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Mit Titelbild von Fidus. 10. Tausend. + Geheftet M. 5.50. Gebunden M. 7.70. Geschenkband mit Goldschnitt + M. 8.25. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf. + + #Kranke Seelen.# Wege des Lebens für die Einsamen und + Unverstandenen, die Ruhelosen und Nervösen, die Unzufriedenen, die + Unglücklichen, und Seelenleidenden. Mit Bildnis des Verfassers, + Umschlagzeichnung und Innenbildern von Prof. Richard Pfeiffer. + Geheftet M. 6.--. Gebunden M. 8.25. Porto bei direkter + Zusendung 35 Pf. + + #Die das Glück suchen....# Brücken von der sichtbaren in die + unsichtbare Welt und in die geheimen Lebensgesetze der Seele. + Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 5.50. + Gebunden M. 7.50. Vornehmer Geschenkband mit Goldschnitt M. 8.50. + Porto bei direkter Zusendung 25 Pf. + + #Unbekannte Gedankenkräfte.# Geistige Lebensgesetze und seelische + Welten. Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 2.75. + Gebunden M. 4.40. Porto 15 Pf. + + #Kinderzeit.# Fröhliche Erziehung. Ernstes und Heiteres aus + natürlicher Erziehung. Mit 16 Bildern nach photographischen + Aufnahmen von des Verfassers Kindern. Geheftet M. 5.--. + Gebunden M. 7.50. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf. + + #Schaffende Menschen!# Charakterbildung, Energie und Erfolg in + Leben und Arbeit. Umschlagzeichnung von E. Anslinger-München. + Geheftet M. 5.50. Gebunden M. 7.70. Porto 25 Pf. + + #Arbeit, Kraft und Erfolg.# Wege zur Steigerung der + Leistungsfähigkeit in körperlichem und geistigem Schaffen. + Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 4.--. + Gebunden M. 6.--. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf. + + + + Die Bücher sind auch in jeder guten Buchhandlung zu haben. + + Ausführliche Verzeichnisse der Bücher von ~Emil Peters~ versendet der + obenstehende Verlag oder besorgt jede Buchhandlung. + + + + ~Alle Rechte vorbehalten.~ + + _Copyright 1920 by Volkskraft-Verlag Konstanz am Bodensee._ + + Den Druck besorgte die Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan + Geibel & Co. in Altenburg, S.-A. + + Diese Buch ist auch in hübschem Einband als Geschenkband beim + Verlag oder in jeder Buchhandlung vorrätig. + + + * * * * * * + + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Vorwort zur zweiten Auflage. + + +Dies Buch, das in seiner ersten Auflage »Wenn ihr ins Leben tretet!« +hieß, erscheint in seiner zweiten Auflage unter neuem Titel und in +anderem Gewande. Es entspricht darin mehr den Vorträgen, die ich +allerorten hielt. + +Der Gegenstand ist ernst und schwer in seiner Darstellung. Es gibt +Dinge, die so grenzenlos traurig und häßlich sind, daß die Feder oft +zögert, sie niederzuschreiben. Aber wer, wie ich, das Menschenleben zu +schöneren, höheren und edleren Formen bringen will, der darf, wo er das +Licht zeichnet, auch die Schatten zu malen nicht vergessen. ~Jugend und +Liebe~ -- sie sind beide das Licht, das leuchtend und glückselig eine +Weile über unserem Wege steht. Aber ~Irrtum und Schuld~ verschlingen die +unglückseligen Hände und reißen die Menschen in die Tiefen, wo in +Unglück und Krankheit, in Nacht und Chaos die Liebe erstickt. + +Das Häßliche ist hier wahrlich nicht um des Häßlichen willen geschildert +worden. Nein, die Feder stockt dabei, und Scham durchzog den Sinn. Aber +mutig galt es die Aufgabe zu lösen und jungen Menschen, die klopfenden +Herzens vor dem Wundergarten der Liebe stehen, den rechten Weg zu +zeigen. + +Wer das Dunkel geschaut, dessen Auge ist dankbar für das Licht. So soll +dies Buch verstanden sein. + +Nicht ein »Aufklärungsbuch« im landesüblichen Sinne soll es sein. Es +soll nicht mit kaltem Verstande Dinge sagen, die zu wissen noch nicht +sittliche Kraft bedeuten. Weh uns, wenn Wissen und Verstand der Liebe +die Tiefen rauben, wenn wir nicht mehr erröten und die Rätsel der Liebe +uns nicht mehr die Pulse stocken machen! Nicht dem Verstand und dem +kalten Wissen -- nein, der ~Seele~ wollte ich die Geheimnisse junger +Liebe ablauschen. Was nutzt »Aufklärung«, wo die seelenvolle +Menschlichkeit, die sittliche Persönlichkeit fehlt! Erzieherisch ging +ich zu Werke, von innen -- nicht von außen her. + +Worte und Begriffe sind dem Verständnis junger Menschen angepaßt. Eltern +mögen das Buch schulentlassenen Jünglingen in die Hand geben. Es soll +ihnen Wegweiser sein. Und wenn die traurigen und schreckensvollen Dinge +dieses Buches auch mit Wehmut ihre Seele füllen und in den Freudenkelch +der Jugend bittere Tropfen fallen, so wird die Wahrheit doch denen nicht +den Zauber junger Liebe rauben, die »frei von Schuld und Fehle« mit +diesem Buche den glücklichen Weg des Reinen gehen. + +~Neuenhagen~ (Ostbahn) bei Berlin. + + #Emil Peters.# + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Erster Teil. + +Die einsamen Triebverirrungen der Jugend. + +Einleitung. + + +Wir wollen miteinander über Dinge sprechen, über die man +eigentlich -- nicht spricht. Jedenfalls nicht allgemein und vor allem +nicht so, wie man über andere Dinge spricht. Das ist das +Geschlechtliche. + +Wie merkwürdig, daß es etwas im Menschenleben gibt, von dem es scheint, +daß es verborgen werden müßte. Und doch ist es nicht weniger natürlich, +als alles andere, ja, natürlicher und selbstverständlicher wohl. Aber +wer viel in der Irre ging, der findet nachher den rechten Weg nicht +mehr. So haben die Menschen in den geschlechtliche Dingen durch viel, +viel Irrtümer eine Wirrnis geschaffen, in der nun mancher nicht ein und +aus weiß. Er möchte fragen, den oder jenen: »Was ist's mit der +Geschlechtlichkeit? Mit all den aufsteigenden Empfindungen, die mich +quälen und freuen, die mir unruhige Stunden machen und bunte Bilder +vorgaukeln?« + +Aber wen soll er, ja, wen darf er fragen? Der Frage folgt Schweigen oder +verlegenes Lächeln. Das Leben hat den Erwachsenen die Antwort schwer +gemacht. Trübe Ereignisse und Reue verstellen der Wahrheit den Weg. + +Aber wer in Gefahr war, sollte den Neuankommenden warnen. Wer +strauchelte, sollte verhüten, daß auch der andere strauchelt. Darum ist +es nicht gut, wenn du noch unbelehrt und ungewarnt bist. + +Ich will niemandem einen Vorwurf machen, am allerwenigsten deinen Eltern +oder deinen Lehrern. Sie haben dich gefördert, wie sie nur konnten. Aber +dies Geschlechtliche, siehst du, nimmt in allen Dingen des Lebens eine +Ausnahmestellung ein. Es schlummert in ihm -- und darum auch in +dir -- etwas Gefährliches, das man durch Schweigen dämpfen möchte; denn +niemand kann sagen, ob Glück oder Unglück daraus entspringt. + +Ich aber meine, im Dunkeln sei kein Weg zu finden. Licht soll auf alle +Lebenswege fallen. Darum will ich dir die Wahrheit sagen, will mit dir +über ein paar Lebensfragen sprechen, damit dein Leben Halt und +Festigkeit und Richtung bekommt. Und insbesondere will ich dir alle +deine stummen Fragen beantworten, die scheu und geheimnisvoll-verlegen +dem Geschlechtlichen entsteigen und neugierig das Geschlechtliche +umflattern. + + +1. + +Vom Sinn des Lebens. + +Hast du schon einmal darüber nachgedacht, welchen Sinn wohl das Leben +haben könne? Ja, hast du versucht, die Lebenserscheinungen denkend zu +einer Lebens-»Anschauung«, zu einem Lebensbild, zu vereinigen und dein +eigenes Denken und Tun mit diesem Lebensbild in Einklang zu bringen? + +Ich glaube nicht. Denn das Elternhaus hat dich treusorgend bewahrt. Den +Tisch fandest du stets gedeckt, und manche Sorge ums Alltägliche und um +das, was die nächsten Tage bringen werden, haben die Eltern dir +ferngehalten und allein ihre Stunden damit ausgefüllt, während du lachen +und scherzen oder schlafen konntest. Die Schule setzte dir fertiges +Wissen vor. Du nahmst, was andere gedacht, und warst des eigenen, +tieferen Denkens enthoben. + +Nun aber trittst du ins Leben hinaus. Nun beginnt auch für dich der +Kampf. Die Pflichten mehren sich, und der Tag ist nicht mehr fern, an +dem auch deine Schultern tragen sollen, was ein Mensch zu tragen vermag. +Und zeitweilig noch mehr. Da gilt es, Kräfte zu sparen und stark zu +werden, um mutig und aufrecht den Lebensstürmen zu trotzen. + +Es mag ein banges Zagen dich beschleichen, wenn du daran denkst, bald +ganz auf dich allein gestellt zu sein. Du zweifelst, ob deine Kräfte +ausreichen werden. Aber sei getrost! Nicht als ein Fertiger tritt der +Mensch an seine Aufgaben heran, sondern die Pflicht steigert die Kraft. +Alles in der Natur und im Leben ist ein Werden, ein Wachsen. Alles Leben +ringt nach Vollendung und vollendet sich im Kampf. Der Starke +triumphiert im Kampf, bleibt Sieger. Den Schwachen zerbricht das Leben. + +Wohlan! Sei ein Starker! Fasse Mut, und freue dich der wachsenden Kraft! +Kleine Widerstände geben dir Mut, dich an großen zu messen, und ehe ein +paar Jahre ins Land gegangen, schaust du deinen Weg zurück und lachst +der Zaghaftigkeit, die dich heute beschleicht. + +Und da haben wir schon einen Blick aufs Ganze. Da sehen wir schon +Richtung und Weg und Ziel, und langsam formt sich aus den Nebeln der +Unreife und Unklarheit ein Lebensbild. + +Schau um dich in der Natur! Roh und formlos ist der Anfang. Gott aber +blies allem seinen »lebendigen Odem« ein. Was heißt das? Das heißt, daß +in die brodelnden Urgewalten das Gesetz der Entwicklung hineingeworfen +wurde, daß eine unendliche Harmonisierung den Lauf des Lebens begleitet, +daß alles, was in die Bahn des Lebens geworfen wird, um seines Daseins +Kreise zu vollenden, dem Göttlichen sich entgegen entwickeln soll. + +So gehörst du nicht dir selbst, du bist ein Teil des Weltgeschehens, +bist eine von den zahllosen Formen, in denen die Natur das Leben neu +erzeugt, und in dir schlummert der göttliche Funke, der dich zum +Menschen macht, der Funke, der durch dein Leben zur Flamme angeblasen +werden soll, die dich läutert. Dieser göttliche Funke ist dein Gewissen, +ist das Menschheitsgewissen, jener oberste Richter über Gut und Böse, +der Ewigkeitsgesetze geschrieben hat und heute wie vor Tausenden von +Jahren herrscht. + +Die Menschen leben um des Besten willen. Die Entwicklung geht den Weg +des Guten; denn das Gute ist die Entwicklung. Das Schlechte stirbt in +sich, weil es dem Gesetz der Entwicklung widerstrebt. + +So siehst du, werden wir Menschen durch ein geheimnisvolles und +gewaltiges Gesetz geführt. Dies Gesetz, der sittliche Grundgedanke, +zeichnet der Entwicklung ihren Weg. Wer sich gegen dies Gesetz vergeht, +sei es, daß er dem unkontrollierten Genuß des Augenblicks huldigt, oder +im materiellen Vorteil das Gewissen schweigen heißt, der versündigt sich +gegen die Majestät der Menschheit, und er fühlt den leisen Mahner in +seinem Innern, der ihm sagt. »Das durftest du nicht tun.« -- + +Diese Sauberkeit und Klarheit des Gewissens mußt du dir erhalten, denn +damit hast du die nötige Festigkeit in dir, um jenen Hohlköpfen und +Wichten zu begegnen, die ihr Leben auf sich selbst, und damit auf +nichts, gestellt haben; denn sie sind nichts, und das »Ich«, das sie in +ihrer Phrase vom »Sichausleben« in den Vordergrund drängen, ist wie eine +taube Nuß. Je weniger fest und stark das Leben im Innern ist, desto +ruheloser und schwankender wird es nach außen. Darum gerade verfallen +sie einem unruhevollen Geschlechtsgenuß und ertränken ihr Gewissen in +Lärm und Alkohol und vielen Phrasen von »Individualität« und +»Männlichkeit«. Diese Worte aber sind nichts als Angst und sind ein +Versuch, den Starken, der wie ein stiller Vorwurf neben ihnen +herschreitet, aus dem Wege zu räumen, das heißt, durch philosophische +Phrasen zu sich hinabzuzerren und für ihre eigene Hohlheit +breitzuschlagen. + +Wenn du diesen Menschen begegnest, so wehre dich gegen sie! Wenn sie dir +sagen. »Der Mensch gehört sich selbst, und niemand ist Richter über +ihn,« so antworte ihnen: »Nein! das Leben ist ein Geschenk der Natur. +Niemand ist auf sich selbst gestellt, niemand gehört sich selbst. Feine +Fäden verbinden die Menschheit in Glück und Leid miteinander, und jede +schlechte Tat vermehrt das Leid und das Unglück, jede gute Tat aber ist +ein kleiner Schritt weiter auf dem Wege der Bereicherung und +Verschönerung des Lebens.« + + +2. + +Volkstum. + +Tiefgreifende Besonderheiten haben von jeher die Menschheit in Rassen +und Völker geschieden. + +Du gehörst dem deutschen Volke an! Vergiß das nicht! Und vergiß nicht, +wenn du das Wort »Deutsch« sprichst, daß es nicht eben bloß ein Wort ist +wie tausend andere, sondern daß es aus fernen Jahrtausenden zu uns +herübertönt mit ehernem Klang, einer Fanfare gleich, die schmetternd zum +Appell ruft. + +Deutsch sein! Diesem Schlachtruf unterlagen die römischen Legionen in +den finsteren germanischen Wäldern. Für diesen Begriff blutete +Deutschland aus immer wieder frischen Wunden. Unter diesem Zeichen +siegten wir und wurde unser Volk stark und groß. Deutsch sein! das ist +nicht ein bloßes Wort, nein, das ist Blut und Mark und Saft von +besonderer Art. Die Form des Kopfes, Farbe und Glanz des Auges, +Empfindung, Denken und Tun: all das ist deutsch, ist anders als das der +anderen Völker. Um dies Deutschsein haben Tausende auf rauchenden +Schlachtfeldern gelitten und gestritten, Tausende haben sich in der +Ferne in Sehnsucht nach der Heimat verzehrt, und Jubel und Jauchzen +erfüllte ihre Brust, wenn sie an Rückkehr denken durften. + +Deutsch sein! dafür haben wir vier Jahre lang dem Ansturm einer ganzen +Welt standgehalten, bis das Aufgeben dieses Deutschseins uns die Waffen +aus den Händen schlug, uns wehrlos machte, daß wir zusammen brachen. + +Nun merke auf! Es gibt Menschen von fremder, heimatloser Art um dich und +charakterlose Schwätzer, die deinen Rassen- und Volksbegriff leugnen und +zerstören möchten. Sie setzen viel hohle Phrasen an die Stelle des +greifbaren Volkstums. Laß dir dies Rassen- und Volksbewußtsein, diesen +völkischen Stolz, nicht rauben! Schlage die Blätter der Weltgeschichte +um! Blatt für Blatt erkennst du das gewaltige Ringen der Völker um ihre +angestammte Art. Und du erkennst, daß nur dann ein Volk stark nach außen +sein kann, wenn es zugleich stark nach innen ist, gesund und fest in +seinem Kern und sittenstark. Die sittliche Kraft in einem Volke war +stets auch seine politische Kraft. An der Sittenlosigkeit, in der +geschlechtlichen Ausschweifung, gingen die Völker, die Staatengebilde +zugrunde. Kennst du das Beispiel Roms? Lerne es fürchten! Weißt du, daß +die morsche, sinnliche römische Kultur dem Ansturm Odoakers erlag, der +mit den heldenhaften und sittenstrengen Söhnen der germanischen Wälder +heranrückte? Lerne dies deutsche Volk um seiner großen Vergangenheit und +seiner Tugenden willen lieben! Aber zugleich beobachte, daß der +Sittenverfall auch bei uns sich ausbreitet, daß zerstörende Mächte an +den alten, festen Grundlagen unserer Volksart tätig waren, und daß wir +längst im Innern morsch waren, ehe die Übermacht der Feinde uns auf die +Knie zwang. + +Nun aber wollen wir wieder hochkommen, wollen wieder die Schmach von uns +abwaschen, wollen unsere Kraft und unsere Ehre wiedergewinnen -- und +dazu muß jeder Einzelne bei sich selber anfangen. ~Sittliche Reinheit!~ +so heißt der Wahlspruch. + +Hier hast du ein zweites Lebensziel: Liebe dein Volk und lebe für dich +so, wie du möchtest, daß das Ganze sei: stark und gesund und rein. Was +nützen all die schönen Worte von Vaterland und Volk und Ruhm und +Zukunft, wenn nicht jeder Einzelne sein Teil Verantwortung für das Ganze +in sich trägt und danach lebt. + +Dem politischen Ehrgeiz eines Volkes muß eine gesunde und sittliche +Lebenshaltung die treibenden Kräfte geben. Darum ist es betrübend, zu +sehen, wie Staatsmänner und Politiker starke Worte machen und heftige, +erbitterte Parteikämpfe ausfechten, ohne doch der Notwendigkeit zu +gedenken, daß all dies Mühen nur ein Tageserfolg ist, wenn er nicht aus +der klug gepflegten Volkskraft dauernd gespeist werden kann. Eine +zahlreiche, körperlich und sittlich starke Jugend ist der Lebensquell +des Volkes, und dies Bewußtsein muß jeder junge Mensch in sich tragen. + +Du siehst, auch hier gehörst du nicht dir selbst. Ein zweiter Wegzeiger +ist in deinem Leben. Er zeigt auf dein Volk. Ihm gehörst du mit deiner +ganzen Art, mit Leib und Seele, mit dem Wollen und Wünschen. Und darum +muß dein Leben sich so gestalten, daß es deinem Volke nicht Schaden +bringt. + + +3. + +Die Familie. + +Von der Volkseinheit und -Eigenart trennt sich die Einheit und Eigenart +der Familie ab. Und hier erblüht dem Baume deutscher Art die schönste +Blüte: das deutsche Familienleben. Wie ist es besungen worden, und +wieviel schöne Erinnerungen an das Elternhaus tragen wir mit uns in das +Leben hinein. Sorgende Liebe erfüllt die Räume. Milde und Strenge paaren +sich, um die Buben und Mädchen zu bilden zu tüchtigen Menschen, damit +sie einen Platz im Leben ausfüllen können. Und jeder von ihnen tritt in +das Leben hinaus und wird und will wieder eine Familie gründen. Was er +zu Hause Gutes sah, pflegt er weiter und verbindet's mit Neuem. Wohl +ihm, wenn er nur Gutes sah, wenn recht viel gute Erinnerungen ihn +begleiten. Was die Eltern Gutes an ihren Kindern gewollt, das müssen die +Kinder zu erreichen trachten. Denn darin liegt ein Dank für die +dahingegangenen Geschlechter und ein großes, starkes Versprechen an die +kommenden. Die Eltern denken Gutes von dir, die Brüder und Schwestern +tun es auch. Wie kannst du darum Schlechtes tun und dann ein schlimmes +Geheimnis mit dir herumtragen, das zu verraten du kaum den Mut findest? +Die Familie ist der Hort der guten Sitten. Ehre die Stätte, der du +entstammst, und tue nichts, was nicht jeder wissen darf. + +Zum dritten Mal stecke ich dir ein Lebensziel, zeige dir einen Maßstab +und eine Grenze deines Tuns: deine Zugehörigkeit zur Familie. Zum +dritten Male sage ich dir, daß du nicht dir selbst gehörst, sondern +gebunden bist im Denken und Tun an die Gesamtheit, an die Familie, an +das Volk, an die Menschen überhaupt. Dein Wohl ist das der anderen. Die +Kraft und die Ehre der Gesamtheit liegen für dein Teil in deiner Hand. + + +4. + +Das »Ich« und die Freiheit. + +Du wirst mir entgegenhalten. »Bin ich, ich selbst, denn gar nichts, daß +ich nur aufgehen soll im Ganzen? Daß ich immer nur an die anderen denken +soll?« + +Ja, du bist, und dein »Ich« soll stark und stolz dir zum Bewußtsein +kommen. Nicht niederdrücken, schwach und zage machen soll dich deine +Zusammengehörigkeit zur Familie, zu Volk und Menschheit, nein, aufrecht +und freudig sollst du es empfinden; denn in dir verkörpert sich die +Familie, in deiner Art erkenne ich ihre Art, in dir lebt die Art des +ganzen Volkes, in dir glüht der heilige Funke der Menschheit. Das Leben +drängt sich immer wieder, um neu zu erblühen, in eine enge Form, das ist +der persönliche Mensch, das Individuum. Der persönliche Mensch ist die +höchste Steigerung der Natur, ist der höchste Wille der Schöpfung. + +Dieser persönliche Mensch muß frei sein. Damit meine ich nicht jene rohe +Freiheit, die sich hinwegsetzt über gesetzliche und gesellschaftliche +Schranken. Das ist Willkür und rohes Triebleben. Diese rücksichtslose +Freiheit, die da glaubt, alles tun zu dürfen, was ihr in die Sinne +steigt, ist doch nur bemitleidenswerte Gebundenheit an die Tiernatur. +Ich meine vielmehr jene sittliche Freiheit, die mit einem geschlossenen +Willen sich der Gedankenlosigkeit der Menge entgegenstemmt. Die +Freiheit, in der im Gehorsam gegen selbstdiktierte sittliche Gesetze der +Mensch triumphiert. Diese Überlegenheit über die Gedankenlosigkeit, das +stumpfe Triebleben, die oberflächliche Genußsucht anderer, ist +wahrhaftig Freiheit, eine Freiheit, die in wichtigen Lebensfragen nur +sich selbst befiehlt und gehorcht, keinem andern, am allerwenigsten der +Menge. Der Geist muß wach bleiben und muß mit heller, scharfer Kritik +über die Regungen der Sinne wachen. Der Gedankenlose verliert sich an +die stumpfen und dumpfen Triebe der Menge. Er glaubt dann Freiheit +gefunden zu haben und verlor doch nur sein »Ich«, seine Persönlichkeit. +Du siehst also, daß das »Ich« nur triumphiert, wenn es sich selbst +Gesetze gibt. Darum darfst du nicht aufgehen in der Menge, die dich +hinabzieht, sondern mußt jenen Größten nacheifern, in denen unseres +Volkes Art sich am reinsten verkörperte. »Die Menschen leben um des +Größten willen,« sagt Carlyle. In ihnen glüht der göttliche Funke des +Menschentums am stärksten. Hast du Vorbilder, so gehst du mit deinem +Wollen auf in der Menschheit, im Volk, in der Familie. Du hast damit +starke und große Ideale in dein Leben hineingestellt, und diese Ideale +werden dich erziehen. So, siehst du, ist das ausgeprägte »Ich«, ist der +persönliche Mensch, der höchste Wille zum Guten. Indem du stolz dein +»Ich« erhebst, beugst du dich unter das große Entwicklungsgesetz der +Menschheit. + + +5. + +Die Fortpflanzung. + +Alles Leben hat nur eine Quelle: die Fortpflanzung. Und sie ist +umwoben und durchflochten von der Liebe, von jenem wunderbaren +Empfindungsgewoge, das unser Leben schön und glücklich macht; oder auch +häßlich und traurig und unglücklich. Wie man's lebt. + +Die Natur schuf zwei Geschlechter. Und an dem Gegensatz zwischen +männlicher und weiblicher Art erkennst du, wie unbeholfen und roh die +Auffassung derer ist, die das Geschlecht nur als etwas Körperliches +sehen, die beim Worte »Geschlecht« nur an Geschlechtsorgane denken. +Schon beim Spiel der Kinder unterscheidet sich der wilde Wagemut des +Knaben von der stilleren Art der Mädchen. Das ist wie ein Symbol fürs +ganze Leben. Das Geschlechtliche wurzelt tief in der Seele, und du +darfst es nicht so ohnehin als das bloß Sinnliche auffassen. Denn es ist +mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnen, mit dem Denken und Fühlen innig +verwebt und verschmolzen. Der Mann denkt, fühlt, urteilt, handelt anders +als die Frau. Das eben ist der tiefgreifende Geschlechtsunterschied +zwischen beiden, der jedem eine andere Stellung in der Natur und in der +Welt und darum auch eine andere Gefühlswelt gibt. + +In Mann und Weib verschmilzt das geheimnisvoll-ewige Sehnen der +Menschheit nach Vollendung. Denn jedes der beiden Geschlechter birgt +eine Hälfte menschlicher Eigenschaften in sich. Der Mann Kraft, Mut, +Wille, Entschluß, Edelmut, Ritterlichkeit; das Weib Milde, Sanftmut, +Mutterliebe, Gefühlstiefe; beide aber Treue, Schamhaftigkeit, Ehrgefühl. +Das eine Geschlecht sehnt sich nach dem andern, um zu gewinnen, was es +nicht hat, sich so zu ergänzen, zu vervollkommnen. Dieser tiefe +Lebenswille der Natur lebt in beiden, und der Fortpflanzung entsteigt +das Kind als eine höhere Entwicklungsstufe. Es ist auch wieder entweder +männlich oder weiblich, aber es trägt von beiden Eltern ein Teil in +sich. Ein gutes oder ein schlechtes, je nachdem, was das stärkere war. + +In der Geschlechtlichkeit, in der Zeugung, erhebt sich der Mensch zur +höchsten Bedeutung. Er selbst wird ein Schöpfer, wird ein Neugestalter +des Lebens. Was Menschheit, Volk und Familie ihm gegeben haben: Leben, +Kraft, Gesundheit, Menschenwürde, das gibt er einem von ihm in Liebe +erzeugten Wesen wieder. Darin liegt ein Teil Unsterblichkeit. + +Es gab eine Zeit, da erzählte man dir vom Storch, der die kleinen Kinder +bringe und sie aus dem Brunnen oder einem großen Teich hole. Ja, ja, aus +dem großen Meer der Schöpfung sind sie ja gekommen; aber es war nicht +jener Verlegenheitsstorch der Fabel, der sie brachte, sondern die Liebe, +die geschlechtliche Verbindung deiner Eltern, die den Werdekeim +entfachte. So wie die Natur für alles in unserem Tun ein bestimmtes +Organ, ein Körperglied mit einem besonderen Zweck, schuf, wie sie uns +zum Gehen Beine und Füße, zum Greifen Arme und Hände, zum Sehen die +Augen, zum Kauen die Zähne gab, so verlieh sie auch dem gewaltigen +Sehnen nach Liebe und Zeugung, das die Menschen in sich tragen, +bestimmte Organe, durch die der Wille der Natur und das Liebesgefühl der +Menschen einen körperlichen Ausdruck finden kann. Diese +Geschlechtsorgane sind bei Mann und Frau ganz verschieden. Sie liegen +teils außerhalb, teils innerhalb der Leibeshöhle, teils sind es +Brutstätten, Werkstätten für die Erzeugung der Keimzellen, teils Wege, +diese Keimzellen zum Ausstoßen und zur Vereinigung zu bringen. Beim +weiblichen Organismus liegen in der Leibeshöhle die sogenannten Ovarien, +die Eierstöcke, in denen während einer Fruchtbarkeitszeit von etwa 30 +Jahren rund 400 Eichen (das ist allmonatlich eins) reifen und +ausgestoßen werden. Beim Manne wird der Samen in den beiden Hoden +bereitet, aber nicht nur 400 Samenzellen, sondern viele Millionen. Die +Geschlechtserregung nun, die den erwachsenen Menschen von Zeit zu Zeit +ergreift, läßt alle Empfindung in die Geschlechtsorgane strahlen. Alle +Wünsche schweigen. Alle Kräfte von Körper und Seele beugen sich dem +großen Zeugungswillen der Natur und konzentrieren sich im Zeugungsakt. +Die Geschlechtsorgane vereinigen sich, und die männlichen Samenzellen +werden ausgestoßen in die weiblichen Organe und suchen in großer Zahl +das weibliche Ei. Aber nur die stärkste Samenzelle, die die größte Kraft +und Lebensenergie hat, erreicht -- allen anderen voraus -- die Eizelle, +durchbohrt sie, und die Befruchtung ist geschehen. Jeder weiteren +Samenzelle ist dann der Eintritt verwehrt. + +Hier sehen wir im kleinen und doch so gewaltig-großen Zeugungswunder, +daß das Leben sich immer nur aus der verhältnismäßig größten Kraft +aufbaut, daß darum der Stärkste und Beste das größte Recht auf Leben und +Zeugung besitzt. Der Kampf der Samenzelle um die Eizelle ist wie eine +Darstellung des menschlichen Lebenskampfes. + +Obwohl das alles so natürlich, so groß und schön ist, hat man dir die +Wahrheit nicht sagen wollen, ist alle Welt mit der Geschichte vom +Storch, mit Unsicherheit und Verlegenheit, um dich herumgegangen. Warum? +wirst du fragen. + +Das hat zweierlei Gründe, einen guten und einen schlimmen. Der gute +liegt in der Sache selbst. Das Geschlechtsempfinden gehört nicht dem +lauten Lärm des Alltags. Der feinfühlende Mensch wird das, was in +Schönheit und geheimnisvoller Spannung in seinem Innern aufkeimt, was +ihm das Herz zum Springen füllt, und was so viel Sehnsucht in ihm reifen +läßt, er wird das alles nicht mit nüchternem, lautem Wort in den Kreis +der alltäglichen Dinge ziehen. Dies Geschlechtsempfinden, das soviel +ganz Persönliches, soviel unaussprechlich Feines und Zartes in sich +birgt, wird dem feinfühligen Menschen sein Allerheiligstes sein, das er +der Welt und der Neugierde anderer verbirgt. Darum ist das +Geheimnisvolle im Geschlechtsleben eben gerade das Menschliche, die +ästhetische Verfeinerung eines im Anfang rohen und wilden Triebes. Diese +ästhetisch-geheimnisvolle Umschleierung ist unlösbar mit unserem +Glücksbestand verbunden; denn das Geschlechtliche, das zugleich Urgewalt +und feinste Kulturblüte ist, enthüllt so sehr das innerst Persönliche +eines Menschen, daß es sich nur schwer in Worte fassen läßt. Zwischen +starken Empfindungen und ruhig-erklärenden Worten liegt immer ein +Widerstreit. Darum rang man nach Worten, um dir die Wahrheit über das +Geschlechtliche zu sagen, und schließlich fand man die Worte nicht und +darum auch nicht den Mut. + +Der andere und schlimmere Grund aber ist der, daß der Geschlechtstrieb +in der Allgemeinheit des Volkes überstark und krankhaft geworden ist und +sich nun dem Leben und der Persönlichkeit als etwas Feindseliges +entgegenstellt. Man fürchtet, ihn durch Belehrung zu wecken, und glaubt, +ihn durch Schweigen im Zaume zu halten. Das ist ein Irrtum. + +Der große und manchmal so hoffnungslose und traurige Kampf mit dem +krankhaft gesteigerten Geschlechtstrieb brachte die tiefe Zweiteilung +von »Fleisch« und »Geist«. Die Sinnlichkeit wurde »Sünde« genannt. Und +sie ist doch nur Natur. Dieses feindselige Denken gegen die +Geschlechtlichkeit hat die Prüderei geboren, die ängstlich darüber +wacht, daß auch nicht eine Silbe über diese Dinge gesprochen werde, und +die doch weiß, daß viel Häßliches geschieht. + +Es ist nicht gut, etwas, was in der Natur liegt, für unnatürlich und +»sündig« zu halten; denn damit geraten wir in Zweifel. Und wenn dieses +Etwas dann als ein starker Trieb in uns Menschen groß wird, das mit +unserem Wesen, unserem Charakter sich verbindet und zuzeiten uns ganz +allein auszufüllen scheint, so ist es richtiger, einen festen, klaren +Blick dem Geschlechtlichen gegenüber zu behalten, um es zu beherrschen +und zu bemeistern, nicht aber ängstlich, prüde und verlegen zu sein, den +Trieb für tierisch zu halten und dadurch von einem Konflikt in den +andern zu stürzen. Schließe dich nicht dieser unwahren, +lebensfeindlichen Denkart an, sondern erkenne im Geschlechtstrieb die +Quelle alles Empfindungslebens, erkenne ihn als die Grundmauer des +Lebens und die treibende Kraft aller Entwicklung. Sage nicht, daß er +tierisch und häßlich und sündig sei, sondern daß durch ihn der Mensch +erst wahrhaft Mensch wird, daß durch ihn der göttliche Wille des +Schöpfers in jeden einzelnen Menschen gelegt worden ist, und daß gerade +im Liebesgefühl und im Liebesleben der Reichtum der Menschennatur sich +entfaltet, so wie im Blütensegen des Frühlings die Natur in ihrer +Schöpferkraft jubelt. + +Verstehe mich nicht falsch! Du sollst dem Geschlechtstrieb stark und +ehrlich und mutvoll gerade ins Auge sehen. Sollst ihn erkennen als das +Schöpfungswunder der Natur und als die in dich selbst gelegte +Schöpferkraft, mit der du dem Willen der Natur dienen sollst. Aber darum +darfst du nicht sagen: »Dieser Trieb ist mein Recht! Habt ihr prüde +jedes Wort von ihm vermieden, so ist er doch in mir emporgewachsen, und +nun lebt er in mir, und ich will und darf ihn betätigen.« + +Schau um dich in der Natur! Auch die jungen Bäume treiben Blüten, aber +sie tragen noch keine Frucht. In der Natur herrscht ruhige und langsame +Entwicklung; denn nur die Ruhe ist Kraft. Alles vorschnell Entwickelte +trägt schon den Verfall in sich. Wenn im Geschlechtlichen das Leben sich +aufbaut, dann muß auch gerade das Geschlechtliche den Zerfall bringen, +wenn es dem Mißbrauch entgegentreibt. + +~Das ist die große Wunde am Leben der Völker: der Geschlechtsmißbrauch!~ +Daran sind sie zugrunde gegangen, die Kulturvölker des Altertums, und +das ist es, was heute noch die Völker zerstört: die Vergeudung der +Geschlechtskraft! + +~Denn Geschlechtskraft ist Lebenskraft!~ Wer das eine verschwendet, der +zerstört das andere. Aus dem Geschlechtsmißbrauch kam die Degeneration +in die Völker. Die Geschlechtlichkeit, die der Kraft und dem Aufstieg +des Lebens dienen sollte, wurde dem Menschen zum Verhängnis, ja zum +Fluch. Die Sünden der Väter wurden heimgesucht an den Kindern bis ins +dritte und vierte Glied. + +Von allen Lebewesen ist der Mensch das einzige, dessen Geschlechtstrieb +unter die Herrschaft der Vernunft gestellt wurde. Indes: + + »Er nennt's Vernunft und braucht's allein, + Um tierischer als jedes Tier zu sein!« + +Gerade die ideale Verbindung des Körperlich-Sinnlichen mit der +Gesamtheit geistigen Lebens, eine Verbindung, die so viel Schönheit und +so viel Möglichkeiten kluger Beherrschung und sittlicher Gesetze in sich +birgt, ist verhängnisvoll geworden; denn das Geistige (Gedanke, +Empfindung, Vorstellung, Kunst) wird zum Einfallstor des Sinnlichen, und +bei gar zu vielen liegt die Vernunft in ewiger Fehde mit dem sinnlichen +Trieb. + +Das ist es, was so viel schwüles Schweigen erzeugt: Die lüstern lockende +Geschlechtsempfindung im Innern, mit der man ringt, und das böse +Gewissen, die trübe Erinnerung an vieles, was nicht gut war. + +Aber soll das weiter und immer so bleiben? Sollen wir ruhig +danebenstehen, wenn starke und mannhafte Geschlechter im +Geschlechtsirrtum ihre Kraft verlieren? Wenn wir sehen, daß junge +Menschen durch krankhafte Erregungen zur Erschöpfung getrieben werden? + + +6. + +Die Verirrungen der Jugend. + +Alle Welt kennt das große und traurige Geheimnis, das junge Menschen mit +sich herumtragen, das drückende Geheimnis der Geschlechtsverirrung, der +Onanie. Nur ganz wenigen ist der Sinn frei davon geblieben, und diese +kennen nicht den bitteren Kampf, den der sittliche Wille mit dem Triebe +führt, der sich quälend und entnervend im Körper und in den Sinnen breit +gemacht hat. Immer wieder rafft man allen Willen zusammen, immer wieder +bäumt sich der Stolz auf, und man sagt »Ich will nicht«, aber so oft ist +dieser Trieb der Stärkere. Es ist wie ein Ringen um die Oberherrschaft. +Je schwächer das Nervensystem und je nachgiebiger und schlaffer das +Denken, desto mehr reißt der sinnliche Trieb die Oberherrschaft an sich. + +Ein offenes, freies Wort würde den Kampf mildern, ein Freund, ein +Vertrauter, dem man von sich in diesen Dingen sprechen kann, würde die +seelische Bedrücktheit verscheuchen und den Mut heben können. Aber alle +jungen Menschen sind ratlos, tragen ihr Geheimnis weiter mit sich herum +und -- verfallen weiter in der Einsamkeit dem wühlenden sinnlichen +Trieb. + +Dies traurige Schauspiel muß vor allen Dingen der Einsamkeit und dem +Schweigen entrissen werden. Man muß darüber sprechen, deutlich und +ernsthaft, damit der Vergeudung der Lebenssäfte Hemmnisse in den Weg +gelegt werden, damit die geschwächten Körper wieder frischer und +gesunder, der Wille wieder zuversichtlicher, der Mut wieder froher und +das Auge wieder klarer wird. Es soll alles aus dem Leben heraus, worüber +man sich schämen muß. + +Die Onanie tritt oft schon in sehr frühem Alter auf. Desto gefährlicher +ist sie. Dann handelt es sich aber um einen Organismus, der +wahrscheinlich erblich geschwächt ist, eine »nervöse Anlage« hat. + +Solch ein geschwächter Organismus ist ungemein empfänglich für alles +Sinnliche. Worte, Bilder, die auf das Erotische Bezug haben, sind wie +ein Feuerfunken in einen Strohhaufen. Ja, wie mit einem schwülen Drang +wird aus allen Gesprächen, aus Bildern und Büchern das Geschlechtliche +hervorgesucht. Diese grüblerisch-ungesunde Art raubt dem Betreffenden +viel frischen Sinn für das Wirkliche, viel Arbeitskraft und +Lebensfreude. Immer lenkt das Geschlechtliche seinen Blick ab, und es +ist nicht jeder unter den jungen Menschen stark genug, sich frisch +loszureißen von der schwächlich-lüsternen Phantasiearbeit. + +Gehirn und Zeugungsorgane scheinen sich da in einem schwächlichen und +verderblichen Reizabhängigkeitsverhältnis voneinander zu befinden. Und +oft ist es so, daß die Betreffenden von sinnlichen Bildern geradezu +verfolgt werden, daß sie harmlosen Worten eine sinnliche Bedeutung +geben, daß sie ein angeschautes Bildwerk oder eine Plastik zu sinnlichen +Vorstellungen gebrauchen, daß sich in die Lektüre, in das Studium, in +das Anhören eines Vortrages oder namentlich der Musik ein bestimmtes +erotisches Bild einschiebt, von dem sie nur schwer wieder loskommen. +Gewisse angeborene Neigungen, die sich am Gesicht oft erkennen lassen, +spielen hier eine Rolle. Das ganze Leben scheint da in die fieberhafte +Geschlechtserregung hineingezogen zu werden, und die Gefahr der +Selbstbefleckung rückt immer näher. + +Nicht lange dauert es, dann kommt es zu Berührungen der +Geschlechtsteile, in denen diese Empfindungen sich konzentrieren. Durch +diese Berührungen und Bewegungen kommt es zum krampfhaften, +konvulsivischen Höhepunkt geschlechtlicher Erregung, und zum ersten Male +findet beim Knaben ein Verlust von Samenflüssigkeit, beim Mädchen eine +starke Absonderung gewisser Drüsen statt. + +Warum hat dir bisher niemand die Gefahr gezeigt? Warum antwortete man +deiner stummen Frage nicht und gab dir Anlaß, dich mit deinen Bekannten +oder mit anderen insgeheim über diese Dinge zu besprechen? Und wie es so +oft vorkommt, kam's vielleicht da zur Verführung. Ältere Schulkameraden +oder häßlich denkende andere Menschen, Dienstboten, Arbeitsgenossen usw. +vergnügen sich oft damit, in den jüngeren den geschlechtlichen Sinn zu +wecken. Wenn's eine Strafe für sie gäbe, könnte sie nicht scharf genug +sein. + +Gar zu viele wissen davon zu berichten, daß in der Jugend die +Dienstboten für sie die Lehrer dieser geheimen Fehler gewesen sind, und +sie fühlen es ganz genau, welch ein Maß von Kraft sie dabei eingebüßt +haben. Die besonderen Brutstätten dieser geheimen Verfehlungen aber sind +die Schulen. Und man sieht, wie das Übel sich in den Klassen forterbt, +wie es von einem frivolen Schüler, einer Schülerin, durch Verführung auf +die anderen übergehen kann. Ja, die jüngeren denken sich nicht einmal +was dabei, wenn die älteren sie dazu verleiten, an versteckten Orten mit +den Geschlechtsorganen zu spielen, bis dann der geweckte Trieb sich +schwer wieder eindämmen läßt und die Erregungen zur willkürlichen +Gewohnheit werden. Das trübe, schlaffe, verlegene Aussehen, der unreine +Teint vieler Kinder sollten Eltern und Lehrer darüber belehren, wie +dieses Übel der Selbstbefleckung gerade in den Schülerjahren und in den +Schulen ausgebreitet ist. + +Hüte dich, mit deinesgleichen oder überhaupt mit anderen über das +Geschlechtliche zu sprechen, wenn du nicht weißt, daß sie dir +wohlwollen. + +Und meide alle jene lüsternen, schmutzigen Unterhaltungen, die sich nur +um das Geschlechtliche bewegen. In Schulen, Internaten, Seminaren sind +die Gespräche der Schüler, wenn sie allein sind, oft von beschämender +und empörender Häßlichkeit, und man kann es kaum fassen, wie das +Schamgefühl so weit erstickt werden konnte. Die Lüsternheit verzerrt die +Mienen, und die Unsauberkeit des Denkens weicht oft nicht mehr von dem +Gesicht. Halte deine Phantasie rein von schmutzigen Vorstellungen, dein +Denken gesund! Weise die leichtsinnigen Zungen ernst und überlegen +zurück und stelle eine geistige Scheidewand zwischen dich und sie! +Beschäftige dich auch nicht mit sinnlich erregender Lektüre oder +lüsternen Bildern, die oft geheimnisvoll unter den Schülern und +Schülerinnen verbreitet werden. + +Wenn Eltern wüßten, in welch eine sinnlich schwüle Atmosphäre sich +Kinder verirren, sie würden offenere Augen haben und die Gefahren +abzulenken suchen, ehe es zu spät ist. + +Die Reue über das Falsche und Schädliche, was man getan, läßt die +Erinnerung daran wachbleiben. + +Und es ist zu beobachten, daß wohl alle jungen Menschen Scham empfinden. +Die fröhliche Offenheit, mit der sie sonst alles Tun vollziehen, macht +vor ihren sinnlichen Fehlern halt; denn hier sagt schon ohne alle +äußerliche Belehrung der natürliche Instinkt, daß man Unrechtes tut, und +diese geheimnisvolle Triebverirrung sucht stets ein Versteck. Ja, das +Bewußtsein des Unrechttuns ist so lebendig, daß bei den jungen Menschen +oftmals das schlechte Gewissen sich in dem scheuen Blick kundgibt, der +nichts mehr hat von der reinen, unschuldigen Natürlichkeit eines +Kinderauges. Sie glauben sich beobachtet und in ihrem geheimen Treiben +erkannt und werden deshalb oft verwirrt und untauglich für +gesellschaftlichen Umgang. Sie lieben es, allein zu sein, zu grübeln, +weil sie mit der Geschlechtskraft zugleich jene antreibenden Kräfte +erschöpfen, welche einen jungen Menschen in das Leben hinaustreiben und +seine sozialen Fähigkeiten entwickeln. + +So ist aus der Erschöpfung der in sozialer Hinsicht antreibend wirkenden +Geschlechtskraft durchaus jene geistige und gesellschaftliche Unfreiheit +zu erklären, die den richtigen Onanisten oft durch das ganze Leben +hindurch verfolgt. In gesunder Geschlechtskraft liegen die Wurzeln zu +sozialer Entwicklung. Der Verlust der Lebenssäfte untergräbt die +Energie, und das drückende Bewußtsein des geheimen geschlechtlichen +Unrechts prägt sich störend und hemmend der Persönlichkeit und dem +ganzen Auftreten der Betreffenden auf. Je fester aber diese einsame +Triebverirrung den jungen Menschen umklammert, desto schwerer wird es, +von der unsauberen Gewohnheit zu lassen. + +Je häufiger ein menschlicher Trieb rein körperlich und losgelöst von +seinen geistigen Beziehungen betätigt wird, desto mehr sinkt er ins +Körperliche hinab und verliert seine geistige Beherrschung. + +Immer wieder triumphiert der dumpfe, schwüle Geschlechtsdrang über den +sittlichen Willen, und jede Niederlage schwächt den Glauben an die +eigene sittliche Kraft, zumal jeder einzelne Akt der Onanie die +allgemeine Kraft verringert und die nervös-geschlechtliche Erregbarkeit +vermehrt. Dann sieht es oft verworren und trostlos im Innern solcher +Menschen aus. Und mancher hat schon vor mir gestanden mit tränendem Auge +und zuckendem Munde, weil die Scham über seine Schwäche ihm namenlose +Qual verursachte. + +Der Onanist träumt sich selbst in die Gewalt der sinnlichen Empfindung +hinein und treibt dadurch jedesmal wieder seinem Fehler entgegen. Und +doch wäre es ratsamer, wenn er sich vorher jenen Zustand von Mattigkeit, +herabgesetzter Spannung, schwächerer Atmung und Herztätigkeit, Reue und +sittlichem Elend vorstellen wollte, der dem Samenverlust folgt. Dies +Bild wäre wohl imstande, seine sinnliche Erregung zu verdrängen. + + +7. + +Die Folgen der sinnlichen Fehler. + +Man muß die Gefahr in ihrem ganzen Umfange kennen, wenn man ihr +überlegen begegnen will. Darum will ich dir vorerst einmal sagen, +welchen Schaden diese krankhafte Erregung mit dem Samenverlust bringt. +Ich will nicht übertreiben; denn deine einsamen Verirrungen haben dir +Sorge und Angst genug gemacht. Und ich warne dich vor jenen albernen und +dummen Büchern, die dir das Gespenst eines schrecklichen körperlichen +und geistigen Verfalls vor die Augen malen. Gerade die übertriebenen +Schreckbilder haben schon viel Schaden angerichtet. Ich will die +Wahrheit über die Folgen nicht übertreiben; aber du sollst die Wahrheit +auch nicht fürchten. Also höre! + +Die einmalige Onanie ist von einer starken Erregung begleitet, die alles +Leben rascher in dir antreibt. Die Pulse fiebern, das Gesicht rötet +sich, der ganze Körper ist angespannt und wird von dieser einen +verzehrenden Empfindung beherrscht. Es gibt aber ein Gesetz in der Natur +und im Organismus, daß jeder Kraftsteigerung ein Nachlassen der Kraft, +jeder Erregung eine Erschlaffung folgt. So auch hier. Und diese +Erschlaffung zeigt sich auch äußerlich, je mehr die Onanie sich +wiederholt, in blassem Aussehen oder bei gutem Aussehen in merkwürdiger +Unreinheit der Gesichtsfarbe, in dunklen Ringen unter den Augen, in dem +Erscheinen von Pickeln auf der Stirn, in schwitzenden Händen und oft in +gestörter Verdauung. + +Es ist leicht einzusehen, daß ein Schaden, dem jugendlichen Organismus +zugefügt und in die Wachstumsjahre fallend, weit nachteiliger sein muß, +als wenn er in reiferem Alter einen festen und kräftigen Körper trifft. +Dies ist der Fall bei den sinnlichen Fehlern der Jugend, deren größte +Gefahr eben in der frühzeitigen, unbehinderten und häufigen Ausübung +liegt. Denn es gibt viele Knaben und Mädchen, die dem Übel der +Selbstbefleckung längere Zeit hindurch mehrmals am Tage verfallen. + +Der Organismus zieht aber alle Reservekräfte heran, um dem Schaden zu +begegnen. Er überwindet ihn einmal, zweimal, zehnmal und noch öfter. Der +starke Erregungsvorgang setzt sich aber schließlich im ganzen +Nervensystem fest. Denn das Nervensystem ist dasjenige Organ, das alle +diese Vorgänge vermittelt. Die Erregung wird also bleibend, wird zu +einer besonderen Eigentümlichkeit des ganzen Menschen. Eine Zeitlang ist +das Leben dann von besonders kraftvollem Ausdruck, körperlich und +geistig herrscht Hochspannung. Das ist in den zwanziger Lebensjahren, +und viele meinen da, die Onanie habe ihnen nichts geschadet, weil sie +womöglich gut aussehen und keine Klage über mangelhafte Gesundheit zu +führen haben. Trotzdem sie vielleicht gerade noch in dieser Zeit +häufiger onanieren. + +Aber gemach! Es ist immer oberflächlich, die Dinge nur so zu beurteilen, +wie sie im Augenblick erscheinen. Es gibt keinen festen Punkt in der +Natur und im Leben, alles ist ein Werden oder Vergehen. Nicht eine +Sekunde steht das Leben still. + +Auch hier schreitet es weiter, aber nicht mehr aufwärts, sondern +abwärts. Es beginnt die Erschlaffung, der Kraftverlust. + +Wie ist das zu erklären? + +Kennst du ein elektrisches Element? Das ist ein Gefäß, das +verschiedenartige chemische Stoffe enthält, durch die der elektrische +Strom erzeugt wird, den dann der metallische Draht an seinen +Verbrauchsort leitet. So ist es mit der Kraft im Körper, der +Lebenskraft. Sie entsteht und wird frei in der chemischen Umwandlung des +Körperstoffes. Wir können also sagen, Lebenskraft sei tierische +Gewebselektrizität. + +Speisest du mit den elektrischen Elementen etwa eine Klingelanlage oder +sonst einen elektrischen Betrieb, so bedeutet jeder Gebrauch eine +elektrische Entladung, also eine vorübergehende Erschöpfung der +Elemente. Das Element, also die Brutstätte des Kraftstromes, sammelt in +der Ruhe wieder die notwendige Kraft. Wird es aber überstark, ohne +genügende Zwischenpausen, also mißbräuchlich benutzt, so erschöpft sich +das Element vollkommen, wird also zerstört, unbrauchbar. + +Genau so ist es im Körper, der auch ein Element, eine allgemeine +Brutstätte für Lebenskraft ist. Die in den Geweben erzeugte Elektrizität +wird als Kraft durch das Nervensystem allen Teilen des Körpers +zugeführt. Die Onanie bringt eine Steigerung der gesamten +Lebenstätigkeit, eine schnellere Entwicklung, etwa so wie man Pflanzen +durch die schwüle Treibhaushitze zu schnellerem Wachstum, aber auch zu +schnellerem Verblühen bringt. Infolgedessen wird zwar im Körper Kraft +verbraucht, aber auch rascher neu erzeugt, weil der junge, in der +aufsteigenden Entwicklung stehende Körper sich wie ein Akkumulator immer +wieder mit neu erzeugter Kraft ladet. Schließlich aber erschöpft sich +die Brutstätte und erschöpft sich das Krafthauptlager, als das wir das +zentrale Nervensystem -- Rückenmark und Gehirn -- erkennen. + +Die Geschlechtsorgane sind eine Stätte für elektrische Entladungen. Und +sicher ist, daß beim normalen Zeugungsvorgang zwischen Mann und Weib +eine Stromübertragung stattfindet, die bei der Befruchtung und für +dieselbe eine große Rolle spielt. Mann und Weib sind Gegenpole, auch im +rein elektrischen Sinne aufgefaßt. Der Stromentladung folgt eine Ladung +von seiten des Gegenpols. Dem Kraftverlust folgt ein Zustrom an Kraft, +und dieser Vorgang fehlt bei der Onanie gänzlich. Sie ist nur und +ausschließlich Entladung, nur Kraftverlust. Und wenn auch der junge +Körper eine Zeitlang immer wieder den Ausgleich schafft, so vermag +doch -- namentlich wenn die Onanie zu häufig ausgeübt wird -- der +Körperakkumulator sich nicht wieder genügend und völlig zu laden. Der +Kraftstrom wird immer geringer. Die Kraft schwindet, und die chronische, +also dauernde Schwäche schleicht heran und breitet sich im ganzen +Organismus aus. Im Nervensystem zeigt sich dieser Zustand in der +Veränderung der Marksubstanz. Das Nervenmark verliert seine +Geschmeidigkeit und gleichmäßige Verteilung. Und weil es gewissermaßen +den Strahlpunkt und den Kernstoff des Lebens bildet, so kann man wohl +verstehen, daß das Leben selber, nun, wenn es seinen gar zu frühzeitigen +Höhepunkt überschritten hat, langsam zurückgeht. + +Nun haben alle Tätigkeitsgruppen des Organismus im Gehirn und im +Rückenmark ihre ganz bestimmte Lagerung. Mit diesem Teile steht die +Atmung und die ganze Lungentätigkeit in Verbindung, mit jenem Teil das +Herz, mit einem dritten die Haut, und so fort. + +Die Fortpflanzungstätigkeit hat zum großen Teil ihren Strahlpunkt im +mittleren (Kreuz-) Teil des Rückenmarks. An den Kreuzschmerzen nach +geschlechtlichen Ausschweifungen und bei Geschlechtskrankheiten ist das +sehr wohl zu erkennen. Der Grenzbezirk der Geschlechtlichkeit im +Rückenmark ist aber nur sehr schwer zu trennen von demjenigen der +Verdauungs- (Magen- und Darm-) Tätigkeit. Und diese Tatsache ist +einerseits sehr folgenschwer für den Geschlechtsmißbrauch, andrerseits +aber ein klarer Beweis für die Richtigkeit der von ~Dr. Damm~ +aufgestellten Behauptung, daß der Geschlechtsmißbrauch weit mehr als +alle anderen Schäden als die Hauptursache der Degeneration, d. h. des +dauernden Kraftverlustes, anzusehen ist. Das gilt für den einzelnen +Menschen genau so wie für das ganze Volk. + +In der Tat macht sich der Kraftverlust meist zuerst in Störungen der +Magen- und Darmtätigkeit bemerkbar. Und die geschwächte +Verdauungstätigkeit ist so bezeichnend für das Gesamtbild onanistischer +Folgen, daß wir außer der nervösen Schwächung durch den krankhaften +Geschlechtsreiz auch eine auf gleicher Ursache beruhende Verminderung +der inneren Ausscheidung annehmen müssen. Denn das Nervensystem bringt +alle Teile des Organismus zueinander in rege Beziehung, und wenn die +krankhafte Geschlechtserregung sich eine Zeitlang dem ganzen Körper +mitgeteilt hat, dann tritt in allen Teilen eine gewisse Erschöpfung ein. + +Der Magen wird schwach und zeigt Reizbarkeit und eine Art von +Launenhaftigkeit, die sich in Merkwürdigkeiten des Appetits äußert. +Zeitweilig schwindet der Appetit, zeitweilig aber auch tritt er heftiger +hervor, und man vermag zu beobachten, daß mancher geschlechtlich +ausschweifende Mensch einen auffallend gesteigerten Appetit hat. Es +scheint dann, als wolle die Natur den Verlust wieder ersetzen. Aber da +durch eine Herabsetzung der inneren Absonderungen die aufbauende Kraft +vermindert ist, so kann die Nahrung nicht »anschlagen«. Trotz guter +Ernährung findet sich dann ein Gefühl der Schwäche, der Mattigkeit und +Erschöpfung ein, was oft durch das ganze fernere Leben hindurchgeht und +oft allein vom Magen seinen Ausgang nimmt. + +Auch Darmstörungen, meist Trägheit und Verstopfung, sind bezeichnende +Folgen geschlechtlichen Mißbrauchs, und mancher Verdauungsneurastheniker +wird gestehen müssen, daß in oder nach den Jahren der Onanie seine +Verdauungsbeschwerden und seine Mattigkeit begannen. + +Darunter leidet natürlich bald die Ernährung und der Neuaufbau des +Körpers, ebenso die Blutbildung und das gute Aussehen. + +Die Herz- und Muskelkraft und das Muskelgewebe erleiden eine Einbuße, +und die Freudigkeit an der Körperarbeit, an Gymnastik, Sport und Spiel +läßt nach. + +Es ist wohl zu verstehen, warum gerade ein Organ, wie das Herz, das an +allen Erregungen des Körpers und der Sinne direkten und unmittelbaren +Anteil nimmt, durch häufige und starke Geschlechtserregungen besonders +erschöpft werden muß. In der Tat treten oft schon nach den zwanziger +Jahren nervöse Herzbeschwerden auf, zunächst als beschleunigter, oft +ganz heftiger, beängstigender Herzschlag sich zeigend, während später +eine gewisse Herzschwäche sich einstellen kann. + +Der verminderten Stoff- und Säfteumwandlung in den Geweben folgt auch +eine Verminderung der Wärmebildung, und leichtes und öfteres Frösteln, +Gefühl von Unbehaglichkeit, tritt auf. Kalte Hände und Füße, dazu beide +leicht schwitzend, stellen sich ein. + +Die Hauttätigkeit kann gleichfalls erschlaffen; denn sie steht in +regsten Wechselbeziehungen zu den Nervenzentren und vor allem zu der +Geschlechtstätigkeit. Ebenso wie sie durch Rötung, Blutfülle, Schwitzen +usw. an den Geschlechtserregungen teilnimmt, wird sich die organische +Erschlaffung auch durch herabgesetzte Hautarbeit kennzeichnen. Es fehlt +der Haut die pralle, blutreiche Straffheit. Sie beteiligt sich nicht +mehr regsam genug am allgemeinen Stoffwechsel, verliert ihre Fähigkeit, +sich zusammenzuziehen und auszudehnen und dadurch der wechselnden +Witterung und plötzlichen Kälteeinflüssen sich anzupassen. Sie fröstelt +leicht, es bilden sich krankhafte Schweiße, und namentlich im Kreuzteil +des Rückens ist der Wechsel von heiß und kalt und jenes angstvolle +Schwächegefühl oft eine ständige Erscheinung. Die Unreinlichkeiten der +Haut, Pickel, Ausschläge, die schon während der jugendlichen Onanie so +bezeichnend sind, kann man bei den geschlechtlich erschlafften Menschen +oft im ganzen Leben beobachten. Das Haar verliert seinen Glanz und seine +Triebkraft, und bald beginnt es grau zu werden oder auszufallen. Daß wir +heute Kahlköpfe selbst unter den jungen Leuten sehen, ist kein +Ruhmeszeichen für unser deutsches Volk. Denn wenn schon die Jugend +Erscheinungen des Alters trägt, dann hat das Volk den Weg abwärts +beschritten. + +Der Haarausfall hängt ganz sicherlich auch mit der Verminderung der +ausdünstenden Tätigkeit der Haut zusammen, deren Gleichmäßigkeit eine +notwendige Bedingung der Gesundheit ist. Der durch die erschlafften +Gewebe bewirkte unvollkommene Stoffwechsel stellt eine Vergiftung des +Körpers durch chemische und gasförmige Stoffe dar, die den Haarboden +zerstören. Ebenso bedeutet aber auch die krankhafte Schweißbildung, die +in den Folgen des geschlechtlichen Mißbrauches auftritt, eine nervöse +und Gewebserschlaffung. + +Da nun das Leben und die mancherlei Berufe große Anforderungen an die +Nervenkraft stellen, denen der geschwächte Organismus nicht mehr gewachsen +ist, so sehen wir bald das Bild der Nervosität in all den trüben Farben, +die uns jeder Tag und sozusagen jeder Mensch zeigt. Schlaflosigkeit, +Unruhe, Zerfahrenheit, Zerstreutheit, Gedächtnisschwäche, Mangel an +Konzentration und Willenskraft, Melancholie und alle diese Feinde eines +gesunden, frischen Lebens stellen sich ein, die geistige Schwungkraft und +Arbeitsfreudigkeit der Jugendjahre schwinden. Die Denkkraft vermindert +sich, und der Kampf zwischen Wollen und Können endet oft in der bitteren +und verzweifelten Erkenntnis des Nichtmehrkönnens. + +Wie viele sind es schon, die mir diesen beklagenswerten Zustand erzählt +haben, viele, die ganz genau wissen, wie geistig munter sie früher +waren, und welch ein geistiges Wrack sie nun geworden sind! Wie vielen +habe ich in dieser Lage schon Trost und Mut und Rat für eine +Lebensführung geben können, die den Körper wieder kräftigt[1]. + +Auch die Lungen und Bronchien leiden unter den erschöpfenden Erregungen +und dem Samenverlust. Ist die Lunge von Haus aus schwach, so kann sie +ernstlich erkranken. Ein durch sinnliche Fehler erschöpfter Organismus +ist ganz sicher ein besserer Angriffspunkt für die Tuberkulose, für +Lungenentzündung und für ungünstige klimatische Einflüsse als ein +vollsaftiger Organismus. + +Die krankhaften Veränderungen des Seelenlebens, Gereiztheit, +Launenhaftigkeit, Übelnehmen, Einbildung, Trübseligkeit und dergleichen +machen den Menschen sich selbst und gegenseitig das Leben schwer. + +Wenn wir dann diese Veränderung des Charakters und die Abschwächung des +Willens sorgfältig beobachtend verfolgen, so ist es durchaus einleuchtend, +daß bei einem so untergrabenen körperlichen und sittlichen Fundament +gewisse angeborene krankhafte Neigungen, wie Unverträglichkeit, +Gehässigkeit, Neid, Trägheit, ja selbst verbrecherische Triebe, eine +Steigerung erfahren können. Der Mensch und sein Leben sind nichts Fertiges +und Unveränderliches, sondern sind ein immerwährendes Werden, ein Etwas, +das sich aus Anlage und äußeren Einflüssen werdend ergibt. Sind die +körperlichen Grundlagen erschüttert und die sittlichen Hemmungen +geschwächt, so wird es einer krankhaften oder verbrecherischen Neigung +leichter gemacht, zu triumphieren. Das erscheint mir durchaus logisch und +bestätigt sich auch durch die Erfahrung. Überall hat die Onanie einer +schlechten Anlage Vorschub geleistet. + +Und wenn dann dem großen Wollen und Wünschen im Leben sich Schwäche und +Krankheit in den Weg stellen, wenn die frühzeitige Erschlaffung sich +körperlich und geistig bemerkbar macht und der Organismus, den Blick auf +das Lebensziel gerichtet, auf halbem Wege zusammenbricht, dann zieht oft +trostlose Verzweiflung ins Gemüt. Reue und Selbstanklagen zermartern den +Sinn; denn es wurde ja vorzeitig im Leben die Kraft vergeudet, die all +dies große Wollen zur Tat werden lassen sollte. + +Die Reizempfänglichkeit des Körpers wird mehr und mehr auf +geschlechtliche Eindrücke eingestellt, und er beantwortet schließlich +mit geschlechtlicher Erregung auch solche Reize, die keinerlei +geschlechtlichen Charakter tragen und an einem gesunden Organismus +spurlos vorübergehen. Diese häufige Geschlechtserregung halten viele in +einem bedauerlichen Wahn für Kraft. Sie ist aber meist das Gegenteil, +ist nervöse Schwäche. + +Diese häufigen Erschütterungen von Rückenmark und Gehirn, an denen alle +Organe, Herz, Lungen, Magen, Leber, Haut usw. teilnehmen, können +schließlich jene äußerste Schwächung des Nervensystems im Gefolge haben, +die wir als Neurasthenie kennen, und die mit ihren Erscheinungen endlich +auch in das geschlechtliche Leben hineinragt, weil sie die +geschlechtliche Kraft zu vermindern und mancherlei Störungen +hervorzurufen vermag. + +Von diesen Störungen erwähne ich vor allem die Pollutionen, jene +nächtlichen Samenergüsse, die als Zeichen der Lendenmarksschwäche +häufiger auftreten. Sie werden ausgelöst durch viele äußere und innere +Reize, die an sich ganz unbedeutend sein können und beim Gesunden auch +tatsächlich keinen Eindruck machen. Hier aber wird der Schlaf sehr durch +wollüstige Träume gestört, und Samenergüsse vermehren die allgemeine +Mattigkeit und das Gefühl des körperlichen Elends. + +Der durch die sinnlichen Verirrungen bewirkten krankhaften +Geschlechtserregung folgt fast mit Sicherheit im späteren Leben ein +frühzeitiges Sinken der Geschlechtskraft. Und dieser disharmonische, +unnatürliche Zustand, der das ganze Volk durchzieht, raubt den Menschen +viel Liebesglück und Daseinsfreude und den Ehen sehr viel, oft alles, +von der inneren Poesie. + +Bei der ausgedehnten und sehr feinen Durchnervung des gesamten +Geschlechtssystems muß ja das Nervensystem unter geschlechtlichen +Fehlern am meisten leiden. Das macht sich in der oft so grenzenlos +matten und verzweifelten Stimmung bemerkbar, in ihrer raschen +Wandelbarkeit und Sprunghaftigkeit, sowie in einer Reizbarkeit oder +Abgestumpftheit der Sinne. Namentlich Augen und Ohren leiden. Denn +während einerseits Sehschwäche, und zwar Kurzsichtigkeit, ganz +sicherlich in vielen Fällen auf heftige Onanie zurückzuführen ist, +finden wir andrerseits das Ohrensausen als ein ganz außerordentlich +verbreitetes Zeichen nervöser Störungen. Auch der Geschmack leidet und +richtet sich darum oftmals auf ganz merkwürdige Dinge. Vor allem ist oft +das Sättigungsgefühl verloren, und dadurch kommt es zu überstarker +Nahrungsaufnahme. + +Nicht jeden trifft's so schwer. Und wen die Vererbung mit großer Kraft +bedachte, der vermag noch Leistungsfähigkeit ins spätere Leben +hinüberzuretten. Aber doch sollte niemand die Gefahr verkennen und mit +leichtem Sinn und scherzendem Wort über diesen tiefinneren Zusammenhang +zwischen Geschlechtskraft und Lebensaufbau, zwischen Geschlechtsmißbrauch +und Lebenszerfall hinweggehen. + +Wer nicht direkt und unmittelbar den Schaden der Kraftvergeudung +verspürt, der darf darum nicht sagen, es habe ihm gar nichts geschadet. +Denn in den Gesetzen des Nervenlebens liegt es, daß die feindseligen +Reize zunächst eine Kraftsteigerung bringen, der aber früher oder später +das Niedergehen der Kraft folgt. Der Kräftige hat freilich mehr +Widerstand als der Schwächling, aber wohl jeder wird an einen Zeitpunkt +gelangen, wo mit einem Male seine Widerstandskraft gegen Arbeit, Unruhe, +Klima und Temperatur, schwerere Speisen, Ärger und dergleichen geringer +wird und er mehr oder weniger klar empfindet, wie eng das mit der +Kraftverschleuderung in den Jugendjahren zusammenhängt. + +Das Geschlechtsproblem löst sich nicht allein in der Zeugung und +Fortpflanzung. Nach außen zwar läßt die Geschlechterliebe in der Tiefe +der Leidenschaft ein neues Menschenleben entstehen. Aber ich wies schon +darauf hin, daß in ihrer inneren Wirkung die Geschlechtlichkeit sowohl +den männlichen wie den weiblichen Charakter ausgestaltet. Werden die +Organe, in denen der Zeugungsstoff entsteht, also beim Manne die Hoden +(Samenbereiter), auf operativem Wege entfernt, wie es bei der Entmannung +in den morgenländischen Völkern und teilweise auch bei abendländischen +geschah und geschieht, so sehen wir von derselben Stunde an eine völlig +andere Entwicklung des betreffenden Individuums. Es entsteht ein von +Grund aus anderer Charakter, der etwas Rückschrittliches, +Unentwickeltes, darstellt und teilweise unangenehme Züge aufweist. + +Hier haben wir einen glänzenden Beweis für die entscheidende Bedeutung +des Geschlechtlichen im Menschenleben. Und wir erkennen, daß der +Geschlechtsmißbrauch auch eine Art Entmannung ist; denn er ist Verlust +der Kraft auf andere Weise. + +Die Wissenschaft hat den hochwichtigen Beweis erbracht, daß der Körper +in seinem Innern außer den Keimzellen in den Keimdrüsen noch durch +einige andere Drüsen, die an der Entstehung des Geschlechtsempfindens +mitbeteiligt sind, einen chemischen Stoff erzeugt, der im ganzen Körper +anregend und belebend wirkt. Darum verstehen wir, warum die aufkeimende +Liebesempfindung des einen Menschen zum andern so wunderbar fördernd auf +ihn selber wirkt. Darum eben erkennen wir in dem Liebes- und +Geschlechtsempfinden die Quelle alles Empfindens, alles Denkens und +aller Kraft überhaupt. Es ist der geheimnisvolle Urquell all der +wunderbaren Spannung, die die Jugend vor dem Alter auszeichnet. Gerade +darum aber wirst du auch verstehen, warum diese jugendliche Spannung, +diese Kraft und Frische, dieser schnell erfassende Geist, dieser rasche +Entschluß, dieser feste Wille, dieser Reichtum des Empfindens, warum das +alles schwinden und der trübseligen Schwäche Platz machen muß, wenn in +der häufigen Onanie die Zeugungskeime verschwendet werden und jenem +wunderbaren chemischen Lebensstoff der Weg zu seiner Wirksamkeit verlegt +wird. + +Von allen Seiten türmen sich Gründe auf, aus denen du selbst den Schluß +ziehen kannst, daß die geschlechtliche Reinheit, das Freisein von +geschlechtlicher Ausschweifung, die wichtigste Entwicklungsfrage deiner +Jugend ist. + + +8. + +Die Hoffnung auf neue Kraft. + +Glaube nicht, daß ich in irgendeinem Punkte übertrieben habe, oder daß +ich nur deshalb übertrieb, um dich von falschem Tun abzuschrecken. Und +wenn du schon ein Opfer krankhafter geschlechtlicher Erregungen wurdest, +so möchte ich nicht, daß meine Worte in dir Verstörung, Angst und +Verzweiflung erregen. Das, was geschah, war nicht gut, war schädlich. +Gewiß! Aber laß es dich nicht niederdrücken! Trage nicht die Ketten +trüber Erinnerungen mit dir herum, sondern schau auf die nächste +Zukunft. Wir Menschen irren viel. Und wenn's geschah, soll die +Erkenntnis niemanden niederdrücken, sondern Mut und Entschluß geben zu +einem kraftvolleren, gesunderen Leben. Der Wille zum Guten muß vorhanden +sein, der rasche, frische Wille. Laß dich das Bild der Folgen nicht +niederdrücken, aber laß es dir den energischen Entschluß geben, von +heute ab den ruhigen, verständigen Kampf gegen die einsame Verirrung +aufzunehmen. + +Zähme deine Ungeduld und lasse nicht erneute Trostlosigkeit einziehen, +wenn die Schäden der Verirrungen nicht gleich verschwinden. Es braucht +dazu oft viel Zeit und viel Geduld. Nicht jeder kehrt wieder zur +ursprünglichen Kraft zurück. Wenn's auch bei dir so ist, so wisse, daß +dein Leben sich den krankhaft veränderten Verhältnissen in deinem +Organismus anpassen muß. Verringerte Kraft bedingt ein weniger +ergiebiges Leben. Dies alles, also die Grundlagen deiner zukünftigen +Lebensweise, lernst du kennen aus _Dr._ ~Alfred Damms~ Reizlehre, und du +kannst sie aufmerksam studieren in meinem Buche »Der nervöse Mensch«.[2] + +Lasse dich nicht täuschen durch die Anpreisung von Heilmitteln und von +Stoffen, die entweder nur vorübergehend als Reiz wirken und Gesundung +vorspiegeln oder aber einige Erscheinungen unterdrücken und dadurch zu +einem weniger sorgfältigen Leben Anlaß geben, während doch zugleich die +Schwäche weiter und geheimnisvoller sich im Körper einnistet. Viele +solcher Mittel und Medikamente erhöhen nur den Geschlechtstrieb. Aber es +folgt später eine um so tiefere Erschlaffung. Die Gesundung und +Kräftigung kann immer nur aus dem Organismus selbst kommen, aus seinem +verbesserten und vorsichtig überwachten Lebensbetrieb. Das ist ein zwar +langer und langsamer Weg, aber einer, der sicher zum Ziele führt. +Versuche nur niemals durch Reizmittel und starke Antriebe irgendwelcher +Art deine Schwäche zu überwinden. Denn oft liegt gerade in dem Gefühl +der Schwäche ein Bestreben des Körpers, Herr zu werden über einen +krankhaften Vorgang, einen Überreiz zu beseitigen, eine besondere +Anpassung oder Absonderung zu bewirken. Aus jenem obengenannten Buche +über das Nervenleben wirst du erkennen, daß der Organismus ein +einheitliches Getriebe ist, und daß alle günstigen oder ungünstigen +Einflüsse nicht nur ein einzelnes Organ, sondern das ganze System +treffen. So kann also die Kräftigung nur eine allgemeine organische, +langsame, aber umfassende sein. + + +9. + +Die Kräftigung nach jugendlichen Verirrungen. Die Bekämpfung krankhafter +Sinnlichkeit. + +Was soll ich nun tun, um mich wieder zu kräftigen? Und wie werde ich des +Triebes Herr, der mich quält und unruhig mir im Fleisch sitzt? -- + +Diese Frage liegt dir auf den Lippen, und ich höre sie von Tausenden +deiner Altersgenossen. Auch darüber wollen wir sprechen. + +Der Trieb kommt aus dem Fleische, aus dem chemisch-physikalischen +Getriebe des Körpers, und darum ist es wohl ein Gebot der Klugheit, ihm +zunächst mit den Waffen der körperlichen Pflege und der gesundheitlichen +Zucht beizukommen. + +Das wird nicht von allen Seiten anerkannt, und es gibt Leute, die viele +Worte machen und dicke Bücher schreiben, und entweder an der Onanie und +den einsamen Leiden junger Menschen mit ein paar Worten vorbeigehen oder +aber das Körperliche dabei kaum beachten. Ich will diesen Leuten keinen +Vorwurf machen, so sehr der Ernst der Sache es rechtfertigen würde. Aber +ich sage es, um dich ganz besonders auf die körperliche Entstehung des +Geschlechtstriebes und damit auf die körperlichen Heilungsmöglichkeiten +der Onanie hinzuweisen. + +Pflege deinen Körper! Halte dich gesund und frisch und straff! Ich sagte +dir schon, daß ein geschwächtes und darum reizbares Nervensystem den +sinnlichen Anreizen, die von überall herkommen, und die man nicht alle +abwehren kann, keinen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Es erliegt der +geschlechtlichen Erregung. Der gesunde Körper, der Mark und Saft hat, +bleibt eher im Gleichgewicht. Alles Gesunde ist in sich ruhig. + +Was gehört zur gesunden Lebensführung? + +Nichts weiter, als die einfache Befolgung der Naturgesetze, die sich für +den Menschen aus der vergleichenden Naturbeobachtung ergeben. Ein +gesunder Gebrauch der Kräfte und Organe, damit sie in ruhiger, +gleichmäßiger Anstrengung erstarken. + +Aus Atmung, Ernährung, Muskelarbeit und Ausscheidung setzt sich das +körperliche Leben zusammen. + +Atme planmäßig, tief und ergiebig. Besser, als du es bisher getan, und +gründlicher, als es die meisten Menschen tun. Atmung ist Leben. Die +Atmung ist die dynamische, das heißt die Antriebskraft für den ganzen +Organismus. Von hier aus gehen die feinen Schwingungen, die überall die +Organe zur Tätigkeit anregen. Der Atem ist Stoffwechsel. Denn wir +entnehmen der Luft den belebenden Sauerstoff, das Brennmaterial des +Lebens, und befreien im Ausatmen den Körper von der giftigen +Kohlensäure. Die Kohlensäure ist ein lähmendes Gift, das, wenn es +zurückgehalten wird, den Körper erschlafft, den Aufbau in den Geweben +hemmt, den Geist träge macht und durch all dies der Geschlechtserregung +die Tore öffnet. Tiefes Atmen, namentlich energisches Ausatmen, befreit +den Körper von der Kohlensäure. + +Darum atme grundsätzlich dreimal jeden Tag etwa 10 bis 15 Minuten lang +tief und ergiebig ein und aus. Etwa morgens gleich nach dem Erwachen, +mittags vor dem Essen und abends vor dem Schlafengehen. Nimm dabei eine +aufrechte Haltung mit zurückgebogenen Schultern an, und wenn du glaubst, +gut ausgeatmet zu haben, dann versuche zum Schlusse noch -- ohne neuen +Atem zu nehmen -- den Buchstaben _e_ langsam singend herauszupressen, +solange du kannst, dann wird der letzte Rest verbrauchter Luft aus der +Lunge entfernt sein, und du kannst die wundersame Saugkraft deiner +Lungen wieder in einem nun um so tieferen Atemzug bewundern. + +Du wirst mir für diesen Rat dankbar sein, wenn du erkennst, welche +Wunder solch ein tiefes, planmäßiges und vor allen Dingen tägliches +Atmen an Körper und Geist zuwege bringt. + +Die zweite -- und sicherlich die wichtigste -- Forderung liegt in der +Ernährung. + +Die Nahrung soll den Körper aufbauen, ihm seine Wohlgestalt und die +Kraft zur Arbeit geben. + +Als die erzeugende Substanz der Kraft gilt das Eiweiß. Und weil davon +das Fleisch besonders viel enthält, so ist seit langem in der +Wissenschaft, und von da aus in den allgemeinen Anschauungen, der Satz +feststehend, daß Fleisch = Kraft sei. Die praktische Folge davon ist, +daß alle Welt gern und viel Fleisch ißt. Je mehr das Volk in seiner +Gesamtheit degeneriert, desto mehr sucht es durch Fleischnahrung seiner +sinkenden Kraft aufzuhelfen. + +Das ist verständlich, so groß auch wohl der Irrtum ist. Und die +Vegetarier, das sind die ohne Fleisch und nur von Pflanzenkost lebenden +Menschen, haben durch glänzende Siege bei sportlichen und gymnastischen +Veranstaltungen längst jenen alten Satz der Medizin widerlegt. Unter den +Siegern bei solchen Veranstaltungen sind die meisten Vegetarier. + +Jedes Nahrungsmittel hat seine ganz bestimmte chemische Zusammensetzung, +und jeder von diesen chemischen Stoffen hat eine besondere Wirkung auf +den Körper und damit auch auf den Geist. Sie können nun so wirken, daß +sie die Blutbeschaffenheit beeinflussen, oder so, daß sie direkt das +Nervensystem erregen, und schließlich so, daß sie bei der Ausscheidung +ihrer Stoffwechselreste durch die Nieren ~reflektorisch~ erregen, d. h. +erst die Schleimhäute der Harnwege und von diesen aus die +Geschlechtsnerven erregen. In jedem Falle kann ein erregender Einfluß +auf die Geschlechtsempfindungen zustande kommen, und das können wir vom +Fleisch mit Bestimmtheit behaupten. + +Es wäre mit dem Fleisch nicht gar so schlimm, wenn man nicht zwei +Übelstände nebeneinander sich ausbreiten sähe. Die Grenzlinie für eine +normale, ausreichende Ernährung hat sich längst verschoben, und die +Menge dessen, was viele Menschen essen, geht weit über das Maß des für +sie Zuträglichen hinaus. Namentlich wird zu viel Fleisch gegessen. +Andererseits fehlt aber das für eine solch starke Nahrungsmenge +notwendige Maß von Bewegung, zumal Fleischnahrung an und für sich träge +macht. So kommt also eine schädliche Wechselwirkung zustande. + +Die Pflanzenkost verlangt wegen ihres größeren Darmballastes mehr +körperliches Bewegen; aber sie befähigt dazu auch in weit höherem Maße, +denn Pflanzenkost macht den Körper frischer und beweglicher, den Geist +und den Willen frischer und mobiler. Pflanzenkost hält auch die +Darmtätigkeit rege, während starke Fleischnahrung nach einiger Zeit +Darmträgheit, also Verstopfung, im Gefolge hat. Dadurch entstehen +giftige Gase, die die Gewebe durchdringen und reizend und erregend auf +die Geschlechtsnerven einwirken. Das tut ja nun das Fleisch schon an und +für sich, und zwar durch Stoffe, die ohnehin in ihm enthalten sind, und +durch andere Stoffe, die durch den Vorgang des Schlachtens oder +denjenigen des Jagens in dem getöteten Tier erzeugt worden sind, und die +man schlechthin als »Angststoffe« bezeichnen kann. Das Vorhandensein und +die Wirkung dieser Angststoffe ist durchaus keine Phantasie, sondern +eine durch nichts hinwegzudisputierende Tatsache. Jedem geistigen +Vorgang geht ein bestimmter Stoffwechselvorgang parallel. Spritzt man +den Angstschweiß eines gejagten Tieres einem anderen ins Blut, so kann +dasselbe sterben. Ja, das geängstete Tier kann ebenso wie der geängstete +Mensch am Herzschlag sterben. Das ist nur und ausschließlich die Wirkung +der freigewordenen giftigen Angststoffe. + +Es ist verständlich, daß diese im Fleisch enthaltenen, durch das Töten +vermehrten Stoffe auch auf den Menschen ihre reizende und erregende +Wirkung entfalten. Dieser Reiz ist, weil widernatürlich, ein Überreiz, +und er wirkt überall da am stärksten, wo die Widerstandsfähigkeit am +geringsten ist. Wer zur Trägheit neigt, wird durch das Fleisch noch +träger, wer jähzornig ist, wird durch das Fleisch noch mehr gereizt, und +so wird durch das Fleisch auch die geschlechtliche Reizbarkeit +gesteigert und die Onanie gefördert. Der Fleischgenuß soll also auf das +geringstmögliche Maß herabgesetzt oder ganz ausgeschaltet werden. + +Es ist recht interessant, daß Kinder, die frühzeitig lebhaft nach +Fleisch verlangen, zu frühzeitigem geistigem und körperlichem Verfall +neigen, während andererseits Kinder, die sich dem Fleisch widersetzen, +eine kräftigere, ruhigere, überhaupt normalere Entwicklung nehmen. + +Besonderer Gunst erfreut sich ja das Wildbret (Hasen-, Rehbraten +u. dergl.). Und doch ist gerade von unserem Gegenstand aus vor dem +Fleisch des Wildes zu warnen. Denn abgesehen davon, daß das Wild vor dem +Tode gehetzt wurde, läßt man es meist vor der Zubereitung noch tage-, ja +wochenlang (drei Wochen!) »abhängen«, um einen bestimmten Geschmack zu +erzeugen, den man »_haut goût_« nennt. Dieser Geschmack ist aber nur die +Folge eines Zerfall- (Verwesungs-) Vorganges, der bestimmte +Zerfallsstoffe freiwerden läßt, deren Geruch und Geschmack dem +unverdorbenen Menschen höchst widerlich sind, deren aufreizende Wirkung +auf den Organismus jedenfalls sehr stark ist und nicht in Frage gestellt +werden kann. Denn ausgesprochenermaßen ist das ja der Zweck des +Wildbretgenusses. + +Noch vorsichtiger sollen alle diejenigen, die unter geschlechtlichen +Anfechtungen leiden, mit dem Genuß von Wurst sein. Abgesehen davon, daß +sie ein recht teures und an Nährwert dem Preise durchaus nicht +entsprechendes Nahrungsmittel ist, wird einigen und gerade den besseren +Sorten recht viel Gewürz (Pfeffer, Salz usw.) beigemengt, dessen Wirkung +auf die Geschlechtserregung durch alltägliche Beobachtung bewiesen wird. + +Viel Aufhebens wird ja in der Ernährung des Volkes von Fleischbrühe und +Fleischextrakt gemacht. Erstens herrscht darin die gedankenlose +Überlieferung und zweitens die suggestive Macht der ungeheuren Reklame, +die für künstliche Fleischextrakte gemacht wird. Es muß gesagt werden, +daß der Gehalt an eigentlichen Nährstoffen bei der Fleischbrühe nur +sehr, sehr gering ist, und man die anregende Wirkung nur jenen +Auszugsstoffen zuschreiben muß, über deren reizende und erregende Rolle +wir schon sprachen. Wenn die Fleischbrühe hier und da im medizinischen +Sinne als Reizmittel Verwendung findet, so hat das seine Gründe. Als +Nahrung aber ist die »Bouillon« nicht das, was man von ihr hält. Sie +gehört mit zu jenen inneren Geschlechtsreizen, die um so gefährlicher +werden, je weniger man sie in ihrem Wesen kennt, je häufiger und +gedankenloser man sie also verwendet. Wer über seine Sinne wachen muß, +der darf sich nicht am guten Willen genügen lassen, sondern muß jene oft +handgreiflichen Triebkräfte seiner sinnlichen Erregbarkeit abstellen, +damit nicht der Geist den Kampf gegen das -- »Fleisch« im doppelten +Sinne zu führen hat. + +Auch andere Nahrungsmittel gibt es, die in diesem Sinne keineswegs +unbedenklich sind. Ich nenne vor allem die Eier. Sie scheinen die +Samenerzeugung zu steigern, haben aber besonders eine Wirkung auf den +Blutdruck. Hoher Blutdruck drängt gewissermaßen zur geschlechtlichen +Entspannung, durch die er herabgesetzt wird, weshalb alles, was ihn +steigert, vermieden werden sollte. Das chemische Medium dabei sind die +Alkaloide, die als »Harnsäure« eine nach verschiedenen Richtungen hin +krankmachende Wirkung entfalten. Sie sind aber auch im Kaffee und im Tee +enthalten, weshalb diese Getränke jedenfalls nicht gewohnheitsmäßig und +nicht in starkem Aufguß genossen werden sollten. Ein schwacher Tee ist +weitaus besser als der übliche Kaffee, der bei den meisten Menschen ganz +bedenklich die Magenarbeit stört, die Nerven erregt und bei jungen +Menschen recht geeignet ist, sinnliche Bilder in die Phantasie +hineinzuspiegeln. + +Gewürze sind über ein gewisses Maß hinaus zu verwerfen. Denn als +Fremdstoff üben sie eine reizende Wirkung auf die Geschlechtsnerven aus. +Werden die Nahrungsmittel, besonders die Salate und Gemüse, richtig +zubereitet, so verlangen sie nicht einmal so viele Gewürze, aber gerade +weil man in der Ernährung den Boden des Einfach-Notwendigen verlassen +und sich oft zur sogenannten »Delikatesse«, zur Feinschmeckerei, zur +Raffiniertheit verstiegen hat, hat man den Geschmack an einfachen und +natürlichen Nahrungsmitteln verloren und das Nervensystem in einen +beständigen Aufruhr, in eine »Süchtigkeit« versetzt, die heftig das +verlangt, an das es gewöhnt wurde, wenn es auch falsch war. An diesem +Aufruhr ist das Geschlechtsempfinden beteiligt. Es wird aus der gesunden +Ruhe aufgescheucht, zu krankhafter Erregung getrieben, und es wäre recht +gut und förderlich, wenn alle die jungen Menschen, die in heißem Ringen +um ihre sittliche Würde immer wieder der geschlechtlichen Anfechtung +verfallen, ganz sorgfältig die Nahrung prüfen würden, damit die inneren +Geschlechtsreize unterbunden werden, bevor man den sittlichen Willen in +den Kampf schickt. + +Man darf behaupten, daß eine vegetarische Diät weit mehr den natürlichen +Lebensgesetzen des menschlichen Organismus angepaßt und darum nach jeder +Richtung hin geeignet ist, Unruhe und Krankheit aus dem Körper zu +beseitigen und normale, ruhige, gesunde Verhältnisse wiederherzustellen. +Dem menschlichen Geschlechtsleben ist der starke Fleischgenuß +verderblich gewesen, und eine Rückkehr zu einfacher Pflanzennahrung wird +wieder gesunde Ruhe und ruhige Kraft bringen. + +Kennst du so die gefährliche Wirkung der mit der Nahrung eingeführten +Reizstoffe, so mußt du auch daran denken, daß die Resterzeugnisse des +Verdauungs-, Assimilations- und Stoffwechselvorganges gerade wegen ihres +Zerfallscharakters auch nichts anderes als schädliche Reizstoffe sind. +Sie müssen den Körper sobald wie möglich verlassen. Nur dann, wenn es +geschieht, kann man von einem gesunden Stoffwechsel sprechen. Es +geschieht aber nicht immer, und die Zahl der Menschen ist Legion, die an +Darmträgheit oder Verstopfung leiden. + +Über die Ursachen dieses Übels sprachen wir schon. Zu viel Fleischkost +und zu wenig Bewegung, also nervöse und Muskelerschlaffung. Später wird +die Darmerschlaffung eine Folge des geschlechtlichen Mißbrauches in der +Jugend. Mit diesen Ursachen kennen wir zugleich auch die Mittel zur +Beseitigung. Notwendig ist diese; denn der gefüllte Darm übt rein +mechanisch einen Druck aus, der sich in Geschlechtserregung auslöst. +Grobes Brot (Schrot-, Graham-, Simons- oder Molkenbrot), Gemüse, Salate +und reichlich Obst führen in den meisten Fällen eine gute Darmtätigkeit +herbei. + +Auch die gefüllte Blase steigert auf reflektorischem Wege den +Geschlechtsreiz, und namentlich junge Männer haben am Morgen beim +Erwachen meist Gliederregungen, die mit dem Harndrang zusammenhängen. +Ist die Harnblase entleert, so ist meist auch die Erregung verschwunden. +Im Hinblick darauf sollten junge Männer es vermeiden, am Abend viel zu +trinken. Das Trinken ist ja schon an sich sinnlos, aber für die +Zurückdrängung der Sinnlichkeit besonders zu beachten. + +Den alkoholischen Getränken gegenüber entschließest du dich am besten zu +vollkommener Enthaltsamkeit. Bier, Wein, Schnaps, Liköre und dergleichen +haben keinen Wert als Nahrungsmittel und werden darin von den +allereinfachsten Dingen wie Milch, Brot, Käse, Obst und Obstsäften +übertroffen. Als Reizmittel aber sind sie dem Nervensystem verderblich, +dem Geschlechtstrieb gefährlich, und darum ist es sinnlos, sie zu +trinken. Im Kampf mit dem Geschlechtstrieb muß man solche gefährlichen +Gegner, wie den Alkohol, zu allererst verscheuchen. + +Ich will an dieser Stelle einiges über das Bett sagen; denn auf sein +Schuldkonto ist manches von den sinnlichen Verirrungen zu setzen. Mit +zunehmender Kultur wurden Unter- und Oberbett und auch die Kissen immer +weicher, schmiegsamer. Dadurch wird die Berührung dieser Dinge mit dem +Körper inniger, und das ist angesichts der großen Empfindsamkeit der +äußeren Nerven nicht unbedenklich. Es entsteht unter den Federbetten +eine Wärmestauung, und Wärme steigert überall das Empfinden. Wenn nun +aus gesteigerter Wärme und äußeren Tastreizen sinnliche Träume +entstehen, so geschieht es leicht, daß die Hände die geschlechtlichen +Organe berühren und eine Geschlechtserregung unbewußt im Schlafe oder +auch bewußt herbeiführen. Mancher junge Mensch wacht plötzlich vom +Schlafe auf in einem Augenblicke, wo der onanistische Akt ganz oder +teilweise vollführt ist. + +Diese Gefahr ist ganz besonders groß morgens kurz vor oder nach dem +Erwachen, wo die gefüllte Harnblase eine Erregung verursacht und die +Bettwärme sinnliche Bilder entstehen läßt. Am Morgen ist namentlich bei +nervösen oder sonstwie leidenden Menschen die allgemeine Kraft und +besonders die Willenskraft noch gering. Beide wachsen erst an den +Arbeitspflichten des Tages. In dem Träumen und Hindämmern im Bett nach +dem Erwachen liegt etwas riesig Gefährliches, und es hat wohl schon +ungezählte Tausende von jungen Menschen ihrem guten Vorsatz entfremdet. + +Es gilt hier, wie in so vielen Gefahren des Lebens, der Satz. +»_Principiis obsta_«. Widerstehe dem Anfang! Wenn du erwachst, so erhebe +dich mit einem mannhaften Entschluß! Stehe frisch entschlossen auf, +kleide dich an, bewege dich und beginne zu arbeiten. Gib dich nicht eine +Sekunde dem sinnlichen Hindämmern hin. Es ist immer ein Ringen zwischen +Trieb und Wille. Je mehr du den sinnlichen Trieb träumend ansteigen +lässest, desto schwächer wird dein Wille, bis er schließlich ganz +unterliegt. Mache es dir vor allem zum ~eisernen Grundsatz~, die +Geschlechtsorgane nur dann zu berühren, wenn die Notdurft des Leibes es +verlangt, ~sonst unter keinen Umständen~. Jenes Spielen, das die +angenehme leichte Erregung herbeiführt, ist wie ein Zunder in einem +Explosionsstoff. Du willst nicht die Explosion, aber es glüht und glüht, +bis mit einem Male dein Wille und dein moralischer Widerstand +zusammenbrechen unter der angetriebenen Sinnlichkeit, und es -- wieder +einmal geschehen ist. _Principiis obsta!_ Widerstehe dem Anfang! + +Auch Krankheitserscheinungen mancherlei Art gibt es, die +geschlechtsreizend wirken. Von den schweren Leiden, wie +Lungenschwindsucht, mit ihrer oft verzehrend-fieberhaften Sinnlichkeit, +will ich nicht sprechen. Wohl aber von örtlichen Störungen in der +Geschlechtsgegend, die von einem mehr oder weniger heftigen Juckreiz +gefolgt sind. Entweder finden sich dann Darmparasiten, Eingeweidewürmer +mancherlei Art, oder es handelt sich um Hautmilben oder Hautleiden, +welch letztere von Blasen-, Knötchen- oder Borkenbildung gefolgt sind +und ein oft fürchterliches Jucken und Kratzen veranlassen. Wohl immer +sind dies Folgen von Unsauberkeit, und der wohlmeinende Hygieniker hat +ernstlich darüber Klage zu führen, daß die wohltätige und +gesundheitswichtige Gewohnheit des Badens noch nicht genügend weit im +Volke verbreitet ist. Auf ein einmaliges Bad in der Woche bildet man +sich schon mancherlei ein. Aber für junge Menschen, die über +geschlechtliche Anfechtungen klagen und sich von der Onanie befreien +oder freihalten wollen, genügt das keineswegs. Sie sollten die gar zu +warmen Bäder meiden und allabendlich eine Waschung des gesamten +Unterleibes einschließlich der Oberschenkel und des unteren Rückens mit +kühlem Wasser machen und könnten, wenn die sinnliche Erregung nur schwer +zu bändigen ist, diesem Wasser etwa ein Fünftel Kampferspiritus +beimengen; das kühlt und beruhigt. Namentlich ist es dem jungen Manne +ratsam, den vorderen Teil des Gliedes, die Eichel, öfter durch +Zurückziehen der Vorhaut freizulegen und kühl abzuwaschen. Dadurch +entfernt man jenen Ausscheidungsstoff, der sich hier festsetzt und die +Geschlechtsnerven reizt. + +Die kluge Gewohnheit des Badens wird an Wert und gesundheitlicher +Bedeutung noch übertroffen durch das Luftbad. Es schließt eine +natürliche Form des Lebens in sich und bringt viel Kraftsteigerung für +das Nervensystem. Es gehen viele ins Luftbad, die krank sind und sich +von ihren Leiden befreien wollen. Aber klüger ist es wohl, schon -- ehe +man krank geworden -- einen Teil der Jugendjahre im Luftbade +zuzubringen, um im kräftigenden Reiz der atmosphärischen Luft, im freien +Lauf und im frisch-fröhlichen Spiel die sinnliche Lust einzudämmen und +umzuwandeln in Spannkraft des Körpers und des Geistes. Die sitzende +Lebensweise in den Schulen, Bureaus, Werkstätten und Fabriken führt zu +einer Stockung des Blutes und der Säfte in den inneren Organen und zur +Erschlaffung der Muskeln und der äußeren Haut; das häufige Luftbaden +schafft gründliche Änderung darin und bringt, namentlich wenn es +grundsätzlich auch im Winter im Freien genommen wird, mit der Abhärtung +zugleich auch einen frischen offenen Sinn, der es für verderblich und +unmännlich halten muß, sich schlaffen, sinnlichen Träumereien +hinzugeben. + +Um im Luft- und Sonnenbade ganz richtig zu handeln, dir nicht zu +schaden, lies mein Buch »Die Heilkraft des Luft- und Sonnenbades. +Rationelle Körperpflege durch Luft, Licht und Wasser«[3]. Du findest +darin eine ganz eingehende Darstellung dieses vornehmsten +Gesundheitsmittels und genaue Anweisungen für dein Verhalten. + +Da, lieber Leser, sind wir überhaupt bei der Frage der Muskelarbeit +angelangt, und damit bei einer Frage von so großer Wichtigkeit, daß wir +darüber noch einiges sagen müssen. + +Das Leben ist eine wunderbare Einheit, und tief im Innern des +Organismus, im Chemismus der Gewebe, werden in geheimnisvoller Weise die +Kräfte frei, die das Leben zur Entfaltung bringen. Im ewigen Kampf ums +Dasein empfing jedes Lebewesen, empfing auch der Mensch seine ganz +bestimmte Form, seine körperliche und geistige Organisation. Der Kampf +ums Dasein zog die Kräfte bald hierhin, bald dorthin und hat vor allen +Dingen in der Notwendigkeit der Körperarbeit und der körperlichen +Anstrengungen die Muskeln stark und leistungsfähig gemacht. + +Mit einem Male wurde die Muskelarbeit zurückgedrängt. Durch die +Entfaltung der Technik, der Industrie, der Wissenschaften, wurden immer +mehr geistige Kräfte verlangt, während die Körperkraft im Kampf ums +Dasein von Tag zu Tag mehr ihre Bedeutung verliert. + +Namentlich der Jugend aber, die ihres raschen Wachstums und +Stoffwechsels wegen und ihrer ganzen Anlage nach zu körperlicher +Bewegung drängt und darauf angewiesen ist, wenn sie sich normal +entwickeln soll, ist das viele Stillsitzen gefährlich geworden. Die frei +werdenden Kräfte finden keine Verwendung, keinen Ausweg. Würden sie in +Körperarbeit verwendet, so würde sich der Körper dabei aufbauen, würde +die gelösten Stoffe sich selber als dauernden Besitz anbauen, würde +stark und kräftig werden. So aber suchen sich die herrenlosen Kräfte +einen Ausweg und werfen sich auf den Geschlechtssinn, den sie erregen +und steigern und zur Entladung drängen. So ist vielfach die Onanie eine +Entladung von Kräften. Aber diese Kräfte werden dem körperlichen und +geistigen Dauerbau entzogen, und statt daß sie in ihrer stetigen +Verwertung den Organismus stark machen sollen, führen sie nun ein +Anwachsen, eine Züchtung des Geschlechtstriebes herbei. So verstehen wir +es, daß eine starke Geschlechtsbetätigung eine verhehrende Wirkung auf +Körper und Geist hat. + +Ja, gerade die in der Gegenwart so beliebt gewordene Methode der frühen +geistigen Erziehung der Kinder fördert ihre sinnliche Entwicklung +maßlos. Die Freude der Mutter über die regen geistigen Interessen ihrer +Lieblinge ist verderbliche Naivität; denn die geistige Regsamkeit ist +nervöse Entwicklung. Diese unsinnige Erziehung: geistiger Drill bei +körperlicher Trägheit! Unaufhaltsam werden die Kinder der +Geschlechtserregung zugetrieben. Die Eltern sind blind, sehen nichts und +lassen zwischen ihren Kindern oder zwischen den Kindern und den +Dienstboten Dinge geschehen, über die sie entsetzt sein würden, wenn sie +nur ein einziges Mal Augen- oder Ohrenzeugen wären. Und dabei sind es +oft Väter und Mütter, die mit größtem Ernst, mit sittlichen und +religiösen Mitteln ihre Kinder erziehen wollen und doch sie verderben. + +Nichts ist notwendiger in unserer Zeit, als diesen Kräftestrom wieder in +sein natürliches Bett zurückzulenken, die natürlichen Lebensbedingungen +wiederherzustellen, körperlich zu arbeiten. Oder, wo das nicht ausgiebig +möglich ist, Sport und Gymnastik zu betreiben. Der gesunde Instinkt der +Jugend hat das überall erkannt. Und überall in Deutschland begegnet man +jetzt den Wandervögeln, den Pfadfindertrupps, sieht man Tennisspiel, +Fuß- und Faustball u. a., gibt es Turn- und Sportvereine, Sommer- und +Wintersport, Berg- und Wassersport. So ist es recht, und niemand sollte +sich davon ausschließen. Ein junger Mensch, der immer zu Hause sitzt und +nicht da draußen seine Kräfte übt, seine Lungen weitet, hat keine rechte +Jugend gekannt. Und daß gerade die blassen Stillsitzer unter den +Onanisten so häufig zu finden sind, beweist die Gefahren der +körperlichen Untätigkeit. Die Wandervögel, die Pfadfinder sind an Zahl +gewachsen. Aber zehnmal, hundertmal so viel müßten es sein. Ein +nationales Erwachen müßte durch das Volk, müßte vor allem durch die +Jugend gehen, daß wir mehr von den Büchern und der blassen +Stubenhockerei und dem verdammten Kneipen-, Sauf- und Lumpenleben +loskommen. Das deutsche Volk wurde vor dem Kriege leider immer reicher +an Theoretikern, Maulhelden und Schlafmützen und an jenen ästhetischen, +saftlosen Dekadenten, die elegant und blasiert im Café saßen, über Gott +und die Welt räsonnierten und überlegen philosophierten, aber selber im +Leben nirgendwo einen rechten Platz ausfüllten, sondern nur die Scheu +vor der Arbeit allerorten großzogen. Diese schlaffen Kerle kriegen nur +Spannung, wenn das Erotische ihr Auge oder ihr Ohr trifft, wenn »die +Weiber« das Gesprächsthema bilden. Alles andere vermag ihre ausgelaugte +Intelligenz nicht mehr hervorzulocken. + +Laß dir dies kühl blasierte Gesicht nicht imponieren! Wer zuletzt lacht, +lacht am besten. Laß dir daran gelegen sein, einen kräftigen, gesunden, +elastischen Körper zu gewinnen, den diese »moderne« Schlaffheit und +Moralfaulheit nicht überwinden kann. Sparst du die Geschlechtskraft, so +lenkst du sie um in alle Organe deines Körpers und baust dir aus dem +geheimnisvollen Lebensstoff ein Leben, das im Alter die Klugheit deiner +Jugend segnet. + +Es ist wahrlich keine Schwarzseherei, wenn ich darauf hinweise, daß auch +das Turnen in mancherlei Hinsicht Gefahren in sich trägt. Die +Geschlechtsorgane sind bei vielen, namentlich bei den nervös veranlagten +jungen Menschen leicht reizbar. Darum ist es geraten, zum Beispiel beim +Klettern an Stangen und Tauen Reibungen der sexuellen Organe zu +vermeiden. Wo eine Gefahr besteht, kann man nicht genug auf der Hut +sein. In den Schulen und beim Militär wird ja auch auf einen korrekten +Kletterschluß geachtet. + +Vorzügliche Beachtung verdient neben den Wanderungen, die den Körper +stärken und den Geist zugleich ablenken und ausfüllen, das ~Schwimmen~. +Junge Menschen, deren sinnlicher Trieb sich in den Vordergrund drängt, +sollten fleißig das Schwimmen üben; denn es behebt die Blutfülle in den +Unterleibsorganen, die oft die unmittelbare Ursache der geschlechtlichen +Erregungen ist. Auch werden die sinnlichen Vorstellungen und Träume, die +aus solchen Blutstauungen entstehen, durch das Schwimmbad energisch +beseitigt und durch den niederschlagenden Kältereiz stets auf einige +Zeit zurückgehalten. Ich empfehle aber rasches Auskleiden, energisches +Hineingehen ins Wasser und schnelles Wiederankleiden. Nichts aber ist +nach allen Seiten hin von so großem Werte wie das tüchtige ~Luftbaden~. +Es vereinigt viele Faktoren der Gesundheitspflege und Nervenstählung in +sich und stellt die kraftvollste und unmittelbarste Verwirklichung jenes +»Zurück zur Natur« dar, das seit Rousseau immer lebendiger in die +allgemeinen Lebensanschauungen hineingetreten ist. Zeitweilig und +regelmäßig sich im Freien, in abgeschlossenen Luftbädern oder im +einsamen Wald, der Kleider zu entledigen und den nackten Körper bei +guter und schlechter Witterung der Luft auszusetzen, das ist eine +Klugheit und eine Wohltat zugleich. Ein Kraftzuwachs ist der Gewinn +dieser Klugheit. Und wenn das Luftbad mit tüchtiger Bewegung, Laufen, +Springen, Turnen oder -- wo es geht -- mit Schwimmen verbunden wird, +dann verscheucht es sicherlich alle die wirren sinnlichen Phantasien, +unter denen der blasse Stubenhocker leidet. Der gewaltige Bewegungsdrang +der Jugend will und muß entladen werden, denn dieser Bewegungsdrang ist +ja eben Jugend, und in seiner Betätigung liegt das Geheimnis des +Wachstums, der Erstarkung. Wird alles Körperliche, Spiel, Sport, +Gymnastik, Schwimmen, Luftbad, Turnen, unterbunden, und zwingen +Elternhaus und Schule zur Stillsitzerei hinter den Büchern, dann stauen +sich die Jugendkräfte und entladen sich da, wo krankhafte Reizbarkeit +ihnen ein Tor öffnet, in der Geschlechtssphäre. Wenn so die drängenden, +jugendaufbauenden, lebengestaltenden Kräfte in der Onanie einen Ausweg +gefunden haben, dann verlangt der erschöpfte Organismus nicht mehr nach +körperlicher Kraftentladung. Dem erschlafften Körper ist das Stillsitzen +ein Bedürfnis, eine Wohltat, und aus dem Onanisten entwickelt sich oft +in der Schule der blasse, folgsame Streber, der der Stolz des Lehrers +ist und den doch das Leben später, wenn er nicht mehr so recht +vorwärtskommt, darüber belehrt, daß nicht allein geduldiges Sitzen, +sondern Entschlußkraft, Mark und Saft dazu gehören, ein Ziel zu +erreichen. Dies sind aber Werte, die durch geschlechtliche Reinheit in +der Jugend gewonnen werden. + +Besser noch und richtiger als alles, wovon ich oben sprach, besser als +Sport, ist die Arbeit, die rauhe körperliche Arbeit. Der Sport hat noch +kein Volk groß gemacht, sondern die Arbeit, die harte, rauhe +Notwendigkeit. Denn Sport verleitet überall zu Rekordleistungen, zu +Übertreibungen, zu Fexerei und -- Schwindel. Der Sport läßt hier und da +nichts mehr von seinem inneren Werte merken und ist zum Schaustück, zur +Unterhaltung, zum Nervenkitzel geworden. Das beweisen -- die Wetten und +der Totalisator. Die Sucht nach wahnsinnigen Gipfelleistungen ist eine +Erscheinung der Neurasthenie eines ganzen Volkes. Schlaffe Nerven +antworten nur auf starke Reize. + +Der Sport ist sicherlich die notwendige und wohltätige Reaktion gegen +Schul- und Schreibstuben- und Fabrikarbeit. Aber der Sportmatador hat +viel zu sehr die bewundernden Blicke auf sich gezogen und den Sinn +abgelenkt von der körperlichen Arbeit, die greifbare Werte schafft. Geh +aufs Land hinaus und sieh die Arbeit der Bauern. Sie bestellen den +Acker, und von den Erzeugnissen ihrer Arbeit, von Kartoffeln, +Kornfrucht, Grünzeug, Obst und Viehzucht nährt sich das ganze Volk. Ist +das nicht wertvoller als sechs Tage lang wie ein Besessener im Kreis +herumzuradeln und klüger noch, als bei diesem Unsinn zuzusehen? + +Aber im Frühjahr und namentlich im Herbst ist auf dem Lande Leutenot. +Haben wir Deutschen nicht genug Hände zum Arbeiten? Ei, jawohl! Aber sie +stecken in den Hosentaschen und sind -- manikürt. Und während der Bauer +am Abend sorgend den drohenden Himmel betrachtet und vor Sonnenaufgang +aufsteht, um in harter Arbeit, mit Frau und Kindern und mit den wenigen +Kräften, die er bekommen kann, den Reichtum seiner Fluren in den +Scheunen zu bergen, sitzen in der Stadt Tausende im Kaffeehaus, spielen +sie Tennis- und Fußball und tragen in sich den glückseligen Gedanken von +der »Gesundheit des Sports«. + +Ja, gewiß ist er gesund! Aber ließe sich nicht ein weniges von all der +spielenden Kraft in Ernst, in Arbeit umwandeln? Sollen wir geschlagenen +Deutschen nicht eine ganz neue Zukunft bauen? Könnten nicht die jungen +Burschen, die Sportklubs, die Wandervögel und Pfadfinder, zum mindesten +in den Ferien, einmal zu den Bauern hinauswandern, um zu arbeiten? Muß +man immer spielen? Und vielleicht nur deshalb spielen, weil zu jedem +Sport auch gleich ein »schickes« Kostüm erdacht wird? Ja, die +kostümlich-dekorative Marke verdrängt oft sehr aufdringlich die innere +Kraft der Sache. Die Arbeit auf dem Lande wäre für die jungen Burschen +aller Stände nicht nur gesundheitlich förderlich, sondern auch ein +kräftiger Faktor ihrer sozialen Erziehung. + +Das deutsche Volk war vor dem Kriege auf jener Stufe der Degeneration +angelangt, wo in einem letzten Aufflackern der Körperkraft der Gedanke +an die Arbeit im Sport ästhetisch kultiviert wurde. Alle Welt litt und +erkrankte an der körperlichen Untätigkeit und der geistigen und nervösen +Überreizung. Alle Welt schaffte sich nicht Hunger und Verdauungskraft in +der Arbeit, sondern hatte die Mahlzeiten zu einer Haupt- und +Staatsaktion erhoben und litt am zu vielen Essen. Das Geschlechtliche +war das Ventil, aus dem die krankhafte Spannung entwich, und der +geschlechtliche Mißbrauch folgte der körperlichen Untätigkeit und der +Unmäßigkeit des Essens und Trinkens auf dem Fuße. Aber das ging an die +Nervenkraft, und alle Welt ging in die Sanatorien, um -- die Zeit weiter +totzuschlagen. Das große Heilmittel für die Neurastheniker und die +anderen Leidenden, die Körperarbeit, wollte niemand versuchen. Hatte der +Arzt eine Überzeugung, so mußte er sie für sich behalten, sonst kostete +sie ihn die Kundschaft. Nur wenigen gelang es, sich dem großen Humbug +mit Erfolg entgegenzustemmen. Nun hat der Krieg uns aus dem Hindämmern +aufgeschreckt, uns den Abgrund gezeigt, an dem wir hintaumelten. Nun +soll ernste, strenge, harte Arbeit uns einen ganz neuen Weg führen. + +Aus Arbeit und rauhen Notwendigkeiten entstieg die Kraft und erblühte +das Leben in tausend Schönheiten. Nun war die Kraft im Schwinden, und +ihre Wiedergeburt, die Regeneration, muß auch erst wieder durch die +rauhe Notwendigkeit der Arbeit, durch Einfachheit, durch Körperstählung +und durch geschlechtliche Reinheit hindurchgehen. + +Die Menschen haben sich an den Anblick der körperlichen und seelischen +Leiden und an das häufige und allgemeine Schmerzgefühl so sehr gewöhnt, +daß sie glauben, Schmerz und Krankheit lägen in der Natur der Dinge und +seien unvermeidliches und unabwendbares Schicksal. Darum ertragen viele +ihre Leiden in gedankenloser Ergebenheit oder führen Klage über ihr +persönliches Unglück. Die heftigen, impulsiven Naturen murren auch wohl +gegen das »Schicksal«. Die wenigsten nur sind es, die bei sich selbst +nach den Ursachen spähen und -- durch Erkenntnis klug geworden -- in +vorsichtigerer Lebensführung alle die allgemeinen Übel vermeiden. + +Von nichts aber dürfen wir mehr überzeugt sein als davon, daß bei +vernünftiger Lebensführung Krankheiten ganz außerhalb der Lebensgesetze +des menschlichen Organismus liegen. Haben wir nur ein klein wenig +natürlich denken gelernt, so müssen wir erkennen, daß die Natur +Gesundheit und Glück gewollt hat, und die Irrtümer und Fehler des Lebens +dem Einzelmenschen schaden und von ihm aus die Gesamtheit angreifen. + +Die Verletzung der Naturgesetze -- im Geschlechtsleben mehr als +anderswo -- verwirrt die Wege der Kraft, der Schönheit und des Glückes, +die den Menschen von der Natur gewiesen sind, und bringt Krankheit, +Schwäche und Tod. Wir Menschen von heute aber haben etwas, was niemand +je vorher besaß, die klare Erkenntnis von den wahren und eigentlichen +Ursachen des Verfalls. Wir sehen mit Entsetzen den Geschlechtsmißbrauch +die Kraft der Menschen und der Völker zerstören und sammeln alle Kräfte, +um dieser zerstörenden Gewalt zu begegnen. Die klare Erkenntnis hat uns +Hoffnung, Mut und Wille gegeben, und das Leben, das vor uns liegt, steht +im Zeichen einer neuen Zeit, in der in einem gesunden Körper wieder eine +gesunde Seele lebt. + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Zweiter Teil. + +Der junge Mann und das Weibliche. + +Rätsel und Irrtümer der Liebe. + + »Errötend folgt er ihren Spuren + Und ist von ihrem Gruß beglückt. + Das Schönste sucht er auf den Fluren, + Womit er seine Liebe schmückt.« + + Schiller. + + +Die alten Griechen hatten einen Gott, den sie Janus nannten, und den sie +sich mit zwei Köpfen dachten. Wollten wir Menschen die Liebe darstellen, +wahrlich, auch sie hätte einen Januskopf; denn kein Empfinden gibt's im +Leben, das so sehr Glück und Leid, Jubel und Tränen, Freude und Trauer +umschließt, kein Empfinden, das mit so viel stürmenden Hoffnungen begann +und mit so viel bitterer Resignation endete. Heiße, große +Jugendsehnsucht auf dem einen Gesicht und begrabene und beweinte Wünsche +auf dem andern, das ist der Januskopf der Liebe. + +Aller Jammer, alles Elend, alle Krankheit entspringt dem Irrtum. In den +Geschlechtsirrtümern verlieren die Menschen ihre Kraft. + + +1. + +Das Erwachen der Liebe. + +Um das 15., 16. oder 17. Jahr herum geschieht es, daß aus dem Knaben ein +junger Mann wird und der Körper alle jene bedeutsamen Veränderungen +erlebt, die vereint den Geschlechtscharakter bilden. Der Körper +entwickelt besondere Triebkraft im Wachstum, und dieses rasche, oft +schußweise Wachsen im Knochenbau, dem die Muskelfülle nicht ganz zu +folgen vermag, gibt der Gestalt jene merkwürdige Eckigkeit und +Unbeholfenheit, die uns den jungen Mann in den »Flegeljahren« oft so +lächerlich ungeschickt erscheinen lassen. Auf der Oberlippe erscheint +der erste Bartflaum, die sexuellen Organe entwickeln sich stärker; es +mehren sich die Schamhaare; die Stimme verliert den kindlichen Klang; +sie »bricht« und gewinnt jenen dunklen, oft rauhen Timbre, aus dem man +den »Stimmbruch« eine Zeitlang deutlich heraushört. + +Dieser ganzen äußeren Entwicklung, die einen ausgeprägt geschlechtlichen +Charakter trägt, entspricht auch eine innere Entwicklung. Denn das +geistige Leben wird beeinflußt und gespeist von jenen inneren +Absonderungen der Keimdrüsen, die in dieser Zeit lebhafter zu arbeiten +begonnen haben. Das Geschlechtsgefühl ist nun nicht mehr bloß allgemein +körperlich, sondern wird reicher an plastischen, geistigen +Vorstellungen. Denn in demselben Maße, in dem das eigentlich Männliche +sich in dem jungen Manne ausbildet und äußerlich und innerlich ausprägt, +stellt sich sein ganzer männlicher Organismus auf das Weibliche in +seiner Umgebung ein. Männlichkeit und Weiblichkeit bilden eben im +kosmischen Geschehen jene gewaltige Polarität, aus der das +weltenbewegende Wunder der Liebe entsteigt. Jeder Pol sucht seinen +Gegenpol, und alle die feinen und starken Ausstrahlungen der +Männlichkeit suchen und finden das Weibliche, das sie mit dem gleichen +Gesetz anziehen und sich zu verschmelzen trachten. So gewinnt das +Weibliche eine gewisse Herrschaft über das Männliche, das +sich -- gebändigt durch unklare sinnliche Wünsche -- dieser Herrschaft +gern beugt, ja sich manche »süße Tyrannei« eines jungen Mädchens +gefallen läßt und aus Liebe und Ritterlichkeit zu jedem Dienst +und -- jeder Torheit fähig ist. + +Das sind etwa so die Tanzstundenjahre. Eine kleine Welt für sich, deren +glückliches Hoffen nie wiederkehrt. Je stärker und unklarer diese +männliche Sehnsucht ist, desto verlegener und ungeschickter kann der +sonst ganz ruhige und sichere junge Mann werden, wenn in der +Gesellschaft ein junges Mädchen all seinen stürmend-sehnsüchtigen +Gefühlen ein naheliegendes Ziel gibt. Dann ist es mit der Ruhe vorbei. +Er möchte den allerbesten Eindruck machen, die Ritterlichkeit in Person +sein, glaubt sich von allen Anwesenden beobachtet und möchte sich doch +um alles in der Welt vor seiner »Angebeteten« keine gesellschaftliche +Blöße geben. Das geringste Mißgeschick bringt ihn in unglaubliche +Verwirrung. Er steckt das Tischtuch als Serviette ins Knopfloch, +schüttet der Dame die Suppe aufs Kleid, wirft einen Stuhl um und sucht +verzweifelt nach einem Gesprächsthema. + +Das Liebesspiel hat begonnen, und alle die grotesken Verlegenheiten sind +nur die grenzenlose Verwirrung, die das Weibliche anrichtet in der Seele +des jungen Mannes, dessen erwachte Geschlechtlichkeit sich in dieser +neuen Welt noch nicht zurechtzufinden weiß. + +Und dann ergreift das Weibliche immer mehr Besitz vom Denken und Fühlen +des jungen Mannes. Es schärft auf der Straße und in der Gesellschaft +seine Augen für Jugend und Schönheit, Grazie und Charme. Es dringt in +seine Träume ein, und während der gesunde, wohlerzogene junge Mann die +Schönheit dieser Jugendjahre nicht ihres idealen Gewandes entkleidet und +die Poesie der jungen Liebe nicht in der sexuellen Gier vernichtet, +kämpfen viele -- und namentlich diejenigen, die den onanistischen +Geschlechtserregungen verfallen sind -- mit sexuellen Vorstellungen. Und +während bei dem einen die ersten Regungen der Liebe zugleich seinen +männlichen Stolz und seine sittliche Selbstachtung wecken, und ihm die +Liebe zur Waffe gegen seine unreine Verirrung wird, gerät der andere +noch tiefer in die Gewalt des krankhaften Triebes. + +Hier findet der zügelnde Wille und die Klugheit einer gesunden +Lebensführung einen besonderen Boden, zumal es sich darum handelt, jene +nächtlichen automatischen Samenergüsse, die sogenannten Pollutionen, in +ihren physiologischen Grenzen zu halten. + +Mancher junge Mann wird verwirrt oder erschreckt, wenn er in der Nacht +oder am Morgen einen Samenverlust beobachtet, der von einer mehr oder +weniger starken Erregung, von mehr oder weniger lebhaften sinnlichen +Träumen begleitet war. Den Unwissenden und Ängstlichen mag gesagt sein, +daß die Pollutionen nichts Krankhaftes an sich haben, sondern eine +normale Entscheinung sind, wenn sie etwa alle 10-20 Tage sich höchstens +einmal einstellen. Darüber hinaus und besonders dann, wenn der Pollution +am nächsten Tag schlaffes, schlechtes Befinden, blasses Aussehen, +Kopfschmerz, Kreuzschmerzen, Nervosität und dergleichen folgen, haben +wir es mit nervöser Schwäche zu tun, oder der Samenerguß war durch einen +äußerlichen oder innerlichen Reiz, jedenfalls aber durch einen Fehler in +der Lebensführung, herbeigeführt worden. In solchen Fällen wirst du gut +tun, lieber Freund, alle die Ratschläge zu befolgen, die ich schon zur +Heilung der Onanie gegeben habe, und namentlich die Abendmahlzeit nicht +nach 6 Uhr einzunehmen und sie nur aus Brot und Früchten bestehen zu +lassen. + +Wenn es möglich wäre, die Menschen in ihrer Allgemeinheit wieder zu +einer gesunden und einfachen Lebensweise zurückzuführen, so müßten +wahrscheinlich die Pollutionen entweder gänzlich schwinden oder auf ein +äußerst geringes Maß zurückgehen. Aber diese Erscheinungen hängen wohl +mit der nervös gesteigerten Erregbarkeit des Lendenmarkes, mit +körperlicher Untätigkeit und mit einer falschen Ernährung weit mehr +zusammen, als man auch nur ahnt. Wenn aber zum Beispiel eine +geschlechtliche Erscheinung mit der Ernährung zusammenhängt und zugleich +mit dieser geändert werden kann, so ist es doch zum mindesten recht +schwer, zu sagen, sie sei so, wie sie ist, normal. + +Keinesfalls aber läßt sich aus solchen Erscheinungen die +Anschauung herleiten, daß nun der Organismus reif sei für die +Fortpflanzungstätigkeit, und daß nun die Geschlechtsbetätigung für den +jungen Mann zu einem persönlichen Recht und zu einer gesundheitlichen +Forderung werde. Denn wenn auch -- was jedenfalls bestreitbar ist -- die +Pollutionen normale, physiologische Erscheinungen wären, so könnten sie +doch nur eine passiv-automatische Übung und Wachstumssteigerung eines +Triebes darstellen, der seiner sozialen Beziehungen und Folgen wegen +nicht allein in der körperlichen Entladung begriffen werden kann. + + +2. + +Die Sittlichkeitsfrage. + +Hier haben wir mit einem Male einen Sprung mitten in die sogenannte +»Sittlichkeitsfrage« hinein getan. Denn der Begriff des »Sittlichen« hat +sich stillschweigend und in seiner ganzen Ausdehnung an das +Geschlechtliche angeschlossen. + +Diese Sittlichkeitsfrage beschäftigt sich im wesentlichen damit, ob es +einem jungen Manne erlaubt sein kann, vor der Ehe und in noch +jugendlichem Alter geschlechtliche Beziehungen zu unterhalten. + +Diese Frage ist durchaus neueren Datums. Denn erstens waren die +sittlichen Anschauungen von früher strenger und straffer, zweitens hat +die Gesellschaft heute in allen Fragen, und somit auch in der +sexual-moralischen, die soziale und sittliche Kritik über das +gedankenlose Sichgehenlassen gesetzt, und drittens ist gerade mit dem +Erwachen dieses kritischen Geistes jener eigenwillige Individualismus +großgezogen worden, der über die Rechte der Persönlichkeit hinaus auch +die Ungebundenheit des Trieblebens mit »Individualität« und anderen +Phrasen verteidigt, die sozialen Wurzelungen lockert und dieses ganze +philosophische Vorspiel nur beginnt, um endlich und insbesondere dem +vorehelichen Geschlechtsleben eine unbeschränkte Freiheit zu +verschaffen. + +Beiläufig gesagt: nur dem männlichen, nicht dem weiblichen +Geschlechtsleben. Denn daß das junge Mädchen vor der Ehe keusch zu leben +habe, ist eine so verbriefte, so tiefempfundene sittliche Forderung, daß +ein Sturm sich erhob, als einige dem Lager der Frauenbewegung +entstammende Schriften auch diese Schranke zu durchbrechen suchten. +Nicht nur tiefe und bedeutsame biologische Gründe, sondern +schlechterdings der sexuelle Egoismus des Mannes verlangen es, daß das +junge Mädchen vor der Ehe seine Jungfräulichkeit bewahre. + +Der gleiche Sturm der Verwunderung und Entrüstung erhob sich aber auch, +als vor nunmehr etwa 30 Jahren in der Öffentlichkeit klipp und klar +gesagt wurde, daß es auch für den Mann die sittliche Forderung der +Enthaltsamkeit gebe. + +Das traf die gedankenlosen Gehirne wie ein scharfer Sonnenstrahl, der +die Augen blendet. Bis dahin hatte der Mann dasselbe getan, was er noch +heute mit der gleichen aufreizenden Selbstverständlichkeit tut: er hatte +jede sich bietende Gelegenheit zum Geschlechtsgenuß bereitwilligst +benutzt. + +Die Forderung der Enthaltsamkeit war durchaus nicht neu. Die christliche +Religion und auch andere Kulte hatten sie aufgestellt. Nur war die +Gedankenlosigkeit des Alltags allmählich über das unerschütterliche +Gefüge ethischer Grundgedanken hinweggewuchert. Da fiel wie ein Funke +ins Pulverfaß jene Erstaufführung des Björnsonschen Dramas »Der +Handschuh« durch die Berliner »Freie Bühne« Ende des Jahres 1889. Die +Heldin dieses Dramas, Svava, erfährt, daß ihr Bräutigam früher schon +Geschlechtsverkehr mit einem Mädchen hatte, und sagt sich von ihm los. +In der reichen literarischen Nachfolge, die diese Arbeit fand, finden +wir den gleichen Gedankengang namentlich in »Vera. Eine für viele«. + +Der starke und imponierende ~Björnson~ hatte also sich selbst zum +Wortführer einer geschlechtsmoralischen Forderung gemacht und sie +dadurch, daß er sie auf der Bühne abhandelte, in den Brennpunkt des +allgemeinen Interesses gerückt. Die Presse griff denn auch +diesen -- »Handschuh« wie ein Mann auf, die einen mit Hohnlachen und dem +zeternden Wortschwall einer angstvollen Verteidigung, die andern mit +wohlwollender Zustimmung. + +Genug, der Stein war ins Rollen gekommen, und ~Björnson~ selbst sorgte +dafür, daß die Sache zumindest in den skandinavischen Ländern nicht so +bald zum Stillstand kam. Man erinnert sich seiner eindrucksvollen, +faszinierenden Persönlichkeit, die überall den strengen +Sittlichkeitsgedanken, ~die monogamische Ehe~, in glänzender Rede gegen +jede geschlechtliche Lauheit, gegen jedes psychologisch oder +philosophisch umschleierte Triebleben verteidigte. + +Zur selben Zeit begann die Wissenschaft, die bis dahin scheu und ängstlich +dieses Gebiet gemieden hatte, sich doch damit aus biologischen und +medizinischen Interessen zu beschäftigen. Die Geschlechtswissenschaft +(Sexuologie) spürte den geheimnisvollen Gesetzen dieser menschlichen +Leidenschaft nach, um alle Zusammenhänge zu finden. Und mit einem Male +übersah man auch klarer als bisher die ungeheuren gesundheitlichen +Schäden, die das gedankenlose vielweiberische (polygamische) +Geschlechtsleben des Mannes angerichtet hatte. Man erkannte den Einfluß +alles Geschlechtlichen auf die Erziehung, das Denken überhaupt, auf alle +sozialen Beziehungen, auf die Vererbung, auf Lebensgestaltung und +Lebensglück, und es war wie ein jähes Erwachen, das den erschreckend neuen +Eindruck von der gewaltigen Bedeutung alles Geschlechtlichen in zahllosen +Schriften festhalten zu wollen schien. + +Und was bis dahin nie und nirgendwo geschehen war: die Frauen hatten +aufgehorcht. Sie, die bis dahin in der allgemeinen Komödie der Prüderei +die Statisterie gemacht hatten, gewannen nun mit einem Male das +Bewußtsein, daß es eine empörende Ungerechtigkeit ist, wenn der Mann vom +Weibe voreheliche Enthaltsamkeit verlangt, während er sich selbst doch +zu gleicher Zeit recht munter amüsiert und der Frau als Dank für ihre +sittliche Bewahrung eine -- Geschlechtskrankheit als Morgengabe in die +Ehe bringt. + +Was Wunder, daß gerade die Frauen sich gegen diesen Zustand auflehnten +und mit großer Energie die sexuelle Frage der prüden Umschleierung +entrissen. + +Wir stehen ja noch heute vor der Tatsache, daß junge Männer, wenn sie +die Schule und das Elternhaus verlassen haben, oft ohne alle +Gewissensbisse von den sich bietenden Gelegenheiten zum +Geschlechtsverkehr Gebrauch machen, ohne der moralischen und sozialen +Gesetze zu gedenken, welche sich natürlicherweise gegen den +eigenwilligen geschlechtlichen Individualismus auftürmen. Denn die +Beurteilung eines Triebes, der über den Einzelmenschen hinaus von +sozialen Folgen ist, erschöpft sich keineswegs in den Wünschen und +Rechten des Individuums, sondern muß notwendigerweise eine soziale sein. +Die tiefsitzende Inkonsequenz beginnt aber schon mit der Forderung der +Keuschheit der jungen Mädchen, und die sozialen und mehr noch die +sittlichen Zwiespalte fallen zusammen mit der gesellschaftlichen und +seelischen Verwirrung, die ein Mann im Leben eines Weibes anrichtet, +wenn sie der Gegenstand seiner geschlechtlichen Wünsche geworden ist. + + +3. + +Geschlechtsleben und Gesundheit. + +Das jugendliche Geschlechtsleben mit den Forderungen der Gesundheit zu +entschuldigen, ist eine jener sophistischen Ungereimtheiten, die nur da +entstehen, wo die erotischen Wünsche das Gewissen zum Schweigen bringen +wollen. + +Es gibt gegenwärtig wenige Fragen, in deren Beantwortung so heftige +Widersprüche herrschen, wie diejenige des Nutzens oder Schadens der +vorehelichen Geschlechtsenthaltsamkeit. Aber selbst wenn die +Wissenschaft sich zugunsten der -- Frivolität entscheidet und Fälle von +Schädigungen durch Enthaltsamkeit bei der Jugend aufzählt, so müßte sie +doch der degenerativen Entwicklung Rechnung tragen. Sie müßte in +Rücksicht ziehen, daß die Kultur weit von den physiologischen Gesetzen +der menschlichen Natur abgerückt ist, und daß durch geschlechtlichen +Mißbrauch, durch die Raffiniertheit und Grenzenlosigkeit der Ernährung, +sowie durch körperliche Untätigkeit eine sexualnervöse Reizbarkeit +gezüchtet wurde, die das ordnende Urteil trübt. Was aber ein sinnlich +gesteigerter Organismus verlangt, das darf die Wissenschaft nicht als +allgemeines Geschlechtsrecht im ganzen Volke austeilen. Erkennt man, daß +ein Trieb durch Mißbrauch sich im Organismus in den Vordergrund drängte, +so muß man den Begriff des »Natürlichen« an diesem Trieb arg +beschneiden. Und selbst wenn man, ohne der mißbräuchlichen Steigerung +zu gedenken, den Trieb mit Recht »natürlich« nennt, so vermag man ihn +doch in keiner Weise zu trennen von den seelischen, sittlichen und +sozialen Kräften, die das Wohl der menschlichen Gemeinschaft und ihre +Entwicklung bedingen. Wird der Geschlechtstrieb rein körperlich +gezüchtet, so bringt er das Menschengeschlecht rückwärts, nicht +vorwärts. + +Wenn ein Mensch ißt und dabei den Zweck des Essens vergißt und zur +Eßgier gelangt; wenn er trinkt, nicht weil der Körper Flüssigkeit +verlangt, sondern weil er der Leidenschaft des Trinkens verfallen ist, +so werden die geistigen Kräfte in demselben Maße schwinden, in dem die +körperliche Sucht sich steigert. So bedeutet auch der unerlaubte +Geschlechtsverkehr der Jugend, eben weil er die sozialen und sittlichen +Kräfte nicht auslöst, eine Hemmung der geistigen und charakteriellen +Entwicklung. + +Daß die geschlechtlichen Erschütterungen und die Samenverluste einen +noch nicht ausgereiften Organismus in seiner Entwicklung hemmen, ist +eine ganz allgemeine Erfahrung. Es ist schon rein logisch und ohne jeden +wissenschaftlichen Beweis einzusehen, warum jene geheimnisvollen +Lebensstoffe, deren Entstehung im Körper zu einem solchen Reichtum und +Überschwang des Gefühls führt, die das Urgeheimnis der polaren Spannung +zwischen Mann und Weib in sich bergen, und die in der Leidenschaft ihrer +Vereinigung das Wunder der Menschwerdung vollbringen, warum sie ohnedies +dem Organismus, solange er sich in der Entwicklung befindet, seine +Spannung geben; denn diese Stoffe, die immer wieder neues Leben auf die +Bahn des Werdens schleudern, sind nicht nur Ursubstanz des Lebens, +sondern zugleich auch seine feinste Blüte. Sie behalten immer ihre +gestaltende Kraft. Und es liegt große Klugheit darin, durch diese +gestaltende Kraft zunächst den eigenen Organismus auf den möglichen +Höhepunkt seiner Entwicklung zu bringen, ehe man im bloßen +Geschlechtsgenuß Rechte sucht, die erst der mit sich selbst fertige, +vollendete Organismus besitzt. + +An den Erscheinungen der Geschlechtsreife (Pubertät) erkennen wir die +treibende und gestaltende Kraft jener Lebensstoffe. Ein Ausreifen nach +allen Richtungen ist es, das wir beim Erwachen der Liebesempfindung +staunend beobachten. Was späterhin das neue Leben formt, das verleiht +einige Jahre vorher der Stimme ihren tieferen Vollklang, das treibt den +Bart als eins der Zeichen der Mannheit, das gibt dem Charakter seine +Festigkeit und dem Geiste Stolz und Kühnheit. Entfernen wir die +Keimdrüsen (Kastration) so hört alle diese Entwicklung ins Männliche mit +einem Male auf. Die treibenden Kräfte sind unterbunden. Die Stimme +bleibt dünn, der Bart wächst nicht, der Charakter bleibt weichlich, +ängstlich, tatenlos oder verschlagen. + +Es mag darüber gestritten werden können, ob wir dem häufigen +Samenverlust allein die Schäden, von denen die Rede war, zuschreiben +sollen. Keinesfalls dürfen wir aber der gewaltigen allgemeinen +Erschütterung vergessen, die der Organismus in der Geschlechtserregung +erleidet. Kommt sie schon in der Jugend, noch ehe der Gesamtbau seine +ordentliche Kraft und Festigkeit erlangt hat, und wiederholt sie sich zu +oft, so verlieren die gar zu stark erregten Nerven, die in der Erregung +gar zu oft ausgedehnten Blutgefäße, verliert das stark erregte Herz, +verlieren die oft krampfhaft angespannten Muskeln die Fähigkeit, wieder +zu vollkommener Ruhe, zur physiologischen Norm zurückzukehren. Alles +erschlafft, und diese Erschlaffung ist traurige Widerstandsunfähigkeit +und Empfindsamkeit. Und in demselben Maße, in dem die Kraft und die +Energie zu tüchtiger Arbeit verloren gehen, bemächtigt sich des +Organismus jene lüsterne Träumerei, die selbst am Tage alles +Geschlechtliche umkreist und gewissermaßen mit angehaltenem Atem auf der +Lauer liegt, um alles Geschlechtliche gierig einzusaugen und selbst das +Harmlose im Gespräch, im Leben, in Büchern und Bildwerken, zum +Geschlechtlichen zu machen. Dann zehrt die Sinnlichkeit von der +körperlichen und geistigen Kraft, und es fehlt meist jenes notwendige +Maß körperlichen Ausarbeitens, um die gefährlich wuchernde Sinnlichkeit +einzudämmen. + +Es ist sehr oberflächlich, wenn ein junger Mann seinen +Geschlechtsverkehr mit seiner scheinbaren Reife, mit den nächtlichen +Pollutionen und mit dem Hinweis auf die Erwachsenen entschuldigt. Denn +erstens habe ich gezeigt, daß die scheinbare Reife sehr wohl frühzeitige +Triebsteigerung sein kann, die als nervöse Anlage sich genau so erblich +überträgt wie irgendeine Krankheit. Daß zweitens die Pollutionen eine +recht zweifelhafte Erscheinung sind, und daß wir große, starke und +gesunde Männer mit wenig oder gar keinen Pollutionen, dagegen oft +schwächere, nervöse, blasse Jünglinge mit häufigen Pollutionen +antreffen, sowie, daß die Pollutionen durch Onanie hervorgelockt werden +können. Drittens, daß die Jahre der Geschlechtsreife beileibe nicht die +Rechte geschlechtlicher Tätigkeit mit sich bringen, sondern durch die +Steigerung der Samenerzeugung und der inneren Absonderungen dem Körper +die geschmeidige, jugendliche Kraft und Biegsamkeit, dem Geist die +Frische und die Fähigkeit schnellen Erfassens und der Seele Tiefe und +Wärme verleihen sollen. + +Es mag als Grundsatz gelten, vor vollendetem Längenwachstum alle +sexuellen Kräfte zu sparen. + +Die Tierzüchter haben reiche Erfahrungen in diesen Dingen gesammelt, und +keiner von ihnen wird ein nicht völlig ausgewachsenes Tier zur +Fortpflanzung zulassen. Jeder von ihnen weiß, wie schwer dadurch das +Tier in seinem ferneren Wachstum aufgehalten und wie empfindlich man +schließlich die ganze Rasse schädigen wird. Es mag auch nicht unerwähnt +bleiben, daß, wenn man kranken, schwächlichen, nervös erschlafften +Menschen Samenflüssigkeit unter die Haut spritzt, sie eine bedeutende +Vermehrung ihrer körperlichen und geistigen Frische zeigen. + +Die Athleten und die Sportsleute, die sich zu besonderen +Höchstleistungen vorbereiten, müssen Geschlechtsenthaltsamkeit +beobachten. Ja, diese ist ein ganz besonderes Erfordernis des +»Trainings«. Wir erkennen daran das Gesetz von der Umwandlung der Kräfte +im Organismus, und es darf als sicher gelten, daß die geschlechtliche +Selbstzucht nicht nur die körperlichen Kräfte mehrt, sondern vor allem +auch Ausdauer und jenen äußersten Willen weckt, der bei besonderen +Leistungen den Ausschlag gibt. + +Sind aber nicht auch die Jahre der Jugend eine Art Training, eine +Vorbereitung für tüchtige Leistungen im Leben? Sollte die Jugend nicht +ebenfalls alle die Kräfte sparen, deren Besitz die offenbare Quelle für +körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ist? Wenn die Eltern alle +Nahrungssorgen auf sich nehmen, nur damit die Kräfte der Jugend sich +nicht zwischen Entwicklung und Daseinskampf zersplittern, hat dann die +Jugend ein Recht, diese Kräfte trotzdem zu vergeuden, und zwar in der +Geschlechtslust? + +Die Spannung, die durch Enthaltsamkeit erzeugt wird, ist Triebkraft und +hat sowohl hohen kulturlichen wie lebenssteigernden Wert. Nichts ist +sicherer, als daß die Geschlechtsenthaltsamkeit der Jugend und die +Mäßigkeit der Erwachsenen nicht nur für den Einzelnen Sinn und +praktische Bedeutung haben, sondern vielmehr für ein ganzes Volk von +einschneidendem kulturlichem Wert sind. Eine Nation, die ihr Gewicht in +die Wagschale der Geschehnisse werfen will, muß ihre geschlechtlichen +Kräfte sparen. Das mögen wir Deutschen uns für den mühsamen Aufstieg, +der die nächsten Jahrhunderte unserer Geschichte ausfüllen wird, und für +unsere ganze Zukunft merken. + + +4. + +Die Geschlechtsehre. + +Freilich wird ja ein junger Mann, wenn er ins Leben hinaustritt, in +einen argen Zwiespalt gebracht. Aus dem Knaben wird ein »Mann«, und +diese »Männlichkeit« ist im dickflüssigen Strom einer geschmacklosen +Überlieferung leider gar zu sehr aus geschlechtlicher Abenteuerei und +Renommisterei zusammengesetzt worden. Wer ein »Mann« sein will, glaubt, +etwas erlebt haben zu müssen und sieht mit Überlegenheit und Spott auf +jüngere Kameraden herab, die noch einen Rest des Schamgefühls aus den +Erziehungsjahren in sich tragen. Aber die freche Großsprecherei und der +Spott der Älteren verwirrt den Jüngeren. Zwar weiß er ganz gut, wie der +anständige Mensch zu handeln hat. Aber sein Wissen in diesen Dingen ist +Stückwerk, ist unklar, unbestimmt, seine Persönlichkeit ohne +Entschiedenheit, ohne Festigkeit. Diesen ewigen Verlockungen, den +spöttelnden Angriffen, erliegt schließlich das gute Gewissen. Ja, der +dumpfe, nicht gezügelte Geschlechtstrieb setzt sich in einem Augenblicke +über Dinge hinweg, die bei ruhiger Betrachtung häßlich, abstoßend und +empörend sind, über Schmutz, Roheit und ernste Krankheitsgefahr. + +Darin liegt die große Niedertracht der Gesellschaft überhaupt, daß +einer, der eine Dummheit macht, den anderen zu sich herabziehen will; +denn die vergesellschaftete Dummheit erstickt ihren eigenen Vorwurf. Der +Pluralis erscheint ihr als Entschuldigung, und so holt sich denn die +jugendliche »Männlichkeit« weiter ihr Rüstzeug -- bei der Dirne. + +Wie ist es doch sonderbar, daß ein junger Mann, kaum daß er in das Leben +hinausgetreten ist -- und oft schon vorher -- ein Geheimnis in sein Leben +hineinträgt, das ihn in einen inneren Widerspruch zu seiner gesamten +Erziehung bringt. Ein Geheimnis, dessen er sich -- würde es +offenbar -- vor aller Welt schämen müßte. Ja, er selbst schämte sich, und +scheu und angstvoll, daß er um alles in der Welt nicht gesehen würde, +umschlich er das geheimnisvolle Haus, das die eigenen Kameraden oder seine +lüsterne Neugier ihm gezeigt, und verschwand darin in einem günstigen +Augenblick. Wäre nicht der Stolz in der sexuellen Spannung erstickt, so +müßte sich die Wirklichkeit des bezahlten Geschlechtsgenusses dem +Bewußtsein in ihrer ganzen Widerlichkeit aufdrängen. Ein Weib, das nicht +mehr Weib, sondern wahlloser Sinnlichkeitsgegenstand wahllos sich +einfindender Männer ist, das oftmals die einfachsten Gesetze der +Reinlichkeit übersieht, für eine Weile zu besitzen, kann einen Mann von +wahrer Mannhaftigkeit nicht locken. Was die jungen Männer zu diesen +frühzeitigen geschlechtlichen Verbindungen treibt, ist ja auch bei aller +Sinnlichkeit tief im Innern die Sehnsucht nach Liebe und das urewige +Rätsel des Weibes. Aber diese zarten knospenden Empfindungen, die sich in +der Ehe, in der Familie, in echter, mannhafter Liebe ausreifen sollen, +werden von den jungen Männern in Schmutz und gemeine Niedertracht +geworfen. Daher die verkümmerte Empfindungswelt so vieler Menschen, die +ihre eigene Lebenspoesie zerstört haben. Wünsche, Träume, Sehnsucht und +Vorstellungen dürfen nicht in gar zu häßlicher Wirklichkeit erstickt +werden, sonst ist das Ende seelische Erschlaffung, Pessimismus. + +Die vorehelichen Geschlechtsbeziehungen haben eine so ungeheure +Ausdehnung gewonnen, daß viele in ihnen eine Art von normaler Vorschule +der Ehe erblicken. Wie riesenweit ist aber der Abstand zwischen Bordell +und Familie, zwischen der Dirne und der Mutter, zwischen bezahltem +Geschlechtsgenuß und der Liebe zweier Menschen, die miteinander in ihrer +Kinder Land einziehen! Kann dies Gemisch von Lüsternheit, +geschlechtlichem Schmutz, alkoholischer Frechheit und sittlicher +Erniedrigung, das das Dirnenleben durchzieht -- kann das die richtige +Vorbereitung sein für die Ehe, in der das Glück der Gatten und das Wohl +der Kinder aus Kraft und Reinheit kommen sollen? + +Man spricht viel und gern von dem Kampf, den die voreheliche +Geschlechtsentsagung mit sich bringt. Freilich ist es ja wohl am +bequemsten, diesen Kampf durch die erste beste Dirne zu beenden. Aber +ist es denn gut, ihn so rasch zu beenden? Ist nicht der Kampf die +treibende Kraft aller Entwicklung? Weckt er nicht alle verborgenen +Kräfte? Wer die Flinte ins Korn wirft, ist sittlich ein Feigling. Dieser +kampflose, bezahlte, bequeme Geschlechtsgenuß vor der Ehe, dessen sich +junge Männer und auch junge Mädchen bemächtigen, schadet der Ehe, +schadet den Kindern; denn er nimmt dem Leben und dem Geschlechtsgefühl +die Hochspannung. Er befriedigt die Wünsche, tötet die Sehnsucht, +zerstört Illusionen. Enthaltsamkeit ist biologische Spannung, deren +Fehlen man den Kindern vom Gesicht herunterlesen kann. + +Wie bilden sich denn eigentlich Charaktere? In der Entsagung, im Kampf +mit sich selbst. Was ist denn überhaupt ein Charakter? Ein Mensch, der +seine tierische Triebwelt unter die Herrschaft seiner sittlichen +Erkenntnis gebracht hat und mit festem Willen seiner Erkenntnis folgt, +der durch Willenskraft und Folgerichtigkeit sich Selbstachtung und +Selbstvertrauen erwarb. Solche Charaktere, solche Persönlichkeiten +braucht ein Volk, braucht das Leben; denn sie haben Erfolg. Wie kann +aber ein Mensch Selbstvertrauen und Selbstachtung haben, der im Kern +seines Wesens, im Geschlechtsgefühl, wider seine bessere Erkenntnis +handelt, der in seinem Tun sich immer wieder durch den Geschlechtstrieb +vom Wege abreißen läßt? + +Tausende sagen. »Es ist unmöglich, ihn zu bändigen!« Aber wie viele +davon haben's denn ehrlich versucht? Sind nicht die meisten bei der +ersten Versuchung umgefallen? Sie haben die Geschlechtserregung kennen +gelernt, kennen sie durch die Onanie und manches andere, haben ihre +Phantasie mit Sinnlichkeit erfüllt. Das Nervensystem birgt in sich ein +Gesetz der Periodizität. Erregungen wiederholen sich periodisch. Das +macht den Kampf zunächst so schwer. Wie selbst den Magenkranken die +dumme Gewohnheit des dreimaligen täglichen Hungerns quält und seine +Heilung stört, so meldet sich im Hirn und Lendenmark das gewohnte +Geschlechtsgefühl, und dem Bewußtsein wird der alberne und gefährliche +Satz aufgedrückt »Ich kann den Trieb nicht bändigen!« -- Wer freilich +den Kampf aufgibt, ehe er ihn begonnen hat, was weiß der von seinen +Kräften! Treibe deine Gefühle nur erst ein wenig zurück, siege erst +einmal, dann noch einmal, und es wächst das Vertrauen, und es wachsen +die Kräfte. Die gesparte Geschlechtskraft speichert sich in dir auf als +Spannkraft der Nerven und Muskeln, als Mut und geistige Frische. Das +alles sind deine Waffen, die darum immer stärker werden. + +Wenn's sein kann, sprich dich mit den Eltern, mit dem Lehrer, mit einem +guten Freund von gesundem Denken und gutem Charakter darüber aus! Sei +nicht wie jene, die im geheimen sündigen und die Nase rümpfen, wenn ein +Wort über Geschlechtliches gesprochen wird. Das Geschlechtliche soll +weder im bösen noch im guten Sinne das Gesprächsthema sein; aber ein +offenes Wort an rechter Stelle hat oft befreiend gewirkt. Ein klares +Wort entreißt oft junge Menschen der schwülen Phantasiearbeit. Betrachte +das Geschlechtliche als eine besondere Kraft, dich selbst ebenso, und +frage dich. »Wer von uns beiden soll herrschen, ich oder du?« + +~Du mußt herrschen, immer und allerwege!!!~ + +Schäme dich nicht dieses Triebes, und sei niemals niedergeschlagen im +Kampf. Alles Leben entsteigt dem Liebeswollen. Aber die Zeugung ist +nicht die alleinige Lösung dieses Ewigkeitsrätsels. Eine allstündliche, +ununterbrochene Neuzeugung im Einzelorganismus ist es, die wir vor allem +diesem Triebe verdanken. Der geheimnisvolle Quell der inneren +Zeugungsorgane entsendet ununterbrochen Stoffe, die als Spannkräfte +wirken, in Körper und Geist. Darum aber darf diese Urquelle nicht +verschüttet werden. Wir verstehen jetzt sehr wohl, warum der Lebenslauf +mit dem Geschlechtsleben in der Jugend zusammenhängt, warum die +Geschlechtssparsamkeit in der Jugend einen Gewinn für das spätere Leben +ergibt. Nicht nur für unser kleines, eigenes Leben -- nein, die ganze +Menschheit trinkt ihre Verjüngung aus diesem Quell, und ~jeder +Einzelmensch ist zum Sachwalter der Menschheitsgesundheit und +Menschheitswürde bestellt, weil er einen Teil der kosmischen Liebeskraft +in sich trägt~. + +Der Augenblick, der Mann und Weib in der Liebeserschütterung vereinigt, +erzeugt ein neues Leben. Aber nicht dieser Augenblick entscheidet, +sondern alles, was Vater und Mutter in ihrem ganzen Leben waren und +taten. Davon hängen Kraft und Gesundheit des Kindes ab. Sollte das nicht +schon lange vor der Ehe dem Triebe Zügel anlegen, damit er nicht die +Kraft vergeudet, die dem Kinde darum fehlen wird? + +Wer sein Kind anschaut und aus seinem Gesicht die Schwäche liest, muß +der nicht niedergedrückt werden, wenn er sich selbst daran schuldig +weiß? Wer an seinen Kindern häßliche Züge, Lüsternheit und Verirrungen +bemerkt, muß der nicht entsetzt sein, wenn er weiß, daß sie nur seine +eigene Jugend von neuem beginnen? Es vererbt sich nicht nur Kraft, +sondern auch Schwäche, nicht nur Körperliches, sondern auch Geistiges, +nicht nur gutes Denken, reines Empfinden, sondern auch geschlechtlich +verirrtes Denken, Charakterlosigkeit und Ausschweifung. Nie kann ein +Mensch etwas anderes erzeugen, als was er selber ist. Ein Kind ist wie +Vater und Mutter, gut oder schlecht. Darum sei gut, handle gut, damit +dein Kind gut sei und gut handle! Laß alles Unsaubere aus deinem +Liebesempfinden heraus, damit dein Kind ein schönes, reines Empfinden +habe! Gehe nicht den traurigen Weg vom Gott zum Tier, sondern geh den +einzig menschenwürdigen Weg, auf dem Gott den Menschen zum Herrn über +das Tierische eingesetzt und ihm eine Durchgeistigung und Beseelung +seiner Triebe geboten hat. Denn ein geistiger Grundsatz, ein göttliches +Gebot, herrscht in der Welt! Erkennst du das, so wird das +Geschlechtliche dir zur Lebensschönheit, und du wirst die Kraft sparen, +die erst ~deiner~ Reife dienen soll, ehe sie dir in der Ehe und in den +reinen Augen deiner Kinder unendliches Glück bringen wird. + +Es gibt Gründe, die dir die Geschlechtsbeziehungen vor der Ehe +entschuldigen und beschönigen wollen. Und gewiß ist, an sich gesehen, +nicht alles häßlich, was nicht die Ehe sucht. Aber ob's für diese +spätere Dauergemeinschaft gut ist, das ist der Frage innerster Kern. Und +wenn auch die Farbenspiele bestechender Gründe den eigensüchtigen +Liebesgenuß umstrahlen -- macht uns die Selbsttäuschung besser? Vor dem +unbestechlichen Schiedsamt des Menschenwohles sind die schimmernden +Entschuldigungsgründe wie Seifenblasen. + +Stähle die sittliche Kraft deiner Jugend in der Entsagung! Je weniger du +den Geschlechtstrieb aufkommen lässest, desto mehr verliert er das +körperlich Aufdringliche, ~desto mehr verschmilzt er mit deiner Seele, +deinem ganzen Menschen~. Mehr und mehr wirst du dann zu jenen Menschen +gehören, deren körperliche Liebe allein aus dem Wunderborn der Seele +quillt, und nicht zu denen, deren Seele schweigt, während zugleich ihr +Körper von Geschlechtserregung gepeitscht ist. + +Und du wirst Achtung vor der Frau und vor allem Weiblichen haben. Die +Welt ist so, wie wir sie sehen. Siehst du sie gut, so ist sie gut. +Siehst du sie schlecht, so ist sie schlecht. Es ist eine traurige +Mannhaftigkeit, die sich ihrer Verachtung alles Weiblichen rühmt, weil +sie Siege errang, die nur bezahlte Willfährigkeit waren. Wer nur die +Dirne kennt, kennt nicht das Weib, und sein Urteil ist Anmaßung. Es ist +Zeit, daß anständige junge Menschen den Mut finden, die frechen +Zotenreißer und bramarbasierenden Bordellhelden zum Schweigen zu +bringen. + +Wenn ein Mann das Weib, das er liebt, anschaut, so drängen sich +dazwischen gar leicht seine früheren Erlebnisse. Dann werden sie +begehrlich wieder lebendig, und Augen, die im Stolz leuchten sollten, +werden zu Boden gerichtet, weil ein Geheimnis die schöne Wirklichkeit +trübt. Wer nur zur Befriedigung seiner Sinnlichkeit den Spuren des +Weibes folgte, kann nur schwer die Sinnlichkeit aus seinem Fühlen, +seinen Blicken scheuchen. Und er kennt nicht den wunderbaren Einklang +zweier Seelen, die in ihrer Liebe unbewußt den Willen zum Guten, die +große, allumfassende Menschenliebe in sich tragen. + +Welch eine Welt von Schönheit verschließt sich mancher Mensch, weil die +sinnliche Schwerfälligkeit seines Körpers ihm den geistigen Flug +verwehrt! Manche Seele hat sich in diesen rohen Geschlechtsverbindungen +verblutet und nur einen gierigen Körper zurückgelassen, in dem alles +Zarte, Schöne, alles Weiche und Feine, erstickt ist. Das ist seelische +Verarmung -- das allerschlimmste Menschenlos. Es ist ein Leben, das +keine Sonne, keine Wärme mehr hat. Warum nur schätzen wir diese +wundervolle Spannung der Keuschheit nicht höher? Warum ist die +Jugendkeuschheit nur ein Ideal für das Weib und nicht auch für den Mann? +Warum warten junge Männer denn geradezu darauf, diese Reinheit von sich +zu werfen, und warum muß die vielgerühmte »Männlichkeit« sich denn +zuerst auf den gegensozialen Wegen des Dirnentums bewegen? + +»Ist denn wirklich die Geschlechtsehre des Mannes eine andere als die +des Weibes?« sagt ~Vera~ in »Eine für viele«. Und weiter. »Ist die +Notwendigkeit der geschlechtlichen Befriedigung in den jüngsten Jahren +nicht ein wohlorganisierter Schwindel? Oder ein großes Irren der Ärzte? +Kann die Keuschheit je so furchtbare, leben- und glückzerstörende +Krankheiten nach sich ziehen wie die Unkeuschheit?« Und weiter. »Der +Mann verlangt von dem Mädchen seiner Wahl nicht Keuschheit allein, +sondern auch einen unbefleckten Ruf. Mit Recht! Und das Weib soll ihren +Gatten mit Straßendirnen teilen? Sie soll die Schmerzen der Mutterschaft +tragen, mit dem furchtbaren Bewußtsein, daß der Vater ihrer Kinder in +gekauften Umarmungen seine Jugendkraft vergeudete -- -- -- sich nicht +scheute vor dem Schmutz, vor ekelhaften Krankheiten, in gemeiner +tierischer Sinnlichkeit seine Reinheit fortwarf ... der Vater ihrer +Kinder -- sage ich.« -- -- + +Dies Verabuch war trotz seiner Härten wie eine Fanfare, die eine neue +Zeit und eine neue Menschheit ankündete. Die geschlechtssittlichen +Forderungen konnten seitdem nicht mehr unterdrückt werden. Wir werden an +ihrer Durchführung arbeiten müssen, um den Menschen durch ein reineres +Geschlechtsleben eine festere Grundlage des Glückes zu geben. + +~Es wird eine Zeit kommen, in der das, was die Menschen heute belachen, +wie eine heiße, große Sehnsucht in ihnen lebt. Vielleicht erwächst diese +Sehnsucht gerade aus dem Geschlechtselend unserer Tage. Dies Irren, dies +Leiden und Dulden in Geschlechtsausschweifungen, die dem Manne +Unterhaltung, dem Weibe schandbare Versklavung sind, wird sicher einmal +als entsetzliche Last empfunden werden, wenn die Menschen über den +stumpfen Materialismus hinaus die feinen, geistigen Gesetze erkennen +lernen. Dann erst werden die Menschen das Märchenland der Liebe finden, +wenn kein häßliches Erinnern mehr ihre Seele verwirrt.~ + +Das Leben ist darum nicht verloren, weil die Jugend nicht rein und voll +Schönheit war. Ja, mancher Charakter formte sich erst aus trüben +Erinnerungen, aus Fehl und Schuld. Aber den meisten hat doch der +Dirnengeist die Jugend vergiftet; denn für die Seelenweichheit der +Jugend ist das Geschlechtsabenteuer ein starker Eindruck, vielleicht in +seiner rohen Sinnlichkeit stärker als das, was später ein reines, +liebendes Weib gibt. Und von all den Roheiten der bezahlten Liebe wird +etwas ins Erinnern eingefügt und schiebt sich häßlich in all die +blühende Schönheit, die die Liebe bringt. + +Wie viele Frauen bereuen die Ehe, hassen und verachten den Mann, den sie +doch einmal über alles geliebt haben. Aber er hat sie getäuscht. Mit ein +wenig Charakterlosigkeit und geschlechtlichem Schmutz in seinem Vorleben +begann es. Das fraß sich in ihm fest. Das durchwob sein Inneres so, daß +ihm die Ehe zu rein, zu langweilig erscheint. Zunächst verschweigt er +sein Vorleben. Dann kann dies trübe Geheimnis nichts Gutes für seine Ehe +sein. Oder er sagt's seiner jungen Frau. Dann werden ihre Gedanken +versuchen, sich in dieser ihr innerlich fremden Welt zurechtzufinden, +und unter Tränen, mit viel Weh im Herzen, entwickelt sich die Ehe +aus -- einem Verzicht. Oder aber die Frau ist flach und oberflächlich, +dann lacht sie, und es ist ihr alles gleichgültig. Die Vera-Naturen aber +sind zahlreicher, als man glaubt, Frauen, in deren Innerem in solcher +Stunde eine Saite angeschlagen wird, deren Ton für immer dem Ohr +verklingt. Sie, deren monogamischer Instinkt höchstes Feingefühl ist, +können nicht oder nur mit Überwindung einem Manne folgen, der aus einer +ganz anderen, viel gröberen Gefühlswelt kommt, und den die Häßlichkeit +geschlechtlicher Ereignisse, ein anderes Weib, ein uneheliches Kind, von +ihnen trennt. + +Zwar leben wir in einer Zeit sittlicher Neuordnung. Und ehe aus dem +Streit der Meinungen das feste Gefüge der neuen, gerechteren Moral sich +bildet, wird großherziges Verzeihen, auch von seiten der Frau, dem Manne +den Weg ebnen von den wirren Geschlechtsirrtümern der Jugend zur +Reinheit der Ehe. Wie groß ist aber der Jammer der vielen Frauen, deren +Männer das heilige Treuversprechen gebrochen haben, weil die +Dirnenerinnerungen wie Unkraut, wie eine böse Krankheit der Phantasie, +in ihnen fortwucherten, bis der ganze Schmutz der Untreue und der +sittlichen Verlumpung sich auf die Ehe wirft und sie zerstört! Von +ungefähr kommen doch diese Eheskandale nicht. Die Untreue, dieses rein +körperliche, gemeine, geschlechtliche Veränderungsbedürfnis hat sich der +Mann angezüchtet bei den wechselnden Dirnen und der treulosen +Zufälligkeit seiner »Verhältnisse«. Und wer festigt dem Weibe den +Begriff der Treue, wenn sie als Mädchen einmal in dieses, ein andermal +in jenes Mannes Händen war? Die geschlechtliche Treulosigkeit vor der +Ehe baut dem Treubegriff der Ehe ein morsches Fundament. + +Die moralisch-monogamischen Forderungen, die wie eine neue +Ordnung -- aber aus uralten Entwicklungsgesetzen heraus -- von Frauen +erhoben worden sind, können nicht mehr verstummen. Denn Einehe +(Monogamie) ist das Gesetz des Weiblichen, ist der Unterbau der Ehe, die +sittliche Grundlage der Erziehung. Prof. ~Albert Heim~, Zürich sagt: +»Der monogamische Instinkt ist von der Natur erzüchtet. Bricht ihn die +Menschheit im ganzen und dauernd wieder, so bricht sie mit ihm +zusammen«. + +Je willenloser ein Mensch sich dem Geschlechtsempfinden hingibt, desto +mehr ist er Sklave seiner unsauberen Erinnerung geworden. Will er die +Erinnerung auslöschen, so braucht's einen mannhaften Entschluß: »Bis +hierher! Nun nicht mehr weiter!« + +Wer so ein neues Leben auf dem festen, fröhlichen Willen zum Guten +beginnt, den wird das Schlechte, das er getan, nicht in alle Zukunft +hinein verfolgen. Es ist abgetan, und schön und rein leuchtet dir die +Zukunft. + + Der Mensch ist Wille! + +Die Ehe ist ein Idealzustand und trägt in sich den Zweck und die +Möglichkeiten einer unendlichen Vervollkommnung der Menschheit. Die +Forderung der Treue, die wir für die Ehe aufgestellt haben, entspricht +dem uns eingeborenen sittlichen Empfinden, und diese tiefinnerliche +Moral ist immer diejenige, welche dem Fortschritt der Rasse dient. + +Wenn darum Stimmen laut wurden und namentlich gegen das unbedingt +folgerichtige Verabuch Schriften über Schriften erschienen, die gerade +im Geschlechtsleben ~vor~ der Ehe eine Art von Läuterung und Ausreifung +der Persönlichkeit sehen, so ist demgegenüber auf das Wort des +positivistischen Philosophen ~Comte~ hinzuweisen, daß man sich nicht +durch Unsauberkeiten auf ein Ideal vorbereiten kann. Unsauberkeiten sind +es aber; denn alles Häßliche, das das menschliche Geschlechtsleben +erfaßt und überwuchert hat, kam aus der Verletzung der moralischen +Gesetze. Ja, sicherlich nicht nur für das Geschlechtsleben, sondern für +das ganze Menschenleben ist nichts von so furchtbaren Folgen gewesen als +diese geschlechtliche Unsittlichkeit, diese Treulosigkeit gegenüber +sittlichen Gesetzen, die in der göttlichen Natur des Menschen liegen. + +Mit jeder Verletzung der Moral schreiten wir rückwärts, durchqueren wir +das Weltgesetz der Entwicklung, das nach oben und nicht nach unten, +nicht rückwärts, führt. ~Mit jeder Verletzung der Moral greifen wir +störend in die Rechte und das Wohl anderer ein. Denn es gibt keine +persönliche Sittlichkeit, es gibt nur eine Sittlichkeit, die die +Gesamtheit fördert.~ Diese Sittlichkeit haben auch tiefstehende Völker, +ja selbst Tiere haben sie; denn wir sehen die Tiere handeln nach +Gemeinschaftsgesetzen. Die Gemeinschaft der Lebewesen braucht die +Geschlechtskraft, und der blühende Empfindungsreichtum der Zeugung ist +das große Wunder der Natur. Aber sie braucht diese Geschlechtskraft +natürlich und rein und nicht als einen gegen das soziale Wohl +gerichteten Eigennutz. Wer das nicht fühlt, hat darum nicht das Recht +für sich. Und der Stolz junger Menschen müßte sich aufbäumen gegen die +schlaffe Massenauffassung des Alltags. In hochentwickelten +Einzelmenschen nur leben die Sittengesetze als gesunder Rasseninstinkt, +und wir andern werden ihnen nacheifern, wenn wir an ~Carlyles~ Wort +denken: + +»Die Menschen leben um des Besten willen!« + +Prof. ~A. Herzen~ sagt[4]: »Die wirkliche sittliche Handlungsweise ist +diejenige, welche man als allgemeine Verhaltungsmaßregel aufstellen +kann; und diese Regel wird sofort von jedem normalen kultivierten +Menschen angenommen werden, der nicht mit geistiger oder sittlicher, +angeborener oder erworbener Unzulänglichkeit oder mit Wahnsinn behaftet +ist.« + +Wenn nun, wie wir wissen, die Zeugungskraft und Liebesfähigkeit ein +Hauptstamm des Lebens ist, dessen verschiedene Abzweigungen wir +Menschen- und Nächstenliebe, Spannkraft, Begeisterungsfähigkeit, Mut, +Ritterlichkeit, künstlerische Kraft usw. nennen, müssen nicht alle diese +Kräfte eine Verschlechterung erfahren, wenn die Liebeskraft mit unreinem +Denken genährt wird? + +Diese Besudelung des Liebeslebens ist schlimmer, als die meisten ahnen. +Und es ist darum wohl erklärlich, daß heute mehr über diese Dinge +gesprochen wird, als dem feinempfindenden Menschen lieb sein kann. Aber +wir müssen darüber einmal zur Klarheit kommen, schon deshalb, weil das +Wort vom »Sichausleben« zur Phrase geworden ist und unsere Jugend +verderbliche Wege führt. Warum bewegt sich die Wirklichkeit dieses +Sichauslebens denn nur immer im Rahmen eines unsauberen +Geschlechtslebens und richtet sich nicht auf körperliche und geistige +Höchstentwicklung? + +Wüßten die jungen Leute nur erst, wie sie ihr eigenes Glück schädigen, +weil die Dirne ihnen die Achtung vor dem Weibe und allem Weiblichen +nimmt! Der Glaube an die Mutter hat einmal unsere Jugend verschönt, und +diese schöne Erinnerung folgt uns in das Leben. Was hat die Mutter alles +für dich getan? Mit Schmerzen hat sie dich geboren, deinetwegen mußte +sie auf so vieles verzichten, was dem Manne das Leben vielgestaltig +macht. Das Verhältnis von Mutter und Kind ist ein kleines Heiligtum, das +der Mann als Gatte und Vater schützt. + +~In jedem Weibe aber steckt die Mutter.~ Jedes Weib soll Reinheit dem +Manne darbringen, der sie zur Mutter macht. Willst du vorzeitig in dies +Heiligtum eingreifen? Willst du, der du als Mann Schützer und +ritterlicher Hüter des Weibes sein sollst, ihr Verderber, ihr Verführer +werden? Sei gut und voll Achtung zu jedem Weibe, achte und ehre die +Mutter in ihr! + +Du wirst antworten, daß nicht immer der Mann die Schuld trage, sondern +oft das Weib die Verführerin sei, und daß die Prostituierte nicht +Achtung verdiene, sondern genommen werden müsse, wie sie ist. Ich will +die Dirne nicht besser machen, als sie ist. Aber wie viele von denen, +die auf den Straßen sich verkaufen, sind durch Verführung, Elend, +schlechte Erziehung in das Schandgewerbe hineingetrieben worden! Darfst +du die elende Lage, in die ein Mensch durch eigene oder fremde Schuld +hineingetrieben wurde, für deine Genüsse mißbrauchen? Und wenn du die +Prostituierte gar nicht achten kannst, wenn sie dir verworfen erscheint +und du dich darum der Verantwortung überhoben glaubst, so bleibt es für +dich entwürdigend, mit einem Menschen in Beziehung zu treten, den du +verachtest. + +Aber mit der Verachtung sollten wir vorsichtig sein. Im Gewoge des +Lebens steigt einer nach oben, der andere sinkt unter. Gute erbliche +Anlagen erleichtern das Leben, schlechte erschweren es. Dem Weib, das +Dirne wurde, gab die Vererbung wohl schlimme Keime. Schlimme +Verhältnisse ließen das Schlechte aufblühen. Aber mache sie nicht +schlechter! Wenn du ihr Gewerbe benutzest, so bringst du sie -- wie so +viele andere -- noch tiefer in den Sumpf hinein. Warum wolltest du das +tun? + + +5. + +Das »Verhältnis«. + +Das Erwachen der Liebe bringt der Jugend Gefahren und Irrtümer. Je +stärker ausgeprägt der sinnliche Trieb ist, desto lebhafter werden +Beziehungen zu weiblichen Wesen gesucht. Wie die Sonne alles in ihre +Farben taucht, so umspielt die Erotik Mann und Weib. Eine +freudig-festliche Stimmung, Lichterglanz, ein paar Musikakkorde, ein +erregter Tanz oder dergleichen, und schon ist der Liebesfunke zur Flamme +angefacht. Schon schiebt sich der Begriff »ewig« in das eben geknüpfte +Band ein. Manchmal ist's ja ein Band fürs Leben, häufig aber zerreißt's +schon früh, und manchmal sieht der andere Morgen schon Ernüchterung und +Reue. + +Aus diesen losen, flüchtigen Beziehungen hat sich das herausgeschält, +was Tausende von Männern kennen, und was in unserer Gesellschaft ein +öffentliches Geheimnis ist, das »Verhältnis«. Ein im Grunde einfacher +Vorgang: eine geschlechtliche Beziehung zu einem Mädchen, das nicht +Dirne ist, sondern Bürgerstochter, Verkäuferin, Modistin, Schneiderin +oder Ähnliches, und das man eines Tages verläßt, um eine andere zu +heiraten. Sie gibt sich ihm hin, weil seine bessere soziale Stellung +ihrer Eitelkeit schmeichelt, oder weil er die ihm geschenkte Gunst +bezahlt, oder auch, weil -- sie ihn liebt und glaubt, von ihm geheiratet +zu werden. + +Von seiner Seite ist's nicht Liebe, sondern die Gewohnheit des +Geschlechtsgenusses. Liebe nur, wenn die sozialen Abstände die Ehe +unmöglich machen. Manche Tragik entsprang dieser Wurzel; das sogenannte +»Verhältnis« aber ist meist für den jungen Mann ein bequemer Weg des +Geschlechtsgenusses, der keine ernstliche Verantwortung mit sich bringt. +An sich selbst denkt er, und die Geschlechtserregung mag ihm ja auch +Liebe vortäuschen, aber seine Absicht geht gegen ein dauerndes Band. Das +kann nicht Liebe sein. Und wenn die Stunde der Trennung kommt, gibt's +oft viel Weh im Herzen des jungen Mädchens, viel Jammer und Bitten und +Tränen, weil doch die Liebe des Weibes, das seinen Leib hingab, ein +Stück von ihrem Leben ist, während der junge Mann sich von seinen +Geschlechtserlebnissen oft mit rücksichtsloser Kälte loslöst. + +Können diese Rohheiten Vorbereitung auf die Ehe sein? Zerstören sie +nicht die Gemütstiefe, die einer Ehe Inhalt und Schönheit gibt? Wird +nicht die Liebeskraft vergeudet, die ungebrochen einem einzigen Weibe +gehören soll? + +Und was wird aus dem Mädchen, das verlassen ist? Findet sie einen +anderen Mann, der sie heiratet, so wird sie verschweigen müssen, was +sie erlebt. Was man verschweigen muß, kann nicht gut gewesen sein. Oft +aber geht sie aus einer Hand in die andere und endet als Dirne. Denk' +einmal, wenn es deine Schwester wäre! Welch ein entsetzliches Geschick +für dich und deine Familie! Und viele junge Leute häufen, nur weil sie +genießen wollen, solches Leid auf die anderen, die oft schwer daran zu +tragen haben. + +Es liegt im »Verhältnis« eine Unehrlichkeit, die die sittliche +Persönlichkeit untergräbt. Du verlierst die Ehrfurcht vor dem Weibe, +weil du es nicht mit Achtung als Mensch, sondern mit Sinnlichkeit als +Geschlechtswesen genommen hast. + +Es gibt gewissenlose Schürzenjäger, deren dumme Frechheit jahrelange +Erfolge hat, weil selbst unter den Freunden und Kameraden niemand ihnen +sagt, daß ihr Tun nicht Mannhaftigkeit, sondern Erbärmlichkeit ist. Wir +müßten für mehr Klarheit in unserem Urteil sorgen. + +An geistig hochstehenden, wertvollen Frauen prallt der schale Witz +solcher Laffen ab; sie können sich höchstens ihrer Erfolge bei Dirnen +und charakterlosen Elementen rühmen, und auch da sind sie oft betrogene +Betrüger, ausgenutzte Dummköpfe gewesen. + +Das »Verhältnis« ändert seinen durch die Erregung der Sinnlichkeit immer +wieder beschönigten Charakter in demselben Augenblick, in welchem die +hier ebenso notwendigen wie häßlichen Maßnahmen zur Verhütung der +Befruchtung mißlungen sind, und das werdende Kind als eine angstvolle +Tatsache da ist, das nun das wohlbehütete Geheimnis dieser +Geschlechtsbeziehungen der Öffentlichkeit zu enthüllen droht. -- + +Und dann? + +Beim Manne tödliche Verlegenheit, Sorge für Ruf, Stellung, Name, +Gedanken an Trennung, weil nun das »Verhältnis« lästig wird. Beim +Mädchen jagende Angst, Wunsch nach Schutz, Furcht vor dem Entdecktwerden +und dazu körperliche Leiden. Und dasselbe Kind, das zwei sich wahrhaft +liebende Menschen in der Ehe erst recht fest aneinanderkettet, trennt +meist zwei Menschen, die den bloßen Geschlechtszweck ihres +»Verhältnisses« mit dem Worte -- »Liebe« zu entschuldigen suchten. + +Auf dem Lande und bei der Arbeiterschaft pflegt die unwillkommene +Liebesfrucht meist den Entschluß zur Ehe zu erzwingen. Man heiratet +sich, und das ist ehrlich. Damit bereitet man dem Kinde ein Nest, ein +Heim, und die junge Mutter ist geschützt vor Sorgen und bösen +Lästerzungen. + +Aber in der Stadt besteht für alle »besseren Schichten« die bequeme +Einrichtung der »Alimente«. Die Vatersorgen und die anständige Gesinnung +werden abgelöst durch ein geringes monatliches Geldopfer. Gewiß, der +Gesetzgeber konnte vielleicht nicht anders. Er kann nur einige +rechtliche Ordnung schaffen. Aber er hat uns zu viele Möglichkeiten +geschaffen, Gemütswerte durch Geldwerte abzulösen. + +Es wäre falsch, zu sagen, daß der Leichtsinn des »Verhältnisses« die +Pflicht zur Ehe in sich trägt, wenn das Kind dem sinnlichen Idyll ein +jähes Ende bereitet. Denn dann könnte die Schwangerschaft eine Leimrute +sein, mit der ein raffiniertes Weib einen Gimpel fängt. Ich will nur die +Verwirrung beleuchten und die Rohheit zeigen, die oft mit dem +unehelichen Kind sich entwickeln. Manche himmelstürmende Liebe endet +durch die Abtötung der Frucht vor dem Strafrichter. + +Die Zahl der Totgeburten übersteigt bei den unehelichen Kindern überall +in Europa anderthalbmal diejenige bei den ehelichen. Manches eben +geborene Kind wird von der ratlosen, verzweifelten Mutter getötet oder +an Fremde abgegeben. + +Das Höchste, Heiligste, was wir Menschen kennen, die Mutterschaft, wird +besudelt, entehrt, wird zum Verbrechen. Grenzenloser Jammer erstickt das +Gefühl des Mädchens, das Mutter wurde und verlassen wurde. + +Rings um die großen Städte wohnt in ländlichen Bezirken ein Kreis von +Menschen, die sich mit der Pflege unehelicher Kinder gegen einmalige +oder periodische Vergütung systematisch und beruflich beschäftigen, +systematisch und beruflich aber auch unter dem Deckmantel der Pflege +die -- Tötung besorgen. Manchmal weiß das die Mutter nicht, manchmal +aber weiß sie es. + +Das Leid des unehelichen Kindes ist zu oft gesungen worden, als daß ich +dazu Mollakkorde geben müßte. Verbrechen und Unehelichkeit, Prostitution +und Unehelichkeit, das sind fast unlösbare Zusammenhänge. Der Unterbau +des Lebens und der Charakterbildung, die mit Liebe und Achtung +durchzogene Ehe, fehlt dem unehelichen Kinde. Gerade in den +Kinderjahren, den Jahren der Weichheit und Aufnahmefähigkeit, der +Lenkbarkeit, fehlen oft die festen Grundsätze gesunder Erziehung, +herrschen oft Willkür, Vernachlässigung und der verderbliche Einfluß der +Straße. Der Vater fehlt, die Familie fehlt. Dem Genuß eines Augenblicks +entsteigt ein neues Menschenleben, das verfehlt und verdorben ist, weil +die Verantwortung fehlte. + +Es ist oft, als sei im Geschlechtsleben das Rechtsgefühl vollkommen +geschwunden, das doch beispielsweise in den kleinsten Geschäfts- und +Geldsachen so fein entwickelt ist. Wer ein Geldstück stiehlt, kann ins +Gefängnis kommen. Wer aber im Geschlechtsleichtsinn einem andern +Menschen Glück und Namen, Ehre und Leben stiehlt, der kann sich auch +ohne viel Geschick durch die Paragraphen hindurchwinden. Die +gesetzeberatenden und gesetzemachenden Männer haben augenscheinlich zu +wenig an das Weib gedacht; denn die Rechtsprechung aller zivilisierten +Länder läßt dem Manne überall da Durchschlupfe, wo sich das Weib in den +Irrgängen der sexuellen Doppelmoral fängt. Ja, die napoleonischen +Gesetze Frankreichs zeigen eine offenbare Verachtung der Frau. Diese +Verwirrung in Geschlechtsfragen hat scheußliche Zustände gezeitigt. +Irgendein junger Mensch ist der Verführer. Seine sexuellen Wünsche sind +lebendig geworden. Er lernt ein Mädchen kennen, und seine Sinnlichkeit +treibt ihm betörende Lügen auf die Lippen. Sie glaubt ihm und wird +verführt. In irgendeinem verschwiegenen Winkel kommt sie nieder. Alle +Welt zeigt mit Fingern auf sie: »sie hat ein Kind.« Warum nicht auch auf +ihn? Es ist doch auch ~sein~ Kind. Ein uneheliches Kind kann die Ursache +sein, daß die Mutter in Ächtung, Verzweiflung und Tod getrieben wird, +daß sie ein Leben lang büßt für eine Stunde voll glühender Worte. Der +Mann aber kann am nächsten Tage die gleiche Komödie wiederholen. Und +wenn dieser brutale Egoismus soundso oft mal in das Leben von soundso +vielen Frauen zerstörend eingegriffen hat, dann deckt leicht eine +glänzende Heirat den Schleier der gesellschaftlichen Stellung über die +innere Erbärmlichkeit. + +Wo bleibt hier das Rechtsbewußtsein, die Grundlage jeder menschlichen +Gemeinschaft? Wie viele Männer gibt es, Geschäftsleute, Direktoren von +Theatern, Gesellschaften, Kaufhäusern usw., die ihre soziale Macht und +die soziale Bedrängnis ihrer Angestellten dazu ausnutzen, die hübscheren +jungen Mädchen in ihre Hand zu bekommen, die aber bei der Heirat sich +doch nach einer Frau »von gutem Ruf« umsehen. + +Welch ein beschämender Mangel an einfachem Rechtsgefühl! Mancher Mann, +der ein unschuldiges junges Mädchen zur Mutter gemacht hat, ist dadurch +wie ein wildes Tier in das Glück und den Frieden einer ganzen Familie +eingebrochen. Und doch geht uns die Phrase nicht aus den Ohren, die +Geschlechtsbeziehungen des Mannes seien weniger verhängnisvoll als +diejenigen des Weibes. + +Wenn die Mädchen, die heiraten, immer wüßten, wie sehr die häßlichen +Bilder der Vergangenheit ihres Geliebten den schönen Phrasen des +Augenblicks widersprechen, wenn sie wüßten, wieviel himmelschreiendes +Unrecht, begangen an anderen, durch die Ehe sanktioniert werden soll, +wenn sie wüßten, wie oft es vorkommt, daß abseits von dieser Ehe ein +verlassenes, verhärmtes Weib in Not und mit Bitterkeit für das Kind des +Geliebten sorgt, dann würden Schatten durch glückliche Gesichter ziehen, +und in mancher Frau würde wohl die Erkenntnis reifen, daß für das Glück +der Menschen und die Schönheit der Ehe die voreheliche Reinheit des +Mannes genau so wichtig ist, wie die Reinheit des Weibes. Immer ist die +Liebe die Lebensgestalterin. Sie gestaltet es gut oder schlecht. Darum +muß diese gestaltende Kraft rein gehalten werden. + +An der alljährlichen Zunahme der unehelichen Geburten erkennen wir die +ins Grenzenlose gewachsene geschlechtliche Gewissenlosigkeit der Jugend. +Der unehelichen Mutter hat das Kind die soziale Lage sehr erschwert. Um +so schutzbedürftiger sieht sie nach dem Manne; um so schmachvoller ist +es, wenn dieser sie verläßt. Nur die Ehe kann dem mütterlichen Weibe und +dem Kinde ein sicherer Hort sein. Darum lockern diese leichtsinnigen +Geschlechtsverbindungen das ganze Gebäude unseres sozialen Fühlens, +Denkens und Handelns. Geschlechtliche Ungebundenheit ruiniert ein Volk; +denn sie ist eine Roheit und eine Gefahr für den Nachwuchs. Sie ist ein +ununterbrochener, geheimer und niederträchtiger Kampf gegen die Einehe, +die als höchstes Sittenideal unserer in uns schlummernden Ethik +entstiegen ist. Alles, was die monogamische Ehe fördert und vorbereitet, +ist zugleich sittliche Ordnung, Festigkeit, Gesundheit, Kraft und +Menschenglück, alles, was sie stört, bringt Zerfall, Unglück, +Proletariat, Krankheit. Das ist ~das uralte und urewige Gefüge der +Natur, daß der Mann Hüter und Schützer von Weib und Kindern sein soll.~ +Mag auch die Strömung der Zeiten die Frau »emanzipieren«, ihr soziale +Selbständigkeit und Unabhängigkeit geben wollen, was vermag dies Eifern +vor dem gebietenden Wort der Natur! Das Weib ist Mutter! Das ist sein +Glück und sein Ruhm, aber auch die ewige Bedingtheit ihrer Lebensform, +ihre ewige und unabänderliche Abhängigkeit vom Mann. + +Und wer aus der traurigen Nüchternheit und grenzenlosen Banalität vieler +Ehen eine Waffe zur Bekämpfung der ehelichen Gemeinschaft überhaupt sich +herrichtet und in der »freien Liebe« das Heil sieht, der sollte sich +fragen, ob denn die freie Liebe etwas ändert an den ehernen +Naturgesetzen, die die Ehe geformt haben, sollte sich fragen, ob denn +die Menschen, deren Seelen matt sind und die kraftlos zu einem +Liebesideal aufschauen, in einer ungebundenen Liebe die Verjüngung +finden, die sie glücklicher machen kann. Das Leben bedarf so sehr dieser +ewigen Verschmelzungs- und Verjüngungsprozesse durch Mann, Weib und +Kind, daß sich die Forderung der vorehelichen Reinheit, das Ideal der +Treue und die Tatsache der monogamischen Ehe als biologische, soziale +und sittliche Grundforderungen herausgebildet haben. + +Der Vergleich mit der geschlechtlichen Wahllosigkeit mancher Ur- und +Primitivvölker ist nicht stichhaltig. Sie haben ein auf tiefster Stufe +stehendes Geistesleben und kennen darum nicht die Liebe, können uns +nicht Maßstab sein. Aber die Liebe ist durch die Jahrtausende +hindurchgeschritten und steigerte ständig ihre Seelenkraft, vertiefte +und verfeinerte sich, und ward so eine duftige Blüte zartester +Seelenkultur. Jeder rohe körperliche Akt, dem die Seele mangelt, treibt +sie wieder zurück bis dahin, wo sie angefangen. In dem unbewußten +Stammeln der im Selbstvernichtungsrausch versinkenden Liebenden »Nur +du«, »ewig du allein«, liegt unbewußt die allerstärkste Betonung der +Monogamie. + + +6. + +Vor der Ehe. + +Es kann nur ~einen~ Weg der Vorbereitung auf die glückliche Ehe geben, +das ist der der eigenen Reinheit und die bei aller unbewußten Erotik +geschlechtslose Beziehung zu Frauen. Wehe dem Manne, der im Weiblichen +nur das Geschlechtliche sehen kann, der für dies ~eine~ seinen Sinn +steigerte und für alles andere stumpf wurde. Ihm hat auch die Ehe nur +Geschlechtsinhalt. Er kennt nicht die höchsten Genüsse, die in der +innigen Ergänzung der besonderen geistigen Persönlichkeit des Mannes mit +weiblicher Art, weiblichem Denken liegt. Meide den Umgang mit wertlosen +Frauen, aber suche und pflege mit der Freundschaft zu guten Menschen +besonders die geistigen Beziehungen zu edler Weiblichkeit. Deine +Männlichkeit, dein Auftreten, deine Lebensformen werden ausreifen, wenn +der Hauch gesunder Weiblichkeit dich umweht. Kannst du deine Interessen +mit einer Freundin austauschen, so bekommt deine Anschauung noch eine +andere, sich ergänzende Richtung. + +Und siehst du in der Freundin eines Tages die Geliebte, denkst du sie +dir als Gefährtin des Lebens, nun, so war's wohl ein guter Entschluß. +Aber prüfe, ehe du dich bindest! Hast du dich entschlossen, so glaube +nur nicht, jetzt sexuelle Rechte zu haben! Gerade dies »Poussieren«, +diese häufigen Geschlechtserregungen in allen Winkeln und dunklen Ecken, +diese Liebkosungen sexueller Art sind so verderblich für das +Nervensystem. So wenig Haltung bewahren oft junge Menschen, daß sie +jedes Alleinsein zu unsauberem Denken und Tun mißbrauchen, oft nur, weil +sie zu geistlos und zu sehr ohne inneren Wert sind, als daß sie das +Alleinsein mit Schönerem ausfüllen könnten. Wenn so schon der Jugend die +Poesie gestorben ist, sollte man den Schritt zur Ehe nicht mehr wagen; +denn die Ehe wird zum Ekel. + +~Lerne bewundernd zu lieben, ohne zu begehren!~ Dann wird das, was du +liebst, dir lange, lange das Schöne bleiben! Liebe ist Wunsch, ist +Sehnsucht, ist Spannkraft der Seele. Töte das alles nicht, indem du +vorschnell an dich reißest, was deiner Sehnsucht lebendiges Ziel sein +soll. Mag auch ein sinnliches Begehren dich zu dem Mädchen, das du +liebst, hinreißen, falle ihm nicht zum Opfer. Ihr entschleiert das Bild +zu Saïs! Solange die unerfüllten sinnlichen Wünsche ~in~ dir leben, +beschwingen sie deine Liebe und treiben dir Worte der Poesie auf die +Lippen. Du siehst alles, alles schön und farbenprächtig, idealisierst +die Wirklichkeit, hast Jugend in dir; denn Jugend ist Wunsch und +poesievolle Spannung. Die befriedigte Liebe aber, wenn sie nur +körperliches Begehren war, wird arm an Worten, und es ist die tiefe +Tragik der Liebe, daß sie in ihrem höchsten Begehren stirbt. Sie kann +sich selbst bekämpfen, in der eigenen Glut aufzehren, und es braucht +klare Augen und einen festen Willen, sie in Schranken zu halten. + +Wieviel unglückliche Ehen entsteigen dieser geschlechtlichen +Voreiligkeit! Die Erregung raubt Besonnenheit und Urteil. Ein Kind ist +entstanden und treibt die zwei leichtsinnigen Menschen in die Ehe +hinein, den Mann oft gegen seinen Willen. Was freieste Entschließung und +seelische Hochspannung zweier Menschen sein sollte, wird eine +Zwangsmaßnahme, die aus innerer Angst und aus Furcht vor dem Skandal +geschah. Gerade wenn der Wunsch nach dem Weibe die Sinne füllt, sollte +man mit Entschlüssen zögern. Was wir gar zu heftig begehren, sehen wir +nur in seinen Vorzügen, nicht auch in seinen Schwächen und Mängeln. Und +manches Mädchen, das für den Geliebten »göttlich« war, wird für den +Gatten, wenn der Alltag der Ehe den Morgentau der Liebe abstreifte, mehr +als irdisch. Darum prüfe dich lange und zähme immer deine Sinnlichkeit. +Denn durchbricht sie die Schranken, so entscheidet sie oft über Dinge, +die noch gänzlich unentschieden sind, und knüpft oft ein Band, das +besser ungeknüpft bliebe. + +So betrachtet, wird dir die Liebe zur beschwingenden Kraft. Aus dem +Gegenspiel von Erotik und ihrer Beherrschung erwächst dir die Achtung +vor dir selbst und vor der Weiblichkeit. Je größer diese doppelte +Achtung ist, desto weiter rückst du ab von der Prostitution und allem, +was aus ihr entspringt und mit ihr zusammenhängt. + + +7. + +Schadet der Jugend die Enthaltsamkeit? + +Es wird viel und gern davon gesprochen, daß die geschlechtliche +Betätigung vor der Ehe eine Notwendigkeit sei, eine Forderung der +Gesundheit. Diese letztere solle Schaden nehmen in der Enthaltsamkeit. + +Die einen stellen diese These auf und verteidigen sie mit +Hartnäckigkeit, die anderen bestreiten sie energisch. Ich zögere keinen +Augenblick, zu sagen, daß es viele Fälle von Schäden der Enthaltsamkeit +gibt, Schäden, die sich bei der geistigen Arbeit, im Schlaf, im ganzen +geistigen und körperlichen Leben überhaupt zeigen. Es wäre falsch und +widerspräche der Wissenschaft und den alltäglichen Vorkommnissen, einer +sittlichen Absicht zuliebe physiologische Erscheinungen rundweg leugnen +zu wollen. Das erzeugt Widersprüche, die zu Waffen in der Hand der +Gegner werden. + +Aber derartige Schäden treten erst bei der Geschlechtsenthaltsamkeit der +Erwachsenen auf und haben für die Jahre der Entwicklung, für die Jugend, +nicht die mindeste Geltung. ~Für die Jugend ist die Enthaltsamkeit nicht +nur nicht schädlich, sondern eine Grundbedingung vollkommener +Entwicklung.~ + +In der Tierzucht ist es ein ganz selbstverständlicher Grundsatz, Tiere +niemals vor vollendeter Reife zur Geschlechtsbetätigung zuzulassen, weil +man dadurch das Tier schwächt, seine Leistungsfähigkeit (z. B. bei +Rennpferden, Jagdhunden, Lasttieren) vermindert und schließlich die +ganze Rasse herabzüchtet. Zwischen Fortpflanzungstrieb und Lebensdauer +besteht eben ein unlösbarer Zusammenhang. Ganze Völker versinken in der +Widerstandslosigkeit gegen den Geschlechtsreiz. Den Indiern hat nichts +so sehr die Kraft genommen, als die frühen Heiraten, die schon von +Kindern geschlossen werden. Es kann niemals gut sein, wenn ein Trieb +sich so entwickelt, daß er alles beherrscht. Eine Schwächung des Ganzen +muß die Folge sein. + +~Noch nie, solange die Welt steht, hat die Keuschheit so ungeheuren und +entsetzlichen Schaden angerichtet, wie die Ausschweifung.~ + +Die Schäden, von denen man spricht, sind aufgebauscht und werden zur +bequemen Entschuldigung für den Geschlechtstrieb, den zu zügeln man +nicht die Kraft und den Willen hat. In diesem Punkte gibt es so viele +Täuschungen, als es Behauptungen gibt. Denn alle die Zustände, die man +in den bequemen und gedankenlosen Begriff »nervös« zusammenfaßt, die +Unruhe, Schlaflosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, allgemeine Schlaffheit, +Verdauungsträgheit, Mißmut, Gemütsbedrücktheiten u. dergl., die fast +alle aus völlig unnatürlicher Lebensart sich ergeben, wenn die Freuden +der Tafel über die Bedürfnisse des Lebens hinausgehen und der Körper +nicht genug Bewegung hat, diese Zustände werden gern und vorschnell dem +Mangel an Geschlechtsgenuß zugeschrieben, weil man so die Sinnlichkeit, +mit Gründen wohl versorgt, auf den glatten Boden eines vergnügten Lebens +hinausschicken kann. Denn um ein Vergnügen handelt sich's wohl bei all +den jungen Männern, die ihre leichtfertigen Liebesabenteuer mit der +Flagge der bedrohten Gesundheit verteidigen. + +Die gesamte Art der Menschheit, zu leben, zu arbeiten, zu essen und zu +trinken, und demgemäß zu denken und zu fühlen, ist so grundfalsch, so +von den natürlichen Gesetzen abgewichen, auf Abwege geraten, daß auch +unser Urteil über den Geschlechtstrieb und seine Äußerungen notgedrungen +falsch sein muß. Wie kann man aus ungesunden Lebensformen physiologische +Gesetze folgern wollen? + +Es ist wohl gut, auf einige Äußerungen von Männern hinzuweisen, die auf +Grund ihres wissenschaftlichen Urteils und ihrer Lebenserfahrungen +gehört zu werden verdienen. Dabei will ich verzichten auf die Wiedergabe +des bekannten Schreibens der medizinischen Fakultät der Universität +Christiania, erstens, weil es aus dem Jahre 1887 stammt, und vor allem, +weil mehrfach angezweifelt worden ist, ob in der Tat die ~ganze~ +Fakultät es unterzeichnete. Tatsache aber bleibt, daß die jüngeren +norwegischen Ärzte in ihrem Fachblatt das erwähnte Urteil der Fakultät +zu ihrem eigenen gemacht haben. + +Der bekannte Nerven- und Irrenarzt Prof. _Dr._ ~Aug. Forel~ sagt: »Die +angebliche Nervosität resp. physische Erregbarkeit, Abspannung usw., +welche die Keuschheit nach sich ziehen soll, wird als ein Hauptargument +zur Verteidigung der staatlichen Fürsorge für weiberbedürftige Männer +herangezogen. Ich bin in meiner ärztlichen Laufbahn von zahlreichen +jungen Neurasthenikern und Hypochondern konsultiert worden, welche +früher keusch waren, erst auf ärztliche Anordnung hin Bordelle besuchten +und vielfach dort venerisch angesteckt, jedoch weder von Neurasthenie +noch von Hypochondrie kuriert wurden. Einen irgendwie nennenswerten +Erfolg von dieser Therapie habe ich selbst nie beobachtet. + +»Zweifellos dagegen ist es, daß der ausposaunte angebliche Schutz gegen +Syphilis (von einem Schutze gegen gonorrhöische Infektion wagt niemand +zu sprechen), verbunden mit den zahllosen Lockungsmitteln, welche die +in diesen Geschäften pekuniär interessierten Personen zur Vermehrung +ihrer Kundschaft anwenden, die Zahl der sich prostituierenden jungen +Männer ungeheuer steigert; es bildet sich unter denselben allmählich die +>Suggestion<, daß die Keuschheit ein unmögliches Ding sei, daß ein +keuscher Jüngling kein >Mann< sei u. dergl. mehr. -- Zwar liefert +überall die Landbevölkerung, ohne daß wir an unsere Vorfahren zu +appellieren brauchten, den Beweis, daß ohne regulierte Prostitution und +ohne Prostitutionshäuser die Männer existieren und gesund bleiben, sogar +viel gesünder werden können. Es beweisen ferner zahlreiche Einzelfälle, +daß die Keuschheit ohne Nachteil für die Gesundheit bestehen kann ... +Doch wird dies meist ignoriert. + +»Die Prostitution ist kein Heilmittel gegen die Onanie. Beide bestehen +sehr oft nebeneinander...... Tatsache ist ..., daß der Geschlechtsreiz +durch vermehrte Befriedigung sich steigert, zu einem immer häufigeren +Bedürfnis wird. Das erklärt die weitere Tatsache, daß ... sehr viel +Exzedenten daneben noch onanieren oder nächtliche Pollutionen haben... + +»~Nie habe ich eine durch Keuschheit entstandene Psychose gesehen, wohl +aber zahllose solche, die die Folgen von Syphilis und Exzessen aller Art +waren~... + +»Wir müssen dabei bleiben, daß für den jungen Mann bis zu seiner +Verehelichung die Keuschheit nicht nur ethisch und ästhetisch, sondern +auch der Prostitution gegenüber hygienisch das Zuträglichste ist.« + +Auch der hervorragende Psychiater Prof. _Dr._ ~Eulenburg~ bezweifelt in +seiner »_Neuropathia sexualis_«, »daß schon irgend jemand bei sonst +vernünftiger Lebensweise durch geschlechtliche Abstinenz allein krank, +speziell neurasthenisch oder sexual-neurasthenisch geworden ist.« Er +sagt weiter: »Ich halte diese immer wiederkehrenden, phrasenreichen +Behauptungen für völlig leeres und nichtssagendes Gerede, wobei es sich +nur um gedankenloses Miteinstimmen in den allgemeinen Chorus +oder -- noch schlimmer -- um ein bewußtes Kniebeugen vor Vorurteilen +handelt... Jene im Laienpublikum außerordentlich beliebte und leider +auch von gewissen Ärzten laut oder stillschweigend gebilligte Meinung +von der unbedingten Schädlichkeit geschlechtlicher Abstinenz wirkt zumal +auf die heranwachsende Jugend in hohem Maße verderblich; sie treibt +diese dem illegitimen Geschlechtsverkehr, d. h. der Prostitution, +geradezu in die Arme...« + +Das Wort von den Schäden durch Enthaltsamkeit ist am lautesten im Munde +derjenigen, die die Venus Anadyomene (sinnliche Liebe) kennen und ihr +nicht entsagen wollen. Sie wissen nicht, daß das zur Periodizität +neigende Rückenmark aus einem gewöhnlichen Reiz ein gebieterisches Recht +macht. Findet man nicht im Essen, im Trinken, im Rauchen und in allen +Lebensgewohnheiten genau dasselbe? Man entziehe nur einmal einem starken +Esser oder Trinker sein gewohntes Quantum, und er wird -- obwohl die +Entsagung seinem Organismus höchst dienlich ist -- Unbehaglichkeiten, ja +Qualen erleiden. So ergeht's dem Raucher, so dem Morphinisten. Ist darum +in ihren Wünschen, ihren Gefühlen, ihren Ansichten auch nur ein Schimmer +von Recht? + +Wer das Geschlechtsgefühl häufiger kennen lernte, hat seinen Organismus +sozusagen darauf eingestellt. Wie Wellenlinien durchzieht's die +Nervenzentren, periodisch sie erregend. Dann bringt zunächst die +Enthaltsamkeit Beschwerden, wie allen, die unbeherrscht und triebhaft +leben. Aber nur zunächst. Bald stellt sich das Nervensystem mit dem +ganzen Organismus auf diese neue Marschroute ein, und die inneren +Absonderungen vermehren bald merkbar die Spannkraft des Körpers und des +Geistes. Ja, wer beobachten kann, findet bald heraus, daß der die +Geschlechtskraft sparende Organismus mit einem geringeren Maß von Schlaf +und Nahrung auskommt, weil er trotz erhöhter Leistungsfähigkeit +sparsamer wirtschaftet. Für viele, viele Menschen ist der +Geschlechtsgenuß ein jedesmaliger Kraftverlust, sie erschlaffen tagelang +nachher, und Menge und Wert ihrer Arbeit leidet. Sie brauchen Tage, um +durch Ruhe und Sorgfalt in der Ernährung wieder auszugleichen, was sie +in einer Minute verloren haben. Trotzdem aber können sie nicht +loskommen von dem entnervenden Glauben an die Notwendigkeit +geschlechtlichen Lebens. + +Freilich bedingt ein so besonders beherrschtes Leben auch veränderte +Lebensgewohnheiten. Wenn du an Kopfschmerzen leidest, an unruhigem +Herzen, an Schlaflosigkeit und wüsten Träumen, oder durch Pollutionen +erschlafft wirst und in all diesen Dingen Gründe für ein voreheliches +Geschlechtsleben siehst, dann handelst du wie ein Kind, das die eine +Dummheit durch die andere beseitigen will. Du sollst deine +Eßgewohnheiten ändern, den Alkohol meiden, das Rauchen einschränken, +Gewürze und gewürzte Nahrung fortlassen und alles das beachten, was wir +schon beim Kapitel der Onanie miteinander besprochen haben. Und wenn der +Arzt in all den eben genannten Störungen die Zeichen eines zu hohen +Blutdruckes erkennt, so sollte er seinen Patienten nicht auf den +gefährlichen Weg zur Dirne senden, sondern den Blutdruck durch den +gesünderen und klügeren Rat der fleischlosen Nahrung, der Vermeidung von +Kaffee und Tee und Alkohol herabsetzen. Kann diese gedankenlose +Suggestion der Dirnennotwendigkeit sich bei der ärztlichen Autorität ihr +Lebensrecht holen, dann ist es kein Wunder, wenn die Köpfe junger Männer +erfüllt sind von wilden, ungezügelten und schmutzigen sexuellen +Vorstellungen, die den erregten Körper zu nächtlichen Samenergüssen und +damit zur Erschlaffung mit Rückenschmerzen, Verdauungsschwäche und +Melancholie treiben! Ein straffes Halt der lüsternen Phantasie gebieten, +Geist und Körper in ernste, energische Arbeit einspannen, das hält den +Geist sauber und den Körper gesund! + +In Klöstern, wo die Frauen arbeiten, hat man selten Hysterie gefunden; +bei Prostituierten dagegen ist sie häufig. + +Du wirst einsehen, daß gerade die wunderbare Tatsache der ~inneren~ +Drüsenabsonderungen der Jugend die Pflicht der Keuschheit auferlegt. +Denn der Organismus, der diese Drüsensekrete zu seiner Entwicklung +gebraucht, kann nicht zu seiner vollen Entwicklung kommen, wenn ihm +vorher das Wachstumsmaterial entzogen wird. Und wenn dem Körper die +Kraft genommen ist, wie sollte er Kraft seinen Nachkommen geben können? +Dem eigenen Leichtsinn folgt die Schwäche der Nachkommen, und sie ist +ein drückender Vorwurf für den, der noch ein Gewissen hat. + +Es ist nicht geschickt, zur eigenen Entschuldigung auf die Männer +hinzuweisen, die trotz ihrer sexuellen Ausschweifung geistig groß, +bedeutend und machtvoll waren. Denn erstens sind solche Männer in der +Minderzahl, zweitens hätten sie bei größerer Selbstzucht noch Größeres +erreicht. Die Zahl der Großen aber, die ihr persönliches Leben unter die +ordnende Macht sittlicher und gesundheitlicher Gesetze gestellt haben, +ist wesentlich größer, und man braucht nur auf ~Immanuel Kant~, auf +~A. v. Humboldt~ hinzuweisen, um sexuelle Enthaltung und geistige Größe +eindrucksvoll nebeneinander zu sehen. Jedenfalls hat frühzeitiger +Geschlechtsverkehr noch keinen großen Mann gezeitigt. Dagegen fällt das +Auge überall auf Menschen, die durch vorzeitige Vergeudung der +Zeugungskräfte an Körper und Geist verarmt und verkümmert und zu jedem +geistigen Hochflug unfähig geworden sind. + +Obermedizinalrat Prof. _Dr._ ~Gruber~ in München sagt: »An eine +Schädlichkeit der Zurückhaltung des Samens im Körper ist nicht zu +denken.« Er weist darauf hin, daß die Samenflüssigkeit, wenn sie als +Auszug aus Tierhoden unter die Menschenhaut gespritzt wird, die +Leistungsfähigkeit der Muskeln erhöht und diese sich rascher erholen. Er +weist ferner auf die Enthaltung von Gelehrten und Künstlern hin und +sagt: »Während der Zeit der Enthaltung wird sicherlich Samen aufgesaugt, +und seine Bestandteile gelangen ins Blut. Dies wirkt nicht schädlich, +sondern günstig.« -- + +Zweifellos gibt es Menschen von so heftiger geschlechtlicher Begierde, +daß sie sich wie ein Wesenszug ihrer besonderen Persönlichkeit ausprägt +und oft ihrem Handeln eine bestimmte Note gibt. Sie können sich nicht +bezähmen, sondern werden von ihrer Begierde beherrscht. Solchen Menschen +erscheint der Gedanke an geschlechtliche Entsagung lächerlich, und sie +sind es auch, die, von ihrem eigenen Zustand ausgehend, ihren +jugendlichen Kameraden die Gefahren der Keuschheit anschaulich machen +wollen. Sie geben oft einer Unterhaltung den Ton, und die anderen +schämen sich, ihre Unschuld zu zeigen oder gar zu verteidigen. Wir +wollen nicht Pharisäer sein und Steine werfen auf diejenigen, deren +heftige, unstillbare Begierde die Selbstbeherrschung übersteigt. Aber +man soll in diesen Dingen das Herdenmäßige niederhalten, damit nicht der +eine zur gefährlichen Antriebskraft für die anderen wird, die zu spät +den gefährlichen Weg, den Krankheitsjammer und das moralische Elend +erkennen, in das ihre durch ein paar verführende Worte angefachte +Sinnlichkeit sie hineingetrieben hat. Man kann, durch ein Irrlicht +geleitet, leicht in einen Sumpf geraten. Ob aber die Kraft zum +Herauskommen später noch da ist, ist nicht vorherzusagen. + +Prof. _Dr._ ~Albert Heim~ hat in einer kleinen Schrift, »Das +Geschlechtsleben des Menschen vom Standpunkt der natürlichen +Entwicklungsgeschichte«, vortrefflich nachgewiesen, daß diese sexuelle +Planlosigkeit und Willkür, die wir in der »zivilisierten« Menschheit +finden, nicht einmal beim Tiere existiert, daß für das in Freiheit +lebende Tier durchaus keine Geschlechtsfreiheit besteht, daß es vielmehr +in polygamischer oder monogamischer Ehe lebt. Er sagt: + +»Und indem allmählich die zeitliche Beschränkung der Geschlechtsliebe +auf Brunftzeiten verschwunden ist, die Zeit der Brutpflege und der +Erziehung der Nachkommen sich immer verlängert hat, wird die Familie +fester und dauernder und dadurch die ~lebenslängliche Einzelehe~ immer +~natürlich-notwendiger~. In geschichtlicher Zeit sehen wir in der +Menschheit selbst alle Stufen von Unregelmäßigkeit, polygamischer, +monogamischer Ehe sich fortschreitend entwickeln bis gegen die +Alleinherrschaft der lebenslänglichen Einzelehe in Praxis, in Sitte und +in Gesetz. Was die Natur schon am Tierreiche in verschiedenen Zweigen +aufsteigend entwickelt und mit verstärkter Notwendigkeit dem Menschen +als Erbe überbunden hat, das wird sie nicht zurücknehmen können. Es +gibt kein anderes Rückwärtsschreiten als dasjenige zum Untergang. + +»Die ~monogamische Lebensehe~ ist in ihrer Ausbildung ein allgemeines +Naturgesetz, und indem das Sittengesetz der Menschheit dieselbe fordert +und anstrebt, ist es eben nicht ein Stück »zivilisatorischer Unnatur«, +sondern ein ~Stück Natur~. ~Ein ungehemmtes Verfolgen seiner Triebe ist +kein Naturrecht. Die freie Natur gibt dies bei höheren Tieren nirgends +zu.~ Auch das Tier würde bei Geschlechtsfreiheit rasch zugrunde gehen. +Der außereheliche Geschlechtsverkehr ist in der Natur gar nicht +vorgesehen; er ist nur eine unglückliche Abirrung der Zivilisation, ein +Irrtum! Je intensiver der Geschlechtstrieb, je beseligender seine +Befriedigung wird, desto bestimmtere und engere Schranken setzt ihm die +Natur, desto höher und heiliger aber auch gestaltet sie die +geschlechtliche Verbindung; sie wird zur Liebe, zur Ehe. Beim Menschen +gibt uns Liebe und Gegenliebe, nicht der Geschlechtstrieb, Recht aus +Geschlechtsgenuß. + +»Das Gerede vieler Männer von der Unnatur der Enthaltsamkeit und der +monogamischen Lebensehe ist also eitel Säbelgerassel und steht im +grellsten Widerspruche mit den Leitlinien der natürlichen Entwicklung. +Diesem Gerede zuliebe wird die Natur nicht umkehren, sondern wer ihren +Entwicklungsgedanken zuwider lebt, der wird an seinem Laster verderben! +Aus der Natur, aus ihren Gesetzen, kommen wir nimmer heraus!« + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Dritter Teil. + +Die Geschlechtskrankheiten. + + +Ja, wenn noch aus all dieser lüstern-lockenden Welt der geschlechtlichen +Ungebundenheit Glück und Kraft und Schönheit käme! Wenn die Wege des +Genusses nicht zur Reue führten, die oft fassungslose Verzweiflung ist! +Denn das voreheliche Geschlechtsleben hat einen Januskopf. Auf der einen +Seite das lächelnde Antlitz des Augenblicksgenusses und auf der anderen +die grause Kehrseite der venerischen Krankheiten, allen voran Tripper +(Gonorrhöe) und Syphilis. Weißt du, welche Schrecken diese Krankheiten +für den Einzelnen, welche Geißel sie für das Volk sind? Ruinierte +Kräfte, zerstörte Leben auf der ganzen Linie. Nur ein paar Zahlen sollen +den Umfang der venerischen Seuche zeigen: + +Das Kultusministerium in Preußen versandte im Jahre 1900 Fragebogen, die +Geschlechtskrankheiten betreffend, an die Ärzte. Aus der Beantwortung +derselben ergab sich, daß am 30. April des genannten Jahres 41000 +Geschlechtskranke sich in ärztlicher Behandlung befanden. Darunter waren +allein 11000 an frischer Syphilis Erkrankte. Berlin zählte allein 11600, +darunter 3000 frisch Syphilitische. Es kamen somit in Preußen auf 10000 +Einwohner = 28 Geschlechtskranke, in Berlin 142. Berücksichtigt man, daß +ein Drittel aller Ärzte die Fragebogen unbeantwortet gelassen hatte, und +daß zahllose Erkrankte ohne eine Ahnung von ihrem Leiden herumlaufen +oder aber leichtsinnigerweise nicht zum Arzt gehen, so kann man sehr +wohl für Preußen eine Zahl von 100000 Geschlechtskranken am Tage +annehmen. Professor ~Brentano~ sprach 1903 in München auf dem Kongreß +der »Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten« sogar von +170000. + +Diese Krankheiten kosten dem Volke an Mindereinnahmen und Mehrausgaben +(für Behandlung) viele Millionen. + +Das Elend, das diese Zahlen in sich einschließen, ist kaum zu schildern +und hat etwas Grauenhaftes, wenn man sieht, daß ihm die Menschen mit +lächelndem Leichtsinn entgegeneilen. Denn fast alle Geschlechtskrankheiten +(90%) entstehen bei der Prostitution oder durch die flüchtigen +»Verhältnisse« mit Kellnerinnen und dergl. + +_Dr._ ~Iwan Bloch~-Berlin berichtet (»Sexualleben«), daß in Berlin +alljährlich ein Drittel aller Kellnerinnen als geschlechtskrank +aufgegriffen werden, daß unter den Geschlechtskranken folgende Skala +besteht: 30% Kellnerinnen, 25% Studenten, 16% Kaufleute, 9% Arbeiter, 4% +Soldaten. Daß die Studenten gleich hinter den Kellnerinnen stehen, +spricht für ihren bodenlosen Leichtsinn. Der verstorbene Leipziger +Nervenarzt _Dr._ ~Möbius~ sagt (»Vermischte Aufsätze«, 1898): »Der, der +Erfahrung hat, muß zugeben, daß wenigstens acht von zehn, die durch +Dirnen angesteckt worden sind, nicht durch Leidenschaft dazu gekommen +sind, sondern einfach durch Leichtsinn und Übermut, Verführung und +Betrunkenheit. Ja, viele setzen sich kaltblütig der Gefahr aus, bloß +weil man ihnen eingeredet hat, regelmäßiger Geschlechtsverkehr sei zur +Gesundheit nötig. + +»Wüßten die Leute ganz klar, wie groß die Gefahr ist, daß sie bei jedem +Verkehr mit Dirnen die Gesundheit, ja das Leben auf das Spiel setzen, so +würden gewiß viele sich zurückhalten. Deshalb halte ich es für eine +ernste Pflicht aller Wohlmeinenden und ganz besonders der Ärzte, so oft +und so nachdrücklich wie möglich die Wahrheit über die venerischen +Krankheiten anszusprechen, ja den Menschen ins Ohr zu schreien. Jeder +bedenke, welche Verantwortung er auf sich lädt, wenn er diese Dinge +leichtsinnig behandelt. Sollten Ärzte lächelnd von >Kinderkrankheiten< +reden, oder wohl gar zum Besuche der Dirnen ermuntern, so darf man von +ihnen sagen, daß sie >viel schlimmer als die Pest< wirken.« + +Weil Wissen überall die starke Waffe der Sittlichkeit ist, wollen wir +hier kurz die häufigsten und schrecklichsten Geschlechtskrankheiten +darstellen. Es sind dies 1. der Tripper (Gonorrhöe), 2. der weiche +Schanker, 3. die Syphilis. + +Der ~Tripper~ ist eine uralte Krankheit, die schon ~Moses~ zu ernsten +Maßregeln veranlaßte. Das Mittelalter hat eine große Ausdehnung des +Trippers erlebt, aber die großen Irrtümer über diese Krankheit waren für +die Kranken von sehr trüben Folgen. Klarheit brachte erst die im Jahre +1879 gemachte Entdeckung von Prof. ~Neisser~-Breslau, daß der Tripper +eine zunächst lokale Entzündung der Harnröhrenschleimhaut ist, die auf +bestimmten Mikroorganismen (Kleinwesen), den _~Gonoccoci Neisseri~_ oder +Tripperkokken, beruht. + +Es gibt keine andere Ursache für den Tripper oder die Gonorrhöe als den +Geschlechtsverkehr. Was man sonst darüber redet, ist falsch. Man kann +ohne weiteres sagen, daß alle käuflichen Dirnen geschlechtskrank sind, +und daß die sittenpolizeiliche Kontrolle (Reglementierung) nicht den +geringsten Schutz gegen die ungeheure Ansteckungsgefahr gewährleistet. + +Ein oder mehrere Tage nach der Ansteckung macht sich ein lästiges +Brennen und Jucken in der Harnröhre bemerkbar, das häufige +Gliederektionen mit erhöhtem Schmerzgefühl bewirkt und besonders beim +Harnlassen sich steigert. Zugleich beginnt ein schleimiger Ausfluß, der +in kurzer Zeit zu einem mehr oder weniger übelriechenden grünlich-gelben +Eiter wird. Die Menge dieser eiterigen Absonderung hängt von der +Heftigkeit der Erkrankung und von der gesamten Kräfte- und +Säftebeschaffenheit des Patienten ab. Die Harnröhrenmündung erscheint +gerötet. Wird bei der Untersuchung der Harn in ein Glas gelassen, so +senkt sich der Eiter darin in dicker Schicht zu Boden, und man kann die +Gonokokken darin mit Sicherheit feststellen. + +Die schmerzhaften Gliederregungen, der gestörte Schlaf, das +Angegriffensein des ganzen Nervenapparates, sind natürlich für den +Patienten sehr angreifend. Der Verlust an Säften und Kräften läßt sich +wohl auch bei jedem heftigen Tripper an dem schlechten Aussehen des +Patienten erkennen. + +Je nach Umständen läßt nach 3-4 Wochen die Heftigkeit des Ausflusses +nach. Der Eiter verliert seine Dickflüssigkeit und gewinnt wieder das +Aussehen wie zu Beginn der Krankheit; er wird wässeriger und heller. + +Es kommt vor, daß ein leichter Tripper verhältnismäßig lange Zeit +besteht und hartnäckig erscheint, daß aber andrerseits hin und wieder +ein sehr heftig auftretender Tripper in kurzer Zeit verschwindet. Das +hängt ganz von Konstitution und Lebensweise und von der im Körper +wirkenden Heilkraft ab. + +Meist hat der Tripper seinen Sitz zunächst in dem vorderen Teil der +Harnröhre. Durch unrichtiges Verhalten, vor allem durch unzweckmäßige +Behandlung, verbreitet er sich aber über den hinteren Teil der +Harnröhre, und damit beginnt sein ernster Charakter, beginnen die +Gefahren des Blasenkatarrhs, der Nebenhoden- und Prostataentzündung usw. +Jetzt können Schäden entstehen, die im ganzen Leben nicht wieder +gutzumachen sind, wenn nicht mit allem Ernst die Behandlung in die Wege +geführt wird. + +Wird die zweckmäßige Behandlung versäumt, so geht der frische (akute) +Tripper in das chronische Stadium über. Damit gewinnt diese Krankheit +ihren wahrhaft heimtückischen Charakter. Man kann deshalb nicht ernst +genug raten, sofort nach dem Ausbruch der Krankheit einen Arzt +aufzusuchen. Warnen muß man vor allem vor der Selbstbehandlung, die +junge Männer auf den Rat »erfahrener« Freunde beginnen, weil sie sich +schämen, zum Arzte zu gehen, oder weil sie Störungen in ihrem Berufe und +Entdeckungen seitens der Angehörigen fürchten. Wer sich nicht schämte, +sich die Krankheit bei der Dirne oder einem sonstwie unerlaubten +Geschlechtsumgang zu holen, der sollte auch den Mut besitzen, sich durch +einen erfahrenen Arzt ausheilen zu lassen, um sich selbst und seine +spätere Familie vor schlimmen Folgen zu bewahren. Die Selbstbehandlung +ist ein Leichtsinn und eine Unklugheit, weil durch sie oft die +Krankheit erst ins chronische Stadium hineingetrieben wird. Übrigens +schützt das ärztliche Berufsgeheimnis den Patienten vor jedem bösen +Klatsch und vor gesellschaftlicher Ächtung. Das ist bei der herrschenden +besonderen Auffassung der Geschlechtskrankheiten doppelt wichtig. +Zwischen der medikamentösen Behandlungsweise und der naturgemäßen +entscheide ich mich unbedingt für die letztere, die in der ärztlichen +Praxis mehr und mehr an Anerkennung und Würdigung gewinnt. + +Ist der Tripper erst einmal chronisch geworden, so bietet er der +Behandlung weit größere Schwierigkeiten. Im allgemeinen kann man die +Erkrankung als chronisch ansehen, wenn sie einer zweckmäßigen Behandlung +nicht innerhalb drei Monaten weicht. Dann wird der Tripper zu einem +langwierigen, schleichenden Leiden, das monate- und jahrelang, ja durchs +ganze Leben hindurch bestehen und schließlich tödliche Erkrankungen +hervorrufen kann. Jedenfalls haben die neueren klinischen Erfahrungen +das Gesamtbild des Trippers ganz wesentlich gefahrvoller erscheinen +lassen, als man es früher glaubte. Subjektiv sind die Beschwerden +zunächst nicht sonderlich groß und bestehen im wesentlichen darin, daß +morgens die Harnröhrenmündung verklebt ist und auf Druck einen +grau-weißlichen Schleimtropfen absondert, in welchem die +bakteriologische Untersuchung manchmal Gonokokken, manchmal aber auch +nur Eiter nachzuweisen vermag. Das Urinieren ruft häufig, besonders nach +dem Genuß scharfer Speisen, Schmerzen hervor. + +Was aber dem chronischen Tripper erst seinen heimtückischen Charakter +gibt, das sind seine Folgeerscheinungen, von denen vorerst die +gefährlichen Strukturen, das sind Verengerungen der Harnröhre durch +Bindegewebswucherungen, zu nennen sind. Dieselben sind oft ungeheuer +schmerzhaft, erschweren das Harnlassen und können zu schweren +Nervenstörungen führen. + +Zum zweiten ist zu nennen die sogenannte ~Prostatitis~; das ist eine +Entzündung der zwischen Harnröhre und Blase liegenden Vorsteherdrüse, +die große Schmerzen hervorruft und mit einem starken Eiterausbruch +endet. Auch diese Krankheit kann chronisch werden und ist dann +verhängnisvoll für die Geschlechtstätigkeit, da sie sexuelle +Neurasthenie hervorrufen kann. + +Bei Vernachlässigung, namentlich aber bei der leichtsinnigen +Selbstbehandlung und dem Gebrauch innerlicher, reizender Mittel, +schließt sich dem Tripper ein ~Blasenkatarrh~ an, ein im akuten Stadium +äußerst schmerzhaftes Leiden, das mit fortwährendem Harndrang verbunden +ist und sehr leicht chronisch werden kann. Dann kann es monate- und +jahrelang bestehen, ja während des ganzen Lebens eine Schwächung der +Blase und ihres Schließmuskels hinterlassen und so zu einem ganz +außerordentlich lästigen und hinderlichen Leiden werden. Ja, in der +chronisch erkrankten Blase bildet sich der entsetzlich schmerzhafte +Blasenstein, der die den Strukturen folgende Harnverhaltung unter +Umständen zur Ursache schwerster Blutvergiftungen, Vereiterungen und +tödlicher Prozesse werden lassen kann. + +Zu den schlimmsten Folgekrankheiten des Trippers gehört die +~Nebenhodenentzündung~, bei der im Zeitraum von einem oder mehreren +Tagen einer der beiden Hoden anschwillt auf das Zwei- und Dreifache +seiner normalen Größe, sich heiß und äußerst schmerzhaft anfühlt und das +Gehen, sowie jede Bewegung unmöglich macht. Wird die Behandlung dieses +Entzündungsprozesses nicht energisch, bei völliger Bettruhe, in die Hand +genommen, so bleiben Verhärtungen zurück, die jahrelang oder auch +während des ganzen Lebens bestehen bleiben. + +Vor allem aber besteht die Gefahr, daß die Entzündung ~beide~ Hoden +ergreift und dann durch Zerstörung des Hodengewebes, das wir als die +Brutstätte der befruchtenden Samenzellen anzusehen haben, zur dauernden +Unfruchtbarkeit führt. Das geschieht tatsächlich in 85% aller Fälle von +doppelseitiger Hodenentzündung. Man stellt dann entweder ~Azoospermie~ +fest, d. i. gänzliches Fehlen von Samenfäden (Spermatozoen), oder aber +unbewegliche, also tote, zur Befruchtung unfähige Samenfäden. + +So kann der Leichtsinn des vor- und außerehelichen Geschlechtslebens +eine fürchterliche Strafe finden, kann ein Augenblick der ungezügelten +Sinnlichkeit, der zum Haus der Dirne trieb oder eine jener zufälligen +und wahllosen Geschlechtsverbindungen bewirkte, mit dem Verlöschen der +Zeugungsfähigkeit enden. Das Wort »Vater« verliert seinen Klang, und +alles, was es an Schönheit und Freude in sich einschließt, ist begraben, +ehe es ins Leben treten kann. Die edelste Kraft wird eingebüßt, und +diese Möglichkeit allein müßte jeden Leichtsinn im Keim ersticken. + +Aber mit diesen festumrissenen Folgekrankheiten erschöpft sich der +Tripper nicht, und wir werden noch sehen, welch ein furchtbarer +Leichtsinn es ist, vom Tripper lächelnd als von einer »Kinderkrankheit« +zu reden, wie es unter jungen Leuten oft geschieht. Es besteht ja die +verhängnisvolle Anschauung, daß man einmal ein »kleines Tripperchen« +gehabt haben müsse, um gegen spätere Ansteckungen gefeit zu sein. Das +direkte Gegenteil ist richtig; denn wer einmal einen Tripper hatte, +neigt in außerordentlichem Maße zu weiteren Ansteckungen, weil die +Schleimhäute ihre Widerstands- und Abwehrkraft eingebüßt haben. + +Leider bleibt der Tripper nicht einmal auf die Entzündung der +Geschlechtsorgane beschränkt; vielmehr wird durch den Blut- und +Säftestrom das Trippergift überall im Körper umhergetragen und kann an +allen Organen schwere Entzündungen hervorrufen. Seit man bei gewissen +Krankheitsformen den ~Neisserschen~ Gonokokkus gefunden hat, liegen die +Zusammenhänge klar zutage. Darüber sagt Prof. Dr. ~Wyß~-Zürich[5]: + + »So ist vor allem der Tripperrheumatismus als eine sicher durch + Transport von Gonokokken durch die Blutbahn von der erkrankten + Schleimhaut der Harnröhre nach den serösen Häuten der Gelenke + bedingte Entzündung anzusehen; wir verstehen, daß auch andere + seröse Häute erkranken können; wir wissen, daß gewisse schwere + Entzündungen der Herzklappen unter Umständen mit all ihren weiteren + Komplikationen: Nierenerkrankungen, Gehirnerkrankungen, + Lungenerkrankungen usw., die Folge einer Gonorrhöe sind; doch auch + ohne Beteiligung des Herzens können akute eiterige Entzündungen im + Gehirn und Rückenmark oder deren Häuten durch den Gonokokkus sich + ereignen und unrettbar den Tod herbeiführen. Gewisse Nasen- und + Ohrenerkrankungen, Dickdarmerkrankungen, Speicheldrüsen- und + Knochenhautentzündungen sind durch ihn bedingt. Somit ist der + Tripper für den Mann oft als eine lebensgefährliche Krankheit + erkannt worden, und zwar zuweilen selbst dann noch, wo er örtlich + keine Erscheinungen mehr oder nur noch ganz unbedeutende gemacht + hat.« -- + +Bliebe der Tripper auf sich selbst beschränkt, so könnte man den +Gedanken hegen, daß der Schuldige büßen muß für Unwissenheit, Fehl, +Leichtsinn und Gewissenlosigkeit. Zwar ist oft die Strafe zu hart; denn +nicht immer ist der Einzelne schuld an seinem Tun, wenn ihm ein +warnendes Wort von Eltern und Lehrern fehlte. Und wenn die alkoholische +Lustigkeit einer Tafelrunde bei der Dirne endete, so büßen viele ihr +Leben lang den Augenblick des Leichtsinns, der ausreichte, eine +Geschlechtskrankheit zu übertragen. Mit Tränen in den Augen haben sie +oft vor mir gestanden, die jungen Männer, die körperlich und seelisch an +der geheimen Häßlichkeit ihrer venerischen Krankheit leiden. Gar zu hart +hatte sie's betroffen. + +Was aber sollen wir sagen, wenn die Unschuldigen leiden müssen, büßen +für den Leichtsinn eines andern, büßen ein Leben lang, büßen ohne +Schuld, leiden, wo sie liebten oder wo die Liebe ihnen das Leben gab? +Denn der Tripper ist ansteckend, ist übertragbar auf die Frau, die +liebend und voll Vertrauen dem Manne in die Ehe folgt und von demselben +Manne, dem sie all ihre Jugend, ihre Frische dargeboten, den +Krankheitskeim empfängt, der sie von der gleichen Stunde ab zur +leidgequälten Frau macht. + +Das Gefährliche des weiblichen Trippers besteht darin, daß er sich nicht +auf die Harnröhre beschränkt, sondern alle äußeren und inneren +Geschlechtsteile auf das heftigste erfassen kann. Das alles sind äußerst +schmerzhafte, quälende, störende Leiden, die sehr verschiedenartige +Erscheinungen machen können, so daß man früher oft eine andere Diagnose +stellte, wo heute eine Tripperansteckung zweifelsfrei feststeht. + +Ja, von den sogenannten »Frauenleiden« beruhen drei Viertel wohl auf +nichts anderem, als auf venerischer Ansteckung durch den Mann. Denn der +Tripper geht tiefer in die inneren Organe hinein und befällt besonders +die Gebärmutter, am Hals derselben beginnend und allmählich sie ganz +überziehend, so daß in solchen Fällen die Unfruchtbarkeit der Frau eine +unausbleibliche Folge ist. + +Wieviel Jammer und Tränen hängen mit dem Worte Unfruchtbarkeit zusammen! +Wieviel ungestillte Muttersehnsucht, wieviel bittere Entsagung schließt +es in sich ein! Ich habe Frauen gesehen, die weinten, wenn sie Kinder +sahen, sie herzten und küßten, weil ihnen selbst dies größte Frauenglück +versagt geblieben war. Und wie oft regnet es Vorwürfe von seiten des +Mannes auf die arme Frau herab, deren Herz nach einem Kindchen jammert, +deren mütterliche Kraft aber im Keim erstickt wurde durch eine +Tripperinfektion. Entweder leidet der Mann an Azoospermie (Fehlen von +Samentierchen) infolge von tripperhafter Hodenentzündung, oder aber die +inneren Organe der Frau sind durch die Ansteckung angegriffen. + +Die heimtückische chronische Form des Trippers bietet selbst beim +Schwinden der Symptome keine unbedingte Sicherheit für den Glauben an +Heilung. Chronische Tripper können in furchtbarer Heftigkeit wieder akut +werden. Ja, es kommt vor, daß ein chronisch tripperkranker Mann mit +einer Frau Umgang hat, diese aber gesund bleibt, und die abgelagerten +Gonokokken beim nächsten Mal rückwirkend beim Manne einen akuten Tripper +erzeugen. + +Unwissenheit und Schamgefühl hindern das weibliche Geschlecht mehr noch +als das männliche, den Tripper gleich nach Ausbruch ärztlich behandeln +zu lassen. Das ist der Grund, warum der Tripper bei der Frau so +verheerend wirkt. Denken wir nun daran, daß der Tripper so ungeheuer +verbreitet ist, daß nach den Angaben des amerikanischen Arztes +~Noegerath~ von 1000 Männern 800 einmal in ihrem Leben an Tripper +erkrankt gewesen sind, und daß die meisten davon ihn nie wieder +verloren, so sehen wir mit einem Schlage, daß es sich hier nicht um eine +Einzelkrankheit handelt, der man bisher mit lächelndem Spott +gegenübergestanden hat, sondern um eine furchtbare Seuche, die der +Kraft eines ganzen Volkes Wunden schlägt. Man lachte über ~Noegerath~, +hielt ihn für einen ideologischen Schwarzseher. Aber seine aus der +Praxis des Arztes gewonnenen unerbittlichen Zahlen vermochten doch +schließlich unter den deutschen Ärzten den Indifferentismus und den +Gleichmut zu beseitigen, womit man bisher diesen Dingen gegenüberstand. +Man sah genauer hin, beobachtete schärfer, arbeitete gleichfalls +statistisch und -- fand, daß ~Noegerath~ recht hatte. Man erkannte mit +einem Male, daß man mit der angeblichen Heilbarkeit des Trippers gar zu +optimistisch umgegangen war, daß der Tripper geradezu ungeheuer häufig +chronisch wird und auch dann noch bestehen kann, wenn ihn selbst der +Arzt für geheilt erklärt, daß er dann noch ansteckend auf die Frau oder +auf den Mann wirkt. Man sah von da ab auch die Frauenleiden mit ganz +anderen Augen an und fand in weit größerem Umfange als bisher als +Ursache -- den Tripper. Von den leichten Formen des Weißflusses an, der +sich oft schon ganz kurz nach der Hochzeit einstellt, bis zu den +schweren Entzündungen der Eileiter, Eierstöcke, der Gebärmutter und +selbst des Bauchfells, überall fand man den Gonokokkus, und -- manches +Rätsel war gelöst. + +Prof. _Dr._ ~Wyß~-Zürich sagt darüber[6]: + + »Während der Geschlechtsapparat des Mannes nach dem Bauchfellraum + hin abgeschlossen ist, kommunizieren die inneren Schleimhäute der + Geschlechtsorgane im weiblichen Organismus direkt mit dem + Peritoneal- oder Bauchfellsack. Infolgedessen greift der + Entzündungsprozeß, den der Tripper auf der Schleimhaut des + Geschlechtsapparates der Frau erzeugt, leicht auch auf das + Bauchfell über. Sowohl für sich, als auch in Verbindung mit anderen + Mikroben (Bakterien) werden dadurch akute und chronische + Entzündungs- und Eiterungsprozesse bedingt, welche die Frau schwer + erkranken machen, und welche leider oft in kürzerer oder erst nach + längerer Zeit den Tod herbeiführen, mindestens aber monate-, ja + jahrelanges Kranksein und oft fürs ganze Leben Leidendsein + bedingen. Da diese Zustände oft einsetzen im Anschluß an eine + Geburt oder einen anderen physiologischen oder auch pathologischen + Vorgang (Menstruation, Abortus, vorzeitige Geburt), so hat man + früher, als man die Krankheitserreger noch nicht kannte, jene + Vorgänge der Ätiologie beschuldigt, die wahre Ursache nicht + erkannt. Erst seit der Gonokokkus in solchen Entzündungsprodukten + mikroskopisch nachgewiesen werden konnte, ist man auf die richtige + Fährte gelangt und weiß man, daß viele früher auf eine »böse + Geburt« zurückgeführten tödlichen Erkrankungen oder heutzutage + oftmals zu schweren Operationen oder in anderen Fällen auch + wiederum zu langem Siechtum führenden Affektionen junger, + blühender, bis zu ihrer Verheiratung absolut gesunder Frauen -- auf + einen nicht ausgeheilten oder geheilt erschienenen Tripper des + Herrn Gemahls zurückzuführen sind.« + +So finden wir's in allen Gesellschaftsschichten. Wann wird es eines +Tages gelingen, diese fürchterlichen Tatsachen in die Herzen der +männlichen Jugend einzugraben, damit sie abläßt vom gewissenlosen +geschlechtlichen Leichtsinn! In die Ohren müßten wir's ihr +hineinschreien, wieviel Jammer das sexuelle »Amüsement« in die Welt +bringt. Als Prof. ~Bumm~ in Leipzig einst unter den Hörern seines +Kollegs Fragezettel bezüglich eines etwaigen Trippers verteilte, +antworteten 36 von 53 Studenten mit »Ja«. Das waren 70%. Die übrigen 30% +werden ihn leider früher oder später auch noch bekommen haben. + +Wie viele von diesen Trippern bleiben ungeheilt, werden chronisch und +richten in der Ehe körperliche und seelische Verwüstung an! ~Noegerath~ +hält den Tripper überhaupt für -- unheilbar!!! Das ist zum Teil die +Folge seines medikament-medizinischen Standpunktes, den wir nicht +teilen. Aber daß überhaupt ein ernster Forscher und warmherziger +Menschenfreund wie ~Noegerath~ zu einer solch furchtbaren Auffassung +kommt, das ist's, was uns erschreckt. + +Tatsächlich trotzen viele Tripper jeder Behandlung. Der Patient ist eine +Zeitlang trostlos. Dann gewöhnt er sich an den Krankheitszustand, hält +ihn für immer weniger ernst, heiratet und -- steckt seine Frau an. Damit +beginnt dann für die Frau und für die Ehe die lange Leidenskette, +schwere Unterleibsleiden und unter Umständen Unfruchtbarkeit. + +Prof. ~Flesch~-Frankfurt a. M. sagt: »In meiner ärztlichen Tätigkeit +habe ich es nur zu oft erlebt, daß unglückliche Frauen der ärmeren +Klassen, wenn Hunger und Sorge wegen ihrer andauernden Arbeitslosigkeit +>wegen Unterleibsentzündung< eingezogen waren, daß Frauen der +bemittelten Klassen, wenn Kinderlosigkeit die Ehe vergiftete, sich den +Tod herbeiwünschten, sich den schwersten Operationen unterzogen, und +ihre Männer noch um Verzeihung baten, weil sie ihren Mann unglücklich +machten. Und der um Vergebung Angeflehte war fast immer, ohne es zu +ahnen, der Urheber des Unglücks.« + +Aber auch damit macht der Tripper nicht halt. Das Trippergift, das in +den Geburtswegen einer Frau abgelagert ist, kann während des +Geburtsaktes in die Augen des Kindes kommen. Dann entsteht eine +Bindehautentzündung, die das Augenlicht zerstört. 60 von 100 Blinden +haben ihr namenloses Unglück aus dieser lebentötenden Quelle. Gibt es +Worte für soviel Jammer? Tausende büßen mit Blindheit den +Jugendleichtsinn ihrer Väter. + +Und dieses gedankenlose »Vorleben« wird immer noch entschuldigt! Immer +noch finden sich Stimmen, die von »Männlichkeit« sprechen, wenn ein +junger Mann geheime Wege geht. Wären diese qualvollen »Frauenleiden« +nicht allesamt vorher »Männerleiden«, oder bliebe die Krankheit auf den +Mann beschränkt, so könnte er sündigen, wenn er für sich allein büßen +will. Aber Unschuldige büßen! Unschuldige zu Hunderttausenden! Hört +ihr's, ihr jungen Männer? Laßt dies Leid der Unschuldigen nicht größer +werden! Das junge Mädchen, das still und in den Träumen der Jugend im +Elternhaus lebte, vergiftet ihr! Ihre Augen leuchten, wenn ihr +Liebesworte sprecht! Und ihr Herz weiß nicht, was ein junger Mann im +Haus der Dirne sah und tat. Es liegt ein böses, aufreizendes Unrecht in +diesem Vorleben. Mit einer niederträchtigen Disharmonie beginnt die Ehe: +~sie~ geschlechtlich unschuldig oder harmlos, ~er~ weiterfahren, sexuell +blasiert und -- mit einem chronischen Tripper behaftet. Nach kurzer Ehe +sind die frohen Hoffnungen der Brautzeit zusammengefallen. Aus dem +fröhlichen Mädchen wurde eine müde, kranke Frau, gereizt, übellaunig +oder todestraurig. Wir denken an das Wort ~Noegeraths~, der sagte: »Es +ist so weit gekommen, daß junge Damen sich fürchten, in die Ehe zu +treten, weil sie wissen, daß alle ihre Bekannten erkrankt und nicht +wieder gesund geworden sind.« + +Die zweite in dem Trio der Geschlechtskrankheiten ist + + ~der weiche Schanker~ (_Ulcus molle_). + +Er ist ein meist an der Eichel oder der Vorhaut des Geschlechtsgliedes +durch Ansteckung beim Geschlechtsverkehr entstehendes Geschwür, das ein +bis fünf Tage nach der Ansteckung sich mit Jucken und Brennen bildet und +meist eine durch Unreinlichkeit oder sonstwie verletzte, eingerissene +Stelle der Schleimhaut zur Voraussetzung hat. Bei Sauberkeit und +unverletzter Schleimhaut findet das Schankergift keinen Eingang. + +An der entzündlich geröteten Ansteckungsstelle bildet sich ein Bläschen, +das nach seinem Zerfall einen Eiter absondert und einen wulstigen aber +weichen, ein wenig ausgezackten Rand bildet. (Das syphilitische +Erstgeschwür hat harte Ränder; daher »harter Schanker« genannt.) + +Sehr häufig schwellen die Drüsen in der Schenkelbeuge, die sogenannten +Leistendrüsen, an (Bubonen), ja, es kann zu Vereiterungen derselben und +zum Durchbruch des Eiters nach außen kommen. + +Ist auch der weiche Schanker nicht von so ernstem und gefährlichem +Charakter wie der harte, so darf er doch nicht leichtsinnig aufgefaßt +werden, weil einerseits üble und häßliche Folgeerscheinungen auftreten +können, wie namentlich der phagedänische (d. i. der weiterfressende, +gewebszerstörende) Schanker, und andrerseits alle venerischen +Krankheiten so merkwürdig vielgestaltig auftreten, daß selbst der +erfahrene Arzt nicht sicher vor Täuschungen bleibt. + +Konstitution und zweckmäßiges Verhalten entscheiden darüber, ob der +weiche Schanker harmlos bleibt und schnell ausheilt, oder ob er der +Ausheilung hartnäckigen Widerstand entgegensetzt. + +Unsere ganz besondere Aufmerksamkeit aber verlangt + + ~die Syphilis~ (_Lues venera_), + +zumal ihr Charakterbild nach jeder Richtung hin in der Geschichte und in +der Gegenwart schwankt. + +Die Erscheinung der Syphilis ist der sogenannte ~harte Schanker~ (_Ulcus +dure_), der in den weitaus meisten Fällen durch den geschlechtlichen +Verkehr mit einer syphilitischen Person entsteht, und zwar dadurch, daß +das syphilitische Gift durch eine kleine Schrunde, einen kleinen Riß in +der Haut eintritt. Die Möglichkeit, daß eine solche kleine +Hautverletzung besteht oder beim Geschlechtsumgang entsteht, ist +allerdings so groß, und die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis so +ungeheuer, daß der geschlechtlichen Verbindung mit einer syphilitisch +kranken Person fast stets eine Ansteckung folgt. + +Das Ansteckungsfeld ist zumeist der uneheliche Geschlechtsverkehr. _Dr._ +~Blaschko~-Berlin erzählt, daß einmal von 1129 Geschlechtskranken in +seiner Poliklinik (1009 Männer und 120 Frauen) die Männer ihre Syphilis +fast ausschließlich außerhalb der Ehe, die Frauen innerhalb der Ehe von +den Männern erworben hatten. Welch eine furchtbare Anklage bedeutet das +für den Mann, welch ein entsetzliches Martyrium schließt das für die +Frau ein! Der Jugendleichtsinn des Mannes, den Weib und Kind in der Ehe +büßen müssen! + +Die Verbreitung der Syphilis hat Zahlen angenommen, die Entsetzen +wecken. + +Sie ist eine der furchtbarsten Volkskrankheiten geworden, die das +Interesse der ärztlichen Wissenschaft und der behördlichen Organe +unausgesetzt beschäftigt. Unsummen gehen in Heilungskosten auf, und das +Ende dieses unseligen Zerstörungsprozesses in der Menschheit ist nicht +abzusehen. + +In großen Städten schleicht das Gespenst der Syphilis durch alle Straßen. +Wo die Menschen dichter zusammenwohnen, steigert sich das Leben, vermehren +sich auch die Krankheiten. Und die Prostitution, die die Moral der Männer +verschlingt, speit dafür die Geschlechtskrankheiten, Tripper und Syphilis, +auf die Menschheit aus. + +Dieser Gifthauch trifft auch die Bewohner des Landes, dessen junge Söhne +in den Städten als Soldat dienen oder ein Handwerk, ein Geschäft lernen +und ausüben oder die Schulen, die Universität besuchen und mit der +Kultur der Stadt auch die Syphilis in die Heimat bringt. Der vierjährige +Feldzug hat die Zahlen der Geschlechtskrankheiten ins Fürchterliche +gesteigert. + +Die Syphilis beginnt mit einem kleinen Knötchen, das 2-4 Wochen nach +erfolgter Ansteckung auftritt (sogenannter Primäraffekt) und bald zu +zerfallen beginnt. Dabei bildet sich ein tiefer fressender Untergrund +und ein etwas erhöhter Randwulst. Beide sind hart, weshalb man hier vom +harten Schanker spricht. Auch Schwellungen der Leistendrüsen stellen +sich ein. + +Die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis ist eine ganz außerordentliche. +Jedes Hautritzchen genügt, um das syphilitische Gift eindringen zu +lassen, und zwar nicht nur an den Geschlechtsteilen, sondern überall am +Körper. Es gibt demnach eine außergeschlechtliche Syphilis, die bei 4% +aller Syphilitiker vorliegt. Dieselbe wird ungemein leicht erworben, +beispielsweise durch Küssen, Händedrücken, durch Benutzung von +Handtüchern, Bettwäsche, Kissen, Polstern usw., die vorher mit +syphilitischen Geschwüren in Berührung kamen. + +Eine sekundenlange Berührung genügt -- und das Gift ist in den Körper +eingedrungen und spielt seine verderbliche Rolle. Wenn's Schuld war, +kann man von Sühne sprechen. Was aber sagt ihr zu den Unglücklichen, die +ohne Schuld, ganz ohne Liebe und Geschlechtsumgang die Syphilis +erwarben? Die unwissend, schuldlos und wehrlos ein zerstörendes Gift +empfangen und es womöglich monate- und jahrelang in sich tragen, ohne +den Charakter der Leiden zu ahnen, die sie nacheinander heimsuchen? + +Ist das syphilitische Erstgeschwür ausgeheilt, so beginnt etwa nach 8-10 +Wochen die sekundäre Syphilis, meist als roter Fleckenausschlag, als +Knötchen (Papeln) oder eiterige Pusteln, die sich über den ganzen Körper +verbreiten und namentlich in Hautfalten (Schenkelbeuge, +Geschlechtsgegend, zwischen den Fingern usw.) als nässende Wunden +auftreten können. Die Absonderungen dieser Ausschläge haben eine starke +Ansteckungsfähigkeit. Dazu gesellt sich ein Schorf auf der behaarten +Kopfhaut, der das Haar büschelweise zum Ausfallen bringen kann. + +Dazu stellt sich Fieber ein, Mattigkeit, Abgeschlagenheit der Glieder, +rheumatismusähnliche Schmerzen in den Gelenken und den Knochen (namentlich +in den langen Arm- und Schenkelknochen), am Tage Frostschauer und in der +Nacht Schweiße, dazu schwere Gemütsverstimmungen. + +In den Schleimhäuten zeigen sich vielerlei Störungen, vom einfachsten +Katarrh angefangen bis zu den Papeln, die zu eiterigen Wucherungen +(sogenannten Kondylomen) werden können. Diese treten vor allem gern im +Rachen und im Munde auf und haben eine ungeheure Ansteckungsfähigkeit. +Nie ist beim Besuch einer Prostituierten der Besucher sicher, daß nicht +irgendwo am Körper ein Kondylom ihm die tückische Krankheit überträgt. + +Häßlicher und schlimmer noch sind die syphilitischen Geschwüre, die noch +in dem sekundären Stadium auftreten und als schmerzhafte +Gewebszerstörungen überall im und am Körper auftreten können. So +namentlich an den Nasenflügeln und dem Nasensteg, in den Mundwinkeln, am +Zahnfleisch, an der Zunge, den Stimmbändern, dem Zäpfchen usw. Wie viele +Redner, Sänger, Schauspieler usw. haben schon durch diese fressenden +Geschwüre ihre Stimme und damit ihre Existenz und ihre Lebensfreudigkeit +verloren! Wieviel Entstellungen des Gesichts, wieviel Sprachstörungen +haben allein diese Ursache! Wohl selten ahnt jemand, daß der +leichtfertige Augenblicksgenuß bei der Dirne oder das zufällige +Geschlechtserlebnis der Straße ein so grauenhaftes Ende nehmen kann. + +Manchmal, wenn der Kranke sich schon ganz oder fast ganz geheilt glaubt, +bricht mit einem Male die Krankheit in voller Stärke wieder aus. Der +ganze körperliche und seelische Jammer ist wieder da, und es ist wohl zu +verstehen, von welch grenzenloser, dumpfer Verzweiflung oft die +Unglücklichen befallen werden. + +Glaubt man aber die sekundäre Syphilis völlig geheilt, ja, versichert +sogar der Arzt, daß sie völlig geheilt sei, so liegt auch darin nicht +eine Spur von Sicherheit; denn nach Jahren oder Jahrzehnten bricht die +Syphilis mit völlig verändertem Charakter wieder aus und wird dann in +der Tat furchtbar. Sie ist in ihr drittes (tertiäres) Stadium +eingetreten und nimmt insofern einen gänzlich anderen Weg, als die +sekundäre Syphilis ausschließlich die Haut und die Schleimhäute befällt, +während im tertiären Stadium vorwiegend die inneren Organe (Knochenhaut, +Muskeln, Darmsystem, Leber, Nieren, Lungen, Gehirn und das ganze +Nervensystem) erkranken. + +Bei der tertiären Syphilis erscheinen runde oder ovale Papeln, die bald +geschwürig zerfallen und rotbraune Färbung gewinnen. Man nennt solch ein +Geschwür Gumma. Mehrere Gummata können zu einem einzigen Geschwür sich +vereinigen, das sich tief in das Gewebe hineinfrißt. + +Das ist gerade das Entsetzliche dieser Gummata, daß sie die tieferen +Gewebsschichten und die inneren Organe angreifen und diese zu +geschwürigem Zerfall bringen. + +So wird häufig die Nasenscheidewand durchgefressen, und die im Innern +abgefressenen Gewebsteile werden beim Räuspern oder Husten ausgestoßen. +Von den vorkommenden Kehlkopfzerstörungen ist wohl ein reichliches Teil +auf tertiäre Syphilis zurückzuführen. Die schrecklichen und widerlichen +Verwüstungen der Nase kann man ja hin und wieder auf der Straße +beobachten. + +Die Knochen erfahren Auftreibungen und Verdickungen und werden +stellenweise ausgefressen, ausgehöhlt, so daß dauernde und auffallende +Veränderungen zurückbleiben. Ja, es kann beispielsweise der lange +Unterschenkelknochen so weit durchgefressen werden, daß er bei +irgendeiner Gelegenheit bricht. + +Besonders schmerzhaft und gefährlich ist das Gumma, wenn es am +Schädelknochen sitzt. Dann frißt es sich bis zu den Hirnhäuten durch, +durchlöchert also die Schädeldecke und kann das Leben zerstören. + +Schwere Nieren-, Leber-, Lungen- und Herzerkrankungen treten bei der +tertiären Syphilis auf und können gleichfalls den Tod herbeiführen. + +Ergreift die tertiäre Syphilis das zentrale Nervensystem, so ist der +Kranke unrettbar dem Tode verfallen. Das am Schädel sitzende Gumma frißt +sich durch den Knochen hindurch oder treibt ihn auf; daraus erklären +sich die Vorboten jener fürchterlichen Krankheit, der Gehirnerweichung, +die wohl in den meisten Fällen den Charakter der tertiären Syphilis +trägt. Diese Vorboten sind: dauernder Kopfschmerz, Schwindel, +Ohnmachtsanfälle, Gedächtnisschwäche, tiefe Gemütsverstimmung und die +lange Reihe jener merkwürdigen, unüberlegten und sinnlosen Handlungen, +die oft bei einem früher klugen, geistvollen Menschen auftreten und den +Gehirnparalytiker verraten, ehe noch die schreckliche Krankheit zum +furchtbaren Ausbruch kommt. Daß ein sonst sparsamer Mann auf einmal ein +unruhiger Verschwender wird, ein sittenstrenger Mann zum wüsten, +ausschweifenden Erotiker, erklärt sich nur durch teilweisen und +fortschreitenden Verfall des Gehirns. + +Bei der Rückenmarksschwindsucht ist ihr Zusammenhang mit der Syphilis +(oder mit ihrer Quecksilberbehandlung?) so offenbar, daß man fast von +Ausnahmslosigkeit sprechen kann. + +Die bei Tabes des oberen Rückenmarkes auftretenden Sehstörungen, +namentlich Augenlähmungen und Entzündungen der Iris, sind fast alle +syphilitischen Charakters. + +Es gibt keinen Teil am und im Körper, der nicht von der Syphilis +ergriffen und zerstört werden könnte. Zwar trifft die Krankheit nicht +jeden so schwer; aber sie ist heimtückisch und unberechenbar, und wenn +ein von dieser Krankheit befallener Körper nicht genügend Lebenskraft +hat, sich vernachlässigt und noch dazu ein ausschweifendes, +nervenzerstörendes Leben führt, so kann ihn die Krankheit bei lebendigem +Leibe zum Verfaulen bringen. + +Die Syphilis ist erblich, das ist ihr größtes Schreckbild. Die +Nachkommen empfangen das Gift im Keim, und dieser angefaulte Keim +wird -- wenn er nicht abstirbt -- zu einer faulen Frucht. Dies ist das +Schrecklichste im Leben, der grauenvolle Leichtsinn, mit dem ein +syphilitisch Kranker das Gift auf Weib und Kinder überträgt und Leben +erweckt, das morsch, faul und unglücklich ist. Wieviel jammervolle +Menschen laufen umher, denen die Syphilis des Vaters oder der Mutter die +Kraft nahm und die Flügel gebrochen hat! Das ist die fluchwürdigste Tat, +deren ein Mensch fähig ist. + +Die erbliche Übertragung der Syphilis geschieht durch syphilitische +Vergiftung der Keimzellen. Die Folgen sind Absterben der Frucht, +Frühgeburten und Fehlgeburten oder ganz elende, schwächliche und +erbärmliche Kinder. + +Prof. ~Neumann~ machte im »Archiv für Kinderheilkunde« folgende Angaben +über die geradezu verheerenden Wirkungen der vererbten Syphilis: »Es +gebaren 71 Mütter im sekundären Stadium der Syphilis insgesamt 99 +Kinder, d. h. es standen so viele Fälle zur Beobachtung. Dabei fanden +sich: 40 mal Abortus, 4 Frühgeburten, 3 Totgeburten, 24 Kinder, die +gleich nach der Geburt starben, 5 waren lebend, aber syphilitisch, und +nur 2 schienen gesund zu bleiben. ~Die Sterblichkeit war also 98 +Prozent!!~ + +Dies große Kindermorden bezeichnet überall den Weg der Syphilis. Zwar +mildert sich das Bild, wenn die syphilitische Ansteckung der Mutter +nicht vor der Befruchtung oder zugleich mit ihr, sondern später +erfolgte. Zwar ist dann immer noch die Gefahr für das Kind groß; aber es +bleibt wahrscheinlich am Leben. Ist aber einmal die Syphilis im Körper +einer Frau, so ergreift sie die Keimzellen, die im weiblichen Organismus +in den Eierstöcken von Jugend auf fertig ausgebildet sind, und jedes +nachher geborene Kind wird geschädigt. Darin liegt die Furchtbarkeit der +Syphilis beim Weibe. Die Samenzellen des Mannes werden fortdauernd neu +gebildet, so daß beim Ausheilen der Syphilis auch die Erblichkeit +erloschen ist. Das ist beim Weibe nicht der Fall, weil immer in den +fertigen und auf Befruchtung wartenden Eizellen Syphiliskeime +zurückgeblieben sein können. Eine einmal syphilitisch gewesene Frau +sollte darum nie wieder Kinder bekommen. Und gerade hier sieht man die +ganze Schrecklichkeit dieser Krankheit, erkennt man, wie sie alles +Mutterglück für alle Zeit ersticken kann, und wie ein unschuldiges Weib +krank und unsagbar unglücklich werden kann, weil der Mann ihr in +schrecklichem Leichtsinn den Keim einer Krankheit übertrug, die er in +einer Stunde des bloßen Vergnügens erwarb. + +Arme, arme, bejammernswerte Frauen, die nichts Böses taten und so schwer +leiden müssen! Wie kam so bitteres Unrecht in die Welt? Und wie ist es +auszudenken, daß es Männer gibt, gewissenlos und verbrecherisch genug, +wissend Leib und Seele einer Frau zu zerstören! + +Ein syphilitisch erblich zerstörtes Kind ist das Grauenhafteste, was man +sich vorstellen kann. Ein jammervolles Leben, das schuldlos eine schwere +Bürde trägt. Eine Haut, die unter Umständen mit roten Flecken, Blasen, +nässenden Wunden und Eiterbeulen bedeckt ist, kranke, wuchernde +Schleimhäute, chronische Nasen- und Ohrenkatarrhe mit eiternden, +stinkenden Ausscheidungen, dazu wohl auch Taubheit, Blindheit, +Knochenentzündungen und Knochenauftreibungen mit schrecklichen +Formänderungen und ein rascher Zerfall der Zähne. Gehirn und Rückenmark +sind meist bei solchen unglücklichen Kindern angegriffen, und es zeigen +sich schon früh teilweise oder vollständige Lähmungen, Krämpfe, +Zuckungen, Epilepsie und vielerlei geistige Störungen, von einfachstem +Gedächtnisschwund und der Gemütsbedrückung angefangen bis zu +Wahnvorstellungen, fixen Ideen, furchtbaren Ausbrüchen und völliger +geistiger Zerrüttung. + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Vierter Teil. + +Der Kampf um Sittlichkeit und Gesundheit. + + +Das ist das Schreckbild der Geschlechtskrankheiten, und wer je offene +Augen hatte, der wird nichts für Übertreibung halten. + +Du kennst nun die Gefahr. Und die Gefahr wird deinen starken Willen +wecken, und du beginnst den Kampf. Den Kampf? Gegen was? Gegen alles, +was dich bedroht; denn ohne Kampf geht es nicht ab. Wahrlich, es gibt +einen Kampf zwischen triebhaftem Leib und sieghaftem Willen. Mensch +sein, heißt ein Kämpfer sein, und dieser Kampf ist der Menschheit +urewiges Erbstück. + +Schmiede Waffen für diesen Kampf! Und willst du die wirksamsten kennen, +so suche sie im Widerstreit der Kräfte in deinem eigenen Körper und +Geist. Auf ~Arbeit~ sind alle deine Kräfte eingestellt. Sinnliche +Verschwendung zehrt an deiner Arbeitskraft, macht dich schlaff, +unlustig, geistlos. Die Arbeit aber zähmt und bändigt deine sinnlichen +Triebe. Darum stelle dein Leben auf Arbeit ein! Stecke dir ein Ziel, und +setze an die Erreichung dieses Zieles alle deine Kräfte. Dann wird die +Arbeit Inhalt und Halt deines Lebens, sie wird dir Sittlichkeit und +Grundlage der Persönlichkeit werden. + +Völker sind durch Arbeit groß geworden, sind mit ihrer Arbeit gewachsen, +und es war stets ein Zeichen des Niederganges, wenn ein Volk sich teilte +in Arbeitende und Müßiggänger. Denn unter diesen Müßiggängern, die nicht +einen einzigen Tag mit ernsten Pflichten erwachen, sondern sich treiben +lassen von ihren Stimmungen und Einfällen, führt die Sucht nach +Unterhaltung über Sport und Spiel zu Liebesabenteuern und +Geschlechtserregungen. Und je weniger der Körper durch den strengen +Willen und die rauhe Notwendigkeit der Arbeit gebändigt ist, desto +weichlicher und haltloser wird der Charakter, desto ungebärdiger und +zügelloser die Phantasie, und eine wirre, unsaubere Sinnlichkeit erfüllt +den Geist, dem durch Mangel an Arbeit die straffen Zügel genommen sind. + +Sicherlich gibt es Menschen von ruhelosem Arbeitsdrang, Menschen, denen +die Arbeit zum Laster, zur Krankheit, zu einem neurasthenischen Zwang +wurde, die ruhelos arbeiten müssen, um die gejagten Nerven zu +befriedigen und um sich über die entsetzliche Leere ihres Inneren +hinwegzutäuschen. Solche Menschen sind uns nicht Vorbild. Sie sind die +eine Ausschreitung, der Müßiggänger die andere. + +Wie wohltuend steht dazwischen der ruhig und kraftvoll Arbeitende! Das, +was er schafft, gibt ihm Ernst und Würde, gibt ihm Stolz, und in dieser +Würde, diesem Stolz liegt die große Widerstandskraft gegen alles +Schlechte. Die Arbeit ist eine innere Spannung, die über Mißgeschick +hinweghilft und eine stille Fröhlichkeit um sich verbreitet. Wer sein +Geld durch Arbeit erwarb, wird es höher schätzen, wird sparsamer sein +als der Müßiggänger, der mit des Vaters ererbtem Gelde seine Stunden +totschlägt und aus Überdruß nach vielen Genüssen nur noch den +Geschlechtsgenuß kennt. Dann ist's mit der Arbeit vorbei, denn Arbeit +verlangt Kraft und innere Stählung, und nichts zerstört diese Kraft so +sicher, wie die Sinnlichkeit, wenn sie unbeherrscht und krankhaft in +Leib und Sinn wühlt. + +Niemand wird eine gesunde Sinnlichkeit abtöten können. Und niemand soll +es tun. Aber sie soll als bewegende Kraft in der beherrschenden Kraft +des Willens liegen und nicht durch beständigen Anreiz zu einer +triumphierenden und den Menschen versklavenden Macht werden. Ernste +Arbeit entzieht dich vielen solchen Anreizen, und ein festes Lebensziel +fesselt deinen Willen an diese Arbeit. + +~Schopenhauer~ schrieb 1813 in sein Tagebuch: »An den Tagen und Stunden, +wo der Trieb zur Wollust am stärksten ist, ... gerade dann sind auch +die höchsten Kräfte des Geistes, ja das bessere Bewußtsein zur größeren +Tätigkeit bereit, ob zwar in dem Augenblicke, wo das Bewußtsein sich der +Begierde hingegeben hat und davon voll ist, latent; aber es bedarf nur +einer gewaltigen Anstrengung zur Umkehr der Richtung, und statt jener +quälenden, bedürftigen, verzweifelnden Begierde (dem Reich der Nacht) +füllt die Tätigkeit der höchsten Geisteskräfte das Bewußtsein (das Reich +des Lichts). In besagten Zeiten ist wirklich das kräftigste, tätigste +Leben überhaupt da, indem beide Pole mit der größten Energie wirken. +Dies zeigt sich bei ausgezeichnet geistreichen Menschen. In besagten +Stunden wird oft mehr gelebt als in Jahren der Stumpfheit.« + +Schiller hat diesen Gedanken in wundervolle Worte gekleidet: + + Leidenschaften sind schäumende Pferde, + Angespannt an den rollenden Wagen. + Wenn sie entmeistert sich überschlagen, + Zerren sie dich durch Staub und Erde. + Aber lenkest du fest den Zügel, + Wird ihre Kraft dir selbst zum Flügel, + Und je ärger sie reißen und schlagen, + Um so herrlicher rollt dein Wagen. + +[Illustration: Dekoration] + +Dein Leben gelte der Arbeit! In diesem Zeichen wirst du siegen. + +Aber es gilt, auf der Hut zu sein, um alles zu vermeiden, was eine +Geschlechtserregung herbeiführen könnte. Je gesünder und normaler der +Organismus, desto gleichmäßiger sind seine Kräfte in den Nervenzentren +verteilt. Der nervöse, überhaupt der geschwächte Mensch hat meist eine +Schwäche und leichte Erregbarkeit im Lendenteil des Rückenmarkes. Hier +ist der hauptsächlichste Sitz des Geschlechtsgefühls. Alles, was stark +auf den Organismus einwirkt, trifft am meisten dies schwache und wegen +seiner Schwäche leicht erregbare Fundament. Darum werden nicht nur rein +geschlechtliche Dinge hier gefährlich, sondern auch ungünstige +Einwirkungen durch Essen und Trinken, Überanstrengung, Trägheit, d. h. +Mangel an Arbeit, falsche Lektüre, seelische Erregungen usw. + +Natürlich ist der rein geschlechtliche Reiz der weitaus stärkste, +weshalb denn für diese oft vorhandene Schwäche des Lendenmarkes nichts +unheilvoller und verhängnisschwerer wird als Onanie oder vorzeitiger +Geschlechtsumgang. Das Nervensystem neigt zur Periodizität, und jede +Übung steigert die Reizempfänglichkeit. Es ist deshalb nicht ohne +weiteres richtig, zu sagen, daß die Betätigung den Trieb befriedigt. +Nein, durch die Geschlechtsbetätigung wird oft erst ein Bedürfnis +geschaffen, was in gleicher Stärke vorher nicht vorhanden war. + +Über die rein körperlichen Ursachen der Geschlechtserregung haben wir +schon im ersten Teile gesprochen. Meide also das viele Stillsitzen, das +den Unterleibs- und Geschlechtsorganen eine stockende Blutüberfüllung +gibt und das Nervensystem in einen Zustand von Gereiztheit versetzt. +Gerade das in den Schulen, in allen Studienanstalten und in allen +Schreibstuben geübte dauernde Stillsitzen ist eine verbreitete Ursache +der Onanie und aller sinnlichen Erregung überhaupt. + +Bei hoher geschlechtlicher Reizbarkeit sind auch gewissen Sportsübungen +sinnlichkeitsreizende Gefahren nicht abzusprechen. Das ist z. B. das +Klettern, das Reiten und das Radfahren. Die Bewegungen und Reibungen der +Geschlechtsorgane sind bei vielen erregbaren jungen Menschen nicht +unbedenklich. Der beste Kenner dieser Dinge in Deutschland, _Dr._ +~Rohleder~ in Leipzig, behauptet, daß infolge des Reitens die Onanie bei +der Kavallerie ungeheuer verbreitet sei. + +Und noch eins ist zu erwähnen, das ist der Tanz. Er hat schon +entwicklungsgeschichtlich so viel geschlechtlich-symbolische Züge, daß +man auch seine sexualerregende Wirkung wohl verstehen kann. Wenn du +durch ihn in dieser Richtung gefährdet bist, so schränke ihn ein. Ja, +bringe unter Umständen deiner Gesundheit das Opfer, ihn ganz zu lassen. +Jedenfalls bringe nicht Tanz und Alkohol zusammen; denn das leicht +erregbare Nervensystem ist diesem doppelten Reiz nicht gewachsen. + +Achte auf das Bett, wie ich schon früher sagte. Laß dein Lager kühl und +hart sein und schlafe nicht länger, als es dir dienlich ist. Vor allem +träume nicht im Bett in die Morgenstunden hinein. + +Bade fleißig! Halte den Körper und namentlich die Geschlechtsorgane +sauber. Schwimme und turne, wandere, singe und sei fröhlich! + +An erster Stelle soll in der Pflege deines Körpers das Luftbad stehen. +Ich hab's genau beschrieben in einem anderen Buche: »Die Heilkraft des +Luft- und Sonnenbades«[7]. Nackt in der Luft stählst du die Nerven. Nur +meide die starke Sonne und träges Herumliegen in der Sonne. Es +erschlafft den Körper und kann sinnlich erregen. Hat es dich erschlafft, +so nimm ein kühles Fluß- oder Brausebad. Überhaupt sind kühle Bäder und +kühle Waschungen zuträglich, wenn die Gefahr der sinnlichen Erregung +naht. Hast du morgens beim Erwachen Erektion, so stehe rasch auf, mache +eine kühle Abwaschung und kleide dich rasch an. Aber übertreibe diese +Dinge niemals, weil sonst Schwächung eintritt, die doch wieder zu +sinnlicher Erregung führt. Übertreibe auch nicht bei gymnastischen und +sportlichen Dingen, bei Wanderungen und ehrgeizigen Wettveranstaltungen. +Alles Übermaß führt zur Disharmonie, und nur in der Harmonie aller +Kräfte liegt die Möglichkeit zu ihrer Beherrschung. + +Und sei einfach und mäßig in deiner Nahrung. Denke daran, daß jedes +Übermaß deine Geschlechtsbegierde steigert, und daß namentlich Fleisch, +Fleischbrühe, Wurst, Eier und alter, scharfer Käse, sowie Gewürze, die +Sinnlichkeit erregen und den Kampf gegen diese namenlos erschweren. Wir +Menschen haben meist keinerlei Vorstellung davon, wie eng unser ganzes +geistiges und Gefühlsleben mit den Stoffen zusammenhängt, die wir als +Nahrung zu uns nehmen. Nichts zeigt unsere Erdgebundenheit mehr, als +diese unbestreitbare Abhängigkeit. + +Namentlich das Abendessen sei einfach und mild. Du mußt es früh +einnehmen, damit nicht die Arbeit der Verdauung deinen Schlaf stört und +eine Phantasietätigkeit weckt, die dir gefährlich werden kann. Die +einfachsten Speisen sind die zuträglichsten. Ein gesunder Geist und ein +gesunder Körper neigen zur Einfachheit. Schwache Nerven erzeugen +Unmäßigkeit und die Sucht nach Pikantem. + +Auch erregende Getränke haben direkten und unzweifelhaften Einfluß auf +Körper und Geist und namentlich auf die Geschlechtlichkeit. Und nichts +gibt es, das in dieser Hinsicht so verderblich, so furchtbar +niederreißend ist wie der Alkohol. Er ist ja innerhalb der menschlichen +Gesellschaft geradezu der Quell aller unerlaubten, unsauberen +Beziehungen, alles unehrlichen, schlechten Denkens und aller niedrigen, +gemeinen Handlungen geworden. + +Der Alkohol ist des deutschen Volkes angestammtes Laster. Schon die +alten Deutschen verkauften im Trunk Haus und Hof, Weib, Ehre und +Freiheit. Das Trinken ist Gewohnheit, Gesellschaftskodex, eiserner +Bestand, historisches Gesellschaftsrecht geworden. Es herrscht überall +und drückt allem Handeln der Deutschen seinen besonderen Stempel auf. + +Eine fluchwürdige Entwicklung, in der man nicht weiß, was man mehr +verachten soll, die Schlaffheit derjenigen, die immer weiter trinken, +oder die Gewissenlosigkeit des Braukapitals, das an allen Straßenecken +zum Trinken verleitet. + +Nirgendwo aber spielt der Alkohol eine so verheerende Rolle, wie im +Nervensystem der Menschen und vor allem im Geschlechtsleben. Der Alkohol +ist, weil ein dem Körper durchaus fremder, nicht assimilierbarer Stoff, +ein Überreiz, der nicht nur den Körper schwächt, sondern vor allem +höchst merkwürdige Wirkungen an Geist und Seele entfaltet. Er bewirkt +eine Erregung, die sich als gesteigerte Phantasie, als erhöhter Mut, als +Fessellosigkeit des Denkens, als sexuelle und allgemeine +Unternehmungslust äußert, in Wirklichkeit aber Schwäche ist, denn der +klaffende Spalt zwischen gesteigertem Wollen und geschwächtem Können ist +eine wesentliche alkoholische Merkwürdigkeit. + +Vor allem aber reißt der Alkohol das nieder, was die Menschheit in +jahrtausendealter Kulturentwicklung aufgebaut hat und was das Ziel +aller Erziehung und aller Persönlichkeitsentwicklung ist, jene feinen +und klaren Unterscheidungen zwischen Gut und Böse und jene Hemmungen der +Einsicht, der Moral und des Willens, die sich gegen das Schlechte, das +Niedrige und Rohe aufrichten. Fällt das alles, so tritt der Mensch in +seiner ursprünglichen Roheit und Brutalität wieder hervor, wie wir es ja +in der Alkoholwirkung tatsächlich sehen. + +Wo anders kann das deutlicher sich zeigen als in den geschlechtlichen +Dingen? Hier steigert der Alkohol die Begierde und wird zum Kuppler, +weil er das Verantwortlichkeitsgefühl tötet, die sittliche Würde und +Selbstbeherrschung zurückdrängt und zu Geschlechtsverbindungen treibt, +die in solcher Art und solcher Häufigkeit bei nüchternem Kopfe undenkbar +wären. + +Der Alkohol verleitet tatsächlich zu den leichtsinnigsten +Geschlechtsverbindungen und gefährlichsten Abenteuern. Tausende von +jungen Männern erwerben ihre Geschlechtskrankheit, wenn sie angeheitert +zum Haus der Dirne gehen. Ja, die meisten haben wohl die Bekanntschaft +der Prostitution erst mit erleichternder Hilfe des Alkohols gemacht. +~Forel~ machte unter seinen geschlechtskranken Patienten eine Statistik +und fand, daß 75% davon sich unter dem Einfluß des Alkohols angesteckt +hatten. + +Je höher der Alkoholgehalt eines Getränkes, desto stärker auch seine +Wirkung. Aber von den Getränken mit geringem Alkoholgehalt, wie z. B. +Bier, werden oft solche Mengen getrunken, daß trotzdem stärkste +Wirkungen, Trunkenheit, leichtsinnige Geschlechtsverbindung, venerische +Ansteckung, geschlechtliche Verirrungen u. dergl. zustande kommen. Und +die Statistik lehrt, daß die Zahl der unehelichen Geburten mit dem +Bierverbrauch in den einzelnen Städten steigt und sinkt. + +Von den Sittlichkeitsdelikten kommt ein sehr hoher Prozentsatz aus dem +Alkoholgenuß. Und was diesen vielen und vielerlei Ausschreitungen, +Fehlern, Unbesonnenheiten und Vergehen an Unglück, Familienjammer und +sozialem Elend folgt, das ist kaum zu übersehen. Hier gibt's für den +einsichtsvollen Menschen nur einen Weg, den der Enthaltsamkeit vom +Alkohol. + +Wie Schreck fährt's manchem durch die Glieder, wenn es heißt, er soll +kein Bier mehr trinken. So fest sitzt es in seinen Lebensbegriffen, daß +ihn der Verzicht ungeheuerlich anmutet. Und doch gibt's nicht den +kleinsten Vorteil, der im Alkohol wohnt, sondern nur Nachteil, +unbedingten, unbegrenzbaren Schaden. Was schädlich ist, geht wider die +menschliche Vernunft. Darum räumen wir etwas aus dem Weg, was die +Menschen in ihrer gesamten Entwicklung hindert, und verzichten auf den +Alkohol. In diesem Verzicht liegt Selbstachtung, Stolz, Würde. Gute +Entschlüsse machen den Menschen reifer, willenskräftiger, sittlich +freier. Und der Verzicht auf den Alkohol ist ein guter Entschluß! + +[Illustration: Dekoration] + +Meidest du den Alkohol, so meidest du von selbst jene häßlichen Stätten, +wo der Alkohol bewußt und planmäßig zur sinnlichen Anreizung gebraucht +wird, die Animierkneipen und alle anderen Kneipen »mit Damenbedienung«. +Es liegt etwas unsäglich Häßliches und Niedriges, etwas namenlos +Gemeines in diesen Kneipen, und es ist mir völlig unverständlich, wie +ein junger Mann in der Dunstwolke dieser alkoholischen Geilheit auch nur +einen einzigen Atemzug tun kann. + +Hier stehen wir auf der Grenze, wo die körperlichen Anreize der +Geschlechtlichkeit in die geistigen übergehen. Und so, wie du den Körper +freihalten mußt von unsauberen Dingen, so gib auch dem Geist nur und +ausschließlich gute Nahrung. Leicht mag das nicht sein. Denn die +erotische Hochspannung der Kultur hat auch in die Literatur und in die +Kunst einen erotisch-neurasthenischen Ton hineingetragen. Die Betonung +des Sexuell-Sinnlichen kommt dem Interesse der Menge entgegen. Sexuelle +Dinge werden breit, mit zynischer Behaglichkeit oder mit geschickt und +elegant verborgener Lüsternheit geschildert oder gemalt. Vor nichts +scheut man zurück, und die Schamlosigkeit macht sich breit unter dem +Deckmantel des »Realismus«. + +Wir wollen ganz absehen von Kolportageromanen, die auf die niedrigsten +Instinkte spekulieren. Nein, auch fähige Schriftsteller, begabte +Bildhauer und Maler haben sich der Erotik verschrieben und prostituieren +ihre Kunst, um den billigen Beifall der Menge zu erhaschen. + +Wieviel Unheil richten sie in jugendlichen Köpfen an! Unruhige sinnliche +Wünsche werden geweckt, sittliche Begriffe gestürzt; denn das, was ohne +Zweifel schlecht ist, wird durch diese erotische Literatur »interessant« +gemacht. Wieviel schlechte Handlungen entsteigen der durch schlechte +Lektüre verwilderten Phantasie! Wie oft erfährt der Richter, daß ein +schlechtes Buch den Antrieb zu einer sittlichen oder strafrechtlichen +Entgleisung gab! + +Die Zahl der scheußlichen Witzblätter ist groß, und selbst Witzblätter, +denen manch ernstes Wort eine Bedeutung gab, haben sich dem erotischen +Zynismus mit Haut und Haaren verschrieben. Die Inseratenseiten wimmeln +von Anzeigen erotischer Literatur, von Anpreisungen von +»Aktzeichnungen«, die angeblich nur für »Kenner« oder »Künstler« +bestimmt sind. Aller Schmutz kann in solchen Inseratteilen abgeladen +werden, und die vielen Anzeigen von Heiratsgesuchen, von Wohnungen »mit +separatem Eingang« und dergleichen sind nur eine schwungvolle geldliche +Ausnützung der allgemeinen Lüsternheit. + +Schmach und Schande über eine Presse, die sich ihrer erzieherischen +Pflicht so wenig bewußt ist! + +Am meisten hast du dich zu schützen vor jener Literatur, die angeblich +»Aufklärung« verbreiten will in geschlechtlichen Dingen und mit allerlei +unverfänglichen oder auch verfänglichen Titeln die Neugier der Jugend +erregt. Ich weiß aus vielen Berichten, die mir zugegangen sind, wie +solche Bücher Schaden anrichten. Die Lüsternheit und Sinnlichkeit des +Verfassers steigt zwischen den Zeilen auf und teilt sich dem +Leser -- ihn erregend -- mit, so daß mancher mir schon berichtete, wie +sehr ihn gerade diese Aufklärungsliteratur zur Onanie und sinnlichen +Gesprächen verleitete. + +Auch da, wo der Inhalt des Buches an sich richtig und gut ist, kann +diese Gefahr bestehen, denn hier macht der Ton die Musik, und ich stehe +keineswegs bei denjenigen, die da meinen, man müsse aus Gründen der +»Natürlichkeit« den letzten zarten Schleier der Schamhaftigkeit von den +geschlechtlichen Dingen hinwegnehmen. Nicht das restlose Wissen, nicht +die absolute Entschleierung ist der beste Schutz, sondern die zarte, +poesievolle und doch kraftvoll-gesunde Auffassung vom Liebesleben, jene +innere, tiefe und wahrhaftige Schamhaftigkeit. Nicht im Verstand liegt +die Sittlichkeit, sondern in der Seele. Darum haben diejenigen die +höchsten sittlichen Kräfte, die die stärksten Glaubenskräfte haben. + +Prostituiert ist auch die bildende Kunst. Vorbei ist die Hoheit der +griechischen Meister, die mit der Darstellung der Nacktheit höchste +Schamhaftigkeit und sittliche Würde verbanden. Wir leugnen gar nicht die +sinnlichen Elemente des Kunstgenießens. Aber die Kunst soll unsere +Sinnlichkeit idealisieren, durch das körperlich Schöne den Enthusiasmus +der Seele wecken, nicht aber die rohe Sinnlichkeit entflammen und den +aufstrebenden Geist in die Fesseln der quälenden Körperlichkeit bannen. +Eine gemeine Kunst verführt zu einsamen Triebverirrungen, zu Lüsternheit +und Ausschweifung. Es ist nicht ratsam, in Kunstfragen den Staatsanwalt +und die Polizei zur obersten Instanz zu machen. Bessere Richter einer +gesunkenen, feilen und geilen Kunst sind guter Geschmack, anständige +Gesinnung und Selbstachtung. Das Angebot wird durch die Nachfrage +hervorgelockt, und jeder vernünftige Mensch sollte es für unter seiner +Würde halten, ein Bildwerk zu betrachten oder gar zu kaufen, das die +Lüsternheit herausfordert. + +Der Stolz müßte sich auch aufbäumen gegen den Schmutz, der sich in +photographischen oder literarischen Pikanterien breit macht. Warum gehen +junge Männer nicht diesen gemeinen Anreizen aus dem Wege? Warum +erschweren sie sich den Kampf und lassen sich immer mehr herabziehen? +Nicht die gewissenlosen Händler sollte man anklagen, sondern die +charakterlosen Männer, die den Schmutz begehren. + +Das Denken in geschlechtlichen Dingen ist sehr wohl ein Maßstab der +allgemeinen Kraft und Sittlichkeit eines Volkes überhaupt, und es ist +charakteristisch, wenn wir aus Frankreich hören, daß dort die Väter +ihren beim Militär dienenden Söhnen zur Unterhaltung pornographische +Photographien senden. + +Was aber soll man dazu sagen, wenn sogar die dramatische Kunst, die den +stärksten Einfluß auf das Volk hat, ihre Verantwortlichkeit verliert und +im sexuellen Zynismus landet? Die Kunst geht nach Brot, und wenn der +Brotherr, das Publikum, einen verkommenen Geschmack hat und mit gierigem +Blick nach Lüsternheiten Ausschau hält, dann darf man sich nicht +wundern, wenn die Bühne französische Ehebruchsdramen und +zynisch-erotische Vaudevilles aufführt. Da ist der Held der Bühne nicht +der stolze, edle Mensch, nicht Tell, Tasso oder Posa, sondern der seine +Frau betrügende Ehemann, der weichlich-erbärmliche Don Juan, der in +tausend Ängsten vor dem Entdecktwerden und in tausend Nöten von einer +jammervollen Situation in die andere gerät, und der uns dann als von den +Frauen besonders begehrt dargestellt wird. Sieht man, wie vollbesetzt +diese Theater sind, und wie im Publikum die Mienen ohne alle +Selbstbeherrschung gierig-lüstern werden, so kann man das Gefühl von +Scham und Empörung nicht unterdrücken über ein Volk, das so seine großen +Männer vergißt, und über Menschen, die so sehr alles Edle, Schöne, +Menschliche von der Geilheit überwuchern lassen. + +Schule deinen Geschmack und deinen ganzen inneren Menschen an echter, +edler Kunst und sei zu stolz, ein Spielball dieser lüstern-geschäftlichen +Spekulationskunst zu werden. + +Halte dich auch fern von den auf niedriger Stufe stehenden +Varieté-Theatern, wo der Humorist ein privilegierter Zotenreißer ist und +die Tänzerinnen mit dem Mangel an Kleidung den noch größeren Mangel an +Können verdecken, wo ein rauch- und bierdunstiges Lokal bis zum letzten +Platz mit Männern angefüllt ist, und sogar Frauen sich nicht scheuen, +ihr eigenes Geschlecht auf der Bühne prostituiert zu sehen. Warum sind +die Varietés, die Singspielhallen, die Konzertcafés mit +erotisch-winselnder Geigenmusik überfüllt, und warum können sich ernste +Bühnen so schwer halten? Weil die Massen korrumpiert sind, und weil die +wachsende Degeneration die Sinnlichkeit triumphieren läßt und zugleich +die Selbstkritik schweigen heißt. + +Diese bedrohlich angewachsene Sinnlichkeit wird von dem Kapital in +raffinierter Weise ausgeschlachtet. Ganze Industrien rechnen ja mit +dieser Sinnlichkeit. Aber wieviel Unheil richtet sie an! Wieviel +Nervenkraft und Menschenglück wird dabei zerstört! Es ist nicht ehrlich, +Geld zu verdienen, wenn ein anderer dabei geschändet wird. + +Aber niemand ist genötigt, sich diesen Schäden hinzugeben. Setze an die +Stelle dieses wirren und wüsten Treibens deinen Stolz, deine Würde, dein +besseres Ich und eine ernste Arbeit mit festem Lebensziel, dann wird die +Gefahr deine Kräfte stählen. Die Arbeit ist die Grundlage deines Lebens, +und die Stunden, die nicht deinen Pflichten gehören, sondern dir selbst, +die sollst du ausfüllen mit Schönem, mit guter Lektüre. Unser deutsches +Schrifttum ist reich an guten Büchern. Du sollst die freien Stunden +benutzen, gute Kunst kennen zu lernen. In Museen und Galerien ist +Gelegenheit dazu. Und vor allem sollst du die Natur, deine Heimat, +kennen lernen und wandern, damit dein Körper stark und dein Geist +fröhlich werde. ~Geh allem aus dem Wege, was dich herabzieht. Schaue nur +Schönes, denke nur Gutes, handle nur edel, dann wirst du den Sinn und +die Schönheit des Lebens in dir selbst finden, weil du in Harmonie mit +dem Weltprinzip bist.~ + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Schlußwort. + + +So bist du mir nun gefolgt, lieber junger Freund, und wir haben das +Gebiet durchwandert, das gleicherweise Glück und Unglück, Jubel und +Tränen, Schönheit und Grauen umschließt, in das fast alle Menschen mit +Kraft und Sehnsucht einziehen, und in dem wir sie weiterwandern sehen +mit Krankheit, Schwäche, gebrochener Seele, verlorener Jugend und +beladen mit wirren und schwülen Geheimnissen. + +So viel Jammer entsteigt der Unwissenheit! + +War's da nicht recht, deine Augen sehend zu machen? Ich habe dir nicht +nur Häßliches zeigen und dich vor Gefahren warnen wollen, nein, auch die +Schönheiten des Liebesgefühls habe ich in dir keimen lassen, weil ich +weiß, daß alle Lebensschönheit nur in der Natur steckt und die Natur +auch im Menschen wohnt. _Naturalia non sunt turpia!_ + +Nicht das ist die wahre Sittlichkeit, die einen Gegensatz zwischen +Mensch und Natur errichtet, die vom Menschen ein Abtöten seiner Natur +verlangt und ihn in einen letzten Endes vergeblichen Kampf zwischen Tun +und Willen stürzt. Nein, die wahre Sittlichkeit liegt im Erkennen der +erdgeborenen Natur des Menschen und in dem festen Willen, schrittweise +und allmählich auf höhere Stufen zu gelangen. Weder haben diejenigen +recht, die leichtsinnig in den Tag hineinleben, die alles, so wie es +ist, für gut halten und vom Baume des Lebens so viel Früchte +herabnehmen, wie sie erhaschen können, noch können wir denjenigen +folgen, die in düsterem Pessimismus alle Lebensschönheit nicht sehen +wollen und sich auf den Himmel vorzubereiten wähnen, während doch +zugleich ihr Aszetismus ein göttliches Gebot in den Staub zieht. + +Zwischen diesen zwei Irrenden steht der wahrhaft sittliche Mensch, der +sein Leben und seine Persönlichkeit reich und kraftvoll entfaltet, aber +nicht eingreift in die Rechte der anderen und nicht das Wohl der +Nachgeborenen untergräbt. Dem die tiefe Erkenntnis der biologischen +Zusammenhänge ein starkes Selbstverantwortlichkeitsgefühl aufzwingt, und +der seine Wünsche schweigen heißt, wenn ihre Befriedigung die feinen +geheimnisvollen Fäden verwirrt, die alle Menschen in Glück und Unglück +miteinander verbinden. + +Da sehen wir die strengen Grenzen zwischen individueller und sozialer +Ethik. Die eine lebt sowohl im Aszetismus wie in der Vergnügungssucht +der Masse, die sich in ihrem oberflächlichen Individualismus eine +Kollektivethik geschaffen hat. Beide aber maßen sich an, selbst Richter +aller Dinge zu sein. Hoch über beiden steht die soziale Ethik, die von +Einzelnen in das Volk getragen wird, von jenen Einzelnen, in denen die +schreiende sexuelle Not der Menschen ein Echo fand, und in denen das +Menschheitsgewissen, jene feine und sichere Unterscheidungskraft +zwischen Gut und Böse, lebte. + +Diese soziale Ethik nimmt einem natürlichen Triebe alles, was ihn +häßlich macht und die Menschennatur herabwürdigt, und sie gestaltet sein +Äußern so, wie es das Wohl der sozialen Gesamtheit verlangt. + +Alle Ethik hat ihre Wurzeln im Geschlechtsleben. Denn das +Geschlechtsgefühl ist die eigentliche Urquelle aller menschlichen +Sympathiegefühle und aller sozialen Organisationen überhaupt. Ist daher +das Geschlechtsleben krank und verdorben, so muß der ganze Bau des +Menschendaseins erschüttert werden. + +Das Geschlechtsleben ist die höchste und stärkste Entwicklungskraft der +Menschheit. Es hat der Religion Nahrung gegeben, hat Kultur, soziale +Gemeinschaft und Kunst entwickelt und dem Geist seine feinsten Blüten +gegeben. Aber es ist auch die Kraft, die wie keine andere die Menschen +hinabstößt in Schwäche und Elend, in Verwilderung und Versumpfung, in +leiblichen und geistigen Tod. Das Geschlechtsgefühl ist dem +Menschengeschlecht Himmel und Hölle zugleich. Darin liegt sein tiefer, +eherner Ernst. + +Aus dem Geschlechtsgefühl quillen Menschenwerte. Ein niedriges +Geschlechtsleben schafft Krankheit und niedriges, schlechtes Denken. Ein +reines Geschlechtsleben dient der Gesundheit, adelt den Menschen und +veredelt die Rasse. Diese Reinheit vereinigt Natürlichkeit mit feinstem +Schamgefühl, gesunde Kraft mit zartschöner, idealistischer Auffassung. + +Das ist's, wozu ich dich mit diesem Buche hinführen wollte. Nicht die +»Natürlichkeit« in jenem stumpfen Sinne einer seelenlosen Nüchternheit, +die das Geschlechtliche zu einer Alltagsgebärde stempelt. Die dem +Liebesgefühl seine Gefahren dadurch nehmen will, daß man es in der +Nüchternheit körperlicher Selbstverständlichkeit erstickt. Nein, +diejenige Natürlichkeit will ich dich lehren, die zwar den körperlichen +Untergrund aller Dinge sieht, aber alle Körperkultur nur als +Ausgangspunkt einer kraftvollen Seelenkultur erkennt. + +Dem Seelenkultus dienen wir! Der rohe Körperkult dient letzten Endes der +Form- und Zügellosigkeit, wenn der Seele feinste Strömungen nicht das +körperliche Tun durchwehen. Die Seele allein birgt die wahre Scham, des +Geschlechtsempfindens zarteste Blüte. + +So habe ich dir die Wege deines Tuns gewiesen. Unbeirrt und klaren Auges +kannst du in das Leben hinaustreten. Trenne dich von der Masse, von +denen, die ideallos geworden sind, folge dem Stern deines besseren Ich, +schreite mutig und siegreich durch alle Gefahren! Vermehre nicht das +Unglück und den Kummer der Menschen, sondern sei in deiner sittlichen +Kraft wie ein Licht, das ins Dunkle strahlt und auch anderen Menschen +das Leben verschönt. + +~So trenne ich mich von diesem Buche und trenne mich von dir.~ + +~Lebe wohl!~ + +~Dein Leben sei rein und ehrlich und voll Glück! Und daß es so sei, gehe +den einsamen Weg der Guten!~ + +~Lebe wohl!~ + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Fußnoten: + + +[1] Man lese »Arbeit, Kraft und Erfolg«, Wege zur Steigerung der +Leistungsfähigkeit in körperlichem und geistigem Schaffen. Von Emil +Peters. Mk. 4.25. Zu beziehen durch den Volkskraft-Verlag, Konstanz am +Bodensee. + +[2] Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee. + +[3] Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, geb. Mk. +4.50. + +[4] Wissenschaft und Sittlichkeit, Berlin 1908. + +[5] Die Gefahren des außerehelichen Geschlechtsverkehrs. 2 Aufl. München +1904. A. Müller. + +[6] a. a. O., S. 6. + +[7] Volkskraft-Verlag Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, geb. Mk. +4.50. Porto 25 Pfg. + + + + + * * * * * * + + + + +Anmerkungen zur Transkription: + +Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; +lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. + +Einige Ausdrücke wurden in beiden Schreibweisen übernommen: + + andererseits (Seiten 38 und 39) und andrerseits (Seiten 26, 31, 97 + und 106) + + gesunderen (Seite 34) und gesünderen (Seite 90) + + gesunder (Seite 19) und gesünder (Seiten 88 und 116) + +Folgende offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert: + + geändert wurde + "Daß ist die große" + in "Das ist die große" (Seite 18) + + geändert wurde + "Buche »Der nervöse Mensch«." + in "Buche »Der nervöse Mensch«.[1]" (Seite 34) + + geändert wurde + "den _~GonoccociNeisseri~_ oder" + in "den _~Gonoccoci Neisseri~_ oder" (Seite 96) + + geändert wurde + "führt zur Dishamonie, und" + in "führt zur Disharmonie, und" (Seite 118) + + geändert wurde + "Volkskraf-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2,75, + geb. Mk. 4,50." + in "Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, + geb. Mk. 4.50." (Fußnote 3) + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44368 *** diff --git a/44368-h/44368-h.htm b/44368-h/44368-h.htm new file mode 100644 index 0000000..d9cdc90 --- /dev/null +++ b/44368-h/44368-h.htm @@ -0,0 +1,4643 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> +<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=UTF-8" /> +<title>The Project Gutenberg eBook of Jugend, Liebe und Leben, by Emil Peters</title> +<link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> +<style type="text/css"> +<!-- + +body {font-size: 1em; text-align: justify; margin-left: 10%; margin-right: 10%;} +h1 {font-size: 135%; text-align: center; margin-top: 4em; margin-bottom: 2em;} +h2 {font-size: 125%; text-align: center; margin-top: 4em; margin-bottom: 1em;} +h3 {font-size: 120%; text-align: center; margin-top: 0em; margin-bottom: 1em;} +a:focus, a:active {outline:#ffee66 solid 2px; background-color:#ffee66;} +a:focus img, a:active img {outline: #ffee66 solid 2px; 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Mit Titelbild von Fidus. 10. Tausend. + Geheftet M. 5.50. Gebunden M. 7.70. Geschenkband mit Goldschnitt M. + 8.25. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Kranke Seelen.</b> Wege des Lebens für die Einsamen und Unverstandenen, + die Ruhelosen und Nervösen, die Unzufriedenen, die Unglücklichen, + und Seelenleidenden. Mit Bildnis des Verfassers, Umschlagzeichnung + und Innenbildern von Prof. Richard Pfeiffer. Geheftet M. 6.–. + Gebunden M. 8.25. Porto bei direkter Zusendung 35 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Die das Glück suchen....</b> Brücken von der sichtbaren in die + unsichtbare Welt und in die geheimen Lebensgesetze der Seele. + Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 5.50. + Gebunden M. 7.50. Vornehmer Geschenkband mit Goldschnitt M. 8.50. + Porto bei direkter Zusendung 25 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Unbekannte Gedankenkräfte.</b> Geistige Lebensgesetze und seelische + Welten. Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 2.75. + Gebunden M. 4.40. Porto 15 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Kinderzeit.</b> Fröhliche Erziehung. Ernstes und Heiteres aus + natürlicher Erziehung. Mit 16 Bildern nach photographischen + Aufnahmen von des Verfassers Kindern. Geheftet M. 5.–. Gebunden M. + 7.50. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Schaffende Menschen!</b> Charakterbildung, Energie und Erfolg in Leben + und Arbeit. Umschlagzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. + 5.50. Gebunden M. 7.70. Porto 25 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Arbeit, Kraft und Erfolg.</b> Wege zur Steigerung der + Leistungsfähigkeit in körperlichem und geistigem Schaffen. + Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 4.–. + Gebunden M. 6.–. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf.</p> +</div> + +<hr/> + + <p class="center adv ftsize85">Die Bücher sind auch in jeder guten Buchhandlung zu haben.<br/> + Ausführliche Verzeichnisse der Bücher von <em class="gesperrt">Emil Peters</em> + versendet der obenstehende Verlag oder besorgt jede Buchhandlung.</p> + +<hr/> + +<div class="center adv"> + <p><em class="gesperrt">Alle Rechte vorbehalten.</em><br/> + <span class="antiqua">Copyright 1920 by Volkskraft-Verlag<br/> Konstanz am Bodensee.</span></p> + + <p class="advs">Den Druck besorgte die Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & + Co. in Altenburg, S.-A.</p> + + <p class="advs marbot4">Diese Buch ist auch in hübschem Einband als Geschenkband beim + Verlag oder in jeder Buchhandlung vorrätig.</p> +</div> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page3"></a>[Seite 3]</span> +<a id="img005" name="img005"></a> +<img src="images/img005.jpg" width="500" height="027" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2>Vorwort zur zweiten Auflage.</h2> + + +<div class="floatleft"> +<a id="img006" name="img006"></a> +<img src="images/img006.jpg" width="50" height="51" alt="Dropcap1"/> +</div> + +<p class="dropc">ies Buch, das in seiner ersten Auflage „Wenn ihr ins Leben tretet!“ +hieß, erscheint in seiner zweiten Auflage unter neuem Titel und in +anderem Gewande. Es entspricht darin mehr den Vorträgen, die ich +allerorten hielt.</p> + +<p>Der Gegenstand ist ernst und schwer in seiner Darstellung. Es gibt Dinge, +die so grenzenlos traurig und häßlich sind, daß die Feder oft zögert, sie +niederzuschreiben. Aber wer, wie ich, das Menschenleben zu schöneren, +höheren und edleren Formen bringen will, der darf, wo er das Licht +zeichnet, auch die Schatten zu malen nicht vergessen. <em class="gesperrt">Jugend und +Liebe</em> – sie sind beide das Licht, das leuchtend und glückselig eine +Weile über unserem Wege steht. Aber <em class="gesperrt">Irrtum und Schuld</em> verschlingen +die unglückseligen Hände und reißen die Menschen in die Tiefen, wo in +Unglück und Krankheit, in Nacht und Chaos die Liebe erstickt.</p> + +<p>Das Häßliche ist hier wahrlich nicht um des Häßlichen willen geschildert +worden. Nein, die Feder stockt dabei, und Scham durchzog den Sinn. Aber +mutig galt es die Aufgabe zu lösen und jungen Menschen, die klopfenden +Herzens vor dem Wundergarten der Liebe stehen, den rechten Weg zu +zeigen.</p> + +<p>Wer das Dunkel geschaut, dessen Auge ist dankbar für das Licht. So soll +dies Buch verstanden sein.</p> + +<p>Nicht ein „Aufklärungsbuch“ im landesüblichen Sinne soll es sein. Es soll +nicht mit kaltem Verstande Dinge sagen, die zu wissen noch nicht sittliche +Kraft bedeuten. Weh uns, wenn Wissen und Verstand der Liebe die Tiefen +rauben, wenn wir nicht mehr erröten und die Rätsel der Liebe uns nicht +mehr die Pulse <span class="pagenum"><a id="page4"></a>[Seite 4]</span> stocken machen! Nicht dem Verstand und dem kalten +Wissen – nein, der <em class="gesperrt">Seele</em> wollte ich die Geheimnisse junger Liebe +ablauschen. Was nutzt „Aufklärung“, wo die seelenvolle Menschlichkeit, die +sittliche Persönlichkeit fehlt! Erzieherisch ging ich zu Werke, von +innen – nicht von außen her.</p> + +<p>Worte und Begriffe sind dem Verständnis junger Menschen angepaßt. Eltern +mögen das Buch schulentlassenen Jünglingen in die Hand geben. Es soll +ihnen Wegweiser sein. Und wenn die traurigen und schreckensvollen Dinge +dieses Buches auch mit Wehmut ihre Seele füllen und in den Freudenkelch +der Jugend bittere Tropfen fallen, so wird die Wahrheit doch denen nicht +den Zauber junger Liebe rauben, die „frei von Schuld und Fehle“ mit +diesem Buche den glücklichen Weg des Reinen gehen.</p> + +<p><em class="gesperrt">Neuenhagen</em> (Ostbahn) bei Berlin.</p> + +<p class="ftsize105 add20em marbot4"><b>Emil Peters.</b></p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page5"></a>[Seite 5]</span> <a id="img007" name="img007"></a> +<img src="images/img007.jpg" width="500" height="026" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2><span class="ftsize90"><em class="gesperrt">Erster Teil.</em></span><br/> +Die einsamen Triebverirrungen der Jugend.<br/> + <br/> +<span class="ftsize90">Einleitung.</span></h2> + + +<div class="floatleft"> +<a id="img008" name="img008"></a> +<img src="images/img008.jpg" width="50" height="51" alt="Dropcap2"/> +</div> +<p class="dropc">ir wollen miteinander über Dinge sprechen, über die man +eigentlich – nicht spricht. Jedenfalls nicht allgemein und vor allem +nicht so, wie man über andere Dinge spricht. Das ist das +Geschlechtliche.</p> + +<p>Wie merkwürdig, daß es etwas im Menschenleben gibt, von dem es scheint, +daß es verborgen werden müßte. Und doch ist es nicht weniger natürlich, +als alles andere, ja, natürlicher und selbstverständlicher wohl. Aber +wer viel in der Irre ging, der findet nachher den rechten Weg nicht +mehr. So haben die Menschen in den geschlechtliche Dingen durch viel, +viel Irrtümer eine Wirrnis geschaffen, in der nun mancher nicht ein und +aus weiß. Er möchte fragen, den oder jenen: „Was ist's mit der +Geschlechtlichkeit? Mit all den aufsteigenden Empfindungen, die mich +quälen und freuen, die mir unruhige Stunden machen und bunte Bilder +vorgaukeln?“</p> + +<p>Aber wen soll er, ja, wen darf er fragen? Der Frage folgt Schweigen oder +verlegenes Lächeln. Das Leben hat den Erwachsenen die Antwort schwer +gemacht. Trübe Ereignisse und Reue verstellen der Wahrheit den Weg.</p> + +<p>Aber wer in Gefahr war, sollte den Neuankommenden warnen. Wer +strauchelte, sollte verhüten, daß auch der andere strauchelt. <span class="pagenum"><a id="page6"></a>[Seite 6]</span> +Darum ist es nicht gut, wenn du noch unbelehrt und ungewarnt bist.</p> + +<p>Ich will niemandem einen Vorwurf machen, am allerwenigsten deinen Eltern +oder deinen Lehrern. Sie haben dich gefördert, wie sie nur konnten. Aber +dies Geschlechtliche, siehst du, nimmt in allen Dingen des Lebens eine +Ausnahmestellung ein. Es schlummert in ihm – und darum auch in +dir – etwas Gefährliches, das man durch Schweigen dämpfen möchte; denn +niemand kann sagen, ob Glück oder Unglück daraus entspringt.</p> + +<p>Ich aber meine, im Dunkeln sei kein Weg zu finden. Licht soll auf alle +Lebenswege fallen. Darum will ich dir die Wahrheit sagen, will mit dir +über ein paar Lebensfragen sprechen, damit dein Leben Halt und +Festigkeit und Richtung bekommt. Und insbesondere will ich dir alle +deine stummen Fragen beantworten, die scheu und geheimnisvoll-verlegen +dem Geschlechtlichen entsteigen und neugierig das Geschlechtliche +umflattern.</p> + + +<h3>1.<br/> +Vom Sinn des Lebens.</h3> + +<p>Hast du schon einmal darüber nachgedacht, welchen Sinn wohl das Leben +haben könne? Ja, hast du versucht, die Lebenserscheinungen denkend zu +einer Lebens-„Anschauung“, zu einem Lebensbild, zu vereinigen und dein +eigenes Denken und Tun mit diesem Lebensbild in Einklang zu bringen?</p> + +<p>Ich glaube nicht. Denn das Elternhaus hat dich treusorgend bewahrt. Den +Tisch fandest du stets gedeckt, und manche Sorge ums Alltägliche und um +das, was die nächsten Tage bringen werden, haben die Eltern dir +ferngehalten und allein ihre Stunden damit ausgefüllt, während du lachen +und scherzen oder schlafen konntest. Die Schule setzte dir fertiges +Wissen vor. Du nahmst, was andere gedacht, und warst des eigenen, +tieferen Denkens enthoben.</p> + +<p>Nun aber trittst du ins Leben hinaus. Nun beginnt auch für dich der +Kampf. Die Pflichten mehren sich, und der Tag <span class="pagenum"><a id="page7"></a>[Seite 7]</span> ist nicht mehr +fern, an dem auch deine Schultern tragen sollen, was ein Mensch zu +tragen vermag. Und zeitweilig noch mehr. Da gilt es, Kräfte zu sparen +und stark zu werden, um mutig und aufrecht den Lebensstürmen zu trotzen.</p> + +<p>Es mag ein banges Zagen dich beschleichen, wenn du daran denkst, bald +ganz auf dich allein gestellt zu sein. Du zweifelst, ob deine Kräfte +ausreichen werden. Aber sei getrost! Nicht als ein Fertiger tritt der +Mensch an seine Aufgaben heran, sondern die Pflicht steigert die Kraft. +Alles in der Natur und im Leben ist ein Werden, ein Wachsen. Alles Leben +ringt nach Vollendung und vollendet sich im Kampf. Der Starke +triumphiert im Kampf, bleibt Sieger. Den Schwachen zerbricht das Leben.</p> + +<p>Wohlan! Sei ein Starker! Fasse Mut, und freue dich der wachsenden Kraft! +Kleine Widerstände geben dir Mut, dich an großen zu messen, und ehe ein +paar Jahre ins Land gegangen, schaust du deinen Weg zurück und lachst +der Zaghaftigkeit, die dich heute beschleicht.</p> + +<p>Und da haben wir schon einen Blick aufs Ganze. Da sehen wir schon +Richtung und Weg und Ziel, und langsam formt sich aus den Nebeln der +Unreife und Unklarheit ein Lebensbild.</p> + +<p>Schau um dich in der Natur! Roh und formlos ist der Anfang. Gott aber +blies allem seinen „lebendigen Odem“ ein. Was heißt das? Das heißt, daß +in die brodelnden Urgewalten das Gesetz der Entwicklung hineingeworfen +wurde, daß eine unendliche Harmonisierung den Lauf des Lebens begleitet, +daß alles, was in die Bahn des Lebens geworfen wird, um seines Daseins +Kreise zu vollenden, dem Göttlichen sich entgegen entwickeln soll.</p> + +<p>So gehörst du nicht dir selbst, du bist ein Teil des Weltgeschehens, +bist eine von den zahllosen Formen, in denen die Natur das Leben neu +erzeugt, und in dir schlummert der göttliche Funke, der dich zum +Menschen macht, der Funke, der durch dein Leben zur Flamme angeblasen +werden soll, die dich läutert. Dieser göttliche Funke ist dein Gewissen, +ist das Menschheitsgewissen, jener oberste Richter über Gut und Böse, +der Ewigkeitsgesetze <span class="pagenum"><a id="page8"></a>[Seite 8]</span> geschrieben hat und heute wie vor Tausenden +von Jahren herrscht.</p> + +<p>Die Menschen leben um des Besten willen. Die Entwicklung geht den Weg +des Guten; denn das Gute ist die Entwicklung. Das Schlechte stirbt in +sich, weil es dem Gesetz der Entwicklung widerstrebt.</p> + +<p>So siehst du, werden wir Menschen durch ein geheimnisvolles und +gewaltiges Gesetz geführt. Dies Gesetz, der sittliche Grundgedanke, +zeichnet der Entwicklung ihren Weg. Wer sich gegen dies Gesetz vergeht, +sei es, daß er dem unkontrollierten Genuß des Augenblicks huldigt, oder +im materiellen Vorteil das Gewissen schweigen heißt, der versündigt sich +gegen die Majestät der Menschheit, und er fühlt den leisen Mahner in +seinem Innern, der ihm sagt. „Das durftest du nicht tun.“ –</p> + +<p>Diese Sauberkeit und Klarheit des Gewissens mußt du dir erhalten, denn +damit hast du die nötige Festigkeit in dir, um jenen Hohlköpfen und +Wichten zu begegnen, die ihr Leben auf sich selbst, und damit auf +nichts, gestellt haben; denn sie sind nichts, und das „Ich“, das sie in +ihrer Phrase vom „Sichausleben“ in den Vordergrund drängen, ist wie eine +taube Nuß. Je weniger fest und stark das Leben im Innern ist, desto +ruheloser und schwankender wird es nach außen. Darum gerade verfallen +sie einem unruhevollen Geschlechtsgenuß und ertränken ihr Gewissen in +Lärm und Alkohol und vielen Phrasen von „Individualität“ und +„Männlichkeit“. Diese Worte aber sind nichts als Angst und sind ein +Versuch, den Starken, der wie ein stiller Vorwurf neben ihnen +herschreitet, aus dem Wege zu räumen, das heißt, durch philosophische +Phrasen zu sich hinabzuzerren und für ihre eigene Hohlheit +breitzuschlagen.</p> + +<p>Wenn du diesen Menschen begegnest, so wehre dich gegen sie! Wenn sie dir +sagen. „Der Mensch gehört sich selbst, und niemand ist Richter über +ihn,“ so antworte ihnen: „Nein! das Leben ist ein Geschenk der Natur. +Niemand ist auf sich selbst gestellt, niemand gehört sich selbst. Feine +Fäden verbinden die Menschheit in Glück und Leid miteinander, und jede +schlechte <span class="pagenum"><a id="page9"></a>[Seite 9]</span> Tat vermehrt das Leid und das Unglück, jede gute Tat +aber ist ein kleiner Schritt weiter auf dem Wege der Bereicherung und +Verschönerung des Lebens.“</p> + + +<h3>2.<br/> +Volkstum.</h3> + +<p>Tiefgreifende Besonderheiten haben von jeher die Menschheit in Rassen +und Völker geschieden.</p> + +<p>Du gehörst dem deutschen Volke an! Vergiß das nicht! Und vergiß nicht, +wenn du das Wort „Deutsch“ sprichst, daß es nicht eben bloß ein Wort ist +wie tausend andere, sondern daß es aus fernen Jahrtausenden zu uns +herübertönt mit ehernem Klang, einer Fanfare gleich, die schmetternd zum +Appell ruft.</p> + +<p>Deutsch sein! Diesem Schlachtruf unterlagen die römischen Legionen in +den finsteren germanischen Wäldern. Für diesen Begriff blutete +Deutschland aus immer wieder frischen Wunden. Unter diesem Zeichen +siegten wir und wurde unser Volk stark und groß. Deutsch sein! das ist +nicht ein bloßes Wort, nein, das ist Blut und Mark und Saft von +besonderer Art. Die Form des Kopfes, Farbe und Glanz des Auges, +Empfindung, Denken und Tun: all das ist deutsch, ist anders als das der +anderen Völker. Um dies Deutschsein haben Tausende auf rauchenden +Schlachtfeldern gelitten und gestritten, Tausende haben sich in der +Ferne in Sehnsucht nach der Heimat verzehrt, und Jubel und Jauchzen +erfüllte ihre Brust, wenn sie an Rückkehr denken durften.</p> + +<p>Deutsch sein! dafür haben wir vier Jahre lang dem Ansturm einer ganzen +Welt standgehalten, bis das Aufgeben dieses Deutschseins uns die Waffen +aus den Händen schlug, uns wehrlos machte, daß wir zusammen brachen.</p> + +<p>Nun merke auf! Es gibt Menschen von fremder, heimatloser Art um dich und +charakterlose Schwätzer, die deinen Rassen- und Volksbegriff leugnen und +zerstören möchten. Sie setzen viel hohle Phrasen an die Stelle des +greifbaren Volkstums. Laß <span class="pagenum"><a id="page10"></a>[Seite 10]</span> dir dies Rassen- und Volksbewußtsein, +diesen völkischen Stolz, nicht rauben! Schlage die Blätter der +Weltgeschichte um! Blatt für Blatt erkennst du das gewaltige Ringen der +Völker um ihre angestammte Art. Und du erkennst, daß nur dann ein Volk +stark nach außen sein kann, wenn es zugleich stark nach innen ist, +gesund und fest in seinem Kern und sittenstark. Die sittliche Kraft in +einem Volke war stets auch seine politische Kraft. An der +Sittenlosigkeit, in der geschlechtlichen Ausschweifung, gingen die +Völker, die Staatengebilde zugrunde. Kennst du das Beispiel Roms? Lerne +es fürchten! Weißt du, daß die morsche, sinnliche römische Kultur dem +Ansturm Odoakers erlag, der mit den heldenhaften und sittenstrengen +Söhnen der germanischen Wälder heranrückte? Lerne dies deutsche Volk um +seiner großen Vergangenheit und seiner Tugenden willen lieben! Aber +zugleich beobachte, daß der Sittenverfall auch bei uns sich ausbreitet, +daß zerstörende Mächte an den alten, festen Grundlagen unserer Volksart +tätig waren, und daß wir längst im Innern morsch waren, ehe die +Übermacht der Feinde uns auf die Knie zwang.</p> + +<p>Nun aber wollen wir wieder hochkommen, wollen wieder die Schmach von uns +abwaschen, wollen unsere Kraft und unsere Ehre wiedergewinnen – und dazu +muß jeder Einzelne bei sich selber anfangen. <em class="gesperrt">Sittliche Reinheit!</em> +so heißt der Wahlspruch.</p> + +<p>Hier hast du ein zweites Lebensziel: Liebe dein Volk und lebe für dich +so, wie du möchtest, daß das Ganze sei: stark und gesund und rein. Was +nützen all die schönen Worte von Vaterland und Volk und Ruhm und +Zukunft, wenn nicht jeder Einzelne sein Teil Verantwortung für das Ganze +in sich trägt und danach lebt.</p> + +<p>Dem politischen Ehrgeiz eines Volkes muß eine gesunde und sittliche +Lebenshaltung die treibenden Kräfte geben. Darum ist es betrübend, zu +sehen, wie Staatsmänner und Politiker starke Worte machen und heftige, +erbitterte Parteikämpfe ausfechten, ohne doch der Notwendigkeit zu +gedenken, daß all dies Mühen nur ein Tageserfolg ist, wenn er nicht aus +der klug gepflegten <span class="pagenum"><a id="page11"></a>[Seite 11]</span> Volkskraft dauernd gespeist werden kann. +Eine zahlreiche, körperlich und sittlich starke Jugend ist der +Lebensquell des Volkes, und dies Bewußtsein muß jeder junge Mensch in +sich tragen.</p> + +<p>Du siehst, auch hier gehörst du nicht dir selbst. Ein zweiter Wegzeiger +ist in deinem Leben. Er zeigt auf dein Volk. Ihm gehörst du mit deiner +ganzen Art, mit Leib und Seele, mit dem Wollen und Wünschen. Und darum +muß dein Leben sich so gestalten, daß es deinem Volke nicht Schaden +bringt.</p> + + +<h3>3.<br/> +Die Familie.</h3> + +<p>Von der Volkseinheit und -Eigenart trennt sich die Einheit und Eigenart +der Familie ab. Und hier erblüht dem Baume deutscher Art die schönste +Blüte: das deutsche Familienleben. Wie ist es besungen worden, und +wieviel schöne Erinnerungen an das Elternhaus tragen wir mit uns in das +Leben hinein. Sorgende Liebe erfüllt die Räume. Milde und Strenge paaren +sich, um die Buben und Mädchen zu bilden zu tüchtigen Menschen, damit +sie einen Platz im Leben ausfüllen können. Und jeder von ihnen tritt in +das Leben hinaus und wird und will wieder eine Familie gründen. Was er +zu Hause Gutes sah, pflegt er weiter und verbindet's mit Neuem. Wohl +ihm, wenn er nur Gutes sah, wenn recht viel gute Erinnerungen ihn +begleiten. Was die Eltern Gutes an ihren Kindern gewollt, das müssen die +Kinder zu erreichen trachten. Denn darin liegt ein Dank für die +dahingegangenen Geschlechter und ein großes, starkes Versprechen an die +kommenden. Die Eltern denken Gutes von dir, die Brüder und Schwestern +tun es auch. Wie kannst du darum Schlechtes tun und dann ein schlimmes +Geheimnis mit dir herumtragen, das zu verraten du kaum den Mut findest? +Die Familie ist der Hort der guten Sitten. Ehre die Stätte, der du +entstammst, und tue nichts, was nicht jeder wissen darf.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page12"></a>[Seite 12]</span> Zum dritten Mal stecke ich dir ein Lebensziel, zeige dir einen +Maßstab und eine Grenze deines Tuns: deine Zugehörigkeit zur Familie. +Zum dritten Male sage ich dir, daß du nicht dir selbst gehörst, sondern +gebunden bist im Denken und Tun an die Gesamtheit, an die Familie, an +das Volk, an die Menschen überhaupt. Dein Wohl ist das der anderen. Die +Kraft und die Ehre der Gesamtheit liegen für dein Teil in deiner Hand.</p> + + +<h3>4.<br/> +Das „Ich“ und die Freiheit.</h3> + +<p>Du wirst mir entgegenhalten. „Bin ich, ich selbst, denn gar nichts, daß +ich nur aufgehen soll im Ganzen? Daß ich immer nur an die anderen denken +soll?“</p> + +<p>Ja, du bist, und dein „Ich“ soll stark und stolz dir zum Bewußtsein +kommen. Nicht niederdrücken, schwach und zage machen soll dich deine +Zusammengehörigkeit zur Familie, zu Volk und Menschheit, nein, aufrecht +und freudig sollst du es empfinden; denn in dir verkörpert sich die +Familie, in deiner Art erkenne ich ihre Art, in dir lebt die Art des +ganzen Volkes, in dir glüht der heilige Funke der Menschheit. Das Leben +drängt sich immer wieder, um neu zu erblühen, in eine enge Form, das ist +der persönliche Mensch, das Individuum. Der persönliche Mensch ist die +höchste Steigerung der Natur, ist der höchste Wille der Schöpfung.</p> + +<p>Dieser persönliche Mensch muß frei sein. Damit meine ich nicht jene rohe +Freiheit, die sich hinwegsetzt über gesetzliche und gesellschaftliche +Schranken. Das ist Willkür und rohes Triebleben. Diese rücksichtslose +Freiheit, die da glaubt, alles tun zu dürfen, was ihr in die Sinne +steigt, ist doch nur bemitleidenswerte Gebundenheit an die Tiernatur. +Ich meine vielmehr jene sittliche Freiheit, die mit einem geschlossenen +Willen sich der Gedankenlosigkeit der Menge entgegenstemmt. Die +Freiheit, in der im Gehorsam gegen selbstdiktierte sittliche Gesetze der +Mensch triumphiert. Diese Überlegenheit über die Gedankenlosigkeit, +<span class="pagenum"><a id="page13"></a>[Seite 13]</span> das stumpfe Triebleben, die oberflächliche Genußsucht anderer, +ist wahrhaftig Freiheit, eine Freiheit, die in wichtigen Lebensfragen +nur sich selbst befiehlt und gehorcht, keinem andern, am allerwenigsten +der Menge. Der Geist muß wach bleiben und muß mit heller, scharfer +Kritik über die Regungen der Sinne wachen. Der Gedankenlose verliert +sich an die stumpfen und dumpfen Triebe der Menge. Er glaubt dann +Freiheit gefunden zu haben und verlor doch nur sein „Ich“, seine +Persönlichkeit. Du siehst also, daß das „Ich“ nur triumphiert, wenn es +sich selbst Gesetze gibt. Darum darfst du nicht aufgehen in der Menge, +die dich hinabzieht, sondern mußt jenen Größten nacheifern, in denen +unseres Volkes Art sich am reinsten verkörperte. „Die Menschen leben um +des Größten willen,“ sagt Carlyle. In ihnen glüht der göttliche Funke +des Menschentums am stärksten. Hast du Vorbilder, so gehst du mit deinem +Wollen auf in der Menschheit, im Volk, in der Familie. Du hast damit +starke und große Ideale in dein Leben hineingestellt, und diese Ideale +werden dich erziehen. So, siehst du, ist das ausgeprägte „Ich“, ist der +persönliche Mensch, der höchste Wille zum Guten. Indem du stolz dein +„Ich“ erhebst, beugst du dich unter das große Entwicklungsgesetz der +Menschheit.</p> + + +<h3>5.<br/> +Die Fortpflanzung.</h3> + +<p>Alles Leben hat nur eine Quelle: die Fortpflanzung. Und sie ist umwoben +und durchflochten von der Liebe, von jenem wunderbaren Empfindungsgewoge, +das unser Leben schön und glücklich macht; oder auch häßlich und traurig +und unglücklich. Wie man's lebt.</p> + +<p>Die Natur schuf zwei Geschlechter. Und an dem Gegensatz zwischen +männlicher und weiblicher Art erkennst du, wie unbeholfen und roh die +Auffassung derer ist, die das Geschlecht nur als etwas Körperliches +sehen, die beim Worte „Geschlecht“ nur an Geschlechtsorgane denken. +Schon beim Spiel der Kinder unterscheidet <span class="pagenum"><a id="page14"></a>[Seite 14]</span> sich der wilde +Wagemut des Knaben von der stilleren Art der Mädchen. Das ist wie ein +Symbol fürs ganze Leben. Das Geschlechtliche wurzelt tief in der Seele, +und du darfst es nicht so ohnehin als das bloß Sinnliche auffassen. Denn +es ist mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnen, mit dem Denken und +Fühlen innig verwebt und verschmolzen. Der Mann denkt, fühlt, urteilt, +handelt anders als die Frau. Das eben ist der tiefgreifende +Geschlechtsunterschied zwischen beiden, der jedem eine andere Stellung +in der Natur und in der Welt und darum auch eine andere Gefühlswelt +gibt.</p> + +<p>In Mann und Weib verschmilzt das geheimnisvoll-ewige Sehnen der +Menschheit nach Vollendung. Denn jedes der beiden Geschlechter birgt +eine Hälfte menschlicher Eigenschaften in sich. Der Mann Kraft, Mut, +Wille, Entschluß, Edelmut, Ritterlichkeit; das Weib Milde, Sanftmut, +Mutterliebe, Gefühlstiefe; beide aber Treue, Schamhaftigkeit, Ehrgefühl. +Das eine Geschlecht sehnt sich nach dem andern, um zu gewinnen, was es +nicht hat, sich so zu ergänzen, zu vervollkommnen. Dieser tiefe +Lebenswille der Natur lebt in beiden, und der Fortpflanzung entsteigt +das Kind als eine höhere Entwicklungsstufe. Es ist auch wieder entweder +männlich oder weiblich, aber es trägt von beiden Eltern ein Teil in +sich. Ein gutes oder ein schlechtes, je nachdem, was das stärkere war.</p> + +<p>In der Geschlechtlichkeit, in der Zeugung, erhebt sich der Mensch zur +höchsten Bedeutung. Er selbst wird ein Schöpfer, wird ein Neugestalter +des Lebens. Was Menschheit, Volk und Familie ihm gegeben haben: Leben, +Kraft, Gesundheit, Menschenwürde, das gibt er einem von ihm in Liebe +erzeugten Wesen wieder. Darin liegt ein Teil Unsterblichkeit.</p> + +<p>Es gab eine Zeit, da erzählte man dir vom Storch, der die kleinen Kinder +bringe und sie aus dem Brunnen oder einem großen Teich hole. Ja, ja, aus +dem großen Meer der Schöpfung sind sie ja gekommen; aber es war nicht +jener Verlegenheitsstorch der Fabel, der sie brachte, sondern die Liebe, +die geschlechtliche Verbindung deiner Eltern, die den Werdekeim +entfachte. So <span class="pagenum"><a id="page15"></a>[Seite 15]</span> wie die Natur für alles in unserem Tun ein +bestimmtes Organ, ein Körperglied mit einem besonderen Zweck, schuf, wie +sie uns zum Gehen Beine und Füße, zum Greifen Arme und Hände, zum Sehen +die Augen, zum Kauen die Zähne gab, so verlieh sie auch dem gewaltigen +Sehnen nach Liebe und Zeugung, das die Menschen in sich tragen, +bestimmte Organe, durch die der Wille der Natur und das Liebesgefühl der +Menschen einen körperlichen Ausdruck finden kann. Diese +Geschlechtsorgane sind bei Mann und Frau ganz verschieden. Sie liegen +teils außerhalb, teils innerhalb der Leibeshöhle, teils sind es +Brutstätten, Werkstätten für die Erzeugung der Keimzellen, teils Wege, +diese Keimzellen zum Ausstoßen und zur Vereinigung zu bringen. Beim +weiblichen Organismus liegen in der Leibeshöhle die sogenannten Ovarien, +die Eierstöcke, in denen während einer Fruchtbarkeitszeit von etwa 30 +Jahren rund 400 Eichen (das ist allmonatlich eins) reifen und +ausgestoßen werden. Beim Manne wird der Samen in den beiden Hoden +bereitet, aber nicht nur 400 Samenzellen, sondern viele Millionen. Die +Geschlechtserregung nun, die den erwachsenen Menschen von Zeit zu Zeit +ergreift, läßt alle Empfindung in die Geschlechtsorgane strahlen. Alle +Wünsche schweigen. Alle Kräfte von Körper und Seele beugen sich dem +großen Zeugungswillen der Natur und konzentrieren sich im Zeugungsakt. +Die Geschlechtsorgane vereinigen sich, und die männlichen Samenzellen +werden ausgestoßen in die weiblichen Organe und suchen in großer Zahl +das weibliche Ei. Aber nur die stärkste Samenzelle, die die größte Kraft +und Lebensenergie hat, erreicht – allen anderen voraus – die Eizelle, +durchbohrt sie, und die Befruchtung ist geschehen. Jeder weiteren +Samenzelle ist dann der Eintritt verwehrt.</p> + +<p>Hier sehen wir im kleinen und doch so gewaltig-großen Zeugungswunder, +daß das Leben sich immer nur aus der verhältnismäßig größten Kraft +aufbaut, daß darum der Stärkste und Beste das größte Recht auf Leben und +Zeugung besitzt. Der Kampf der Samenzelle um die Eizelle ist wie eine +Darstellung des menschlichen Lebenskampfes.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page16"></a>[Seite 16]</span> Obwohl das alles so natürlich, so groß und schön ist, hat man +dir die Wahrheit nicht sagen wollen, ist alle Welt mit der Geschichte +vom Storch, mit Unsicherheit und Verlegenheit, um dich herumgegangen. +Warum? wirst du fragen.</p> + +<p>Das hat zweierlei Gründe, einen guten und einen schlimmen. Der gute +liegt in der Sache selbst. Das Geschlechtsempfinden gehört nicht dem +lauten Lärm des Alltags. Der feinfühlende Mensch wird das, was in +Schönheit und geheimnisvoller Spannung in seinem Innern aufkeimt, was +ihm das Herz zum Springen füllt, und was so viel Sehnsucht in ihm reifen +läßt, er wird das alles nicht mit nüchternem, lautem Wort in den Kreis +der alltäglichen Dinge ziehen. Dies Geschlechtsempfinden, das soviel +ganz Persönliches, soviel unaussprechlich Feines und Zartes in sich +birgt, wird dem feinfühligen Menschen sein Allerheiligstes sein, das er +der Welt und der Neugierde anderer verbirgt. Darum ist das +Geheimnisvolle im Geschlechtsleben eben gerade das Menschliche, die +ästhetische Verfeinerung eines im Anfang rohen und wilden Triebes. Diese +ästhetisch-geheimnisvolle Umschleierung ist unlösbar mit unserem +Glücksbestand verbunden; denn das Geschlechtliche, das zugleich Urgewalt +und feinste Kulturblüte ist, enthüllt so sehr das innerst Persönliche +eines Menschen, daß es sich nur schwer in Worte fassen läßt. Zwischen +starken Empfindungen und ruhig-erklärenden Worten liegt immer ein +Widerstreit. Darum rang man nach Worten, um dir die Wahrheit über das +Geschlechtliche zu sagen, und schließlich fand man die Worte nicht und +darum auch nicht den Mut.</p> + +<p>Der andere und schlimmere Grund aber ist der, daß der Geschlechtstrieb +in der Allgemeinheit des Volkes überstark und krankhaft geworden ist und +sich nun dem Leben und der Persönlichkeit als etwas Feindseliges +entgegenstellt. Man fürchtet, ihn durch Belehrung zu wecken, und glaubt, +ihn durch Schweigen im Zaume zu halten. Das ist ein Irrtum.</p> + +<p>Der große und manchmal so hoffnungslose und traurige Kampf mit dem +krankhaft gesteigerten Geschlechtstrieb brachte die tiefe <span class="pagenum"><a id="page17"></a>[Seite 17]</span> +Zweiteilung von „Fleisch“ und „Geist“. Die Sinnlichkeit wurde „Sünde“ +genannt. Und sie ist doch nur Natur. Dieses feindselige Denken gegen die +Geschlechtlichkeit hat die Prüderei geboren, die ängstlich darüber +wacht, daß auch nicht eine Silbe über diese Dinge gesprochen werde, und +die doch weiß, daß viel Häßliches geschieht.</p> + +<p>Es ist nicht gut, etwas, was in der Natur liegt, für unnatürlich und +„sündig“ zu halten; denn damit geraten wir in Zweifel. Und wenn dieses +Etwas dann als ein starker Trieb in uns Menschen groß wird, das mit +unserem Wesen, unserem Charakter sich verbindet und zuzeiten uns ganz +allein auszufüllen scheint, so ist es richtiger, einen festen, klaren +Blick dem Geschlechtlichen gegenüber zu behalten, um es zu beherrschen +und zu bemeistern, nicht aber ängstlich, prüde und verlegen zu sein, den +Trieb für tierisch zu halten und dadurch von einem Konflikt in den +andern zu stürzen. Schließe dich nicht dieser unwahren, +lebensfeindlichen Denkart an, sondern erkenne im Geschlechtstrieb die +Quelle alles Empfindungslebens, erkenne ihn als die Grundmauer des +Lebens und die treibende Kraft aller Entwicklung. Sage nicht, daß er +tierisch und häßlich und sündig sei, sondern daß durch ihn der Mensch +erst wahrhaft Mensch wird, daß durch ihn der göttliche Wille des +Schöpfers in jeden einzelnen Menschen gelegt worden ist, und daß gerade +im Liebesgefühl und im Liebesleben der Reichtum der Menschennatur sich +entfaltet, so wie im Blütensegen des Frühlings die Natur in ihrer +Schöpferkraft jubelt.</p> + +<p>Verstehe mich nicht falsch! Du sollst dem Geschlechtstrieb stark und +ehrlich und mutvoll gerade ins Auge sehen. Sollst ihn erkennen als das +Schöpfungswunder der Natur und als die in dich selbst gelegte +Schöpferkraft, mit der du dem Willen der Natur dienen sollst. Aber darum +darfst du nicht sagen: „Dieser Trieb ist mein Recht! Habt ihr prüde +jedes Wort von ihm vermieden, so ist er doch in mir emporgewachsen, und +nun lebt er in mir, und ich will und darf ihn betätigen.“</p> + +<p>Schau um dich in der Natur! Auch die jungen Bäume treiben <span class="pagenum"><a id="page18"></a>[Seite 18]</span> +Blüten, aber sie tragen noch keine Frucht. In der Natur herrscht ruhige +und langsame Entwicklung; denn nur die Ruhe ist Kraft. Alles vorschnell +Entwickelte trägt schon den Verfall in sich. Wenn im Geschlechtlichen +das Leben sich aufbaut, dann muß auch gerade das Geschlechtliche den +Zerfall bringen, wenn es dem Mißbrauch entgegentreibt.</p> + +<p><em class="gesperrt">Das ist die große Wunde am Leben der Völker: der Geschlechtsmißbrauch!</em> +Daran sind sie zugrunde gegangen, die Kulturvölker des Altertums, und das +ist es, was heute noch die Völker zerstört: die Vergeudung der +Geschlechtskraft!</p> + +<p><em class="gesperrt">Denn Geschlechtskraft ist Lebenskraft!</em> Wer das eine verschwendet, +der zerstört das andere. Aus dem Geschlechtsmißbrauch kam die Degeneration +in die Völker. Die Geschlechtlichkeit, die der Kraft und dem Aufstieg des +Lebens dienen sollte, wurde dem Menschen zum Verhängnis, ja zum Fluch. Die +Sünden der Väter wurden heimgesucht an den Kindern bis ins dritte und +vierte Glied.</p> + +<p>Von allen Lebewesen ist der Mensch das einzige, dessen Geschlechtstrieb +unter die Herrschaft der Vernunft gestellt wurde. Indes:</p> + +<p class="dropc add4em">„Er nennt's Vernunft und braucht's allein,<br/> +Um tierischer als jedes Tier zu sein!“</p> + +<p>Gerade die ideale Verbindung des Körperlich-Sinnlichen mit der +Gesamtheit geistigen Lebens, eine Verbindung, die so viel Schönheit und +so viel Möglichkeiten kluger Beherrschung und sittlicher Gesetze in sich +birgt, ist verhängnisvoll geworden; denn das Geistige (Gedanke, +Empfindung, Vorstellung, Kunst) wird zum Einfallstor des Sinnlichen, und +bei gar zu vielen liegt die Vernunft in ewiger Fehde mit dem sinnlichen +Trieb.</p> + +<p>Das ist es, was so viel schwüles Schweigen erzeugt: Die lüstern lockende +Geschlechtsempfindung im Innern, mit der man ringt, und das böse +Gewissen, die trübe Erinnerung an vieles, was nicht gut war.</p> + +<p>Aber soll das weiter und immer so bleiben? Sollen wir ruhig <span class="pagenum"><a id="page19"></a>[Seite 19]</span> +danebenstehen, wenn starke und mannhafte Geschlechter im +Geschlechtsirrtum ihre Kraft verlieren? Wenn wir sehen, daß junge +Menschen durch krankhafte Erregungen zur Erschöpfung getrieben werden?</p> + + +<h3>6.<br/> +Die Verirrungen der Jugend.</h3> + +<p>Alle Welt kennt das große und traurige Geheimnis, das junge Menschen mit +sich herumtragen, das drückende Geheimnis der Geschlechtsverirrung, der +Onanie. Nur ganz wenigen ist der Sinn frei davon geblieben, und diese +kennen nicht den bitteren Kampf, den der sittliche Wille mit dem Triebe +führt, der sich quälend und entnervend im Körper und in den Sinnen breit +gemacht hat. Immer wieder rafft man allen Willen zusammen, immer wieder +bäumt sich der Stolz auf, und man sagt „Ich will nicht“, aber so oft ist +dieser Trieb der Stärkere. Es ist wie ein Ringen um die Oberherrschaft. +Je schwächer das Nervensystem und je nachgiebiger und schlaffer das +Denken, desto mehr reißt der sinnliche Trieb die Oberherrschaft an sich.</p> + +<p>Ein offenes, freies Wort würde den Kampf mildern, ein Freund, ein +Vertrauter, dem man von sich in diesen Dingen sprechen kann, würde die +seelische Bedrücktheit verscheuchen und den Mut heben können. Aber alle +jungen Menschen sind ratlos, tragen ihr Geheimnis weiter mit sich herum +und – verfallen weiter in der Einsamkeit dem wühlenden sinnlichen +Trieb.</p> + +<p>Dies traurige Schauspiel muß vor allen Dingen der Einsamkeit und dem +Schweigen entrissen werden. Man muß darüber sprechen, deutlich und +ernsthaft, damit der Vergeudung der Lebenssäfte Hemmnisse in den Weg +gelegt werden, damit die geschwächten Körper wieder frischer und +gesunder, der Wille wieder zuversichtlicher, der Mut wieder froher und +das Auge wieder klarer wird. Es soll alles aus dem Leben heraus, worüber +man sich schämen muß.</p> + +<p>Die Onanie tritt oft schon in sehr frühem Alter auf. Desto gefährlicher +ist sie. Dann handelt es sich aber um einen Organismus, <span class="pagenum"><a id="page20"></a>[Seite 20]</span> der +wahrscheinlich erblich geschwächt ist, eine „nervöse Anlage“ hat.</p> + +<p>Solch ein geschwächter Organismus ist ungemein empfänglich für alles +Sinnliche. Worte, Bilder, die auf das Erotische Bezug haben, sind wie +ein Feuerfunken in einen Strohhaufen. Ja, wie mit einem schwülen Drang +wird aus allen Gesprächen, aus Bildern und Büchern das Geschlechtliche +hervorgesucht. Diese grüblerisch-ungesunde Art raubt dem Betreffenden +viel frischen Sinn für das Wirkliche, viel Arbeitskraft und +Lebensfreude. Immer lenkt das Geschlechtliche seinen Blick ab, und es +ist nicht jeder unter den jungen Menschen stark genug, sich frisch +loszureißen von der schwächlich-lüsternen Phantasiearbeit.</p> + +<p>Gehirn und Zeugungsorgane scheinen sich da in einem schwächlichen und +verderblichen Reizabhängigkeitsverhältnis voneinander zu befinden. Und +oft ist es so, daß die Betreffenden von sinnlichen Bildern geradezu +verfolgt werden, daß sie harmlosen Worten eine sinnliche Bedeutung +geben, daß sie ein angeschautes Bildwerk oder eine Plastik zu sinnlichen +Vorstellungen gebrauchen, daß sich in die Lektüre, in das Studium, in +das Anhören eines Vortrages oder namentlich der Musik ein bestimmtes +erotisches Bild einschiebt, von dem sie nur schwer wieder loskommen. +Gewisse angeborene Neigungen, die sich am Gesicht oft erkennen lassen, +spielen hier eine Rolle. Das ganze Leben scheint da in die fieberhafte +Geschlechtserregung hineingezogen zu werden, und die Gefahr der +Selbstbefleckung rückt immer näher.</p> + +<p>Nicht lange dauert es, dann kommt es zu Berührungen der +Geschlechtsteile, in denen diese Empfindungen sich konzentrieren. Durch +diese Berührungen und Bewegungen kommt es zum krampfhaften, +konvulsivischen Höhepunkt geschlechtlicher Erregung, und zum ersten Male +findet beim Knaben ein Verlust von Samenflüssigkeit, beim Mädchen eine +starke Absonderung gewisser Drüsen statt.</p> + +<p>Warum hat dir bisher niemand die Gefahr gezeigt? Warum antwortete man +deiner stummen Frage nicht und gab dir <span class="pagenum"><a id="page21"></a>[Seite 21]</span> Anlaß, dich mit deinen +Bekannten oder mit anderen insgeheim über diese Dinge zu besprechen? Und +wie es so oft vorkommt, kam's vielleicht da zur Verführung. Ältere +Schulkameraden oder häßlich denkende andere Menschen, Dienstboten, +Arbeitsgenossen usw. vergnügen sich oft damit, in den jüngeren den +geschlechtlichen Sinn zu wecken. Wenn's eine Strafe für sie gäbe, könnte +sie nicht scharf genug sein.</p> + +<p>Gar zu viele wissen davon zu berichten, daß in der Jugend die +Dienstboten für sie die Lehrer dieser geheimen Fehler gewesen sind, und +sie fühlen es ganz genau, welch ein Maß von Kraft sie dabei eingebüßt +haben. Die besonderen Brutstätten dieser geheimen Verfehlungen aber sind +die Schulen. Und man sieht, wie das Übel sich in den Klassen forterbt, +wie es von einem frivolen Schüler, einer Schülerin, durch Verführung auf +die anderen übergehen kann. Ja, die jüngeren denken sich nicht einmal +was dabei, wenn die älteren sie dazu verleiten, an versteckten Orten mit +den Geschlechtsorganen zu spielen, bis dann der geweckte Trieb sich +schwer wieder eindämmen läßt und die Erregungen zur willkürlichen +Gewohnheit werden. Das trübe, schlaffe, verlegene Aussehen, der unreine +Teint vieler Kinder sollten Eltern und Lehrer darüber belehren, wie +dieses Übel der Selbstbefleckung gerade in den Schülerjahren und in den +Schulen ausgebreitet ist.</p> + +<p>Hüte dich, mit deinesgleichen oder überhaupt mit anderen über das +Geschlechtliche zu sprechen, wenn du nicht weißt, daß sie dir +wohlwollen.</p> + +<p>Und meide alle jene lüsternen, schmutzigen Unterhaltungen, die sich nur +um das Geschlechtliche bewegen. In Schulen, Internaten, Seminaren sind +die Gespräche der Schüler, wenn sie allein sind, oft von beschämender +und empörender Häßlichkeit, und man kann es kaum fassen, wie das +Schamgefühl so weit erstickt werden konnte. Die Lüsternheit verzerrt die +Mienen, und die Unsauberkeit des Denkens weicht oft nicht mehr von dem +Gesicht. Halte deine Phantasie rein von schmutzigen Vorstellungen, dein +Denken gesund! Weise die leichtsinnigen Zungen ernst und überlegen +zurück und stelle eine geistige Scheidewand zwischen dich und sie! +<span class="pagenum"><a id="page22"></a>[Seite 22]</span> Beschäftige dich auch nicht mit sinnlich erregender Lektüre +oder lüsternen Bildern, die oft geheimnisvoll unter den Schülern und +Schülerinnen verbreitet werden.</p> + +<p>Wenn Eltern wüßten, in welch eine sinnlich schwüle Atmosphäre sich +Kinder verirren, sie würden offenere Augen haben und die Gefahren +abzulenken suchen, ehe es zu spät ist.</p> + +<p>Die Reue über das Falsche und Schädliche, was man getan, läßt die +Erinnerung daran wachbleiben.</p> + +<p>Und es ist zu beobachten, daß wohl alle jungen Menschen Scham empfinden. +Die fröhliche Offenheit, mit der sie sonst alles Tun vollziehen, macht +vor ihren sinnlichen Fehlern halt; denn hier sagt schon ohne alle +äußerliche Belehrung der natürliche Instinkt, daß man Unrechtes tut, und +diese geheimnisvolle Triebverirrung sucht stets ein Versteck. Ja, das +Bewußtsein des Unrechttuns ist so lebendig, daß bei den jungen Menschen +oftmals das schlechte Gewissen sich in dem scheuen Blick kundgibt, der +nichts mehr hat von der reinen, unschuldigen Natürlichkeit eines +Kinderauges. Sie glauben sich beobachtet und in ihrem geheimen Treiben +erkannt und werden deshalb oft verwirrt und untauglich für +gesellschaftlichen Umgang. Sie lieben es, allein zu sein, zu grübeln, +weil sie mit der Geschlechtskraft zugleich jene antreibenden Kräfte +erschöpfen, welche einen jungen Menschen in das Leben hinaustreiben und +seine sozialen Fähigkeiten entwickeln.</p> + +<p>So ist aus der Erschöpfung der in sozialer Hinsicht antreibend wirkenden +Geschlechtskraft durchaus jene geistige und gesellschaftliche Unfreiheit +zu erklären, die den richtigen Onanisten oft durch das ganze Leben +hindurch verfolgt. In gesunder Geschlechtskraft liegen die Wurzeln zu +sozialer Entwicklung. Der Verlust der Lebenssäfte untergräbt die +Energie, und das drückende Bewußtsein des geheimen geschlechtlichen +Unrechts prägt sich störend und hemmend der Persönlichkeit und dem +ganzen Auftreten der Betreffenden auf. Je fester aber diese einsame +Triebverirrung den jungen Menschen umklammert, desto schwerer wird es, +von der unsauberen Gewohnheit zu lassen.</p> + +<p>Je häufiger ein menschlicher Trieb rein körperlich und losgelöst +<span class="pagenum"><a id="page23"></a>[Seite 23]</span> von seinen geistigen Beziehungen betätigt wird, desto mehr +sinkt er ins Körperliche hinab und verliert seine geistige Beherrschung.</p> + +<p>Immer wieder triumphiert der dumpfe, schwüle Geschlechtsdrang über den +sittlichen Willen, und jede Niederlage schwächt den Glauben an die +eigene sittliche Kraft, zumal jeder einzelne Akt der Onanie die +allgemeine Kraft verringert und die nervös-geschlechtliche Erregbarkeit +vermehrt. Dann sieht es oft verworren und trostlos im Innern solcher +Menschen aus. Und mancher hat schon vor mir gestanden mit tränendem Auge +und zuckendem Munde, weil die Scham über seine Schwäche ihm namenlose +Qual verursachte.</p> + +<p>Der Onanist träumt sich selbst in die Gewalt der sinnlichen Empfindung +hinein und treibt dadurch jedesmal wieder seinem Fehler entgegen. Und +doch wäre es ratsamer, wenn er sich vorher jenen Zustand von Mattigkeit, +herabgesetzter Spannung, schwächerer Atmung und Herztätigkeit, Reue und +sittlichem Elend vorstellen wollte, der dem Samenverlust folgt. Dies +Bild wäre wohl imstande, seine sinnliche Erregung zu verdrängen.</p> + + +<h3>7.<br/> +Die Folgen der sinnlichen Fehler.</h3> + +<p>Man muß die Gefahr in ihrem ganzen Umfange kennen, wenn man ihr +überlegen begegnen will. Darum will ich dir vorerst einmal sagen, +welchen Schaden diese krankhafte Erregung mit dem Samenverlust bringt. +Ich will nicht übertreiben; denn deine einsamen Verirrungen haben dir +Sorge und Angst genug gemacht. Und ich warne dich vor jenen albernen und +dummen Büchern, die dir das Gespenst eines schrecklichen körperlichen +und geistigen Verfalls vor die Augen malen. Gerade die übertriebenen +Schreckbilder haben schon viel Schaden angerichtet. Ich will die +Wahrheit über die Folgen nicht übertreiben; aber du sollst die Wahrheit +auch nicht fürchten. Also höre!</p> + +<p>Die einmalige Onanie ist von einer starken Erregung begleitet, die alles +Leben rascher in dir antreibt. Die Pulse fiebern, das <span class="pagenum"><a id="page24"></a>[Seite 24]</span> Gesicht +rötet sich, der ganze Körper ist angespannt und wird von dieser einen +verzehrenden Empfindung beherrscht. Es gibt aber ein Gesetz in der Natur +und im Organismus, daß jeder Kraftsteigerung ein Nachlassen der Kraft, +jeder Erregung eine Erschlaffung folgt. So auch hier. Und diese +Erschlaffung zeigt sich auch äußerlich, je mehr die Onanie sich +wiederholt, in blassem Aussehen oder bei gutem Aussehen in merkwürdiger +Unreinheit der Gesichtsfarbe, in dunklen Ringen unter den Augen, in dem +Erscheinen von Pickeln auf der Stirn, in schwitzenden Händen und oft in +gestörter Verdauung.</p> + +<p>Es ist leicht einzusehen, daß ein Schaden, dem jugendlichen Organismus +zugefügt und in die Wachstumsjahre fallend, weit nachteiliger sein muß, +als wenn er in reiferem Alter einen festen und kräftigen Körper trifft. +Dies ist der Fall bei den sinnlichen Fehlern der Jugend, deren größte +Gefahr eben in der frühzeitigen, unbehinderten und häufigen Ausübung +liegt. Denn es gibt viele Knaben und Mädchen, die dem Übel der +Selbstbefleckung längere Zeit hindurch mehrmals am Tage verfallen.</p> + +<p>Der Organismus zieht aber alle Reservekräfte heran, um dem Schaden zu +begegnen. Er überwindet ihn einmal, zweimal, zehnmal und noch öfter. Der +starke Erregungsvorgang setzt sich aber schließlich im ganzen +Nervensystem fest. Denn das Nervensystem ist dasjenige Organ, das alle +diese Vorgänge vermittelt. Die Erregung wird also bleibend, wird zu +einer besonderen Eigentümlichkeit des ganzen Menschen. Eine Zeitlang ist +das Leben dann von besonders kraftvollem Ausdruck, körperlich und +geistig herrscht Hochspannung. Das ist in den zwanziger Lebensjahren, +und viele meinen da, die Onanie habe ihnen nichts geschadet, weil sie +womöglich gut aussehen und keine Klage über mangelhafte Gesundheit zu +führen haben. Trotzdem sie vielleicht gerade noch in dieser Zeit +häufiger onanieren.</p> + +<p>Aber gemach! Es ist immer oberflächlich, die Dinge nur so zu beurteilen, +wie sie im Augenblick erscheinen. Es gibt keinen festen Punkt in der +Natur und im Leben, alles ist ein Werden oder Vergehen. Nicht eine +Sekunde steht das Leben still.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page25"></a>[Seite 25]</span> Auch hier schreitet es weiter, aber nicht mehr aufwärts, sondern +abwärts. Es beginnt die Erschlaffung, der Kraftverlust.</p> + +<p>Wie ist das zu erklären?</p> + +<p>Kennst du ein elektrisches Element? Das ist ein Gefäß, das +verschiedenartige chemische Stoffe enthält, durch die der elektrische +Strom erzeugt wird, den dann der metallische Draht an seinen +Verbrauchsort leitet. So ist es mit der Kraft im Körper, der +Lebenskraft. Sie entsteht und wird frei in der chemischen Umwandlung des +Körperstoffes. Wir können also sagen, Lebenskraft sei tierische +Gewebselektrizität.</p> + +<p>Speisest du mit den elektrischen Elementen etwa eine Klingelanlage oder +sonst einen elektrischen Betrieb, so bedeutet jeder Gebrauch eine +elektrische Entladung, also eine vorübergehende Erschöpfung der +Elemente. Das Element, also die Brutstätte des Kraftstromes, sammelt in +der Ruhe wieder die notwendige Kraft. Wird es aber überstark, ohne +genügende Zwischenpausen, also mißbräuchlich benutzt, so erschöpft sich +das Element vollkommen, wird also zerstört, unbrauchbar.</p> + +<p>Genau so ist es im Körper, der auch ein Element, eine allgemeine +Brutstätte für Lebenskraft ist. Die in den Geweben erzeugte Elektrizität +wird als Kraft durch das Nervensystem allen Teilen des Körpers +zugeführt. Die Onanie bringt eine Steigerung der gesamten +Lebenstätigkeit, eine schnellere Entwicklung, etwa so wie man Pflanzen +durch die schwüle Treibhaushitze zu schnellerem Wachstum, aber auch zu +schnellerem Verblühen bringt. Infolgedessen wird zwar im Körper Kraft +verbraucht, aber auch rascher neu erzeugt, weil der junge, in der +aufsteigenden Entwicklung stehende Körper sich wie ein Akkumulator immer +wieder mit neu erzeugter Kraft ladet. Schließlich aber erschöpft sich +die Brutstätte und erschöpft sich das Krafthauptlager, als das wir das +zentrale Nervensystem – Rückenmark und Gehirn – erkennen.</p> + +<p>Die Geschlechtsorgane sind eine Stätte für elektrische Entladungen. Und +sicher ist, daß beim normalen Zeugungsvorgang zwischen Mann und Weib +eine Stromübertragung stattfindet, <span class="pagenum"><a id="page26"></a>[Seite 26]</span> die bei der Befruchtung und +für dieselbe eine große Rolle spielt. Mann und Weib sind Gegenpole, auch +im rein elektrischen Sinne aufgefaßt. Der Stromentladung folgt eine +Ladung von seiten des Gegenpols. Dem Kraftverlust folgt ein Zustrom an +Kraft, und dieser Vorgang fehlt bei der Onanie gänzlich. Sie ist nur und +ausschließlich Entladung, nur Kraftverlust. Und wenn auch der junge +Körper eine Zeitlang immer wieder den Ausgleich schafft, so vermag +doch – namentlich wenn die Onanie zu häufig ausgeübt wird – der +Körperakkumulator sich nicht wieder genügend und völlig zu laden. Der +Kraftstrom wird immer geringer. Die Kraft schwindet, und die chronische, +also dauernde Schwäche schleicht heran und breitet sich im ganzen +Organismus aus. Im Nervensystem zeigt sich dieser Zustand in der +Veränderung der Marksubstanz. Das Nervenmark verliert seine +Geschmeidigkeit und gleichmäßige Verteilung. Und weil es gewissermaßen +den Strahlpunkt und den Kernstoff des Lebens bildet, so kann man wohl +verstehen, daß das Leben selber, nun, wenn es seinen gar zu frühzeitigen +Höhepunkt überschritten hat, langsam zurückgeht.</p> + +<p>Nun haben alle Tätigkeitsgruppen des Organismus im Gehirn und im +Rückenmark ihre ganz bestimmte Lagerung. Mit diesem Teile steht die +Atmung und die ganze Lungentätigkeit in Verbindung, mit jenem Teil das +Herz, mit einem dritten die Haut, und so fort.</p> + +<p>Die Fortpflanzungstätigkeit hat zum großen Teil ihren Strahlpunkt im +mittleren (Kreuz-) Teil des Rückenmarks. An den Kreuzschmerzen nach +geschlechtlichen Ausschweifungen und bei Geschlechtskrankheiten ist das +sehr wohl zu erkennen. Der Grenzbezirk der Geschlechtlichkeit im +Rückenmark ist aber nur sehr schwer zu trennen von demjenigen der +Verdauungs- (Magen- und Darm-) Tätigkeit. Und diese Tatsache ist +einerseits sehr folgenschwer für den Geschlechtsmißbrauch, andrerseits +aber ein klarer Beweis für die Richtigkeit der von <em class="gesperrt">Dr. Damm</em> +aufgestellten Behauptung, daß der Geschlechtsmißbrauch weit mehr als +alle anderen Schäden als die Hauptursache der Degeneration, <span class="pagenum"><a id="page27"></a>[Seite 27]</span> +d. h. des dauernden Kraftverlustes, anzusehen ist. Das gilt für den +einzelnen Menschen genau so wie für das ganze Volk.</p> + +<p>In der Tat macht sich der Kraftverlust meist zuerst in Störungen der +Magen- und Darmtätigkeit bemerkbar. Und die geschwächte +Verdauungstätigkeit ist so bezeichnend für das Gesamtbild onanistischer +Folgen, daß wir außer der nervösen Schwächung durch den krankhaften +Geschlechtsreiz auch eine auf gleicher Ursache beruhende Verminderung +der inneren Ausscheidung annehmen müssen. Denn das Nervensystem bringt +alle Teile des Organismus zueinander in rege Beziehung, und wenn die +krankhafte Geschlechtserregung sich eine Zeitlang dem ganzen Körper +mitgeteilt hat, dann tritt in allen Teilen eine gewisse Erschöpfung ein.</p> + +<p>Der Magen wird schwach und zeigt Reizbarkeit und eine Art von +Launenhaftigkeit, die sich in Merkwürdigkeiten des Appetits äußert. +Zeitweilig schwindet der Appetit, zeitweilig aber auch tritt er heftiger +hervor, und man vermag zu beobachten, daß mancher geschlechtlich +ausschweifende Mensch einen auffallend gesteigerten Appetit hat. Es +scheint dann, als wolle die Natur den Verlust wieder ersetzen. Aber da +durch eine Herabsetzung der inneren Absonderungen die aufbauende Kraft +vermindert ist, so kann die Nahrung nicht „anschlagen“. Trotz guter +Ernährung findet sich dann ein Gefühl der Schwäche, der Mattigkeit und +Erschöpfung ein, was oft durch das ganze fernere Leben hindurchgeht und +oft allein vom Magen seinen Ausgang nimmt.</p> + +<p>Auch Darmstörungen, meist Trägheit und Verstopfung, sind bezeichnende +Folgen geschlechtlichen Mißbrauchs, und mancher Verdauungsneurastheniker +wird gestehen müssen, daß in oder nach den Jahren der Onanie seine +Verdauungsbeschwerden und seine Mattigkeit begannen.</p> + +<p>Darunter leidet natürlich bald die Ernährung und der Neuaufbau des +Körpers, ebenso die Blutbildung und das gute Aussehen.</p> + +<p>Die Herz- und Muskelkraft und das Muskelgewebe erleiden <span class="pagenum"><a id="page28"></a>[Seite 28]</span> eine +Einbuße, und die Freudigkeit an der Körperarbeit, an Gymnastik, Sport +und Spiel läßt nach.</p> + +<p>Es ist wohl zu verstehen, warum gerade ein Organ, wie das Herz, das an +allen Erregungen des Körpers und der Sinne direkten und unmittelbaren +Anteil nimmt, durch häufige und starke Geschlechtserregungen besonders +erschöpft werden muß. In der Tat treten oft schon nach den zwanziger +Jahren nervöse Herzbeschwerden auf, zunächst als beschleunigter, oft +ganz heftiger, beängstigender Herzschlag sich zeigend, während später +eine gewisse Herzschwäche sich einstellen kann.</p> + +<p>Der verminderten Stoff- und Säfteumwandlung in den Geweben folgt auch +eine Verminderung der Wärmebildung, und leichtes und öfteres Frösteln, +Gefühl von Unbehaglichkeit, tritt auf. Kalte Hände und Füße, dazu beide +leicht schwitzend, stellen sich ein.</p> + +<p>Die Hauttätigkeit kann gleichfalls erschlaffen; denn sie steht in +regsten Wechselbeziehungen zu den Nervenzentren und vor allem zu der +Geschlechtstätigkeit. Ebenso wie sie durch Rötung, Blutfülle, Schwitzen +usw. an den Geschlechtserregungen teilnimmt, wird sich die organische +Erschlaffung auch durch herabgesetzte Hautarbeit kennzeichnen. Es fehlt +der Haut die pralle, blutreiche Straffheit. Sie beteiligt sich nicht +mehr regsam genug am allgemeinen Stoffwechsel, verliert ihre Fähigkeit, +sich zusammenzuziehen und auszudehnen und dadurch der wechselnden +Witterung und plötzlichen Kälteeinflüssen sich anzupassen. Sie fröstelt +leicht, es bilden sich krankhafte Schweiße, und namentlich im Kreuzteil +des Rückens ist der Wechsel von heiß und kalt und jenes angstvolle +Schwächegefühl oft eine ständige Erscheinung. Die Unreinlichkeiten der +Haut, Pickel, Ausschläge, die schon während der jugendlichen Onanie so +bezeichnend sind, kann man bei den geschlechtlich erschlafften Menschen +oft im ganzen Leben beobachten. Das Haar verliert seinen Glanz und seine +Triebkraft, und bald beginnt es grau zu werden oder auszufallen. Daß wir +heute Kahlköpfe selbst unter den jungen Leuten sehen, ist kein +Ruhmeszeichen für unser deutsches Volk. Denn wenn schon <span class="pagenum"><a id="page29"></a>[Seite 29]</span> die +Jugend Erscheinungen des Alters trägt, dann hat das Volk den Weg abwärts +beschritten.</p> + +<p>Der Haarausfall hängt ganz sicherlich auch mit der Verminderung der +ausdünstenden Tätigkeit der Haut zusammen, deren Gleichmäßigkeit eine +notwendige Bedingung der Gesundheit ist. Der durch die erschlafften +Gewebe bewirkte unvollkommene Stoffwechsel stellt eine Vergiftung des +Körpers durch chemische und gasförmige Stoffe dar, die den Haarboden +zerstören. Ebenso bedeutet aber auch die krankhafte Schweißbildung, die +in den Folgen des geschlechtlichen Mißbrauches auftritt, eine nervöse +und Gewebserschlaffung.</p> + +<p>Da nun das Leben und die mancherlei Berufe große Anforderungen an die +Nervenkraft stellen, denen der geschwächte Organismus nicht mehr gewachsen +ist, so sehen wir bald das Bild der Nervosität in all den trüben Farben, +die uns jeder Tag und sozusagen jeder Mensch zeigt. Schlaflosigkeit, +Unruhe, Zerfahrenheit, Zerstreutheit, Gedächtnisschwäche, Mangel an +Konzentration und Willenskraft, Melancholie und alle diese Feinde eines +gesunden, frischen Lebens stellen sich ein, die geistige Schwungkraft und +Arbeitsfreudigkeit der Jugendjahre schwinden. Die Denkkraft vermindert +sich, und der Kampf zwischen Wollen und Können endet oft in der bitteren +und verzweifelten Erkenntnis des Nichtmehrkönnens.</p> + +<p>Wie viele sind es schon, die mir diesen beklagenswerten Zustand erzählt +haben, viele, die ganz genau wissen, wie geistig munter sie früher +waren, und welch ein geistiges Wrack sie nun geworden sind! Wie vielen +habe ich in dieser Lage schon Trost und Mut und Rat für eine +Lebensführung geben können, die den Körper wieder kräftigt<a name="FNanchor_A_1" id="FNanchor_A_1"></a><a href="#Footnote_A_1" class="fnanchor">[1]</a>.</p> + +<p>Auch die Lungen und Bronchien leiden unter den erschöpfenden Erregungen +und dem Samenverlust. Ist die Lunge von Haus aus schwach, so kann sie +ernstlich erkranken. Ein durch sinnliche <span class="pagenum"><a id="page30"></a>[Seite 30]</span> Fehler erschöpfter +Organismus ist ganz sicher ein besserer Angriffspunkt für die +Tuberkulose, für Lungenentzündung und für ungünstige klimatische +Einflüsse als ein vollsaftiger Organismus.</p> + +<p>Die krankhaften Veränderungen des Seelenlebens, Gereiztheit, +Launenhaftigkeit, Übelnehmen, Einbildung, Trübseligkeit und dergleichen +machen den Menschen sich selbst und gegenseitig das Leben schwer.</p> + +<p>Wenn wir dann diese Veränderung des Charakters und die Abschwächung des +Willens sorgfältig beobachtend verfolgen, so ist es durchaus einleuchtend, +daß bei einem so untergrabenen körperlichen und sittlichen Fundament +gewisse angeborene krankhafte Neigungen, wie Unverträglichkeit, +Gehässigkeit, Neid, Trägheit, ja selbst verbrecherische Triebe, eine +Steigerung erfahren können. Der Mensch und sein Leben sind nichts Fertiges +und Unveränderliches, sondern sind ein immerwährendes Werden, ein Etwas, +das sich aus Anlage und äußeren Einflüssen werdend ergibt. Sind die +körperlichen Grundlagen erschüttert und die sittlichen Hemmungen +geschwächt, so wird es einer krankhaften oder verbrecherischen Neigung +leichter gemacht, zu triumphieren. Das erscheint mir durchaus logisch und +bestätigt sich auch durch die Erfahrung. Überall hat die Onanie einer +schlechten Anlage Vorschub geleistet.</p> + +<p>Und wenn dann dem großen Wollen und Wünschen im Leben sich Schwäche und +Krankheit in den Weg stellen, wenn die frühzeitige Erschlaffung sich +körperlich und geistig bemerkbar macht und der Organismus, den Blick auf +das Lebensziel gerichtet, auf halbem Wege zusammenbricht, dann zieht oft +trostlose Verzweiflung ins Gemüt. Reue und Selbstanklagen zermartern den +Sinn; denn es wurde ja vorzeitig im Leben die Kraft vergeudet, die all +dies große Wollen zur Tat werden lassen sollte.</p> + +<p>Die Reizempfänglichkeit des Körpers wird mehr und mehr auf +geschlechtliche Eindrücke eingestellt, und er beantwortet schließlich +mit geschlechtlicher Erregung auch solche Reize, die keinerlei +geschlechtlichen Charakter tragen und an einem gesunden Organismus +spurlos vorübergehen. Diese häufige Geschlechtserregung <span class="pagenum"><a id="page31"></a>[Seite 31]</span> halten +viele in einem bedauerlichen Wahn für Kraft. Sie ist aber meist das +Gegenteil, ist nervöse Schwäche.</p> + +<p>Diese häufigen Erschütterungen von Rückenmark und Gehirn, an denen alle +Organe, Herz, Lungen, Magen, Leber, Haut usw. teilnehmen, können +schließlich jene äußerste Schwächung des Nervensystems im Gefolge haben, +die wir als Neurasthenie kennen, und die mit ihren Erscheinungen endlich +auch in das geschlechtliche Leben hineinragt, weil sie die +geschlechtliche Kraft zu vermindern und mancherlei Störungen +hervorzurufen vermag.</p> + +<p>Von diesen Störungen erwähne ich vor allem die Pollutionen, jene +nächtlichen Samenergüsse, die als Zeichen der Lendenmarksschwäche +häufiger auftreten. Sie werden ausgelöst durch viele äußere und innere +Reize, die an sich ganz unbedeutend sein können und beim Gesunden auch +tatsächlich keinen Eindruck machen. Hier aber wird der Schlaf sehr durch +wollüstige Träume gestört, und Samenergüsse vermehren die allgemeine +Mattigkeit und das Gefühl des körperlichen Elends.</p> + +<p>Der durch die sinnlichen Verirrungen bewirkten krankhaften +Geschlechtserregung folgt fast mit Sicherheit im späteren Leben ein +frühzeitiges Sinken der Geschlechtskraft. Und dieser disharmonische, +unnatürliche Zustand, der das ganze Volk durchzieht, raubt den Menschen +viel Liebesglück und Daseinsfreude und den Ehen sehr viel, oft alles, +von der inneren Poesie.</p> + +<p>Bei der ausgedehnten und sehr feinen Durchnervung des gesamten +Geschlechtssystems muß ja das Nervensystem unter geschlechtlichen +Fehlern am meisten leiden. Das macht sich in der oft so grenzenlos +matten und verzweifelten Stimmung bemerkbar, in ihrer raschen +Wandelbarkeit und Sprunghaftigkeit, sowie in einer Reizbarkeit oder +Abgestumpftheit der Sinne. Namentlich Augen und Ohren leiden. Denn +während einerseits Sehschwäche, und zwar Kurzsichtigkeit, ganz +sicherlich in vielen Fällen auf heftige Onanie zurückzuführen ist, +finden wir andrerseits das Ohrensausen als ein ganz außerordentlich +verbreitetes Zeichen nervöser Störungen. Auch der Geschmack leidet und +richtet sich darum oftmals auf ganz merkwürdige Dinge. Vor allem ist oft +<span class="pagenum"><a id="page32"></a>[Seite 32]</span> das Sättigungsgefühl verloren, und dadurch kommt es zu +überstarker Nahrungsaufnahme.</p> + +<p>Nicht jeden trifft's so schwer. Und wen die Vererbung mit großer Kraft +bedachte, der vermag noch Leistungsfähigkeit ins spätere Leben +hinüberzuretten. Aber doch sollte niemand die Gefahr verkennen und mit +leichtem Sinn und scherzendem Wort über diesen tiefinneren Zusammenhang +zwischen Geschlechtskraft und Lebensaufbau, zwischen Geschlechtsmißbrauch +und Lebenszerfall hinweggehen.</p> + +<p>Wer nicht direkt und unmittelbar den Schaden der Kraftvergeudung +verspürt, der darf darum nicht sagen, es habe ihm gar nichts geschadet. +Denn in den Gesetzen des Nervenlebens liegt es, daß die feindseligen +Reize zunächst eine Kraftsteigerung bringen, der aber früher oder später +das Niedergehen der Kraft folgt. Der Kräftige hat freilich mehr +Widerstand als der Schwächling, aber wohl jeder wird an einen Zeitpunkt +gelangen, wo mit einem Male seine Widerstandskraft gegen Arbeit, Unruhe, +Klima und Temperatur, schwerere Speisen, Ärger und dergleichen geringer +wird und er mehr oder weniger klar empfindet, wie eng das mit der +Kraftverschleuderung in den Jugendjahren zusammenhängt.</p> + +<p>Das Geschlechtsproblem löst sich nicht allein in der Zeugung und +Fortpflanzung. Nach außen zwar läßt die Geschlechterliebe in der Tiefe +der Leidenschaft ein neues Menschenleben entstehen. Aber ich wies schon +darauf hin, daß in ihrer inneren Wirkung die Geschlechtlichkeit sowohl +den männlichen wie den weiblichen Charakter ausgestaltet. Werden die +Organe, in denen der Zeugungsstoff entsteht, also beim Manne die Hoden +(Samenbereiter), auf operativem Wege entfernt, wie es bei der Entmannung +in den morgenländischen Völkern und teilweise auch bei abendländischen +geschah und geschieht, so sehen wir von derselben Stunde an eine völlig +andere Entwicklung des betreffenden Individuums. Es entsteht ein von +Grund aus anderer Charakter, der etwas Rückschrittliches, +Unentwickeltes, darstellt und teilweise unangenehme Züge aufweist.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page33"></a>[Seite 33]</span> Hier haben wir einen glänzenden Beweis für die entscheidende +Bedeutung des Geschlechtlichen im Menschenleben. Und wir erkennen, daß +der Geschlechtsmißbrauch auch eine Art Entmannung ist; denn er ist +Verlust der Kraft auf andere Weise.</p> + +<p>Die Wissenschaft hat den hochwichtigen Beweis erbracht, daß der Körper +in seinem Innern außer den Keimzellen in den Keimdrüsen noch durch +einige andere Drüsen, die an der Entstehung des Geschlechtsempfindens +mitbeteiligt sind, einen chemischen Stoff erzeugt, der im ganzen Körper +anregend und belebend wirkt. Darum verstehen wir, warum die aufkeimende +Liebesempfindung des einen Menschen zum andern so wunderbar fördernd auf +ihn selber wirkt. Darum eben erkennen wir in dem Liebes- und +Geschlechtsempfinden die Quelle alles Empfindens, alles Denkens und +aller Kraft überhaupt. Es ist der geheimnisvolle Urquell all der +wunderbaren Spannung, die die Jugend vor dem Alter auszeichnet. Gerade +darum aber wirst du auch verstehen, warum diese jugendliche Spannung, +diese Kraft und Frische, dieser schnell erfassende Geist, dieser rasche +Entschluß, dieser feste Wille, dieser Reichtum des Empfindens, warum das +alles schwinden und der trübseligen Schwäche Platz machen muß, wenn in +der häufigen Onanie die Zeugungskeime verschwendet werden und jenem +wunderbaren chemischen Lebensstoff der Weg zu seiner Wirksamkeit verlegt +wird.</p> + +<p>Von allen Seiten türmen sich Gründe auf, aus denen du selbst den Schluß +ziehen kannst, daß die geschlechtliche Reinheit, das Freisein von +geschlechtlicher Ausschweifung, die wichtigste Entwicklungsfrage deiner +Jugend ist.</p> + + +<h3>8.<br/> +Die Hoffnung auf neue Kraft.</h3> + +<p>Glaube nicht, daß ich in irgendeinem Punkte übertrieben habe, oder daß +ich nur deshalb übertrieb, um dich von falschem Tun abzuschrecken. Und +wenn du schon ein Opfer krankhafter geschlechtlicher Erregungen wurdest, +so möchte ich nicht, daß meine <span class="pagenum"><a id="page34"></a>[Seite 34]</span> Worte in dir Verstörung, Angst +und Verzweiflung erregen. Das, was geschah, war nicht gut, war +schädlich. Gewiß! Aber laß es dich nicht niederdrücken! Trage nicht die +Ketten trüber Erinnerungen mit dir herum, sondern schau auf die nächste +Zukunft. Wir Menschen irren viel. Und wenn's geschah, soll die +Erkenntnis niemanden niederdrücken, sondern Mut und Entschluß geben zu +einem kraftvolleren, gesunderen Leben. Der Wille zum Guten muß vorhanden +sein, der rasche, frische Wille. Laß dich das Bild der Folgen nicht +niederdrücken, aber laß es dir den energischen Entschluß geben, von +heute ab den ruhigen, verständigen Kampf gegen die einsame Verirrung +aufzunehmen.</p> + +<p>Zähme deine Ungeduld und lasse nicht erneute Trostlosigkeit einziehen, +wenn die Schäden der Verirrungen nicht gleich verschwinden. Es braucht +dazu oft viel Zeit und viel Geduld. Nicht jeder kehrt wieder zur +ursprünglichen Kraft zurück. Wenn's auch bei dir so ist, so wisse, daß +dein Leben sich den krankhaft veränderten Verhältnissen in deinem +Organismus anpassen muß. Verringerte Kraft bedingt ein weniger ergiebiges +Leben. Dies alles, also die Grundlagen deiner zukünftigen Lebensweise, +lernst du kennen aus <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Alfred Damms</em> Reizlehre, und du kannst +sie aufmerksam studieren in meinem Buche „Der nervöse Mensch“.<a name="FNanchor_A_2" id="FNanchor_A_2"></a><a href="#Footnote_A_2" class="fnanchor">[2]</a></p> + +<p>Lasse dich nicht täuschen durch die Anpreisung von Heilmitteln und von +Stoffen, die entweder nur vorübergehend als Reiz wirken und Gesundung +vorspiegeln oder aber einige Erscheinungen unterdrücken und dadurch zu +einem weniger sorgfältigen Leben Anlaß geben, während doch zugleich die +Schwäche weiter und geheimnisvoller sich im Körper einnistet. Viele +solcher Mittel und Medikamente erhöhen nur den Geschlechtstrieb. Aber es +folgt später eine um so tiefere Erschlaffung. Die Gesundung und +Kräftigung kann immer nur aus dem Organismus selbst kommen, aus seinem +verbesserten und vorsichtig überwachten Lebensbetrieb. Das ist ein zwar +langer und langsamer Weg, <span class="pagenum"><a id="page35"></a>[Seite 35]</span> aber einer, der sicher zum Ziele +führt. Versuche nur niemals durch Reizmittel und starke Antriebe +irgendwelcher Art deine Schwäche zu überwinden. Denn oft liegt gerade in +dem Gefühl der Schwäche ein Bestreben des Körpers, Herr zu werden über +einen krankhaften Vorgang, einen Überreiz zu beseitigen, eine besondere +Anpassung oder Absonderung zu bewirken. Aus jenem obengenannten Buche +über das Nervenleben wirst du erkennen, daß der Organismus ein +einheitliches Getriebe ist, und daß alle günstigen oder ungünstigen +Einflüsse nicht nur ein einzelnes Organ, sondern das ganze System +treffen. So kann also die Kräftigung nur eine allgemeine organische, +langsame, aber umfassende sein.</p> + + +<h3>9.<br/> +Die Kräftigung nach jugendlichen Verirrungen. Die Bekämpfung krankhafter +Sinnlichkeit.</h3> + +<p>Was soll ich nun tun, um mich wieder zu kräftigen? Und wie werde ich des +Triebes Herr, der mich quält und unruhig mir im Fleisch sitzt? –</p> + +<p>Diese Frage liegt dir auf den Lippen, und ich höre sie von Tausenden +deiner Altersgenossen. Auch darüber wollen wir sprechen.</p> + +<p>Der Trieb kommt aus dem Fleische, aus dem chemisch-physikalischen +Getriebe des Körpers, und darum ist es wohl ein Gebot der Klugheit, ihm +zunächst mit den Waffen der körperlichen Pflege und der gesundheitlichen +Zucht beizukommen.</p> + +<p>Das wird nicht von allen Seiten anerkannt, und es gibt Leute, die viele +Worte machen und dicke Bücher schreiben, und entweder an der Onanie und +den einsamen Leiden junger Menschen mit ein paar Worten vorbeigehen oder +aber das Körperliche dabei kaum beachten. Ich will diesen Leuten keinen +Vorwurf machen, so sehr der Ernst der Sache es rechtfertigen würde. Aber +ich sage es, um dich ganz besonders auf die körperliche Entstehung des +Geschlechtstriebes <span class="pagenum"><a id="page36"></a>[Seite 36]</span> und damit auf die körperlichen +Heilungsmöglichkeiten der Onanie hinzuweisen.</p> + +<p>Pflege deinen Körper! Halte dich gesund und frisch und straff! Ich sagte +dir schon, daß ein geschwächtes und darum reizbares Nervensystem den +sinnlichen Anreizen, die von überall herkommen, und die man nicht alle +abwehren kann, keinen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Es erliegt der +geschlechtlichen Erregung. Der gesunde Körper, der Mark und Saft hat, +bleibt eher im Gleichgewicht. Alles Gesunde ist in sich ruhig.</p> + +<p>Was gehört zur gesunden Lebensführung?</p> + +<p>Nichts weiter, als die einfache Befolgung der Naturgesetze, die sich für +den Menschen aus der vergleichenden Naturbeobachtung ergeben. Ein +gesunder Gebrauch der Kräfte und Organe, damit sie in ruhiger, +gleichmäßiger Anstrengung erstarken.</p> + +<p>Aus Atmung, Ernährung, Muskelarbeit und Ausscheidung setzt sich das +körperliche Leben zusammen.</p> + +<p>Atme planmäßig, tief und ergiebig. Besser, als du es bisher getan, und +gründlicher, als es die meisten Menschen tun. Atmung ist Leben. Die +Atmung ist die dynamische, das heißt die Antriebskraft für den ganzen +Organismus. Von hier aus gehen die feinen Schwingungen, die überall die +Organe zur Tätigkeit anregen. Der Atem ist Stoffwechsel. Denn wir +entnehmen der Luft den belebenden Sauerstoff, das Brennmaterial des +Lebens, und befreien im Ausatmen den Körper von der giftigen +Kohlensäure. Die Kohlensäure ist ein lähmendes Gift, das, wenn es +zurückgehalten wird, den Körper erschlafft, den Aufbau in den Geweben +hemmt, den Geist träge macht und durch all dies der Geschlechtserregung +die Tore öffnet. Tiefes Atmen, namentlich energisches Ausatmen, befreit +den Körper von der Kohlensäure.</p> + +<p>Darum atme grundsätzlich dreimal jeden Tag etwa 10 bis 15 Minuten lang +tief und ergiebig ein und aus. Etwa morgens gleich nach dem Erwachen, +mittags vor dem Essen und abends vor dem Schlafengehen. Nimm dabei eine +aufrechte Haltung mit zurückgebogenen Schultern an, und wenn du glaubst, +gut ausgeatmet zu haben, dann versuche zum Schlusse noch – ohne neuen +<span class="pagenum"><a id="page37"></a>[Seite 37]</span> Atem zu nehmen – den Buchstaben <span class="antiqua">e</span> langsam singend +herauszupressen, solange du kannst, dann wird der letzte Rest +verbrauchter Luft aus der Lunge entfernt sein, und du kannst die +wundersame Saugkraft deiner Lungen wieder in einem nun um so tieferen +Atemzug bewundern.</p> + +<p>Du wirst mir für diesen Rat dankbar sein, wenn du erkennst, welche +Wunder solch ein tiefes, planmäßiges und vor allen Dingen tägliches +Atmen an Körper und Geist zuwege bringt.</p> + +<p>Die zweite – und sicherlich die wichtigste – Forderung liegt in der +Ernährung.</p> + +<p>Die Nahrung soll den Körper aufbauen, ihm seine Wohlgestalt und die +Kraft zur Arbeit geben.</p> + +<p>Als die erzeugende Substanz der Kraft gilt das Eiweiß. Und weil davon +das Fleisch besonders viel enthält, so ist seit langem in der +Wissenschaft, und von da aus in den allgemeinen Anschauungen, der Satz +feststehend, daß Fleisch = Kraft sei. Die praktische Folge davon ist, +daß alle Welt gern und viel Fleisch ißt. Je mehr das Volk in seiner +Gesamtheit degeneriert, desto mehr sucht es durch Fleischnahrung seiner +sinkenden Kraft aufzuhelfen.</p> + +<p>Das ist verständlich, so groß auch wohl der Irrtum ist. Und die +Vegetarier, das sind die ohne Fleisch und nur von Pflanzenkost lebenden +Menschen, haben durch glänzende Siege bei sportlichen und gymnastischen +Veranstaltungen längst jenen alten Satz der Medizin widerlegt. Unter den +Siegern bei solchen Veranstaltungen sind die meisten Vegetarier.</p> + +<p>Jedes Nahrungsmittel hat seine ganz bestimmte chemische Zusammensetzung, +und jeder von diesen chemischen Stoffen hat eine besondere Wirkung auf +den Körper und damit auch auf den Geist. Sie können nun so wirken, daß +sie die Blutbeschaffenheit beeinflussen, oder so, daß sie direkt das +Nervensystem erregen, und schließlich so, daß sie bei der Ausscheidung +ihrer Stoffwechselreste durch die Nieren <em class="gesperrt">reflektorisch</em> erregen, +d. h. erst die Schleimhäute der Harnwege und von diesen aus die +Geschlechtsnerven erregen. In jedem Falle kann ein erregender Einfluß +auf die Geschlechtsempfindungen <span class="pagenum"><a id="page38"></a>[Seite 38]</span> zustande kommen, und das können +wir vom Fleisch mit Bestimmtheit behaupten.</p> + +<p>Es wäre mit dem Fleisch nicht gar so schlimm, wenn man nicht zwei +Übelstände nebeneinander sich ausbreiten sähe. Die Grenzlinie für eine +normale, ausreichende Ernährung hat sich längst verschoben, und die +Menge dessen, was viele Menschen essen, geht weit über das Maß des für +sie Zuträglichen hinaus. Namentlich wird zu viel Fleisch gegessen. +Andererseits fehlt aber das für eine solch starke Nahrungsmenge +notwendige Maß von Bewegung, zumal Fleischnahrung an und für sich träge +macht. So kommt also eine schädliche Wechselwirkung zustande.</p> + +<p>Die Pflanzenkost verlangt wegen ihres größeren Darmballastes mehr +körperliches Bewegen; aber sie befähigt dazu auch in weit höherem Maße, +denn Pflanzenkost macht den Körper frischer und beweglicher, den Geist +und den Willen frischer und mobiler. Pflanzenkost hält auch die +Darmtätigkeit rege, während starke Fleischnahrung nach einiger Zeit +Darmträgheit, also Verstopfung, im Gefolge hat. Dadurch entstehen +giftige Gase, die die Gewebe durchdringen und reizend und erregend auf +die Geschlechtsnerven einwirken. Das tut ja nun das Fleisch schon an und +für sich, und zwar durch Stoffe, die ohnehin in ihm enthalten sind, und +durch andere Stoffe, die durch den Vorgang des Schlachtens oder +denjenigen des Jagens in dem getöteten Tier erzeugt worden sind, und die +man schlechthin als „Angststoffe“ bezeichnen kann. Das Vorhandensein und +die Wirkung dieser Angststoffe ist durchaus keine Phantasie, sondern +eine durch nichts hinwegzudisputierende Tatsache. Jedem geistigen +Vorgang geht ein bestimmter Stoffwechselvorgang parallel. Spritzt man +den Angstschweiß eines gejagten Tieres einem anderen ins Blut, so kann +dasselbe sterben. Ja, das geängstete Tier kann ebenso wie der geängstete +Mensch am Herzschlag sterben. Das ist nur und ausschließlich die Wirkung +der freigewordenen giftigen Angststoffe.</p> + +<p>Es ist verständlich, daß diese im Fleisch enthaltenen, durch das Töten +vermehrten Stoffe auch auf den Menschen ihre reizende und erregende Wirkung +entfalten. Dieser Reiz ist, weil widernatürlich, <span class="pagenum"><a id="page39"></a>[Seite 39]</span> ein Überreiz, und +er wirkt überall da am stärksten, wo die Widerstandsfähigkeit am geringsten +ist. Wer zur Trägheit neigt, wird durch das Fleisch noch träger, wer +jähzornig ist, wird durch das Fleisch noch mehr gereizt, und so wird durch +das Fleisch auch die geschlechtliche Reizbarkeit gesteigert und die Onanie +gefördert. Der Fleischgenuß soll also auf das geringstmögliche Maß +herabgesetzt oder ganz ausgeschaltet werden.</p> + +<p>Es ist recht interessant, daß Kinder, die frühzeitig lebhaft nach +Fleisch verlangen, zu frühzeitigem geistigem und körperlichem Verfall +neigen, während andererseits Kinder, die sich dem Fleisch widersetzen, +eine kräftigere, ruhigere, überhaupt normalere Entwicklung nehmen.</p> + +<p>Besonderer Gunst erfreut sich ja das Wildbret (Hasen-, Rehbraten +u. dergl.). Und doch ist gerade von unserem Gegenstand aus vor dem Fleisch +des Wildes zu warnen. Denn abgesehen davon, daß das Wild vor dem Tode +gehetzt wurde, läßt man es meist vor der Zubereitung noch tage-, ja +wochenlang (drei Wochen!) „abhängen“, um einen bestimmten Geschmack zu +erzeugen, den man „<span class="antiqua">haut goût</span>“ nennt. Dieser Geschmack ist aber nur die +Folge eines Zerfall- (Verwesungs-) Vorganges, der bestimmte Zerfallsstoffe +freiwerden läßt, deren Geruch und Geschmack dem unverdorbenen Menschen +höchst widerlich sind, deren aufreizende Wirkung auf den Organismus +jedenfalls sehr stark ist und nicht in Frage gestellt werden kann. Denn +ausgesprochenermaßen ist das ja der Zweck des Wildbretgenusses.</p> + +<p>Noch vorsichtiger sollen alle diejenigen, die unter geschlechtlichen +Anfechtungen leiden, mit dem Genuß von Wurst sein. Abgesehen davon, daß +sie ein recht teures und an Nährwert dem Preise durchaus nicht +entsprechendes Nahrungsmittel ist, wird einigen und gerade den besseren +Sorten recht viel Gewürz (Pfeffer, Salz usw.) beigemengt, dessen Wirkung +auf die Geschlechtserregung durch alltägliche Beobachtung bewiesen wird.</p> + +<p>Viel Aufhebens wird ja in der Ernährung des Volkes von Fleischbrühe und +Fleischextrakt gemacht. Erstens herrscht darin die gedankenlose +Überlieferung und zweitens die suggestive <span class="pagenum"><a id="page40"></a>[Seite 40]</span> Macht der ungeheuren +Reklame, die für künstliche Fleischextrakte gemacht wird. Es muß gesagt +werden, daß der Gehalt an eigentlichen Nährstoffen bei der Fleischbrühe +nur sehr, sehr gering ist, und man die anregende Wirkung nur jenen +Auszugsstoffen zuschreiben muß, über deren reizende und erregende Rolle +wir schon sprachen. Wenn die Fleischbrühe hier und da im medizinischen +Sinne als Reizmittel Verwendung findet, so hat das seine Gründe. Als +Nahrung aber ist die „Bouillon“ nicht das, was man von ihr hält. Sie +gehört mit zu jenen inneren Geschlechtsreizen, die um so gefährlicher +werden, je weniger man sie in ihrem Wesen kennt, je häufiger und +gedankenloser man sie also verwendet. Wer über seine Sinne wachen muß, +der darf sich nicht am guten Willen genügen lassen, sondern muß jene oft +handgreiflichen Triebkräfte seiner sinnlichen Erregbarkeit abstellen, +damit nicht der Geist den Kampf gegen das – „Fleisch“ im doppelten +Sinne zu führen hat.</p> + +<p>Auch andere Nahrungsmittel gibt es, die in diesem Sinne keineswegs +unbedenklich sind. Ich nenne vor allem die Eier. Sie scheinen die +Samenerzeugung zu steigern, haben aber besonders eine Wirkung auf den +Blutdruck. Hoher Blutdruck drängt gewissermaßen zur geschlechtlichen +Entspannung, durch die er herabgesetzt wird, weshalb alles, was ihn +steigert, vermieden werden sollte. Das chemische Medium dabei sind die +Alkaloide, die als „Harnsäure“ eine nach verschiedenen Richtungen hin +krankmachende Wirkung entfalten. Sie sind aber auch im Kaffee und im Tee +enthalten, weshalb diese Getränke jedenfalls nicht gewohnheitsmäßig und +nicht in starkem Aufguß genossen werden sollten. Ein schwacher Tee ist +weitaus besser als der übliche Kaffee, der bei den meisten Menschen ganz +bedenklich die Magenarbeit stört, die Nerven erregt und bei jungen +Menschen recht geeignet ist, sinnliche Bilder in die Phantasie +hineinzuspiegeln.</p> + +<p>Gewürze sind über ein gewisses Maß hinaus zu verwerfen. Denn als +Fremdstoff üben sie eine reizende Wirkung auf die Geschlechtsnerven aus. +Werden die Nahrungsmittel, besonders die Salate und Gemüse, richtig +zubereitet, so verlangen sie nicht einmal <span class="pagenum"><a id="page41"></a>[Seite 41]</span> so viele Gewürze, +aber gerade weil man in der Ernährung den Boden des Einfach-Notwendigen +verlassen und sich oft zur sogenannten „Delikatesse“, zur +Feinschmeckerei, zur Raffiniertheit verstiegen hat, hat man den +Geschmack an einfachen und natürlichen Nahrungsmitteln verloren und das +Nervensystem in einen beständigen Aufruhr, in eine „Süchtigkeit“ +versetzt, die heftig das verlangt, an das es gewöhnt wurde, wenn es auch +falsch war. An diesem Aufruhr ist das Geschlechtsempfinden beteiligt. Es +wird aus der gesunden Ruhe aufgescheucht, zu krankhafter Erregung +getrieben, und es wäre recht gut und förderlich, wenn alle die jungen +Menschen, die in heißem Ringen um ihre sittliche Würde immer wieder der +geschlechtlichen Anfechtung verfallen, ganz sorgfältig die Nahrung +prüfen würden, damit die inneren Geschlechtsreize unterbunden werden, +bevor man den sittlichen Willen in den Kampf schickt.</p> + +<p>Man darf behaupten, daß eine vegetarische Diät weit mehr den natürlichen +Lebensgesetzen des menschlichen Organismus angepaßt und darum nach jeder +Richtung hin geeignet ist, Unruhe und Krankheit aus dem Körper zu +beseitigen und normale, ruhige, gesunde Verhältnisse wiederherzustellen. +Dem menschlichen Geschlechtsleben ist der starke Fleischgenuß +verderblich gewesen, und eine Rückkehr zu einfacher Pflanzennahrung wird +wieder gesunde Ruhe und ruhige Kraft bringen.</p> + +<p>Kennst du so die gefährliche Wirkung der mit der Nahrung eingeführten +Reizstoffe, so mußt du auch daran denken, daß die Resterzeugnisse des +Verdauungs-, Assimilations- und Stoffwechselvorganges gerade wegen ihres +Zerfallscharakters auch nichts anderes als schädliche Reizstoffe sind. +Sie müssen den Körper sobald wie möglich verlassen. Nur dann, wenn es +geschieht, kann man von einem gesunden Stoffwechsel sprechen. Es +geschieht aber nicht immer, und die Zahl der Menschen ist Legion, die an +Darmträgheit oder Verstopfung leiden.</p> + +<p>Über die Ursachen dieses Übels sprachen wir schon. Zu viel Fleischkost +und zu wenig Bewegung, also nervöse und Muskelerschlaffung. Später wird +die Darmerschlaffung eine Folge des <span class="pagenum"><a id="page42"></a>[Seite 42]</span> geschlechtlichen +Mißbrauches in der Jugend. Mit diesen Ursachen kennen wir zugleich auch +die Mittel zur Beseitigung. Notwendig ist diese; denn der gefüllte Darm +übt rein mechanisch einen Druck aus, der sich in Geschlechtserregung +auslöst. Grobes Brot (Schrot-, Graham-, Simons- oder Molkenbrot), +Gemüse, Salate und reichlich Obst führen in den meisten Fällen eine gute +Darmtätigkeit herbei.</p> + +<p>Auch die gefüllte Blase steigert auf reflektorischem Wege den +Geschlechtsreiz, und namentlich junge Männer haben am Morgen beim +Erwachen meist Gliederregungen, die mit dem Harndrang zusammenhängen. +Ist die Harnblase entleert, so ist meist auch die Erregung verschwunden. +Im Hinblick darauf sollten junge Männer es vermeiden, am Abend viel zu +trinken. Das Trinken ist ja schon an sich sinnlos, aber für die +Zurückdrängung der Sinnlichkeit besonders zu beachten.</p> + +<p>Den alkoholischen Getränken gegenüber entschließest du dich am besten zu +vollkommener Enthaltsamkeit. Bier, Wein, Schnaps, Liköre und dergleichen +haben keinen Wert als Nahrungsmittel und werden darin von den +allereinfachsten Dingen wie Milch, Brot, Käse, Obst und Obstsäften +übertroffen. Als Reizmittel aber sind sie dem Nervensystem verderblich, +dem Geschlechtstrieb gefährlich, und darum ist es sinnlos, sie zu +trinken. Im Kampf mit dem Geschlechtstrieb muß man solche gefährlichen +Gegner, wie den Alkohol, zu allererst verscheuchen.</p> + +<p>Ich will an dieser Stelle einiges über das Bett sagen; denn auf sein +Schuldkonto ist manches von den sinnlichen Verirrungen zu setzen. Mit +zunehmender Kultur wurden Unter- und Oberbett und auch die Kissen immer +weicher, schmiegsamer. Dadurch wird die Berührung dieser Dinge mit dem +Körper inniger, und das ist angesichts der großen Empfindsamkeit der +äußeren Nerven nicht unbedenklich. Es entsteht unter den Federbetten +eine Wärmestauung, und Wärme steigert überall das Empfinden. Wenn nun +aus gesteigerter Wärme und äußeren Tastreizen sinnliche Träume +entstehen, so geschieht es leicht, daß die Hände die geschlechtlichen +Organe berühren und eine Geschlechtserregung <span class="pagenum"><a id="page43"></a>[Seite 43]</span> unbewußt im +Schlafe oder auch bewußt herbeiführen. Mancher junge Mensch wacht +plötzlich vom Schlafe auf in einem Augenblicke, wo der onanistische Akt +ganz oder teilweise vollführt ist.</p> + +<p>Diese Gefahr ist ganz besonders groß morgens kurz vor oder nach dem +Erwachen, wo die gefüllte Harnblase eine Erregung verursacht und die +Bettwärme sinnliche Bilder entstehen läßt. Am Morgen ist namentlich bei +nervösen oder sonstwie leidenden Menschen die allgemeine Kraft und +besonders die Willenskraft noch gering. Beide wachsen erst an den +Arbeitspflichten des Tages. In dem Träumen und Hindämmern im Bett nach +dem Erwachen liegt etwas riesig Gefährliches, und es hat wohl schon +ungezählte Tausende von jungen Menschen ihrem guten Vorsatz entfremdet.</p> + +<p>Es gilt hier, wie in so vielen Gefahren des Lebens, der Satz. +„<span class="antiqua">Principiis obsta</span>“. Widerstehe dem Anfang! Wenn du erwachst, so +erhebe dich mit einem mannhaften Entschluß! Stehe frisch entschlossen auf, +kleide dich an, bewege dich und beginne zu arbeiten. Gib dich nicht +eine Sekunde dem sinnlichen Hindämmern hin. Es ist immer ein Ringen +zwischen Trieb und Wille. Je mehr du den sinnlichen Trieb träumend +ansteigen lässest, desto schwächer wird dein Wille, bis er schließlich +ganz unterliegt. Mache es dir vor allem zum <em class="gesperrt">eisernen Grundsatz</em>, die +Geschlechtsorgane nur dann zu berühren, wenn die Notdurft des Leibes +es verlangt, <em class="gesperrt">sonst unter keinen Umständen</em>. Jenes Spielen, das die +angenehme leichte Erregung herbeiführt, ist wie ein Zunder in einem +Explosionsstoff. Du willst nicht die Explosion, aber es glüht und +glüht, bis mit einem Male dein Wille und dein moralischer Widerstand +zusammenbrechen unter der angetriebenen Sinnlichkeit, und es – wieder +einmal geschehen ist. <span class="antiqua">Principiis obsta!</span> Widerstehe dem Anfang!</p> + +<p>Auch Krankheitserscheinungen mancherlei Art gibt es, die +geschlechtsreizend wirken. Von den schweren Leiden, wie +Lungenschwindsucht, mit ihrer oft verzehrend-fieberhaften Sinnlichkeit, +will ich nicht sprechen. Wohl aber von örtlichen Störungen in der +Geschlechtsgegend, die von einem mehr oder weniger heftigen <span class="pagenum"><a id="page44"></a>[Seite 44]</span> +Juckreiz gefolgt sind. Entweder finden sich dann Darmparasiten, +Eingeweidewürmer mancherlei Art, oder es handelt sich um Hautmilben oder +Hautleiden, welch letztere von Blasen-, Knötchen- oder Borkenbildung +gefolgt sind und ein oft fürchterliches Jucken und Kratzen veranlassen. +Wohl immer sind dies Folgen von Unsauberkeit, und der wohlmeinende +Hygieniker hat ernstlich darüber Klage zu führen, daß die wohltätige und +gesundheitswichtige Gewohnheit des Badens noch nicht genügend weit im +Volke verbreitet ist. Auf ein einmaliges Bad in der Woche bildet man +sich schon mancherlei ein. Aber für junge Menschen, die über +geschlechtliche Anfechtungen klagen und sich von der Onanie befreien +oder freihalten wollen, genügt das keineswegs. Sie sollten die gar zu +warmen Bäder meiden und allabendlich eine Waschung des gesamten +Unterleibes einschließlich der Oberschenkel und des unteren Rückens mit +kühlem Wasser machen und könnten, wenn die sinnliche Erregung nur schwer +zu bändigen ist, diesem Wasser etwa ein Fünftel Kampferspiritus +beimengen; das kühlt und beruhigt. Namentlich ist es dem jungen Manne +ratsam, den vorderen Teil des Gliedes, die Eichel, öfter durch +Zurückziehen der Vorhaut freizulegen und kühl abzuwaschen. Dadurch +entfernt man jenen Ausscheidungsstoff, der sich hier festsetzt und die +Geschlechtsnerven reizt.</p> + +<p>Die kluge Gewohnheit des Badens wird an Wert und gesundheitlicher +Bedeutung noch übertroffen durch das Luftbad. Es schließt eine +natürliche Form des Lebens in sich und bringt viel Kraftsteigerung für +das Nervensystem. Es gehen viele ins Luftbad, die krank sind und sich +von ihren Leiden befreien wollen. Aber klüger ist es wohl, schon – ehe +man krank geworden – einen Teil der Jugendjahre im Luftbade +zuzubringen, um im kräftigenden Reiz der atmosphärischen Luft, im freien +Lauf und im frisch-fröhlichen Spiel die sinnliche Lust einzudämmen und +umzuwandeln in Spannkraft des Körpers und des Geistes. Die sitzende +Lebensweise in den Schulen, Bureaus, Werkstätten und Fabriken führt zu +einer Stockung des Blutes und der Säfte in den inneren Organen und zur +Erschlaffung der Muskeln und <span class="pagenum"><a id="page45"></a>[Seite 45]</span> der äußeren Haut; das häufige +Luftbaden schafft gründliche Änderung darin und bringt, namentlich wenn +es grundsätzlich auch im Winter im Freien genommen wird, mit der +Abhärtung zugleich auch einen frischen offenen Sinn, der es für +verderblich und unmännlich halten muß, sich schlaffen, sinnlichen +Träumereien hinzugeben.</p> + +<p>Um im Luft- und Sonnenbade ganz richtig zu handeln, dir nicht zu +schaden, lies mein Buch „Die Heilkraft des Luft- und Sonnenbades. +Rationelle Körperpflege durch Luft, Licht und Wasser“<a name="FNanchor_A_3" id="FNanchor_A_3"></a><a href="#Footnote_A_3" class="fnanchor">[3]</a>. Du findest +darin eine ganz eingehende Darstellung dieses vornehmsten +Gesundheitsmittels und genaue Anweisungen für dein Verhalten.</p> + +<p>Da, lieber Leser, sind wir überhaupt bei der Frage der Muskelarbeit +angelangt, und damit bei einer Frage von so großer Wichtigkeit, daß wir +darüber noch einiges sagen müssen.</p> + +<p>Das Leben ist eine wunderbare Einheit, und tief im Innern des +Organismus, im Chemismus der Gewebe, werden in geheimnisvoller Weise die +Kräfte frei, die das Leben zur Entfaltung bringen. Im ewigen Kampf ums +Dasein empfing jedes Lebewesen, empfing auch der Mensch seine ganz +bestimmte Form, seine körperliche und geistige Organisation. Der Kampf +ums Dasein zog die Kräfte bald hierhin, bald dorthin und hat vor allen +Dingen in der Notwendigkeit der Körperarbeit und der körperlichen +Anstrengungen die Muskeln stark und leistungsfähig gemacht.</p> + +<p>Mit einem Male wurde die Muskelarbeit zurückgedrängt. Durch die +Entfaltung der Technik, der Industrie, der Wissenschaften, wurden immer +mehr geistige Kräfte verlangt, während die Körperkraft im Kampf ums +Dasein von Tag zu Tag mehr ihre Bedeutung verliert.</p> + +<p>Namentlich der Jugend aber, die ihres raschen Wachstums und +Stoffwechsels wegen und ihrer ganzen Anlage nach zu körperlicher +Bewegung drängt und darauf angewiesen ist, wenn <span class="pagenum"><a id="page46"></a>[Seite 46]</span> sie sich normal +entwickeln soll, ist das viele Stillsitzen gefährlich geworden. Die frei +werdenden Kräfte finden keine Verwendung, keinen Ausweg. Würden sie in +Körperarbeit verwendet, so würde sich der Körper dabei aufbauen, würde +die gelösten Stoffe sich selber als dauernden Besitz anbauen, würde +stark und kräftig werden. So aber suchen sich die herrenlosen Kräfte +einen Ausweg und werfen sich auf den Geschlechtssinn, den sie erregen +und steigern und zur Entladung drängen. So ist vielfach die Onanie eine +Entladung von Kräften. Aber diese Kräfte werden dem körperlichen und +geistigen Dauerbau entzogen, und statt daß sie in ihrer stetigen +Verwertung den Organismus stark machen sollen, führen sie nun ein +Anwachsen, eine Züchtung des Geschlechtstriebes herbei. So verstehen wir +es, daß eine starke Geschlechtsbetätigung eine verhehrende Wirkung auf +Körper und Geist hat.</p> + +<p>Ja, gerade die in der Gegenwart so beliebt gewordene Methode der frühen +geistigen Erziehung der Kinder fördert ihre sinnliche Entwicklung +maßlos. Die Freude der Mutter über die regen geistigen Interessen ihrer +Lieblinge ist verderbliche Naivität; denn die geistige Regsamkeit ist +nervöse Entwicklung. Diese unsinnige Erziehung: geistiger Drill bei +körperlicher Trägheit! Unaufhaltsam werden die Kinder der +Geschlechtserregung zugetrieben. Die Eltern sind blind, sehen nichts und +lassen zwischen ihren Kindern oder zwischen den Kindern und den +Dienstboten Dinge geschehen, über die sie entsetzt sein würden, wenn sie +nur ein einziges Mal Augen- oder Ohrenzeugen wären. Und dabei sind es +oft Väter und Mütter, die mit größtem Ernst, mit sittlichen und +religiösen Mitteln ihre Kinder erziehen wollen und doch sie verderben.</p> + +<p>Nichts ist notwendiger in unserer Zeit, als diesen Kräftestrom wieder in +sein natürliches Bett zurückzulenken, die natürlichen Lebensbedingungen +wiederherzustellen, körperlich zu arbeiten. Oder, wo das nicht ausgiebig +möglich ist, Sport und Gymnastik zu betreiben. Der gesunde Instinkt der +Jugend hat das überall erkannt. Und überall in Deutschland begegnet man +jetzt den <span class="pagenum"><a id="page47"></a>[Seite 47]</span> Wandervögeln, den Pfadfindertrupps, sieht man +Tennisspiel, Fuß- und Faustball u. a., gibt es Turn- und Sportvereine, +Sommer- und Wintersport, Berg- und Wassersport. So ist es recht, und +niemand sollte sich davon ausschließen. Ein junger Mensch, der immer zu +Hause sitzt und nicht da draußen seine Kräfte übt, seine Lungen weitet, +hat keine rechte Jugend gekannt. Und daß gerade die blassen Stillsitzer +unter den Onanisten so häufig zu finden sind, beweist die Gefahren der +körperlichen Untätigkeit. Die Wandervögel, die Pfadfinder sind an Zahl +gewachsen. Aber zehnmal, hundertmal so viel müßten es sein. Ein +nationales Erwachen müßte durch das Volk, müßte vor allem durch die +Jugend gehen, daß wir mehr von den Büchern und der blassen +Stubenhockerei und dem verdammten Kneipen-, Sauf- und Lumpenleben +loskommen. Das deutsche Volk wurde vor dem Kriege leider immer reicher +an Theoretikern, Maulhelden und Schlafmützen und an jenen ästhetischen, +saftlosen Dekadenten, die elegant und blasiert im Café saßen, über Gott +und die Welt räsonnierten und überlegen philosophierten, aber selber im +Leben nirgendwo einen rechten Platz ausfüllten, sondern nur die Scheu +vor der Arbeit allerorten großzogen. Diese schlaffen Kerle kriegen nur +Spannung, wenn das Erotische ihr Auge oder ihr Ohr trifft, wenn „die +Weiber“ das Gesprächsthema bilden. Alles andere vermag ihre ausgelaugte +Intelligenz nicht mehr hervorzulocken.</p> + +<p>Laß dir dies kühl blasierte Gesicht nicht imponieren! Wer zuletzt lacht, +lacht am besten. Laß dir daran gelegen sein, einen kräftigen, gesunden, +elastischen Körper zu gewinnen, den diese „moderne“ Schlaffheit und +Moralfaulheit nicht überwinden kann. Sparst du die Geschlechtskraft, so +lenkst du sie um in alle Organe deines Körpers und baust dir aus dem +geheimnisvollen Lebensstoff ein Leben, das im Alter die Klugheit deiner +Jugend segnet.</p> + +<p>Es ist wahrlich keine Schwarzseherei, wenn ich darauf hinweise, daß auch +das Turnen in mancherlei Hinsicht Gefahren in sich trägt. Die +Geschlechtsorgane sind bei vielen, namentlich bei den nervös veranlagten +jungen Menschen leicht reizbar. <span class="pagenum"><a id="page48"></a>[Seite 48]</span> Darum ist es geraten, zum +Beispiel beim Klettern an Stangen und Tauen Reibungen der sexuellen +Organe zu vermeiden. Wo eine Gefahr besteht, kann man nicht genug auf +der Hut sein. In den Schulen und beim Militär wird ja auch auf einen +korrekten Kletterschluß geachtet.</p> + +<p>Vorzügliche Beachtung verdient neben den Wanderungen, die den Körper +stärken und den Geist zugleich ablenken und ausfüllen, das <em class="gesperrt">Schwimmen</em>. +Junge Menschen, deren sinnlicher Trieb sich in den Vordergrund drängt, +sollten fleißig das Schwimmen üben; denn es behebt die Blutfülle in den +Unterleibsorganen, die oft die unmittelbare Ursache der geschlechtlichen +Erregungen ist. Auch werden die sinnlichen Vorstellungen und Träume, die +aus solchen Blutstauungen entstehen, durch das Schwimmbad energisch +beseitigt und durch den niederschlagenden Kältereiz stets auf einige +Zeit zurückgehalten. Ich empfehle aber rasches Auskleiden, energisches +Hineingehen ins Wasser und schnelles Wiederankleiden. Nichts aber ist +nach allen Seiten hin von so großem Werte wie das tüchtige <em class="gesperrt">Luftbaden</em>. +Es vereinigt viele Faktoren der Gesundheitspflege und Nervenstählung in +sich und stellt die kraftvollste und unmittelbarste Verwirklichung jenes +„Zurück zur Natur“ dar, das seit Rousseau immer lebendiger in die +allgemeinen Lebensanschauungen hineingetreten ist. Zeitweilig und +regelmäßig sich im Freien, in abgeschlossenen Luftbädern oder im +einsamen Wald, der Kleider zu entledigen und den nackten Körper bei +guter und schlechter Witterung der Luft auszusetzen, das ist eine +Klugheit und eine Wohltat zugleich. Ein Kraftzuwachs ist der Gewinn +dieser Klugheit. Und wenn das Luftbad mit tüchtiger Bewegung, Laufen, +Springen, Turnen oder – wo es geht – mit Schwimmen verbunden wird, +dann verscheucht es sicherlich alle die wirren sinnlichen Phantasien, +unter denen der blasse Stubenhocker leidet. Der gewaltige Bewegungsdrang +der Jugend will und muß entladen werden, denn dieser Bewegungsdrang ist +ja eben Jugend, und in seiner Betätigung liegt das Geheimnis des +Wachstums, der Erstarkung. Wird alles Körperliche, Spiel, <span class="pagenum"><a id="page49"></a>[Seite 49]</span> +Sport, Gymnastik, Schwimmen, Luftbad, Turnen, unterbunden, und zwingen +Elternhaus und Schule zur Stillsitzerei hinter den Büchern, dann stauen +sich die Jugendkräfte und entladen sich da, wo krankhafte Reizbarkeit +ihnen ein Tor öffnet, in der Geschlechtssphäre. Wenn so die drängenden, +jugendaufbauenden, lebengestaltenden Kräfte in der Onanie einen Ausweg +gefunden haben, dann verlangt der erschöpfte Organismus nicht mehr nach +körperlicher Kraftentladung. Dem erschlafften Körper ist das Stillsitzen +ein Bedürfnis, eine Wohltat, und aus dem Onanisten entwickelt sich oft +in der Schule der blasse, folgsame Streber, der der Stolz des Lehrers +ist und den doch das Leben später, wenn er nicht mehr so recht +vorwärtskommt, darüber belehrt, daß nicht allein geduldiges Sitzen, +sondern Entschlußkraft, Mark und Saft dazu gehören, ein Ziel zu +erreichen. Dies sind aber Werte, die durch geschlechtliche Reinheit in +der Jugend gewonnen werden.</p> + +<p>Besser noch und richtiger als alles, wovon ich oben sprach, besser als +Sport, ist die Arbeit, die rauhe körperliche Arbeit. Der Sport hat noch +kein Volk groß gemacht, sondern die Arbeit, die harte, rauhe +Notwendigkeit. Denn Sport verleitet überall zu Rekordleistungen, zu +Übertreibungen, zu Fexerei und – Schwindel. Der Sport läßt hier und da +nichts mehr von seinem inneren Werte merken und ist zum Schaustück, zur +Unterhaltung, zum Nervenkitzel geworden. Das beweisen – die Wetten und +der Totalisator. Die Sucht nach wahnsinnigen Gipfelleistungen ist eine +Erscheinung der Neurasthenie eines ganzen Volkes. Schlaffe Nerven +antworten nur auf starke Reize.</p> + +<p>Der Sport ist sicherlich die notwendige und wohltätige Reaktion gegen +Schul- und Schreibstuben- und Fabrikarbeit. Aber der Sportmatador hat +viel zu sehr die bewundernden Blicke auf sich gezogen und den Sinn +abgelenkt von der körperlichen Arbeit, die greifbare Werte schafft. Geh +aufs Land hinaus und sieh die Arbeit der Bauern. Sie bestellen den +Acker, und von den Erzeugnissen ihrer Arbeit, von Kartoffeln, +Kornfrucht, Grünzeug, Obst und Viehzucht nährt sich das ganze Volk. Ist +das nicht wertvoller als sechs Tage lang wie ein Besessener im Kreis +<span class="pagenum"><a id="page50"></a>[Seite 50]</span> herumzuradeln und klüger noch, als bei diesem Unsinn zuzusehen?</p> + +<p>Aber im Frühjahr und namentlich im Herbst ist auf dem Lande Leutenot. +Haben wir Deutschen nicht genug Hände zum Arbeiten? Ei, jawohl! Aber sie +stecken in den Hosentaschen und sind – manikürt. Und während der Bauer +am Abend sorgend den drohenden Himmel betrachtet und vor Sonnenaufgang +aufsteht, um in harter Arbeit, mit Frau und Kindern und mit den wenigen +Kräften, die er bekommen kann, den Reichtum seiner Fluren in den +Scheunen zu bergen, sitzen in der Stadt Tausende im Kaffeehaus, spielen +sie Tennis- und Fußball und tragen in sich den glückseligen Gedanken von +der „Gesundheit des Sports“.</p> + +<p>Ja, gewiß ist er gesund! Aber ließe sich nicht ein weniges von all der +spielenden Kraft in Ernst, in Arbeit umwandeln? Sollen wir geschlagenen +Deutschen nicht eine ganz neue Zukunft bauen? Könnten nicht die jungen +Burschen, die Sportklubs, die Wandervögel und Pfadfinder, zum mindesten +in den Ferien, einmal zu den Bauern hinauswandern, um zu arbeiten? Muß +man immer spielen? Und vielleicht nur deshalb spielen, weil zu jedem +Sport auch gleich ein „schickes“ Kostüm erdacht wird? Ja, die +kostümlich-dekorative Marke verdrängt oft sehr aufdringlich die innere +Kraft der Sache. Die Arbeit auf dem Lande wäre für die jungen Burschen +aller Stände nicht nur gesundheitlich förderlich, sondern auch ein +kräftiger Faktor ihrer sozialen Erziehung.</p> + +<p>Das deutsche Volk war vor dem Kriege auf jener Stufe der Degeneration +angelangt, wo in einem letzten Aufflackern der Körperkraft der Gedanke +an die Arbeit im Sport ästhetisch kultiviert wurde. Alle Welt litt und +erkrankte an der körperlichen Untätigkeit und der geistigen und nervösen +Überreizung. Alle Welt schaffte sich nicht Hunger und Verdauungskraft in +der Arbeit, sondern hatte die Mahlzeiten zu einer Haupt- und +Staatsaktion erhoben und litt am zu vielen Essen. Das Geschlechtliche +war das Ventil, aus dem die krankhafte Spannung entwich, und der +geschlechtliche Mißbrauch folgte der körperlichen Untätigkeit und der +Unmäßigkeit des Essens und Trinkens auf <span class="pagenum"><a id="page51"></a>[Seite 51]</span> dem Fuße. Aber das ging +an die Nervenkraft, und alle Welt ging in die Sanatorien, um – die Zeit +weiter totzuschlagen. Das große Heilmittel für die Neurastheniker und +die anderen Leidenden, die Körperarbeit, wollte niemand versuchen. Hatte +der Arzt eine Überzeugung, so mußte er sie für sich behalten, sonst +kostete sie ihn die Kundschaft. Nur wenigen gelang es, sich dem großen +Humbug mit Erfolg entgegenzustemmen. Nun hat der Krieg uns aus dem +Hindämmern aufgeschreckt, uns den Abgrund gezeigt, an dem wir +hintaumelten. Nun soll ernste, strenge, harte Arbeit uns einen ganz +neuen Weg führen.</p> + +<p>Aus Arbeit und rauhen Notwendigkeiten entstieg die Kraft und erblühte +das Leben in tausend Schönheiten. Nun war die Kraft im Schwinden, und +ihre Wiedergeburt, die Regeneration, muß auch erst wieder durch die +rauhe Notwendigkeit der Arbeit, durch Einfachheit, durch Körperstählung +und durch geschlechtliche Reinheit hindurchgehen.</p> + +<p>Die Menschen haben sich an den Anblick der körperlichen und seelischen +Leiden und an das häufige und allgemeine Schmerzgefühl so sehr gewöhnt, +daß sie glauben, Schmerz und Krankheit lägen in der Natur der Dinge und +seien unvermeidliches und unabwendbares Schicksal. Darum ertragen viele +ihre Leiden in gedankenloser Ergebenheit oder führen Klage über ihr +persönliches Unglück. Die heftigen, impulsiven Naturen murren auch wohl +gegen das „Schicksal“. Die wenigsten nur sind es, die bei sich selbst +nach den Ursachen spähen und – durch Erkenntnis klug geworden – in +vorsichtigerer Lebensführung alle die allgemeinen Übel vermeiden.</p> + +<p>Von nichts aber dürfen wir mehr überzeugt sein als davon, daß bei +vernünftiger Lebensführung Krankheiten ganz außerhalb der Lebensgesetze +des menschlichen Organismus liegen. Haben wir nur ein klein wenig +natürlich denken gelernt, so müssen wir erkennen, daß die Natur +Gesundheit und Glück gewollt hat, und die Irrtümer und Fehler des Lebens +dem Einzelmenschen schaden und von ihm aus die Gesamtheit angreifen.</p> + +<p>Die Verletzung der Naturgesetze – im Geschlechtsleben mehr <span class="pagenum"><a id="page52"></a>[Seite 52]</span> als +anderswo – verwirrt die Wege der Kraft, der Schönheit und des Glückes, +die den Menschen von der Natur gewiesen sind, und bringt Krankheit, +Schwäche und Tod. Wir Menschen von heute aber haben etwas, was niemand +je vorher besaß, die klare Erkenntnis von den wahren und eigentlichen +Ursachen des Verfalls. Wir sehen mit Entsetzen den Geschlechtsmißbrauch +die Kraft der Menschen und der Völker zerstören und sammeln alle Kräfte, +um dieser zerstörenden Gewalt zu begegnen. Die klare Erkenntnis hat uns +Hoffnung, Mut und Wille gegeben, und das Leben, das vor uns liegt, steht +im Zeichen einer neuen Zeit, in der in einem gesunden Körper wieder eine +gesunde Seele lebt.</p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page53"></a>[Seite 53]</span> <a id="img009" name="img009"></a> +<img src="images/img009.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2><span class="ftsize90"><em class="gesperrt">Zweiter Teil.</em></span><br/> +Der junge Mann und das Weibliche.<br/> + <br/> +<span class="ftsize90">Rätsel und Irrtümer der Liebe.</span></h2> + +<p class="dropc ralign1 ftsize75">„Errötend folgt er ihren Spuren<br/> +Und ist von ihrem Gruß beglückt.<br/> +Das Schönste sucht er auf den Fluren,<br/> +Womit er seine Liebe schmückt.“</p> +<p class="marbot4"> </p> +<p class="ralign1 ftsize75">Schiller.</p> +<p class="marbot4"> </p> + + +<div class="floatleft"> +<a id="img010" name="img010"></a> +<img src="images/img010.jpg" width="50" height="51" alt="Dropcap3"/> +</div> +<p class="dropc">ie alten Griechen hatten einen Gott, den sie Janus nannten, und den sie +sich mit zwei Köpfen dachten. Wollten wir Menschen die Liebe darstellen, +wahrlich, auch sie hätte einen Januskopf; denn kein Empfinden gibt's im +Leben, das so sehr Glück und Leid, Jubel und Tränen, Freude und Trauer +umschließt, kein Empfinden, das mit so viel stürmenden Hoffnungen begann +und mit so viel bitterer Resignation endete. Heiße, große +Jugendsehnsucht auf dem einen Gesicht und begrabene und beweinte Wünsche +auf dem andern, das ist der Januskopf der Liebe.</p> + +<p>Aller Jammer, alles Elend, alle Krankheit entspringt dem Irrtum. In den +Geschlechtsirrtümern verlieren die Menschen ihre Kraft.</p> + + +<h3>1.<br/> +Das Erwachen der Liebe.</h3> + +<p>Um das 15., 16. oder 17. Jahr herum geschieht es, daß aus dem Knaben ein +junger Mann wird und der Körper alle jene bedeutsamen Veränderungen +erlebt, die vereint den Geschlechtscharakter bilden. Der Körper +entwickelt besondere Triebkraft im <span class="pagenum"><a id="page54"></a>[Seite 54]</span> Wachstum, und dieses rasche, +oft schußweise Wachsen im Knochenbau, dem die Muskelfülle nicht ganz zu +folgen vermag, gibt der Gestalt jene merkwürdige Eckigkeit und +Unbeholfenheit, die uns den jungen Mann in den „Flegeljahren“ oft so +lächerlich ungeschickt erscheinen lassen. Auf der Oberlippe erscheint +der erste Bartflaum, die sexuellen Organe entwickeln sich stärker; es +mehren sich die Schamhaare; die Stimme verliert den kindlichen Klang; +sie „bricht“ und gewinnt jenen dunklen, oft rauhen Timbre, aus dem man +den „Stimmbruch“ eine Zeitlang deutlich heraushört.</p> + +<p>Dieser ganzen äußeren Entwicklung, die einen ausgeprägt geschlechtlichen +Charakter trägt, entspricht auch eine innere Entwicklung. Denn das +geistige Leben wird beeinflußt und gespeist von jenen inneren +Absonderungen der Keimdrüsen, die in dieser Zeit lebhafter zu arbeiten +begonnen haben. Das Geschlechtsgefühl ist nun nicht mehr bloß allgemein +körperlich, sondern wird reicher an plastischen, geistigen +Vorstellungen. Denn in demselben Maße, in dem das eigentlich Männliche +sich in dem jungen Manne ausbildet und äußerlich und innerlich ausprägt, +stellt sich sein ganzer männlicher Organismus auf das Weibliche in +seiner Umgebung ein. Männlichkeit und Weiblichkeit bilden eben im +kosmischen Geschehen jene gewaltige Polarität, aus der das +weltenbewegende Wunder der Liebe entsteigt. Jeder Pol sucht seinen +Gegenpol, und alle die feinen und starken Ausstrahlungen der +Männlichkeit suchen und finden das Weibliche, das sie mit dem gleichen +Gesetz anziehen und sich zu verschmelzen trachten. So gewinnt das +Weibliche eine gewisse Herrschaft über das Männliche, das +sich – gebändigt durch unklare sinnliche Wünsche – dieser Herrschaft +gern beugt, ja sich manche „süße Tyrannei“ eines jungen Mädchens +gefallen läßt und aus Liebe und Ritterlichkeit zu jedem Dienst +und – jeder Torheit fähig ist.</p> + +<p>Das sind etwa so die Tanzstundenjahre. Eine kleine Welt für sich, deren +glückliches Hoffen nie wiederkehrt. Je stärker und unklarer diese +männliche Sehnsucht ist, desto verlegener und ungeschickter kann der +sonst ganz ruhige und sichere junge Mann <span class="pagenum"><a id="page55"></a>[Seite 55]</span> werden, wenn in der +Gesellschaft ein junges Mädchen all seinen stürmend-sehnsüchtigen +Gefühlen ein naheliegendes Ziel gibt. Dann ist es mit der Ruhe vorbei. +Er möchte den allerbesten Eindruck machen, die Ritterlichkeit in Person +sein, glaubt sich von allen Anwesenden beobachtet und möchte sich doch +um alles in der Welt vor seiner „Angebeteten“ keine gesellschaftliche +Blöße geben. Das geringste Mißgeschick bringt ihn in unglaubliche +Verwirrung. Er steckt das Tischtuch als Serviette ins Knopfloch, +schüttet der Dame die Suppe aufs Kleid, wirft einen Stuhl um und sucht +verzweifelt nach einem Gesprächsthema.</p> + +<p>Das Liebesspiel hat begonnen, und alle die grotesken Verlegenheiten sind +nur die grenzenlose Verwirrung, die das Weibliche anrichtet in der Seele +des jungen Mannes, dessen erwachte Geschlechtlichkeit sich in dieser +neuen Welt noch nicht zurechtzufinden weiß.</p> + +<p>Und dann ergreift das Weibliche immer mehr Besitz vom Denken und Fühlen +des jungen Mannes. Es schärft auf der Straße und in der Gesellschaft +seine Augen für Jugend und Schönheit, Grazie und Charme. Es dringt in +seine Träume ein, und während der gesunde, wohlerzogene junge Mann die +Schönheit dieser Jugendjahre nicht ihres idealen Gewandes entkleidet und +die Poesie der jungen Liebe nicht in der sexuellen Gier vernichtet, +kämpfen viele – und namentlich diejenigen, die den onanistischen +Geschlechtserregungen verfallen sind – mit sexuellen Vorstellungen. Und +während bei dem einen die ersten Regungen der Liebe zugleich seinen +männlichen Stolz und seine sittliche Selbstachtung wecken, und ihm die +Liebe zur Waffe gegen seine unreine Verirrung wird, gerät der andere +noch tiefer in die Gewalt des krankhaften Triebes.</p> + +<p>Hier findet der zügelnde Wille und die Klugheit einer gesunden +Lebensführung einen besonderen Boden, zumal es sich darum handelt, jene +nächtlichen automatischen Samenergüsse, die sogenannten Pollutionen, in +ihren physiologischen Grenzen zu halten.</p> + +<p>Mancher junge Mann wird verwirrt oder erschreckt, wenn er in der Nacht +oder am Morgen einen Samenverlust beobachtet, <span class="pagenum"><a id="page56"></a>[Seite 56]</span> der von einer +mehr oder weniger starken Erregung, von mehr oder weniger lebhaften +sinnlichen Träumen begleitet war. Den Unwissenden und Ängstlichen mag +gesagt sein, daß die Pollutionen nichts Krankhaftes an sich haben, +sondern eine normale Entscheinung sind, wenn sie etwa alle 10-20 Tage +sich höchstens einmal einstellen. Darüber hinaus und besonders dann, +wenn der Pollution am nächsten Tag schlaffes, schlechtes Befinden, +blasses Aussehen, Kopfschmerz, Kreuzschmerzen, Nervosität und +dergleichen folgen, haben wir es mit nervöser Schwäche zu tun, oder der +Samenerguß war durch einen äußerlichen oder innerlichen Reiz, jedenfalls +aber durch einen Fehler in der Lebensführung, herbeigeführt worden. In +solchen Fällen wirst du gut tun, lieber Freund, alle die Ratschläge zu +befolgen, die ich schon zur Heilung der Onanie gegeben habe, und +namentlich die Abendmahlzeit nicht nach 6 Uhr einzunehmen und sie nur +aus Brot und Früchten bestehen zu lassen.</p> + +<p>Wenn es möglich wäre, die Menschen in ihrer Allgemeinheit wieder zu +einer gesunden und einfachen Lebensweise zurückzuführen, so müßten +wahrscheinlich die Pollutionen entweder gänzlich schwinden oder auf ein +äußerst geringes Maß zurückgehen. Aber diese Erscheinungen hängen wohl +mit der nervös gesteigerten Erregbarkeit des Lendenmarkes, mit +körperlicher Untätigkeit und mit einer falschen Ernährung weit mehr +zusammen, als man auch nur ahnt. Wenn aber zum Beispiel eine +geschlechtliche Erscheinung mit der Ernährung zusammenhängt und zugleich +mit dieser geändert werden kann, so ist es doch zum mindesten recht +schwer, zu sagen, sie sei so, wie sie ist, normal.</p> + +<p>Keinesfalls aber läßt sich aus solchen Erscheinungen die Anschauung +herleiten, daß nun der Organismus reif sei für die Fortpflanzungstätigkeit, +und daß nun die Geschlechtsbetätigung für den jungen Mann zu einem +persönlichen Recht und zu einer gesundheitlichen Forderung werde. Denn wenn +auch – was jedenfalls bestreitbar ist – die Pollutionen normale, +physiologische Erscheinungen wären, so könnten sie doch nur eine +passiv-automatische Übung und Wachstumssteigerung eines Triebes <span class="pagenum"><a id="page57"></a>[Seite 57]</span> +darstellen, der seiner sozialen Beziehungen und Folgen wegen nicht allein +in der körperlichen Entladung begriffen werden kann.</p> + + +<h3>2.<br/> +Die Sittlichkeitsfrage.</h3> + +<p>Hier haben wir mit einem Male einen Sprung mitten in die sogenannte +„Sittlichkeitsfrage“ hinein getan. Denn der Begriff des „Sittlichen“ hat +sich stillschweigend und in seiner ganzen Ausdehnung an das +Geschlechtliche angeschlossen.</p> + +<p>Diese Sittlichkeitsfrage beschäftigt sich im wesentlichen damit, ob es +einem jungen Manne erlaubt sein kann, vor der Ehe und in noch +jugendlichem Alter geschlechtliche Beziehungen zu unterhalten.</p> + +<p>Diese Frage ist durchaus neueren Datums. Denn erstens waren die +sittlichen Anschauungen von früher strenger und straffer, zweitens hat +die Gesellschaft heute in allen Fragen, und somit auch in der +sexual-moralischen, die soziale und sittliche Kritik über das +gedankenlose Sichgehenlassen gesetzt, und drittens ist gerade mit dem +Erwachen dieses kritischen Geistes jener eigenwillige Individualismus +großgezogen worden, der über die Rechte der Persönlichkeit hinaus auch +die Ungebundenheit des Trieblebens mit „Individualität“ und anderen +Phrasen verteidigt, die sozialen Wurzelungen lockert und dieses ganze +philosophische Vorspiel nur beginnt, um endlich und insbesondere dem +vorehelichen Geschlechtsleben eine unbeschränkte Freiheit zu +verschaffen.</p> + +<p>Beiläufig gesagt: nur dem männlichen, nicht dem weiblichen +Geschlechtsleben. Denn daß das junge Mädchen vor der Ehe keusch zu leben +habe, ist eine so verbriefte, so tiefempfundene sittliche Forderung, daß +ein Sturm sich erhob, als einige dem Lager der Frauenbewegung +entstammende Schriften auch diese Schranke zu durchbrechen suchten. +Nicht nur tiefe und bedeutsame biologische Gründe, sondern +schlechterdings der sexuelle <span class="pagenum"><a id="page58"></a>[Seite 58]</span> Egoismus des Mannes verlangen es, +daß das junge Mädchen vor der Ehe seine Jungfräulichkeit bewahre.</p> + +<p>Der gleiche Sturm der Verwunderung und Entrüstung erhob sich aber auch, +als vor nunmehr etwa 30 Jahren in der Öffentlichkeit klipp und klar +gesagt wurde, daß es auch für den Mann die sittliche Forderung der +Enthaltsamkeit gebe.</p> + +<p>Das traf die gedankenlosen Gehirne wie ein scharfer Sonnenstrahl, der +die Augen blendet. Bis dahin hatte der Mann dasselbe getan, was er noch +heute mit der gleichen aufreizenden Selbstverständlichkeit tut: er hatte +jede sich bietende Gelegenheit zum Geschlechtsgenuß bereitwilligst +benutzt.</p> + +<p>Die Forderung der Enthaltsamkeit war durchaus nicht neu. Die christliche +Religion und auch andere Kulte hatten sie aufgestellt. Nur war die +Gedankenlosigkeit des Alltags allmählich über das unerschütterliche +Gefüge ethischer Grundgedanken hinweggewuchert. Da fiel wie ein Funke +ins Pulverfaß jene Erstaufführung des Björnsonschen Dramas „Der +Handschuh“ durch die Berliner „Freie Bühne“ Ende des Jahres 1889. Die +Heldin dieses Dramas, Svava, erfährt, daß ihr Bräutigam früher schon +Geschlechtsverkehr mit einem Mädchen hatte, und sagt sich von ihm los. +In der reichen literarischen Nachfolge, die diese Arbeit fand, finden +wir den gleichen Gedankengang namentlich in „Vera. Eine für viele“.</p> + +<p>Der starke und imponierende <em class="gesperrt">Björnson</em> hatte also sich selbst zum +Wortführer einer geschlechtsmoralischen Forderung gemacht und sie +dadurch, daß er sie auf der Bühne abhandelte, in den Brennpunkt des +allgemeinen Interesses gerückt. Die Presse griff denn auch +diesen –8211; „Handschuh“ wie ein Mann auf, die einen mit Hohnlachen und dem +zeternden Wortschwall einer angstvollen Verteidigung, die andern mit +wohlwollender Zustimmung.</p> + +<p>Genug, der Stein war ins Rollen gekommen, und <em class="gesperrt">Björnson</em> selbst sorgte +dafür, daß die Sache zumindest in den skandinavischen Ländern nicht so bald +zum Stillstand kam. Man erinnert sich seiner eindrucksvollen, +faszinierenden Persönlichkeit, die überall den strengen +Sittlichkeitsgedanken, <em class="gesperrt">die monogamische Ehe</em>, <span class="pagenum"><a id="page59"></a>[Seite 59]</span> in glänzender Rede +gegen jede geschlechtliche Lauheit, gegen jedes psychologisch oder +philosophisch umschleierte Triebleben verteidigte.</p> + +<p>Zur selben Zeit begann die Wissenschaft, die bis dahin scheu und ängstlich +dieses Gebiet gemieden hatte, sich doch damit aus biologischen und +medizinischen Interessen zu beschäftigen. Die Geschlechtswissenschaft +(Sexuologie) spürte den geheimnisvollen Gesetzen dieser menschlichen +Leidenschaft nach, um alle Zusammenhänge zu finden. Und mit einem Male +übersah man auch klarer als bisher die ungeheuren gesundheitlichen +Schäden, die das gedankenlose vielweiberische (polygamische) +Geschlechtsleben des Mannes angerichtet hatte. Man erkannte den Einfluß +alles Geschlechtlichen auf die Erziehung, das Denken überhaupt, auf alle +sozialen Beziehungen, auf die Vererbung, auf Lebensgestaltung und +Lebensglück, und es war wie ein jähes Erwachen, das den erschreckend neuen +Eindruck von der gewaltigen Bedeutung alles Geschlechtlichen in zahllosen +Schriften festhalten zu wollen schien.</p> + +<p>Und was bis dahin nie und nirgendwo geschehen war: die Frauen hatten +aufgehorcht. Sie, die bis dahin in der allgemeinen Komödie der Prüderei +die Statisterie gemacht hatten, gewannen nun mit einem Male das +Bewußtsein, daß es eine empörende Ungerechtigkeit ist, wenn der Mann vom +Weibe voreheliche Enthaltsamkeit verlangt, während er sich selbst doch +zu gleicher Zeit recht munter amüsiert und der Frau als Dank für ihre +sittliche Bewahrung eine – Geschlechtskrankheit als Morgengabe in die +Ehe bringt.</p> + +<p>Was Wunder, daß gerade die Frauen sich gegen diesen Zustand auflehnten +und mit großer Energie die sexuelle Frage der prüden Umschleierung +entrissen.</p> + +<p>Wir stehen ja noch heute vor der Tatsache, daß junge Männer, wenn sie +die Schule und das Elternhaus verlassen haben, oft ohne alle +Gewissensbisse von den sich bietenden Gelegenheiten zum +Geschlechtsverkehr Gebrauch machen, ohne der moralischen und sozialen +Gesetze zu gedenken, welche sich natürlicherweise <span class="pagenum"><a id="page60"></a>[Seite 60]</span> gegen den +eigenwilligen geschlechtlichen Individualismus auftürmen. Denn die +Beurteilung eines Triebes, der über den Einzelmenschen hinaus von +sozialen Folgen ist, erschöpft sich keineswegs in den Wünschen und +Rechten des Individuums, sondern muß notwendigerweise eine soziale sein. +Die tiefsitzende Inkonsequenz beginnt aber schon mit der Forderung der +Keuschheit der jungen Mädchen, und die sozialen und mehr noch die +sittlichen Zwiespalte fallen zusammen mit der gesellschaftlichen und +seelischen Verwirrung, die ein Mann im Leben eines Weibes anrichtet, +wenn sie der Gegenstand seiner geschlechtlichen Wünsche geworden ist.</p> + + +<h3>3.<br/> +Geschlechtsleben und Gesundheit.</h3> + +<p>Das jugendliche Geschlechtsleben mit den Forderungen der Gesundheit zu +entschuldigen, ist eine jener sophistischen Ungereimtheiten, die nur da +entstehen, wo die erotischen Wünsche das Gewissen zum Schweigen bringen +wollen.</p> + +<p>Es gibt gegenwärtig wenige Fragen, in deren Beantwortung so heftige +Widersprüche herrschen, wie diejenige des Nutzens oder Schadens der +vorehelichen Geschlechtsenthaltsamkeit. Aber selbst wenn die +Wissenschaft sich zugunsten der – Frivolität entscheidet und Fälle von +Schädigungen durch Enthaltsamkeit bei der Jugend aufzählt, so müßte sie +doch der degenerativen Entwicklung Rechnung tragen. Sie müßte in +Rücksicht ziehen, daß die Kultur weit von den physiologischen Gesetzen +der menschlichen Natur abgerückt ist, und daß durch geschlechtlichen +Mißbrauch, durch die Raffiniertheit und Grenzenlosigkeit der Ernährung, +sowie durch körperliche Untätigkeit eine sexualnervöse Reizbarkeit +gezüchtet wurde, die das ordnende Urteil trübt. Was aber ein sinnlich +gesteigerter Organismus verlangt, das darf die Wissenschaft nicht als +allgemeines Geschlechtsrecht im ganzen Volke austeilen. Erkennt man, daß +ein Trieb durch Mißbrauch sich im Organismus in den Vordergrund drängte, +so muß man den Begriff des „Natürlichen“ an diesem Trieb arg +beschneiden. <span class="pagenum"><a id="page61"></a>[Seite 61]</span> Und selbst wenn man, ohne der mißbräuchlichen +Steigerung zu gedenken, den Trieb mit Recht „natürlich“ nennt, so vermag +man ihn doch in keiner Weise zu trennen von den seelischen, sittlichen +und sozialen Kräften, die das Wohl der menschlichen Gemeinschaft und +ihre Entwicklung bedingen. Wird der Geschlechtstrieb rein körperlich +gezüchtet, so bringt er das Menschengeschlecht rückwärts, nicht +vorwärts.</p> + +<p>Wenn ein Mensch ißt und dabei den Zweck des Essens vergißt und zur +Eßgier gelangt; wenn er trinkt, nicht weil der Körper Flüssigkeit +verlangt, sondern weil er der Leidenschaft des Trinkens verfallen ist, +so werden die geistigen Kräfte in demselben Maße schwinden, in dem die +körperliche Sucht sich steigert. So bedeutet auch der unerlaubte +Geschlechtsverkehr der Jugend, eben weil er die sozialen und sittlichen +Kräfte nicht auslöst, eine Hemmung der geistigen und charakteriellen +Entwicklung.</p> + +<p>Daß die geschlechtlichen Erschütterungen und die Samenverluste einen +noch nicht ausgereiften Organismus in seiner Entwicklung hemmen, ist +eine ganz allgemeine Erfahrung. Es ist schon rein logisch und ohne jeden +wissenschaftlichen Beweis einzusehen, warum jene geheimnisvollen +Lebensstoffe, deren Entstehung im Körper zu einem solchen Reichtum und +Überschwang des Gefühls führt, die das Urgeheimnis der polaren Spannung +zwischen Mann und Weib in sich bergen, und die in der Leidenschaft ihrer +Vereinigung das Wunder der Menschwerdung vollbringen, warum sie ohnedies +dem Organismus, solange er sich in der Entwicklung befindet, seine +Spannung geben; denn diese Stoffe, die immer wieder neues Leben auf die +Bahn des Werdens schleudern, sind nicht nur Ursubstanz des Lebens, +sondern zugleich auch seine feinste Blüte. Sie behalten immer ihre +gestaltende Kraft. Und es liegt große Klugheit darin, durch diese +gestaltende Kraft zunächst den eigenen Organismus auf den möglichen +Höhepunkt seiner Entwicklung zu bringen, ehe man im bloßen +Geschlechtsgenuß Rechte sucht, die erst der mit sich selbst fertige, +vollendete Organismus besitzt.</p> + +<p>An den Erscheinungen der Geschlechtsreife (Pubertät) erkennen <span class="pagenum"><a id="page62"></a>[Seite 62]</span> +wir die treibende und gestaltende Kraft jener Lebensstoffe. Ein +Ausreifen nach allen Richtungen ist es, das wir beim Erwachen der +Liebesempfindung staunend beobachten. Was späterhin das neue Leben +formt, das verleiht einige Jahre vorher der Stimme ihren tieferen +Vollklang, das treibt den Bart als eins der Zeichen der Mannheit, das +gibt dem Charakter seine Festigkeit und dem Geiste Stolz und Kühnheit. +Entfernen wir die Keimdrüsen (Kastration) so hört alle diese Entwicklung +ins Männliche mit einem Male auf. Die treibenden Kräfte sind +unterbunden. Die Stimme bleibt dünn, der Bart wächst nicht, der +Charakter bleibt weichlich, ängstlich, tatenlos oder verschlagen.</p> + +<p>Es mag darüber gestritten werden können, ob wir dem häufigen +Samenverlust allein die Schäden, von denen die Rede war, zuschreiben +sollen. Keinesfalls dürfen wir aber der gewaltigen allgemeinen +Erschütterung vergessen, die der Organismus in der Geschlechtserregung +erleidet. Kommt sie schon in der Jugend, noch ehe der Gesamtbau seine +ordentliche Kraft und Festigkeit erlangt hat, und wiederholt sie sich zu +oft, so verlieren die gar zu stark erregten Nerven, die in der Erregung +gar zu oft ausgedehnten Blutgefäße, verliert das stark erregte Herz, +verlieren die oft krampfhaft angespannten Muskeln die Fähigkeit, wieder +zu vollkommener Ruhe, zur physiologischen Norm zurückzukehren. Alles +erschlafft, und diese Erschlaffung ist traurige Widerstandsunfähigkeit +und Empfindsamkeit. Und in demselben Maße, in dem die Kraft und die +Energie zu tüchtiger Arbeit verloren gehen, bemächtigt sich des +Organismus jene lüsterne Träumerei, die selbst am Tage alles +Geschlechtliche umkreist und gewissermaßen mit angehaltenem Atem auf der +Lauer liegt, um alles Geschlechtliche gierig einzusaugen und selbst das +Harmlose im Gespräch, im Leben, in Büchern und Bildwerken, zum +Geschlechtlichen zu machen. Dann zehrt die Sinnlichkeit von der +körperlichen und geistigen Kraft, und es fehlt meist jenes notwendige +Maß körperlichen Ausarbeitens, um die gefährlich wuchernde Sinnlichkeit +einzudämmen.</p> + +<p>Es ist sehr oberflächlich, wenn ein junger Mann seinen +Geschlechtsverkehr <span class="pagenum"><a id="page63"></a>[Seite 63]</span> mit seiner scheinbaren Reife, mit den +nächtlichen Pollutionen und mit dem Hinweis auf die Erwachsenen +entschuldigt. Denn erstens habe ich gezeigt, daß die scheinbare Reife +sehr wohl frühzeitige Triebsteigerung sein kann, die als nervöse Anlage +sich genau so erblich überträgt wie irgendeine Krankheit. Daß zweitens +die Pollutionen eine recht zweifelhafte Erscheinung sind, und daß wir +große, starke und gesunde Männer mit wenig oder gar keinen Pollutionen, +dagegen oft schwächere, nervöse, blasse Jünglinge mit häufigen +Pollutionen antreffen, sowie, daß die Pollutionen durch Onanie +hervorgelockt werden können. Drittens, daß die Jahre der +Geschlechtsreife beileibe nicht die Rechte geschlechtlicher Tätigkeit +mit sich bringen, sondern durch die Steigerung der Samenerzeugung und +der inneren Absonderungen dem Körper die geschmeidige, jugendliche Kraft +und Biegsamkeit, dem Geist die Frische und die Fähigkeit schnellen +Erfassens und der Seele Tiefe und Wärme verleihen sollen.</p> + +<p>Es mag als Grundsatz gelten, vor vollendetem Längenwachstum alle +sexuellen Kräfte zu sparen.</p> + +<p>Die Tierzüchter haben reiche Erfahrungen in diesen Dingen gesammelt, und +keiner von ihnen wird ein nicht völlig ausgewachsenes Tier zur +Fortpflanzung zulassen. Jeder von ihnen weiß, wie schwer dadurch das +Tier in seinem ferneren Wachstum aufgehalten und wie empfindlich man +schließlich die ganze Rasse schädigen wird. Es mag auch nicht unerwähnt +bleiben, daß, wenn man kranken, schwächlichen, nervös erschlafften +Menschen Samenflüssigkeit unter die Haut spritzt, sie eine bedeutende +Vermehrung ihrer körperlichen und geistigen Frische zeigen.</p> + +<p>Die Athleten und die Sportsleute, die sich zu besonderen +Höchstleistungen vorbereiten, müssen Geschlechtsenthaltsamkeit +beobachten. Ja, diese ist ein ganz besonderes Erfordernis des +„Trainings“. Wir erkennen daran das Gesetz von der Umwandlung der Kräfte +im Organismus, und es darf als sicher gelten, daß die geschlechtliche +Selbstzucht nicht nur die körperlichen Kräfte mehrt, sondern vor allem +auch Ausdauer und jenen <span class="pagenum"><a id="page64"></a>[Seite 64]</span> äußersten Willen weckt, der bei +besonderen Leistungen den Ausschlag gibt.</p> + +<p>Sind aber nicht auch die Jahre der Jugend eine Art Training, eine +Vorbereitung für tüchtige Leistungen im Leben? Sollte die Jugend nicht +ebenfalls alle die Kräfte sparen, deren Besitz die offenbare Quelle für +körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ist? Wenn die Eltern alle +Nahrungssorgen auf sich nehmen, nur damit die Kräfte der Jugend sich +nicht zwischen Entwicklung und Daseinskampf zersplittern, hat dann die +Jugend ein Recht, diese Kräfte trotzdem zu vergeuden, und zwar in der +Geschlechtslust?</p> + +<p>Die Spannung, die durch Enthaltsamkeit erzeugt wird, ist Triebkraft und +hat sowohl hohen kulturlichen wie lebenssteigernden Wert. Nichts ist +sicherer, als daß die Geschlechtsenthaltsamkeit der Jugend und die +Mäßigkeit der Erwachsenen nicht nur für den Einzelnen Sinn und +praktische Bedeutung haben, sondern vielmehr für ein ganzes Volk von +einschneidendem kulturlichem Wert sind. Eine Nation, die ihr Gewicht in +die Wagschale der Geschehnisse werfen will, muß ihre geschlechtlichen +Kräfte sparen. Das mögen wir Deutschen uns für den mühsamen Aufstieg, +der die nächsten Jahrhunderte unserer Geschichte ausfüllen wird, und für +unsere ganze Zukunft merken.</p> + + +<h3>4.<br/> +Die Geschlechtsehre.</h3> + +<p>Freilich wird ja ein junger Mann, wenn er ins Leben hinaustritt, in +einen argen Zwiespalt gebracht. Aus dem Knaben wird ein „Mann“, und +diese „Männlichkeit“ ist im dickflüssigen Strom einer geschmacklosen +Überlieferung leider gar zu sehr aus geschlechtlicher Abenteuerei und +Renommisterei zusammengesetzt worden. Wer ein „Mann“ sein will, glaubt, +etwas erlebt haben zu müssen und sieht mit Überlegenheit und Spott auf +jüngere Kameraden herab, die noch einen Rest des Schamgefühls aus den +Erziehungsjahren in sich tragen. Aber die freche Großsprecherei <span class="pagenum"><a id="page65"></a>[Seite 65]</span> +und der Spott der Älteren verwirrt den Jüngeren. Zwar weiß er ganz gut, +wie der anständige Mensch zu handeln hat. Aber sein Wissen in diesen +Dingen ist Stückwerk, ist unklar, unbestimmt, seine Persönlichkeit ohne +Entschiedenheit, ohne Festigkeit. Diesen ewigen Verlockungen, den +spöttelnden Angriffen, erliegt schließlich das gute Gewissen. Ja, der +dumpfe, nicht gezügelte Geschlechtstrieb setzt sich in einem Augenblicke +über Dinge hinweg, die bei ruhiger Betrachtung häßlich, abstoßend und +empörend sind, über Schmutz, Roheit und ernste Krankheitsgefahr.</p> + +<p>Darin liegt die große Niedertracht der Gesellschaft überhaupt, daß +einer, der eine Dummheit macht, den anderen zu sich herabziehen will; +denn die vergesellschaftete Dummheit erstickt ihren eigenen Vorwurf. Der +Pluralis erscheint ihr als Entschuldigung, und so holt sich denn die +jugendliche „Männlichkeit“ weiter ihr Rüstzeug – bei der Dirne.</p> + +<p>Wie ist es doch sonderbar, daß ein junger Mann, kaum daß er in das Leben +hinausgetreten ist – und oft schon vorher – ein Geheimnis in sein Leben +hineinträgt, das ihn in einen inneren Widerspruch zu seiner gesamten +Erziehung bringt. Ein Geheimnis, dessen er sich – würde es +offenbar – vor aller Welt schämen müßte. Ja, er selbst schämte sich, und +scheu und angstvoll, daß er um alles in der Welt nicht gesehen würde, +umschlich er das geheimnisvolle Haus, das die eigenen Kameraden oder seine +lüsterne Neugier ihm gezeigt, und verschwand darin in einem günstigen +Augenblick. Wäre nicht der Stolz in der sexuellen Spannung erstickt, so +müßte sich die Wirklichkeit des bezahlten Geschlechtsgenusses dem +Bewußtsein in ihrer ganzen Widerlichkeit aufdrängen. Ein Weib, das nicht +mehr Weib, sondern wahlloser Sinnlichkeitsgegenstand wahllos sich +einfindender Männer ist, das oftmals die einfachsten Gesetze der +Reinlichkeit übersieht, für eine Weile zu besitzen, kann einen Mann von +wahrer Mannhaftigkeit nicht locken. Was die jungen Männer zu diesen +frühzeitigen geschlechtlichen Verbindungen treibt, ist ja auch bei aller +Sinnlichkeit tief im Innern die Sehnsucht <span class="pagenum"><a id="page66"></a>[Seite 66]</span> nach Liebe und das +urewige Rätsel des Weibes. Aber diese zarten knospenden Empfindungen, die +sich in der Ehe, in der Familie, in echter, mannhafter Liebe ausreifen +sollen, werden von den jungen Männern in Schmutz und gemeine Niedertracht +geworfen. Daher die verkümmerte Empfindungswelt so vieler Menschen, die +ihre eigene Lebenspoesie zerstört haben. Wünsche, Träume, Sehnsucht und +Vorstellungen dürfen nicht in gar zu häßlicher Wirklichkeit erstickt +werden, sonst ist das Ende seelische Erschlaffung, Pessimismus.</p> + +<p>Die vorehelichen Geschlechtsbeziehungen haben eine so ungeheure +Ausdehnung gewonnen, daß viele in ihnen eine Art von normaler Vorschule +der Ehe erblicken. Wie riesenweit ist aber der Abstand zwischen Bordell +und Familie, zwischen der Dirne und der Mutter, zwischen bezahltem +Geschlechtsgenuß und der Liebe zweier Menschen, die miteinander in ihrer +Kinder Land einziehen! Kann dies Gemisch von Lüsternheit, +geschlechtlichem Schmutz, alkoholischer Frechheit und sittlicher +Erniedrigung, das das Dirnenleben durchzieht – kann das die richtige +Vorbereitung sein für die Ehe, in der das Glück der Gatten und das Wohl +der Kinder aus Kraft und Reinheit kommen sollen?</p> + +<p>Man spricht viel und gern von dem Kampf, den die voreheliche +Geschlechtsentsagung mit sich bringt. Freilich ist es ja wohl am +bequemsten, diesen Kampf durch die erste beste Dirne zu beenden. Aber +ist es denn gut, ihn so rasch zu beenden? Ist nicht der Kampf die +treibende Kraft aller Entwicklung? Weckt er nicht alle verborgenen +Kräfte? Wer die Flinte ins Korn wirft, ist sittlich ein Feigling. Dieser +kampflose, bezahlte, bequeme Geschlechtsgenuß vor der Ehe, dessen sich +junge Männer und auch junge Mädchen bemächtigen, schadet der Ehe, +schadet den Kindern; denn er nimmt dem Leben und dem Geschlechtsgefühl +die Hochspannung. Er befriedigt die Wünsche, tötet die Sehnsucht, +zerstört Illusionen. Enthaltsamkeit ist biologische Spannung, deren +Fehlen man den Kindern vom Gesicht herunterlesen kann.</p> + +<p>Wie bilden sich denn eigentlich Charaktere? In der Entsagung, <span class="pagenum"><a id="page67"></a>[Seite 67]</span> +im Kampf mit sich selbst. Was ist denn überhaupt ein Charakter? Ein +Mensch, der seine tierische Triebwelt unter die Herrschaft seiner +sittlichen Erkenntnis gebracht hat und mit festem Willen seiner +Erkenntnis folgt, der durch Willenskraft und Folgerichtigkeit sich +Selbstachtung und Selbstvertrauen erwarb. Solche Charaktere, solche +Persönlichkeiten braucht ein Volk, braucht das Leben; denn sie haben +Erfolg. Wie kann aber ein Mensch Selbstvertrauen und Selbstachtung +haben, der im Kern seines Wesens, im Geschlechtsgefühl, wider seine +bessere Erkenntnis handelt, der in seinem Tun sich immer wieder durch +den Geschlechtstrieb vom Wege abreißen läßt?</p> + +<p>Tausende sagen. „Es ist unmöglich, ihn zu bändigen!“ Aber wie viele +davon haben's denn ehrlich versucht? Sind nicht die meisten bei der +ersten Versuchung umgefallen? Sie haben die Geschlechtserregung kennen +gelernt, kennen sie durch die Onanie und manches andere, haben ihre +Phantasie mit Sinnlichkeit erfüllt. Das Nervensystem birgt in sich ein +Gesetz der Periodizität. Erregungen wiederholen sich periodisch. Das +macht den Kampf zunächst so schwer. Wie selbst den Magenkranken die +dumme Gewohnheit des dreimaligen täglichen Hungerns quält und seine +Heilung stört, so meldet sich im Hirn und Lendenmark das gewohnte +Geschlechtsgefühl, und dem Bewußtsein wird der alberne und gefährliche +Satz aufgedrückt „Ich kann den Trieb nicht bändigen!“ – Wer freilich +den Kampf aufgibt, ehe er ihn begonnen hat, was weiß der von seinen +Kräften! Treibe deine Gefühle nur erst ein wenig zurück, siege erst +einmal, dann noch einmal, und es wächst das Vertrauen, und es wachsen +die Kräfte. Die gesparte Geschlechtskraft speichert sich in dir auf als +Spannkraft der Nerven und Muskeln, als Mut und geistige Frische. Das +alles sind deine Waffen, die darum immer stärker werden.</p> + +<p>Wenn's sein kann, sprich dich mit den Eltern, mit dem Lehrer, mit einem +guten Freund von gesundem Denken und gutem Charakter darüber aus! Sei +nicht wie jene, die im geheimen sündigen und die Nase rümpfen, wenn ein +Wort über Geschlechtliches gesprochen wird. Das Geschlechtliche soll +weder im bösen <span class="pagenum"><a id="page68"></a>[Seite 68]</span> noch im guten Sinne das Gesprächsthema sein; +aber ein offenes Wort an rechter Stelle hat oft befreiend gewirkt. Ein +klares Wort entreißt oft junge Menschen der schwülen Phantasiearbeit. +Betrachte das Geschlechtliche als eine besondere Kraft, dich selbst +ebenso, und frage dich. „Wer von uns beiden soll herrschen, ich oder +du?“</p> + +<p><em class="gesperrt">Du mußt herrschen, immer und allerwege!!!</em></p> + +<p>Schäme dich nicht dieses Triebes, und sei niemals niedergeschlagen im +Kampf. Alles Leben entsteigt dem Liebeswollen. Aber die Zeugung ist +nicht die alleinige Lösung dieses Ewigkeitsrätsels. Eine allstündliche, +ununterbrochene Neuzeugung im Einzelorganismus ist es, die wir vor allem +diesem Triebe verdanken. Der geheimnisvolle Quell der inneren +Zeugungsorgane entsendet ununterbrochen Stoffe, die als Spannkräfte +wirken, in Körper und Geist. Darum aber darf diese Urquelle nicht +verschüttet werden. Wir verstehen jetzt sehr wohl, warum der Lebenslauf +mit dem Geschlechtsleben in der Jugend zusammenhängt, warum die +Geschlechtssparsamkeit in der Jugend einen Gewinn für das spätere Leben +ergibt. Nicht nur für unser kleines, eigenes Leben – nein, die ganze +Menschheit trinkt ihre Verjüngung aus diesem Quell, und <em class="gesperrt">jeder +Einzelmensch ist zum Sachwalter der Menschheitsgesundheit und +Menschheitswürde bestellt, weil er einen Teil der kosmischen Liebeskraft +in sich trägt</em>.</p> + +<p>Der Augenblick, der Mann und Weib in der Liebeserschütterung vereinigt, +erzeugt ein neues Leben. Aber nicht dieser Augenblick entscheidet, +sondern alles, was Vater und Mutter in ihrem ganzen Leben waren und +taten. Davon hängen Kraft und Gesundheit des Kindes ab. Sollte das nicht +schon lange vor der Ehe dem Triebe Zügel anlegen, damit er nicht die +Kraft vergeudet, die dem Kinde darum fehlen wird?</p> + +<p>Wer sein Kind anschaut und aus seinem Gesicht die Schwäche liest, muß +der nicht niedergedrückt werden, wenn er sich selbst daran schuldig +weiß? Wer an seinen Kindern häßliche Züge, <span class="pagenum"><a id="page69"></a>[Seite 69]</span> Lüsternheit und +Verirrungen bemerkt, muß der nicht entsetzt sein, wenn er weiß, daß sie +nur seine eigene Jugend von neuem beginnen? Es vererbt sich nicht nur +Kraft, sondern auch Schwäche, nicht nur Körperliches, sondern auch +Geistiges, nicht nur gutes Denken, reines Empfinden, sondern auch +geschlechtlich verirrtes Denken, Charakterlosigkeit und Ausschweifung. +Nie kann ein Mensch etwas anderes erzeugen, als was er selber ist. Ein +Kind ist wie Vater und Mutter, gut oder schlecht. Darum sei gut, handle +gut, damit dein Kind gut sei und gut handle! Laß alles Unsaubere aus +deinem Liebesempfinden heraus, damit dein Kind ein schönes, reines +Empfinden habe! Gehe nicht den traurigen Weg vom Gott zum Tier, sondern +geh den einzig menschenwürdigen Weg, auf dem Gott den Menschen zum Herrn +über das Tierische eingesetzt und ihm eine Durchgeistigung und Beseelung +seiner Triebe geboten hat. Denn ein geistiger Grundsatz, ein göttliches +Gebot, herrscht in der Welt! Erkennst du das, so wird das +Geschlechtliche dir zur Lebensschönheit, und du wirst die Kraft sparen, +die erst <em class="gesperrt">deiner</em> Reife dienen soll, ehe sie dir in der Ehe und in den +reinen Augen deiner Kinder unendliches Glück bringen wird.</p> + +<p>Es gibt Gründe, die dir die Geschlechtsbeziehungen vor der Ehe +entschuldigen und beschönigen wollen. Und gewiß ist, an sich gesehen, +nicht alles häßlich, was nicht die Ehe sucht. Aber ob's für diese +spätere Dauergemeinschaft gut ist, das ist der Frage innerster Kern. Und +wenn auch die Farbenspiele bestechender Gründe den eigensüchtigen +Liebesgenuß umstrahlen – macht uns die Selbsttäuschung besser? Vor dem +unbestechlichen Schiedsamt des Menschenwohles sind die schimmernden +Entschuldigungsgründe wie Seifenblasen.</p> + +<p>Stähle die sittliche Kraft deiner Jugend in der Entsagung! Je weniger du +den Geschlechtstrieb aufkommen lässest, desto mehr verliert er das +körperlich Aufdringliche, <em class="gesperrt">desto mehr verschmilzt er mit deiner Seele, +deinem ganzen Menschen</em>. Mehr und mehr wirst du dann zu jenen Menschen +gehören, deren körperliche Liebe allein aus dem Wunderborn der Seele +quillt, <span class="pagenum"><a id="page70"></a>[Seite 70]</span> und nicht zu denen, deren Seele schweigt, während +zugleich ihr Körper von Geschlechtserregung gepeitscht ist.</p> + +<p>Und du wirst Achtung vor der Frau und vor allem Weiblichen haben. Die +Welt ist so, wie wir sie sehen. Siehst du sie gut, so ist sie gut. +Siehst du sie schlecht, so ist sie schlecht. Es ist eine traurige +Mannhaftigkeit, die sich ihrer Verachtung alles Weiblichen rühmt, weil +sie Siege errang, die nur bezahlte Willfährigkeit waren. Wer nur die +Dirne kennt, kennt nicht das Weib, und sein Urteil ist Anmaßung. Es ist +Zeit, daß anständige junge Menschen den Mut finden, die frechen +Zotenreißer und bramarbasierenden Bordellhelden zum Schweigen zu +bringen.</p> + +<p>Wenn ein Mann das Weib, das er liebt, anschaut, so drängen sich +dazwischen gar leicht seine früheren Erlebnisse. Dann werden sie +begehrlich wieder lebendig, und Augen, die im Stolz leuchten sollten, +werden zu Boden gerichtet, weil ein Geheimnis die schöne Wirklichkeit +trübt. Wer nur zur Befriedigung seiner Sinnlichkeit den Spuren des +Weibes folgte, kann nur schwer die Sinnlichkeit aus seinem Fühlen, +seinen Blicken scheuchen. Und er kennt nicht den wunderbaren Einklang +zweier Seelen, die in ihrer Liebe unbewußt den Willen zum Guten, die +große, allumfassende Menschenliebe in sich tragen.</p> + +<p>Welch eine Welt von Schönheit verschließt sich mancher Mensch, weil die +sinnliche Schwerfälligkeit seines Körpers ihm den geistigen Flug +verwehrt! Manche Seele hat sich in diesen rohen Geschlechtsverbindungen +verblutet und nur einen gierigen Körper zurückgelassen, in dem alles +Zarte, Schöne, alles Weiche und Feine, erstickt ist. Das ist seelische +Verarmung – das allerschlimmste Menschenlos. Es ist ein Leben, das +keine Sonne, keine Wärme mehr hat. Warum nur schätzen wir diese +wundervolle Spannung der Keuschheit nicht höher? Warum ist die +Jugendkeuschheit nur ein Ideal für das Weib und nicht auch für den Mann? +Warum warten junge Männer denn geradezu darauf, diese Reinheit von sich +zu werfen, und warum muß die vielgerühmte „Männlichkeit“ sich denn +zuerst auf den gegensozialen Wegen des Dirnentums bewegen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page71"></a>[Seite 71]</span> „Ist denn wirklich die Geschlechtsehre des Mannes eine andere als +die des Weibes?“ sagt <em class="gesperrt">Vera</em> in „Eine für viele“. Und weiter. „Ist die +Notwendigkeit der geschlechtlichen Befriedigung in den jüngsten Jahren +nicht ein wohlorganisierter Schwindel? Oder ein großes Irren der Ärzte? +Kann die Keuschheit je so furchtbare, leben- und glückzerstörende +Krankheiten nach sich ziehen wie die Unkeuschheit?“ Und weiter. „Der Mann +verlangt von dem Mädchen seiner Wahl nicht Keuschheit allein, sondern auch +einen unbefleckten Ruf. Mit Recht! Und das Weib soll ihren Gatten mit +Straßendirnen teilen? Sie soll die Schmerzen der Mutterschaft tragen, mit +dem furchtbaren Bewußtsein, daß der Vater ihrer Kinder in gekauften +Umarmungen seine Jugendkraft vergeudete – – – sich nicht scheute vor +dem Schmutz, vor ekelhaften Krankheiten, in gemeiner tierischer +Sinnlichkeit seine Reinheit fortwarf ... der Vater ihrer Kinder – sage +ich.“ – –</p> + +<p>Dies Verabuch war trotz seiner Härten wie eine Fanfare, die eine neue +Zeit und eine neue Menschheit ankündete. Die geschlechtssittlichen +Forderungen konnten seitdem nicht mehr unterdrückt werden. Wir werden an +ihrer Durchführung arbeiten müssen, um den Menschen durch ein reineres +Geschlechtsleben eine festere Grundlage des Glückes zu geben.</p> + +<p><em class="gesperrt">Es wird eine Zeit kommen, in der das, was die Menschen heute belachen, +wie eine heiße, große Sehnsucht in ihnen lebt. Vielleicht erwächst diese +Sehnsucht gerade aus dem Geschlechtselend unserer Tage. Dies Irren, dies +Leiden und Dulden in Geschlechtsausschweifungen, die dem Manne +Unterhaltung, dem Weibe schandbare Versklavung sind, wird sicher einmal +als entsetzliche Last empfunden werden, wenn die Menschen über den +stumpfen Materialismus hinaus die feinen, geistigen Gesetze erkennen +lernen. Dann erst werden die Menschen das Märchenland der Liebe finden, +wenn kein häßliches Erinnern mehr ihre Seele verwirrt.</em></p> + +<p>Das Leben ist darum nicht verloren, weil die Jugend nicht rein <span class="pagenum"><a id="page72"></a>[Seite 72]</span> +und voll Schönheit war. Ja, mancher Charakter formte sich erst aus +trüben Erinnerungen, aus Fehl und Schuld. Aber den meisten hat doch der +Dirnengeist die Jugend vergiftet; denn für die Seelenweichheit der +Jugend ist das Geschlechtsabenteuer ein starker Eindruck, vielleicht in +seiner rohen Sinnlichkeit stärker als das, was später ein reines, +liebendes Weib gibt. Und von all den Roheiten der bezahlten Liebe wird +etwas ins Erinnern eingefügt und schiebt sich häßlich in all die +blühende Schönheit, die die Liebe bringt.</p> + +<p>Wie viele Frauen bereuen die Ehe, hassen und verachten den Mann, den sie +doch einmal über alles geliebt haben. Aber er hat sie getäuscht. Mit ein +wenig Charakterlosigkeit und geschlechtlichem Schmutz in seinem Vorleben +begann es. Das fraß sich in ihm fest. Das durchwob sein Inneres so, daß +ihm die Ehe zu rein, zu langweilig erscheint. Zunächst verschweigt er +sein Vorleben. Dann kann dies trübe Geheimnis nichts Gutes für seine Ehe +sein. Oder er sagt's seiner jungen Frau. Dann werden ihre Gedanken +versuchen, sich in dieser ihr innerlich fremden Welt zurechtzufinden, +und unter Tränen, mit viel Weh im Herzen, entwickelt sich die Ehe +aus – einem Verzicht. Oder aber die Frau ist flach und oberflächlich, +dann lacht sie, und es ist ihr alles gleichgültig. Die Vera-Naturen aber +sind zahlreicher, als man glaubt, Frauen, in deren Innerem in solcher +Stunde eine Saite angeschlagen wird, deren Ton für immer dem Ohr +verklingt. Sie, deren monogamischer Instinkt höchstes Feingefühl ist, +können nicht oder nur mit Überwindung einem Manne folgen, der aus einer +ganz anderen, viel gröberen Gefühlswelt kommt, und den die Häßlichkeit +geschlechtlicher Ereignisse, ein anderes Weib, ein uneheliches Kind, von +ihnen trennt.</p> + +<p>Zwar leben wir in einer Zeit sittlicher Neuordnung. Und ehe aus dem +Streit der Meinungen das feste Gefüge der neuen, gerechteren Moral sich +bildet, wird großherziges Verzeihen, auch von seiten der Frau, dem Manne +den Weg ebnen von den wirren Geschlechtsirrtümern der Jugend zur +Reinheit der Ehe. Wie groß ist aber der Jammer der vielen Frauen, deren +Männer <span class="pagenum"><a id="page73"></a>[Seite 73]</span> das heilige Treuversprechen gebrochen haben, weil die +Dirnenerinnerungen wie Unkraut, wie eine böse Krankheit der Phantasie, +in ihnen fortwucherten, bis der ganze Schmutz der Untreue und der +sittlichen Verlumpung sich auf die Ehe wirft und sie zerstört! Von +ungefähr kommen doch diese Eheskandale nicht. Die Untreue, dieses rein +körperliche, gemeine, geschlechtliche Veränderungsbedürfnis hat sich der +Mann angezüchtet bei den wechselnden Dirnen und der treulosen +Zufälligkeit seiner „Verhältnisse“. Und wer festigt dem Weibe den +Begriff der Treue, wenn sie als Mädchen einmal in dieses, ein andermal +in jenes Mannes Händen war? Die geschlechtliche Treulosigkeit vor der +Ehe baut dem Treubegriff der Ehe ein morsches Fundament.</p> + +<p>Die moralisch-monogamischen Forderungen, die wie eine neue Ordnung – aber +aus uralten Entwicklungsgesetzen heraus – von Frauen erhoben worden sind, +können nicht mehr verstummen. Denn Einehe (Monogamie) ist das Gesetz des +Weiblichen, ist der Unterbau der Ehe, die sittliche Grundlage der +Erziehung. Prof. <em class="gesperrt">Albert Heim</em>, Zürich sagt: „Der monogamische Instinkt +ist von der Natur erzüchtet. Bricht ihn die Menschheit im ganzen und +dauernd wieder, so bricht sie mit ihm zusammen“.</p> + +<p>Je willenloser ein Mensch sich dem Geschlechtsempfinden hingibt, desto +mehr ist er Sklave seiner unsauberen Erinnerung geworden. Will er die +Erinnerung auslöschen, so braucht's einen mannhaften Entschluß: „Bis +hierher! Nun nicht mehr weiter!“</p> + +<p>Wer so ein neues Leben auf dem festen, fröhlichen Willen zum Guten +beginnt, den wird das Schlechte, das er getan, nicht in alle Zukunft +hinein verfolgen. Es ist abgetan, und schön und rein leuchtet dir die +Zukunft.</p> + +<p class="center dropc">Der Mensch ist Wille!</p> + +<p>Die Ehe ist ein Idealzustand und trägt in sich den Zweck und die +Möglichkeiten einer unendlichen Vervollkommnung der Menschheit. Die +Forderung der Treue, die wir für die Ehe aufgestellt haben, entspricht +dem uns eingeborenen sittlichen Empfinden, und diese tiefinnerliche +Moral ist immer diejenige, welche dem Fortschritt der Rasse dient.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page74"></a>[Seite 74]</span> Wenn darum Stimmen laut wurden und namentlich gegen das unbedingt +folgerichtige Verabuch Schriften über Schriften erschienen, die gerade im +Geschlechtsleben <em class="gesperrt">vor</em> der Ehe eine Art von Läuterung und Ausreifung der +Persönlichkeit sehen, so ist demgegenüber auf das Wort des positivistischen +Philosophen <em class="gesperrt">Comte</em> hinzuweisen, daß man sich nicht durch +Unsauberkeiten auf ein Ideal vorbereiten kann. Unsauberkeiten sind es +aber; denn alles Häßliche, das das menschliche Geschlechtsleben erfaßt und +überwuchert hat, kam aus der Verletzung der moralischen Gesetze. Ja, +sicherlich nicht nur für das Geschlechtsleben, sondern für das ganze +Menschenleben ist nichts von so furchtbaren Folgen gewesen als diese +geschlechtliche Unsittlichkeit, diese Treulosigkeit gegenüber sittlichen +Gesetzen, die in der göttlichen Natur des Menschen liegen.</p> + +<p>Mit jeder Verletzung der Moral schreiten wir rückwärts, durchqueren wir +das Weltgesetz der Entwicklung, das nach oben und nicht nach unten, +nicht rückwärts, führt. <em class="gesperrt">Mit jeder Verletzung der Moral greifen wir +störend in die Rechte und das Wohl anderer ein. Denn es gibt keine +persönliche Sittlichkeit, es gibt nur eine Sittlichkeit, die die +Gesamtheit fördert.</em> Diese Sittlichkeit haben auch tiefstehende Völker, +ja selbst Tiere haben sie; denn wir sehen die Tiere handeln nach +Gemeinschaftsgesetzen. Die Gemeinschaft der Lebewesen braucht die +Geschlechtskraft, und der blühende Empfindungsreichtum der Zeugung ist +das große Wunder der Natur. Aber sie braucht diese Geschlechtskraft +natürlich und rein und nicht als einen gegen das soziale Wohl +gerichteten Eigennutz. Wer das nicht fühlt, hat darum nicht das Recht +für sich. Und der Stolz junger Menschen müßte sich aufbäumen gegen die +schlaffe Massenauffassung des Alltags. In hochentwickelten +Einzelmenschen nur leben die Sittengesetze als gesunder Rasseninstinkt, +und wir andern werden ihnen nacheifern, wenn wir an <em class="gesperrt">Carlyles</em> Wort +denken:</p> + +<p>„Die Menschen leben um des Besten willen!“</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page75"></a>[Seite 75]</span> Prof. <em class="gesperrt">A. Herzen</em> sagt<a name="FNanchor_A_4" id="FNanchor_A_4"></a><a href="#Footnote_A_4" class="fnanchor">[4]</a>: „Die wirkliche sittliche Handlungsweise +ist diejenige, welche man als allgemeine Verhaltungsmaßregel aufstellen +kann; und diese Regel wird sofort von jedem normalen kultivierten Menschen +angenommen werden, der nicht mit geistiger oder sittlicher, angeborener +oder erworbener Unzulänglichkeit oder mit Wahnsinn behaftet ist.“</p> + +<p>Wenn nun, wie wir wissen, die Zeugungskraft und Liebesfähigkeit ein +Hauptstamm des Lebens ist, dessen verschiedene Abzweigungen wir +Menschen- und Nächstenliebe, Spannkraft, Begeisterungsfähigkeit, Mut, +Ritterlichkeit, künstlerische Kraft usw. nennen, müssen nicht alle diese +Kräfte eine Verschlechterung erfahren, wenn die Liebeskraft mit unreinem +Denken genährt wird?</p> + +<p>Diese Besudelung des Liebeslebens ist schlimmer, als die meisten ahnen. +Und es ist darum wohl erklärlich, daß heute mehr über diese Dinge +gesprochen wird, als dem feinempfindenden Menschen lieb sein kann. Aber +wir müssen darüber einmal zur Klarheit kommen, schon deshalb, weil das +Wort vom „Sichausleben“ zur Phrase geworden ist und unsere Jugend +verderbliche Wege führt. Warum bewegt sich die Wirklichkeit dieses +Sichauslebens denn nur immer im Rahmen eines unsauberen +Geschlechtslebens und richtet sich nicht auf körperliche und geistige +Höchstentwicklung?</p> + +<p>Wüßten die jungen Leute nur erst, wie sie ihr eigenes Glück schädigen, +weil die Dirne ihnen die Achtung vor dem Weibe und allem Weiblichen +nimmt! Der Glaube an die Mutter hat einmal unsere Jugend verschönt, und +diese schöne Erinnerung folgt uns in das Leben. Was hat die Mutter alles +für dich getan? Mit Schmerzen hat sie dich geboren, deinetwegen mußte +sie auf so vieles verzichten, was dem Manne das Leben vielgestaltig +macht. Das Verhältnis von Mutter und Kind ist ein kleines Heiligtum, das +der Mann als Gatte und Vater schützt.</p> + +<p><em class="gesperrt">In jedem Weibe aber steckt die Mutter.</em> Jedes Weib soll Reinheit dem +Manne darbringen, der sie zur Mutter macht. Willst du vorzeitig in dies +Heiligtum eingreifen? Willst du, <span class="pagenum"><a id="page76"></a>[Seite 76]</span> der du als Mann Schützer und +ritterlicher Hüter des Weibes sein sollst, ihr Verderber, ihr Verführer +werden? Sei gut und voll Achtung zu jedem Weibe, achte und ehre die +Mutter in ihr!</p> + +<p>Du wirst antworten, daß nicht immer der Mann die Schuld trage, sondern +oft das Weib die Verführerin sei, und daß die Prostituierte nicht +Achtung verdiene, sondern genommen werden müsse, wie sie ist. Ich will +die Dirne nicht besser machen, als sie ist. Aber wie viele von denen, +die auf den Straßen sich verkaufen, sind durch Verführung, Elend, +schlechte Erziehung in das Schandgewerbe hineingetrieben worden! Darfst +du die elende Lage, in die ein Mensch durch eigene oder fremde Schuld +hineingetrieben wurde, für deine Genüsse mißbrauchen? Und wenn du die +Prostituierte gar nicht achten kannst, wenn sie dir verworfen erscheint +und du dich darum der Verantwortung überhoben glaubst, so bleibt es für +dich entwürdigend, mit einem Menschen in Beziehung zu treten, den du +verachtest.</p> + +<p>Aber mit der Verachtung sollten wir vorsichtig sein. Im Gewoge des +Lebens steigt einer nach oben, der andere sinkt unter. Gute erbliche +Anlagen erleichtern das Leben, schlechte erschweren es. Dem Weib, das +Dirne wurde, gab die Vererbung wohl schlimme Keime. Schlimme +Verhältnisse ließen das Schlechte aufblühen. Aber mache sie nicht +schlechter! Wenn du ihr Gewerbe benutzest, so bringst du sie – wie so +viele andere – noch tiefer in den Sumpf hinein. Warum wolltest du das +tun?</p> + + +<h3>5.<br/> +Das „Verhältnis“.</h3> + +<p>Das Erwachen der Liebe bringt der Jugend Gefahren und Irrtümer. Je +stärker ausgeprägt der sinnliche Trieb ist, desto lebhafter werden +Beziehungen zu weiblichen Wesen gesucht. Wie die Sonne alles in ihre +Farben taucht, so umspielt die Erotik Mann und Weib. Eine +freudig-festliche Stimmung, Lichterglanz, ein paar Musikakkorde, ein +erregter Tanz oder dergleichen, und schon ist der Liebesfunke zur Flamme +angefacht. Schon <span class="pagenum"><a id="page77"></a>[Seite 77]</span> schiebt sich der Begriff „ewig“ in das eben +geknüpfte Band ein. Manchmal ist's ja ein Band fürs Leben, häufig aber +zerreißt's schon früh, und manchmal sieht der andere Morgen schon +Ernüchterung und Reue.</p> + +<p>Aus diesen losen, flüchtigen Beziehungen hat sich das herausgeschält, +was Tausende von Männern kennen, und was in unserer Gesellschaft ein +öffentliches Geheimnis ist, das „Verhältnis“. Ein im Grunde einfacher +Vorgang: eine geschlechtliche Beziehung zu einem Mädchen, das nicht +Dirne ist, sondern Bürgerstochter, Verkäuferin, Modistin, Schneiderin +oder Ähnliches, und das man eines Tages verläßt, um eine andere zu +heiraten. Sie gibt sich ihm hin, weil seine bessere soziale Stellung +ihrer Eitelkeit schmeichelt, oder weil er die ihm geschenkte Gunst +bezahlt, oder auch, weil – sie ihn liebt und glaubt, von ihm geheiratet +zu werden.</p> + +<p>Von seiner Seite ist's nicht Liebe, sondern die Gewohnheit des +Geschlechtsgenusses. Liebe nur, wenn die sozialen Abstände die Ehe +unmöglich machen. Manche Tragik entsprang dieser Wurzel; das sogenannte +„Verhältnis“ aber ist meist für den jungen Mann ein bequemer Weg des +Geschlechtsgenusses, der keine ernstliche Verantwortung mit sich bringt. +An sich selbst denkt er, und die Geschlechtserregung mag ihm ja auch +Liebe vortäuschen, aber seine Absicht geht gegen ein dauerndes Band. Das +kann nicht Liebe sein. Und wenn die Stunde der Trennung kommt, gibt's +oft viel Weh im Herzen des jungen Mädchens, viel Jammer und Bitten und +Tränen, weil doch die Liebe des Weibes, das seinen Leib hingab, ein +Stück von ihrem Leben ist, während der junge Mann sich von seinen +Geschlechtserlebnissen oft mit rücksichtsloser Kälte loslöst.</p> + +<p>Können diese Rohheiten Vorbereitung auf die Ehe sein? Zerstören sie +nicht die Gemütstiefe, die einer Ehe Inhalt und Schönheit gibt? Wird +nicht die Liebeskraft vergeudet, die ungebrochen einem einzigen Weibe +gehören soll?</p> + +<p>Und was wird aus dem Mädchen, das verlassen ist? Findet sie einen +anderen Mann, der sie heiratet, so wird sie verschweigen <span class="pagenum"><a id="page78"></a>[Seite 78]</span> +müssen, was sie erlebt. Was man verschweigen muß, kann nicht gut gewesen +sein. Oft aber geht sie aus einer Hand in die andere und endet als +Dirne. Denk' einmal, wenn es deine Schwester wäre! Welch ein +entsetzliches Geschick für dich und deine Familie! Und viele junge Leute +häufen, nur weil sie genießen wollen, solches Leid auf die anderen, die +oft schwer daran zu tragen haben.</p> + +<p>Es liegt im „Verhältnis“ eine Unehrlichkeit, die die sittliche +Persönlichkeit untergräbt. Du verlierst die Ehrfurcht vor dem Weibe, +weil du es nicht mit Achtung als Mensch, sondern mit Sinnlichkeit als +Geschlechtswesen genommen hast.</p> + +<p>Es gibt gewissenlose Schürzenjäger, deren dumme Frechheit jahrelange +Erfolge hat, weil selbst unter den Freunden und Kameraden niemand ihnen +sagt, daß ihr Tun nicht Mannhaftigkeit, sondern Erbärmlichkeit ist. Wir +müßten für mehr Klarheit in unserem Urteil sorgen.</p> + +<p>An geistig hochstehenden, wertvollen Frauen prallt der schale Witz +solcher Laffen ab; sie können sich höchstens ihrer Erfolge bei Dirnen +und charakterlosen Elementen rühmen, und auch da sind sie oft betrogene +Betrüger, ausgenutzte Dummköpfe gewesen.</p> + +<p>Das „Verhältnis“ ändert seinen durch die Erregung der Sinnlichkeit immer +wieder beschönigten Charakter in demselben Augenblick, in welchem die +hier ebenso notwendigen wie häßlichen Maßnahmen zur Verhütung der +Befruchtung mißlungen sind, und das werdende Kind als eine angstvolle +Tatsache da ist, das nun das wohlbehütete Geheimnis dieser +Geschlechtsbeziehungen der Öffentlichkeit zu enthüllen droht. –</p> + +<p>Und dann?</p> + +<p>Beim Manne tödliche Verlegenheit, Sorge für Ruf, Stellung, Name, +Gedanken an Trennung, weil nun das „Verhältnis“ lästig wird. Beim +Mädchen jagende Angst, Wunsch nach Schutz, Furcht vor dem Entdecktwerden +und dazu körperliche Leiden. Und dasselbe Kind, das zwei sich wahrhaft +liebende Menschen in der Ehe erst recht fest aneinanderkettet, trennt +meist zwei Menschen, <span class="pagenum"><a id="page79"></a>[Seite 79]</span> die den bloßen Geschlechtszweck ihres +„Verhältnisses“ mit dem Worte – „Liebe“ zu entschuldigen suchten.</p> + +<p>Auf dem Lande und bei der Arbeiterschaft pflegt die unwillkommene +Liebesfrucht meist den Entschluß zur Ehe zu erzwingen. Man heiratet +sich, und das ist ehrlich. Damit bereitet man dem Kinde ein Nest, ein +Heim, und die junge Mutter ist geschützt vor Sorgen und bösen +Lästerzungen.</p> + +<p>Aber in der Stadt besteht für alle „besseren Schichten“ die bequeme +Einrichtung der „Alimente“. Die Vatersorgen und die anständige Gesinnung +werden abgelöst durch ein geringes monatliches Geldopfer. Gewiß, der +Gesetzgeber konnte vielleicht nicht anders. Er kann nur einige +rechtliche Ordnung schaffen. Aber er hat uns zu viele Möglichkeiten +geschaffen, Gemütswerte durch Geldwerte abzulösen.</p> + +<p>Es wäre falsch, zu sagen, daß der Leichtsinn des „Verhältnisses“ die +Pflicht zur Ehe in sich trägt, wenn das Kind dem sinnlichen Idyll ein +jähes Ende bereitet. Denn dann könnte die Schwangerschaft eine Leimrute +sein, mit der ein raffiniertes Weib einen Gimpel fängt. Ich will nur die +Verwirrung beleuchten und die Rohheit zeigen, die oft mit dem +unehelichen Kind sich entwickeln. Manche himmelstürmende Liebe endet +durch die Abtötung der Frucht vor dem Strafrichter.</p> + +<p>Die Zahl der Totgeburten übersteigt bei den unehelichen Kindern überall +in Europa anderthalbmal diejenige bei den ehelichen. Manches eben +geborene Kind wird von der ratlosen, verzweifelten Mutter getötet oder +an Fremde abgegeben.</p> + +<p>Das Höchste, Heiligste, was wir Menschen kennen, die Mutterschaft, wird +besudelt, entehrt, wird zum Verbrechen. Grenzenloser Jammer erstickt das +Gefühl des Mädchens, das Mutter wurde und verlassen wurde.</p> + +<p>Rings um die großen Städte wohnt in ländlichen Bezirken ein Kreis von +Menschen, die sich mit der Pflege unehelicher Kinder gegen einmalige +oder periodische Vergütung systematisch und beruflich beschäftigen, +systematisch und beruflich aber auch unter <span class="pagenum"><a id="page80"></a>[Seite 80]</span> dem Deckmantel der +Pflege die – Tötung besorgen. Manchmal weiß das die Mutter nicht, +manchmal aber weiß sie es.</p> + +<p>Das Leid des unehelichen Kindes ist zu oft gesungen worden, als daß ich +dazu Mollakkorde geben müßte. Verbrechen und Unehelichkeit, Prostitution +und Unehelichkeit, das sind fast unlösbare Zusammenhänge. Der Unterbau +des Lebens und der Charakterbildung, die mit Liebe und Achtung +durchzogene Ehe, fehlt dem unehelichen Kinde. Gerade in den +Kinderjahren, den Jahren der Weichheit und Aufnahmefähigkeit, der +Lenkbarkeit, fehlen oft die festen Grundsätze gesunder Erziehung, +herrschen oft Willkür, Vernachlässigung und der verderbliche Einfluß der +Straße. Der Vater fehlt, die Familie fehlt. Dem Genuß eines Augenblicks +entsteigt ein neues Menschenleben, das verfehlt und verdorben ist, weil +die Verantwortung fehlte.</p> + +<p>Es ist oft, als sei im Geschlechtsleben das Rechtsgefühl vollkommen +geschwunden, das doch beispielsweise in den kleinsten Geschäfts- und +Geldsachen so fein entwickelt ist. Wer ein Geldstück stiehlt, kann ins +Gefängnis kommen. Wer aber im Geschlechtsleichtsinn einem andern +Menschen Glück und Namen, Ehre und Leben stiehlt, der kann sich auch +ohne viel Geschick durch die Paragraphen hindurchwinden. Die +gesetzeberatenden und gesetzemachenden Männer haben augenscheinlich zu +wenig an das Weib gedacht; denn die Rechtsprechung aller zivilisierten +Länder läßt dem Manne überall da Durchschlupfe, wo sich das Weib in +den Irrgängen der sexuellen Doppelmoral fängt. Ja, die napoleonischen +Gesetze Frankreichs zeigen eine offenbare Verachtung der Frau. Diese +Verwirrung in Geschlechtsfragen hat scheußliche Zustände gezeitigt. +Irgendein junger Mensch ist der Verführer. Seine sexuellen Wünsche +sind lebendig geworden. Er lernt ein Mädchen kennen, und seine +Sinnlichkeit treibt ihm betörende Lügen auf die Lippen. Sie glaubt ihm +und wird verführt. In irgendeinem verschwiegenen Winkel kommt sie +nieder. Alle Welt zeigt mit Fingern auf sie: „sie hat ein Kind.“ Warum +nicht auch auf ihn? Es ist doch auch <em class="gesperrt">sein</em> Kind. Ein uneheliches Kind +kann die Ursache sein, daß die Mutter in Ächtung, Verzweiflung +<span class="pagenum"><a id="page81"></a>[Seite 81]</span> und Tod getrieben wird, daß sie ein Leben lang büßt für eine +Stunde voll glühender Worte. Der Mann aber kann am nächsten Tage die +gleiche Komödie wiederholen. Und wenn dieser brutale Egoismus soundso +oft mal in das Leben von soundso vielen Frauen zerstörend eingegriffen +hat, dann deckt leicht eine glänzende Heirat den Schleier der +gesellschaftlichen Stellung über die innere Erbärmlichkeit.</p> + +<p>Wo bleibt hier das Rechtsbewußtsein, die Grundlage jeder menschlichen +Gemeinschaft? Wie viele Männer gibt es, Geschäftsleute, Direktoren von +Theatern, Gesellschaften, Kaufhäusern usw., die ihre soziale Macht und +die soziale Bedrängnis ihrer Angestellten dazu ausnutzen, die hübscheren +jungen Mädchen in ihre Hand zu bekommen, die aber bei der Heirat sich +doch nach einer Frau „von gutem Ruf“ umsehen.</p> + +<p>Welch ein beschämender Mangel an einfachem Rechtsgefühl! Mancher Mann, +der ein unschuldiges junges Mädchen zur Mutter gemacht hat, ist dadurch +wie ein wildes Tier in das Glück und den Frieden einer ganzen Familie +eingebrochen. Und doch geht uns die Phrase nicht aus den Ohren, die +Geschlechtsbeziehungen des Mannes seien weniger verhängnisvoll als +diejenigen des Weibes.</p> + +<p>Wenn die Mädchen, die heiraten, immer wüßten, wie sehr die häßlichen +Bilder der Vergangenheit ihres Geliebten den schönen Phrasen des +Augenblicks widersprechen, wenn sie wüßten, wieviel himmelschreiendes +Unrecht, begangen an anderen, durch die Ehe sanktioniert werden soll, +wenn sie wüßten, wie oft es vorkommt, daß abseits von dieser Ehe ein +verlassenes, verhärmtes Weib in Not und mit Bitterkeit für das Kind des +Geliebten sorgt, dann würden Schatten durch glückliche Gesichter ziehen, +und in mancher Frau würde wohl die Erkenntnis reifen, daß für das Glück +der Menschen und die Schönheit der Ehe die voreheliche Reinheit des +Mannes genau so wichtig ist, wie die Reinheit des Weibes. Immer ist die +Liebe die Lebensgestalterin. Sie gestaltet es gut oder schlecht. Darum +muß diese gestaltende Kraft rein gehalten werden.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page82"></a>[Seite 82]</span> An der alljährlichen Zunahme der unehelichen Geburten erkennen +wir die ins Grenzenlose gewachsene geschlechtliche Gewissenlosigkeit +der Jugend. Der unehelichen Mutter hat das Kind die soziale Lage sehr +erschwert. Um so schutzbedürftiger sieht sie nach dem Manne; um so +schmachvoller ist es, wenn dieser sie verläßt. Nur die Ehe kann dem +mütterlichen Weibe und dem Kinde ein sicherer Hort sein. Darum lockern +diese leichtsinnigen Geschlechtsverbindungen das ganze Gebäude unseres +sozialen Fühlens, Denkens und Handelns. Geschlechtliche Ungebundenheit +ruiniert ein Volk; denn sie ist eine Roheit und eine Gefahr für den +Nachwuchs. Sie ist ein ununterbrochener, geheimer und niederträchtiger +Kampf gegen die Einehe, die als höchstes Sittenideal unserer in uns +schlummernden Ethik entstiegen ist. Alles, was die monogamische Ehe +fördert und vorbereitet, ist zugleich sittliche Ordnung, Festigkeit, +Gesundheit, Kraft und Menschenglück, alles, was sie stört, bringt +Zerfall, Unglück, Proletariat, Krankheit. Das ist <em class="gesperrt">das uralte und +urewige Gefüge der Natur, daß der Mann Hüter und Schützer von Weib und +Kindern sein soll.</em> Mag auch die Strömung der Zeiten die Frau +„emanzipieren“, ihr soziale Selbständigkeit und Unabhängigkeit geben +wollen, was vermag dies Eifern vor dem gebietenden Wort der Natur! Das +Weib ist Mutter! Das ist sein Glück und sein Ruhm, aber auch die ewige +Bedingtheit ihrer Lebensform, ihre ewige und unabänderliche +Abhängigkeit vom Mann.</p> + +<p>Und wer aus der traurigen Nüchternheit und grenzenlosen Banalität vieler +Ehen eine Waffe zur Bekämpfung der ehelichen Gemeinschaft überhaupt sich +herrichtet und in der „freien Liebe“ das Heil sieht, der sollte sich +fragen, ob denn die freie Liebe etwas ändert an den ehernen +Naturgesetzen, die die Ehe geformt haben, sollte sich fragen, ob denn +die Menschen, deren Seelen matt sind und die kraftlos zu einem +Liebesideal aufschauen, in einer ungebundenen Liebe die Verjüngung +finden, die sie glücklicher machen kann. Das Leben bedarf so sehr dieser +ewigen Verschmelzungs- und Verjüngungsprozesse durch Mann, <span class="pagenum"><a id="page83"></a>[Seite 83]</span> Weib +und Kind, daß sich die Forderung der vorehelichen Reinheit, das Ideal +der Treue und die Tatsache der monogamischen Ehe als biologische, +soziale und sittliche Grundforderungen herausgebildet haben.</p> + +<p>Der Vergleich mit der geschlechtlichen Wahllosigkeit mancher Ur- und +Primitivvölker ist nicht stichhaltig. Sie haben ein auf tiefster Stufe +stehendes Geistesleben und kennen darum nicht die Liebe, können uns +nicht Maßstab sein. Aber die Liebe ist durch die Jahrtausende +hindurchgeschritten und steigerte ständig ihre Seelenkraft, vertiefte +und verfeinerte sich, und ward so eine duftige Blüte zartester +Seelenkultur. Jeder rohe körperliche Akt, dem die Seele mangelt, treibt +sie wieder zurück bis dahin, wo sie angefangen. In dem unbewußten +Stammeln der im Selbstvernichtungsrausch versinkenden Liebenden „Nur +du“, „ewig du allein“, liegt unbewußt die allerstärkste Betonung der +Monogamie.</p> + + +<h3>6.<br/> +Vor der Ehe.</h3> + +<p>Es kann nur <em class="gesperrt">einen</em> Weg der Vorbereitung auf die glückliche Ehe geben, +das ist der der eigenen Reinheit und die bei aller unbewußten Erotik +geschlechtslose Beziehung zu Frauen. Wehe dem Manne, der im Weiblichen +nur das Geschlechtliche sehen kann, der für dies <em class="gesperrt">eine</em> seinen Sinn +steigerte und für alles andere stumpf wurde. Ihm hat auch die Ehe nur +Geschlechtsinhalt. Er kennt nicht die höchsten Genüsse, die in der +innigen Ergänzung der besonderen geistigen Persönlichkeit des Mannes +mit weiblicher Art, weiblichem Denken liegt. Meide den Umgang mit +wertlosen Frauen, aber suche und pflege mit der Freundschaft zu guten +Menschen besonders die geistigen Beziehungen zu edler Weiblichkeit. +Deine Männlichkeit, dein Auftreten, deine Lebensformen werden +ausreifen, wenn der Hauch gesunder Weiblichkeit dich umweht. Kannst du +deine Interessen mit einer Freundin austauschen, so bekommt deine +Anschauung noch eine andere, sich ergänzende Richtung.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page84"></a>[Seite 84]</span> Und siehst du in der Freundin eines Tages die Geliebte, denkst +du sie dir als Gefährtin des Lebens, nun, so war's wohl ein guter +Entschluß. Aber prüfe, ehe du dich bindest! Hast du dich entschlossen, +so glaube nur nicht, jetzt sexuelle Rechte zu haben! Gerade dies +„Poussieren“, diese häufigen Geschlechtserregungen in allen Winkeln und +dunklen Ecken, diese Liebkosungen sexueller Art sind so verderblich für +das Nervensystem. So wenig Haltung bewahren oft junge Menschen, daß sie +jedes Alleinsein zu unsauberem Denken und Tun mißbrauchen, oft nur, weil +sie zu geistlos und zu sehr ohne inneren Wert sind, als daß sie das +Alleinsein mit Schönerem ausfüllen könnten. Wenn so schon der Jugend die +Poesie gestorben ist, sollte man den Schritt zur Ehe nicht mehr wagen; +denn die Ehe wird zum Ekel.</p> + +<p><em class="gesperrt">Lerne bewundernd zu lieben, ohne zu begehren!</em> Dann wird das, was du +liebst, dir lange, lange das Schöne bleiben! Liebe ist Wunsch, ist +Sehnsucht, ist Spannkraft der Seele. Töte das alles nicht, indem du +vorschnell an dich reißest, was deiner Sehnsucht lebendiges Ziel sein +soll. Mag auch ein sinnliches Begehren dich zu dem Mädchen, das du +liebst, hinreißen, falle ihm nicht zum Opfer. Ihr entschleiert das Bild +zu Saïs! Solange die unerfüllten sinnlichen Wünsche <em class="gesperrt">in</em> dir leben, +beschwingen sie deine Liebe und treiben dir Worte der Poesie auf die +Lippen. Du siehst alles, alles schön und farbenprächtig, idealisierst +die Wirklichkeit, hast Jugend in dir; denn Jugend ist Wunsch und +poesievolle Spannung. Die befriedigte Liebe aber, wenn sie nur +körperliches Begehren war, wird arm an Worten, und es ist die tiefe +Tragik der Liebe, daß sie in ihrem höchsten Begehren stirbt. Sie kann +sich selbst bekämpfen, in der eigenen Glut aufzehren, und es braucht +klare Augen und einen festen Willen, sie in Schranken zu halten.</p> + +<p>Wieviel unglückliche Ehen entsteigen dieser geschlechtlichen +Voreiligkeit! Die Erregung raubt Besonnenheit und Urteil. Ein Kind ist +entstanden und treibt die zwei leichtsinnigen Menschen in die Ehe +hinein, den Mann oft gegen seinen Willen. Was freieste Entschließung und +seelische Hochspannung zweier Menschen <span class="pagenum"><a id="page85"></a>[Seite 85]</span> sein sollte, wird eine +Zwangsmaßnahme, die aus innerer Angst und aus Furcht vor dem Skandal +geschah. Gerade wenn der Wunsch nach dem Weibe die Sinne füllt, sollte +man mit Entschlüssen zögern. Was wir gar zu heftig begehren, sehen wir +nur in seinen Vorzügen, nicht auch in seinen Schwächen und Mängeln. Und +manches Mädchen, das für den Geliebten „göttlich“ war, wird für den +Gatten, wenn der Alltag der Ehe den Morgentau der Liebe abstreifte, mehr +als irdisch. Darum prüfe dich lange und zähme immer deine Sinnlichkeit. +Denn durchbricht sie die Schranken, so entscheidet sie oft über Dinge, +die noch gänzlich unentschieden sind, und knüpft oft ein Band, das +besser ungeknüpft bliebe.</p> + +<p>So betrachtet, wird dir die Liebe zur beschwingenden Kraft. Aus dem +Gegenspiel von Erotik und ihrer Beherrschung erwächst dir die Achtung +vor dir selbst und vor der Weiblichkeit. Je größer diese doppelte +Achtung ist, desto weiter rückst du ab von der Prostitution und allem, +was aus ihr entspringt und mit ihr zusammenhängt.</p> + + +<h3>7.<br/> +Schadet der Jugend die Enthaltsamkeit?</h3> + +<p>Es wird viel und gern davon gesprochen, daß die geschlechtliche +Betätigung vor der Ehe eine Notwendigkeit sei, eine Forderung der +Gesundheit. Diese letztere solle Schaden nehmen in der Enthaltsamkeit.</p> + +<p>Die einen stellen diese These auf und verteidigen sie mit +Hartnäckigkeit, die anderen bestreiten sie energisch. Ich zögere keinen +Augenblick, zu sagen, daß es viele Fälle von Schäden der Enthaltsamkeit +gibt, Schäden, die sich bei der geistigen Arbeit, im Schlaf, im ganzen +geistigen und körperlichen Leben überhaupt zeigen. Es wäre falsch und +widerspräche der Wissenschaft und den alltäglichen Vorkommnissen, einer +sittlichen Absicht zuliebe physiologische Erscheinungen rundweg leugnen +zu wollen. Das erzeugt Widersprüche, die zu Waffen in der Hand der +Gegner werden.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page86"></a>[Seite 86]</span> Aber derartige Schäden treten erst bei der +Geschlechtsenthaltsamkeit der Erwachsenen auf und haben für die Jahre +der Entwicklung, für die Jugend, nicht die mindeste Geltung. <em class="gesperrt">Für die +Jugend ist die Enthaltsamkeit nicht nur nicht schädlich, sondern eine +Grundbedingung vollkommener Entwicklung.</em></p> + +<p>In der Tierzucht ist es ein ganz selbstverständlicher Grundsatz, Tiere +niemals vor vollendeter Reife zur Geschlechtsbetätigung zuzulassen, weil +man dadurch das Tier schwächt, seine Leistungsfähigkeit (z. B. bei +Rennpferden, Jagdhunden, Lasttieren) vermindert und schließlich die +ganze Rasse herabzüchtet. Zwischen Fortpflanzungstrieb und Lebensdauer +besteht eben ein unlösbarer Zusammenhang. Ganze Völker versinken in der +Widerstandslosigkeit gegen den Geschlechtsreiz. Den Indiern hat nichts +so sehr die Kraft genommen, als die frühen Heiraten, die schon von +Kindern geschlossen werden. Es kann niemals gut sein, wenn ein Trieb +sich so entwickelt, daß er alles beherrscht. Eine Schwächung des Ganzen +muß die Folge sein.</p> + +<p><em class="gesperrt">Noch nie, solange die Welt steht, hat die Keuschheit so ungeheuren und +entsetzlichen Schaden angerichtet, wie die Ausschweifung.</em></p> + +<p>Die Schäden, von denen man spricht, sind aufgebauscht und werden zur +bequemen Entschuldigung für den Geschlechtstrieb, den zu zügeln man +nicht die Kraft und den Willen hat. In diesem Punkte gibt es so viele +Täuschungen, als es Behauptungen gibt. Denn alle die Zustände, die man +in den bequemen und gedankenlosen Begriff „nervös“ zusammenfaßt, die +Unruhe, Schlaflosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, allgemeine Schlaffheit, +Verdauungsträgheit, Mißmut, Gemütsbedrücktheiten u. dergl., die fast +alle aus völlig unnatürlicher Lebensart sich ergeben, wenn die Freuden +der Tafel über die Bedürfnisse des Lebens hinausgehen und der Körper +nicht genug Bewegung hat, diese Zustände werden gern und vorschnell dem +Mangel an Geschlechtsgenuß zugeschrieben, weil man so die Sinnlichkeit, +mit Gründen wohl versorgt, auf den glatten Boden eines vergnügten Lebens +hinausschicken <span class="pagenum"><a id="page87"></a>[Seite 87]</span> kann. Denn um ein Vergnügen handelt sich's wohl +bei all den jungen Männern, die ihre leichtfertigen Liebesabenteuer mit +der Flagge der bedrohten Gesundheit verteidigen.</p> + +<p>Die gesamte Art der Menschheit, zu leben, zu arbeiten, zu essen und zu +trinken, und demgemäß zu denken und zu fühlen, ist so grundfalsch, so +von den natürlichen Gesetzen abgewichen, auf Abwege geraten, daß auch +unser Urteil über den Geschlechtstrieb und seine Äußerungen notgedrungen +falsch sein muß. Wie kann man aus ungesunden Lebensformen physiologische +Gesetze folgern wollen?</p> + +<p>Es ist wohl gut, auf einige Äußerungen von Männern hinzuweisen, die +auf Grund ihres wissenschaftlichen Urteils und ihrer Lebenserfahrungen +gehört zu werden verdienen. Dabei will ich verzichten auf die +Wiedergabe des bekannten Schreibens der medizinischen Fakultät der +Universität Christiania, erstens, weil es aus dem Jahre 1887 stammt, +und vor allem, weil mehrfach angezweifelt worden ist, ob in der Tat +die <em class="gesperrt">ganze</em> Fakultät es unterzeichnete. Tatsache aber bleibt, daß die +jüngeren norwegischen Ärzte in ihrem Fachblatt das erwähnte Urteil der +Fakultät zu ihrem eigenen gemacht haben.</p> + +<p>Der bekannte Nerven- und Irrenarzt Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Aug. Forel</em> sagt: +„Die angebliche Nervosität resp. physische Erregbarkeit, Abspannung usw., +welche die Keuschheit nach sich ziehen soll, wird als ein +Hauptargument zur Verteidigung der staatlichen Fürsorge für +weiberbedürftige Männer herangezogen. Ich bin in meiner ärztlichen +Laufbahn von zahlreichen jungen Neurasthenikern und Hypochondern +konsultiert worden, welche früher keusch waren, erst auf ärztliche +Anordnung hin Bordelle besuchten und vielfach dort venerisch +angesteckt, jedoch weder von Neurasthenie noch von Hypochondrie +kuriert wurden. Einen irgendwie nennenswerten Erfolg von dieser +Therapie habe ich selbst nie beobachtet.</p> + +<p>„Zweifellos dagegen ist es, daß der ausposaunte angebliche Schutz gegen +Syphilis (von einem Schutze gegen gonorrhöische Infektion wagt niemand +zu sprechen), verbunden mit den zahllosen <span class="pagenum"><a id="page88"></a>[Seite 88]</span> Lockungsmitteln, +welche die in diesen Geschäften pekuniär interessierten Personen zur +Vermehrung ihrer Kundschaft anwenden, die Zahl der sich prostituierenden +jungen Männer ungeheuer steigert; es bildet sich unter denselben +allmählich die ‚Suggestion‘, daß die Keuschheit ein unmögliches Ding +sei, daß ein keuscher Jüngling kein ‚Mann‘ sei u. dergl. mehr. – Zwar +liefert überall die Landbevölkerung, ohne daß wir an unsere Vorfahren zu +appellieren brauchten, den Beweis, daß ohne regulierte Prostitution und +ohne Prostitutionshäuser die Männer existieren und gesund bleiben, sogar +viel gesünder werden können. Es beweisen ferner zahlreiche Einzelfälle, +daß die Keuschheit ohne Nachteil für die Gesundheit bestehen kann ... +Doch wird dies meist ignoriert.</p> + +<p>„Die Prostitution ist kein Heilmittel gegen die Onanie. Beide bestehen +sehr oft nebeneinander...... Tatsache ist ..., daß der Geschlechtsreiz +durch vermehrte Befriedigung sich steigert, zu einem immer häufigeren +Bedürfnis wird. Das erklärt die weitere Tatsache, daß ... sehr viel +Exzedenten daneben noch onanieren oder nächtliche Pollutionen haben...</p> + +<p>„<em class="gesperrt">Nie habe ich eine durch Keuschheit entstandene Psychose gesehen, wohl +aber zahllose solche, die die Folgen von Syphilis und Exzessen aller Art +waren</em>...</p> + +<p>„Wir müssen dabei bleiben, daß für den jungen Mann bis zu seiner +Verehelichung die Keuschheit nicht nur ethisch und ästhetisch, sondern +auch der Prostitution gegenüber hygienisch das Zuträglichste ist.“</p> + +<p>Auch der hervorragende Psychiater Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Eulenburg</em> bezweifelt +in seiner „<span class="antiqua">Neuropathia sexualis</span>“, „daß schon irgend jemand bei sonst +vernünftiger Lebensweise durch geschlechtliche Abstinenz allein krank, +speziell neurasthenisch oder sexual-neurasthenisch geworden ist.“ Er +sagt weiter: „Ich halte diese immer wiederkehrenden, phrasenreichen +Behauptungen für völlig leeres und nichtssagendes Gerede, wobei es +sich nur um gedankenloses Miteinstimmen in den allgemeinen Chorus +oder – noch schlimmer – um ein bewußtes Kniebeugen vor Vorurteilen +handelt... <span class="pagenum"><a id="page89"></a>[Seite 89]</span> Jene im Laienpublikum außerordentlich beliebte und +leider auch von gewissen Ärzten laut oder stillschweigend gebilligte +Meinung von der unbedingten Schädlichkeit geschlechtlicher Abstinenz +wirkt zumal auf die heranwachsende Jugend in hohem Maße verderblich; +sie treibt diese dem illegitimen Geschlechtsverkehr, d. h. der +Prostitution, geradezu in die Arme...“</p> + +<p>Das Wort von den Schäden durch Enthaltsamkeit ist am lautesten im Munde +derjenigen, die die Venus Anadyomene (sinnliche Liebe) kennen und ihr +nicht entsagen wollen. Sie wissen nicht, daß das zur Periodizität +neigende Rückenmark aus einem gewöhnlichen Reiz ein gebieterisches Recht +macht. Findet man nicht im Essen, im Trinken, im Rauchen und in allen +Lebensgewohnheiten genau dasselbe? Man entziehe nur einmal einem starken +Esser oder Trinker sein gewohntes Quantum, und er wird – obwohl die +Entsagung seinem Organismus höchst dienlich ist – Unbehaglichkeiten, ja +Qualen erleiden. So ergeht's dem Raucher, so dem Morphinisten. Ist darum +in ihren Wünschen, ihren Gefühlen, ihren Ansichten auch nur ein Schimmer +von Recht?</p> + +<p>Wer das Geschlechtsgefühl häufiger kennen lernte, hat seinen Organismus +sozusagen darauf eingestellt. Wie Wellenlinien durchzieht's die +Nervenzentren, periodisch sie erregend. Dann bringt zunächst die +Enthaltsamkeit Beschwerden, wie allen, die unbeherrscht und triebhaft +leben. Aber nur zunächst. Bald stellt sich das Nervensystem mit dem +ganzen Organismus auf diese neue Marschroute ein, und die inneren +Absonderungen vermehren bald merkbar die Spannkraft des Körpers und des +Geistes. Ja, wer beobachten kann, findet bald heraus, daß der die +Geschlechtskraft sparende Organismus mit einem geringeren Maß von Schlaf +und Nahrung auskommt, weil er trotz erhöhter Leistungsfähigkeit +sparsamer wirtschaftet. Für viele, viele Menschen ist der +Geschlechtsgenuß ein jedesmaliger Kraftverlust, sie erschlaffen tagelang +nachher, und Menge und Wert ihrer Arbeit leidet. Sie brauchen Tage, um +durch Ruhe und Sorgfalt in der Ernährung wieder auszugleichen, was sie +in einer Minute verloren <span class="pagenum"><a id="page90"></a>[Seite 90]</span> haben. Trotzdem aber können sie nicht +loskommen von dem entnervenden Glauben an die Notwendigkeit +geschlechtlichen Lebens.</p> + +<p>Freilich bedingt ein so besonders beherrschtes Leben auch veränderte +Lebensgewohnheiten. Wenn du an Kopfschmerzen leidest, an unruhigem +Herzen, an Schlaflosigkeit und wüsten Träumen, oder durch Pollutionen +erschlafft wirst und in all diesen Dingen Gründe für ein voreheliches +Geschlechtsleben siehst, dann handelst du wie ein Kind, das die eine +Dummheit durch die andere beseitigen will. Du sollst deine +Eßgewohnheiten ändern, den Alkohol meiden, das Rauchen einschränken, +Gewürze und gewürzte Nahrung fortlassen und alles das beachten, was wir +schon beim Kapitel der Onanie miteinander besprochen haben. Und wenn der +Arzt in all den eben genannten Störungen die Zeichen eines zu hohen +Blutdruckes erkennt, so sollte er seinen Patienten nicht auf den +gefährlichen Weg zur Dirne senden, sondern den Blutdruck durch den +gesünderen und klügeren Rat der fleischlosen Nahrung, der Vermeidung von +Kaffee und Tee und Alkohol herabsetzen. Kann diese gedankenlose +Suggestion der Dirnennotwendigkeit sich bei der ärztlichen Autorität ihr +Lebensrecht holen, dann ist es kein Wunder, wenn die Köpfe junger Männer +erfüllt sind von wilden, ungezügelten und schmutzigen sexuellen +Vorstellungen, die den erregten Körper zu nächtlichen Samenergüssen und +damit zur Erschlaffung mit Rückenschmerzen, Verdauungsschwäche und +Melancholie treiben! Ein straffes Halt der lüsternen Phantasie gebieten, +Geist und Körper in ernste, energische Arbeit einspannen, das hält den +Geist sauber und den Körper gesund!</p> + +<p>In Klöstern, wo die Frauen arbeiten, hat man selten Hysterie gefunden; +bei Prostituierten dagegen ist sie häufig.</p> + +<p>Du wirst einsehen, daß gerade die wunderbare Tatsache der <em class="gesperrt">inneren</em> +Drüsenabsonderungen der Jugend die Pflicht der Keuschheit auferlegt. +Denn der Organismus, der diese Drüsensekrete zu seiner Entwicklung +gebraucht, kann nicht zu seiner vollen Entwicklung kommen, wenn ihm +vorher das Wachstumsmaterial <span class="pagenum"><a id="page91"></a>[Seite 91]</span> entzogen wird. Und wenn dem Körper +die Kraft genommen ist, wie sollte er Kraft seinen Nachkommen geben +können? Dem eigenen Leichtsinn folgt die Schwäche der Nachkommen, und +sie ist ein drückender Vorwurf für den, der noch ein Gewissen hat.</p> + +<p>Es ist nicht geschickt, zur eigenen Entschuldigung auf die Männer +hinzuweisen, die trotz ihrer sexuellen Ausschweifung geistig groß, +bedeutend und machtvoll waren. Denn erstens sind solche Männer in der +Minderzahl, zweitens hätten sie bei größerer Selbstzucht noch Größeres +erreicht. Die Zahl der Großen aber, die ihr persönliches Leben unter +die ordnende Macht sittlicher und gesundheitlicher Gesetze gestellt +haben, ist wesentlich größer, und man braucht nur auf <em class="gesperrt">Immanuel Kant</em>, +auf <em class="gesperrt">A. v. Humboldt</em> hinzuweisen, um sexuelle Enthaltung und geistige +Größe eindrucksvoll nebeneinander zu sehen. Jedenfalls hat +frühzeitiger Geschlechtsverkehr noch keinen großen Mann gezeitigt. +Dagegen fällt das Auge überall auf Menschen, die durch vorzeitige +Vergeudung der Zeugungskräfte an Körper und Geist verarmt und +verkümmert und zu jedem geistigen Hochflug unfähig geworden sind.</p> + +<p>Obermedizinalrat Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Gruber</em> in München sagt: „An eine +Schädlichkeit der Zurückhaltung des Samens im Körper ist nicht zu +denken.“ Er weist darauf hin, daß die Samenflüssigkeit, wenn sie als +Auszug aus Tierhoden unter die Menschenhaut gespritzt wird, die +Leistungsfähigkeit der Muskeln erhöht und diese sich rascher erholen. Er +weist ferner auf die Enthaltung von Gelehrten und Künstlern hin und +sagt: „Während der Zeit der Enthaltung wird sicherlich Samen aufgesaugt, +und seine Bestandteile gelangen ins Blut. Dies wirkt nicht schädlich, +sondern günstig.“ –</p> + +<p>Zweifellos gibt es Menschen von so heftiger geschlechtlicher Begierde, +daß sie sich wie ein Wesenszug ihrer besonderen Persönlichkeit ausprägt +und oft ihrem Handeln eine bestimmte Note gibt. Sie können sich nicht +bezähmen, sondern werden von ihrer Begierde beherrscht. Solchen Menschen +erscheint der Gedanke an <span class="pagenum"><a id="page92"></a>[Seite 92]</span> geschlechtliche Entsagung lächerlich, +und sie sind es auch, die, von ihrem eigenen Zustand ausgehend, ihren +jugendlichen Kameraden die Gefahren der Keuschheit anschaulich machen +wollen. Sie geben oft einer Unterhaltung den Ton, und die anderen +schämen sich, ihre Unschuld zu zeigen oder gar zu verteidigen. Wir +wollen nicht Pharisäer sein und Steine werfen auf diejenigen, deren +heftige, unstillbare Begierde die Selbstbeherrschung übersteigt. Aber +man soll in diesen Dingen das Herdenmäßige niederhalten, damit nicht der +eine zur gefährlichen Antriebskraft für die anderen wird, die zu spät +den gefährlichen Weg, den Krankheitsjammer und das moralische Elend +erkennen, in das ihre durch ein paar verführende Worte angefachte +Sinnlichkeit sie hineingetrieben hat. Man kann, durch ein Irrlicht +geleitet, leicht in einen Sumpf geraten. Ob aber die Kraft zum +Herauskommen später noch da ist, ist nicht vorherzusagen.</p> + +<p>Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Albert Heim</em> hat in einer kleinen Schrift, „Das +Geschlechtsleben des Menschen vom Standpunkt der natürlichen +Entwicklungsgeschichte“, vortrefflich nachgewiesen, daß diese sexuelle +Planlosigkeit und Willkür, die wir in der „zivilisierten“ Menschheit +finden, nicht einmal beim Tiere existiert, daß für das in Freiheit +lebende Tier durchaus keine Geschlechtsfreiheit besteht, daß es vielmehr +in polygamischer oder monogamischer Ehe lebt. Er sagt:</p> + +<p>„Und indem allmählich die zeitliche Beschränkung der Geschlechtsliebe +auf Brunftzeiten verschwunden ist, die Zeit der Brutpflege und der +Erziehung der Nachkommen sich immer verlängert hat, wird die Familie +fester und dauernder und dadurch die <em class="gesperrt">lebenslängliche Einzelehe</em> immer +<em class="gesperrt">natürlich-notwendiger</em>. In geschichtlicher Zeit sehen wir in der +Menschheit selbst alle Stufen von Unregelmäßigkeit, polygamischer, +monogamischer Ehe sich fortschreitend entwickeln bis gegen die +Alleinherrschaft der lebenslänglichen Einzelehe in Praxis, in Sitte und +in Gesetz. Was die Natur schon am Tierreiche in verschiedenen Zweigen +aufsteigend entwickelt und mit verstärkter Notwendigkeit dem Menschen +als Erbe überbunden hat, das wird sie nicht zurücknehmen <span class="pagenum"><a id="page93"></a>[Seite 93]</span> +können. Es gibt kein anderes Rückwärtsschreiten als dasjenige zum +Untergang.</p> + +<p>„Die <em class="gesperrt">monogamische Lebensehe</em> ist in ihrer Ausbildung ein allgemeines +Naturgesetz, und indem das Sittengesetz der Menschheit dieselbe +fordert und anstrebt, ist es eben nicht ein Stück „zivilisatorischer +Unnatur“, sondern ein <em class="gesperrt">Stück Natur</em>. <em class="gesperrt">Ein ungehemmtes Verfolgen seiner +Triebe ist kein Naturrecht. Die freie Natur gibt dies bei höheren +Tieren nirgends zu.</em> Auch das Tier würde bei Geschlechtsfreiheit rasch +zugrunde gehen. Der außereheliche Geschlechtsverkehr ist in der Natur +gar nicht vorgesehen; er ist nur eine unglückliche Abirrung der +Zivilisation, ein Irrtum! Je intensiver der Geschlechtstrieb, je +beseligender seine Befriedigung wird, desto bestimmtere und engere +Schranken setzt ihm die Natur, desto höher und heiliger aber auch +gestaltet sie die geschlechtliche Verbindung; sie wird zur Liebe, zur +Ehe. Beim Menschen gibt uns Liebe und Gegenliebe, nicht der +Geschlechtstrieb, Recht aus Geschlechtsgenuß.</p> + +<p>„Das Gerede vieler Männer von der Unnatur der Enthaltsamkeit und der +monogamischen Lebensehe ist also eitel Säbelgerassel und steht im +grellsten Widerspruche mit den Leitlinien der natürlichen Entwicklung. +Diesem Gerede zuliebe wird die Natur nicht umkehren, sondern wer ihren +Entwicklungsgedanken zuwider lebt, der wird an seinem Laster verderben! +Aus der Natur, aus ihren Gesetzen, kommen wir nimmer heraus!“</p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page94"></a>[Seite 94]</span> <a id="img011" name="img011"></a> +<img src="images/img011.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2><span class="ftsize90"><em class="gesperrt">Dritter Teil.</em></span><br/> +Die Geschlechtskrankheiten.</h2> + + +<p>Ja, wenn noch aus all dieser lüstern-lockenden Welt der geschlechtlichen +Ungebundenheit Glück und Kraft und Schönheit käme! Wenn die Wege des +Genusses nicht zur Reue führten, die oft fassungslose Verzweiflung ist! +Denn das voreheliche Geschlechtsleben hat einen Januskopf. Auf der einen +Seite das lächelnde Antlitz des Augenblicksgenusses und auf der anderen +die grause Kehrseite der venerischen Krankheiten, allen voran Tripper +(Gonorrhöe) und Syphilis. Weißt du, welche Schrecken diese Krankheiten +für den Einzelnen, welche Geißel sie für das Volk sind? Ruinierte +Kräfte, zerstörte Leben auf der ganzen Linie. Nur ein paar Zahlen sollen +den Umfang der venerischen Seuche zeigen:</p> + +<p>Das Kultusministerium in Preußen versandte im Jahre 1900 Fragebogen, +die Geschlechtskrankheiten betreffend, an die Ärzte. Aus der +Beantwortung derselben ergab sich, daß am 30. April des genannten +Jahres 41000 Geschlechtskranke sich in ärztlicher Behandlung befanden. +Darunter waren allein 11000 an frischer Syphilis Erkrankte. Berlin +zählte allein 11600, darunter 3000 frisch Syphilitische. Es kamen +somit in Preußen auf 10000 Einwohner = 28 Geschlechtskranke, in Berlin +142. Berücksichtigt man, daß ein Drittel aller Ärzte die Fragebogen +unbeantwortet gelassen hatte, und daß zahllose Erkrankte ohne eine +Ahnung von ihrem Leiden herumlaufen oder aber leichtsinnigerweise +nicht zum Arzt gehen, so kann man sehr wohl für Preußen eine Zahl von +100000 Geschlechtskranken am Tage annehmen. Professor <em class="gesperrt">Brentano</em> sprach +1903 in München auf dem Kongreß der „Gesellschaft <span class="pagenum"><a id="page95"></a>[Seite 95]</span> zur +Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ sogar von 170000.</p> + +<p>Diese Krankheiten kosten dem Volke an Mindereinnahmen und Mehrausgaben +(für Behandlung) viele Millionen.</p> + +<p>Das Elend, das diese Zahlen in sich einschließen, ist kaum zu +schildern und hat etwas Grauenhaftes, wenn man sieht, daß ihm die +Menschen mit lächelndem Leichtsinn entgegeneilen. Denn fast alle +Geschlechtskrankheiten (90%) entstehen bei der Prostitution oder durch +die flüchtigen „Verhältnisse“ mit Kellnerinnen und dergl.</p> + +<p><span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Iwan Bloch</em>-Berlin berichtet („Sexualleben“), daß in Berlin +alljährlich ein Drittel aller Kellnerinnen als geschlechtskrank +aufgegriffen werden, daß unter den Geschlechtskranken folgende Skala +besteht: 30% Kellnerinnen, 25% Studenten, 16% Kaufleute, 9% Arbeiter, +4% Soldaten. Daß die Studenten gleich hinter den Kellnerinnen stehen, +spricht für ihren bodenlosen Leichtsinn. Der verstorbene Leipziger +Nervenarzt <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Möbius</em> sagt („Vermischte Aufsätze“, 1898): „Der, +der Erfahrung hat, muß zugeben, daß wenigstens acht von zehn, die durch +Dirnen angesteckt worden sind, nicht durch Leidenschaft dazu gekommen +sind, sondern einfach durch Leichtsinn und Übermut, Verführung und +Betrunkenheit. Ja, viele setzen sich kaltblütig der Gefahr aus, bloß +weil man ihnen eingeredet hat, regelmäßiger Geschlechtsverkehr sei zur +Gesundheit nötig.</p> + +<p>„Wüßten die Leute ganz klar, wie groß die Gefahr ist, daß sie bei jedem +Verkehr mit Dirnen die Gesundheit, ja das Leben auf das Spiel setzen, so +würden gewiß viele sich zurückhalten. Deshalb halte ich es für eine +ernste Pflicht aller Wohlmeinenden und ganz besonders der Ärzte, so oft +und so nachdrücklich wie möglich die Wahrheit über die venerischen +Krankheiten anszusprechen, ja den Menschen ins Ohr zu schreien. Jeder +bedenke, welche Verantwortung er auf sich lädt, wenn er diese Dinge +leichtsinnig behandelt. Sollten Ärzte lächelnd von ‚Kinderkrankheiten‘ +reden, oder wohl gar zum Besuche der Dirnen ermuntern, <span class="pagenum"><a id="page96"></a>[Seite 96]</span> so darf +man von ihnen sagen, daß sie ‚viel schlimmer als die Pest‘ wirken.“</p> + +<p>Weil Wissen überall die starke Waffe der Sittlichkeit ist, wollen wir +hier kurz die häufigsten und schrecklichsten Geschlechtskrankheiten +darstellen. Es sind dies 1. der Tripper (Gonorrhöe), 2. der weiche +Schanker, 3. die Syphilis.</p> + +<p>Der <em class="gesperrt">Tripper</em> ist eine uralte Krankheit, die schon <em class="gesperrt">Moses</em> zu ernsten +Maßregeln veranlaßte. Das Mittelalter hat eine große Ausdehnung des +Trippers erlebt, aber die großen Irrtümer über diese Krankheit waren +für die Kranken von sehr trüben Folgen. Klarheit brachte erst die im +Jahre 1879 gemachte Entdeckung von Prof. <em class="gesperrt">Neisser</em>-Breslau, daß der +Tripper eine zunächst lokale Entzündung der Harnröhrenschleimhaut ist, +die auf bestimmten Mikroorganismen (Kleinwesen), den <span class="antiqua"><em class="gesperrt">Gonoccoci +Neisseri</em></span> oder Tripperkokken, beruht.</p> + +<p>Es gibt keine andere Ursache für den Tripper oder die Gonorrhöe als den +Geschlechtsverkehr. Was man sonst darüber redet, ist falsch. Man kann +ohne weiteres sagen, daß alle käuflichen Dirnen geschlechtskrank sind, +und daß die sittenpolizeiliche Kontrolle (Reglementierung) nicht den +geringsten Schutz gegen die ungeheure Ansteckungsgefahr gewährleistet.</p> + +<p>Ein oder mehrere Tage nach der Ansteckung macht sich ein lästiges +Brennen und Jucken in der Harnröhre bemerkbar, das häufige +Gliederektionen mit erhöhtem Schmerzgefühl bewirkt und besonders beim +Harnlassen sich steigert. Zugleich beginnt ein schleimiger Ausfluß, der +in kurzer Zeit zu einem mehr oder weniger übelriechenden grünlich-gelben +Eiter wird. Die Menge dieser eiterigen Absonderung hängt von der +Heftigkeit der Erkrankung und von der gesamten Kräfte- und +Säftebeschaffenheit des Patienten ab. Die Harnröhrenmündung erscheint +gerötet. Wird bei der Untersuchung der Harn in ein Glas gelassen, so +senkt sich der Eiter darin in dicker Schicht zu Boden, und man kann die +Gonokokken darin mit Sicherheit feststellen.</p> + +<p>Die schmerzhaften Gliederregungen, der gestörte Schlaf, das +Angegriffensein des ganzen Nervenapparates, sind natürlich für <span class="pagenum"><a id="page97"></a>[Seite 97]</span> +den Patienten sehr angreifend. Der Verlust an Säften und Kräften läßt +sich wohl auch bei jedem heftigen Tripper an dem schlechten Aussehen des +Patienten erkennen.</p> + +<p>Je nach Umständen läßt nach 3-4 Wochen die Heftigkeit des Ausflusses +nach. Der Eiter verliert seine Dickflüssigkeit und gewinnt wieder das +Aussehen wie zu Beginn der Krankheit; er wird wässeriger und heller.</p> + +<p>Es kommt vor, daß ein leichter Tripper verhältnismäßig lange Zeit +besteht und hartnäckig erscheint, daß aber andrerseits hin und wieder +ein sehr heftig auftretender Tripper in kurzer Zeit verschwindet. Das +hängt ganz von Konstitution und Lebensweise und von der im Körper +wirkenden Heilkraft ab.</p> + +<p>Meist hat der Tripper seinen Sitz zunächst in dem vorderen Teil der +Harnröhre. Durch unrichtiges Verhalten, vor allem durch unzweckmäßige +Behandlung, verbreitet er sich aber über den hinteren Teil der +Harnröhre, und damit beginnt sein ernster Charakter, beginnen die +Gefahren des Blasenkatarrhs, der Nebenhoden- und Prostataentzündung usw. +Jetzt können Schäden entstehen, die im ganzen Leben nicht wieder +gutzumachen sind, wenn nicht mit allem Ernst die Behandlung in die Wege +geführt wird.</p> + +<p>Wird die zweckmäßige Behandlung versäumt, so geht der frische (akute) +Tripper in das chronische Stadium über. Damit gewinnt diese Krankheit +ihren wahrhaft heimtückischen Charakter. Man kann deshalb nicht ernst +genug raten, sofort nach dem Ausbruch der Krankheit einen Arzt +aufzusuchen. Warnen muß man vor allem vor der Selbstbehandlung, die +junge Männer auf den Rat „erfahrener“ Freunde beginnen, weil sie sich +schämen, zum Arzte zu gehen, oder weil sie Störungen in ihrem Berufe und +Entdeckungen seitens der Angehörigen fürchten. Wer sich nicht schämte, +sich die Krankheit bei der Dirne oder einem sonstwie unerlaubten +Geschlechtsumgang zu holen, der sollte auch den Mut besitzen, sich durch +einen erfahrenen Arzt ausheilen zu lassen, um sich selbst und seine +spätere Familie vor schlimmen Folgen zu bewahren. Die Selbstbehandlung +ist ein Leichtsinn und eine Unklugheit, <span class="pagenum"><a id="page98"></a>[Seite 98]</span> weil durch sie oft die +Krankheit erst ins chronische Stadium hineingetrieben wird. Übrigens +schützt das ärztliche Berufsgeheimnis den Patienten vor jedem bösen +Klatsch und vor gesellschaftlicher Ächtung. Das ist bei der herrschenden +besonderen Auffassung der Geschlechtskrankheiten doppelt wichtig. +Zwischen der medikamentösen Behandlungsweise und der naturgemäßen +entscheide ich mich unbedingt für die letztere, die in der ärztlichen +Praxis mehr und mehr an Anerkennung und Würdigung gewinnt.</p> + +<p>Ist der Tripper erst einmal chronisch geworden, so bietet er der +Behandlung weit größere Schwierigkeiten. Im allgemeinen kann man die +Erkrankung als chronisch ansehen, wenn sie einer zweckmäßigen Behandlung +nicht innerhalb drei Monaten weicht. Dann wird der Tripper zu einem +langwierigen, schleichenden Leiden, das monate- und jahrelang, ja durchs +ganze Leben hindurch bestehen und schließlich tödliche Erkrankungen +hervorrufen kann. Jedenfalls haben die neueren klinischen Erfahrungen +das Gesamtbild des Trippers ganz wesentlich gefahrvoller erscheinen +lassen, als man es früher glaubte. Subjektiv sind die Beschwerden +zunächst nicht sonderlich groß und bestehen im wesentlichen darin, daß +morgens die Harnröhrenmündung verklebt ist und auf Druck einen +grau-weißlichen Schleimtropfen absondert, in welchem die +bakteriologische Untersuchung manchmal Gonokokken, manchmal aber auch +nur Eiter nachzuweisen vermag. Das Urinieren ruft häufig, besonders nach +dem Genuß scharfer Speisen, Schmerzen hervor.</p> + +<p>Was aber dem chronischen Tripper erst seinen heimtückischen Charakter +gibt, das sind seine Folgeerscheinungen, von denen vorerst die +gefährlichen Strukturen, das sind Verengerungen der Harnröhre durch +Bindegewebswucherungen, zu nennen sind. Dieselben sind oft ungeheuer +schmerzhaft, erschweren das Harnlassen und können zu schweren +Nervenstörungen führen.</p> + +<p>Zum zweiten ist zu nennen die sogenannte <em class="gesperrt">Prostatitis</em>; das ist eine +Entzündung der zwischen Harnröhre und Blase liegenden Vorsteherdrüse, +die große Schmerzen hervorruft und mit einem <span class="pagenum"><a id="page99"></a>[Seite 99]</span> starken +Eiterausbruch endet. Auch diese Krankheit kann chronisch werden und ist +dann verhängnisvoll für die Geschlechtstätigkeit, da sie sexuelle +Neurasthenie hervorrufen kann.</p> + +<p>Bei Vernachlässigung, namentlich aber bei der leichtsinnigen +Selbstbehandlung und dem Gebrauch innerlicher, reizender Mittel, +schließt sich dem Tripper ein <em class="gesperrt">Blasenkatarrh</em> an, ein im akuten Stadium +äußerst schmerzhaftes Leiden, das mit fortwährendem Harndrang verbunden +ist und sehr leicht chronisch werden kann. Dann kann es monate- und +jahrelang bestehen, ja während des ganzen Lebens eine Schwächung der +Blase und ihres Schließmuskels hinterlassen und so zu einem ganz +außerordentlich lästigen und hinderlichen Leiden werden. Ja, in der +chronisch erkrankten Blase bildet sich der entsetzlich schmerzhafte +Blasenstein, der die den Strukturen folgende Harnverhaltung unter +Umständen zur Ursache schwerster Blutvergiftungen, Vereiterungen und +tödlicher Prozesse werden lassen kann.</p> + +<p>Zu den schlimmsten Folgekrankheiten des Trippers gehört die +<em class="gesperrt">Nebenhodenentzündung</em>, bei der im Zeitraum von einem oder mehreren +Tagen einer der beiden Hoden anschwillt auf das Zwei- und Dreifache seiner +normalen Größe, sich heiß und äußerst schmerzhaft anfühlt und das Gehen, +sowie jede Bewegung unmöglich macht. Wird die Behandlung dieses +Entzündungsprozesses nicht energisch, bei völliger Bettruhe, in die Hand +genommen, so bleiben Verhärtungen zurück, die jahrelang oder auch +während des ganzen Lebens bestehen bleiben.</p> + +<p>Vor allem aber besteht die Gefahr, daß die Entzündung <em class="gesperrt">beide</em> Hoden +ergreift und dann durch Zerstörung des Hodengewebes, das wir als die +Brutstätte der befruchtenden Samenzellen anzusehen haben, zur dauernden +Unfruchtbarkeit führt. Das geschieht tatsächlich in 85% aller Fälle von +doppelseitiger Hodenentzündung. Man stellt dann entweder <em class="gesperrt">Azoospermie</em> +fest, d. i. gänzliches Fehlen von Samenfäden (Spermatozoen), oder aber +unbewegliche, also tote, zur Befruchtung unfähige Samenfäden.</p> + +<p>So kann der Leichtsinn des vor- und außerehelichen Geschlechtslebens +eine fürchterliche Strafe finden, kann ein Augenblick der <span class="pagenum"><a id="page100"></a>[Seite 100]</span> +ungezügelten Sinnlichkeit, der zum Haus der Dirne trieb oder eine jener +zufälligen und wahllosen Geschlechtsverbindungen bewirkte, mit dem +Verlöschen der Zeugungsfähigkeit enden. Das Wort „Vater“ verliert seinen +Klang, und alles, was es an Schönheit und Freude in sich einschließt, +ist begraben, ehe es ins Leben treten kann. Die edelste Kraft wird +eingebüßt, und diese Möglichkeit allein müßte jeden Leichtsinn im Keim +ersticken.</p> + +<p>Aber mit diesen festumrissenen Folgekrankheiten erschöpft sich der +Tripper nicht, und wir werden noch sehen, welch ein furchtbarer +Leichtsinn es ist, vom Tripper lächelnd als von einer „Kinderkrankheit“ +zu reden, wie es unter jungen Leuten oft geschieht. Es besteht ja die +verhängnisvolle Anschauung, daß man einmal ein „kleines Tripperchen“ +gehabt haben müsse, um gegen spätere Ansteckungen gefeit zu sein. Das +direkte Gegenteil ist richtig; denn wer einmal einen Tripper hatte, +neigt in außerordentlichem Maße zu weiteren Ansteckungen, weil die +Schleimhäute ihre Widerstands- und Abwehrkraft eingebüßt haben.</p> + +<p>Leider bleibt der Tripper nicht einmal auf die Entzündung der +Geschlechtsorgane beschränkt; vielmehr wird durch den Blut- und +Säftestrom das Trippergift überall im Körper umhergetragen und kann an +allen Organen schwere Entzündungen hervorrufen. Seit man bei gewissen +Krankheitsformen den <em class="gesperrt">Neisserschen</em> Gonokokkus gefunden hat, liegen die +Zusammenhänge klar zutage. Darüber sagt Prof. Dr. <em class="gesperrt">Wyß</em>-Zürich<a name="FNanchor_A_5" id="FNanchor_A_5"></a><a href="#Footnote_A_5" class="fnanchor">[5]</a>:</p> + + <p class="ftsize90">„So ist vor allem der Tripperrheumatismus als eine sicher durch + Transport von Gonokokken durch die Blutbahn von der erkrankten + Schleimhaut der Harnröhre nach den serösen Häuten der Gelenke + bedingte Entzündung anzusehen; wir verstehen, daß auch andere + seröse Häute erkranken können; wir wissen, daß gewisse schwere + Entzündungen der Herzklappen unter Umständen mit all ihren weiteren + Komplikationen: Nierenerkrankungen, Gehirnerkrankungen, + Lungenerkrankungen usw., die Folge einer Gonorrhöe sind; doch auch + ohne Beteiligung des Herzens können akute eiterige Entzündungen im + Gehirn und Rückenmark oder deren Häuten durch den Gonokokkus sich + ereignen und unrettbar den Tod herbeiführen. Gewisse Nasen- und + Ohrenerkrankungen, Dickdarmerkrankungen, Speicheldrüsen- und + Knochenhautentzündungen <span class="pagenum"><a id="page101"></a>[Seite 101]</span> sind durch ihn bedingt. Somit ist + der Tripper für den Mann oft als eine lebensgefährliche Krankheit + erkannt worden, und zwar zuweilen selbst dann noch, wo er örtlich + keine Erscheinungen mehr oder nur noch ganz unbedeutende gemacht + hat.“ –</p> + +<p>Bliebe der Tripper auf sich selbst beschränkt, so könnte man den +Gedanken hegen, daß der Schuldige büßen muß für Unwissenheit, Fehl, +Leichtsinn und Gewissenlosigkeit. Zwar ist oft die Strafe zu hart; denn +nicht immer ist der Einzelne schuld an seinem Tun, wenn ihm ein +warnendes Wort von Eltern und Lehrern fehlte. Und wenn die alkoholische +Lustigkeit einer Tafelrunde bei der Dirne endete, so büßen viele ihr +Leben lang den Augenblick des Leichtsinns, der ausreichte, eine +Geschlechtskrankheit zu übertragen. Mit Tränen in den Augen haben sie +oft vor mir gestanden, die jungen Männer, die körperlich und seelisch an +der geheimen Häßlichkeit ihrer venerischen Krankheit leiden. Gar zu hart +hatte sie's betroffen.</p> + +<p>Was aber sollen wir sagen, wenn die Unschuldigen leiden müssen, büßen +für den Leichtsinn eines andern, büßen ein Leben lang, büßen ohne +Schuld, leiden, wo sie liebten oder wo die Liebe ihnen das Leben gab? +Denn der Tripper ist ansteckend, ist übertragbar auf die Frau, die +liebend und voll Vertrauen dem Manne in die Ehe folgt und von demselben +Manne, dem sie all ihre Jugend, ihre Frische dargeboten, den +Krankheitskeim empfängt, der sie von der gleichen Stunde ab zur +leidgequälten Frau macht.</p> + +<p>Das Gefährliche des weiblichen Trippers besteht darin, daß er sich nicht +auf die Harnröhre beschränkt, sondern alle äußeren und inneren +Geschlechtsteile auf das heftigste erfassen kann. Das alles sind äußerst +schmerzhafte, quälende, störende Leiden, die sehr verschiedenartige +Erscheinungen machen können, so daß man früher oft eine andere Diagnose +stellte, wo heute eine Tripperansteckung zweifelsfrei feststeht.</p> + +<p>Ja, von den sogenannten „Frauenleiden“ beruhen drei Viertel wohl auf +nichts anderem, als auf venerischer Ansteckung durch den Mann. Denn der +Tripper geht tiefer in die inneren Organe <span class="pagenum"><a id="page102"></a>[Seite 102]</span> hinein und befällt +besonders die Gebärmutter, am Hals derselben beginnend und allmählich +sie ganz überziehend, so daß in solchen Fällen die Unfruchtbarkeit der +Frau eine unausbleibliche Folge ist.</p> + +<p>Wieviel Jammer und Tränen hängen mit dem Worte Unfruchtbarkeit zusammen! +Wieviel ungestillte Muttersehnsucht, wieviel bittere Entsagung schließt +es in sich ein! Ich habe Frauen gesehen, die weinten, wenn sie Kinder +sahen, sie herzten und küßten, weil ihnen selbst dies größte Frauenglück +versagt geblieben war. Und wie oft regnet es Vorwürfe von seiten des +Mannes auf die arme Frau herab, deren Herz nach einem Kindchen jammert, +deren mütterliche Kraft aber im Keim erstickt wurde durch eine +Tripperinfektion. Entweder leidet der Mann an Azoospermie (Fehlen von +Samentierchen) infolge von tripperhafter Hodenentzündung, oder aber die +inneren Organe der Frau sind durch die Ansteckung angegriffen.</p> + +<p>Die heimtückische chronische Form des Trippers bietet selbst beim +Schwinden der Symptome keine unbedingte Sicherheit für den Glauben an +Heilung. Chronische Tripper können in furchtbarer Heftigkeit wieder akut +werden. Ja, es kommt vor, daß ein chronisch tripperkranker Mann mit +einer Frau Umgang hat, diese aber gesund bleibt, und die abgelagerten +Gonokokken beim nächsten Mal rückwirkend beim Manne einen akuten Tripper +erzeugen.</p> + +<p>Unwissenheit und Schamgefühl hindern das weibliche Geschlecht mehr +noch als das männliche, den Tripper gleich nach Ausbruch ärztlich +behandeln zu lassen. Das ist der Grund, warum der Tripper bei der Frau +so verheerend wirkt. Denken wir nun daran, daß der Tripper so +ungeheuer verbreitet ist, daß nach den Angaben des amerikanischen +Arztes <em class="gesperrt">Noegerath</em> von 1000 Männern 800 einmal in ihrem Leben an Tripper +erkrankt gewesen sind, und daß die meisten davon ihn nie wieder +verloren, so sehen wir mit einem Schlage, daß es sich hier nicht um +eine Einzelkrankheit handelt, der man bisher mit lächelndem Spott +gegenübergestanden hat, sondern um eine furchtbare <span class="pagenum"><a id="page103"></a>[Seite 103]</span> Seuche, +die der Kraft eines ganzen Volkes Wunden schlägt. Man lachte über +<em class="gesperrt">Noegerath</em>, hielt ihn für einen ideologischen Schwarzseher. Aber seine +aus der Praxis des Arztes gewonnenen unerbittlichen Zahlen vermochten +doch schließlich unter den deutschen Ärzten den Indifferentismus und +den Gleichmut zu beseitigen, womit man bisher diesen Dingen +gegenüberstand. Man sah genauer hin, beobachtete schärfer, arbeitete +gleichfalls statistisch und – fand, daß <em class="gesperrt">Noegerath</em> recht hatte. Man +erkannte mit einem Male, daß man mit der angeblichen Heilbarkeit des +Trippers gar zu optimistisch umgegangen war, daß der Tripper geradezu +ungeheuer häufig chronisch wird und auch dann noch bestehen kann, wenn +ihn selbst der Arzt für geheilt erklärt, daß er dann noch ansteckend +auf die Frau oder auf den Mann wirkt. Man sah von da ab auch die +Frauenleiden mit ganz anderen Augen an und fand in weit größerem +Umfange als bisher als Ursache – den Tripper. Von den leichten Formen +des Weißflusses an, der sich oft schon ganz kurz nach der Hochzeit +einstellt, bis zu den schweren Entzündungen der Eileiter, Eierstöcke, +der Gebärmutter und selbst des Bauchfells, überall fand man den +Gonokokkus, und – manches Rätsel war gelöst.</p> + +<p>Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Wyß</em>-Zürich sagt darüber<a name="FNanchor_A_6" id="FNanchor_A_6"></a><a href="#Footnote_A_6" class="fnanchor">[6]</a>:</p> + + <p class="ftsize90">„Während der Geschlechtsapparat des Mannes nach dem Bauchfellraum + hin abgeschlossen ist, kommunizieren die inneren Schleimhäute der + Geschlechtsorgane im weiblichen Organismus direkt mit dem + Peritoneal- oder Bauchfellsack. Infolgedessen greift der + Entzündungsprozeß, den der Tripper auf der Schleimhaut des + Geschlechtsapparates der Frau erzeugt, leicht auch auf das + Bauchfell über. Sowohl für sich, als auch in Verbindung mit anderen + Mikroben (Bakterien) werden dadurch akute und chronische + Entzündungs- und Eiterungsprozesse bedingt, welche die Frau schwer + erkranken machen, und welche leider oft in kürzerer oder erst nach + längerer Zeit den Tod herbeiführen, mindestens aber monate-, ja + jahrelanges Kranksein und oft fürs ganze Leben Leidendsein + bedingen. Da diese Zustände oft einsetzen im Anschluß an eine + Geburt oder einen anderen physiologischen oder auch pathologischen + Vorgang (Menstruation, Abortus, vorzeitige Geburt), so hat man + früher, als man die Krankheitserreger noch nicht kannte, jene + Vorgänge der Ätiologie beschuldigt, die wahre Ursache nicht + erkannt. Erst seit der Gonokokkus <span class="pagenum"><a id="page104"></a>[Seite 104]</span> in solchen + Entzündungsprodukten mikroskopisch nachgewiesen werden konnte, ist + man auf die richtige Fährte gelangt und weiß man, daß viele früher + auf eine „böse Geburt“ zurückgeführten tödlichen Erkrankungen oder + heutzutage oftmals zu schweren Operationen oder in anderen Fällen + auch wiederum zu langem Siechtum führenden Affektionen junger, + blühender, bis zu ihrer Verheiratung absolut gesunder Frauen – auf + einen nicht ausgeheilten oder geheilt erschienenen Tripper des + Herrn Gemahls zurückzuführen sind.“</p> + +<p>So finden wir's in allen Gesellschaftsschichten. Wann wird es eines +Tages gelingen, diese fürchterlichen Tatsachen in die Herzen der +männlichen Jugend einzugraben, damit sie abläßt vom gewissenlosen +geschlechtlichen Leichtsinn! In die Ohren müßten wir's ihr +hineinschreien, wieviel Jammer das sexuelle „Amüsement“ in die Welt +bringt. Als Prof. <em class="gesperrt">Bumm</em> in Leipzig einst unter den Hörern seines +Kollegs Fragezettel bezüglich eines etwaigen Trippers verteilte, +antworteten 36 von 53 Studenten mit „Ja“. Das waren 70%. Die übrigen +30% werden ihn leider früher oder später auch noch bekommen haben.</p> + +<p>Wie viele von diesen Trippern bleiben ungeheilt, werden chronisch und +richten in der Ehe körperliche und seelische Verwüstung an! <em class="gesperrt">Noegerath</em> +hält den Tripper überhaupt für – unheilbar!!! Das ist zum Teil die +Folge seines medikament-medizinischen Standpunktes, den wir nicht +teilen. Aber daß überhaupt ein ernster Forscher und warmherziger +Menschenfreund wie <em class="gesperrt">Noegerath</em> zu einer solch furchtbaren Auffassung +kommt, das ist's, was uns erschreckt.</p> + +<p>Tatsächlich trotzen viele Tripper jeder Behandlung. Der Patient ist eine +Zeitlang trostlos. Dann gewöhnt er sich an den Krankheitszustand, hält +ihn für immer weniger ernst, heiratet und – steckt seine Frau an. Damit +beginnt dann für die Frau und für die Ehe die lange Leidenskette, +schwere Unterleibsleiden und unter Umständen Unfruchtbarkeit.</p> + +<p>Prof. <em class="gesperrt">Flesch</em>-Frankfurt a. M. sagt: „In meiner ärztlichen Tätigkeit +habe ich es nur zu oft erlebt, daß unglückliche Frauen der ärmeren Klassen, +wenn Hunger und Sorge wegen ihrer andauernden Arbeitslosigkeit ‚wegen +Unterleibsentzündung‘ eingezogen <span class="pagenum"><a id="page105"></a>[Seite 105]</span> waren, daß Frauen der +bemittelten Klassen, wenn Kinderlosigkeit die Ehe vergiftete, sich den Tod +herbeiwünschten, sich den schwersten Operationen unterzogen, und ihre +Männer noch um Verzeihung baten, weil sie ihren Mann unglücklich machten. +Und der um Vergebung Angeflehte war fast immer, ohne es zu ahnen, der +Urheber des Unglücks.“</p> + +<p>Aber auch damit macht der Tripper nicht halt. Das Trippergift, das in +den Geburtswegen einer Frau abgelagert ist, kann während des +Geburtsaktes in die Augen des Kindes kommen. Dann entsteht eine +Bindehautentzündung, die das Augenlicht zerstört. 60 von 100 Blinden +haben ihr namenloses Unglück aus dieser lebentötenden Quelle. Gibt es +Worte für soviel Jammer? Tausende büßen mit Blindheit den +Jugendleichtsinn ihrer Väter.</p> + +<p>Und dieses gedankenlose „Vorleben“ wird immer noch entschuldigt! Immer +noch finden sich Stimmen, die von „Männlichkeit“ sprechen, wenn ein +junger Mann geheime Wege geht. Wären diese qualvollen „Frauenleiden“ +nicht allesamt vorher „Männerleiden“, oder bliebe die Krankheit auf +den Mann beschränkt, so könnte er sündigen, wenn er für sich allein +büßen will. Aber Unschuldige büßen! Unschuldige zu Hunderttausenden! +Hört ihr's, ihr jungen Männer? Laßt dies Leid der Unschuldigen nicht +größer werden! Das junge Mädchen, das still und in den Träumen der +Jugend im Elternhaus lebte, vergiftet ihr! Ihre Augen leuchten, wenn +ihr Liebesworte sprecht! Und ihr Herz weiß nicht, was ein junger Mann +im Haus der Dirne sah und tat. Es liegt ein böses, aufreizendes +Unrecht in diesem Vorleben. Mit einer niederträchtigen Disharmonie +beginnt die Ehe: <em class="gesperrt">sie</em> geschlechtlich unschuldig oder harmlos, <em class="gesperrt">er</em> +weiterfahren, sexuell blasiert und – mit einem chronischen Tripper +behaftet. Nach kurzer Ehe sind die frohen Hoffnungen der Brautzeit +zusammengefallen. Aus dem fröhlichen Mädchen wurde eine müde, kranke +Frau, gereizt, übellaunig oder todestraurig. Wir denken an das Wort +<em class="gesperrt">Noegeraths</em>, der sagte: „Es ist so weit gekommen, daß junge Damen sich +fürchten, in die Ehe zu treten, weil sie wissen, <span class="pagenum"><a id="page106"></a>[Seite 106]</span> daß alle +ihre Bekannten erkrankt und nicht wieder gesund geworden sind.“</p> + +<p>Die zweite in dem Trio der Geschlechtskrankheiten ist</p> + +<p class="center"><em class="gesperrt">der weiche Schanker</em> (<span class="antiqua">Ulcus molle</span>).</p> + +<p>Er ist ein meist an der Eichel oder der Vorhaut des Geschlechtsgliedes +durch Ansteckung beim Geschlechtsverkehr entstehendes Geschwür, das ein +bis fünf Tage nach der Ansteckung sich mit Jucken und Brennen bildet und +meist eine durch Unreinlichkeit oder sonstwie verletzte, eingerissene +Stelle der Schleimhaut zur Voraussetzung hat. Bei Sauberkeit und +unverletzter Schleimhaut findet das Schankergift keinen Eingang.</p> + +<p>An der entzündlich geröteten Ansteckungsstelle bildet sich ein Bläschen, +das nach seinem Zerfall einen Eiter absondert und einen wulstigen aber +weichen, ein wenig ausgezackten Rand bildet. (Das syphilitische +Erstgeschwür hat harte Ränder; daher „harter Schanker“ genannt.)</p> + +<p>Sehr häufig schwellen die Drüsen in der Schenkelbeuge, die sogenannten +Leistendrüsen, an (Bubonen), ja, es kann zu Vereiterungen derselben und +zum Durchbruch des Eiters nach außen kommen.</p> + +<p>Ist auch der weiche Schanker nicht von so ernstem und gefährlichem +Charakter wie der harte, so darf er doch nicht leichtsinnig aufgefaßt +werden, weil einerseits üble und häßliche Folgeerscheinungen auftreten +können, wie namentlich der phagedänische (d. i. der weiterfressende, +gewebszerstörende) Schanker, und andrerseits alle venerischen +Krankheiten so merkwürdig vielgestaltig auftreten, daß selbst der +erfahrene Arzt nicht sicher vor Täuschungen bleibt.</p> + +<p>Konstitution und zweckmäßiges Verhalten entscheiden darüber, ob der +weiche Schanker harmlos bleibt und schnell ausheilt, oder ob er der +Ausheilung hartnäckigen Widerstand entgegensetzt.</p> + +<p>Unsere ganz besondere Aufmerksamkeit aber verlangt</p> + +<p class="center"><em class="gesperrt">die Syphilis</em> (<span class="antiqua">Lues venera</span>),</p> + +<p>zumal ihr Charakterbild nach jeder Richtung hin in der Geschichte und in +der Gegenwart schwankt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page107"></a>[Seite 107]</span> Die Erscheinung der Syphilis ist der sogenannte <em class="gesperrt">harte Schanker</em> +(<span class="antiqua">Ulcus dure</span>), der in den weitaus meisten Fällen durch den +geschlechtlichen Verkehr mit einer syphilitischen Person entsteht, und +zwar dadurch, daß das syphilitische Gift durch eine kleine Schrunde, +einen kleinen Riß in der Haut eintritt. Die Möglichkeit, daß eine solche +kleine Hautverletzung besteht oder beim Geschlechtsumgang entsteht, ist +allerdings so groß, und die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis so +ungeheuer, daß der geschlechtlichen Verbindung mit einer syphilitisch +kranken Person fast stets eine Ansteckung folgt.</p> + +<p>Das Ansteckungsfeld ist zumeist der uneheliche Geschlechtsverkehr. <span class="antiqua">Dr.</span> +<em class="gesperrt">Blaschko</em>-Berlin erzählt, daß einmal von 1129 Geschlechtskranken in +seiner Poliklinik (1009 Männer und 120 Frauen) die Männer ihre Syphilis +fast ausschließlich außerhalb der Ehe, die Frauen innerhalb der Ehe von +den Männern erworben hatten. Welch eine furchtbare Anklage bedeutet das +für den Mann, welch ein entsetzliches Martyrium schließt das für die +Frau ein! Der Jugendleichtsinn des Mannes, den Weib und Kind in der Ehe +büßen müssen!</p> + +<p>Die Verbreitung der Syphilis hat Zahlen angenommen, die Entsetzen +wecken.</p> + +<p>Sie ist eine der furchtbarsten Volkskrankheiten geworden, die das +Interesse der ärztlichen Wissenschaft und der behördlichen Organe +unausgesetzt beschäftigt. Unsummen gehen in Heilungskosten auf, und das +Ende dieses unseligen Zerstörungsprozesses in der Menschheit ist nicht +abzusehen.</p> + +<p>In großen Städten schleicht das Gespenst der Syphilis durch alle Straßen. +Wo die Menschen dichter zusammenwohnen, steigert sich das Leben, vermehren +sich auch die Krankheiten. Und die Prostitution, die die Moral der Männer +verschlingt, speit dafür die Geschlechtskrankheiten, Tripper und Syphilis, +auf die Menschheit aus.</p> + +<p>Dieser Gifthauch trifft auch die Bewohner des Landes, dessen junge Söhne +in den Städten als Soldat dienen oder ein Handwerk, ein Geschäft lernen +und ausüben oder die Schulen, die <span class="pagenum"><a id="page108"></a>[Seite 108]</span> Universität besuchen und mit +der Kultur der Stadt auch die Syphilis in die Heimat bringt. Der +vierjährige Feldzug hat die Zahlen der Geschlechtskrankheiten ins +Fürchterliche gesteigert.</p> + +<p>Die Syphilis beginnt mit einem kleinen Knötchen, das 2-4 Wochen nach +erfolgter Ansteckung auftritt (sogenannter Primäraffekt) und bald zu +zerfallen beginnt. Dabei bildet sich ein tiefer fressender Untergrund +und ein etwas erhöhter Randwulst. Beide sind hart, weshalb man hier vom +harten Schanker spricht. Auch Schwellungen der Leistendrüsen stellen +sich ein.</p> + +<p>Die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis ist eine ganz außerordentliche. +Jedes Hautritzchen genügt, um das syphilitische Gift eindringen zu +lassen, und zwar nicht nur an den Geschlechtsteilen, sondern überall am +Körper. Es gibt demnach eine außergeschlechtliche Syphilis, die bei 4% +aller Syphilitiker vorliegt. Dieselbe wird ungemein leicht erworben, +beispielsweise durch Küssen, Händedrücken, durch Benutzung von +Handtüchern, Bettwäsche, Kissen, Polstern usw., die vorher mit +syphilitischen Geschwüren in Berührung kamen.</p> + +<p>Eine sekundenlange Berührung genügt – und das Gift ist in den Körper +eingedrungen und spielt seine verderbliche Rolle. Wenn's Schuld war, +kann man von Sühne sprechen. Was aber sagt ihr zu den Unglücklichen, die +ohne Schuld, ganz ohne Liebe und Geschlechtsumgang die Syphilis +erwarben? Die unwissend, schuldlos und wehrlos ein zerstörendes Gift +empfangen und es womöglich monate- und jahrelang in sich tragen, ohne +den Charakter der Leiden zu ahnen, die sie nacheinander heimsuchen?</p> + +<p>Ist das syphilitische Erstgeschwür ausgeheilt, so beginnt etwa nach 8-10 +Wochen die sekundäre Syphilis, meist als roter Fleckenausschlag, als +Knötchen (Papeln) oder eiterige Pusteln, die sich über den ganzen Körper +verbreiten und namentlich in Hautfalten (Schenkelbeuge, +Geschlechtsgegend, zwischen den Fingern usw.) als nässende Wunden +auftreten können. Die Absonderungen dieser Ausschläge haben eine starke +Ansteckungsfähigkeit. Dazu gesellt sich ein Schorf auf der behaarten +<span class="pagenum"><a id="page109"></a>[Seite 109]</span> Kopfhaut, der das Haar büschelweise zum Ausfallen bringen +kann.</p> + +<p>Dazu stellt sich Fieber ein, Mattigkeit, Abgeschlagenheit der Glieder, +rheumatismusähnliche Schmerzen in den Gelenken und den Knochen +(namentlich in den langen Arm- und Schenkelknochen), am Tage +Frostschauer und in der Nacht Schweiße, dazu schwere Gemütsverstimmungen.</p> + +<p>In den Schleimhäuten zeigen sich vielerlei Störungen, vom einfachsten +Katarrh angefangen bis zu den Papeln, die zu eiterigen Wucherungen +(sogenannten Kondylomen) werden können. Diese treten vor allem gern im +Rachen und im Munde auf und haben eine ungeheure Ansteckungsfähigkeit. +Nie ist beim Besuch einer Prostituierten der Besucher sicher, daß nicht +irgendwo am Körper ein Kondylom ihm die tückische Krankheit überträgt.</p> + +<p>Häßlicher und schlimmer noch sind die syphilitischen Geschwüre, die noch +in dem sekundären Stadium auftreten und als schmerzhafte +Gewebszerstörungen überall im und am Körper auftreten können. So +namentlich an den Nasenflügeln und dem Nasensteg, in den Mundwinkeln, am +Zahnfleisch, an der Zunge, den Stimmbändern, dem Zäpfchen usw. Wie viele +Redner, Sänger, Schauspieler usw. haben schon durch diese fressenden +Geschwüre ihre Stimme und damit ihre Existenz und ihre Lebensfreudigkeit +verloren! Wieviel Entstellungen des Gesichts, wieviel Sprachstörungen +haben allein diese Ursache! Wohl selten ahnt jemand, daß der +leichtfertige Augenblicksgenuß bei der Dirne oder das zufällige +Geschlechtserlebnis der Straße ein so grauenhaftes Ende nehmen kann.</p> + +<p>Manchmal, wenn der Kranke sich schon ganz oder fast ganz geheilt glaubt, +bricht mit einem Male die Krankheit in voller Stärke wieder aus. Der +ganze körperliche und seelische Jammer ist wieder da, und es ist wohl zu +verstehen, von welch grenzenloser, dumpfer Verzweiflung oft die +Unglücklichen befallen werden.</p> + +<p>Glaubt man aber die sekundäre Syphilis völlig geheilt, ja, versichert +sogar der Arzt, daß sie völlig geheilt sei, so liegt auch <span class="pagenum"><a id="page110"></a>[Seite 110]</span> +darin nicht eine Spur von Sicherheit; denn nach Jahren oder Jahrzehnten +bricht die Syphilis mit völlig verändertem Charakter wieder aus und wird +dann in der Tat furchtbar. Sie ist in ihr drittes (tertiäres) Stadium +eingetreten und nimmt insofern einen gänzlich anderen Weg, als die +sekundäre Syphilis ausschließlich die Haut und die Schleimhäute befällt, +während im tertiären Stadium vorwiegend die inneren Organe (Knochenhaut, +Muskeln, Darmsystem, Leber, Nieren, Lungen, Gehirn und das ganze +Nervensystem) erkranken.</p> + +<p>Bei der tertiären Syphilis erscheinen runde oder ovale Papeln, die bald +geschwürig zerfallen und rotbraune Färbung gewinnen. Man nennt solch ein +Geschwür Gumma. Mehrere Gummata können zu einem einzigen Geschwür sich +vereinigen, das sich tief in das Gewebe hineinfrißt.</p> + +<p>Das ist gerade das Entsetzliche dieser Gummata, daß sie die tieferen +Gewebsschichten und die inneren Organe angreifen und diese zu +geschwürigem Zerfall bringen.</p> + +<p>So wird häufig die Nasenscheidewand durchgefressen, und die im Innern +abgefressenen Gewebsteile werden beim Räuspern oder Husten ausgestoßen. +Von den vorkommenden Kehlkopfzerstörungen ist wohl ein reichliches Teil +auf tertiäre Syphilis zurückzuführen. Die schrecklichen und widerlichen +Verwüstungen der Nase kann man ja hin und wieder auf der Straße +beobachten.</p> + +<p>Die Knochen erfahren Auftreibungen und Verdickungen und werden +stellenweise ausgefressen, ausgehöhlt, so daß dauernde und auffallende +Veränderungen zurückbleiben. Ja, es kann beispielsweise der lange +Unterschenkelknochen so weit durchgefressen werden, daß er bei +irgendeiner Gelegenheit bricht.</p> + +<p>Besonders schmerzhaft und gefährlich ist das Gumma, wenn es am +Schädelknochen sitzt. Dann frißt es sich bis zu den Hirnhäuten durch, +durchlöchert also die Schädeldecke und kann das Leben zerstören.</p> + +<p>Schwere Nieren-, Leber-, Lungen- und Herzerkrankungen treten bei der +tertiären Syphilis auf und können gleichfalls den Tod herbeiführen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page111"></a>[Seite 111]</span> Ergreift die tertiäre Syphilis das zentrale Nervensystem, so +ist der Kranke unrettbar dem Tode verfallen. Das am Schädel sitzende +Gumma frißt sich durch den Knochen hindurch oder treibt ihn auf; daraus +erklären sich die Vorboten jener fürchterlichen Krankheit, der +Gehirnerweichung, die wohl in den meisten Fällen den Charakter der +tertiären Syphilis trägt. Diese Vorboten sind: dauernder Kopfschmerz, +Schwindel, Ohnmachtsanfälle, Gedächtnisschwäche, tiefe Gemütsverstimmung +und die lange Reihe jener merkwürdigen, unüberlegten und sinnlosen +Handlungen, die oft bei einem früher klugen, geistvollen Menschen +auftreten und den Gehirnparalytiker verraten, ehe noch die schreckliche +Krankheit zum furchtbaren Ausbruch kommt. Daß ein sonst sparsamer Mann +auf einmal ein unruhiger Verschwender wird, ein sittenstrenger Mann zum +wüsten, ausschweifenden Erotiker, erklärt sich nur durch teilweisen und +fortschreitenden Verfall des Gehirns.</p> + +<p>Bei der Rückenmarksschwindsucht ist ihr Zusammenhang mit der Syphilis +(oder mit ihrer Quecksilberbehandlung?) so offenbar, daß man fast von +Ausnahmslosigkeit sprechen kann.</p> + +<p>Die bei Tabes des oberen Rückenmarkes auftretenden Sehstörungen, +namentlich Augenlähmungen und Entzündungen der Iris, sind fast alle +syphilitischen Charakters.</p> + +<p>Es gibt keinen Teil am und im Körper, der nicht von der Syphilis +ergriffen und zerstört werden könnte. Zwar trifft die Krankheit nicht +jeden so schwer; aber sie ist heimtückisch und unberechenbar, und wenn +ein von dieser Krankheit befallener Körper nicht genügend Lebenskraft +hat, sich vernachlässigt und noch dazu ein ausschweifendes, +nervenzerstörendes Leben führt, so kann ihn die Krankheit bei lebendigem +Leibe zum Verfaulen bringen.</p> + +<p>Die Syphilis ist erblich, das ist ihr größtes Schreckbild. Die +Nachkommen empfangen das Gift im Keim, und dieser angefaulte Keim +wird – wenn er nicht abstirbt – zu einer faulen Frucht. Dies ist das +Schrecklichste im Leben, der grauenvolle Leichtsinn, mit dem ein +syphilitisch Kranker das Gift auf Weib und Kinder überträgt und Leben +erweckt, das morsch, faul und <span class="pagenum"><a id="page112"></a>[Seite 112]</span> unglücklich ist. Wieviel +jammervolle Menschen laufen umher, denen die Syphilis des Vaters oder +der Mutter die Kraft nahm und die Flügel gebrochen hat! Das ist die +fluchwürdigste Tat, deren ein Mensch fähig ist.</p> + +<p>Die erbliche Übertragung der Syphilis geschieht durch syphilitische +Vergiftung der Keimzellen. Die Folgen sind Absterben der Frucht, +Frühgeburten und Fehlgeburten oder ganz elende, schwächliche und +erbärmliche Kinder.</p> + +<p>Prof. <em class="gesperrt">Neumann</em> machte im „Archiv für Kinderheilkunde“ folgende Angaben +über die geradezu verheerenden Wirkungen der vererbten Syphilis: „Es +gebaren 71 Mütter im sekundären Stadium der Syphilis insgesamt 99 +Kinder, d. h. es standen so viele Fälle zur Beobachtung. Dabei fanden +sich: 40 mal Abortus, 4 Frühgeburten, 3 Totgeburten, 24 Kinder, die +gleich nach der Geburt starben, 5 waren lebend, aber syphilitisch, und +nur 2 schienen gesund zu bleiben. <em class="gesperrt">Die Sterblichkeit war also 98 +Prozent!!</em></p> + +<p>Dies große Kindermorden bezeichnet überall den Weg der Syphilis. Zwar +mildert sich das Bild, wenn die syphilitische Ansteckung der Mutter +nicht vor der Befruchtung oder zugleich mit ihr, sondern später +erfolgte. Zwar ist dann immer noch die Gefahr für das Kind groß; aber es +bleibt wahrscheinlich am Leben. Ist aber einmal die Syphilis im Körper +einer Frau, so ergreift sie die Keimzellen, die im weiblichen Organismus +in den Eierstöcken von Jugend auf fertig ausgebildet sind, und jedes +nachher geborene Kind wird geschädigt. Darin liegt die Furchtbarkeit der +Syphilis beim Weibe. Die Samenzellen des Mannes werden fortdauernd neu +gebildet, so daß beim Ausheilen der Syphilis auch die Erblichkeit +erloschen ist. Das ist beim Weibe nicht der Fall, weil immer in den +fertigen und auf Befruchtung wartenden Eizellen Syphiliskeime +zurückgeblieben sein können. Eine einmal syphilitisch gewesene Frau +sollte darum nie wieder Kinder bekommen. Und gerade hier sieht man die +ganze Schrecklichkeit dieser Krankheit, erkennt man, wie sie alles +Mutterglück für alle Zeit ersticken kann, und wie ein unschuldiges Weib +krank und <span class="pagenum"><a id="page113"></a>[Seite 113]</span> unsagbar unglücklich werden kann, weil der Mann ihr +in schrecklichem Leichtsinn den Keim einer Krankheit übertrug, die er in +einer Stunde des bloßen Vergnügens erwarb.</p> + +<p>Arme, arme, bejammernswerte Frauen, die nichts Böses taten und so schwer +leiden müssen! Wie kam so bitteres Unrecht in die Welt? Und wie ist es +auszudenken, daß es Männer gibt, gewissenlos und verbrecherisch genug, +wissend Leib und Seele einer Frau zu zerstören!</p> + +<p>Ein syphilitisch erblich zerstörtes Kind ist das Grauenhafteste, was man +sich vorstellen kann. Ein jammervolles Leben, das schuldlos eine schwere +Bürde trägt. Eine Haut, die unter Umständen mit roten Flecken, Blasen, +nässenden Wunden und Eiterbeulen bedeckt ist, kranke, wuchernde +Schleimhäute, chronische Nasen- und Ohrenkatarrhe mit eiternden, +stinkenden Ausscheidungen, dazu wohl auch Taubheit, Blindheit, +Knochenentzündungen und Knochenauftreibungen mit schrecklichen +Formänderungen und ein rascher Zerfall der Zähne. Gehirn und Rückenmark +sind meist bei solchen unglücklichen Kindern angegriffen, und es zeigen +sich schon früh teilweise oder vollständige Lähmungen, Krämpfe, +Zuckungen, Epilepsie und vielerlei geistige Störungen, von einfachstem +Gedächtnisschwund und der Gemütsbedrückung angefangen bis zu +Wahnvorstellungen, fixen Ideen, furchtbaren Ausbrüchen und völliger +geistiger Zerrüttung.</p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page114"></a>[Seite 114]</span> <a id="img012" name="img012"></a> +<img src="images/img012.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2><span class="ftsize90"><em class="gesperrt">Vierter Teil.</em></span><br/> +Der Kampf um Sittlichkeit und Gesundheit.</h2> + + +<p>Das ist das Schreckbild der Geschlechtskrankheiten, und wer je offene +Augen hatte, der wird nichts für Übertreibung halten.</p> + +<p>Du kennst nun die Gefahr. Und die Gefahr wird deinen starken Willen +wecken, und du beginnst den Kampf. Den Kampf? Gegen was? Gegen alles, +was dich bedroht; denn ohne Kampf geht es nicht ab. Wahrlich, es gibt +einen Kampf zwischen triebhaftem Leib und sieghaftem Willen. Mensch +sein, heißt ein Kämpfer sein, und dieser Kampf ist der Menschheit +urewiges Erbstück.</p> + +<p>Schmiede Waffen für diesen Kampf! Und willst du die wirksamsten kennen, +so suche sie im Widerstreit der Kräfte in deinem eigenen Körper und +Geist. Auf <em class="gesperrt">Arbeit</em> sind alle deine Kräfte eingestellt. Sinnliche +Verschwendung zehrt an deiner Arbeitskraft, macht dich schlaff, +unlustig, geistlos. Die Arbeit aber zähmt und bändigt deine sinnlichen +Triebe. Darum stelle dein Leben auf Arbeit ein! Stecke dir ein Ziel, und +setze an die Erreichung dieses Zieles alle deine Kräfte. Dann wird die +Arbeit Inhalt und Halt deines Lebens, sie wird dir Sittlichkeit und +Grundlage der Persönlichkeit werden.</p> + +<p>Völker sind durch Arbeit groß geworden, sind mit ihrer Arbeit gewachsen, +und es war stets ein Zeichen des Niederganges, wenn ein Volk sich teilte +in Arbeitende und Müßiggänger. Denn unter diesen Müßiggängern, die nicht +einen einzigen Tag mit ernsten Pflichten erwachen, sondern sich treiben +lassen von ihren Stimmungen und Einfällen, führt die Sucht nach +Unterhaltung über Sport und Spiel zu Liebesabenteuern und +Geschlechtserregungen. <span class="pagenum"><a id="page115"></a>[Seite 115]</span> Und je weniger der Körper durch den +strengen Willen und die rauhe Notwendigkeit der Arbeit gebändigt ist, +desto weichlicher und haltloser wird der Charakter, desto ungebärdiger +und zügelloser die Phantasie, und eine wirre, unsaubere Sinnlichkeit +erfüllt den Geist, dem durch Mangel an Arbeit die straffen Zügel +genommen sind.</p> + +<p>Sicherlich gibt es Menschen von ruhelosem Arbeitsdrang, Menschen, denen +die Arbeit zum Laster, zur Krankheit, zu einem neurasthenischen Zwang +wurde, die ruhelos arbeiten müssen, um die gejagten Nerven zu +befriedigen und um sich über die entsetzliche Leere ihres Inneren +hinwegzutäuschen. Solche Menschen sind uns nicht Vorbild. Sie sind die +eine Ausschreitung, der Müßiggänger die andere.</p> + +<p>Wie wohltuend steht dazwischen der ruhig und kraftvoll Arbeitende! Das, +was er schafft, gibt ihm Ernst und Würde, gibt ihm Stolz, und in dieser +Würde, diesem Stolz liegt die große Widerstandskraft gegen alles +Schlechte. Die Arbeit ist eine innere Spannung, die über Mißgeschick +hinweghilft und eine stille Fröhlichkeit um sich verbreitet. Wer sein +Geld durch Arbeit erwarb, wird es höher schätzen, wird sparsamer sein +als der Müßiggänger, der mit des Vaters ererbtem Gelde seine Stunden +totschlägt und aus Überdruß nach vielen Genüssen nur noch den +Geschlechtsgenuß kennt. Dann ist's mit der Arbeit vorbei, denn Arbeit +verlangt Kraft und innere Stählung, und nichts zerstört diese Kraft so +sicher, wie die Sinnlichkeit, wenn sie unbeherrscht und krankhaft in +Leib und Sinn wühlt.</p> + +<p>Niemand wird eine gesunde Sinnlichkeit abtöten können. Und niemand soll +es tun. Aber sie soll als bewegende Kraft in der beherrschenden Kraft +des Willens liegen und nicht durch beständigen Anreiz zu einer +triumphierenden und den Menschen versklavenden Macht werden. Ernste +Arbeit entzieht dich vielen solchen Anreizen, und ein festes Lebensziel +fesselt deinen Willen an diese Arbeit.</p> + +<p><em class="gesperrt">Schopenhauer</em> schrieb 1813 in sein Tagebuch: „An den Tagen und Stunden, +wo der Trieb zur Wollust am stärksten ist, ... <span class="pagenum"><a id="page116"></a>[Seite 116]</span> gerade dann +sind auch die höchsten Kräfte des Geistes, ja das bessere Bewußtsein zur +größeren Tätigkeit bereit, ob zwar in dem Augenblicke, wo das Bewußtsein +sich der Begierde hingegeben hat und davon voll ist, latent; aber es +bedarf nur einer gewaltigen Anstrengung zur Umkehr der Richtung, und +statt jener quälenden, bedürftigen, verzweifelnden Begierde (dem Reich +der Nacht) füllt die Tätigkeit der höchsten Geisteskräfte das Bewußtsein +(das Reich des Lichts). In besagten Zeiten ist wirklich das kräftigste, +tätigste Leben überhaupt da, indem beide Pole mit der größten Energie +wirken. Dies zeigt sich bei ausgezeichnet geistreichen Menschen. In +besagten Stunden wird oft mehr gelebt als in Jahren der Stumpfheit.“</p> + +<p>Schiller hat diesen Gedanken in wundervolle Worte gekleidet:</p> + +<p class="dropc ralign2 ftsize90">Leidenschaften sind schäumende Pferde,<br/> +Angespannt an den rollenden Wagen.<br/> +Wenn sie entmeistert sich überschlagen,<br/> +Zerren sie dich durch Staub und Erde.<br/> +Aber lenkest du fest den Zügel,<br/> +Wird ihre Kraft dir selbst zum Flügel,<br/> +Und je ärger sie reißen und schlagen,<br/> +Um so herrlicher rollt dein Wagen.</p> +<p class="marbot10"> </p> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img013" name="img013"></a> +<img src="images/img013.jpg" width="040" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + +<p>Dein Leben gelte der Arbeit! In diesem Zeichen wirst du siegen.</p> + +<p>Aber es gilt, auf der Hut zu sein, um alles zu vermeiden, was eine +Geschlechtserregung herbeiführen könnte. Je gesünder und normaler der +Organismus, desto gleichmäßiger sind seine Kräfte in den Nervenzentren +verteilt. Der nervöse, überhaupt der geschwächte Mensch hat meist eine +Schwäche und leichte Erregbarkeit im Lendenteil des Rückenmarkes. Hier +ist der hauptsächlichste Sitz des Geschlechtsgefühls. Alles, was stark +auf den Organismus einwirkt, trifft am meisten dies schwache und wegen +seiner Schwäche leicht erregbare Fundament. Darum werden nicht nur rein +geschlechtliche Dinge hier gefährlich, sondern auch ungünstige +Einwirkungen durch Essen und Trinken, Überanstrengung, <span class="pagenum"><a id="page117"></a>[Seite 117]</span> +Trägheit, d. h. Mangel an Arbeit, falsche Lektüre, seelische Erregungen +usw.</p> + +<p>Natürlich ist der rein geschlechtliche Reiz der weitaus stärkste, +weshalb denn für diese oft vorhandene Schwäche des Lendenmarkes nichts +unheilvoller und verhängnisschwerer wird als Onanie oder vorzeitiger +Geschlechtsumgang. Das Nervensystem neigt zur Periodizität, und jede +Übung steigert die Reizempfänglichkeit. Es ist deshalb nicht ohne +weiteres richtig, zu sagen, daß die Betätigung den Trieb befriedigt. +Nein, durch die Geschlechtsbetätigung wird oft erst ein Bedürfnis +geschaffen, was in gleicher Stärke vorher nicht vorhanden war.</p> + +<p>Über die rein körperlichen Ursachen der Geschlechtserregung haben wir +schon im ersten Teile gesprochen. Meide also das viele Stillsitzen, das +den Unterleibs- und Geschlechtsorganen eine stockende Blutüberfüllung +gibt und das Nervensystem in einen Zustand von Gereiztheit versetzt. +Gerade das in den Schulen, in allen Studienanstalten und in allen +Schreibstuben geübte dauernde Stillsitzen ist eine verbreitete Ursache +der Onanie und aller sinnlichen Erregung überhaupt.</p> + +<p>Bei hoher geschlechtlicher Reizbarkeit sind auch gewissen +Sportsübungen sinnlichkeitsreizende Gefahren nicht abzusprechen. Das +ist z. B. das Klettern, das Reiten und das Radfahren. Die Bewegungen +und Reibungen der Geschlechtsorgane sind bei vielen erregbaren jungen +Menschen nicht unbedenklich. Der beste Kenner dieser Dinge in +Deutschland, <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Rohleder</em> in Leipzig, behauptet, daß infolge +des Reitens die Onanie bei der Kavallerie ungeheuer verbreitet sei.</p> + +<p>Und noch eins ist zu erwähnen, das ist der Tanz. Er hat schon +entwicklungsgeschichtlich so viel geschlechtlich-symbolische Züge, daß +man auch seine sexualerregende Wirkung wohl verstehen kann. Wenn du +durch ihn in dieser Richtung gefährdet bist, so schränke ihn ein. Ja, +bringe unter Umständen deiner Gesundheit das Opfer, ihn ganz zu lassen. +Jedenfalls bringe nicht Tanz und Alkohol zusammen; denn das leicht +erregbare Nervensystem ist diesem doppelten Reiz nicht gewachsen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page118"></a>[Seite 118]</span> Achte auf das Bett, wie ich schon früher sagte. Laß dein Lager +kühl und hart sein und schlafe nicht länger, als es dir dienlich ist. +Vor allem träume nicht im Bett in die Morgenstunden hinein.</p> + +<p>Bade fleißig! Halte den Körper und namentlich die Geschlechtsorgane +sauber. Schwimme und turne, wandere, singe und sei fröhlich!</p> + +<p>An erster Stelle soll in der Pflege deines Körpers das Luftbad stehen. +Ich hab's genau beschrieben in einem anderen Buche: „Die Heilkraft des +Luft- und Sonnenbades“<a name="FNanchor_A_7" id="FNanchor_A_7"></a><a href="#Footnote_A_7" class="fnanchor">[7]</a>. Nackt in der Luft stählst du die Nerven. Nur +meide die starke Sonne und träges Herumliegen in der Sonne. Es +erschlafft den Körper und kann sinnlich erregen. Hat es dich erschlafft, +so nimm ein kühles Fluß- oder Brausebad. Überhaupt sind kühle Bäder und +kühle Waschungen zuträglich, wenn die Gefahr der sinnlichen Erregung +naht. Hast du morgens beim Erwachen Erektion, so stehe rasch auf, mache +eine kühle Abwaschung und kleide dich rasch an. Aber übertreibe diese +Dinge niemals, weil sonst Schwächung eintritt, die doch wieder zu +sinnlicher Erregung führt. Übertreibe auch nicht bei gymnastischen und +sportlichen Dingen, bei Wanderungen und ehrgeizigen Wettveranstaltungen. +Alles Übermaß führt zur Disharmonie, und nur in der Harmonie aller +Kräfte liegt die Möglichkeit zu ihrer Beherrschung.</p> + +<p>Und sei einfach und mäßig in deiner Nahrung. Denke daran, daß jedes +Übermaß deine Geschlechtsbegierde steigert, und daß namentlich Fleisch, +Fleischbrühe, Wurst, Eier und alter, scharfer Käse, sowie Gewürze, die +Sinnlichkeit erregen und den Kampf gegen diese namenlos erschweren. Wir +Menschen haben meist keinerlei Vorstellung davon, wie eng unser ganzes +geistiges und Gefühlsleben mit den Stoffen zusammenhängt, die wir als +Nahrung zu uns nehmen. Nichts zeigt unsere Erdgebundenheit mehr, als +diese unbestreitbare Abhängigkeit.</p> + +<p>Namentlich das Abendessen sei einfach und mild. Du mußt es früh +einnehmen, damit nicht die Arbeit der Verdauung <span class="pagenum"><a id="page119"></a>[Seite 119]</span> deinen Schlaf +stört und eine Phantasietätigkeit weckt, die dir gefährlich werden kann. +Die einfachsten Speisen sind die zuträglichsten. Ein gesunder Geist und +ein gesunder Körper neigen zur Einfachheit. Schwache Nerven erzeugen +Unmäßigkeit und die Sucht nach Pikantem.</p> + +<p>Auch erregende Getränke haben direkten und unzweifelhaften Einfluß auf +Körper und Geist und namentlich auf die Geschlechtlichkeit. Und nichts +gibt es, das in dieser Hinsicht so verderblich, so furchtbar +niederreißend ist wie der Alkohol. Er ist ja innerhalb der menschlichen +Gesellschaft geradezu der Quell aller unerlaubten, unsauberen +Beziehungen, alles unehrlichen, schlechten Denkens und aller niedrigen, +gemeinen Handlungen geworden.</p> + +<p>Der Alkohol ist des deutschen Volkes angestammtes Laster. Schon die +alten Deutschen verkauften im Trunk Haus und Hof, Weib, Ehre und +Freiheit. Das Trinken ist Gewohnheit, Gesellschaftskodex, eiserner +Bestand, historisches Gesellschaftsrecht geworden. Es herrscht überall +und drückt allem Handeln der Deutschen seinen besonderen Stempel auf.</p> + +<p>Eine fluchwürdige Entwicklung, in der man nicht weiß, was man mehr +verachten soll, die Schlaffheit derjenigen, die immer weiter trinken, +oder die Gewissenlosigkeit des Braukapitals, das an allen Straßenecken +zum Trinken verleitet.</p> + +<p>Nirgendwo aber spielt der Alkohol eine so verheerende Rolle, wie im +Nervensystem der Menschen und vor allem im Geschlechtsleben. Der Alkohol +ist, weil ein dem Körper durchaus fremder, nicht assimilierbarer Stoff, +ein Überreiz, der nicht nur den Körper schwächt, sondern vor allem +höchst merkwürdige Wirkungen an Geist und Seele entfaltet. Er bewirkt +eine Erregung, die sich als gesteigerte Phantasie, als erhöhter Mut, als +Fessellosigkeit des Denkens, als sexuelle und allgemeine +Unternehmungslust äußert, in Wirklichkeit aber Schwäche ist, denn der +klaffende Spalt zwischen gesteigertem Wollen und geschwächtem Können ist +eine wesentliche alkoholische Merkwürdigkeit.</p> + +<p>Vor allem aber reißt der Alkohol das nieder, was die Menschheit in +jahrtausendealter Kulturentwicklung aufgebaut hat und <span class="pagenum"><a id="page120"></a>[Seite 120]</span> was das +Ziel aller Erziehung und aller Persönlichkeitsentwicklung ist, jene +feinen und klaren Unterscheidungen zwischen Gut und Böse und jene +Hemmungen der Einsicht, der Moral und des Willens, die sich gegen das +Schlechte, das Niedrige und Rohe aufrichten. Fällt das alles, so tritt +der Mensch in seiner ursprünglichen Roheit und Brutalität wieder hervor, +wie wir es ja in der Alkoholwirkung tatsächlich sehen.</p> + +<p>Wo anders kann das deutlicher sich zeigen als in den geschlechtlichen +Dingen? Hier steigert der Alkohol die Begierde und wird zum Kuppler, +weil er das Verantwortlichkeitsgefühl tötet, die sittliche Würde und +Selbstbeherrschung zurückdrängt und zu Geschlechtsverbindungen treibt, +die in solcher Art und solcher Häufigkeit bei nüchternem Kopfe undenkbar +wären.</p> + +<p>Der Alkohol verleitet tatsächlich zu den leichtsinnigsten +Geschlechtsverbindungen und gefährlichsten Abenteuern. Tausende von +jungen Männern erwerben ihre Geschlechtskrankheit, wenn sie angeheitert +zum Haus der Dirne gehen. Ja, die meisten haben wohl die Bekanntschaft +der Prostitution erst mit erleichternder Hilfe des Alkohols gemacht. +<em class="gesperrt">Forel</em> machte unter seinen geschlechtskranken Patienten eine Statistik +und fand, daß 75% davon sich unter dem Einfluß des Alkohols angesteckt +hatten.</p> + +<p>Je höher der Alkoholgehalt eines Getränkes, desto stärker auch seine +Wirkung. Aber von den Getränken mit geringem Alkoholgehalt, wie z. B. +Bier, werden oft solche Mengen getrunken, daß trotzdem stärkste +Wirkungen, Trunkenheit, leichtsinnige Geschlechtsverbindung, venerische +Ansteckung, geschlechtliche Verirrungen u. dergl. zustande kommen. Und +die Statistik lehrt, daß die Zahl der unehelichen Geburten mit dem +Bierverbrauch in den einzelnen Städten steigt und sinkt.</p> + +<p>Von den Sittlichkeitsdelikten kommt ein sehr hoher Prozentsatz aus dem +Alkoholgenuß. Und was diesen vielen und vielerlei Ausschreitungen, +Fehlern, Unbesonnenheiten und Vergehen an Unglück, Familienjammer und +sozialem Elend folgt, das ist kaum zu übersehen. Hier gibt's für den +einsichtsvollen Menschen nur einen Weg, den der Enthaltsamkeit vom +Alkohol.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page121"></a>[Seite 121]</span> Wie Schreck fährt's manchem durch die Glieder, wenn es heißt, +er soll kein Bier mehr trinken. So fest sitzt es in seinen +Lebensbegriffen, daß ihn der Verzicht ungeheuerlich anmutet. Und doch +gibt's nicht den kleinsten Vorteil, der im Alkohol wohnt, sondern nur +Nachteil, unbedingten, unbegrenzbaren Schaden. Was schädlich ist, geht +wider die menschliche Vernunft. Darum räumen wir etwas aus dem Weg, was +die Menschen in ihrer gesamten Entwicklung hindert, und verzichten auf +den Alkohol. In diesem Verzicht liegt Selbstachtung, Stolz, Würde. Gute +Entschlüsse machen den Menschen reifer, willenskräftiger, sittlich +freier. Und der Verzicht auf den Alkohol ist ein guter Entschluß!</p> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img014" name="img014"></a> +<img src="images/img014.jpg" width="040" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + +<p>Meidest du den Alkohol, so meidest du von selbst jene häßlichen Stätten, +wo der Alkohol bewußt und planmäßig zur sinnlichen Anreizung gebraucht +wird, die Animierkneipen und alle anderen Kneipen „mit Damenbedienung“. +Es liegt etwas unsäglich Häßliches und Niedriges, etwas namenlos +Gemeines in diesen Kneipen, und es ist mir völlig unverständlich, wie +ein junger Mann in der Dunstwolke dieser alkoholischen Geilheit auch nur +einen einzigen Atemzug tun kann.</p> + +<p>Hier stehen wir auf der Grenze, wo die körperlichen Anreize der +Geschlechtlichkeit in die geistigen übergehen. Und so, wie du den Körper +freihalten mußt von unsauberen Dingen, so gib auch dem Geist nur und +ausschließlich gute Nahrung. Leicht mag das nicht sein. Denn die +erotische Hochspannung der Kultur hat auch in die Literatur und in die +Kunst einen erotisch-neurasthenischen Ton hineingetragen. Die Betonung +des Sexuell-Sinnlichen kommt dem Interesse der Menge entgegen. Sexuelle +Dinge werden breit, mit zynischer Behaglichkeit oder mit geschickt und +elegant verborgener Lüsternheit geschildert oder gemalt. Vor nichts +scheut man zurück, und die Schamlosigkeit macht sich breit unter dem +Deckmantel des „Realismus“.</p> + +<p>Wir wollen ganz absehen von Kolportageromanen, die auf die niedrigsten +Instinkte spekulieren. Nein, auch fähige Schriftsteller, <span class="pagenum"><a id="page122"></a>[Seite 122]</span> +begabte Bildhauer und Maler haben sich der Erotik verschrieben und +prostituieren ihre Kunst, um den billigen Beifall der Menge zu +erhaschen.</p> + +<p>Wieviel Unheil richten sie in jugendlichen Köpfen an! Unruhige sinnliche +Wünsche werden geweckt, sittliche Begriffe gestürzt; denn das, was ohne +Zweifel schlecht ist, wird durch diese erotische Literatur „interessant“ +gemacht. Wieviel schlechte Handlungen entsteigen der durch schlechte +Lektüre verwilderten Phantasie! Wie oft erfährt der Richter, daß ein +schlechtes Buch den Antrieb zu einer sittlichen oder strafrechtlichen +Entgleisung gab!</p> + +<p>Die Zahl der scheußlichen Witzblätter ist groß, und selbst Witzblätter, +denen manch ernstes Wort eine Bedeutung gab, haben sich dem erotischen +Zynismus mit Haut und Haaren verschrieben. Die Inseratenseiten wimmeln +von Anzeigen erotischer Literatur, von Anpreisungen von +„Aktzeichnungen“, die angeblich nur für „Kenner“ oder „Künstler“ +bestimmt sind. Aller Schmutz kann in solchen Inseratteilen abgeladen +werden, und die vielen Anzeigen von Heiratsgesuchen, von Wohnungen „mit +separatem Eingang“ und dergleichen sind nur eine schwungvolle geldliche +Ausnützung der allgemeinen Lüsternheit.</p> + +<p>Schmach und Schande über eine Presse, die sich ihrer erzieherischen +Pflicht so wenig bewußt ist!</p> + +<p>Am meisten hast du dich zu schützen vor jener Literatur, die angeblich +„Aufklärung“ verbreiten will in geschlechtlichen Dingen und mit allerlei +unverfänglichen oder auch verfänglichen Titeln die Neugier der Jugend +erregt. Ich weiß aus vielen Berichten, die mir zugegangen sind, wie +solche Bücher Schaden anrichten. Die Lüsternheit und Sinnlichkeit des +Verfassers steigt zwischen den Zeilen auf und teilt sich dem +Leser – ihn erregend – mit, so daß mancher mir schon berichtete, wie +sehr ihn gerade diese Aufklärungsliteratur zur Onanie und sinnlichen +Gesprächen verleitete.</p> + +<p>Auch da, wo der Inhalt des Buches an sich richtig und gut ist, kann +diese Gefahr bestehen, denn hier macht der Ton die Musik, und ich stehe +keineswegs bei denjenigen, die da meinen, man <span class="pagenum"><a id="page123"></a>[Seite 123]</span> müsse aus +Gründen der „Natürlichkeit“ den letzten zarten Schleier der +Schamhaftigkeit von den geschlechtlichen Dingen hinwegnehmen. Nicht das +restlose Wissen, nicht die absolute Entschleierung ist der beste Schutz, +sondern die zarte, poesievolle und doch kraftvoll-gesunde Auffassung vom +Liebesleben, jene innere, tiefe und wahrhaftige Schamhaftigkeit. Nicht +im Verstand liegt die Sittlichkeit, sondern in der Seele. Darum haben +diejenigen die höchsten sittlichen Kräfte, die die stärksten +Glaubenskräfte haben.</p> + +<p>Prostituiert ist auch die bildende Kunst. Vorbei ist die Hoheit der +griechischen Meister, die mit der Darstellung der Nacktheit höchste +Schamhaftigkeit und sittliche Würde verbanden. Wir leugnen gar nicht die +sinnlichen Elemente des Kunstgenießens. Aber die Kunst soll unsere +Sinnlichkeit idealisieren, durch das körperlich Schöne den Enthusiasmus +der Seele wecken, nicht aber die rohe Sinnlichkeit entflammen und den +aufstrebenden Geist in die Fesseln der quälenden Körperlichkeit bannen. +Eine gemeine Kunst verführt zu einsamen Triebverirrungen, zu Lüsternheit +und Ausschweifung. Es ist nicht ratsam, in Kunstfragen den Staatsanwalt +und die Polizei zur obersten Instanz zu machen. Bessere Richter einer +gesunkenen, feilen und geilen Kunst sind guter Geschmack, anständige +Gesinnung und Selbstachtung. Das Angebot wird durch die Nachfrage +hervorgelockt, und jeder vernünftige Mensch sollte es für unter seiner +Würde halten, ein Bildwerk zu betrachten oder gar zu kaufen, das die +Lüsternheit herausfordert.</p> + +<p>Der Stolz müßte sich auch aufbäumen gegen den Schmutz, der sich in +photographischen oder literarischen Pikanterien breit macht. Warum gehen +junge Männer nicht diesen gemeinen Anreizen aus dem Wege? Warum +erschweren sie sich den Kampf und lassen sich immer mehr herabziehen? +Nicht die gewissenlosen Händler sollte man anklagen, sondern die +charakterlosen Männer, die den Schmutz begehren.</p> + +<p>Das Denken in geschlechtlichen Dingen ist sehr wohl ein Maßstab der +allgemeinen Kraft und Sittlichkeit eines Volkes überhaupt, <span class="pagenum"><a id="page124"></a>[Seite 124]</span> und +es ist charakteristisch, wenn wir aus Frankreich hören, daß dort die +Väter ihren beim Militär dienenden Söhnen zur Unterhaltung +pornographische Photographien senden.</p> + +<p>Was aber soll man dazu sagen, wenn sogar die dramatische Kunst, die den +stärksten Einfluß auf das Volk hat, ihre Verantwortlichkeit verliert und +im sexuellen Zynismus landet? Die Kunst geht nach Brot, und wenn der +Brotherr, das Publikum, einen verkommenen Geschmack hat und mit gierigem +Blick nach Lüsternheiten Ausschau hält, dann darf man sich nicht +wundern, wenn die Bühne französische Ehebruchsdramen und +zynisch-erotische Vaudevilles aufführt. Da ist der Held der Bühne nicht +der stolze, edle Mensch, nicht Tell, Tasso oder Posa, sondern der seine +Frau betrügende Ehemann, der weichlich-erbärmliche Don Juan, der in +tausend Ängsten vor dem Entdecktwerden und in tausend Nöten von einer +jammervollen Situation in die andere gerät, und der uns dann als von den +Frauen besonders begehrt dargestellt wird. Sieht man, wie vollbesetzt +diese Theater sind, und wie im Publikum die Mienen ohne alle +Selbstbeherrschung gierig-lüstern werden, so kann man das Gefühl von +Scham und Empörung nicht unterdrücken über ein Volk, das so seine großen +Männer vergißt, und über Menschen, die so sehr alles Edle, Schöne, +Menschliche von der Geilheit überwuchern lassen.</p> + +<p>Schule deinen Geschmack und deinen ganzen inneren Menschen an +echter, edler Kunst und sei zu stolz, ein Spielball dieser +lüstern-geschäftlichen Spekulationskunst zu werden.</p> + +<p>Halte dich auch fern von den auf niedriger Stufe stehenden +Varieté-Theatern, wo der Humorist ein privilegierter Zotenreißer ist und +die Tänzerinnen mit dem Mangel an Kleidung den noch größeren Mangel an +Können verdecken, wo ein rauch- und bierdunstiges Lokal bis zum letzten +Platz mit Männern angefüllt ist, und sogar Frauen sich nicht scheuen, +ihr eigenes Geschlecht auf der Bühne prostituiert zu sehen. Warum sind +die Varietés, die Singspielhallen, die Konzertcafés mit +erotisch-winselnder Geigenmusik überfüllt, und warum können sich ernste +Bühnen so schwer halten? Weil die Massen korrumpiert sind, und weil +<span class="pagenum"><a id="page125"></a>[Seite 125]</span> die wachsende Degeneration die Sinnlichkeit triumphieren läßt +und zugleich die Selbstkritik schweigen heißt.</p> + +<p>Diese bedrohlich angewachsene Sinnlichkeit wird von dem Kapital in +raffinierter Weise ausgeschlachtet. Ganze Industrien rechnen ja mit +dieser Sinnlichkeit. Aber wieviel Unheil richtet sie an! Wieviel +Nervenkraft und Menschenglück wird dabei zerstört! Es ist nicht ehrlich, +Geld zu verdienen, wenn ein anderer dabei geschändet wird.</p> + +<p>Aber niemand ist genötigt, sich diesen Schäden hinzugeben. Setze an die +Stelle dieses wirren und wüsten Treibens deinen Stolz, deine Würde, dein +besseres Ich und eine ernste Arbeit mit festem Lebensziel, dann wird die +Gefahr deine Kräfte stählen. Die Arbeit ist die Grundlage deines Lebens, +und die Stunden, die nicht deinen Pflichten gehören, sondern dir selbst, +die sollst du ausfüllen mit Schönem, mit guter Lektüre. Unser deutsches +Schrifttum ist reich an guten Büchern. Du sollst die freien Stunden +benutzen, gute Kunst kennen zu lernen. In Museen und Galerien ist +Gelegenheit dazu. Und vor allem sollst du die Natur, deine Heimat, +kennen lernen und wandern, damit dein Körper stark und dein Geist +fröhlich werde. <em class="gesperrt">Geh allem aus dem Wege, was dich herabzieht. Schaue nur +Schönes, denke nur Gutes, handle nur edel, dann wirst du den Sinn und +die Schönheit des Lebens in dir selbst finden, weil du in Harmonie mit +dem Weltprinzip bist.</em></p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page126"></a>[Seite 126]</span> <a id="img015" name="img015"></a> +<img src="images/img015.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2>Schlußwort.</h2> + + +<p>So bist du mir nun gefolgt, lieber junger Freund, und wir haben das +Gebiet durchwandert, das gleicherweise Glück und Unglück, Jubel und +Tränen, Schönheit und Grauen umschließt, in das fast alle Menschen mit +Kraft und Sehnsucht einziehen, und in dem wir sie weiterwandern sehen +mit Krankheit, Schwäche, gebrochener Seele, verlorener Jugend und +beladen mit wirren und schwülen Geheimnissen.</p> + +<p>So viel Jammer entsteigt der Unwissenheit!</p> + +<p>War's da nicht recht, deine Augen sehend zu machen? Ich habe dir nicht +nur Häßliches zeigen und dich vor Gefahren warnen wollen, nein, auch die +Schönheiten des Liebesgefühls habe ich in dir keimen lassen, weil ich +weiß, daß alle Lebensschönheit nur in der Natur steckt und die Natur +auch im Menschen wohnt. <span class="antiqua">Naturalia non sunt turpia!</span></p> + +<p>Nicht das ist die wahre Sittlichkeit, die einen Gegensatz zwischen +Mensch und Natur errichtet, die vom Menschen ein Abtöten seiner Natur +verlangt und ihn in einen letzten Endes vergeblichen Kampf zwischen Tun +und Willen stürzt. Nein, die wahre Sittlichkeit liegt im Erkennen der +erdgeborenen Natur des Menschen und in dem festen Willen, schrittweise +und allmählich auf höhere Stufen zu gelangen. Weder haben diejenigen +recht, die leichtsinnig in den Tag hineinleben, die alles, so wie es +ist, für gut halten und vom Baume des Lebens so viel Früchte +herabnehmen, wie sie erhaschen können, noch können wir denjenigen +folgen, die in düsterem Pessimismus alle Lebensschönheit nicht sehen +wollen und sich auf den Himmel vorzubereiten wähnen, während doch +zugleich ihr Aszetismus ein göttliches Gebot in den Staub zieht.</p> + +<p>Zwischen diesen zwei Irrenden steht der wahrhaft sittliche Mensch, der +sein Leben und seine Persönlichkeit reich und kraftvoll <span class="pagenum"><a id="page127"></a>[Seite 127]</span> +entfaltet, aber nicht eingreift in die Rechte der anderen und nicht das +Wohl der Nachgeborenen untergräbt. Dem die tiefe Erkenntnis der +biologischen Zusammenhänge ein starkes Selbstverantwortlichkeitsgefühl +aufzwingt, und der seine Wünsche schweigen heißt, wenn ihre Befriedigung +die feinen geheimnisvollen Fäden verwirrt, die alle Menschen in Glück +und Unglück miteinander verbinden.</p> + +<p>Da sehen wir die strengen Grenzen zwischen individueller und sozialer +Ethik. Die eine lebt sowohl im Aszetismus wie in der Vergnügungssucht +der Masse, die sich in ihrem oberflächlichen Individualismus eine +Kollektivethik geschaffen hat. Beide aber maßen sich an, selbst Richter +aller Dinge zu sein. Hoch über beiden steht die soziale Ethik, die von +Einzelnen in das Volk getragen wird, von jenen Einzelnen, in denen die +schreiende sexuelle Not der Menschen ein Echo fand, und in denen das +Menschheitsgewissen, jene feine und sichere Unterscheidungskraft +zwischen Gut und Böse, lebte.</p> + +<p>Diese soziale Ethik nimmt einem natürlichen Triebe alles, was ihn +häßlich macht und die Menschennatur herabwürdigt, und sie gestaltet sein +Äußern so, wie es das Wohl der sozialen Gesamtheit verlangt.</p> + +<p>Alle Ethik hat ihre Wurzeln im Geschlechtsleben. Denn das +Geschlechtsgefühl ist die eigentliche Urquelle aller menschlichen +Sympathiegefühle und aller sozialen Organisationen überhaupt. Ist daher +das Geschlechtsleben krank und verdorben, so muß der ganze Bau des +Menschendaseins erschüttert werden.</p> + +<p>Das Geschlechtsleben ist die höchste und stärkste Entwicklungskraft der +Menschheit. Es hat der Religion Nahrung gegeben, hat Kultur, soziale +Gemeinschaft und Kunst entwickelt und dem Geist seine feinsten Blüten +gegeben. Aber es ist auch die Kraft, die wie keine andere die Menschen +hinabstößt in Schwäche und Elend, in Verwilderung und Versumpfung, in +leiblichen und geistigen Tod. Das Geschlechtsgefühl ist dem +Menschengeschlecht Himmel und Hölle zugleich. Darin liegt sein tiefer, +eherner Ernst.</p> + +<p>Aus dem Geschlechtsgefühl quillen Menschenwerte. Ein <span class="pagenum"><a id="page128"></a>[Seite 128]</span> niedriges +Geschlechtsleben schafft Krankheit und niedriges, schlechtes Denken. Ein +reines Geschlechtsleben dient der Gesundheit, adelt den Menschen und +veredelt die Rasse. Diese Reinheit vereinigt Natürlichkeit mit feinstem +Schamgefühl, gesunde Kraft mit zartschöner, idealistischer Auffassung.</p> + +<p>Das ist's, wozu ich dich mit diesem Buche hinführen wollte. Nicht die +„Natürlichkeit“ in jenem stumpfen Sinne einer seelenlosen Nüchternheit, +die das Geschlechtliche zu einer Alltagsgebärde stempelt. Die dem +Liebesgefühl seine Gefahren dadurch nehmen will, daß man es in der +Nüchternheit körperlicher Selbstverständlichkeit erstickt. Nein, +diejenige Natürlichkeit will ich dich lehren, die zwar den körperlichen +Untergrund aller Dinge sieht, aber alle Körperkultur nur als +Ausgangspunkt einer kraftvollen Seelenkultur erkennt.</p> + +<p>Dem Seelenkultus dienen wir! Der rohe Körperkult dient letzten Endes der +Form- und Zügellosigkeit, wenn der Seele feinste Strömungen nicht das +körperliche Tun durchwehen. Die Seele allein birgt die wahre Scham, des +Geschlechtsempfindens zarteste Blüte.</p> + +<p>So habe ich dir die Wege deines Tuns gewiesen. Unbeirrt und klaren Auges +kannst du in das Leben hinaustreten. Trenne dich von der Masse, von +denen, die ideallos geworden sind, folge dem Stern deines besseren Ich, +schreite mutig und siegreich durch alle Gefahren! Vermehre nicht das +Unglück und den Kummer der Menschen, sondern sei in deiner sittlichen +Kraft wie ein Licht, das ins Dunkle strahlt und auch anderen Menschen +das Leben verschönt.</p> + +<p><em class="gesperrt">So trenne ich mich von diesem Buche und trenne mich von dir.</em></p> + +<p><em class="gesperrt">Lebe wohl!</em></p> + +<p><em class="gesperrt">Dein Leben sei rein und ehrlich und voll Glück! Und daß es so sei, gehe +den einsamen Weg der Guten!</em></p> + +<p><em class="gesperrt">Lebe wohl!</em></p> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img016" name="img016"></a> +<img src="images/img016.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2>Fußnoten:</h2> + + +<div class="footnote indent03"> +<p><a name="Footnote_A_1" id="Footnote_A_1"></a><a href="#FNanchor_A_1"><span class="label">1</span></a> Man lese „Arbeit, Kraft und Erfolg“, Wege zur Steigerung der +Leistungsfähigkeit in körperlichem und geistigem Schaffen. Von Emil +Peters. Mk. 4.25. Zu beziehen durch den Volkskraft-Verlag, Konstanz am +Bodensee.</p> + +<p><a name="Footnote_A_2" id="Footnote_A_2"></a><a href="#FNanchor_A_2"><span class="label">2</span></a> Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee.</p> + +<p><a name="Footnote_A_3" id="Footnote_A_3"></a><a href="#FNanchor_A_3"><span class="label">3</span></a> Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, geb. Mk. +<a id="TN1" name="TN1">4.50.</a></p> + +<p><a name="Footnote_A_4" id="Footnote_A_4"></a><a href="#FNanchor_A_4"><span class="label">4</span></a> Wissenschaft und Sittlichkeit, Berlin 1908.</p> + +<p><a name="Footnote_A_5" id="Footnote_A_5"></a><a href="#FNanchor_A_5"><span class="label">5</span></a> Die Gefahren des außerehelichen Geschlechtsverkehrs. 2 Aufl. München +1904. A. Müller.</p> + +<p><a name="Footnote_A_6" id="Footnote_A_6"></a><a href="#FNanchor_A_6"><span class="label">6</span></a> a. a. O., S. 6.</p> + +<p><a name="Footnote_A_7" id="Footnote_A_7"></a><a href="#FNanchor_A_7"><span class="label">7</span></a> Volkskraft-Verlag Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, geb. Mk. +4.50. Porto 25 Pfg.</p> +</div> + + + +<div class="box martop4"> +<h2>Anmerkungen zur Transkription:</h2> + + +<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.</p> + +<p>Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; +lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.</p> + +<p>Einige Ausdrücke wurden in beiden Schreibweisen übernommen:</p> + +<ul class="tn"> + <li>andererseits (Seiten <a href="#page38">38</a> und <a href="#page39">39</a>) und andrerseits (Seiten <a href="#page26">26</a>, <a href="#page31">31</a>, <a href="#page97">97</a> + und <a href="#page106">106</a>)</li> + + <li>gesunderen (Seite <a href="#page34">34</a>) und gesünderen (Seite <a href="#page90">90</a>)</li> + + <li>gesunder (Seite <a href="#page19">19</a>) und gesünder (Seiten <a href="#page88">88</a> und <a href="#page116">116</a>)</li> +</ul> + +<p>Folgende offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert:</p> +<ul class="tn"> + <li>geändert wurde<br/> + <span class="ftsize105">"Daß ist die große"</span><br/> + in<br/><span class="ftsize105">"Das ist die große"</span> (Seite <a href="#page18">18</a>)</li> + + <li>geändert wurde<br/> + <span class="ftsize105">"Buche „Der nervöse Mensch“."</span><br/> + in<br/><span class="ftsize105">"Buche „Der nervöse Mensch“.[1]"</span> (Seite <a href="#page34">34</a>)</li> + + <li class="ftsize105"><span class="ftsize90">geändert wurde</span><br/> + "den <span class="antiqua"><em class="gesperrt">GonoccociNeisseri</em></span> oder"<br/> + <span class="ftsize90">in</span><br/>"den <span class="antiqua"><em class="gesperrt">Gonoccoci Neisseri</em></span> oder" (Seite <a href="#page96">96</a>)</li> + + <li>geändert wurde<br/> + <span class="ftsize105">"führt zur Dishamonie, und"</span><br/> + in<br/><span class="ftsize105">"führt zur Disharmonie, und"</span> (Seite <a href="#page118">118</a>)</li> + + <li>geändert wurde<br/> + <span class="ftsize105">"Volkskraf-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2,75, + geb. Mk. 4,50."</span><br/> + in<br/><span class="ftsize105">"Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, + geb. Mk. 4.50."</span> (<a href="#TN1">Fußnote 3</a>)</li> +</ul> +</div> + + +<p> </p> +<p> </p> +<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44368 ***</div> +</body> +</html> diff --git a/44368-h/images/cover.jpg b/44368-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..727c113 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/cover.jpg diff --git a/44368-h/images/img001.jpg b/44368-h/images/img001.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..87c1ede --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img001.jpg diff --git a/44368-h/images/img002.jpg b/44368-h/images/img002.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..723d21c --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img002.jpg diff --git a/44368-h/images/img003.jpg b/44368-h/images/img003.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..0b56340 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img003.jpg diff --git a/44368-h/images/img004.jpg b/44368-h/images/img004.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..0504a5d --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img004.jpg diff --git a/44368-h/images/img005.jpg b/44368-h/images/img005.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..39dc939 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img005.jpg diff --git a/44368-h/images/img006.jpg b/44368-h/images/img006.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..fc3dc2d --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img006.jpg diff --git a/44368-h/images/img007.jpg b/44368-h/images/img007.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..8797c80 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img007.jpg diff --git a/44368-h/images/img008.jpg b/44368-h/images/img008.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a411b70 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img008.jpg diff --git a/44368-h/images/img009.jpg b/44368-h/images/img009.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..9b01da0 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img009.jpg diff --git a/44368-h/images/img010.jpg b/44368-h/images/img010.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..75c1a9a --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img010.jpg diff --git a/44368-h/images/img011.jpg b/44368-h/images/img011.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..5808557 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img011.jpg diff --git a/44368-h/images/img012.jpg b/44368-h/images/img012.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..940cfb8 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img012.jpg diff --git a/44368-h/images/img013.jpg b/44368-h/images/img013.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..6f79a66 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img013.jpg diff --git a/44368-h/images/img014.jpg b/44368-h/images/img014.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..7138453 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img014.jpg diff --git a/44368-h/images/img015.jpg b/44368-h/images/img015.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..41c18f7 --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img015.jpg diff --git a/44368-h/images/img016.jpg b/44368-h/images/img016.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..5e7e86e --- /dev/null +++ b/44368-h/images/img016.jpg diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..fb41af6 --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #44368 (https://www.gutenberg.org/ebooks/44368) diff --git a/old/44368-8.txt b/old/44368-8.txt new file mode 100644 index 0000000..174dfa8 --- /dev/null +++ b/old/44368-8.txt @@ -0,0 +1,4903 @@ +The Project Gutenberg eBook, Jugend, Liebe und Leben, by Emil Peters + + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + + + + +Title: Jugend, Liebe und Leben + Körperliche, seelische und sittliche Forderungen der Gegenwart + + +Author: Emil Peters + + + +Release Date: December 5, 2013 [eBook #44368] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + + +***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK JUGEND, LIEBE UND LEBEN*** + + +E-text prepared by Norbert H. Langkau, Iris Schröder-Gehring, and the +Online Distributed Proofreading Team (http://www.pgdp.net) + + + +Anmerkungen zur Transkription: + + Das Original ist in Fraktur gesetzt. + + Im Original in _Antiqua_ gesetzter Text wurde mit _ markiert. + + Im Original ~gesperrt~ gesetzter Text wurde mit ~ markiert. + + Im Original #fett# gesetzter Text wurde mit # markiert. + + Doppelte Anführungsstriche wurden durch » (unten) und « + (oben) ersetzt. + + Einfache Anführungsstriche wurden durch > (unten) und < + (oben) ersetzt. + + + + + +JUGEND, LIEBE UND LEBEN + +Körperliche, seelische und sittliche Forderungen der Gegenwart + +von + +EMIL PETERS + + + + + + + +[Illustration: Dekoration] + +Volkskraft-Verlag +~Konstanz am Bodensee~ + + + * * * * * * + + + Bücher von Emil Peters + ~aus dem Volkskraft-Verlag in Konstanz am Bodensee:~ + + + #Strahlende Kräfte.# Wege zu Glück und Erfolg durch Charakter-, + Willens- und Menschenbildung. Mit Titelbild von Fidus. 10. Tausend. + Geheftet M. 5.50. Gebunden M. 7.70. Geschenkband mit Goldschnitt + M. 8.25. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf. + + #Kranke Seelen.# Wege des Lebens für die Einsamen und + Unverstandenen, die Ruhelosen und Nervösen, die Unzufriedenen, die + Unglücklichen, und Seelenleidenden. Mit Bildnis des Verfassers, + Umschlagzeichnung und Innenbildern von Prof. Richard Pfeiffer. + Geheftet M. 6.--. Gebunden M. 8.25. Porto bei direkter + Zusendung 35 Pf. + + #Die das Glück suchen....# Brücken von der sichtbaren in die + unsichtbare Welt und in die geheimen Lebensgesetze der Seele. + Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 5.50. + Gebunden M. 7.50. Vornehmer Geschenkband mit Goldschnitt M. 8.50. + Porto bei direkter Zusendung 25 Pf. + + #Unbekannte Gedankenkräfte.# Geistige Lebensgesetze und seelische + Welten. Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 2.75. + Gebunden M. 4.40. Porto 15 Pf. + + #Kinderzeit.# Fröhliche Erziehung. Ernstes und Heiteres aus + natürlicher Erziehung. Mit 16 Bildern nach photographischen + Aufnahmen von des Verfassers Kindern. Geheftet M. 5.--. + Gebunden M. 7.50. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf. + + #Schaffende Menschen!# Charakterbildung, Energie und Erfolg in + Leben und Arbeit. Umschlagzeichnung von E. Anslinger-München. + Geheftet M. 5.50. Gebunden M. 7.70. Porto 25 Pf. + + #Arbeit, Kraft und Erfolg.# Wege zur Steigerung der + Leistungsfähigkeit in körperlichem und geistigem Schaffen. + Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 4.--. + Gebunden M. 6.--. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf. + + + + Die Bücher sind auch in jeder guten Buchhandlung zu haben. + + Ausführliche Verzeichnisse der Bücher von ~Emil Peters~ versendet der + obenstehende Verlag oder besorgt jede Buchhandlung. + + + + ~Alle Rechte vorbehalten.~ + + _Copyright 1920 by Volkskraft-Verlag Konstanz am Bodensee._ + + Den Druck besorgte die Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan + Geibel & Co. in Altenburg, S.-A. + + Diese Buch ist auch in hübschem Einband als Geschenkband beim + Verlag oder in jeder Buchhandlung vorrätig. + + + * * * * * * + + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Vorwort zur zweiten Auflage. + + +Dies Buch, das in seiner ersten Auflage »Wenn ihr ins Leben tretet!« +hieß, erscheint in seiner zweiten Auflage unter neuem Titel und in +anderem Gewande. Es entspricht darin mehr den Vorträgen, die ich +allerorten hielt. + +Der Gegenstand ist ernst und schwer in seiner Darstellung. Es gibt +Dinge, die so grenzenlos traurig und häßlich sind, daß die Feder oft +zögert, sie niederzuschreiben. Aber wer, wie ich, das Menschenleben zu +schöneren, höheren und edleren Formen bringen will, der darf, wo er das +Licht zeichnet, auch die Schatten zu malen nicht vergessen. ~Jugend und +Liebe~ -- sie sind beide das Licht, das leuchtend und glückselig eine +Weile über unserem Wege steht. Aber ~Irrtum und Schuld~ verschlingen die +unglückseligen Hände und reißen die Menschen in die Tiefen, wo in +Unglück und Krankheit, in Nacht und Chaos die Liebe erstickt. + +Das Häßliche ist hier wahrlich nicht um des Häßlichen willen geschildert +worden. Nein, die Feder stockt dabei, und Scham durchzog den Sinn. Aber +mutig galt es die Aufgabe zu lösen und jungen Menschen, die klopfenden +Herzens vor dem Wundergarten der Liebe stehen, den rechten Weg zu +zeigen. + +Wer das Dunkel geschaut, dessen Auge ist dankbar für das Licht. So soll +dies Buch verstanden sein. + +Nicht ein »Aufklärungsbuch« im landesüblichen Sinne soll es sein. Es +soll nicht mit kaltem Verstande Dinge sagen, die zu wissen noch nicht +sittliche Kraft bedeuten. Weh uns, wenn Wissen und Verstand der Liebe +die Tiefen rauben, wenn wir nicht mehr erröten und die Rätsel der Liebe +uns nicht mehr die Pulse stocken machen! Nicht dem Verstand und dem +kalten Wissen -- nein, der ~Seele~ wollte ich die Geheimnisse junger +Liebe ablauschen. Was nutzt »Aufklärung«, wo die seelenvolle +Menschlichkeit, die sittliche Persönlichkeit fehlt! Erzieherisch ging +ich zu Werke, von innen -- nicht von außen her. + +Worte und Begriffe sind dem Verständnis junger Menschen angepaßt. Eltern +mögen das Buch schulentlassenen Jünglingen in die Hand geben. Es soll +ihnen Wegweiser sein. Und wenn die traurigen und schreckensvollen Dinge +dieses Buches auch mit Wehmut ihre Seele füllen und in den Freudenkelch +der Jugend bittere Tropfen fallen, so wird die Wahrheit doch denen nicht +den Zauber junger Liebe rauben, die »frei von Schuld und Fehle« mit +diesem Buche den glücklichen Weg des Reinen gehen. + +~Neuenhagen~ (Ostbahn) bei Berlin. + + #Emil Peters.# + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Erster Teil. + +Die einsamen Triebverirrungen der Jugend. + +Einleitung. + + +Wir wollen miteinander über Dinge sprechen, über die man +eigentlich -- nicht spricht. Jedenfalls nicht allgemein und vor allem +nicht so, wie man über andere Dinge spricht. Das ist das +Geschlechtliche. + +Wie merkwürdig, daß es etwas im Menschenleben gibt, von dem es scheint, +daß es verborgen werden müßte. Und doch ist es nicht weniger natürlich, +als alles andere, ja, natürlicher und selbstverständlicher wohl. Aber +wer viel in der Irre ging, der findet nachher den rechten Weg nicht +mehr. So haben die Menschen in den geschlechtliche Dingen durch viel, +viel Irrtümer eine Wirrnis geschaffen, in der nun mancher nicht ein und +aus weiß. Er möchte fragen, den oder jenen: »Was ist's mit der +Geschlechtlichkeit? Mit all den aufsteigenden Empfindungen, die mich +quälen und freuen, die mir unruhige Stunden machen und bunte Bilder +vorgaukeln?« + +Aber wen soll er, ja, wen darf er fragen? Der Frage folgt Schweigen oder +verlegenes Lächeln. Das Leben hat den Erwachsenen die Antwort schwer +gemacht. Trübe Ereignisse und Reue verstellen der Wahrheit den Weg. + +Aber wer in Gefahr war, sollte den Neuankommenden warnen. Wer +strauchelte, sollte verhüten, daß auch der andere strauchelt. Darum ist +es nicht gut, wenn du noch unbelehrt und ungewarnt bist. + +Ich will niemandem einen Vorwurf machen, am allerwenigsten deinen Eltern +oder deinen Lehrern. Sie haben dich gefördert, wie sie nur konnten. Aber +dies Geschlechtliche, siehst du, nimmt in allen Dingen des Lebens eine +Ausnahmestellung ein. Es schlummert in ihm -- und darum auch in +dir -- etwas Gefährliches, das man durch Schweigen dämpfen möchte; denn +niemand kann sagen, ob Glück oder Unglück daraus entspringt. + +Ich aber meine, im Dunkeln sei kein Weg zu finden. Licht soll auf alle +Lebenswege fallen. Darum will ich dir die Wahrheit sagen, will mit dir +über ein paar Lebensfragen sprechen, damit dein Leben Halt und +Festigkeit und Richtung bekommt. Und insbesondere will ich dir alle +deine stummen Fragen beantworten, die scheu und geheimnisvoll-verlegen +dem Geschlechtlichen entsteigen und neugierig das Geschlechtliche +umflattern. + + +1. + +Vom Sinn des Lebens. + +Hast du schon einmal darüber nachgedacht, welchen Sinn wohl das Leben +haben könne? Ja, hast du versucht, die Lebenserscheinungen denkend zu +einer Lebens-»Anschauung«, zu einem Lebensbild, zu vereinigen und dein +eigenes Denken und Tun mit diesem Lebensbild in Einklang zu bringen? + +Ich glaube nicht. Denn das Elternhaus hat dich treusorgend bewahrt. Den +Tisch fandest du stets gedeckt, und manche Sorge ums Alltägliche und um +das, was die nächsten Tage bringen werden, haben die Eltern dir +ferngehalten und allein ihre Stunden damit ausgefüllt, während du lachen +und scherzen oder schlafen konntest. Die Schule setzte dir fertiges +Wissen vor. Du nahmst, was andere gedacht, und warst des eigenen, +tieferen Denkens enthoben. + +Nun aber trittst du ins Leben hinaus. Nun beginnt auch für dich der +Kampf. Die Pflichten mehren sich, und der Tag ist nicht mehr fern, an +dem auch deine Schultern tragen sollen, was ein Mensch zu tragen vermag. +Und zeitweilig noch mehr. Da gilt es, Kräfte zu sparen und stark zu +werden, um mutig und aufrecht den Lebensstürmen zu trotzen. + +Es mag ein banges Zagen dich beschleichen, wenn du daran denkst, bald +ganz auf dich allein gestellt zu sein. Du zweifelst, ob deine Kräfte +ausreichen werden. Aber sei getrost! Nicht als ein Fertiger tritt der +Mensch an seine Aufgaben heran, sondern die Pflicht steigert die Kraft. +Alles in der Natur und im Leben ist ein Werden, ein Wachsen. Alles Leben +ringt nach Vollendung und vollendet sich im Kampf. Der Starke +triumphiert im Kampf, bleibt Sieger. Den Schwachen zerbricht das Leben. + +Wohlan! Sei ein Starker! Fasse Mut, und freue dich der wachsenden Kraft! +Kleine Widerstände geben dir Mut, dich an großen zu messen, und ehe ein +paar Jahre ins Land gegangen, schaust du deinen Weg zurück und lachst +der Zaghaftigkeit, die dich heute beschleicht. + +Und da haben wir schon einen Blick aufs Ganze. Da sehen wir schon +Richtung und Weg und Ziel, und langsam formt sich aus den Nebeln der +Unreife und Unklarheit ein Lebensbild. + +Schau um dich in der Natur! Roh und formlos ist der Anfang. Gott aber +blies allem seinen »lebendigen Odem« ein. Was heißt das? Das heißt, daß +in die brodelnden Urgewalten das Gesetz der Entwicklung hineingeworfen +wurde, daß eine unendliche Harmonisierung den Lauf des Lebens begleitet, +daß alles, was in die Bahn des Lebens geworfen wird, um seines Daseins +Kreise zu vollenden, dem Göttlichen sich entgegen entwickeln soll. + +So gehörst du nicht dir selbst, du bist ein Teil des Weltgeschehens, +bist eine von den zahllosen Formen, in denen die Natur das Leben neu +erzeugt, und in dir schlummert der göttliche Funke, der dich zum +Menschen macht, der Funke, der durch dein Leben zur Flamme angeblasen +werden soll, die dich läutert. Dieser göttliche Funke ist dein Gewissen, +ist das Menschheitsgewissen, jener oberste Richter über Gut und Böse, +der Ewigkeitsgesetze geschrieben hat und heute wie vor Tausenden von +Jahren herrscht. + +Die Menschen leben um des Besten willen. Die Entwicklung geht den Weg +des Guten; denn das Gute ist die Entwicklung. Das Schlechte stirbt in +sich, weil es dem Gesetz der Entwicklung widerstrebt. + +So siehst du, werden wir Menschen durch ein geheimnisvolles und +gewaltiges Gesetz geführt. Dies Gesetz, der sittliche Grundgedanke, +zeichnet der Entwicklung ihren Weg. Wer sich gegen dies Gesetz vergeht, +sei es, daß er dem unkontrollierten Genuß des Augenblicks huldigt, oder +im materiellen Vorteil das Gewissen schweigen heißt, der versündigt sich +gegen die Majestät der Menschheit, und er fühlt den leisen Mahner in +seinem Innern, der ihm sagt. »Das durftest du nicht tun.« -- + +Diese Sauberkeit und Klarheit des Gewissens mußt du dir erhalten, denn +damit hast du die nötige Festigkeit in dir, um jenen Hohlköpfen und +Wichten zu begegnen, die ihr Leben auf sich selbst, und damit auf +nichts, gestellt haben; denn sie sind nichts, und das »Ich«, das sie in +ihrer Phrase vom »Sichausleben« in den Vordergrund drängen, ist wie eine +taube Nuß. Je weniger fest und stark das Leben im Innern ist, desto +ruheloser und schwankender wird es nach außen. Darum gerade verfallen +sie einem unruhevollen Geschlechtsgenuß und ertränken ihr Gewissen in +Lärm und Alkohol und vielen Phrasen von »Individualität« und +»Männlichkeit«. Diese Worte aber sind nichts als Angst und sind ein +Versuch, den Starken, der wie ein stiller Vorwurf neben ihnen +herschreitet, aus dem Wege zu räumen, das heißt, durch philosophische +Phrasen zu sich hinabzuzerren und für ihre eigene Hohlheit +breitzuschlagen. + +Wenn du diesen Menschen begegnest, so wehre dich gegen sie! Wenn sie dir +sagen. »Der Mensch gehört sich selbst, und niemand ist Richter über +ihn,« so antworte ihnen: »Nein! das Leben ist ein Geschenk der Natur. +Niemand ist auf sich selbst gestellt, niemand gehört sich selbst. Feine +Fäden verbinden die Menschheit in Glück und Leid miteinander, und jede +schlechte Tat vermehrt das Leid und das Unglück, jede gute Tat aber ist +ein kleiner Schritt weiter auf dem Wege der Bereicherung und +Verschönerung des Lebens.« + + +2. + +Volkstum. + +Tiefgreifende Besonderheiten haben von jeher die Menschheit in Rassen +und Völker geschieden. + +Du gehörst dem deutschen Volke an! Vergiß das nicht! Und vergiß nicht, +wenn du das Wort »Deutsch« sprichst, daß es nicht eben bloß ein Wort ist +wie tausend andere, sondern daß es aus fernen Jahrtausenden zu uns +herübertönt mit ehernem Klang, einer Fanfare gleich, die schmetternd zum +Appell ruft. + +Deutsch sein! Diesem Schlachtruf unterlagen die römischen Legionen in +den finsteren germanischen Wäldern. Für diesen Begriff blutete +Deutschland aus immer wieder frischen Wunden. Unter diesem Zeichen +siegten wir und wurde unser Volk stark und groß. Deutsch sein! das ist +nicht ein bloßes Wort, nein, das ist Blut und Mark und Saft von +besonderer Art. Die Form des Kopfes, Farbe und Glanz des Auges, +Empfindung, Denken und Tun: all das ist deutsch, ist anders als das der +anderen Völker. Um dies Deutschsein haben Tausende auf rauchenden +Schlachtfeldern gelitten und gestritten, Tausende haben sich in der +Ferne in Sehnsucht nach der Heimat verzehrt, und Jubel und Jauchzen +erfüllte ihre Brust, wenn sie an Rückkehr denken durften. + +Deutsch sein! dafür haben wir vier Jahre lang dem Ansturm einer ganzen +Welt standgehalten, bis das Aufgeben dieses Deutschseins uns die Waffen +aus den Händen schlug, uns wehrlos machte, daß wir zusammen brachen. + +Nun merke auf! Es gibt Menschen von fremder, heimatloser Art um dich und +charakterlose Schwätzer, die deinen Rassen- und Volksbegriff leugnen und +zerstören möchten. Sie setzen viel hohle Phrasen an die Stelle des +greifbaren Volkstums. Laß dir dies Rassen- und Volksbewußtsein, diesen +völkischen Stolz, nicht rauben! Schlage die Blätter der Weltgeschichte +um! Blatt für Blatt erkennst du das gewaltige Ringen der Völker um ihre +angestammte Art. Und du erkennst, daß nur dann ein Volk stark nach außen +sein kann, wenn es zugleich stark nach innen ist, gesund und fest in +seinem Kern und sittenstark. Die sittliche Kraft in einem Volke war +stets auch seine politische Kraft. An der Sittenlosigkeit, in der +geschlechtlichen Ausschweifung, gingen die Völker, die Staatengebilde +zugrunde. Kennst du das Beispiel Roms? Lerne es fürchten! Weißt du, daß +die morsche, sinnliche römische Kultur dem Ansturm Odoakers erlag, der +mit den heldenhaften und sittenstrengen Söhnen der germanischen Wälder +heranrückte? Lerne dies deutsche Volk um seiner großen Vergangenheit und +seiner Tugenden willen lieben! Aber zugleich beobachte, daß der +Sittenverfall auch bei uns sich ausbreitet, daß zerstörende Mächte an +den alten, festen Grundlagen unserer Volksart tätig waren, und daß wir +längst im Innern morsch waren, ehe die Übermacht der Feinde uns auf die +Knie zwang. + +Nun aber wollen wir wieder hochkommen, wollen wieder die Schmach von uns +abwaschen, wollen unsere Kraft und unsere Ehre wiedergewinnen -- und +dazu muß jeder Einzelne bei sich selber anfangen. ~Sittliche Reinheit!~ +so heißt der Wahlspruch. + +Hier hast du ein zweites Lebensziel: Liebe dein Volk und lebe für dich +so, wie du möchtest, daß das Ganze sei: stark und gesund und rein. Was +nützen all die schönen Worte von Vaterland und Volk und Ruhm und +Zukunft, wenn nicht jeder Einzelne sein Teil Verantwortung für das Ganze +in sich trägt und danach lebt. + +Dem politischen Ehrgeiz eines Volkes muß eine gesunde und sittliche +Lebenshaltung die treibenden Kräfte geben. Darum ist es betrübend, zu +sehen, wie Staatsmänner und Politiker starke Worte machen und heftige, +erbitterte Parteikämpfe ausfechten, ohne doch der Notwendigkeit zu +gedenken, daß all dies Mühen nur ein Tageserfolg ist, wenn er nicht aus +der klug gepflegten Volkskraft dauernd gespeist werden kann. Eine +zahlreiche, körperlich und sittlich starke Jugend ist der Lebensquell +des Volkes, und dies Bewußtsein muß jeder junge Mensch in sich tragen. + +Du siehst, auch hier gehörst du nicht dir selbst. Ein zweiter Wegzeiger +ist in deinem Leben. Er zeigt auf dein Volk. Ihm gehörst du mit deiner +ganzen Art, mit Leib und Seele, mit dem Wollen und Wünschen. Und darum +muß dein Leben sich so gestalten, daß es deinem Volke nicht Schaden +bringt. + + +3. + +Die Familie. + +Von der Volkseinheit und -Eigenart trennt sich die Einheit und Eigenart +der Familie ab. Und hier erblüht dem Baume deutscher Art die schönste +Blüte: das deutsche Familienleben. Wie ist es besungen worden, und +wieviel schöne Erinnerungen an das Elternhaus tragen wir mit uns in das +Leben hinein. Sorgende Liebe erfüllt die Räume. Milde und Strenge paaren +sich, um die Buben und Mädchen zu bilden zu tüchtigen Menschen, damit +sie einen Platz im Leben ausfüllen können. Und jeder von ihnen tritt in +das Leben hinaus und wird und will wieder eine Familie gründen. Was er +zu Hause Gutes sah, pflegt er weiter und verbindet's mit Neuem. Wohl +ihm, wenn er nur Gutes sah, wenn recht viel gute Erinnerungen ihn +begleiten. Was die Eltern Gutes an ihren Kindern gewollt, das müssen die +Kinder zu erreichen trachten. Denn darin liegt ein Dank für die +dahingegangenen Geschlechter und ein großes, starkes Versprechen an die +kommenden. Die Eltern denken Gutes von dir, die Brüder und Schwestern +tun es auch. Wie kannst du darum Schlechtes tun und dann ein schlimmes +Geheimnis mit dir herumtragen, das zu verraten du kaum den Mut findest? +Die Familie ist der Hort der guten Sitten. Ehre die Stätte, der du +entstammst, und tue nichts, was nicht jeder wissen darf. + +Zum dritten Mal stecke ich dir ein Lebensziel, zeige dir einen Maßstab +und eine Grenze deines Tuns: deine Zugehörigkeit zur Familie. Zum +dritten Male sage ich dir, daß du nicht dir selbst gehörst, sondern +gebunden bist im Denken und Tun an die Gesamtheit, an die Familie, an +das Volk, an die Menschen überhaupt. Dein Wohl ist das der anderen. Die +Kraft und die Ehre der Gesamtheit liegen für dein Teil in deiner Hand. + + +4. + +Das »Ich« und die Freiheit. + +Du wirst mir entgegenhalten. »Bin ich, ich selbst, denn gar nichts, daß +ich nur aufgehen soll im Ganzen? Daß ich immer nur an die anderen denken +soll?« + +Ja, du bist, und dein »Ich« soll stark und stolz dir zum Bewußtsein +kommen. Nicht niederdrücken, schwach und zage machen soll dich deine +Zusammengehörigkeit zur Familie, zu Volk und Menschheit, nein, aufrecht +und freudig sollst du es empfinden; denn in dir verkörpert sich die +Familie, in deiner Art erkenne ich ihre Art, in dir lebt die Art des +ganzen Volkes, in dir glüht der heilige Funke der Menschheit. Das Leben +drängt sich immer wieder, um neu zu erblühen, in eine enge Form, das ist +der persönliche Mensch, das Individuum. Der persönliche Mensch ist die +höchste Steigerung der Natur, ist der höchste Wille der Schöpfung. + +Dieser persönliche Mensch muß frei sein. Damit meine ich nicht jene rohe +Freiheit, die sich hinwegsetzt über gesetzliche und gesellschaftliche +Schranken. Das ist Willkür und rohes Triebleben. Diese rücksichtslose +Freiheit, die da glaubt, alles tun zu dürfen, was ihr in die Sinne +steigt, ist doch nur bemitleidenswerte Gebundenheit an die Tiernatur. +Ich meine vielmehr jene sittliche Freiheit, die mit einem geschlossenen +Willen sich der Gedankenlosigkeit der Menge entgegenstemmt. Die +Freiheit, in der im Gehorsam gegen selbstdiktierte sittliche Gesetze der +Mensch triumphiert. Diese Überlegenheit über die Gedankenlosigkeit, das +stumpfe Triebleben, die oberflächliche Genußsucht anderer, ist +wahrhaftig Freiheit, eine Freiheit, die in wichtigen Lebensfragen nur +sich selbst befiehlt und gehorcht, keinem andern, am allerwenigsten der +Menge. Der Geist muß wach bleiben und muß mit heller, scharfer Kritik +über die Regungen der Sinne wachen. Der Gedankenlose verliert sich an +die stumpfen und dumpfen Triebe der Menge. Er glaubt dann Freiheit +gefunden zu haben und verlor doch nur sein »Ich«, seine Persönlichkeit. +Du siehst also, daß das »Ich« nur triumphiert, wenn es sich selbst +Gesetze gibt. Darum darfst du nicht aufgehen in der Menge, die dich +hinabzieht, sondern mußt jenen Größten nacheifern, in denen unseres +Volkes Art sich am reinsten verkörperte. »Die Menschen leben um des +Größten willen,« sagt Carlyle. In ihnen glüht der göttliche Funke des +Menschentums am stärksten. Hast du Vorbilder, so gehst du mit deinem +Wollen auf in der Menschheit, im Volk, in der Familie. Du hast damit +starke und große Ideale in dein Leben hineingestellt, und diese Ideale +werden dich erziehen. So, siehst du, ist das ausgeprägte »Ich«, ist der +persönliche Mensch, der höchste Wille zum Guten. Indem du stolz dein +»Ich« erhebst, beugst du dich unter das große Entwicklungsgesetz der +Menschheit. + + +5. + +Die Fortpflanzung. + +Alles Leben hat nur eine Quelle: die Fortpflanzung. Und sie ist +umwoben und durchflochten von der Liebe, von jenem wunderbaren +Empfindungsgewoge, das unser Leben schön und glücklich macht; oder auch +häßlich und traurig und unglücklich. Wie man's lebt. + +Die Natur schuf zwei Geschlechter. Und an dem Gegensatz zwischen +männlicher und weiblicher Art erkennst du, wie unbeholfen und roh die +Auffassung derer ist, die das Geschlecht nur als etwas Körperliches +sehen, die beim Worte »Geschlecht« nur an Geschlechtsorgane denken. +Schon beim Spiel der Kinder unterscheidet sich der wilde Wagemut des +Knaben von der stilleren Art der Mädchen. Das ist wie ein Symbol fürs +ganze Leben. Das Geschlechtliche wurzelt tief in der Seele, und du +darfst es nicht so ohnehin als das bloß Sinnliche auffassen. Denn es ist +mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnen, mit dem Denken und Fühlen innig +verwebt und verschmolzen. Der Mann denkt, fühlt, urteilt, handelt anders +als die Frau. Das eben ist der tiefgreifende Geschlechtsunterschied +zwischen beiden, der jedem eine andere Stellung in der Natur und in der +Welt und darum auch eine andere Gefühlswelt gibt. + +In Mann und Weib verschmilzt das geheimnisvoll-ewige Sehnen der +Menschheit nach Vollendung. Denn jedes der beiden Geschlechter birgt +eine Hälfte menschlicher Eigenschaften in sich. Der Mann Kraft, Mut, +Wille, Entschluß, Edelmut, Ritterlichkeit; das Weib Milde, Sanftmut, +Mutterliebe, Gefühlstiefe; beide aber Treue, Schamhaftigkeit, Ehrgefühl. +Das eine Geschlecht sehnt sich nach dem andern, um zu gewinnen, was es +nicht hat, sich so zu ergänzen, zu vervollkommnen. Dieser tiefe +Lebenswille der Natur lebt in beiden, und der Fortpflanzung entsteigt +das Kind als eine höhere Entwicklungsstufe. Es ist auch wieder entweder +männlich oder weiblich, aber es trägt von beiden Eltern ein Teil in +sich. Ein gutes oder ein schlechtes, je nachdem, was das stärkere war. + +In der Geschlechtlichkeit, in der Zeugung, erhebt sich der Mensch zur +höchsten Bedeutung. Er selbst wird ein Schöpfer, wird ein Neugestalter +des Lebens. Was Menschheit, Volk und Familie ihm gegeben haben: Leben, +Kraft, Gesundheit, Menschenwürde, das gibt er einem von ihm in Liebe +erzeugten Wesen wieder. Darin liegt ein Teil Unsterblichkeit. + +Es gab eine Zeit, da erzählte man dir vom Storch, der die kleinen Kinder +bringe und sie aus dem Brunnen oder einem großen Teich hole. Ja, ja, aus +dem großen Meer der Schöpfung sind sie ja gekommen; aber es war nicht +jener Verlegenheitsstorch der Fabel, der sie brachte, sondern die Liebe, +die geschlechtliche Verbindung deiner Eltern, die den Werdekeim +entfachte. So wie die Natur für alles in unserem Tun ein bestimmtes +Organ, ein Körperglied mit einem besonderen Zweck, schuf, wie sie uns +zum Gehen Beine und Füße, zum Greifen Arme und Hände, zum Sehen die +Augen, zum Kauen die Zähne gab, so verlieh sie auch dem gewaltigen +Sehnen nach Liebe und Zeugung, das die Menschen in sich tragen, +bestimmte Organe, durch die der Wille der Natur und das Liebesgefühl der +Menschen einen körperlichen Ausdruck finden kann. Diese +Geschlechtsorgane sind bei Mann und Frau ganz verschieden. Sie liegen +teils außerhalb, teils innerhalb der Leibeshöhle, teils sind es +Brutstätten, Werkstätten für die Erzeugung der Keimzellen, teils Wege, +diese Keimzellen zum Ausstoßen und zur Vereinigung zu bringen. Beim +weiblichen Organismus liegen in der Leibeshöhle die sogenannten Ovarien, +die Eierstöcke, in denen während einer Fruchtbarkeitszeit von etwa 30 +Jahren rund 400 Eichen (das ist allmonatlich eins) reifen und +ausgestoßen werden. Beim Manne wird der Samen in den beiden Hoden +bereitet, aber nicht nur 400 Samenzellen, sondern viele Millionen. Die +Geschlechtserregung nun, die den erwachsenen Menschen von Zeit zu Zeit +ergreift, läßt alle Empfindung in die Geschlechtsorgane strahlen. Alle +Wünsche schweigen. Alle Kräfte von Körper und Seele beugen sich dem +großen Zeugungswillen der Natur und konzentrieren sich im Zeugungsakt. +Die Geschlechtsorgane vereinigen sich, und die männlichen Samenzellen +werden ausgestoßen in die weiblichen Organe und suchen in großer Zahl +das weibliche Ei. Aber nur die stärkste Samenzelle, die die größte Kraft +und Lebensenergie hat, erreicht -- allen anderen voraus -- die Eizelle, +durchbohrt sie, und die Befruchtung ist geschehen. Jeder weiteren +Samenzelle ist dann der Eintritt verwehrt. + +Hier sehen wir im kleinen und doch so gewaltig-großen Zeugungswunder, +daß das Leben sich immer nur aus der verhältnismäßig größten Kraft +aufbaut, daß darum der Stärkste und Beste das größte Recht auf Leben und +Zeugung besitzt. Der Kampf der Samenzelle um die Eizelle ist wie eine +Darstellung des menschlichen Lebenskampfes. + +Obwohl das alles so natürlich, so groß und schön ist, hat man dir die +Wahrheit nicht sagen wollen, ist alle Welt mit der Geschichte vom +Storch, mit Unsicherheit und Verlegenheit, um dich herumgegangen. Warum? +wirst du fragen. + +Das hat zweierlei Gründe, einen guten und einen schlimmen. Der gute +liegt in der Sache selbst. Das Geschlechtsempfinden gehört nicht dem +lauten Lärm des Alltags. Der feinfühlende Mensch wird das, was in +Schönheit und geheimnisvoller Spannung in seinem Innern aufkeimt, was +ihm das Herz zum Springen füllt, und was so viel Sehnsucht in ihm reifen +läßt, er wird das alles nicht mit nüchternem, lautem Wort in den Kreis +der alltäglichen Dinge ziehen. Dies Geschlechtsempfinden, das soviel +ganz Persönliches, soviel unaussprechlich Feines und Zartes in sich +birgt, wird dem feinfühligen Menschen sein Allerheiligstes sein, das er +der Welt und der Neugierde anderer verbirgt. Darum ist das +Geheimnisvolle im Geschlechtsleben eben gerade das Menschliche, die +ästhetische Verfeinerung eines im Anfang rohen und wilden Triebes. Diese +ästhetisch-geheimnisvolle Umschleierung ist unlösbar mit unserem +Glücksbestand verbunden; denn das Geschlechtliche, das zugleich Urgewalt +und feinste Kulturblüte ist, enthüllt so sehr das innerst Persönliche +eines Menschen, daß es sich nur schwer in Worte fassen läßt. Zwischen +starken Empfindungen und ruhig-erklärenden Worten liegt immer ein +Widerstreit. Darum rang man nach Worten, um dir die Wahrheit über das +Geschlechtliche zu sagen, und schließlich fand man die Worte nicht und +darum auch nicht den Mut. + +Der andere und schlimmere Grund aber ist der, daß der Geschlechtstrieb +in der Allgemeinheit des Volkes überstark und krankhaft geworden ist und +sich nun dem Leben und der Persönlichkeit als etwas Feindseliges +entgegenstellt. Man fürchtet, ihn durch Belehrung zu wecken, und glaubt, +ihn durch Schweigen im Zaume zu halten. Das ist ein Irrtum. + +Der große und manchmal so hoffnungslose und traurige Kampf mit dem +krankhaft gesteigerten Geschlechtstrieb brachte die tiefe Zweiteilung +von »Fleisch« und »Geist«. Die Sinnlichkeit wurde »Sünde« genannt. Und +sie ist doch nur Natur. Dieses feindselige Denken gegen die +Geschlechtlichkeit hat die Prüderei geboren, die ängstlich darüber +wacht, daß auch nicht eine Silbe über diese Dinge gesprochen werde, und +die doch weiß, daß viel Häßliches geschieht. + +Es ist nicht gut, etwas, was in der Natur liegt, für unnatürlich und +»sündig« zu halten; denn damit geraten wir in Zweifel. Und wenn dieses +Etwas dann als ein starker Trieb in uns Menschen groß wird, das mit +unserem Wesen, unserem Charakter sich verbindet und zuzeiten uns ganz +allein auszufüllen scheint, so ist es richtiger, einen festen, klaren +Blick dem Geschlechtlichen gegenüber zu behalten, um es zu beherrschen +und zu bemeistern, nicht aber ängstlich, prüde und verlegen zu sein, den +Trieb für tierisch zu halten und dadurch von einem Konflikt in den +andern zu stürzen. Schließe dich nicht dieser unwahren, +lebensfeindlichen Denkart an, sondern erkenne im Geschlechtstrieb die +Quelle alles Empfindungslebens, erkenne ihn als die Grundmauer des +Lebens und die treibende Kraft aller Entwicklung. Sage nicht, daß er +tierisch und häßlich und sündig sei, sondern daß durch ihn der Mensch +erst wahrhaft Mensch wird, daß durch ihn der göttliche Wille des +Schöpfers in jeden einzelnen Menschen gelegt worden ist, und daß gerade +im Liebesgefühl und im Liebesleben der Reichtum der Menschennatur sich +entfaltet, so wie im Blütensegen des Frühlings die Natur in ihrer +Schöpferkraft jubelt. + +Verstehe mich nicht falsch! Du sollst dem Geschlechtstrieb stark und +ehrlich und mutvoll gerade ins Auge sehen. Sollst ihn erkennen als das +Schöpfungswunder der Natur und als die in dich selbst gelegte +Schöpferkraft, mit der du dem Willen der Natur dienen sollst. Aber darum +darfst du nicht sagen: »Dieser Trieb ist mein Recht! Habt ihr prüde +jedes Wort von ihm vermieden, so ist er doch in mir emporgewachsen, und +nun lebt er in mir, und ich will und darf ihn betätigen.« + +Schau um dich in der Natur! Auch die jungen Bäume treiben Blüten, aber +sie tragen noch keine Frucht. In der Natur herrscht ruhige und langsame +Entwicklung; denn nur die Ruhe ist Kraft. Alles vorschnell Entwickelte +trägt schon den Verfall in sich. Wenn im Geschlechtlichen das Leben sich +aufbaut, dann muß auch gerade das Geschlechtliche den Zerfall bringen, +wenn es dem Mißbrauch entgegentreibt. + +~Das ist die große Wunde am Leben der Völker: der Geschlechtsmißbrauch!~ +Daran sind sie zugrunde gegangen, die Kulturvölker des Altertums, und +das ist es, was heute noch die Völker zerstört: die Vergeudung der +Geschlechtskraft! + +~Denn Geschlechtskraft ist Lebenskraft!~ Wer das eine verschwendet, der +zerstört das andere. Aus dem Geschlechtsmißbrauch kam die Degeneration +in die Völker. Die Geschlechtlichkeit, die der Kraft und dem Aufstieg +des Lebens dienen sollte, wurde dem Menschen zum Verhängnis, ja zum +Fluch. Die Sünden der Väter wurden heimgesucht an den Kindern bis ins +dritte und vierte Glied. + +Von allen Lebewesen ist der Mensch das einzige, dessen Geschlechtstrieb +unter die Herrschaft der Vernunft gestellt wurde. Indes: + + »Er nennt's Vernunft und braucht's allein, + Um tierischer als jedes Tier zu sein!« + +Gerade die ideale Verbindung des Körperlich-Sinnlichen mit der +Gesamtheit geistigen Lebens, eine Verbindung, die so viel Schönheit und +so viel Möglichkeiten kluger Beherrschung und sittlicher Gesetze in sich +birgt, ist verhängnisvoll geworden; denn das Geistige (Gedanke, +Empfindung, Vorstellung, Kunst) wird zum Einfallstor des Sinnlichen, und +bei gar zu vielen liegt die Vernunft in ewiger Fehde mit dem sinnlichen +Trieb. + +Das ist es, was so viel schwüles Schweigen erzeugt: Die lüstern lockende +Geschlechtsempfindung im Innern, mit der man ringt, und das böse +Gewissen, die trübe Erinnerung an vieles, was nicht gut war. + +Aber soll das weiter und immer so bleiben? Sollen wir ruhig +danebenstehen, wenn starke und mannhafte Geschlechter im +Geschlechtsirrtum ihre Kraft verlieren? Wenn wir sehen, daß junge +Menschen durch krankhafte Erregungen zur Erschöpfung getrieben werden? + + +6. + +Die Verirrungen der Jugend. + +Alle Welt kennt das große und traurige Geheimnis, das junge Menschen mit +sich herumtragen, das drückende Geheimnis der Geschlechtsverirrung, der +Onanie. Nur ganz wenigen ist der Sinn frei davon geblieben, und diese +kennen nicht den bitteren Kampf, den der sittliche Wille mit dem Triebe +führt, der sich quälend und entnervend im Körper und in den Sinnen breit +gemacht hat. Immer wieder rafft man allen Willen zusammen, immer wieder +bäumt sich der Stolz auf, und man sagt »Ich will nicht«, aber so oft ist +dieser Trieb der Stärkere. Es ist wie ein Ringen um die Oberherrschaft. +Je schwächer das Nervensystem und je nachgiebiger und schlaffer das +Denken, desto mehr reißt der sinnliche Trieb die Oberherrschaft an sich. + +Ein offenes, freies Wort würde den Kampf mildern, ein Freund, ein +Vertrauter, dem man von sich in diesen Dingen sprechen kann, würde die +seelische Bedrücktheit verscheuchen und den Mut heben können. Aber alle +jungen Menschen sind ratlos, tragen ihr Geheimnis weiter mit sich herum +und -- verfallen weiter in der Einsamkeit dem wühlenden sinnlichen +Trieb. + +Dies traurige Schauspiel muß vor allen Dingen der Einsamkeit und dem +Schweigen entrissen werden. Man muß darüber sprechen, deutlich und +ernsthaft, damit der Vergeudung der Lebenssäfte Hemmnisse in den Weg +gelegt werden, damit die geschwächten Körper wieder frischer und +gesunder, der Wille wieder zuversichtlicher, der Mut wieder froher und +das Auge wieder klarer wird. Es soll alles aus dem Leben heraus, worüber +man sich schämen muß. + +Die Onanie tritt oft schon in sehr frühem Alter auf. Desto gefährlicher +ist sie. Dann handelt es sich aber um einen Organismus, der +wahrscheinlich erblich geschwächt ist, eine »nervöse Anlage« hat. + +Solch ein geschwächter Organismus ist ungemein empfänglich für alles +Sinnliche. Worte, Bilder, die auf das Erotische Bezug haben, sind wie +ein Feuerfunken in einen Strohhaufen. Ja, wie mit einem schwülen Drang +wird aus allen Gesprächen, aus Bildern und Büchern das Geschlechtliche +hervorgesucht. Diese grüblerisch-ungesunde Art raubt dem Betreffenden +viel frischen Sinn für das Wirkliche, viel Arbeitskraft und +Lebensfreude. Immer lenkt das Geschlechtliche seinen Blick ab, und es +ist nicht jeder unter den jungen Menschen stark genug, sich frisch +loszureißen von der schwächlich-lüsternen Phantasiearbeit. + +Gehirn und Zeugungsorgane scheinen sich da in einem schwächlichen und +verderblichen Reizabhängigkeitsverhältnis voneinander zu befinden. Und +oft ist es so, daß die Betreffenden von sinnlichen Bildern geradezu +verfolgt werden, daß sie harmlosen Worten eine sinnliche Bedeutung +geben, daß sie ein angeschautes Bildwerk oder eine Plastik zu sinnlichen +Vorstellungen gebrauchen, daß sich in die Lektüre, in das Studium, in +das Anhören eines Vortrages oder namentlich der Musik ein bestimmtes +erotisches Bild einschiebt, von dem sie nur schwer wieder loskommen. +Gewisse angeborene Neigungen, die sich am Gesicht oft erkennen lassen, +spielen hier eine Rolle. Das ganze Leben scheint da in die fieberhafte +Geschlechtserregung hineingezogen zu werden, und die Gefahr der +Selbstbefleckung rückt immer näher. + +Nicht lange dauert es, dann kommt es zu Berührungen der +Geschlechtsteile, in denen diese Empfindungen sich konzentrieren. Durch +diese Berührungen und Bewegungen kommt es zum krampfhaften, +konvulsivischen Höhepunkt geschlechtlicher Erregung, und zum ersten Male +findet beim Knaben ein Verlust von Samenflüssigkeit, beim Mädchen eine +starke Absonderung gewisser Drüsen statt. + +Warum hat dir bisher niemand die Gefahr gezeigt? Warum antwortete man +deiner stummen Frage nicht und gab dir Anlaß, dich mit deinen Bekannten +oder mit anderen insgeheim über diese Dinge zu besprechen? Und wie es so +oft vorkommt, kam's vielleicht da zur Verführung. Ältere Schulkameraden +oder häßlich denkende andere Menschen, Dienstboten, Arbeitsgenossen usw. +vergnügen sich oft damit, in den jüngeren den geschlechtlichen Sinn zu +wecken. Wenn's eine Strafe für sie gäbe, könnte sie nicht scharf genug +sein. + +Gar zu viele wissen davon zu berichten, daß in der Jugend die +Dienstboten für sie die Lehrer dieser geheimen Fehler gewesen sind, und +sie fühlen es ganz genau, welch ein Maß von Kraft sie dabei eingebüßt +haben. Die besonderen Brutstätten dieser geheimen Verfehlungen aber sind +die Schulen. Und man sieht, wie das Übel sich in den Klassen forterbt, +wie es von einem frivolen Schüler, einer Schülerin, durch Verführung auf +die anderen übergehen kann. Ja, die jüngeren denken sich nicht einmal +was dabei, wenn die älteren sie dazu verleiten, an versteckten Orten mit +den Geschlechtsorganen zu spielen, bis dann der geweckte Trieb sich +schwer wieder eindämmen läßt und die Erregungen zur willkürlichen +Gewohnheit werden. Das trübe, schlaffe, verlegene Aussehen, der unreine +Teint vieler Kinder sollten Eltern und Lehrer darüber belehren, wie +dieses Übel der Selbstbefleckung gerade in den Schülerjahren und in den +Schulen ausgebreitet ist. + +Hüte dich, mit deinesgleichen oder überhaupt mit anderen über das +Geschlechtliche zu sprechen, wenn du nicht weißt, daß sie dir +wohlwollen. + +Und meide alle jene lüsternen, schmutzigen Unterhaltungen, die sich nur +um das Geschlechtliche bewegen. In Schulen, Internaten, Seminaren sind +die Gespräche der Schüler, wenn sie allein sind, oft von beschämender +und empörender Häßlichkeit, und man kann es kaum fassen, wie das +Schamgefühl so weit erstickt werden konnte. Die Lüsternheit verzerrt die +Mienen, und die Unsauberkeit des Denkens weicht oft nicht mehr von dem +Gesicht. Halte deine Phantasie rein von schmutzigen Vorstellungen, dein +Denken gesund! Weise die leichtsinnigen Zungen ernst und überlegen +zurück und stelle eine geistige Scheidewand zwischen dich und sie! +Beschäftige dich auch nicht mit sinnlich erregender Lektüre oder +lüsternen Bildern, die oft geheimnisvoll unter den Schülern und +Schülerinnen verbreitet werden. + +Wenn Eltern wüßten, in welch eine sinnlich schwüle Atmosphäre sich +Kinder verirren, sie würden offenere Augen haben und die Gefahren +abzulenken suchen, ehe es zu spät ist. + +Die Reue über das Falsche und Schädliche, was man getan, läßt die +Erinnerung daran wachbleiben. + +Und es ist zu beobachten, daß wohl alle jungen Menschen Scham empfinden. +Die fröhliche Offenheit, mit der sie sonst alles Tun vollziehen, macht +vor ihren sinnlichen Fehlern halt; denn hier sagt schon ohne alle +äußerliche Belehrung der natürliche Instinkt, daß man Unrechtes tut, und +diese geheimnisvolle Triebverirrung sucht stets ein Versteck. Ja, das +Bewußtsein des Unrechttuns ist so lebendig, daß bei den jungen Menschen +oftmals das schlechte Gewissen sich in dem scheuen Blick kundgibt, der +nichts mehr hat von der reinen, unschuldigen Natürlichkeit eines +Kinderauges. Sie glauben sich beobachtet und in ihrem geheimen Treiben +erkannt und werden deshalb oft verwirrt und untauglich für +gesellschaftlichen Umgang. Sie lieben es, allein zu sein, zu grübeln, +weil sie mit der Geschlechtskraft zugleich jene antreibenden Kräfte +erschöpfen, welche einen jungen Menschen in das Leben hinaustreiben und +seine sozialen Fähigkeiten entwickeln. + +So ist aus der Erschöpfung der in sozialer Hinsicht antreibend wirkenden +Geschlechtskraft durchaus jene geistige und gesellschaftliche Unfreiheit +zu erklären, die den richtigen Onanisten oft durch das ganze Leben +hindurch verfolgt. In gesunder Geschlechtskraft liegen die Wurzeln zu +sozialer Entwicklung. Der Verlust der Lebenssäfte untergräbt die +Energie, und das drückende Bewußtsein des geheimen geschlechtlichen +Unrechts prägt sich störend und hemmend der Persönlichkeit und dem +ganzen Auftreten der Betreffenden auf. Je fester aber diese einsame +Triebverirrung den jungen Menschen umklammert, desto schwerer wird es, +von der unsauberen Gewohnheit zu lassen. + +Je häufiger ein menschlicher Trieb rein körperlich und losgelöst von +seinen geistigen Beziehungen betätigt wird, desto mehr sinkt er ins +Körperliche hinab und verliert seine geistige Beherrschung. + +Immer wieder triumphiert der dumpfe, schwüle Geschlechtsdrang über den +sittlichen Willen, und jede Niederlage schwächt den Glauben an die +eigene sittliche Kraft, zumal jeder einzelne Akt der Onanie die +allgemeine Kraft verringert und die nervös-geschlechtliche Erregbarkeit +vermehrt. Dann sieht es oft verworren und trostlos im Innern solcher +Menschen aus. Und mancher hat schon vor mir gestanden mit tränendem Auge +und zuckendem Munde, weil die Scham über seine Schwäche ihm namenlose +Qual verursachte. + +Der Onanist träumt sich selbst in die Gewalt der sinnlichen Empfindung +hinein und treibt dadurch jedesmal wieder seinem Fehler entgegen. Und +doch wäre es ratsamer, wenn er sich vorher jenen Zustand von Mattigkeit, +herabgesetzter Spannung, schwächerer Atmung und Herztätigkeit, Reue und +sittlichem Elend vorstellen wollte, der dem Samenverlust folgt. Dies +Bild wäre wohl imstande, seine sinnliche Erregung zu verdrängen. + + +7. + +Die Folgen der sinnlichen Fehler. + +Man muß die Gefahr in ihrem ganzen Umfange kennen, wenn man ihr +überlegen begegnen will. Darum will ich dir vorerst einmal sagen, +welchen Schaden diese krankhafte Erregung mit dem Samenverlust bringt. +Ich will nicht übertreiben; denn deine einsamen Verirrungen haben dir +Sorge und Angst genug gemacht. Und ich warne dich vor jenen albernen und +dummen Büchern, die dir das Gespenst eines schrecklichen körperlichen +und geistigen Verfalls vor die Augen malen. Gerade die übertriebenen +Schreckbilder haben schon viel Schaden angerichtet. Ich will die +Wahrheit über die Folgen nicht übertreiben; aber du sollst die Wahrheit +auch nicht fürchten. Also höre! + +Die einmalige Onanie ist von einer starken Erregung begleitet, die alles +Leben rascher in dir antreibt. Die Pulse fiebern, das Gesicht rötet +sich, der ganze Körper ist angespannt und wird von dieser einen +verzehrenden Empfindung beherrscht. Es gibt aber ein Gesetz in der Natur +und im Organismus, daß jeder Kraftsteigerung ein Nachlassen der Kraft, +jeder Erregung eine Erschlaffung folgt. So auch hier. Und diese +Erschlaffung zeigt sich auch äußerlich, je mehr die Onanie sich +wiederholt, in blassem Aussehen oder bei gutem Aussehen in merkwürdiger +Unreinheit der Gesichtsfarbe, in dunklen Ringen unter den Augen, in dem +Erscheinen von Pickeln auf der Stirn, in schwitzenden Händen und oft in +gestörter Verdauung. + +Es ist leicht einzusehen, daß ein Schaden, dem jugendlichen Organismus +zugefügt und in die Wachstumsjahre fallend, weit nachteiliger sein muß, +als wenn er in reiferem Alter einen festen und kräftigen Körper trifft. +Dies ist der Fall bei den sinnlichen Fehlern der Jugend, deren größte +Gefahr eben in der frühzeitigen, unbehinderten und häufigen Ausübung +liegt. Denn es gibt viele Knaben und Mädchen, die dem Übel der +Selbstbefleckung längere Zeit hindurch mehrmals am Tage verfallen. + +Der Organismus zieht aber alle Reservekräfte heran, um dem Schaden zu +begegnen. Er überwindet ihn einmal, zweimal, zehnmal und noch öfter. Der +starke Erregungsvorgang setzt sich aber schließlich im ganzen +Nervensystem fest. Denn das Nervensystem ist dasjenige Organ, das alle +diese Vorgänge vermittelt. Die Erregung wird also bleibend, wird zu +einer besonderen Eigentümlichkeit des ganzen Menschen. Eine Zeitlang ist +das Leben dann von besonders kraftvollem Ausdruck, körperlich und +geistig herrscht Hochspannung. Das ist in den zwanziger Lebensjahren, +und viele meinen da, die Onanie habe ihnen nichts geschadet, weil sie +womöglich gut aussehen und keine Klage über mangelhafte Gesundheit zu +führen haben. Trotzdem sie vielleicht gerade noch in dieser Zeit +häufiger onanieren. + +Aber gemach! Es ist immer oberflächlich, die Dinge nur so zu beurteilen, +wie sie im Augenblick erscheinen. Es gibt keinen festen Punkt in der +Natur und im Leben, alles ist ein Werden oder Vergehen. Nicht eine +Sekunde steht das Leben still. + +Auch hier schreitet es weiter, aber nicht mehr aufwärts, sondern +abwärts. Es beginnt die Erschlaffung, der Kraftverlust. + +Wie ist das zu erklären? + +Kennst du ein elektrisches Element? Das ist ein Gefäß, das +verschiedenartige chemische Stoffe enthält, durch die der elektrische +Strom erzeugt wird, den dann der metallische Draht an seinen +Verbrauchsort leitet. So ist es mit der Kraft im Körper, der +Lebenskraft. Sie entsteht und wird frei in der chemischen Umwandlung des +Körperstoffes. Wir können also sagen, Lebenskraft sei tierische +Gewebselektrizität. + +Speisest du mit den elektrischen Elementen etwa eine Klingelanlage oder +sonst einen elektrischen Betrieb, so bedeutet jeder Gebrauch eine +elektrische Entladung, also eine vorübergehende Erschöpfung der +Elemente. Das Element, also die Brutstätte des Kraftstromes, sammelt in +der Ruhe wieder die notwendige Kraft. Wird es aber überstark, ohne +genügende Zwischenpausen, also mißbräuchlich benutzt, so erschöpft sich +das Element vollkommen, wird also zerstört, unbrauchbar. + +Genau so ist es im Körper, der auch ein Element, eine allgemeine +Brutstätte für Lebenskraft ist. Die in den Geweben erzeugte Elektrizität +wird als Kraft durch das Nervensystem allen Teilen des Körpers +zugeführt. Die Onanie bringt eine Steigerung der gesamten +Lebenstätigkeit, eine schnellere Entwicklung, etwa so wie man Pflanzen +durch die schwüle Treibhaushitze zu schnellerem Wachstum, aber auch zu +schnellerem Verblühen bringt. Infolgedessen wird zwar im Körper Kraft +verbraucht, aber auch rascher neu erzeugt, weil der junge, in der +aufsteigenden Entwicklung stehende Körper sich wie ein Akkumulator immer +wieder mit neu erzeugter Kraft ladet. Schließlich aber erschöpft sich +die Brutstätte und erschöpft sich das Krafthauptlager, als das wir das +zentrale Nervensystem -- Rückenmark und Gehirn -- erkennen. + +Die Geschlechtsorgane sind eine Stätte für elektrische Entladungen. Und +sicher ist, daß beim normalen Zeugungsvorgang zwischen Mann und Weib +eine Stromübertragung stattfindet, die bei der Befruchtung und für +dieselbe eine große Rolle spielt. Mann und Weib sind Gegenpole, auch im +rein elektrischen Sinne aufgefaßt. Der Stromentladung folgt eine Ladung +von seiten des Gegenpols. Dem Kraftverlust folgt ein Zustrom an Kraft, +und dieser Vorgang fehlt bei der Onanie gänzlich. Sie ist nur und +ausschließlich Entladung, nur Kraftverlust. Und wenn auch der junge +Körper eine Zeitlang immer wieder den Ausgleich schafft, so vermag +doch -- namentlich wenn die Onanie zu häufig ausgeübt wird -- der +Körperakkumulator sich nicht wieder genügend und völlig zu laden. Der +Kraftstrom wird immer geringer. Die Kraft schwindet, und die chronische, +also dauernde Schwäche schleicht heran und breitet sich im ganzen +Organismus aus. Im Nervensystem zeigt sich dieser Zustand in der +Veränderung der Marksubstanz. Das Nervenmark verliert seine +Geschmeidigkeit und gleichmäßige Verteilung. Und weil es gewissermaßen +den Strahlpunkt und den Kernstoff des Lebens bildet, so kann man wohl +verstehen, daß das Leben selber, nun, wenn es seinen gar zu frühzeitigen +Höhepunkt überschritten hat, langsam zurückgeht. + +Nun haben alle Tätigkeitsgruppen des Organismus im Gehirn und im +Rückenmark ihre ganz bestimmte Lagerung. Mit diesem Teile steht die +Atmung und die ganze Lungentätigkeit in Verbindung, mit jenem Teil das +Herz, mit einem dritten die Haut, und so fort. + +Die Fortpflanzungstätigkeit hat zum großen Teil ihren Strahlpunkt im +mittleren (Kreuz-) Teil des Rückenmarks. An den Kreuzschmerzen nach +geschlechtlichen Ausschweifungen und bei Geschlechtskrankheiten ist das +sehr wohl zu erkennen. Der Grenzbezirk der Geschlechtlichkeit im +Rückenmark ist aber nur sehr schwer zu trennen von demjenigen der +Verdauungs- (Magen- und Darm-) Tätigkeit. Und diese Tatsache ist +einerseits sehr folgenschwer für den Geschlechtsmißbrauch, andrerseits +aber ein klarer Beweis für die Richtigkeit der von ~Dr. Damm~ +aufgestellten Behauptung, daß der Geschlechtsmißbrauch weit mehr als +alle anderen Schäden als die Hauptursache der Degeneration, d. h. des +dauernden Kraftverlustes, anzusehen ist. Das gilt für den einzelnen +Menschen genau so wie für das ganze Volk. + +In der Tat macht sich der Kraftverlust meist zuerst in Störungen der +Magen- und Darmtätigkeit bemerkbar. Und die geschwächte +Verdauungstätigkeit ist so bezeichnend für das Gesamtbild onanistischer +Folgen, daß wir außer der nervösen Schwächung durch den krankhaften +Geschlechtsreiz auch eine auf gleicher Ursache beruhende Verminderung +der inneren Ausscheidung annehmen müssen. Denn das Nervensystem bringt +alle Teile des Organismus zueinander in rege Beziehung, und wenn die +krankhafte Geschlechtserregung sich eine Zeitlang dem ganzen Körper +mitgeteilt hat, dann tritt in allen Teilen eine gewisse Erschöpfung ein. + +Der Magen wird schwach und zeigt Reizbarkeit und eine Art von +Launenhaftigkeit, die sich in Merkwürdigkeiten des Appetits äußert. +Zeitweilig schwindet der Appetit, zeitweilig aber auch tritt er heftiger +hervor, und man vermag zu beobachten, daß mancher geschlechtlich +ausschweifende Mensch einen auffallend gesteigerten Appetit hat. Es +scheint dann, als wolle die Natur den Verlust wieder ersetzen. Aber da +durch eine Herabsetzung der inneren Absonderungen die aufbauende Kraft +vermindert ist, so kann die Nahrung nicht »anschlagen«. Trotz guter +Ernährung findet sich dann ein Gefühl der Schwäche, der Mattigkeit und +Erschöpfung ein, was oft durch das ganze fernere Leben hindurchgeht und +oft allein vom Magen seinen Ausgang nimmt. + +Auch Darmstörungen, meist Trägheit und Verstopfung, sind bezeichnende +Folgen geschlechtlichen Mißbrauchs, und mancher Verdauungsneurastheniker +wird gestehen müssen, daß in oder nach den Jahren der Onanie seine +Verdauungsbeschwerden und seine Mattigkeit begannen. + +Darunter leidet natürlich bald die Ernährung und der Neuaufbau des +Körpers, ebenso die Blutbildung und das gute Aussehen. + +Die Herz- und Muskelkraft und das Muskelgewebe erleiden eine Einbuße, +und die Freudigkeit an der Körperarbeit, an Gymnastik, Sport und Spiel +läßt nach. + +Es ist wohl zu verstehen, warum gerade ein Organ, wie das Herz, das an +allen Erregungen des Körpers und der Sinne direkten und unmittelbaren +Anteil nimmt, durch häufige und starke Geschlechtserregungen besonders +erschöpft werden muß. In der Tat treten oft schon nach den zwanziger +Jahren nervöse Herzbeschwerden auf, zunächst als beschleunigter, oft +ganz heftiger, beängstigender Herzschlag sich zeigend, während später +eine gewisse Herzschwäche sich einstellen kann. + +Der verminderten Stoff- und Säfteumwandlung in den Geweben folgt auch +eine Verminderung der Wärmebildung, und leichtes und öfteres Frösteln, +Gefühl von Unbehaglichkeit, tritt auf. Kalte Hände und Füße, dazu beide +leicht schwitzend, stellen sich ein. + +Die Hauttätigkeit kann gleichfalls erschlaffen; denn sie steht in +regsten Wechselbeziehungen zu den Nervenzentren und vor allem zu der +Geschlechtstätigkeit. Ebenso wie sie durch Rötung, Blutfülle, Schwitzen +usw. an den Geschlechtserregungen teilnimmt, wird sich die organische +Erschlaffung auch durch herabgesetzte Hautarbeit kennzeichnen. Es fehlt +der Haut die pralle, blutreiche Straffheit. Sie beteiligt sich nicht +mehr regsam genug am allgemeinen Stoffwechsel, verliert ihre Fähigkeit, +sich zusammenzuziehen und auszudehnen und dadurch der wechselnden +Witterung und plötzlichen Kälteeinflüssen sich anzupassen. Sie fröstelt +leicht, es bilden sich krankhafte Schweiße, und namentlich im Kreuzteil +des Rückens ist der Wechsel von heiß und kalt und jenes angstvolle +Schwächegefühl oft eine ständige Erscheinung. Die Unreinlichkeiten der +Haut, Pickel, Ausschläge, die schon während der jugendlichen Onanie so +bezeichnend sind, kann man bei den geschlechtlich erschlafften Menschen +oft im ganzen Leben beobachten. Das Haar verliert seinen Glanz und seine +Triebkraft, und bald beginnt es grau zu werden oder auszufallen. Daß wir +heute Kahlköpfe selbst unter den jungen Leuten sehen, ist kein +Ruhmeszeichen für unser deutsches Volk. Denn wenn schon die Jugend +Erscheinungen des Alters trägt, dann hat das Volk den Weg abwärts +beschritten. + +Der Haarausfall hängt ganz sicherlich auch mit der Verminderung der +ausdünstenden Tätigkeit der Haut zusammen, deren Gleichmäßigkeit eine +notwendige Bedingung der Gesundheit ist. Der durch die erschlafften +Gewebe bewirkte unvollkommene Stoffwechsel stellt eine Vergiftung des +Körpers durch chemische und gasförmige Stoffe dar, die den Haarboden +zerstören. Ebenso bedeutet aber auch die krankhafte Schweißbildung, die +in den Folgen des geschlechtlichen Mißbrauches auftritt, eine nervöse +und Gewebserschlaffung. + +Da nun das Leben und die mancherlei Berufe große Anforderungen an die +Nervenkraft stellen, denen der geschwächte Organismus nicht mehr gewachsen +ist, so sehen wir bald das Bild der Nervosität in all den trüben Farben, +die uns jeder Tag und sozusagen jeder Mensch zeigt. Schlaflosigkeit, +Unruhe, Zerfahrenheit, Zerstreutheit, Gedächtnisschwäche, Mangel an +Konzentration und Willenskraft, Melancholie und alle diese Feinde eines +gesunden, frischen Lebens stellen sich ein, die geistige Schwungkraft und +Arbeitsfreudigkeit der Jugendjahre schwinden. Die Denkkraft vermindert +sich, und der Kampf zwischen Wollen und Können endet oft in der bitteren +und verzweifelten Erkenntnis des Nichtmehrkönnens. + +Wie viele sind es schon, die mir diesen beklagenswerten Zustand erzählt +haben, viele, die ganz genau wissen, wie geistig munter sie früher +waren, und welch ein geistiges Wrack sie nun geworden sind! Wie vielen +habe ich in dieser Lage schon Trost und Mut und Rat für eine +Lebensführung geben können, die den Körper wieder kräftigt[1]. + +Auch die Lungen und Bronchien leiden unter den erschöpfenden Erregungen +und dem Samenverlust. Ist die Lunge von Haus aus schwach, so kann sie +ernstlich erkranken. Ein durch sinnliche Fehler erschöpfter Organismus +ist ganz sicher ein besserer Angriffspunkt für die Tuberkulose, für +Lungenentzündung und für ungünstige klimatische Einflüsse als ein +vollsaftiger Organismus. + +Die krankhaften Veränderungen des Seelenlebens, Gereiztheit, +Launenhaftigkeit, Übelnehmen, Einbildung, Trübseligkeit und dergleichen +machen den Menschen sich selbst und gegenseitig das Leben schwer. + +Wenn wir dann diese Veränderung des Charakters und die Abschwächung des +Willens sorgfältig beobachtend verfolgen, so ist es durchaus einleuchtend, +daß bei einem so untergrabenen körperlichen und sittlichen Fundament +gewisse angeborene krankhafte Neigungen, wie Unverträglichkeit, +Gehässigkeit, Neid, Trägheit, ja selbst verbrecherische Triebe, eine +Steigerung erfahren können. Der Mensch und sein Leben sind nichts Fertiges +und Unveränderliches, sondern sind ein immerwährendes Werden, ein Etwas, +das sich aus Anlage und äußeren Einflüssen werdend ergibt. Sind die +körperlichen Grundlagen erschüttert und die sittlichen Hemmungen +geschwächt, so wird es einer krankhaften oder verbrecherischen Neigung +leichter gemacht, zu triumphieren. Das erscheint mir durchaus logisch und +bestätigt sich auch durch die Erfahrung. Überall hat die Onanie einer +schlechten Anlage Vorschub geleistet. + +Und wenn dann dem großen Wollen und Wünschen im Leben sich Schwäche und +Krankheit in den Weg stellen, wenn die frühzeitige Erschlaffung sich +körperlich und geistig bemerkbar macht und der Organismus, den Blick auf +das Lebensziel gerichtet, auf halbem Wege zusammenbricht, dann zieht oft +trostlose Verzweiflung ins Gemüt. Reue und Selbstanklagen zermartern den +Sinn; denn es wurde ja vorzeitig im Leben die Kraft vergeudet, die all +dies große Wollen zur Tat werden lassen sollte. + +Die Reizempfänglichkeit des Körpers wird mehr und mehr auf +geschlechtliche Eindrücke eingestellt, und er beantwortet schließlich +mit geschlechtlicher Erregung auch solche Reize, die keinerlei +geschlechtlichen Charakter tragen und an einem gesunden Organismus +spurlos vorübergehen. Diese häufige Geschlechtserregung halten viele in +einem bedauerlichen Wahn für Kraft. Sie ist aber meist das Gegenteil, +ist nervöse Schwäche. + +Diese häufigen Erschütterungen von Rückenmark und Gehirn, an denen alle +Organe, Herz, Lungen, Magen, Leber, Haut usw. teilnehmen, können +schließlich jene äußerste Schwächung des Nervensystems im Gefolge haben, +die wir als Neurasthenie kennen, und die mit ihren Erscheinungen endlich +auch in das geschlechtliche Leben hineinragt, weil sie die +geschlechtliche Kraft zu vermindern und mancherlei Störungen +hervorzurufen vermag. + +Von diesen Störungen erwähne ich vor allem die Pollutionen, jene +nächtlichen Samenergüsse, die als Zeichen der Lendenmarksschwäche +häufiger auftreten. Sie werden ausgelöst durch viele äußere und innere +Reize, die an sich ganz unbedeutend sein können und beim Gesunden auch +tatsächlich keinen Eindruck machen. Hier aber wird der Schlaf sehr durch +wollüstige Träume gestört, und Samenergüsse vermehren die allgemeine +Mattigkeit und das Gefühl des körperlichen Elends. + +Der durch die sinnlichen Verirrungen bewirkten krankhaften +Geschlechtserregung folgt fast mit Sicherheit im späteren Leben ein +frühzeitiges Sinken der Geschlechtskraft. Und dieser disharmonische, +unnatürliche Zustand, der das ganze Volk durchzieht, raubt den Menschen +viel Liebesglück und Daseinsfreude und den Ehen sehr viel, oft alles, +von der inneren Poesie. + +Bei der ausgedehnten und sehr feinen Durchnervung des gesamten +Geschlechtssystems muß ja das Nervensystem unter geschlechtlichen +Fehlern am meisten leiden. Das macht sich in der oft so grenzenlos +matten und verzweifelten Stimmung bemerkbar, in ihrer raschen +Wandelbarkeit und Sprunghaftigkeit, sowie in einer Reizbarkeit oder +Abgestumpftheit der Sinne. Namentlich Augen und Ohren leiden. Denn +während einerseits Sehschwäche, und zwar Kurzsichtigkeit, ganz +sicherlich in vielen Fällen auf heftige Onanie zurückzuführen ist, +finden wir andrerseits das Ohrensausen als ein ganz außerordentlich +verbreitetes Zeichen nervöser Störungen. Auch der Geschmack leidet und +richtet sich darum oftmals auf ganz merkwürdige Dinge. Vor allem ist oft +das Sättigungsgefühl verloren, und dadurch kommt es zu überstarker +Nahrungsaufnahme. + +Nicht jeden trifft's so schwer. Und wen die Vererbung mit großer Kraft +bedachte, der vermag noch Leistungsfähigkeit ins spätere Leben +hinüberzuretten. Aber doch sollte niemand die Gefahr verkennen und mit +leichtem Sinn und scherzendem Wort über diesen tiefinneren Zusammenhang +zwischen Geschlechtskraft und Lebensaufbau, zwischen Geschlechtsmißbrauch +und Lebenszerfall hinweggehen. + +Wer nicht direkt und unmittelbar den Schaden der Kraftvergeudung +verspürt, der darf darum nicht sagen, es habe ihm gar nichts geschadet. +Denn in den Gesetzen des Nervenlebens liegt es, daß die feindseligen +Reize zunächst eine Kraftsteigerung bringen, der aber früher oder später +das Niedergehen der Kraft folgt. Der Kräftige hat freilich mehr +Widerstand als der Schwächling, aber wohl jeder wird an einen Zeitpunkt +gelangen, wo mit einem Male seine Widerstandskraft gegen Arbeit, Unruhe, +Klima und Temperatur, schwerere Speisen, Ärger und dergleichen geringer +wird und er mehr oder weniger klar empfindet, wie eng das mit der +Kraftverschleuderung in den Jugendjahren zusammenhängt. + +Das Geschlechtsproblem löst sich nicht allein in der Zeugung und +Fortpflanzung. Nach außen zwar läßt die Geschlechterliebe in der Tiefe +der Leidenschaft ein neues Menschenleben entstehen. Aber ich wies schon +darauf hin, daß in ihrer inneren Wirkung die Geschlechtlichkeit sowohl +den männlichen wie den weiblichen Charakter ausgestaltet. Werden die +Organe, in denen der Zeugungsstoff entsteht, also beim Manne die Hoden +(Samenbereiter), auf operativem Wege entfernt, wie es bei der Entmannung +in den morgenländischen Völkern und teilweise auch bei abendländischen +geschah und geschieht, so sehen wir von derselben Stunde an eine völlig +andere Entwicklung des betreffenden Individuums. Es entsteht ein von +Grund aus anderer Charakter, der etwas Rückschrittliches, +Unentwickeltes, darstellt und teilweise unangenehme Züge aufweist. + +Hier haben wir einen glänzenden Beweis für die entscheidende Bedeutung +des Geschlechtlichen im Menschenleben. Und wir erkennen, daß der +Geschlechtsmißbrauch auch eine Art Entmannung ist; denn er ist Verlust +der Kraft auf andere Weise. + +Die Wissenschaft hat den hochwichtigen Beweis erbracht, daß der Körper +in seinem Innern außer den Keimzellen in den Keimdrüsen noch durch +einige andere Drüsen, die an der Entstehung des Geschlechtsempfindens +mitbeteiligt sind, einen chemischen Stoff erzeugt, der im ganzen Körper +anregend und belebend wirkt. Darum verstehen wir, warum die aufkeimende +Liebesempfindung des einen Menschen zum andern so wunderbar fördernd auf +ihn selber wirkt. Darum eben erkennen wir in dem Liebes- und +Geschlechtsempfinden die Quelle alles Empfindens, alles Denkens und +aller Kraft überhaupt. Es ist der geheimnisvolle Urquell all der +wunderbaren Spannung, die die Jugend vor dem Alter auszeichnet. Gerade +darum aber wirst du auch verstehen, warum diese jugendliche Spannung, +diese Kraft und Frische, dieser schnell erfassende Geist, dieser rasche +Entschluß, dieser feste Wille, dieser Reichtum des Empfindens, warum das +alles schwinden und der trübseligen Schwäche Platz machen muß, wenn in +der häufigen Onanie die Zeugungskeime verschwendet werden und jenem +wunderbaren chemischen Lebensstoff der Weg zu seiner Wirksamkeit verlegt +wird. + +Von allen Seiten türmen sich Gründe auf, aus denen du selbst den Schluß +ziehen kannst, daß die geschlechtliche Reinheit, das Freisein von +geschlechtlicher Ausschweifung, die wichtigste Entwicklungsfrage deiner +Jugend ist. + + +8. + +Die Hoffnung auf neue Kraft. + +Glaube nicht, daß ich in irgendeinem Punkte übertrieben habe, oder daß +ich nur deshalb übertrieb, um dich von falschem Tun abzuschrecken. Und +wenn du schon ein Opfer krankhafter geschlechtlicher Erregungen wurdest, +so möchte ich nicht, daß meine Worte in dir Verstörung, Angst und +Verzweiflung erregen. Das, was geschah, war nicht gut, war schädlich. +Gewiß! Aber laß es dich nicht niederdrücken! Trage nicht die Ketten +trüber Erinnerungen mit dir herum, sondern schau auf die nächste +Zukunft. Wir Menschen irren viel. Und wenn's geschah, soll die +Erkenntnis niemanden niederdrücken, sondern Mut und Entschluß geben zu +einem kraftvolleren, gesunderen Leben. Der Wille zum Guten muß vorhanden +sein, der rasche, frische Wille. Laß dich das Bild der Folgen nicht +niederdrücken, aber laß es dir den energischen Entschluß geben, von +heute ab den ruhigen, verständigen Kampf gegen die einsame Verirrung +aufzunehmen. + +Zähme deine Ungeduld und lasse nicht erneute Trostlosigkeit einziehen, +wenn die Schäden der Verirrungen nicht gleich verschwinden. Es braucht +dazu oft viel Zeit und viel Geduld. Nicht jeder kehrt wieder zur +ursprünglichen Kraft zurück. Wenn's auch bei dir so ist, so wisse, daß +dein Leben sich den krankhaft veränderten Verhältnissen in deinem +Organismus anpassen muß. Verringerte Kraft bedingt ein weniger +ergiebiges Leben. Dies alles, also die Grundlagen deiner zukünftigen +Lebensweise, lernst du kennen aus _Dr._ ~Alfred Damms~ Reizlehre, und du +kannst sie aufmerksam studieren in meinem Buche »Der nervöse Mensch«.[2] + +Lasse dich nicht täuschen durch die Anpreisung von Heilmitteln und von +Stoffen, die entweder nur vorübergehend als Reiz wirken und Gesundung +vorspiegeln oder aber einige Erscheinungen unterdrücken und dadurch zu +einem weniger sorgfältigen Leben Anlaß geben, während doch zugleich die +Schwäche weiter und geheimnisvoller sich im Körper einnistet. Viele +solcher Mittel und Medikamente erhöhen nur den Geschlechtstrieb. Aber es +folgt später eine um so tiefere Erschlaffung. Die Gesundung und +Kräftigung kann immer nur aus dem Organismus selbst kommen, aus seinem +verbesserten und vorsichtig überwachten Lebensbetrieb. Das ist ein zwar +langer und langsamer Weg, aber einer, der sicher zum Ziele führt. +Versuche nur niemals durch Reizmittel und starke Antriebe irgendwelcher +Art deine Schwäche zu überwinden. Denn oft liegt gerade in dem Gefühl +der Schwäche ein Bestreben des Körpers, Herr zu werden über einen +krankhaften Vorgang, einen Überreiz zu beseitigen, eine besondere +Anpassung oder Absonderung zu bewirken. Aus jenem obengenannten Buche +über das Nervenleben wirst du erkennen, daß der Organismus ein +einheitliches Getriebe ist, und daß alle günstigen oder ungünstigen +Einflüsse nicht nur ein einzelnes Organ, sondern das ganze System +treffen. So kann also die Kräftigung nur eine allgemeine organische, +langsame, aber umfassende sein. + + +9. + +Die Kräftigung nach jugendlichen Verirrungen. Die Bekämpfung krankhafter +Sinnlichkeit. + +Was soll ich nun tun, um mich wieder zu kräftigen? Und wie werde ich des +Triebes Herr, der mich quält und unruhig mir im Fleisch sitzt? -- + +Diese Frage liegt dir auf den Lippen, und ich höre sie von Tausenden +deiner Altersgenossen. Auch darüber wollen wir sprechen. + +Der Trieb kommt aus dem Fleische, aus dem chemisch-physikalischen +Getriebe des Körpers, und darum ist es wohl ein Gebot der Klugheit, ihm +zunächst mit den Waffen der körperlichen Pflege und der gesundheitlichen +Zucht beizukommen. + +Das wird nicht von allen Seiten anerkannt, und es gibt Leute, die viele +Worte machen und dicke Bücher schreiben, und entweder an der Onanie und +den einsamen Leiden junger Menschen mit ein paar Worten vorbeigehen oder +aber das Körperliche dabei kaum beachten. Ich will diesen Leuten keinen +Vorwurf machen, so sehr der Ernst der Sache es rechtfertigen würde. Aber +ich sage es, um dich ganz besonders auf die körperliche Entstehung des +Geschlechtstriebes und damit auf die körperlichen Heilungsmöglichkeiten +der Onanie hinzuweisen. + +Pflege deinen Körper! Halte dich gesund und frisch und straff! Ich sagte +dir schon, daß ein geschwächtes und darum reizbares Nervensystem den +sinnlichen Anreizen, die von überall herkommen, und die man nicht alle +abwehren kann, keinen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Es erliegt der +geschlechtlichen Erregung. Der gesunde Körper, der Mark und Saft hat, +bleibt eher im Gleichgewicht. Alles Gesunde ist in sich ruhig. + +Was gehört zur gesunden Lebensführung? + +Nichts weiter, als die einfache Befolgung der Naturgesetze, die sich für +den Menschen aus der vergleichenden Naturbeobachtung ergeben. Ein +gesunder Gebrauch der Kräfte und Organe, damit sie in ruhiger, +gleichmäßiger Anstrengung erstarken. + +Aus Atmung, Ernährung, Muskelarbeit und Ausscheidung setzt sich das +körperliche Leben zusammen. + +Atme planmäßig, tief und ergiebig. Besser, als du es bisher getan, und +gründlicher, als es die meisten Menschen tun. Atmung ist Leben. Die +Atmung ist die dynamische, das heißt die Antriebskraft für den ganzen +Organismus. Von hier aus gehen die feinen Schwingungen, die überall die +Organe zur Tätigkeit anregen. Der Atem ist Stoffwechsel. Denn wir +entnehmen der Luft den belebenden Sauerstoff, das Brennmaterial des +Lebens, und befreien im Ausatmen den Körper von der giftigen +Kohlensäure. Die Kohlensäure ist ein lähmendes Gift, das, wenn es +zurückgehalten wird, den Körper erschlafft, den Aufbau in den Geweben +hemmt, den Geist träge macht und durch all dies der Geschlechtserregung +die Tore öffnet. Tiefes Atmen, namentlich energisches Ausatmen, befreit +den Körper von der Kohlensäure. + +Darum atme grundsätzlich dreimal jeden Tag etwa 10 bis 15 Minuten lang +tief und ergiebig ein und aus. Etwa morgens gleich nach dem Erwachen, +mittags vor dem Essen und abends vor dem Schlafengehen. Nimm dabei eine +aufrechte Haltung mit zurückgebogenen Schultern an, und wenn du glaubst, +gut ausgeatmet zu haben, dann versuche zum Schlusse noch -- ohne neuen +Atem zu nehmen -- den Buchstaben _e_ langsam singend herauszupressen, +solange du kannst, dann wird der letzte Rest verbrauchter Luft aus der +Lunge entfernt sein, und du kannst die wundersame Saugkraft deiner +Lungen wieder in einem nun um so tieferen Atemzug bewundern. + +Du wirst mir für diesen Rat dankbar sein, wenn du erkennst, welche +Wunder solch ein tiefes, planmäßiges und vor allen Dingen tägliches +Atmen an Körper und Geist zuwege bringt. + +Die zweite -- und sicherlich die wichtigste -- Forderung liegt in der +Ernährung. + +Die Nahrung soll den Körper aufbauen, ihm seine Wohlgestalt und die +Kraft zur Arbeit geben. + +Als die erzeugende Substanz der Kraft gilt das Eiweiß. Und weil davon +das Fleisch besonders viel enthält, so ist seit langem in der +Wissenschaft, und von da aus in den allgemeinen Anschauungen, der Satz +feststehend, daß Fleisch = Kraft sei. Die praktische Folge davon ist, +daß alle Welt gern und viel Fleisch ißt. Je mehr das Volk in seiner +Gesamtheit degeneriert, desto mehr sucht es durch Fleischnahrung seiner +sinkenden Kraft aufzuhelfen. + +Das ist verständlich, so groß auch wohl der Irrtum ist. Und die +Vegetarier, das sind die ohne Fleisch und nur von Pflanzenkost lebenden +Menschen, haben durch glänzende Siege bei sportlichen und gymnastischen +Veranstaltungen längst jenen alten Satz der Medizin widerlegt. Unter den +Siegern bei solchen Veranstaltungen sind die meisten Vegetarier. + +Jedes Nahrungsmittel hat seine ganz bestimmte chemische Zusammensetzung, +und jeder von diesen chemischen Stoffen hat eine besondere Wirkung auf +den Körper und damit auch auf den Geist. Sie können nun so wirken, daß +sie die Blutbeschaffenheit beeinflussen, oder so, daß sie direkt das +Nervensystem erregen, und schließlich so, daß sie bei der Ausscheidung +ihrer Stoffwechselreste durch die Nieren ~reflektorisch~ erregen, d. h. +erst die Schleimhäute der Harnwege und von diesen aus die +Geschlechtsnerven erregen. In jedem Falle kann ein erregender Einfluß +auf die Geschlechtsempfindungen zustande kommen, und das können wir vom +Fleisch mit Bestimmtheit behaupten. + +Es wäre mit dem Fleisch nicht gar so schlimm, wenn man nicht zwei +Übelstände nebeneinander sich ausbreiten sähe. Die Grenzlinie für eine +normale, ausreichende Ernährung hat sich längst verschoben, und die +Menge dessen, was viele Menschen essen, geht weit über das Maß des für +sie Zuträglichen hinaus. Namentlich wird zu viel Fleisch gegessen. +Andererseits fehlt aber das für eine solch starke Nahrungsmenge +notwendige Maß von Bewegung, zumal Fleischnahrung an und für sich träge +macht. So kommt also eine schädliche Wechselwirkung zustande. + +Die Pflanzenkost verlangt wegen ihres größeren Darmballastes mehr +körperliches Bewegen; aber sie befähigt dazu auch in weit höherem Maße, +denn Pflanzenkost macht den Körper frischer und beweglicher, den Geist +und den Willen frischer und mobiler. Pflanzenkost hält auch die +Darmtätigkeit rege, während starke Fleischnahrung nach einiger Zeit +Darmträgheit, also Verstopfung, im Gefolge hat. Dadurch entstehen +giftige Gase, die die Gewebe durchdringen und reizend und erregend auf +die Geschlechtsnerven einwirken. Das tut ja nun das Fleisch schon an und +für sich, und zwar durch Stoffe, die ohnehin in ihm enthalten sind, und +durch andere Stoffe, die durch den Vorgang des Schlachtens oder +denjenigen des Jagens in dem getöteten Tier erzeugt worden sind, und die +man schlechthin als »Angststoffe« bezeichnen kann. Das Vorhandensein und +die Wirkung dieser Angststoffe ist durchaus keine Phantasie, sondern +eine durch nichts hinwegzudisputierende Tatsache. Jedem geistigen +Vorgang geht ein bestimmter Stoffwechselvorgang parallel. Spritzt man +den Angstschweiß eines gejagten Tieres einem anderen ins Blut, so kann +dasselbe sterben. Ja, das geängstete Tier kann ebenso wie der geängstete +Mensch am Herzschlag sterben. Das ist nur und ausschließlich die Wirkung +der freigewordenen giftigen Angststoffe. + +Es ist verständlich, daß diese im Fleisch enthaltenen, durch das Töten +vermehrten Stoffe auch auf den Menschen ihre reizende und erregende +Wirkung entfalten. Dieser Reiz ist, weil widernatürlich, ein Überreiz, +und er wirkt überall da am stärksten, wo die Widerstandsfähigkeit am +geringsten ist. Wer zur Trägheit neigt, wird durch das Fleisch noch +träger, wer jähzornig ist, wird durch das Fleisch noch mehr gereizt, und +so wird durch das Fleisch auch die geschlechtliche Reizbarkeit +gesteigert und die Onanie gefördert. Der Fleischgenuß soll also auf das +geringstmögliche Maß herabgesetzt oder ganz ausgeschaltet werden. + +Es ist recht interessant, daß Kinder, die frühzeitig lebhaft nach +Fleisch verlangen, zu frühzeitigem geistigem und körperlichem Verfall +neigen, während andererseits Kinder, die sich dem Fleisch widersetzen, +eine kräftigere, ruhigere, überhaupt normalere Entwicklung nehmen. + +Besonderer Gunst erfreut sich ja das Wildbret (Hasen-, Rehbraten +u. dergl.). Und doch ist gerade von unserem Gegenstand aus vor dem +Fleisch des Wildes zu warnen. Denn abgesehen davon, daß das Wild vor dem +Tode gehetzt wurde, läßt man es meist vor der Zubereitung noch tage-, ja +wochenlang (drei Wochen!) »abhängen«, um einen bestimmten Geschmack zu +erzeugen, den man »_haut goût_« nennt. Dieser Geschmack ist aber nur die +Folge eines Zerfall- (Verwesungs-) Vorganges, der bestimmte +Zerfallsstoffe freiwerden läßt, deren Geruch und Geschmack dem +unverdorbenen Menschen höchst widerlich sind, deren aufreizende Wirkung +auf den Organismus jedenfalls sehr stark ist und nicht in Frage gestellt +werden kann. Denn ausgesprochenermaßen ist das ja der Zweck des +Wildbretgenusses. + +Noch vorsichtiger sollen alle diejenigen, die unter geschlechtlichen +Anfechtungen leiden, mit dem Genuß von Wurst sein. Abgesehen davon, daß +sie ein recht teures und an Nährwert dem Preise durchaus nicht +entsprechendes Nahrungsmittel ist, wird einigen und gerade den besseren +Sorten recht viel Gewürz (Pfeffer, Salz usw.) beigemengt, dessen Wirkung +auf die Geschlechtserregung durch alltägliche Beobachtung bewiesen wird. + +Viel Aufhebens wird ja in der Ernährung des Volkes von Fleischbrühe und +Fleischextrakt gemacht. Erstens herrscht darin die gedankenlose +Überlieferung und zweitens die suggestive Macht der ungeheuren Reklame, +die für künstliche Fleischextrakte gemacht wird. Es muß gesagt werden, +daß der Gehalt an eigentlichen Nährstoffen bei der Fleischbrühe nur +sehr, sehr gering ist, und man die anregende Wirkung nur jenen +Auszugsstoffen zuschreiben muß, über deren reizende und erregende Rolle +wir schon sprachen. Wenn die Fleischbrühe hier und da im medizinischen +Sinne als Reizmittel Verwendung findet, so hat das seine Gründe. Als +Nahrung aber ist die »Bouillon« nicht das, was man von ihr hält. Sie +gehört mit zu jenen inneren Geschlechtsreizen, die um so gefährlicher +werden, je weniger man sie in ihrem Wesen kennt, je häufiger und +gedankenloser man sie also verwendet. Wer über seine Sinne wachen muß, +der darf sich nicht am guten Willen genügen lassen, sondern muß jene oft +handgreiflichen Triebkräfte seiner sinnlichen Erregbarkeit abstellen, +damit nicht der Geist den Kampf gegen das -- »Fleisch« im doppelten +Sinne zu führen hat. + +Auch andere Nahrungsmittel gibt es, die in diesem Sinne keineswegs +unbedenklich sind. Ich nenne vor allem die Eier. Sie scheinen die +Samenerzeugung zu steigern, haben aber besonders eine Wirkung auf den +Blutdruck. Hoher Blutdruck drängt gewissermaßen zur geschlechtlichen +Entspannung, durch die er herabgesetzt wird, weshalb alles, was ihn +steigert, vermieden werden sollte. Das chemische Medium dabei sind die +Alkaloide, die als »Harnsäure« eine nach verschiedenen Richtungen hin +krankmachende Wirkung entfalten. Sie sind aber auch im Kaffee und im Tee +enthalten, weshalb diese Getränke jedenfalls nicht gewohnheitsmäßig und +nicht in starkem Aufguß genossen werden sollten. Ein schwacher Tee ist +weitaus besser als der übliche Kaffee, der bei den meisten Menschen ganz +bedenklich die Magenarbeit stört, die Nerven erregt und bei jungen +Menschen recht geeignet ist, sinnliche Bilder in die Phantasie +hineinzuspiegeln. + +Gewürze sind über ein gewisses Maß hinaus zu verwerfen. Denn als +Fremdstoff üben sie eine reizende Wirkung auf die Geschlechtsnerven aus. +Werden die Nahrungsmittel, besonders die Salate und Gemüse, richtig +zubereitet, so verlangen sie nicht einmal so viele Gewürze, aber gerade +weil man in der Ernährung den Boden des Einfach-Notwendigen verlassen +und sich oft zur sogenannten »Delikatesse«, zur Feinschmeckerei, zur +Raffiniertheit verstiegen hat, hat man den Geschmack an einfachen und +natürlichen Nahrungsmitteln verloren und das Nervensystem in einen +beständigen Aufruhr, in eine »Süchtigkeit« versetzt, die heftig das +verlangt, an das es gewöhnt wurde, wenn es auch falsch war. An diesem +Aufruhr ist das Geschlechtsempfinden beteiligt. Es wird aus der gesunden +Ruhe aufgescheucht, zu krankhafter Erregung getrieben, und es wäre recht +gut und förderlich, wenn alle die jungen Menschen, die in heißem Ringen +um ihre sittliche Würde immer wieder der geschlechtlichen Anfechtung +verfallen, ganz sorgfältig die Nahrung prüfen würden, damit die inneren +Geschlechtsreize unterbunden werden, bevor man den sittlichen Willen in +den Kampf schickt. + +Man darf behaupten, daß eine vegetarische Diät weit mehr den natürlichen +Lebensgesetzen des menschlichen Organismus angepaßt und darum nach jeder +Richtung hin geeignet ist, Unruhe und Krankheit aus dem Körper zu +beseitigen und normale, ruhige, gesunde Verhältnisse wiederherzustellen. +Dem menschlichen Geschlechtsleben ist der starke Fleischgenuß +verderblich gewesen, und eine Rückkehr zu einfacher Pflanzennahrung wird +wieder gesunde Ruhe und ruhige Kraft bringen. + +Kennst du so die gefährliche Wirkung der mit der Nahrung eingeführten +Reizstoffe, so mußt du auch daran denken, daß die Resterzeugnisse des +Verdauungs-, Assimilations- und Stoffwechselvorganges gerade wegen ihres +Zerfallscharakters auch nichts anderes als schädliche Reizstoffe sind. +Sie müssen den Körper sobald wie möglich verlassen. Nur dann, wenn es +geschieht, kann man von einem gesunden Stoffwechsel sprechen. Es +geschieht aber nicht immer, und die Zahl der Menschen ist Legion, die an +Darmträgheit oder Verstopfung leiden. + +Über die Ursachen dieses Übels sprachen wir schon. Zu viel Fleischkost +und zu wenig Bewegung, also nervöse und Muskelerschlaffung. Später wird +die Darmerschlaffung eine Folge des geschlechtlichen Mißbrauches in der +Jugend. Mit diesen Ursachen kennen wir zugleich auch die Mittel zur +Beseitigung. Notwendig ist diese; denn der gefüllte Darm übt rein +mechanisch einen Druck aus, der sich in Geschlechtserregung auslöst. +Grobes Brot (Schrot-, Graham-, Simons- oder Molkenbrot), Gemüse, Salate +und reichlich Obst führen in den meisten Fällen eine gute Darmtätigkeit +herbei. + +Auch die gefüllte Blase steigert auf reflektorischem Wege den +Geschlechtsreiz, und namentlich junge Männer haben am Morgen beim +Erwachen meist Gliederregungen, die mit dem Harndrang zusammenhängen. +Ist die Harnblase entleert, so ist meist auch die Erregung verschwunden. +Im Hinblick darauf sollten junge Männer es vermeiden, am Abend viel zu +trinken. Das Trinken ist ja schon an sich sinnlos, aber für die +Zurückdrängung der Sinnlichkeit besonders zu beachten. + +Den alkoholischen Getränken gegenüber entschließest du dich am besten zu +vollkommener Enthaltsamkeit. Bier, Wein, Schnaps, Liköre und dergleichen +haben keinen Wert als Nahrungsmittel und werden darin von den +allereinfachsten Dingen wie Milch, Brot, Käse, Obst und Obstsäften +übertroffen. Als Reizmittel aber sind sie dem Nervensystem verderblich, +dem Geschlechtstrieb gefährlich, und darum ist es sinnlos, sie zu +trinken. Im Kampf mit dem Geschlechtstrieb muß man solche gefährlichen +Gegner, wie den Alkohol, zu allererst verscheuchen. + +Ich will an dieser Stelle einiges über das Bett sagen; denn auf sein +Schuldkonto ist manches von den sinnlichen Verirrungen zu setzen. Mit +zunehmender Kultur wurden Unter- und Oberbett und auch die Kissen immer +weicher, schmiegsamer. Dadurch wird die Berührung dieser Dinge mit dem +Körper inniger, und das ist angesichts der großen Empfindsamkeit der +äußeren Nerven nicht unbedenklich. Es entsteht unter den Federbetten +eine Wärmestauung, und Wärme steigert überall das Empfinden. Wenn nun +aus gesteigerter Wärme und äußeren Tastreizen sinnliche Träume +entstehen, so geschieht es leicht, daß die Hände die geschlechtlichen +Organe berühren und eine Geschlechtserregung unbewußt im Schlafe oder +auch bewußt herbeiführen. Mancher junge Mensch wacht plötzlich vom +Schlafe auf in einem Augenblicke, wo der onanistische Akt ganz oder +teilweise vollführt ist. + +Diese Gefahr ist ganz besonders groß morgens kurz vor oder nach dem +Erwachen, wo die gefüllte Harnblase eine Erregung verursacht und die +Bettwärme sinnliche Bilder entstehen läßt. Am Morgen ist namentlich bei +nervösen oder sonstwie leidenden Menschen die allgemeine Kraft und +besonders die Willenskraft noch gering. Beide wachsen erst an den +Arbeitspflichten des Tages. In dem Träumen und Hindämmern im Bett nach +dem Erwachen liegt etwas riesig Gefährliches, und es hat wohl schon +ungezählte Tausende von jungen Menschen ihrem guten Vorsatz entfremdet. + +Es gilt hier, wie in so vielen Gefahren des Lebens, der Satz. +»_Principiis obsta_«. Widerstehe dem Anfang! Wenn du erwachst, so erhebe +dich mit einem mannhaften Entschluß! Stehe frisch entschlossen auf, +kleide dich an, bewege dich und beginne zu arbeiten. Gib dich nicht eine +Sekunde dem sinnlichen Hindämmern hin. Es ist immer ein Ringen zwischen +Trieb und Wille. Je mehr du den sinnlichen Trieb träumend ansteigen +lässest, desto schwächer wird dein Wille, bis er schließlich ganz +unterliegt. Mache es dir vor allem zum ~eisernen Grundsatz~, die +Geschlechtsorgane nur dann zu berühren, wenn die Notdurft des Leibes es +verlangt, ~sonst unter keinen Umständen~. Jenes Spielen, das die +angenehme leichte Erregung herbeiführt, ist wie ein Zunder in einem +Explosionsstoff. Du willst nicht die Explosion, aber es glüht und glüht, +bis mit einem Male dein Wille und dein moralischer Widerstand +zusammenbrechen unter der angetriebenen Sinnlichkeit, und es -- wieder +einmal geschehen ist. _Principiis obsta!_ Widerstehe dem Anfang! + +Auch Krankheitserscheinungen mancherlei Art gibt es, die +geschlechtsreizend wirken. Von den schweren Leiden, wie +Lungenschwindsucht, mit ihrer oft verzehrend-fieberhaften Sinnlichkeit, +will ich nicht sprechen. Wohl aber von örtlichen Störungen in der +Geschlechtsgegend, die von einem mehr oder weniger heftigen Juckreiz +gefolgt sind. Entweder finden sich dann Darmparasiten, Eingeweidewürmer +mancherlei Art, oder es handelt sich um Hautmilben oder Hautleiden, +welch letztere von Blasen-, Knötchen- oder Borkenbildung gefolgt sind +und ein oft fürchterliches Jucken und Kratzen veranlassen. Wohl immer +sind dies Folgen von Unsauberkeit, und der wohlmeinende Hygieniker hat +ernstlich darüber Klage zu führen, daß die wohltätige und +gesundheitswichtige Gewohnheit des Badens noch nicht genügend weit im +Volke verbreitet ist. Auf ein einmaliges Bad in der Woche bildet man +sich schon mancherlei ein. Aber für junge Menschen, die über +geschlechtliche Anfechtungen klagen und sich von der Onanie befreien +oder freihalten wollen, genügt das keineswegs. Sie sollten die gar zu +warmen Bäder meiden und allabendlich eine Waschung des gesamten +Unterleibes einschließlich der Oberschenkel und des unteren Rückens mit +kühlem Wasser machen und könnten, wenn die sinnliche Erregung nur schwer +zu bändigen ist, diesem Wasser etwa ein Fünftel Kampferspiritus +beimengen; das kühlt und beruhigt. Namentlich ist es dem jungen Manne +ratsam, den vorderen Teil des Gliedes, die Eichel, öfter durch +Zurückziehen der Vorhaut freizulegen und kühl abzuwaschen. Dadurch +entfernt man jenen Ausscheidungsstoff, der sich hier festsetzt und die +Geschlechtsnerven reizt. + +Die kluge Gewohnheit des Badens wird an Wert und gesundheitlicher +Bedeutung noch übertroffen durch das Luftbad. Es schließt eine +natürliche Form des Lebens in sich und bringt viel Kraftsteigerung für +das Nervensystem. Es gehen viele ins Luftbad, die krank sind und sich +von ihren Leiden befreien wollen. Aber klüger ist es wohl, schon -- ehe +man krank geworden -- einen Teil der Jugendjahre im Luftbade +zuzubringen, um im kräftigenden Reiz der atmosphärischen Luft, im freien +Lauf und im frisch-fröhlichen Spiel die sinnliche Lust einzudämmen und +umzuwandeln in Spannkraft des Körpers und des Geistes. Die sitzende +Lebensweise in den Schulen, Bureaus, Werkstätten und Fabriken führt zu +einer Stockung des Blutes und der Säfte in den inneren Organen und zur +Erschlaffung der Muskeln und der äußeren Haut; das häufige Luftbaden +schafft gründliche Änderung darin und bringt, namentlich wenn es +grundsätzlich auch im Winter im Freien genommen wird, mit der Abhärtung +zugleich auch einen frischen offenen Sinn, der es für verderblich und +unmännlich halten muß, sich schlaffen, sinnlichen Träumereien +hinzugeben. + +Um im Luft- und Sonnenbade ganz richtig zu handeln, dir nicht zu +schaden, lies mein Buch »Die Heilkraft des Luft- und Sonnenbades. +Rationelle Körperpflege durch Luft, Licht und Wasser«[3]. Du findest +darin eine ganz eingehende Darstellung dieses vornehmsten +Gesundheitsmittels und genaue Anweisungen für dein Verhalten. + +Da, lieber Leser, sind wir überhaupt bei der Frage der Muskelarbeit +angelangt, und damit bei einer Frage von so großer Wichtigkeit, daß wir +darüber noch einiges sagen müssen. + +Das Leben ist eine wunderbare Einheit, und tief im Innern des +Organismus, im Chemismus der Gewebe, werden in geheimnisvoller Weise die +Kräfte frei, die das Leben zur Entfaltung bringen. Im ewigen Kampf ums +Dasein empfing jedes Lebewesen, empfing auch der Mensch seine ganz +bestimmte Form, seine körperliche und geistige Organisation. Der Kampf +ums Dasein zog die Kräfte bald hierhin, bald dorthin und hat vor allen +Dingen in der Notwendigkeit der Körperarbeit und der körperlichen +Anstrengungen die Muskeln stark und leistungsfähig gemacht. + +Mit einem Male wurde die Muskelarbeit zurückgedrängt. Durch die +Entfaltung der Technik, der Industrie, der Wissenschaften, wurden immer +mehr geistige Kräfte verlangt, während die Körperkraft im Kampf ums +Dasein von Tag zu Tag mehr ihre Bedeutung verliert. + +Namentlich der Jugend aber, die ihres raschen Wachstums und +Stoffwechsels wegen und ihrer ganzen Anlage nach zu körperlicher +Bewegung drängt und darauf angewiesen ist, wenn sie sich normal +entwickeln soll, ist das viele Stillsitzen gefährlich geworden. Die frei +werdenden Kräfte finden keine Verwendung, keinen Ausweg. Würden sie in +Körperarbeit verwendet, so würde sich der Körper dabei aufbauen, würde +die gelösten Stoffe sich selber als dauernden Besitz anbauen, würde +stark und kräftig werden. So aber suchen sich die herrenlosen Kräfte +einen Ausweg und werfen sich auf den Geschlechtssinn, den sie erregen +und steigern und zur Entladung drängen. So ist vielfach die Onanie eine +Entladung von Kräften. Aber diese Kräfte werden dem körperlichen und +geistigen Dauerbau entzogen, und statt daß sie in ihrer stetigen +Verwertung den Organismus stark machen sollen, führen sie nun ein +Anwachsen, eine Züchtung des Geschlechtstriebes herbei. So verstehen wir +es, daß eine starke Geschlechtsbetätigung eine verhehrende Wirkung auf +Körper und Geist hat. + +Ja, gerade die in der Gegenwart so beliebt gewordene Methode der frühen +geistigen Erziehung der Kinder fördert ihre sinnliche Entwicklung +maßlos. Die Freude der Mutter über die regen geistigen Interessen ihrer +Lieblinge ist verderbliche Naivität; denn die geistige Regsamkeit ist +nervöse Entwicklung. Diese unsinnige Erziehung: geistiger Drill bei +körperlicher Trägheit! Unaufhaltsam werden die Kinder der +Geschlechtserregung zugetrieben. Die Eltern sind blind, sehen nichts und +lassen zwischen ihren Kindern oder zwischen den Kindern und den +Dienstboten Dinge geschehen, über die sie entsetzt sein würden, wenn sie +nur ein einziges Mal Augen- oder Ohrenzeugen wären. Und dabei sind es +oft Väter und Mütter, die mit größtem Ernst, mit sittlichen und +religiösen Mitteln ihre Kinder erziehen wollen und doch sie verderben. + +Nichts ist notwendiger in unserer Zeit, als diesen Kräftestrom wieder in +sein natürliches Bett zurückzulenken, die natürlichen Lebensbedingungen +wiederherzustellen, körperlich zu arbeiten. Oder, wo das nicht ausgiebig +möglich ist, Sport und Gymnastik zu betreiben. Der gesunde Instinkt der +Jugend hat das überall erkannt. Und überall in Deutschland begegnet man +jetzt den Wandervögeln, den Pfadfindertrupps, sieht man Tennisspiel, +Fuß- und Faustball u. a., gibt es Turn- und Sportvereine, Sommer- und +Wintersport, Berg- und Wassersport. So ist es recht, und niemand sollte +sich davon ausschließen. Ein junger Mensch, der immer zu Hause sitzt und +nicht da draußen seine Kräfte übt, seine Lungen weitet, hat keine rechte +Jugend gekannt. Und daß gerade die blassen Stillsitzer unter den +Onanisten so häufig zu finden sind, beweist die Gefahren der +körperlichen Untätigkeit. Die Wandervögel, die Pfadfinder sind an Zahl +gewachsen. Aber zehnmal, hundertmal so viel müßten es sein. Ein +nationales Erwachen müßte durch das Volk, müßte vor allem durch die +Jugend gehen, daß wir mehr von den Büchern und der blassen +Stubenhockerei und dem verdammten Kneipen-, Sauf- und Lumpenleben +loskommen. Das deutsche Volk wurde vor dem Kriege leider immer reicher +an Theoretikern, Maulhelden und Schlafmützen und an jenen ästhetischen, +saftlosen Dekadenten, die elegant und blasiert im Café saßen, über Gott +und die Welt räsonnierten und überlegen philosophierten, aber selber im +Leben nirgendwo einen rechten Platz ausfüllten, sondern nur die Scheu +vor der Arbeit allerorten großzogen. Diese schlaffen Kerle kriegen nur +Spannung, wenn das Erotische ihr Auge oder ihr Ohr trifft, wenn »die +Weiber« das Gesprächsthema bilden. Alles andere vermag ihre ausgelaugte +Intelligenz nicht mehr hervorzulocken. + +Laß dir dies kühl blasierte Gesicht nicht imponieren! Wer zuletzt lacht, +lacht am besten. Laß dir daran gelegen sein, einen kräftigen, gesunden, +elastischen Körper zu gewinnen, den diese »moderne« Schlaffheit und +Moralfaulheit nicht überwinden kann. Sparst du die Geschlechtskraft, so +lenkst du sie um in alle Organe deines Körpers und baust dir aus dem +geheimnisvollen Lebensstoff ein Leben, das im Alter die Klugheit deiner +Jugend segnet. + +Es ist wahrlich keine Schwarzseherei, wenn ich darauf hinweise, daß auch +das Turnen in mancherlei Hinsicht Gefahren in sich trägt. Die +Geschlechtsorgane sind bei vielen, namentlich bei den nervös veranlagten +jungen Menschen leicht reizbar. Darum ist es geraten, zum Beispiel beim +Klettern an Stangen und Tauen Reibungen der sexuellen Organe zu +vermeiden. Wo eine Gefahr besteht, kann man nicht genug auf der Hut +sein. In den Schulen und beim Militär wird ja auch auf einen korrekten +Kletterschluß geachtet. + +Vorzügliche Beachtung verdient neben den Wanderungen, die den Körper +stärken und den Geist zugleich ablenken und ausfüllen, das ~Schwimmen~. +Junge Menschen, deren sinnlicher Trieb sich in den Vordergrund drängt, +sollten fleißig das Schwimmen üben; denn es behebt die Blutfülle in den +Unterleibsorganen, die oft die unmittelbare Ursache der geschlechtlichen +Erregungen ist. Auch werden die sinnlichen Vorstellungen und Träume, die +aus solchen Blutstauungen entstehen, durch das Schwimmbad energisch +beseitigt und durch den niederschlagenden Kältereiz stets auf einige +Zeit zurückgehalten. Ich empfehle aber rasches Auskleiden, energisches +Hineingehen ins Wasser und schnelles Wiederankleiden. Nichts aber ist +nach allen Seiten hin von so großem Werte wie das tüchtige ~Luftbaden~. +Es vereinigt viele Faktoren der Gesundheitspflege und Nervenstählung in +sich und stellt die kraftvollste und unmittelbarste Verwirklichung jenes +»Zurück zur Natur« dar, das seit Rousseau immer lebendiger in die +allgemeinen Lebensanschauungen hineingetreten ist. Zeitweilig und +regelmäßig sich im Freien, in abgeschlossenen Luftbädern oder im +einsamen Wald, der Kleider zu entledigen und den nackten Körper bei +guter und schlechter Witterung der Luft auszusetzen, das ist eine +Klugheit und eine Wohltat zugleich. Ein Kraftzuwachs ist der Gewinn +dieser Klugheit. Und wenn das Luftbad mit tüchtiger Bewegung, Laufen, +Springen, Turnen oder -- wo es geht -- mit Schwimmen verbunden wird, +dann verscheucht es sicherlich alle die wirren sinnlichen Phantasien, +unter denen der blasse Stubenhocker leidet. Der gewaltige Bewegungsdrang +der Jugend will und muß entladen werden, denn dieser Bewegungsdrang ist +ja eben Jugend, und in seiner Betätigung liegt das Geheimnis des +Wachstums, der Erstarkung. Wird alles Körperliche, Spiel, Sport, +Gymnastik, Schwimmen, Luftbad, Turnen, unterbunden, und zwingen +Elternhaus und Schule zur Stillsitzerei hinter den Büchern, dann stauen +sich die Jugendkräfte und entladen sich da, wo krankhafte Reizbarkeit +ihnen ein Tor öffnet, in der Geschlechtssphäre. Wenn so die drängenden, +jugendaufbauenden, lebengestaltenden Kräfte in der Onanie einen Ausweg +gefunden haben, dann verlangt der erschöpfte Organismus nicht mehr nach +körperlicher Kraftentladung. Dem erschlafften Körper ist das Stillsitzen +ein Bedürfnis, eine Wohltat, und aus dem Onanisten entwickelt sich oft +in der Schule der blasse, folgsame Streber, der der Stolz des Lehrers +ist und den doch das Leben später, wenn er nicht mehr so recht +vorwärtskommt, darüber belehrt, daß nicht allein geduldiges Sitzen, +sondern Entschlußkraft, Mark und Saft dazu gehören, ein Ziel zu +erreichen. Dies sind aber Werte, die durch geschlechtliche Reinheit in +der Jugend gewonnen werden. + +Besser noch und richtiger als alles, wovon ich oben sprach, besser als +Sport, ist die Arbeit, die rauhe körperliche Arbeit. Der Sport hat noch +kein Volk groß gemacht, sondern die Arbeit, die harte, rauhe +Notwendigkeit. Denn Sport verleitet überall zu Rekordleistungen, zu +Übertreibungen, zu Fexerei und -- Schwindel. Der Sport läßt hier und da +nichts mehr von seinem inneren Werte merken und ist zum Schaustück, zur +Unterhaltung, zum Nervenkitzel geworden. Das beweisen -- die Wetten und +der Totalisator. Die Sucht nach wahnsinnigen Gipfelleistungen ist eine +Erscheinung der Neurasthenie eines ganzen Volkes. Schlaffe Nerven +antworten nur auf starke Reize. + +Der Sport ist sicherlich die notwendige und wohltätige Reaktion gegen +Schul- und Schreibstuben- und Fabrikarbeit. Aber der Sportmatador hat +viel zu sehr die bewundernden Blicke auf sich gezogen und den Sinn +abgelenkt von der körperlichen Arbeit, die greifbare Werte schafft. Geh +aufs Land hinaus und sieh die Arbeit der Bauern. Sie bestellen den +Acker, und von den Erzeugnissen ihrer Arbeit, von Kartoffeln, +Kornfrucht, Grünzeug, Obst und Viehzucht nährt sich das ganze Volk. Ist +das nicht wertvoller als sechs Tage lang wie ein Besessener im Kreis +herumzuradeln und klüger noch, als bei diesem Unsinn zuzusehen? + +Aber im Frühjahr und namentlich im Herbst ist auf dem Lande Leutenot. +Haben wir Deutschen nicht genug Hände zum Arbeiten? Ei, jawohl! Aber sie +stecken in den Hosentaschen und sind -- manikürt. Und während der Bauer +am Abend sorgend den drohenden Himmel betrachtet und vor Sonnenaufgang +aufsteht, um in harter Arbeit, mit Frau und Kindern und mit den wenigen +Kräften, die er bekommen kann, den Reichtum seiner Fluren in den +Scheunen zu bergen, sitzen in der Stadt Tausende im Kaffeehaus, spielen +sie Tennis- und Fußball und tragen in sich den glückseligen Gedanken von +der »Gesundheit des Sports«. + +Ja, gewiß ist er gesund! Aber ließe sich nicht ein weniges von all der +spielenden Kraft in Ernst, in Arbeit umwandeln? Sollen wir geschlagenen +Deutschen nicht eine ganz neue Zukunft bauen? Könnten nicht die jungen +Burschen, die Sportklubs, die Wandervögel und Pfadfinder, zum mindesten +in den Ferien, einmal zu den Bauern hinauswandern, um zu arbeiten? Muß +man immer spielen? Und vielleicht nur deshalb spielen, weil zu jedem +Sport auch gleich ein »schickes« Kostüm erdacht wird? Ja, die +kostümlich-dekorative Marke verdrängt oft sehr aufdringlich die innere +Kraft der Sache. Die Arbeit auf dem Lande wäre für die jungen Burschen +aller Stände nicht nur gesundheitlich förderlich, sondern auch ein +kräftiger Faktor ihrer sozialen Erziehung. + +Das deutsche Volk war vor dem Kriege auf jener Stufe der Degeneration +angelangt, wo in einem letzten Aufflackern der Körperkraft der Gedanke +an die Arbeit im Sport ästhetisch kultiviert wurde. Alle Welt litt und +erkrankte an der körperlichen Untätigkeit und der geistigen und nervösen +Überreizung. Alle Welt schaffte sich nicht Hunger und Verdauungskraft in +der Arbeit, sondern hatte die Mahlzeiten zu einer Haupt- und +Staatsaktion erhoben und litt am zu vielen Essen. Das Geschlechtliche +war das Ventil, aus dem die krankhafte Spannung entwich, und der +geschlechtliche Mißbrauch folgte der körperlichen Untätigkeit und der +Unmäßigkeit des Essens und Trinkens auf dem Fuße. Aber das ging an die +Nervenkraft, und alle Welt ging in die Sanatorien, um -- die Zeit weiter +totzuschlagen. Das große Heilmittel für die Neurastheniker und die +anderen Leidenden, die Körperarbeit, wollte niemand versuchen. Hatte der +Arzt eine Überzeugung, so mußte er sie für sich behalten, sonst kostete +sie ihn die Kundschaft. Nur wenigen gelang es, sich dem großen Humbug +mit Erfolg entgegenzustemmen. Nun hat der Krieg uns aus dem Hindämmern +aufgeschreckt, uns den Abgrund gezeigt, an dem wir hintaumelten. Nun +soll ernste, strenge, harte Arbeit uns einen ganz neuen Weg führen. + +Aus Arbeit und rauhen Notwendigkeiten entstieg die Kraft und erblühte +das Leben in tausend Schönheiten. Nun war die Kraft im Schwinden, und +ihre Wiedergeburt, die Regeneration, muß auch erst wieder durch die +rauhe Notwendigkeit der Arbeit, durch Einfachheit, durch Körperstählung +und durch geschlechtliche Reinheit hindurchgehen. + +Die Menschen haben sich an den Anblick der körperlichen und seelischen +Leiden und an das häufige und allgemeine Schmerzgefühl so sehr gewöhnt, +daß sie glauben, Schmerz und Krankheit lägen in der Natur der Dinge und +seien unvermeidliches und unabwendbares Schicksal. Darum ertragen viele +ihre Leiden in gedankenloser Ergebenheit oder führen Klage über ihr +persönliches Unglück. Die heftigen, impulsiven Naturen murren auch wohl +gegen das »Schicksal«. Die wenigsten nur sind es, die bei sich selbst +nach den Ursachen spähen und -- durch Erkenntnis klug geworden -- in +vorsichtigerer Lebensführung alle die allgemeinen Übel vermeiden. + +Von nichts aber dürfen wir mehr überzeugt sein als davon, daß bei +vernünftiger Lebensführung Krankheiten ganz außerhalb der Lebensgesetze +des menschlichen Organismus liegen. Haben wir nur ein klein wenig +natürlich denken gelernt, so müssen wir erkennen, daß die Natur +Gesundheit und Glück gewollt hat, und die Irrtümer und Fehler des Lebens +dem Einzelmenschen schaden und von ihm aus die Gesamtheit angreifen. + +Die Verletzung der Naturgesetze -- im Geschlechtsleben mehr als +anderswo -- verwirrt die Wege der Kraft, der Schönheit und des Glückes, +die den Menschen von der Natur gewiesen sind, und bringt Krankheit, +Schwäche und Tod. Wir Menschen von heute aber haben etwas, was niemand +je vorher besaß, die klare Erkenntnis von den wahren und eigentlichen +Ursachen des Verfalls. Wir sehen mit Entsetzen den Geschlechtsmißbrauch +die Kraft der Menschen und der Völker zerstören und sammeln alle Kräfte, +um dieser zerstörenden Gewalt zu begegnen. Die klare Erkenntnis hat uns +Hoffnung, Mut und Wille gegeben, und das Leben, das vor uns liegt, steht +im Zeichen einer neuen Zeit, in der in einem gesunden Körper wieder eine +gesunde Seele lebt. + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Zweiter Teil. + +Der junge Mann und das Weibliche. + +Rätsel und Irrtümer der Liebe. + + »Errötend folgt er ihren Spuren + Und ist von ihrem Gruß beglückt. + Das Schönste sucht er auf den Fluren, + Womit er seine Liebe schmückt.« + + Schiller. + + +Die alten Griechen hatten einen Gott, den sie Janus nannten, und den sie +sich mit zwei Köpfen dachten. Wollten wir Menschen die Liebe darstellen, +wahrlich, auch sie hätte einen Januskopf; denn kein Empfinden gibt's im +Leben, das so sehr Glück und Leid, Jubel und Tränen, Freude und Trauer +umschließt, kein Empfinden, das mit so viel stürmenden Hoffnungen begann +und mit so viel bitterer Resignation endete. Heiße, große +Jugendsehnsucht auf dem einen Gesicht und begrabene und beweinte Wünsche +auf dem andern, das ist der Januskopf der Liebe. + +Aller Jammer, alles Elend, alle Krankheit entspringt dem Irrtum. In den +Geschlechtsirrtümern verlieren die Menschen ihre Kraft. + + +1. + +Das Erwachen der Liebe. + +Um das 15., 16. oder 17. Jahr herum geschieht es, daß aus dem Knaben ein +junger Mann wird und der Körper alle jene bedeutsamen Veränderungen +erlebt, die vereint den Geschlechtscharakter bilden. Der Körper +entwickelt besondere Triebkraft im Wachstum, und dieses rasche, oft +schußweise Wachsen im Knochenbau, dem die Muskelfülle nicht ganz zu +folgen vermag, gibt der Gestalt jene merkwürdige Eckigkeit und +Unbeholfenheit, die uns den jungen Mann in den »Flegeljahren« oft so +lächerlich ungeschickt erscheinen lassen. Auf der Oberlippe erscheint +der erste Bartflaum, die sexuellen Organe entwickeln sich stärker; es +mehren sich die Schamhaare; die Stimme verliert den kindlichen Klang; +sie »bricht« und gewinnt jenen dunklen, oft rauhen Timbre, aus dem man +den »Stimmbruch« eine Zeitlang deutlich heraushört. + +Dieser ganzen äußeren Entwicklung, die einen ausgeprägt geschlechtlichen +Charakter trägt, entspricht auch eine innere Entwicklung. Denn das +geistige Leben wird beeinflußt und gespeist von jenen inneren +Absonderungen der Keimdrüsen, die in dieser Zeit lebhafter zu arbeiten +begonnen haben. Das Geschlechtsgefühl ist nun nicht mehr bloß allgemein +körperlich, sondern wird reicher an plastischen, geistigen +Vorstellungen. Denn in demselben Maße, in dem das eigentlich Männliche +sich in dem jungen Manne ausbildet und äußerlich und innerlich ausprägt, +stellt sich sein ganzer männlicher Organismus auf das Weibliche in +seiner Umgebung ein. Männlichkeit und Weiblichkeit bilden eben im +kosmischen Geschehen jene gewaltige Polarität, aus der das +weltenbewegende Wunder der Liebe entsteigt. Jeder Pol sucht seinen +Gegenpol, und alle die feinen und starken Ausstrahlungen der +Männlichkeit suchen und finden das Weibliche, das sie mit dem gleichen +Gesetz anziehen und sich zu verschmelzen trachten. So gewinnt das +Weibliche eine gewisse Herrschaft über das Männliche, das +sich -- gebändigt durch unklare sinnliche Wünsche -- dieser Herrschaft +gern beugt, ja sich manche »süße Tyrannei« eines jungen Mädchens +gefallen läßt und aus Liebe und Ritterlichkeit zu jedem Dienst +und -- jeder Torheit fähig ist. + +Das sind etwa so die Tanzstundenjahre. Eine kleine Welt für sich, deren +glückliches Hoffen nie wiederkehrt. Je stärker und unklarer diese +männliche Sehnsucht ist, desto verlegener und ungeschickter kann der +sonst ganz ruhige und sichere junge Mann werden, wenn in der +Gesellschaft ein junges Mädchen all seinen stürmend-sehnsüchtigen +Gefühlen ein naheliegendes Ziel gibt. Dann ist es mit der Ruhe vorbei. +Er möchte den allerbesten Eindruck machen, die Ritterlichkeit in Person +sein, glaubt sich von allen Anwesenden beobachtet und möchte sich doch +um alles in der Welt vor seiner »Angebeteten« keine gesellschaftliche +Blöße geben. Das geringste Mißgeschick bringt ihn in unglaubliche +Verwirrung. Er steckt das Tischtuch als Serviette ins Knopfloch, +schüttet der Dame die Suppe aufs Kleid, wirft einen Stuhl um und sucht +verzweifelt nach einem Gesprächsthema. + +Das Liebesspiel hat begonnen, und alle die grotesken Verlegenheiten sind +nur die grenzenlose Verwirrung, die das Weibliche anrichtet in der Seele +des jungen Mannes, dessen erwachte Geschlechtlichkeit sich in dieser +neuen Welt noch nicht zurechtzufinden weiß. + +Und dann ergreift das Weibliche immer mehr Besitz vom Denken und Fühlen +des jungen Mannes. Es schärft auf der Straße und in der Gesellschaft +seine Augen für Jugend und Schönheit, Grazie und Charme. Es dringt in +seine Träume ein, und während der gesunde, wohlerzogene junge Mann die +Schönheit dieser Jugendjahre nicht ihres idealen Gewandes entkleidet und +die Poesie der jungen Liebe nicht in der sexuellen Gier vernichtet, +kämpfen viele -- und namentlich diejenigen, die den onanistischen +Geschlechtserregungen verfallen sind -- mit sexuellen Vorstellungen. Und +während bei dem einen die ersten Regungen der Liebe zugleich seinen +männlichen Stolz und seine sittliche Selbstachtung wecken, und ihm die +Liebe zur Waffe gegen seine unreine Verirrung wird, gerät der andere +noch tiefer in die Gewalt des krankhaften Triebes. + +Hier findet der zügelnde Wille und die Klugheit einer gesunden +Lebensführung einen besonderen Boden, zumal es sich darum handelt, jene +nächtlichen automatischen Samenergüsse, die sogenannten Pollutionen, in +ihren physiologischen Grenzen zu halten. + +Mancher junge Mann wird verwirrt oder erschreckt, wenn er in der Nacht +oder am Morgen einen Samenverlust beobachtet, der von einer mehr oder +weniger starken Erregung, von mehr oder weniger lebhaften sinnlichen +Träumen begleitet war. Den Unwissenden und Ängstlichen mag gesagt sein, +daß die Pollutionen nichts Krankhaftes an sich haben, sondern eine +normale Entscheinung sind, wenn sie etwa alle 10-20 Tage sich höchstens +einmal einstellen. Darüber hinaus und besonders dann, wenn der Pollution +am nächsten Tag schlaffes, schlechtes Befinden, blasses Aussehen, +Kopfschmerz, Kreuzschmerzen, Nervosität und dergleichen folgen, haben +wir es mit nervöser Schwäche zu tun, oder der Samenerguß war durch einen +äußerlichen oder innerlichen Reiz, jedenfalls aber durch einen Fehler in +der Lebensführung, herbeigeführt worden. In solchen Fällen wirst du gut +tun, lieber Freund, alle die Ratschläge zu befolgen, die ich schon zur +Heilung der Onanie gegeben habe, und namentlich die Abendmahlzeit nicht +nach 6 Uhr einzunehmen und sie nur aus Brot und Früchten bestehen zu +lassen. + +Wenn es möglich wäre, die Menschen in ihrer Allgemeinheit wieder zu +einer gesunden und einfachen Lebensweise zurückzuführen, so müßten +wahrscheinlich die Pollutionen entweder gänzlich schwinden oder auf ein +äußerst geringes Maß zurückgehen. Aber diese Erscheinungen hängen wohl +mit der nervös gesteigerten Erregbarkeit des Lendenmarkes, mit +körperlicher Untätigkeit und mit einer falschen Ernährung weit mehr +zusammen, als man auch nur ahnt. Wenn aber zum Beispiel eine +geschlechtliche Erscheinung mit der Ernährung zusammenhängt und zugleich +mit dieser geändert werden kann, so ist es doch zum mindesten recht +schwer, zu sagen, sie sei so, wie sie ist, normal. + +Keinesfalls aber läßt sich aus solchen Erscheinungen die +Anschauung herleiten, daß nun der Organismus reif sei für die +Fortpflanzungstätigkeit, und daß nun die Geschlechtsbetätigung für den +jungen Mann zu einem persönlichen Recht und zu einer gesundheitlichen +Forderung werde. Denn wenn auch -- was jedenfalls bestreitbar ist -- die +Pollutionen normale, physiologische Erscheinungen wären, so könnten sie +doch nur eine passiv-automatische Übung und Wachstumssteigerung eines +Triebes darstellen, der seiner sozialen Beziehungen und Folgen wegen +nicht allein in der körperlichen Entladung begriffen werden kann. + + +2. + +Die Sittlichkeitsfrage. + +Hier haben wir mit einem Male einen Sprung mitten in die sogenannte +»Sittlichkeitsfrage« hinein getan. Denn der Begriff des »Sittlichen« hat +sich stillschweigend und in seiner ganzen Ausdehnung an das +Geschlechtliche angeschlossen. + +Diese Sittlichkeitsfrage beschäftigt sich im wesentlichen damit, ob es +einem jungen Manne erlaubt sein kann, vor der Ehe und in noch +jugendlichem Alter geschlechtliche Beziehungen zu unterhalten. + +Diese Frage ist durchaus neueren Datums. Denn erstens waren die +sittlichen Anschauungen von früher strenger und straffer, zweitens hat +die Gesellschaft heute in allen Fragen, und somit auch in der +sexual-moralischen, die soziale und sittliche Kritik über das +gedankenlose Sichgehenlassen gesetzt, und drittens ist gerade mit dem +Erwachen dieses kritischen Geistes jener eigenwillige Individualismus +großgezogen worden, der über die Rechte der Persönlichkeit hinaus auch +die Ungebundenheit des Trieblebens mit »Individualität« und anderen +Phrasen verteidigt, die sozialen Wurzelungen lockert und dieses ganze +philosophische Vorspiel nur beginnt, um endlich und insbesondere dem +vorehelichen Geschlechtsleben eine unbeschränkte Freiheit zu +verschaffen. + +Beiläufig gesagt: nur dem männlichen, nicht dem weiblichen +Geschlechtsleben. Denn daß das junge Mädchen vor der Ehe keusch zu leben +habe, ist eine so verbriefte, so tiefempfundene sittliche Forderung, daß +ein Sturm sich erhob, als einige dem Lager der Frauenbewegung +entstammende Schriften auch diese Schranke zu durchbrechen suchten. +Nicht nur tiefe und bedeutsame biologische Gründe, sondern +schlechterdings der sexuelle Egoismus des Mannes verlangen es, daß das +junge Mädchen vor der Ehe seine Jungfräulichkeit bewahre. + +Der gleiche Sturm der Verwunderung und Entrüstung erhob sich aber auch, +als vor nunmehr etwa 30 Jahren in der Öffentlichkeit klipp und klar +gesagt wurde, daß es auch für den Mann die sittliche Forderung der +Enthaltsamkeit gebe. + +Das traf die gedankenlosen Gehirne wie ein scharfer Sonnenstrahl, der +die Augen blendet. Bis dahin hatte der Mann dasselbe getan, was er noch +heute mit der gleichen aufreizenden Selbstverständlichkeit tut: er hatte +jede sich bietende Gelegenheit zum Geschlechtsgenuß bereitwilligst +benutzt. + +Die Forderung der Enthaltsamkeit war durchaus nicht neu. Die christliche +Religion und auch andere Kulte hatten sie aufgestellt. Nur war die +Gedankenlosigkeit des Alltags allmählich über das unerschütterliche +Gefüge ethischer Grundgedanken hinweggewuchert. Da fiel wie ein Funke +ins Pulverfaß jene Erstaufführung des Björnsonschen Dramas »Der +Handschuh« durch die Berliner »Freie Bühne« Ende des Jahres 1889. Die +Heldin dieses Dramas, Svava, erfährt, daß ihr Bräutigam früher schon +Geschlechtsverkehr mit einem Mädchen hatte, und sagt sich von ihm los. +In der reichen literarischen Nachfolge, die diese Arbeit fand, finden +wir den gleichen Gedankengang namentlich in »Vera. Eine für viele«. + +Der starke und imponierende ~Björnson~ hatte also sich selbst zum +Wortführer einer geschlechtsmoralischen Forderung gemacht und sie +dadurch, daß er sie auf der Bühne abhandelte, in den Brennpunkt des +allgemeinen Interesses gerückt. Die Presse griff denn auch +diesen -- »Handschuh« wie ein Mann auf, die einen mit Hohnlachen und dem +zeternden Wortschwall einer angstvollen Verteidigung, die andern mit +wohlwollender Zustimmung. + +Genug, der Stein war ins Rollen gekommen, und ~Björnson~ selbst sorgte +dafür, daß die Sache zumindest in den skandinavischen Ländern nicht so +bald zum Stillstand kam. Man erinnert sich seiner eindrucksvollen, +faszinierenden Persönlichkeit, die überall den strengen +Sittlichkeitsgedanken, ~die monogamische Ehe~, in glänzender Rede gegen +jede geschlechtliche Lauheit, gegen jedes psychologisch oder +philosophisch umschleierte Triebleben verteidigte. + +Zur selben Zeit begann die Wissenschaft, die bis dahin scheu und ängstlich +dieses Gebiet gemieden hatte, sich doch damit aus biologischen und +medizinischen Interessen zu beschäftigen. Die Geschlechtswissenschaft +(Sexuologie) spürte den geheimnisvollen Gesetzen dieser menschlichen +Leidenschaft nach, um alle Zusammenhänge zu finden. Und mit einem Male +übersah man auch klarer als bisher die ungeheuren gesundheitlichen +Schäden, die das gedankenlose vielweiberische (polygamische) +Geschlechtsleben des Mannes angerichtet hatte. Man erkannte den Einfluß +alles Geschlechtlichen auf die Erziehung, das Denken überhaupt, auf alle +sozialen Beziehungen, auf die Vererbung, auf Lebensgestaltung und +Lebensglück, und es war wie ein jähes Erwachen, das den erschreckend neuen +Eindruck von der gewaltigen Bedeutung alles Geschlechtlichen in zahllosen +Schriften festhalten zu wollen schien. + +Und was bis dahin nie und nirgendwo geschehen war: die Frauen hatten +aufgehorcht. Sie, die bis dahin in der allgemeinen Komödie der Prüderei +die Statisterie gemacht hatten, gewannen nun mit einem Male das +Bewußtsein, daß es eine empörende Ungerechtigkeit ist, wenn der Mann vom +Weibe voreheliche Enthaltsamkeit verlangt, während er sich selbst doch +zu gleicher Zeit recht munter amüsiert und der Frau als Dank für ihre +sittliche Bewahrung eine -- Geschlechtskrankheit als Morgengabe in die +Ehe bringt. + +Was Wunder, daß gerade die Frauen sich gegen diesen Zustand auflehnten +und mit großer Energie die sexuelle Frage der prüden Umschleierung +entrissen. + +Wir stehen ja noch heute vor der Tatsache, daß junge Männer, wenn sie +die Schule und das Elternhaus verlassen haben, oft ohne alle +Gewissensbisse von den sich bietenden Gelegenheiten zum +Geschlechtsverkehr Gebrauch machen, ohne der moralischen und sozialen +Gesetze zu gedenken, welche sich natürlicherweise gegen den +eigenwilligen geschlechtlichen Individualismus auftürmen. Denn die +Beurteilung eines Triebes, der über den Einzelmenschen hinaus von +sozialen Folgen ist, erschöpft sich keineswegs in den Wünschen und +Rechten des Individuums, sondern muß notwendigerweise eine soziale sein. +Die tiefsitzende Inkonsequenz beginnt aber schon mit der Forderung der +Keuschheit der jungen Mädchen, und die sozialen und mehr noch die +sittlichen Zwiespalte fallen zusammen mit der gesellschaftlichen und +seelischen Verwirrung, die ein Mann im Leben eines Weibes anrichtet, +wenn sie der Gegenstand seiner geschlechtlichen Wünsche geworden ist. + + +3. + +Geschlechtsleben und Gesundheit. + +Das jugendliche Geschlechtsleben mit den Forderungen der Gesundheit zu +entschuldigen, ist eine jener sophistischen Ungereimtheiten, die nur da +entstehen, wo die erotischen Wünsche das Gewissen zum Schweigen bringen +wollen. + +Es gibt gegenwärtig wenige Fragen, in deren Beantwortung so heftige +Widersprüche herrschen, wie diejenige des Nutzens oder Schadens der +vorehelichen Geschlechtsenthaltsamkeit. Aber selbst wenn die +Wissenschaft sich zugunsten der -- Frivolität entscheidet und Fälle von +Schädigungen durch Enthaltsamkeit bei der Jugend aufzählt, so müßte sie +doch der degenerativen Entwicklung Rechnung tragen. Sie müßte in +Rücksicht ziehen, daß die Kultur weit von den physiologischen Gesetzen +der menschlichen Natur abgerückt ist, und daß durch geschlechtlichen +Mißbrauch, durch die Raffiniertheit und Grenzenlosigkeit der Ernährung, +sowie durch körperliche Untätigkeit eine sexualnervöse Reizbarkeit +gezüchtet wurde, die das ordnende Urteil trübt. Was aber ein sinnlich +gesteigerter Organismus verlangt, das darf die Wissenschaft nicht als +allgemeines Geschlechtsrecht im ganzen Volke austeilen. Erkennt man, daß +ein Trieb durch Mißbrauch sich im Organismus in den Vordergrund drängte, +so muß man den Begriff des »Natürlichen« an diesem Trieb arg +beschneiden. Und selbst wenn man, ohne der mißbräuchlichen Steigerung +zu gedenken, den Trieb mit Recht »natürlich« nennt, so vermag man ihn +doch in keiner Weise zu trennen von den seelischen, sittlichen und +sozialen Kräften, die das Wohl der menschlichen Gemeinschaft und ihre +Entwicklung bedingen. Wird der Geschlechtstrieb rein körperlich +gezüchtet, so bringt er das Menschengeschlecht rückwärts, nicht +vorwärts. + +Wenn ein Mensch ißt und dabei den Zweck des Essens vergißt und zur +Eßgier gelangt; wenn er trinkt, nicht weil der Körper Flüssigkeit +verlangt, sondern weil er der Leidenschaft des Trinkens verfallen ist, +so werden die geistigen Kräfte in demselben Maße schwinden, in dem die +körperliche Sucht sich steigert. So bedeutet auch der unerlaubte +Geschlechtsverkehr der Jugend, eben weil er die sozialen und sittlichen +Kräfte nicht auslöst, eine Hemmung der geistigen und charakteriellen +Entwicklung. + +Daß die geschlechtlichen Erschütterungen und die Samenverluste einen +noch nicht ausgereiften Organismus in seiner Entwicklung hemmen, ist +eine ganz allgemeine Erfahrung. Es ist schon rein logisch und ohne jeden +wissenschaftlichen Beweis einzusehen, warum jene geheimnisvollen +Lebensstoffe, deren Entstehung im Körper zu einem solchen Reichtum und +Überschwang des Gefühls führt, die das Urgeheimnis der polaren Spannung +zwischen Mann und Weib in sich bergen, und die in der Leidenschaft ihrer +Vereinigung das Wunder der Menschwerdung vollbringen, warum sie ohnedies +dem Organismus, solange er sich in der Entwicklung befindet, seine +Spannung geben; denn diese Stoffe, die immer wieder neues Leben auf die +Bahn des Werdens schleudern, sind nicht nur Ursubstanz des Lebens, +sondern zugleich auch seine feinste Blüte. Sie behalten immer ihre +gestaltende Kraft. Und es liegt große Klugheit darin, durch diese +gestaltende Kraft zunächst den eigenen Organismus auf den möglichen +Höhepunkt seiner Entwicklung zu bringen, ehe man im bloßen +Geschlechtsgenuß Rechte sucht, die erst der mit sich selbst fertige, +vollendete Organismus besitzt. + +An den Erscheinungen der Geschlechtsreife (Pubertät) erkennen wir die +treibende und gestaltende Kraft jener Lebensstoffe. Ein Ausreifen nach +allen Richtungen ist es, das wir beim Erwachen der Liebesempfindung +staunend beobachten. Was späterhin das neue Leben formt, das verleiht +einige Jahre vorher der Stimme ihren tieferen Vollklang, das treibt den +Bart als eins der Zeichen der Mannheit, das gibt dem Charakter seine +Festigkeit und dem Geiste Stolz und Kühnheit. Entfernen wir die +Keimdrüsen (Kastration) so hört alle diese Entwicklung ins Männliche mit +einem Male auf. Die treibenden Kräfte sind unterbunden. Die Stimme +bleibt dünn, der Bart wächst nicht, der Charakter bleibt weichlich, +ängstlich, tatenlos oder verschlagen. + +Es mag darüber gestritten werden können, ob wir dem häufigen +Samenverlust allein die Schäden, von denen die Rede war, zuschreiben +sollen. Keinesfalls dürfen wir aber der gewaltigen allgemeinen +Erschütterung vergessen, die der Organismus in der Geschlechtserregung +erleidet. Kommt sie schon in der Jugend, noch ehe der Gesamtbau seine +ordentliche Kraft und Festigkeit erlangt hat, und wiederholt sie sich zu +oft, so verlieren die gar zu stark erregten Nerven, die in der Erregung +gar zu oft ausgedehnten Blutgefäße, verliert das stark erregte Herz, +verlieren die oft krampfhaft angespannten Muskeln die Fähigkeit, wieder +zu vollkommener Ruhe, zur physiologischen Norm zurückzukehren. Alles +erschlafft, und diese Erschlaffung ist traurige Widerstandsunfähigkeit +und Empfindsamkeit. Und in demselben Maße, in dem die Kraft und die +Energie zu tüchtiger Arbeit verloren gehen, bemächtigt sich des +Organismus jene lüsterne Träumerei, die selbst am Tage alles +Geschlechtliche umkreist und gewissermaßen mit angehaltenem Atem auf der +Lauer liegt, um alles Geschlechtliche gierig einzusaugen und selbst das +Harmlose im Gespräch, im Leben, in Büchern und Bildwerken, zum +Geschlechtlichen zu machen. Dann zehrt die Sinnlichkeit von der +körperlichen und geistigen Kraft, und es fehlt meist jenes notwendige +Maß körperlichen Ausarbeitens, um die gefährlich wuchernde Sinnlichkeit +einzudämmen. + +Es ist sehr oberflächlich, wenn ein junger Mann seinen +Geschlechtsverkehr mit seiner scheinbaren Reife, mit den nächtlichen +Pollutionen und mit dem Hinweis auf die Erwachsenen entschuldigt. Denn +erstens habe ich gezeigt, daß die scheinbare Reife sehr wohl frühzeitige +Triebsteigerung sein kann, die als nervöse Anlage sich genau so erblich +überträgt wie irgendeine Krankheit. Daß zweitens die Pollutionen eine +recht zweifelhafte Erscheinung sind, und daß wir große, starke und +gesunde Männer mit wenig oder gar keinen Pollutionen, dagegen oft +schwächere, nervöse, blasse Jünglinge mit häufigen Pollutionen +antreffen, sowie, daß die Pollutionen durch Onanie hervorgelockt werden +können. Drittens, daß die Jahre der Geschlechtsreife beileibe nicht die +Rechte geschlechtlicher Tätigkeit mit sich bringen, sondern durch die +Steigerung der Samenerzeugung und der inneren Absonderungen dem Körper +die geschmeidige, jugendliche Kraft und Biegsamkeit, dem Geist die +Frische und die Fähigkeit schnellen Erfassens und der Seele Tiefe und +Wärme verleihen sollen. + +Es mag als Grundsatz gelten, vor vollendetem Längenwachstum alle +sexuellen Kräfte zu sparen. + +Die Tierzüchter haben reiche Erfahrungen in diesen Dingen gesammelt, und +keiner von ihnen wird ein nicht völlig ausgewachsenes Tier zur +Fortpflanzung zulassen. Jeder von ihnen weiß, wie schwer dadurch das +Tier in seinem ferneren Wachstum aufgehalten und wie empfindlich man +schließlich die ganze Rasse schädigen wird. Es mag auch nicht unerwähnt +bleiben, daß, wenn man kranken, schwächlichen, nervös erschlafften +Menschen Samenflüssigkeit unter die Haut spritzt, sie eine bedeutende +Vermehrung ihrer körperlichen und geistigen Frische zeigen. + +Die Athleten und die Sportsleute, die sich zu besonderen +Höchstleistungen vorbereiten, müssen Geschlechtsenthaltsamkeit +beobachten. Ja, diese ist ein ganz besonderes Erfordernis des +»Trainings«. Wir erkennen daran das Gesetz von der Umwandlung der Kräfte +im Organismus, und es darf als sicher gelten, daß die geschlechtliche +Selbstzucht nicht nur die körperlichen Kräfte mehrt, sondern vor allem +auch Ausdauer und jenen äußersten Willen weckt, der bei besonderen +Leistungen den Ausschlag gibt. + +Sind aber nicht auch die Jahre der Jugend eine Art Training, eine +Vorbereitung für tüchtige Leistungen im Leben? Sollte die Jugend nicht +ebenfalls alle die Kräfte sparen, deren Besitz die offenbare Quelle für +körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ist? Wenn die Eltern alle +Nahrungssorgen auf sich nehmen, nur damit die Kräfte der Jugend sich +nicht zwischen Entwicklung und Daseinskampf zersplittern, hat dann die +Jugend ein Recht, diese Kräfte trotzdem zu vergeuden, und zwar in der +Geschlechtslust? + +Die Spannung, die durch Enthaltsamkeit erzeugt wird, ist Triebkraft und +hat sowohl hohen kulturlichen wie lebenssteigernden Wert. Nichts ist +sicherer, als daß die Geschlechtsenthaltsamkeit der Jugend und die +Mäßigkeit der Erwachsenen nicht nur für den Einzelnen Sinn und +praktische Bedeutung haben, sondern vielmehr für ein ganzes Volk von +einschneidendem kulturlichem Wert sind. Eine Nation, die ihr Gewicht in +die Wagschale der Geschehnisse werfen will, muß ihre geschlechtlichen +Kräfte sparen. Das mögen wir Deutschen uns für den mühsamen Aufstieg, +der die nächsten Jahrhunderte unserer Geschichte ausfüllen wird, und für +unsere ganze Zukunft merken. + + +4. + +Die Geschlechtsehre. + +Freilich wird ja ein junger Mann, wenn er ins Leben hinaustritt, in +einen argen Zwiespalt gebracht. Aus dem Knaben wird ein »Mann«, und +diese »Männlichkeit« ist im dickflüssigen Strom einer geschmacklosen +Überlieferung leider gar zu sehr aus geschlechtlicher Abenteuerei und +Renommisterei zusammengesetzt worden. Wer ein »Mann« sein will, glaubt, +etwas erlebt haben zu müssen und sieht mit Überlegenheit und Spott auf +jüngere Kameraden herab, die noch einen Rest des Schamgefühls aus den +Erziehungsjahren in sich tragen. Aber die freche Großsprecherei und der +Spott der Älteren verwirrt den Jüngeren. Zwar weiß er ganz gut, wie der +anständige Mensch zu handeln hat. Aber sein Wissen in diesen Dingen ist +Stückwerk, ist unklar, unbestimmt, seine Persönlichkeit ohne +Entschiedenheit, ohne Festigkeit. Diesen ewigen Verlockungen, den +spöttelnden Angriffen, erliegt schließlich das gute Gewissen. Ja, der +dumpfe, nicht gezügelte Geschlechtstrieb setzt sich in einem Augenblicke +über Dinge hinweg, die bei ruhiger Betrachtung häßlich, abstoßend und +empörend sind, über Schmutz, Roheit und ernste Krankheitsgefahr. + +Darin liegt die große Niedertracht der Gesellschaft überhaupt, daß +einer, der eine Dummheit macht, den anderen zu sich herabziehen will; +denn die vergesellschaftete Dummheit erstickt ihren eigenen Vorwurf. Der +Pluralis erscheint ihr als Entschuldigung, und so holt sich denn die +jugendliche »Männlichkeit« weiter ihr Rüstzeug -- bei der Dirne. + +Wie ist es doch sonderbar, daß ein junger Mann, kaum daß er in das Leben +hinausgetreten ist -- und oft schon vorher -- ein Geheimnis in sein Leben +hineinträgt, das ihn in einen inneren Widerspruch zu seiner gesamten +Erziehung bringt. Ein Geheimnis, dessen er sich -- würde es +offenbar -- vor aller Welt schämen müßte. Ja, er selbst schämte sich, und +scheu und angstvoll, daß er um alles in der Welt nicht gesehen würde, +umschlich er das geheimnisvolle Haus, das die eigenen Kameraden oder seine +lüsterne Neugier ihm gezeigt, und verschwand darin in einem günstigen +Augenblick. Wäre nicht der Stolz in der sexuellen Spannung erstickt, so +müßte sich die Wirklichkeit des bezahlten Geschlechtsgenusses dem +Bewußtsein in ihrer ganzen Widerlichkeit aufdrängen. Ein Weib, das nicht +mehr Weib, sondern wahlloser Sinnlichkeitsgegenstand wahllos sich +einfindender Männer ist, das oftmals die einfachsten Gesetze der +Reinlichkeit übersieht, für eine Weile zu besitzen, kann einen Mann von +wahrer Mannhaftigkeit nicht locken. Was die jungen Männer zu diesen +frühzeitigen geschlechtlichen Verbindungen treibt, ist ja auch bei aller +Sinnlichkeit tief im Innern die Sehnsucht nach Liebe und das urewige +Rätsel des Weibes. Aber diese zarten knospenden Empfindungen, die sich in +der Ehe, in der Familie, in echter, mannhafter Liebe ausreifen sollen, +werden von den jungen Männern in Schmutz und gemeine Niedertracht +geworfen. Daher die verkümmerte Empfindungswelt so vieler Menschen, die +ihre eigene Lebenspoesie zerstört haben. Wünsche, Träume, Sehnsucht und +Vorstellungen dürfen nicht in gar zu häßlicher Wirklichkeit erstickt +werden, sonst ist das Ende seelische Erschlaffung, Pessimismus. + +Die vorehelichen Geschlechtsbeziehungen haben eine so ungeheure +Ausdehnung gewonnen, daß viele in ihnen eine Art von normaler Vorschule +der Ehe erblicken. Wie riesenweit ist aber der Abstand zwischen Bordell +und Familie, zwischen der Dirne und der Mutter, zwischen bezahltem +Geschlechtsgenuß und der Liebe zweier Menschen, die miteinander in ihrer +Kinder Land einziehen! Kann dies Gemisch von Lüsternheit, +geschlechtlichem Schmutz, alkoholischer Frechheit und sittlicher +Erniedrigung, das das Dirnenleben durchzieht -- kann das die richtige +Vorbereitung sein für die Ehe, in der das Glück der Gatten und das Wohl +der Kinder aus Kraft und Reinheit kommen sollen? + +Man spricht viel und gern von dem Kampf, den die voreheliche +Geschlechtsentsagung mit sich bringt. Freilich ist es ja wohl am +bequemsten, diesen Kampf durch die erste beste Dirne zu beenden. Aber +ist es denn gut, ihn so rasch zu beenden? Ist nicht der Kampf die +treibende Kraft aller Entwicklung? Weckt er nicht alle verborgenen +Kräfte? Wer die Flinte ins Korn wirft, ist sittlich ein Feigling. Dieser +kampflose, bezahlte, bequeme Geschlechtsgenuß vor der Ehe, dessen sich +junge Männer und auch junge Mädchen bemächtigen, schadet der Ehe, +schadet den Kindern; denn er nimmt dem Leben und dem Geschlechtsgefühl +die Hochspannung. Er befriedigt die Wünsche, tötet die Sehnsucht, +zerstört Illusionen. Enthaltsamkeit ist biologische Spannung, deren +Fehlen man den Kindern vom Gesicht herunterlesen kann. + +Wie bilden sich denn eigentlich Charaktere? In der Entsagung, im Kampf +mit sich selbst. Was ist denn überhaupt ein Charakter? Ein Mensch, der +seine tierische Triebwelt unter die Herrschaft seiner sittlichen +Erkenntnis gebracht hat und mit festem Willen seiner Erkenntnis folgt, +der durch Willenskraft und Folgerichtigkeit sich Selbstachtung und +Selbstvertrauen erwarb. Solche Charaktere, solche Persönlichkeiten +braucht ein Volk, braucht das Leben; denn sie haben Erfolg. Wie kann +aber ein Mensch Selbstvertrauen und Selbstachtung haben, der im Kern +seines Wesens, im Geschlechtsgefühl, wider seine bessere Erkenntnis +handelt, der in seinem Tun sich immer wieder durch den Geschlechtstrieb +vom Wege abreißen läßt? + +Tausende sagen. »Es ist unmöglich, ihn zu bändigen!« Aber wie viele +davon haben's denn ehrlich versucht? Sind nicht die meisten bei der +ersten Versuchung umgefallen? Sie haben die Geschlechtserregung kennen +gelernt, kennen sie durch die Onanie und manches andere, haben ihre +Phantasie mit Sinnlichkeit erfüllt. Das Nervensystem birgt in sich ein +Gesetz der Periodizität. Erregungen wiederholen sich periodisch. Das +macht den Kampf zunächst so schwer. Wie selbst den Magenkranken die +dumme Gewohnheit des dreimaligen täglichen Hungerns quält und seine +Heilung stört, so meldet sich im Hirn und Lendenmark das gewohnte +Geschlechtsgefühl, und dem Bewußtsein wird der alberne und gefährliche +Satz aufgedrückt »Ich kann den Trieb nicht bändigen!« -- Wer freilich +den Kampf aufgibt, ehe er ihn begonnen hat, was weiß der von seinen +Kräften! Treibe deine Gefühle nur erst ein wenig zurück, siege erst +einmal, dann noch einmal, und es wächst das Vertrauen, und es wachsen +die Kräfte. Die gesparte Geschlechtskraft speichert sich in dir auf als +Spannkraft der Nerven und Muskeln, als Mut und geistige Frische. Das +alles sind deine Waffen, die darum immer stärker werden. + +Wenn's sein kann, sprich dich mit den Eltern, mit dem Lehrer, mit einem +guten Freund von gesundem Denken und gutem Charakter darüber aus! Sei +nicht wie jene, die im geheimen sündigen und die Nase rümpfen, wenn ein +Wort über Geschlechtliches gesprochen wird. Das Geschlechtliche soll +weder im bösen noch im guten Sinne das Gesprächsthema sein; aber ein +offenes Wort an rechter Stelle hat oft befreiend gewirkt. Ein klares +Wort entreißt oft junge Menschen der schwülen Phantasiearbeit. Betrachte +das Geschlechtliche als eine besondere Kraft, dich selbst ebenso, und +frage dich. »Wer von uns beiden soll herrschen, ich oder du?« + +~Du mußt herrschen, immer und allerwege!!!~ + +Schäme dich nicht dieses Triebes, und sei niemals niedergeschlagen im +Kampf. Alles Leben entsteigt dem Liebeswollen. Aber die Zeugung ist +nicht die alleinige Lösung dieses Ewigkeitsrätsels. Eine allstündliche, +ununterbrochene Neuzeugung im Einzelorganismus ist es, die wir vor allem +diesem Triebe verdanken. Der geheimnisvolle Quell der inneren +Zeugungsorgane entsendet ununterbrochen Stoffe, die als Spannkräfte +wirken, in Körper und Geist. Darum aber darf diese Urquelle nicht +verschüttet werden. Wir verstehen jetzt sehr wohl, warum der Lebenslauf +mit dem Geschlechtsleben in der Jugend zusammenhängt, warum die +Geschlechtssparsamkeit in der Jugend einen Gewinn für das spätere Leben +ergibt. Nicht nur für unser kleines, eigenes Leben -- nein, die ganze +Menschheit trinkt ihre Verjüngung aus diesem Quell, und ~jeder +Einzelmensch ist zum Sachwalter der Menschheitsgesundheit und +Menschheitswürde bestellt, weil er einen Teil der kosmischen Liebeskraft +in sich trägt~. + +Der Augenblick, der Mann und Weib in der Liebeserschütterung vereinigt, +erzeugt ein neues Leben. Aber nicht dieser Augenblick entscheidet, +sondern alles, was Vater und Mutter in ihrem ganzen Leben waren und +taten. Davon hängen Kraft und Gesundheit des Kindes ab. Sollte das nicht +schon lange vor der Ehe dem Triebe Zügel anlegen, damit er nicht die +Kraft vergeudet, die dem Kinde darum fehlen wird? + +Wer sein Kind anschaut und aus seinem Gesicht die Schwäche liest, muß +der nicht niedergedrückt werden, wenn er sich selbst daran schuldig +weiß? Wer an seinen Kindern häßliche Züge, Lüsternheit und Verirrungen +bemerkt, muß der nicht entsetzt sein, wenn er weiß, daß sie nur seine +eigene Jugend von neuem beginnen? Es vererbt sich nicht nur Kraft, +sondern auch Schwäche, nicht nur Körperliches, sondern auch Geistiges, +nicht nur gutes Denken, reines Empfinden, sondern auch geschlechtlich +verirrtes Denken, Charakterlosigkeit und Ausschweifung. Nie kann ein +Mensch etwas anderes erzeugen, als was er selber ist. Ein Kind ist wie +Vater und Mutter, gut oder schlecht. Darum sei gut, handle gut, damit +dein Kind gut sei und gut handle! Laß alles Unsaubere aus deinem +Liebesempfinden heraus, damit dein Kind ein schönes, reines Empfinden +habe! Gehe nicht den traurigen Weg vom Gott zum Tier, sondern geh den +einzig menschenwürdigen Weg, auf dem Gott den Menschen zum Herrn über +das Tierische eingesetzt und ihm eine Durchgeistigung und Beseelung +seiner Triebe geboten hat. Denn ein geistiger Grundsatz, ein göttliches +Gebot, herrscht in der Welt! Erkennst du das, so wird das +Geschlechtliche dir zur Lebensschönheit, und du wirst die Kraft sparen, +die erst ~deiner~ Reife dienen soll, ehe sie dir in der Ehe und in den +reinen Augen deiner Kinder unendliches Glück bringen wird. + +Es gibt Gründe, die dir die Geschlechtsbeziehungen vor der Ehe +entschuldigen und beschönigen wollen. Und gewiß ist, an sich gesehen, +nicht alles häßlich, was nicht die Ehe sucht. Aber ob's für diese +spätere Dauergemeinschaft gut ist, das ist der Frage innerster Kern. Und +wenn auch die Farbenspiele bestechender Gründe den eigensüchtigen +Liebesgenuß umstrahlen -- macht uns die Selbsttäuschung besser? Vor dem +unbestechlichen Schiedsamt des Menschenwohles sind die schimmernden +Entschuldigungsgründe wie Seifenblasen. + +Stähle die sittliche Kraft deiner Jugend in der Entsagung! Je weniger du +den Geschlechtstrieb aufkommen lässest, desto mehr verliert er das +körperlich Aufdringliche, ~desto mehr verschmilzt er mit deiner Seele, +deinem ganzen Menschen~. Mehr und mehr wirst du dann zu jenen Menschen +gehören, deren körperliche Liebe allein aus dem Wunderborn der Seele +quillt, und nicht zu denen, deren Seele schweigt, während zugleich ihr +Körper von Geschlechtserregung gepeitscht ist. + +Und du wirst Achtung vor der Frau und vor allem Weiblichen haben. Die +Welt ist so, wie wir sie sehen. Siehst du sie gut, so ist sie gut. +Siehst du sie schlecht, so ist sie schlecht. Es ist eine traurige +Mannhaftigkeit, die sich ihrer Verachtung alles Weiblichen rühmt, weil +sie Siege errang, die nur bezahlte Willfährigkeit waren. Wer nur die +Dirne kennt, kennt nicht das Weib, und sein Urteil ist Anmaßung. Es ist +Zeit, daß anständige junge Menschen den Mut finden, die frechen +Zotenreißer und bramarbasierenden Bordellhelden zum Schweigen zu +bringen. + +Wenn ein Mann das Weib, das er liebt, anschaut, so drängen sich +dazwischen gar leicht seine früheren Erlebnisse. Dann werden sie +begehrlich wieder lebendig, und Augen, die im Stolz leuchten sollten, +werden zu Boden gerichtet, weil ein Geheimnis die schöne Wirklichkeit +trübt. Wer nur zur Befriedigung seiner Sinnlichkeit den Spuren des +Weibes folgte, kann nur schwer die Sinnlichkeit aus seinem Fühlen, +seinen Blicken scheuchen. Und er kennt nicht den wunderbaren Einklang +zweier Seelen, die in ihrer Liebe unbewußt den Willen zum Guten, die +große, allumfassende Menschenliebe in sich tragen. + +Welch eine Welt von Schönheit verschließt sich mancher Mensch, weil die +sinnliche Schwerfälligkeit seines Körpers ihm den geistigen Flug +verwehrt! Manche Seele hat sich in diesen rohen Geschlechtsverbindungen +verblutet und nur einen gierigen Körper zurückgelassen, in dem alles +Zarte, Schöne, alles Weiche und Feine, erstickt ist. Das ist seelische +Verarmung -- das allerschlimmste Menschenlos. Es ist ein Leben, das +keine Sonne, keine Wärme mehr hat. Warum nur schätzen wir diese +wundervolle Spannung der Keuschheit nicht höher? Warum ist die +Jugendkeuschheit nur ein Ideal für das Weib und nicht auch für den Mann? +Warum warten junge Männer denn geradezu darauf, diese Reinheit von sich +zu werfen, und warum muß die vielgerühmte »Männlichkeit« sich denn +zuerst auf den gegensozialen Wegen des Dirnentums bewegen? + +»Ist denn wirklich die Geschlechtsehre des Mannes eine andere als die +des Weibes?« sagt ~Vera~ in »Eine für viele«. Und weiter. »Ist die +Notwendigkeit der geschlechtlichen Befriedigung in den jüngsten Jahren +nicht ein wohlorganisierter Schwindel? Oder ein großes Irren der Ärzte? +Kann die Keuschheit je so furchtbare, leben- und glückzerstörende +Krankheiten nach sich ziehen wie die Unkeuschheit?« Und weiter. »Der +Mann verlangt von dem Mädchen seiner Wahl nicht Keuschheit allein, +sondern auch einen unbefleckten Ruf. Mit Recht! Und das Weib soll ihren +Gatten mit Straßendirnen teilen? Sie soll die Schmerzen der Mutterschaft +tragen, mit dem furchtbaren Bewußtsein, daß der Vater ihrer Kinder in +gekauften Umarmungen seine Jugendkraft vergeudete -- -- -- sich nicht +scheute vor dem Schmutz, vor ekelhaften Krankheiten, in gemeiner +tierischer Sinnlichkeit seine Reinheit fortwarf ... der Vater ihrer +Kinder -- sage ich.« -- -- + +Dies Verabuch war trotz seiner Härten wie eine Fanfare, die eine neue +Zeit und eine neue Menschheit ankündete. Die geschlechtssittlichen +Forderungen konnten seitdem nicht mehr unterdrückt werden. Wir werden an +ihrer Durchführung arbeiten müssen, um den Menschen durch ein reineres +Geschlechtsleben eine festere Grundlage des Glückes zu geben. + +~Es wird eine Zeit kommen, in der das, was die Menschen heute belachen, +wie eine heiße, große Sehnsucht in ihnen lebt. Vielleicht erwächst diese +Sehnsucht gerade aus dem Geschlechtselend unserer Tage. Dies Irren, dies +Leiden und Dulden in Geschlechtsausschweifungen, die dem Manne +Unterhaltung, dem Weibe schandbare Versklavung sind, wird sicher einmal +als entsetzliche Last empfunden werden, wenn die Menschen über den +stumpfen Materialismus hinaus die feinen, geistigen Gesetze erkennen +lernen. Dann erst werden die Menschen das Märchenland der Liebe finden, +wenn kein häßliches Erinnern mehr ihre Seele verwirrt.~ + +Das Leben ist darum nicht verloren, weil die Jugend nicht rein und voll +Schönheit war. Ja, mancher Charakter formte sich erst aus trüben +Erinnerungen, aus Fehl und Schuld. Aber den meisten hat doch der +Dirnengeist die Jugend vergiftet; denn für die Seelenweichheit der +Jugend ist das Geschlechtsabenteuer ein starker Eindruck, vielleicht in +seiner rohen Sinnlichkeit stärker als das, was später ein reines, +liebendes Weib gibt. Und von all den Roheiten der bezahlten Liebe wird +etwas ins Erinnern eingefügt und schiebt sich häßlich in all die +blühende Schönheit, die die Liebe bringt. + +Wie viele Frauen bereuen die Ehe, hassen und verachten den Mann, den sie +doch einmal über alles geliebt haben. Aber er hat sie getäuscht. Mit ein +wenig Charakterlosigkeit und geschlechtlichem Schmutz in seinem Vorleben +begann es. Das fraß sich in ihm fest. Das durchwob sein Inneres so, daß +ihm die Ehe zu rein, zu langweilig erscheint. Zunächst verschweigt er +sein Vorleben. Dann kann dies trübe Geheimnis nichts Gutes für seine Ehe +sein. Oder er sagt's seiner jungen Frau. Dann werden ihre Gedanken +versuchen, sich in dieser ihr innerlich fremden Welt zurechtzufinden, +und unter Tränen, mit viel Weh im Herzen, entwickelt sich die Ehe +aus -- einem Verzicht. Oder aber die Frau ist flach und oberflächlich, +dann lacht sie, und es ist ihr alles gleichgültig. Die Vera-Naturen aber +sind zahlreicher, als man glaubt, Frauen, in deren Innerem in solcher +Stunde eine Saite angeschlagen wird, deren Ton für immer dem Ohr +verklingt. Sie, deren monogamischer Instinkt höchstes Feingefühl ist, +können nicht oder nur mit Überwindung einem Manne folgen, der aus einer +ganz anderen, viel gröberen Gefühlswelt kommt, und den die Häßlichkeit +geschlechtlicher Ereignisse, ein anderes Weib, ein uneheliches Kind, von +ihnen trennt. + +Zwar leben wir in einer Zeit sittlicher Neuordnung. Und ehe aus dem +Streit der Meinungen das feste Gefüge der neuen, gerechteren Moral sich +bildet, wird großherziges Verzeihen, auch von seiten der Frau, dem Manne +den Weg ebnen von den wirren Geschlechtsirrtümern der Jugend zur +Reinheit der Ehe. Wie groß ist aber der Jammer der vielen Frauen, deren +Männer das heilige Treuversprechen gebrochen haben, weil die +Dirnenerinnerungen wie Unkraut, wie eine böse Krankheit der Phantasie, +in ihnen fortwucherten, bis der ganze Schmutz der Untreue und der +sittlichen Verlumpung sich auf die Ehe wirft und sie zerstört! Von +ungefähr kommen doch diese Eheskandale nicht. Die Untreue, dieses rein +körperliche, gemeine, geschlechtliche Veränderungsbedürfnis hat sich der +Mann angezüchtet bei den wechselnden Dirnen und der treulosen +Zufälligkeit seiner »Verhältnisse«. Und wer festigt dem Weibe den +Begriff der Treue, wenn sie als Mädchen einmal in dieses, ein andermal +in jenes Mannes Händen war? Die geschlechtliche Treulosigkeit vor der +Ehe baut dem Treubegriff der Ehe ein morsches Fundament. + +Die moralisch-monogamischen Forderungen, die wie eine neue +Ordnung -- aber aus uralten Entwicklungsgesetzen heraus -- von Frauen +erhoben worden sind, können nicht mehr verstummen. Denn Einehe +(Monogamie) ist das Gesetz des Weiblichen, ist der Unterbau der Ehe, die +sittliche Grundlage der Erziehung. Prof. ~Albert Heim~, Zürich sagt: +»Der monogamische Instinkt ist von der Natur erzüchtet. Bricht ihn die +Menschheit im ganzen und dauernd wieder, so bricht sie mit ihm +zusammen«. + +Je willenloser ein Mensch sich dem Geschlechtsempfinden hingibt, desto +mehr ist er Sklave seiner unsauberen Erinnerung geworden. Will er die +Erinnerung auslöschen, so braucht's einen mannhaften Entschluß: »Bis +hierher! Nun nicht mehr weiter!« + +Wer so ein neues Leben auf dem festen, fröhlichen Willen zum Guten +beginnt, den wird das Schlechte, das er getan, nicht in alle Zukunft +hinein verfolgen. Es ist abgetan, und schön und rein leuchtet dir die +Zukunft. + + Der Mensch ist Wille! + +Die Ehe ist ein Idealzustand und trägt in sich den Zweck und die +Möglichkeiten einer unendlichen Vervollkommnung der Menschheit. Die +Forderung der Treue, die wir für die Ehe aufgestellt haben, entspricht +dem uns eingeborenen sittlichen Empfinden, und diese tiefinnerliche +Moral ist immer diejenige, welche dem Fortschritt der Rasse dient. + +Wenn darum Stimmen laut wurden und namentlich gegen das unbedingt +folgerichtige Verabuch Schriften über Schriften erschienen, die gerade +im Geschlechtsleben ~vor~ der Ehe eine Art von Läuterung und Ausreifung +der Persönlichkeit sehen, so ist demgegenüber auf das Wort des +positivistischen Philosophen ~Comte~ hinzuweisen, daß man sich nicht +durch Unsauberkeiten auf ein Ideal vorbereiten kann. Unsauberkeiten sind +es aber; denn alles Häßliche, das das menschliche Geschlechtsleben +erfaßt und überwuchert hat, kam aus der Verletzung der moralischen +Gesetze. Ja, sicherlich nicht nur für das Geschlechtsleben, sondern für +das ganze Menschenleben ist nichts von so furchtbaren Folgen gewesen als +diese geschlechtliche Unsittlichkeit, diese Treulosigkeit gegenüber +sittlichen Gesetzen, die in der göttlichen Natur des Menschen liegen. + +Mit jeder Verletzung der Moral schreiten wir rückwärts, durchqueren wir +das Weltgesetz der Entwicklung, das nach oben und nicht nach unten, +nicht rückwärts, führt. ~Mit jeder Verletzung der Moral greifen wir +störend in die Rechte und das Wohl anderer ein. Denn es gibt keine +persönliche Sittlichkeit, es gibt nur eine Sittlichkeit, die die +Gesamtheit fördert.~ Diese Sittlichkeit haben auch tiefstehende Völker, +ja selbst Tiere haben sie; denn wir sehen die Tiere handeln nach +Gemeinschaftsgesetzen. Die Gemeinschaft der Lebewesen braucht die +Geschlechtskraft, und der blühende Empfindungsreichtum der Zeugung ist +das große Wunder der Natur. Aber sie braucht diese Geschlechtskraft +natürlich und rein und nicht als einen gegen das soziale Wohl +gerichteten Eigennutz. Wer das nicht fühlt, hat darum nicht das Recht +für sich. Und der Stolz junger Menschen müßte sich aufbäumen gegen die +schlaffe Massenauffassung des Alltags. In hochentwickelten +Einzelmenschen nur leben die Sittengesetze als gesunder Rasseninstinkt, +und wir andern werden ihnen nacheifern, wenn wir an ~Carlyles~ Wort +denken: + +»Die Menschen leben um des Besten willen!« + +Prof. ~A. Herzen~ sagt[4]: »Die wirkliche sittliche Handlungsweise ist +diejenige, welche man als allgemeine Verhaltungsmaßregel aufstellen +kann; und diese Regel wird sofort von jedem normalen kultivierten +Menschen angenommen werden, der nicht mit geistiger oder sittlicher, +angeborener oder erworbener Unzulänglichkeit oder mit Wahnsinn behaftet +ist.« + +Wenn nun, wie wir wissen, die Zeugungskraft und Liebesfähigkeit ein +Hauptstamm des Lebens ist, dessen verschiedene Abzweigungen wir +Menschen- und Nächstenliebe, Spannkraft, Begeisterungsfähigkeit, Mut, +Ritterlichkeit, künstlerische Kraft usw. nennen, müssen nicht alle diese +Kräfte eine Verschlechterung erfahren, wenn die Liebeskraft mit unreinem +Denken genährt wird? + +Diese Besudelung des Liebeslebens ist schlimmer, als die meisten ahnen. +Und es ist darum wohl erklärlich, daß heute mehr über diese Dinge +gesprochen wird, als dem feinempfindenden Menschen lieb sein kann. Aber +wir müssen darüber einmal zur Klarheit kommen, schon deshalb, weil das +Wort vom »Sichausleben« zur Phrase geworden ist und unsere Jugend +verderbliche Wege führt. Warum bewegt sich die Wirklichkeit dieses +Sichauslebens denn nur immer im Rahmen eines unsauberen +Geschlechtslebens und richtet sich nicht auf körperliche und geistige +Höchstentwicklung? + +Wüßten die jungen Leute nur erst, wie sie ihr eigenes Glück schädigen, +weil die Dirne ihnen die Achtung vor dem Weibe und allem Weiblichen +nimmt! Der Glaube an die Mutter hat einmal unsere Jugend verschönt, und +diese schöne Erinnerung folgt uns in das Leben. Was hat die Mutter alles +für dich getan? Mit Schmerzen hat sie dich geboren, deinetwegen mußte +sie auf so vieles verzichten, was dem Manne das Leben vielgestaltig +macht. Das Verhältnis von Mutter und Kind ist ein kleines Heiligtum, das +der Mann als Gatte und Vater schützt. + +~In jedem Weibe aber steckt die Mutter.~ Jedes Weib soll Reinheit dem +Manne darbringen, der sie zur Mutter macht. Willst du vorzeitig in dies +Heiligtum eingreifen? Willst du, der du als Mann Schützer und +ritterlicher Hüter des Weibes sein sollst, ihr Verderber, ihr Verführer +werden? Sei gut und voll Achtung zu jedem Weibe, achte und ehre die +Mutter in ihr! + +Du wirst antworten, daß nicht immer der Mann die Schuld trage, sondern +oft das Weib die Verführerin sei, und daß die Prostituierte nicht +Achtung verdiene, sondern genommen werden müsse, wie sie ist. Ich will +die Dirne nicht besser machen, als sie ist. Aber wie viele von denen, +die auf den Straßen sich verkaufen, sind durch Verführung, Elend, +schlechte Erziehung in das Schandgewerbe hineingetrieben worden! Darfst +du die elende Lage, in die ein Mensch durch eigene oder fremde Schuld +hineingetrieben wurde, für deine Genüsse mißbrauchen? Und wenn du die +Prostituierte gar nicht achten kannst, wenn sie dir verworfen erscheint +und du dich darum der Verantwortung überhoben glaubst, so bleibt es für +dich entwürdigend, mit einem Menschen in Beziehung zu treten, den du +verachtest. + +Aber mit der Verachtung sollten wir vorsichtig sein. Im Gewoge des +Lebens steigt einer nach oben, der andere sinkt unter. Gute erbliche +Anlagen erleichtern das Leben, schlechte erschweren es. Dem Weib, das +Dirne wurde, gab die Vererbung wohl schlimme Keime. Schlimme +Verhältnisse ließen das Schlechte aufblühen. Aber mache sie nicht +schlechter! Wenn du ihr Gewerbe benutzest, so bringst du sie -- wie so +viele andere -- noch tiefer in den Sumpf hinein. Warum wolltest du das +tun? + + +5. + +Das »Verhältnis«. + +Das Erwachen der Liebe bringt der Jugend Gefahren und Irrtümer. Je +stärker ausgeprägt der sinnliche Trieb ist, desto lebhafter werden +Beziehungen zu weiblichen Wesen gesucht. Wie die Sonne alles in ihre +Farben taucht, so umspielt die Erotik Mann und Weib. Eine +freudig-festliche Stimmung, Lichterglanz, ein paar Musikakkorde, ein +erregter Tanz oder dergleichen, und schon ist der Liebesfunke zur Flamme +angefacht. Schon schiebt sich der Begriff »ewig« in das eben geknüpfte +Band ein. Manchmal ist's ja ein Band fürs Leben, häufig aber zerreißt's +schon früh, und manchmal sieht der andere Morgen schon Ernüchterung und +Reue. + +Aus diesen losen, flüchtigen Beziehungen hat sich das herausgeschält, +was Tausende von Männern kennen, und was in unserer Gesellschaft ein +öffentliches Geheimnis ist, das »Verhältnis«. Ein im Grunde einfacher +Vorgang: eine geschlechtliche Beziehung zu einem Mädchen, das nicht +Dirne ist, sondern Bürgerstochter, Verkäuferin, Modistin, Schneiderin +oder Ähnliches, und das man eines Tages verläßt, um eine andere zu +heiraten. Sie gibt sich ihm hin, weil seine bessere soziale Stellung +ihrer Eitelkeit schmeichelt, oder weil er die ihm geschenkte Gunst +bezahlt, oder auch, weil -- sie ihn liebt und glaubt, von ihm geheiratet +zu werden. + +Von seiner Seite ist's nicht Liebe, sondern die Gewohnheit des +Geschlechtsgenusses. Liebe nur, wenn die sozialen Abstände die Ehe +unmöglich machen. Manche Tragik entsprang dieser Wurzel; das sogenannte +»Verhältnis« aber ist meist für den jungen Mann ein bequemer Weg des +Geschlechtsgenusses, der keine ernstliche Verantwortung mit sich bringt. +An sich selbst denkt er, und die Geschlechtserregung mag ihm ja auch +Liebe vortäuschen, aber seine Absicht geht gegen ein dauerndes Band. Das +kann nicht Liebe sein. Und wenn die Stunde der Trennung kommt, gibt's +oft viel Weh im Herzen des jungen Mädchens, viel Jammer und Bitten und +Tränen, weil doch die Liebe des Weibes, das seinen Leib hingab, ein +Stück von ihrem Leben ist, während der junge Mann sich von seinen +Geschlechtserlebnissen oft mit rücksichtsloser Kälte loslöst. + +Können diese Rohheiten Vorbereitung auf die Ehe sein? Zerstören sie +nicht die Gemütstiefe, die einer Ehe Inhalt und Schönheit gibt? Wird +nicht die Liebeskraft vergeudet, die ungebrochen einem einzigen Weibe +gehören soll? + +Und was wird aus dem Mädchen, das verlassen ist? Findet sie einen +anderen Mann, der sie heiratet, so wird sie verschweigen müssen, was +sie erlebt. Was man verschweigen muß, kann nicht gut gewesen sein. Oft +aber geht sie aus einer Hand in die andere und endet als Dirne. Denk' +einmal, wenn es deine Schwester wäre! Welch ein entsetzliches Geschick +für dich und deine Familie! Und viele junge Leute häufen, nur weil sie +genießen wollen, solches Leid auf die anderen, die oft schwer daran zu +tragen haben. + +Es liegt im »Verhältnis« eine Unehrlichkeit, die die sittliche +Persönlichkeit untergräbt. Du verlierst die Ehrfurcht vor dem Weibe, +weil du es nicht mit Achtung als Mensch, sondern mit Sinnlichkeit als +Geschlechtswesen genommen hast. + +Es gibt gewissenlose Schürzenjäger, deren dumme Frechheit jahrelange +Erfolge hat, weil selbst unter den Freunden und Kameraden niemand ihnen +sagt, daß ihr Tun nicht Mannhaftigkeit, sondern Erbärmlichkeit ist. Wir +müßten für mehr Klarheit in unserem Urteil sorgen. + +An geistig hochstehenden, wertvollen Frauen prallt der schale Witz +solcher Laffen ab; sie können sich höchstens ihrer Erfolge bei Dirnen +und charakterlosen Elementen rühmen, und auch da sind sie oft betrogene +Betrüger, ausgenutzte Dummköpfe gewesen. + +Das »Verhältnis« ändert seinen durch die Erregung der Sinnlichkeit immer +wieder beschönigten Charakter in demselben Augenblick, in welchem die +hier ebenso notwendigen wie häßlichen Maßnahmen zur Verhütung der +Befruchtung mißlungen sind, und das werdende Kind als eine angstvolle +Tatsache da ist, das nun das wohlbehütete Geheimnis dieser +Geschlechtsbeziehungen der Öffentlichkeit zu enthüllen droht. -- + +Und dann? + +Beim Manne tödliche Verlegenheit, Sorge für Ruf, Stellung, Name, +Gedanken an Trennung, weil nun das »Verhältnis« lästig wird. Beim +Mädchen jagende Angst, Wunsch nach Schutz, Furcht vor dem Entdecktwerden +und dazu körperliche Leiden. Und dasselbe Kind, das zwei sich wahrhaft +liebende Menschen in der Ehe erst recht fest aneinanderkettet, trennt +meist zwei Menschen, die den bloßen Geschlechtszweck ihres +»Verhältnisses« mit dem Worte -- »Liebe« zu entschuldigen suchten. + +Auf dem Lande und bei der Arbeiterschaft pflegt die unwillkommene +Liebesfrucht meist den Entschluß zur Ehe zu erzwingen. Man heiratet +sich, und das ist ehrlich. Damit bereitet man dem Kinde ein Nest, ein +Heim, und die junge Mutter ist geschützt vor Sorgen und bösen +Lästerzungen. + +Aber in der Stadt besteht für alle »besseren Schichten« die bequeme +Einrichtung der »Alimente«. Die Vatersorgen und die anständige Gesinnung +werden abgelöst durch ein geringes monatliches Geldopfer. Gewiß, der +Gesetzgeber konnte vielleicht nicht anders. Er kann nur einige +rechtliche Ordnung schaffen. Aber er hat uns zu viele Möglichkeiten +geschaffen, Gemütswerte durch Geldwerte abzulösen. + +Es wäre falsch, zu sagen, daß der Leichtsinn des »Verhältnisses« die +Pflicht zur Ehe in sich trägt, wenn das Kind dem sinnlichen Idyll ein +jähes Ende bereitet. Denn dann könnte die Schwangerschaft eine Leimrute +sein, mit der ein raffiniertes Weib einen Gimpel fängt. Ich will nur die +Verwirrung beleuchten und die Rohheit zeigen, die oft mit dem +unehelichen Kind sich entwickeln. Manche himmelstürmende Liebe endet +durch die Abtötung der Frucht vor dem Strafrichter. + +Die Zahl der Totgeburten übersteigt bei den unehelichen Kindern überall +in Europa anderthalbmal diejenige bei den ehelichen. Manches eben +geborene Kind wird von der ratlosen, verzweifelten Mutter getötet oder +an Fremde abgegeben. + +Das Höchste, Heiligste, was wir Menschen kennen, die Mutterschaft, wird +besudelt, entehrt, wird zum Verbrechen. Grenzenloser Jammer erstickt das +Gefühl des Mädchens, das Mutter wurde und verlassen wurde. + +Rings um die großen Städte wohnt in ländlichen Bezirken ein Kreis von +Menschen, die sich mit der Pflege unehelicher Kinder gegen einmalige +oder periodische Vergütung systematisch und beruflich beschäftigen, +systematisch und beruflich aber auch unter dem Deckmantel der Pflege +die -- Tötung besorgen. Manchmal weiß das die Mutter nicht, manchmal +aber weiß sie es. + +Das Leid des unehelichen Kindes ist zu oft gesungen worden, als daß ich +dazu Mollakkorde geben müßte. Verbrechen und Unehelichkeit, Prostitution +und Unehelichkeit, das sind fast unlösbare Zusammenhänge. Der Unterbau +des Lebens und der Charakterbildung, die mit Liebe und Achtung +durchzogene Ehe, fehlt dem unehelichen Kinde. Gerade in den +Kinderjahren, den Jahren der Weichheit und Aufnahmefähigkeit, der +Lenkbarkeit, fehlen oft die festen Grundsätze gesunder Erziehung, +herrschen oft Willkür, Vernachlässigung und der verderbliche Einfluß der +Straße. Der Vater fehlt, die Familie fehlt. Dem Genuß eines Augenblicks +entsteigt ein neues Menschenleben, das verfehlt und verdorben ist, weil +die Verantwortung fehlte. + +Es ist oft, als sei im Geschlechtsleben das Rechtsgefühl vollkommen +geschwunden, das doch beispielsweise in den kleinsten Geschäfts- und +Geldsachen so fein entwickelt ist. Wer ein Geldstück stiehlt, kann ins +Gefängnis kommen. Wer aber im Geschlechtsleichtsinn einem andern +Menschen Glück und Namen, Ehre und Leben stiehlt, der kann sich auch +ohne viel Geschick durch die Paragraphen hindurchwinden. Die +gesetzeberatenden und gesetzemachenden Männer haben augenscheinlich zu +wenig an das Weib gedacht; denn die Rechtsprechung aller zivilisierten +Länder läßt dem Manne überall da Durchschlupfe, wo sich das Weib in den +Irrgängen der sexuellen Doppelmoral fängt. Ja, die napoleonischen +Gesetze Frankreichs zeigen eine offenbare Verachtung der Frau. Diese +Verwirrung in Geschlechtsfragen hat scheußliche Zustände gezeitigt. +Irgendein junger Mensch ist der Verführer. Seine sexuellen Wünsche sind +lebendig geworden. Er lernt ein Mädchen kennen, und seine Sinnlichkeit +treibt ihm betörende Lügen auf die Lippen. Sie glaubt ihm und wird +verführt. In irgendeinem verschwiegenen Winkel kommt sie nieder. Alle +Welt zeigt mit Fingern auf sie: »sie hat ein Kind.« Warum nicht auch auf +ihn? Es ist doch auch ~sein~ Kind. Ein uneheliches Kind kann die Ursache +sein, daß die Mutter in Ächtung, Verzweiflung und Tod getrieben wird, +daß sie ein Leben lang büßt für eine Stunde voll glühender Worte. Der +Mann aber kann am nächsten Tage die gleiche Komödie wiederholen. Und +wenn dieser brutale Egoismus soundso oft mal in das Leben von soundso +vielen Frauen zerstörend eingegriffen hat, dann deckt leicht eine +glänzende Heirat den Schleier der gesellschaftlichen Stellung über die +innere Erbärmlichkeit. + +Wo bleibt hier das Rechtsbewußtsein, die Grundlage jeder menschlichen +Gemeinschaft? Wie viele Männer gibt es, Geschäftsleute, Direktoren von +Theatern, Gesellschaften, Kaufhäusern usw., die ihre soziale Macht und +die soziale Bedrängnis ihrer Angestellten dazu ausnutzen, die hübscheren +jungen Mädchen in ihre Hand zu bekommen, die aber bei der Heirat sich +doch nach einer Frau »von gutem Ruf« umsehen. + +Welch ein beschämender Mangel an einfachem Rechtsgefühl! Mancher Mann, +der ein unschuldiges junges Mädchen zur Mutter gemacht hat, ist dadurch +wie ein wildes Tier in das Glück und den Frieden einer ganzen Familie +eingebrochen. Und doch geht uns die Phrase nicht aus den Ohren, die +Geschlechtsbeziehungen des Mannes seien weniger verhängnisvoll als +diejenigen des Weibes. + +Wenn die Mädchen, die heiraten, immer wüßten, wie sehr die häßlichen +Bilder der Vergangenheit ihres Geliebten den schönen Phrasen des +Augenblicks widersprechen, wenn sie wüßten, wieviel himmelschreiendes +Unrecht, begangen an anderen, durch die Ehe sanktioniert werden soll, +wenn sie wüßten, wie oft es vorkommt, daß abseits von dieser Ehe ein +verlassenes, verhärmtes Weib in Not und mit Bitterkeit für das Kind des +Geliebten sorgt, dann würden Schatten durch glückliche Gesichter ziehen, +und in mancher Frau würde wohl die Erkenntnis reifen, daß für das Glück +der Menschen und die Schönheit der Ehe die voreheliche Reinheit des +Mannes genau so wichtig ist, wie die Reinheit des Weibes. Immer ist die +Liebe die Lebensgestalterin. Sie gestaltet es gut oder schlecht. Darum +muß diese gestaltende Kraft rein gehalten werden. + +An der alljährlichen Zunahme der unehelichen Geburten erkennen wir die +ins Grenzenlose gewachsene geschlechtliche Gewissenlosigkeit der Jugend. +Der unehelichen Mutter hat das Kind die soziale Lage sehr erschwert. Um +so schutzbedürftiger sieht sie nach dem Manne; um so schmachvoller ist +es, wenn dieser sie verläßt. Nur die Ehe kann dem mütterlichen Weibe und +dem Kinde ein sicherer Hort sein. Darum lockern diese leichtsinnigen +Geschlechtsverbindungen das ganze Gebäude unseres sozialen Fühlens, +Denkens und Handelns. Geschlechtliche Ungebundenheit ruiniert ein Volk; +denn sie ist eine Roheit und eine Gefahr für den Nachwuchs. Sie ist ein +ununterbrochener, geheimer und niederträchtiger Kampf gegen die Einehe, +die als höchstes Sittenideal unserer in uns schlummernden Ethik +entstiegen ist. Alles, was die monogamische Ehe fördert und vorbereitet, +ist zugleich sittliche Ordnung, Festigkeit, Gesundheit, Kraft und +Menschenglück, alles, was sie stört, bringt Zerfall, Unglück, +Proletariat, Krankheit. Das ist ~das uralte und urewige Gefüge der +Natur, daß der Mann Hüter und Schützer von Weib und Kindern sein soll.~ +Mag auch die Strömung der Zeiten die Frau »emanzipieren«, ihr soziale +Selbständigkeit und Unabhängigkeit geben wollen, was vermag dies Eifern +vor dem gebietenden Wort der Natur! Das Weib ist Mutter! Das ist sein +Glück und sein Ruhm, aber auch die ewige Bedingtheit ihrer Lebensform, +ihre ewige und unabänderliche Abhängigkeit vom Mann. + +Und wer aus der traurigen Nüchternheit und grenzenlosen Banalität vieler +Ehen eine Waffe zur Bekämpfung der ehelichen Gemeinschaft überhaupt sich +herrichtet und in der »freien Liebe« das Heil sieht, der sollte sich +fragen, ob denn die freie Liebe etwas ändert an den ehernen +Naturgesetzen, die die Ehe geformt haben, sollte sich fragen, ob denn +die Menschen, deren Seelen matt sind und die kraftlos zu einem +Liebesideal aufschauen, in einer ungebundenen Liebe die Verjüngung +finden, die sie glücklicher machen kann. Das Leben bedarf so sehr dieser +ewigen Verschmelzungs- und Verjüngungsprozesse durch Mann, Weib und +Kind, daß sich die Forderung der vorehelichen Reinheit, das Ideal der +Treue und die Tatsache der monogamischen Ehe als biologische, soziale +und sittliche Grundforderungen herausgebildet haben. + +Der Vergleich mit der geschlechtlichen Wahllosigkeit mancher Ur- und +Primitivvölker ist nicht stichhaltig. Sie haben ein auf tiefster Stufe +stehendes Geistesleben und kennen darum nicht die Liebe, können uns +nicht Maßstab sein. Aber die Liebe ist durch die Jahrtausende +hindurchgeschritten und steigerte ständig ihre Seelenkraft, vertiefte +und verfeinerte sich, und ward so eine duftige Blüte zartester +Seelenkultur. Jeder rohe körperliche Akt, dem die Seele mangelt, treibt +sie wieder zurück bis dahin, wo sie angefangen. In dem unbewußten +Stammeln der im Selbstvernichtungsrausch versinkenden Liebenden »Nur +du«, »ewig du allein«, liegt unbewußt die allerstärkste Betonung der +Monogamie. + + +6. + +Vor der Ehe. + +Es kann nur ~einen~ Weg der Vorbereitung auf die glückliche Ehe geben, +das ist der der eigenen Reinheit und die bei aller unbewußten Erotik +geschlechtslose Beziehung zu Frauen. Wehe dem Manne, der im Weiblichen +nur das Geschlechtliche sehen kann, der für dies ~eine~ seinen Sinn +steigerte und für alles andere stumpf wurde. Ihm hat auch die Ehe nur +Geschlechtsinhalt. Er kennt nicht die höchsten Genüsse, die in der +innigen Ergänzung der besonderen geistigen Persönlichkeit des Mannes mit +weiblicher Art, weiblichem Denken liegt. Meide den Umgang mit wertlosen +Frauen, aber suche und pflege mit der Freundschaft zu guten Menschen +besonders die geistigen Beziehungen zu edler Weiblichkeit. Deine +Männlichkeit, dein Auftreten, deine Lebensformen werden ausreifen, wenn +der Hauch gesunder Weiblichkeit dich umweht. Kannst du deine Interessen +mit einer Freundin austauschen, so bekommt deine Anschauung noch eine +andere, sich ergänzende Richtung. + +Und siehst du in der Freundin eines Tages die Geliebte, denkst du sie +dir als Gefährtin des Lebens, nun, so war's wohl ein guter Entschluß. +Aber prüfe, ehe du dich bindest! Hast du dich entschlossen, so glaube +nur nicht, jetzt sexuelle Rechte zu haben! Gerade dies »Poussieren«, +diese häufigen Geschlechtserregungen in allen Winkeln und dunklen Ecken, +diese Liebkosungen sexueller Art sind so verderblich für das +Nervensystem. So wenig Haltung bewahren oft junge Menschen, daß sie +jedes Alleinsein zu unsauberem Denken und Tun mißbrauchen, oft nur, weil +sie zu geistlos und zu sehr ohne inneren Wert sind, als daß sie das +Alleinsein mit Schönerem ausfüllen könnten. Wenn so schon der Jugend die +Poesie gestorben ist, sollte man den Schritt zur Ehe nicht mehr wagen; +denn die Ehe wird zum Ekel. + +~Lerne bewundernd zu lieben, ohne zu begehren!~ Dann wird das, was du +liebst, dir lange, lange das Schöne bleiben! Liebe ist Wunsch, ist +Sehnsucht, ist Spannkraft der Seele. Töte das alles nicht, indem du +vorschnell an dich reißest, was deiner Sehnsucht lebendiges Ziel sein +soll. Mag auch ein sinnliches Begehren dich zu dem Mädchen, das du +liebst, hinreißen, falle ihm nicht zum Opfer. Ihr entschleiert das Bild +zu Saïs! Solange die unerfüllten sinnlichen Wünsche ~in~ dir leben, +beschwingen sie deine Liebe und treiben dir Worte der Poesie auf die +Lippen. Du siehst alles, alles schön und farbenprächtig, idealisierst +die Wirklichkeit, hast Jugend in dir; denn Jugend ist Wunsch und +poesievolle Spannung. Die befriedigte Liebe aber, wenn sie nur +körperliches Begehren war, wird arm an Worten, und es ist die tiefe +Tragik der Liebe, daß sie in ihrem höchsten Begehren stirbt. Sie kann +sich selbst bekämpfen, in der eigenen Glut aufzehren, und es braucht +klare Augen und einen festen Willen, sie in Schranken zu halten. + +Wieviel unglückliche Ehen entsteigen dieser geschlechtlichen +Voreiligkeit! Die Erregung raubt Besonnenheit und Urteil. Ein Kind ist +entstanden und treibt die zwei leichtsinnigen Menschen in die Ehe +hinein, den Mann oft gegen seinen Willen. Was freieste Entschließung und +seelische Hochspannung zweier Menschen sein sollte, wird eine +Zwangsmaßnahme, die aus innerer Angst und aus Furcht vor dem Skandal +geschah. Gerade wenn der Wunsch nach dem Weibe die Sinne füllt, sollte +man mit Entschlüssen zögern. Was wir gar zu heftig begehren, sehen wir +nur in seinen Vorzügen, nicht auch in seinen Schwächen und Mängeln. Und +manches Mädchen, das für den Geliebten »göttlich« war, wird für den +Gatten, wenn der Alltag der Ehe den Morgentau der Liebe abstreifte, mehr +als irdisch. Darum prüfe dich lange und zähme immer deine Sinnlichkeit. +Denn durchbricht sie die Schranken, so entscheidet sie oft über Dinge, +die noch gänzlich unentschieden sind, und knüpft oft ein Band, das +besser ungeknüpft bliebe. + +So betrachtet, wird dir die Liebe zur beschwingenden Kraft. Aus dem +Gegenspiel von Erotik und ihrer Beherrschung erwächst dir die Achtung +vor dir selbst und vor der Weiblichkeit. Je größer diese doppelte +Achtung ist, desto weiter rückst du ab von der Prostitution und allem, +was aus ihr entspringt und mit ihr zusammenhängt. + + +7. + +Schadet der Jugend die Enthaltsamkeit? + +Es wird viel und gern davon gesprochen, daß die geschlechtliche +Betätigung vor der Ehe eine Notwendigkeit sei, eine Forderung der +Gesundheit. Diese letztere solle Schaden nehmen in der Enthaltsamkeit. + +Die einen stellen diese These auf und verteidigen sie mit +Hartnäckigkeit, die anderen bestreiten sie energisch. Ich zögere keinen +Augenblick, zu sagen, daß es viele Fälle von Schäden der Enthaltsamkeit +gibt, Schäden, die sich bei der geistigen Arbeit, im Schlaf, im ganzen +geistigen und körperlichen Leben überhaupt zeigen. Es wäre falsch und +widerspräche der Wissenschaft und den alltäglichen Vorkommnissen, einer +sittlichen Absicht zuliebe physiologische Erscheinungen rundweg leugnen +zu wollen. Das erzeugt Widersprüche, die zu Waffen in der Hand der +Gegner werden. + +Aber derartige Schäden treten erst bei der Geschlechtsenthaltsamkeit der +Erwachsenen auf und haben für die Jahre der Entwicklung, für die Jugend, +nicht die mindeste Geltung. ~Für die Jugend ist die Enthaltsamkeit nicht +nur nicht schädlich, sondern eine Grundbedingung vollkommener +Entwicklung.~ + +In der Tierzucht ist es ein ganz selbstverständlicher Grundsatz, Tiere +niemals vor vollendeter Reife zur Geschlechtsbetätigung zuzulassen, weil +man dadurch das Tier schwächt, seine Leistungsfähigkeit (z. B. bei +Rennpferden, Jagdhunden, Lasttieren) vermindert und schließlich die +ganze Rasse herabzüchtet. Zwischen Fortpflanzungstrieb und Lebensdauer +besteht eben ein unlösbarer Zusammenhang. Ganze Völker versinken in der +Widerstandslosigkeit gegen den Geschlechtsreiz. Den Indiern hat nichts +so sehr die Kraft genommen, als die frühen Heiraten, die schon von +Kindern geschlossen werden. Es kann niemals gut sein, wenn ein Trieb +sich so entwickelt, daß er alles beherrscht. Eine Schwächung des Ganzen +muß die Folge sein. + +~Noch nie, solange die Welt steht, hat die Keuschheit so ungeheuren und +entsetzlichen Schaden angerichtet, wie die Ausschweifung.~ + +Die Schäden, von denen man spricht, sind aufgebauscht und werden zur +bequemen Entschuldigung für den Geschlechtstrieb, den zu zügeln man +nicht die Kraft und den Willen hat. In diesem Punkte gibt es so viele +Täuschungen, als es Behauptungen gibt. Denn alle die Zustände, die man +in den bequemen und gedankenlosen Begriff »nervös« zusammenfaßt, die +Unruhe, Schlaflosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, allgemeine Schlaffheit, +Verdauungsträgheit, Mißmut, Gemütsbedrücktheiten u. dergl., die fast +alle aus völlig unnatürlicher Lebensart sich ergeben, wenn die Freuden +der Tafel über die Bedürfnisse des Lebens hinausgehen und der Körper +nicht genug Bewegung hat, diese Zustände werden gern und vorschnell dem +Mangel an Geschlechtsgenuß zugeschrieben, weil man so die Sinnlichkeit, +mit Gründen wohl versorgt, auf den glatten Boden eines vergnügten Lebens +hinausschicken kann. Denn um ein Vergnügen handelt sich's wohl bei all +den jungen Männern, die ihre leichtfertigen Liebesabenteuer mit der +Flagge der bedrohten Gesundheit verteidigen. + +Die gesamte Art der Menschheit, zu leben, zu arbeiten, zu essen und zu +trinken, und demgemäß zu denken und zu fühlen, ist so grundfalsch, so +von den natürlichen Gesetzen abgewichen, auf Abwege geraten, daß auch +unser Urteil über den Geschlechtstrieb und seine Äußerungen notgedrungen +falsch sein muß. Wie kann man aus ungesunden Lebensformen physiologische +Gesetze folgern wollen? + +Es ist wohl gut, auf einige Äußerungen von Männern hinzuweisen, die auf +Grund ihres wissenschaftlichen Urteils und ihrer Lebenserfahrungen +gehört zu werden verdienen. Dabei will ich verzichten auf die Wiedergabe +des bekannten Schreibens der medizinischen Fakultät der Universität +Christiania, erstens, weil es aus dem Jahre 1887 stammt, und vor allem, +weil mehrfach angezweifelt worden ist, ob in der Tat die ~ganze~ +Fakultät es unterzeichnete. Tatsache aber bleibt, daß die jüngeren +norwegischen Ärzte in ihrem Fachblatt das erwähnte Urteil der Fakultät +zu ihrem eigenen gemacht haben. + +Der bekannte Nerven- und Irrenarzt Prof. _Dr._ ~Aug. Forel~ sagt: »Die +angebliche Nervosität resp. physische Erregbarkeit, Abspannung usw., +welche die Keuschheit nach sich ziehen soll, wird als ein Hauptargument +zur Verteidigung der staatlichen Fürsorge für weiberbedürftige Männer +herangezogen. Ich bin in meiner ärztlichen Laufbahn von zahlreichen +jungen Neurasthenikern und Hypochondern konsultiert worden, welche +früher keusch waren, erst auf ärztliche Anordnung hin Bordelle besuchten +und vielfach dort venerisch angesteckt, jedoch weder von Neurasthenie +noch von Hypochondrie kuriert wurden. Einen irgendwie nennenswerten +Erfolg von dieser Therapie habe ich selbst nie beobachtet. + +»Zweifellos dagegen ist es, daß der ausposaunte angebliche Schutz gegen +Syphilis (von einem Schutze gegen gonorrhöische Infektion wagt niemand +zu sprechen), verbunden mit den zahllosen Lockungsmitteln, welche die +in diesen Geschäften pekuniär interessierten Personen zur Vermehrung +ihrer Kundschaft anwenden, die Zahl der sich prostituierenden jungen +Männer ungeheuer steigert; es bildet sich unter denselben allmählich die +>Suggestion<, daß die Keuschheit ein unmögliches Ding sei, daß ein +keuscher Jüngling kein >Mann< sei u. dergl. mehr. -- Zwar liefert +überall die Landbevölkerung, ohne daß wir an unsere Vorfahren zu +appellieren brauchten, den Beweis, daß ohne regulierte Prostitution und +ohne Prostitutionshäuser die Männer existieren und gesund bleiben, sogar +viel gesünder werden können. Es beweisen ferner zahlreiche Einzelfälle, +daß die Keuschheit ohne Nachteil für die Gesundheit bestehen kann ... +Doch wird dies meist ignoriert. + +»Die Prostitution ist kein Heilmittel gegen die Onanie. Beide bestehen +sehr oft nebeneinander...... Tatsache ist ..., daß der Geschlechtsreiz +durch vermehrte Befriedigung sich steigert, zu einem immer häufigeren +Bedürfnis wird. Das erklärt die weitere Tatsache, daß ... sehr viel +Exzedenten daneben noch onanieren oder nächtliche Pollutionen haben... + +»~Nie habe ich eine durch Keuschheit entstandene Psychose gesehen, wohl +aber zahllose solche, die die Folgen von Syphilis und Exzessen aller Art +waren~... + +»Wir müssen dabei bleiben, daß für den jungen Mann bis zu seiner +Verehelichung die Keuschheit nicht nur ethisch und ästhetisch, sondern +auch der Prostitution gegenüber hygienisch das Zuträglichste ist.« + +Auch der hervorragende Psychiater Prof. _Dr._ ~Eulenburg~ bezweifelt in +seiner »_Neuropathia sexualis_«, »daß schon irgend jemand bei sonst +vernünftiger Lebensweise durch geschlechtliche Abstinenz allein krank, +speziell neurasthenisch oder sexual-neurasthenisch geworden ist.« Er +sagt weiter: »Ich halte diese immer wiederkehrenden, phrasenreichen +Behauptungen für völlig leeres und nichtssagendes Gerede, wobei es sich +nur um gedankenloses Miteinstimmen in den allgemeinen Chorus +oder -- noch schlimmer -- um ein bewußtes Kniebeugen vor Vorurteilen +handelt... Jene im Laienpublikum außerordentlich beliebte und leider +auch von gewissen Ärzten laut oder stillschweigend gebilligte Meinung +von der unbedingten Schädlichkeit geschlechtlicher Abstinenz wirkt zumal +auf die heranwachsende Jugend in hohem Maße verderblich; sie treibt +diese dem illegitimen Geschlechtsverkehr, d. h. der Prostitution, +geradezu in die Arme...« + +Das Wort von den Schäden durch Enthaltsamkeit ist am lautesten im Munde +derjenigen, die die Venus Anadyomene (sinnliche Liebe) kennen und ihr +nicht entsagen wollen. Sie wissen nicht, daß das zur Periodizität +neigende Rückenmark aus einem gewöhnlichen Reiz ein gebieterisches Recht +macht. Findet man nicht im Essen, im Trinken, im Rauchen und in allen +Lebensgewohnheiten genau dasselbe? Man entziehe nur einmal einem starken +Esser oder Trinker sein gewohntes Quantum, und er wird -- obwohl die +Entsagung seinem Organismus höchst dienlich ist -- Unbehaglichkeiten, ja +Qualen erleiden. So ergeht's dem Raucher, so dem Morphinisten. Ist darum +in ihren Wünschen, ihren Gefühlen, ihren Ansichten auch nur ein Schimmer +von Recht? + +Wer das Geschlechtsgefühl häufiger kennen lernte, hat seinen Organismus +sozusagen darauf eingestellt. Wie Wellenlinien durchzieht's die +Nervenzentren, periodisch sie erregend. Dann bringt zunächst die +Enthaltsamkeit Beschwerden, wie allen, die unbeherrscht und triebhaft +leben. Aber nur zunächst. Bald stellt sich das Nervensystem mit dem +ganzen Organismus auf diese neue Marschroute ein, und die inneren +Absonderungen vermehren bald merkbar die Spannkraft des Körpers und des +Geistes. Ja, wer beobachten kann, findet bald heraus, daß der die +Geschlechtskraft sparende Organismus mit einem geringeren Maß von Schlaf +und Nahrung auskommt, weil er trotz erhöhter Leistungsfähigkeit +sparsamer wirtschaftet. Für viele, viele Menschen ist der +Geschlechtsgenuß ein jedesmaliger Kraftverlust, sie erschlaffen tagelang +nachher, und Menge und Wert ihrer Arbeit leidet. Sie brauchen Tage, um +durch Ruhe und Sorgfalt in der Ernährung wieder auszugleichen, was sie +in einer Minute verloren haben. Trotzdem aber können sie nicht +loskommen von dem entnervenden Glauben an die Notwendigkeit +geschlechtlichen Lebens. + +Freilich bedingt ein so besonders beherrschtes Leben auch veränderte +Lebensgewohnheiten. Wenn du an Kopfschmerzen leidest, an unruhigem +Herzen, an Schlaflosigkeit und wüsten Träumen, oder durch Pollutionen +erschlafft wirst und in all diesen Dingen Gründe für ein voreheliches +Geschlechtsleben siehst, dann handelst du wie ein Kind, das die eine +Dummheit durch die andere beseitigen will. Du sollst deine +Eßgewohnheiten ändern, den Alkohol meiden, das Rauchen einschränken, +Gewürze und gewürzte Nahrung fortlassen und alles das beachten, was wir +schon beim Kapitel der Onanie miteinander besprochen haben. Und wenn der +Arzt in all den eben genannten Störungen die Zeichen eines zu hohen +Blutdruckes erkennt, so sollte er seinen Patienten nicht auf den +gefährlichen Weg zur Dirne senden, sondern den Blutdruck durch den +gesünderen und klügeren Rat der fleischlosen Nahrung, der Vermeidung von +Kaffee und Tee und Alkohol herabsetzen. Kann diese gedankenlose +Suggestion der Dirnennotwendigkeit sich bei der ärztlichen Autorität ihr +Lebensrecht holen, dann ist es kein Wunder, wenn die Köpfe junger Männer +erfüllt sind von wilden, ungezügelten und schmutzigen sexuellen +Vorstellungen, die den erregten Körper zu nächtlichen Samenergüssen und +damit zur Erschlaffung mit Rückenschmerzen, Verdauungsschwäche und +Melancholie treiben! Ein straffes Halt der lüsternen Phantasie gebieten, +Geist und Körper in ernste, energische Arbeit einspannen, das hält den +Geist sauber und den Körper gesund! + +In Klöstern, wo die Frauen arbeiten, hat man selten Hysterie gefunden; +bei Prostituierten dagegen ist sie häufig. + +Du wirst einsehen, daß gerade die wunderbare Tatsache der ~inneren~ +Drüsenabsonderungen der Jugend die Pflicht der Keuschheit auferlegt. +Denn der Organismus, der diese Drüsensekrete zu seiner Entwicklung +gebraucht, kann nicht zu seiner vollen Entwicklung kommen, wenn ihm +vorher das Wachstumsmaterial entzogen wird. Und wenn dem Körper die +Kraft genommen ist, wie sollte er Kraft seinen Nachkommen geben können? +Dem eigenen Leichtsinn folgt die Schwäche der Nachkommen, und sie ist +ein drückender Vorwurf für den, der noch ein Gewissen hat. + +Es ist nicht geschickt, zur eigenen Entschuldigung auf die Männer +hinzuweisen, die trotz ihrer sexuellen Ausschweifung geistig groß, +bedeutend und machtvoll waren. Denn erstens sind solche Männer in der +Minderzahl, zweitens hätten sie bei größerer Selbstzucht noch Größeres +erreicht. Die Zahl der Großen aber, die ihr persönliches Leben unter die +ordnende Macht sittlicher und gesundheitlicher Gesetze gestellt haben, +ist wesentlich größer, und man braucht nur auf ~Immanuel Kant~, auf +~A. v. Humboldt~ hinzuweisen, um sexuelle Enthaltung und geistige Größe +eindrucksvoll nebeneinander zu sehen. Jedenfalls hat frühzeitiger +Geschlechtsverkehr noch keinen großen Mann gezeitigt. Dagegen fällt das +Auge überall auf Menschen, die durch vorzeitige Vergeudung der +Zeugungskräfte an Körper und Geist verarmt und verkümmert und zu jedem +geistigen Hochflug unfähig geworden sind. + +Obermedizinalrat Prof. _Dr._ ~Gruber~ in München sagt: »An eine +Schädlichkeit der Zurückhaltung des Samens im Körper ist nicht zu +denken.« Er weist darauf hin, daß die Samenflüssigkeit, wenn sie als +Auszug aus Tierhoden unter die Menschenhaut gespritzt wird, die +Leistungsfähigkeit der Muskeln erhöht und diese sich rascher erholen. Er +weist ferner auf die Enthaltung von Gelehrten und Künstlern hin und +sagt: »Während der Zeit der Enthaltung wird sicherlich Samen aufgesaugt, +und seine Bestandteile gelangen ins Blut. Dies wirkt nicht schädlich, +sondern günstig.« -- + +Zweifellos gibt es Menschen von so heftiger geschlechtlicher Begierde, +daß sie sich wie ein Wesenszug ihrer besonderen Persönlichkeit ausprägt +und oft ihrem Handeln eine bestimmte Note gibt. Sie können sich nicht +bezähmen, sondern werden von ihrer Begierde beherrscht. Solchen Menschen +erscheint der Gedanke an geschlechtliche Entsagung lächerlich, und sie +sind es auch, die, von ihrem eigenen Zustand ausgehend, ihren +jugendlichen Kameraden die Gefahren der Keuschheit anschaulich machen +wollen. Sie geben oft einer Unterhaltung den Ton, und die anderen +schämen sich, ihre Unschuld zu zeigen oder gar zu verteidigen. Wir +wollen nicht Pharisäer sein und Steine werfen auf diejenigen, deren +heftige, unstillbare Begierde die Selbstbeherrschung übersteigt. Aber +man soll in diesen Dingen das Herdenmäßige niederhalten, damit nicht der +eine zur gefährlichen Antriebskraft für die anderen wird, die zu spät +den gefährlichen Weg, den Krankheitsjammer und das moralische Elend +erkennen, in das ihre durch ein paar verführende Worte angefachte +Sinnlichkeit sie hineingetrieben hat. Man kann, durch ein Irrlicht +geleitet, leicht in einen Sumpf geraten. Ob aber die Kraft zum +Herauskommen später noch da ist, ist nicht vorherzusagen. + +Prof. _Dr._ ~Albert Heim~ hat in einer kleinen Schrift, »Das +Geschlechtsleben des Menschen vom Standpunkt der natürlichen +Entwicklungsgeschichte«, vortrefflich nachgewiesen, daß diese sexuelle +Planlosigkeit und Willkür, die wir in der »zivilisierten« Menschheit +finden, nicht einmal beim Tiere existiert, daß für das in Freiheit +lebende Tier durchaus keine Geschlechtsfreiheit besteht, daß es vielmehr +in polygamischer oder monogamischer Ehe lebt. Er sagt: + +»Und indem allmählich die zeitliche Beschränkung der Geschlechtsliebe +auf Brunftzeiten verschwunden ist, die Zeit der Brutpflege und der +Erziehung der Nachkommen sich immer verlängert hat, wird die Familie +fester und dauernder und dadurch die ~lebenslängliche Einzelehe~ immer +~natürlich-notwendiger~. In geschichtlicher Zeit sehen wir in der +Menschheit selbst alle Stufen von Unregelmäßigkeit, polygamischer, +monogamischer Ehe sich fortschreitend entwickeln bis gegen die +Alleinherrschaft der lebenslänglichen Einzelehe in Praxis, in Sitte und +in Gesetz. Was die Natur schon am Tierreiche in verschiedenen Zweigen +aufsteigend entwickelt und mit verstärkter Notwendigkeit dem Menschen +als Erbe überbunden hat, das wird sie nicht zurücknehmen können. Es +gibt kein anderes Rückwärtsschreiten als dasjenige zum Untergang. + +»Die ~monogamische Lebensehe~ ist in ihrer Ausbildung ein allgemeines +Naturgesetz, und indem das Sittengesetz der Menschheit dieselbe fordert +und anstrebt, ist es eben nicht ein Stück »zivilisatorischer Unnatur«, +sondern ein ~Stück Natur~. ~Ein ungehemmtes Verfolgen seiner Triebe ist +kein Naturrecht. Die freie Natur gibt dies bei höheren Tieren nirgends +zu.~ Auch das Tier würde bei Geschlechtsfreiheit rasch zugrunde gehen. +Der außereheliche Geschlechtsverkehr ist in der Natur gar nicht +vorgesehen; er ist nur eine unglückliche Abirrung der Zivilisation, ein +Irrtum! Je intensiver der Geschlechtstrieb, je beseligender seine +Befriedigung wird, desto bestimmtere und engere Schranken setzt ihm die +Natur, desto höher und heiliger aber auch gestaltet sie die +geschlechtliche Verbindung; sie wird zur Liebe, zur Ehe. Beim Menschen +gibt uns Liebe und Gegenliebe, nicht der Geschlechtstrieb, Recht aus +Geschlechtsgenuß. + +»Das Gerede vieler Männer von der Unnatur der Enthaltsamkeit und der +monogamischen Lebensehe ist also eitel Säbelgerassel und steht im +grellsten Widerspruche mit den Leitlinien der natürlichen Entwicklung. +Diesem Gerede zuliebe wird die Natur nicht umkehren, sondern wer ihren +Entwicklungsgedanken zuwider lebt, der wird an seinem Laster verderben! +Aus der Natur, aus ihren Gesetzen, kommen wir nimmer heraus!« + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Dritter Teil. + +Die Geschlechtskrankheiten. + + +Ja, wenn noch aus all dieser lüstern-lockenden Welt der geschlechtlichen +Ungebundenheit Glück und Kraft und Schönheit käme! Wenn die Wege des +Genusses nicht zur Reue führten, die oft fassungslose Verzweiflung ist! +Denn das voreheliche Geschlechtsleben hat einen Januskopf. Auf der einen +Seite das lächelnde Antlitz des Augenblicksgenusses und auf der anderen +die grause Kehrseite der venerischen Krankheiten, allen voran Tripper +(Gonorrhöe) und Syphilis. Weißt du, welche Schrecken diese Krankheiten +für den Einzelnen, welche Geißel sie für das Volk sind? Ruinierte +Kräfte, zerstörte Leben auf der ganzen Linie. Nur ein paar Zahlen sollen +den Umfang der venerischen Seuche zeigen: + +Das Kultusministerium in Preußen versandte im Jahre 1900 Fragebogen, die +Geschlechtskrankheiten betreffend, an die Ärzte. Aus der Beantwortung +derselben ergab sich, daß am 30. April des genannten Jahres 41000 +Geschlechtskranke sich in ärztlicher Behandlung befanden. Darunter waren +allein 11000 an frischer Syphilis Erkrankte. Berlin zählte allein 11600, +darunter 3000 frisch Syphilitische. Es kamen somit in Preußen auf 10000 +Einwohner = 28 Geschlechtskranke, in Berlin 142. Berücksichtigt man, daß +ein Drittel aller Ärzte die Fragebogen unbeantwortet gelassen hatte, und +daß zahllose Erkrankte ohne eine Ahnung von ihrem Leiden herumlaufen +oder aber leichtsinnigerweise nicht zum Arzt gehen, so kann man sehr +wohl für Preußen eine Zahl von 100000 Geschlechtskranken am Tage +annehmen. Professor ~Brentano~ sprach 1903 in München auf dem Kongreß +der »Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten« sogar von +170000. + +Diese Krankheiten kosten dem Volke an Mindereinnahmen und Mehrausgaben +(für Behandlung) viele Millionen. + +Das Elend, das diese Zahlen in sich einschließen, ist kaum zu schildern +und hat etwas Grauenhaftes, wenn man sieht, daß ihm die Menschen mit +lächelndem Leichtsinn entgegeneilen. Denn fast alle Geschlechtskrankheiten +(90%) entstehen bei der Prostitution oder durch die flüchtigen +»Verhältnisse« mit Kellnerinnen und dergl. + +_Dr._ ~Iwan Bloch~-Berlin berichtet (»Sexualleben«), daß in Berlin +alljährlich ein Drittel aller Kellnerinnen als geschlechtskrank +aufgegriffen werden, daß unter den Geschlechtskranken folgende Skala +besteht: 30% Kellnerinnen, 25% Studenten, 16% Kaufleute, 9% Arbeiter, 4% +Soldaten. Daß die Studenten gleich hinter den Kellnerinnen stehen, +spricht für ihren bodenlosen Leichtsinn. Der verstorbene Leipziger +Nervenarzt _Dr._ ~Möbius~ sagt (»Vermischte Aufsätze«, 1898): »Der, der +Erfahrung hat, muß zugeben, daß wenigstens acht von zehn, die durch +Dirnen angesteckt worden sind, nicht durch Leidenschaft dazu gekommen +sind, sondern einfach durch Leichtsinn und Übermut, Verführung und +Betrunkenheit. Ja, viele setzen sich kaltblütig der Gefahr aus, bloß +weil man ihnen eingeredet hat, regelmäßiger Geschlechtsverkehr sei zur +Gesundheit nötig. + +»Wüßten die Leute ganz klar, wie groß die Gefahr ist, daß sie bei jedem +Verkehr mit Dirnen die Gesundheit, ja das Leben auf das Spiel setzen, so +würden gewiß viele sich zurückhalten. Deshalb halte ich es für eine +ernste Pflicht aller Wohlmeinenden und ganz besonders der Ärzte, so oft +und so nachdrücklich wie möglich die Wahrheit über die venerischen +Krankheiten anszusprechen, ja den Menschen ins Ohr zu schreien. Jeder +bedenke, welche Verantwortung er auf sich lädt, wenn er diese Dinge +leichtsinnig behandelt. Sollten Ärzte lächelnd von >Kinderkrankheiten< +reden, oder wohl gar zum Besuche der Dirnen ermuntern, so darf man von +ihnen sagen, daß sie >viel schlimmer als die Pest< wirken.« + +Weil Wissen überall die starke Waffe der Sittlichkeit ist, wollen wir +hier kurz die häufigsten und schrecklichsten Geschlechtskrankheiten +darstellen. Es sind dies 1. der Tripper (Gonorrhöe), 2. der weiche +Schanker, 3. die Syphilis. + +Der ~Tripper~ ist eine uralte Krankheit, die schon ~Moses~ zu ernsten +Maßregeln veranlaßte. Das Mittelalter hat eine große Ausdehnung des +Trippers erlebt, aber die großen Irrtümer über diese Krankheit waren für +die Kranken von sehr trüben Folgen. Klarheit brachte erst die im Jahre +1879 gemachte Entdeckung von Prof. ~Neisser~-Breslau, daß der Tripper +eine zunächst lokale Entzündung der Harnröhrenschleimhaut ist, die auf +bestimmten Mikroorganismen (Kleinwesen), den _~Gonoccoci Neisseri~_ oder +Tripperkokken, beruht. + +Es gibt keine andere Ursache für den Tripper oder die Gonorrhöe als den +Geschlechtsverkehr. Was man sonst darüber redet, ist falsch. Man kann +ohne weiteres sagen, daß alle käuflichen Dirnen geschlechtskrank sind, +und daß die sittenpolizeiliche Kontrolle (Reglementierung) nicht den +geringsten Schutz gegen die ungeheure Ansteckungsgefahr gewährleistet. + +Ein oder mehrere Tage nach der Ansteckung macht sich ein lästiges +Brennen und Jucken in der Harnröhre bemerkbar, das häufige +Gliederektionen mit erhöhtem Schmerzgefühl bewirkt und besonders beim +Harnlassen sich steigert. Zugleich beginnt ein schleimiger Ausfluß, der +in kurzer Zeit zu einem mehr oder weniger übelriechenden grünlich-gelben +Eiter wird. Die Menge dieser eiterigen Absonderung hängt von der +Heftigkeit der Erkrankung und von der gesamten Kräfte- und +Säftebeschaffenheit des Patienten ab. Die Harnröhrenmündung erscheint +gerötet. Wird bei der Untersuchung der Harn in ein Glas gelassen, so +senkt sich der Eiter darin in dicker Schicht zu Boden, und man kann die +Gonokokken darin mit Sicherheit feststellen. + +Die schmerzhaften Gliederregungen, der gestörte Schlaf, das +Angegriffensein des ganzen Nervenapparates, sind natürlich für den +Patienten sehr angreifend. Der Verlust an Säften und Kräften läßt sich +wohl auch bei jedem heftigen Tripper an dem schlechten Aussehen des +Patienten erkennen. + +Je nach Umständen läßt nach 3-4 Wochen die Heftigkeit des Ausflusses +nach. Der Eiter verliert seine Dickflüssigkeit und gewinnt wieder das +Aussehen wie zu Beginn der Krankheit; er wird wässeriger und heller. + +Es kommt vor, daß ein leichter Tripper verhältnismäßig lange Zeit +besteht und hartnäckig erscheint, daß aber andrerseits hin und wieder +ein sehr heftig auftretender Tripper in kurzer Zeit verschwindet. Das +hängt ganz von Konstitution und Lebensweise und von der im Körper +wirkenden Heilkraft ab. + +Meist hat der Tripper seinen Sitz zunächst in dem vorderen Teil der +Harnröhre. Durch unrichtiges Verhalten, vor allem durch unzweckmäßige +Behandlung, verbreitet er sich aber über den hinteren Teil der +Harnröhre, und damit beginnt sein ernster Charakter, beginnen die +Gefahren des Blasenkatarrhs, der Nebenhoden- und Prostataentzündung usw. +Jetzt können Schäden entstehen, die im ganzen Leben nicht wieder +gutzumachen sind, wenn nicht mit allem Ernst die Behandlung in die Wege +geführt wird. + +Wird die zweckmäßige Behandlung versäumt, so geht der frische (akute) +Tripper in das chronische Stadium über. Damit gewinnt diese Krankheit +ihren wahrhaft heimtückischen Charakter. Man kann deshalb nicht ernst +genug raten, sofort nach dem Ausbruch der Krankheit einen Arzt +aufzusuchen. Warnen muß man vor allem vor der Selbstbehandlung, die +junge Männer auf den Rat »erfahrener« Freunde beginnen, weil sie sich +schämen, zum Arzte zu gehen, oder weil sie Störungen in ihrem Berufe und +Entdeckungen seitens der Angehörigen fürchten. Wer sich nicht schämte, +sich die Krankheit bei der Dirne oder einem sonstwie unerlaubten +Geschlechtsumgang zu holen, der sollte auch den Mut besitzen, sich durch +einen erfahrenen Arzt ausheilen zu lassen, um sich selbst und seine +spätere Familie vor schlimmen Folgen zu bewahren. Die Selbstbehandlung +ist ein Leichtsinn und eine Unklugheit, weil durch sie oft die +Krankheit erst ins chronische Stadium hineingetrieben wird. Übrigens +schützt das ärztliche Berufsgeheimnis den Patienten vor jedem bösen +Klatsch und vor gesellschaftlicher Ächtung. Das ist bei der herrschenden +besonderen Auffassung der Geschlechtskrankheiten doppelt wichtig. +Zwischen der medikamentösen Behandlungsweise und der naturgemäßen +entscheide ich mich unbedingt für die letztere, die in der ärztlichen +Praxis mehr und mehr an Anerkennung und Würdigung gewinnt. + +Ist der Tripper erst einmal chronisch geworden, so bietet er der +Behandlung weit größere Schwierigkeiten. Im allgemeinen kann man die +Erkrankung als chronisch ansehen, wenn sie einer zweckmäßigen Behandlung +nicht innerhalb drei Monaten weicht. Dann wird der Tripper zu einem +langwierigen, schleichenden Leiden, das monate- und jahrelang, ja durchs +ganze Leben hindurch bestehen und schließlich tödliche Erkrankungen +hervorrufen kann. Jedenfalls haben die neueren klinischen Erfahrungen +das Gesamtbild des Trippers ganz wesentlich gefahrvoller erscheinen +lassen, als man es früher glaubte. Subjektiv sind die Beschwerden +zunächst nicht sonderlich groß und bestehen im wesentlichen darin, daß +morgens die Harnröhrenmündung verklebt ist und auf Druck einen +grau-weißlichen Schleimtropfen absondert, in welchem die +bakteriologische Untersuchung manchmal Gonokokken, manchmal aber auch +nur Eiter nachzuweisen vermag. Das Urinieren ruft häufig, besonders nach +dem Genuß scharfer Speisen, Schmerzen hervor. + +Was aber dem chronischen Tripper erst seinen heimtückischen Charakter +gibt, das sind seine Folgeerscheinungen, von denen vorerst die +gefährlichen Strukturen, das sind Verengerungen der Harnröhre durch +Bindegewebswucherungen, zu nennen sind. Dieselben sind oft ungeheuer +schmerzhaft, erschweren das Harnlassen und können zu schweren +Nervenstörungen führen. + +Zum zweiten ist zu nennen die sogenannte ~Prostatitis~; das ist eine +Entzündung der zwischen Harnröhre und Blase liegenden Vorsteherdrüse, +die große Schmerzen hervorruft und mit einem starken Eiterausbruch +endet. Auch diese Krankheit kann chronisch werden und ist dann +verhängnisvoll für die Geschlechtstätigkeit, da sie sexuelle +Neurasthenie hervorrufen kann. + +Bei Vernachlässigung, namentlich aber bei der leichtsinnigen +Selbstbehandlung und dem Gebrauch innerlicher, reizender Mittel, +schließt sich dem Tripper ein ~Blasenkatarrh~ an, ein im akuten Stadium +äußerst schmerzhaftes Leiden, das mit fortwährendem Harndrang verbunden +ist und sehr leicht chronisch werden kann. Dann kann es monate- und +jahrelang bestehen, ja während des ganzen Lebens eine Schwächung der +Blase und ihres Schließmuskels hinterlassen und so zu einem ganz +außerordentlich lästigen und hinderlichen Leiden werden. Ja, in der +chronisch erkrankten Blase bildet sich der entsetzlich schmerzhafte +Blasenstein, der die den Strukturen folgende Harnverhaltung unter +Umständen zur Ursache schwerster Blutvergiftungen, Vereiterungen und +tödlicher Prozesse werden lassen kann. + +Zu den schlimmsten Folgekrankheiten des Trippers gehört die +~Nebenhodenentzündung~, bei der im Zeitraum von einem oder mehreren +Tagen einer der beiden Hoden anschwillt auf das Zwei- und Dreifache +seiner normalen Größe, sich heiß und äußerst schmerzhaft anfühlt und das +Gehen, sowie jede Bewegung unmöglich macht. Wird die Behandlung dieses +Entzündungsprozesses nicht energisch, bei völliger Bettruhe, in die Hand +genommen, so bleiben Verhärtungen zurück, die jahrelang oder auch +während des ganzen Lebens bestehen bleiben. + +Vor allem aber besteht die Gefahr, daß die Entzündung ~beide~ Hoden +ergreift und dann durch Zerstörung des Hodengewebes, das wir als die +Brutstätte der befruchtenden Samenzellen anzusehen haben, zur dauernden +Unfruchtbarkeit führt. Das geschieht tatsächlich in 85% aller Fälle von +doppelseitiger Hodenentzündung. Man stellt dann entweder ~Azoospermie~ +fest, d. i. gänzliches Fehlen von Samenfäden (Spermatozoen), oder aber +unbewegliche, also tote, zur Befruchtung unfähige Samenfäden. + +So kann der Leichtsinn des vor- und außerehelichen Geschlechtslebens +eine fürchterliche Strafe finden, kann ein Augenblick der ungezügelten +Sinnlichkeit, der zum Haus der Dirne trieb oder eine jener zufälligen +und wahllosen Geschlechtsverbindungen bewirkte, mit dem Verlöschen der +Zeugungsfähigkeit enden. Das Wort »Vater« verliert seinen Klang, und +alles, was es an Schönheit und Freude in sich einschließt, ist begraben, +ehe es ins Leben treten kann. Die edelste Kraft wird eingebüßt, und +diese Möglichkeit allein müßte jeden Leichtsinn im Keim ersticken. + +Aber mit diesen festumrissenen Folgekrankheiten erschöpft sich der +Tripper nicht, und wir werden noch sehen, welch ein furchtbarer +Leichtsinn es ist, vom Tripper lächelnd als von einer »Kinderkrankheit« +zu reden, wie es unter jungen Leuten oft geschieht. Es besteht ja die +verhängnisvolle Anschauung, daß man einmal ein »kleines Tripperchen« +gehabt haben müsse, um gegen spätere Ansteckungen gefeit zu sein. Das +direkte Gegenteil ist richtig; denn wer einmal einen Tripper hatte, +neigt in außerordentlichem Maße zu weiteren Ansteckungen, weil die +Schleimhäute ihre Widerstands- und Abwehrkraft eingebüßt haben. + +Leider bleibt der Tripper nicht einmal auf die Entzündung der +Geschlechtsorgane beschränkt; vielmehr wird durch den Blut- und +Säftestrom das Trippergift überall im Körper umhergetragen und kann an +allen Organen schwere Entzündungen hervorrufen. Seit man bei gewissen +Krankheitsformen den ~Neisserschen~ Gonokokkus gefunden hat, liegen die +Zusammenhänge klar zutage. Darüber sagt Prof. Dr. ~Wyß~-Zürich[5]: + + »So ist vor allem der Tripperrheumatismus als eine sicher durch + Transport von Gonokokken durch die Blutbahn von der erkrankten + Schleimhaut der Harnröhre nach den serösen Häuten der Gelenke + bedingte Entzündung anzusehen; wir verstehen, daß auch andere + seröse Häute erkranken können; wir wissen, daß gewisse schwere + Entzündungen der Herzklappen unter Umständen mit all ihren weiteren + Komplikationen: Nierenerkrankungen, Gehirnerkrankungen, + Lungenerkrankungen usw., die Folge einer Gonorrhöe sind; doch auch + ohne Beteiligung des Herzens können akute eiterige Entzündungen im + Gehirn und Rückenmark oder deren Häuten durch den Gonokokkus sich + ereignen und unrettbar den Tod herbeiführen. Gewisse Nasen- und + Ohrenerkrankungen, Dickdarmerkrankungen, Speicheldrüsen- und + Knochenhautentzündungen sind durch ihn bedingt. Somit ist der + Tripper für den Mann oft als eine lebensgefährliche Krankheit + erkannt worden, und zwar zuweilen selbst dann noch, wo er örtlich + keine Erscheinungen mehr oder nur noch ganz unbedeutende gemacht + hat.« -- + +Bliebe der Tripper auf sich selbst beschränkt, so könnte man den +Gedanken hegen, daß der Schuldige büßen muß für Unwissenheit, Fehl, +Leichtsinn und Gewissenlosigkeit. Zwar ist oft die Strafe zu hart; denn +nicht immer ist der Einzelne schuld an seinem Tun, wenn ihm ein +warnendes Wort von Eltern und Lehrern fehlte. Und wenn die alkoholische +Lustigkeit einer Tafelrunde bei der Dirne endete, so büßen viele ihr +Leben lang den Augenblick des Leichtsinns, der ausreichte, eine +Geschlechtskrankheit zu übertragen. Mit Tränen in den Augen haben sie +oft vor mir gestanden, die jungen Männer, die körperlich und seelisch an +der geheimen Häßlichkeit ihrer venerischen Krankheit leiden. Gar zu hart +hatte sie's betroffen. + +Was aber sollen wir sagen, wenn die Unschuldigen leiden müssen, büßen +für den Leichtsinn eines andern, büßen ein Leben lang, büßen ohne +Schuld, leiden, wo sie liebten oder wo die Liebe ihnen das Leben gab? +Denn der Tripper ist ansteckend, ist übertragbar auf die Frau, die +liebend und voll Vertrauen dem Manne in die Ehe folgt und von demselben +Manne, dem sie all ihre Jugend, ihre Frische dargeboten, den +Krankheitskeim empfängt, der sie von der gleichen Stunde ab zur +leidgequälten Frau macht. + +Das Gefährliche des weiblichen Trippers besteht darin, daß er sich nicht +auf die Harnröhre beschränkt, sondern alle äußeren und inneren +Geschlechtsteile auf das heftigste erfassen kann. Das alles sind äußerst +schmerzhafte, quälende, störende Leiden, die sehr verschiedenartige +Erscheinungen machen können, so daß man früher oft eine andere Diagnose +stellte, wo heute eine Tripperansteckung zweifelsfrei feststeht. + +Ja, von den sogenannten »Frauenleiden« beruhen drei Viertel wohl auf +nichts anderem, als auf venerischer Ansteckung durch den Mann. Denn der +Tripper geht tiefer in die inneren Organe hinein und befällt besonders +die Gebärmutter, am Hals derselben beginnend und allmählich sie ganz +überziehend, so daß in solchen Fällen die Unfruchtbarkeit der Frau eine +unausbleibliche Folge ist. + +Wieviel Jammer und Tränen hängen mit dem Worte Unfruchtbarkeit zusammen! +Wieviel ungestillte Muttersehnsucht, wieviel bittere Entsagung schließt +es in sich ein! Ich habe Frauen gesehen, die weinten, wenn sie Kinder +sahen, sie herzten und küßten, weil ihnen selbst dies größte Frauenglück +versagt geblieben war. Und wie oft regnet es Vorwürfe von seiten des +Mannes auf die arme Frau herab, deren Herz nach einem Kindchen jammert, +deren mütterliche Kraft aber im Keim erstickt wurde durch eine +Tripperinfektion. Entweder leidet der Mann an Azoospermie (Fehlen von +Samentierchen) infolge von tripperhafter Hodenentzündung, oder aber die +inneren Organe der Frau sind durch die Ansteckung angegriffen. + +Die heimtückische chronische Form des Trippers bietet selbst beim +Schwinden der Symptome keine unbedingte Sicherheit für den Glauben an +Heilung. Chronische Tripper können in furchtbarer Heftigkeit wieder akut +werden. Ja, es kommt vor, daß ein chronisch tripperkranker Mann mit +einer Frau Umgang hat, diese aber gesund bleibt, und die abgelagerten +Gonokokken beim nächsten Mal rückwirkend beim Manne einen akuten Tripper +erzeugen. + +Unwissenheit und Schamgefühl hindern das weibliche Geschlecht mehr noch +als das männliche, den Tripper gleich nach Ausbruch ärztlich behandeln +zu lassen. Das ist der Grund, warum der Tripper bei der Frau so +verheerend wirkt. Denken wir nun daran, daß der Tripper so ungeheuer +verbreitet ist, daß nach den Angaben des amerikanischen Arztes +~Noegerath~ von 1000 Männern 800 einmal in ihrem Leben an Tripper +erkrankt gewesen sind, und daß die meisten davon ihn nie wieder +verloren, so sehen wir mit einem Schlage, daß es sich hier nicht um eine +Einzelkrankheit handelt, der man bisher mit lächelndem Spott +gegenübergestanden hat, sondern um eine furchtbare Seuche, die der +Kraft eines ganzen Volkes Wunden schlägt. Man lachte über ~Noegerath~, +hielt ihn für einen ideologischen Schwarzseher. Aber seine aus der +Praxis des Arztes gewonnenen unerbittlichen Zahlen vermochten doch +schließlich unter den deutschen Ärzten den Indifferentismus und den +Gleichmut zu beseitigen, womit man bisher diesen Dingen gegenüberstand. +Man sah genauer hin, beobachtete schärfer, arbeitete gleichfalls +statistisch und -- fand, daß ~Noegerath~ recht hatte. Man erkannte mit +einem Male, daß man mit der angeblichen Heilbarkeit des Trippers gar zu +optimistisch umgegangen war, daß der Tripper geradezu ungeheuer häufig +chronisch wird und auch dann noch bestehen kann, wenn ihn selbst der +Arzt für geheilt erklärt, daß er dann noch ansteckend auf die Frau oder +auf den Mann wirkt. Man sah von da ab auch die Frauenleiden mit ganz +anderen Augen an und fand in weit größerem Umfange als bisher als +Ursache -- den Tripper. Von den leichten Formen des Weißflusses an, der +sich oft schon ganz kurz nach der Hochzeit einstellt, bis zu den +schweren Entzündungen der Eileiter, Eierstöcke, der Gebärmutter und +selbst des Bauchfells, überall fand man den Gonokokkus, und -- manches +Rätsel war gelöst. + +Prof. _Dr._ ~Wyß~-Zürich sagt darüber[6]: + + »Während der Geschlechtsapparat des Mannes nach dem Bauchfellraum + hin abgeschlossen ist, kommunizieren die inneren Schleimhäute der + Geschlechtsorgane im weiblichen Organismus direkt mit dem + Peritoneal- oder Bauchfellsack. Infolgedessen greift der + Entzündungsprozeß, den der Tripper auf der Schleimhaut des + Geschlechtsapparates der Frau erzeugt, leicht auch auf das + Bauchfell über. Sowohl für sich, als auch in Verbindung mit anderen + Mikroben (Bakterien) werden dadurch akute und chronische + Entzündungs- und Eiterungsprozesse bedingt, welche die Frau schwer + erkranken machen, und welche leider oft in kürzerer oder erst nach + längerer Zeit den Tod herbeiführen, mindestens aber monate-, ja + jahrelanges Kranksein und oft fürs ganze Leben Leidendsein + bedingen. Da diese Zustände oft einsetzen im Anschluß an eine + Geburt oder einen anderen physiologischen oder auch pathologischen + Vorgang (Menstruation, Abortus, vorzeitige Geburt), so hat man + früher, als man die Krankheitserreger noch nicht kannte, jene + Vorgänge der Ätiologie beschuldigt, die wahre Ursache nicht + erkannt. Erst seit der Gonokokkus in solchen Entzündungsprodukten + mikroskopisch nachgewiesen werden konnte, ist man auf die richtige + Fährte gelangt und weiß man, daß viele früher auf eine »böse + Geburt« zurückgeführten tödlichen Erkrankungen oder heutzutage + oftmals zu schweren Operationen oder in anderen Fällen auch + wiederum zu langem Siechtum führenden Affektionen junger, + blühender, bis zu ihrer Verheiratung absolut gesunder Frauen -- auf + einen nicht ausgeheilten oder geheilt erschienenen Tripper des + Herrn Gemahls zurückzuführen sind.« + +So finden wir's in allen Gesellschaftsschichten. Wann wird es eines +Tages gelingen, diese fürchterlichen Tatsachen in die Herzen der +männlichen Jugend einzugraben, damit sie abläßt vom gewissenlosen +geschlechtlichen Leichtsinn! In die Ohren müßten wir's ihr +hineinschreien, wieviel Jammer das sexuelle »Amüsement« in die Welt +bringt. Als Prof. ~Bumm~ in Leipzig einst unter den Hörern seines +Kollegs Fragezettel bezüglich eines etwaigen Trippers verteilte, +antworteten 36 von 53 Studenten mit »Ja«. Das waren 70%. Die übrigen 30% +werden ihn leider früher oder später auch noch bekommen haben. + +Wie viele von diesen Trippern bleiben ungeheilt, werden chronisch und +richten in der Ehe körperliche und seelische Verwüstung an! ~Noegerath~ +hält den Tripper überhaupt für -- unheilbar!!! Das ist zum Teil die +Folge seines medikament-medizinischen Standpunktes, den wir nicht +teilen. Aber daß überhaupt ein ernster Forscher und warmherziger +Menschenfreund wie ~Noegerath~ zu einer solch furchtbaren Auffassung +kommt, das ist's, was uns erschreckt. + +Tatsächlich trotzen viele Tripper jeder Behandlung. Der Patient ist eine +Zeitlang trostlos. Dann gewöhnt er sich an den Krankheitszustand, hält +ihn für immer weniger ernst, heiratet und -- steckt seine Frau an. Damit +beginnt dann für die Frau und für die Ehe die lange Leidenskette, +schwere Unterleibsleiden und unter Umständen Unfruchtbarkeit. + +Prof. ~Flesch~-Frankfurt a. M. sagt: »In meiner ärztlichen Tätigkeit +habe ich es nur zu oft erlebt, daß unglückliche Frauen der ärmeren +Klassen, wenn Hunger und Sorge wegen ihrer andauernden Arbeitslosigkeit +>wegen Unterleibsentzündung< eingezogen waren, daß Frauen der +bemittelten Klassen, wenn Kinderlosigkeit die Ehe vergiftete, sich den +Tod herbeiwünschten, sich den schwersten Operationen unterzogen, und +ihre Männer noch um Verzeihung baten, weil sie ihren Mann unglücklich +machten. Und der um Vergebung Angeflehte war fast immer, ohne es zu +ahnen, der Urheber des Unglücks.« + +Aber auch damit macht der Tripper nicht halt. Das Trippergift, das in +den Geburtswegen einer Frau abgelagert ist, kann während des +Geburtsaktes in die Augen des Kindes kommen. Dann entsteht eine +Bindehautentzündung, die das Augenlicht zerstört. 60 von 100 Blinden +haben ihr namenloses Unglück aus dieser lebentötenden Quelle. Gibt es +Worte für soviel Jammer? Tausende büßen mit Blindheit den +Jugendleichtsinn ihrer Väter. + +Und dieses gedankenlose »Vorleben« wird immer noch entschuldigt! Immer +noch finden sich Stimmen, die von »Männlichkeit« sprechen, wenn ein +junger Mann geheime Wege geht. Wären diese qualvollen »Frauenleiden« +nicht allesamt vorher »Männerleiden«, oder bliebe die Krankheit auf den +Mann beschränkt, so könnte er sündigen, wenn er für sich allein büßen +will. Aber Unschuldige büßen! Unschuldige zu Hunderttausenden! Hört +ihr's, ihr jungen Männer? Laßt dies Leid der Unschuldigen nicht größer +werden! Das junge Mädchen, das still und in den Träumen der Jugend im +Elternhaus lebte, vergiftet ihr! Ihre Augen leuchten, wenn ihr +Liebesworte sprecht! Und ihr Herz weiß nicht, was ein junger Mann im +Haus der Dirne sah und tat. Es liegt ein böses, aufreizendes Unrecht in +diesem Vorleben. Mit einer niederträchtigen Disharmonie beginnt die Ehe: +~sie~ geschlechtlich unschuldig oder harmlos, ~er~ weiterfahren, sexuell +blasiert und -- mit einem chronischen Tripper behaftet. Nach kurzer Ehe +sind die frohen Hoffnungen der Brautzeit zusammengefallen. Aus dem +fröhlichen Mädchen wurde eine müde, kranke Frau, gereizt, übellaunig +oder todestraurig. Wir denken an das Wort ~Noegeraths~, der sagte: »Es +ist so weit gekommen, daß junge Damen sich fürchten, in die Ehe zu +treten, weil sie wissen, daß alle ihre Bekannten erkrankt und nicht +wieder gesund geworden sind.« + +Die zweite in dem Trio der Geschlechtskrankheiten ist + + ~der weiche Schanker~ (_Ulcus molle_). + +Er ist ein meist an der Eichel oder der Vorhaut des Geschlechtsgliedes +durch Ansteckung beim Geschlechtsverkehr entstehendes Geschwür, das ein +bis fünf Tage nach der Ansteckung sich mit Jucken und Brennen bildet und +meist eine durch Unreinlichkeit oder sonstwie verletzte, eingerissene +Stelle der Schleimhaut zur Voraussetzung hat. Bei Sauberkeit und +unverletzter Schleimhaut findet das Schankergift keinen Eingang. + +An der entzündlich geröteten Ansteckungsstelle bildet sich ein Bläschen, +das nach seinem Zerfall einen Eiter absondert und einen wulstigen aber +weichen, ein wenig ausgezackten Rand bildet. (Das syphilitische +Erstgeschwür hat harte Ränder; daher »harter Schanker« genannt.) + +Sehr häufig schwellen die Drüsen in der Schenkelbeuge, die sogenannten +Leistendrüsen, an (Bubonen), ja, es kann zu Vereiterungen derselben und +zum Durchbruch des Eiters nach außen kommen. + +Ist auch der weiche Schanker nicht von so ernstem und gefährlichem +Charakter wie der harte, so darf er doch nicht leichtsinnig aufgefaßt +werden, weil einerseits üble und häßliche Folgeerscheinungen auftreten +können, wie namentlich der phagedänische (d. i. der weiterfressende, +gewebszerstörende) Schanker, und andrerseits alle venerischen +Krankheiten so merkwürdig vielgestaltig auftreten, daß selbst der +erfahrene Arzt nicht sicher vor Täuschungen bleibt. + +Konstitution und zweckmäßiges Verhalten entscheiden darüber, ob der +weiche Schanker harmlos bleibt und schnell ausheilt, oder ob er der +Ausheilung hartnäckigen Widerstand entgegensetzt. + +Unsere ganz besondere Aufmerksamkeit aber verlangt + + ~die Syphilis~ (_Lues venera_), + +zumal ihr Charakterbild nach jeder Richtung hin in der Geschichte und in +der Gegenwart schwankt. + +Die Erscheinung der Syphilis ist der sogenannte ~harte Schanker~ (_Ulcus +dure_), der in den weitaus meisten Fällen durch den geschlechtlichen +Verkehr mit einer syphilitischen Person entsteht, und zwar dadurch, daß +das syphilitische Gift durch eine kleine Schrunde, einen kleinen Riß in +der Haut eintritt. Die Möglichkeit, daß eine solche kleine +Hautverletzung besteht oder beim Geschlechtsumgang entsteht, ist +allerdings so groß, und die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis so +ungeheuer, daß der geschlechtlichen Verbindung mit einer syphilitisch +kranken Person fast stets eine Ansteckung folgt. + +Das Ansteckungsfeld ist zumeist der uneheliche Geschlechtsverkehr. _Dr._ +~Blaschko~-Berlin erzählt, daß einmal von 1129 Geschlechtskranken in +seiner Poliklinik (1009 Männer und 120 Frauen) die Männer ihre Syphilis +fast ausschließlich außerhalb der Ehe, die Frauen innerhalb der Ehe von +den Männern erworben hatten. Welch eine furchtbare Anklage bedeutet das +für den Mann, welch ein entsetzliches Martyrium schließt das für die +Frau ein! Der Jugendleichtsinn des Mannes, den Weib und Kind in der Ehe +büßen müssen! + +Die Verbreitung der Syphilis hat Zahlen angenommen, die Entsetzen +wecken. + +Sie ist eine der furchtbarsten Volkskrankheiten geworden, die das +Interesse der ärztlichen Wissenschaft und der behördlichen Organe +unausgesetzt beschäftigt. Unsummen gehen in Heilungskosten auf, und das +Ende dieses unseligen Zerstörungsprozesses in der Menschheit ist nicht +abzusehen. + +In großen Städten schleicht das Gespenst der Syphilis durch alle Straßen. +Wo die Menschen dichter zusammenwohnen, steigert sich das Leben, vermehren +sich auch die Krankheiten. Und die Prostitution, die die Moral der Männer +verschlingt, speit dafür die Geschlechtskrankheiten, Tripper und Syphilis, +auf die Menschheit aus. + +Dieser Gifthauch trifft auch die Bewohner des Landes, dessen junge Söhne +in den Städten als Soldat dienen oder ein Handwerk, ein Geschäft lernen +und ausüben oder die Schulen, die Universität besuchen und mit der +Kultur der Stadt auch die Syphilis in die Heimat bringt. Der vierjährige +Feldzug hat die Zahlen der Geschlechtskrankheiten ins Fürchterliche +gesteigert. + +Die Syphilis beginnt mit einem kleinen Knötchen, das 2-4 Wochen nach +erfolgter Ansteckung auftritt (sogenannter Primäraffekt) und bald zu +zerfallen beginnt. Dabei bildet sich ein tiefer fressender Untergrund +und ein etwas erhöhter Randwulst. Beide sind hart, weshalb man hier vom +harten Schanker spricht. Auch Schwellungen der Leistendrüsen stellen +sich ein. + +Die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis ist eine ganz außerordentliche. +Jedes Hautritzchen genügt, um das syphilitische Gift eindringen zu +lassen, und zwar nicht nur an den Geschlechtsteilen, sondern überall am +Körper. Es gibt demnach eine außergeschlechtliche Syphilis, die bei 4% +aller Syphilitiker vorliegt. Dieselbe wird ungemein leicht erworben, +beispielsweise durch Küssen, Händedrücken, durch Benutzung von +Handtüchern, Bettwäsche, Kissen, Polstern usw., die vorher mit +syphilitischen Geschwüren in Berührung kamen. + +Eine sekundenlange Berührung genügt -- und das Gift ist in den Körper +eingedrungen und spielt seine verderbliche Rolle. Wenn's Schuld war, +kann man von Sühne sprechen. Was aber sagt ihr zu den Unglücklichen, die +ohne Schuld, ganz ohne Liebe und Geschlechtsumgang die Syphilis +erwarben? Die unwissend, schuldlos und wehrlos ein zerstörendes Gift +empfangen und es womöglich monate- und jahrelang in sich tragen, ohne +den Charakter der Leiden zu ahnen, die sie nacheinander heimsuchen? + +Ist das syphilitische Erstgeschwür ausgeheilt, so beginnt etwa nach 8-10 +Wochen die sekundäre Syphilis, meist als roter Fleckenausschlag, als +Knötchen (Papeln) oder eiterige Pusteln, die sich über den ganzen Körper +verbreiten und namentlich in Hautfalten (Schenkelbeuge, +Geschlechtsgegend, zwischen den Fingern usw.) als nässende Wunden +auftreten können. Die Absonderungen dieser Ausschläge haben eine starke +Ansteckungsfähigkeit. Dazu gesellt sich ein Schorf auf der behaarten +Kopfhaut, der das Haar büschelweise zum Ausfallen bringen kann. + +Dazu stellt sich Fieber ein, Mattigkeit, Abgeschlagenheit der Glieder, +rheumatismusähnliche Schmerzen in den Gelenken und den Knochen (namentlich +in den langen Arm- und Schenkelknochen), am Tage Frostschauer und in der +Nacht Schweiße, dazu schwere Gemütsverstimmungen. + +In den Schleimhäuten zeigen sich vielerlei Störungen, vom einfachsten +Katarrh angefangen bis zu den Papeln, die zu eiterigen Wucherungen +(sogenannten Kondylomen) werden können. Diese treten vor allem gern im +Rachen und im Munde auf und haben eine ungeheure Ansteckungsfähigkeit. +Nie ist beim Besuch einer Prostituierten der Besucher sicher, daß nicht +irgendwo am Körper ein Kondylom ihm die tückische Krankheit überträgt. + +Häßlicher und schlimmer noch sind die syphilitischen Geschwüre, die noch +in dem sekundären Stadium auftreten und als schmerzhafte +Gewebszerstörungen überall im und am Körper auftreten können. So +namentlich an den Nasenflügeln und dem Nasensteg, in den Mundwinkeln, am +Zahnfleisch, an der Zunge, den Stimmbändern, dem Zäpfchen usw. Wie viele +Redner, Sänger, Schauspieler usw. haben schon durch diese fressenden +Geschwüre ihre Stimme und damit ihre Existenz und ihre Lebensfreudigkeit +verloren! Wieviel Entstellungen des Gesichts, wieviel Sprachstörungen +haben allein diese Ursache! Wohl selten ahnt jemand, daß der +leichtfertige Augenblicksgenuß bei der Dirne oder das zufällige +Geschlechtserlebnis der Straße ein so grauenhaftes Ende nehmen kann. + +Manchmal, wenn der Kranke sich schon ganz oder fast ganz geheilt glaubt, +bricht mit einem Male die Krankheit in voller Stärke wieder aus. Der +ganze körperliche und seelische Jammer ist wieder da, und es ist wohl zu +verstehen, von welch grenzenloser, dumpfer Verzweiflung oft die +Unglücklichen befallen werden. + +Glaubt man aber die sekundäre Syphilis völlig geheilt, ja, versichert +sogar der Arzt, daß sie völlig geheilt sei, so liegt auch darin nicht +eine Spur von Sicherheit; denn nach Jahren oder Jahrzehnten bricht die +Syphilis mit völlig verändertem Charakter wieder aus und wird dann in +der Tat furchtbar. Sie ist in ihr drittes (tertiäres) Stadium +eingetreten und nimmt insofern einen gänzlich anderen Weg, als die +sekundäre Syphilis ausschließlich die Haut und die Schleimhäute befällt, +während im tertiären Stadium vorwiegend die inneren Organe (Knochenhaut, +Muskeln, Darmsystem, Leber, Nieren, Lungen, Gehirn und das ganze +Nervensystem) erkranken. + +Bei der tertiären Syphilis erscheinen runde oder ovale Papeln, die bald +geschwürig zerfallen und rotbraune Färbung gewinnen. Man nennt solch ein +Geschwür Gumma. Mehrere Gummata können zu einem einzigen Geschwür sich +vereinigen, das sich tief in das Gewebe hineinfrißt. + +Das ist gerade das Entsetzliche dieser Gummata, daß sie die tieferen +Gewebsschichten und die inneren Organe angreifen und diese zu +geschwürigem Zerfall bringen. + +So wird häufig die Nasenscheidewand durchgefressen, und die im Innern +abgefressenen Gewebsteile werden beim Räuspern oder Husten ausgestoßen. +Von den vorkommenden Kehlkopfzerstörungen ist wohl ein reichliches Teil +auf tertiäre Syphilis zurückzuführen. Die schrecklichen und widerlichen +Verwüstungen der Nase kann man ja hin und wieder auf der Straße +beobachten. + +Die Knochen erfahren Auftreibungen und Verdickungen und werden +stellenweise ausgefressen, ausgehöhlt, so daß dauernde und auffallende +Veränderungen zurückbleiben. Ja, es kann beispielsweise der lange +Unterschenkelknochen so weit durchgefressen werden, daß er bei +irgendeiner Gelegenheit bricht. + +Besonders schmerzhaft und gefährlich ist das Gumma, wenn es am +Schädelknochen sitzt. Dann frißt es sich bis zu den Hirnhäuten durch, +durchlöchert also die Schädeldecke und kann das Leben zerstören. + +Schwere Nieren-, Leber-, Lungen- und Herzerkrankungen treten bei der +tertiären Syphilis auf und können gleichfalls den Tod herbeiführen. + +Ergreift die tertiäre Syphilis das zentrale Nervensystem, so ist der +Kranke unrettbar dem Tode verfallen. Das am Schädel sitzende Gumma frißt +sich durch den Knochen hindurch oder treibt ihn auf; daraus erklären +sich die Vorboten jener fürchterlichen Krankheit, der Gehirnerweichung, +die wohl in den meisten Fällen den Charakter der tertiären Syphilis +trägt. Diese Vorboten sind: dauernder Kopfschmerz, Schwindel, +Ohnmachtsanfälle, Gedächtnisschwäche, tiefe Gemütsverstimmung und die +lange Reihe jener merkwürdigen, unüberlegten und sinnlosen Handlungen, +die oft bei einem früher klugen, geistvollen Menschen auftreten und den +Gehirnparalytiker verraten, ehe noch die schreckliche Krankheit zum +furchtbaren Ausbruch kommt. Daß ein sonst sparsamer Mann auf einmal ein +unruhiger Verschwender wird, ein sittenstrenger Mann zum wüsten, +ausschweifenden Erotiker, erklärt sich nur durch teilweisen und +fortschreitenden Verfall des Gehirns. + +Bei der Rückenmarksschwindsucht ist ihr Zusammenhang mit der Syphilis +(oder mit ihrer Quecksilberbehandlung?) so offenbar, daß man fast von +Ausnahmslosigkeit sprechen kann. + +Die bei Tabes des oberen Rückenmarkes auftretenden Sehstörungen, +namentlich Augenlähmungen und Entzündungen der Iris, sind fast alle +syphilitischen Charakters. + +Es gibt keinen Teil am und im Körper, der nicht von der Syphilis +ergriffen und zerstört werden könnte. Zwar trifft die Krankheit nicht +jeden so schwer; aber sie ist heimtückisch und unberechenbar, und wenn +ein von dieser Krankheit befallener Körper nicht genügend Lebenskraft +hat, sich vernachlässigt und noch dazu ein ausschweifendes, +nervenzerstörendes Leben führt, so kann ihn die Krankheit bei lebendigem +Leibe zum Verfaulen bringen. + +Die Syphilis ist erblich, das ist ihr größtes Schreckbild. Die +Nachkommen empfangen das Gift im Keim, und dieser angefaulte Keim +wird -- wenn er nicht abstirbt -- zu einer faulen Frucht. Dies ist das +Schrecklichste im Leben, der grauenvolle Leichtsinn, mit dem ein +syphilitisch Kranker das Gift auf Weib und Kinder überträgt und Leben +erweckt, das morsch, faul und unglücklich ist. Wieviel jammervolle +Menschen laufen umher, denen die Syphilis des Vaters oder der Mutter die +Kraft nahm und die Flügel gebrochen hat! Das ist die fluchwürdigste Tat, +deren ein Mensch fähig ist. + +Die erbliche Übertragung der Syphilis geschieht durch syphilitische +Vergiftung der Keimzellen. Die Folgen sind Absterben der Frucht, +Frühgeburten und Fehlgeburten oder ganz elende, schwächliche und +erbärmliche Kinder. + +Prof. ~Neumann~ machte im »Archiv für Kinderheilkunde« folgende Angaben +über die geradezu verheerenden Wirkungen der vererbten Syphilis: »Es +gebaren 71 Mütter im sekundären Stadium der Syphilis insgesamt 99 +Kinder, d. h. es standen so viele Fälle zur Beobachtung. Dabei fanden +sich: 40 mal Abortus, 4 Frühgeburten, 3 Totgeburten, 24 Kinder, die +gleich nach der Geburt starben, 5 waren lebend, aber syphilitisch, und +nur 2 schienen gesund zu bleiben. ~Die Sterblichkeit war also 98 +Prozent!!~ + +Dies große Kindermorden bezeichnet überall den Weg der Syphilis. Zwar +mildert sich das Bild, wenn die syphilitische Ansteckung der Mutter +nicht vor der Befruchtung oder zugleich mit ihr, sondern später +erfolgte. Zwar ist dann immer noch die Gefahr für das Kind groß; aber es +bleibt wahrscheinlich am Leben. Ist aber einmal die Syphilis im Körper +einer Frau, so ergreift sie die Keimzellen, die im weiblichen Organismus +in den Eierstöcken von Jugend auf fertig ausgebildet sind, und jedes +nachher geborene Kind wird geschädigt. Darin liegt die Furchtbarkeit der +Syphilis beim Weibe. Die Samenzellen des Mannes werden fortdauernd neu +gebildet, so daß beim Ausheilen der Syphilis auch die Erblichkeit +erloschen ist. Das ist beim Weibe nicht der Fall, weil immer in den +fertigen und auf Befruchtung wartenden Eizellen Syphiliskeime +zurückgeblieben sein können. Eine einmal syphilitisch gewesene Frau +sollte darum nie wieder Kinder bekommen. Und gerade hier sieht man die +ganze Schrecklichkeit dieser Krankheit, erkennt man, wie sie alles +Mutterglück für alle Zeit ersticken kann, und wie ein unschuldiges Weib +krank und unsagbar unglücklich werden kann, weil der Mann ihr in +schrecklichem Leichtsinn den Keim einer Krankheit übertrug, die er in +einer Stunde des bloßen Vergnügens erwarb. + +Arme, arme, bejammernswerte Frauen, die nichts Böses taten und so schwer +leiden müssen! Wie kam so bitteres Unrecht in die Welt? Und wie ist es +auszudenken, daß es Männer gibt, gewissenlos und verbrecherisch genug, +wissend Leib und Seele einer Frau zu zerstören! + +Ein syphilitisch erblich zerstörtes Kind ist das Grauenhafteste, was man +sich vorstellen kann. Ein jammervolles Leben, das schuldlos eine schwere +Bürde trägt. Eine Haut, die unter Umständen mit roten Flecken, Blasen, +nässenden Wunden und Eiterbeulen bedeckt ist, kranke, wuchernde +Schleimhäute, chronische Nasen- und Ohrenkatarrhe mit eiternden, +stinkenden Ausscheidungen, dazu wohl auch Taubheit, Blindheit, +Knochenentzündungen und Knochenauftreibungen mit schrecklichen +Formänderungen und ein rascher Zerfall der Zähne. Gehirn und Rückenmark +sind meist bei solchen unglücklichen Kindern angegriffen, und es zeigen +sich schon früh teilweise oder vollständige Lähmungen, Krämpfe, +Zuckungen, Epilepsie und vielerlei geistige Störungen, von einfachstem +Gedächtnisschwund und der Gemütsbedrückung angefangen bis zu +Wahnvorstellungen, fixen Ideen, furchtbaren Ausbrüchen und völliger +geistiger Zerrüttung. + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Vierter Teil. + +Der Kampf um Sittlichkeit und Gesundheit. + + +Das ist das Schreckbild der Geschlechtskrankheiten, und wer je offene +Augen hatte, der wird nichts für Übertreibung halten. + +Du kennst nun die Gefahr. Und die Gefahr wird deinen starken Willen +wecken, und du beginnst den Kampf. Den Kampf? Gegen was? Gegen alles, +was dich bedroht; denn ohne Kampf geht es nicht ab. Wahrlich, es gibt +einen Kampf zwischen triebhaftem Leib und sieghaftem Willen. Mensch +sein, heißt ein Kämpfer sein, und dieser Kampf ist der Menschheit +urewiges Erbstück. + +Schmiede Waffen für diesen Kampf! Und willst du die wirksamsten kennen, +so suche sie im Widerstreit der Kräfte in deinem eigenen Körper und +Geist. Auf ~Arbeit~ sind alle deine Kräfte eingestellt. Sinnliche +Verschwendung zehrt an deiner Arbeitskraft, macht dich schlaff, +unlustig, geistlos. Die Arbeit aber zähmt und bändigt deine sinnlichen +Triebe. Darum stelle dein Leben auf Arbeit ein! Stecke dir ein Ziel, und +setze an die Erreichung dieses Zieles alle deine Kräfte. Dann wird die +Arbeit Inhalt und Halt deines Lebens, sie wird dir Sittlichkeit und +Grundlage der Persönlichkeit werden. + +Völker sind durch Arbeit groß geworden, sind mit ihrer Arbeit gewachsen, +und es war stets ein Zeichen des Niederganges, wenn ein Volk sich teilte +in Arbeitende und Müßiggänger. Denn unter diesen Müßiggängern, die nicht +einen einzigen Tag mit ernsten Pflichten erwachen, sondern sich treiben +lassen von ihren Stimmungen und Einfällen, führt die Sucht nach +Unterhaltung über Sport und Spiel zu Liebesabenteuern und +Geschlechtserregungen. Und je weniger der Körper durch den strengen +Willen und die rauhe Notwendigkeit der Arbeit gebändigt ist, desto +weichlicher und haltloser wird der Charakter, desto ungebärdiger und +zügelloser die Phantasie, und eine wirre, unsaubere Sinnlichkeit erfüllt +den Geist, dem durch Mangel an Arbeit die straffen Zügel genommen sind. + +Sicherlich gibt es Menschen von ruhelosem Arbeitsdrang, Menschen, denen +die Arbeit zum Laster, zur Krankheit, zu einem neurasthenischen Zwang +wurde, die ruhelos arbeiten müssen, um die gejagten Nerven zu +befriedigen und um sich über die entsetzliche Leere ihres Inneren +hinwegzutäuschen. Solche Menschen sind uns nicht Vorbild. Sie sind die +eine Ausschreitung, der Müßiggänger die andere. + +Wie wohltuend steht dazwischen der ruhig und kraftvoll Arbeitende! Das, +was er schafft, gibt ihm Ernst und Würde, gibt ihm Stolz, und in dieser +Würde, diesem Stolz liegt die große Widerstandskraft gegen alles +Schlechte. Die Arbeit ist eine innere Spannung, die über Mißgeschick +hinweghilft und eine stille Fröhlichkeit um sich verbreitet. Wer sein +Geld durch Arbeit erwarb, wird es höher schätzen, wird sparsamer sein +als der Müßiggänger, der mit des Vaters ererbtem Gelde seine Stunden +totschlägt und aus Überdruß nach vielen Genüssen nur noch den +Geschlechtsgenuß kennt. Dann ist's mit der Arbeit vorbei, denn Arbeit +verlangt Kraft und innere Stählung, und nichts zerstört diese Kraft so +sicher, wie die Sinnlichkeit, wenn sie unbeherrscht und krankhaft in +Leib und Sinn wühlt. + +Niemand wird eine gesunde Sinnlichkeit abtöten können. Und niemand soll +es tun. Aber sie soll als bewegende Kraft in der beherrschenden Kraft +des Willens liegen und nicht durch beständigen Anreiz zu einer +triumphierenden und den Menschen versklavenden Macht werden. Ernste +Arbeit entzieht dich vielen solchen Anreizen, und ein festes Lebensziel +fesselt deinen Willen an diese Arbeit. + +~Schopenhauer~ schrieb 1813 in sein Tagebuch: »An den Tagen und Stunden, +wo der Trieb zur Wollust am stärksten ist, ... gerade dann sind auch +die höchsten Kräfte des Geistes, ja das bessere Bewußtsein zur größeren +Tätigkeit bereit, ob zwar in dem Augenblicke, wo das Bewußtsein sich der +Begierde hingegeben hat und davon voll ist, latent; aber es bedarf nur +einer gewaltigen Anstrengung zur Umkehr der Richtung, und statt jener +quälenden, bedürftigen, verzweifelnden Begierde (dem Reich der Nacht) +füllt die Tätigkeit der höchsten Geisteskräfte das Bewußtsein (das Reich +des Lichts). In besagten Zeiten ist wirklich das kräftigste, tätigste +Leben überhaupt da, indem beide Pole mit der größten Energie wirken. +Dies zeigt sich bei ausgezeichnet geistreichen Menschen. In besagten +Stunden wird oft mehr gelebt als in Jahren der Stumpfheit.« + +Schiller hat diesen Gedanken in wundervolle Worte gekleidet: + + Leidenschaften sind schäumende Pferde, + Angespannt an den rollenden Wagen. + Wenn sie entmeistert sich überschlagen, + Zerren sie dich durch Staub und Erde. + Aber lenkest du fest den Zügel, + Wird ihre Kraft dir selbst zum Flügel, + Und je ärger sie reißen und schlagen, + Um so herrlicher rollt dein Wagen. + +[Illustration: Dekoration] + +Dein Leben gelte der Arbeit! In diesem Zeichen wirst du siegen. + +Aber es gilt, auf der Hut zu sein, um alles zu vermeiden, was eine +Geschlechtserregung herbeiführen könnte. Je gesünder und normaler der +Organismus, desto gleichmäßiger sind seine Kräfte in den Nervenzentren +verteilt. Der nervöse, überhaupt der geschwächte Mensch hat meist eine +Schwäche und leichte Erregbarkeit im Lendenteil des Rückenmarkes. Hier +ist der hauptsächlichste Sitz des Geschlechtsgefühls. Alles, was stark +auf den Organismus einwirkt, trifft am meisten dies schwache und wegen +seiner Schwäche leicht erregbare Fundament. Darum werden nicht nur rein +geschlechtliche Dinge hier gefährlich, sondern auch ungünstige +Einwirkungen durch Essen und Trinken, Überanstrengung, Trägheit, d. h. +Mangel an Arbeit, falsche Lektüre, seelische Erregungen usw. + +Natürlich ist der rein geschlechtliche Reiz der weitaus stärkste, +weshalb denn für diese oft vorhandene Schwäche des Lendenmarkes nichts +unheilvoller und verhängnisschwerer wird als Onanie oder vorzeitiger +Geschlechtsumgang. Das Nervensystem neigt zur Periodizität, und jede +Übung steigert die Reizempfänglichkeit. Es ist deshalb nicht ohne +weiteres richtig, zu sagen, daß die Betätigung den Trieb befriedigt. +Nein, durch die Geschlechtsbetätigung wird oft erst ein Bedürfnis +geschaffen, was in gleicher Stärke vorher nicht vorhanden war. + +Über die rein körperlichen Ursachen der Geschlechtserregung haben wir +schon im ersten Teile gesprochen. Meide also das viele Stillsitzen, das +den Unterleibs- und Geschlechtsorganen eine stockende Blutüberfüllung +gibt und das Nervensystem in einen Zustand von Gereiztheit versetzt. +Gerade das in den Schulen, in allen Studienanstalten und in allen +Schreibstuben geübte dauernde Stillsitzen ist eine verbreitete Ursache +der Onanie und aller sinnlichen Erregung überhaupt. + +Bei hoher geschlechtlicher Reizbarkeit sind auch gewissen Sportsübungen +sinnlichkeitsreizende Gefahren nicht abzusprechen. Das ist z. B. das +Klettern, das Reiten und das Radfahren. Die Bewegungen und Reibungen der +Geschlechtsorgane sind bei vielen erregbaren jungen Menschen nicht +unbedenklich. Der beste Kenner dieser Dinge in Deutschland, _Dr._ +~Rohleder~ in Leipzig, behauptet, daß infolge des Reitens die Onanie bei +der Kavallerie ungeheuer verbreitet sei. + +Und noch eins ist zu erwähnen, das ist der Tanz. Er hat schon +entwicklungsgeschichtlich so viel geschlechtlich-symbolische Züge, daß +man auch seine sexualerregende Wirkung wohl verstehen kann. Wenn du +durch ihn in dieser Richtung gefährdet bist, so schränke ihn ein. Ja, +bringe unter Umständen deiner Gesundheit das Opfer, ihn ganz zu lassen. +Jedenfalls bringe nicht Tanz und Alkohol zusammen; denn das leicht +erregbare Nervensystem ist diesem doppelten Reiz nicht gewachsen. + +Achte auf das Bett, wie ich schon früher sagte. Laß dein Lager kühl und +hart sein und schlafe nicht länger, als es dir dienlich ist. Vor allem +träume nicht im Bett in die Morgenstunden hinein. + +Bade fleißig! Halte den Körper und namentlich die Geschlechtsorgane +sauber. Schwimme und turne, wandere, singe und sei fröhlich! + +An erster Stelle soll in der Pflege deines Körpers das Luftbad stehen. +Ich hab's genau beschrieben in einem anderen Buche: »Die Heilkraft des +Luft- und Sonnenbades«[7]. Nackt in der Luft stählst du die Nerven. Nur +meide die starke Sonne und träges Herumliegen in der Sonne. Es +erschlafft den Körper und kann sinnlich erregen. Hat es dich erschlafft, +so nimm ein kühles Fluß- oder Brausebad. Überhaupt sind kühle Bäder und +kühle Waschungen zuträglich, wenn die Gefahr der sinnlichen Erregung +naht. Hast du morgens beim Erwachen Erektion, so stehe rasch auf, mache +eine kühle Abwaschung und kleide dich rasch an. Aber übertreibe diese +Dinge niemals, weil sonst Schwächung eintritt, die doch wieder zu +sinnlicher Erregung führt. Übertreibe auch nicht bei gymnastischen und +sportlichen Dingen, bei Wanderungen und ehrgeizigen Wettveranstaltungen. +Alles Übermaß führt zur Disharmonie, und nur in der Harmonie aller +Kräfte liegt die Möglichkeit zu ihrer Beherrschung. + +Und sei einfach und mäßig in deiner Nahrung. Denke daran, daß jedes +Übermaß deine Geschlechtsbegierde steigert, und daß namentlich Fleisch, +Fleischbrühe, Wurst, Eier und alter, scharfer Käse, sowie Gewürze, die +Sinnlichkeit erregen und den Kampf gegen diese namenlos erschweren. Wir +Menschen haben meist keinerlei Vorstellung davon, wie eng unser ganzes +geistiges und Gefühlsleben mit den Stoffen zusammenhängt, die wir als +Nahrung zu uns nehmen. Nichts zeigt unsere Erdgebundenheit mehr, als +diese unbestreitbare Abhängigkeit. + +Namentlich das Abendessen sei einfach und mild. Du mußt es früh +einnehmen, damit nicht die Arbeit der Verdauung deinen Schlaf stört und +eine Phantasietätigkeit weckt, die dir gefährlich werden kann. Die +einfachsten Speisen sind die zuträglichsten. Ein gesunder Geist und ein +gesunder Körper neigen zur Einfachheit. Schwache Nerven erzeugen +Unmäßigkeit und die Sucht nach Pikantem. + +Auch erregende Getränke haben direkten und unzweifelhaften Einfluß auf +Körper und Geist und namentlich auf die Geschlechtlichkeit. Und nichts +gibt es, das in dieser Hinsicht so verderblich, so furchtbar +niederreißend ist wie der Alkohol. Er ist ja innerhalb der menschlichen +Gesellschaft geradezu der Quell aller unerlaubten, unsauberen +Beziehungen, alles unehrlichen, schlechten Denkens und aller niedrigen, +gemeinen Handlungen geworden. + +Der Alkohol ist des deutschen Volkes angestammtes Laster. Schon die +alten Deutschen verkauften im Trunk Haus und Hof, Weib, Ehre und +Freiheit. Das Trinken ist Gewohnheit, Gesellschaftskodex, eiserner +Bestand, historisches Gesellschaftsrecht geworden. Es herrscht überall +und drückt allem Handeln der Deutschen seinen besonderen Stempel auf. + +Eine fluchwürdige Entwicklung, in der man nicht weiß, was man mehr +verachten soll, die Schlaffheit derjenigen, die immer weiter trinken, +oder die Gewissenlosigkeit des Braukapitals, das an allen Straßenecken +zum Trinken verleitet. + +Nirgendwo aber spielt der Alkohol eine so verheerende Rolle, wie im +Nervensystem der Menschen und vor allem im Geschlechtsleben. Der Alkohol +ist, weil ein dem Körper durchaus fremder, nicht assimilierbarer Stoff, +ein Überreiz, der nicht nur den Körper schwächt, sondern vor allem +höchst merkwürdige Wirkungen an Geist und Seele entfaltet. Er bewirkt +eine Erregung, die sich als gesteigerte Phantasie, als erhöhter Mut, als +Fessellosigkeit des Denkens, als sexuelle und allgemeine +Unternehmungslust äußert, in Wirklichkeit aber Schwäche ist, denn der +klaffende Spalt zwischen gesteigertem Wollen und geschwächtem Können ist +eine wesentliche alkoholische Merkwürdigkeit. + +Vor allem aber reißt der Alkohol das nieder, was die Menschheit in +jahrtausendealter Kulturentwicklung aufgebaut hat und was das Ziel +aller Erziehung und aller Persönlichkeitsentwicklung ist, jene feinen +und klaren Unterscheidungen zwischen Gut und Böse und jene Hemmungen der +Einsicht, der Moral und des Willens, die sich gegen das Schlechte, das +Niedrige und Rohe aufrichten. Fällt das alles, so tritt der Mensch in +seiner ursprünglichen Roheit und Brutalität wieder hervor, wie wir es ja +in der Alkoholwirkung tatsächlich sehen. + +Wo anders kann das deutlicher sich zeigen als in den geschlechtlichen +Dingen? Hier steigert der Alkohol die Begierde und wird zum Kuppler, +weil er das Verantwortlichkeitsgefühl tötet, die sittliche Würde und +Selbstbeherrschung zurückdrängt und zu Geschlechtsverbindungen treibt, +die in solcher Art und solcher Häufigkeit bei nüchternem Kopfe undenkbar +wären. + +Der Alkohol verleitet tatsächlich zu den leichtsinnigsten +Geschlechtsverbindungen und gefährlichsten Abenteuern. Tausende von +jungen Männern erwerben ihre Geschlechtskrankheit, wenn sie angeheitert +zum Haus der Dirne gehen. Ja, die meisten haben wohl die Bekanntschaft +der Prostitution erst mit erleichternder Hilfe des Alkohols gemacht. +~Forel~ machte unter seinen geschlechtskranken Patienten eine Statistik +und fand, daß 75% davon sich unter dem Einfluß des Alkohols angesteckt +hatten. + +Je höher der Alkoholgehalt eines Getränkes, desto stärker auch seine +Wirkung. Aber von den Getränken mit geringem Alkoholgehalt, wie z. B. +Bier, werden oft solche Mengen getrunken, daß trotzdem stärkste +Wirkungen, Trunkenheit, leichtsinnige Geschlechtsverbindung, venerische +Ansteckung, geschlechtliche Verirrungen u. dergl. zustande kommen. Und +die Statistik lehrt, daß die Zahl der unehelichen Geburten mit dem +Bierverbrauch in den einzelnen Städten steigt und sinkt. + +Von den Sittlichkeitsdelikten kommt ein sehr hoher Prozentsatz aus dem +Alkoholgenuß. Und was diesen vielen und vielerlei Ausschreitungen, +Fehlern, Unbesonnenheiten und Vergehen an Unglück, Familienjammer und +sozialem Elend folgt, das ist kaum zu übersehen. Hier gibt's für den +einsichtsvollen Menschen nur einen Weg, den der Enthaltsamkeit vom +Alkohol. + +Wie Schreck fährt's manchem durch die Glieder, wenn es heißt, er soll +kein Bier mehr trinken. So fest sitzt es in seinen Lebensbegriffen, daß +ihn der Verzicht ungeheuerlich anmutet. Und doch gibt's nicht den +kleinsten Vorteil, der im Alkohol wohnt, sondern nur Nachteil, +unbedingten, unbegrenzbaren Schaden. Was schädlich ist, geht wider die +menschliche Vernunft. Darum räumen wir etwas aus dem Weg, was die +Menschen in ihrer gesamten Entwicklung hindert, und verzichten auf den +Alkohol. In diesem Verzicht liegt Selbstachtung, Stolz, Würde. Gute +Entschlüsse machen den Menschen reifer, willenskräftiger, sittlich +freier. Und der Verzicht auf den Alkohol ist ein guter Entschluß! + +[Illustration: Dekoration] + +Meidest du den Alkohol, so meidest du von selbst jene häßlichen Stätten, +wo der Alkohol bewußt und planmäßig zur sinnlichen Anreizung gebraucht +wird, die Animierkneipen und alle anderen Kneipen »mit Damenbedienung«. +Es liegt etwas unsäglich Häßliches und Niedriges, etwas namenlos +Gemeines in diesen Kneipen, und es ist mir völlig unverständlich, wie +ein junger Mann in der Dunstwolke dieser alkoholischen Geilheit auch nur +einen einzigen Atemzug tun kann. + +Hier stehen wir auf der Grenze, wo die körperlichen Anreize der +Geschlechtlichkeit in die geistigen übergehen. Und so, wie du den Körper +freihalten mußt von unsauberen Dingen, so gib auch dem Geist nur und +ausschließlich gute Nahrung. Leicht mag das nicht sein. Denn die +erotische Hochspannung der Kultur hat auch in die Literatur und in die +Kunst einen erotisch-neurasthenischen Ton hineingetragen. Die Betonung +des Sexuell-Sinnlichen kommt dem Interesse der Menge entgegen. Sexuelle +Dinge werden breit, mit zynischer Behaglichkeit oder mit geschickt und +elegant verborgener Lüsternheit geschildert oder gemalt. Vor nichts +scheut man zurück, und die Schamlosigkeit macht sich breit unter dem +Deckmantel des »Realismus«. + +Wir wollen ganz absehen von Kolportageromanen, die auf die niedrigsten +Instinkte spekulieren. Nein, auch fähige Schriftsteller, begabte +Bildhauer und Maler haben sich der Erotik verschrieben und prostituieren +ihre Kunst, um den billigen Beifall der Menge zu erhaschen. + +Wieviel Unheil richten sie in jugendlichen Köpfen an! Unruhige sinnliche +Wünsche werden geweckt, sittliche Begriffe gestürzt; denn das, was ohne +Zweifel schlecht ist, wird durch diese erotische Literatur »interessant« +gemacht. Wieviel schlechte Handlungen entsteigen der durch schlechte +Lektüre verwilderten Phantasie! Wie oft erfährt der Richter, daß ein +schlechtes Buch den Antrieb zu einer sittlichen oder strafrechtlichen +Entgleisung gab! + +Die Zahl der scheußlichen Witzblätter ist groß, und selbst Witzblätter, +denen manch ernstes Wort eine Bedeutung gab, haben sich dem erotischen +Zynismus mit Haut und Haaren verschrieben. Die Inseratenseiten wimmeln +von Anzeigen erotischer Literatur, von Anpreisungen von +»Aktzeichnungen«, die angeblich nur für »Kenner« oder »Künstler« +bestimmt sind. Aller Schmutz kann in solchen Inseratteilen abgeladen +werden, und die vielen Anzeigen von Heiratsgesuchen, von Wohnungen »mit +separatem Eingang« und dergleichen sind nur eine schwungvolle geldliche +Ausnützung der allgemeinen Lüsternheit. + +Schmach und Schande über eine Presse, die sich ihrer erzieherischen +Pflicht so wenig bewußt ist! + +Am meisten hast du dich zu schützen vor jener Literatur, die angeblich +»Aufklärung« verbreiten will in geschlechtlichen Dingen und mit allerlei +unverfänglichen oder auch verfänglichen Titeln die Neugier der Jugend +erregt. Ich weiß aus vielen Berichten, die mir zugegangen sind, wie +solche Bücher Schaden anrichten. Die Lüsternheit und Sinnlichkeit des +Verfassers steigt zwischen den Zeilen auf und teilt sich dem +Leser -- ihn erregend -- mit, so daß mancher mir schon berichtete, wie +sehr ihn gerade diese Aufklärungsliteratur zur Onanie und sinnlichen +Gesprächen verleitete. + +Auch da, wo der Inhalt des Buches an sich richtig und gut ist, kann +diese Gefahr bestehen, denn hier macht der Ton die Musik, und ich stehe +keineswegs bei denjenigen, die da meinen, man müsse aus Gründen der +»Natürlichkeit« den letzten zarten Schleier der Schamhaftigkeit von den +geschlechtlichen Dingen hinwegnehmen. Nicht das restlose Wissen, nicht +die absolute Entschleierung ist der beste Schutz, sondern die zarte, +poesievolle und doch kraftvoll-gesunde Auffassung vom Liebesleben, jene +innere, tiefe und wahrhaftige Schamhaftigkeit. Nicht im Verstand liegt +die Sittlichkeit, sondern in der Seele. Darum haben diejenigen die +höchsten sittlichen Kräfte, die die stärksten Glaubenskräfte haben. + +Prostituiert ist auch die bildende Kunst. Vorbei ist die Hoheit der +griechischen Meister, die mit der Darstellung der Nacktheit höchste +Schamhaftigkeit und sittliche Würde verbanden. Wir leugnen gar nicht die +sinnlichen Elemente des Kunstgenießens. Aber die Kunst soll unsere +Sinnlichkeit idealisieren, durch das körperlich Schöne den Enthusiasmus +der Seele wecken, nicht aber die rohe Sinnlichkeit entflammen und den +aufstrebenden Geist in die Fesseln der quälenden Körperlichkeit bannen. +Eine gemeine Kunst verführt zu einsamen Triebverirrungen, zu Lüsternheit +und Ausschweifung. Es ist nicht ratsam, in Kunstfragen den Staatsanwalt +und die Polizei zur obersten Instanz zu machen. Bessere Richter einer +gesunkenen, feilen und geilen Kunst sind guter Geschmack, anständige +Gesinnung und Selbstachtung. Das Angebot wird durch die Nachfrage +hervorgelockt, und jeder vernünftige Mensch sollte es für unter seiner +Würde halten, ein Bildwerk zu betrachten oder gar zu kaufen, das die +Lüsternheit herausfordert. + +Der Stolz müßte sich auch aufbäumen gegen den Schmutz, der sich in +photographischen oder literarischen Pikanterien breit macht. Warum gehen +junge Männer nicht diesen gemeinen Anreizen aus dem Wege? Warum +erschweren sie sich den Kampf und lassen sich immer mehr herabziehen? +Nicht die gewissenlosen Händler sollte man anklagen, sondern die +charakterlosen Männer, die den Schmutz begehren. + +Das Denken in geschlechtlichen Dingen ist sehr wohl ein Maßstab der +allgemeinen Kraft und Sittlichkeit eines Volkes überhaupt, und es ist +charakteristisch, wenn wir aus Frankreich hören, daß dort die Väter +ihren beim Militär dienenden Söhnen zur Unterhaltung pornographische +Photographien senden. + +Was aber soll man dazu sagen, wenn sogar die dramatische Kunst, die den +stärksten Einfluß auf das Volk hat, ihre Verantwortlichkeit verliert und +im sexuellen Zynismus landet? Die Kunst geht nach Brot, und wenn der +Brotherr, das Publikum, einen verkommenen Geschmack hat und mit gierigem +Blick nach Lüsternheiten Ausschau hält, dann darf man sich nicht +wundern, wenn die Bühne französische Ehebruchsdramen und +zynisch-erotische Vaudevilles aufführt. Da ist der Held der Bühne nicht +der stolze, edle Mensch, nicht Tell, Tasso oder Posa, sondern der seine +Frau betrügende Ehemann, der weichlich-erbärmliche Don Juan, der in +tausend Ängsten vor dem Entdecktwerden und in tausend Nöten von einer +jammervollen Situation in die andere gerät, und der uns dann als von den +Frauen besonders begehrt dargestellt wird. Sieht man, wie vollbesetzt +diese Theater sind, und wie im Publikum die Mienen ohne alle +Selbstbeherrschung gierig-lüstern werden, so kann man das Gefühl von +Scham und Empörung nicht unterdrücken über ein Volk, das so seine großen +Männer vergißt, und über Menschen, die so sehr alles Edle, Schöne, +Menschliche von der Geilheit überwuchern lassen. + +Schule deinen Geschmack und deinen ganzen inneren Menschen an echter, +edler Kunst und sei zu stolz, ein Spielball dieser lüstern-geschäftlichen +Spekulationskunst zu werden. + +Halte dich auch fern von den auf niedriger Stufe stehenden +Varieté-Theatern, wo der Humorist ein privilegierter Zotenreißer ist und +die Tänzerinnen mit dem Mangel an Kleidung den noch größeren Mangel an +Können verdecken, wo ein rauch- und bierdunstiges Lokal bis zum letzten +Platz mit Männern angefüllt ist, und sogar Frauen sich nicht scheuen, +ihr eigenes Geschlecht auf der Bühne prostituiert zu sehen. Warum sind +die Varietés, die Singspielhallen, die Konzertcafés mit +erotisch-winselnder Geigenmusik überfüllt, und warum können sich ernste +Bühnen so schwer halten? Weil die Massen korrumpiert sind, und weil die +wachsende Degeneration die Sinnlichkeit triumphieren läßt und zugleich +die Selbstkritik schweigen heißt. + +Diese bedrohlich angewachsene Sinnlichkeit wird von dem Kapital in +raffinierter Weise ausgeschlachtet. Ganze Industrien rechnen ja mit +dieser Sinnlichkeit. Aber wieviel Unheil richtet sie an! Wieviel +Nervenkraft und Menschenglück wird dabei zerstört! Es ist nicht ehrlich, +Geld zu verdienen, wenn ein anderer dabei geschändet wird. + +Aber niemand ist genötigt, sich diesen Schäden hinzugeben. Setze an die +Stelle dieses wirren und wüsten Treibens deinen Stolz, deine Würde, dein +besseres Ich und eine ernste Arbeit mit festem Lebensziel, dann wird die +Gefahr deine Kräfte stählen. Die Arbeit ist die Grundlage deines Lebens, +und die Stunden, die nicht deinen Pflichten gehören, sondern dir selbst, +die sollst du ausfüllen mit Schönem, mit guter Lektüre. Unser deutsches +Schrifttum ist reich an guten Büchern. Du sollst die freien Stunden +benutzen, gute Kunst kennen zu lernen. In Museen und Galerien ist +Gelegenheit dazu. Und vor allem sollst du die Natur, deine Heimat, +kennen lernen und wandern, damit dein Körper stark und dein Geist +fröhlich werde. ~Geh allem aus dem Wege, was dich herabzieht. Schaue nur +Schönes, denke nur Gutes, handle nur edel, dann wirst du den Sinn und +die Schönheit des Lebens in dir selbst finden, weil du in Harmonie mit +dem Weltprinzip bist.~ + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Schlußwort. + + +So bist du mir nun gefolgt, lieber junger Freund, und wir haben das +Gebiet durchwandert, das gleicherweise Glück und Unglück, Jubel und +Tränen, Schönheit und Grauen umschließt, in das fast alle Menschen mit +Kraft und Sehnsucht einziehen, und in dem wir sie weiterwandern sehen +mit Krankheit, Schwäche, gebrochener Seele, verlorener Jugend und +beladen mit wirren und schwülen Geheimnissen. + +So viel Jammer entsteigt der Unwissenheit! + +War's da nicht recht, deine Augen sehend zu machen? Ich habe dir nicht +nur Häßliches zeigen und dich vor Gefahren warnen wollen, nein, auch die +Schönheiten des Liebesgefühls habe ich in dir keimen lassen, weil ich +weiß, daß alle Lebensschönheit nur in der Natur steckt und die Natur +auch im Menschen wohnt. _Naturalia non sunt turpia!_ + +Nicht das ist die wahre Sittlichkeit, die einen Gegensatz zwischen +Mensch und Natur errichtet, die vom Menschen ein Abtöten seiner Natur +verlangt und ihn in einen letzten Endes vergeblichen Kampf zwischen Tun +und Willen stürzt. Nein, die wahre Sittlichkeit liegt im Erkennen der +erdgeborenen Natur des Menschen und in dem festen Willen, schrittweise +und allmählich auf höhere Stufen zu gelangen. Weder haben diejenigen +recht, die leichtsinnig in den Tag hineinleben, die alles, so wie es +ist, für gut halten und vom Baume des Lebens so viel Früchte +herabnehmen, wie sie erhaschen können, noch können wir denjenigen +folgen, die in düsterem Pessimismus alle Lebensschönheit nicht sehen +wollen und sich auf den Himmel vorzubereiten wähnen, während doch +zugleich ihr Aszetismus ein göttliches Gebot in den Staub zieht. + +Zwischen diesen zwei Irrenden steht der wahrhaft sittliche Mensch, der +sein Leben und seine Persönlichkeit reich und kraftvoll entfaltet, aber +nicht eingreift in die Rechte der anderen und nicht das Wohl der +Nachgeborenen untergräbt. Dem die tiefe Erkenntnis der biologischen +Zusammenhänge ein starkes Selbstverantwortlichkeitsgefühl aufzwingt, und +der seine Wünsche schweigen heißt, wenn ihre Befriedigung die feinen +geheimnisvollen Fäden verwirrt, die alle Menschen in Glück und Unglück +miteinander verbinden. + +Da sehen wir die strengen Grenzen zwischen individueller und sozialer +Ethik. Die eine lebt sowohl im Aszetismus wie in der Vergnügungssucht +der Masse, die sich in ihrem oberflächlichen Individualismus eine +Kollektivethik geschaffen hat. Beide aber maßen sich an, selbst Richter +aller Dinge zu sein. Hoch über beiden steht die soziale Ethik, die von +Einzelnen in das Volk getragen wird, von jenen Einzelnen, in denen die +schreiende sexuelle Not der Menschen ein Echo fand, und in denen das +Menschheitsgewissen, jene feine und sichere Unterscheidungskraft +zwischen Gut und Böse, lebte. + +Diese soziale Ethik nimmt einem natürlichen Triebe alles, was ihn +häßlich macht und die Menschennatur herabwürdigt, und sie gestaltet sein +Äußern so, wie es das Wohl der sozialen Gesamtheit verlangt. + +Alle Ethik hat ihre Wurzeln im Geschlechtsleben. Denn das +Geschlechtsgefühl ist die eigentliche Urquelle aller menschlichen +Sympathiegefühle und aller sozialen Organisationen überhaupt. Ist daher +das Geschlechtsleben krank und verdorben, so muß der ganze Bau des +Menschendaseins erschüttert werden. + +Das Geschlechtsleben ist die höchste und stärkste Entwicklungskraft der +Menschheit. Es hat der Religion Nahrung gegeben, hat Kultur, soziale +Gemeinschaft und Kunst entwickelt und dem Geist seine feinsten Blüten +gegeben. Aber es ist auch die Kraft, die wie keine andere die Menschen +hinabstößt in Schwäche und Elend, in Verwilderung und Versumpfung, in +leiblichen und geistigen Tod. Das Geschlechtsgefühl ist dem +Menschengeschlecht Himmel und Hölle zugleich. Darin liegt sein tiefer, +eherner Ernst. + +Aus dem Geschlechtsgefühl quillen Menschenwerte. Ein niedriges +Geschlechtsleben schafft Krankheit und niedriges, schlechtes Denken. Ein +reines Geschlechtsleben dient der Gesundheit, adelt den Menschen und +veredelt die Rasse. Diese Reinheit vereinigt Natürlichkeit mit feinstem +Schamgefühl, gesunde Kraft mit zartschöner, idealistischer Auffassung. + +Das ist's, wozu ich dich mit diesem Buche hinführen wollte. Nicht die +»Natürlichkeit« in jenem stumpfen Sinne einer seelenlosen Nüchternheit, +die das Geschlechtliche zu einer Alltagsgebärde stempelt. Die dem +Liebesgefühl seine Gefahren dadurch nehmen will, daß man es in der +Nüchternheit körperlicher Selbstverständlichkeit erstickt. Nein, +diejenige Natürlichkeit will ich dich lehren, die zwar den körperlichen +Untergrund aller Dinge sieht, aber alle Körperkultur nur als +Ausgangspunkt einer kraftvollen Seelenkultur erkennt. + +Dem Seelenkultus dienen wir! Der rohe Körperkult dient letzten Endes der +Form- und Zügellosigkeit, wenn der Seele feinste Strömungen nicht das +körperliche Tun durchwehen. Die Seele allein birgt die wahre Scham, des +Geschlechtsempfindens zarteste Blüte. + +So habe ich dir die Wege deines Tuns gewiesen. Unbeirrt und klaren Auges +kannst du in das Leben hinaustreten. Trenne dich von der Masse, von +denen, die ideallos geworden sind, folge dem Stern deines besseren Ich, +schreite mutig und siegreich durch alle Gefahren! Vermehre nicht das +Unglück und den Kummer der Menschen, sondern sei in deiner sittlichen +Kraft wie ein Licht, das ins Dunkle strahlt und auch anderen Menschen +das Leben verschönt. + +~So trenne ich mich von diesem Buche und trenne mich von dir.~ + +~Lebe wohl!~ + +~Dein Leben sei rein und ehrlich und voll Glück! Und daß es so sei, gehe +den einsamen Weg der Guten!~ + +~Lebe wohl!~ + +[Illustration: Dekoration] + + + + +Fußnoten: + + +[1] Man lese »Arbeit, Kraft und Erfolg«, Wege zur Steigerung der +Leistungsfähigkeit in körperlichem und geistigem Schaffen. Von Emil +Peters. Mk. 4.25. Zu beziehen durch den Volkskraft-Verlag, Konstanz am +Bodensee. + +[2] Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee. + +[3] Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, geb. Mk. +4.50. + +[4] Wissenschaft und Sittlichkeit, Berlin 1908. + +[5] Die Gefahren des außerehelichen Geschlechtsverkehrs. 2 Aufl. München +1904. A. Müller. + +[6] a. a. O., S. 6. + +[7] Volkskraft-Verlag Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, geb. Mk. +4.50. Porto 25 Pfg. + + + + + * * * * * * + + + + +Anmerkungen zur Transkription: + +Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; +lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. + +Einige Ausdrücke wurden in beiden Schreibweisen übernommen: + + andererseits (Seiten 38 und 39) und andrerseits (Seiten 26, 31, 97 + und 106) + + gesunderen (Seite 34) und gesünderen (Seite 90) + + gesunder (Seite 19) und gesünder (Seiten 88 und 116) + +Folgende offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert: + + geändert wurde + "Daß ist die große" + in "Das ist die große" (Seite 18) + + geändert wurde + "Buche »Der nervöse Mensch«." + in "Buche »Der nervöse Mensch«.[1]" (Seite 34) + + geändert wurde + "den _~GonoccociNeisseri~_ oder" + in "den _~Gonoccoci Neisseri~_ oder" (Seite 96) + + geändert wurde + "führt zur Dishamonie, und" + in "führt zur Disharmonie, und" (Seite 118) + + geändert wurde + "Volkskraf-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2,75, + geb. Mk. 4,50." + in "Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, + geb. Mk. 4.50." (Fußnote 3) + + + +***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK JUGEND, LIEBE UND LEBEN*** + + +******* This file should be named 44368-8.txt or 44368-8.zip ******* + + +This and all associated files of various formats will be found in: +http://www.gutenberg.org/dirs/4/4/3/6/44368 + + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For forty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at <a +href="http://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a></p> +<p>Title: Jugend, Liebe und Leben</p> +<p> Körperliche, seelische und sittliche Forderungen der Gegenwart</p> +<p>Author: Emil Peters</p> +<p>Release Date: December 5, 2013 [eBook #44368]</p> +<p>Language: German</p> +<p>Character set encoding: ISO-8859-1</p> +<p>***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK JUGEND, LIEBE UND LEBEN***</p> +<p> </p> +<h3>E-text prepared by Norbert H. Langkau, Iris Schröder-Gehring,<br /> + and the Online Distributed Proofreading Team<br /> + (http://www.pgdp.net)</h3> +<p> </p> +<hr class="full" /> +<p> </p> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img001" name="img001"></a> +<img src="images/img001.jpg" width="399" height="600" alt="cover"/> +</div> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img002" name="img002"></a> +<img src="images/img002.jpg" width="380" height="600" alt="Titelpage"/> +</div> + + + + +<h1><span class="pagenum1"><a id="page1"></a>[Seite 1]</span> Jugend, Liebe und Leben</h1> + + +<div class="center"> +<p class="ftsize105 dropc">Körperliche, seelische<br/> und sittliche Forderungen der<br/> +Gegenwart</p> + +<p class="dropc ftsize90">Von</p> + +<p class="fextra marbot3">Emil Peters</p> +</div> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img003" name="img003"></a> +<img src="images/img003.jpg" width="100" height="39" alt="dekoration"/> +</div> + +<div class="center"> +<p class="martop3">Volkskraft-Verlag</p> + +<p class="ftsize90 marbot3"><em class="gesperrt">Konstanz am Bodensee</em></p> +</div> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img004" name="img004"></a> +<img src="images/img004.jpg" width="403" height="600" alt="Titel verso"/> +</div> + + + + +<h2><span class="pagenum1"><a id="page2"></a>[Seite 2]</span> Bücher von Emil Peters<br/> +<span class="ftsize90"><em class="gesperrt">aus dem Volkskraft-Verlag in Konstanz am Bodensee:</em></span></h2> + + +<div class="adv"> + <p class="advs"><b>Strahlende Kräfte.</b> Wege zu Glück und Erfolg durch Charakter-, + Willens- und Menschenbildung. Mit Titelbild von Fidus. 10. Tausend. + Geheftet M. 5.50. Gebunden M. 7.70. Geschenkband mit Goldschnitt M. + 8.25. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Kranke Seelen.</b> Wege des Lebens für die Einsamen und Unverstandenen, + die Ruhelosen und Nervösen, die Unzufriedenen, die Unglücklichen, + und Seelenleidenden. Mit Bildnis des Verfassers, Umschlagzeichnung + und Innenbildern von Prof. Richard Pfeiffer. Geheftet M. 6.–. + Gebunden M. 8.25. Porto bei direkter Zusendung 35 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Die das Glück suchen....</b> Brücken von der sichtbaren in die + unsichtbare Welt und in die geheimen Lebensgesetze der Seele. + Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 5.50. + Gebunden M. 7.50. Vornehmer Geschenkband mit Goldschnitt M. 8.50. + Porto bei direkter Zusendung 25 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Unbekannte Gedankenkräfte.</b> Geistige Lebensgesetze und seelische + Welten. Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 2.75. + Gebunden M. 4.40. Porto 15 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Kinderzeit.</b> Fröhliche Erziehung. Ernstes und Heiteres aus + natürlicher Erziehung. Mit 16 Bildern nach photographischen + Aufnahmen von des Verfassers Kindern. Geheftet M. 5.–. Gebunden M. + 7.50. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Schaffende Menschen!</b> Charakterbildung, Energie und Erfolg in Leben + und Arbeit. Umschlagzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. + 5.50. Gebunden M. 7.70. Porto 25 Pf.</p> + + <p class="advs"><b>Arbeit, Kraft und Erfolg.</b> Wege zur Steigerung der + Leistungsfähigkeit in körperlichem und geistigem Schaffen. + Deckelzeichnung von E. Anslinger-München. Geheftet M. 4.–. + Gebunden M. 6.–. Porto bei direkter Zusendung 25 Pf.</p> +</div> + +<hr/> + + <p class="center adv ftsize85">Die Bücher sind auch in jeder guten Buchhandlung zu haben.<br/> + Ausführliche Verzeichnisse der Bücher von <em class="gesperrt">Emil Peters</em> + versendet der obenstehende Verlag oder besorgt jede Buchhandlung.</p> + +<hr/> + +<div class="center adv"> + <p><em class="gesperrt">Alle Rechte vorbehalten.</em><br/> + <span class="antiqua">Copyright 1920 by Volkskraft-Verlag<br/> Konstanz am Bodensee.</span></p> + + <p class="advs">Den Druck besorgte die Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & + Co. in Altenburg, S.-A.</p> + + <p class="advs marbot4">Diese Buch ist auch in hübschem Einband als Geschenkband beim + Verlag oder in jeder Buchhandlung vorrätig.</p> +</div> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page3"></a>[Seite 3]</span> +<a id="img005" name="img005"></a> +<img src="images/img005.jpg" width="500" height="027" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2>Vorwort zur zweiten Auflage.</h2> + + +<div class="floatleft"> +<a id="img006" name="img006"></a> +<img src="images/img006.jpg" width="50" height="51" alt="Dropcap1"/> +</div> + +<p class="dropc">ies Buch, das in seiner ersten Auflage „Wenn ihr ins Leben tretet!“ +hieß, erscheint in seiner zweiten Auflage unter neuem Titel und in +anderem Gewande. Es entspricht darin mehr den Vorträgen, die ich +allerorten hielt.</p> + +<p>Der Gegenstand ist ernst und schwer in seiner Darstellung. Es gibt Dinge, +die so grenzenlos traurig und häßlich sind, daß die Feder oft zögert, sie +niederzuschreiben. Aber wer, wie ich, das Menschenleben zu schöneren, +höheren und edleren Formen bringen will, der darf, wo er das Licht +zeichnet, auch die Schatten zu malen nicht vergessen. <em class="gesperrt">Jugend und +Liebe</em> – sie sind beide das Licht, das leuchtend und glückselig eine +Weile über unserem Wege steht. Aber <em class="gesperrt">Irrtum und Schuld</em> verschlingen +die unglückseligen Hände und reißen die Menschen in die Tiefen, wo in +Unglück und Krankheit, in Nacht und Chaos die Liebe erstickt.</p> + +<p>Das Häßliche ist hier wahrlich nicht um des Häßlichen willen geschildert +worden. Nein, die Feder stockt dabei, und Scham durchzog den Sinn. Aber +mutig galt es die Aufgabe zu lösen und jungen Menschen, die klopfenden +Herzens vor dem Wundergarten der Liebe stehen, den rechten Weg zu +zeigen.</p> + +<p>Wer das Dunkel geschaut, dessen Auge ist dankbar für das Licht. So soll +dies Buch verstanden sein.</p> + +<p>Nicht ein „Aufklärungsbuch“ im landesüblichen Sinne soll es sein. Es soll +nicht mit kaltem Verstande Dinge sagen, die zu wissen noch nicht sittliche +Kraft bedeuten. Weh uns, wenn Wissen und Verstand der Liebe die Tiefen +rauben, wenn wir nicht mehr erröten und die Rätsel der Liebe uns nicht +mehr die Pulse <span class="pagenum"><a id="page4"></a>[Seite 4]</span> stocken machen! Nicht dem Verstand und dem kalten +Wissen – nein, der <em class="gesperrt">Seele</em> wollte ich die Geheimnisse junger Liebe +ablauschen. Was nutzt „Aufklärung“, wo die seelenvolle Menschlichkeit, die +sittliche Persönlichkeit fehlt! Erzieherisch ging ich zu Werke, von +innen – nicht von außen her.</p> + +<p>Worte und Begriffe sind dem Verständnis junger Menschen angepaßt. Eltern +mögen das Buch schulentlassenen Jünglingen in die Hand geben. Es soll +ihnen Wegweiser sein. Und wenn die traurigen und schreckensvollen Dinge +dieses Buches auch mit Wehmut ihre Seele füllen und in den Freudenkelch +der Jugend bittere Tropfen fallen, so wird die Wahrheit doch denen nicht +den Zauber junger Liebe rauben, die „frei von Schuld und Fehle“ mit +diesem Buche den glücklichen Weg des Reinen gehen.</p> + +<p><em class="gesperrt">Neuenhagen</em> (Ostbahn) bei Berlin.</p> + +<p class="ftsize105 add20em marbot4"><b>Emil Peters.</b></p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page5"></a>[Seite 5]</span> <a id="img007" name="img007"></a> +<img src="images/img007.jpg" width="500" height="026" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2><span class="ftsize90"><em class="gesperrt">Erster Teil.</em></span><br/> +Die einsamen Triebverirrungen der Jugend.<br/> + <br/> +<span class="ftsize90">Einleitung.</span></h2> + + +<div class="floatleft"> +<a id="img008" name="img008"></a> +<img src="images/img008.jpg" width="50" height="51" alt="Dropcap2"/> +</div> +<p class="dropc">ir wollen miteinander über Dinge sprechen, über die man +eigentlich – nicht spricht. Jedenfalls nicht allgemein und vor allem +nicht so, wie man über andere Dinge spricht. Das ist das +Geschlechtliche.</p> + +<p>Wie merkwürdig, daß es etwas im Menschenleben gibt, von dem es scheint, +daß es verborgen werden müßte. Und doch ist es nicht weniger natürlich, +als alles andere, ja, natürlicher und selbstverständlicher wohl. Aber +wer viel in der Irre ging, der findet nachher den rechten Weg nicht +mehr. So haben die Menschen in den geschlechtliche Dingen durch viel, +viel Irrtümer eine Wirrnis geschaffen, in der nun mancher nicht ein und +aus weiß. Er möchte fragen, den oder jenen: „Was ist's mit der +Geschlechtlichkeit? Mit all den aufsteigenden Empfindungen, die mich +quälen und freuen, die mir unruhige Stunden machen und bunte Bilder +vorgaukeln?“</p> + +<p>Aber wen soll er, ja, wen darf er fragen? Der Frage folgt Schweigen oder +verlegenes Lächeln. Das Leben hat den Erwachsenen die Antwort schwer +gemacht. Trübe Ereignisse und Reue verstellen der Wahrheit den Weg.</p> + +<p>Aber wer in Gefahr war, sollte den Neuankommenden warnen. Wer +strauchelte, sollte verhüten, daß auch der andere strauchelt. <span class="pagenum"><a id="page6"></a>[Seite 6]</span> +Darum ist es nicht gut, wenn du noch unbelehrt und ungewarnt bist.</p> + +<p>Ich will niemandem einen Vorwurf machen, am allerwenigsten deinen Eltern +oder deinen Lehrern. Sie haben dich gefördert, wie sie nur konnten. Aber +dies Geschlechtliche, siehst du, nimmt in allen Dingen des Lebens eine +Ausnahmestellung ein. Es schlummert in ihm – und darum auch in +dir – etwas Gefährliches, das man durch Schweigen dämpfen möchte; denn +niemand kann sagen, ob Glück oder Unglück daraus entspringt.</p> + +<p>Ich aber meine, im Dunkeln sei kein Weg zu finden. Licht soll auf alle +Lebenswege fallen. Darum will ich dir die Wahrheit sagen, will mit dir +über ein paar Lebensfragen sprechen, damit dein Leben Halt und +Festigkeit und Richtung bekommt. Und insbesondere will ich dir alle +deine stummen Fragen beantworten, die scheu und geheimnisvoll-verlegen +dem Geschlechtlichen entsteigen und neugierig das Geschlechtliche +umflattern.</p> + + +<h3>1.<br/> +Vom Sinn des Lebens.</h3> + +<p>Hast du schon einmal darüber nachgedacht, welchen Sinn wohl das Leben +haben könne? Ja, hast du versucht, die Lebenserscheinungen denkend zu +einer Lebens-„Anschauung“, zu einem Lebensbild, zu vereinigen und dein +eigenes Denken und Tun mit diesem Lebensbild in Einklang zu bringen?</p> + +<p>Ich glaube nicht. Denn das Elternhaus hat dich treusorgend bewahrt. Den +Tisch fandest du stets gedeckt, und manche Sorge ums Alltägliche und um +das, was die nächsten Tage bringen werden, haben die Eltern dir +ferngehalten und allein ihre Stunden damit ausgefüllt, während du lachen +und scherzen oder schlafen konntest. Die Schule setzte dir fertiges +Wissen vor. Du nahmst, was andere gedacht, und warst des eigenen, +tieferen Denkens enthoben.</p> + +<p>Nun aber trittst du ins Leben hinaus. Nun beginnt auch für dich der +Kampf. Die Pflichten mehren sich, und der Tag <span class="pagenum"><a id="page7"></a>[Seite 7]</span> ist nicht mehr +fern, an dem auch deine Schultern tragen sollen, was ein Mensch zu +tragen vermag. Und zeitweilig noch mehr. Da gilt es, Kräfte zu sparen +und stark zu werden, um mutig und aufrecht den Lebensstürmen zu trotzen.</p> + +<p>Es mag ein banges Zagen dich beschleichen, wenn du daran denkst, bald +ganz auf dich allein gestellt zu sein. Du zweifelst, ob deine Kräfte +ausreichen werden. Aber sei getrost! Nicht als ein Fertiger tritt der +Mensch an seine Aufgaben heran, sondern die Pflicht steigert die Kraft. +Alles in der Natur und im Leben ist ein Werden, ein Wachsen. Alles Leben +ringt nach Vollendung und vollendet sich im Kampf. Der Starke +triumphiert im Kampf, bleibt Sieger. Den Schwachen zerbricht das Leben.</p> + +<p>Wohlan! Sei ein Starker! Fasse Mut, und freue dich der wachsenden Kraft! +Kleine Widerstände geben dir Mut, dich an großen zu messen, und ehe ein +paar Jahre ins Land gegangen, schaust du deinen Weg zurück und lachst +der Zaghaftigkeit, die dich heute beschleicht.</p> + +<p>Und da haben wir schon einen Blick aufs Ganze. Da sehen wir schon +Richtung und Weg und Ziel, und langsam formt sich aus den Nebeln der +Unreife und Unklarheit ein Lebensbild.</p> + +<p>Schau um dich in der Natur! Roh und formlos ist der Anfang. Gott aber +blies allem seinen „lebendigen Odem“ ein. Was heißt das? Das heißt, daß +in die brodelnden Urgewalten das Gesetz der Entwicklung hineingeworfen +wurde, daß eine unendliche Harmonisierung den Lauf des Lebens begleitet, +daß alles, was in die Bahn des Lebens geworfen wird, um seines Daseins +Kreise zu vollenden, dem Göttlichen sich entgegen entwickeln soll.</p> + +<p>So gehörst du nicht dir selbst, du bist ein Teil des Weltgeschehens, +bist eine von den zahllosen Formen, in denen die Natur das Leben neu +erzeugt, und in dir schlummert der göttliche Funke, der dich zum +Menschen macht, der Funke, der durch dein Leben zur Flamme angeblasen +werden soll, die dich läutert. Dieser göttliche Funke ist dein Gewissen, +ist das Menschheitsgewissen, jener oberste Richter über Gut und Böse, +der Ewigkeitsgesetze <span class="pagenum"><a id="page8"></a>[Seite 8]</span> geschrieben hat und heute wie vor Tausenden +von Jahren herrscht.</p> + +<p>Die Menschen leben um des Besten willen. Die Entwicklung geht den Weg +des Guten; denn das Gute ist die Entwicklung. Das Schlechte stirbt in +sich, weil es dem Gesetz der Entwicklung widerstrebt.</p> + +<p>So siehst du, werden wir Menschen durch ein geheimnisvolles und +gewaltiges Gesetz geführt. Dies Gesetz, der sittliche Grundgedanke, +zeichnet der Entwicklung ihren Weg. Wer sich gegen dies Gesetz vergeht, +sei es, daß er dem unkontrollierten Genuß des Augenblicks huldigt, oder +im materiellen Vorteil das Gewissen schweigen heißt, der versündigt sich +gegen die Majestät der Menschheit, und er fühlt den leisen Mahner in +seinem Innern, der ihm sagt. „Das durftest du nicht tun.“ –</p> + +<p>Diese Sauberkeit und Klarheit des Gewissens mußt du dir erhalten, denn +damit hast du die nötige Festigkeit in dir, um jenen Hohlköpfen und +Wichten zu begegnen, die ihr Leben auf sich selbst, und damit auf +nichts, gestellt haben; denn sie sind nichts, und das „Ich“, das sie in +ihrer Phrase vom „Sichausleben“ in den Vordergrund drängen, ist wie eine +taube Nuß. Je weniger fest und stark das Leben im Innern ist, desto +ruheloser und schwankender wird es nach außen. Darum gerade verfallen +sie einem unruhevollen Geschlechtsgenuß und ertränken ihr Gewissen in +Lärm und Alkohol und vielen Phrasen von „Individualität“ und +„Männlichkeit“. Diese Worte aber sind nichts als Angst und sind ein +Versuch, den Starken, der wie ein stiller Vorwurf neben ihnen +herschreitet, aus dem Wege zu räumen, das heißt, durch philosophische +Phrasen zu sich hinabzuzerren und für ihre eigene Hohlheit +breitzuschlagen.</p> + +<p>Wenn du diesen Menschen begegnest, so wehre dich gegen sie! Wenn sie dir +sagen. „Der Mensch gehört sich selbst, und niemand ist Richter über +ihn,“ so antworte ihnen: „Nein! das Leben ist ein Geschenk der Natur. +Niemand ist auf sich selbst gestellt, niemand gehört sich selbst. Feine +Fäden verbinden die Menschheit in Glück und Leid miteinander, und jede +schlechte <span class="pagenum"><a id="page9"></a>[Seite 9]</span> Tat vermehrt das Leid und das Unglück, jede gute Tat +aber ist ein kleiner Schritt weiter auf dem Wege der Bereicherung und +Verschönerung des Lebens.“</p> + + +<h3>2.<br/> +Volkstum.</h3> + +<p>Tiefgreifende Besonderheiten haben von jeher die Menschheit in Rassen +und Völker geschieden.</p> + +<p>Du gehörst dem deutschen Volke an! Vergiß das nicht! Und vergiß nicht, +wenn du das Wort „Deutsch“ sprichst, daß es nicht eben bloß ein Wort ist +wie tausend andere, sondern daß es aus fernen Jahrtausenden zu uns +herübertönt mit ehernem Klang, einer Fanfare gleich, die schmetternd zum +Appell ruft.</p> + +<p>Deutsch sein! Diesem Schlachtruf unterlagen die römischen Legionen in +den finsteren germanischen Wäldern. Für diesen Begriff blutete +Deutschland aus immer wieder frischen Wunden. Unter diesem Zeichen +siegten wir und wurde unser Volk stark und groß. Deutsch sein! das ist +nicht ein bloßes Wort, nein, das ist Blut und Mark und Saft von +besonderer Art. Die Form des Kopfes, Farbe und Glanz des Auges, +Empfindung, Denken und Tun: all das ist deutsch, ist anders als das der +anderen Völker. Um dies Deutschsein haben Tausende auf rauchenden +Schlachtfeldern gelitten und gestritten, Tausende haben sich in der +Ferne in Sehnsucht nach der Heimat verzehrt, und Jubel und Jauchzen +erfüllte ihre Brust, wenn sie an Rückkehr denken durften.</p> + +<p>Deutsch sein! dafür haben wir vier Jahre lang dem Ansturm einer ganzen +Welt standgehalten, bis das Aufgeben dieses Deutschseins uns die Waffen +aus den Händen schlug, uns wehrlos machte, daß wir zusammen brachen.</p> + +<p>Nun merke auf! Es gibt Menschen von fremder, heimatloser Art um dich und +charakterlose Schwätzer, die deinen Rassen- und Volksbegriff leugnen und +zerstören möchten. Sie setzen viel hohle Phrasen an die Stelle des +greifbaren Volkstums. Laß <span class="pagenum"><a id="page10"></a>[Seite 10]</span> dir dies Rassen- und Volksbewußtsein, +diesen völkischen Stolz, nicht rauben! Schlage die Blätter der +Weltgeschichte um! Blatt für Blatt erkennst du das gewaltige Ringen der +Völker um ihre angestammte Art. Und du erkennst, daß nur dann ein Volk +stark nach außen sein kann, wenn es zugleich stark nach innen ist, +gesund und fest in seinem Kern und sittenstark. Die sittliche Kraft in +einem Volke war stets auch seine politische Kraft. An der +Sittenlosigkeit, in der geschlechtlichen Ausschweifung, gingen die +Völker, die Staatengebilde zugrunde. Kennst du das Beispiel Roms? Lerne +es fürchten! Weißt du, daß die morsche, sinnliche römische Kultur dem +Ansturm Odoakers erlag, der mit den heldenhaften und sittenstrengen +Söhnen der germanischen Wälder heranrückte? Lerne dies deutsche Volk um +seiner großen Vergangenheit und seiner Tugenden willen lieben! Aber +zugleich beobachte, daß der Sittenverfall auch bei uns sich ausbreitet, +daß zerstörende Mächte an den alten, festen Grundlagen unserer Volksart +tätig waren, und daß wir längst im Innern morsch waren, ehe die +Übermacht der Feinde uns auf die Knie zwang.</p> + +<p>Nun aber wollen wir wieder hochkommen, wollen wieder die Schmach von uns +abwaschen, wollen unsere Kraft und unsere Ehre wiedergewinnen – und dazu +muß jeder Einzelne bei sich selber anfangen. <em class="gesperrt">Sittliche Reinheit!</em> +so heißt der Wahlspruch.</p> + +<p>Hier hast du ein zweites Lebensziel: Liebe dein Volk und lebe für dich +so, wie du möchtest, daß das Ganze sei: stark und gesund und rein. Was +nützen all die schönen Worte von Vaterland und Volk und Ruhm und +Zukunft, wenn nicht jeder Einzelne sein Teil Verantwortung für das Ganze +in sich trägt und danach lebt.</p> + +<p>Dem politischen Ehrgeiz eines Volkes muß eine gesunde und sittliche +Lebenshaltung die treibenden Kräfte geben. Darum ist es betrübend, zu +sehen, wie Staatsmänner und Politiker starke Worte machen und heftige, +erbitterte Parteikämpfe ausfechten, ohne doch der Notwendigkeit zu +gedenken, daß all dies Mühen nur ein Tageserfolg ist, wenn er nicht aus +der klug gepflegten <span class="pagenum"><a id="page11"></a>[Seite 11]</span> Volkskraft dauernd gespeist werden kann. +Eine zahlreiche, körperlich und sittlich starke Jugend ist der +Lebensquell des Volkes, und dies Bewußtsein muß jeder junge Mensch in +sich tragen.</p> + +<p>Du siehst, auch hier gehörst du nicht dir selbst. Ein zweiter Wegzeiger +ist in deinem Leben. Er zeigt auf dein Volk. Ihm gehörst du mit deiner +ganzen Art, mit Leib und Seele, mit dem Wollen und Wünschen. Und darum +muß dein Leben sich so gestalten, daß es deinem Volke nicht Schaden +bringt.</p> + + +<h3>3.<br/> +Die Familie.</h3> + +<p>Von der Volkseinheit und -Eigenart trennt sich die Einheit und Eigenart +der Familie ab. Und hier erblüht dem Baume deutscher Art die schönste +Blüte: das deutsche Familienleben. Wie ist es besungen worden, und +wieviel schöne Erinnerungen an das Elternhaus tragen wir mit uns in das +Leben hinein. Sorgende Liebe erfüllt die Räume. Milde und Strenge paaren +sich, um die Buben und Mädchen zu bilden zu tüchtigen Menschen, damit +sie einen Platz im Leben ausfüllen können. Und jeder von ihnen tritt in +das Leben hinaus und wird und will wieder eine Familie gründen. Was er +zu Hause Gutes sah, pflegt er weiter und verbindet's mit Neuem. Wohl +ihm, wenn er nur Gutes sah, wenn recht viel gute Erinnerungen ihn +begleiten. Was die Eltern Gutes an ihren Kindern gewollt, das müssen die +Kinder zu erreichen trachten. Denn darin liegt ein Dank für die +dahingegangenen Geschlechter und ein großes, starkes Versprechen an die +kommenden. Die Eltern denken Gutes von dir, die Brüder und Schwestern +tun es auch. Wie kannst du darum Schlechtes tun und dann ein schlimmes +Geheimnis mit dir herumtragen, das zu verraten du kaum den Mut findest? +Die Familie ist der Hort der guten Sitten. Ehre die Stätte, der du +entstammst, und tue nichts, was nicht jeder wissen darf.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page12"></a>[Seite 12]</span> Zum dritten Mal stecke ich dir ein Lebensziel, zeige dir einen +Maßstab und eine Grenze deines Tuns: deine Zugehörigkeit zur Familie. +Zum dritten Male sage ich dir, daß du nicht dir selbst gehörst, sondern +gebunden bist im Denken und Tun an die Gesamtheit, an die Familie, an +das Volk, an die Menschen überhaupt. Dein Wohl ist das der anderen. Die +Kraft und die Ehre der Gesamtheit liegen für dein Teil in deiner Hand.</p> + + +<h3>4.<br/> +Das „Ich“ und die Freiheit.</h3> + +<p>Du wirst mir entgegenhalten. „Bin ich, ich selbst, denn gar nichts, daß +ich nur aufgehen soll im Ganzen? Daß ich immer nur an die anderen denken +soll?“</p> + +<p>Ja, du bist, und dein „Ich“ soll stark und stolz dir zum Bewußtsein +kommen. Nicht niederdrücken, schwach und zage machen soll dich deine +Zusammengehörigkeit zur Familie, zu Volk und Menschheit, nein, aufrecht +und freudig sollst du es empfinden; denn in dir verkörpert sich die +Familie, in deiner Art erkenne ich ihre Art, in dir lebt die Art des +ganzen Volkes, in dir glüht der heilige Funke der Menschheit. Das Leben +drängt sich immer wieder, um neu zu erblühen, in eine enge Form, das ist +der persönliche Mensch, das Individuum. Der persönliche Mensch ist die +höchste Steigerung der Natur, ist der höchste Wille der Schöpfung.</p> + +<p>Dieser persönliche Mensch muß frei sein. Damit meine ich nicht jene rohe +Freiheit, die sich hinwegsetzt über gesetzliche und gesellschaftliche +Schranken. Das ist Willkür und rohes Triebleben. Diese rücksichtslose +Freiheit, die da glaubt, alles tun zu dürfen, was ihr in die Sinne +steigt, ist doch nur bemitleidenswerte Gebundenheit an die Tiernatur. +Ich meine vielmehr jene sittliche Freiheit, die mit einem geschlossenen +Willen sich der Gedankenlosigkeit der Menge entgegenstemmt. Die +Freiheit, in der im Gehorsam gegen selbstdiktierte sittliche Gesetze der +Mensch triumphiert. Diese Überlegenheit über die Gedankenlosigkeit, +<span class="pagenum"><a id="page13"></a>[Seite 13]</span> das stumpfe Triebleben, die oberflächliche Genußsucht anderer, +ist wahrhaftig Freiheit, eine Freiheit, die in wichtigen Lebensfragen +nur sich selbst befiehlt und gehorcht, keinem andern, am allerwenigsten +der Menge. Der Geist muß wach bleiben und muß mit heller, scharfer +Kritik über die Regungen der Sinne wachen. Der Gedankenlose verliert +sich an die stumpfen und dumpfen Triebe der Menge. Er glaubt dann +Freiheit gefunden zu haben und verlor doch nur sein „Ich“, seine +Persönlichkeit. Du siehst also, daß das „Ich“ nur triumphiert, wenn es +sich selbst Gesetze gibt. Darum darfst du nicht aufgehen in der Menge, +die dich hinabzieht, sondern mußt jenen Größten nacheifern, in denen +unseres Volkes Art sich am reinsten verkörperte. „Die Menschen leben um +des Größten willen,“ sagt Carlyle. In ihnen glüht der göttliche Funke +des Menschentums am stärksten. Hast du Vorbilder, so gehst du mit deinem +Wollen auf in der Menschheit, im Volk, in der Familie. Du hast damit +starke und große Ideale in dein Leben hineingestellt, und diese Ideale +werden dich erziehen. So, siehst du, ist das ausgeprägte „Ich“, ist der +persönliche Mensch, der höchste Wille zum Guten. Indem du stolz dein +„Ich“ erhebst, beugst du dich unter das große Entwicklungsgesetz der +Menschheit.</p> + + +<h3>5.<br/> +Die Fortpflanzung.</h3> + +<p>Alles Leben hat nur eine Quelle: die Fortpflanzung. Und sie ist umwoben +und durchflochten von der Liebe, von jenem wunderbaren Empfindungsgewoge, +das unser Leben schön und glücklich macht; oder auch häßlich und traurig +und unglücklich. Wie man's lebt.</p> + +<p>Die Natur schuf zwei Geschlechter. Und an dem Gegensatz zwischen +männlicher und weiblicher Art erkennst du, wie unbeholfen und roh die +Auffassung derer ist, die das Geschlecht nur als etwas Körperliches +sehen, die beim Worte „Geschlecht“ nur an Geschlechtsorgane denken. +Schon beim Spiel der Kinder unterscheidet <span class="pagenum"><a id="page14"></a>[Seite 14]</span> sich der wilde +Wagemut des Knaben von der stilleren Art der Mädchen. Das ist wie ein +Symbol fürs ganze Leben. Das Geschlechtliche wurzelt tief in der Seele, +und du darfst es nicht so ohnehin als das bloß Sinnliche auffassen. Denn +es ist mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnen, mit dem Denken und +Fühlen innig verwebt und verschmolzen. Der Mann denkt, fühlt, urteilt, +handelt anders als die Frau. Das eben ist der tiefgreifende +Geschlechtsunterschied zwischen beiden, der jedem eine andere Stellung +in der Natur und in der Welt und darum auch eine andere Gefühlswelt +gibt.</p> + +<p>In Mann und Weib verschmilzt das geheimnisvoll-ewige Sehnen der +Menschheit nach Vollendung. Denn jedes der beiden Geschlechter birgt +eine Hälfte menschlicher Eigenschaften in sich. Der Mann Kraft, Mut, +Wille, Entschluß, Edelmut, Ritterlichkeit; das Weib Milde, Sanftmut, +Mutterliebe, Gefühlstiefe; beide aber Treue, Schamhaftigkeit, Ehrgefühl. +Das eine Geschlecht sehnt sich nach dem andern, um zu gewinnen, was es +nicht hat, sich so zu ergänzen, zu vervollkommnen. Dieser tiefe +Lebenswille der Natur lebt in beiden, und der Fortpflanzung entsteigt +das Kind als eine höhere Entwicklungsstufe. Es ist auch wieder entweder +männlich oder weiblich, aber es trägt von beiden Eltern ein Teil in +sich. Ein gutes oder ein schlechtes, je nachdem, was das stärkere war.</p> + +<p>In der Geschlechtlichkeit, in der Zeugung, erhebt sich der Mensch zur +höchsten Bedeutung. Er selbst wird ein Schöpfer, wird ein Neugestalter +des Lebens. Was Menschheit, Volk und Familie ihm gegeben haben: Leben, +Kraft, Gesundheit, Menschenwürde, das gibt er einem von ihm in Liebe +erzeugten Wesen wieder. Darin liegt ein Teil Unsterblichkeit.</p> + +<p>Es gab eine Zeit, da erzählte man dir vom Storch, der die kleinen Kinder +bringe und sie aus dem Brunnen oder einem großen Teich hole. Ja, ja, aus +dem großen Meer der Schöpfung sind sie ja gekommen; aber es war nicht +jener Verlegenheitsstorch der Fabel, der sie brachte, sondern die Liebe, +die geschlechtliche Verbindung deiner Eltern, die den Werdekeim +entfachte. So <span class="pagenum"><a id="page15"></a>[Seite 15]</span> wie die Natur für alles in unserem Tun ein +bestimmtes Organ, ein Körperglied mit einem besonderen Zweck, schuf, wie +sie uns zum Gehen Beine und Füße, zum Greifen Arme und Hände, zum Sehen +die Augen, zum Kauen die Zähne gab, so verlieh sie auch dem gewaltigen +Sehnen nach Liebe und Zeugung, das die Menschen in sich tragen, +bestimmte Organe, durch die der Wille der Natur und das Liebesgefühl der +Menschen einen körperlichen Ausdruck finden kann. Diese +Geschlechtsorgane sind bei Mann und Frau ganz verschieden. Sie liegen +teils außerhalb, teils innerhalb der Leibeshöhle, teils sind es +Brutstätten, Werkstätten für die Erzeugung der Keimzellen, teils Wege, +diese Keimzellen zum Ausstoßen und zur Vereinigung zu bringen. Beim +weiblichen Organismus liegen in der Leibeshöhle die sogenannten Ovarien, +die Eierstöcke, in denen während einer Fruchtbarkeitszeit von etwa 30 +Jahren rund 400 Eichen (das ist allmonatlich eins) reifen und +ausgestoßen werden. Beim Manne wird der Samen in den beiden Hoden +bereitet, aber nicht nur 400 Samenzellen, sondern viele Millionen. Die +Geschlechtserregung nun, die den erwachsenen Menschen von Zeit zu Zeit +ergreift, läßt alle Empfindung in die Geschlechtsorgane strahlen. Alle +Wünsche schweigen. Alle Kräfte von Körper und Seele beugen sich dem +großen Zeugungswillen der Natur und konzentrieren sich im Zeugungsakt. +Die Geschlechtsorgane vereinigen sich, und die männlichen Samenzellen +werden ausgestoßen in die weiblichen Organe und suchen in großer Zahl +das weibliche Ei. Aber nur die stärkste Samenzelle, die die größte Kraft +und Lebensenergie hat, erreicht – allen anderen voraus – die Eizelle, +durchbohrt sie, und die Befruchtung ist geschehen. Jeder weiteren +Samenzelle ist dann der Eintritt verwehrt.</p> + +<p>Hier sehen wir im kleinen und doch so gewaltig-großen Zeugungswunder, +daß das Leben sich immer nur aus der verhältnismäßig größten Kraft +aufbaut, daß darum der Stärkste und Beste das größte Recht auf Leben und +Zeugung besitzt. Der Kampf der Samenzelle um die Eizelle ist wie eine +Darstellung des menschlichen Lebenskampfes.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page16"></a>[Seite 16]</span> Obwohl das alles so natürlich, so groß und schön ist, hat man +dir die Wahrheit nicht sagen wollen, ist alle Welt mit der Geschichte +vom Storch, mit Unsicherheit und Verlegenheit, um dich herumgegangen. +Warum? wirst du fragen.</p> + +<p>Das hat zweierlei Gründe, einen guten und einen schlimmen. Der gute +liegt in der Sache selbst. Das Geschlechtsempfinden gehört nicht dem +lauten Lärm des Alltags. Der feinfühlende Mensch wird das, was in +Schönheit und geheimnisvoller Spannung in seinem Innern aufkeimt, was +ihm das Herz zum Springen füllt, und was so viel Sehnsucht in ihm reifen +läßt, er wird das alles nicht mit nüchternem, lautem Wort in den Kreis +der alltäglichen Dinge ziehen. Dies Geschlechtsempfinden, das soviel +ganz Persönliches, soviel unaussprechlich Feines und Zartes in sich +birgt, wird dem feinfühligen Menschen sein Allerheiligstes sein, das er +der Welt und der Neugierde anderer verbirgt. Darum ist das +Geheimnisvolle im Geschlechtsleben eben gerade das Menschliche, die +ästhetische Verfeinerung eines im Anfang rohen und wilden Triebes. Diese +ästhetisch-geheimnisvolle Umschleierung ist unlösbar mit unserem +Glücksbestand verbunden; denn das Geschlechtliche, das zugleich Urgewalt +und feinste Kulturblüte ist, enthüllt so sehr das innerst Persönliche +eines Menschen, daß es sich nur schwer in Worte fassen läßt. Zwischen +starken Empfindungen und ruhig-erklärenden Worten liegt immer ein +Widerstreit. Darum rang man nach Worten, um dir die Wahrheit über das +Geschlechtliche zu sagen, und schließlich fand man die Worte nicht und +darum auch nicht den Mut.</p> + +<p>Der andere und schlimmere Grund aber ist der, daß der Geschlechtstrieb +in der Allgemeinheit des Volkes überstark und krankhaft geworden ist und +sich nun dem Leben und der Persönlichkeit als etwas Feindseliges +entgegenstellt. Man fürchtet, ihn durch Belehrung zu wecken, und glaubt, +ihn durch Schweigen im Zaume zu halten. Das ist ein Irrtum.</p> + +<p>Der große und manchmal so hoffnungslose und traurige Kampf mit dem +krankhaft gesteigerten Geschlechtstrieb brachte die tiefe <span class="pagenum"><a id="page17"></a>[Seite 17]</span> +Zweiteilung von „Fleisch“ und „Geist“. Die Sinnlichkeit wurde „Sünde“ +genannt. Und sie ist doch nur Natur. Dieses feindselige Denken gegen die +Geschlechtlichkeit hat die Prüderei geboren, die ängstlich darüber +wacht, daß auch nicht eine Silbe über diese Dinge gesprochen werde, und +die doch weiß, daß viel Häßliches geschieht.</p> + +<p>Es ist nicht gut, etwas, was in der Natur liegt, für unnatürlich und +„sündig“ zu halten; denn damit geraten wir in Zweifel. Und wenn dieses +Etwas dann als ein starker Trieb in uns Menschen groß wird, das mit +unserem Wesen, unserem Charakter sich verbindet und zuzeiten uns ganz +allein auszufüllen scheint, so ist es richtiger, einen festen, klaren +Blick dem Geschlechtlichen gegenüber zu behalten, um es zu beherrschen +und zu bemeistern, nicht aber ängstlich, prüde und verlegen zu sein, den +Trieb für tierisch zu halten und dadurch von einem Konflikt in den +andern zu stürzen. Schließe dich nicht dieser unwahren, +lebensfeindlichen Denkart an, sondern erkenne im Geschlechtstrieb die +Quelle alles Empfindungslebens, erkenne ihn als die Grundmauer des +Lebens und die treibende Kraft aller Entwicklung. Sage nicht, daß er +tierisch und häßlich und sündig sei, sondern daß durch ihn der Mensch +erst wahrhaft Mensch wird, daß durch ihn der göttliche Wille des +Schöpfers in jeden einzelnen Menschen gelegt worden ist, und daß gerade +im Liebesgefühl und im Liebesleben der Reichtum der Menschennatur sich +entfaltet, so wie im Blütensegen des Frühlings die Natur in ihrer +Schöpferkraft jubelt.</p> + +<p>Verstehe mich nicht falsch! Du sollst dem Geschlechtstrieb stark und +ehrlich und mutvoll gerade ins Auge sehen. Sollst ihn erkennen als das +Schöpfungswunder der Natur und als die in dich selbst gelegte +Schöpferkraft, mit der du dem Willen der Natur dienen sollst. Aber darum +darfst du nicht sagen: „Dieser Trieb ist mein Recht! Habt ihr prüde +jedes Wort von ihm vermieden, so ist er doch in mir emporgewachsen, und +nun lebt er in mir, und ich will und darf ihn betätigen.“</p> + +<p>Schau um dich in der Natur! Auch die jungen Bäume treiben <span class="pagenum"><a id="page18"></a>[Seite 18]</span> +Blüten, aber sie tragen noch keine Frucht. In der Natur herrscht ruhige +und langsame Entwicklung; denn nur die Ruhe ist Kraft. Alles vorschnell +Entwickelte trägt schon den Verfall in sich. Wenn im Geschlechtlichen +das Leben sich aufbaut, dann muß auch gerade das Geschlechtliche den +Zerfall bringen, wenn es dem Mißbrauch entgegentreibt.</p> + +<p><em class="gesperrt">Das ist die große Wunde am Leben der Völker: der Geschlechtsmißbrauch!</em> +Daran sind sie zugrunde gegangen, die Kulturvölker des Altertums, und das +ist es, was heute noch die Völker zerstört: die Vergeudung der +Geschlechtskraft!</p> + +<p><em class="gesperrt">Denn Geschlechtskraft ist Lebenskraft!</em> Wer das eine verschwendet, +der zerstört das andere. Aus dem Geschlechtsmißbrauch kam die Degeneration +in die Völker. Die Geschlechtlichkeit, die der Kraft und dem Aufstieg des +Lebens dienen sollte, wurde dem Menschen zum Verhängnis, ja zum Fluch. Die +Sünden der Väter wurden heimgesucht an den Kindern bis ins dritte und +vierte Glied.</p> + +<p>Von allen Lebewesen ist der Mensch das einzige, dessen Geschlechtstrieb +unter die Herrschaft der Vernunft gestellt wurde. Indes:</p> + +<p class="dropc add4em">„Er nennt's Vernunft und braucht's allein,<br/> +Um tierischer als jedes Tier zu sein!“</p> + +<p>Gerade die ideale Verbindung des Körperlich-Sinnlichen mit der +Gesamtheit geistigen Lebens, eine Verbindung, die so viel Schönheit und +so viel Möglichkeiten kluger Beherrschung und sittlicher Gesetze in sich +birgt, ist verhängnisvoll geworden; denn das Geistige (Gedanke, +Empfindung, Vorstellung, Kunst) wird zum Einfallstor des Sinnlichen, und +bei gar zu vielen liegt die Vernunft in ewiger Fehde mit dem sinnlichen +Trieb.</p> + +<p>Das ist es, was so viel schwüles Schweigen erzeugt: Die lüstern lockende +Geschlechtsempfindung im Innern, mit der man ringt, und das böse +Gewissen, die trübe Erinnerung an vieles, was nicht gut war.</p> + +<p>Aber soll das weiter und immer so bleiben? Sollen wir ruhig <span class="pagenum"><a id="page19"></a>[Seite 19]</span> +danebenstehen, wenn starke und mannhafte Geschlechter im +Geschlechtsirrtum ihre Kraft verlieren? Wenn wir sehen, daß junge +Menschen durch krankhafte Erregungen zur Erschöpfung getrieben werden?</p> + + +<h3>6.<br/> +Die Verirrungen der Jugend.</h3> + +<p>Alle Welt kennt das große und traurige Geheimnis, das junge Menschen mit +sich herumtragen, das drückende Geheimnis der Geschlechtsverirrung, der +Onanie. Nur ganz wenigen ist der Sinn frei davon geblieben, und diese +kennen nicht den bitteren Kampf, den der sittliche Wille mit dem Triebe +führt, der sich quälend und entnervend im Körper und in den Sinnen breit +gemacht hat. Immer wieder rafft man allen Willen zusammen, immer wieder +bäumt sich der Stolz auf, und man sagt „Ich will nicht“, aber so oft ist +dieser Trieb der Stärkere. Es ist wie ein Ringen um die Oberherrschaft. +Je schwächer das Nervensystem und je nachgiebiger und schlaffer das +Denken, desto mehr reißt der sinnliche Trieb die Oberherrschaft an sich.</p> + +<p>Ein offenes, freies Wort würde den Kampf mildern, ein Freund, ein +Vertrauter, dem man von sich in diesen Dingen sprechen kann, würde die +seelische Bedrücktheit verscheuchen und den Mut heben können. Aber alle +jungen Menschen sind ratlos, tragen ihr Geheimnis weiter mit sich herum +und – verfallen weiter in der Einsamkeit dem wühlenden sinnlichen +Trieb.</p> + +<p>Dies traurige Schauspiel muß vor allen Dingen der Einsamkeit und dem +Schweigen entrissen werden. Man muß darüber sprechen, deutlich und +ernsthaft, damit der Vergeudung der Lebenssäfte Hemmnisse in den Weg +gelegt werden, damit die geschwächten Körper wieder frischer und +gesunder, der Wille wieder zuversichtlicher, der Mut wieder froher und +das Auge wieder klarer wird. Es soll alles aus dem Leben heraus, worüber +man sich schämen muß.</p> + +<p>Die Onanie tritt oft schon in sehr frühem Alter auf. Desto gefährlicher +ist sie. Dann handelt es sich aber um einen Organismus, <span class="pagenum"><a id="page20"></a>[Seite 20]</span> der +wahrscheinlich erblich geschwächt ist, eine „nervöse Anlage“ hat.</p> + +<p>Solch ein geschwächter Organismus ist ungemein empfänglich für alles +Sinnliche. Worte, Bilder, die auf das Erotische Bezug haben, sind wie +ein Feuerfunken in einen Strohhaufen. Ja, wie mit einem schwülen Drang +wird aus allen Gesprächen, aus Bildern und Büchern das Geschlechtliche +hervorgesucht. Diese grüblerisch-ungesunde Art raubt dem Betreffenden +viel frischen Sinn für das Wirkliche, viel Arbeitskraft und +Lebensfreude. Immer lenkt das Geschlechtliche seinen Blick ab, und es +ist nicht jeder unter den jungen Menschen stark genug, sich frisch +loszureißen von der schwächlich-lüsternen Phantasiearbeit.</p> + +<p>Gehirn und Zeugungsorgane scheinen sich da in einem schwächlichen und +verderblichen Reizabhängigkeitsverhältnis voneinander zu befinden. Und +oft ist es so, daß die Betreffenden von sinnlichen Bildern geradezu +verfolgt werden, daß sie harmlosen Worten eine sinnliche Bedeutung +geben, daß sie ein angeschautes Bildwerk oder eine Plastik zu sinnlichen +Vorstellungen gebrauchen, daß sich in die Lektüre, in das Studium, in +das Anhören eines Vortrages oder namentlich der Musik ein bestimmtes +erotisches Bild einschiebt, von dem sie nur schwer wieder loskommen. +Gewisse angeborene Neigungen, die sich am Gesicht oft erkennen lassen, +spielen hier eine Rolle. Das ganze Leben scheint da in die fieberhafte +Geschlechtserregung hineingezogen zu werden, und die Gefahr der +Selbstbefleckung rückt immer näher.</p> + +<p>Nicht lange dauert es, dann kommt es zu Berührungen der +Geschlechtsteile, in denen diese Empfindungen sich konzentrieren. Durch +diese Berührungen und Bewegungen kommt es zum krampfhaften, +konvulsivischen Höhepunkt geschlechtlicher Erregung, und zum ersten Male +findet beim Knaben ein Verlust von Samenflüssigkeit, beim Mädchen eine +starke Absonderung gewisser Drüsen statt.</p> + +<p>Warum hat dir bisher niemand die Gefahr gezeigt? Warum antwortete man +deiner stummen Frage nicht und gab dir <span class="pagenum"><a id="page21"></a>[Seite 21]</span> Anlaß, dich mit deinen +Bekannten oder mit anderen insgeheim über diese Dinge zu besprechen? Und +wie es so oft vorkommt, kam's vielleicht da zur Verführung. Ältere +Schulkameraden oder häßlich denkende andere Menschen, Dienstboten, +Arbeitsgenossen usw. vergnügen sich oft damit, in den jüngeren den +geschlechtlichen Sinn zu wecken. Wenn's eine Strafe für sie gäbe, könnte +sie nicht scharf genug sein.</p> + +<p>Gar zu viele wissen davon zu berichten, daß in der Jugend die +Dienstboten für sie die Lehrer dieser geheimen Fehler gewesen sind, und +sie fühlen es ganz genau, welch ein Maß von Kraft sie dabei eingebüßt +haben. Die besonderen Brutstätten dieser geheimen Verfehlungen aber sind +die Schulen. Und man sieht, wie das Übel sich in den Klassen forterbt, +wie es von einem frivolen Schüler, einer Schülerin, durch Verführung auf +die anderen übergehen kann. Ja, die jüngeren denken sich nicht einmal +was dabei, wenn die älteren sie dazu verleiten, an versteckten Orten mit +den Geschlechtsorganen zu spielen, bis dann der geweckte Trieb sich +schwer wieder eindämmen läßt und die Erregungen zur willkürlichen +Gewohnheit werden. Das trübe, schlaffe, verlegene Aussehen, der unreine +Teint vieler Kinder sollten Eltern und Lehrer darüber belehren, wie +dieses Übel der Selbstbefleckung gerade in den Schülerjahren und in den +Schulen ausgebreitet ist.</p> + +<p>Hüte dich, mit deinesgleichen oder überhaupt mit anderen über das +Geschlechtliche zu sprechen, wenn du nicht weißt, daß sie dir +wohlwollen.</p> + +<p>Und meide alle jene lüsternen, schmutzigen Unterhaltungen, die sich nur +um das Geschlechtliche bewegen. In Schulen, Internaten, Seminaren sind +die Gespräche der Schüler, wenn sie allein sind, oft von beschämender +und empörender Häßlichkeit, und man kann es kaum fassen, wie das +Schamgefühl so weit erstickt werden konnte. Die Lüsternheit verzerrt die +Mienen, und die Unsauberkeit des Denkens weicht oft nicht mehr von dem +Gesicht. Halte deine Phantasie rein von schmutzigen Vorstellungen, dein +Denken gesund! Weise die leichtsinnigen Zungen ernst und überlegen +zurück und stelle eine geistige Scheidewand zwischen dich und sie! +<span class="pagenum"><a id="page22"></a>[Seite 22]</span> Beschäftige dich auch nicht mit sinnlich erregender Lektüre +oder lüsternen Bildern, die oft geheimnisvoll unter den Schülern und +Schülerinnen verbreitet werden.</p> + +<p>Wenn Eltern wüßten, in welch eine sinnlich schwüle Atmosphäre sich +Kinder verirren, sie würden offenere Augen haben und die Gefahren +abzulenken suchen, ehe es zu spät ist.</p> + +<p>Die Reue über das Falsche und Schädliche, was man getan, läßt die +Erinnerung daran wachbleiben.</p> + +<p>Und es ist zu beobachten, daß wohl alle jungen Menschen Scham empfinden. +Die fröhliche Offenheit, mit der sie sonst alles Tun vollziehen, macht +vor ihren sinnlichen Fehlern halt; denn hier sagt schon ohne alle +äußerliche Belehrung der natürliche Instinkt, daß man Unrechtes tut, und +diese geheimnisvolle Triebverirrung sucht stets ein Versteck. Ja, das +Bewußtsein des Unrechttuns ist so lebendig, daß bei den jungen Menschen +oftmals das schlechte Gewissen sich in dem scheuen Blick kundgibt, der +nichts mehr hat von der reinen, unschuldigen Natürlichkeit eines +Kinderauges. Sie glauben sich beobachtet und in ihrem geheimen Treiben +erkannt und werden deshalb oft verwirrt und untauglich für +gesellschaftlichen Umgang. Sie lieben es, allein zu sein, zu grübeln, +weil sie mit der Geschlechtskraft zugleich jene antreibenden Kräfte +erschöpfen, welche einen jungen Menschen in das Leben hinaustreiben und +seine sozialen Fähigkeiten entwickeln.</p> + +<p>So ist aus der Erschöpfung der in sozialer Hinsicht antreibend wirkenden +Geschlechtskraft durchaus jene geistige und gesellschaftliche Unfreiheit +zu erklären, die den richtigen Onanisten oft durch das ganze Leben +hindurch verfolgt. In gesunder Geschlechtskraft liegen die Wurzeln zu +sozialer Entwicklung. Der Verlust der Lebenssäfte untergräbt die +Energie, und das drückende Bewußtsein des geheimen geschlechtlichen +Unrechts prägt sich störend und hemmend der Persönlichkeit und dem +ganzen Auftreten der Betreffenden auf. Je fester aber diese einsame +Triebverirrung den jungen Menschen umklammert, desto schwerer wird es, +von der unsauberen Gewohnheit zu lassen.</p> + +<p>Je häufiger ein menschlicher Trieb rein körperlich und losgelöst +<span class="pagenum"><a id="page23"></a>[Seite 23]</span> von seinen geistigen Beziehungen betätigt wird, desto mehr +sinkt er ins Körperliche hinab und verliert seine geistige Beherrschung.</p> + +<p>Immer wieder triumphiert der dumpfe, schwüle Geschlechtsdrang über den +sittlichen Willen, und jede Niederlage schwächt den Glauben an die +eigene sittliche Kraft, zumal jeder einzelne Akt der Onanie die +allgemeine Kraft verringert und die nervös-geschlechtliche Erregbarkeit +vermehrt. Dann sieht es oft verworren und trostlos im Innern solcher +Menschen aus. Und mancher hat schon vor mir gestanden mit tränendem Auge +und zuckendem Munde, weil die Scham über seine Schwäche ihm namenlose +Qual verursachte.</p> + +<p>Der Onanist träumt sich selbst in die Gewalt der sinnlichen Empfindung +hinein und treibt dadurch jedesmal wieder seinem Fehler entgegen. Und +doch wäre es ratsamer, wenn er sich vorher jenen Zustand von Mattigkeit, +herabgesetzter Spannung, schwächerer Atmung und Herztätigkeit, Reue und +sittlichem Elend vorstellen wollte, der dem Samenverlust folgt. Dies +Bild wäre wohl imstande, seine sinnliche Erregung zu verdrängen.</p> + + +<h3>7.<br/> +Die Folgen der sinnlichen Fehler.</h3> + +<p>Man muß die Gefahr in ihrem ganzen Umfange kennen, wenn man ihr +überlegen begegnen will. Darum will ich dir vorerst einmal sagen, +welchen Schaden diese krankhafte Erregung mit dem Samenverlust bringt. +Ich will nicht übertreiben; denn deine einsamen Verirrungen haben dir +Sorge und Angst genug gemacht. Und ich warne dich vor jenen albernen und +dummen Büchern, die dir das Gespenst eines schrecklichen körperlichen +und geistigen Verfalls vor die Augen malen. Gerade die übertriebenen +Schreckbilder haben schon viel Schaden angerichtet. Ich will die +Wahrheit über die Folgen nicht übertreiben; aber du sollst die Wahrheit +auch nicht fürchten. Also höre!</p> + +<p>Die einmalige Onanie ist von einer starken Erregung begleitet, die alles +Leben rascher in dir antreibt. Die Pulse fiebern, das <span class="pagenum"><a id="page24"></a>[Seite 24]</span> Gesicht +rötet sich, der ganze Körper ist angespannt und wird von dieser einen +verzehrenden Empfindung beherrscht. Es gibt aber ein Gesetz in der Natur +und im Organismus, daß jeder Kraftsteigerung ein Nachlassen der Kraft, +jeder Erregung eine Erschlaffung folgt. So auch hier. Und diese +Erschlaffung zeigt sich auch äußerlich, je mehr die Onanie sich +wiederholt, in blassem Aussehen oder bei gutem Aussehen in merkwürdiger +Unreinheit der Gesichtsfarbe, in dunklen Ringen unter den Augen, in dem +Erscheinen von Pickeln auf der Stirn, in schwitzenden Händen und oft in +gestörter Verdauung.</p> + +<p>Es ist leicht einzusehen, daß ein Schaden, dem jugendlichen Organismus +zugefügt und in die Wachstumsjahre fallend, weit nachteiliger sein muß, +als wenn er in reiferem Alter einen festen und kräftigen Körper trifft. +Dies ist der Fall bei den sinnlichen Fehlern der Jugend, deren größte +Gefahr eben in der frühzeitigen, unbehinderten und häufigen Ausübung +liegt. Denn es gibt viele Knaben und Mädchen, die dem Übel der +Selbstbefleckung längere Zeit hindurch mehrmals am Tage verfallen.</p> + +<p>Der Organismus zieht aber alle Reservekräfte heran, um dem Schaden zu +begegnen. Er überwindet ihn einmal, zweimal, zehnmal und noch öfter. Der +starke Erregungsvorgang setzt sich aber schließlich im ganzen +Nervensystem fest. Denn das Nervensystem ist dasjenige Organ, das alle +diese Vorgänge vermittelt. Die Erregung wird also bleibend, wird zu +einer besonderen Eigentümlichkeit des ganzen Menschen. Eine Zeitlang ist +das Leben dann von besonders kraftvollem Ausdruck, körperlich und +geistig herrscht Hochspannung. Das ist in den zwanziger Lebensjahren, +und viele meinen da, die Onanie habe ihnen nichts geschadet, weil sie +womöglich gut aussehen und keine Klage über mangelhafte Gesundheit zu +führen haben. Trotzdem sie vielleicht gerade noch in dieser Zeit +häufiger onanieren.</p> + +<p>Aber gemach! Es ist immer oberflächlich, die Dinge nur so zu beurteilen, +wie sie im Augenblick erscheinen. Es gibt keinen festen Punkt in der +Natur und im Leben, alles ist ein Werden oder Vergehen. Nicht eine +Sekunde steht das Leben still.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page25"></a>[Seite 25]</span> Auch hier schreitet es weiter, aber nicht mehr aufwärts, sondern +abwärts. Es beginnt die Erschlaffung, der Kraftverlust.</p> + +<p>Wie ist das zu erklären?</p> + +<p>Kennst du ein elektrisches Element? Das ist ein Gefäß, das +verschiedenartige chemische Stoffe enthält, durch die der elektrische +Strom erzeugt wird, den dann der metallische Draht an seinen +Verbrauchsort leitet. So ist es mit der Kraft im Körper, der +Lebenskraft. Sie entsteht und wird frei in der chemischen Umwandlung des +Körperstoffes. Wir können also sagen, Lebenskraft sei tierische +Gewebselektrizität.</p> + +<p>Speisest du mit den elektrischen Elementen etwa eine Klingelanlage oder +sonst einen elektrischen Betrieb, so bedeutet jeder Gebrauch eine +elektrische Entladung, also eine vorübergehende Erschöpfung der +Elemente. Das Element, also die Brutstätte des Kraftstromes, sammelt in +der Ruhe wieder die notwendige Kraft. Wird es aber überstark, ohne +genügende Zwischenpausen, also mißbräuchlich benutzt, so erschöpft sich +das Element vollkommen, wird also zerstört, unbrauchbar.</p> + +<p>Genau so ist es im Körper, der auch ein Element, eine allgemeine +Brutstätte für Lebenskraft ist. Die in den Geweben erzeugte Elektrizität +wird als Kraft durch das Nervensystem allen Teilen des Körpers +zugeführt. Die Onanie bringt eine Steigerung der gesamten +Lebenstätigkeit, eine schnellere Entwicklung, etwa so wie man Pflanzen +durch die schwüle Treibhaushitze zu schnellerem Wachstum, aber auch zu +schnellerem Verblühen bringt. Infolgedessen wird zwar im Körper Kraft +verbraucht, aber auch rascher neu erzeugt, weil der junge, in der +aufsteigenden Entwicklung stehende Körper sich wie ein Akkumulator immer +wieder mit neu erzeugter Kraft ladet. Schließlich aber erschöpft sich +die Brutstätte und erschöpft sich das Krafthauptlager, als das wir das +zentrale Nervensystem – Rückenmark und Gehirn – erkennen.</p> + +<p>Die Geschlechtsorgane sind eine Stätte für elektrische Entladungen. Und +sicher ist, daß beim normalen Zeugungsvorgang zwischen Mann und Weib +eine Stromübertragung stattfindet, <span class="pagenum"><a id="page26"></a>[Seite 26]</span> die bei der Befruchtung und +für dieselbe eine große Rolle spielt. Mann und Weib sind Gegenpole, auch +im rein elektrischen Sinne aufgefaßt. Der Stromentladung folgt eine +Ladung von seiten des Gegenpols. Dem Kraftverlust folgt ein Zustrom an +Kraft, und dieser Vorgang fehlt bei der Onanie gänzlich. Sie ist nur und +ausschließlich Entladung, nur Kraftverlust. Und wenn auch der junge +Körper eine Zeitlang immer wieder den Ausgleich schafft, so vermag +doch – namentlich wenn die Onanie zu häufig ausgeübt wird – der +Körperakkumulator sich nicht wieder genügend und völlig zu laden. Der +Kraftstrom wird immer geringer. Die Kraft schwindet, und die chronische, +also dauernde Schwäche schleicht heran und breitet sich im ganzen +Organismus aus. Im Nervensystem zeigt sich dieser Zustand in der +Veränderung der Marksubstanz. Das Nervenmark verliert seine +Geschmeidigkeit und gleichmäßige Verteilung. Und weil es gewissermaßen +den Strahlpunkt und den Kernstoff des Lebens bildet, so kann man wohl +verstehen, daß das Leben selber, nun, wenn es seinen gar zu frühzeitigen +Höhepunkt überschritten hat, langsam zurückgeht.</p> + +<p>Nun haben alle Tätigkeitsgruppen des Organismus im Gehirn und im +Rückenmark ihre ganz bestimmte Lagerung. Mit diesem Teile steht die +Atmung und die ganze Lungentätigkeit in Verbindung, mit jenem Teil das +Herz, mit einem dritten die Haut, und so fort.</p> + +<p>Die Fortpflanzungstätigkeit hat zum großen Teil ihren Strahlpunkt im +mittleren (Kreuz-) Teil des Rückenmarks. An den Kreuzschmerzen nach +geschlechtlichen Ausschweifungen und bei Geschlechtskrankheiten ist das +sehr wohl zu erkennen. Der Grenzbezirk der Geschlechtlichkeit im +Rückenmark ist aber nur sehr schwer zu trennen von demjenigen der +Verdauungs- (Magen- und Darm-) Tätigkeit. Und diese Tatsache ist +einerseits sehr folgenschwer für den Geschlechtsmißbrauch, andrerseits +aber ein klarer Beweis für die Richtigkeit der von <em class="gesperrt">Dr. Damm</em> +aufgestellten Behauptung, daß der Geschlechtsmißbrauch weit mehr als +alle anderen Schäden als die Hauptursache der Degeneration, <span class="pagenum"><a id="page27"></a>[Seite 27]</span> +d. h. des dauernden Kraftverlustes, anzusehen ist. Das gilt für den +einzelnen Menschen genau so wie für das ganze Volk.</p> + +<p>In der Tat macht sich der Kraftverlust meist zuerst in Störungen der +Magen- und Darmtätigkeit bemerkbar. Und die geschwächte +Verdauungstätigkeit ist so bezeichnend für das Gesamtbild onanistischer +Folgen, daß wir außer der nervösen Schwächung durch den krankhaften +Geschlechtsreiz auch eine auf gleicher Ursache beruhende Verminderung +der inneren Ausscheidung annehmen müssen. Denn das Nervensystem bringt +alle Teile des Organismus zueinander in rege Beziehung, und wenn die +krankhafte Geschlechtserregung sich eine Zeitlang dem ganzen Körper +mitgeteilt hat, dann tritt in allen Teilen eine gewisse Erschöpfung ein.</p> + +<p>Der Magen wird schwach und zeigt Reizbarkeit und eine Art von +Launenhaftigkeit, die sich in Merkwürdigkeiten des Appetits äußert. +Zeitweilig schwindet der Appetit, zeitweilig aber auch tritt er heftiger +hervor, und man vermag zu beobachten, daß mancher geschlechtlich +ausschweifende Mensch einen auffallend gesteigerten Appetit hat. Es +scheint dann, als wolle die Natur den Verlust wieder ersetzen. Aber da +durch eine Herabsetzung der inneren Absonderungen die aufbauende Kraft +vermindert ist, so kann die Nahrung nicht „anschlagen“. Trotz guter +Ernährung findet sich dann ein Gefühl der Schwäche, der Mattigkeit und +Erschöpfung ein, was oft durch das ganze fernere Leben hindurchgeht und +oft allein vom Magen seinen Ausgang nimmt.</p> + +<p>Auch Darmstörungen, meist Trägheit und Verstopfung, sind bezeichnende +Folgen geschlechtlichen Mißbrauchs, und mancher Verdauungsneurastheniker +wird gestehen müssen, daß in oder nach den Jahren der Onanie seine +Verdauungsbeschwerden und seine Mattigkeit begannen.</p> + +<p>Darunter leidet natürlich bald die Ernährung und der Neuaufbau des +Körpers, ebenso die Blutbildung und das gute Aussehen.</p> + +<p>Die Herz- und Muskelkraft und das Muskelgewebe erleiden <span class="pagenum"><a id="page28"></a>[Seite 28]</span> eine +Einbuße, und die Freudigkeit an der Körperarbeit, an Gymnastik, Sport +und Spiel läßt nach.</p> + +<p>Es ist wohl zu verstehen, warum gerade ein Organ, wie das Herz, das an +allen Erregungen des Körpers und der Sinne direkten und unmittelbaren +Anteil nimmt, durch häufige und starke Geschlechtserregungen besonders +erschöpft werden muß. In der Tat treten oft schon nach den zwanziger +Jahren nervöse Herzbeschwerden auf, zunächst als beschleunigter, oft +ganz heftiger, beängstigender Herzschlag sich zeigend, während später +eine gewisse Herzschwäche sich einstellen kann.</p> + +<p>Der verminderten Stoff- und Säfteumwandlung in den Geweben folgt auch +eine Verminderung der Wärmebildung, und leichtes und öfteres Frösteln, +Gefühl von Unbehaglichkeit, tritt auf. Kalte Hände und Füße, dazu beide +leicht schwitzend, stellen sich ein.</p> + +<p>Die Hauttätigkeit kann gleichfalls erschlaffen; denn sie steht in +regsten Wechselbeziehungen zu den Nervenzentren und vor allem zu der +Geschlechtstätigkeit. Ebenso wie sie durch Rötung, Blutfülle, Schwitzen +usw. an den Geschlechtserregungen teilnimmt, wird sich die organische +Erschlaffung auch durch herabgesetzte Hautarbeit kennzeichnen. Es fehlt +der Haut die pralle, blutreiche Straffheit. Sie beteiligt sich nicht +mehr regsam genug am allgemeinen Stoffwechsel, verliert ihre Fähigkeit, +sich zusammenzuziehen und auszudehnen und dadurch der wechselnden +Witterung und plötzlichen Kälteeinflüssen sich anzupassen. Sie fröstelt +leicht, es bilden sich krankhafte Schweiße, und namentlich im Kreuzteil +des Rückens ist der Wechsel von heiß und kalt und jenes angstvolle +Schwächegefühl oft eine ständige Erscheinung. Die Unreinlichkeiten der +Haut, Pickel, Ausschläge, die schon während der jugendlichen Onanie so +bezeichnend sind, kann man bei den geschlechtlich erschlafften Menschen +oft im ganzen Leben beobachten. Das Haar verliert seinen Glanz und seine +Triebkraft, und bald beginnt es grau zu werden oder auszufallen. Daß wir +heute Kahlköpfe selbst unter den jungen Leuten sehen, ist kein +Ruhmeszeichen für unser deutsches Volk. Denn wenn schon <span class="pagenum"><a id="page29"></a>[Seite 29]</span> die +Jugend Erscheinungen des Alters trägt, dann hat das Volk den Weg abwärts +beschritten.</p> + +<p>Der Haarausfall hängt ganz sicherlich auch mit der Verminderung der +ausdünstenden Tätigkeit der Haut zusammen, deren Gleichmäßigkeit eine +notwendige Bedingung der Gesundheit ist. Der durch die erschlafften +Gewebe bewirkte unvollkommene Stoffwechsel stellt eine Vergiftung des +Körpers durch chemische und gasförmige Stoffe dar, die den Haarboden +zerstören. Ebenso bedeutet aber auch die krankhafte Schweißbildung, die +in den Folgen des geschlechtlichen Mißbrauches auftritt, eine nervöse +und Gewebserschlaffung.</p> + +<p>Da nun das Leben und die mancherlei Berufe große Anforderungen an die +Nervenkraft stellen, denen der geschwächte Organismus nicht mehr gewachsen +ist, so sehen wir bald das Bild der Nervosität in all den trüben Farben, +die uns jeder Tag und sozusagen jeder Mensch zeigt. Schlaflosigkeit, +Unruhe, Zerfahrenheit, Zerstreutheit, Gedächtnisschwäche, Mangel an +Konzentration und Willenskraft, Melancholie und alle diese Feinde eines +gesunden, frischen Lebens stellen sich ein, die geistige Schwungkraft und +Arbeitsfreudigkeit der Jugendjahre schwinden. Die Denkkraft vermindert +sich, und der Kampf zwischen Wollen und Können endet oft in der bitteren +und verzweifelten Erkenntnis des Nichtmehrkönnens.</p> + +<p>Wie viele sind es schon, die mir diesen beklagenswerten Zustand erzählt +haben, viele, die ganz genau wissen, wie geistig munter sie früher +waren, und welch ein geistiges Wrack sie nun geworden sind! Wie vielen +habe ich in dieser Lage schon Trost und Mut und Rat für eine +Lebensführung geben können, die den Körper wieder kräftigt<a name="FNanchor_A_1" id="FNanchor_A_1"></a><a href="#Footnote_A_1" class="fnanchor">[1]</a>.</p> + +<p>Auch die Lungen und Bronchien leiden unter den erschöpfenden Erregungen +und dem Samenverlust. Ist die Lunge von Haus aus schwach, so kann sie +ernstlich erkranken. Ein durch sinnliche <span class="pagenum"><a id="page30"></a>[Seite 30]</span> Fehler erschöpfter +Organismus ist ganz sicher ein besserer Angriffspunkt für die +Tuberkulose, für Lungenentzündung und für ungünstige klimatische +Einflüsse als ein vollsaftiger Organismus.</p> + +<p>Die krankhaften Veränderungen des Seelenlebens, Gereiztheit, +Launenhaftigkeit, Übelnehmen, Einbildung, Trübseligkeit und dergleichen +machen den Menschen sich selbst und gegenseitig das Leben schwer.</p> + +<p>Wenn wir dann diese Veränderung des Charakters und die Abschwächung des +Willens sorgfältig beobachtend verfolgen, so ist es durchaus einleuchtend, +daß bei einem so untergrabenen körperlichen und sittlichen Fundament +gewisse angeborene krankhafte Neigungen, wie Unverträglichkeit, +Gehässigkeit, Neid, Trägheit, ja selbst verbrecherische Triebe, eine +Steigerung erfahren können. Der Mensch und sein Leben sind nichts Fertiges +und Unveränderliches, sondern sind ein immerwährendes Werden, ein Etwas, +das sich aus Anlage und äußeren Einflüssen werdend ergibt. Sind die +körperlichen Grundlagen erschüttert und die sittlichen Hemmungen +geschwächt, so wird es einer krankhaften oder verbrecherischen Neigung +leichter gemacht, zu triumphieren. Das erscheint mir durchaus logisch und +bestätigt sich auch durch die Erfahrung. Überall hat die Onanie einer +schlechten Anlage Vorschub geleistet.</p> + +<p>Und wenn dann dem großen Wollen und Wünschen im Leben sich Schwäche und +Krankheit in den Weg stellen, wenn die frühzeitige Erschlaffung sich +körperlich und geistig bemerkbar macht und der Organismus, den Blick auf +das Lebensziel gerichtet, auf halbem Wege zusammenbricht, dann zieht oft +trostlose Verzweiflung ins Gemüt. Reue und Selbstanklagen zermartern den +Sinn; denn es wurde ja vorzeitig im Leben die Kraft vergeudet, die all +dies große Wollen zur Tat werden lassen sollte.</p> + +<p>Die Reizempfänglichkeit des Körpers wird mehr und mehr auf +geschlechtliche Eindrücke eingestellt, und er beantwortet schließlich +mit geschlechtlicher Erregung auch solche Reize, die keinerlei +geschlechtlichen Charakter tragen und an einem gesunden Organismus +spurlos vorübergehen. Diese häufige Geschlechtserregung <span class="pagenum"><a id="page31"></a>[Seite 31]</span> halten +viele in einem bedauerlichen Wahn für Kraft. Sie ist aber meist das +Gegenteil, ist nervöse Schwäche.</p> + +<p>Diese häufigen Erschütterungen von Rückenmark und Gehirn, an denen alle +Organe, Herz, Lungen, Magen, Leber, Haut usw. teilnehmen, können +schließlich jene äußerste Schwächung des Nervensystems im Gefolge haben, +die wir als Neurasthenie kennen, und die mit ihren Erscheinungen endlich +auch in das geschlechtliche Leben hineinragt, weil sie die +geschlechtliche Kraft zu vermindern und mancherlei Störungen +hervorzurufen vermag.</p> + +<p>Von diesen Störungen erwähne ich vor allem die Pollutionen, jene +nächtlichen Samenergüsse, die als Zeichen der Lendenmarksschwäche +häufiger auftreten. Sie werden ausgelöst durch viele äußere und innere +Reize, die an sich ganz unbedeutend sein können und beim Gesunden auch +tatsächlich keinen Eindruck machen. Hier aber wird der Schlaf sehr durch +wollüstige Träume gestört, und Samenergüsse vermehren die allgemeine +Mattigkeit und das Gefühl des körperlichen Elends.</p> + +<p>Der durch die sinnlichen Verirrungen bewirkten krankhaften +Geschlechtserregung folgt fast mit Sicherheit im späteren Leben ein +frühzeitiges Sinken der Geschlechtskraft. Und dieser disharmonische, +unnatürliche Zustand, der das ganze Volk durchzieht, raubt den Menschen +viel Liebesglück und Daseinsfreude und den Ehen sehr viel, oft alles, +von der inneren Poesie.</p> + +<p>Bei der ausgedehnten und sehr feinen Durchnervung des gesamten +Geschlechtssystems muß ja das Nervensystem unter geschlechtlichen +Fehlern am meisten leiden. Das macht sich in der oft so grenzenlos +matten und verzweifelten Stimmung bemerkbar, in ihrer raschen +Wandelbarkeit und Sprunghaftigkeit, sowie in einer Reizbarkeit oder +Abgestumpftheit der Sinne. Namentlich Augen und Ohren leiden. Denn +während einerseits Sehschwäche, und zwar Kurzsichtigkeit, ganz +sicherlich in vielen Fällen auf heftige Onanie zurückzuführen ist, +finden wir andrerseits das Ohrensausen als ein ganz außerordentlich +verbreitetes Zeichen nervöser Störungen. Auch der Geschmack leidet und +richtet sich darum oftmals auf ganz merkwürdige Dinge. Vor allem ist oft +<span class="pagenum"><a id="page32"></a>[Seite 32]</span> das Sättigungsgefühl verloren, und dadurch kommt es zu +überstarker Nahrungsaufnahme.</p> + +<p>Nicht jeden trifft's so schwer. Und wen die Vererbung mit großer Kraft +bedachte, der vermag noch Leistungsfähigkeit ins spätere Leben +hinüberzuretten. Aber doch sollte niemand die Gefahr verkennen und mit +leichtem Sinn und scherzendem Wort über diesen tiefinneren Zusammenhang +zwischen Geschlechtskraft und Lebensaufbau, zwischen Geschlechtsmißbrauch +und Lebenszerfall hinweggehen.</p> + +<p>Wer nicht direkt und unmittelbar den Schaden der Kraftvergeudung +verspürt, der darf darum nicht sagen, es habe ihm gar nichts geschadet. +Denn in den Gesetzen des Nervenlebens liegt es, daß die feindseligen +Reize zunächst eine Kraftsteigerung bringen, der aber früher oder später +das Niedergehen der Kraft folgt. Der Kräftige hat freilich mehr +Widerstand als der Schwächling, aber wohl jeder wird an einen Zeitpunkt +gelangen, wo mit einem Male seine Widerstandskraft gegen Arbeit, Unruhe, +Klima und Temperatur, schwerere Speisen, Ärger und dergleichen geringer +wird und er mehr oder weniger klar empfindet, wie eng das mit der +Kraftverschleuderung in den Jugendjahren zusammenhängt.</p> + +<p>Das Geschlechtsproblem löst sich nicht allein in der Zeugung und +Fortpflanzung. Nach außen zwar läßt die Geschlechterliebe in der Tiefe +der Leidenschaft ein neues Menschenleben entstehen. Aber ich wies schon +darauf hin, daß in ihrer inneren Wirkung die Geschlechtlichkeit sowohl +den männlichen wie den weiblichen Charakter ausgestaltet. Werden die +Organe, in denen der Zeugungsstoff entsteht, also beim Manne die Hoden +(Samenbereiter), auf operativem Wege entfernt, wie es bei der Entmannung +in den morgenländischen Völkern und teilweise auch bei abendländischen +geschah und geschieht, so sehen wir von derselben Stunde an eine völlig +andere Entwicklung des betreffenden Individuums. Es entsteht ein von +Grund aus anderer Charakter, der etwas Rückschrittliches, +Unentwickeltes, darstellt und teilweise unangenehme Züge aufweist.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page33"></a>[Seite 33]</span> Hier haben wir einen glänzenden Beweis für die entscheidende +Bedeutung des Geschlechtlichen im Menschenleben. Und wir erkennen, daß +der Geschlechtsmißbrauch auch eine Art Entmannung ist; denn er ist +Verlust der Kraft auf andere Weise.</p> + +<p>Die Wissenschaft hat den hochwichtigen Beweis erbracht, daß der Körper +in seinem Innern außer den Keimzellen in den Keimdrüsen noch durch +einige andere Drüsen, die an der Entstehung des Geschlechtsempfindens +mitbeteiligt sind, einen chemischen Stoff erzeugt, der im ganzen Körper +anregend und belebend wirkt. Darum verstehen wir, warum die aufkeimende +Liebesempfindung des einen Menschen zum andern so wunderbar fördernd auf +ihn selber wirkt. Darum eben erkennen wir in dem Liebes- und +Geschlechtsempfinden die Quelle alles Empfindens, alles Denkens und +aller Kraft überhaupt. Es ist der geheimnisvolle Urquell all der +wunderbaren Spannung, die die Jugend vor dem Alter auszeichnet. Gerade +darum aber wirst du auch verstehen, warum diese jugendliche Spannung, +diese Kraft und Frische, dieser schnell erfassende Geist, dieser rasche +Entschluß, dieser feste Wille, dieser Reichtum des Empfindens, warum das +alles schwinden und der trübseligen Schwäche Platz machen muß, wenn in +der häufigen Onanie die Zeugungskeime verschwendet werden und jenem +wunderbaren chemischen Lebensstoff der Weg zu seiner Wirksamkeit verlegt +wird.</p> + +<p>Von allen Seiten türmen sich Gründe auf, aus denen du selbst den Schluß +ziehen kannst, daß die geschlechtliche Reinheit, das Freisein von +geschlechtlicher Ausschweifung, die wichtigste Entwicklungsfrage deiner +Jugend ist.</p> + + +<h3>8.<br/> +Die Hoffnung auf neue Kraft.</h3> + +<p>Glaube nicht, daß ich in irgendeinem Punkte übertrieben habe, oder daß +ich nur deshalb übertrieb, um dich von falschem Tun abzuschrecken. Und +wenn du schon ein Opfer krankhafter geschlechtlicher Erregungen wurdest, +so möchte ich nicht, daß meine <span class="pagenum"><a id="page34"></a>[Seite 34]</span> Worte in dir Verstörung, Angst +und Verzweiflung erregen. Das, was geschah, war nicht gut, war +schädlich. Gewiß! Aber laß es dich nicht niederdrücken! Trage nicht die +Ketten trüber Erinnerungen mit dir herum, sondern schau auf die nächste +Zukunft. Wir Menschen irren viel. Und wenn's geschah, soll die +Erkenntnis niemanden niederdrücken, sondern Mut und Entschluß geben zu +einem kraftvolleren, gesunderen Leben. Der Wille zum Guten muß vorhanden +sein, der rasche, frische Wille. Laß dich das Bild der Folgen nicht +niederdrücken, aber laß es dir den energischen Entschluß geben, von +heute ab den ruhigen, verständigen Kampf gegen die einsame Verirrung +aufzunehmen.</p> + +<p>Zähme deine Ungeduld und lasse nicht erneute Trostlosigkeit einziehen, +wenn die Schäden der Verirrungen nicht gleich verschwinden. Es braucht +dazu oft viel Zeit und viel Geduld. Nicht jeder kehrt wieder zur +ursprünglichen Kraft zurück. Wenn's auch bei dir so ist, so wisse, daß +dein Leben sich den krankhaft veränderten Verhältnissen in deinem +Organismus anpassen muß. Verringerte Kraft bedingt ein weniger ergiebiges +Leben. Dies alles, also die Grundlagen deiner zukünftigen Lebensweise, +lernst du kennen aus <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Alfred Damms</em> Reizlehre, und du kannst +sie aufmerksam studieren in meinem Buche „Der nervöse Mensch“.<a name="FNanchor_A_2" id="FNanchor_A_2"></a><a href="#Footnote_A_2" class="fnanchor">[2]</a></p> + +<p>Lasse dich nicht täuschen durch die Anpreisung von Heilmitteln und von +Stoffen, die entweder nur vorübergehend als Reiz wirken und Gesundung +vorspiegeln oder aber einige Erscheinungen unterdrücken und dadurch zu +einem weniger sorgfältigen Leben Anlaß geben, während doch zugleich die +Schwäche weiter und geheimnisvoller sich im Körper einnistet. Viele +solcher Mittel und Medikamente erhöhen nur den Geschlechtstrieb. Aber es +folgt später eine um so tiefere Erschlaffung. Die Gesundung und +Kräftigung kann immer nur aus dem Organismus selbst kommen, aus seinem +verbesserten und vorsichtig überwachten Lebensbetrieb. Das ist ein zwar +langer und langsamer Weg, <span class="pagenum"><a id="page35"></a>[Seite 35]</span> aber einer, der sicher zum Ziele +führt. Versuche nur niemals durch Reizmittel und starke Antriebe +irgendwelcher Art deine Schwäche zu überwinden. Denn oft liegt gerade in +dem Gefühl der Schwäche ein Bestreben des Körpers, Herr zu werden über +einen krankhaften Vorgang, einen Überreiz zu beseitigen, eine besondere +Anpassung oder Absonderung zu bewirken. Aus jenem obengenannten Buche +über das Nervenleben wirst du erkennen, daß der Organismus ein +einheitliches Getriebe ist, und daß alle günstigen oder ungünstigen +Einflüsse nicht nur ein einzelnes Organ, sondern das ganze System +treffen. So kann also die Kräftigung nur eine allgemeine organische, +langsame, aber umfassende sein.</p> + + +<h3>9.<br/> +Die Kräftigung nach jugendlichen Verirrungen. Die Bekämpfung krankhafter +Sinnlichkeit.</h3> + +<p>Was soll ich nun tun, um mich wieder zu kräftigen? Und wie werde ich des +Triebes Herr, der mich quält und unruhig mir im Fleisch sitzt? –</p> + +<p>Diese Frage liegt dir auf den Lippen, und ich höre sie von Tausenden +deiner Altersgenossen. Auch darüber wollen wir sprechen.</p> + +<p>Der Trieb kommt aus dem Fleische, aus dem chemisch-physikalischen +Getriebe des Körpers, und darum ist es wohl ein Gebot der Klugheit, ihm +zunächst mit den Waffen der körperlichen Pflege und der gesundheitlichen +Zucht beizukommen.</p> + +<p>Das wird nicht von allen Seiten anerkannt, und es gibt Leute, die viele +Worte machen und dicke Bücher schreiben, und entweder an der Onanie und +den einsamen Leiden junger Menschen mit ein paar Worten vorbeigehen oder +aber das Körperliche dabei kaum beachten. Ich will diesen Leuten keinen +Vorwurf machen, so sehr der Ernst der Sache es rechtfertigen würde. Aber +ich sage es, um dich ganz besonders auf die körperliche Entstehung des +Geschlechtstriebes <span class="pagenum"><a id="page36"></a>[Seite 36]</span> und damit auf die körperlichen +Heilungsmöglichkeiten der Onanie hinzuweisen.</p> + +<p>Pflege deinen Körper! Halte dich gesund und frisch und straff! Ich sagte +dir schon, daß ein geschwächtes und darum reizbares Nervensystem den +sinnlichen Anreizen, die von überall herkommen, und die man nicht alle +abwehren kann, keinen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Es erliegt der +geschlechtlichen Erregung. Der gesunde Körper, der Mark und Saft hat, +bleibt eher im Gleichgewicht. Alles Gesunde ist in sich ruhig.</p> + +<p>Was gehört zur gesunden Lebensführung?</p> + +<p>Nichts weiter, als die einfache Befolgung der Naturgesetze, die sich für +den Menschen aus der vergleichenden Naturbeobachtung ergeben. Ein +gesunder Gebrauch der Kräfte und Organe, damit sie in ruhiger, +gleichmäßiger Anstrengung erstarken.</p> + +<p>Aus Atmung, Ernährung, Muskelarbeit und Ausscheidung setzt sich das +körperliche Leben zusammen.</p> + +<p>Atme planmäßig, tief und ergiebig. Besser, als du es bisher getan, und +gründlicher, als es die meisten Menschen tun. Atmung ist Leben. Die +Atmung ist die dynamische, das heißt die Antriebskraft für den ganzen +Organismus. Von hier aus gehen die feinen Schwingungen, die überall die +Organe zur Tätigkeit anregen. Der Atem ist Stoffwechsel. Denn wir +entnehmen der Luft den belebenden Sauerstoff, das Brennmaterial des +Lebens, und befreien im Ausatmen den Körper von der giftigen +Kohlensäure. Die Kohlensäure ist ein lähmendes Gift, das, wenn es +zurückgehalten wird, den Körper erschlafft, den Aufbau in den Geweben +hemmt, den Geist träge macht und durch all dies der Geschlechtserregung +die Tore öffnet. Tiefes Atmen, namentlich energisches Ausatmen, befreit +den Körper von der Kohlensäure.</p> + +<p>Darum atme grundsätzlich dreimal jeden Tag etwa 10 bis 15 Minuten lang +tief und ergiebig ein und aus. Etwa morgens gleich nach dem Erwachen, +mittags vor dem Essen und abends vor dem Schlafengehen. Nimm dabei eine +aufrechte Haltung mit zurückgebogenen Schultern an, und wenn du glaubst, +gut ausgeatmet zu haben, dann versuche zum Schlusse noch – ohne neuen +<span class="pagenum"><a id="page37"></a>[Seite 37]</span> Atem zu nehmen – den Buchstaben <span class="antiqua">e</span> langsam singend +herauszupressen, solange du kannst, dann wird der letzte Rest +verbrauchter Luft aus der Lunge entfernt sein, und du kannst die +wundersame Saugkraft deiner Lungen wieder in einem nun um so tieferen +Atemzug bewundern.</p> + +<p>Du wirst mir für diesen Rat dankbar sein, wenn du erkennst, welche +Wunder solch ein tiefes, planmäßiges und vor allen Dingen tägliches +Atmen an Körper und Geist zuwege bringt.</p> + +<p>Die zweite – und sicherlich die wichtigste – Forderung liegt in der +Ernährung.</p> + +<p>Die Nahrung soll den Körper aufbauen, ihm seine Wohlgestalt und die +Kraft zur Arbeit geben.</p> + +<p>Als die erzeugende Substanz der Kraft gilt das Eiweiß. Und weil davon +das Fleisch besonders viel enthält, so ist seit langem in der +Wissenschaft, und von da aus in den allgemeinen Anschauungen, der Satz +feststehend, daß Fleisch = Kraft sei. Die praktische Folge davon ist, +daß alle Welt gern und viel Fleisch ißt. Je mehr das Volk in seiner +Gesamtheit degeneriert, desto mehr sucht es durch Fleischnahrung seiner +sinkenden Kraft aufzuhelfen.</p> + +<p>Das ist verständlich, so groß auch wohl der Irrtum ist. Und die +Vegetarier, das sind die ohne Fleisch und nur von Pflanzenkost lebenden +Menschen, haben durch glänzende Siege bei sportlichen und gymnastischen +Veranstaltungen längst jenen alten Satz der Medizin widerlegt. Unter den +Siegern bei solchen Veranstaltungen sind die meisten Vegetarier.</p> + +<p>Jedes Nahrungsmittel hat seine ganz bestimmte chemische Zusammensetzung, +und jeder von diesen chemischen Stoffen hat eine besondere Wirkung auf +den Körper und damit auch auf den Geist. Sie können nun so wirken, daß +sie die Blutbeschaffenheit beeinflussen, oder so, daß sie direkt das +Nervensystem erregen, und schließlich so, daß sie bei der Ausscheidung +ihrer Stoffwechselreste durch die Nieren <em class="gesperrt">reflektorisch</em> erregen, +d. h. erst die Schleimhäute der Harnwege und von diesen aus die +Geschlechtsnerven erregen. In jedem Falle kann ein erregender Einfluß +auf die Geschlechtsempfindungen <span class="pagenum"><a id="page38"></a>[Seite 38]</span> zustande kommen, und das können +wir vom Fleisch mit Bestimmtheit behaupten.</p> + +<p>Es wäre mit dem Fleisch nicht gar so schlimm, wenn man nicht zwei +Übelstände nebeneinander sich ausbreiten sähe. Die Grenzlinie für eine +normale, ausreichende Ernährung hat sich längst verschoben, und die +Menge dessen, was viele Menschen essen, geht weit über das Maß des für +sie Zuträglichen hinaus. Namentlich wird zu viel Fleisch gegessen. +Andererseits fehlt aber das für eine solch starke Nahrungsmenge +notwendige Maß von Bewegung, zumal Fleischnahrung an und für sich träge +macht. So kommt also eine schädliche Wechselwirkung zustande.</p> + +<p>Die Pflanzenkost verlangt wegen ihres größeren Darmballastes mehr +körperliches Bewegen; aber sie befähigt dazu auch in weit höherem Maße, +denn Pflanzenkost macht den Körper frischer und beweglicher, den Geist +und den Willen frischer und mobiler. Pflanzenkost hält auch die +Darmtätigkeit rege, während starke Fleischnahrung nach einiger Zeit +Darmträgheit, also Verstopfung, im Gefolge hat. Dadurch entstehen +giftige Gase, die die Gewebe durchdringen und reizend und erregend auf +die Geschlechtsnerven einwirken. Das tut ja nun das Fleisch schon an und +für sich, und zwar durch Stoffe, die ohnehin in ihm enthalten sind, und +durch andere Stoffe, die durch den Vorgang des Schlachtens oder +denjenigen des Jagens in dem getöteten Tier erzeugt worden sind, und die +man schlechthin als „Angststoffe“ bezeichnen kann. Das Vorhandensein und +die Wirkung dieser Angststoffe ist durchaus keine Phantasie, sondern +eine durch nichts hinwegzudisputierende Tatsache. Jedem geistigen +Vorgang geht ein bestimmter Stoffwechselvorgang parallel. Spritzt man +den Angstschweiß eines gejagten Tieres einem anderen ins Blut, so kann +dasselbe sterben. Ja, das geängstete Tier kann ebenso wie der geängstete +Mensch am Herzschlag sterben. Das ist nur und ausschließlich die Wirkung +der freigewordenen giftigen Angststoffe.</p> + +<p>Es ist verständlich, daß diese im Fleisch enthaltenen, durch das Töten +vermehrten Stoffe auch auf den Menschen ihre reizende und erregende Wirkung +entfalten. Dieser Reiz ist, weil widernatürlich, <span class="pagenum"><a id="page39"></a>[Seite 39]</span> ein Überreiz, und +er wirkt überall da am stärksten, wo die Widerstandsfähigkeit am geringsten +ist. Wer zur Trägheit neigt, wird durch das Fleisch noch träger, wer +jähzornig ist, wird durch das Fleisch noch mehr gereizt, und so wird durch +das Fleisch auch die geschlechtliche Reizbarkeit gesteigert und die Onanie +gefördert. Der Fleischgenuß soll also auf das geringstmögliche Maß +herabgesetzt oder ganz ausgeschaltet werden.</p> + +<p>Es ist recht interessant, daß Kinder, die frühzeitig lebhaft nach +Fleisch verlangen, zu frühzeitigem geistigem und körperlichem Verfall +neigen, während andererseits Kinder, die sich dem Fleisch widersetzen, +eine kräftigere, ruhigere, überhaupt normalere Entwicklung nehmen.</p> + +<p>Besonderer Gunst erfreut sich ja das Wildbret (Hasen-, Rehbraten +u. dergl.). Und doch ist gerade von unserem Gegenstand aus vor dem Fleisch +des Wildes zu warnen. Denn abgesehen davon, daß das Wild vor dem Tode +gehetzt wurde, läßt man es meist vor der Zubereitung noch tage-, ja +wochenlang (drei Wochen!) „abhängen“, um einen bestimmten Geschmack zu +erzeugen, den man „<span class="antiqua">haut goût</span>“ nennt. Dieser Geschmack ist aber nur die +Folge eines Zerfall- (Verwesungs-) Vorganges, der bestimmte Zerfallsstoffe +freiwerden läßt, deren Geruch und Geschmack dem unverdorbenen Menschen +höchst widerlich sind, deren aufreizende Wirkung auf den Organismus +jedenfalls sehr stark ist und nicht in Frage gestellt werden kann. Denn +ausgesprochenermaßen ist das ja der Zweck des Wildbretgenusses.</p> + +<p>Noch vorsichtiger sollen alle diejenigen, die unter geschlechtlichen +Anfechtungen leiden, mit dem Genuß von Wurst sein. Abgesehen davon, daß +sie ein recht teures und an Nährwert dem Preise durchaus nicht +entsprechendes Nahrungsmittel ist, wird einigen und gerade den besseren +Sorten recht viel Gewürz (Pfeffer, Salz usw.) beigemengt, dessen Wirkung +auf die Geschlechtserregung durch alltägliche Beobachtung bewiesen wird.</p> + +<p>Viel Aufhebens wird ja in der Ernährung des Volkes von Fleischbrühe und +Fleischextrakt gemacht. Erstens herrscht darin die gedankenlose +Überlieferung und zweitens die suggestive <span class="pagenum"><a id="page40"></a>[Seite 40]</span> Macht der ungeheuren +Reklame, die für künstliche Fleischextrakte gemacht wird. Es muß gesagt +werden, daß der Gehalt an eigentlichen Nährstoffen bei der Fleischbrühe +nur sehr, sehr gering ist, und man die anregende Wirkung nur jenen +Auszugsstoffen zuschreiben muß, über deren reizende und erregende Rolle +wir schon sprachen. Wenn die Fleischbrühe hier und da im medizinischen +Sinne als Reizmittel Verwendung findet, so hat das seine Gründe. Als +Nahrung aber ist die „Bouillon“ nicht das, was man von ihr hält. Sie +gehört mit zu jenen inneren Geschlechtsreizen, die um so gefährlicher +werden, je weniger man sie in ihrem Wesen kennt, je häufiger und +gedankenloser man sie also verwendet. Wer über seine Sinne wachen muß, +der darf sich nicht am guten Willen genügen lassen, sondern muß jene oft +handgreiflichen Triebkräfte seiner sinnlichen Erregbarkeit abstellen, +damit nicht der Geist den Kampf gegen das – „Fleisch“ im doppelten +Sinne zu führen hat.</p> + +<p>Auch andere Nahrungsmittel gibt es, die in diesem Sinne keineswegs +unbedenklich sind. Ich nenne vor allem die Eier. Sie scheinen die +Samenerzeugung zu steigern, haben aber besonders eine Wirkung auf den +Blutdruck. Hoher Blutdruck drängt gewissermaßen zur geschlechtlichen +Entspannung, durch die er herabgesetzt wird, weshalb alles, was ihn +steigert, vermieden werden sollte. Das chemische Medium dabei sind die +Alkaloide, die als „Harnsäure“ eine nach verschiedenen Richtungen hin +krankmachende Wirkung entfalten. Sie sind aber auch im Kaffee und im Tee +enthalten, weshalb diese Getränke jedenfalls nicht gewohnheitsmäßig und +nicht in starkem Aufguß genossen werden sollten. Ein schwacher Tee ist +weitaus besser als der übliche Kaffee, der bei den meisten Menschen ganz +bedenklich die Magenarbeit stört, die Nerven erregt und bei jungen +Menschen recht geeignet ist, sinnliche Bilder in die Phantasie +hineinzuspiegeln.</p> + +<p>Gewürze sind über ein gewisses Maß hinaus zu verwerfen. Denn als +Fremdstoff üben sie eine reizende Wirkung auf die Geschlechtsnerven aus. +Werden die Nahrungsmittel, besonders die Salate und Gemüse, richtig +zubereitet, so verlangen sie nicht einmal <span class="pagenum"><a id="page41"></a>[Seite 41]</span> so viele Gewürze, +aber gerade weil man in der Ernährung den Boden des Einfach-Notwendigen +verlassen und sich oft zur sogenannten „Delikatesse“, zur +Feinschmeckerei, zur Raffiniertheit verstiegen hat, hat man den +Geschmack an einfachen und natürlichen Nahrungsmitteln verloren und das +Nervensystem in einen beständigen Aufruhr, in eine „Süchtigkeit“ +versetzt, die heftig das verlangt, an das es gewöhnt wurde, wenn es auch +falsch war. An diesem Aufruhr ist das Geschlechtsempfinden beteiligt. Es +wird aus der gesunden Ruhe aufgescheucht, zu krankhafter Erregung +getrieben, und es wäre recht gut und förderlich, wenn alle die jungen +Menschen, die in heißem Ringen um ihre sittliche Würde immer wieder der +geschlechtlichen Anfechtung verfallen, ganz sorgfältig die Nahrung +prüfen würden, damit die inneren Geschlechtsreize unterbunden werden, +bevor man den sittlichen Willen in den Kampf schickt.</p> + +<p>Man darf behaupten, daß eine vegetarische Diät weit mehr den natürlichen +Lebensgesetzen des menschlichen Organismus angepaßt und darum nach jeder +Richtung hin geeignet ist, Unruhe und Krankheit aus dem Körper zu +beseitigen und normale, ruhige, gesunde Verhältnisse wiederherzustellen. +Dem menschlichen Geschlechtsleben ist der starke Fleischgenuß +verderblich gewesen, und eine Rückkehr zu einfacher Pflanzennahrung wird +wieder gesunde Ruhe und ruhige Kraft bringen.</p> + +<p>Kennst du so die gefährliche Wirkung der mit der Nahrung eingeführten +Reizstoffe, so mußt du auch daran denken, daß die Resterzeugnisse des +Verdauungs-, Assimilations- und Stoffwechselvorganges gerade wegen ihres +Zerfallscharakters auch nichts anderes als schädliche Reizstoffe sind. +Sie müssen den Körper sobald wie möglich verlassen. Nur dann, wenn es +geschieht, kann man von einem gesunden Stoffwechsel sprechen. Es +geschieht aber nicht immer, und die Zahl der Menschen ist Legion, die an +Darmträgheit oder Verstopfung leiden.</p> + +<p>Über die Ursachen dieses Übels sprachen wir schon. Zu viel Fleischkost +und zu wenig Bewegung, also nervöse und Muskelerschlaffung. Später wird +die Darmerschlaffung eine Folge des <span class="pagenum"><a id="page42"></a>[Seite 42]</span> geschlechtlichen +Mißbrauches in der Jugend. Mit diesen Ursachen kennen wir zugleich auch +die Mittel zur Beseitigung. Notwendig ist diese; denn der gefüllte Darm +übt rein mechanisch einen Druck aus, der sich in Geschlechtserregung +auslöst. Grobes Brot (Schrot-, Graham-, Simons- oder Molkenbrot), +Gemüse, Salate und reichlich Obst führen in den meisten Fällen eine gute +Darmtätigkeit herbei.</p> + +<p>Auch die gefüllte Blase steigert auf reflektorischem Wege den +Geschlechtsreiz, und namentlich junge Männer haben am Morgen beim +Erwachen meist Gliederregungen, die mit dem Harndrang zusammenhängen. +Ist die Harnblase entleert, so ist meist auch die Erregung verschwunden. +Im Hinblick darauf sollten junge Männer es vermeiden, am Abend viel zu +trinken. Das Trinken ist ja schon an sich sinnlos, aber für die +Zurückdrängung der Sinnlichkeit besonders zu beachten.</p> + +<p>Den alkoholischen Getränken gegenüber entschließest du dich am besten zu +vollkommener Enthaltsamkeit. Bier, Wein, Schnaps, Liköre und dergleichen +haben keinen Wert als Nahrungsmittel und werden darin von den +allereinfachsten Dingen wie Milch, Brot, Käse, Obst und Obstsäften +übertroffen. Als Reizmittel aber sind sie dem Nervensystem verderblich, +dem Geschlechtstrieb gefährlich, und darum ist es sinnlos, sie zu +trinken. Im Kampf mit dem Geschlechtstrieb muß man solche gefährlichen +Gegner, wie den Alkohol, zu allererst verscheuchen.</p> + +<p>Ich will an dieser Stelle einiges über das Bett sagen; denn auf sein +Schuldkonto ist manches von den sinnlichen Verirrungen zu setzen. Mit +zunehmender Kultur wurden Unter- und Oberbett und auch die Kissen immer +weicher, schmiegsamer. Dadurch wird die Berührung dieser Dinge mit dem +Körper inniger, und das ist angesichts der großen Empfindsamkeit der +äußeren Nerven nicht unbedenklich. Es entsteht unter den Federbetten +eine Wärmestauung, und Wärme steigert überall das Empfinden. Wenn nun +aus gesteigerter Wärme und äußeren Tastreizen sinnliche Träume +entstehen, so geschieht es leicht, daß die Hände die geschlechtlichen +Organe berühren und eine Geschlechtserregung <span class="pagenum"><a id="page43"></a>[Seite 43]</span> unbewußt im +Schlafe oder auch bewußt herbeiführen. Mancher junge Mensch wacht +plötzlich vom Schlafe auf in einem Augenblicke, wo der onanistische Akt +ganz oder teilweise vollführt ist.</p> + +<p>Diese Gefahr ist ganz besonders groß morgens kurz vor oder nach dem +Erwachen, wo die gefüllte Harnblase eine Erregung verursacht und die +Bettwärme sinnliche Bilder entstehen läßt. Am Morgen ist namentlich bei +nervösen oder sonstwie leidenden Menschen die allgemeine Kraft und +besonders die Willenskraft noch gering. Beide wachsen erst an den +Arbeitspflichten des Tages. In dem Träumen und Hindämmern im Bett nach +dem Erwachen liegt etwas riesig Gefährliches, und es hat wohl schon +ungezählte Tausende von jungen Menschen ihrem guten Vorsatz entfremdet.</p> + +<p>Es gilt hier, wie in so vielen Gefahren des Lebens, der Satz. +„<span class="antiqua">Principiis obsta</span>“. Widerstehe dem Anfang! Wenn du erwachst, so +erhebe dich mit einem mannhaften Entschluß! Stehe frisch entschlossen auf, +kleide dich an, bewege dich und beginne zu arbeiten. Gib dich nicht +eine Sekunde dem sinnlichen Hindämmern hin. Es ist immer ein Ringen +zwischen Trieb und Wille. Je mehr du den sinnlichen Trieb träumend +ansteigen lässest, desto schwächer wird dein Wille, bis er schließlich +ganz unterliegt. Mache es dir vor allem zum <em class="gesperrt">eisernen Grundsatz</em>, die +Geschlechtsorgane nur dann zu berühren, wenn die Notdurft des Leibes +es verlangt, <em class="gesperrt">sonst unter keinen Umständen</em>. Jenes Spielen, das die +angenehme leichte Erregung herbeiführt, ist wie ein Zunder in einem +Explosionsstoff. Du willst nicht die Explosion, aber es glüht und +glüht, bis mit einem Male dein Wille und dein moralischer Widerstand +zusammenbrechen unter der angetriebenen Sinnlichkeit, und es – wieder +einmal geschehen ist. <span class="antiqua">Principiis obsta!</span> Widerstehe dem Anfang!</p> + +<p>Auch Krankheitserscheinungen mancherlei Art gibt es, die +geschlechtsreizend wirken. Von den schweren Leiden, wie +Lungenschwindsucht, mit ihrer oft verzehrend-fieberhaften Sinnlichkeit, +will ich nicht sprechen. Wohl aber von örtlichen Störungen in der +Geschlechtsgegend, die von einem mehr oder weniger heftigen <span class="pagenum"><a id="page44"></a>[Seite 44]</span> +Juckreiz gefolgt sind. Entweder finden sich dann Darmparasiten, +Eingeweidewürmer mancherlei Art, oder es handelt sich um Hautmilben oder +Hautleiden, welch letztere von Blasen-, Knötchen- oder Borkenbildung +gefolgt sind und ein oft fürchterliches Jucken und Kratzen veranlassen. +Wohl immer sind dies Folgen von Unsauberkeit, und der wohlmeinende +Hygieniker hat ernstlich darüber Klage zu führen, daß die wohltätige und +gesundheitswichtige Gewohnheit des Badens noch nicht genügend weit im +Volke verbreitet ist. Auf ein einmaliges Bad in der Woche bildet man +sich schon mancherlei ein. Aber für junge Menschen, die über +geschlechtliche Anfechtungen klagen und sich von der Onanie befreien +oder freihalten wollen, genügt das keineswegs. Sie sollten die gar zu +warmen Bäder meiden und allabendlich eine Waschung des gesamten +Unterleibes einschließlich der Oberschenkel und des unteren Rückens mit +kühlem Wasser machen und könnten, wenn die sinnliche Erregung nur schwer +zu bändigen ist, diesem Wasser etwa ein Fünftel Kampferspiritus +beimengen; das kühlt und beruhigt. Namentlich ist es dem jungen Manne +ratsam, den vorderen Teil des Gliedes, die Eichel, öfter durch +Zurückziehen der Vorhaut freizulegen und kühl abzuwaschen. Dadurch +entfernt man jenen Ausscheidungsstoff, der sich hier festsetzt und die +Geschlechtsnerven reizt.</p> + +<p>Die kluge Gewohnheit des Badens wird an Wert und gesundheitlicher +Bedeutung noch übertroffen durch das Luftbad. Es schließt eine +natürliche Form des Lebens in sich und bringt viel Kraftsteigerung für +das Nervensystem. Es gehen viele ins Luftbad, die krank sind und sich +von ihren Leiden befreien wollen. Aber klüger ist es wohl, schon – ehe +man krank geworden – einen Teil der Jugendjahre im Luftbade +zuzubringen, um im kräftigenden Reiz der atmosphärischen Luft, im freien +Lauf und im frisch-fröhlichen Spiel die sinnliche Lust einzudämmen und +umzuwandeln in Spannkraft des Körpers und des Geistes. Die sitzende +Lebensweise in den Schulen, Bureaus, Werkstätten und Fabriken führt zu +einer Stockung des Blutes und der Säfte in den inneren Organen und zur +Erschlaffung der Muskeln und <span class="pagenum"><a id="page45"></a>[Seite 45]</span> der äußeren Haut; das häufige +Luftbaden schafft gründliche Änderung darin und bringt, namentlich wenn +es grundsätzlich auch im Winter im Freien genommen wird, mit der +Abhärtung zugleich auch einen frischen offenen Sinn, der es für +verderblich und unmännlich halten muß, sich schlaffen, sinnlichen +Träumereien hinzugeben.</p> + +<p>Um im Luft- und Sonnenbade ganz richtig zu handeln, dir nicht zu +schaden, lies mein Buch „Die Heilkraft des Luft- und Sonnenbades. +Rationelle Körperpflege durch Luft, Licht und Wasser“<a name="FNanchor_A_3" id="FNanchor_A_3"></a><a href="#Footnote_A_3" class="fnanchor">[3]</a>. Du findest +darin eine ganz eingehende Darstellung dieses vornehmsten +Gesundheitsmittels und genaue Anweisungen für dein Verhalten.</p> + +<p>Da, lieber Leser, sind wir überhaupt bei der Frage der Muskelarbeit +angelangt, und damit bei einer Frage von so großer Wichtigkeit, daß wir +darüber noch einiges sagen müssen.</p> + +<p>Das Leben ist eine wunderbare Einheit, und tief im Innern des +Organismus, im Chemismus der Gewebe, werden in geheimnisvoller Weise die +Kräfte frei, die das Leben zur Entfaltung bringen. Im ewigen Kampf ums +Dasein empfing jedes Lebewesen, empfing auch der Mensch seine ganz +bestimmte Form, seine körperliche und geistige Organisation. Der Kampf +ums Dasein zog die Kräfte bald hierhin, bald dorthin und hat vor allen +Dingen in der Notwendigkeit der Körperarbeit und der körperlichen +Anstrengungen die Muskeln stark und leistungsfähig gemacht.</p> + +<p>Mit einem Male wurde die Muskelarbeit zurückgedrängt. Durch die +Entfaltung der Technik, der Industrie, der Wissenschaften, wurden immer +mehr geistige Kräfte verlangt, während die Körperkraft im Kampf ums +Dasein von Tag zu Tag mehr ihre Bedeutung verliert.</p> + +<p>Namentlich der Jugend aber, die ihres raschen Wachstums und +Stoffwechsels wegen und ihrer ganzen Anlage nach zu körperlicher +Bewegung drängt und darauf angewiesen ist, wenn <span class="pagenum"><a id="page46"></a>[Seite 46]</span> sie sich normal +entwickeln soll, ist das viele Stillsitzen gefährlich geworden. Die frei +werdenden Kräfte finden keine Verwendung, keinen Ausweg. Würden sie in +Körperarbeit verwendet, so würde sich der Körper dabei aufbauen, würde +die gelösten Stoffe sich selber als dauernden Besitz anbauen, würde +stark und kräftig werden. So aber suchen sich die herrenlosen Kräfte +einen Ausweg und werfen sich auf den Geschlechtssinn, den sie erregen +und steigern und zur Entladung drängen. So ist vielfach die Onanie eine +Entladung von Kräften. Aber diese Kräfte werden dem körperlichen und +geistigen Dauerbau entzogen, und statt daß sie in ihrer stetigen +Verwertung den Organismus stark machen sollen, führen sie nun ein +Anwachsen, eine Züchtung des Geschlechtstriebes herbei. So verstehen wir +es, daß eine starke Geschlechtsbetätigung eine verhehrende Wirkung auf +Körper und Geist hat.</p> + +<p>Ja, gerade die in der Gegenwart so beliebt gewordene Methode der frühen +geistigen Erziehung der Kinder fördert ihre sinnliche Entwicklung +maßlos. Die Freude der Mutter über die regen geistigen Interessen ihrer +Lieblinge ist verderbliche Naivität; denn die geistige Regsamkeit ist +nervöse Entwicklung. Diese unsinnige Erziehung: geistiger Drill bei +körperlicher Trägheit! Unaufhaltsam werden die Kinder der +Geschlechtserregung zugetrieben. Die Eltern sind blind, sehen nichts und +lassen zwischen ihren Kindern oder zwischen den Kindern und den +Dienstboten Dinge geschehen, über die sie entsetzt sein würden, wenn sie +nur ein einziges Mal Augen- oder Ohrenzeugen wären. Und dabei sind es +oft Väter und Mütter, die mit größtem Ernst, mit sittlichen und +religiösen Mitteln ihre Kinder erziehen wollen und doch sie verderben.</p> + +<p>Nichts ist notwendiger in unserer Zeit, als diesen Kräftestrom wieder in +sein natürliches Bett zurückzulenken, die natürlichen Lebensbedingungen +wiederherzustellen, körperlich zu arbeiten. Oder, wo das nicht ausgiebig +möglich ist, Sport und Gymnastik zu betreiben. Der gesunde Instinkt der +Jugend hat das überall erkannt. Und überall in Deutschland begegnet man +jetzt den <span class="pagenum"><a id="page47"></a>[Seite 47]</span> Wandervögeln, den Pfadfindertrupps, sieht man +Tennisspiel, Fuß- und Faustball u. a., gibt es Turn- und Sportvereine, +Sommer- und Wintersport, Berg- und Wassersport. So ist es recht, und +niemand sollte sich davon ausschließen. Ein junger Mensch, der immer zu +Hause sitzt und nicht da draußen seine Kräfte übt, seine Lungen weitet, +hat keine rechte Jugend gekannt. Und daß gerade die blassen Stillsitzer +unter den Onanisten so häufig zu finden sind, beweist die Gefahren der +körperlichen Untätigkeit. Die Wandervögel, die Pfadfinder sind an Zahl +gewachsen. Aber zehnmal, hundertmal so viel müßten es sein. Ein +nationales Erwachen müßte durch das Volk, müßte vor allem durch die +Jugend gehen, daß wir mehr von den Büchern und der blassen +Stubenhockerei und dem verdammten Kneipen-, Sauf- und Lumpenleben +loskommen. Das deutsche Volk wurde vor dem Kriege leider immer reicher +an Theoretikern, Maulhelden und Schlafmützen und an jenen ästhetischen, +saftlosen Dekadenten, die elegant und blasiert im Café saßen, über Gott +und die Welt räsonnierten und überlegen philosophierten, aber selber im +Leben nirgendwo einen rechten Platz ausfüllten, sondern nur die Scheu +vor der Arbeit allerorten großzogen. Diese schlaffen Kerle kriegen nur +Spannung, wenn das Erotische ihr Auge oder ihr Ohr trifft, wenn „die +Weiber“ das Gesprächsthema bilden. Alles andere vermag ihre ausgelaugte +Intelligenz nicht mehr hervorzulocken.</p> + +<p>Laß dir dies kühl blasierte Gesicht nicht imponieren! Wer zuletzt lacht, +lacht am besten. Laß dir daran gelegen sein, einen kräftigen, gesunden, +elastischen Körper zu gewinnen, den diese „moderne“ Schlaffheit und +Moralfaulheit nicht überwinden kann. Sparst du die Geschlechtskraft, so +lenkst du sie um in alle Organe deines Körpers und baust dir aus dem +geheimnisvollen Lebensstoff ein Leben, das im Alter die Klugheit deiner +Jugend segnet.</p> + +<p>Es ist wahrlich keine Schwarzseherei, wenn ich darauf hinweise, daß auch +das Turnen in mancherlei Hinsicht Gefahren in sich trägt. Die +Geschlechtsorgane sind bei vielen, namentlich bei den nervös veranlagten +jungen Menschen leicht reizbar. <span class="pagenum"><a id="page48"></a>[Seite 48]</span> Darum ist es geraten, zum +Beispiel beim Klettern an Stangen und Tauen Reibungen der sexuellen +Organe zu vermeiden. Wo eine Gefahr besteht, kann man nicht genug auf +der Hut sein. In den Schulen und beim Militär wird ja auch auf einen +korrekten Kletterschluß geachtet.</p> + +<p>Vorzügliche Beachtung verdient neben den Wanderungen, die den Körper +stärken und den Geist zugleich ablenken und ausfüllen, das <em class="gesperrt">Schwimmen</em>. +Junge Menschen, deren sinnlicher Trieb sich in den Vordergrund drängt, +sollten fleißig das Schwimmen üben; denn es behebt die Blutfülle in den +Unterleibsorganen, die oft die unmittelbare Ursache der geschlechtlichen +Erregungen ist. Auch werden die sinnlichen Vorstellungen und Träume, die +aus solchen Blutstauungen entstehen, durch das Schwimmbad energisch +beseitigt und durch den niederschlagenden Kältereiz stets auf einige +Zeit zurückgehalten. Ich empfehle aber rasches Auskleiden, energisches +Hineingehen ins Wasser und schnelles Wiederankleiden. Nichts aber ist +nach allen Seiten hin von so großem Werte wie das tüchtige <em class="gesperrt">Luftbaden</em>. +Es vereinigt viele Faktoren der Gesundheitspflege und Nervenstählung in +sich und stellt die kraftvollste und unmittelbarste Verwirklichung jenes +„Zurück zur Natur“ dar, das seit Rousseau immer lebendiger in die +allgemeinen Lebensanschauungen hineingetreten ist. Zeitweilig und +regelmäßig sich im Freien, in abgeschlossenen Luftbädern oder im +einsamen Wald, der Kleider zu entledigen und den nackten Körper bei +guter und schlechter Witterung der Luft auszusetzen, das ist eine +Klugheit und eine Wohltat zugleich. Ein Kraftzuwachs ist der Gewinn +dieser Klugheit. Und wenn das Luftbad mit tüchtiger Bewegung, Laufen, +Springen, Turnen oder – wo es geht – mit Schwimmen verbunden wird, +dann verscheucht es sicherlich alle die wirren sinnlichen Phantasien, +unter denen der blasse Stubenhocker leidet. Der gewaltige Bewegungsdrang +der Jugend will und muß entladen werden, denn dieser Bewegungsdrang ist +ja eben Jugend, und in seiner Betätigung liegt das Geheimnis des +Wachstums, der Erstarkung. Wird alles Körperliche, Spiel, <span class="pagenum"><a id="page49"></a>[Seite 49]</span> +Sport, Gymnastik, Schwimmen, Luftbad, Turnen, unterbunden, und zwingen +Elternhaus und Schule zur Stillsitzerei hinter den Büchern, dann stauen +sich die Jugendkräfte und entladen sich da, wo krankhafte Reizbarkeit +ihnen ein Tor öffnet, in der Geschlechtssphäre. Wenn so die drängenden, +jugendaufbauenden, lebengestaltenden Kräfte in der Onanie einen Ausweg +gefunden haben, dann verlangt der erschöpfte Organismus nicht mehr nach +körperlicher Kraftentladung. Dem erschlafften Körper ist das Stillsitzen +ein Bedürfnis, eine Wohltat, und aus dem Onanisten entwickelt sich oft +in der Schule der blasse, folgsame Streber, der der Stolz des Lehrers +ist und den doch das Leben später, wenn er nicht mehr so recht +vorwärtskommt, darüber belehrt, daß nicht allein geduldiges Sitzen, +sondern Entschlußkraft, Mark und Saft dazu gehören, ein Ziel zu +erreichen. Dies sind aber Werte, die durch geschlechtliche Reinheit in +der Jugend gewonnen werden.</p> + +<p>Besser noch und richtiger als alles, wovon ich oben sprach, besser als +Sport, ist die Arbeit, die rauhe körperliche Arbeit. Der Sport hat noch +kein Volk groß gemacht, sondern die Arbeit, die harte, rauhe +Notwendigkeit. Denn Sport verleitet überall zu Rekordleistungen, zu +Übertreibungen, zu Fexerei und – Schwindel. Der Sport läßt hier und da +nichts mehr von seinem inneren Werte merken und ist zum Schaustück, zur +Unterhaltung, zum Nervenkitzel geworden. Das beweisen – die Wetten und +der Totalisator. Die Sucht nach wahnsinnigen Gipfelleistungen ist eine +Erscheinung der Neurasthenie eines ganzen Volkes. Schlaffe Nerven +antworten nur auf starke Reize.</p> + +<p>Der Sport ist sicherlich die notwendige und wohltätige Reaktion gegen +Schul- und Schreibstuben- und Fabrikarbeit. Aber der Sportmatador hat +viel zu sehr die bewundernden Blicke auf sich gezogen und den Sinn +abgelenkt von der körperlichen Arbeit, die greifbare Werte schafft. Geh +aufs Land hinaus und sieh die Arbeit der Bauern. Sie bestellen den +Acker, und von den Erzeugnissen ihrer Arbeit, von Kartoffeln, +Kornfrucht, Grünzeug, Obst und Viehzucht nährt sich das ganze Volk. Ist +das nicht wertvoller als sechs Tage lang wie ein Besessener im Kreis +<span class="pagenum"><a id="page50"></a>[Seite 50]</span> herumzuradeln und klüger noch, als bei diesem Unsinn zuzusehen?</p> + +<p>Aber im Frühjahr und namentlich im Herbst ist auf dem Lande Leutenot. +Haben wir Deutschen nicht genug Hände zum Arbeiten? Ei, jawohl! Aber sie +stecken in den Hosentaschen und sind – manikürt. Und während der Bauer +am Abend sorgend den drohenden Himmel betrachtet und vor Sonnenaufgang +aufsteht, um in harter Arbeit, mit Frau und Kindern und mit den wenigen +Kräften, die er bekommen kann, den Reichtum seiner Fluren in den +Scheunen zu bergen, sitzen in der Stadt Tausende im Kaffeehaus, spielen +sie Tennis- und Fußball und tragen in sich den glückseligen Gedanken von +der „Gesundheit des Sports“.</p> + +<p>Ja, gewiß ist er gesund! Aber ließe sich nicht ein weniges von all der +spielenden Kraft in Ernst, in Arbeit umwandeln? Sollen wir geschlagenen +Deutschen nicht eine ganz neue Zukunft bauen? Könnten nicht die jungen +Burschen, die Sportklubs, die Wandervögel und Pfadfinder, zum mindesten +in den Ferien, einmal zu den Bauern hinauswandern, um zu arbeiten? Muß +man immer spielen? Und vielleicht nur deshalb spielen, weil zu jedem +Sport auch gleich ein „schickes“ Kostüm erdacht wird? Ja, die +kostümlich-dekorative Marke verdrängt oft sehr aufdringlich die innere +Kraft der Sache. Die Arbeit auf dem Lande wäre für die jungen Burschen +aller Stände nicht nur gesundheitlich förderlich, sondern auch ein +kräftiger Faktor ihrer sozialen Erziehung.</p> + +<p>Das deutsche Volk war vor dem Kriege auf jener Stufe der Degeneration +angelangt, wo in einem letzten Aufflackern der Körperkraft der Gedanke +an die Arbeit im Sport ästhetisch kultiviert wurde. Alle Welt litt und +erkrankte an der körperlichen Untätigkeit und der geistigen und nervösen +Überreizung. Alle Welt schaffte sich nicht Hunger und Verdauungskraft in +der Arbeit, sondern hatte die Mahlzeiten zu einer Haupt- und +Staatsaktion erhoben und litt am zu vielen Essen. Das Geschlechtliche +war das Ventil, aus dem die krankhafte Spannung entwich, und der +geschlechtliche Mißbrauch folgte der körperlichen Untätigkeit und der +Unmäßigkeit des Essens und Trinkens auf <span class="pagenum"><a id="page51"></a>[Seite 51]</span> dem Fuße. Aber das ging +an die Nervenkraft, und alle Welt ging in die Sanatorien, um – die Zeit +weiter totzuschlagen. Das große Heilmittel für die Neurastheniker und +die anderen Leidenden, die Körperarbeit, wollte niemand versuchen. Hatte +der Arzt eine Überzeugung, so mußte er sie für sich behalten, sonst +kostete sie ihn die Kundschaft. Nur wenigen gelang es, sich dem großen +Humbug mit Erfolg entgegenzustemmen. Nun hat der Krieg uns aus dem +Hindämmern aufgeschreckt, uns den Abgrund gezeigt, an dem wir +hintaumelten. Nun soll ernste, strenge, harte Arbeit uns einen ganz +neuen Weg führen.</p> + +<p>Aus Arbeit und rauhen Notwendigkeiten entstieg die Kraft und erblühte +das Leben in tausend Schönheiten. Nun war die Kraft im Schwinden, und +ihre Wiedergeburt, die Regeneration, muß auch erst wieder durch die +rauhe Notwendigkeit der Arbeit, durch Einfachheit, durch Körperstählung +und durch geschlechtliche Reinheit hindurchgehen.</p> + +<p>Die Menschen haben sich an den Anblick der körperlichen und seelischen +Leiden und an das häufige und allgemeine Schmerzgefühl so sehr gewöhnt, +daß sie glauben, Schmerz und Krankheit lägen in der Natur der Dinge und +seien unvermeidliches und unabwendbares Schicksal. Darum ertragen viele +ihre Leiden in gedankenloser Ergebenheit oder führen Klage über ihr +persönliches Unglück. Die heftigen, impulsiven Naturen murren auch wohl +gegen das „Schicksal“. Die wenigsten nur sind es, die bei sich selbst +nach den Ursachen spähen und – durch Erkenntnis klug geworden – in +vorsichtigerer Lebensführung alle die allgemeinen Übel vermeiden.</p> + +<p>Von nichts aber dürfen wir mehr überzeugt sein als davon, daß bei +vernünftiger Lebensführung Krankheiten ganz außerhalb der Lebensgesetze +des menschlichen Organismus liegen. Haben wir nur ein klein wenig +natürlich denken gelernt, so müssen wir erkennen, daß die Natur +Gesundheit und Glück gewollt hat, und die Irrtümer und Fehler des Lebens +dem Einzelmenschen schaden und von ihm aus die Gesamtheit angreifen.</p> + +<p>Die Verletzung der Naturgesetze – im Geschlechtsleben mehr <span class="pagenum"><a id="page52"></a>[Seite 52]</span> als +anderswo – verwirrt die Wege der Kraft, der Schönheit und des Glückes, +die den Menschen von der Natur gewiesen sind, und bringt Krankheit, +Schwäche und Tod. Wir Menschen von heute aber haben etwas, was niemand +je vorher besaß, die klare Erkenntnis von den wahren und eigentlichen +Ursachen des Verfalls. Wir sehen mit Entsetzen den Geschlechtsmißbrauch +die Kraft der Menschen und der Völker zerstören und sammeln alle Kräfte, +um dieser zerstörenden Gewalt zu begegnen. Die klare Erkenntnis hat uns +Hoffnung, Mut und Wille gegeben, und das Leben, das vor uns liegt, steht +im Zeichen einer neuen Zeit, in der in einem gesunden Körper wieder eine +gesunde Seele lebt.</p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page53"></a>[Seite 53]</span> <a id="img009" name="img009"></a> +<img src="images/img009.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2><span class="ftsize90"><em class="gesperrt">Zweiter Teil.</em></span><br/> +Der junge Mann und das Weibliche.<br/> + <br/> +<span class="ftsize90">Rätsel und Irrtümer der Liebe.</span></h2> + +<p class="dropc ralign1 ftsize75">„Errötend folgt er ihren Spuren<br/> +Und ist von ihrem Gruß beglückt.<br/> +Das Schönste sucht er auf den Fluren,<br/> +Womit er seine Liebe schmückt.“</p> +<p class="marbot4"> </p> +<p class="ralign1 ftsize75">Schiller.</p> +<p class="marbot4"> </p> + + +<div class="floatleft"> +<a id="img010" name="img010"></a> +<img src="images/img010.jpg" width="50" height="51" alt="Dropcap3"/> +</div> +<p class="dropc">ie alten Griechen hatten einen Gott, den sie Janus nannten, und den sie +sich mit zwei Köpfen dachten. Wollten wir Menschen die Liebe darstellen, +wahrlich, auch sie hätte einen Januskopf; denn kein Empfinden gibt's im +Leben, das so sehr Glück und Leid, Jubel und Tränen, Freude und Trauer +umschließt, kein Empfinden, das mit so viel stürmenden Hoffnungen begann +und mit so viel bitterer Resignation endete. Heiße, große +Jugendsehnsucht auf dem einen Gesicht und begrabene und beweinte Wünsche +auf dem andern, das ist der Januskopf der Liebe.</p> + +<p>Aller Jammer, alles Elend, alle Krankheit entspringt dem Irrtum. In den +Geschlechtsirrtümern verlieren die Menschen ihre Kraft.</p> + + +<h3>1.<br/> +Das Erwachen der Liebe.</h3> + +<p>Um das 15., 16. oder 17. Jahr herum geschieht es, daß aus dem Knaben ein +junger Mann wird und der Körper alle jene bedeutsamen Veränderungen +erlebt, die vereint den Geschlechtscharakter bilden. Der Körper +entwickelt besondere Triebkraft im <span class="pagenum"><a id="page54"></a>[Seite 54]</span> Wachstum, und dieses rasche, +oft schußweise Wachsen im Knochenbau, dem die Muskelfülle nicht ganz zu +folgen vermag, gibt der Gestalt jene merkwürdige Eckigkeit und +Unbeholfenheit, die uns den jungen Mann in den „Flegeljahren“ oft so +lächerlich ungeschickt erscheinen lassen. Auf der Oberlippe erscheint +der erste Bartflaum, die sexuellen Organe entwickeln sich stärker; es +mehren sich die Schamhaare; die Stimme verliert den kindlichen Klang; +sie „bricht“ und gewinnt jenen dunklen, oft rauhen Timbre, aus dem man +den „Stimmbruch“ eine Zeitlang deutlich heraushört.</p> + +<p>Dieser ganzen äußeren Entwicklung, die einen ausgeprägt geschlechtlichen +Charakter trägt, entspricht auch eine innere Entwicklung. Denn das +geistige Leben wird beeinflußt und gespeist von jenen inneren +Absonderungen der Keimdrüsen, die in dieser Zeit lebhafter zu arbeiten +begonnen haben. Das Geschlechtsgefühl ist nun nicht mehr bloß allgemein +körperlich, sondern wird reicher an plastischen, geistigen +Vorstellungen. Denn in demselben Maße, in dem das eigentlich Männliche +sich in dem jungen Manne ausbildet und äußerlich und innerlich ausprägt, +stellt sich sein ganzer männlicher Organismus auf das Weibliche in +seiner Umgebung ein. Männlichkeit und Weiblichkeit bilden eben im +kosmischen Geschehen jene gewaltige Polarität, aus der das +weltenbewegende Wunder der Liebe entsteigt. Jeder Pol sucht seinen +Gegenpol, und alle die feinen und starken Ausstrahlungen der +Männlichkeit suchen und finden das Weibliche, das sie mit dem gleichen +Gesetz anziehen und sich zu verschmelzen trachten. So gewinnt das +Weibliche eine gewisse Herrschaft über das Männliche, das +sich – gebändigt durch unklare sinnliche Wünsche – dieser Herrschaft +gern beugt, ja sich manche „süße Tyrannei“ eines jungen Mädchens +gefallen läßt und aus Liebe und Ritterlichkeit zu jedem Dienst +und – jeder Torheit fähig ist.</p> + +<p>Das sind etwa so die Tanzstundenjahre. Eine kleine Welt für sich, deren +glückliches Hoffen nie wiederkehrt. Je stärker und unklarer diese +männliche Sehnsucht ist, desto verlegener und ungeschickter kann der +sonst ganz ruhige und sichere junge Mann <span class="pagenum"><a id="page55"></a>[Seite 55]</span> werden, wenn in der +Gesellschaft ein junges Mädchen all seinen stürmend-sehnsüchtigen +Gefühlen ein naheliegendes Ziel gibt. Dann ist es mit der Ruhe vorbei. +Er möchte den allerbesten Eindruck machen, die Ritterlichkeit in Person +sein, glaubt sich von allen Anwesenden beobachtet und möchte sich doch +um alles in der Welt vor seiner „Angebeteten“ keine gesellschaftliche +Blöße geben. Das geringste Mißgeschick bringt ihn in unglaubliche +Verwirrung. Er steckt das Tischtuch als Serviette ins Knopfloch, +schüttet der Dame die Suppe aufs Kleid, wirft einen Stuhl um und sucht +verzweifelt nach einem Gesprächsthema.</p> + +<p>Das Liebesspiel hat begonnen, und alle die grotesken Verlegenheiten sind +nur die grenzenlose Verwirrung, die das Weibliche anrichtet in der Seele +des jungen Mannes, dessen erwachte Geschlechtlichkeit sich in dieser +neuen Welt noch nicht zurechtzufinden weiß.</p> + +<p>Und dann ergreift das Weibliche immer mehr Besitz vom Denken und Fühlen +des jungen Mannes. Es schärft auf der Straße und in der Gesellschaft +seine Augen für Jugend und Schönheit, Grazie und Charme. Es dringt in +seine Träume ein, und während der gesunde, wohlerzogene junge Mann die +Schönheit dieser Jugendjahre nicht ihres idealen Gewandes entkleidet und +die Poesie der jungen Liebe nicht in der sexuellen Gier vernichtet, +kämpfen viele – und namentlich diejenigen, die den onanistischen +Geschlechtserregungen verfallen sind – mit sexuellen Vorstellungen. Und +während bei dem einen die ersten Regungen der Liebe zugleich seinen +männlichen Stolz und seine sittliche Selbstachtung wecken, und ihm die +Liebe zur Waffe gegen seine unreine Verirrung wird, gerät der andere +noch tiefer in die Gewalt des krankhaften Triebes.</p> + +<p>Hier findet der zügelnde Wille und die Klugheit einer gesunden +Lebensführung einen besonderen Boden, zumal es sich darum handelt, jene +nächtlichen automatischen Samenergüsse, die sogenannten Pollutionen, in +ihren physiologischen Grenzen zu halten.</p> + +<p>Mancher junge Mann wird verwirrt oder erschreckt, wenn er in der Nacht +oder am Morgen einen Samenverlust beobachtet, <span class="pagenum"><a id="page56"></a>[Seite 56]</span> der von einer +mehr oder weniger starken Erregung, von mehr oder weniger lebhaften +sinnlichen Träumen begleitet war. Den Unwissenden und Ängstlichen mag +gesagt sein, daß die Pollutionen nichts Krankhaftes an sich haben, +sondern eine normale Entscheinung sind, wenn sie etwa alle 10-20 Tage +sich höchstens einmal einstellen. Darüber hinaus und besonders dann, +wenn der Pollution am nächsten Tag schlaffes, schlechtes Befinden, +blasses Aussehen, Kopfschmerz, Kreuzschmerzen, Nervosität und +dergleichen folgen, haben wir es mit nervöser Schwäche zu tun, oder der +Samenerguß war durch einen äußerlichen oder innerlichen Reiz, jedenfalls +aber durch einen Fehler in der Lebensführung, herbeigeführt worden. In +solchen Fällen wirst du gut tun, lieber Freund, alle die Ratschläge zu +befolgen, die ich schon zur Heilung der Onanie gegeben habe, und +namentlich die Abendmahlzeit nicht nach 6 Uhr einzunehmen und sie nur +aus Brot und Früchten bestehen zu lassen.</p> + +<p>Wenn es möglich wäre, die Menschen in ihrer Allgemeinheit wieder zu +einer gesunden und einfachen Lebensweise zurückzuführen, so müßten +wahrscheinlich die Pollutionen entweder gänzlich schwinden oder auf ein +äußerst geringes Maß zurückgehen. Aber diese Erscheinungen hängen wohl +mit der nervös gesteigerten Erregbarkeit des Lendenmarkes, mit +körperlicher Untätigkeit und mit einer falschen Ernährung weit mehr +zusammen, als man auch nur ahnt. Wenn aber zum Beispiel eine +geschlechtliche Erscheinung mit der Ernährung zusammenhängt und zugleich +mit dieser geändert werden kann, so ist es doch zum mindesten recht +schwer, zu sagen, sie sei so, wie sie ist, normal.</p> + +<p>Keinesfalls aber läßt sich aus solchen Erscheinungen die Anschauung +herleiten, daß nun der Organismus reif sei für die Fortpflanzungstätigkeit, +und daß nun die Geschlechtsbetätigung für den jungen Mann zu einem +persönlichen Recht und zu einer gesundheitlichen Forderung werde. Denn wenn +auch – was jedenfalls bestreitbar ist – die Pollutionen normale, +physiologische Erscheinungen wären, so könnten sie doch nur eine +passiv-automatische Übung und Wachstumssteigerung eines Triebes <span class="pagenum"><a id="page57"></a>[Seite 57]</span> +darstellen, der seiner sozialen Beziehungen und Folgen wegen nicht allein +in der körperlichen Entladung begriffen werden kann.</p> + + +<h3>2.<br/> +Die Sittlichkeitsfrage.</h3> + +<p>Hier haben wir mit einem Male einen Sprung mitten in die sogenannte +„Sittlichkeitsfrage“ hinein getan. Denn der Begriff des „Sittlichen“ hat +sich stillschweigend und in seiner ganzen Ausdehnung an das +Geschlechtliche angeschlossen.</p> + +<p>Diese Sittlichkeitsfrage beschäftigt sich im wesentlichen damit, ob es +einem jungen Manne erlaubt sein kann, vor der Ehe und in noch +jugendlichem Alter geschlechtliche Beziehungen zu unterhalten.</p> + +<p>Diese Frage ist durchaus neueren Datums. Denn erstens waren die +sittlichen Anschauungen von früher strenger und straffer, zweitens hat +die Gesellschaft heute in allen Fragen, und somit auch in der +sexual-moralischen, die soziale und sittliche Kritik über das +gedankenlose Sichgehenlassen gesetzt, und drittens ist gerade mit dem +Erwachen dieses kritischen Geistes jener eigenwillige Individualismus +großgezogen worden, der über die Rechte der Persönlichkeit hinaus auch +die Ungebundenheit des Trieblebens mit „Individualität“ und anderen +Phrasen verteidigt, die sozialen Wurzelungen lockert und dieses ganze +philosophische Vorspiel nur beginnt, um endlich und insbesondere dem +vorehelichen Geschlechtsleben eine unbeschränkte Freiheit zu +verschaffen.</p> + +<p>Beiläufig gesagt: nur dem männlichen, nicht dem weiblichen +Geschlechtsleben. Denn daß das junge Mädchen vor der Ehe keusch zu leben +habe, ist eine so verbriefte, so tiefempfundene sittliche Forderung, daß +ein Sturm sich erhob, als einige dem Lager der Frauenbewegung +entstammende Schriften auch diese Schranke zu durchbrechen suchten. +Nicht nur tiefe und bedeutsame biologische Gründe, sondern +schlechterdings der sexuelle <span class="pagenum"><a id="page58"></a>[Seite 58]</span> Egoismus des Mannes verlangen es, +daß das junge Mädchen vor der Ehe seine Jungfräulichkeit bewahre.</p> + +<p>Der gleiche Sturm der Verwunderung und Entrüstung erhob sich aber auch, +als vor nunmehr etwa 30 Jahren in der Öffentlichkeit klipp und klar +gesagt wurde, daß es auch für den Mann die sittliche Forderung der +Enthaltsamkeit gebe.</p> + +<p>Das traf die gedankenlosen Gehirne wie ein scharfer Sonnenstrahl, der +die Augen blendet. Bis dahin hatte der Mann dasselbe getan, was er noch +heute mit der gleichen aufreizenden Selbstverständlichkeit tut: er hatte +jede sich bietende Gelegenheit zum Geschlechtsgenuß bereitwilligst +benutzt.</p> + +<p>Die Forderung der Enthaltsamkeit war durchaus nicht neu. Die christliche +Religion und auch andere Kulte hatten sie aufgestellt. Nur war die +Gedankenlosigkeit des Alltags allmählich über das unerschütterliche +Gefüge ethischer Grundgedanken hinweggewuchert. Da fiel wie ein Funke +ins Pulverfaß jene Erstaufführung des Björnsonschen Dramas „Der +Handschuh“ durch die Berliner „Freie Bühne“ Ende des Jahres 1889. Die +Heldin dieses Dramas, Svava, erfährt, daß ihr Bräutigam früher schon +Geschlechtsverkehr mit einem Mädchen hatte, und sagt sich von ihm los. +In der reichen literarischen Nachfolge, die diese Arbeit fand, finden +wir den gleichen Gedankengang namentlich in „Vera. Eine für viele“.</p> + +<p>Der starke und imponierende <em class="gesperrt">Björnson</em> hatte also sich selbst zum +Wortführer einer geschlechtsmoralischen Forderung gemacht und sie +dadurch, daß er sie auf der Bühne abhandelte, in den Brennpunkt des +allgemeinen Interesses gerückt. Die Presse griff denn auch +diesen –8211; „Handschuh“ wie ein Mann auf, die einen mit Hohnlachen und dem +zeternden Wortschwall einer angstvollen Verteidigung, die andern mit +wohlwollender Zustimmung.</p> + +<p>Genug, der Stein war ins Rollen gekommen, und <em class="gesperrt">Björnson</em> selbst sorgte +dafür, daß die Sache zumindest in den skandinavischen Ländern nicht so bald +zum Stillstand kam. Man erinnert sich seiner eindrucksvollen, +faszinierenden Persönlichkeit, die überall den strengen +Sittlichkeitsgedanken, <em class="gesperrt">die monogamische Ehe</em>, <span class="pagenum"><a id="page59"></a>[Seite 59]</span> in glänzender Rede +gegen jede geschlechtliche Lauheit, gegen jedes psychologisch oder +philosophisch umschleierte Triebleben verteidigte.</p> + +<p>Zur selben Zeit begann die Wissenschaft, die bis dahin scheu und ängstlich +dieses Gebiet gemieden hatte, sich doch damit aus biologischen und +medizinischen Interessen zu beschäftigen. Die Geschlechtswissenschaft +(Sexuologie) spürte den geheimnisvollen Gesetzen dieser menschlichen +Leidenschaft nach, um alle Zusammenhänge zu finden. Und mit einem Male +übersah man auch klarer als bisher die ungeheuren gesundheitlichen +Schäden, die das gedankenlose vielweiberische (polygamische) +Geschlechtsleben des Mannes angerichtet hatte. Man erkannte den Einfluß +alles Geschlechtlichen auf die Erziehung, das Denken überhaupt, auf alle +sozialen Beziehungen, auf die Vererbung, auf Lebensgestaltung und +Lebensglück, und es war wie ein jähes Erwachen, das den erschreckend neuen +Eindruck von der gewaltigen Bedeutung alles Geschlechtlichen in zahllosen +Schriften festhalten zu wollen schien.</p> + +<p>Und was bis dahin nie und nirgendwo geschehen war: die Frauen hatten +aufgehorcht. Sie, die bis dahin in der allgemeinen Komödie der Prüderei +die Statisterie gemacht hatten, gewannen nun mit einem Male das +Bewußtsein, daß es eine empörende Ungerechtigkeit ist, wenn der Mann vom +Weibe voreheliche Enthaltsamkeit verlangt, während er sich selbst doch +zu gleicher Zeit recht munter amüsiert und der Frau als Dank für ihre +sittliche Bewahrung eine – Geschlechtskrankheit als Morgengabe in die +Ehe bringt.</p> + +<p>Was Wunder, daß gerade die Frauen sich gegen diesen Zustand auflehnten +und mit großer Energie die sexuelle Frage der prüden Umschleierung +entrissen.</p> + +<p>Wir stehen ja noch heute vor der Tatsache, daß junge Männer, wenn sie +die Schule und das Elternhaus verlassen haben, oft ohne alle +Gewissensbisse von den sich bietenden Gelegenheiten zum +Geschlechtsverkehr Gebrauch machen, ohne der moralischen und sozialen +Gesetze zu gedenken, welche sich natürlicherweise <span class="pagenum"><a id="page60"></a>[Seite 60]</span> gegen den +eigenwilligen geschlechtlichen Individualismus auftürmen. Denn die +Beurteilung eines Triebes, der über den Einzelmenschen hinaus von +sozialen Folgen ist, erschöpft sich keineswegs in den Wünschen und +Rechten des Individuums, sondern muß notwendigerweise eine soziale sein. +Die tiefsitzende Inkonsequenz beginnt aber schon mit der Forderung der +Keuschheit der jungen Mädchen, und die sozialen und mehr noch die +sittlichen Zwiespalte fallen zusammen mit der gesellschaftlichen und +seelischen Verwirrung, die ein Mann im Leben eines Weibes anrichtet, +wenn sie der Gegenstand seiner geschlechtlichen Wünsche geworden ist.</p> + + +<h3>3.<br/> +Geschlechtsleben und Gesundheit.</h3> + +<p>Das jugendliche Geschlechtsleben mit den Forderungen der Gesundheit zu +entschuldigen, ist eine jener sophistischen Ungereimtheiten, die nur da +entstehen, wo die erotischen Wünsche das Gewissen zum Schweigen bringen +wollen.</p> + +<p>Es gibt gegenwärtig wenige Fragen, in deren Beantwortung so heftige +Widersprüche herrschen, wie diejenige des Nutzens oder Schadens der +vorehelichen Geschlechtsenthaltsamkeit. Aber selbst wenn die +Wissenschaft sich zugunsten der – Frivolität entscheidet und Fälle von +Schädigungen durch Enthaltsamkeit bei der Jugend aufzählt, so müßte sie +doch der degenerativen Entwicklung Rechnung tragen. Sie müßte in +Rücksicht ziehen, daß die Kultur weit von den physiologischen Gesetzen +der menschlichen Natur abgerückt ist, und daß durch geschlechtlichen +Mißbrauch, durch die Raffiniertheit und Grenzenlosigkeit der Ernährung, +sowie durch körperliche Untätigkeit eine sexualnervöse Reizbarkeit +gezüchtet wurde, die das ordnende Urteil trübt. Was aber ein sinnlich +gesteigerter Organismus verlangt, das darf die Wissenschaft nicht als +allgemeines Geschlechtsrecht im ganzen Volke austeilen. Erkennt man, daß +ein Trieb durch Mißbrauch sich im Organismus in den Vordergrund drängte, +so muß man den Begriff des „Natürlichen“ an diesem Trieb arg +beschneiden. <span class="pagenum"><a id="page61"></a>[Seite 61]</span> Und selbst wenn man, ohne der mißbräuchlichen +Steigerung zu gedenken, den Trieb mit Recht „natürlich“ nennt, so vermag +man ihn doch in keiner Weise zu trennen von den seelischen, sittlichen +und sozialen Kräften, die das Wohl der menschlichen Gemeinschaft und +ihre Entwicklung bedingen. Wird der Geschlechtstrieb rein körperlich +gezüchtet, so bringt er das Menschengeschlecht rückwärts, nicht +vorwärts.</p> + +<p>Wenn ein Mensch ißt und dabei den Zweck des Essens vergißt und zur +Eßgier gelangt; wenn er trinkt, nicht weil der Körper Flüssigkeit +verlangt, sondern weil er der Leidenschaft des Trinkens verfallen ist, +so werden die geistigen Kräfte in demselben Maße schwinden, in dem die +körperliche Sucht sich steigert. So bedeutet auch der unerlaubte +Geschlechtsverkehr der Jugend, eben weil er die sozialen und sittlichen +Kräfte nicht auslöst, eine Hemmung der geistigen und charakteriellen +Entwicklung.</p> + +<p>Daß die geschlechtlichen Erschütterungen und die Samenverluste einen +noch nicht ausgereiften Organismus in seiner Entwicklung hemmen, ist +eine ganz allgemeine Erfahrung. Es ist schon rein logisch und ohne jeden +wissenschaftlichen Beweis einzusehen, warum jene geheimnisvollen +Lebensstoffe, deren Entstehung im Körper zu einem solchen Reichtum und +Überschwang des Gefühls führt, die das Urgeheimnis der polaren Spannung +zwischen Mann und Weib in sich bergen, und die in der Leidenschaft ihrer +Vereinigung das Wunder der Menschwerdung vollbringen, warum sie ohnedies +dem Organismus, solange er sich in der Entwicklung befindet, seine +Spannung geben; denn diese Stoffe, die immer wieder neues Leben auf die +Bahn des Werdens schleudern, sind nicht nur Ursubstanz des Lebens, +sondern zugleich auch seine feinste Blüte. Sie behalten immer ihre +gestaltende Kraft. Und es liegt große Klugheit darin, durch diese +gestaltende Kraft zunächst den eigenen Organismus auf den möglichen +Höhepunkt seiner Entwicklung zu bringen, ehe man im bloßen +Geschlechtsgenuß Rechte sucht, die erst der mit sich selbst fertige, +vollendete Organismus besitzt.</p> + +<p>An den Erscheinungen der Geschlechtsreife (Pubertät) erkennen <span class="pagenum"><a id="page62"></a>[Seite 62]</span> +wir die treibende und gestaltende Kraft jener Lebensstoffe. Ein +Ausreifen nach allen Richtungen ist es, das wir beim Erwachen der +Liebesempfindung staunend beobachten. Was späterhin das neue Leben +formt, das verleiht einige Jahre vorher der Stimme ihren tieferen +Vollklang, das treibt den Bart als eins der Zeichen der Mannheit, das +gibt dem Charakter seine Festigkeit und dem Geiste Stolz und Kühnheit. +Entfernen wir die Keimdrüsen (Kastration) so hört alle diese Entwicklung +ins Männliche mit einem Male auf. Die treibenden Kräfte sind +unterbunden. Die Stimme bleibt dünn, der Bart wächst nicht, der +Charakter bleibt weichlich, ängstlich, tatenlos oder verschlagen.</p> + +<p>Es mag darüber gestritten werden können, ob wir dem häufigen +Samenverlust allein die Schäden, von denen die Rede war, zuschreiben +sollen. Keinesfalls dürfen wir aber der gewaltigen allgemeinen +Erschütterung vergessen, die der Organismus in der Geschlechtserregung +erleidet. Kommt sie schon in der Jugend, noch ehe der Gesamtbau seine +ordentliche Kraft und Festigkeit erlangt hat, und wiederholt sie sich zu +oft, so verlieren die gar zu stark erregten Nerven, die in der Erregung +gar zu oft ausgedehnten Blutgefäße, verliert das stark erregte Herz, +verlieren die oft krampfhaft angespannten Muskeln die Fähigkeit, wieder +zu vollkommener Ruhe, zur physiologischen Norm zurückzukehren. Alles +erschlafft, und diese Erschlaffung ist traurige Widerstandsunfähigkeit +und Empfindsamkeit. Und in demselben Maße, in dem die Kraft und die +Energie zu tüchtiger Arbeit verloren gehen, bemächtigt sich des +Organismus jene lüsterne Träumerei, die selbst am Tage alles +Geschlechtliche umkreist und gewissermaßen mit angehaltenem Atem auf der +Lauer liegt, um alles Geschlechtliche gierig einzusaugen und selbst das +Harmlose im Gespräch, im Leben, in Büchern und Bildwerken, zum +Geschlechtlichen zu machen. Dann zehrt die Sinnlichkeit von der +körperlichen und geistigen Kraft, und es fehlt meist jenes notwendige +Maß körperlichen Ausarbeitens, um die gefährlich wuchernde Sinnlichkeit +einzudämmen.</p> + +<p>Es ist sehr oberflächlich, wenn ein junger Mann seinen +Geschlechtsverkehr <span class="pagenum"><a id="page63"></a>[Seite 63]</span> mit seiner scheinbaren Reife, mit den +nächtlichen Pollutionen und mit dem Hinweis auf die Erwachsenen +entschuldigt. Denn erstens habe ich gezeigt, daß die scheinbare Reife +sehr wohl frühzeitige Triebsteigerung sein kann, die als nervöse Anlage +sich genau so erblich überträgt wie irgendeine Krankheit. Daß zweitens +die Pollutionen eine recht zweifelhafte Erscheinung sind, und daß wir +große, starke und gesunde Männer mit wenig oder gar keinen Pollutionen, +dagegen oft schwächere, nervöse, blasse Jünglinge mit häufigen +Pollutionen antreffen, sowie, daß die Pollutionen durch Onanie +hervorgelockt werden können. Drittens, daß die Jahre der +Geschlechtsreife beileibe nicht die Rechte geschlechtlicher Tätigkeit +mit sich bringen, sondern durch die Steigerung der Samenerzeugung und +der inneren Absonderungen dem Körper die geschmeidige, jugendliche Kraft +und Biegsamkeit, dem Geist die Frische und die Fähigkeit schnellen +Erfassens und der Seele Tiefe und Wärme verleihen sollen.</p> + +<p>Es mag als Grundsatz gelten, vor vollendetem Längenwachstum alle +sexuellen Kräfte zu sparen.</p> + +<p>Die Tierzüchter haben reiche Erfahrungen in diesen Dingen gesammelt, und +keiner von ihnen wird ein nicht völlig ausgewachsenes Tier zur +Fortpflanzung zulassen. Jeder von ihnen weiß, wie schwer dadurch das +Tier in seinem ferneren Wachstum aufgehalten und wie empfindlich man +schließlich die ganze Rasse schädigen wird. Es mag auch nicht unerwähnt +bleiben, daß, wenn man kranken, schwächlichen, nervös erschlafften +Menschen Samenflüssigkeit unter die Haut spritzt, sie eine bedeutende +Vermehrung ihrer körperlichen und geistigen Frische zeigen.</p> + +<p>Die Athleten und die Sportsleute, die sich zu besonderen +Höchstleistungen vorbereiten, müssen Geschlechtsenthaltsamkeit +beobachten. Ja, diese ist ein ganz besonderes Erfordernis des +„Trainings“. Wir erkennen daran das Gesetz von der Umwandlung der Kräfte +im Organismus, und es darf als sicher gelten, daß die geschlechtliche +Selbstzucht nicht nur die körperlichen Kräfte mehrt, sondern vor allem +auch Ausdauer und jenen <span class="pagenum"><a id="page64"></a>[Seite 64]</span> äußersten Willen weckt, der bei +besonderen Leistungen den Ausschlag gibt.</p> + +<p>Sind aber nicht auch die Jahre der Jugend eine Art Training, eine +Vorbereitung für tüchtige Leistungen im Leben? Sollte die Jugend nicht +ebenfalls alle die Kräfte sparen, deren Besitz die offenbare Quelle für +körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ist? Wenn die Eltern alle +Nahrungssorgen auf sich nehmen, nur damit die Kräfte der Jugend sich +nicht zwischen Entwicklung und Daseinskampf zersplittern, hat dann die +Jugend ein Recht, diese Kräfte trotzdem zu vergeuden, und zwar in der +Geschlechtslust?</p> + +<p>Die Spannung, die durch Enthaltsamkeit erzeugt wird, ist Triebkraft und +hat sowohl hohen kulturlichen wie lebenssteigernden Wert. Nichts ist +sicherer, als daß die Geschlechtsenthaltsamkeit der Jugend und die +Mäßigkeit der Erwachsenen nicht nur für den Einzelnen Sinn und +praktische Bedeutung haben, sondern vielmehr für ein ganzes Volk von +einschneidendem kulturlichem Wert sind. Eine Nation, die ihr Gewicht in +die Wagschale der Geschehnisse werfen will, muß ihre geschlechtlichen +Kräfte sparen. Das mögen wir Deutschen uns für den mühsamen Aufstieg, +der die nächsten Jahrhunderte unserer Geschichte ausfüllen wird, und für +unsere ganze Zukunft merken.</p> + + +<h3>4.<br/> +Die Geschlechtsehre.</h3> + +<p>Freilich wird ja ein junger Mann, wenn er ins Leben hinaustritt, in +einen argen Zwiespalt gebracht. Aus dem Knaben wird ein „Mann“, und +diese „Männlichkeit“ ist im dickflüssigen Strom einer geschmacklosen +Überlieferung leider gar zu sehr aus geschlechtlicher Abenteuerei und +Renommisterei zusammengesetzt worden. Wer ein „Mann“ sein will, glaubt, +etwas erlebt haben zu müssen und sieht mit Überlegenheit und Spott auf +jüngere Kameraden herab, die noch einen Rest des Schamgefühls aus den +Erziehungsjahren in sich tragen. Aber die freche Großsprecherei <span class="pagenum"><a id="page65"></a>[Seite 65]</span> +und der Spott der Älteren verwirrt den Jüngeren. Zwar weiß er ganz gut, +wie der anständige Mensch zu handeln hat. Aber sein Wissen in diesen +Dingen ist Stückwerk, ist unklar, unbestimmt, seine Persönlichkeit ohne +Entschiedenheit, ohne Festigkeit. Diesen ewigen Verlockungen, den +spöttelnden Angriffen, erliegt schließlich das gute Gewissen. Ja, der +dumpfe, nicht gezügelte Geschlechtstrieb setzt sich in einem Augenblicke +über Dinge hinweg, die bei ruhiger Betrachtung häßlich, abstoßend und +empörend sind, über Schmutz, Roheit und ernste Krankheitsgefahr.</p> + +<p>Darin liegt die große Niedertracht der Gesellschaft überhaupt, daß +einer, der eine Dummheit macht, den anderen zu sich herabziehen will; +denn die vergesellschaftete Dummheit erstickt ihren eigenen Vorwurf. Der +Pluralis erscheint ihr als Entschuldigung, und so holt sich denn die +jugendliche „Männlichkeit“ weiter ihr Rüstzeug – bei der Dirne.</p> + +<p>Wie ist es doch sonderbar, daß ein junger Mann, kaum daß er in das Leben +hinausgetreten ist – und oft schon vorher – ein Geheimnis in sein Leben +hineinträgt, das ihn in einen inneren Widerspruch zu seiner gesamten +Erziehung bringt. Ein Geheimnis, dessen er sich – würde es +offenbar – vor aller Welt schämen müßte. Ja, er selbst schämte sich, und +scheu und angstvoll, daß er um alles in der Welt nicht gesehen würde, +umschlich er das geheimnisvolle Haus, das die eigenen Kameraden oder seine +lüsterne Neugier ihm gezeigt, und verschwand darin in einem günstigen +Augenblick. Wäre nicht der Stolz in der sexuellen Spannung erstickt, so +müßte sich die Wirklichkeit des bezahlten Geschlechtsgenusses dem +Bewußtsein in ihrer ganzen Widerlichkeit aufdrängen. Ein Weib, das nicht +mehr Weib, sondern wahlloser Sinnlichkeitsgegenstand wahllos sich +einfindender Männer ist, das oftmals die einfachsten Gesetze der +Reinlichkeit übersieht, für eine Weile zu besitzen, kann einen Mann von +wahrer Mannhaftigkeit nicht locken. Was die jungen Männer zu diesen +frühzeitigen geschlechtlichen Verbindungen treibt, ist ja auch bei aller +Sinnlichkeit tief im Innern die Sehnsucht <span class="pagenum"><a id="page66"></a>[Seite 66]</span> nach Liebe und das +urewige Rätsel des Weibes. Aber diese zarten knospenden Empfindungen, die +sich in der Ehe, in der Familie, in echter, mannhafter Liebe ausreifen +sollen, werden von den jungen Männern in Schmutz und gemeine Niedertracht +geworfen. Daher die verkümmerte Empfindungswelt so vieler Menschen, die +ihre eigene Lebenspoesie zerstört haben. Wünsche, Träume, Sehnsucht und +Vorstellungen dürfen nicht in gar zu häßlicher Wirklichkeit erstickt +werden, sonst ist das Ende seelische Erschlaffung, Pessimismus.</p> + +<p>Die vorehelichen Geschlechtsbeziehungen haben eine so ungeheure +Ausdehnung gewonnen, daß viele in ihnen eine Art von normaler Vorschule +der Ehe erblicken. Wie riesenweit ist aber der Abstand zwischen Bordell +und Familie, zwischen der Dirne und der Mutter, zwischen bezahltem +Geschlechtsgenuß und der Liebe zweier Menschen, die miteinander in ihrer +Kinder Land einziehen! Kann dies Gemisch von Lüsternheit, +geschlechtlichem Schmutz, alkoholischer Frechheit und sittlicher +Erniedrigung, das das Dirnenleben durchzieht – kann das die richtige +Vorbereitung sein für die Ehe, in der das Glück der Gatten und das Wohl +der Kinder aus Kraft und Reinheit kommen sollen?</p> + +<p>Man spricht viel und gern von dem Kampf, den die voreheliche +Geschlechtsentsagung mit sich bringt. Freilich ist es ja wohl am +bequemsten, diesen Kampf durch die erste beste Dirne zu beenden. Aber +ist es denn gut, ihn so rasch zu beenden? Ist nicht der Kampf die +treibende Kraft aller Entwicklung? Weckt er nicht alle verborgenen +Kräfte? Wer die Flinte ins Korn wirft, ist sittlich ein Feigling. Dieser +kampflose, bezahlte, bequeme Geschlechtsgenuß vor der Ehe, dessen sich +junge Männer und auch junge Mädchen bemächtigen, schadet der Ehe, +schadet den Kindern; denn er nimmt dem Leben und dem Geschlechtsgefühl +die Hochspannung. Er befriedigt die Wünsche, tötet die Sehnsucht, +zerstört Illusionen. Enthaltsamkeit ist biologische Spannung, deren +Fehlen man den Kindern vom Gesicht herunterlesen kann.</p> + +<p>Wie bilden sich denn eigentlich Charaktere? In der Entsagung, <span class="pagenum"><a id="page67"></a>[Seite 67]</span> +im Kampf mit sich selbst. Was ist denn überhaupt ein Charakter? Ein +Mensch, der seine tierische Triebwelt unter die Herrschaft seiner +sittlichen Erkenntnis gebracht hat und mit festem Willen seiner +Erkenntnis folgt, der durch Willenskraft und Folgerichtigkeit sich +Selbstachtung und Selbstvertrauen erwarb. Solche Charaktere, solche +Persönlichkeiten braucht ein Volk, braucht das Leben; denn sie haben +Erfolg. Wie kann aber ein Mensch Selbstvertrauen und Selbstachtung +haben, der im Kern seines Wesens, im Geschlechtsgefühl, wider seine +bessere Erkenntnis handelt, der in seinem Tun sich immer wieder durch +den Geschlechtstrieb vom Wege abreißen läßt?</p> + +<p>Tausende sagen. „Es ist unmöglich, ihn zu bändigen!“ Aber wie viele +davon haben's denn ehrlich versucht? Sind nicht die meisten bei der +ersten Versuchung umgefallen? Sie haben die Geschlechtserregung kennen +gelernt, kennen sie durch die Onanie und manches andere, haben ihre +Phantasie mit Sinnlichkeit erfüllt. Das Nervensystem birgt in sich ein +Gesetz der Periodizität. Erregungen wiederholen sich periodisch. Das +macht den Kampf zunächst so schwer. Wie selbst den Magenkranken die +dumme Gewohnheit des dreimaligen täglichen Hungerns quält und seine +Heilung stört, so meldet sich im Hirn und Lendenmark das gewohnte +Geschlechtsgefühl, und dem Bewußtsein wird der alberne und gefährliche +Satz aufgedrückt „Ich kann den Trieb nicht bändigen!“ – Wer freilich +den Kampf aufgibt, ehe er ihn begonnen hat, was weiß der von seinen +Kräften! Treibe deine Gefühle nur erst ein wenig zurück, siege erst +einmal, dann noch einmal, und es wächst das Vertrauen, und es wachsen +die Kräfte. Die gesparte Geschlechtskraft speichert sich in dir auf als +Spannkraft der Nerven und Muskeln, als Mut und geistige Frische. Das +alles sind deine Waffen, die darum immer stärker werden.</p> + +<p>Wenn's sein kann, sprich dich mit den Eltern, mit dem Lehrer, mit einem +guten Freund von gesundem Denken und gutem Charakter darüber aus! Sei +nicht wie jene, die im geheimen sündigen und die Nase rümpfen, wenn ein +Wort über Geschlechtliches gesprochen wird. Das Geschlechtliche soll +weder im bösen <span class="pagenum"><a id="page68"></a>[Seite 68]</span> noch im guten Sinne das Gesprächsthema sein; +aber ein offenes Wort an rechter Stelle hat oft befreiend gewirkt. Ein +klares Wort entreißt oft junge Menschen der schwülen Phantasiearbeit. +Betrachte das Geschlechtliche als eine besondere Kraft, dich selbst +ebenso, und frage dich. „Wer von uns beiden soll herrschen, ich oder +du?“</p> + +<p><em class="gesperrt">Du mußt herrschen, immer und allerwege!!!</em></p> + +<p>Schäme dich nicht dieses Triebes, und sei niemals niedergeschlagen im +Kampf. Alles Leben entsteigt dem Liebeswollen. Aber die Zeugung ist +nicht die alleinige Lösung dieses Ewigkeitsrätsels. Eine allstündliche, +ununterbrochene Neuzeugung im Einzelorganismus ist es, die wir vor allem +diesem Triebe verdanken. Der geheimnisvolle Quell der inneren +Zeugungsorgane entsendet ununterbrochen Stoffe, die als Spannkräfte +wirken, in Körper und Geist. Darum aber darf diese Urquelle nicht +verschüttet werden. Wir verstehen jetzt sehr wohl, warum der Lebenslauf +mit dem Geschlechtsleben in der Jugend zusammenhängt, warum die +Geschlechtssparsamkeit in der Jugend einen Gewinn für das spätere Leben +ergibt. Nicht nur für unser kleines, eigenes Leben – nein, die ganze +Menschheit trinkt ihre Verjüngung aus diesem Quell, und <em class="gesperrt">jeder +Einzelmensch ist zum Sachwalter der Menschheitsgesundheit und +Menschheitswürde bestellt, weil er einen Teil der kosmischen Liebeskraft +in sich trägt</em>.</p> + +<p>Der Augenblick, der Mann und Weib in der Liebeserschütterung vereinigt, +erzeugt ein neues Leben. Aber nicht dieser Augenblick entscheidet, +sondern alles, was Vater und Mutter in ihrem ganzen Leben waren und +taten. Davon hängen Kraft und Gesundheit des Kindes ab. Sollte das nicht +schon lange vor der Ehe dem Triebe Zügel anlegen, damit er nicht die +Kraft vergeudet, die dem Kinde darum fehlen wird?</p> + +<p>Wer sein Kind anschaut und aus seinem Gesicht die Schwäche liest, muß +der nicht niedergedrückt werden, wenn er sich selbst daran schuldig +weiß? Wer an seinen Kindern häßliche Züge, <span class="pagenum"><a id="page69"></a>[Seite 69]</span> Lüsternheit und +Verirrungen bemerkt, muß der nicht entsetzt sein, wenn er weiß, daß sie +nur seine eigene Jugend von neuem beginnen? Es vererbt sich nicht nur +Kraft, sondern auch Schwäche, nicht nur Körperliches, sondern auch +Geistiges, nicht nur gutes Denken, reines Empfinden, sondern auch +geschlechtlich verirrtes Denken, Charakterlosigkeit und Ausschweifung. +Nie kann ein Mensch etwas anderes erzeugen, als was er selber ist. Ein +Kind ist wie Vater und Mutter, gut oder schlecht. Darum sei gut, handle +gut, damit dein Kind gut sei und gut handle! Laß alles Unsaubere aus +deinem Liebesempfinden heraus, damit dein Kind ein schönes, reines +Empfinden habe! Gehe nicht den traurigen Weg vom Gott zum Tier, sondern +geh den einzig menschenwürdigen Weg, auf dem Gott den Menschen zum Herrn +über das Tierische eingesetzt und ihm eine Durchgeistigung und Beseelung +seiner Triebe geboten hat. Denn ein geistiger Grundsatz, ein göttliches +Gebot, herrscht in der Welt! Erkennst du das, so wird das +Geschlechtliche dir zur Lebensschönheit, und du wirst die Kraft sparen, +die erst <em class="gesperrt">deiner</em> Reife dienen soll, ehe sie dir in der Ehe und in den +reinen Augen deiner Kinder unendliches Glück bringen wird.</p> + +<p>Es gibt Gründe, die dir die Geschlechtsbeziehungen vor der Ehe +entschuldigen und beschönigen wollen. Und gewiß ist, an sich gesehen, +nicht alles häßlich, was nicht die Ehe sucht. Aber ob's für diese +spätere Dauergemeinschaft gut ist, das ist der Frage innerster Kern. Und +wenn auch die Farbenspiele bestechender Gründe den eigensüchtigen +Liebesgenuß umstrahlen – macht uns die Selbsttäuschung besser? Vor dem +unbestechlichen Schiedsamt des Menschenwohles sind die schimmernden +Entschuldigungsgründe wie Seifenblasen.</p> + +<p>Stähle die sittliche Kraft deiner Jugend in der Entsagung! Je weniger du +den Geschlechtstrieb aufkommen lässest, desto mehr verliert er das +körperlich Aufdringliche, <em class="gesperrt">desto mehr verschmilzt er mit deiner Seele, +deinem ganzen Menschen</em>. Mehr und mehr wirst du dann zu jenen Menschen +gehören, deren körperliche Liebe allein aus dem Wunderborn der Seele +quillt, <span class="pagenum"><a id="page70"></a>[Seite 70]</span> und nicht zu denen, deren Seele schweigt, während +zugleich ihr Körper von Geschlechtserregung gepeitscht ist.</p> + +<p>Und du wirst Achtung vor der Frau und vor allem Weiblichen haben. Die +Welt ist so, wie wir sie sehen. Siehst du sie gut, so ist sie gut. +Siehst du sie schlecht, so ist sie schlecht. Es ist eine traurige +Mannhaftigkeit, die sich ihrer Verachtung alles Weiblichen rühmt, weil +sie Siege errang, die nur bezahlte Willfährigkeit waren. Wer nur die +Dirne kennt, kennt nicht das Weib, und sein Urteil ist Anmaßung. Es ist +Zeit, daß anständige junge Menschen den Mut finden, die frechen +Zotenreißer und bramarbasierenden Bordellhelden zum Schweigen zu +bringen.</p> + +<p>Wenn ein Mann das Weib, das er liebt, anschaut, so drängen sich +dazwischen gar leicht seine früheren Erlebnisse. Dann werden sie +begehrlich wieder lebendig, und Augen, die im Stolz leuchten sollten, +werden zu Boden gerichtet, weil ein Geheimnis die schöne Wirklichkeit +trübt. Wer nur zur Befriedigung seiner Sinnlichkeit den Spuren des +Weibes folgte, kann nur schwer die Sinnlichkeit aus seinem Fühlen, +seinen Blicken scheuchen. Und er kennt nicht den wunderbaren Einklang +zweier Seelen, die in ihrer Liebe unbewußt den Willen zum Guten, die +große, allumfassende Menschenliebe in sich tragen.</p> + +<p>Welch eine Welt von Schönheit verschließt sich mancher Mensch, weil die +sinnliche Schwerfälligkeit seines Körpers ihm den geistigen Flug +verwehrt! Manche Seele hat sich in diesen rohen Geschlechtsverbindungen +verblutet und nur einen gierigen Körper zurückgelassen, in dem alles +Zarte, Schöne, alles Weiche und Feine, erstickt ist. Das ist seelische +Verarmung – das allerschlimmste Menschenlos. Es ist ein Leben, das +keine Sonne, keine Wärme mehr hat. Warum nur schätzen wir diese +wundervolle Spannung der Keuschheit nicht höher? Warum ist die +Jugendkeuschheit nur ein Ideal für das Weib und nicht auch für den Mann? +Warum warten junge Männer denn geradezu darauf, diese Reinheit von sich +zu werfen, und warum muß die vielgerühmte „Männlichkeit“ sich denn +zuerst auf den gegensozialen Wegen des Dirnentums bewegen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page71"></a>[Seite 71]</span> „Ist denn wirklich die Geschlechtsehre des Mannes eine andere als +die des Weibes?“ sagt <em class="gesperrt">Vera</em> in „Eine für viele“. Und weiter. „Ist die +Notwendigkeit der geschlechtlichen Befriedigung in den jüngsten Jahren +nicht ein wohlorganisierter Schwindel? Oder ein großes Irren der Ärzte? +Kann die Keuschheit je so furchtbare, leben- und glückzerstörende +Krankheiten nach sich ziehen wie die Unkeuschheit?“ Und weiter. „Der Mann +verlangt von dem Mädchen seiner Wahl nicht Keuschheit allein, sondern auch +einen unbefleckten Ruf. Mit Recht! Und das Weib soll ihren Gatten mit +Straßendirnen teilen? Sie soll die Schmerzen der Mutterschaft tragen, mit +dem furchtbaren Bewußtsein, daß der Vater ihrer Kinder in gekauften +Umarmungen seine Jugendkraft vergeudete – – – sich nicht scheute vor +dem Schmutz, vor ekelhaften Krankheiten, in gemeiner tierischer +Sinnlichkeit seine Reinheit fortwarf ... der Vater ihrer Kinder – sage +ich.“ – –</p> + +<p>Dies Verabuch war trotz seiner Härten wie eine Fanfare, die eine neue +Zeit und eine neue Menschheit ankündete. Die geschlechtssittlichen +Forderungen konnten seitdem nicht mehr unterdrückt werden. Wir werden an +ihrer Durchführung arbeiten müssen, um den Menschen durch ein reineres +Geschlechtsleben eine festere Grundlage des Glückes zu geben.</p> + +<p><em class="gesperrt">Es wird eine Zeit kommen, in der das, was die Menschen heute belachen, +wie eine heiße, große Sehnsucht in ihnen lebt. Vielleicht erwächst diese +Sehnsucht gerade aus dem Geschlechtselend unserer Tage. Dies Irren, dies +Leiden und Dulden in Geschlechtsausschweifungen, die dem Manne +Unterhaltung, dem Weibe schandbare Versklavung sind, wird sicher einmal +als entsetzliche Last empfunden werden, wenn die Menschen über den +stumpfen Materialismus hinaus die feinen, geistigen Gesetze erkennen +lernen. Dann erst werden die Menschen das Märchenland der Liebe finden, +wenn kein häßliches Erinnern mehr ihre Seele verwirrt.</em></p> + +<p>Das Leben ist darum nicht verloren, weil die Jugend nicht rein <span class="pagenum"><a id="page72"></a>[Seite 72]</span> +und voll Schönheit war. Ja, mancher Charakter formte sich erst aus +trüben Erinnerungen, aus Fehl und Schuld. Aber den meisten hat doch der +Dirnengeist die Jugend vergiftet; denn für die Seelenweichheit der +Jugend ist das Geschlechtsabenteuer ein starker Eindruck, vielleicht in +seiner rohen Sinnlichkeit stärker als das, was später ein reines, +liebendes Weib gibt. Und von all den Roheiten der bezahlten Liebe wird +etwas ins Erinnern eingefügt und schiebt sich häßlich in all die +blühende Schönheit, die die Liebe bringt.</p> + +<p>Wie viele Frauen bereuen die Ehe, hassen und verachten den Mann, den sie +doch einmal über alles geliebt haben. Aber er hat sie getäuscht. Mit ein +wenig Charakterlosigkeit und geschlechtlichem Schmutz in seinem Vorleben +begann es. Das fraß sich in ihm fest. Das durchwob sein Inneres so, daß +ihm die Ehe zu rein, zu langweilig erscheint. Zunächst verschweigt er +sein Vorleben. Dann kann dies trübe Geheimnis nichts Gutes für seine Ehe +sein. Oder er sagt's seiner jungen Frau. Dann werden ihre Gedanken +versuchen, sich in dieser ihr innerlich fremden Welt zurechtzufinden, +und unter Tränen, mit viel Weh im Herzen, entwickelt sich die Ehe +aus – einem Verzicht. Oder aber die Frau ist flach und oberflächlich, +dann lacht sie, und es ist ihr alles gleichgültig. Die Vera-Naturen aber +sind zahlreicher, als man glaubt, Frauen, in deren Innerem in solcher +Stunde eine Saite angeschlagen wird, deren Ton für immer dem Ohr +verklingt. Sie, deren monogamischer Instinkt höchstes Feingefühl ist, +können nicht oder nur mit Überwindung einem Manne folgen, der aus einer +ganz anderen, viel gröberen Gefühlswelt kommt, und den die Häßlichkeit +geschlechtlicher Ereignisse, ein anderes Weib, ein uneheliches Kind, von +ihnen trennt.</p> + +<p>Zwar leben wir in einer Zeit sittlicher Neuordnung. Und ehe aus dem +Streit der Meinungen das feste Gefüge der neuen, gerechteren Moral sich +bildet, wird großherziges Verzeihen, auch von seiten der Frau, dem Manne +den Weg ebnen von den wirren Geschlechtsirrtümern der Jugend zur +Reinheit der Ehe. Wie groß ist aber der Jammer der vielen Frauen, deren +Männer <span class="pagenum"><a id="page73"></a>[Seite 73]</span> das heilige Treuversprechen gebrochen haben, weil die +Dirnenerinnerungen wie Unkraut, wie eine böse Krankheit der Phantasie, +in ihnen fortwucherten, bis der ganze Schmutz der Untreue und der +sittlichen Verlumpung sich auf die Ehe wirft und sie zerstört! Von +ungefähr kommen doch diese Eheskandale nicht. Die Untreue, dieses rein +körperliche, gemeine, geschlechtliche Veränderungsbedürfnis hat sich der +Mann angezüchtet bei den wechselnden Dirnen und der treulosen +Zufälligkeit seiner „Verhältnisse“. Und wer festigt dem Weibe den +Begriff der Treue, wenn sie als Mädchen einmal in dieses, ein andermal +in jenes Mannes Händen war? Die geschlechtliche Treulosigkeit vor der +Ehe baut dem Treubegriff der Ehe ein morsches Fundament.</p> + +<p>Die moralisch-monogamischen Forderungen, die wie eine neue Ordnung – aber +aus uralten Entwicklungsgesetzen heraus – von Frauen erhoben worden sind, +können nicht mehr verstummen. Denn Einehe (Monogamie) ist das Gesetz des +Weiblichen, ist der Unterbau der Ehe, die sittliche Grundlage der +Erziehung. Prof. <em class="gesperrt">Albert Heim</em>, Zürich sagt: „Der monogamische Instinkt +ist von der Natur erzüchtet. Bricht ihn die Menschheit im ganzen und +dauernd wieder, so bricht sie mit ihm zusammen“.</p> + +<p>Je willenloser ein Mensch sich dem Geschlechtsempfinden hingibt, desto +mehr ist er Sklave seiner unsauberen Erinnerung geworden. Will er die +Erinnerung auslöschen, so braucht's einen mannhaften Entschluß: „Bis +hierher! Nun nicht mehr weiter!“</p> + +<p>Wer so ein neues Leben auf dem festen, fröhlichen Willen zum Guten +beginnt, den wird das Schlechte, das er getan, nicht in alle Zukunft +hinein verfolgen. Es ist abgetan, und schön und rein leuchtet dir die +Zukunft.</p> + +<p class="center dropc">Der Mensch ist Wille!</p> + +<p>Die Ehe ist ein Idealzustand und trägt in sich den Zweck und die +Möglichkeiten einer unendlichen Vervollkommnung der Menschheit. Die +Forderung der Treue, die wir für die Ehe aufgestellt haben, entspricht +dem uns eingeborenen sittlichen Empfinden, und diese tiefinnerliche +Moral ist immer diejenige, welche dem Fortschritt der Rasse dient.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page74"></a>[Seite 74]</span> Wenn darum Stimmen laut wurden und namentlich gegen das unbedingt +folgerichtige Verabuch Schriften über Schriften erschienen, die gerade im +Geschlechtsleben <em class="gesperrt">vor</em> der Ehe eine Art von Läuterung und Ausreifung der +Persönlichkeit sehen, so ist demgegenüber auf das Wort des positivistischen +Philosophen <em class="gesperrt">Comte</em> hinzuweisen, daß man sich nicht durch +Unsauberkeiten auf ein Ideal vorbereiten kann. Unsauberkeiten sind es +aber; denn alles Häßliche, das das menschliche Geschlechtsleben erfaßt und +überwuchert hat, kam aus der Verletzung der moralischen Gesetze. Ja, +sicherlich nicht nur für das Geschlechtsleben, sondern für das ganze +Menschenleben ist nichts von so furchtbaren Folgen gewesen als diese +geschlechtliche Unsittlichkeit, diese Treulosigkeit gegenüber sittlichen +Gesetzen, die in der göttlichen Natur des Menschen liegen.</p> + +<p>Mit jeder Verletzung der Moral schreiten wir rückwärts, durchqueren wir +das Weltgesetz der Entwicklung, das nach oben und nicht nach unten, +nicht rückwärts, führt. <em class="gesperrt">Mit jeder Verletzung der Moral greifen wir +störend in die Rechte und das Wohl anderer ein. Denn es gibt keine +persönliche Sittlichkeit, es gibt nur eine Sittlichkeit, die die +Gesamtheit fördert.</em> Diese Sittlichkeit haben auch tiefstehende Völker, +ja selbst Tiere haben sie; denn wir sehen die Tiere handeln nach +Gemeinschaftsgesetzen. Die Gemeinschaft der Lebewesen braucht die +Geschlechtskraft, und der blühende Empfindungsreichtum der Zeugung ist +das große Wunder der Natur. Aber sie braucht diese Geschlechtskraft +natürlich und rein und nicht als einen gegen das soziale Wohl +gerichteten Eigennutz. Wer das nicht fühlt, hat darum nicht das Recht +für sich. Und der Stolz junger Menschen müßte sich aufbäumen gegen die +schlaffe Massenauffassung des Alltags. In hochentwickelten +Einzelmenschen nur leben die Sittengesetze als gesunder Rasseninstinkt, +und wir andern werden ihnen nacheifern, wenn wir an <em class="gesperrt">Carlyles</em> Wort +denken:</p> + +<p>„Die Menschen leben um des Besten willen!“</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page75"></a>[Seite 75]</span> Prof. <em class="gesperrt">A. Herzen</em> sagt<a name="FNanchor_A_4" id="FNanchor_A_4"></a><a href="#Footnote_A_4" class="fnanchor">[4]</a>: „Die wirkliche sittliche Handlungsweise +ist diejenige, welche man als allgemeine Verhaltungsmaßregel aufstellen +kann; und diese Regel wird sofort von jedem normalen kultivierten Menschen +angenommen werden, der nicht mit geistiger oder sittlicher, angeborener +oder erworbener Unzulänglichkeit oder mit Wahnsinn behaftet ist.“</p> + +<p>Wenn nun, wie wir wissen, die Zeugungskraft und Liebesfähigkeit ein +Hauptstamm des Lebens ist, dessen verschiedene Abzweigungen wir +Menschen- und Nächstenliebe, Spannkraft, Begeisterungsfähigkeit, Mut, +Ritterlichkeit, künstlerische Kraft usw. nennen, müssen nicht alle diese +Kräfte eine Verschlechterung erfahren, wenn die Liebeskraft mit unreinem +Denken genährt wird?</p> + +<p>Diese Besudelung des Liebeslebens ist schlimmer, als die meisten ahnen. +Und es ist darum wohl erklärlich, daß heute mehr über diese Dinge +gesprochen wird, als dem feinempfindenden Menschen lieb sein kann. Aber +wir müssen darüber einmal zur Klarheit kommen, schon deshalb, weil das +Wort vom „Sichausleben“ zur Phrase geworden ist und unsere Jugend +verderbliche Wege führt. Warum bewegt sich die Wirklichkeit dieses +Sichauslebens denn nur immer im Rahmen eines unsauberen +Geschlechtslebens und richtet sich nicht auf körperliche und geistige +Höchstentwicklung?</p> + +<p>Wüßten die jungen Leute nur erst, wie sie ihr eigenes Glück schädigen, +weil die Dirne ihnen die Achtung vor dem Weibe und allem Weiblichen +nimmt! Der Glaube an die Mutter hat einmal unsere Jugend verschönt, und +diese schöne Erinnerung folgt uns in das Leben. Was hat die Mutter alles +für dich getan? Mit Schmerzen hat sie dich geboren, deinetwegen mußte +sie auf so vieles verzichten, was dem Manne das Leben vielgestaltig +macht. Das Verhältnis von Mutter und Kind ist ein kleines Heiligtum, das +der Mann als Gatte und Vater schützt.</p> + +<p><em class="gesperrt">In jedem Weibe aber steckt die Mutter.</em> Jedes Weib soll Reinheit dem +Manne darbringen, der sie zur Mutter macht. Willst du vorzeitig in dies +Heiligtum eingreifen? Willst du, <span class="pagenum"><a id="page76"></a>[Seite 76]</span> der du als Mann Schützer und +ritterlicher Hüter des Weibes sein sollst, ihr Verderber, ihr Verführer +werden? Sei gut und voll Achtung zu jedem Weibe, achte und ehre die +Mutter in ihr!</p> + +<p>Du wirst antworten, daß nicht immer der Mann die Schuld trage, sondern +oft das Weib die Verführerin sei, und daß die Prostituierte nicht +Achtung verdiene, sondern genommen werden müsse, wie sie ist. Ich will +die Dirne nicht besser machen, als sie ist. Aber wie viele von denen, +die auf den Straßen sich verkaufen, sind durch Verführung, Elend, +schlechte Erziehung in das Schandgewerbe hineingetrieben worden! Darfst +du die elende Lage, in die ein Mensch durch eigene oder fremde Schuld +hineingetrieben wurde, für deine Genüsse mißbrauchen? Und wenn du die +Prostituierte gar nicht achten kannst, wenn sie dir verworfen erscheint +und du dich darum der Verantwortung überhoben glaubst, so bleibt es für +dich entwürdigend, mit einem Menschen in Beziehung zu treten, den du +verachtest.</p> + +<p>Aber mit der Verachtung sollten wir vorsichtig sein. Im Gewoge des +Lebens steigt einer nach oben, der andere sinkt unter. Gute erbliche +Anlagen erleichtern das Leben, schlechte erschweren es. Dem Weib, das +Dirne wurde, gab die Vererbung wohl schlimme Keime. Schlimme +Verhältnisse ließen das Schlechte aufblühen. Aber mache sie nicht +schlechter! Wenn du ihr Gewerbe benutzest, so bringst du sie – wie so +viele andere – noch tiefer in den Sumpf hinein. Warum wolltest du das +tun?</p> + + +<h3>5.<br/> +Das „Verhältnis“.</h3> + +<p>Das Erwachen der Liebe bringt der Jugend Gefahren und Irrtümer. Je +stärker ausgeprägt der sinnliche Trieb ist, desto lebhafter werden +Beziehungen zu weiblichen Wesen gesucht. Wie die Sonne alles in ihre +Farben taucht, so umspielt die Erotik Mann und Weib. Eine +freudig-festliche Stimmung, Lichterglanz, ein paar Musikakkorde, ein +erregter Tanz oder dergleichen, und schon ist der Liebesfunke zur Flamme +angefacht. Schon <span class="pagenum"><a id="page77"></a>[Seite 77]</span> schiebt sich der Begriff „ewig“ in das eben +geknüpfte Band ein. Manchmal ist's ja ein Band fürs Leben, häufig aber +zerreißt's schon früh, und manchmal sieht der andere Morgen schon +Ernüchterung und Reue.</p> + +<p>Aus diesen losen, flüchtigen Beziehungen hat sich das herausgeschält, +was Tausende von Männern kennen, und was in unserer Gesellschaft ein +öffentliches Geheimnis ist, das „Verhältnis“. Ein im Grunde einfacher +Vorgang: eine geschlechtliche Beziehung zu einem Mädchen, das nicht +Dirne ist, sondern Bürgerstochter, Verkäuferin, Modistin, Schneiderin +oder Ähnliches, und das man eines Tages verläßt, um eine andere zu +heiraten. Sie gibt sich ihm hin, weil seine bessere soziale Stellung +ihrer Eitelkeit schmeichelt, oder weil er die ihm geschenkte Gunst +bezahlt, oder auch, weil – sie ihn liebt und glaubt, von ihm geheiratet +zu werden.</p> + +<p>Von seiner Seite ist's nicht Liebe, sondern die Gewohnheit des +Geschlechtsgenusses. Liebe nur, wenn die sozialen Abstände die Ehe +unmöglich machen. Manche Tragik entsprang dieser Wurzel; das sogenannte +„Verhältnis“ aber ist meist für den jungen Mann ein bequemer Weg des +Geschlechtsgenusses, der keine ernstliche Verantwortung mit sich bringt. +An sich selbst denkt er, und die Geschlechtserregung mag ihm ja auch +Liebe vortäuschen, aber seine Absicht geht gegen ein dauerndes Band. Das +kann nicht Liebe sein. Und wenn die Stunde der Trennung kommt, gibt's +oft viel Weh im Herzen des jungen Mädchens, viel Jammer und Bitten und +Tränen, weil doch die Liebe des Weibes, das seinen Leib hingab, ein +Stück von ihrem Leben ist, während der junge Mann sich von seinen +Geschlechtserlebnissen oft mit rücksichtsloser Kälte loslöst.</p> + +<p>Können diese Rohheiten Vorbereitung auf die Ehe sein? Zerstören sie +nicht die Gemütstiefe, die einer Ehe Inhalt und Schönheit gibt? Wird +nicht die Liebeskraft vergeudet, die ungebrochen einem einzigen Weibe +gehören soll?</p> + +<p>Und was wird aus dem Mädchen, das verlassen ist? Findet sie einen +anderen Mann, der sie heiratet, so wird sie verschweigen <span class="pagenum"><a id="page78"></a>[Seite 78]</span> +müssen, was sie erlebt. Was man verschweigen muß, kann nicht gut gewesen +sein. Oft aber geht sie aus einer Hand in die andere und endet als +Dirne. Denk' einmal, wenn es deine Schwester wäre! Welch ein +entsetzliches Geschick für dich und deine Familie! Und viele junge Leute +häufen, nur weil sie genießen wollen, solches Leid auf die anderen, die +oft schwer daran zu tragen haben.</p> + +<p>Es liegt im „Verhältnis“ eine Unehrlichkeit, die die sittliche +Persönlichkeit untergräbt. Du verlierst die Ehrfurcht vor dem Weibe, +weil du es nicht mit Achtung als Mensch, sondern mit Sinnlichkeit als +Geschlechtswesen genommen hast.</p> + +<p>Es gibt gewissenlose Schürzenjäger, deren dumme Frechheit jahrelange +Erfolge hat, weil selbst unter den Freunden und Kameraden niemand ihnen +sagt, daß ihr Tun nicht Mannhaftigkeit, sondern Erbärmlichkeit ist. Wir +müßten für mehr Klarheit in unserem Urteil sorgen.</p> + +<p>An geistig hochstehenden, wertvollen Frauen prallt der schale Witz +solcher Laffen ab; sie können sich höchstens ihrer Erfolge bei Dirnen +und charakterlosen Elementen rühmen, und auch da sind sie oft betrogene +Betrüger, ausgenutzte Dummköpfe gewesen.</p> + +<p>Das „Verhältnis“ ändert seinen durch die Erregung der Sinnlichkeit immer +wieder beschönigten Charakter in demselben Augenblick, in welchem die +hier ebenso notwendigen wie häßlichen Maßnahmen zur Verhütung der +Befruchtung mißlungen sind, und das werdende Kind als eine angstvolle +Tatsache da ist, das nun das wohlbehütete Geheimnis dieser +Geschlechtsbeziehungen der Öffentlichkeit zu enthüllen droht. –</p> + +<p>Und dann?</p> + +<p>Beim Manne tödliche Verlegenheit, Sorge für Ruf, Stellung, Name, +Gedanken an Trennung, weil nun das „Verhältnis“ lästig wird. Beim +Mädchen jagende Angst, Wunsch nach Schutz, Furcht vor dem Entdecktwerden +und dazu körperliche Leiden. Und dasselbe Kind, das zwei sich wahrhaft +liebende Menschen in der Ehe erst recht fest aneinanderkettet, trennt +meist zwei Menschen, <span class="pagenum"><a id="page79"></a>[Seite 79]</span> die den bloßen Geschlechtszweck ihres +„Verhältnisses“ mit dem Worte – „Liebe“ zu entschuldigen suchten.</p> + +<p>Auf dem Lande und bei der Arbeiterschaft pflegt die unwillkommene +Liebesfrucht meist den Entschluß zur Ehe zu erzwingen. Man heiratet +sich, und das ist ehrlich. Damit bereitet man dem Kinde ein Nest, ein +Heim, und die junge Mutter ist geschützt vor Sorgen und bösen +Lästerzungen.</p> + +<p>Aber in der Stadt besteht für alle „besseren Schichten“ die bequeme +Einrichtung der „Alimente“. Die Vatersorgen und die anständige Gesinnung +werden abgelöst durch ein geringes monatliches Geldopfer. Gewiß, der +Gesetzgeber konnte vielleicht nicht anders. Er kann nur einige +rechtliche Ordnung schaffen. Aber er hat uns zu viele Möglichkeiten +geschaffen, Gemütswerte durch Geldwerte abzulösen.</p> + +<p>Es wäre falsch, zu sagen, daß der Leichtsinn des „Verhältnisses“ die +Pflicht zur Ehe in sich trägt, wenn das Kind dem sinnlichen Idyll ein +jähes Ende bereitet. Denn dann könnte die Schwangerschaft eine Leimrute +sein, mit der ein raffiniertes Weib einen Gimpel fängt. Ich will nur die +Verwirrung beleuchten und die Rohheit zeigen, die oft mit dem +unehelichen Kind sich entwickeln. Manche himmelstürmende Liebe endet +durch die Abtötung der Frucht vor dem Strafrichter.</p> + +<p>Die Zahl der Totgeburten übersteigt bei den unehelichen Kindern überall +in Europa anderthalbmal diejenige bei den ehelichen. Manches eben +geborene Kind wird von der ratlosen, verzweifelten Mutter getötet oder +an Fremde abgegeben.</p> + +<p>Das Höchste, Heiligste, was wir Menschen kennen, die Mutterschaft, wird +besudelt, entehrt, wird zum Verbrechen. Grenzenloser Jammer erstickt das +Gefühl des Mädchens, das Mutter wurde und verlassen wurde.</p> + +<p>Rings um die großen Städte wohnt in ländlichen Bezirken ein Kreis von +Menschen, die sich mit der Pflege unehelicher Kinder gegen einmalige +oder periodische Vergütung systematisch und beruflich beschäftigen, +systematisch und beruflich aber auch unter <span class="pagenum"><a id="page80"></a>[Seite 80]</span> dem Deckmantel der +Pflege die – Tötung besorgen. Manchmal weiß das die Mutter nicht, +manchmal aber weiß sie es.</p> + +<p>Das Leid des unehelichen Kindes ist zu oft gesungen worden, als daß ich +dazu Mollakkorde geben müßte. Verbrechen und Unehelichkeit, Prostitution +und Unehelichkeit, das sind fast unlösbare Zusammenhänge. Der Unterbau +des Lebens und der Charakterbildung, die mit Liebe und Achtung +durchzogene Ehe, fehlt dem unehelichen Kinde. Gerade in den +Kinderjahren, den Jahren der Weichheit und Aufnahmefähigkeit, der +Lenkbarkeit, fehlen oft die festen Grundsätze gesunder Erziehung, +herrschen oft Willkür, Vernachlässigung und der verderbliche Einfluß der +Straße. Der Vater fehlt, die Familie fehlt. Dem Genuß eines Augenblicks +entsteigt ein neues Menschenleben, das verfehlt und verdorben ist, weil +die Verantwortung fehlte.</p> + +<p>Es ist oft, als sei im Geschlechtsleben das Rechtsgefühl vollkommen +geschwunden, das doch beispielsweise in den kleinsten Geschäfts- und +Geldsachen so fein entwickelt ist. Wer ein Geldstück stiehlt, kann ins +Gefängnis kommen. Wer aber im Geschlechtsleichtsinn einem andern +Menschen Glück und Namen, Ehre und Leben stiehlt, der kann sich auch +ohne viel Geschick durch die Paragraphen hindurchwinden. Die +gesetzeberatenden und gesetzemachenden Männer haben augenscheinlich zu +wenig an das Weib gedacht; denn die Rechtsprechung aller zivilisierten +Länder läßt dem Manne überall da Durchschlupfe, wo sich das Weib in +den Irrgängen der sexuellen Doppelmoral fängt. Ja, die napoleonischen +Gesetze Frankreichs zeigen eine offenbare Verachtung der Frau. Diese +Verwirrung in Geschlechtsfragen hat scheußliche Zustände gezeitigt. +Irgendein junger Mensch ist der Verführer. Seine sexuellen Wünsche +sind lebendig geworden. Er lernt ein Mädchen kennen, und seine +Sinnlichkeit treibt ihm betörende Lügen auf die Lippen. Sie glaubt ihm +und wird verführt. In irgendeinem verschwiegenen Winkel kommt sie +nieder. Alle Welt zeigt mit Fingern auf sie: „sie hat ein Kind.“ Warum +nicht auch auf ihn? Es ist doch auch <em class="gesperrt">sein</em> Kind. Ein uneheliches Kind +kann die Ursache sein, daß die Mutter in Ächtung, Verzweiflung +<span class="pagenum"><a id="page81"></a>[Seite 81]</span> und Tod getrieben wird, daß sie ein Leben lang büßt für eine +Stunde voll glühender Worte. Der Mann aber kann am nächsten Tage die +gleiche Komödie wiederholen. Und wenn dieser brutale Egoismus soundso +oft mal in das Leben von soundso vielen Frauen zerstörend eingegriffen +hat, dann deckt leicht eine glänzende Heirat den Schleier der +gesellschaftlichen Stellung über die innere Erbärmlichkeit.</p> + +<p>Wo bleibt hier das Rechtsbewußtsein, die Grundlage jeder menschlichen +Gemeinschaft? Wie viele Männer gibt es, Geschäftsleute, Direktoren von +Theatern, Gesellschaften, Kaufhäusern usw., die ihre soziale Macht und +die soziale Bedrängnis ihrer Angestellten dazu ausnutzen, die hübscheren +jungen Mädchen in ihre Hand zu bekommen, die aber bei der Heirat sich +doch nach einer Frau „von gutem Ruf“ umsehen.</p> + +<p>Welch ein beschämender Mangel an einfachem Rechtsgefühl! Mancher Mann, +der ein unschuldiges junges Mädchen zur Mutter gemacht hat, ist dadurch +wie ein wildes Tier in das Glück und den Frieden einer ganzen Familie +eingebrochen. Und doch geht uns die Phrase nicht aus den Ohren, die +Geschlechtsbeziehungen des Mannes seien weniger verhängnisvoll als +diejenigen des Weibes.</p> + +<p>Wenn die Mädchen, die heiraten, immer wüßten, wie sehr die häßlichen +Bilder der Vergangenheit ihres Geliebten den schönen Phrasen des +Augenblicks widersprechen, wenn sie wüßten, wieviel himmelschreiendes +Unrecht, begangen an anderen, durch die Ehe sanktioniert werden soll, +wenn sie wüßten, wie oft es vorkommt, daß abseits von dieser Ehe ein +verlassenes, verhärmtes Weib in Not und mit Bitterkeit für das Kind des +Geliebten sorgt, dann würden Schatten durch glückliche Gesichter ziehen, +und in mancher Frau würde wohl die Erkenntnis reifen, daß für das Glück +der Menschen und die Schönheit der Ehe die voreheliche Reinheit des +Mannes genau so wichtig ist, wie die Reinheit des Weibes. Immer ist die +Liebe die Lebensgestalterin. Sie gestaltet es gut oder schlecht. Darum +muß diese gestaltende Kraft rein gehalten werden.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page82"></a>[Seite 82]</span> An der alljährlichen Zunahme der unehelichen Geburten erkennen +wir die ins Grenzenlose gewachsene geschlechtliche Gewissenlosigkeit +der Jugend. Der unehelichen Mutter hat das Kind die soziale Lage sehr +erschwert. Um so schutzbedürftiger sieht sie nach dem Manne; um so +schmachvoller ist es, wenn dieser sie verläßt. Nur die Ehe kann dem +mütterlichen Weibe und dem Kinde ein sicherer Hort sein. Darum lockern +diese leichtsinnigen Geschlechtsverbindungen das ganze Gebäude unseres +sozialen Fühlens, Denkens und Handelns. Geschlechtliche Ungebundenheit +ruiniert ein Volk; denn sie ist eine Roheit und eine Gefahr für den +Nachwuchs. Sie ist ein ununterbrochener, geheimer und niederträchtiger +Kampf gegen die Einehe, die als höchstes Sittenideal unserer in uns +schlummernden Ethik entstiegen ist. Alles, was die monogamische Ehe +fördert und vorbereitet, ist zugleich sittliche Ordnung, Festigkeit, +Gesundheit, Kraft und Menschenglück, alles, was sie stört, bringt +Zerfall, Unglück, Proletariat, Krankheit. Das ist <em class="gesperrt">das uralte und +urewige Gefüge der Natur, daß der Mann Hüter und Schützer von Weib und +Kindern sein soll.</em> Mag auch die Strömung der Zeiten die Frau +„emanzipieren“, ihr soziale Selbständigkeit und Unabhängigkeit geben +wollen, was vermag dies Eifern vor dem gebietenden Wort der Natur! Das +Weib ist Mutter! Das ist sein Glück und sein Ruhm, aber auch die ewige +Bedingtheit ihrer Lebensform, ihre ewige und unabänderliche +Abhängigkeit vom Mann.</p> + +<p>Und wer aus der traurigen Nüchternheit und grenzenlosen Banalität vieler +Ehen eine Waffe zur Bekämpfung der ehelichen Gemeinschaft überhaupt sich +herrichtet und in der „freien Liebe“ das Heil sieht, der sollte sich +fragen, ob denn die freie Liebe etwas ändert an den ehernen +Naturgesetzen, die die Ehe geformt haben, sollte sich fragen, ob denn +die Menschen, deren Seelen matt sind und die kraftlos zu einem +Liebesideal aufschauen, in einer ungebundenen Liebe die Verjüngung +finden, die sie glücklicher machen kann. Das Leben bedarf so sehr dieser +ewigen Verschmelzungs- und Verjüngungsprozesse durch Mann, <span class="pagenum"><a id="page83"></a>[Seite 83]</span> Weib +und Kind, daß sich die Forderung der vorehelichen Reinheit, das Ideal +der Treue und die Tatsache der monogamischen Ehe als biologische, +soziale und sittliche Grundforderungen herausgebildet haben.</p> + +<p>Der Vergleich mit der geschlechtlichen Wahllosigkeit mancher Ur- und +Primitivvölker ist nicht stichhaltig. Sie haben ein auf tiefster Stufe +stehendes Geistesleben und kennen darum nicht die Liebe, können uns +nicht Maßstab sein. Aber die Liebe ist durch die Jahrtausende +hindurchgeschritten und steigerte ständig ihre Seelenkraft, vertiefte +und verfeinerte sich, und ward so eine duftige Blüte zartester +Seelenkultur. Jeder rohe körperliche Akt, dem die Seele mangelt, treibt +sie wieder zurück bis dahin, wo sie angefangen. In dem unbewußten +Stammeln der im Selbstvernichtungsrausch versinkenden Liebenden „Nur +du“, „ewig du allein“, liegt unbewußt die allerstärkste Betonung der +Monogamie.</p> + + +<h3>6.<br/> +Vor der Ehe.</h3> + +<p>Es kann nur <em class="gesperrt">einen</em> Weg der Vorbereitung auf die glückliche Ehe geben, +das ist der der eigenen Reinheit und die bei aller unbewußten Erotik +geschlechtslose Beziehung zu Frauen. Wehe dem Manne, der im Weiblichen +nur das Geschlechtliche sehen kann, der für dies <em class="gesperrt">eine</em> seinen Sinn +steigerte und für alles andere stumpf wurde. Ihm hat auch die Ehe nur +Geschlechtsinhalt. Er kennt nicht die höchsten Genüsse, die in der +innigen Ergänzung der besonderen geistigen Persönlichkeit des Mannes +mit weiblicher Art, weiblichem Denken liegt. Meide den Umgang mit +wertlosen Frauen, aber suche und pflege mit der Freundschaft zu guten +Menschen besonders die geistigen Beziehungen zu edler Weiblichkeit. +Deine Männlichkeit, dein Auftreten, deine Lebensformen werden +ausreifen, wenn der Hauch gesunder Weiblichkeit dich umweht. Kannst du +deine Interessen mit einer Freundin austauschen, so bekommt deine +Anschauung noch eine andere, sich ergänzende Richtung.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page84"></a>[Seite 84]</span> Und siehst du in der Freundin eines Tages die Geliebte, denkst +du sie dir als Gefährtin des Lebens, nun, so war's wohl ein guter +Entschluß. Aber prüfe, ehe du dich bindest! Hast du dich entschlossen, +so glaube nur nicht, jetzt sexuelle Rechte zu haben! Gerade dies +„Poussieren“, diese häufigen Geschlechtserregungen in allen Winkeln und +dunklen Ecken, diese Liebkosungen sexueller Art sind so verderblich für +das Nervensystem. So wenig Haltung bewahren oft junge Menschen, daß sie +jedes Alleinsein zu unsauberem Denken und Tun mißbrauchen, oft nur, weil +sie zu geistlos und zu sehr ohne inneren Wert sind, als daß sie das +Alleinsein mit Schönerem ausfüllen könnten. Wenn so schon der Jugend die +Poesie gestorben ist, sollte man den Schritt zur Ehe nicht mehr wagen; +denn die Ehe wird zum Ekel.</p> + +<p><em class="gesperrt">Lerne bewundernd zu lieben, ohne zu begehren!</em> Dann wird das, was du +liebst, dir lange, lange das Schöne bleiben! Liebe ist Wunsch, ist +Sehnsucht, ist Spannkraft der Seele. Töte das alles nicht, indem du +vorschnell an dich reißest, was deiner Sehnsucht lebendiges Ziel sein +soll. Mag auch ein sinnliches Begehren dich zu dem Mädchen, das du +liebst, hinreißen, falle ihm nicht zum Opfer. Ihr entschleiert das Bild +zu Saïs! Solange die unerfüllten sinnlichen Wünsche <em class="gesperrt">in</em> dir leben, +beschwingen sie deine Liebe und treiben dir Worte der Poesie auf die +Lippen. Du siehst alles, alles schön und farbenprächtig, idealisierst +die Wirklichkeit, hast Jugend in dir; denn Jugend ist Wunsch und +poesievolle Spannung. Die befriedigte Liebe aber, wenn sie nur +körperliches Begehren war, wird arm an Worten, und es ist die tiefe +Tragik der Liebe, daß sie in ihrem höchsten Begehren stirbt. Sie kann +sich selbst bekämpfen, in der eigenen Glut aufzehren, und es braucht +klare Augen und einen festen Willen, sie in Schranken zu halten.</p> + +<p>Wieviel unglückliche Ehen entsteigen dieser geschlechtlichen +Voreiligkeit! Die Erregung raubt Besonnenheit und Urteil. Ein Kind ist +entstanden und treibt die zwei leichtsinnigen Menschen in die Ehe +hinein, den Mann oft gegen seinen Willen. Was freieste Entschließung und +seelische Hochspannung zweier Menschen <span class="pagenum"><a id="page85"></a>[Seite 85]</span> sein sollte, wird eine +Zwangsmaßnahme, die aus innerer Angst und aus Furcht vor dem Skandal +geschah. Gerade wenn der Wunsch nach dem Weibe die Sinne füllt, sollte +man mit Entschlüssen zögern. Was wir gar zu heftig begehren, sehen wir +nur in seinen Vorzügen, nicht auch in seinen Schwächen und Mängeln. Und +manches Mädchen, das für den Geliebten „göttlich“ war, wird für den +Gatten, wenn der Alltag der Ehe den Morgentau der Liebe abstreifte, mehr +als irdisch. Darum prüfe dich lange und zähme immer deine Sinnlichkeit. +Denn durchbricht sie die Schranken, so entscheidet sie oft über Dinge, +die noch gänzlich unentschieden sind, und knüpft oft ein Band, das +besser ungeknüpft bliebe.</p> + +<p>So betrachtet, wird dir die Liebe zur beschwingenden Kraft. Aus dem +Gegenspiel von Erotik und ihrer Beherrschung erwächst dir die Achtung +vor dir selbst und vor der Weiblichkeit. Je größer diese doppelte +Achtung ist, desto weiter rückst du ab von der Prostitution und allem, +was aus ihr entspringt und mit ihr zusammenhängt.</p> + + +<h3>7.<br/> +Schadet der Jugend die Enthaltsamkeit?</h3> + +<p>Es wird viel und gern davon gesprochen, daß die geschlechtliche +Betätigung vor der Ehe eine Notwendigkeit sei, eine Forderung der +Gesundheit. Diese letztere solle Schaden nehmen in der Enthaltsamkeit.</p> + +<p>Die einen stellen diese These auf und verteidigen sie mit +Hartnäckigkeit, die anderen bestreiten sie energisch. Ich zögere keinen +Augenblick, zu sagen, daß es viele Fälle von Schäden der Enthaltsamkeit +gibt, Schäden, die sich bei der geistigen Arbeit, im Schlaf, im ganzen +geistigen und körperlichen Leben überhaupt zeigen. Es wäre falsch und +widerspräche der Wissenschaft und den alltäglichen Vorkommnissen, einer +sittlichen Absicht zuliebe physiologische Erscheinungen rundweg leugnen +zu wollen. Das erzeugt Widersprüche, die zu Waffen in der Hand der +Gegner werden.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page86"></a>[Seite 86]</span> Aber derartige Schäden treten erst bei der +Geschlechtsenthaltsamkeit der Erwachsenen auf und haben für die Jahre +der Entwicklung, für die Jugend, nicht die mindeste Geltung. <em class="gesperrt">Für die +Jugend ist die Enthaltsamkeit nicht nur nicht schädlich, sondern eine +Grundbedingung vollkommener Entwicklung.</em></p> + +<p>In der Tierzucht ist es ein ganz selbstverständlicher Grundsatz, Tiere +niemals vor vollendeter Reife zur Geschlechtsbetätigung zuzulassen, weil +man dadurch das Tier schwächt, seine Leistungsfähigkeit (z. B. bei +Rennpferden, Jagdhunden, Lasttieren) vermindert und schließlich die +ganze Rasse herabzüchtet. Zwischen Fortpflanzungstrieb und Lebensdauer +besteht eben ein unlösbarer Zusammenhang. Ganze Völker versinken in der +Widerstandslosigkeit gegen den Geschlechtsreiz. Den Indiern hat nichts +so sehr die Kraft genommen, als die frühen Heiraten, die schon von +Kindern geschlossen werden. Es kann niemals gut sein, wenn ein Trieb +sich so entwickelt, daß er alles beherrscht. Eine Schwächung des Ganzen +muß die Folge sein.</p> + +<p><em class="gesperrt">Noch nie, solange die Welt steht, hat die Keuschheit so ungeheuren und +entsetzlichen Schaden angerichtet, wie die Ausschweifung.</em></p> + +<p>Die Schäden, von denen man spricht, sind aufgebauscht und werden zur +bequemen Entschuldigung für den Geschlechtstrieb, den zu zügeln man +nicht die Kraft und den Willen hat. In diesem Punkte gibt es so viele +Täuschungen, als es Behauptungen gibt. Denn alle die Zustände, die man +in den bequemen und gedankenlosen Begriff „nervös“ zusammenfaßt, die +Unruhe, Schlaflosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, allgemeine Schlaffheit, +Verdauungsträgheit, Mißmut, Gemütsbedrücktheiten u. dergl., die fast +alle aus völlig unnatürlicher Lebensart sich ergeben, wenn die Freuden +der Tafel über die Bedürfnisse des Lebens hinausgehen und der Körper +nicht genug Bewegung hat, diese Zustände werden gern und vorschnell dem +Mangel an Geschlechtsgenuß zugeschrieben, weil man so die Sinnlichkeit, +mit Gründen wohl versorgt, auf den glatten Boden eines vergnügten Lebens +hinausschicken <span class="pagenum"><a id="page87"></a>[Seite 87]</span> kann. Denn um ein Vergnügen handelt sich's wohl +bei all den jungen Männern, die ihre leichtfertigen Liebesabenteuer mit +der Flagge der bedrohten Gesundheit verteidigen.</p> + +<p>Die gesamte Art der Menschheit, zu leben, zu arbeiten, zu essen und zu +trinken, und demgemäß zu denken und zu fühlen, ist so grundfalsch, so +von den natürlichen Gesetzen abgewichen, auf Abwege geraten, daß auch +unser Urteil über den Geschlechtstrieb und seine Äußerungen notgedrungen +falsch sein muß. Wie kann man aus ungesunden Lebensformen physiologische +Gesetze folgern wollen?</p> + +<p>Es ist wohl gut, auf einige Äußerungen von Männern hinzuweisen, die +auf Grund ihres wissenschaftlichen Urteils und ihrer Lebenserfahrungen +gehört zu werden verdienen. Dabei will ich verzichten auf die +Wiedergabe des bekannten Schreibens der medizinischen Fakultät der +Universität Christiania, erstens, weil es aus dem Jahre 1887 stammt, +und vor allem, weil mehrfach angezweifelt worden ist, ob in der Tat +die <em class="gesperrt">ganze</em> Fakultät es unterzeichnete. Tatsache aber bleibt, daß die +jüngeren norwegischen Ärzte in ihrem Fachblatt das erwähnte Urteil der +Fakultät zu ihrem eigenen gemacht haben.</p> + +<p>Der bekannte Nerven- und Irrenarzt Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Aug. Forel</em> sagt: +„Die angebliche Nervosität resp. physische Erregbarkeit, Abspannung usw., +welche die Keuschheit nach sich ziehen soll, wird als ein +Hauptargument zur Verteidigung der staatlichen Fürsorge für +weiberbedürftige Männer herangezogen. Ich bin in meiner ärztlichen +Laufbahn von zahlreichen jungen Neurasthenikern und Hypochondern +konsultiert worden, welche früher keusch waren, erst auf ärztliche +Anordnung hin Bordelle besuchten und vielfach dort venerisch +angesteckt, jedoch weder von Neurasthenie noch von Hypochondrie +kuriert wurden. Einen irgendwie nennenswerten Erfolg von dieser +Therapie habe ich selbst nie beobachtet.</p> + +<p>„Zweifellos dagegen ist es, daß der ausposaunte angebliche Schutz gegen +Syphilis (von einem Schutze gegen gonorrhöische Infektion wagt niemand +zu sprechen), verbunden mit den zahllosen <span class="pagenum"><a id="page88"></a>[Seite 88]</span> Lockungsmitteln, +welche die in diesen Geschäften pekuniär interessierten Personen zur +Vermehrung ihrer Kundschaft anwenden, die Zahl der sich prostituierenden +jungen Männer ungeheuer steigert; es bildet sich unter denselben +allmählich die ‚Suggestion‘, daß die Keuschheit ein unmögliches Ding +sei, daß ein keuscher Jüngling kein ‚Mann‘ sei u. dergl. mehr. – Zwar +liefert überall die Landbevölkerung, ohne daß wir an unsere Vorfahren zu +appellieren brauchten, den Beweis, daß ohne regulierte Prostitution und +ohne Prostitutionshäuser die Männer existieren und gesund bleiben, sogar +viel gesünder werden können. Es beweisen ferner zahlreiche Einzelfälle, +daß die Keuschheit ohne Nachteil für die Gesundheit bestehen kann ... +Doch wird dies meist ignoriert.</p> + +<p>„Die Prostitution ist kein Heilmittel gegen die Onanie. Beide bestehen +sehr oft nebeneinander...... Tatsache ist ..., daß der Geschlechtsreiz +durch vermehrte Befriedigung sich steigert, zu einem immer häufigeren +Bedürfnis wird. Das erklärt die weitere Tatsache, daß ... sehr viel +Exzedenten daneben noch onanieren oder nächtliche Pollutionen haben...</p> + +<p>„<em class="gesperrt">Nie habe ich eine durch Keuschheit entstandene Psychose gesehen, wohl +aber zahllose solche, die die Folgen von Syphilis und Exzessen aller Art +waren</em>...</p> + +<p>„Wir müssen dabei bleiben, daß für den jungen Mann bis zu seiner +Verehelichung die Keuschheit nicht nur ethisch und ästhetisch, sondern +auch der Prostitution gegenüber hygienisch das Zuträglichste ist.“</p> + +<p>Auch der hervorragende Psychiater Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Eulenburg</em> bezweifelt +in seiner „<span class="antiqua">Neuropathia sexualis</span>“, „daß schon irgend jemand bei sonst +vernünftiger Lebensweise durch geschlechtliche Abstinenz allein krank, +speziell neurasthenisch oder sexual-neurasthenisch geworden ist.“ Er +sagt weiter: „Ich halte diese immer wiederkehrenden, phrasenreichen +Behauptungen für völlig leeres und nichtssagendes Gerede, wobei es +sich nur um gedankenloses Miteinstimmen in den allgemeinen Chorus +oder – noch schlimmer – um ein bewußtes Kniebeugen vor Vorurteilen +handelt... <span class="pagenum"><a id="page89"></a>[Seite 89]</span> Jene im Laienpublikum außerordentlich beliebte und +leider auch von gewissen Ärzten laut oder stillschweigend gebilligte +Meinung von der unbedingten Schädlichkeit geschlechtlicher Abstinenz +wirkt zumal auf die heranwachsende Jugend in hohem Maße verderblich; +sie treibt diese dem illegitimen Geschlechtsverkehr, d. h. der +Prostitution, geradezu in die Arme...“</p> + +<p>Das Wort von den Schäden durch Enthaltsamkeit ist am lautesten im Munde +derjenigen, die die Venus Anadyomene (sinnliche Liebe) kennen und ihr +nicht entsagen wollen. Sie wissen nicht, daß das zur Periodizität +neigende Rückenmark aus einem gewöhnlichen Reiz ein gebieterisches Recht +macht. Findet man nicht im Essen, im Trinken, im Rauchen und in allen +Lebensgewohnheiten genau dasselbe? Man entziehe nur einmal einem starken +Esser oder Trinker sein gewohntes Quantum, und er wird – obwohl die +Entsagung seinem Organismus höchst dienlich ist – Unbehaglichkeiten, ja +Qualen erleiden. So ergeht's dem Raucher, so dem Morphinisten. Ist darum +in ihren Wünschen, ihren Gefühlen, ihren Ansichten auch nur ein Schimmer +von Recht?</p> + +<p>Wer das Geschlechtsgefühl häufiger kennen lernte, hat seinen Organismus +sozusagen darauf eingestellt. Wie Wellenlinien durchzieht's die +Nervenzentren, periodisch sie erregend. Dann bringt zunächst die +Enthaltsamkeit Beschwerden, wie allen, die unbeherrscht und triebhaft +leben. Aber nur zunächst. Bald stellt sich das Nervensystem mit dem +ganzen Organismus auf diese neue Marschroute ein, und die inneren +Absonderungen vermehren bald merkbar die Spannkraft des Körpers und des +Geistes. Ja, wer beobachten kann, findet bald heraus, daß der die +Geschlechtskraft sparende Organismus mit einem geringeren Maß von Schlaf +und Nahrung auskommt, weil er trotz erhöhter Leistungsfähigkeit +sparsamer wirtschaftet. Für viele, viele Menschen ist der +Geschlechtsgenuß ein jedesmaliger Kraftverlust, sie erschlaffen tagelang +nachher, und Menge und Wert ihrer Arbeit leidet. Sie brauchen Tage, um +durch Ruhe und Sorgfalt in der Ernährung wieder auszugleichen, was sie +in einer Minute verloren <span class="pagenum"><a id="page90"></a>[Seite 90]</span> haben. Trotzdem aber können sie nicht +loskommen von dem entnervenden Glauben an die Notwendigkeit +geschlechtlichen Lebens.</p> + +<p>Freilich bedingt ein so besonders beherrschtes Leben auch veränderte +Lebensgewohnheiten. Wenn du an Kopfschmerzen leidest, an unruhigem +Herzen, an Schlaflosigkeit und wüsten Träumen, oder durch Pollutionen +erschlafft wirst und in all diesen Dingen Gründe für ein voreheliches +Geschlechtsleben siehst, dann handelst du wie ein Kind, das die eine +Dummheit durch die andere beseitigen will. Du sollst deine +Eßgewohnheiten ändern, den Alkohol meiden, das Rauchen einschränken, +Gewürze und gewürzte Nahrung fortlassen und alles das beachten, was wir +schon beim Kapitel der Onanie miteinander besprochen haben. Und wenn der +Arzt in all den eben genannten Störungen die Zeichen eines zu hohen +Blutdruckes erkennt, so sollte er seinen Patienten nicht auf den +gefährlichen Weg zur Dirne senden, sondern den Blutdruck durch den +gesünderen und klügeren Rat der fleischlosen Nahrung, der Vermeidung von +Kaffee und Tee und Alkohol herabsetzen. Kann diese gedankenlose +Suggestion der Dirnennotwendigkeit sich bei der ärztlichen Autorität ihr +Lebensrecht holen, dann ist es kein Wunder, wenn die Köpfe junger Männer +erfüllt sind von wilden, ungezügelten und schmutzigen sexuellen +Vorstellungen, die den erregten Körper zu nächtlichen Samenergüssen und +damit zur Erschlaffung mit Rückenschmerzen, Verdauungsschwäche und +Melancholie treiben! Ein straffes Halt der lüsternen Phantasie gebieten, +Geist und Körper in ernste, energische Arbeit einspannen, das hält den +Geist sauber und den Körper gesund!</p> + +<p>In Klöstern, wo die Frauen arbeiten, hat man selten Hysterie gefunden; +bei Prostituierten dagegen ist sie häufig.</p> + +<p>Du wirst einsehen, daß gerade die wunderbare Tatsache der <em class="gesperrt">inneren</em> +Drüsenabsonderungen der Jugend die Pflicht der Keuschheit auferlegt. +Denn der Organismus, der diese Drüsensekrete zu seiner Entwicklung +gebraucht, kann nicht zu seiner vollen Entwicklung kommen, wenn ihm +vorher das Wachstumsmaterial <span class="pagenum"><a id="page91"></a>[Seite 91]</span> entzogen wird. Und wenn dem Körper +die Kraft genommen ist, wie sollte er Kraft seinen Nachkommen geben +können? Dem eigenen Leichtsinn folgt die Schwäche der Nachkommen, und +sie ist ein drückender Vorwurf für den, der noch ein Gewissen hat.</p> + +<p>Es ist nicht geschickt, zur eigenen Entschuldigung auf die Männer +hinzuweisen, die trotz ihrer sexuellen Ausschweifung geistig groß, +bedeutend und machtvoll waren. Denn erstens sind solche Männer in der +Minderzahl, zweitens hätten sie bei größerer Selbstzucht noch Größeres +erreicht. Die Zahl der Großen aber, die ihr persönliches Leben unter +die ordnende Macht sittlicher und gesundheitlicher Gesetze gestellt +haben, ist wesentlich größer, und man braucht nur auf <em class="gesperrt">Immanuel Kant</em>, +auf <em class="gesperrt">A. v. Humboldt</em> hinzuweisen, um sexuelle Enthaltung und geistige +Größe eindrucksvoll nebeneinander zu sehen. Jedenfalls hat +frühzeitiger Geschlechtsverkehr noch keinen großen Mann gezeitigt. +Dagegen fällt das Auge überall auf Menschen, die durch vorzeitige +Vergeudung der Zeugungskräfte an Körper und Geist verarmt und +verkümmert und zu jedem geistigen Hochflug unfähig geworden sind.</p> + +<p>Obermedizinalrat Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Gruber</em> in München sagt: „An eine +Schädlichkeit der Zurückhaltung des Samens im Körper ist nicht zu +denken.“ Er weist darauf hin, daß die Samenflüssigkeit, wenn sie als +Auszug aus Tierhoden unter die Menschenhaut gespritzt wird, die +Leistungsfähigkeit der Muskeln erhöht und diese sich rascher erholen. Er +weist ferner auf die Enthaltung von Gelehrten und Künstlern hin und +sagt: „Während der Zeit der Enthaltung wird sicherlich Samen aufgesaugt, +und seine Bestandteile gelangen ins Blut. Dies wirkt nicht schädlich, +sondern günstig.“ –</p> + +<p>Zweifellos gibt es Menschen von so heftiger geschlechtlicher Begierde, +daß sie sich wie ein Wesenszug ihrer besonderen Persönlichkeit ausprägt +und oft ihrem Handeln eine bestimmte Note gibt. Sie können sich nicht +bezähmen, sondern werden von ihrer Begierde beherrscht. Solchen Menschen +erscheint der Gedanke an <span class="pagenum"><a id="page92"></a>[Seite 92]</span> geschlechtliche Entsagung lächerlich, +und sie sind es auch, die, von ihrem eigenen Zustand ausgehend, ihren +jugendlichen Kameraden die Gefahren der Keuschheit anschaulich machen +wollen. Sie geben oft einer Unterhaltung den Ton, und die anderen +schämen sich, ihre Unschuld zu zeigen oder gar zu verteidigen. Wir +wollen nicht Pharisäer sein und Steine werfen auf diejenigen, deren +heftige, unstillbare Begierde die Selbstbeherrschung übersteigt. Aber +man soll in diesen Dingen das Herdenmäßige niederhalten, damit nicht der +eine zur gefährlichen Antriebskraft für die anderen wird, die zu spät +den gefährlichen Weg, den Krankheitsjammer und das moralische Elend +erkennen, in das ihre durch ein paar verführende Worte angefachte +Sinnlichkeit sie hineingetrieben hat. Man kann, durch ein Irrlicht +geleitet, leicht in einen Sumpf geraten. Ob aber die Kraft zum +Herauskommen später noch da ist, ist nicht vorherzusagen.</p> + +<p>Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Albert Heim</em> hat in einer kleinen Schrift, „Das +Geschlechtsleben des Menschen vom Standpunkt der natürlichen +Entwicklungsgeschichte“, vortrefflich nachgewiesen, daß diese sexuelle +Planlosigkeit und Willkür, die wir in der „zivilisierten“ Menschheit +finden, nicht einmal beim Tiere existiert, daß für das in Freiheit +lebende Tier durchaus keine Geschlechtsfreiheit besteht, daß es vielmehr +in polygamischer oder monogamischer Ehe lebt. Er sagt:</p> + +<p>„Und indem allmählich die zeitliche Beschränkung der Geschlechtsliebe +auf Brunftzeiten verschwunden ist, die Zeit der Brutpflege und der +Erziehung der Nachkommen sich immer verlängert hat, wird die Familie +fester und dauernder und dadurch die <em class="gesperrt">lebenslängliche Einzelehe</em> immer +<em class="gesperrt">natürlich-notwendiger</em>. In geschichtlicher Zeit sehen wir in der +Menschheit selbst alle Stufen von Unregelmäßigkeit, polygamischer, +monogamischer Ehe sich fortschreitend entwickeln bis gegen die +Alleinherrschaft der lebenslänglichen Einzelehe in Praxis, in Sitte und +in Gesetz. Was die Natur schon am Tierreiche in verschiedenen Zweigen +aufsteigend entwickelt und mit verstärkter Notwendigkeit dem Menschen +als Erbe überbunden hat, das wird sie nicht zurücknehmen <span class="pagenum"><a id="page93"></a>[Seite 93]</span> +können. Es gibt kein anderes Rückwärtsschreiten als dasjenige zum +Untergang.</p> + +<p>„Die <em class="gesperrt">monogamische Lebensehe</em> ist in ihrer Ausbildung ein allgemeines +Naturgesetz, und indem das Sittengesetz der Menschheit dieselbe +fordert und anstrebt, ist es eben nicht ein Stück „zivilisatorischer +Unnatur“, sondern ein <em class="gesperrt">Stück Natur</em>. <em class="gesperrt">Ein ungehemmtes Verfolgen seiner +Triebe ist kein Naturrecht. Die freie Natur gibt dies bei höheren +Tieren nirgends zu.</em> Auch das Tier würde bei Geschlechtsfreiheit rasch +zugrunde gehen. Der außereheliche Geschlechtsverkehr ist in der Natur +gar nicht vorgesehen; er ist nur eine unglückliche Abirrung der +Zivilisation, ein Irrtum! Je intensiver der Geschlechtstrieb, je +beseligender seine Befriedigung wird, desto bestimmtere und engere +Schranken setzt ihm die Natur, desto höher und heiliger aber auch +gestaltet sie die geschlechtliche Verbindung; sie wird zur Liebe, zur +Ehe. Beim Menschen gibt uns Liebe und Gegenliebe, nicht der +Geschlechtstrieb, Recht aus Geschlechtsgenuß.</p> + +<p>„Das Gerede vieler Männer von der Unnatur der Enthaltsamkeit und der +monogamischen Lebensehe ist also eitel Säbelgerassel und steht im +grellsten Widerspruche mit den Leitlinien der natürlichen Entwicklung. +Diesem Gerede zuliebe wird die Natur nicht umkehren, sondern wer ihren +Entwicklungsgedanken zuwider lebt, der wird an seinem Laster verderben! +Aus der Natur, aus ihren Gesetzen, kommen wir nimmer heraus!“</p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page94"></a>[Seite 94]</span> <a id="img011" name="img011"></a> +<img src="images/img011.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2><span class="ftsize90"><em class="gesperrt">Dritter Teil.</em></span><br/> +Die Geschlechtskrankheiten.</h2> + + +<p>Ja, wenn noch aus all dieser lüstern-lockenden Welt der geschlechtlichen +Ungebundenheit Glück und Kraft und Schönheit käme! Wenn die Wege des +Genusses nicht zur Reue führten, die oft fassungslose Verzweiflung ist! +Denn das voreheliche Geschlechtsleben hat einen Januskopf. Auf der einen +Seite das lächelnde Antlitz des Augenblicksgenusses und auf der anderen +die grause Kehrseite der venerischen Krankheiten, allen voran Tripper +(Gonorrhöe) und Syphilis. Weißt du, welche Schrecken diese Krankheiten +für den Einzelnen, welche Geißel sie für das Volk sind? Ruinierte +Kräfte, zerstörte Leben auf der ganzen Linie. Nur ein paar Zahlen sollen +den Umfang der venerischen Seuche zeigen:</p> + +<p>Das Kultusministerium in Preußen versandte im Jahre 1900 Fragebogen, +die Geschlechtskrankheiten betreffend, an die Ärzte. Aus der +Beantwortung derselben ergab sich, daß am 30. April des genannten +Jahres 41000 Geschlechtskranke sich in ärztlicher Behandlung befanden. +Darunter waren allein 11000 an frischer Syphilis Erkrankte. Berlin +zählte allein 11600, darunter 3000 frisch Syphilitische. Es kamen +somit in Preußen auf 10000 Einwohner = 28 Geschlechtskranke, in Berlin +142. Berücksichtigt man, daß ein Drittel aller Ärzte die Fragebogen +unbeantwortet gelassen hatte, und daß zahllose Erkrankte ohne eine +Ahnung von ihrem Leiden herumlaufen oder aber leichtsinnigerweise +nicht zum Arzt gehen, so kann man sehr wohl für Preußen eine Zahl von +100000 Geschlechtskranken am Tage annehmen. Professor <em class="gesperrt">Brentano</em> sprach +1903 in München auf dem Kongreß der „Gesellschaft <span class="pagenum"><a id="page95"></a>[Seite 95]</span> zur +Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ sogar von 170000.</p> + +<p>Diese Krankheiten kosten dem Volke an Mindereinnahmen und Mehrausgaben +(für Behandlung) viele Millionen.</p> + +<p>Das Elend, das diese Zahlen in sich einschließen, ist kaum zu +schildern und hat etwas Grauenhaftes, wenn man sieht, daß ihm die +Menschen mit lächelndem Leichtsinn entgegeneilen. Denn fast alle +Geschlechtskrankheiten (90%) entstehen bei der Prostitution oder durch +die flüchtigen „Verhältnisse“ mit Kellnerinnen und dergl.</p> + +<p><span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Iwan Bloch</em>-Berlin berichtet („Sexualleben“), daß in Berlin +alljährlich ein Drittel aller Kellnerinnen als geschlechtskrank +aufgegriffen werden, daß unter den Geschlechtskranken folgende Skala +besteht: 30% Kellnerinnen, 25% Studenten, 16% Kaufleute, 9% Arbeiter, +4% Soldaten. Daß die Studenten gleich hinter den Kellnerinnen stehen, +spricht für ihren bodenlosen Leichtsinn. Der verstorbene Leipziger +Nervenarzt <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Möbius</em> sagt („Vermischte Aufsätze“, 1898): „Der, +der Erfahrung hat, muß zugeben, daß wenigstens acht von zehn, die durch +Dirnen angesteckt worden sind, nicht durch Leidenschaft dazu gekommen +sind, sondern einfach durch Leichtsinn und Übermut, Verführung und +Betrunkenheit. Ja, viele setzen sich kaltblütig der Gefahr aus, bloß +weil man ihnen eingeredet hat, regelmäßiger Geschlechtsverkehr sei zur +Gesundheit nötig.</p> + +<p>„Wüßten die Leute ganz klar, wie groß die Gefahr ist, daß sie bei jedem +Verkehr mit Dirnen die Gesundheit, ja das Leben auf das Spiel setzen, so +würden gewiß viele sich zurückhalten. Deshalb halte ich es für eine +ernste Pflicht aller Wohlmeinenden und ganz besonders der Ärzte, so oft +und so nachdrücklich wie möglich die Wahrheit über die venerischen +Krankheiten anszusprechen, ja den Menschen ins Ohr zu schreien. Jeder +bedenke, welche Verantwortung er auf sich lädt, wenn er diese Dinge +leichtsinnig behandelt. Sollten Ärzte lächelnd von ‚Kinderkrankheiten‘ +reden, oder wohl gar zum Besuche der Dirnen ermuntern, <span class="pagenum"><a id="page96"></a>[Seite 96]</span> so darf +man von ihnen sagen, daß sie ‚viel schlimmer als die Pest‘ wirken.“</p> + +<p>Weil Wissen überall die starke Waffe der Sittlichkeit ist, wollen wir +hier kurz die häufigsten und schrecklichsten Geschlechtskrankheiten +darstellen. Es sind dies 1. der Tripper (Gonorrhöe), 2. der weiche +Schanker, 3. die Syphilis.</p> + +<p>Der <em class="gesperrt">Tripper</em> ist eine uralte Krankheit, die schon <em class="gesperrt">Moses</em> zu ernsten +Maßregeln veranlaßte. Das Mittelalter hat eine große Ausdehnung des +Trippers erlebt, aber die großen Irrtümer über diese Krankheit waren +für die Kranken von sehr trüben Folgen. Klarheit brachte erst die im +Jahre 1879 gemachte Entdeckung von Prof. <em class="gesperrt">Neisser</em>-Breslau, daß der +Tripper eine zunächst lokale Entzündung der Harnröhrenschleimhaut ist, +die auf bestimmten Mikroorganismen (Kleinwesen), den <span class="antiqua"><em class="gesperrt">Gonoccoci +Neisseri</em></span> oder Tripperkokken, beruht.</p> + +<p>Es gibt keine andere Ursache für den Tripper oder die Gonorrhöe als den +Geschlechtsverkehr. Was man sonst darüber redet, ist falsch. Man kann +ohne weiteres sagen, daß alle käuflichen Dirnen geschlechtskrank sind, +und daß die sittenpolizeiliche Kontrolle (Reglementierung) nicht den +geringsten Schutz gegen die ungeheure Ansteckungsgefahr gewährleistet.</p> + +<p>Ein oder mehrere Tage nach der Ansteckung macht sich ein lästiges +Brennen und Jucken in der Harnröhre bemerkbar, das häufige +Gliederektionen mit erhöhtem Schmerzgefühl bewirkt und besonders beim +Harnlassen sich steigert. Zugleich beginnt ein schleimiger Ausfluß, der +in kurzer Zeit zu einem mehr oder weniger übelriechenden grünlich-gelben +Eiter wird. Die Menge dieser eiterigen Absonderung hängt von der +Heftigkeit der Erkrankung und von der gesamten Kräfte- und +Säftebeschaffenheit des Patienten ab. Die Harnröhrenmündung erscheint +gerötet. Wird bei der Untersuchung der Harn in ein Glas gelassen, so +senkt sich der Eiter darin in dicker Schicht zu Boden, und man kann die +Gonokokken darin mit Sicherheit feststellen.</p> + +<p>Die schmerzhaften Gliederregungen, der gestörte Schlaf, das +Angegriffensein des ganzen Nervenapparates, sind natürlich für <span class="pagenum"><a id="page97"></a>[Seite 97]</span> +den Patienten sehr angreifend. Der Verlust an Säften und Kräften läßt +sich wohl auch bei jedem heftigen Tripper an dem schlechten Aussehen des +Patienten erkennen.</p> + +<p>Je nach Umständen läßt nach 3-4 Wochen die Heftigkeit des Ausflusses +nach. Der Eiter verliert seine Dickflüssigkeit und gewinnt wieder das +Aussehen wie zu Beginn der Krankheit; er wird wässeriger und heller.</p> + +<p>Es kommt vor, daß ein leichter Tripper verhältnismäßig lange Zeit +besteht und hartnäckig erscheint, daß aber andrerseits hin und wieder +ein sehr heftig auftretender Tripper in kurzer Zeit verschwindet. Das +hängt ganz von Konstitution und Lebensweise und von der im Körper +wirkenden Heilkraft ab.</p> + +<p>Meist hat der Tripper seinen Sitz zunächst in dem vorderen Teil der +Harnröhre. Durch unrichtiges Verhalten, vor allem durch unzweckmäßige +Behandlung, verbreitet er sich aber über den hinteren Teil der +Harnröhre, und damit beginnt sein ernster Charakter, beginnen die +Gefahren des Blasenkatarrhs, der Nebenhoden- und Prostataentzündung usw. +Jetzt können Schäden entstehen, die im ganzen Leben nicht wieder +gutzumachen sind, wenn nicht mit allem Ernst die Behandlung in die Wege +geführt wird.</p> + +<p>Wird die zweckmäßige Behandlung versäumt, so geht der frische (akute) +Tripper in das chronische Stadium über. Damit gewinnt diese Krankheit +ihren wahrhaft heimtückischen Charakter. Man kann deshalb nicht ernst +genug raten, sofort nach dem Ausbruch der Krankheit einen Arzt +aufzusuchen. Warnen muß man vor allem vor der Selbstbehandlung, die +junge Männer auf den Rat „erfahrener“ Freunde beginnen, weil sie sich +schämen, zum Arzte zu gehen, oder weil sie Störungen in ihrem Berufe und +Entdeckungen seitens der Angehörigen fürchten. Wer sich nicht schämte, +sich die Krankheit bei der Dirne oder einem sonstwie unerlaubten +Geschlechtsumgang zu holen, der sollte auch den Mut besitzen, sich durch +einen erfahrenen Arzt ausheilen zu lassen, um sich selbst und seine +spätere Familie vor schlimmen Folgen zu bewahren. Die Selbstbehandlung +ist ein Leichtsinn und eine Unklugheit, <span class="pagenum"><a id="page98"></a>[Seite 98]</span> weil durch sie oft die +Krankheit erst ins chronische Stadium hineingetrieben wird. Übrigens +schützt das ärztliche Berufsgeheimnis den Patienten vor jedem bösen +Klatsch und vor gesellschaftlicher Ächtung. Das ist bei der herrschenden +besonderen Auffassung der Geschlechtskrankheiten doppelt wichtig. +Zwischen der medikamentösen Behandlungsweise und der naturgemäßen +entscheide ich mich unbedingt für die letztere, die in der ärztlichen +Praxis mehr und mehr an Anerkennung und Würdigung gewinnt.</p> + +<p>Ist der Tripper erst einmal chronisch geworden, so bietet er der +Behandlung weit größere Schwierigkeiten. Im allgemeinen kann man die +Erkrankung als chronisch ansehen, wenn sie einer zweckmäßigen Behandlung +nicht innerhalb drei Monaten weicht. Dann wird der Tripper zu einem +langwierigen, schleichenden Leiden, das monate- und jahrelang, ja durchs +ganze Leben hindurch bestehen und schließlich tödliche Erkrankungen +hervorrufen kann. Jedenfalls haben die neueren klinischen Erfahrungen +das Gesamtbild des Trippers ganz wesentlich gefahrvoller erscheinen +lassen, als man es früher glaubte. Subjektiv sind die Beschwerden +zunächst nicht sonderlich groß und bestehen im wesentlichen darin, daß +morgens die Harnröhrenmündung verklebt ist und auf Druck einen +grau-weißlichen Schleimtropfen absondert, in welchem die +bakteriologische Untersuchung manchmal Gonokokken, manchmal aber auch +nur Eiter nachzuweisen vermag. Das Urinieren ruft häufig, besonders nach +dem Genuß scharfer Speisen, Schmerzen hervor.</p> + +<p>Was aber dem chronischen Tripper erst seinen heimtückischen Charakter +gibt, das sind seine Folgeerscheinungen, von denen vorerst die +gefährlichen Strukturen, das sind Verengerungen der Harnröhre durch +Bindegewebswucherungen, zu nennen sind. Dieselben sind oft ungeheuer +schmerzhaft, erschweren das Harnlassen und können zu schweren +Nervenstörungen führen.</p> + +<p>Zum zweiten ist zu nennen die sogenannte <em class="gesperrt">Prostatitis</em>; das ist eine +Entzündung der zwischen Harnröhre und Blase liegenden Vorsteherdrüse, +die große Schmerzen hervorruft und mit einem <span class="pagenum"><a id="page99"></a>[Seite 99]</span> starken +Eiterausbruch endet. Auch diese Krankheit kann chronisch werden und ist +dann verhängnisvoll für die Geschlechtstätigkeit, da sie sexuelle +Neurasthenie hervorrufen kann.</p> + +<p>Bei Vernachlässigung, namentlich aber bei der leichtsinnigen +Selbstbehandlung und dem Gebrauch innerlicher, reizender Mittel, +schließt sich dem Tripper ein <em class="gesperrt">Blasenkatarrh</em> an, ein im akuten Stadium +äußerst schmerzhaftes Leiden, das mit fortwährendem Harndrang verbunden +ist und sehr leicht chronisch werden kann. Dann kann es monate- und +jahrelang bestehen, ja während des ganzen Lebens eine Schwächung der +Blase und ihres Schließmuskels hinterlassen und so zu einem ganz +außerordentlich lästigen und hinderlichen Leiden werden. Ja, in der +chronisch erkrankten Blase bildet sich der entsetzlich schmerzhafte +Blasenstein, der die den Strukturen folgende Harnverhaltung unter +Umständen zur Ursache schwerster Blutvergiftungen, Vereiterungen und +tödlicher Prozesse werden lassen kann.</p> + +<p>Zu den schlimmsten Folgekrankheiten des Trippers gehört die +<em class="gesperrt">Nebenhodenentzündung</em>, bei der im Zeitraum von einem oder mehreren +Tagen einer der beiden Hoden anschwillt auf das Zwei- und Dreifache seiner +normalen Größe, sich heiß und äußerst schmerzhaft anfühlt und das Gehen, +sowie jede Bewegung unmöglich macht. Wird die Behandlung dieses +Entzündungsprozesses nicht energisch, bei völliger Bettruhe, in die Hand +genommen, so bleiben Verhärtungen zurück, die jahrelang oder auch +während des ganzen Lebens bestehen bleiben.</p> + +<p>Vor allem aber besteht die Gefahr, daß die Entzündung <em class="gesperrt">beide</em> Hoden +ergreift und dann durch Zerstörung des Hodengewebes, das wir als die +Brutstätte der befruchtenden Samenzellen anzusehen haben, zur dauernden +Unfruchtbarkeit führt. Das geschieht tatsächlich in 85% aller Fälle von +doppelseitiger Hodenentzündung. Man stellt dann entweder <em class="gesperrt">Azoospermie</em> +fest, d. i. gänzliches Fehlen von Samenfäden (Spermatozoen), oder aber +unbewegliche, also tote, zur Befruchtung unfähige Samenfäden.</p> + +<p>So kann der Leichtsinn des vor- und außerehelichen Geschlechtslebens +eine fürchterliche Strafe finden, kann ein Augenblick der <span class="pagenum"><a id="page100"></a>[Seite 100]</span> +ungezügelten Sinnlichkeit, der zum Haus der Dirne trieb oder eine jener +zufälligen und wahllosen Geschlechtsverbindungen bewirkte, mit dem +Verlöschen der Zeugungsfähigkeit enden. Das Wort „Vater“ verliert seinen +Klang, und alles, was es an Schönheit und Freude in sich einschließt, +ist begraben, ehe es ins Leben treten kann. Die edelste Kraft wird +eingebüßt, und diese Möglichkeit allein müßte jeden Leichtsinn im Keim +ersticken.</p> + +<p>Aber mit diesen festumrissenen Folgekrankheiten erschöpft sich der +Tripper nicht, und wir werden noch sehen, welch ein furchtbarer +Leichtsinn es ist, vom Tripper lächelnd als von einer „Kinderkrankheit“ +zu reden, wie es unter jungen Leuten oft geschieht. Es besteht ja die +verhängnisvolle Anschauung, daß man einmal ein „kleines Tripperchen“ +gehabt haben müsse, um gegen spätere Ansteckungen gefeit zu sein. Das +direkte Gegenteil ist richtig; denn wer einmal einen Tripper hatte, +neigt in außerordentlichem Maße zu weiteren Ansteckungen, weil die +Schleimhäute ihre Widerstands- und Abwehrkraft eingebüßt haben.</p> + +<p>Leider bleibt der Tripper nicht einmal auf die Entzündung der +Geschlechtsorgane beschränkt; vielmehr wird durch den Blut- und +Säftestrom das Trippergift überall im Körper umhergetragen und kann an +allen Organen schwere Entzündungen hervorrufen. Seit man bei gewissen +Krankheitsformen den <em class="gesperrt">Neisserschen</em> Gonokokkus gefunden hat, liegen die +Zusammenhänge klar zutage. Darüber sagt Prof. Dr. <em class="gesperrt">Wyß</em>-Zürich<a name="FNanchor_A_5" id="FNanchor_A_5"></a><a href="#Footnote_A_5" class="fnanchor">[5]</a>:</p> + + <p class="ftsize90">„So ist vor allem der Tripperrheumatismus als eine sicher durch + Transport von Gonokokken durch die Blutbahn von der erkrankten + Schleimhaut der Harnröhre nach den serösen Häuten der Gelenke + bedingte Entzündung anzusehen; wir verstehen, daß auch andere + seröse Häute erkranken können; wir wissen, daß gewisse schwere + Entzündungen der Herzklappen unter Umständen mit all ihren weiteren + Komplikationen: Nierenerkrankungen, Gehirnerkrankungen, + Lungenerkrankungen usw., die Folge einer Gonorrhöe sind; doch auch + ohne Beteiligung des Herzens können akute eiterige Entzündungen im + Gehirn und Rückenmark oder deren Häuten durch den Gonokokkus sich + ereignen und unrettbar den Tod herbeiführen. Gewisse Nasen- und + Ohrenerkrankungen, Dickdarmerkrankungen, Speicheldrüsen- und + Knochenhautentzündungen <span class="pagenum"><a id="page101"></a>[Seite 101]</span> sind durch ihn bedingt. Somit ist + der Tripper für den Mann oft als eine lebensgefährliche Krankheit + erkannt worden, und zwar zuweilen selbst dann noch, wo er örtlich + keine Erscheinungen mehr oder nur noch ganz unbedeutende gemacht + hat.“ –</p> + +<p>Bliebe der Tripper auf sich selbst beschränkt, so könnte man den +Gedanken hegen, daß der Schuldige büßen muß für Unwissenheit, Fehl, +Leichtsinn und Gewissenlosigkeit. Zwar ist oft die Strafe zu hart; denn +nicht immer ist der Einzelne schuld an seinem Tun, wenn ihm ein +warnendes Wort von Eltern und Lehrern fehlte. Und wenn die alkoholische +Lustigkeit einer Tafelrunde bei der Dirne endete, so büßen viele ihr +Leben lang den Augenblick des Leichtsinns, der ausreichte, eine +Geschlechtskrankheit zu übertragen. Mit Tränen in den Augen haben sie +oft vor mir gestanden, die jungen Männer, die körperlich und seelisch an +der geheimen Häßlichkeit ihrer venerischen Krankheit leiden. Gar zu hart +hatte sie's betroffen.</p> + +<p>Was aber sollen wir sagen, wenn die Unschuldigen leiden müssen, büßen +für den Leichtsinn eines andern, büßen ein Leben lang, büßen ohne +Schuld, leiden, wo sie liebten oder wo die Liebe ihnen das Leben gab? +Denn der Tripper ist ansteckend, ist übertragbar auf die Frau, die +liebend und voll Vertrauen dem Manne in die Ehe folgt und von demselben +Manne, dem sie all ihre Jugend, ihre Frische dargeboten, den +Krankheitskeim empfängt, der sie von der gleichen Stunde ab zur +leidgequälten Frau macht.</p> + +<p>Das Gefährliche des weiblichen Trippers besteht darin, daß er sich nicht +auf die Harnröhre beschränkt, sondern alle äußeren und inneren +Geschlechtsteile auf das heftigste erfassen kann. Das alles sind äußerst +schmerzhafte, quälende, störende Leiden, die sehr verschiedenartige +Erscheinungen machen können, so daß man früher oft eine andere Diagnose +stellte, wo heute eine Tripperansteckung zweifelsfrei feststeht.</p> + +<p>Ja, von den sogenannten „Frauenleiden“ beruhen drei Viertel wohl auf +nichts anderem, als auf venerischer Ansteckung durch den Mann. Denn der +Tripper geht tiefer in die inneren Organe <span class="pagenum"><a id="page102"></a>[Seite 102]</span> hinein und befällt +besonders die Gebärmutter, am Hals derselben beginnend und allmählich +sie ganz überziehend, so daß in solchen Fällen die Unfruchtbarkeit der +Frau eine unausbleibliche Folge ist.</p> + +<p>Wieviel Jammer und Tränen hängen mit dem Worte Unfruchtbarkeit zusammen! +Wieviel ungestillte Muttersehnsucht, wieviel bittere Entsagung schließt +es in sich ein! Ich habe Frauen gesehen, die weinten, wenn sie Kinder +sahen, sie herzten und küßten, weil ihnen selbst dies größte Frauenglück +versagt geblieben war. Und wie oft regnet es Vorwürfe von seiten des +Mannes auf die arme Frau herab, deren Herz nach einem Kindchen jammert, +deren mütterliche Kraft aber im Keim erstickt wurde durch eine +Tripperinfektion. Entweder leidet der Mann an Azoospermie (Fehlen von +Samentierchen) infolge von tripperhafter Hodenentzündung, oder aber die +inneren Organe der Frau sind durch die Ansteckung angegriffen.</p> + +<p>Die heimtückische chronische Form des Trippers bietet selbst beim +Schwinden der Symptome keine unbedingte Sicherheit für den Glauben an +Heilung. Chronische Tripper können in furchtbarer Heftigkeit wieder akut +werden. Ja, es kommt vor, daß ein chronisch tripperkranker Mann mit +einer Frau Umgang hat, diese aber gesund bleibt, und die abgelagerten +Gonokokken beim nächsten Mal rückwirkend beim Manne einen akuten Tripper +erzeugen.</p> + +<p>Unwissenheit und Schamgefühl hindern das weibliche Geschlecht mehr +noch als das männliche, den Tripper gleich nach Ausbruch ärztlich +behandeln zu lassen. Das ist der Grund, warum der Tripper bei der Frau +so verheerend wirkt. Denken wir nun daran, daß der Tripper so +ungeheuer verbreitet ist, daß nach den Angaben des amerikanischen +Arztes <em class="gesperrt">Noegerath</em> von 1000 Männern 800 einmal in ihrem Leben an Tripper +erkrankt gewesen sind, und daß die meisten davon ihn nie wieder +verloren, so sehen wir mit einem Schlage, daß es sich hier nicht um +eine Einzelkrankheit handelt, der man bisher mit lächelndem Spott +gegenübergestanden hat, sondern um eine furchtbare <span class="pagenum"><a id="page103"></a>[Seite 103]</span> Seuche, +die der Kraft eines ganzen Volkes Wunden schlägt. Man lachte über +<em class="gesperrt">Noegerath</em>, hielt ihn für einen ideologischen Schwarzseher. Aber seine +aus der Praxis des Arztes gewonnenen unerbittlichen Zahlen vermochten +doch schließlich unter den deutschen Ärzten den Indifferentismus und +den Gleichmut zu beseitigen, womit man bisher diesen Dingen +gegenüberstand. Man sah genauer hin, beobachtete schärfer, arbeitete +gleichfalls statistisch und – fand, daß <em class="gesperrt">Noegerath</em> recht hatte. Man +erkannte mit einem Male, daß man mit der angeblichen Heilbarkeit des +Trippers gar zu optimistisch umgegangen war, daß der Tripper geradezu +ungeheuer häufig chronisch wird und auch dann noch bestehen kann, wenn +ihn selbst der Arzt für geheilt erklärt, daß er dann noch ansteckend +auf die Frau oder auf den Mann wirkt. Man sah von da ab auch die +Frauenleiden mit ganz anderen Augen an und fand in weit größerem +Umfange als bisher als Ursache – den Tripper. Von den leichten Formen +des Weißflusses an, der sich oft schon ganz kurz nach der Hochzeit +einstellt, bis zu den schweren Entzündungen der Eileiter, Eierstöcke, +der Gebärmutter und selbst des Bauchfells, überall fand man den +Gonokokkus, und – manches Rätsel war gelöst.</p> + +<p>Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Wyß</em>-Zürich sagt darüber<a name="FNanchor_A_6" id="FNanchor_A_6"></a><a href="#Footnote_A_6" class="fnanchor">[6]</a>:</p> + + <p class="ftsize90">„Während der Geschlechtsapparat des Mannes nach dem Bauchfellraum + hin abgeschlossen ist, kommunizieren die inneren Schleimhäute der + Geschlechtsorgane im weiblichen Organismus direkt mit dem + Peritoneal- oder Bauchfellsack. Infolgedessen greift der + Entzündungsprozeß, den der Tripper auf der Schleimhaut des + Geschlechtsapparates der Frau erzeugt, leicht auch auf das + Bauchfell über. Sowohl für sich, als auch in Verbindung mit anderen + Mikroben (Bakterien) werden dadurch akute und chronische + Entzündungs- und Eiterungsprozesse bedingt, welche die Frau schwer + erkranken machen, und welche leider oft in kürzerer oder erst nach + längerer Zeit den Tod herbeiführen, mindestens aber monate-, ja + jahrelanges Kranksein und oft fürs ganze Leben Leidendsein + bedingen. Da diese Zustände oft einsetzen im Anschluß an eine + Geburt oder einen anderen physiologischen oder auch pathologischen + Vorgang (Menstruation, Abortus, vorzeitige Geburt), so hat man + früher, als man die Krankheitserreger noch nicht kannte, jene + Vorgänge der Ätiologie beschuldigt, die wahre Ursache nicht + erkannt. Erst seit der Gonokokkus <span class="pagenum"><a id="page104"></a>[Seite 104]</span> in solchen + Entzündungsprodukten mikroskopisch nachgewiesen werden konnte, ist + man auf die richtige Fährte gelangt und weiß man, daß viele früher + auf eine „böse Geburt“ zurückgeführten tödlichen Erkrankungen oder + heutzutage oftmals zu schweren Operationen oder in anderen Fällen + auch wiederum zu langem Siechtum führenden Affektionen junger, + blühender, bis zu ihrer Verheiratung absolut gesunder Frauen – auf + einen nicht ausgeheilten oder geheilt erschienenen Tripper des + Herrn Gemahls zurückzuführen sind.“</p> + +<p>So finden wir's in allen Gesellschaftsschichten. Wann wird es eines +Tages gelingen, diese fürchterlichen Tatsachen in die Herzen der +männlichen Jugend einzugraben, damit sie abläßt vom gewissenlosen +geschlechtlichen Leichtsinn! In die Ohren müßten wir's ihr +hineinschreien, wieviel Jammer das sexuelle „Amüsement“ in die Welt +bringt. Als Prof. <em class="gesperrt">Bumm</em> in Leipzig einst unter den Hörern seines +Kollegs Fragezettel bezüglich eines etwaigen Trippers verteilte, +antworteten 36 von 53 Studenten mit „Ja“. Das waren 70%. Die übrigen +30% werden ihn leider früher oder später auch noch bekommen haben.</p> + +<p>Wie viele von diesen Trippern bleiben ungeheilt, werden chronisch und +richten in der Ehe körperliche und seelische Verwüstung an! <em class="gesperrt">Noegerath</em> +hält den Tripper überhaupt für – unheilbar!!! Das ist zum Teil die +Folge seines medikament-medizinischen Standpunktes, den wir nicht +teilen. Aber daß überhaupt ein ernster Forscher und warmherziger +Menschenfreund wie <em class="gesperrt">Noegerath</em> zu einer solch furchtbaren Auffassung +kommt, das ist's, was uns erschreckt.</p> + +<p>Tatsächlich trotzen viele Tripper jeder Behandlung. Der Patient ist eine +Zeitlang trostlos. Dann gewöhnt er sich an den Krankheitszustand, hält +ihn für immer weniger ernst, heiratet und – steckt seine Frau an. Damit +beginnt dann für die Frau und für die Ehe die lange Leidenskette, +schwere Unterleibsleiden und unter Umständen Unfruchtbarkeit.</p> + +<p>Prof. <em class="gesperrt">Flesch</em>-Frankfurt a. M. sagt: „In meiner ärztlichen Tätigkeit +habe ich es nur zu oft erlebt, daß unglückliche Frauen der ärmeren Klassen, +wenn Hunger und Sorge wegen ihrer andauernden Arbeitslosigkeit ‚wegen +Unterleibsentzündung‘ eingezogen <span class="pagenum"><a id="page105"></a>[Seite 105]</span> waren, daß Frauen der +bemittelten Klassen, wenn Kinderlosigkeit die Ehe vergiftete, sich den Tod +herbeiwünschten, sich den schwersten Operationen unterzogen, und ihre +Männer noch um Verzeihung baten, weil sie ihren Mann unglücklich machten. +Und der um Vergebung Angeflehte war fast immer, ohne es zu ahnen, der +Urheber des Unglücks.“</p> + +<p>Aber auch damit macht der Tripper nicht halt. Das Trippergift, das in +den Geburtswegen einer Frau abgelagert ist, kann während des +Geburtsaktes in die Augen des Kindes kommen. Dann entsteht eine +Bindehautentzündung, die das Augenlicht zerstört. 60 von 100 Blinden +haben ihr namenloses Unglück aus dieser lebentötenden Quelle. Gibt es +Worte für soviel Jammer? Tausende büßen mit Blindheit den +Jugendleichtsinn ihrer Väter.</p> + +<p>Und dieses gedankenlose „Vorleben“ wird immer noch entschuldigt! Immer +noch finden sich Stimmen, die von „Männlichkeit“ sprechen, wenn ein +junger Mann geheime Wege geht. Wären diese qualvollen „Frauenleiden“ +nicht allesamt vorher „Männerleiden“, oder bliebe die Krankheit auf +den Mann beschränkt, so könnte er sündigen, wenn er für sich allein +büßen will. Aber Unschuldige büßen! Unschuldige zu Hunderttausenden! +Hört ihr's, ihr jungen Männer? Laßt dies Leid der Unschuldigen nicht +größer werden! Das junge Mädchen, das still und in den Träumen der +Jugend im Elternhaus lebte, vergiftet ihr! Ihre Augen leuchten, wenn +ihr Liebesworte sprecht! Und ihr Herz weiß nicht, was ein junger Mann +im Haus der Dirne sah und tat. Es liegt ein böses, aufreizendes +Unrecht in diesem Vorleben. Mit einer niederträchtigen Disharmonie +beginnt die Ehe: <em class="gesperrt">sie</em> geschlechtlich unschuldig oder harmlos, <em class="gesperrt">er</em> +weiterfahren, sexuell blasiert und – mit einem chronischen Tripper +behaftet. Nach kurzer Ehe sind die frohen Hoffnungen der Brautzeit +zusammengefallen. Aus dem fröhlichen Mädchen wurde eine müde, kranke +Frau, gereizt, übellaunig oder todestraurig. Wir denken an das Wort +<em class="gesperrt">Noegeraths</em>, der sagte: „Es ist so weit gekommen, daß junge Damen sich +fürchten, in die Ehe zu treten, weil sie wissen, <span class="pagenum"><a id="page106"></a>[Seite 106]</span> daß alle +ihre Bekannten erkrankt und nicht wieder gesund geworden sind.“</p> + +<p>Die zweite in dem Trio der Geschlechtskrankheiten ist</p> + +<p class="center"><em class="gesperrt">der weiche Schanker</em> (<span class="antiqua">Ulcus molle</span>).</p> + +<p>Er ist ein meist an der Eichel oder der Vorhaut des Geschlechtsgliedes +durch Ansteckung beim Geschlechtsverkehr entstehendes Geschwür, das ein +bis fünf Tage nach der Ansteckung sich mit Jucken und Brennen bildet und +meist eine durch Unreinlichkeit oder sonstwie verletzte, eingerissene +Stelle der Schleimhaut zur Voraussetzung hat. Bei Sauberkeit und +unverletzter Schleimhaut findet das Schankergift keinen Eingang.</p> + +<p>An der entzündlich geröteten Ansteckungsstelle bildet sich ein Bläschen, +das nach seinem Zerfall einen Eiter absondert und einen wulstigen aber +weichen, ein wenig ausgezackten Rand bildet. (Das syphilitische +Erstgeschwür hat harte Ränder; daher „harter Schanker“ genannt.)</p> + +<p>Sehr häufig schwellen die Drüsen in der Schenkelbeuge, die sogenannten +Leistendrüsen, an (Bubonen), ja, es kann zu Vereiterungen derselben und +zum Durchbruch des Eiters nach außen kommen.</p> + +<p>Ist auch der weiche Schanker nicht von so ernstem und gefährlichem +Charakter wie der harte, so darf er doch nicht leichtsinnig aufgefaßt +werden, weil einerseits üble und häßliche Folgeerscheinungen auftreten +können, wie namentlich der phagedänische (d. i. der weiterfressende, +gewebszerstörende) Schanker, und andrerseits alle venerischen +Krankheiten so merkwürdig vielgestaltig auftreten, daß selbst der +erfahrene Arzt nicht sicher vor Täuschungen bleibt.</p> + +<p>Konstitution und zweckmäßiges Verhalten entscheiden darüber, ob der +weiche Schanker harmlos bleibt und schnell ausheilt, oder ob er der +Ausheilung hartnäckigen Widerstand entgegensetzt.</p> + +<p>Unsere ganz besondere Aufmerksamkeit aber verlangt</p> + +<p class="center"><em class="gesperrt">die Syphilis</em> (<span class="antiqua">Lues venera</span>),</p> + +<p>zumal ihr Charakterbild nach jeder Richtung hin in der Geschichte und in +der Gegenwart schwankt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page107"></a>[Seite 107]</span> Die Erscheinung der Syphilis ist der sogenannte <em class="gesperrt">harte Schanker</em> +(<span class="antiqua">Ulcus dure</span>), der in den weitaus meisten Fällen durch den +geschlechtlichen Verkehr mit einer syphilitischen Person entsteht, und +zwar dadurch, daß das syphilitische Gift durch eine kleine Schrunde, +einen kleinen Riß in der Haut eintritt. Die Möglichkeit, daß eine solche +kleine Hautverletzung besteht oder beim Geschlechtsumgang entsteht, ist +allerdings so groß, und die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis so +ungeheuer, daß der geschlechtlichen Verbindung mit einer syphilitisch +kranken Person fast stets eine Ansteckung folgt.</p> + +<p>Das Ansteckungsfeld ist zumeist der uneheliche Geschlechtsverkehr. <span class="antiqua">Dr.</span> +<em class="gesperrt">Blaschko</em>-Berlin erzählt, daß einmal von 1129 Geschlechtskranken in +seiner Poliklinik (1009 Männer und 120 Frauen) die Männer ihre Syphilis +fast ausschließlich außerhalb der Ehe, die Frauen innerhalb der Ehe von +den Männern erworben hatten. Welch eine furchtbare Anklage bedeutet das +für den Mann, welch ein entsetzliches Martyrium schließt das für die +Frau ein! Der Jugendleichtsinn des Mannes, den Weib und Kind in der Ehe +büßen müssen!</p> + +<p>Die Verbreitung der Syphilis hat Zahlen angenommen, die Entsetzen +wecken.</p> + +<p>Sie ist eine der furchtbarsten Volkskrankheiten geworden, die das +Interesse der ärztlichen Wissenschaft und der behördlichen Organe +unausgesetzt beschäftigt. Unsummen gehen in Heilungskosten auf, und das +Ende dieses unseligen Zerstörungsprozesses in der Menschheit ist nicht +abzusehen.</p> + +<p>In großen Städten schleicht das Gespenst der Syphilis durch alle Straßen. +Wo die Menschen dichter zusammenwohnen, steigert sich das Leben, vermehren +sich auch die Krankheiten. Und die Prostitution, die die Moral der Männer +verschlingt, speit dafür die Geschlechtskrankheiten, Tripper und Syphilis, +auf die Menschheit aus.</p> + +<p>Dieser Gifthauch trifft auch die Bewohner des Landes, dessen junge Söhne +in den Städten als Soldat dienen oder ein Handwerk, ein Geschäft lernen +und ausüben oder die Schulen, die <span class="pagenum"><a id="page108"></a>[Seite 108]</span> Universität besuchen und mit +der Kultur der Stadt auch die Syphilis in die Heimat bringt. Der +vierjährige Feldzug hat die Zahlen der Geschlechtskrankheiten ins +Fürchterliche gesteigert.</p> + +<p>Die Syphilis beginnt mit einem kleinen Knötchen, das 2-4 Wochen nach +erfolgter Ansteckung auftritt (sogenannter Primäraffekt) und bald zu +zerfallen beginnt. Dabei bildet sich ein tiefer fressender Untergrund +und ein etwas erhöhter Randwulst. Beide sind hart, weshalb man hier vom +harten Schanker spricht. Auch Schwellungen der Leistendrüsen stellen +sich ein.</p> + +<p>Die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis ist eine ganz außerordentliche. +Jedes Hautritzchen genügt, um das syphilitische Gift eindringen zu +lassen, und zwar nicht nur an den Geschlechtsteilen, sondern überall am +Körper. Es gibt demnach eine außergeschlechtliche Syphilis, die bei 4% +aller Syphilitiker vorliegt. Dieselbe wird ungemein leicht erworben, +beispielsweise durch Küssen, Händedrücken, durch Benutzung von +Handtüchern, Bettwäsche, Kissen, Polstern usw., die vorher mit +syphilitischen Geschwüren in Berührung kamen.</p> + +<p>Eine sekundenlange Berührung genügt – und das Gift ist in den Körper +eingedrungen und spielt seine verderbliche Rolle. Wenn's Schuld war, +kann man von Sühne sprechen. Was aber sagt ihr zu den Unglücklichen, die +ohne Schuld, ganz ohne Liebe und Geschlechtsumgang die Syphilis +erwarben? Die unwissend, schuldlos und wehrlos ein zerstörendes Gift +empfangen und es womöglich monate- und jahrelang in sich tragen, ohne +den Charakter der Leiden zu ahnen, die sie nacheinander heimsuchen?</p> + +<p>Ist das syphilitische Erstgeschwür ausgeheilt, so beginnt etwa nach 8-10 +Wochen die sekundäre Syphilis, meist als roter Fleckenausschlag, als +Knötchen (Papeln) oder eiterige Pusteln, die sich über den ganzen Körper +verbreiten und namentlich in Hautfalten (Schenkelbeuge, +Geschlechtsgegend, zwischen den Fingern usw.) als nässende Wunden +auftreten können. Die Absonderungen dieser Ausschläge haben eine starke +Ansteckungsfähigkeit. Dazu gesellt sich ein Schorf auf der behaarten +<span class="pagenum"><a id="page109"></a>[Seite 109]</span> Kopfhaut, der das Haar büschelweise zum Ausfallen bringen +kann.</p> + +<p>Dazu stellt sich Fieber ein, Mattigkeit, Abgeschlagenheit der Glieder, +rheumatismusähnliche Schmerzen in den Gelenken und den Knochen +(namentlich in den langen Arm- und Schenkelknochen), am Tage +Frostschauer und in der Nacht Schweiße, dazu schwere Gemütsverstimmungen.</p> + +<p>In den Schleimhäuten zeigen sich vielerlei Störungen, vom einfachsten +Katarrh angefangen bis zu den Papeln, die zu eiterigen Wucherungen +(sogenannten Kondylomen) werden können. Diese treten vor allem gern im +Rachen und im Munde auf und haben eine ungeheure Ansteckungsfähigkeit. +Nie ist beim Besuch einer Prostituierten der Besucher sicher, daß nicht +irgendwo am Körper ein Kondylom ihm die tückische Krankheit überträgt.</p> + +<p>Häßlicher und schlimmer noch sind die syphilitischen Geschwüre, die noch +in dem sekundären Stadium auftreten und als schmerzhafte +Gewebszerstörungen überall im und am Körper auftreten können. So +namentlich an den Nasenflügeln und dem Nasensteg, in den Mundwinkeln, am +Zahnfleisch, an der Zunge, den Stimmbändern, dem Zäpfchen usw. Wie viele +Redner, Sänger, Schauspieler usw. haben schon durch diese fressenden +Geschwüre ihre Stimme und damit ihre Existenz und ihre Lebensfreudigkeit +verloren! Wieviel Entstellungen des Gesichts, wieviel Sprachstörungen +haben allein diese Ursache! Wohl selten ahnt jemand, daß der +leichtfertige Augenblicksgenuß bei der Dirne oder das zufällige +Geschlechtserlebnis der Straße ein so grauenhaftes Ende nehmen kann.</p> + +<p>Manchmal, wenn der Kranke sich schon ganz oder fast ganz geheilt glaubt, +bricht mit einem Male die Krankheit in voller Stärke wieder aus. Der +ganze körperliche und seelische Jammer ist wieder da, und es ist wohl zu +verstehen, von welch grenzenloser, dumpfer Verzweiflung oft die +Unglücklichen befallen werden.</p> + +<p>Glaubt man aber die sekundäre Syphilis völlig geheilt, ja, versichert +sogar der Arzt, daß sie völlig geheilt sei, so liegt auch <span class="pagenum"><a id="page110"></a>[Seite 110]</span> +darin nicht eine Spur von Sicherheit; denn nach Jahren oder Jahrzehnten +bricht die Syphilis mit völlig verändertem Charakter wieder aus und wird +dann in der Tat furchtbar. Sie ist in ihr drittes (tertiäres) Stadium +eingetreten und nimmt insofern einen gänzlich anderen Weg, als die +sekundäre Syphilis ausschließlich die Haut und die Schleimhäute befällt, +während im tertiären Stadium vorwiegend die inneren Organe (Knochenhaut, +Muskeln, Darmsystem, Leber, Nieren, Lungen, Gehirn und das ganze +Nervensystem) erkranken.</p> + +<p>Bei der tertiären Syphilis erscheinen runde oder ovale Papeln, die bald +geschwürig zerfallen und rotbraune Färbung gewinnen. Man nennt solch ein +Geschwür Gumma. Mehrere Gummata können zu einem einzigen Geschwür sich +vereinigen, das sich tief in das Gewebe hineinfrißt.</p> + +<p>Das ist gerade das Entsetzliche dieser Gummata, daß sie die tieferen +Gewebsschichten und die inneren Organe angreifen und diese zu +geschwürigem Zerfall bringen.</p> + +<p>So wird häufig die Nasenscheidewand durchgefressen, und die im Innern +abgefressenen Gewebsteile werden beim Räuspern oder Husten ausgestoßen. +Von den vorkommenden Kehlkopfzerstörungen ist wohl ein reichliches Teil +auf tertiäre Syphilis zurückzuführen. Die schrecklichen und widerlichen +Verwüstungen der Nase kann man ja hin und wieder auf der Straße +beobachten.</p> + +<p>Die Knochen erfahren Auftreibungen und Verdickungen und werden +stellenweise ausgefressen, ausgehöhlt, so daß dauernde und auffallende +Veränderungen zurückbleiben. Ja, es kann beispielsweise der lange +Unterschenkelknochen so weit durchgefressen werden, daß er bei +irgendeiner Gelegenheit bricht.</p> + +<p>Besonders schmerzhaft und gefährlich ist das Gumma, wenn es am +Schädelknochen sitzt. Dann frißt es sich bis zu den Hirnhäuten durch, +durchlöchert also die Schädeldecke und kann das Leben zerstören.</p> + +<p>Schwere Nieren-, Leber-, Lungen- und Herzerkrankungen treten bei der +tertiären Syphilis auf und können gleichfalls den Tod herbeiführen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page111"></a>[Seite 111]</span> Ergreift die tertiäre Syphilis das zentrale Nervensystem, so +ist der Kranke unrettbar dem Tode verfallen. Das am Schädel sitzende +Gumma frißt sich durch den Knochen hindurch oder treibt ihn auf; daraus +erklären sich die Vorboten jener fürchterlichen Krankheit, der +Gehirnerweichung, die wohl in den meisten Fällen den Charakter der +tertiären Syphilis trägt. Diese Vorboten sind: dauernder Kopfschmerz, +Schwindel, Ohnmachtsanfälle, Gedächtnisschwäche, tiefe Gemütsverstimmung +und die lange Reihe jener merkwürdigen, unüberlegten und sinnlosen +Handlungen, die oft bei einem früher klugen, geistvollen Menschen +auftreten und den Gehirnparalytiker verraten, ehe noch die schreckliche +Krankheit zum furchtbaren Ausbruch kommt. Daß ein sonst sparsamer Mann +auf einmal ein unruhiger Verschwender wird, ein sittenstrenger Mann zum +wüsten, ausschweifenden Erotiker, erklärt sich nur durch teilweisen und +fortschreitenden Verfall des Gehirns.</p> + +<p>Bei der Rückenmarksschwindsucht ist ihr Zusammenhang mit der Syphilis +(oder mit ihrer Quecksilberbehandlung?) so offenbar, daß man fast von +Ausnahmslosigkeit sprechen kann.</p> + +<p>Die bei Tabes des oberen Rückenmarkes auftretenden Sehstörungen, +namentlich Augenlähmungen und Entzündungen der Iris, sind fast alle +syphilitischen Charakters.</p> + +<p>Es gibt keinen Teil am und im Körper, der nicht von der Syphilis +ergriffen und zerstört werden könnte. Zwar trifft die Krankheit nicht +jeden so schwer; aber sie ist heimtückisch und unberechenbar, und wenn +ein von dieser Krankheit befallener Körper nicht genügend Lebenskraft +hat, sich vernachlässigt und noch dazu ein ausschweifendes, +nervenzerstörendes Leben führt, so kann ihn die Krankheit bei lebendigem +Leibe zum Verfaulen bringen.</p> + +<p>Die Syphilis ist erblich, das ist ihr größtes Schreckbild. Die +Nachkommen empfangen das Gift im Keim, und dieser angefaulte Keim +wird – wenn er nicht abstirbt – zu einer faulen Frucht. Dies ist das +Schrecklichste im Leben, der grauenvolle Leichtsinn, mit dem ein +syphilitisch Kranker das Gift auf Weib und Kinder überträgt und Leben +erweckt, das morsch, faul und <span class="pagenum"><a id="page112"></a>[Seite 112]</span> unglücklich ist. Wieviel +jammervolle Menschen laufen umher, denen die Syphilis des Vaters oder +der Mutter die Kraft nahm und die Flügel gebrochen hat! Das ist die +fluchwürdigste Tat, deren ein Mensch fähig ist.</p> + +<p>Die erbliche Übertragung der Syphilis geschieht durch syphilitische +Vergiftung der Keimzellen. Die Folgen sind Absterben der Frucht, +Frühgeburten und Fehlgeburten oder ganz elende, schwächliche und +erbärmliche Kinder.</p> + +<p>Prof. <em class="gesperrt">Neumann</em> machte im „Archiv für Kinderheilkunde“ folgende Angaben +über die geradezu verheerenden Wirkungen der vererbten Syphilis: „Es +gebaren 71 Mütter im sekundären Stadium der Syphilis insgesamt 99 +Kinder, d. h. es standen so viele Fälle zur Beobachtung. Dabei fanden +sich: 40 mal Abortus, 4 Frühgeburten, 3 Totgeburten, 24 Kinder, die +gleich nach der Geburt starben, 5 waren lebend, aber syphilitisch, und +nur 2 schienen gesund zu bleiben. <em class="gesperrt">Die Sterblichkeit war also 98 +Prozent!!</em></p> + +<p>Dies große Kindermorden bezeichnet überall den Weg der Syphilis. Zwar +mildert sich das Bild, wenn die syphilitische Ansteckung der Mutter +nicht vor der Befruchtung oder zugleich mit ihr, sondern später +erfolgte. Zwar ist dann immer noch die Gefahr für das Kind groß; aber es +bleibt wahrscheinlich am Leben. Ist aber einmal die Syphilis im Körper +einer Frau, so ergreift sie die Keimzellen, die im weiblichen Organismus +in den Eierstöcken von Jugend auf fertig ausgebildet sind, und jedes +nachher geborene Kind wird geschädigt. Darin liegt die Furchtbarkeit der +Syphilis beim Weibe. Die Samenzellen des Mannes werden fortdauernd neu +gebildet, so daß beim Ausheilen der Syphilis auch die Erblichkeit +erloschen ist. Das ist beim Weibe nicht der Fall, weil immer in den +fertigen und auf Befruchtung wartenden Eizellen Syphiliskeime +zurückgeblieben sein können. Eine einmal syphilitisch gewesene Frau +sollte darum nie wieder Kinder bekommen. Und gerade hier sieht man die +ganze Schrecklichkeit dieser Krankheit, erkennt man, wie sie alles +Mutterglück für alle Zeit ersticken kann, und wie ein unschuldiges Weib +krank und <span class="pagenum"><a id="page113"></a>[Seite 113]</span> unsagbar unglücklich werden kann, weil der Mann ihr +in schrecklichem Leichtsinn den Keim einer Krankheit übertrug, die er in +einer Stunde des bloßen Vergnügens erwarb.</p> + +<p>Arme, arme, bejammernswerte Frauen, die nichts Böses taten und so schwer +leiden müssen! Wie kam so bitteres Unrecht in die Welt? Und wie ist es +auszudenken, daß es Männer gibt, gewissenlos und verbrecherisch genug, +wissend Leib und Seele einer Frau zu zerstören!</p> + +<p>Ein syphilitisch erblich zerstörtes Kind ist das Grauenhafteste, was man +sich vorstellen kann. Ein jammervolles Leben, das schuldlos eine schwere +Bürde trägt. Eine Haut, die unter Umständen mit roten Flecken, Blasen, +nässenden Wunden und Eiterbeulen bedeckt ist, kranke, wuchernde +Schleimhäute, chronische Nasen- und Ohrenkatarrhe mit eiternden, +stinkenden Ausscheidungen, dazu wohl auch Taubheit, Blindheit, +Knochenentzündungen und Knochenauftreibungen mit schrecklichen +Formänderungen und ein rascher Zerfall der Zähne. Gehirn und Rückenmark +sind meist bei solchen unglücklichen Kindern angegriffen, und es zeigen +sich schon früh teilweise oder vollständige Lähmungen, Krämpfe, +Zuckungen, Epilepsie und vielerlei geistige Störungen, von einfachstem +Gedächtnisschwund und der Gemütsbedrückung angefangen bis zu +Wahnvorstellungen, fixen Ideen, furchtbaren Ausbrüchen und völliger +geistiger Zerrüttung.</p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page114"></a>[Seite 114]</span> <a id="img012" name="img012"></a> +<img src="images/img012.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2><span class="ftsize90"><em class="gesperrt">Vierter Teil.</em></span><br/> +Der Kampf um Sittlichkeit und Gesundheit.</h2> + + +<p>Das ist das Schreckbild der Geschlechtskrankheiten, und wer je offene +Augen hatte, der wird nichts für Übertreibung halten.</p> + +<p>Du kennst nun die Gefahr. Und die Gefahr wird deinen starken Willen +wecken, und du beginnst den Kampf. Den Kampf? Gegen was? Gegen alles, +was dich bedroht; denn ohne Kampf geht es nicht ab. Wahrlich, es gibt +einen Kampf zwischen triebhaftem Leib und sieghaftem Willen. Mensch +sein, heißt ein Kämpfer sein, und dieser Kampf ist der Menschheit +urewiges Erbstück.</p> + +<p>Schmiede Waffen für diesen Kampf! Und willst du die wirksamsten kennen, +so suche sie im Widerstreit der Kräfte in deinem eigenen Körper und +Geist. Auf <em class="gesperrt">Arbeit</em> sind alle deine Kräfte eingestellt. Sinnliche +Verschwendung zehrt an deiner Arbeitskraft, macht dich schlaff, +unlustig, geistlos. Die Arbeit aber zähmt und bändigt deine sinnlichen +Triebe. Darum stelle dein Leben auf Arbeit ein! Stecke dir ein Ziel, und +setze an die Erreichung dieses Zieles alle deine Kräfte. Dann wird die +Arbeit Inhalt und Halt deines Lebens, sie wird dir Sittlichkeit und +Grundlage der Persönlichkeit werden.</p> + +<p>Völker sind durch Arbeit groß geworden, sind mit ihrer Arbeit gewachsen, +und es war stets ein Zeichen des Niederganges, wenn ein Volk sich teilte +in Arbeitende und Müßiggänger. Denn unter diesen Müßiggängern, die nicht +einen einzigen Tag mit ernsten Pflichten erwachen, sondern sich treiben +lassen von ihren Stimmungen und Einfällen, führt die Sucht nach +Unterhaltung über Sport und Spiel zu Liebesabenteuern und +Geschlechtserregungen. <span class="pagenum"><a id="page115"></a>[Seite 115]</span> Und je weniger der Körper durch den +strengen Willen und die rauhe Notwendigkeit der Arbeit gebändigt ist, +desto weichlicher und haltloser wird der Charakter, desto ungebärdiger +und zügelloser die Phantasie, und eine wirre, unsaubere Sinnlichkeit +erfüllt den Geist, dem durch Mangel an Arbeit die straffen Zügel +genommen sind.</p> + +<p>Sicherlich gibt es Menschen von ruhelosem Arbeitsdrang, Menschen, denen +die Arbeit zum Laster, zur Krankheit, zu einem neurasthenischen Zwang +wurde, die ruhelos arbeiten müssen, um die gejagten Nerven zu +befriedigen und um sich über die entsetzliche Leere ihres Inneren +hinwegzutäuschen. Solche Menschen sind uns nicht Vorbild. Sie sind die +eine Ausschreitung, der Müßiggänger die andere.</p> + +<p>Wie wohltuend steht dazwischen der ruhig und kraftvoll Arbeitende! Das, +was er schafft, gibt ihm Ernst und Würde, gibt ihm Stolz, und in dieser +Würde, diesem Stolz liegt die große Widerstandskraft gegen alles +Schlechte. Die Arbeit ist eine innere Spannung, die über Mißgeschick +hinweghilft und eine stille Fröhlichkeit um sich verbreitet. Wer sein +Geld durch Arbeit erwarb, wird es höher schätzen, wird sparsamer sein +als der Müßiggänger, der mit des Vaters ererbtem Gelde seine Stunden +totschlägt und aus Überdruß nach vielen Genüssen nur noch den +Geschlechtsgenuß kennt. Dann ist's mit der Arbeit vorbei, denn Arbeit +verlangt Kraft und innere Stählung, und nichts zerstört diese Kraft so +sicher, wie die Sinnlichkeit, wenn sie unbeherrscht und krankhaft in +Leib und Sinn wühlt.</p> + +<p>Niemand wird eine gesunde Sinnlichkeit abtöten können. Und niemand soll +es tun. Aber sie soll als bewegende Kraft in der beherrschenden Kraft +des Willens liegen und nicht durch beständigen Anreiz zu einer +triumphierenden und den Menschen versklavenden Macht werden. Ernste +Arbeit entzieht dich vielen solchen Anreizen, und ein festes Lebensziel +fesselt deinen Willen an diese Arbeit.</p> + +<p><em class="gesperrt">Schopenhauer</em> schrieb 1813 in sein Tagebuch: „An den Tagen und Stunden, +wo der Trieb zur Wollust am stärksten ist, ... <span class="pagenum"><a id="page116"></a>[Seite 116]</span> gerade dann +sind auch die höchsten Kräfte des Geistes, ja das bessere Bewußtsein zur +größeren Tätigkeit bereit, ob zwar in dem Augenblicke, wo das Bewußtsein +sich der Begierde hingegeben hat und davon voll ist, latent; aber es +bedarf nur einer gewaltigen Anstrengung zur Umkehr der Richtung, und +statt jener quälenden, bedürftigen, verzweifelnden Begierde (dem Reich +der Nacht) füllt die Tätigkeit der höchsten Geisteskräfte das Bewußtsein +(das Reich des Lichts). In besagten Zeiten ist wirklich das kräftigste, +tätigste Leben überhaupt da, indem beide Pole mit der größten Energie +wirken. Dies zeigt sich bei ausgezeichnet geistreichen Menschen. In +besagten Stunden wird oft mehr gelebt als in Jahren der Stumpfheit.“</p> + +<p>Schiller hat diesen Gedanken in wundervolle Worte gekleidet:</p> + +<p class="dropc ralign2 ftsize90">Leidenschaften sind schäumende Pferde,<br/> +Angespannt an den rollenden Wagen.<br/> +Wenn sie entmeistert sich überschlagen,<br/> +Zerren sie dich durch Staub und Erde.<br/> +Aber lenkest du fest den Zügel,<br/> +Wird ihre Kraft dir selbst zum Flügel,<br/> +Und je ärger sie reißen und schlagen,<br/> +Um so herrlicher rollt dein Wagen.</p> +<p class="marbot10"> </p> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img013" name="img013"></a> +<img src="images/img013.jpg" width="040" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + +<p>Dein Leben gelte der Arbeit! In diesem Zeichen wirst du siegen.</p> + +<p>Aber es gilt, auf der Hut zu sein, um alles zu vermeiden, was eine +Geschlechtserregung herbeiführen könnte. Je gesünder und normaler der +Organismus, desto gleichmäßiger sind seine Kräfte in den Nervenzentren +verteilt. Der nervöse, überhaupt der geschwächte Mensch hat meist eine +Schwäche und leichte Erregbarkeit im Lendenteil des Rückenmarkes. Hier +ist der hauptsächlichste Sitz des Geschlechtsgefühls. Alles, was stark +auf den Organismus einwirkt, trifft am meisten dies schwache und wegen +seiner Schwäche leicht erregbare Fundament. Darum werden nicht nur rein +geschlechtliche Dinge hier gefährlich, sondern auch ungünstige +Einwirkungen durch Essen und Trinken, Überanstrengung, <span class="pagenum"><a id="page117"></a>[Seite 117]</span> +Trägheit, d. h. Mangel an Arbeit, falsche Lektüre, seelische Erregungen +usw.</p> + +<p>Natürlich ist der rein geschlechtliche Reiz der weitaus stärkste, +weshalb denn für diese oft vorhandene Schwäche des Lendenmarkes nichts +unheilvoller und verhängnisschwerer wird als Onanie oder vorzeitiger +Geschlechtsumgang. Das Nervensystem neigt zur Periodizität, und jede +Übung steigert die Reizempfänglichkeit. Es ist deshalb nicht ohne +weiteres richtig, zu sagen, daß die Betätigung den Trieb befriedigt. +Nein, durch die Geschlechtsbetätigung wird oft erst ein Bedürfnis +geschaffen, was in gleicher Stärke vorher nicht vorhanden war.</p> + +<p>Über die rein körperlichen Ursachen der Geschlechtserregung haben wir +schon im ersten Teile gesprochen. Meide also das viele Stillsitzen, das +den Unterleibs- und Geschlechtsorganen eine stockende Blutüberfüllung +gibt und das Nervensystem in einen Zustand von Gereiztheit versetzt. +Gerade das in den Schulen, in allen Studienanstalten und in allen +Schreibstuben geübte dauernde Stillsitzen ist eine verbreitete Ursache +der Onanie und aller sinnlichen Erregung überhaupt.</p> + +<p>Bei hoher geschlechtlicher Reizbarkeit sind auch gewissen +Sportsübungen sinnlichkeitsreizende Gefahren nicht abzusprechen. Das +ist z. B. das Klettern, das Reiten und das Radfahren. Die Bewegungen +und Reibungen der Geschlechtsorgane sind bei vielen erregbaren jungen +Menschen nicht unbedenklich. Der beste Kenner dieser Dinge in +Deutschland, <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Rohleder</em> in Leipzig, behauptet, daß infolge +des Reitens die Onanie bei der Kavallerie ungeheuer verbreitet sei.</p> + +<p>Und noch eins ist zu erwähnen, das ist der Tanz. Er hat schon +entwicklungsgeschichtlich so viel geschlechtlich-symbolische Züge, daß +man auch seine sexualerregende Wirkung wohl verstehen kann. Wenn du +durch ihn in dieser Richtung gefährdet bist, so schränke ihn ein. Ja, +bringe unter Umständen deiner Gesundheit das Opfer, ihn ganz zu lassen. +Jedenfalls bringe nicht Tanz und Alkohol zusammen; denn das leicht +erregbare Nervensystem ist diesem doppelten Reiz nicht gewachsen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page118"></a>[Seite 118]</span> Achte auf das Bett, wie ich schon früher sagte. Laß dein Lager +kühl und hart sein und schlafe nicht länger, als es dir dienlich ist. +Vor allem träume nicht im Bett in die Morgenstunden hinein.</p> + +<p>Bade fleißig! Halte den Körper und namentlich die Geschlechtsorgane +sauber. Schwimme und turne, wandere, singe und sei fröhlich!</p> + +<p>An erster Stelle soll in der Pflege deines Körpers das Luftbad stehen. +Ich hab's genau beschrieben in einem anderen Buche: „Die Heilkraft des +Luft- und Sonnenbades“<a name="FNanchor_A_7" id="FNanchor_A_7"></a><a href="#Footnote_A_7" class="fnanchor">[7]</a>. Nackt in der Luft stählst du die Nerven. Nur +meide die starke Sonne und träges Herumliegen in der Sonne. Es +erschlafft den Körper und kann sinnlich erregen. Hat es dich erschlafft, +so nimm ein kühles Fluß- oder Brausebad. Überhaupt sind kühle Bäder und +kühle Waschungen zuträglich, wenn die Gefahr der sinnlichen Erregung +naht. Hast du morgens beim Erwachen Erektion, so stehe rasch auf, mache +eine kühle Abwaschung und kleide dich rasch an. Aber übertreibe diese +Dinge niemals, weil sonst Schwächung eintritt, die doch wieder zu +sinnlicher Erregung führt. Übertreibe auch nicht bei gymnastischen und +sportlichen Dingen, bei Wanderungen und ehrgeizigen Wettveranstaltungen. +Alles Übermaß führt zur Disharmonie, und nur in der Harmonie aller +Kräfte liegt die Möglichkeit zu ihrer Beherrschung.</p> + +<p>Und sei einfach und mäßig in deiner Nahrung. Denke daran, daß jedes +Übermaß deine Geschlechtsbegierde steigert, und daß namentlich Fleisch, +Fleischbrühe, Wurst, Eier und alter, scharfer Käse, sowie Gewürze, die +Sinnlichkeit erregen und den Kampf gegen diese namenlos erschweren. Wir +Menschen haben meist keinerlei Vorstellung davon, wie eng unser ganzes +geistiges und Gefühlsleben mit den Stoffen zusammenhängt, die wir als +Nahrung zu uns nehmen. Nichts zeigt unsere Erdgebundenheit mehr, als +diese unbestreitbare Abhängigkeit.</p> + +<p>Namentlich das Abendessen sei einfach und mild. Du mußt es früh +einnehmen, damit nicht die Arbeit der Verdauung <span class="pagenum"><a id="page119"></a>[Seite 119]</span> deinen Schlaf +stört und eine Phantasietätigkeit weckt, die dir gefährlich werden kann. +Die einfachsten Speisen sind die zuträglichsten. Ein gesunder Geist und +ein gesunder Körper neigen zur Einfachheit. Schwache Nerven erzeugen +Unmäßigkeit und die Sucht nach Pikantem.</p> + +<p>Auch erregende Getränke haben direkten und unzweifelhaften Einfluß auf +Körper und Geist und namentlich auf die Geschlechtlichkeit. Und nichts +gibt es, das in dieser Hinsicht so verderblich, so furchtbar +niederreißend ist wie der Alkohol. Er ist ja innerhalb der menschlichen +Gesellschaft geradezu der Quell aller unerlaubten, unsauberen +Beziehungen, alles unehrlichen, schlechten Denkens und aller niedrigen, +gemeinen Handlungen geworden.</p> + +<p>Der Alkohol ist des deutschen Volkes angestammtes Laster. Schon die +alten Deutschen verkauften im Trunk Haus und Hof, Weib, Ehre und +Freiheit. Das Trinken ist Gewohnheit, Gesellschaftskodex, eiserner +Bestand, historisches Gesellschaftsrecht geworden. Es herrscht überall +und drückt allem Handeln der Deutschen seinen besonderen Stempel auf.</p> + +<p>Eine fluchwürdige Entwicklung, in der man nicht weiß, was man mehr +verachten soll, die Schlaffheit derjenigen, die immer weiter trinken, +oder die Gewissenlosigkeit des Braukapitals, das an allen Straßenecken +zum Trinken verleitet.</p> + +<p>Nirgendwo aber spielt der Alkohol eine so verheerende Rolle, wie im +Nervensystem der Menschen und vor allem im Geschlechtsleben. Der Alkohol +ist, weil ein dem Körper durchaus fremder, nicht assimilierbarer Stoff, +ein Überreiz, der nicht nur den Körper schwächt, sondern vor allem +höchst merkwürdige Wirkungen an Geist und Seele entfaltet. Er bewirkt +eine Erregung, die sich als gesteigerte Phantasie, als erhöhter Mut, als +Fessellosigkeit des Denkens, als sexuelle und allgemeine +Unternehmungslust äußert, in Wirklichkeit aber Schwäche ist, denn der +klaffende Spalt zwischen gesteigertem Wollen und geschwächtem Können ist +eine wesentliche alkoholische Merkwürdigkeit.</p> + +<p>Vor allem aber reißt der Alkohol das nieder, was die Menschheit in +jahrtausendealter Kulturentwicklung aufgebaut hat und <span class="pagenum"><a id="page120"></a>[Seite 120]</span> was das +Ziel aller Erziehung und aller Persönlichkeitsentwicklung ist, jene +feinen und klaren Unterscheidungen zwischen Gut und Böse und jene +Hemmungen der Einsicht, der Moral und des Willens, die sich gegen das +Schlechte, das Niedrige und Rohe aufrichten. Fällt das alles, so tritt +der Mensch in seiner ursprünglichen Roheit und Brutalität wieder hervor, +wie wir es ja in der Alkoholwirkung tatsächlich sehen.</p> + +<p>Wo anders kann das deutlicher sich zeigen als in den geschlechtlichen +Dingen? Hier steigert der Alkohol die Begierde und wird zum Kuppler, +weil er das Verantwortlichkeitsgefühl tötet, die sittliche Würde und +Selbstbeherrschung zurückdrängt und zu Geschlechtsverbindungen treibt, +die in solcher Art und solcher Häufigkeit bei nüchternem Kopfe undenkbar +wären.</p> + +<p>Der Alkohol verleitet tatsächlich zu den leichtsinnigsten +Geschlechtsverbindungen und gefährlichsten Abenteuern. Tausende von +jungen Männern erwerben ihre Geschlechtskrankheit, wenn sie angeheitert +zum Haus der Dirne gehen. Ja, die meisten haben wohl die Bekanntschaft +der Prostitution erst mit erleichternder Hilfe des Alkohols gemacht. +<em class="gesperrt">Forel</em> machte unter seinen geschlechtskranken Patienten eine Statistik +und fand, daß 75% davon sich unter dem Einfluß des Alkohols angesteckt +hatten.</p> + +<p>Je höher der Alkoholgehalt eines Getränkes, desto stärker auch seine +Wirkung. Aber von den Getränken mit geringem Alkoholgehalt, wie z. B. +Bier, werden oft solche Mengen getrunken, daß trotzdem stärkste +Wirkungen, Trunkenheit, leichtsinnige Geschlechtsverbindung, venerische +Ansteckung, geschlechtliche Verirrungen u. dergl. zustande kommen. Und +die Statistik lehrt, daß die Zahl der unehelichen Geburten mit dem +Bierverbrauch in den einzelnen Städten steigt und sinkt.</p> + +<p>Von den Sittlichkeitsdelikten kommt ein sehr hoher Prozentsatz aus dem +Alkoholgenuß. Und was diesen vielen und vielerlei Ausschreitungen, +Fehlern, Unbesonnenheiten und Vergehen an Unglück, Familienjammer und +sozialem Elend folgt, das ist kaum zu übersehen. Hier gibt's für den +einsichtsvollen Menschen nur einen Weg, den der Enthaltsamkeit vom +Alkohol.</p> + +<p><span class="pagenum"><a id="page121"></a>[Seite 121]</span> Wie Schreck fährt's manchem durch die Glieder, wenn es heißt, +er soll kein Bier mehr trinken. So fest sitzt es in seinen +Lebensbegriffen, daß ihn der Verzicht ungeheuerlich anmutet. Und doch +gibt's nicht den kleinsten Vorteil, der im Alkohol wohnt, sondern nur +Nachteil, unbedingten, unbegrenzbaren Schaden. Was schädlich ist, geht +wider die menschliche Vernunft. Darum räumen wir etwas aus dem Weg, was +die Menschen in ihrer gesamten Entwicklung hindert, und verzichten auf +den Alkohol. In diesem Verzicht liegt Selbstachtung, Stolz, Würde. Gute +Entschlüsse machen den Menschen reifer, willenskräftiger, sittlich +freier. Und der Verzicht auf den Alkohol ist ein guter Entschluß!</p> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img014" name="img014"></a> +<img src="images/img014.jpg" width="040" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + +<p>Meidest du den Alkohol, so meidest du von selbst jene häßlichen Stätten, +wo der Alkohol bewußt und planmäßig zur sinnlichen Anreizung gebraucht +wird, die Animierkneipen und alle anderen Kneipen „mit Damenbedienung“. +Es liegt etwas unsäglich Häßliches und Niedriges, etwas namenlos +Gemeines in diesen Kneipen, und es ist mir völlig unverständlich, wie +ein junger Mann in der Dunstwolke dieser alkoholischen Geilheit auch nur +einen einzigen Atemzug tun kann.</p> + +<p>Hier stehen wir auf der Grenze, wo die körperlichen Anreize der +Geschlechtlichkeit in die geistigen übergehen. Und so, wie du den Körper +freihalten mußt von unsauberen Dingen, so gib auch dem Geist nur und +ausschließlich gute Nahrung. Leicht mag das nicht sein. Denn die +erotische Hochspannung der Kultur hat auch in die Literatur und in die +Kunst einen erotisch-neurasthenischen Ton hineingetragen. Die Betonung +des Sexuell-Sinnlichen kommt dem Interesse der Menge entgegen. Sexuelle +Dinge werden breit, mit zynischer Behaglichkeit oder mit geschickt und +elegant verborgener Lüsternheit geschildert oder gemalt. Vor nichts +scheut man zurück, und die Schamlosigkeit macht sich breit unter dem +Deckmantel des „Realismus“.</p> + +<p>Wir wollen ganz absehen von Kolportageromanen, die auf die niedrigsten +Instinkte spekulieren. Nein, auch fähige Schriftsteller, <span class="pagenum"><a id="page122"></a>[Seite 122]</span> +begabte Bildhauer und Maler haben sich der Erotik verschrieben und +prostituieren ihre Kunst, um den billigen Beifall der Menge zu +erhaschen.</p> + +<p>Wieviel Unheil richten sie in jugendlichen Köpfen an! Unruhige sinnliche +Wünsche werden geweckt, sittliche Begriffe gestürzt; denn das, was ohne +Zweifel schlecht ist, wird durch diese erotische Literatur „interessant“ +gemacht. Wieviel schlechte Handlungen entsteigen der durch schlechte +Lektüre verwilderten Phantasie! Wie oft erfährt der Richter, daß ein +schlechtes Buch den Antrieb zu einer sittlichen oder strafrechtlichen +Entgleisung gab!</p> + +<p>Die Zahl der scheußlichen Witzblätter ist groß, und selbst Witzblätter, +denen manch ernstes Wort eine Bedeutung gab, haben sich dem erotischen +Zynismus mit Haut und Haaren verschrieben. Die Inseratenseiten wimmeln +von Anzeigen erotischer Literatur, von Anpreisungen von +„Aktzeichnungen“, die angeblich nur für „Kenner“ oder „Künstler“ +bestimmt sind. Aller Schmutz kann in solchen Inseratteilen abgeladen +werden, und die vielen Anzeigen von Heiratsgesuchen, von Wohnungen „mit +separatem Eingang“ und dergleichen sind nur eine schwungvolle geldliche +Ausnützung der allgemeinen Lüsternheit.</p> + +<p>Schmach und Schande über eine Presse, die sich ihrer erzieherischen +Pflicht so wenig bewußt ist!</p> + +<p>Am meisten hast du dich zu schützen vor jener Literatur, die angeblich +„Aufklärung“ verbreiten will in geschlechtlichen Dingen und mit allerlei +unverfänglichen oder auch verfänglichen Titeln die Neugier der Jugend +erregt. Ich weiß aus vielen Berichten, die mir zugegangen sind, wie +solche Bücher Schaden anrichten. Die Lüsternheit und Sinnlichkeit des +Verfassers steigt zwischen den Zeilen auf und teilt sich dem +Leser – ihn erregend – mit, so daß mancher mir schon berichtete, wie +sehr ihn gerade diese Aufklärungsliteratur zur Onanie und sinnlichen +Gesprächen verleitete.</p> + +<p>Auch da, wo der Inhalt des Buches an sich richtig und gut ist, kann +diese Gefahr bestehen, denn hier macht der Ton die Musik, und ich stehe +keineswegs bei denjenigen, die da meinen, man <span class="pagenum"><a id="page123"></a>[Seite 123]</span> müsse aus +Gründen der „Natürlichkeit“ den letzten zarten Schleier der +Schamhaftigkeit von den geschlechtlichen Dingen hinwegnehmen. Nicht das +restlose Wissen, nicht die absolute Entschleierung ist der beste Schutz, +sondern die zarte, poesievolle und doch kraftvoll-gesunde Auffassung vom +Liebesleben, jene innere, tiefe und wahrhaftige Schamhaftigkeit. Nicht +im Verstand liegt die Sittlichkeit, sondern in der Seele. Darum haben +diejenigen die höchsten sittlichen Kräfte, die die stärksten +Glaubenskräfte haben.</p> + +<p>Prostituiert ist auch die bildende Kunst. Vorbei ist die Hoheit der +griechischen Meister, die mit der Darstellung der Nacktheit höchste +Schamhaftigkeit und sittliche Würde verbanden. Wir leugnen gar nicht die +sinnlichen Elemente des Kunstgenießens. Aber die Kunst soll unsere +Sinnlichkeit idealisieren, durch das körperlich Schöne den Enthusiasmus +der Seele wecken, nicht aber die rohe Sinnlichkeit entflammen und den +aufstrebenden Geist in die Fesseln der quälenden Körperlichkeit bannen. +Eine gemeine Kunst verführt zu einsamen Triebverirrungen, zu Lüsternheit +und Ausschweifung. Es ist nicht ratsam, in Kunstfragen den Staatsanwalt +und die Polizei zur obersten Instanz zu machen. Bessere Richter einer +gesunkenen, feilen und geilen Kunst sind guter Geschmack, anständige +Gesinnung und Selbstachtung. Das Angebot wird durch die Nachfrage +hervorgelockt, und jeder vernünftige Mensch sollte es für unter seiner +Würde halten, ein Bildwerk zu betrachten oder gar zu kaufen, das die +Lüsternheit herausfordert.</p> + +<p>Der Stolz müßte sich auch aufbäumen gegen den Schmutz, der sich in +photographischen oder literarischen Pikanterien breit macht. Warum gehen +junge Männer nicht diesen gemeinen Anreizen aus dem Wege? Warum +erschweren sie sich den Kampf und lassen sich immer mehr herabziehen? +Nicht die gewissenlosen Händler sollte man anklagen, sondern die +charakterlosen Männer, die den Schmutz begehren.</p> + +<p>Das Denken in geschlechtlichen Dingen ist sehr wohl ein Maßstab der +allgemeinen Kraft und Sittlichkeit eines Volkes überhaupt, <span class="pagenum"><a id="page124"></a>[Seite 124]</span> und +es ist charakteristisch, wenn wir aus Frankreich hören, daß dort die +Väter ihren beim Militär dienenden Söhnen zur Unterhaltung +pornographische Photographien senden.</p> + +<p>Was aber soll man dazu sagen, wenn sogar die dramatische Kunst, die den +stärksten Einfluß auf das Volk hat, ihre Verantwortlichkeit verliert und +im sexuellen Zynismus landet? Die Kunst geht nach Brot, und wenn der +Brotherr, das Publikum, einen verkommenen Geschmack hat und mit gierigem +Blick nach Lüsternheiten Ausschau hält, dann darf man sich nicht +wundern, wenn die Bühne französische Ehebruchsdramen und +zynisch-erotische Vaudevilles aufführt. Da ist der Held der Bühne nicht +der stolze, edle Mensch, nicht Tell, Tasso oder Posa, sondern der seine +Frau betrügende Ehemann, der weichlich-erbärmliche Don Juan, der in +tausend Ängsten vor dem Entdecktwerden und in tausend Nöten von einer +jammervollen Situation in die andere gerät, und der uns dann als von den +Frauen besonders begehrt dargestellt wird. Sieht man, wie vollbesetzt +diese Theater sind, und wie im Publikum die Mienen ohne alle +Selbstbeherrschung gierig-lüstern werden, so kann man das Gefühl von +Scham und Empörung nicht unterdrücken über ein Volk, das so seine großen +Männer vergißt, und über Menschen, die so sehr alles Edle, Schöne, +Menschliche von der Geilheit überwuchern lassen.</p> + +<p>Schule deinen Geschmack und deinen ganzen inneren Menschen an +echter, edler Kunst und sei zu stolz, ein Spielball dieser +lüstern-geschäftlichen Spekulationskunst zu werden.</p> + +<p>Halte dich auch fern von den auf niedriger Stufe stehenden +Varieté-Theatern, wo der Humorist ein privilegierter Zotenreißer ist und +die Tänzerinnen mit dem Mangel an Kleidung den noch größeren Mangel an +Können verdecken, wo ein rauch- und bierdunstiges Lokal bis zum letzten +Platz mit Männern angefüllt ist, und sogar Frauen sich nicht scheuen, +ihr eigenes Geschlecht auf der Bühne prostituiert zu sehen. Warum sind +die Varietés, die Singspielhallen, die Konzertcafés mit +erotisch-winselnder Geigenmusik überfüllt, und warum können sich ernste +Bühnen so schwer halten? Weil die Massen korrumpiert sind, und weil +<span class="pagenum"><a id="page125"></a>[Seite 125]</span> die wachsende Degeneration die Sinnlichkeit triumphieren läßt +und zugleich die Selbstkritik schweigen heißt.</p> + +<p>Diese bedrohlich angewachsene Sinnlichkeit wird von dem Kapital in +raffinierter Weise ausgeschlachtet. Ganze Industrien rechnen ja mit +dieser Sinnlichkeit. Aber wieviel Unheil richtet sie an! Wieviel +Nervenkraft und Menschenglück wird dabei zerstört! Es ist nicht ehrlich, +Geld zu verdienen, wenn ein anderer dabei geschändet wird.</p> + +<p>Aber niemand ist genötigt, sich diesen Schäden hinzugeben. Setze an die +Stelle dieses wirren und wüsten Treibens deinen Stolz, deine Würde, dein +besseres Ich und eine ernste Arbeit mit festem Lebensziel, dann wird die +Gefahr deine Kräfte stählen. Die Arbeit ist die Grundlage deines Lebens, +und die Stunden, die nicht deinen Pflichten gehören, sondern dir selbst, +die sollst du ausfüllen mit Schönem, mit guter Lektüre. Unser deutsches +Schrifttum ist reich an guten Büchern. Du sollst die freien Stunden +benutzen, gute Kunst kennen zu lernen. In Museen und Galerien ist +Gelegenheit dazu. Und vor allem sollst du die Natur, deine Heimat, +kennen lernen und wandern, damit dein Körper stark und dein Geist +fröhlich werde. <em class="gesperrt">Geh allem aus dem Wege, was dich herabzieht. Schaue nur +Schönes, denke nur Gutes, handle nur edel, dann wirst du den Sinn und +die Schönheit des Lebens in dir selbst finden, weil du in Harmonie mit +dem Weltprinzip bist.</em></p> + +<div class="figcenter1"> +<span class="pagenum"><a id="page126"></a>[Seite 126]</span> <a id="img015" name="img015"></a> +<img src="images/img015.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2>Schlußwort.</h2> + + +<p>So bist du mir nun gefolgt, lieber junger Freund, und wir haben das +Gebiet durchwandert, das gleicherweise Glück und Unglück, Jubel und +Tränen, Schönheit und Grauen umschließt, in das fast alle Menschen mit +Kraft und Sehnsucht einziehen, und in dem wir sie weiterwandern sehen +mit Krankheit, Schwäche, gebrochener Seele, verlorener Jugend und +beladen mit wirren und schwülen Geheimnissen.</p> + +<p>So viel Jammer entsteigt der Unwissenheit!</p> + +<p>War's da nicht recht, deine Augen sehend zu machen? Ich habe dir nicht +nur Häßliches zeigen und dich vor Gefahren warnen wollen, nein, auch die +Schönheiten des Liebesgefühls habe ich in dir keimen lassen, weil ich +weiß, daß alle Lebensschönheit nur in der Natur steckt und die Natur +auch im Menschen wohnt. <span class="antiqua">Naturalia non sunt turpia!</span></p> + +<p>Nicht das ist die wahre Sittlichkeit, die einen Gegensatz zwischen +Mensch und Natur errichtet, die vom Menschen ein Abtöten seiner Natur +verlangt und ihn in einen letzten Endes vergeblichen Kampf zwischen Tun +und Willen stürzt. Nein, die wahre Sittlichkeit liegt im Erkennen der +erdgeborenen Natur des Menschen und in dem festen Willen, schrittweise +und allmählich auf höhere Stufen zu gelangen. Weder haben diejenigen +recht, die leichtsinnig in den Tag hineinleben, die alles, so wie es +ist, für gut halten und vom Baume des Lebens so viel Früchte +herabnehmen, wie sie erhaschen können, noch können wir denjenigen +folgen, die in düsterem Pessimismus alle Lebensschönheit nicht sehen +wollen und sich auf den Himmel vorzubereiten wähnen, während doch +zugleich ihr Aszetismus ein göttliches Gebot in den Staub zieht.</p> + +<p>Zwischen diesen zwei Irrenden steht der wahrhaft sittliche Mensch, der +sein Leben und seine Persönlichkeit reich und kraftvoll <span class="pagenum"><a id="page127"></a>[Seite 127]</span> +entfaltet, aber nicht eingreift in die Rechte der anderen und nicht das +Wohl der Nachgeborenen untergräbt. Dem die tiefe Erkenntnis der +biologischen Zusammenhänge ein starkes Selbstverantwortlichkeitsgefühl +aufzwingt, und der seine Wünsche schweigen heißt, wenn ihre Befriedigung +die feinen geheimnisvollen Fäden verwirrt, die alle Menschen in Glück +und Unglück miteinander verbinden.</p> + +<p>Da sehen wir die strengen Grenzen zwischen individueller und sozialer +Ethik. Die eine lebt sowohl im Aszetismus wie in der Vergnügungssucht +der Masse, die sich in ihrem oberflächlichen Individualismus eine +Kollektivethik geschaffen hat. Beide aber maßen sich an, selbst Richter +aller Dinge zu sein. Hoch über beiden steht die soziale Ethik, die von +Einzelnen in das Volk getragen wird, von jenen Einzelnen, in denen die +schreiende sexuelle Not der Menschen ein Echo fand, und in denen das +Menschheitsgewissen, jene feine und sichere Unterscheidungskraft +zwischen Gut und Böse, lebte.</p> + +<p>Diese soziale Ethik nimmt einem natürlichen Triebe alles, was ihn +häßlich macht und die Menschennatur herabwürdigt, und sie gestaltet sein +Äußern so, wie es das Wohl der sozialen Gesamtheit verlangt.</p> + +<p>Alle Ethik hat ihre Wurzeln im Geschlechtsleben. Denn das +Geschlechtsgefühl ist die eigentliche Urquelle aller menschlichen +Sympathiegefühle und aller sozialen Organisationen überhaupt. Ist daher +das Geschlechtsleben krank und verdorben, so muß der ganze Bau des +Menschendaseins erschüttert werden.</p> + +<p>Das Geschlechtsleben ist die höchste und stärkste Entwicklungskraft der +Menschheit. Es hat der Religion Nahrung gegeben, hat Kultur, soziale +Gemeinschaft und Kunst entwickelt und dem Geist seine feinsten Blüten +gegeben. Aber es ist auch die Kraft, die wie keine andere die Menschen +hinabstößt in Schwäche und Elend, in Verwilderung und Versumpfung, in +leiblichen und geistigen Tod. Das Geschlechtsgefühl ist dem +Menschengeschlecht Himmel und Hölle zugleich. Darin liegt sein tiefer, +eherner Ernst.</p> + +<p>Aus dem Geschlechtsgefühl quillen Menschenwerte. Ein <span class="pagenum"><a id="page128"></a>[Seite 128]</span> niedriges +Geschlechtsleben schafft Krankheit und niedriges, schlechtes Denken. Ein +reines Geschlechtsleben dient der Gesundheit, adelt den Menschen und +veredelt die Rasse. Diese Reinheit vereinigt Natürlichkeit mit feinstem +Schamgefühl, gesunde Kraft mit zartschöner, idealistischer Auffassung.</p> + +<p>Das ist's, wozu ich dich mit diesem Buche hinführen wollte. Nicht die +„Natürlichkeit“ in jenem stumpfen Sinne einer seelenlosen Nüchternheit, +die das Geschlechtliche zu einer Alltagsgebärde stempelt. Die dem +Liebesgefühl seine Gefahren dadurch nehmen will, daß man es in der +Nüchternheit körperlicher Selbstverständlichkeit erstickt. Nein, +diejenige Natürlichkeit will ich dich lehren, die zwar den körperlichen +Untergrund aller Dinge sieht, aber alle Körperkultur nur als +Ausgangspunkt einer kraftvollen Seelenkultur erkennt.</p> + +<p>Dem Seelenkultus dienen wir! Der rohe Körperkult dient letzten Endes der +Form- und Zügellosigkeit, wenn der Seele feinste Strömungen nicht das +körperliche Tun durchwehen. Die Seele allein birgt die wahre Scham, des +Geschlechtsempfindens zarteste Blüte.</p> + +<p>So habe ich dir die Wege deines Tuns gewiesen. Unbeirrt und klaren Auges +kannst du in das Leben hinaustreten. Trenne dich von der Masse, von +denen, die ideallos geworden sind, folge dem Stern deines besseren Ich, +schreite mutig und siegreich durch alle Gefahren! Vermehre nicht das +Unglück und den Kummer der Menschen, sondern sei in deiner sittlichen +Kraft wie ein Licht, das ins Dunkle strahlt und auch anderen Menschen +das Leben verschönt.</p> + +<p><em class="gesperrt">So trenne ich mich von diesem Buche und trenne mich von dir.</em></p> + +<p><em class="gesperrt">Lebe wohl!</em></p> + +<p><em class="gesperrt">Dein Leben sei rein und ehrlich und voll Glück! Und daß es so sei, gehe +den einsamen Weg der Guten!</em></p> + +<p><em class="gesperrt">Lebe wohl!</em></p> + +<div class="figcenter1"> +<a id="img016" name="img016"></a> +<img src="images/img016.jpg" width="500" height="028" alt="dekoration"/> +</div> + + + + +<h2>Fußnoten:</h2> + + +<div class="footnote indent03"> +<p><a name="Footnote_A_1" id="Footnote_A_1"></a><a href="#FNanchor_A_1"><span class="label">1</span></a> Man lese „Arbeit, Kraft und Erfolg“, Wege zur Steigerung der +Leistungsfähigkeit in körperlichem und geistigem Schaffen. Von Emil +Peters. Mk. 4.25. Zu beziehen durch den Volkskraft-Verlag, Konstanz am +Bodensee.</p> + +<p><a name="Footnote_A_2" id="Footnote_A_2"></a><a href="#FNanchor_A_2"><span class="label">2</span></a> Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee.</p> + +<p><a name="Footnote_A_3" id="Footnote_A_3"></a><a href="#FNanchor_A_3"><span class="label">3</span></a> Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, geb. Mk. +<a id="TN1" name="TN1">4.50.</a></p> + +<p><a name="Footnote_A_4" id="Footnote_A_4"></a><a href="#FNanchor_A_4"><span class="label">4</span></a> Wissenschaft und Sittlichkeit, Berlin 1908.</p> + +<p><a name="Footnote_A_5" id="Footnote_A_5"></a><a href="#FNanchor_A_5"><span class="label">5</span></a> Die Gefahren des außerehelichen Geschlechtsverkehrs. 2 Aufl. München +1904. A. Müller.</p> + +<p><a name="Footnote_A_6" id="Footnote_A_6"></a><a href="#FNanchor_A_6"><span class="label">6</span></a> a. a. O., S. 6.</p> + +<p><a name="Footnote_A_7" id="Footnote_A_7"></a><a href="#FNanchor_A_7"><span class="label">7</span></a> Volkskraft-Verlag Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, geb. Mk. +4.50. Porto 25 Pfg.</p> +</div> + + + +<div class="box martop4"> +<h2>Anmerkungen zur Transkription:</h2> + + +<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.</p> + +<p>Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; +lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.</p> + +<p>Einige Ausdrücke wurden in beiden Schreibweisen übernommen:</p> + +<ul class="tn"> + <li>andererseits (Seiten <a href="#page38">38</a> und <a href="#page39">39</a>) und andrerseits (Seiten <a href="#page26">26</a>, <a href="#page31">31</a>, <a href="#page97">97</a> + und <a href="#page106">106</a>)</li> + + <li>gesunderen (Seite <a href="#page34">34</a>) und gesünderen (Seite <a href="#page90">90</a>)</li> + + <li>gesunder (Seite <a href="#page19">19</a>) und gesünder (Seiten <a href="#page88">88</a> und <a href="#page116">116</a>)</li> +</ul> + +<p>Folgende offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert:</p> +<ul class="tn"> + <li>geändert wurde<br/> + <span class="ftsize105">"Daß ist die große"</span><br/> + in<br/><span class="ftsize105">"Das ist die große"</span> (Seite <a href="#page18">18</a>)</li> + + <li>geändert wurde<br/> + <span class="ftsize105">"Buche „Der nervöse Mensch“."</span><br/> + in<br/><span class="ftsize105">"Buche „Der nervöse Mensch“.[1]"</span> (Seite <a href="#page34">34</a>)</li> + + <li class="ftsize105"><span class="ftsize90">geändert wurde</span><br/> + "den <span class="antiqua"><em class="gesperrt">GonoccociNeisseri</em></span> oder"<br/> + <span class="ftsize90">in</span><br/>"den <span class="antiqua"><em class="gesperrt">Gonoccoci Neisseri</em></span> oder" (Seite <a href="#page96">96</a>)</li> + + <li>geändert wurde<br/> + <span class="ftsize105">"führt zur Dishamonie, und"</span><br/> + in<br/><span class="ftsize105">"führt zur Disharmonie, und"</span> (Seite <a href="#page118">118</a>)</li> + + <li>geändert wurde<br/> + <span class="ftsize105">"Volkskraf-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2,75, + geb. Mk. 4,50."</span><br/> + in<br/><span class="ftsize105">"Volkskraft-Verlag, Konstanz am Bodensee, geh. Mk. 2.75, + geb. Mk. 4.50."</span> (<a href="#TN1">Fußnote 3</a>)</li> +</ul> +</div> + + +<p> </p> +<p> </p> +<hr class="full" /> +<p>***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK JUGEND, LIEBE UND LEBEN***</p> +<p>******* This file should be named 44368-h.txt or 44368-h.zip *******</p> +<p>This and all associated files of various formats will be found in:<br /> +<a href="http://www.gutenberg.org/dirs/4/4/3/6/44368">http://www.gutenberg.org/4/4/3/6/44368</a></p> +<p> +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed.</p> + +<p> +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the +trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone +providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance +with this agreement, and any volunteers associated with the production, +promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, +harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, +that arise directly or indirectly from any of the following which you do +or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm +work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any +Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.</p> + +<h3>Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm</h3> + +<p>Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of +electronic works in formats readable by the widest variety of computers +including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life.</p> + +<p>Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and +the Foundation information page at <a +href="http://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a></p> + +<h3>Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation</h3> + +<p>The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws.</p> + +<p>The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at 809 +North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email +contact links and up to date contact information can be found at the +Foundation's web site and official page at <a +href="http://www.gutenberg.org/contact">www.gutenberg.org/contact</a></p> + +<p>For additional contact information:<br /> + Dr. Gregory B. Newby<br /> + Chief Executive and Director<br /> + gbnewby@pglaf.org</p> + +<h3>Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation</h3> + +<p>Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS.</p> + +<p>The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. Compliance requirements are not uniform and it takes a +considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up +with these requirements. We do not solicit donations in locations +where we have not received written confirmation of compliance. To +SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any +particular state visit <a +href="http://www.gutenberg.org/donate">www.gutenberg.org/donate</a></p> + +<p>While we cannot and do not solicit contributions from states where we +have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition +against accepting unsolicited donations from donors in such states who +approach us with offers to donate.</p> + +<p>International donations are gratefully accepted, but we cannot make +any statements concerning tax treatment of donations received from +outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.</p> + +<p>Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation +methods and addresses. Donations are accepted in a number of other +ways including checks, online payments and credit card donations. +To donate, please visit: <a +href="http://www.gutenberg.org/donate">www.gutenberg.org/donate</a></p> + +<h3>Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic +works.</h3> + +<p>Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For forty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.</p> + +<p>Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition.</p> + +<p>Most people start at our Web site which has the main PG search facility: +<a href="http://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a></p> + +<p>This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.</p> + +</body> +</html> diff --git a/old/44368-h/images/cover.jpg b/old/44368-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..727c113 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/cover.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img001.jpg b/old/44368-h/images/img001.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..87c1ede --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img001.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img002.jpg b/old/44368-h/images/img002.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..723d21c --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img002.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img003.jpg b/old/44368-h/images/img003.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..0b56340 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img003.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img004.jpg b/old/44368-h/images/img004.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..0504a5d --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img004.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img005.jpg b/old/44368-h/images/img005.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..39dc939 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img005.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img006.jpg b/old/44368-h/images/img006.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..fc3dc2d --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img006.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img007.jpg b/old/44368-h/images/img007.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..8797c80 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img007.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img008.jpg b/old/44368-h/images/img008.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a411b70 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img008.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img009.jpg b/old/44368-h/images/img009.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..9b01da0 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img009.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img010.jpg b/old/44368-h/images/img010.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..75c1a9a --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img010.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img011.jpg b/old/44368-h/images/img011.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..5808557 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img011.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img012.jpg b/old/44368-h/images/img012.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..940cfb8 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img012.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img013.jpg b/old/44368-h/images/img013.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..6f79a66 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img013.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img014.jpg b/old/44368-h/images/img014.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..7138453 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img014.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img015.jpg b/old/44368-h/images/img015.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..41c18f7 --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img015.jpg diff --git a/old/44368-h/images/img016.jpg b/old/44368-h/images/img016.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..5e7e86e --- /dev/null +++ b/old/44368-h/images/img016.jpg |
