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Denn eure Frage verendet + schmerzhaft im unendlichen Gewölbe, + wenn ihr nicht glaubt, daß alle Körner dieselbe + Reise gehen, die sich im Leben ewig vollendet. + + + + +O Welt, wie bist du wundervoll! + + + + +Brand + + + Die Abendsonne setzte sich + auf einen Inselberg und schwang + die grellen Fackeln feierlich, + daß Glut zu Gluten übersprang. + Es brannten Ströme, Watt und Meer, + in Flammen wehte weit das Land, + die Türme lohten rund umher, + am Wege brannte gelb der Sand. + Und über allem flog der Rauch + der Wolken, rot, grau, schwer und rund, + rauchsäulenwölkig dampften auch + die Bäume aus dem großen Grund. + + Ein Wanderer, der des Weges kam, + blieb taumelnd stehn im Flammenland, + vergaß die Finsternis und nahm + sein Herz und warf es in den Brand. + Es zuckte, glühte, flammte toll + und jauchzte aus der grellen Glut: + O Welt, wie bist du wundervoll, + in deinem Feuer kocht mein Blut! + + + + +Abenddämmerung + + + Wie sich der Rauch der späten Kühle + gespenstisch durch mein Fenster drängt, + die Räume, die ich sinken fühle, + zur Hexenstube grau verengt! + + Mich zu erdrücken drohn die Wände, + die Ahnenbilder werden bleich + und aus den Bildern greifen Hände, + wie Hände aus dem Totenreich. + + Im offnen Schrank, wo Würmlein knarren, + spielt mir das ganze alte Chor + zerlumpter Puppen, bunter Narren + das Todesspiel der Kindheit vor. + + Aus dem Kamin die Kohlen gleißen + als rote Zähne, die voll Gier + sind, alles, alles zu zerbeißen, + vom letzten Ding die letzte Zier. + + Ich stehe bebend und verworren + und meine Hand sucht irgendwo, + bis sich das Dunkel hat verloren, + erlöst zur Flamme, lichterloh. + + + + +Nachtmärchen + + + O kommt, ihr lieben Heimatgeister, + Nachteule, Spuk und Kieselbach, + herein mit euerm Harfenmeister, + dem dunkeln Wind, in mein Gemach. + + Ich möchte euch so gerne hören, + bereit sei euch mein ganzes Haus; + nicht eine Ratte darf euch stören + und Todesstrafe gilt der Maus. + + Sogar die Bilder an den Wänden + und alle Kästen sind gespannt, + die Uhr will ihre Rede enden, + die Fliege schweigen an der Wand. + + Und wenn ihr etwa argt, es fiele + die Sonne jäh in den Kamin + und schliche vor bis an die Diele, + um eures Märchens Anbeginn + + Mit lautem, grellen Glanz zu stören -- + Es ist nur eine Fledermaus, + die wollte euch auch gerne hören + und rutschte im Kamine aus. + + + + +Unser Haus + + + Unser Haus hat kühle Wände, + Kohlen, die im Eimer lärmen, + Katzen, die die grauen Bälge + eng am braunen Ofen wärmen, + Äpfel, die aus alten Kästen + atmen und die Luft der Gärten + wecken, Bibelbände, die sich + auftun und lebendig werden, + und den Wind noch vor der Tür, + der für uns Musik bedeutet, + weil von allen braven Schwalben + keine mehr im Hausgang läutet. + + + + +Vor dem Frühling + + + Wenn hungerdünne Vögel sich empören + argwöhnisch gegen Himmel, Mond und Stern, + im dunkeln Wind die Bäume aber röhren, + begnadete Propheten ihres Herrn, + dann ist die große Unruh nicht mehr weit, + die sich aus Sturm und Drang der Erde wühlt, + aufringt und an den Wolken reißt und schreit, + weil sie den Heiland in der Sonne fühlt. + + + + +Bahnfahrt durch den Vorfrühling + + + Ziegelbauten, die wie rote + Schachteln als Fabriken liegen, + leben auf, um wintertote, + ferne Hügel zu erfliegen. + + Und die reiserigen, leeren + Birken, die den Besen gleichen, + langen himmelhoch und kehren, + bis die grauen Wolken weichen. + + Zwischen hundert Pappelpaaren + fängt ein Kirchturm an zu laufen, + hastend, um den ersten Staren + ein paar Nester abzukaufen. + + + + +Vor der Brücke + + + Vor der Brücke, die den Strom verhöhnte, + neigte sich der Schlot des Dampfers, kroch + der Rauch wie eine Pantherkatze, dehnte + sich, daß jeder, der die Demut roch, + sein Antlitz wandte, + bis der Dampfer wieder sich ermannte, + Bläue raubte, stieg, flog, schwindendhoch. + + + + +Frühlingserscheinung + + + Kühl in bleichen Perlen rann ein Schauern + über meinen Leib, der Waldbach hörte + auf zu rauschen, feste Luft beschwerte + mich, ich stand fast reglos wie in Mauern + eingekalkt, durch die ein Häher sägte. + + Und ich sah, wie jeder Fels sich regte + und mit einem Sonnenauge dünnes + Lachen anfing, daß es jeder fühlte + von den nackten Bäumen und ein grünes + Hemd schamhaft um seinen Körper hüllte. + + + + +Die Frühlingssonne kommt + + + Wohin sie tritt, + in allen Wolken + blühen weiße Wunder auf. + + In blauen Körben + bringt sie Vögel + von der Reise mit, + + und schüttet sie, + die heimatglücklich schauen, + aus in alle Nester, + + scheucht das feuchte Dunkel + sorglich + aus den Wäldern + + und setzt dem Moose + große, gelbe Augen ein, + daß jedes wachsam leuchte. + + + + +Tauwetter + + + Wenn die Mauerwände tief verzückt + im sonnengelben Wunder stehn, erbeben + jene Flecken, welche rundgestückt + wie feuchter Hauch am glatten Steine kleben. + + Dächer, denen letzter Schnee zerfetzt + von nackten, nassen Schultern hängt, verneigen + sich zu wachen Gossen, glanzbenetzt, + und brechen rot das weiße Winterschweigen. + + Was sie selig weinen, ist Gesang, + daß viele Menschen, ganz von Melodie + betört, ein Rieseln fühlen, tropfenlang, + aus tiefen Lenden bis ins hohle Knie. + + + + +In der Frühe + + + Wie sich die jungen Felder unermüdlich rühren! + Der Morgennebel qualmt wie Rauch aus hundert Schlöten, + aus grauen Steinen sägt der Wind uralte Flöten, + die helle Arbeitslieder in den Werktag führen. + Allmählich schiebt die Saat sich aus dem grauen Felde + wie grünes Garngespinst aus großen Webmaschinen, + und bis die Sonne schaut, wie die Fabriken spinnen, + liegt schon ein großer grüner Fleck vor ihrem Zelte. + + + + +In der Färberstube + + + Auf alten Tischen häuft sich blaues Tuch, + das aus der Mange rollte, leinenglatt, + und atmet, bis der scharfe Farbgeruch + die Stubenlüfte überwältigt hat. + Durchs aufgemachte Fenster aber stäubt + der Duft der Rosen, die verschwendrisch groß + im nahen Garten blühen, und betäubt + die werkstattfeuchte Luft des Indigos. + + + + +Stiller See + + + Wenn der wolkenlose, blitzendhelle + Tag sich selig schweigsam auf die breiten + Wasser legt und sich nicht eine Welle, + auch nur leise, aufbäumt, dehnt in weiten + Flächen sich der See aus wie erstarrtes, + klares, grünes Glas, daß man erregt + aus tiefen Träumen aufwacht, wenn ein hartes + Ruder Scherben aus dem Spiegel schlägt. + + + + +Vor dem Gewitter + + + Auf den grünen Hängen, die den großen + See umlaufen, beugen tief erschreckt sich alle + Bäume wie zum jähen Sprung und stoßen + Schreie vor dem schweren Wolkenballe + aus, der drohend aus dem Horizonte + fliegt, daß alle Wasser schwarz sich färben + wie die Menschen weiß vor Angst, gewohnte + Ruhe rings verlieren, Verderben + ahnen und mit schäumendweißen Wellen + wie mit Mövenflügeln in die regenreifen + Lüfte schlagen, als wollten sie im schnellen + Drang verstört die Flucht ergreifen. + + + + +Mittagsstille + + + Wenn die Vögel lautlos durch den Mittag gleiten, + schwingenweit, um jenen Glanz, der in den Lüften + bebt, auf ihren Flügeln aufzuhäufen, breiten + sich die Wälder selig aus, in ihren Hüften + hochgefühlevoll, urheilig, ernst wie seltne Frauen + kurz vor der Empfängnis, wenn nur Hauch mehr flüstert, + voll Erwartung, bis die heiligengeistesblanken + Vögel auf sie niederkommen und den blauen + Ätherglanz des Mittags von den lüsternschlanken + Flügeln schütten, daß die Wollust in den Zweigen knistert. + + + + +Auf der Waldwiese + + + Föhren, die im Glanz des Mittags blauten, + drängten an die reife Wiese, hielten + tiefgespannt den Atem an und schauten + auf die Falter, die im Tanze spielten. + + Als die Tänzer müde waren, boten + farbenlaute Blumen weiche Sessel + an; die gelben überschrien die roten, + blaue drängten vor die weiße Nessel. + + Wolken, die vor Neugier schwollen, tauchten + aus dem Himmelmeer; die Bäume hauchten + plötzlich mächtig auf; Applaus, das dünne + Donnern eines fernen Hochgewitters, + wehte wogend über die Tribüne. + + + + +Die Sicheln + + + Sicheln, die in hungerigen Scheunen + müde schlafen, wachen auf und singen + schaurig, wandern, Mordlust in den Klingen, + aus dem Hof, entlang an hellen Zäunen. + Wo die reifen Ähren über dunkeln + Acker-Furchen furchtsam bebend schwanken, + lachen sie, daß ihre heillos blanken + Augen geisternd durch die Felder funkeln. + + + + +Höhenernte + + + Leiterwagen schneiden blanke Stücke aus dem Horizont, + Garben, wunderselig besonnt, + warten in tanzenden Kränzen. + Gäule, auf denen die schaukelnde Sonne blitzt, + schlagen mit langen Schwänzen, + daß grelles Silber aus den Höhen spritzt. + + Die Himmel zittern überall, + Bläue prangt, von Wolken entlaubt, + und alle Menschen wandeln in den Himmeln mit erhobenem Haupt. + + + + +Nachtgewitter + + + An den Wänden meines weiten + Zimmers, das vom Licht der großen + Straßenlampen hell ist, gleiten + Schatten, die aus ruhelosen + Bäumen durch die Fenster schwellen, + lose gaukelnd hin und her, + + bis einer von den schauderndgrellen, + ausgedehnten Blitzen, der + von Wolke hin zu Wolke fährt, + mit seinem Glanz die Schattenbilder + totsticht und die Bühne leert, + + während an meine Fenster wilder + Hagel schlägt wie Trommelklang + bei einem lauten Leichengang. + + + + +Die Turmuhren + + + Gleichmäßig drängen sich die Zacken + der harten Räder in die Lücken, + um jede Stunde fest zu packen, + zu martern und sie tot zu drücken. + Und werfen die erwürgte Stunde + hinunter auf die harten Gassen, + wie satte Katzen aus dem Schlunde + zerbissne Mäuse fallen lassen. + + + + +Dunkle Nacht + + + Wenn die Nacht wie eine große + Kohle meine Stube ausfüllt, warte + ich wie eine regungslose + Urversteinerung, bis mich der harte + Pendelschlag + der Wanduhr wie ein Bergmannshammer + aus dem schwarzen Jammer + langsam fördert an den hellen Tag. + + + + +Ach, alles ist Liebe! + + + + +So stand ich vor dem Sterben . . . + + + Ich ging, als sich der regnerische Tag + verweinte und die Weihnachtsfenster lockten, + auf heilen Straßen, wo die Menschen stockten, + weil jedes Auge auf dem Glanze lag. + + Da lief, als ich das Pflaster überquerte, + der Tod mir nach als schwerer Autobus, + bedrohte mich als harter Pferdefuß, + daß sich mein Atem jäh nach innen kehrte. + + So stand ich vor dem Sterben, schmerzbeschwert -- + der Heiland aber, der in allen bösen + Dingen lebt, umschwebte mich, um zu erlösen: + er hupte, wieherte aus einem Pferd. + + Und glitt vorbei, als ich das Trottoir + betrat, und wartete auf keinen Dank. + Ich sah die Straße seligfeucht und blank + und stand noch, als er schon verschwunden war. + + + + +Im Trödlerladen + + +I. + + Ergraute Heilige, die steif + sich standen am Altar das Bein, + pilgern, von bunter Welt gelockt, + ins irrsalreiche Leben ein. + Und wagen sich zur Tänzerin + aus pudelnacktem Porzellan, + die lüstern schon bei der Geburt + in Meißen fing zu tanzen an. + + +II. + + Und Josef, flüchtend nach Ägypten, + treibt seinen Esel auch hinein + und hängt ihn lässig dem gerippten, + verstaubten Tod ans morsche Bein, + daß die Maria bleich erschrickt + und auf ihr Kind die Augen senkt, + weil sie, wenn gleich ihm längst entrückt, + noch immer an Herodes denkt. + + +III. + + Mephisto, sonst der Wahrheit scheel, + voll Argwohn, Schelmerei und Tücken, + naht sich dem heiligen Michael, + versöhnlich ihm die Hand zu drücken. + »Hier straft kein Himmel mehr den Zweifel + und keine heiße Hölle quält, + hier eint sich vieles«, meint der Teufel, + »was je sich fluchte in der Welt«. + + + + +Der Heiland + + + Wenn der Abend niederfällt + leise in die lauten Straßen + und die Lichter heimlich quält, + die erstehen und verblassen, + geht der Heiland durch die Stadt. + + Mädchen führt er an den Händen + vor die bunten Fenster hin, + daß sie Gold und Seide fänden + für den töricht-jungen Sinn; + denn der Heiland will erlösen. + + Männer, die vor Sehnsucht brennen, + führt er weise dann herbei; + sündig wird er keinen nennen, + wer nur ehrlich brünstig sei; + denn der Heiland will erlösen. + + Dann in Spielen und Konzerten + weckt er Geigen und Gesänge, + daß ein Rausch die wirren Herden + Leiden stundenlang verdränge; + denn der Heiland will erlösen. + + Fällt die späte Nacht den Straßen + in den seeligmüden Schoß, + um sich auszuruhen, blasen + Engel aus dem Sternenschloß: + Heil den Menschen, die erlöst sind! + + + + +Die neunte Stunde + + + Die da stehen hinter übersprochnen + Ladentischen, Mädchen, die vom Duft + der Waren taumeln, warten mit gebrochnen + Arbeitsaugen, bis der Heiland ruft. + + Dieser schaut als zitterndweiße Zeit + aus einer Uhr, die langsam sieht, + bis sie aus Güte gegen warmes Leid + die Heilandsmiene immer enger zieht. + + Wenn der Pförtner dann die Tore schließt + und runden Angesichts von Männern lacht, + die draußen warten, hört er, wie es fließt + aus seligem Mädchenmund: »Es ist vollbracht!« + + + + +Die Liebe spricht. + +Ein Spiel des Schmerzes auf der Straße am Krönungstag des Königs. + + +Die Liebe spricht: + + Auf allen Straßen staut sich königliche Pracht. + Horch, wie es jubelt, jauchzt und lacht! + Ich will, was sich bewegt fühlt auf den Straßen, + weg von der Leber reden lassen. + Vielleicht löst sich ein heller Schrei + aus einer dunkeln Kehle frei, + heut, da in königlicher Pracht + ach, alles jubelt nur und lacht. + + +Das Spiel. + +Das Pflaster: + + Besinnung ist an solchen Tagen schwer, + wenn alles Leben wirrer rauscht, + ich glaub, es ist ein Menschenalter her, + daß Schmerz sich wieder über Schmerzen bauscht. + Mich martert jeder Pferdehuf, der Tritt + der Menschen, der vertausendfacht + mich trifft, und niemand, niemand leidet mit, + ach, alles jubelt nur und lacht. + +Die Gäule: + + Uns zwingt ein Hoflakai, uns schlägt der Strang, + Geschirr zwängt unsern Atem ein + und Zügel foltern uns den Weg entlang + vor einem fremden, goldnen Schrein. + Wir liefen lieber wild, statt unsern Schritt + zu opfern für den König, der die Pracht + genießt; wir leiden, niemand leidet mit, + ach, alles jubelt nur und lacht! + +Die Tannenzweige: + + Wir lebten seliggrün am jungen Baum, + die Säge hatte keinen milden Zahn, + die schauerndkalte Schere keinen Traum, + wir fielen, drängten uns zu Kränzen an. + So sterben wir am wunden Schnitt, + wenn alle Straße lebt; das macht + uns traurig; ach, und niemand trauert mit, + ach, alles jubelt nur und lacht! + +Die Fahne: + + Mich krümmt der Wind. (Umsonst scheint all mein Tun.) + Er foltert mich von Raum zu Raum, + und meine Sehnsucht, feierlich zu ruhn, + war nur ein falschgefaßter Traum. + Schon oft, weiß ich, daß ich am Galgen litt, + und stets hat sich mein Haß entfacht, + ich leide nur und niemand leidet mit, + ach, alles jubelt nur und lacht! + +Der Königswagen: + + Ich schnaufte einst als Baum im Frühlingswind, + versteckte mich als Gold im harten Erz, + da formte mich ein gieriges Gesind + zum Wagen um und alle Lust zum Schmerz. + Nach freien Wäldern singt mein runder Schritt, + ich bin ein Sklave königlicher Pracht, + ich leide, niemand, niemand leidet mit, + ach, alles jubelt nur und lacht! + +Das Kind: + + Wenn ich doch auch ein goldner König wär, + ich trüge Tag und Nacht die Perlenkron, + im goldnen Wagen reiste ich umher + und kaufte Schokolade und Bonbon. + Aber mein Schaukelpferd ist ohne Schritt, + aus dünner Pappe Helm und Geld gemacht; + ach, wenn ich König wär, ich lachte mit, + wenn alles jubelt, jauchzt und lacht! + +Die Mutter: + + Wie blitzt verhöhnend jedes Bajonett! + Vielleicht durchblutet bald ein Krieg das Land; + ich sehe schon ein großes Schollenbett + und eine abgeschossne Jünglingshand. + Mein Sohn, mich schmerzt dein strenger Schritt, + der wehen Takt mit hundert andern macht; + ich bin so traurig, niemand trauert mit, + ach, alles jubelt nur und lacht! + +Der Vater: + + Ich schaffte Münzen ein mit heißem Fleiß + und baute mir ein Nest am eignen Herd, + nicht eine Tagesstunde stockt der Schweiß, + es härtet sich die Hand die uns ernährt. + Ich fühl, wie jeder Steuerpfennig drückt, + der König aber fährt in goldner Pracht; + all meine Lebensfreude ist zerstückt, + ach, alles jubelt nur und lacht! + +Der König: + + Ich nicke, weil ich dankend nicken muß, + ich fahre als ein Sklave durch den Tag + und meine Fahrt gleißt andern zum Genuß, + Gott weiß, wo die Pistole lauern mag. + Vielleicht ein Schuß im nächsten Augenblick -- + im Blut ertrinkt die lügnerische Pracht: + Ich bin das einzig traurige Geschick, + wenn alles jubelt, jauchzt und lacht! + +Die Liebe spricht: + + Habt, ihr am schwangern Jubeltag gehört, + wie jedes Herz sich aus dem Trug empört? + Daß jedes glaubt, es sei im Schmerz allein, + erlöst zu seinem eignen Seligsein, + weil jedes trachtet und nach innen ringt + daß auch in ihm die Lust der andern singt. + Im Schmerz lebt unerschöpfter seliger Sinn, + weil ich mit ihm in allen Dingen bin. + + + + + +End of Project Gutenberg's Gesänge gegen den Tod, by Gottfried Kölwel + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44271 *** |
