen + gewesen. Wir wurden von Neugierigen überlaufen. Was sollten wir aber + thun? Der Commandant wußte nichts; Nachforschungen anzustellen war + unmöglich; auch konnte es zu nichts führen, das Allgemeinbekannte + drucken zu lassen. Wir warteten stündlich auf Nachricht von Ihnen + und vertrösteten die Leute längstens auf heute früh. Indeß kam Ihr + Brief, der nichts von den Vorfällen enthielt; ebenso wenig kam sonst + etwas. Jetzt glaubte ich nicht länger unthätig sein zu dürfen; der + günstigste Zeitpunkt war, wie ich wol sah, schon vorübergegangen; + der Reichenbach'sche Brief[52] fing an zu circuliren. Dennoch schien + es mir nöthig, zu zeigen, daß wir wenigstens etwas wüßten, und zu + hintertreiben, daß Pierer etwas drucken ließe, was nach des Factors + Erklärung geschehen sollte. Ich ging daher zu Reichenbach, mit + dem Ihre Frau Gemahlin schon gesprochen hatte; dieser hatte die + Gefälligkeit, mir seinen Brief vorzulesen. Ich lief sogleich mit + brennendem Kopf zurück, schrieb nieder, was ich noch wußte, und + schickte es ungelesen in die Druckerei. Sievers las die Correctur, und + um 1 Uhr war ein Extrablatt gedruckt, das allerdings etwas schwach + aussieht, das aber die Leute dennoch satisfacirt und nebenbei 10-12 + Thlr. Gewinn gebracht hat. + + Von den »Deutschen Blättern« ist heute das siebente Stück + erschienen, morgen erscheint das achte von einem ganzen Bogen, welches + den Anfang des österreichischen Manifestes und das zweite Extrablatt + enthält; das neunte Stück wird dann den Schluß des Manifestes und das + Gedicht von Fouqué enthalten, wenn Sie nicht, wie ich gewiß hoffe, bis + dahin anders verfügen. + +Unterm 23. October schrieb _Dr._ Hain weiter, nach Empfang der +inzwischen in Leipzig gedruckten Nummern: + + Herr Bochmann wird Ihnen gesagt haben, wie es hier geht. Die + »Deutschen Blätter« haben einen solchen Zulauf, daß Ihre Sendung + ein Tropfen auf einen heißen Stein war. Wir haben unsere Abonnenten + nicht alle befriedigen können und mehrere hundert Neugierige abweisen + müssen. Pierer hat den officiellen Bericht gleich gestern Abend + nachdrucken und heute verkaufen lassen. Ich bitte Sie, uns von jedem + neuen Blatt 6-800 zu schicken. An die Auswärtigen ist bisjetzt leider + nur wenig gekommen. An den Fürsten Auersperg und den Grafen Joseph von + Nostitz, Beide im Hoflager des Kaisers von Oesterreich, werden Sie die + Expedition leichter von Leipzig aus effectuiren. Sie haben Beide die + ersten acht Nummern. + + Ich muß mich jetzt ganz der Expedition widmen, die keinen Augenblick + Ruhe läßt. Sehr peinlich ist es, die Neugierde der Menschen nicht + befriedigen zu können; senden Sie also ja große Massen! + +Unterm 26. October endlich schreibt _Dr._ Hain: + + Es melden sich täglich Abonnenten zu den »Deutschen Blättern«, und + wir würden mehr verkaufen, wenn wir mehr hätten. Die auswärtigen + Versendungen haben noch ganz unterbleiben müssen. Wir hoffen sehr + auf die Ankunft Wagner's[53], in der Erwartung, mit ihm zu erhalten, + was wir brauchen, um Alles zu befriedigen, und besonders auch die + auswärtigen Versendungen zu machen. + + Ich beneide Sie der höchst interessanten Verbindungen wegen, in + die Sie getreten sind; sie sind ebenso viel werth als der ebenfalls + sehr interessante Gewinn. Stürmer ist einer unserer ausgezeichnetsten + Orientalisten, wenn es nämlich derselbe ist, der früher in + Konstantinopel war.[54] Ich bitte Sie, ihm von mir zu sprechen, da + mir eine Verbindung mit ihm für die Zukunft sehr wünschenswerth wäre. + Messerschmid aber bittet Sie, ihn A. W. Schlegeln zu empfehlen. + +Die Theilnahme für die »Deutschen Blätter« war, wie aus diesen +Mittheilungen hervorgeht, eine für den Unternehmer sehr erfreuliche. +Es scheint, daß man ihm um diese Zeit das Blatt habe abkaufen wollen; +wenigstens deuten folgende von _Dr._ Sievers, der _Dr._ Hain bei der +Redaction der »Deutschen Blätter« unterstützte, dem vorstehenden Briefe +beigefügte Zeilen darauf hin: + + Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück zu dem Absatze der + »Deutschen Blätter« und lebe der gerechten Erwartung, daß Sie die + von Fleischer angebotenen 1000 Dukaten durch den Debit derselben + hundertfältig wiedergewinnen mögen. + +Währenddessen hatte indeß Brockhaus in Leipzig nicht geringere Sorgen, +nicht blos weil er die Redaction des jetzt dort gedruckten Blattes +allein besorgen mußte, sondern auch wegen des Verkaufs und der Zukunft +desselben. Er hatte den Druck und die Expedition sofort nach der +leipziger Schlacht von Altenburg nach Leipzig verlegt, d. h. er ließ +einfach die nächsten Nummern der Beschleunigung wegen gleich in Leipzig +drucken und diese nicht nur an die Abonnenten abgeben, sondern natürlich +auch an das übrige Publikum verkaufen, das nach authentischen Berichten +über die eben unter seinen Augen vor sich gegangenen welthistorischen +Ereignisse verlangte. Indeß bestand damals weder Gewerbefreiheit +noch Preßfreiheit, es war im Gegentheil die Zeit des starrsten +Innungszwanges, der peinlichsten Censur, ja selbst der sonderbarsten +Privilegien. So hatte er nicht bedacht, daß die königliche »Leipziger +Zeitung« ein Privilegium hatte, wonach in ganz Sachsen keine tägliche +Zeitung oder Wochenschrift erscheinen durfte, ohne daß der Pachter +derselben es erlaubte! + +Pachter und Redacteur der »Leipziger Zeitung« war aber damals +(1810-1818) glücklicherweise der mit Brockhaus schon seit längerer +Zeit befreundete Hofrath Mahlmann, ein Schwager der Hofräthin Spazier. +Dieser machte ihn in freundschaftlicher Weise auf das Ungesetzliche +seines Vorgehens aufmerksam. Daraus entspann sich ein Briefwechsel +zwischen Beiden, der auch zu einer Verständigung führte. Die in dieser +Angelegenheit gewechselten beiden Briefe sind nicht nur für Brockhaus +selbst sehr charakteristisch, sondern auch in andern Hinsichten so +interessant, daß sie nachstehend vollständig folgen mögen. + +Brockhaus richtete an Mahlmann aus Leipzig vom 26. October 1813, +also wenige Tage nach der Schlacht, das folgende von ihm selbst als +»Promemoria« bezeichnete Schreiben: + + Werthester Herr Hofrath! Ich pflege Alles, was geschäftlich ist + (»_Il faut faire les affaires comme des affaires_«, sagte mir Mercier + einmal), lieber schriftlich als mündlich vorzubereiten, weil ich aus + Erfahrung weiß, daß man sich so besser verständigt und sein Ziel + sicherer erreicht. Sie werden mir also erlauben, daß ich auch jetzt + diesen Weg einschlage und Sie bitte, mir Ihre Bestimmungen ebenfalls + schriftlich mitzutheilen. + + Sie haben geäußert, daß Sie dagegen nichts zu erinnern hätten, daß + wir in der Expedition der »Deutschen Blätter« Abonnements annähmen, + daß Sie jedoch den einzelnen Verkauf nicht zugeben könnten, sich aber + zu einer Abfindung verstehen wollen. + + Indem ich diese Erklärung vorläufig acceptire, versichere ich Ihnen, + daß, sobald ich mich überzeuge, daß Ihr Recht ganz gegründet und Ihre + vorzuschlagende Abfindung billig sei, ich mich dieser gern unterwerfen + werde. + + Um Ihre zu machende Erklärung desto richtiger motiviren zu können, + erlaube ich mir Ihnen folgende Bemerkungen zu machen: + + 1) Es findet, dünkt mir, ein entschiedener Unterschied statt + zwischen einer Zeitung und einem politischen Volksblatte wie das + unserige. Dieser Unterschied besteht in der Form und im Inhalt. Eine + Zeitung erscheint an fixen Tagen, sie kündigt sich im Titel als + Zeitung an, sie umfaßt die ganze Zeitgeschichte, sie referirt blos, + sie nimmt keine Partei, und Raisonnements sind ihr fremd, sie ist das + Vehikel, um dem Publikum Alles zur Kenntniß zu bringen, was der Staat + diesem mitzutheilen hat und ein Bürger dem andern. Unser Blatt hat + eine ganz andere Gestalt. Es erscheint an unbestimmten Tagen und nur + vor der Hand täglich und erhält durch Titel, Register und Repertorium + die Form eines Buchs. Außer den Armeebulletins -- die es #auf Befehl# + des Feldmarschalls Schwarzenberg bekannt machen _muß_, die aber + Tauchnitz und jeder Andere auch verkauft -- liefert es keine Artikel, + die an eine politische Zeitung erinnern. Sie finden Raisonnements, + historische Darstellungen, humoristische Artikel, gemüthliche + Briefe, Gedichte u. s. w., lauter Sachen, die nie in eine politische + Zeitung aufgenommen zu werden pflegen. Es scheint mir also, daß Ihr + Privilegium nicht streng auf die »Deutschen Blätter« paßt. In Berlin + hat sich gerade derselbe Fall ereignet. Auch die beiden berliner + Zeitungen zahlen Pacht und haben Privilegium. Kaum war indeß die + russische Armee dort eingerückt, als Herr v. K. von Graf Wittgenstein + den Auftrag erhielt, ein Volksblatt herauszugeben, und ebenso Herr + von Niebuhr vom Gouvernement selbst autorisirt wurde, die Preußische + Correspondenz zu schreiben. Ebenso ist es mit mir. Ich habe von Sr. + Durchlaucht dem Fürsten von Schwarzenberg einen ähnlichen Befehl + erhalten, und es liegt in der Natur der Sache und speciell in den + empfangenen Instructionen, daß ich dem Blatte die größte Verbreitung + muß zu geben suchen, indem es bestimmt ist, auf den öffentlichen Geist + wohlthätig einzuwirken. + + 2) Der Verkauf einzelner Blätter wird von der höchsten + Unbedeutendheit sein, wie schon jetzt die Erfahrung lehrt. Ich werde + Ihnen am Schluß dieses Promemoria auf meine Ehre angeben, was diesen + Morgen an einzelnen Blättern ist verkauft worden, woraus Sie sich + einen Maßstab für den einzelnen Verkauf werden machen können. Es + ist sehr natürlich, daß dieser einzelne Verkauf gering sein müsse, + weil wir das Abonnement so niedrig gesetzt haben. Wer sich für + die »Deutschen Blätter« interessirt, wird ja lieber 1 Thlr. 8 Gr. + Abonnement als 3 Thlr. 8 Gr. einzeln bezahlen. Es ist hier noch zu + bemerken, daß den Buchhandlungen und Colporteurs doch nicht konnte + verwehrt werden, wie mir dünkt, auf irgendeine Anzahl zu abonniren + und sie wieder nach Belieben einzeln zu verkaufen, wodurch immer ein + einzelner Verkauf stattfände, wenn er auch von der Expedition müßte + aufgegeben werden. + + 3) Ist mir bekannt, daß in mehrern Zeitpunkten viele Blätter hier + bei andern Buchhändlern erschienen sind, die eine ähnliche Tendenz + wie die »Deutschen Blätter« hatten, ohne daß den Verlegern der + einzelne Verkauf wäre benommen gewesen. Ich erinnere hier an das + Intelligenzblatt zu den »Feuerbränden«, an den »Europäischen Aufseher« + u. s. w. + + Dies sind meine Ansichten, werthester Herr Hofrath -- wenn ich in + diesen irre, so wird Niemand geneigter sein als ich, es zu gestehen, + wenn es mir gezeigt wird. Ich glaube indessen, daß unser Beider + Interesse sich gewissermaßen vereinigen lasse, wenn Sie sich in Ihrem + großen Wirkungskreise für den Vertrieb unserer patriotischen Blätter + verwenden wollen, und ich meinerseits dadurch meinen Dank bezeige, + was Sie auch als eine Art von Schadloshaltung ansehen könnten, daß + ich Ihnen oder Ihrer Expedition 50% Rabatt für alle debitirten + Exemplare zugestände. Da ich es für möglich halte, daß Sie eine große + Anzahl Exemplare mit der Zeit gebrauchen könnten, so würde der Debit + derselben mit Ihren Vortheilen immer gleichen Schritt halten. + + In dem großen Zeitpunkte, worin wir leben, müssen alle kleinen + Interessen schweigen und alle Männer von Geist und Gemüth nur Ein + großes Interesse haben: den Sieg der Wahrheit und des Rechts über das + Reich der Lüge und der Unterjochung. Sie werden sich daher gewiß auf + alle Weise für unsere »Deutschen Blätter« mit verwenden, sie selbst + mit Beiträgen unterstützen, wozu ich Sie hiermit ausdrücklich einladen + will, da diese keinen andern Zweck als diesen zu erlangenden Sieg + haben. + + Genehmigen Sie meine freundschaftlichen Empfehlungen. + + Brockhaus. + +Hofrath Mahlmann antwortete darauf noch an demselben Tage: + + Es ist im vorliegenden Falle nicht von #meinem# Rechte die + Rede, sondern von dem der Königl. Zeitungsexpedition, welches ich + zu bewahren eidlich verpflichtet worden bin, und da sämmtliche + königlichen Pachtungen in ihrer Integrität fortbestehen und die + Pachter, ungeachtet alle Einnahmen seit zwei Monaten sistiren, die + fälligen Termingelder einzahlen sollen, so ist doppelt nothwendig, die + _Regalia_ vor allen Eingriffen zu sichern. + + Der §. 1 des _Generalis_ vom 23. November 1809 lautet wörtlich + folgendermaßen: + + »Niemand darf in Sr. Königl. Majestät gesammten Landen einige + historisch-politische Zeitungen oder wöchentliche Blätter, welche + Zeitungs-Artikel enthalten, drucken und ausgeben, er habe denn sich + mit dem Zeitungs-Pachter darüber vernommen und einverstanden. Wer ohne + ein solches Einverständniß dergleichen Blätter ausgeben würde, soll + für jedes Stück mit zehn Thalern bestraft werden.« + + Wenn Ihr Blatt auch, wie Sie sagen, keine eigentliche Zeitung ist, + so enthält es doch Zeitungsartikel, das heißt neueste Nachrichten von + den Zeitereignissen. Auch lautet der Befehl des Generals Langenau + aus Altenburg und nicht aus Leipzig. Das »Politische Journal«, die + »Minerva«, die »Feuerbrände« u. s. w. waren Journale und erschienen + heftweise und enthielten Reflexionen über die Ereignisse, nicht + Zeitungsberichte. + + Sie irren ferner, wenn Sie voraussetzen, daß in Berlin dieselben + Verhältnisse obwalteten. Erstlich ist in Berlin kein Zeitungspacht wie + in Sachsen. Zweitens haben die Herausgeber der genannten Blätter sich + ebenfalls über sämmtlichen Debit, den dortigen Verhältnissen zufolge, + mit dem Generalpostamte einverstanden. Die Regierung in Sachsen + zieht weit mehr von dem Zeitungswesen als die in Preußen, und das + Hofpostamt in Berlin befolgt die strengsten Maßregeln in Rücksicht des + Zeitungsdebits. + + Ich bin nicht sowol gegen den Verkauf der einzelnen Blätter als + dagegen, daß durch diesen sich eine politische Zeitungsexpedition in + Leipzig etablirt, welches unmöglich mit dem Zeitungspacht bestehen + kann. Auch bin ich überzeugt, es wird kaum noch eine Woche hingehen, + und es werden Nachahmungen Ihres Blattes hier erscheinen, und mehrere + Buchhandlungen werden sich Expeditionen politischer Blätter nennen. + Bereits haben Buchhändler bei mir darüber Erkundigungen eingezogen, + anfragend: ob das nun erlaubt sei, und ob den leipziger Buchhändlern + verweigert werden würde, was man einem fremden erlaubt? Sie sehen, + meine Schritte zur Aufrechthaltung der bestehenden Verfassung sind + selbst Ihr eigener Vortheil. + + Ich wiederhole, daß Sie bei dieser Entreprise am meisten gewinnen + würden, wenn Sie eine altenburger Zeitung in dem Maße, wie ich bereits + mündlich Ihnen erwähnte, herausgäben. Das Gute würde nicht weniger + gefördert, Ihr erhaltener Befehl autorisirt Sie, Sie sind ohne + Nachahmer, und Ihre Unternehmung ist bleibend. + + Indeß bin ich aus den Rücksichten, die Sie am Schlusse Ihres Briefs + anführen, bereit, mit Ihnen einen Vertrag abzuschließen, wenn Sie + Ihrem Anerbieten zufolge + + 1) der Zeitungsexpedition 50% (funfzig Procent) Rabatt von den + debitirten Exemplaren zugestehen; + + 2) öffentlich bekannt machen, daß die Erscheinung des Blattes + in Leipzig mit Vorwissen und im Einverständnis der Königl. + Zeitungsexpedition der Verabredung gemäß erfolge, damit die Nachahmer + nicht glauben, das Thor sei nun jedem Unberufenen geöffnet; + + 3) daß dieses Einverständnis fürs Erste nur bis zu Ende des + laufenden Jahres dauere; in dieser Zeit werden wir Beide sehen können, + inwiefern es vortheilhaft ist oder nicht, es ferner bestehen zu lassen + oder es aufzuheben. + +Durch dieses Entgegenkommen von seiten des Pachters der »Leipziger +Zeitung« war der Conflict zwischen der Königl. Zeitungsexpedition +und der in Leipzig eingerichteten Expedition der »Deutschen Blätter« +gehoben, und Brockhaus erließ nun in Nr. 18 vom 28. October nachstehende +Bekanntmachung: + + #Anzeige.# + + Der Eigenthümer der »Deutschen Blätter« zeigt hierdurch an, daß + die Erscheinung dieses Blattes -- welches seine Entstehung einem + speciellen Befehle Sr. Durchlaucht des Feldmarschalls Fürsten + von Schwarzenberg verdankt -- in Leipzig mit Vorwissen und im + Einverständniß der Königl. Sächs. Zeitungsexpedition verfassungsmäßig + geschehe. + + Es sind bis Donnerstag den 28. October von diesen Blättern achtzehn + Stücke erschienen, und ist die Einrichtung getroffen, daß solche von + jetzt an vor der Hand täglich des Morgens von 9-12 und von 2-6 Uhr + in der löbl. Königl. Sächs. Zeitungsexpedition und in der Expedition + der »Deutschen Blätter«, der Engelmann'schen und allen andern + Buchhandlungen zu erhalten sein werden. + + Expedition der »Deutschen Blätter«. + +Außer mit dieser formellen Schwierigkeit hatten aber die »Deutschen +Blätter« gleich in ihrer ersten Zeit auch mit Censurbelästigungen zu +kämpfen. Ein am 28. October, also zwei Tage nach dem an Hofrath Mahlmann +gerichteten Promemoria, von Brockhaus an den Chef der Ersten Section des +Generalgouvernements, Freiherrn von Miltitz, erlassenes Schreiben sagt +darüber: + + Ohngeachtet der Inhalt der jetzt hier gedruckt werdenden, auf Befehl + Sr. Durchlaucht des Fürsten von Schwarzenberg erscheinenden »Deutschen + Blätter« zum großen Theile aus andern bereits gedruckten Schriften + und Zeitungen genommen wird, welche schon anderweitig die Censur + (vornehmlich in Wien und Berlin) von Behörden, welche mit dem System + der alliirten Mächte bekannt sein müssen, passirt sind, so findet Herr + Hofrath Brückner dennoch Schwierigkeiten, ihm das Imprimatur zu geben, + weil in seiner Instruction enthalten ist, daß »alle Anzüglichkeiten + gegen irgendeine Person oder Macht« zu unterdrücken seien. Herr + Hofrath Brückner verwirft daher dieser Instruction wegen, um ein + Beispiel anzuführen, einen Artikel über das Betragen des französischen + Kaisers gegen den Papst, ohnerachtet wir solchen aus der »Preußischen + Feldzeitung« genommen haben, einem Blatte, von welchem es bekannt ist, + daß Se. Exc. der Staatskanzler Freiherr von Hardenberg die Censur + eigenhändig besorgen. + + Jene Instruction des Herrn Hofrath Brückner dürfte also näher zu + motiviren -- der angezogene Ausdruck: daß nichts Anzügliches gegen + irgendeine Person oder Macht solle gedruckt werden, ist so allgemein + und vague, daß bei einem ängstlichen Censor auch keine einzige + politische Wahrheit kann und darf gedruckt werden! -- und ihm dabei + aufzugeben sein, daß solche Artikel, welche in den Staaten der + alliirten Mächte bereits gedruckt erschienen wären, hier keineswegs + weiterer Censur bedürften. + + Weiter sagen Ew. Hochwohlgeboren in einem Billet an Herrn Hofrath + Brückner vom 27. October, welches mir derselbe mitgetheilt hat, + »daß, insofern die 'Deutschen Blätter' wöchentlich oder in noch + kürzern Fristen erscheinen, ihre Censur zu der unmittelbaren Cognition + des Chefs der Ersten Section des Gouvernementraths gehöre«. Da nun + die »Deutschen Blätter« allerdings wöchentlich und in noch kürzern + Fristen -- nämlich vor der Hand täglich -- erscheinen, so cessirte + durch obige Erklärung von Ew. Hochwohlgeboren die Censurfähigkeit für + Herrn Hofrath Brückner, insofern dabei kein Misverständniß obwaltet, + weil, wenn Herr Hofrath Brückner den ganzen Umfang der ihm bisher + obgelegenen Geschäfte als politischer Censor beibehalten soll, es + alsdann auch in seinem Geschäftskreise liegt, die Censur der Zeitungen + und sonstigen periodischen politischen Schriften wahrzunehmen. + + Hierüber einer gefälligen und schnellen Antwort entgegensehend, + verbleibe mit tiefstem Respect u. s. w. + +Eine Antwort auf diesen Brief scheint Brockhaus nicht abgewartet zu +haben, indem er schon tags darauf, am 29. October, über Halle und +Dessau nach Berlin abreiste. Der Anlaß zu dieser Reise ist uns ebenso +wenig bekannt als irgendein Erlebniß auf derselben. Vermuthlich hatte +er einen officiellen Auftrag erhalten, der einen zuverlässigen und +muthigen Besorger erforderte, da er sich sonst schwerlich in diesem +für sein neubegründetes Blatt so wichtigen Zeitpunkte den Gefahren und +Beschwerden einer solchen Reise ausgesetzt haben würde. Am 8. November, +also nach zehn Tagen, war er wieder in Leipzig, reiste am 15. nach +Altenburg, kehrte aber schon am 19. nach Leipzig zurück und blieb hier +bis Anfang December. + +Vor seiner ersten Abreise von Leipzig hatte er seinen Gehülfen Bochmann +aus Altenburg kommen lassen, der nun mehrere Wochen in Leipzig blieb. +Dieser hatte jetzt ebenfalls Noth mit den inzwischen nicht gebesserten +Censurverhältnissen und klagt darüber in einem an die Redaction in +Altenburg gerichteten Briefe vom 30. October: + + In der Erwartung, daß ich so wie gewöhnlich die neue Nummer (der + »Deutschen Blätter«) heute früh 8 Uhr von der Druckerei empfangen + würde, meldete ich Ihnen deren Zusendung schon im voraus; jedoch + zu meinem Schrecken verkündete mir anstatt dessen Hirschfeld (der + Buchdrucker), daß das Blatt die Censur nicht passirt habe. Die + Preßfreiheit ist hier wenigstens noch lange nicht errungen. Mündlich + mehr darüber. Nur so viel, daß die sächsischen Behörden, denen von + Repnin die Censur übertragen ist und die, wie mir scheint, weder + mit den Franzosen noch mit dem Könige von Sachsen es verderben + wollen, nicht einmal erlauben wollen, Berichte abdrucken zu lassen, + die in preußischen Blättern von Gouvernements wegen, von L'Estocq + und Sack unterzeichnet, abgedruckt sind. Ich bin heute gelaufen + wie ein Schneider und habe so viel Treppen gestiegen, daß ich ganz + lungensüchtig wieder nach Hause (in seine Heimat Altenburg) kommen + werde, aber das Resultat war am Ende doch: das ganze Blatt kann + heute nicht ausgegeben werden (nämlich Nr. 20), und ich ersuche Sie, + sich der Mäßigung zu befleißigen, damit ich nicht wieder in die + Nothwendigkeit versetzt werde, Ihnen dergleichen sagen zu müssen oder + gar dem ganzen Blatte ein Ende zu machen. + + Indessen wird morgen doch wieder ein Blatt erscheinen, das Sie + sobald wie möglich erhalten sollen, vielleicht durch Expressen. Bis zu + Herrn Brockhaus' Zurückkunft werden also wol sehr unschuldige Sachen + in den »Deutschen Blättern« zu finden sein. Ich hoffe aber, daß dieser + vielleicht noch ein Expediens finden wird. + +Brockhaus fand allerdings ein solches »Expediens«. Dieses bestand einmal +darin, daß er sich nicht so leicht einschüchtern ließ wie wol sein +Gehülfe, sondern in jedem einzelnen Falle gegen willkürliche Censur +protestirte und so doch manche Artikel zum Druck frei erhielt; dann +aber kam er auf den (schon früher erwähnten) Ausweg, einzelne Nummern, +die besonders bedenkliche Artikel enthielten, in Altenburg drucken zu +lassen. Da diese nach und nach die Mehrzahl bildeten, so erfolgte der +Druck der »Deutschen Blätter« später wieder wie früher der Hauptsache +nach in Altenburg (bei Pierer), und nur einzelne Nummern wurden noch in +Leipzig (bei Hirschfeld) gedruckt. + +Er sagt darüber in einem Briefe an Villers, datirt Altenburg, 9. Februar +1814: + + Da die »Deutschen Blätter« jetzt hier gedruckt werden, so habe ich + wegen der Censur wenig Schwierigkeiten oder vielmehr keine. In Leipzig + selbst ist man allerdings oft genirt, allein ich lasse daher dort + nur solche Artikel drucken, wobei keine Gewissenszweifel eintreten + können. Wenn Sie oder Freunde von Ihnen daher etwas Pikantes haben, so + haben Sie nicht nöthig besorgt zu sein, daß der Druck Schwierigkeiten + finden werde. Es ist das ja einer der schönsten Vorzüge Deutschlands, + daß die Unabhängigkeit der kleinern Staaten es unmöglich macht, + _grandes mesures_ gegen Druck und Preßfreiheit zu nehmen. Nur Ihrem + »Schinderknechte« konnte so etwas eine Zeit lang gelingen. + +Des Zusammenhangs wegen mögen hier gleich noch zwei an denselben Freund +gerichtete Briefe folgen. + +In einem Briefe vom 7. Mai 1814 spricht Brockhaus seine Gesinnung +über Napoleon und die Franzosen noch drastischer aus als in dem +vorhergehenden. Er schreibt: + + Welch ein elender Wicht ist denn dieser Napoleon! Pfui! er ist + eigentlich nicht werth, daß man ihn anspuckt. Nicht den Muth zu haben, + ein so geschändetes Leben zu enden! Kann es hier denn noch Frage sein, + mit Hamlet zu sagen: »_To be, or not to be, that is the question_«? + + Aber auch Ihre Franzosen erregen mir Ekel mit ihren Sprüngen und + ihrer elenden Constitution. Und diese Senatoren, Marschälle und + Pfaffen, die vorher im Staube krochen vor Napoleon, wie sie ihn nun + mit Füßen treten und für #ihre# Verewigung Sorge tragen, und daß ihre + Dotationen fein bei der Familie bleiben! + + Ich werde diese Geschichten in den »Deutschen Blättern« nach + Verdienst und Würden abhandeln. + + Von den »Fanfaronaden«[55] lasse ich Ihrem Wunsche gemäß Ihren und + Saalfeld's Namen weg. Hätte man die Anmerkungen jetzt zu schreiben, so + würde man sie noch pikanter machen können. + +Der andere Brief, schon am 24. December 1813 geschrieben, ist derselbe, +aus dem oben eine die leipziger Schlacht betreffende Stelle mitgetheilt +wurde, und lautet in seinem weitern Inhalte, der im Anfange wenigstens +direct die »Deutschen Blätter« betrifft: + + .... Seit der Mitte October beschäftigt mich die Politik nun sehr, + wozu unsere »Deutschen Blätter« denn die nächste Veranlassung gegeben + haben. Auch diese Unternehmung gehört zu den glücklichen und sich + rasch belohnenden. Der erste Band ist fertig, und ich sende Ihnen + solchen durch Dieterich. Wenn Sie von dem Geiste dieses Blattes noch + nicht unterrichtet sind, so werden die drei beikommenden neuesten + Blätter Sie damit bekannt machen. Das Mehrste sind Originalaufsätze. + Ich würde sehr wünschen, wenn Sie solche mit Beiträgen beehren wollen. + + Böttiger, der viel dazu liefert, hat mir ausdrücklich gesagt, ich + möchte Sie aus allen Kräften dazu anspornen. Vielleicht können Sie + auch andere Ihrer Freunde dazu bewegen. Wir honoriren die Beiträge + honnet. Da Sie einen Bruder in Moskau haben, würde es da nicht möglich + sein, von diesem ebenfalls über jene ungeheuern Begebenheiten im + September und October 1812, aus dem die Weltfreiheit wie ein Phönix + hervorgegangen, nähere Nachrichten zu erhalten? Vielleicht besitzen + Sie selbige schon in mittheilbaren Briefen! + + Da Schlegel lange in Göttingen war, so werden Sie wissen, daß ich + hier seine »_Remarques_« herausgegeben habe.[56] Vierzehn Tage hielt + mich die Censur hin, und am Ende wurde doch das Imprimatur verweigert. + Ich förderte es aber nun ohne dasselbe auf meinen Kopf in die Welt. + Man hat jetzt wenigstens Becker's und Palm's Schicksale nicht mehr zu + fürchten. Es war mir nur leid, daß Schlegel geglaubt hat im Anfang, + als sei ich die Schuld der Verzögerung. + + Hamburgs Schicksal im Juni hat mir das Herz zerrissen. Der Himmel + möge es denen verzeihen, die schuld daran gewesen. Seien es nun die + Dänen oder die, welche die Dänen reizten. Ich bin mit mir darüber + nicht im Klaren, wo hier das Recht oder Unrecht war. Aber bald, denke + ich, wird Hamburgs Schicksal abermalen entschieden sein. Auf ein so + schweres Unglück folgen wieder selige Tage! So im Leben, so in den + Weltbegebenheiten. Wie einzig herrlich steht nicht Preußen da! Welche + Bürgertugenden, welcher Heldengeist haben sich nicht unter diesem so + gebeugten Volke entwickelt! + + Auch ich habe mich unter die Reserven der Landwehr hier als + Freiwilliger gestellt, und ich exercire schon tüchtig. Kommt Napoleon + wieder über den Rhein, so verlasse ich Weib und Kinder und ziehe ihm + auch entgegen und falle oder helfe siegen. Was bleibt uns anderes + übrig! + + Ich habe mich hier, um auch etwas über das Persönliche zu sagen, + zum zweiten male verheirathet. Schon vor einem Jahre. Ohne besonderes + Vermögen, ist mein gutes Weib bieder, brav, liebenswürdig und eine + vortreffliche Mutter meiner Kinder erster Ehe. So bin ich also + wieder ganz ans bürgerliche Leben festgeknüpft. Es ist hier eine + freundliche, angenehme Existenz. Lauter gebildete Menschen in unserm + Familienkreise, der der erste des Orts ist. Ich lebe hier viel + glücklicher wie in Holland, wo man reich sein muß, um glücklich zu + sein und seines Daseins froh zu werden. + + Sie sehen, ich bin schwatzhaft wie ein Kind, aber was kann man + Besseres sein. Erzählen Sie mir auch etwas von Ihrem Treiben, Leben + und Weben! + + Adieu. Antworten Sie mir bald und in Liebe. Senden Sie mir auch + recht viele Manuscripte zugleich! + +Ueber die hier erwähnte Errichtung der altenburger Landwehr, unter +die sich Brockhaus als Freiwilliger aufnehmen ließ, und die dabei +stattgefundenen Feierlichkeiten brachten die »Deutschen Blätter« in +Nr. 37 vom 24. November 1813 einen ausführlichen Bericht, der die +begeisterte Stimmung der damaligen Zeit treu widerspiegelt. + + * * * * * + +Bevor Brockhaus sich der weitern Pflege seines neugegründeten Blattes +nach der ersten stürmischen Zeit der leipziger Schlacht in Ruhe +widmen konnte, hatte er außer den oben geschilderten Debits- und +Censurschwierigkeiten noch eine andere Anfechtung zu bestehen, die +ihm ebenso unerwartet als unangenehm war. Er hörte plötzlich, daß die +Herder'sche Buchhandlung zu Freiburg im Breisgau eine »Fortsetzung« +seiner kaum begonnenen und in der besten Entwickelung begriffenen +»Deutschen Blätter«, an deren Aufgeben er gar nicht dachte, angekündigt +habe. Auf seine verwunderte Anfrage schickte ihm die Herder'sche +Buchhandlung folgenden Erlaß des k. k. Armeecommandos in vidimirter +Abschrift: + + Dem Buchhändler Herrn Bartholomä Herder in Freyburg wird hiemit + der Auftrag ertheilt, die »Deutschen Blätter«, wie selbe bisjetzt + bei Herrn Brockhaus in Altenburg und Leipzig erschienen sind, ferner + fortzusetzen, mit der Bedingung jedoch, daß selbe wie bisher der + österreichischen Censur zu unterstehen haben. + + K. K. Hauptquartier Lörrach + den 27. December 1813. + + Sr. k. k. Apostolischen Majestät + Generalfeldwachtmeister im + (_L. S._) Generalquartiermeister-Stabe, + Commandeur des kaiserl. österr. + Leopolds-Orden &c. &c. + + (Gez.) Langenau. + +Brockhaus' Erstaunen über dieses Actenstück mag noch dadurch gesteigert +worden sein, daß es von demselben General von Langenau unterzeichnet +war, der ihm im Auftrage des Feldmarschalls und obersten Befehlshabers +Fürsten von Schwarzenberg den »Befehl« zur Herausgabe eines politischen +Blattes ertheilt hatte. Das Armeecommando konnte beim weitern Vorrücken +der Heere nach Frankreich gewiß auch noch andern Personen »Aufträge« +oder »Befehle« zur Herausgabe politischer Blätter geben; zur raschesten +Verbreitung der offiziellen Kriegsnachrichten war das selbst ohne +Zweifel ganz zweckmäßig. Aber einem andern Buchhändler den »Auftrag« zur +»Fortsetzung« der bei Brockhaus noch erscheinenden »Deutschen Blätter«, +die doch jedenfalls dessen Eigenthum waren, ohne sein Vorwissen zu +geben, das verrieth in der That ganz eigenthümliche Begriffe über das +literarische Eigenthum! Selbst in der damaligen Zeit, die jenes Wort +kaum kannte und in der im Gegentheil der Nachdruck blühte, und auch bei +einem mit solchen Angelegenheiten wenig vertrauten Militär war das doch +überraschend! Dazu kam noch, daß die »Deutschen Blätter« in einer ihrer +ersten Nummern (Nr. 15 vom 25. October 1813) einen von dem General von +Langenau selbst eingesandten Artikel, seine Entlassung aus sächsischen +Diensten betreffend, gebracht hatten. Dieser war zwei Monate vor Anfang +des Kriegs nach ehrenvoller Entlassung in österreichische Kriegsdienste +getreten, und die königlich sächsische »Leipziger Zeitung« hatte ihn, +freilich vor der leipziger Schlacht, am 4. September als »aus den +sächsischen Diensten desertirt« bezeichnet! + +Die Herder'sche Buchhandlung antwortete auf Brockhaus' Anfrage unterm +30. December 1813 nur: sie habe diesen Auftrag erhalten, sei übrigens +gern bereit, ihm gegen Mittheilung der Abnehmer der »Deutschen Blätter« +eine »Vergütung« zu machen; wolle er die Versendung übernehmen, so könne +er die Verrechnung darüber mit den Abnehmern besorgen, und man werde +sich schon arrangiren. + +Brockhaus' Antwort auf diesen Brief und sein jedenfalls erfolgter Brief +an General von Langenau liegen uns leider nicht vor.[57] Doch ist nicht +zu bezweifeln, daß die erstere eine ablehnende, der zweite ein Protest +war. Beide Briefe werden sicherlich auch nicht in den höflichsten +Ausdrücken abgefaßt gewesen sein. + +Einen Ersatz für diese Briefe bietet nachstehende Erklärung in Nr. 70 +der »Deutschen Blätter« vom 24. Januar 1814: + + Der Herr Buchhändler Herder zu Freiburg im Breisgau hat angezeigt, + daß er durch einen Auftrag des Herrn General von Langenau veranlaßt + worden, die seither bei mir erschienenen »Deutschen Blätter« + fortsetzen. + + Gegen diese ebenso unerwartete als befremdende Anzeige sehe ich + mich bewogen, zu erklären, daß die Idee, der Titel und der ganze Plan + zu dieser Zeitschrift einzig und allein von mir herrühren; daß die + Genehmigung Sr. Durchlaucht des Fürsten von Schwarzenberg nur der Form + wegen erfolgte, indem ich mir, theils um allen Censur- und andern + Schwierigkeiten im voraus zu begegnen, theils um auf keinen denkbaren + Fall die Landesbehörden zu compromittiren, den Befehl dazu erbat; + daß ich endlich, mit Zurücksetzung aller persönlichen Rücksichten, + in einem Zeitpunkte, wo die französischen Heere noch in dem Herzen + von Sachsen standen (12. October) und der entscheidende Streich, der + Deutschland von ihnen befreite, erst vorbereitet ward, wo mithin die + Aeußerung freimüthiger patriotischer Gesinnungen etwas verdienstlicher + war als gegenwärtig, wo man mit hinlänglicher Sicherheit den Patrioten + spielen kann, das Unternehmen mit dem 14. October begann. + + Wenn ich folglich sowol nach den über literarisches Eigenthum + in allen Staaten bestehenden Grundsätzen als auch aus Gründen der + Billigkeit die »Deutschen Blätter« als mein vollkommenes Eigenthum + betrachten darf, so kann offenbar die Fortsetzung derselben weder + von irgendeiner Behörde befohlen, noch von irgendjemandem ohne meine + ausdrückliche Einwilligung unternommen werden. + + Wurde bei dem jetzigen Stande des Kriegstheaters für nöthig + erachtet, zur Verbreitung der Armeenachrichten ein neues Blatt + zu gründen, so konnte und mußte dies ohne meine Beeinträchtigung + geschehen. + + Ich hege daher die Hoffnung, der Herr Buchhändler Herder werde, + sobald ihm diese Verhältnisse bekannt geworden, sich beeilen, seiner + Zeitschrift, gegen deren Herausgabe an und für sich von meiner + Seite nicht das Allergeringste einzuwenden ist, einen andern Titel + zu geben, und sie nicht ferner eine Fortsetzung meiner »Deutschen + Blätter« nennen, da ich diese selbst fortsetzen und bis zum künftigen + allgemeinen Frieden fortsetzen werde. + + Der immer steigende Beifall des Publikums ist der sicherste + Beweis, daß ein politisches Blatt von dem Charakter, welchen die + Redaction seither den »Deutschen Blättern« zu geben gewußt hat, den + Zeitverhältnissen angemessen ist. Aber eben darin hat die Redaction + auch den größten Sporn für sich gefunden, das Interesse derselben + immer mehr zu erhöhen und zu verallgemeinern. Zahlreiche Mitarbeiter, + und unter diesen mehrere der vorzüglichsten Schriftsteller + Deutschlands, eine ausgebreitete Correspondenz, directe Verbindungen + mit Holland, England und den verschiedenen Hauptquartieren, die + günstige Lage der Redaction im Mittelpunkte von Deutschland + und am Stapelplatze des deutschen Buchhandels: dies Alles sind + Eigenthümlichkeiten und Vorzüge, welche ohnehin mit dem bloßen Titel + nicht erworben werden könnten. + + Sämmtliche Mitarbeiter und Correspondenten der »Deutschen Blätter« + werden daher fortfahren, ihre Beiträge nach Leipzig oder nach + Altenburg zu adressiren. + + Altenburg und Leipzig, den 18. Januar 1814. + + Friedr. Arn. Brockhaus. + +Herder setzte trotzdem sein Blatt fort, gab es aber schon nach kaum +einem halben Jahre wieder auf, wie aus folgender »Nachricht« in Nr. 158 +der »Deutschen Blätter« vom 16. Juli 1814 hervorgeht: + + Die »Teutschen Blätter«, welche sich in Freiburg im Breisgau mit + einer in der deutschen Literatur unerhörten #Frechheit# als eine + Fortsetzung der unserigen, während diese nie aufgehört hatten zu + erscheinen, ankündigten, sind, öffentlichen Nachrichten zufolge, mit + der 76. Nummer geschlossen worden. + +Von dem bekannten Geschichtschreiber Karl Ludwig von Woltmann wurde +gleichfalls eine Zeitschrift unter dem Titel »Deutsche Blätter« in +den Jahren 1813 und 1814 in Berlin herausgegeben, doch war dies keine +politische, sondern eine historische Zeitschrift, die mit dem von +Brockhaus herausgegebenen Blatte in keiner Weise concurrirte. Woltmann, +der mit Brockhaus schon seit längerer Zeit in Verbindung stand, erbot +sich selbst zu Beiträgen für dessen Blatt und schrieb ihm im Januar 1814 +aus Prag, wohin er im Sommer 1813 geflohen war, um der Rache Napoleon's +auszuweichen: + + Ihre »Deutschen Blätter« kenne ich noch nicht. Mein Journal unter + diesem Titel setze ich in diesem Jahre fort. Wahrscheinlich ist das + Ihrige ein politisches. + +Unbeirrt durch alle Schwierigkeiten und Anfechtungen ging Brockhaus mit +frischem Muthe an die weitere Förderung seiner »Deutschen Blätter«. Er +hatte auch die Genugthuung, daß sie in Deutschland rasch Anklang und +Verbreitung fanden. Die Auflage betrug in der ersten Zeit über 4000 +Exemplare, eine für damalige Verhältnisse sehr hohe Zahl, und der erste +Band wurde so vielfach nachverlangt, daß die meisten Nummern desselben +mehr als einmal neu gesetzt und gedruckt werden mußten. + +Uebrigens fühlte Brockhaus die Verpflichtung, nunmehr ein förmliches +Programm der Zeitschrift zu veröffentlichen, was in der ersten Zeit +weder nöthig noch thunlich gewesen war. Dieses erschien gerade vier +Wochen nach dem Beginn des Blattes, in Nr. 31 vom 13. November 1813, und +lautet: + + =Erklärung der Redaction der »Deutschen Blätter«.= + + So unerwartet günstig unsere »Deutschen Blätter« auch vom Publikum + aufgenommen worden sind, so verkennt die Redaction derselben + keineswegs, daß sie diese günstige Aufnahme mehr dem Interesse an den + großen Begebenheiten, welche sich unter unsern Augen ereigneten, und + der Idee, welche jeder Wohlgesinnte in den »Deutschen Blättern« ahnte + und finden konnte, zu verdanken habe als ihrer bisherigen Ausführung. + Jetzt, da durch größere Entfernung des Kriegstheaters der Drang + der Begebenheiten nicht mehr so nahe auf uns einwirkt und auch die + Redaction sich mit größerer Ruhe und weniger Störung der Herausgabe + dieser Blätter widmen kann, sei es ihr erlaubt, sich näher über das + auszusprechen, was die »Deutschen Blätter« eigentlich sein wollen + und was sie nicht sein wollen, damit zwischen ihr und dem Publikum + hierüber künftig kein Misverständniß eintreten kann. + + Die »Deutschen Blätter« + + #wollen keine Zeitung sein#. + + Zur Organisirung einer Zeitung, wenn sie dem Ideale entsprechen + soll, das der Redaction darüber vorschwebt und welches einst in der + guten alten Zeit durch den »Hamburger unparth. Correspondenten« + wirklich erreicht wurde, gehören große Vorbereitungen, eine so + umfassende Correspondenz, so mannichfaltige Verbindungen, auch + sind dabei überhaupt so viele Verhältnisse zu berücksichtigen, daß + es der Redaction wie der Verlagshandlung der »Deutschen Blätter«, + welche beide ebenso sehr die Schwierigkeiten als die Bedingungen + der Herausgabe einer guten Zeitung zu erwägen wissen, nicht in den + Sinn gekommen ist, eine solche unternehmen zu wollen. Die Zwecke, + welche die Redaction durch die »Deutschen Blätter« erreichen wollte, + konnten aber auch durch eine Zeitung nicht erreicht werden, da diese + eigentlich nur referiren soll, was in der Gegenwart geschieht, und + ohne für oder gegen eine der handelnden Personen oder Völker Partei zu + nehmen. + + Die »Deutschen Blätter« wollen also keine Zeitung sein, sondern + + #ein politisches Volksblatt#, + + das Wort »Volk« hier im höhern und edlern Sinne genommen, ein + Blatt, das in allen Ländern deutscher Zunge mit Theilnahme kann + gelesen werden, welches bei einem bloßen Zeitungsblatte, das in einer + gewissen Entfernung bald alles Interesse verliert, nicht der Fall sein + kann. Sie thun daher von jetzt an, wo sich das Kriegstheater aus der + Nähe der Redaction weggezogen hat, auf die Mittheilung alles dessen + Verzicht, was man im engern Sinne gewöhnlich »Zeitungsneuigkeiten« und + »Zeitungsnachrichten« zu nennen pflegt, insofern sie nicht den Zweck + haben wollen, das Publikum mit den Begebenheiten des Tags so schnell + als möglich oder wol gar zuerst und vollständig bekannt zu machen. + Die »Deutschen Blätter« werden zwar nicht versäumen, die glorreichen + Ereignisse, welche wir den verbündeten Armeen, an welche sich bald die + gesammte deutsche Nationalkraft wird angeschlossen haben, auch ferner + bis zur gänzlichen Befreiung unsers gemeinsamen Vaterlandes verdanken + werden, mitzutheilen, allein es wird in einer andern Form geschehen, + als es bisher geschehen konnte. Es werden nämlich größere Zeitpunkte + nach bedeutenden Abschnitten der Begebenheiten dazu festgesetzt + werden, die Darstellung der in dieselben fallenden Begebenheiten + wird historisch zusammenhängend in größern erklärenden Uebersichten + erfolgen und von den wichtigsten officiellen Bekanntmachungen der + verschiedenen Armeen begleitet sein. + + Hauptsächlich aber wird das Streben der »Deutschen Blätter« dahin + gehen, #Gemeinsinn# zu erwecken, die deutsche Nationalwürde zu + erheben, Haß gegen fremde Unterjochung und Vertrauen gegen uns selbst + einzuflößen. Auch die belehrende und warnende Geschichte der letzten + zehn traurigen Jahre, in welchen Deutschlands herrliche Nationalkräfte + von Fremdlingen, die sich durch List und Gewalt auf unsern Boden + eingeschlichen hatten, nur gebraucht wurden, damit die deutschen + Völker sich untereinander selbst aufrieben und das zerstörten + oder lähmten, was eigentlich unsere Nationalkraft war und unsern + Nationalcharakter bildete, wird daher von dem Gegenstande unserer + Blätter nicht ausgeschlossen sein. Alles, was mithin dazu dienen kann, + die Tyrannei und Willkür, womit ein fremder Usurpator uns und -- das + freie stolze Britannien ausgenommen -- ganz Europa bedrückte, nach + wahrhaften Quellen genauer kennen zu lernen, ferner historische Data + über einen in der Weltgeschichte einzigen, bisher aber noch nicht + unparteiisch geschilderten Zeitpunkt, in welchem es für Staaten wie + für Individuen weder Sicherheit des Besitzes noch der Personen gab, + werden daher von den »Deutschen Blättern« gern aufgenommen werden. Es + werden sich solche auch ein besonderes Geschäft daraus machen, das + systematische Lügengewebe der französischen Nachrichten zu entwirren + und die Sophismen ihrer diplomatischen Verhandlungen zu widerlegen. + Alles endlich, was dazu führen kann, über Deutschlands künftige + politische Verfassung im allgemeinen und im besondern gemeinnützige + und aufgeklärte Ideen zu verbreiten und fruchtbare Gedanken über + die Verbesserung unsers politischen Zustandes zu wecken, soll ein + besonderer Gegenstand der »Deutschen Blätter« sein. + + Zur Erreichung dieser Zwecke hat sich die Redaction schon mit + mehrern ausgezeichneten Schriftstellern und Geschäftsmännern in + Verbindung gesetzt; sie rechnet aber auch auf die freie Unterstützung + anderer aufgeklärter Männer in unserm ganzen gemeinsamen Vaterlande, + um so mehr, »da die Freiheit der Rede und der Schrift uns + wiedergegeben ist, wie die des Handelns«; und wird sie endlich auch + aus andern Blättern manches aufnehmen, was dazu beitragen kann, diese + Blätter zu einem »Nationalarchiv der Deutschen« zu erheben. + + Was die Art der künftigen Erscheinung betrifft, so wird die + Verlagshandlung nachstehend das Nähere darüber bekanntmachen. + + Die Redaction der »Deutschen Blätter«. + +Die darauffolgende Mittheilung der Verlagshandlung beschränkt sich auf +Angaben über Preis, Erscheinungsweise (künftig wöchentlich viermal, +statt täglich wie bisher, gleichzeitige Ausgabe in Leipzig und +Altenburg) u. s. w. mit dem Zusatze: die ganze Form und Anlage der +»Deutschen Blätter« gehe dahin, daß sie eine »Nationalchronik« bilden +sollen, welche gesammelt immer ihr Interesse behalten werde. + +Vom April 1814 an wurden wöchentlich nur drei Nummern ausgegeben. Von +Mitte April 1815 an, bis zu welchem Zeitpunkte in den anderthalb Jahren +seit Mitte October 1813 sechs Bände erschienen waren, wurden wöchentlich +zwei bis drei Bogen (ohne Datum als »Stücke« bezeichnet) ausgegeben, +und zu dem Titel wurde »Neue Folge« hinzugesetzt; vom 10. Juni 1815 an +(nach dem Wiederausbruche des Kriegs) wurden den regelmäßigen Stücken +wöchentlich besondere Beilagen unter dem Titel: »Tagesgeschichte. Zu den +Deutschen Blättern. Neue Folge« beigegeben, die Ende September (mit dem +zweiten Bande der Neuen Folge) wieder eingestellt wurden. + +Mit dem dritten Bande der Neuen Folge, dem neunten im Ganzen, hörten die +»Deutschen Blätter« im Frühjahre 1816 auf, nachdem sie gerade zwei und +ein halbes Jahr lang erschienen waren. + +Das oben mitgetheilte Programm der »Deutschen Blätter« wurde von ihnen +während der ganzen Dauer ihrer Wirksamkeit treu eingehalten. Nur +erhielt es durch die Zeitereignisse mitunter eine Erweiterung oder +Vervollständigung. Einige der hierauf bezüglichen Erklärungen sind +für die Zeitschrift wie für deren Herausgeber des Blattes besonders +bezeichnend. + +So heißt es beim Schlusse des dritten Bandes am 21. Mai 1814: + + Die »Deutschen Blätter« sehen einen großen Zweck, zu dem auch sie + mitgewirkt haben und über welchen sie in Deutschland mit zuerst + öffentlich und furchtlos gesprochen zu haben sich zu einigem + Verdienste anrechnen dürfen, erreicht. Nicht durch die Waffen + allein ist der Tyrann besiegt worden, sondern auch durch die + öffentliche Meinung, welche zu bilden und zu leiten das Geschäft der + Schriftsteller ist. Er ist untergegangen in einer Schmach, für welche + die Geschichte kein Gegenstück aufzuweisen hat. Der Nimbus seiner + Größe ist verschwunden und tiefe Verachtung der Furcht und dem Hasse + gefolgt, die der elende Heuchler seit zwölf Jahren Europa eingeflößt + hatte. Aber wenn auch er untergegangen ist, so sind es nicht mit ihm + seine Helfershelfer, die, mit Verbrechen beladen, dennoch zum Bedauern + der Welt scheinen Verzeihung erhalten zu sollen; nicht ist mit ihm + untergegangen jener gallische Uebermuth, jene Verderbtheit dieses + Volks, das seit fünfundzwanzig Jahren eine Geisel der Welt gewesen + ist und alle Stufen menschlicher Verbrechen durchlaufen hat. Ohne die + Schlechtigkeit dieses Volks, ohne die Verworfenheit seiner Räthe, + Minister und Generale konnte Bonaparte nicht der Tyrann und Despot + werden, welcher er geworden ist. Nicht er allein war es, den wir zu + bekämpfen hatten, auch gegen diese sind unsere Waffen gerichtet. + + Die »Deutschen Blätter« werden daher auch fernerhin, so lange sie + fortgesetzt werden, insbesondere gegen gallischen Uebermuth und + Afterweisheit für alle Zeiten sprechen und Bewahrer des deutschen + Nationalsinnes bleiben. + +Bei Vollendung des vierten Bandes am 23. August 1814 sagt die Redaction: + + Noch ist zu dem Wiederaufbau des deutschen Staatsgebäudes nur der + Grundstein gelegt, nur der Umriß entworfen. Es hoch und herrlich und + dauerhaft aufzuführen, alle seine Theile zu einem wohlgeordneten und + wohleingerichteten Ganzen zu verbinden, damit es seinen Bewohnern + Schutz und Sicherheit und bequemen Aufenthalt gewähre, den Nachbarn + Vertrauen und Ehrfurcht einflöße, das wird das Werk der nächsten + Zukunft sein. Vieles und Großes ist gethan, aber mehr und Größeres + ist noch zu thun, damit aus der Zerstörung ein dauerndes Wohl der + Menschheit aufblühe. Mit diesem heiligen Zwecke wird sich der Wiener + Congreß beschäftigen, auf den vornehmlich die Blicke der Deutschen + gerichtet sein müssen. + +Es war Brockhaus' Absicht gewesen, die »Deutschen Blätter« schon mit +diesem fünften Bande abzuschließen. Da aber von den Resultaten des +Wiener Congresses nur erst Weniges und Unbestimmtes bekannt geworden +war, so erklärte er am 1. December 1814, daß er noch einen sechsten Band +erscheinen lassen wolle. + +Bevor dieser noch vollständig geworden war, hatte Napoleon die Insel +Elba, auf die man ihn für seine Lebenszeit verbannen zu können in +kurzsichtiger Verblendung gehofft hatte, plötzlich verlassen, war am +1. März 1815 an der französischen Küste gelandet und bereits am 20. +März in Paris eingezogen. Der Wiener Congreß war auseinandergestoben, +aber die Alliirten hatten sich aufs neue verbündet und unterm 13. März +eine Achtserklärung gegen Napoleon als allgemeinen Feind und Ruhestörer +erlassen: der Krieg entbrannte aufs neue. + +So konnten auch die »Deutschen Blätter« ihre Aufgabe noch immer nicht +als ganz erfüllt ansehen; sie begannen eine »Neue Folge«, und auch als +die Herrlichkeit der »Hundert Tage« durch die Schlacht bei Waterloo am +18. Juni und Napoleon's zweite Abdankung am 22. Juni ein rasches Ende +gefunden, erschienen sie noch eine Zeit lang fort. Am 7. Juli waren die +Verbündeten zum zweiten male in Paris eingezogen, am 20. November wurde +der zweite Pariser Friede geschlossen, nachdem schon am 8. Juni der +Deutsche Bund errichtet, tags darauf die Wiener Schlußacte unterzeichnet +worden war. Jetzt war der Krieg wirklich beendet, und die »Deutschen +Blätter« konnten nun vom Schauplatz abtreten. Am 22. Februar 1816 zeigte +Brockhaus vorläufig an, daß er mit dem im Erscheinen begriffenen neunten +Bande die »Deutschen Blätter« schließen werde, und einige Wochen darauf +wurde die letzte Nummer ausgegeben. + +Das Schlußwort der Redaction gibt einen Gesammtüberblick über die +Wirksamkeit der »Deutschen Blätter« und sei deshalb auszugsweise hier +mitgetheilt. + +Die Redaction spricht zunächst offen aus, daß die wahrhaft glänzende +Theilnahme, die das Blatt im Anfange gefunden, sich naturgemäß +allmählich bei den ruhigern Zeiten verringert habe, und obwol noch immer +eine Auflage, zu der wenige ähnliche Unternehmungen in ihrer günstigsten +Zeit sich erheben möchten, für den Aufwand entschädige, so sollten die +»Deutschen Blätter« doch nicht dann erst enden, wenn sie sich selbst +überlebt hätten. + +Darauf heißt es weiter: + + Sie begannen in der Zeit, die zu den herrlichsten, hoffnungsvollsten + und erfolgreichsten gehört, welche das Vaterland je erlebte; + unter Verhältnissen und Begünstigungen, wie sie selten einem + schriftstellerischen Unternehmen zutheil werden. Die köstliche Zeit + der errettenden Völkerschlacht, die Zeit der wiedererrungenen, + hochbeglückenden Freiheit, war die Zeit ihrer Geburt, sie brachten + die erste umständliche Kunde von dem Segen, den der Höchste auf die + gerechten Waffen der Verbündeten gelegt, verbreiteten zuerst von + einem Ende des Vaterlandes zum andern die sichere und begeisternde + Botschaft von Deutschlands Sieg und Wiedergeburt, von der Niederlage + der Unterdrücker, von der Vernichtung der Despotie. Darum wurde ihre + Stimme so gern gehört, zumal sie kräftig war und würdig, und ein + Geist, der vieler Herzen erhob, in ihr wehte. Vom Vaterland und für + das Vaterland sprachen sie, und des Vaterlandes Söhne und Töchter + nahmen sie freudig auf. Sie hatten überdies die Empfehlung für + sich, daß der geehrte Feldherr, der an der Spitze der siegreichen + verbündeten Heere stand, selbst sie veranlaßt, ihr Erscheinen selbst + befördert und so gleichsam eine höhere Bürgschaft ihnen gegeben hatte. + + Von Leipzigs Siegesfeldern begleiteten sie den Triumphzug über + den alten Rhein bis in das stolze Babel, den Mittelpunkt der + Unterdrückungsplane des zu Schanden gewordenen Uebermuths, der + zerstörten Tyrannei. Mit mäßigem Jubel ließen sie die Kunde des + geschlossenen bedenklichen Friedens erschallen, und, scheidend von den + glorreichen Schlachtgefilden, wendeten sie sich zu den unblutigen, + aber nicht minder gefährlichen Kämpfen in den Steppen des Wiener + Congresses, den Irrgängen der Unterhandlungen. Sie nahmen Partei, + aber nur für die Sache des Vaterlandes, der Gerechtigkeit und der + Freiheit, und sprachen manch starkes Wort, wo es frommen konnte. Aber + sie mochten sich nicht wie der Vater Rhein nach kräftigem Ernst im + Sande verlieren oder, den gewaltigen Strom verlassend, in kümmerlichen + Bächen verrinnen. Sie erhoben sich in neuer Kraft, als die Botschaft + kam von der Rückkehr des Furchtbaren aus seinem Felseneiland, von des + Vaterlandes Gefahr. + + Die Neue Folge der »Deutschen Blätter« begann, um zu erwecken zum + neuen Kampf, aufzurufen zu den schützenden Waffen, hinzuweisen auf + das, was abermals dringend Noth war, was geschehen mußte, und regten + von neuem in der allgemeinen Bewegung sich selber lebendiger, stürzten + sich wieder in das Schlachtgewühl. Des Feindes Trug und Arglist, seine + Macht und seine Kampffertigkeit, alle die losen Künste, mit denen er + zu lang uns berückt und geschwächt hatte, stellten sie den deutschen + Lesern klar vor Augen und ermahnten, das alte Joch, das viele noch + zu willig trugen, völlig zu zerbrechen, die allzu verderbliche + Abhängigkeit von fremder Sitte, mannichfachem fremden Einfluß endlich + zu verbannen. Sie frohlockten über den neuen, herrlichen Sieg, den + Gott verliehen, über Babels zweiten Fall, über die Heimkehr des + theuern Eigenthums, das, als schnöder Raub und frevle Siegestrophäe + zu lange trauernd, an feindlicher Stätte gefesselt gelegen; sie + mühten sich, das Kleinod der Hoffnung zu erhalten, als in langen + geheimnißvollen Unterhandlungen Sorge und Ungeduld allenthalben + Raum gewannen und sich mehrten, weil manch theuerer Wunsch nicht in + Erfüllung gehen wollte, ja immer mehr gefährdet ward. Sie suchten + zugleich das Gedächtniß der frühern Zeit des Vaterlandes, seiner + alten Schicksale zu erneuen, um durch die Bilder der Vergangenheit + nicht nur zu trösten, sondern auch zu erwecken. Dann, als die neue + Friedensbotschaft so unbefriedigend erschien, ergriff sie die Ahnung, + daß ihr Ende gekommen sei, daß, wie nun Alles zur Ruhe sich lege, auch + ihr Wächterruf immer mehr verhallen möge. Auch ließen sie nicht ab, + ihrer Bestimmung treu die wichtigsten Angelegenheiten zur Sprache zu + bringen und manch ernstes Wort zu reden von dem, was zu Deutschlands + Heil geschehen muß. Aber: »_Vestigia me terrent!_« zu deutsch: »Laß + dir rathen, ehe guter Rath dir noch theuer zu stehen kommt«, dachten + sie bei sich selbst. »Wir wollen die Welt meiden, Einsiedler werden + und uns selbst begraben, ehe man uns begräbt. Aus dem selbst gewählten + Grabe kehren wir dann vergnügt und lebendiger, auch wohl vollkommener + wieder.« Dachten es und brachen als Freunde des Tags, wie sie von je + gewesen, noch eine Lanze mit den Rittern der Nacht, die ihren Herold + vorangesendet hatten, und bringen nun ihren Freunden den Abschiedsgruß. + + Sechsmal erneuten sie sich seit ihrem ersten Erscheinen, dreimal in + der Neuen Folge. In neun Bänden schließen sie gut, denn neun ist eine + gute und vollkommene Zahl .... + + Sie haben eine gute Zeit durchlebt, obwol die schönste, in + der sie geboren wurden, schnell vorüberging. Doch klingen noch + in tiefster Seele nach die Lob- und Danklieder aus der Zeit der + Vaterlandserhebung und Errettung, und der Blick nach oben feiert + noch immer und soll endlos feiern, was der Herr aufs neue Großes und + Herrliches an dem deutschen Volke und an der Menschheit in dieser Zeit + gethan hat. Und das bleibt des höchsten Dankes werth! + + Sie bringen auch ihren erneuten Dank den tapfern Streitern dar, + deren Heldenthaten auch ihnen das Dasein gaben. Unsterblich, wie der + Thaten Geist, und lichthell, wie der Thaten Frucht, deren Herrlichkeit + ungekränkt bleibt, ob auch manches nicht zur vollen Reife gedieh, lebt + der Helden Gedächtniß und Ruhm und der Dank des befreiten Vaterlandes + fort. Ihr Verdienst war es auch, wenn hier manch freies und + erweckendes Wort geredet werden durfte, das in früherer trüber Zeit + nicht hervorzutreten wagen konnte, und wenn dadurch, wie wir glauben + dürfen, manches Gute befördert worden ist. Die Stimme der Wahrheit hat + eine so siegreiche Kraft, daß keine Gewalt ihr widerstehen kann auf + die Dauer, und je gesegneter ihre Wirksamkeit ist, desto höherer Dank + gebührt denen, die ihr die Bahn wieder geebnet, die Luft gereinigt + haben von den giftigen Dünsten, welche sie gänzlich zu ersticken + drohten. + + Aus allen Theilen Deutschlands sind sie durch zweckmäßige Beiträge + bereichert worden. Denen, die auf diese Weise ihr Leben erhöhten + und stärkten, gebührt vorzüglicher Dank. In ihnen haben sich, meist + einander unbekannt, doch im wesentlichen in gleichem Geiste und + gleicher Gesinnung, vorzüglich gleicher Liebe des Vaterlandes und + verwandter Ansicht von dem, was zu dessen Heil geschehen muß, viele + deutsche Männer begegnet und durch ihre Uebereinstimmung das, was + sie aussprachen, noch mehr empfohlen. Die bewährte Gesinnung hat + sich durch den gemäßigten und bescheidenen, zwar, wie es Noth war + und löblich, starken, aber selten allzu scharfen Ton, der fast alle + Beiträge auszeichnete, viele Freunde erworben, und fast nie ist + ein Anlaß zu gerechten Klagen und Beschwerden gegeben worden. So + freimüthig als besonnen, überall aber mit strenger Wahrheitsliebe, + ward das, was Bedürfniß der Zeit und des Vaterlandes war, hier + ausgesprochen, keiner grundlosen Parteilichkeit für irgendeinen Zweig + des deutschen Volks Raum gegeben, kein unziemlicher und verderblicher + Zwiespalt genährt, sondern überall das Gute, wo es sich auch fand, + anerkannt und vor allem auf jene Eintracht und Geisteseinigkeit, + in der Deutschland allein stark, frei und sicher bestehen kann, + hingearbeitet. Diesen Ruhm wird man den »Deutschen Blättern« + ungekränkt lassen. + + Jetzt, da diese Neue Folge sich schließt, ist ihr letzter Wunsch: + Segen und Heil dem theuern Vaterlande! Ihm haben sie gelebt und ihm + gedient, ihm werden sie immer aufs innigste ergeben bleiben, und wenn + längst ihre Stimme verhallt ist, wird der fernste Nachklang noch von + Liebe und Treue für den heimatlichen Boden, für das deutsche Volk + ertönen. + +Dieses Schlußwort, das sich dann noch weiter über die Zeitverhältnisse +ausspricht, um »in diesen letzten Mittheilungen noch einmal die höchsten +Angelegenheiten unsers Volks den Lesern ans Herz zu legen«, sagt nicht +zu viel von dem Gehalte und der Wirkung der »Deutschen Blätter«; es +war übrigens weder von Brockhaus noch von Hain, sondern auf deren +Wunsch von einem Mitarbeiter verfaßt, wahrscheinlich von dem Professor +Hasse in Dresden. Die »Deutschen Blätter« nehmen anerkanntermaßen +eine der ersten Stellen ein unter den Organen der Presse, welche der +Zeit der Befreiungskriege ihr Entstehen verdankten, zugleich aber +selbst mannichfach fördernd auf die Zeit einwirkten. Diese Bedeutung +weist ihnen auch Karl Hagen zu in seinen die eingehendste Schilderung +dieser Zeitschriften enthaltenden und überhaupt sehr werthvollen zwei +Aufsätzen: »Ueber die öffentliche Meinung in Deutschland von den +Freiheitskriegen bis zu den Karlsbader Beschlüssen«.[58] Andere ähnliche +Blätter waren: der »Rheinische Mercur« von Görres, die »Nemesis« von +Luden, das weimarer »Oppositionsblatt«, die gothaer »Nationalzeitung der +Deutschen«, die »Teutonia«, die »Kieler Blätter«. Die meisten derselben +entstanden erst nach den »Deutschen Blättern« und verschwanden noch vor +ihnen wieder vom öffentlichen Schauplatze. + + * * * * * + +Von allen Seiten waren den »Deutschen Blättern« patriotische Aufsätze +zugeströmt, auch ohne directe Aufforderung der Redaction, und die Reihe +der (meist indeß nicht genannten) Mitarbeiter der »Deutschen Blätter« +ist eine ebenso mannichfaltige als stattliche. + +Einer der ersten und thätigsten Mitarbeiter war Karl August Böttiger +in Dresden, der schon an der 1807 von Brockhaus in Amsterdam +herausgegebenen Zeitschrift »_Le Conservateur_« sich betheiligte +und mit ihm fortwährend in den lebhaftesten geschäftlichen und +freundschaftlichen Beziehungen blieb. Ferner waren fleißige Mitarbeiter: +Professor Pölitz, Professor Saalfeld, Karl Curths (der Historiker), +Georgius (Karl Christian Otto), Baumgarten-Crusius, Villers, die +Professoren Zeune in Berlin, Hasse in Dresden und Oken in Jena. August +Wilhelm Schlegel und Friedrich Perthes schickten einzelne Beiträge. + +Auch die patriotische Dichtkunst war reich vertreten. Die »Deutschen +Blätter« veröffentlichten wol zuerst die drei Gedichte Theodor Körner's: +»Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?«, »Das Volk steht auf, der +Sturm bricht los!« und sein letztes Sonett: »Die Wunde brennt, die +bleichen Lippen beben«. Ferner brachten sie Dichtungen von Max von +Schenkendorf, Matthias Claudius, Christian Graf Stolberg, Graf von +Loeben, Friedrich Rückert. + +Brockhaus schrieb übrigens vielfach auch selbst in die »Deutschen +Blätter«. Als Herausgeber machte er häufig sehr eingehende Anmerkungen +zu den eingesandten Artikeln, bald über die in denselben besprochenen +Gegenstände seine eigene Ansicht sagend, bald aus den Erlebnissen +während seines Aufenthalts in Amsterdam, wo er vielfach mit Franzosen in +Berührung gekommen war, Interessantes mittheilend. + +Am 23. März 1814 beginnt er eine längere Anmerkung zu einem Aufsatze +über Napoleon folgendermaßen: + + In den »Deutschen Blättern« ist in Deutschland zuerst offen und + frei und mit Kraft und Würde laut ausgesprochen worden: kein Friede + mit Bonaparte. Die »Deutschen Blätter« haben es zuerst gewagt, den + so finstern und blutdürstigen Charakter des Tyrannen zu enthüllen. + Es war unterm Kanonendonner von Liebertwolkwitz, zwei Meilen von dem + Kampfplatze, wo der wackere Wittgenstein die Hermanns-Schlacht von + Leipzig einleitete, daß die ersten von den Blättern furchtlos gedruckt + wurden. Ein prophetischer Glaube an das endliche Gelingen der guten + Sache hatte den Herausgeber begeistert. Vielleicht wäre das Leben von + Tausenden unserer tapfern Krieger, die in diesem heiligen Kreuzzuge + gefallen sind, gespart worden, wenn die verbündeten Mächte schon + damals oder doch am 21. December (1813) bei der ersten Ueberschreitung + der französischen Grenze ritterlich und frei erklärt hätten, was jetzt + Alexander am 31. März (1814) erst in der stolzen Hauptstadt aussprach: + kein Friede mit Bonaparte .... + +Oefters verfaßte er aber auch selbständige Aufsätze für sein Blatt. +Unter ihnen sei nur einer mit der Ueberschrift »Noch ein Wort über +den Franzosenhaß« und dem ausdrücklichen Zusatze »Vom Herausgeber« +hervorgehoben und auszugsweise mitgetheilt. Er ist Mitte Juli 1815 +geschrieben, also nach der zweiten Niederwerfung Napoleon's, und +vertheidigt die »Deutschen Blätter« gegen den Vorwurf eines zu +leidenschaftlichen Franzosenhasses. Die wesentlichsten Stellen sind +folgende: + + Es ist in diesen Blättern schon viel die Rede gewesen von der + Erbärmlichkeit des Franzosenthums. Der gerechte Eifer gegen dasselbe + macht einen Theil des Ruhms dieser Anstalt aus, die in der ersten + schönen Zeit der Errettung vom heillosen Joche entstand, unter den + Augen, auf Veranstaltung des hohen deutschen Feldherrn, der siegreich + unsere Heldenscharen von der Elbe bis zur Seine führte, bis dahin, wo + der letzte Ring der Kette zerbrochen ward, die uns so lange gefesselt + hatte. + + Die »Deutschen Blätter«, die sich das Ziel gesetzt, jenen + errettenden Kampf und seine Folgen mit aufmerksamem Blicke zu + begleiten, viele große und herrliche Zeugnisse aus demselben für die + Geschichte aufzubewahren, zu beharrlicher Ausdauer und unbeweglicher + Treue in dem großen Werke der Befreiung zu erwecken und eine + geläuterte, tief begründete Ansicht von demselben zu verbreiten, sie + mußten auch oft mahnen an unser Elend, unsere Schmach, und auf die + Ursachen und Veranlassungen unserer vieljährigen Leiden zurückweisen. + Ein tiefer, aber gerechter Unwille mußte in diesen Mittheilungen sich + aussprechen, sowol gegen die Urheber unsers Jammers und das ganze + Franzosenthum als gegen die treulose, bundbrüchige und entartete + Rotte, die mitten unter uns noch dem huldigt, was die Quelle unserer + Entwürdigung und Erniedrigung gewesen ist. + + Diesem Bemühen haben nun die Bessern einen Beifall gegeben, der + sich in dem Gedeihen unserer Anstalt, in der weitern und immer + weitern Verbreitung der Theilnahme an derselben sehr erfreulich + bewährte. Es war ebenso natürlich, daß die, deren Beschränktheit + oder Schlechtigkeit hier oft gerügt ward, diese Blätter haßten und + schmähten und es ihnen besonders zum Vorwurf machten, daß ein so + bitterer Franzosenhaß in denselben sich ausspreche. Gegen diesen + Franzosenhaß erheben sich denn auch von andern Seiten Stimmen, welche + die alte Sünde zu beschönigen und bleibend zu erhalten versuchen, + gegen deren Verfahrungskunst der Verfasser nun noch Ein Wort zu reden + sich aufgefordert sieht, zumal man gerade seinen frühern Mittheilungen + besonders jenen Vorwurf macht .... + + Was meinen doch die Herren, die sich berufen fühlen, den + Franzosenhaß zu dämpfen und gegen ihn die alten stumpfen Waffen + gern noch einmal schärfen möchten, was meinen sie denn mit dem + Franzosenhaß? Den tiefen Unwillen nennen sie so, der die Bessern + unsers Volks ergriffen über die zu lange geduldete Herrschaft des + Franzosenthums, den gerechten Eifer gegen Sprache, Sitten und Moden + eines Volks, das das entartetste in Europa, mit seinem äußern Wesen + seine Schlechtigkeit übertüncht, nur Einfluß, Herrschaft erstrebt und + durch beides unserm Volke und andern Völkern nur Verderben gebracht + hat. Den gerechten Unwillen nennen sie so, der nicht ist von heute + oder gestern, den wenige Erleuchtete und echte Vaterlandsfreunde schon + seit hundert Jahren gegen jenes Volk genährt, der jetzt in den Tagen + der Befreiung stärker und lauter sich kundgegeben; den gerechtesten + Unwillen der Befreiten, wie früher der Unterjochten und Unterdrückten, + gegen die, welche mit bösen Künsten und mit Gewalt die edelsten Güter + des geselligen Lebens, Freiheit und Selbständigkeit, uns raubten und + rauben wollten. Das, was zu allen Zeiten die edelsten Völker und alle + freigeborene, großherzige Menschen gegen frevelhafte Unterdrücker, + tyrannische Eroberer, freche Räuber und Schänder des Vaterlandes zum + Kampf auf Leben und Tod begeisterte; dasselbe, was auch unser Volk + bewegt, auch das letzte Zeugniß unserer Unterjochung und Alles, was + dazu mitgewirkt, völlig auszutilgen: das nennt nun die Erbärmlichkeit + Franzosenhaß und will mit diesem Namen das, was unsers Volks Ruhm und + unserer Zeit Verherrlichung ist, in ein zweideutiges Licht stellen. + Rechnet sich es doch mancher als hohe Weisheit und Gerechtigkeit + an, daß er nicht so ungebührlich hasse ein liebenswürdiges Volk, + von dem wir noch gar vieles lernen könnten -- absonderlich wol + allerliebste Namen für scheußliche Laster (von denen manche erst in + den letzten fünfundzwanzig Jahren durch französische Emigranten und + Soldaten in unsern unschuldigen Hütten bekannt geworden sind!) -- + einen Muthwillen, dem nichts heilig ist, eine Gewandtheit, die Treue + und Tugend entbehrlich macht; eine Feinheit, die nie Arges fürchten + läßt und mit aller Höflichkeit des Nachbars Habe sich aneignet, + den Hausfrieden zerstört und Alles dem Eigenwillen und eigener + Leidenschaft unterordnet. Von diesem Volke sollen wir einfältige, + schwerfällige Deutsche lernen und sollen wol auch noch beklagen, daß + die trefflichen Lehr- und Zuchtmeister in Scharen über unsere Grenze + getrieben wurden, und ihre lieblichen Fürsprecher möchten doch gar zu + gern uns wieder in die Synagoge des Satans zurückführen. Darum preisen + sie die Herrlichkeit französischer Sprache und Sitte und wollen es + sogar nicht begreifen, daß, wer den Teufel ausgetrieben hat, auch alle + sein Wesen und seine Werke ihm nachschleudern muß, damit er auch nicht + einen Fuß breit Land finde, das ihm noch gehöre und von dem aus er das + alte Verführungsspiel wieder anfangen kann, daß es hernach schlimmer + werde denn zuvor. + + Wie wenig begreifen doch diese, die sich wol gar Patrioten nennen, + den Geist und das Streben dieser Zeit und unsers Volks! An ihren + Augen ist es vorübergegangen wie ein Nebel und an ihren Ohren wie + rauschender, sinnloser Mislaut, daß die Zeit erschien, da in Europa + der gute Geist über den bösen den Sieg gewinnen und die Werke des + bösen völlig zerstören sollte. Aus Blindheit des Geistes oder des + Herzens oder beider reden sie dem das Wort, gegen den Deutschland, + Europa sich gerüstet und rüstig gekämpft hat, und scheinen es gar + nicht zu ahnden, wie sie mit ihrer Allerweltsklugheit eigentlich nur + die ersten Ringe der Kette wieder schmieden, die unter höherer Leitung + glücklich zerbrochen ward. Aber sie werden darüber selber zu Schanden, + und nimmer kann es ihrer Schwachheit gelingen, einen kräftigen + Unwillen, der nur zu gerecht ist, hinwegzuschwatzen, ob sie auch all + ihren Witz aufbieten und alle aus Einem Tone heulen, wie denn die + Flachheit überall sich selber begegnet und auch dadurch in ihrem Wahne + sich bestärken läßt .... + + Was ist überhaupt Haß, den ein edler Mensch im Busen trägt? Der + tiefe, nie erkaltende Widerwille ist es, den er gegen alles Böse, alle + Schlechtigkeit und Treulosigkeit empfindet, der ernste, beharrliche + Widerstand gegen Alles, was den Menschen entehrt, das der edle Mensch + um so bitterer fühlt, je höher seine Achtung des Reinmenschlichen + ist, ein Widerwille, der sich auch gegen den Bösen, Schlechten und + Treulosen in der sorgfältigen Vermeidung aller nähern Gemeinschaft + und vertraulichern Annäherung ausspricht, ein Widerstand, der jedem + Einflusse des durch seine Grundsätze wie durch seine Handlungen dem + Bösen Ergebenen entgegentritt und ihm wehrt und darum selbst das + scheinbar Gute verwirft, das aus jenem Einflusse stammen könnte. + + Das ist auch der Franzosenhaß, der Widerwille gegen die ungeheuere + Entartung, Sittenlosigkeit und Treubrüchigkeit dieses Volks, gegen + den fürchterlichen Leichtsinn, der mit allem Heiligen spielt; der + Widerstand gegen jeden Einfluß der Grundsätze, der Sitten und + Gewohnheiten desselben wie seiner Unternehmungen; ein Widerwille, + der alle nähere Gemeinschaft mit den Franzosen, alle vertrauliche + Annäherung scheut und vermeidet; ein Widerstand, der allem + französischen, durch menschenentehrende Grundsätze verpesteten + französischen Wesen sich entgegenstellt und darum selbst das scheinbar + Gute oder das wirklich Günstige, was von dorther kommen könnte, + verwirft, weil dem Bösen aller und jeder Einfluß abgeschnitten werden + muß. Es äußert sich der Franzosenhaß, wie jeder gesunde, gerechte Haß, + in einem kräftigen Widerstreben gegen das, was des Hasses würdig, und + er ist am tiefsten da, wo die mächtigste Liebe, Liebe des Vaterlandes, + der Wahrheit, der Freiheit, und mag da nicht sein, wo diese Liebe + nicht ist .... + + Wir aber werden hassen das Arge, so lange es arg ist, und uns + schämen, die Farbe derer zu tragen und die Sprache derer zu reden, + die ihre Farbe und Sprache vor den Augen von ganz Europa geschändet + haben. Es soll keine vertrauliche Gemeinschaft sein zwischen ihnen + und uns, weil ihr Wesen nicht zu dem unsern stimmt, ihre Falschheit + zu unserer Ehrlichkeit keine Verwandtschaft hat und weil böse + Gesellschaft nicht blos gute Sitten verdirbt, sondern auch einen Makel + aufheftet jedem, der sich zu ihr hält. + + Sage man nicht, daß solcher Haß unchristlich sei; man müsse das + Böse hassen, aber nicht den Bösen. Das Böse in den Franzosen ist es + ja eben, das wir hassen, dem wir widerstreben. Um es fern von uns zu + halten, müssen wir die Franzosen abwehren. Aber so tief unser Haß ist, + so misgönnen wir ihnen doch gewiß nicht irgendein Glück, das ihnen ihr + Vaterland gewähren mag, so sind wir doch nur so lange ihre Feinde, + als sie übermüthig, schnöde und ruchlos, aller Orten Befriedigung + ihrer Eitelkeit, unsere Erniedrigung suchen und mit schlechten Künsten + die Welt verführen. Was vorherrschender Charakter des französischen + Volks ist, das hassen wir; dem Einzelnen aus ihm, dem Mittheilenden, + Gebeugten, Hülfsbedürftigen versagen wir keinen Trost, keine + Freundlichkeit, keine Hülfe, wodurch sein Elend gelindert werden kann, + ohne daß zugleich seine Eitelkeit oder Bosheit Nahrung finde. Ein + unchristlicher Haß liegt nicht in uns; wir würden uns freuen, wenn + Frankreich, weiser geworden, auf rechtem Wege sein Glück suchte; wir + würden nachbarlich ihm die Hand bieten, und aller Haß würde schwinden, + wenn es ein frommes, züchtiges, friedliches, genügsames, treues Volk + würde. Bis dahin ist keine Gemeinschaft zwischen ihm und uns. + +Besonders lebhaften Antheil nahm Brockhaus auch an der Frage der +Zukunft Sachsens, die den Wiener Congreß so lange beschäftigte und +erst durch Napoleon's plötzliches Wiedererscheinen zu einem raschern +Abschluß gelangte. Er war entschieden gegen die Theilung Sachsens, +die doch endlich beschlossen wurde, und sagte in einer Note zu einem +»Wahrhaftigen Bericht über die gegenwärtige Stimmung des Volks in +Sachsen, von einem Eingeborenen«: + + An dumpfe starre Verzweiflung grenzt seit der Todesnachricht aus + Wien vom 10. Februar (1815), welche aus den berliner Zeitungen in alle + öffentlichen Blätter übergegangen, die Stimmung des guten sächsischen + Volks. Die Geschichte wird diese Handlung richten -- wir Lebenden + dürfen es leider nicht öffentlich. + +Um so empörter war Brockhaus, als in einer in München erschienenen +Schrift: »Sachsen, Preußen und Europa«, gesagt war, daß die beiden +leipziger Buchhändler Rein und Gerhard Fleischer »mit dem bekannten +Brockhaus in Verbreitung verleumderischer und majestätsverbrecherischer +Schriften gegen ihren rechtmäßigen König einen edeln Wettstreit begonnen +haben«. Er erließ deshalb in den »Deutschen Blättern« folgende Erklärung: + + Erst durch die Anzeige des Herrn Gerhard Fleischer in Nr. 231 der + »Leipziger Zeitung« erfahre ich das Dasein der in München wieder + erschienenen Schrift: »Sachsen, Preußen und Europa«, und der mich + nebst andern Buchhändlern darin betreffenden Stelle, welche diese und + mich der »Verbreitung verleumderischer und majestätsverbrecherischer + Schriften gegen ihren rechtmäßigen König« beschuldigt. Bei näherer + Untersuchung fand ich, daß diese Schrift aus derselbigen Quelle + komme, welcher wir die »Allemannia«, die sogenannten »Sächsischen + Actenstücke« und andere Schriften gleichen Charakters verdanken. + + Ob man es daher gleich für eine Ehre halten könnte, von dieser + im Finstern schleichenden süddeutschen Bande, an deren Spitze + bekanntlich der berüchtigte Aretin steht und deren Geschäft es ist, + Mistrauen zwischen Fürsten und Unterthanen, Haß zwischen den deutschen + Volksstämmen und Zwietracht unter unsern Regierungen zu erregen, + derselben Bande, welche nicht damit zufrieden war, dem seelenlosesten + Despotismus in den traurig furchtbaren Jahren von 1806 bis 1813 das + Wort zu reden, sondern den Despoten zu noch größerer Tyrannei durch + die bekannte Anklage aller Protestanten und des Protestantismus selbst + anzuregen suchte, und namentlich mehrere edle Männer aus unserer + eigenen Mitte, welche die liberale Landesregierung zu sich geladen + hatte, als Aufrührer und Anführer bezeichnete; derselben Bande, + welche, in die Hoffnungen aller bessern Menschen ihre Drachenzähne + säend, sogar die Geschichte und Völkerehre wie die Völkerruhe zu + einer Metze macht, indem sie, nur um Deutsche gegen Deutsche zu + empören, eine Reihe der schändlichsten Pasquille erfindet, denen sie + das Prädicat »Actenstücke« gibt, und den Namen des edeln sächsischen + Volks damit in Verbindung bringt -- man könnte, sage ich, es für + eine Ehre halten, von dem Wortführer dieser neuen Obscuranten und + Pasquillanten geächtet zu werden: dennoch glaube ich auf jene bestimmt + ausgesprochene Anklage, gleich Herrn Gerhard Fleischer, erwidern zu + müssen, daß in meinem Verlage keine einzige Schrift erschienen ist, + welche auf irgendeine Weise die sächsischen Angelegenheiten in den + Jahren 1813, 1814 und 1815 nur berührt, und daß ich ebenso wenig von + irgendeiner der Schriften, welche über diesen Gegenstand für und wider + erschienen, mehr als ein Exemplar, und dies zu meiner eigenen Lesung + oder literarischen Benutzung, zu beziehen gewohnt gewesen bin, noch + weniger aber eine Schrift dieser Art »verbreitet« habe. + + In den von mir herausgegebenen »Deutschen Blättern« ist, dem + Charakter dieses Instituts gemäß, allerdings, wie es in allen + deutschen politischen Zeitschriften geschehen, diese Angelegenheit + für und gegen debattirt worden, allein immer mit Bescheidenheit, Würde + und Anstand, und ich darf es in Wahrheit sagen, daß ich eine Menge + anzüglicher Aufsätze, die auf irgendeine Weise kränken oder erbittern + konnten, unterdrückt oder zurückgesandt habe. + + Den Verfasser der beredtesten und gründlichsten Schrift für das + Interesse Sr. Maj. des Königs, der »_Lettre à un Saxon_«, in der + ich einen meiner Freunde zu entdecken glaubte, habe ich selbst + eingeladen, in den »Deutschen Blättern« seine politische Ansicht zu + verfolgen. Was wirklich am Ende geschehen ist, haben die »Deutschen + Blätter« immer als das größte Unglück dargestellt und damit auch die + Empfindung und Ansicht ihres Herausgebers, der übrigens in keinem + Unterthanenverhältnisse zu Sr. Maj. dem Könige von Sachsen steht, + ausgesprochen. + + Altenburg, 28. November 1815. + + Brockhaus. + +In gleicher Weise interessirte sich Brockhaus persönlich für die damals +lebhaft verhandelte Frage der Wiedererwerbung von Elsaß und Lothringen +für Deutschland, welche wie die von den »Deutschen Blättern« ebenfalls +warm befürwortete Wiederherstellung des deutschen Kaiserthums und des +Deutschen Reichs erst über ein halbes Jahrhundert später gelöst werden +sollte. Er brachte einen trefflichen Aufsatz darüber von Professor Zeune +in Berlin: »Elsaß und Lothringen für Deutschland durchaus nothwendig«, +und schrieb dem Verfasser bei Uebersendung einer Anzahl Abdrücke unterm +30. Mai 1814: + + Leider fürchte ich wie alle Deutsche von Umsicht und Beurtheilung, + daß man diese beiden herrlichen, uns von Ludwig XIV. gestohlenen + Provinzen nicht zurückfordern wird. Ueberhaupt wer ist nicht indignirt + über die Complimente, die in Paris mit dem übermüthigen Volke und den + Helfershelfern Napoleon's gemacht werden? Es ist sehr schade, daß + gerade in Paris die Unterhandlungen geleitet werden, wo Weiber und + Sinnlichkeiten aller Art ins Werk gesetzt werden, die Fürsten und die + leitenden Personen zu berücken. In Hamburg, in Moskau, in Wittenberg, + wo jeder Blick und Schritt an die Unthaten der französischen Hunde + erinnert, da sollte der Sitz des Congresses sein! + + Ich habe Krausen gebeten, es mit Ihnen zu überlegen, wie den + »Deutschen Blättern« in Berlin und im preußischen Staate ein größeres + Publikum gewonnen werde. In Hannover setzen wir sechsmal so viel + ab als im ganzen preußischen Staate. Seien Sie ferner für unser + patriotisches Institut thätig! + +Außer den früher erwähnten Gründen bestimmten ihn indeß auch die +Censuranfechtungen, die mit der beginnenden Reactionszeit wieder ebenso +hinderlich auftraten wie bei Beginn der »Deutschen Blätter«, dazu, das +Blatt aufzugeben. Schon ein Jahr, bevor er diesen Entschluß ausführte, +im Frühjahre 1815, schrieb er an Professor Koethe in Jena aus Anlaß des +vorher erwähnten Aufsatzes der »Deutschen Blätter« über die Stimmung in +Sachsen bei der drohenden Theilung des Landes: + + Der Censor chicanirt mich außerordentlich, und wenn's so fortgeht, + muß der Druck hier aufhören. Von Dresden aus ist bei unserer Regierung + (Altenburg) Klage eingelaufen über einen Aufsatz, durch den der König + persönlich sich sehr beleidigt fühlt. Es war behauptet worden, des + Königs Pflicht wäre es gewesen, lieber ganz zu verzichten, als die + Theilung seines Landes zuzulassen. Um sich nun über den Verdruß, + den der Censor über jene Angelegenheit hat, zu rächen, streicht + er mir Alles, was ihm nur einigermaßen frei und dreist erscheint. + Insbesondere ist er Oken's Aufsätzen gram. Ich weiß nicht, wie das + werden soll. + +Noch unmuthiger schreibt er unterm 20. Februar 1815 an seinen Freund +Hasse, damals Professor am Cadettenhause zu Dresden: + + Ihre Empfindungen über die Zerreißung Sachsens, die nun gestern + durch das Extrablatt der »Leipziger Zeitung« zum Vollen bestätigt + sind, wird jeder redliche Sachse und Deutsche theilen, das Unglück + des Landes aber vorzüglich auf Oesterreich wälzen müssen, dessen + einseitige Hartnäckigkeit schuld an der Theilung ist. + + Ich werde die »Deutschen Blätter« jetzt bestimmt mit dem sechsten + Bande eingehen lassen. Die Theilung Sachsens hat mir alle Lust an + dem Politischen geraubt; dazu kommt die beengte Preßfreiheit und + die Unmöglichkeit, sich irgendwo mit Energie und Wahrheit über die + wichtigsten Angelegenheiten, soweit sie uns in der Nähe betreffen, + aussprechen zu können. In dem Schlußblatte möchte ich gern einen + feierlichen Abschied von meinem Publikum nehmen, und ich lade Sie + ein, mir dazu Ihre Feder mit zu leihen. Zuerst wäre ein Blick auf + die Zeit zu thun, die den »Deutschen Blättern« vorhergegangen; dann + der Augenblick des Kampfes im October zu beschreiben, die Hoffnungen + und Wünsche, welche die Erhebung aller deutscher Völkerschaften + bei Jedermann erweckte, der Gang des Kriegs, der endliche Triumph. + Was durften die Deutschen jetzt erwarten? Getäuschte Hoffnungen + jeder Art, wie sie sich entwickelten: in der Hauptstadt des Feindes + wurden deutsche Völkerstämme ihm verrätherisch übergeben, und was + uns von den Bourbonen vor hundert Jahren schändlich geraubt wurde, + die Vormauer Deutschlands, der Elsaß, wurde nicht zurückverlangt; + die uns schändlich abgepreßte Contribution wurde nicht restituirt, + unsere Krieger litten in der Hauptstadt des Feindes den bittersten + Mangel und waren fast ohne Verpflegung; unsere Kunstwerke blieben im + Besitz der Uebermüthigen. Es erfolgte keine Versöhnung zwischen den + Siegern und Besiegten. Blicke auf den Congreß. Abermalige Hoffnungen. + Abermalige Täuschungen. Unterdrückte Preßfreiheit in Deutschland. Man + kann seinem gepreßten Herzen keine Luft machen, der Censor steht einem + ängstlich zur Seite und verschneidet jedes kräftige und treffende + Wort. Wir haben den Franzosen Preßfreiheit errungen, denn nach England + und Holland ist sie in Frankreich am liberalsten, aber für uns selbst + ist sie nicht da. So also kann kein politisches Blatt anders als zu + eigener Schande bestehen. + + Dies wären einige der Ideen, die meiner Meinung nach hier + ausgesprochen werden könnten. Viele andere werden Ihnen noch + einfallen. Ich möchte, daß das Ganze einen Bogen füllte. + +Hasse antwortete darauf am 26. Februar: + + Ich glaube Ihnen gern, daß Ihnen die Lust vergangen, die »Deutschen + Blätter« fortzusetzen. Der Gang der Dinge schlägt die frohesten + Erwartungen nieder. Ihre Ideen über den Schluß sind trefflich, aber + ich fühle in mir so wenig Beruf, und meine Zeit ist so beengt, daß + ich, so sehr ich den verlangten Schlußaufsatz für nöthig halte, + dennoch denselben unmöglich übernehmen kann. Ich lege deshalb das + Blatt Ihres Briefs, der dieselben so trefflich entwickelt, hier bei. + +Damals hatten der Wiederausbruch des Kriegs infolge Napoleon's Flucht +von der Insel Elba und die darauffolgenden Ereignisse die Absicht, die +»Deutschen Blätter« aufhören zu lassen, in den Hintergrund gedrängt. +Aber nach der raschen Beendigung dieses zweiten Abschnitts des Kriegs +und während der Verhandlungen über den zweiten Pariser Frieden, nachdem +sogar im Sommer dieses Jahres eine Nummer der »Deutschen Blätter« wegen +eines Aufsatzes: »Auf einmal Preußen und Franzosen Freunde«, confiscirt +worden war, faßte Brockhaus diese Idee wieder näher ins Auge. + +Am 4. November desselben Jahres (1815) schreibt deshalb Brockhaus wieder +an Koethe: + + Die »Deutschen Blätter« werde ich bestimmt zu Ostern schließen. Die + Bedingungen der Censur, die ängstliche Rücksicht, die allenthalben + genommen wird, der Mangel an Einsicht in die politischen Interessen + Deutschlands, die hinkende Theilnahme des Publikums jetzt, wo die + Hauptfragen entschieden sind, und die ungeheuere Schererei bei + geringer Belohnung veranlassen mich dazu. + +Dem Drucker des Blattes, Pierer in Altenburg, meldete er am 2. December +1815, daß er die Auflage, die bei Beginn 4000 und mehr Exemplare betrug, +auf 1100 ermäßigen wolle. + +Noch eingehender spricht er sich über das Aufhören des Blattes in +einem am 9. März 1816 an Oken gerichteten Briefe aus, der zugleich +interessante Mittheilungen über literarische Verhältnisse enthält: + + Auch mir thut es herzlich leid, das allerdings interessante und + mir selbst unendlich lieb gewesene Institut der »Deutschen Blätter« + eingehen lassen zu müssen. Ich sehe mich aber dazu gezwungen. Aus + der Ueberzeugung, daß bei ihrem sehr verminderten Absatz -- da ich + Ihnen versichern kann, seit einem Jahre das volle Drittel der noch zu + Anfang des vorigen Jahres stattgefundenen Zahl der Abnehmer verloren + zu haben, wobei ich noch nicht in Anschlag bringen kann, was mir auf + der Messe wird zurückgegeben werden -- ihre Wirksamkeit in dieser Form + nicht von der Art ist, als sie auch bei den mäßigsten Ansprüchen sein + sollte. Die Erscheinung eines so verringerten Absatzes, da die Blätter + an sich tüchtigen Inhalts sind, muß Jedem allerdings auffallend sein, + der das deutsche Publikum nicht aus Erfahrung in dieser Hinsicht kennt + und der nicht weiß, daß der Werth besonders eines politischen Blattes + für den Absatz in Deutschland nie entscheidend ist. So z. B. wenn + ich Ihnen versichere, daß von der »Allgemeinen Zeitung«, wie ich in + der Officin derselben erfahren habe, nicht mehr als 2000 Exemplare + gedruckt werden, während der »Nürnberger Correspondent« (ein gegen + jene elendes Blatt) gewiß das Doppelte absetzt, und nur Cotta's große + Kapitale, sein Stolz und seine Consequenz, auch ohne Vortheil ein + Institut fortzusetzen, dessen Nützlichkeit er einmal erkannt hat -- + eine Consequenz, die aber nur einem Manne wie ihm möglich ist -- + bestimmen denselben, dieses Institut, das ihm ungeheuere Summen kostet + und bei welchem er meinem Urtheile nach wenig oder nichts verdient, + nicht untergehen zu lassen. + + An vielen Orten sind die »Deutschen Blätter« abbestellt oder gehen + in so geringer Anzahl dorthin, daß daraus abzunehmen ist, wie wenig + Interesse das Publikum für sie noch zeigt. So gebraucht z. B. die + thätigste Buchhandlung in Prag, die von andern Artikeln, welche die + Zeit berühren, leicht funfzig und mehr Exemplare absetzt, nur ein + einziges Exemplar, und ich erhalte posttäglich neue Abbestellungen für + den nächsten Band, von dem man meint, daß er noch erscheinen werde. + + Von sämmtlichen Journalinstituten in Deutschland gedeiht überhaupt + keins mit eigentlichem Glück, und die meisten derselben erhalten sich + nur dadurch, daß ihre Redacteure und Herausgeber zugleich die Haupt- + oder einzigen Ausarbeiter derselben sind, daß sie also nicht an Andere + etwas zu bezahlen nöthig haben und sich mit einer kleinen Ausbeute + begnügen können. So schreibt oder übersetzt Herr Bran seine »Minerva« + und »Miscellen« ganz allein selbst, oder er zahlt für etwaige kleine + Mithülfe höchstens 3 Thlr. per Bogen; so ist Professor Voß in Halle + der alleinige Verfasser der auch von ihm selbst verlegten »Zeiten«, + und mir ist von den Commissionären desselben versichert worden, daß + nicht 400 Exemplare von diesem Journale debitirt werden, ein Absatz, + mit dem man einzig bei einem so hohen Preise und dann eben auskommen + kann, wenn man zugleich noch alleiniger Verfasser und Selbstverleger + ist. Die Bertuch'schen Journalinstitute erhalten sich gewiß einzig + durch das fabrikmäßige Bearbeiten derselben und durch den Antheil, + welchen Vater und Sohn selbst daran nehmen. + +Brockhaus hatte bei Aufgeben der »Deutschen Blätter« eine directe +Fortsetzung derselben beabsichtigt, doch kam sie aus Gründen +verschiedener Art wenigstens nicht in der zuerst beabsichtigten Weise zu +Stande. + +Diese Fortsetzung sollte den Titel: »Encyklopädische Blätter« führen +und von Professor Oken in Jena, einem Hauptmitarbeiter der »Deutschen +Blätter«, herausgegeben werden. Das oben auszugsweise mitgetheilte +Schlußwort der »Deutschen Blätter« hat deshalb die Ueberschrift: +»Schluß dieser und Ankündigung der 'Encyklopädischen Blätter'« und +theilt zugleich das Programm des neuen Blattes mit. Das erste Heft +desselben wurde auch bereits im August 1816 mit der Jahreszahl 1817 +ausgegeben (es trägt am Fuße der ersten Seite die eigenthümliche Notiz +»Kundt am 1. August 1816«), aber unter dem veränderten Titel: »Isis +oder Encyklopädische Zeitung von Oken«. Diese bekannte Zeitschrift, +welche dann bis zum Jahre 1848 erschien und abwechselnd bald Eigenthum +des Herausgebers Oken, bald der Firma F. A. Brockhaus war, ist also +aus den »Deutschen Blättern« hervorgegangen, hat aber freilich nicht +viel von denselben beibehalten. In jenem Schlußwort ist zwar direct +gesagt: das neue Blatt sei »gewissermaßen das Kind der 'Deutschen +Blätter', und die Mutter solle darin, wenngleich nur in einem kleinen +Kämmerlein, fortleben«; allein dieses »Kämmerlein«, die politische +Abtheilung, war sehr klein und wurde später ganz geschlossen, wie auch +der Nebentitel »Encyklopädische Zeitung« bald wegfiel. Hingegen nahmen +die Naturwissenschaften von Anfang an den größten Theil des Raums ein. + +Die »Isis« wird in der folgenden Periode von Brockhaus' +Verlagsthätigkeit in ihrer eigenthümlichen Gestalt und Geschichte +vorgeführt werden; nur ihre Entstehungsgeschichte war hier zu erwähnen. + + * * * * * + +Die »Deutschen Blätter« bilden, von ihrer Stellung und Bedeutung +in der Geschichte der deutschen Zeitungspresse abgesehen, auch ein +wichtiges Glied in Brockhaus' Verlagsthätigkeit während der altenburger +Periode. Sie boten ihm Gelegenheit, auf die politische Gestaltung +Deutschlands einzuwirken und sich so auch persönlich an der großen Zeit +der Freiheitskriege mit zu betheiligen; sie brachten ihn in nähere +Beziehungen zu den besten politischen Schriftstellern seiner Zeit, die +er dann für seine übrigen Unternehmungen an sich zu fesseln wußte; sie +gaben endlich seinem ganzen Verlage für die nächste Zeit eine bestimmte +politisch-nationale Richtung, wiewol diese bei der Vielseitigkeit seines +Geistes und gegenüber den schon früher von ihm gepflegten Gebieten der +Literatur keine ausschließliche blieb. + +Als patriotischer Buchhändler nimmt der Herausgeber der »Deutschen +Blätter« in der Geschichte der Jahre 1813-1815 jedenfalls eine +ehrenvolle Stelle ein. + + + + + 4. + +Geschichtliche und encyklopädische Verlagsthätigkeit. + + +Neben der Herausgabe der »Deutschen Blätter« und der vor dieser +geschilderten Wirksamkeit auf fast allen Gebieten der Literatur +widmete sich Brockhaus während der in Altenburg verlebten Jahre +in besonders reger Weise dem Verlage von geschichtlichen und +encyklopädischen Werken kleinern und größern Umfangs. Diese Thätigkeit +umfaßt drei Gruppen, wovon die erste politische Zeitbroschüren, die +zweite größere geschichtliche Werke, die dritte vorzugsweise das +»Conversations-Lexikon« betrifft. + + * * * * * + +Die erste Gruppe, die der politischen Zeitbroschüren, schließt sich mehr +oder minder an die »Deutschen Blätter« an. + + * * * * * + +Als Brockhaus von dem kurzen Ausfluge, den er unmittelbar nach der +Schlacht bei Leipzig unternommen hatte, aus Berlin nach Leipzig +zurückkehrte, fand er daselbst ein Manuscript vor, das ihm August +Wilhelm von Schlegel geschickt hatte, und gleichzeitig schon einen +Mahnbrief desselben aus Göttingen vom 3. November. Der letztere lautet: + + Ew. Wohlgeboren habe ich am 28. October von Mühlhausen das + Manuscript meiner »Bemerkungen über den Artikel der Leipziger Zeitung + vom 5. October« in französischer Sprache zugeschickt, und zwar _par + estafette_. Ich rechne mit Zuversicht darauf, daß das Packet richtig + in Ihre Hände gelangt ist, und daß Sie es sogleich werden gedruckt + haben. Ich erwarte die Ankunft der 100 Exemplare mit Ungeduld, und + sollten selbige bei Ankunft dieser Zeilen noch nicht abgesandt sein, + so bitte ich selbige alsbald ebenfalls _par estafette_ an mich zu + befördern. Es ist aber dabei zu bemerken, daß ich jetzt drei bis vier + Tage hier bleiben, und erst alsdann wiederum in das Hauptquartier des + Kronprinzen von Schweden abgehen werde. Das hiesige Postamt müßte + also angewiesen werden, sich erst zu erkundigen, ob ich noch hier + bin, und erst wenn es das Gegentheil erfahren, das Packet weiter in + das Hauptquartier zu senden. Die Auslage der Estafette habe ich Ihnen + verursachen müssen; darüber werden wir uns schon vergleichen. + + Jetzt bin ich mit Anordnung der »Aufgefangenen Briefe« beschäftigt, + worüber Sie nächstens das Nähere hören werden. Ich bitte auch um eine + Anzahl Exemplare von dem neuen Abdruck der Schrift »_Sur le système + continental_« und der Betrachtungen »Ueber die Politik der dänischen + Regierung«, sobald diese fertig sind. + + Ich wiederhole es, daß Sie mich unendlich verbinden werden, wenn + Sie die »Bemerkungen über den Artikel der Leipziger Zeitung« auf das + schleunigste in meine Hände gelangen lassen. + + Mit ausgezeichneter Hochachtung + + Ew. Wohlgeboren ergebenster + + A. W. v. Schlegel. + +Inzwischen schrieb ihm auch Karl Peter Lepsius (der Alterthumsforscher, +Vater des Aegyptologen) aus Naumburg: + + Eilen Sie doch, Freund, daß das Manuscript von Schlegel gedruckt + wird, um es durch die Colonne der dresdener Besatzung, die in den + nächsten Tagen hier durchgehen wird, nach Frankreich zu bringen. Sie + erhalten sonst nichts wieder von Schlegel. Warum haben Sie es nicht in + Naumburg drucken lassen, da bin #ich# Censor! + +Allerdings hatte Brockhaus auch bei dieser Schrift trotz ihres +officiösen Charakters Censurnöthe, wie aus folgendem Schreiben +hervorgeht, das er unterm 8. November an Freiherrn von Miltitz, Chef der +Ersten Section des Generalgouvernements in Leipzig, richtete, denselben, +gegen den er sich kurz vorher, am 28. October, schon über die Censur bei +den »Deutschen Blättern« ohne Erfolg beschwert hatte: + + Der Unterzeichnete hat die Ehre, Ew. Hochwohlgeboren ein Manuscript + mitzutheilen, welches er per Stafette von Herrn A. W. von Schlegel, + Geh. Cabinetssecretär Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen von Schweden, + aus dem Hauptquartier des Letztern mit dem Auftrage erhalten hat, + solches nebst einer deutschen Uebersetzung hier sogleich drucken + zu lassen, und von beiden alsdann 100 Exemplare ins Hauptquartier + Sr. königl. Hoheit wieder per Stafette an ihn zu senden. Ew. + Hochwohlgeboren finden in den beiden Originalanlagen, den Briefen des + Herrn von Schlegel, die Belege hierüber. + + Der Unterzeichnete hat nicht gesäumt, dem politischen Censor Herrn + Hofrath Brückner die gedachte Schrift zur Censur vorzulegen, welche + dieser indessen ablehnt, und ihn dieserhalb an Ew. Hochwohlgeboren + verweist. + + Der Unterzeichnete erbittet sich daher das Imprimatur von Ew. + Hochwohlgeboren oder, im Falle, daß es geweigert werden möchte, eine + schriftliche Resolution, um sich mit dieser gegen Herrn von Schlegel + (von dem in den Verhältnissen, worin er zu Sr. königl. Hoheit dem + Kronprinzen von Schweden steht, anzunehmen, daß er diese Schrift nur + mit der speciellsten Autorisation desselben zum Druck befördert) + legitimiren zu können. + + Da durch die zufällige Abwesenheit des Unterzeichneten diese + Angelegenheit schon um mehrere Tage verspätet worden, so bittet er Ew. + Hochwohlgeboren dringendst und ergebenst, ihm noch heute darüber eine + Resolution mitzutheilen. + +Die Schrift erhielt trotzdem nicht das Imprimatur der sächsischen +Behörden, und Brockhaus ließ sie deshalb in Altenburg drucken, ohne +sie dort erst nochmals dem Censor vorzulegen. Sie führt den Titel: +»_Remarques sur un article de la Gazette de Leipsic du 5 Octobre 1813_«, +und erschien gleichzeitig auch in einer deutschen Uebersetzung unter dem +erweiterten Titel: »Ueber Napoleon Buonaparte und den Kronprinzen von +Schweden, eine Parallele in Beziehung auf einen Artikel der Leipziger +Zeitung vom 5. October 1813, von August Wilhelm Schlegel.« Verlagsort +und Verleger sind auf beiden Ausgaben nicht angegeben. Eine 1814 +erschienene »zweite vermehrte Auflage« der deutschen Ausgabe enthält +einen mit B. (Brockhaus) unterzeichneten »Vorbericht des Herausgebers«, +in welchem der betreffende Artikel der »Leipziger Zeitung« mitgetheilt +und der Herzog von Bassano (Maret), Staatssecretär Napoleon's als dessen +Verfasser bezeichnet wird. + +Die beiden andern von Brockhaus noch vor dieser verlegten Schriften +Schlegel's, die in des Letztern Briefe erwähnt sind, waren gleichfalls +in französischen und deutschen Ausgaben ohne Angabe von Verlagsort und +Verleger erschienen, unter den Titeln: »_Considérations sur la politique +du gouvernement danois. Par A. W. S._«, deutsch: »Betrachtungen über +die Politik der dänischen Regierung. Von August Wilhelm Schlegel«, +und: »_Sur le système continental et sur ses rapports avec la Suède_«, +deutsch: »Ueber das Continentalsystem und den Einfluß desselben auf +Schweden von A. W. S.« + +August Wilhelm von Schlegel (geb. 1767, gest. 1845) begleitete +bekanntlich, nachdem er seit 1809 als schwedischer Legationssecretär +in Stockholm gelebt hatte, 1813 den Kronprinzen von Schweden nach +Deutschland und war als dessen Geh. Cabinetssecretär besonders mit +Abfassung von Proclamationen, Armeeberichten und politischen Broschüren, +wie den eben erwähnten, beschäftigt. + +Eine andere noch Ende 1813 bei Brockhaus erschienene Broschüre unter +dem Titel: »Aufgefangene Briefe durch die leichten Truppen der +verbündeten Heere. Französisch und Teutsch«, wurde nach Schlegel's +oben mitgetheiltem Schreiben ebenfalls von diesem zusammengestellt und +herausgegeben. Laut dem Vorwort sind es Auszüge aus mehrern tausend +in einem französischen Felleisen vorgefundenen Briefen, das am 12. +September 1813 auf der Straße von Leipzig nach Wurzen in die Hände von +Parteigängern gefallen war. + + * * * * * + +Außer diesen Schlegel'schen Broschüren verlegte Brockhaus aber, +besonders im Laufe des ersten Halbjahrs nach der Schlacht bei +Leipzig, noch eine ganze Reihe von Zeitbroschüren politischen oder +kriegsgeschichtlichen Inhalts. Bei einer Ankündigung derselben in den +»Deutschen Blättern« hob er hervor, daß ihr Erscheinen erst »seit der +an den Tagen vom 16.-19. October wiedereroberten Preßfreiheit« möglich +geworden sei. + +Am 26. März 1814 schrieb er in gleichem Sinne an seinen Freund Villers +in Göttingen: + + Man muß die vielleicht kurze Zeit unserer Preßfreiheit brav + benutzen. Späterhin könnte man uns wieder ein Schloß ans Maul hängen. + +So veranstaltete er im März 1814 einen neuen Abdruck der vielgenannten +Schrift, wegen deren Verbreitung der nürnberger Buchhändler Johann +Philipp Palm auf Napoleon's Befehl am 26. August 1806 zu Braunau +erschossen worden war, unter dem Titel: »Deutschland in seiner tiefsten +Erniedrigung. (Neuer wörtlicher Abdruck der Schrift, wegen welcher +Palm 1806 auf Befehl des Kaisers Napoleon zum Tode verurtheilt wurde.) +Mit einer Vorrede des jetzigen Herausgebers.« Als »Seitenstück« dazu +veröffentlichte er gleichzeitig: »Sündenregister der Franzosen in +Teutschland. Ein Seitenstück zu der Schrift: Teutschland in seiner +tiefen Erniedrigung«, mit dem Motto von Johannes Müller: »Gesetzmäßige +Regenten sind heilig: daß Unterdrücker nichts zu fürchten haben, ist +weder nöthig noch gut«, und mit der Bezeichnung: »Germanien, im Jahre +der Wiedergeburt«, ohne sonstige Angabe von Verlagsort, Verleger und +Jahreszahl. + +Auch zwei poetisch-patriotische Producte verlegte er: »Die Erlösung +Deutschlands im Jahre 1813. Ein National-Singspiel« (auf dem Titel +steht: »Braunschweig, 1814. Gedruckt bei Friedrich Vieweg«, doch war +die Schrift, deren Verfasser uns unbekannt, Verlag von Brockhaus), und: +»Deutschland im Schlaf (geschrieben 1809) und Deutschlands Morgentraum +und Erwachen. Zwei politische Possenspiele«, ebenfalls anonym, verfaßt +von Karl Georg Treitschke in Leipzig (geb. 1783, gest. 1855 als Geh. +Justizrath in Dresden). + + * * * * * + +Eine Anzahl anderer Broschüren ist direct gegen die Person Napoleon's +gerichtet. + +In erster Linie ist hier die schon früher erwähnte, von Villers und +Saalfeld verfaßte Schrift zu nennen, die anonym unter dem Titel: +»Hundert und etliche Fanfaronaden des Corsikanischen Abentheurers +Napoleon Buona-Parte Ex-Kaisers der Franzosen. _Cum notis variorum_«, im +Juni 1814 erschien. + +Eine zweite ähnliche Schrift, deren Verfasser uns unbekannt, heißt: +»Federstreiche oder Lebenslauf des Ex-Kaisers der Franzosen in drei +Büchern: Epigrammen«; das Schlußepigramm lautet: + + Du ließest Blut, ich Tinte fließen, + Schwarz hast Du Dich, nicht ich gemacht, + Spar' nun mein Blut und Deine Macht, + Und laß mich nicht erschießen. + +Eine dritte gegen Napoleon gerichtete Schrift erschien ebenfalls anonym +gleichzeitig französisch und deutsch unter den Titeln: »_Lettre d'un +Anglois sur Napoléon Buonaparte et le surnom le grand, qu'on lui a +donné, avec la traduction allemande_«, und: »Briefe eines Engländers +über Napoleon Bonaparte, und den Beinamen der Große, welcher ihm +beigelegt worden ist.« + +Endlich gehört hierher noch eine geistvolle Satire: »Die Oriflamme +oder der Pariser Enthusiasmus unter Napoleon dem Großen, Kaiser der +Franzosen, eine Sammlung merkwürdiger, vor der Aufführung dieser Oper in +Paris gewechselter Briefe; als ein Beytrag zu der französischen Kunst, +das Volk gegen sein eignes Herz und seinen Verstand zu bearbeiten.« Sie +trug auf dem Titel einen fingirten französischen Verlagsort: »Nancy +1814« und erschien anonym; ihr Verfasser war Philipp Joseph von Rehfues +(geb. 1779, gest. 1843), später durch seinen Roman »Scipio Cicala« +(1832) allgemeiner bekannt geworden. + + * * * * * + +Weitere Zeitbroschüren, die in diesen Jahren von Brockhaus verlegt +wurden, beschäftigen sich vorzugsweise mit der Deutschland zu gebenden +politischen Verfassung. + +Anonym erschienen zunächst zwei Schriften unter folgenden Titeln: +»Erinnerung an die Vorzüge und Gebrechen der ehemaligen Verfassung des +deutschen Reichs« (1813), und: »Der deutsche Bund wider das deutsche +Reich« (1815). Ueber den Verfasser der erstern bemerkt Brockhaus in +einer Ankündigung, es sei »einer unserer vorzüglichsten Publicisten«. +Die zweite Schrift, mit einem allegorischen Titelkupfer, das zwei Felder +mit den Unterschriften »Deutscher Bund« und »Deutsches Reich« zeigt, +befürwortet die Wiedererrichtung des alten Kaiserthums und eifert +gegen den eben damals gestifteten Deutschen Bund als einen bloßen +Staatenbund. In ihr kommt unter anderm folgende durch die Zukunft +gerechtfertigte Stelle vor: + + Was ihr hoffen könnt, ist Krieg, weil von nun an der Streit über + die Oberherrschaft in Deutschland beginnen kann und wird und muß .... + Unsere Enkel werden das, was hier unbeachtet bleibt, empfinden. + +Eine Aufforderung an Preußen, sich an die Spitze Deutschlands zu +stellen, enthält die umfänglichere Schrift: »Preußen über Alles, wenn es +will. Von einem Preußen« (Germanien 1817), verfaßt von Samuel Gottfried +Reiche (geb. 1765, gest. 1849 als Rector des breslauer Gymnasiums), aber +anonym erschienen. + +Auch patriotische Ansprachen, besonders an die Jugend gerichtet, finden +sich unter diesen Schriften, so: »Vier Reden über Vaterland, Freiheit, +deutsche Bildung und das Kreuz. An die deutsche Jugend gesprochen von +Karl Baumgarten-Crusius. Eine Weihnachtsgabe« (1814). Die vierte Rede +war zuerst in den »Deutschen Blättern« abgedruckt worden und hatte +großen Beifall gefunden. Der Verfasser ist der bekannte Philolog (geb. +1786, gest. 1845 als Rector der Landesschule zu Meißen). + +Aehnlichen Charakter hat die anonyme Schrift: »Auch ein Wort über unsere +Zeit. 1) Von der unterscheidenden Eigenthümlichkeit derselben. 2) Was +sie von den in ihr Lebenden fodere. 3) Was sie ihnen gewähre« (1815). + +Eine kleine Schrift: »Ueber Landsturm und Landwehr. In Beziehung auf +die Länder zwischen der Elbe und dem Rhein« (1813), empfiehlt diese +preußische Einrichtung auch dem übrigen Deutschland. + +Folgende drei Broschüren enthalten wiederum ärztliche Rathschläge +in Bezug auf den Krieg: »Die Kriegspest oder das ansteckende +Hospital-Fieber. Eine Volksschrift zur Warnung und Belehrung von einem +sächsischen Arzte«; »Ueber die jetzt herrschenden Lazarethfieber, ihre +Ursachen, Kennzeichen und Verwahrungsmittel. Von einem praktischen +Arzte« (beide 1813 erschienen); endlich eine von _Dr._ Heinrich +Messerschmidt, Stadtphysikus zu Naumburg an der Saale (geb. 1776, +gest. 1842), verfaßte treffliche Schrift: »Hand- und Lehrbüchlein für +Deutschlands Krieger und diejenigen im Volke, welche zu diesem hohen +Stande berufen sind. Daraus zu lernen, recht brave, tüchtige Soldaten zu +werden und sich als solche in der Zeit der Noth selbst rathen und helfen +zu können« (1815). + +Zwei Broschüren richten sich gegen die berüchtigte Schrift des +bekannten Staatsrechtslehrers Professor Theodor Anton Heinrich Schmalz: +»Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen Chronik von +1805« (Berlin 1815), in welcher dieser zuerst das Mistrauen der +deutschen Regierungen gegen den Geist der Zeit, namentlich gegen +politische Vereine wachrief und so die Reactionszeit inaugurirte. Die +beiden anonymen Broschüren heißen: »Gegen den Geheimen Rath Schmalz +zu Berlin wegen seiner jüngst herausgegebenen Worte über politische +Vereine«, und: »Die neuen Obscuranten im Jahre 1815. Dem Herrn Geheimen +Rath Schmalz in Berlin und dessen Genossen gewidmet«. Es sind, wie +auch auf den Titeln bemerkt, Separatausgaben zweier Aufsätze aus den +»Deutschen Blättern«. Dieses Blatt hatte sich das Verdienst erworben, +gegen die Denunciationen von Schmalz zuerst energisch aufzutreten. + +Im Jahre 1817 verlegte Brockhaus noch zwei Zeitbroschüren verschiedenen +Inhalts von zwei namhaften, auf denselben aber nicht genannten +Schriftstellern: »Ueber den jetzt herrschenden Geist der Unzufriedenheit +und Unruhe unter den Völkern Europas. Ein Versuch zur Beschwichtigung +dieses Geistes«, von Hofrath Karl Ludwig Methusalem Müller in Leipzig +(geb. 1771, gest. 1837, in den Jahren 1817-1831 Redacteur der »Zeitung +für die elegante Welt«), und: »Mahnung der Zeit an die protestantische +Kirche bei der Wiederkehr ihres Jubelfestes. Nebst einer Nachschrift an +die katholische Kirche und deren Oberhaupt. Für Kleriker und Laien von +einem Laien«, von dem bekannten Philosophen Professor Wilhelm Traugott +Krug in Leipzig (geb. 1770, gest. 1842), mit dem Brockhaus später in +nähere Verbindung trat. + + * * * * * + +Wir kommen nun zu den von Brockhaus in diesen Jahren verlegten kleinern +und größern Schriften, welche speciell die Zeitgeschichte betreffen, +und finden da zunächst eine Anzahl Broschüren kriegsgeschichtlichen +Inhalts, welche meist noch die kriegerischen Ereignisse vor der Schlacht +bei Leipzig behandeln, während die spätern in größern Werken geschildert +sind. + +An der Spitze der kriegsgeschichtlichen Broschüren steht: »Die +preußisch-russische Campagne im Jahre 1813; von der Eröffnung bis zum +Waffenstillstande vom 5. Juni 1813; mit dem Plan der Schlacht von +Groß-Görschen, der Schlacht von Bautzen und dem Gefecht von Haynau. Von +C. v. W.« Auf dem Titel heißt es: »Breslau, in Commission bei Christ. +Gottlob Kayser«, ohne Jahreszahl; die Schrift war aber Verlag von +Brockhaus und erschien im Sommer 1813. Verfaßt wurde sie auf speciellen +Befehl des Königs von Preußen von dem damaligen Oberst, spätern +General-Feldmarschall Freiherrn von Müffling (geb. 1775, gest. 1851), +dessen kriegsgeschichtliche Werke stets nur die Chiffre C. v. W. tragen. + +Ein Seitenstück dazu bildet: »Der Feldzug von 1813 bis zum +Waffenstillstand« (ohne Angabe von Verleger und Verlagsort, mit der +Jahreszahl 1813). Als Verfasser nennt Brockhaus in den »Deutschen +Blättern« den General von Gneisenau, Chef des preußischen Generalstabes, +weil ihm das Manuscript wahrscheinlich von diesem zugesandt worden +war; die Schrift ist aber auf Gneisenau's Wunsch von dessen Stabschef +General Karl von Clausewitz (geb. 1780, gest. 1831) geschrieben und auch +in dessen »Hinterlassenen Werken über Krieg und Kriegführung« wieder +abgedruckt. + +Gleichzeitig (im October 1813) ließ der bekannte General und +Militärschriftsteller Baron Henri Jomini (geb. 1779, gest. 1861) bei +Brockhaus eine kleine Broschüre französisch und deutsch unter folgenden +Titeln erscheinen: »_Extrait d'une brochure intitulée: Mémoires sur +la campagne de 1813, par le général Jomini_«, und: »Auszug aus den +Memoiren über den Feldzug von 1813 vom General Jomini.« Er rechtfertigt +sich darin wegen seines 1813 nach der Schlacht bei Bautzen erfolgten +Uebertritts aus französischen in russische Dienste. + +Noch vor der Schlacht bei Leipzig geschrieben, aber erst nach derselben +veröffentlicht wurde eine Broschüre von Ludwig Lüders (Verfasser der +früher erwähnten Schrift: »Das Continental-System«): »Welthistorische +Ansicht vom Zustande Europa's am Vorabend der Schlacht bei Leipzig +im Jahre 1813. Mit einem Plane der Schlacht bei Lützen« (1814). Sie +schildert die am 1. und 2. Mai 1813 geschlagene Schlacht bei Lützen, +gewöhnlich richtiger die Schlacht bei Großgörschen genannt, in der +Napoleon über die vereinigte russisch-preußische Armee siegte, wodurch +Sachsen bis zur Elbe wieder in seine Hände fiel. Die Schrift hat, +als von einem in der Nähe (in Altenburg) befindlichen gewissenhaften +Beobachter herrührend, geschichtlichen Werth. + +Wir schalten hier als Episode eine an diese Schlacht anknüpfende und für +Brockhaus' Charakterisirung nicht unwichtige Mittheilung ein, die vor +Jahren von dem inzwischen (1863) verstorbenen Geschichtschreiber und +Publicisten Johann Wilhelm Zinkeisen niedergeschrieben wurde, dessen +Vater Geh. Kammerrath in Altenburg war und zu Brockhaus' nähern Freunden +gehörte: + + Ich war damals ein Knabe von 11-12 Jahren, und erinnere mich sehr + wohl, wie der wohlbeleibte aber äußerst lebendige und bewegliche, so + freundliche Herr Brockhaus, den wir Kinder alle so gern hatten, wenn + irgendeine wichtige Nachricht eingetroffen war (denn er war immer am + ersten und besten unterrichtet), oft schon in frühester Morgenstunde + außer Athem zum Vater kam, um ihm dieselbe zu hinterbringen. Da + wurde dann mit großem Feuer, aber auch mitunter nicht ohne manchen + schweren Seufzer, darüber hin- und hergestritten, wie die Dinge nun + weiter laufen würden, was man zu thun habe, was am Ende aus der Welt + werden solle, wie lange es der Napoleon noch treiben werde u. s. w. + Brockhaus sprach immer wie ein Begeisterter, und schien manchmal außer + sich zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und herzuschwanken. Mein + Vater, überhaupt eine ernste Natur und in schon vorgerücktem Alter, + suchte dagegen zu beschwichtigen und rieth zu ruhiger Ausdauer. + Mir sind dergleichen Eindrücke aus dieser schweren Zeit, die auf + jugendliche Gemüther auch tiefer einwirkte, so unvergeßlich geblieben, + als ob ich sie erst gestern empfangen hätte. Es ist mir immer noch, + als ob ich Brockhaus eben erst zur Thür hinausgehen sähe, wenn er uns + beim Weggehen etwa so zurief: »Guten Morgen, Jungens, haltet euch + wacker, sonst wird's schlimm, wenn Napoleon kömmt!« Da lachten wir + dann in unserer Einfalt recht herzlich über den guten Herrn, obgleich + es gewiß weder ihm noch dem Vater zum Lachen war. + + Am tiefsten ist mir der Tag der Schlacht bei Lützen aus dieser + Zeit in Seele und Gedächtniß eingegraben geblieben. Alles war an + dem schönen Maitage vom frühesten Morgen in der größten Bewegung + und Spannung. Die widersprechendsten Gerüchte durchkreuzten sich. + Brockhaus war am Vormittage mehrere male beim Vater und blieb dann bei + uns zu Tische. Der Oberst von dem damals in Altenburg liegenden Corps + des Generals Miloradowitsch, welcher bei meinen Aeltern mit seinen + Adjutanten Quartier hatte, machte ein sehr bedenkliches Gesicht. Man + sprach schon davon, daß es gut sein würde, wenigstens die Familie wo + anderwärts hin in Sicherheit zu bringen. Während des Essens brachte + eine Ordonnanz die Nachricht, man höre vor der Stadt ganz deutlich den + Kanonendonner, welcher aus der Gegend zwischen Leipzig und Lützen zu + kommen scheine; es sei als ob er immer näher rücke; die Preußen seien + geschlagen u. s. w. Brockhaus wurde nun sehr unruhig, sprang plötzlich + vom Tische auf und rief: »Wir müssen raus; kommt, Kinder, mit hinter + den Pohlhof, da wird man's am besten hören!« Mit diesen Worten nahm er + mich ohne weiteres bei der Hand, und forderte die ganze Gesellschaft + auf, ihm zu folgen, was sie auch that. Auf den weiten Pohlhofsfeldern + nach Leipzig zu hatte damals das obengenannte Corps in unabsehbaren + Reihen von Strohhütten sein Lager aufgeschlagen. Hinter demselben + suchte Brockhaus einen etwas höher liegenden Punkt aus, warf sich + dort zur Erde, und sagte bei jedem Kanonenschuß, den er mittels der + Fortpflanzung des Schalles durch den Erdboden vernahm: »Sehr deutlich! + sehr deutlich!« Mir klingen die Worte noch in den Ohren. Ich wollte + Ihnen den trefflichen Mann dabei malen. Wir Kinder hatten natürlich + nichts Eiligeres zu thun als dem Beispiele desselben zu folgen, + und vernahmen nun mit Jubel auch ganz deutlich den Kanonendonner, + während mein Vater mit sehr bedenklicher Miene daneben stand und, die + Taschenuhr in der Hand, die dumpfen Kanonenschläge nach der Minute + zählte. Je vernehmlicher sie aber wurden, desto ernster schien ihm die + Lage zu werden. Nach einer Stunde etwa eilte man in die Stadt zurück. + Brockhaus brachte am Nachmittage wieder verschiedene unbestimmte und + beängstigende Nachrichten. Er war auch noch am Abend wieder bei uns, + wo Alles, wie es damals Brauch war, um den großen runden Tisch saß + und Charpie zupfte. Da ertönt plötzlich Alarm durch die Straßen, und + zu gleicher Zeit sieht man vor der Stadt eine ungeheuere Feuersäule + aufsteigen. Miloradowitsch hatte Befehl erhalten, noch in der Nacht + nach Lützen hin aufzubrechen, und vorher sein ganzes Lager in Brand + gesteckt. Brockhaus eilte fort, um nähere Nachrichten einzuziehen. Das + Uebrige ist bekannt. + +An die Schlacht bei Lützen sowie an die leipziger Schlacht knüpft +auch eine kleine Schrift des Geschichtschreibers Karl Curths (geb. +1764, gest. 1816) an und stellt beide Schlachten mit zwei an denselben +Orten geschlagenen zusammen. Sie führt den Titel: »Die Schlacht bei +Breitenfeld unweit Leipzig am 7. September 1631 und die Schlacht bei +Lützen am 7. November 1632. Zwei Scenen des Dreißigjährigen Kriegs und +Gegenstücke zu den Schlachten bei Lützen am 2. Mai 1813 und bei Leipzig +am 16., 18. und 19. October 1813« (1814). Von demselben Verfasser +verlegte Brockhaus gleichzeitig eine geschichtliche Monographie: +»Die Bartholomäusnacht 1572.« Curths hat sich besonders durch seine +Fortsetzung von Schiller's »Geschichte des Abfalls der vereinigten +Niederlande« bekannt gemacht. + +Ueber die Schlacht bei Leipzig erschienen in Brockhaus' Verlage neben +den in den »Deutschen Blättern« enthaltenen ausführlichen Schilderungen +keine besondern Werke. + + * * * * * + +Außer diesen kriegsgeschichtlichen verlegte er noch einige andere +zeitgeschichtliche Broschüren, zunächst (1814) eine solche von dem +Marquis de la Maisonfort (geb. 1763, gest. 1827), einem Anhänger der +Bourbonen, der 1814 mit Ludwig XVIII. nach Paris zurückkehrte, unter dem +Titel: »_Tableau politique de l'Europe, depuis la bataille de Leipzic, +gagnée le 18 octobre 1813. Écrit à Londres le 4 décembre 1813_«; +dieselbe erschien auch in deutscher Uebersetzung: »Politisches Gemälde +von Europa nach der Schlacht bei Leipzig den 18. October 1813. London +den 4. December 1813. Mit Anmerkungen und einer Frage: Was hofft Europa +seit dem 3. April 1814.« + +Daneben veröffentlichte er die Broschüre: »Der Minister Graf von +Montgelas unter der Regierung König Maximilian's von Baiern« (1814), +worin dieser bairische Minister gegen eine vom Grafen Reisach +geschriebene Schrift vertheidigt wird. Brockhaus war mit dem Minister +Montgelas auf einer im Sommer 1814 nach Stuttgart und München +unternommenen Reise bekannt geworden, und dies war wol die Veranlassung +zu dem Verlage dieser Broschüre. + +Eine andere kleine Schrift: »Die Moskauer Kanonen-Säule oder der +Sieges-Obelisk. Nebst einer Abbildung« (1814), ist von Karl August +Böttiger in Dresden verfaßt; sie ist die einzige selbständige Schrift, +die Brockhaus von diesem Schriftsteller verlegte (freilich ist auch sie +nur ein Separatabdruck aus den »Deutschen Blättern«), während dieser mit +ihm fortwährend in dem lebhaftesten Briefwechsel stand und an fast allen +seinen Journalen und encyklopädischen Werken mitarbeitete. + + * * * * * + +Von hervorragendem Interesse endlich sind zwei Broschüren, die im +Jahre 1816 in Brockhaus' Verlage erschienen und den berüchtigten +Polizeiminister Napoleon's, Fouché, Herzog von Otranto, zum Verfasser +hatten. + +Joseph Fouché, 1763 zu Nantes geboren, erst Lehrer, dann Advocat, +war während der Französischen Revolution bekanntlich ein eifriger +Anhänger Danton's gewesen und hatte sich an den Greueln in Lyon lebhaft +betheiligt. Er erhielt 1799 die Direction der Polizei in Paris und wurde +von Napoleon nach dem österreichischen Kriege zum Herzog von Otranto +ernannt. Nach 1810 in Ungnade gefallen, wurde er 1813 Generalgouverneur +von Illyrien, 1815 während der Hundert Tage nochmals Polizeiminister, +stellte sich nach Napoleon's Niederlage bei Waterloo an die Spitze +der provisorischen Regierung und wurde dann von Ludwig XVIII. als +Gesandter nach Dresden geschickt. Während dieses dresdener Aufenthalts +schrieb er die beiden von Brockhaus verlegten Schriften. Bald darauf +mußte er, durch das Verbannungsdecret vom 12. Januar 1816 gegen die +sogenannten Königsmörder mit getroffen, seine Stellung und überhaupt den +Staatsdienst verlassen und zog sich erst nach Prag, dann nach Linz und +endlich nach Triest zurück, wo er 1820 starb. + +In jenen beiden Schriften versuchte er vergeblich, sich zu rechtfertigen +und vor dem Verluste seiner Stellung zu schützen. + +Die erste ist in die Form eines Briefs an den Herzog von Wellington, +der zu seinen Gönnern gehörte, gekleidet und führt den Titel: +»_Correspondance du duc d'Otrante avec le duc de *** Première lettre. +Dresde, le premier Janvier, 1816._« Sie enthält außer dem 48 Seiten +umfassenden Briefe an den Herzog von Wellington (dessen Name aber nicht +genannt ist) ein von Brockhaus unterzeichnetes 4 Seiten langes Vorwort, +überschrieben »_L'éditeur au public_« und Altenburg, 15. August 1816 +datirt. Brockhaus warnt darin vor einem soeben angeblich in London +gedruckten unberechtigten und verstümmelten Abdrucke des Briefes, +kündigt einen zweiten und dritten Brief an, die indeß nie erschienen, +und veröffentlicht zugleich den Privatbrief Fouché's an Wellington, +welcher die Veranlassung zu der Schrift erklärt. + +Die zweite Schrift wurde gleichzeitig französisch und deutsch +herausgegeben unter den Titeln: »_Notice sur le duc d'Otrante_« und: +»Aus dem Leben Joseph Fouché's, Herzogs von Otranto. Nach authentischen +Quellen und mit wichtigen Actenstücken für die neueste Zeitgeschichte. +Anhang: Brief Fouché's an Wellington, Dresden, 1. Januar 1816.« + +Brockhaus hatte beide Schriften durch Vermittelung seines Freundes +Böttiger erhalten und verkehrte darüber brieflich und mündlich mit +Fouché's Secretär, Demarteau in Dresden. Er bewog einen londoner +Verleger (Colburn) und einen amsterdamer (Sülpke), ihre Firmen neben +der seinigen auf den Titel setzen zu lassen, und hegte überhaupt +große Erwartungen von dem buchhändlerischen Erfolge dieser Schriften. +Wenn er auch für ihren Inhalt und Verfasser in keiner Weise eintrat, +hob er doch deren unzweifelhafte Wichtigkeit für die Zeitgeschichte +hervor. Indeß entsprach der Absatz keineswegs seinen Hoffnungen und der +aufgewendeten Mühe, besonders wol, weil jener unberechtigte Abdruck +des Briefes vorher erschienen war und das verdiente Schicksal Fouché's +keine große Theilnahme erregte. An diesen Umständen und an Fouché's +Sturze scheiterten auch die von Brockhaus mit Demarteau angeknüpften +Unterhandlungen über den Verlag von Fouché's Memoiren, für die er +bei einem Umfange von ungefähr 120 Druckbogen 12000 Francs geboten +hatte. Sie wurden erst nach Fouché's Tode in Paris unter dem Titel: +»_Mémoires de Fouché_« (2 Bände, 1824), veröffentlicht und rühren auch +wahrscheinlich von ihm her, obwol sie von seinen Erben als unecht +angegriffen wurden. + + * * * * * + +Neben diesen die verschiedensten Gebiete berührenden Zeitbroschüren +verlegte Brockhaus auch während der altenburger Periode eine Reihe der +eigentlichen Geschichte gewidmeter Werke, zum Theil größern Umfangs und +der Mehrzahl nach ebenfalls die nächste Vergangenheit behandelnd. + + * * * * * + +Die beiden wichtigsten Werke dieser Gattung rühren von einem +Schriftsteller her, der uns schon als fleißiger Mitarbeiter an den +»Deutschen Blättern« und als Mitverfasser einer gegen Napoleon +gerichteten Broschüre, der mit seinem Freunde Villers zusammen +herausgegebenen »Fanfaronaden«, begegnet ist: Friedrich Jakob Christoph +Saalfeld (geb. 1785, gest. 1834), Professor der Geschichte an der +Universität Göttingen und freisinniges Mitglied der hannoverschen +Ständeversammlung. + +Das erste Werk ist eine »Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit, +seit dem Anfange der Französischen Revolution«; es begann 1815, die +Vollendung erfolgte aber erst 1823 (in 4 Bänden zu je 2 Abtheilungen, +also zusammen 8 Theile umfassend); den Endpunkt bildet der Aachener +Congreß von 1818. + +Das zweite ist eine »Geschichte Napoleon Buonaparte's«, deren erste +Auflage (1815 in einem Bande) bis zur Ankunft auf Elba reicht, während +die zweite umgearbeitete Auflage (1816 und 1817 in zwei Theilen) +die Geschichte Napoleon's bis zu seiner Abführung nach Sanct-Helena +fortsetzt. + +Beide Werke erregten Aufsehen und fanden lebhaften Beifall, da sie +von deutsch-patriotischem Standpunkte und mit voller Benutzung der +wiedergewonnenen Preßfreiheit geschrieben waren; doch hatte eben +deswegen besonders die Geschichte Napoleon's auch harte Angriffe zu +bestehen. + + * * * * * + +Ein drittes größeres Werk über die Zeitgeschichte ist: »Rußlands +und Deutschlands Befreiungskriege von der Franzosen-Herrschaft über +Napoleon Buonaparte in den Jahren 1812-1815« (4 Theile mit zahlreichen +Kupfern und Karten, 1816-1819), verfaßt von _Dr._ Karl Heinrich Georg +Venturini (geb. 1768, gest. 1849), der lange Jahre (1807-1844) als +Pastor zu Hordorf im Braunschweigischen wirkte und sich hauptsächlich +durch seine »Natürliche Geschichte des großen Propheten von Nazareth« +(4 Theile, Bethlehem, d. i. Jena, 1806) bekannt gemacht hat, durch das +hier vorgeführte Werk und die Fortsetzung der von Bredow begonnenen +»Chronik des neunzehnten Jahrhunderts« (34 Bände, Altona und Leipzig +1808-1837) sich aber auch als Geschichtschreiber einen geachteten Namen +erwarb. Nicht zu verwechseln mit ihm ist sein als Militärschriftsteller +und Strateget bekannter jüngerer Bruder Johann Georg Julius Venturini, +braunschweigischer Offizier (geb. 1772, gest. 1802). + +Der erste Theil dieser Schilderung der Befreiungskriege behandelt den +Krieg in Rußland 1812, der zweite den in Deutschland 1813, der dritte +den Krieg in Frankreich und Italien 1814, der vierte den »Krieg im +Niederlande, Frankreich und Italien«. + + * * * * * + +Speciell den Krieg in Rußland betrifft das Werk: »_A narrative of the +campaign in Russia in 1812_« von dem als Hofmaler des Kaisers Alexander +in Petersburg lebenden Engländer Robert Ker Porter (geb. 1774, gest. +1842), welches in einer Uebersetzung unter dem Titel: »Der russische +Feldzug im Jahre 1812« von _Dr._ Paul Ludolf Kritz (geb. 1788, gest. +1869 als Oberappellationsrath in Dresden) 1815 bei Brockhaus erschien. + + * * * * * + +Zu dem geschichtlichen Verlage gehört endlich noch eine +kriegsgeschichtliche Zeitschrift, die Brockhaus in Verbindung mit dem +sächsischen Oberlandfeldmesser und frühern Offizier Wilhelm Ernst August +von Schlieben, von dem er gleichzeitig das früher erwähnte Werk: »Die +Elemente der reinen Mathematik« verlegte, im Jahre 1817 begann. + +Bei seiner Vorliebe für journalistisch-encyklopädische Unternehmungen +suchte er in dieser Zeitschrift einen Mittelpunkt für die betreffende +Literatur zu schaffen. Er veröffentlichte den wohldurchdachten, von +genauer Kenntniß der Verhältnisse zeugenden Plan in einer »im April +1816« datirten, von ihm unterzeichneten Ankündigung in den »Deutschen +Blättern«, die mit der Bemerkung: »Auch als Vorrede zum ersten Bande zu +betrachten«, vor diesem wieder abgedruckt ist. Sie lautet: + + Die Kriegskunst hat einen so wesentlichen Antheil an der + gegenwärtigen Entwickelung des Staatenschicksals von Europa gehabt, + daß es für den Geschichtsfreund überhaupt, wie für den Kriegskundigen + insbesondere, ein wissenschaftliches Bedürfniß geworden ist, einzelne, + für größere Werke oft gar nicht geeignete und dennoch für die Theorie + sowol als für die Praxis, oder für die allgemeine Geschichte wichtige + Beobachtungen und Erfahrungen, überhaupt Alles, was die Geschichte + der Kriegskunst in dem 19. Jahrhunderte betrifft und neu ist, von + Augenzeugen zu sammeln, und die Ansichten sachkundiger Männer von + denkwürdigen Kriegsereignissen in einem diesem Zwecke ausschließend + gewidmeten Archive zu vereinigen. + + Die schätzbarsten Beiträge zu von Bülow's, von Scharnhorst's + und Anderer Schriften liegen in den Tagebüchern verdienter + Offiziere verborgen, welche in einer Zeitschrift, wie von + Rouvroy's »Militärische Minerva« oder von Rühl's »Pallas« oder die + »Oesterreichische militärische Zeitschrift« und ähnliche Archive + der Kriegsgeschichte waren, einen Ehrenplatz einnehmen würden. + Sollen diese handschriftlichen Bemerkungen und Nachrichten für die + Wissenschaft verloren gehen und vergessen werden, oder soll man + warten, bis sie spät, nach dem Tode der Augenzeugen, in zerstreuten + Denkwürdigkeiten erscheinen, wo sie der öffentlichen Prüfung und + Vergleichung mit andern Thatsachen weniger unterliegen? + + Jetzt, da die Waffen ruhen und die mit Lorbern umwundenen + Feldtagebücher geordnet werden, jetzt ist die Erinnerung an Alles, was + geschehen, ebenso lebendig und frisch, als das Bedürfniß des Forschens + und Wissens lebhaft. Sollten daher unsere tapfern Zeitgenossen nicht + unter sich austauschen und gegenseitig kriegskundig prüfen wollen, was + sie beobachtet, gethan und erfahren, was sie Schätzbares für Kunst + und Wissenschaft selbst eingesammelt haben? Die Kriege seit 1792 + bieten für die Geschichte der Kriegskunst so reiche Ausbeute dar, + daß es einer kriegsgeschichtlichen Zeitschrift in einer zwanglosen + Folge von Bänden, wie die unsrige sein soll, nicht an neuem Stoffe + von wissenschaftlichem Werthe fehlen wird, wenn die einsichtsvollen + Kriegsmänner aus allen Heeren, welche seit 1792 in den meisten Ländern + Europas fast nach denselben Grundsätzen kriegskünstlerischer Bildung + gefochten haben, sich für unsern Zweck mit uns vereinigen wollen. + + Wir laden sie, als die vollgültigsten Zeugen der ewig denkwürdigen + Geschichte unserer Zeit, hierzu mit dem Vertrauen ein, das uns unsere + Ueberzeugung von dem geistigen Zusammenhange und dem Gemeingeiste, + der jetzt alle Gebildete zu wissenschaftlicher Thätigkeit hinführt, + nicht ohne Ursache einflößt. Denn schon erfreuen wir uns der Zusage + mehrerer würdigen Männer, und wir können dem Publikum versprechen, daß + es in unsern kriegsgeschichtlichen Monographien nur Erzählungen und + Charakteristiken von bedeutenden oder minder bekannten denkwürdigen + Kriegsbegebenheiten, vorzüglich aus der neuesten Zeit, von + Augenzeugen und Theilnehmern kriegskundig abgefaßt, oder aus weniger + zugänglichen Quellen mit Kritik ausgewählt, und durch Karten und + Plane, wo es die Wissenschaft erfordert, erläutert, ohne Beimischung + von Politik noch fremdartigen Dingen finden wird. + + Jeder Band von 24-30 Bogen soll sechs und mehr Erzählungen oder + Darstellungen dieser Art enthalten. Der erste wird zur Ostermesse des + nächsten Jahres erscheinen, und die Fortsetzung unsers Unternehmens + kann, wie wir nach den getroffenen Maßregeln hoffen dürfen, nur an + Neuheit und Interesse gewinnen. + + Alle Beiträge, zu denen dringend eingeladen wird und die auf + Verlangen angemessen honorirt werden, sind an unterzeichneten Verleger + zu senden. + +Die Zeitschrift führte den Titel: »Kriegsgeschichtliche und +kriegswissenschaftliche Monographien aus der neuern Zeit seit dem +Jahre 1792«, und trat zur Ostermesse 1817 mit dem ersten Bande ins +Leben, worauf 1818 und 1819 ein zweiter und dritter Band folgten. +Mit dem dritten Bande hörte sie auf und war so kaum über die ersten +Anfänge hinausgekommen, wol theils durch die Schuld des Herausgebers +von Schlieben (der übrigens auf dem Werke nicht genannt ist), theils +wegen Mangels an geeigneten Beiträgen. Brockhaus schrieb darüber an den +Herausgeber: + + Die Bücher haben wie die Menschen ihren Glücks- und Unglücksstern, + und alles Verdienst reicht da nicht aus. Aber es wäre im Kampf der + Bücher mit der Welt nicht weise, auf einer Idee zu beharren, wenn + das Publikum, für das man einmal schreibt und setzt und druckt, ein + Anathema ausspricht. + +Ein werthvoller monographischer Beitrag zur Geschichte der Jahre 1813 +und 1814 sind die »Briefe über Hamburgs und seiner Umgebungen Schicksale +während der Jahre 1813 und 1814. Geschrieben von einem Augenzeugen im +Sommer und Herbst 1814«, wovon 1815 zwei Hefte erschienen, denen 1816 +noch ein drittes folgte. Der auf dem Titel nicht genannte »Augenzeuge« +war der Prediger Friedrich Gottlieb Crome (gest. 1850). + +Ferner verlegte Brockhaus auch (1817) eine Biographie Wellington's unter +dem Titel: »Arthur, Herzog von Wellington. Sein Leben als Feldherr und +Staatsmann. Nach englischen Quellen, vorzüglich nach Elliot und Clarke, +bearbeitet und bis zum September 1816 fortgesetzt«; die Uebersetzung +war von Adolf Wagner angefertigt und dann von Professor Hasse revidirt +worden. + + * * * * * + +Betreffen die bisjetzt vorgeführten Werke theils die allgemeine +Zeitgeschichte und ihre Hauptpersonen, theils Ereignisse in Preußen +und Norddeutschland, so verlegte Brockhaus in der letzten Zeit seines +altenburger Aufenthalts auch zwei Geschichtswerke, die sich speciell mit +der Erhebung Oesterreichs gegen Frankreich im Jahre 1809 beschäftigen +und noch heute als die wichtigsten Quellen für die Geschichte dieses +Kampfes gelten, da sie von dem Haupturheber und eifrigsten Förderer +derselben, Joseph Freiherrn von Hormayr, selbst herrühren: seine +berühmten Werke über Andreas Hofer und über den Tirolerkrieg. + +Hormayr war 1781 zu Innsbruck geboren, wurde 1803 Director des +Staatsarchivs in Wien und trat bald in nähere Beziehungen zu dem +Erzherzog Johann. Dieser war 1800 im Alter von 18 Jahren an die Spitze +des österreichischen Heeres gestellt worden und hatte seit dem Verluste +Tirols, das bekanntlich 1805 in dem Preßburger Frieden von Oesterreich +an Baiern abgetreten werden mußte, Alles darangesetzt, dieses Land für +Oesterreich zurückzugewinnen. Hormayr wurde von dem Erzherzog mit den +Vorbereitungen zu einem Aufstande Tirols beauftragt und wußte auch +die Insurgirung des Landes trefflich zu bewerkstelligen. Während der +Erzherzog das Heer von Innerösterreich befehligte, übernahm Hormayr die +Verwaltung des Landes. Als aber Tirol von den Oesterreichern wieder +geräumt werden mußte (erst 1814 kam es bleibend in Oesterreichs Besitz), +kehrte Hormayr nach Wien zurück und wurde 1816 zum Historiographen des +Reichs ernannt. Hier schrieb er jene beiden Werke. Später, nachdem +sein fürstlicher Gönner in Ungnade gefallen war, trat er in den +bairischen Staatsdienst über, wurde 1828 im Ministerium des Aeußern +in München angestellt, war dann bairischer Ministerresident, erst in +Hannover, zuletzt bei den Hansestädten, und wurde endlich Director des +Reichsarchivs in München, wo er am 5. November 1848 starb, nachdem er +noch die Wahl seines fürstlichen Gönners zum Deutschen Reichsverweser +erlebt hatte. + +Das erste Werk (Ende 1816 mit der Jahreszahl 1817 erschienen) führt +den Titel: »Geschichte Andreas Hofer's, Sandwirths aus Passeyr, +Oberanführers der Tyroler im Kriege von 1809. Durchgehends aus +Original-Quellen, aus den militärischen Operations-Planen, sowie aus +den Papieren Hofer's, des Freyh. von Hormayr, Speckbacher's, Wörndle's, +Eisenstecken's, der Gebrüder Thalguter, des Kapuziners Joachim Haspinger +und vieler Anderer«; die zweite Auflage (1845 erschienen) führt +neben und vor jenem frühern noch den Titel: »Das Land Tyrol und der +Tyrolerkrieg von 1809.« + +Das zweite Werk (1817 erschienen) heißt: »Das Heer von Inneröstreich +unter den Befehlen des Erzherzogs Johann im Kriege von 1809 in +Italien, Tyrol und Ungarn. Von einem Stabsoffizier des k. k. +Generalquartiermeister-Stabes eben dieser Armee; durchgehends aus den +officiellen Quellen, aus den erlassenen Befehlen, Operationsjournalen +u. s. w.«; eine zweite »durchaus umgearbeitete und sehr vermehrte« +Auflage erschien 1848, kurz vor des Verfassers Tode. + +Auf keinem der beiden Werke war Hormayr als Verfasser genannt, +auf dem zweiten vielmehr »ein Stabsoffizier des k. k. +Generalquartiermeister-Stabes« der betreffenden Armee als solcher +bezeichnet, beiden aber ein officieller Charakter beigelegt. + +Letzterer Umstand berührte in den Hofkreisen Wiens sehr unangenehm; +man war daselbst überhaupt mit diesen Veröffentlichungen ebenso wenig +einverstanden als mit dem Verhalten des Erzherzogs Johann in dem tiroler +Kriege. Ueber den Verfasser wurden die strengsten Untersuchungen +angestellt und zuerst die Biographie Hofer's, dann auch die Geschichte +des Feldzugs in Wien verboten. + +Aus der Correspondenz zwischen Hormayr und Brockhaus geht übrigens +als zweifellos hervor, daß der eigentliche Verfasser oder wenigstens +Veranlasser beider Werke gar nicht Hormayr war, sondern Niemand anders +als der Erzherzog Johann selbst. + +Die Correspondenz wurde mit äußerster Vorsicht geführt, die Briefe +wurden von Hormayr meist ohne Unterschrift gelassen, oft in dritter +Person geschrieben, an fremde Adressen gerichtet, Duplicate abgesandt +u. s. w. Hormayr, der mit Brockhaus auch sonst in literarischen +Beziehungen stand und von ihm besonders um Schritte gegen einen +Nachdruck des »Conversations-Lexikon« ersucht worden war, vertraute +unbedingt auf dessen Discretion, mahnte indeß in ihrem beiderseitigen +Interesse zur äußersten Vorsicht. + +Am 26. April 1817 schrieb er aus Wien an Brockhaus: + + .... Das Verbot gegen »Hofer« ist in ein paar Monaten ohnedies + zurückgenommen. Man schämt sich dessen bereits. + + Tolleres und Unsinnigeres könnte aber nichts geschehen, + nichts könnte meine äußerst glücklichen Negociationen für das + »Conversations-Lexikon« und gegen dessen Nachdruck in Oesterreich + zerstörender und unheilbarer durchkreuzen, als wenn der übrigens + genialische Oken in seiner göttlichen und unübertrefflichen Grobheit + in der ohnehin äußerst verhaßten »Isis« etwas Anzügliches über das + Verbot »Hofer's« sagte und es dadurch erst recht bestärkte und + verewigte, zugleich aber auch Ihnen und Ihren Artikeln insgesammt eine + förmliche und systematische Verfolgung des Fürsten Metternich zuzöge, + welche unausbleiblich zu erwarten steht. + +Brockhaus beruhigte ihn darüber und schrieb unter anderm auch: er werde +dem Erzherzog Johann bei der Sendung des neuen Werks die von diesem +bestellten weitern Exemplare des »Hofer« schicken. + +Hormayr antwortete unterm 5. Juni 1817: + + Der Erzherzog wünscht, daß die 10 Exemplare von »Hofer« nebst den + andern 20 nicht vergessen werden, wünscht übrigens, daß das Erscheinen + der Kriegsgeschichte noch um mehrere Wochen verzögert werde, wenn es + mit Ihrer übrigen Berechnung in Einklang zu bringen ist. Er vermuthet, + es seien auf indirecten schlauen Wegen aus Anlaß des Meßkatalogs schon + Anfragen bei Ihnen um dieses Manuscript (»Das Heer von Inneröstreich«) + geschehen, wünscht aber um so mehr strenge Verschwiegenheit, wie Sie + dazu gekommen, als er selbst und sein Generalquartiermeister Graf + Nugent, jetzt Generalissimus des Königs Ferdinand von Neapel, die + eigentlichen Verfasser davon sind. + + Unser erhabener Freund läßt Sie avisiren, auf das Manuscript + und dessen schleunige Vertilgung bedacht zu sein, da nach einem + allerneuesten Beispiele A. M. einzelne Bogen zweier Manuscripte in + Ihrer Nähe stehlen ließ und hierher einsendete. + +Mit A. M., von dem hier so Ehrenwerthes berichtet wird, war der +österreichische Diplomat und Schriftsteller Adam Müller gemeint, in den +Jahren 1815-1827 österreichischer Generalconsul in Leipzig. Geboren 1779 +zu Berlin, war er von Gentz, der viel auf ihn hielt, nach Wien gezogen +worden und dort 1805 zum Katholicismus übergetreten; er wurde später +Hofrath im Ministerium des Auswärtigen in Wien und starb daselbst 1829. + +Auch Adam Müller gehörte zu Brockhaus' Autoren, bis dieser von Hormayr +und Andern vor ihm gewarnt wurde und selbst Beweise erhielt, daß +diese Warnungen fast schon zu spät kamen. Er hatte von ihm 1816 eine +staatswirthschaftliche Schrift verlegt: »Versuche einer neuen Theorie +des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien«, und 1817 das +erste Heft eines auf 8-10 Hefte berechneten Sammelwerks unter dem +Titel: »Die Fortschritte der nationalökonomischen Wissenschaft in +England während des laufenden Jahrhunderts. Eine Sammlung deutscher +Uebersetzungen der seit dem Jahre 1801 bis jetzt erschienenen +bedeutendsten parlamentarischen Reports, Flug- und Streitschriften, +Recensionen u. s. w., welche zur Förderung und Berichtigung der +staatswirthschaftlichen Theorie beigetragen haben.« Adam Müller nannte +sich zwar nicht auf dem Titel, aber in der Einleitung als Herausgeber, +mit der Bemerkung, daß er durch seine amtliche Thätigkeit an der +Fortsetzung gehindert sei, die ein anderer Gelehrter übernehmen werde; +diese Fortsetzung erschien indeß nicht. Beide Schriften sollten +ursprünglich von Schaumburg in Wien verlegt werden, waren Brockhaus aber +noch vor ihrer Druckvollendung von dem Verfasser angetragen worden. +Müller arbeitete auch zuerst an den von Brockhaus herausgegebenen +»Zeitgenossen« mit und lieferte die dieses Werk eröffnende Biographie +Franz' I., Kaisers von Oesterreich, die auch in einer Separatausgabe +(1816) erschien. + +Hormayr hatte schon unterm 20. August 1816 an Brockhaus geschrieben: + + Adam Müller ist ein Agent der österreichischen geheimen Polizei. Wir + Beide sind überdies persönliche Feinde. Ich finde es in mehr als einer + Hinsicht nothwendig, diese lange versparte Warnung hier auszusprechen. + +Nachdem er diese Warnung in der oben mitgetheilten verstärkten Weise +wiederholt hatte, fügt er am 10. October 1817 hinzu: + + Sie glauben gar nicht, wie A. M. sich geschäftig macht, eine + Wichtigkeit erhaschen will, beinahe in jeder Buchhandlung seine Spione + hat und das Banner des Obscurantismus und des Preßzwanges recht hoch + aufwirft und recht laut predigt. Zuerst Jude, dann evangelisch, jetzt + intolerant katholisch, mit einer seinem Gastfreund und Wohlthäter in + Großpolen entführten Frau Vertheidiger der Unauflösbarkeit der Ehen, + früher ein Vordermann der _libérales_ und _constitutionnels_, jetzt + der Feldpater des Despotismus -- muß er allerdings viel Hochachtung + und viel Zutrauen auf seinen Charakter einflößen! + +Am 22. October 1817 schrieb Hormayr weiter: + + Was ist zu hoffen, wenn es einem boshaften Heuchler wie A. M. + gelingt, durch Wort und That so klar und schön bezeichnete + deutsche Männer, wie Sie und Perthes, als _libérales_, als + _ultra-constitutionnels_, als Girondisten auszuschreien und eine + Verfolgung gegen Sie zu provociren, nicht wegen des Inhalts dieser + oder jener Werke, sondern weil sie #bei Ihnen# erscheinen? + +Inzwischen waren die Nachforschungen nach dem Verfasser der beiden +Hormayr'schen Werke fortgesetzt worden. + +Böttiger fragte direct bei Brockhaus nach dem Namen des Verfassers +der Kriegsgeschichte, von dem österreichischen Gesandten in Dresden +wahrscheinlich gerade wegen seines nahen geschäftlichen und +freundschaftlichen Verhältnisses zu Brockhaus mit diesem delicaten +Auftrage betraut. Er schrieb an ihn unterm 24. October 1817 aus Dresden: + + Wer ist der »Stabsoffizier vom Generalstabe«, der den »Krieg in + Inneröstreich vom Jahre 1809« in Ihrem Verlage nebst allen dazu + gehörigen Actenstücken herausgab? Können, dürfen Sie ihn nennen? + Ich gehe ehrlich zu Werke, wie sich's gegen den Freund ziemt .... + Das Buch hat auf den Kaiser selbst und seinen Alles vermögenden + Generaladjutanten einen sehr unangenehmen Eindruck gemacht, weil es + aus officiellen Quellen geschöpft, sehr authentisch, aber auch in + Erinnerung früherer Fehlgriffe und Fehlschlagungen sehr schmerzlich + ist. Fürst Metternich hat dem k. österreichischen Gesandten (in + Dresden) Graf Bombelles die dringendsten Aufträge zur Erforschung des + Verfassers ertheilt. + +Obwol Böttiger im Weitern selbst eine Klage gegen Brockhaus als +wahrscheinlich hinstellt, wenn der Verfasser nicht genannt würde, +antwortete dieser unterm 29. October 1817 doch ablehnend und bat +Böttiger, auch dem Grafen Bombelles zu sagen, daß er über den wirklichen +Verfasser und Einsender des Manuscripts selbst nichts Sicheres wisse. +Er handelte dabei nach speciellen Instructionen des Erzherzogs Johann, +der ihn außerdem durch Hormayr wiederholt um strengste Discretion bitten +ließ. + +Böttiger beruhigte sich dabei noch nicht, da er auch direct von Wien +aus, wo er wie allerwärts Verbindungen hatte, um Nachforschungen +angegangen wurde. In einem Briefe vom 9. November 1817 an Brockhaus sagt +er: + + Unser (sächsischer) Legationsrath Griesinger in Wien schreibt mir, + daß sich bereits sämmtliche Offiziere des Generalstabes feierlichst + von der Autorschaft und der Einsendung des »Kriegs von Inneröstreich« + losgesagt hätten und daß man allgemein glaube, daß eine Civilperson + Urheber sei. (Man hält es auf Hormayr.) Der Kaiser will Alles + daransetzen, um den Urheber dieses Skandals zu erfahren. + +In Wien wußte man gewiß schon längst, daß Hormayr der Verfasser oder +Einsender der Werke und der Erzherzog Johann dabei betheiligt sei, +wollte aber von dem Verleger das Eingeständniß davon erlangen. + +Hormayr schreibt an Brockhaus unterm 16. November 1817: + + In Wien sind wol über zehn Generale, denen der Erzherzog das + Manuscript selbst zu lesen gab, die also gar wohl wissen, daß er + selbst der Verfasser und nur Ein und Anderes aus andern Quellen + ergänzt ist. Meinen Stil, meine Darstellung darin zu erkennen, wäre + wahrhaftig ein wahres Kunststück. + +In Betreff der Autorschaft der Kriegsgeschichte sagt Hormayr in einem +Briefe aus Brünn vom 28. August 1816 noch directer, daß sie »aus dem +Tagebuche und Operations-Journale des Erzherzogs Johann, damaligen +Commandirenden in Italien, genommen ist«. + +Unangenehm war es Hormayr, daß gerade in derselben Zeit (1817), wo +man in Wien besonders wegen der Bemerkung auf dem Titel des Werks: +»Von einem Stabsoffizier u. s. w.« verletzt war, der preußische +Oberst Massenbach auf Requisition Preußens in Würtemberg verhaftet, +nach Küstrin gebracht und kriegsrechtlich zu einer vierzehnjährigen +Festungsstrafe verurtheilt wurde; es geschah dies, wie seinerzeit +mitgetheilt, nicht wegen seiner in den Jahren 1808 und 1809 +bei Brockhaus erschienenen Werke, sondern wegen beabsichtigten +Landesverraths durch Bekanntmachung amtlicher Schriften, womit er +in einem Briefe an den König von Preußen gedroht hatte, falls ihm +gewisse Forderungen nicht gewährt würden. Die Analogie mit der hier +stattgehabten Veröffentlichung amtlicher Actenstücke lag nahe. + +Hormayr schrieb in dieser Zeit an Brockhaus in einem von fremder Hand +abgefaßten Briefe ohne Datum und Unterschrift: + + Ich soll Ihnen schleunigst im Namen des Prinzen melden, daß Fürst + Metternich, durch A. M. aufgestachelt, das bewußte Buch als Vorwand + gebrauchen wolle, den vermeintlichen Verfasser, der aber immer nur + Depositär jenes Manuscripts war, zum zweiten male zu stürzen und, + eingedenk Ihrer edeln Anhänglichkeit an die deutsche Sache, auch Ihnen + dabei einen Stoß zu geben. Vorderhand soll, wie man hört, der Titel + des Buchs als von einem Generalstabs-Offizier herrührend angegriffen + werden, in Analogie mit der eben jetzt ventilirten Massenbach'schen + Sache. + +Die ganze Angelegenheit hatte übrigens weder für den Erzherzog Johann +und Hormayr, noch für Brockhaus weitere Folgen, und das Aufsehen, +welches sie erregt hatte, sowie das in Oesterreich erfolgte Verbot +beider Werke vermehrte nur den Absatz derselben selbst in Oesterreich, +wo damals ein solches Verbot die Verbreitung der davon betroffenen Werke +wol erschwerte, aber eher förderte als hinderte. Der Erzherzog Johann +ließ Brockhaus auch eine Entschädigung für den bei der Angelegenheit +gehabten Verlust anbieten, die dieser aber ablehnte. + + * * * * * + +Folgende Geschichtswerke wurden in dieser Zeit noch von Brockhaus +verlegt: Der erste Theil einer Sammlung von Essays des verdienten +Geschichtschreibers Karl Ludwig von Woltmann (geb. 1770, gest. 1817), +unter dem Titel: »Politische Blicke und Berichte« (1816), wozu +aber keine Fortsetzung erschien; zwei Monographien von Karl Georg +Treitschke, dem Verfasser einer früher erwähnten Broschüre, unter den +Titeln: »Geschichte der funfzehnjährigen Freiheit von Pisa«, und: +»Heinrich der Erste, König der Deutschen, und seine Gemahlin Mathilde« +(1814); »Historische Denkwürdigkeiten« (1817) von dem nassauischen +Historiker Johannes von Arnoldi (geb. 1751, gest. 1827); endlich zwei +Monographien des schon früher genannten theologischen und historischen +Schriftstellers Friedrich August Koethe: »Das Jahr 1715 oder wie's vor +hundert Jahren in der Welt aussah. Ein Erinnerungs- und Trost-Büchlein +für 1815«, und: »Historisches Taschenbuch auf das Jahr 1817. Enthaltend: +Das Jahr 1616 oder die Lage Europas vor dem Beginn des dreißigjährigen +Krieges.« + + * * * * * + +Endlich ist noch ein größeres zeitgeschichtliches, halb +journalistisches, halb encyklopädisches Unternehmen zu nennen, das, +wie die »Deutschen Blätter« den Anfang, so den Schluß der altenburger +Periode bildet; es führt den Titel: »Zeitgenossen. Biographien und +Charakteristiken.« + +Dieses Unternehmen wurde von Brockhaus im Jahre 1816 begonnen und nicht +nur von ihm bis zu seinem Tode herausgegeben, sondern auch nachher noch +von seiner Firma viele Jahre lang (bis zum Jahre 1841) fortgeführt. +Es sollte hervorragende »Zeitgenossen«, noch lebende oder schon +verstorbene Männer, welche der mit dem Jahre 1789 beginnenden neuen +Zeitepoche angehörten und sich in irgendeiner Richtung ausgezeichnet, in +»Biographien und Charakteristiken« vorführen, sie »in einem Ehrentempel +vereinigen, der ihr Andenken erhält und ihre Thaten mit Freimüthigkeit +würdigt«. Das Werk fand lebhaften Beifall und große Verbreitung im +deutschen Publikum und hat anerkanntermaßen bleibenden Werth für die +Zeitgeschichte. + +Ein näheres Eingehen auf die Art, wie es seine Aufgabe löste, auf den +Inhalt und die Mitarbeiter, wird besser der Schilderung der dritten +und letzten Periode von Brockhaus' Verlagsthätigkeit vorbehalten, +da das Werk wesentlich in diese, nur der Anfang in die frühere Zeit +fällt. Auch hängt Brockhaus' Beschäftigung mit diesem Werke eng +zusammen mit seiner in Leipzig noch mehr als in Altenburg und Amsterdam +hervortretenden Vorliebe für Herausgabe von Journalen, namentlich durch +Begründung des »Hermes oder kritisches Jahrbuch der Literatur« (1819) +und durch Uebernahme des »Literarischen Wochenblatt« (1820), bald +darauf »Literarisches Conversationsblatt«, seit Mitte 1826 »Blätter für +literarische Unterhaltung« genannt, unter welchem Titel es noch jetzt +nach mehr als funfzigjährigem Erscheinen fortbesteht. + + * * * * * + +Aus ähnlichen Gründen wird auch die von Brockhaus dem Hauptwerke seines +Verlags, dem »Conversations-Lexikon«, in Altenburg gewidmete Thätigkeit, +obwol sie immer den eigentlichen Mittelpunkt seines Schaffens bildete, +bei Charakterisirung jener letzten Lebensepoche vorgeführt werden, +im Zusammenhange mit der während und schon vor derselben entfalteten +Wirksamkeit als Verleger und Herausgeber dieses Werks sowie mit den +Kämpfen gegen den mehrfach versuchten Nachdruck desselben und seinem +Auftreten für Regelung der deutschen Preßgesetzgebung. + +Brockhaus begann und vollendete im wesentlichen während der altenburger +Zeit die als sein eigenstes Verdienst zu betrachtende Umarbeitung des +»Conversations-Lexikon«, durch welche dieses erst seinen eigentlichen +Charakter und diejenige Gestalt erhielt, in der es fähig wurde, auf die +Bildung seiner Zeit in eingreifender Weise Einfluß auszuüben und rasch +eine in der Geschichte des Buchhandels einzig dastehende Verbreitung +zu gewinnen. Die von ihm angekaufte erste Auflage (in 6 Bänden) war +in jeder Weise ungenügend gewesen und auch durch Nachträge dazu (in +2 Bänden) nur nothdürftig ergänzt worden. Im Jahre 1812 begann er in +Altenburg die Umarbeitung des Werks als zweite Auflage, vermochte sie +aber erst 1819 in Leipzig mit dem zehnten Bande zu Ende zu führen. An +der raschen Vollendung wurde er außer durch die Kriegsjahre besonders +durch den angenehmen Umstand gehindert, daß der lebhafte Absatz, den +das Werk fand, gleich nach Erscheinen der ersten vier Bände der zweiten +Auflage (1812-1814) eine dritte Auflage derselben (1814 und 1815) +nöthig machte, die dann neben der zweiten forterschien (1814-1819), +und daß er noch vor der Vollendung beider schon eine vierte Auflage +(1817-1819), unmittelbar darauf (1819) sogar eine fünfte Auflage (wieder +wie die zweite bis vierte in 10 Bänden) veranstalten mußte. Dies nur +zur Würdigung der von Brockhaus während der altenburger Zeit auf das +»Conversations-Lexikon« verwendeten Sorgfalt und der damit verbundenen +Mühe. + + * * * * * + +Der materielle Ertrag dieses seine kühnsten Erwartungen übersteigenden +Absatzes des »Conversations-Lexikon« lieferte zugleich die feste +Grundlage zu dem von ihm in Altenburg neu aufgeführten Gebäude, das nun +nicht mehr den Einsturz zu fürchten hatte, wenn es vom Wind und Wetter +wieder erschüttert werden sollte. + +Aber freilich wurde dieses Gebäude bald zu klein für das, was allmählich +darin untergebracht worden war, und für das, was der nimmer rastende +Geist seines Gründers noch in ihm vereinigen wollte. + +Ein Rückblick auf Brockhaus' Verlagsthätigkeit in dieser zweiten Periode +während der Jahre 1811-1817 in Altenburg läßt dieselbe als eine überaus +rege, geschickte und umfassende erscheinen, in noch höherm Grade als +die erste der Jahre 1805-1809 in Amsterdam und kaum in geringerm als +die darauffolgende in Leipzig. Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, +daß diese Zeit nur sechs bis sieben Jahre umfaßt und zu diesen die +Kriegsjahre 1813-1815 gehören, sowie daß er in Altenburg gewissermaßen +von vorn anfangen mußte, mit sehr geringen Mitteln, und erst nach und +nach durch die Früchte seiner Arbeit wieder in günstigere Verhältnisse +kam. + +Schon oft hatte er empfunden, daß die kleine Stadt Altenburg für ein +Verlagsgeschäft von dem Umfange und der Bedeutung, zu der das seinige +sich rasch emporgeschwungen, nicht der geeignete Platz war. Alle dort +bei seinem Freunde Pierer vorhandenen Pressen waren trotz fortwährender +Vermehrung nicht im Stande gewesen, den Druck der immer steigenden +Auflagen seines »Conversations-Lexikon« zu bewältigen; er hatte es auch +in Leipzig, in Braunschweig und anderwärts drucken lassen müssen. Immer +mehr sah er ein, daß er eine eigene Druckerei errichten müsse, um die +aus dieser Noth entspringenden Verlegenheiten gründlich zu beseitigen. +Aber auch für den buchhändlerischen Verkehr war Altenburg trotz seiner +Nähe bei Leipzig nicht ausreichend. Endlich wollte ihm selbst das +literarische und gesellige Leben Altenburgs, das ihn im Gegensatz zu +Amsterdam zuerst so angezogen hatte, auf die Dauer nicht mehr genügen; +seine fortwährend sich erweiternden literarischen Beziehungen und die +neuen buchhändlerischen Unternehmungen, die er beabsichtigte, verlangten +einen größern Schauplatz. + +Nur #eine# Stadt war in Deutschland, die allen seinen Anforderungen zu +genügen versprach: Leipzig, der Mittelpunkt des deutschen Buchhandels, +die lebhafte Handelsstadt, der Sitz einer Universität und eines regen +geistigen Verkehrs. Er kam bald zu der Ansicht, daß diese und keine +andere Stadt der allein geeignete Platz für seine Firma sei, wie sie +geworden war und wie sie werden sollte. + +Er brachte den wichtigen Entschluß indeß nicht rasch zur Ausführung und +zog vorsichtigerweise Ostern 1817 allein nach Leipzig; erst als sich in +ihm die Ueberzeugung befestigt hatte, daß der Schritt ein richtiger sei, +nahm er allmählich die Uebersiedelung auch seines Geschäfts und seiner +Familie vor. + + * * * * * + +In Leipzig lebte und wirkte Brockhaus bis an seinen Tod, der freilich +früher eintrat, als er geahnt haben mochte: am 20. August 1823, also +schon im siebenten Jahre seit dem Verlassen Altenburgs. + +So wurde Leipzig doch, wie er schon in Amsterdam gewollt hatte, der +Hafen, in welchem sein Lebensschiff, nach mancher stürmischen Fahrt +und nachdem ihn widrige Winde vor Jahren daraus vertrieben hatten, vor +Anker ging. Zugleich wurde es aber die bleibende Stätte der von ihm +gegründeten Firma, auf welcher diese sich im Laufe des auf seinen Tod +folgenden halben Jahrhunderts nach dem genialen Plane ihres Begründers +und doch in einer Weise entwickelte, wie er selbst es wol kaum zu hoffen +gewagt hatte. + + + + + Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig. + + + + + Fußnoten + + +[1] In Heppe's Werke: »Zur Geschichte der evangelischen Kirche + Rheinlands und Westfalens« (2 Bände, Iserlohn 1867-70), II, 32. + +[2] Vgl. Rotermund's »Lexikon aller Gelehrten, die seit der Reformation + in Bremen gelebt haben, nebst Nachrichten von gebohrenen Bremern, die + in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten« (Theil 1, Bremen 1818). + +[3] Heppe in seinem bereits genannten Werke, II, 462. + +[4] Wol absichtlich für _adorabile_ aus Erbitterung gegen das + katholische Unwesen. + +[5] Der Stock, an dem der Klingelbeutel befestigt ist. + +[6] Dieses Buch befindet sich im Besitze des Buchhändlers Friedrich + Volckmar in Leipzig, dessen Mutter, Johanna Justina, die jüngste + Tochter des Pastors Melchior war; sie hat später ebenfalls mehrere + interessante biographische Notizen eingetragen. + +[7] Diese (nicht in den Buchhandel gekommene) Schrift führt den Titel: + »Sammlung von eilf Actenstücken über und aus der Proceß-Sache des + Herrn G. W. Hiltrop in Dortmund gegen die ehemalige Firma Brockhaus + und Mallinckrodt ebendaselbst, oder jetzt gegen den Buchhändler + Brockhaus in Leipzig. Als Manuscript gedruckt. 1. July 1822« + (4. VIII, 158 S.). Später ausgegebenen Exemplaren ist noch ein + zwölftes Actenstück vom 22. September 1822 (4 S.) beigefügt; noch + später ist ein dreizehntes, ohne diese Ziffer und ohne Datum, + gedruckt worden (18 S.). + + Ein Theil dieser Schrift war von Brockhaus schon früher (wol + 1805) ausgegeben worden und Hiltrop veröffentlichte eine Antwort + darauf unter dem Titel: »Nähere Erklärung und geschichtliche + Darstellung des Processes in Sachen G. W. Hiltrop gegen die Firma + von Brockhaus und Mallinckrodt. Ueber die von dem ersten an S. M. + Bethmann in London remittirte und von den letzteren in Empfang + genommene 1800 £ Sterling. Erster Theil. Dortmund 1806« (8. 128 S.). + Ein zweiter Theil nebst den im ersten versprochenen Actenstücken ist + unsers Wissens nicht gedruckt worden. + +[8] Diese Angabe ist ein seltsamer Irrthum, da Brockhaus nach dem + dortmunder Kirchenbuche am 4. Mai 1772, nicht 1774, geboren ist. An + dieser Selbsttäuschung scheint er auch später festgehalten zu haben, + wie aus gelegentlichen Aeußerungen in seinen Briefen hervorgeht, und + daraus erklärt sich auch, daß auf seinem Leichensteine ebenfalls + diese falsche Jahreszahl angegeben war. + +[9] Auch diese Angabe ist eine irrthümliche und beruht auf der Annahme, + daß er 1774 statt 1772 geboren sei; er war damals (30. September + 1798) 26, seine Frau 20 Jahre alt. + +[10] Er behielt diese Firma auch später noch, in Leipzig und Altenburg, + bei, sodaß sie auf den Verlagsartikeln bis 1814 abwechselnd mit + den drei Städtenamen Amsterdam, Leipzig und Altenburg erscheint, + bis er von 1814 an blos F. A. Brockhaus firmirte, zuerst Altenburg + oder Leipzig, von 1817 an blos Leipzig als Verlagsort angebend. + +[11] Jener frühere Brief ist nicht mehr vorhanden; es hätte sich aus + demselben der genauere Zeitpunkt ergeben, von welchem an ihn die + Idee, eine Buchhandlung zu errichten, beschäftigte. + +[12] Auch diese hier in Aussicht gestellte spätere Mittheilung findet + sich nicht vor und ist vielleicht gar nicht erfolgt. Ebenso wenig + hat sich der dem Großpensionär Schimmelpenninck vorgelegte »Plan« + des neuen Etablissements auffinden lassen. + +[13] Unter Bezugnahme auf diese Correspondenz übersandte Brockhaus + einige Wochen später demselben Hause sein Circular mit einer + Nachschrift, und diesem Umstande verdankt die Firma F. A. Brockhaus + das ihr von jenem Hause freundlich überlassene einzige Exemplar + ihres Begründungscirculars. Sie erhielt dasselbe im Jahre 1856, + aus Anlaß ihres am 13. und 14. Juli jenes Jahres gefeierten + funfzigjährigen Jubiläums, das somit schon am 15. October 1855 + hätte begangen werden können. + +[14] Gubitz hatte sich von seiner ersten Jugend an mit großem Eifer + der Holzschneidekunst gewidmet, um deren Wiederbelebung und + Vervollkommnung in Deutschland er sich bekanntlich große Verdienste + erworben hat. Ueber die hier erwähnten Anfeindungen theilt sein + Memoirenwerk: »Erlebnisse von F. W. Gubitz. Nach Erinnerungen und + Aufzeichnungen« (3 Bände, Berlin 1868-69), I, 79 fg., Näheres mit. + +[15] Hiernach ist also Brockhaus im October 1795 (der »berühmte XIII. + Vendémiaire« ist der des Jahres IV, 5. October 1795, an welchem + der Aufstand der pariser Sectionen oder der Nationalgarde gegen + den Nationalconvent stattfand) in Paris gewesen, kurz vor oder + nach seiner ersten Etablirung in Dortmund. + +[16] Letzteres Werk, »Gemälde von Valencia« von Christian August + Fischer, erschien 1803 in Leipzig; die übrigen Namen sind + Titel Cramer'scher Uebersetzungen: »Bardiete« ist Klopstock's + »Hermannsschlacht«; »Die Tempelherren« heißt ein Trauerspiel + von Raynouard. + +[17] Dies ist der Name, mit welchem Cramer stets in seinem Werke + Brockhaus bezeichnet; die Anwendung derartiger erfundener Namen + statt der wirklichen war damals vielfach Sitte und eine specielle + Liebhaberei Cramer's. Die oben angewendeten Punkte sind ebenfalls + in dem Werke selbst gebraucht. + +[18] Das hier weggelassene Wort enthielt schwerlich einen Namen, + da Brockhaus in Amsterdam keinen Associé seines kaufmännischen + Geschäfts hatte; es ist wol »Glück« oder ein ähnliches Wort + absichtlich weggelassen. + +[19] Hier ist von Cramer, als für den vorliegenden Fall unwichtig, + wol ausgelassen: »französische Leser«; es ist damit jedenfalls + die französische Zeitschrift »_Le Conservateur_« gemeint, von + der später die Rede sein wird. + +[20] So nennt, wie schon bemerkt, Cramer seinen Freund Brockhaus stets + in den »Individualitäten«. + +[21] Der frühere Associé von Brockhaus. + +[22] Wiederholt sei bemerkt, daß derartige Auslassungen einzelner Worte + von Cramer selbst herrühren. + +[23] Diese und die folgenden Notizen sind meist einer kleinen Abhandlung + des 1859 verstorbenen verdienstvollen Geschichtschreibers und + Publicisten Professor Christian Friedrich Wurm in Hamburg entnommen, + die unter dem Titel: »Beiträge zur Geschichte der Hansestädte in + den Jahren 1806-1814. Aus den nachgelassenen Papieren von Carl + von Villers«, in einem 1845 gedruckten Lectionsverzeichniß des + Hamburgischen Akademischen Gymnasiums enthalten ist. + +[24] Es sei hier bemerkt, daß diese patriotischen Klagen Wurm's im Jahre + 1845 erhoben wurden. + +[25] Auch in Amsterdam, wie bereits erwähnt. + +[26] Vgl. über ihn W. von Bippen: »Charles von Villers und seine + deutschen Bestrebungen«, in den »Preußischen Jahrbüchern«, + herausgegeben von H. von Treitschke und W. Wehrenpfennig (27. + Band, 3. Heft, Berlin 1871). Dieser interessante und werthvolle + Essay macht den dankenswerthen Versuch, »die Erinnerung an einen + Mann wieder zu erwecken, der, ein geborener Franzose, einst von + vielen der Besten unsers Volks geachtet, von manchen geliebt, der + Ehrenbürger einer deutschen Stadt, jetzt fast der Vergessenheit + anheimgefallen ist«. Wir verfolgten mit obiger Darstellung (die + #vor# dem Erscheinen jenes Aufsatzes geschrieben wurde) den + gleichen Zweck, und so möge es uns gestattet sein, hier den Wunsch + und die Hoffnung auszusprechen, daß der dazu gewiß vorzugsweise + geeignete und berufene Verfasser jenes Aufsatzes auf Grund des auf + der hamburger Stadtbibliothek befindlichen und dieser von Dorothea + Rodde geschenkten literarischen Nachlasses ihres Freundes dem + deutschen Volke ein Lebensbild von Charles von Villers liefern + möge, das in der gegenwärtigen Zeit doppelt willkommen sein würde. + +[27] Den Rest seines frühern kaufmännischen Geschäfts. + +[28] Dieses damals großes Aufsehen erregende Werk, dessen weiterer Titel + lautet: »seit dem Tode Friedrich's II.«, erschien 1807 anonym und + war von dem vielgenannten Kriegsrath von Cölln verfaßt (geb. 1766, + gest. 1820), der nach den für Preußen so traurigen Ereignissen + von 1806 die preußische Verwaltung heftig angriff, deshalb 1808 + in Untersuchung gezogen, später aber im Bureau des Staatskanzlers + Hardenberg angestellt wurde. Die Schrift trägt die bekannte + pseudonyme Firma »Peter Hammer« mit dem Verlagsort »Köln und + Amsterdam«. Nach Obigem und nach andern Mittheilungen war Brockhaus + jedenfalls bei dem Verlage derselben betheiligt, obwol sie in + keinem seiner Verlagsberichte aufgeführt ist; in Heinsius' + »Bücher-Lexikon« ist sein damaliger Commissionär in Leipzig, + Heinrich Gräff, als Verleger genannt. + +[29] Der früher erwähnte Pastor Adolf Heinrich Brockhaus in Meyerich bei + Welver. + +[30] Ihre an den Kaufmann W. Rittershaus in Dortmund verheirathete + älteste Schwester. + +[31] Nicht der Buchdrucker Friedrich Richter, von dem Brockhaus das + »Conversations-Lexikon« gekauft hatte, sondern ein leipziger + Bankier. + +[32] Das Taschenbuch »Urania«. + +[33] Brockhaus' an Fauriel gerichtete Briefe sind nach des Letztern Tode + in den Besitz der mit ihm näher befreundeten geistvollen Gemahlin + des berühmten Orientalisten Julius von Mohl in Paris übergegangen + und von derselben uns freundlichst zur Einsicht und Benutzung + überlassen worden; zu bedauern ist, daß die Antworten Fauriel's + nicht gleichfalls erhalten sind. + +[34] Dieser Brief von Brockhaus an Baggesen scheint leider gleich ihrer + gesammten Correspondenz nicht erhalten zu sein; sollte letztere + oder wenigstens ein Theil derselben sich noch irgendwo vorfinden, + so würden wir für eine Notiz darüber sehr dankbar sein. + +[35] Sprengel's »_Historia rei herbariae_«. + +[36] Brockhaus' damaliger Commissionär in Leipzig. + +[37] Wol Reichardt's schon erwähnte »Vertraute Briefe, geschrieben auf + einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen Staaten &c.« + (Amsterdam 1810). Ein früher von Brockhaus verlegtes Werk + Reichardt's ist uns allerdings nicht bekannt; seine »Briefe + eines reisenden Nordländers« erschienen erst Ende 1811 mit der + Jahreszahl 1812. + +[38] Ein 1783 in Zürich erschienenes, angeblich aus dem Französischen + übersetztes Werk »Briefe eines reisenden Franzosen über + Deutschland«, von Kaspar Risbeck. + +[39] Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, elfter Abschnitt (dritte + Auflage, Th. 2, S. 38 fg., Leipzig 1871). + +[40] Veit Hans Schnorr von Karolsfeld, der damals in Leipzig lebte und + mit Brockhaus wie mit der Hofräthin Spazier befreundet war, der + Vater von Julius Schnorr von Karolsfeld, seit 1816 Director der + leipziger Zeichenakademie, als welcher er 1841 starb. + +[41] Thomas Willis, berühmter englischer Arzt, geb. 1621, gest. 1675. + +[42] Wir verdanken diese Briefe von Jean Paul und dessen Frau + sowie einige andere Mittheilungen der Güte des bekannten + Kunstschriftstellers Ernst Förster in München, des Schwiegersohns + Jean Paul's. Er durchforschte auf unsere Bitte zu diesem Zweck + nochmals Jean Paul's schriftlichen Nachlaß, um dessen Herausgabe + er sich bekanntlich besonders verdient gemacht hat; wir nennen + namentlich das interessante Werk: »Denkwürdigkeiten aus dem Leben + von Jean Paul Friedrich Richter« (4 Bände, München 1863), das er + zu Jean Paul's hundertjährigem Geburtstage (21. März 1863) + veröffentlichte. + +[43] Diese Uebersetzung erschien unter ihrem Namen 1812 in Brockhaus' + Verlage mit folgender eigenthümlichen Bezeichnung des Verlagsorts: + »Leipzig, im Kunst- und Industrie-Comptoir aus Amsterdam«, während + gleichzeitige und spätere Verlagswerke meist »Altenburg« oder + »Altenburg und Leipzig« als Verlagsorte nennen. + +[44] Von Joseph von Lucenay im »Neuen Nekrolog der Deutschen«, dritter + Jahrgang, 1825, S. 1370 (Ilmenau 1827). + +[45] Sein damaliger Commissionär in Leipzig. + +[46] Baron Meinau heißt bekanntlich der Menschenfeind in August + von Kotzebue's zuerst 1789 erschienenem und damals sehr populärem + Schauspiele: »Menschenhaß und Reue«. + +[47] Ein Aufsatz von Spiritus Asper (Ferdinand Hempel). »Fragment einer + Reise um den Tisch« in der »Urania« für 1812. + +[48] Hofadvocat Anton Scholber in Altenburg, den Brockhaus in einem + andern Briefe seinen »intimsten Freund und einen ganz vortrefflichen + Menschen« nennt. + +[49] Der Verfasser kann es sich nicht versagen, bei dieser Gelegenheit + einen an ihn gerichteten poetischen Brief Rückert's mitzutheilen, + der sich auf diese Gedichte bezieht, zu denen er durch Uebersendung + einer Nummer der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« (in welcher der + Sänger der Freiheitskriege zu einem Aufrufe an das deutsche Volk + für die Sache Schleswig-Holsteins aufgefordert wurde) überhaupt + den ersten Anstoß gegeben. + + Er frug nach Empfang des Manuscripts bei dem Dichter an: ob + »Schleswig-Holstein« in dieser allgemein üblichen Schreibweise oder + so, wie es Rückert geschrieben hatte: »Schleswigholstein«, gedruckt + werden solle. Darauf erfolgte unterm 3. December 1863 nachstehende + charakteristische Antwort: + + »Also sind wir handelseins, das freut mich. Nur + Schleswigholstein lassen Sie ungetrennt, wenn Sie es nicht schon + getrennt haben und die Wiedervereinigung zu viel Zeit raubt.« + + Schleswigholstein schreib' ich, + und dabei verbleib' ich + Trotz Erinnerung, + Daß sie's anders treiben, + Schleswig-Holstein schreiben, + Schreiber alt und jung. + + Eine schwach' Erfindung + Scheint mir die Verbindung + Durch ein Strichelein; + Sondern unauflöslich + Sollen sie und böslich + Nie zu trennen sein. + +[50] So schreibt sie selbst die beiden Namen in einem uns vorliegenden + Briefe mit der ausdrücklichen Bemerkung: »nicht Hellvig und Imhof«, + wie dieselben meist und selbst auf ihren Werken gedruckt sind. + +[51] Das Original dieses Briefs wie mehrerer anderer von Brockhaus + an Villers gerichteter Briefe, die wir später mittheilen, befindet + sich unter dem früher (S. 91) erwähnten literarischen Nachlasse + des Letztern auf der hamburger Stadtbibliothek; durch gütige + Vermittelung des Syndikus _Dr._ Geffken wurde dem Verfasser + Abschrift und Benutzung dieser Briefe gestattet. + +[52] Ein Privatbrief, den Bankier Reichenbach in Altenburg aus Leipzig + erhalten hatte. + +[53] Der Fuhrmann zwischen Leipzig und Altenburg. + +[54] Wahrscheinlich war nicht der Orientalist: Ignaz, Freiherr von + Stürmer, damals in Leipzig, sondern einer seiner beiden Söhne, + Bartholomäus (später auch Internuntius bei der Pforte) oder Karl + (später Feldmarschalllieutenant). + +[55] Eine im Juni 1814 anonym erschienene Broschüre gegen Napoleon, die, + wie hieraus hervorgeht, von Charles von Villers und Professor + Friedrich Jakob Christoph Saalfeld in Göttingen gemeinsam verfaßt + war. + +[56] Von dieser Broschüre August Wilhelm von Schlegel's ist in + Verbindung mit andern von Brockhaus verlegten Zeitbroschüren + später die Rede. + +[57] Die seit 21. Mai 1811 sonst vollständig vorhandenen Copirbücher der + Firma haben leider eine unerklärliche Lücke zwischen 2. Juli 1813 + und 12. October 1815, wodurch uns viele wichtige Briefe entgangen + sind. + +[58] Historisches Taschenbuch. Herausgegeben von Friedrich von Raumer. + Neue Folge. Siebenter und achter Jahrgang (1846 und 1847). + + + + + Anmerkungen zur Transkription + + + Im Original kursiv gesetzter Text wurde mit ~ markiert. Im Original + fett gesetzter Text wurde mit = markiert. Im Original gesperrt + gesetzter Text wurde mit # markiert. Text, der im Original nicht + in Fraktur, sondern in Antiqua gesetzt war, wurde mit _ markiert, + außer bei römischen Ziffern, wie in Karl XII. Im Original hoch + gestellte Zeichen wurden mit einem vorangestellten ^ markiert, bei + mehreren hoch gestellten Zeichen wurden diese zusätzlich mit {...} + umschlossen. + + Zeichensetzung und Rechtschreibung wurden übernommen, auch dort, wo + mehrere verschiedene Schreibweisen eines Wortes benutzt wurden, wie + 'wol' und 'wohl'. + + Auf Seite 235 war der Tag der Ankunft von Brockhaus in Münster + unleserlich. Hier wurde der 3. eingesetzt, da dies der einzig + plausible Wert ist. + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Friedrich Arnold Brockhaus - Erster +Theil, by Heinrich Eduard Brockhaus + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRIEDRICH ARNOLD BROCKHAUS - ERSTER THEIL *** + +***** This file should be named 44677-8.txt or 44677-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/4/4/6/7/44677/ + +Produced by Constanze Hofmann, Karl Eichwalder, Norbert +Müller and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned +images of public domain material from the Google Print +project.) + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org/license + + +Title: Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil + Sein Leben und Wirken + +Author: Heinrich Eduard Brockhaus + +Release Date: January 15, 2014 [EBook #44677] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRIEDRICH ARNOLD BROCKHAUS - ERSTER THEIL *** + + + + +Produced by Constanze Hofmann, Karl Eichwalder, Norbert +Müller and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned +images of public domain material from the Google Print +project.) + + + + + + +</pre> + + +<p class="title">Friedrich Arnold Brockhaus.</p> + +<hr class="r10" /> + +<p class="center" style="font-size:1.5em">Erster Theil.</p> + +<div class="figcenter" style="margin-top:5em"> +<img src="images/portait.jpg" width="536" height="718" alt="Portrait Friedrich Arnold Brockhaus" title="Portrait Friedrich Arnold Brockhaus" /> +</div> + +<p class="center spaced"><i>Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.</i> +</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_iii" id="Seite_iii">[iii]</a></span></p> + +<h1> +Friedrich Arnold Brockhaus.<br /> +<span class="smaller">Sein Leben und Wirken</span> +</h1> +<p class="center spaced"> +<span class="bigger">nach Briefen und andern Aufzeichnungen geschildert</span> +<br /> +von<br /> +seinem Enkel<br /> +<span class="bigger">Heinrich Eduard Brockhaus.</span> +</p> +<hr class="r10" /> +<p class="center bigger"> +Erster Theil. +</p> +<p class="center"> +Mit einem Bildniß nach Vogel von Vogelstein. +</p> +<div class="figcenter" style="margin-top:3em"> +<img src="images/i006.jpg" width="100" height="99" alt="Verlagslogo" title="Verlagslogo" /> +</div> +<p class="center bigger"> +Leipzig: +</p> +<p class="center bigger gesperrt"> +F. A. Brockhaus. +</p> +<p class="center bigger"> +1872. +</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_v" id="Seite_v">[v]</a></span></p> + +<div> +<h2><a name="Vorwort" id="Vorwort">Vorwort.</a></h2> + +<p class="start-chap">Am 4. Mai dieses Jahres sind hundert Jahre seit dem Tage verflossen, an +welchem</p> + +<p class="center"><em class="gesperrt">Friedrich Arnold Brockhaus</em> +</p> + +<p>geboren wurde. Dem Gedächtnisse des Verewigten sollen bei dieser +Jubelfeier nachfolgende Blätter geweiht sein.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Kaum mehr als die Hälfte dieses Zeitraums war ihm zu leben vergönnt: +am 20. August 1873 werden es funfzig Jahre, daß er im kräftigsten +Mannesalter den Seinigen und seinem Wirken entrissen worden ist. Und +nur achtzehn von den einundfunfzig Jahren seines Lebens wirkte er in +dem Berufe, zu dessen hervorragendsten und verdientesten Vertretern er +gehört.</p> + +<p>Was er in dieser kurzen Spanne Zeit erstrebt und geschaffen, gibt ihm +den Anspruch darauf, daß sein Gedächtniß in Ehren gehalten, sein Leben +und Wirken der Nachwelt vorgeführt werde. Friedrich Arnold Brockhaus +verdient ein Blatt in der Geschichte des deutschen Buchhandels, und der +Versuch, ihm ein solches zu widmen, bedarf darum keiner Rechtfertigung.</p> + +<p>Dagegen erscheint eine Erklärung nöthig, weshalb ein solcher Versuch +nicht schon früher gemacht wurde.</p> + +<p>Der Grund liegt hauptsächlich darin, daß für eine Biographie desselben +nur ein ungenügendes, geringes und lückenhaftes Material vorhanden +ist. Deshalb kam auch die bald nach seinem Tode von einem Freunde, +Professor Friedrich Christian August Hasse in Dresden, gehegte Absicht, +ihm ein literarisches Denkmal zu errichten, nicht zur Ausführung, obwol +er vor Vielen dazu berufen und befähigt gewesen wäre. Aus gleichem +Grunde trat in späterer Zeit der Gedanke an eine ausführlichere +biographische Schilderung immer<span class="pagenum"><a name="Seite_vi" id="Seite_vi">[vi]</a></span> mehr in den Hintergrund, je weniger es +trotz mehrfacher Bemühungen gelingen wollte, jene Lücken auszufüllen. +Die an den Tagen des 13. und 14. Juli 1856 begangene Jubelfeier des +funfzigjährigen Bestehens der Firma F. A. Brockhaus ließ den Wunsch nach +einer Lebensschilderung ihres Begründers wieder lebhafter hervortreten, +und sein hundertjähriger Geburtstag erschien als der passendste +Zeitpunkt zur Ausführung.</p> + +<p>Der Unterzeichnete, ein Enkel des Verstorbenen, übernahm die schwierige +Aufgabe; er fühlt vor allem die Verpflichtung, sich wegen dieses +Wagnisses zu entschuldigen, und muß dabei zunächst von sich selbst +sprechen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Wie mein Vater Heinrich Brockhaus, der seit dem Tode seines Vaters, bis +1850 zusammen mit seinem ältern Bruder Friedrich, an der Spitze des +Geschäfts steht, und dessen funfzigjährige buchhändlerische Wirksamkeit +wir gleichzeitig mit dem hundertjährigen Geburtstage seines Vaters +feiern können, und wie mein jüngerer Bruder Heinrich Rudolf, habe ich +es mir zur Lebensaufgabe gemacht, die Firma F. A. Brockhaus im Geiste +ihres Gründers fortzuführen. Seit über 20 Jahren ihr angehörend, hegte +ich von jeher den lebhaften Wunsch, mich mit dem Leben meines Großvaters +näher bekannt zu machen und es dann auch Andern zu schildern. Meine +hohe Achtung für ihn und sein Wirken als Buchhändler stieg immer mehr, +je vertrauter ich mit seinen Schöpfungen wurde. Ich beschäftigte +mich eingehend mit dem trotz der Lückenhaftigkeit sehr umfänglichen +Material an Briefschaften sowie mit den Verlagsartikeln unserer Firma +aus jener Zeit, und es gelang mir auch wenigstens von einigen Seiten +wichtige Vervollständigungen jenes Materials zu erlangen. Als diese +wichtige Vorarbeit beendigt war, erkannte ich freilich, daß es nur +verhältnißmäßig Weniges sein würde, was ich daraus zusammenstellen +könnte, doch aber mußte ich mir sagen, daß es zu bedauern wäre, sollte +auch dieses Wenige verloren gehen. So ist es mir als Pflicht erschienen, +lieber das zu geben, was ich geben konnte, als, vor der Schwierigkeit +der Aufgabe zurückschreckend, die bessere Ausführung einer ungewissen +Zukunft zu überlassen.</p> + +<p>Denn auch die Ueberzeugung mußte ich bald gewinnen, daß ein ferner +Stehender oder einer spätern Generation Angehörender noch weniger im +Stande sein würde, ein einigermaßen treues Lebensbild meines Großvaters +zu entwerfen. Ich habe ihn allerdings nicht mehr persönlich gekannt — +er starb sechs Jahre vor meiner Geburt; aber außer meinem Vater theilte +mir mein Onkel, Professor Hermann Brockhaus, der mich auch bei meiner +Arbeit<span class="pagenum"><a name="Seite_vii" id="Seite_vii">[vii]</a></span> vielfach durch seinen Rath unterstützt hat, manches Nähere über +mir sonst unbekannt gebliebene Verhältnisse mit, und ich konnte dadurch +sowie durch mündlichen und schriftlichen Verkehr mit Männern, die ihn +noch selbst gekannt hatten, jenen für einen Biographen stets mislichen +Mangel einigermaßen ersetzen.</p> + +<p>Als bloßen Versuch einer Biographie bitte ich aber meine Schilderung +anzusehen und, wenn sie selbst geringe Erwartungen nicht befriedigen +sollte, dies wenigstens zum Theil Umständen, die außer mir liegen, +zuzuschreiben.</p> + +<p>Ich bin nicht berufsmäßiger Schriftsteller, sondern praktischer +Geschäftsmann; außer der selbst bei vollständiger Befähigung +erforderlichen Uebung fehlte mir aber auch die zu einer bessern Lösung +der Aufgabe nöthige Zeit.</p> + +<p>Mit an der Spitze eines umfangreichen Geschäfts stehend, konnte ich nur +die wenigen Stunden der Muße und die sonst der Erholung bestimmte Zeit +zuerst auf die Lektüre der Tausende von Briefen sowie der einschlagenden +Literatur, dann auf die Ausarbeitung verwenden. So habe ich auf dem +Comptoir und zu Hause, auf dem Redactionsbureau und auf dem Reichstage, +namentlich aber auf Erholungsreisen, in Dresden und Thüringen, im +Seebade auf der Insel Wight und der Insel Sylt, seit Jahren fast +jede freie Stunde, seltener einige Wochen, der Arbeit gewidmet. Eine +zusammenhängende längere Zeit ausschließlich für sie zu gewinnen war mir +unmöglich.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Meine nächste Absicht war ferner nur die: den Mitgliedern der Familie +sowie den Angehörigen und Freunden unserer Firma ein Lebensbild +von Friedrich Arnold Brockhaus darzubieten, aus seinen und aus den +an ihn gerichteten Briefen das nach meiner Ansicht Wesentliche und +Charakteristische mitzutheilen, und nur so viel, als zum bessern +Verständniß desselben ganz nothwendig erschien, hinzuzufügen. Erst +während der Arbeit gewann ich die Ansicht, daß meine Mittheilungen +doch auch für weitere Kreise, zunächst für den deutschen Buchhandel, +Interesse haben könnten, und ich entschloß mich deshalb, sie nicht, wie +anfänglich beabsichtigt, blos als Manuscript für die Familie und für +Freunde drucken zu lassen, sondern sie auch allgemein zugänglich zu +machen. Ich hoffe damit zugleich meinerseits eine Anregung zu geben, +daß auch andere Buchhandlungen künftig mehr als bisher Mittheilungen +aus ihren Geschäftspapieren als Beiträge zu einer leider noch nicht +geschriebenen Geschichte des deutschen Buchhandels veröffentlichen. +Manche der abgedruckten Briefe und andern Actenstücke sowie die mit +möglichster bibliographischer Genauigkeit angefertigten Uebersichten +über<span class="pagenum"><a name="Seite_viii" id="Seite_viii">[viii]</a></span> die Verlagsthätigkeit meines Großvaters dürften wol auch auf +ein literarhistorisches Interesse Anspruch machen. Bei letztern hat +mir besonders der gleichzeitig mit diesem Buche von meinem Vater +herausgegebene chronologische Katalog der von 1806 bis 1872 im Verlage +der Firma F. A. Brockhaus erschienenen Werke, mit biographischen und +literarischen Notizen, treffliche Dienste geleistet.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Was die bei meiner Arbeit befolgte Methode betrifft, so habe ich es mir +zur Pflicht gemacht, die Auszüge aus Briefen und andern Aufzeichnungen +meist mit den Worten der Verfasser wiederzugeben, nicht in Bearbeitung. +Dieser wichtigste Bestandtheil der Arbeit ist von meinen mehr als +verbindendes Glied dienenden Bemerkungen auch äußerlich durch den +Druck unterschieden. Ich weiß, daß von Vielen die entgegengesetzte +Art, die Verarbeitung von Briefen und sonstigen Actenstücken zu +einer selbständigen neuen Schöpfung des Biographen, vorgezogen wird. +»Friedrich Perthes' Leben« von dessen Sohne Clemens Theodor Perthes +ist das mustergültige Beispiel einer in dieser Weise ausgeführten +Biographie. Allein abgesehen davon, daß eine solche Behandlung einen +Meister der Biographie verlangt, als welcher sich der Verfasser jenes +Werks bewährt und dasselbe zu einer Zierde unserer Literatur gemacht +hat, gestattete mir schon die Beschaffenheit meines Materials ein +ähnliches Verfahren nicht. Aus manchen Lebensperioden meines Großvaters, +zum Theil den wichtigsten, war so gut wie nichts vorhanden, über seine +Jugend und sein erstes Mannesalter wesentlich nur ein von ihm selbst +verfaßter Rückblick, während aus andern Jahren wieder zahlreichere +Mittheilungen vorlagen. So blieb mir nach reiflicher Prüfung nichts +Anderes übrig, als das Wenige, was ich fand, möglichst vollständig +und wortgetreu zu veröffentlichen. Daraus erklärt und entschuldigt +sich auch die größere Ausführlichkeit mancher minder wichtiger, die +verhältnismäßige Kürze anderer wichtigerer Abschnitte.</p> + +<p>Da ich den Namen Friedrich Perthes genannt habe, kann ich es mir +nicht versagen, darauf hinzuweisen, daß der hundertjährige Geburtstag +beider Männer beinahe zusammenfällt und daß ich diese Zeilen zum +Gedächtniß von Friedrich Arnold Brockhaus gerade an dem hundertjährigen +Geburtstage von Friedrich Perthes niederschreibe. Perthes und +Brockhaus gehören unzertrennlich zueinander als zwei Männer, auf die +der deutsche Buchhandel gleichmäßig stolz sein kann. Wie in ihrer +Geburt, so berührten sie sich auch vielfach in ihrem Leben und Wirken +als Buchhändler und als deutsche Patrioten; wie sie persönlich nahe +befreundet waren, werden auch nach dem Tode ihre Namen zusammen +fortleben.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_ix" id="Seite_ix">[ix]</a></span></p> + +<p>Daß ich in dem von mir Geschilderten nicht allein den Gründer unserer +Firma, sondern auch meinen Großvater verehre, hat mich nicht abgehalten, +die erste Pflicht jedes gewissenhaften Biographen: immer die Wahrheit +und zwar die volle Wahrheit zu sagen, auszuüben und obenan zu stellen. +Ich habe dies auch in solchen Fällen gethan, wo die Erfüllung dieser +Pflicht mir nicht leicht wurde, und alle entgegenstehenden Bedenken +fallen lassen. Auch Privatverhältnisse glaubte ich nicht übergehen oder +mich auf bloße Andeutungen darüber beschränken zu dürfen, wenn ihre +Vorführung zur Schilderung des äußern Lebens oder zur Charakterisirung +wesentlich erschien.</p> + +<p>Auch einen andern Fehler, in den häufig Biographen verfallen, bin ich +bestrebt gewesen zu vermeiden: den von mir oft empfundenen Uebelstand, +daß der Geschilderte lediglich verherrlicht und als Mittelpunkt der +ganzen Zeit, in der er gelebt und gewirkt, hingestellt wird.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Nur die Hälfte meiner Arbeit lege ich gegenwärtig vor und habe sie als +ersten Theil bezeichnet, da sich während der Abfassung und nach schon +begonnenem Drucke bald die Unthunlichkeit herausstellte, das Ganze in +einem Bande und zu dem gebotenen Termine zu vollenden.</p> + +<p>Dieser erste Theil schildert das Leben von Friedrich Arnold Brockhaus +bis zu seiner Uebersiedelung nach Leipzig und zwar zunächst die Jugend +und sein erstes Wirken in Dortmund, dann die Zeit in Amsterdam, darauf +die Zwischenperiode vor seiner Niederlassung in Altenburg, endlich die +in Altenburg verlebten Jahre. Das beigegebene Bildniß ist nach einem +von dem Maler Vogel von Vogelstein in Dresden gezeichneten Porträt +gestochen, das als sehr getroffen gilt.</p> + +<p>Der zweite Theil ist dem leider nur sehr kurzen Wirken des Verewigten +in Leipzig gewidmet und soll außer seiner dort entwickelten lebhaften +Verlagsthätigkeit auch die zahlreichen literarischen Streitigkeiten +schildern, in die er damals verwickelt wurde, seine Kämpfe gegen +den Nachdruck und für eine gesetzliche Regelung der deutschen +Preßgesetzgebung, die durch eine Recensur seines Verlags in Preußen +entstandenen Schwierigkeiten, endlich die letzte Lebenszeit.</p> + +<p>Diesen zweiten Theil hoffe ich dem ersten bald folgen lassen und damit +das Werk vollständig vorlegen zu können.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Zum Schluß fühle ich noch die Verpflichtung, allen Denen zu danken, die +mich durch Ueberlassung von Briefen, durch Ertheilung<span class="pagenum"><a name="Seite_x" id="Seite_x">[x]</a></span> von Auskünften +oder in anderer Weise bei meiner Arbeit unterstützt haben. Ihre Zahl ist +so groß, daß ich darauf verzichten muß, ihnen hier einzeln meinen Dank +auszusprechen.</p> + +<p>Freilich kann ich aber auch nicht umhin, zugleich der Hoffnung Ausdruck +zu geben, daß mir aus Anlaß der Veröffentlichung dieses ersten Theils +noch manche werthvolle Beiträge zur Ausfüllung der vorhandenen Lücken +zufließen werden. Diese Ergänzungen sowie jede Berichtigung meiner +Darstellung werde ich auf das gewissenhafteste und dankbarste benutzen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Ich empfehle meine Arbeit dem Wohlwollen und der Nachsicht meiner Leser.</p> + +<p> +<em class="gesperrt">Leipzig</em>, 21. April 1872. +</p> +<p class="signature"> +<span class="antiqua">Dr.</span> Heinrich Eduard Brockhaus. +</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_xi" id="Seite_xi">[xi]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h2><a name="Inhalt_des_ersten_Theils" id="Inhalt_des_ersten_Theils">Inhalt des ersten Theils.</a></h2> + +<div class="center"> +<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="Inhalt"> +<tr><td align="left"><a href="#Vorwort"><em class="gesperrt">Vorwort</em></a></td><td align="right">V</td></tr> +<tr><td align="left"><em class="gesperrt">Erster Abschnitt.</em> Anfänge.</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter1-1">1. Vorfahren.</a></td><td align="right">3</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter1-2">2. Jugendzeit und erstes Mannesalter.</a></td><td align="right">14</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter1-3">3. Der Hiltrop'sche Proceß.</a></td><td align="right">21</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter1-4">4. Ein Rückblick.</a></td><td align="right">33</td></tr> +<tr><td align="left"><em class="gesperrt">Zweiter Abschnitt.</em> In Amsterdam.</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter2-1">1. Kaufmännische Thätigkeit.</a></td><td align="right">41</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter2-2">2. Errichtung einer Buchhandlung.</a></td><td align="right">49</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter2-3">3. Erste journalistische Verlegerthätigkeit.</a></td><td align="right">60</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter2-4">4. Weitere Verlagsthätigkeit.</a></td><td align="right">83</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter2-5">5. Reisen zur leipziger Buchhändlermesse.</a></td><td align="right">101</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter2-6">6. Zerwürfnisse mit Baggesen.</a></td><td align="right">121</td></tr> +<tr><td align="left"><em class="gesperrt">Dritter Abschnitt.</em> Von Amsterdam nach Altenburg.</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter3-1">1. Ende des amsterdamer Aufenthalts.</a></td><td align="right">155</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter3-2">2. Vier Monate in Leipzig.</a></td><td align="right">181</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter3-3">3. Beziehungen zur Hofräthin Spazier.</a></td><td align="right">190</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter3-4">4. Abschluß der amsterdamer Zeit.</a></td><td align="right">223</td></tr> +<tr><td align="left"><em class="gesperrt">Vierter Abschnitt.</em> In Altenburg.</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter4-1">1. Neues Leben.</a></td><td align="right">251</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter4-2">2. Neue Verlagsthätigkeit.</a></td><td align="right">270</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter4-3">3. Die »Deutschen Blätter«.</a></td><td align="right">306</td></tr> +<tr><td align="left" class="indent"><a href="#Chapter4-4">4. Geschichtliche und encyklopädische Verlagsthätigkeit.</a></td><td align="right">356</td></tr> +</table></div> +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_1" id="Seite_1">[1]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h2><a name="Erster_Abschnitt" id="Erster_Abschnitt">Erster Abschnitt. +<br /> +Anfänge. +</a></h2> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_3" id="Seite_3">[3]</a></span></p> + +<h3><a name="Chapter1-1" id="Chapter1-1">1.<br /> +Vorfahren. +</a> +</h3> + +<p class="start-chap">Die Familie, welcher Friedrich Arnold Brockhaus entstammt, gehört +Westfalen an, wo sie sich durch zwei Jahrhunderte verfolgen läßt; sie +ist dort noch jetzt in mehrern Zweigen vertreten, während er selbst und +die von ihm gegründete Firma sich in Leipzig niedergelassen haben.</p> + +<p>Die Vorfahren von Friedrich Arnold Brockhaus waren fast sämmtlich +geistlichen Standes, und unter ihnen befindet sich eine Reihe verdienter +evangelischer Pastoren; auch viele Glieder der in ihrem Vaterlande +gebliebenen Zweige der Familie haben sich diesem Berufe wieder gewidmet.</p> + +<p>Der Erste des Namens Brockhaus, von dessen Leben etwas bekannt ist, +war Adolf Heinrich Brockhaus, Pastor zu St.-Thomä in Soest, geboren +in Altena (einer kleinen Stadt im westfälischen Sauerlande, nahe bei +Lüdenscheid), 1699 ordinirt und 25 Jahre lang, bis 1724, in seinem +Amte wirkend. Im Kirchenbuche wird gesagt, daß er ein sehr tüchtiger, +fleißiger, ehrsamer, von Allen geliebter Pastor war und an seiner +Beerdigung die ganze Gemeinde theilnahm. Er war verheirathet mit +Margarethe Katharine Sybel, einer alten Predigerfamilie in Soest +angehörend, mit welcher die Familie Brockhaus noch mehrfach in +Verwandtschaftsverhältnisse trat.</p> + +<p>Aus früherer Zeit ist über die Familie nichts Sicheres zu erfahren, +da die ältern Kirchenbücher von Altena nicht mehr vorhanden sind. Wir +wissen deshalb auch nicht, ob die Familie schon<span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">[4]</a></span> länger in Altena lebte +oder von anderswoher dahin gekommen war. In Altena wird zwar noch ein +Vorfahr, Eberhardt Brockhaus aus Unna, seit 1665 als Vicar (zweiter +Prediger) genannt<a name="FNAnker_1_1" id="FNAnker_1_1"></a><a href="#Fussnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a>; aber auch über ihn und seine Verwandtschaft mit +dem Pastor Adolf Heinrich ist nichts bekannt. Nach Familientraditionen +sollen die Vorfahren schon seit den Anfängen der Reformation lutherische +Prediger in Westfalen gewesen sein.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Mit dem bekannten holländischen Philologen und Dichter Brockhusius +(eigentlich Jan van Broekhuizen, gewöhnlich Janus Broukhusius genannt), +geb. 20. November 1649 zu Amsterdam, gest. 15. December 1707, scheint +die westfälische Familie Brockhaus in keinem Zusammenhang zu stehen. Die +vielfach verbreitete Annahme, daß dies der Fall sei, beruht außer auf +der Aehnlichkeit beider Namen wahrscheinlich nur darauf, daß Friedrich +Arnold Brockhaus eine Zeit lang in Amsterdam gelebt hat.</p> + +<p>Mit dem Geschlechte der Erp oder Erpp von Brockhauß (auch Brockhuß und +Brockhausen geschrieben) läßt sich ebensowenig eine Verwandtschaft +nachweisen, obwol sie wahrscheinlich ist, da diese Familie gleichfalls +aus Westfalen zu stammen scheint. Der Bekannteste aus derselben +ist Simon Anton Erp von Brockhauß oder Brockhausen, geb. 14. Mai +1611 zu Lemgo, 1647 Professor der Rechte am Gymnasium zu Bremen, +1650 Rathsherr, 1665 Gesandter auf dem Reichstage zu Regensburg, +später Bürgermeister von Bremen, gest. 18. November 1682.<a name="FNAnker_2_2" id="FNAnker_2_2"></a><a href="#Fussnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a> Auf +dem Titel seiner 1640 in Helmstedt gedruckten Doctordissertation: +»<span class="antiqua">De litis contestatione</span>«, ist er ausdrücklich als Westfale +bezeichnet. Nach mehrern auf der Bibliothek zu Bremen aufbewahrten +Fliegenden Blättern hieß sein Vater Johann Erp von Brockhauß und war +»<span class="antiqua">Utriusque juris Doctor</span>, der fürstlichen Aebtissin zu Hervord, +Gräflich Bentheim-Tecklenburg'scher und Lippe'scher Geheimrath und +Hofgerichtsassessor«,<span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[5]</a></span> sein Großvater Tilemann Erp von Brockhauß war +»Hochgräflich Hoy'scher und Lippe'scher Geheimrath und Drost zu Hoya, +Ucht und Freudenberg«. Jahreszahlen sind bei Beiden nicht angegeben. +Simon Anton hinterließ keine Söhne, nur zwei Töchter, sodaß mit ihm der +Mannesstamm erlosch. Dagegen ist auf einer juristischen Dissertation +aus Helmstedt: »<span class="antiqua">De nuptiis</span>«, 1654 gedruckt, als Verfasser +Anton Christian Erp Brockhuß genannt, mit dem Zusatz <span class="antiqua">Old.</span> (aus +Oldenburg), jedenfalls der Abkömmling eines andern oldenburger Zweigs +der Familie.</p> + +<p>In keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu der westfälischen Familie +Brockhaus scheint das pommersche Geschlecht Brockhausen zu stehen, das +in alten Urkunden Brockhuß, später aber auch Bruckhausen und Brockhusen +geschrieben wird. Der erste 1511 urkundlich Genannte dieses Geschlechts +ist Jürgen Brockhuß zu Groß-Justin im Kreise Cammin. Ein Nachkomme +desselben war der preußische Staatsminister Karl Friedrich Christian +Georg von Brockhausen (gest. 1829).</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Ein Sohn des zuersterwähnten Pastors zu St.-Thomä in Soest, ebenfalls +mit Namen Adolf Heinrich Brockhaus, wurde 1740 von einer andern Gemeinde +der Stadt Soest, der zu St.-Walpurgis, zum Pastor gewählt. Seine Tochter +Josina verheirathete sich mit einem Pastor Sybel in Soest; ihr Enkel ist +der Geschichtschreiber Heinrich von Sybel in Bonn.</p> + +<p>Ein anderer, wahrscheinlich älterer Sohn des Pastors zu St.-Thomä, +Johann Diederich Melchior Brockhaus, geb. 1. Februar 1706, wurde mit 23 +Jahren, am 1. December 1728, zum Pastor in Meyerich bei Kirch-Welver +erwählt (beide Orte liegen zwischen Soest und Hamm, das Dorf Meyerich +westlich, die Kirche zu Welver östlich, von schönem Eichenwald umgeben; +in Meyerich befindet sich das Pfarrhaus, während die Kirche der Gemeinde +in Welver steht). Er starb 70 Jahre alt, am 16. November 1775, nachdem +er sein Amt 47 Jahre lang bekleidet hatte.</p> + +<p>Johann Diederich Melchior Brockhaus hat in dem Kirchenbuche von Welver +außer den kirchlichen Notizen hier und da besondere Ereignisse aus +seiner amtlichen Thätigkeit verzeichnet, die<span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">[6]</a></span> ihn selbst trefflich +charakterisiren und zugleich als interessante Beiträge zur Zeit- und +Sittengeschichte aufbewahrt zu werden verdienen.</p> + +<p>Die erste und ausführlichste Mittheilung, durch die Ueberschrift »<span class="antiqua">In +memoriam successorum</span>« als ein Fingerzeig für seine Amtsnachfolger +bezeichnet, betrifft einen Conflict des eifrig protestantisch gesinnten +Pastors mit einem katholischen Kloster. Dieses, ein Nonnenkloster, +befand sich ganz in der Nähe der Kirche zu Welver, und seine +Nachbarschaft scheint dem würdigen Pastor Melchior viel Sorge und Kampf +bereitet zu haben.</p> + +<p>Ueber die kirchlichen Verhältnisse daselbst sagt ein competenter +Geschichtschreiber<a name="FNAnker_3_3" id="FNAnker_3_3"></a><a href="#Fussnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a>:</p> + +<blockquote> + +<p>Die Reformation ward in Welver definitiv im Jahre 1565 eingeführt. +Freilich werden schon vorher evangelische Prediger genannt; allein +die Gemeinde war erst seit dem genannten Jahre dem evangelischen +Bekenntniß entschieden zugethan. Nur das in Welver befindliche +freiadeliche Cistercienserinnenkloster, welches über die Pfarrei das +Collationsrecht hatte, blieb katholisch. Der evangelischen Gemeinde +erwuchsen hieraus oft die schwersten Bedrängnisse. Namentlich +hatte dieselbe zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zu leiden, +indem ihr durch Militärgewalt die Kirche entzogen und in derselben +der katholische Gottesdienst restaurirt wurde. Doch bald nach dem +Friedensschluß wurde am 19. December 1649 auf Befehl des Kurfürsten +Friedrich Wilhelm durch den Drosten von Neuhoff zu Altena und den +Richter <span class="antiqua">Dr.</span> Zahn zu Unna unter Hinzuziehung des Magistrats von +Soest den Evangelischen die Pfarrkirche wieder überwiesen.</p> + +<p>Späterhin machte das Kloster wiederholt den Versuch, durch seinen +Beichtiger in der Gemeinde Parochialhandlungen verrichten zu lassen. +Ein hierdurch veranlaßter heftiger Rechtsstreit wurde endlich durch +ein Decret vom 1. September 1709 dahin entschieden, daß dem Kloster +nur das Recht, innerhalb seiner Ringmauern (aber nicht außerhalb +derselben) Ministerialhandlungen verrichten zu lassen, zuerkannt wurde.</p></blockquote> + +<p>Aus Anlaß dieser Verhältnisse entstanden natürlich häufige Reibungen +zwischen dem evangelischen Pastor und der Aebtissin des katholischen +Klosters. Die erwähnte eigenhändige Mittheilung des Pastors Melchior +lautet:</p> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[7]</a></span></p> +<blockquote> + +<p>Nachdem der zeitige evangelisch-lutherische Prediger zu +Welver, Johann Diederich Melchior Brockhaus, vernommen, daß die +Nonnen zu Welver bei ihrer abgöttischen Procession ihre Knechte +pflegten zu gebrauchen, daß sie den sogenannten Himmel (worunter +das <span class="antiqua">abominabile</span><a name="FNAnker_4_4" id="FNAnker_4_4"></a><a href="#Fussnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a> getragen wird) und die Fahnen (die +vorhergetragen werden) müssen tragen, und <span class="antiqua">anno</span> 1732 vier +lutherische Knechte aus hiesiger Gemeinde im Kloster wohnen, so +habe ich als ihr Seelsorger dieselben Knechte zu vier verschiedenen +Malen gewarnt, sich dieser Abgötterung nicht theilhaftig zu machen, +auch bedroht, daß ich sie im Contraventionsfalle ohne vorhergehende +Kirchenbuße nicht zum heiligen Nachtmahl administriren würde, nämlich +1) <span class="antiqua">privatim</span>, 2) im Beichtstuhl, 3) ordentlich auf der Kanzel +<span class="antiqua">Dom. VI. p. pascha</span> und 4) am heiligen Pfingsttage nach der +Nachmittagspredigt auf der Kanzel. Demungeachtet aber hat die damalige +unruhige <span class="antiqua">abdissin Biscopime</span> zwei von diesen Knechten durch 4 +Butten Bier dazu <span class="antiqua">persuadirt</span> oder gezwungen (wie so hernach +<span class="antiqua">coram protocollo ecclesiastico</span> gestanden), daß Einer die +Fahne, die Anderen den blauen Himmel tragen sollten und sind vor der +<span class="antiqua">monstrance</span> in die Knie gefallen. Wie ich nun am folgenden +Sonntage die Bosheit dieser Knechte öffentlich bestrafte und sie 2 mal +ins Kirchengebet geschlossen, schickte die verwegene <span class="antiqua">abdissin</span> +3 Kerls zu mir ins Haus und ließ mich fragen, warum ich gegen ihre +Knechte so scharf gepredigt. Darauf ich aber die Antwort gab, sie +sollten den Nonnen wiedersagen, sie haben sich um mein Amt gar nicht +zu kümmern und wäre ich allein verbunden Gott und unserm Könige +Rechenschaft davon zu geben. Darauf fragte ich die 3 Kerls, wie sie +daran kämen, daß sie mich in meinem Hause zur Rede stellten, nahm den +Besen und jagte sie zum Hause heraus.</p> + +<p>Wie nun nach einiger Zeit die Knechte zum heiligen Abendmahl gingen, +mußten sie sich erst ordentlich durch die Kirchenbuße mit der Gemeinde +aussöhnen.</p> + +<p>Darauf wurde nun diese Sache in <span class="antiqua">Cleve</span> anhängig gemacht, +da denn sowohl an den Großrichter, als an den <span class="antiqua">Magistrath</span> +ein <span class="antiqua">rescript</span> kam, die Sache genau zu untersuchen und die +<span class="antiqua">interessirten persohnen</span> eidlich abzuhören, damit die +<span class="antiqua">abdissine</span> sich nicht zu beschweren habe.</p> + +<p>Wie nun kurz darauf diese unruhige <span class="antiqua">abdissine</span> wegging und +ich bei <span class="antiqua">Installation</span> der neuen <span class="antiqua">abdissine</span> ins Kloster +zu Meßen genöthigt wurde, begehrte der Praelate von Campen nebst den +Nonnen von mir, daß ich mich doch bemühen möchte, die Sache gütlich +abzuthun. Die vorige <span class="antiqua">abdissine</span> sei eine unruhige Persona +gewesen, sie wollten dergleichen nicht wieder anfangen. Darauf +antwortete ich ihnen, wenn sie<span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[8]</a></span> mir die Kosten wollten wiedergeben, +die an diesen <span class="antiqua">process</span> gelegt, und daß sie es nicht wiederthun +wollten, könnte die Sache liegenbleiben. Kurz darauf haben sie mir 10 +Reichsthaler rechtlich ausbezahlt.</p></blockquote> + +<p>Nach einer Küsterwahl, die nicht nach seinem Willen erfolgte, schreibt +Pastor Melchior ins Kirchenbuch:</p> + +<blockquote> + +<p>Wenn nun dieser junge Mensch seinem Amte keine Genüge thun sollte +und sonderlich die Jungens in der <span class="antiqua">information</span> versäumen, so +fordere ich, daß die Verwahrlos'ten von meinen Händen nicht gefordert +werden. Dem allwissenden Gott, wie auch meiner ganzen Gemeinde ist +bekannt, daß ich auf ein tüchtiges <span class="antiqua">subjectum</span> sehe, nämlich auf +den Schulmeister in <span class="antiqua">Catrop</span>. Ich habe aber der Gewalt weichen +müssen. Was nun verwahrlos't und versäumt wird, das kommt auf die +Menschen, welche diesem jungen Menschen dazu behülflich gewesen.</p></blockquote> + +<p>Bei einer andern Küsterwahl trägt der Pastor mit Stolz ins Kirchenbuch +ein, daß er das katholische Kloster durch ein drastisches Mittel, wie +er sie überhaupt geliebt zu haben scheint, verhinderte, an derselben +theilzunehmen:</p> + +<blockquote> + +<p>Das Kloster schickte (wie das wohl geschehen sollte) den Vogt in die +evangelische Kirche, daß er im Namen des Klosters votiren sollte. Ich +fragte ihn, was er wollte? Nichts. Darauf nahm ich den Chorstock<a name="FNAnker_5_5" id="FNAnker_5_5"></a><a href="#Fussnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a> +und trieb ihn vor mir her zum großen Gelächter der ganzen Gemeinde aus +der Kirche und ließ die Kirche zuschließen.</p> + +<p>Ist also dieser Küster ohne <span class="antiqua">consens</span> und <span class="antiqua">collation</span> +des Klosters erwählt, es ist auch bei der Wahl Niemand vom Rathhause +zugegen gewesen; auch über 1½ Jahr von mir allein in Gegenwart des +Lehnherrn auf dem Chor eingeführt und ist kein Vogt dabei gewesen.</p></blockquote> + +<p>Endlich hat der Pastor Melchior auch einen geheimnißvollen Vorfall +verzeichnet, ohne hinzuzufügen, was er selbst davon halte:</p> + +<blockquote> + +<p>1757, den 7. October, hat sich des Abends um 7 Uhr Folgendes in +unserer Kirche zugetragen.</p> + +<p>Wie die Fräuleins des Klosters Welver um bemerkte Zeit in ihre +Kirche gehen wollten, sehen sie, daß es in unserer Kirche helle ist.</p> + +<p>Wie sie nun vermuthen, es möchten Diebe in der Kirche sein, müssen +nicht nur alle Bediente des Klosters, sondern auch die Leute, so<span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[9]</a></span> zu +Welver am Kirchhofe wohnen, unsere Kirche besetzen. Die auch sämmtlich +das Licht in unsrer Kirche gesehen.</p> + +<p>Wie nun der Küster gezwungen wird, die Kirche zu öffnen, ist das +Licht auf einmal verschwunden. Die Leute sind durch die ganze Kirche +gegangen, ob etwas darin wäre, haben aber nichts verspürt. Ob nun +dieses eine Vorgeschichte ist, ob und wann es soll erfüllt werden, +wird die Zeit lehren; Gott wende Alles zum Besten.</p></blockquote> + +<p>Einige nähere Lebensumstände dieses Mannes, des Großvaters von Friedrich +Arnold Brockhaus und jedenfalls des hervorragendsten unter dessen +Vorfahren, sind durch ein altes Buch erhalten, in das er außer seinen +Ausgaben (aus deren Verzeichnung hervorgeht, daß er auch ein tüchtiger +Oekonom und guter Haushalter war) dann und wann Nachrichten über seine +Erlebnisse einschrieb.<a name="FNAnker_6_6" id="FNAnker_6_6"></a><a href="#Fussnote_6_6" class="fnanchor">[6]</a></p> + +<p>Pastor Melchior verzeichnet darin zunächst den Tag seiner Geburt und +Taufe und macht bei Nennung eines seiner Pathen, einer adelichen Dame, +die Bemerkung: »welche aber nach der Zeit zum <span class="antiqua">pabtum</span> abgefallen +und ihren eigenen Taufbund gebrochen«. Dann fährt er fort:</p> + +<blockquote> + +<p>Gott gebe, daß mein nahme im Himmel unter der Zahl der außerwehlten +auch möge angeschrieben stehen. Habe Dank, Du frommer Gott, daß Du +mich wunderbarlich im mutterleibe gebildet, mit einer vernünftigen +Seele und gesunden Gliedmaßen von frommen Eltern hast lassen gebohren +werden und sonderlich in der heiligen Taufe einen ewigen Bund mit mir +gemacht. Gib gnade, mein Gott, daß ich in diesem Bunde leben, leyden +und sterben möge.</p></blockquote> + +<p>Darauf erwähnt er seiner Studienzeit. Er ging im Februar 1724 (also +18 Jahre alt) nach Halle, aber schon am 6. Juli dieses Jahres nach +Jena: »weil mir die <span class="antiqua">collegia theologica</span> in Halle nicht anstehen +wollten«; von da reiste er am 2. August 1726 nach Leipzig und kam am +20. August 1727 über Frankfurt a. M., Köln und Altena (wo er einmal +predigte, wahrscheinlich weil diese Stadt der Geburtsort seines +inzwischen als Pastor in Soest verstorbenen<span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[10]</a></span> Vaters war und dort noch +Verwandte von ihm lebten) nach Hause zurück. Er machte sein Examen und +predigte mehrmals, bezog indeß im Sommer 1728 nochmals die Universität +Halle »wegen des königlichen Befehls, daß niemand sollte befördert +werden, der nicht zuletzt in Halle studirt«. Am 28. August 1728 wieder +in Soest angelangt, wurde er am 1. December zum Prediger nach Meyerich +berufen, am 8. examinirt, am 9. ordinirt und am 12. December installirt.</p> + +<p>Ueber seine Studienzeit schreibt er folgende Selbstanklage nieder, die +indeß gleich der folgenden wol nicht ganz wörtlich zu nehmen ist:</p> + +<blockquote> + +<p>Wie ich nun mein Universitätsleben zugebracht, ist dem allwissenden +Gott am besten bekannt. Viel gutes habe ich daselbst gelernt, aber +auch durch Müßiggang, Verschwendung und auf andere Gott allein bewußte +Weise mich schwerlich versündiget.</p> + +<div class="poem"> +<div class="stanza"> +<span class="i0">Ach Gott, wenn mir das kömmet ein,<br /></span> +<span class="i0">Was ich mein Tage u. s. w.<br /></span> +</div> +</div> +</blockquote> + +<p>Dann fährt er fort, nach Erwähnung seiner Anstellung:</p> + +<blockquote> + +<p>Ob es mir nun gleich an genugsamer geschicklichkeit fehlet, ich auch +leyder sonderlich im Anfang meines ambtes Vieles versehen und also +Blutschulden auf meine arme Seele geladen (!), so verspreche ich doch +inskünftige zu verbessern, was ich bißanhero versehen habe, und glaube +festiglich, daß mein getreuer Erlöser <span class="antiqua">Jesus Christus</span> mit seinem +theuern Blut meine Blutschulden tilgen werde.</p></blockquote> + +<p>Die übrigen Notizen des Tagebuchs beziehen sich meist auf Ereignisse +in seiner Familie. Er war dreimal verheirathet und hatte funfzehn +Kinder (sechs Söhne und neun Töchter), von denen neun noch vor ihm +starben, meist in sehr zartem Alter. Seine erste Frau starb im ersten +Wochenbett und zwar, wie er bemerkt: »an eben dem Tage und in eben der +Stunde, darinnen wir vorm Jahre waren copuliret; so war sie auch an eben +demselben Tage vor 25 Jahren gebohren«; er fügt hinzu: »Gott gebe allen +frommen Christen eine solche dreifach glückselige Stunde!« Mit seiner +zweiten Frau, Maria Elisabeth, Tochter des Pastors Hennecke in Soest, +war er fast zwanzig Jahre verheirathet und sie wurde die<span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[11]</a></span> Mutter von +zehn Kindern, darunter die beiden Söhne, die seinen Namen fortpflanzten. +Zum dritten male verheirathete er sich in seinem funfzigsten Jahre mit +Klara Dorothea Quante und lebte mit ihr ebenfalls fast zwanzig Jahre, +bis an seinen Tod (1775), während seine Witwe, die ihm vier Kinder +geboren hatte, erst 1808, 83 Jahre alt, starb.</p> + +<p>Noch einige Aeußerungen des Pastors Melchior in seinem Tagebuche seien +zu seiner Charakterisirung hier verzeichnet.</p> + +<p>Beim Verlust eines dreijährigen Töchterchens schreibt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Mein halbes Herz ist mit ihr in die Erde gescharrt. Gott gebe, daß +wir in kurzer Zeit im Himmel uns mögen wiedersehen.</p> + +<div class="poem"> +<div class="stanza"> +<span class="i0">Amen, Amen, komm du schöne<br /></span> +<span class="i0">Freudenkrone, bleib nicht lange,<br /></span> +<span class="i0">Deiner warte ich mit Verlangen.<br /></span> +</div> +</div> +</blockquote> + +<p>Und bei einem ähnlichen Verluste:</p> + +<blockquote> + +<p>Der Herr bescheere mir ein baldiges freudiges Wiedersehen dieses und +meiner übrigen in der Herrlichkeit triumphirenden Kinder, nach seinem +gnädigen Willen. <span class="antiqua">Dulce meum terra tegit.</span> Ich habe hier wenig +guter Tag u. s. w.</p></blockquote> + +<p>Kaum 30 Jahre alt, wurde er von heftigen Leiden am Fuße heimgesucht; +diese verloren sich nach einigen Jahren und er erreichte dann das Alter +von 70 Jahren. Während seiner Leiden schreibt er einmal:</p> + +<blockquote> + +<p>Doch ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, der Herr +wirds wohl machen! Ich werde doch gewiß endlich, wo nicht in dieser +Zeit doch gewiß in der ewigkeit zu Gottes größe sagen: der Herr hat +alles wohl gemacht!</p></blockquote> + +<p>Und nach seiner Genesung schreibt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Gelobet sei der Herr täglich, Er leget uns eine Last auf, aber er +hilft uns auch.</p></blockquote> + +<p>Der unmittelbare Amtsnachfolger dieses ersten Pastors in Meyerich war +sein zweiter Sohn Ludolph Wolrath (oder Wohlrath)<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[12]</a></span> Arnold Brockhaus, +geb. am 6. September 1744, eine Zeit lang Lehrer am Gymnasium zu Soest, +zum Pastor in Meyerich erwählt am 26. December 1775, also kaum sechs +Wochen nach dem Tode seines Vaters. Er trat sein Amt 1776 am Sonntage +Sexagesimä (11. Februar) an und bekleidete es 46 Jahre lang, bis 1822, +wo er es, 78 Jahre alt, wegen Altersschwäche niederlegte; er starb am 6. +Februar 1823.</p> + +<p>Diese beiden Pastoren, Vater und Sohn, haben also zusammen fast ein +volles Jahrhundert (93 Jahre lang) derselben Gemeinde vorgestanden. +Sie sind auch Beide in der kleinen Kirche zu Welver beerdigt, wo ihre +Grabstätten durch Leichensteine bezeichnet sind. Zu ihrem Gedächtniß +hat Heinrich Brockhaus (der zweite Sohn von Friedrich Arnold) im Jahre +1869 der Kirche zu Welver ein von Professor Andreae in Dresden gemaltes +Altarbild geschenkt.</p> + +<p>Der zweite Pastor zu Meyerich, Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, hatte +zwei Söhne, die sich beide gleichfalls dem geistlichen Berufe widmeten +und zwar nicht in Meyerich, aber in andern westfälischen Gemeinden +angestellt wurden: Ludolph Brockhaus, geb. am 28. September 1778, Pastor +in Lüdenscheid, und Theodor Brockhaus, geb. am 18. Mai 1780, Pastor in +Kierspe; Söhne und Enkel von ihnen wirken noch jetzt als Pastoren in +westfälischen Gemeinden.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Ein zweiter Sohn des ersten Pastors zu Meyerich, der ältere Bruder +des zweiten Pastors (die übrigen vier Söhne waren noch als Kinder +gestorben) wurde der Stammvater des nicht-theologischen, kaufmännischen +und buchhändlerischen Zweigs der Familie Brockhaus. Es war dies der +Vater von Friedrich Arnold Brockhaus, Johann Adolf Heinrich (oder +Henrich) Brockhaus, geb. zu Meyerich am 21. Mai 1739. Derselbe +erlernte die Handlung in Hamm und zog dann nach der damals Freien +Reichsstadt Dortmund, wo er 1767 Katharina Elisabeth Davidis (geb. am +22. März 1736), Witwe des <span class="antiqua">Dr. med.</span> Kirchhoff, heirathete und +ein Materialwaarengeschäft begründete. Er war Mitglied des Raths und +überhaupt in seiner Vaterstadt angesehen, wo er am 26. März 1811 starb.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[13]</a></span></p> + +<p>Johann Adolf Heinrich Brockhaus hatte zwei Söhne, die er für seinen +Beruf, den kaufmännischen, bestimmte.</p> + +<p>Der ältere, Gottlieb Brockhaus, geb. am 4. September 1768, übernahm das +väterliche Geschäft und blieb bis an sein Lebensende (30. Mai 1828) in +Dortmund.</p> + +<p>Der jüngere Sohn war Friedrich Arnold Brockhaus, dessen Leben und Wirken +die nachfolgenden Blätter gewidmet sind.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[14]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter1-2" id="Chapter1-2">2. +<br /> +Jugendzeit und erstes Mannesalter. +</a></h3> + +<p class="start-chap">Friedrich Arnold Brockhaus wurde zu Dortmund am 4. Mai 1772 geboren. +Nach dem Kirchenbuche der evangelischen Sanct-Reinoldi-Kirche daselbst +(bei welcher sein Vater das Amt eines Diakonen bekleidete) erhielt er +in der am 8. Mai im Hause des Predigers Mellmann vollzogenen Taufe die +Namen David Arnold Friederich, doch scheint er den erstern Vornamen nie +geführt zu haben und die beiden andern gebrauchte er in umgekehrter +Reihenfolge; sein Rufname war Arnold. Taufzeugen waren: David Friedrich +Davidis, Subdelegatus und Pastor zu Wennigern (wahrscheinlich der +Bruder seiner Mutter), Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, Lector an dem +Gymnasium zu Soest (der spätere Pastor zu Meyerich, ein jüngerer Bruder +seines Vaters) und Jungfrau Maria Elisabeth Davidis (vermuthlich eine +Schwester seiner Mutter).</p> + +<p>Seine Jugendzeit verlebte er in Dortmund. Für den Kaufmannsstand, zu +dem ihn sein Vater bestimmt hatte, zeigte er anfangs keine besondere +Neigung, dagegen von frühester Jugend an das lebhafteste Interesse +für die Literatur. Sein Vater suchte diese Neigung auf alle Art zu +unterdrücken und stellte ihn deshalb, während er ihn das dortige +Gymnasium besuchen ließ, in den Freistunden in seinem Verkaufsladen mit +an. Mit 16 Jahren, 1788, gab er ihn nach Düsseldorf in die Lehre zu +einem Kaufmanne Namens Friedrich Hoffmann, bei dem er die »Handlung« +erlernen sollte. Dieser Aufenthalt dauerte fünf bis sechs Jahre und +wurde<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[15]</a></span> von dem jungen Manne gut benutzt, sodaß ihn sein Principal trotz +seiner Jugend bald zu größern Handlungsreisen verwendete und ihm nach +und nach die wichtigsten Arbeiten übertrug. Derselbe scheint selbst +die Absicht gehabt zu haben, ihn zu seinem Compagnon zu machen, und +mit seiner Nichte, Maria Siebel, zu verheirathen; doch kam es zu einem +Zerwürfniß zwischen Principal und Gehülfen, und Brockhaus verließ +infolge dessen seine Stellung in Düsseldorf.</p> + +<p>Mit 21 Jahren, 1793, ins älterliche Haus nach Dortmund zurückgekehrt, +wo inzwischen (am 15. August 1789) seine von ihm stets hochverehrte +Mutter gestorben war, wurde er vom Vater wieder in dessen +Materialwaarenhandlung beschäftigt, fand aber an dem Verkehr mit den +nach der Stadt kommenden Bauern, dem Abwiegen von Kaffee und Zucker +begreiflicherweise jetzt noch weniger Gefallen als früher. Er hatte auf +seinen Geschäftsreisen weitere Gesichtspunkte erhalten, die ihm die +kleinbürgerlichen Verhältnisse seiner Vaterstadt und das Detailgeschäft +seines Vaters verleideten; er fühlte, daß ihm für seinen künftigen Beruf +als Kaufmann — denn mit diesem schien er sich jetzt doch ausgesöhnt zu +haben — noch Vieles fehle, was er in Dortmund nicht erlernen könne, +und bat deshalb den Vater, ihn in die Fremde ziehen zu lassen. Und +welchen Ort wählte er aus? Keinen andern als den Schauplatz seiner +spätern Hauptwirksamkeit als Buchhändler: Leipzig. Freilich dachte er +dabei wol nicht an den Mittelpunkt des deutschen Buchhandels, sondern +an die Handelsstadt, an die berühmten leipziger Messen, die auch von +den dortmunder Kaufleuten regelmäßig besucht wurden. Aber gewiß hatte +Leipzig als Buchhändlerstadt für ihn noch einen besondern Zauber, und +daß dort zugleich eine Universität war, fiel auch mit in die Wagschale. +Ja nach seinen eigenen Aeußerungen scheint es, daß er geradezu die +Absicht hatte, auf der dortigen Universität zu studiren. Der Vater +gab den Bitten des Sohnes nach. Vielleicht hatte er auch noch einen +besondern Grund, den Sohn für einige Zeit aus Dortmund zu entfernen: ein +Liebesverhältniß des Sohnes, das fast ein tragisches Ende genommen hätte.</p> + +<p>Als der einundzwanzigjährige Jüngling aus der düsseldorfer<span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[16]</a></span> Lehre +zurückkehrte, traf er im älterlichen Hause eine Cousine aus dem +benachbarten Soest, die Tochter der an einen dortigen Kaufmann +verheiratheten Schwester seines Vaters, von dem Onkel zum längern Besuch +eingeladen. Die beiden jungen Leute fanden aneinander Gefallen und +besonders schien der junge Mann, der unter seinen Altersgenossen durch +lebhaften Geist, höhere Bildung und Interesse an Kunst und Literatur +hervorragte und viel von Düsseldorf und seinen Reisen zu erzählen +wußte, einen tiefen Eindruck auf das Gemüth des in den einfachsten +Verhältnissen aufgewachsenen Mädchens zu machen. Nach ihren eigenen +Erzählungen in spätern Lebensjahren sprudelte er damals von Frohsinn +und Lebensmuth über und hatte stets ein französisches Chanson auf der +Zunge. Sein Vater war natürlich der Ansicht, daß der Sohn noch nicht +ans Heirathen denken dürfe, und schritt energisch ein. Das Mädchen nahm +sich die Sache sehr zu Herzen: sie stürzte sich aus Verzweiflung in +den offenen Brunnen auf dem dortmunder Markte! Glücklich gerettet und +zu ihren Aeltern nach Soest gebracht, zog sie sich bald tiefsinnig in +ein dortiges Frauenstift zurück; später, nach Auflösung der Klöster und +Stifter unter Napoleon's Herrschaft, trat sie indeß ins bürgerliche +Leben zurück und heirathete 1809 (also erst in reiferm Alter, 16 Jahre +nach dem Liebesverhältniß mit dem jungen Vetter) einen Kaufmann in +Soest, wo sie 1843 starb. In ihrem Alter weilte sie immer gern bei +der Erinnerung an jene Zeit und erkundigte sich mit Interesse nach +allen Verhältnissen ihres verstorbenen Vetters. Wie auf diesen die vom +Vater getroffene Entscheidung, die Verzweiflungsthat des Mädchens und +ihr Schicksal eingewirkt, ist uns nicht bekannt. In spätern Jahren +erkundigte auch er sich oft nach seiner Cousine, ohne sie indeß je +wiederzusehen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Im Sommer 1793 ging Brockhaus nach Leipzig und blieb dort fast +anderthalb Jahre, bis Ende 1794. Mit regem Eifer widmete er sich seiner +weitern Ausbildung: der Vervollkommnung in den neuern Sprachen sowie dem +Studium der allgemeinen Wissenschaften, obwol er unsers Wissens weder +in einem kaufmännischen Geschäft angestellt war, noch sich unter die +Studirenden aufnehmen lassen konnte. Von Professoren der Universität, +deren<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[17]</a></span> Vorlesungen er gehört, nennt er den Philosophen Ernst Platner, +den Mathematiker und Physiker Hindenburg und den Chemiker Eschenbach. +Auch an dem literarischen und buchhändlerischen Leben Leipzigs nahm +er das lebhafteste Interesse. Sehr oft besuchte er unter anderm die +Köhler'sche Buchhandlung, mit deren Besitzer er durch die mit diesem +nahe befreundete dortmunder Familie Varnhagen in Berührung gekommen war, +fleißig die neu erschienenen Bücher durchmusternd.</p> + +<p>Nur ein einziger Brief von ihm ist aus dieser Zeit erhalten, der aber +ein um so merkwürdigeres Actenstück bildet. Es ist dies ein förmlicher +Verlagsantrag des noch nicht ganz 22 Jahre zählenden jungen Kaufmanns +und Studenten an eine angesehene leipziger Verlagshandlung. Und daß +dieser Verlagsantrag kein bloßes Project war, auch keine Gedichtsammlung +oder kein Drama, wie sie mancher junge Mann dem Buchhändler als +Erstlingswerk anbietet, sondern ein größeres ernstes Werk betraf, geht +daraus hervor, daß er dem Briefe einen vollständigen »Plan« des auf 20 +Druckbogen berechneten Buchs in Form eines »Prospectus« und sogar einen +Theil des fertigen Manuscripts hinzufügt!</p> + +<p>Der Brief lautet wörtlich folgendermaßen:</p> + +<blockquote> + +<p class="center">An die Herren Voß und Comp.</p> +<p class="salut">Meine Herren!</p> + +<p>Aus dem auf der andern Seite folgenden Prospectus werden Sie den +Plan und aus den beifolgenden acht Bogen Manuscript die Behandlung +eines Buchs sehen, das ich diese Ostermesse — etwa 20 Bogen in 8. +stark — herausgeben möchte.</p> + +<p>Ich biete es Ihnen zum Verlag an; muß Sie aber ersuchen, mir bis +morgen Ihre Entscheidung darüber zukommen zu lassen; — sollten Sie +mündlich mit mir darüber sprechen wollen, so wird mir Ihr Besuch +morgen früh in der Zeit von 10-12 Uhr sehr angenehm sein.</p> + +<div class="center"> +<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary=""> +<tr> + <td align="left" style="width:50%">Den 3. März 1794.</td> + <td align="center" style="width:50%">Ihr ergebener Diener</td> +</tr> +<tr><td align="left"></td><td align="center">F. A. Brockhaus.</td></tr> +<tr><td align="left"></td><td align="left">Wohnt in Nr. 75 im Hay'schen Hause auf der Petersstraße bei dem Friseur Dieterich.</td></tr> +</table></div> +</blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[18]</a></span></p> + +<p>Die hier erwähnte »andere Seite« dieses Briefs mit dem »Plan« des Werks +findet sich leider in dem Archiv der noch jetzt bestehenden Buchhandlung +(die den Brief erst vor einigen Jahren auffand und der Firma F. A. +Brockhaus freundlich überließ) ebenso wenig, als die acht Bogen des +vermuthlich »Manuscript« gebliebenen Manuscripts vorhanden sind; wir +würden daraus wenigstens ersehen haben, auf welche Gegenstände die +Studien des jungen Autors in Leipzig vorzugsweise gerichtet waren. +Vermuthlich ist ihm von Herrn Voß Beides zurückgegeben worden, und +wahrscheinlich im Comptoir der Buchhandlung, nicht in seiner Wohnung, +wohin er naiverweise seinen künftigen Verleger bestellt hatte. +Ueberhaupt ist der Ton des Briefs, die Sicherheit des Auftretens, das +Verlangen einer Entscheidung »bis morgen«, die kurze geschäftsmäßige +Form charakteristisch für den Briefschreiber. Derselbe mochte damals +nicht ahnen (wie es in der Festrede von Heinrich Brockhaus beim +funfzigjährigen Jubiläum der Firma F. A. Brockhaus heißt), »daß er +selbst und eine von ihm gegründete Buchhandlung im Laufe der Zeiten +selbst so viele Verlagsanträge anzunehmen und — abzulehnen haben würde.«</p> + +<p>In Leipzig knüpfte er mit dem Vertreter eines Hauses in Manchester an +und wurde von diesem gegen Ende 1794 engagirt, einer in Livorno zu +errichtenden Filiale jenes Hauses vorzustehen. In Amsterdam sollte er +mit dem Engländer zusammentreffen und zuvor wollte er nur seinen Vater +in Dortmund begrüßen. Da brach der Krieg zwischen Frankreich und Italien +aus und das englische Haus vertagte seinen Plan auf günstigere Zeiten. +Ein Anerbieten desselben, inzwischen eine Stelle auf dem Comptoir +in Manchester anzunehmen, lehnte er ab und beschloß, vorläufig in +Dortmund zu bleiben. Er etablirte sich auch bald darauf selbständig als +Kaufmann, zuerst in Dortmund, dann in Arnheim und endlich in Amsterdam. +Diese kaufmännische Wirksamkeit umfaßt die Jahre 1796-1805, also sein +dreiundzwanzigstes bis dreiunddreißigstes Lebensjahr.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Brockhaus errichtete in Dortmund ein En-gros-Geschäft in englischen +Manufacturen, besonders groben Wollenstoffen, und verband sich dazu +mit einem Freunde, Wilhelm Mallinckrodt; Beide<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[19]</a></span> nahmen bald darauf +noch einen dritten jungen Dortmunder, Gottfried Wilhelm Hiltrop, +zum Associé an, und so wurde zwischen ihnen am 15. September 1796 +ein Societätsvertrag abgeschlossen. Ihr Geschäft unter der Firma: +»Brockhaus, Mallinckrodt und Hiltrop«, nahm bald den erfreulichsten +Aufschwung; Brockhaus leitete das Comptoirgeschäft, Mallinckrodt machte +die Reisen und hatte das Waarenlager unter sich, während Hiltrop von +Anfang an nur eine untergeordnete Rolle spielte. Bald beschlossen denn +auch die beiden Freunde, sich von Hiltrop, den sie wesentlich seines +bedeutenden Vermögens halber zum Associé genommen hatten, wieder zu +trennen, zumal er ihnen seines unverträglichen Charakters wegen lästig +geworden war. Sie kündigten ihm im Jahre 1798, zahlten ihm seinen +Antheil heraus und zeichneten ihre Firma nunmehr, vom 1. Januar 1799 +an: »Brockhaus und Mallinckrodt«; Hiltrop gründete ein eigenes Geschäft +gleicher Art in Dortmund. Bald darauf errichteten sie ein zweites +Haus in Arnheim unter der Firma: »Mallinckrodt und Compagnie«, und +Mallinckrodt zog zu dessen Leitung im Jahre 1801 nach Arnheim, während +Brockhaus in Dortmund verblieb. Das Haus in Arnheim war besonders +deshalb gegründet worden, weil der Hauptabsatz des dortmunder Geschäfts +nach Holland stattfand. Ihr Geschäft nahm einen immer größern Umfang an +und die beiden jungen Kaufleute erwarben in wenig Jahren ein bedeutendes +Vermögen.</p> + +<p>In diese Zeit fällt Beider Verheirathung. Brockhaus vermählte sich am +30. September 1798 mit der Tochter eines der angesehensten dortmunder +Patricier, des Senators und Professors Johann Friedrich Beurhaus: Sophie +Wilhelmine Arnoldine, geb. 24. December 1777; Mallinckrodt mit einer +Freundin derselben. Brockhaus nannte später die ersten drei Jahre seiner +Ehe (1798-1800) die glücklichsten seines Lebens. Am 17. Juli 1799 wurde +ihm sein erstes Kind geboren: eine Tochter, Auguste; am 23. September +1800 sein erster Sohn: Friedrich.</p> + +<p>Dieses Glück sollte aber nicht lange dauern und die Veranlassung dazu +bildete der frühere Associé Beider, Hiltrop, obwol derselbe, als ein +Verwandter der Familie Beurhaus, mit Brockhaus verwandt geworden war und +später sogar sein Schwager wurde,<span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[20]</a></span> indem er Elisabeth Beurhaus, eine +Schwester von Brockhaus' Frau, heirathete. Aus einer geschäftlichen +Angelegenheit entwickelten sich bald Verhältnisse der unangenehmsten +Art, die zunächst auf Brockhaus' äußeres Leben entscheidenden Einfluß +übten. Sie wurden die Ursache, daß er Dortmund verließ und nach Holland +zog, ja selbst, daß er sich dort später dem Buchhandel widmete, dem er +sich bei seinem Verbleiben in Dortmund schwerlich zugewendet haben würde.</p> + +<p>Brockhaus wurde nebst seinem Associé Mallinckrodt von Hiltrop in einen +Proceß verwickelt, der unter den Fehden und Anfechtungen, an denen sein +Leben reich war, eine der hervorragendsten Stellen einnimmt und ihn mit +kürzern oder längern Unterbrechungen bis an sein Lebensende verfolgte. +Da der Proceß in dieser Zeit seinen Ursprung hat und mit ihm die +nächsten Lebensschicksale von Brockhaus verknüpft sind, so müssen wir +denselben jetzt im Zusammenhange erzählen, wenn dadurch auch der Zeit +mehrfach vorgegriffen wird.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[21]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter1-3" id="Chapter1-3">3.</a> +<br /> +Der Hiltrop'sche Proceß. +</h3> + +<p class="start-chap">Die beste Grundlage zu einer Schilderung dieses Processes, dessen +vollständige Darstellung in vieler Hinsicht interessant wäre, hier aber +zu weit führen würde, bietet eine von Brockhaus kaum ein Jahr vor seinem +Tode veranstaltete und als Manuscript gedruckte Sammlung der darauf +bezüglichen wichtigsten Actenstücke, die sowol seine eigenen Eingaben +als die ergangenen Urtel, Gutachten u. s. w. enthält und somit ein +unparteiisches Urtheil ermöglicht.<a name="FNAnker_7_7" id="FNAnker_7_7"></a><a href="#Fussnote_7_7" class="fnanchor">[7]</a></p> + +<p>Der Ursprung des Processes und sein erster Verlauf war in Kürze +folgender.</p> + +<p>Im October 1799 fallirte das Bankhaus Simon Moritz Bethmann in London, +mit dem sowol Hiltrop als die Firma Brockhaus & Mallinckrodt in +Geschäftsverbindung (Wechselgeschäften) standen.<span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[22]</a></span> Hiltrop hatte an +Bethmann vom April bis September 1799 circa 2800 Pfd. St. remittirt und +dagegen Fabrikanten und Kaufleute im Innern von England angewiesen, für +Waaren, die sie ihm lieferten, auf Bethmann zu ziehen. Mehrere solche +Wechsel waren auch gezogen und bezahlt worden, Hiltrop's Guthaben an +Bethmann betrug aber bei Ausbruch des Concurses noch 1806 Pfd. St. +Die Firma Brockhaus & Mallinckrodt, welche ebenfalls in einem längern +Geschäftsverkehr mit Bethmann gestanden hatte, schuldete dagegen diesem +Hause eine Summe von 2204 Pfd. St., die sich aber auf 774 Pfd. St. +reducirte, da Bethmann ihnen mehrere Wechsel im Betrage von zusammen +1429 Pfd. St. zurückgegeben oder sie von den daraus entstandenen +Verbindlichkeiten gegen die Masse von W. L. Popert u. Comp. in Hamburg +(die in der damaligen allgemeinen Handelskrisis ebenfalls fallirten) +liberirt hatte. Brockhaus & Mallinckrodt gaben Hiltrop aus freien +Stücken Kenntniß von diesem Stande ihrer Rechnung mit Bethmann, um +ihm dadurch zur Rettung eines Theils seines Verlustes behülflich zu +sein. Hiltrop benutzte dies aber, um sofort unterm 25. November 1799 +auf die Forderung der Bethmann'schen Masse an Brockhaus & Mallinckrodt +gerichtlich Arrest legen zu lassen. Der Magistrat zu Dortmund bestätigte +diese Maßregel.</p> + +<p>Brockhaus & Mallinckrodt appellirten hiergegen an die höhern +Reichsgerichte, besonders aus Rücksicht auf Bethmann in London, da +diesem z. B. nur sechs Wochen Zeit zu Einreden gegeben wurde, während in +dem damaligen harten Winter von 1799 auf 1800 der Postenlauf zwischen +Cuxhaven und Harwich mehrere Monate lang unterbrochen war. Außerdem +waren sie inzwischen von der Firma Gebrüder Bethmann in Frankfurt a. M. +(Verwandte des londoner Hauses) beauftragt worden, eine Forderung an +Hiltrop im Betrage von 8000 Thlr. frankfurter Wechselgeld (10000 Thlr. +Berg. Courant) einzukassiren, und diese Forderung war ihnen selbst +zu diesem Zweck cedirt worden: gewiß ein Beweis großen Vertrauens zu +der jungen Firma von seiten jenes großen Hauses. Infolge alles dessen +entschloß sich Hiltrop, der trotz seines frühern großen Vermögens +infolge seiner geschäftlichen Unfähigkeit rasch in finanzielle +Verlegenheiten gerathen war und auch von andern Gläubigern hart<span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[23]</a></span> +bedrängt wurde, zu einem gütlichen Vergleich, der durch Vermittelung +des gemeinschaftlichen Schwagers von Hiltrop und Brockhaus, Erbsaß +(später Justizcommissar) Heinrich Beurhaus zu Dortmund, unterm 24. +April 1800 abgeschlossen wurde. Danach sollte der Proceß von Gebrüder +Bethmann in Frankfurt gegen Hiltrop bis zur Erledigung des Processes von +Hiltrop gegen Bethmann in London sistirt werden, Hiltrop von Brockhaus +ein »Darlehn« von 1200 Pfd. St., das er ebenfalls erst nach Austrag +dieser Sache zurückerstatten sollte, empfangen, Letzterm dagegen (resp. +Beurhaus) seine Forderung an Bethmann in London cediren und für den Rest +seiner Schuld bei Gebrüder Bethmann in Frankfurt Waaren an Zahlungsstatt +geben, auch sein Conto-Corrent mit Bethmann in London als richtig +anerkennen.</p> + +<p>Schon fünf Monate nach Abschluß dieses Vergleichs machte indeß Hiltrop +den Versuch, denselben umzustoßen, und zwar wieder auf eine ihm von +Brockhaus vertraulich gemachte Mittheilung hin: daß die Bethmann'schen +Massecuratoren in London jenen Vergleich nicht genehmigen wollten. Er +fand an dem gegen Brockhaus sehr feindselig gesinnten Bürgermeister +Schäffer in Dortmund einen bereitwilligen Helfer, der bei dem traurigen +Zustand der damaligen reichsstädtischen Verfassung eigenmächtig +verfahren konnte; durch ihn erreichte er, daß sein wiederholtes +Arrestgesuch vom 15. September 1800 genehmigt und das Waarenlager von +Brockhaus & Mallinckrodt (das einen Werth von mindestens 100000 Thlr. +hatte) mit Arrest belegt und versiegelt wurde. Da alle Remonstrationen +gegen diese, wie Brockhaus sich ausdrückt, »fürchterlichen, im höchsten +Grade ungerechten Maßregeln, die den bürgerlichen Ruin der Beklagten +augenblicklich nach sich ziehen mußten«, erfolglos blieben, so +wendeten sich letztere an die höchsten Reichsgerichte um Schutz gegen +Unterdrückung und forderten Genugthuung sowie Schadenersatz. Da schien +endlich Hiltrop sein Unrecht einzusehen; er bat um Verzeihung für sein +»kränkendes und übereiltes Betragen« und versprach, in Zukunft nur in +dem ordentlichen Wege Rechtens gegen die Beklagten vorzugehen.</p> + +<p>Das Verdienst, dieses Resultat herbeigeführt zu haben, durch welches die +Angelegenheit wenigstens ihren gehässigen Charakter<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[24]</a></span> verlor, gebührt +Hiltrop's Frau, Elisabeth, einer Schwester von Brockhaus' Frau. Sie +wandte sich direct an Brockhaus, den von ihrem Manne so vielfach und +so empfindlich Gekränkten, und bat ihn, das Verfahren ihres Mannes zu +entschuldigen: gewiß ebenso ein Zeichen ihres richtigen Gefühls als +Frau, wie der wahren Achtung und des vollen Vertrauens, das sie zu ihrem +Schwager als einem Ehrenmanne hatte.</p> + +<p>Sie schreibt in diesem Briefe, dessen Datum uns nicht bekannt ist:</p> + +<blockquote> + +<p>Brockhaus! Brockhaus! Ich fordere Sie auf, mich anzuhören. Sehen +Sie, mein Herz ist voll trüben Gedenkens über eine Geschichte, +welche nie hätte geschehen müssen, und ich weiß mich an Niemand +sicherer zu wenden als an Sie selbst. Sie beurtheilen die Sache gewiß +richtig, davon bin ich überzeugt, und ich weiß auch, daß Sie glauben: +Uebereilung ist kein Verbrechen. Dieses hat sich Hiltrop zu Schulden +kommen lassen .... Brockhaus, Brockhaus, ich ahndete nichts von Allem, +was geschehen ist, und flehe ich zu Ihnen, mich und mein armes Kind +nicht unglücklich zu machen, da dieses doch jetzt nur einzig von Ihnen +abhängt. Verzeihen Sie Hiltrop, der sich hat bereden lassen und leider +jetzt mit Schaden einsehen muß, wie wenig man Leuten trauen darf. Es +thut ihm auch für mich leid und er glaubt es sich nicht vergeben zu +können, mir solche Unruhe zu machen, und hat mir deswegen gesagt, +ich könnte die Sache ganz nach meinem Wunsche einrichten. Theurer +Brockhaus, mein Herz will keine Feindschaft gegen Sie und Sophie, die +immer mehr meine Freundin als Schwester war. Jetzt, ich weiß es, sind +Sie aufgebracht gegen Hiltrop und über sonstiges Verfahren und wollen +die Sache nach Wetzlar berichten. Brockhaus, Gott! dieses können und +werden Sie nicht wollen. Lassen Sie Vergebung über Ihren gerechten +Zorn siegen! Denken Sie, daß es Uebereilung ist, welches mein armes +Mädchen noch so schwer büßen sollte; geben Sie mir Ihre Hand darauf, +so nicht zu verfahren, und im voraus danke ich Ihnen für Ihre Güte. +Daß es Güte ist, bin ich fähig zu fühlen ....</p></blockquote> + +<p>Brockhaus erfüllte die Bitte seiner Schwägerin; er verzichtete auf +Genugthuung und Schadenersatz, wogegen Hiltrop am 3. October 1801 auf +Cassation aller Maßregeln gegen die Firma Brockhaus & Mallinckrodt beim +dortmunder Magistrat antrug, während der Proceß selbst seinen Fortgang +hatte.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[25]</a></span></p> + +<p>Indessen war Brockhaus der Aufenthalt in Dortmund durch die widrigen +Erlebnisse der beiden letzten Jahre so verleidet worden, daß er mit +dem Gedanken umging, das dortmunder Geschäft ganz aufzulösen und zu +Mallinckrodt nach Arnheim zu ziehen. Er hatte deshalb schon im Sommer +des Jahres 1801 eine Reise nach Holland gemacht, und als er im August +von dort zurückkehrte, verbreitete sich in Dortmund das Gerücht, daß +er die Stadt verlassen und nach Holland übersiedeln wolle. Die Sache +war damals indeß nur ein Project, das, wie Brockhaus selbst sagt, +»wahrscheinlich nie wäre ausgeführt worden«. Hiltrop wurde aber gerade +dadurch veranlaßt, seinen Arrestantrag zu wiederholen, Brockhaus mußte +eine bedeutende Caution stellen und wurde selbst persönlich verhaftet. +Dies veranlaßte ihn, sein Vorhaben wirklich auszuführen. Er verließ +seine Vaterstadt und zog noch im Spätherbst 1801 nach Arnheim, der +am Rhein (Leck) gelegenen Hauptstadt der Provinz Geldern, wo er mit +Mallinckrodt bereits ein Jahr vorher ein Haus errichtet hatte.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Arnheim bildete übrigens blos einen kurzen Durchgangspunkt für ihn. Die +Hauptstadt und erste Handelsstadt Hollands, Amsterdam, schien ihm ein +geeigneterer Wirkungskreis für seine Handelsspeculationen, besonders +seinen Verkehr mit England, und so zog er schon im Winter von 1801 auf +1802 dorthin. Vorher trennte er sich geschäftlich von Mallinckrodt, um +sein Glück allein weiter zu versuchen, und auch wol, weil Mallinckrodt +ihm die durch Hiltrop verschuldete Störung ihres Geschäfts zum Vorwurf +machte. Mallinckrodt blieb in Arnheim zurück und setzte das bisherige +Geschäft allein fort, scheint aber seinen Associé, der ihn jedenfalls +geistig bedeutend überragte, sehr vermißt zu haben. Er bewahrte für +diesen stets regstes Interesse und vollste Hochachtung und besuchte ihn +später in Leipzig. Durch Hiltrop's fortgesetzte Machinationen scheint +er mehr noch als Brockhaus gelitten zu haben und dadurch in seinem +Geschäfte wesentlich gestört worden zu sein. Hiltrop ging indeß erst +in späterer Zeit, 1815, direct und separat gegen Mallinckrodt vor, als +er in seinem Verfahren gegen Brockhaus nichts erreichen konnte. Er +brachte es im Sommer 1822 bis zur<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[26]</a></span> Execution gegen Mallinckrodt, gewann +dadurch aber nichts, da die hypothekarischen Gläubiger desselben den +Ertrag der auf diese Weise verkauften Mallinckrodt'schen Grundstücke, +Waaren und Mobilien völlig in Anspruch nahmen. So hatte Hiltrop die +traurige Genugthuung erlebt, wenigstens den einen der von ihm Verfolgten +geschäftlich und bürgerlich ruiniert zu haben, während Brockhaus' reger +Geist sich bald andern Bahnen zuwandte, auf denen ihn Hiltrop zwar +stören, aber nicht, wie es seine Absicht war, ebenfalls ruiniren konnte.</p> + +<p>Denn allerdings ließ Hiltrop nicht nach in seinem Vorgehen gegen +Brockhaus, das er, nachdem seine eigene bürgerliche und geschäftliche +Stellung dadurch empfindlich gelitten hatte, zum alleinigen traurigen +Geschäft seines Lebens gemacht zu haben scheint. Wir müssen deshalb +hier wieder anknüpfen an den oben geschilderten ersten Verlauf dieses +Processes und die weitern Stadien desselben vorführen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Trotz der durch Hiltrop's Frau in so richtigem Gefühle angestrebten +Aussöhnung und Hiltrop's Selbstdemüthigung war der Proceß über die +Gültigkeit des am 24. April 1800 abgeschlossenen Vergleichs in Dortmund +anhängig geblieben, während Mallinckrodt und Brockhaus seitdem in +Arnheim und Amsterdam lebten. Die Acten sollten verschickt sein, +waren aber von der dortmunder Behörde verloren worden! Erst im August +1805 wurden sie aus den Manualacten der Sachwalter wieder nothdürftig +ergänzt und am 19. Juli 1806 erfolgte ein Rechtsspruch der göttinger +Facultät, in welchem dem Kläger der Beweis, daß dem Verfahren der +Beklagten gegen ihn ein »Betrug«(!) zu Grunde liege, nachgelassen wurde. +Hiltrop trat die übrigen ihm auferlegten Beweise an; der Sachwalter +der Beklagten, obwol sonst ein geschickter Jurist, wußte sich in +diese kaufmännischen Verhältnisse nicht zu finden und übergab einen +durchaus verfehlten Gegenbeweis, doch hatten die Beklagten selbst ein +Promemoria darüber entworfen. Unterm 16. November 1809 wurde das den +Beklagten ungünstige erste Urtheil seitens der herzoglich bergischen +Regierung gefällt, verfaßt von dem Oberbergrichter Bölling in Essen. +Es nahm den Beweis für<span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[27]</a></span> geführt an und verurtheilte die Beklagten, an +Hiltrop 606 Pfd. St. nebst Zinsen und Proceßkosten zu zahlen. Gegen +dieses Erkenntniß appellirten Brockhaus und Mallinckrodt und ließen +eine von Brockhaus selbst verfaßte »Rechtfertigung« dieser Appellation +unterm 28. Februar 1810 (in Amsterdam) für ihre Freunde drucken. Sie +belegten durch zwei Parere, von der Kaufmannschaft zu Leipzig (vom +6. April 1800, verfaßt vom Kramerconsulent <span class="antiqua">Dr.</span> Bahrt) und von +der Kaufmannschaft zu Elberfeld (vom November 1801, verfaßt von dem +Syndikus derselben, <span class="antiqua">Dr.</span> Brüninghaus), daß ihr Verfahren der Lage +der Sache und dem kaufmännischen Geschäftsgange durchaus angemessen +gewesen sei. Später erfolgten noch zwei Gutachten, welche sie ebenfalls +von dem frivolen Vorwurfe eines »Betrugs« vollkommen freisprachen: das +eine von dem Professor <span class="antiqua">Dr.</span> Dabelow in Halle, später in Dorpat, +datirt Leipzig, 16. Juli 1810, das andere von der Juristenfacultät zu +Halle vom Januar 1813. Dennoch wurde von dem neuerrichteten bergischen +Appellationsgerichtshofe zu Düsseldorf unterm 24. November 1813 das +Erkenntniß erster Instanz lediglich bestätigt. Dieses Urtheil kam jedoch +nie zur Vollstreckung, vielleicht infolge der eingetretenen politischen +Ereignisse; es wurde sogar dem inzwischen von Amsterdam nach Altenburg +und später nach Leipzig übergesiedelten Brockhaus gar nicht publicirt, +wie durch eine Bescheinigung der herzoglich sächsischen Landesregierung +zu Altenburg vom 16. März 1822 ausdrücklich beglaubigt wird.</p> + +<p>Hiltrop beruhigte sich aber nicht und reichte nach Verlauf mehrerer +Jahre, am 17. August 1819, eine neue Klage gegen Brockhaus ein. Damit +beginnt das dritte und letzte Stadium dieses langwierigen Processes. +Das königlich preußische Oberlandesgericht zu Hamm bestätigte durch +ein Erkenntniß vom 5. Januar 1822 die für den Beklagten ungünstigen +Urtheile von 1809 und 1813, während es unterm 30. März 1822 eine von +Brockhaus gegen einen Arrest auf ein Erbtheil seiner minorennen Kinder +erhobene Klage im wesentlichen zu seinen Gunsten entschied. Gegen +diese Erkenntnisse, insbesondere das erste, appellirte Brockhaus. Er +verfaßte für den Justizcommissar Cappel in Hamm selbst eine ausführliche +»Instruction« (worin er unter anderm sagt, daß diese Er<span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[28]</a></span>kenntnisse »sich +ebenso wenig mit den anerkanntesten Sätzen des Völkerrechts als mit dem +Geiste der preußischen Proceßgesetzgebung, diesem Meisterstücke einer +legislativen Weisheit, vereinbaren lassen«) und ließ die obenerwähnte +»Sammlung von eilf Actenstücken« für das Gericht und für seine Freunde +drucken (das Vorwort dazu ist aus Leipzig vom 1. Juli 1822 datirt). +Indeß betätigte der zweite Senat des Oberlandesgerichts zu Münster +unterm 28. September 1822 lediglich die frühern Erkenntnisse. Brockhaus +gab sich aber noch immer nicht für besiegt, obwol er damals eben eine +lebensgefährliche Krankheit überstanden hatte, deren Wiederholung er +kaum ein Jahr darauf erlag: er ergriff das letzte Mittel, das ihm +übrigblieb, und wandte sich an das Geheime Obertribunal zu Berlin mit +der Bitte um Cassation, resp. Revision des Erkenntnisses von 1813. +In dem von ihm selbst wieder verfaßten »Revisionsbericht« (der kein +Datum hat, aber jedenfalls noch im Spätherbst 1822 geschrieben ist) +betont er, daß ihn zu diesem Antrage außer dem bedeutenden Objecte des +Processes (zuletzt gegen 10000 Thlr.) besonders der Umstand bestimme, +wegen eines vermeintlichen »Betrugs« und infolge eines irrigerweise für +»rechtskräftig« angenommenen Erkenntnisses verurtheilt zu werden.</p> + +<p>Noch ehe die Antwort von Berlin erfolgt war, starb Brockhaus. Erst +mehrere Jahre nach seinem Tode (1828) wurde der Proceß endlich von +seinen Erben durch einen Vergleich mit Hiltrop beendigt; letzterer starb +am 2. April 1845.</p> + +<p>Das Urtheil des Geheimen Obertribunals in Berlin vom 2. April 1824 +hatte die frühern Erkenntnisse bestätigt, doch war den Stadtgerichten +zu Leipzig durch ein allerhöchstes Rescript der königlich sächsischen +Landesregierung zu Dresden vom 23. October 1824 die Befolgung der +betreffenden Requisitionen untersagt worden. Hiltrop ruhte trotzdem +noch immer nicht, und um ihr in Preußen befindliches Eigenthum vor +ihm zu schützen, sah sich die Firma F. A. Brockhaus veranlaßt, ihre +Rechnung mit den preußischen Buchhandlungen in der Zeit vom 15. +November 1824 bis 21. November 1828 unter der Firma »Literatur-Comptoir +in Altenburg <span class="antiqua">L<sup>a</sup> B</span>« zu führen, wozu der mit ihr seit langem +befreundete Besitzer dieser Firma, Johann Friedrich Pierer in Altenburg, +bereitwillig die Hand bot.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[29]</a></span></p> + +<p>Dieser Proceß mußte hier, obwol er Brockhaus' Hauptthätigkeit, die +buchhändlerische, nicht berührt, ausführlicher dargestellt werden, weil +er ihn während seines ganzen Lebens beschäftigte und von ihm persönlich +mit der größten Energie und Ausdauer betrieben wurde. Es war in der +That, wie er sich selbst später ausdrückte, der »blutige Faden«, der +sich durch sein ganzes Leben hindurchzog und auf dasselbe mehrfach +entscheidend einwirkte: er hatte die Familie entzweit (obwol selbst +fast alle Verwandten Hiltrop's auf Brockhaus' Seite traten und dessen +Verfahren misbilligten); er hatte ihn aus seiner Vaterstadt vertrieben +und war die Veranlassung, daß er diese nur noch einmal (1811) besuchte; +er verfolgte ihn überallhin: nach Amsterdam, Altenburg und Leipzig, und +nöthigte ihn gerade auch in den, durch andere Aufregungen ihm schon +so verbitterten, letzten Jahren seines Lebens zu eigener aufreibender +Thätigkeit.</p> + +<p>Die Frage liegt hier nahe, ob denn im Laufe der 22 Jahre, die dieser +Proceß dauerte, nie Versuche zu Vergleichen gemacht worden seien. +Allerdings ist das geschehen und zwar — zur Ehre und Rechtfertigung +von Brockhaus muß dies hervorgehoben werden — insbesondere von seiner +Seite, jedoch, wie er selbst sagt, »von diesem einzig und allein nur +aus <em class="gesperrt">dem</em> Grunde, daß er gewünscht hat, Ruhe zu gewinnen und sich +von dem Odiösen, was mit der Führung eines solchen Processes überhaupt +und besonders in weiten Entfernungen verbunden ist, völlig befreit zu +sehen: nie aber, daß er durch einen Vergleich habe anerkennen wollen, +als ob seitens Brockhaus und Mallinckrodt je etwas in dieser Sache +geschehen, was auf irgendeine Weise gegen kaufmännische Sitte und +Ehre und gegen kaufmännische Ordnung oder gegen kaufmännisches Recht +gewesen«. Abgesehen von dem unterm 24. April 1800 abgeschlossenen, +aber bald wieder von Hiltrop umgestoßenen Vergleiche sowie davon, daß +Brockhaus, wie früher berichtet, auf die Bitte von Hiltrop's Frau die +Klage gegen diesen beim Reichskammergericht in Wetzlar unterließ, bot er +1816 oder 1817 Hiltrop zur Niederschlagung alles Zwistes eine jährliche +Rente von 200 Thlr. an, die nach seinem Tode auf seine Kinder bis zur +Volljährigkeit des jüngsten übergehen solle. Und als Hiltrop dies +ablehnte, wollte sich Brockhaus 1821 selbst zur terminlichen Zahlung von +4000 Thlr.<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[30]</a></span> verstehen, einer Summe, die das, was Hiltrop ursprünglich +an Bethmann in London verloren, bedeutend überstieg. Aber auch dieses +Anerbieten war von Hiltrop unangenommen und sogar unbeachtet geblieben. +Selbst noch 1822 erklärte er sich bereit, »wesentliche, wenn auch bei +veränderter und günstigerer Lage der Sache nicht mehr so bedeutende +Opfer zu bringen, wenn ihm dazu auf angemessene Weise die Hand geboten +würde und der Gegner damit nicht zu lange warte«. So kann Brockhaus +sicherlich nicht der Vorwurf der Unversöhnlichkeit, Streitsucht oder +Rechthaberei gemacht werden. Eher könnte man ihn deshalb tadeln, daß +er, zunächst aus Theilnahme für seinen frühern Associé Hiltrop und um +diesen vor einem Verlust zu bewahren, sich in eine ihm ganz fremde +Angelegenheit gemischt und dann im Anfange des Processes dem Gegner +mehrfach selbst die Waffen gegen sich geliefert habe; er fühlte dies +auch selbst und that in dieser Beziehung die für ihn charakteristische, +aber gewiß nur ehrenvolle Aeußerung: es sei dies von seiner und +Mallinckrodt's Seite besonders geschehen »aus Ueberspanntheit, da wir +die Welt noch nicht nahmen, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte, +und die wir damals noch so einfältig waren, zu glauben, als ernte man +von dem Haufen der Menschen für große und rechtschaffene Handlungen Dank +ein.«</p> + +<p>Der Hiltrop'sche Proceß hat übrigens, wie aus Vorstehendem wol +hervorgegangen sein dürfte, außer dem persönlichen auch ein +mannichfaltiges allgemeineres Interesse, und es mögen deshalb zum +Schluß einige Stellen aus der mehrerwähnten Schrift folgen, die +Brockhaus über den Proceß 1822 zusammenstellte, in der Hoffnung, daß +sie »dem Sachkenner genügen werden, um sich über den Charakter der +darin handelnden Personen und über die Natur der stattgefundenen und +obschwebenden Verhältnisse zu orientiren«.</p> + +<p>In treffendster Weise, mit scharfem Verstande, klarem weitblickenden +Geiste und in prägnantem Stile charakterisirt er den Proceß und sein +Verhalten in demselben mit folgenden Worten:</p> + +<blockquote> + +<p>Bei einem Processe, der fast ein Vierteljahrhundert unter +<em class="gesperrt">vier</em> verschiedenen Gesetzgebungen und Gerichtsformen geführt +worden ist und in welchem mehrere der Sachwalter die Sache selbst +gar nicht begriffen haben, läuft die Wahrheit am Ende Gefahr, +unter der Masse<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[31]</a></span> der stattgefundenen Verhandlungen und angehäuften +Actenstöße völlig erdrückt oder erstickt zu werden, sodaß es die +größte Noth thut, das Wichtige und Wesentliche von dem Unwichtigen und +Unwesentlichen zu scheiden, um dem künftigen Referenten und endlichen +Richter die Uebersicht und Beurtheilung zu erleichtern oder gar — +nur möglich zu machen. Ohnehin haben die bloßen Juristen in Städten +und Gegenden, wo kein großer Handelsverkehr ist, in der Beurtheilung +verwickelter kaufmännischer Verhältnisse höherer Art selten große +Stärke und gerathen nur gar zu leicht auf Abwege, die von der Wahrheit +entfernen. Ich erinnere hier an die Verhandlungen im Fonk'schen +Processe über dessen Handlungsbücher und Berechnungen ....</p> + +<p>Der Proceß (Hiltrop) ist interessant durch den Wechsel der Gesetze +und gerichtlichen Formen, unter deren Herrschaft er geführt wurde. +Er begann zu einer Zeit, wo Dortmund noch als Freie Stadt dem +Deutschen Reiche angehörte; er wurde fortgesetzt unter der fürstlich +nassau-oranischen Regierung, unter der Herrschaft der französischen +Gesetze, welche im Jahre 1811 im Großherzogthum Berg in Kraft getreten +waren; er ist wieder aufgenommen unter der jetzigen königlich +preußischen Regierung und wird jetzt nach preußischen Rechten und +Formen verhandelt. Es ist für das Interesse der Rechtswissenschaft +von großer Wichtigkeit, die Verhältnisse dieser verschiedenen +Gesetzgebungen in ihrer Wechselwirkung und vorzüglich zu dem Zwecke +zu betrachten, um die Bedingungen und Grenzen der Rechtskraft und +Vollstreckbarkeit richtig zu bezeichnen.</p> + +<p>Er ist interessant durch die kaufmännischen Verhältnisse, welche +ihm zu Grunde liegen, deren Combinationen sich die Richter der ersten +und zweiten Instanz durchaus nicht klar zu machen vermocht haben, so +einfach sie auch jedem Sachkundigen erscheinen müssen.</p> + +<p>Er hat endlich in dem neuesten Abschnitte noch eine allgemeine +Wichtigkeit durch die völkerrechtliche Frage gewonnen, inwiefern +ein königlich preußischer Staatsbürger einen entfernten Ausländer +zwingen kann, vor den königlich preußischen Gerichten sich als +Beklagter zu stellen und den Vortheil aufzugeben, welcher mit der +Verhandlung der Sache vor seinem ordentlichen Richter, in gewohnten +Formen, nach bekannten Rechten, für ihn verknüpft ist. In der That +würden die von dem königlichen Oberlandesgericht zu Hamm in erster +Instanz hierüber aufgestellten Grundsätze alle Ausländer, welche in +Preußen Geschäfte treiben, und alle benachbarten Regierungen zur +besondern Aufmerksamkeit und zu abweichenden Maßregeln verpflichten. +Diese wichtige völkerrechtliche Frage macht in der jetzigen Lage der +Sache den Hauptpunkt des Streites aus. Der Gang der Sache ist nämlich +folgender ....</p> + +<p>So liegt die Sache in diesem Augenblicke; einfach an sich in jedem<span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[32]</a></span> +ihrer Abschnitte, so verworren auch der erste Anblick derselben sein +mag. Zunächst dreht sie sich fast nur um Formalien, um Gerichtsstand +und Rechtskraft. Man ist nur zu sehr geneigt, auf denjenigen, welcher +mit der bloßen Form ficht, den Verdacht eines Bewußtseins des Unrechts +in der Sache fallen zu lassen, und daher war dem Beklagten an nichts +mehr gelegen als daran, zu zeigen, daß er sich gegen die Form nur im +Vertheidigungsstande befindet, nicht aber sie zur Schutzwehr einer +Ungerechtigkeit gebraucht. Man hat es ihm vielleicht verübelt, daß er +die Entscheidung eines königlich preußischen Gerichtshofs so eifrig +abzulehnen bemüht ist; allein man würde dabei aus den Augen gesetzt +haben, welchen großen Werth es für einen Jeden hat, nur von seinem +ordentlichen heimischen Gerichte nach bekannten Gesetzen und Formen +gerichtet zu werden. Wer irgend eine Erfahrung in dieser Art gemacht +hat, der vermag die großen Nachtheile zu würdigen, mit welchen schon +die bloße Entfernung den Betrieb eines Rechtsstreites umgibt.</p> + +<p>Man wird es unter diesen besondern Umständen dem Beklagten nicht +verargen, wenn er durch den gegenwärtigen Abdruck der wichtigsten +Actenstücke seines Processes sowol für das Urtheil seiner Richter als +für die Meinung seiner Freunde (für das größere Publikum sind diese +Blätter ohnehin nicht bestimmt) die Materialien in einer leichtern +Uebersicht zu liefern bemüht war. Er will dasselbe nicht bestechen, +nicht für sich einnehmen; denn er legt die Hauptsache so vollständig +vor, daß sie auch seinem Gegner zu statten kommen mag, wenn er selbst +sich in seinen Ansichten geirrt haben sollte. Allein ein mehr als +zwanzigjähriger Proceß, eine so vielfache Verkettung rechtloser Formen +und Fragen bedarf wol eines Fadens, in dessen Finden nicht immer +gerade derjenige am glücklichsten ist, welcher ihn für sich und andere +zu suchen bestellt ist. Der Erfahrene weiß, daß dies zu sagen weder +Anmaßung noch ein Vorwurf ist, und dreimal wenigstens wurde schon in +der gegenwärtigen Sache der richtige Weg verfehlt.</p></blockquote> + +<p>Wir verlassen hiermit diesen unerquicklichen Proceß, der uns weit über +die Zeit hinausgeführt hat, die wir zunächst zu schildern haben, und +versetzen uns wieder nach Amsterdam und dem Jahre 1801, in welchem +Brockhaus sein Geschäft dorthin verlegte.</p> + +<p>Zuvor sei indeß noch ein von Brockhaus selbst herrührender Rückblick auf +sein Leben bis zu diesem Zeitpunkte mitgetheilt.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[33]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter1-4" id="Chapter1-4">4.</a> +<br /> +Ein Rückblick. +</h3> + +<p class="start-chap">Brockhaus schrieb in spätern Jahren, wahrscheinlich erst 1818 oder 1820, +einen Rückblick auf seine Erlebnisse nieder, um einer Schwägerin, die in +trüben Verhältnissen seine Vertraute geworden war, einen nähern Einblick +in sein Leben zu gewähren. »Sie kennen es nicht«, fügte er hinzu, »oder +nur durch verworrene Sagen, und doch liegt in jeder Vergangenheit der +Schlüssel und häufig die Bedingung der Gegenwart.«</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Diese Selbstbiographie, die unsere bisherige Schilderung in manchen +Punkten ergänzt und den Verfasser trefflich charakterisirt, leider aber +nur bis zu dem Wendepunkte in seinem Leben reicht, an dem wir uns jetzt +befinden, lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich bin 1774 geboren.<a name="FNAnker_8_8" id="FNAnker_8_8"></a><a href="#Fussnote_8_8" class="fnanchor">[8]</a> Mein Vater, Sohn eines benachbarten +Predigers, hatte meine Mutter, die Tochter eines angesehenen +Kaufmanns, als Witwe geheirathet. Zwei Kinder erster Ehe waren +gestorben, und aus dieser Ehe entsprangen zwei Söhne, von denen ich +der jüngste bin, und der älteste mein noch in Dortmund lebender Bruder +ist. Mein Vater, der erst 1811 gestorben, war ein sehr braver und +wackerer Mann, aber nicht transcendent. Meine Mutter dagegen war eine +geistreiche, vortreffliche Frau, und ihr Bild steht noch immer als das +Ideal einer vollendeten Hausfrau vor meiner Seele.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[34]</a></span></p> + +<p>Ich war ein aufgeweckter Knabe mit einem brennenden Durst nach +Kenntnissen aller Art, und einer wahren Bücherwuth. Noch schwebt es +mir wie gestern in Andenken, und gibt dies zugleich ein Bild jener +Zeit, wie ich das erste Buch kaufte und wie es ablief. Ich mußte für +den Vater in den Bücherauctionen Folianten und Quartanten erstehen, +die er in seinem Laden als Maculatur gebrauchte. Hier kam nun auch +Voltaire's Leben von Karl XII. in der alten Uebersetzung unter den +Hammer. Niemand bot etwas. Ich hatte das größte Gelüste nach dem +Buch und wagte es, 2 Groschen zu bieten, und siehe da, ich erhielt +es und war der glückliche Besitzer! Aber der Vater, ein strenger +Mann, vermerkte es sehr übel, wie ihm überhaupt mein vieles Lesen in +den Tod zuwider war, verwies mir meine Verschwendung, und ohne das +Dazwischentreten der immer guten und verständigen Mutter hätte ich +wol noch eine Ohrfeige dazu erhalten. Es ist, als ob ein Jahrhundert +dazwischen läge zwischen dem, wie es damals war, und jetzt ist.</p> + +<p>Im funfzehnten Jahre kam ich nach Düsseldorf in eine dortige +große Schnitthandlung, die zugleich Bankier­geschäfte machte, in +die Lehre. Mein Lehrherr hieß Hofmann, er lebt noch und ist mein +Freund geblieben. Er zeichnete mich unter sechs andern Commis und +Burschen sehr aus, und zu sehr. Er bekam den Einfall, sein Geschäft +zu erweitern, da er ein sehr wohlhabender Mann war, und eine +Großhandlung neben der bestehenden Schnitt- und Wechselhandlung zu +errichten, und er warf auf mich, den jüngsten Lehrburschen, die +Augen, dazu die ersten Reisen zu machen, weil in dortigen Gegenden +Alles durch Reisediener besorgt werden muß, da die Messen zu fern +liegen. So wurde ich unerfahrener Mensch in einem Alter von kaum 17 +Jahren auf ziemlich große Reisen, die sich bis Hannover, Kassel, +Koblenz, Lüttich, Cleve ausdehnten, geschickt, um die neuen Geschäfte +zu gründen. Diese so frühen Reisen haben sehr nachtheilig auf mich +eingewirkt. Meine Bildung war noch nicht vollendet und wurde dadurch +ganz zerrissen, indem ich oft in Monaten nicht zu Hause kam, und +anstatt geführt zu werden, wie es dem Jünglinge ziemt, mußte ich mich +selbst führen. Gegen jetzt war damals eine große Sittenreinheit, aber +dagegen wieder eine größere Roheit. Die gänzliche Freiheit, worin +sich der siebzehnjährige Jüngling aber auf diesen Reisen befand, +das fortwährende Gasthofleben und die stete Gesellschaft mit andern +Reisedienern wirkte nothwendig nachtheilig auf Sitten und Charakter.</p> + +<p>Indessen vollzog ich meine Geschäfte zur höchsten Zufriedenheit +meines Herrn, ich bildete mich zu einem tüchtigen Geschäftsmann, +und mir ward vor Ablauf der Lehrzeit und noch nicht 20 Jahr (der +Auftrag?), das Geschäft auch nach Braunschweig auszudehnen und +dort die Messen zu beziehen. Mein Herr blieb dabei fein zu Hause, +und<span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[35]</a></span> mir ganz allein war das schwierige und kitzliche Geschäft der +ganzen ersten Organisation übertragen. Und unser Geschäft war höchst +bedeutend. Auch hier ging Alles gut, und ich erntete Ehre und Lob +die Fülle. Auf der vierten Messe hatte ich das Unglück, daß mir 100 +Louisdor gestohlen wurden. Ich empfange solche vor Tisch, eben wie zum +Essen geläutet wird, und bin dadurch behindert, sie in mein Bureau zu +verschließen, lasse sie also auf dem Tische stehen. Wie ich nach Tisch +wiederkomme, sind sie weg. Dieser Vorfall hatte auf mein Schicksal +großen Einfluß. Herr Hofmann war darüber hart und ungerecht gegen +mich, ich indignirte mich deshalb und bot ihm den successiven Ersatz +an. Er war kleinsinnig genug, es anzunehmen, und dies empörte mich +vollends. Ich sagte ihm auf und verließ sein Haus. Wäre dieser Vorfall +nicht eingetreten, so wurde ich nach einigen Jahren gewiß Compagnon, +und dies um so leichter, da sich eine zarte Neigung zu einer nahen +Verwandten des Herrn Hofmann, Marie Sibel, in meiner Brust gebildet +hatte, die gebilligt und mit Innigkeit erwiedert wurde. Ich hatte +gegen Herrn Hofmann Unrecht, obgleich er nicht großmüthig handelte. +Mein kecker Trotz kam mir später theuer zu stehen.</p> + +<p>Ich ging in das väterliche Haus zurück. Meine gute Mutter sah ich +nicht wieder! Meine Liebe für Literatur und die Wissenschaften hatte +indessen nie geschlummert, und ihr, dieser Liebe, danke ich es gewiß, +daß ich auf den vielen Reisen und bei dem steten Herumschwärmen +nicht moralisch untergegangen war. Je mehr ich aber immer las, je +mehr fühlte ich auch die Lücken in meinem Wissen, da nirgends ein +solider Grund gelegt war. Der erste Schulunterricht war nach damaliger +Zeit sehr schlecht gewesen, und ich hatte keine Zeit gefunden, ihn +nachzuholen. Ich fühlte aber, daß ich mehr wissen müsse, um meinem +aufstrebenden Geiste Genüge zu leisten und höhern Aufgaben des Lebens +entsprechen zu können. So ungewöhnlich es daher auch war, so bewog +ich meinen Vater doch dahin, daß er mir erlaubte, ein Jahr eine +Akademie zu beziehen, und ich ging nun nach Leipzig, wo ich <span class="antiqua">au +5<sup>me</sup></span> in der Petersstraße bei einem Perrückenmacher anderthalb +ganz glückliche Jahre zubrachte und, ich darf es sagen, musterhaft +lebte und musterhaft fleißig war. Ich erwarb mir insbesondere die +neuern Sprachen und erlangte darin eine ziemliche Vollkommenheit +im mündlichen und schriftlichen Ausdruck; außerdem saß ich stets +zu Platner's und Hindenburg's und Eschenbach's Füßen, trieb +Philosophie, Physik und Chemie, was aber aus Mangel an gründlicher +Elementarbildung, die sich später nie ersetzen läßt, nicht tiefe +Wurzeln gefaßt hat.</p> + +<p>Nach Verlauf dieser glücklichen anderthalb Jahre engagirte ich +mich bei einem englischen Hause in Manchester und war bestimmt, die +Geschäfte desselben in Italien zu leiten. Wir gaben uns in Leipzig +das Rendez-vous in Amsterdam, und ich reiste ab, um die Erlaubniß +meines Vaters ein<span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[36]</a></span>zuholen und von ihm Abschied zu nehmen. Dieser, ein +Mann im alten Stil, sah diesen Plan nicht gerne. Ich war zu einem +Manne herangereift und galt für einen schönen Mann, ich hatte und +zeigte mehr Talent und Geist und Bildung, als in meiner Vaterstadt an +der Tagesordnung war — was war natürlicher, als daß der gute Vater +auf mich Pläne baute und mich um sich zu behalten suchte? Bonaparte +unterstützte ihn und trat mir hier zuerst in meinen Weg. Er war eben +zum Heerführer der Armee ernannt, die gegen Italien focht. Seine Siege +führten ihn schnell über die Alpen und ganz Italien wurde von ihm +überzogen. Mein Haus in Manchester hob seine Commandite in Livorno, +wohin ich gehen sollte, auf, meldete mir dies und bot mir <span class="antiqua">en +attendant mieux</span> eine Stelle auf seinem Comptoire an. Die mochte +ich nicht, und ich folgte nun williger den Wünschen des Vaters und +um so leichter, da ich in unserm Städtchen eine Art Phänomen war und +meine Eitelkeit täglich Triumphe feierte.</p> + +<p>Es dauerte nicht lange, als sich Gelegenheit zu einer +Handelsverbindung zeigte. Diese wurde auch geschlossen mit einem +wackern Freunde, Namens Mallinckrodt, und des Kapitals wegen, da +die unserigen nicht zuzureichen schienen, mit einem Dritten, Namens +Hiltrop, einem sehr reichen Menschen, den wir für dumm hielten und +glaubten auf diese Weise benutzen zu dürfen. Dies war ein großes +Unglück, dem ich unsägliche Leiden verdanke, denn dieser Mensch war +freilich dumm, aber zugleich ein verworrener Phantast und von dem +allerschlechtesten Charakter. Unser Geschäft bestand in englischen +Manufacturwaaren im Großen, insbesondere in groben Wollartikeln, +die in jenen Gegenden stark gebraucht wurden. Ich besorgte die +Comptoirgeschäfte, Mallinckrodt die Reisen und das Waarengeschäft. +Unsere Handlung hatte den glänzendsten Fortgang. Wir glaubten Hiltrop +(den dritten Compagnon) entbehren zu können; wir separirten uns +also von ihm und fanden ihn ab. Alles in der höchsten Ordnung und +Rechtlichkeit.</p> + +<p>Wir heiratheten nun. Ich meine Sophie, er (Mallinckrodt) eine +Freundin von ihr. Sophie war 19, ich eben 24 Jahre alt.<a name="FNAnker_9_9" id="FNAnker_9_9"></a><a href="#Fussnote_9_9" class="fnanchor">[9]</a> Sie war aus +der angesehensten Familie meiner Vaterstadt, ehemaligen Patriciern. +Sie war liebenswürdig, selbst schön, nicht geistreich, aber +verständig und von einem edlen und festen Charakter, der sich in den +schwierigsten Lebensverhältnissen erprobt hat. Dabei brachte sie mir +ein für dortige Gegenden sehr bedeutendes Vermögen zu. Wir waren die +glücklichsten Menschen unter der Sonne. Ach, wenn ich dieser Rosenzeit +meines Lebens, die drei volle Jahre dauerte, gedenke, so rollen, wie +auch jetzt, die hellen Thränen aus meinen Augen, denn in ihnen<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[37]</a></span> genoß +ich des höchsten menschlichen Glückes. In diesen Zeitraum fällt die +Geburt von Auguste und von Fritz.</p> + +<p>Aber nicht länger sollte unser Glück dauern. Unser Geschäft hatte +einen höchst genialen Charakter angenommen, etwa oder ganz in der Art, +wie ihn jetzt mein Buchhandel hat. Wir machten unerhörte Geschäfte, +hatten einen grenzenlosen Credit und gewannen große Summen. Unser +Geschäft hatte sich vorzüglich nach Holland gezogen; wir etablirten +ein Haus in Arnheim, und mein Associé zog dahin. In dieser Epoche +fielen die ungeheuern Bankrotte in Hamburg vor, von denen Sie wol +mal werden gehört haben. Wir wurden zwar nicht direct, aber in einer +indirecten Weise darin verflochten, die unserm Schicksal eine ganz +andere Richtung gab. Jener unser erster Associé Hiltrop hatte nach +seiner Trennung von uns ein ähnliches Geschäft, als es das unserige +war, begonnen, aber freilich nicht mit unserer <span class="antiqua">adresse</span> und +unserm Geiste; er hatte sich also bald verfitzt, und als vollends sein +Bankier in London, ein Vetter der Bethmann in Frankfurt, die ihn aber +ruhig fallen ließen, Bankrott machte und er an diesem 15000 Thaler zu +verlieren befürchten mußte, kam er in Verzweiflung, und nicht fähig, +sich selbst zu retten, warf er sich uns in die Arme. Wir retteten ihn, +übernahmen seine Sachen, auch mit einem Verlust von nur einem Drittel +seine Forderung an den falliten Bethmann, da wir mit diesem auch in +Verbindung waren und uns schmeichelten, die Rechnungen compensiren +zu können. Wir arrangirten sein Creditwesen und handelten in jeder +Hinsicht mit der höchsten Großmuth und Liberalität, ohne jedoch das +kaufmännische Princip dabei aus den Augen zu lassen.</p> + +<p>Dieses <span class="antiqua">accomodement</span> für und mit Hiltrop sollte für uns +die Ursache unübersehbarer Verdrießlichkeiten und Unglücks werden. +Dortmund war damals noch eine Reichsstadt, und das Unwesen in den +Gerichtsformen und bei Processen war bei der absoluten Unabhängigkeit +der Reichsstädte in den ersten Instanzen dort grenzenlos. Unsere +Handlung hatte einen Schwung genommen, von dem man sich in der +altväterischen Stadt nie eine Idee gemacht hatte, und ob wir gleich, +ich darf das sagen, unser Glück nicht durch Uebermuth geltend machten, +im Gegentheil allenthalben helfend mit der höchsten Uneigennützigkeit +eingriffen, so führte doch unsere Existenz und unser Geschäft einen +<span class="antiqua">train de vie</span> mit sich, der dort neu war, großes Aufsehen +machte und uns die heftigsten Neider und daraus Verleumder zuzog. +Man hetzte jenen Phantasten Hiltrop, den wir vom Elend und Versinken +<em class="gesperrt">allein</em> und mit der vollkommensten Rechtlichkeit gerettet +hatten, gegen uns auf, und dieser klagte nun gegen uns über jene +stattgefundene Cession seiner Forderung an uns, und daß wir ihn dabei +verletzt hätten. Der Proceß darüber nahm seinen Anfang, und da der +Bürgermeister, die Seele von<span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[38]</a></span> Allem, was in dem Städtchen geschah, +mein erbitterter und entschiedener Feind war, so erwuchsen aus der +Führung dieses unglücklichen Processes für mich (denn mein Associé +war in Arnheim) namenlose Verdrießlichkeiten, und ich entschloß mich +endlich, Dortmund ganz zu verlassen und nach Holland zu ziehen. +Aber kaum verlautbarte dieser Entschluß, als mir erstlich eine +ganz übertriebene Cautionsleistung für den obschwebenden Proceß +abgefordert wurde und man sofort mit der Forderung von 10 Procent +von unserm Vermögen auftrat. Beide Forderungen wurden mit einer Art +von fanatischer Wuth bei unsern Widersprüchen verfolgt. An Hülfe war +gar nicht zu denken, denn der Magistrat hatte und erkannte keine +andere Behörde über sich als das Reichskammergericht in Wetzlar oder +den Reichshofrath in Wien. Ich mußte Kränkungen über Kränkungen +erleiden. Erst wurde unser ganzes Waarenlager mit Arrest belegt, meine +Handlungsbücher wurden uns fortgenommen und untersucht, ich selbst +am Ende persönlich arretirt. Ich mußte mich beugen und wenigstens +die Caution für die 10 Procent Vermögenssteuer leisten. Der andern +(Maßregel?) entging ich zu meinem Glücke durch Consequenz und Klugheit.</p> + +<p>So verließen wir unsere Vaterstadt und kamen fast wie Geächtete +in Arnheim an. Die Geschichte hatte das ungeheuerste Aufsehen +gemacht, der Haufen der Menschen war, wie ganz in der Regel, gegen +uns, die man hochfahrige, überklugseinwollende, vorwitzige Personen +nannte, denen hier Recht geschehen sei; unser Credit litt dadurch +außerordentlich, und im Auslande, wo man sich solchen Unsinn, als +der dortmunder Magistrat begangen, gar nicht denken konnte, mußte +man ganz irre werden, als wir anzeigen mußten, wir wohnen nicht mehr +in Dortmund, sondern jetzt in Arnheim. Dazu kamen nun die reellen +äußern Zerstörungen, die mit dieser gewaltsamen Geschäftsverpflanzung +verbunden sein mußten, und der Umstand, daß Alles allerdings auf die +Spitze getrieben war, indem wir das Geschäft aus dem Gesichtspunkt +betrieben hatten: man muß das Eisen schmieden, solange es glühend ist; +— kurz, unsere Lage wurde bei diesen Umständen höchst kritisch. Mein +Associé, der blos das Waarengeschäft geleitet und von der einen Seite +die großen geernteten Vortheile kannte, nicht aber alle die Fäden, +die ich angesponnen, um das Geschäft in dieser Höhe zu erhalten, war +nun höchst befremdet über die Stockungen in unserm Creditsystem. +Er war unbillig genug gegen mich, der so unendlich gelitten und +Alles allein hatte erdulden müssen, mir Vorwürfe zu machen, und ich +war schwach genug, darüber so erbittert zu werden, daß ich ihm die +Compagnieschaft aufsagte. Wir separirten uns also. Ich zahlte ihm +ein Abfindungsquantum von baaren 60000 Gulden und übernahm das ganze +Geschäft und zog nach Amsterdam. Dies war im Winter 1801 auf 1802.</p></blockquote> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[39]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h2><a name="Zweiter_Abschnitt" id="Zweiter_Abschnitt">Zweiter Abschnitt.</a> +<br /> +In Amsterdam. +</h2> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[41]</a></span></p> + +<h3><a name="Chapter2-1" id="Chapter2-1">1.</a> +<br /> +Kaufmännische Thätigkeit. +</h3> + +<p class="start-chap">Als Brockhaus im Winter von 1801 auf 1802 Arnheim verließ und nach +Amsterdam übersiedelte, um hier das früher mit Mallinckrodt betriebene +Geschäft in englischen Manufacturen <span class="antiqua">en gros</span> allein und auf +günstigerm Boden fortzusetzen, hatte er einen schweren Stand. Durch den +Hiltrop'scheu Proceß und die Verlegung seines Geschäfts von Dortmund +nach Arnheim hatte sein Credit schon leiden müssen, da die kaufmännische +Welt die nähern Umstände und die eigentliche Veranlassung dazu nicht +kannte. In Amsterdam hatte er somit eigentlich wieder von vorn +anzufangen. Indeß verlor er den Muth nicht, und das Glück schien ihm +auch bald wieder lächeln zu wollen.</p> + +<p>Es waren damals die letzten Jahre der Batavischen Republik unter ihrem +trefflichen Leiter, dem Großpensionär Schimmelpenninck; die frische Luft +des Freistaats, der lebhafte Verkehr der großen Handelsstadt sagten ihm +weit mehr zu, als die engen Verhältnisse der kleinen Provinzialstadt +Arnheim und seiner freilich ebenfalls »freien« Vaterstadt Dortmund. +Außerdem stand er in Amsterdam ganz auf eigenen Füßen und befand sich +in neuer Umgebung; er hatte auf keinen Associé Rücksicht zu nehmen und +wurde in der ersten Zeit wenigstens fast durch nichts mehr an frühere +widrige Verhältnisse erinnert.</p> + +<p>Alles das gab ihm eine zuversichtliche Stimmung. In dieser schreibt +er am 18. Mai 1802 an seinen Bruder Gottlieb in Dort<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[42]</a></span>mund, mit dem er +fortwährend in den herzlichsten Beziehungen verblieb:</p> + +<blockquote> + +<p>Wir fügen uns in unsere hiesigen neuen Verhältnisse Alle recht gut, +und wenn ich mal diejenigen der alten Handlung ganz in Ordnung habe +sowie mein properes Geschäft in gehörigem Vertrieb, so hoffe ich, +wird mir endlich Zufriedenheit und Ruhe zutheil werden; ich werde +gewiß mich für abermalige zu große Geschäfte hüten. Darin fehlte +Mallinckrodt und verführte er mich auch hauptsächlich. O ich danke +Gott, daß ich von ihm ab bin und allein handeln kann, wie ich jetzt +will. Ich könnte ihm große Vorwürfe machen — ich thue es nicht und +ergebe mich in mein Schicksal. Die Zukunft verspricht mir auch ja so +viel Gutes und ich hoffe, daß, wenn wir uns mal wiedersehen, wir Beide +glücklicher sein werden als wie wir uns trennten.</p></blockquote> + +<p>Auch materiell unterstützte ihn der Bruder durch seinen Credit und wie +er es sonst vermochte. Im Sommer 1804 besuchte er ihn in Amsterdam. +Folgender bald nach dessen Abreise geschriebene Brief von Arnold +Brockhaus an seinen Bruder Gottlieb (vom 4. September 1804) gibt von dem +herzlichen Verhältniß zwischen Beiden und von der warmen Empfindung des +Schreibers Zeugniß:</p> + +<blockquote> + +<p class="center">Theuerster Bruder!</p> + +<p>Freilich: unsere höchsten Freuden grenzen oft nur um eine Linie an +den herbsten Schmerz. Wie glücklich verflossen uns die wenigen Tage, +die wir hier zusammen lebten und — was mir unschätzbar bleibt — +auch mit einander verlebten. Aber der Abschied von Dir, theuerster +Bruder, am Sonntag Morgen, — der zerriß mir die Seele. Bin ich doch +nie von Schmerz, Betrübniß und Wehmuth so hingerissen, so aufgelöst +gewesen, als in den Stunden. Mir selbst fast unbegreiflich war auch +die Stimmung, worin ich mich befand. War es mir doch, als ob mit Dir +alle meine Hoffnungen, alle meine Freuden, alle Annehmlichkeiten des +Lebens dahinschwänden, als ob die Zukunft von jetzt an nur Grausen und +Schrecknisse für mich haben werde, als ob wir uns nie wieder sehen +würden, — als ob ich nichts Theueres mehr auf der Welt hätte!</p> + +<p>Ich konnte mich auch nicht erholen. Nicht eine, sondern mehrere +Stunden lang saß ich in Schmerz versunken, ohne ein anderes Bewußtsein +auf der Seele, als daß oft unwillkürlich und gedankenlos helle +Thränenbäche mir aus den Augen stürzten. Nur die Liebkosungen der +Kinder, an dem Arme ihrer guten, mir so lieben Mutter, brachten<span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[43]</a></span> mich +endlich wieder zu mir selbst. Der Tag verfloß uns so in feierlicher +Stille, und nur Du warst der Gegenstand unserer traulichen Reden. +Könnten wir Dich doch in unserer Mitte haben! Könnten wir doch nur +zusammen leben! Das war der ewige Wiederholungspunkt, worin sich +unsere Wünsche alle begegneten.</p> + +<p>Du eiltest in der Zwischenzeit der friedlichen Heimat zu. Jetzt ist +der Bruder <em class="gesperrt">da</em>, nun ist er <em class="gesperrt">da</em>. Nun ist er in Amersfoort, +Arnheim, Wesel — nun eilt er in die Arme seiner lieben Frau, seiner +geliebten Kinder, jetzt drückt er sie froh an sein Herz, nun sind sie +zu Hause im kleinen Stübchen, jetzt erzählt der Bruder von uns — und +von Amsterdam, dem horchenden Lottchen, den erstaunenden Freunden! So +warst Du uns stündlich und täglich gegenwärtig, so begleiteten wir +Dich allenthalben und lebten in der süßesten Täuschung. Denn ach, +— wie schrecklich mußte der Uebergang von der Stimmung sein, mit +welcher Du in Bochum ankamst, bis Du es wieder verließest. Erinnerst +Du Dich des Vorfalls, den Du uns von dem Bauer in Brakel erzähltest, +der bei seiner Zurückkunft, wo er sein liebes Weib und seine Kinder +zu überraschen gedachte, ersteres und seinen Liebling von diesen todt +fand? War es mir doch, als Du es erzähltest, als ob mir eine geheime +Ahndung aufstieg. Das Herz brach mir fast, als Du es erzähltest! Gott, +wie schrecklich hattest Du hier selbst fühlen können, du gefühlvoller, +edler, einfacher Mensch, was Du mit so innigem Affecte von Andern +darstellen konntest!</p> + +<p>Wir Alle, theuerster Bruder, haben an diesem Deinem harten +Schicksale den innigsten Theil genommen und nehmen ihn noch immer. +Gebe nur der gute Gott, daß sich noch Alles zum Besten lenke. Gebe +er Dir Seelen- und Körperstärke, um die Gegenwart und die Zukunft +ertragen zu können!</p> + +<p>Wir bitten Dich innigst, uns doch jeden Posttag, wäre es auch nur +mit wenigen Zeilen, die Lage der Umstände zu melden. Wir befürchten +zwar Alles, hoffen aber auch noch Alles.</p></blockquote> + +<p>Ein weiteres sprechendes Zeugniß der Liebe zu seinem Bruder Gottlieb +bietet ein Blatt, das dieser in seiner Wohnstube unter Glas und Rahmen +aufbewahrte. Es enthält eine bekannte Stelle aus Schiller's »Braut +von Messina« mit der Ueberschrift: »A. B. — G. B.« und wurde ihm +wahrscheinlich einmal von seinem Bruder zum Geburtstage übersandt. Die +Worte (von Isabella nach dem zweiten Auftreten des Chors gesprochen) +lauten:</p> + +<blockquote> + +<div class="poem"> +<div class="stanza"> +<span class="i6">Feindlich ist die Welt<br /></span> +<span class="i0">Und falsch gesinnt! Es liebt ein Jeder nur<br /></span><span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[44]</a></span> +<span class="i0">Sich selbst; unsicher, los und wandelbar<br /></span> +<span class="i0">Sind alle Bande, die das leichte Glück<br /></span> +<span class="i0">Geflochten — Laune löst, was Laune knüpfte —<br /></span> +<span class="i0">Nur die Natur ist redlich! Sie allein<br /></span> +<span class="i0">Liegt an dem ew'gen Ankergrunde fest,<br /></span> +<span class="i0">Wenn alles And're auf den sturmbewegten Wellen<br /></span> +<span class="i0">Des Lebens unstet treibt. Die Neigung gibt<br /></span> +<span class="i0">Den Freund — es gibt der Vortheil den Gefährten;<br /></span> +<span class="i0">Wohl dem, dem die Geburt den <em class="gesperrt">Bruder</em> gab!<br /></span> +<span class="i0">Ihn kann das Glück nicht geben — anerschaffen<br /></span> +<span class="i0">Ist ihm der Freund, und gegen eine Welt<br /></span> +<span class="i0">Voll Kriegs und Truges steht er zwiefach da.<br /></span> +</div> +</div> +</blockquote> + +<p>Sein nicht mehr bedeutendes Betriebskapital wußte Brockhaus auf +geschickte Weise zu vergrößern, indem er das Vertrauen benutzte, das man +ihm in Amsterdam von allen Seiten entgegenbrachte. So hatte sich schon +in Dortmund ein französischer Emigrant an ihn angeschlossen und ihm +nach und nach eine größere Summe anvertraut, worüber nun in Amsterdam +am 1. Juni 1802 ein Document ausgestellt wurde; es war dies der frühere +Prevôt von Valenciennes, Pierre Antoine Louis Lehardy de la Loge. +Freilich entstanden ihm später manche Unannehmlichkeiten aus diesem +Geldgeschäfte, da die nach dem Tode seines Freundes von dessen Erben +geforderten Rückzahlungen des Kapitals gerade in eine sehr schwierige +Zeit fielen. In ähnlicher Weise bot ihm ein anderer französischer +Emigrant, ein früherer Militär, Charles Louis Remy la Motte de la +Tournelle aus Rheims, ein kleines Kapital gegen eine Jahresrente an und +Brockhaus schloß am 15. März 1802 darüber einen Vertrag mit ihm.</p> + +<p>Aber auch in der kaufmännischen Welt gewann er rasch wieder bedeutenden +Credit. Allerdings ließ er sich dadurch verleiten, trotz seiner guten +Vorsätze wieder weiter zu gehen, als seine Kräfte erlaubten, und zudem +traten bald politische Verhältnisse ein, die das kaufmännische Geschäft +überhaupt sehr erschwerten. Es war die Zeit der Continentalsperre, +jener rücksichtslosen Maßregel Bonaparte's gegen England, durch welche +er dessen Macht zu brechen hoffte. Natürlich war es sein Streben, auch +die Nachbarländer zu gleichem Vorgehen gegen England zu bestimmen, da +er sich nur dann den<span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[45]</a></span> gewünschten Erfolg versprechen konnte. So bot er +auch seinen ganzen Einfluß auf, um die schwache Batavische Republik zu +ähnlichen Maßregeln zu bringen, und diese vermochte dem Drängen des +mächtigen Nachbars auf die Länge nicht zu widerstehen. Die strengsten +Verordnungen wurden erlassen, um allen englischen Waaren den Eingang in +die Republik unmöglich zu machen.</p> + +<p>Dies war natürlich ein tödlicher Schlag für Brockhaus' eben im +Wiederaufblühen begriffenes Geschäft, dessen Hauptbezugsquelle immer +England gewesen war. Trotzdem verlor er den Muth nicht gleich, er suchte +den veränderten Umständen gemäß neue Wege auf und noch bis in den Herbst +des Jahres 1804 gelang es ihm, der ungünstigen Conjunctur die Spitze zu +bieten. Allein die Verlegenheiten mehrten sich.</p> + +<p>Unterm 30. September entwirft er dem Bruder folgendes anschauliche Bild +seiner Lage:</p> + +<blockquote> + +<p>Seit Deiner Abreise, lieber Bruder, habe ich viel Sorgen gehabt +und noch sind sie leider nicht vorbei. Ich will mich mit Dir sehr +offen unterhalten, gerade als ob wir traulich nebeneinander in der +Mitternachtstunde säßen, wie wir es bei Deinem Hiersein so manchmal +thaten.</p> + +<p>Ich habe unglücklicherweise noch immer nicht die goldene Kunst +erlernt, die Segel einzuziehen, wenn der Wind am vortheilhaftesten +hineinweht. Durch das günstige Geschäft in diesem Jahre verführt, +habe ich mich unglücklicherweise wieder zu tief hineingesteckt, und +es ist mir deshalb was über dem Kopf zusammengeschlagen. Dazu kam die +verdammte Speculation auf die Ladung des hier verkauften Schiffes, +wovon mir noch 12000 Gulden in Leipzig festsitzen und die im Ganzen +doch nicht gut rentirt. Drittens hatte es mir Anstrengung gekostet, um +an Hofmann & de Bri gleich eine Summe von circa 1500 £ zu übermachen, +in Absicht eines brillanten Debüts, da ich sonst noch ein paar Monate +das Geld hätte halten können. Auch habe ich das Jahr zu viel comptant +oder auf kurze Zeit gekauft .... Ich habe mich inzwischen gehalten, +allen Engagements Genüge geleistet und denke, so Gott will, glücklich +herauszukommen .... Es ist das Alles sehr schlimm gewesen und noch +ist es nicht wieder im rechten Haken, allein so wie das Schlimme +sehr nahe am Guten grenzt, so auch umgekehrt. Es wird hieraus für +mich wahrscheinlich viel Gutes hervorgehen. Die Lehre, die ich jetzt +erhalten, war scharf: meine Existenz stand auf einer Nadelspitze — +die habe ich erhalten —, aber mein Credit hat tief gelitten und das +ersetzt sich schwerer, ob ich gleich hier auf dem Platze<span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[46]</a></span> keines +besondern Credits bedarf. Ich habe es nämlich mir selbst, meinem +theuern Weibe, meinen geliebten Kindern heilig gelobt: von jetzt an +nur ein kleines Geschäft, das nur halb so groß ist als mein jetziges, +haben zu wollen. Ich werde nicht wieder wankend werden, zuverlässig +nicht, dazu ist mein Vornehmen diesmal zu bestimmt und raisonnirt. +<em class="gesperrt">Das</em> Gute wird also aus meinen gehabten Verlegenheiten sicher +hervorgehen und ich blicke wirklich seit der Zeit schon mit mehr +Heiterkeit in die Zukunft als vorher. Ich habe allen Ideen von +weitläufigem und ausgebreitetem Geschäft auf das feierlichste entsagt, +und fortan werde ich mich nie wieder dazu verführen lassen, noch von +dem geraden Wege in meinen Transactionen abgehen .... Dies, lieber +Bruder, waren die Sorgen und die Verlegenheiten, worin ich mich +befunden habe. Sie waren groß, da sie alle wie ein Gewitter auf mich +zusammenstürzten, allein sie waren auch nicht größer als ich sie Dir +geschildert, und ich hoffe, daß ich so ziemlich dadurch bin. Ich habe +außer dem brüderlichen Hange, Dir auch nichts verschweigen zu wollen, +was mir Gutes und Uebles auf der Welt widerfährt, auch noch <em class="gesperrt">die</em> +Ursache, Dir darüber zu schreiben, da es möglich wäre, daß durch +Königshoff oder sonst Jemanden etwas darüber nach Dortmund berichtet +würde, und damit Du dann weißt, was davon zu halten.</p> + +<p>Endlich noch eine brüderliche Mittheilung. Es ist unvermeidlich, +lieber Bruder, daß der Uebergang von meinen ansehnlichern zu den +kleinern Geschäften mich nicht geniren müßte, besonders da ich es +als ersten Grundsatz festgesetzt, mich dazu <em class="gesperrt">auch nicht eines</em> +insoliden Hülfsmittels zu bedienen, ich vielmehr damit begonnen +habe, solche zu succificiren. Ueberhaupt fühle ich, daß ich doch dem +ausgedehnten Geschäfte nicht gewachsen war bei der hiesigen Solidität, +und daß ein <em class="gesperrt-left">Manufactur</em>geschäft <em class="gesperrt">hier</em> mit einem Fonds wie +der meinige eigentlich nur die Hälfte desjenigen solide thun kann, was +ich ganz that. Außer den Hülfsmitteln, die in mir selbst liegen und +die dazu mit dienen sollen, jenen Zweck zu erreichen, möchte ich aber +auch noch gern alle die ins Werk setzen, welche für mich erreichbar +sind und die dazu mit beitragen könnten, d. h. ich möchte gern alle +die Fonds disponibel haben, welche mir doch einmal gehören, durch +unangenehme Dispute aber nun für mich ohne Nutzen sind .....</p></blockquote> + +<p>Im weitern Verlaufe des Briefs macht er Vorschläge, die sich darauf +beziehen, daß er seinen Antheil an den gemeinschaftlichen Ländereien bei +Dortmund (circa 6 Morgen) abtreten und verschiedene Familienverhältnisse +geordnet haben möchte, wodurch er ein Kapital von 6000 Fl. zu erhalten +hofft. Außerdem bittet er seinen Bruder, ihn selbst noch auf etwa ein +Jahr mit einem<span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[47]</a></span> besondern kleinen Kapitale von etwa 4000 holl. Fl. zu +unterstützen. Dann fährt er fort:</p> + +<blockquote> + +<p>Es soll sowol dies, als wenn ich jenes erhalte, nicht dazu dienen, +meine Geschäfte zu erweitern. Nein, es ist und bleibt der heiligste +und unabänderlichste Vorsatz bei mir, sie vielmehr sehr einschränken. +Es soll aber dazu mit dienen, um mir Verbindungen ganz entbehrlich zu +machen auf auswärtigen Plätzen, die, so wie sie sehr kostbar waren, +mich auch stets genirten und meine Thätigkeit von meinem eigentlichen +Geschäfte ablenkten. Ich habe vor, mich ganz aufs Reine zu setzen +und endlich einmal mir selbst und meiner Familie zu leben. Dieser +Uebergang kostet mir aber, wie Du denken kannst, sehr viel Mühe und +erfordert auch neue Fonds, indem bei einem großen Geschäfte auch der +Credit groß ist und eins das andere stopft. Daß Du mir das Kapital +mit Sicherheit anvertrauen kannst, dafür bürgt Dir mein Ehrenwort, +daß erstlich meine Sachen gut stehen, und zweitens, daß, möchten mich +auch unglückliche Umstände ereilen, es mir die heiligste Pflicht sein +würde, Dich vorzüglich zu decken. Ich weiß wol, lieber Bruder, daß +Deine Einrichtungen und auch Deine Fonds es nicht erlauben, daß Du +mich aus eigenen Mitteln bedeutend unterstützest, allein ich dachte, +daß Deine Verbindungen Dir vielleicht Mittel an die Hand böten, hier +oder da so ein Kapital von etwa bis zu 4000 Fl. zusammenzubringen. +Solltest Du inzwischen keine Gelegenheit haben, so sagst Du es mir nur +einfach und ich suche mich dann anders durchzuschlagen. Es braucht +zwischen uns keiner Complimente darin. Ein Ja ein Ja, ein Wort ein +Wort .... Kurz, lieber Bruder, Alles, was Du vermagst zu thun, das +thue in diesem Augenblicke, der durch das Zusammentreffen mehrerer +Umstände für mich sehr unangenehm ist. Die größte Krise habe ich zwar +überwunden, allein geheilt bin ich noch nicht, und es wird mir noch +große Anstrengungen kosten, ehe ich darüber bin .... Ich habe Dir +Alles sagen und Dir nichts verschweigen wollen. Du und Sophie sind die +einzigen Menschen auf der Erde, die meine wahrhaften Freunde sind. Ich +kann und will Beiden nie etwas verhehlen. Es wird Alles gut gehen, nur +der Augenblick war hart und ist es noch. Die herzlichste Umarmung!</p></blockquote> + +<p>Die Antwort auf diesen Brief liegt nicht vor. Doch ist kaum zu +bezweifeln, daß der Bruder ihm auch in diesem Falle, wie in so manchen +frühern, nach Kräften geholfen, denn unterm 26. August 1805 dankt er +ihm, weil er »die 3000 Fl. wieder in seinen Händen gelassen«, mit +dem Bemerken: wenn er sie gern zurückhaben wolle, so werde ihn dies +nicht geniren, falls er nur etwas vorher<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[48]</a></span> davon unterrichtet sei. +Jedenfalls gelang es Brockhaus, seine Verhältnisse zu ordnen, und seinem +Vorsatze getreu schränkte er das kaufmännische Geschäft wesentlich +ein. Im October 1804 scheint er mehrere Wochen in Wesel zugebracht +zu haben, wahrscheinlich eben zur Abwickelung eines frühern größern +Waarengeschäfts.</p> + +<p>Diese Einschränkung in enge Verhältnisse konnte aber seinem regen, +weitstrebenden Geiste nicht lange genügen, und da er theils wegen der +Continentalsperre, theils nach den kaum überstandenen Bedrängnissen +daran festhielt, sein Geschäft in englischen Waaren nicht wieder +auszudehnen, so mochte für ihn der Gedanke nahe liegen, neben demselben +ein anderes Geschäft zu betreiben, das seinem Geiste bessere Nahrung +versprach und von dem er doch auch materielle Erfolge erwarten konnte.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[49]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter2-2" id="Chapter2-2">2.</a> +<br /> +Errichtung einer Buchhandlung. +</h3> + +<p class="start-chap">Von Jugend auf von dem lebhaftesten Interesse für die Literatur erfüllt, +hatte Brockhaus, wie schon erwähnt, eigentlich gegen seinen Willen, nur +auf Wunsch seines Vaters und durch zufällige Umstände darauf hingeführt, +den Kaufmannsstand erwählt. Mehr durch fremde als durch eigene Schuld +und durch die Zeitverhältnisse an der Durchführung seiner kühn und +großartig angelegten Handelsunternehmungen gehindert, griff er jetzt +zu der Idee zurück, die ihn seit seinem Aufenthalte in Leipzig oft +lebhaft beschäftigt haben mochte: sich dem Buchhandel zu widmen, als +einem Berufe, in dem er seine kaufmännischen Kenntnisse verwerthen +und doch zugleich seiner Lieblingsneigung, der Beschäftigung mit der +Literatur, leben konnte. Er stand noch in dem ersten Mannesalter, dem +dreiunddreißigsten Lebensjahre; er hatte reiche Erfahrungen gesammelt, +deren Schwere seinen Geist in keiner Weise zu beugen vermochte; er +lebte in den glücklichsten Familienverhältnissen, an der Seite einer +geliebten Frau, von blühenden Kindern umgeben: noch in Arnheim war ihm +am 12. Februar 1802 eine zweite Tochter, Karoline, am 4. Februar 1804 in +Amsterdam ein zweiter Sohn, Heinrich, geboren worden. Sollte er den Muth +sinken lassen und nicht vielmehr versuchen, ob ihm das Glück nicht auf +einem andern Felde lächeln werde?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[50]</a></span></p> + +<p>Im Sommer 1805 ging er an die Ausführung des neuen Plans, obwol +seine Buchhandlung formell erst am 15. October 1805 eröffnet wurde +und dieser also der Gründungstag der Firma F. A. Brockhaus ist. Von +diesem Tage datirt sein erstes buchhändlerisches Circular, allerdings +nicht mit seinem Namen, sondern mit der Firma »Rohloff und Compagnie« +unterzeichnet. Als Ausländer konnte er nämlich nicht Mitglied der +amsterdamer Buchhändlergilde werden, und so bewog er einen ihm bekannten +wackern Mann, den Buchdrucker J. G. Rohloff, zu erlauben, daß das +Geschäft auf dessen Namen geführt werde. Dieser war dabei weiter nicht +betheiligt, als daß er eine kleine Entschädigung für das Hergeben seines +Namens erhielt, und Brockhaus von Anfang an alleiniger Eigenthümer. +Auch ließ Brockhaus den Namen Rohloff's schon nach kaum zwei Jahren, +1807, ganz verschwinden und wählte für seine Firma die schon in jenem +ersten Circular zur Charakterisirung des neuen Geschäfts gebrauchte +Bezeichnung: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, ohne Hinzufügung eines +Namens.<a name="FNAnker_10_10" id="FNAnker_10_10"></a><a href="#Fussnote_10_10" class="fnanchor">[10]</a> Hierüber sagt er in einem Briefe:</p> + +<blockquote> + +<p>Aus Zartgefühl trennte ich bei zunehmenden Geschäften Hrn. Rohloff +von unserm Geschäfte, um auch nicht den Schatten von Besorglichkeit +in der Seele des guten Mannes aufkommen zu lassen, die er doch haben +mußte, da sein Name gebraucht wurde.</p></blockquote> + +<p>Jenes erste Circular, aus dem die Absichten des Begründers gleich +deutlich hervorgehen, lautet:</p> + +<blockquote> + +<p class="right-1">Amsterdam, den 15. October 1805.</p> + +<p>Die Unterzeichneten haben die Ehre, Ihnen hiermit anzuzeigen, daß +sie hierselbst ein Kunst- und Industrie-Comptoir errichtet haben, +welches einerseits zur Absicht hat, nationale Wissenschaft und +Kunst zu befördern und das Ausland damit bekannt zu machen, als +andererseits: den Freunden der Wissenschaften und schönen Künste in +den Vereinigten<span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[51]</a></span> Niederlanden Gelegenheit zu geben, sich Alles, was +das gebildetere Ausland, vorzüglich Frankreich, England, Deutschland +und Italien, in diesen Hinsichten Merkwürdiges darbietet, schnell +verschaffen zu können.</p> + +<p>Wir werden uns bemühen, für die Batavische Republik einen Central- +und Verbindungspunkt zwischen nationaler und fremder Kunst und +Wissenschaft zu bilden und dadurch einem längst gefühlten und +allgemein anerkannten Bedürfnisse abzuhelfen.</p> + +<p>Jeder Auftrag des Auslandes, der sich also auf niederländische +Literatur und Kunst bezieht, wird demnach ebenso pünktlich und +sorgfältig ausgerichtet werden als wiederum alle inländischen +Literatur- und Kunstfreunde Gelegenheit haben, durch uns alle +Literatur-, Kunst- und Musikproducte des Auslandes schnell und zu +billigen Preisen erhalten zu können. Zu beiden Arten von Aufträgen +empfehlen wir uns also ergebenst und werden wir uns beeifern, das +Zutrauen, um welches wir bitten, durch die That zu verdienen.</p> + +<p class="right-2">Rohloff & Co.</p> +</blockquote> + +<p>Dasselbe Circular wurde gleichzeitig in französischer Sprache versandt. +Der französische Text weicht nur darin von dem deutschen ab, daß es im +ersten Satze heißt: »<span class="antiqua">que les soussignés viennent d'établir en cette +ville un Institut de Commerce, <b>sous la raison</b>: Bureau des Arts et +des Belles-lettres</span>«, woraus sich auch die bereits erwähnte, nach +damaliger Sitte ohne weitere Anzeige 1807 erfolgte Umänderung der Firma: +Rohloff & Co., in die von: Kunst- und Industrie-Comptoir, erklärt.</p> + +<p>Nähere Mittheilungen über die Gründung des buchhändlerischen +Etablissements enthält ein Brief von Brockhaus an seinen Bruder, dem +er sich natürlich gedrungen fühlte, sofort Kenntniß davon zu geben. Er +schreibt aus Amsterdam vom 26. August 1805:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe Dir neulich ein paar Worte von einer neuen Unternehmung +gesagt, wobei ich mich interessirt habe.<a name="FNAnker_11_11" id="FNAnker_11_11"></a><a href="#Fussnote_11_11" class="fnanchor">[11]</a> Ich kann Dir jetzt +etwas mehr darüber mittheilen. Ein paar angesehene und sehr +wohlhabende Personen, Freunde der Wissenschaften und Künste, haben +sich nämlich mit mir zu einem Institut wie das Weimarer und Wiener +Industrie-Comptoir vereinigt, freilich sehr im Kleinen, um weniger<span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[52]</a></span> +selbst etwas zu produciren als fremde Sachen zu debitiren. Der Plan +ist außer allem Zweifel ganz vortrefflich und verspricht, da durchaus +noch nichts Aehnliches im ganzen Lande besteht, reiche Belohnung. +Buch- und Kunst- und Musikalienhandel, activ und passiv, werden +seine Vorwürfe sein. Wir haben einen Hauptdirector und ich bin +Nebendirector, weil ich meiner sonstigen Geschäfte wegen nicht viel +Zeit dazu verwenden kann. Ich werde Dir nächstens mal den Plan, wie +wir ihn Schimmelpenninck vorgelegt haben, zur Einsicht mittheilen.<a name="FNAnker_12_12" id="FNAnker_12_12"></a><a href="#Fussnote_12_12" class="fnanchor">[12]</a> +Wir haben von diesem trefflichen Manne die lebhafteste Ermunterung +erhalten und das Versprechen, uns auf alle mögliche Weise zu +unterstützen.</p> + +<p>Fürchte nicht, lieber Bruder, daß es mich in zu große +Weitläufigkeiten setzen werde. Das wird nicht der Fall sein und kann +es nicht sein, besonders da ich mein eigentliches Geschäft blos sehr +mäßig treiben und höchstens darin einen Umschlag von 100000 Fl. +bezwecken werde. Du kennst übrigens meine Liebhaberei für Literatur +und Kunst und kannst also denken, wie angenehm es für mich sein wird, +mich auf diese Art damit zu beschäftigen. Das Museum, das jetzt an +250 Mitglieder hat, wird unser Institut, da einer der Directoren, +Clifford, dabei interessirt ist, zu seinem Fournisseur wählen, und +schon dadurch allein ist uns ein Absatz von 6000 Fl. sicher. Die +Einrichtungen sind übrigens so getroffen oder werden es (denn noch ist +die Sache erst im Werden), daß ich wenig Arbeit damit habe, und es +wird mich dasselbe nicht verhindern, Euch dies Jahr noch zu besuchen, +wenn nicht von andern Seiten vielleicht was dazwischen kommt.</p></blockquote> + +<p>Wer der in diesem Briefe erwähnte »Hauptdirector« des projectirten +buchhändlerischen Geschäfts war, neben dem sich Brockhaus nur als +»Nebendirector« bezeichnet, ist nicht bekannt. Entweder blieb die +Ernennung eines solchen ein bloßes Project, wie sich überhaupt das +Geschäft und Brockhaus' Wirksamkeit in demselben bald wesentlich anders +gestaltete, als er sie sich zuerst gedacht hatte. Oder — und das +ist das Wahrscheinlichere — unter dem »Hauptdirector« war derjenige +gemeint, der dem Publikum und speciell der »Gilde« gegenüber mit seinem +Namen hervorzutreten hatte, der Buchdrucker Rohloff, während Brockhaus +unter dem<span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[53]</a></span> Namen eines »Nebendirectors« factisch der eigentliche Leiter +des Geschäfts wurde. Denn in einem spätern Briefe an seinen Bruder +(vom 25. August 1807) sagt er ausdrücklich, daß er der »alleinige +Eigenthümer« der Firma Rohloff & Co. gewesen sei. Auch die »angesehenen +und sehr wohlhabenden Personen«, von denen er in jenem frühern Briefe +sagt, daß sie mit ihm zur Gründung des Geschäfts sich vereinigt +hätten, sind wol schwerlich als Mitbegründer und Miteigenthümer des +Geschäfts anzusehen; es waren vielmehr »Freunde der Wissenschaften und +Künste«, die als solche und als seine persönlichen Freunde ihm mit +ihrem Einfluß und selbst mit materiellen Mitteln zur Seite standen. So +schreibt er einmal an seinen Bruder: »Ein wackerer Mann, dem ich mich +entdeckte, fand meine Idee sehr gut, und ich erhielt von diesem auch +noch dazu ein Kapital von 6000 Fl.« Dieser »wackere Mann« kann jener +ebenerwähnte Mitdirector des Museums, Clifford, oder der Großpensionär +Schimmelpenninck gewesen sein. Von letzterem wurde Brockhaus jedenfalls +auch materiell bei seinem neuen Unternehmen unterstützt, wie aus spätern +Rechnungspapieren hervorgeht. Ferner nennt er später einmal dankbar +folgende Namen als solcher Amsterdamer, die ihm in ähnlicher Weise +zu Hülfe kamen, ohne daß uns Weiteres als eben diese Namen bekannt +geworden: Gulcher, Falk, Hultmann, Rodde. Möglich ist indeß auch, daß es +ursprünglich auf ein Actienunternehmen abgesehen war, das sich später +zerschlug.</p> + +<p>Aus dem oben mitgetheilten Briefe geht ferner hervor, daß Brockhaus +zunächst durchaus nicht die Absicht hatte, sein »eigentliches« +kaufmännisches Geschäft aufzugeben; er wollte dieses nur, wie er es +schon Ende 1804 sich selbst und seinem Bruder versprochen hatte, +nach den bösen Erfahrungen der letzten Zeit wesentlich einschränken +und neben demselben, gewissermaßen als Liebhaberei, das neue +buchhändlerische Geschäft betreiben. Dieses beabsichtigte Verhältniß +kehrte sich allerdings bald um: das buchhändlerische Geschäft wurde +die Hauptsache, das kaufmännische die Nebensache, sei es, daß er das +letztere absichtlich immer mehr einschränkte, oder daß dasselbe immer +weniger rentirte, sei es, daß das erstere sein Interesse und seine +Thätigkeit mehr in Anspruch nahm als er sich gedacht hatte. Indeß gab er +das kaufmännische Geschäft<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[54]</a></span> immer noch nicht ganz auf, sondern betrieb +es nebenbei mehrere Jahre fort, bis zu seinem Weggange von Amsterdam, +obwol er noch mehrmals sich ganz davon loszumachen versuchte. Eine +solche Doppelstellung erscheint in unserer Zeit der Arbeitstheilung +ungewöhnlich; damals und bei dem raschen Wechsel der politischen +Verhältnisse kam sie öfter vor.</p> + +<p>Des Zusammenhangs wegen mögen aus dem bereits erwähnten spätern Briefe +an seinen Bruder vom 25. August 1807 einige Stellen gleich noch hier +folgen:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich halte es für den glücklichsten Gedanken meines Lebens, daß ich, +als vor zwei Jahren ich die Unmöglichkeit begriff, mein Geschäft in +englischen Manufacturwaaren mit Glück, Ruhe und Segen fortführen zu +können, um davon meine schwere Haushaltung und Ausgaben zu bestreiten, +daß ich da den Entschluß faßte, hier ein Etablissement für Buch- und +Kunsthandel zu errichten, wie es in unserm Lande keines gab, das mir +ein gutes Auskommen versprach, keinen übergroßen Fonds erforderte und +das meinem Genius vollkommen angemessen war. Indessen hatte ich zur +Absicht, doch ein <span class="antiqua">noyau</span> für Manufacturgeschäfte beizubehalten, +um in günstigern Zeiten es vielleicht wieder aufzufassen und weiter +auszudehnen. Ich war zu der Zeit einer der Directoren unsers Museums +und meine Idee wurde dadurch sehr begünstigt .... Durch die Kenntniß +und durch die Thätigkeit, welche ich in das neue, meinem Sinne so +angemessene Geschäft legte, wuchs solches bald bedeutend, und ich +entschloß mich, den <span class="antiqua">noyau</span>, den ich noch von Manufacturen +angehalten hatte, fahren zu lassen und mich ganz und allein dem neuen +Geschäfte zu widmen, für welches, wie wol Jeder gestehen wird, der +mich kennt, ich Jedem und mir selbst außerordentlich berechnet schien +... Antheil hat Niemand am ganzen Geschäfte als ich allein. Ich lasse +indessen im Publikum die Idee gelten, als ob mehrere dabei interessirt +wären.</p></blockquote> + +<p>Er erwähnt dann noch, daß er seine »andere sehr lucrative aber +lästige Unternehmung« (den kaufmännischen <span class="antiqua">noyau</span>) zu verkaufen +beabsichtige; indeß findet sich keine Notiz, ob und wann dieser Plan zur +Ausführung gekommen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Doch kehren wir zu dem Beginn seines buchhändlerischen Unternehmens im +Sommer 1805 zurück, das er, wie alles im Leben, sofort mit lebhaftem +Eifer und nach großartigen Gesichtspunkten anfaßte.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[55]</a></span></p> + +<p>Noch vor Erlaß des Circulars schrieb er an einige größere +Buchhandlungen, um gleich bei Eröffnung seines Geschäfts wohlgerüstet +auftreten zu können. Nur zwei solcher Briefe sind uns erhalten, beide an +Breitkopf & Härtel in Leipzig gerichtet.<a name="FNAnker_13_13" id="FNAnker_13_13"></a><a href="#Fussnote_13_13" class="fnanchor">[13]</a></p> + +<p>In dem ersten, Amsterdam, 5. September 1805 datirt und noch nicht mit +der Firma des neuen Geschäfts, sondern »A. Brockhaus« unterzeichnet, +heißt es:</p> + +<blockquote> + +<p>Einige Freunde der Literatur und schönen Künste haben sich +entschlossen, hierselbst eine Buch- und Kunsthandlung anzulegen nach +einem ganz neuen Plane, und dadurch für unsere Republik einem sehr +gefühlten Bedürfnisse abzuhelfen. Es wird sich solche mit eigenem +Verlage und mit Sortiment befassen und sich überhaupt bemühen, der +Verbindungspunkt zwischen nationaler und ausländischer Wissenschaft +und Kunst zu werden. Der vollkommene Mangel eines solchen Instituts +in den Vereinigten Niederlanden, die glückliche Lage derselben zur +Unterhaltung eines Verkehrs mit allen Nationen, selbst mit fremden +Welttheilen, der Geist der Zeit überhaupt und endlich die Kenntnisse, +der Eifer und die Mittel der Unternehmer — Alles dieses läßt der +Unternehmung mit Wahrscheinlichkeit einen guten Erfolg hoffen.</p> + +<p>Es sind noch einige Hindernisse, die in dem Zunft- und Gildenwesen +ihre Ursachen haben, zu beseitigen, und wir müssen also die +Herumsendung unserer Circulare, woraus Sie alles Nähere ersehen +werden, so lange aussetzen. In einigen Wochen wird solches aber +spätestens geschehen. Bis dahin habe ich, einer der Mitunternehmer, +übernommen, schon einige Einleitungscorrespondenz anzufangen, +und in dieser Qualität bin ich deshalb auch so frei, Ihnen das +Gegenwärtige zu adressiren. Es soll sich dasselbe heute allein auf +Ihren Musikverlag beziehen. Musikalienhandlung liegt vorzüglich +mit im Plane unsers Instituts, da wir darin uns des besten Erfolgs +schmeicheln dürfen, weil hierin fast nichts in unserer Republik gethan +ist, unerachtet in derselben eine ausgezeichnete Liebhaberei für jede +Gattung der Tonkunst statthat. Wir wünschen zu diesem Zwecke also mit +den vorzüglichsten Musikalienhandlungen in Deutschland, der Schweiz +und Frankreich in<span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[56]</a></span> Verbindung zu treten und von denselben ihren Verlag +in Commission zu erhalten, indem — wenigstens vor der Hand — es ganz +unmöglich ist, sich selbigen gleich auf eigene Rechnung anzuschaffen.</p> + +<p>Meine ergebenste Frage an Sie ist also hierdurch: ob Sie sich hierzu +wol entschließen möchten, und wenn das: ob Sie sich, was wir wünschen +müssen, auf uns für unsere Republik einschränken und künftige ähnliche +Anfragen zurückweisen wollen, solange unser Verkehr und Vertrieb Ihnen +ansteht, und drittens: welches Ihre Bedingungen, Vortheile und Rabatte +sind, die Sie zugestehen.</p></blockquote> + +<p>Aus einer Notiz auf dem Briefe ist zu ersehen, daß Breitkopf & Härtel in +Leipzig unterm 11. September antworteten:</p> + +<blockquote> + +<p>40 Procent gegen Baarzahlung, wenn er für netto 100 Thlr. nimmt; das +franco Remittirte tauschen wir gegen andere Sachen aus.</p></blockquote> + +<p>Darauf erwidert Brockhaus unterm 27. September:</p> + +<blockquote> + +<p>Ihre Zuschrift vom 11. d. M. habe ich wohl erhalten und sie unserm +Institute vorgelegt. Es hat dieses nichts dagegen, Ihnen zum Anfange +comptant zu zahlen, jedoch unter der von Ihnen selbst angebotenen +Bedingung, von Zeit zu Zeit das nicht Verkaufte gegen andere Artikel +vertauschen zu können, und unter der, daß Sie uns anstatt 40 : 50 +Procent Rabatt geben. Wenn Ihnen dies convenirt, so wollen Sie für +circa 400 Thlr. der neuesten und am meisten gesuchten Sachen — ein +Sortiment von Allem — für uns auslegen und über Zwoll p. Adr. des +Herrn F. L. Schlingemann an mich mit dem Postwagen absenden. Wir +bitten Sie, diese Auswahl in jeder Rücksicht auf das sorgfältigste +und geschmackvollste zu treffen. Es ist unser Debüt in diesem Artikel +und also um so nöthiger. Den ungefähren Betrag <span class="antiqua">de circa</span> +200 Thlr. wollen Sie in zwei Monat dato in holländischen Ct. Fl. +(Courant-Gulden) nach dem dortigen Course auf mich bei der Absendung +entnehmen. Factura und Avis über Ihre Tratte erwarte mit der Briefpost.</p></blockquote> + +<p>Aus dieser Correspondenz ersieht man, wie leicht sich Brockhaus in die +neuen Geschäftsverhältnisse fand, die ihm bisher ganz fremd waren, da er +doch nie den Buchhandel oder gar den Musikalienhandel »erlernt« hatte, +und wie umsichtig er sein Geschäft begann. Für die bestellten Musikalien +fand er auch bald einen regelmäßigen Abnehmer, indem ihm die Direction +des großen<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[57]</a></span> Concerts die Lieferung ihres Bedarfs übertrug; dies geschah +indeß erst am 21. October, während er jene erste Bestellung bereits am +27. September aufgegeben hatte. Auch das Museum übertrug ihm sofort die +Lieferung seiner Zeitungen und Bücher.</p> + +<p>Um mit dem deutschen Buchhandel ordnungsmäßig verkehren zu können, hatte +er, auch noch vor Erlaß seines Circulars, einen Commissionär in Leipzig +gesucht und in der Person des Herrn Heinrich Gräff gefunden; er erwähnt +seiner bereits am 5. September in dem ersten Briefe an Breitkopf & +Härtel.</p> + +<p>Aber noch kühnere Ideen hegte er gleich bei Beginn seiner +buchhändlerischen Laufbahn: er dachte sofort auch an die Errichtung +einer Buchdruckerei in Amsterdam! In demselben Briefe heißt es:</p> + +<blockquote> + +<p>Durch Herrn Gräff habe ich mir auch schon eine Probe von Ihrer +Schriftgießerei erbeten, da wir die Absicht haben, auch ehestens eine +Druckerei anzulegen, wozu wir wol gezwungen sind, da in unserer ganzen +Republik keine Buchdruckerei existirt, die nur etwas Erträgliches zu +liefern im Stande wäre.</p></blockquote> + +<p>Dieses Project kam freilich damals nicht zur Ausführung, sondern erst in +viel späterer Zeit (1818 in Leipzig), wie so manche Einrichtungen in dem +von ihm begründeten Geschäfte, zu denen er noch den Keim gelegt hatte.</p> + +<p>Daß er sich überhaupt auch für das seinem Ideenkreise ferner liegende +technische Gebiet interessirte, geht noch aus folgendem, unterm 12. +Juli 1805 an Professor Gubitz in Berlin gerichteten Briefe hervor, +der zugleich zeigt, wie sorgfältig er schon damals die deutsche +Journalliteratur verfolgte:</p> + +<blockquote> + +<p>Durch die Discussionen, die unlängst zwischen Ihnen und Hrn. N. N. +im »Freimüthigen« und in der »Zeitung für die elegante Welt« Platz +gehabt und meiner Meinung nach sich auf eine sehr schmeichelhafte +Weise für Sie und die schöne Kunst, der Sie mit einem so edlen +Enthusiasmus anhangen, geendigt haben<a name="FNAnker_14_14" id="FNAnker_14_14"></a><a href="#Fussnote_14_14" class="fnanchor">[14]</a>, bin ich auf Ihre Be<span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[58]</a></span>merkung: +daß sich die Holzschneidekunst sehr zu unnachahmlichen Staatspapieren +u. dgl. eigne, und durch die Anzeige, daß Sie sich mit Versuchen +hierüber beschäftigten, insofern aufmerksam gemacht worden, daß +ich einen Freund hierselbst, der einen sehr ansehnlichen Debit in +gestochenen Wechseln (deutscher, holländischer und allen andern +Sprachen), in Assignationen, Leistungen u. dgl. hat und der jährlich +eine ganze Menge Platten abnutzt, ebenfalls aufmerksam gemacht habe, +daß sich Formen aus Holz hierzu wol besser eignen und ihm einen +ansehnlichern Vortheil abwerfen würden als Kupferplatten, die gleich +abgenutzt sind. Mein Freund hat meine Idee sehr gut gefunden, und er +hat mir demzufolge den Auftrag gegeben, mich mit Ihnen darüber zu +unterhalten, welches zu thun ich mir hierdurch also die Freiheit nehme.</p> + +<p>Meine ergebenste Frage an Sie wäre also: ob Sie sich auch wol +schon mit solchen Gegenständen beschäftigt, als oben erwähnt, und ob +Sie mir darüber nicht einige Proben einsenden können? Wenn das aber +nicht wäre — ob Sie dann glauben, daß sich Ihre Kunst auch sehr zu +Buchstaben und Zahlenzeichen eigne? Dann, was eine Platte, wie z. B. +zu einliegendem Wechsel, kosten werde? Und endlich, ob Sie in den +ersten drei Monaten wol Zeit haben würden, um ein halbes oder ganzes +Dutzend von solchen und ähnlichen Formen fertig zu machen?</p> + +<p>Recht sehr angenehm wird es mir sein, hierüber baldmöglichst und +wenn's angeht mit umgehender Post ausführliche Antwort zu erhalten, +und in dieser Erwartung habe ich die Ehre, mich Ihnen auf das +höflichste und ergebenste zu empfehlen.</p></blockquote> + +<p>Als ein Zeichen von Vertrauen zu dem neuerrichteten Geschäfte darf es +wol betrachtet werden, daß das altberühmte Haus Breitkopf & Härtel in +Leipzig ihm schon auf den ersten Brief hin den Antrag machte, auch +für den Vertrieb der Erzeugnisse seiner Pianofortefabrikation thätig +zu sein. Diesen Vorschlag glaubte Brockhaus indeß doch vor der Hand +ablehnen zu müssen. Er schrieb:</p> + +<blockquote> + +<p>Zu einem Geschäft mit Pianoforten oder sonstigen Instrumenten sind +wir noch nicht eingerichtet. Unser Institut ist erst im Beginnen und +kann nicht Alles zugleich unternehmen. Auch hält man hier nicht viel +von ausländischen Pianofortes, da man dafür hält, daß sie dem hiesigen +feuchten Klima nicht widerständen, sodaß man fast nur einheimische von +Van der Does, Meyer und andern ausgezeichneten Meistern gebraucht. +Da ich mir indessen selbst eins anschaffen will,<span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[59]</a></span> so dürfte ich mich +vielleicht entschließen, dazu eins von Ihnen zu nehmen, und es könnte +solches dann als Muster dienen. Melden Sie mir also gefälligst die +Preise der verschiedenen Arten und Formen und melden Sie mir, welche +jetzt die beliebtesten und gesuchtesten sind.</p></blockquote> + +<p>So nach allen Seiten hin blickend, legte Brockhaus mit sicherer Hand die +Grundlagen zu seinem neuen Geschäfte.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[60]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter2-3" id="Chapter2-3">3.</a> +<br /> +Erste journalistische Verlegerthätigkeit. +</h3> + +<p class="start-chap">Neben dem Sortimentsgeschäft: der Einführung ausländischer, besonders +deutscher und französischer Literatur, mit Einschluß der musikalischen, +nach Holland, widmete sich Brockhaus gleich im Beginne seiner +buchhändlerischen Laufbahn mit fast noch größerm Eifer der Begründung +eines Verlagsgeschäfts, das später die Hauptthätigkeit der von ihm +begründeten Firma bilden sollte. Er fühlte, daß dieses allein seinem +regen Geiste genügende Nahrung darbieten könne, wenn er auch wol noch +keine Ahnung davon hatte, zu welchem Umfange dasselbe allmählich +erwachsen werde. Und während er als Sortimentsbuchhändler von Anfang +an die internationale Seite vorzugsweise ins Auge faßte und in seinem +Geschäfte einen Mittelpunkt für den buchhändlerischen Verkehr der +verschiedenen Nationen zu schaffen suchte (eine Idee, die von seiner +Firma stets als ein Lieblingsgedanke gepflegt und, freilich erst lange +nach seinem Tode, in einer Weise verwirklicht worden ist, wie sie +ihm selbst vielleicht nur als Ideal vorgeschwebt haben mag), erfaßte +er als Verleger zunächst die nationale Seite, indem er, um seinem +Programm gemäß auch »nationale Wissenschaft und Kunst zu befördern«, +journalistische Unternehmungen zu begründen suchte. Auch darin also hat +er den Grund gelegt zu einer der Hauptthätigkeiten seines Hauses.</p> + +<p>Als Deutscher in Holland lebend und durch Vorliebe be<span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[61]</a></span>sonders zur +Literatur Frankreichs hingezogen, suchte er jeder dieser drei +Richtungen gerecht zu werden; er begründete kurz nacheinander eine +holländische politisch-literarische Zeitung: »<span class="antiqua">De Ster</span>«, eine +deutsche zeitgeschichtliche Monatsschrift: Cramer's »Individualitäten«, +endlich eine französische belletristische Vierteljahrsschrift: »<span class="antiqua">Le +Conservateur</span>«.</p> + +<p>Ueber diesen Beginn seiner Verlegerthätigkeit spricht er sich in einem +Briefe an Karl Friedrich Cramer aus, der in dessen »Individualitäten« +abgedruckt ist (wir kommen auf dieses Werk und seinen Verfasser bald +näher zu sprechen) und auch seines sonstigen Inhalts wegen hier +mitgetheilt zu werden verdient. Er schreibt aus Amsterdam vom 17. +October 1805, also zwei Tage nach Erlaß seines Circulars:</p> + +<blockquote> + +<p>Indem wir die Ehre haben, Ihnen angebogen ein Circular unsers +hierselbst angefangenen Geschäfts zu übersenden, können wir uns das +Vergnügen nicht versagen, uns noch näher mit Ihnen zu unterhalten; +sowol weil wir wünschen, mit Ihnen in eine fortlaufende Geschäfts- und +literarische Verbindung zu treten, als auch um Sie wegen Eines und +Andern um Rath zu fragen.</p> + +<p>Hr. B. (Brockhaus), Schreiber dieses, der vorzüglichere Unternehmer +und Eigenthümer unsers Geschäfts, hat nämlich stets an Ihren +Schicksalen den innigsten Theil genommen, und es gibt vielleicht +wenige Personen, zu deren Individualität er sich von jeher so +hingezogen gefühlt hätte als zu der Ihrigen. Als Knabe und Jüngling +schon — er ist jetzo in den Dreißigern — interessirte ihn vielleicht +kein Schriftsteller in dem Grade als Sie, mit Ihren rhapsodischen, +kühnen, aber alles Edle und Schöne mit der innigsten Wärme +umfassenden Schriften. Er schwärmte mit Ihnen bei der Morgenröthe der +französischen Freiheit; Klopstock und Ihre Lieblingsschriftsteller +waren die seinen; jede von Ihnen herausgegebene Schrift wurde von ihm +mit Begierde gelesen; er litt mit Ihnen bei Ihrem Weggange von Kiel; +er indignirte sich über die Xenien wider Sie; er begleitete Sie mit +einem sorgsamen ängstlichen Auge nach Paris, wo er sich um dieselbe +Zeit wegen Handlungsgeschäften gerade einige Wochen aufhielt, in +denen Sie dort eben angekommen waren (kurz nach dem berühmten XIII. +Vendémiaire), was er freilich nicht eher erfuhr als durch Reichardt's +Journal.<a name="FNAnker_15_15" id="FNAnker_15_15"></a><a href="#Fussnote_15_15" class="fnanchor">[15]</a> Seitdem<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[62]</a></span> forschte er nach, wo er nur konnte, ob es Ihnen +wohlgehe; er suchte Alles zu lesen, was Sie von Zeit zu Zeit in +Deutschland und Paris bekannt machten, und es ist ihm schwerlich +etwas entgangen vom »Bardieten« an bis zu den »Tempelherren«, von der +»hehren Jungfrau« bis zu Fischer's — seines persönlichen Freundes +— »Valencia«.<a name="FNAnker_16_16" id="FNAnker_16_16"></a><a href="#Fussnote_16_16" class="fnanchor">[16]</a> Auch von den Arbeiten, wo Sie sich nicht nannten, +wie oft im Journal »Frankreich«, in der »Eleganten Zeitung«, in den +»Französischen Miscellen«, in den »Europäischen Annalen«, hat er Sie, +und gewiß selten unrecht, errathen — Sie sehen also, daß wir uns wol +als alte Bekannte constituiren können.</p> + +<p>Damit Sie aber auch wissen, wer dieser Ihr unbekannter Freund ist, +so wollen wir Ihnen das auch mit ein paar Worten sagen, Ihnen, der so +viel auf Namen und individuelle Hinstellung hält. Ihr Freund heißt +also .. Wilibald<a name="FNAnker_17_17" id="FNAnker_17_17"></a><a href="#Fussnote_17_17" class="fnanchor">[17]</a>, ist ein Westfälinger, von Dortmund gebürtig ... +In Düsseldorf lernte er die Handlung. In Leipzig studirte er, wie man +sagt .. nach Ablauf der Lehrzeit. Im Jahre 1798 etablirte er sich +in seiner Vaterstadt und heirathete ein liebes Weib. Seine Handlung +zog ihn im Jahre 1802 nach Holland, wo er sich denn diese Zeit her +in Amsterdam niederließ und seine Handlung mit .... fortsetzt.<a name="FNAnker_18_18" id="FNAnker_18_18"></a><a href="#Fussnote_18_18" class="fnanchor">[18]</a> Es +geht ihm hier wohl und er lebt seinen Geschäften, seiner Familie und +nebenher den Wissenschaften. Das jetzige Prohibitivsystem unserer +Regierung gibt ihm in seiner Handlung mehr als gewöhnlich Muße, und +aus alter Liebhaberei für Literatur und schöne Künste hat er die Idee +zur Errichtung eines Kunst- und Industrie-Comptoirs gefaßt, und glaubt +Zeit und Kenntnisse genug zu haben, es neben seinen andern Geschäften +leiten zu können.</p> + +<p>Die Geschäfte unsers Comptoirs sollen in Buch-, Musik- und +Kunsthandel bestehen und in eigenen Verlagsunternehmungen, die uns +dem Geiste der Zeit angemessen scheinen. Zu unsern Commissionen in +Paris haben wir uns an Herrn Hinrichs gewendet .... besonders da wir +bereits den ehrenvollen Auftrag erhalten, für das hiesige Museum alle +und jede literarischen Neuigkeiten aller Sprachen zu liefern, ein<span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[63]</a></span> +Auftrag, der in jeder Hinsicht so wichtig für uns ist, daß wir ihm +die größte Pünktlichkeit und Ordnung zu widmen schuldig sind. Wegen +unsers Musiklagers bleibt es uns durchaus nothwendig, daß wir uns auf +französische Musik legen. Die Mode will es; diese Musik ist jetzt hier +<span class="antiqua">à l'ordre du jour</span> und da es in Amsterdam keine einzige gut oder +auch nur einmal erträglich organisirte Musikhandlung gibt, so würden +wir ...</p> + +<p>Ich komme jetzt auf das Fach unserer eigenen Unternehmungen, die wir +successive auszuführen suchen werden und worüber wir uns ebenfalls +Ihren Rath und Beistand erbitten. Die ersten davon dürften sein:</p> + +<p> +1) eine holländische politisch-literarische Zeitung,<br /> +<br /> +2) eine dergleichen für ....<a name="FNAnker_19_19" id="FNAnker_19_19"></a><a href="#Fussnote_19_19" class="fnanchor">[19]</a> +</p> + +<p>Es gibt durchaus kein Land in der Welt, das ein größeres Interesse +an dem Wechsel der Weltbegebenheiten nimmt als das unsere, weil +keines ist, das den großen Herren in Westen, Süden, Osten und Norden +so viel Geld geliehen als unsere Nation und wo ein so großer Handel +mit Staatspapieren getrieben wird als hier. Man liest also in Holland +mit verschlingender Neugier Alles, was nur wie eine Zeitung aussieht. +Daher sind denn auch wol unsere Zeitungen ohne alle Ausnahme so +schlecht und Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine nach einem der +jetzigen Zeit mehr angemessenen Plane vielen Beifall und einen +brillanten Absatz haben würde. Wir haben also ....</p> + +<p>Das wären mithin unsere Zeitungsunternehmungen. Andere literarische +werden wir jede Messe einige machen, um in Leipzig Tauschartikel +zu haben, da wir viel deutsche Bücher beziehen müssen. Sollten Sie +also selbst etwas auf dem Amboß haben oder von Ihren literarischen +Freunden dergleichen wissen, so bitten wir Sie recht sehr, dabei +an uns zu denken. Sie werden es so gut fühlen als wir, daß unser +Comptoir als ein junges neues Geschäft doppelt vorsichtig bei der +Wahl seiner Verlagsartikel sein muß, und uns also nur so was anrathen +und anbieten, dessen Beifall und guter Aufnahme Sie sicher wären. Ich +habe in einem der neuesten Stücke der »Französischen Miscellen« die +Ursache ersehen, warum Sie Ihr hinreißend interessantes Tagebuch nicht +fortgesetzt haben, daß Sie es aber fortsetzen wollen. Haben Sie dazu +schon einen Verleger? Sonst bin ich Ihr Mann. Es würde mir sehr viel +Freude machen, wenn wir dieses anziehende Werk herausgeben könnten. +Melden Sie mir mit umgehender Post doch das Nähere hierüber.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[64]</a></span></p> + +<p>Ich denke, sollten Daunon, Chenier, Riouffe, Oelsner, Ginguené u. a. +nicht auch noch Memoiren oder andere Producte ähnlichen Inhalts in +ihrem Pulte besitzen? .... Sie kennen diese Männer alle. Denken Sie +dabei an uns. Wir bieten die Hand und besitzen jedes Mittel dazu; +u. s. w.</p></blockquote> + +<p>Bevor wir Cramer's Antwort auf diesen Brief mittheilen und die daraus +hervorgehende geschäftliche und freundschaftliche Verbindung zwischen +beiden Männern schildern, haben wir über die holländische Zeitschrift +»<span class="antiqua">De Ster</span>« (»Der Stern«) zu berichten, da sie Brockhaus' erstes +Verlagsunternehmen war.</p> + +<p>Die erste Nummer dieser Zeitschrift erschien am 11. März 1806. Ein +Redacteur ist nicht genannt, jedenfalls besorgte Brockhaus selbst +die Redaction. Auch ein Verleger ist auf dem Blatte nicht namhaft +gemacht, wie überhaupt das Erforderniß solcher Angaben erst eine +Erfindung der spätern Preßgesetzgebung ist. Die Ankündigungen sind +entweder »Der Unternehmer« oder »Die Expedition des Stern« oder »Das +Expeditions-Comptoir in der Warmoesstraat No. 2« unterzeichnet. Gedruckt +wurde das Blatt von J. G. Rohloff, dem Firmaträger des Geschäfts.</p> + +<p>Der »<span class="antiqua">Ster</span>«, der dreimal wöchentlich in Klein-Folio-Format +erschien, war keine politische Zeitung, sondern eine +politisch-literarische Zeitschrift. In dem von »den Unternehmern« in +holländischer Sprache ausgegebenen Programme heißt es ausdrücklich:</p> + +<blockquote> + +<p>Das hauptsächlichste Ziel ihrer Zeitschrift soll nicht das sein, die +allgemeine Neugierde nach politischen Gegenständen auf die gewöhnliche +Art zu befriedigen, vielmehr werden alle sogenannten posttäglichen +Zeitungsnachrichten davon ausgeschlossen bleiben. Statt dessen werden +die Sammler dahin trachten, ihrer Nation die nähere Verbindung der +besondern Weltverhältnisse kennen zu lehren; den Fortschritt oder das +Zurückgehen der Cultur und Aufklärung bei andern Völkern zu ihrer +Wissenschaft zu bringen und ihr dadurch gewissermaßen einen Prüfstein +für ihre eigenen in die Hand zu geben; Nachrichten vom Zustande des +Handels, der Manufacturen und Fabriken in andern Ländern mitzutheilen; +Bemerkungen über dasjenige, was in dieser Rücksicht in unserm eigenen +Vaterlande Neues an den Tag tritt einzuschalten; das lesende Publikum +durch geistvolle Aufsätze aller Art angenehm und lehrreich zu +unterhalten; endlich durch unparteiische Beurtheilungen einen Versuch<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[65]</a></span> +zu machen, auf unsere Sitten, gesellschaftlichen Einrichtungen, +einige Zweige der Staatsverwaltung von einigem Einflusse zu sein: +eine Aussicht allerdings sehr weiten Umfangs, deren Nützlichkeit +aber Unternehmer und Redacteurs sich Mühe geben werden, nie aus dem +Gesichte zu verlieren.</p></blockquote> + +<p>Diesem Programm gemäß brachte »<span class="antiqua">De Ster</span>« neben Besprechungen +von literarischen und Theaterangelegenheiten, die den größten Raum +einnehmen und eigenthümlicherweise bisweilen auch in französischer und +deutscher Sprache geschrieben sind, keine politischen Nachrichten, +sondern Erörterungen über die politische Lage Europas. Bei aller +Bewunderung der Französischen Revolution und ihrer Principien, die nach +der damaligen Zeitströmung begreiflich ist und von dem Herausgeber +Brockhaus persönlich getheilt wurde, hielt sich das Blatt doch fern von +einer Verherrlichung Napoleon's und verrieth durchaus keine Sympathien +für dessen nivellirende Maßregeln und immer deutlicher hervortretende +Absicht, der am 16. Mai 1795 mit französischer Hülfe proclamirten +Batavischen Republik wieder ein Ende zu machen; ja seine Politik wird +bald offen gemisbilligt, bald durch versteckte Satire angegriffen.</p> + +<p>Am 29. April 1805 war die Verfassung der Batavischen Republik auf +Napoleon's Wunsch zum dritten male umgeändert und der Patriot Rütger Jan +Schimmelpenninck, in dem er ein gefügiges Werkzeug für seine Plane zu +finden hoffte, als Groß- oder Rathspensionär (unter Erneuerung dieses +alten holländischen Staatsamtes) mit fast unbeschränkter königlicher +Macht an die Spitze derselben gestellt worden. Schimmelpenninck benutzte +seine Stellung aufs beste, um die durch Gebietsabtretungen an Frankreich +und England geschwächte und finanziell zerrüttete Republik wieder zu +heben. Doch gelang ihm dies nur zum kleinsten Theile, während er dadurch +Napoleon's Mistrauen erweckte. Als sich bald darauf ein Augenübel +Schimmelpenninck's so verschlimmerte, daß dieser fast ganz erblindete, +benutzte Napoleon diesen Umstand, um den ihm jetzt gefährlich +erscheinenden Patrioten zu beseitigen und mit seinem langgehegten Plane +offen hervorzutreten. Er schlug vor, seinen Bruder Ludwig Bonaparte zum +König von Holland zu wählen. Vergebens bemühte sich Schimmelpenninck, +diesem gewaltsamen Aufdrängen eines Fremd<span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[66]</a></span>lings entgegenzuwirken; +Napoleon's Wunsch war damals so gut wie ein Befehl, und am 5. Juni 1806 +wurde sein Bruder zum König von Holland ausgerufen, die Batavische +Republik war todt. Das Königreich Holland von Napoleon's Gnaden hatte +freilich auch keinen langen Bestand: die neuen Unglücksfälle, die das +Land trafen, veranlaßten den König schon am 1. Juli 1810 die Krone zu +Gunsten seines ältesten Sohnes (des ältern Bruders Napoleon's III.) +niederzulegen, doch Napoleon erkannte dies nicht an; ein Decret vom +9. Juli 1810 vereinigte das Königreich Holland mit dem französischen +Kaiserreiche, und erst im Herbste 1813 wurde durch die Schlacht bei +Leipzig auch Hollands staatliche Selbständigkeit wiederhergestellt.</p> + +<p>Wir mußten an diese geschichtlichen Daten erinnern, weil durch sie die +Haltung und das Schicksal der jungen Zeitschrift erklärt wird. Als +»<span class="antiqua">De Ster</span>« am 11. März 1806 zu erscheinen begann, bestand die +Batavische Republik noch, und die Zeitschrift wirkte im Sinne des mit +Brockhaus persönlich befreundeten Großpensionärs Schimmelpenninck. Indeß +schon in ihrer Nummer 37 vom 3. Juni hat sie die Umwandlung der Republik +in ein Königreich zu melden; in der zweitfolgenden Nummer 39 vom 7. Juni +muß sie erklären, daß sie »auf Wunsch der Herren Magistratspersonen +der Stadt Amsterdam« nicht fortfahren kann, »betrachtende Artikel, den +gegenwärtigen Zustand unsers Vaterlandes betreffend«, aufzunehmen; die +nächste Nummer aber, Nr. 40 vom 10. Juni, ist zugleich die letzte: +»<span class="antiqua">De Ster</span>« war durch königlichen Befehl vom 9. Juni unterdrückt +worden! Gründe dieses Verbots sind in dem betreffenden Decrete nicht +angegeben; sie lagen wol darin, daß die neuen Machthaber überhaupt +kein politisches Blatt dulden wollten, das nicht ganz ihren Absichten +huldigte.</p> + +<p>Trotz dieses Schlags verlor übrigens Brockhaus den Muth nicht; er +gründete sofort ein neues Blatt unter dem Titel »<span class="antiqua">Amsterdamsch +Avond-Journal</span>« oder vielmehr er änderte nur den bisherigen Titel +»<span class="antiqua">De Ster</span>« in jenen um, denn das neue Blatt gleicht dem alten +vollständig, sowol äußerlich wie innerlich, und tritt selbst so offen +als unmittelbare Fortsetzung desselben auf, daß Nr. 2 den Schluß eines +in der letzten Nummer des »<span class="antiqua">Ster</span>« begonnenen Ar<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[67]</a></span>tikels bringt! In +der vom 19. Juni (also nur neun Tage nach dem Erscheinen der letzten +Nummer des »<span class="antiqua">Ster</span>«) datirten Nr. 1 ist ein Auszug aus einem +königlichen Decrete vom 16. Juni abgedruckt, worin die Erlaubniß zu dem +neuen Blatte ertheilt ist. Dieses hielt sich indeß noch weniger lange +als das frühere; es erschienen davon nur zwanzig Nummern, die letzte am +2. August, ohne daß über den Grund seines Aufhörens etwas mitgetheilt +ist.</p> + +<p>Einige Aeußerungen Cramer's (in seinen »Individualitäten«) über den +»<span class="antiqua">Ster</span>« mögen als die einzige uns bekannte öffentliche Besprechung +und zur Charakterisirung der Zeitschrift wie ihres Begründers hier +folgen.</p> + +<p>Cramer schreibt aus Amsterdam vom 17. Februar 1806:</p> + +<blockquote> + +<p>Es werden noch manche Sterne aufgehen, denke ich, am hiesigen sowie +an allen Horizonten der Welt. Einer, an dem ich einen so lebhaften +Antheil nehme, als hätte ich ihn selber hervorgerufen aus dem Nichts, +ist der, den uns unser Freund Wilibald<a name="FNAnker_20_20" id="FNAnker_20_20"></a><a href="#Fussnote_20_20" class="fnanchor">[20]</a> gleich in seinem ersten +Briefe an mich angekündigt hat, und womit er jetzo in voller Arbeit +begriffen ist. Die Zeitung, die er so nach einem bereits in Engelland +funkelnden benennt, aber die durchaus nicht ganz politisch sein soll, +scheint nun, nach den vorläufigen unvermeidlichen Geburtswehen, ihrem +ans Lichttreten ziemlich nah. Welch schönes Feld hat er darin, in +Gemeinschaft mit so vielen der besten hiesigen Geister, die daran +theilnehmen werden, für Wirkung auf Wissenschaft und Geschmack in all +den mannichfaltigen Aesten und Zweigen des großen Baums der Erkenntniß +Gutes und Böses vor sich! Es ist ein völlig jungfräulicher Boden; von +keinem — zu meinem großen Verwundern! bisher in den sieben Provinzen +urbar gemacht; eine Idee, um die man beneiden ihn muß. Ich will nicht +sagen, daß sie unter den andern <span class="antiqua">Couranten</span> von Amsterdam, +Rotterdam, Haag schimmern wird, »wie unter den Sternen der Mond«; +— denn diese haben gar keinen Glanz; geben nichts als die magerste +politische Kost, ohne jemals ein Fünkchen Raisonnement, in einem +Schwall der tädiösesten Edictalcitationen, Tod- und Geburtannoncen, +Nachrichten angekommener Schiffer, oder Gewürzkrämer- und anderer +Notizen ersäuft, größtentheils auf schändlichem Papier mit noch +schändlicher stumpfen Lettern gedruckt .... sie wird durch ihren +Inhalt für denkende, gebildete Leser, für jeden Erkenntniß<span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[68]</a></span>begierigen +ein Komet, ein wahres Phänomen von neuem Weltkörper sein. Alle +möglichen literarischen auswärtigen Mittel, außer vielen inländischen, +stehen ihm, der ein Kaufmann aus unsers Sieveking's Kategorie ist, +zu Gebot; und da er im Kopfe den Zeug, aus Allem die Quintessenz +zu wählen, besitzt, wird es sehr leicht für ihn werden, daß er +an Interesse die »Freymüthigen«, die »Eleganten Zeitungen«, die +»Auroren«, »Sphinxe«, und was weiß ich, wie sie alle heißen? so weit +übertreffe, als der wieder aufgeweckte brüsselsche »<span class="antiqua">Esprit des +Journaux</span>« nach dem ich unter allen Tag- und Monatsschriften in +Paris am happigsten greife, die einzelnen Journale, aus denen ihn der +Verfasser distillirt. Ueber die Organisation und Nativitätstellung +dieses Sterns haben wir uns in den vergangenen Wochen fast tagtäglich +unterredt; und uns gestern noch mit Bestimmung des emblematischen +Druckerstockes dazu amüsirt. Einer aus Gille's Carte hat uns dazu +zum Muster gedient, mit den gehörigen Veränderungen jedoch; so daß +der blitzführende Adler unten in den siebenpfeiletragenden Löwen, +und die Kaiserkrone in den batavischen Freiheitshut umgewandelt +worden ist; zur Seite ein Eichen- und Lorbeerzweig, das Schöne zum +Ernsten! — dessen Kreis der Stern denn durchstrahlt. Sobald was davon +dem Telescop oder Auge sichtbar werden wird, gebe ich Dir weitere +Nachricht.</p></blockquote> + +<p>Diese Nachricht findet sich in einem Briefe Cramer's vom 30. März, +ebenfalls aus Amsterdam:</p> + +<blockquote> + +<p>Als ich aus dem Ballet wieder zu Wilibald kam, fand ich seinen +Landsmann, den Kaufmann Mallinckrodt aus Arnheim<a name="FNAnker_21_21" id="FNAnker_21_21"></a><a href="#Fussnote_21_21" class="fnanchor">[21]</a>, noch bei ihm, +einen vortrefflichen Gesellschafter und humanen Mann ..... Vom +»Sterne« hat er eben noch die ersten drei oder vier Blätter gesehen +und einstecken gekonnt, die mit sehr piquanter Speise angefüllt +sind; auf den ersten Netzwurf hat Wilibald doch gleich so viel +Abonnenten gehabt, daß die Kosten gedeckt sind durch den Fang, und +Tag vor Tag laufen der Schäflein mehr in die Hürden ein. Es stehen +leckere politische, ästhetische, mercantilische Artikel drin; jedem +Fremden, der holländisch mit Vergnügen lernen will, gibt der »Stern« +die empfehlungswürdigste Uebungschrestomathie ab; schon erste der +hiesigen Köpfe arbeiten daran (z. E. eine Kritik der Aufführung des +Trauerspiels »Tancred«), es wird also eine Elite wahrscheinlich +von Sprache, ein Schatz werden für das Lexikon und den Stil der +Nation. Im vierten Stücke steht eine treffliche Uebersetzung von +Sturzens Reise nach dem<span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[69]</a></span> Deister, depaysirt, und hier nach Soesdyk +hinversetzt; auch kömmt die hiesige Plantage darin vor. Ich denke: +es wird den amsterdammer Damen gefallen, das Stück; und warum nicht +den Rotterdammerinnen Haagerinnen, Delfterinnen, Gröningerinnen &c. +auch? Giebt es Eine, in welcher Stadt auf der Erde es sei, der dies +Schalksstück nicht aus dem Herzen und dem Wandel wie abgeschrieben +gleichsam ist?</p></blockquote> + +<p>Cramer's schon mehrfach erwähnte »Individualitäten« waren das zweite +journalistische Unternehmen des jungen Verlegers, ein deutsches +neben dem holländischen »<span class="antiqua">Ster</span>« und dem französischen +»<span class="antiqua">Conservateur</span>«. Denn wenn es uns auch nur in Buchform vorliegt, +in vier Bändchen, die »Hefte« genannt sind, so zeigt doch die ganze +innere und äußere Einrichtung (die Eintheilung in einzelne Abschnitte +und Briefe mit fortlaufenden Daten, vom 2. August 1805 bis 26. September +1806) den journalistischen Charakter. Noch mehr geht dies aus dem am +15. März 1806 zwischen Brockhaus und Cramer darüber abgeschlossenen +Verlagscontracte hervor. Danach handelte es sich um den in »freien +Heften« herauszugebenden »ersten Jahrgang« eines Werks unter dem Titel: +»Individualitäten aus und über Paris von Karl Friedrich Cramer und +seinen Freunden.« Dieser erste Jahrgang sollte in zwölf Heften (die also +wol als Monatshefte gedacht waren), jedes zu zwölf Bogen erscheinen; je +drei Hefte sollten gleichzeitig einen zweiten Titel erhalten und dadurch +als neue Theile des in den Jahren 1792-97 in Altona und Leipzig von +Cramer herausgegebenen »Menschlichen Leben« bezeichnet werden. Das Werk +sollte in Leipzig in der Breitkopf'schen Druckerei gedruckt werden und +jedes Heft die Handschrift eines Gelehrten u. s. w. in einem Facsimile +bringen, dessen Platte in Paris unter Cramer's Leitung zu stechen wäre. +Ueber eine Fortsetzung des Werks in einem zweiten, dritten u. s. w. +Jahrgange sollte neue Verständigung stattfinden. Also der Verleger in +Amsterdam, der Redacteur in Paris, der Drucker in Leipzig, monatlich 12 +Bogen (jährlich 144!), dazu artistische Beilagen und ein für damalige +Zeiten und ein derartiges Monatsjournal ansehnliches Honorar (24 +resp. 30 Francs für den Bogen klein Octav) — jedenfalls ein kühnes +Unternehmen für einen angehenden deutschen Verleger im Auslande! Die +Ausführung entsprach denn auch nur theilweise<span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[70]</a></span> diesem Vorhaben: statt +zwölf Heften erschienen nur vier (wenn auch meist mehr als zwölf Bogen +enthaltend und jedes mit einem Facsimile) im Laufe von dreiviertel +Jahren. Der Gehalt der Zeitschrift war indeß ein werthvoller, der ein +etwas näheres Eingehen verdient, zumal darin auch einige biographische +Mittheilungen über Brockhaus enthalten sind und der Herausgeber seinem +Verleger persönlich nahetrat.</p> + +<p>Vor allem müssen wir den Herausgeber selbst näher kennen lernen. Karl +Friedlich Cramer war eine eigenthümliche Natur, in vieler Hinsicht +der von Brockhaus ähnlich und diesen deshalb anziehend, wie Brockhaus +in seinem ersten Briefe an ihn (vgl. S. 61 fg.) selbst schildert. Am +7. März 1752 in Quedlinburg geboren, wo sein Vater, der verdiente +Kanzelredner Johann Andreas Cramer (auch als religiöser Dichter und +Biograph Gellert's bekannt), damals Oberhofprediger war, kam er mit +diesem noch als Kind nach Kopenhagen, dann nach Lübeck und Kiel. Er +studirte in Göttingen, wo er Anfang 1773 in den Göttinger Dichterbund +aufgenommen wurde, und lebte seitdem in Kiel, wo er erst Privatdocent, +1775 außerordentlicher und 1780 ordentlicher Professor der griechischen +Sprache, der orientalischen Sprachen und der Homiletik an der +Universität wurde. Als ein leidenschaftlicher Anhänger der Französischen +Revolution wurde er 1794 seines Amtes entsetzt und selbst aus Kiel +verwiesen. Den nächsten Anlaß dazu scheint er dadurch gegeben zu haben, +daß er den bekannten französischen Revolutionsmann Péthion (der erst +Jakobiner, dann Girondist war, als Royalist verdächtigt aus Paris +entfloh und im Juli 1793 in der Gegend von Bordeaux todt aufgefunden +wurde) in einer Ankündigung der Uebersetzung von dessen Werken einen +Mann von »menschenfreundlichstem Geiste«, »einen Märtyrer seiner +Rechtschaffenheit« genannt hatte! Nach kurzem Aufenthalt in Hamburg +ging er 1795 nach Paris und errichtete dort eine Buchhandlung und +Buchdruckerei, scheint damit aber schlechte Geschäfte gemacht und dabei +sein ganzes Vermögen eingebüßt zu haben. Eine Zeit lang war er deshalb +genöthigt, sich aus Paris zu entfernen. Er wendete sich nun wieder +literarischen Arbeiten zu und starb in Paris am 8. December 1807.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[71]</a></span></p> + +<p>Cramer war ein fruchtbarer, talentvoller und kenntnißreicher +Schriftsteller, der lange Zeit auch großes Ansehen genoß, aber +excentrisch und von einem Hang zum Sonderbaren beherrscht. Anfangs +concentrirte sich seine literarische Thätigkeit um seinen fast 30 +Jahre ältern Landsmann Klopstock (geb. 2. Juli 1724 in Quedlinburg), +der mit Cramer's Vater befreundet war und z. B. 1754 dessen Berufung +nach Kopenhagen veranlaßt hatte, nachdem dieser selbst 1751 auf +Graf Bernstorff's Veranlassung dorthin gegangen war. Auch war der +Göttinger Dichterbund, dem Cramer angehörte, der Mittelpunkt der +damaligen begeisterten Verehrung Klopstock's. Cramer schrieb in den +Jahren 1777-92 zwei große Werke über Klopstock, das eine aus zwei, das +andere aus fünf Bänden bestehend, und übersetzte unter anderm dessen +»Hermannsschlacht« ins Französische. Daß Klopstock auch seinerseits +viel auf Cramer hielt, geht schon daraus hervor, daß er eine seiner +schönsten Oden an ihn richtete; es ist die 1790 gedichtete Ode »An +Cramer, den Franken«, in der er das französische Volk vor neuen +Ueberschreitungen warnt, zugleich aber die Fürsten mahnt, sich durch das +Gespenst des untergegangenen Königthums warnen zu lassen. Ein zweites +Stadium der Schriftstellerlaufbahn Cramer's bildet das bereits erwähnte +Werk »Menschliches Leben«, ein drittes umfaßt drei von ihm in Paris +geschriebene Werke: ein »Tagebuch aus Paris« (2 Bände, Paris 1800), die +»Individualitäten aus und über Paris« und ein gleichfalls von Brockhaus +verlegtes Buch »Ansichten der Hauptstadt des französischen Kaiserreichs +vom Jahre 1806 an. Von Pinkerton, Mercier und C. F. Cramer« (2 Bände, +1807-8), außerdem ein Wörterbuch der deutschen und französischen Sprache +(2 Bände, Braunschweig und Paris 1805) und zahlreiche Uebersetzungen aus +dem Französischen ins Deutsche und umgekehrt, auch aus dem Dänischen, +sowie Artikel in französischen und deutschen Journalen.</p> + +<p>Brockhaus trat mit Cramer erst im Herbst 1805 in Beziehungen, indem +er am 17. October jenen Brief an ihn richtete, in welchem er ihm +seine Verehrung aussprach und mehrere literarische Anträge stellte. +Ihre Verbindung dauerte gerade nur zwei Jahre, da Cramer, wie eben +erwähnt, am 8. December 1807 starb, war aber in dieser kurzen Zeit eine +sehr freundschaftliche und<span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[72]</a></span> selbst innige. Cramer antwortete auf den +erwähnten Brief sofort am 24. October, sichtlich erfreut über die warme +Begrüßung (seine Antwort folgt weiter unten) und es entspann sich daraus +ein lebhafter Briefwechsel, ja Cramer kam im Februar des nächsten Jahres +nach Amsterdam und blieb dort drei Monate, in täglichem geschäftlichen +und persönlichen Verkehr mit Brockhaus. Als diesem am 28. Januar dieses +Jahres (1806) der dritte Sohn geboren war, gab er ihm auf Cramer's Rath +den Namen Hermann. Er schreibt darüber unterm 25. Februar folgende Worte +an seinen Bruder Gottlieb, die am besten das Verhältniß zwischen ihm und +Cramer charakterisiren:</p> + +<blockquote> + +<p>Die Wahl dieses Namens machte mein Freund, der Professor Cramer +aus Paris, der sich seit einigen Wochen hier aufhält und während +seines hiesigen Aufenthalts unser unzertrennlicher Gesellschafter +ist, da vielleicht keine zwei Menschen auf der Erde existiren, die +eine größere Aehnlichkeit in ihren Neigungen, in ihrem Geschmacke und +in ihren Ansichten der Welt zusammen haben, als wir Beide. Er ist +überhaupt einer der interessantesten Menschen, die ich kenne, und +ich rechne die Wochen, die ich mit ihm verlebt, zu den glücklichsten +meines Lebens.</p></blockquote> + +<p>Cramer äußert sich seinerseits mehrfach in ähnlicher Weise über +Brockhaus. So schreibt er aus Amsterdam unterm 30. März 1806 in den +»Individualitäten«:</p> + +<blockquote> + +<p>Fast alle meine Abende, wenn mir nicht gar zu arg von Morpheus +zugesetzt wird, bring' ich bei unserm Freund Wilibald zu und seinem +lieben Weibe, die an schöner deutscher Häuslichkeit, Gutheit, +Freundlichkeit und Verstand zu meinen Idealen gehört; ich glaube mich +manchmal in Eutin bei Vossen wieder zu sehen, dessen Ernestine sie +sehr gleicht. Bei Erdäpfeln, fast noch nationaler hier, als die Canäle +und Alexandriner sind, und die ich gebraten (<span class="antiqua">à l'italienne</span>) +sehr gern mag, Fischen und trefflichem Beaunewein schwatzen wir oft +bis tief in die Nächte hinein, schlummern dann und wann auch an der +Torfglut des englischen Camins ein Duettchen zusammen; ich habe +bei meiner Modehändlerin, Madame Müller, bei der ich, zehn Schritt +ab von seinem Hause, mich einquartirt, meine Zerstreutheit so in +Credit zu setzen gewußt, daß sie mir den Schlüssel zu ihrer Boutique +anvertraut und ich in der Kunst, sie mit einer eisernen Stange wieder +zu schließen, von ihr unterrichtet worden bin; so schlüpfe ich denn +manchmal des Nachts um 12 oder 1 erst wieder zu mir herein.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[73]</a></span></p> + +<p>Das obige schöne Wort über Brockhaus' Frau verdient um so mehr +mitgetheilt zu werden, als uns über dieselbe sonst leider sehr wenig +bekannt ist. Später richtet Cramer einmal einen (im vierten Hefte der +»Individualitäten« abgedruckten) Brief »An Sophie« statt »an Ihren +unmusikalischen Mann«, weil er über den Componisten Grétry spricht, und +fügt hinzu:</p> + +<blockquote> + +<p>Indem ich dies Stück Tagebuch schreibe, kömmt es mir vor als säße +ich bei Ihnen und läse Ihnen daraus, indem Sie die Fliegen von der +Wiege Ihres kleinen Hermann's verscheuchen ... ach! welch ein Name für +mein Herz.</p></blockquote> + +<p>Brockhaus ließ in dieser Zeit auch das Porträt Cramer's für sich malen +(wahrscheinlich von dem ihm befreundeten Scheffer, dem Vater Ary +Scheffer's), und trennte sich später nur schwer davon, um es Cramer's +Witwe zu schenken.</p> + +<p>Cramer's früher schon erwähnte Antwort an Brockhaus, datirt Paris 2. +Brumaire XIV (24. October 1805), lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Seit langer Zeit ist mir kein lieber Brief zugekommen, der mir so +viel Freude gemacht, als der Ihrige; Freund Kühnwille! der Sie sind. +Wie sachte es einem so vielfach angefeindeten, gescheuchten, so oft +vorschnell verurtheilten Ismael thut, wenn er in den arabischen Syrten +auf einen Esau-Kühnwille trifft, einerlei zottigen Haares mit ihm; +davon hat nur ein Wüstenbewohner Begriff. Eng verbündet er sich und +willig mit ihm, der ihm so frank seine Gleichförmigkeit enthüllt; so +viel Edles von jugendlichem Antheil ihm sagt; ihn kennt und erkennt; +wie eng und wie gern, dazu schenken Sie ihm der Worte Weitläufigkeit +wohl. Er fühlt es, daß seine Seele mit der Ihrigen gebrochen ward aus +einerlei Gestein. Also kurz und bündig, wie er's izt kann, in dieser +herben und schnöden Zeit, zur Sache. Er nimmt die ihm vorgelegten +Materien sogleich Punktweise vor ....</p> + +<p>Wegen Ihres dritten Gedankens, mein weitaussehender Herr: <span class="antiqua">alors +comme alors</span>! Kömmt Zeit, kömmt auch Rath! Ich gehe mithin sogleich +an Ihren vierten Punkt, der die Uebernehmung der Fortsetzung meines +Tagebuches betrifft. Hätt' ich doch niemals geglaubt, ich Strauß, +der seine Eier sogleich, wie er sie gelegt, im Sande vergißt, daß +jenes seit acht Jahren verscharrte ausgebrütet worden sei; und ein +klein Sträußchen geworden, das sich bis zu Ihnen nach Amsterdam hin +verirrt! Ich wenigstens habe von keinem Menschen, über Aufnahme +oder Nichtaufnahme davon (außer von Klopstock, der mir mit<span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[74]</a></span> meinem +»Marcus Sextus« darin seine vollste Zufriedenheit bezeugt) auch nur +ein Sylbchen gehört. Es ward, da ich mich in Frankreich nicht mehr +mit deutschem Verlage befassen gewollt, und August Campe mir dazu +seine »Vermittlerschaft« versagt, von ihm wider meinen Wunsch an +Kaven vertraut; bei dessen plötzlichem Hinschied auf einem Dorfe +zwischen Hamburg und Lüneburg, es in seine Masse, dann justizmäßig in +die Gläubigerklauen gerieth; so daß mir auch kein einziger kupferner +Sechsling Billons nur dafür ward. Nun — da mich denn neulich von +Ohngefähr, bei Gelegenheit Raynouard's, der Fortsetzungskitzel dazu +stach, und Ihre Sympathie nebst Kühnwillen Sie hinreizt, zu meiner +»rhapsodischen kühnen Manier« — wohlan, so seien Sie vor allen +Andern dazu denn mein .. Mann. An Stoff, in meiner und meines Vaters +Correspondenz, die gar manche Artikel von Ersten Nahmen aus unserm und +andern Vaterlanden enthält, und meinem Umherblick auf den Wüsten und +Aeckern der Menschheit, fehlt es mir eben nicht; unser Babylon hier +reichte mir deren allein schon genug. Ich brauche gegen Sie, der sich +auf <span class="antiqua">Dotem</span> und Nicht-<span class="antiqua">Dotem Libellorum</span> versteht, keiner +weitläufigen Verständigung deshalb. Die »Individualitäten« werden +ohngefähr geben, was mein »Menschliches Leben«, und jenes vergessene +Ei, das von jenem den zwanzigsten Theil füllt, enthielt; und da es, +Ihrem Wunsche gemäß, zu einer Art von periodischen <span class="antiqua">Salmi</span> (aber +um Gotteswillen, in freien Heften! denken Sie ans .. Mühlenpferd!) +gedeiht, gleich den »Sphinxen«, »Auroren«, »Freymüthigen«, +»Eleganten« u. s. w., deren jedes »<span class="antiqua">Pages</span>« (siehe Diderot) +und einige Quadersteine, nebst vielen Sandbröckeln, Moëllons, und +Kalkausfüllseln, euch gibt; nicht bloß wilde Tellow-Ismaelitische +Aufsätze reichen, im stricten und strictissimen Verstand, sondern +auch, als Schnabelweide für die »Million«, eßbarere Hausmannskost, wie +sie seit einigen Jahren, für den allgemeinen Gaumen der Neugier, in +den »Miscellen«, »Politischen Annalen«, u. s. w. regelrechterer Art, +und nicht ganz mit Verschmähung abseiten des Leservolks, gargekocht, +zurechtgestutzt und aufgetischt worden sind. Ihr neuer Titel: +»Individualitäten« bestimmt ihren .. Tadel und ihren Zweck; sie werden +von Ismael Abdallah, der auch Artikel darin macht, herausgegeben und +commentirt .. Die Tendenz dieser .. Kriegsnahmen ist Ihnen aus meinem +»Tagebuche« bekannt.</p> + +<p>Die Sosiasbedingungen dabei anlangend denn nun .... Ich erwarte über +diese, mit der nächsten Post, Wilibald's <em class="gesperrt">Ja</em> oder <em class="gesperrt">Nein</em>: +— (»Euer Ja sei Ja! und Euer Nein sei Nein!«) .. vielleicht schreibe +ich Ihnen alsdann auch noch über ein andres Werk, das mich seit Jahr +und Tag in poetischer und prosaischer Zweisprache beschäftiget; und +das, von manchen Bauleuten verworfen bisher, zum Ecksteine Ihres +jungen Buchhandels vielleicht wird. Dieser Marmor ist — wunderbar<span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[75]</a></span> +genug! von einem .. Weibe in England, aus dem schönsten parischen +Bruche gehaun .. ich ciselire für Deutschland nur ein wenig daran; +gelt, Sie haben wie jeder Andre, der nicht etwa der Berlepsch +»Caledonia« las .. niemals etwas von .. Joanna Baillie gehört? Solch +wunderbar Unbekanntbleiben, selbst in unserer alles Ausländische +verschlingenden Lesenation, muß jeden Unbekannten für ein ähnlich +Schicksal trösten darin. Für heute soviel genug, und .. Allah's +heiligem und würdigem Schutze befohlen hiermit! ..</p></blockquote> + +<p>Brockhaus erwiderte sofort mit folgendem Briefe, datirt Amsterdam, 7. +November 1805:</p> + +<blockquote> + +<p>Hätte ich den Raum von 50 oder 60 Meilen, der uns von einander +trennt, am Dienstage, wo ich Ihren lieben Brief vom 24. October +erhielt, doch durchfliegen können, um Sie an meine Brust zu drücken +und Sie zum Zeugen meiner Empfindungen über Ihre freundschaftlichen +gegen mich geäußerten Gesinnungen zu machen! Ja, in Wahrheit, ein +sympathetischer Zug treibt mich zu Ihnen hin, und mit Kindlichkeit +sehe ich zu Ihnen hinauf, Klopstock's, Gerstenberg's, Kunzens, +Schulzens, Baggesen's Freund ist mir ......<a name="FNAnker_22_22" id="FNAnker_22_22"></a><a href="#Fussnote_22_22" class="fnanchor">[22]</a> Aber so soll es auch +mit der innigsten Liebe, Freundschaft und .. zwischen uns bestehn, +bis Sie oder ich vom Freunde Charon in jenes unbekannte Land hinüber +gesteuert werden. So lange wir aber noch hienieden pilgern, und uns +mit dem prosaischen Troste des bürgerlichen Lebens herumschlagen, oder +uns wenigstens durchzuwinden haben, lassen Sie uns Einer dem Andern +nützlich sein; uns helfen und rathen; zusammen uns freuen und — dem +Gemeinbesten frommen, wo und wie die Gelegenheit sich zeigt. Ich gebe +Ihnen meine Hand, daß Sie auf mich wie auf Ihr eignes Selbst rechnen +können. Wenn Sie mich einmal näher kennen, werden Sie mir, hoffe ich, +ein Gleiches zusichern. Sehr wahrscheinlich komme ich noch im Winter +auf einige Wochen zu Ihnen. Ich will Ihnen also lieber von meiner +Sehnsucht nach dorten Nichts sagen; denn wo könnte meine Prosa Worte +finden, mein glühendes Verlangen auszudrücken?</p> + +<p>Das dem Freunde; jetzt dem Geschäftsmann und Verfasser! .... Ich +komme zu dem mich am vorzüglichsten interessirenden Punkte davon: +der Herausgabe Ihres »Tagebuchs«. Sie haben also so wenig Urtheile +darüber vernommen? Ich glaube das wohl; und es ist auch wirklich +in Deutschland sehr wenig bekannt geworden. Ich selbst habe mir +unsägliche Mühe gegeben, ehe ich's erhalten konnte. Ich ruhte in<span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[76]</a></span>deß +eher nicht, bis ich's hatte; und seitdem hat es immer mit zu meiner +Leibgarde gehört, die mich nicht verlassen darf. Noch gestern Abend +habe ich meinem lieben Weibe die beiden schönen Briefe an Kunzen +daraus vorgelesen und mich aufs neue an dem Freundschaftsbunde +gefreut, der zwischen Ihnen und jenem Edlen muß geschlossen sein. Und +dann las ich wieder die für mich hinreißende Stelle vor, wo Sie von +dem Funde des <span class="antiqua">Colchicum</span> und Ihrer Begeisterung dabei erzählen. +Ach, wie haben wir Sie recht lieb; wie unsern Bruder und unsre +Jugendfreunde.</p> + +<p>Ich nehme Ihre Vorschläge zur Herausgabe alle an .... Der von Ihnen +gewählte Titel ist sehr gut; bis auf die <span class="antiqua">Noms de guerre</span>. Diese, +liebster Freund, wünschte ich ließen Sie weg. Ich könnte Ihnen diesen +Wunsch mit einer Menge von Gründen motiviren; ich unterlasse es aber, +da Sie, glaube ich, den größten Theil derselben ahnden werden. Nur +Das: daß ich sicher bin, daß dem Werke dadurch häufig der Eingang wird +erschwert werden; besonders hier in unserer Republik, wo ich doch auf +einen ansehnlichen Absatz rechnen muß ..... Ich sagte vorhin: ich +vermuthe, daß Sie meine übrigen Gründe wegen dieser Nahmen ahnden +werden. Thun Sie Das aber nicht, so werde ich sie Ihnen nächstens +mittheilen ... Ich wünschte, daß der Titel folgenden Zusatz erhielte: +von Cramer »und seinen Freunden«, damit Sie von diesen einige bewegen +möchten, dann und wann ... mitzutheilen.</p> + +<p>Auch glaube ich, daß es sehr gut wäre, wenn Sie anfingen, Ihre im +Journal »Frankreich« und anderswo zerstreuten Aufsätze und Briefe zu +sammeln; und besonders, als Supplement zu den »Individualitäten«, +oder als Vor- oder Nebenläufer derselben, herauszugeben. Es ist sehr +Vieles darunter, das, in der großen Masse jetzo ersäuft, so aufs neue +zusammengestellt, und allenfalls mit einigen neuen Schüsseln vermehrt, +als Ihr specielles Eigenthum Aufnahme finden dürfte; einige Artikel, +wo die Kurzsichtigkeit des Menschen scheiterte, als die Triumphgesänge +über den 18. Fructidor, die Erwartungen von Mercier's »Neuem Paris« +.. die allein, däucht mich, wären wegzulassen. Was denken Sie zu +dieser Idee? und wenn Sie sie goutiren und ausführen können, bin ich +Ihr Mann. Ihr ersticktes »Tagebuch« fände aufs neue einen Platz darin +..... Da Sie mit Ihren Anspielungen ein solcher Sphinx nun einmal +sind, und es nur wenig Oedipe im Leservolke gibt, so dächte ich gar +sehr: Sie behielten allerdings Ihre exegetische Tagebuchmethode, +mit den angehängten Anmerkungen und Citaten, unten und hinter +den Capiteln, selbst auf die Gefahr hin ein Pedant ein wenig zu +erscheinen, bei .....</p></blockquote> + +<p>Cramer ging auf alle Wünsche seines Verlegers ein: die Veränderung des +Titels und selbst die Weglassung der »<span class="antiqua">noms de<span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[77]</a></span> guerre</span>«, obwol nur +ungern, da er die Manie der Kriegsnamen nun einmal liebe und sie von +jeher geliebt habe; er beruft sich deshalb auf das Beispiel von Lorenz +Sterne (Yorik), Jung-Stilling und Jean Paul.</p> + +<p>Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der »Individualitäten« hier +näher einzugehen, obwol dieselben viele interessante Beiträge zur +Beurtheilung jener Zeit enthalten. Klopstock, Mirabeau, Grétry — +literarische, musikalische, Theaterzustände von Paris und Amsterdam +— feuilletonistische Plaudereien über die verschiedenartigsten +Themata: dies der bunte Inhalt jenes wunderlichen Mitteldings +zwischen Zeitschrift und Buch. Es ist nicht zu verwundern, daß die +»Individualitäten« keine weitere Verbreitung und kein längeres Leben +hatten: Cramer war trotz seiner unleugbaren Genialität nicht der +geeignete Herausgeber, Amsterdam und Paris waren nicht die richtigen +Ausgangspunkte einer für Deutschland bestimmten literarisch-politischen +Zeitschrift. Die Absicht, die der Verleger damit verfolgte, hat er +später — im »Hermes« und im »Literarischen Wochenblatt« — besser zu +verwirklichen vermocht.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Ein drittes journalistisches Unternehmen des jungen Verlegers neben +der deutschen Monatsschrift und der holländischen Zeitung war, wie +bereits erwähnt, eine französische Zeitschrift rein belletristischen +Charakters: »<span class="antiqua">Le Conservateur. Journal de littérature, de sciences +et de beaux-arts.</span>« Dieselbe trat Anfang 1807 ins Leben, war also +ebenfalls schon im Laufe des Jahres 1806, gleichzeitig mit den beiden +andern Zeitschriften, vorbereitet worden. Sie erschien in Monatsheften +von acht bis zehn Octavbogen, wovon je drei einen Band mit besonderm +Titel bildeten, und war somit äußerlich wie auch innerlich ganz wie die +großen französischen Revuen unserer Tage, z. B. die »<span class="antiqua">Revue des deux +Mondes</span>«, angelegt. Die Zeitschrift bestand anderthalb Jahre lang, +bis Mitte 1808, sodaß im ganzen sechs Bände davon erschienen sind. Nur +zwei derselben, der dritte und vierte Band, liegen uns vor, die zugleich +wenigstens ein Inhaltsverzeichniß der ersten beiden Bände enthalten, +während weder ein Prospect noch ein Vorwort oder Schlußwort vorhanden +ist.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[78]</a></span></p> + +<p>Den Inhalt dieser Zeitschrift bildeten historische (namentlich +zeitgeschichtliche), biographische, kunstgeschichtliche und +literargeschichtliche Abhandlungen; ferner Erzählungen, Novellen und +Gedichte; drittens Berichte über neue literarische Erscheinungen und +über die Theater von Paris und Amsterdam; endlich kleinere Artikel über +Verschiedenes, »<span class="antiqua">Variétés</span>« genannt.</p> + +<p>Unter den Mitarbeitern, die fast stets mit ihren Namen unterzeichnet +sind, befinden sich die besten französischen Schriftsteller jener Zeit, +wie Bonald, Boufflers, Chateaubriand, Chénier, Ch. de Dalberg, Despréz, +Dubois, Guingené, Lacretelle, Lebrun, Legouvé, Mercier, Bernardin de +Saint-Pierre, Charles de Villers u. s. w.</p> + +<p>Diesen Namen entsprechend ist der Inhalt der Zeitschrift ein sehr +gediegener, und manche Abhandlungen haben bleibenden Werth. Natürlich +beschäftigt sich die Mehrzahl der Artikel mit Frankreich; indeß hat +diese Zeitschrift ebenfalls einen entschieden internationalen Charakter, +indem sie auch England, in zweiter Linie Holland und am meisten +Deutschland berücksichtigt. Fast in jedem Hefte finden sich Artikel +aus oder über Deutschland. So bringt gleich das erste Heft einen Brief +des Professor Erhard über eine Audienz der Deputirten der Universität +Leipzig bei dem Kaiser Napoleon. In demselben Hefte beginnt Charles +de Villers (der später in nähere Beziehungen zu Brockhaus trat) eine +sich durch drei Hefte erstreckende Abhandlung über die wesentlich +verschiedene Weise, wie die französischen und die deutschen Dichter +die Liebe behandeln, wozu später noch ein Nachtrag kommt, der durch +eine Tabelle erläutert wird. Ferner schreibt Charles de Dalberg, +»<span class="antiqua">Prince-Primat de Germanie</span>«, über den Einfluß der schönen Künste +auf das allgemeine Wohlbefinden. Später folgt eine Beschreibung der +Düsseldorfer Galerie als Bruchstück einer noch nicht veröffentlichten +Reise, ohne Namensnennung. Daran schließt sich der Abdruck einer von +dem »<span class="antiqua">historiographe prussien</span>« Johannes von Müller am 20. Januar +1807 in der berliner Akademie gehaltenen Rede über den Ruhm Friedrich's +des Großen. Im Aprilhefte von 1807 erschien auch zuerst der später als +besondere Schrift gedruckte (und von uns noch näher zu erwähnende) +Brief von Charles de Villers an die Gräfin Fanny von Beauharnais über +die Ereignisse in Lübeck am 6. No<span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[79]</a></span>vember 1806, der Villers viele +Unannehmlichkeiten bereitete; er schildert darin offen die von seinen +Landsleuten bei der Erstürmung Lübecks begangenen Greuel. Vielleicht +als Gegengewicht gegen diesen Aufsatz ist in demselben Hefte eine +von Villers angefertigte Uebersetzung der Rede enthalten, welche der +bekannte Kirchenhistoriker Henke am 2. December 1806 zur Jahresfeier +der Krönung des Kaisers Napoleon in der Universitätskirche zu Helmstedt +hielt.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Ehe wir uns den übrigen Verlagsunternehmungen von Brockhaus in dieser +Zeit außer den drei journalistischen zuwenden, mögen noch zwei Briefe +desselben an seinen Bruder Gottlieb einschaltet werden.</p> + +<p>Der erste ist der schon oben erwähnte vom 25. Februar 1806, den er aus +Anlaß der Geburt seines dritten Sohnes schrieb:</p> + +<blockquote> + +<p>Hermann, lieber Bruder, so heißt das Schäflein, womit der Himmel +unsere kleine Heerde wieder vermehrt hat. So hieß der Edelste der +Deutschen! Wir müssen uns ja jetzt wohl an Namen halten! Wo sind jetzt +Männer unter unserer Nation? Oder vielmehr unter unsern Fürsten? +Würden wir sonst die Schmach kennen, die jetzt schwer beladen auf uns +liegt? O der schändlichen Rolle Preußens! Freilich für die Menschheit +ist es gut, daß Bonaparte mit seiner Herkuleskeule die Pinsel und +Knaben mit einem Schlage dahingestreckt hat. Wie würde Deutschland +von zahllosen, sich immer neu recrutirenden Armeen von Kosacken, +Kalmucken, Kroaten, italienischen und französischen Völkern zerrissen, +geplündert und zerfleischt worden sein, wenn die Vortheile der Armeen +sich balancirt hätten und nicht Schläge wie die von Ulm und Austerlitz +gefallen wären. Aber Deutschlands Ehre? — sie ist zernichtet. +Unnennbar groß ist aber Bonaparte geworden! Es ist wirklich fast kein +Mensch, es ist ein Halbgott. Wäre er immer, was er zu zeiten ist, als +Mensch, denn über ihn als Krieger und Regenten kann nur eine Stimme +sein, wer würde ihn nicht unbedingt verehren, ja vor ihm niedersinken?</p> + +<p>Verzeih diese Digression, zu dem der Name meines kleinen Hermann +mich verleitet.</p></blockquote> + +<p>Hier folgt die früher abgedruckte Stelle über Cramer, dem er die Wahl +dieses Namens verdanke. Darauf heißt es weiter:</p> + +<blockquote> + +<p>Ueber die politische Lage unsers Landes circuliren tausend +Gerüchte.<span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[80]</a></span> Sehr fatal ist es, daß Schimmelpenninck so gut wie blind +ist, — und daß man wenig Wahrscheinlichkeit zur Besserung hat. Das +gibt nun den besten Vorwand für ihn, sich zu entfernen, oder für die +Franzosen, sich unsers Gouvernements zu bemächtigen. Man spricht +von einem Könige von Batavien, das Louis, ein elender Mensch, sein +würde, Ostfriesland soll mit unserem Lande vereinigt werden u. s. w., +doch wer kann wissen? Daß Dortmund ebenfalls wieder unter andere +Herrschaft kommen wird, ist auch wol sicher. Wol Darmstädtisch oder +Braunschweigisch. Was denkt man bei Euch davon?</p> + +<p>Mit unserer literarischen Entreprise geht es immer <span class="antiqua">crescendo</span>. +Wir erhalten jetzt einen Factor aus Deutschland. Mit <span class="antiqua">medio</span> +März wird ein eigenes Haus dazu bezogen. Die Unternehmung kann eben +so hochwichtig als sehr lucrativ werden. Mit dem 11. März fängt +sie mit der Herausgabe einer Zeitschrift an, deren Wichtigkeit +nicht berechnet werden kann, wenn sie einschlägt. Es ist dies eine +politisch-literarisch-historische Zeitung, wie noch keine ....</p></blockquote> + +<p>Hier schließt der erste Briefbogen, der zweite ist leider nicht mehr +vorhanden; die eigenen Aeußerungen von Brockhaus über den »<span class="antiqua">Ster</span>« +wären von besonderm Interesse gewesen.</p> + +<p>Der zweite Brief ist der von ihm unterm 25. August 1807 geschriebene, +dessen auf sein Etablissement bezügliche wichtigste Stellen bereits +mitgetheilt wurden, während der in anderer Beziehung interessante Anfang +desselben hier folgen möge. Er schreibt:</p> + +<blockquote> + +<p>Dein Brief war meiner guten vortrefflichen Sophie und mir am +Donnerstag, als wir ihn erhielten, ein Fest der Erquickung, und +bis spät in die Nacht unterhielten wir uns über euch, ihr Lieben, +über Vergangenheit, Zukunft, und wie es einst noch werden möchte! +und werden könnte! und werden mag. So sitzen wir alle Abend, einen +wie den andern, da ich allein niemahlen für mich ausgehe, wenn ich +Abends 8 oder 9 Uhr vom Comptoir abkomme, zusammen und verplaudern +dann süße, dann bittere Stunden, je nachdem der Gegenstand heiter +oder traurig ist. Wie ich mich so an diese Häuslichkeit habe gewöhnen +können, daß es mir auch unmöglich ist, nur eine Stunde oder ein paar +es anderwärts auszuhalten, ohne von Langeweile und Ueberdruß bis zum +Aeußersten gefoltert zu werden; wie ich auch gar nicht mehr für diese +Abendgesellschaften, wo es lustig und fidel hergeht, passe und eine +recht alberne Figur darin spielen würde; wenn ich über diese wie so +manche Veränderung nachdenke, so fühle ich freilich wohl, welch einen +großen Theil daran die Begebenheiten meines stürmischen Lebens haben, +allein in dieser Hinsicht kann ich die Resultate davon doch nicht +anders<span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[81]</a></span> als höchst beglückend finden. Dieses <em class="gesperrt">innere</em> Leben! +diese Veredlung unserer ehelichen Verhältnisse und Rückwirkung von +da auf unser ganzes Gemüth, wodurch dieses etwas Hehres und Heiliges +erhalten, hat wirklich etwas so Beseligendes, daß ich nicht wünschen +kann, es möchte anders sein.</p> + +<p>Unsere Bekanntschaften sind jetzt noch eingeschränkter als +ehemals, und nur mit zweien Familien stehen wir auf einem wahren +freundschaftlichen Fuß: die eine ist die unsers Arztes, eines +vortrefflichen Mannes, der ein edles wackeres Weib hat; — sie sind +nie einen Augenblick an uns irre geworden und ihre Freundschaft und +ihr Edelmuth hat alle Proben ausgehalten. Die andere ist eine wackere +Künstlerfamilie: er ein Deutscher, sie eine Holländerin. Beide große +Maler und sie wieder eine der liebenswürdigsten und gebildetesten +Frauen, die ich kenne. Auch ihr zwölfjähriger Sohn ist schon großer +Künstler. Alle drei: Vater, Mutter und Sohn, haben Baggesen gemalt, +wie er hier war, und nach der Zeichnung der Mutter lassen wir jetzt +einen Kupferstich machen. Sie wird auch Sophie und mich malen — für +dich, mein bester theuerster Bruder, Schwester, Vater. Harry wird +Gustchen und Fritz malen, und das sollst du auch haben. Außer diesen +beiden Familien, mit denen wir innigst verbunden sind, haben wir +nur noch ein paar Bekanntschaften: wir sehnen uns aber auch nicht +nach mehreren, da uns diese genug sind. Desto mehr lebe und webe ich +dagegen im Briefwechsel mit mehreren auswärtigen Freunden, der eine +zweite Würze meines Lebens ist: Baggesen ist der erste darunter, von +Villers, der berühmte Verfasser des unsterblichen Werks über die +Reformation, der zweite, Professor Fischer in Würzburg und mehrere +andere schließen sich an sie an. So lebe ich.</p></blockquote> + +<p>Die in diesem Briefe erwähnten beiden Familien waren die des Arztes +Nieuwenhuys und des Malers Jan Baptist Scheffer nebst seiner Gattin +Cornelia, Aeltern des hier als zwölfjähriger Knabe erwähnten, später +berühmt gewordenen Malers Ary Scheffer. Jan Baptist Scheffer war in +Manheim geboren; er ging nach Holland, wurde zum Hofmaler des Königs +Ludwig ernannt, starb aber schon 1809 in Amsterdam. Seine Gattin +Cornelia, eine Holländerin, war ebenfalls Künstlerin und eine sehr +anmuthige, auch literarisch gebildete Frau. Später zog sie mit ihren +Söhnen Ary und Heinrich nach Paris und starb dort 1839. Ary Scheffer +war am 10. Februar 1795 in Dordrecht geboren, kam dann mit seinen +Aeltern nach Amsterdam und verließ dieses erst 1812, um<span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[82]</a></span> sich in Paris +weiter auszubilden; hier wirkte er bis zu seinem 1858 erfolgten Tode. +In Amsterdam war er der Spielgefährte der ältesten Kinder von Brockhaus +gewesen.</p> + +<p>Die hier erwähnten Porträts scheinen leider nicht mehr vorhanden zu +sein; über ihren Verbleib hat sich auch bei spätern durch Ary Scheffer +selbst angestellten Nachforschungen nichts ermitteln lassen.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[83]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter2-4" id="Chapter2-4">4.</a> +<br /> +Weitere Verlagsthätigkeit. +</h3> + +<p class="start-chap">Gleich im Beginne seiner Verlegerlaufbahn entwickelte Brockhaus auch auf +andern Gebieten der Literatur einen nicht minder regen, vielseitigen und +für einen Anfänger kühnen Unternehmungsgeist als den eben geschilderten +in der Herausgabe von Journalen.</p> + +<p>Von Cramer verlegte er außer den »Individualitäten« zunächst noch +Uebersetzungen von sechs Dramen der von diesem enthusiastisch verehrten +und Shakspeare zur Seite gestellten englischen Dichterin Joanna Baillie +(geb. 1762, gest. 1851). Sie erschienen noch 1806 unter dem von Cramer +herrührenden Titel »Die Leidenschaften« in drei Theilen, deren jeder +wieder einen ähnlichen charakterisirenden Titel führt: »Die Liebe«; +»Der Haß«; »Der Ehrgeiz«, später (1808 und 1809) auch einzeln in sechs +Separatausgaben unter ihren Originaltiteln.</p> + +<p>Außerdem veröffentlichte er noch (1807 und 1808) Cramer's deutsche +Bearbeitung der Werke des Engländers Pinkerton und des Franzosen Mercier +über das damalige Paris unter dem Titel: »Ansichten der Hauptstadt des +französischen Kaiserreichs vom Jahre 1806 an« (zwei Bände, jeder mit +einem Titelkupfer), von Cramer durch eigene Beiträge vervollständigt. +Die Idee zu diesem Werke scheint von Brockhaus ausgegangen zu sein; +Cramer sagt darüber in dem Vorberichte:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[84]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Mein Freund Wilibald, Pflegevater meiner »Individualitäten«, glaubte +daher (und vielleicht nicht mit Unrecht), daß dieses Gemälde eines +Engländers (Pinkerton) ... eines deutschen Kupferstichs nicht unwerth +... Er trug mir dieses Geschäft auf ... bat mich endlich sogar, von +dem Meinigen noch hinzuzuthun und Pinkerton's Gemälde mit einigen (wie +ich es für gut finden würde) Verzierungen oder <span class="antiqua">hors d'œuvres</span> +zu vermehren. Wenn ich (wünschte er weiter) den ersten großen +Vorläufer aller dieser Maler — »<span class="antiqua">notre maître à nous tous!</span>« +— Mercier, dazu bewegen könnte, mir sein Atelier zu öffnen ... so +(meinte er) würde diese Vereinbarung eines Engelländers, Deutschen und +Franzosen eine vielleicht nicht unpikante Sache sein, und an jener +ursprünglich hauptsächlich britischen Zeichnung wenigstens nichts +verderben.</p></blockquote> + +<p>Neben Cramer war Jens Baggesen, der bekannte dänische Dichter, der +gleichzeitig auch in deutscher Sprache schrieb (geb. 15. Februar +1764 zu Korsör, gest. 3. October 1826 zu Hamburg), einer der +ersten Schriftsteller, mit denen Brockhaus in geschäftliche und +freundschaftliche Verbindung trat. Er schloß mit Baggesen schon am 17. +Juni 1806 in Amsterdam, wo dieser damals zum Besuche war, einen Contract +über eine neue umgearbeitete Auflage seines idyllischen Epos »Parthenais +oder Die Alpenreise«, die 1808 erschien, und wenig Tage darauf (21. +Juni) über eine Sammlung seiner Briefe, die aber erst 25 Jahre später +(1831), als beide Contrahenten gestorben waren, herausgegeben wurde. +Im folgenden Jahre (16. Juli 1807) wurde dann ein neuer Contract über +Baggesen's neueste Gedichte abgeschlossen, die fast gleichzeitig mit der +»Parthenais« (auch 1808) unter dem Titel: »Heideblumen. Vom Verfasser +der Parthenais. Nebst einigen Proben der Oceania«, erschienen. Von der +»Parthenais« verlegte er außerdem eine französische Uebersetzung in +Prosa, von dem bekannten Gelehrten Fauriel gefertigt; hieran knüpfte +sich eine längere Correspondenz zwischen Brockhaus und Fauriel über das +durch Baggesen's Schuld vielfach getrübte Verhältniß zwischen diesem und +Brockhaus, worüber wir weiter unten Näheres mittheilen.</p> + +<p>Allein nicht blos journalistische und poetische Werke waren es, mit +denen sich der junge Verleger beschäftigte; er wagte sich sofort auch +an strengwissenschaftliche Werke größern Umfangs, deren Verlag zu allen +Zeiten mit Opfern verbunden zu sein pflegt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[85]</a></span></p> + +<p>Schon 1807 erschien in seinem Verlage der erste starke Band einer +lateinisch geschriebenen Geschichte der Botanik von dem gelehrten Arzt +und Botaniker Kurt Sprengel in Halle: »<span class="antiqua">Historia rei herbariae</span>«, +und im nächsten Jahre folgte der zweite Band; eine deutsche Bearbeitung +desselben Werkes unter dem Titel: »Geschichte der Botanik«, erschien +erst 1817-18 in seinem Verlage.</p> + +<p>Fast gleichzeitig begann er ein noch umfangreicheres Werk desselben +Verfassers zu verlegen: »<span class="antiqua">Institutiones medicae</span>«, in sechs Bänden, +wovon der erste 1809 ausgegeben wurde, während die übrigen Bände in +den Jahren 1810, 1813, 1814 und 1816, in einer für den Verleger theils +seiner persönlichen, theils der politischen Verhältnisse wegen sehr +schwierigen Zeit, erschienen. Indeß wurde bei diesem Werke sein Muth +belohnt, indem er bereits wenige Jahre nach der Vollendung (1819) eine +zweite vermehrte und verbesserte Auflage desselben veranstalten konnte.</p> + +<p>Ein drittes wissenschaftliches Verlagswerk, das er gleich im Anfange +seiner Verlegerthätigkeit übernahm, war die berühmte Naturgeschichte +der Eingeweidewürmer von dem greifswalder (später berliner) Professor +Karl Asmund Rudolphi (aus Stockholm); sie erschien unter dem Titel: +»<span class="antiqua">Entozoorum sive vermium intestinalium historia naturalis</span>« (2 +Bände, Band 2 in 2 Abtheilungen, 1808-10, mit 12 Kupfertafeln).</p> + +<p>Ein viertes ebenfalls naturwissenschaftliches Werk, das er indeß +wahrscheinlich nur als Commissionsartikel übernahm (auf dem Titel sind +die Gebrüder van Cleef im Haag als Verleger genannt, während Heinsius' +»Bücher-Lexikon« das Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam als +solche bezeichnet) ist das Werk des bekannten französischen Botanikers +Brisseau-Mirbel (damals im Haag, später in Paris) über eine Theorie +des Gewächsbaues, mit französischem und deutschem Titel, herausgegeben +von dem holländischen Dichter Bilderdijk, der sich vielfach auch mit +naturwissenschaftlichen Studien beschäftigte. Eigenthümlicherweise +ist der Text des Werks gleichzeitig französisch (links) und deutsch +(rechts), während die Widmung an den König von Holland, die Vorrede +Bilderdijk's und die ausführlichen Noten blos französisch sind. +Bilderdijk entschuldigt sich in der Vorrede, daß er, in Amsterdam +geboren, weder das Fran<span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[86]</a></span>zösische wie ein Pariser, noch das Deutsche wie +ein »Sachse« schreibe; hiernach scheint auch die deutsche Uebersetzung +von dem holländischen Dichter herzurühren.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Dem Jahre 1807 gehören noch drei Werke an, die von geringerer Bedeutung +sind, aber gleich von Anfang an erkennen lassen, daß der Verleger die +möglichste Vielseitigkeit seines Verlags erstrebte: ein französisches +Reisehandbuch für Deutschland: »<span class="antiqua">Itinéraire de l'Allemagne</span>« (von +dem Postmeister Raabe in Holzminden verfaßt), mit einer Karte; eine +deutsche Uebersetzung des hauptsächlich nach Bossuet's Katechismus +bearbeiteten, vom päpstlichen Legaten in Paris approbirten und von +Napoleon obligatorisch eingeführten »Katechismus zum Gebrauche in +allen Kirchen des französischen Kaiserreichs«; endlich eine deutsche +Uebersetzung der berühmten Memoiren des französischen, in englische +Dienste getretenen Schriftstellers Louis Dutens, der 1812 als +britischer Historiograph in London starb, unter dem Titel: »Dutens +Lebensbeschreibung oder Memoiren eines Gereiseten, der ausruht« (2 +Bände), von dem durch sein Bibelwerk bekannten Johann Friedrich von +Meyer in Frankfurt a. M. bearbeitet.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>In dieser Zeit kam Brockhaus auch zuerst mit Villers in Beziehungen, +die sich bald in freundschaftliche verwandelten und bis zu des Letztern +Tode fortdauerten. Er veröffentlichte nämlich dessen berühmten »Brief an +die Gräfin Fanny von Beauharnois«, worin Villers die Erstürmung Lübecks +durch die Franzosen am 6. November 1806 und die dabei von denselben +verübten Greuel als Augenzeuge schildert.</p> + +<p>Charles François Dominique de Villers, geboren 4. November 1765 zu +Bolchen in Lothringen, 1792 Artilleriehauptmann, floh bei Ausbruch des +Revolutionskriegs 1793, von den Jakobinern bedroht, nach Deutschland, +das fortan seine zweite Heimat wurde, und lebte meist in Lübeck, wo er +viel mit der Familie Rodde verkehrte, besonders mit seiner geistreichen +Freundin Dorothea Rodde, der Tochter des Geschichtschreibers Schlözer; +1811 wurde er zum Professor der Philologe an der Universität Göttingen +ernannt,<span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[87]</a></span> nachdem ihm 1809 wegen seiner »ausgezeichneten Verdienste um +die deutsche Literatur« und besonders auch wegen seiner Bemühungen um +das Wohl der Freien Hansestädte das Ehrenbürgerrecht von Bremen ertheilt +worden war. Er wurde erst von französischer, dann von deutscher Seite +mehrfach belästigt und starb 26. Februar 1815 in Leipzig.<a name="FNAnker_23_23" id="FNAnker_23_23"></a><a href="#Fussnote_23_23" class="fnanchor">[23]</a> Villers +machte es sich zur Lebensaufgabe, deutscher Literatur und deutschem +Wesen dieselbe Anerkennung und Achtung in Frankreich zu verschaffen, die +er selbst dafür empfand, und so beiden Ländern zu nützen. Wurm bemerkt +über Villers:</p> + +<blockquote> + +<p>Wie sehr es ihm Ernst war mit der wissenschaftlichen Erforschung +deutscher Zustände, das beweisen seine größern Arbeiten: die +Darstellung der Kant'schen Philosophie, und die gekrönte Preisschrift +über die Folgen der Reformation für die politische Lage der +verschiedenen Staaten Europas und für den Fortschritt der Aufklärung. +Das letztere Werk ist in wiederholten starken Auflagen und in einer +holländischen, zwei englischen und drei deutschen Uebersetzungen +verbreitet.</p> + +<p>In der Würdigung deutschen Geistes wetteiferten mit ihm Benjamin +Constant und Frau von Staël. Mit Beiden war Villers innig befreundet. +Constant hatte in Deutschland eine geistige Heimat gefunden, nur nach +und nach söhnte er mit dem Entschluß sich aus, den die Ereignisse ihm +fast wider Willen aufdrängten, seine wissenschaftliche Thätigkeit mit +einer politischen in Paris zu vertauschen. Frau von Staël gefiel sich +eine Weile in dem Gedanken, mit Villers vereint dahin zu arbeiten, +daß der Gegensatz zwischen deutschem und französischem Wesen sich +ausgleichen möge. Bald aber fand sie sich verletzt durch seine +ausgesprochene Vorliebe für Deutschland, die sie ihm in tadelnden, +selbst in harten Worten vorwarf. Als ihr selbst derselbe Vorwurf +— freilich von ganz anderer Seite her und in ganz anderm Sinn — +zurückgegeben ward, da flüchtete sie mit ihren Klagen zu dem alten +Freunde.</p> + +<p>Während ihrer langen Verbannung, der endlich der Sieg der fremden +Waffen ein Ziel setzte, hatte ihre Liebe zur Heimat nur noch stärkere +Wurzeln geschlagen. Anders war es mit Villers. Lebens<span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[88]</a></span>schicksale, +geistige Gewohnheiten hielten ihn von Frankreich fern, nicht +irgendeine äußere, gebieterische Nothwendigkeit. In den frühern +geflügelten Worten der Frau von Staël lag ein Stachel, den er tief und +schmerzlich empfand. Glücklich, selbst inmitten einer ehrenvollen und +vielbewunderten Thätigkeit, ist seine Lage nicht gewesen. Sie konnte +es nicht sein.</p> + +<p>Wir Deutschen sind am spätesten zu dem Bewußtsein gelangt, daß die +Nationalität nichts Zufälliges, daß sie nicht ein Ding ist, das man +nach Belieben festhalten oder abstreifen und vertauschen mag. Es würde +besser um unser Vaterland bestellt sein, wenn wir eher aus unsern +weltbürgerlichen Träumen erwacht wären. Nicht daß es an kräftigen +Stimmen gefehlt hätte, die uns zuriefen, das heilige Feuer zu hüten. +Aber wir, wir schliefen und träumten.<a name="FNAnker_24_24" id="FNAnker_24_24"></a><a href="#Fussnote_24_24" class="fnanchor">[24]</a></p> + +<p>In dieser beschämenden Betrachtung liegt gutentheils der Schlüssel +zu demjenigen, was Villers' Ruhm und was sein Unglück ausmachte. +Gewiß, wenn irgend Einer, so war er berufen, den geistigen Verkehr +zwischen Deutschland und Frankreich zu vermitteln. Aber er fand sich +zwischen beide Nationen gestellt. Und er trat zu uns herüber, als +die Gewaltherrschaft seiner Landsleute, ein unholder Alp, über unser +Vaterland sich ausbreitete, und jegliches Eigenthümliche zu erdrücken +drohte. Das Ritterliche seines Charakters hat ihn herübergeführt. Aber +seinen Landsleuten gegenüber, wie sollt' er da den Schein abwehren, +als habe er die eigene Heimat verleugnet?</p> + +<p>Daß er uns näher angehörte, können wir nicht bezweifeln, da er +selbst es eingestanden hat. Der Anlaß aber, bei welchem ihm das +Bekenntniß entschlüpfte, war der bitterste, der unverdienteste, +der ihm widerfahren konnte. Es war die unerhörte Behandlung, die +er von der wiederhergestellten hannoverschen Regierung erfuhr; das +absichtsvolle Misverständniß, als wär' er in Göttingen eben nur ein +Eindringling des westfälischen Zwitterreichs gewesen; das Abfinden +durch einen Gnadengehalt, in der Voraussetzung, er werde denselben in +Frankreich verzehren. Durch die spätere Erlaubniß, in Göttingen zu +bleiben, und durch eine Pensionszulage war das nicht wieder gut zu +machen. Die Kränkung hat sein Herz gebrochen.</p> + +<p>Uns Deutschen geziemt es, eingedenk zu sein, was er uns zum Opfer +gebracht hat.</p></blockquote> + +<p>Villers' Brief an die Gräfin von Beauharnais wurde dadurch veranlaßt, +daß diese, die Tante der Kaiserin Josephine, nach den<span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[89]</a></span> schrecklichen +Ereignissen von Lübeck der Villers wie ihr befreundeten Familie Rodde +Theilnahme ausdrücken und ihre Hülfe anbieten ließ. Villers benutzte +dies, um der einflußreichen geistvollen Dame, die in Paris seine +persönliche Bekanntschaft gesucht hatte, die traurige Lage Lübecks +vorzustellen. Der Brief, vom 15. December 1806 datirt, ging erst am 12. +Februar 1807 an seine Adresse nach Paris; am 4. März traf die Antwort +ein, daß die Gräfin bereit sei, dem Kaiser den Brief vorzulegen und aufs +wärmste zu befürworten. Inzwischen hatte Villers denselben in Lübeck +als Manuscript drucken lassen und sandte am 5. März vier Exemplare +nach Paris, darunter eins an Bernadotte und eins an Daru. Gleichzeitig +schickte er auch ein Exemplar an Brockhaus; dieser ließ schon im +Aprilhefte seines »<span class="antiqua">Conservateur</span>« den Brief abdrucken (vgl. S. 78) +und außerdem Separatausgaben davon in französischer und deutscher +Sprache erscheinen, die großes Aufsehen erregten und rasch drei Auflagen +erlebten. Auch zu diesen Separatausgaben hatte Brockhaus jedenfalls +Villers' Zustimmung, denn in einem (nicht unterzeichneten) Vorberichte +heißt es: der Brief sei erst blos als Manuscript gedruckt worden, »da +aber diese Schrift schon hier und da herumgekommen und ihr Verfasser +sah, wie zweifelhaft es sei, einer voreiligen unerlaubten Bekanntmachung +zuvorkommen zu können, so hat er unserm Wunsche gern nachgegeben und +uns den Druck erlaubt« u. s. w. Der Brief war gleichzeitig in Paris +gedruckt, aber dort wie später auch in Amsterdam confiscirt worden. Wurm +sagt darüber:</p> + +<blockquote> + +<p>Hat nun bei den »hohen und höchsten Herrschaften« diese beredte +Fürsprache irgend Etwas ausgewirkt? Nein, nicht das Mindeste. Aber +die Darstellung selbst, die, wie sich erweisen läßt, nur für das +Auge einiger Wenigen bestimmt war, hat mit einem male die größte +Oeffentlichkeit erlangt. Wenige Flugschriften in jener bewegten Zeit +sind so verschlungen worden. Der Eindruck war tief und nachhaltig. +Ein richtiger Instinct sagte den Feldherren, daß der französischen +Herrschaft, daß dem Vertrauen der Völker zu französischer +Gerechtigkeit und zu französischem Schutz ein sehr schlechter Dienst +geleistet sei, indem die Wahrheit an den Tag komme.</p> + +<p>So fehlte es denn auch nicht an den Maßregeln, durch welche das böse +Gewissen sich zu verrathen pflegt. Die Schrift von Villers<span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[90]</a></span> ward in +Paris confiscirt<a name="FNAnker_25_25" id="FNAnker_25_25"></a><a href="#Fussnote_25_25" class="fnanchor">[25]</a>: Baggesen, in einem ergötzlichen Brief, wünschte +dem Verfasser Glück dazu. Die Aufregung unter den Franzosen war so +groß, daß selbst die lübecker Censur sich endlich gemüßigt fand, die +Buchhändleranzeige, welche die Schrift zum Verkauf anbot, zu streichen.</p> + +<p>Bedenklicher war, daß Villers von sicherer Hand erfahren mußte, auch +Bernadotte habe an der Schrift Anstoß genommen. Doch war das gute +Vernehmen, wie man aus dem Schreiben eines Adjutanten des Prinzen +ersieht, dadurch nicht auf die Dauer gestört. Keinenfalls ließ Villers +sich irre machen. Er war sich keiner Uebertreibung bewußt, und +erklärte dies öffentlich im Vorwort zu einer spätern Auflage.</p></blockquote> + +<p>Der von Wurm erwähnte Brief Baggesen's an Villers, aus Hamburg vom 27. +Juni 1807 datirt, lautete:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich schicke Dir hier die ganze Saisirungsgeschichte aus Amsterdam +und Paris, die, wie ich hoffe, Dich mehr freuen als befremden wird. +In der That war es nicht leicht möglich, Dir und der Sache einen +größern Dienst zu erweisen, als eben durch diesen erzdummen Streich +der pariser Polizei geleistet worden ist. Eine Schrift, wovon schon +mehrere tausend Exemplare im Umlauf sind, zu confisciren, hieß +derselben außer dem Umlauf auch Einlauf — Interesse ins Unendliche +— außer dem moralischen auch religiösen Einfluß und selbst (das +Höchste, was in unsern Tagen ein Buch gewinnen kann) den Reiz der +Sünde, <span class="antiqua">vel quasi</span> des Verbotenen, verschaffen. Wüßte ich nur mit +Gewißheit, daß man auch meine Sachen auf diese Weise saisiren würde, +den Augenblick gäbe ich die göttlichsten Dinger heraus — allein ich +fürchte, man würde <em class="gesperrt">mich</em> statt der Sachen saisiren. So wird dem +großen Sieger mitgespielt! Wäre ich an seiner Stelle, ich setzte meine +Polizei den Augenblick ab. Das Buch hätte sie, wenn sie ihr Geschäft +recht verstanden, laufen lassen sollen und dagegen von einem lübecker +Rathsherrn öffentlich bekannt machen lassen, daß der Verfasser nicht +gewußt, was er geschrieben, daß sie (die Lübecker) betheuern können, +es sei gerade das Gegentheil wahr u. s. w. Die Pariser, die nicht +nach Lübeck laufen können, um Syndicus den oder den zu fragen: »Haben +Sie das wirklich geschrieben?«, wären angeführt worden, wenigstens im +Zweifel — jetzt wissen sie, was an der Sache ist.</p></blockquote> + +<p>Diese Schrift sollte aber für Villers doch noch verhängnißvoll werden. +Vier Jahre nach ihrem Erscheinen, als er eben im Begriff<span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[91]</a></span> stand, +Lübeck zu verlassen, um einem Rufe an die Universität Göttingen Folge +zu leisten, ließ ihn Marschall Davoust wegen derselben verhaften und +seine Papiere durchsuchen. Da man nichts ihn Compromittirendes fand, +ward er wieder freigelassen, aber aus den »von den französischen Waffen +besetzten« Ländern verwiesen. Er verließ Lübeck am 8. März 1811, die +Verfolgung ruhte auch in Göttingen nicht, und es ist unzweifelhaft, daß, +wie Wurm sagt, die damit verknüpften Kränkungen sein Herz gebrochen +haben; er starb, wie schon erwähnt, vier Jahre darauf (1815), kaum 50 +Jahre alt.<a name="FNAnker_26_26" id="FNAnker_26_26"></a><a href="#Fussnote_26_26" class="fnanchor">[26]</a></p> + +<p>Brockhaus verlegte bald nach jenem Briefe noch ein anderes kleines Werk +von Villers: eine französische Uebersetzung der 1808 bei Friedrich +Perthes in Hamburg erschienenen Schrift »Der Kaufmann« von Johann +Albert Heinrich Reimarus, dem eigentlich auf einem andern Gebiete, +als Physiker, bekannten Sohne des Verfassers der »Wolfenbüttelschen +Fragmente«, Hermann Samuel Reimarus. Die Uebersetzung führt den Titel +»<span class="antiqua">Le commerce</span>« (1808) und ist mit einem Vorwort von Villers +versehen.</p> + +<p>Außerdem druckte Brockhaus 1807 in dem ersten Hefte seines +»<span class="antiqua">Conservateur</span>« eine längere Abhandlung von Villers: »<span class="antiqua">Sur +la manière essentiellement différente, dont les poètes français et +les allemands traitent l'amour</span>«, und 1809 eine Schrift »<span class="antiqua">Coup +d'oeil sur l'état actuel de la littérature ancienne et de l'histoire en +Allemagne</span>«, die als ein Bericht an das <span class="antiqua">Institut de France</span> und +in einer Nachschrift als eine Rechtfertigungsschrift seines »<span class="antiqua">Coup +d'oeil sur les universités allemandes</span>« (Kassel 1808) bezeichnet ist.</p> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[92]</a></span></p> +<p>Auch in späterer Zeit und bis zu Villers' Tode blieb Brockhaus mit +demselben in geschäftlicher Verbindung. So verlegte er 1814 dessen +letzte Schrift, in der die Wiederherstellung der drei Hansestädte +warm befürwortet wird: »<span class="antiqua">Constitutions des trois villes libres +anséatiques, Lubeck, Brêmen et Hambourg. Avec un mémoire sur le rang +que doivent occuper ces villes dans l'organisation commerciale de +l'Europe.</span>« Vorher noch hatte er auf Brockhaus' Wunsch und zugleich +auf den der Frau von Staël eine Einführung zu ihrem berühmten Buche +»<span class="antiqua">De l'Allemagne</span>«, datirt Göttingen, 20. Juli 1814, geschrieben, +die mit einer neuen Ausgabe desselben 1815 bei Brockhaus erschien. Die +erste 1810 in Paris in 10000 Exemplaren gedruckte Auflage dieses Buchs +war dort vor der Ausgabe von der kaiserlichen Polizei confiscirt und +vernichtet, die Verfasserin aber aus Frankreich verbannt worden. Sie +ließ es darauf 1814 in London, 1815 in Genf und in Leipzig drucken und +erst im folgenden Jahre konnte in Frankreich selbst wieder eine neue +Auflage erscheinen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Von größern Verlagsunternehmungen Brockhaus' aus dieser Zeit ist +zunächst das »Historisch-militärische Handbuch für die Kriegsgeschichte +der Jahre 1792 bis 1808« von dem ehemaligen niederländischen +Oberstlieutenant A. G. Freiherrn von Groß (Amsterdam 1808) zu erwähnen. +Dasselbe war von einem großen »Historisch-militärischen Atlas« in +siebzehn in Kupfer gestochenen Tafeln begleitet, den Brockhaus in Weimar +von Legationsrath Bertuch, Besitzer des Landes-Industrie-Comptoirs, +herstellen ließ. Der Verfasser, 6. December 1756 geboren, diente zur +Zeit der Revolutionskriege in der niederländischen Armee, vertheidigte +unter anderm 1794 die Festung Grave gegen die Franzosen unter +Pichegru, lebte dann zurückgezogen mit dem Titel eines herzoglich +sachsen-weimarischen Kammerherrn in Weimar und starb daselbst am 18. +November 1809. Er war als Militärschriftsteller geschätzt, namentlich +wegen des genannten Werks und wegen eines frühern über die höhere Taktik +(Gera 1804).</p> + +<p>Im Jahre 1808 trat Brockhaus auch mit einem Manne in Verbindung, der +ihn in die ersten, für ihn später so verhängniß<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[93]</a></span>vollen Conflicte mit +der preußischen Regierung verwickelte. Es war der preußische Oberst +August Ludwig Christian von Massenbach. Dieser, 1758 geboren, in dem +unglücklichen Jahre 1806 Generalquartiermeister des Fürsten Hohenlohe, +veranlaßte, wie es scheint durch eine irrthümliche Meldung, die Ergebung +seines Corps bei Prenzlau. Deshalb in eine Untersuchung verwickelt, +lebte er erst auf einem ihm vom Könige von Preußen geschenkten Landgute +im Posenschen, dann in Würtemberg, und verfaßte dort drei Werke, die bei +Brockhaus erschienen und großes Aufsehen erregten. Nachdem er wiederholt +um seine Entlassung aus dem preußischen Kriegsdienste angehalten, +stellte er 1817 an den preußischen Hof und an den König persönlich +verschiedene Anträge, unter der Drohung, im Nichtgewährungsfalle +wichtige in seinem Besitze befindliche Papiere zu veröffentlichen. +Darauf in Würtemberg auf Ansuchen Preußens verhaftet, wurde er nach +Küstrin gebracht, dort kriegsgerichtlich zu 14 Jahren Festungshaft +verurtheilt (wegen beabsichtigten Landesverraths durch Bekanntmachung +amtlicher Schriften), 1820 nach Glatz gebracht, aber 1826 vom Könige +begnadigt. Er starb bald darauf, 27. November 1827.</p> + +<p>Massenbach war ein geistvoller politischer und militärischer +Schriftsteller, und seine Werke haben hohen Werth für die +Zeitgeschichte. Indessen litt er an großer Selbstüberhebung, indem er +fortwährend darzuthun suchte, daß er durch seine Rathschläge das Unglück +des preußischen Staats abgewendet haben würde, wenn sie befolgt worden +wären. Außerdem ließ er sich oft zu rücksichtslosen und unberechtigten +Angriffen auf die leitenden Persönlichkeiten des preußischen Staates +hinreißen.</p> + +<p>Die erwähnten drei Werke Massenbach's sind: »Rückerinnerungen an große +Männer« (2 Abtheilungen, Amsterdam 1808); »Memoiren zur Geschichte +des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II. +und Friedrich Wilhelm III.« (3 Bände, Amsterdam 1809); »Historische +Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preußischen Staats seit +dem Jahre 1794 nebst meinem Tagebuche über den Feldzug von 1806« (2 +Theile, Amsterdam 1809). Letzteres und das vorige Werk enthalten mehrere +Karten und Pläne.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[94]</a></span></p> + +<p>Noch drei andere Verlagswerke gehören in diese Zeit: »Parallelen« +von Christian Daniel Voß (Professor des Staatsrechts und der +Kameralwissenschaften in Halle, geb. 1761, gest. 1821), in zwei +Theilen (1808 und 1811 erschienen), eine vergleichende Darstellung der +Jahrhunderte Ludwig's XIV. und Napoleon's I.; Dschami's persischer +Liebesroman »Medschnun und Leila«, aus dem Französischen übersetzt +und erklärt von Anton Theodor Hartmann (damals in Oldenburg, später +schwerinischer Consistorialrath und Professor in Rostock, verdienter +Orientalist, geb. 1774, gest. 1838), 1808 in zwei Bändchen erschienen; +endlich, ebenfalls 1808, das dramatische Gedicht »Aladdin oder die +Wunderlampe« von Adam Oehlenschläger, dem bekannten dänischen Dichter +(geb. 1779, gest. 1850), der seine meisten Werke gleichzeitig auch in +deutscher Sprache veröffentlichte.</p> + +<p>Mit diesen drei hervorragenden Schriftstellern trat Brockhaus dadurch in +eine dauernde Verbindung, besonders mit Oehlenschläger.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Bei dieser für einen jungen Verleger mit beschränkten Mitteln +staunenswerthen Ausdehnung seiner Unternehmungen war es nicht zu +verwundern, daß Brockhaus bald wieder in finanzielle Verlegenheiten +gerieth. Die Früchte seiner Arbeit, wenn es überhaupt zu solchen kam, +reiften nicht so schnell, als seine sanguinische Natur es erwartete; +auch war er als früherer Kaufmann noch nicht daran gewöhnt, daß der +Verlagsbuchhändler im besten Falle ein Jahr lang auf das Erträgniß +seiner Thätigkeit zu warten hat. Es handelte sich zwar nicht um so große +Summen, wie in seinem frühern Geschäftsleben, aber um so ärgerlicher +war ihm bei seinem regen Streben und dem guten Gang des Geschäfts das +Ausbleiben der zum Fortbetriebe desselben erforderlichen mäßigen Gelder.</p> + +<p>In seiner Sorge wandte er sich natürlich wieder an seinen »einzigen +Freund«, wie er ihn oft nennt — seinen Bruder in Dortmund. Er schreibt +ihm in dem bereits mehrfach erwähnten Briefe vom 25. August 1807:</p> + +<blockquote> + +<p>In dieser Zeit faßte ich den Gedanken, vor meine Person und +Familie aufs Land zu gehen und für mich nur die Direction der +Verlagsunternehmungen zu halten, meine andere sehr lucrative, aber +lästige<span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[95]</a></span> Unternehmung<a name="FNAnker_27_27" id="FNAnker_27_27"></a><a href="#Fussnote_27_27" class="fnanchor">[27]</a> zu verkaufen, wenn ich 10000 Fl. dafür +erhalten könnte, da mir 6000 Fl. dafür geboten wurden, und die +Sortimentsgeschäfte mit Jemandem in Compagnie zu treiben, der sie +dann leiten sollte. Es war mein Lieblingsgedanke, der auch um so +eher ausführbar war, da ich auf dem Lande mit der Hälfte hätte leben +können und ich die mir vorbehaltenen Geschäfte von dort so gut wie +von hier (Amsterdam) hätte besorgen können. Indessen aus diesem +Idyllenplane wurde nichts, und ich fuhr dann fort, unser Geschäft +immer zu erweitern und zu consolidiren. Im Herbst vorigen Jahres +bekam ich von Hannover einen sehr geschickten Commis, der seitdem +den eigentlichen Sortimentshandel dirigirt und das Meßgeschäft +(er war auch Ostern in Leipzig), und mein Departement ist dagegen +Verlagsgeschäft, Correspondenz mit den Gelehrten und andere dahin +einschlagende Arbeit .... Das Geschäft ist übrigens vortrefflich, +und es wird und kann, wenn es so fort geht, mich nicht blos zu +einem wohlhabenden Manne machen, sondern auch recht innig zufrieden +mit meinem Schicksale und meiner Lage. Von unsern ostensibeln und +inostensibeln Verlagsunternehmungen haben wir bisjetzt an keinem +Schaden gehabt, an mehrern aber viel gewonnen. Ich werde Dir von +beiden Arten (unter den letztern sind die berühmten »Vertrauten Briefe +über die innern Verhältnisse am preußischen Hofe«<a name="FNAnker_28_28" id="FNAnker_28_28"></a><a href="#Fussnote_28_28" class="fnanchor">[28]</a>, woran ich zum +Viertel interessirt bin), mit Gelegenheit ein Exemplar senden, daß +Du mal sehen kannst, was wir in diesem Fache getrieben haben. Außer +diesen Verlagsunternehmungen ist unser Sortimentsgeschäft (Verkauf +fremden Verlags hier im Lande) schon so bedeutend, daß wir monatlich +im Durchschnitt an 3000 Fl. debitiren. Es wird Dir bekannt sein, daß +man auf Bücher an 33 Procent Rabatt hat, und ist ein solcher Umsatz +also sehr ansehnlich, und kann sich derselbe, besonders wenn wir +mal Frieden bekommen, noch sehr vermehren. Da wir nun sogar unser +Sortiment großentheils wieder gegen Verlag changiren und wir am +Verlag wieder stark verdienen, so ist es mathematisch klar, daß mein +jetziges Geschäft recht sehr vortheilhaft ist und ich, ohne daß ich +mir unberufen schmeichele, die wahrhaft glücklichsten Resultate davon +erwarten kann.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[96]</a></span></p> + +<p>Nur in einem, aber in einem sehr wesentlichen Punkte finde ich +mich gedrückt, und ich erzähle Dir diesen nun um so eher, da ich auf +Sophiens Rath Dich darin zu meinem Vertrauten mache. Ich hätte es ohne +diesen nicht übers Herz bringen können, da es nun einmal leider mein +Charakter ist, daß ich mich lieber hindrücke und hinwürme, als über +solche Sachen laut zu werden. Es ist dies, daß, da wir bei diesen +Geschäften Alles und Alles auf Jahresrechnung stellen müssen und wir +etwa nur ein Funfzigstel baar verkaufen, alles Andere aber nicht vor +dem Anfang des folgenden Jahres einkommt, daß es mir da gegen Ende +des Jahres knapp in Casse wird, weil wir so unsaglich viel an Porten, +Frachten, Papieren, Buchdrucker- und Buchbinderlohnen beständig +ausgeben müssen, dabei die schweren Haushaltungsausgaben, Miethen +und Abgaben zu tragen haben, die alle so viele beständige Ausgaben +erfordern, wogegen wir im Laufe des Jahres fast nichts, sondern Alles +erst im Januar und Februar einnehmen. Dies genirt mich nun in diesem +Jahre besonders, da ich für mehrere Unternehmungen ein Ansehnliches +habe aufwenden müssen, das sich aber erst zu Ostern 1808 rentirt. +Recht sehr wünschte ich also, mit einigen Fonds in diesem Jahre +ausgeholfen zu werden, und ich frage Dich nun darum, ob Du das möglich +machen kannst, sei es durch Dich selbst oder durch Deinen Credit ....</p> + +<p>Es ist mir schwer gefallen, über diesen Punkt offen zu werden, und +ohne das Zureden Sophiens hätte ich es unmöglich gekonnt. Ich füge +weiter nichts hinzu, lieber Bruder, als daß jede Zeile, die ich Dir +heute schrieb, lautere nackte Wahrheit ist, und daß <em class="gesperrt">ältere</em> +Schulden mich <em class="gesperrt">keine</em> drückt noch ihrer mehr existirt.</p></blockquote> + +<p>Auf diesen Brief erfolgte sofort in echt brüderlicher Weise Hülfe durch +Uebersendung einer ansehnlichen Summe. Brockhaus antwortete in einem +Briefe vom 18. September, dessen Anfang eine gemüthvolle Erinnerung an +seine Kinderzeit enthält:</p> + +<blockquote> + +<p>Woran erinnerst Du mich, lieber Bruder, durch die Erzählung Deiner +Reise zum guten lieben Onkel? An die auch für mich glücklichsten +Stunden meines Lebens, das damals so eben und heiter dahinfloß wie ein +rieselnder Bach! An die Jahre meiner Kindheit, meines Jünglingsalters, +die des jungen Mannes, wo ich, noch unbekannt mit den Täuschungen +des wirklichen Lebens, an der Pforte desselben stand und mit +hochfliegendem Sinne und Herzen, ach! die schönsten Hoffnungen von +der Zukunft und den Menschen überhaupt hatte und auch wol berufen und +geeignet war, sie haben zu dürfen. Damals ahndete ich den giftigen +Mehlthau nicht, der sich auf die Blume meines Lebens setzen und Jahre +lang desselben würde vergiften machen! O <em class="gesperrt">die</em> Zeiten,<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[97]</a></span> lieber +Bruder! wie wir mit dem guten und geistvollen Onkel<a name="FNAnker_29_29" id="FNAnker_29_29"></a><a href="#Fussnote_29_29" class="fnanchor">[29]</a> dann durch +die langen und fruchtbaren Aecker und zwischen dem wogenden Meer der +vollen sich niedersenkenden Aehren einhergingen nach dem Kloster +Welver, oder nach Dinker oder zur Kirmeß — ich weiß nicht wo, wie +heitere und seelenvolle Gespräche uns erquickten, ländliche Kost +uns erfreute, wie wir von Alt und Jung gegrüßt, ehrerbietig gegrüßt +wurden, von allen Menschen als Freunde behandelt und zärtlich gepflegt +wurden.</p> + +<p>Mir ist der Onkel immer wie der ehrwürdige Pfarrer zu Grünau, von +dem Voß in seiner »Luise« ein so hinreißend entzückendes Gemälde +aufgestellt hat. Damals litt der gute Onkel immer viel, er war +kränklich und seinem Leben schienen nur noch kurze Tage zu harren. Es +freut mich unendlich, daß unsere Furcht sich darin nicht bewahrheitet, +und ich gebe noch keineswegs die Hoffnung auf, ihn noch einmal, ehe +er oder ich jene furchtbare Reise antreten, von der kein Wanderer +zurückkommt, an meine Brust zu drücken. Vielleicht ist diese Zeit +selbst näher als ich noch vor kurzem hätte denken können. Es ist +nämlich sehr wahrscheinlich, daß ich nächste Ostern selbst mit nach +Leipzig gehen werde. Unsere dortigen Geschäfte und Berechnungen, +Tausche, Einkäufe, Arrangements mit Druckereien, Papierhandlungen, +Autoren u. s. w. sind wichtig und mannichfaltig genug, um die Kräfte +eines Mannes alleine zu übersteigen und auch von zu bedeutenden +Folgen, um sie einem auch noch so guten Commis anvertrauen zu +können. Wenn es mir also nur irgend möglich ist, so habe ich zur +Absicht, alle Jahre, so Gott will, selbst Ostern nach Leipzig zu +gehen in Begleitung eines Gehülfen, der den mechanischen Theil des +Geschäftes und der Berechnungen besorgt. Ich habe zu einer solchen +Reise mehrere Reiserouten vor mir, werde aber gewiß, wenn meine +dortigen Angelegenheiten einmal in Ordnung sind, wofür ich möglichst +sorgen werde, zur Hin- oder Herreise immer die über Dortmund nehmen. +Bei Lesung Deines letzten Briefs, lieber Bruder, ist mir dabei der +Gedanke eingefallen, wie außerordentlich nützlich für Dein Geschäft, +erhebend für Deine Seele und stärkend für Deinen Körper es sein würde, +wenn auch Du es einrichtetest, alle Jahre einmal abwechselnd nach +Frankfurt oder Leipzig zu gehen, und wir dann vielleicht dann und wann +solche Reisen hin oder zurück zusammen machen könnten. Der Gedanke, +theuerster Bruder, ist mir so ausführbar vorgekommen, daß ich ihn gar +nicht loswerden kann! und doch ist es mir zu reizend, als daß ich es +mir wieder zu schmeicheln wagen mag, daß er wirklich werde ausgeführt +werden ....</p> + +<p>Zu meinem jetzigen Geschäfte, wie es jetzt geht, bedarf ich +durch<span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[98]</a></span>aus noch einiger Fonds, und es ist nicht dem allermindesten +Zweifel unterworfen, daß, wenn ich nur noch so viele habe, als ich +oben gedachte, es mir möglich sein wird, dasselbe auf einen solchen +Fuß zu halten und zu setzen, daß für mich und meine Familie die +segensreichsten Folgen daraus entstehen werden. Die Zeiten der +Chimären und der Luftschlösser sind bei mir vorbei: was ich jetzt thue +und treibe, beruht auf dem sichersten Calcul. Nur der sehr gute Erfolg +mehrerer unserer Unternehmungen hat übrigens auch nur diese noch +nöthige Alimentation veranlaßt, da wir nicht im Stande sind, diese +Unternehmungen aufzuhalten, die Fonds dafür aber erst im nächsten +Jahre u. s. w. eingehen. So müssen wir von Villers' Briefe über Lübeck +schon wieder zwei neue deutsche und französische Auflagen machen, +ob wir gleich viele Tausend von der ersten haben drucken lassen. So +von einem französischen Handbuche für Reisende durch Deutschland +ebenfalls schon wieder die zweite Auflage, obgleich die erste von +2000 Exemplaren erst im Januar und Februar erschienen. So ist das +Glück, das die »Vertrauten Briefe« machen, woran ich ein Viertel habe, +außerordentlich. Aber diese glücklichen Unternehmungen erfordern +gerade deswegen Nachschüsse, worauf ich nicht gerechnet, und die, da +wir im Laufe des Jahres so wenig einnehmen, mich sehr <span class="antiqua">en peine</span> +setzen für den Rest des Jahres, besonders da es hier platterdings +gar keine Ressourcen für mich gibt, und ich Alles und Alles aus mir +selbst schöpfen muß. Es sind indessen keine großen Summen, deren ich +jetzt bedarf, und mit einigen tausend Gulden, die ehemals ein Tropfen +im Eimer gewesen wären, kann ich über die kleinen Sorgen nun alle +wegkommen. Und doch drücken solche außerordentlich und sie müssen auf +immer weggeräumt werden.</p></blockquote> + +<p>Darauf folgt, unter herzlichem Danke für das zunächst Gewährte, die +Bitte um eine weitere größere Summe, die er bestimmt im nächsten Jahre +zurückerstatten will: »Du könntest darauf wie auf Deine Existenz +rechnen!« Er schließt:</p> + +<blockquote> + +<p>Du kennst nun meine Sorgen und meine Hoffnungen alle. Vertraue, +vertraue auf mich. Mein Dank, Sophiens Dank, unser Aller Dank wird +Dich für alles Gute, was Du uns schon gethan, Du allein uns gethan, +bis zum letzten Odemzuge begleiten .... Wir Alle grüßen euch Alle +tausendmal.</p></blockquote> + +<p>Als auf diesen Brief eine abschlägige Antwort kam, weil der Bruder, +trotz seiner steten Bereitwilligkeit zu helfen, diesmal die Bitte +nicht erfüllen konnte, entschloß sich Brockhaus' Frau ohne Vorwissen +ihres Mannes nochmals an den Schwager zu schreiben.<span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[99]</a></span> Ihr Brief, einer +der wenigen, die von ihr erhalten sind, gibt ein treues Bild ihrer +einfachen, aber gediegenen und gesunden Natur. Das im Eingang des Briefs +erwähnte sechste Kind, Max, war wenige Monate vorher, am 19. Juni 1807, +geboren worden; es starb übrigens nach kaum drei Jahren, im März 1810, +in Dortmund. Sie schreibt aus Amsterdam vom 29. September 1807:</p> + +<blockquote> + +<p class="salut">Lieber Herr Bruder!</p> + +<p>Ich schreibe Ihnen diesen Brief ohne Vorwissen meines guten +Brockhaus; dieser ist auf Comptoir, und ich sitze hier im Kreise aller +meiner Sechse, Max schläft eben, und das Kindermädchen mag sehen, +wie sie ein halb Stündchen mit den übrigen fertig wird, denn ich muß +absolut mit Ihnen sprechen.</p> + +<p>Daß es uns gut geht, daß wir zufrieden sind, daß Brockhaus in +seinen Geschäften glücklich ist, sich glücklich darin fühlt, daß wir +bei dem schrecklichen Lauf der Weltbegebenheiten und der Zernichtung +des englischen Handels hier (für den, der nicht über große Fonds zu +disponiren hat) sehr froh sind, die Trümmer unsers Vermögens in ein +Geschäft gerettet zu haben, das, wenn es, wie es scheint, mit dem +Glücke fortgeht, als es angefangen wurde, uns ein redliches Bestehen +sichern wird — dies Alles, werthester Bruder, wissen Sie wohl und +gewiß von Brockhaus. Aber Brockhaus findet gerade jetzt in dem guten +Fortgange seines Geschäfts Veranlassung zu Sorgen, auf die er nicht +gefaßt war und die ihn erstaunlich angreifen, da er sich möglich +denkt, daß, wenn er gar nicht im Stande wäre Hülfe zu finden, alle +unsere guten Aussichten wieder zusammenfallen, er seinen unbegrenzten +Credit in Leipzig, den er sich so mühsam angebaut, verlieren, und wir +Alle dann eigentlich unglücklich werden könnten. Sie wie ich würden +ihm hier dann die Erinnerung machen können, daß er sich nach seinen +Mitteln hätte einschränken müssen; allein er bemerkt darauf, daß sich +das nicht auf ein paar tausend Gulden im ganzen Jahre lang berechnen +ließe &c. Das kann ich auch nicht beurtheilen. Aber die Sache ist, +daß hier in Brockhaus seinem Geschäft Alles auf Jahresrechnung geht, +er aber Vieles beständig bezahlen muß, Frachten, Papier, Druckerlohn +&c. beständig viel Geld wegnehmen, und daß Brockhaus, um Credit zu +kriegen, Vieles hat prompt bezahlen müssen, wo er in Zukunft Credit +haben wird — kurz, Brockhaus hat für den Lauf dieses Jahres noch ein +paar tausend Gulden zu bezahlen, wozu er hier keine Aussicht hat, +um sie in diesem Jahre anschaffen zu können. Wir leben erstaunlich +eingezogen, haben fast mit keinem Menschen Umgang, und wo wir +Freundschaft mit haben, die haben keine Mittel, worüber sie disponiren +können, und in Amsterdam muß man nicht mit Geldfragen kommen:<span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[100]</a></span> eine +kalte abschlägige Antwort ist, was man zu erwarten hat, und ihre +Achtung und Freundschaft, ja gar Vertrauen — Alles ist weg.</p> + +<p>Brockhaus hat sich also, lieber Bruder, in seinen Sorgen um die paar +tausend Gulden, die ihm die Kohlen auf den Fuß legen, an Sie gewendet, +weil er hoffte, daß Sie in Ihrem Verhältnisse eher Rath dazu schaffen +könnten und aus Liebe für uns Alles thun würden, was in Ihren Kräften +wäre. Schrecklich war daher gestern seine Täuschung, als Ihr Brief +ihm sagte, daß Sie jetzt nicht könnten. Der Himmel weiß es, wie er es +machen wird, da ich weiß, daß er in acht Tagen schon ein paar Wechsel +bezahlen muß und im nächsten Monat Alles gebraucht. Mir ist also +eingefallen, ob Sie in Verbindung und in Ueberlegung mit Luise<a name="FNAnker_30_30" id="FNAnker_30_30"></a><a href="#Fussnote_30_30" class="fnanchor">[30]</a> und +Rittershaus die doch nicht gar große Summe zusammenbringen könnten. +Rittershaus hat Vermögen und Credit, und ich vertraue auf Luise, +daß sie etwas auf Rittershaus vermag und er ihr und mir eine solche +Gefälligkeit nicht abschlagen werde. Ich weiß auch, daß Brockhaus +im Stande ist, es ihm nöthigenfalls im Januar oder zur Ostermesse +wieder zurückzugeben, vielleicht könnte er ihm Kleie dafür senden. +Das Wenige, was mir früher oder später zufallen wird, gebe ich auch +gern bis zum Ersatz. Ueberlegen Sie es also mit Luise. Thun Sie, was +Sie können, Sie machen mich dadurch zum glücklichsten Weibe. Ich habe +nicht nöthig, Ihnen zu erinnern, daß es mir lieb sei, wenn darüber +kein Gerede entstehe. An Luise schreibe ich nur ein paar Zeilen, +Sie werden die Güte haben, sie von der wahren Lage der Sachen zu +unterrichten, daß es nicht Mangel überhaupt ist, sondern Verlegenheit +gegen Ende des Jahres und unvorhergesehene starke Ausgaben und da +wir keine Ressourcen haben. O wie glücklich würde ich sein, wenn der +nächste Posttag mir sagte, daß Sie etwas für uns thun könnten — Ihr +Herz bürgt mir für Ihren Willen.</p> + +<p>Nicht mit ganz frohem Herzen sage ich Ihnen Lebewohl. An Lottchen +und Papa tausend Grüße. Ich bin Ihre Sie hochschätzende Schwester</p> + +<p class="signature">Sophie Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>Ob ihre Bitte Erfolg hatte, geht aus den wenigen aus dieser Zeit +erhaltenen Briefen nicht hervor, doch ist es wahrscheinlich, da in den +nächsten Monaten von finanziellen Verlegenheiten nicht weiter die Rede +ist.</p> +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[101]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter2-5" id="Chapter2-5">5.</a> +<br /> +Reisen zur leipziger Buchhändlermesse. +</h3> + +<p class="start-chap">Bei der Bedeutung und Ausdehnung, die Brockhaus' buchhändlerisches +Geschäft rasch erlangt hatte, war es (wie er auch unterm 18. September +1807 seinem Bruder schrieb) seine bestimmte Absicht, alljährlich Ostern +zur Buchhändlermesse nach Leipzig zu reisen. Ein Besuch derselben war zu +jener Zeit noch wichtiger als er es gegenwärtig ist, besonders für den +Besitzer eines neuerrichteten Geschäfts; auch hatte er bereits vielfache +geschäftliche Beziehungen in Leipzig, deren Pflege und Erweiterung ihm +am Herren lag; endlich freute er sich darauf, die Stadt wiederzusehen, +in der er als junger Mann eifrigen Studien obgelegen und wol zuerst den +Entschluß gefaßt hatte, selbst einmal den Buchhändlerstand zu wählen.</p> + +<p>Im Frühjahr 1808 hoffte er den langgehegten Plan zum ersten male +ausführen zu können, allein seine Hoffnung wurde wieder vereitelt. +Kurz nach der Michaelismesse 1807 hatte er plötzlich denjenigen +Gehülfen verloren, der, wie er in einem Circulare sagt, »zeither +unser schnell wichtig gewordenes deutsches Sortimentsgeschäft allein +besorgt und dirigirt hatte«; es war der in seinem Briefe vom 25. +August 1807 erwähnte Gehülfe, der im Herbst 1806 aus Hannover in +das Geschäft getreten war und in der Ostermesse 1807 das Kunst- und +Industrie-Comptoir in Leipzig vertreten hatte, doch ist uns weder sein +Name noch der Grund seines plötzlichen Wiederaustritts aus dem Geschäfte +bekannt. Brockhaus engagirte zwar sofort<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[102]</a></span> einen andern Gehülfen, Namens +Zinkernagel, der bisher in der Buchhandlung von Heinsius in Leipzig +angestellt gewesen war, schloß mit ihm nach damaliger Sitte sogar +einen Contract ab und schickte ihm Reisegeld sowie einen Vorschuß; +aber statt des sehnlichst erwarteten Gehülfen traf im Februar 1808 +ein Brief von dessen bisherigem Principale ein, worin dieser bat, ihm +denselben ganz oder wenigstens noch bis zur Ostermesse zu lassen, +wo er dann ja zugleich die Geschäfte seines neuen Hauses besorgen +könne. Brockhaus lehnte unterm 29. Februar diese »Zumuthung«, die ihm +»sehr auffallend und befremdend« sei, mit der ihm eigenthümlichen +Bestimmtheit und Offenheit ab, indem er dem Briefe an Heinsius in einem +Gemisch von Ironie und Zorn hinzufügte: »So vielen Antheil wir auch +an Ihrer persönlichen Wohlfahrt und an dem regelmäßigen Gange Ihrer +Geschäfte immerhin nehmen, so kann dieser Antheil sich doch nicht so +weit erstrecken, daß wir darum unsere eigene Wohlfahrt aufopfern und +unsere nicht unbedeutenden Geschäfte nur in Wirrwarr sich auflösen +lassen sollen. Es entspricht ebensowenig der Lage unserer Geschäfte, +Herrn Zinkernagel die Ostermeßgeschäfte thun zu lassen und ihm oder +Ihnen zuzugestehen, daß er in Erwartung derselben einstweilen dorten +bleibe. Der Chef unserer Handlung wird selbst diese Messe besuchen, und +geschieht das nicht, so werden wir diejenigen Maßregeln nehmen, die uns +am zweckmäßigsten dünken. Wir geben heute Herrn Zinkernagel wiederholt +auf, ohne Verzug eines einzigen Tags seine Reise hierher anzutreten.« +Trotz alledem scheint Zinkernagel gar nicht nach Amsterdam gekommen zu +sein.</p> + +<p>Nur wenige Wochen nach diesem Briefwechsel, am 12. April, schreibt +Brockhaus an den Buchhändler Heyse in Bremen: er habe von Herrn +Culemann in Hannover gehört, daß sich bei ihm ein junger Mann befinde, +der sich zum Gehülfen in seiner Handlung eigne, und bitte ihn um +Auskunft über denselben; er stehe zwar bereits mit einem andern in +Unterhandlung, diese werde sich aber wahrscheinlich zerschlagen. Heyse +scheint dem jungen Manne ein gutes Zeugniß gegeben zu haben, denn am +30. April meldet Brockhaus wieder an Heyse, daß er ihn engagire. Der +Betreffende kam denn auch wirklich nach Amsterdam. Es war dies Friedrich +Bornträger,<span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[103]</a></span> der spätere Verlagsbuchhändler in Königsberg; er blieb +drei Jahre lang bei Brockhaus und wurde während dieser Zeit dessen +Vertrauter, sodaß wir ihm fortan viel begegnen werden.</p> + +<p>Leider konnte auch er nicht sofort, sondern erst im Sommer seine Stelle +antreten, wahrscheinlich weil Heyse ihn nicht eher entbehren konnte. +Brockhaus schreibt darüber an Letztern:</p> + +<blockquote> + +<p>Nun, es sei denn, haben wir uns seit 4-5 Monaten durchgeschlagen und +darüber sogar die Messe versäumen müssen, so mag es denn auch noch +4 <span class="antiqua">à</span> 5 Wochen hingehen. Aber wir rechnen auf Ihr Wort auf das +unbedingteste, daß Herr Bornträger am 12. Juni von Bremen abreisen +kann. Wir machen darüber nicht weiter viele Worte. Ein Wort für +hundert.</p> + +<p>Wir wünschen Ihnen die beste Reise zur Messe, und bedauern wir nur, +daß durch das Ausbleiben unsers engagirten Gehülfen es uns persönlich +reine Unmöglichkeit geworden ist, ebenfalls die Messe zu besuchen, da +wir in jeder Hinsicht so nothwendig dorten wären. Ob wir gleich Herrn +Reclam gefunden haben, der unsere Meßgeschäfte wahrnehmen will, so +kann er es doch nur halb. Vieles muß ganz versäumt werden, Vieles muß +noch besorgt werden, das für Herrn Bornträger seine erste Arbeit sein +muß.</p></blockquote> + +<p>An Bornträger selbst meldet er unterm 27. Mai, daß er ihm einige seiner +letzten Kataloge mit Gelegenheit nach Aurich geschickt habe, und fügt +folgende Worte hinzu, aus denen hervorgeht, wie er jede Gelegenheit zum +Weiterausbau seines Geschäfts benutzte:</p> + +<blockquote> + +<p>Nehmen Sie solche in Empfang und machen Sie davon auf Ihrer +Hierherreise den möglichst nützlichsten Gebrauch. Da Ostfriesland +jetzt zu Holland gehört, mithin von dort viele Berührungen mit +Amsterdam, als dem Sitze des Gouvernements, Platz haben werden, wo +der reiche Adel hierhin zu Aemtern und Ehrenstellen gezogen wird und +manche andere Connexion stattfinden wird, so könnte Ostfriesland auch +für uns nicht ganz ohne Bedeutung werden. Früher haben wir dies sonst +nicht ambitionirt, weil damals Bremen und Hannover passender war.</p></blockquote> + +<p>In der Besorgniß, daß der junge Mann sich deshalb zu lange unterwegs +aufhalten könne, warnt er ihn übrigens sofort, dies ja nicht zu thun, +und schließt:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[104]</a></span></p><blockquote> + +<p>Wie gedenken Sie Ihre Reise hierhin zu machen? Und wann werden Sie +abreisen? Wir erwarten Sie mit dem lebhaftesten Verlangen und sind +Ihnen mit Freundschaft zugethan.</p></blockquote> + +<p>Der Gebrauch des »wir« statt »ich« selbst in solchen Briefen +persönlicher Art erklärt sich daraus, daß Brockhaus in dieser Zeit alle +Briefe, auch eigenhändige, mit der Firma »Kunst- und Industrie-Comptoir« +unterschrieb und nur bisweilen noch seinen Namen hinzufügte.</p> + +<p>Daß er nicht nach Leipzig zur Messe kommen könne, zeigte er dem +Buchhandel in einem vom 24. April aus Amsterdam datirten Circulare +ausdrücklich an, vermuthlich, weil er schon Vielen sein Hinkommen +in Aussicht gestellt hatte. Er erwähnt darin, wie gegen Heyse, daß +auf seine Bitte Herr Karl Heinrich Reclam sich entschlossen habe, +diesmal für das Kunst- und Industrie-Comptoir zu rechnen und das ganze +Meßgeschäft zu besorgen. Daß Herr Gräff, sein bisheriger leipziger +Commissionär, dies nicht besorge, erklärt er damit, daß »unsere +Meßgeschäfte seinen ganzen Mann erfordern und Herr Gräff so sehr +mit eigener Arbeit überhäuft ist, daß wir diesem die unserige mit +wahrzunehmen nicht zumuthen konnten«; doch wird dies wol nur eine der +bei einem Wechsel des Commissionärs auch heutzutage noch üblichen +Höflichkeitsphrasen gewesen sein und der wahre Grund in Differenzen mit +Gräff gelegen haben. Zugleich kündigt er an, daß er in Ansehung der +ihm für sein Sortimentsgeschäft zu sendenden Neuigkeiten nothgedrungen +»eine neue Ordnung einführen« müsse; er erhalte zu viel für ihn unnütze +Artikel, werde deshalb künftig nach dem Meßkataloge selbst wählen und +bitte daraus einen Maßstab für seine Bedürfnisse außer den Messen zu +entnehmen. Dann fährt er fort:</p> + +<blockquote> + +<p>Bei der ununterbrochenen Aufmerksamkeit, die wir auf Alles haben, +was in Deutschland erscheint, entgehen uns ohnehin diejenigen +Artikel nicht leicht, welche wir hier besonders gebrauchen können. +Wir interessiren uns für die Verbreitung der deutschen Literatur +in Holland auf das lebhafteste, wie Ihnen nach dem Maße unsers +seitherigen Bedürfnisses bei so kurzer Dauer unsers Etablissements +schon wird bemerkbar gewesen sein. Jetzt, da unsere Stadt noch zur +königlichen Residenz erhoben worden ist, da sich das Gouvernement +und das diplomatische Corps ebenfalls hierher begibt, jetzt haben +wir bei unserer Thätigkeit<span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[105]</a></span> Aussicht, daß unsere Geschäfte sich noch +bedeutend heben werden, besonders wenn wir einmal Frieden mit England +bekommen sollten. Uns in diesem Bestreben zu unterstützen, ist unsere +ergebenste Bitte an Sie. Wir werden uns bemühen, Ihnen dadurch selbst +nützlich zu werden, und Ihr Vertrauen gebührend zu achten wissen.</p></blockquote> + +<p>Dem Circulare ist ein Verzeichniß seiner »Novitäten zur Ostermesse +1808«, der in seinem Verlage neu erschienenen und, wie damals üblich, +auf die Messe mitgebrachten Werke, beigefügt. Auch zahlreiche +»Commissionsartikel« werden dabei vorgeführt, meist Verlagsartikel +holländischer Buchhändler, darunter auch »der Schenkische Atlas von +Sachsen«, und Musikalien, mit der Bemerkung, daß das Kunst- und +Industrie-Comptoir es »gern übernehme, alle in Holland herausgekommenen +und herauskommenden Bücher zu besorgen, wenn solche noch im Buchhandel +zu haben« — ein Zeichen, daß Brockhaus sein Geschäft nach allen +Richtungen hin ausdehnte und ihm namentlich immer mehr einen +internationalen Charakter zu geben suchte.</p> + +<p>Unter den »gegen Ende des Jahres erscheinenden Neuigkeiten« werden in +dem Circulare zwei Werke aufgeführt, die später weder bei ihm noch +unsers Wissens überhaupt erschienen sind: ein »Lehrbuch des Staatsrechts +des Rheinischen Bundes« von Hofrath und Professor Seidensticker in +Jena und eine »Deutsche und französische Encyklopädie für die Jugend +gebildeter Stände, in einem dreijährigen Cursus zum Unterricht in den +nöthigsten Vorkenntnissen und zur Beförderung der Fertigkeit, beide +Sprachen verstehen, schreiben und sprechen zu lernen«, von Hofrath und +Professor C. G. Schütz in Halle. Ueber letzteres Werk finden sich auch +zwei Briefe von Brockhaus an Schütz, in deren erstem (vom 22. Februar +1808) er den nähern Plan und einige Proben der ihm zuerst von Schütz +angebotenen Encyklopädie verlangt, während er in dem zweiten, ein volles +Jahr später (am 8. Mai 1809) geschriebenen, kurz sagt, daß er jetzt auf +die Anerbietung nicht eingehen könne. Charakteristisch ist die Vorsicht, +mit der er gleich anfangs das Anerbieten beantwortet:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[106]</a></span></p><blockquote> + +<p>Wenn das Werk nur nicht zu bändereich werden sollte, was wir bei +unsern Unternehmungen gar nicht lieben, und es in nicht langer Zeit +kann complet geliefert werden, Ew. Wohlgeboren uns auch in Rücksicht +des Honorars nur sehr billige Bedingungen machten und der Plan +übrigens unsern Beifall erhielte, so dürften wir vielleicht auf die +Anerbietung eingehen.</p></blockquote> + +<p>Noch interessanter für uns ist aber folgende Stelle desselben Briefs:</p> + +<blockquote> + +<p>Wir erlauben uns bei dieser Gelegenheit die Anfrage: ob nicht das +von Ew. Wohlgeboren schon seit geraumer Zeit angekündigt gewesene +Lehrbuch über encyklopädische Literatur bald erscheinen werde? +Schreiber Dieses erinnert sich mit sehr vielem Vergnügen einiger +Vorlesungen, die er vor etwa 10 Jahren bei einer Reise durch Jena +hierüber von Ew. Wohlgeboren hörte, und war es, glaubt er, schon +damals ein allgemeiner Wunsch, einen gedruckten Grundriß zu diesem +von Ew. Wohlgeboren jährlich wiederholten Cursus zu besitzen; seitdem +ist derselbe, wenn wir nicht irren, mehrmalen in den Meßkatalogen +angekündigt worden, aber, soviel wir wissen, immer nicht erschienen. +Sollten von seiten der Verlagshandlung Schwierigkeiten dabei +stattfinden, so würden wir uns darüber mit Ew. Wohlgeboren zu einigen +wünschen.</p></blockquote> + +<p>Der hier erwähnte kurze Besuch in Jena hatte jedenfalls 1794 oder 1795 +während Brockhaus' Aufenthalts in Leipzig zu seiner Ausbildung oder nach +Beendigung desselben auf der Rückreise nach Dortmund stattgefunden; +er benutzte also die wenigen Tage seines Aufenthalts in Jena zum +Besuche der Vorlesungen des damals sehr angesehenen Hofraths Schütz und +wahrscheinlich noch anderer Professoren: ein neuer Beweis seines schon +damals regen Interesses für Literatur und Wissenschaft.</p> + +<p>Gleich in dieser ersten Zeit seiner Verlegerthätigkeit begnügte sich +Brockhaus nicht damit, die Manuscripte einfach so abzudrucken, wie sie +ihm von den Verfassern zukamen, vielmehr prüfte er sie genau und wirkte +oft auf ihre Abänderung hin. So sagt er in einem Briefe an Legationsrath +Bertuch in Weimar vom 12. Juli 1808, mit welchem er diesem das +Manuscript des (ebenfalls in Weimar lebenden) Freiherrn von Groß über +die Kriegsgeschichte der Jahre 1792-1808 zum Druck schickte:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[107]</a></span></p><blockquote> + +<p>Wir schreiben dem Herrn Verfasser heute weitläuftiger über Titel, +Form und Inhalt, welche unsere Bemerkungen er Ihnen zur gefälligen +Mitbeurtheilung communiciren wird. Der Inhalt und der Plan wie die +ganze Idee des Werks hat unsern Beifall und wir haben daran nichts +oder wenig zu erinnern. Die Form und der Stil aber ist nicht so, wie +er sein könnte und wie er im jetzigen Zeitalter gefordert wird. Es +könnte diesem aber ohne besondere Mühe nachgeholfen werden, wenn vor +dem Drucke ein guter Stilist das Manuscript revidirte und hin und +wieder wegschnitte oder nachhülfe. Sie würden uns unendlich verbinden, +wenn Sie dazu Jemanden auffinden wollten. Wir verstehen uns gern zu +einer billigen Vergütung. Zum Titel haben wir dem Herrn Verfasser +zwei Vorschläge gemacht. Prüfen Sie solche gefälligst. Wir lassen uns +gerne sagen ..... Wir empfehlen Ihnen das Werk des Herrn von Groß +so, als wäre es Ihr eigenes. Dies ist genug gesagt. Rechnen Sie auf +unsern Dank und unsere Erkenntlichkeit. Es wird nicht möglich sein +wahrscheinlich, Ihnen in den ersten vier Wochen darüber näher zu +schreiben, da Schreiber dieses wahrscheinlich in der andern Woche nach +Paris reisen muß, indem wir mit einer französischen Buchhandlung wegen +Ueberlassung der Massenbach'schen Memoiren (im Manuscript) zu einer +französischen Uebersetzung in Unterhandlung sind, was auch mit Philips +in London der Fall ist. Handeln Sie darum in zweifelhaften Fällen nach +bester eigener Einsicht. Alles, was Sie thun, ist und wird wohlgethan +sein. Michaelis muß nur Alles fertig sein. Bei irgendeiner Möglichkeit +kommt Schreiber dieses zu Michaelis nach Leipzig. Die Verhältnisse +unserer Handlungen werden gewiß zu Ihrer Zufriedenheit auseinander- +und fortgesetzt werden.</p></blockquote> + +<p>Ueber die Massenbach'schen Werke sagt er noch in demselben Briefe:</p> + +<blockquote> + +<p>Vom Obersten von Massenbach haben wir nun sein Tagebuch, seine +Memoiren von 1787 bis 1807 und Rückerinnerungen an große Männer +übernommen: ohne Zweifel mit die interessantesten Werke, welche über +die neuere Geschichte seit zwanzig Jahren sind bekannt gemacht worden. +Das bei Sander von Massenbach angekündigte Werk erscheint nicht und +wird in eins dieser verschmolzen. Die in Berlin gestochenen Karten +und Pläne, von denen schon sechs fertig sind, werden Ihnen als Kenner +viele Freude machen. Wir haben in Deutschland noch nichts von gleicher +Vollendung gesehen.</p></blockquote> + +<p>Die mit einer französischen Handlung (Treuttel & Würtz in Paris) +angeknüpften Verhandlungen wegen einer Uebersetzung oder Bearbeitung der +Massenbach'schen Memoiren zerschlugen sich übrigens, und infolge dessen +unterblieb auch vorläufig die Reise nach Paris.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[108]</a></span></p> + +<p>Brockhaus reiste dagegen im Herbst 1808 zur Michaelismesse nach Leipzig; +es war das erste mal, daß er diese Stadt als Buchhändler besuchte, +damals wol nicht ahnend, daß er daselbst einen großen Theil der nächsten +Jahre, während sein Geschäft noch in Amsterdam war, zubringen und später +selbst mit seinem Geschäfte, nach einer kurzen Zwischenperiode in +Altenburg, bleibend dahin übersiedeln werde.</p> + +<p>Die Michaelismesse in Leipzig hatte damals für den Buchhandel eine +größere Wichtigkeit als jetzt, wo sie nur noch den Endtermin für die in +der Ostermesse nicht vollständig erledigten Zahlungen bildet. Brockhaus +wollte seine zu Ostern dieses Jahres unmöglich gewordene Reise nach +Leipzig nicht wieder bis zur Ostermesse des nächsten Jahres aufschieben, +weil es ihm nach dem im Juni erfolgten Eintritte des neuen Gehülfen +Bornträger eher möglich war, sich auf einige Wochen von Amsterdam zu +entfernen, und außerdem der Stand seiner Angelegenheiten in Leipzig eine +persönliche Anwesenheit daselbst dringend nöthig machte.</p> + +<p>Der dortige neue Commissionär Reclam hatte nämlich die ihm übertragenen +Meßgeschäfte durchaus nicht zu Brockhaus' Zufriedenheit besorgt. Ohne in +diesem Falle, wie in manchem ähnlichen, uns auf die eine oder die andere +Seite der streitenden Parteien zu stellen — wozu die noch vorhandenen +Actenstücke meistens auch nicht ausreichen — suchen wir die Sachlage +möglichst objectiv darzulegen.</p> + +<p>Brockhaus veröffentlichte sofort nach seiner Ende September erfolgten +Ankunft in Leipzig ein Circular, datirt Leipziger Michaelismesse 1808, +dem wir Folgendes entnehmen:</p> + +<blockquote> + +<p>Der Chef unserer Handlung, Herr Brockhaus, findet bei seiner +Ankunft in Leipzig zur Messe ein Circular des Herrn Reclam vor, worin +sich dieser Mann über die Vorwürfe, die wir ihm privatim wegen der +Besorgung unserer Geschäfte gemacht haben, öffentlich verantwortet. +Die Pflichten, die wir gegen unsere Handlung haben, erlauben es uns +nicht, zu diesem so ungewöhnlichen Circulare des Herrn Reclam ganz zu +schweigen, ob wir gleich glauben, daß Herr Reclam durch den Charakter +dieses seines Circulars gerade unsere Vertheidigung führe, da es nicht +auffallen kann, daß man mit Jemandem, dessen Seele sich so ausspricht, +als hier in diesem Circulare geschieht, leicht zerfallen könne<span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[109]</a></span> und +mit ihm nicht gut zu leben und zu wirken sein müsse. Hier jedoch eine +kurze Erwiderung.</p></blockquote> + +<p>Darauf folgt zunächst eine Erzählung der uns bereits bekannten Umstände, +daß er seit der Michaelismesse des vorigen Jahres seinen bisherigen +Gehülfen verloren habe u. s. w.; »noch nicht an das Mechanische dieses +Geschäfts gewöhnt und im Gedränge unserer sonstigen mannichfaltigen +Arbeiten, konnte es nicht anders sein, als daß in der Zwischenzeit +von Michaelis bis Ostern Manches nicht mit der Ordnung besorgt werden +konnte, die allerdings strenge genommen gefordert werden kann.« Er +habe trotzdem Ende April die Meßstrazzen an Reclam sowie die Noten der +Remittenden gesandt und ihn dadurch in den Stand gesetzt, wenigstens mit +allen Handlungen rechnen zu können. Dies sei aber großentheils nicht +geschehen und darüber ein Briefwechsel entstanden, »der von unserer +Seite vielleicht nicht ohne Heftigkeit (!), von der Seite des Herrn +Reclam mit roher Plumpheit (!) geführt wurde«. Leider ist dieser gewiß +auch für Brockhaus charakteristische Briefwechsel unsers Wissens nicht +erhalten, und ebenso wenig war es uns möglich, das betreffende Circular +Reclam's zu erhalten, dessen Fehlen uns verhindert, auch die andere +Partei zu hören.</p> + +<p>Brockhaus fährt fort:</p> + +<blockquote> + +<p>Wir eilten nun, alle Verhältnisse mit ihm abzubrechen, und wir +drangen mit Ungestüm auf Abrechnung und auf das Zurücksenden der +Bücher. Erstere erfolgte endlich gegen Ende Juli. Unser Soll und +Haben glichen sich ganz aus. Die Bücher aber haben wir erst den 9. +September, also vier Monate nach der Ostermesse, zurückerhalten!! +Diese unerhörte Vernachlässigung war für uns um so empfindlicher, da +wir, wie schon gesagt, ohne alle und jede detaillirte Berichte von +Herrn Reclam geblieben waren und wir uns ganz außer Stand gesetzt +sahen, irgendetwas zu unternehmen, was die Ausgleichung der offen +gebliebenen Contis <span class="antiqua">pro</span> und <span class="antiqua">contra</span> hätte befördern +können. Daß wir uns hierüber mit Nachdruck geäußert haben, wird +Jeder begreifen, der sich in unsere Lage hineindenken will, da +durch die Folgen des Betragens und der Geschäftsführung des Herrn +Reclam sich unser ganzes Sortimentsgeschäft aufzulösen drohte. Die +Entschuldigungen des Herrn Reclam, oder die Invectiven vielmehr, womit +er uns zu überschütten beliebt, sind ohne allen Grund: er war unser +Commissionär, nicht unser Chef. Er mußte entweder unser Geschäft +nach unsern Angaben und Aufträgen ausführen,<span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[110]</a></span> oder — es gleich +<em class="gesperrt">abgeben</em>. Dies hat er nicht gethan; wir sind gezwungen gewesen, +es ihm zu <em class="gesperrt">nehmen</em>.</p> + +<p>So weit unsere Antwort durch <em class="gesperrt">Worte</em>. Jetzt die durch die +<em class="gesperrt">That</em>. Wir haben am 9. September unsere Bücher zurückerhalten. +Zwölf Tage nachher ging der Chef unserer Handlung schon wieder nach +Leipzig. Es war natürlich unmöglich, in dieser Zwischenzeit von Hause +aus etwas zur finalen Ausgleichung der für und gegen offenstehenden +Rechnungen zu thun. Es wird dies jetzt zur Messe geschehen: wir werden +alle noch restirenden Saldi rein und baar abbezahlen, sollte auch an +uns, die weit mehr zu empfangen als zu zahlen hatten, kein einziger +Pfennig hier eingehen.</p> + +<p>Jetzt beurtheile jeder rechtliche Mann das Betragen des Herrn Reclam +gegen uns, und Ton und Farbe seines Circulares!</p> + +<p>Wir haben uns hier an eine trockene Darstellung der Thatsachen +gehalten; wir achten uns zu sehr, um die Invectiven des Herrn Reclam +mit gleichen zu beantworten. Wir trauen es auch wenigstens seinem +eigenen Verstande zu, daß er — um uns hier milde auszudrücken — +seine Leidenschaftlichkeit und Unvorsichtigkeit erkennen, und darüber +nicht ohne Schamgefühl bleiben werde.</p></blockquote> + +<p>Wie die Angelegenheit mit Reclam geordnet wurde, ist uns nicht bekannt; +wir wissen nur, daß zunächst der Buchhändler Johann August Gottlob +Weigel an Reclam's Stelle die leipziger Commission für Brockhaus +übernahm. Letzterer sagt in dem ersten aus Leipzig an Bornträger nach +Amsterdam geschriebenen Briefe vom 4. October: »Ich habe meiner Frau +über die wichtigsten Angelegenheiten direct geschrieben; sie wird +Ihnen das mittheilen, und ich beziehe mich darauf, um mich nicht zu +wiederholen, wozu es mir an Zeit fehlt.« Dieser Brief an seine Frau ist +aber leider nicht mehr vorhanden.</p> + +<p>Dagegen ist von dieser ersten Geschäftsreise nach Leipzig ein Actenstück +erhalten, dessen Gegenstand von der größten Wichtigkeit für sein ganzes +Leben wurde: der Contract über den Ankauf des »Conversations-Lexikon«.</p> + +<p>Brockhaus ist nicht sozusagen der »Erfinder« des +»Conversations-Lexikon«, wie Viele meinen; es hat vor seiner Zeit in +der deutschen wie in mancher andern Literatur ähnliche Werke gegeben, +und selbst dasjenige »Conversations-Lexikon«, das zum Grundstein seines +nach harten Schicksalsprüfungen endlich festbegründeten Hauses wurde und +seitdem den Mittelpunkt der umfassenden Verlagsthätig<span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[111]</a></span>keit desselben +gebildet hat, ist nicht von ihm selbst begonnen worden, sondern war in +der ersten Auflage bereits fast ganz vollendet, als er es ankaufte, +wie auch der Name »Conversations-Lexikon« nicht von ihm herrührt. Und +dennoch ist er als der eigentliche Begründer des Werks anzusehen und +gilt auch in der deutschen Literatur mit Recht als solcher, da er erst +durch seine Energie, Intelligenz und Umsicht dasselbe zu dem machte, +was es für ihn, für sein Geschäft und für die Welt geworden ist. Wenn +es überhaupt bei buchhändlerischen Unternehmungen viel weniger auf die +erste Idee, als auf die geschickte und praktische Ausführung derselben +ankommt, so trifft dies besonders in diesem Falle zu.</p> + +<p>Dasjenige Werk, welches in den Verlagskatalogen der Firma F. A. +Brockhaus als die erste Auflage ihres »Conversations-Lexikon« +bezeichnet ist, mit den spätern Auflagen desselben aber nicht viel mehr +noch als den Titel gemein hat, wurde im Jahre 1796 unter dem Titel: +»Conversations-Lexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen +Zeiten«, begonnen. Der (übrigens nicht genannte) Herausgeber war ein +sonst nicht weiter bekannter <span class="antiqua">Dr.</span> Renatus Gotthelf Löbel in +Leipzig (geb. 1. April 1767 zu Thallwitz bei Eilenburg, gest. 14. oder +4. Februar 1799 zu Leipzig), der Verleger Friedrich August Leupold +daselbst. In der Vorrede ist gesagt: Vor 30, 40 Jahren habe Hübner's +»Zeitungs- und Conversations-Lexikon« hingereicht, das Bedürfniß +nach politischen Kenntnissen, die damals fast allein Gegenstand der +Conversation gewesen, zu befriedigen; jetzt aber, wo »ein allgemeineres +Streben nach Geistesbildung, wenigstens nach dem Scheine derselben« +herrsche, sei »ein dem gegenwärtigen Umfange der Conversation +angemessenes Wörterbuch« nothwendig. Am Schlusse heißt es, daß der +Verleger, um auch das »schöne Geschlecht« auf das Werk aufmerksam +zu machen, dasselbe auch unter dem Titel: »Frauenzimmer-Lexikon zur +Erleichterung der Conversation und Lectüre«, ausgeben werde, doch +scheint dies nicht geschehen zu sein. In den Jahren 1796-1800 erschienen +die vier ersten Theile, also kaum jedes Jahr ein Theil. Das Werk war +damit erst bis zum Ende des Buchstaben R gediehen und schien unvollendet +bleiben zu sollen. Endlich, nach einer Pause von sechs Jahren, 1806, +wurde der fünfte Theil bei einem andern<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[112]</a></span> Verleger, Johann Karl Werther +in Leipzig, und wieder zwei Jahre später, 1808, abermals bei einem neuen +Verleger, Johann Gottfried Herzog in Leipzig, der sechste und letzte +Theil veröffentlicht. Vor der Ausgabe desselben hatte indeß bereits +Brockhaus das Werk gekauft, jedoch nicht von dem letzten, auch auf dem +Titel genannten Verleger Herzog, sondern von dem Buchdrucker Friedrich +Richter in Leipzig. Dieser, der Besitzer des Leipziger Tageblattes, +hatte vermuthlich das Werk gedruckt und an Zahlungsstatt behalten +müssen; kein Wunder, daß er es gern wieder abgab, als sich ein Käufer +fand.</p> + +<p>Der darüber abgeschlossene Kaufcontract trägt das Datum des 25. October +1808. Das Werk war schon bis zur ersten Hälfte des sechsten (letzten) +Theils gedruckt und ausgegeben; es fehlte nur noch die zweite Hälfte +(das zweite Heft) desselben und der Verkäufer machte sich selbst bei +einer Conventionalstrafe von 100 Thalern verbindlich, dieses Heft, +das 16, höchstens aber 20 Bogen umfassen und das Werk zu Ende führen +sollte, bis zum 5. December desselben Jahres an den Käufer abzuliefern. +Wir stehen nicht an, ohne Rücksicht auf das in solchen Angelegenheiten +herrschende Geschäftsgeheimniß, die Kaufsumme zu nennen, für die +Brockhaus das »Conversations-Lexikon«, die gesammten (freilich wol +nicht bedeutenden) Vorräthe des Werks »mit allen Verlags- und sonstigen +Rechten« erwarb. Sie betrug 1800 Thaler, die in vier Terminen bezahlt +werden sollten: blos 100 Thaler sofort, 500 Thaler Ende Februar, je +600 Thaler zur Oster- und Michaelismesse des nächsten Jahres. Diese +Summe erscheint sehr klein gegenüber der großen Verbreitung, die das +Werk erlangt hat, und ist es auch in der That, selbst wenn man dabei +den damaligen höhern Werth des Geldes in Anschlag bringt. Indeß darf +dabei nicht übersehen werden, daß diese Verbreitung wesentlich das +Verdienst des neuen Besitzers, nicht der dem Werke zu Grunde liegenden +Idee war, deren ausschließliches Verlagsrecht er nicht erwerben konnte, +wie sie ja vor wie nach ihm von so Manchem, freilich meist mit weniger +Geschick und geringerm Erfolge, und vorzugsweise allerdings erst +nach seinem Vorgange und mit offener oder versteckter Nachahmung und +Benutzung seines Werks, ausgebeutet wurde. Ferner war es (und ist es +noch gegenwärtig) bei diesem Werke<span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[113]</a></span> nicht wie bei andern sogenannten +»guten« Verlagsartikeln mit dem einfachen Abdruck eines druckfertigen +Manuscripts gethan, sondern dasselbe verlangte Umsicht in der geistigen +Herstellung, Thatkraft und Geschick in dem Vertriebe, vor allem aber +bedeutende Herstellungskosten, da es zunächst durch Nachträge, auf zwei +Bände berechnet, vervollständigt und eine völlige Neubearbeitung des +Ganzen sofort ins Auge gefaßt werden mußte. Endlich ist die genannte +Summe gegenüber den damaligen Vermögensverhältnissen des erst seit drei +Jahren etablirten und doch bereits durch zahlreiche und umfangreiche +Verlagsunternehmungen in Anspruch genommenen Verlegers, sowie bei dem +bisherigen geringen Erfolge des Werks, das schon viermal den Besitzer +gewechselt hatte, durchaus keine geringe zu nennen. Jedenfalls machte +ihm keine der damaligen großen Verlagshandlungen in Leipzig oder im +übrigen Deutschland den Besitz des ihnen lange bekannten Werks streitig +und hatte den Muth und das Vertrauen, dieselbe oder eine höhere Summe +dafür zu zahlen.</p> + +<p>Gleichzeitig mit dem Contracte über den Ankauf des Werks hatte +Brockhaus (am 16. November 1808) einen Vertrag mit dem »Redacteur und +Herausgeber der letzten Bände des bei Leupold und zuletzt bei Herzog +erschienenen Conversations-Lexikon«, dem Advocaten Christian Wilhelm +Franke zu Leipzig, abgeschlossen. In diesem Vertrage wurde derselbe +Schlußtermin für Ablieferung des Manuscripts wie in dem Contracte mit +Richter für Vollendung des Drucks und Ablieferung der fertigen Exemplare +festgesetzt, nämlich der 5. December des laufenden Jahres, nur ohne +Conventionalstrafe und mit eventueller Verlängerung um — drei Tage: +»nach und nach bis zum 5., spätestens 8. December dieses Jahres, sodaß +der Druck in ungefähr derselben Zeit beendet werden kann«. Der Verleger +wird wol noch manchmal die Erfahrung gemacht haben, daß solche Termine +mit oder ohne Conventionalstrafe nicht gerade auf den Tag eingehalten +zu werden pflegen und oft nicht eingehalten werden können, wie es auch +diesmal schwerlich der Fall war. Außerdem wurde in diesem Vertrage +bestimmt, daß der Redacteur die (schon von den frühern Verlegern +beabsichtigten) Nachträge zu dem Werke in zwei Bänden zu je 30 Bogen +sofort in Angriff nehmen und das Manuscript zum ersten Bande (A-M) +bis Ende<span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[114]</a></span> April, zum zweiten Bande (N-Z) bis Michaelis 1809 abliefern +solle. Als Honorar erhielt der Redacteur, wie bisher, für den Druckbogen +8 Thaler, wofür er, wie es scheint, das Manuscript ganz druckfertig +herzustellen, also auch etwaige Mitarbeiter zu entschädigen hatte — +ebenfalls ein nicht eben kleiner Unterschied gegen die Honorare, die +heutigentags bei diesem Werke und ähnlichen Verlagsunternehmungen +gezahlt werden!</p> + +<p>Brockhaus' eigene Thätigkeit bei dieser Vervollständigung der ersten +Auflage des Conversations-Lexikon ist im Zusammenhange mit dem +Verdienste, das er sich überhaupt um dieses Werk und namentlich um die +spätern Umarbeitungen desselben erworben, an einer spätern Stelle zu +schildern. Hier sei nur noch erwähnt, daß der erste Band der »Nachträge« +1809, der zweite Band 1811 erschien und Brockhaus sofort auch (1809) das +Werk unter einem neuen, etwas veränderten Titel versandte. Er nannte +es: »Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch für die in +der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten +vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse +der ältern und neuern Zeit.«</p> + +<p>Auffallenderweise findet sich in Brockhaus' Briefen aus diesem und +den nächsten Jahren keine einzige Aeußerung über den für ihn doch so +wichtigen Ankauf des »Conversations-Lexikon«. Seine Correspondenz ist +indeß leider auch aus dieser Zeit nur theilweise erhalten und so kann +man daraus nicht folgern, daß er dem Unternehmen anfangs selbst keine +große Wichtigkeit beigelegt habe.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Wie lange Brockhaus seinen ersten Besuch Leipzigs als Buchhändler +ausgedehnt, ist nicht genau bekannt; am 16. November (1808) war er +jedenfalls noch dort, da an diesem Tage der Vertrag mit Advocat +Franke in Leipzig von ihm unterzeichnet wurde. Vermuthlich ist +er entweder im December 1808 oder aber erst im Februar 1809 nach +Amsterdam zurückgekehrt. Er schreibt aus Amsterdam vom 27. Februar +1809 an Bornträger: »Durch die Störungen vom December an bis zu meiner +Zurückkunft in diesem Monat sind wir auch wol um einen Monat mit den +Rechnungen hintenausgesetzt, wie Sie wol denken können.« Dieser Brief +ist<span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[115]</a></span> nach Leipzig gerichtet, wo Bornträger sich seit kurzem befand, +und die »Störungen«, von denen die Rede ist, beziehen sich wol auf +dessen Abreise aus Amsterdam, die weniger durch geschäftliche als durch +persönliche Verhältnisse Bornträger's veranlaßt worden zu sein scheint.</p> + +<p>Bornträger mußte nämlich plötzlich aus Amsterdam flüchten, um der Gefahr +zu entgehen, als Conscriptionspflichtiger in das Militär eingereiht zu +werden. So unangenehm dies gewiß auch für Brockhaus war, der in ihm +endlich einen fähigen und zuverlässigen Gehülfen gefunden, so wußte er +doch sofort mit der ihm eigenthümlichen Umsicht und Thatkraft aus der +Noth eine Tugend zu machen: er behielt Bornträger in seinen Diensten +und veranlaßte ihn nach Leipzig zu gehen, um dort seine Geschäfte zu +besorgen, deren immer wachsende Bedeutung ohnedem neben dem dortigen +Commissionär eine directe Vertretung in Leipzig wünschenswerth machte. +Bornträger nahm dort den Namen Friedrich Schmidt an, um allen weitern +Unannehmlichkeiten zu entgehen, und blieb daselbst als Brockhaus' +Bevollmächtigter mit kurzen Unterbrechungen vom Februar 1809 bis August +1810. Dieser Aufenthalt Bornträger's in Leipzig war nicht nur für die +geschäftlichen Angelegenheiten seines Principals sehr förderlich, +sondern er hat nebenbei auch das Gute gehabt, daß er Veranlassung zu +einem lebhaften Briefwechsel zwischen Beiden gab, in welchem sich +Brockhaus in der eingehendsten und offensten Weise, wie man es nur +einem vertrauten Gehülfen und Freunde gegenüber thut, über seine +geschäftlichen und persönlichen Verhältnisse aussprach. Diese Briefe +von Brockhaus an Bornträger, die dann noch bis Anfang 1811 fortgesetzt +wurden, nachdem der Aufenthaltsort Beider seit Mitte 1810 sich geändert +hatte, sind glücklicherweise vollständig erhalten geblieben, da sie der +Adressat als eine theuere Erinnerung sorgfältig aufbewahrte und im Jahre +1862 der Verlagshandlung übergab. Sie bilden die hauptsächlichste Quelle +für die Lebensgeschichte von Brockhaus in den Jahren 1808-1811, deren +Darstellung ohne sie fast unmöglich gewesen wäre.</p> + +<p>Gleich jener eben erwähnte erste Brief, den Brockhaus nach Leipzig an +Bornträger richtete, enthält charakteristische Aeußerungen<span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[116]</a></span> und zeigt, +wie offen, vertrauend und zugleich wie väterlich er sich gegen den +jungen Gehülfen ausspricht. Er schreibt:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe dies Jahr weit geringere Engagements als die vorigen +Jahre und, so Gott will, werde ich noch vor der Ostermesse so +ziemlich im Stande sein, Alles oder doch das Meiste zu reguliren +.... Allerdings muß man suchen, den edlen vortrefflichen Friedrich +Christian Richter<a name="FNAnker_31_31" id="FNAnker_31_31"></a><a href="#Fussnote_31_31" class="fnanchor">[31]</a> zu erhalten. Sie kennen mich, mein Gemüth, meinen +Charakter! Am Wollen wird es nie fehlen. Am Können auch nicht, sobald +die Störungen, wie sie der Krieg und solche schlechte Leute wie ... +u. s. w. mir immer verursacht, nicht mehr statthaben. Ich werde alles +Ersinnliche thun, um mehrere Widersacher zu beschämen, und schmeichle +ich mir, daß es uns in keiner Hinsicht dazu an Kräften mangelt .... +Suchen Sie durch Ruhe, Anstand, Würde im Betragen günstig auf die +Leute zu wirken. Es thut dies sehr viel. Der elende ... verdarb Alles +durch seine Pinselhaftigkeit. Treten Sie aber allenthalben leise auf. +Nirgends Prahlen oder Großthun. Stille und bescheiden immer. Das ist +ja auch Ihr guter und liebenswürdiger ursprünglicher Charakter, den +ich, wie Sie wissen, mit Innigkeit verehre.</p></blockquote> + +<p>Uebrigens kam Brockhaus trotz Bornträger's Anwesenheit in Leipzig +schon zur Ostermesse 1809 wieder dorthin, diesmal aber nur für kürzere +Zeit, denn am 15. Juni bereits war er wieder in Amsterdam. Vom 8. Mai +liegt uns ein Contract über eine von Brockhaus in Leipzig gemiethete +Niederlage vor; der Vermiether hieß Johann Georg Bering aus Naumburg, +und die Niederlage, wol die erste, die er in Leipzig besaß, befand sich +im Deutrich'schen Hause auf der Reichsstraße.</p> + +<p>In dieser Zeit wurde er in Leipzig durch Johann Friedrich Pierer aus +Altenburg zuerst mit dem Kammerverwalter Ludwig bekannt, der später +einer seiner vertrautesten Freunde werden sollte. Derselbe lebte in +Altenburg in einem literarisch und künstlerisch sehr regsamen Kreise und +trat auch selbst als Schriftsteller auf.</p> + +<p>Brockhaus schreibt an ihn aus Leipzig vom 12. Mai 1809:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich rechne die Stunden, welche ich in dieser Messe an Ihrer Seite +und in Ihrer Unterhaltung verlebt und verplaudert, mit zu den<span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[117]</a></span> +angenehmsten meines Lebens, und ich bedaure es unendlich, daß erst +so spät unsere Bekanntschaft etwas genauer wurde. Ich beschwöre Sie, +mit der Herausgabe Ihrer Ansichten und Bemerkungen zu eilen, und +ohne meinen Freunden Gräff und Nauck im mindesten zu nahe treten zu +wollen, füge ich nur noch die Versicherung hinzu, daß, im Fall diese +aus irgendeiner Ursache diese Herausgabe möchten hinhalten oder +hinaussetzen wollen, meine Handlung bereit sein würde, darin jeden +Ihrer Wünsche zu befriedigen.</p> + +<p>Auf jeden Fall habe ich aber doch noch eine Bitte an Sie, die Sie +mir, ich hoffe es, nicht abschlagen werden.</p> + +<p>Die Hofräthin Spazier hier in Leipzig gibt im Verlage meiner +Handlung noch in diesem Jahre ein neues Taschenbuch heraus unter dem +Titel »Urania«. Es haben sich die ausgezeichnetsten Männer und Frauen +(Jean Paul, Mahlmann, Kind, Böttiger, Seume, Frau von Ahlefeldt, +Luise Brachmann und viele Andere) an sie angeschlossen, und dieses +Taschenbuch wird in allen Hinsichten mit den vorzüglichsten wetteifern +und sie selbst zu übertreffen suchen.</p> + +<p>Ob die Herausgeberin gleich bereits viel mehr Aufsätze hat, als sie +im ersten Jahrgang aufnehmen kann, so wird sie doch auf mein Ersuchen +noch für einen Beitrag von Ihnen Raum finden, wenn Sie uns damit +beehren wollen.</p> + +<p>Ich ersuche Sie darum im Namen der Herausgeberin und in meinem +eigenen Namen. Irgendein oder mehrere Fragmente Ihrer Reise würden uns +dazu die liebsten sein. Hätten Sie aber auch sonst noch irgendetwas in +Ihrem Portefeuille, was Sie uns zu diesem Gebrauch mittheilen wollen, +so würden wir solches dankbar annehmen.</p> + +<p>Ich bleibe noch bis künftigen Sonnabend (vor Pfingsten) hier. Wäre +es Ihnen möglich, bis dahin mir mit einigen Zeilen zu antworten, oder +gar mir bereits dasjenige wirklich zu senden, was Sie uns möchten +bestimmen wollen, so würden Sie mich unendlich verbinden.</p> + +<p>Meine Idee, vielleicht über Altenburg selbst zurückzureisen, kann +ich leider nicht ausführen, da es in einer ganz andern Richtung liegt, +als ich mir gedacht hatte.</p></blockquote> + +<p>Ein zweiter Brief an denselben, vom 22. Mai, lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich reise diesen Abend zurück nach den Ufern der Amstel. Vorher aber +noch ein paar Worte zur Antwort auf Ihren gütigen Brief vom 17. dieses.</p> + +<p>Sollte Gräff Ihr Manuscript nicht für den jetzigen Augenblick +gleich übernehmen wollen, so übernehme ich es gerne, um es Michaelis +zu liefern. Gräff muß aber freiwillig davon zurückstehen, und er +muß über das ganze Arrangement und über die Entstehung desselben +reine<span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[118]</a></span> unterrichtet werden. Er ist zu sehr mein Freund, als daß +ich um irgendeinen Preis ihm nur Unzufriedenheit mit mir einflößen +möchte. Tritt er aber freiwillig zurück, und wollen Sie es mir dann +anvertrauen, so bitte ich Sie, das Manuscript baldmöglichst hiehin +nach Leipzig zu senden, an untenverzeichnete Adresse. Ich erhalte +es dann zur Post nach Amsterdam und sorge für schönen und eleganten +Druck, wie dies bei allen unsern Verlagsartikeln der Fall ist.</p> + +<p>Die nähern Bedingungen erlauben Sie mir seiner Zeit nach Kenntniß +der Sache selbst zu bestimmen.</p> + +<p>Da in diesem Falle der Kalender<a name="FNAnker_32_32" id="FNAnker_32_32"></a><a href="#Fussnote_32_32" class="fnanchor">[32]</a> mit dem Buche gleichzeitig +erscheinen würde, so dürfte eine Ausstellung aus demselben allerdings +nicht passend sein. Wollen Sie der Frau Hofräthin Spazier indessen +sonst etwas aus Ihrem Portefeuille mittheilen, so wird sie es gewiß +mit Vergnügen aufnehmen. Auch kleine Gedichte gehören allerdings in +ihren Plan. Ihre Adresse ist auf der Post bekannt genug, und also blos +einfach: an die Frau Hofräthin Spazier.</p> + +<p>Nun, auf alle Fälle beehren Sie mich mit Ihrer gütigen Antwort. +Leben Sie wohl bis zum Wiedersehen. Möge es unter glücklichern +Aussichten sein, als wir uns diesmal hier sahen.</p></blockquote> + +<p>Brockhaus war damals oder schon im Herbst 1808 mit der Hofräthin Spazier +bekannt geworden und hatte mit ihr die Herausgabe eines Taschenbuchs +unter dem Titel »Urania« verabredet; dieses bekannte Sammelwerk erschien +zum ersten male für das Jahr 1810. Die Herausgeberin wird uns später +noch näher und in anderer Weise entgegentreten.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Außer mit der »Urania« und dem »Conversations-Lexikon« beschäftigte sich +Brockhaus in dieser Zeit auch noch mit manchen andern Verlagsartikeln +größern oder geringern Umfangs und entwickelte dabei fortwährend die +regste Thätigkeit. Die bekannten Schriften Massenbach's erschienen meist +im Jahre 1809, ebenso der erste Band von Sprengel's »<span class="antiqua">Institutiones +medicae</span>« und Villers' »<span class="antiqua">Coup d'œil sur l'état actuel de la +littérature ancienne et de l'histoire en Allemagne</span>«. Neben diesen +schon früher von uns erwähnten Werken verlegte er in dieser Zeit +besonders noch drei andere: erstens »Die Hebräerin am Putztische und +als Braut«, von<span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[119]</a></span> dem mit ihm bereits durch eine Uebersetzung Dschami's +in Verbindung getretenen Schriftsteller Anton Theodor Hartmann (3 +Theile, Amsterdam 1809-10), ein damals sehr geschätztes Buch, das +ein Seitenstück zu Karl August Böttiger's 1803 erschienenem Werke: +»Sabina oder Morgenscenen einer reichen Römerin«, bilden sollte; +ferner »Ansichten von der Gegenwart und Aussicht in die Zukunft« von +Friedrich August Koethe, dem bekannten theologischen Schriftsteller +(geb. 1781 zu Lübben, gest. 1850 zu Allstädt), von dem später noch +mehrere Werke in seinem Verlage erschienen, ein religiös-politisches +Werk von patriotischem Schwunge, »dem gesammten, untheilbaren theuern +deutschen Vaterlande geweiht«; drittens »Grundzüge der reinen Strategie, +wissenschaftlich dargestellt« von August Wagner (geb. 1777 zu +Weißenfels, erst österreichischer, dann preußischer Offizier, gest. 1854 +zu Berlin als Generalmajor), ein werthvolles kriegswissenschaftliches +Werk.</p> + +<p>Endlich schloß Brockhaus in diesem Sommer noch mehrere wichtige +Verlagscontracte ab.</p> + +<p>Am 3. Juli einigte er sich mit dem verdienstvollen Begründer der +wissenschaftlichen deutschen Bibliographie, Johann Samuel Ersch (geb. +1766 zu Großglogau, Professor und Oberbibliothekar in Halle, gest. +daselbst 1828), über dessen berühmtes »Handbuch der deutschen Literatur +seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit«, das +wesentlich von Brockhaus veranlaßt und hervorgerufen wurde; dasselbe +erschien indeß erst später (2 Bände in je 4 Abtheilungen, Amsterdam +und Leipzig 1812-14; neue Ausgabe [zweite Auflage], 4 Bände in je 2 +Abtheilungen, Leipzig 1822-27).</p> + +<p>Am 13. Juli unterzeichnete er einen Contract mit dem bekannten +Jugendschriftsteller Jakob Glatz (geb. 1776 zu Poprad in Ungarn, erst +Lehrer in Schnepfenthal, dann evangelischer Geistlicher in Wien, gest. +1831 zu Preßburg) über dessen rühmlichst bekannt gewordenes Werk: »Die +Familie von Karlsberg oder die Tugendlehre. Anschaulich dargestellt in +einer Familiengeschichte. Ein Buch für den Geist und das Herz der Jugend +beiderlei Geschlechts«, das bald darauf auch ausgegeben wurde (2 Theile, +Amsterdam 1810; zweite Auflage, 2 Bände, Leipzig 1829).</p> + +<p>Zwei Tage darauf, am 15. Juli, schloß er noch einen Verlags<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[120]</a></span>contract, +der aber nicht zur Ausführung kam: mit Geh. Rath Sigismund Hermbstaedt +in Berlin über ein »Technologisches Handwörterbuch«, das in zwei starken +Bänden erscheinen sollte.</p> + +<p>Die Jahreszahl 1810 tragen außer dem Werke von Jakob Glatz und dem +ersten Jahrgange der »Urania« noch folgende drei, ebenfalls im Jahre +1809 von Brockhaus verlegte Werke: »Ueber die Mittel, den öffentlichen +Credit in einem Staate herzustellen, dessen politische Oekonomie +zerstört worden ist«, von Herrenschwand, einem wenig bekannten +staatswirthschaftlichen Schriftsteller, nach dem Französischen deutsch +herausgegeben von dem Obersten von Massenbach; zweitens »Vertraute +Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen +Staaten zu Ende des Jahres 1808 und zu Anfang 1809« von Johann +Friedrich Reichardt, dem bekannten Componisten und Musiktheoretiker, +scharfe Beobachtungen über die musikalischen, literarischen und +gesellschaftlichen Zustände Wiens enthaltend; drittens der erste +Band der deutschen Bearbeitung eines Geschichtswerks des englischen +Historikers William Coxe (geb. 1747, gest. 1828): »Geschichte des +Hauses Oestreich von Rudolph von Habsburg bis auf Leopold des Zweiten +Tod, 1218-1792«, herausgegeben von Hans Karl Dippold und Adolf Wagner +(der zweite Band erschien 1811, der dritte und vierte erst 1817), für +welche sich unter anderm Freiherr von Hormayr sehr interessirte und die +in Oesterreich selbst solchen Beifall fand, daß man dort 1817 einen +Nachdruck derselben veranstaltete.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Ueberblickt man diese Reihe von Verlagswerken, die Brockhaus in den +ersten Jahren seiner buchhändlerischen Wirksamkeit übernahm, so muß +man ebenso sehr den vielseitigen Geist, das Geschick und das feine +Verständniß für den Geschmack und die Bedürfnisse des Publikums, wovon +er dadurch Beweise gab, anerkennen, wie man über seinen Muth und sein +Selbstvertrauen staunen muß.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[121]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter2-6" id="Chapter2-6">6.</a> +<br /> +Zerwürfnisse mit Baggesen. +</h3> + +<p class="start-chap">Außer durch seine umfassende Verlegerthätigkeit wurde Brockhaus während +der Jahre 1808 und 1809 geistig und gemüthlich vielfach durch eine +Angelegenheit in Anspruch genommen, die ihn zwar zunächst auch als +Verleger benachtheiligte, aber weit mehr innerlich afficirte. Es waren +dies Zerwürfnisse mit Jens Baggesen, dem ausgezeichneten, aber zugleich +übermäßig eiteln und empfindlichen Dichter, die ein Beispiel liefern, +daß es auch Mishandlungen eines Verlegers durch einen Schriftsteller +gibt, während die Literaturgeschichte meist nur von umgekehrten Fällen +zu berichten pflegt.</p> + +<p>Die Kenntniß der nähern Umstände dieses literarischen Streits (den +wir eingehender darstellen zu sollen glaubten, als vielleicht der +Gegenstand, um den es sich handelte, es erheischte, weil er für +Brockhaus' Verhalten in solchen Angelegenheiten charakteristisch ist) +verdanken wir einem längern Briefwechsel, den Brockhaus darüber mit +dem bekannten französischen Gelehrten Fauriel führte.<a name="FNAnker_33_33" id="FNAnker_33_33"></a><a href="#Fussnote_33_33" class="fnanchor">[33]</a> Dieser hatte +Baggesen's »Parthenais«, die 1808 von Brockhaus in neuer Ausgabe verlegt +wurde, nachdem das Gedicht zuerst 1804 bei einem andern Verleger +(Vollmer in Hamburg und Mainz) erschienen war, ins Französische +übersetzt, und seine Uebersetzung erschien unter dem Titeln »<span class="antiqua">La +Parthénéide. Poëme de M. J. Baggesen. Traduit<span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[122]</a></span> de l'allemand</span>«, aber +ohne seinen Namen, ebenfalls bei Brockhaus (Amsterdam 1810, gleichzeitig +eine pariser Firma: Treuttel & Würtz, auf dem Titel tragend).</p> + +<p>Claude Charles Fauriel war 1772 zu St.-Etienne (Loire) geboren, lebte +meist in Paris und starb daselbst 1844; er hat zahlreiche ausgezeichnete +geschichtliche und literarhistorische Arbeiten geliefert, wie unter +anderm aus einem ihm von Sainte-Beuve in der »<span class="antiqua">Revue des deux +mondes</span>« (1845) gewidmeten Essay hervorgeht. Besonders interessirte +er sich auch für die deutsche Literatur und erwarb sich gleich Villers +das Verdienst, seine Landsleute mit derselben bekannt zu machen.</p> + +<p>Brockhaus war, wie wir bereits berichtet haben, im Sommer 1806 mit +Baggesen in Amsterdam, das dieser auf seinen häufigen Reisen öfters +besuchte, bekannt geworden und hatte mit ihm schon damals nicht nur über +die »Parthenais«, sondern fast gleichzeitig (am 21. Juni) auch über +eine Sammlung seiner Briefe einen Contract abgeschlossen. Der Umfang +des letzten Werks war nicht festgesetzt, sondern nur bestimmt worden, +daß die Verleger (damals noch Rohloff & Comp.) sich verpflichteten, die +Briefe »bandweise herauszugeben nach Bequemlichkeit des Verfassers, +der sie zu keinem bestimmten Termine unbedingt versprechen kann, den +ersten Band ausgenommen«; das Manuscript des letztern sollte »erst +nach Verlauf von vier Wochen <span class="antiqua">a dato</span>«, also eigentlich am 21. +October 1806, abgeliefert werden — das Werk erschien aber erst 25 Jahre +später, 1831, als beide Contrahenten längst gestorben waren! Als Honorar +wurden 4 Louisdor per Druckbogen, »unmittelbar nach der Ablieferung des +Manuscripts zu zahlen«, festgesetzt.</p> + +<p>Im darauffolgenden Sommer (1807) war Baggesen wieder in Amsterdam, und +der beste Beweis seiner freundschaftlichen Beziehungen zu Brockhaus +liegt wol darin, daß er bei dessen viertem Sohne Max Pathenstelle +vertrat. Auch wurde in dieser Zeit (am 16. Juli) zwischen Beiden ein +neuer Contract über Baggesen's neueste Gedichte abgeschlossen, die 1808 +unter dem Titel »Heideblumen« erschienen.</p> + +<p>Aus dieser Zeit datirt der einzige uns bekannte Brief Baggesen's an +Brockhaus, am 1. August 1807 (also kurz nach seiner Abreise<span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[123]</a></span> aus +Amsterdam) in Marly bei Paris, wo Baggesen damals wohnte, geschrieben, +der ebenfalls Zeugniß von ihrem herzlichen Verhältnisse gibt. Baggesen +schreibt:</p> + +<blockquote> + +<p>Indem ich mein Packet an Sie abschicken will, erhalte ich Ihren +Brief, mein Theuerster, vom 27. — und ich kann nicht umhin, das +Packet wieder zu öffnen, um meinen herzlichen Dank dafür mit +hineinzulegen.</p> + +<p>Ich bin während acht Tagen im strengsten Sinne des Worts nicht +von der Seite meiner holdseligen Fanny und des kleinen vollkommenen +Engels Paul gewichen — es schienen mir acht Minuten. Erst in den zwei +letzten Tagen habe ich des Morgens, bevor sie erwacht, angefangen +wieder zu arbeiten.</p> + +<p>Dank für Ihr warmes Interesse für das herrliche Weib, dessen höhere +Bedeutung ich sogleich, noch ehe ich wußte, daß sie Künstlerin sei, +wahrnahm. Sie schätzt Sie hoch und ist Ihnen und Ihrer holden Frau +herzlich ergeben. Gönnen Sie ihr öfters Ihren balsamischen, in +Amsterdam unschätzbaren Umgang! Ich kann ihr, ihrem Mann und ihrem +herrlichen Sohn noch nicht schreiben — weil ich, zu betäubt und +entzückt vom glücklichen Wiedersehen, Niemandem ein vernünftiges Wort +schreiben kann — und weil ich vor dem Empfang des Portraits von Ary +nicht schreiben will. Dieses erwarte ich mit Ungeduld, sowie die +Cramer'schen Musikalien, und die Recension, die schwerlich von Voß ist +....</p> + +<p>Mit den »Heideblumen« wird es rasch gehen. Und die »Briefe« und die +»Dichterwanderungen« werden folgen. Wahrlich, das alles interessirt +mich von ganzer Seele. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob ich wirklich +wieder nach Norden kehre — doch lassen Sie sich noch keinen Zweifel +darüber merken!</p> + +<p class="signature">Ihr Baggesen.</p> +</blockquote> + +<p>Die hier erwähnte Künstlerin ist jedenfalls die Mutter Ary Scheffer's, +Cornelia, die nebst ihrem Manne zu dem nächsten Umgange Brockhaus' +gehörte und Baggesen also wahrscheinlich erst bei diesem kennen gelernt +hatte.</p> + +<p>Die neben den »Briefen« noch genannten »Dichterwanderungen« waren ein +zweites Project Baggesen's, das ebenso wenig als jenes erstere zur +Ausführung kam. Er hatte darüber mit Brockhaus zwar keinen schriftlichen +Contract abgeschlossen, ihm das Werk aber wiederholt schriftlich und +mündlich versprochen, wie aus einem weiter unten folgenden Briefe +ersichtlich ist.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[124]</a></span></p> + +<p>Wir lassen nun die Briefe von Brockhaus an Fauriel ihrem Hauptinhalte +nach folgen, auch diejenigen Stellen, welche andere Angelegenheiten +betreffen, da sie für die literarischen oder persönlichen Verhältnisse +des Briefschreibers theilweise von hohem Werthe sind.</p> + +<p>Der erste, Amsterdam 15. November 1807 datirt, lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe allerdings eine recht große Schuld gegen Sie, daß ich +Ihren so gütigen und freundschaftlichen Brief, den ich durch die +Vermittelung des Herrn Cramer erhielt — gar nicht, daß ich Ihren +letzten Brief auch erst jetzt beantworte. Entschuldigen, hoffe ich, +werden Sie mich, wenn Sie den etwas nähern Zusammenhang, die Ursachen +hören werden, die mein Stillschweigen veranlaßten.</p> + +<p>Ihr erster Brief hatte die hauptsächliche Tendenz, mir die +Ursachen zu entwickeln, warum eine partielle Bekanntmachung der +»<span class="antiqua">Parthénéide</span>« nicht frommen und nützen könne. Ihren Gründen +gebe ich meine Beistimmung, da sie mir ebenfalls entscheidend +vorkamen, und ich that auf den Wunsch dazu Verzicht. Er enthielt +weiter eine Angabe der Schwierigkeiten, die sich der gänzlichen +Vollendung Ihrer Uebersetzung entgegenstellten, da Sie Aenderungen +für nothwendig hielten, welche Sie jedoch ohne Zustimmung und +Zuratheziehung des Verfassers nicht eigenwillig zu übernehmen wagten. +Auch in diesem Punkte konnte ich meine Beistimmung und Genehmigung +nicht versagen. Solange indessen das Manuscript nicht ganz vollendet +war, konnte nicht an Bekanntmachung des Werkes selbst gedacht +werden; diese Vollendung hing von Baggesen's Zurückkunft ab: dieser +Zurückkunft sah ich acht Monate lang täglich entgegen; ich wurde +täglich getäuscht: mein Schweigen bis zur Zurückkunft von Baggesen +wird sich also, wie ich glaube, wenn auch nicht ganz rechtfertigen, +doch entschuldigen lassen. Baggesen kam endlich im Juni, im Juli war +er in Paris; an die endliche Vollendung des Werks konnte nun gedacht +werden, wie an die Bekanntmachung. Ich erhielt darüber Ihren gütigen +Brief, und ich würde mich beeifert haben, ihn mit umgehender Post zu +erwidern und auf der Stelle alle und jede Anstalten zur Bekanntmachung +zu machen, wären nicht in der Zwischenzeit über die deutsche +Taschenausgabe zwischen Baggesen und mir Mistöne entstanden, die mir +das ganze Werk, woran ich wie am Verfasser bisher mit Begeisterung +gehangen hatte, bis zum Namen hin zum Ekel gemacht hätten.</p> + +<p>Es würde zu weitläufig sein, Ihnen die Discussionen, welche zwischen +mir und Baggesen darüber entstanden, in allen ihren Details zu +entwickeln: meine Discretion verbietet mir dies auch, wie ich auch +fühle, daß Ihnen wie mir die Kenntnißnehmung fremder Angelegenheiten +eine peinliche Aufgabe und Zumuthung sei.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[125]</a></span></p> + +<p>Etwas muß ich Ihnen aber doch darüber sagen: Baggesen bot mir +eine »Parthenais« zweite Ausgabe zum Verlag an. Er forderte 150, +sage hundertfunfzig Louisdor Honorar (circa 30 Bogen, jede Seite +zu 11 Hexameter, <span class="antiqua">à</span> 5 Louisdor). Ohne daß Baggesen mir eine +Zeile Manuscript gab, zahlte ich ihm und Madame Baggesen gleich zwei +Fünftel voraus, als Avance. Ich zahlte die übrigen drei Fünftel dieses +Honorars ein paar Monate nachher und noch etwa 30 Louisdor mehr als +Avance auf künftige Werke, worüber Baggesen mit mir mündlich und +schriftlich contrahirt hatte. Die Umstände erlaubten es Baggesen und +mir indessen nicht, daß der ganze Contract konnte vollzogen werden. +Baggesen sollte die Zeichnung und den Stich der Kupfer in Paris +leiten und — Baggesen kam gar nicht nach Paris zurück (erst ein Jahr +nachher), mir war die Ausführung dadurch also ganz unmöglich gemacht; +aber auch dadurch war die Ausgabe einer Luxus-Edition unvernünftig +geworden, daß in <em class="gesperrt">der</em> Epoche ganz Deutschland bis aufs Blut +durch Contributionen und die Kriegsverheerungen aufgesogen wurde, +sodaß eine Luxus-Ausgabe eines Dichtwerkes in der Zeit zu den wahrhaft +unsinnigen Unternehmungen hätte müssen gezählt werden! Baggesen litt +darunter aber als Verfasser nichts! Ich hatte ihm sein volles Honorar +von 150 Louisdor circa bereits vergütet! Ich litt nur darunter, denn +ich war nur im Stande, die kleine Ausgabe, die fertig gemacht worden +war, freilich auch verspätet und unter den ungünstigsten Umständen +in Circulation zu setzen. Für das Alles konnte Baggesen nichts, +das erkannte ich, und wenn also Schaden statt Vortheil aus der +Unternehmung resultirte, so war dies nicht Baggesen's, sondern die +Schuld der Umstände.</p> + +<p>Aber nun kam und zeigte sich auch zum Schaden noch der Verdruß und +doppelter Schaden: Der Verleger der ersten Ausgabe der »Parthenais« +trat auf und behauptete, daß Baggesen <em class="gesperrt">noch nicht</em> das Recht +gehabt hätte, eine zweite Ausgabe an einen andern Verleger als ihn zu +verkaufen. Als ich Baggesen dies nach Kopenhagen meldete, antwortete +er mir wie ein wackerer Mann: er werde das mit dem ersten Verleger +ausmachen, er werde mich gegen ihn schützen. Baggesen that aber nichts +für diesen Schutz, und der erste Verleger, der ohne alle Satisfaction +oder gar ohne Nachricht einmal von Baggesen blieb, druckte meine mit +150 Louisdor bezahlte zweite Ausgabe vermöge seines angeblichen, von +Baggesen ihm <em class="gesperrt">nicht</em> (durch vorgehaltenen Contract) widerlegten +Rechts nach und setzte sie in ganz Deutschland zur Hälfte des Preises +in Circulation! Meine Ausgabe sank nun ganz unter, denn jene war +um die Hälfte wohlfeiler, und da ich ein neuer Verleger war, jener +aber der erste Verleger, so galt <em class="gesperrt">ich</em> für einen Nachdrucker, +<em class="gesperrt">er</em> für den rechtmäßigen Besitzer! Ich forderte Baggesen auf, +die Sache auszugleichen: Baggesen war oder kam zu der Zeit in Hamburg, +wo es<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[126]</a></span> ihm ein Leichtes sein mußte, die Sache zu ordnen, da der +erste Verleger nur Satisfaction und geringe Entschädigung verlangte, +Baggesen that aber in Hamburg nichts Wesentliches. Die Sache blieb +hangen — Baggesen kam her. In der Freude, ihn bei uns zu sehen, +wurde über diesen Punkt leicht weggeglitten: wie wollte es auch mit +Gastfreundschaft bestanden haben, ihn zu mahnen, mir mein Eigenthum, +das er mir freilich verkauft hatte, gegen einen <em class="gesperrt">andern Käufer</em> +(<em class="gesperrt">nicht</em> gegen einen <em class="gesperrt">Dieb</em>, wie Baggesen es erklären +will: Vollmer constituirt sich nicht wie ein Nachdrucker, als Dieb, +sondern als Besitzer; er behandelt mich als Nachdrucker, mich, der +150 Louisdor Honorar bezahlt habe) zu schützen; das konnte, mußte +Baggesen durch öffentliche Erklärung (keine Zeile ist von ihm darüber +bekannt gemacht worden!!) wehren und mich schützen! Ich sage: mein +Gefühl von Gastfreundschaft erlaubte mir nicht, Baggesen bei seiner +Anwesenheit in Amsterdam, in meinem Hause, an solche Verpflichtungen +zu mahnen. O! ich dachte, die sprächen sich auch selbst aus. Baggesen +reisete nach Paris. Ich erfahre in der Zwischenzeit die definitiven +Reclamationen des ersten Verlegers; sie scheinen mir billig, ich rathe +Baggesen zum Vergleich mit ihm, und ob Baggesen gleich zehnmal erklärt +hatte, er allein wolle mich schützen — denn ich, wie auch recht +war, habe in jedem Falle nichts verbrochen —, so erbiete ich mich +dennoch, <em class="gesperrt">die Hälfte desjenigen zu tragen</em>, was man dem ersten +Verleger möchte als Abmachung zuwenden müssen, und wolle ich den +Vorschuß zum Ganzen leisten. Auf jeden Fall, erkläre ich aber, müsse +die Sache beendigt werden, und da einer von uns Recht oder Unrecht +haben müsse, so schlage ich als Schiedsrichter darin <em class="gesperrt">Baggesen's +Freunde</em> <span class="antiqua">Dr.</span> Kerner und Buchhändler Perthes in Hamburg vor. +Mit deren Entscheidung erkläre ich mich zufriedengeben zu wollen. Auf +diesen meinen Brief habe ich nun von Baggesen eine Antwort erhalten, +worin er mir erklärt: »daß <em class="gesperrt">ihn</em> die ganze Reclamation des +ersten Verlegers nichts anginge, daß sie mich allein beträfe, und +ich zu sehen habe, wie ich fertig mit ihm würde, daß er die Sache +einem Advocaten zur Betreibung übergeben würde, daß er seine weitern +Werke nicht bei mir herausgeben wolle, daß es aber meine Pflicht +sei, gleich eine Prachtausgabe der «Parthenais» zu machen«, und +dergleichen Kränkungen und Unvernunften viel mehr, alle durch einen +Schwall von Worten, aber mit keinem einzigen Belege unterstützt, und +alle Verhältnisse des Danks, der Verpflichtung, der Freundschaft, der +Zufriedenheit rein verleugnend!!</p> + +<p>Daß der Troß der Menschen so handelt, Worte für Thaten geben will, +und wo er Thaten geben soll, nur Worte hingibt, das hatte meine +Erfahrung mich schon gelehrt; aber daß Baggesen, den ich für einen der +edelsten Menschen, nicht blos für einen geistreichen Dichter hielt, +gegen mich so handeln könnte, dies hatte ich nicht erwartet.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[127]</a></span></p> + +<p>In der Einlage habe ich ihm mit Ruhe und Einfachheit Alles +beantwortet; ich adressire diese Antwort Ihnen mit der freundlichen +Bitte, sie Baggesen zu übergeben: es geschieht dies darum, damit der +wirkliche Empfang dieses Briefes, der meine heiligsten Rechte enthält, +nicht kann ignorirt werden.<a name="FNAnker_34_34" id="FNAnker_34_34"></a><a href="#Fussnote_34_34" class="fnanchor">[34]</a></p> + +<p>Was die größere Ausgabe der »Parthenais« betrifft, von der Sie +schreiben, so kann diese unter den obwaltenden Umständen noch nicht +erscheinen. Die Ursache davon ist:</p> + +<p>1) Baggesen hat durch seine spätere Zurückkunft nach Paris die +Erscheinung nach dem Buchstaben des Contractes unmöglich gemacht. Die +Umstände in Deutschland machten sie übrigens auch nicht möglich.</p> + +<p>2) Jetzt, nachdem die kleine Ausgabe von uns und der Abdruck des +ersten Verlegers seit 18 Monaten in Deutschland circulirt, ist eine +große Luxus-Ausgabe aus folgenden Gründen unthunlich:</p> + +<p>Sie erschiene entweder unverändert nach der zweiten Ausgabe, oder +umgearbeitet als neue Ausgabe.</p> + +<p>Im ersten Falle wird sie sehr wenig gekauft werden, weil der +Reiz der Neuheit des Gedichts ganz vorüber ist. Nur Liebhaber von +Luxus-Ausgaben würden sie kaufen. Dieser Liebhaber existiren jetzt +aber in dem ausgesogenen Deutschland fast keine. Kein Buchhändler +in Deutschland macht jetzt Luxus-Ausgaben. Göschen läßt selbst die +Fortsetzungen von Klopstock, Wieland &c. beruhen bis auf bessere +Zeiten.</p> + +<p>Im zweiten Falle aber, daß Baggesen das Gedicht etwas verändere, +wird mir die des Mitabdrucks des ersten Verlegers wegen kaum zur +Hälfte verkaufte Auflage wieder Maculatur. Mein Schaden vermehrt sich +wieder, und da der erste Verleger das Recht zu haben versichert (was +Baggesen wol durch <em class="gesperrt">Worte</em>, aber nicht durch <em class="gesperrt">Documente</em> +widerlegt), sich die »Parthenais«, in welcher Form sie auch sei, +anzueignen, so lange sein erster Contract nicht abgelaufen, so würde +er auch diese Auflage (möge sie bei Didot oder bei Unger gedruckt +sein) wieder abdrucken, und das arme deutsche Publikum würde seine +wohlfeile Ausgabe lieber kaufen als unsere theure.</p> + +<p>Jetzt also ist in keinem Falle an die große Ausgabe der deutschen +»Parthenais« zu denken. Wenn Baggesen mich gegen den ersten Verleger +schützt, sei es unmittelbar, oder durch die Edition von Documenten +(Worte, Raisonniren hilft zu nichts), die mich in Stand setzen, den +ersten Verleger als Dieb zu behandeln (was in Leipzig auf der Messe +angeht, wo <em class="gesperrt">alle</em> deutsche Buchhändler eine Jurisdiction haben) +— dann soll sie erscheinen, sobald es vernünftig ist, d. h. sobald +die erste Auflage größten<span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[128]</a></span>theils verkauft ist, und das Publikum +empfänglicher für Luxus-Ausgaben ist. Schützt mich Baggesen aber nicht +gegen den ersten Verleger, so kann und wird nie eine größere Ausgabe +erscheinen und wird sicher nie irgendein anderer deutscher Buchhändler +darüber mit Baggesen contrahiren oder nie dagegen aufkommen.</p> + +<p>Es hängt ganz von Baggesen ab, wie er die Sache beendigen will. Ich +habe sie ihm auf das äußerste leicht gemacht, indem ich mich erboten, +die Hälfte desjenigen zu tragen, was man seinem ersten Verleger würde +zur Abmachung geben müssen, und das Ganze zu avanciren, und da diese +Hälfte etwa 12 Louisdor betragen würde, so glaube ich, daß Baggesen, +der 150 Louisdor Honorar erhalten, diese erbärmlichen 12 Louisdor, +da er offenbar die Verpflichtung zur <em class="gesperrt">ganzen</em> Abmachung gegen +mich hat, könnte beigeben lassen, ohne dieserhalb, wie er thut, die +innigsten und freundschaftlichsten Verhältnisse mit mir zu brechen +und mich auf das unwürdigste zu mishandeln, als wolle ich ihn zu +hintergehen, zu misleiten, zu betrügen suchen! Mein Ehrgeiz und meine +Pflicht gegen meine Handlung erlaubt mir keine Linie weiter zu gehen +als ich gegangen bin, und wenn der Gegenstand einen Liard oder 1000 +Louis betrüge, der davon abhängen möchte! Baggesen hat meine Ehre +hineingezogen und nun hat Alles das schärfste Ziel.</p> + +<p>Verzeihen Sie tausendmal, werthester Herr Fauriel, daß ich Sie so +lange hiermit aufgehalten habe. Ich mußte es aber thun, da ich gewiß +bin, daß Baggesen gegen Sie beständig davon sprechen wird, da Sie mich +in Ihrem Brief selbst davon unterhalten, und da es Ihnen zeigen wird, +wie mir Alles, was auf die »Parthenais« bis zum Namen hin Beziehung +haben konnte, zuwider sein mußte.</p> + +<p>Ich hoffe indessen von Baggesen's Redlichkeit und Rechtlichkeit das +Beste, und ich denke also, daß Alles sich wieder ins Gleiche fügen +werde.</p> + +<p>Wäre dies aber auch nicht, so bleibe ich, wie sich versteht, meinem +Ihnen durch Herrn Cramer gegebenen Worte aufs heiligste getreu. Die +französische Uebersetzung der »Parthenais« erscheint und mache ich +hiermit darüber folgende Bestimmungen .....</p> + +<p>Hiermit ist diese Verhandlung, denke ich, fest bestimmt, wie sich +ja jede Verhandlung fest bestimmen läßt in Kürze, wenn man es recht +miteinander meint.</p> + +<p>Ich bitte Sie indessen, nie weiter irgend Jemanden mit Aufträgen +hierüber an mich zu chargiren, sondern mir Alles selbst zu sagen; auch +würden Sie mich sehr verbinden, ebenfalls keine Aufträge von diesen +Andern an mich wieder anzunehmen.</p> + +<p>Es ist mir unendlich leid, daß ich Sie in meinem ersten Briefe mit +so vielem Odiösen habe unterhalten müssen! Die Nothwendigkeit dazu +ist mir peinlich und lästig genug gewesen. Sie werden mir dies gern +glauben.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[129]</a></span></p> + +<p>Dieser Brief und der eingeschlossene an Baggesen scheinen ihre +Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn der nächste berichtet von einer +Wiederversöhnung Beider, ohne freilich anzugeben, worin diese bestanden, +und ohne daß Brockhaus ahnen mochte, von welch kurzer Dauer sie sein +werde. Brockhaus schreibt nämlich an Fauriel unterm 16. Juni, also +gerade ein halbes Jahr nach dem ersten Briefe: Er habe in langer Zeit +keinen Brief erhalten, den er mit wahrerer Theilnahme gelesen. Auf +die französische Uebersetzung der »Parthenais« habe er schon beinahe +nicht mehr gerechnet und sei sehr gespannt auf die ersten Bogen, »da +es mir eine der außerordentlichsten Aufgaben scheint, Dichtungen wie +die 'Parthenais' mit ihren griechischen Silbenmaßen glücklich in +die französische Sprache zu übertragen«; Fauriel's Uebersetzung der +»Parthenais« wurde übrigens in Prosa abgefaßt. Darauf fährt Brockhaus +fort:</p> + +<blockquote> + +<p>Was meine Verhältnisse mit Baggesen selbst betrifft, so sind +sie insoweit wiederhergestellt, daß ich alle Kränkungen, die mir +widerfahren, längst vergessen habe. Baggesen ist einer der am eigenst +organisirten Menschen, die auf der Erde leben, und ich glaube, daß +er mehr wie Rousseau von sich sagen könnte, daß Niemand auf der +Erde ihm gleiche. Um Baggesen zu messen und zu beurtheilen, muß man +einen ganz andern Maßstab haben als für andere Menschen! Ich habe +dies zu Zeiten vergessen, daher viele Misverständnisse, Störungen, +Unannehmlichkeiten. Doch ich will mich darüber hier nun auch nicht +weiter verbreiten. Ich liebe und verehre Baggesen unendlich.</p> + +<p>Was Ihre gütige Mittheilung über Baggesen's Verhältnisse betrifft, +so sehe ich solche als einen Beweis Ihres Vertrauens gegen mich an. +Empfangen Sie dafür meinen herzlichsten Dank. Ich werde Ihnen ganz +aufrichtig darauf antworten. Wäre ich reich, so würde, um einen so +trefflichen Mann und Freund wie Baggesen zu unterstützen und ihm +bis auf bessere Zeiten Vorschüsse zu thun, bei mir keine Secunde +Bedenkzeit oder Bedenklichkeit stattfinden. Aber ich bin nicht reich, +und bei meiner Unternehmungslust, Thätigkeit und bei meinen jetzigen +vielfältigen Verbindungen mit den Koryphäen der Gelehrten-Republik in +Deutschland fehlt es mir an genügendem Fonds, als daß ich auch nur +etwas davon <em class="gesperrt">da</em> gebrauchen könnte, wo Freundes-Gesinnung es +mir wie hier gebieten würde, ihn zu theilen. Daß ich als Hausvater +und als Vorsteher einer zahlreichen Familie auch in dieser Hinsicht +Pflichten habe, kann ich auch noch wol anführen. Indessen ist es +auch eine nicht mindere Pflicht, dem wackern und durch Umstände +gedrückten Freunde zu<span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[130]</a></span> helfen, soviel man kann und soweit man darf. +Kann unser Baggesen also berechnen, daß er mir in einem gewissen +Zeitraum, etwa in 2 <span class="antiqua">à</span> 3 Monaten, das Manuscript zu den mir +seit langer Zeit zugesagten »Dichterwanderungen« besorgen kann, so +erlaube ich ihm selbst oder Ihnen, dann gleich auf mich die Summe +von 50 Louis <span class="antiqua">à</span> 3 Monat dato ziehen zu können, und, wenn ich +bis dahin einiges Manuscript erhalten habe, den 15. August nochmalen +50 Louis auf gleiche Weise ziehen zu dürfen. Herr Toberheim oder +ein Anderer wird, denke ich, diese Tratten gern nehmen und Baggesen +gleich den Betrag dafür auszahlen. Ich lege Ihnen zu diesem Zweck eine +Declaration hier bei, von welcher Sie Gebrauch machen können. Fühlt +Baggesen aber, daß seine physischen und geistigen Kräfte ihm in diesem +Augenblicke die Redaction jenes Werks nicht erlauben, so werden die +Tratten unterbleiben. Ich sage »Redaction«, denn der Stoff des Werks +liegt da, ist bereits von ihm erschaffen, und es bedarf nur einer +Form und Anordnung. Will er, was unser und sein Plan war, aus seiner +früher wirklich geführten Correspondenz — und wer schreibt Briefe wie +er? — das Werk bereichern, so glaube ich, dürfte Baggesen nur einer +kurzen Ermannung und des ernsten Wollens bedürfen, um in kurzer Zeit +unsern und den Wunsch seiner zahlreichen Verehrer zu erfüllen, und +zugleich sich und seiner Familie, außer dem Danke des Publikums, eine +ehrenvolle, wenn auch kleine Unterstützung zu bereiten.</p> + +<p>Machen Sie, werthester Herr Fauriel, von diesen Eröffnungen den +zartesten und delicatesten Gebrauch. Baggesen ist oft wie die +Sensitive: nähert man sich ihr, so zieht sie sich zusammen; so auch +Baggesen nicht selten.</p> + +<p>Ich habe seit Ihrem Briefe noch nichts von Baggesen gesehen und bin +nun wol seit vier Monaten ohne alle Berichte von ihm.</p></blockquote> + +<p>In zwei kurz darauf geschriebenen Briefen ist nichts Wichtiges enthalten.</p> + +<p>Brockhaus sagt unterm 25. Juli, daß er beabsichtige, bald nach Paris +zu kommen, und sich unendlich freuen würde, Fauriel's persönliche +Bekanntschaft zu machen; Baggesen, der Fauriel's Nachrichten zufolge +schon längst in Amsterdam hätte angekommen sein müssen, sei übrigens +noch nicht erschienen, und rechne er nun also schon nicht mehr auf seine +Ankunft. »Dies ist mir aber nicht neu mehr am Dichter der 'Parthenais'«, +fügt er lakonisch hinzu.</p> + +<p>Der nächste Brief, vom 15. August, handelt ebenfalls nicht näher von +den Baggesen'schen Angelegenheiten, sondern im Eingange von dem (später +wieder aufgegebenen) Projecte einer franzö<span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[131]</a></span>sischen Bearbeitung der +Massenbach'schen Manuscripte und dann von andern literarischen Dingen, +doch lassen wir ihn gleich hier mit folgen. Er lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Meinen herzlichsten Dank für die Eröffnungen Ihres letzten Briefes, +den Barometer Ihrer Preßfreiheit betreffend. Ja, man muß gestehen, daß +die große Nation ganz rasend frei ist und die Engländer z. B., bei +denen man Alles sagen darf, was ein gebildeter Mensch denken mag, in +einer schrecklichen Sklaverei leben!</p> + +<p>Von Treuttel & Würtz habe ich noch keine nähere Antwort. Aber sie +kann nicht bejahend oder einladend sein. Vor der Hand bleibe also das +Project suspendirt! Wir werden erst nur einen Theil des Originals +bekannt machen. Vielleicht findet sich dann die Sache eher ausführbar. +Eine nähere Analyse des Inhalts sende ich Ihnen lieber durch Treuttel +& Würtz.</p> + +<p>Auch für Frankreich würde ohnstreitig ein Werk dieser Art großes +Interesse haben. Haben Thiébault's »<span class="antiqua">Souvenirs</span>«, Mirabeau's +»<span class="antiqua">Lettres</span>«, Séguis' »<span class="antiqua">Histoires</span>«, jetzt Lamband's +»<span class="antiqua">Matériaux</span>« und die »<span class="antiqua">Caractères prussiens</span>« doch alle +mehrere Auflagen erlebt; haben Masson's »<span class="antiqua">Mémoires</span>«, Rulhière's +und Carteras' Berichte nicht großen Beifall gefunden? Diese Werke +sämmtlich sind aber mit den Memoiren, die wir jetzt herausgeben, in +Hinsicht auf Originalität, inneres Interesse und ihre historischen +Enthüllungen keineswegs zu vergleichen. Durch <span class="antiqua">coupures</span> und +Verschmelzungen von I-II und französischen National-Zuschnitt würde, +wir glauben es gewiß zu sein, ein für ganz Europa von höchstem +Interesse seiendes Werk daraus geschaffen werden, da die französische +Sprache es für ganz Europa lesbar macht. Die individuelle Geschichte +der Zernichtung eines Staates wie der preußische, den ganz Europa +seit einem halben Jahrhundert als ein hohes Muster innerer und +äußerer Vollkommenheit betrachtete oder bewunderte, und durch dessen +Fall der ganze Continent in Sklaverei gerathen, diese Geschichte von +einem höchst geistvollen und genialen Manne, der Alles zu sehen und +zu untersuchen Gelegenheit hatte, der selbst auf dem höchsten Posten +stand, in ihren Ursachen und Wirkungen zerlegt und aufgehellt zu +sehen, kann nicht anders als für Mit- und Nachwelt das lebendigste +Interesse haben. Es gibt hier keine Abstractionen nach geschehenem +Factum eines müßigen Scribenten. Es ist hier die lebendige Erzählung +eines Augenzeugen, der, mit der reichsten Intelligenz ausgestattet, +schon seit einer Reihe von Jahren die Auflösung des für Europas Cultur +und Freiheit wichtigsten Staates herannahen sah, der Alles anwendete, +ihr zu steuern, der endlich in Augenblicken der höchsten Gefahr mit +ans Steuerruder gesetzt wurde, aber, da nichts mehr zu retten war, +das Schiff zertrümmern sah. Freilich sind die Werke für Deutschland +vom <em class="gesperrt">ersten</em> Interesse.<span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[132]</a></span> Allerdings. Sie werden dies dort auch +erwägen, und sind wir einer guten Unternehmung dadurch schon sicher. +Wenn die ersten Bände heraus sind, werde ich mir die Freiheit nehmen, +sie Ihnen zu senden, und bitte ich mir dann einmal Ihre nähere Meinung +aus.</p> + +<p>Da ich in Paris noch mancherlei zu besorgen habe, so werde ich, um +all' das zusammen zu berichtigen, vielleicht gegen den Herbst oder +im Winter mal die im Grunde so kleine und doch in so vieler Hinsicht +angenehme Reise machen.</p> + +<p>Wenn Ihre »Parthenais«, von der Baggesen mir so unendlich viel +Gutes sagt, fertig ist, komme ich vielleicht dann, um den seltsamen +Eindruck zu beobachten, den dieser germanische ernste Gesang auf die +verweichlichten Nerven der verbildeten Bewohner der europäischen +Hauptstadt machen möchte!</p> + +<p>Für Ihre gefällige Anerbietung, mein Cicerone sein zu wollen, meinen +herzlichsten Dank. Ich werde Sie gewiß daran erinnern.</p> + +<p>Baggesen schreibe ich heute recht viel, auch von Ihnen! Er wird es +Ihnen schon sagen.</p> + +<p>Den »Aladdin« von Oehlenschläger, der bei uns herausgekommen, werden +Sie von Herrn Würtz erhalten. Sie wollen gütigst das Exemplar als ein +Zeichen meiner Ergebenheit annehmen.</p> + +<p>Von Herrn B. Constant habe ich auch Briefe von Coppet. Herr von +Villers hat mich schon vor einiger Zeit mit ihm in Verbindung gesetzt, +um sowol von ihm selbst einmal irgend ein interessantes Werk in Verlag +zu erhalten, als insbesondere durch ihn eins von Madame von Staël.</p> + +<p>Hierzu ist auch Hoffnung da. Madame de Staël schreibt Briefe +über Deutschland, seine gesellschaftliche und literarische Cultur, +und sie ist, wie mir Herr Constant schreibt, nicht abgeneigt, ihre +Bekanntmachung meiner Handlung zu übergeben. Dies würde für meine +Handlung ein kleines Glück sein! Sollten Sie gelegentlich und füglich +bei Herrn Constant zur Beförderung meines Wunsches mitzuwirken +thunlich finden, so bitte ich Sie, es zu thun.</p> + +<p>Nachschrift. Ich adressire meinen Brief an Baggesen nach Marly. Er +ist doch noch da, sodaß der Brief ihn treffen kann?</p></blockquote> + +<p>Der nächste Brief ist aus Leipzig vom 20. October 1808 datirt und also +während der ersten Anwesenheit von Brockhaus auf der Buchhändlermesse +geschrieben. Brockhaus war wieder lange ohne Nachricht von Baggesen und +namentlich ohne Manuscript geblieben, obwol dieser zwei Wechsel auf +ihn abgegeben und versprochen hatte, selbst nach Leipzig zu kommen. So +wendet er sich denn wieder an Fauriel mit der Bitte um Auskunft über +Baggesen. Sein Brief lautet:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[133]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Ich schreibe Ihnen, werthester Herr Fauriel, diese Zeilen von der +Messe aus im Gedränge meiner sonstigen Geschäfte.</p> + +<p>Ihren letzten Brief, den ich noch in Amsterdam erhielt, habe ich +nicht gleich zur Hand, und ich behalte mir dessen Beantwortung bis zu +einer gelegenern und ruhigen Zeit bevor. Heute will ich mich mit Ihnen +blos über unsern Baggesen unterhalten.</p> + +<p>Baggesen zog im Juli circa 55 Louis auf mich. Im Wechsel stand: +»<span class="antiqua">suivant l'avis</span>«. Diesen Avis hatte ich bei der Präsentation +nicht erhalten. Ich hätte also die Tratte mit Protest eigentlich +zurückweisen müssen, »<span class="antiqua">car il faut faire des affaires comme des +affaires</span>«. Ich that das aber doch nicht. Ich acceptirte den +Wechsel und ist er auch schon längst bezahlt. Den Avis habe ich nicht +erhalten. Ehe dieser erste Wechsel aber verfallen war, kam schon +wieder ein zweiter von auch 55 Louis, wieder »<span class="antiqua">suivant l'avis</span>«, +aber ich hatte wieder keinen »Avis«. Was hätte ich thun müssen? Denke +sich jeder in meine Lage als Geschäftsmann! Ich that das aber wieder +nicht, was ich als solcher thun <em class="gesperrt">mußte</em>.</p> + +<p>Vor einigen Tagen erhalte ich nun aber endlich einen Brief von +Baggesen vom 15. September, der über Amsterdam gelaufen und mir +von da zugesandt worden. Hier erwähnt denn Baggesen dieser Tratten +beiläufig und ersucht mich, daß ich Toberheim vom Accept derselben +benachrichtigen möchte. Ich thue dies in der Einlage, die Sie die Güte +haben wollen an Herrn Toberheim abzugeben. Baggesen schreibt mir, daß +er auf dem Punkte stünde, Paris zu verlassen, daß er über Frankfurt +reisen, von dort nach Leipzig kommen und mich hier zur Messe besuchen +würde. Seit dem 15. September sind aber jetzt schon über fünf Wochen +verflossen, und ich muß also vermuthen, daß aus der Reise entweder gar +nichts geworden, oder daß Baggesen eine andere Route genommen. Ich +bleibe noch circa 14 Tage hier, eine Zeit, die hinreichend ist, um von +Ihnen, wenn Sie mir mit umgehender Post zu antworten die Güte haben, +hier noch Ihre Auskunft hierüber zu erhalten.</p> + +<p>Sie wissen, werthester Herr Fauriel, daß ich mich auf das +bestimmteste erklärt habe, daß, wenn Baggesen die Tratten auf mich +machte, ich auch dann schnell in Besitz einiges für den Druck fertigen +Manuscripts müßte gesetzt werden, um davon noch für dieses Jahr +Gebrauch machen zu können. Ich habe mich ohne Scheu und Scham über +meine Verhältnisse erklärt, offen gesagt, daß meine Lage mir durchaus +nicht erlaubte, unter andern Bedingungen diese Zahlungen zu leisten +und anzunehmen. Jetzt ist aber schon die eine Tratte von 55 Louis +bezahlt, und die andere ist acceptirt, was so gut ist als bezahlt. +Noch aber habe ich bis heute, Ende October, kein Blatt Manuscript.</p> + +<p>Meine Bitte an Sie ist also, daß, wenn Baggesen noch dort ist,<span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[134]</a></span> +Sie ihm den Inhalt dieses Briefes mittheilen und mir mit umgehender +Post hierher Auskunft über Baggesen's Intentionen sowol, als über das +Gefördertsein des Manuscripts und wann und wie ich solches erhalten +soll, geben wollen. Die Pflichten, die ich gegen meine Handlung habe, +zwingen mich, daß ich darüber Gewißheit haben müsse. Baggesen kann +und wird es mir nicht übelnehmen, daß ich mich darüber an Sie und +nicht an ihn direct wende. Er ist nicht pünktlich im Antworten, Sie +sind es. Sie kennen aber auch außerdem alle unsere Verhältnisse; Sie +sind Baggesen's Freund, Sie sind gegen mich gütig gesinnt, Sie werden +meinen Auftrag mit all der Zartheit und Delicatesse, die er erfordert, +ausrichten. Sie werden meine Lage und meine Verhältnisse fassen und +würdigen.</p> + +<p>Ich wiederhole meine Bitte, mir mit umgehender Post darüber hierher +nach Leipzig zu schreiben.</p> + +<p>Wegen Ihrer »Parthenais« hoffe ich nun bald Ihren und Treuttel's +Bericht zu empfangen, daß mit dem Druck begonnen werde. Den mir +gütigst im Manuscript versprochenen Gesang werden Sie wol nach +Amsterdam gesandt haben.</p> + +<p>Die Massenbach'schen Werke sind noch nicht so weit gediehen, daß +ich Ihnen solche habe senden können bisjetzt. In Zeit von acht Tagen +werde ich Ihnen aber einen Theil derselben zusenden und für die Herren +Treuttel und Ihren Freund (Oelsner?) Exemplare beilegen. Was ich Ihnen +jetzt sende, ist das zweite und dritte Werk, welches wir angekündigt +haben. Von dem interessantesten: den Memoiren in drei oder vier +Bänden, erscheint der erste Band erst in vier Wochen, den Sie auch +sogleich erhalten sollen.</p> + +<p>Soweit auch ich das französische Publikum beurtheilen kann, +wird eine Bearbeitung und Ineinander-Verschmelzung dieser Werke +in Frankreich ein großes Publikum finden. In Deutschland ist die +Erwartung so darauf gespannt, daß wir so viele Bestellungen darauf +haben, um gezwungen zu sein, ehe die erste Auflage fertig ist, schon +eine zweite drucken zu lassen.</p> + +<p>Leben Sie wohl. Wenn Baggesen noch in Paris ist, tausend +Empfehlungen an ihn!</p> + +<p>Ihr Ihnen von ganzer Seele zugethaner</p> + +<p class="signature">Brockhaus.</p> +<p class="right">Adr. Herrn Heinr. Graeff in Leipzig.</p> +</blockquote> + +<p>Fauriel's Vermittelung scheint diesmal ganz ohne Erfolg gewesen zu sein. +Brockhaus ging nun die lange mit Baggesen geübte Geduld endlich aus. Er +schreibt an Fauriel aus Amsterdam vom 15. Juni 1809:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[135]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Es ist beinahe ein ganzes Jahr, daß Sie nichts von mir, ich nichts +von Ihnen gehört habe. Sind wir uns auf einmal so fremd geworden? +Welch ein böser Genius hat die zarten freundschaftlichen Verhältnisse, +womit Sie mich zu beehren schienen, auf einmal so locker gemacht? Ich +weiß es nicht, was mich verhindert hat, Ihnen zu schreiben. Ich weiß +noch weniger, was allenfalls Sie könnte bewogen haben, gegen mich zu +schweigen: es sei denn, daß vielleicht <span class="antiqua">à la lettre</span> Sie mir +zuletzt geschrieben hätten. Aber werden Sie dies so streng nehmen? Sie +wissen wie geschäftsvoll wir Geschäftsleute oft sind, und wie uns da +oft unser Gedächtniß über Brief-Beantwortungen, die nicht unmittelbar +in das kaufmännische Verhältniß eingreifen, untreu wird! Sie verdammen +mich deshalb gewiß nicht. Ich Sie auch nicht, daß Sie mir nicht +geschrieben haben. Wer weiß, was Sie daran verhindert hat? Sie werden +mir es sagen, auch wenn ein kleiner Groll die Ursache davon gewesen.</p> + +<p>Mit Baggesen bin ich leider ganz zerfallen. Ich möchte darüber +ganz gegen Sie schweigen, da es sonst den Anschein erhalten könnte, +als suchte ich ihn vielleicht bei Ihnen zu verkleinern, mich zu +entschuldigen oder ihn zu beschuldigen. Allein das Alles mag ich nicht +und kommt mir nicht in den Sinn. Nur historisch muß ich es Ihnen doch +sagen, daß wir zusammen zerfallen und warum wir es sind. Sie erinnern +sich, wie Sie mir im vorigen Jahre Baggesen's <span class="antiqua">abattement</span> und +die Ursache davon, seine pecuniären Verlegenheiten, schilderten. +Sie wünschten, daß ich ihm 50 Louis avanciren möchte; Sie hatten +den Edelmuth, solche mit Ihrem künftigen Honorare zu garantiren. +Sie wissen, daß ich antwortete: »ich sei für den Augenblick und +überhaupt nicht in der Lage, Vorschüsse geben zu können; ich bedürfe +jedes Francs meines Capitals für mein laufendes Geschäft«; wenn also +Baggesen nicht moralisch und physisch gewiß sei, mir diejenigen +Manuscripte, worüber zwischen uns schriftliche Contracte oder +mündliche Zusagen existirten, in einer gewissen Zeit (ich glaube, +ich setzte drei Monate dazu) zu liefern, so könnte und dürfte ich +die verlangten 50 Louis nicht zugestehen; wäre aber, fuhr ich fort, +Baggesen dessen gewiß, so könnte er selbst 100 Louis auf mich +trassiren. Sie werden sich Alles dessen erinnern. Auch dessen, daß +Baggesen die Zusage machte, und daß er 100 Louis auf mich trassirte. +Sie werden sich erinnern, daß er seine Arbeiten, worauf diese 100 +Louis entnommen, unterbrach, weil ihm ein anderes Gedicht, der +»Faust«, in den Sinn gekommen war. Sie werden sich erinnern, wie Sie +selbst mir über diese neue Idee Baggesen's schrieben, und wie Sie +wünschten, daß ich solche der andern möchte vorgehen lassen. Baggesen +selbst sandte mir den ersten Act per reitende Post von Paris zu als +Probe und äußerte mit Ihnen gleichförmige Wünsche. Sechs Monate +verstrichen indessen und ich<span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[136]</a></span> erhielt keine Zeile Manuscript irgend +einer Art, weder vom »Faust« noch von den mir zuerst zugesagten +Manuscripten. In der Zwischenzeit war Baggesen freilich einige Zeit in +Frankfurt unpäßlich geworden, und hatte mir dies Gelegenheit gegeben, +ihm aufs Neue meinen guten Willen zu zeigen, ihm dienen zu wollen. +Die Unpäßlichkeit war aber vorüber, und es fand sich dadurch jeder +Grund aufgehoben, das eine oder das andere seiner Versprechen zu +erfüllen. Es war dies unbedingt selbst seine Pflicht. Aber ich erhielt +immer keine Zeile Manuscript, wol aber beleidigende, ausweichende +Briefe. So ließ ich endlich gezwungen die zweiten 50 Louis, die +noch nicht bezahlt waren, protestiren (die ersten 50 Louis waren +bezahlt), da ich vollends hörte, daß er den mir zugesagten »Faust« +an einen andern Buchhändler in D. verhandelt hatte. Ich mag und will +die unangenehmen Discussionen, die hierüber zwischen Baggesen und +mir vorgefallen, nicht alle entwickeln; ich kann nur sagen, daß ich +in mir das Bewußtsein habe, zu jeder Zeit und in jedem Verhältnisse +gegen Baggesen als höchst rechtlicher Mann gehandelt zu haben; ich +habe vergebens Schiedsrichter aus unsern Freunden vorgeschlagen, im +Fall sich wirklich etwas zwischen uns zu erörtern fände (ich habe dazu +Villers und Perthes vorgeschlagen; ich schlage noch Sie und Herrn +Würtz dazu vor), Alles umsonst. Ich habe keine Zeile Manuscript bis +heute! Ich habe keinen Sou Rembours für die bezahlten 50 Louis und +noch etwa 300 Louisdor von sonstigen Avancen. Ich habe keine Antwort +auf meine Vorschläge: etwaige Differenzen, ob ich gleich im Grunde +dergleichen nicht kenne, da seit der Epoche, wo ich ihm auf Ihre +Vorsprache das Geld dargeliehen, nichts Anders zwischen uns verhandelt +ist. Baggesen will freilich diese 50 Louis anders compensiren: so +soll ich von den »Heideblumen«, wie er in seiner Idee glaubt, mehr +Exemplare haben drucken lassen als contractmäßig war (indem er +annimmt, sonst müsse die erste Auflage schon verkauft sein!!) u. s. w.</p> + +<p>Das heißt nun wol leeres Stroh gedroschen, aber was wollen Sie, +daß ich anders thun soll, anders thun kann, als zu sagen: »wenn Sie, +Baggesen, glauben, daß ich Ihnen zu wehe gethan habe, so entscheide +hier Ihr und mein Freund Perthes in Hamburg oder Würtz in Paris als +Buchhändler, Villers in Lübeck oder Fauriel in Paris als Gelehrte«? +Dann hatte man mit Ehre und Rechtlichkeit die Discussion geführt und +sie beendigt, anstatt daß sie jetzt tiefe Spuren der Erbitterung +hinterlassen und beide Theile beim neugierigen Publikum compromittiren +wird. Ich schweige darüber. Etwas mußte ich Ihnen doch darüber sagen. +Vielleicht kommt Baggesen nach Paris zurück, vielleicht auch nicht. +Ich weiß nicht, wo er ist und wohin er geht.</p> + +<p>Sie haben für die 50 Louis garantirt. Darum schreibe ich Ihnen +aber nicht. Ich werde Sie dieser Garantie unbedingt entlassen, wenn<span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[137]</a></span> +nicht ein dritter Freund von uns Beiden (etwa Herr Würtz oder wen Sie +wollen) sein erklärtes oder bestimmtes Votum darüber gibt. Ich würde +hier gleich unbedingt Verzicht darauf thun, wenn ich nicht überzeugt +wäre, daß Ihre Delicatesse dieses nicht erlauben würde. Ich habe +Ihnen heute nur die Facta, die zwischen Baggesen und mir stattgehabt, +melden wollen: daß ich bis heute keine Zeile Manuscript erhalten, daß +Baggesen sich allen Verbindlichkeiten gegen mich zu entziehen sucht, +daß er in längst abgemachten Sachen Phrasen aufsucht, um mich damit +abzufertigen &c. &c.</p> + +<p>Wie leid es mir thut, in Baggesen den Menschen nicht so verehren +zu können als den Dichter, werden Sie mir ohne Versicherung glauben. +Auch die an Baggesen avancirten 50 und 25 Louis entbehre ich ungern. +Ich habe Ihnen und Baggesen oft und ohne Hehl gesagt: ich bin nicht +reich; ich <em class="gesperrt">kann</em> nicht vorschießen, ich bedarf jedes Louisdor +für mein Geschäft und für meine zahlreiche Familie (ich bin Gatte und +Vater von sechs Kindern). Mein Geschäft erfordert beständig Fonds, +und so entbehre ich diese 75 Louis ebenfalls sehr schmerzlich. Ich +habe auch Baggesen das gesagt, aber der gefällt sich in seinen neuen +Verbindungen zu gut und ist zu wohl darin, als daß es ihm einfiele, +darauf zu achten einmal.</p> + +<p>Ob nun noch wol die französische »Parthenais« erscheinen wird in +meinem Verlage? Mein Wort ist und bleibt mir heilig darin, unerachtet +des nicht zu überwindenden Widerwillens an Allem, was von Baggesen +herkommt, solange mein ganzes Verhältniß zu ihm nicht hergestellt ist. +Ich werde gewiß Baggesen nicht nachahmen, der alle Verbindlichkeiten +für nicht verbindlich hält, wenn kein förmlicher Contract darüber +da ist. Sie sind ein zu edler Mann, um gleiche Grundsätze zu haben. +Ihnen und mir wird ein einfach gegebenes <em class="gesperrt">Wort</em> selbst heiliger +sein als ein förmlicher Contract. Also ich bleibe der Verleger der +französischen »Parthenais«, und ich bin bereit, auf der Stelle +damit anfangen zu lassen, sobald Sie mir melden, daß das Manuscript +vollendet sei. Herr Würtz hat mir dies in Leipzig versichert. Ob ihm +so ist, sagen Sie mir selbst. Einstweilen bitte ich Sie aber dringend, +mir doch irgend eine Episode oder einen Gesang davon per Brief +zuzusenden. Sie haben mir dies lange versprochen, und ich mahne Sie +daran.</p> + +<p>Mit dem Werke des Herrn von Massenbach geht es in Deutschland sehr +gut. Die »Memoiren« werden unstreitig das wichtigste Werk für die +neueste Geschichte Deutschlands. Sie werden dazu weit developpirter +als zuerst im Plan vorlag, und es dürften statt drei jetzt vier Bände +werden (außer den »Rückerinnerungen« und den »Denkwürdigkeiten«). Der +zweite Band ist eben erschienen, und ich schicke Ihnen denselben in +acht Tagen zu. Der dritte Band erscheint in sechs Wochen.<span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[138]</a></span> Sobald Sie +diesen dritten Band der »Memoiren« erhalten haben, erbitte ich mir +Ihre Meinung darüber; eher nicht.</p> + +<p>Herr Würtz sagte mir, daß Sie die Güte haben wollten, eine Anzeige +der classischen Geschichte der Botanik, die in meinem Verlage +erschien<a name="FNAnker_35_35" id="FNAnker_35_35"></a><a href="#Fussnote_35_35" class="fnanchor">[35]</a>, für den »Publicisten« zu besorgen. Ich danke Ihnen im +voraus dafür. Senden Sie mir die Anzeige aber doch zu, da ich den +»Publicisten« nicht mehr lese.</p> + +<p>Leben Sie wohl! Ich verbleibe Ihnen mit der innigsten Liebe und +Freundschaft zugethan.</p> + +<p class="signature">Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>Fauriel antwortet bald auf diesen Brief, und es kommt nun wenigstens die +Angelegenheit über die französische Uebersetzung der »Parthenais« in +Ordnung. Brockhaus schreibt an Fauriel aus Amsterdam am 1. August 1809:</p> + +<blockquote> +<p>Ich erfülle Ihren Wunsch, Ihnen recht bald auf Ihren gütigen Brief +vom 22. Juli zu antworten, dadurch, daß ich es gleich auf der Stelle +nach seinem Empfange thue. Sie werden dadurch mit mir zufrieden sein.</p> + +<p>Das Geschäft, worüber wir nun seit länger als zwei Jahren +miteinander correspondiren, muß doch auch endlich zu Ende gebracht +werden. Daß es das noch nicht ist, will ich Ihnen gewiß nicht +anrechnen, und Sie werden es mir auch nicht thun. Indessen lassen Sie +uns jetzt Beide zusammenwirken, daß nicht wieder ein neuer Aufenthalt +darin stattfinde. Meine Gesinnungen darüber haben sich im wesentlichen +in nichts geändert. Ich habe dazu einmal darin einen Entschluß gefaßt +gehabt, und da ich gewohnt bin, zu überlegen, <em class="gesperrt">ehe</em> ich einen +Entschluß fasse, so bleibt es bei mir auch dabei und ich pflege davon +selten oder nie zurückzukommen. Daß meine persönlichen Verhältnisse +zum ursprünglichen Verfasser sich verändert, wirkt noch weniger auf +mich in Rücksicht meiner Bestimmungen darin. Es bleibt also damit ganz +so, wie wir darüber ein für allemal eins geworden. Ich schreibe heute +an die Herren Treuttel & Würtz, und gebe diesen die unbeschränkteste +Vollmacht, mit Ihnen alle die Maßregeln zu concertiren, welche zur +Herausgabe nöthig sind, als ich ihnen auch gleich für die dazu seiner +Zeit nöthigen Fonds bereits den erforderlichen Credit eröffne. Die +Stärke der Auflage überlasse ich Ihnen und Herrn Würtz zu bestimmen. +Für Holland, England, wohin ich Gelegenheit habe, Einiges zu +senden, und<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[139]</a></span> für Deutschland wünschte ich 4-500 Exemplare zu meiner +Disposition zu haben. Da man es für eine Art relativer Unmöglichkeit +hält, die »Parthenais« in französischer Sprache darzustellen, so +wird schon, abgesehen vom höhern ästhetischen Interesse, eine Art +von Neugierde den Verkauf der französischen »Parthenais« ziemlich +befördern. Da ich also 4-500 Exemplare für das Ausland hier bedarf, +so dürfte vielleicht eine Auflage von 1500 Exemplaren im Ganzen nicht +übertrieben sein. Ich überlasse aber, wie gesagt, die Bestimmung +derselben Herrn Würtz und Ihnen .....</p> + +<p>So wäre denn alles Nöthige von mir besorgt, und ich überlasse es +nun Ihrer Sorgfalt, alle weitern Veranstaltungen zur wirklichen +Ausführung zu treffen. Benachrichtigen Sie mich bald vom Geschehenen. +Werden Sie mir aber nicht böse, wenn ich Sie nochmalen an Ihr +altes, altes Versprechen erinnere, mir doch einstweilen irgend ein +isolirt zu genießendes <span class="antiqua">morceau</span> aus Ihrer »<span class="antiqua">Parthénéide</span>« +mitzutheilen! Ich bitte Sie selbst wiederholt darum, und ich werde +es sehr gern sehen, wenn Sie es mit Ihrer gütigen nächsten Antwort +mittheilen wollen.</p> + +<p>Ich will Ihnen — Sie sehen, daß ich dankbar bin — auch noch +etwas mittheilen, das für Sie nicht ohne Interesse sein möchte; und +zwar für Ihren <span class="antiqua">Discours préliminaire</span>, auf den Sie ein wenig, +wie wir Alle recht viel halten. Sie erinnern sich der interessanten +Recension der »Parthenais«, welche vor etwa 1½ Jahr in der »Neuen +Leipziger Literatur-Zeitung« befindlich war. Baggesen glaubte, daß +solche von Professor Jacobs, damals in Gotha und jetzt in München, +herrühre. Es wird Baggesen interessiren zu hören, und ich bitte Sie es +ihm zu sagen, daß er sich darin geirrt. Ich habe auf meiner letzten +Reise zur leipziger Messe den Verfasser derselben persönlich kennen +gelernt und mir sein Vertrauen wie seine Freundschaft erworben. Es +ist der Doctor Apel in Leipzig, unstreitig einer der scharfsinnigsten +und geistvollsten Kritiker im ästhetischen Fache, den wir jetzt in +Deutschland besitzen, und zugleich selbst trefflicher und genialer +Dichter, obgleich ziemlich unbekannt und seinen Namen nicht +preisgebend, noch nicht von der Nation, sondern nur von den wenigen +Vertrauten seiner Muse gefeiert. Nun, von demselben ist auch unlängst +eine ganz treffliche und sehr umständliche Recension der »Louise« +von Voß erschienen, einem Gedichte, das man in Deutschland immer in +eine gewisse Art von Parallele mit Baggesen's »Parthenais« zu setzen +pflegt, eine Rezension, die in das Wesen dieser Dichtungsarten, den +Geist und das Technische derselben höchst geistvolle Blicke thut, +und deren Kenntniß Ihnen, wie ich glaube, recht lieb sein wird, wenn +Sie auch nichts besonderes Neues dadurch erfahren möchten. Ich will +Ihnen auch noch eine ganz herrliche Recension meines Freundes über +Jean Paul's »Vorschule der Aesthetik« mittheilen, die eben in der +»Jenaischen Literatur-Zeitung« befindlich, und die Ihnen ebenfalls<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[140]</a></span> +manche neue Ansicht wird kennen lehren. Das Buch selbst besitzt +Baggesen, wie ich weiß. Diese beiden Recensionen sende ich Ihnen mit +erster Gelegenheit durch die Herren Treuttel & Würtz.</p> + +<p>Ich werde Alles, was Baggesen und meine Verhältnisse mit demselben +<span class="antiqua">directe</span> als <span class="antiqua">indirecte</span> seinetwegen mit Ihnen betrifft, +nie weiter in meine Briefe an Sie aufnehmen, sondern darüber, so lange +Sie einigen Antheil daran nehmen wollen, separate Memoires lieber +beilegen. Ich werde dies auch heute thun und übergehe alles hierauf +Bezug Habende hier und in meinen weitern Briefen.</p> + +<p>Ich danke Ihnen schon vorläufig für Ihren guten Willen, über +Sprengel's »<span class="antiqua">Historia rei herbariae</span>« ein bedeutendes Wort +im »<span class="antiqua">Mercure</span>« sagen zu wollen. Uebrigens lese ich den +»<span class="antiqua">Mercure</span>« ganz regelmäßig, und haben Sie nicht nöthig, sich +wegen der Zusendung der Nummern besondere Mühe zu geben; es wäre denn +dazu, daß ich sie dem würdigen Verfasser mittheilen möchte.</p> + +<p>Von demselben Verfasser ist eben bei mir der erste Theil eines +andern vortrefflichen Werkes erschienen: »<span class="antiqua">Institutiones +medicae</span>« welches den ersten Theil der Physiologie enthält. Die +vorläufige Ankündigung davon lege ich Ihnen hier bei. Den ersten Theil +selbst werde ich so frei sein, Ihnen durch Herrn Würtz einhändigen +zu lassen. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie Gelegenheit haben +möchten, auch für dieses Werk von irgend einem ganz der Wissenschaft +gewachsenen Manne für eines der größern Journale eine wahrhaft +beurtheilende Recension zu veranstalten .....</p> + +<p>Ich höre nicht auf, Sie mit Bitten zu belästigen. Ich habe ihrer +noch einige an Sie.</p> + +<p>Dem vor etwa 14 Tagen durch Treuttel & Würtz an Sie abgesandten +Packete habe ich noch beigelegt ein Cahier Umrisse von Flaxman zu +Dante's »<span class="antiqua">Commedia divina</span>« und drei Hefte von Umrissen zu +Ossian. Jene bilden blos das erste Heft, und folgen demselben noch +zwei Hefte von gleicher Stärke. Es sind Nachstiche nur. Dieses — +die Umrisse zum Ossian — bilden aber ein Ganzes und Original und +rühren von einem gerühmten deutschen Künstler her mit Namen Rühl. +Ich habe die Platten dieser Zeichnungen (<span class="antiqua">les cuivres</span>) von der +Handlung, welche solche hat machen lassen, und welche Handlung durch +Unglücksfälle zurückgegangen ist, in vergangener leipziger Messe +käuflich an mich gebracht; ich lasse solche jetzt completiren, neu +abdrucken, elegant cartonniren u. s. w. Zu den deutschen Umrissen +gehören zwei Abdrücke des Originals in 4° und in 8°, ganz elegant +gedruckt und höchst correct, und zugleich eine deutsche Uebersetzung +dieses Dichters von einem der vorzüglichsten deutschen Schriftsteller +und Dichter. Alles freilich nach Willkür der Käufer, was sie nehmen +wollen. Ueber den artistischen Werth dieser Umrisse will ich mich +hier nicht besonders aus<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[141]</a></span>lassen, sondern diesen Ihrem Urtheil +anheimstellen und nur bemerken, daß von Flaxman's Umrissen zu Dante +das Original nicht allein im Buchhandel gänzlich fehlt, sondern auch +nur ganz wenige Exemplare im Publikum existiren, daß die Platten +selbst zernichtet und diese Copien höchst genau sind. Die Frage wäre +nur, und dies betrifft mein ganzes Interesse dabei, ob nicht auch für +Frankreich von dem einen und andern ein kleiner Vortheil für mich zu +ziehen und wie das am besten zu befördern? Meine Wünsche sind darin +sehr mäßig, da ich die Platten auch sehr billig angekauft habe und +ich in Deutschland meine Kosten gewiß gedeckt erhalten werde; aber +ob ich nicht vielleicht 50 <span class="antiqua">à</span> 100 Exemplare per Change gegen +andere gute Bücher und Kunstsachen in Paris möchte anbringen können, +und ob ich nicht beides leichter bewerkstelligen könne, wenn sowol zum +Dante als zum Ossian ein kurzer erklärender französischer Text gegeben +würde, wie z. B. die Loudon'schen Umrisse vom »<span class="antiqua">Museo</span>« mit einem +solchen Text begleitet sind — dieses ist es, worüber ich wol Ihre +Meinung wissen möchte .....</p> + +<p>Ich begreife vollkommen, daß im Grunde meine Anfrage und +Angelegenheit blos mercantiler Art ist. Sie, werthester Herr Fauriel, +frage ich nun darüber, ob Sie die Ausführung der Zeichnungen zum +Ossian und zum Dante nicht ohne künstlerisches Verdienst finden, und +ob Sie einen kleinen Commentar darüber räthlich und thunlich finden, +und wie ich es wol anfangen müsse, mir denselben zu verschaffen?</p> + +<p>Es ist und bleibt mein fester Vorsatz, diesen Herbst noch eine +kleine Reise nach Paris zu machen. Mancherlei Geschäfte und +Verhältnisse zwingen mich dazu. Mein inneres Streben wünscht es +ebenfalls. Ich muß und werde suchen mir die Reise zugleich so nützlich +als möglich zu machen. Zu diesem Endzwecke möchte ich auch eine Anzahl +meiner dazu passenden Artikel <span class="antiqua">de fond</span>, als die beiden Werke +von Sprengel und Rudolphi, die beiden schönen 4° und 8° Ausgaben von +Dante, die »Umrisse« dazu und zum Ossian, ein paar kleine Schriften +von Villers und etwa noch 5 <span class="antiqua">à</span> 6 andere interessante neue +Artikel meines Verlags in französischer und lateinischer Sprache +gegen andere gute französische Artikel zu changiren suchen, und mein +Bestreben muß also sein, diese meine Artikel so passend als möglich +für den französischen Buchhandel zu machen.</p> + +<p>Der dritte Band der Memoiren des Obersten von Massenbach wird +nun auch in einigen Tagen ganz fertig. Ich werde ihn Ihnen gleich +zuschicken und Sie bitten, mir aufrichtig Ihre Meinung zu sagen, ob +Sie glauben, daß ein »<span class="antiqua">Précis</span>« daraus für Frankreich Interesse +haben könne. Das Ganze dieser Memoiren wird sechs Bände betragen, die +sich schnell folgen werden. Aus den drei ersten läßt sich aber doch +einigermaßen das Interesse dieses Werks übersehen.</p> + +<p>Ich schließe meinen langen Brief. Wegen Baggesen wird's mir<span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[142]</a></span> heute +zu spät zu schreiben. Das also ein andermal. Es eilt auch so sehr +nicht damit.</p> + +<p>Antworten Sie mir bald und vergessen Sie ja nicht mir eine kleine +Probe der französischen »Parthenais« beizulegen.</p></blockquote> + +<p>Das hier versprochene »Mémoire« über Baggesen folgt unterm 11. August +in Form eines Briefs und enthält eine so eingehende, klare und ruhig +gehaltene Auseinandersetzung der Verhältnisse zwischen Brockhaus und +Baggesen, daß es keines weitern Commentars bedarf. Das Mémoire lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Vor einigen Tagen habe ich Ihnen über unsere persönlichen +Angelegenheiten geschrieben, heute schreibe ich Ihnen blos über +Baggesen.</p> + +<p>Sie haben einmal das mühselige und delicate Geschäft übernommen, +zwischen uns als Vermittler aufzutreten! Es ist mir dies unendlich +lieb. Wer sollte es sonst thun? Und eine persönliche Ausgleichung +scheint mir nicht möglich. Ich habe bereits vorgeschlagen und +auch Ihnen schon mehrmals gesagt, daß ich mich über die etwaigen +Differenzen zwischen uns dem Gutachten jedes verständigen und +unparteiischen Mannes unterwerfen will. Ich habe gleich eine Anzahl +solcher Männer vorgeschlagen: Villers, Perthes, Kerner, Würtz, Sie +selbst, wenn Sie wollen! Baggesen antwortet hierauf nicht und nichts. +Er sagt, Cotta würde die Sache in sich berichtigen. Diesem muß ich +widersprechen, wenn Cotta gegen mich wahr gewesen ist. Mir hat er auf +der leipziger Messe persönlich gesagt, daß er auch nicht das Geringste +von Baggesen's Verhältnissen zu mir wissen wolle und er auf keine +Weise ferner darin wirken oder eingreifen möchte. Ich erkläre indessen +wiederholt: daß ich mich unbedingt dem Gutachten jedes verständigen +Mannes bei meinen Differenzen mit Baggesen unterwerfen werde, wenn +Baggesen eine gleiche Erklärung und Gewährleistung gibt, und habe +ich selbst dagegen nichts, wenn wir diesen Schiedsrichter blos in +Paris wählen, wo Baggesen die Bequemlichkeit hat, demselben mündlich +alle nähern Elucidationen zu geben, wogegen ich blos mit todten +schriftlichen Erinnerungen einkommen könnte. Legen Sie oder Baggesen +dies nicht als Uebermuth aus; es ist blos die innere Ruhe meines +Bewußtseins, gegen Baggesen immer als ein rechtlicher und braver Mann +gehandelt zu haben. So kann, denke ich, nie ein Urtheil einfacher, +verständiger Menschen auch gegen mich sein, es sei denn in Sachen des +Verstandes, worin ich irren kann: und davon überzeugt zu werden, thut +mir nicht weh. Sie, Herr Fauriel, sind indessen jetzt einstweilen +zwischen uns getreten: es ist möglich, daß dadurch eine Ausgleichung +in unsern Geschäftsangelegenheiten kann bewirkt werden; und da ich +nichts mehr<span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[143]</a></span> verlange als das, so folge ich Ihrer Einladung: genau +anzugeben, was ich von Baggesen verlange.</p> + +<p>Sie, Herr Fauriel, sagen: »stricte genommen, könne ich nichts +verlangen als <span class="antiqua">quelques volumes de correspondance</span>«. Es ist +wahr, nur hierüber existirt zwischen Baggesen und mir ein Contract in +<em class="gesperrt">Form</em>. Ich bin indessen der Meinung gewesen, daß ein schriftlich +oder mündlich gegebenes <em class="gesperrt">Wort</em> einen rechtlichen Mann noch weit +mehr binde als ein Contract. Diesen (einen Contract) muß auch ein +Schurke halten, weil ihn die Gesetze dazu zwingen, — das gegebene +<em class="gesperrt">Wort</em> zu halten, ist dagegen ein Wahrzeichen des Mannes von +Ehre und reiner Rechtlichkeit. Diesem ist das Wort <em class="gesperrt">mehr</em> als +der Contract. Zwischen Ihnen, Herr Fauriel, und mir existirt auch +kein Contract in Form, aber ich bin moralisch gewiß, daß es Ihnen nie +in den Sinn kommen werde, darum unserer Abrede nicht nachkommen zu +wollen; es wird mir ebenso wenig je einfallen.</p> + +<p>Habe ich Unrecht, wenn ich diese Grundsätze auf Baggesen's +Verhältnisse zu mir anwandte? oder auf meine Verhältnisse zu Baggesen? +Ich wenigstens habe darnach gehandelt und würde nicht aufgehört haben +darnach zu handeln.</p> + +<p>Also Baggesen hat mir außer den contractmäßig zugesagten »Briefen« +auch sein liebstes, ihm theuerstes, seinen Genius am klarsten +aussprechendes Werk, die humoristische Beschreibung seiner Reisen +unter dem Titel: »Dichterwanderungen«, hundertmal mündlich und ebenso +oft schriftlich, oder vielmehr das in jedem Briefe seit zwei Jahren +zugesagt. Die Zeit der Ablieferung des Manuscripts dazu ist nicht +im Allgemeinen nur bestimmt worden; nein, der Monat, die Tage gar +waren es von Baggesen selbst. Auf beides geschahen auch die <span class="antiqua">à +conto</span>-Zahlungen, die auf Ihre Vermittelung statt hatten. Ich +habe sie auf diese so bestimmten und von meiner Seite nach meinen +Grundsätzen verbindend geglaubten Zusagen mehrmalen dem ganzen +deutschen Publikum nach deutscher Buchhändler-Sitte als erscheinend +angekündigt. Die Ehre meiner Buchhandlung erfordert, daß ich diese +im Vertrauen auf Baggesen's Worte dem deutschen Publikum und dem +deutschen Buchhandel gegebene Zusage halte; ich kann es darum nie +zugeben, daß eine andere Buchhandlung diese Werke je herausgebe. +<em class="gesperrt">Ich muß mein, im Vertrauen auf Baggesen's Wort gegebenes Wort +erfüllen.</em> Baggesen muß mich darin unterstützen. <em class="gesperrt">Er kann es.</em> +Es ist hier von keiner genialen Schöpfung irgend eines dichterischen +Werks die Rede, sondern nur von der Herausgabe von Collectaneen, die +existiren und bereits in Baggesen's Händen sein müssen (den Briefen); +<em class="gesperrt">dann</em> von der Herausgabe einer Reise, die schon einmal oder +gar zweimal in dänischer Sprache (wenigstens zum Theil) von Baggesen +herausgegeben ist, und zu der, um sie mir im Manuscript deutsch zu +liefern, nur einige<span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[144]</a></span> <span class="antiqua">assiduité</span> erforderlich ist. Hätte Baggesen +mit mir einen Contract über die Vollendung der »Oceania« gemacht, ich +würde auf dessen Erfüllung, insofern Baggesen nicht in seinem Innern +dazu den Beruf und den Impuls fühlen möchte, nie dringen. Es ist klar +wie der Tag, daß zur Haltung eines solchen Contracts der höchste +innere Beruf da sein müsse, weshalb über solche Werke auch nie im +voraus Contracte gemacht werden.</p> + +<p>Es ist das aber durchaus nicht der Fall mit der Herausgabe von +<em class="gesperrt">wirklich geschriebenen</em>, also schon daseienden Briefen über +philosophische und literarische Gegenstände, die sich in Baggesen's +Portefeuille befinden werden oder befinden müssen, weil er darüber +contrahirt. Es ist dies derselbe Fall mit der Herausgabe seiner +Reisen, von denen wenigstens ein Theil (mehrere Bände) bereits in +dänischer und auch in deutscher Sprache erschienen sind, und die nur, +wenn Baggesen ihnen keinen höhern und andern Charakter geben will, +allenfalls von ihm übersetzt oder überarbeitet zu werden brauchen. +Voltaire konnte z. B. von einem Buchhändler nicht angehalten werden, +seine »Henriade« zu dichten, aber es konnte von Voltaire verlangt +werden, <em class="gesperrt">wenn er darüber contrahirt hatte</em>, — daß er seine +Correspondenz mit Friedrich, d'Alembert &c. herausgab oder die +<em class="gesperrt">französische</em> Ausgabe eines Werks, das von ihm früher in irgend +einer <em class="gesperrt">andern</em> Sprache geschrieben war.</p> + +<p>Ich glaube, man muß diese von mir hier aufgestellten Fälle sehr +bestimmt unterscheiden und dadurch fühlen, daß ich keineswegs etwas +Absurdes verlange, wenn ich von Baggesen das mir Zugesagte wirklich +fordere. Auch hat Baggesen mir so oft geschrieben, daß dies Alles nur +noch der letzten Revision und Feile bedürfe, daß alle Materialien da +und schon geordnet seien, um nicht annehmen zu <em class="gesperrt">müssen</em>, daß es +auch wahr und es ihm mithin ein Leichtes sei, seine Zusage gegen mich +zu erfüllen und mich dadurch von dem Versprechen zu acquittiren, was +ich im <em class="gesperrt">Vertrauen auf Baggesen</em> dem ganzen deutschen Publikum +mehrmalen und wiederholt gegeben habe — und das also, meiner Ehre +als Buchhändler wegen, ich auch halten muß. Daß diese Rechtlichkeit +und dieser Ehrgeiz mich bei dieser Transaction hauptsächlich allein +leiten und nicht anderes Interesse, kann Baggesen gewiß am besten +beurtheilen, da es ihm nicht unbekannt sein wird, daß meiner +Buchhandlung jede Verbindung mit den ersten Talenten Deutschlands +leicht ist, und er es gewiß sehr gut weiß, wie geringen pecuniären +Vortheil ich seither vom Verlage seiner Werke gehabt habe.</p> + +<p>Was dagegen Herr Baggesen von <em class="gesperrt">mir</em> verlangt, sei es in +Rücksicht des Honorars oder sonstiger Verbindlichkeiten, wird er mir +nun eben so offen und einfach sagen, als ich ihm Vorstehendes gesagt +habe. Ob ich gleich vollkommen weiß, was meine Verbindlichkeiten sind, +so halte ich es doch für unziemlich, darin die Initiative anzugeben.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[145]</a></span></p> + +<p>In Rücksicht Ihrer Garantie, Herr Fauriel, wegen der bezahlten 50 +Louis (500 Fl.), so nehme ich Ihre <em class="gesperrt">neuere</em> Garantie gewiß nicht +an. Ich habe geglaubt, daß die <em class="gesperrt">ältere</em> unbedingt wäre. Irrte +ich mich darin, so thue ich gern Verzicht darauf auch. Eine spätere +anzunehmen, verbieten mir meine Grundsätze.</p></blockquote> + +<p>In dem nächsten Briefe, aus Amsterdam vom 15. October 1809, schreibt +Brockhaus an Fauriel:</p> + +<blockquote> + +<p>.... Da Sie einmal Herrn Baggesen meinen Brief vom 11. August +mitgetheilt haben, so habe ich Herrn Baggesen weiter nichts zu +sagen, als ihm den Inhalt dieses Briefs in seinem ganzen Umfange zu +bestätigen. Ihn zu wiederholen, würde für mich Zeitverschwendung sein +— ihm nur eine, wenn auch nur geringe Ausgabe verursachen. Bei mir +gilt es überhaupt nur des alten deutschen Grundsatzes: »Ein Wort ein +Mann; ein Mann ein Wort.« Was ich Herrn Baggesen von jeher und Ihnen +in diesem Briefe vom 11. August zugesagt habe, wird mir immer der +heiligste Contract sein.</p> + +<p><em class="gesperrt">Ich</em> habe ihn indessen schon seit Jahren erfüllt, an Herrn +Baggesen ist die Reihe jetzt, zu handeln ....</p> + +<p>Was Sie von den Memoiren des Colonel Massenbach sagen, kann richtig +sein; Sie werden sich aber erinnern, daß Sie nach der Ankündigung doch +meinten: ein »<span class="antiqua">Précis</span>« davon würde für Frankreich viel Interesse +haben können, und das Werk ist auf jeden Fall weit anziehender, +als die erste Ankündigung noch erwarten ließ. Indessen ist es mir +sehr gleichgültig, ob diese Werke in Frankreich erscheinen, da, als +kaufmännische Entreprise betrachtet, der Debit in Deutschland &c. mich +zu meiner Genugthuung entschädigt. Der dritte Band ist eben erschienen.</p></blockquote> + +<p>Weder auf das Mémoire vom 11. August noch auf vorstehende Bestätigung +desselben vom 15. October scheint eine Antwort Baggesen's in Worten oder +Thaten erfolgt zu sein.</p> + +<p>Brockhaus entsagte jetzt allen weitern Versuchen, durch Fauriel auf +Baggesen einzuwirken, obwol Fauriel selbst darin nicht nachließ, und +resignirte sich, von Baggesen trotz wiederholter Vertröstungen weder +die ihm geleistete Vorausbezahlung zurückerstattet, noch die ihm +versprochenen Manuscripte gesandt zu erhalten.</p> + +<p>In seinen beiden nächsten Briefen an Fauriel wird wieder Anderes +besprochen und Baggesen nur nebenbei erwähnt. Indessen mögen sie des +Zusammenhangs wegen gleich hier folgen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[146]</a></span></p> + +<p>Unterm 8. November 1809 schreibt Brockhaus:</p> + +<blockquote> + +<p>Mit recht großer Ungeduld sehe ich Berichten von Ihnen +entgegen wie von Herrn Würtz über das, was Sie mit dem Druck der +»<span class="antiqua">Parthénéide</span>« beschlossen haben, und hoffe ich zugleich, daß +mit dem Druck bereits der Anfang gemacht sein wird. Ich habe von Ihnen +einen Brief (ohne Datum) erhalten, worin Sie mir Ihren Vorsatz melden, +ehestens mit Didot zu Würtz zu gehen. Es wird das geschehen sein +seitdem, worüber ich nun Ihre Berichte erwarte.</p> + +<p>Den sonstigen Inhalt dieses Ihres Briefs werde ich ein andermal +beantworten. Heute habe ich eine besondere Ursache, Ihnen zu schreiben.</p> + +<p>Kapellmeister J. F. Reichardt, bekannt unter anderm durch seine +»<span class="antiqua">Lettres confidentielles sur Paris</span>«, worüber zur Zeit der +Erscheinung auch in Paris viel in Journalen geschrieben wurde, +übrigens als einer der größten Componisten unserer Zeit berühmt, +gibt in unserm Verlage unter dem Titel: »Briefe über Wien und die +österreichischen Staaten; geschrieben auf einer Reise dahin in den +Jahren 1808 und 1809 von J. F. Reichardt« ein Werk heraus (in zwei +Bänden), das sicher allenthalben mit Begierde wird gelesen werden. +Ich bin überzeugt, daß es auch in Frankreich sehr viel Käufer finden +wird, wenn davon zeitig eine französische Ausgabe erschiene. Ich +könnte eine solche Unternehmung dadurch sehr begünstigen, wenn ich +zu dem Endzwecke die Bogen, sowie sie einzeln aus der Druckerei +kommen, gleich nach Paris schickte, und wäre es dadurch möglich, +daß die französische Ausgabe auf einige Tage noch mit dem Original +zugleich erschiene. Um einigermaßen Stil und Manier des Verfassers +beurtheilen zu können, sende ich Ihnen heute vier Aushängebogen davon +<span class="antiqua">sous bande</span> zu. Es kommt mir vor, daß zu dieser Entreprise sich +leicht eine pariser Buchhandlung verstehen würde, sei es nun für +gemeinschaftliche Rechnung, oder daß sie mir ein gewisses Honorar +bezahle für die Mittheilung der einzelnen Bogen. Mir ist beides gleich +und füge ich hierunter für jeden Fall meine Bedingungen bei. Sehr +angenehm wäre es mir, wenn Sie die Güte hätten, über diese Entreprise +mit einigen Buchhandlungen zu sprechen und im Fall auf eine meiner +Bedingungen entrirt würde, mir davon gleich Nachricht zu geben, damit +ich die übrigen Bogen, sowie sie fertig würden, gleich absenden könne. +Noch in diesem Monate wird der erste Band und im December der zweite +Band fertig.</p> + +<p>Ich sollte denken, daß diese Entreprise etwas für Buisson oder +Nicolle oder Collin, oder auch für Treuttel & Würtz passend wäre.</p> + +<p>Verzeihen Sie, daß ich Sie wieder damit belästige. Ich hoffe, Sie +geben mir Gelegenheit, Ihnen wieder einmal nützlich zu sein.</p> + +<p>Nichts Neues von Baggesen?</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[147]</a></span></p> + +<p>Darauf folgen zwei detaillirte Contractsvorschläge zu einer +französischen Uebersetzung des Reichardt'schen Werks, die in mehrfacher +Hinsicht interessant sind. Sie zeigen, daß Brockhaus in einer Zeit, +die weder den Schutz des geistigen Eigenthums noch viel weniger +internationale Verträge zum Schutz von Uebersetzungen kannte, diese +Verhältnisse bereits ins Auge faßte, und daß er in sehr geschickter +Weise Versuche machte, trotzdem auch von dem ausländischen Markte Nutzen +zu ziehen.</p> + +<p>Die beiden Vorschläge, die Fauriel einem französischen Verleger zur +Auswahl vorlegen sollte, lauten:</p> + +<blockquote> + +<p class="center"> +Erster Vorschlag. +</p> + +<p>1) Ich theile die einzelnen Bogen, sowie sie aus der Druckerei +kommen, in doppelten Exemplaren sogleich mit und sende sie an die mir +aufgegebene Adresse <span class="antiqua">sous bande</span> nach Paris.</p> + +<p>2) Ich erhalte für diese Mittheilung für jeden Bogen 1 Louis, +zahlbar per Billet <span class="antiqua">à</span> Ordre <span class="antiqua">à 3 mois de date</span> vom Datum +der Lieferung des ersten Bogens.</p> + +<p>3) Das Billet bleibt in den Händen eines Dritten, bis der letzte +Bogen jeden Bandes abgeliefert ist. Sobald dies geschehen, wird mir +das Billet zugestellt und für den zweiten Band wieder ein gleiches +Billet gemacht, womit es ebenso gehalten wird. Jeder Band wird zu 30 +Bogen gerechnet.</p> + +<p>4) Bis zum 15. December circa wird der erste Band und bis zum 15. +Januar der zweite Band ganz ausgedruckt sein.</p> + +<p class="center space-above"> +Zweiter Vorschlag. +</p> + +<p>1) N. N. in Paris verbindet sich mit uns zur gemein­schaftlichen +Herausgabe auf gemein­schaftliche Kosten.</p> + +<p>2) Wir erhalten für die Mittheilung der Idee und der Bogen per jeden +Bogen 1 Louis, die mit in die generale Unkostenrechnung kommen, sodaß +wir selbst die Hälfte davon tragen.</p> + +<p>3) N. in Paris besorgt Uebersetzung, Druck und Papier.</p> + +<p>4) Nach Vollendung des Druckes werden die generalen Unkosten +aufgemacht und N. in Paris remboursirt sich für die Hälfte der +Unkosten auf uns per Tratte <span class="antiqua">à 3 mois</span>, wobei uns indessen die +Vergütung des 1 Louis per Bogen in Abzug gebracht wird.</p> + +<p>5) N. in Paris besorgt den Debit in Frankreich und Alles, was von +Paris aus verlangt wird. Wir besorgen ihn in Deutschland und Holland +und rechnen zu dem Zwecke 200 Exemplare für unsere Rech<span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[148]</a></span>nung, wofür +wir ein Billet, zahlbar in 12 Monaten, an N. geben, der bei finaler +Abrechnung uns selbst eventuell damit bezahlen kann.</p> + +<p>6) Nach Verlauf von 6 Monaten gibt Herr N. in Paris an, was verkauft +ist und was eingenommen, und wird derselbe die Hälfte der Einnahme per +Billet <span class="antiqua">à 3 mois</span> an mich bezahlen.</p> + +<p>7) N. in Paris erhält für Delcredere und für seine Bemühungen 10 +Procent Provision vom reinen Ertrage des Verkauften.</p> + +<p>8) Bei einer zweiten und weitern Auflage wird nach denselben +Grundsätzen verfahren.</p> + +<p>9) Es wird eine Conventionalstrafe von 50 Louis für Den festgesetzt, +der irgend eine Bedingung nicht hält.</p> + +<p>10) Es wird ein förmlicher Contract gemacht, den beide Theile +zeichnen.</p></blockquote> + +<p>Das hier besprochene Project selbst ließ Brockhaus übrigens auf +Fauriel's Rath fallen, wie aus seinem nächsten Briefe an diesen vom +4. December 1809, der zugleich wieder interessante Einblicke in seine +Verlegerthätigkeit gewährt, hervorgeht. Er schreibt:</p> + +<blockquote> + +<p>Sie haben Recht, es ist zum Tollwerden mit der »<span class="antiqua">Parthénéide</span>«. +Mir ist es nun auch wirklich zum Nachtheil, daß sie nicht im December +fertig wird. In Deutschland, Oesterreich u. s. w. kommt, was nicht +im December versandt wird, auf sogenannte neue Rechnung, die ein +Jahr später bezahlt wird. Ich empfehle Ihnen nochmal dringend die +schleunigste Beförderung an, und daß mir die Bogen einzeln, wie sie +aus der Druckerei kommen, zugesandt werden. Von Forssel's Gravüre +hätte ich gern einen Probeabdruck erhalten! Daß auch weder Sie, noch +Würtz, noch Forssel daran gedacht haben!</p> + +<p>Ich bin Ihnen recht vielen Dank schuldig für Ihre Mittheilung wegen +Reichardt. Ihre Bemerkungen über dieses Werk sind vollkommen richtig: +er ist sehr discret geworden! Das Buch paßt nicht für Frankreich. Was +für Frankreich Interessantes darin wäre, darf nicht in Frankreich +gedruckt werden, und was dort darf gedruckt werden, ist zu individuell +für Deutschland geschrieben, als daß man es in Frankreich goutiren +könnte. Ich habe also, aus Sorge für Würtzens Interesse mit, auf +die ganze Idee für Frankreich Verzicht gethan. Ich werde Ihnen ein +Exemplar davon zusenden.</p> + +<p>Es erscheint noch ein zweites Werk bei uns über Wien, wozu der +Verfasser sich nicht nennt. Kann dieses in Paris übersetzt werden, so +würde es außerordentliches Aufsehen machen. Aber ich zweifle daran, +da wir wegen des Druckes selbst in Deutschland große Schwierigkeiten +finden. Sie werden auf jeden Fall das Original von mir erhalten.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[149]</a></span></p> + +<p>Hierbei eine kleine Pièce, von der wir hier in acht Tagen 3000 +Exemplare verkauft haben. Man wundert sich, daß sie nicht verboten +wurde.</p> + +<p>Man erhält dorten leichter englische Bücher und Journale als hier. +Sollte es nicht möglich sein, daß Sie mir von Galignani, Borrdis +oder irgend Jemandem, der die englischen Journale regelmäßig erhält, +folgende drei Werke verschafften:</p> + +<p> +1) <span class="antiqua">The life of W^m. Pitt by Gifford, 5 vol.</span><br /> +2) Coxe's <span class="antiqua">History of Austria, 2 vol.</span><br /> +3) J. Adolphus: <span class="antiqua">The political State of the British Empire, 4 vol. (1809).</span><br /> +</p> + +<p>Wenn es Ihnen gelänge, diese drei Werke mir bald (etwa mit den +Gelegenheiten, womit die englischen Journale dort so regelmäßig +ankommen) verschaffen zu können, so würden Sie mich sehr verpflichten. +Die Regierung soll darin liberal sein.</p> + +<p>An das, was Sie mir von Baggesen sagen, glaube ich blutwenig. Er +wird nicht nach Dänemark reisen, er wird mir nicht schreiben, er wird +nicht nach Amsterdam kommen, er wird mir nichts liefern.</p> + +<p>Ich habe nichts dagegen, daß Sie einige Exemplare Ihrer +»<span class="antiqua">Parthénéide</span>« auf dem schönsten Velin drucken lassen! Für Ihr +Bedürfniß nehmen Sie übrigens so viel Exemplare der gewöhnlichen +Ausgabe als Sie wollen. In Deutschland bewilligt man dem Verfasser +gemeiniglich 12 — 16 — 18.</p> + +<p>Leben Sie wohl. Und melden Sie mir ja endlich etwas Endliches über +die ewige »<span class="antiqua">Parthénéide</span>«.</p> + +<p class="center">Ganz Ihr</p> +<p class="signature">Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>Nur wenige Wochen liegen zwischen diesem Briefe und dem folgenden, dem +letzten, den Brockhaus, soviel wir wissen, an Fauriel richtete; aber +diese Wochen schließen den größten Schmerz in sich, von dem er in seinem +schweren Leben betroffen wurde: den Verlust seiner heißgeliebten Frau. +Tief erschüttert theilt er dem Freunde diese Trauerkunde mit und bittet +ihn, auch Baggesen davon zu unterrichten, indem er diesem in edler Weise +die Hand der Versöhnung reicht.</p> + +<p>Er schreibt an Fauriel am Heiligen Abende vor dem Weihnachtsfeste, wol +dem traurigsten, das er je erlebte, am 24. December 1809:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[150]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Ich erhalte in diesem Augenblicke Ihren Brief vom 18. d. M. Ich +antworte Ihnen heute gleich einige Zeilen darauf, da ich im Begriff +stehe, aus der unglücklichsten aller Ursachen eine Reise zu machen, +die mich drei Wochen von hier wegweisen wird.</p> + +<p>Ich habe am 8. dieses an den Folgen einer etwas zu zeitigen +Niederkunft meine theure angebetete Gattin verloren! Für mich ist +jetzt keine Ruhe, kein Glück mehr auf der Welt. Ich habe mit ihr Alles +verloren, was mich mit der Menschheit verband. Auch meine Kinder — +fesseln mich nicht mehr, denn sie mahnen mich an die Verklärte. Der +namenloseste Schmerz drückt mich nieder. Ich bin unsaglich unglücklich +geworden!</p> + +<p>Sagen Sie Baggesen mein Unglück. Er kannte die Verewigte. Er war vor +zwei Jahren Pathe bei unserm Max. Glücklicher Tag! Wie hat sich durch +diesen Tod für mich Alles — Alles — in finstere Nacht verwandelt. +Ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Meine Reise hat zur nächsten Absicht, +meine Kinder von hier weg, und zu unserm Vaterlande, nach Deutschland, +zurückzubringen, zu unsern Aeltern, Verwandten und Freunden. Wir waren +hier fremd und durch einen Orkan aus unsern primären Verhältnissen +dort gerissen, hier an dieses unwirthliche Ufer verschlagen worden. +Sophie sah das gute Vaterland nicht wieder! Ich kehre einstweilen in +einigen Wochen zurück, bis ich Gelegenheit finde, Amsterdam ganz zu +verlassen — hier ist kein Glück mehr für mich.</p> + +<p>Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, damit Sie wissen, warum Sie in +einigen Wochen nichts von mir hören. Ich sage Ihnen heute nichts von +Geschäften, nichts von der »<span class="antiqua">Parthénéide</span>«, nichts von allen +weitern Ideen Ihres interessanten Briefes.</p> + +<p>Sie sind gewiß ein wackerer und ein gefühlvoller Mann. Sie werden +ahnden, wie gleichgültig mir für den Augenblick jedes mercantilische +Geschäft sein müsse. Nur was Pflicht unbedingt von mir fordert, kann +jetzt geschehen. Darum wird auch nichts von meinem Comptoir versäumt +werden, was auf die Beförderung der »<span class="antiqua">Parthénéide</span>« Bezug hat. +Ich erlaube mir selbst Sie und Herrn Würtz dringend zu bitten, die +wirkliche Erscheinung derselben möglichst zu beschleunigen.</p> + +<p>Die Aushängebogen erwarte ich, sowie sie aus der Presse kommen, +einzeln hierhin. Ich werde sie mir nachkommen lassen. Lassen Sie Herrn +Würtz nicht die 500 Exemplare, die wir für Deutschland bestimmen, auf +einmal hierhin senden: 250 Exemplare sende Herr Würtz über Frankfurt +nach Leipzig, und hierhin 100 Exemplare, beides <span class="antiqua">par diligence</span>.</p> + +<p>Jeder Sendung werden 5 Velin-Exemplare beigefügt. Die Exemplare +hierhin müssen zur Hälfte brochirt sein. Die leipziger brauchen es gar +nicht zu sein. Die Kupfer werden sorgfältig eingelegt, und wir<span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[151]</a></span> von +Allem unterrichtet per directen Brief. Ich hoffe und erwarte selbst, +daß die Absendung noch im Januar geschehen könne.</p> + +<p>Lassen Sie Baggesen in meinem Namen 5 Exemplare auf Velin anbieten, +als ein Zeichen meiner Verehrung und Freundschaft. Die Wehmuth, die +jetzt meine Seele erfüllt, läßt mir keinen Raum mehr für feindselige +Verhältnisse irgend einer Art. Sagen Sie auch dies Baggesen. Er verlor +einst ebenfalls eine <em class="gesperrt">Sophie</em>! Er ist ein gefühlvoller Mann; er +<em class="gesperrt">kannte</em> auch <em class="gesperrt">meine Sophie</em>! Er weiß also Alles, was ich +verloren. In solchen furchtbaren Momenten schließen sich menschliche +Herzen wieder aneinander. Ich bitte ihn selbst um diese neue Näherung!</p> + +<p>Leben Sie wohl und bedauern Sie</p> + +<p class="right-2">Ihren unglücklichen</p> +<p class="signature">Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>Dieser Brief bildet einen schmerzlichen, aber gewiß für Brockhaus +höchst ehrenvollen Abschluß seiner Zerwürfnisse mit Baggesen: er +reicht dem frühern Freunde, obwol dieser ihm als Geschäftsmann den +empfindlichsten Schaden bereitet, die Hand, unfähig, den Streit über das +Grab seiner Frau hinaus, die auch von Baggesen verehrt worden war, noch +fortzusetzen. Fauriel's und Baggesen's Antworten auf diesen Brief sind +uns nicht bekannt.</p> + +<p>Während der ganzen unerquicklichen Verhandlungen mit Baggesen hatte +sich Brockhaus übrigens stets edel, uneigennützig und versöhnlich +gezeigt. Ein aus Schriftstellern und Buchhändlern zusammengesetztes +Schiedsgericht, wie er es Baggesen wiederholt vorgeschlagen, würde +schwerlich damals anders entschieden haben oder heutigentags anders +entscheiden, als daß Brockhaus im Rechte gewesen und richtig +gehandelt, daß Baggesen aber seine gegen Brockhaus eingegangenen +Verpflichtungen nicht gehalten und gegen ihn, ganz abgesehen von ihren +freundschaftlichen Beziehungen, überhaupt nicht so verfahren habe, +wie es glücklicherweise sonst Brauch ist zwischen Schriftstellern und +Buchhändlern.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Der hier als Versöhnung wirkende Tod bildete nach vielen Seiten hin +einen Wendepunkt in Brockhaus' Leben: er war die nächste Veranlassung, +daß dieser Amsterdam bald für immer verließ; er nahm<span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[152]</a></span> ihm die treue +Gefährtin seines Wirkens und Schaffens, zu der er sich immer geflüchtet +hatte aus all dem Widrigen, das ihm im Leben beschieden war; er brachte +ihn in neue Verhältnisse, die zunächst verwirrend und betäubend auf ihn +wirkten und aus denen er sich nur schwer hindurchzuarbeiten vermochte.</p> + +<p>Diese unmittelbar auf den Tod seiner Frau folgende Zeit, die als die +eigentliche Sturm- und Drangperiode seines Lebens bezeichnet werden +kann, obwol es ihm auch bisher nicht an Sturm und Drang gefehlt hatte, +umfaßt die anderthalb Jahre von Ende 1809 bis zum Frühjahre 1811.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[153]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h2><a name="Dritter_Abschnitt" id="Dritter_Abschnitt">Dritter Abschnitt.</a> +<br /> +Von Amsterdam nach Altenburg. +</h2> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[154]</a></span></p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[155]</a></span></p> + +<h3><a name="Chapter3-1" id="Chapter3-1">1.</a> +<br /> +Ende des amsterdamer Aufenthalts. +</h3> + +<p class="start-chap">Am 8. December 1809 war Sophie Brockhaus gestorben, nachdem sie am 24. +November einer Tochter das Leben gegeben, die nach ihr Sophie genannt +wurde. Schon in den letzten Monaten hatte sie viel gelitten; während +ihrer Krankheit und dann während des Wochenbetts war sie von ihrer +jüngsten Schwester Josina (die später den in holländischen Diensten +stehenden Obersten Eichler heirathete) gepflegt worden. Die ersten +Tage nach der Entbindung waren schon glücklich überstanden, als sie +sich durch zu zeitiges Aufstehen eine Erkältung zuzog, die ihren Tod +herbeiführte.</p> + +<p>Die damals zehn Jahre zählende älteste Tochter Auguste erinnert sich +gehört zu haben, daß in diesen Tagen ihr Vater sehr aufgeregt in das +Zimmer seiner Frau gekommen sei und unter deren Sachen eifrig nach +einem Briefe gesucht habe, der ihm wegen der traurigen Hiltrop'schen +Angelegenheit von Wichtigkeit war; da er den Brief nicht fand, sei +ihre Mutter dann selbst aufgestanden, um, wiewol ebenfalls vergeblich, +danach zu suchen, und infolge dieses vorzeitigen Aufstehens erkrankt. +In dem betreffenden Processe war kurz vorher (am 16. November 1809) +das für Brockhaus ungünstige erste Urtheil erfolgt, das ihn zu einer +(am 28. Februar 1810 erlassenen) Appellation veranlaßte, und jener +Brief war vermuthlich der von uns bei Darstellung dieser Angelegenheit +(S. 24) mitgetheilte Brief seiner Schwägerin Elisabeth Hiltrop, von dem<span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[156]</a></span> +Brockhaus bei Abdruck desselben unter den Actenstücken des Processes +erwähnt, er habe ihn erst nach dem Tode seiner Frau unter ihren Papieren +vorgefunden. Ist diese Annahme begründet, so hat jener unglückselige +Proceß, der ihm das Leben so verbitterte und überhaupt so verhängnißvoll +für ihn war, selbst den Tod seiner Frau veranlaßt!</p> + +<p>Brockhaus hatte mit seiner Frau elf Jahre in der glücklichsten Ehe +gelebt. Sie hatte ihm sieben Kinder geboren, vier Söhne und drei +Töchter, die bei ihrem Tode noch sämmtlich am Leben waren. Wie glücklich +er mit ihr lebte, wie sie seine treueste Freundin und Beratherin in +den vielen schweren Zeiten war, die er bis dahin zu überstehen hatte, +ist aus manchen seiner von uns mitgetheilten Briefe zu ersehen; aus +den Briefen Anderer, daß ihr Werth auch von seinen nähern Freunden, +wie Cramer und Baggesen, erkannt wurde. Schrieb doch Cramer von ihr, +wie ebenfalls bereits mitgetheilt: »daß sie an schöner deutscher +Häuslichkeit, Gutheit, Freundlichkeit und Verstand zu seinen Idealen +gehöre« und der Gattin von Voß, Ernestine, sehr gleiche. Brockhaus hatte +ihr Porträt (wol von Cornelia Scheffer, der Mutter Ary Scheffer's) malen +und auch eine Büste seiner Frau anfertigen lassen, doch ist leider +nichts davon erhalten.</p> + +<p>Als er kurz nach ihrem Tode in Dortmund war und zuerst wieder das Haus +ihres Vaters betrat, warf er sich, vom Schmerz übermannt, auf den Boden +nieder und küßte die Schwelle des Hauses; auf die erstaunte Frage seines +jungen Neffen, der ihn begleitete, erwiderte er: »Hier habe ich meine +Sophie zum ersten male gesehen!« Und als er anderthalb Jahre später +wieder kurze Zeit in Amsterdam verweilte, da bildete das zwei Stunden +von der Stadt schön am Y gelegene Dorf Muiden, auf dessen Kirchhof er +sie begraben, seinen Lieblingsspaziergang und er brachte viele Abende +dort in stiller Wehmuth zu.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Der Tod seiner Frau wurde aber auch die entscheidende Veranlassung, daß +Brockhaus Amsterdam bald darauf für immer verließ.</p> + +<p>Die politischen Verhältnisse hatten ihm allerdings den Aufenthalt +daselbst schon seit einiger Zeit verleidet, da sie den +buch<span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[157]</a></span>händlerischen Verkehr nach allen Richtungen hin erschwerten. +Brockhaus ließ seine Verlagswerke meist in Deutschland drucken: in +Leipzig bei Breitkopf & Härtel, Hirschfeld und andern Buchdruckern, +in Weimar bei Bertuch, in Braunschweig bei Vieweg, in Halle und noch +an andern Orten. Seitdem nun Holland französisch geworden war, konnte +er von seinen eigenen Verlagswerken kein Exemplar nach Amsterdam zum +Verkaufe in seinem Sortimentsgeschäfte erhalten, ohne erst in Paris die +Erlaubniß dazu erbeten und die Anzahl der einzuführenden Exemplare dort +»declarirt« zu haben. Es läßt sich denken, welche Belästigungen und +Umständlichkeiten damit verbunden waren. In derselben Lage befanden sich +freilich auch die Sortimentshandlungen in den französisch gewordenen +Provinzen Norddeutschlands, im Hannöverschen, Westfalen, Bremen, +Hamburg u. s. w. Friedrich Perthes in Hamburg organisirte deshalb +förmlich für sich und befreundete Handlungen die mit vielen Formalitäten +verknüpften Manipulationen bei diesem Geschäftsgange und ließ selbst +eine Instruction darüber drucken. Auch Brockhaus fand einen einigermaßen +praktischen Ausweg, indem er für seine Geschäftsfreunde in den drei +französischen Departements Norddeutschlands die Anzahl der an sie zu +sendenden Verlagsartikel in Paris selbst declarirte und die Sendung dann +jedesmal nur an Eine Handlung zur Vertheilung an die übrigen gehen ließ.</p> + +<p>So hätte er wol noch längere Zeit in Amsterdam zu bleiben versucht, +und war selbst unablässig bemüht, sein Sortimentsgeschäft weiter +auszudehnen, besonders, um den eben geschilderten Uebelständen zu +begegnen.</p> + +<p>Am 11. November 1809 schreibt er an Heyse in Bremen: Er könne ihm +nicht direct von Amsterdam seine Verlagsartikel senden, sondern nur +von Leipzig aus, nach vorausgegangener Declaration in Paris; aber in +Zukunft könne sich Heyse deshalb nach Aurich (in Ostfriesland) wenden, +wo er, vom Gouvernement selbst dazu aufgefordert, »was sich nicht +wohl refusiren ließ«, ein Etablissement zu errichten versuchen werde. +Dieses Vorhaben kam auch wirklich zur Ausführung, und Bornträger, der +inzwischen von Leipzig nach Amsterdam zurückgekehrt war, wurde von ihm +deshalb nach Aurich geschickt. Indeß hatte das Etablissement in Aurich +nur einen<span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[158]</a></span> sehr kurzen Bestand, aber nicht weil es sich als unzweckmäßig +herausstellte, sondern weil Bornträger seiner persönlichen Sicherheit +wegen dort ebenso wenig bleiben konnte wie früher in Amsterdam.</p> + +<p>Bornträger war Ende November 1809 über Groningen nach Aurich gereist, +aber kaum dort angekommen, machte er Brockhaus die Mittheilung, daß er +auch dort fürchten müsse, zum Militär ausgehoben zu werden.</p> + +<p>Brockhaus fügte darauf dem ersten an sein auricher Geschäft abgegangenen +Briefe vom 30. November, der zugleich der letzte sein sollte, folgende +Zuschrift an Bornträger vom 2. December hinzu:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich danke Ihnen für die umständlichen Berichte. Bei dieser Lage ist +keine Wahl. Zurückkommen können Sie aus hundert Ursachen aber auch +nicht. Mein Entschluß ist also gefaßt: Sie gehen in Gottes Namen nach +Leipzig und treten in Weigel's<a name="FNAnker_36_36" id="FNAnker_36_36"></a><a href="#Fussnote_36_36" class="fnanchor">[36]</a> Stelle. Ich hatte gestern, durch +wiederholte Beschwerden über Weigeln zur Verzweiflung gebracht, einen +sehr umständlichen Brief an Gräff geschrieben und Weigeln das Geschäft +abgenommen und ihm (Gräff) oder Cnobloch übertragen. Sie finden diesen +Brief, den ich aus Gründen an meine Freundin, die Hofräthin Spazier, +offen schicken wollte und auch heute schicke, Ihnen also heute nicht +schicken kann, bei dieser. Hieraus werden Sie alles Nähere ersehen und +darin vorläufig alle zuerst nöthigen Instructionen finden.</p> + +<p>Sie kehren bei Ihrer Ankunft in Leipzig im Großen Joachimsthale +ein, wo Sie beim Wirth einstweilen accreditirt sein werden, der mich +von der Messe her sehr gut kennt. Sie werden dort auch von mir Briefe +vorfinden, die Ihnen sagen werden, wie Sie Ihre ersten Schritte +einzurichten haben. Heute annoncire ich einstweilen Ihre Ankunft.</p></blockquote> + +<p>Darauf ertheilt er ihm noch genaue Instructionen über die Auflösung +des kaum begründeten auricher Etablissements, z. B. daß er mit den von +Leipzig beziehenden ostfriesischen Buchhändlern Verbindungen schließen +solle, um sie von Leipzig aus zu bedienen, und gibt ihm auch väterliche +Ermahnungen, die von der herzlichsten Theilnahme dictirt sind, wobei er +es ihm besonders zur Pflicht macht, den schon früher angenommenen Namen +Friedrich Schmidt streng festzuhalten. Er schließt:</p> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[159]</a></span></p> +<blockquote> + +<p>Sie reisen, nachdem dies Alles besorgt, mit erster Post ab. <em class="gesperrt">Fr. +Schmidt</em> reist ab. Ich lege es demselben auf und mache es ihm +zur heiligsten und unerläßlichsten Pflicht (in Rücksicht seiner und +meiner!), diesem Charakter treu zu bleiben und in Bremen so wenig als +irgendwo, auch in Hannover nicht, irgend einen Menschen, er sei wer er +sei, zu besuchen! Dies <em class="gesperrt">muß</em> sein! Seinetwegen und meinetwegen! +Sie müssen Niemanden aufsuchen oder besuchen! Einen Paß werden Sie in +Aurich oder Oldenburg leicht erhalten können.</p> + +<p>Benachrichtigen Sie mich von Ihrer Abreise, Ihrer Ankunft in +Braunschweig und augenblicklich von Ihrer Ankunft in Leipzig. Leben +Sie wohl! Der Himmel nehme Sie in seinen Schutz!! Der Himmel begleite +Sie! Bleiben Sie ein guter Mensch! Bleiben Sie im ganzen Sinne des +Worts <em class="gesperrt">getreu</em>!! Thränen stürzen mir in die Augen! Zu Ostern +drücke ich Sie an meine Brust. Leben Sie wohl! Reisen Sie glücklich!</p> + +<p>(Nachschrift.) Wenn Sie den Muth haben, Vieweg zu sehen, so gehen +Sie zu ihm. Vielleicht kennt er Sie gar nicht. Ueberlegen Sie dann +Alles reiflich mit ihm, so weit etwas zu überlegen ist. — Vielleicht +könnten Sie über Quedlinburg reisen und mit Basse fertig werden. — In +Halle gehen Sie bei Sprengel vor. Sie werden auch da einen Brief von +mir erhalten.</p></blockquote> + +<p>Die letztern Bemerkungen über Vieweg und Basse, durch die er seinen +strengen Befehl, daß Bornträger auf seiner Reise durchaus Niemand +besuchen solle, wieder einschränkte, beziehen sich auf eine frühere +Stelle jenes Briefs, die für die damaligen Censurverhältnisse +charakteristisch ist. Sie lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Das zweite Werk von R—dt<a name="FNAnker_37_37" id="FNAnker_37_37"></a><a href="#Fussnote_37_37" class="fnanchor">[37]</a> kann in Leipzig nicht gedruckt werden, +da man es zu frei findet. Wirklich ist es nach den mir mitgetheilten +Proben sehr keck und dreist, allein auch von außerordentlichem +Interesse, und bedürfte es nach meiner Einsicht, um es ausgeben zu +können, nur eines verständigen Redacteurs, der die Worte zu wägen und +anstößige gegen mildere umzuwechseln verstände. Ich habe das selbst +versucht und ist es mir, glaube ich, mit den paar Bogen, die ich +gehabt, erträglich gelungen.</p> + +<p>Ich leugne nicht, daß ich außerordentlich wünschte, daß es +erschiene.<span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[160]</a></span> Es wird ungeheuere Abnahme finden. Bei dieser meiner +Neigung habe ich Viewegen den Vorschlag zum Drucke gemacht und diesem +gesagt, daß er allenfalls Basse in Quedlinburg darüber sprechen +möchte, und nach Leipzig habe ich Ordre gegeben, das ganze Manuscript +sofort an Viewegen zu senden. Ob nun Vieweg entrirt oder entriren +darf, weiß ich noch nicht. Ich schreibe ihm nun aber noch mit dieser +Post näher, daß er, im Fall er dorten nichts mit dem Manuscript +machen könne, es Ihnen nach Aurich schicken möchte. Vorläufig trage +ich Ihnen nun auf, sich in Oldenburg, Delmenhorst und Burgsteinfurt +zu informiren, ob man da etwas könne ohne besondere Censur gedruckt +erhalten und hoffen könne, es rasch fertig zu bekommen, wöchentlich +drei Bogen wenigstens. In Burgsteinfurt ist, wie ich weiß, eine gute +Druckerei und ohne alle Censur .... Sie werden anführen, daß gegen die +Franzosen nichts gesagt, es aber sonst frei geschrieben sei, weshalb +man wünschen müsse, eine liberale oder keine Censur zu haben.</p></blockquote> + +<p>Bornträger verließ Aurich in den ersten Tagen des December und reiste +über Oldenburg und Celle zunächst nach Braunschweig. Dorthin schreibt +ihm Brockhaus unterm 19. December einen sieben Quartseiten langen Brief +mit den genauesten Vorschriften, wie er sich auf seiner weitern Reise, +in Braunschweig, Halberstadt, Halle, und bei seiner Ankunft in Leipzig +den betreffenden Personen gegenüber, die mit einigen scharfen Strichen +gezeichnet werden, zu verhalten habe. Er geht dabei, wie er selbst +schreibt, »nach meiner Ihnen bekannten Methode ganz systematisch zu +Werke«, indem er das Ganze in Form einer Tabelle schreibt, mit A, B, C +und darunter wieder mit Ziffern.</p> + +<p>Einige charakteristische Züge seien aus diesem Briefe hier mitgetheilt.</p> + +<p>Er bemerkt über den Tod seiner Frau: »Sie werden aus unsern frühern +Briefen Alles wissen, mein namenloses Unglück durch den Verlust Sophiens +und alle daraus entgehenden Folgen«, und fährt dann fort: »Vieweg ist +uns, glaube ich, sehr zugethan. Er wird eine höhere Idee von uns haben +als wir verdienen möchten. Sie werden sehr besonnen gegen ihn sprechen« +— ein Beweis, daß Brockhaus bei allem ihm oft wol nicht mit Unrecht +vorgeworfenen zu starken Selbstbewußtsein doch auch bescheiden war. In +Halle empfiehlt er unter anderm, den »Romanschreiber A. G. Eberhardt«, +den »Directeur« der Renger'schen Buchhandlung zu besuchen, und<span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[161]</a></span> nennt +ihn einen »feinen gewandten Kopf«, während er einen Buchdrucker, um +ihn kurz zu charakterisiren, einen »alten steifen Kerl« nennt und über +einen Professor, übrigens keinen namhaften, gar zu schreiben wagt: +»N. N. besuchen Sie nicht. Sollte er Sie aber treffen, so sagen Sie +ihm, daß wir, wenn Sie nicht irrten, von ihm Antwort erwarteten. Er +ist ein Esel.« Den Botaniker Sprengel in Halle bezeichnet er als einen +»höchst freundschaftlichen, aber sehr verständigen Mann«, den bekannten +Professor Ersch als einen »noch liebern, einfachern und uneigennützigern +Mann als Sprengel«. Ueber Reichardt's Individualität, seine Familie +u. s. w. verlangt er genauen Bericht.</p> + +<p>Für Leipzig endlich lautet die vorläufige, besonders charakteristische +Instruction:</p> + +<blockquote> + +<p>Ihr einziger erster Besuch sei bei der Hofräthin Spazier. Sie +erklären aber dort, daß Sie erst Ihre Instructionen abwarteten und +Sie bis dahin nichts sagen oder thun könnten. Sie werden diese +Instructionen mit nächster Post <span class="antiqua">poste restante</span> erhalten und +sich auf der Post den Brief holen. Sie werden gegen die Hofräthin +Spazier einstweilen ernst und höflich, gegen Weigeln dasselbe sein, +und sich, unter jenem Vorwande, durchaus in keine Vertraulichkeiten +einlassen, sondern ganz denselben Ton annehmen, den man gegen Sie +annimmt und der wahrscheinlich kalt, feierlich und süffisant sein +wird. Ich werde Sie mit nächster Post ganz <span class="antiqua">au fait</span> setzen.</p> + +<p>Leben Sie wohl! Ich vertraue Ihnen, wie Sie sehen, das Glück meines +Lebens an. Ich vertraue und schätze Sie. Sie werden mir im ganzen +Sinne des Worts treu und bieder dienen. Wir werden dort bald zusammen +sein.</p></blockquote> + +<p>Uebrigens handelte es sich augenblicklich gar nicht, wie es nach +diesen emphatischen Worten scheinen könnte, um besonders wichtige +Entscheidungen, sondern um einige geschäftliche Verhandlungen +gewöhnlicher Art, und Brockhaus wünschte nur, daß der von ihm +sehr geschätzte, aber doch noch sehr jugendliche Gehülfe sich der +Schwierigkeit der Aufgabe, ihn überall richtig zu vertreten, recht +bewußt werde.</p> + +<p>Am 23. December schreibt Brockhaus an Bornträger, der ihm herzliche +Theilnahme an dem Verlust seiner Frau ausgesprochen hatte:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[162]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Die paar Zeilen, die Sie mir von Braunschweig geschrieben, haben +mich tief erschüttert. Ja, Sie kannten das edle Gemüth der Verklärten +vielleicht mehr wie viele Menschen! Sie hielt auch unendlich viel +von Ihnen, und wir haben in den letzten Tagen ihres Lebens uns noch +zweimal sehr umständlich von Ihnen unterhalten. Sophie liebte Sie wie +eine zärtliche Mutter, wie eine treue Schwester. Sie erkannte das +viele Gute, das in Ihrer Seele liegt, nur fürchtete sie in der letzten +Epoche Ihres Hierseins für Sie, wie ich es auch that. Darüber sprachen +wir noch viel zusammen, als Ihr letzter Brief von Aurich eintraf und +ich mich entschloß, Sie zu bitten, nach Leipzig zu gehen. Sie stimmte +diesem Entschlusse vollkommen bei, da sie den namenlosen Verdruß +kannte, den mir und Ihnen die Besorgung der dortigen Geschäfte durch +Weigel verursacht hatte.</p> + +<p>Sie kennen die zahllosen Ursachen, die Weigel uns zu Klagen gegeben +hat. Sie wollen dies Alles aber nicht urgiren. Sie wollen Weigel mit +Liebe und Zartheit begegnen, denn er ist ein guter und ein edler und +ein unglücklicher Mensch. Er ist nur kein Geschäftsmann, besonders in +so verwickelten Verhältnissen, als die unserigen es sind .... Gegen +Jeden werden Sie sagen, ohne bestimmt Weigeln anzuklagen, daß ich +mich veranlaßt gefunden hätte, Jemanden, der sich ganz meinen dasigen +Geschäften widmen könnte, dort zu halten .... Der Frau Hofräthin +Spazier vertrauen Sie ganz. Sie wird Ihnen rathen und helfen, wo sie +kann. Sie ist meine wahre Freundin.</p></blockquote> + +<p>Obwol Brockhaus so Alles that, um seinem Gehülfen die Ordnung und +Besorgung der für ihn in seiner Doppelstellung als Verlags- und als +Sortimentsbuchhändler besonders wichtigen Beziehungen in Leipzig zu +erleichtern, und das beste Vertrauen zu ihm hatte, ging er doch schon +seit dem Tode seiner Frau mit der Idee um, Amsterdam zu verlassen und +sein Geschäft ganz nach Leipzig zu verlegen. Die Stadt, in der er acht +Jahre an der Seite seiner Frau und von blühenden Kindern umgeben verlebt +hatte, zwar nicht so glückliche und ungetrübte wie die ersten drei Jahre +in Dortmund, aber in einem neuen, seinem Geiste endlich genügenden +Wirkungskreise, sie war ihm jetzt für immer verleidet. Dazu kamen die +schon erwähnten politischen und geschäftlichen Unannehmlichkeiten. +Endlich aber sah er immer mehr ein, daß der geeignete Boden für ihn +nicht eine holländische, jetzt gar französische Stadt sei, sondern +daß er sein Geschäft nach Deutschland und womöglich nach Leipzig, dem +Mittelpunkte des deutschen<span class="pagenum"><a name="Seite_163" id="Seite_163">[163]</a></span> Buchhandels, verlegen müsse, um das von ihm +in kühnen Umrissen angelegte Gebäude auf festem Grund aufzubauen und +seine weitgehenden Plane zur Ausführung zu bringen.</p> + +<p>Aber freilich war eine solche Uebersiedelung mit vielen Schwierigkeiten +verbunden und jedenfalls erst nach und nach zu ermöglichen. Besondere +Sorge machte ihm dabei die Zukunft seiner Kinder, von denen das älteste +bei dem Tode der Mutter zehn Jahre, das jüngste erst wenige Wochen +zählte. Sollte er sie mit nach Leipzig nehmen, während er noch nicht +wußte, ob er dort selbst eine Heimat finden werde? Könnte er sie +in Amsterdam lassen, allein in der fremden Stadt, wo er zwar viele +Freunde, aber keine Verwandten hatte? Weder zu dem einen noch zu dem +andere vermochte er sich zu entschließen. Dagegen nahm er das herzliche +Anerbieten seiner dortmunder Verwandten und Freunde an, die Kinder, bis +er wieder einen festen Wohnsitz gefunden, in ihren Familien aufnehmen zu +wollen. Dazu kam, daß er selbst noch schwankte, ob er nicht doch lieber +in seine Vaterstadt Dortmund zurückkehren als nach dem fremden Leipzig +ziehen solle. Ersteres schien auch seine Frau gewünscht zu haben, +wenigstens hatte er ihr noch auf dem Todtenbette versprechen müssen, die +Kinder zunächst nach Dortmund zu bringen. Er schreibt darüber an den ihm +befreundeten Bankier Friedrich Christian Richter in Leipzig am 2. Januar +1810 aus Amsterdam:</p> + +<blockquote> + +<p>Morgen verreise ich von hier, um dem Willen meiner verewigten +Gattin gemäß meine Kinder zum Vaterlande zurückzubringen, zu meinem +noch lebenden Vater und meinem Bruder und zu den verheiratheten +Geschwistern meiner Frau. Es wäre mir hier auch unmöglich gewesen, +für die gute physische und moralische Erziehung derselben zu sorgen. +Ich bin selbst zu zernichtet, auch fürs künftige Leben. Zu Ostern +werde ich diesen Ort der Trauer auch wol ganz verlassen, mein hiesiges +Geschäft verkaufen oder administriren lassen und mich bei Ihnen in +Leipzig oder bei meinen Kindern in unserer guten Vaterstadt etabliren.</p></blockquote> + +<p>Es wurde ihm gewiß ebenso schwer, sich von den Kindern, die ihn ja auch +fortwährend an ihre Mutter erinnerten, zu trennen, als es für diese hart +war, daß sie außer der Mutter vielleicht für längere Zeit auch den Vater +entbehren sollten. Indeß war es doch der einzige Ausweg, der sich ihm +darbot.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_164" id="Seite_164">[164]</a></span></p> + +<p>Am 3. Januar 1810 trat er die traurige Reise mit seinen Kindern an, +von deren treuer Pflegerin seit dem Tode der Mutter, Tante Josina, +begleitet. Er wollte sie doch wenigstens selbst nach Dortmund bringen +und zugleich seinen alten Vater nach so langer Trennung und nach dem +schweren Verluste, den er erlitten, wiedersehen.</p> + +<p>Nur die kleine Sophie mußte er in Amsterdam zurücklassen, da er ihr die +beschwerliche Reise im Winter noch nicht zumuthen durfte; sein Freund +Kaufmann Trippler und dessen Frau baten sich die Kleine aus, zumal sie +selbst keine Kinder hatten, und sie blieb bei ihnen mehrere Jahre unter +der sorgsamsten Pflege.</p> + +<p>Die andern sechs Kinder wurden einzeln bei den dortmunder Verwandten, +bei dem Großvater, dem Onkel Gottlieb und den Familien Beurhaus, +Brökelmann, Rittershaus und Schmeemann untergebracht. Hier blieben sie +mehrere Jahre unter liebevollster Behandlung, bis sie nach und nach in +das neubegründete Haus des Vaters zurückkehrten.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Vor seiner Abreise nach Dortmund war es Brockhaus gelungen, an +Bornträger's Stelle außer einem holländischen einen neuen deutschen +Gehülfen Namens Krieger zu erhalten, der während seiner Abwesenheit +wenigstens das laufende Geschäft besorgen konnte. Dieser kam aus +Leipzig, wo er vor Bornträger's abermaliger Hinkunft auch schon eine +Zeit lang für Brockhaus beschäftigt gewesen war, vermuthlich bei dessen +Commissionär.</p> + +<p>Mit Bornträger blieb Brockhaus fortwährend im lebhaftesten Briefwechsel +und hatte die Freude, daß dessen Ankunft und erstes Auftreten in Leipzig +manche Uebelstände rasch beseitigte. Namentlich war es Bornträger +gelungen, die durch verschiedene Umstände gestörte Geschäftsverbindung +mit dem leipziger Bankier Richter wiederherzustellen.</p> + +<p>Schon im Herbst 1809 hatte Brockhaus ausführlich an Richter geschrieben, +weil einige von ihm ausgestellte und an Richter gegebene Wechsel von den +Betreffenden nicht honorirt worden waren. Dieser Brief, der wieder einen +vollen Einblick in sein Inneres gewährt, lautet:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_165" id="Seite_165">[165]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Sie werden es meinem Herzen und meinem Verstande zutrauen, wie sehr +der unangenehme Vorfall, worüber ich heut Ihrer Handlung Bericht gebe, +auf mich wirken muß. Obgleich persönlich und sachlich einigermaßen +entschuldigt durch die Lage der Sache, worüber die eingelegten +Briefe Sie unterrichtet, bin ich doch zu sehr mit der über solche +Punkte eingeführten Delikatesse bekannt, um nicht vollkommen den +schmerzlichen und unangenehmen Eindruck vorherzusehen, den dieser +Vorfall auf Sie als Kaufmann machen wird und machen muß. Ich sehe +dies Alles so sehr ein, daß ich kein Wort in dieser Hinsicht an Sie +adressiren will, um es zu versuchen, diesen Eindruck zu schwächen. Ich +weiß es, es gibt darin keine Rechtfertigung! Ich kenne die Strenge +der kaufmännischen Ansicht darin in ihrem ganzen Umfang! Ich muß es +zufrieden sein, wenn Sie mir Ihr Zutrauen augenblicklich ganz und rein +entziehen, gleich alle Verbindung mit mir aufheben.</p> + +<p>Ich wende mich also auch nicht an Sie als Kaufmann. Ich wende mich +an Sie als Mensch! An den Menschen adressire ich mich alleine!</p> + +<p>Ich bin ein ehrlicher, ein rechtlicher Mann! Ich werde Sie, Herr +Richter, nie täuschen! Ich habe ein Capital von circa .... Gulden in +meinem Geschäfte. Ich habe keine fremden Fonds darin. Alles ist mein +Eigenthum. Nur die jetzigen Zeiten drücken mich sehr und stark, und +der deutsche Buchhandel ist in den Händen so vieler .... und .... +Menschen, daß man durchaus nicht auf sie in Hinsicht auf die Fonds, +die man von ihnen zu erwarten hat, rechnen kann; ihre Effronterie im +Zurückhalten der Einem schuldigen Gelder ist ungeheuer. Ich habe im +vorigen Jahr auf einmal über 40000 Gulden in die Ihnen größtentheils +bekannten Unternehmungen gesteckt — die Unternehmungen sind sämmtlich +vom Publikum gut aufgenommen worden! Ich mußte die Ostermesse einen +bedeutenden Betrag nothwendig zurückerhalten. Sie wissen, wie die +Ostermesse ausgefallen. Es hat mir dies um 10000 Gulden wenigstens +in meiner Einnahme geschadet. Es genirt mich dies, ich gestehe es. +Hier in Amsterdam gibt es überhaupt keine, durchaus keine Ressourcen. +Der Einwohner steht <em class="gesperrt">nie</em> mit einem Banquier auf dem Platze in +einiger Verbindung. Der Cassier arbeitet nur mit größern Handlungen +und er avancirt nie. Man muß hier Alles in und aus sich selbst holen! +Jeden Gulden! Es ist nie in Holland ein Geschäft gewesen wie das +meinige. Man vermag es gar nicht zu beurtheilen, weil man es nie +gesehen hat, also nicht kennt. Man beurtheilt mich also oft falsch; — +man hält mich für einen excentrischen Menschen! Ich weiß dies Alles: +ich kann es nicht ändern! Ich muß die Menschen gehen lassen! Ich +schließe Ihnen mein ganzes Herz auf, Herr Richter; Sie sind gewiß ein +edler, vortrefflicher Mann, Sie sind ein guter Mensch! Mein Inneres +sagt mir das! Ich darf<span class="pagenum"><a name="Seite_166" id="Seite_166">[166]</a></span> und kann mich Ihnen ganz anvertrauen. Ich +werde Ihr Vertrauen dadurch nicht verlieren.</p> + +<p>Wollen Sie mir Ihr ferneres Vertrauen lassen, — ich werde, ich +kann es nie misbrauchen. Wollen Sie mich ferner ein wenig und selbst +noch etwas mehr als seither — um mich den kleinen <span class="antiqua">gênes</span>, die +mich noch dies Jahr drücken, zu entziehen — unterstützen, so werden +Sie sich einem dankbaren Manne und einer dankbaren Familie für immer +verpflichten. Kann ich Ihnen dorten eine Art von Garantie geben — +über mein dortiges Lager — Lebens oder Sterbens wegen, ich bitte Sie, +geben Sie mir die Idee an, wie ich es anzufangen. Es geschieht gern.</p> + +<p>Die Zeiten werden wieder besser werden. Der vor einigen Monaten +erfolgte Tod meiner Schwiegermutter bringt mir wieder neue Fonds. Ich +werde mich einschränken, da ich jetzt schon mehr aus Erfahrung die +.... Menschen, die Mehrzahl der deutschen Buchhändler, kenne!</p> + +<p>Sie sehen, ich plaudere zu Ihnen wie zum Bruder, wie zum jahrelangen +Freunde! Möchten Sie mir der letztere werden!</p> + +<p>Leben Sie wohl! Ich erbitte mir auf diesen Brief einige Zeilen +Antwort, ebenso offen, wie es die meinigen gewesen sind!</p></blockquote> + +<p>Infolge dieses Briefs scheint Richter schon damals die +Geschäftsverbindung mit Brockhaus wieder aufgenommen zu haben. Jetzt, +bei Bornträger's Uebersiedelung nach Leipzig, bedurfte Brockhaus +der Vermittelung und des Vertrauens Richter's noch mehr als früher. +Er schrieb ihm deshalb am 2. Januar 1810 folgenden, sein Innerstes +enthüllenden Brief:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe Ihnen mit voriger Post 1100 Mark Bco. remittirt auf Fr. +Perthes in Hamburg. Hiermit gleichen sich ohngefähr jene beiden +unglücklichen Posten von 500 Fl. aus. Ich werde Ihnen weiter von +Monat zu Monat verhältnißmäßige Rimessen machen. Seien Sie ganz +und unbedingt ruhig! Ich habe kaufmännisch gegen Sie sehr gefehlt, +moralisch — nicht! Ich will gegen Sie keine Exposition davon machen; +ich bin zu routinirt in Geschäften, um nicht den ganzen Umfang meiner +Abweichungen — wenn auch gezwungen, doch immer Abweichungen — zu +fühlen und in Klarheit zu erkennen. Ich will auch eine Entschuldigung +nicht einmal versuchen! Ich könnte Vieles, vielleicht sehr Vieles und +gar Genügendes zu meiner moralischen Entschuldigung vorbringen. Ich +thue es aber nicht! Ich schweige. Nur das sage ich, und <em class="gesperrt">das</em> +darf ich sagen: Seien Sie ganz ruhig. Nur<span class="pagenum"><a name="Seite_167" id="Seite_167">[167]</a></span> das Gedränge drückender, zu +leicht eingegangener Engagements; nur unverzeihliche Vernachlässigung +dort in Besorgung mancher bedeutenden Geschäfte und Verrichtungen, +wodurch ich mich veranlaßt gefunden habe, selbst jetzt mitten im +Winter einen Commis von hier nach dort zu senden; nur nicht zu +gebieten gewesene Täuschung über den Eingang erwarteter und nicht +eingegangener Fonds; endlich die Krankheit und zuletzt der Tod einer +geliebten, angebeteten Gattin und die daraus resultirte Zerstörung +meines Denk- und Ordnungsvermögens — in diesen Grundzügen müßte ich +meine Entschuldigung suchen.</p> + +<p>Ich erkenne aber in voller Klarheit, daß ich <em class="gesperrt">keine</em> +Entschuldigung, aus blos kaufmännischem Gesichtspunkte betrachtet, +gegen Sie habe. Ich verdamme mich darin selbst unbedingt.</p> + +<p>Nur das sage ich und das darf ich sagen: Seien Sie vollkommen ruhig. +Sie sind ein edler Mensch. Ich bin Ihrer Achtung und Werthschätzung +nicht unwerth. Es ist eine reine Unmöglichkeit, für mich individuell +und aus meiner ganzen Geschäftslage betrachtet, daß Sie je einen +Thaler an mich verlieren könnten. Wäre es mir möglich, den Gedanken +darüber zu fassen, ich würde Ihnen nie einen Wunsch weiter mittheilen.</p> + +<p>Handlungen müssen hier aber entscheiden. Ich erkenne das. Meine +erste sei, daß ich Ihnen, noch nicht außer dem Gedränge kleiner +Verlegenheiten, die aber sich zusammenwickelnd nicht ohne Bedeutung +sind, aber befreit von unmittelbaren Engagements, meine erste freie +Disposition widme, die ich habe erübrigen können: die 1100 Mark Bco. +per Hamburg. Ob Sie in diesem Zuge mich und meine Gesinnungen errathen +werden, muß ich erwarten. Ich erwarte es mit Resignation.</p> + +<p>Das hohe Vertrauen, das ich zu Ihnen als Mensch habe, erlaubt es +mir, Sie zu bitten, mich unerachtet aller stattgehabten Störungen +dennoch nicht ganz zu verlassen .... Ich habe, debarrassirt von meinen +drückenden Verbindlichkeiten, die Aussicht, im Laufe der nächsten +Monate aus meinem Sortimentsgeschäfte (worin alles auf Jahresrechnung +geht) bedeutende Summen einzunehmen. Ich habe keine einzige schlechte +Unternehmung gemacht. Ich bin nicht ohne eigene und nicht unbedeutende +Fonds. Ich bin ein häuslicher, ordentlicher, guter Mensch — das darf +ich ja wol Alles sagen, ohne daß ich in den Schein von Ruhmredigkeit +falle. Darum sage ich es Ihnen, zu dem ich reines und großes +moralisches Vertrauen habe.</p> + +<p>Dieser Brief sei aber auch nur Ihnen geschrieben. Außer Ihnen muß +ihn Niemand sehen. Nur Sie werden mir ihn nachfühlen.</p> + +<p>Sie werden mir keine Vorwürfe machen über das Vergangene. Ich mache +sie mir selbst. Haben Sie die Güte, mich Ihres Vertrauens nicht ganz +unwerth zu finden. Ich darf es ja wol sagen, daß ich nicht glaube, +desselben unwerth zu sein im Innern ....</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_168" id="Seite_168">[168]</a></span></p> + +<p>Hier folgt die bereits früher mitgetheilte Stelle über seine Absicht, +nach Dortmund zu reisen, um die Kinder dort erziehen zu lassen. Der +Brief schließt dann:</p> + +<blockquote> + +<p>Daß ich Ihnen das Alles sage?</p> + +<p>Ich weiß selbst nicht oder kaum, wie ich dazu komme! Nur das erkenne +und weiß ich, daß ich mich einem edlen und wackern Biedermanne +anvertraue.</p> + +<p>Ob Sie in meine <span class="antiqua">vues</span>, die Geschäfte betreffend, eingehen oder +nicht, ist von meinem Urtheile und meiner Empfindung über Sie ganz +unabhängig.</p> + +<p>Leben Sie wohl. Ich bin Ihnen mit ganzer Seele zugethan.</p> + +<p>(Nachschrift.) Alle Geschäfte und Transactionen, die Herr Schmidt +macht, sind verbindlich, da er mit vollkommener gerichtlicher +Vollmacht versehen ist.</p></blockquote> + +<p>An Bornträger schrieb Brockhaus gleichzeitig:</p> + +<blockquote> + +<p>Herr Richter ist ein höchst rechtlicher und wackerer Mann, auch ein +Freund von Literatur u. s. w., und es hängt unendlich viel davon ab, +sich mit ihm wieder zu einigen. Ich werde auch alles Mögliche thun, um +dies zu bewerkstelligen, und verzweifle ich keineswegs an dem Erfolg +davon, da ich die innere Ueberzeugung habe, sein Zutrauen wie das +Zutrauen jedes rechtlichen Mannes vollkommen zu verdienen.</p> + +<p>Besuchen Sie ihn in einer ruhigen Stunde in seinem Hause, sprechen +Sie mit Besonnenheit und Zuversicht. Deuten Sie auf die Stockungen +und Verwirrungen, ohne irgend Jemanden anzuklagen. Versichern Sie +ihn meiner unbegrenzten Ergebenheit und meines besten Willens, auch +meiner vollkommenen Kräfte. Sagen Sie etwas von dem verhängnißvollen +Schicksal, das jetzt auf mir ruht und mich zerschmettert hat. Seien +Sie in Allem wahr und ernst und bieder. Sprechen Sie zu meinem Besten, +aber mit Bescheidenheit.</p></blockquote> + +<p>Die Antworten Richter's auf obige Briefe sind nicht erhalten, aber +jedenfalls lautete auch die auf den zweiten befriedigend, da Brockhaus +unmittelbar darauf wie auch später geschäftlich und freundschaftlich mit +ihm verkehrte.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Der Aufenthalt in Dortmund währte länger, als Brockhaus erwartete, +ungefähr einen Monat, bis Anfang Februar 1810. Die Ausgleichung alter +verwickelter Familienverhältnisse nahm viel Zeit in Anspruch, und +außerdem verfaßte er hier die Appellation gegen<span class="pagenum"><a name="Seite_169" id="Seite_169">[169]</a></span> das erste Urtel im +Hiltrop'schen Processe, obwol sie vom 28. Februar dieses Jahres aus +Amsterdam datirt ist.</p> + +<p>Noch in Dortmund erhielt er die ersten günstigern Berichte von +Bornträger aus Leipzig. Er antwortet ihm am 21. Januar:</p> + +<blockquote> + +<p>Es freut mich, daß Sie durch ein männliches, ruhiges und gesetztes +Betragen schon Manches ins Gleiche gebracht haben. Es wird sich alles +Weitere geben, wenn nur einmal alle Verhältnisse zwischen dort und +Amsterdam ganz ineinander greifen, die Bücher in Ordnung sind und wir +uns so bemühen können, unsere ausstehenden Gelder beizutreiben, als +man uns, wenn wir schuldig sind, damit auf der Haut sitzt.</p> + +<p>Ob ich gleich in diesem Jahre gewiß noch viel zu kämpfen haben +werde, so ist von der andern Seite in diesem Jahre auch viel zu +hoffen. Es kommt hinzu, daß, so unglücklich ich auch als Mensch +durch den unersetzlichen Verlust meiner guten Sophie geworden bin, +ich durch die neuen Verhältnisse, worein ich dadurch getreten, von +den beinahe unerschwinglichen Kosten, womit mein Etat in Amsterdam +verknüpft wurde, befreit worden bin. Ich werde allerdings in meinen +Verlagsunternehmungen mich um so mehr auch einschränken können, da ich +gegenwärtig nur wenig bedarf und es meine feste Absicht ist, für die +Zukunft mir ein ruhigeres Leben zu erringen.</p> + +<p>Sie, guter Bornträger, gehören mit in meinen künftigen Lebensplan. +Entwickeln Sie die guten Anlagen, die zum Theil nur noch als Keime +in Ihnen liegen. Zerstören Sie das Feindselige, was gegen das Gute +in Ihnen kämpft, und gewöhnen Sie sich insbesondere an Manches, +was besonders in diesem Fache allein den guten Geschäftsmann im +Praktischen macht: an Besonnenheit, Ruhe und die pünktlichste Ordnung +in den Arbeiten. Krieger ist in diesen drei Punkten wirklich ein +Ideal. Auch ist er es in Rücksicht der Thätigkeit, da er keine +Arbeitszeit oder Stunde kennt, sondern nur fragt: was ist noch zu thun?</p></blockquote> + +<p>Weiter spricht er darüber, wie er sich seine künftige Einrichtung in +Leipzig denke; seine Ansprüche waren sehr bescheiden:</p> + +<blockquote> + +<p>Ein Gewölbe wie jetzt bedürfen wir nicht. Es ist unbequem, feucht, +fatal zum Arbeiten; es ist unmöglich, darin ein ordentliches Comptoir +zu halten; es ist dazu theuer. Wir bedürfen nur eines geräumigen +Zimmers in einer ersten Etage, das man heizen kann allenfalls und +welches man mit Regalen versehen läßt. Es muß darin Raum genug sein, +um 20 Exemplare von jedem Verlagsartikel zur Hand zu haben, und +sonst Platz, um eingehende Artikel ordnen und<span class="pagenum"><a name="Seite_170" id="Seite_170">[170]</a></span> packen und weggehende +einpacken zu können. In diesem Zimmer könnte allenfalls ein Pult +gestellt werden, woran zwei Personen ordentlich arbeiten können, +wenn es groß genug wäre, daß man Briefrepositorien, Platz für Bücher +u. s. w. auf eine ordentliche Weise daran mit anbringen könnte. Besser +wäre es aber noch, wenn ein kleines Comptoir als Nebenzimmer dabei +wäre.</p> + +<p>Außerdem wünschte ich, daß Sie und ich unmittelbar dabei schliefen +und wohnten, da dies die Leichtigkeit im Arbeiten so sehr befördert; +womöglich also zwei Schlafzimmer für mich und Sie, und außerdem ein +Wohn- oder Besuchzimmer. Also zusammen fünf Piècen, von denen zwei was +man in Leipzig Kammern nennt wol sein könnten.</p> + +<p>Die Frage und Aufgabe wäre also: sollte dazu Gelegenheit zu finden +sein und wo? Mir wäre es gleichgültig, ob es in oder außer Leipzig +(etwa in Reichel's Garten) sei. Ich fühle die kleinen Inconvenienzen, +die entstehen, wenn es außer der Stadt wäre, aber gewonnen würde +auch wol wieder durch größere Annehmlichkeit, wahrscheinlich +größere Wohlfeilheit; auch könnten manche Inconvenienzen durch +Gegeneinrichtungen gehoben werden.</p> + +<p>Meine Absicht ist durchaus nicht, ein Haus in Leipzig zu machen. +Sie wissen, wie einfach und prunklos ich bin, und wie mich alles das +anekelt, was auf Ostentation hinausläuft. Nur eine angenehme Existenz +möchte ich mir sichern. Ich werde nicht, was man nennt, in Leipzig +immer wohnen. Ich werde viel da sein; aber auch hier bei meinen +Kindern, Geschwistern und Jugendfreunden werde ich zu Zeiten sein. Ich +muß auch in Amsterdam ein paar Monate zubringen.</p></blockquote> + +<p>Die Abreise von Amsterdam, wohin Brockhaus gegen Mitte Februar +zurückgekehrt war, mußte er von Woche zu Woche verschieben und konnte +sie erst Mitte Mai ausführen.</p> + +<p>Zunächst wurde er durch eine Untersuchung in Anspruch genommen, welche +über das Manuscript zu Reichardt's »Vertrauten Briefen auf einer Reise +nach Wien« eingeleitet worden war. Schon in Dortmund hatte er die erste +Nachricht darüber erhalten und auch deshalb seinen dortigen Aufenthalt +verlängert. In dem Briefe vom 21. Januar schreibt er an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Auch habe ich noch einen geheimen Grund, hier zu bleiben. Das +Rdt'sche Manuscript über Wien ist von der Censur in Braunschweig +nicht zurückgegeben, sondern an das Justizministerium nach Kassel +geschickt worden. Ich möchte also auch gern hier abwarten, ob das +kasseler Ministerium nach Amsterdam Requisition erlassen wird, den +Verfasser zu erforschen, dessen Handschrift indessen in Kassel +hinreichend<span class="pagenum"><a name="Seite_171" id="Seite_171">[171]</a></span> bekannt sein wird. Es möchte doch sehr gut sein, wenn Sie +auf irgendeine Weise R. davon prävenirten und Maßregeln beredeten, da +ich ihm nicht zu schreiben wage und Vieweg es auch gewiß nicht gethan +hat; auch daß er das weitere Manuscript zurückhielte. Ich überlasse +es Ihrer Klugheit, da Sie so nahe sind, was Sie darin thun wollen. +Für mich kann natürlich nichts Unangenehmes entstehen, da ich es der +Censur übergeben, nur die ersten Bogen gesehen, darin selbst Vieles +gestrichen und unbedingt verlangt habe, daß nichts gegen Napoleon +dürfe gesagt werden. Nur möchte ich den Verfasser auch nicht verrathen.</p></blockquote> + +<p>Am 28. Januar schreibt er nochmals und ausführlicher darüber: Von +Amsterdam habe ihm sein Gehülfe Krieger gemeldet, daß man nach ihm +geschickt habe, und er könne nun nicht eher nach Amsterdam zurück, bis +das beseitigt sei. Bornträger solle deshalb lieber selbst nach Halle zu +Reichardt gehen, wenn dieser nicht etwa schon arretirt sei. Er könne +schließlich der Gewalt nicht widerstehen, ihn nennen zu müssen, wenn +er dazu irgendwo vom Gouvernement angehalten werde. Vielleicht auch +sei Reichardt von Halle weggegangen, doch werde Bornträger von dessen +Töchtern den Aufenthaltsort wol erfahren. Treffe er ihn, so solle er +ihn veranlassen, seine Papiere und Notizen zu retten. Uebrigens möge er +doch auch gleich über den beabsichtigten zweiten Theil mit ihm sprechen +und ihn auffordern, was er ihm auch schon selbst geschrieben habe, »mehr +Geist und Salz hineinzulegen«.</p> + +<p>Inzwischen müssen die Nachrichten von Amsterdam doch beruhigender +gelautet haben, denn Brockhaus reist dahin zurück und schreibt um 16. +Februar von dort an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Wegen Rdt's »Wien« bin ich ganz unangefochten und wahrscheinlich +ist das ganze Wesen hier Cabale von N. N. und ähnlichen Schuften +gewesen, um mich von hier zu vertreiben. Der westfälische Gesandte +weiß von nichts, der Polizeiminister weiß von nichts, der Minister +der auswärtigen Angelegenheiten weiß ebenso wenig von etwas. Und der +<span class="antiqua">Hoofdofficier</span> (Oberoffizier), dem ich geschrieben habe, daß +ich hier sei, hat mir antworten lassen, er habe mir nichts zu sagen. +Dagegen bin ich fortdauernd in anonymen Briefen gewarnt und ist mir +gerathen worden, von hier wegzugehen oder nicht zurückzukommen!</p></blockquote> + +<p>Indessen hatte er zu früh gefrohlockt und ebenso war auch sein<span class="pagenum"><a name="Seite_172" id="Seite_172">[172]</a></span> daran +geknüpfter Verdacht unbegründet gewesen. Denn schon am 24. Februar +schreibt er an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Heute bin ich doch noch von der geheimen Polizei wegen »Wien« +verhört, aber sehr human behandelt worden. Den Namen des Verfassers, +den man wissen wollte, habe ich nicht genannt, sondern erklärt: +»daß ich dem Verfasser mein Ehrenwort gegeben habe, ihn nicht zu +nennen, also auf eine bloße Anfrage des westfälischen Gouvernements +dies mein Wort nicht brechen könne und nicht anders mich desselben +entschlagen urtheilen könnte als durch einen ausdrücklichen Befehl +meines Königs; daß aber, da <span class="antiqua">in casu</span> Verfasser wie Verleger den +gesetzmäßigen Weg gegangen, indem sie dem Gouvernement ihre Gedanken +— das Manuscript — mitgetheilt und angefragt hätten, ob solche +dürften bekannt gemacht werden, der Name des Verfassers hier eine sehr +fremdartige Sache sei, die das Gouvernement nicht weiter interessiren +könne; wenigstens glaube ich für meine Person nicht, darin dem +Gouvernement als rechtlicher Mann an die Hand gehen zu dürfen«. Man +ist hiermit einstweilen zufrieden gewesen, und hat man nun das Nähere +zu erwarten. Ich denke aber, die Sache wird nun wol todt bluten.</p></blockquote> + +<p>Damit scheint die Untersuchung allerdings erledigt gewesen zu sein; sie +wird in den fernern Briefen nicht weiter erwähnt, und Reichardt's Buch +erschien auch noch in demselben Jahre. Als ein Scherz ist es wol nur +anzusehen, wenn Brockhaus in einem Briefe erwähnt, daß er daran gedacht +habe, in höchster Noth den kurz vorher (1809) verstorbenen Freiherrn von +Groß in Weimar, von dem er auch ein Werk verlegt hatte, als Verfasser +anzugeben!</p> + +<p>Bornträger hatte sich übrigens entschlossen, der größern Sicherheit +wegen zu Fuße von Leipzig nach Halle und Giebichenstein zu gehen, um +Reichardt von der Sachlage zu benachrichtigen. Brockhaus trägt ihm auf, +bei dieser Gelegenheit Reichardt zu einem neuen Buche aufzufordern. Er +schreibt:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich möchte ihm den Vorschlag thun, ein Buch zu schreiben wie die +vortrefflichen Briefe von Risbeck seiner Zeit waren: »Briefe eines +reisenden Franzosen«<a name="FNAnker_38_38" id="FNAnker_38_38"></a><a href="#Fussnote_38_38" class="fnanchor">[38]</a>, Reichardt wäre ganz der Mann dazu. Man +könnte es betiteln: »Kreuz- und Querzüge eines reisenden Franzosen« +oder »eines reisenden Deutschen«. Theilen Sie Reichardt auch diese<span class="pagenum"><a name="Seite_173" id="Seite_173">[173]</a></span> +Idee mit, die ich ihm jetzt nicht direct schreiben mag. Ich möchte +es erstaunlich gern, daß er darauf entrirte, da er vollkommen dafür +berechnet ist. Ein solches Buch, mit <span class="antiqua">sagacité</span> geschrieben, +würde erstaunlichen Debit haben.</p></blockquote> + +<p>Diese Anregung hat jedenfalls Reichardt zu seinen Ende 1811 bei +Brockhaus (unter der bekannten fingirten Firma »Köln bei Peter Hammer«) +anonym erschienenen »Briefen eines reisenden Nordländers. Geschrieben +in den Jahren 1807 bis 1809« veranlaßt und zeigt wieder, daß Brockhaus +sich nicht darauf beschränkte, ihm angebotene Manuscripte zu verlegen, +sondern daß er auch Schriftstellern eigene Ideen zur Ausführung neuer +Werke mittheilte. So rührt die Idee zu dem »Handbuch der deutschen +Literatur« von Ersch ebenfalls von Brockhaus her; er schreibt darüber +einmal an Bornträger: »Sie ist aus meiner Seele allein hervorgegangen.«</p> + +<p>Ein in dieser Zeit geschriebener Brief zeigt, daß Brockhaus auch mit +dem damals in Leipzig wohnenden Dichter Johann Gottfried Seume, den +er wahrscheinlich persönlich dort kennen gelernt, in Beziehungen +stand, und dieser ihm einen Verlagsantrag gemacht hatte. Er trägt +Bornträger auf, Seume zu sagen, daß er eine Copie seines Manuscripts +nach England geschickt habe; »es sei zu gefährlich, es in Holland zu +drucken; erzählen Sie ihm den Umstand jetzt mit 'Wien'; ich würde ihm +sein Original zu Ostern selbst zurückbringen oder auf Verlangen gleich +einschicken.« Seume starb indeß bald darauf (13. Juni 1810); jenes +Manuscript war vermuthlich Seume's Selbstbiographie, die nach seinem +Tode von Clodius herausgegeben wurde (Leipzig 1813).</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Brockhaus sah bald ein, daß er Amsterdam doch noch nicht gleich +verlassen könne, besonders weil er das Geschäft seinem neuen Gehülfen +Krieger nicht allein anvertrauen mochte. Während er diesen früher gegen +Bornträger sehr gelobt, schreibt er letzterm jetzt am 6. März: Krieger +sei »zu weiter nichts gut als aus einem vollen Sacke Geld zu nehmen und +damit zu zahlen und es sich sonst sehr gut sein zu lassen«! Er fährt +fort:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich opfere also lieber mich auf als mein Geschäft, und ich werde +nach der Ostermesse (aus Leipzig) gleich zurückkehren, dagegen im +Sommer<span class="pagenum"><a name="Seite_174" id="Seite_174">[174]</a></span> eine Reise nach Paris machen. Sie, der Sie alle Verhältnisse +kennen, werden dies gut finden. Darum aber gebe ich meinen Plan für +die Zukunft nicht auf. Nur dies Jahr geht es noch nicht, und in diesem +Jahre muß sich Vieles entwickeln. Ich hoffe, Alles ziemlich gut! Die +Messe kann nicht schlecht werden, da durch die Verbindung Oesterreichs +mit Frankreich die Ruhe des Continents vorläufig sehr gewinnt und +namentlich Oesterreich einer bessern Epoche dadurch entgegengeht. +Oesterreich wird kaufen und zahlen, und von keiner Seite her wird man +Ursache haben, nicht zur Messe zu kommen. Sehr gut ist es auch, daß +die Messe so spät eintritt, weil selbst die Russen u. s. w. jetzt gut +eintreffen können.</p></blockquote> + +<p>Die beabsichtigte Reise nach Paris sollte sechs Wochen dauern und +besonders wegen der Verlagswerke von Sprengel, Rudolphi, Villers, +Fauriel und Massenbach unternommen werden; sie unterblieb aber, ebenso +wie ein von ihm für den Herbst, »um einen Monat meinen Kindern zu +leben«, gehoffter wiederholter Aufenthalt in Dortmund.</p> + +<p>Gegenüber den vermehrten Ausgaben in Leipzig und in der Absicht, sein +amsterdamer Geschäft früher oder später aufzulösen, war er unablässig +bemüht, seine Außenstände in Holland einzuziehen. Er machte zu diesem +Zweck im März und April mehrere Reisen nach Utrecht, Rotterdam und +Harderwijk, Schiedam, Delft und dem Haag, leider aber meist mit +geringem Erfolge. Die Geldkrisis und die politischen Verhältnisse +wirkten lähmend auf Handel und Verkehr, und die Buchhändler wie die +Privatkunden vertrösteten ihn mit Versprechungen, während er selbst von +Schriftstellern und Buchdruckern in Deutschland gedrängt wurde. Bei der +Rückkehr von einem solchen Ausflug schreibt er einmal:</p> + +<blockquote> + +<p>Auf dieser Reise ist es mir unsaglich schlecht mit dem Einkassiren +gegangen: circa 2400 Fl. ausstehen, und ich habe kaum 200 Fl. Kassa +und circa 250 Fl. Papier mitgebracht. Entweder verreist oder nicht bei +Kasse! Das heißt Einen rasend machen!</p></blockquote> + +<p>Er sah jetzt oft recht trüb in die Zukunft, ohne indeß den Muth zu +verlieren. So schreibt er am 6. März an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Beruhigen Sie sich insbesondere wegen meiner äußern Lage. Ich bin +dies Jahr weniger gedrückt wie vorig Jahr und vor zwei Jahren,<span class="pagenum"><a name="Seite_175" id="Seite_175">[175]</a></span> ob +ich gleich so unendlich schwere Ausgaben gehabt und dadurch so Vieles +anticipirt habe .... Demohnerachtet weiß ich vollkommen, daß es mir +noch sauer werden wird, aber ich sehe doch Durchkommen und habe mehr +Muth wie je, besonders da Sie jetzt dort sind.</p></blockquote> + +<p>Und am 3. April schreibt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich werde alle meine Kräfte aufbieten, um Sieger zu bleiben. Vieles +ist verloren. Aber nicht Alles. Durch Besonnenheit und Muth wird sich +Vieles, vielleicht Alles retten lassen.</p></blockquote> + +<p>Aber nicht nur den Muth verlor er nicht, sondern bewahrte sich selbst +den Humor, wie folgende Anekdote über einen spaßhaften Handel mit einem +amsterdamer Antiquar oder vielmehr mit dessen Frau beweist. Er schreibt +an Bornträger unterm 16. März:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe heut einen Handel gemacht, der Ihnen possirlich vorkommen +wird. Gestern gehe ich, wie ich aus dem Wappen von Bern, wo ich +oft esse, nach dem Museum gehen will, um die Zeitungen des Tages +zu lesen, dem Bücher-Antiquar Ros in Rooseboomsteeg vorbei und +bleibe wie gewöhnlich vor seinen ausgestellten Büchern stehen, um +die Titel zu beschauen. Ich finde zufällig einen alten Jahrgang des +historischen Calenders, der bei Haude herauskam, über Amerika, der +jetzt selten ist. Ich möchte den gern haben, denke ich, er wird +wol für ein Dübbelchen zu erstehen sein, und gehe hinein. »Wieviel +für <span class="antiqua">dat boekje</span> (das Büchelchen)?«, frage ich. — »<span class="antiqua">Vier +Sestehalven.</span>« — »Wie, vier Sestehalven? Ist sie klug?«, sage ich +zu der Frau, »<span class="antiqua">voor zoo een oud ding, dat al voor 20 jaar verschenen +is?</span>« (für so ein altes Ding, das schon vor 20 Jahren erschienen +ist?) — Ja, unter 3 Shillings gebe sie es nicht. — Kurz, wollte ich +wohl oder übel, nachdem ich wie ein Grasmäher gefeilscht hatte, einmal +aus der Boutique schon weggegangen war, und der Versuch, zurückgerufen +zu werden, ohne Erfolg war gemacht worden: ich mußte 15 Stüber geben. +»Aber«, sage ich, wie das Geld bezahlt war, »meine liebe Frau, +<em class="gesperrt">ich</em> habe die 15 Stüber für <span class="antiqua">dat boekje</span> gegeben, weil +es eine Seltenheit ist. Das weiß <em class="gesperrt">Sie</em> nun aber nicht. Anders +wäre es mir nichts werth gewesen. Wie kann Sie ein solches Ding so +hartnäckig auf einem solchen Preis halten?« — Ja, sagte sie, diese +»<span class="antiqua">boekjens met platen</span>« (Büchlein mit Illustrationen), die könnte +sie sehr gut verkaufen, und die fänden immer ihre Liebhaber. — Hm, +denke ich, dann könntest du ja den Ueberschuß der »Urania« trefflich +gebrauchen, welcher deinem Auge sonst doch Verdruß genug sein wird. +Ich theile ihr die Idee mit, worauf sie gleich entrirt. »Aber ich habe +viel«, sage ich. — »Ja, das<span class="pagenum"><a name="Seite_176" id="Seite_176">[176]</a></span> macht nichts, <span class="antiqua">en als de Heer ook een +paar honderd heeft</span>« (wenn der Herr auch ein paar hundert hat). — +Ich bin wie aus den Wolken gefallen. Wo bleibt das Weib damit? Ich +renne wie besessen nach Hause, hole ein hübsches in Maroquin, bringe +das zur Probe und werde nun Verkäufer statt Käufer. <span class="antiqua">Enfin</span>, +einen Shilling bot sie mir noch am Abend, und diesen Morgen haben wir +es zu 8 Stüber hinaufgetrieben, wozu ich ihr unsern traurigen Vorrath +von 223 Stück — leider sind die 160 Ex., die nach Ostfriesland +gegangen sind, alle angekommen und gleich als Makulatur bei Seite +gelegt worden — gegen gleich comptante Zahlung von ca. 90 Gulden.</p> + +<p>Ich habe mich halb krank über die <span class="antiqua">négociation</span> gelacht, +die wir aber unter uns halten müssen, weil, wenn es die deutschen +Buchhändler erführen, daß man alte abgelebte Almanache beinahe für +einen halben Gulden loswerden könne, bald alle Landstraßen damit +bedeckt sein und der Handel <span class="antiqua">de fond à comble</span> verdorben sein +würde. Ein Triumph meiner Phantasie würde es sein, wenn ich der Frau +auch noch den leipziger Ueberschuß, der eine ganz andere Masse bilden +wird, aufhängen könnte. Ich habe darauf angespielt; sie meinte aber, +daß an 223 sie einstweilen (!) doch genug habe. Ich denke es auch und +fürchte: für immer. Aber es ist wahr: in Amsterdam ist doch auch Alles +zu verkaufen! Indessen bin ich noch mit ihr im Handel über unsern +hiesigen Rest von .... (folgen einige Titel älterer Verlagswerke), +worüber ich bis Dienstag Rapport haben soll. Einzelne Exemplare kauft +das Weib nicht; sie macht Alles im Großen, <span class="antiqua">en bloc</span>. Original!</p></blockquote> + +<p>Infolge der geistigen Aufregung und Ueberanstrengung in dieser ganzen +Zeit, wozu noch die häufigen rasch zurückgelegten Reisen kamen, wurde +Brockhaus bald darauf ernstlich unwohl. Schon am 24. März sagt er, +daß er sich seit kurzem gar nicht wohl fühle, keine Eßlust habe und +beständig ein kleines Fieber mit sich herumschleppe. Eine Folge dieses +Uebelbefindens und seiner Erregung ist es wol, wenn er weiter schreibt, +er habe in Erwartung eines Berichts von Bornträger mehrere Tage nicht +schlafen können, und in Bezug auf einige unberechtigte Forderungen von +Schriftstellern hinzufügt:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich bin keineswegs geneigt, diesen Leuten einen Schritt zu weichen. +Göschen zeigte mir einmal ein dickes Convolut Papiere: »Dieses +enthält Documente zur Schande der Menschheit«, sagte er; »es sind die +Verhandlungen mit unsern berühmten Autoren.«</p></blockquote> + +<p>Lange wehrte er sich gegen die Krankheit, ohne sich zu schonen; so +fuhr er einmal in einer Nacht nach Leyden und kehrte in der<span class="pagenum"><a name="Seite_177" id="Seite_177">[177]</a></span> nächsten +Nacht nach Amsterdam zurück, um schon einige Tage darauf in ähnlicher +Weise nach Rotterdam und zurück zu reisen. Endlich aber mußte er sich +doch darein ergeben, seine Thätigkeit zu unterbrechen und sich zu +pflegen. Die Krankheit stellte sich als Gelenkrheumatismus und Gicht +heraus. Sechs Wochen lang, bis Anfang Mai, wurde er davon geplagt, und +mußte also so lange die Abreise nach Leipzig verschieben, obwol seine +Anwesenheit dort besonders während der Messe so nothwendig war. Während +dieser Zeit erhielt er auch aus Dortmund die Trauerkunde vom Tode seines +jüngsten, noch nicht ganz drei Jahre alten Sohnes Max, des Pathen +Baggesen's.</p> + +<p>Am 10. April schreibt er an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe von meinem Rheumatism einen solchen fürchterlichen Rückfall +bekommen, daß ich seit Sonnabend, wo ich Ihnen schrieb, nicht aus dem +Hause gewesen bin und fast immer das Bett gehütet habe. Auch diese +Zeilen schreibe ich Ihnen aus dem Bette, und habe ich in diesen Tagen +nicht anders als durch Dictiren arbeiten können. Ich habe sehr heftige +Schmerzen in den Muskeln des Halses und des Kreuzes, sodaß ich leider +weder gut liegen noch irgendeine ruhige Stellung annehmen kann. Es +ist mir erstaunlich fatal, wie Sie denken können. Indessen hoffe ich +doch, daß durch Ruhe und Wärme sich Alles bald geben wird .... Mich +fatiguirt das Schreiben außerordentlich und ich schließe daher in Eile.</p></blockquote> + +<p>Wenige Tage darauf, am 14. April, klagt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich bin noch immer sehr krank, und wenn auch auf der Besserung, so +geht's doch langsam. Mein Rheumatismus hat einen heftigen Charakter, +der sich gar nicht fügsam beugen will. Indessen schreibe ich Ihnen +doch wieder außer dem Bette. Die Stube darf ich aber noch nicht +verlassen. Und morgen über vier Wochen soll ich schon in Leipzig sein! +Wie mich dies ergreift! Und doch muß und soll es möglich werden! Nur +Hygiea verlasse mich nicht, oder komme vielmehr, deine stärkende Hand +über mich zu erheben!</p></blockquote> + +<p>In einem Briefe vom 21. April heißt es:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe Ihnen Dienstag nicht geschrieben, weil ich Ihnen dann +hätte melden müssen, daß ich aller Berechnung nach nicht zur Messe +kommen könne. Ich war an diesem Tage von meiner vert........<span class="pagenum"><a name="Seite_178" id="Seite_178">[178]</a></span> Gicht in +Nacken, Rücken und Fußgelenken so gelähmt und so gepeinigt, daß ich +mich nicht rühren konnte. Es scheint aber das Maximum gewesen zu sein, +und ich gehe seit vorgestern an einem Stocke im Zimmer herum. Ich +hoffe nur jetzt, daß ich werde kommen können! Ich <em class="gesperrt">hoffe</em> es und +ich <em class="gesperrt">glaube</em> es! Schon wollte ich Ihnen alle Bücher schicken und +Sie wie mein Geschäft Gott anbefehlen.</p> + +<p>Ich habe hier übrigens Mühe mich durchzuwinden, wie Sie denken +können, besonders da ich krank bin; indessen guter Muth und Hoffnung, +die menschliche, verläßt mich nicht.</p> + +<p>Daß Sie auf sechs gute Groschen reducirt waren, hat mir ein wenig +Spaß gemacht, denn bei allem Ungemach und Sorgen verläßt mich mein +guter Humor nicht ganz. Vor der Messe unmittelbar ist die Auslieferung +immer schlecht. Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen!</p></blockquote> + +<p>Im nächsten Briefe, vom 24. April, schreibt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Seit Sonnabend bin ich mit meinem Uebel nichts gefördert. Es ist +um gar nichts besser geworden, und ich habe die beiden Ostertage +recht traurig zugebracht und die Nächte unter vielen und heftigen +Schmerzen, da es des Nachts immer schlimmer ist als am Tage. Aller +Gichtstoff hat sich jetzt auf den linken Fuß geworfen, der dadurch +sehr angeschwollen, sodaß die Haut außerordentlich gespannt ist .... +Da ich indessen, diesen Punkt ausgenommen, vollkommen gesund bin +und vielleicht jetzt der höchste Punkt des Uebels erreicht ist, so +bleiben meine Aerzte dabei, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach an +meiner Reise nicht werde gehindert werden. Ich begreife es selbst, daß +zwei bis drei Tage mir hinreichende Genesung geben können, aber Sie +können denken, wie angstvoll ich bin. Der Himmel wird mich nicht ganz +verlassen!</p></blockquote> + +<p>Die gehoffte Besserung trat endlich ein und die Ausführung der Reise +nach Leipzig wurde fest beschlossen. Er schreibt an Bornträger unterm +28. April:</p> + +<blockquote> + +<p>Erst seit gestern Morgen darf ich jetzt wahre Hoffnung haben, die +Reise nach Leipzig noch machen zu können. Erst seit gestern ist +wahre Besserung da! Erst seit gestern Abend kann ich mich im Zimmer +herumbewegen. Noch ist aber nur der Anfang der Besserung da. Es muß +kein Rück-, kein Incidenzfall eintreten. Alles muß vortrefflich gehen, +wenn es möglich werden soll, daß die Reise geschehe. Wie sehr ich +aber auf diese Begünstigung der Glücksgöttin vertraue, sage Ihnen +der Umstand, daß ich am Mittwoch unter den heftigsten Zufällen, die +ich aber zu verschmerzen noch die Kraft hatte, mit Jemandem Abrede +wegen<span class="pagenum"><a name="Seite_179" id="Seite_179">[179]</a></span> der Zusammenreise nahm und diese beschlossen wurde; wir stehen +jetzt selbst noch in Unterhandlung über den Kauf eines Reisewagens, +dessen ich besonders sehr bedurfte für diesmal. Auf jeden Fall riskire +ich freilich bei dieser Reise mein Leben oder den Verlust meiner +Gesundheit für immer. Aber gibt es hierin eine Wahl? Kann ich hier +bleiben, darf ich es, wenn nicht die gebieterischste Nothwendigkeit +mich ans Krankenbette fesselt? Mein Körper ist sehr schwach. Meine +Nerven sind in einem unglaublichen Grade gespannt und angegriffen; +mein furchtbarer Seelenzustand ist die Ursache meiner Krankheit; +diese fängt eben an, der sorglichsten Behandlung und aller Kunst +meiner Aerzte zu weichen, und schon im ersten Genesen soll ich diesen +zerrütteten schwachen Körper allen Beschwerlichkeiten und Gefahren +einer solchen Reise aussetzen, wo ich auf schlechten Wegen, in rauher, +kalter Witterung, und selbst des Nachts in der für mich unangenehmsten +Lage des Körpers in elenden offenen Wagen (wenn wir den Reisewagen +nicht kaufen) eine Reise von 150 Meilen machen soll! Indessen Pflicht +und Ehre rufen mich, und ich werde nicht wanken, wenn nur die Elemente +der Kraft dazu da sind.</p></blockquote> + +<p>In den beiden letzten Briefen, die Brockhaus vor seiner Abreise von +Amsterdam am 1. und 5. Mai an Bornträger schreibt, spricht er die +zuversichtliche Hoffnung aus, daß seine Anwesenheit in Leipzig alles +Geschäftliche in Ordnung bringen werde. Er sagt:</p> + +<blockquote> + +<p>Wie Alles werden, sich ordnen und lösen solle, weiß ich nicht, +und um es zu wissen, müßte ich ein Halbgott sein .... Ich werde der +Gefahr ruhig unter die Augen treten und von der Gegenwart etwas +Erträgliches erkämpfen, für die Zukunft Besseres bereiten .... Ich +habe hierüber wie über hundert andere Dinge sehr Vieles mit Ihnen zu +sprechen. Besonders von der jetzt möglichen ganz neuen Einrichtung +unsers Geschäfts habe ich Ihnen sehr wichtige Ideen mitzutheilen. +Auf Sie, lieber Bornträger, vertraue ich Alles, und nur durch Ihre +Mitwirkung können diese Ideen ausgeführt werden. Ich glaube indessen +gewiß zu sein, daß bei ihrer Befolgung wir in ein paar Jahren sehr +glücklich leben werden und keine der Sorgen mehr kennen, die uns +Beiden jetzt das Leben verbittern. Mündlich von dem Allen .... Dies +ist eine jener Maßregeln mit: Oekonomie ist die Basis des Mehrsten. +Und die Unmöglichkeit, mich mit Oekonomie einrichten zu können, das +Unermeßliche, was meine Haushaltung verschlang, der Kampf zwischen +Gewohnheiten und nothwendigen Annehmungen, die <span class="antiqua">fierté</span> meines +persönlichen Charakters, der alle die Wege nicht paßten, die im +jetzigen Berufe liegen — dies war es, was mich gedrückt und +zurückgebracht, mich ausgesogen hat. Aber noch ist für Alles Rettung, +denke ich. Ich habe mit Ruhe auf meinem jetzigen Schmerzenslager +einen neuen Geschäfts<span class="pagenum"><a name="Seite_180" id="Seite_180">[180]</a></span>- und Lebensplan entworfen, in den Sie, lieber +Bornträger, aber als ein nothwendiges Glied eingreifen. Sonst Niemand!</p></blockquote> + +<p>Auf den 10. Mai setzt er nun seine Abreise von Amsterdam fest. Freilich +fügt er hinzu: er werde wol abreisen können, aber ob er bis nach Leipzig +komme, wisse der Himmel; er sei am Genesen, aber noch keineswegs +wirklich genesen.</p> + +<p>Indessen scheint er glücklich und ohne neue Erkrankung in Leipzig +angelangt zu sein, da sich kein weiterer Brief aus Amsterdam vorfindet, +wohl aber ein von ihm schon am 18. Mai in Leipzig unterzeichnetes +Actenstück.</p> + +<p>Ueber seinen Abschied von Amsterdam, das er nur noch einmal nach +Jahresfrist auf kurze Zeit wiedersah, und über die Reise, auf der er +wahrscheinlich Dortmund berührte, um seine Kinder wiederzusehen, ist uns +nichts bekannt.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_181" id="Seite_181">[181]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter3-2" id="Chapter3-2">2.</a> +<br /> +Vier Monate in Leipzig. +</h3> + +<p class="start-chap">Noch während der Buchhändlermesse in Leipzig eingetroffen, gelang es +Brockhaus im Verein mit Bornträger alle geschäftlichen Verhältnisse +rasch in Ordnung zu bringen und dadurch das vielfach gegen ihn +entstandene Mistrauen zu beseitigen. Näheres darüber vermögen wir +nicht zu berichten, da unsere Hauptquelle für diesen Zeitabschnitt, +die Correspondenz mit Bornträger, während ihres Zusammenseins aufhört +und Brockhaus keinen andern Vertrauten für seine geschäftlichen +Mittheilungen hatte.</p> + +<p>Dagegen ist wenigstens ein von ihm unterzeichnetes Schriftstück aus +dieser Zeit erhalten. Dasselbe trägt das Datum: Leipzig, 18. Mai 1810, +und zeigt also, daß er, wie vorher erwähnt, an diesem Tage bereits +in Leipzig anwesend war. Der Inhalt dieses Actenstücks ist in vieler +Hinsicht interessant.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Die von uns schon mehrfach erwähnten Werke des Obersten von Massenbach, +die Brockhaus verlegte, hatten in hohem Grade das Misfallen der +preußischen Regierung erregt, besonders die »Memoiren zur Geschichte +des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II. und +Friedrich Wilhelm III.«, wovon 1809 die ersten drei Bände erschienen +waren und lebhaften Absatz gefunden hatten. Es sollten noch drei weitere +Bände folgen und der Verleger hatte dies bereits öffentlich angekündigt. +Der vierte Band war auch bereits in der Druckerei von Mauke & Söhne<span class="pagenum"><a name="Seite_182" id="Seite_182">[182]</a></span> +in Jena bis auf die beiden letzten Bogen im Druck vollendet, als die +herzoglich weimarische Regierung, wahrscheinlich auf Requisition der +preußischen, die ganze Auflage in Jena mit Beschlag belegen ließ. +Gleichzeitig kam der preußische Oberstlieutenant Gustav von Rauch +nach Leipzig, um im Auftrage seiner Regierung den Verleger des Werks +zur Verzichtleistung auf die fernere Veröffentlichung desselben zu +bestimmen. Welche Gründe er dafür anführte, ist uns nicht bekannt, doch +waren es jedenfalls solche, die keine Ablehnung zuließen, denn Brockhaus +schloß mit ihm als dem Bevollmächtigen der preußischen Regierung einen +diese Verzichtleistung aussprechenden Vertrag ab. Dieses ist das +Actenstück vom 18. Mai 1810.</p> + +<p>In dem Vertrage wurde zunächst ausgesprochen: Brockhaus bewillige, +daß der zwischen ihm und dem Obersten von Massenbach über jenes +Werk abgeschlossene Vertrag aufgehoben und der Verfasser seiner +contractmäßigen Verpflichtung, dasselbe complet zu liefern, entbunden +werde; ferner, daß der vierte Band nicht erscheine oder im Publikum +ausgegeben werde, vielmehr, daß alle davon gedruckten Exemplare mit +Einschluß der an Brockhaus gesandten (in Amsterdam befindlichen) +sogenannten Aushängebogen, ohne Ausschluß eines einzigen, an Herrn +von Rauch abgeliefert würden. Sodann gab Brockhaus sein Ehrenwort, +daß er nie und in irgendeinem Falle den Versuch machen werde, diese +Memoiren fortzusetzen, und daß er die ihm darüber gemachten oder noch zu +machenden Anerbietungen gänzlich abweisen werde. Dagegen übernahm Herr +von Rauch die Bezahlung der Druckrechnung für den vierten Band sowie die +Regelung des Honorarverhältnisses zwischen Brockhaus und dem Obersten +von Massenbach, da letzterer von ersterm bereits das gesammte Honorar +auch für die letzten drei Bände (in drei Wechseln, jeder zu 500 Thlr.) +erhalten hatte. Brockhaus glaubte außerdem, und gewiß mit vollem Rechte, +wie es in dem Vertrage heißt, »daß für die Unterbrechung der Herausgabe +dieses Werks gerade in der Periode, wo es für den Haufen des Publikums +ein höheres Interesse erhalten mußte, daß ferner für die Nichtvollendung +des Werks, worauf er ansehnliche Kosten verwandt hat, die sich noch +nicht rentirt haben können, weil das Werk noch nicht voll<span class="pagenum"><a name="Seite_183" id="Seite_183">[183]</a></span>ständig +war, ihm eine Entschädigung gebühre«. Die Höhe dieser Entschädigung +hatte er »als Kaufmann und als Hausvater nach dem billigsten Maßstabe +festgesetzt«, doch stellte er dieselbe auf Wunsch des Herrn von Rauch, +»im Fall Se. Majestät von Preußen diese Entschädigungssumme unbillig +finden sollten, unbedingt der allerhöchsten Entscheidung Sr. Majestät +anheim, womit er in jedem Falle zufrieden zu sein hiermit förmlich +erklärt und also seine ad 1, 2, 3 und 4 gegebenen Versprechen durchaus +zu erfüllen bereit ist«. Nur die Berichtigung einer Summe von 500 +Thlrn., die Massenbach von Brockhaus noch zu fordern hatte, versprach +Herr von Rauch jedenfalls zu übernehmen.</p> + +<p>Weiter wurde festgesetzt, es solle »zur Sicherung der mercantilischen +Ehre des Herrn Brockhaus« in den öffentlichen Blättern eine Anzeige +erlassen werden: »daß auf Intercession eines hohen Gouvernements die +Verlagshandlung sich veranlaßt gefunden habe, die bereits im Werke +begriffen gewesene Herausgabe des vierten Bandes der Massenbach'schen +Memoiren zu unterdrücken, wie auch auf die Herausgabe des fünften und +sechsten Bandes Verzicht zu thun«.</p> + +<p>Freiwillig hatte Brockhaus Herrn von Rauch noch mitgetheilt, daß er +eine Anzahl Originalbriefe des verstorbenen regierenden Herzogs von +Braunschweig von dem Obersten von Massenbach erhalten habe, welche in +vieler Hinsicht höchst interessant wären und besonders den preußischen +Staat beträfen; er erklärte sich zur Auslieferung derselben bereit, wenn +dies verlangt würde.</p> + +<p>Schließlich verpflichtete sich Herr von Rauch, sobald als möglich, +spätestens aber in Zeit von drei Wochen, über die mit Brockhaus +gepflogenen Unterhandlungen bestimmte Auskunft zu ertheilen, während +beide Theile sich verbindlich machten, »der Schicklichkeit und anderer +verschiedener Rücksichten wegen« den Vertrag unter sich geheimzuhalten +und solchen zu keiner weitern Kenntniß zu bringen.</p> + +<p>Ein zweites Actenstück über diese Angelegenheit liegt uns nicht vor, +auch keine briefliche Aeußerung, und wir wissen also nicht, ob die vom +Oberstlieutenant von Rauch versprochene weitere »Auskunft« und die +Genehmigung des Vertrags durch den König von Preußen erfolgte, doch ist +beides wol nicht zu bezweifeln. Jedenfalls aber hat Brockhaus das von +ihm in loyaler Weise gegebene<span class="pagenum"><a name="Seite_184" id="Seite_184">[184]</a></span> Versprechen auf das gewissenhafteste +gehalten. Selbst als ihm in späterer Zeit ein Exemplar des vierten +Bandes, so weit er gedruckt worden, zum Kauf angeboten wurde, wies +er diesen Antrag, seines Wortes eingedenk, zurück. In den vierziger +Jahren wurde von Berlin aus an die Firma das Ansuchen gestellt, die +an dem vierten Bande eines Exemplars fehlenden Bogen zu ergänzen, was +zu thun sie natürlich außer Stande war. Das Werk ist somit ein Torso +geblieben (die ersten drei Bände sind noch jetzt im Buchhandel, da +ihre Vernichtung, die ohnedem kaum ausführbar gewesen wäre, von der +preußischen Regierung gar nicht verlangt wurde), und es liegt hier der +seltene Fall vor, daß es gelungen ist, die theilweise bereits gedruckte +Fortsetzung eines Werks vollständig der Oeffentlichkeit zu entziehen. +Höchstens dürfte sich ein Exemplar an unzugänglicher Stelle in Berlin +befinden.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Wir lassen gleich hier einen mehrere Monate nach der Verhandlung mit +Herrn von Rauch geschriebenen und mit derselben nicht zusammenhängenden +Brief des preußischen Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg an Brockhaus +folgen, weil er eine ähnliche Angelegenheit betrifft. Der auch für +Hardenberg's Charakterisirung wichtige Brief, aus Berlin vom 15. +October 1810 datirt, also kurz nach der am 6. Juni erfolgten Erhebung +Hardenberg's zum Staatskanzler nach Stein's Rücktritt geschrieben, +lautet:</p> + +<blockquote> + +<p class="salut">Wohlgeborener, hochgeehrter Herr!</p> + +<p>Durch ein anonymes Schreiben bin ich benachrichtigt worden, +daß in einem unter der Presse befindlichen Buche ein Artikel mit +Privat-Anekdoten über mich abzudrucken beabsichtigt werde, und daß +ich, wenn ich solches verhindern wolle, mich an Ew. Wohlgeboren +unter Couvert des Herrn Buchhändler Rein in Leipzig wenden müsse. +Ich erkenne zwar die gute Absicht, welche dem anonymen Schreiben zu +Grunde liegt, sehr dankbar; aber warum wählte der Herr Schreiber +dieses Briefs die Anonymität? Ich liebe sie nicht. Was die Anekdoten +anbetrifft, womit man das Publikum über mich unterhalten will, so +wünsche ich, mehr um des Verfassers als um meinetwillen, daß sie +ungedruckt bleiben mögen, weil das wenige Wahre, was ihnen zum Grunde +liegt, dergestalt mit ganz falschen Umständen und irrigen Folgerungen +durchwebt und dadurch entstellt ist, daß dadurch das Ganze nothwendig +gleich in dem verdächtigsten Lichte erscheinen muß. Ich scheue<span class="pagenum"><a name="Seite_185" id="Seite_185">[185]</a></span> die +Publicität gar nicht. Der rechtliche Theil des Publikums unterscheidet +bald das Wahre und Glaubwürdige von dem Falschen und absichtlich oder +leichtsinnig Verdrehten und Ausstaffirten. Mein Bewußtsein genügt mir +als Mensch; es <em class="gesperrt">muß</em> mir als Staatsmann genügen, da ich mich als +solcher nicht vertheidigen <em class="gesperrt">darf</em>. Um desto unedler ist aber +der Angriff auf ganz unrichtige oder halbwahre Thatsachen und auf +Grundsätze, die man nicht kennen und würdigen kann. So habe ich ganz +falsche Darstellungen meiner politischen Handlungen und Ansichten +betrachtet und werde sie forthin so betrachten.</p> + +<p>Hiernach überlasse ich es Ew. Wohlgeboren eigenem Gefühl, was Sie +wegen Verhinderung des Drucks des gedachten Artikels oder dessen +Einrückung in das erwähnte Buch veranlassen wollen, und beharre mit +vollkommenster Hochachtung</p> + +<p class="signature">Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster</p> +<p class="right-x">Hardenberg.</p> +</blockquote> + +<p>Das Buch, um welches es sich handelte, war jedenfalls die erst ein +Jahr darauf, Ende 1811 (mit der Jahreszahl 1812), in Brockhaus' +Verlage anonym und, wie es scheint, ohne Verlagsort oder unter der +Firma »Peter Hammer in Köln« erschienene Schrift, die ihm auch andere +Unannehmlichkeiten zuzog: »Handzeichnungen aus dem Kreise des höhern +politischen und gesellschaftlichen Lebens. Zur Charakteristik der +letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts«, in welcher ein Abschnitt +»Minister Hardenberg« enthalten ist. Weshalb Brockhaus den Wunsch des +Staatskanzlers nicht erfüllte, ist uns nicht bekannt, da weder seine +Antwort auf obigen Brief noch irgendeine weitere Notiz darüber vorliegt. +Jedenfalls war es die erste Berührung, die Brockhaus mit dem lange Jahre +allmächtigen Staatskanzler Preußens hatte, und wenn sich daran auch +zunächst keine weitern Folgen knüpften, während er später mit demselben +in für ihn sehr verhängnißvolle Conflicte gerieth, so ist in ihr doch +vielleicht die erste Ursache zu letztern zu suchen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Nachdem Brockhaus die mit der Ostermesse zusammenhängenden Arbeiten +erledigt und seine Beziehungen mit den Buchhändlern, Buchdruckern +und Schriftstellern in Leipzig und dessen Nähe geordnet hatte, +ging er mit Eifer an die Regelung seines Geschäfts in Amsterdam. +Es war ein eigenthümliches Verhältniß: er selbst<span class="pagenum"><a name="Seite_186" id="Seite_186">[186]</a></span> nebst seinem +vertrautesten Commis in Leipzig, mit der Absicht, hier zu +bleiben und seine Verlagsunternehmungen von diesem dazu so viel +geeignetern Mittelpunkte des deutschen Buchhandels aus zu leiten; +sein eigentliches buchhändlerisches Geschäft, wenigstens der den +Sortimentsbuchhandel betreffende Theil desselben, unter der Firma +Kunst- und Industrie-Comptoir fortwährend noch in Amsterdam, unter +der Leitung eines zweiten Gehülfen, Krieger, der durchaus nicht sein +volles Vertrauen besaß. Er blieb zwar bei seinem Entschlusse, das +amsterdamer Geschäft aufzulösen, und sah auch bald ein, daß es für +ihn am besten sei, den Sortimentsbuchhandel ganz aufzugeben und nur +das Verlagsgeschäft ganz nach Leipzig zu verlegen. Aber mit welchen +Schwierigkeiten war das verbunden, mit welchen unvermeidlichen +Verlusten! Er selbst mochte nicht wieder nach Amsterdam zurückkehren, +das ihm seit dem Tode seiner Frau und nach seiner letzten Krankheit +ganz verleidet worden war und wo ihm außerdem wegen des Hiltrop'schen +Processes und der früher von uns kurz erwähnten Geldgeschäfte +mit zwei französischen Emigranten persönliche Unannehmlichkeiten +drohten. Es blieb kein anderer Ausweg übrig: Bornträger mußte sich +entschließen, wieder nach Amsterdam zu gehen, um dort zu retten, was +noch zu retten war, die ausstehenden Forderungen einzutreiben und das +Sortimentsgeschäft bestmöglich zu verkaufen.</p> + +<p>Aber auch dies hatte seine besondern Schwierigkeiten. Bornträger +erkannte in dem Antrage, den ihm Brockhaus machte, einen großen Beweis +von Vertrauen seitens seines Principals, die beste Anerkennung seiner +bisherigen Leistungen. Die Annahme schloß aber, ganz abgesehen von der +großen Verantwortlichkeit, eine persönliche Gefahr für ihn ein. Unter +seinem wirklichen Namen Bornträger in Amsterdam vielfach gekannt, +sollte er nun unter dem von ihm angenommenen Namen Friedrich Schmidt +dort auftreten, mit denselben Leuten in Berührung kommen, die sich +seiner aus der Zeit seines frühern dortigen Aufenthalts noch erinnern +mußten, und selbst die Vermittelung der Behörden in Anspruch nehmen. Wie +leicht konnte er von den Franzosen denuncirt werden und der ihm dann +drohenden harten Strafe als <span class="antiqua">conscrit réfractaire</span> verfallen. Doch +jugendlicher Muth sowie Anhänglichkeit an seinen<span class="pagenum"><a name="Seite_187" id="Seite_187">[187]</a></span> Principal, dem er sich +vielfach zu Dank verpflichtet fühlte und dessen verstorbener Frau er als +seiner mütterlichen Freundin das treueste Andenken bewahrte, bewogen +ihn, jenem Wunsche nachzugeben. Er verließ Leipzig und langte am 15. +August glücklich in Amsterdam an.</p> + +<p>Schon am 7. August schreibt Brockhaus wieder an ihn, wenn auch, wie er +sagt, der Brief wol früher als der Empfänger in Amsterdam sein werde. +Er verspricht ihm, mit nächster Post eine provisorische Cessionsacte zu +schicken, wahrscheinlich damit Bornträger formell als Eigenthümer des +Geschäfts erscheine, und wünscht ihm Muth und Kraft.</p> + +<p>Am 11. August schreibt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Es bedarf wol keiner Erinnerung von mir, daß da, wo sich Gelegenheit +findet, von meinen hiesigen jetzigen und künftigen Verhältnissen, wenn +auch gewiß nicht ruhmredig, doch mit einer gewissen <span class="antiqua">assurance</span> +und Bedeutung muß gesprochen werden.</p></blockquote> + +<p>Am folgenden Tage bittet er ihn, in Amsterdam Niemand zu sagen, daß +er in Leipzig sei, sondern etwa, er wohne in Weimar oder Dresden. +Damit stimmt überein, wenn er ihn kurze Zeit darauf veranlaßt, in die +amsterdamer Blätter folgende Anzeige zu setzen:</p> + +<blockquote> + +<p>Die jetzigen Zeitumstände und meine bekanntlich veränderten +häuslichen Verhältnisse bewegen mich, vor der Hand nicht persönlich +nach Amsterdam zurückzukehren. Indem ich meinen Freunden und Bekannten +hiervon Nachricht gebe, ersuche ich Diejenigen, welche noch etwa +Forderungen an mich haben möchten, solche Herrn N. N. aufzugeben, +durch welchen sie, wenn solche richtig, auch baldigst ihre Bezahlung +erhalten werden.</p> + +<p>Weimar.</p> +<p class="right-2">Friedrich Arnold Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>Als Bevollmächtigter soll ein amsterdamer Advocat, den Bornträger +unter mehrern ihm vorgeschlagenen auszuwählen hat, genannt werden; +gleichzeitig soll Bornträger an alle Correspondenten des Geschäfts, +damit diese und das Publikum nicht glauben, als ob das Geschäft ganz +aufhören werde, ein Circular etwa folgenden Inhalts richten:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_188" id="Seite_188">[188]</a></span></p> + +<blockquote> +<p class="right">Amsterdam, .....</p> + +<p>Herr Brockhaus, der seither unser hiesiges Sortimentsgeschäft +dirigirt hat, wird sich in Zukunft unserm Verlagsgeschäfte in +Deutschland widmen. Um Misverständnissen hierüber vorzubeugen, +zeigen wir hiermit an, daß hierdurch nicht die geringste Veränderung +in unserm hiesigen Geschäfte entstehen, sondern dasselbe mit der +nämlichen Thätigkeit wie seithero unter der Direction von dem +Mitunterzeichneten, Friedrich Bornträger genannt Schmidt, wird +fortgesetzt werden.</p> + +<div class="center"> +<table border="0" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""> +<tr><td align="center">Friedrich Bornträger genannt</td></tr> +<tr><td align="center">Schmidt wird unterzeichnen:</td><td align="right">Kunst- und Industrie-Comptoir.</td></tr> +<tr><td align="center">Kunst- und Industrie-Comptoir.</td></tr> +<tr><td align="center">Friedrich Schmidt.</td></tr> +</table> +</div> +</blockquote> + +<p>Auffallend ist in diesen Veröffentlichungen, daß Bornträger's früher so +streng gehütete Pseudonymität auf einmal aufgegeben wird, und ferner, +daß Brockhaus Weimar statt Leipzig als seinen Aufenthaltsort angibt. +Letzteres hatte wol darin seinen Grund, daß er sich vor persönlichen +Behelligungen infolge der vorher erwähnten Processe schützen wollte. +Uebrigens war er auch noch nicht fest entschlossen, in Leipzig zu +bleiben; er schwankte zwischen mehrern Orten und schreibt in dieser Zeit +einmal an Bornträger: er wolle nächstens nach Berlin reisen, und es +sei auch gar nicht unwahrscheinlich, daß er sich vielleicht dort ganz +fixiren werde.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Brockhaus war seit Bornträger's Abreise aus Leipzig unablässig bemüht, +Klarheit in seine Verhältnisse zu bringen und vor allem über den Stand +des amsterdamer Geschäfts klar zu werden. Bornträger widmete sich zwar +der ihm übertragenen schweren Aufgabe mit vollem Eifer, vermochte sie +aber doch nicht vollständig zu lösen. Die ihm von Brockhaus übersandte +Cessionsurkunde trug er Bedenken zu unterzeichnen, obwol ihm sein +Principal wiederholt versicherte, daß dies ungefährlich sei und Niemand +dadurch benachtheiligt werde. Auch war der bisherige zweite Gehülfe +in Amsterdam, Krieger, von Bornträger bald nach seiner Rückkehr +in Brockhaus' Auftrage entlassen worden, da er seit des Letztern +Abreise von Amsterdam die dortigen Geschäfte durchaus nicht zu dessen +Zufriedenheit besorgt hatte, und Bornträger mochte Mühe haben, allein +fertig zu werden.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_189" id="Seite_189">[189]</a></span></p> + +<p>Unter diesen Umständen verwickelten sich die Verhältnisse immer mehr, +statt sich zu klären, und es entsprangen daraus auch für Brockhaus +persönliche Unannehmlichkeiten der gefährlichsten Art. Er hatte an die +Gleditsch'sche Buchhandlung in Leipzig einen auf sein amsterdamer Haus +ausgestellten Wechsel gegeben, der noch vor Bornträger's Ankunft in +Amsterdam präsentirt und von dem zweiten Gehülfen Krieger zurückgewiesen +wurde, obwol die Deckung dafür von Brockhaus eingesandt worden war. +Daraus entstanden die ärgerlichsten Verhandlungen, die schließlich +Brockhaus veranlaßten, am 17. September Leipzig zu verlassen und sich +nach Altenburg zu wenden.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>So wurde nicht Leipzig, wie er gehofft hatte, sondern Altenburg der +Rettungshafen, in dem er Schutz suchte vor den auf ihn anstürmenden +Wogen, die sein kühn aufgebautes und mit Beharrlichkeit gegen mancherlei +Stürme glücklich vertheidigtes Lebensschiff plötzlich, als er schon ganz +nahe am Ziele zu sein glaubte, völlig zu Grunde zu richten drohten. Und +hier endlich, wo er mit kurzen Unterbrechungen die Zeit vom September +1810 bis Ostern 1817 zubrachte, sollte er, wenn auch nicht die ersehnte +Ruhe, die ihm überhaupt eigentlich nie im Leben beschieden war, doch den +festen Grund finden, auf dem er das Gebäude seines Geschäfts endlich +dauerhaft begründen konnte.</p> + +<p>Zunächst freilich schlugen die Wogen fast über ihm zusammen, und diese +Zeit, wol die allertrübste seines schweren Lebens, haben wir noch vor +der Schilderung seiner Niederlassung in Altenburg vorzuführen. Sie +knüpft sich an den Namen einer Frau, die in verhängnißvoller Weise in +sein Leben eingriff.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_190" id="Seite_190">[190]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter3-3" id="Chapter3-3">3.</a> +<br /> +Beziehungen zur Hofräthin Spazier. +</h3> + +<p class="start-chap">Als Brockhaus am 18. September 1810 Altenburg zum ersten male betrat, +geschah dies in Begleitung einer Freundin, an die er sich seit dem Tode +seiner Frau mehr und mehr angeschlossen, die während der letzten vier +Monate in Leipzig seine treue Beratherin gewesen war und ihn auch in der +Stunde der Gefahr nicht verließ. Es war dies die Hofräthin Spazier, die +bald seine erklärte Braut werden sollte.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Minna Spazier, mit ihrem vollen Vornamen Johanne Karoline Wilhelmine und +nach ihrem zweiten Manne gewöhnlich Uthe-Spazier genannt, von der wir +bisher meist nur als Herausgeberin des Taschenbuchs »Urania« zu sprechen +hatten, lebte seit dem Tode ihres Mannes, des am 19. Januar 1805 in +Leipzig verstorbenen Hofraths <span class="antiqua">Dr.</span> Karl Spazier, Herausgebers der +»Zeitung für die elegante Welt«, zuerst in Neustrelitz, dann wieder in +Leipzig. Sie war die zweite Tochter des Geh. Tribunalraths Mayer in +Berlin und daselbst am 10. Mai 1779 (oder 1777) geboren. Ihre ältere +Schwester, Karoline, war an Jean Paul Friedrich Richter in Baireuth +verheirathet, die jüngere, Ernestine, die aber schon 1805 starb, an den +Hofrath August Mahlmann in Leipzig, der nach dem Tode seines Schwagers +Spazier die »Zeitung für die elegante Welt«, später (1810-18) zugleich +die »Leipziger Zeitung« redigirte und sich auch als Dichter einen Namen +gemacht hat. Mit<span class="pagenum"><a name="Seite_191" id="Seite_191">[191]</a></span> ihren beiden Schwägern stand sie in guten Beziehungen, +und wurde von ihnen auch in ihrer literarischen Thätigkeit unterstützt. +Sie war Mitarbeiterin an verschiedenen Zeitschriften, gab seit 1801 +das »Taschenbuch der Liebe und Freundschaft« heraus, redigirte die +ersten beiden Jahrgänge (1810 und 1812) des von Brockhaus begründeten +Taschenbuchs »Urania«, übersetzte die von Frau von Staël französisch +herausgegebenen »Briefe, Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl +von Ligne« (Leipzig 1812) und die »Briefe der Lespinasse« (2 Bände, +Elberfeld 1810), die von Jean Paul günstig recensirt wurden, und gab +später auch eine Sammlung von Erzählungen unter dem Titel: »Sinngrün, +eine Folge romantischer Erzählungen, mit Theilnahme Jean Paul Richter's +und einiger deutscher Frauen Unterstützung« (Berlin 1819) heraus. In +Leipzig bewegte sie sich in den literarischen Kreisen und war namentlich +mit dem als Uebersetzer bekannten Adolf Wagner (dem Onkel Richard +Wagner's) und dem Dichter August Apel befreundet.</p> + +<p>Auch mit Varnhagen von Ense und dessen Gattin Rahel war sie näher +bekannt. Ersterer<a name="FNAnker_39_39" id="FNAnker_39_39"></a><a href="#Fussnote_39_39" class="fnanchor">[39]</a> schildert sie (1807) als »eine schriftstellernde, +lebhafte, liebenswürdige, nicht gleichgültig lassende Frau« und fügt +hinzu:</p> + +<blockquote> + +<p>Sie bekannte mir ihre ganze Lage, wie ihr Witwenstand sie dazu +dränge, sich irgendwo wieder anzuschließen, wie sie einige Bande +leichter Neigung festzuhalten gesucht, aber noch unentschieden +zwischen mehrern schwanke, die einstweilen gleicherweise von ihr +begünstigt wurden; auch ich sollte diese Begünstigung erfahren und +an solchem Band oder Bändchen mich gehalten fühlen, allein ich war +durch so viele scharfe Geschichten abgehärtet genug, um diesmal ohne +Zagen die noch schwachen Fäden gleich wieder abzureißen, obgleich mehr +gebunden war und zerrissen wurde, als ich damals ahndete und nachher +glauben wollte.</p></blockquote> + +<p>Außer durch reichen Geist und Liebenswürdigkeit war sie auch durch +hervorragende Schönheit ausgezeichnet.</p> + +<p>Brockhaus hatte sie schon im Herbste 1808, als er Leipzig zum ersten +male als Buchhändler besuchte, kennen gelernt und, wie<span class="pagenum"><a name="Seite_192" id="Seite_192">[192]</a></span> es scheint, +schon damals mit ihr wegen Herausgabe der »Urania« verhandelt. In einem +von ihm an Bornträger in Leipzig gerichteten Briefe aus Amsterdam vom +27. Februar 1809 finden wir sie zum ersten male erwähnt. Während der +Ostermesse 1809 verkehrte er viel mit ihr in Leipzig wegen der »Urania«. +Als Bornträger im Spätherbst 1809 wieder nach Leipzig reist, schickt +Brockhaus wichtige Geschäftsbriefe statt an seinen bisherigen dortigen +Commissionär Weigel an seine »Freundin«, die Hofräthin Spazier, und +weist Bornträger an, die Briefe bei ihr in Empfang zu nehmen. Der +betreffende Brief an Bornträger ist am 30. November 1809, also kurz +vor dem (am 8. December) erfolgten Tode seiner Frau geschrieben, und +bald nach diesem, in den früher von uns erwähnten Briefen vom 19. und +23. December, nennt er sie seine »wahre Freundin«, der Bornträger ganz +vertrauen könne, und fordert ihn auf, in Leipzig zunächst Niemand als +sie zu besuchen.</p> + +<p>Bornträger scheint ihr indeß doch nicht so vollständig wie Brockhaus +vertraut und diesen selbst vor ihr gewarnt zu haben, namentlich wol +unter Hinweisung auf ihren, auch von Varnhagen erwähnten vertrauten +Verkehr mit Andern. Darauf bezieht sich folgende Antwort von Brockhaus +in einem Briefe vom 21. Januar 1810:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe noch ein Wort im Vertrauen mit Ihnen zu sprechen über mein +Verhältniß zur Hofräthin. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, daß +dies Verhältniß sehr innig sein müsse. Dies ist es. Ich glaube an ihr +eine treue und edle Freundin zu haben im ganzen Umfange des Worts. +Ich bin von Weibern und Männern in der Welt oft getäuscht worden, +ich glaube nicht, daß sie mich täuschen wird. Ich weiß es, daß ihr, +wie fast Jedem widerfährt, der sich von der Landstraße des Gemeinen +entfernt, vom geschwätzigen Publikum vieles Ueble nachgesagt wird +oder ist nachgesagt worden, und ich glaube selbst, daß Manches davon +nicht ungegründet sein mag. Mich kümmert das aber nicht. Ich werfe +darum keinen Stein auf sie, sondern frage nur: ist sie dir als treue +und biedere Freundin getreu? Ist und bleibt sie das, so kümmert mich +nichts weiter.</p> + +<p>Ihre Sorge, guter Bornträger, sei nur, dieses zu beobachten. Finden +Sie dies nach Ihrem unbefangenen Sinne bestätigt, so vertrauen Sie +ihr, wie ich ihr vertraut habe und noch vertraue. Finden Sie es aber +nur nach Ihrer Ansicht anders, so überlasse ich Ihnen, wie Sie handeln +wollen, und mache Ihnen nur das zur Pflicht, mich nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_193" id="Seite_193">[193]</a></span> eher von +Ihren Gegenideen zu unterhalten, bis Sie eine wenigstens relative Art +von Gewißheit über diese Ansichten möchten erworben haben.</p> + +<p>Noch füge ich hinzu, daß mein Verhältniß zur Hofräthin in Zukunft +nie einen andern Charakter erhalten kann, als den es jetzt hat.</p></blockquote> + +<p>Nach diesem Briefe dachte Brockhaus damals gewiß noch nicht daran, Frau +Spazier zu heirathen. Noch deutlicher geht dies aus einem folgenden +Briefe vom 16. März hervor, in dem es heißt: Er beabsichtige in Leipzig +wieder eine kleine Haushaltung anzufangen und zwei seiner (eben in +Dortmund untergebrachten) Kinder abwechselnd um sich zu haben, wozu er +eine Haushälterin suche, die gebildet genug sei, auch das häusliche +Leben etwas erheitern zu können; heirathen werde er nicht wieder, aus +Gemüths- und aus Verstandesgründen.</p> + +<p>In einem der nächsten Briefe freut er sich, Bornträger melden zu können, +daß die Hofräthin auch ihn, der mit ihr so viel zu verkehren hatte, +liebgewonnen habe. Freilich findet sich auch einmal ein Zeichen von +Mistrauen gegen sie, indem er unterm 1. Mai 1810 schreibt:</p> + +<blockquote> + +<p>Die Entschuldigung der Hofräthin gegen Varnhagen war nicht edel, +und nur eigene drückende Verlegenheit kann sie dafür entschuldigen in +etwas. Ich vertraue auf die Hofräthin viel, ob zu viel, wird die Zeit +würdigen.</p></blockquote> + +<p>Seit seiner bald nach diesem Briefe in den ersten Tagen des Mai +erfolgten Ankunft in Leipzig trat er allerdings in ein näheres +Verhältniß zu ihr; aus dieser Zeit, bis zu der Anfang August erfolgten +Abreise Bornträger's nach Amsterdam, fehlt indeß jede intimere +Correspondenz, die darüber Aufschluß geben könnte. Jedenfalls war er +bald darauf fest entschlossen, sie zu heirathen. Schon in dem ersten an +Bornträger nach Amsterdam gerichteten Briefe vom 7. August heißt es: +»Minna und ich werden Ihnen ewig danken, wenn Sie dort mit Mannessinn +handeln«; am 11. August schreibt er: »Sobald wir hier einigermaßen +rangirt sind, reisen wir bestimmt nach Berlin« (wo ihr Vater wohnte), +und trägt Bornträger auf, aus den Musikvorräthen des amsterdamer +Sortimentsgeschäfts zu schicken »was für Minna's Studien paßt«,<span class="pagenum"><a name="Seite_194" id="Seite_194">[194]</a></span> +besonders Guitarrenmusik; am 25. August endlich sagt er: »Von Berlin +haben wir von Minna's Vater sehr angenehme Nachrichten jetzt, und wir +wünschten nun bald hinreisen zu können.«</p> + +<p>Bornträger machte den Versuch, ihn von der Heirath, der er von Anfang +an entgegen war, abzuhalten, und wählte dazu ein Mittel, das er bei dem +ihm wohlbekannten edeln Charakter seines Principals für das wirksamste +halten mochte.</p> + +<p>Er schrieb ihm in einem Briefe (dessen Concept uns jedoch nur vorliegt):</p> + +<blockquote> + +<p>Nun noch eine Bitte, die nicht mich betrifft, die ich aber auf die +Gefahr, Sie zu erzürnen, wage, die Sie aber lesen müssen.</p> + +<p>Niemand kann den Werth der Frau, die Sie an Ihr Leben und Ihr +Schicksal fesseln wollen, besser erkennen als Sie, und Niemand kann +den Stand Ihrer eigenen Geschäfte wieder besser kennen als Sie. Seien +Sie einmal ehrlich gegen sich selbst und thun Sie nicht eher einen +Schritt, von dem das Glück eben dieser Frau ganz abhängt, als bis Sie +sicher sind, daß Ihnen Beiden kein Unglück mehr droht. Sie wissen, wie +Vieles noch unentschieden ist. Sie wissen, wie viel auf dem Spiele +steht. Warten Sie den Erfolg erst ab, ehe Sie handeln — wie edel +und wie uneigennützig die Frau denkt, wissen Sie; sollte sie es wol +verdienen, dieses Alles büßen zu müssen?</p></blockquote> + +<p>Brockhaus antwortete auf diese wohlgemeinte und verständige Warnung zwar +nicht erzürnt, aber doch ausweichend unterm 28. August:</p> + +<blockquote> + +<p>In dem, was Sie mir über Minna sagen, erkenne ich Ihr gefühlvolles +theilnehmendes Freundesgemüth. Ich danke Ihnen dafür. Ich vertraue +und glaube, Alles wird wohl werden. Nur Muth, Thätigkeit und festes +Wollen, moralisch gut zu handeln! Ich und Minna vertrauen für dort auf +Sie. Vertrauen Sie auf uns!</p></blockquote> + +<p>Am 1. September meldet er: »Minna ist diese Woche recht krank gewesen, +seit heute aber wieder wohler«, und einige Tage darauf fügt er hinzu: +»Mit unserer Heirath eilt es und eilen wir nicht.«</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>So standen die Sachen, als sich Brockhaus am 17. September 1810 +entschloß, Leipzig zu verlassen und nach Altenburg überzusiedeln.<span class="pagenum"><a name="Seite_195" id="Seite_195">[195]</a></span> +Wir knüpfen hier den früher unterbrochenen Faden der Erzählung seiner +nächsten Lebensschicksale wieder an.</p> + +<p>Brockhaus schreibt an Bornträger noch an jenem Tage aus Leipzig in einer +Nachschrift zu einem längern Briefe:</p> + +<blockquote> + +<p>Unsere Schicksalsstunde hat geschlagen .... Wir reisen diese Nacht +ab. Nach Altenburg. Gott erhalte uns und die edle Minna, die wie eine +Römerin jetzt begeistert ihr Schicksal zu dem meinigen machen will. +Nur als meine Gattin kann Minna mein Schicksal theilen. Wir werden +thun, was denkbar ist, aber das Schicksal ist schwer.</p></blockquote> + +<p>In Altenburg kannte Brockhaus den Kammerverwalter Ludwig (mit dem er +1808 in Leipzig zusammengetroffen war), den Buchhändler <span class="antiqua">Dr.</span> +Pierer und den Kriegsrath von Cölln, der jetzt hier lebte und den er +erst kurz vorher in Leipzig persönlich kennen gelernt hatte, obwol er +an dem Verlage seiner »Vertrauten Briefe über den preußischen Hof« mit +betheiligt war. Er schreibt über ihn:</p> + +<blockquote> + +<p>Dieser ist ein tüchtiger Mensch und voller <span class="antiqua">liaisons</span> und +Ideen. Auf seine Verlagsanerbietungen sind wir nicht entrirt und sind +darum um so freier. Er hat sich aber sonst sehr an uns attachirt, und +seine genaue Freundschaft mit Schnorr<a name="FNAnker_40_40" id="FNAnker_40_40"></a><a href="#Fussnote_40_40" class="fnanchor">[40]</a> ist uns auch Bürge mit, daß +er ein in sich rechtlicher Mensch ist.</p></blockquote> + +<p>Mit diesen Männern, die ihn sehr freundlich aufnahmen, und mit dem +Hofgerichtsadvocaten Ferdinand Hempel, den ihm Pierer zuführte und +der bald sein vertrautester Freund und Rathgeber wurde, besprach +Brockhaus seine Lage, und ihrem Rathe folgend entschloß er sich zu dem +verzweifelten, aber den Umständen nach gerechtfertigten und praktischen +Ausweg: sein Geschäft an seine zukünftige Braut zu verkaufen. Er glaubte +sich dann mit seinen Creditoren leichter arrangiren zu können, ohne +befürchten zu müssen, durch sofortiges Einschreiten einzelner derselben +der Möglichkeit, alle zu befriedigen, beraubt zu werden. Der Kaufvertrag +wurde am 5. resp. 6. October abgeschlossen, Kammerverwalter Ludwig<span class="pagenum"><a name="Seite_196" id="Seite_196">[196]</a></span> zum +Curator der neuen Besitzerin, Hempel zu Brockhaus' Vertreter ernannt. +Die Betheiligten reisten nach Leipzig, um die Uebergabe des Geschäfts an +die neue Besitzerin zu vollziehen, zuerst Ludwig mit Frau Spazier, am +nächsten Tage Hempel, einen Tag später Brockhaus selbst. Die Uebergabe +ging ohne besondere Schwierigkeiten von statten.</p> + +<p>Die hierüber erlassenen Anzeigen und Circulare dürfen als zur Geschichte +der Firma F. A. Brockhaus gehörig, zumal das Geschäft dadurch sogar +eine neue Firma erhalten sollte, an dieser Stelle nicht fehlen, obwol +zweifelhaft ist, ob sie in die Oeffentlichkeit gelangten, und es +außerdem nur ein Scheinkauf war, der bereits zehn Tage darauf, am 16. +October, von den Betheiligten wieder aufgehoben wurde.</p> + +<p>Die zwei in Altenburg gedruckten Anzeigen, die uns in dem von Brockhaus +an Bornträger gesandten Exemplare (in Circularform) vorliegen, lauten:</p> + +<blockquote> + +<p class="right-1"> +Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810.</p> + +<p>Als Eigenthümer der unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir, +bekannten Verlags- und Sortiments-Buchhandlung zeige ich hiermit +an, daß ich diese Handlung mit allen Vorräthen, Verlags-Rechten und +sämmtlichen Activ-Schulden an die Witwe Hofräthin Spazier, geb. +Mayer, verkauft habe; hiernächst aber die Liquidation der Passiven, +insofern diese nicht durch Gegenrechnungen, so weit sich solche bis +<span class="antiqua">à dato</span> in den Handlungsbüchern verzeichnet finden, ausgeglichen +werden könnten, mir selbst vorbehalte.</p> + +<p class="right-2">Friedrich Arnold Brockhaus.</p> + +<hr class="r10" /> + +<p class="right-1"> +Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810.</p> + +<p>Indem ich Obiges bestätige, füge ich hinzu, daß in Verbindung mit +mehrern Freunden eine neue Buchhandlung, unter der Firma:</p> + +<p class="center"> +Typographisch-litterarisches Institut<br /> +in Amsterdam und Leipzig,</p> + +<p>errichtet ist, von welcher Firma hinführo der seitherige Verlag des +Kunst- und Industrie-Comptoirs allein wird zu erhalten sein.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_197" id="Seite_197">[197]</a></span></p> + +<p>Es verbittet sich dies neue Geschäft jedoch einstweilen, bei den +in Holland eintretenden Veränderungen in Rücksicht des deutschen +Buchhandels, alle und jede Zusendung von Novitäten, bis es darüber +etwas Näheres anzeigen wird, und begnügt es sich vorläufig mit dem +Empfange der Continuationen, um deren prompte Zusendung gebeten wird. +Was die Sortiments-Handlung des neuen Geschäfts gebrauchen möchte, +wird es für feste Rechnung verlangen.</p> + +<p>Das, was von heute an noch für das Kunst- und Industrie-Comptoir +eingeht, wird von dem Typographisch-litterarischen Institute +verrechnet werden.</p> + +<p>Die Herren W. Rein und Comp. in Leipzig haben die Güte, die +Commission für dieses neue Geschäft zu übernehmen, und ich ersuche +dieserhalb, die mir als Käuferin des Kunst- und Industrie-Comptoirs +competirenden Saldo-Reste und alles Weitere diesen unsern +Commissionärs zuzustellen.</p> + +<p class="right-1">Johanne Caroline Wilhelmine, Witwe Hofräthin Spazier,</p> +<p class="right-x">geb. Mayer.</p> + +<hr class="r10" /> +</blockquote> + +<p>Das in Amsterdam gleichzeitig in deutscher und holländischer Fassung +gedruckte Circular lautet in ersterer:</p> + +<blockquote> + +<p class="right-1">Leipzig und Amsterdam, 5. October 1810.</p> + +<p>Ich zeige Ihnen hiermit an, daß ich die Direction und meinen +Theil an dem seit 1806 hier in Amsterdam wie in Leipzig, unter +der Firma von Kunst- und Industrie-Comptoir, bestanden habenden +Buchhandlungs-Etablissement abgegeben und an die Hofräthin Witwe Joh. +Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer, unter heutigem Dato verkauft habe, +wodurch diese alleinige Eigenthümerin beider Geschäfte mit allen +Vorräthen, Verlagsrechten und ausstehenden Activ-Schulden geworden ist.</p> + +<p class="right-2">F. A. Brockhaus.</p> + +<hr class="r10" /> + +<p>Indem ich Obiges bestätige und hinzufüge, daß ich für Amsterdam +Herrn F. Schmidt zu meinem Commissionär ernannt, und ihn mit allen +nöthigen notariellen Vollmachten versehen habe, an den Sie sich also +von jetzt an, in Rücksicht alles dessen was Ihre Verhältnisse zum +ehemaligen Kunst- und Industrie-Comptoir betrifft allein wenden, und +dem, was von ihm darin geschieht, ganzen Glauben beimessen wollen, +zeige ich zugleich an, daß ich künftig allein das Verlagsgeschäft +und zwar unter der Firma Typographisch-litterarisches Institut +in Leipzig fortführen, hingegen die in Amsterdam bestehende +Sortiments-Buchhand<span class="pagenum"><a name="Seite_198" id="Seite_198">[198]</a></span>lung aufheben werde, weil der deutsche Buchhandel +durch die franz. Gesetze sehr beschränkt und gehemmt werden wird, und +derselbe ohne gänzliche Freiheit nicht mit Vortheil bestehen kann.</p> + +<p>Um nun mein daselbst vorhandenes großes Lager noch möglichst +verkleinern zu können, biete ich Ihnen hierdurch alles ohne Ausnahme, +was Sie noch von den vorräthigen Artikeln, nach unsern bereits +erhaltenen Katalogen, zu acquiriren wünschen, gegen comptante Zahlung +mit 33 <small><sup>1</sup>⁄<sub>3</sub></small> p. Ct. Rabatt an, doch erbitte ich mir Ihre Orders so bald +als möglich, da sie späterhin nicht gut mehr möchten ausgeführt werden +können.</p> + +<p class="right-2">Joh. Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer.</p> + +<hr class="r10" /> +</blockquote> + +<p>Mit vollem Rechte konnte Brockhaus am 21. October an Bornträger +schreiben: der kühne Schritt sei gelungen und das Geschäft gerettet; +jedermann habe eingesehen, daß der Verkauf fingirt sei; derselbe habe +deshalb gesetzmäßig umgestoßen werden können, wenn man den Verdacht der +Insolvenz gehegt hätte, das sei aber glücklicherweise nicht der Fall, +wie auch kein Grund irgendwelcher Art zu einem solchen Verdacht vorliege.</p> + +<p>Ueber die Einwirkung aller dieser Verhältnisse auf seine dadurch +scheinbar so viel näher gerückte Heirath schreibt Brockhaus an +Bornträger unterm 14. October:</p> + +<blockquote> + +<p>Was unter diesen Umständen aus unserer Verbindung werden wird, weiß +Gott! Es versteht sich von selbst, daß sie nicht eher statthaben darf, +bis sie einigermaßen geordnet sind. Für mich fürchte ich in Rücksicht +meiner Gesinnungen nichts, da mir Minna theurer wie mein Leben ist +und ich höchst unglücklich sein würde, wenn ich sie verlöre. Von der +andern Seite denke ich aber auch zu zart, als daß ich auch nur auf die +leiseste Weise Ueberredung gebrauchen möchte, im Fall ich auch nur +einigermaßen ahnden könnte, als seien ihre Gesinnungen und ihre Liebe +verändert. Ich begreife vollkommen, wie diese Geschichten alle auf sie +influenciren müssen, und wie es geschäftige Rathgeber geben wird, die +ihr die Verhältnisse und mich mit Farben darstellen, die sie sicher +ängstlich machen müssen. Haben sich solche Rathgeber ja auch bei mir +eingefunden in Rücksicht auf sie. Man muß ihre und meine Verhältnisse +so genau und in allen ihren hundertfältigen Beziehungen kennen, als +Sie es thun, muß wissen, wie isolirt und verloren wir Beide standen +und getrennt wieder stehen würden, man muß unsere achtzehnmonatliche +genaue und innige Freundschaft kennen, man muß dies Alles genau +wissen, um unser Verhältniß ganz würdigen zu können ....</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_199" id="Seite_199">[199]</a></span></p> + +<p>Ich werde Minna nie freiwillig und aus Gründen, die in mir selbst +liegen könnten, verlassen. Ich kann es nicht, und ich würde es für +ein Verbrechen halten, wenn ich es wollen könnte. Aber ich werde sie +verlassen, sobald sie es wünscht, und gehe ich darüber auch, wie +ich voraussehe, ganz zu Grunde. Dies habe ich ihr auch mehrmalen in +schweren Momenten gesagt! Sie hat bisher immer erklärt, daß sie ihr +Leben dem meinigen unzertrennlich anschließen werde. Wenn das ihre +Gesinnung bleibt, so glaube ich, daß Alles wohl und gut enden werde +und enden könne. Voneinander getrennt, glaube ich aber, daß sie wie +ich moralisch und bürgerlich werden zu Grunde gehen ....</p> + +<p>Noch gereicht mir sehr zur Beruhigung, daß ich auch bei aller meiner +innigen Liebe, ja Anbetung für sie mich dennoch lange, wie Sie es +selbst wissen, sehr lange gesträubt habe, ehe ich zu einer Verbindung +mich entschlossen habe, und daß die Initiativen dazu nicht von mir, +sondern von ihr selbst ausgegangen sind. Auch hat sie das Verhältniß +meiner Handlung im ganzen gekannt wie es ist.</p></blockquote> + +<p>Nach einigen Wochen, die er in der eifrigsten Thätigkeit für Ordnung +seiner Angelegenheiten und in angenehmem Verkehr mit seinen neuen +Bekannten in Altenburg verbrachte, äußert er gegen Bornträger unterm 10. +November:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe Ihnen letzthin viel über meine und Minna's Verhältnisse +geschrieben. Sie haben sich wieder enger als je geknüpft, und sobald +die bürgerlichen Schwierigkeiten besiegt sind, werden wir heirathen. +Seit acht Tagen leidet sie erstaunlich an Krämpfen, ist seit heute +etwas wohler, aber noch unendlich krank und schwach.</p> + +<p>Uebrigens sind wir sehr geneigt, wenn Alles erträglich geht, uns +hier zu fixiren. Altenburg ist ein Ort von circa 10-12000 Einwohnern, +wo sich die Langeweile der ganz kleinen Städte nicht findet und +wirklich ein sehr angenehmer Ton herrscht. Es gibt höchst interessante +Cirkel, und Minna, die in mehrern Jahren in Leipzig beinahe keinen +Menschen mehr sah, ist wie in einer neuen Welt, wo sie durch ihre +Talente und ihren Geist sehr geschätzt ist. Das Reichenbach'sche Haus, +mit Reichenbach's zwei höchst interessanten verheiratheten Schwestern, +einer Madame Hoffmann und Madame Pierer, und das von Ludwig, der +einen Engel an Weib und reich an Talenten zur Frau hat, bilden den +Centralpunkt der bessern gesellschaftlichen Cirkel, worin Minna auch +aufgenommen ist und ich es bin, wie ich es wollen werde. Man kann mit +1000 Thlr. hier ein ganz anständiges Haus machen und wird nicht blos, +wie in Amsterdam und in Leipzig, nach dem, was man mit Geld wiegt, +gewogen. Ueberhaupt ist das Land von allen Kriegsverheerungen beinahe +ganz verschont geblieben und ist unter der<span class="pagenum"><a name="Seite_200" id="Seite_200">[200]</a></span> sanften Gothaischen +Regierung wol noch eins der glücklichsten Ländchen, die es in dem +jetzigen Sturme aller Verwirrung geben mag.</p></blockquote> + +<p>So aufs neue Hoffnung schöpfend und mitten unter Stürmen dem ihm +vorschwebenden bescheidenen Ziele ganz nahe, wurde Brockhaus abermals +und in der entsetzlichsten Weise vom Schicksale getroffen, das wie ein +Blitz aus der schwülen Luft, die ihn umgab, herniederfuhr: seine Braut +— wurde wahnsinnig! Und wenn sie auch wieder genesen sollte, sie war +auf immer für ihn verloren!</p> + +<p>Mit ergreifenden Worten schildert er selbst diese Vorgänge in einem +Briefe an Bornträger vom 21. November:</p> + +<blockquote> + +<p>Wo soll ich Worte hernehmen, um Ihnen den namenlosen Jammer +auszudrücken, worin ich gestürzt bin! O Gott! welch ein fürchterliches +Schicksal verfolgt mich, und wie wird sich Alles noch enden! Mein +letzter Brief an Sie war vom 9./11. November. Seit der Schreibung +desselben habe ich von Ihnen auch weiter keine Nachrichten erhalten, +sodaß also wohl morgen mehrere Briefe zusammen von Ihnen eintreffen +werden. Aber wo würde ich auch den Muth und die Zeit hergenommen +haben, Ihnen etwas sagen zu können? Wo nehme ich ihn jetzt her, am +Abend der fürchterlichsten Katastrophe meines Lebens?</p> + +<p>Schon in meinem letzten Briefe muß ich Ihnen gesagt haben, daß +Minna krank sei. Sie ist es geblieben — sie ist es noch — sie ist +— entsetzen Sie sich nicht — sie ist — wahnsinnig! Ich vermag +es nicht, Ihnen den ganzen Hergang der fürchterlichen Krankheit zu +erzählen. Etwa gegen den 1. d. M. fing es mit einem Gliederreißen +an. Aus dem Gliederreißen wurde ein rheumatisches Fieber; dieses +artete in ein nervöses aus, es kamen hysterische Zufälle — lebhaftes +Phantasiren — Irrereden hinzu, und dies Alles hat mit dem Zustande +geendet, den ich Ihnen oben genannt habe, nicht aber nochmal nennen +kann. Ob eine Heilung möglich ist, steht dahin, das jetzt Factische +ist da, und mir ist jenes unwahrscheinlich — aus psychologischen +Gründen. Wir haben täglich die rührendsten und herzerschütterndsten +Auftritte, aber auch die entsetzlichsten, wie die wildeste Phantasie +sie sich nur schaffen kann. Einer der entsetzlichsten hatte in der +Nacht vom Sonntag auf Montag statt, wo außer sonstigen Wächtern +Madame Ludwig — ein Engel von Weib — mit mir, der seit 16 Tagen +jetzt nicht aus den Kleidern gekommen, die oberste Wache hatte, und +wo sie einen heftigen Anfall von Wuth bekam, daß ich in Gefahr war +erdrosselt zu werden — daß sie wüthend um sich und Emma in den Hals +biß — und nachdem ich eine Viertelstunde lang den schrecklichsten +Kampf mit ihr gekämpft hatte, in dem Gott mich wunderbar stärkte, +und nachdem<span class="pagenum"><a name="Seite_201" id="Seite_201">[201]</a></span> endlich Hülfe kam, sechs Männer es kaum vermochten, +sie zu bändigen, um sie binden zu können. Diese Anfälle haben sich +wiederholt, wenn auch mit minderer Stärke, sodaß wir wieder gewagt +haben, zu ihr zu gehen. Heute hat aber wieder ein Zufall stattgehabt, +der es mir verbietet und unmöglich macht, wieder zu ihr zu gehen, +wenigstens einstweilen nicht. Ein Charakter ihres Wahnsinns war +seither die außerordentlichste Liebe und Anhänglichkeit zu mir, sodaß +ich durch Zureden Alles vermochte, und meine nothwendigen, wenn auch +nur augenblicklichen Entfernungen immer die rührendsten Erscheinungen +hervorbrachten. Heute aber, gerade zu Mittag, wo ich mit Emma, einem +Wächter und unserm Hauswirthe bei ihr war, bekam sie einen Anfall, der +zunächst auf mich gerichtet war, und wo sie auf mich einstürzte, mich +anzufallen wagte, und mit geballten Händen auf mich einschlug, daß +Ströme Blut mir aus der Nase stürzten. Nur mit Mühe gelang es uns, sie +zu binden! Ich sehe sie seitdem nicht wieder und werde es einstweilen +nicht thun.</p> + +<p>Auch von der Möglichkeit ihrer Genesung abgesehen, könnte Minna doch +nie — mein Weib mehr werden. In einer Stunde, die sie glaubte ihre +Todesstunde werden zu sollen, hat sie mir über alle ihre seitherigen +Verhältnisse die vollständigsten Aufschlüsse gegeben und mir die +schriftlichen Belege darüber zu Händen gestellt! Diese Aufschlüsse +machen es mir unmöglich — ihr je meine Hand zu geben! O Gott, aus +welchem Himmel bin ich gestürzt! Wie bin ich argloser, gutmüthiger +Mensch getäuscht, betrogen, hintergangen worden! Diese Aufschlüsse +kann ich Ihnen vielleicht — und nur Ihnen — einst mittheilen, +wenn, wie ich wünschen muß, Minna sterben sollte! O Gott — Gott — +was habe ich in diesen vierzehn Tagen erfahren, geduldet, erlitten! +Welch einen Jammer, welch ein Zerreißen in meinem Innern! Diese +fürchterlichen Entdeckungen in Minna's Geschichte haben aber auf mein +äußeres Benehmen gegen sie in ihrem Unglück ebenso wenig Einfluß +gehabt, als sie mich auch sonst nicht bestimmen werden, wenn sie leben +bleibt, meine Hand von ihr abzuziehen. Aber für mich ist sie für immer +verloren! Denken Sie sich zu diesen meinen Empfindungen nun auch die +über ihren jetzigen Seelenzustand oder ihre Krankheit! Ich bin der +unglücklichste aller Menschen!</p> + +<p>Unser bürgerliches Verhältniß ist regulirt durch ihr Testament, das +sie ein paar Stunden nach jenen Entdeckungen machte, und durch einen +Rückkauf.</p> + +<p>Sonst ist durch diese Vorfälle Alles in Stocken gerathen, und kein +Circular weder ausgegeben, noch sonst das Geringste gethan worden. Sie +können sich die ganze Verwirrung denken ....</p> + +<p>Adieu, guter Schmidt! Gott stärke Sie und mich!</p> + +<p class="right-2">Ihr unglücklicher Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_202" id="Seite_202">[202]</a></span></p> + +<p>Vor allem hielt es Brockhaus für seine Pflicht, dem Vater Minna's, +Geh. Tribunalrath Mayer in Berlin, gleich Nachricht über das traurige +Schicksal der Tochter zu geben. Indeß konnte er es nicht über das Herz +bringen, ihm auch sofort die Auflösung der Verlobung mit ihr anzuzeigen, +zumal noch nicht entschieden war, ob nicht der Tod die versöhnendste +und für alle Theile wünschenswertheste Lösung der traurigen Katastrophe +herbeiführen werde.</p> + +<p>Er schrieb an ihn unterm 28. November:</p> + +<blockquote> +<p class="salut">Hochwohlgebohrner Herr Geheimerrath!</p> + +<p>Es ist für mich diesmal die traurigste aller Veranlassungen, die +mich zu einer Unterhaltung mit Ew. führt. Anstatt, wie ich hoffte und +wie es mein innigster Wunsch war, Ihnen in diesem Briefe Nachricht +von dem Abschluß meiner ehelichen Verbindung mit Ihrer Frau Tochter +geben zu können, wozu Sie die Güte gehabt haben, Ihre väterliche +Einwilligung zu ertheilen, muß er leider Nachrichten enthalten, die +Ihrem väterlichen Herzen sehr wehe thun werden.</p> + +<p>Aus dem letzten Briefe Minna's wissen Sie zum Theil die +Schwierigkeiten, die unserer Verbindung in bürgerlicher Hinsicht +noch entgegenstanden, kennen jedoch auch die Unwandelbarkeit meiner +und ihrer Gesinnungen, und daß wir mit Sehnsucht dem Tage entgegen +verlangten, der uns für dieses Leben aufs innigste verbinden sollte, +und daß wir uns gegenwärtig nur mit den Mitteln beschäftigten, jene +Schwierigkeiten zu beseitigen und für unser künftiges Leben die +dauerhaftesten Grundlagen zu beiderseitigem Glücke zu legen.</p> + +<p>Ihre Frau Tochter hat Ihnen zugleich, wie sie mir gesagt hat, die +Veranlassung unsers hiesigen Aufenthalts mitgetheilt, Sie auch von +den Geschäftsverhältnissen unterrichtet, die bereits zwischen uns zum +allgemeinen und beiderseitigen Besten getroffen waren; sie hat mir +die nähere Angabe und Entwickelung von diesem Allen überlassen, und +würde ich mich — da es mir zum Vergnügen gereichen muß — darüber +auch schon gegen Ew. umständlich erklärt haben, wenn nicht die kurz +nachher eingetretene Krankheit meiner theuern Freundin alle meine +Aufmerksamkeit erfordert und mir jede andere Beschäftigung als die mit +der geliebten Kranken unmöglich gemacht hätte. Dieser ihr Zustand ist +auch jetzt noch so bedenklich, daß ich mich billig und allein hierüber +mit Ew. unterhalten darf.</p> + +<p>Dieser Krankheitszustand dauert jetzt schon in die vierte Woche, +und würden sowol ich als die übrigen edeln Freunde der Tochter dem +liebenden Vater längst Nachricht hiervon gegeben haben, wenn nicht +der<span class="pagenum"><a name="Seite_203" id="Seite_203">[203]</a></span> Zustand selbst von einer so delicaten Natur gewesen wäre, daß +wir uns Alle nur sehr ungern darüber erklären können und wir, die +wir täglich Besserung oder Linderung erwarteten, diese auch nicht +unmöglich war, wünschen mußten, mit der Nachricht von der Krankheit +auch die von Aussichten zur Besserung geben zu können. Wirklich +scheint jetzt einige Besserung einzutreten, und ich beeile mich daher +in Verbindung mit einem andern Freunde, dem Herrn Kammerverwalter +Ludwig, der die Güte hat über Minna hier die Curatel zu übernehmen — +welches nach hiesigen Landesgesetzen bei dem bürgerlichen Transact, +der zwischen ihr und mir am 6. October abgeschlossen wurde und von +welchem ich Ew., wie schon erwähnt, gelegentlich nähere Kenntniß geben +werde, nöthig war — Ihnen alle die Nachrichten zu ertheilen, welche +den Krankheitszustand Ihrer Frau Tochter betreffen.</p> + +<p>Dieser äußerte sich zuerst zu Anfange dieses Monats durch ein +heftiges Gliederreißen, dem sie einestheils wol nicht zweckmäßig +begegnete, als es auch eben nicht sehr achtete, und es war bei der +diesjährigen allgemeinen Disposition zu rheumatischen Krankheiten +daher nicht zu verwundern, daß bald ein heftiges rheumatisches +Fieber eintrat. Unerachtet der sorgfältigsten ärztlichen Hülfe und +Freundespflege verschlimmerte sich der Zustand steigend und nahm die +mannichfaltigsten Formen an. Die außerordentliche Nervenreizbarkeit, +ein sehr afficirtes und bewegtes Gemüth und die unendlich lebhafte +Phantasie der Kranken war wol mit die Ursache, daß der rheumatische +Zustand noch mit den heftigsten Krämpfen begleitet wurde — daß sehr +bestimmte und bedenkliche Nervenzufälle eintraten, die bald ein +Irrereden und endlich eine gänzliche Geistesverwirrung herbeiführten.</p> + +<p>So unendlich schmerzhaft es mir ist, Ew. diese Nachrichten geben zu +müssen, so erfordert es doch meine Pflicht, darin nichts Wesentliches +zu verschweigen, und ich darf es Ihnen selbst nicht verhehlen, daß +die Aerzte sich bisjetzt darüber noch nicht entschieden haben, ob bei +etwaiger Genesung des Körpers die Vernunft wieder ganz zurückkehren +werde oder wenigstens nicht Recidive zu erwarten seien. In diesem +Augenblicke hat die Kranke nur noch mäßiges Fieber, die Krämpfe sind +dagegen noch sehr lebhaft und erregen immer außerordentliche innere +Beängstigung. Schlaf ist selten und war noch nie beruhigend, sondern +nur immer ein Vorläufer großer Bewegung. Die Geistesverwirrung hat +seit zwei Tagen wieder wilde und excentrische Ausbrüche und ist mehr +fortwährendes Irrereden, obgleich es auch Momente gibt, wo sie den +ganzen Gebrauch ihrer Vernunft zu haben scheint.</p> + +<p>Von unserm allgemeinen Jammer und dem meinigen insbesondere will ich +den liebenden Vater hier nicht unterhalten, ihm aber die Beruhigung +geben, daß die unglückliche Kranke der allerherzlichsten Pflege +genießt, daß sie einen vortrefflichen Arzt hat, und daß von mir und +ihren<span class="pagenum"><a name="Seite_204" id="Seite_204">[204]</a></span> edeln Freunden hier auch nichts versäumt wird, was ihr Zustand +verlangen und die zärtlichste Sorgfalt erfordern möchte.</p> + +<p>Ich werde es mir von jetzt an zur Pflicht machen, Ihnen von jeder +Veränderung im Guten und im Schlimmen Nachricht zu geben, und hoffe +ich, daß die jetzigen leisen Spuren eines verbesserten Zustandes sich +weiter entwickeln werden, ich also nur Nachrichten im Guten werde zu +melden haben ....</p> + +<p>Emma ist immer um die Mutter und gewährt ihr vielen Trost; das +Schicksal der Kinder beschäftigt die arme Kranke oft selbst in +erregten Momenten.</p> + +<p>Lassen Sie uns zur Vorsehung hoffen, daß Besserung zurückkehren +und Alles gut enden werde; vielleicht war diese Katastrophe nöthig +zur Gründung eines neuen und bessern Lebens! Erst im Laufe dieser +Krankheit hat die unglückliche Minna mir ihr ganzes Vertrauen im +vollsten Sinne des Wortes gegeben! Warum mußte sie es nicht früher +schon dem edeln Vater gegeben haben!</p> + +<p>Ich überlasse es Ihnen, ob Sie bei der jetzigen vollkommenen +Kenntniß des Zustandes von Minna glauben, etwas Besonderes für sie +thun zu können, oder darauf einwirken zu wollen; auf jeden Fall können +Sie als Vater versichert sein, daß sie von guten und theilnehmenden +Menschen umgeben ist, die sie innig lieben und die Alles aufbieten, +ihr Unglück zu mindern und einen bessern Zustand herbeizuführen.</p> + +<p>Ich bitte Sie, Ihrer Frau Gemahlin mich gehorsamst zu empfehlen +und den wackern Julius wie die beiden Andern herzlich zu grüßen, und +übrigens von meiner vollkommenen und innigen Ergebenheit und Verehrung +überzeugt zu sein.</p></blockquote> + +<p>Die Antwort des Vaters an Brockhaus liegt nicht vor, dagegen ein Brief +desselben an den Kammerverwalter Ludwig, dem die Antwort an Brockhaus +beigeschlossen war. In diesem Briefe vom 8. December dankt Mayer für +die ihm auch von Ludwig gegebenen Nachrichten; sie hätten ihn tief +erschüttert und nur der Gedanke an die Theilnahme, die seine Tochter +von ihm (Ludwig) und den Seinigen sowie von Herrn Brockhaus erfahren, +habe ihn und seine Frau einigermaßen beruhigen können. Der Anlaß zu +der Geistesverwirrung seiner Tochter, wenigstens der nächste und +unmittelbarste, könne indeß kein anderer sein als die Verlegenheiten, +in denen sie sich befinde und die sie durch den Antheil, den sie an den +Angelegenheiten des Herrn Brockhaus genommen, noch mehr auf sich gehäuft +habe. Er wolle nicht bestreiten, daß auch übermäßige Anstrengung in +ihren literarischen Productionen den Zustand be<span class="pagenum"><a name="Seite_205" id="Seite_205">[205]</a></span>fördert haben könne, +zumal bei den körperlichen Fatiguen, die ihr der Abzug von Leipzig und +das Hin- und Herreisen zugezogen haben müsse. Jedenfalls müsse jetzt +alle Sorge nur dahin eingeschränkt sein, die Kranke wieder zur Vernunft +zurückzubringen. Er lege einige Zeilen an seine Tochter bei, worin er +sie auffordere, zu ihrer völligen Herstellung nach Berlin zu kommen, und +bitte, ihr dieselben in lichten Augenblicken mitzutheilen.</p> + +<p>Brockhaus fühlte sich durch diesen Brief, den ihm Ludwig glaubte +mittheilen zu müssen, begreiflicherweise sehr verletzt. Er schrieb +darüber an diesen:</p> + +<blockquote> + +<p class="right-1">Freitag Morgen.</p> + +<p>Hierbei, lieber Ludwig, der Brief vom Vater zurück. Ich leugne +nicht, daß mich derselbe sehr afficirt hat, und daß ich wünschte, ihn +nicht gelesen zu haben. Wenn es vom Vater darin als etwas unbedingt +Ausgemachtes angenommen wird, daß der Zustand von Minna nur und +alleine aus ihrer Exaltation über meine persönlichen Angelegenheiten +<em class="gesperrt">könne</em> entstanden sein, so setzt er mich auf einen Standpunkt zu +unserer Freundin, der mein ganzes Innere in Anspruch nimmt, und mich +— ich muß es nur heraussagen — wirklich empört.</p> + +<p>Es ist auch für den psychologischen Arzt, und wäre es ein zweiter +Willis<a name="FNAnker_41_41" id="FNAnker_41_41"></a><a href="#Fussnote_41_41" class="fnanchor">[41]</a>, wol immer eine der schwersten Aufgaben, auch bei der +vollständigsten Kenntniß aller Verhältnisse und der sorgfältigsten +Beobachtung bei Kranken dieser Art, die Ursachen positiv anzugeben, +die die Entfernung des gesunden Denkvermögens bewirkt haben, und es +erfordert unendliche Zartheit, sich über solche mögliche Ursachen +auszusprechen. Der Vater handelt also sehr übereilt, wenn er bei +seiner mangelhaften Kenntniß aller Verhältnisse dennoch ein so +absprechendes und mich auch mit sehr verletzendes Urtheil wagt.</p> + +<p>Ich für mich glaube überzeugt sein zu dürfen, daß allerdings +jene äußern Ursachen auch etwas zur physischen Krankheit — dem +rheumatischen Nervenfieber und den Krämpfen — können beigetragen +haben, daß aber im Innersten von Minna's Seele der Keim zu der +eingetretenen Desorganisation ihres Seelenzustandes längst gelegen +hat und daß dieser früher oder später ausbrechen mußte. Die Ursachen +zu diesen Keimen gehören aber zu den unaussprechlichen Dingen und +sind also auch dem Vater, der in seiner Arglosigkeit nichts von ihnen +ahndet, nicht mitzutheilen.</p> + +<p>Ebenso unrichtig ist es, wenn der Vater annimmt, daß durch<span class="pagenum"><a name="Seite_206" id="Seite_206">[206]</a></span> geistige +Anstrengung bei ihren literarischen Arbeiten Minna sich sehr könne +überspannt haben. In diesem ganzen Jahre hat Minna sich nur so +unbedeutend mit eigenen literarischen Arbeiten beschäftigt, daß es gar +nicht nennenswerth ist und, den gegebenen Stoff mitgerechnet, der blos +überarbeitet zu werden brauchte, gedruckt kaum fünf bis sechs Bogen +betragen würde.</p></blockquote> + +<p>Durch diese unverdiente Kränkung ließ sich Brockhaus indeß in seiner +Sorge für die arme Kranke nicht stören. Er schreibt an Bornträger am 9. +December:</p> + +<blockquote> + +<p>Minna's Zustand bleibt bessernd, aber er ist immer noch +herzerschütternd. Ihre Nervenreizbarkeit ist wahrhaft sublimirt, wie +ihr Geist nie in solcher Blüte und Ueppigkeit gewesen. Ihre fixen +Ideen haben noch immer denselben Zirkel: Liebe, Eifersucht, Besorgniß +mich zu verlieren, Glauben, daß ich schon anderwärts verheirathet sei, +daß ich ein Zauberer wäre, auch andere: daß wir mit überirdischen +Wesen in Verbindung ständen u. dgl. Sie spricht eine Stunde wie ein +Gott, und in einer Minute, wenn sie auf irgendeine Idee kommt, die sie +an einer ihrer schwachen Seiten berührt, ist ihre Besonnenheit auf +einmal hin. Wir hoffen Alle indessen das Beste.</p></blockquote> + +<p>Inzwischen war Minna's Schwester, Karoline Richter, die Gattin +Jean Paul's, aus Baireuth zu ihrer Pflege eingetroffen, die bisher +von der Tochter der Kranken, Emma, von Frau Ludwig und deren noch +unverheiratheten Schwester, Jeannette von Zschock, besorgt worden war.</p> + +<p>Auf die erste flüchtige Nachricht über das Befinden der Kranken +antwortete Jean Paul seiner Frau am 8. December:</p> + +<blockquote> + +<p>Die Krämpfe Deiner Schwester, so fürchterlich sie für den Zuschauer +sind, habe ich bei .... und Andern oft erlebt, sie sind ohne +Bedeutung, ja sogar ohne Empfindung, außer für das Auge.</p></blockquote> + +<p>Am 20. December schreibt Karoline Richter ihrem Manne:</p> + +<blockquote> + +<p>Der Gesundheitszustand meiner Schwester hat sich seit ich hier bin +noch nicht sehr gebessert. Ob sie je zu völliger Klarheit des Geistes +kommen kann, ist ein Problem. Sie ist in einem Zustande des Traums +und je melancholischer, je mehr sie unter Menschen ist. Man redet +ihr zu, auszugehen, sich zu zerstreuen, besucht sie fleißig, und in +der That interessirt sie allgemein; aber es gleitet meist Alles ohne +Eindruck an<span class="pagenum"><a name="Seite_207" id="Seite_207">[207]</a></span> ihr vorüber. Sollte sie wieder allein stehen, ohne mich, +so wäre sie sehr zu beklagen. Denn so sehr Herr Brockhaus sie liebt, +so äußerst aufopfernd und gefällig er ihre Stütze ist, so kann er ihr +in häuslichen Dingen nicht helfen. Sie ist wie ein Lamm, wie ein Kind, +und läßt Alles über sich ergehen. So kann die Verbindung natürlich +nicht vollzogen werden, solange sie nicht genesen ist, und bis dahin +muß sie unter Aufsicht theilnehmender Menschen sein. Wenn sie jetzt +zum Vater geht, ist es das Natürlichste und Beste. Brockhaus wünscht +das zwar nicht; er fürchtet sie alsdann zu verlieren; allein ich +glaube nicht, daß ihr Aufenthalt in Berlin ein Hinderniß sein würde.<a name="FNAnker_42_42" id="FNAnker_42_42"></a><a href="#Fussnote_42_42" class="fnanchor">[42]</a></p></blockquote> + +<p>Die Uebersiedelung Minna's in das älterliche Haus nach Berlin erschien +endlich allen Betheiligten doch als das Gerathenste, und Brockhaus +entschloß sich zu dem in seiner Gemüthsstimmung doppelt schweren +Opfer, sie dahin zu begleiten. In einem langen an verschiedenen Tagen +geschriebenen Briefe an Bornträger kommen neben geschäftlichen Notizen +mehrere darauf bezügliche Stellen vor.</p> + +<p>Am 29. December schreibt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Der jetzige Zustand der Hofräthin läßt sich nicht gut beschreiben. +Krank ist sie nicht mehr, aber ihr ganzes Wesen ist zerbrochen — alle +Elasticität der Seele ist von ihr gewichen, und ohne daß man sagen +könne: ihr Verstand sei noch in Unordnung, zeigen sich doch häufig +viele Irrungen und Besonderheiten, die darthun, daß sie durchaus +noch nicht zu klaren Begriffen gekommen. Gegen mich hat sie oft die +rührendste Innigkeit und dann auch wieder die schneidendste Kälte. +Ebenso geht's der Schwester und den besten Freunden. Am zerknicktesten +ist sie, sobald viele Menschen um sie sind.</p> + +<p>Wenn keine Aenderung statthat, so werden wir in acht Tagen zusammen +nach Berlin reisen, ich aber sogleich wieder hierhin zurückkommen.</p></blockquote> + +<p>Am 3. Januar 1811 fügt er hinzu:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe diesen Brief bisjetzt hier behalten, um Ihnen über +die berliner Reise noch bestimmter schreiben zu können. Es ist +diese jetzt<span class="pagenum"><a name="Seite_208" id="Seite_208">[208]</a></span> auf morgen Abend festgesetzt. Ich mache sie mit der +Hofräthin und Emma alleine, da Madame Richter durchaus nicht mit +kann. Wir gedenken bis Dienstag Abend in Berlin zu sein. Da wir +einen Lohnkutscher von hier mitnehmen, so ist meine Absicht, 3 +<span class="antiqua">à</span> 4 Tage in Berlin zu bleiben und dann hierher zurückzukehren, +wo ich bis zum 15./16. wieder einzutreffen gedenke. Der geistige +Zustand der Hofräthin ist noch immer derselbe, und sicher nur +unter andern Umgebungen, die sie nicht, wie jetzt hier, an den +dagewesenen traurigen Zustand beständig erinnern, und — von der Alles +heilenden Zeit gänzliche Genesung zu hoffen. Die Zukunft ist mit dem +undurchdringlichsten Schleier über ihr und mein Schicksal bedeckt! +Lassen Sie es uns nicht versuchen, ihn mit frevelnder Hand lüften zu +wollen. Lassen Sie uns unser Schicksal mit Resignation erwarten, und +folgen, wie es uns in seiner Strenge führen will ....</p> + +<p>Mein Gemüth ist heute wieder sehr zerrissen. Das arme, arme +unglückliche Weib! Sie sollten sie jetzt sehen, die sonst von Leben, +Geist und Witz überfließende, wie sie stille und in sich gesenkt ihr +oft in Thränen schwimmendes Auge gen Himmel schlägt, Stunden lang kein +Wort spricht, über jedes Geräusch zusammenfährt, dann aufspringt und +mit zerrinnender Wehmuth mir in die Arme sinkt. Und dann wieder, wie +sie Jeden anfeindet, wie es ihr Niemand recht macht! Ach Gott!</p> + +<p>Welch ein Verhängniß, lieber Schmidt! Im vorigen Jahre <em class="gesperrt">an +demselben Tage</em> trat ich die furchtbare Reise von Amsterdam nach +Dortmund an! Und <em class="gesperrt">dies</em> Jahr mit Minna in diesem Zustande von +Altenburg nach Berlin! Finde ich Schicksals Deutung darin? Daß es +anders werden müßte? Wer weiß es!</p></blockquote> + +<p>Am 4. Januar 1811 reiste Brockhaus mit der Kranken und ihrer Tochter +Emma (außer dieser hatte Minna Spazier noch drei Kinder aus ihrer ersten +Ehe, zwei Söhne und eine Tochter, die sich in Berlin bei den Großältern +befanden) von Altenburg ab und traf mit ihnen am 8. Januar abends in +Berlin ein.</p> + +<p>Von unterwegs, aus Leipzig, schreibt er an Ludwig:</p> + +<blockquote> + +<p>Wir haben es schlimm gehabt, da die Kälte herz- und +hautzerschneidend war und ist. Minna ist gut und duldend, Emma die +leidendste. Ich — empfand wenig davon, wie ich kaum selbst begreife.</p></blockquote> + +<p>Frau Spazier fügt folgende Zeilen für ihre Schwester bei:</p> + +<blockquote> + +<p>Liebste Karoline! Ich melde Dir mit wenigen Worten, daß wir der +harten Kälte ohnerachtet wohl angekommen sind. Theile diese Nach<span class="pagenum"><a name="Seite_209" id="Seite_209">[209]</a></span>richt +Herrn und Madame Ludwig mit, sie werden sehr besorgt unsertwegen +sein. Lebe wohl, liebste Karoline, ich kann Dir nicht sagen, wie mir +zu Muthe ist. Emma hat sehr gefroren, ich freue mich sehr über das +Wiedersehen.</p></blockquote> + +<p>Von Berlin aus schreibt Brockhaus gleich am 9. Januar an Ludwig:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich eile, Ihnen mit wenigen Worten zu melden, daß wir gestern Abend +nach einer allerdings unendlich beschwerlichen und peniblen Reise hier +glücklich angekommen sind. Die Zusammenkunft Minna's mit ihren Kindern +und ihrem Vater war herzzerschneidend. Ich behalte mir vor, Ihnen bei +meiner Zurückkunft von Allem sehr umständlich Bericht zu geben. Da +zwischen Berlin und Leipzig ein bedeckter Postwagen fährt, so werde +ich mich dessen zu meiner Retour bedienen und Sonntag oder heute acht +Tage zurückreisen.</p> + +<p>Die ganze Mayer'sche Familie und Minna tragen mir auf, sie Ihnen und +den edeln Frauen Ihres Hauses, auch Herrn Hempel bestens und innigst +zu empfehlen und Sie vorläufig ihres ganzen Dankes zu versichern. +Meine Gesinnungen für Sie Alle sind Ihnen bekannt.</p> + +<p class="center">Ganz Ihr</p> +<p class="right-2">Brockhaus.</p> + +<p>Geben Sie Karolinen von diesem Briefe Kenntniß, da ich keine Zeit +habe, ihr selbst zu schreiben.</p></blockquote> + +<p>Auf der Rückreise schreibt er aus Leipzig vom 15. Januar an Bornträger +(Schmidt) nach Amsterdam:</p> + +<blockquote> + +<p>Von meiner Reise nach Berlin mit der armen Minna in der +furchtbarsten Kälte, von unsern Beschwerden auf derselben, meinen +Sorgen und meinem Jammer, von unserer Ankunft im Hause des Vaters, von +der Scene der Zusammenkunft mit diesem und Julius, von dem allgemeinen +und besondern Benehmen des Vaters und der (Stief-) Mutter, endlich +von der herzzerreißenden Stunde des Abschieds und der Trennung — +von allem Diesem, lieber Schmidt, kann ich Ihnen nur einmal mündlich +erzählen!</p> + +<p>Minna's Zustand ist immer derselbe noch: gänzliche Erschlaffung im +Geistigen. Sie denkt und spricht fast immer richtig, und wann sie es +nicht thut, so hat's Beziehung auf die Furcht, mich zu verlieren. +Sonst ist ihr <em class="gesperrt">Alles</em> gleichgültig, was um sie her ist, und +ihre einzige Beschäftigung, wenn man sie nicht gleichsam gewaltsam +darin unterbricht, fortwährendes Stricken, wobei sie denn immer +so vor sich hin brütet<span class="pagenum"><a name="Seite_210" id="Seite_210">[210]</a></span> und oft wehmüthig mit ihren schönen Augen +zum Himmel aufsieht. Es ist herzzerschneidend. Meine Theilnahme an +ihrem Schicksal ist, so sehr ich auch moralisch verletzt worden bin, +unveränderlich, und kann ich es möglich machen, ohne darüber zu Grunde +zu gehen, ihr Schicksal noch an das meinige zu ketten, so wird's +geschehen, wenn sie nur geneset und in geistiger Energie wieder die +alte göttliche Minna wird.</p></blockquote> + +<p>Am 27. Februar schreibt er aus Altenburg an denselben, nachdem dieser +ihm in einem Privatbriefe offen seine Ansichten über Frau Spazier +ausgesprochen hatte:</p> + +<blockquote> + +<p>Gewiß sind Ihre Deutungen über der Hofräthin Betragen in vielen +Stücken richtig, und so wehe mir das Geständniß thut, so habe ich +jedoch immer noch Vertrauen genug, um mir ein zwiefaches Wesen in ihr +zu denken, von dem das Eine: die edle, gute und großherzige Minna, +das Ursprüngliche wäre, und das Andere: die astucieuse, coquette, +heuchelnde Hofräthin, die durch die Collisionen mit der Welt, ihrem +Blute und verkehrten ästhetischen Richtungen erst gebildet worden sei. +Ihr eigentliches, vielleicht später durch unsern hiesigen genauern +Umgang erst entstandenes Gefühl für mich spricht sich vielleicht +nirgends wahrer aus als in zwei Briefen, welche sie kurz nach der +heftigsten Epoche ihrer Krankheit, als sie anfing freie Stunden zu +haben, in denen sie wieder mit Klarheit dachte, an Karoline und an +ihren Sohn Julius schrieb, solche aber nicht abgehen ließ, sondern +wie ein Amulet seitdem immer an ihrem Herzen trug, bis sie sie einst +verlor. Es grenzt ans Wunderbare, wie dieses außerordentliche Wesen +in einem solchen Zustand von halber Zerstörung fähig gewesen, solche +Briefe, die wahre Meisterstücke von Diction sind, in einem Zuge +hinzuwerfen!</p> + +<p>Noch vor einigen Tagen habe ich von ihr directe Briefe. Sie leidet +körperlich und geistig noch sehr, und Gott weiß, wie es mit ihr werden +wird.</p></blockquote> + +<p>Brockhaus war zunächst zwar nur durch Mitleid mit der Kranken sowie +durch den Wunsch, sich mit ihrem Vater über die eben verlebte furchtbare +Zeit auszusprechen und dann das Verhältniß auf eine möglichst schonende +Art zu lösen, zu der Reise nach Berlin veranlaßt worden. Aber +fortwährend hatte er einen innern Kampf zu bestehen, ob er im Fall der +Wiedergenesung seiner einstigen Braut nicht alles Vergangene vergessen +und ihr aufs neue die Hand zur Versöhnung und zur wirklichen Vereinigung +bieten solle. Durch das Benehmen ihres Vaters wurde ihm dieser<span class="pagenum"><a name="Seite_211" id="Seite_211">[211]</a></span> Kampf +erleichtert, das Opfer, das er vielleicht doch noch gebracht hätte, +erspart, indem dieser jetzt selbst die Lösung des Verhältnisses betrieb +und ihm, den er als den Urheber des Unglücks seiner Tochter betrachtete, +überhaupt nicht freundlich und vertrauensvoll entgegenkam.</p> + +<p>Brockhaus spricht sich darüber in einem an Ludwig gerichteten Briefe vom +23. März aus, der in Amsterdam geschrieben ist; was ihn auf kurze Zeit +dahin zurückgeführt hatte, wird später zur Sprache kommen. Er schreibt:</p> + +<blockquote> + +<p>Hätte der Vater, wie ich ihn sonst zu nennen pflegte, oder, wie +ich ihn jetzt ferner nennen werde, Herr Geheime Rath Mayer mich +gewürdigt, genaue Kenntniß von meinen Verhältnissen zu nehmen, wozu +das Schicksal seiner unglücklichen Tochter ihn wol hätte bewegen +sollen, so konnte sich Alles schön und edel für mein und der armen +Minna Schicksal lösen. Mich würde Dankbarkeit — der hervorstechendste +Zug meines Herzens — an ihn und an sie dafür gefesselt haben, und +kein Opfer, das ich der Welt und meinem Innern hätte bringen müssen, +wäre mir dann zu hoch oder zu groß gewesen! Minna wäre auch genesen +dann, und bei bürgerlich ganz geordneten Verhältnissen und mit edeln +Menschen, besonders edeln Frauen, umgeben, würde sie auch edel gewesen +sein — und anstatt daß jetzt durch ihr grauses Schicksal das ihrer +Kinder ewig mit zerrissen wird, anstatt daß selbst ins Leben des +Vaters kaum wieder reine Freude zurückkehren kann und auch seine +eigenen Verhältnisse dadurch furchtbar gestört bleiben müssen, wäre +ein ursprünglich gewiß herrliches und reiches Gemüth, das in den +Collisionen mit der Welt zu Grunde gegangen war, wieder neu geboren +worden, eine Seele war gerettet; wieder dem Leben zurückgegeben, +konnte die unglückliche Tochter durch Uebung und Erfüllung von +Pflichten Alles mit sich versöhnen, ihre Kinder ehren und deren +Laufbahn ordnen, dem Vater selbst wieder die schönsten Blumen auf den +Pfad seines Lebens streuen!</p> + +<p>So wollten Sie es, edler braver Ludwig, so wollte auch ich es! Und +nun werfe man noch einen Stein auf uns!</p> + +<p>Daß ich es nicht verstand, wie Karoline mir vorwarf, den Vater, +außer meiner Persönlichkeit, auch sonst zu interessiren für mein +Schicksal, kann ich mir nicht zum Vorwurf machen lassen. Es ist +freilich wahr, und es ist mit ein Grund auch meines allgemeinen +Schicksals, daß ich es so wenig verstehe mich geltend zu machen. Von +der einen Seite fühle ich, daß ich einigen Werth habe, und wenn ich +mich dann verkannt oder gar mishandelt sehe, so ist meine Erwiderung +entweder stolzes in mich Zurückziehen, oder es sind — Thränen! +Karoline sagte<span class="pagenum"><a name="Seite_212" id="Seite_212">[212]</a></span> darum auch wol nicht mit Unrecht: Sie sind halb Weib, +halb Mann! Von der andern Seite bin ich wenig beredt über mich selbst; +ich weiß auf keine Anklage etwas zu antworten, weil ich mir, wenn sie +gegründet auch nur in etwa, immer zehnmal mehr Vorwürfe mache als +Andere; ich bin furchtsam, ängstlich, dränge mich nirgends hervor oder +ein, weiß mit meinem Pfunde nicht zu wuchern, und welche negative +Eigenthümlichkeiten ich denn mehr habe.</p> + +<p>So wie ich nun also bin, konnte ich dem Vater freilich nichts anders +als das simple Factische ohne Schmuck oder Beredtsamkeit vorbringen, +aber mir dünkt, daß den wahren Menschenkenner diese Einfachheit eher +für die Wahrheit gewinnen als davon entfernen muß.</p> + +<p>Allerdings war ich nun auch bald stolz gegen ihn, und gewiß würde +ich es noch mehr sein, wenn sich weitere Gelegenheit finden möchte in +Contact zu kommen. Diese Gelegenheit wird sich aber wol nicht weiter +finden.</p> + +<p>Ich habe seit meiner Abreise von Altenburg weder von Berlin noch von +Baireuth Briefe, aber auch von Altenburg selbst noch keine. Der armen +Minna habe ich meine Reise aber gemeldet, damit sie wenigstens weiß, +wo ich bin. Die arme Minna!</p></blockquote> + +<p>Wenige Tage darauf, am 26. März, schreibt er abermals an Ludwig:</p> + +<blockquote> + +<p>Heute etwas über der armen Minna Schicksal. Gestern erhielt ich von +Karolinen Briefe. Auch sie betrachtet unsere Trennung — Minna's und +meine — als entschieden durch den Willen des Vaters. Mein Herz zuckt +krampfhaft bei dieser Entscheidung, denn Minna war mir unendlich und +ist mir noch sehr theuer. Mein Verstand tritt aber der Entscheidung +des Vaters mit Beifall bei. Er sagt mir trocken weg, daß eine Ehe +ohne Schönheit und Reinheit der Gefühle, ohne innige Achtung, ohne +Vertrauen mich nur höchst unglücklich würde gemacht haben. »Der +Wahn ist kurz, die Reu' ist lang«, sagt Schiller so bedeutend, und +allerdings: das Leben ist zu ernst, als daß man poetische Gefühle +allein Gewalt darin dürfte über sich ausüben lassen. Ich habe schweres +Lehrgeld dafür gegeben!</p></blockquote> + +<p>In seiner Antwort an Minna's Schwester, Karoline Richter, vom 30. März +heißt es:</p> + +<blockquote> + +<p>Mein eigenes Leben darf ich jetzt hoffen bald gerettet zu sehen. +Wäre es nur auch das von Minna, wenn auch von mir getrennt! Es werden +aber Wunder geschehen müssen, wenn sie nicht auf die eine oder andere +Weise zu Grunde gehen soll.</p> + +<p>Ich werde gewiß ihr Freund fürs Leben bleiben und wohlthätig<span class="pagenum"><a name="Seite_213" id="Seite_213">[213]</a></span> auf +ihr Schicksal einzuwirken suchen, soviel es meine Pflichten erlauben. +Worin sie mich gekränkt und mir wehe gethan, das Unrecht, das sie +an mir geübt, den nachtheiligen Einfluß, den sie auf alle meine +Verhältnisse so gebietend gehabt — ich verzeihe ihr Alles. Kein Groll +gegen sie ist in meinem Herzen. Auch ich habe gefehlt. Wie aber und +durch welche Motive geleitet oder bewogen, darüber richte derjenige, +der die Herzen der Menschen prüfet und würdiget in Wahrheit! ....</p> + +<p>Jene von dem Vater ausgesprochene Entsagung kann auch nicht wieder +zurückgenommen werden. Nicht daß Minna aufhörte mir theuer zu sein, +nein, gewiß nicht; aber ich betrachte diesen Ausspruch als eine neue +Weisung des Schicksals, das schon so oft deutlich über diese meine +Verbindung mit ihr gesprochen, die ich diesmal achten und nicht +zurückweisen will und dies um so mehr thun muß, da mein Verstand +diesen Ausspruch in allen Hinsichten bestätigt. Denn konnte, sagt mein +Verstand, eine Ehe glücklich sein, wo von der einen Seite alle schönen +und reinen Beziehungen verloren gegangen waren, wo echte innere +Hochachtung und Verehrung nicht mehr da sein konnte, wo kein Vertrauen +weiter möglich war beinahe, wo alle Energie fürs weitere Leben mußte +gebrochen sein, wo jede Rückerinnerung an die Vergangenheit nur mit +Vorwürfen oder mit bittern Gefühlen konnte gepaart sein, wo überhaupt +der wahre Charakter noch so problematisch?</p> + +<p>Mitleiden, Theilnahme, Herzensgefühle, der Wunsch, glücklich zu +machen, die Begehr, in den Augen der Welt consequent zu erscheinen — +konnten jenes Fehlende nicht ersetzen, und wenn überhaupt schon Ehen +im Leben selten schön-glücklich sind, wie viel weniger konnte es diese +sein, wo so viele Elemente dazu fehlten!</p> + +<p>Auch mein Gefühl hat mich, wie fast immer, hierin sehr richtig +geleitet. Es sagte mir gleich in der ersten Stunde, wo die +Vergangenheit vor mir aufgerollt wurde: Minna kann nie dein Weib +werden! Es ist für mich eine Genugthuung, dieses Gefühl selbst gegen +die edelsten meiner Freunde, die mein ganzes Vertrauen hatten, +ausgesprochen zu haben. Man könnte es sonst jetzt für eine <span class="antiqua">arrière +pensée</span> halten ....</p> + +<p>Ob ich fortfahren soll, dann und wann noch an Minna zu schreiben? +Mir dünkt das Unterlassen wol das Räthlichste. Wozu jetzt noch auch +nur die entferntesten Hoffnungen unterhalten oder Gefühle anfachen, da +dies nur das große Unglück der Armen vergrößern kann? ....</p> + +<p>Welch ein Spiegel fürs Leben wäre Minna's Geschichte, von Goethe, +Richter oder einem andern Richardson der Mit- und Nachwelt aufbewahrt! +Ja, der Vater hat recht gehabt, zu zerhauen, was sich nicht lösen +konnte! Er hat recht gethan! Er ist das Orakel geworden, das ich mir +ersehnte!</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_214" id="Seite_214">[214]</a></span></p> + +<p>Noch entschiedener spricht er seinen Entschluß, das Verhältniß ganz +zu lösen, und die Motive dazu in einem Briefe von demselben Tage an +Ferdinand Hempel in Altenburg aus:</p> + +<blockquote> + +<p>Je mehr ich jetzt überzeugt bin, daß meine Bekanntschaft mit der +Hofräthin und mein Verhältniß zu derselben die vorzüglichste Ursache +meines seitherigen Unglücks gewesen ist, je fester bin ich jetzt +entschlossen, die Bande, die zwar schon sehr gelockert mich noch an +sie knüpften, schnell zu zerreißen und für immer alle Verbindung +mit ihr aufzuheben. Ich bedarf Ruhe, und ich finde keine, so lange +noch auf die eine oder andere Weise mein Schicksal mit dem ihrigen +verflochten ist, oder auch nur meine Verbindung durch Briefe selbst +noch fortdauert.</p> + +<p>Das Schicksal der armen Frau geht mir unsäglich nah, und wo nicht +Pflichten in Collision kommen, da werde ich auf alle Weise wohlthätig +darauf einzuwirken suchen, so sehr ich auch überzeugt bin, daß sie +allein sich dieses Schicksal bereitet hat. Jedes Weib wird zu Grunde +gehen, moralisch oder physisch, das es wagt und unternimmt, so — +aus dem Kreise herauszutreten, den die Natur und die bürgerliche +Gesellschaft den Frauen gezeichnet hat, und sicher würde ich einst +fürchterlich aus dem Traume sein aufgeschreckt worden, in welchen +die Künstliche mich durch Zauberlieder und lieblichen Sirenen-Gesang +einzulullen gesucht und auch verstanden hatte!</p> + +<p>Der Vater in Berlin hat weise gehandelt, daß er den Kampf, der in +meiner Seele vom ersten Augenblicke an mit tiefem Schmerz statthatte, +wo ich erkannte, daß meine kindliche Arglosigkeit, daß das edle +Vertrauen, das ich gehabt, so grausam war gegen mich selbst gewendet +worden, und daß ich nur als ein Faden hatte sollen gebraucht werden, +um aus dem Labyrinthe, worin man sich verwickelt hatte, sich nur +retten zu können — und welcher Kampf sich so oft gegen Sie und die +edeln Mitglieder des Ludwig'schen Hauses ausgesprochen — durch sein +Benehmen der Entscheidung so nahe gebracht hat.</p> + +<p>Diese Entscheidung ist jetzt in mir fest und unwiderruflich +beschlossen. Meine Ehre, die Ehre meiner Kinder, die Ehre meiner +respectabeln unbescholtenen Familie, die Ehre meiner vortrefflichen, +im Grabe ruhenden Frau, mein Glück und das Glück Aller, die durch +irgendein Band an mein Schicksal gekettet sind — hat diesen Entschluß +geboten. Ich will und ich muß mein Leben neu ordnen. Ich kann es nur +frei von diesen Banden und mit Ruhe im Gemüthe.</p></blockquote> + +<p>Die entscheidenden Briefe zwischen Brockhaus und Frau Spazier sind, wie +die ganze Correspondenz zwischen ihnen, nicht in unserm Besitze und +wahrscheinlich überhaupt nicht erhalten. Dagegen liegen<span class="pagenum"><a name="Seite_215" id="Seite_215">[215]</a></span> aus dieser Zeit +einige Briefe von ihr selbst an ihre Schwester und einige Andere sowie +von diesen über sie vor.</p> + +<p>Am 8. März schreibt sie an Ludwig in Altenburg, um ihn als ihren Freund +und Curator zu bitten, ihre dortigen Angelegenheiten zu ordnen, ihre +zurückgebliebenen Möbel u. s. w. zu schicken; sie sagt:</p> + +<blockquote> + +<p>Es leidet keinen Zweifel, daß Ihnen aus meinen Briefen an Brockhaus +sowie aus dem, was er Ihnen aus der Zeit seines kurzen Aufenthalts +hier mitgetheilt haben wird, bekannt sei, welche Wendung meine äußern +Verhältnisse genommen! Wie das väterliche Herz die Erhaltung der +Tochter innig gewünscht, wie nach langem Kränkeln, wenngleich noch +unvollkommen, die gewohnte Thätigkeit zurückgekehrt scheint, und wie +auf diese Hoffnung der Plan meines Vaters gegründet ward, mich, wenn +auch nicht in seinem Hause, doch unter seinen Augen leben zu lassen +.... Ich habe den Muth, mich an Sie zu wenden, aber es gehört mit +unter die qualvollsten Empfindungen meines Lebens, wenn ich mir denke, +wie ich Ihnen und Ihrem theuern Hause nun wieder als ein Gegenstand +der Beschwerde und nie, wie ich doch so schön in hoffnungsvollern +Tagen geträumt, als ein werthes Mitglied Ihres häuslichen Kreises +erscheinen dürfte. Dies Gefühl drängt alles Bittere des langen Kampfes +in sich zusammen, der mein Leben ausmacht und von dem sich noch immer +nicht sagen läßt, daß er vollbracht sei! ....</p> + +<p>In welcher Stimmung ich diese Zeilen schreibe, wird Ihr Herz Ihnen +sagen. Ich sehe Ihrer Antwort mit Spannung entgegen. Ebenso oft zu +Ihrer und der Ihrigen Erinnerung hingezogen, als durch eine tiefe +unüberwindliche Wehmuth davon zurückgescheucht, folge ich heute einer +äußern Veranlassung und fühle es doch schmerzlich, daß es eine äußere +Veranlassung gewesen, die mir nach so langem Schweigen den ersten +Brief an Sie eingibt.</p> + +<p>Lassen Sie mich bald ein Zeichen Ihres Andenkens sehen! Emma, der +Sie so gütige Theilnahme gönnten, empfiehlt sich Ihnen.</p> + +<p>Genehmigen Sie die Versicherung der innigen Liebe und Dankbarkeit, +mit welcher meine Seele in Gedanken unter Ihnen weilt; ich bin bis in +den Tod</p> + +<p class="center">Ihre innig Sie verehrende</p> +<p class="right-2">M. Spazier,<br /> +geb. Mayer. +</p> +</blockquote> + +<p>Ludwig, der ihren Wunsch nicht sofort erfüllen konnte, antwortet ihr +unterm 31. März:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_216" id="Seite_216">[216]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Der Anblick Ihrer Schriftzüge, eines Briefes von Ihnen, meine +verehrte Freundin, worauf wir nun schon lange Verzicht gethan hatten, +that meinem Herzen wohl und weh zugleich.</p> + +<p>Es war uns Freude, nach so langem gänzlichen Schweigen ein Zeichen +Ihres Lebens und die Ueberzeugung zu erhalten, daß die Lebenskraft, +wenn auch noch nicht der Lebensmuth, bei Ihnen zugenommen habe; es war +uns Schmerz, daß es eines dringenden äußern Antriebs bedurft hatte, um +Sie zum Schreiben an Freunde zu vermögen, die diesen Namen durch die +That bewährt zu haben glauben dürfen.</p> + +<p>Ich sehe mit Betrübniß in Ihrem Briefe noch Spuren einer gewissen +Verschlossenheit und Niedergeschlagenheit, die uns in den Wochen Ihrer +Genesung und den letzten Ihres Hierseins oft so weh thaten, und die +damals in dem Grade zunahmen, als die Beweise von Liebe und Wohlwollen +der Sie umgebenden Menschen gerade Vertrauen und Ruhe in Ihrer Brust +hervorzurufen geeignet schienen. Mögen Sie mich, theuere Freundin, in +dieser Aeußerung ja nicht misverstehen! Sie ist nichts als der reine +Wunsch, daß Sie, welcher das Schicksal ohnehin so viel zu tragen +auflegte, sich nicht auch von den Wenigen selbst entfremden mögen, +die es wahrhaft gut mit Ihnen meinen, die in der Zeit der Noth ohne +Eigennutz, ohne Parteilichkeit und Leidenschaft Ihre Freunde waren.</p> + +<p>Glauben Sie indessen nicht, daß mir ein Schmerz nicht heilig sei, +der Ihre Brust nothwendig in diesem Augenblicke erfüllen muß, wenn +ich mich nicht in Ihrem Herzen geirrt habe — ich meine den über +Ihre ausgesprochene Trennung von Brockhaus, der eine so seltene +Anhänglichkeit für Sie hatte und (ich bin überzeugt) noch hat, wenn er +gleich nun völlig außer Stand gesetzt ist, sie auf die zeitherige Art +zu äußern. Diesen Schmerz theile ich mit Ihnen, schweige aber darüber, +weil ich ihn nicht bei Ihnen erneuern will und nicht befugt bin, +über einen Schritt abzuurtheilen, von welchem ich nicht einmal weiß, +inwiefern er von einem fremden Willen, inwiefern er von Ihrer eigenen +Einsicht ausgeht, und auf welche Gründe gestützt diese über Gefühl und +Herz gesiegt hat.</p> + +<p>Nur das weiß ich, daß ich immer Ihr Freund bleiben und daher nichts +zugeben werde, was im geringsten wider Gesetz und Recht Ihnen zum +Nachtheil, von wem es auch sei, unternommen werden könnte.</p> + +<p>Sollten Sie diese Versicherung mit dem Nichtempfang Ihrer Sachen im +Widerspruch finden, sollten Sie unmuthig über mein Schweigen mehrerer +Wochen sein, so werden Ihnen die folgenden Zeilen gleichwol Alles +erklären.</p> + +<hr class="tb-dotted" /> + +<p>Möge ich durch das bisher Gesagte in Ihren Augen nun gerecht<span class="pagenum"><a name="Seite_217" id="Seite_217">[217]</a></span>fertigt +erscheinen. Mit wehmüthiger Erinnerung gedenke ich der vergangenen +Zeit, denn ich schreibe Ihnen auf derselben Stelle, wo Sie oft mit +mir und den Meinigen zusammensaßen, sich der Hoffnung einer heitern +Zukunft überlassend. Unserm Kreise näher angehörend wollten Sie leben; +das Schicksal hat es anders gewollt, wie es scheint — doch, wenn auch +entfernt, mögen Sie nur glücklich und unsere Freundin sein! Meine +Achtung für Ihren seltenen Geist und meine Theilnahme für die Ruhe +Ihres Herzens werden immer dieselben sein.</p></blockquote> + +<p>Karoline Richter hatte aus Liebe zu ihrer Schwester fortwährend auf die +Wiedervereinigung mit Brockhaus hinzuwirken gesucht. So schrieb sie an +Ludwig aus Baireuth vom 13. März, sie habe soeben von ihrer Schwester +einen Brief erhalten, welcher, was ihr zu wissen am wichtigsten sei, +deren eigentliche Gesinnung gegen Brockhaus ausdrücke:</p> + +<blockquote> + +<p>Diese ist nun immer dieselbe, wie wir sie Alle gekannt. Sie jammert +darin über seine größere Entfernung von ihr durch die Reise nach +Amsterdam, und es tönt Hoffnung der Vereinigung überall durch. Mir +bricht fast das Herz bei diesen Aeußerungen, und ich kann nicht +glauben, daß irgend Jemand, der die Unterordnung ihres Verfahrens +unter die väterliche Gewalt anerkennt, das kraftlose Opfer feindlich +behandeln kann.</p></blockquote> + +<p>Sie erwartet deshalb von Brockhaus' Großherzigkeit und Ludwig's +freundschaftlichem Antheil die ganze bürgerliche Rettung ihrer +unglücklichen Schwester, selbst wenn die Trennung entschieden bleibe. +Brockhaus sei zu edel, um nicht Alles, was er vermöge, dazu beizutragen.</p> + +<p>In einem andern Briefe aus dieser Zeit (ohne Datum) bittet sie ihre +und ihrer Schwester Freundin Karoline von Ehrenberg in Altenburg um +Nachrichten:</p> + +<blockquote> + +<p>Schreibe mir etwas von Brockhaus, der mir mit Entzücken von Deiner +Amnestie erzählte. Sage mir, wie er Dir in der letzten Zeit erschienen +ist und was Minna von ihm wol noch zu erwarten hat. Ich kann Dir nicht +sagen, wie ich um ihretwillen leide; welche Fehler wären nicht durch +solches Unglück abgebüßt!</p></blockquote> + +<p>Mehrere von Frau Spazier an Ludwig gerichtete Briefe aus dieser Zeit +legen von einer ruhigern Stimmung Zeugniß ab und können unser Mitleid +mit ihr nur vermehren.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_218" id="Seite_218">[218]</a></span></p> + +<p>Sie schreibt ihm am 10. April wieder, noch ohne seinen oben +mitgetheilten Brief, der vom 31. März datirt, aber vielleicht erst +einige Tage später abgegangen war, empfangen zu haben, und wiederholt +ihre frühern Bitten: Er sei ja stets bereit, Bedrängten zu helfen, und +wenn er ihre jetzige Lage bedenke und auf die lange Folge schmerzvoller +Ereignisse zurücksehe, die sie seit ihrer Entfernung aus Leipzig +überstanden, so werde er sich gewiß nicht weigern, ihr den Namen einer +»Bedrängten« zuzugestehen. Sie fährt fort:</p> + +<blockquote> + +<p>Meiner Vorstellung kann nichts Gehässigeres sich aufdringen als +der Gedanke, daß zur völlig klaren Entscheidung dieser Angelegenheit +zuletzt noch gerichtliche Schritte gemacht werden könnten. Und würde +ich diese hintertreiben können?</p> + +<p>Mit der größten Bereitwilligkeit Alles aufzuopfern, was den Schmuck +des Lebens ausmacht, mit der überlegtesten Resignation, würde ich doch +nur für meine eigene Handelsweise gutsagen können, nicht aber für die +Maßregeln meines Vaters.</p> + +<p>Es mußte noch mehr hinzukommen, mich die Nichtigkeit meines Strebens +nach außen kennen zu lernen — mehr noch als das lange Gefolge von +Widerwärtigkeiten, das zum Theil vor Ihren Augen an mir vorüberzog.</p> + +<p>Wenn meine körperliche Gesundheit, wenn meine ruhige Besonnenheit +sich in der letzten Zeit rühmen dürften, Fortschritte gemacht zu +haben, so scheinen geistige und leibliche Kräfte nur darum mir +wiedergeschenkt, um sie an dem Krankenlager meines ältesten Sohnes +zu üben, der seit vierzehn Tagen an einer Lungenentzündung schwer +daniederliegt, in sechsunddreißig Stunden fünfmal zur Ader gelassen +werden mußte, dessen völlige Wiederherstellung noch in diesem +Augenblicke ein Problem ist. Ich bin seine Wärterin — es ist mir +möglich gewesen, elf Nächte hintereinander an seinem Lager zu wachen, +und an diesem merkwürdigen Falle sehe ich — daß nicht unnütz war der +Gang, den mein Leben nahm, als er mich wieder hierherführte.</p> + +<p>Finden Sie, theuerer Herr Ludwig, in der Art und Weise, wie in +diesem Augenblick darauf hingearbeitet wird, die Trümmer meines +äußern Glücks zu retten, etwas Zweckwidriges, so bitte ich Sie nur, +die Nüchternheit, womit ich in diesem Augenblick mich den Maßregeln +desjenigen Willens unterwerfe, von dem der meinige völlig abhängig +geworden ist, keineswegs als eine feindselige Erkaltung gegen die +Bilder von Glück und Freude anzusehen, die ich mir noch vor wenigen +Monaten träumen durfte!</p> + +<p>Wenn irgend Jemand geneigt ist, den Grund des Mislingens seiner +theuersten Hoffnungen in sich selber zu suchen, so bin ich es. Das<span class="pagenum"><a name="Seite_219" id="Seite_219">[219]</a></span> +Erwachen aus einem Zustande, in welchem man so gern seinen Kräften +vertrauen möchte, sich frei und im Besitz der Liebe achtungswerther +Menschen glaubte, ist schmerzhaft genug, auch ohne das Einsinken +äußerer Vortheile! ....</p> + +<p>Ich kenne in diesem Augenblick nur <em class="gesperrt">ein</em> Verlangen: Friede mit +mir selbst und meinen Umgebungen!</p></blockquote> + +<p>Einige Monate später, am 3. Juni, schreibt sie dankerfüllt über die von +Ludwig gegebene Aussicht auf endlichen Empfang ihrer Möbel und zugleich +hocherfreut über den Besuch einer Freundin aus Altenburg, der oben +erwähnten Karoline von Ehrenberg:</p> + +<blockquote> + +<p>Den Eindruck zu schildern, den das unerwartete Wiedersehen unserer +Freundin auf mich hervorgebracht hat, vermag dies ohnmächtige Wort +nicht, o mein theuerer Freund! Ich hatte mich am Freitag auf wenige +Minuten aus meiner Wohnung entfernt, die eben von rüstigen Händen +festtäglich gesäubert wurde, als ich beim Wiedereröffnen der Thür eine +Gestalt erblickte, über die mein Herz auch nicht einen Augenblick +zweifelhaft blieb. Es war Frau von Ehrenberg! Ich schloß sie in meine +Arme als eine theuere Bürgschaft <em class="gesperrt">Ihrer</em> — als eine Bürgschaft +der Gesinnungen so manches mir ewig unvergeßlichen Wesens aus Ihrer +Mitte. Ich fühlte es, daß ihr Kommen mir die Gewähr leiste, wie ich +Sie Alle früher oder später doch gewiß einmal wiedersehen und mit +unbewölktem, freiem, leidenschaftslosem Sinne mich an Ihre Brust +werfen werde.</p> + +<p>Sie wollen von meinem Leben und Weben, von der Rückkehr meiner +moralischen und physischen Kraft ein deutliches Bild haben? Ich bin +wieder völlig wohl, und wenn mein voriges Sein wirklich etwas gewesen +wäre, wovon man eine freudige Selbstanschauung haben könnte, so dürfte +ich mich freuen, dieselbe wieder geworden zu sein, die ich war.</p> + +<p>Dagegen sind die von Außen auf mich einstürmenden Uebel noch immer +im lebhaftesten Wettstreit miteinander, welchem von ihnen es gelingen +möchte, in meinem Gefühl als das vornehmste zu gelten.</p> + +<p>Für meinen armen, noch immer in völliger Kraftlosigkeit +hinschwindenden Julius sind vor acht Tagen zwei Krücken vom Tischler +geliefert worden — die er aber, als sie ankamen, als für jetzt +noch unbrauchbar auf die Seite stellen ließ. Und als ich am zweiten +Pfingstmorgen mich anschickte, mit unserer lieben Angekommenen die +Frische nach einem erquicklichen Regen in den schönsten Frühstunden +auf einem Gange durch den Thiergarten zu genießen, fand ich meinen +Richard in seinem Bette ächzend und in Fieberglut, und seit gestern +hat er das Scharlachfieber. So bin ich denn außer den wenigen Stunden, +die<span class="pagenum"><a name="Seite_220" id="Seite_220">[220]</a></span> unsere Freundin uns hier auf meinem Zimmer gönnen konnte, zu +keinem vollständigen Genusse ihrer lieben Gegenwart gekommen.</p> + +<p>Mit welchem Antheil ich dagegen nach allen Einzelnheiten des +schönen Verhältnisses fragte, das zwischen ihr und Ihrem lieben Hause +obwalte, wie freudig ich den Beschreibungen Ihrer Kunstgenüsse, Ihrer +gesellschaftlichen Einrichtungen, Ihres Stilllebens mich hingab — das +mag Frau von Ehrenberg's eigene seelenvolle Rede Ihnen sagen.</p> + +<p>Ich hatte mich auf einen recht langen Brief an Sie gefreut, mein +verehrter Freund, aber ich sehe nun doch, daß es anders kommt, als ich +dachte, und ich eilen muß, wenn ich der Unruhe meines kranken Richard, +an dessen Bett ich dies schreibe, die paar ruhigen Augenblicke +noch abgewinnen will, die ich dem leidigen Geschäftsinhalt unserer +Correspondenz noch zu widmen habe.</p> + +<p>Meine Antwort auf Hempel's Brief, mein letztes Schreiben an +Brockhaus werden Sie gelesen haben. Nichts also mehr über meine +allgemeine Ansicht, über die Entschließung, welche ich gefaßt haben +würde, wenn ich freie Hand gehabt hätte. Mir däucht's, daß Sie Ihrem +Sinne nach mit beiden Briefen zufrieden sein müßten. Diejenigen +jedoch, an welche diese Briefe gerichtet waren, scheinen dies nicht; +warum sollten sie mir nicht schon längst geantwortet haben? Denn auch +den Brief von Brockhaus, worauf Sie mich als auf eine Bestätigung der +frohen Hoffnung zur endlichen Ausgleichung verweisen, habe ich bis +heute noch nicht erhalten ....</p> + +<p>Frau von Ehrenberg übernimmt es, mündlich hinzuzufügen, was meinen +Worten versagt ist: den vollen, wahren Ausdruck der Liebe, des +sehnsuchtsvollen Antheils, mit welchem ich ewig sein werde</p> + +<p class="right-2">Ihre M. Spazier, geb. Mayer.</p> +</blockquote> + +<p>Brockhaus betrachtete sein Verhältniß zu ihr als definitiv gelöst, und +sie selbst schien sich auch darein zu ergeben, wie sich denn auch die +hier von ihr ausgesprochene Hoffnung auf »endliche Ausgleichung« nur auf +die noch immer nicht geordneten finanziellen Verwickelungen aus der Zeit +ihres Aufenthalts in Altenburg bezieht. Diese Verhandlungen berührten +Brockhaus nicht direct und wurden auch meist nur zwischen ihrem Vater +und dem Advocaten Hempel geführt. Doch gab sich Brockhaus alle Mühe, wie +er einmal schreibt, »die Verwickelung mit Milde zu lösen«. Auch blieb +er trotz allem Vorgefallenen mit ihr selbst in freundschaftlichem und +selbst geschäftlichem Verkehr, ohne daß ihr Verhältniß je wieder ein +näheres geworden wäre.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_221" id="Seite_221">[221]</a></span></p> + +<p>Er schreibt darüber an Bornträger aus Altenburg vom 30. August 1811, +nachdem er ihm obige Verhandlungen mitgetheilt:</p> + +<blockquote> + +<p>Uebrigens ist die Hofräthin auf das vollkommenste hergestellt, +und ihr Geist blüht schöner als je. Zwischen uns ist ein rein und +innig freundschaftliches Verhältniß geblieben. Ich erhalte oft die +herrlichsten Briefe, worin sich ihr reiches und tiefes Gemüth auf die +außerordentlichste und mannichfaltigste Weise entwickelt. Auch schön +und edel, und ich zweifle nicht, daß bei bürgerlich ganz geordneten +Verhältnissen und wenn es möglich wäre, die Pfade der Vergangenheit +aus dem zerrissenen Herzen zu reißen, sie nach dieser Katastrophe ein +gutes und herrliches Weib sein würde. Offenbar sucht sie auf mich +lebhaft wieder einzuwirken und mich aufs neue zu fesseln. So sagte sie +in ihrem letzten Briefe:</p> + +<p>»Zuweilen bilde ich mir ein, daß Du mich liebst wie sonst, daß in +Dir dasselbe vorgeht, was meine geheimsten Gedanken beschäftigt, und +daß unsere Wiedervereinigung uns Beiden unbewußt das entfernte Ziel +unsers Hoffens und Ausharrens ist!«</p></blockquote> + +<p>Brockhaus fügt dem hinzu:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich würde gewiß außerordentlich zu kämpfen haben, wenn wir zusammen +wären ....</p></blockquote> + +<p>Sie übersetzte in dieser Zeit für Brockhaus die von Frau von +Staël-Holstein französisch herausgegebenen »Briefe, Charaktere und +Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« ins Deutsche<a name="FNAnker_43_43" id="FNAnker_43_43"></a><a href="#Fussnote_43_43" class="fnanchor">[43]</a>; an der Herausgabe +der »Urania« war sie dagegen nicht weiter betheiligt, indem Brockhaus +diese vom dritten Jahrgange an selbst übernahm.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Während Brockhaus' fernere Schicksale später im Zusammenhange mit der +weitern Gestaltung seiner geschäftlichen Thätigkeit zur Darstellung +kommen, sei der Lebenslauf Minna Spazier's gleich hier kurz bis zu +seinem Ende verfolgt, zumal derselbe Brockhaus' Lebenswege nicht weiter +durchkreuzte.</p> + +<p>Nachdem sie die Jahre 1811-1814 im älterlichen Hause in<span class="pagenum"><a name="Seite_222" id="Seite_222">[222]</a></span> Berlin +verbracht, folgte sie einem Rufe nach Neustrelitz als Lehrerin an der +dortigen herzoglichen Töchterschule, gab diese Stellung aber bald wieder +auf, um die Erziehung zweier Söhne eines Herrn von Jasmund daselbst zu +übernehmen. Im Jahre 1816 zog sie nach Dresden und verheirathete sich +mit dem dortigen auch als Physiker und Chemiker geschätzten königlichen +Hoforgelbauer Johann Andreas Uthe, nach dem sie sich auf ihren spätern +Schriften Uthe-Spazier nennt. Hier starb sie am 11. März 1825.</p> + +<p>Ihr jüngster Sohn erster Ehe, Richard Otto Spazier (geb. 1803), widmete +sich ebenfalls der literarischen Laufbahn. Nach dem Tode seiner Mutter +rief ihn sein Oheim Jean Paul im Herbst 1825 zu sich nach Baireuth, +um bei einer neuen Ausgabe seiner Werke sich von ihm unterstützen zu +lassen, doch starb Jean Paul bald darauf (am 14. November). Spazier +schrieb ein kleines Werk über Jean Paul's letzte Tage und Tod (Breslau +1826) und später eine Biographie desselben: »Jean Paul Friedrich +Richter. Ein biographischer Commentar zu dessen Werken« (5 Bände, +Leipzig 1833). Von Baireuth ging er erst nach Nürnberg, 1831 nach +Leipzig, wo er lebhaften Antheil an dem Schicksal Polens nahm und eine +Geschichte des polnischen Aufstandes der Jahre 1830 und 1831 in drei +Bänden schrieb, endlich 1833 nach Paris, wo er sich bleibend niederließ; +in sein Vaterland zurückgekehrt, starb er 1854, an Körper und Geist +gebrochen.</p> + +<p>Nach einer Angabe in einem Nekrolog seiner Mutter<a name="FNAnker_44_44" id="FNAnker_44_44"></a><a href="#Fussnote_44_44" class="fnanchor">[44]</a> hatte er die +Absicht, eine Beschreibung ihres Lebens herauszugeben, doch ist eine +solche unsers Wissens nie erschienen.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_223" id="Seite_223">[223]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter3-4" id="Chapter3-4">4.</a> +<br /> +Abschluß der amsterdamer Zeit. +</h3> + +<p class="start-chap">Während der stürmischen Zeit, die sich an die Katastrophe mit der +Hofräthin Spazier anschloß, hatte Brockhaus nicht nur heftige Kämpfe +in seinem Innern zu bestehen, er hatte um seine ganze Existenz, um die +Aufrechthaltung seines mühsam aus kleinen Anfängen bereits zu Ansehen +gelangten buchhändlerischen Geschäfts zu ringen. Und es bedurfte seiner +ganzen Energie und Zähigkeit, seines rastlosen Fleißes und seines +Vertrauens auf die eigene Kraft, um in diesem doppelten Kampfe nicht zu +unterliegen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Sofort nach seiner Ankunft in Altenburg und nach der nur zur Gewinnung +einer vorläufigen Ruhe erfolgten Abtretung seines Geschäfts an Frau +Spazier hatte er theils persönlich, theils durch seine altenburger +Freunde Schritte gethan, um die Gläubiger in Leipzig, die ihn am +meisten drängten, zu befriedigen. Es waren dies meist Buchdrucker, +bei denen er seine Verlagswerke drucken ließ, und Buchhändler, deren +Verlag er für sein amsterdamer Sortimentsgeschäft bezogen hatte. Die +Mehrzahl war auf seine Vorschläge und Anerbietungen eingegangen. Einige +aber wollten mit der Bezahlung ihrer ansehnlichen Forderungen nicht +warten. Dabei fehlte es ihm an allen Einnahmen, denn das von seinem +amsterdamer Sortimentsgeschäft Eingehende mußte zur Abwickelung dortiger +Verbindlichkeiten verwandt werden, und Bornträger konnte ihm somit +trotz wiederholter dringender Bitten keine Rimessen<span class="pagenum"><a name="Seite_224" id="Seite_224">[224]</a></span> machen. Aus seinem +Verlagsgeschäfte aber konnte er nach der Einrichtung des deutschen +Buchhandels vor der Ostermesse keine Einnahmen erwarten. So war seine +finanzielle Lage in Altenburg nach der Rückkehr von Berlin eine äußerst +beengte, zumal er die neugewonnenen Freunde nicht um Unterstützung +ansprechen mochte. Am 8. Februar schreibt er an Bornträger: er habe +mit dem von der berliner Reise übrig behaltenen einzigen Louisdor bis +jetzt, also drei Wochen lang, auszukommen gesucht und zu dem Ende die +allerstrengste Oekonomie eingeführt, nie zu Abend gegessen, nicht +ordentlich gefrühstückt u. s. w.!</p> + +<p>Und dabei beschäftigte er sich in dieser selben Zeit außer mit der +Regelung seiner geschäftlichen Verhältnisse mit den Vorbereitungen +zu einer neuen Auflage des »Conversations-Lexikon«, nicht blos als +Verleger, sondern als Redacteur!</p> + +<p>In solcher Lage konnte er nicht lange bleiben, wenn er nicht ganz +untergehen sollte. Er hatte gehofft, daß es Bornträger gelingen +werde, das amsterdamer Geschäft entweder wieder in Schwung zu bringen +oder aber zu verkaufen, um ihm dadurch die Mittel zur vollständigen +Regelung seiner Angelegenheiten zu bieten. Als aber weder das Eine +noch das Andere erfolgte, obwol über jenen Verkauf schon mehrfache +Unterhandlungen stattgefunden hatten, da faßte er mit seiner gewohnten +Energie den raschen Entschluß: selbst wieder nach Amsterdam zu reisen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Die nähern Umstände seiner plötzlichen Abreise von Altenburg am 5. März +und seine Ankunft in der Nähe von Amsterdam am 11. März schildert er in +folgendem an Bornträger gerichteten Briefe, der unterwegs in mehrern +Pausen geschrieben ist:</p> + +<blockquote> + +<p class="right-1"> +Deventer, Nachts 12 Uhr, Sonntag, 10. März 1811. +</p> + +<p>Sie werden nicht wenig erstaunen, lieber Schmidt, wenn Sie die +Ueberschrift Deventer erblicken von meiner Hand und den Datum +desselben Tags, wo Ihnen der Brief auch schon zukommt. Ich bin Ihnen +bei Empfang desselben noch viel näher, vielleicht gar nur wenige +Schritte von Ihnen entfernt! Mit Recht neues Erstaunen! Wie dem +eigentlich sei, erfahren Sie am Schluß dieses, da ich in diesem +Augenblicke selbst darüber noch keinen Entschluß genommen habe. Und +nun den Zusammenhang dieser phantastischen Nähe?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_225" id="Seite_225">[225]</a></span></p> + +<p>Die unglückliche Unbestimmtheit und nichtssagende Kürze Ihres +Briefs vom 19. Februar, den ich erst am 3. März erhielt, hatte mich +gleich vom ersten Augenblicke an gewaltsam ergriffen und mich über +Ihre Indolenz bei einer so wichtigen Verhandlung in Verzweiflung +gebracht. Was blieb mir aber übrig anders als die traurige Ressource, +Ihnen in einem Briefe zu sagen, wie viel daran fehlt, daß Sie mich +in Stand gesetzt hätten, einmal ein Urtheil zu fällen, geschweige +denn einen Entschluß nehmen zu können! Hempel und Ludwig, denen ich +meine Ansichten mittheilte, theilten sie ganz, und wir alle konnten +nicht begreifen, wie Sie einen Gegenstand von so majeurer Wichtigkeit +mit einer solchen Indifferenz hatten behandeln können. Ich schrieb +also den Brief, den Sie einliegend finden. Als ich bis zu dem Punkt +gekommen war, wo Sie ihn abgebrochen finden, tritt Hempel zu mir +ins Zimmer und sagt: »Brockhaus, wie wär's, wenn Sie jetzt selbst +nach Amsterdam gingen und auf einem oder dem andern Wege Resultate +herbeiführten? Glauben Sie ohne persönliche Gefahr die Reise machen +zu können? Reisegeld steht Ihnen von mir zu Diensten.« Ich wurde +wie elektrisirt von diesen Worten. Ich hatte den Gedanken ob seiner +Kühnheit nicht haben dürfen. Und da ich der persönlichen Gefahr +durch Klugheit und verständiges Benehmen entgehen konnte, so war +mein Entschluß in der Minute gefaßt. »Ich reise!« Die Feder wurde +nun fortgeworfen, und wir eilen zu Ludwigs, um hier zu verkünden und +näher zu überlegen. »Ja, ja, reisen Sie, machen Sie, daß Sie dort +schnell abschließen, oder doch finale Entschlüsse nehmen, und kommen +Sie bald, bald wieder!« Die Reise wurde gleich auf den andern Morgen +festgesetzt, und ich brachte den Rest des Tags mit kleinen Anordnungen +und mit Abschiednehmen der genauern Freunde hin. Den Abend hatte man +im Ludwig'schen Hause noch eine kleine Abschiedfête veranstaltet, die +ebenso heiter als meine Trennung von diesen vortrefflichen Menschen +traurig war.</p> + +<p>Montag früh reiste ich nun über Leipzig ab, das nöthig war, weil ich +mir mit Mitzky<a name="FNAnker_45_45" id="FNAnker_45_45"></a><a href="#Fussnote_45_45" class="fnanchor">[45]</a> in Reudnitz ein Rendezvous gegeben hatte, das ich +nicht konnte absagen lassen aus Kürze der Zeit. Meine Unterhaltung +mit diesem in Reudnitz und wieder in Leipzig dauerte so lange, daß +ich erst Montag Abend um 10 Uhr von Leipzig nach Halle abfahren +konnte. Von Montag Abend 10 Uhr bis Sonnabend 11 Uhr habe ich also +die beschwerliche Reise von Leipzig bis Deventer gemacht, was bei den +grundlosen Wegen wirklich außerordentlich schnell gereist ist. Es sind +fünf Tage gerade. Ich bin aber auch wie gerädert!</p> + +<p>Unstreitig hätten Sie, wenn Sie eine Stunde mehr Zeit zu Ihrem<span class="pagenum"><a name="Seite_226" id="Seite_226">[226]</a></span> +Briefe genommen hätten, mir die ganze Reise, ihre Beschwerden, ihre +Gefahren und die großen Kosten, die hin und her wenigstens 6-700 +Gulden betragen werden, ersparen können! Und Sie hätten mir dies +Alles, auch ohne Rücksichten auf die besondern Umstände, ersparen +sollen, da jeder Geschäftsbericht immer und nothwendig bestimmt und +erschöpfend sein muß.</p> + +<p>Die Rettung meines ganzen künftigen Lebens hängt von Momenten ab. +Gehen diese Momente unbenutzt vorüber, so ist mein ganzes künftiges +Leben verloren. Ich konnte also kein Bedenken tragen, Alles zu wagen +und daranzusetzen, um nur zu einem Resultate zu kommen!</p> + +<p>Ich komme aber gewiß nicht, um Ihnen Vorwürfe zu machen! Wir müssen +uns vereinigen, um schnell irgendein Resultat herbeizuführen.</p> + +<p>Der Postillon bläst schon zum dritten mal. Für hier also genug.</p> + +<p class="right-1">Amersfoort, Morgens 10 Uhr.</p> + +<p>Ich habe mich entschlossen, bis Muiden nur zu fahren, von dort +diese Briefe per Expressen nach Amsterdam (zwei Stunden von Muiden) +zu schicken und Sie einzuladen, wie es hierdurch geschieht, entweder +noch diesen Abend zu mir nach Muiden hinauszukommen, oder sonst morgen +früh. Mein Logis werde ich Ihnen unten bezeichnen. Es bedarf keiner +Erinnerung, daß Sie auch <em class="gesperrt">keiner</em> Seele etwas von meiner Nähe +sagen! Wir werden überlegen, wo ich eine Zeit lang verweilen könnte! +Unstreitig in Amsterdam selbst am sichersten und unbemerktesten. +Denken Sie gleich darüber nach, und wo das Schild: »<span class="antiqua">Hier zyn +gestofferde kamers te huur</span>« (hier sind möblirte Zimmer zu +vermiethen) aushängt, auf einer etwas abgelegenen Straße oder Gracht.</p> + +<p class="right-1">Muiden, Abends halb 5 Uhr.</p> + +<p>Ich bin hier bei Meyer logirt, dem ersten Gasthof über der Brücke +rechter Hand von Amsterdam her. Ich schicke Ihnen diesen Brief per +Expressen, um sicher zu sein, daß er Ihnen heute zugekommen ist. Sind +Sie zu Hause gerade, wenn er kommt, so habe ich es gern, Sie noch +diesen Abend zu sehen. Sind Sie aber nicht zu Hause, so ist es mir +recht, wenn Sie erst morgen kommen; da ich in acht Tagen nicht zu +Bette gekommen, so bedarf ich ohnehin heute Ruhe.</p> + +<p>Nun, bis zum persönlichen Sehen!</p> + +<p class="right-2">Ganz Ihr Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>In Muiden blieb Brockhaus ungefähr drei Wochen, hielt sich aber ab +und zu auch einen Tag in Amsterdam selbst auf. Seinem energischen +persönlichen Eingreifen gelang es bald, die seit Anfang des Jahres +schwebenden Unterhandlungen über den Verkauf des<span class="pagenum"><a name="Seite_227" id="Seite_227">[227]</a></span> amsterdamer Geschäfts +zu einem erwünschten Abschlusse zu bringen. Dieser erfolgte am 21. März, +die Zahlung der Kaufsumme am 1. April. Käufer des Sortimentsgeschäfts +sammt dem ansehnlichen Lager war der Buchhändler Johannes Müller, der +zwei Jahre vorher (am 1. Mai 1809) eine Buchhandlung in Amsterdam unter +der Firma J. Müller & Co. errichtet hatte (1837 wurde diese Firma in +die noch jetzt bestehende: Johannes Müller, umgewandelt). Gleichzeitig +suchte Brockhaus, um die Transportkosten nach Leipzig zu ersparen, auch +die in Amsterdam lagernden Vorräthe seines ältern Verlags zu verkaufen, +ebenso die nicht unbedeutenden Außenstände seines bisherigen Geschäfts. +Es gelang ihm wenigstens, die Einleitungen dazu zu treffen, während +der Kaufvertrag darüber erst im folgenden Jahre, am 4. März 1812, +durch Bornträger in Amsterdam abgeschlossen wurde. Käufer hiervon war +der amsterdamer Buchhändler Christian George Sülpke, dessen Handlung +ebenfalls noch jetzt besteht. An keinen der beiden Käufer war übrigens +Brockhaus' bisherige Firma: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, mit +verkauft worden. Diese behielt vielmehr Brockhaus auch in Altenburg +vorläufig bei, nur daß er meist »von Amsterdam«, und als Verlagsort +»Altenburg« oder »Leipzig« hinzusetzte.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Der Aufenthalt in Muiden war für Brockhaus mit mancherlei Gefahren +verbunden. Er wollte seine Anwesenheit in der Nähe von Amsterdam +geheimhalten, um allen neugierigen Nachfragen und persönlichen +Belästigungen wegen des Hiltrop'schen Processes und anderer noch +schwebender Verhandlungen zu entgehen. So verkehrte er wesentlich nur +mit Bornträger, der ihn fast täglich in seinem Versteck besuchte, da +eine regelmäßige Verbindung zu Wasser zwischen Amsterdam und Muiden +durch eine mehrmals des Tags hin- und hergehende Schuyt bestand; +außerdem sah er nur noch zwei seiner ältesten Freunde, deren Namen +er aber in seinen Briefen nicht nennt. Eine weitere Schwierigkeit +entstand daraus, daß er Altenburg bei seiner eiligen Abreise ohne +Paß, diesen damals so nothwendigen Reisebegleiter, verlassen hatte, +vielleicht absichtlich, um eben nicht erkannt zu werden. Diesem letztern +Uebelstande half er dadurch ab, daß er sich von Bornträger dessen Paß +geben ließ und<span class="pagenum"><a name="Seite_228" id="Seite_228">[228]</a></span> der holländischen Dorfbehörde vorlegte. Freilich konnte +er denselben mit ebenso viel oder — so wenig Recht wie Bornträger +führen, da der Paß auf den Namen Friedrich Schmidt lautete!</p> + +<p>In einem der zahlreichen und oft ausführlichen Briefe, die er auch in +dieser Zeit trotz der häufigen Besprechungen an Bornträger sandte, +schreibt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Gestern Abend habe ich denn auch hier Namen, Wohnort, Dauer des +Aufenthalts, Paß von woher? aufgeben müssen. Da ich meinen Namen nicht +nennen konnte, noch sagen, der Paß sei vom König u. s. w., so habe ich +gesagt: »Schmidt von Leipzig mit Paß vom dortigen Magistrat«, und um +zu vermeiden, darüber viel inquirirt zu werden, habe ich nur zwei bis +drei Tage Aufenthalt angegeben. Gott gebe nur, daß man heute nicht den +Paß zu sehen verlangt! Auf alle Fälle bringen Sie mir diesen Abend den +Ihrigen mit. Langes Bleiben ist auf diese Weise hier nicht.</p></blockquote> + +<p>Und bevor er diesen Paß hat und weiß, ob er mit demselben sich +legitimiren kann, fordert er Bornträger auf, ihm noch einen andern Paß, +wieder auf dessen angenommenen Namen, zu einer Reise nach — Paris zu +verschaffen! In demselben Briefe theilt er ihm nämlich mit, daß er +vorhabe, sobald der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen sei, einen +Abstecher nach Paris zu machen, um die Zwischenzeit während der weitern +Unterhandlungen über den Verkauf des ältern Verlags zweckmäßig in +geschäftlichem Interesse zu verwenden:</p> + +<blockquote> + +<p><span class="antiqua">Enfin</span>: Nothwendigkeit, Langeweile und Unsicherheit hier, +Interesse, Lust vereinigt sich, mir diese Reise, wozu drei Wochen +hinreichen würden, anzurathen. Es ist nur (!) für einen Paß zu sorgen. +Ich wünschte immerhin, daß Sie es wieder versuchten, auf Ihren Namen +diesen Paß zu erhalten. Auf die Beschreibung der Person wird doch +nicht gesehen, und da ich in Paris durch Forssel und Schöll doch allen +Beistand finden würde, so habe ich gar keine Bedenklichkeit. Und +<em class="gesperrt">Sie</em> brauchen gar keine zu haben. Ich wünschte also sehr, daß +Sie womöglich noch heute den Versuch dazu machten.</p></blockquote> + +<p>Aus dieser Reise nach Paris wurde indeß nichts, vielleicht weil der +betreffende Paß doch nicht zu erlangen war; dagegen scheint der bereits +vorhandene Paß Bornträger's seine Schuldigkeit gethan zu<span class="pagenum"><a name="Seite_229" id="Seite_229">[229]</a></span> haben, da +Brockhaus statt zwei bis drei Tage drei Wochen in Muiden und Amsterdam +blieb, ohne Anfechtungen zu erleiden; er benutzte denselben auch später +zur Rückreise nach Deutschland und schickte ihn auf halbem Wege, aus +Münster, mit bestem Dank an Bornträger zurück, mit der Bemerkung, daß er +ihn übrigens gar nicht gebraucht habe.</p> + +<p>Anfangs freilich war er in Muiden wegen seiner Sicherheit noch sehr +besorgt; er ließ sich von Bornträger einen Hut mitbringen, weil er +mit seiner Mütze keinen Schritt thun könne, ohne daß die Kinder ihm +nachhöhnten, und bat ihn, die Briefe, die er ihm schicke, selbst auf der +Postschuyt abzuholen, damit die häufige Correspondenz dem Markthelfer +Jan nicht auffalle. Dieser schien aber doch die Anwesenheit seines +Principals, an dem er sehr hing, bemerkt zu haben und suchte ihn eines +Tags in Muiden auf. Brockhaus meldet dies gleich an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich hatte Ihnen schon die einliegende kleine Einlage geschrieben, +als zu meinem Entsetzen mir ein »Herr« gemeldet wird, der mich +sprechen wolle. Ich lasse seinen Namen fragen und da ist es denn — +Jan!</p></blockquote> + +<p>Wenn Bornträger einen Tag ausblieb, war Brockhaus gleich sehr gereizt. +So schreibt er ihm einmal:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich leugne Ihnen nicht, daß ich gestern über Ihr Nichtkommen pikirt +gewesen bin. Zufolge Abrede hatte ich für Sie Essen mit machen lassen, +und so erwartete Sie auch dies von 2 bis 4 Uhr, wo statt Ihrer selbst +ein Brief kam. Im gemeinsten Leben schon wird dies für eine sehr große +Unhöflichkeit gehalten. Daß Sie um 5 Uhr schon zurückgemußt hätten, +dazu sehe ich die Nothwendigkeit nicht ein. Es geht noch eine spätere +Schuyt, und Muiden ist auch nicht so weit von Amsterdam, daß man im +äußersten Falle die zwei Stündchen nicht zu Fuße machen könnte. Sie +konnten aber auch des Nachts bleiben. Wenn man, wie ich gethan habe +und thun muß, 360 Stunden reist, um mündlich Explicationen zu holen +und zu geben, die schriftlich zu geben war versäumt worden, so ist +man eifersüchtig darauf, wenigstens die daseiende Gelegenheit ganz zu +benutzen. Von meiner Einsamkeit hier will ich nicht sprechen, da ich +mich immer zu unterhalten weiß, wenn ich auch allein bin.</p> + +<p>Einliegend ein Promemoria, dessen Ausführung ich Ihnen empfehle<span class="pagenum"><a name="Seite_230" id="Seite_230">[230]</a></span> und +stete Wiedernachsehung und Fortführung desselben, bis Alles besorgt +ist. In einem Tage läßt es sich nicht besorgen, das weiß ich. Sie +heben dieses Promemoria auf. Wir werden es dann immer nachsehen und +beischreiben. Herüberkommen nach dem Reythuys werde ich weiter nicht; +es ist mir auch zu theuer. Könnte ich mit der Schuyt gehen, so würde +ich es thun, aber wegen der Menge Menschen, die darin, geht das nicht. +Kommen Sie also so oft hierhin, als es nöthig ist, oder schreiben Sie. +Jenes am besten per Schuyt, da das Reiten eher auffällt.</p></blockquote> + +<p>Jenes Promemoria (eine Form der Mittheilung, die Brockhaus sehr +liebte) füllt zwei engbeschriebene Folioseiten und enthält 28 Punkte, +geschäftliche und persönliche Angelegenheiten betreffend. Er benutzte +eben die Zeit und Einsamkeit, um alles in Amsterdam noch zu Erledigende +von hier aus in Ordnung zu bringen. Als Punkt 10 bemerkt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich wünschte meine Ihnen von August an geschriebenen Briefe mal +wieder durchzulesen. Legen Sie sie also zusammen und lassen sie durch +Jan heften, wie ich die Ihrigen habe. Meine Briefe lasse ich Ihnen +gern; ich möchte nur bei ihrem Durchlesen die furchtbare Zeit nochmal +durchleben.</p></blockquote> + +<p>Außer in dieser jüngsten Vergangenheit (in die ihn auch die früher +von uns mitgetheilten, von hier aus geschriebenen Briefe an Karoline +Richter und die altenburger Freunde über die definitive Lösung seines +Verhältnisses zur Hofräthin Spazier zurückversetzten) lebte er viel +in der wehmüthigen Erinnerung an die jener Katastrophe vorangegangene +traurige Zeit, in der er seine heißgeliebte Frau verloren hatte. War sie +doch auf dem Kirchhofe desselben Dorfes Muiden, in dem er durch eine +eigenthümliche Schicksalsfügung jetzt längere Zeit verweilen mußte, +begraben. Nach ihrem Grabe richtete er fast täglich seine Schritte. Er +schreibt einmal an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich war diesen Abend am Muiderberg. Ich habe Sophiens Grab wieder +besucht und zugleich die himmlischen Environs am Gestade des Y. Es +ist die schönste Partie, die ich je in Holland gesehen, und der Abend +war köstlich in seiner Linde und Heiterkeit. Wir müssen das nochmal +zusammen besuchen. Ich war sehr glücklich in meiner Wehmuth und +Trauer.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_231" id="Seite_231">[231]</a></span></p> + +<p>In einem Briefe an Frau Ludwig in Altenburg vom 22. März gibt er eine +anziehende Beschreibung seines Zufluchtsorts und des Lebens daselbst:</p> + +<blockquote> + +<p>Meine hiesigen Geschäfte verlängern sich um einige Tage, eine Zeit, +die mir für meine Petulanz eine Ewigkeit dünkt. Ich hatte gehofft, +so viel Zeit zu gewinnen, um einen kleinen Abstecher nach dem +Sirenen-Gestade an der Seine zu machen, aber es ist nicht gelungen, +und ich muß darauf Verzicht thun.</p> + +<p>Da ich hier nur einen einzigen Zweck habe, so bekümmere ich mich +auch um keinen andern. Ich sehe Niemanden als zwei vertraute Freunde +und Schmidten, meinen guten mir sehr anhängigen Manus (so verkürzt man +hier den Domestikennamen Hermann) und mein kleines armes Mädchen! Ich +bin abwechselnd in meinem Hause und in Muiden. Aus dem Briefe an Ihre +Schwester wissen Sie, welch ein theures Andenken hier für mich ruht. +Die Reize dieser Gegend sind mir erst jetzt bekannt geworden. Hätte +ich Matthisson's, Forster's oder Ludwig's Griffel oder van der Velde's +oder Claude's Pinsel, so würde ich es versuchen, Ihnen ein Bild davon +zu geben. Aber so kann ich Ihnen nur einfach sagen, daß es eins der +reizendsten holländischen Dörfer ist, in einem herrlichen Buchen- und +Lindenwalde gelegen, umgürtet von den angenehmsten <span class="antiqua">campagnes</span>, +wahren Idyllen der schönen Gartenkunst (lassen Sie sich von Ludwig die +holländischen Landhäuser mal beschreiben), und gelehnt an den schönen +Meerbusen, das Y genannt. Hier ist mein gewöhnlicher Spaziergang. Für +mich gibt es nichts Erhabeneres und mehr Hebendes in der Natur als das +unendliche, immer gährende, immer kämpfende, immer sich vereinigende +Spiel der Wellen des Oceans. Doch hier ist der Charakter desselben +milde, da, wie Sie auf der Karte sehen könnten, obgleich Ausfluß der +Nordsee, seine tobende Gewalt doch gebrochen ist. Ich denke mir, daß +die schönen schweizer Landseen mit einem solchen Meerbusen viele +Aehnlichkeit haben werden. Die Aussicht von Muiden aus über denselben +weg ist wunderschön. Links ist der äußerste Horizont mit den Hunderten +von Thürmen und Mastbäumen Amsterdams und seines Hafens begrenzt, +gegenüber mit den Beweisen der thätigsten Industrie dieses fleißigen +Volks: den Windmühlen Nordhollands; rechts nach dem Pampus hin, wo es +in die Nordsee hinausgeht, sieht man auf unzähligen Punkten, so weit +das Auge reicht, Fischer mit aufgespannten Segeln in ihren Kähnen und +Booten halten und ihrem mühseligen Gewerbe obliegen.</p> + +<p>Einmal bin ich mit auf den Fang ausgewesen. Wir hatten eine tüchtige +Partie Heringe, die um die jetzige Zeit hier gefangen und getrocknet +werden, wo sie Bücklinge heißen, und auch einige Barsche gefangen, +welche eins der Lieblingsgerichte der Holländer und auch von<span class="pagenum"><a name="Seite_232" id="Seite_232">[232]</a></span> mir +sind. Man kocht sie in Wasser mit Selleriewurzeln, und sie werden so +mit Butterbrot durchwürzt und mit gemengtem süßen weißen und rothen +Bordeauxwein als Zugabe genossen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß +ich ein wenig Gourmand bin, wo ich's haben kann, und so lasse ich mir +diese <span class="antiqua">waterzootjes</span> (Gericht Barsche) oft herrlich schmecken. +Englische Austern, worauf ich mich so gefreut, gibt's aber dies +Jahr hier nicht, sie sind wol mit dem Englischen Pflaster und der +Englischen Krankheit in eine Kategorie gesetzt worden! Ueberhaupt hört +man nichts als Klagelieder und Verwünschungen der jetzigen Zeit und +ihres Beherrschers. Ich werde Ihnen über dies Alles mal viel erzählen +können.</p></blockquote> + +<p>Wie er hier berichtet, wagte er sich doch auch nach der Stadt hinein, +besonders um sein jüngstes Kind Sophie, jetzt anderthalb Jahre alt, +öfters zu sehen, die bei dem Kaufmann Trippler und dessen Frau +untergebracht war. Freilich war dies mit Gefahr für ihn verbunden, +zumal in seinem eigenen Hause, wo er öfters bei Bornträger wohnte, ein +französischer Oberst einquartiert war. Hier mußte er sich auch an dem +officiell befohlenen Jubel über die am 20. März 1811 erfolgte Geburt +des Sohnes Napoleon's (des am 22. Juli 1832 gestorbenen Herzogs von +Reichstadt) betheiligen.</p> + +<p>Er beschreibt dies in folgendem, am 26. März an Ludwig gerichteten +Briefe, der zugleich über seine Stimmung und über sein Töchterchen +handelt:</p> + +<blockquote> + +<p>Sonnabend (23. März) war allgemeine Illumination wegen der Geburt +des Sohnes von Bonaparte. Wir mußten auch illuminiren! Mit welchem +Herzen es von uns und allen Bürgern geschah, darüber mag Gott +urtheilen. Es that mir ordentlich wehe, daß Amsterdam sich einzig +schön bei einer solchen Illumination ausnimmt. Nur Venedig kann darin +mit ihm rivalisiren. In den herrlichen breiten Kanälen reflectirt +das tausendfarbige Spiel der Lichter wunderschön, und man glaubt in +Armidens bezauberten Palästen zu wandeln. Der Abend und die Nacht war +herrlich und ganz sternenklar, und mehr wie hunderttausend Menschen +wogten auf den Straßen und Grachten.</p> + +<p>Mich drückte dies Alles aber sehr nieder. Ich fühle mich einsam +und verlassen hier, und meine Sehnsucht ist nur: wieder weg, zu +meiner neuen Heimat, die ich bei Ihnen, liebster Ludwig, setze. Wäre +Vieles nicht gewesen, so ließe sich vielleicht noch ein neues Leben +ordnen. Aber, was ist erst noch im alten Leben zu ordnen, ehe an eine +neue<span class="pagenum"><a name="Seite_233" id="Seite_233">[233]</a></span> Ordnung kann gedacht werden! Ihre thätige Freundschaft, edler +Mensch, werde ich noch oft in Anspruch nehmen müssen. Ich bedarf einer +äußern Stütze immer. Immer habe ich den besten Willen, es fehlt mir +auch nicht an guten Ideen, aber ich bin muthlos geworden. Ich traue +mir selbst nicht recht mehr, und meine Kraft ist daher gelähmt. Die +bittern Erfahrungen, die ich in den letzten sechs Monaten gemacht +habe, haben meine Scheu und Furcht vor den Menschen sehr vermehrt, und +gewiß, hätte ich nicht in Ihnen und in Allem, was zu Ihrem Kreise, +lieber Ludwig, in der Nähe und Ferne gehört, ein Antidot gefunden, +das mich wieder mit der Welt versöhnt hätte, so würde ich Meinau's<a name="FNAnker_46_46" id="FNAnker_46_46"></a><a href="#Fussnote_46_46" class="fnanchor">[46]</a> +Charakter ins wirkliche Leben übergetragen haben.</p> + +<p>Die Sorge für mein kleines armes Mädchen Sophiechen beschäftigt mich +hier sehr. Ich habe es auf allerhand Weise überlegt, ob ich es nicht +mit mir nehmen könnte. Aber es geht nicht. Mein eigenes Schicksal ist +noch zu ungeordnet. Ohne häusliche Einrichtung würde ich gar nicht +wissen mit dem Würmchen, wo dort bleiben. Und dann, wie will ich es +mit mir fortkriegen? Ein holländisches Wartemädchen könnte ich doch +nie in Sachsen bei mir behalten, müßte es also zurückschicken, das +sehr viel kosten würde. Ich reise dazu so schnell und muß so schnell +reisen, daß ein Kind von so zartem Alter darüber würde zu Grunde +gehen. Nach Dortmund habe ich darüber geschrieben, aber keine günstige +Antwort bekommen. Seit Luisens Tode, der Schwester Sophiens, die +gerade starb, wie Minna mit Ihnen auf der Michaelismesse in Leipzig +war, ist für meine armen Kinder die zweite Mutter auch verloren! Ich +muß daher das kleine Mädchen noch hier lassen, so sehr sich auch mein +Herz und Alles in mir dagegen sträubt. Es ist zwar hier bei sehr guten +Leuten, die es wie ihr eigenes Kind lieben, aber es widerstrebt mir +auch besonders, es in der Stadt zu wissen. Ich werde vielleicht noch +Gelegenheit finden, es aufs Land zu thun, und morgen deshalb mit einem +Freunde aus der Stadt gehen.</p> + +<p>Verzeihen Sie, lieber Ludwig, daß ich Sie von diesen meinen +Particularissimis nur allein unterhalte. Aber wirklich, wofür kann ich +auch in diesem Augenblicke anders Sinn haben als dafür? Mein Schicksal +war seit funfzehn Monaten sehr schwer und düster. Einige Sonnenblicke +erhellen es jetzt. Darüber schweigt sich denn nicht gut. Man ist wie +ein genesender Kranker, der immer von seiner Krankheit erzählt.</p> + +<p>Leben Sie wohl, lieber Ludwig. Gruß an Alle, die Ihnen angehören!</p></blockquote> + +<p>Ueber den hier erwähnten Tod seiner Schwägerin hatte er am 14. October +1810 aus Altenburg an Bornträger geschrieben:</p> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_234" id="Seite_234">[234]</a></span></p> +<blockquote> + +<p>Noch muß ich Ihnen eine traurige Begebenheit melden, die ebenfalls +auf mein häusliches Verhältniß vielen Einfluß haben wird. Es ist der +Tod von Sophiens ältester Schwester Luise, der Madame Rittershaus, +bei der Fritz mit war. Sie war eins der edelsten Weiber, die ich je +gekannt habe; sie hatte Sophiens himmlische Güte, aber mehr Energie, +Kraft und Würde. Ihr Verlust ist unersetzlich auch für mich. Und +für die Welt. Sie war Mutter von vier Kindern erster Ehe. Mit ihrem +zweiten Manne erhielt sie noch zwei. Außerdem nahm sie noch meinen +Fritz zu sich und eine Tochter des unglücklichen Hiltrop, der mit mir +den Ihnen bekannten Proceß hat. Acht Kinder beweinen also das edle +Weib, und mit ihnen ihr trostloser Gatte, ihre Geschwister, Alle, +die sie kannten. Noch nie hat vielleicht in Dortmund ein Todesfall +solche Sensation erregt als dieser. Ich werde dadurch um so mehr eilen +müssen, ein oder zwei Kinder zu mir zurückzunehmen. Und das in dieser +Katastrophe! Wieder welch ein schweres Verhängniß!</p></blockquote> + +<p>Nachdem endlich der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen war, rüstete +sich Brockhaus zur Abreise und beschäftigte sich nur noch mit dem Ordnen +der mitzunehmenden und der zurückbleibenden Gegenstände. Manches ihm +sehr Werthe mußte er in Amsterdam zurücklassen. »Wenn ich das Alles so +betrachte«, schreibt er, »so blutet mir das Herz. Die Beschäftigung +ist für mich unsäglich angreifend. Fast jedes Stück hat irgendeine mir +theuere Erinnerung.«</p> + +<p>Die Zahlung der Kaufsumme hatte contractmäßig erst elf Tage nach +der Unterzeichnung des Kaufvertrags, am 1. April, zu erfolgen, und +da Johannes Müller diese Frist streng einhielt, so verzögerte sich +Brockhaus' Abreise wieder.</p> + +<p>Er schreibt mit Bezug darauf an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich sitze wie auf Nadeln. Denken Sie sich meine Stimmung und rechten +Sie noch über Worte! Meine Empfindungen für Sie kennen Sie!</p> + +<p>Heute sind zehn Dreispänner von Amersfoort hier durchgekommen, die +nach Amsterdam gingen, um dort morgen für Leipzig zu laden. Ich habe +selbst mit ihnen gesprochen. Wären nun unsere Sachen schon fertig, so +könnten sie mit versandt werden!</p></blockquote> + +<p>An Hempel in Altenburg richtet er in dem bereits mehrfach erwähnten +Briefe vom 30. März folgende Worte, die am besten seine Stimmung nach +dem endlichen Abschlusse der amsterdamer Angelegenheiten wiedergeben:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_235" id="Seite_235">[235]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Gebe Gott, daß ich endlich zur Ruhe komme und aufs neue thätig und +nützlich wirken kann! Meine Sehnsucht nach dieser Ruhe und dieser +neuen fruchtbringenden Thätigkeit ist unaussprechlich!</p></blockquote> + +<p>Am 1. April mittags konnte er endlich Amsterdam verlassen. Sein nächstes +Ziel war Münster, wohin sein Bruder Gottlieb mit den Kindern von +Dortmund kommen wollte, da Brockhaus wegen des Hiltrop'schen Processes +Bedenken tragen mußte, jetzt seine Vaterstadt zu betreten. Er reiste +über Arnheim, um seinen frühern Associé Mallinckrodt zu besuchen, und +mußte dort wider Willen trotz seiner Ungeduld einen ganzen Tag bleiben, +weil durch ein Versehen des Postillons sein Mantel in Amersfoort liegen +geblieben war. So kam er einen vollen Tag später, als er gewollt, am +3. April abends, in Münster an. Dort fand er nur zwei seiner Kinder, +Friedrich und Karoline, während die drei andern, Auguste, Heinrich und +Hermann, in Dortmund zurückgeblieben waren.</p> + +<p>Und noch ein anderer, größerer Schmerz sollte ihn hier treffen: die +Nachricht von dem Tode seines Vaters! Dieser war am 26. März in seinem +zweiundsiebzigsten Lebensjahre gestorben, und Gottlieb hatte es +seinem Bruder tags darauf gemeldet, doch war der Brief wol nicht mehr +rechtzeitig in Amsterdam eingetroffen. Dieser Trauerfall und die daraus +hervorgehende Störung in den Familienverhältnissen waren wol auch die +Ursache, daß weder die drei andern Kinder noch sein Bruder nach Münster +kamen.</p> + +<p>In jenem Briefe schrieb Gottlieb:</p> + +<blockquote> + +<p>Lieber Bruder! Ich habe Dir eine Nachricht zu melden, welche Dein +Herz auf das tiefste zerreißen wird. Unser guter, redlicher Vater +ist seit gestern Morgen nicht mehr unter uns. Er starb mit Ruhe und +Fassung; seine Leiden waren kurz. Wir haben Alles angewendet, um das +Leben des guten Greises zu retten, sein Arzt, der Herr Krupp, ist in +der Zeit mit mir fast nicht von seinem Bette gewichen, allein leider +blieben alle unsere Bemühungen fruchtlos.</p> + +<p>Noch gestern vor acht Tagen befand er sich recht wohl und war den +ganzen Tag über besonders heiter, aß den Mittag noch mit vielem +Appetit, trank den Nachmittag wie gewöhnlich seinen Thee und geht +darauf nach dem Balken, um das Malz nachzusehen, weil wir brauen +wollen. Hier sinkt er plötzlich nieder; ein Glück, daß gerade Jemand<span class="pagenum"><a name="Seite_236" id="Seite_236">[236]</a></span> +bei ihm war; mit Mühe wird er von oben heruntergetragen und legt sich +darauf zu Bett, wo er sehr über Seitenstiche klagte. Wir ließen gleich +unsern Arzt rufen, der ein Brustfieber prophezeite, welches auch den +folgenden Tag eintrat, wozu sich bald noch andere bedenkliche Umstände +gesellten.</p> + +<p>Gern wäre der gute Vater noch bei uns geblieben, und er schied sehr +ungern von dieser Welt. Ich habe indeß die Beruhigung, daß wir ihn +immer mit Liebe behandelt, ihn in den vielen Krankheiten, die er in +den letzten Jahren erduldet, mit Sorgfalt verpfleget und seine, den +meisten alten Leuten anklebende Laune mit Nachsicht gern und willig +ertragen haben. Er fühlte dieses auch oft sehr tief, da er sah, wie +gern wir Alles gaben, um sein Alter so froh wie möglich zu machen.</p> + +<p>Bei den vielen Unruhen, welche mich jetzt wegen dem Todesfalle +unsers Vaters umgeben, ist es mir nicht wohl möglich, Dir heute mehr +schreiben zu können; nur so viel, daß Dein Heinrich wohl und munter +ist und gut lernt.</p> + +<p>Daß Du wohl, glücklich und zufrieden leben mögest, wünsche ich von +Herzen; Keiner in der Welt kann und wird daran innigern Antheil nehmen +als</p> + +<p class="signature">Dein treuer Bruder</p> +<p class="signature-x">G. Brockhaus. +</p> +</blockquote> + +<p>In einem flüchtigen Briefe von Brockhaus an Bornträger aus Münster vom +5. April heißt es:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich hatte gehofft, auch die andern Kinder hier zu finden, allein die +Freude war mir nicht gewährt. Noch hatte ich den Schmerz, hier auch +den Tod meines vortrefflichen Vaters zu erfahren! Gestern habe ich +mich hier verweilt. Heute geht's nun weiter, und ich hoffe bis Montag +(8. April) in Altenburg zu sein. Von da also mehr.</p> + +<p>Nun adieu. Ich danke Ihnen für alles Liebe und Gute!</p></blockquote> + +<p>Brockhaus nahm die beiden Kinder, die nach Münster gekommen waren, +Friedrich und Karoline, gleich mit nach Altenburg, um daselbst, wie +er längst gewünscht hatte, endlich wieder einen eigenen Hausstand zu +begründen; die andern Kinder blieben einstweilen noch in Dortmund. Am +11. April schreibt er an Bornträger aus Altenburg, daß er glücklich dort +angekommen sei.</p> + +<p>Am 23. April reiste er für einige Tage nach Leipzig, kehrte am 28. nach +Altenburg zurück, fuhr aber schon am 30. wieder nach Leipzig, um auf der +Buchhändlermesse seine Angelegenheiten<span class="pagenum"><a name="Seite_237" id="Seite_237">[237]</a></span> ganz in Ordnung zu bringen. Hier +blieb er drei Wochen lang, bis zum 20. Mai, und hatte die Freude, seinen +Zweck endlich der Hauptsache nach zu erreichen.</p> + +<p>In welcher Weise dies geschah, sei in der Kürze und ohne in Details +einzugehen mitgetheilt.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Die Berührung dieser Angelegenheit ist eine schmerzliche Pflicht +für den Verfasser, als einen Enkel des Geschilderten; sie ist aber +eben seine Pflicht, der er sich als gewissenhafter Biograph nicht +entziehen kann und nicht entziehen will, und sie wird ihm dadurch +wesentlich erleichtert, daß er gleichzeitig den für seinen Großvater +höchst ehrenvollen Ausgleich der Angelegenheit mittheilen kann. Es sei +also offen gesagt: daß Brockhaus sich in dieser Zeit genöthigt sah, +mit seinen Gläubigern für sie mit größern oder geringern Verlusten +verbundene Vergleiche abzuschließen, daß er aber später, sobald seine +sich günstiger gestaltenden Verhältnisse es ihm erlaubten, freiwillig +allen, trotz ihrer in aller Rechtsform ausgesprochenen Verzichtleistung, +den damaligen Verlust mit Zurechnung aller Zinsen ersetzt hat: ein in +der buchhändlerischen und überhaupt in der kaufmännischen Welt nicht +eben häufig vorkommender Fall.</p> + +<p>Einen eigentlichen Accord proponirte Brockhaus seinen Gläubigern +nicht, sondern ließ ihnen zwischen zwei Modalitäten die Wahl: entweder +sollten die Forderungen ein für allemal ausgeglichen werden, theils +durch baare Zahlung (ein Drittel), theils durch Waaren (ein Drittel +in Verlagswerken, ein Drittel in gangbaren Werken fremden Verlags +aus dem amsterdamer Sortimentslager), oder sie sollten vollständig, +aber nach und nach in Terminen, baar bezahlt werden. Die Mehrzahl der +Gläubiger, besonders die Verlagsbuchhändler, wählten die erstere, +andere, namentlich Buchdrucker und einige größere Verleger, die zweite +Alternative, worüber die Verhandlungen sich theilweise noch bis zum +Frühjahr 1812 hinzogen. Zu den Baarzahlungen wurde der größte Theil der +aus dem Verkauf des amsterdamer Geschäfts gelösten Summe verwendet.</p> + +<p>Brockhaus' Commissionär in Leipzig für den Verlag war bis gegen Ende +1810 die Buchhandlung Johann Friedrich Gleditsch<span class="pagenum"><a name="Seite_238" id="Seite_238">[238]</a></span> gewesen, während +die Buchhandlung W. Rein & Comp. die Expedition an das amsterdamer +Sortimentsgeschäft besorgt hatte. Infolge seiner Differenzen mit der +erstern Handlung wollte Brockhaus in dem Circular über den Verkauf +seines Geschäfts an die Hofräthin Spazier die Rein'sche Buchhandlung als +neuen Commissionär nennen, allein der Besitzer der letztern, Wilhelm +Rein, war mit dem von Brockhaus beabsichtigten Arrangement nicht +einverstanden und wollte deshalb die ihm übersandten Circulare, in +denen er bereits als Commissionär genannt war, nicht ausgeben. Der von +Brockhaus nach seiner Abreise von Leipzig mit Vertretung seiner dortigen +Interessen beauftragte Professor <span class="antiqua">Dr.</span> Dabelow (der für ihn auch am +16. Juli 1810 ein Gutachten wegen des Hiltrop'schen Prozesses verfaßte) +hatte sich ohne Brockhaus' Vorwissen an den Buchhändler Karl Heinrich +Reclam (mit dem Brockhaus 1808 einen heftigen Streit gehabt hatte, weil +er mit dessen Besorgung seiner Commission unzufrieden gewesen war) um +Rath gewandt. Zu Brockhaus' Ueberraschung hatte Reclam diesen Rath »in +sehr verständiger Form gegeben, und soll er bei dieser Gelegenheit +überhaupt durchaus keine Animosität gezeigt haben«, wie Brockhaus an +Bornträger schreibt. Reclam erklärte sich selbst zur Wiederübernahme der +Commission bereit. Außer ihm boten sich dafür noch zwei andere leipziger +Firmen an: Karl Cnobloch und Mitzky & Co. Brockhaus entschied sich für +letztere Firma, die im November 1810 die Commission übernahm und bis +Ende 1811 besorgte. Die Buchhandlung Mitzky & Co. wurde zu dieser Zeit +an einen bisher in derselben arbeitenden Gehülfen, Wilhelm Engelmann, +verkauft, der dieselbe am 20. December 1811 übernahm und unter seiner +eigenen Firma fortsetzte; dieser besorgte von da an auch Brockhaus' +Commission.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Die Buchhandlung, mit welcher es Brockhaus am schwersten wurde, zu einer +Einigung zu gelangen, war die Firma Johann Friedrich Gleditsch, die, wie +eben erwähnt, bis zu diesem Zeitpunkte Brockhaus' Commissionär gewesen +war. Der Besitzer derselben, Karl Friedrich Enoch Richter, war es, +der, wie früher mitgetheilt, zuerst streng gegen Brockhaus auftrat und +dadurch dessen<span class="pagenum"><a name="Seite_239" id="Seite_239">[239]</a></span> Abreise nach Altenburg veranlaßte, indem er den Ersatz +für einen ihm von Brockhaus auf sein amsterdamer Geschäft gegebenen und +dort durch ein Zusammentreffen von Umständen nicht eingelösten Wechsel +in der dringendsten Weise verlangte. Brockhaus hat über Richter's +damaliges Auftreten selbst Folgendes niedergeschrieben:</p> + +<blockquote> + +<p>Er schlug die inständigsten Bitten, nur einen Posttag zu warten, ab; +er wies alles <span class="antiqua">accomodement</span> durchaus von der Hand und verlangte +auf den folgenden Tag baare und nur baare Zahlung. Herr Enoch Richter +war die alleinige und einzige Ursache meiner Entfernung von Leipzig, +weil er schlechterdings auf der Stelle in Geld befriedigt sein wollte.</p></blockquote> + +<p>Von Altenburg aus wurden weitere Unterhandlungen zwischen Brockhaus +und Enoch Richter eingeleitet. Letzterer wollte gegen Abtretung des +Verlagsrechts der »Urania« seine eigene Forderung und zugleich die +des Bankiers Christian Friedrich Richter als ausgeglichen betrachten. +Brockhaus war dazu auch bereit, zumal Enoch Richter ihm dafür eine +ihn selbst überraschende hohe Summe bot. Indeß reute Enoch Richter +dieses Anerbieten wieder, und er verlangte nun auch noch Abtretung +des »Conversations-Lexikon«! Darauf konnte und wollte Brockhaus nicht +eingehen. Nach langen Verhandlungen wurde endlich im Herbst 1811 eine +Verständigung auf andern Grundlagen abgeschlossen. Enoch Richter konnte +es sich dabei aber nicht versagen, Brockhaus' Auseinandersetzungen über +ihre Verständigung als »schöne Phrasen« zu bezeichnen, was diesen am 8. +December 1811 zu folgender Antwort veranlaßte:</p> + +<blockquote> + +<p>Da von meinen Briefen Copie genommen wird, so habe ich mit der +größten Resignation diesen letzten nochmal überlesen, und ich muß mir +selbst das Zeugniß geben, daß ich endlich kein Wort darin habe zu +finden vermocht, was jene Bezeichnung und Charakteristik verdiente, +und ich kann dessen auch um so gewisser sein, da in meiner Seele +nichts liegt, was diesen Charakter trüge, auch überhaupt es mein +Wesen nur zu wenig ist, Phrasen zu machen, da ich alle Verhältnisse +um mich her immer nur zu sehr in Wahrheit auffasse und mich darüber +ausspreche. Da mir als Mensch dieser Ihr Vorwurf sehr schmerzhaft +gewesen, so ist dies der einzige Punkt, gegen den ich in Ihrem Briefe +reclamire, indem ich Ihnen die Versicherung gebe, daß der sonstige +Inhalt mich befriedigt hat .... Weiter weiß ich nichts, und so<span class="pagenum"><a name="Seite_240" id="Seite_240">[240]</a></span> wäre +unsere Fehde doch nicht in Unehre geendet! Ich wünsche Ihnen alles +Gute.</p></blockquote> + +<p>In spätern Jahren veränderten sich die Verhältnisse der beiden Männer +und ihrer Firmen nicht unwesentlich; wir können nicht umhin, auf zwei +solcher Momente kurz hinzuweisen.</p> + +<p>Im Jahre 1819 hatte Brockhaus Veranlassung, aus Leipzig, derselben +Stadt, in der sich die altberühmte Gleditsch'sche Buchhandlung seit +ihrer Begründung befand, an den Besitzer derselben, Enoch Richter, der +ihn acht Jahre vorher so hart behandelt und aus jener Stadt vertrieben +hatte, als Besitzer einer weit jüngern, aber inzwischen zu immer +größerer Bedeutung gelangten Buchhandlung, zu schreiben: er könne ihm +weder mit Kasse noch mit fremden Papieren »aushelfen« (wegen der damals +herrschenden Handelskrisis) und habe ihm die frühern 3000 Fl. nur »aus +Gefälligkeit« überlassen. Jener hatte sich also schon zum zweiten male +um Unterstützung an ihn gewandt.</p> + +<p>Und eine noch eigenthümlichere Fügung des Schicksals ist es, daß die +Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem ihr Besitzer, Enoch Richter, +hatte liquidiren müssen, einige Jahre darauf mit dem größten Theile +ihrer umfassenden Verlagswerke für eine ansehnliche Kaufsumme in den +Besitz der Firma F. A. Brockhaus überging und Enoch Richter in den +letzten Jahren seines Lebens von dieser literarisch beschäftigt wurde!</p> + +<p>Enoch Richter war übrigens ein intelligenter Buchhändler und überhaupt +ein begabter Mann. Von ihm rührt die Idee zu der großen »Allgemeinen +Encyklopädie der Wissenschaften und Künste« von Ersch und Gruber her, +die seit 1818 in dem Gleditsch'schen Verlage erschien und mit diesem +1831 von der Firma F. A. Brockhaus erworben wurde. Ferner bearbeitete +er 1830 für letztere das »Vollständige Handwörterbuch der deutschen, +französischen und englischen Sprache«, welches so großen Beifall fand, +daß es 1870 in neunter umgearbeiteter Auflage erscheinen konnte. Richter +starb in Hamburg am 15. October 1831, und dies war gerade der Tag, +an dem die Gleditsch'sche Buchhandlung das Eigenthum der Firma F. A. +Brockhaus wurde!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_241" id="Seite_241">[241]</a></span></p> + +<p>Die Gleditsch'sche Buchhandlung (über deren Geschichte einige Angaben +hier wol am Platze sind) war 1693 von Johann Friedrich Gleditsch +in Leipzig gegründet worden, nachdem derselbe schon seit 1681 die +Buchhandlung von Johann Fritsch geleitet hatte. Nach seinem Tode +(26. März 1716) von einem Sohne fortgeführt, kam sie später in den +Besitz von Wilhelm Heinsius (bekannt durch das von ihm begründete und +herausgegebene, später ebenfalls in den Verlag von F. A. Brockhaus +übergegangene »Allgemeine Bücher-Lexikon«); 1805 von Enoch Richter +angekauft, wurde sie Ende 1827, als dieser sich genöthigt sah, zu +liquidiren, von Johann Friedrich Schindler übernommen, nach dessen Tode +(15. December 1828) von seiner Tochter Anna Therese, verehelichten +<span class="antiqua">Dr.</span> Hahn; diese trat sie am 14. April 1830 an Christian +Reichenbach's Erben & Compagnie ab, worauf sie endlich, wie bereits +erwähnt, am 15. October 1831 an die Firma F. A. Brockhaus überging. Von +letzterer wurde die alte Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem sie +unter diesem Namen ihres Begründers 138 Jahre lang bestanden und zu +den angesehensten deutschen Buchhandlungen gehört hatte, nicht weiter +fortgeführt, sondern deren Verlag (mit Ausnahme einiger vorher bereits +an andere Verlagshandlungen verkauften Werke) mit dem ihrigen vereinigt.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Fast so schwer wie mit Enoch Richter war für Brockhaus eine +Verständigung mit dem Bankier Friedrich Christian Richter, der mit +ihm während der letzten Jahre in lebhaftem geschäftlichen und selbst +in freundschaftlichem Verkehr gestanden hatte, wenn auch, wie die von +uns früher mitgetheilten Briefe zeigen, vorübergehend Störungen darin +eingetreten waren.</p> + +<p>Der jetzt zwischen Beiden geführten Correspondenz verdanken wir +folgenden Brief, der Brockhaus' ganze Lage in dieser Periode mit manchen +bisher noch nicht erwähnten Details klar darlegt, am 21. April 1811 aus +Altenburg an den frühern Freund gerichtet:</p> + +<blockquote> + +<p>Zwischen meinem Bevollmächtigten, Herrn Friedrich Ferdinand Hempel +hier, und Ew. Wohlgeboren haben seit dem vorigen October schriftliche +mich betreffende Unterhaltungen stattgehabt, die mir sämmtlich zur +Kenntniß gekommen sind.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_242" id="Seite_242">[242]</a></span></p> + +<p>In dem letzten Briefe, womit Ew. Wohlgeboren ihn beehrt haben, +erklärten Sie sich auf die Anfrage, ob Sie geneigter seien, +Ihre Forderung an mich auf Termine zu setzen und sie dann ganz +zu empfangen, oder ob Sie es vorzögen, mit der Lage der Dinge +angemessenen Aufopferungen eine sofortige Liquidation zu erhalten: daß +Sie auf jenes nie eingehen würden, wohl aber in Erwägung der Umstände +sich zu diesem verstehen dürften. Eine gleiche oder ähnliche Antwort +ging von allen übrigen Creditoren ein.</p> + +<p>Die Aufgabe war also jetzt, Fonds zu finden, um dem Ansinnen und +dem Drange der Creditoren zu begegnen. Der Natur der Verhältnisse +wegen mußten die Creditoren sämmtlich und auf einmal befriedigt +werden, und es war demnach ein bedeutendes Kapital nothwendig. Wären +die Creditoren gleich nach der Michaelismesse dem Vorschlage des +Herrn Hempel beigetreten, mir provisorisch für eine gewisse Zeit +Ruhe zu lassen und persönliche Sicherheit zu garantiren, wogegen +er sich dann verpflichten wolle, ein den Umständen angemessenes +Kapital durch Negociation herbeizuschaffen, so würden die Creditoren +einerseits schneller sein befriedigt worden, sie würden gewiß +bessere Bedingungen als jetzt erhalten haben, und für mich wären +die schweren Aufopferungen nicht nöthig gewesen, die ich nachher +zu machen bin gezwungen worden. Die respectiven Creditoren wiesen +jenen gutgemeinten Vorschlag, der Alles vielleicht geeinigt hätte, +von der Hand, und so wie für sie selbst mit, so entstanden auch für +mich aus seiner Verwerfung sehr unangenehme Resultate. Einzelne von +den Creditoren suchten mich gerichtlich zu verfolgen, woraus odiose +und kostbare Processe entstanden. Hierdurch und durch die Heftigkeit +und die Leidenschaft, womit wieder Andere sich gegen mich erklärten, +wurde das Vertrauen, das man gegen mich und meine Angelegenheiten +gezeigt hatte und welches Vertrauen mir jene Fonds würde verschafft +haben, geschwächt! Das schwere neue häusliche Unglück, das durch die +fürchterliche Krankheit der Frau Hofräthin Spazier, die in jener +Periode nach einem heftigen Nervenfieber ihres Verstandes beraubt +wurde, mich traf und mich in namenlosen neuen Jammer stürzte, kam +hinzu, um jedes Vertrauen zu meiner äußern Lage, da ohnehin das +Geschäft jetzt ganz in Stockung gerieth, also täglich schlechter +wurde, vollends zu zernichten!</p> + +<p>Bei diesem neuen Stande der Dinge blieb nichts Anderes übrig +als Concurs, der aber den Creditoren Alles entzogen hätte bei +der Priorität meiner Kinder, oder schnelle Aufopferung von allen +concurrirenden Theilen (den Creditoren, von mir und den Vormündern der +Kinder), wenn wenigstens Etwas gerettet, jene nicht Alles verlieren +und ich nicht ganz zu Grunde gehen sollte.</p> + +<p>Pflicht der Menschlichkeit verbot es mir indessen, meine Freundin in +ihrem schrecklichen Zustande zu verlassen. Das habe ich auch damals<span class="pagenum"><a name="Seite_243" id="Seite_243">[243]</a></span> +nicht gethan, trotz allen Gefahren, die mich umringten, obgleich +gegenwärtig unsere Verhältnisse gänzlich getrennt sind. Erst als ich +die arme unglückliche Frau nach einiger Genesung in Begleitung ihrer +Schwester, der Gattin Jean Paul Richter's, nach Berlin zu ihrem Vater +zurückgebracht hatte, konnte und durfte ich mich wieder mit meinen +eigenen Angelegenheiten beschäftigen! Wie sehr sich solche aber +verschlimmert hatten, bedarf keiner Ausführung!</p> + +<p>In diesen Zeitpunkt ohngefähr oder etwas früher fällt Herrn Hempel's +obengedachte Anfrage und auch Ihre Antwort, und wir haben jetzt den +Stand- und Zeitpunkt wieder, von dem mein heutiges Schreiben oben +ausging.</p> + +<p>Bei der Unmöglichkeit also, außer in mir selbst anderwärts Fonds zu +finden, blieb Nichts weiter übrig, als sich solche zu jedem Preise und +mit jeder Aufopferung durch Verkauf von Eigenthum zu verschaffen. Ich +beschloß demnach, die Sortimentshandlung in Amsterdam loszuschlagen, +und ich reiste zu diesem Endzweck Anfang März von Altenburg nach +Amsterdam. Meine dortige Bilanz, die ich Ihnen vorlegen kann, wie +ich Ihnen Alles, was ich sage, durch Documente zu beweisen im Stande +bin, hatte im November noch einen Ueberschuß von 30000 Fl. (nominell, +obgleich Alles ordentlich geschätzt und inventirt) dargeboten. +Allein sowol durch die jetzige Lage Hollands, da drei Viertel des +Nationalvermögens seit zwölf Monaten nach und nach verschwunden +ist, da alle öffentlichen Anstalten, Universitäten, Institute &c., +denen ihre Fonds sämmtlich auf Nationalpapieren beruhen, durch die +Tiercirung der Zinsen unfähig sind zu zahlen und zu kaufen, da endlich +die eigentlichen Nahrungsquellen dieses Landes durch die jetzigen +Maßregeln versiegt sind, — so war, wie man erwarten mußte, jetzt dort +Alles entwerthet.</p> + +<p>Meine Handlung war ohnehin seit dem November größtentheils in +Stockung gerathen und unterbrochen worden; dagegen waren die Unkosten +fortgegangen; schwere Abgaben waren zu leisten gewesen, drückende +Einquartierungen hatten stattgehabt; mein und der Handlung Credit war +infolge aller Störungen zernichtet; mehrere Gläubiger auch dort hatten +alle disponibeln Kräfte durch ihren Druck ausgesogen.</p> + +<p>Jeder Billige und Verständige wird einsehen, wie unter solchen +Verhältnissen der Kapitalwerth meines dortigen Eigenthums seit sechs +Monaten mußte geschwächt worden sein, wie er täglich mehr schwinden +mußte, und welche Aufopferungen ich werde zu machen gezwungen gewesen +sein, um dasjenige, was noch dort war, schnell oder vielmehr auf der +Stelle gegen gleich baare Zahlung oder doch solche Garantien, auf +welche ich baare Fonds negociiren könnte, zu realisiren! Ich habe aber +alle diese Aufopferungen nicht gescheut und nicht scheuen dürfen, und +so habe ich mit einem reellen Verluste von wenigstens 20000 Fl.<span class="pagenum"><a name="Seite_244" id="Seite_244">[244]</a></span> dort +ein Kapital gerettet, das ich jetzt bei meiner Zurückkunft aus Holland +auf der Stelle meinen Creditoren hier anbiete!</p> + +<p>Zwar gehört dies Kapital streng genommen meinen Kindern, und wenn +ich auf das Aeußerste hinauf- oder hinausgetrieben werde, so wird +es auch nur ihnen. Ich persönlich gehe dann zwar unter, und man +erreicht dann darin das, was man oft nur zu wollen geschienen hat oder +gesucht; aber Jene, die armen verwaisten Kinder, thun es doch nicht. +Ich sage, das Kapital gehört streng genommen zwar diesen, allein die +Hoffnung, daß, einmal gründlich debarrassirt von allen Störungen und +Hindernissen, es mir gelingen werde, durch neue Thätigkeit wieder zu +erwerben, was jetzt dahingegeben wird, hat mich den Entschluß fassen +lassen, es darauf zu wagen, jetzt alles Disponible nur hinzugeben, um +nur zu neuer und geregelter Thätigkeit zurückkehren zu können!</p> + +<p>Was wir bei dieser Lage der Umstände anzubieten und zu geben im +Stande sind, haben wir auch Ew. Wohlgeboren durch Herrn Mitzky +anbieten lassen.</p> + +<p>Es ist Niemand, der es schmerzhafter fühlt als ich selbst, wie +schwer jedem einzelnen Creditor die Aufopferung fallen muß, die ich +ihm zumuthe. Aber hier ist einmal kein anderes Mittel. Jetzt ist nicht +mehr da. Und es wird nie mehr da sein als jetzt. Jedem Creditor muß +die Wahrheit dieser Anführungen in die Augen springen.</p> + +<p>Nur von dem, was vom Verlagsgeschäft nach und nach spärlich eingeht, +und weiter von zu hoffender fremder Unterstützung soll und kann das +neue Leben begonnen werden. Kann ich aber über Jenes anticipirend +verfügen? Kann ich diese einmal begehren oder suchen oder annehmen, +solange das Alte nicht vorab geordnet ist?</p> + +<p>Gelingt es mir dagegen, einst neue Kräfte zu erhalten, so wird +mein Ehrgefühl mich von selbst bestimmen, das aus eigenem Motive +nachzuholen, was jetzt aufgeopfert wird.</p> + +<p>Ew. Wohlgeboren haben mündlich und schriftlich gegen Hempel sich +mit Härte und Wegwerfung, ja selbst mit Beschimpfung über mich +ausgedrückt. Ich antworte darauf nur: Ich habe es nicht verdient!</p> + +<p>Alles, was geschehen, ist durch das Gedränge der gebietendsten +Ursachen veranlaßt worden. Ich habe durch unverschuldete Verluste, +durch äußere Ursachen, die weder vorherzusehen noch zu berechnen +waren, schwere Verluste gehabt. Tod und Krankheit hat meine +moralischen und meine physischen Kräfte lange gelähmt.</p> + +<p>Alles, was ich Ihnen je in vertrauten Stunden gesagt, Ihnen in +vertrauten Briefen geschrieben, ist wahr gewesen. Ich habe Ihnen nie +ein wesentliches Wort gelogen. Ueber den einen speciellen Vorwurf, den +Sie mir direct und indirect gemacht, kann ich mich rechtfertigen.</p> + +<p>Werfen Sie jetzt noch einen Stein auf mich!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_245" id="Seite_245">[245]</a></span></p> + +<p>Das Einzige, worüber ich mir Vorwürfe mache, wozu aber Sie nicht +das Recht haben, waren meine Verhältnisse zu einer geistreichen und +liebenswürdigen Frau, deren eigene Verhältnisse zur Welt mir aber +unbekannt waren. Aber diese haben auch nur von mir dürfen entdeckt +werden, um eine Verbindung für immer in dem Augenblick aufzuheben, wo +es mein Gefühl für Menschlichkeit und die Gesetze der Ehre erlaubten!</p> + +<p>Ich komme jetzt zur Hauptsache. (Folgen detaillirte Vorschläge.)....</p> + +<p>Wer Geschäfte kennt und die Erfahrung hat wie Sie, der weiß, daß ein +einmal stockendes Geschäft täglich schlechter wird. Bewilligte man mir +im October provisorische persönliche Ruhe und Sicherheit, so konnten +und würden wir gewiß weit bessere Offerten machen wie jetzt. Schlägt +man diese jetzigen abermalen aus, so werden die, welche wir über sechs +Monate machen können, von neuem in derselben Progression schlechter +sein! Dies ist mathematisch nothwendig.</p> + +<p>Ich will es nicht versuchen, Sie durch irgend weitere und andere +Mittel, als es die vorstehend gegebene einfache Exposition aller +Verhältnisse gewesen ist, überreden und bestimmen zu wollen! Sie sind +zu einsichtsvoll, um nicht die Lage der Dinge zu würdigen, und zu +edel, um mich zur Verzweiflung treiben und vindicativen Gesinnungen +Gehör geben zu wollen. Sollten Sie einen unserer Vorschläge annehmen, +so wird der Betrag nach Regulirung der Rechnung augenblicklich nach +empfangener Nachricht, die Sie gefälligst Herrn Mitzky mittheilen +wollen, baar angewiesen oder bezahlt.</p></blockquote> + +<p>Dieser Brief blieb nicht ohne Erfolg, und Richter nahm in der Hauptsache +die ihm gemachten Vorschläge an.</p> + +<p>Brockhaus hatte so nach der Rückkehr von der leipziger Ostermesse +des Jahres 1811 zum ersten male nach langer Zeit die Beruhigung, +wieder festen Fuß fassen zu können. Die Regelung einiger anderer +Rechnungsverhältnisse (namentlich mit der J. G. Cotta'schen Buchhandlung +in Tübingen, Friedrich Vieweg in Braunschweig und Heinrich Gräff in +Leipzig) zog sich noch bis zur Ostermesse 1812 hin, ohne indeß den +Wiederbeginn seiner Thätigkeit zu stören.</p> + +<p>Daß aber Brockhaus seines (auch in dem eben mitgetheilten Briefe +gegebenen) Versprechens eingedenk war und dasselbe im vollsten Sinne des +Wortes einlöste, zeigt der von einem angesehenen leipziger Advocaten +unterm 15. März 1820 an Brockhaus' frühere Creditoren in dessen Auftrage +gerichtete Circularbrief, welcher der Zeit vorgreifend gleich hier +folgen möge:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_246" id="Seite_246">[246]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Ich bin von Herrn Brockhaus hier mit einem Auftrage beehrt worden, +dessen ich mich hierdurch mit besonderm Vergnügen entledige.</p> + +<p>In den Jahren 1811-1812 kam, wie Sie sich erinnern werden, das +Geschäft unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam, +aus Ursachen mancherlei Art in die unangenehme Lage, seine Creditoren +um Nachsicht bitten zu müssen. Diejenigen derselben, welche diese +Nachsicht zugestanden, wurden innerhalb eines Jahres vollständig +befriedigt. Ein anderer Theil, wozu auch Ew. Wohlgeboren gehörten, +lehnte diese Nachsicht ab und zog die ihnen gegebene Alternative vor, +gegen gleich baare Zahlung einen Theil ihrer Forderungen freiwillig +aufzuopfern.</p> + +<p>Zur Findung der hierzu erforderlichen Fonds wurde das +Sortimentsgeschäft der gedachten Firma für die Summe von 7000 Gulden +und mit einem Verluste von wol 30000 Gulden verkauft, ein Umstand, den +ich wie den, daß die im Laufe von 1811 nachgelieferten und während +1810 theilweise zurückgehaltenen Journale vom Jahre 1810 am Ende nicht +mehr in Holland, das in der Zwischenzeit die französischen Gesetze +bekommen hatte, eingeführt werden konnten und sämmtlich confiscirt +wurden, welches einen Verlust von abermals gegen 5000 Gulden an +Journalcontis nach sich zog, zur richtigen Beurtheilung der damaligen +Verhältnisse mir besonders deshalb anzuführen erlaube, weil dieses +amsterdamer Sortimentsgeschäft und was damit verbunden, eigentlich den +Kindern erster Ehe des Herrn Brockhaus hätte zugewendet werden müssen, +Herr Brockhaus es aber verlangte, daß es auf diese Weise verwendet +wurde.</p> + +<p>Herr Brockhaus war der Chef der gedachten Firma sowie der alleinige +bekannte Eigenthümer derselben gewesen. Nach dieser Stockung hörte +die alte Firma auf, und das Geschäft wurde unter dem Namen des Herrn +Brockhaus und von jetzt an für seine alleinige Rechnung fortgesetzt.</p> + +<p>Es war von jeher die Absicht des Herrn Brockhaus, jene Nachlasse, ob +sie gleich freiwillig zugestanden waren und eine einjährige Nachsicht +sie ganz überflüssig gemacht und auch jenes Geschäft gerettet hätte, +unter günstigern Umständen nachzuberichtigen, und er hat auch +diejenigen, welche ihm eine höhere moralische Verbindlichkeit zu haben +schienen, successive längst beseitigt und vollständig liquidirt.</p> + +<p>Gegenwärtig, nachdem auch seine Kinder erster Ehe vorab für jene +Verluste beim Verkauf des amsterdamer Geschäfts vollständig von +ihm entschädigt worden sind, hat er infolge jener Absicht sich +entschlossen, diejenigen Nachlasse, welche in gedachten Jahren der +Firma des Kunst- und Industrie-Comptoirs zugestanden und die noch +nicht von ihm ersetzt worden, ohne Ausnahme und mit den Zinsen, vom 1. +Januar 1813 an gerechnet, sämmtlich nachzuliquidiren, und ich bin in +Gemäßheit<span class="pagenum"><a name="Seite_247" id="Seite_247">[247]</a></span> dieses Vorsatzes beauftragt, Ew. Wohlgeboren, welche sich +in diesem Fall befinden, über den damaligen Abschluß der Rechnung mit +dem Kunst- und Industrie-Comptoir um einen Abzug <span class="antiqua">in duplo</span> zu +ersuchen.</p> + +<p>Ich habe diese Notification folgenden Handlungen zu machen (folgen +die betreffenden Namen), indem diese, soviel Herrn Brockhaus bewußt, +die einzigen sind, gegen welche noch Verbindlichkeiten der gedachten +Art zu erfüllen wären. Da Herrn Brockhaus es beehrgeizt, daß auch +Niemand jetzt übergangen bleibe, so wünscht er, daß, im Fall Ihnen +noch Jemand bekannt sei, der hier nicht genannt ist und sich im +gleichen Falle befinde, Sie diesen veranlassen möchten, sich mir zu +erkennen zu geben.</p> + +<p>Weil diese Angelegenheit sich nicht durch die Handlungsbücher des +Herrn Brockhaus ziehen läßt, sondern von ihm privatim liquidirt wird, +so wollen Ew. Wohlgeboren Ihre Mittheilungen darüber nebst den schon +gedachten Auszügen auch nicht direct an Herrn Brockhaus, sondern an +mich adressiren, wie Sie denn auch durch mich späterhin nach erfolgter +Verification die Valuta erhalten werden ....</p> + +<p>Herr Brockhaus theilt Ihnen zugleich seinen aufrichtigen Wunsch mit, +daß, was zwischen Ihnen und ihm in jener Vergangenheit liege, und +das, wo man sich gegenseitig möge oder könne gekränkt haben, rein und +völlig vergessen sei oder es werde.</p> + +<p>Er ersucht Sie, ihm dieselben wohlwollenden und freundschaftlichen +Gesinnungen zu widmen, welche er gegen Ew. Wohlgeboren zu hegen +vollkommen geneigt ist.</p></blockquote> + +<p>Dieses Schreiben bildet wol den würdigsten und versöhnendsten Abschluß +der Sturm- und Drangperiode in Brockhaus' Leben und bedarf keines +weitern Commentars von unserer Seite; wir versagen uns deshalb auch die +Wiedergabe der ebenso große Ueberraschung als Befriedigung zeigenden +Antworten, die darauf von allen Seiten eingingen.</p> + +<p>Als jenes Schreiben in seinem Auftrage erlassen wurde, hatte Brockhaus +allerdings Altenburg schon wieder verlassen und war in dem Hafen +angelangt, der den Ziel- und Endpunkt seiner Lebenswanderungen bilden +sollte.</p> + +<p>Bevor wir ihm aber dahin, nach Leipzig, folgen, haben wir die von ihm +dauernd in Altenburg zugebrachte Zeit vom Frühjahre 1811 bis Ostern 1817 +mit ihm zu durchleben.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Blicken wir vorher noch einmal zurück auf die anderthalb Jahre, welche +Brockhaus seit dem Tode seiner Frau bis zur Fest<span class="pagenum"><a name="Seite_248" id="Seite_248">[248]</a></span>setzung in Altenburg +verlebte, so erfüllt uns gewiß ebenso reges Mitleid mit seinen +Schicksalen als volle Anerkennung der Energie, mit der er diese zu +überwinden verstand. Er hatte die schwersten innern Kämpfe zu bestehen +und gleichzeitig um seine äußere Existenz zu ringen, aber aus beiden +Kämpfen ging er endlich doch siegreich hervor. Seinen Hauptzweck: das +amsterdamer Geschäft zu verkaufen und sich bleibend in Deutschland +niederzulassen, hatte er wenn auch mit schweren Opfern erreicht; er +hatte mit der Vergangenheit abgeschlossen und konnte ein neues Leben +beginnen.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_249" id="Seite_249">[249]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h2><a name="Vierter_Abschnitt" id="Vierter_Abschnitt">Vierter Abschnitt.</a> +<br /> +In Altenburg. +</h2> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_250" id="Seite_250">[250]</a></span></p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_251" id="Seite_251">[251]</a></span></p> + +<h3><a name="Chapter4-1" id="Chapter4-1">1.</a> +<br /> +Neues Leben. +</h3> + +<p class="start-chap">Mit der Rückkehr von der leipziger Buchhändlermesse nach Altenburg im +Mai 1811 beginnt ein neuer Abschnitt in Brockhaus' Leben und Wirken.</p> + +<p>Ein von ihm am 21. Mai geschriebener Brief, an Bornträger, der zur +vollständigen Abwickelung der alten Verhältnisse noch in Amsterdam +geblieben war, zeugt nach langer Zeit zum ersten male wieder von +besserer Stimmung, von wiedergewonnenem Vertrauen auf die eigene Kraft +und von energischer Wiederaufnahme der verlegerischen Thätigkeit.</p> + +<p>Mit diesem Tage beginnt auch das erste im Besitz der Firma befindliche +Copirbuch seiner Geschäftsbriefe; ebenso sind die an ihn in +Geschäftsangelegenheiten gerichteten Briefe erst von dieser Zeit an +vorhanden.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Altenburg, das von dieser Zeit an sechs Jahre hindurch (bis Ostern +1817) Brockhaus' bleibenden Aufenthalt bildete, war damals nicht +Residenz, was es erst 1826 als Hauptstadt des der Regentenfamilie +von Sachsen-Hildburghausen zugefallenen selbständigen Herzogthums +wurde. Das Land Altenburg war zwar auch bis dahin ein selbständiges +Fürstenthum, aber mit Gotha durch eine Art Personalunion zu dem +Herzogthum Sachsen-Gotha-Altenburg verbunden. Der gemeinschaftliche +Herzog Emil August residirte in Gotha, doch hatte Altenburg eine +gesonderte Gesetzgebung<span class="pagenum"><a name="Seite_252" id="Seite_252">[252]</a></span> und Verwaltung, eigene Landstände und +Centralbehörden (Landesregierung, Kammercollegium, Consistorium +u. s. w.). Aus diesen eigenthümlichen Verhältnissen erklärt sich das +rege geistige Leben, das in diesen Jahren in Altenburg herrschte. +Der selbst geistig hervorragende Herzog hatte bedeutende Männer +an sich herangezogen, und diese bewegten sich, entfernt von den +unmittelbaren Einwirkungen einer fürstlichen Hofhaltung, um so freier. +Der Kammerpräsident, spätere Minister Hanns von Thümmel, Bruder des +Dichters und frühern sachsen-koburgischen Ministers Moritz August +von Thümmel, zeichnete sich durch geniale gesetzgeberische und +Verwaltungsthätigkeit aus; der Kanzler und Minister von Trützschler +durch juristische Werke; der Kammerrath, spätere Minister Bernhard +von Lindenau durch astronomische Werke und landständische Wirksamkeit +im liberalen Sinne. Andere hervorragende Mitglieder der altenburger +Gesellschaft waren: Generalsuperintendent Demme, Superintendent +Schuderoff, Gymnasialdirector Professor Matthiä (Verfasser der +bekannten griechischen Grammatik), Gymnasialprofessor Messerschmidt, +Kammerverwalter Ludwig, Regierungssecretär Hofrath Brümmer, Hofadvocat +Friedrich Ferdinand Hempel (durch seine satirischen Schriften unter +den Pseudonymen Spiritus Asper, Peregrinus Syntax u. s. w. bekannt), +Kammersecretär Lüders, Hofrath Buddeus, Geh. Kammerrath Zinkeisen, +Hofrath <span class="antiqua">Dr.</span> Pierer (Inhaber der Hofbuchdruckerei), endlich der +Bankier, spätere Geh. Finanzrath August Reichenbach.</p> + +<p>Hauptmittelpunkte des geistigen und geselligen Verkehrs bildeten die +Häuser von Ludwig und Reichenbach, besonders durch die denselben +angehörenden geistvollen Frauen: die Gattin Ludwig's nebst ihrer +unverheiratheten Schwester, die drei Schwestern Reichenbach's, Frau +Hoffmann, Frau Klein und Frau Hofräthin Pierer, und Karoline Hempel, +die Schwester Ferdinand Hempel's. Man lebte überaus gesellig und +veranstaltete oft Bälle, Concerte und Theateraufführungen, während die +Männer auch noch allein zu geistigem Verkehre zusammenkamen.</p> + +<p>In diesen Kreis, dessen Mitglieder uns zum Theil schon früher begegnet +sind, war Brockhaus gleich nach seiner Ankunft aufgenommen worden und +bildete bald einen Mittelpunkt desselben.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_253" id="Seite_253">[253]</a></span></p> + +<p>Frau Professor Luise Förster in Dresden, die Gattin Karl Förster's und +Schwester Ernst und Friedrich Förster's, theilt uns über diesen Kreis, +dem sie in ihrem älterlichen Hause ebenfalls angehörte, Folgendes mit:</p> + +<blockquote> + +<p>Obschon Brockhaus als ein Fremder in Altenburg eintrat, wurde +er doch bald als ein willkommener Einheimischer betrachtet; sein +gediegener Charakter, eine tiefgehende Humanität, vielseitige +Kenntnisse, das ernste Streben, der Wissenschaft und durch dieselbe +allem Guten und Schönen förderlich zu werden, dabei ein nie +verletzender Humor, zu welchem eine gewinnende Persönlichkeit sich +gesellte, alle diese Vorzüge waren bald erkannt, und Brockhaus wurde +der Mittelpunkt der gebildeten kleinen Welt in Altenburg. Zu seinem +nähern Umgang gehörten: Hofrath Pierer, Professor Messerschmidt, +Ludwig, Brümmer, Hempel (Spiritus Asper), Bankier Reichenbach, +Königsdörfer, Minister von Thümmel und dessen Bruder, der durch +seine Schriften bekannte Moritz von Thümmel; auch der hochgeachtete +Generalsuperintendent Hermann Demme, durch seine literarische +Thätigkeit bekannt und gepriesen, stand dem geistverwandten Brockhaus +nicht fern. Der Umgang mit diesen Familien, wo das seichte Salonleben +weder unter Männern noch Frauen sich einbürgern konnte, war für +Brockhaus zusagend; er war für den geistigen Austausch in diesen +Kreisen das belebende Element, und obschon die zartern Formen der +Weltbildung ihm wol angeboren waren, so konnte man doch annehmen, daß +Goethe's Worte im »Tasso«:</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">Willst du genau erfahren, was sich ziemt,<br /></span> +<span class="i0">So frage nur bei edeln Frauen an,<br /></span> +</div></div> + +<p>ihm ein treuer Wegweiser für geselligen Umgang waren.</p> + +<p>Der erwähnte kleine Kreis, welcher sich fast in jeder Woche einmal +vereinigte, wurde von den jenem Kreise Fernstehenden nicht ohne Ironie +die »Theegesellschaft« genannt; vielleicht auch, weil in jener Zeit +der Genuß des Thees, den nur die höhere Gesellschaft sich erlaubte, +als ein ungewöhnlicher, aber »matter« Luxus bezeichnet wurde.</p></blockquote> + +<p>Besonders fühlte sich Brockhaus von der Ludwig'schen Familie angezogen, +der er zunächst durch geschäftlichen Verkehr mit Ludwig, als dem Curator +der Hofräthin Spazier, näher getreten war. Als er Anfang März Altenburg +plötzlich verließ, um nach Amsterdam zu reisen, drängte es ihn, noch von +Halle aus Frau Ludwig seine Empfindungen darüber auszusprechen. Dieser +spät in der Nacht vor der Weiterfahrt geschriebene Brief lautet:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_254" id="Seite_254">[254]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Ich wage es drauf, verehrteste Frau, und möchte ich auch +dafür ein wenig unbescheiden gehalten werden, Ihnen selbst und +ohne Vermittelung, die doch immer in etwas die Lebendigkeit der +Gedankenmittheilung unterbricht, zu sagen, wie sehr Sie und alle +Theile und Bilder Ihres würdigen Hauses mich beschäftigen, und +wie sehr es mein Wunsch ist, auch Ihnen Allen, die diesen schönen +Lebensverein bilden, in recht gutem Andenken zu bleiben. Ich kann +Ihnen die Empfindungen nicht durch Worte, noch weniger durch +Schriftzüge ausdrücken, die ich hatte, als ich Sonntag Morgen Ihnen, +Ihrer Schwester, Ludwig Lebewohl sagte. Es war mir, als hätte ich +für immer mit Ihnen Allen gelebt (so nahe fühlte ich mich Ihnen), +und wieder, als sei meine Trennung von Ihnen für ewig, so sehr +ergriff es mich. Wer weiß es auch, wie das Schicksal mein nun lange +her verworrenes Leben weiter noch verwirren will, oder auch, dies +ist ein Lichtstrahl durch den für mich umzogenen Himmel, ob sich +jetzt vielleicht Fäden zeigen werden, an die sich eine neue und +schöne Zukunft binden könnte. Seit dem 8. December — es sind nun 15 +Monate — wo ich das Theuerste verlor, was ich auf Erden hatte, und +von welchem Tage an mein Leben sich auch verwirrte, habe ich keine +andern <em class="gesperrt">rein</em> glücklichen Stunden gehabt als die, welche ich +in Ihrem Anschauen, verehrte Frau, in der Betrachtung und Würdigung +Ihrer himmlischen Anmuth und Ihres Edelsinns gehabt habe. Aus +diesem Gesichtspunkte genommen könnte ich diese so unglückschwanger +gewesene Zeit selbst für einen schönen Zeitraum halten, und auch ohne +diesen meinen höchsten Schwung der Empfindung gibt es noch andere +Standpunkte, aus welchen ich diese Zeit für sehr reich — für üppig +reich selbst — für mein geistiges Dasein halten muß. Ich habe in den +fünf Monaten meines altenburger Aufenthalts geistig mehr gelebt und +erlebt, als manchem Erdenkinde im ganzen Leben oft beschieden wird, +und wenn auch das Unglück sich über mich in demselben erschöpfen zu +wollen schien, so hat es doch auch wieder einen Reichthum in sich +gehabt, daß mir das Unglück selbst fast theuer geworden ist durch den +Umfang der Erfahrungen und Beobachtungen, die ich in demselben habe +machen müssen, und durch die Gelegenheit, die ich in ihm gefunden +habe, Sie, verehrte Frau, Ihre vortreffliche Fräulein Schwester, dann +die lebenskluge und herrliche Karoline, und von Männern Ludwig und +Hempel näher kennen zu lernen. Ich werde nie vergessen, in welche +Lage des Lebens ich auch möge versetzt werden, was ich Ihnen Allen, +besonders auch Ihrem edeln Manne und dem von mir sehr hochgehaltenen +Ferdinand (Hempel) schuldig bin, und mein Leben wird immer dem +lebhaftesten Danke geweiht sein.</p> + +<p>Leben Sie wohl. Möge ich bald zu Ihnen zurückkehren können! Ihrer +von mir sehr verehrten Schwester die herzlichste Empfehlung.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_255" id="Seite_255">[255]</a></span></p> + +<p>In anderer Weise bezeichnend für Brockhaus' Schreibweise und für den +in dem altenburger Kreise herrschenden Ton ist folgender Brief, den er +einige Tage darauf, am 8. März, aus Osnabrück an Ludwig richtete:</p> + +<blockquote> + +<p>Dem Himmel sei Dank, liebster Ludwig, mehr als zwei Drittel der +schweren Reise, nämlich 55 Meilen, sind zurückgelegt in den noch +nicht 4½ Tagen. Ich bin im Wesentlichen nie so schnell gereist +als diesmal. Den Montag vertrödelte ich nämlich ganz auf den wenigen +Meilen bis Leipzig und in Pourparlers mit meinem Commissionär, den ich +erst in Greudniz (Reudnitz) und nachher wieder in Leipzig sprach. Erst +um 8 Uhr abends kam ich von Leipzig weg.</p> + +<p>Jetzt aber hätte ich auf den Flügeln des Sturmwindes mein Ziel +ereilen mögen! Ich fand jedoch so viele prosaische Hindernisse +an grundlosen Wegen, schlechten Pferden, groben Postmeistern und +betrunkenen Postillonen, die meine poetische Eile gar nicht verstehen +wollten, daß ich nur durch große Resignation auf Alles, was zur +Restauration und zur Bequemlichkeit des äußern Lebens gehört, und mit +Unterstützung der gegenwärtig wirklich sehr guten neuen westfälischen +Postordnung — wenn der Reisende auf die Ausführung dringt! — es so +weit habe bringen können, jetzt schon hier zu sein. Aber ich habe +mich auch was geeilt, lieber Ludwig. Nur immer vorwärts, dachte ich, +um schnell wieder rückwärts zu kommen zu den biedern Altenburgern. +Kein Abenteuer ist also bestanden, denn daß ich einmal bin umgeworfen +worden und die elende Postchaise in tausend Stücke, ich aber in +heiler Haut davonging, ob es gleich possirlich genug war, wie es +hätte gefährlich sein können, ist nicht dahin zu rechnen. Nach keiner +Merkwürdigkeit habe ich mich umgesehen, keinen berühmten Mann habe +ich besucht, kein bedeutendes Wort habe ich sprechen hören, und ich +würde wahrlich in Verlegenheit sein, wie ich eine Reisebeschreibung +auch nur im kleinsten Sedez zu Stande bringen sollte. Da stehe ich +recht beschämt vor meinem weiland Collegen, dem großen Nicolai, der +über Nürnberg, wo er eine Nacht schlief, einen dicken, dicken Band von +500 Seiten schrieb, und ich stehe auch neidisch gegen einen Spiritus +Asper, der über eine kleine Reise um seinen kleinen winzigen Tisch<a name="FNAnker_47_47" id="FNAnker_47_47"></a><a href="#Fussnote_47_47" class="fnanchor">[47]</a> +mehr Merkwürdiges und Geistreiches sagen wird als ich, wenn ich eine +Reise um die Welt machen und sie beschreiben sollte. Phantasie und +Reflexionen, wie Sie, liebster Ludwig, uns solche in so besonnener +Form gegeben — oft zu besonnener, denn beim Reisen wie beim Leben +muß es oft heißen: <span class="antiqua">desipere in loco</span> — sind mir nun vollends +gar nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_256" id="Seite_256">[256]</a></span> viele in den Kopf gekommen, wie ich es ehrlich gestehen +will. Es muß mir am Zeuge dazu, den Gattungen selbst, wol ganz fehlen. +Hätte ich von meiner <span class="antiqua">étourderie</span>, denke ich mir, so 'nen vierten +Theil, und wäre es auch ein volles Drittel, weniger, und könnte +ich mir dagegen so ein Portiönchen Reflexion erkaufen! Von meiner +Leidenschaftlichkeit könnte ich wol gar die Hälfte missen, wenn ich +sie auch mit 50% Verlust gegen 25% Phantasie eintauschen könnte. Einen +Tausch, lieber Ludwig, will ich Ihnen nicht vorschlagen, weil meine +Waare eigentlich nicht, wie die Holländer sagen, <span class="antiqua">puyk puyk</span> +(fein, auserlesen) ist; eher möchte ich ihn mit einem unserer modernen +Philosophen und Aesthetiker machen, die mir denn ihre Reste überließen +und von dem, was sie dagegen von mir erhielten, dann rein toll würden +werden.</p> + +<p>Was ich gethan habe denn eigentlich? Antwort: so viel geschlafen als +möglich, aufrichtig gesprochen. Mit dem Denken in der kalten feuchten +Luft, auf einem offenen Karren, auf harten Bänken sitzend, erfroren +und erstarrt am ganzen Leibe, zerrüttelt und zerstoßen auf den +Chausseen, in den Koth sinkend auf den Landwegen, miserabel gefüttert +und getränkt in den Gasthöfen — so will's bei mir wenigstens mit dem +Denken gar nicht recht fort. Ich habe darin Sancho Pansa's Natur. +Eine gemeine. Ich denke nicht besser und lieber als hinterm warmen +Ofen, auf 'm weichen Sofa, oder am fein besetzten Tische und beim +vollen Becher. Hätte ich Ihres edeln Freundes, des Herrn Reichenbach, +bequemen Wagen und seinen herrlichen Burgunder, von dem er die Güte +hatte mir in Lobstädt bis zum Ueberflusse mitzutheilen, zu meiner +Disposition gehabt, d. h. hätte ich auf der Reise immer in seinem +Wagen gesessen und immer so 'nen Burgunder im beständig gefüllten +Flaschenfutter gehabt, ich glaube, ich würde dann auch ganz prächtige +Gedanken gehabt oder doch bekommen haben.</p> + +<p>Das Posthorn ertönt, für mich wie auch für Sie wol eine +Sphärenmusik, und ich muß also schließen. Ich bin — ernst gesprochen +— außerordentlich fatiguirt, von dem schon viernächtigen Durchfahren +besonders. Es ist, weiß Gott, kein Spaß. So Gott will, bin ich Sonntag +früh in Amsterdam. Dienstag schreibe ich Ihnen von dort. Könnten nur +die Briefe immer in der Minute dort sein, wenn sie geschrieben sind. +Ist es nicht, als ob ihr Geist oft durch die lange Reise entflöge?</p> + +<p>Die herzlichsten Grüße an den großen Theoretiker, der so wenig +Uebung im Praktischen hat, an Muhme Morgenroth, die, wie Fielding +oder Rebhuhn im »Tom Jones« von Garrick sagte, recht garstig war, und +der Mamsell Sophie, die für ihren Muthwillen schon noch wird bestraft +werden. Adieu lieber, lieber Ludwig.</p></blockquote> + +<p>Von Amsterdam aus schrieb Brockhaus an die Freunde in Altenburg +mehrere Briefe, aus denen wir schon früher Manches<span class="pagenum"><a name="Seite_257" id="Seite_257">[257]</a></span> mittheilten. In +einem derselben sagt er, daß er gern ausführliche Briefe schreibe: +eine bekanntlich der ganzen damaligen Zeit eigenthümliche Liebhaberei, +der wir aber sehr werthvolle Beiträge zu seiner Biographie verdanken; +auch scheint es uns, daß er darin eine besondere Geschicklichkeit +entwickelte, sodaß seine Briefe oft als Muster ihrer Art gelten können +und man bisweilen denken könnte, sie seien ursprünglich für den Druck +bestimmt gewesen, was sicher nicht der Fall war. In demselben Briefe ist +eine Begegnung mit Klopstock erwähnt, von der uns sonst nichts bekannt +ist; da Klopstock bereits am 14. März 1803 starb, muß sie noch vor +Brockhaus' amsterdamer Aufenthalt oder während desselben stattgefunden +haben, wahrscheinlich durch den gemeinschaftlichen Freund Beider, Karl +Friedrich Cramer, veranlaßt.</p> + +<p>Die betreffende Stelle des am 22. März an Frau Ludwig gerichteten Briefs +lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Ob ich gleich hoffen darf, Sie, verehrte edle Frau, nicht viele Tage +später, als dieser Brief Ihnen kann zu Händen kommen, von Angesicht zu +Angesicht persönlich wiederzusehen und Ihnen meine Ergebenheit fürs +Leben zu bezeugen, so kann ich mir das Vergnügen doch nicht versagen, +bis dahin mich noch einmal mit Ihnen durchs Medium schriftlicher Worte +zu unterhalten. Ich liebe dieses Medium oft mehr als das der Rede +von Munde zu Munde. Es ist eine Art von Krankheit selbst, und ich +schreibe oft lieber einen eine ganze Seite langen Brief, ehe ich mich +entschließe, zwanzig Schritte zu gehen und dasselbe mit zwei Worten zu +sagen.</p> + +<p>Rousseau erzählt in den »<span class="antiqua">Confessions</span>« von Jemandem, der seine +Geliebte verließ, um — ihr schreiben zu können. Das kommt mir nun +sehr möglich vor. Mir fällt dabei eine Anekdote ein, die mir Klopstock +mal erzählte, und die ich Ihnen so gut wiedergeben will, als ich es +noch vermag.</p> + +<p>Klopstock haßte nichts so sehr als das Briefschreiben. Es war seine +Schooßsünde oder, wie er sagte, seine Schooßtugend. Freilich, hätte +er darin sehr ordentlich sein wollen, so würde sein ganzes Leben nur +eine lange Correspondenz gewesen sein. Genies müssen sich mit solchen +kleinen Geschäften des menschlichen Lebens nicht befassen. Die Materie +des Briefschreibens war daher häufig eine der gewöhnlichsten seines +Scherzes und seiner Persiflage. Besonders mußten die Stolberge viel +darüber herhalten. Das Briefschreiben war und ist wol noch der ganzen +Familie wie angeboren, besonders dem Aeltesten Christian und<span class="pagenum"><a name="Seite_258" id="Seite_258">[258]</a></span> der +Schwester Augusta Gräfin Schimmelmann. Feder und Tinte! — erzählte +Klopstock nun — ist das Erste, wonach der ruft, sobald er in ein +Wirthshaus tritt. Zu Hause, auf Reisen, wo es auch sei! Schreiben Sie +ihnen, und Sie haben den ersten Posttag Antwort. Die Gräfin Augusta +— vom Morgen bis im Abend laufen die Depeschen bei ihr ein, wie bei +einem Staatsminister, und werden sorgfältiger abgefertigt als in einer +Kanzlei.</p> + +<p>Letzthin allegorisirte ich darüber mit Tellow (der Liebesname seines +und meines Freundes Cramer).</p> + +<p>Wo ist nun die Gräfin wieder? fragte ich (Klopstock).</p> + +<p>Cramer: Oben; schreibt Briefe.</p> + +<p>Klopstock: Das ist wahr! Die Stolbergs! Sie liegen am Briefschreiben +recht krank danieder.</p> + +<p>Cramer: Freilich, es ist eine Krankheit zum Tode.</p> + +<p>Klopstock: O! sie sind schon gestorben.</p> + +<p>Cramer: Und begraben dazu.</p> + +<p>Klopstock: Was? Sie sind schon auferstanden.</p> + +<p>Cramer: Ei! sie sind schon selig.</p> + +<p>Klopstock: Ja, nun — kann ich nicht weiter.</p> + +<p>Hierüber kommt die Gräfin herunter.</p> + +<p>Wir sprachen, sagt ihr Klopstock, eben zusammen von Ihrer Krankheit, +Ihrem Begräbniß, Ihrer Auferstehung, Ihrer Seligkeit!</p> + +<p>Wie so?</p> + +<p>Ja, gestehen Sie es nur, schöne Gräfin, Ihr Briefschreiben ist doch +eine wahre Krankheit, eine Schwachheit, eine Seuche!</p> + +<p>Sie mögen aber doch wol selbst gern Briefe haben?</p> + +<p>Das mag ich wohl; — o, das Briefe<em class="gesperrt">lesen</em> ist eine +ganz vortreffliche Sache; aber das <em class="gesperrt">Schreiben</em>! Es ist +eine Schwachheit, ein Fehler, sage ich, aber eine nicht eben +unliebenswürdige Schwachheit! Wenn sich die Briefe, die Antworten +wenigstens, nur selbst schrieben!</p> + +<p>Meine Anekdote ist zu Ende. Die mußte man freilich von Klopstock +selbst erzählen hören!</p></blockquote> + +<p>In einem spätern Briefe, vom 30. März, an Ludwig findet sich eine +hübsche Stelle, die unter Weglassung anderer nicht hierher gehöriger +Bemerkungen hier noch folgen möge:</p> + +<blockquote> + +<p>Bald, vielleicht wenige Stunden später, als Sie diese Zeilen +erhalten, drücke ich Sie an meine Brust und sage Ihnen mündlich, +wie sehr ich Sie liebe und verehre. Mehr wie je. Es ist mit der +Freundschaft wie mit der Liebe. Die Entfernung tödtet schwache, sie +stärkt die echte und wahre. Den Frauen Ihres Hauses küsse ich mit +Verehrung die schönen Hände.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_259" id="Seite_259">[259]</a></span></p> + +<p>Aus Amsterdam und dann von der leipziger Messe nach Altenburg wieder +zurückgekehrt, schreibt Brockhaus in dem schon erwähnten Briefe vom 21. +Mai an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Meine freundschaftlichen Verhältnisse mit Ludwigs, Hempels und +Andern dauern ununterbrochen fort und consolidiren sich selbst immer +mehr. Seit einer Reihe von Jahren ist dieser Sommer der erste, wo +ich meines Lebens wieder froh bin. Die Pfingstfeiertage werde ich +mit meinen Freunden eine Tour nach Dresden machen. Fritz und Lina +sind in demselben Hause, wo ich wohne, in Kost und unter Aufsicht. +Wahrscheinlich werde ich Fritz, um ihm mehr Reibung zu geben, hier +in der Nähe in ein sehr gutes Institut thun. Lina behalte ich aber +bei mir. Was aus Sophiechen werden soll? Ich habe von Ihnen beständig +Nachricht erwartet über ihre Unterbringung in dem Dorfe bei Muiden. +Wo das arme Kind gut ist, da ist es mir recht bis dahin, daß ich es +von dort zu mir nehmen kann. Wäre es einmal hier, so wäre es gut +aufgehoben. Aber wie hierher bringen?</p></blockquote> + +<p>Die für die Pfingstfeiertage 1811 beabsichtigte Reise mit Ludwigs nach +Dresden fand erst Mitte Juli statt. Brockhaus hatte von derselben +vielen Genuß, besonders von dem Aufenthalte in Dresden selbst, das er +wol zum ersten male sah, »dieser an Kunstschätzen und Naturschönheiten +einzigen Stadt«, wie er schreibt, ebenso von dem Zusammentreffen mit +interessanten Leuten. Unter diesen nennt er einen Baron von Heinse +aus Lübeck, mit dem zusammen er Ludwigs, die sich in Dresden von ihm +getrennt hatten, um einen längern Aufenthalt in dem Bade Teplitz zu +nehmen, dort besuchte und dann nach Dresden zurückkehrte. Anfang August +war er wieder in Altenburg, während Ludwigs erst am 4. September wieder +dort eintrafen. Die Schwester von Frau Ludwig, Jeannette von Zschock, +hatte nebst ihrer Freundin Karoline Hempel ebenfalls an der Reise nach +Dresden und Teplitz theilgenommen, Beide waren aber, wie es scheint, in +Brockhaus' Begleitung gleich mit nach Altenburg zurückgereist.</p> + +<p>Diese gemeinschaftliche Reise und die unmittelbar darauffolgende Zeit +brachten in Brockhaus einen Entschluß zur Reife, den er schon lange +mit sich herumtrug und der auch oft zwischen den Zeilen seiner von +uns mitgetheilten Briefe an Herrn und Frau Ludwig durchschimmert: er +verlobte sich mit Jeannette von Zschock, und der<span class="pagenum"><a name="Seite_260" id="Seite_260">[260]</a></span> Verlobung, die nach +der Rückkehr ihrer Schwester und ihres Schwagers zuerst nur im Stillen +gefeiert, bald darauf aber auch öffentlich erklärt wurde, folgte gegen +Ende des nächsten Jahres die Verheirathung.</p> + +<p>Jeannette von Zschock (mit ihren vollen Vornamen Johanne Charlotte Luise +Rosine, aber gewöhnlich nur die französische Form des erstern führend) +war am 7. September 1775 in Offenbach geboren und lebte seit dem Tode +ihrer Mutter und ihres Vaters, der Rittmeister in schwäbischen Diensten +gewesen war, bei ihrer Schwester in Altenburg. Sie stand bei ihrer +Verlobung im siebenunddreißigsten Lebensjahre, Brockhaus im vierzigsten.</p> + +<p>Die einzigen Mittheilungen über die mit der Verlobung zusammenhängenden +Umstände finden sich wieder in einem Briefe von Brockhaus an Bornträger. +Er schreibt diesem aus Altenburg vom 30. August 1811:</p> + +<blockquote> + +<p>Heute endlich die Beantwortung Ihrer mehrmals geäußerten Wünsche, +mein jetziges inneres Leben zu kennen, meine Verhältnisse hier zur +Welt, zu meinen Freunden. Je wichtigere Nachrichten ich Ihnen über das +Höchste im Leben mitzutheilen habe, je mehr haben Sie Recht, darüber +etwas zu wissen, da Sie mit seltener Freundschaft mein Schicksal +theilen. Es hat sich in diesen Tagen viel entschieden.</p></blockquote> + +<p>Hier folgt die früher schon mitgetheilte Stelle über die in dieser Zeit +von der Hofräthin Spazier gemachten neuen Anknüpfungsversuche, und daran +schließen sich folgende von uns dort absichtlich noch weggelassenen +Worte:</p> + +<blockquote> + +<p>Da aber der Verstand, beleidigte Ehre, Pflichtgefühl und auch zarte +und edle Neigung für ein anderes weibliches Wesen mich stärken und +schützen, so werde ich der Sirenenstimme, die von der Spree her zu mir +herüberschallt, nicht folgen.</p></blockquote> + +<p>Er fährt dann fort:</p> + +<blockquote> + +<p>Mein Verhältniß hier zur Welt ist im ganzen noch dasselbe, wie ich +es Ihnen geschildert. Innige Freundschaft mit allen Gliedern des +Ludwig'schen Hauses ist jedoch das, was mich allein sehr anzieht. +Sie sind es auch allein, die mich ganz verstehen und würdigen. Ich +habe hier nämlich wieder das Schicksal, daß viele Menschen gegen mich +sind, daß mich diese für stolz, üppig, eingebildet und Gott weiß wofür +Alles<span class="pagenum"><a name="Seite_261" id="Seite_261">[261]</a></span> halten, wozu ich freilich durch mein schneidendes, auch oft +sonst nie vorsichtiges Betragen Veranlassung gegeben habe. Ich bin +über die Ursachen und die einzelnen Gravamina lange in Unsicherheit +gewesen, da ich nur die Spuren in den Folgen entdeckte, ohne die +Ursachen errathen zu können, da die Winke, die ich von einer Seite +erhielt, nicht hinreichten, mir die nöthige Aufklärung zu geben. Jetzt +kenne ich aber alle Fäden der geheimsten Verhandlungen darüber und +auch alle Intriguen, die dabei stattgefunden und -finden.</p> + +<p>Mein Genius, der mir jene Winke und jetzt alle Offenbarungen gegeben +hat; der mein Interesse vom ersten Augenblicke, daß ich hier vor einem +Jahre aufgetreten bin, zum eigensten gemacht hat; dem ich und die +Hofräthin alles Gute und Liebe verdanken, das wir hier genossen; der +mich und sie mit gleicher Energie verfochten und vertreten; der durch +einen wunderbar sympathetischen Zug sich zu mir wie ich mich zu ihm +hinneigte, als auch noch nicht die allerentfernteste Möglichkeit da +war, daß je ein näheres Verhältniß eintreten könnte — dieser Genius +ist jenes herrliche Mädchen, Ludwig's Schwägerin, Fräulein Jeannette +von Zschock — seit einer Woche meine still Verlobte! Sie wird mir +fürs Leben angehören, wenn ich es vermag, mein bürgerliches Schicksal +ganz zu ordnen, die Einwilligung Ludwig's und ihrer Schwester, die +noch nicht von Teplitz zurück sind, zu erhalten und die Welt ganz mit +mir zu versöhnen. Wir werden aber Vieles zu kämpfen haben, ehe wir ans +Ziel kommen.</p> + +<p>Unsere Wahlverwandtschaft hat um so weniger unbeobachtet bleiben +können, da durch die Eifersucht der Hofräthin, die zu einer Zeit, +als der Gedanke daran zu den Märchen aus dem Monde gehörte, mich und +die arme Jeannette aufs Blut damit verfolgte, dies unser Verhältniß +die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, da es psychologisch +allerdings höchst interessant war und jetzt von neuem die Behauptung +Schubert's und Anderer gewissermaßen bestätigt, wie diese Art +Nervenkranker die Gabe der Voraussehung und Voraussagung haben. +Außerordentlich ist's, daß sie im Wahnsinn ihres Fiebers prophetisch +Alles ausgesprochen hat. »Ich bin«, sagte sie, indem sie unsere Hände +zusammenlegte, »Donna Elvira, mein Fräulein; ich werde nun gehen«....</p> + +<p>Meinerseits bin ich überzeugt, daß meine Kinder eine vortreffliche +Mutter und Erzieherin, ich eine edle Freundin und treue Genossin +fürs Leben errungen habe, wenn es mir gelingt, unsere Verbindung zu +vollenden. Sie wissen, wie verarmt mein Leben war und wie es das +außerordentlichste Glück ist, wenn ich es auf diese Weise neu und +schön ordnen kann. Ich gedeihe nur in einem edeln Familienkreise, und +ohne solchen bin ich nichts. Und was wird und kann aus meinen Kindern +werden, wenn sie nicht wieder eine edle Mutter finden? Es ist der<span class="pagenum"><a name="Seite_262" id="Seite_262">[262]</a></span> +lebhafteste Wunsch meiner Freundin, die kleine Sophie von Amsterdam +herüberzuhaben, und es werden daher ernste Ueberlegungen stattfinden +müssen, wenn Sie herüberkommen, wie dies zu bewerkstelligen.</p></blockquote> + +<p>Der Schluß des Briefs enthält eine anziehende Schilderung des +altenburger Vogelschießens, eines damals mit weit mehr Glanz als jetzt +gefeierten Volksfestes:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich würde Ihnen diesen Brief schon vor acht Tagen geschrieben +haben, wo er freilich noch nicht so klar und bestimmt hätte melden +können, was er jetzt enthält, wenn nicht in dieser Zeit gerade +das hiesige große Vogelschießen stattgefunden, das jede geregelte +Arbeit beinahe unmöglich macht. Sie können sich keinen Begriff davon +bilden, mit welchem Pompe, mit welchen Feierlichkeiten es begleitet +ist, und wie sich Geschmack und alle schönen Künste vereinigen, die +Belustigungen dabei zu veredeln und zu verschönern. Dies Jahr war +noch eine neue Loge erbaut worden, in der sich nun die Elite der +Gesellschaft versammelte, wo des Morgens <span class="antiqua">Déjeuner dansant</span>, dann +<span class="antiqua">Dîner</span>, Abend <span class="antiqua">Bal paré</span>, Spiel und <span class="antiqua">Souper</span> unter +den Colonnaden des Saals und in den Nebenzimmern war. An einem Tage +in den Zwischenzeiten war noch Lotterie für Damen, an einem andern +Tage Concert. Jeannette gewann auf zwei von mir geschenkte Lose zwei +Ringe! Sie können denken, wie glücklich uns dieser Zufall oder diese +Schicksalsdeutung machte. Blos in dieser Loge speisten gewöhnlich +4-500 Personen. Ich glaube nicht, daß es irgendwo brillantere oder +angenehmere Bälle und Partien geben könnte, als es die hier waren. +Aus der ganzen Gegend bis von Dresden her hatten sich lebenslustige +Fremde in außerordentlicher Zahl eingefunden, die täglich ab- und +zuwogten. Dazu die zahlreichen Buden auf der an einer sanften Anhöhe +gelegenen Vogelwiese, von der man eine wunderschöne Aussicht hat; die +herrliche Witterung, die schönen mondhellen Nächte, der Jubel der +Volksmengen, denen diese Woche das ist, was den Römern ihr Carneval; +das Werfen der Schwärmer, der Raketen, womit sich Jung und Alt +amusirt; das ewige Musiciren von zwanzig Orten her, das Trommeln bei +jedem Schusse, der den Vogel verwundet; die militärische Haltung aller +Freunde und Bekannten, die sämmtlich in ihren ebenso geschmackvollen +als wohlkleidenden Uniformen (dunkelgrün aufs brillanteste mit Silber +gestickt, französischer Offiziersschnitt) mit großen russischen Hüten +und rothen Schwungfedern erscheinen; die geputzten Weiber und Mädchen, +von denen es wimmelt.</p> + +<p>Sie wissen, wie arm man in Holland an allem ist, was Vergnügen +heißt, und Sie können daher denken, wie sehr es auf mich einwirken +mußte.</p> + +<p>Ich war dazu doppelt glücklich, aber auch doppelt mäßig in jedem<span class="pagenum"><a name="Seite_263" id="Seite_263">[263]</a></span> +Genusse, da am Vorabend des Festes meine edle Freundin mir mit ihrem +Herzen auch ihre Hand zugesagt hatte. Das geheimnißvolle Glück, das +eine ausgesprochene edle Liebe begleitet, deren Höhe von keinem Aber +geahndet wurde, goß einen besondern Reiz über unsere beiderseitige +Haltung und Wesen, die von unsern nähern Freunden nicht übersehen +wurde.</p> + +<p>Ich komme nochmal auf unsere Widersacher. Niemand ahndet zwar, daß +zwischen uns eine Erklärung stattgefunden und wir uns Beide vollkommen +verstehen; allein Jeder bemerkt leicht unsere gegenseitige Neigung, +und da ich in allen öffentlichen Orten ihr den Arm gebe, bei Tisch +ihr immer zur Seite bin, jeden ersten Tanz mit ihr tanze, mich <span class="antiqua">par +préférence</span> mit ihr unterhalte, sie beständig nach Hause führe, +so hat man natürlich unsere gegenseitige Neigung nicht übersehen +können, davon abgesehen, daß da, wo ich nicht bin, sie mich hebt oder +nöthigenfalls vertheidigt, wie ich schon oben gedacht habe.</p></blockquote> + +<p>Die weitere günstige Entwickelung der Verlobungsangelegenheit schildert +Brockhaus in einem fernern Briefe an Bornträger aus Leipzig vom 21. +September:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich bin seit meinem vorigen Briefe ein paar mal in Leipzig gewesen, +wo ich auch jetzt mich schon wieder seit acht Tagen befinde, um +mehrere Expeditionen zu beschleunigen und vieles Andere zu reguliren, +da die Niederlage muß geräumt werden und hundert andere Dinge zu thun +sind.</p> + +<p>Seit jenem Briefe hat sich in den dort geschilderten Verhältnissen +viel geändert und zum Guten, sodaß ich hoffen darf, es werde sich +Alles schön und edel lösen. Ludwigs kamen den 4. September zurück. +Ich war in Leipzig und kam erst den 8. wieder nach Altenburg. Meine +Freundin hatte sich ihnen gleich erklärt und mit der entschiedensten +Energie sich ausgesprochen, daß nichts sie zurückhalten würde, +ihr Leben mit dem meinigen zu vereinigen, wenn meine bürgerlichen +Verhältnisse sich ordnen ließen. Ludwigs hatten es gut aufgenommen und +ihr allen Beistand zugesagt.</p></blockquote> + +<p>Zu den »Widersachern«, von denen er mehrfach spricht, gehörte besonders +der mit dem Ludwig'schen Hause eng befreundete Bankier August +Reichenbach. Indessen gelang es Brockhaus und Frau Ludwig, auch ihn zu +gewinnen, ja er wurde ihm bald ein treuer Freund, der ihn auch materiell +durch Credit bei seinen Verlagsunternehmungen unterstützte.</p> + +<p>Wie sehr Brockhaus seine künftige Schwägerin Frau Ludwig<span class="pagenum"><a name="Seite_264" id="Seite_264">[264]</a></span> verehrte, +zeigt folgendes Gratulationsschreiben, das er zu ihrem Geburtstage, 27. +December 1811, an sie richtete:</p> + +<blockquote> + +<p>Als ich vor einem Jahre der »Schönen und Guten« am heutigen Tage +ein Zeichen meiner Verehrung brachte, wie wenig kannte ich da noch +den Umfang Ihres herrlichen Geistes, den Adel Ihrer Seele, die Tiefe +Ihres Gemüths, die Wärme Ihres Herzens, die, zusammen vereint, Sie +zum Stolze und zur Ersten Ihres Geschlechtes machen, und Allen, die +Ihnen nahen und die Ihnen angehören, der sicherste Leitstern sind +fürs eigene Streben. Sie werden heute vielfach begrüßt werden, liebe +Ludwig, und gewiß von Vielen in Liebe und Treue und Wahrheit. Ich +geselle mich zu den Vielen, und in kunstloser Rede sage ich Ihnen +denn auch, Keinem wenigstens an Wahrheit, Treue und Freundschaft +nachstehend, wie sehr ich Sie verehre und wie meine heißesten Wünsche +für Ihr Glück, für Ihren Seelenfrieden, für Ihr Wohlsein sich mit +denen Ihrer ältern und besten Freunde vereinigen! Seien Sie so +glücklich, als Sie verdienen es zu sein!</p> + +<p>Wie fern stand ich Ihnen vor einem Jahre! Wie unglücklich war ich +damals! Vieles, wie Vieles hat sich in den schnell verflossenen +Monden geändert! Ich sehe für mich die Morgenröthe eines neuen Glücks +aufgehen, das um so größern Reiz für mich haben wird, je näher ich +Ihnen, Verehrte, dadurch zu stehen komme!</p> + +<p>Möge ich Sie zur nächsten Feier des heutigen Tags mit einem Namen +begrüßen dürfen, der für mich, außer dem Herrlichen, was er an sich in +sich faßt, die schönste Lebensmusik sein wird.</p></blockquote> + +<p>Im Laufe dieses und des folgenden Jahres hatten sich Brockhaus' +geschäftliche Verhältnisse immer mehr befestigt. Die Verlobung wurde +jetzt veröffentlicht und den Verwandten und Freunden mitgetheilt. Von +allen Seiten kamen herzliche Glückwünsche; der kurze, aber treffende +Glückwunsch eines dortmunder Jugendfreundes, Johannes Rappe, an +Brockhaus lautete:</p> + +<blockquote> + +<p>Dein Genie hat Dich durch so mancherlei Labyrinthe des bürgerlichen +Lebens gejagt und geführt, daß Du meinen Glückwunsch zu Deinem frohen +Lebensgenuß in ruhiger Wirksamkeit für aufrichtig anerkennen und +Deiner praktischen Vernunft zur Ausführung anvertrauen wirst.</p></blockquote> + +<p>Auch sein Bruder Gottlieb schrieb sehr herzlich, und die in Dortmund +noch weilenden drei Kinder feierten dort die Hochzeit ihres Vaters wol +deshalb besonders freudig, weil sie ihnen die<span class="pagenum"><a name="Seite_265" id="Seite_265">[265]</a></span> Aussicht bot, wieder eine +Mutter zu bekommen und nunmehr bald in das älterliche Haus zurückkehren +zu können.</p> + +<p>Die Hochzeit fand in Altenburg am 26. November 1812 statt, unter regster +Theilnahme der neuen und alten Freunde des Bräutigams, die sich in +zahlreichen ernsten und humoristischen Gedichten kundgab.</p> + +<p>Mit Bedauern vermißte Brockhaus unter seinen anwesenden Freunden den +Professor Ersch aus Halle. Derselbe war im September bei ihm zu Besuch +gewesen und hatte ihm dann geschrieben:</p> + +<blockquote> + +<p>Immer wird die Erinnerung meines Aufenthalts in Altenburg an die +erfreulichsten meines Lebens sich anreihen; immer werde ich mit frohem +Gefühle der Stunden denken, in welchen ich Bekanntschaften mit guten +Menschen erneuerte und stiftete.</p></blockquote> + +<p>Jetzt durch Krankheit abgehalten, an der Hochzeit theilzunehmen, schrieb +er an Brockhaus aus Halle vom 21. December:</p> + +<blockquote> + +<p>Wahrlich, Sie hätten nicht nöthig gehabt, durch Ihre Nachrichten +von Ihrer frohen Hochzeit und den Feierlichkeiten, mit welchen Ihre +Freunde sie ausstatteten, meine Trauer über die Entbehrung dieser +Freuden zu schärfen, und doch waren sie mir ungemein lieb und +interessant, vorzüglich erfreuend aber die Bemerkung, daß Sie und Ihre +gute Jeannette in Altenburg so viele Freunde haben. Wer, wie ich, den +höchsten Lebensgenuß in dem Besitz von Freunden findet, weiß dies Gut +zu würdigen.</p></blockquote> + +<p>Die nächsten vier Jahre, 1813-1816, verbrachte Brockhaus meist in +Altenburg, im ruhigen Genusse seiner neuen Häuslichkeit, aber auch in +angestrengter Thätigkeit für den Wiederaufbau seines Geschäfts und +unter lebhafter Theilnahme an den großen Ereignissen dieser Zeit. +Außer häufigen Fahrten nach Leipzig machte er nur im Sommer 1814 in +Erbschaftsangelegenheiten seiner Frau eine dreimonatliche Reise nach +Stuttgart, Augsburg und München, von wo er über Strasburg, Frankfurt +a. M. und Braunschweig zurückkehrte, und kleinere Ausflüge nach Dresden, +Weimar, Dessau, Wittenberg, Berlin.</p> + +<p>Von seinen Kindern hatte er Auguste und Hermann im April 1814 von +Dortmund nach Altenburg kommen lassen, während Heinrich erst im Mai +1816 folgte und die jüngste Tochter, Sophie,<span class="pagenum"><a name="Seite_266" id="Seite_266">[266]</a></span> endlich im August 1817 +von ihrem ältesten Bruder Friedrich aus Amsterdam abgeholt und nach +Altenburg gebracht wurde. Friedrich war im Herbst 1813 zu dem Pastor +Schlosser in Großzschocher bei Leipzig gekommen, wo er mit andern +Knaben zusammen erzogen und unterrichtet wurde; zu Neujahr 1816 nahm +ihn auf Wunsch seines Vaters der mit diesem befreundete und schon seit +der amsterdamer Zeit einen großen Theil seiner Verlagswerke druckende +Buchhändler und Buchdrucker Hans Friedrich Vieweg in Braunschweig +zu sich in die Lehre; er sollte hier gleichzeitig mit Vieweg's fast +gleichaltrigem Sohne Eduard die Buchdruckerkunst erlernen, weil sein +Vater die Absicht hatte, mit dem immer größere Ausdehnung erlangenden +Verlagsgeschäfte eine Druckerei zu errichten. Der jüngste Sohn Hermann +erhielt mit den Ludwig'schen Kindern zusammen Privatunterricht und kam +später gleich seinem ältern Bruder Heinrich, der an diesem Unterrichte +auch mit theilnahm, in die Erziehungsanstalt zu Wackerbarthsruhe bei +Dresden Die älteste Tochter Auguste wurde im Januar 1815 in eine Pension +nach Dresden gebracht und war dort bis zur Uebersiedelung ihres Vaters +nach Leipzig; die zweite Tochter, Karoline, blieb in Altenburg.</p> + +<p>Von seiner Frau wurden ihm in dieser Zeit zwei Kinder geboren, Alexander +und Luise, die aber bald wieder starben, ersterer am 20. August 1814, +letztere am 4. August 1818. Später wurden ihm noch zwei Töchter geboren: +Johanne Wilhelmine am 29. December 1817 noch in Altenburg und Marie +Ottilie am 18. Mai 1821 in Leipzig.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Brockhaus' langjähriger vertrauter Gehülfe und treuer Freund Bornträger +war nach dem Verkaufe des amsterdamer Geschäfts noch bis zum Frühjahre +1812 in Amsterdam geblieben, um die von dem Käufer, Johannes Müller, +nicht mit übernommenen Außenstände einzuziehen und alle sonstigen +Verhältnisse daselbst zu regeln. Als ihm dies gelungen war und er am +4. März 1812 den schon früher erwähnten Vertrag mit dem amsterdamer +Buchhändler Sülpke abgeschlossen, schrieb ihm Brockhaus offen: er könne +ihm augenblicklich keine feste Stellung in Altenburg anbieten, da seine +Ver<span class="pagenum"><a name="Seite_267" id="Seite_267">[267]</a></span>hältnisse noch zu wenig consolidirt seien, und rathe ihm seiner +selbst wegen eine andere Condition anzunehmen, zu deren Erlangung er +ihm gern behülflich sein werde; für alle Fälle sei ihm in seinem Hause +ein Asyl gesichert. Durch diese Mittheilung und wol auch durch manche +Vorwürfe verletzt, die ihm während der allerdings sehr schwierigen Zeit +seiner Geschäftsführung gemacht worden waren, kündigte Bornträger und +nahm eine untergeordnete Stellung bei dem Buchhändler Tasché in Gießen +an. Er schrieb aber bald darauf selbst an Brockhaus, daß er seinen +Entschluß bereue, und in spätern Jahren, bei Bornträger's regelmäßigem +Besuche der leipziger Messe, glichen sich alle Differenzen zwischen +ihnen vollständig aus. Bornträger rühmt selbst in einem spätern Briefe, +er habe sich der Freundschaft seines frühern Principals bis zu dessen +Tode zu erfreuen gehabt.</p> + +<p>In Gießen blieb Bornträger bis Anfang 1815, ging dann nach Berlin +zu Amelang und errichtete 1818 in Gemeinschaft mit seinem jüngern +Bruder Ludwig in Königsberg unter der Firma Gebrüder Bornträger eine +Sortimentsbuchhandlung, mit der bald auch Verlagsbuchhandel vereinigt +wurde. Diese Buchhandlung leitete er erst mit seinem Bruder, dann nach +dessen Tode (1843) allein bis zu seinem am 6. März 1866 in hohem Alter +(er war am 17. September 1787 zu Osterode am Harz geboren) erfolgten +Tode und wußte seiner (noch jetzt unter einem andern Besitzer in +Berlin fortblühenden) Verlagsbuchhandlung Ansehen zu verschaffen; sein +Sortimentsgeschäft war schon 1842 an Tag & Koch verkauft worden. Auch +persönlich genoß er hohe Achtung bei seinen Mitbürgern, die ihn 1843 zum +Stadtrath wählten.</p> + +<p>Die Verdienste, die sich Bornträger um Brockhaus als treuer Freund und +Berather in schwieriger Zeit erworben, werden auch von dessen Nachkommen +vollkommen gewürdigt und sein Andenken wird bei ihnen stets in Ehren +gehalten werden.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Bornträger's Nachfolger als Brockhaus' vertrauter Gehülfe und bald in +noch höherm Grade wie dieser als Freund des Hauses wurde Karl Ferdinand +Bochmann, der am 10. Juli 1813 in das Geschäft eintrat. Am 11. Februar +1788 zu Thurm bei Glauchau geboren,<span class="pagenum"><a name="Seite_268" id="Seite_268">[268]</a></span> hatte er in der Buchhandlung des +Magister Sommer in Leipzig sechs Jahre lang den Buchhandel erlernt und +dann, von Wanderlust getrieben, im August 1808 eine Gehülfenstelle in +Amsterdam bei dem Buchhändler Hesse angenommen. Bezeichnend für die +damaligen Verhältnisse ist es, daß Hesse mit seinem neuen Gehülfen einen +förmlichen Vertrag abschloß, in dem sich dieser verpflichten mußte, sich +niemals in Amsterdam zu etabliren, ja selbst »nie mit den Principalen +der andern zwei dortigen deutschen Buchhandlungen und mit deren Leuten +sich einzulassen und allen Umgang mit denselben zu vermeiden, ansonsten +Er augenblickliche Entlassung seiner Condition zu erwarten hat«. +Trotzdem war er in Amsterdam mit Brockhaus bekannt geworden. Als Hesse +im Sommer 1813 seine amsterdamer Buchhandlung aufgab und nach Paris zog, +nahm Bochmann die ihm jetzt durch Vermittelung seiner an <span class="antiqua">Dr.</span> +Bernhardi in Altenburg verheiratheten Schwester angebotene Stelle bei +Brockhaus um so lieber an, als es ihm bei den aufgeregten politischen +Verhältnissen Hollands in Amsterdam nicht mehr gefiel und er sich nach +der Heimat sehnte. War er doch 1809 sogar gezwungen worden, in die +amsterdamer Bürgerwehr (<span class="antiqua">Schutterij</span>) einzutreten. So ergriff er +am 11. Juni 1813 den Wanderstab und legte die Reise nach Altenburg, +wo er am 26. Juni eintraf, zu Fuße zurück. Ueber seine Wanderung wie +über die nächste so ereignißreiche kriegerische Periode führte er ein +Tagebuch, das manches Interessante enthält. Er gewann bald Brockhaus' +vollständiges Vertrauen und war schon während der altenburger Zeit +dessen Hauptstütze im Geschäft.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Außer Bochmann hatte Brockhaus noch zwei Männer an sich gezogen, die ihn +bei seiner literarischen und redactionellen Thätigkeit unterstützten, +während Bochmann das rein Buchhändlerische besorgte: <span class="antiqua">Dr.</span> Ludwig +Hain, der im August 1812 eintrat, um ihn zunächst bei der Redaction des +»Conversations-Lexikon«, später auch bei der Herausgabe der »Deutschen +Blätter« zu unterstützen, und bis 1820 bei ihm blieb, und <span class="antiqua">Dr.</span> +Sievers, der im Herbst 1813 zu Hain's Unterstützung kam, seine Stellung +aber schon 1815 wieder aufgab.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_269" id="Seite_269">[269]</a></span></p> + +<p>Während dieser Zeit vollzog sich auch die Umänderung der bisherigen +Firma des Geschäfts »Kunst- und Industrie-Comptoir« in die seitdem +beibehaltene Firma: »F. A. Brockhaus.« Und zwar erfolgte diese +Umänderung in ganz formloser Weise, da man überhaupt auf alle solche +Dinge damals wenig Gewicht legte.</p> + +<p>Wie schon früher erwähnt, gebrauchte Brockhaus seit Aufgabe des +amsterdamer Geschäfts die Firma desselben auch in Altenburg noch +fort, nur mit einem Zusatz, indem er »Kunst- und Industrie-Comptoir +von Amsterdam« firmirte und auf den Büchertiteln bald Altenburg, bald +Leipzig, bald beide Städte als Verlagsort nannte. In einem vom 15. +Januar 1814, und noch dazu nicht aus Altenburg, sondern aus Leipzig +(wo sich Brockhaus damals zufällig befand), datirten Circulare über +Rechnungsverhältnisse finden sich am Schluß ganz beiläufig folgende +Zeilen:</p> + +<blockquote> + +<p>Noch bemerken wir Ihnen, daß wir von jetzt an blos nach dem +Eigenthümer unserer Handlung mit F. A. <em class="gesperrt">Brockhaus</em> firmiren +werden.</p></blockquote> + +<p>Diese Firmenzeichnung findet sich seitdem auf allen seinen +Verlagsartikeln, im Anfang noch abwechselnd mit »Altenburg« oder +»Leipzig« oder beiden Städten als Verlagsorten, seit 1817 meist und seit +1819 ausschließlich mit dem Verlagsort »Leipzig«.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_270" id="Seite_270">[270]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter4-2" id="Chapter4-2">2.</a> +<br /> +Neue Verlagsthätigkeit. +</h3> + +<p class="start-chap">In Altenburg entfaltete Brockhaus, sobald er die Verwickelungen aus der +amsterdamer Periode zum Abschluß gebracht, gleich eine überaus rege und +umfassende Thätigkeit. Mit neuer Kraft und mit gewohnter Energie gelang +es ihm, von dem rasch wiederkehrenden Vertrauen der Buchhändlerwelt +gehoben und von seinen neugewonnenen Freunden in Altenburg moralisch und +materiell unterstützt, sein Verlagsgeschäft bald zu größerer Bedeutung +zu bringen, als es in Amsterdam gehabt, und dadurch auch seine äußere +Lage wieder zu einer günstigen zu gestalten.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Seine Verlagsthätigkeit in dieser altenburger Periode erstreckte sich +besonders nach drei Richtungen hin. Die eine umfaßt seine Thätigkeit +auf politisch-publicistischem Gebiete während der ereignißreichen +und für Deutschland so hochbedeutsamen Jahre 1813-1815. Die zweite +Hauptthätigkeit betrifft das »Conversations-Lexikon«, das er wesentlich +in diesen Jahren zu dem gestaltete, was es für ihn und für die deutsche +Literatur geworden ist. Die dritte Seite endlich ist die seiner +allgemeinen Verlagsthätigkeit auf fast allen Gebieten der Literatur.</p> + +<p>Die beiden ersten Gruppen einer schon durch ihre Wichtigkeit geforderten +eingehendem Schilderung vorbehaltend, beginnen wir mit der dritten, auch +der Zeit nach den andern beiden meist vorangehenden Gruppe.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_271" id="Seite_271">[271]</a></span></p> + +<p>Zunächst hatte Brockhaus noch Unannehmlichkeiten wegen zweier früher +von ihm übernommener und von uns bereits erwähnter Verlagswerke, die im +Herbste 1811 mit der Jahreszahl 1812 und unter der bekannten fingirten +Verlegerfirma »Peter Hammer in Köln« erschienen waren: »Handzeichnungen +aus dem Kreise des höhern politischen und gesellschaftlichen Lebens« und +»Briefe eines reisenden Nordländers«.</p> + +<p>Der ungenannte Verfasser des erstern Buchs ist auch unbekannt +geblieben. Aus einer von Brockhaus selbst herrührenden Notiz geht nur +hervor, daß die Hofräthin Spazier es vor dem Druck redigirt hatte und +dafür 50 Thlr. »Redactionsgebühren« erhielt; verfaßt ist es von ihr +schwerlich, vielleicht von dem Kriegsrath von Cölln. Das kleine Buch +enthält eine Reihe meist hochgestellte Persönlichkeiten betreffender +Anekdoten und Erzählungen, die, ihre Wahrheit vorausgesetzt, allerdings +»zur Charakteristik der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts« +(wie noch auf dem Titel steht) dienen, aber zum Theil Skandale und +Verbrechen unter voller Namensnennung der Betreffenden enthüllen und +deshalb bei diesen wie im Publikum großes Aufsehen erregten. Der daraus +entstandene Conflict mit dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg, aus +dessen früherm Leben eine pikante Anekdote erzählt wird, wurde bereits +früher berichtet. Jetzt verursachte Fürst Hatzfeld in Berlin, von dessen +verstorbenem Bruder in dem Buche ebenfalls eine schlimme Gerichte +erzählt wird, dem Verleger ernstere Unannehmlichkeiten, indem auf seine +Veranlassung dasselbe gleich den »Briefen eines reisenden Nordländers« +in Leipzig mit Beschlag belegt wurde, nachdem er außerdem eine Klage +gegen ihn anhängig gemacht hatte.</p> + +<p>Die »Briefe eines reisenden Nordländers« sind von Reichardt, dem +bekannten Musiker und Reiseschriftsteller, verfaßt, von dem Brockhaus +bereits 1810 »Vertraute Briefe« über Wien und Oesterreich verlegt hatte, +und waren, wie früher erwähnt, von Brockhaus selbst hervorgerufen +worden. Das Buch erschien zuerst ebenfalls anonym, dagegen ist der +Verfasser auf der (1816 veranstalteten) neuen Auflage genannt, wenn auch +eigenthümlicherweise mit einem Druckfehler: Reichhardt statt Reichardt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_272" id="Seite_272">[272]</a></span></p> + +<p>Ueber die Conflicte wegen dieser beiden Bücher schreibt Brockhaus am 5. +December 1811 aus Altenburg an Bornträger:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich befinde mich hier seit wenigen Tagen in einer besondern Krisis. +Von unserm Verlage haben die »Handzeichnungen« und die »Briefe des +Nordländers« große Sensation gemacht. Von den ersten sind in Leipzig +73 Exemplare confiscirt und sind solche in vielen Orten verboten +worden. Auch die »Briefe des Nordländers« sind in Leipzig vor der +Hand verboten, doch nur erst dort, weil sie erst seit kurzem versandt +sind. In Leipzig soll ich von der Büchercommission gar, wie Mitzky mir +meldet, zu sechswöchentlichem <span class="antiqua">prison</span> verdammt worden sein, weil +ich die Firma Peter Hammer gebraucht habe.</p> + +<p>Auch bin ich direct vom Fürsten von Hatzfeld in Berlin wegen +einer seinen verstorbenen Bruder betreffenden Anekdote in den +»Handzeichnungen« auf rechtlichem Wege in Anspruch genommen worden, +und habe ich deshalb heute eine Vernehmung zu erdulden gehabt.</p> + +<p>Dies ist es indessen weniger, was mich afficirt gerade, ob ich +gleich glaube, daß noch von vielen Seiten Reclamen wegen der +»Handzeichnungen« erfolgen werden. Es schützt mich hier so ziemlich +die passirte Censur und die Erlaubniß der Nennung des Verfassers, den +ich aber bisjetzt noch nicht genannt habe.</p> + +<p>Mehr bin ich besorgt wegen des »Nordländers« in Rücksicht des darin +wehenden Geistes, ob ich gleich alle marquanten Stellen gestrichen +habe. Die Gefahren scheinen aber demohnerachtet nicht unbedeutend zu +sein, da besonders heute sehr schreckbare Nachrichten eingelaufen +sind. So ist Hofrath Becker in Gotha vor drei Tagen durch 250, ich +sage 250 Mann französische Dragoner aus der Residenz ohne Vorwissen +des Herzogs und der Landesregierung aufgehoben und in Zeit von +10 Minuten aus der Stadt mit allen seinen Papieren fortgefahren +worden, ohne daß man weiß wohin. So ist Hofrath Voigt in Jena wegen +leichtsinniger Censur des dritten Bandes von Seume's »Reise nach +Syrakus« ebenfalls beim Kopf genommen. In Leipzig ist, wie ebenfalls +heute die Nachricht eintrifft, die alte Büchercommission cassirt +und ein Einziger statt derselben angestellt worden mit den größten +Vollmachten. Dieser Einzige heißt Brückner, das Alles ist, was ich bis +zur Minute von ihm weiß.</p> + +<p>Von Gotha war ich von unbekannter Hand von der Hatzfeld'schen +Requisition vorab unterrichtet worden, und ich werde hier so leicht +nichts zu fürchten haben, wenn Alles im gewohnten rechtlichen Wege +ginge. Bei diesen außerordentlichen Begebenheiten ist aber für nichts +zu stehen, und die Freunde und die Freundinnen beschwören mich, mich +zu entfernen. Dies ist auch beschlossen, und werde ich eine längst +vorgehabte Reise unternehmen.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_273" id="Seite_273">[273]</a></span></p> + +<p>Einige Tage darauf, am 11. December, schrieb Brockhaus:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich habe die Idee, die ich Ihnen neulich mittheilte, wieder +aufgegeben, da mir die Gefahr bei näherer Ueberlegung minder dringlich +scheint. Adressiren Sie indessen Ihre Briefe nur immerhin an +Scholber<a name="FNAnker_48_48" id="FNAnker_48_48"></a><a href="#Fussnote_48_48" class="fnanchor">[48]</a>, da doch ein Fall eintreten könnte. Wegen Becker weiß man +noch nichts Näheres. Man sagt, er sei nach Hamburg gebracht.</p></blockquote> + +<p>Rudolf Zacharias Becker, der bekannte Volksschriftsteller und +Buchhändler, war auf Davoust's Befehl in Gotha verhaftet und nach +Magdeburg gebracht worden, wo er bis zum April 1813 gefangen gehalten +wurde; er hat dies selbst in der interessanten Schrift: »Becker's Leiden +und Freuden in siebzehnmonatlicher französischer Gefangenschaft« (Gotha +1814), geschildert.</p> + +<p>Wie die Angelegenheit mit jenen beiden Verlagswerken und speciell die +Klage des Fürsten Hatzfeld schließlich für Brockhaus verlief, wissen +wir nicht. Unter unsern Papieren findet sich darüber nur noch ein +eigenhändiges Concept folgender am 5. März 1812 von Brockhaus der +altenburger Regierung abgegebenen loyalen Erklärung:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich wiederhole vollkommen, was ich in der ersten Vernehmung vom +5. December v. J. hierüber bereits gesagt habe, und trage daher +jetzt auf ein rechtliches Erkenntniß über diesen Gegenstand an, +indem ich nur noch wünsche, daß mir gestattet werden möge, die +Grundsätze, welche hier in Anwendung kommen könnten, meinerseits in +einem mir zu bestimmenden Termine in einer nähern Deduction genauer +zu entwickeln. Sollte dieses rechtliche Erkenntniß dahin lauten, daß +seitens des Herrn Fürsten von mir, nach rechtlichen dabei eintretenden +Grundsätzen, der oder die quästionirten Namen können verlangt und +müßten mitgetheilt werden, so erkläre ich hierdurch ausdrücklich und +bestimmt, daß ich mich demselben ebenso unweigerlich unterwerfen +werde, als es mir jetzt unrechtlich und meine Pflicht als Verleger +verletzend erscheinen würde, schon gegenwärtig darin dem Herrn Fürsten +zu willfahren. Ich würde mir selbst, dem Verfasser oder den Personen, +von welchen ich das quästionirte historische Factum in Manuscript +erhalten habe, als feig und unedel erscheinen, wenn ich auf die bloße +Instanz eines Individuums, das ich auch bei gleicher Namenslautung +bisjetzt doch nur als dritte dabei nicht concernirte Person betrachten +muß, gleich pliirte<span class="pagenum"><a name="Seite_274" id="Seite_274">[274]</a></span> und den Verfasser dadurch vielleicht unmittelbar +persönlichen oder Privatverfolgungen oder Ahndungen aussetzte, die +ich von ihm oder ihnen so lange abzuwehren für meine Pflicht halte, +als anerkannte rechtliche Grundsätze mich nicht dazu moralisch und +bürgerlich verbinden. Der Herr Fürst kann sich übrigens ja auch +vollkommen mit dieser Erklärung zufriedengeben. Entweder ist seine +Frage rechtlich begründet, oder sie ist es nicht. Im erstern Falle +wird das von mir provocirte rechtliche Erkenntniß ihm beistimmen, und +ich, da alsdann meine Ehre als Verleger gegen den Verfasser gerettet +ist, unterwerfe mich unbedingt dem Erkenntniß, soweit dasselbe die mir +jetzt vorgelegte Frage betrifft. Im letztern Falle darf der Herr Fürst +ja überhaupt keine Bewilligung seiner Instanz erwarten.</p></blockquote> + +<p>Ein wichtigeres Verlagsunternehmen, dem sich Brockhaus seit seiner +Uebersiedelung nach Altenburg wieder mit Eifer widmete, und das er neben +dem »Conversations-Lexikon« mit besonderer Vorliebe pflegte, war das von +ihm begründete Taschenbuch »Urania«.</p> + +<p>Der erste Jahrgang war unter dem Titel: »Urania. Taschenbuch für das +Jahr 1810«, im Herbst 1809 erschienen und hatte viele Theilnahme +gefunden. Das vom 1. September 1809 datirte Vorwort ist ohne Zweifel +von der Hofräthin Spazier geschrieben und der Jahrgang auch von +ihr zusammengestellt. Er wird durch einen Aufsatz von Jean Paul: +»Erden-Kreis-Relazion« eröffnet, worauf andere abwechselnd prosaische +und poetische Beiträge folgen: von Friedrich Kind, Charlotte +von Ahlefeld, Theodor Körner, Luise Brachmann, Varnhagen, De la +Motte Fouqué, Mahlmann, Apel u. a.. Die Ausstattung ist elegant: +Miniaturformat, gutes Papier, scharfer Druck (wahrscheinlich von Vieweg +in Braunschweig), hübsche Kupferstiche; das zierliche Bändchen wurde +cartonnirt mit Goldschnitt ausgegeben.</p> + +<p>Der zweite Jahrgang, in etwas größerm aber auch noch Miniaturformat, +erschien erst zwei Jahre nach dem ersten, im Herbste 1811, unter dem +Titel: »Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1812«; er war +gleichfalls noch von der Hofräthin Spazier zusammengestellt worden, doch +übernahm Brockhaus selbst die schließliche Redaction und behielt diese +für die Folge der Hauptsache nach in seinen Händen.</p> + +<p>Im December 1811 erließ er eine Aufforderung an zahlreiche<span class="pagenum"><a name="Seite_275" id="Seite_275">[275]</a></span> +hervorragende deutsche Schriftsteller mit der Bitte um Beiträge für die +»Urania«. Der nächste Jahrgang erschien aber erst 1814 (für das Jahr +1815), während inzwischen (1812) der zweite Jahrgang nochmals mit einem +neuen Titel für 1813 und im Kriegsjahre 1813 überhaupt keiner ausgegeben +wurde. Jene Einladung erging an Zschokke, Oehlenschläger, Kotzebue, +August Wilhelm und Friedrich von Schlegel, Weißer, Haug, Therese Huber, +Henriette Schubart, Amalie von Helvig u. a..</p> + +<p>Auch an Baggesen schickte Brockhaus die in Circularform gehaltene +Aufforderung und fügte selbst noch folgende Worte hinzu, die nach ihren +frühern Zerwürfnissen ihm gewiß Ehre machen:</p> + +<blockquote> + +<p>Es würde mich sehr freuen, mein guter Baggesen, wenn wir auf diesem +Wege wieder zusammen in Berührung kämen. Wie Vieles hätte ich von +Ihnen zu erfragen, wie Vieles Ihnen zu erzählen! Ich bin Ihnen mit +alter Liebe und Freundschaft ergeben.</p></blockquote> + +<p>Ein Versuch, auch Goethe »für die 'Urania' zu erobern«, wie Brockhaus +sich ausdrückt, schlug zwar in der Hauptsache fehl, verschaffte ihm aber +doch die Gelegenheit, Goethe's persönliche Bekanntschaft zu machen. Wol +hauptsächlich zu diesem Zwecke reiste er Anfang Januar 1812 nach Jena, +Weimar und Gotha. In dem Jahrgange für 1812 hatte die »Urania« Scenen +aus Goethe's »Wahlverwandtschaften« in acht Kupfern nach Zeichnungen +von Dähling gebracht. Für den nächsten Jahrgang waren Darstellungen +aus »Faust«, »Egmont« und »Tasso« gewählt, meist nach Zeichnungen von +Heinrich Naeke in Dresden, und diese legte er jetzt dem Dichter vor. +Nach seiner Rückkehr schrieb er an Naeke:</p> + +<blockquote> + +<p>Goethe war mit Ihren ersten beiden Zeichnungen (zum »Faust«) +sehr zufrieden, und er hat mir aufgetragen, Ihnen seinen Dank zu +bezeugen. Ihr erstes Bild, das Puttrich gekauft, war auch in Weimar, +und Schwerdgeburth hatte den Vorsatz, solches in großem Format in +Kupfer zu stechen. Er wird aber wahrscheinlich diese Idee aufgeben, +da ich auf eine andere gekommen bin: eine Goethe-Galerie in 12 oder +24 Blättern in der Größe Ihrer Zeichnungen herauszugeben, sobald die +Zeitläufte eine solche Unternehmung nur einigermaßen begünstigen und +das Publikum Ruhe findet, sich dafür interessiren zu können. Mündlich, +da ich Sie bald persönlich zu sehen hoffe, hierüber mehr.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_276" id="Seite_276">[276]</a></span></p> + +<p>Der Plan einer »Goethe-Galerie« in größern Kupferstichen kam nicht +zur Ausführung, zunächst wol der bald folgenden Kriegsjahre wegen. +Er ist, wie so manche von Brockhaus gefaßte Idee, von seiner Firma +in späterer Zeit ohne specielle Kenntniß dieser Absicht wieder +aufgenommen und ins Leben gerufen worden (in der 1863 von Friedrich +Pecht herausgegebenen »Goethe-Galerie«), ebenso ein im September 1817 +von Brockhaus angekündigter Plan einer »Shakspeare-Galerie«. In der +»Urania« erschienen übrigens zahlreiche kleine Abbildungen zu Goethe's +und Shakspeare's Dramen.</p> + +<p>Goethe interessirte sich fortgesetzt für die seine Dramen betreffenden +Zeichnungen und erhielt auf seinen Wunsch auch die übrigen zur +Begutachtung vorgelegt. Den Verkehr darüber vermittelte der seit 1793 +in Weimar lebende und 1806 vom Großherzog zum Legationsrath ernannte +Schriftsteller Johannes Daniel Falk (geb. 1768, gest. 1826), über dessen +Beziehungen zu Goethe das auf seinen Wunsch erst nach dessen Tode aus +seinem Nachlasse veröffentlichte Werk: »Goethe aus näherm persönlichen +Umgange dargestellt« (Leipzig 1832, 3. Aufl. 1856), berichtet. Falk +stand mit Brockhaus in geschäftlichen wie in freundschaftlichen +Beziehungen und schrieb auch die Erläuterungen zu den in der »Urania« +gegebenen Abbildungen zu Goethe's Werken.</p> + +<p>Ueber Goethe's Antheilnahme an diesen Zeichnungen schreibt Falk am 24. +April 1812 an Brockhaus:</p> + +<blockquote> + +<p>Die Zeichnung zum »Egmont« von Naeke ist allerliebst: Goethe, +dem ich sie zeigte und der das Bemühen Naeke's aufs dankbarste +anerkennt, äußerte blos den Wunsch, daß es dem jungen genievollen und +gemüthlichen Künstler gefallen möge, ihm die Sachen ehe sie fertig und +im Umriß zuzuschicken, wo liebevolle Erinnerungen eines freundlichen +Mannes kleinen Irrthümern zuvorkommen und oft mit ein paar Strichen +abhelfen können. So z. B. an der Lage der Hand des Klärchen im +»Egmont« hat der junge Künstler in der Unschuld seines Herzens kein +Aergerniß genommen: Goethen fiel dies sogleich auf, und der hiesige +französische Gesandte, der die Zeichnung von ungefähr sah und ungemein +damit zufrieden war, bemerkte unverabredet: <span class="antiqua">que c'était hors de la +convenance</span>.</p> + +<p>Eine jede Kritik muß einem so liebenden zarten Gemüth wie das von +Naeke nicht besser vorkommen als den Blumen ein Nachtfrost.<span class="pagenum"><a name="Seite_277" id="Seite_277">[277]</a></span> Suchen +Sie es ihm nur beizubringen, daß diese Bemerkungen von Männern +herrühren, die sein schönes Bestreben mit Liebe zu umfassen aufs +allerbeste geneigt sind und die sich nie ein öffentliches liebloses +Wort gegen ihn erlauben würden.</p></blockquote> + +<p>In demselben Briefe kommen noch zwei andere Goethe betreffende Stellen +vor. In der ersten schreibt Falk:</p> + +<blockquote> + +<p>Den Brief von Kestner, das Gedicht von Goethe, kann ich Ihnen nur +unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit in die Hände geben.</p></blockquote> + +<p>Und an einer andern Stelle, in der Falk die Bitte ausspricht, Brockhaus +möge ein Werk von ihm ja nicht auswärts, sondern unter seinen Augen in +Weimar drucken lassen, sagt er:</p> + +<blockquote> + +<p>Es liegt etwas in dieser Bedingung für einen lebendigen Menschen, +und seien Sie versichert, daß Goethe z. B. mit Cotta, wie ich Goethe +kenne, nothwendig zerfallen müßte, wenn Cotta zur unerlaßlichen +Bedingung machte, die Sachen statt in Jena in Tübingen gedruckt zu +sehen. Nicht aus Eigensinn oder Bizarrerie von seiten Goethe's, +sondern aus einer Art von genialem Instinct, den Jeder begreift, der +selbst etwas zu produciren im Stande ist.</p></blockquote> + +<p>Außer daß Goethe jene Zeichnungen begutachtete, scheint er sich an der +»Urania« nicht betheiligt zu haben. Einmal noch wird sein Name darin +genannt; bei Mittheilung eines Preisausschreibens im Juli 1816 sagt +Brockhaus: die von ihm um das Richteramt dabei gebetenen Schriftsteller +hätten gewünscht, »ihr Urtheil, bevor es bekannt gemacht würde, dem +Herrn Geheimen Rath von Goethe zur Genehmigung vorzulegen und sich auf +diese Weise unter die Auspicien unsers größten Meisters zu stellen«; es +sei deshalb an diesen ein solches Ansuchen ergangen. Indeß findet sich +weder ein solcher Brief an Goethe noch dessen Antwort oder irgendeine +andere Notiz darüber.</p> + +<p>Das ebenerwähnte Preisausschreiben wurde von Brockhaus im April 1816 +erlassen und den Lesern der »Urania« in dem vom Juli datirten Vorwort +zum Jahrgange 1817 mitgetheilt. Es folgten deren noch mehrere in den +nächsten Jahrgängen, und da sie meist von Brockhaus selbst verfaßt sind +und ihn von einer ganz neuen Seite zeigen, der einer directen Einwirkung +auf die belletristische<span class="pagenum"><a name="Seite_278" id="Seite_278">[278]</a></span> Production und genauer Vertrautheit mit der +schönen Literatur, so ist ein näheres Eingehen darauf gerechtfertigt, +zumal sich auch vielfach literarhistorisches Interesse daran knüpft.</p> + +<p>In der »Urania« für 1817 theilt Brockhaus zunächst mit, daß er bereits +im April 1816 in Verbindung mit der Redaction der »Urania« folgende +Anzeige habe drucken lassen:</p> + +<blockquote> + +<p>Jedem Freunde der deutschen Poesie wird sich die Bemerkung +aufdringen, daß wir, bei einer Menge von Dichtern, doch wenige +Gedichte besitzen, die, zwischen den größern epischen und dramatischen +Darstellungen und den kleinen lyrischen Gattungen die Mitte haltend, +durch das Interesse eines reichhaltigen Stoffs sowol als durch +den Reiz einer gediegenen Kunstform zu stets wiederholtem Genusse +einladen und, statt flüchtig und gleichsam spurlos vorüberzugehen, den +Verstand und das Gemüth auf gleiche Weise befriedigen. Diese Wahrheit +hat sich mir zunächst bei näherer Ansicht unserer Taschenbücher +und Musenalmanache dargeboten, in denen wir Lieder, Sonette, Oden, +Elegien, Romanzen u. s. w. in Ueberfluß finden, welche allerdings, +insofern sie von wahrem poetischen Leben durchdrungen sind, ihren +eigenthümlichen Werth behaupten; dagegen fehlt es fast ganz an +gehaltvollen Gedichten von größerm Umfang, und wir haben, abgesehen +von einzelnen hinreichend bekannten Meisterwerken, in der bezeichneten +Art in Vergleich mit der englischen und französischen Literatur +verhältnißmäßig nur wenig aufzuweisen. Ohne auf Pope, Buckingham, +Roscommon, Boileau, Voltaire, Gresset und andere ältere Dichter von +entschiedenem Werth zurückgehen zu wollen, nenne ich nur einige +neuere, als Laharpe, Malfilâtre, Delille, Parny, Legouvé, Mollevaut, +Millevoye, Victorin Fabre, Hayley, Walter Scott, Byron u. s. w., die, +wenn sie auch nicht als höchste Muster gelten können, doch mehr oder +weniger wahres Verdienst haben.</p> + +<p>Der Wunsch, das bei mir erscheinende Taschenbuch »Urania« mit einem +immer reichern und gehaltvollen Inhalt auszustatten, hat mich auf +den Gedanken geführt, obige Bemerkung zu einigen Preisaufgaben zum +Behuf des genannten Taschenbuchs zu benutzen, und Alle, die sich der +Gunst der Musen erfreuen und die »Urania« mit ihrer Theilnahme zu +begünstigen geneigt sind, zu Versuchen in folgenden drei Gattungen +einzuladen:</p> + +<p>1) in der poetischen Erzählung, wobei Stoff, Gattung und Einkleidung +der Wahl des Dichters überlassen bleibt;</p> + +<p>2) in der Idylle, d. h. der poetischen Darstellung unschuldiger und +glücklicher Menschen, sie mag nun rein ideal oder mehr oder minder aus +der Wirklichkeit entlehnt sein;</p> + +<p>3) in der poetischen Epistel aus dem Gebiet des Lebens oder der +Kunst,<span class="pagenum"><a name="Seite_279" id="Seite_279">[279]</a></span> wobei nur die Heroide ausgeschlossen, dagegen eine didaktische +Tendenz als besonders willkommen bezeichnet wird.</p> + +<p>Die Wahl der Versart sowie die ganze äußere Form und Einrichtung +bleibt billig der freiesten Willkür des Dichters überlassen; in +Ansehung des Umfangs, der einem solchen Gedichte zu geben sein +möchte, haben mir Pope's »Lockenraub« (798 Verse) und »Versuch über +den Menschen« (1304 Verse) vorgeschwebt. Doch kann diese Bestimmung +bei den Schwierigkeiten, welche die harmonische Begrenzung eines +Kunstwerks hat, die einzig durch sich selbst bedingt wird, nur +andeutungsweise gemacht sein, und soll damit keineswegs ein festes Maß +angegeben sein.</p> + +<p>Für das beste Gedicht in jeder der bezeichneten drei Gattungen, +das mir bis zum 1. Januar 1817 mit Beobachtung der in solchen +Fällen gewöhnlichen Formen eingesandt wird, bestimme ich, insofern +es überhaupt ein gutes ist, einen Preis von 20 Friedrichdor, nehme +dasselbe in die »Urania« für das Jahr 1818 auf und behalte mir das +Verlagsrecht auf die nächsten fünf Jahre vor, nach welchen es dem +Verfasser als freies Eigenthum wieder anheimfällt. Ueberdies erbiete +ich mich, das gelungenste Gedicht nach dem gekrönten in jeder Gattung, +sofern es sich zur Aufnahme eignet, mit 4 Friedrichdor für den Bogen +zu honoriren.</p> + +<p>Würdige und kunstverständige Männer werden Richter sein; ihre +Namen sollen, wenn sie es verstatten, in der noch vor Michaelis +erscheinenden »Urania« auf 1817 dem Publikum angezeigt werden.</p></blockquote> + +<p>Brockhaus fügt dieser frühern Anzeige jetzt noch folgende Bemerkungen +hinzu:</p> + +<blockquote> + +<p>Alles Obige hiermit nochmals bestätigend und zu einer recht +zahlreichen Concurrenz einladend, hat Unterzeichneter nur noch das am +Schlusse obiger Anzeige gethane Versprechen zu erfüllen.</p> + +<p>Eingeladen, das Richteramt zu übernehmen, sind worden die Herren +August Apel, Amadeus Wendt, Adolf Wagner in Leipzig, Messerschmid +in Altenburg, Riemer in Weimar und H. Voß der Sohn in Heidelberg. +Einige haben sich schon bereit erklärt, von den Andern dürfen wir eine +gleiche Willfährigkeit erwarten. (Hier folgt die oben mitgetheilte, +Goethe betreffende Stelle.) Ueber den Erfolg soll zu seiner Zeit die +bestimmteste Nachricht gegeben werden.</p> + +<p>Unabhängig von diesen Preisaufgaben werden übrigens alle +dichterischen Freunde der »Urania« freundlichst und ergebenst +eingeladen, sie auch künftig mit ihren Beiträgen zu schmücken.</p></blockquote> + +<p>Das Preisausschreiben hatte den günstigsten Erfolg, indem infolge +desselben eine Dichtung eingesandt wurde, welche sofort als eine<span class="pagenum"><a name="Seite_280" id="Seite_280">[280]</a></span> Zierde +der poetischen deutschen Literatur erkannt wurde und noch jetzt einen +ehrenvollen Platz in derselben einnimmt: »Die bezauberte Rose« von Ernst +Schulze, einem bis dahin fast ganz unbekannten jungen Dichter.</p> + +<p>Brockhaus verkündete dies sowie die übrigen Ergebnisse des +Preisausschreibens in der von ihm als »Herausgeber der 'Urania'« +unterzeichneten und vom September 1817 datirten Vorrede zum Jahrgang +1818 der »Urania«, in welchem auch »Die bezauberte Rose« zum ersten male +gedruckt erschien. Er sagte:</p> + +<blockquote> + +<p>Als wir zuerst im April 1816 drei poetische Preisaufgaben bekannt +machten, konnten wir uns allerdings einiger Bedenklichkeiten dabei +nicht erwehren. Einmal mußten wir besorgen, daß Tadelsucht oder +Ungunst uns einer Anmaßung beschuldigen möchte, die unserer Denkart +fremd ist, dann aber auch, daß wir uns in dem Vertrauen, welches +wir hegten und in Anspruch nahmen, getäuscht sehen könnten. Um so +erfreulicher muß es uns sein, bei der kurzen Rechenschaft, die wir +hiermit ablegen wollen, ein im ganzen sehr günstiges Resultat melden +und zugleich rühmen zu können, daß uns über unser Unternehmen kein +übelwollendes Urtheil, das irgend Werth für uns hätte haben können, +bekannt geworden ist.</p> + +<p>Zwar die von uns gelegentlich ausgesprochene Hoffnung, daß wir in +jeder der drei Dichtungsgattungen, auf welche sich die erste Aufgabe +bezog, auch einen Preis würden ertheilen können, ist in diesem Umfange +nicht in Erfüllung gegangen, da wir der Sache, den Theilnehmern und +uns durchaus schuldig zu sein glaubten, von den hohen und strengen +Forderungen der Kunstkritik nicht abzuweichen. Aber auch bei diesen +Grundsätzen haben wir des Preiswürdigen nicht ermangelt.</p> + +<p>Der gelungensten Arbeiten hat sich die poetische Erzählung zu +erfreuen gehabt. Der Ehrenplatz unter allen aber gebührt der +»Bezauberten Rose«, einer romantischen Erzählung in drei Gesängen +von Ernst Schulze. Ihr ist der erste Preis zuerkannt worden, und wir +achten sie für ein Werk von bleibendem Werthe in der vaterländischen +Poesie. Leider wird die Freude, ein Talent von echter Dichterweihe bei +dem Publikum einzuführen, durch den noch größern Schmerz getrübt, daß +uns dasselbe in dem Augenblicke, wo es sich in seiner Fülle entfaltet +hatte, auch schon wieder entrissen ist. Der junge Dichter starb, +nachdem er nur wenige Tage vorher die Nachricht von der Krönung seines +Gedichts erhalten hatte.</p> + +<p>Einen zweiten Preis in derselben Gattung hat K. G. Prätzel's +poetische Erzählung »Der Todtenkopf« erhalten.</p> + +<p>Von den übrigen zur Concurrenz eingesandten Erzählungen nennen<span class="pagenum"><a name="Seite_281" id="Seite_281">[281]</a></span> wir +noch mit Auszeichnung »Saladin«, ein romantisches Gedicht in vier +Gesängen.</p> + +<p>In der Gattung der poetischen Epistel wurde unter den eingegangenen +Gedichten »Des Dichters Weihe« als das vorzüglichste erkannt und mit +dem zweiten Preise gekrönt. Bei Eröffnung der versiegelten Devise fand +sich der Name Hesekiel.</p> + +<p>Die für die Idylle ausgesetzten Preise haben von den vierzehn dafür +eingekommenen Gedichten keinem zuerkannt werden können; doch haben +drei derselben: »Die Hirten in der Herbstnacht«, »Amor und Hymen« und +»Ida«, sich vor den übrigen vortheilhaft auszuzeichnen geschienen.</p></blockquote> + +<p>Ueber Ernst Schulze und seinen Tod sowie über dessen poetischen Nachlaß +bemerkt Brockhaus noch in einer Anmerkung:</p> + +<blockquote> + +<p>Er starb am 29. Juni (1817) zu Celle im achtundzwanzigsten Jahre +seines Lebens in den Armen seines tiefgebeugten Vaters, des <span class="antiqua">Dr.</span> +Schulze, Bürgermeisters und Stadtsyndikus daselbst. Er war eben im +Begriff, eine literarische Reise nach Italien anzutreten, auf welcher +er einige Jahre zuzubringen dachte, als ihn eine schwere Krankheit +auf das Lager niederwarf, von dem er nicht wieder aufstand. Den Keim +seiner Krankheit hatte er sich in der Belagerung von Hamburg, welcher +er als freiwilliger Jäger beiwohnte, zugezogen, und auf einer Reise +nach den Rheingegenden war durch geringe Sorge um die Gesundheit +dieser Keim entwickelt worden. Als unser Dichter die Nachricht von +dem ihm zuerkannten Preise erhielt, war seine Empfänglichkeit zur +Freude schon sehr gesunken, indessen erregte diese Anerkennung +seines poetischen Talents doch seine lebendigste Theilnahme. Seine +nachgelassenen poetischen Schriften, unter denen sich insbesondere +ein Heldengedicht »Cäcilie« befindet, an welchem er viele Jahre +gearbeitet, werden von Bouterwek gesammelt herausgegeben und von einer +Biographie des herrlichen jungen Dichters begleitet werden. Wir dürfen +ihnen bald entgegensehen.</p></blockquote> + +<p>Die erste Separatausgabe der »Bezauberten Rose« erschien 1818, eine +Prachtausgabe in fünf verschiedenen Formen 1820. Das nachgelassene +größere Gedicht: »Cäcilie«, wurde 1818 und 1819 veröffentlicht als +erster und zweiter Band der von Professor Friedrich Bouterwek in +Göttingen, dem Lehrer und Freunde des Dichters, herausgegebenen +Gesammtausgabe der poetischen Werke Ernst Schulze's, deren zwei letzten +Bände (1819 und 1820 erschienen) die übrigen Dichtungen enthalten. +Ausführliche Mittheilungen über den so viel versprechenden, in der Blüte +seiner Jahre<span class="pagenum"><a name="Seite_282" id="Seite_282">[282]</a></span> verstorbenen Dichter (er war am 22. März 1789 geboren und +starb am 29. Juni 1817) enthält eine von Hermann Marggraff verfaßte +Biographie (Leipzig 1855, zugleich den fünften Theil einer dritten +Auflage von Ernst Schulze's »Sämmtlichen poetischen Werken« bildend). +Im Jahre 1855 wurde des Dichters Grab in Celle von der Verlagshandlung +seiner Werke, gewiß im Geiste ihres Gründers, erneuert und mit einem +einfachen, würdigen Denkmal geschmückt.</p> + +<p>Die übrigen von den Preisrichtern gekrönten Dichtungen wurden ebenfalls +in der »Urania« veröffentlicht (1818 und 1819), ohne jedoch eine +ähnliche Theilnahme wie Ernst Schulze's »Bezauberte Rose« zu finden.</p> + +<p>Der günstige Erfolg des ersten Versuchs veranlaßte Brockhaus, ihn noch +mehrmals zu erneuern. Er sagt zunächst in demselben Vorwort noch:</p> + +<blockquote> + +<p>Dieser im ganzen unsern Wünschen genügende Erfolg hat uns bewogen, +bereits unter dem 30. Januar 1817 bekannt zu machen, daß wir dieselben +Preisaufgaben für das laufende Jahr nicht nur wiederholen, sondern +auch noch drei neue Preise hinzufügen.</p> + +<p>Demgemäß bestimmen wir einen Preis von 20 Friedrichdor für das beste +Gedicht, sofern es den Forderungen einer gerechten Kritik entspricht +und folglich ein vorzügliches ist:</p> + +<p>1) in der poetischen Erzählung, wobei Stoff, Gattung und Einkleidung +dem Dichter frei bleiben;</p> + +<p>2) in der Idylle, sie sei nun rein ideal oder mehr oder weniger der +Wirklichkeit entlehnt;</p> + +<p>3) in der poetischen Epistel aus dem Gebiet des Lebens oder der +Wissenschaft und Kunst, wobei nur die Heroide ausgeschlossen, eine +didaktische Tendenz hingegen als besonders willkommen bezeichnet wird.</p> + +<p>Ueberdies erbieten wir uns, das gelungenste Gedicht nach dem +gekrönten in jeder Gattung, wenn es sich zur Aufnahme in die »Urania« +eignet, mit 4 Friedrichdor für den Bogen zu honoriren.</p> + +<p>Die Wahl der Versart sowie die ganze äußere Form und Einrichtung +werden ganz der Willkür des Dichters anheimgegeben; ebenso können +wir nicht die Absicht haben, bei den Schwierigkeiten, welche die +harmonische Begrenzung eines Kunstwerks hat, die einzig durch sich +selbst bedingt wird, den Umfang scharf zu bestimmen, und wir fürchten +nicht, misverstanden zu werden, wenn wir andeutungsweise wiederholt +auf Pope's »Lockenraub« (798 Verse) und »Versuch über den Menschen« +(1304 Verse) hinweisen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_283" id="Seite_283">[283]</a></span></p> + +<p>Ferner bestimmen wir drei Preise, jeden von 6 Friedrichdor, für +das vorzüglichste Gedicht in der Gattung der Ode, der Elegie und für +den schönsten Sonettenkranz, insofern sie überhaupt eines Preises +würdig befunden werden. Auch hier bleiben Stoff und Form, soweit sie +nicht durch die Aufgabe selbst bestimmt sind, der Wahl des Dichters +überlassen, und gleich willkommen wird eine mit pindarischem Feuer +oder in anakreontisch-tändelnder Weise gedichtete Ode, eine Elegie im +Geiste der Alten oder Neuern, eine mehr oder minder zusammenhängende +Sonettenreihe, im Geiste Petrarca's oder Berni's, A. W. Schlegel's +oder Freimund Raimar's sein.</p> + +<p>Die gekrönten Gedichte werden in der »Urania« abgedruckt und der +Herausgeber derselben bedingt sich an ihnen das Verlagsrecht auf fünf +Jahre aus, nach welchen sie an ihre Verfasser als reines Eigenthum +zurückfallen.</p></blockquote> + +<p>Diesmal erfolgten noch zahlreichere Einsendungen, und wenn auch +kein erster Preis ertheilt werden konnte, so wurden doch mehrere +wohlgelungene Gedichte ausgezeichnet und auch in der »Urania« +veröffentlicht.</p> + +<p>Für den nächsten Jahrgang (1820) beschränkte Brockhaus infolge des +»Urtheils stimmfähiger Kunstrichter und eigener Wahrnehmung« seine +Preisaufgaben auf die poetische Erzählung und die poetische Epistel, bei +letzterer einen bestimmten Stoff bezeichnend, indem er sich besonders an +diejenigen wandte, »die ihr poetisches Talent mehr im Stillen üben und +eine aufmunternde Veranlassung erwarten, um damit vor das große Publikum +zu treten«; zugleich konnte er freilich auch »den Wunsch nicht bergen, +mit Gedichten verschont zu bleiben, deren Unzulänglichkeit die Verfasser +bei einiger Selbstkenntniß und Selbstprüfung leicht selbst wahrnehmen +müssen«.</p> + +<p>Obwol wiederum keine der eingegangenen Dichtungen mit dem ersten Preise +gekrönt werden konnte und nur einige trotzdem abgedruckt wurden, schrieb +Brockhaus im August 1819 für den Jahrgang 1821 neue Preise aus, und zwar +in der Gattung der poetischen Erzählung, der poetischen dramatischen +Dichtung und für die Uebersetzung eines Gesangs von Byron's »<span class="antiqua">Childe +Harold</span>«.</p> + +<p>Ferner richtete er aber zum ersten male sein Augenmerk außer auf die +poetische auch auf die prosaische Production, indem er in seiner +Ankündigung fortfuhr:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_284" id="Seite_284">[284]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Zugleich aber wünschte ich auch zu Ausarbeitungen in Prosa für +die »Urania« aufzumuntern. Sehr willkommen werden mir historische +Ausarbeitungen sein; und um auch hier einen Stoff zu bezeichnen, +schlage ich andeutungsweise den für die vaterländische Geschichte so +wichtigen und glorreichen Zeitraum der Kaiser Heinrich's I. und Otto's +des Großen vor, worüber treffliche Quellen vorhanden sind.</p> + +<p>Nicht minder willkommen sollen mir Lobreden auf ausgezeichnete +Männer sein, doch dürften sie nicht blos rhetorische Lobrednerei, +sondern gediegene Charakterbilder mit Licht und Schatten sein und +müßten den Einfluß darlegen, den der Gepriesene auf das Leben und +Wesen seiner Zeit geübt habe. Ein solches Werk ist Johannes Müller's +Lobrede auf Friedrich den Großen. Ich schlage zunächst unsern +unsterblichen Lessing vor.</p> + +<p>Für die beste Arbeit in jeder der genannten Gattungen in Prosa +bestimme ich, sofern sie die Forderungen, die man gerechterweise daran +machen muß, befriedigt, ebenfalls 12 Friedrichdor. Der Umfang dürfte +etwa drei, höchstens vier Druckbogen betragen.</p></blockquote> + +<p>Neben der »beifälligen und aufmunternden Zustimmung vieler Trefflichen +und Urtheilsfähigen« erwähnt Brockhaus jetzt zum ersten male auch +»Angriffe, die theils aus Uebelwollen und Ungunst mit Bitterkeit, +theils aus Lust zum Widerspruch auf mehr scherzhafte Weise gegen meine +Preisaufgaben gerichtet worden«, und fügt folgende Bemerkungen hinzu:</p> + +<blockquote> + +<p>Man hat es sonderbar gefunden, daß man nicht erfahren soll, wer +denn eigentlich die Richter oder, wie man sie scherzhaft genannt +hat, »die unbekannten Obern« sind, welche über den Werth und Unwerth +der eingesandten Gedichte absprechen. Darauf erwidere ich, daß, wenn +nur das Urtheil sich durch sich selbst rechtfertigt, der Name des +Urtheilenden völlig gleichgültig sein kann.</p> + +<p>Ist es doch bei allen unsern Recensiranstalten derselbe Fall. +Laufen Misbräuche mit unter, wohlan, die rüge man! Man zeige, daß +ein gelungeneres Gedicht einem minder gelungenen nachgesetzt, daß +einem Gedichte, dem der erste Preis gebührt hätte, nur der zweite +zuerkannt worden u. dgl. m. Letzteres, meint ein scharfsichtig in die +Zukunft Spähender, könne gar leicht geschehen, denn der Unternehmer +spare dabei. Diesem diene zur Antwort, daß bei der Art, wie das +Honorar für den zweiten Preis und jedes aufgenommene Gedicht bestimmt +ist, in dieser Hinsicht erster und zweiter Preis meistens ziemlich +gleich sind, daß also der Unternehmer schon aus diesem Grunde nichts +gewinnen, daß er vielmehr aus andern leicht sich darbietenden Gründen +dadurch<span class="pagenum"><a name="Seite_285" id="Seite_285">[285]</a></span> verlieren würde. Doch wozu sich gegen so kleinliche und +unwürdige Bedenklichkeiten schützen wollen!</p></blockquote> + +<p>Diesmal war der Erfolg noch geringer als früher; namentlich entsprach +keiner der eingegangenen prosaischen Aufsätze den gestellten +Anforderungen. Brockhaus sagt bei Mittheilung dieses Ergebnisses, +daß er theils zu solchen Aufsätzen habe aufmuntern wollen, die von +den Engländern mit dem Worte <span class="antiqua">Essays</span> bezeichnet würden (eine +bekanntlich erst viel später in der deutschen Literatur eingebürgerte +Gattung), theils zu Aufsätzen wie die <span class="antiqua">Eloges</span> der Franzosen. Nach +diesem Miserfolg beschränkte er sich darauf, für 1822 nur zwei Preise +auszuschreiben: 30 Friedrichdor für eine poetische Erzählung und 25 +Friedrichdor für eine prosaische Erzählung oder Novelle. Er bemerkt +dazu: »die Gewißheit, das Beste der Kunst nicht nur gewollt, sondern +auch gefördert zu haben«, sei der Redaction der »Urania« »das sicherste +Gegengift gegen die unrühmlichen und unredlichen Kämpfe« gewesen, »in +welche sie der hämische Geist des Widerspruchs, der alles Gute verfolgt, +zu verflechten gesucht hat«.</p> + +<p>Als auch diese Preisausschreibung nur wenig günstige Ergebnisse +lieferte, gab Brockhaus die Idee ganz auf und erklärte dies in einem +Vorworte vom 15. Juli 1821, das folgendermaßen schließt:</p> + +<blockquote> + +<p>Die zahlreichen und ausgezeichneten Verbindungen, deren der +Herausgeber der »Urania« sich erfreut, bewegen ihn zugleich, da er +in ihnen ein Mittel sieht, folgende Jahrgänge auf das reichhaltigste +auszustatten, auf künftige Preisaufgaben völlig Verzicht zu leisten. +Es sind ihm solche verschiedentlich gemisdeutet worden, und wenn +sich Misdeutungen dieser Art auch wol ertragen lassen, so können sie +wenigstens keine Aufmunterung sein, darin fortzufahren.</p> + +<p>Cotta und Andere haben ähnliche Ideen gehabt, sie auszuführen +gesucht, und sie haben sie aufgegeben, ohne selbst so glücklich +gewesen zu sein wie wir, die wenigstens genug belohnt worden sind, +dadurch <em class="gesperrt">ein</em> Gedicht veranlaßt zu haben, das in seiner Art von +keinem ähnlichen in unserer poetischen Literatur überboten und nicht +untergehen wird.</p> + +<p>Der Herausgeber der »Urania« hat auch hier das gewöhnliche Schicksal +erfahren, das in den meisten Fällen Alles trifft, was der höhern +Entwickelung irgendeiner schönen, sich über das Alltägliche erhebenden +Idee gewidmet wird und, indem es blos allgemeine Zwecke verfolgt, +kleinlichen und persönlichen Interessen entgegentritt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_286" id="Seite_286">[286]</a></span></p> + +<p>Er beschwert sich nicht darüber, da sein Bestreben ihm im Einzelnen +auch theuere und schätzbare Freunde zuführte, deren Anerkennung +und Wohlwollen für ihn einen größern Werth hat, als ihm erlittene +Kränkungen und rohe Verunglimpfungen mögen wehe gethan haben.</p></blockquote> + +<p>Jedenfalls war es Brockhaus gelungen, die »Urania« zu einem der +besten und gehaltvollsten Taschenbücher seiner Zeit zu gestalten, +und die Preisausschreibungen hatten theils direct, theils mittelbar +dazu beigetragen. Auf dem Gebiete der Poesie begegnen wir unter den +Mitarbeitern den besten Namen, die zum Theil darin zum ersten male +auftreten; außer Theodor Körner und Ernst Schulze seien nur folgende +genannt: Zacharias Werner (dessen »Vierundzwanzigster Februar« im +Jahrgange 1815 zuerst erschien), Friedrich Rückert, Adam Oehlenschläger, +Tiedge, Helmina von Chézy, Graf Kalckreuth, von der Malsburg, Graf von +Löben, Wilhelm Müller, Gustav Schwab, Adolf Streckfuß, Graf Platen. Noch +reicher ist die Liste der Mitarbeiter der »Urania« auf dem Gebiete der +Prosa, namentlich der Erzählung und Novelle, die in spätern Jahrgängen +immer mehr den Schwerpunkt der »Urania« bildete. Unter ihnen fehlt +kaum einer der beliebtesten Schriftsteller jener Zeit; neben Jean Paul +und den früher Genannten erwähnen wir noch: Friedrich Kind, Therese +Huber, De la Motte Fouqué, Winkler (Theodor Hell), Mosengeil, Böttiger. +Die eigentliche Blütezeit der deutschen Novelle, die in der »Urania« +ihre ausgezeichnetste Vertretung fand: in Ludwig Tieck, Wilhelm Häring +(Wilibald Alexis), Johanna Schopenhauer, Leopold Schefer, von Rehfues, +Sternberg, Eichendorff, Theodor Mügge, Ludwig Rellstab, Berthold +Auerbach, Karl Gutzkow, Levin Schücking u. a., fällt allerdings erst in +die Zeit nach dem Tode des Begründers der »Urania«.</p> + +<p>Das Taschenbuch erhielt sich bis zum Jahre 1848, in welchem es von der +Verlagshandlung bei der aufgeregten politischen, für derartige Lektüre +weniger empfänglichen Stimmung aufgegeben wurde, nachdem es 38 Jahre +lang in 35 Jahrgängen einen würdigen Sammelpunkt der besten Erzeugnisse +der deutschen schönen Literatur gebildet hatte.</p> + +<p>In der »Urania« trat Brockhaus auch selbst einmal als Schrift<span class="pagenum"><a name="Seite_287" id="Seite_287">[287]</a></span>steller +auf, wenn auch nicht unter seinem Namen und nur in der bescheidenen +Rolle eines Bearbeiters. Die im Jahrgange 1822 enthaltene Erzählung: +»Die Nebenbuhlerin ihrer selbst«, deren Verfasser »Guntram« genannt +ist, war von ihm nach dem Französischen bearbeitet; vielleicht war +sie nur ein Lückenbüßer zur Füllung des Bandes, zumal sie am Schluß +desselben steht und in dem Vorwort gesagt ist, die Redaction habe bei +dem zweifelhaften Ergebnisse der damaligen Preisausschreibung sich +selbst helfen müssen. Uebrigens hatte er wenig Lohn und Freude von +dieser seiner Arbeit, denn wegen derselben wurde dieser Jahrgang der +»Urania« für die österreichischen Staaten verboten, weil man in Wien +jene Erzählung auf eine vornehme österreichische Familie bezog. Nunmehr +erklärte Brockhaus in einer öffentlichen Anzeige unterm 29. October +1821: »daß diese Geschichte nach einer in den vorjährigen «<span class="antiqua">Annales +de la littérature</span>» von Quatremère de Quincy, Vanderbourg, Raoul +Rochette, wo sie '<span class="antiqua">Imprudence et bonheur</span>' heißt, von ihm selbst +bearbeitet ist und die gebrauchten Namen bloße Fictionen sind.« Die +Bearbeitung der spannenden, aber ästhetisch unerquicklichen Novelle +ist übrigens sehr geschickt und verräth kaum den nicht berufsmäßigen +Schriftsteller.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Durch die »Urania« kam Brockhaus in interessante und auch geschäftlich +für ihn werthvolle Beziehungen zu hervorragenden Schriftstellern.</p> + +<p>Der Philosoph Bachmann in Jena schickte ihm am 26. April 1812 »einige +Gedichte eines jungen Mannes« mit der Bitte, dieselben in den nächsten +Jahrgang aufzunehmen. Der junge Mann heiße — <span class="antiqua">Dr.</span> Rückert und +habe ihn um diese Vermittelung gebeten. Seitdem brachte fast jeder der +nächsten Jahrgänge der »Urania« Gedichte von Friedrich Rückert, bald +unter dessen Namen, bald unter dem bekannten Pseudonym Freimund Raimar, +das erste mal unter dem sonst nicht vorkommenden Pseudonym Fr. Rikard. +Rückert war damals Privatdocent an der Universität Jena und als Dichter +noch wenig bekannt; er wurde dies erst durch seine 1814 in Heidelberg, +wohin er sich gewandt hatte, erschienenen »Deutschen Gedichte«, welche +auch die »Geharnischten Sonette« enthielten.<span class="pagenum"><a name="Seite_288" id="Seite_288">[288]</a></span> Brockhaus blieb mit ihm +in dauernder Verbindung, wenn auch Rückert's hauptsächlichste Werke bei +andern Verlegern erschienen, und verlegte 1822 die »Oestlichen Rosen«. +Der Druck derselben verzögerte sich etwas, weshalb Rückert aus Koburg +vom 10. April 1821 an Brockhaus schrieb: an neuen Schriften und neuem +Papier sei ihm so viel nicht gelegen »als daran, daß meine jungen Rosen +nicht in Ihrem Pulte alt werden«! In Betreff der »Urania« fügte er noch +hinzu:</p> + +<blockquote> + +<p>Dankbar bin ich Ihnen dagegen für die abermalige Einladung zur +»Urania«, ob ich gleich einige Abneigung fühle, mich auf die Scene +zu stellen, wo Ihre Preisconcurrenten figuriren; doch wenn der +Druck nicht ebenso schnell geht als meiner langsam, so will ich zum +Gründonnerstag noch mit einem Nachtrab eintreffen.</p></blockquote> + +<p>Friedrich Rückert (geb. 1788, gest. 1866) blieb mit der Firma F. A. +Brockhaus auch nach dem Tode ihres Begründers in Beziehungen und sandte +ihr sein letztes Werk: »Ein Dutzend Kampflieder für Schleswig-Holstein«, +die anonym mit der Bezeichnung: »Von F—r«, 1864 erschienen, aber gleich +als von ihm gedichtet erkannt wurden und rasch zwei Auflagen erlebten.<a name="FNAnker_49_49" id="FNAnker_49_49"></a><a href="#Fussnote_49_49" class="fnanchor">[49]</a></p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Auch mit Franz Grillparzer (geb. 1791, gest. 1872) trat Brockhaus +zunächst der »Urania« wegen in Verbindung. Ein Brief Grillparzer's +aus Wien vom 6. April 1818 enthält das<span class="pagenum"><a name="Seite_289" id="Seite_289">[289]</a></span> Nähere darüber und möge auch +wegen seines sonstigen, nach mancher Seite hin interessanten Inhalts +vollständig hier folgen:</p> + +<blockquote> + +<p>Ew. Wohlgeboren Schreiben vom 26. März, das ich gestern erhielt, hat +mir um so größeres Vergnügen gemacht, je mehr ich mit ganz Deutschland +gewohnt bin, mit dem Namen Brockhaus nebst dem, daß er einen der +würdigsten Buchhändler bezeichnet, auch noch andere, nicht minder +ehrenvolle Begriffe zu verbinden.</p> + +<p>In Bezug auf Ihren freundlichen Antrag wegen Aufnahme meiner +»Sappho« in das Taschenbuch »Urania« habe ich vor allem Folgendes zu +erwidern: Erstens scheint mir für ein Werk, das zur Aufführung auf +der Bühne bestimmt ist und daselbst auf einigen Erfolg rechnet, ein +Taschenbuch eben nicht der beste Platz zu sein. Abgesehen von dem +Ungewöhnlichen einer solchen Erscheinung beschränkt man sich dadurch +das lesende und abnehmende Publikum auf eine weder Gewinn noch andern +Vortheil bringende Art. Zur Darstellung gebrachte Schauspiele haben +nämlich, wie Sie wol wissen, nebst dem <em class="gesperrt">Leser</em> im strengen +Verstande noch ein zweites Publikum, das sich sonst mit der Literatur +oft nicht sehr abgibt, das der <em class="gesperrt">Theaterbesucher</em> nämlich. Die +»Sappho« in einem theuern Taschenbuche erscheinen lassen, hieße auf +diese ganz Verzicht leisten. Sollte übrigens das Stück auf den Bühnen +von Wien, Berlin, Dresden und Weimar, die es zur Aufführung bereits +übernommen haben, und auf mehrern andern, mit denen ich darüber in +Unterhandlung zu treten gesonnen bin, Glück machen und Sie Lust haben, +den Verlag desselben als eines abgesonderten Werks zu übernehmen, oder +nebst dem Abdruck in der »Urania« noch eine zugleich erscheinende +besondere Auflage davon zu veranstalten, so würde es mir großes +Vergnügen machen, es Ihnen vor allen überlassen zu können.</p> + +<p>Wie wenig Sie übrigens — vorausgesetzt, daß das Stück gefällt, +und das denke ich eben abzuwarten — wie wenig Sie bei einem solchen +doppelten Abdruck riskiren, mag Ihnen der Umstand bezeugen, daß eben +jetzt, ein Jahr nach der Herausgabe meines ersten Trauerspiels »Die +Ahnfrau«, der wiener Verleger Wallishausser mir angekündigt hat, daß +die erste Auflage von 1500 Exemplaren fast vergriffen sei. Wenn das +der Fall mit einem Wallishausser ist, dessen Absatz und Verbindung mit +dem übrigen Deutschland so gering ist, daß ein Brockhaus ein Jahr nach +dem Erscheinen des gedruckten Werks fragen kann: ob es denn überhaupt +schon gedruckt sei? was wäre nicht bei dem Stande <em class="gesperrt">Ihres</em> +Verkehrs zu hoffen; wozu noch kommt, daß mein Name gegenwärtig denn +doch nicht mehr so fremd in Deutschland klingt als beim Erscheinen +der »Ahnfrau«. Für jeden Fall aber forderte die <span class="antiqua">honnêteté</span>, mit +der Herausgabe der »Sappho« doch so lange zu warten, bis die Bühnen,<span class="pagenum"><a name="Seite_290" id="Seite_290">[290]</a></span> +welche mir das Manuscript abgenommen haben, mit der Aufführung zu +Stande gekommen sind.</p> + +<p>Was im Falle eines wechselseitigen Verständnisses das Honorar +betrifft, so müßte ich Sie ersuchen, einen bestimmten Betrag +auszusprechen, da ich mich auf Berechnung nach Seiten und Zeilen und +auf Vergleichung der Handschrift mit dem Druck nicht verstehe. Nur +muß ich bekennen, daß, soviel ich herausklügeln kann, das Honorar von +vier Karolin für den Bogen von sechzehn Seiten mit kleiner Schrift +den Preis nicht erreichen würde, den ich bei mir selbst ungefähr +festgesetzt habe. Vier Karolin mögen ein allerdings ansehnliches +Honorar für Erzählungen und Gedichte und historische Darstellungen +&c. sein, wie man sie, halb zur eigenen Unterhaltung, halb eben der +vier Karolin wegen, für Taschenbücher macht. Auf meine »Sappho« habe +ich die Frucht mühevoller Studien, vielleicht künftige Lebensjahre +verwendet, und — ich hoffe, sie soll einige Almanachsjahrgänge +überleben. Sie haben die »Sappho« noch nicht gelesen; ich bitte, thun +Sie es, ehe Sie mir antworten.</p> + +<p>Sie werden über meinen langen Brief, als Antwort auf Ihren kurzen, +lachen. Er gilt aber auch nur dem <em class="gesperrt">Kunstfreund</em> Brockhaus, der +<em class="gesperrt">Buchhändler</em> mag sich die Daten heraussuchen, die ihm zu wissen +noththun.</p> + +<p>Leben Sie recht wohl.</p> +<p class="right-2">Ihr ergebener F. Grillparzer.</p> +</blockquote> + +<p>Brockhaus dankte am 6. Mai Grillparzer für seine Bereitwilligkeit, +bemerkte aber dabei: nach dem, was ihm sein Freund Böttiger in Dresden +(von dem er »so viel Herrliches« über die »Sappho« gehört) über den +Umfang des Stücks mitgetheilt, könne es doch nicht in die »Urania« +aufgenommen werden, und da es vorab auf den ersten Bühnen gegeben werden +solle, so sei es überhaupt noch nicht an der Zeit, es drucken zu lassen. +Der Brief schließt:</p> + +<blockquote> + +<p>Sobald Sie sich aber dazu bestimmen, haben Sie die Güte, mir Ihren +Entschluß mitzutheilen, sowie über das Honorar Ihrer Forderung. Ich +werde dann sehen, ob ich darauf eingehen kann. Es hat eine wunderbare +Bewandtniß mit dem Erfolg bei gedruckten Schauspielen. Noch habe ich +die kleine Auflage von Werner's »Vierundzwanzigstem Februar« und +die von Werners »Cunegunde« nicht abgesetzt. Ebenso wenig die von +Klingemann's »Faust«, so sehr dies — übrigens sehr schlechte Stück +<em class="gesperrt">meinem</em> Urtheile nach — auf den deutschen Bühnen Glück gemacht +hat und fortwährend auf allen Repertoires<span class="pagenum"><a name="Seite_291" id="Seite_291">[291]</a></span> ist. Diesen Erfahrungen +gemäß war meine Erbietung von vier Karolin per Bogen sehr bedeutend. +Ihre »Ahnfrau« habe ich mir verschafft, und ich lese sie eben. Auch +wird sie, wie ich höre, bald auf unsere Bühne kommen.</p></blockquote> + +<p>Am 22. Mai läßt er indeß einen zweiten Brief folgen, in welchem +er Grillparzer zu dem Erfolge der inzwischen stattgehabten ersten +Aufführung des Stücks in Wien Glück wünscht und sich wiederholt zum +Verlage desselben bereit erklärt. Die Ausgabe könne etwa zu Weihnachten +erfolgen, wenn Grillparzer dann durch seine Contracte mit den Bühnen, +denen er es als Manuscript überlassen, nicht weiter genirt sei. Auch +würde er einige gute Abbildungen dazu anfertigen lassen, da er mit +mehrern genialen Zeichnern in genauer Verbindung stehe. Er fügt noch +hinzu:</p> + +<blockquote> + +<p>Endlich würde ich das wünschen, daß, wenn Sie einmal mit mir in +Verbindung träten, Sie diese Verbindung, solange ich Ihnen keine +Ursache zu Beschwerden gebe, nicht auflösen möchten. Der Dichter in +Weißenfels (Müllner) trägt seine Producte wie ein Waarenmäkler von +Bude zu Bude, feilscht sie in jeder aus, und wer einen Kreuzer mehr +gibt als der Nachbar, der ist sein Mann!</p></blockquote> + +<p>Noch erbietet er sich, auch eine Ausgabe der »Ahnfrau« für +Norddeutschland zu übernehmen, falls Grillparzer eine solche neben der +in Wien erschienenen veranstalten dürfe.</p> + +<p>Grillparzer scheint sich aber inzwischen bereits mit seinem bisherigen +Verleger, Wallishausser in Wien, über den Verlag der »Sappho« geeinigt +zu haben, da sie kurz darauf bei diesem erschien, während uns keine +weitere Correspondenz zwischen Grillparzer und Brockhaus vorliegt.</p> + +<p>Von Zacharias Werner (geb. 1768, gest. 1823) verlegte Brockhaus eine +Separatausgabe der in der »Urania« zuerst veröffentlichten Tragödie +in einem Act: »Der vierundzwanzigste Februar«, und gleichzeitig +auch dessen: »Cunegunde die Heilige, Römisch-Deutsche Kaiserin. Ein +romantisches Schauspiel in fünf Akten« (beide Stücke 1815).</p> + +<p>Daß er übrigens die »Schicksalstragödien«, zu denen diese Dramen +gehören, selbst nicht überschätzte, zeigte er dadurch, daß er einige +Jahre darauf (1818) eine Parodie auf dieselben verlegte, die unter +dem Titel: »Der Schicksalsstrumpf. Tragödie in zwei Akten<span class="pagenum"><a name="Seite_292" id="Seite_292">[292]</a></span> von den +Brüdern Fatalis« erschien. Die beiden Verfasser waren der bekannte +österreichische dramatische Dichter Ignaz Friedrich Castelli (geb. 1781, +gest. 1862) und der Arzt und Dramatiker Alois Jeitteles (geb. 1794, +gest. 1858). Castelli, wie es scheint der hauptsächlichste Verfasser, +schrieb an Brockhaus: »der Spuk der Schicksalstragödien gehe nachgerade +ein bischen zu weit«, weshalb er diese Parodie derselben geschrieben +habe, und ließ ihm das Manuscript durch Hofrath Winkler (in Dresden), +in dessen dresdener »Abendzeitung« ein Bruchstück davon veröffentlicht +worden war, zusenden. Brockhaus schreibt an Winkler: er habe des Spaßes +wegen »das närrische Ding« gleich in die Druckerei spedirt. Das Stück +fand großen Beifall und machte die Runde über die deutschen Bühnen.</p> + +<p>Das in dem Briefe an Grillparzer neben Werner's beiden Dramen erwähnte +Trauerspiel »Faust« von Ernst August Friedrich Klingemann (geb. 1777, +gest. 1831) erschien 1815. Brockhaus verlegte gleichzeitig von demselben +Dichter ein »dramatisches Spiel mit Gesang«: »Don Quixote und Sancho +Panza oder: Die Hochzeit des Camacho« und eine Bühnenbearbeitung von +Shakspeare's »Hamlet«.</p> + +<p>Von dramatischer Literatur erschienen in Altenburg in Brockhaus' Verlage +noch folgende Werke: »Dramatische Spiele« von Wenzel Lembert, mit +seinem Familiennamen Tremler (geb. 1780, gest. um 1838), langjährigem +Schauspieler an der Hofbühne zu Wien und Verfasser zahlreicher +bühnengerechter Theaterstücke; »Theater« von Adolf Wagner (geb. 1774, +gest. 1835), dem bekannten dramatischen Schriftsteller und Uebersetzer, +mit dem Brockhaus durch die Hofräthin Spazier näher bekannt geworden war +(beide Werke 1816); endlich (1817) »Jeanne d'Arc«, ein Trauerspiel von +Karl Friedrich Gottlob Wetzel (geb. 1779, gest. 1819), Redacteur des +»Fränkischen Merkur«. Von letzterm Schriftsteller hatte er kurz vorher +(1815) schon zwei Werke verlegt, eine Sammlung patriotischer Gedichte +unter dem Titel: »Aus dem Kriegs- und Siegesjahre Achtzehnhundert +Dreyzehn. Vierzig Lieder nebst Anhang«, und: »Prolog zum Großen Magen«, +eine gelungene Satire auf die Nützlichkeitstendenzen jener Zeit.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_293" id="Seite_293">[293]</a></span></p> + +<p>Die satirische Literatur ist außer durch letztere Schrift und den +»Schicksalsstrumpf« in Brockhaus' Verlage aus dieser Zeit besonders +durch seinen schon vielfach erwähnten Freund Friedrich Ferdinand Hempel +(geb. 1778, gest. 1836) vertreten, der unter verschiedenen Pseudonymen +politische und literarische Zustände der Zeit scharf geiselte. Brockhaus +verlegte von ihm: »Politische Stachelnüsse gereift in den Jahren +1813-1814 aufgetischt von Spiritus Asper« (ohne Verlagsort und Firma +1814); »Politische Stachelnüsse geschüttelt von Spiritus Asper. Zweite +Lieferung« (1815); »Ein Paar mercantilische Stachelnüsse. Zur Messe +gebracht von Spiritus Asper« (1816). Hempel lieferte auch mehrere +Beiträge für die »Urania«, gab 1818 in Brockhaus' Verlage ein von dessen +und seinem Freunde Moritz August von Thümmel (geb. 1738, gest. 1817) +gedichtetes Epos: »Der heilige Kilian und das Liebes-Paar« heraus, +1822 wieder eine satirische Schrift: »Nüsse. Gesammelt von Frater +Timoleon« (mit Köln als Verlagsort), sowie ein »Taschenbuch ohne Titel +auf das Jahr 1822« (dem 1830 und 1832 noch zwei Jahrgänge folgten), und +verfaßte später das »Allgemeine deutsche Reimlexikon. Herausgegeben von +Peregrinus Syntax« (2 Bände, Leipzig 1826), das noch jetzt als das beste +Werk seiner Art gilt.</p> + +<p>Die poetische Literatur weist außer der »Urania« und den aus derselben +abgedruckten Dichtungen sowie den eben erwähnten Dramen in der +altenburger Zeit nur wenige Originalwerke auf, deren Verfasser meist +durch die »Urania« dem Verleger zugeführt worden waren.</p> + +<p>Schon 1812 verlegte er zwei Dichtungen der durch »Die Schwestern von +Lesbos« (1801) bekannt gewordenen Dichterin Amalie von Helvig, geborenen +von Imhoff<a name="FNAnker_50_50" id="FNAnker_50_50"></a><a href="#Fussnote_50_50" class="fnanchor">[50]</a> (geb. 1776, gest. 1831): »Die Schwestern auf Corcyra. +Eine dramatische Idylle in zwei Abtheilungen« (mit dem Nebentitel: +»Taschenbuch für das Jahr 1812«), und: »Die Tageszeiten. Ein Cyclus +griechischer Zeit und Sitte. In vier Idyllen.«</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_294" id="Seite_294">[294]</a></span></p> + +<p>Ein anderes größeres poetisches Werk seines Verlags ist eine Sammlung +von Dichtungen des Grafen Otto Heinrich von Loeben (geb. 1786, +gest. 1825) unter dem Titel: »Rosengarten« (2 Theile, 1817); als +Separatabdruck daraus erschien: »Cephalus und Procris.« Graf Loeben +schrieb sonst meist unter den Pseudonymen Isidorus Orientalis und +Kukuk Waldbruder; er lebte in Dresden und gehörte zu dem dortigen +»Liederkreise«.</p> + +<p>Ein eigenthümliches Werk ist das didaktische Gedicht in vier Gesängen: +»Die Heilquellen am Taunus« von Johann Isaak Freiherrn von Gerning (geb. +1767, gest. 1837), das 1814 erschien, und zwar in einer Prachtausgabe in +Quartformat, mit sieben Kupfern, einer Karte und Erläuterungen.</p> + +<p>Der altdeutschen Literatur gehören zwei Werke an: »Das Lied der +Nibelungen. Metrisch übersetzt« von Johann Gustav Büsching (geb. 1783, +gest. 1829), dem verdienten breslauer Professor der altdeutschen +Literatur, und: »Der Lobgesang auf den heiligen Anno«, mit Uebersetzung, +Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Georg August Friedrich +Goldmann, Rector des Gymnasiums zu Soest (Geburts- und Todesjahr +unbekannt); ersteres Werk 1815, letzteres 1816 erschienen.</p> + +<p>Das Gebiet der Belletristik berührt eine 1815 erschienene »Blumenlese +aus dem Stammbuche der deutschen mimischen Künstlerin, Frauen Henriette +Hendel-Schütz, gebornen Schüler« (geb. 1772, gest. 1849), herausgegeben +von dem vierten Gatten dieser durch ihre mimisch-plastischen +Darstellungen auf Reisen in allen Hauptländern Europas berühmt +gewordenen Künstlerin, Professor Friedrich Karl Julius Schütz in Halle. +Schon in der »Urania« für 1812 war ein (später auch in Separatausgabe +erschienener) Aufsatz von Falk über diese pantomimischen Darstellungen +mit Abbildungen veröffentlicht worden.</p> + +<p>Die Romanliteratur ist in dieser Zeit in Brockhaus' Verlage nur durch +ein Originalwerk vertreten: »Das Opfer« von Regina Frohberg (geb. 1783, +Todesjahr unbekannt), einen Roman, der gleich den zahlreichen übrigen +der Verfasserin jetzt vergessen ist; dann aber durch eine »Bibliothek +neuer englischer Romane« in sechs Bänden, deren erste beiden (1814) zwei +Werke von Maria Edge<span class="pagenum"><a name="Seite_295" id="Seite_295">[295]</a></span>worth brachten, übersetzt von Karoline von Woltmann +(geb. 1782, gest. 1847), der Gattin des bekannten Geschichtschreibers, +während die folgenden vier Bände (1816 und 1817) Romane von Amelia Opie +und Emma Parker, zwei gleich Maria Edgeworth damals sehr geschätzten +englischen Schriftstellerinnen, in Uebersetzungen von Henriette Schubart +(geb. 1770, gest. 1831) enthielten.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Die Uebersetzungsliteratur wurde überhaupt von Brockhaus in allen +Perioden seiner Verlagsthätigkeit mit besonderer Vorliebe gepflegt, weil +er sich persönlich für die fremden Literaturen, und insbesondere die +englische und französische, lebhaft interessirte.</p> + +<p>Schon 1811 hatte er mit Johannes Daniel Falk, dem bereits erwähnten +Vermittler seiner Bekanntschaft mit Goethe, ein »Römisches Theater der +Engländer und Franzosen« begonnen. Der erste Band sollte Shakspeare's +»Coriolan« enthalten; Brockhaus nennt den Helden des Stücks in seiner +Ankündigung »den kühnsten männlichen Charakter, den vielleicht die alte +Zeit hervorgebracht und Shakspeare's Genius dargestellt«, und fügt +hinzu: »kein Mann, der noch in Zeiten wie die unsern Anspruch darauf +macht, einer zu sein, sollte dies kühne Product jenes Feuergeistes +ungelesen lassen«. Der zweite Band sollte Racine's »Britannicus« +bringen, der dritte und vierte Band Charakteristiken und Auszüge aus +»Antonius und Kleopatra«, »Cinna«, »Cäsar« u. s. w. von Shakspeare, +Corneille, Voltaire, Racine, Crébillon, Lee u. s. w. Doch erschien nur +der erste Band, und das Unternehmen fand keinen Anklang, wol weil die +»freie Bearbeitung« des Uebersetzers dem deutschen Publikum weniger +zusagte als die Uebersetzungen Shakspeare's von Wieland, Eschenburg und +besonders August Wilhelm von Schlegel.</p> + +<p>Von Falk verlegte Brockhaus gleichzeitig eine Sammlung von Gedichten, +Erzählungen und Briefen unter dem Titel: »Ozeaniden«, und später: +»Johannes Falk's Liebe, Leben und Leiden in Gott. Zu Luther's Gedächtniß +herausgegeben von einem seiner Freunde und Verehrer im Jahr unsers +Herrn 1817« (mit der alterthümlichen Verlagsbezeichnung auf dem Titel: +»Altenburg, verlegt's F. A. Brockhaus«), sowie eine Auswahl aus dessen +Werken: »Johannes Falk's auserlesene Werke. (Alt und neu.)« in drei +Theilen<span class="pagenum"><a name="Seite_296" id="Seite_296">[296]</a></span> (1819), deren erster die »Ozeaniden« unter dem neuen Titel: +»Seestücke« wieder enthält; letztere beiden Werke wurden von Falk's +Freunde Adolf Wagner in Leipzig veröffentlicht.</p> + +<p>Aus der englischen Literatur ist außer Shakspeare's »Coriolan« und +den englischen Romanen nur noch eine Uebersetzung von Walter Scott's +»Schottischen Liedern und Balladen« von Henriette Schubart (1817) zu +nennen.</p> + +<p>Noch mehr als die englische pflegte Brockhaus die französische +Literatur, wie zahlreiche Verlagswerke, Uebersetzungen und +Originalausgaben, beweisen.</p> + +<p>Außer der schon früher erwähnten, von der Hofräthin Spazier gefertigten +Uebersetzung der von Frau von Staël-Holstein herausgegebenen »Briefe, +Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« (1812) verlegte er: +ein »<span class="antiqua">Manuel pour la conversation dans les langues étrangères</span>«, +ohne Verfassernamen, aber von der berühmten französischen +Schriftstellerin Gräfin von Genlis herrührend, gleichzeitig auch +eine deutsche Uebersetzung davon (beide Werke ebenfalls 1812); +eine freie Bearbeitung des bekannten Werks Jean Nicolas Bouilly's +»<span class="antiqua">Conseils à ma fille</span>«, von dem schon genannten Mitredacteur des +»Conversations-Lexikon« <span class="antiqua">Dr.</span> Ludwig Hain, unter dem Titel: »Rath +an meine Tochter in Beispielen aus der wirklichen Welt« (2 Bändchen, +1814); Abdrücke der Originalausgaben von Chateaubriand's »<span class="antiqua">Souvenirs +d'Italie, d'Angleterre et d'Amérique</span>« und Frau von Staël-Holstein's +berühmtem Werke: »<span class="antiqua">De l'Allemagne</span>«, mit einer werthvollen +Einleitung des auch mit der Verfasserin befreundeten Charles de Villers +(beide Werke 1815); die Uebersetzung eines von dem Verfasser Louis +Simond ursprünglich englisch, dann aber auch französisch geschriebenen +Werks: »Reise eines Gallo-Amerikaners (M. Simond's) durch Großbritannien +in den Jahren 1810-1811« (2 Theile, 1817-1818), von Ludwig Schlosser, +dem Pastor zu Großzschocher bei Leipzig, bei dem Brockhaus' ältester +Sohn Friedrich erzogen wurde (geb. 1774, gest. 1859); endlich +eine von <span class="antiqua">Dr.</span> Ludwig Hain bearbeitete und mit Anmerkungen +begleitete deutsche Ausgabe des werthvollen literarhistorischen Werks: +»<span class="antiqua">Littérature du midi de l'Europe</span>« von Jean Charles Léonard +Simonde de Sismondi, unter<span class="pagenum"><a name="Seite_297" id="Seite_297">[297]</a></span> dem Titel: »Die Literatur des südlichen +Europas« (2 Bände, 1816 und 1819).</p> + +<p>In der italienischen Literatur war es vor allem Dante, für dessen Werke, +insbesondere die »<span class="antiqua">Divina commedia</span>«, Brockhaus sich persönlich +interessirte, und er hat das Verdienst, der deutschen Literatur die +erste vollständige und noch jetzt als eine der besten anerkannte +Uebersetzung dieses Werks verschafft zu haben. Schon in Amsterdam begann +er die Veröffentlichung dieser von Karl Ludwig Kannegießer (geb. 1781, +gest. 1861) herausgegebenen Uebersetzung, die, wie dieser in seinem vom +April 1809 datirten Vorwort sagt, »von August Bode 1802 angefangen und +nach dessen Tode von Ludwig Hain und ihm fortgesetzt, vollendet und +gänzlich umgearbeitet wurde«. Der erste Theil: »Die Hölle«, erschien +1809, der zweite Theil: »Das Fegefeuer«, 1814 (nebst einer neuen, aber +nicht als solche bezeichneten Ausgabe des ersten Theils), der dritte +Theil: »Das Paradies«, erst 1821. Diese Uebersetzung wurde bei Lebzeiten +des Uebersetzers in vier Auflagen oder vielmehr Umarbeitungen ausgegeben +(1825, 1832 und 1843) und 1872 in fünfter Auflage gedruckt. Ebenfalls +in Amsterdam erschienen (1809) »Umrisse« zu Dante's »Hölle« von Hummel +nach Flaxman, 39 Kupferstiche in Querfolio enthaltend. Später übersetzte +Kannegießer auch die meisten übrigen Werke Dante's für denselben Verlag.</p> + +<p>Von Ludwig Hain verlegte Brockhaus auch eine Uebersetzung der +»Denkwürdigkeiten aus dem Leben Vittorio Alfieri's. Von ihm selbst +geschrieben« (1812), und dieses Werk war es, durch das er mit Hain +zuerst in nähere Verbindung trat.</p> + +<p>Einen würdigen Abschluß der den fremden Literaturen gewidmeten +Verlagsthätigkeit Brockhaus' in dieser Zeit bildet die von Georg +Bernhard Depping (geb. 1784 in Münster, gest. 1853 in Paris), dem +berühmten Kenner der spanischen Literatur, herausgegebene und mit einer +werthvollen Einleitung versehene »Sammlung der besten alten Spanischen +Historischen, Ritter- und Maurischen Romanzen« (1817), die später in +neuer vermehrter spanischer Ausgabe unter dem Titel: »<span class="antiqua">Romancero +castellano</span>« (2 Bände, 1844) erschien, wozu noch ein dritter Band: +»<span class="antiqua">La Rosa de Romances</span>« von Ferdinand Joseph Wolf hinzukam (1846).</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_298" id="Seite_298">[298]</a></span></p> + +<p>Neben den fremden Literaturen wendete indeß Brockhaus auch in dieser +Zeit seine Verlagsthätigkeit hauptsächlich der deutschen Literatur +zu, und zwar nicht blos den von uns bereits vorgeführten Gebieten der +sogenannten schönen Literatur, der poetischen und belletristischen, +sondern auch denen der wissenschaftlichen und überhaupt der ernstern +Literatur.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>In erster Linie ist hier das Werk zu nennen, das uns nebst seinem +Verfasser bereits mehrfach begegnet ist: »Handbuch der deutschen +Literatur seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis auf die +neueste Zeit, systematisch bearbeitet und mit den nöthigen Registern +versehen von Johann Samuel Ersch, Professor und Bibliothekar auf der +Universität zu Halle.« Wie früher erwähnt, hatte Brockhaus bereits am +3. Juli 1809 in Amsterdam einen Contract über dieses von ihm selbst +veranlaßte Werk mit dem Verfasser abgeschlossen; indeß erschien der +aus vier Abtheilungen bestehende erste Band erst 1812 und die beiden +ersten Abtheilungen des zweiten Bandes folgten 1813, die beiden letzten +Abheilungen 1814, womit das Werk, das somit aus zwei Bänden zu je vier +Abtheilungen oder eigentlich aus acht Theilen bestand, zum ersten male +vollständig vorlag. Durch dieses Werk ist Ersch, nachdem er schon früher +werthvolle bibliographische Arbeiten geliefert hatte, der eigentliche +Begründer der deutschen Bibliographie geworden; innere Trefflichkeit und +äußere zweckmäßige Einrichtung haben dasselbe zu einem Muster gemacht, +wie die Literatur eines Volks geordnet werden soll, und es bildet +die Grundlage aller ähnlichen spätern Werke. Der Verleger wurde auch +durch den äußern Erfolg dieses Verlagsartikels für die auf denselben +verwendeten Sorgen und Unkosten entschädigt: nach seinem eigenen Zeugniß +war es nebst dem »Conversations-Lexikon« hauptsächlich dieses Werk, +dessen Ertrag ihm nach der Wiederaufnahme seiner Verlagsthätigkeit in +Altenburg die Mittel zur Ausführung weiterer Unternehmungen gewährte. +Eine zweite Auflage oder Umarbeitung wurde noch bei Brockhaus' Lebzeiten +(1822) begonnen, wobei sich Ersch von verschiedenen andern Mitarbeitern +unterstützen ließ, aber erst 1840 (in welchem Jahre nach längerer +Pause die letzte Abtheilung des zweiten Bandes<span class="pagenum"><a name="Seite_299" id="Seite_299">[299]</a></span> erschien) vollendet. +Von einer dritten Auflage oder Umarbeitung sind nur die Abtheilungen +der philologischen und philosophischen Literatur (1845 und 1850), von +Christian Anton Geißler bearbeitet, ausgegeben worden.</p> + +<p>Daß Brockhaus die erste Idee zu dem Werke gegeben, zeigt außer seinen +Versicherungen auch folgende Stelle der aus Halle 14. September 1814 +datirten Vorrede des Verfassers zum letzten Bande:</p> + +<blockquote> + +<p>Aus mancherlei Gründen war ich, nach Vollendung des letzten +»Repertoriums der Literatur« (1796-1800) und nach einer noch längere +Zeit fortgesetzten Beschäftigung mit Vorarbeiten zu einer etwanigen +Fortsetzung, zu dem Entschlusse gekommen, für die Zukunft alle +bibliographischen Arbeiten für das Publikum aufzugeben und meine Muße +vorzugsweise dem Studium der Staatskunde und neuern Geschichte zu +widmen, als ich, eben mit ernstlichen Anstalten zu einem umfassenden +statistischen Werke beschäftigt, ganz unerwartet von dem Herrn +Buchhändler Brockhaus, damals zu Amsterdam, durch eine dringende +Aufforderung zu diesem neuen bibliographischen Werke überrascht +wurde. Nach den bisher von mir gelieferten Arbeiten mußte er dadurch +meinen eigenen Wünschen zu begegnen mit Gewißheit erwarten, und doch +war gerade damals der Fall anders. Lange sträubte ich mich daher +gegen die Ausführung des wohldurchdachten Plans, so sehr er auch im +ganzen meinen Beifall hatte. Endlich aber fand ich mich — einerseits +durch die Vorliebe des Herrn Brockhaus für seinen Plan, die meine +eigene Neigung für diese Gattung von Arbeiten von neuem belebte, +und andererseits durch Hinsicht auf die Zeitumstände, die einer +freimüthigen Bearbeitung der Staatskunde und der neuern Geschichte +immer ungünstiger wurden — zur Ausführung eines Werks bewogen, das +mir, statt eines andern jetzt weniger erfreulichen, eine jahrelange +Beschäftigung versprach, die, wie ich nach mehrmaliger Erfahrung nicht +ohne Grund hoffte, dazu beitragen würde, mir die trüben Zeitumstände +einigermaßen aufzuheitern.</p></blockquote> + +<p>Außer mit Ersch war Brockhaus gleich in der ersten Zeit seines +Aufenthalts in Leipzig und Altenburg auch mit dessen späterm Collegen +Professor Johann Gottfried Gruber (geb. 1774, gest. 1851) in Verbindung +gekommen, zunächst wegen des »Conversations-Lexikon«, an dessen zweiter +Auflage Beide thätige Mitarbeiter waren. Die Namen Ersch und Gruber sind +erst später durch die gemeinschaftliche Herausgabe der »Allgemeinen +Encyklo<span class="pagenum"><a name="Seite_300" id="Seite_300">[300]</a></span>pädie der Wissenschaften und Künste« (seit 1818) in diejenige +enge Verbindung gekommen, in der sie noch mehr als durch ihre eigenen +Werke in der Literatur fortleben werden; seit Ende 1815 waren sie +Collegen an der Universität Halle, indem Gruber um diese Zeit dort +angestellt wurde, während Ersch schon seit 1803 daselbst wirkte. Als +Brockhaus mit Gruber in literarische Beziehungen trat, war Letzterer +Professor an der Universität zu Wittenberg; diese wurde 1812 infolge der +Kriegsunruhen aufgehoben, er ging nach Leipzig, als Ephorus der dahin +gewiesenen wittenberger Studenten, und wurde, wie erwähnt, Ende 1815 +nach der Vereinigung der beiden Universitäten Wittenberg und Halle, +worüber er selbst die Unterhandlungen zu führen hatte, nach Halle +versetzt. In Leipzig verfaßte er eine Lebensbeschreibung Wieland's +(gest. 20. Januar 1813), zu der er bei seinem mehrjährigen Aufenthalte +in Jena und Weimar (1803-1810) in vertrautem Umgange mit Wieland, der +ihn selbst zu seinem Biographen bestimmte, die Materialien gesammelt +hatte; sie erschien in Brockhaus' Verlage unter dem Titel: »Christoph +Martin Wieland. Geschildert von J. G. Gruber« (2 Theile, 1815 und 1816). +Später schrieb Gruber noch eine größere Biographie Wieland's (4 Bände, +Leipzig 1827) für die von ihm besorgte neue Ausgabe von Wieland's +sämmtlichen Werken in Göschen's Verlage (1818-1828).</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Ein dritter hervorragender Schriftsteller, der zu Brockhaus' nähern +Freunden gehörte, war Karl Heinrich Ludwig Pölitz (geb. 1772, gest. +1838), der bekannte Historiker und Statistiker, damals (seit 1803) +wie Gruber Professor in Wittenberg, seit 1815 bis zu seinem Tode in +Leipzig, erst als Professor der sächsischen Geschichte und Statistik, +dann der Politik und Staatswissenschaften wirkend. Für Brockhaus war +Pölitz zunächst ebenfalls als Mitarbeiter am »Conversations-Lexikon« +thätig, verfaßte aber bald auch ein eigenes Werk für dessen Verlag, +eine Biographie seines Freundes und Gönners, des bekannten Theologen +Reinhard. Dieser, 1753 geboren, starb am 6. September 1812 als +Oberhofprediger zu Dresden, in welcher Stellung er seit 1792 segensreich +gewirkt hatte. Das Werk führte den Titel: »<span class="antiqua">D.</span> Franz Volkmar +Reinhard<span class="pagenum"><a name="Seite_301" id="Seite_301">[301]</a></span> nach seinem Leben und Wirken dargestellt von Karl Heinrich +Ludwig Pölitz« (2 Abtheilungen, 1815). Das Vorwort zur ersten Abtheilung +trägt das Datum: 12. März 1813; sie ist wahrscheinlich schon 1813 +erschienen. Das Vorwort zur zweiten Abtheilung ist vom 17. Januar 1815 +datirt und in Schmiedeberg bei Pretzsch geschrieben, wo Pölitz seit der +Aufhebung der wittenberger Universität bis zu seiner Uebersiedelung nach +Leipzig gelebt hatte.</p> + +<p>Im Jahre 1817 verlegte Brockhaus das Hauptwerk von Pölitz: »Die +Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren« +(ursprünglich zwei Theile), wozu 1820 und 1825 noch zwei weitere +Theile als dritter und vierter hinzukamen. Eine zweite umgearbeitete +Auflage dieses Werks wurde 1832 und 1833 unter dem veränderten Titel: +»Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste +Zeit«, in drei Bänden veranstaltet, während 1847 noch die von Professor +Friedrich Bülau herausgegebene erste Abtheilung eines vierten Bandes +hinzukam, die, mit dem ersten Bande vereinigt, auch als ein besonderes +Werk unter dem Titel: »Die Verfassungen des teutschen Staatenbundes seit +dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit«, erschienen ist.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Dem Gebiete der Politik und Staatswirthschaft gehören noch folgende +Verlagsartikel aus diesen Jahren an: eine Schrift über »Das +Continentalsystem« (1812) von dem zu Brockhaus' nähern Bekannten in +Altenburg gehörenden Rath und Kammersecretär Ludwig Lüders (geb. um +1778, gest. 1822); die schon früher erwähnte Schrift von Charles de +Villers: »<span class="antiqua">Constitutions des trois villes libres-anséatiques, Lubeck, +Brêmen et Hambourg</span>« (1814); Chateaubriand's »<span class="antiqua">Essai historique, +politique et moral sur les révolutions, anciennes et modernes</span>« (2 +Bände, 1816); »Theorie des Geldes und der Münze« von <span class="antiqua">Dr.</span> Johann +Karl Adam Murhard in Kassel (geb. 1781, gest. 1863); »Grundzüge der +philosophischen Politik« von Gustav Anton Freiherrn von Seckendorff +(bekannter unter dem Namen Patrick Peale, geb. 1775 im Altenburgischen, +gest. 1823 in Nordamerika), letztere beiden Werke 1817 erschienen. Die +der Geschichte gewidmeten Verlagsartikel werden später erwähnt werden.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_302" id="Seite_302">[302]</a></span></p> + +<p>Auch das Gebiet der Naturwissenschaften, dem Brockhaus von Anfang +an besondere Beachtung geschenkt hatte, weist mehrere gediegene +Verlagswerke auf.</p> + +<p>So veröffentlichte er in den Jahren 1817 und 1818 von Kurt Sprengel's +»<span class="antiqua">Historia rei herbariae</span>«, die 1807 und 1808 einen seiner ersten +Verlagsartikel in Amsterdam bildete, eine neue deutsche Bearbeitung des +Verfassers unter dem Titel: »Geschichte der Botanik« (2 Theile).</p> + +<p>Dann kaufte er aus dem Verlage von Achenwall & Co. in Berlin den bereits +gedruckten ersten Band eines »Handwörterbuch der allgemeinen Chemie« von +Johann Friedrich John, Professor an der Universität zu Frankfurt a. O. +und nach deren Aufhebung zu Berlin (geb. 1782, gest. 1847), und führte +es in vier Bänden (1817-1819) zu Ende.</p> + +<p>Ferner begann er den Verlag eines »Archiv für den Thierischen +Magnetismus«, von Professor Dietrich Georg Kiefer in Jena (geb. 1779, +gest. 1862) in Verbindung mit Professor Karl Adolf von Eschenmayer in +Tübingen (geb. 1768, gest. 1852) und Professor Christian Friedrich +Nasse (geb. 1778, gest. 1851) herausgegeben. Indeß veröffentlichte +Brockhaus blos vier Hefte (1817) und verkaufte das »Archiv« dann an die +Buchhandlung Hemmerde & Schwetschke in Halle, in deren Verlag bis 1827 +zwölf Bände davon erschienen.</p> + +<p>Uebrigens interessirte sich Brockhaus auch persönlich für diese nach +ihrem Erfinder Anton Mesmer gewöhnlich Mesmerismus genannte neue Lehre +von den geheimnißvollen Kräften des thierischen Magnetismus, welche in +Frankreich und Deutschland bis über das erste Viertel des Jahrhunderts +hinaus großes Aufsehen erregte. Er verlegte später Wolfart's »Jahrbücher +für den Lebens-Magnetismus oder Neues Askläpieion« (5 Bände, +1818-1823) und »Der Magnetismus nach der allseitigen Beziehung seines +Wesens, seiner Erscheinungen, Anwendung und Enträthselung in einer +geschichtlichen Entwickelung von allen Zeiten und bei allen Völkern +wissenschaftlich dargestellt«, von Professor Joseph Ennemoser in Bonn, +einem der Hauptvertreter dieser Lehre. Letzteres Werk erschien 1844 in +zweiter umgearbeiteter Auflage unter dem<span class="pagenum"><a name="Seite_303" id="Seite_303">[303]</a></span> Doppeltitel: »Geschichte des +thierischen Magnetismus« und »Geschichte der Magie«.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Einen besonders werthvollen Zuwachs seines medicinischen Verlags erhielt +Brockhaus dadurch, daß er 1816 den gesammten Verlag der unter der +Firma »Literarisches Comptoir« in Altenburg bestehenden Pierer'schen +Buchhandlung übernahm. Die beiden wichtigsten Verlagswerke derselben +waren: »Medizinisches Realwörterbuch zum Handgebrauch praktischer Aerzte +und Wundärzte und zu belehrender Nachweisung für gebildete Personen +aller Stände«, und: »Allgemeine medizinische Annalen des neunzehnten +Jahrhunderts«. Beide Werke waren von dem Besitzer der Pierer'schen +Verlagsbuchhandlung begründet und wurden von ihm unter seinem Namen +herausgegeben, auch noch nach diesem Verkaufe.</p> + +<p>Johann Friedrich Pierer wurde schon mehrfach genannt: er hatte Brockhaus +1808 auf der leipziger Messe kennen gelernt und ihn dann bei seiner +Ankunft in Altenburg mit Rath und That unterstützt. Schon als Besitzer +der Hofbuchdruckerei, als Schwager des Bankiers Reichenbach und Freund +des Ludwig'schen Hauses nahm Pierer eine sehr hervorragende Stellung +in der altenburger Gesellschaft ein. Im Jahre 1767 geboren, studirte +er die Medicin und ließ sich 1790 in seiner Vaterstadt Altenburg +als praktischer Arzt nieder, begründete 1798 eine »Medizinische +Nationalzeitung für Deutschland«, die er 1800 »Allgemeine medizinische +Annalen« nannte, und kaufte 1799 die Richter'sche Hofbuchdruckerei in +Altenburg, mit der er 1801 ein buchhändlerisches Verlagsgeschäft für +seine Zeitschrift unter der Firma »Literarisches Comptoir« verband. +Dieses letztere verkaufte er sammt jener Zeitschrift, einigen andern +Verlagsartikeln und dem eben im Druck begonnenen »Medizinischen +Realwörterbuche« 1816 an Brockhaus. Nachdem er 1814 Amts- und +Stadtphysikus mit dem Titel Hofrath geworden war, wurde er 1826 zum +Obermedicinalrath und Leibarzt des Herzogs ernannt und starb 1832.</p> + +<p>Im Jahre 1823 (nach Brockhaus' Tode) nahm Johann Friedrich Pierer +sein Verlagsgeschäft unter der nur wenig veränderten Firma +»Literatur-Comptoir« wieder auf und übertrug die Leitung desselben<span class="pagenum"><a name="Seite_304" id="Seite_304">[304]</a></span> +seinem Sohne Heinrich August Pierer (geb. 1794, gest. 1850), der +zuerst ebenfalls Medicin studirt hatte, aber 1813 mit ins Feld gezogen +war und 1831 seinen Abschied nahm, worauf er sich ausschließlich dem +Verlagsgeschäft widmete. Er hat sich namentlich durch Herausgabe +des »Universal-Lexikon« bekannt gemacht, das er 1824 noch bei +Lebzeiten seines Vaters und von diesem unterstützt unter dem Titel +»Encyklopädisches Wörterbuch« begonnen hatte.</p> + +<p>Von dem erstgenannten jener beiden von Brockhaus mit dem Pierer'schen +Verlage erworbenen Werke, dem »Medizinischen Realwörterbuch«, erschienen +in den Jahren 1816, 1818, 1819 und 1821 die ersten vier Bände, der +vierte mit herausgegeben von <span class="antiqua">Dr.</span> Ludwig Choulant (geb. 1791, +gest. 1861 als Geh. Obermedicinalrath in Dresden), den Pierer zu seiner +Unterstützung 1817 aus Dresden nach Altenburg berufen hatte, wo er +bis 1821 blieb. Doch wurden diese vier Bände später an Pierer wieder +verkauft und von diesem die das Werk abschließenden Bände 5-8 in den +Jahren 1823-1829 selbst verlegt.</p> + +<p>Die »Allgemeinen medizinischen Annalen«, deren Redaction Pierer +ebenfalls beibehielt, seit 1821 auch dabei von Choulant unterstützt, +blieben nach der Wiedererrichtung der Pierer'schen Verlagsbuchhandlung +im Jahre 1823 doch im Verlage von F. A. Brockhaus, und zwar bis 1830, +worauf sie in die im Pierer'schen Verlage erscheinende »Allgemeine +medizinische Zeitung« umgewandelt wurden; letztere wurde nach Pierer's +Tode seit 1833 von <span class="antiqua">Dr.</span> Karl Pabst herausgegeben, ging 1837 wieder +an F. A. Brockhaus über, hörte aber mit Ende 1838 ganz auf.</p> + +<p>In dem am 11. Juni 1816 zwischen Pierer und Brockhaus abgeschlossenen +Vertrage über den Verkauf des »Literarischen Comptoir« verpflichtete +sich Letzterer zugleich, »die bisher bestandenen Druckereigeschäfte« mit +Ersterm fortzusetzen und nicht nur die von ihm übernommenen Verlagswerke +und »die noch rückständigen Bände des 'Conversations-Lexikon'« (zweite +Auflage) in Pierer's Druckerei anfertigen zu lassen, »sondern auch +dessen Pressen, deren Zahl um deswillen erhöht und mit dem nöthigen +Druckereipersonale versehen worden sind, auf längere Zeit hinaus +hinreichend und soviel es nur die Verhältnisse verstatten wollen zu +beschäftigen«.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_305" id="Seite_305">[305]</a></span></p> + +<p>Verschiedenen Gebieten gehören endlich die folgenden drei von +Brockhaus im Jahre 1817 verlegten Werke an: »Reise nach Dalmatien und +in das Gebiet von Ragusa«, von Ernst Friedrich Germar, Professor der +Mineralogie zu Halle (geb. 1786, gest. 1853), ein Werk von zugleich +wissenschaftlichem Werthe, mit Kupfern und Karten; zweitens eine zwar +kleine Schrift, aber die erste bedeutendere Arbeit des später berühmt +gewordenen Geschichtschreibers der Philosophie Heinrich Ritter (geb. +1791, gest. 1869, erst Docent in Berlin und Kiel, seit 1837 eine Zierde +der Universität Göttingen) unter dem Titel: »Welchen Einfluß hat die +Philosophie des Cartesius auf die Ausbildung der des Spinoza gehabt, +und welche Berührungspunkte haben beide Philosophien mit einander +gemein? Nebst einer Zugabe: Ueber die Bildung des Philosophen durch +die Geschichte der Philosophie«; drittens: »Die Elemente der reinen +Mathematik« von dem königlich sächsischen Oberlandfeldmesser Wilhelm +Ernst August von Schlieben (geb. 1781, gest. 1829), wovon indeß nur +die erste Abtheilung: »Die Rechenkunst und Algebra«, in zwei Theilen +erschien.</p> + +<p>Eine gleichzeitig von Brockhaus mit dem Verfasser des letztern Werks +begonnene kriegsgeschichtliche Zeitschrift gehört in das Gebiet der +Publicistik, Geschichte und encyklopädischen Literatur, das einen +Hauptbestandtheil seiner Verlagsthätigkeit in den Jahren 1812-1817 +bildete und deshalb eine besondere Schilderung beansprucht.</p> + +<p>Vorher ist indeß noch ein einzelnes Verlagsunternehmen zu +charakterisiren, das Brockhaus vor allen andern in dieser Zeit +beschäftigte: die von ihm begründeten und herausgegebenen »Deutschen +Blätter«.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_306" id="Seite_306">[306]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter4-3" id="Chapter4-3">3.</a> +<br /> +Die »Deutschen Blätter«. +</h3> + +<p class="start-chap">Wie Brockhaus seine Verlegerlaufbahn mit einer politisch-literarischen +Zeitung begonnen hatte (im Jahre 1806 mit dem holländischen Blatte +»<span class="antiqua">De Ster</span>«), so beschäftigte er sich auch gleich nach seiner +Festsetzung in Altenburg mit dem Gedanken, ein ähnliches in die +Zeitverhältnisse eingreifendes Unternehmen zu begründen. Ueberhaupt +erkannte er stets in vollem Maße die Bedeutung des Journalismus für ein +Verlagsgeschäft, das zu einer einflußreichen Stellung in der Literatur +gelangen oder diese behaupten will. In der mannichfachsten Weise hat +er es in den verschiedenen Perioden seiner Verlegerlaufbahn versucht, +durch Zeitschriften auf die öffentliche Meinung einzuwirken, bald auf +rein politischem, bald auf literarischem Gebiete, meist aber auf beiden +gleichzeitig, was der Zeitströmung und seiner eigenen Neigung am meisten +zusagte.</p> + +<p>Freilich waren die Zeitumstände in den Jahren 1811 und 1812 einer +solchen Absicht wenig günstig, ganz abgesehen davon, daß Altenburg ein +wenig geeigneter Ort für die Verwirklichung derselben schien und seine +pecuniären Mittel beschränkte waren.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Das erste Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts bildet eine der +traurigsten Epochen in der deutschen Geschichte: das Deutsche Reich +bricht nach tausendjährigem Bestande in sich selbst zusammen;<span class="pagenum"><a name="Seite_307" id="Seite_307">[307]</a></span> +Frankreich verübt ungestraft Gewaltthaten gegen deutsche Länder; +Oesterreichs erste Erhebung gegen Napoleon (1805) mislingt und führt +zur Errichtung des Rheinbundes schmachvollen Andenkens, welcher ein +Drittheil des deutschen Landes in ein Vasallenverhältniß zu Frankreich +bringt; Preußens verspätete Erhebung gegen Napoleon (1806) scheitert +gleichfalls und kostet ihm die Hälfte seines Landes; Oesterreichs neuer +Versuch, die Napoleonische Herrschaft zu brechen (1809), mislingt +abermals; die ganze Nordseeküste Deutschlands wird (1810) mit Frankreich +vereinigt.</p> + +<p>In solch trüber Zeit ein politisches Blatt in Deutschland zu gründen, +wäre Vermessenheit gewesen, zumal die deutschen Fürsten nach und nach +eine Censur einführten, wie man sie bisher in Deutschland nicht gekannt +hatte; Napoleon hatte sie für den Verlust ihrer Unabhängigkeit dadurch +entschädigt, daß er ihnen einen neuen Begriff von der Souveränetät, die +er ihnen garantirte, beibrachte und sie zu unumschränkten Herren ihrer +Unterthanen machte.</p> + +<p>Die Besten des deutschen Volks fühlten von Anfang an die Schmach dieser +Zustände: die Namen eines Hofer, eines Schill, eines Dörnberg sind die +besten Zeugen dafür. Ihre kühnen Unternehmungen verunglückten, weil +sie von den Regierungen im Stich gelassen wurden und das deutsche Volk +zu allen Zeiten sich nur langsam zur That aufgerafft hat. Die Reformen +des Grafen Stadion in Oesterreich, Stein's und Scharnhorst's in Preußen +waren ein Zeichen der bald heranbrechenden Morgenröthe. Aber erst das +Scheitern des Zugs Napoleon's gegen Rußland (1812) gab das Signal zu +einer allgemeinen Erhebung in Deutschland. Alles athmete auf: der +Usurpator war nicht unbezwinglich. Stein's Verdienst ist es, Rußland +zur Verfolgung des fliehenden Feindes bis auf deutschen Boden vermocht +zu haben; Preußen wurde durch York's Capitulation mit fortgerissen zum +Kampfe gegen Napoleon auf Leben und Tod. Am 3. Februar 1813 erließ der +König von Preußen den Aufruf »An mein Volk«; die großartige Erhebung des +preußischen und bald auch des ganzen deutschen Volks war die Antwort. +Am 27. Februar schloß Preußen mit Rußland ein Bündniß und erklärte am +16. März Frankreich den Krieg. Das französische Heer hatte sich hinter +die Elbe zurückgezogen, behauptete<span class="pagenum"><a name="Seite_308" id="Seite_308">[308]</a></span> aber diese Linie. Im Sommer traten +Schweden, England und Oesterreich dem preußisch-russischen Bündniß bei. +Von allen Seiten rückten die Heere nach Mitteldeutschland vor: hier +sollte die Entscheidung fallen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Der Stadt Altenburg wurde in dieser denkwürdigen Zeit die Ehre zutheil, +mehrere Tage das Hauptquartier der verbündeten Armeen zu bilden. +Im Sommer 1813 oft von den Franzosen und den leider noch mit ihnen +verbündeten Baiern besetzt, wurde die Stadt zuerst am 24. August von +diesen verlassen, weil die Oesterreicher im Anmarsche waren. Am nächsten +Morgen rückten die ersten Oesterreicher und einige Kosacken ein. Am 2. +September erschienen die Franzosen wieder, flohen aber schon drei Tage +darauf, und am 8. September besetzte der österreichische Graf Mensdorff +mit einem österreichisch-russischen Corps die Stadt. Am 24. September +fand ein Gefecht bei Altenburg statt, General Thielmann zog sich vor +Oberst Lefèvre zurück, die Franzosen besetzten die Stadt wieder, bis +Thielmann, von dem Kosackenhetman Platow unterstützt, sie am 28. +September aufs neue daraus verjagte. Am 3. October rückten Polen unter +Fürst Poniatowski ein, zogen aber nach einigen Tagen wieder fort. Jetzt +begannen zahlreiche Durchmärsche der Verbündeten. Fürst Wittgenstein und +General Kleist kamen am 9. October mit ihren Corps an. Am folgenden Tage +verlegte Fürst Schwarzenberg, der Generalissimus der verbündeten Armeen, +sein Hauptquartier von Penig nach Altenburg, wo es bis zum 15. October +blieb. Der Kaiser Alexander von Rußland war kurz nach Schwarzenberg, +am Abend des 10. October, in Altenburg angekommen und ihm zu Ehren die +Stadt beleuchtet worden. Mit ihm kamen Großfürst Konstantin, Barclay +de Tolly und etwa vierzig russische, österreichische und preußische +Generale. In den Vormittagsstunden des 15. October brach alles, was zum +Hauptquartier gehörte, auf, nach Leipzig zu. Der Kaiser von Oesterreich +traf kurz darauf in Altenburg ein, ebenso der König von Preußen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>In diesen für Altenburg und seine Bewohner so ereignißreichen Tagen +reifte in Brockhaus der lange gehegte Entschluß, ein politisches Blatt +zu gründen, um auch an seinem Theile mitzuhelfen<span class="pagenum"><a name="Seite_309" id="Seite_309">[309]</a></span> zur Befreiung des +Vaterlandes. In einem solchen Augenblicke konnte ein derartiges Blatt ja +nur Kriegsberichte bringen, und er beschloß, die günstige Gelegenheit, +die sich ihm durch die Anwesenheit des Hauptquartiers in Altenburg bot, +rasch zur Förderung seiner Absichten zu benutzen. Er erbat und erhielt +Audienzen beim Kaiser von Rußland und bei dem Fürsten Schwarzenberg. +Das Ergebniß derselben, über deren sonstigen Verlauf uns leider nichts +weiter bekannt ist, war ein »Befehl« zur Herausgabe eines »periodischen +Blattes« — ein in der Geschichte der Journalistik gewiß seltener +Vorgang.</p> + +<p>Das geschichtlich denkwürdige Actenstück lautet:</p> + +<blockquote> + +<p class="center"><em class="gesperrt">Befehl.</em></p> + +<p>Dem Buchhändler, Herrn Brockhaus, von hier wird hiermit befohlen, +alle von Seiten der Hohen Alliirten theils schon erschienene, theils +in der Zukunft noch zu erscheinende Nachrichten und officielle +Schriften durch den Druck bekannt zu machen und sie mittelst eines +periodischen Blattes, welches jedoch der Censur des jedesmaligen Herrn +Platz-Commandanten unterliegt, dem Publico mitzutheilen.</p> + +<p>Hauptquartier Altenburg, den 13. October 1813.</p> +<p style="margin-left:30%" class="center">Auf Befehl Sr. Durchlaucht des k. k. <span class="antiqua">en chef</span><br /> +commandirenden Herrn Feldmarschalls Fürsten<br /> +von Schwarzenberg.</p> +<p class="signature">(Gez.) Langenau.</p> +</blockquote> + +<p>Auf Grund dessen richtete Brockhaus sofort eine Eingabe an die +einheimische Behörde und erhielt darauf nachstehende Resolution:</p> + +<blockquote> + +<p>Dem Buchhändler Friedrich Arnold Brockhaus wird auf seine Eingabe +vom 14. d. M., die Herausgabe eines die von Seiten der Hohen Alliirten +theils schon erschienenen, theils noch erscheinenden Armee-Nachrichten +und officiellen Schriften liefernden periodischen Blattes und dessen +Censur betreffend, zur Resolution hiermit vermeldet: daß er dem +diesfalls von des <span class="antiqua">en chef</span> commandirenden Herrn Feldmarschalls, +Fürsten von Schwarzenberg, Durchlaucht erhaltenen Befehle +lediglich nachzukommen und die Censur von dem jedesmaligen Herrn +Platz-Commandanten zu erwarten habe, daher bei diesen Blättern eine +Durchsicht der dießortigen Censur-Behörde nicht eintrete.</p> + +<p>Altenburg, am 18. October 1813.</p> +<p class="right">Herzogl. Sächs. verordnete Canzler u. Räthe das.</p> +<p class="right-2">(Gez.) F. C. A. von Trützschler.</p> +</blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_310" id="Seite_310">[310]</a></span></p> + +<p>Brockhaus verlor keine Stunde mit der Ausführung des »Befehls«. Er ließ +sofort sein neues Blatt ins Leben treten, nannte es »Deutsche Blätter« +und stellte jenen Befehl an die Spitze der ersten Nummer, die schon vom +folgenden Tage, 14. October, datirt und wol noch an diesem oder dem +folgenden Tage erschienen ist. Unter den »Befehl« setzte er folgende +Benachrichtigung:</p> + +<blockquote> + +<p>In Beziehung auf obigen ehrenvollen Auftrag werden von den +»Deutschen Blättern« an unbestimmten Tagen, in Nummern von +halben und ganzen Bogen, wöchentlich mehrere erscheinen und +durch alle Buchhandlungen, Postämter u. s. w. zu erhalten sein. +Vierzig ganze Bogen bilden einen Band und erhalten Haupttitel und +Inhaltsverzeichniß. Bei Veranlassung werden Karten und Pläne beigefügt +werden. Der Pränumerationspreis für einen Band oder vierzig ganze +Bogen beträgt 1 Thlr. 8 Gr. sächsisch. Einzelne Nummern von einem +ganzen Bogen kosten 1 Gr. 6 Pf. und von einem halben Bogen 1 Gr.</p> + +<p>Bestellungen sowie dem Zweck der Blätter entsprechende Beiträge +werden adressirt: an die Expedition der »Deutschen Blätter« in +Altenburg.</p> + +<p class="right-2">F. A. Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>Dies ist die Entstehungsgeschichte der »Deutschen Blätter«, die vom +Herbst 1813 bis zum Frühjahr 1816 bestanden und anerkanntermaßen zu den +besten der durch die Freiheitskriege hervorgerufenen und die Erhebung +des deutschen Volks auf das kräftigste fördernden Erzeugnissen der +deutschen politischen Presse gehörten. Sie sind nach Idee, Titel, +Form und Inhalt als eine Schöpfung von Brockhaus anzusehen, der auch +fortwährend die Seele des Blattes blieb, während <span class="antiqua">Dr.</span> Hain und +<span class="antiqua">Dr.</span> Sievers die Geschäfte der Redaction besorgten. Auf dem Blatte +selbst war übrigens nach damaliger Sitte zunächst weder der Redacteur +noch der Herausgeber, Verleger oder Drucker genannt; erst vom zweiten +Bande an nannte sich Brockhaus als Herausgeber.</p> + +<p>Daß Brockhaus sich einen »Befehl« zur Herausgabe des Blattes erwirkte, +geschah gewiß nicht aus Vorsicht, um etwa den französischen Militär- und +Civilbehörden gegenüber bei ungünstigem Verlaufe der Kriegsoperationen +durch diesen gedeckt zu sein. Denn wären die Franzosen nach dem am 15. +October, also einen Tag nach dem Datum der ersten Nummer, erfolgten<span class="pagenum"><a name="Seite_311" id="Seite_311">[311]</a></span> +Wegzuge des Hauptquartiers aus Altenburg wieder einmal, wie in den +Wochen vorher öfters geschehen war, in die Stadt eingerückt, so hätte +jener »Befehl« den Herausgeber der »Deutschen Blätter« schwerlich vor +dem Schicksale Palm's oder wenigstens Becker's bewahrt, zumal er sofort +(in der dritten Nummer vom 17. October) einen über seine patriotische +Gesinnung keinen Zweifel lassenden Aufsatz: »Was ist (war) der +rheinische Bund?« brachte. Er erbat sich jenen »Befehl« vielmehr nur, +um die offiziellen Berichte über die Kriegsoperationen aus erster Hand +zu erhalten und dadurch seinem Blatte einen um so größern Leserkreis zu +sichern.</p> + +<p>Das Glück begünstigte ihn dabei insofern, als wenige Tage darauf +die Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen wurde und die »Deutschen +Blätter« bei ihren Beziehungen zu dem Hauptquartiere das erste Blatt +sein konnten, welches dem deutschen Volke die Kunde seiner Befreiung +und authentische Berichte über diese ewig denkwürdigen Tage brachte. +Die Geburt der »Deutschen Blätter« fiel so zusammen mit der Geburt der +deutschen Unabhängigkeit: ein günstiger Umstand, den der Herausgeber +trefflich zu benutzen verstand.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Das Hauptquartier der verbündeten Armeen war am 15. October von +Altenburg nach Pegau verlegt worden, und am Morgen des folgenden +Tags begann die leipziger Schlacht. Der Kaiser von Oesterreich hatte +Altenburg am 16. October früh 7 Uhr verlassen, der König von Preußen +erst einige Stunden später, Beide, um den Kaiser von Rußland und das +Hauptquartier in Pegau zu treffen. Schon auf der Fahrt dahin hörten sie +die heftige Kanonade dieses ersten Schlachttags: es war die Schlacht bei +Wachau, die gleichzeitig mit der von Blücher bei Möckern geschlagenen +Schlacht siegreich für die Verbündeten ausfiel und den 16. October zu +dem ersten Siegestage bei Leipzig machte. Die drei verbündeten Monarchen +hatten der Schlacht vom Wachberge aus beigewohnt; auch Napoleon war auf +dem Schlachtfelde und hatte bei der ersten für ihn günstigen Wendung der +Schlacht bereits den Befehl gegeben, in Leipzig zur Feier seines Siegs +die Glocken zu läuten.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_312" id="Seite_312">[312]</a></span></p> + +<p>Der folgende Tag, der 17. October, ein Sonntag, verging ruhiger: +Napoleon unterhandelte und versäumte darüber den rechtzeitigen Rückzug.</p> + +<p>Am 18. October erfolgte der Hauptangriff der Verbündeten in drei +Colonnen auf die Stellung der Franzosen in und um Leipzig: überall, +wenn auch unter mörderischem Kampfe siegreich vordringend, hatten sie +am Abende dieses Hauptschlachttags die Franzosen von drei Seiten so +fest eingeschlossen, daß diesen nur der eine Rückzugsweg nach Westen +übrigblieb und Napoleon den Rückzug bereits um 11 Uhr vormittags +beginnen ließ.</p> + +<p>Am 19. October wurden die Vorstädte Leipzigs erstürmt; die drei +verbündeten Monarchen hielten um 1 Uhr mittags ihren Einzug in die +Stadt, die Napoleon um 10 Uhr erst verlassen hatte.</p> + +<p>Napoleon's Macht hatte den Todesstoß erhalten, Deutschland war frei: der +Einzug des Kaisers von Rußland und des Königs von Preußen in Paris am +31. März, Napoleon's Abdankung am 11. April, der Erste Pariser Friede +vom 30. Mai 1814 waren Folgen der Völkerschlacht bei Leipzig.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Die »Deutschen Blätter« brachten wol die ersten Nachrichten über +die große Entscheidungsschlacht. Sie vermochten dies aber nicht nur +deshalb, weil sie das officielle Organ des Hauptquartiers waren, sondern +ihr Herausgeber hatte, mit gewohnter Energie den rechten Augenblick +erfassend, sich sofort nach schnell nachgesuchter und erhaltener +Erlaubniß dem Hauptquartier angeschlossen, und konnte so seinem neu +gegründeten Blatte zugleich als erster Berichterstatter über die +wichtigste Schlacht des ganzen Kriegs dienen. Brockhaus war Augenzeuge +der Schlacht bei Wachau gewesen und sofort nach der Einnahme Leipzigs +von Rötha aus in die Stadt geeilt.</p> + +<p>Schon am Nachmittag des 18. October sandte er zwei kurze Berichte an +<span class="antiqua">Dr.</span> Hain in Altenburg, die dieser am nächsten Morgen sofort durch +ein »Extrablatt« (also nicht erst eine Erfindung der neuern Zeit!) dem +Publikum mittheilte und in Nr. 5 der »Deutschen Blätter« vom 19. October +nochmals abdruckte. Diese Briefe waren in Borna geschrieben, wo auch der +Kaiser von Oesterreich<span class="pagenum"><a name="Seite_313" id="Seite_313">[313]</a></span> und der König von Preußen übernachtet hatten; +beide Fürsten begaben sich von hier nach Rötha zum Kaiser von Rußland, +um mit diesem zusammen am folgenden Mittag in Leipzig einzuziehen. +Brockhaus folgte ihnen mit dem Hauptquartier.</p> + +<p>Von Leipzig aus schrieb er gleich am Morgen des 20. October einen +längern Bericht über seine Erlebnisse für die »Deutschen Blätter«, der +mit der Ueberschrift »Brief an J.« (unter J. ist jedenfalls Jeannette, +seine Frau, gemeint) in Nr. 11 vom 21. October veröffentlicht wurde.</p> + +<p>Wir theilen daraus unter Weglassung der bekannten Einzelheiten der +Schlachttage folgende theils für den Schreiber charakteristische, theils +auch sonst interessante Stellen hier mit:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich bin auf den Flügeln des Windes hierher geeilt, sobald ich +in Rötha die Nachricht von der Einnahme Leipzigs erhielt. Es sind +zwei göttliche Tage für mich gewesen. Am ersten die <em class="gesperrt">Ahnung</em> +und späterhin am Abend schon die <em class="gesperrt">Nachricht</em> von der +Hermanns-Schlacht; der zweite die vollendete Besiegung des stolzen +Feindes, der nun seit zehn Jahren mit ehrnem Fuß uns auf den Nacken +trat und alle schönen Lebenskeime zerstörte. Es ist der vollständigste +Sieg, den die neuere Geschichte kennt, erfochten worden, und die +Folgen werden noch unermeßlicher sein. Ich hoffe, auch kein Franzose +werde über den Rhein zurückkehren, um die Kunde ihrer Niederlagen in +ihre Heimat zu bringen. So geht das in Erfüllung, was ich oft sagte, +wenn sie in nicht aufhörenden Zügen an unsern friedlichen Wohnungen +vorbeieilten ....</p> + +<p>Der Einzug in Leipzig ist ebenso rührend als verherrlichend gewesen. +Mit lautem Jubel bewillkommneten die Einwohner die Sieger und sahen +sie für ihre Befreier an. Aus allen Fenstern wurde ihnen mit weißen +Tüchern entgegengeflaggt. »Seid willkommen, seid willkommen!« — +»Es lebe Franz, Alexander, Friedrich Wilhelm und der Kronprinz von +Schweden!« ist von tausend und wieder tausend Stimmen gerufen und von +den Siegern mit unaufhörlichem Hurrah beantwortet worden. Freunde, +Bekannte, Fremde umarmen sich auf öffentlicher Straße, und Thränen +der Freude und der Wehmuth stürzen ihnen aus den Augen. Auch haben +sich die Sieger wie wackere Männer in ihrem Triumphe gezeigt. Leipzig +war mit Sturm genommen und noch in den Straßen der Stadt lebhaft +gefochten worden. Das Los jeder so eroberten Stadt ist gewöhnlich die +Plünderung. Hier aber ist nicht im geringsten geplündert, sondern die +strengste Mannszucht gehalten worden. Wer erinnert sich hier nicht an +Lübeck, das 1806 drei Tage lang von den Marschällen Soult und Murat +allen Greueln der Ver<span class="pagenum"><a name="Seite_314" id="Seite_314">[314]</a></span>wüstung preisgegeben wurde! Auch damals schon +zeigte sich der Sinn des Kronprinzen von Schweden als edler Mann, +indem er bei seinem Corps die strengste Ordnung zu erhalten wußte. +Man ziehe hier Parallele zwischen diesen »Barbaren des Nordens« und +jenen »cultivirten Männern des Südens«! So auch nach der Schlacht bei +Lützen, die wir unter unsern Augen liefern sahen: die »Barbaren« zogen +sich in musterhafter Ordnung zurück und ihr Betragen war ebenfalls +musterhaft. Wie sich aber die »Sieger« benahmen, darüber frage man an +allen den Orten, wo ihr verheerender Zug sie hinführte.</p> + +<p>Selbst die Wohnungen, die Napoleon bezog, waren nicht vor Plünderung +sicher, wie wir in unserer Nähe ein empörendes Beispiel vernommen +haben, worüber ich jetzt aufs neue die Bestätigung erhielt.</p> + +<p>Meine Reise gestern von Rötha hierher war ohne die geringste +Unannehmlichkeit und Störung, was beinahe unbegreiflich scheint, wenn +man bedenkt, daß wir durch 100000 Mann Truppen fuhren, die in mehrern +Colonnen und in unabsehbaren Zügen nach Pegau defilirten. Man hatte +selbst die Gutmüthigkeit, uns, wo es sich thun ließ, Platz zu machen +oder sogar innezuhalten, damit wir nur um so rascher fahren könnten. +Keine Erkundigung nach Pässen fand statt. Man sah es uns wol an den +Gesichtern an, daß wir wackere Deutsche seien, die es mit der großen +Sache, für die sie Blut und Leben opfern, gut meinen. Wir brachten +jeder Truppenart auch immer ein freundliches: »Vivat Franz, Alexander +und Friedrich Wilhelm!« zu. Auch Sachsen begegneten uns; wir riefen +ihnen zu: »Es leben die braven Sachsen!« Auf der ganzen Straße von +Rötha bis Leipzig sieht man eine ungeheuere Verwüstung. Fast alle +Dörfer sind ganz oder theilweise beinahe stets von den Franzosen +abgebrannt, alle Gärten sind verwüstet, alle Landhäuser niedergerissen +oder doch spoliirt; man sieht keine Hecke, alle noch stehenden +Scheunen sind geleert, das Vieh ist weggeführt, und die Einwohner +halten sich, von Allem entblößt, in den Wäldern auf; keine Spur mehr +von alle dem, was in einer langen Reihe glücklicher Jahre in frühern +Zeiten für Bequemlichkeit und Schönheit gebildet und geschaffen worden +war.</p> + +<p>Mit welchen Gefühlen muß Napoleon aus Sachsen geschieden sein, mit +welchen muß er aus Aegypten, aus Rußland, aus Spanien, aus Schlesien, +aus Preußen, aus Oesterreich geschieden sein! Sollte er nicht endlich +einmal fühlen, daß Millionen Flüche ihn immer verfolgen und kein +einziger Segensruf ihn je begleitet?</p> + +<p>Eine Stunde von Rötha fängt das Schlachtfeld vom 16. October +an; eine Stunde weiterhin das vom 18., dem Tage der eigentlichen +Hermanns-Schlacht. Man sieht sowol auf dem Wege selbst als auf den +nahe gelegenen Feldern unzählige todte menschliche Leichname und<span class="pagenum"><a name="Seite_315" id="Seite_315">[315]</a></span> +todte Pferde. Das Ganze erweckt die grausigsten Gefühle, die nur die +Glorreichheit des Tages mildern kann.</p> + +<p>In der Nähe von Leipzig mag es noch schlimmer aussehen. Die +Dunkelheit des Abends verhinderte mich, dies genau zu erkennen. Es +soll dies heute mein Geschäft sein.</p> + +<p>Gestern sind die Kaiser Franz und Alexander, der König von Preußen +und der Kronprinz hier gewesen und mit außerordentlichem Jubel +empfangen worden. Am Abend sind sie wieder zurückgegangen. Alle +besuchten sogleich, wie man mir sagte, was ich aber sehr bezweifle, +bei ihrer Ankunft den König von Sachsen, bei dem Napoleon früh von +9 bis 10 Uhr gewesen war, der sich standhaft geweigert hatte, ihn +auf seiner Flucht zu begleiten. Kaiser Franz begegnete uns mit dem +Minister Metternich, den Generalen Meerfeld, Duka, Kutschera. Wir +wurden freundlich von allen gegrüßt ....</p> + +<p>Napoleon ist gegen 10 Uhr von hier weggeritten. Murat hat ihn +begleitet. Man hat vom Markt her beobachten können, wie er sich mit +der königlichen Familie unterhalten hat ....</p> + +<p>Am Tage der ersten Schlacht hat man zuerst Siegesnachrichten +verbreitet. Es sind Kuriere hereingesprengt gekommen, die auf allen +Straßen ausgerufen haben: »<span class="antiqua">Victoire! Vive l'Empereur!</span>« +Allein es hat dies nicht lange gedauert, weil im Augenblicke der +Siegesverkündigung sowol die Oesterreicher vorrückten, als auch der +Kronprinz von Schweden gar zu gewaltige Fortschritte machte und bis +auf eine halbe Stunde von der Stadt kam. Alle französischen Colonnen +wurden geworfen, und der Sieg der Alliirten lag den Tausenden der +Zuschauer, die sich auf allen Thürmen und hohen Häusern befanden, gar +zu deutlich vor Augen.</p> + +<p>Der Anblick des sonst so freundlichen Leipzig und seiner herrlichen +Umgebungen ist schauder- und ekelerregend. Viele der schönen Alleen +sind ganz umgehauen, alle Promenaden, alle Gärten sind zerstört +und verwüstet, die Landhäuser demolirt oder der Dächer und Fenster +beraubt. Auf jedem Schritte in den äußern Straßen und nahen Feldern +sieht man Leichname oder todte Pferde. Die Franzosen haben am 19. +viele Tausende hier verloren.</p></blockquote> + +<p>Folgende Stelle eines spätern Briefs von Brockhaus, am 24. December +desselben Jahres aus Altenburg an Villers in Göttingen gerichtet<a name="FNAnker_51_51" id="FNAnker_51_51"></a><a href="#Fussnote_51_51" class="fnanchor">[51]</a>, sei +gleich hier angefügt:</p> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_316" id="Seite_316">[316]</a></span></p> +<blockquote> + +<p>O mein Gott, wer hätte es ahnen oder hoffen dürfen, daß man diese +Wiedergeburt der Welt selbst noch erleben würde! Und <em class="gesperrt">wie</em> +erleben würde! Ich bin sehr glücklich darin gewesen und habe in den +Tagen der Hermanns-Schlacht wahrhaft göttliche Tage gelebt, da Alles +sich selbst unter meinen Augen ereignete und ich immer die von des +Feindes Blute getränkten Felder nur wenige Minuten später betrat, als +sein fliehender Fuß sie verlassen hatte. Ich war vom General <span class="antiqua">en +chef</span> aller verbündeten Armeen mit dem Auftrag beehrt worden, ein +periodisches Blatt herauszugeben, woraus unsere »Deutschen Blätter« +entstanden, und so folgte ich nicht blos dem Hauptquartier, als es am +14. (15.) October von hier aufbrach, sondern war auch — »<span class="antiqua">vif et +étourdi, que je suis</span>«, der Schlacht möglichst nahe und oft nicht +geringen Gefahren ausgesetzt. Die Nächte vom 17.-18. und vom 18.-19. +brachte ich mitten in den österreichischen Bivuaks zu, und am 19. +war ich wenige Stunden nach der Einnahme von Leipzig schon in dieser +Stadt! Doch von dem Allen darf ich nicht anfangen zu erzählen. Wo da +das Ende finden?</p></blockquote> + +<p>Die Nummer der »Deutschen Blätter«, in der Brockhaus' Brief vom 20. +October veröffentlicht wurde (Nr. 11 vom 21. October) war, wie es +scheint, gleich in Leipzig gedruckt und ausgegeben worden, nicht in +Altenburg, wie die frühern. Die Expedition des Blattes blieb von jetzt +an in Leipzig, und zwar bei Brockhaus' Commissionär W. Engelmann (in +der Ritterstraße), während der Druck abwechselnd hier und in Altenburg +erfolgte; in späterer Zeit ließ Brockhaus alle Nummern, in denen +irgendwie bedenkliche patriotische Artikel enthalten waren, in Altenburg +drucken, weil dort die Censur viel milder als in Leipzig gehandhabt +wurde.</p> + +<p>Aus jener Verlegung des Drucks und der Expedition nach Leipzig erklärt +es sich, daß die (in Altenburg gedruckten) Nummern 7-10 dieselben Daten: +21.-24. October, tragen wie die (in Leipzig gedruckten) Nummern 10-14. +Nr. 7 vom 21. October enthält am Schlusse die erste vorläufige Nachricht +von der wirklich erfolgten Entscheidung in folgender Fassung:</p> + +<blockquote> + +<p class="right-1">Altenburg, den 20. October 1813.</p> + +<p>Leipzig ist infolge <em class="gesperrt">des vollständigsten und glänzendsten +Sieges</em> am 19. von den Alliirten besetzt worden. Die officiellen +und ausführlichen Berichte von den Ereignissen der letzten Tage, +welche das<span class="pagenum"><a name="Seite_317" id="Seite_317">[317]</a></span> Schicksal der französischen Armee und die Befreiung +Deutschlands entschieden haben, werden unverzüglich folgen.</p></blockquote> + +<p>Die erste Nachricht über den Beginn der Schlacht vom 16. October +findet sich schon in Nr. 3 vom 17. October, freilich erst nur von +einer »äußerst heftigen Kanonade« berichtend, die man den ganzen Tag +über in Altenburg gehört habe. In Nr. 4 und 5 vom 18. und 19. October +wurden dann die ersten kurzen Mittheilungen von Brockhaus aus Borna +und einige andere vorläufige Notizen gebracht. Der erste officielle +Bericht über die Schlacht ist in Nr. 12 vom 22. October enthalten, +noch aus dem Hauptquartier Rötha, 19. October, datirt. Nr. 13 vom 23. +October bringt einen weitern kurzen Armeebericht aus Leipzig vom 22., +ein vorläufiges Bulletin des Kronprinzen von Schweden vom 20. und den +Brief eines Augenzeugen (der aber Brockhaus nicht gewesen sein kann) +über die Erstürmung von Leipzig; Nr. 14 vom 24. October enthält endlich +den ersten ausführlichen officiellen Bericht über die Schlacht in dem +»Dreiundzwanzigsten Armeebericht Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen +von Schweden«, datirt: »Hauptquartier Leipzig, den 21. October 1813«, +und wahrscheinlich von August Wilhelm von Schlegel, damals Geh. +Cabinetssecretär des Kronprinzen, verfaßt. Die betreffende Nummer der +»Deutschen Blätter« wurde, wie in der vorhergehenden angezeigt wird, +»im großen Fürsten-Collegio auf der Ritterstraße« ausgegeben, da die +Expedition der »Deutschen Blätter« in der Engelmann'schen Buchhandlung +Sonntags geschlossen sei.</p> + +<p>In dem (in der folgenden Nummer mitgetheilten) Schlusse dieses +officiellen Berichts heißt es unter anderm:</p> + +<blockquote> + +<p>Die Resultate der Schlachten von Leipzig sind unermeßlich und +entscheidend. Schon am 18. hatte der Kaiser Napoleon angefangen, seine +Armee auf den Straßen nach Lützen und Weißenfels den Rückzug antreten +zu lassen .... Die deutschen und polnischen Truppen verlassen seine +Fahnen in Scharen, und Alles zeigt an, daß die Freiheit Deutschlands +zu Leipzig erobert worden ist.</p> + +<p>Man begreift nicht, wie ein Mann, der in dreißig förmlichen +Schlachten befehligt und sich durch großen Kriegsruhm emporgeschwungen +hat, indem er sich jenen aller ehemaligen französischen Generale +zu<span class="pagenum"><a name="Seite_318" id="Seite_318">[318]</a></span>eignete, seine Armee in einer so ungünstigen Stellung hat +zusammendrängen können, wie diejenige ist, wo er sich aufgestellt +hatte. Die Elster und Pleiße im Rücken, eine morastige Gegend und blos +eine einzige Brücke, um 100000 Mann und 3000 Bagagewagen darüberziehen +zu lassen. Man fragt sich: ist dies der große Heerführer, vor dem +bisjetzt ganz Europa zitterte?</p></blockquote> + +<p>Als Seitenstück und als Beweis, daß die Franzosen es zu allen Zeiten +verstanden haben, ihre Niederlagen als Siege auszurufen, eine Kunst, in +der Napoleon I. allerdings der anerkannte Meister war, seien auch einige +Stellen aus dem in spätern Nummern der »Deutschen Blätter« (vom 8. und +9. November) veröffentlichten und mit Anmerkungen begleiteten amtlichen +französischen Berichte über die Schlachten bei Leipzig mitgetheilt.</p> + +<p>Nachdem schon die beiden Schlachten des 16. October, bei Wachau und +Möckern, als Siege der Franzosen bezeichnet worden sind, heißt es über +den 18. October:</p> + +<blockquote> + +<p>Das Schlachtfeld blieb ganz in unserer Gewalt, und die französische +Armee war auf den Gefilden von Leipzig wie bei Wachau siegreich. Das +Feuer unserer Kanonen hatte bei Nacht auf allen Punkten eine Stunde +weit vom Schlachtfelde das Feuer des Feindes zum Schweigen gebracht.</p></blockquote> + +<p>Wer dies liest, wird, auch wenn er schon an solche Verkehrung der +Wahrheit gewöhnt ist, wenigstens neugierig sein, wie der trotz dieser +»Siege« angetretene Rückzug der Franzosen erklärt worden sei. Napoleon +ist über eine solche Erklärung nicht verlegen: es war lediglich der +Mangel an Munition, der ihn zwang, sich trotz seiner Siege bei Leipzig +auf sein großes Depot in Erfurt zurückzuziehen, wo er dann freilich auch +nicht gar lange blieb! Er sagt wörtlich:</p> + +<blockquote> + +<p>Dieser Umstand zwang die französische Armee, auf die Früchte zweier +Siege Verzicht zu leisten, worin sie mit so viel Ruhm viel stärkere +Truppen und die Armeen vom ganzen Continent geschlagen hatte .... Der +Feind, der seit den Schlachten vom 16. und 18. bestürzt war, faßte +durch die Unfälle am 19. wieder Muth und betrachtete sich als Sieger. +Die französische Armee hat nach so glänzenden Erfolgen ihre siegreiche +Stellung verloren.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_319" id="Seite_319">[319]</a></span></p> + +<p>Die Redaction der »Deutschen Blätter« bemerkt zu einer dieser Stellen, +die fast so viel Unwahrheiten als Worte enthalten, lakonisch:</p> + +<blockquote> + +<p>Hätten die Franzosen jederzeit so »gesiegt« wie bei Leipzig, so wäre +Napoleon weder erster Consul noch Kaiser geworden.</p></blockquote> + +<p>Während der entscheidenden Tage und unmittelbar nach diesen hatte +übrigens die Redaction in Altenburg einen schweren Stand gehabt: Alles +verlangte nach Nachrichten, und diese gingen damals doch so viel +langsamer als gegenwärtig.</p> + +<p><span class="antiqua">Dr.</span> Hain schrieb darüber aus Altenburg vom 21. October an +Brockhaus nach Leipzig:</p> + +<blockquote> + +<p>Die Nachrichten, welche Sie uns durch Staffette von Borna zusandten, +sind mir am Dienstag (19. October) früh halb acht Uhr mitgetheilt +worden. Um 10 Uhr war das Extrablatt gedruckt. Der Zulauf war für +einen Ort wie Altenburg ungeheuer. Die Druckerei hat sonst bei dem +halben Preise nur 300 Exemplare verkauft; wir haben circa 20 Thlr. +gelöst. Außerdem aber hatte das Extrablatt die gute Folge, daß viele +Personen dadurch auf die »Deutschen Blätter« aufmerksam gemacht und +zur Pränumeration bewogen wurden. Man fing an, unser Comptoir als die +Quelle der Neuigkeiten zu betrachten. Um so übler war es, daß wir von +der gewonnenen Schlacht den ganzen Mittwoch nichts mittheilen konnten, +während die ganze Stadt von den Siegesnachrichten ertönte. Die +Spannung war so groß, daß ich glaube, 50 Thlr. wären rein zu gewinnen +gewesen. Wir wurden von Neugierigen überlaufen. Was sollten wir aber +thun? Der Commandant wußte nichts; Nachforschungen anzustellen war +unmöglich; auch konnte es zu nichts führen, das Allgemeinbekannte +drucken zu lassen. Wir warteten stündlich auf Nachricht von Ihnen +und vertrösteten die Leute längstens auf heute früh. Indeß kam Ihr +Brief, der nichts von den Vorfällen enthielt; ebenso wenig kam sonst +etwas. Jetzt glaubte ich nicht länger unthätig sein zu dürfen; der +günstigste Zeitpunkt war, wie ich wol sah, schon vorübergegangen; +der Reichenbach'sche Brief<a name="FNAnker_52_52" id="FNAnker_52_52"></a><a href="#Fussnote_52_52" class="fnanchor">[52]</a> fing an zu circuliren. Dennoch schien +es mir nöthig, zu zeigen, daß wir wenigstens etwas wüßten, und zu +hintertreiben, daß Pierer etwas drucken ließe, was nach des Factors +Erklärung geschehen sollte. Ich ging daher zu Reichenbach, mit +dem Ihre Frau Gemahlin schon gesprochen hatte; dieser hatte die +Gefälligkeit, mir seinen Brief vorzulesen. Ich lief sogleich mit +brennendem Kopf zurück, schrieb nieder, was ich noch wußte,<span class="pagenum"><a name="Seite_320" id="Seite_320">[320]</a></span> und +schickte es ungelesen in die Druckerei. Sievers las die Correctur, und +um 1 Uhr war ein Extrablatt gedruckt, das allerdings etwas schwach +aussieht, das aber die Leute dennoch satisfacirt und nebenbei 10-12 +Thlr. Gewinn gebracht hat.</p> + +<p>Von den »Deutschen Blättern« ist heute das siebente Stück +erschienen, morgen erscheint das achte von einem ganzen Bogen, welches +den Anfang des österreichischen Manifestes und das zweite Extrablatt +enthält; das neunte Stück wird dann den Schluß des Manifestes und das +Gedicht von Fouqué enthalten, wenn Sie nicht, wie ich gewiß hoffe, bis +dahin anders verfügen.</p></blockquote> + +<p>Unterm 23. October schrieb <span class="antiqua">Dr.</span> Hain weiter, nach Empfang der +inzwischen in Leipzig gedruckten Nummern:</p> + +<blockquote> + +<p>Herr Bochmann wird Ihnen gesagt haben, wie es hier geht. Die +»Deutschen Blätter« haben einen solchen Zulauf, daß Ihre Sendung +ein Tropfen auf einen heißen Stein war. Wir haben unsere Abonnenten +nicht alle befriedigen können und mehrere hundert Neugierige abweisen +müssen. Pierer hat den officiellen Bericht gleich gestern Abend +nachdrucken und heute verkaufen lassen. Ich bitte Sie, uns von jedem +neuen Blatt 6-800 zu schicken. An die Auswärtigen ist bisjetzt leider +nur wenig gekommen. An den Fürsten Auersperg und den Grafen Joseph von +Nostitz, Beide im Hoflager des Kaisers von Oesterreich, werden Sie die +Expedition leichter von Leipzig aus effectuiren. Sie haben Beide die +ersten acht Nummern.</p> + +<p>Ich muß mich jetzt ganz der Expedition widmen, die keinen Augenblick +Ruhe läßt. Sehr peinlich ist es, die Neugierde der Menschen nicht +befriedigen zu können; senden Sie also ja große Massen!</p></blockquote> + +<p>Unterm 26. October endlich schreibt <span class="antiqua">Dr.</span> Hain:</p> + +<blockquote> + +<p>Es melden sich täglich Abonnenten zu den »Deutschen Blättern«, und +wir würden mehr verkaufen, wenn wir mehr hätten. Die auswärtigen +Versendungen haben noch ganz unterbleiben müssen. Wir hoffen sehr +auf die Ankunft Wagner's<a name="FNAnker_53_53" id="FNAnker_53_53"></a><a href="#Fussnote_53_53" class="fnanchor">[53]</a>, in der Erwartung, mit ihm zu erhalten, +was wir brauchen, um Alles zu befriedigen, und besonders auch die +auswärtigen Versendungen zu machen.</p> + +<p>Ich beneide Sie der höchst interessanten Verbindungen wegen, in +die Sie getreten sind; sie sind ebenso viel werth als der ebenfalls +sehr interessante Gewinn. Stürmer ist einer unserer ausgezeichnetsten +Orientalisten, wenn es nämlich derselbe ist, der früher in +Konstantinopel war.<span class="pagenum"><a name="Seite_321" id="Seite_321">[321]</a></span><a name="FNAnker_54_54" id="FNAnker_54_54"></a><a href="#Fussnote_54_54" class="fnanchor">[54]</a> Ich bitte Sie, ihm von mir zu sprechen, da +mir eine Verbindung mit ihm für die Zukunft sehr wünschenswerth wäre. +Messerschmid aber bittet Sie, ihn A. W. Schlegeln zu empfehlen.</p></blockquote> + +<p>Die Theilnahme für die »Deutschen Blätter« war, wie aus diesen +Mittheilungen hervorgeht, eine für den Unternehmer sehr erfreuliche. +Es scheint, daß man ihm um diese Zeit das Blatt habe abkaufen wollen; +wenigstens deuten folgende von <span class="antiqua">Dr.</span> Sievers, der <span class="antiqua">Dr.</span> Hain +bei der Redaction der »Deutschen Blätter« unterstützte, dem vorstehenden +Briefe beigefügte Zeilen darauf hin:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück zu dem Absatze der +»Deutschen Blätter« und lebe der gerechten Erwartung, daß Sie die +von Fleischer angebotenen 1000 Dukaten durch den Debit derselben +hundertfältig wiedergewinnen mögen.</p></blockquote> + +<p>Währenddessen hatte indeß Brockhaus in Leipzig nicht geringere Sorgen, +nicht blos weil er die Redaction des jetzt dort gedruckten Blattes +allein besorgen mußte, sondern auch wegen des Verkaufs und der Zukunft +desselben. Er hatte den Druck und die Expedition sofort nach der +leipziger Schlacht von Altenburg nach Leipzig verlegt, d. h. er ließ +einfach die nächsten Nummern der Beschleunigung wegen gleich in Leipzig +drucken und diese nicht nur an die Abonnenten abgeben, sondern natürlich +auch an das übrige Publikum verkaufen, das nach authentischen Berichten +über die eben unter seinen Augen vor sich gegangenen welthistorischen +Ereignisse verlangte. Indeß bestand damals weder Gewerbefreiheit +noch Preßfreiheit, es war im Gegentheil die Zeit des starrsten +Innungszwanges, der peinlichsten Censur, ja selbst der sonderbarsten +Privilegien. So hatte er nicht bedacht, daß die königliche »Leipziger +Zeitung« ein Privilegium hatte, wonach in ganz Sachsen keine tägliche +Zeitung oder Wochenschrift erscheinen durfte, ohne daß der Pachter +derselben es erlaubte!</p> + +<p>Pachter und Redacteur der »Leipziger Zeitung« war aber damals +(1810-1818) glücklicherweise der mit Brockhaus schon seit längerer +Zeit befreundete Hofrath Mahlmann, ein Schwager der Hofräthin Spazier. +Dieser machte ihn in freundschaftlicher Weise auf das Ungesetzliche +seines Vorgehens aufmerksam. Daraus<span class="pagenum"><a name="Seite_322" id="Seite_322">[322]</a></span> entspann sich ein Briefwechsel +zwischen Beiden, der auch zu einer Verständigung führte. Die in dieser +Angelegenheit gewechselten beiden Briefe sind nicht nur für Brockhaus +selbst sehr charakteristisch, sondern auch in andern Hinsichten so +interessant, daß sie nachstehend vollständig folgen mögen.</p> + +<p>Brockhaus richtete an Mahlmann aus Leipzig vom 26. October 1813, +also wenige Tage nach der Schlacht, das folgende von ihm selbst als +»Promemoria« bezeichnete Schreiben:</p> + +<blockquote> + +<p>Werthester Herr Hofrath! Ich pflege Alles, was geschäftlich ist +(»<span class="antiqua">Il faut faire les affaires comme des affaires</span>«, sagte mir +Mercier einmal), lieber schriftlich als mündlich vorzubereiten, weil +ich aus Erfahrung weiß, daß man sich so besser verständigt und sein +Ziel sicherer erreicht. Sie werden mir also erlauben, daß ich auch +jetzt diesen Weg einschlage und Sie bitte, mir Ihre Bestimmungen +ebenfalls schriftlich mitzutheilen.</p> + +<p>Sie haben geäußert, daß Sie dagegen nichts zu erinnern hätten, daß +wir in der Expedition der »Deutschen Blätter« Abonnements annähmen, +daß Sie jedoch den einzelnen Verkauf nicht zugeben könnten, sich aber +zu einer Abfindung verstehen wollen.</p> + +<p>Indem ich diese Erklärung vorläufig acceptire, versichere ich Ihnen, +daß, sobald ich mich überzeuge, daß Ihr Recht ganz gegründet und Ihre +vorzuschlagende Abfindung billig sei, ich mich dieser gern unterwerfen +werde.</p> + +<p>Um Ihre zu machende Erklärung desto richtiger motiviren zu können, +erlaube ich mir Ihnen folgende Bemerkungen zu machen:</p> + +<p>1) Es findet, dünkt mir, ein entschiedener Unterschied statt +zwischen einer Zeitung und einem politischen Volksblatte wie das +unserige. Dieser Unterschied besteht in der Form und im Inhalt. Eine +Zeitung erscheint an fixen Tagen, sie kündigt sich im Titel als +Zeitung an, sie umfaßt die ganze Zeitgeschichte, sie referirt blos, +sie nimmt keine Partei, und Raisonnements sind ihr fremd, sie ist +das Vehikel, um dem Publikum Alles zur Kenntniß zu bringen, was der +Staat diesem mitzutheilen hat und ein Bürger dem andern. Unser Blatt +hat eine ganz andere Gestalt. Es erscheint an unbestimmten Tagen +und nur vor der Hand täglich und erhält durch Titel, Register und +Repertorium die Form eines Buchs. Außer den Armeebulletins — die es +<em class="gesperrt">auf Befehl</em> des Feldmarschalls Schwarzenberg bekannt machen +<span class="antiqua">muß</span>, die aber Tauchnitz und jeder Andere auch verkauft — +liefert es keine Artikel, die an eine politische Zeitung erinnern. +Sie finden Raisonnements, historische Darstellungen, humoristische +Artikel, gemüthliche Briefe, Gedichte u. s. w., lauter Sachen, die +nie in eine politische Zeitung aufgenommen zu werden<span class="pagenum"><a name="Seite_323" id="Seite_323">[323]</a></span> pflegen. Es +scheint mir also, daß Ihr Privilegium nicht streng auf die »Deutschen +Blätter« paßt. In Berlin hat sich gerade derselbe Fall ereignet. Auch +die beiden berliner Zeitungen zahlen Pacht und haben Privilegium. Kaum +war indeß die russische Armee dort eingerückt, als Herr v. K. von +Graf Wittgenstein den Auftrag erhielt, ein Volksblatt herauszugeben, +und ebenso Herr von Niebuhr vom Gouvernement selbst autorisirt wurde, +die Preußische Correspondenz zu schreiben. Ebenso ist es mit mir. +Ich habe von Sr. Durchlaucht dem Fürsten von Schwarzenberg einen +ähnlichen Befehl erhalten, und es liegt in der Natur der Sache und +speciell in den empfangenen Instructionen, daß ich dem Blatte die +größte Verbreitung muß zu geben suchen, indem es bestimmt ist, auf den +öffentlichen Geist wohlthätig einzuwirken.</p> + +<p>2) Der Verkauf einzelner Blätter wird von der höchsten +Unbedeutendheit sein, wie schon jetzt die Erfahrung lehrt. Ich werde +Ihnen am Schluß dieses Promemoria auf meine Ehre angeben, was diesen +Morgen an einzelnen Blättern ist verkauft worden, woraus Sie sich +einen Maßstab für den einzelnen Verkauf werden machen können. Es +ist sehr natürlich, daß dieser einzelne Verkauf gering sein müsse, +weil wir das Abonnement so niedrig gesetzt haben. Wer sich für +die »Deutschen Blätter« interessirt, wird ja lieber 1 Thlr. 8 Gr. +Abonnement als 3 Thlr. 8 Gr. einzeln bezahlen. Es ist hier noch zu +bemerken, daß den Buchhandlungen und Colporteurs doch nicht konnte +verwehrt werden, wie mir dünkt, auf irgendeine Anzahl zu abonniren +und sie wieder nach Belieben einzeln zu verkaufen, wodurch immer ein +einzelner Verkauf stattfände, wenn er auch von der Expedition müßte +aufgegeben werden.</p> + +<p>3) Ist mir bekannt, daß in mehrern Zeitpunkten viele Blätter hier +bei andern Buchhändlern erschienen sind, die eine ähnliche Tendenz +wie die »Deutschen Blätter« hatten, ohne daß den Verlegern der +einzelne Verkauf wäre benommen gewesen. Ich erinnere hier an das +Intelligenzblatt zu den »Feuerbränden«, an den »Europäischen Aufseher« +u. s. w.</p> + +<p>Dies sind meine Ansichten, werthester Herr Hofrath — wenn ich in +diesen irre, so wird Niemand geneigter sein als ich, es zu gestehen, +wenn es mir gezeigt wird. Ich glaube indessen, daß unser Beider +Interesse sich gewissermaßen vereinigen lasse, wenn Sie sich in Ihrem +großen Wirkungskreise für den Vertrieb unserer patriotischen Blätter +verwenden wollen, und ich meinerseits dadurch meinen Dank bezeige, +was Sie auch als eine Art von Schadloshaltung ansehen könnten, daß +ich Ihnen oder Ihrer Expedition 50% Rabatt für alle debitirten +Exemplare zugestände. Da ich es für möglich halte, daß Sie eine große +Anzahl Exemplare mit der Zeit gebrauchen könnten, so würde der Debit +derselben mit Ihren Vortheilen immer gleichen Schritt halten.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_324" id="Seite_324">[324]</a></span></p> + +<p>In dem großen Zeitpunkte, worin wir leben, müssen alle kleinen +Interessen schweigen und alle Männer von Geist und Gemüth nur Ein +großes Interesse haben: den Sieg der Wahrheit und des Rechts über das +Reich der Lüge und der Unterjochung. Sie werden sich daher gewiß auf +alle Weise für unsere »Deutschen Blätter« mit verwenden, sie selbst +mit Beiträgen unterstützen, wozu ich Sie hiermit ausdrücklich einladen +will, da diese keinen andern Zweck als diesen zu erlangenden Sieg +haben.</p> + +<p>Genehmigen Sie meine freundschaftlichen Empfehlungen.</p> + +<p class="right-2"> +Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>Hofrath Mahlmann antwortete darauf noch an demselben Tage:</p> + +<blockquote> + +<p>Es ist im vorliegenden Falle nicht von <em class="gesperrt">meinem</em> Rechte die +Rede, sondern von dem der Königl. Zeitungsexpedition, welches ich +zu bewahren eidlich verpflichtet worden bin, und da sämmtliche +königlichen Pachtungen in ihrer Integrität fortbestehen und die +Pachter, ungeachtet alle Einnahmen seit zwei Monaten sistiren, die +fälligen Termingelder einzahlen sollen, so ist doppelt nothwendig, die +<span class="antiqua">Regalia</span> vor allen Eingriffen zu sichern.</p> + +<p>Der §. 1 des <span class="antiqua">Generalis</span> vom 23. November 1809 lautet wörtlich +folgendermaßen:</p> + +<p>»Niemand darf in Sr. Königl. Majestät gesammten Landen einige +historisch-politische Zeitungen oder wöchentliche Blätter, welche +Zeitungs-Artikel enthalten, drucken und ausgeben, er habe denn sich +mit dem Zeitungs-Pachter darüber vernommen und einverstanden. Wer ohne +ein solches Einverständniß dergleichen Blätter ausgeben würde, soll +für jedes Stück mit zehn Thalern bestraft werden.«</p> + +<p>Wenn Ihr Blatt auch, wie Sie sagen, keine eigentliche Zeitung ist, +so enthält es doch Zeitungsartikel, das heißt neueste Nachrichten von +den Zeitereignissen. Auch lautet der Befehl des Generals Langenau +aus Altenburg und nicht aus Leipzig. Das »Politische Journal«, die +»Minerva«, die »Feuerbrände« u. s. w. waren Journale und erschienen +heftweise und enthielten Reflexionen über die Ereignisse, nicht +Zeitungsberichte.</p> + +<p>Sie irren ferner, wenn Sie voraussetzen, daß in Berlin dieselben +Verhältnisse obwalteten. Erstlich ist in Berlin kein Zeitungspacht wie +in Sachsen. Zweitens haben die Herausgeber der genannten Blätter sich +ebenfalls über sämmtlichen Debit, den dortigen Verhältnissen zufolge, +mit dem Generalpostamte einverstanden. Die Regierung in Sachsen +zieht weit mehr von dem Zeitungswesen als die in Preußen, und das<span class="pagenum"><a name="Seite_325" id="Seite_325">[325]</a></span> +Hofpostamt in Berlin befolgt die strengsten Maßregeln in Rücksicht des +Zeitungsdebits.</p> + +<p>Ich bin nicht sowol gegen den Verkauf der einzelnen Blätter als +dagegen, daß durch diesen sich eine politische Zeitungsexpedition in +Leipzig etablirt, welches unmöglich mit dem Zeitungspacht bestehen +kann. Auch bin ich überzeugt, es wird kaum noch eine Woche hingehen, +und es werden Nachahmungen Ihres Blattes hier erscheinen, und mehrere +Buchhandlungen werden sich Expeditionen politischer Blätter nennen. +Bereits haben Buchhändler bei mir darüber Erkundigungen eingezogen, +anfragend: ob das nun erlaubt sei, und ob den leipziger Buchhändlern +verweigert werden würde, was man einem fremden erlaubt? Sie sehen, +meine Schritte zur Aufrechthaltung der bestehenden Verfassung sind +selbst Ihr eigener Vortheil.</p> + +<p>Ich wiederhole, daß Sie bei dieser Entreprise am meisten gewinnen +würden, wenn Sie eine altenburger Zeitung in dem Maße, wie ich bereits +mündlich Ihnen erwähnte, herausgäben. Das Gute würde nicht weniger +gefördert, Ihr erhaltener Befehl autorisirt Sie, Sie sind ohne +Nachahmer, und Ihre Unternehmung ist bleibend.</p> + +<p>Indeß bin ich aus den Rücksichten, die Sie am Schlusse Ihres Briefs +anführen, bereit, mit Ihnen einen Vertrag abzuschließen, wenn Sie +Ihrem Anerbieten zufolge</p> + +<p>1) der Zeitungsexpedition 50% (funfzig Procent) Rabatt von den +debitirten Exemplaren zugestehen;</p> + +<p>2) öffentlich bekannt machen, daß die Erscheinung des Blattes +in Leipzig mit Vorwissen und im Einverständnis der Königl. +Zeitungsexpedition der Verabredung gemäß erfolge, damit die Nachahmer +nicht glauben, das Thor sei nun jedem Unberufenen geöffnet;</p> + +<p>3) daß dieses Einverständnis fürs Erste nur bis zu Ende des +laufenden Jahres dauere; in dieser Zeit werden wir Beide sehen können, +inwiefern es vortheilhaft ist oder nicht, es ferner bestehen zu lassen +oder es aufzuheben.</p></blockquote> + +<p>Durch dieses Entgegenkommen von seiten des Pachters der »Leipziger +Zeitung« war der Conflict zwischen der Königl. Zeitungsexpedition +und der in Leipzig eingerichteten Expedition der »Deutschen Blätter« +gehoben, und Brockhaus erließ nun in Nr. 18 vom 28. October nachstehende +Bekanntmachung:</p> + +<blockquote> + +<p><em class="gesperrt">Anzeige.</em></p> + +<p>Der Eigenthümer der »Deutschen Blätter« zeigt hierdurch an, daß +die Erscheinung dieses Blattes — welches seine Entstehung einem +speciellen Befehle Sr. Durchlaucht des Feldmarschalls Fürsten +von Schwarzenberg<span class="pagenum"><a name="Seite_326" id="Seite_326">[326]</a></span> verdankt — in Leipzig mit Vorwissen und im +Einverständniß der Königl. Sächs. Zeitungsexpedition verfassungsmäßig +geschehe.</p> + +<p>Es sind bis Donnerstag den 28. October von diesen Blättern achtzehn +Stücke erschienen, und ist die Einrichtung getroffen, daß solche von +jetzt an vor der Hand täglich des Morgens von 9-12 und von 2-6 Uhr +in der löbl. Königl. Sächs. Zeitungsexpedition und in der Expedition +der »Deutschen Blätter«, der Engelmann'schen und allen andern +Buchhandlungen zu erhalten sein werden.</p> + +<p class="right-2">Expedition der »Deutschen Blätter«.</p> +</blockquote> + +<p>Außer mit dieser formellen Schwierigkeit hatten aber die »Deutschen +Blätter« gleich in ihrer ersten Zeit auch mit Censurbelästigungen zu +kämpfen. Ein am 28. October, also zwei Tage nach dem an Hofrath Mahlmann +gerichteten Promemoria, von Brockhaus an den Chef der Ersten Section des +Generalgouvernements, Freiherrn von Miltitz, erlassenes Schreiben sagt +darüber:</p> + +<blockquote> + +<p>Ohngeachtet der Inhalt der jetzt hier gedruckt werdenden, auf Befehl +Sr. Durchlaucht des Fürsten von Schwarzenberg erscheinenden »Deutschen +Blätter« zum großen Theile aus andern bereits gedruckten Schriften +und Zeitungen genommen wird, welche schon anderweitig die Censur +(vornehmlich in Wien und Berlin) von Behörden, welche mit dem System +der alliirten Mächte bekannt sein müssen, passirt sind, so findet Herr +Hofrath Brückner dennoch Schwierigkeiten, ihm das Imprimatur zu geben, +weil in seiner Instruction enthalten ist, daß »alle Anzüglichkeiten +gegen irgendeine Person oder Macht« zu unterdrücken seien. Herr +Hofrath Brückner verwirft daher dieser Instruction wegen, um ein +Beispiel anzuführen, einen Artikel über das Betragen des französischen +Kaisers gegen den Papst, ohnerachtet wir solchen aus der »Preußischen +Feldzeitung« genommen haben, einem Blatte, von welchem es bekannt ist, +daß Se. Exc. der Staatskanzler Freiherr von Hardenberg die Censur +eigenhändig besorgen.</p> + +<p>Jene Instruction des Herrn Hofrath Brückner dürfte also näher zu +motiviren — der angezogene Ausdruck: daß nichts Anzügliches gegen +irgendeine Person oder Macht solle gedruckt werden, ist so allgemein +und vague, daß bei einem ängstlichen Censor auch keine einzige +politische Wahrheit kann und darf gedruckt werden! — und ihm dabei +aufzugeben sein, daß solche Artikel, welche in den Staaten der +alliirten Mächte bereits gedruckt erschienen wären, hier keineswegs +weiterer Censur bedürften.</p> + +<p>Weiter sagen Ew. Hochwohlgeboren in einem Billet an Herrn Hofrath +Brückner vom 27. October, welches mir derselbe mitgetheilt<span class="pagenum"><a name="Seite_327" id="Seite_327">[327]</a></span> hat, +»daß, insofern die 'Deutschen Blätter' wöchentlich oder in noch +kürzern Fristen erscheinen, ihre Censur zu der unmittelbaren Cognition +des Chefs der Ersten Section des Gouvernementraths gehöre«. Da nun +die »Deutschen Blätter« allerdings wöchentlich und in noch kürzern +Fristen — nämlich vor der Hand täglich — erscheinen, so cessirte +durch obige Erklärung von Ew. Hochwohlgeboren die Censurfähigkeit für +Herrn Hofrath Brückner, insofern dabei kein Misverständniß obwaltet, +weil, wenn Herr Hofrath Brückner den ganzen Umfang der ihm bisher +obgelegenen Geschäfte als politischer Censor beibehalten soll, es +alsdann auch in seinem Geschäftskreise liegt, die Censur der Zeitungen +und sonstigen periodischen politischen Schriften wahrzunehmen.</p> + +<p>Hierüber einer gefälligen und schnellen Antwort entgegensehend, +verbleibe mit tiefstem Respect u. s. w.</p></blockquote> + +<p>Eine Antwort auf diesen Brief scheint Brockhaus nicht abgewartet zu +haben, indem er schon tags darauf, am 29. October, über Halle und +Dessau nach Berlin abreiste. Der Anlaß zu dieser Reise ist uns ebenso +wenig bekannt als irgendein Erlebniß auf derselben. Vermuthlich hatte +er einen officiellen Auftrag erhalten, der einen zuverlässigen und +muthigen Besorger erforderte, da er sich sonst schwerlich in diesem +für sein neubegründetes Blatt so wichtigen Zeitpunkte den Gefahren und +Beschwerden einer solchen Reise ausgesetzt haben würde. Am 8. November, +also nach zehn Tagen, war er wieder in Leipzig, reiste am 15. nach +Altenburg, kehrte aber schon am 19. nach Leipzig zurück und blieb hier +bis Anfang December.</p> + +<p>Vor seiner ersten Abreise von Leipzig hatte er seinen Gehülfen Bochmann +aus Altenburg kommen lassen, der nun mehrere Wochen in Leipzig blieb. +Dieser hatte jetzt ebenfalls Noth mit den inzwischen nicht gebesserten +Censurverhältnissen und klagt darüber in einem an die Redaction in +Altenburg gerichteten Briefe vom 30. October:</p> + +<blockquote> + +<p>In der Erwartung, daß ich so wie gewöhnlich die neue Nummer (der +»Deutschen Blätter«) heute früh 8 Uhr von der Druckerei empfangen +würde, meldete ich Ihnen deren Zusendung schon im voraus; jedoch +zu meinem Schrecken verkündete mir anstatt dessen Hirschfeld (der +Buchdrucker), daß das Blatt die Censur nicht passirt habe. Die +Preßfreiheit ist hier wenigstens noch lange nicht errungen. Mündlich +mehr darüber. Nur so viel, daß die sächsischen Behörden, denen von +Repnin die Censur übertragen ist und die, wie mir scheint, weder +mit den<span class="pagenum"><a name="Seite_328" id="Seite_328">[328]</a></span> Franzosen noch mit dem Könige von Sachsen es verderben +wollen, nicht einmal erlauben wollen, Berichte abdrucken zu lassen, +die in preußischen Blättern von Gouvernements wegen, von L'Estocq +und Sack unterzeichnet, abgedruckt sind. Ich bin heute gelaufen +wie ein Schneider und habe so viel Treppen gestiegen, daß ich ganz +lungensüchtig wieder nach Hause (in seine Heimat Altenburg) kommen +werde, aber das Resultat war am Ende doch: das ganze Blatt kann +heute nicht ausgegeben werden (nämlich Nr. 20), und ich ersuche Sie, +sich der Mäßigung zu befleißigen, damit ich nicht wieder in die +Nothwendigkeit versetzt werde, Ihnen dergleichen sagen zu müssen oder +gar dem ganzen Blatte ein Ende zu machen.</p> + +<p>Indessen wird morgen doch wieder ein Blatt erscheinen, das Sie +sobald wie möglich erhalten sollen, vielleicht durch Expressen. Bis zu +Herrn Brockhaus' Zurückkunft werden also wol sehr unschuldige Sachen +in den »Deutschen Blättern« zu finden sein. Ich hoffe aber, daß dieser +vielleicht noch ein Expediens finden wird.</p></blockquote> + +<p>Brockhaus fand allerdings ein solches »Expediens«. Dieses bestand einmal +darin, daß er sich nicht so leicht einschüchtern ließ wie wol sein +Gehülfe, sondern in jedem einzelnen Falle gegen willkürliche Censur +protestirte und so doch manche Artikel zum Druck frei erhielt; dann +aber kam er auf den (schon früher erwähnten) Ausweg, einzelne Nummern, +die besonders bedenkliche Artikel enthielten, in Altenburg drucken zu +lassen. Da diese nach und nach die Mehrzahl bildeten, so erfolgte der +Druck der »Deutschen Blätter« später wieder wie früher der Hauptsache +nach in Altenburg (bei Pierer), und nur einzelne Nummern wurden noch in +Leipzig (bei Hirschfeld) gedruckt.</p> + +<p>Er sagt darüber in einem Briefe an Villers, datirt Altenburg, 9. Februar +1814:</p> + +<blockquote> + +<p>Da die »Deutschen Blätter« jetzt hier gedruckt werden, so habe ich +wegen der Censur wenig Schwierigkeiten oder vielmehr keine. In Leipzig +selbst ist man allerdings oft genirt, allein ich lasse daher dort nur +solche Artikel drucken, wobei keine Gewissenszweifel eintreten können. +Wenn Sie oder Freunde von Ihnen daher etwas Pikantes haben, so haben +Sie nicht nöthig besorgt zu sein, daß der Druck Schwierigkeiten finden +werde. Es ist das ja einer der schönsten Vorzüge Deutschlands, daß die +Unabhängigkeit der kleinern Staaten es unmöglich macht, <span class="antiqua">grandes +mesures</span> gegen Druck und Preßfreiheit zu nehmen. Nur Ihrem +»Schinderknechte« konnte so etwas eine Zeit lang gelingen.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_329" id="Seite_329">[329]</a></span></p> + +<p>Des Zusammenhangs wegen mögen hier gleich noch zwei an denselben Freund +gerichtete Briefe folgen.</p> + +<p>In einem Briefe vom 7. Mai 1814 spricht Brockhaus seine Gesinnung +über Napoleon und die Franzosen noch drastischer aus als in dem +vorhergehenden. Er schreibt:</p> + +<blockquote> + +<p>Welch ein elender Wicht ist denn dieser Napoleon! Pfui! er ist +eigentlich nicht werth, daß man ihn anspuckt. Nicht den Muth zu +haben, ein so geschändetes Leben zu enden! Kann es hier denn noch +Frage sein, mit Hamlet zu sagen: »<span class="antiqua">To be, or not to be, that is the +question</span>«?</p> + +<p>Aber auch Ihre Franzosen erregen mir Ekel mit ihren Sprüngen und +ihrer elenden Constitution. Und diese Senatoren, Marschälle und +Pfaffen, die vorher im Staube krochen vor Napoleon, wie sie ihn nun +mit Füßen treten und für <em class="gesperrt">ihre</em> Verewigung Sorge tragen, und daß +ihre Dotationen fein bei der Familie bleiben!</p> + +<p>Ich werde diese Geschichten in den »Deutschen Blättern« nach +Verdienst und Würden abhandeln.</p> + +<p>Von den »Fanfaronaden«<a name="FNAnker_55_55" id="FNAnker_55_55"></a><a href="#Fussnote_55_55" class="fnanchor">[55]</a> lasse ich Ihrem Wunsche gemäß Ihren und +Saalfeld's Namen weg. Hätte man die Anmerkungen jetzt zu schreiben, so +würde man sie noch pikanter machen können.</p></blockquote> + +<p>Der andere Brief, schon am 24. December 1813 geschrieben, ist derselbe, +aus dem oben eine die leipziger Schlacht betreffende Stelle mitgetheilt +wurde, und lautet in seinem weitern Inhalte, der im Anfange wenigstens +direct die »Deutschen Blätter« betrifft:</p> + +<blockquote> + +<p>.... Seit der Mitte October beschäftigt mich die Politik nun sehr, +wozu unsere »Deutschen Blätter« denn die nächste Veranlassung gegeben +haben. Auch diese Unternehmung gehört zu den glücklichen und sich +rasch belohnenden. Der erste Band ist fertig, und ich sende Ihnen +solchen durch Dieterich. Wenn Sie von dem Geiste dieses Blattes noch +nicht unterrichtet sind, so werden die drei beikommenden neuesten +Blätter Sie damit bekannt machen. Das Mehrste sind Originalaufsätze. +Ich würde sehr wünschen, wenn Sie solche mit Beiträgen beehren wollen.</p> + +<p>Böttiger, der viel dazu liefert, hat mir ausdrücklich gesagt, ich +möchte Sie aus allen Kräften dazu anspornen. Vielleicht können Sie +auch andere Ihrer Freunde dazu bewegen. Wir honoriren die Beiträge<span class="pagenum"><a name="Seite_330" id="Seite_330">[330]</a></span> +honnet. Da Sie einen Bruder in Moskau haben, würde es da nicht möglich +sein, von diesem ebenfalls über jene ungeheuern Begebenheiten im +September und October 1812, aus dem die Weltfreiheit wie ein Phönix +hervorgegangen, nähere Nachrichten zu erhalten? Vielleicht besitzen +Sie selbige schon in mittheilbaren Briefen!</p> + +<p>Da Schlegel lange in Göttingen war, so werden Sie wissen, daß ich +hier seine »<span class="antiqua">Remarques</span>« herausgegeben habe.<a name="FNAnker_56_56" id="FNAnker_56_56"></a><a href="#Fussnote_56_56" class="fnanchor">[56]</a> Vierzehn Tage +hielt mich die Censur hin, und am Ende wurde doch das Imprimatur +verweigert. Ich förderte es aber nun ohne dasselbe auf meinen Kopf +in die Welt. Man hat jetzt wenigstens Becker's und Palm's Schicksale +nicht mehr zu fürchten. Es war mir nur leid, daß Schlegel geglaubt hat +im Anfang, als sei ich die Schuld der Verzögerung.</p> + +<p>Hamburgs Schicksal im Juni hat mir das Herz zerrissen. Der Himmel +möge es denen verzeihen, die schuld daran gewesen. Seien es nun die +Dänen oder die, welche die Dänen reizten. Ich bin mit mir darüber +nicht im Klaren, wo hier das Recht oder Unrecht war. Aber bald, denke +ich, wird Hamburgs Schicksal abermalen entschieden sein. Auf ein so +schweres Unglück folgen wieder selige Tage! So im Leben, so in den +Weltbegebenheiten. Wie einzig herrlich steht nicht Preußen da! Welche +Bürgertugenden, welcher Heldengeist haben sich nicht unter diesem so +gebeugten Volke entwickelt!</p> + +<p>Auch ich habe mich unter die Reserven der Landwehr hier als +Freiwilliger gestellt, und ich exercire schon tüchtig. Kommt Napoleon +wieder über den Rhein, so verlasse ich Weib und Kinder und ziehe ihm +auch entgegen und falle oder helfe siegen. Was bleibt uns anderes +übrig!</p> + +<p>Ich habe mich hier, um auch etwas über das Persönliche zu sagen, +zum zweiten male verheirathet. Schon vor einem Jahre. Ohne besonderes +Vermögen, ist mein gutes Weib bieder, brav, liebenswürdig und eine +vortreffliche Mutter meiner Kinder erster Ehe. So bin ich also +wieder ganz ans bürgerliche Leben festgeknüpft. Es ist hier eine +freundliche, angenehme Existenz. Lauter gebildete Menschen in unserm +Familienkreise, der der erste des Orts ist. Ich lebe hier viel +glücklicher wie in Holland, wo man reich sein muß, um glücklich zu +sein und seines Daseins froh zu werden.</p> + +<p>Sie sehen, ich bin schwatzhaft wie ein Kind, aber was kann man +Besseres sein. Erzählen Sie mir auch etwas von Ihrem Treiben, Leben +und Weben!</p> + +<p>Adieu. Antworten Sie mir bald und in Liebe. Senden Sie mir auch +recht viele Manuscripte zugleich!</p></blockquote> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_331" id="Seite_331">[331]</a></span></p> +<p>Ueber die hier erwähnte Errichtung der altenburger Landwehr, unter +die sich Brockhaus als Freiwilliger aufnehmen ließ, und die dabei +stattgefundenen Feierlichkeiten brachten die »Deutschen Blätter« in +Nr. 37 vom 24. November 1813 einen ausführlichen Bericht, der die +begeisterte Stimmung der damaligen Zeit treu widerspiegelt.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Bevor Brockhaus sich der weitern Pflege seines neugegründeten Blattes +nach der ersten stürmischen Zeit der leipziger Schlacht in Ruhe +widmen konnte, hatte er außer den oben geschilderten Debits- und +Censurschwierigkeiten noch eine andere Anfechtung zu bestehen, die +ihm ebenso unerwartet als unangenehm war. Er hörte plötzlich, daß die +Herder'sche Buchhandlung zu Freiburg im Breisgau eine »Fortsetzung« +seiner kaum begonnenen und in der besten Entwickelung begriffenen +»Deutschen Blätter«, an deren Aufgeben er gar nicht dachte, angekündigt +habe. Auf seine verwunderte Anfrage schickte ihm die Herder'sche +Buchhandlung folgenden Erlaß des k. k. Armeecommandos in vidimirter +Abschrift:</p> + +<blockquote> + +<p>Dem Buchhändler Herrn Bartholomä Herder in Freyburg wird hiemit +der Auftrag ertheilt, die »Deutschen Blätter«, wie selbe bisjetzt +bei Herrn Brockhaus in Altenburg und Leipzig erschienen sind, ferner +fortzusetzen, mit der Bedingung jedoch, daß selbe wie bisher der +österreichischen Censur zu unterstehen haben.</p> + +<p> +K. K. Hauptquartier Lörrach<br /> +<span style="margin-left:1em">den 27. December 1813.</span> +</p> + +<div class="center"> +<table border="0" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""> +<tr> +<td align="center" style="width:25%">(<span class="antiqua">L. S.</span>) +</td><td align="center">Sr. k. k. Apostolischen Majestät Generalfeld­wacht­meister im General­quartier­meister-­Stabe, Commandeur des kaiserl. österr. Leopolds-­Orden &c. &c.</td></tr> +</table> +</div> + +<p class="right-2">(Gez.) Langenau.</p> +</blockquote> + +<p>Brockhaus' Erstaunen über dieses Actenstück mag noch dadurch gesteigert +worden sein, daß es von demselben General von Langenau unterzeichnet +war, der ihm im Auftrage des Feldmarschalls und obersten Befehlshabers +Fürsten von Schwarzenberg den »Befehl« zur Herausgabe eines politischen +Blattes ertheilt hatte. Das Armeecommando konnte beim weitern Vorrücken +der Heere<span class="pagenum"><a name="Seite_332" id="Seite_332">[332]</a></span> nach Frankreich gewiß auch noch andern Personen »Aufträge« +oder »Befehle« zur Herausgabe politischer Blätter geben; zur raschesten +Verbreitung der offiziellen Kriegsnachrichten war das selbst ohne +Zweifel ganz zweckmäßig. Aber einem andern Buchhändler den »Auftrag« zur +»Fortsetzung« der bei Brockhaus noch erscheinenden »Deutschen Blätter«, +die doch jedenfalls dessen Eigenthum waren, ohne sein Vorwissen zu +geben, das verrieth in der That ganz eigenthümliche Begriffe über das +literarische Eigenthum! Selbst in der damaligen Zeit, die jenes Wort +kaum kannte und in der im Gegentheil der Nachdruck blühte, und auch bei +einem mit solchen Angelegenheiten wenig vertrauten Militär war das doch +überraschend! Dazu kam noch, daß die »Deutschen Blätter« in einer ihrer +ersten Nummern (Nr. 15 vom 25. October 1813) einen von dem General von +Langenau selbst eingesandten Artikel, seine Entlassung aus sächsischen +Diensten betreffend, gebracht hatten. Dieser war zwei Monate vor Anfang +des Kriegs nach ehrenvoller Entlassung in österreichische Kriegsdienste +getreten, und die königlich sächsische »Leipziger Zeitung« hatte ihn, +freilich vor der leipziger Schlacht, am 4. September als »aus den +sächsischen Diensten desertirt« bezeichnet!</p> + +<p>Die Herder'sche Buchhandlung antwortete auf Brockhaus' Anfrage unterm +30. December 1813 nur: sie habe diesen Auftrag erhalten, sei übrigens +gern bereit, ihm gegen Mittheilung der Abnehmer der »Deutschen Blätter« +eine »Vergütung« zu machen; wolle er die Versendung übernehmen, so könne +er die Verrechnung darüber mit den Abnehmern besorgen, und man werde +sich schon arrangiren.</p> + +<p>Brockhaus' Antwort auf diesen Brief und sein jedenfalls erfolgter Brief +an General von Langenau liegen uns leider nicht vor.<a name="FNAnker_57_57" id="FNAnker_57_57"></a><a href="#Fussnote_57_57" class="fnanchor">[57]</a> Doch ist nicht +zu bezweifeln, daß die erstere eine ablehnende, der zweite ein Protest +war. Beide Briefe werden sicherlich auch nicht in den höflichsten +Ausdrücken abgefaßt gewesen sein.</p> + +<p>Einen Ersatz für diese Briefe bietet nachstehende Erklärung in Nr. 70 +der »Deutschen Blätter« vom 24. Januar 1814:</p> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_333" id="Seite_333">[333]</a></span></p> +<blockquote> + +<p>Der Herr Buchhändler Herder zu Freiburg im Breisgau hat angezeigt, +daß er durch einen Auftrag des Herrn General von Langenau veranlaßt +worden, die seither bei mir erschienenen »Deutschen Blätter« +fortsetzen.</p> + +<p>Gegen diese ebenso unerwartete als befremdende Anzeige sehe ich +mich bewogen, zu erklären, daß die Idee, der Titel und der ganze Plan +zu dieser Zeitschrift einzig und allein von mir herrühren; daß die +Genehmigung Sr. Durchlaucht des Fürsten von Schwarzenberg nur der Form +wegen erfolgte, indem ich mir, theils um allen Censur- und andern +Schwierigkeiten im voraus zu begegnen, theils um auf keinen denkbaren +Fall die Landesbehörden zu compromittiren, den Befehl dazu erbat; +daß ich endlich, mit Zurücksetzung aller persönlichen Rücksichten, +in einem Zeitpunkte, wo die französischen Heere noch in dem Herzen +von Sachsen standen (12. October) und der entscheidende Streich, der +Deutschland von ihnen befreite, erst vorbereitet ward, wo mithin die +Aeußerung freimüthiger patriotischer Gesinnungen etwas verdienstlicher +war als gegenwärtig, wo man mit hinlänglicher Sicherheit den Patrioten +spielen kann, das Unternehmen mit dem 14. October begann.</p> + +<p>Wenn ich folglich sowol nach den über literarisches Eigenthum +in allen Staaten bestehenden Grundsätzen als auch aus Gründen der +Billigkeit die »Deutschen Blätter« als mein vollkommenes Eigenthum +betrachten darf, so kann offenbar die Fortsetzung derselben weder +von irgendeiner Behörde befohlen, noch von irgendjemandem ohne meine +ausdrückliche Einwilligung unternommen werden.</p> + +<p>Wurde bei dem jetzigen Stande des Kriegstheaters für nöthig +erachtet, zur Verbreitung der Armeenachrichten ein neues Blatt +zu gründen, so konnte und mußte dies ohne meine Beeinträchtigung +geschehen.</p> + +<p>Ich hege daher die Hoffnung, der Herr Buchhändler Herder werde, +sobald ihm diese Verhältnisse bekannt geworden, sich beeilen, seiner +Zeitschrift, gegen deren Herausgabe an und für sich von meiner +Seite nicht das Allergeringste einzuwenden ist, einen andern Titel +zu geben, und sie nicht ferner eine Fortsetzung meiner »Deutschen +Blätter« nennen, da ich diese selbst fortsetzen und bis zum künftigen +allgemeinen Frieden fortsetzen werde.</p> + +<p>Der immer steigende Beifall des Publikums ist der sicherste +Beweis, daß ein politisches Blatt von dem Charakter, welchen die +Redaction seither den »Deutschen Blättern« zu geben gewußt hat, den +Zeitverhältnissen angemessen ist. Aber eben darin hat die Redaction +auch den größten Sporn für sich gefunden, das Interesse derselben +immer mehr zu erhöhen und zu verallgemeinern. Zahlreiche Mitarbeiter, +und unter diesen mehrere der vorzüglichsten Schriftsteller +Deutschlands, eine ausgebreitete Correspondenz, directe Verbindungen +mit Holland, England und den verschiedenen Hauptquartieren, die +günstige Lage der<span class="pagenum"><a name="Seite_334" id="Seite_334">[334]</a></span> Redaction im Mittelpunkte von Deutschland +und am Stapelplatze des deutschen Buchhandels: dies Alles sind +Eigenthümlichkeiten und Vorzüge, welche ohnehin mit dem bloßen Titel +nicht erworben werden könnten.</p> + +<p>Sämmtliche Mitarbeiter und Correspondenten der »Deutschen Blätter« +werden daher fortfahren, ihre Beiträge nach Leipzig oder nach +Altenburg zu adressiren.</p> + +<p>Altenburg und Leipzig, den 18. Januar 1814.</p> +<p class="right-2">Friedr. Arn. Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>Herder setzte trotzdem sein Blatt fort, gab es aber schon nach kaum +einem halben Jahre wieder auf, wie aus folgender »Nachricht« in Nr. 158 +der »Deutschen Blätter« vom 16. Juli 1814 hervorgeht:</p> + +<blockquote> + +<p>Die »Teutschen Blätter«, welche sich in Freiburg im Breisgau mit +einer in der deutschen Literatur unerhörten <em class="gesperrt">Frechheit</em> als eine +Fortsetzung der unserigen, während diese nie aufgehört hatten zu +erscheinen, ankündigten, sind, öffentlichen Nachrichten zufolge, mit +der 76. Nummer geschlossen worden.</p></blockquote> + +<p>Von dem bekannten Geschichtschreiber Karl Ludwig von Woltmann wurde +gleichfalls eine Zeitschrift unter dem Titel »Deutsche Blätter« in +den Jahren 1813 und 1814 in Berlin herausgegeben, doch war dies keine +politische, sondern eine historische Zeitschrift, die mit dem von +Brockhaus herausgegebenen Blatte in keiner Weise concurrirte. Woltmann, +der mit Brockhaus schon seit längerer Zeit in Verbindung stand, erbot +sich selbst zu Beiträgen für dessen Blatt und schrieb ihm im Januar 1814 +aus Prag, wohin er im Sommer 1813 geflohen war, um der Rache Napoleon's +auszuweichen:</p> + +<blockquote> + +<p>Ihre »Deutschen Blätter« kenne ich noch nicht. Mein Journal unter +diesem Titel setze ich in diesem Jahre fort. Wahrscheinlich ist das +Ihrige ein politisches.</p></blockquote> + +<p>Unbeirrt durch alle Schwierigkeiten und Anfechtungen ging Brockhaus mit +frischem Muthe an die weitere Förderung seiner »Deutschen Blätter«. Er +hatte auch die Genugthuung, daß sie in Deutschland rasch Anklang und +Verbreitung fanden. Die Auflage betrug in der ersten Zeit über 4000 +Exemplare, eine für damalige<span class="pagenum"><a name="Seite_335" id="Seite_335">[335]</a></span> Verhältnisse sehr hohe Zahl, und der erste +Band wurde so vielfach nachverlangt, daß die meisten Nummern desselben +mehr als einmal neu gesetzt und gedruckt werden mußten.</p> + +<p>Uebrigens fühlte Brockhaus die Verpflichtung, nunmehr ein förmliches +Programm der Zeitschrift zu veröffentlichen, was in der ersten Zeit +weder nöthig noch thunlich gewesen war. Dieses erschien gerade vier +Wochen nach dem Beginn des Blattes, in Nr. 31 vom 13. November 1813, und +lautet:</p> + +<blockquote> + +<p class="center"><b>Erklärung der Redaction der »Deutschen Blätter«.</b></p> + +<p>So unerwartet günstig unsere »Deutschen Blätter« auch vom Publikum +aufgenommen worden sind, so verkennt die Redaction derselben +keineswegs, daß sie diese günstige Aufnahme mehr dem Interesse an den +großen Begebenheiten, welche sich unter unsern Augen ereigneten, und +der Idee, welche jeder Wohlgesinnte in den »Deutschen Blättern« ahnte +und finden konnte, zu verdanken habe als ihrer bisherigen Ausführung. +Jetzt, da durch größere Entfernung des Kriegstheaters der Drang +der Begebenheiten nicht mehr so nahe auf uns einwirkt und auch die +Redaction sich mit größerer Ruhe und weniger Störung der Herausgabe +dieser Blätter widmen kann, sei es ihr erlaubt, sich näher über das +auszusprechen, was die »Deutschen Blätter« eigentlich sein wollen +und was sie nicht sein wollen, damit zwischen ihr und dem Publikum +hierüber künftig kein Misverständniß eintreten kann.</p> + +<p>Die »Deutschen Blätter«</p> +<p class="center"><em class="gesperrt">wollen keine Zeitung sein</em>.</p> + +<p>Zur Organisirung einer Zeitung, wenn sie dem Ideale entsprechen +soll, das der Redaction darüber vorschwebt und welches einst in der +guten alten Zeit durch den »Hamburger unparth. Correspondenten« +wirklich erreicht wurde, gehören große Vorbereitungen, eine so +umfassende Correspondenz, so mannichfaltige Verbindungen, auch +sind dabei überhaupt so viele Verhältnisse zu berücksichtigen, daß +es der Redaction wie der Verlagshandlung der »Deutschen Blätter«, +welche beide ebenso sehr die Schwierigkeiten als die Bedingungen +der Herausgabe einer guten Zeitung zu erwägen wissen, nicht in den +Sinn gekommen ist, eine solche unternehmen zu wollen. Die Zwecke, +welche die Redaction durch die »Deutschen Blätter« erreichen wollte, +konnten aber auch durch eine Zeitung nicht erreicht werden, da diese +eigentlich nur referiren soll, was in der Gegenwart geschieht, und +ohne für oder gegen eine der handelnden Personen oder Völker Partei zu +nehmen.</p> + +<p> +Die »Deutschen Blätter« wollen also keine Zeitung sein, sondern</p> +<p class="center"><em class="gesperrt">ein politisches Volksblatt</em>,</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_336" id="Seite_336">[336]</a></span></p> + +<p>das Wort »Volk« hier im höhern und edlern Sinne genommen, ein +Blatt, das in allen Ländern deutscher Zunge mit Theilnahme kann +gelesen werden, welches bei einem bloßen Zeitungsblatte, das in einer +gewissen Entfernung bald alles Interesse verliert, nicht der Fall sein +kann. Sie thun daher von jetzt an, wo sich das Kriegstheater aus der +Nähe der Redaction weggezogen hat, auf die Mittheilung alles dessen +Verzicht, was man im engern Sinne gewöhnlich »Zeitungsneuigkeiten« und +»Zeitungsnachrichten« zu nennen pflegt, insofern sie nicht den Zweck +haben wollen, das Publikum mit den Begebenheiten des Tags so schnell +als möglich oder wol gar zuerst und vollständig bekannt zu machen. +Die »Deutschen Blätter« werden zwar nicht versäumen, die glorreichen +Ereignisse, welche wir den verbündeten Armeen, an welche sich bald die +gesammte deutsche Nationalkraft wird angeschlossen haben, auch ferner +bis zur gänzlichen Befreiung unsers gemeinsamen Vaterlandes verdanken +werden, mitzutheilen, allein es wird in einer andern Form geschehen, +als es bisher geschehen konnte. Es werden nämlich größere Zeitpunkte +nach bedeutenden Abschnitten der Begebenheiten dazu festgesetzt +werden, die Darstellung der in dieselben fallenden Begebenheiten +wird historisch zusammenhängend in größern erklärenden Uebersichten +erfolgen und von den wichtigsten officiellen Bekanntmachungen der +verschiedenen Armeen begleitet sein.</p> + +<p>Hauptsächlich aber wird das Streben der »Deutschen Blätter« dahin +gehen, <em class="gesperrt">Gemeinsinn</em> zu erwecken, die deutsche Nationalwürde zu +erheben, Haß gegen fremde Unterjochung und Vertrauen gegen uns selbst +einzuflößen. Auch die belehrende und warnende Geschichte der letzten +zehn traurigen Jahre, in welchen Deutschlands herrliche Nationalkräfte +von Fremdlingen, die sich durch List und Gewalt auf unsern Boden +eingeschlichen hatten, nur gebraucht wurden, damit die deutschen +Völker sich untereinander selbst aufrieben und das zerstörten +oder lähmten, was eigentlich unsere Nationalkraft war und unsern +Nationalcharakter bildete, wird daher von dem Gegenstande unserer +Blätter nicht ausgeschlossen sein. Alles, was mithin dazu dienen kann, +die Tyrannei und Willkür, womit ein fremder Usurpator uns und — das +freie stolze Britannien ausgenommen — ganz Europa bedrückte, nach +wahrhaften Quellen genauer kennen zu lernen, ferner historische Data +über einen in der Weltgeschichte einzigen, bisher aber noch nicht +unparteiisch geschilderten Zeitpunkt, in welchem es für Staaten wie +für Individuen weder Sicherheit des Besitzes noch der Personen gab, +werden daher von den »Deutschen Blättern« gern aufgenommen werden. Es +werden sich solche auch ein besonderes Geschäft daraus machen, das +systematische Lügengewebe der französischen Nachrichten zu entwirren +und die Sophismen ihrer diplomatischen Verhandlungen zu widerlegen. +Alles endlich, was dazu führen kann, über Deutschlands künftige +politische Verfassung im<span class="pagenum"><a name="Seite_337" id="Seite_337">[337]</a></span> allgemeinen und im besondern gemeinnützige +und aufgeklärte Ideen zu verbreiten und fruchtbare Gedanken über +die Verbesserung unsers politischen Zustandes zu wecken, soll ein +besonderer Gegenstand der »Deutschen Blätter« sein.</p> + +<p>Zur Erreichung dieser Zwecke hat sich die Redaction schon mit +mehrern ausgezeichneten Schriftstellern und Geschäftsmännern in +Verbindung gesetzt; sie rechnet aber auch auf die freie Unterstützung +anderer aufgeklärter Männer in unserm ganzen gemeinsamen Vaterlande, +um so mehr, »da die Freiheit der Rede und der Schrift uns +wiedergegeben ist, wie die des Handelns«; und wird sie endlich auch +aus andern Blättern manches aufnehmen, was dazu beitragen kann, diese +Blätter zu einem »Nationalarchiv der Deutschen« zu erheben.</p> + +<p>Was die Art der künftigen Erscheinung betrifft, so wird die +Verlagshandlung nachstehend das Nähere darüber bekanntmachen.</p> + +<p class="right-2">Die Redaction der »Deutschen Blätter«.</p> +</blockquote> + +<p>Die darauffolgende Mittheilung der Verlagshandlung beschränkt sich auf +Angaben über Preis, Erscheinungsweise (künftig wöchentlich viermal, +statt täglich wie bisher, gleichzeitige Ausgabe in Leipzig und +Altenburg) u. s. w. mit dem Zusatze: die ganze Form und Anlage der +»Deutschen Blätter« gehe dahin, daß sie eine »Nationalchronik« bilden +sollen, welche gesammelt immer ihr Interesse behalten werde.</p> + +<p>Vom April 1814 an wurden wöchentlich nur drei Nummern ausgegeben. Von +Mitte April 1815 an, bis zu welchem Zeitpunkte in den anderthalb Jahren +seit Mitte October 1813 sechs Bände erschienen waren, wurden wöchentlich +zwei bis drei Bogen (ohne Datum als »Stücke« bezeichnet) ausgegeben, +und zu dem Titel wurde »Neue Folge« hinzugesetzt; vom 10. Juni 1815 an +(nach dem Wiederausbruche des Kriegs) wurden den regelmäßigen Stücken +wöchentlich besondere Beilagen unter dem Titel: »Tagesgeschichte. Zu den +Deutschen Blättern. Neue Folge« beigegeben, die Ende September (mit dem +zweiten Bande der Neuen Folge) wieder eingestellt wurden.</p> + +<p>Mit dem dritten Bande der Neuen Folge, dem neunten im Ganzen, hörten die +»Deutschen Blätter« im Frühjahre 1816 auf, nachdem sie gerade zwei und +ein halbes Jahr lang erschienen waren.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_338" id="Seite_338">[338]</a></span></p> + +<p>Das oben mitgetheilte Programm der »Deutschen Blätter« wurde von ihnen +während der ganzen Dauer ihrer Wirksamkeit treu eingehalten. Nur +erhielt es durch die Zeitereignisse mitunter eine Erweiterung oder +Vervollständigung. Einige der hierauf bezüglichen Erklärungen sind +für die Zeitschrift wie für deren Herausgeber des Blattes besonders +bezeichnend.</p> + +<p>So heißt es beim Schlusse des dritten Bandes am 21. Mai 1814:</p> + +<blockquote> + +<p>Die »Deutschen Blätter« sehen einen großen Zweck, zu dem auch sie +mitgewirkt haben und über welchen sie in Deutschland mit zuerst +öffentlich und furchtlos gesprochen zu haben sich zu einigem +Verdienste anrechnen dürfen, erreicht. Nicht durch die Waffen +allein ist der Tyrann besiegt worden, sondern auch durch die +öffentliche Meinung, welche zu bilden und zu leiten das Geschäft der +Schriftsteller ist. Er ist untergegangen in einer Schmach, für welche +die Geschichte kein Gegenstück aufzuweisen hat. Der Nimbus seiner +Größe ist verschwunden und tiefe Verachtung der Furcht und dem Hasse +gefolgt, die der elende Heuchler seit zwölf Jahren Europa eingeflößt +hatte. Aber wenn auch er untergegangen ist, so sind es nicht mit ihm +seine Helfershelfer, die, mit Verbrechen beladen, dennoch zum Bedauern +der Welt scheinen Verzeihung erhalten zu sollen; nicht ist mit ihm +untergegangen jener gallische Uebermuth, jene Verderbtheit dieses +Volks, das seit fünfundzwanzig Jahren eine Geisel der Welt gewesen +ist und alle Stufen menschlicher Verbrechen durchlaufen hat. Ohne die +Schlechtigkeit dieses Volks, ohne die Verworfenheit seiner Räthe, +Minister und Generale konnte Bonaparte nicht der Tyrann und Despot +werden, welcher er geworden ist. Nicht er allein war es, den wir zu +bekämpfen hatten, auch gegen diese sind unsere Waffen gerichtet.</p> + +<p>Die »Deutschen Blätter« werden daher auch fernerhin, so lange sie +fortgesetzt werden, insbesondere gegen gallischen Uebermuth und +Afterweisheit für alle Zeiten sprechen und Bewahrer des deutschen +Nationalsinnes bleiben.</p></blockquote> + +<p>Bei Vollendung des vierten Bandes am 23. August 1814 sagt die Redaction:</p> + +<blockquote> + +<p>Noch ist zu dem Wiederaufbau des deutschen Staatsgebäudes nur der +Grundstein gelegt, nur der Umriß entworfen. Es hoch und herrlich und +dauerhaft aufzuführen, alle seine Theile zu einem wohlgeordneten und +wohleingerichteten Ganzen zu verbinden, damit es seinen Bewohnern +Schutz und Sicherheit und bequemen Aufenthalt gewähre, den<span class="pagenum"><a name="Seite_339" id="Seite_339">[339]</a></span> Nachbarn +Vertrauen und Ehrfurcht einflöße, das wird das Werk der nächsten +Zukunft sein. Vieles und Großes ist gethan, aber mehr und Größeres +ist noch zu thun, damit aus der Zerstörung ein dauerndes Wohl der +Menschheit aufblühe. Mit diesem heiligen Zwecke wird sich der Wiener +Congreß beschäftigen, auf den vornehmlich die Blicke der Deutschen +gerichtet sein müssen.</p></blockquote> + +<p>Es war Brockhaus' Absicht gewesen, die »Deutschen Blätter« schon mit +diesem fünften Bande abzuschließen. Da aber von den Resultaten des +Wiener Congresses nur erst Weniges und Unbestimmtes bekannt geworden +war, so erklärte er am 1. December 1814, daß er noch einen sechsten Band +erscheinen lassen wolle.</p> + +<p>Bevor dieser noch vollständig geworden war, hatte Napoleon die Insel +Elba, auf die man ihn für seine Lebenszeit verbannen zu können in +kurzsichtiger Verblendung gehofft hatte, plötzlich verlassen, war am +1. März 1815 an der französischen Küste gelandet und bereits am 20. +März in Paris eingezogen. Der Wiener Congreß war auseinandergestoben, +aber die Alliirten hatten sich aufs neue verbündet und unterm 13. März +eine Achtserklärung gegen Napoleon als allgemeinen Feind und Ruhestörer +erlassen: der Krieg entbrannte aufs neue.</p> + +<p>So konnten auch die »Deutschen Blätter« ihre Aufgabe noch immer nicht +als ganz erfüllt ansehen; sie begannen eine »Neue Folge«, und auch als +die Herrlichkeit der »Hundert Tage« durch die Schlacht bei Waterloo am +18. Juni und Napoleon's zweite Abdankung am 22. Juni ein rasches Ende +gefunden, erschienen sie noch eine Zeit lang fort. Am 7. Juli waren die +Verbündeten zum zweiten male in Paris eingezogen, am 20. November wurde +der zweite Pariser Friede geschlossen, nachdem schon am 8. Juni der +Deutsche Bund errichtet, tags darauf die Wiener Schlußacte unterzeichnet +worden war. Jetzt war der Krieg wirklich beendet, und die »Deutschen +Blätter« konnten nun vom Schauplatz abtreten. Am 22. Februar 1816 zeigte +Brockhaus vorläufig an, daß er mit dem im Erscheinen begriffenen neunten +Bande die »Deutschen Blätter« schließen werde, und einige Wochen darauf +wurde die letzte Nummer ausgegeben.</p> + +<p>Das Schlußwort der Redaction gibt einen Gesammtüberblick<span class="pagenum"><a name="Seite_340" id="Seite_340">[340]</a></span> über die +Wirksamkeit der »Deutschen Blätter« und sei deshalb auszugsweise hier +mitgetheilt.</p> + +<p>Die Redaction spricht zunächst offen aus, daß die wahrhaft glänzende +Theilnahme, die das Blatt im Anfange gefunden, sich naturgemäß +allmählich bei den ruhigern Zeiten verringert habe, und obwol noch immer +eine Auflage, zu der wenige ähnliche Unternehmungen in ihrer günstigsten +Zeit sich erheben möchten, für den Aufwand entschädige, so sollten die +»Deutschen Blätter« doch nicht dann erst enden, wenn sie sich selbst +überlebt hätten.</p> + +<p>Darauf heißt es weiter:</p> + +<blockquote> + +<p>Sie begannen in der Zeit, die zu den herrlichsten, hoffnungsvollsten +und erfolgreichsten gehört, welche das Vaterland je erlebte; +unter Verhältnissen und Begünstigungen, wie sie selten einem +schriftstellerischen Unternehmen zutheil werden. Die köstliche Zeit +der errettenden Völkerschlacht, die Zeit der wiedererrungenen, +hochbeglückenden Freiheit, war die Zeit ihrer Geburt, sie brachten +die erste umständliche Kunde von dem Segen, den der Höchste auf die +gerechten Waffen der Verbündeten gelegt, verbreiteten zuerst von +einem Ende des Vaterlandes zum andern die sichere und begeisternde +Botschaft von Deutschlands Sieg und Wiedergeburt, von der Niederlage +der Unterdrücker, von der Vernichtung der Despotie. Darum wurde ihre +Stimme so gern gehört, zumal sie kräftig war und würdig, und ein +Geist, der vieler Herzen erhob, in ihr wehte. Vom Vaterland und für +das Vaterland sprachen sie, und des Vaterlandes Söhne und Töchter +nahmen sie freudig auf. Sie hatten überdies die Empfehlung für +sich, daß der geehrte Feldherr, der an der Spitze der siegreichen +verbündeten Heere stand, selbst sie veranlaßt, ihr Erscheinen selbst +befördert und so gleichsam eine höhere Bürgschaft ihnen gegeben hatte.</p> + +<p>Von Leipzigs Siegesfeldern begleiteten sie den Triumphzug über +den alten Rhein bis in das stolze Babel, den Mittelpunkt der +Unterdrückungsplane des zu Schanden gewordenen Uebermuths, der +zerstörten Tyrannei. Mit mäßigem Jubel ließen sie die Kunde des +geschlossenen bedenklichen Friedens erschallen, und, scheidend von den +glorreichen Schlachtgefilden, wendeten sie sich zu den unblutigen, +aber nicht minder gefährlichen Kämpfen in den Steppen des Wiener +Congresses, den Irrgängen der Unterhandlungen. Sie nahmen Partei, +aber nur für die Sache des Vaterlandes, der Gerechtigkeit und der +Freiheit, und sprachen manch starkes Wort, wo es frommen konnte. Aber +sie mochten sich nicht wie der Vater Rhein nach kräftigem Ernst im +Sande verlieren oder, den gewaltigen Strom verlassend, in kümmerlichen +Bächen verrinnen. Sie erhoben sich in neuer Kraft, als die Botschaft +kam von<span class="pagenum"><a name="Seite_341" id="Seite_341">[341]</a></span> der Rückkehr des Furchtbaren aus seinem Felseneiland, von des +Vaterlandes Gefahr.</p> + +<p>Die Neue Folge der »Deutschen Blätter« begann, um zu erwecken zum +neuen Kampf, aufzurufen zu den schützenden Waffen, hinzuweisen auf +das, was abermals dringend Noth war, was geschehen mußte, und regten +von neuem in der allgemeinen Bewegung sich selber lebendiger, stürzten +sich wieder in das Schlachtgewühl. Des Feindes Trug und Arglist, seine +Macht und seine Kampffertigkeit, alle die losen Künste, mit denen er +zu lang uns berückt und geschwächt hatte, stellten sie den deutschen +Lesern klar vor Augen und ermahnten, das alte Joch, das viele noch +zu willig trugen, völlig zu zerbrechen, die allzu verderbliche +Abhängigkeit von fremder Sitte, mannichfachem fremden Einfluß endlich +zu verbannen. Sie frohlockten über den neuen, herrlichen Sieg, den +Gott verliehen, über Babels zweiten Fall, über die Heimkehr des +theuern Eigenthums, das, als schnöder Raub und frevle Siegestrophäe +zu lange trauernd, an feindlicher Stätte gefesselt gelegen; sie +mühten sich, das Kleinod der Hoffnung zu erhalten, als in langen +geheimnißvollen Unterhandlungen Sorge und Ungeduld allenthalben +Raum gewannen und sich mehrten, weil manch theuerer Wunsch nicht in +Erfüllung gehen wollte, ja immer mehr gefährdet ward. Sie suchten +zugleich das Gedächtniß der frühern Zeit des Vaterlandes, seiner +alten Schicksale zu erneuen, um durch die Bilder der Vergangenheit +nicht nur zu trösten, sondern auch zu erwecken. Dann, als die neue +Friedensbotschaft so unbefriedigend erschien, ergriff sie die Ahnung, +daß ihr Ende gekommen sei, daß, wie nun Alles zur Ruhe sich lege, auch +ihr Wächterruf immer mehr verhallen möge. Auch ließen sie nicht ab, +ihrer Bestimmung treu die wichtigsten Angelegenheiten zur Sprache zu +bringen und manch ernstes Wort zu reden von dem, was zu Deutschlands +Heil geschehen muß. Aber: »<span class="antiqua">Vestigia me terrent!</span>« zu deutsch: +»Laß dir rathen, ehe guter Rath dir noch theuer zu stehen kommt«, +dachten sie bei sich selbst. »Wir wollen die Welt meiden, Einsiedler +werden und uns selbst begraben, ehe man uns begräbt. Aus dem selbst +gewählten Grabe kehren wir dann vergnügt und lebendiger, auch wohl +vollkommener wieder.« Dachten es und brachen als Freunde des Tags, wie +sie von je gewesen, noch eine Lanze mit den Rittern der Nacht, die +ihren Herold vorangesendet hatten, und bringen nun ihren Freunden den +Abschiedsgruß.</p> + +<p>Sechsmal erneuten sie sich seit ihrem ersten Erscheinen, dreimal in +der Neuen Folge. In neun Bänden schließen sie gut, denn neun ist eine +gute und vollkommene Zahl ....</p> + +<p>Sie haben eine gute Zeit durchlebt, obwol die schönste, in +der sie geboren wurden, schnell vorüberging. Doch klingen noch +in tiefster Seele nach die Lob- und Danklieder aus der Zeit der +Vaterlands<span class="pagenum"><a name="Seite_342" id="Seite_342">[342]</a></span>erhebung und Errettung, und der Blick nach oben feiert +noch immer und soll endlos feiern, was der Herr aufs neue Großes und +Herrliches an dem deutschen Volke und an der Menschheit in dieser Zeit +gethan hat. Und das bleibt des höchsten Dankes werth!</p> + +<p>Sie bringen auch ihren erneuten Dank den tapfern Streitern dar, +deren Heldenthaten auch ihnen das Dasein gaben. Unsterblich, wie der +Thaten Geist, und lichthell, wie der Thaten Frucht, deren Herrlichkeit +ungekränkt bleibt, ob auch manches nicht zur vollen Reife gedieh, lebt +der Helden Gedächtniß und Ruhm und der Dank des befreiten Vaterlandes +fort. Ihr Verdienst war es auch, wenn hier manch freies und +erweckendes Wort geredet werden durfte, das in früherer trüber Zeit +nicht hervorzutreten wagen konnte, und wenn dadurch, wie wir glauben +dürfen, manches Gute befördert worden ist. Die Stimme der Wahrheit hat +eine so siegreiche Kraft, daß keine Gewalt ihr widerstehen kann auf +die Dauer, und je gesegneter ihre Wirksamkeit ist, desto höherer Dank +gebührt denen, die ihr die Bahn wieder geebnet, die Luft gereinigt +haben von den giftigen Dünsten, welche sie gänzlich zu ersticken +drohten.</p> + +<p>Aus allen Theilen Deutschlands sind sie durch zweckmäßige Beiträge +bereichert worden. Denen, die auf diese Weise ihr Leben erhöhten +und stärkten, gebührt vorzüglicher Dank. In ihnen haben sich, meist +einander unbekannt, doch im wesentlichen in gleichem Geiste und +gleicher Gesinnung, vorzüglich gleicher Liebe des Vaterlandes und +verwandter Ansicht von dem, was zu dessen Heil geschehen muß, viele +deutsche Männer begegnet und durch ihre Uebereinstimmung das, was +sie aussprachen, noch mehr empfohlen. Die bewährte Gesinnung hat +sich durch den gemäßigten und bescheidenen, zwar, wie es Noth war +und löblich, starken, aber selten allzu scharfen Ton, der fast alle +Beiträge auszeichnete, viele Freunde erworben, und fast nie ist +ein Anlaß zu gerechten Klagen und Beschwerden gegeben worden. So +freimüthig als besonnen, überall aber mit strenger Wahrheitsliebe, +ward das, was Bedürfniß der Zeit und des Vaterlandes war, hier +ausgesprochen, keiner grundlosen Parteilichkeit für irgendeinen Zweig +des deutschen Volks Raum gegeben, kein unziemlicher und verderblicher +Zwiespalt genährt, sondern überall das Gute, wo es sich auch fand, +anerkannt und vor allem auf jene Eintracht und Geisteseinigkeit, +in der Deutschland allein stark, frei und sicher bestehen kann, +hingearbeitet. Diesen Ruhm wird man den »Deutschen Blättern« +ungekränkt lassen.</p> + +<p>Jetzt, da diese Neue Folge sich schließt, ist ihr letzter Wunsch: +Segen und Heil dem theuern Vaterlande! Ihm haben sie gelebt und ihm +gedient, ihm werden sie immer aufs innigste ergeben bleiben, und wenn +längst ihre Stimme verhallt ist, wird der fernste Nachklang noch von +Liebe und Treue für den heimatlichen Boden, für das deutsche Volk +ertönen.</p></blockquote> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_343" id="Seite_343">[343]</a></span></p> + +<p>Dieses Schlußwort, das sich dann noch weiter über die Zeitverhältnisse +ausspricht, um »in diesen letzten Mittheilungen noch einmal die höchsten +Angelegenheiten unsers Volks den Lesern ans Herz zu legen«, sagt nicht +zu viel von dem Gehalte und der Wirkung der »Deutschen Blätter«; es +war übrigens weder von Brockhaus noch von Hain, sondern auf deren +Wunsch von einem Mitarbeiter verfaßt, wahrscheinlich von dem Professor +Hasse in Dresden. Die »Deutschen Blätter« nehmen anerkanntermaßen +eine der ersten Stellen ein unter den Organen der Presse, welche der +Zeit der Befreiungskriege ihr Entstehen verdankten, zugleich aber +selbst mannichfach fördernd auf die Zeit einwirkten. Diese Bedeutung +weist ihnen auch Karl Hagen zu in seinen die eingehendste Schilderung +dieser Zeitschriften enthaltenden und überhaupt sehr werthvollen zwei +Aufsätzen: »Ueber die öffentliche Meinung in Deutschland von den +Freiheitskriegen bis zu den Karlsbader Beschlüssen«.<a name="FNAnker_58_58" id="FNAnker_58_58"></a><a href="#Fussnote_58_58" class="fnanchor">[58]</a> Andere ähnliche +Blätter waren: der »Rheinische Mercur« von Görres, die »Nemesis« von +Luden, das weimarer »Oppositionsblatt«, die gothaer »Nationalzeitung der +Deutschen«, die »Teutonia«, die »Kieler Blätter«. Die meisten derselben +entstanden erst nach den »Deutschen Blättern« und verschwanden noch vor +ihnen wieder vom öffentlichen Schauplatze.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Von allen Seiten waren den »Deutschen Blättern« patriotische Aufsätze +zugeströmt, auch ohne directe Aufforderung der Redaction, und die Reihe +der (meist indeß nicht genannten) Mitarbeiter der »Deutschen Blätter« +ist eine ebenso mannichfaltige als stattliche.</p> + +<p>Einer der ersten und thätigsten Mitarbeiter war Karl August Böttiger +in Dresden, der schon an der 1807 von Brockhaus in Amsterdam +herausgegebenen Zeitschrift »<span class="antiqua">Le Conservateur</span>« sich betheiligte +und mit ihm fortwährend in den lebhaftesten geschäftlichen und +freundschaftlichen Beziehungen blieb. Ferner waren fleißige Mitarbeiter: +Professor Pölitz, Professor Saalfeld, Karl Curths (der Historiker), +Georgius (Karl Christian Otto), Baumgarten-Crusius, Villers, die +Professoren Zeune in Berlin, Hasse<span class="pagenum"><a name="Seite_344" id="Seite_344">[344]</a></span> in Dresden und Oken in Jena. August +Wilhelm Schlegel und Friedrich Perthes schickten einzelne Beiträge.</p> + +<p>Auch die patriotische Dichtkunst war reich vertreten. Die »Deutschen +Blätter« veröffentlichten wol zuerst die drei Gedichte Theodor Körner's: +»Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?«, »Das Volk steht auf, der +Sturm bricht los!« und sein letztes Sonett: »Die Wunde brennt, die +bleichen Lippen beben«. Ferner brachten sie Dichtungen von Max von +Schenkendorf, Matthias Claudius, Christian Graf Stolberg, Graf von +Loeben, Friedrich Rückert.</p> + +<p>Brockhaus schrieb übrigens vielfach auch selbst in die »Deutschen +Blätter«. Als Herausgeber machte er häufig sehr eingehende Anmerkungen +zu den eingesandten Artikeln, bald über die in denselben besprochenen +Gegenstände seine eigene Ansicht sagend, bald aus den Erlebnissen +während seines Aufenthalts in Amsterdam, wo er vielfach mit Franzosen in +Berührung gekommen war, Interessantes mittheilend.</p> + +<p>Am 23. März 1814 beginnt er eine längere Anmerkung zu einem Aufsatze +über Napoleon folgendermaßen:</p> + +<blockquote> + +<p>In den »Deutschen Blättern« ist in Deutschland zuerst offen und +frei und mit Kraft und Würde laut ausgesprochen worden: kein Friede +mit Bonaparte. Die »Deutschen Blätter« haben es zuerst gewagt, den +so finstern und blutdürstigen Charakter des Tyrannen zu enthüllen. +Es war unterm Kanonendonner von Liebertwolkwitz, zwei Meilen von dem +Kampfplatze, wo der wackere Wittgenstein die Hermanns-Schlacht von +Leipzig einleitete, daß die ersten von den Blättern furchtlos gedruckt +wurden. Ein prophetischer Glaube an das endliche Gelingen der guten +Sache hatte den Herausgeber begeistert. Vielleicht wäre das Leben von +Tausenden unserer tapfern Krieger, die in diesem heiligen Kreuzzuge +gefallen sind, gespart worden, wenn die verbündeten Mächte schon +damals oder doch am 21. December (1813) bei der ersten Ueberschreitung +der französischen Grenze ritterlich und frei erklärt hätten, was jetzt +Alexander am 31. März (1814) erst in der stolzen Hauptstadt aussprach: +kein Friede mit Bonaparte ....</p></blockquote> + +<p>Oefters verfaßte er aber auch selbständige Aufsätze für sein Blatt. +Unter ihnen sei nur einer mit der Ueberschrift »Noch ein Wort über +den Franzosenhaß« und dem ausdrücklichen Zusatze<span class="pagenum"><a name="Seite_345" id="Seite_345">[345]</a></span> »Vom Herausgeber« +hervorgehoben und auszugsweise mitgetheilt. Er ist Mitte Juli 1815 +geschrieben, also nach der zweiten Niederwerfung Napoleon's, und +vertheidigt die »Deutschen Blätter« gegen den Vorwurf eines zu +leidenschaftlichen Franzosenhasses. Die wesentlichsten Stellen sind +folgende:</p> + +<blockquote> + +<p>Es ist in diesen Blättern schon viel die Rede gewesen von der +Erbärmlichkeit des Franzosenthums. Der gerechte Eifer gegen dasselbe +macht einen Theil des Ruhms dieser Anstalt aus, die in der ersten +schönen Zeit der Errettung vom heillosen Joche entstand, unter den +Augen, auf Veranstaltung des hohen deutschen Feldherrn, der siegreich +unsere Heldenscharen von der Elbe bis zur Seine führte, bis dahin, wo +der letzte Ring der Kette zerbrochen ward, die uns so lange gefesselt +hatte.</p> + +<p>Die »Deutschen Blätter«, die sich das Ziel gesetzt, jenen +errettenden Kampf und seine Folgen mit aufmerksamem Blicke zu +begleiten, viele große und herrliche Zeugnisse aus demselben für die +Geschichte aufzubewahren, zu beharrlicher Ausdauer und unbeweglicher +Treue in dem großen Werke der Befreiung zu erwecken und eine +geläuterte, tief begründete Ansicht von demselben zu verbreiten, sie +mußten auch oft mahnen an unser Elend, unsere Schmach, und auf die +Ursachen und Veranlassungen unserer vieljährigen Leiden zurückweisen. +Ein tiefer, aber gerechter Unwille mußte in diesen Mittheilungen sich +aussprechen, sowol gegen die Urheber unsers Jammers und das ganze +Franzosenthum als gegen die treulose, bundbrüchige und entartete +Rotte, die mitten unter uns noch dem huldigt, was die Quelle unserer +Entwürdigung und Erniedrigung gewesen ist.</p> + +<p>Diesem Bemühen haben nun die Bessern einen Beifall gegeben, der +sich in dem Gedeihen unserer Anstalt, in der weitern und immer +weitern Verbreitung der Theilnahme an derselben sehr erfreulich +bewährte. Es war ebenso natürlich, daß die, deren Beschränktheit +oder Schlechtigkeit hier oft gerügt ward, diese Blätter haßten und +schmähten und es ihnen besonders zum Vorwurf machten, daß ein so +bitterer Franzosenhaß in denselben sich ausspreche. Gegen diesen +Franzosenhaß erheben sich denn auch von andern Seiten Stimmen, welche +die alte Sünde zu beschönigen und bleibend zu erhalten versuchen, +gegen deren Verfahrungskunst der Verfasser nun noch Ein Wort zu reden +sich aufgefordert sieht, zumal man gerade seinen frühern Mittheilungen +besonders jenen Vorwurf macht ....</p> + +<p>Was meinen doch die Herren, die sich berufen fühlen, den +Franzosenhaß zu dämpfen und gegen ihn die alten stumpfen Waffen +gern noch einmal schärfen möchten, was meinen sie denn mit dem +Franzosenhaß? Den tiefen Unwillen nennen sie so, der die Bessern +unsers Volks<span class="pagenum"><a name="Seite_346" id="Seite_346">[346]</a></span> ergriffen über die zu lange geduldete Herrschaft des +Franzosenthums, den gerechten Eifer gegen Sprache, Sitten und Moden +eines Volks, das das entartetste in Europa, mit seinem äußern Wesen +seine Schlechtigkeit übertüncht, nur Einfluß, Herrschaft erstrebt und +durch beides unserm Volke und andern Völkern nur Verderben gebracht +hat. Den gerechten Unwillen nennen sie so, der nicht ist von heute +oder gestern, den wenige Erleuchtete und echte Vaterlandsfreunde schon +seit hundert Jahren gegen jenes Volk genährt, der jetzt in den Tagen +der Befreiung stärker und lauter sich kundgegeben; den gerechtesten +Unwillen der Befreiten, wie früher der Unterjochten und Unterdrückten, +gegen die, welche mit bösen Künsten und mit Gewalt die edelsten Güter +des geselligen Lebens, Freiheit und Selbständigkeit, uns raubten und +rauben wollten. Das, was zu allen Zeiten die edelsten Völker und alle +freigeborene, großherzige Menschen gegen frevelhafte Unterdrücker, +tyrannische Eroberer, freche Räuber und Schänder des Vaterlandes zum +Kampf auf Leben und Tod begeisterte; dasselbe, was auch unser Volk +bewegt, auch das letzte Zeugniß unserer Unterjochung und Alles, was +dazu mitgewirkt, völlig auszutilgen: das nennt nun die Erbärmlichkeit +Franzosenhaß und will mit diesem Namen das, was unsers Volks Ruhm und +unserer Zeit Verherrlichung ist, in ein zweideutiges Licht stellen. +Rechnet sich es doch mancher als hohe Weisheit und Gerechtigkeit +an, daß er nicht so ungebührlich hasse ein liebenswürdiges Volk, +von dem wir noch gar vieles lernen könnten — absonderlich wol +allerliebste Namen für scheußliche Laster (von denen manche erst in +den letzten fünfundzwanzig Jahren durch französische Emigranten und +Soldaten in unsern unschuldigen Hütten bekannt geworden sind!) — +einen Muthwillen, dem nichts heilig ist, eine Gewandtheit, die Treue +und Tugend entbehrlich macht; eine Feinheit, die nie Arges fürchten +läßt und mit aller Höflichkeit des Nachbars Habe sich aneignet, +den Hausfrieden zerstört und Alles dem Eigenwillen und eigener +Leidenschaft unterordnet. Von diesem Volke sollen wir einfältige, +schwerfällige Deutsche lernen und sollen wol auch noch beklagen, daß +die trefflichen Lehr- und Zuchtmeister in Scharen über unsere Grenze +getrieben wurden, und ihre lieblichen Fürsprecher möchten doch gar zu +gern uns wieder in die Synagoge des Satans zurückführen. Darum preisen +sie die Herrlichkeit französischer Sprache und Sitte und wollen es +sogar nicht begreifen, daß, wer den Teufel ausgetrieben hat, auch alle +sein Wesen und seine Werke ihm nachschleudern muß, damit er auch nicht +einen Fuß breit Land finde, das ihm noch gehöre und von dem aus er das +alte Verführungsspiel wieder anfangen kann, daß es hernach schlimmer +werde denn zuvor.</p> + +<p>Wie wenig begreifen doch diese, die sich wol gar Patrioten nennen, +den Geist und das Streben dieser Zeit und unsers Volks! An ihren<span class="pagenum"><a name="Seite_347" id="Seite_347">[347]</a></span> +Augen ist es vorübergegangen wie ein Nebel und an ihren Ohren wie +rauschender, sinnloser Mislaut, daß die Zeit erschien, da in Europa +der gute Geist über den bösen den Sieg gewinnen und die Werke des +bösen völlig zerstören sollte. Aus Blindheit des Geistes oder des +Herzens oder beider reden sie dem das Wort, gegen den Deutschland, +Europa sich gerüstet und rüstig gekämpft hat, und scheinen es gar +nicht zu ahnden, wie sie mit ihrer Allerweltsklugheit eigentlich nur +die ersten Ringe der Kette wieder schmieden, die unter höherer Leitung +glücklich zerbrochen ward. Aber sie werden darüber selber zu Schanden, +und nimmer kann es ihrer Schwachheit gelingen, einen kräftigen +Unwillen, der nur zu gerecht ist, hinwegzuschwatzen, ob sie auch all +ihren Witz aufbieten und alle aus Einem Tone heulen, wie denn die +Flachheit überall sich selber begegnet und auch dadurch in ihrem Wahne +sich bestärken läßt ....</p> + +<p>Was ist überhaupt Haß, den ein edler Mensch im Busen trägt? Der +tiefe, nie erkaltende Widerwille ist es, den er gegen alles Böse, alle +Schlechtigkeit und Treulosigkeit empfindet, der ernste, beharrliche +Widerstand gegen Alles, was den Menschen entehrt, das der edle Mensch +um so bitterer fühlt, je höher seine Achtung des Reinmenschlichen +ist, ein Widerwille, der sich auch gegen den Bösen, Schlechten und +Treulosen in der sorgfältigen Vermeidung aller nähern Gemeinschaft +und vertraulichern Annäherung ausspricht, ein Widerstand, der jedem +Einflusse des durch seine Grundsätze wie durch seine Handlungen dem +Bösen Ergebenen entgegentritt und ihm wehrt und darum selbst das +scheinbar Gute verwirft, das aus jenem Einflusse stammen könnte.</p> + +<p>Das ist auch der Franzosenhaß, der Widerwille gegen die ungeheuere +Entartung, Sittenlosigkeit und Treubrüchigkeit dieses Volks, gegen +den fürchterlichen Leichtsinn, der mit allem Heiligen spielt; der +Widerstand gegen jeden Einfluß der Grundsätze, der Sitten und +Gewohnheiten desselben wie seiner Unternehmungen; ein Widerwille, +der alle nähere Gemeinschaft mit den Franzosen, alle vertrauliche +Annäherung scheut und vermeidet; ein Widerstand, der allem +französischen, durch menschenentehrende Grundsätze verpesteten +französischen Wesen sich entgegenstellt und darum selbst das scheinbar +Gute oder das wirklich Günstige, was von dorther kommen könnte, +verwirft, weil dem Bösen aller und jeder Einfluß abgeschnitten werden +muß. Es äußert sich der Franzosenhaß, wie jeder gesunde, gerechte Haß, +in einem kräftigen Widerstreben gegen das, was des Hasses würdig, und +er ist am tiefsten da, wo die mächtigste Liebe, Liebe des Vaterlandes, +der Wahrheit, der Freiheit, und mag da nicht sein, wo diese Liebe +nicht ist ....</p> + +<p>Wir aber werden hassen das Arge, so lange es arg ist, und uns +schämen, die Farbe derer zu tragen und die Sprache derer zu reden, +die ihre Farbe und Sprache vor den Augen von ganz Europa<span class="pagenum"><a name="Seite_348" id="Seite_348">[348]</a></span> geschändet +haben. Es soll keine vertrauliche Gemeinschaft sein zwischen ihnen +und uns, weil ihr Wesen nicht zu dem unsern stimmt, ihre Falschheit +zu unserer Ehrlichkeit keine Verwandtschaft hat und weil böse +Gesellschaft nicht blos gute Sitten verdirbt, sondern auch einen Makel +aufheftet jedem, der sich zu ihr hält.</p> + +<p>Sage man nicht, daß solcher Haß unchristlich sei; man müsse das +Böse hassen, aber nicht den Bösen. Das Böse in den Franzosen ist es +ja eben, das wir hassen, dem wir widerstreben. Um es fern von uns zu +halten, müssen wir die Franzosen abwehren. Aber so tief unser Haß ist, +so misgönnen wir ihnen doch gewiß nicht irgendein Glück, das ihnen ihr +Vaterland gewähren mag, so sind wir doch nur so lange ihre Feinde, +als sie übermüthig, schnöde und ruchlos, aller Orten Befriedigung +ihrer Eitelkeit, unsere Erniedrigung suchen und mit schlechten Künsten +die Welt verführen. Was vorherrschender Charakter des französischen +Volks ist, das hassen wir; dem Einzelnen aus ihm, dem Mittheilenden, +Gebeugten, Hülfsbedürftigen versagen wir keinen Trost, keine +Freundlichkeit, keine Hülfe, wodurch sein Elend gelindert werden kann, +ohne daß zugleich seine Eitelkeit oder Bosheit Nahrung finde. Ein +unchristlicher Haß liegt nicht in uns; wir würden uns freuen, wenn +Frankreich, weiser geworden, auf rechtem Wege sein Glück suchte; wir +würden nachbarlich ihm die Hand bieten, und aller Haß würde schwinden, +wenn es ein frommes, züchtiges, friedliches, genügsames, treues Volk +würde. Bis dahin ist keine Gemeinschaft zwischen ihm und uns.</p></blockquote> + +<p>Besonders lebhaften Antheil nahm Brockhaus auch an der Frage der +Zukunft Sachsens, die den Wiener Congreß so lange beschäftigte und +erst durch Napoleon's plötzliches Wiedererscheinen zu einem raschern +Abschluß gelangte. Er war entschieden gegen die Theilung Sachsens, +die doch endlich beschlossen wurde, und sagte in einer Note zu einem +»Wahrhaftigen Bericht über die gegenwärtige Stimmung des Volks in +Sachsen, von einem Eingeborenen«:</p> + +<blockquote> + +<p>An dumpfe starre Verzweiflung grenzt seit der Todesnachricht aus +Wien vom 10. Februar (1815), welche aus den berliner Zeitungen in alle +öffentlichen Blätter übergegangen, die Stimmung des guten sächsischen +Volks. Die Geschichte wird diese Handlung richten — wir Lebenden +dürfen es leider nicht öffentlich.</p></blockquote> + +<p>Um so empörter war Brockhaus, als in einer in München erschienenen +Schrift: »Sachsen, Preußen und Europa«, gesagt war, daß die beiden +leipziger Buchhändler Rein und Gerhard Fleischer »mit dem bekannten +Brockhaus in Verbreitung verleumderischer<span class="pagenum"><a name="Seite_349" id="Seite_349">[349]</a></span> und majestätsverbrecherischer +Schriften gegen ihren rechtmäßigen König einen edeln Wettstreit begonnen +haben«. Er erließ deshalb in den »Deutschen Blättern« folgende Erklärung:</p> + +<blockquote> + +<p>Erst durch die Anzeige des Herrn Gerhard Fleischer in Nr. 231 der +»Leipziger Zeitung« erfahre ich das Dasein der in München wieder +erschienenen Schrift: »Sachsen, Preußen und Europa«, und der mich +nebst andern Buchhändlern darin betreffenden Stelle, welche diese und +mich der »Verbreitung verleumderischer und majestätsverbrecherischer +Schriften gegen ihren rechtmäßigen König« beschuldigt. Bei näherer +Untersuchung fand ich, daß diese Schrift aus derselbigen Quelle +komme, welcher wir die »Allemannia«, die sogenannten »Sächsischen +Actenstücke« und andere Schriften gleichen Charakters verdanken.</p> + +<p>Ob man es daher gleich für eine Ehre halten könnte, von dieser +im Finstern schleichenden süddeutschen Bande, an deren Spitze +bekanntlich der berüchtigte Aretin steht und deren Geschäft es ist, +Mistrauen zwischen Fürsten und Unterthanen, Haß zwischen den deutschen +Volksstämmen und Zwietracht unter unsern Regierungen zu erregen, +derselben Bande, welche nicht damit zufrieden war, dem seelenlosesten +Despotismus in den traurig furchtbaren Jahren von 1806 bis 1813 das +Wort zu reden, sondern den Despoten zu noch größerer Tyrannei durch +die bekannte Anklage aller Protestanten und des Protestantismus selbst +anzuregen suchte, und namentlich mehrere edle Männer aus unserer +eigenen Mitte, welche die liberale Landesregierung zu sich geladen +hatte, als Aufrührer und Anführer bezeichnete; derselben Bande, +welche, in die Hoffnungen aller bessern Menschen ihre Drachenzähne +säend, sogar die Geschichte und Völkerehre wie die Völkerruhe zu +einer Metze macht, indem sie, nur um Deutsche gegen Deutsche zu +empören, eine Reihe der schändlichsten Pasquille erfindet, denen sie +das Prädicat »Actenstücke« gibt, und den Namen des edeln sächsischen +Volks damit in Verbindung bringt — man könnte, sage ich, es für +eine Ehre halten, von dem Wortführer dieser neuen Obscuranten und +Pasquillanten geächtet zu werden: dennoch glaube ich auf jene bestimmt +ausgesprochene Anklage, gleich Herrn Gerhard Fleischer, erwidern zu +müssen, daß in meinem Verlage keine einzige Schrift erschienen ist, +welche auf irgendeine Weise die sächsischen Angelegenheiten in den +Jahren 1813, 1814 und 1815 nur berührt, und daß ich ebenso wenig von +irgendeiner der Schriften, welche über diesen Gegenstand für und wider +erschienen, mehr als ein Exemplar, und dies zu meiner eigenen Lesung +oder literarischen Benutzung, zu beziehen gewohnt gewesen bin, noch +weniger aber eine Schrift dieser Art »verbreitet« habe.</p> + +<p>In den von mir herausgegebenen »Deutschen Blättern« ist, dem +Charakter dieses Instituts gemäß, allerdings, wie es in allen +deutschen<span class="pagenum"><a name="Seite_350" id="Seite_350">[350]</a></span> politischen Zeitschriften geschehen, diese Angelegenheit +für und gegen debattirt worden, allein immer mit Bescheidenheit, Würde +und Anstand, und ich darf es in Wahrheit sagen, daß ich eine Menge +anzüglicher Aufsätze, die auf irgendeine Weise kränken oder erbittern +konnten, unterdrückt oder zurückgesandt habe.</p> + +<p>Den Verfasser der beredtesten und gründlichsten Schrift für das +Interesse Sr. Maj. des Königs, der »<span class="antiqua">Lettre à un Saxon</span>«, in +der ich einen meiner Freunde zu entdecken glaubte, habe ich selbst +eingeladen, in den »Deutschen Blättern« seine politische Ansicht zu +verfolgen. Was wirklich am Ende geschehen ist, haben die »Deutschen +Blätter« immer als das größte Unglück dargestellt und damit auch die +Empfindung und Ansicht ihres Herausgebers, der übrigens in keinem +Unterthanenverhältnisse zu Sr. Maj. dem Könige von Sachsen steht, +ausgesprochen.</p> + +<p>Altenburg, 28. November 1815.</p> +<p class="right-2">Brockhaus.</p> +</blockquote> + +<p>In gleicher Weise interessirte sich Brockhaus persönlich für die damals +lebhaft verhandelte Frage der Wiedererwerbung von Elsaß und Lothringen +für Deutschland, welche wie die von den »Deutschen Blättern« ebenfalls +warm befürwortete Wiederherstellung des deutschen Kaiserthums und des +Deutschen Reichs erst über ein halbes Jahrhundert später gelöst werden +sollte. Er brachte einen trefflichen Aufsatz darüber von Professor Zeune +in Berlin: »Elsaß und Lothringen für Deutschland durchaus nothwendig«, +und schrieb dem Verfasser bei Uebersendung einer Anzahl Abdrücke unterm +30. Mai 1814:</p> + +<blockquote> + +<p>Leider fürchte ich wie alle Deutsche von Umsicht und Beurtheilung, +daß man diese beiden herrlichen, uns von Ludwig XIV. gestohlenen +Provinzen nicht zurückfordern wird. Ueberhaupt wer ist nicht indignirt +über die Complimente, die in Paris mit dem übermüthigen Volke und den +Helfershelfern Napoleon's gemacht werden? Es ist sehr schade, daß +gerade in Paris die Unterhandlungen geleitet werden, wo Weiber und +Sinnlichkeiten aller Art ins Werk gesetzt werden, die Fürsten und die +leitenden Personen zu berücken. In Hamburg, in Moskau, in Wittenberg, +wo jeder Blick und Schritt an die Unthaten der französischen Hunde +erinnert, da sollte der Sitz des Congresses sein!</p> + +<p>Ich habe Krausen gebeten, es mit Ihnen zu überlegen, wie den +»Deutschen Blättern« in Berlin und im preußischen Staate ein größeres +Publikum gewonnen werde. In Hannover setzen wir sechsmal so viel<span class="pagenum"><a name="Seite_351" id="Seite_351">[351]</a></span> +ab als im ganzen preußischen Staate. Seien Sie ferner für unser +patriotisches Institut thätig!</p></blockquote> + +<p>Außer den früher erwähnten Gründen bestimmten ihn indeß auch die +Censuranfechtungen, die mit der beginnenden Reactionszeit wieder ebenso +hinderlich auftraten wie bei Beginn der »Deutschen Blätter«, dazu, das +Blatt aufzugeben. Schon ein Jahr, bevor er diesen Entschluß ausführte, +im Frühjahre 1815, schrieb er an Professor Koethe in Jena aus Anlaß des +vorher erwähnten Aufsatzes der »Deutschen Blätter« über die Stimmung in +Sachsen bei der drohenden Theilung des Landes:</p> + +<blockquote> + +<p>Der Censor chicanirt mich außerordentlich, und wenn's so fortgeht, +muß der Druck hier aufhören. Von Dresden aus ist bei unserer Regierung +(Altenburg) Klage eingelaufen über einen Aufsatz, durch den der König +persönlich sich sehr beleidigt fühlt. Es war behauptet worden, des +Königs Pflicht wäre es gewesen, lieber ganz zu verzichten, als die +Theilung seines Landes zuzulassen. Um sich nun über den Verdruß, +den der Censor über jene Angelegenheit hat, zu rächen, streicht +er mir Alles, was ihm nur einigermaßen frei und dreist erscheint. +Insbesondere ist er Oken's Aufsätzen gram. Ich weiß nicht, wie das +werden soll.</p></blockquote> + +<p>Noch unmuthiger schreibt er unterm 20. Februar 1815 an seinen Freund +Hasse, damals Professor am Cadettenhause zu Dresden:</p> + +<blockquote> + +<p>Ihre Empfindungen über die Zerreißung Sachsens, die nun gestern +durch das Extrablatt der »Leipziger Zeitung« zum Vollen bestätigt +sind, wird jeder redliche Sachse und Deutsche theilen, das Unglück +des Landes aber vorzüglich auf Oesterreich wälzen müssen, dessen +einseitige Hartnäckigkeit schuld an der Theilung ist.</p> + +<p>Ich werde die »Deutschen Blätter« jetzt bestimmt mit dem sechsten +Bande eingehen lassen. Die Theilung Sachsens hat mir alle Lust an +dem Politischen geraubt; dazu kommt die beengte Preßfreiheit und +die Unmöglichkeit, sich irgendwo mit Energie und Wahrheit über die +wichtigsten Angelegenheiten, soweit sie uns in der Nähe betreffen, +aussprechen zu können. In dem Schlußblatte möchte ich gern einen +feierlichen Abschied von meinem Publikum nehmen, und ich lade Sie +ein, mir dazu Ihre Feder mit zu leihen. Zuerst wäre ein Blick auf +die Zeit zu thun, die den »Deutschen Blättern« vorhergegangen; dann +der Augenblick des Kampfes im October zu beschreiben, die Hoffnungen +und<span class="pagenum"><a name="Seite_352" id="Seite_352">[352]</a></span> Wünsche, welche die Erhebung aller deutscher Völkerschaften +bei Jedermann erweckte, der Gang des Kriegs, der endliche Triumph. +Was durften die Deutschen jetzt erwarten? Getäuschte Hoffnungen +jeder Art, wie sie sich entwickelten: in der Hauptstadt des Feindes +wurden deutsche Völkerstämme ihm verrätherisch übergeben, und was +uns von den Bourbonen vor hundert Jahren schändlich geraubt wurde, +die Vormauer Deutschlands, der Elsaß, wurde nicht zurückverlangt; +die uns schändlich abgepreßte Contribution wurde nicht restituirt, +unsere Krieger litten in der Hauptstadt des Feindes den bittersten +Mangel und waren fast ohne Verpflegung; unsere Kunstwerke blieben im +Besitz der Uebermüthigen. Es erfolgte keine Versöhnung zwischen den +Siegern und Besiegten. Blicke auf den Congreß. Abermalige Hoffnungen. +Abermalige Täuschungen. Unterdrückte Preßfreiheit in Deutschland. Man +kann seinem gepreßten Herzen keine Luft machen, der Censor steht einem +ängstlich zur Seite und verschneidet jedes kräftige und treffende +Wort. Wir haben den Franzosen Preßfreiheit errungen, denn nach England +und Holland ist sie in Frankreich am liberalsten, aber für uns selbst +ist sie nicht da. So also kann kein politisches Blatt anders als zu +eigener Schande bestehen.</p> + +<p>Dies wären einige der Ideen, die meiner Meinung nach hier +ausgesprochen werden könnten. Viele andere werden Ihnen noch +einfallen. Ich möchte, daß das Ganze einen Bogen füllte.</p></blockquote> + +<p>Hasse antwortete darauf am 26. Februar:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich glaube Ihnen gern, daß Ihnen die Lust vergangen, die »Deutschen +Blätter« fortzusetzen. Der Gang der Dinge schlägt die frohesten +Erwartungen nieder. Ihre Ideen über den Schluß sind trefflich, aber +ich fühle in mir so wenig Beruf, und meine Zeit ist so beengt, daß +ich, so sehr ich den verlangten Schlußaufsatz für nöthig halte, +dennoch denselben unmöglich übernehmen kann. Ich lege deshalb das +Blatt Ihres Briefs, der dieselben so trefflich entwickelt, hier bei.</p></blockquote> + +<p>Damals hatten der Wiederausbruch des Kriegs infolge Napoleon's Flucht +von der Insel Elba und die darauffolgenden Ereignisse die Absicht, die +»Deutschen Blätter« aufhören zu lassen, in den Hintergrund gedrängt. +Aber nach der raschen Beendigung dieses zweiten Abschnitts des Kriegs +und während der Verhandlungen über den zweiten Pariser Frieden, nachdem +sogar im Sommer dieses Jahres eine Nummer der »Deutschen Blätter« wegen +eines Aufsatzes: »Auf einmal Preußen und Franzosen Freunde«, confiscirt +worden war, faßte Brockhaus diese Idee wieder näher ins Auge.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_353" id="Seite_353">[353]</a></span></p> + +<p>Am 4. November desselben Jahres (1815) schreibt deshalb Brockhaus wieder +an Koethe:</p> + +<blockquote> + +<p>Die »Deutschen Blätter« werde ich bestimmt zu Ostern schließen. Die +Bedingungen der Censur, die ängstliche Rücksicht, die allenthalben +genommen wird, der Mangel an Einsicht in die politischen Interessen +Deutschlands, die hinkende Theilnahme des Publikums jetzt, wo die +Hauptfragen entschieden sind, und die ungeheuere Schererei bei +geringer Belohnung veranlassen mich dazu.</p></blockquote> + +<p>Dem Drucker des Blattes, Pierer in Altenburg, meldete er am 2. December +1815, daß er die Auflage, die bei Beginn 4000 und mehr Exemplare betrug, +auf 1100 ermäßigen wolle.</p> + +<p>Noch eingehender spricht er sich über das Aufhören des Blattes in +einem am 9. März 1816 an Oken gerichteten Briefe aus, der zugleich +interessante Mittheilungen über literarische Verhältnisse enthält:</p> + +<blockquote> + +<p>Auch mir thut es herzlich leid, das allerdings interessante und +mir selbst unendlich lieb gewesene Institut der »Deutschen Blätter« +eingehen lassen zu müssen. Ich sehe mich aber dazu gezwungen. Aus +der Ueberzeugung, daß bei ihrem sehr verminderten Absatz — da ich +Ihnen versichern kann, seit einem Jahre das volle Drittel der noch zu +Anfang des vorigen Jahres stattgefundenen Zahl der Abnehmer verloren +zu haben, wobei ich noch nicht in Anschlag bringen kann, was mir auf +der Messe wird zurückgegeben werden — ihre Wirksamkeit in dieser Form +nicht von der Art ist, als sie auch bei den mäßigsten Ansprüchen sein +sollte. Die Erscheinung eines so verringerten Absatzes, da die Blätter +an sich tüchtigen Inhalts sind, muß Jedem allerdings auffallend sein, +der das deutsche Publikum nicht aus Erfahrung in dieser Hinsicht kennt +und der nicht weiß, daß der Werth besonders eines politischen Blattes +für den Absatz in Deutschland nie entscheidend ist. So z. B. wenn +ich Ihnen versichere, daß von der »Allgemeinen Zeitung«, wie ich in +der Officin derselben erfahren habe, nicht mehr als 2000 Exemplare +gedruckt werden, während der »Nürnberger Correspondent« (ein gegen +jene elendes Blatt) gewiß das Doppelte absetzt, und nur Cotta's große +Kapitale, sein Stolz und seine Consequenz, auch ohne Vortheil ein +Institut fortzusetzen, dessen Nützlichkeit er einmal erkannt hat — +eine Consequenz, die aber nur einem Manne wie ihm möglich ist — +bestimmen denselben, dieses Institut, das ihm ungeheuere Summen kostet +und bei welchem er meinem Urtheile nach wenig oder nichts verdient, +nicht untergehen zu lassen.</p> + +<p>An vielen Orten sind die »Deutschen Blätter« abbestellt oder gehen<span class="pagenum"><a name="Seite_354" id="Seite_354">[354]</a></span> +in so geringer Anzahl dorthin, daß daraus abzunehmen ist, wie wenig +Interesse das Publikum für sie noch zeigt. So gebraucht z. B. die +thätigste Buchhandlung in Prag, die von andern Artikeln, welche die +Zeit berühren, leicht funfzig und mehr Exemplare absetzt, nur ein +einziges Exemplar, und ich erhalte posttäglich neue Abbestellungen für +den nächsten Band, von dem man meint, daß er noch erscheinen werde.</p> + +<p>Von sämmtlichen Journalinstituten in Deutschland gedeiht überhaupt +keins mit eigentlichem Glück, und die meisten derselben erhalten sich +nur dadurch, daß ihre Redacteure und Herausgeber zugleich die Haupt- +oder einzigen Ausarbeiter derselben sind, daß sie also nicht an Andere +etwas zu bezahlen nöthig haben und sich mit einer kleinen Ausbeute +begnügen können. So schreibt oder übersetzt Herr Bran seine »Minerva« +und »Miscellen« ganz allein selbst, oder er zahlt für etwaige kleine +Mithülfe höchstens 3 Thlr. per Bogen; so ist Professor Voß in Halle +der alleinige Verfasser der auch von ihm selbst verlegten »Zeiten«, +und mir ist von den Commissionären desselben versichert worden, daß +nicht 400 Exemplare von diesem Journale debitirt werden, ein Absatz, +mit dem man einzig bei einem so hohen Preise und dann eben auskommen +kann, wenn man zugleich noch alleiniger Verfasser und Selbstverleger +ist. Die Bertuch'schen Journalinstitute erhalten sich gewiß einzig +durch das fabrikmäßige Bearbeiten derselben und durch den Antheil, +welchen Vater und Sohn selbst daran nehmen.</p></blockquote> + +<p>Brockhaus hatte bei Aufgeben der »Deutschen Blätter« eine directe +Fortsetzung derselben beabsichtigt, doch kam sie aus Gründen +verschiedener Art wenigstens nicht in der zuerst beabsichtigten Weise zu +Stande.</p> + +<p>Diese Fortsetzung sollte den Titel: »Encyklopädische Blätter« führen +und von Professor Oken in Jena, einem Hauptmitarbeiter der »Deutschen +Blätter«, herausgegeben werden. Das oben auszugsweise mitgetheilte +Schlußwort der »Deutschen Blätter« hat deshalb die Ueberschrift: +»Schluß dieser und Ankündigung der 'Encyklopädischen Blätter'« und +theilt zugleich das Programm des neuen Blattes mit. Das erste Heft +desselben wurde auch bereits im August 1816 mit der Jahreszahl 1817 +ausgegeben (es trägt am Fuße der ersten Seite die eigenthümliche Notiz +»Kundt am 1. August 1816«), aber unter dem veränderten Titel: »Isis +oder Encyklopädische Zeitung von Oken«. Diese bekannte Zeitschrift, +welche dann bis zum Jahre 1848 erschien und abwechselnd bald Eigenthum +des Herausgebers Oken, bald der Firma F. A. Brockhaus<span class="pagenum"><a name="Seite_355" id="Seite_355">[355]</a></span> war, ist also +aus den »Deutschen Blättern« hervorgegangen, hat aber freilich nicht +viel von denselben beibehalten. In jenem Schlußwort ist zwar direct +gesagt: das neue Blatt sei »gewissermaßen das Kind der 'Deutschen +Blätter', und die Mutter solle darin, wenngleich nur in einem kleinen +Kämmerlein, fortleben«; allein dieses »Kämmerlein«, die politische +Abtheilung, war sehr klein und wurde später ganz geschlossen, wie auch +der Nebentitel »Encyklopädische Zeitung« bald wegfiel. Hingegen nahmen +die Naturwissenschaften von Anfang an den größten Theil des Raums ein.</p> + +<p>Die »Isis« wird in der folgenden Periode von Brockhaus' +Verlagsthätigkeit in ihrer eigenthümlichen Gestalt und Geschichte +vorgeführt werden; nur ihre Entstehungsgeschichte war hier zu erwähnen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Die »Deutschen Blätter« bilden, von ihrer Stellung und Bedeutung +in der Geschichte der deutschen Zeitungspresse abgesehen, auch ein +wichtiges Glied in Brockhaus' Verlagsthätigkeit während der altenburger +Periode. Sie boten ihm Gelegenheit, auf die politische Gestaltung +Deutschlands einzuwirken und sich so auch persönlich an der großen Zeit +der Freiheitskriege mit zu betheiligen; sie brachten ihn in nähere +Beziehungen zu den besten politischen Schriftstellern seiner Zeit, die +er dann für seine übrigen Unternehmungen an sich zu fesseln wußte; sie +gaben endlich seinem ganzen Verlage für die nächste Zeit eine bestimmte +politisch-nationale Richtung, wiewol diese bei der Vielseitigkeit seines +Geistes und gegenüber den schon früher von ihm gepflegten Gebieten der +Literatur keine ausschließliche blieb.</p> + +<p>Als patriotischer Buchhändler nimmt der Herausgeber der »Deutschen +Blätter« in der Geschichte der Jahre 1813-1815 jedenfalls eine +ehrenvolle Stelle ein.</p> + +<hr class="chap" /> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_356" id="Seite_356">[356]</a></span></p> +</div> + +<div> +<h3><a name="Chapter4-4" id="Chapter4-4">4.</a> +<br /> +Geschichtliche und encyklopädische Verlagsthätigkeit. +</h3> + +<p class="start-chap">Neben der Herausgabe der »Deutschen Blätter« und der vor dieser +geschilderten Wirksamkeit auf fast allen Gebieten der Literatur +widmete sich Brockhaus während der in Altenburg verlebten Jahre +in besonders reger Weise dem Verlage von geschichtlichen und +encyklopädischen Werken kleinern und größern Umfangs. Diese Thätigkeit +umfaßt drei Gruppen, wovon die erste politische Zeitbroschüren, die +zweite größere geschichtliche Werke, die dritte vorzugsweise das +»Conversations-Lexikon« betrifft.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Die erste Gruppe, die der politischen Zeitbroschüren, schließt sich mehr +oder minder an die »Deutschen Blätter« an.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Als Brockhaus von dem kurzen Ausfluge, den er unmittelbar nach der +Schlacht bei Leipzig unternommen hatte, aus Berlin nach Leipzig +zurückkehrte, fand er daselbst ein Manuscript vor, das ihm August +Wilhelm von Schlegel geschickt hatte, und gleichzeitig schon einen +Mahnbrief desselben aus Göttingen vom 3. November. Der letztere lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Ew. Wohlgeboren habe ich am 28. October von Mühlhausen das +Manuscript meiner »Bemerkungen über den Artikel der Leipziger Zeitung +vom 5. October« in französischer Sprache zugeschickt, und<span class="pagenum"><a name="Seite_357" id="Seite_357">[357]</a></span> zwar +<span class="antiqua">par estafette</span>. Ich rechne mit Zuversicht darauf, daß das +Packet richtig in Ihre Hände gelangt ist, und daß Sie es sogleich +werden gedruckt haben. Ich erwarte die Ankunft der 100 Exemplare +mit Ungeduld, und sollten selbige bei Ankunft dieser Zeilen noch +nicht abgesandt sein, so bitte ich selbige alsbald ebenfalls <span class="antiqua">par +estafette</span> an mich zu befördern. Es ist aber dabei zu bemerken, daß +ich jetzt drei bis vier Tage hier bleiben, und erst alsdann wiederum +in das Hauptquartier des Kronprinzen von Schweden abgehen werde. Das +hiesige Postamt müßte also angewiesen werden, sich erst zu erkundigen, +ob ich noch hier bin, und erst wenn es das Gegentheil erfahren, +das Packet weiter in das Hauptquartier zu senden. Die Auslage der +Estafette habe ich Ihnen verursachen müssen; darüber werden wir uns +schon vergleichen.</p> + +<p>Jetzt bin ich mit Anordnung der »Aufgefangenen Briefe« beschäftigt, +worüber Sie nächstens das Nähere hören werden. Ich bitte auch um +eine Anzahl Exemplare von dem neuen Abdruck der Schrift »<span class="antiqua">Sur le +système continental</span>« und der Betrachtungen »Ueber die Politik der +dänischen Regierung«, sobald diese fertig sind.</p> + +<p>Ich wiederhole es, daß Sie mich unendlich verbinden werden, wenn +Sie die »Bemerkungen über den Artikel der Leipziger Zeitung« auf das +schleunigste in meine Hände gelangen lassen.</p> + +<p>Mit ausgezeichneter Hochachtung</p> + +<p class="center">Ew. Wohlgeboren ergebenster</p> +<p class="right-2">A. W. v. Schlegel.</p> +</blockquote> + +<p>Inzwischen schrieb ihm auch Karl Peter Lepsius (der Alterthumsforscher, +Vater des Aegyptologen) aus Naumburg:</p> + +<blockquote> + +<p>Eilen Sie doch, Freund, daß das Manuscript von Schlegel gedruckt +wird, um es durch die Colonne der dresdener Besatzung, die in den +nächsten Tagen hier durchgehen wird, nach Frankreich zu bringen. Sie +erhalten sonst nichts wieder von Schlegel. Warum haben Sie es nicht in +Naumburg drucken lassen, da bin <em class="gesperrt">ich</em> Censor!</p></blockquote> + +<p>Allerdings hatte Brockhaus auch bei dieser Schrift trotz ihres +officiösen Charakters Censurnöthe, wie aus folgendem Schreiben +hervorgeht, das er unterm 8. November an Freiherrn von Miltitz, Chef der +Ersten Section des Generalgouvernements in Leipzig, richtete, denselben, +gegen den er sich kurz vorher, am 28. October, schon über die Censur bei +den »Deutschen Blättern« ohne Erfolg beschwert hatte:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_358" id="Seite_358">[358]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Der Unterzeichnete hat die Ehre, Ew. Hochwohlgeboren ein Manuscript +mitzutheilen, welches er per Stafette von Herrn A. W. von Schlegel, +Geh. Cabinetssecretär Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen von Schweden, +aus dem Hauptquartier des Letztern mit dem Auftrage erhalten hat, +solches nebst einer deutschen Uebersetzung hier sogleich drucken +zu lassen, und von beiden alsdann 100 Exemplare ins Hauptquartier +Sr. königl. Hoheit wieder per Stafette an ihn zu senden. Ew. +Hochwohlgeboren finden in den beiden Originalanlagen, den Briefen des +Herrn von Schlegel, die Belege hierüber.</p> + +<p>Der Unterzeichnete hat nicht gesäumt, dem politischen Censor Herrn +Hofrath Brückner die gedachte Schrift zur Censur vorzulegen, welche +dieser indessen ablehnt, und ihn dieserhalb an Ew. Hochwohlgeboren +verweist.</p> + +<p>Der Unterzeichnete erbittet sich daher das Imprimatur von Ew. +Hochwohlgeboren oder, im Falle, daß es geweigert werden möchte, eine +schriftliche Resolution, um sich mit dieser gegen Herrn von Schlegel +(von dem in den Verhältnissen, worin er zu Sr. königl. Hoheit dem +Kronprinzen von Schweden steht, anzunehmen, daß er diese Schrift nur +mit der speciellsten Autorisation desselben zum Druck befördert) +legitimiren zu können.</p> + +<p>Da durch die zufällige Abwesenheit des Unterzeichneten diese +Angelegenheit schon um mehrere Tage verspätet worden, so bittet er Ew. +Hochwohlgeboren dringendst und ergebenst, ihm noch heute darüber eine +Resolution mitzutheilen.</p></blockquote> + +<p>Die Schrift erhielt trotzdem nicht das Imprimatur der sächsischen +Behörden, und Brockhaus ließ sie deshalb in Altenburg drucken, +ohne sie dort erst nochmals dem Censor vorzulegen. Sie führt den +Titel: »<span class="antiqua">Remarques sur un article de la Gazette de Leipsic du 5 +Octobre 1813</span>«, und erschien gleichzeitig auch in einer deutschen +Uebersetzung unter dem erweiterten Titel: »Ueber Napoleon Buonaparte +und den Kronprinzen von Schweden, eine Parallele in Beziehung auf +einen Artikel der Leipziger Zeitung vom 5. October 1813, von August +Wilhelm Schlegel.« Verlagsort und Verleger sind auf beiden Ausgaben +nicht angegeben. Eine 1814 erschienene »zweite vermehrte Auflage« der +deutschen Ausgabe enthält einen mit B. (Brockhaus) unterzeichneten +»Vorbericht des Herausgebers«, in welchem der betreffende Artikel der +»Leipziger Zeitung« mitgetheilt und der Herzog von Bassano (Maret), +Staatssecretär Napoleon's als dessen Verfasser bezeichnet wird.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_359" id="Seite_359">[359]</a></span></p> + +<p>Die beiden andern von Brockhaus noch vor dieser verlegten Schriften +Schlegel's, die in des Letztern Briefe erwähnt sind, waren gleichfalls +in französischen und deutschen Ausgaben ohne Angabe von Verlagsort +und Verleger erschienen, unter den Titeln: »<span class="antiqua">Considérations sur +la politique du gouvernement danois. Par A. W. S.</span>«, deutsch: +»Betrachtungen über die Politik der dänischen Regierung. Von August +Wilhelm Schlegel«, und: »<span class="antiqua">Sur le système continental et sur ses +rapports avec la Suède</span>«, deutsch: »Ueber das Continentalsystem und +den Einfluß desselben auf Schweden von A. W. S.«</p> + +<p>August Wilhelm von Schlegel (geb. 1767, gest. 1845) begleitete +bekanntlich, nachdem er seit 1809 als schwedischer Legationssecretär +in Stockholm gelebt hatte, 1813 den Kronprinzen von Schweden nach +Deutschland und war als dessen Geh. Cabinetssecretär besonders mit +Abfassung von Proclamationen, Armeeberichten und politischen Broschüren, +wie den eben erwähnten, beschäftigt.</p> + +<p>Eine andere noch Ende 1813 bei Brockhaus erschienene Broschüre unter +dem Titel: »Aufgefangene Briefe durch die leichten Truppen der +verbündeten Heere. Französisch und Teutsch«, wurde nach Schlegel's +oben mitgetheiltem Schreiben ebenfalls von diesem zusammengestellt und +herausgegeben. Laut dem Vorwort sind es Auszüge aus mehrern tausend +in einem französischen Felleisen vorgefundenen Briefen, das am 12. +September 1813 auf der Straße von Leipzig nach Wurzen in die Hände von +Parteigängern gefallen war.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Außer diesen Schlegel'schen Broschüren verlegte Brockhaus aber, +besonders im Laufe des ersten Halbjahrs nach der Schlacht bei +Leipzig, noch eine ganze Reihe von Zeitbroschüren politischen oder +kriegsgeschichtlichen Inhalts. Bei einer Ankündigung derselben in den +»Deutschen Blättern« hob er hervor, daß ihr Erscheinen erst »seit der +an den Tagen vom 16.-19. October wiedereroberten Preßfreiheit« möglich +geworden sei.</p> + +<p>Am 26. März 1814 schrieb er in gleichem Sinne an seinen Freund Villers +in Göttingen:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_360" id="Seite_360">[360]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Man muß die vielleicht kurze Zeit unserer Preßfreiheit brav +benutzen. Späterhin könnte man uns wieder ein Schloß ans Maul hängen.</p></blockquote> + +<p>So veranstaltete er im März 1814 einen neuen Abdruck der vielgenannten +Schrift, wegen deren Verbreitung der nürnberger Buchhändler Johann +Philipp Palm auf Napoleon's Befehl am 26. August 1806 zu Braunau +erschossen worden war, unter dem Titel: »Deutschland in seiner tiefsten +Erniedrigung. (Neuer wörtlicher Abdruck der Schrift, wegen welcher +Palm 1806 auf Befehl des Kaisers Napoleon zum Tode verurtheilt wurde.) +Mit einer Vorrede des jetzigen Herausgebers.« Als »Seitenstück« dazu +veröffentlichte er gleichzeitig: »Sündenregister der Franzosen in +Teutschland. Ein Seitenstück zu der Schrift: Teutschland in seiner +tiefen Erniedrigung«, mit dem Motto von Johannes Müller: »Gesetzmäßige +Regenten sind heilig: daß Unterdrücker nichts zu fürchten haben, ist +weder nöthig noch gut«, und mit der Bezeichnung: »Germanien, im Jahre +der Wiedergeburt«, ohne sonstige Angabe von Verlagsort, Verleger und +Jahreszahl.</p> + +<p>Auch zwei poetisch-patriotische Producte verlegte er: »Die Erlösung +Deutschlands im Jahre 1813. Ein National-Singspiel« (auf dem Titel +steht: »Braunschweig, 1814. Gedruckt bei Friedrich Vieweg«, doch war +die Schrift, deren Verfasser uns unbekannt, Verlag von Brockhaus), und: +»Deutschland im Schlaf (geschrieben 1809) und Deutschlands Morgentraum +und Erwachen. Zwei politische Possenspiele«, ebenfalls anonym, verfaßt +von Karl Georg Treitschke in Leipzig (geb. 1783, gest. 1855 als Geh. +Justizrath in Dresden).</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Eine Anzahl anderer Broschüren ist direct gegen die Person Napoleon's +gerichtet.</p> + +<p>In erster Linie ist hier die schon früher erwähnte, von Villers und +Saalfeld verfaßte Schrift zu nennen, die anonym unter dem Titel: +»Hundert und etliche Fanfaronaden des Corsikanischen Abentheurers +Napoleon Buona-Parte Ex-Kaisers der Franzosen. <span class="antiqua">Cum notis +variorum</span>«, im Juni 1814 erschien.</p> + +<p>Eine zweite ähnliche Schrift, deren Verfasser uns unbekannt, heißt: +»Federstreiche oder Lebenslauf des Ex-Kaisers der Fran<span class="pagenum"><a name="Seite_361" id="Seite_361">[361]</a></span>zosen in drei +Büchern: Epigrammen«; das Schlußepigramm lautet:</p> + +<blockquote> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">Du ließest Blut, ich Tinte fließen,<br /></span> +<span class="i0">Schwarz hast Du Dich, nicht ich gemacht,<br /></span> +<span class="i0">Spar' nun mein Blut und Deine Macht,<br /></span> +<span class="i0">Und laß mich nicht erschießen.<br /></span> +</div></div> +</blockquote> + +<p>Eine dritte gegen Napoleon gerichtete Schrift erschien ebenfalls anonym +gleichzeitig französisch und deutsch unter den Titeln: »<span class="antiqua">Lettre d'un +Anglois sur Napoléon Buonaparte et le surnom le grand, qu'on lui a +donné, avec la traduction allemande</span>«, und: »Briefe eines Engländers +über Napoleon Bonaparte, und den Beinamen der Große, welcher ihm +beigelegt worden ist.«</p> + +<p>Endlich gehört hierher noch eine geistvolle Satire: »Die Oriflamme +oder der Pariser Enthusiasmus unter Napoleon dem Großen, Kaiser der +Franzosen, eine Sammlung merkwürdiger, vor der Aufführung dieser Oper in +Paris gewechselter Briefe; als ein Beytrag zu der französischen Kunst, +das Volk gegen sein eignes Herz und seinen Verstand zu bearbeiten.« Sie +trug auf dem Titel einen fingirten französischen Verlagsort: »Nancy +1814« und erschien anonym; ihr Verfasser war Philipp Joseph von Rehfues +(geb. 1779, gest. 1843), später durch seinen Roman »Scipio Cicala« +(1832) allgemeiner bekannt geworden.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Weitere Zeitbroschüren, die in diesen Jahren von Brockhaus verlegt +wurden, beschäftigen sich vorzugsweise mit der Deutschland zu gebenden +politischen Verfassung.</p> + +<p>Anonym erschienen zunächst zwei Schriften unter folgenden Titeln: +»Erinnerung an die Vorzüge und Gebrechen der ehemaligen Verfassung des +deutschen Reichs« (1813), und: »Der deutsche Bund wider das deutsche +Reich« (1815). Ueber den Verfasser der erstern bemerkt Brockhaus in +einer Ankündigung, es sei »einer unserer vorzüglichsten Publicisten«. +Die zweite Schrift, mit einem allegorischen Titelkupfer, das zwei Felder +mit den Unterschriften »Deutscher Bund« und »Deutsches Reich« zeigt, +befürwortet die Wiedererrichtung des alten Kaiserthums und eifert +gegen den eben damals gestifteten Deutschen Bund als einen bloßen +Staaten<span class="pagenum"><a name="Seite_362" id="Seite_362">[362]</a></span>bund. In ihr kommt unter anderm folgende durch die Zukunft +gerechtfertigte Stelle vor:</p> + +<blockquote> + +<p>Was ihr hoffen könnt, ist Krieg, weil von nun an der Streit über +die Oberherrschaft in Deutschland beginnen kann und wird und muß .... +Unsere Enkel werden das, was hier unbeachtet bleibt, empfinden.</p></blockquote> + +<p>Eine Aufforderung an Preußen, sich an die Spitze Deutschlands zu +stellen, enthält die umfänglichere Schrift: »Preußen über Alles, wenn es +will. Von einem Preußen« (Germanien 1817), verfaßt von Samuel Gottfried +Reiche (geb. 1765, gest. 1849 als Rector des breslauer Gymnasiums), aber +anonym erschienen.</p> + +<p>Auch patriotische Ansprachen, besonders an die Jugend gerichtet, finden +sich unter diesen Schriften, so: »Vier Reden über Vaterland, Freiheit, +deutsche Bildung und das Kreuz. An die deutsche Jugend gesprochen von +Karl Baumgarten-Crusius. Eine Weihnachtsgabe« (1814). Die vierte Rede +war zuerst in den »Deutschen Blättern« abgedruckt worden und hatte +großen Beifall gefunden. Der Verfasser ist der bekannte Philolog (geb. +1786, gest. 1845 als Rector der Landesschule zu Meißen).</p> + +<p>Aehnlichen Charakter hat die anonyme Schrift: »Auch ein Wort über unsere +Zeit. 1) Von der unterscheidenden Eigenthümlichkeit derselben. 2) Was +sie von den in ihr Lebenden fordere. 3) Was sie ihnen gewähre« (1815).</p> + +<p>Eine kleine Schrift: »Ueber Landsturm und Landwehr. In Beziehung auf +die Länder zwischen der Elbe und dem Rhein« (1813), empfiehlt diese +preußische Einrichtung auch dem übrigen Deutschland.</p> + +<p>Folgende drei Broschüren enthalten wiederum ärztliche Rathschläge +in Bezug auf den Krieg: »Die Kriegspest oder das ansteckende +Hospital-Fieber. Eine Volksschrift zur Warnung und Belehrung von einem +sächsischen Arzte«; »Ueber die jetzt herrschenden Lazarethfieber, ihre +Ursachen, Kennzeichen und Verwahrungsmittel. Von einem praktischen +Arzte« (beide 1813 erschienen); endlich eine von <span class="antiqua">Dr.</span> Heinrich +Messerschmidt, Stadtphysikus zu Naumburg an der Saale (geb. 1776, +gest. 1842), verfaßte treffliche Schrift: »Hand- und Lehrbüchlein für +Deutschlands Krieger<span class="pagenum"><a name="Seite_363" id="Seite_363">[363]</a></span> und diejenigen im Volke, welche zu diesem hohen +Stande berufen sind. Daraus zu lernen, recht brave, tüchtige Soldaten zu +werden und sich als solche in der Zeit der Noth selbst rathen und helfen +zu können« (1815).</p> + +<p>Zwei Broschüren richten sich gegen die berüchtigte Schrift des +bekannten Staatsrechtslehrers Professor Theodor Anton Heinrich Schmalz: +»Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen Chronik von +1805« (Berlin 1815), in welcher dieser zuerst das Mistrauen der +deutschen Regierungen gegen den Geist der Zeit, namentlich gegen +politische Vereine wachrief und so die Reactionszeit inaugurirte. Die +beiden anonymen Broschüren heißen: »Gegen den Geheimen Rath Schmalz +zu Berlin wegen seiner jüngst herausgegebenen Worte über politische +Vereine«, und: »Die neuen Obscuranten im Jahre 1815. Dem Herrn Geheimen +Rath Schmalz in Berlin und dessen Genossen gewidmet«. Es sind, wie +auch auf den Titeln bemerkt, Separatausgaben zweier Aufsätze aus den +»Deutschen Blättern«. Dieses Blatt hatte sich das Verdienst erworben, +gegen die Denunciationen von Schmalz zuerst energisch aufzutreten.</p> + +<p>Im Jahre 1817 verlegte Brockhaus noch zwei Zeitbroschüren verschiedenen +Inhalts von zwei namhaften, auf denselben aber nicht genannten +Schriftstellern: »Ueber den jetzt herrschenden Geist der Unzufriedenheit +und Unruhe unter den Völkern Europas. Ein Versuch zur Beschwichtigung +dieses Geistes«, von Hofrath Karl Ludwig Methusalem Müller in Leipzig +(geb. 1771, gest. 1837, in den Jahren 1817-1831 Redacteur der »Zeitung +für die elegante Welt«), und: »Mahnung der Zeit an die protestantische +Kirche bei der Wiederkehr ihres Jubelfestes. Nebst einer Nachschrift an +die katholische Kirche und deren Oberhaupt. Für Kleriker und Laien von +einem Laien«, von dem bekannten Philosophen Professor Wilhelm Traugott +Krug in Leipzig (geb. 1770, gest. 1842), mit dem Brockhaus später in +nähere Verbindung trat.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Wir kommen nun zu den von Brockhaus in diesen Jahren verlegten kleinern +und größern Schriften, welche speciell die Zeitgeschichte betreffen, +und finden da zunächst eine Anzahl Broschüren<span class="pagenum"><a name="Seite_364" id="Seite_364">[364]</a></span> kriegsgeschichtlichen +Inhalts, welche meist noch die kriegerischen Ereignisse vor der Schlacht +bei Leipzig behandeln, während die spätern in größern Werken geschildert +sind.</p> + +<p>An der Spitze der kriegsgeschichtlichen Broschüren steht: »Die +preußisch-russische Campagne im Jahre 1813; von der Eröffnung bis zum +Waffenstillstande vom 5. Juni 1813; mit dem Plan der Schlacht von +Groß-Görschen, der Schlacht von Bautzen und dem Gefecht von Haynau. Von +C. v. W.« Auf dem Titel heißt es: »Breslau, in Commission bei Christ. +Gottlob Kayser«, ohne Jahreszahl; die Schrift war aber Verlag von +Brockhaus und erschien im Sommer 1813. Verfaßt wurde sie auf speciellen +Befehl des Königs von Preußen von dem damaligen Oberst, spätern +General-Feldmarschall Freiherrn von Müffling (geb. 1775, gest. 1851), +dessen kriegsgeschichtliche Werke stets nur die Chiffre C. v. W. tragen.</p> + +<p>Ein Seitenstück dazu bildet: »Der Feldzug von 1813 bis zum +Waffenstillstand« (ohne Angabe von Verleger und Verlagsort, mit der +Jahreszahl 1813). Als Verfasser nennt Brockhaus in den »Deutschen +Blättern« den General von Gneisenau, Chef des preußischen Generalstabes, +weil ihm das Manuscript wahrscheinlich von diesem zugesandt worden +war; die Schrift ist aber auf Gneisenau's Wunsch von dessen Stabschef +General Karl von Clausewitz (geb. 1780, gest. 1831) geschrieben und auch +in dessen »Hinterlassenen Werken über Krieg und Kriegführung« wieder +abgedruckt.</p> + +<p>Gleichzeitig (im October 1813) ließ der bekannte General und +Militärschriftsteller Baron Henri Jomini (geb. 1779, gest. 1861) bei +Brockhaus eine kleine Broschüre französisch und deutsch unter folgenden +Titeln erscheinen: »<span class="antiqua">Extrait d'une brochure intitulée: Mémoires sur +la campagne de 1813, par le général Jomini</span>«, und: »Auszug aus den +Memoiren über den Feldzug von 1813 vom General Jomini.« Er rechtfertigt +sich darin wegen seines 1813 nach der Schlacht bei Bautzen erfolgten +Uebertritts aus französischen in russische Dienste.</p> + +<p>Noch vor der Schlacht bei Leipzig geschrieben, aber erst nach derselben +veröffentlicht wurde eine Broschüre von Ludwig Lüders (Verfasser der +früher erwähnten Schrift: »Das Continental<span class="pagenum"><a name="Seite_365" id="Seite_365">[365]</a></span>-System«): »Welthistorische +Ansicht vom Zustande Europa's am Vorabend der Schlacht bei Leipzig +im Jahre 1813. Mit einem Plane der Schlacht bei Lützen« (1814). Sie +schildert die am 1. und 2. Mai 1813 geschlagene Schlacht bei Lützen, +gewöhnlich richtiger die Schlacht bei Großgörschen genannt, in der +Napoleon über die vereinigte russisch-preußische Armee siegte, wodurch +Sachsen bis zur Elbe wieder in seine Hände fiel. Die Schrift hat, +als von einem in der Nähe (in Altenburg) befindlichen gewissenhaften +Beobachter herrührend, geschichtlichen Werth.</p> + +<p>Wir schalten hier als Episode eine an diese Schlacht anknüpfende und für +Brockhaus' Charakterisirung nicht unwichtige Mittheilung ein, die vor +Jahren von dem inzwischen (1863) verstorbenen Geschichtschreiber und +Publicisten Johann Wilhelm Zinkeisen niedergeschrieben wurde, dessen +Vater Geh. Kammerrath in Altenburg war und zu Brockhaus' nähern Freunden +gehörte:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich war damals ein Knabe von 11-12 Jahren, und erinnere mich sehr +wohl, wie der wohlbeleibte aber äußerst lebendige und bewegliche, so +freundliche Herr Brockhaus, den wir Kinder alle so gern hatten, wenn +irgendeine wichtige Nachricht eingetroffen war (denn er war immer am +ersten und besten unterrichtet), oft schon in frühester Morgenstunde +außer Athem zum Vater kam, um ihm dieselbe zu hinterbringen. Da +wurde dann mit großem Feuer, aber auch mitunter nicht ohne manchen +schweren Seufzer, darüber hin- und hergestritten, wie die Dinge nun +weiter laufen würden, was man zu thun habe, was am Ende aus der Welt +werden solle, wie lange es der Napoleon noch treiben werde u. s. +w. Brockhaus sprach immer wie ein Begeisterter, und schien manchmal +außer sich zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und herzuschwanken. +Mein Vater, überhaupt eine ernste Natur und in schon vorgerücktem +Alter, suchte dagegen zu beschwichtigen und rieth zu ruhiger Ausdauer. +Mir sind dergleichen Eindrücke aus dieser schweren Zeit, die auf +jugendliche Gemüther auch tiefer einwirkte, so unvergeßlich geblieben, +als ob ich sie erst gestern empfangen hätte. Es ist mir immer noch, +als ob ich Brockhaus eben erst zur Thür hinausgehen sähe, wenn er uns +beim Weggehen etwa so zurief: »Guten Morgen, Jungens, haltet euch +wacker, sonst wird's schlimm, wenn Napoleon kömmt!« Da lachten wir +dann in unserer Einfalt recht herzlich über den guten Herrn, obgleich +es gewiß weder ihm noch dem Vater zum Lachen war.</p> + +<p>Am tiefsten ist mir der Tag der Schlacht bei Lützen aus dieser<span class="pagenum"><a name="Seite_366" id="Seite_366">[366]</a></span> +Zeit in Seele und Gedächtniß eingegraben geblieben. Alles war an +dem schönen Maitage vom frühesten Morgen in der größten Bewegung +und Spannung. Die widersprechendsten Gerüchte durchkreuzten sich. +Brockhaus war am Vormittage mehrere male beim Vater und blieb dann bei +uns zu Tische. Der Oberst von dem damals in Altenburg liegenden Corps +des Generals Miloradowitsch, welcher bei meinen Aeltern mit seinen +Adjutanten Quartier hatte, machte ein sehr bedenkliches Gesicht. Man +sprach schon davon, daß es gut sein würde, wenigstens die Familie wo +anderwärts hin in Sicherheit zu bringen. Während des Essens brachte +eine Ordonnanz die Nachricht, man höre vor der Stadt ganz deutlich den +Kanonendonner, welcher aus der Gegend zwischen Leipzig und Lützen zu +kommen scheine; es sei als ob er immer näher rücke; die Preußen seien +geschlagen u. s. w. Brockhaus wurde nun sehr unruhig, sprang plötzlich +vom Tische auf und rief: »Wir müssen raus; kommt, Kinder, mit hinter +den Pohlhof, da wird man's am besten hören!« Mit diesen Worten nahm er +mich ohne weiteres bei der Hand, und forderte die ganze Gesellschaft +auf, ihm zu folgen, was sie auch that. Auf den weiten Pohlhofsfeldern +nach Leipzig zu hatte damals das obengenannte Corps in unabsehbaren +Reihen von Strohhütten sein Lager aufgeschlagen. Hinter demselben +suchte Brockhaus einen etwas höher liegenden Punkt aus, warf sich +dort zur Erde, und sagte bei jedem Kanonenschuß, den er mittels der +Fortpflanzung des Schalles durch den Erdboden vernahm: »Sehr deutlich! +sehr deutlich!« Mir klingen die Worte noch in den Ohren. Ich wollte +Ihnen den trefflichen Mann dabei malen. Wir Kinder hatten natürlich +nichts Eiligeres zu thun als dem Beispiele desselben zu folgen, +und vernahmen nun mit Jubel auch ganz deutlich den Kanonendonner, +während mein Vater mit sehr bedenklicher Miene daneben stand und, die +Taschenuhr in der Hand, die dumpfen Kanonenschläge nach der Minute +zählte. Je vernehmlicher sie aber wurden, desto ernster schien ihm die +Lage zu werden. Nach einer Stunde etwa eilte man in die Stadt zurück. +Brockhaus brachte am Nachmittage wieder verschiedene unbestimmte und +beängstigende Nachrichten. Er war auch noch am Abend wieder bei uns, +wo Alles, wie es damals Brauch war, um den großen runden Tisch saß +und Charpie zupfte. Da ertönt plötzlich Alarm durch die Straßen, und +zu gleicher Zeit sieht man vor der Stadt eine ungeheuere Feuersäule +aufsteigen. Miloradowitsch hatte Befehl erhalten, noch in der Nacht +nach Lützen hin aufzubrechen, und vorher sein ganzes Lager in Brand +gesteckt. Brockhaus eilte fort, um nähere Nachrichten einzuziehen. Das +Uebrige ist bekannt.</p></blockquote> + +<p>An die Schlacht bei Lützen sowie an die leipziger Schlacht knüpft +auch eine kleine Schrift des Geschichtschreibers Karl Curths<span class="pagenum"><a name="Seite_367" id="Seite_367">[367]</a></span> (geb. +1764, gest. 1816) an und stellt beide Schlachten mit zwei an denselben +Orten geschlagenen zusammen. Sie führt den Titel: »Die Schlacht bei +Breitenfeld unweit Leipzig am 7. September 1631 und die Schlacht bei +Lützen am 7. November 1632. Zwei Scenen des Dreißigjährigen Kriegs und +Gegenstücke zu den Schlachten bei Lützen am 2. Mai 1813 und bei Leipzig +am 16., 18. und 19. October 1813« (1814). Von demselben Verfasser +verlegte Brockhaus gleichzeitig eine geschichtliche Monographie: +»Die Bartholomäusnacht 1572.« Curths hat sich besonders durch seine +Fortsetzung von Schiller's »Geschichte des Abfalls der vereinigten +Niederlande« bekannt gemacht.</p> + +<p>Ueber die Schlacht bei Leipzig erschienen in Brockhaus' Verlage neben +den in den »Deutschen Blättern« enthaltenen ausführlichen Schilderungen +keine besondern Werke.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Außer diesen kriegsgeschichtlichen verlegte er noch einige andere +zeitgeschichtliche Broschüren, zunächst (1814) eine solche von dem +Marquis de la Maisonfort (geb. 1763, gest. 1827), einem Anhänger der +Bourbonen, der 1814 mit Ludwig XVIII. nach Paris zurückkehrte, unter dem +Titel: »<span class="antiqua">Tableau politique de l'Europe, depuis la bataille de Leipzic, +gagnée le 18 octobre 1813. Écrit à Londres le 4 décembre 1813</span>«; +dieselbe erschien auch in deutscher Uebersetzung: »Politisches Gemälde +von Europa nach der Schlacht bei Leipzig den 18. October 1813. London +den 4. December 1813. Mit Anmerkungen und einer Frage: Was hofft Europa +seit dem 3. April 1814.«</p> + +<p>Daneben veröffentlichte er die Broschüre: »Der Minister Graf von +Montgelas unter der Regierung König Maximilian's von Baiern« (1814), +worin dieser bairische Minister gegen eine vom Grafen Reisach +geschriebene Schrift vertheidigt wird. Brockhaus war mit dem Minister +Montgelas auf einer im Sommer 1814 nach Stuttgart und München +unternommenen Reise bekannt geworden, und dies war wol die Veranlassung +zu dem Verlage dieser Broschüre.</p> + +<p>Eine andere kleine Schrift: »Die Moskauer Kanonen-Säule oder der +Sieges-Obelisk. Nebst einer Abbildung« (1814), ist von Karl August +Böttiger in Dresden verfaßt; sie ist die einzige selb<span class="pagenum"><a name="Seite_368" id="Seite_368">[368]</a></span>ständige Schrift, +die Brockhaus von diesem Schriftsteller verlegte (freilich ist auch sie +nur ein Separatabdruck aus den »Deutschen Blättern«), während dieser mit +ihm fortwährend in dem lebhaftesten Briefwechsel stand und an fast allen +seinen Journalen und encyklopädischen Werken mitarbeitete.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Von hervorragendem Interesse endlich sind zwei Broschüren, die im +Jahre 1816 in Brockhaus' Verlage erschienen und den berüchtigten +Polizeiminister Napoleon's, Fouché, Herzog von Otranto, zum Verfasser +hatten.</p> + +<p>Joseph Fouché, 1763 zu Nantes geboren, erst Lehrer, dann Advocat, +war während der Französischen Revolution bekanntlich ein eifriger +Anhänger Danton's gewesen und hatte sich an den Greueln in Lyon lebhaft +betheiligt. Er erhielt 1799 die Direction der Polizei in Paris und wurde +von Napoleon nach dem österreichischen Kriege zum Herzog von Otranto +ernannt. Nach 1810 in Ungnade gefallen, wurde er 1813 Generalgouverneur +von Illyrien, 1815 während der Hundert Tage nochmals Polizeiminister, +stellte sich nach Napoleon's Niederlage bei Waterloo an die Spitze +der provisorischen Regierung und wurde dann von Ludwig XVIII. als +Gesandter nach Dresden geschickt. Während dieses dresdener Aufenthalts +schrieb er die beiden von Brockhaus verlegten Schriften. Bald darauf +mußte er, durch das Verbannungsdecret vom 12. Januar 1816 gegen die +sogenannten Königsmörder mit getroffen, seine Stellung und überhaupt den +Staatsdienst verlassen und zog sich erst nach Prag, dann nach Linz und +endlich nach Triest zurück, wo er 1820 starb.</p> + +<p>In jenen beiden Schriften versuchte er vergeblich, sich zu rechtfertigen +und vor dem Verluste seiner Stellung zu schützen.</p> + +<p>Die erste ist in die Form eines Briefs an den Herzog von Wellington, +der zu seinen Gönnern gehörte, gekleidet und führt den Titel: +»<span class="antiqua">Correspondance du duc d'Otrante avec le duc de *** Première lettre. +Dresde, le premier Janvier, 1816.</span>« Sie enthält außer dem 48 Seiten +umfassenden Briefe an den Herzog von Wellington (dessen Name aber nicht +genannt ist) ein von Brockhaus unterzeichnetes 4 Seiten langes Vorwort, +überschrieben<span class="pagenum"><a name="Seite_369" id="Seite_369">[369]</a></span> »<span class="antiqua">L'éditeur au public</span>« und Altenburg, 15. August +1816 datirt. Brockhaus warnt darin vor einem soeben angeblich in London +gedruckten unberechtigten und verstümmelten Abdrucke des Briefes, +kündigt einen zweiten und dritten Brief an, die indeß nie erschienen, +und veröffentlicht zugleich den Privatbrief Fouché's an Wellington, +welcher die Veranlassung zu der Schrift erklärt.</p> + +<p>Die zweite Schrift wurde gleichzeitig französisch und deutsch +herausgegeben unter den Titeln: »<span class="antiqua">Notice sur le duc d'Otrante</span>« +und: »Aus dem Leben Joseph Fouché's, Herzogs von Otranto. Nach +authentischen Quellen und mit wichtigen Actenstücken für die neueste +Zeitgeschichte. Anhang: Brief Fouché's an Wellington, Dresden, 1. Januar +1816.«</p> + +<p>Brockhaus hatte beide Schriften durch Vermittelung seines Freundes +Böttiger erhalten und verkehrte darüber brieflich und mündlich mit +Fouché's Secretär, Demarteau in Dresden. Er bewog einen londoner +Verleger (Colburn) und einen amsterdamer (Sülpke), ihre Firmen neben +der seinigen auf den Titel setzen zu lassen, und hegte überhaupt +große Erwartungen von dem buchhändlerischen Erfolge dieser Schriften. +Wenn er auch für ihren Inhalt und Verfasser in keiner Weise eintrat, +hob er doch deren unzweifelhafte Wichtigkeit für die Zeitgeschichte +hervor. Indeß entsprach der Absatz keineswegs seinen Hoffnungen und der +aufgewendeten Mühe, besonders wol, weil jener unberechtigte Abdruck +des Briefes vorher erschienen war und das verdiente Schicksal Fouché's +keine große Theilnahme erregte. An diesen Umständen und an Fouché's +Sturze scheiterten auch die von Brockhaus mit Demarteau angeknüpften +Unterhandlungen über den Verlag von Fouché's Memoiren, für die er +bei einem Umfange von ungefähr 120 Druckbogen 12000 Francs geboten +hatte. Sie wurden erst nach Fouché's Tode in Paris unter dem Titel: +»<span class="antiqua">Mémoires de Fouché</span>« (2 Bände, 1824), veröffentlicht und rühren +auch wahrscheinlich von ihm her, obwol sie von seinen Erben als unecht +angegriffen wurden.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Neben diesen die verschiedensten Gebiete berührenden Zeitbroschüren +verlegte Brockhaus auch während der altenburger Periode eine Reihe der +eigentlichen Geschichte gewidmeter Werke, zum Theil<span class="pagenum"><a name="Seite_370" id="Seite_370">[370]</a></span> größern Umfangs und +der Mehrzahl nach ebenfalls die nächste Vergangenheit behandelnd.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Die beiden wichtigsten Werke dieser Gattung rühren von einem +Schriftsteller her, der uns schon als fleißiger Mitarbeiter an den +»Deutschen Blättern« und als Mitverfasser einer gegen Napoleon +gerichteten Broschüre, der mit seinem Freunde Villers zusammen +herausgegebenen »Fanfaronaden«, begegnet ist: Friedrich Jakob Christoph +Saalfeld (geb. 1785, gest. 1834), Professor der Geschichte an der +Universität Göttingen und freisinniges Mitglied der hannoverschen +Ständeversammlung.</p> + +<p>Das erste Werk ist eine »Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit, +seit dem Anfange der Französischen Revolution«; es begann 1815, die +Vollendung erfolgte aber erst 1823 (in 4 Bänden zu je 2 Abtheilungen, +also zusammen 8 Theile umfassend); den Endpunkt bildet der Aachener +Congreß von 1818.</p> + +<p>Das zweite ist eine »Geschichte Napoleon Buonaparte's«, deren erste +Auflage (1815 in einem Bande) bis zur Ankunft auf Elba reicht, während +die zweite umgearbeitete Auflage (1816 und 1817 in zwei Theilen) +die Geschichte Napoleon's bis zu seiner Abführung nach Sanct-Helena +fortsetzt.</p> + +<p>Beide Werke erregten Aufsehen und fanden lebhaften Beifall, da sie +von deutsch-patriotischem Standpunkte und mit voller Benutzung der +wiedergewonnenen Preßfreiheit geschrieben waren; doch hatte eben +deswegen besonders die Geschichte Napoleon's auch harte Angriffe zu +bestehen.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Ein drittes größeres Werk über die Zeitgeschichte ist: »Rußlands und +Deutschlands Befreiungskriege von der Franzosen-Herrschaft über Napoleon +Buonaparte in den Jahren 1812-1815« (4 Theile mit zahlreichen Kupfern +und Karten, 1816-1819), verfaßt von <span class="antiqua">Dr.</span> Karl Heinrich Georg +Venturini (geb. 1768, gest. 1849), der lange Jahre (1807-1844) als +Pastor zu Hordorf im Braunschweigischen wirkte und sich hauptsächlich +durch seine »Natürliche Geschichte des großen Propheten von Nazareth« +(4 Theile, Bethlehem, d. i. Jena, 1806) bekannt gemacht hat, durch das +hier vorgeführte<span class="pagenum"><a name="Seite_371" id="Seite_371">[371]</a></span> Werk und die Fortsetzung der von Bredow begonnenen +»Chronik des neunzehnten Jahrhunderts« (34 Bände, Altona und Leipzig +1808-1837) sich aber auch als Geschichtschreiber einen geachteten Namen +erwarb. Nicht zu verwechseln mit ihm ist sein als Militärschriftsteller +und Strateget bekannter jüngerer Bruder Johann Georg Julius Venturini, +braunschweigischer Offizier (geb. 1772, gest. 1802).</p> + +<p>Der erste Theil dieser Schilderung der Befreiungskriege behandelt den +Krieg in Rußland 1812, der zweite den in Deutschland 1813, der dritte +den Krieg in Frankreich und Italien 1814, der vierte den »Krieg im +Niederlande, Frankreich und Italien«.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Speciell den Krieg in Rußland betrifft das Werk: »<span class="antiqua">A narrative of +the campaign in Russia in 1812</span>« von dem als Hofmaler des Kaisers +Alexander in Petersburg lebenden Engländer Robert Ker Porter (geb. +1774, gest. 1842), welches in einer Uebersetzung unter dem Titel: »Der +russische Feldzug im Jahre 1812« von <span class="antiqua">Dr.</span> Paul Ludolf Kritz (geb. +1788, gest. 1869 als Oberappellationsrath in Dresden) 1815 bei Brockhaus +erschien.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Zu dem geschichtlichen Verlage gehört endlich noch eine +kriegsgeschichtliche Zeitschrift, die Brockhaus in Verbindung mit dem +sächsischen Oberlandfeldmesser und frühern Offizier Wilhelm Ernst August +von Schlieben, von dem er gleichzeitig das früher erwähnte Werk: »Die +Elemente der reinen Mathematik« verlegte, im Jahre 1817 begann.</p> + +<p>Bei seiner Vorliebe für journalistisch-encyklopädische Unternehmungen +suchte er in dieser Zeitschrift einen Mittelpunkt für die betreffende +Literatur zu schaffen. Er veröffentlichte den wohldurchdachten, von +genauer Kenntniß der Verhältnisse zeugenden Plan in einer »im April +1816« datirten, von ihm unterzeichneten Ankündigung in den »Deutschen +Blättern«, die mit der Bemerkung: »Auch als Vorrede zum ersten Bande zu +betrachten«, vor diesem wieder abgedruckt ist. Sie lautet:</p> + +<blockquote> + +<p>Die Kriegskunst hat einen so wesentlichen Antheil an der +gegenwärtigen Entwickelung des Staatenschicksals von Europa gehabt, +daß<span class="pagenum"><a name="Seite_372" id="Seite_372">[372]</a></span> es für den Geschichtsfreund überhaupt, wie für den Kriegskundigen +insbesondere, ein wissenschaftliches Bedürfniß geworden ist, einzelne, +für größere Werke oft gar nicht geeignete und dennoch für die Theorie +sowol als für die Praxis, oder für die allgemeine Geschichte wichtige +Beobachtungen und Erfahrungen, überhaupt Alles, was die Geschichte +der Kriegskunst in dem 19. Jahrhunderte betrifft und neu ist, von +Augenzeugen zu sammeln, und die Ansichten sachkundiger Männer von +denkwürdigen Kriegsereignissen in einem diesem Zwecke ausschließend +gewidmeten Archive zu vereinigen.</p> + +<p>Die schätzbarsten Beiträge zu von Bülow's, von Scharnhorst's +und Anderer Schriften liegen in den Tagebüchern verdienter +Offiziere verborgen, welche in einer Zeitschrift, wie von +Rouvroy's »Militärische Minerva« oder von Rühl's »Pallas« oder die +»Oesterreichische militärische Zeitschrift« und ähnliche Archive +der Kriegsgeschichte waren, einen Ehrenplatz einnehmen würden. +Sollen diese handschriftlichen Bemerkungen und Nachrichten für die +Wissenschaft verloren gehen und vergessen werden, oder soll man +warten, bis sie spät, nach dem Tode der Augenzeugen, in zerstreuten +Denkwürdigkeiten erscheinen, wo sie der öffentlichen Prüfung und +Vergleichung mit andern Thatsachen weniger unterliegen?</p> + +<p>Jetzt, da die Waffen ruhen und die mit Lorbern umwundenen +Feldtagebücher geordnet werden, jetzt ist die Erinnerung an Alles, was +geschehen, ebenso lebendig und frisch, als das Bedürfniß des Forschens +und Wissens lebhaft. Sollten daher unsere tapfern Zeitgenossen nicht +unter sich austauschen und gegenseitig kriegskundig prüfen wollen, was +sie beobachtet, gethan und erfahren, was sie Schätzbares für Kunst +und Wissenschaft selbst eingesammelt haben? Die Kriege seit 1792 +bieten für die Geschichte der Kriegskunst so reiche Ausbeute dar, +daß es einer kriegsgeschichtlichen Zeitschrift in einer zwanglosen +Folge von Bänden, wie die unsrige sein soll, nicht an neuem Stoffe +von wissenschaftlichem Werthe fehlen wird, wenn die einsichtsvollen +Kriegsmänner aus allen Heeren, welche seit 1792 in den meisten Ländern +Europas fast nach denselben Grundsätzen kriegskünstlerischer Bildung +gefochten haben, sich für unsern Zweck mit uns vereinigen wollen.</p> + +<p>Wir laden sie, als die vollgültigsten Zeugen der ewig denkwürdigen +Geschichte unserer Zeit, hierzu mit dem Vertrauen ein, das uns unsere +Ueberzeugung von dem geistigen Zusammenhange und dem Gemeingeiste, +der jetzt alle Gebildete zu wissenschaftlicher Thätigkeit hinführt, +nicht ohne Ursache einflößt. Denn schon erfreuen wir uns der Zusage +mehrerer würdigen Männer, und wir können dem Publikum versprechen, daß +es in unsern kriegsgeschichtlichen Monographien nur Erzählungen und +Charakteristiken von bedeutenden oder minder bekannten denkwürdigen +Kriegsbegebenheiten, vorzüglich aus der neuesten Zeit,<span class="pagenum"><a name="Seite_373" id="Seite_373">[373]</a></span> von +Augenzeugen und Theilnehmern kriegskundig abgefaßt, oder aus weniger +zugänglichen Quellen mit Kritik ausgewählt, und durch Karten und +Plane, wo es die Wissenschaft erfordert, erläutert, ohne Beimischung +von Politik noch fremdartigen Dingen finden wird.</p> + +<p>Jeder Band von 24-30 Bogen soll sechs und mehr Erzählungen oder +Darstellungen dieser Art enthalten. Der erste wird zur Ostermesse des +nächsten Jahres erscheinen, und die Fortsetzung unsers Unternehmens +kann, wie wir nach den getroffenen Maßregeln hoffen dürfen, nur an +Neuheit und Interesse gewinnen.</p> + +<p>Alle Beiträge, zu denen dringend eingeladen wird und die auf +Verlangen angemessen honorirt werden, sind an unterzeichneten Verleger +zu senden.</p></blockquote> + +<p>Die Zeitschrift führte den Titel: »Kriegsgeschichtliche und +kriegswissenschaftliche Monographien aus der neuern Zeit seit dem +Jahre 1792«, und trat zur Ostermesse 1817 mit dem ersten Bande ins +Leben, worauf 1818 und 1819 ein zweiter und dritter Band folgten. +Mit dem dritten Bande hörte sie auf und war so kaum über die ersten +Anfänge hinausgekommen, wol theils durch die Schuld des Herausgebers +von Schlieben (der übrigens auf dem Werke nicht genannt ist), theils +wegen Mangels an geeigneten Beiträgen. Brockhaus schrieb darüber an den +Herausgeber:</p> + +<blockquote> + +<p>Die Bücher haben wie die Menschen ihren Glücks- und Unglücksstern, +und alles Verdienst reicht da nicht aus. Aber es wäre im Kampf der +Bücher mit der Welt nicht weise, auf einer Idee zu beharren, wenn +das Publikum, für das man einmal schreibt und setzt und druckt, ein +Anathema ausspricht.</p></blockquote> + +<p>Ein werthvoller monographischer Beitrag zur Geschichte der Jahre 1813 +und 1814 sind die »Briefe über Hamburgs und seiner Umgebungen Schicksale +während der Jahre 1813 und 1814. Geschrieben von einem Augenzeugen im +Sommer und Herbst 1814«, wovon 1815 zwei Hefte erschienen, denen 1816 +noch ein drittes folgte. Der auf dem Titel nicht genannte »Augenzeuge« +war der Prediger Friedrich Gottlieb Crome (gest. 1850).</p> + +<p>Ferner verlegte Brockhaus auch (1817) eine Biographie Wellington's unter +dem Titel: »Arthur, Herzog von Wellington. Sein Leben als Feldherr und +Staatsmann. Nach englischen Quellen, vorzüglich nach Elliot und Clarke, +bearbeitet und bis zum<span class="pagenum"><a name="Seite_374" id="Seite_374">[374]</a></span> September 1816 fortgesetzt«; die Uebersetzung +war von Adolf Wagner angefertigt und dann von Professor Hasse revidirt +worden.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Betreffen die bisjetzt vorgeführten Werke theils die allgemeine +Zeitgeschichte und ihre Hauptpersonen, theils Ereignisse in Preußen +und Norddeutschland, so verlegte Brockhaus in der letzten Zeit seines +altenburger Aufenthalts auch zwei Geschichtswerke, die sich speciell mit +der Erhebung Oesterreichs gegen Frankreich im Jahre 1809 beschäftigen +und noch heute als die wichtigsten Quellen für die Geschichte dieses +Kampfes gelten, da sie von dem Haupturheber und eifrigsten Förderer +derselben, Joseph Freiherrn von Hormayr, selbst herrühren: seine +berühmten Werke über Andreas Hofer und über den Tirolerkrieg.</p> + +<p>Hormayr war 1781 zu Innsbruck geboren, wurde 1803 Director des +Staatsarchivs in Wien und trat bald in nähere Beziehungen zu dem +Erzherzog Johann. Dieser war 1800 im Alter von 18 Jahren an die Spitze +des österreichischen Heeres gestellt worden und hatte seit dem Verluste +Tirols, das bekanntlich 1805 in dem Preßburger Frieden von Oesterreich +an Baiern abgetreten werden mußte, Alles darangesetzt, dieses Land für +Oesterreich zurückzugewinnen. Hormayr wurde von dem Erzherzog mit den +Vorbereitungen zu einem Aufstande Tirols beauftragt und wußte auch +die Insurgirung des Landes trefflich zu bewerkstelligen. Während der +Erzherzog das Heer von Innerösterreich befehligte, übernahm Hormayr die +Verwaltung des Landes. Als aber Tirol von den Oesterreichern wieder +geräumt werden mußte (erst 1814 kam es bleibend in Oesterreichs Besitz), +kehrte Hormayr nach Wien zurück und wurde 1816 zum Historiographen des +Reichs ernannt. Hier schrieb er jene beiden Werke. Später, nachdem +sein fürstlicher Gönner in Ungnade gefallen war, trat er in den +bairischen Staatsdienst über, wurde 1828 im Ministerium des Aeußern +in München angestellt, war dann bairischer Ministerresident, erst in +Hannover, zuletzt bei den Hansestädten, und wurde endlich Director des +Reichsarchivs in München, wo er am 5. November 1848 starb, nachdem er +noch die Wahl seines fürstlichen Gönners zum Deutschen Reichsverweser +erlebt hatte.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_375" id="Seite_375">[375]</a></span></p> + +<p>Das erste Werk (Ende 1816 mit der Jahreszahl 1817 erschienen) führt +den Titel: »Geschichte Andreas Hofer's, Sandwirths aus Passeyr, +Oberanführers der Tyroler im Kriege von 1809. Durchgehends aus +Original-Quellen, aus den militärischen Operations-Planen, sowie aus +den Papieren Hofer's, des Freyh. von Hormayr, Speckbacher's, Wörndle's, +Eisenstecken's, der Gebrüder Thalguter, des Kapuziners Joachim Haspinger +und vieler Anderer«; die zweite Auflage (1845 erschienen) führt +neben und vor jenem frühern noch den Titel: »Das Land Tyrol und der +Tyrolerkrieg von 1809.«</p> + +<p>Das zweite Werk (1817 erschienen) heißt: »Das Heer von Inneröstreich +unter den Befehlen des Erzherzogs Johann im Kriege von 1809 in +Italien, Tyrol und Ungarn. Von einem Stabsoffizier des k. k. +Generalquartiermeister-Stabes eben dieser Armee; durchgehends aus den +officiellen Quellen, aus den erlassenen Befehlen, Operationsjournalen +u. s. w.«; eine zweite »durchaus umgearbeitete und sehr vermehrte« +Auflage erschien 1848, kurz vor des Verfassers Tode.</p> + +<p>Auf keinem der beiden Werke war Hormayr als Verfasser genannt, +auf dem zweiten vielmehr »ein Stabsoffizier des k. k. +Generalquartiermeister-Stabes« der betreffenden Armee als solcher +bezeichnet, beiden aber ein officieller Charakter beigelegt.</p> + +<p>Letzterer Umstand berührte in den Hofkreisen Wiens sehr unangenehm; +man war daselbst überhaupt mit diesen Veröffentlichungen ebenso wenig +einverstanden als mit dem Verhalten des Erzherzogs Johann in dem tiroler +Kriege. Ueber den Verfasser wurden die strengsten Untersuchungen +angestellt und zuerst die Biographie Hofer's, dann auch die Geschichte +des Feldzugs in Wien verboten.</p> + +<p>Aus der Correspondenz zwischen Hormayr und Brockhaus geht übrigens +als zweifellos hervor, daß der eigentliche Verfasser oder wenigstens +Veranlasser beider Werke gar nicht Hormayr war, sondern Niemand anders +als der Erzherzog Johann selbst.</p> + +<p>Die Correspondenz wurde mit äußerster Vorsicht geführt, die Briefe +wurden von Hormayr meist ohne Unterschrift gelassen, oft in dritter +Person geschrieben, an fremde Adressen gerichtet, Duplicate abgesandt +u. s. w. Hormayr, der mit Brockhaus auch sonst in<span class="pagenum"><a name="Seite_376" id="Seite_376">[376]</a></span> literarischen +Beziehungen stand und von ihm besonders um Schritte gegen einen +Nachdruck des »Conversations-Lexikon« ersucht worden war, vertraute +unbedingt auf dessen Discretion, mahnte indeß in ihrem beiderseitigen +Interesse zur äußersten Vorsicht.</p> + +<p>Am 26. April 1817 schrieb er aus Wien an Brockhaus:</p> + +<blockquote> + +<p>.... Das Verbot gegen »Hofer« ist in ein paar Monaten ohnedies +zurückgenommen. Man schämt sich dessen bereits.</p> + +<p>Tolleres und Unsinnigeres könnte aber nichts geschehen, +nichts könnte meine äußerst glücklichen Negociationen für das +»Conversations-Lexikon« und gegen dessen Nachdruck in Oesterreich +zerstörender und unheilbarer durchkreuzen, als wenn der übrigens +genialische Oken in seiner göttlichen und unübertrefflichen Grobheit +in der ohnehin äußerst verhaßten »Isis« etwas Anzügliches über das +Verbot »Hofer's« sagte und es dadurch erst recht bestärkte und +verewigte, zugleich aber auch Ihnen und Ihren Artikeln insgesammt eine +förmliche und systematische Verfolgung des Fürsten Metternich zuzöge, +welche unausbleiblich zu erwarten steht.</p></blockquote> + +<p>Brockhaus beruhigte ihn darüber und schrieb unter anderm auch: er werde +dem Erzherzog Johann bei der Sendung des neuen Werks die von diesem +bestellten weitern Exemplare des »Hofer« schicken.</p> + +<p>Hormayr antwortete unterm 5. Juni 1817:</p> + +<blockquote> + +<p>Der Erzherzog wünscht, daß die 10 Exemplare von »Hofer« nebst den +andern 20 nicht vergessen werden, wünscht übrigens, daß das Erscheinen +der Kriegsgeschichte noch um mehrere Wochen verzögert werde, wenn es +mit Ihrer übrigen Berechnung in Einklang zu bringen ist. Er vermuthet, +es seien auf indirecten schlauen Wegen aus Anlaß des Meßkatalogs schon +Anfragen bei Ihnen um dieses Manuscript (»Das Heer von Inneröstreich«) +geschehen, wünscht aber um so mehr strenge Verschwiegenheit, wie Sie +dazu gekommen, als er selbst und sein Generalquartiermeister Graf +Nugent, jetzt Generalissimus des Königs Ferdinand von Neapel, die +eigentlichen Verfasser davon sind.</p> + +<p>Unser erhabener Freund läßt Sie avisiren, auf das Manuscript +und dessen schleunige Vertilgung bedacht zu sein, da nach einem +allerneuesten Beispiele A. M. einzelne Bogen zweier Manuscripte in +Ihrer Nähe stehlen ließ und hierher einsendete.</p></blockquote> + +<p>Mit A. M., von dem hier so Ehrenwerthes berichtet wird, war der +österreichische Diplomat und Schriftsteller Adam Müller<span class="pagenum"><a name="Seite_377" id="Seite_377">[377]</a></span> gemeint, in den +Jahren 1815-1827 österreichischer Generalconsul in Leipzig. Geboren 1779 +zu Berlin, war er von Gentz, der viel auf ihn hielt, nach Wien gezogen +worden und dort 1805 zum Katholicismus übergetreten; er wurde später +Hofrath im Ministerium des Auswärtigen in Wien und starb daselbst 1829.</p> + +<p>Auch Adam Müller gehörte zu Brockhaus' Autoren, bis dieser von Hormayr +und Andern vor ihm gewarnt wurde und selbst Beweise erhielt, daß +diese Warnungen fast schon zu spät kamen. Er hatte von ihm 1816 eine +staatswirthschaftliche Schrift verlegt: »Versuche einer neuen Theorie +des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien«, und 1817 das +erste Heft eines auf 8-10 Hefte berechneten Sammelwerks unter dem +Titel: »Die Fortschritte der nationalökonomischen Wissenschaft in +England während des laufenden Jahrhunderts. Eine Sammlung deutscher +Uebersetzungen der seit dem Jahre 1801 bis jetzt erschienenen +bedeutendsten parlamentarischen Reports, Flug- und Streitschriften, +Recensionen u. s. w., welche zur Förderung und Berichtigung der +staatswirthschaftlichen Theorie beigetragen haben.« Adam Müller nannte +sich zwar nicht auf dem Titel, aber in der Einleitung als Herausgeber, +mit der Bemerkung, daß er durch seine amtliche Thätigkeit an der +Fortsetzung gehindert sei, die ein anderer Gelehrter übernehmen werde; +diese Fortsetzung erschien indeß nicht. Beide Schriften sollten +ursprünglich von Schaumburg in Wien verlegt werden, waren Brockhaus aber +noch vor ihrer Druckvollendung von dem Verfasser angetragen worden. +Müller arbeitete auch zuerst an den von Brockhaus herausgegebenen +»Zeitgenossen« mit und lieferte die dieses Werk eröffnende Biographie +Franz' I., Kaisers von Oesterreich, die auch in einer Separatausgabe +(1816) erschien.</p> + +<p>Hormayr hatte schon unterm 20. August 1816 an Brockhaus geschrieben:</p> + +<blockquote> + +<p>Adam Müller ist ein Agent der österreichischen geheimen Polizei. Wir +Beide sind überdies persönliche Feinde. Ich finde es in mehr als einer +Hinsicht nothwendig, diese lange versparte Warnung hier auszusprechen.</p></blockquote> + +<p>Nachdem er diese Warnung in der oben mitgetheilten verstärkten Weise +wiederholt hatte, fügt er am 10. October 1817 hinzu:</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_378" id="Seite_378">[378]</a></span></p> + +<blockquote> + +<p>Sie glauben gar nicht, wie A. M. sich geschäftig macht, eine +Wichtigkeit erhaschen will, beinahe in jeder Buchhandlung seine Spione +hat und das Banner des Obscurantismus und des Preßzwanges recht hoch +aufwirft und recht laut predigt. Zuerst Jude, dann evangelisch, jetzt +intolerant katholisch, mit einer seinem Gastfreund und Wohlthäter +in Großpolen entführten Frau Vertheidiger der Unauflösbarkeit +der Ehen, früher ein Vordermann der <span class="antiqua">libérales</span> und +<span class="antiqua">constitutionnels</span>, jetzt der Feldpater des Despotismus — muß +er allerdings viel Hochachtung und viel Zutrauen auf seinen Charakter +einflößen!</p></blockquote> + +<p>Am 22. October 1817 schrieb Hormayr weiter:</p> + +<blockquote> + +<p>Was ist zu hoffen, wenn es einem boshaften Heuchler wie A. M. +gelingt, durch Wort und That so klar und schön bezeichnete +deutsche Männer, wie Sie und Perthes, als <span class="antiqua">libérales</span>, als +<span class="antiqua">ultra-constitutionnels</span>, als Girondisten auszuschreien und eine +Verfolgung gegen Sie zu provociren, nicht wegen des Inhalts dieser +oder jener Werke, sondern weil sie <em class="gesperrt">bei Ihnen</em> erscheinen?</p></blockquote> + +<p>Inzwischen waren die Nachforschungen nach dem Verfasser der beiden +Hormayr'schen Werke fortgesetzt worden.</p> + +<p>Böttiger fragte direct bei Brockhaus nach dem Namen des Verfassers +der Kriegsgeschichte, von dem österreichischen Gesandten in Dresden +wahrscheinlich gerade wegen seines nahen geschäftlichen und +freundschaftlichen Verhältnisses zu Brockhaus mit diesem delicaten +Auftrage betraut. Er schrieb an ihn unterm 24. October 1817 aus Dresden:</p> + +<blockquote> + +<p>Wer ist der »Stabsoffizier vom Generalstabe«, der den »Krieg in +Inneröstreich vom Jahre 1809« in Ihrem Verlage nebst allen dazu +gehörigen Actenstücken herausgab? Können, dürfen Sie ihn nennen? +Ich gehe ehrlich zu Werke, wie sich's gegen den Freund ziemt .... +Das Buch hat auf den Kaiser selbst und seinen Alles vermögenden +Generaladjutanten einen sehr unangenehmen Eindruck gemacht, weil es +aus officiellen Quellen geschöpft, sehr authentisch, aber auch in +Erinnerung früherer Fehlgriffe und Fehlschlagungen sehr schmerzlich +ist. Fürst Metternich hat dem k. österreichischen Gesandten (in +Dresden) Graf Bombelles die dringendsten Aufträge zur Erforschung des +Verfassers ertheilt.</p></blockquote> + +<p>Obwol Böttiger im Weitern selbst eine Klage gegen Brockhaus als +wahrscheinlich hinstellt, wenn der Verfasser nicht genannt<span class="pagenum"><a name="Seite_379" id="Seite_379">[379]</a></span> würde, +antwortete dieser unterm 29. October 1817 doch ablehnend und bat +Böttiger, auch dem Grafen Bombelles zu sagen, daß er über den wirklichen +Verfasser und Einsender des Manuscripts selbst nichts Sicheres wisse. +Er handelte dabei nach speciellen Instructionen des Erzherzogs Johann, +der ihn außerdem durch Hormayr wiederholt um strengste Discretion bitten +ließ.</p> + +<p>Böttiger beruhigte sich dabei noch nicht, da er auch direct von Wien +aus, wo er wie allerwärts Verbindungen hatte, um Nachforschungen +angegangen wurde. In einem Briefe vom 9. November 1817 an Brockhaus sagt +er:</p> + +<blockquote> + +<p>Unser (sächsischer) Legationsrath Griesinger in Wien schreibt mir, +daß sich bereits sämmtliche Offiziere des Generalstabes feierlichst +von der Autorschaft und der Einsendung des »Kriegs von Inneröstreich« +losgesagt hätten und daß man allgemein glaube, daß eine Civilperson +Urheber sei. (Man hält es auf Hormayr.) Der Kaiser will Alles +daransetzen, um den Urheber dieses Skandals zu erfahren.</p></blockquote> + +<p>In Wien wußte man gewiß schon längst, daß Hormayr der Verfasser oder +Einsender der Werke und der Erzherzog Johann dabei betheiligt sei, +wollte aber von dem Verleger das Eingeständniß davon erlangen.</p> + +<p>Hormayr schreibt an Brockhaus unterm 16. November 1817:</p> + +<blockquote> + +<p>In Wien sind wol über zehn Generale, denen der Erzherzog das +Manuscript selbst zu lesen gab, die also gar wohl wissen, daß er +selbst der Verfasser und nur Ein und Anderes aus andern Quellen +ergänzt ist. Meinen Stil, meine Darstellung darin zu erkennen, wäre +wahrhaftig ein wahres Kunststück.</p></blockquote> + +<p>In Betreff der Autorschaft der Kriegsgeschichte sagt Hormayr in einem +Briefe aus Brünn vom 28. August 1816 noch directer, daß sie »aus dem +Tagebuche und Operations-Journale des Erzherzogs Johann, damaligen +Commandirenden in Italien, genommen ist«.</p> + +<p>Unangenehm war es Hormayr, daß gerade in derselben Zeit (1817), wo +man in Wien besonders wegen der Bemerkung auf dem Titel des Werks: +»Von einem Stabsoffizier u. s. w.« verletzt war, der preußische +Oberst Massenbach auf Requisition<span class="pagenum"><a name="Seite_380" id="Seite_380">[380]</a></span> Preußens in Würtemberg verhaftet, +nach Küstrin gebracht und kriegsrechtlich zu einer vierzehnjährigen +Festungsstrafe verurtheilt wurde; es geschah dies, wie seinerzeit +mitgetheilt, nicht wegen seiner in den Jahren 1808 und 1809 +bei Brockhaus erschienenen Werke, sondern wegen beabsichtigten +Landesverraths durch Bekanntmachung amtlicher Schriften, womit er +in einem Briefe an den König von Preußen gedroht hatte, falls ihm +gewisse Forderungen nicht gewährt würden. Die Analogie mit der hier +stattgehabten Veröffentlichung amtlicher Actenstücke lag nahe.</p> + +<p>Hormayr schrieb in dieser Zeit an Brockhaus in einem von fremder Hand +abgefaßten Briefe ohne Datum und Unterschrift:</p> + +<blockquote> + +<p>Ich soll Ihnen schleunigst im Namen des Prinzen melden, daß Fürst +Metternich, durch A. M. aufgestachelt, das bewußte Buch als Vorwand +gebrauchen wolle, den vermeintlichen Verfasser, der aber immer nur +Depositär jenes Manuscripts war, zum zweiten male zu stürzen und, +eingedenk Ihrer edeln Anhänglichkeit an die deutsche Sache, auch Ihnen +dabei einen Stoß zu geben. Vorderhand soll, wie man hört, der Titel +des Buchs als von einem Generalstabs-Offizier herrührend angegriffen +werden, in Analogie mit der eben jetzt ventilirten Massenbach'schen +Sache.</p></blockquote> + +<p>Die ganze Angelegenheit hatte übrigens weder für den Erzherzog Johann +und Hormayr, noch für Brockhaus weitere Folgen, und das Aufsehen, +welches sie erregt hatte, sowie das in Oesterreich erfolgte Verbot +beider Werke vermehrte nur den Absatz derselben selbst in Oesterreich, +wo damals ein solches Verbot die Verbreitung der davon betroffenen Werke +wol erschwerte, aber eher förderte als hinderte. Der Erzherzog Johann +ließ Brockhaus auch eine Entschädigung für den bei der Angelegenheit +gehabten Verlust anbieten, die dieser aber ablehnte.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Folgende Geschichtswerke wurden in dieser Zeit noch von Brockhaus +verlegt: Der erste Theil einer Sammlung von Essays des verdienten +Geschichtschreibers Karl Ludwig von Woltmann (geb. 1770, gest. 1817), +unter dem Titel: »Politische Blicke und Berichte« (1816), wozu +aber keine Fortsetzung erschien; zwei Monographien von Karl Georg +Treitschke, dem Verfasser einer früher erwähnten Broschüre, unter den +Titeln: »Geschichte der<span class="pagenum"><a name="Seite_381" id="Seite_381">[381]</a></span> funfzehnjährigen Freiheit von Pisa«, und: +»Heinrich der Erste, König der Deutschen, und seine Gemahlin Mathilde« +(1814); »Historische Denkwürdigkeiten« (1817) von dem nassauischen +Historiker Johannes von Arnoldi (geb. 1751, gest. 1827); endlich zwei +Monographien des schon früher genannten theologischen und historischen +Schriftstellers Friedrich August Koethe: »Das Jahr 1715 oder wie's vor +hundert Jahren in der Welt aussah. Ein Erinnerungs- und Trost-Büchlein +für 1815«, und: »Historisches Taschenbuch auf das Jahr 1817. Enthaltend: +Das Jahr 1616 oder die Lage Europas vor dem Beginn des dreißigjährigen +Krieges.«</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Endlich ist noch ein größeres zeitgeschichtliches, halb +journalistisches, halb encyklopädisches Unternehmen zu nennen, das, +wie die »Deutschen Blätter« den Anfang, so den Schluß der altenburger +Periode bildet; es führt den Titel: »Zeitgenossen. Biographien und +Charakteristiken.«</p> + +<p>Dieses Unternehmen wurde von Brockhaus im Jahre 1816 begonnen und nicht +nur von ihm bis zu seinem Tode herausgegeben, sondern auch nachher noch +von seiner Firma viele Jahre lang (bis zum Jahre 1841) fortgeführt. +Es sollte hervorragende »Zeitgenossen«, noch lebende oder schon +verstorbene Männer, welche der mit dem Jahre 1789 beginnenden neuen +Zeitepoche angehörten und sich in irgendeiner Richtung ausgezeichnet, in +»Biographien und Charakteristiken« vorführen, sie »in einem Ehrentempel +vereinigen, der ihr Andenken erhält und ihre Thaten mit Freimüthigkeit +würdigt«. Das Werk fand lebhaften Beifall und große Verbreitung im +deutschen Publikum und hat anerkanntermaßen bleibenden Werth für die +Zeitgeschichte.</p> + +<p>Ein näheres Eingehen auf die Art, wie es seine Aufgabe löste, auf den +Inhalt und die Mitarbeiter, wird besser der Schilderung der dritten +und letzten Periode von Brockhaus' Verlagsthätigkeit vorbehalten, +da das Werk wesentlich in diese, nur der Anfang in die frühere Zeit +fällt. Auch hängt Brockhaus' Beschäftigung mit diesem Werke eng +zusammen mit seiner in Leipzig noch mehr als in Altenburg und Amsterdam +hervortretenden Vorliebe für Herausgabe von Journalen, namentlich durch +Begründung des »Hermes<span class="pagenum"><a name="Seite_382" id="Seite_382">[382]</a></span> oder kritisches Jahrbuch der Literatur« (1819) +und durch Uebernahme des »Literarischen Wochenblatt« (1820), bald +darauf »Literarisches Conversationsblatt«, seit Mitte 1826 »Blätter für +literarische Unterhaltung« genannt, unter welchem Titel es noch jetzt +nach mehr als funfzigjährigem Erscheinen fortbesteht.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Aus ähnlichen Gründen wird auch die von Brockhaus dem Hauptwerke seines +Verlags, dem »Conversations-Lexikon«, in Altenburg gewidmete Thätigkeit, +obwol sie immer den eigentlichen Mittelpunkt seines Schaffens bildete, +bei Charakterisirung jener letzten Lebensepoche vorgeführt werden, +im Zusammenhange mit der während und schon vor derselben entfalteten +Wirksamkeit als Verleger und Herausgeber dieses Werks sowie mit den +Kämpfen gegen den mehrfach versuchten Nachdruck desselben und seinem +Auftreten für Regelung der deutschen Preßgesetzgebung.</p> + +<p>Brockhaus begann und vollendete im wesentlichen während der altenburger +Zeit die als sein eigenstes Verdienst zu betrachtende Umarbeitung des +»Conversations-Lexikon«, durch welche dieses erst seinen eigentlichen +Charakter und diejenige Gestalt erhielt, in der es fähig wurde, auf die +Bildung seiner Zeit in eingreifender Weise Einfluß auszuüben und rasch +eine in der Geschichte des Buchhandels einzig dastehende Verbreitung +zu gewinnen. Die von ihm angekaufte erste Auflage (in 6 Bänden) war +in jeder Weise ungenügend gewesen und auch durch Nachträge dazu (in +2 Bänden) nur nothdürftig ergänzt worden. Im Jahre 1812 begann er in +Altenburg die Umarbeitung des Werks als zweite Auflage, vermochte sie +aber erst 1819 in Leipzig mit dem zehnten Bande zu Ende zu führen. An +der raschen Vollendung wurde er außer durch die Kriegsjahre besonders +durch den angenehmen Umstand gehindert, daß der lebhafte Absatz, den +das Werk fand, gleich nach Erscheinen der ersten vier Bände der zweiten +Auflage (1812-1814) eine dritte Auflage derselben (1814 und 1815) +nöthig machte, die dann neben der zweiten forterschien (1814-1819), +und daß er noch vor der Vollendung beider schon eine vierte Auflage +(1817-1819), unmittelbar darauf (1819) sogar eine fünfte Auflage (wieder +wie die zweite bis vierte in 10 Bänden) veranstalten mußte. Dies<span class="pagenum"><a name="Seite_383" id="Seite_383">[383]</a></span> nur +zur Würdigung der von Brockhaus während der altenburger Zeit auf das +»Conversations-Lexikon« verwendeten Sorgfalt und der damit verbundenen +Mühe.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Der materielle Ertrag dieses seine kühnsten Erwartungen übersteigenden +Absatzes des »Conversations-Lexikon« lieferte zugleich die feste +Grundlage zu dem von ihm in Altenburg neu aufgeführten Gebäude, das nun +nicht mehr den Einsturz zu fürchten hatte, wenn es vom Wind und Wetter +wieder erschüttert werden sollte.</p> + +<p>Aber freilich wurde dieses Gebäude bald zu klein für das, was allmählich +darin untergebracht worden war, und für das, was der nimmer rastende +Geist seines Gründers noch in ihm vereinigen wollte.</p> + +<p>Ein Rückblick auf Brockhaus' Verlagsthätigkeit in dieser zweiten Periode +während der Jahre 1811-1817 in Altenburg läßt dieselbe als eine überaus +rege, geschickte und umfassende erscheinen, in noch höherm Grade als +die erste der Jahre 1805-1809 in Amsterdam und kaum in geringerm als +die darauffolgende in Leipzig. Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, +daß diese Zeit nur sechs bis sieben Jahre umfaßt und zu diesen die +Kriegsjahre 1813-1815 gehören, sowie daß er in Altenburg gewissermaßen +von vorn anfangen mußte, mit sehr geringen Mitteln, und erst nach und +nach durch die Früchte seiner Arbeit wieder in günstigere Verhältnisse +kam.</p> + +<p>Schon oft hatte er empfunden, daß die kleine Stadt Altenburg für ein +Verlagsgeschäft von dem Umfange und der Bedeutung, zu der das seinige +sich rasch emporgeschwungen, nicht der geeignete Platz war. Alle dort +bei seinem Freunde Pierer vorhandenen Pressen waren trotz fortwährender +Vermehrung nicht im Stande gewesen, den Druck der immer steigenden +Auflagen seines »Conversations-Lexikon« zu bewältigen; er hatte es auch +in Leipzig, in Braunschweig und anderwärts drucken lassen müssen. Immer +mehr sah er ein, daß er eine eigene Druckerei errichten müsse, um die +aus dieser Noth entspringenden Verlegenheiten gründlich zu beseitigen. +Aber auch für den buchhändlerischen Verkehr war Altenburg trotz seiner +Nähe bei Leipzig nicht ausreichend. Endlich wollte ihm selbst das +literarische und gesellige Leben Altenburgs, das ihn im<span class="pagenum"><a name="Seite_384" id="Seite_384">[384]</a></span> Gegensatz zu +Amsterdam zuerst so angezogen hatte, auf die Dauer nicht mehr genügen; +seine fortwährend sich erweiternden literarischen Beziehungen und die +neuen buchhändlerischen Unternehmungen, die er beabsichtigte, verlangten +einen größern Schauplatz.</p> + +<p>Nur <em class="gesperrt">eine</em> Stadt war in Deutschland, die allen seinen Anforderungen +zu genügen versprach: Leipzig, der Mittelpunkt des deutschen +Buchhandels, die lebhafte Handelsstadt, der Sitz einer Universität und +eines regen geistigen Verkehrs. Er kam bald zu der Ansicht, daß diese +und keine andere Stadt der allein geeignete Platz für seine Firma sei, +wie sie geworden war und wie sie werden sollte.</p> + +<p>Er brachte den wichtigen Entschluß indeß nicht rasch zur Ausführung und +zog vorsichtigerweise Ostern 1817 allein nach Leipzig; erst als sich in +ihm die Ueberzeugung befestigt hatte, daß der Schritt ein richtiger sei, +nahm er allmählich die Uebersiedelung auch seines Geschäfts und seiner +Familie vor.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>In Leipzig lebte und wirkte Brockhaus bis an seinen Tod, der freilich +früher eintrat, als er geahnt haben mochte: am 20. August 1823, also +schon im siebenten Jahre seit dem Verlassen Altenburgs.</p> + +<p>So wurde Leipzig doch, wie er schon in Amsterdam gewollt hatte, der +Hafen, in welchem sein Lebensschiff, nach mancher stürmischen Fahrt +und nachdem ihn widrige Winde vor Jahren daraus vertrieben hatten, vor +Anker ging. Zugleich wurde es aber die bleibende Stätte der von ihm +gegründeten Firma, auf welcher diese sich im Laufe des auf seinen Tod +folgenden halben Jahrhunderts nach dem genialen Plane ihres Begründers +und doch in einer Weise entwickelte, wie er selbst es wol kaum zu hoffen +gewagt hatte.</p> + +<hr class="r10" /> + +<p class="center spaced"> +Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.<br /> +</p> +</div> + +<div> +<p class="heading spaced">Fußnoten</p> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_1_1" id="Fussnote_1_1"></a><a href="#FNAnker_1_1"><span class="label">[1]</span></a> In Heppe's Werke: »Zur Geschichte der evangelischen Kirche +Rheinlands und Westfalens« (2 Bände, Iserlohn 1867-70), II, 32.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_2_2" id="Fussnote_2_2"></a><a href="#FNAnker_2_2"><span class="label">[2]</span></a> Vgl. Rotermund's »Lexikon aller Gelehrten, die seit der +Reformation in Bremen gelebt haben, nebst Nachrichten von gebohrenen +Bremern, die in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten« (Theil 1, +Bremen 1818).</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_3_3" id="Fussnote_3_3"></a><a href="#FNAnker_3_3"><span class="label">[3]</span></a> Heppe in seinem bereits genannten Werke, II, 462.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_4_4" id="Fussnote_4_4"></a><a href="#FNAnker_4_4"><span class="label">[4]</span></a> Wol absichtlich für <span class="antiqua">adorabile</span> aus Erbitterung gegen +das katholische Unwesen.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_5_5" id="Fussnote_5_5"></a><a href="#FNAnker_5_5"><span class="label">[5]</span></a> Der Stock, an dem der Klingelbeutel befestigt ist.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_6_6" id="Fussnote_6_6"></a><a href="#FNAnker_6_6"><span class="label">[6]</span></a> Dieses Buch befindet sich im Besitze des Buchhändlers +Friedrich Volckmar in Leipzig, dessen Mutter, Johanna Justina, die +jüngste Tochter des Pastors Melchior war; sie hat später ebenfalls +mehrere interessante biographische Notizen eingetragen.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_7_7" id="Fussnote_7_7"></a><a href="#FNAnker_7_7"><span class="label">[7]</span></a> Diese (nicht in den Buchhandel gekommene) Schrift führt den +Titel: »Sammlung von eilf Actenstücken über und aus der Proceß-Sache des +Herrn G. W. Hiltrop in Dortmund gegen die ehemalige Firma Brockhaus und +Mallinckrodt ebendaselbst, oder jetzt gegen den Buchhändler Brockhaus +in Leipzig. Als Manuscript gedruckt. 1. July 1822« (4. VIII, 158 S.). +Später ausgegebenen Exemplaren ist noch ein zwölftes Actenstück vom 22. +September 1822 (4 S.) beigefügt; noch später ist ein dreizehntes, ohne +diese Ziffer und ohne Datum, gedruckt worden (18 S.). +</p> +<p> +Ein Theil dieser Schrift war von Brockhaus schon früher (wol 1805) +ausgegeben worden und Hiltrop veröffentlichte eine Antwort darauf +unter dem Titel: »Nähere Erklärung und geschichtliche Darstellung des +Processes in Sachen G. W. Hiltrop gegen die Firma von Brockhaus und +Mallinckrodt. Ueber die von dem ersten an S. M. Bethmann in London +remittirte und von den letzteren in Empfang genommene 1800 £ Sterling. +Erster Theil. Dortmund 1806« (8. 128 S.). Ein zweiter Theil nebst den +im ersten versprochenen Actenstücken ist unsers Wissens nicht gedruckt +worden.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_8_8" id="Fussnote_8_8"></a><a href="#FNAnker_8_8"><span class="label">[8]</span></a> Diese Angabe ist ein seltsamer Irrthum, da Brockhaus +nach dem dortmunder Kirchenbuche am 4. Mai 1772, nicht 1774, geboren +ist. An dieser Selbsttäuschung scheint er auch später festgehalten +zu haben, wie aus gelegentlichen Aeußerungen in seinen Briefen +hervorgeht, und daraus erklärt sich auch, daß auf seinem Leichensteine +ebenfalls diese falsche Jahreszahl angegeben war.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_9_9" id="Fussnote_9_9"></a><a href="#FNAnker_9_9"><span class="label">[9]</span></a> Auch diese Angabe ist eine irrthümliche und beruht auf +der Annahme, daß er 1774 statt 1772 geboren sei; er war damals (30. +September 1798) 26, seine Frau 20 Jahre alt.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_10_10" id="Fussnote_10_10"></a><a href="#FNAnker_10_10"><span class="label">[10]</span></a> Er behielt diese Firma auch später noch, in Leipzig und +Altenburg, bei, sodaß sie auf den Verlagsartikeln bis 1814 abwechselnd +mit den drei Städtenamen Amsterdam, Leipzig und Altenburg erscheint, +bis er von 1814 an blos F. A. Brockhaus firmirte, zuerst Altenburg +oder Leipzig, von 1817 an blos Leipzig als Verlagsort angebend.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_11_11" id="Fussnote_11_11"></a><a href="#FNAnker_11_11"><span class="label">[11]</span></a> Jener frühere Brief ist nicht mehr vorhanden; es hätte +sich aus demselben der genauere Zeitpunkt ergeben, von welchem an ihn +die Idee, eine Buchhandlung zu errichten, beschäftigte.</p></div> + +<div class="footnote"> +<p><a name="Fussnote_12_12" id="Fussnote_12_12"></a><a href="#FNAnker_12_12"><span class="label">[12]</span></a> Auch diese hier in Aussicht gestellte spätere Mittheilung +findet sich nicht vor und ist vielleicht gar nicht erfolgt. Ebenso wenig +hat sich der dem Großpensionär Schimmelpenninck vorgelegte »Plan« des +neuen Etablissements auffinden lassen.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_13_13" id="Fussnote_13_13"></a><a href="#FNAnker_13_13"><span class="label">[13]</span></a> Unter Bezugnahme auf diese Correspondenz übersandte +Brockhaus einige Wochen später demselben Hause sein Circular mit einer +Nachschrift, und diesem Umstande verdankt die Firma F. A. Brockhaus +das ihr von jenem Hause freundlich überlassene einzige Exemplar ihres +Begründungscirculars. Sie erhielt dasselbe im Jahre 1856, aus Anlaß +ihres am 13. und 14. Juli jenes Jahres gefeierten funfzigjährigen +Jubiläums, das somit schon am 15. October 1855 hätte begangen werden +können.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_14_14" id="Fussnote_14_14"></a><a href="#FNAnker_14_14"><span class="label">[14]</span></a> Gubitz hatte sich von seiner ersten Jugend an mit +großem Eifer der Holzschneidekunst gewidmet, um deren Wiederbelebung +und Vervollkommnung in Deutschland er sich bekanntlich große +Verdienste erworben hat. Ueber die hier erwähnten Anfeindungen theilt +sein Memoirenwerk: »Erlebnisse von F. W. Gubitz. Nach Erinnerungen und +Aufzeichnungen« (3 Bände, Berlin 1868-69), I, 79 fg., Näheres mit.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_15_15" id="Fussnote_15_15"></a><a href="#FNAnker_15_15"><span class="label">[15]</span></a> Hiernach ist also Brockhaus im October 1795 (der +»berühmte XIII. Vendémiaire« ist der des Jahres IV, 5. October 1795, +an welchem der Aufstand der pariser Sectionen oder der Nationalgarde +gegen den Nationalconvent stattfand) in Paris gewesen, kurz vor oder +nach seiner ersten Etablirung in Dortmund.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_16_16" id="Fussnote_16_16"></a><a href="#FNAnker_16_16"><span class="label">[16]</span></a> Letzteres Werk, »Gemälde von Valencia« von Christian +August Fischer, erschien 1803 in Leipzig; die übrigen Namen sind +Titel Cramer'scher Uebersetzungen: »Bardiete« ist Klopstock's +»Hermannsschlacht«; »Die Tempelherren« heißt ein Trauerspiel von +Raynouard.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_17_17" id="Fussnote_17_17"></a><a href="#FNAnker_17_17"><span class="label">[17]</span></a> Dies ist der Name, mit welchem Cramer stets in seinem +Werke Brockhaus bezeichnet; die Anwendung derartiger erfundener Namen +statt der wirklichen war damals vielfach Sitte und eine specielle +Liebhaberei Cramer's. Die oben angewendeten Punkte sind ebenfalls in +dem Werke selbst gebraucht.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_18_18" id="Fussnote_18_18"></a><a href="#FNAnker_18_18"><span class="label">[18]</span></a> Das hier weggelassene Wort enthielt schwerlich einen +Namen, da Brockhaus in Amsterdam keinen Associé seines kaufmännischen +Geschäfts hatte; es ist wol »Glück« oder ein ähnliches Wort +absichtlich weggelassen.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_19_19" id="Fussnote_19_19"></a><a href="#FNAnker_19_19"><span class="label">[19]</span></a> Hier ist von Cramer, als für den vorliegenden Fall +unwichtig, wol ausgelassen: »französische Leser«; es ist damit +jedenfalls die französische Zeitschrift »<span class="antiqua">Le Conservateur</span>« +gemeint, von der später die Rede sein wird.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_20_20" id="Fussnote_20_20"></a><a href="#FNAnker_20_20"><span class="label">[20]</span></a> So nennt, wie schon bemerkt, Cramer seinen Freund Brockhaus +stets in den »Individualitäten«.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_21_21" id="Fussnote_21_21"></a><a href="#FNAnker_21_21"><span class="label">[21]</span></a> Der frühere Associé von Brockhaus.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_22_22" id="Fussnote_22_22"></a><a href="#FNAnker_22_22"><span class="label">[22]</span></a> Wiederholt sei bemerkt, daß derartige Auslassungen +einzelner Worte von Cramer selbst herrühren.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_23_23" id="Fussnote_23_23"></a><a href="#FNAnker_23_23"><span class="label">[23]</span></a> Diese und die folgenden Notizen sind meist +einer kleinen Abhandlung des 1859 verstorbenen verdienstvollen +Geschichtschreibers und Publicisten Professor Christian Friedrich Wurm +in Hamburg entnommen, die unter dem Titel: »Beiträge zur Geschichte +der Hansestädte in den Jahren 1806-1814. Aus den nachgelassenen +Papieren von Carl von Villers«, in einem 1845 gedruckten +Lectionsverzeichniß des Hamburgischen Akademischen Gymnasiums +enthalten ist.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_24_24" id="Fussnote_24_24"></a><a href="#FNAnker_24_24"><span class="label">[24]</span></a> Es sei hier bemerkt, daß diese patriotischen Klagen Wurm's +im Jahre 1845 erhoben wurden.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_25_25" id="Fussnote_25_25"></a><a href="#FNAnker_25_25"><span class="label">[25]</span></a> Auch in Amsterdam, wie bereits erwähnt.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_26_26" id="Fussnote_26_26"></a><a href="#FNAnker_26_26"><span class="label">[26]</span></a> Vgl. über ihn W. von Bippen: »Charles von Villers und seine +deutschen Bestrebungen«, in den »Preußischen Jahrbüchern«, herausgegeben +von H. von Treitschke und W. Wehrenpfennig (27. Band, 3. Heft, Berlin1871). Dieser interessante und werthvolle Essay macht den dankenswerthen +Versuch, »die Erinnerung an einen Mann wieder zu erwecken, der, ein +geborener Franzose, einst von vielen der Besten unsers Volks geachtet, +von manchen geliebt, der Ehrenbürger einer deutschen Stadt, jetzt +fast der Vergessenheit anheimgefallen ist«. Wir verfolgten mit obiger +Darstellung (die <em class="gesperrt">vor</em> dem Erscheinen jenes Aufsatzes geschrieben +wurde) den gleichen Zweck, und so möge es uns gestattet sein, hier den +Wunsch und die Hoffnung auszusprechen, daß der dazu gewiß vorzugsweise +geeignete und berufene Verfasser jenes Aufsatzes auf Grund des auf der +hamburger Stadtbibliothek befindlichen und dieser von Dorothea Rodde +geschenkten literarischen Nachlasses ihres Freundes dem deutschen +Volke ein Lebensbild von Charles von Villers liefern möge, das in der +gegenwärtigen Zeit doppelt willkommen sein würde.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_27_27" id="Fussnote_27_27"></a><a href="#FNAnker_27_27"><span class="label">[27]</span></a> Den Rest seines frühern kaufmännischen Geschäfts.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_28_28" id="Fussnote_28_28"></a><a href="#FNAnker_28_28"><span class="label">[28]</span></a> Dieses damals großes Aufsehen erregende Werk, dessen +weiterer Titel lautet: »seit dem Tode Friedrich's II.«, erschien 1807 +anonym und war von dem vielgenannten Kriegsrath von Cölln verfaßt +(geb. 1766, gest. 1820), der nach den für Preußen so traurigen +Ereignissen von 1806 die preußische Verwaltung heftig angriff, deshalb +1808 in Untersuchung gezogen, später aber im Bureau des Staatskanzlers +Hardenberg angestellt wurde. Die Schrift trägt die bekannte pseudonyme +Firma »Peter Hammer« mit dem Verlagsort »Köln und Amsterdam«. Nach +Obigem und nach andern Mittheilungen war Brockhaus jedenfalls +bei dem Verlage derselben betheiligt, obwol sie in keinem seiner +Verlagsberichte aufgeführt ist; in Heinsius' »Bücher-Lexikon« ist +sein damaliger Commissionär in Leipzig, Heinrich Gräff, als Verleger +genannt.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_29_29" id="Fussnote_29_29"></a><a href="#FNAnker_29_29"><span class="label">[29]</span></a> Der früher erwähnte Pastor Adolf Heinrich Brockhaus in +Meyerich bei Welver.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_30_30" id="Fussnote_30_30"></a><a href="#FNAnker_30_30"><span class="label">[30]</span></a> Ihre an den Kaufmann W. Rittershaus in Dortmund +verheirathete älteste Schwester.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_31_31" id="Fussnote_31_31"></a><a href="#FNAnker_31_31"><span class="label">[31]</span></a> Nicht der Buchdrucker Friedrich Richter, von dem +Brockhaus das »Conversations-Lexikon« gekauft hatte, sondern ein +leipziger Bankier.</p> +</div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_32_32" id="Fussnote_32_32"></a><a href="#FNAnker_32_32"><span class="label">[32]</span></a> Das Taschenbuch »Urania«.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_33_33" id="Fussnote_33_33"></a><a href="#FNAnker_33_33"><span class="label">[33]</span></a> Brockhaus' an Fauriel gerichtete Briefe sind nach +des Letztern Tode in den Besitz der mit ihm näher befreundeten +geistvollen Gemahlin des berühmten Orientalisten Julius von Mohl in +Paris übergegangen und von derselben uns freundlichst zur Einsicht +und Benutzung überlassen worden; zu bedauern ist, daß die Antworten +Fauriel's nicht gleichfalls erhalten sind.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_34_34" id="Fussnote_34_34"></a><a href="#FNAnker_34_34"><span class="label">[34]</span></a> Dieser Brief von Brockhaus an Baggesen scheint leider +gleich ihrer gesammten Correspondenz nicht erhalten zu sein; sollte +letztere oder wenigstens ein Theil derselben sich noch irgendwo +vorfinden, so würden wir für eine Notiz darüber sehr dankbar sein.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_35_35" id="Fussnote_35_35"></a><a href="#FNAnker_35_35"><span class="label">[35]</span></a> Sprengel's »<span class="antiqua">Historia rei herbariae</span>«.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_36_36" id="Fussnote_36_36"></a><a href="#FNAnker_36_36"><span class="label">[36]</span></a> Brockhaus' damaliger Commissionär in Leipzig.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_37_37" id="Fussnote_37_37"></a><a href="#FNAnker_37_37"><span class="label">[37]</span></a> Wol Reichardt's schon erwähnte »Vertraute Briefe, +geschrieben auf einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen +Staaten &c.« (Amsterdam 1810). Ein früher von Brockhaus verlegtes Werk +Reichardt's ist uns allerdings nicht bekannt; seine »Briefe eines +reisenden Nordländers« erschienen erst Ende 1811 mit der Jahreszahl +1812.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_38_38" id="Fussnote_38_38"></a><a href="#FNAnker_38_38"><span class="label">[38]</span></a> Ein 1783 in Zürich erschienenes, angeblich aus dem +Französischen übersetztes Werk »Briefe eines reisenden Franzosen über +Deutschland«, von Kaspar Risbeck.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_39_39" id="Fussnote_39_39"></a><a href="#FNAnker_39_39"><span class="label">[39]</span></a> Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, elfter Abschnitt +(dritte Auflage, Th. 2, S. 38 fg., Leipzig 1871).</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_40_40" id="Fussnote_40_40"></a><a href="#FNAnker_40_40"><span class="label">[40]</span></a> Veit Hans Schnorr von Karolsfeld, der damals in Leipzig +lebte und mit Brockhaus wie mit der Hofräthin Spazier befreundet war, +der Vater von Julius Schnorr von Karolsfeld, seit 1816 Director der +leipziger Zeichenakademie, als welcher er 1841 starb.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_41_41" id="Fussnote_41_41"></a><a href="#FNAnker_41_41"><span class="label">[41]</span></a> Thomas Willis, berühmter englischer Arzt, geb. 1621, gest. +1675.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_42_42" id="Fussnote_42_42"></a><a href="#FNAnker_42_42"><span class="label">[42]</span></a> Wir verdanken diese Briefe von Jean Paul und dessen +Frau sowie einige andere Mittheilungen der Güte des bekannten +Kunstschriftstellers Ernst Förster in München, des Schwiegersohns Jean +Paul's. Er durchforschte auf unsere Bitte zu diesem Zweck nochmals +Jean Paul's schriftlichen Nachlaß, um dessen Herausgabe er sich +bekanntlich besonders verdient gemacht hat; wir nennen namentlich +das interessante Werk: »Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Jean Paul +Friedrich Richter« (4 Bände, München 1863), das er zu Jean Paul's +hundertjährigem Geburtstage (21. März 1863) veröffentlichte.</p> +</div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_43_43" id="Fussnote_43_43"></a><a href="#FNAnker_43_43"><span class="label">[43]</span></a> Diese Uebersetzung erschien unter ihrem Namen 1812 in +Brockhaus' Verlage mit folgender eigenthümlichen Bezeichnung des +Verlagsorts: »Leipzig, im Kunst- und Industrie-Comptoir aus Amsterdam«, +während gleichzeitige und spätere Verlagswerke meist »Altenburg« oder +»Altenburg und Leipzig« als Verlagsorte nennen.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_44_44" id="Fussnote_44_44"></a><a href="#FNAnker_44_44"><span class="label">[44]</span></a> Von Joseph von Lucenay im »Neuen Nekrolog der Deutschen«, +dritter Jahrgang, 1825, S. 1370 (Ilmenau 1827).</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_45_45" id="Fussnote_45_45"></a><a href="#FNAnker_45_45"><span class="label">[45]</span></a> Sein damaliger Commissionär in Leipzig.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_46_46" id="Fussnote_46_46"></a><a href="#FNAnker_46_46"><span class="label">[46]</span></a> Baron Meinau heißt bekanntlich der Menschenfeind in August +von Kotzebue's zuerst 1789 erschienenem und damals sehr populärem +Schauspiele: »Menschenhaß und Reue«.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_47_47" id="Fussnote_47_47"></a><a href="#FNAnker_47_47"><span class="label">[47]</span></a> Ein Aufsatz von Spiritus Asper (Ferdinand Hempel). +»Fragment einer Reise um den Tisch« in der »Urania« für 1812.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_48_48" id="Fussnote_48_48"></a><a href="#FNAnker_48_48"><span class="label">[48]</span></a> Hofadvocat Anton Scholber in Altenburg, den Brockhaus +in einem andern Briefe seinen »intimsten Freund und einen ganz +vortrefflichen Menschen« nennt.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_49_49" id="Fussnote_49_49"></a><a href="#FNAnker_49_49"><span class="label">[49]</span></a> Der Verfasser kann es sich nicht versagen, bei dieser +Gelegenheit einen an ihn gerichteten poetischen Brief Rückert's +mitzutheilen, der sich auf diese Gedichte bezieht, zu denen er durch +Uebersendung einer Nummer der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« (in +welcher der Sänger der Freiheitskriege zu einem Aufrufe an das deutsche +Volk für die Sache Schleswig-Holsteins aufgefordert wurde) überhaupt den +ersten Anstoß gegeben. +</p> +<p> +Er frug nach Empfang des Manuscripts bei dem Dichter an: ob +»Schleswig-Holstein« in dieser allgemein üblichen Schreibweise oder +so, wie es Rückert geschrieben hatte: »Schleswigholstein«, gedruckt +werden solle. Darauf erfolgte unterm 3. December 1863 nachstehende +charakteristische Antwort: +</p> +<p> +»Also sind wir handelseins, das freut mich. Nur Schleswigholstein +lassen Sie ungetrennt, wenn Sie es nicht schon getrennt haben und die +Wiedervereinigung zu viel Zeit raubt.« +</p> +<div class="poem"> + <div class="stanza"> + <span class="i4">Schleswigholstein schreib' ich,<br /></span> + <span class="i4">und dabei verbleib' ich<br /></span> + <span class="i4">Trotz Erinnerung,<br /></span> + <span class="i4">Daß sie's anders treiben,<br /></span> + <span class="i4">Schleswig-Holstein schreiben,<br /></span> + <span class="i4">Schreiber alt und jung.<br /></span> + </div> + + <div class="stanza"> + <span class="i4">Eine schwach' Erfindung<br /></span> + <span class="i4">Scheint mir die Verbindung<br /></span> + <span class="i4">Durch ein Strichelein;<br /></span> + <span class="i4">Sondern unauflöslich<br /></span> + <span class="i4">Sollen sie und böslich<br /></span> + <span class="i4">Nie zu trennen sein.<br /></span> + </div> +</div> +</div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_50_50" id="Fussnote_50_50"></a><a href="#FNAnker_50_50"><span class="label">[50]</span></a> So schreibt sie selbst die beiden Namen in einem uns +vorliegenden Briefe mit der ausdrücklichen Bemerkung: »nicht Hellvig und +Imhof«, wie dieselben meist und selbst auf ihren Werken gedruckt sind.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_51_51" id="Fussnote_51_51"></a><a href="#FNAnker_51_51"><span class="label">[51]</span></a> Das Original dieses Briefs wie mehrerer anderer von +Brockhaus an Villers gerichteter Briefe, die wir später mittheilen, +befindet sich unter dem früher (S. 91) erwähnten literarischen +Nachlasse des Letztern auf der hamburger Stadtbibliothek; durch gütige +Vermittelung des Syndikus <span class="antiqua">Dr.</span> Geffken wurde dem Verfasser +Abschrift und Benutzung dieser Briefe gestattet.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_52_52" id="Fussnote_52_52"></a><a href="#FNAnker_52_52"><span class="label">[52]</span></a> Ein Privatbrief, den Bankier Reichenbach in Altenburg +aus Leipzig erhalten hatte. +</p> +</div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_53_53" id="Fussnote_53_53"></a><a href="#FNAnker_53_53"><span class="label">[53]</span></a> Der Fuhrmann zwischen Leipzig und Altenburg.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_54_54" id="Fussnote_54_54"></a><a href="#FNAnker_54_54"><span class="label">[54]</span></a> Wahrscheinlich war nicht der Orientalist: Ignaz, Freiherr +von Stürmer, damals in Leipzig, sondern einer seiner beiden Söhne, +Bartholomäus (später auch Internuntius bei der Pforte) oder Karl (später +Feldmarschalllieutenant).</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_55_55" id="Fussnote_55_55"></a><a href="#FNAnker_55_55"><span class="label">[55]</span></a> Eine im Juni 1814 anonym erschienene Broschüre gegen +Napoleon, die, wie hieraus hervorgeht, von Charles von Villers und +Professor Friedrich Jakob Christoph Saalfeld in Göttingen gemeinsam +verfaßt war.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_56_56" id="Fussnote_56_56"></a><a href="#FNAnker_56_56"><span class="label">[56]</span></a> Von dieser Broschüre August Wilhelm von Schlegel's ist in +Verbindung mit andern von Brockhaus verlegten Zeitbroschüren später die +Rede.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_57_57" id="Fussnote_57_57"></a><a href="#FNAnker_57_57"><span class="label">[57]</span></a> Die seit 21. Mai 1811 sonst vollständig vorhandenen +Copirbücher der Firma haben leider eine unerklärliche Lücke zwischen +2. Juli 1813 und 12. October 1815, wodurch uns viele wichtige Briefe +entgangen sind.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_58_58" id="Fussnote_58_58"></a><a href="#FNAnker_58_58"><span class="label">[58]</span></a> Historisches Taschenbuch. Herausgegeben von Friedrich von +Raumer. Neue Folge. Siebenter und achter Jahrgang (1846 und 1847).</p></div> +</div> + +<div class = "transnote"> +<p class="heading">Anmerkungen zur Transkription</p> +<p>Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. +Text, der im Original in Antiqua gesetzt ist, ist hier <i>kursiv</i> +dargestellt, mit Ausnahme der römischen Ziffern, wie bei Karl XII. +Kursiver Text innerhalb von Antiqua wurde <i><b>kursiv fett</b></i> +dargestellt.</p> +<p> +Zeichensetzung und Rechtschreibung des Originaltextes wurden übernommen, +auch dort, wo mehrere verschiedene Schreibweisen eines Wortes benutzt +wurden, wie 'wol' und 'wohl'.</p> +<p> +Auf <a href="#Seite_235">Seite 235</a> war der Tag der Ankunft von Brockhaus in Münster +unleserlich. Hier wurde der 3. eingesetzt, da dies der einzig +plausible Wert ist. +</p> +</div> +<div class="transnote covernote"> +<p>The cover image was created for this edition and is placed in the public domain.</p> +</div> + + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Friedrich Arnold Brockhaus - Erster +Theil, by Heinrich Eduard Brockhaus + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRIEDRICH ARNOLD BROCKHAUS - ERSTER THEIL *** + +***** This file should be named 44677-h.htm or 44677-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/4/4/6/7/44677/ + +Produced by Constanze Hofmann, Karl Eichwalder, Norbert +Müller and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned +images of public domain material from the Google Print +project.) + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose +such as creation of derivative works, reports, performances and +research. They may be modified and printed and given away--you may do +practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is +subject to the trademark license, especially commercial +redistribution. + + + +*** START: FULL LICENSE *** + +THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE +PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK + +To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free +distribution of electronic works, by using or distributing this work +(or any other work associated in any way with the phrase "Project +Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project +Gutenberg-tm License (available with this file or online at +http://gutenberg.org/license). + + +Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm +electronic works + +1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm +electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to +and accept all the terms of this license and intellectual property +(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all +the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy +all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. +If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project +Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the +terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or +entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. + +1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be +used on or associated in any way with an electronic work by people who +agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few +things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works +even without complying with the full terms of this agreement. See +paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project +Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement +and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic +works. See paragraph 1.E below. + +1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" +or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project +Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the +collection are in the public domain in the United States. If an +individual work is in the public domain in the United States and you are +located in the United States, we do not claim a right to prevent you from +copying, distributing, performing, displaying or creating derivative +works based on the work as long as all references to Project Gutenberg +are removed. Of course, we hope that you will support the Project +Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by +freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of +this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with +the work. You can easily comply with the terms of this agreement by +keeping this work in the same format with its attached full Project +Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. + +1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern +what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in +a constant state of change. If you are outside the United States, check +the laws of your country in addition to the terms of this agreement +before downloading, copying, displaying, performing, distributing or +creating derivative works based on this work or any other Project +Gutenberg-tm work. 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Additional terms will be linked +to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the +permission of the copyright holder found at the beginning of this work. + +1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm +License terms from this work, or any files containing a part of this +work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. + +1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this +electronic work, or any part of this electronic work, without +prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with +active links or immediate access to the full terms of the Project +Gutenberg-tm License. + +1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, +compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any +word processing or hypertext form. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact +information can be found at the Foundation's web site and official +page at http://pglaf.org + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + http://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + +</pre> + +</body> +</html> diff --git a/old/44677-h/images/cover.jpg b/old/44677-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..c49acc2 --- /dev/null +++ b/old/44677-h/images/cover.jpg diff --git a/old/44677-h/images/i006.jpg b/old/44677-h/images/i006.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..c6326ca --- /dev/null +++ b/old/44677-h/images/i006.jpg diff --git a/old/44677-h/images/portait.jpg b/old/44677-h/images/portait.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..d1f872e --- /dev/null +++ b/old/44677-h/images/portait.jpg |
