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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44251 ***
+
+ KURZE
+ AUFSÄTZE
+ VON
+ ANNETTE KOLB.
+
+
+ MÜNCHEN 1899.
+ ZU BEZIEHEN DURCH
+ ULRICH PUTZE,
+ BRIENNERSTRASSE 8.
+
+ Bruckmann'sche Buch- und Kunstdruckerei, München.
+
+
+
+
+INHALT.
+
+
+ 1. Der Zufall Seite 5
+ 2. Der Frosch " 15
+ 3. Adam und Eva " 19
+ 4. Le revenant " 23
+ 5. L'Oracle " 29
+ 6. Herbstlied " 33
+ 7. Der Walchensee " 35
+ 8. Die Heruntergekommenen " 39
+ 9. Skizze " 43
+ 10. Das Traumbuch " 49
+
+
+Musikalisches:
+
+ 11. Eine musikalische Betrachtung " 57
+ 12. Nemesis " 63
+ 13. Skizze über die Stellung des heutigen Pianisten " 67
+ 14. Epilog " 75
+
+
+
+
+DER ZUFALL?
+
+
+Was giebt es unvermeidlicheres, berechneteres und dabei natürlicheres wie
+den Zufall?
+
+Was ist abgefeimter und grausamer oder gütiger? Wir können ihn weder
+anklagen, noch ihm danken. -- Nie können wir ihn überführen, ihm die Maske
+entreissen und sagen: »Dies hast du gewollt und über mich gebracht.« --
+Denn die natürlichste Verkettung der Dinge hat es herbeigeführt.
+
+Was sollen wir mit diesem raffinierten Zufall anfangen, der unsere Schritte
+lenkt und doch nur als ein leerer Schleier in unsern Händen bleibt? -- Am
+besten ist es wohl, ihm zu vertrauen; allein man lernt dies nur nach
+Jahren, und nach geprüften Jahren. Erst treibt es uns, ihn gewaltsam
+herbeizuführen, unsern Willen dem seinen gegenüberzustellen, und dann erst
+wird der Zufall so recht feindselig und allmächtig!
+
+Was hängt er nicht alles an eine Begegnung? Ob wir eine Minute früher oder
+später in diese Gasse bogen, mag über eine unbeschreibliche Reihe von
+Unglückstagen entscheiden -- sie von uns abwenden oder über uns bringen.
+
+»Es giebt keinen Zufall!« -- sagt Schillers Wallenstein. Aber damit sagte
+er schon zu viel; denn der Zufall entzieht sich uns so fern, dass er nicht
+einmal _diese_ Behauptung ermöglicht.
+
+Als ich in Paris anfing, mit dem Gedanken umzugehen, ich wäre am liebsten
+wieder zu Hause, erhielten wir eines Tages aus Marseille einen sorgfältig
+verpackten Schlüssel und einen Brief. Es war ein Angebot, die Wohnung einer
+Dame zu beziehen, währenddem diese im Süden weilte und ihr schöner Flügel
+wurde ganz besonders gerühmt, aber wir machten von all dem keinen Gebrauch,
+denn es kam so vieles dazwischen.
+
+Da plagte mich eines Morgens ein unverkennbares Heimweh. Wir wohnten in
+einer jener engen Strassen, die den Himmel versperren und die Menschen
+zusammendrängen wie auf einem Schiff. Draussen war es regnerisch und
+schwül, und ich sehnte mich fort; da fühlte ich zufällig unter meinen
+Fingern den Schlüssel jener Wohnung, und um mich gewaltsam aus der Stimmung
+zu reissen, in der ich mich befand, machte ich mich zur Stelle auf den Weg
+nach diesem Hause. --
+
+Als ich aber dort die ziemlich hochgelegene Wohnung betrat, lag sie in so
+rabenschwarzer Nacht, dass ich alsbald wieder hinunterging, um mir bei dem
+Concierge ein Licht zu verschaffen.
+
+Dieser hatte indes seine Loge verlassen, und ohne auf ihn zu warten,
+zündete ich mir eine Kerze an und eilte wieder hinauf. --
+
+Auch nicht ein Schimmer des Tageslichtes drang in diese Räume! Eiserne,
+verriegelte Läden schlossen es gänzlich ab, und der Lärm von Paris klang da
+gar seltsam herein, denn öde war es hier! -- Als hätte ein Unglück die
+Bewohner plötzlich vertrieben, so dass sie alles liessen wie es war, nur
+dem Lichte wehrend, bevor sie flohen. Denn nichts war aufgeräumt. Im ersten
+Zimmer stand ein blauseidnes Bett aufgeschlagen und bestaubt, vom Baldachin
+hing eine lange Kordel zerrissen herab. Die Kerze beleuchtete nur immer
+dürftig eine einzige Stelle, aber im Vorübergehen sah ich Gegenstände
+verwahrlost herumliegen, zertrümmertes Krystall, zierliche Louis XV.-Möbel
+und einen offenen Schrank. Es war, als ob hier Diebe gehaust hätten, und
+als seien sie dann in der Hast über alles davongestiegen. So unheimlich war
+der Anblick all dieser Zimmer, dass ich, ohne mich länger umzusehen, den
+Salon suchte, wo der Flügel stehen musste, um dann schleunigst wieder
+fortzukommen. Ich entdeckte ihn denn auch, zwischen zwei Fenstern stehend
+und von einer Decke geschützt. Als ich diese zurückschob, hob sich ein
+Schwarm von vielleicht tausend Flöhen und stieb in gerader Linie auf mich
+los.
+
+Ich fuhr zurück -- wahrscheinlich zu rasch -- die Kerze verlosch! --
+
+Was dies für mich bedeutete, war mir sofort klar. Denn ich hatte im
+unverantwortlichen und unbegreiflichen Leichtsinn die Zündhölzer unten
+gelassen. --
+
+Nie aber würde ich in dieser Finsternis die Hausthüre finden, und wenn ich
+sie fände, niemals unterscheiden -- den Weg zurück wusste ich nicht. Es
+waren so viele Zimmer gewesen und kein Gang. Alles ineinand geschachtelt,
+wie es in französischen Wohnungen oft ist. Ich tastete nach dem Schlüssel,
+aber der Schrecken hatte mir alle Erinnerung benommen. Ich fand ihn nicht
+mehr.
+
+Mit den Händen fuhr ich der Wand entlang bis zum Fenster, allein die Läden
+mussten einen eigenen Verschluss haben und schnitten mir in die Finger,
+ohne zu rücken. Behutsam ging ich vorwärts, vielleicht drang doch in irgend
+eine Kammer ein Schimmer von Licht und war von dort aus ein Zeichen
+möglich, aber überall war Finsternis und Staubgeruch als läge ich tief
+unter der Erde.
+
+Der Concierge würde den Leuchter kaum vermissen, den ich unter vielen
+andern aus seiner Loge fortnahm, keinesfalls aber auf mich geraten und die
+Meinen hatten keine Ahnung wohin ich gegangen war, denn als ich von Hause
+fortging war ich allein gewesen. -- So war zwar meine Rettung lange noch
+möglich, noch grösser aber die Gefahr, dass ich hier verschlossen und
+vergessen bliebe.
+
+Meine Wanderungen nach der Hausthüre begannen von neuem. Griffe ich sie, so
+wollte ich dort stehen und rufen. Allein ich fand sie nicht!
+
+Es liess sich keine Thüre von der andern erkennen, kein Zimmer, keine
+Kammer. Einige waren versperrt. Wie in einer Falle irrte ich blind umher
+und wurde immer unfähiger, mich zu orientieren; denn von den Räumlichkeiten
+hatte ich die Verhältnisse nicht entnommen, und der Ausgangspunkt war mir
+längs verloren.
+
+So musste ich mich meinem Schicksal ergeben. Die Zeit verging, und wie
+rings um mich, so war es jetzt auch in meinem Herzen Nacht. Aber statt der
+Verzweiflung kamen mir da plötzlich Gedanken: Was für einen Sinn hätte denn
+ein solcher Abschluss? Welche Deutung konnte ich meinem Tode abgewinnen?
+
+In meinem Leben konnte ich nichts entdecken, aber dies Leben selbst
+erschien mir da merkwürdigerweise wie ein arger Schuldbrief, und ich werde
+wohl nie mehr so tief und ruhig zu denken vermögen, wie in jenem so hoch
+über der Erde gelegenem Grab!
+
+Wie spät es geworden sein mochte ahnte ich nicht. Immer wieder begannen
+meine finsteren Wanderungen, mein Tasten nach Thüren und mein Rufen. Meine
+eigne Stimme versetzte mich in solche Angst, dass es wie wahnsinnig in
+meinen Schläfen pochte. Den Hunger sah ich schon als meinen Gefährten, und
+heiss und blutig drang mir's nun ins Gehirn. -- Und wie betäubt stiess ich
+zuletzt gegen eine scharfe Kante und empfand etwas Kaltes unter meinen
+Händen.
+
+Daraus schloss ich, dass ich mich wieder in einem Zimmer befand, denn dies
+fühlte sich wie ein marmorner Tisch. Ich fasste ihn mit der andern Hand: da
+durchzuckte mich jäh eine wilde, triumphierende Lebensfreude. Was da meine
+suchenden Finger ergriffen hatten, war -- eine Zündholzschachtel!
+
+Zitternd fachte ich eines an und starrte jetzt auf ein gespenstiges Wesen,
+das mit hohlen Augen unvergesslich auf mich blickte.
+
+Allein bevor die Angst noch ihre Klammern auf mich legen konnte, gewahrte
+ich den hohen Spiegel, vor dem ich stand, woran die schmale Marmorplatte
+angebracht war, an die ich stiess. Lange Kerzen stacken da in Kandelabern,
+und mechanisch zündete ich sie an; von meinem eignen Bilde keinen Blick
+verwendend, denn wie von einem Drama war ich hier gefesselt.
+
+Das Entsetzen auf meiner Stirne, die trostlose Ergebenheit meiner Züge, die
+Todesahnung war auf meinem Gesichte geblieben. Obwohl ich mich gerettet
+wusste, immer starrte ich noch wie eine Verlorene.
+
+Was hinter diesen weitgeöffneten Augen vorgegangen war, wusste ich so wohl,
+der schon wie eingefallene Mund, warum er so bitter geschlossen war, das
+herabgezogene Kinn, der zurückgehaltene Grimm. -- Und dabei war mir's als
+erschaute ich das Selbsterlebte nun zum erstenmale.
+
+So blieb ich vor dem Spiegel gebannt, bis meine Augen sich verkleinerten
+und die Farbe, als sei nichts geschehen, sich allmählich wieder einstellte.
+--
+
+Der Raum, in dem ich mich befand, war ein kleines Durchgangszimmer, und die
+Begebenheit so einfach und natürlich!
+
+Es hatte hier jemand eine Schachtel Streichhölzer vergessen. Weiter nichts!
+
+Es war eben jener blinde und hundertäugige Zufall, jener unberechenbare
+Stern, der über unser Leben waltet und es erhält oder vernichtet.
+
+Den Schlüssel, die Thür und den Weg ins Freie hatte ich nun bald gefunden;
+wieder hinab in das rege Paris.
+
+Die Boulevards schimmerten im Abendrot, und die Knospen der Bäume waren
+nach dem Regen hold geschwellt.
+
+
+
+
+DER FROSCH.
+
+
+Ein Frosch sass im nassen Grase, befriedigt und wohl aufgeblähet, denn er
+hatte eben gespeist, und da ihm das Verschmauste wohl bekam, so fühlte er
+sich nicht ungeneigt zu philosophieren, zwinkerte behaglich mit seinen
+feuchten Augen und dachte:
+
+»Was ist doch die Welt so seriöse! -- und machen sie alle so fatale Mienen,
+statt das Leben frisch zu nehmen wie es ist! Ich bin zufrieden, und mir
+geht es gut; auch nehme ich die Dinge wie sie kommen!«
+
+Und obwohl er schon zu viel gegessen hatte, schnappte er noch im Übermute
+nach einer Fliege, die des Weges flog, und verzog dann sein breites Maul zu
+einem superiorem Lächeln: Es war doch wirklich alles zu dumm!
+
+So hockte er froh an des Teiches Rand, blickte in die laue Luft und hiess
+die Weltordnung gut. Libellen hingen und schwirrten, dicke Waldschnecken
+schleppten sich fort, ein Vöglein jammerte und eine hagere Katze schlich
+umher. Alles beobachtete und genoss der Frosch als heitrer Skeptiker und
+Bon-vivant und plumpste dann wieder in den Teich.
+
+Von Tag zu Tag aber gedieh er, zum Verderben zahlloser Mückchen, die
+enthusiastisch in der Sonne schillerten. -- Kein Wunder, wenn sich der
+Frosch da »hatte« und seine Lebensanschauung sich zu einem immer
+insolenterem System abrundete!
+
+Und unumwölkt floss sein Dasein dahin, denn jeder ist selbst seines Glückes
+Schmied.
+
+
+
+
+ADAM UND EVA.
+
+
+Die Nacht senkte sich vor der Vertriebnen Augen, und nach harter Tagesmühe
+ruhten sie.
+
+Trauer umfloss der Gefallenen Antlitz, und ob des Menschengeschlechtes
+drang eiserne Schwermut auf sie ein. Keine Thräne hatte noch das Weib; es
+barg und vertiefte sich das Weh der Erde in ihrem Schosse zur Melancholie,
+und wortescheu verblieb der Mann, als er sich hingewiesen sah an die harte,
+unbekannte Scholle, an die unerbittliche Sonne und dem süssen Mond; aber
+der Welt Zukunft und Not starrte in seinem Geist.
+
+Dies Paar, ach! war der Atlas!
+
+Das Echo seiner Qual durchdrang den hellen Sinn der Griechen, und eine
+Weltkugel wälzten sie dem GOTTE auf die Schulter, allein ein Menschenpaar
+ist es gewesen, das einst die Last des Werdens kostete und trug.
+
+
+
+
+LE REVENANT.
+
+
+Une nuit je crus errer eu rève dans des siècles passés, et je vis des
+hommes et des femmes dans leur vie journalière. Je vis des enfants joner,
+un laquais endormi sur un siège, puis des fruits dans une coupe étrange et
+soudain sur un balcon trempé de pluie une jeune dame enveloppée dans une
+grande robe rose et une mante noire.
+
+Mon esprit alors fut pris d'un vertige! -- et sentant mon rève, je voulus
+m'en soustraire en le secouant; mais lui aussi-tôt, se faisant plus confus,
+devint si pesant, que le coeur oppressé, je le subis. --
+
+Alors je me vis appuyé contre une fenêtre à ogives à la nuit tombante dans
+une salle. Brusquement tout au fond une porte s'entr'ouvrit, et un chien
+s'élança, de ces beaux chiens de chasse! il s'arrèta inquiet, les yeux
+flambants; puis d'un mouvement jeune et violent, fou de vie et de joie, il
+se retourna, se jeta vers la porte, et frappant le parquet bruyamment de sa
+queue, il attendit, guetta plutôt, pour s'élancer sur un homme qui entrait.
+--
+
+Lorsque je vis cet homme qui entrait, je sentis mes lèvres trembler de
+tristesse. L'on eut dit la vie même, et c'était un mort! --
+
+Ah! si vous l'aviez vu s'avancer d'un pas rapide en tournant vers sou chien
+une figure d'un contour si vif et d'une ciselure si étroite, que cette tête
+si noire se détachait des ténèbres comme une tache blanche, tant elle était
+ardente! l'illusion, je vous assure, vous eut gagné, tout comme moi: cas la
+vie _affluait_ dans chacun de ses gestes; ses yeux étaient chargés et
+lourds comme certaines fleurs, et sur cette figure fougueuse, le regard
+était préocupé et rentré, comme pour se poser très-loin sur une vision qui
+revenait toujours, et faisait sourire malgré lui, sa bouche songeuse et
+cruelle! -- La mort, me disai-je, la mort! --
+
+Je me sentais si chétif près de cet être si beau, pourtant je vivais moi!
+n'était-ce pas mieux que ce splendide mirage?
+
+La mort!? -- mais ce mot même tombait vide devant un pareil revenant!
+
+Ce fut alors, qu'il marcha droit vers la fenêtre, où je me tenais et que
+mes yeux purent plonger dans les siens pour, en chercher l'énigme. Mais
+hélas! qu'ils étaient loins, et comme mon coeur se serra! une grande
+douleur fit tomber mes paupières qui brûlaient, et je sentis alors
+s'approcher de moi, et m'envelopper comme l'haleine du Printemps; je crus
+respirer toutes les aubépines des bois, et sentir un ciel, des sapins, et
+des ruisseaux clairs: je vis une truite tachetée de rose, et de l'herbe
+fraîche et mouillée; et une si afreuse nostalgie passa dans mes veines, que
+j'étendis un bras éploré vers le spectre, dont la vie m'avait ainsi
+troublé. Mais lui, quoique sa main pesât sur mon épaule, son regard, qui
+semblait déborder, se détournait toujours. -- Et, voulant jeter un cri d'
+angoisse, qui ne fut qu'un souffle, je lui dis: «Je suis lá!» et tout mon
+être passa dans ces pauvres paroles! L'homme tressaillit, et changeant
+d'attitude, sa main tomba. Mais en ce moment même il y eut un bruit dans la
+cour, et je le vis se retourner, faire signe à son chien, et sortir. Ni
+l'un ni l'autre ne m'avaient vu. --
+
+Et alors la Nuit se fit plus profonde, et mon coeur plus froid. Seul mon
+cerveau s'allumait et marcha.
+
+Regarde! dit-il à mes yeux devenus fixes de terreur, regarde sous ces
+ténèbres croissans cette salle inconnue, et vois ces meubles bizarres! Que
+peuvent ils te rappeler?
+
+Rien! sonna-t-il. Puis toutes les roues de mon cerveau s'ébranlérent avec
+une vitesse infernale, et j'entendis un glas frapper au fond de moi-même:
+LE REVENANT, C'ÉTAIT MOI!
+
+1893
+
+
+
+
+L'ORACLE.
+
+
+Elle était grande et laide, une roche informe et nue, qu'elle hit éclairée
+ou à l'ombre, toujours triste.
+
+Un homme s'y égara un soir, mais perdant pied aussitôt il mourut victime,
+lui fort et pensant, de cette grande chose inerte et brute, et personne ne
+la montait plus. Elle demenrait à l'ombre le plus souvent des grandes cimes
+autour, et le soleil ni la lune ne l'aimaient. Seule la neige s'y plaquait
+lourde et compacte!
+
+Or en une nuit de lune et de Vent (le monde déjà était vieux) quelque chose
+remua au fond du rocher, et l'emplit soudain, comme d'un profond soupir. Ce
+ne fut qu'un instant! quelques caillons roulèrent et un peu de neige
+bleuâtre se détacha. Ce fut tout.
+
+Mais en cet instant si vague, et d'infinie lourdeur -- le rocher subit sa
+propre tristesse sourdement, comme la plante comme s'éveille l'aloès du
+fond de sa torpeur, c'est ainsi que sa propre Enigme vint saisir la
+montagne et lui révéla son Mystère, les liens occultes, qui la liaient aux
+longs chagrins et aux incurables misères, à tout ce qui est noir ou navrant
+dans la création.
+
+Tout cela l'enveloppa comme d'une Ombre Géante. Et un accord vibra en ce
+domaine silencieux! Une source s'agita affolée! elle mouta brûlante et
+profonde jusque à l'ivresse, pour tarir aussitôt.
+
+Mais la Terre -- si rèveuse en ces nuits de Lune et de Vent tressaillit et
+appela. Alors des milliers d'ombres se dégagèrent des plis de Ténèbres et
+s'agitèrent autour du rocher éteint pour saluer l'Idée -- le Symbole --
+l'Oracle enfin qui venait de parler.
+
+1893
+
+
+
+
+HERBSTLIED.
+
+
+ Herbstlich sinkt der Tag nun.
+ Herbstfarb'nes Licht, so sanft wie süsser Ton,
+ Zart wie bedeutsamer Traum,
+ Der uns beglückend streifte in der Flucht.
+ Ach weile, guter Herbst!
+ Dein ist der tönendste Ton im Jahr!
+ Musik der Dämmerung ist deine Stunde,
+ Beruhigte Leidenschaft dein tiefer Blick.
+ Ist Verfall dein Sinn?
+ Oder lächelst du über den Tod? --
+
+
+
+
+DER WALCHENSEE.
+
+
+Die Berge zogen ihre hohen, sanften Linien in der bleichen Dämmerung.
+Ahnungsvoll schien jede Senkung, jede Matte, jeder Schatten, und stumm
+hielten die Tannen hart am Ufer Wacht. Und Luna zog langsam mit ihrem
+Gefolge weissgeballter Wolken hinter den Spitzen der Berge einher.
+
+Kein Sternengefunkel störte noch des Himmels Ruh'! Und wie tief kündete
+sich da die Nacht, wie fern schien da Aurora, als käme nimmer der frühe
+Tau, noch die strahlende Sonne zurück.
+
+»Ach!« seufzte da eines Menschen Stimme, »käme nimmer der Morgen!«
+
+Doch plötzliches Entsetzen fasste ihn alsbald, und starre Angst trieb ihn
+dem Gestade entlang, war es ihm doch, als hätte er hier Schatten ins
+Bewusstsein gerufen und aufgescheucht, als sei ihm das verhängnisvolle Wort
+entfahren, das diesem See und dieser Natur geheimnisvoll zu Grunde lag, und
+als seufzte nun alles rings um ihn, von jeder Felswand rauschend und vom
+Strande wiederhallend, ein traumversunkenes und im Traum gefundenes Echo:
+
+ Ach, käme nimmer der Morgen!
+ Käme nimmer der Morgen!
+
+
+
+
+DIE HERUNTERGEKOMMENEN.
+
+
+Als die Nacht hereingebrochen war und der kalte Zug durch die
+Fensterspalten blies, da wurde es auch stille in dem langen Gang, wo die
+Ahnenbilder hingen unverrückt an der dunklen Wand und die Finsternis über
+sich ergehen liessen wie über ihre Gräber. Allein die Nachkommen dieser
+längst verblichnen Leute wohnten noch in dem alten Schloss und fanden keine
+Ruhe, denn sie wollten und wünschten mit der wilden Kraft, die sie von den
+Vätern geerbt! Währenddem die Nacht sich immer tiefer senkte, schlief da
+Keins. Alle hofften, fürchteten und sehnten sich zu sehr in diesen alten
+Mauern, als dass der Schlaf sich ihnen rettend nähern konnte. Den hielt der
+Hass und den die Liebe, alle aber hielt der Lebensdrang, die Heftigkeit des
+Wunsches und die trübe Ahnung des Unerfüllbaren wach.
+
+Die Väter hatten so froh genossen und so wilden Auges gelebt! Sie glichen
+sich alle in Miene und Blick, und Generationen hindurch verzehrten sich die
+schönsten Frauen in Liebe um dies Haus!
+
+Das Glück aber hielt treue Wacht und zog goldene Gitter um seine
+Günstlinge.
+
+Einem breiten glänzenden Strome glich dies Geschlecht, der schimmernd die
+schönsten Lande durchzieht, Wälder und hohe Gipfel, glänzende Städte und
+den ganzen Himmel lachend wiederspiegelt.
+
+Zöge sich doch mein Herz nicht zusammen, als ich dieses Vergleichs gedenke!
+Denn nach hundert Jahren erlosch ein Stern: der herrliche Fluss rauschte
+weiter; da veränderte sich sein Bett. Hoch und furchtbar drangen kahle
+Felsenwände auf ihn ein, qualvoll türmte sich da das tiefe Gewässer und
+wütete gegen die hemmende Wand.
+
+Sein schrecklicher Schall tönte betäubend durch die Welt. Unerbittlich aber
+verengten sich noch die Thore, und der Fluss brach sich heulend seine Bahn.
+Als wilder umdunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. --
+
+
+
+
+SKIZZE.
+
+
+Vor Jahren fiel mir ein Buch in die Hände, dessen Titel ich mich nicht mehr
+entsinnen kann, es war eine Übersetzung aus dem Griechischen und mit vielen
+Anmerkungen versehen, wovon eine einen alten Spruch citierte, der mir immer
+im Gedächtnisse blieb. Die Worte erinnere ich mir nicht, nur den Sinn, und
+der war folgender.
+
+»Nicht der Mann ist die Weisheit, nicht die Frau ist die Liebe: Die Frau
+ist Weisheit, der Mann ist Liebe. Des scheinbaren Umtausches sich nicht
+bewusst, sucht der Mann in der Frau seine eigne Liebe, die Frau im Manne
+ihre Weisheit wieder.«
+
+Dieser Spruch schien mir nach und nach so manches Unerklärliche und
+Unvereinbare, das in jenen Beziehungen nicht zu begleichen schien, schärfer
+zu beleuchten.
+
+Ein »ganzer Mann« wird einer Frau in so entscheidenden Punkten überlegen
+sein, dass nur die tiefere Weisheit des schwächeren Teils ein Gleichgewicht
+herzustellen vermag und in jener Weisheit allein die Möglichkeit liegt, den
+Blick dieses Mannes ganz wiederzuspiegeln.
+
+Ist dieser Spiegel getrübt oder zu stürmisch oder zu seicht, so wendet der
+Blick sich ermüdet ab und sehnt und sucht nach andern Augen, die wieder
+versprechen und wieder enttäuschen.
+
+Umgekehrt sehen wir oft ganz unbedeutende Männer von einem weiblichen Wesen
+dauernd gefesselt, von dem sie nie Kenntnis gewinnen können, in dem aber
+die Weisheit verborgen liegt, die sie mit dumpfer Sehnsucht erfüllt. Eine
+solche Frau, deren innere Entwicklung ihren eigenen Weg zu folgen bestimmt
+war, sieht oft zu ihrem stillen Befremden einen ihr so fremden Mann so treu
+an ihrer Seite.
+
+Was nun mit jener Weisheit in dem alten Spruche gemeint war, ist sicher
+nicht die Lebensklugheit noch Schärfe oder Kraft des Geistes, denn die
+wohnen alle dem Manne viel thätiger inne. Sie wird wohl eher dem
+Meeresspiegel vergleichbar sein, der tiefer und beschaulicher wird, je mehr
+sich darin versenkt. --
+
+Jeder kennt jenes eigentümliche Gefühl, das ihn angesichts der
+gleichgültigsten Dinge anwandeln kann, ihn zwingt, innezuhalten und
+Gedanken einzulassen, die von aussen auf ihn einzudrängen scheinen und
+deren Bewandtnis er noch nicht erfasst.
+
+So stand ich einmal auf einem weiten, freien Feld und dachte an die
+Druiden, wie die Welt in ihnen wiederhallte, in sie drängend wie ein Strom,
+so dass sie ihr das Rätsel fast entrieten und, von ihrer Ahnung
+überwältigt, Wahrheiten stammelten -- in undurchdringlichen Worten.
+
+Da fiel mir -- anscheinend schauerlich unzusammenhängend -- der Don Juan
+ein!
+
+War etwa _hier_ ein Gegensatz? -- War hier _etwas_, was sich deckte?
+
+Ich weiss es nicht. -- Aber mit einem Male begriff ich, wie sich der Zauber
+und die Tragik im Dasein zweier Geschlechter in jener dunklen Gestalt und
+ihren Opfern sublimieren konnte, und ich begriff den klärenden Schein, den
+Mozart um sie wob.
+
+Trat in diesem Wesen irgend ein verborgenes Gesetz in Kraft und blieb das
+nie Erreichte auf weit abliegender Bahn und keinem füglichem Gebiet
+verwiesen? --
+
+Lag etwa im Blicke der Veleda jene Ruh', die Don Juan in jedem schönen Auge
+suchte, jenem andern Zuge folgend, der die Liebe so unendlich adelt? -- Und
+lag seine eigne Gewalt in seiner eignen Sehnsucht? --
+
+
+
+
+DAS TRAUMBUCH.
+
+
+Man wirft mir so gerne vor, dass ich nicht schreibe! --
+
+Aber erstens! -- -- --
+
+Und zweitens gehört hiezu doch auch eine leidliche Erfindungsgabe, und ich
+bin nur deshalb so leichtgläubig, weil ich auf das Gegenteil von dem, was
+man mir sagt, von selbst gar nicht gerate, eine solche Veranlagung ist
+nicht eben produktiv!
+
+Über Gegebenes, Menschen wie Dinge, kann ich lange und eindringlich
+nachdenken, nur muss ich sie haben! -- Aus der Luft greife ich nichts, denn
+eine unübersteigbare Kluft trennt mich von jener Fähigkeit zu schaffen, die
+so beglückend und erhebend sein muss und wohl deshalb so selten ist.
+
+Die einzige Genugthuung jedoch, welche mir diese endlich errungene
+Erkenntnis bot, war, dass ich mich frei sprechen konnte von aller Schuld,
+wenn keine Gedichte und keine Romane aus meiner Feder flossen, denn wie
+viel besser wusste ich als alle andern, dass ich keine zu stande brachte!
+
+Als ich aber hierüber noch nicht im Reinen war und mir die Menschen so
+manches versicherten, was mich nicht überzeugen konnte und doch sehr
+verdross -- fasste ich einmal einen verzweifelten Plan, den ich auf die
+äusserste Spitze treiben wollte und einem Mann von Fach zu eröffnen
+beschloss.
+
+Ich liess mich bei ihm melden und erhielt einige Tage darauf ein zierliches
+Briefchen, worin er mich auf sein Landgut zu einer Unterredung berief.
+
+Nun hatte ich nachts bevor, folgenden Traum: Ich, die nie im Leben geritten
+war, sass plötzlich hoch zu Ross, ritt andern Reitern, die mich beschworen
+einzuhalten, voran, liess mich dann langsam herabgleiten und stieg die
+Treppe zu unserm Hause hinauf.
+
+Dann erwachte ich. -- Da jedoch dieser Traum sehr lebhaft in meinem
+Gedächtnisse haften blieb, so schlug ich in meinem Traumbuch nach, ob eine
+Deutung darauf stünde und las folgendes: »Unterlasse nicht, was du
+vorhast!« Mir aber kam diese Weisung wirklich wie gerufen, denn schon lange
+wollte ich einen recht flagranten Beweis in Händen haben, der mich von
+meiner Leichtgläubigkeit endgültig kurierte. Derselbe Abend sollte mich ja
+noch belehren!
+
+Dann verliess ich mein Haus und nahm den Zug.
+
+Das Wetter war leuchtend, und zuletzt führte mein Weg auf einem schmalen
+Fusspfad durch ein hohes Kornfeld.
+
+Ganz ergriffen hielt ich da inne; denn die Welt war an diesem Tage zu
+schön, ihr Schein zu unbeschreiblich!
+
+Ovid's Verwandlungen berührten mich mit einemmale als naturgemäss, und mir
+war, als würde ich selbst zu jenem singenden, summenden Kornfeld, so sehr
+entzückte mich gerade an dieser Stelle das goldene Leben unserer Erde.
+
+Doch nur wenig Schritte trennten mich von der Besitzung, in der meine
+Autorität hauste, und nun erschien mir mein Plan erst recht in seiner
+ganzen Unausführbarkeit.
+
+Eine Stunde später ging ich denn auch sehr gemessen denselben Weg wieder
+zurück: Zuerst war der Mann von Fach sehr ernsthaft drei Schritte
+zurückgewichen und hatte mich angestarrt. -- Aber in sein langes herzliches
+und eindringliches Lachen musste ich am Ende doch einstimmen.
+
+Träume! dachte ich nun und wurde nachdenklicher mit jedem Schritt, denn
+manches schien mir doch recht befremdend auf der Welt.
+
+Wie kam es zum Beispiel, dass die Alten, diese klugen, spöttischen
+Griechen, denen die Wirklichkeit so voll genügte, solche Acht auf ihre
+Träume hielten, dass die Geschichte selbst sie uns ganz ernsthaft mit Daten
+und Thatsachen bringt? Vor jedem Schlachtenberichte stehen sie da als
+Avantgarde, und jeder Feldherr klügelt über den seinen!
+
+Nun denke man sich nur einen modernen Geschichtsschreiber Napoleon's oder
+Bismarck's Träume und dann zum Schluss noch seine eignen verzeichnend. Und
+das mit der gebietenden Miene eines Plutarch!
+
+Wäre es möglich, dass hier etwas dahintersteckte und es uns verloren ging?
+
+Sonst dienen uns doch die Alten so gerne als Vorbild.
+
+Wer aber würde sich heutzutage mit derlei befassen? Die eigentliche
+Bibliothek des Traumbuchs ist die Küche geworden und geschwätziges oder
+ungebildetes Volk beratschlagen es. Nur ich besass noch eins, kraft jener
+Erfindungsunfähigkeit, jener Sucht zu glauben, und auf glaubwürdiges zu
+lauern. Alle Exzesse und Irrtümer stehen da offen.
+
+So dachte ich, von dem wogenden Kornfeld nicht länger impressioniert, im
+Dämmerlichte des sinkenden Tages einhergehend und eignem Grübeln.
+
+Da plötzlich unerwartet, ungeahnt -- stand vor meinen bestürzten Augen
+nicht das Gelingen meines Planes -- eine andre Erfüllung, die meinen Traum
+wachrief wie mit einem langgedehnten Ruf, und wie einen kalten Hauch
+empfand ich meine eigne Blässe.
+
+
+
+
+MUSIKALISCHES.
+
+
+MOTTO: Wollen wir hoffen?
+
+Richard Wagner, X. Band.
+
+
+
+
+EINE MUSIKALISCHE BETRACHTUNG.
+
+
+Vor einem mit Plakaten reich übersäten Kioske innehaltend, sagte kürzlich
+einer zu seinem Freunde:
+
+»Sieh doch die vielen Konzerte! Bis über die Wände hinaus klettern die
+Annoncen!«
+
+»Das ist schön!« rief der andere. »Da hast du unser liebes kunstsinniges
+München!«
+
+»Ja, da hast du's!« brummte wieder der eine.
+
+Und wie es so geht auf dieser Welt, als sie eine kleine Strecke weiter
+gegangen waren, fingen sie fürchterlich zu streiten an. In der Hitze jedoch
+gebieten wir selten über die überzeugenden Worte, selbst wenn wir im Rechte
+sind, und grad ein Philister hat da oft leichtes Spiel.
+
+Hier siegte denn auch der, dem beim Anblick der vielen Plakate das Herz
+freudiger schlug, und selbstbewusst und heiter kehrte er nach Hause zur
+Gattin.
+
+Aber wie verdrossen ging der andre heim! Fiel ihm doch jetzt erst alles
+ein, was er im Eifer nicht fand; und wie sicher gestaltet sich nun seine
+Rede in den dunklen Strassen!
+
+Immer feuriger ging er einher, als müsste er Schritt halten mit seinen
+Gedanken, und sah recht närrisch dabei aus!
+
+Hier sei auch mir eine Bemerkung gestattet: Wage ich mich zwar jetzt mit
+dem Sprüchwort: Kinder und Narren etc. vor, so werde ich allerdings dem
+Vorwurf grosser Alltäglichkeit nicht entgehen, bringt uns heute doch fast
+jeder Plato's finstre Höhle (die Höhle, ach, du lieber Gott, in der wir
+alle so gemütlich sitzen!), oder citiert jene grosse Neuigkeit von dem
+grössten Tragiker, nicht wahr, der zugleich etc. . . . . Denn nur in
+solchen und ähnlichen Reminiscenzen ergehen sich nunmehr unsere gewandten
+Bücher und halten streng an die Devise unsres Jahrzehnts:
+
+»Kaviar für Alle.«
+
+Vollends Sprüchwörter!
+
+Gut, so will auch ich das meine nicht zu Ende sagen, doch bitte ich euch,
+lasst uns hören, was der Narr erzählte:
+
+»Wie alt«, rief er, »wie alt ist doch die Klage nach entschwundenen Zeiten!
+Kein Zauber beschwört Vergangnes herauf! Wie der Regen, den die Erde so
+begierig trinkt, um dann wieder trocken zu werden und hart, so verschwinden
+spurlos nicht geträumte, ach! _erfüllte_ Ideale von der Welt!
+
+Wer ist es gewahr, dass Schritt für Schritt das Licht fällt, dass Kühle und
+Dunkelheit überall einbrechen, dass rasch und unbemerkt eine Epoche von uns
+scheidet? -- Erst wenn sie sich ganz unsern Augen entrückte, erst dann wird
+die Verlorne im wahren Relief vor uns stehen. Aber wie Walther von der
+Vogelweide um zartere Minne, so werden wir umsonst darum klagen! Und
+inzwischen stellen wir uns blind und taub und lassen die Verwilderung um
+sich greifen! Nur ein sehendes Auge sieht die verlöschenden Fackeln, und
+nur dem feinen Ohre ist das wirre Gekreische vernehmbar.«
+
+(Schade, dass der Mann seine Reden nicht schön und symmetrisch aufzubauen
+wusste! Seine Gedanken machten wilde Sprünge, und kamen dann im Bogen
+wieder.)
+
+»Wisst ihr,« rief er da plötzlich, »dass jener thatsächliche Plan, sich per
+Eisenbahn bequem auf die Jungfrau zu begeben, nichts anderes ist als ein
+Symbol unsrer Zeit?
+
+Denn nichts Höheres bedeuten unsre täglichen Konzerte, unsre
+Drehorgelorchester, und unsre ganze nivellierte Kunst. Überall ist der
+Pöbel ausgebrochen, zwar ein wohlgenährter, gut gekleideter und siegreicher
+Pöbel, aber erst recht der des Coriolan!
+
+Es haben uns doch die Besten gesagt und die wenig Grossen bewiesen, wie
+aristokratisch die Natur verführt, wie scheu und sparsam sie ihre
+vornehmste Blume, die der Kunst, auf ihren höchsten Gipfeln treibt, nur
+ganz Bevorzugten nach harter Mühe erreichbar.
+
+Was deutet uns ein zusammengepresster staubiger Büschel Edelweiss, an einer
+Strassenecke schreiend feilgeboten? Aber steil wie das Edelweiss und
+geheimnissvoll wie die Aloë ist die Kunst! Pöbelhaft war es daher von uns,
+sie mit Gewalt erstürmen zu wollen, und ein grober und hässlicher Wahn lag
+dieser »Massenbewegung« zu Grunde. --
+
+Denn als wir allesamt anfingen sie zu duzen, was war da natürlicher, als
+dass uns die Kunst entfloh? Ihren letzten müden Strahl, an dem wir zehren,
+halten wir nun für den »Morgenschein kommender Aeren!«, und keiner sieht,
+keiner weist auch nur von fern auf unsern deutlichen Verfall.
+
+Ob wohl je die Menschen vor einem solchen Wendepunkt gestanden sind?
+
+Ob ein ähnliches Phänomen die Griechen einst zu Grabe läutete? und ob nach
+Überwucherung der damaligen Kräfte ein ähnliches Schlingkraut die Erde
+überzog?
+
+Wer wüsste es zu sagen!? Blühten nicht damals die Redner und Bildhauer
+plötzlich in frecher Überzahl, just wie jetzt Kapellmeister und Solisten?
+
+Ehe man sich dann versah, verklang das ganze hohe Lied in Düsterkeit und
+Barbarei. Sind wir etwa wieder da angelangt? -- Das wäre wohl auch hier die
+Frage!
+
+»Aber nichts wiederholt sich«, murmelte der Mann.
+
+Er war auf der Brücke angelangt, und der rasche Fluss schien ihm neue
+Einfälle zuzutreiben, denn er stand lange und sann, wie wohl der Mann
+beschaffen sein musste, der unsre abwärts gehende Fahrt zu hemmen vermöchte
+und neues Land eroberte.
+
+Über diesen gewaltigen Geist dachte der gute Kerl lange nach und ging dann
+brav nach Hause.
+
+
+
+
+NEMESIS.
+
+Eine zeitgemässe Betrachtung.
+
+
+Dass die Welt ihre grossen Menschen so vielfach verkannte, trug besonders
+für die Kleinen schlimme Folgen.
+
+Denn die Grossen kommen über kurz oder lang darüber hinweg (sei's nur,
+indem sie das Leben überwinden!), und ihre Landsleute halten dann
+frohlockend an ihre Namen als an ihr Eigentum fest; und starben diese
+Grossen im Elend, so trägt das Schicksal und der Einzelne die Schuld, denn
+die Allgemeinheit rettet sich ja stets.
+
+Dass es das ewig selbe Spiel bleibt, übersieht man, und klüger wähnen sich
+die Menschen jedesmal geworden, wenn sie pietätvoll ihren grossen Toten
+Säulen, Monumente und Brunnen errichten.
+
+Aber die Rache gräbt unermüdlich, und alles rächt sich tausendfach!
+
+Weil der Flecken nun so klar am Tage liegt, wie taub und blind wir für
+unsre Helden waren -- glaubt ihr, darum sei er getilgt und der urteilslose
+Unverstand samt seinen Folgen abgeschafft?
+
+_Ein_ Unterschied ist freilich da: der Vielbescholtne krankt nunmehr an
+seinem üblen Ruf, darf nicht mehr schelten -- wagt es nicht -- und lässt
+geschehen. Flugs dehnen sich da kleine Menschen himmellang, und bleibt die
+Menge scheu vor ihren Produktionen, so verzagen sie nicht mehr, denn die
+berühmtesten Vorbilder schweben ihnen vor, und die Tradition der Verkannten
+haben sie ja für sich!
+
+»Wirklich?« fragen sie mit einem unendlichen Lächeln, »mein Werk gefällt
+euch nicht?«
+
+Da blickt einer zaghaft zum andern, und einer nickt, und kleinmütig nicken
+sie alle, denn sie sind die junge Generation und büssen für den Unverstand
+der alten _umgekehrt_!
+
+Das grosse eine Merkmal des Schönen, dass es zwanglos um sich greifen und
+unfehlbar, sei ihre Zahl vorerst noch so gering, die Herzen treffen _muss_
+-- auf dieses eine Merkmal, das doch zugleich auch unsre eigne Würde
+rettet, auf dies pochen wir nicht mehr, denn unsre Augen sind nicht
+unschuldig genug, und unsre Vergangenheit ist zu sehr getrübt!
+
+Den Lohn tragen wir nun davon! Auf dem schönen Erdreich, dem wir keine
+Frucht entnahmen, schiesst das Unkraut so munter wie nur je empor, und auf
+geweihtem Acker kauert dieselbe alte Schlange!
+
+Und die grossen Menschen?
+
+Je nun, man weiss vorerst nie, wo sie stecken, und sie haben nach wie vor
+ihre Müh'. Auch sind die Zeichen nicht günstig. Aber vielleicht wirft uns
+die Flut der Zeit wieder einen ans Land, der den Weg wüsste aus all den
+verschlungenen Pfaden heraus und sich zur Stunde grämt, weil ihn der breite
+Fluss des Irrtums überrauscht!
+
+
+
+
+EINE SKIZZE ÜBER DIE STELLUNG DES KLAVIERS UND DER HEUTIGEN PIANISTEN.
+
+
+Es ist in jüngster Zeit förmlich zur Redensart geworden, die Pianistenfrage
+kurz damit abzufertigen, indem man sagt. »Das Klavier interessiert mich
+nicht.« Was aber schlimmer ist wie Redensarten, und was mancher
+wohlgeschulte Pianist in München zu seinem bitteren Nachteil erfahren
+musste: Das Wort wird zur negativen That: er sieht nämlich sein Konzert mit
+knapper Not von Freunden und Bekannten, etlichen alten Leuten und den
+obligaten Kritikern besucht, die am nächsten Morgen ihr Bedauern über den
+»leeren Raum« zu Drucke bringen -- und das eigentliche Publikum bleibt weg.
+
+Der Künstler selbst wird diese seine moderne Unpopularität natürlich nicht
+ohne Erbitterung wahrnehmen und sich nicht sehr erbaulich über die alte
+Musikstadt und ihr gepriesenes Entgegenkommen äussern.
+
+Nun gehe ich von jener alten paradoxalen Wahrheit aus, dass sich zwar in
+der Masse Irrtum und Unverstand wie von selbst potenzieren, dass aber
+trotzdem das Publikum in seinen Sympathien recht behält, und es sich
+jedenfalls der Mühe lohnt, nach dem Grunde zu forschen, wenn es sich einer
+öffentlichen Kundgebung gegenüber hartnäckig abgeneigt verhält. Ich möchte
+hierin für das Münchner Publikum sogar eine gewisse Unbeirrbarkeit
+beanspruchen, und gewiss birgt diese Stadt ein nennenswertes Kontingent
+wirklicher Musikkenner. Ohne mit dem Finger darauf weisen zu können, fühlt
+man es bei Gelegenheit deutlich durch, und dieses Kontingent sichert dort
+dem Grossen und Echten, selbst wenn es neu und ungewohnt ist, fast immer
+den Sieg.
+
+Nun ist München merkwürdigerweise eine geradezu pianistenfeindliche Stadt
+geworden, und ohne die Gründe ihrer Abneigung lange zu analysieren, ist sie
+ihnen im vornherein abhold; ja, die Pianisten zählen dort allgemach zu den
+verdrossenen Typen, und es ist jetzt Mode, die einst so Gefeierten trotz
+ihrer bedeutsamen Haartracht zu ignorieren.
+
+Da jedoch eine Abneigung, um sich selbst gerecht zu werden, stets motiviert
+werden sollte, so sei hier der Versuch gemacht, die eigentümliche Stellung
+zu bezeichnen, welche das Klavier heutzutage in künstlerischer Hinsicht
+einnimmt, und welche wir am besten gleich im voraus eine »schiefe Stellung«
+nennen wollen, um das Wort später erläutert zu sehen.
+
+In der Musik sind wir anerkanntermassen das erste Volk der Welt. Was wir
+aber mit dem Klavier angefangen haben, oder vielmehr, was wir daraus werden
+liessen, damit ist wieder einmal ein Beweis geliefert, wie leicht, uns der
+simple gute Geschmack im Stiche lässt!
+
+Wir Deutsche stehen überhaupt mit dem Geschmack und was er im höheren Sinne
+bedeutet: Formensinn und Grazie, auf etwas gespanntem, misstrauischem Fusse
+und fühlen uns nicht ungeneigt, dies alles als frivol zu taxieren. Kommt
+uns aber dann einmal der künstlerische Takt abhanden, so sind wir uns zwar
+wohl unsres künstlerischen Ernstes, aber eben weil wir des Taktes
+vergassen, unsrer Schwerfälligkeit nicht bewusst -- und nur so ist es
+möglich, dass ein Übel, ein grober Irrtum, der sonst unsrer ganzen Richtung
+widerspricht, sich auf eine wirklich ungeheuerliche Art auswachsen und
+verbreiten konnte.
+
+Auf besagte Weise ist nun in dem musikalischen Deutschland das Klavier von
+seiner ursprünglichen Bestimmung abgekommen, hat sich eine Stellung
+angemasst, die ganz und gar nicht die seine ist, und wurde, nachdem es auf
+diesem neuen Boden das Publikum eine Weile verblüffte, von demselben
+verpönt. --
+
+Diesem beklagenswerten Verfall -- die Folge rein äusserlicher Gründe --
+sollten wir nach Kräften entgegenwirken.
+
+Unsre grössten Klassiker haben nicht umsonst in edler Würdigung dieses
+Instruments ihre herrlichen Meisterwerke dafür geschaffen. Aber leider ist
+es ebenso wahr, dass sie dabei kaum einen unsrer modernen Pianisten, wie
+sie jetzt landläufig sind, als Exekutant im Auge hatten, noch dass sie
+dieselbe Idee vom Klavierspiele hatten wie er! Eine ganz kleine Sylbe
+trennt hierin die alte von der neuen Zeit: Sahen unsre Meister im Klavier
+ein stets verfügbares! Mittel, die mannigfachsten reichsten Tongebilde auf
+dem dürftigen Holze zu resümieren und zur Wiedergabe zu bringen -- ein
+ideales Abstraktum -- ein unschätzbares Mittel zum Zwecke musikalischer
+_Re_produktion, so sieht hingegen der moderne Virtuos in seinem Instrument
+lediglich ein _Pro_duktionsfeld. Nicht Mittel ist es ihm, sondern Zweck,
+und zwar sich selbst will er produzieren! Über einen so unkünstlerischen
+Standpunkt ist weiter kein Wort zu verlieren.
+
+Nennt man mir aber Franz Liszt als Beleg für die Berechtigung des modernen
+Pianisten, so werde ich erwidern, dass er eine Einzelerscheinung, ein ganz
+für sich gehendes musikalisches Phänomen vorstellt wie die Duse etwa für
+die Bühne, beide aber in dieser Hinsicht gleich wenig berufen, Bahnen zu
+eröffnen, denn es sind künstlerische Typen, deren Wert und Reiz eben in
+ihrer Eigentümlichkeit beruhen. Liszt's Mähne auf einem anderen Köpflein
+ist ebenso unbefugt, als es vermutlich die Mimik der Duse bei einer anderen
+Schauspielerin wäre, denn auch diese findet ihre Berechtigung in einer ganz
+individuellen künstlerischen Beschaffenheit, aber gewiss nicht als
+künstlerisches Moment! --
+
+Und dieser Vergleich, wenn er sich nicht vollkommen deckt, mag immerhin
+dazu dienen, den Fall näher zu beleuchten: So wie die grosse Tragödin ihre
+_eigne_ Individualität auf der Bühne in tausend Nuancen schillern und
+erklingen lässt, mithin nicht die eigentlichen Heldencharaktere, wie sie
+unsre grossen Geister schufen, zur Gestaltung bringt, sondern auf dem
+nächsten, oft sogar dem nächstbesten Wege ihre ganz persönliche
+Empfindungsweise, ihre moderne Seele zur Mitteilung bringt, so verlässt
+auch der Pianist auf dem klassischsten aller Instrumente das ursprüngliche
+Gebiet, und nicht so sehr musikalische Werke, als seine eigne Person führt
+er uns vor, um sie unsrer Aufmerksamkeit aufzudrängen. Die moderne
+Klavierlitteratur ist nicht anders als im engsten Bündniss mit jenem Irrtum
+entstanden, den Virtuosen als Alleinherrscher vor seinem dadurch fraglich
+gewordenen Instrument hinzustellen, und beide hiemit zu vernichten.
+
+Denn wie thatsächlich das schönste Klavier unter den Jonglerien und der
+schaudervollen Gewandtheit eines Virtuosen zur unmusikalischen Plage wird,
+so denkt man auch heute unwillkürlich bei dem Worte »Musiker« an einen
+Geiger, Cellisten oder Sänger und nicht sobald an den Pianisten, der
+mitsamt seinem Instrument und seiner pompösen Spezial-Litteratur aus diesem
+Bunde ausgetreten zu sein scheint, seitdem er sich auf dem kolossalen
+Irrtum einschiffte, ein eignes, selbständiges Gebiet -- die künstlich
+angelegte Klaviersee, zu befahren wähnte, und nun auf einer Sandbank
+festgesessen liegt, von der er nicht sobald wieder flott fährt, es sei
+denn, dass ihn die Musiker selbst wieder zu Ehren bringen und aus dem
+unförmlichen, verunglückten Dampfer wieder jenes ideale Schifflein bauen,
+als welches es einst an einem mächtigen Baue festgeankert lag, und mit ihm
+und durch ihn das unendliche Meer der Töne zu befahren, die Fähigkeit
+erhielt. In diese seine ursprüngliche so edle und produktive Abhängigkeit
+sollten wir es zurückführen, da es in »Demut« so viel erreicht. Nur so
+könnte es seine alte Würde wieder erhalten, und in uns die alte Freude und
+die alte Begeisterung wieder erwecken.
+
+
+
+
+EPILOG.
+
+
+Was auch kommen mag auf dieser Welt, immer gestaltet sich eine Zeit neu und
+ungeahnt. Unsre Erde trägt keine Propheten, und nur durch ihre
+Unergründlichkeit sind die Orakel so wahr. Wer erträumte wohl je das
+nächste Geschlecht? Woran keiner dachte, das geschieht, wo der Fluss am
+ruhigsten floss, dort tritt er über.
+
+Tausende von Jahren belehren uns nicht über ein einziges, das sich noch
+nicht entrollte, unzählige von Schicksalen lassen unser eigenes stets neu.
+Die Notwendigkeit schafft mit ihren blinden Augen zu Tage, andre Mächte
+fordern wieder, was ihr trotzt, und so liegt die Welt unausgefochten im
+Kampf.
+
+Oft schon, glaube ich, wurde als das grösste Unheil des Christentums das
+Pharisäertum erwiesen, jene unheilvolle Macht, die von Grund auf,
+anscheinend auf alle Zeiten, den Charakter verunstaltete, den das neue
+Zeitalter erhielt. Wie unendlich viel, und wie unendlich wenig das Dogma
+verrät, diese These wurde nie aufgestellt, die Pharisäer umstanden das
+neue, wie das alte Testament; und so wurde es uns verdunkelt bis zur
+Unkenntlichkeit und entfremdet.
+
+Jenes Unwesen selbst, verlor aber im Laufe der Zeit alle Macht; und da es
+tief in der Erde sitzt und in den Menschen wohnt, sann es auf eine neue
+Stätte. Wo aber fand es den Boden, den es nun zu sterilisieren, das Ding,
+das uns nun zu entfremden galt? Wo anders, als da, wo das Gute
+hingeflüchtet war, unangetastet, köstlich und steil, hoch über unsren
+Häuptern, und doch verborgen. Mit schlauem Zerstörungssinn erblühte es da
+inmitten der Kunst!
+
+Gut meinende Seelen, die aber vom Schweigen des Pythagoras nichts ahnten,
+hatten selbst dem verderblichen Heere die schmale Bresche verraten und
+wurden die ersten Pfähle auf jenem schrecklichem »chemin battu«, den jetzt
+die Mode so verwegen und unbefangen betritt.
+
+Hier müssen wir einen Augenblick zurückgreifen. Bekanntlich war es
+Grillparzer, der Beethoven's Grabrede hielt; nun wurden ihm
+kurzsichtigerweise und nach Wagner's Erscheinen folgende Worte daraus noch
+nachträglich verwiesen:
+
+»Beethoven's Nachfolger«, schloss der unmusikalische Dichter, wird von vorn
+anheben müssen, denn er selbst hat geendet, wo die Kunst endet.« Und dabei
+ahnte Grillparzer wohl gar nicht, wie wahr er sprach!
+
+In der That hub Beethoven's Nachfolger von vorne an und erklomm einen Berg,
+um auch er -- und dies ist bedeutsam -- zu enden, wo die Kunst endigt.
+
+Wo sie aber zu Ende ist, dort behauptet wie eine wahnsinnige tote
+Karrikatur die heutige Musik ihren unredlichen Platz.
+
+Wagner, dieser einfache Mann, der ohne Stil, nur von Gedanken gedrängt, sie
+so gross und unschuldig niederschrieb, hätte er doch den Missbrauch seiner
+tiefen, weittragenden Worte geahnt. -- Mit Siegeln nur hätte er dann seine
+Bücher vermacht!
+
+Denn die göttlich stillen Seen, die ein Adler erschaute, sind nun ihrer
+Einsamkeit entweiht und von der lauten Menge umlagert. Eine so
+schauderhafte Vulgarisation, eine so triviale Gier, hohe Gefilde zu
+umlärmen, hat sich ihrer bemächtigt, dass alles Urteil befangen liegt, und
+keiner seine eignen Worte mehr spricht. Die Halbgebildeten, die
+Ungebildeten, sie stürzen alle voran. In dieser eitlen Wut ist jedes
+Unterscheidungsvermögen gelähmt, einer ist der schwächere Abdruck des
+andern, und alle halten sich krampfhaft an dieselbe Schnur. Nie aber
+verklingt das letzte hohle Wort!
+
+Ein Abhang im Schatten, ein Fels in der Dämmerung tönt voller als heutige
+Musik!
+
+Ach! käme doch einer, der unsre Geheimnisse in ihre alten Schleier hülle,
+bis wir gelernt haben, sie wieder zu verschweigen.
+
+Vielleicht werden wir dann die Früchte ernten, die wir so jäh
+herunterrissen, vielleicht gelangen wir dann auf Umwegen ans Ziel,
+vielleicht erschliessen sich uns dann neue Aussichten, ein neues Land und
+neue Bewandtnisse.
+
+Betrachten wir es genau: Das hehrste Sujet der Menschheit haben unsre
+grossen Geister scheu umschifft, und ihre unbeschreiblich zarte
+Jüngerschaft haben sie nicht gesagt oder nicht zu sagen vermocht.
+
+Wir aber wissen wohl in aller Stille, dass durch sie von Ferne eine Gestalt
+sich uns nähert, die uns so unerklärlich und unfassbar bleibt.
+
+Wir fühlen in der beglückenden Harmonie eines Plato, in Shakespeare's
+Tiefe, in Goethe's Erhabenheit, im Fluge Beethoven's, in Mozart's Klang, in
+Wagner's Blick, in der Sensibilität eines Schopenhauer (um einmal all die
+armen Abgedroschenen zu nennen!); wir fühlen, dass aus allen grossen
+Gemütern etwas ausgeht, was uns mit einer seltsamen Ahnung durchschauert
+betreffs eines, Gott sei Dank, noch nicht zu oft genannten Namens.
+
+Aber welches Genie schwänge sich auf eine so schwindliche Brücke und
+ergriffe den intangibelsten aller Fäden?! --
+
+
+
+
+Anmerkungen zur Transkription
+
+
+Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
+(vorher/nachher):
+
+ [p. 17]:
+ ... Ein Frosch sass im nassen Grasse, befriedigt und ...
+ ... Ein Frosch sass im nassen Grase, befriedigt und ...
+
+ [p. 42]:
+ ... wilder undunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. -- ...
+ ... wilder umdunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. -- ...
+
+ [p. 60]:
+ ... Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit überrall einbrechen, ...
+ ... Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit überall einbrechen, ...
+
+ [p. 61]:
+ ... symetrisch aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten ...
+ ... symmetrisch aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten ...
+
+ [p. 78]:
+ ... Dichter«, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst ...
+ ... Dichter, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst ...
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Kurze Aufsätze, by Annette Kolb
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44251 ***
diff --git a/44251-h/44251-h.htm b/44251-h/44251-h.htm
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+</head>
+
+<body>
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44251 ***</div>
+
+<div class="titlematter">
+
+<h1 class="tit" id="part-1">
+<span class="line1">KURZE</span><br />
+<span class="line2">AUFSÄTZE</span><br />
+<span class="line3">VON</span><br />
+<span class="line4">ANNETTE KOLB.</span>
+</h1>
+
+<p class="pub">
+<span class="line1">MÜNCHEN 1899.</span><br />
+<span class="line2">ZU BEZIEHEN DURCH</span><br />
+<span class="line3">ULRICH PUTZE,</span><br />
+<span class="line4">BRIENNERSTRASSE 8.</span>
+</p>
+
+</div>
+
+<p class="printer">
+Bruckmann&rsquo;sche Buch- und Kunstdruckerei, München.
+</p>
+
+
+<h2 class="chapter">INHALT.</h2>
+
+<table class="toc" summary="TOC">
+<tbody>
+<tr><td class="right">1.</td><td class="left">Der Zufall</td><td class="center">Seite</td><td class="right"><a href="#chapter-1-1">5</a></td></tr>
+<tr><td class="right">2.</td><td class="left">Der Frosch</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-2">15</a></td></tr>
+<tr><td class="right">3.</td><td class="left">Adam und Eva</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-3">19</a></td></tr>
+<tr><td class="right">4.</td><td class="left">Le revenant</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-4">23</a></td></tr>
+<tr><td class="right">5.</td><td class="left">L'Oracle</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-5">29</a></td></tr>
+<tr><td class="right">6.</td><td class="left">Herbstlied</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-6">33</a></td></tr>
+<tr><td class="right">7.</td><td class="left">Der Walchensee</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-7">35</a></td></tr>
+<tr><td class="right">8.</td><td class="left">Die Heruntergekommenen</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-8">39</a></td></tr>
+<tr><td class="right">9.</td><td class="left">Skizze</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-9">43</a></td></tr>
+<tr><td class="right">10.</td><td class="left">Das Traumbuch</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-10">49</a></td></tr>
+
+<tr><td class="sub" colspan="4">Musikalisches:</td></tr>
+
+<tr><td class="right">11.</td><td class="left">Eine musikalische Betrachtung</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-2-1">57</a></td></tr>
+<tr><td class="right">12.</td><td class="left">Nemesis</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-2-2">63</a></td></tr>
+<tr><td class="right">13.</td><td class="left">Skizze über die Stellung des heutigen Pianisten</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-2-3">67</a></td></tr>
+<tr><td class="right">14.</td><td class="left">Epilog</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-2-4">75</a></td></tr>
+</tbody>
+</table>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-1">
+<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a>
+<span class="line1">DER ZUFALL?</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
+<span class="firstchar">W</span>as giebt es unvermeidlicheres, berechneteres und
+dabei natürlicheres wie den Zufall?
+</p>
+
+<p>
+Was ist abgefeimter und grausamer oder gütiger?
+Wir können ihn weder anklagen, noch ihm danken. &mdash;
+Nie können wir ihn überführen, ihm die Maske entreissen
+und sagen: »Dies hast du gewollt und über
+mich gebracht.« &mdash; Denn die natürlichste Verkettung
+der Dinge hat es herbeigeführt.
+</p>
+
+<p>
+Was sollen wir mit diesem raffinierten Zufall anfangen,
+der unsere Schritte lenkt und doch nur als ein
+leerer Schleier in unsern Händen bleibt? &mdash; Am besten
+ist es wohl, ihm zu vertrauen; allein man lernt dies
+nur nach Jahren, und nach geprüften Jahren. Erst
+treibt es uns, ihn gewaltsam herbeizuführen, unsern
+Willen dem seinen gegenüberzustellen, und dann erst
+wird der Zufall so recht feindselig und allmächtig!
+</p>
+
+<p>
+Was hängt er nicht alles an eine Begegnung? Ob
+wir eine Minute früher oder später in diese Gasse
+bogen, mag über eine unbeschreibliche Reihe von Unglückstagen
+entscheiden &mdash; sie von uns abwenden oder
+über uns bringen.
+</p>
+
+<p>
+»Es giebt keinen Zufall!« &mdash; sagt Schillers Wallenstein.
+Aber damit sagte er schon zu viel; denn der
+<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a>
+Zufall entzieht sich uns so fern, dass er nicht einmal
+<em class="em">diese</em> Behauptung ermöglicht.
+</p>
+
+<p>
+Als ich in Paris anfing, mit dem Gedanken umzugehen,
+ich wäre am liebsten wieder zu Hause, erhielten
+wir eines Tages aus Marseille einen sorgfältig
+verpackten Schlüssel und einen Brief. Es war ein
+Angebot, die Wohnung einer Dame zu beziehen, währenddem
+diese im Süden weilte und ihr schöner Flügel wurde
+ganz besonders gerühmt, aber wir machten von all dem
+keinen Gebrauch, denn es kam so vieles dazwischen.
+</p>
+
+<p>
+Da plagte mich eines Morgens ein unverkennbares
+Heimweh. Wir wohnten in einer jener engen Strassen,
+die den Himmel versperren und die Menschen zusammendrängen
+wie auf einem Schiff. Draussen war es
+regnerisch und schwül, und ich sehnte mich fort; da
+fühlte ich zufällig unter meinen Fingern den Schlüssel
+jener Wohnung, und um mich gewaltsam aus der
+Stimmung zu reissen, in der ich mich befand, machte
+ich mich zur Stelle auf den Weg nach diesem Hause. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Als ich aber dort die ziemlich hochgelegene
+Wohnung betrat, lag sie in so rabenschwarzer Nacht,
+dass ich alsbald wieder hinunterging, um mir bei dem
+Concierge ein Licht zu verschaffen.
+</p>
+
+<p>
+Dieser hatte indes seine Loge verlassen, und ohne
+auf ihn zu warten, zündete ich mir eine Kerze an
+und eilte wieder hinauf. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Auch nicht ein Schimmer des Tageslichtes drang
+in diese Räume! Eiserne, verriegelte Läden schlossen
+es gänzlich ab, und der Lärm von Paris klang da
+<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
+gar seltsam herein, denn öde war es hier! &mdash; Als hätte
+ein Unglück die Bewohner plötzlich vertrieben, so dass sie
+alles liessen wie es war, nur dem Lichte wehrend, bevor
+sie flohen. Denn nichts war aufgeräumt. Im ersten
+Zimmer stand ein blauseidnes Bett aufgeschlagen und bestaubt,
+vom Baldachin hing eine lange Kordel zerrissen
+herab. Die Kerze beleuchtete nur immer dürftig eine einzige
+Stelle, aber im Vorübergehen sah ich Gegenstände verwahrlost
+herumliegen, zertrümmertes Krystall, zierliche
+Louis&nbsp;XV.-Möbel und einen offenen Schrank. Es war,
+als ob hier Diebe gehaust hätten, und als seien sie
+dann in der Hast über alles davongestiegen. So unheimlich
+war der Anblick all dieser Zimmer, dass ich,
+ohne mich länger umzusehen, den Salon suchte, wo
+der Flügel stehen musste, um dann schleunigst wieder
+fortzukommen. Ich entdeckte ihn denn auch, zwischen
+zwei Fenstern stehend und von einer Decke geschützt.
+Als ich diese zurückschob, hob sich ein Schwarm von
+vielleicht tausend Flöhen und stieb in gerader Linie
+auf mich los.
+</p>
+
+<p>
+Ich fuhr zurück &mdash; wahrscheinlich zu rasch &mdash;
+die Kerze verlosch! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Was dies für mich bedeutete, war mir sofort klar.
+Denn ich hatte im unverantwortlichen und unbegreiflichen
+Leichtsinn die Zündhölzer unten gelassen. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Nie aber würde ich in dieser Finsternis die Hausthüre
+finden, und wenn ich sie fände, niemals unterscheiden
+&mdash; den Weg zurück wusste ich nicht. Es
+waren so viele Zimmer gewesen und kein Gang. Alles
+<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a>
+ineinand geschachtelt, wie es in französischen Wohnungen
+oft ist. Ich tastete nach dem Schlüssel, aber der
+Schrecken hatte mir alle Erinnerung benommen. Ich
+fand ihn nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Mit den Händen fuhr ich der Wand entlang bis
+zum Fenster, allein die Läden mussten einen eigenen
+Verschluss haben und schnitten mir in die Finger, ohne
+zu rücken. Behutsam ging ich vorwärts, vielleicht
+drang doch in irgend eine Kammer ein Schimmer von
+Licht und war von dort aus ein Zeichen möglich, aber
+überall war Finsternis und Staubgeruch als läge ich
+tief unter der Erde.
+</p>
+
+<p>
+Der Concierge würde den Leuchter kaum vermissen,
+den ich unter vielen andern aus seiner Loge fortnahm,
+keinesfalls aber auf mich geraten und die Meinen
+hatten keine Ahnung wohin ich gegangen war, denn
+als ich von Hause fortging war ich allein gewesen. &mdash;
+So war zwar meine Rettung lange noch möglich, noch
+grösser aber die Gefahr, dass ich hier verschlossen und
+vergessen bliebe.
+</p>
+
+<p>
+Meine Wanderungen nach der Hausthüre begannen
+von neuem. Griffe ich sie, so wollte ich dort stehen
+und rufen. Allein ich fand sie nicht!
+</p>
+
+<p>
+Es liess sich keine Thüre von der andern erkennen,
+kein Zimmer, keine Kammer. Einige waren versperrt.
+Wie in einer Falle irrte ich blind umher und wurde
+immer unfähiger, mich zu orientieren; denn von den
+Räumlichkeiten hatte ich die Verhältnisse nicht entnommen,
+und der Ausgangspunkt war mir längs verloren.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
+So musste ich mich meinem Schicksal ergeben. Die
+Zeit verging, und wie rings um mich, so war es jetzt
+auch in meinem Herzen Nacht. Aber statt der Verzweiflung
+kamen mir da plötzlich Gedanken: Was für
+einen Sinn hätte denn ein solcher Abschluss? Welche
+Deutung konnte ich meinem Tode abgewinnen?
+</p>
+
+<p>
+In meinem Leben konnte ich nichts entdecken, aber
+dies Leben selbst erschien mir da merkwürdigerweise
+wie ein arger Schuldbrief, und ich werde wohl nie
+mehr so tief und ruhig zu denken vermögen, wie in
+jenem so hoch über der Erde gelegenem Grab!
+</p>
+
+<p>
+Wie spät es geworden sein mochte ahnte ich nicht.
+Immer wieder begannen meine finsteren Wanderungen,
+mein Tasten nach Thüren und mein Rufen. Meine
+eigne Stimme versetzte mich in solche Angst, dass es
+wie wahnsinnig in meinen Schläfen pochte. Den Hunger
+sah ich schon als meinen Gefährten, und heiss und
+blutig drang mir&rsquo;s nun ins Gehirn. &mdash; Und wie betäubt
+stiess ich zuletzt gegen eine scharfe Kante und
+empfand etwas Kaltes unter meinen Händen.
+</p>
+
+<p>
+Daraus schloss ich, dass ich mich wieder in einem
+Zimmer befand, denn dies fühlte sich wie ein marmorner
+Tisch. Ich fasste ihn mit der andern Hand: da durchzuckte
+mich jäh eine wilde, triumphierende Lebensfreude.
+Was da meine suchenden Finger ergriffen hatten, war
+&mdash; eine Zündholzschachtel!
+</p>
+
+<p>
+Zitternd fachte ich eines an und starrte jetzt auf
+ein gespenstiges Wesen, das mit hohlen Augen unvergesslich
+auf mich blickte.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
+Allein bevor die Angst noch ihre Klammern auf
+mich legen konnte, gewahrte ich den hohen Spiegel, vor
+dem ich stand, woran die schmale Marmorplatte angebracht
+war, an die ich stiess. Lange Kerzen stacken
+da in Kandelabern, und mechanisch zündete ich sie an;
+von meinem eignen Bilde keinen Blick verwendend, denn
+wie von einem Drama war ich hier gefesselt.
+</p>
+
+<p>
+Das Entsetzen auf meiner Stirne, die trostlose Ergebenheit
+meiner Züge, die Todesahnung war auf meinem
+Gesichte geblieben. Obwohl ich mich gerettet wusste,
+immer starrte ich noch wie eine Verlorene.
+</p>
+
+<p>
+Was hinter diesen weitgeöffneten Augen vorgegangen
+war, wusste ich so wohl, der schon wie eingefallene
+Mund, warum er so bitter geschlossen war, das herabgezogene
+Kinn, der zurückgehaltene Grimm. &mdash; Und
+dabei war mir&rsquo;s als erschaute ich das Selbsterlebte nun
+zum erstenmale.
+</p>
+
+<p>
+So blieb ich vor dem Spiegel gebannt, bis meine
+Augen sich verkleinerten und die Farbe, als sei nichts
+geschehen, sich allmählich wieder einstellte. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Der Raum, in dem ich mich befand, war ein
+kleines Durchgangszimmer, und die Begebenheit so einfach
+und natürlich!
+</p>
+
+<p>
+Es hatte hier jemand eine Schachtel Streichhölzer
+vergessen. Weiter nichts!
+</p>
+
+<p>
+Es war eben jener blinde und hundertäugige Zufall,
+jener unberechenbare Stern, der über unser Leben waltet
+und es erhält oder vernichtet.
+</p>
+
+<p>
+Den Schlüssel, die Thür und den Weg ins Freie
+<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
+hatte ich nun bald gefunden; wieder hinab in das
+rege Paris.
+</p>
+
+<p>
+Die Boulevards schimmerten im Abendrot, und die
+Knospen der Bäume waren nach dem Regen hold geschwellt.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-2">
+<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
+<span class="line1">DER FROSCH.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
+<span class="firstchar">E</span>in Frosch sass im nassen <a id="corr-0"></a>Grase, befriedigt und
+wohl aufgeblähet, denn er hatte eben gespeist, und da
+ihm das Verschmauste wohl bekam, so fühlte er sich
+nicht ungeneigt zu philosophieren, zwinkerte behaglich
+mit seinen feuchten Augen und dachte:
+</p>
+
+<p>
+»Was ist doch die Welt so seriöse! &mdash; und machen
+sie alle so fatale Mienen, statt das Leben frisch zu
+nehmen wie es ist! Ich bin zufrieden, und mir geht
+es gut; auch nehme ich die Dinge wie sie kommen!«
+</p>
+
+<p>
+Und obwohl er schon zu viel gegessen hatte,
+schnappte er noch im Übermute nach einer Fliege, die
+des Weges flog, und verzog dann sein breites Maul zu
+einem superiorem Lächeln: Es war doch wirklich alles
+zu dumm!
+</p>
+
+<p>
+So hockte er froh an des Teiches Rand, blickte
+in die laue Luft und hiess die Weltordnung gut. Libellen
+hingen und schwirrten, dicke Waldschnecken schleppten
+sich fort, ein Vöglein jammerte und eine hagere Katze
+schlich umher. Alles beobachtete und genoss der Frosch
+als heitrer Skeptiker und Bon-vivant und plumpste
+dann wieder in den Teich.
+</p>
+
+<p>
+Von Tag zu Tag aber gedieh er, zum Verderben
+zahlloser Mückchen, die enthusiastisch in der Sonne
+<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
+schillerten. &mdash; Kein Wunder, wenn sich der Frosch da
+»hatte« und seine Lebensanschauung sich zu einem
+immer insolenterem System abrundete!
+</p>
+
+<p>
+Und unumwölkt floss sein Dasein dahin, denn jeder
+ist selbst seines Glückes Schmied.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-3">
+<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
+<span class="line1">ADAM UND EVA.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
+<span class="firstchar">D</span>ie Nacht senkte sich vor der Vertriebnen Augen,
+und nach harter Tagesmühe ruhten sie.
+</p>
+
+<p>
+Trauer umfloss der Gefallenen Antlitz, und ob
+des Menschengeschlechtes drang eiserne Schwermut auf
+sie ein. Keine Thräne hatte noch das Weib; es barg
+und vertiefte sich das Weh der Erde in ihrem Schosse
+zur Melancholie, und wortescheu verblieb der Mann,
+als er sich hingewiesen sah an die harte, unbekannte
+Scholle, an die unerbittliche Sonne und dem süssen Mond;
+aber der Welt Zukunft und Not starrte in seinem Geist.
+</p>
+
+<p>
+Dies Paar, ach! war der Atlas!
+</p>
+
+<p>
+Das Echo seiner Qual durchdrang den hellen
+Sinn der Griechen, und eine Weltkugel wälzten sie dem
+GOTTE auf die Schulter, allein ein Menschenpaar ist
+es gewesen, das einst die Last des Werdens kostete
+und trug.
+</p>
+
+<div class="fr" lang="fr">
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-4">
+<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
+<span class="line1">LE REVENANT.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
+<span class="firstchar">U</span>ne nuit je crus errer eu rève dans des siècles
+passés, et je vis des hommes et des femmes dans leur
+vie journalière. Je vis des enfants joner, un laquais
+endormi sur un siège, puis des fruits dans une coupe
+étrange et soudain sur un balcon trempé de pluie
+une jeune dame enveloppée dans une grande robe rose
+et une mante noire.
+</p>
+
+<p>
+Mon esprit alors fut pris d&rsquo;un vertige! &mdash; et sentant
+mon rève, je voulus m&rsquo;en soustraire en le secouant;
+mais lui aussi-tôt, se faisant plus confus, devint si
+pesant, que le coeur oppressé, je le subis. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Alors je me vis appuyé contre une fenêtre à ogives
+à la nuit tombante dans une salle. Brusquement tout
+au fond une porte s&rsquo;entr&rsquo;ouvrit, et un chien s&rsquo;élança,
+de ces beaux chiens de chasse! il s&rsquo;arrèta inquiet, les
+yeux flambants; puis d&rsquo;un mouvement jeune et violent,
+fou de vie et de joie, il se retourna, se jeta vers la
+porte, et frappant le parquet bruyamment de sa queue,
+il attendit, guetta plutôt, pour s&rsquo;élancer sur un homme
+qui entrait. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Lorsque je vis cet homme qui entrait, je sentis mes
+lèvres trembler de tristesse. L&rsquo;on eut dit la vie même,
+et c&rsquo;était un mort! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
+Ah! si vous l&rsquo;aviez vu s&rsquo;avancer d&rsquo;un pas rapide
+en tournant vers sou chien une figure d&rsquo;un contour si
+vif et d&rsquo;une ciselure si étroite, que cette tête si noire se
+détachait des ténèbres comme une tache blanche, tant
+elle était ardente! l&rsquo;illusion, je vous assure, vous eut
+gagné, tout comme moi: cas la vie <em class="em">affluait</em> dans chacun
+de ses gestes; ses yeux étaient chargés et lourds comme
+certaines fleurs, et sur cette figure fougueuse, le regard
+était préocupé et rentré, comme pour se poser très-loin
+sur une vision qui revenait toujours, et faisait sourire
+malgré lui, sa bouche songeuse et cruelle! &mdash; La mort,
+me disai-je, la mort! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Je me sentais si chétif près de cet être si beau,
+pourtant je vivais moi! n&rsquo;était-ce pas mieux que ce
+splendide mirage?
+</p>
+
+<p>
+La mort!? &mdash; mais ce mot même tombait vide
+devant un pareil revenant!
+</p>
+
+<p>
+Ce fut alors, qu&rsquo;il marcha droit vers la fenêtre,
+où je me tenais et que mes yeux purent plonger dans
+les siens pour, en chercher l&rsquo;énigme. Mais hélas! qu&rsquo;ils
+étaient loins, et comme mon coeur se serra! une grande
+douleur fit tomber mes paupières qui brûlaient, et je
+sentis alors s&rsquo;approcher de moi, et m&rsquo;envelopper
+comme l&rsquo;haleine du Printemps; je crus respirer toutes
+les aubépines des bois, et sentir un ciel, des sapins,
+et des ruisseaux clairs: je vis une truite tachetée de
+rose, et de l&rsquo;herbe fraîche et mouillée; et une si
+afreuse nostalgie passa dans mes veines, que j&rsquo;étendis
+un bras éploré vers le spectre, dont la vie m&rsquo;avait
+<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
+ainsi troublé. Mais lui, quoique sa main pesât sur
+mon épaule, son regard, qui semblait déborder, se détournait
+toujours. &mdash; Et, voulant jeter un cri d&rsquo; angoisse,
+qui ne fut qu&rsquo;un souffle, je lui dis: «Je suis
+lá!» et tout mon être passa dans ces pauvres paroles!
+L&rsquo;homme tressaillit, et changeant d&rsquo;attitude, sa main
+tomba. Mais en ce moment même il y eut un bruit
+dans la cour, et je le vis se retourner, faire signe à son
+chien, et sortir. Ni l&rsquo;un ni l&rsquo;autre ne m&rsquo;avaient vu. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Et alors la Nuit se fit plus profonde, et mon coeur
+plus froid. Seul mon cerveau s&rsquo;allumait et marcha.
+</p>
+
+<p>
+Regarde! dit-il à mes yeux devenus fixes de terreur,
+regarde sous ces ténèbres croissans cette salle inconnue,
+et vois ces meubles bizarres! Que peuvent ils te rappeler?
+</p>
+
+<p>
+Rien! sonna-t-il. Puis toutes les roues de mon
+cerveau s&rsquo;ébranlérent avec une vitesse infernale, et j&rsquo;entendis
+un glas frapper au fond de moi-même: LE
+REVENANT, C&rsquo;ÉTAIT MOI!
+</p>
+
+<p class="right">
+1893
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="fr" lang="fr">
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-5">
+<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
+<span class="line1">L&rsquo;ORACLE.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
+<span class="firstchar">E</span>lle était grande et laide, une roche informe et
+nue, qu&rsquo;elle hit éclairée ou à l&rsquo;ombre, toujours triste.
+</p>
+
+<p>
+Un homme s&rsquo;y égara un soir, mais perdant pied
+aussitôt il mourut victime, lui fort et pensant, de cette
+grande chose inerte et brute, et personne ne la montait
+plus. Elle demenrait à l&rsquo;ombre le plus souvent des
+grandes cimes autour, et le soleil ni la lune ne l&rsquo;aimaient.
+Seule la neige s&rsquo;y plaquait lourde et compacte!
+</p>
+
+<p>
+Or en une nuit de lune et de Vent (le monde déjà
+était vieux) quelque chose remua au fond du rocher,
+et l&rsquo;emplit soudain, comme d&rsquo;un profond soupir. Ce
+ne fut qu&rsquo;un instant! quelques caillons roulèrent et un
+peu de neige bleuâtre se détacha. Ce fut tout.
+</p>
+
+<p>
+Mais en cet instant si vague, et d&rsquo;infinie lourdeur
+&mdash; le rocher subit sa propre tristesse sourdement, comme
+la plante comme s&rsquo;éveille l&rsquo;aloès du fond de sa torpeur,
+c&rsquo;est ainsi que sa propre Enigme vint saisir la montagne
+et lui révéla son Mystère, les liens occultes, qui la
+liaient aux longs chagrins et aux incurables misères,
+à tout ce qui est noir ou navrant dans la création.
+</p>
+
+<p>
+Tout cela l&rsquo;enveloppa comme d&rsquo;une Ombre Géante.
+Et un accord vibra en ce domaine silencieux! Une
+source s&rsquo;agita affolée! elle mouta brûlante et profonde
+jusque à l&rsquo;ivresse, pour tarir aussitôt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
+Mais la Terre &mdash; si rèveuse en ces nuits de Lune
+et de Vent tressaillit et appela. Alors des milliers
+d&rsquo;ombres se dégagèrent des plis de Ténèbres et s&rsquo;agitèrent
+autour du rocher éteint pour saluer l&rsquo;Idée &mdash; le
+Symbole &mdash; l&rsquo;Oracle enfin qui venait de parler.
+</p>
+
+<p class="right">
+1893
+</p>
+
+</div>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-6">
+<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
+<span class="line1">HERBSTLIED.</span>
+</h2>
+
+<div class="poem">
+ <p class="line">Herbstlich sinkt der Tag nun.</p>
+ <p class="line">Herbstfarb&rsquo;nes Licht, so sanft wie süsser Ton,</p>
+ <p class="line">Zart wie bedeutsamer Traum,</p>
+ <p class="line">Der uns beglückend streifte in der Flucht.</p>
+ <p class="line">Ach weile, guter Herbst!</p>
+ <p class="line">Dein ist der tönendste Ton im Jahr!</p>
+ <p class="line">Musik der Dämmerung ist deine Stunde,</p>
+ <p class="line">Beruhigte Leidenschaft dein tiefer Blick.</p>
+ <p class="line">Ist Verfall dein Sinn?</p>
+ <p class="line">Oder lächelst du über den Tod? &mdash;</p>
+</div>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-7">
+<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
+<span class="line1">DER WALCHENSEE.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
+<span class="firstchar">D</span>ie Berge zogen ihre hohen, sanften Linien in der
+bleichen Dämmerung. Ahnungsvoll schien jede Senkung,
+jede Matte, jeder Schatten, und stumm hielten die Tannen
+hart am Ufer Wacht. Und Luna zog langsam mit
+ihrem Gefolge weissgeballter Wolken hinter den Spitzen
+der Berge einher.
+</p>
+
+<p>
+Kein Sternengefunkel störte noch des Himmels Ruh&rsquo;!
+Und wie tief kündete sich da die Nacht, wie fern
+schien da Aurora, als käme nimmer der frühe Tau,
+noch die strahlende Sonne zurück.
+</p>
+
+<p>
+»Ach!« seufzte da eines Menschen Stimme, »käme
+nimmer der Morgen!«
+</p>
+
+<p>
+Doch plötzliches Entsetzen fasste ihn alsbald, und
+starre Angst trieb ihn dem Gestade entlang, war es
+ihm doch, als hätte er hier Schatten ins Bewusstsein
+gerufen und aufgescheucht, als sei ihm das verhängnisvolle
+Wort entfahren, das diesem See und dieser Natur
+geheimnisvoll zu Grunde lag, und als seufzte nun alles
+rings um ihn, von jeder Felswand rauschend und vom
+Strande wiederhallend, ein traumversunkenes und im
+Traum gefundenes Echo:
+</p>
+
+<div class="poem">
+ <p class="line">Ach, käme nimmer der Morgen!</p>
+ <p class="line">Käme nimmer der Morgen!</p>
+</div>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-8">
+<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
+<span class="line1">DIE HERUNTERGEKOMMENEN.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
+<span class="firstchar">A</span>ls die Nacht hereingebrochen war und der kalte
+Zug durch die Fensterspalten blies, da wurde es auch
+stille in dem langen Gang, wo die Ahnenbilder hingen
+unverrückt an der dunklen Wand und die Finsternis
+über sich ergehen liessen wie über ihre Gräber. Allein
+die Nachkommen dieser längst verblichnen Leute wohnten
+noch in dem alten Schloss und fanden keine Ruhe,
+denn sie wollten und wünschten mit der wilden Kraft,
+die sie von den Vätern geerbt! Währenddem die Nacht
+sich immer tiefer senkte, schlief da Keins. Alle hofften,
+fürchteten und sehnten sich zu sehr in diesen alten
+Mauern, als dass der Schlaf sich ihnen rettend nähern
+konnte. Den hielt der Hass und den die Liebe, alle
+aber hielt der Lebensdrang, die Heftigkeit des Wunsches
+und die trübe Ahnung des Unerfüllbaren wach.
+</p>
+
+<p>
+Die Väter hatten so froh genossen und so wilden
+Auges gelebt! Sie glichen sich alle in Miene und Blick,
+und Generationen hindurch verzehrten sich die schönsten
+Frauen in Liebe um dies Haus!
+</p>
+
+<p>
+Das Glück aber hielt treue Wacht und zog goldene
+Gitter um seine Günstlinge.
+</p>
+
+<p>
+Einem breiten glänzenden Strome glich dies Geschlecht,
+der schimmernd die schönsten Lande durchzieht,
+<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
+Wälder und hohe Gipfel, glänzende Städte und
+den ganzen Himmel lachend wiederspiegelt.
+</p>
+
+<p>
+Zöge sich doch mein Herz nicht zusammen, als
+ich dieses Vergleichs gedenke! Denn nach hundert
+Jahren erlosch ein Stern: der herrliche Fluss rauschte
+weiter; da veränderte sich sein Bett. Hoch und furchtbar
+drangen kahle Felsenwände auf ihn ein, qualvoll
+türmte sich da das tiefe Gewässer und wütete gegen
+die hemmende Wand.
+</p>
+
+<p>
+Sein schrecklicher Schall tönte betäubend durch die
+Welt. Unerbittlich aber verengten sich noch die Thore,
+und der Fluss brach sich heulend seine Bahn. Als
+wilder <a id="corr-1"></a>umdunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. &mdash;
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-9">
+<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
+<span class="line1">SKIZZE.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
+<span class="firstchar">V</span>or Jahren fiel mir ein Buch in die Hände, dessen
+Titel ich mich nicht mehr entsinnen kann, es war
+eine Übersetzung aus dem Griechischen und mit vielen
+Anmerkungen versehen, wovon eine einen alten Spruch
+citierte, der mir immer im Gedächtnisse blieb. Die
+Worte erinnere ich mir nicht, nur den Sinn, und
+der war folgender.
+</p>
+
+<p>
+»Nicht der Mann ist die Weisheit, nicht die Frau
+ist die Liebe: Die Frau ist Weisheit, der Mann ist
+Liebe. Des scheinbaren Umtausches sich nicht bewusst,
+sucht der Mann in der Frau seine eigne Liebe,
+die Frau im Manne ihre Weisheit wieder.«
+</p>
+
+<p>
+Dieser Spruch schien mir nach und nach so
+manches Unerklärliche und Unvereinbare, das in jenen
+Beziehungen nicht zu begleichen schien, schärfer zu
+beleuchten.
+</p>
+
+<p>
+Ein »ganzer Mann« wird einer Frau in so entscheidenden
+Punkten überlegen sein, dass nur die tiefere
+Weisheit des schwächeren Teils ein Gleichgewicht herzustellen
+vermag und in jener Weisheit allein die
+Möglichkeit liegt, den Blick dieses Mannes ganz wiederzuspiegeln.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
+Ist dieser Spiegel getrübt oder zu stürmisch oder
+zu seicht, so wendet der Blick sich ermüdet ab und
+sehnt und sucht nach andern Augen, die wieder versprechen
+und wieder enttäuschen.
+</p>
+
+<p>
+Umgekehrt sehen wir oft ganz unbedeutende Männer
+von einem weiblichen Wesen dauernd gefesselt, von
+dem sie nie Kenntnis gewinnen können, in dem aber
+die Weisheit verborgen liegt, die sie mit dumpfer Sehnsucht
+erfüllt. Eine solche Frau, deren innere Entwicklung
+ihren eigenen Weg zu folgen bestimmt war, sieht
+oft zu ihrem stillen Befremden einen ihr so fremden
+Mann so treu an ihrer Seite.
+</p>
+
+<p>
+Was nun mit jener Weisheit in dem alten Spruche
+gemeint war, ist sicher nicht die Lebensklugheit noch
+Schärfe oder Kraft des Geistes, denn die wohnen alle
+dem Manne viel thätiger inne. Sie wird wohl eher
+dem Meeresspiegel vergleichbar sein, der tiefer und
+beschaulicher wird, je mehr sich darin versenkt. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Jeder kennt jenes eigentümliche Gefühl, das ihn
+angesichts der gleichgültigsten Dinge anwandeln kann,
+ihn zwingt, innezuhalten und Gedanken einzulassen,
+die von aussen auf ihn einzudrängen scheinen und
+deren Bewandtnis er noch nicht erfasst.
+</p>
+
+<p>
+So stand ich einmal auf einem weiten, freien Feld
+und dachte an die Druiden, wie die Welt in ihnen
+wiederhallte, in sie drängend wie ein Strom, so dass
+sie ihr das Rätsel fast entrieten und, von ihrer Ahnung
+überwältigt, Wahrheiten stammelten &mdash; in undurchdringlichen
+Worten.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
+Da fiel mir &mdash; anscheinend schauerlich unzusammenhängend
+&mdash; der Don Juan ein!
+</p>
+
+<p>
+War etwa <em class="em">hier</em> ein Gegensatz? &mdash; War hier
+<em class="em">etwas</em>, was sich deckte?
+</p>
+
+<p>
+Ich weiss es nicht. &mdash; Aber mit einem Male begriff
+ich, wie sich der Zauber und die Tragik im Dasein
+zweier Geschlechter in jener dunklen Gestalt und ihren
+Opfern sublimieren konnte, und ich begriff den klärenden
+Schein, den Mozart um sie wob.
+</p>
+
+<p>
+Trat in diesem Wesen irgend ein verborgenes Gesetz
+in Kraft und blieb das nie Erreichte auf weit abliegender
+Bahn und keinem füglichem Gebiet verwiesen? &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Lag etwa im Blicke der Veleda jene Ruh&rsquo;, die
+Don Juan in jedem schönen Auge suchte, jenem andern
+Zuge folgend, der die Liebe so unendlich adelt? &mdash; Und
+lag seine eigne Gewalt in seiner eignen Sehnsucht? &mdash;
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-10">
+<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a>
+<span class="line1">DAS TRAUMBUCH.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a>
+<span class="firstchar">M</span>an wirft mir so gerne vor, dass ich nicht
+schreibe! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Aber erstens! &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Und zweitens gehört hiezu doch auch eine leidliche
+Erfindungsgabe, und ich bin nur deshalb so leichtgläubig,
+weil ich auf das Gegenteil von dem, was man
+mir sagt, von selbst gar nicht gerate, eine solche Veranlagung
+ist nicht eben produktiv!
+</p>
+
+<p>
+Über Gegebenes, Menschen wie Dinge, kann ich
+lange und eindringlich nachdenken, nur muss ich sie
+haben! &mdash; Aus der Luft greife ich nichts, denn eine
+unübersteigbare Kluft trennt mich von jener Fähigkeit
+zu schaffen, die so beglückend und erhebend sein muss
+und wohl deshalb so selten ist.
+</p>
+
+<p>
+Die einzige Genugthuung jedoch, welche mir diese
+endlich errungene Erkenntnis bot, war, dass ich mich
+frei sprechen konnte von aller Schuld, wenn keine
+Gedichte und keine Romane aus meiner Feder flossen,
+denn wie viel besser wusste ich als alle andern, dass
+ich keine zu stande brachte!
+</p>
+
+<p>
+Als ich aber hierüber noch nicht im Reinen war
+und mir die Menschen so manches versicherten, was
+mich nicht überzeugen konnte und doch sehr verdross &mdash;
+<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a>
+fasste ich einmal einen verzweifelten Plan, den ich auf
+die äusserste Spitze treiben wollte und einem Mann von
+Fach zu eröffnen beschloss.
+</p>
+
+<p>
+Ich liess mich bei ihm melden und erhielt einige
+Tage darauf ein zierliches Briefchen, worin er mich
+auf sein Landgut zu einer Unterredung berief.
+</p>
+
+<p>
+Nun hatte ich nachts bevor, folgenden Traum: Ich,
+die nie im Leben geritten war, sass plötzlich hoch zu
+Ross, ritt andern Reitern, die mich beschworen einzuhalten,
+voran, liess mich dann langsam herabgleiten
+und stieg die Treppe zu unserm Hause hinauf.
+</p>
+
+<p>
+Dann erwachte ich. &mdash; Da jedoch dieser Traum
+sehr lebhaft in meinem Gedächtnisse haften blieb, so
+schlug ich in meinem Traumbuch nach, ob eine Deutung
+darauf stünde und las folgendes: »Unterlasse nicht,
+was du vorhast!« Mir aber kam diese Weisung wirklich
+wie gerufen, denn schon lange wollte ich einen recht
+flagranten Beweis in Händen haben, der mich von
+meiner Leichtgläubigkeit endgültig kurierte. Derselbe
+Abend sollte mich ja noch belehren!
+</p>
+
+<p>
+Dann verliess ich mein Haus und nahm den Zug.
+</p>
+
+<p>
+Das Wetter war leuchtend, und zuletzt führte mein
+Weg auf einem schmalen Fusspfad durch ein hohes
+Kornfeld.
+</p>
+
+<p>
+Ganz ergriffen hielt ich da inne; denn die Welt
+war an diesem Tage zu schön, ihr Schein zu unbeschreiblich!
+</p>
+
+<p>
+Ovid&rsquo;s Verwandlungen berührten mich mit einemmale
+als naturgemäss, und mir war, als würde ich
+<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a>
+selbst zu jenem singenden, summenden Kornfeld, so sehr
+entzückte mich gerade an dieser Stelle das goldene Leben
+unserer Erde.
+</p>
+
+<p>
+Doch nur wenig Schritte trennten mich von der
+Besitzung, in der meine Autorität hauste, und nun
+erschien mir mein Plan erst recht in seiner ganzen
+Unausführbarkeit.
+</p>
+
+<p>
+Eine Stunde später ging ich denn auch sehr gemessen
+denselben Weg wieder zurück: Zuerst war der
+Mann von Fach sehr ernsthaft drei Schritte zurückgewichen
+und hatte mich angestarrt. &mdash; Aber in sein
+langes herzliches und eindringliches Lachen musste ich
+am Ende doch einstimmen.
+</p>
+
+<p>
+Träume! dachte ich nun und wurde nachdenklicher
+mit jedem Schritt, denn manches schien mir doch recht
+befremdend auf der Welt.
+</p>
+
+<p>
+Wie kam es zum Beispiel, dass die Alten, diese
+klugen, spöttischen Griechen, denen die Wirklichkeit so voll
+genügte, solche Acht auf ihre Träume hielten, dass die
+Geschichte selbst sie uns ganz ernsthaft mit Daten und
+Thatsachen bringt? Vor jedem Schlachtenberichte stehen
+sie da als Avantgarde, und jeder Feldherr klügelt über
+den seinen!
+</p>
+
+<p>
+Nun denke man sich nur einen modernen Geschichtsschreiber
+Napoleon&rsquo;s oder Bismarck&rsquo;s Träume
+und dann zum Schluss noch seine eignen verzeichnend.
+Und das mit der gebietenden Miene eines Plutarch!
+</p>
+
+<p>
+Wäre es möglich, dass hier etwas dahintersteckte
+und es uns verloren ging?
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a>
+Sonst dienen uns doch die Alten so gerne als
+Vorbild.
+</p>
+
+<p>
+Wer aber würde sich heutzutage mit derlei befassen?
+Die eigentliche Bibliothek des Traumbuchs
+ist die Küche geworden und geschwätziges oder ungebildetes
+Volk beratschlagen es. Nur ich besass noch
+eins, kraft jener Erfindungsunfähigkeit, jener Sucht zu
+glauben, und auf glaubwürdiges zu lauern. Alle
+Exzesse und Irrtümer stehen da offen.
+</p>
+
+<p>
+So dachte ich, von dem wogenden Kornfeld nicht
+länger impressioniert, im Dämmerlichte des sinkenden
+Tages einhergehend und eignem Grübeln.
+</p>
+
+<p>
+Da plötzlich unerwartet, ungeahnt &mdash; stand vor
+meinen bestürzten Augen nicht das Gelingen meines
+Planes &mdash; eine andre Erfüllung, die meinen Traum
+wachrief wie mit einem langgedehnten Ruf, und wie
+einen kalten Hauch empfand ich meine eigne Blässe.
+</p>
+
+<h1 class="part" id="part-2">
+<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a>
+MUSIKALISCHES.
+</h1>
+
+<p class="motto">
+MOTTO: Wollen wir hoffen?
+</p>
+
+<p class="signature">
+Richard Wagner, X. Band.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-2-1">
+<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a>
+<span class="line1">EINE MUSIKALISCHE BETRACHTUNG.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a>
+<span class="firstchar">V</span>or einem mit Plakaten reich übersäten Kioske
+innehaltend, sagte kürzlich einer zu seinem Freunde:
+</p>
+
+<p>
+»Sieh doch die vielen Konzerte! Bis über die
+Wände hinaus klettern die Annoncen!«
+</p>
+
+<p>
+»Das ist schön!« rief der andere. »Da hast du
+unser liebes kunstsinniges München!«
+</p>
+
+<p>
+»Ja, da hast du&rsquo;s!« brummte wieder der eine.
+</p>
+
+<p>
+Und wie es so geht auf dieser Welt, als sie eine
+kleine Strecke weiter gegangen waren, fingen sie fürchterlich
+zu streiten an. In der Hitze jedoch gebieten wir selten
+über die überzeugenden Worte, selbst wenn wir im Rechte
+sind, und grad ein Philister hat da oft leichtes Spiel.
+</p>
+
+<p>
+Hier siegte denn auch der, dem beim Anblick der
+vielen Plakate das Herz freudiger schlug, und selbstbewusst
+und heiter kehrte er nach Hause zur Gattin.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie verdrossen ging der andre heim! Fiel
+ihm doch jetzt erst alles ein, was er im Eifer nicht
+fand; und wie sicher gestaltet sich nun seine Rede in
+den dunklen Strassen!
+</p>
+
+<p>
+Immer feuriger ging er einher, als müsste er
+Schritt halten mit seinen Gedanken, und sah recht
+närrisch dabei aus!
+</p>
+
+<p>
+Hier sei auch mir eine Bemerkung gestattet: Wage
+<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a>
+ich mich zwar jetzt mit dem Sprüchwort: Kinder und
+Narren etc. vor, so werde ich allerdings dem Vorwurf
+grosser Alltäglichkeit nicht entgehen, bringt uns heute
+doch fast jeder Plato&rsquo;s finstre Höhle (die Höhle, ach,
+du lieber Gott, in der wir alle so gemütlich sitzen!),
+oder citiert jene grosse Neuigkeit von dem grössten
+Tragiker, nicht wahr, der zugleich etc.&nbsp;.&nbsp;.&nbsp;.&nbsp;. Denn
+nur in solchen und ähnlichen Reminiscenzen ergehen
+sich nunmehr unsere gewandten Bücher und halten
+streng an die Devise unsres Jahrzehnts:
+</p>
+
+<p class="center">
+»Kaviar für Alle.«
+</p>
+
+<p>
+Vollends Sprüchwörter!
+</p>
+
+<p>
+Gut, so will auch ich das meine nicht zu Ende
+sagen, doch bitte ich euch, lasst uns hören, was der
+Narr erzählte:
+</p>
+
+<p>
+»Wie alt«, rief er, »wie alt ist doch die Klage
+nach entschwundenen Zeiten! Kein Zauber beschwört
+Vergangnes herauf! Wie der Regen, den die Erde so
+begierig trinkt, um dann wieder trocken zu werden
+und hart, so verschwinden spurlos nicht geträumte,
+ach! <em class="em">erfüllte</em> Ideale von der Welt!
+</p>
+
+<p>
+Wer ist es gewahr, dass Schritt für Schritt das
+Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit <a id="corr-2"></a>überall einbrechen,
+dass rasch und unbemerkt eine Epoche von uns
+scheidet? &mdash; Erst wenn sie sich ganz unsern Augen
+entrückte, erst dann wird die Verlorne im wahren Relief
+vor uns stehen. Aber wie Walther von der Vogelweide
+um zartere Minne, so werden wir umsonst darum klagen!
+Und inzwischen stellen wir uns blind und taub und
+<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a>
+lassen die Verwilderung um sich greifen! Nur ein
+sehendes Auge sieht die verlöschenden Fackeln, und nur
+dem feinen Ohre ist das wirre Gekreische vernehmbar.«
+</p>
+
+<p>
+(Schade, dass der Mann seine Reden nicht schön und
+<a id="corr-3"></a>symmetrisch aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten
+wilde Sprünge, und kamen dann im Bogen wieder.)
+</p>
+
+<p>
+»Wisst ihr,« rief er da plötzlich, »dass jener thatsächliche
+Plan, sich per Eisenbahn bequem auf die
+Jungfrau zu begeben, nichts anderes ist als ein Symbol
+unsrer Zeit?
+</p>
+
+<p>
+Denn nichts Höheres bedeuten unsre täglichen Konzerte,
+unsre Drehorgelorchester, und unsre ganze nivellierte
+Kunst. Überall ist der Pöbel ausgebrochen, zwar
+ein wohlgenährter, gut gekleideter und siegreicher Pöbel,
+aber erst recht der des Coriolan!
+</p>
+
+<p>
+Es haben uns doch die Besten gesagt und die
+wenig Grossen bewiesen, wie aristokratisch die Natur verführt,
+wie scheu und sparsam sie ihre vornehmste Blume,
+die der Kunst, auf ihren höchsten Gipfeln treibt, nur
+ganz Bevorzugten nach harter Mühe erreichbar.
+</p>
+
+<p>
+Was deutet uns ein zusammengepresster staubiger
+Büschel Edelweiss, an einer Strassenecke schreiend feilgeboten?
+Aber steil wie das Edelweiss und geheimnissvoll
+wie die Aloë ist die Kunst! Pöbelhaft war es daher
+von uns, sie mit Gewalt erstürmen zu wollen, und ein
+grober und hässlicher Wahn lag dieser »Massenbewegung«
+zu Grunde. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Denn als wir allesamt anfingen sie zu duzen, was
+war da natürlicher, als dass uns die Kunst entfloh?
+<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a>
+Ihren letzten müden Strahl, an dem wir zehren, halten
+wir nun für den »Morgenschein kommender Aeren!«,
+und keiner sieht, keiner weist auch nur von fern auf
+unsern deutlichen Verfall.
+</p>
+
+<p>
+Ob wohl je die Menschen vor einem solchen Wendepunkt
+gestanden sind?
+</p>
+
+<p>
+Ob ein ähnliches Phänomen die Griechen einst
+zu Grabe läutete? und ob nach Überwucherung der
+damaligen Kräfte ein ähnliches Schlingkraut die Erde
+überzog?
+</p>
+
+<p>
+Wer wüsste es zu sagen!? Blühten nicht damals
+die Redner und Bildhauer plötzlich in frecher Überzahl,
+just wie jetzt Kapellmeister und Solisten?
+</p>
+
+<p>
+Ehe man sich dann versah, verklang das ganze
+hohe Lied in Düsterkeit und Barbarei. Sind wir etwa
+wieder da angelangt? &mdash; Das wäre wohl auch hier
+die Frage!
+</p>
+
+<p>
+»Aber nichts wiederholt sich«, murmelte der Mann.
+</p>
+
+<p>
+Er war auf der Brücke angelangt, und der rasche
+Fluss schien ihm neue Einfälle zuzutreiben, denn er
+stand lange und sann, wie wohl der Mann beschaffen
+sein musste, der unsre abwärts gehende Fahrt zu hemmen
+vermöchte und neues Land eroberte.
+</p>
+
+<p>
+Über diesen gewaltigen Geist dachte der gute Kerl
+lange nach und ging dann brav nach Hause.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-2-2">
+<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a>
+<span class="line1">NEMESIS.</span><br />
+<span class="line2">Eine zeitgemässe Betrachtung.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a>
+<span class="firstchar">D</span>ass die Welt ihre grossen Menschen so vielfach verkannte,
+trug besonders für die Kleinen schlimme Folgen.
+</p>
+
+<p>
+Denn die Grossen kommen über kurz oder lang
+darüber hinweg (sei&rsquo;s nur, indem sie das Leben überwinden!),
+und ihre Landsleute halten dann frohlockend an
+ihre Namen als an ihr Eigentum fest; und starben diese
+Grossen im Elend, so trägt das Schicksal und der Einzelne
+die Schuld, denn die Allgemeinheit rettet sich ja stets.
+</p>
+
+<p>
+Dass es das ewig selbe Spiel bleibt, übersieht man,
+und klüger wähnen sich die Menschen jedesmal geworden,
+wenn sie pietätvoll ihren grossen Toten Säulen, Monumente
+und Brunnen errichten.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Rache gräbt unermüdlich, und alles rächt
+sich tausendfach!
+</p>
+
+<p>
+Weil der Flecken nun so klar am Tage liegt, wie
+taub und blind wir für unsre Helden waren &mdash; glaubt
+ihr, darum sei er getilgt und der urteilslose Unverstand
+samt seinen Folgen abgeschafft?
+</p>
+
+<p>
+<em class="em">Ein</em> Unterschied ist freilich da: der Vielbescholtne
+krankt nunmehr an seinem üblen Ruf, darf nicht
+mehr schelten &mdash; wagt es nicht &mdash; und lässt geschehen.
+Flugs dehnen sich da kleine Menschen himmellang, und
+bleibt die Menge scheu vor ihren Produktionen, so verzagen
+sie nicht mehr, denn die berühmtesten Vorbilder
+<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a>
+schweben ihnen vor, und die Tradition der Verkannten
+haben sie ja für sich!
+</p>
+
+<p>
+»Wirklich?« fragen sie mit einem unendlichen
+Lächeln, »mein Werk gefällt euch nicht?«
+</p>
+
+<p>
+Da blickt einer zaghaft zum andern, und einer
+nickt, und kleinmütig nicken sie alle, denn sie sind die
+junge Generation und büssen für den Unverstand der
+alten <em class="em">umgekehrt</em>!
+</p>
+
+<p>
+Das grosse eine Merkmal des Schönen, dass es
+zwanglos um sich greifen und unfehlbar, sei ihre Zahl
+vorerst noch so gering, die Herzen treffen <em class="em">muss</em> &mdash; auf
+dieses eine Merkmal, das doch zugleich auch unsre
+eigne Würde rettet, auf dies pochen wir nicht mehr,
+denn unsre Augen sind nicht unschuldig genug, und
+unsre Vergangenheit ist zu sehr getrübt!
+</p>
+
+<p>
+Den Lohn tragen wir nun davon! Auf dem schönen
+Erdreich, dem wir keine Frucht entnahmen, schiesst
+das Unkraut so munter wie nur je empor, und auf
+geweihtem Acker kauert dieselbe alte Schlange!
+</p>
+
+<p>
+Und die grossen Menschen?
+</p>
+
+<p>
+Je nun, man weiss vorerst nie, wo sie stecken, und
+sie haben nach wie vor ihre Müh&rsquo;. Auch sind die
+Zeichen nicht günstig. Aber vielleicht wirft uns die
+Flut der Zeit wieder einen ans Land, der den Weg
+wüsste aus all den verschlungenen Pfaden heraus und
+sich zur Stunde grämt, weil ihn der breite Fluss des
+Irrtums überrauscht!
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-2-3">
+<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a>
+<span class="line1">EINE SKIZZE ÜBER DIE STELLUNG DES KLAVIERS UND DER HEUTIGEN PIANISTEN.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a>
+<span class="firstchar">E</span>s ist in jüngster Zeit förmlich zur Redensart
+geworden, die Pianistenfrage kurz damit abzufertigen,
+indem man sagt. »Das Klavier interessiert mich nicht.«
+Was aber schlimmer ist wie Redensarten, und was
+mancher wohlgeschulte Pianist in München zu seinem
+bitteren Nachteil erfahren musste: Das Wort wird zur
+negativen That: er sieht nämlich sein Konzert mit
+knapper Not von Freunden und Bekannten, etlichen
+alten Leuten und den obligaten Kritikern besucht, die
+am nächsten Morgen ihr Bedauern über den »leeren
+Raum« zu Drucke bringen &mdash; und das eigentliche
+Publikum bleibt weg.
+</p>
+
+<p>
+Der Künstler selbst wird diese seine moderne Unpopularität
+natürlich nicht ohne Erbitterung wahrnehmen
+und sich nicht sehr erbaulich über die alte
+Musikstadt und ihr gepriesenes Entgegenkommen äussern.
+</p>
+
+<p>
+Nun gehe ich von jener alten paradoxalen Wahrheit
+aus, dass sich zwar in der Masse Irrtum und
+Unverstand wie von selbst potenzieren, dass aber trotzdem
+das Publikum in seinen Sympathien recht behält,
+und es sich jedenfalls der Mühe lohnt, nach dem
+Grunde zu forschen, wenn es sich einer öffentlichen
+Kundgebung gegenüber hartnäckig abgeneigt verhält.
+<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a>
+Ich möchte hierin für das Münchner Publikum sogar
+eine gewisse Unbeirrbarkeit beanspruchen, und gewiss
+birgt diese Stadt ein nennenswertes Kontingent wirklicher
+Musikkenner. Ohne mit dem Finger darauf
+weisen zu können, fühlt man es bei Gelegenheit deutlich
+durch, und dieses Kontingent sichert dort dem
+Grossen und Echten, selbst wenn es neu und ungewohnt
+ist, fast immer den Sieg.
+</p>
+
+<p>
+Nun ist München merkwürdigerweise eine geradezu
+pianistenfeindliche Stadt geworden, und ohne die Gründe
+ihrer Abneigung lange zu analysieren, ist sie ihnen im
+vornherein abhold; ja, die Pianisten zählen dort allgemach
+zu den verdrossenen Typen, und es ist jetzt
+Mode, die einst so Gefeierten trotz ihrer bedeutsamen
+Haartracht zu ignorieren.
+</p>
+
+<p>
+Da jedoch eine Abneigung, um sich selbst gerecht
+zu werden, stets motiviert werden sollte, so sei hier der
+Versuch gemacht, die eigentümliche Stellung zu bezeichnen,
+welche das Klavier heutzutage in künstlerischer
+Hinsicht einnimmt, und welche wir am besten gleich
+im voraus eine »schiefe Stellung« nennen wollen, um
+das Wort später erläutert zu sehen.
+</p>
+
+<p>
+In der Musik sind wir anerkanntermassen das
+erste Volk der Welt. Was wir aber mit dem Klavier
+angefangen haben, oder vielmehr, was wir daraus
+werden liessen, damit ist wieder einmal ein Beweis geliefert,
+wie leicht, uns der simple gute Geschmack im
+Stiche lässt!
+</p>
+
+<p>
+Wir Deutsche stehen überhaupt mit dem Geschmack
+<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a>
+und was er im höheren Sinne bedeutet: Formensinn
+und Grazie, auf etwas gespanntem, misstrauischem Fusse
+und fühlen uns nicht ungeneigt, dies alles als frivol
+zu taxieren. Kommt uns aber dann einmal der künstlerische
+Takt abhanden, so sind wir uns zwar wohl
+unsres künstlerischen Ernstes, aber eben weil wir des
+Taktes vergassen, unsrer Schwerfälligkeit nicht bewusst &mdash;
+und nur so ist es möglich, dass ein Übel, ein grober
+Irrtum, der sonst unsrer ganzen Richtung widerspricht,
+sich auf eine wirklich ungeheuerliche Art auswachsen
+und verbreiten konnte.
+</p>
+
+<p>
+Auf besagte Weise ist nun in dem musikalischen
+Deutschland das Klavier von seiner ursprünglichen Bestimmung
+abgekommen, hat sich eine Stellung angemasst,
+die ganz und gar nicht die seine ist, und wurde, nachdem
+es auf diesem neuen Boden das Publikum eine Weile
+verblüffte, von demselben verpönt. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Diesem beklagenswerten Verfall &mdash; die Folge rein
+äusserlicher Gründe &mdash; sollten wir nach Kräften entgegenwirken.
+</p>
+
+<p>
+Unsre grössten Klassiker haben nicht umsonst in
+edler Würdigung dieses Instruments ihre herrlichen
+Meisterwerke dafür geschaffen. Aber leider ist es ebenso
+wahr, dass sie dabei kaum einen unsrer modernen
+Pianisten, wie sie jetzt landläufig sind, als Exekutant
+im Auge hatten, noch dass sie dieselbe Idee vom Klavierspiele
+hatten wie er! Eine ganz kleine Sylbe trennt
+hierin die alte von der neuen Zeit: Sahen unsre Meister
+im Klavier ein stets verfügbares! Mittel, die mannigfachsten
+<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a>
+reichsten Tongebilde auf dem dürftigen Holze
+zu resümieren und zur Wiedergabe zu bringen &mdash; ein
+ideales Abstraktum &mdash; ein unschätzbares Mittel zum
+Zwecke musikalischer <em class="em">Re</em>produktion, so sieht hingegen
+der moderne Virtuos in seinem Instrument lediglich ein
+<em class="em">Pro</em>duktionsfeld. Nicht Mittel ist es ihm, sondern
+Zweck, und zwar sich selbst will er produzieren!
+Über einen so unkünstlerischen Standpunkt ist weiter
+kein Wort zu verlieren.
+</p>
+
+<p>
+Nennt man mir aber Franz Liszt als Beleg für
+die Berechtigung des modernen Pianisten, so werde ich
+erwidern, dass er eine Einzelerscheinung, ein ganz
+für sich gehendes musikalisches Phänomen vorstellt
+wie die Duse etwa für die Bühne, beide aber in dieser
+Hinsicht gleich wenig berufen, Bahnen zu eröffnen,
+denn es sind künstlerische Typen, deren Wert und Reiz
+eben in ihrer Eigentümlichkeit beruhen. Liszt&rsquo;s Mähne
+auf einem anderen Köpflein ist ebenso unbefugt, als es vermutlich
+die Mimik der Duse bei einer anderen Schauspielerin
+wäre, denn auch diese findet ihre Berechtigung
+in einer ganz individuellen künstlerischen Beschaffenheit,
+aber gewiss nicht als künstlerisches Moment! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Und dieser Vergleich, wenn er sich nicht vollkommen
+deckt, mag immerhin dazu dienen, den Fall
+näher zu beleuchten: So wie die grosse Tragödin ihre
+<em class="em">eigne</em> Individualität auf der Bühne in tausend Nuancen
+schillern und erklingen lässt, mithin nicht die eigentlichen
+Heldencharaktere, wie sie unsre grossen Geister
+schufen, zur Gestaltung bringt, sondern auf dem nächsten,
+<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a>
+oft sogar dem nächstbesten Wege ihre ganz persönliche
+Empfindungsweise, ihre moderne Seele zur Mitteilung
+bringt, so verlässt auch der Pianist auf dem
+klassischsten aller Instrumente das ursprüngliche Gebiet,
+und nicht so sehr musikalische Werke, als seine eigne
+Person führt er uns vor, um sie unsrer Aufmerksamkeit
+aufzudrängen. Die moderne Klavierlitteratur ist
+nicht anders als im engsten Bündniss mit jenem Irrtum
+entstanden, den Virtuosen als Alleinherrscher vor
+seinem dadurch fraglich gewordenen Instrument hinzustellen,
+und beide hiemit zu vernichten.
+</p>
+
+<p>
+Denn wie thatsächlich das schönste Klavier unter
+den Jonglerien und der schaudervollen Gewandtheit
+eines Virtuosen zur unmusikalischen Plage wird, so
+denkt man auch heute unwillkürlich bei dem Worte
+»Musiker« an einen Geiger, Cellisten oder Sänger und
+nicht sobald an den Pianisten, der mitsamt seinem
+Instrument und seiner pompösen Spezial-Litteratur aus
+diesem Bunde ausgetreten zu sein scheint, seitdem er
+sich auf dem kolossalen Irrtum einschiffte, ein eignes,
+selbständiges Gebiet &mdash; die künstlich angelegte Klaviersee,
+zu befahren wähnte, und nun auf einer Sandbank
+festgesessen liegt, von der er nicht sobald wieder flott
+fährt, es sei denn, dass ihn die Musiker selbst wieder
+zu Ehren bringen und aus dem unförmlichen, verunglückten
+Dampfer wieder jenes ideale Schifflein bauen,
+als welches es einst an einem mächtigen Baue festgeankert
+lag, und mit ihm und durch ihn das unendliche
+Meer der Töne zu befahren, die Fähigkeit erhielt.
+<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a>
+In diese seine ursprüngliche so edle und produktive
+Abhängigkeit sollten wir es zurückführen, da es in
+»Demut« so viel erreicht. Nur so könnte es seine alte
+Würde wieder erhalten, und in uns die alte Freude und
+die alte Begeisterung wieder erwecken.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-2-4">
+<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a>
+<span class="line1">EPILOG.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a>
+<span class="firstchar">W</span>as auch kommen mag auf dieser Welt, immer
+gestaltet sich eine Zeit neu und ungeahnt. Unsre Erde
+trägt keine Propheten, und nur durch ihre Unergründlichkeit
+sind die Orakel so wahr. Wer erträumte wohl
+je das nächste Geschlecht? Woran keiner dachte, das
+geschieht, wo der Fluss am ruhigsten floss, dort tritt
+er über.
+</p>
+
+<p>
+Tausende von Jahren belehren uns nicht über ein
+einziges, das sich noch nicht entrollte, unzählige von
+Schicksalen lassen unser eigenes stets neu. Die Notwendigkeit
+schafft mit ihren blinden Augen zu Tage,
+andre Mächte fordern wieder, was ihr trotzt, und so
+liegt die Welt unausgefochten im Kampf.
+</p>
+
+<p>
+Oft schon, glaube ich, wurde als das grösste Unheil
+des Christentums das Pharisäertum erwiesen, jene
+unheilvolle Macht, die von Grund auf, anscheinend
+auf alle Zeiten, den Charakter verunstaltete, den das
+neue Zeitalter erhielt. Wie unendlich viel, und wie
+unendlich wenig das Dogma verrät, diese These wurde
+nie aufgestellt, die Pharisäer umstanden das neue, wie
+das alte Testament; und so wurde es uns verdunkelt
+bis zur Unkenntlichkeit und entfremdet.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a>
+Jenes Unwesen selbst, verlor aber im Laufe der
+Zeit alle Macht; und da es tief in der Erde sitzt und
+in den Menschen wohnt, sann es auf eine neue Stätte.
+Wo aber fand es den Boden, den es nun zu sterilisieren,
+das Ding, das uns nun zu entfremden galt? Wo
+anders, als da, wo das Gute hingeflüchtet war, unangetastet,
+köstlich und steil, hoch über unsren Häuptern,
+und doch verborgen. Mit schlauem Zerstörungssinn
+erblühte es da inmitten der Kunst!
+</p>
+
+<p>
+Gut meinende Seelen, die aber vom Schweigen des
+Pythagoras nichts ahnten, hatten selbst dem verderblichen
+Heere die schmale Bresche verraten und wurden die
+ersten Pfähle auf jenem schrecklichem »chemin battu«,
+den jetzt die Mode so verwegen und unbefangen betritt.
+</p>
+
+<p>
+Hier müssen wir einen Augenblick zurückgreifen.
+Bekanntlich war es Grillparzer, der Beethoven&rsquo;s Grabrede
+hielt; nun wurden ihm kurzsichtigerweise und
+nach Wagner&rsquo;s Erscheinen folgende Worte daraus noch
+nachträglich verwiesen:
+</p>
+
+<p>
+»Beethoven&rsquo;s Nachfolger«, schloss der unmusikalische
+Dichter<a id="corr-4"></a>, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst
+hat geendet, wo die Kunst endet.« Und dabei ahnte
+Grillparzer wohl gar nicht, wie wahr er sprach!
+</p>
+
+<p>
+In der That hub Beethoven&rsquo;s Nachfolger von vorne
+an und erklomm einen Berg, um auch er &mdash; und dies
+ist bedeutsam &mdash; zu enden, wo die Kunst endigt.
+</p>
+
+<p>
+Wo sie aber zu Ende ist, dort behauptet wie eine
+wahnsinnige tote Karrikatur die heutige Musik ihren
+unredlichen Platz.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a>
+Wagner, dieser einfache Mann, der ohne Stil, nur
+von Gedanken gedrängt, sie so gross und unschuldig
+niederschrieb, hätte er doch den Missbrauch seiner tiefen,
+weittragenden Worte geahnt. &mdash; Mit Siegeln nur hätte
+er dann seine Bücher vermacht!
+</p>
+
+<p>
+Denn die göttlich stillen Seen, die ein Adler erschaute,
+sind nun ihrer Einsamkeit entweiht und von der
+lauten Menge umlagert. Eine so schauderhafte Vulgarisation,
+eine so triviale Gier, hohe Gefilde zu umlärmen,
+hat sich ihrer bemächtigt, dass alles Urteil befangen
+liegt, und keiner seine eignen Worte mehr spricht.
+Die Halbgebildeten, die Ungebildeten, sie stürzen alle
+voran. In dieser eitlen Wut ist jedes Unterscheidungsvermögen
+gelähmt, einer ist der schwächere Abdruck
+des andern, und alle halten sich krampfhaft an dieselbe
+Schnur. Nie aber verklingt das letzte hohle
+Wort!
+</p>
+
+<p>
+Ein Abhang im Schatten, ein Fels in der Dämmerung
+tönt voller als heutige Musik!
+</p>
+
+<p>
+Ach! käme doch einer, der unsre Geheimnisse
+in ihre alten Schleier hülle, bis wir gelernt haben, sie
+wieder zu verschweigen.
+</p>
+
+<p>
+Vielleicht werden wir dann die Früchte ernten,
+die wir so jäh herunterrissen, vielleicht gelangen wir
+dann auf Umwegen ans Ziel, vielleicht erschliessen sich
+uns dann neue Aussichten, ein neues Land und neue
+Bewandtnisse.
+</p>
+
+<p>
+Betrachten wir es genau: Das hehrste Sujet der
+Menschheit haben unsre grossen Geister scheu umschifft,
+<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a>
+und ihre unbeschreiblich zarte Jüngerschaft haben sie
+nicht gesagt oder nicht zu sagen vermocht.
+</p>
+
+<p>
+Wir aber wissen wohl in aller Stille, dass durch
+sie von Ferne eine Gestalt sich uns nähert, die uns so
+unerklärlich und unfassbar bleibt.
+</p>
+
+<p>
+Wir fühlen in der beglückenden Harmonie eines
+Plato, in Shakespeare&rsquo;s Tiefe, in Goethe&rsquo;s Erhabenheit,
+im Fluge Beethoven&rsquo;s, in Mozart&rsquo;s Klang, in Wagner&rsquo;s
+Blick, in der Sensibilität eines Schopenhauer (um einmal
+all die armen Abgedroschenen zu nennen!); wir
+fühlen, dass aus allen grossen Gemütern etwas ausgeht,
+was uns mit einer seltsamen Ahnung durchschauert
+betreffs eines, Gott sei Dank, noch nicht zu oft genannten
+Namens.
+</p>
+
+<p>
+Aber welches Genie schwänge sich auf eine so
+schwindliche Brücke und ergriffe den intangibelsten
+aller Fäden?! &mdash;
+</p>
+
+
+<div class="trnote">
+<p id="trnote"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
+
+<p>
+Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):
+</p>
+
+<ul>
+
+<li>
+... Ein Frosch sass im nassen <span class="underline">Grasse</span>, befriedigt und ...<br />
+... Ein Frosch sass im nassen <a href="#corr-0"><span class="underline">Grase</span></a>, befriedigt und ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... wilder <span class="underline">un</span>dunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. &mdash; ...<br />
+... wilder <a href="#corr-1"><span class="underline">um</span></a>dunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. &mdash; ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit <span class="underline">überrall</span> einbrechen, ...<br />
+... Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit <a href="#corr-2"><span class="underline">überall</span></a> einbrechen, ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... <span class="underline">symetrisch</span> aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten ...<br />
+... <a href="#corr-3"><span class="underline">symmetrisch</span></a> aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Dichter<span class="underline">«</span>, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst ...<br />
+... Dichter<a href="#corr-4"></a>, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst ...<br />
+</li>
+</ul>
+</div>
+
+<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44251 ***</div>
+</body>
+</html>
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+The Project Gutenberg EBook of Kurze Aufsätze, by Annette Kolb
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Kurze Aufsätze
+
+Author: Annette Kolb
+
+Release Date: November 21, 2013 [EBook #44251]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KURZE AUFSÄTZE ***
+
+
+
+
+Produced by Jens Sadowski
+
+
+
+
+
+
+
+
+ KURZE
+ AUFSÄTZE
+ VON
+ ANNETTE KOLB.
+
+
+ MÜNCHEN 1899.
+ ZU BEZIEHEN DURCH
+ ULRICH PUTZE,
+ BRIENNERSTRASSE 8.
+
+ Bruckmann'sche Buch- und Kunstdruckerei, München.
+
+
+
+
+INHALT.
+
+
+ 1. Der Zufall Seite 5
+ 2. Der Frosch " 15
+ 3. Adam und Eva " 19
+ 4. Le revenant " 23
+ 5. L'Oracle " 29
+ 6. Herbstlied " 33
+ 7. Der Walchensee " 35
+ 8. Die Heruntergekommenen " 39
+ 9. Skizze " 43
+ 10. Das Traumbuch " 49
+
+
+Musikalisches:
+
+ 11. Eine musikalische Betrachtung " 57
+ 12. Nemesis " 63
+ 13. Skizze über die Stellung des heutigen Pianisten " 67
+ 14. Epilog " 75
+
+
+
+
+DER ZUFALL?
+
+
+Was giebt es unvermeidlicheres, berechneteres und dabei natürlicheres wie
+den Zufall?
+
+Was ist abgefeimter und grausamer oder gütiger? Wir können ihn weder
+anklagen, noch ihm danken. -- Nie können wir ihn überführen, ihm die Maske
+entreissen und sagen: »Dies hast du gewollt und über mich gebracht.« --
+Denn die natürlichste Verkettung der Dinge hat es herbeigeführt.
+
+Was sollen wir mit diesem raffinierten Zufall anfangen, der unsere Schritte
+lenkt und doch nur als ein leerer Schleier in unsern Händen bleibt? -- Am
+besten ist es wohl, ihm zu vertrauen; allein man lernt dies nur nach
+Jahren, und nach geprüften Jahren. Erst treibt es uns, ihn gewaltsam
+herbeizuführen, unsern Willen dem seinen gegenüberzustellen, und dann erst
+wird der Zufall so recht feindselig und allmächtig!
+
+Was hängt er nicht alles an eine Begegnung? Ob wir eine Minute früher oder
+später in diese Gasse bogen, mag über eine unbeschreibliche Reihe von
+Unglückstagen entscheiden -- sie von uns abwenden oder über uns bringen.
+
+»Es giebt keinen Zufall!« -- sagt Schillers Wallenstein. Aber damit sagte
+er schon zu viel; denn der Zufall entzieht sich uns so fern, dass er nicht
+einmal _diese_ Behauptung ermöglicht.
+
+Als ich in Paris anfing, mit dem Gedanken umzugehen, ich wäre am liebsten
+wieder zu Hause, erhielten wir eines Tages aus Marseille einen sorgfältig
+verpackten Schlüssel und einen Brief. Es war ein Angebot, die Wohnung einer
+Dame zu beziehen, währenddem diese im Süden weilte und ihr schöner Flügel
+wurde ganz besonders gerühmt, aber wir machten von all dem keinen Gebrauch,
+denn es kam so vieles dazwischen.
+
+Da plagte mich eines Morgens ein unverkennbares Heimweh. Wir wohnten in
+einer jener engen Strassen, die den Himmel versperren und die Menschen
+zusammendrängen wie auf einem Schiff. Draussen war es regnerisch und
+schwül, und ich sehnte mich fort; da fühlte ich zufällig unter meinen
+Fingern den Schlüssel jener Wohnung, und um mich gewaltsam aus der Stimmung
+zu reissen, in der ich mich befand, machte ich mich zur Stelle auf den Weg
+nach diesem Hause. --
+
+Als ich aber dort die ziemlich hochgelegene Wohnung betrat, lag sie in so
+rabenschwarzer Nacht, dass ich alsbald wieder hinunterging, um mir bei dem
+Concierge ein Licht zu verschaffen.
+
+Dieser hatte indes seine Loge verlassen, und ohne auf ihn zu warten,
+zündete ich mir eine Kerze an und eilte wieder hinauf. --
+
+Auch nicht ein Schimmer des Tageslichtes drang in diese Räume! Eiserne,
+verriegelte Läden schlossen es gänzlich ab, und der Lärm von Paris klang da
+gar seltsam herein, denn öde war es hier! -- Als hätte ein Unglück die
+Bewohner plötzlich vertrieben, so dass sie alles liessen wie es war, nur
+dem Lichte wehrend, bevor sie flohen. Denn nichts war aufgeräumt. Im ersten
+Zimmer stand ein blauseidnes Bett aufgeschlagen und bestaubt, vom Baldachin
+hing eine lange Kordel zerrissen herab. Die Kerze beleuchtete nur immer
+dürftig eine einzige Stelle, aber im Vorübergehen sah ich Gegenstände
+verwahrlost herumliegen, zertrümmertes Krystall, zierliche Louis XV.-Möbel
+und einen offenen Schrank. Es war, als ob hier Diebe gehaust hätten, und
+als seien sie dann in der Hast über alles davongestiegen. So unheimlich war
+der Anblick all dieser Zimmer, dass ich, ohne mich länger umzusehen, den
+Salon suchte, wo der Flügel stehen musste, um dann schleunigst wieder
+fortzukommen. Ich entdeckte ihn denn auch, zwischen zwei Fenstern stehend
+und von einer Decke geschützt. Als ich diese zurückschob, hob sich ein
+Schwarm von vielleicht tausend Flöhen und stieb in gerader Linie auf mich
+los.
+
+Ich fuhr zurück -- wahrscheinlich zu rasch -- die Kerze verlosch! --
+
+Was dies für mich bedeutete, war mir sofort klar. Denn ich hatte im
+unverantwortlichen und unbegreiflichen Leichtsinn die Zündhölzer unten
+gelassen. --
+
+Nie aber würde ich in dieser Finsternis die Hausthüre finden, und wenn ich
+sie fände, niemals unterscheiden -- den Weg zurück wusste ich nicht. Es
+waren so viele Zimmer gewesen und kein Gang. Alles ineinand geschachtelt,
+wie es in französischen Wohnungen oft ist. Ich tastete nach dem Schlüssel,
+aber der Schrecken hatte mir alle Erinnerung benommen. Ich fand ihn nicht
+mehr.
+
+Mit den Händen fuhr ich der Wand entlang bis zum Fenster, allein die Läden
+mussten einen eigenen Verschluss haben und schnitten mir in die Finger,
+ohne zu rücken. Behutsam ging ich vorwärts, vielleicht drang doch in irgend
+eine Kammer ein Schimmer von Licht und war von dort aus ein Zeichen
+möglich, aber überall war Finsternis und Staubgeruch als läge ich tief
+unter der Erde.
+
+Der Concierge würde den Leuchter kaum vermissen, den ich unter vielen
+andern aus seiner Loge fortnahm, keinesfalls aber auf mich geraten und die
+Meinen hatten keine Ahnung wohin ich gegangen war, denn als ich von Hause
+fortging war ich allein gewesen. -- So war zwar meine Rettung lange noch
+möglich, noch grösser aber die Gefahr, dass ich hier verschlossen und
+vergessen bliebe.
+
+Meine Wanderungen nach der Hausthüre begannen von neuem. Griffe ich sie, so
+wollte ich dort stehen und rufen. Allein ich fand sie nicht!
+
+Es liess sich keine Thüre von der andern erkennen, kein Zimmer, keine
+Kammer. Einige waren versperrt. Wie in einer Falle irrte ich blind umher
+und wurde immer unfähiger, mich zu orientieren; denn von den Räumlichkeiten
+hatte ich die Verhältnisse nicht entnommen, und der Ausgangspunkt war mir
+längs verloren.
+
+So musste ich mich meinem Schicksal ergeben. Die Zeit verging, und wie
+rings um mich, so war es jetzt auch in meinem Herzen Nacht. Aber statt der
+Verzweiflung kamen mir da plötzlich Gedanken: Was für einen Sinn hätte denn
+ein solcher Abschluss? Welche Deutung konnte ich meinem Tode abgewinnen?
+
+In meinem Leben konnte ich nichts entdecken, aber dies Leben selbst
+erschien mir da merkwürdigerweise wie ein arger Schuldbrief, und ich werde
+wohl nie mehr so tief und ruhig zu denken vermögen, wie in jenem so hoch
+über der Erde gelegenem Grab!
+
+Wie spät es geworden sein mochte ahnte ich nicht. Immer wieder begannen
+meine finsteren Wanderungen, mein Tasten nach Thüren und mein Rufen. Meine
+eigne Stimme versetzte mich in solche Angst, dass es wie wahnsinnig in
+meinen Schläfen pochte. Den Hunger sah ich schon als meinen Gefährten, und
+heiss und blutig drang mir's nun ins Gehirn. -- Und wie betäubt stiess ich
+zuletzt gegen eine scharfe Kante und empfand etwas Kaltes unter meinen
+Händen.
+
+Daraus schloss ich, dass ich mich wieder in einem Zimmer befand, denn dies
+fühlte sich wie ein marmorner Tisch. Ich fasste ihn mit der andern Hand: da
+durchzuckte mich jäh eine wilde, triumphierende Lebensfreude. Was da meine
+suchenden Finger ergriffen hatten, war -- eine Zündholzschachtel!
+
+Zitternd fachte ich eines an und starrte jetzt auf ein gespenstiges Wesen,
+das mit hohlen Augen unvergesslich auf mich blickte.
+
+Allein bevor die Angst noch ihre Klammern auf mich legen konnte, gewahrte
+ich den hohen Spiegel, vor dem ich stand, woran die schmale Marmorplatte
+angebracht war, an die ich stiess. Lange Kerzen stacken da in Kandelabern,
+und mechanisch zündete ich sie an; von meinem eignen Bilde keinen Blick
+verwendend, denn wie von einem Drama war ich hier gefesselt.
+
+Das Entsetzen auf meiner Stirne, die trostlose Ergebenheit meiner Züge, die
+Todesahnung war auf meinem Gesichte geblieben. Obwohl ich mich gerettet
+wusste, immer starrte ich noch wie eine Verlorene.
+
+Was hinter diesen weitgeöffneten Augen vorgegangen war, wusste ich so wohl,
+der schon wie eingefallene Mund, warum er so bitter geschlossen war, das
+herabgezogene Kinn, der zurückgehaltene Grimm. -- Und dabei war mir's als
+erschaute ich das Selbsterlebte nun zum erstenmale.
+
+So blieb ich vor dem Spiegel gebannt, bis meine Augen sich verkleinerten
+und die Farbe, als sei nichts geschehen, sich allmählich wieder einstellte.
+--
+
+Der Raum, in dem ich mich befand, war ein kleines Durchgangszimmer, und die
+Begebenheit so einfach und natürlich!
+
+Es hatte hier jemand eine Schachtel Streichhölzer vergessen. Weiter nichts!
+
+Es war eben jener blinde und hundertäugige Zufall, jener unberechenbare
+Stern, der über unser Leben waltet und es erhält oder vernichtet.
+
+Den Schlüssel, die Thür und den Weg ins Freie hatte ich nun bald gefunden;
+wieder hinab in das rege Paris.
+
+Die Boulevards schimmerten im Abendrot, und die Knospen der Bäume waren
+nach dem Regen hold geschwellt.
+
+
+
+
+DER FROSCH.
+
+
+Ein Frosch sass im nassen Grase, befriedigt und wohl aufgeblähet, denn er
+hatte eben gespeist, und da ihm das Verschmauste wohl bekam, so fühlte er
+sich nicht ungeneigt zu philosophieren, zwinkerte behaglich mit seinen
+feuchten Augen und dachte:
+
+»Was ist doch die Welt so seriöse! -- und machen sie alle so fatale Mienen,
+statt das Leben frisch zu nehmen wie es ist! Ich bin zufrieden, und mir
+geht es gut; auch nehme ich die Dinge wie sie kommen!«
+
+Und obwohl er schon zu viel gegessen hatte, schnappte er noch im Übermute
+nach einer Fliege, die des Weges flog, und verzog dann sein breites Maul zu
+einem superiorem Lächeln: Es war doch wirklich alles zu dumm!
+
+So hockte er froh an des Teiches Rand, blickte in die laue Luft und hiess
+die Weltordnung gut. Libellen hingen und schwirrten, dicke Waldschnecken
+schleppten sich fort, ein Vöglein jammerte und eine hagere Katze schlich
+umher. Alles beobachtete und genoss der Frosch als heitrer Skeptiker und
+Bon-vivant und plumpste dann wieder in den Teich.
+
+Von Tag zu Tag aber gedieh er, zum Verderben zahlloser Mückchen, die
+enthusiastisch in der Sonne schillerten. -- Kein Wunder, wenn sich der
+Frosch da »hatte« und seine Lebensanschauung sich zu einem immer
+insolenterem System abrundete!
+
+Und unumwölkt floss sein Dasein dahin, denn jeder ist selbst seines Glückes
+Schmied.
+
+
+
+
+ADAM UND EVA.
+
+
+Die Nacht senkte sich vor der Vertriebnen Augen, und nach harter Tagesmühe
+ruhten sie.
+
+Trauer umfloss der Gefallenen Antlitz, und ob des Menschengeschlechtes
+drang eiserne Schwermut auf sie ein. Keine Thräne hatte noch das Weib; es
+barg und vertiefte sich das Weh der Erde in ihrem Schosse zur Melancholie,
+und wortescheu verblieb der Mann, als er sich hingewiesen sah an die harte,
+unbekannte Scholle, an die unerbittliche Sonne und dem süssen Mond; aber
+der Welt Zukunft und Not starrte in seinem Geist.
+
+Dies Paar, ach! war der Atlas!
+
+Das Echo seiner Qual durchdrang den hellen Sinn der Griechen, und eine
+Weltkugel wälzten sie dem GOTTE auf die Schulter, allein ein Menschenpaar
+ist es gewesen, das einst die Last des Werdens kostete und trug.
+
+
+
+
+LE REVENANT.
+
+
+Une nuit je crus errer eu rève dans des siècles passés, et je vis des
+hommes et des femmes dans leur vie journalière. Je vis des enfants joner,
+un laquais endormi sur un siège, puis des fruits dans une coupe étrange et
+soudain sur un balcon trempé de pluie une jeune dame enveloppée dans une
+grande robe rose et une mante noire.
+
+Mon esprit alors fut pris d'un vertige! -- et sentant mon rève, je voulus
+m'en soustraire en le secouant; mais lui aussi-tôt, se faisant plus confus,
+devint si pesant, que le coeur oppressé, je le subis. --
+
+Alors je me vis appuyé contre une fenêtre à ogives à la nuit tombante dans
+une salle. Brusquement tout au fond une porte s'entr'ouvrit, et un chien
+s'élança, de ces beaux chiens de chasse! il s'arrèta inquiet, les yeux
+flambants; puis d'un mouvement jeune et violent, fou de vie et de joie, il
+se retourna, se jeta vers la porte, et frappant le parquet bruyamment de sa
+queue, il attendit, guetta plutôt, pour s'élancer sur un homme qui entrait.
+--
+
+Lorsque je vis cet homme qui entrait, je sentis mes lèvres trembler de
+tristesse. L'on eut dit la vie même, et c'était un mort! --
+
+Ah! si vous l'aviez vu s'avancer d'un pas rapide en tournant vers sou chien
+une figure d'un contour si vif et d'une ciselure si étroite, que cette tête
+si noire se détachait des ténèbres comme une tache blanche, tant elle était
+ardente! l'illusion, je vous assure, vous eut gagné, tout comme moi: cas la
+vie _affluait_ dans chacun de ses gestes; ses yeux étaient chargés et
+lourds comme certaines fleurs, et sur cette figure fougueuse, le regard
+était préocupé et rentré, comme pour se poser très-loin sur une vision qui
+revenait toujours, et faisait sourire malgré lui, sa bouche songeuse et
+cruelle! -- La mort, me disai-je, la mort! --
+
+Je me sentais si chétif près de cet être si beau, pourtant je vivais moi!
+n'était-ce pas mieux que ce splendide mirage?
+
+La mort!? -- mais ce mot même tombait vide devant un pareil revenant!
+
+Ce fut alors, qu'il marcha droit vers la fenêtre, où je me tenais et que
+mes yeux purent plonger dans les siens pour, en chercher l'énigme. Mais
+hélas! qu'ils étaient loins, et comme mon coeur se serra! une grande
+douleur fit tomber mes paupières qui brûlaient, et je sentis alors
+s'approcher de moi, et m'envelopper comme l'haleine du Printemps; je crus
+respirer toutes les aubépines des bois, et sentir un ciel, des sapins, et
+des ruisseaux clairs: je vis une truite tachetée de rose, et de l'herbe
+fraîche et mouillée; et une si afreuse nostalgie passa dans mes veines, que
+j'étendis un bras éploré vers le spectre, dont la vie m'avait ainsi
+troublé. Mais lui, quoique sa main pesât sur mon épaule, son regard, qui
+semblait déborder, se détournait toujours. -- Et, voulant jeter un cri d'
+angoisse, qui ne fut qu'un souffle, je lui dis: «Je suis lá!» et tout mon
+être passa dans ces pauvres paroles! L'homme tressaillit, et changeant
+d'attitude, sa main tomba. Mais en ce moment même il y eut un bruit dans la
+cour, et je le vis se retourner, faire signe à son chien, et sortir. Ni
+l'un ni l'autre ne m'avaient vu. --
+
+Et alors la Nuit se fit plus profonde, et mon coeur plus froid. Seul mon
+cerveau s'allumait et marcha.
+
+Regarde! dit-il à mes yeux devenus fixes de terreur, regarde sous ces
+ténèbres croissans cette salle inconnue, et vois ces meubles bizarres! Que
+peuvent ils te rappeler?
+
+Rien! sonna-t-il. Puis toutes les roues de mon cerveau s'ébranlérent avec
+une vitesse infernale, et j'entendis un glas frapper au fond de moi-même:
+LE REVENANT, C'ÉTAIT MOI!
+
+1893
+
+
+
+
+L'ORACLE.
+
+
+Elle était grande et laide, une roche informe et nue, qu'elle hit éclairée
+ou à l'ombre, toujours triste.
+
+Un homme s'y égara un soir, mais perdant pied aussitôt il mourut victime,
+lui fort et pensant, de cette grande chose inerte et brute, et personne ne
+la montait plus. Elle demenrait à l'ombre le plus souvent des grandes cimes
+autour, et le soleil ni la lune ne l'aimaient. Seule la neige s'y plaquait
+lourde et compacte!
+
+Or en une nuit de lune et de Vent (le monde déjà était vieux) quelque chose
+remua au fond du rocher, et l'emplit soudain, comme d'un profond soupir. Ce
+ne fut qu'un instant! quelques caillons roulèrent et un peu de neige
+bleuâtre se détacha. Ce fut tout.
+
+Mais en cet instant si vague, et d'infinie lourdeur -- le rocher subit sa
+propre tristesse sourdement, comme la plante comme s'éveille l'aloès du
+fond de sa torpeur, c'est ainsi que sa propre Enigme vint saisir la
+montagne et lui révéla son Mystère, les liens occultes, qui la liaient aux
+longs chagrins et aux incurables misères, à tout ce qui est noir ou navrant
+dans la création.
+
+Tout cela l'enveloppa comme d'une Ombre Géante. Et un accord vibra en ce
+domaine silencieux! Une source s'agita affolée! elle mouta brûlante et
+profonde jusque à l'ivresse, pour tarir aussitôt.
+
+Mais la Terre -- si rèveuse en ces nuits de Lune et de Vent tressaillit et
+appela. Alors des milliers d'ombres se dégagèrent des plis de Ténèbres et
+s'agitèrent autour du rocher éteint pour saluer l'Idée -- le Symbole --
+l'Oracle enfin qui venait de parler.
+
+1893
+
+
+
+
+HERBSTLIED.
+
+
+ Herbstlich sinkt der Tag nun.
+ Herbstfarb'nes Licht, so sanft wie süsser Ton,
+ Zart wie bedeutsamer Traum,
+ Der uns beglückend streifte in der Flucht.
+ Ach weile, guter Herbst!
+ Dein ist der tönendste Ton im Jahr!
+ Musik der Dämmerung ist deine Stunde,
+ Beruhigte Leidenschaft dein tiefer Blick.
+ Ist Verfall dein Sinn?
+ Oder lächelst du über den Tod? --
+
+
+
+
+DER WALCHENSEE.
+
+
+Die Berge zogen ihre hohen, sanften Linien in der bleichen Dämmerung.
+Ahnungsvoll schien jede Senkung, jede Matte, jeder Schatten, und stumm
+hielten die Tannen hart am Ufer Wacht. Und Luna zog langsam mit ihrem
+Gefolge weissgeballter Wolken hinter den Spitzen der Berge einher.
+
+Kein Sternengefunkel störte noch des Himmels Ruh'! Und wie tief kündete
+sich da die Nacht, wie fern schien da Aurora, als käme nimmer der frühe
+Tau, noch die strahlende Sonne zurück.
+
+»Ach!« seufzte da eines Menschen Stimme, »käme nimmer der Morgen!«
+
+Doch plötzliches Entsetzen fasste ihn alsbald, und starre Angst trieb ihn
+dem Gestade entlang, war es ihm doch, als hätte er hier Schatten ins
+Bewusstsein gerufen und aufgescheucht, als sei ihm das verhängnisvolle Wort
+entfahren, das diesem See und dieser Natur geheimnisvoll zu Grunde lag, und
+als seufzte nun alles rings um ihn, von jeder Felswand rauschend und vom
+Strande wiederhallend, ein traumversunkenes und im Traum gefundenes Echo:
+
+ Ach, käme nimmer der Morgen!
+ Käme nimmer der Morgen!
+
+
+
+
+DIE HERUNTERGEKOMMENEN.
+
+
+Als die Nacht hereingebrochen war und der kalte Zug durch die
+Fensterspalten blies, da wurde es auch stille in dem langen Gang, wo die
+Ahnenbilder hingen unverrückt an der dunklen Wand und die Finsternis über
+sich ergehen liessen wie über ihre Gräber. Allein die Nachkommen dieser
+längst verblichnen Leute wohnten noch in dem alten Schloss und fanden keine
+Ruhe, denn sie wollten und wünschten mit der wilden Kraft, die sie von den
+Vätern geerbt! Währenddem die Nacht sich immer tiefer senkte, schlief da
+Keins. Alle hofften, fürchteten und sehnten sich zu sehr in diesen alten
+Mauern, als dass der Schlaf sich ihnen rettend nähern konnte. Den hielt der
+Hass und den die Liebe, alle aber hielt der Lebensdrang, die Heftigkeit des
+Wunsches und die trübe Ahnung des Unerfüllbaren wach.
+
+Die Väter hatten so froh genossen und so wilden Auges gelebt! Sie glichen
+sich alle in Miene und Blick, und Generationen hindurch verzehrten sich die
+schönsten Frauen in Liebe um dies Haus!
+
+Das Glück aber hielt treue Wacht und zog goldene Gitter um seine
+Günstlinge.
+
+Einem breiten glänzenden Strome glich dies Geschlecht, der schimmernd die
+schönsten Lande durchzieht, Wälder und hohe Gipfel, glänzende Städte und
+den ganzen Himmel lachend wiederspiegelt.
+
+Zöge sich doch mein Herz nicht zusammen, als ich dieses Vergleichs gedenke!
+Denn nach hundert Jahren erlosch ein Stern: der herrliche Fluss rauschte
+weiter; da veränderte sich sein Bett. Hoch und furchtbar drangen kahle
+Felsenwände auf ihn ein, qualvoll türmte sich da das tiefe Gewässer und
+wütete gegen die hemmende Wand.
+
+Sein schrecklicher Schall tönte betäubend durch die Welt. Unerbittlich aber
+verengten sich noch die Thore, und der Fluss brach sich heulend seine Bahn.
+Als wilder umdunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. --
+
+
+
+
+SKIZZE.
+
+
+Vor Jahren fiel mir ein Buch in die Hände, dessen Titel ich mich nicht mehr
+entsinnen kann, es war eine Übersetzung aus dem Griechischen und mit vielen
+Anmerkungen versehen, wovon eine einen alten Spruch citierte, der mir immer
+im Gedächtnisse blieb. Die Worte erinnere ich mir nicht, nur den Sinn, und
+der war folgender.
+
+»Nicht der Mann ist die Weisheit, nicht die Frau ist die Liebe: Die Frau
+ist Weisheit, der Mann ist Liebe. Des scheinbaren Umtausches sich nicht
+bewusst, sucht der Mann in der Frau seine eigne Liebe, die Frau im Manne
+ihre Weisheit wieder.«
+
+Dieser Spruch schien mir nach und nach so manches Unerklärliche und
+Unvereinbare, das in jenen Beziehungen nicht zu begleichen schien, schärfer
+zu beleuchten.
+
+Ein »ganzer Mann« wird einer Frau in so entscheidenden Punkten überlegen
+sein, dass nur die tiefere Weisheit des schwächeren Teils ein Gleichgewicht
+herzustellen vermag und in jener Weisheit allein die Möglichkeit liegt, den
+Blick dieses Mannes ganz wiederzuspiegeln.
+
+Ist dieser Spiegel getrübt oder zu stürmisch oder zu seicht, so wendet der
+Blick sich ermüdet ab und sehnt und sucht nach andern Augen, die wieder
+versprechen und wieder enttäuschen.
+
+Umgekehrt sehen wir oft ganz unbedeutende Männer von einem weiblichen Wesen
+dauernd gefesselt, von dem sie nie Kenntnis gewinnen können, in dem aber
+die Weisheit verborgen liegt, die sie mit dumpfer Sehnsucht erfüllt. Eine
+solche Frau, deren innere Entwicklung ihren eigenen Weg zu folgen bestimmt
+war, sieht oft zu ihrem stillen Befremden einen ihr so fremden Mann so treu
+an ihrer Seite.
+
+Was nun mit jener Weisheit in dem alten Spruche gemeint war, ist sicher
+nicht die Lebensklugheit noch Schärfe oder Kraft des Geistes, denn die
+wohnen alle dem Manne viel thätiger inne. Sie wird wohl eher dem
+Meeresspiegel vergleichbar sein, der tiefer und beschaulicher wird, je mehr
+sich darin versenkt. --
+
+Jeder kennt jenes eigentümliche Gefühl, das ihn angesichts der
+gleichgültigsten Dinge anwandeln kann, ihn zwingt, innezuhalten und
+Gedanken einzulassen, die von aussen auf ihn einzudrängen scheinen und
+deren Bewandtnis er noch nicht erfasst.
+
+So stand ich einmal auf einem weiten, freien Feld und dachte an die
+Druiden, wie die Welt in ihnen wiederhallte, in sie drängend wie ein Strom,
+so dass sie ihr das Rätsel fast entrieten und, von ihrer Ahnung
+überwältigt, Wahrheiten stammelten -- in undurchdringlichen Worten.
+
+Da fiel mir -- anscheinend schauerlich unzusammenhängend -- der Don Juan
+ein!
+
+War etwa _hier_ ein Gegensatz? -- War hier _etwas_, was sich deckte?
+
+Ich weiss es nicht. -- Aber mit einem Male begriff ich, wie sich der Zauber
+und die Tragik im Dasein zweier Geschlechter in jener dunklen Gestalt und
+ihren Opfern sublimieren konnte, und ich begriff den klärenden Schein, den
+Mozart um sie wob.
+
+Trat in diesem Wesen irgend ein verborgenes Gesetz in Kraft und blieb das
+nie Erreichte auf weit abliegender Bahn und keinem füglichem Gebiet
+verwiesen? --
+
+Lag etwa im Blicke der Veleda jene Ruh', die Don Juan in jedem schönen Auge
+suchte, jenem andern Zuge folgend, der die Liebe so unendlich adelt? -- Und
+lag seine eigne Gewalt in seiner eignen Sehnsucht? --
+
+
+
+
+DAS TRAUMBUCH.
+
+
+Man wirft mir so gerne vor, dass ich nicht schreibe! --
+
+Aber erstens! -- -- --
+
+Und zweitens gehört hiezu doch auch eine leidliche Erfindungsgabe, und ich
+bin nur deshalb so leichtgläubig, weil ich auf das Gegenteil von dem, was
+man mir sagt, von selbst gar nicht gerate, eine solche Veranlagung ist
+nicht eben produktiv!
+
+Über Gegebenes, Menschen wie Dinge, kann ich lange und eindringlich
+nachdenken, nur muss ich sie haben! -- Aus der Luft greife ich nichts, denn
+eine unübersteigbare Kluft trennt mich von jener Fähigkeit zu schaffen, die
+so beglückend und erhebend sein muss und wohl deshalb so selten ist.
+
+Die einzige Genugthuung jedoch, welche mir diese endlich errungene
+Erkenntnis bot, war, dass ich mich frei sprechen konnte von aller Schuld,
+wenn keine Gedichte und keine Romane aus meiner Feder flossen, denn wie
+viel besser wusste ich als alle andern, dass ich keine zu stande brachte!
+
+Als ich aber hierüber noch nicht im Reinen war und mir die Menschen so
+manches versicherten, was mich nicht überzeugen konnte und doch sehr
+verdross -- fasste ich einmal einen verzweifelten Plan, den ich auf die
+äusserste Spitze treiben wollte und einem Mann von Fach zu eröffnen
+beschloss.
+
+Ich liess mich bei ihm melden und erhielt einige Tage darauf ein zierliches
+Briefchen, worin er mich auf sein Landgut zu einer Unterredung berief.
+
+Nun hatte ich nachts bevor, folgenden Traum: Ich, die nie im Leben geritten
+war, sass plötzlich hoch zu Ross, ritt andern Reitern, die mich beschworen
+einzuhalten, voran, liess mich dann langsam herabgleiten und stieg die
+Treppe zu unserm Hause hinauf.
+
+Dann erwachte ich. -- Da jedoch dieser Traum sehr lebhaft in meinem
+Gedächtnisse haften blieb, so schlug ich in meinem Traumbuch nach, ob eine
+Deutung darauf stünde und las folgendes: »Unterlasse nicht, was du
+vorhast!« Mir aber kam diese Weisung wirklich wie gerufen, denn schon lange
+wollte ich einen recht flagranten Beweis in Händen haben, der mich von
+meiner Leichtgläubigkeit endgültig kurierte. Derselbe Abend sollte mich ja
+noch belehren!
+
+Dann verliess ich mein Haus und nahm den Zug.
+
+Das Wetter war leuchtend, und zuletzt führte mein Weg auf einem schmalen
+Fusspfad durch ein hohes Kornfeld.
+
+Ganz ergriffen hielt ich da inne; denn die Welt war an diesem Tage zu
+schön, ihr Schein zu unbeschreiblich!
+
+Ovid's Verwandlungen berührten mich mit einemmale als naturgemäss, und mir
+war, als würde ich selbst zu jenem singenden, summenden Kornfeld, so sehr
+entzückte mich gerade an dieser Stelle das goldene Leben unserer Erde.
+
+Doch nur wenig Schritte trennten mich von der Besitzung, in der meine
+Autorität hauste, und nun erschien mir mein Plan erst recht in seiner
+ganzen Unausführbarkeit.
+
+Eine Stunde später ging ich denn auch sehr gemessen denselben Weg wieder
+zurück: Zuerst war der Mann von Fach sehr ernsthaft drei Schritte
+zurückgewichen und hatte mich angestarrt. -- Aber in sein langes herzliches
+und eindringliches Lachen musste ich am Ende doch einstimmen.
+
+Träume! dachte ich nun und wurde nachdenklicher mit jedem Schritt, denn
+manches schien mir doch recht befremdend auf der Welt.
+
+Wie kam es zum Beispiel, dass die Alten, diese klugen, spöttischen
+Griechen, denen die Wirklichkeit so voll genügte, solche Acht auf ihre
+Träume hielten, dass die Geschichte selbst sie uns ganz ernsthaft mit Daten
+und Thatsachen bringt? Vor jedem Schlachtenberichte stehen sie da als
+Avantgarde, und jeder Feldherr klügelt über den seinen!
+
+Nun denke man sich nur einen modernen Geschichtsschreiber Napoleon's oder
+Bismarck's Träume und dann zum Schluss noch seine eignen verzeichnend. Und
+das mit der gebietenden Miene eines Plutarch!
+
+Wäre es möglich, dass hier etwas dahintersteckte und es uns verloren ging?
+
+Sonst dienen uns doch die Alten so gerne als Vorbild.
+
+Wer aber würde sich heutzutage mit derlei befassen? Die eigentliche
+Bibliothek des Traumbuchs ist die Küche geworden und geschwätziges oder
+ungebildetes Volk beratschlagen es. Nur ich besass noch eins, kraft jener
+Erfindungsunfähigkeit, jener Sucht zu glauben, und auf glaubwürdiges zu
+lauern. Alle Exzesse und Irrtümer stehen da offen.
+
+So dachte ich, von dem wogenden Kornfeld nicht länger impressioniert, im
+Dämmerlichte des sinkenden Tages einhergehend und eignem Grübeln.
+
+Da plötzlich unerwartet, ungeahnt -- stand vor meinen bestürzten Augen
+nicht das Gelingen meines Planes -- eine andre Erfüllung, die meinen Traum
+wachrief wie mit einem langgedehnten Ruf, und wie einen kalten Hauch
+empfand ich meine eigne Blässe.
+
+
+
+
+MUSIKALISCHES.
+
+
+MOTTO: Wollen wir hoffen?
+
+Richard Wagner, X. Band.
+
+
+
+
+EINE MUSIKALISCHE BETRACHTUNG.
+
+
+Vor einem mit Plakaten reich übersäten Kioske innehaltend, sagte kürzlich
+einer zu seinem Freunde:
+
+»Sieh doch die vielen Konzerte! Bis über die Wände hinaus klettern die
+Annoncen!«
+
+»Das ist schön!« rief der andere. »Da hast du unser liebes kunstsinniges
+München!«
+
+»Ja, da hast du's!« brummte wieder der eine.
+
+Und wie es so geht auf dieser Welt, als sie eine kleine Strecke weiter
+gegangen waren, fingen sie fürchterlich zu streiten an. In der Hitze jedoch
+gebieten wir selten über die überzeugenden Worte, selbst wenn wir im Rechte
+sind, und grad ein Philister hat da oft leichtes Spiel.
+
+Hier siegte denn auch der, dem beim Anblick der vielen Plakate das Herz
+freudiger schlug, und selbstbewusst und heiter kehrte er nach Hause zur
+Gattin.
+
+Aber wie verdrossen ging der andre heim! Fiel ihm doch jetzt erst alles
+ein, was er im Eifer nicht fand; und wie sicher gestaltet sich nun seine
+Rede in den dunklen Strassen!
+
+Immer feuriger ging er einher, als müsste er Schritt halten mit seinen
+Gedanken, und sah recht närrisch dabei aus!
+
+Hier sei auch mir eine Bemerkung gestattet: Wage ich mich zwar jetzt mit
+dem Sprüchwort: Kinder und Narren etc. vor, so werde ich allerdings dem
+Vorwurf grosser Alltäglichkeit nicht entgehen, bringt uns heute doch fast
+jeder Plato's finstre Höhle (die Höhle, ach, du lieber Gott, in der wir
+alle so gemütlich sitzen!), oder citiert jene grosse Neuigkeit von dem
+grössten Tragiker, nicht wahr, der zugleich etc. . . . . Denn nur in
+solchen und ähnlichen Reminiscenzen ergehen sich nunmehr unsere gewandten
+Bücher und halten streng an die Devise unsres Jahrzehnts:
+
+»Kaviar für Alle.«
+
+Vollends Sprüchwörter!
+
+Gut, so will auch ich das meine nicht zu Ende sagen, doch bitte ich euch,
+lasst uns hören, was der Narr erzählte:
+
+»Wie alt«, rief er, »wie alt ist doch die Klage nach entschwundenen Zeiten!
+Kein Zauber beschwört Vergangnes herauf! Wie der Regen, den die Erde so
+begierig trinkt, um dann wieder trocken zu werden und hart, so verschwinden
+spurlos nicht geträumte, ach! _erfüllte_ Ideale von der Welt!
+
+Wer ist es gewahr, dass Schritt für Schritt das Licht fällt, dass Kühle und
+Dunkelheit überall einbrechen, dass rasch und unbemerkt eine Epoche von uns
+scheidet? -- Erst wenn sie sich ganz unsern Augen entrückte, erst dann wird
+die Verlorne im wahren Relief vor uns stehen. Aber wie Walther von der
+Vogelweide um zartere Minne, so werden wir umsonst darum klagen! Und
+inzwischen stellen wir uns blind und taub und lassen die Verwilderung um
+sich greifen! Nur ein sehendes Auge sieht die verlöschenden Fackeln, und
+nur dem feinen Ohre ist das wirre Gekreische vernehmbar.«
+
+(Schade, dass der Mann seine Reden nicht schön und symmetrisch aufzubauen
+wusste! Seine Gedanken machten wilde Sprünge, und kamen dann im Bogen
+wieder.)
+
+»Wisst ihr,« rief er da plötzlich, »dass jener thatsächliche Plan, sich per
+Eisenbahn bequem auf die Jungfrau zu begeben, nichts anderes ist als ein
+Symbol unsrer Zeit?
+
+Denn nichts Höheres bedeuten unsre täglichen Konzerte, unsre
+Drehorgelorchester, und unsre ganze nivellierte Kunst. Überall ist der
+Pöbel ausgebrochen, zwar ein wohlgenährter, gut gekleideter und siegreicher
+Pöbel, aber erst recht der des Coriolan!
+
+Es haben uns doch die Besten gesagt und die wenig Grossen bewiesen, wie
+aristokratisch die Natur verführt, wie scheu und sparsam sie ihre
+vornehmste Blume, die der Kunst, auf ihren höchsten Gipfeln treibt, nur
+ganz Bevorzugten nach harter Mühe erreichbar.
+
+Was deutet uns ein zusammengepresster staubiger Büschel Edelweiss, an einer
+Strassenecke schreiend feilgeboten? Aber steil wie das Edelweiss und
+geheimnissvoll wie die Aloë ist die Kunst! Pöbelhaft war es daher von uns,
+sie mit Gewalt erstürmen zu wollen, und ein grober und hässlicher Wahn lag
+dieser »Massenbewegung« zu Grunde. --
+
+Denn als wir allesamt anfingen sie zu duzen, was war da natürlicher, als
+dass uns die Kunst entfloh? Ihren letzten müden Strahl, an dem wir zehren,
+halten wir nun für den »Morgenschein kommender Aeren!«, und keiner sieht,
+keiner weist auch nur von fern auf unsern deutlichen Verfall.
+
+Ob wohl je die Menschen vor einem solchen Wendepunkt gestanden sind?
+
+Ob ein ähnliches Phänomen die Griechen einst zu Grabe läutete? und ob nach
+Überwucherung der damaligen Kräfte ein ähnliches Schlingkraut die Erde
+überzog?
+
+Wer wüsste es zu sagen!? Blühten nicht damals die Redner und Bildhauer
+plötzlich in frecher Überzahl, just wie jetzt Kapellmeister und Solisten?
+
+Ehe man sich dann versah, verklang das ganze hohe Lied in Düsterkeit und
+Barbarei. Sind wir etwa wieder da angelangt? -- Das wäre wohl auch hier die
+Frage!
+
+»Aber nichts wiederholt sich«, murmelte der Mann.
+
+Er war auf der Brücke angelangt, und der rasche Fluss schien ihm neue
+Einfälle zuzutreiben, denn er stand lange und sann, wie wohl der Mann
+beschaffen sein musste, der unsre abwärts gehende Fahrt zu hemmen vermöchte
+und neues Land eroberte.
+
+Über diesen gewaltigen Geist dachte der gute Kerl lange nach und ging dann
+brav nach Hause.
+
+
+
+
+NEMESIS.
+
+Eine zeitgemässe Betrachtung.
+
+
+Dass die Welt ihre grossen Menschen so vielfach verkannte, trug besonders
+für die Kleinen schlimme Folgen.
+
+Denn die Grossen kommen über kurz oder lang darüber hinweg (sei's nur,
+indem sie das Leben überwinden!), und ihre Landsleute halten dann
+frohlockend an ihre Namen als an ihr Eigentum fest; und starben diese
+Grossen im Elend, so trägt das Schicksal und der Einzelne die Schuld, denn
+die Allgemeinheit rettet sich ja stets.
+
+Dass es das ewig selbe Spiel bleibt, übersieht man, und klüger wähnen sich
+die Menschen jedesmal geworden, wenn sie pietätvoll ihren grossen Toten
+Säulen, Monumente und Brunnen errichten.
+
+Aber die Rache gräbt unermüdlich, und alles rächt sich tausendfach!
+
+Weil der Flecken nun so klar am Tage liegt, wie taub und blind wir für
+unsre Helden waren -- glaubt ihr, darum sei er getilgt und der urteilslose
+Unverstand samt seinen Folgen abgeschafft?
+
+_Ein_ Unterschied ist freilich da: der Vielbescholtne krankt nunmehr an
+seinem üblen Ruf, darf nicht mehr schelten -- wagt es nicht -- und lässt
+geschehen. Flugs dehnen sich da kleine Menschen himmellang, und bleibt die
+Menge scheu vor ihren Produktionen, so verzagen sie nicht mehr, denn die
+berühmtesten Vorbilder schweben ihnen vor, und die Tradition der Verkannten
+haben sie ja für sich!
+
+»Wirklich?« fragen sie mit einem unendlichen Lächeln, »mein Werk gefällt
+euch nicht?«
+
+Da blickt einer zaghaft zum andern, und einer nickt, und kleinmütig nicken
+sie alle, denn sie sind die junge Generation und büssen für den Unverstand
+der alten _umgekehrt_!
+
+Das grosse eine Merkmal des Schönen, dass es zwanglos um sich greifen und
+unfehlbar, sei ihre Zahl vorerst noch so gering, die Herzen treffen _muss_
+-- auf dieses eine Merkmal, das doch zugleich auch unsre eigne Würde
+rettet, auf dies pochen wir nicht mehr, denn unsre Augen sind nicht
+unschuldig genug, und unsre Vergangenheit ist zu sehr getrübt!
+
+Den Lohn tragen wir nun davon! Auf dem schönen Erdreich, dem wir keine
+Frucht entnahmen, schiesst das Unkraut so munter wie nur je empor, und auf
+geweihtem Acker kauert dieselbe alte Schlange!
+
+Und die grossen Menschen?
+
+Je nun, man weiss vorerst nie, wo sie stecken, und sie haben nach wie vor
+ihre Müh'. Auch sind die Zeichen nicht günstig. Aber vielleicht wirft uns
+die Flut der Zeit wieder einen ans Land, der den Weg wüsste aus all den
+verschlungenen Pfaden heraus und sich zur Stunde grämt, weil ihn der breite
+Fluss des Irrtums überrauscht!
+
+
+
+
+EINE SKIZZE ÜBER DIE STELLUNG DES KLAVIERS UND DER HEUTIGEN PIANISTEN.
+
+
+Es ist in jüngster Zeit förmlich zur Redensart geworden, die Pianistenfrage
+kurz damit abzufertigen, indem man sagt. »Das Klavier interessiert mich
+nicht.« Was aber schlimmer ist wie Redensarten, und was mancher
+wohlgeschulte Pianist in München zu seinem bitteren Nachteil erfahren
+musste: Das Wort wird zur negativen That: er sieht nämlich sein Konzert mit
+knapper Not von Freunden und Bekannten, etlichen alten Leuten und den
+obligaten Kritikern besucht, die am nächsten Morgen ihr Bedauern über den
+»leeren Raum« zu Drucke bringen -- und das eigentliche Publikum bleibt weg.
+
+Der Künstler selbst wird diese seine moderne Unpopularität natürlich nicht
+ohne Erbitterung wahrnehmen und sich nicht sehr erbaulich über die alte
+Musikstadt und ihr gepriesenes Entgegenkommen äussern.
+
+Nun gehe ich von jener alten paradoxalen Wahrheit aus, dass sich zwar in
+der Masse Irrtum und Unverstand wie von selbst potenzieren, dass aber
+trotzdem das Publikum in seinen Sympathien recht behält, und es sich
+jedenfalls der Mühe lohnt, nach dem Grunde zu forschen, wenn es sich einer
+öffentlichen Kundgebung gegenüber hartnäckig abgeneigt verhält. Ich möchte
+hierin für das Münchner Publikum sogar eine gewisse Unbeirrbarkeit
+beanspruchen, und gewiss birgt diese Stadt ein nennenswertes Kontingent
+wirklicher Musikkenner. Ohne mit dem Finger darauf weisen zu können, fühlt
+man es bei Gelegenheit deutlich durch, und dieses Kontingent sichert dort
+dem Grossen und Echten, selbst wenn es neu und ungewohnt ist, fast immer
+den Sieg.
+
+Nun ist München merkwürdigerweise eine geradezu pianistenfeindliche Stadt
+geworden, und ohne die Gründe ihrer Abneigung lange zu analysieren, ist sie
+ihnen im vornherein abhold; ja, die Pianisten zählen dort allgemach zu den
+verdrossenen Typen, und es ist jetzt Mode, die einst so Gefeierten trotz
+ihrer bedeutsamen Haartracht zu ignorieren.
+
+Da jedoch eine Abneigung, um sich selbst gerecht zu werden, stets motiviert
+werden sollte, so sei hier der Versuch gemacht, die eigentümliche Stellung
+zu bezeichnen, welche das Klavier heutzutage in künstlerischer Hinsicht
+einnimmt, und welche wir am besten gleich im voraus eine »schiefe Stellung«
+nennen wollen, um das Wort später erläutert zu sehen.
+
+In der Musik sind wir anerkanntermassen das erste Volk der Welt. Was wir
+aber mit dem Klavier angefangen haben, oder vielmehr, was wir daraus werden
+liessen, damit ist wieder einmal ein Beweis geliefert, wie leicht, uns der
+simple gute Geschmack im Stiche lässt!
+
+Wir Deutsche stehen überhaupt mit dem Geschmack und was er im höheren Sinne
+bedeutet: Formensinn und Grazie, auf etwas gespanntem, misstrauischem Fusse
+und fühlen uns nicht ungeneigt, dies alles als frivol zu taxieren. Kommt
+uns aber dann einmal der künstlerische Takt abhanden, so sind wir uns zwar
+wohl unsres künstlerischen Ernstes, aber eben weil wir des Taktes
+vergassen, unsrer Schwerfälligkeit nicht bewusst -- und nur so ist es
+möglich, dass ein Übel, ein grober Irrtum, der sonst unsrer ganzen Richtung
+widerspricht, sich auf eine wirklich ungeheuerliche Art auswachsen und
+verbreiten konnte.
+
+Auf besagte Weise ist nun in dem musikalischen Deutschland das Klavier von
+seiner ursprünglichen Bestimmung abgekommen, hat sich eine Stellung
+angemasst, die ganz und gar nicht die seine ist, und wurde, nachdem es auf
+diesem neuen Boden das Publikum eine Weile verblüffte, von demselben
+verpönt. --
+
+Diesem beklagenswerten Verfall -- die Folge rein äusserlicher Gründe --
+sollten wir nach Kräften entgegenwirken.
+
+Unsre grössten Klassiker haben nicht umsonst in edler Würdigung dieses
+Instruments ihre herrlichen Meisterwerke dafür geschaffen. Aber leider ist
+es ebenso wahr, dass sie dabei kaum einen unsrer modernen Pianisten, wie
+sie jetzt landläufig sind, als Exekutant im Auge hatten, noch dass sie
+dieselbe Idee vom Klavierspiele hatten wie er! Eine ganz kleine Sylbe
+trennt hierin die alte von der neuen Zeit: Sahen unsre Meister im Klavier
+ein stets verfügbares! Mittel, die mannigfachsten reichsten Tongebilde auf
+dem dürftigen Holze zu resümieren und zur Wiedergabe zu bringen -- ein
+ideales Abstraktum -- ein unschätzbares Mittel zum Zwecke musikalischer
+_Re_produktion, so sieht hingegen der moderne Virtuos in seinem Instrument
+lediglich ein _Pro_duktionsfeld. Nicht Mittel ist es ihm, sondern Zweck,
+und zwar sich selbst will er produzieren! Über einen so unkünstlerischen
+Standpunkt ist weiter kein Wort zu verlieren.
+
+Nennt man mir aber Franz Liszt als Beleg für die Berechtigung des modernen
+Pianisten, so werde ich erwidern, dass er eine Einzelerscheinung, ein ganz
+für sich gehendes musikalisches Phänomen vorstellt wie die Duse etwa für
+die Bühne, beide aber in dieser Hinsicht gleich wenig berufen, Bahnen zu
+eröffnen, denn es sind künstlerische Typen, deren Wert und Reiz eben in
+ihrer Eigentümlichkeit beruhen. Liszt's Mähne auf einem anderen Köpflein
+ist ebenso unbefugt, als es vermutlich die Mimik der Duse bei einer anderen
+Schauspielerin wäre, denn auch diese findet ihre Berechtigung in einer ganz
+individuellen künstlerischen Beschaffenheit, aber gewiss nicht als
+künstlerisches Moment! --
+
+Und dieser Vergleich, wenn er sich nicht vollkommen deckt, mag immerhin
+dazu dienen, den Fall näher zu beleuchten: So wie die grosse Tragödin ihre
+_eigne_ Individualität auf der Bühne in tausend Nuancen schillern und
+erklingen lässt, mithin nicht die eigentlichen Heldencharaktere, wie sie
+unsre grossen Geister schufen, zur Gestaltung bringt, sondern auf dem
+nächsten, oft sogar dem nächstbesten Wege ihre ganz persönliche
+Empfindungsweise, ihre moderne Seele zur Mitteilung bringt, so verlässt
+auch der Pianist auf dem klassischsten aller Instrumente das ursprüngliche
+Gebiet, und nicht so sehr musikalische Werke, als seine eigne Person führt
+er uns vor, um sie unsrer Aufmerksamkeit aufzudrängen. Die moderne
+Klavierlitteratur ist nicht anders als im engsten Bündniss mit jenem Irrtum
+entstanden, den Virtuosen als Alleinherrscher vor seinem dadurch fraglich
+gewordenen Instrument hinzustellen, und beide hiemit zu vernichten.
+
+Denn wie thatsächlich das schönste Klavier unter den Jonglerien und der
+schaudervollen Gewandtheit eines Virtuosen zur unmusikalischen Plage wird,
+so denkt man auch heute unwillkürlich bei dem Worte »Musiker« an einen
+Geiger, Cellisten oder Sänger und nicht sobald an den Pianisten, der
+mitsamt seinem Instrument und seiner pompösen Spezial-Litteratur aus diesem
+Bunde ausgetreten zu sein scheint, seitdem er sich auf dem kolossalen
+Irrtum einschiffte, ein eignes, selbständiges Gebiet -- die künstlich
+angelegte Klaviersee, zu befahren wähnte, und nun auf einer Sandbank
+festgesessen liegt, von der er nicht sobald wieder flott fährt, es sei
+denn, dass ihn die Musiker selbst wieder zu Ehren bringen und aus dem
+unförmlichen, verunglückten Dampfer wieder jenes ideale Schifflein bauen,
+als welches es einst an einem mächtigen Baue festgeankert lag, und mit ihm
+und durch ihn das unendliche Meer der Töne zu befahren, die Fähigkeit
+erhielt. In diese seine ursprüngliche so edle und produktive Abhängigkeit
+sollten wir es zurückführen, da es in »Demut« so viel erreicht. Nur so
+könnte es seine alte Würde wieder erhalten, und in uns die alte Freude und
+die alte Begeisterung wieder erwecken.
+
+
+
+
+EPILOG.
+
+
+Was auch kommen mag auf dieser Welt, immer gestaltet sich eine Zeit neu und
+ungeahnt. Unsre Erde trägt keine Propheten, und nur durch ihre
+Unergründlichkeit sind die Orakel so wahr. Wer erträumte wohl je das
+nächste Geschlecht? Woran keiner dachte, das geschieht, wo der Fluss am
+ruhigsten floss, dort tritt er über.
+
+Tausende von Jahren belehren uns nicht über ein einziges, das sich noch
+nicht entrollte, unzählige von Schicksalen lassen unser eigenes stets neu.
+Die Notwendigkeit schafft mit ihren blinden Augen zu Tage, andre Mächte
+fordern wieder, was ihr trotzt, und so liegt die Welt unausgefochten im
+Kampf.
+
+Oft schon, glaube ich, wurde als das grösste Unheil des Christentums das
+Pharisäertum erwiesen, jene unheilvolle Macht, die von Grund auf,
+anscheinend auf alle Zeiten, den Charakter verunstaltete, den das neue
+Zeitalter erhielt. Wie unendlich viel, und wie unendlich wenig das Dogma
+verrät, diese These wurde nie aufgestellt, die Pharisäer umstanden das
+neue, wie das alte Testament; und so wurde es uns verdunkelt bis zur
+Unkenntlichkeit und entfremdet.
+
+Jenes Unwesen selbst, verlor aber im Laufe der Zeit alle Macht; und da es
+tief in der Erde sitzt und in den Menschen wohnt, sann es auf eine neue
+Stätte. Wo aber fand es den Boden, den es nun zu sterilisieren, das Ding,
+das uns nun zu entfremden galt? Wo anders, als da, wo das Gute
+hingeflüchtet war, unangetastet, köstlich und steil, hoch über unsren
+Häuptern, und doch verborgen. Mit schlauem Zerstörungssinn erblühte es da
+inmitten der Kunst!
+
+Gut meinende Seelen, die aber vom Schweigen des Pythagoras nichts ahnten,
+hatten selbst dem verderblichen Heere die schmale Bresche verraten und
+wurden die ersten Pfähle auf jenem schrecklichem »chemin battu«, den jetzt
+die Mode so verwegen und unbefangen betritt.
+
+Hier müssen wir einen Augenblick zurückgreifen. Bekanntlich war es
+Grillparzer, der Beethoven's Grabrede hielt; nun wurden ihm
+kurzsichtigerweise und nach Wagner's Erscheinen folgende Worte daraus noch
+nachträglich verwiesen:
+
+»Beethoven's Nachfolger«, schloss der unmusikalische Dichter, wird von vorn
+anheben müssen, denn er selbst hat geendet, wo die Kunst endet.« Und dabei
+ahnte Grillparzer wohl gar nicht, wie wahr er sprach!
+
+In der That hub Beethoven's Nachfolger von vorne an und erklomm einen Berg,
+um auch er -- und dies ist bedeutsam -- zu enden, wo die Kunst endigt.
+
+Wo sie aber zu Ende ist, dort behauptet wie eine wahnsinnige tote
+Karrikatur die heutige Musik ihren unredlichen Platz.
+
+Wagner, dieser einfache Mann, der ohne Stil, nur von Gedanken gedrängt, sie
+so gross und unschuldig niederschrieb, hätte er doch den Missbrauch seiner
+tiefen, weittragenden Worte geahnt. -- Mit Siegeln nur hätte er dann seine
+Bücher vermacht!
+
+Denn die göttlich stillen Seen, die ein Adler erschaute, sind nun ihrer
+Einsamkeit entweiht und von der lauten Menge umlagert. Eine so
+schauderhafte Vulgarisation, eine so triviale Gier, hohe Gefilde zu
+umlärmen, hat sich ihrer bemächtigt, dass alles Urteil befangen liegt, und
+keiner seine eignen Worte mehr spricht. Die Halbgebildeten, die
+Ungebildeten, sie stürzen alle voran. In dieser eitlen Wut ist jedes
+Unterscheidungsvermögen gelähmt, einer ist der schwächere Abdruck des
+andern, und alle halten sich krampfhaft an dieselbe Schnur. Nie aber
+verklingt das letzte hohle Wort!
+
+Ein Abhang im Schatten, ein Fels in der Dämmerung tönt voller als heutige
+Musik!
+
+Ach! käme doch einer, der unsre Geheimnisse in ihre alten Schleier hülle,
+bis wir gelernt haben, sie wieder zu verschweigen.
+
+Vielleicht werden wir dann die Früchte ernten, die wir so jäh
+herunterrissen, vielleicht gelangen wir dann auf Umwegen ans Ziel,
+vielleicht erschliessen sich uns dann neue Aussichten, ein neues Land und
+neue Bewandtnisse.
+
+Betrachten wir es genau: Das hehrste Sujet der Menschheit haben unsre
+grossen Geister scheu umschifft, und ihre unbeschreiblich zarte
+Jüngerschaft haben sie nicht gesagt oder nicht zu sagen vermocht.
+
+Wir aber wissen wohl in aller Stille, dass durch sie von Ferne eine Gestalt
+sich uns nähert, die uns so unerklärlich und unfassbar bleibt.
+
+Wir fühlen in der beglückenden Harmonie eines Plato, in Shakespeare's
+Tiefe, in Goethe's Erhabenheit, im Fluge Beethoven's, in Mozart's Klang, in
+Wagner's Blick, in der Sensibilität eines Schopenhauer (um einmal all die
+armen Abgedroschenen zu nennen!); wir fühlen, dass aus allen grossen
+Gemütern etwas ausgeht, was uns mit einer seltsamen Ahnung durchschauert
+betreffs eines, Gott sei Dank, noch nicht zu oft genannten Namens.
+
+Aber welches Genie schwänge sich auf eine so schwindliche Brücke und
+ergriffe den intangibelsten aller Fäden?! --
+
+
+
+
+Anmerkungen zur Transkription
+
+
+Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
+(vorher/nachher):
+
+ [p. 17]:
+ ... Ein Frosch sass im nassen Grasse, befriedigt und ...
+ ... Ein Frosch sass im nassen Grase, befriedigt und ...
+
+ [p. 42]:
+ ... wilder undunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. -- ...
+ ... wilder umdunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. -- ...
+
+ [p. 60]:
+ ... Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit überrall einbrechen, ...
+ ... Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit überall einbrechen, ...
+
+ [p. 61]:
+ ... symetrisch aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten ...
+ ... symmetrisch aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten ...
+
+ [p. 78]:
+ ... Dichter«, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst ...
+ ... Dichter, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst ...
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Kurze Aufsätze, by Annette Kolb
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KURZE AUFSÄTZE ***
+
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+works. See paragraph 1.E below.
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+<title>The Project Gutenberg eBook of Kurze Aufsätze, by Annette Kolb</title>
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+/* rulers */
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+<pre>
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+The Project Gutenberg EBook of Kurze Aufsätze, by Annette Kolb
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
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+
+Title: Kurze Aufsätze
+
+Author: Annette Kolb
+
+Release Date: November 21, 2013 [EBook #44251]
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+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KURZE AUFSÄTZE ***
+
+
+
+
+Produced by Jens Sadowski
+
+
+
+
+
+</pre>
+
+
+<div class="titlematter">
+
+<h1 class="tit" id="part-1">
+<span class="line1">KURZE</span><br />
+<span class="line2">AUFSÄTZE</span><br />
+<span class="line3">VON</span><br />
+<span class="line4">ANNETTE KOLB.</span>
+</h1>
+
+<p class="pub">
+<span class="line1">MÜNCHEN 1899.</span><br />
+<span class="line2">ZU BEZIEHEN DURCH</span><br />
+<span class="line3">ULRICH PUTZE,</span><br />
+<span class="line4">BRIENNERSTRASSE 8.</span>
+</p>
+
+</div>
+
+<p class="printer">
+Bruckmann&rsquo;sche Buch- und Kunstdruckerei, München.
+</p>
+
+
+<h2 class="chapter">INHALT.</h2>
+
+<table class="toc" summary="TOC">
+<tbody>
+<tr><td class="right">1.</td><td class="left">Der Zufall</td><td class="center">Seite</td><td class="right"><a href="#chapter-1-1">5</a></td></tr>
+<tr><td class="right">2.</td><td class="left">Der Frosch</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-2">15</a></td></tr>
+<tr><td class="right">3.</td><td class="left">Adam und Eva</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-3">19</a></td></tr>
+<tr><td class="right">4.</td><td class="left">Le revenant</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-4">23</a></td></tr>
+<tr><td class="right">5.</td><td class="left">L'Oracle</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-5">29</a></td></tr>
+<tr><td class="right">6.</td><td class="left">Herbstlied</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-6">33</a></td></tr>
+<tr><td class="right">7.</td><td class="left">Der Walchensee</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-7">35</a></td></tr>
+<tr><td class="right">8.</td><td class="left">Die Heruntergekommenen</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-8">39</a></td></tr>
+<tr><td class="right">9.</td><td class="left">Skizze</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-9">43</a></td></tr>
+<tr><td class="right">10.</td><td class="left">Das Traumbuch</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-1-10">49</a></td></tr>
+
+<tr><td class="sub" colspan="4">Musikalisches:</td></tr>
+
+<tr><td class="right">11.</td><td class="left">Eine musikalische Betrachtung</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-2-1">57</a></td></tr>
+<tr><td class="right">12.</td><td class="left">Nemesis</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-2-2">63</a></td></tr>
+<tr><td class="right">13.</td><td class="left">Skizze über die Stellung des heutigen Pianisten</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-2-3">67</a></td></tr>
+<tr><td class="right">14.</td><td class="left">Epilog</td><td class="center">"</td><td class="right"><a href="#chapter-2-4">75</a></td></tr>
+</tbody>
+</table>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-1">
+<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a>
+<span class="line1">DER ZUFALL?</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
+<span class="firstchar">W</span>as giebt es unvermeidlicheres, berechneteres und
+dabei natürlicheres wie den Zufall?
+</p>
+
+<p>
+Was ist abgefeimter und grausamer oder gütiger?
+Wir können ihn weder anklagen, noch ihm danken. &mdash;
+Nie können wir ihn überführen, ihm die Maske entreissen
+und sagen: »Dies hast du gewollt und über
+mich gebracht.« &mdash; Denn die natürlichste Verkettung
+der Dinge hat es herbeigeführt.
+</p>
+
+<p>
+Was sollen wir mit diesem raffinierten Zufall anfangen,
+der unsere Schritte lenkt und doch nur als ein
+leerer Schleier in unsern Händen bleibt? &mdash; Am besten
+ist es wohl, ihm zu vertrauen; allein man lernt dies
+nur nach Jahren, und nach geprüften Jahren. Erst
+treibt es uns, ihn gewaltsam herbeizuführen, unsern
+Willen dem seinen gegenüberzustellen, und dann erst
+wird der Zufall so recht feindselig und allmächtig!
+</p>
+
+<p>
+Was hängt er nicht alles an eine Begegnung? Ob
+wir eine Minute früher oder später in diese Gasse
+bogen, mag über eine unbeschreibliche Reihe von Unglückstagen
+entscheiden &mdash; sie von uns abwenden oder
+über uns bringen.
+</p>
+
+<p>
+»Es giebt keinen Zufall!« &mdash; sagt Schillers Wallenstein.
+Aber damit sagte er schon zu viel; denn der
+<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a>
+Zufall entzieht sich uns so fern, dass er nicht einmal
+<em class="em">diese</em> Behauptung ermöglicht.
+</p>
+
+<p>
+Als ich in Paris anfing, mit dem Gedanken umzugehen,
+ich wäre am liebsten wieder zu Hause, erhielten
+wir eines Tages aus Marseille einen sorgfältig
+verpackten Schlüssel und einen Brief. Es war ein
+Angebot, die Wohnung einer Dame zu beziehen, währenddem
+diese im Süden weilte und ihr schöner Flügel wurde
+ganz besonders gerühmt, aber wir machten von all dem
+keinen Gebrauch, denn es kam so vieles dazwischen.
+</p>
+
+<p>
+Da plagte mich eines Morgens ein unverkennbares
+Heimweh. Wir wohnten in einer jener engen Strassen,
+die den Himmel versperren und die Menschen zusammendrängen
+wie auf einem Schiff. Draussen war es
+regnerisch und schwül, und ich sehnte mich fort; da
+fühlte ich zufällig unter meinen Fingern den Schlüssel
+jener Wohnung, und um mich gewaltsam aus der
+Stimmung zu reissen, in der ich mich befand, machte
+ich mich zur Stelle auf den Weg nach diesem Hause. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Als ich aber dort die ziemlich hochgelegene
+Wohnung betrat, lag sie in so rabenschwarzer Nacht,
+dass ich alsbald wieder hinunterging, um mir bei dem
+Concierge ein Licht zu verschaffen.
+</p>
+
+<p>
+Dieser hatte indes seine Loge verlassen, und ohne
+auf ihn zu warten, zündete ich mir eine Kerze an
+und eilte wieder hinauf. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Auch nicht ein Schimmer des Tageslichtes drang
+in diese Räume! Eiserne, verriegelte Läden schlossen
+es gänzlich ab, und der Lärm von Paris klang da
+<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
+gar seltsam herein, denn öde war es hier! &mdash; Als hätte
+ein Unglück die Bewohner plötzlich vertrieben, so dass sie
+alles liessen wie es war, nur dem Lichte wehrend, bevor
+sie flohen. Denn nichts war aufgeräumt. Im ersten
+Zimmer stand ein blauseidnes Bett aufgeschlagen und bestaubt,
+vom Baldachin hing eine lange Kordel zerrissen
+herab. Die Kerze beleuchtete nur immer dürftig eine einzige
+Stelle, aber im Vorübergehen sah ich Gegenstände verwahrlost
+herumliegen, zertrümmertes Krystall, zierliche
+Louis&nbsp;XV.-Möbel und einen offenen Schrank. Es war,
+als ob hier Diebe gehaust hätten, und als seien sie
+dann in der Hast über alles davongestiegen. So unheimlich
+war der Anblick all dieser Zimmer, dass ich,
+ohne mich länger umzusehen, den Salon suchte, wo
+der Flügel stehen musste, um dann schleunigst wieder
+fortzukommen. Ich entdeckte ihn denn auch, zwischen
+zwei Fenstern stehend und von einer Decke geschützt.
+Als ich diese zurückschob, hob sich ein Schwarm von
+vielleicht tausend Flöhen und stieb in gerader Linie
+auf mich los.
+</p>
+
+<p>
+Ich fuhr zurück &mdash; wahrscheinlich zu rasch &mdash;
+die Kerze verlosch! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Was dies für mich bedeutete, war mir sofort klar.
+Denn ich hatte im unverantwortlichen und unbegreiflichen
+Leichtsinn die Zündhölzer unten gelassen. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Nie aber würde ich in dieser Finsternis die Hausthüre
+finden, und wenn ich sie fände, niemals unterscheiden
+&mdash; den Weg zurück wusste ich nicht. Es
+waren so viele Zimmer gewesen und kein Gang. Alles
+<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a>
+ineinand geschachtelt, wie es in französischen Wohnungen
+oft ist. Ich tastete nach dem Schlüssel, aber der
+Schrecken hatte mir alle Erinnerung benommen. Ich
+fand ihn nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Mit den Händen fuhr ich der Wand entlang bis
+zum Fenster, allein die Läden mussten einen eigenen
+Verschluss haben und schnitten mir in die Finger, ohne
+zu rücken. Behutsam ging ich vorwärts, vielleicht
+drang doch in irgend eine Kammer ein Schimmer von
+Licht und war von dort aus ein Zeichen möglich, aber
+überall war Finsternis und Staubgeruch als läge ich
+tief unter der Erde.
+</p>
+
+<p>
+Der Concierge würde den Leuchter kaum vermissen,
+den ich unter vielen andern aus seiner Loge fortnahm,
+keinesfalls aber auf mich geraten und die Meinen
+hatten keine Ahnung wohin ich gegangen war, denn
+als ich von Hause fortging war ich allein gewesen. &mdash;
+So war zwar meine Rettung lange noch möglich, noch
+grösser aber die Gefahr, dass ich hier verschlossen und
+vergessen bliebe.
+</p>
+
+<p>
+Meine Wanderungen nach der Hausthüre begannen
+von neuem. Griffe ich sie, so wollte ich dort stehen
+und rufen. Allein ich fand sie nicht!
+</p>
+
+<p>
+Es liess sich keine Thüre von der andern erkennen,
+kein Zimmer, keine Kammer. Einige waren versperrt.
+Wie in einer Falle irrte ich blind umher und wurde
+immer unfähiger, mich zu orientieren; denn von den
+Räumlichkeiten hatte ich die Verhältnisse nicht entnommen,
+und der Ausgangspunkt war mir längs verloren.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
+So musste ich mich meinem Schicksal ergeben. Die
+Zeit verging, und wie rings um mich, so war es jetzt
+auch in meinem Herzen Nacht. Aber statt der Verzweiflung
+kamen mir da plötzlich Gedanken: Was für
+einen Sinn hätte denn ein solcher Abschluss? Welche
+Deutung konnte ich meinem Tode abgewinnen?
+</p>
+
+<p>
+In meinem Leben konnte ich nichts entdecken, aber
+dies Leben selbst erschien mir da merkwürdigerweise
+wie ein arger Schuldbrief, und ich werde wohl nie
+mehr so tief und ruhig zu denken vermögen, wie in
+jenem so hoch über der Erde gelegenem Grab!
+</p>
+
+<p>
+Wie spät es geworden sein mochte ahnte ich nicht.
+Immer wieder begannen meine finsteren Wanderungen,
+mein Tasten nach Thüren und mein Rufen. Meine
+eigne Stimme versetzte mich in solche Angst, dass es
+wie wahnsinnig in meinen Schläfen pochte. Den Hunger
+sah ich schon als meinen Gefährten, und heiss und
+blutig drang mir&rsquo;s nun ins Gehirn. &mdash; Und wie betäubt
+stiess ich zuletzt gegen eine scharfe Kante und
+empfand etwas Kaltes unter meinen Händen.
+</p>
+
+<p>
+Daraus schloss ich, dass ich mich wieder in einem
+Zimmer befand, denn dies fühlte sich wie ein marmorner
+Tisch. Ich fasste ihn mit der andern Hand: da durchzuckte
+mich jäh eine wilde, triumphierende Lebensfreude.
+Was da meine suchenden Finger ergriffen hatten, war
+&mdash; eine Zündholzschachtel!
+</p>
+
+<p>
+Zitternd fachte ich eines an und starrte jetzt auf
+ein gespenstiges Wesen, das mit hohlen Augen unvergesslich
+auf mich blickte.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
+Allein bevor die Angst noch ihre Klammern auf
+mich legen konnte, gewahrte ich den hohen Spiegel, vor
+dem ich stand, woran die schmale Marmorplatte angebracht
+war, an die ich stiess. Lange Kerzen stacken
+da in Kandelabern, und mechanisch zündete ich sie an;
+von meinem eignen Bilde keinen Blick verwendend, denn
+wie von einem Drama war ich hier gefesselt.
+</p>
+
+<p>
+Das Entsetzen auf meiner Stirne, die trostlose Ergebenheit
+meiner Züge, die Todesahnung war auf meinem
+Gesichte geblieben. Obwohl ich mich gerettet wusste,
+immer starrte ich noch wie eine Verlorene.
+</p>
+
+<p>
+Was hinter diesen weitgeöffneten Augen vorgegangen
+war, wusste ich so wohl, der schon wie eingefallene
+Mund, warum er so bitter geschlossen war, das herabgezogene
+Kinn, der zurückgehaltene Grimm. &mdash; Und
+dabei war mir&rsquo;s als erschaute ich das Selbsterlebte nun
+zum erstenmale.
+</p>
+
+<p>
+So blieb ich vor dem Spiegel gebannt, bis meine
+Augen sich verkleinerten und die Farbe, als sei nichts
+geschehen, sich allmählich wieder einstellte. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Der Raum, in dem ich mich befand, war ein
+kleines Durchgangszimmer, und die Begebenheit so einfach
+und natürlich!
+</p>
+
+<p>
+Es hatte hier jemand eine Schachtel Streichhölzer
+vergessen. Weiter nichts!
+</p>
+
+<p>
+Es war eben jener blinde und hundertäugige Zufall,
+jener unberechenbare Stern, der über unser Leben waltet
+und es erhält oder vernichtet.
+</p>
+
+<p>
+Den Schlüssel, die Thür und den Weg ins Freie
+<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
+hatte ich nun bald gefunden; wieder hinab in das
+rege Paris.
+</p>
+
+<p>
+Die Boulevards schimmerten im Abendrot, und die
+Knospen der Bäume waren nach dem Regen hold geschwellt.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-2">
+<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
+<span class="line1">DER FROSCH.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
+<span class="firstchar">E</span>in Frosch sass im nassen <a id="corr-0"></a>Grase, befriedigt und
+wohl aufgeblähet, denn er hatte eben gespeist, und da
+ihm das Verschmauste wohl bekam, so fühlte er sich
+nicht ungeneigt zu philosophieren, zwinkerte behaglich
+mit seinen feuchten Augen und dachte:
+</p>
+
+<p>
+»Was ist doch die Welt so seriöse! &mdash; und machen
+sie alle so fatale Mienen, statt das Leben frisch zu
+nehmen wie es ist! Ich bin zufrieden, und mir geht
+es gut; auch nehme ich die Dinge wie sie kommen!«
+</p>
+
+<p>
+Und obwohl er schon zu viel gegessen hatte,
+schnappte er noch im Übermute nach einer Fliege, die
+des Weges flog, und verzog dann sein breites Maul zu
+einem superiorem Lächeln: Es war doch wirklich alles
+zu dumm!
+</p>
+
+<p>
+So hockte er froh an des Teiches Rand, blickte
+in die laue Luft und hiess die Weltordnung gut. Libellen
+hingen und schwirrten, dicke Waldschnecken schleppten
+sich fort, ein Vöglein jammerte und eine hagere Katze
+schlich umher. Alles beobachtete und genoss der Frosch
+als heitrer Skeptiker und Bon-vivant und plumpste
+dann wieder in den Teich.
+</p>
+
+<p>
+Von Tag zu Tag aber gedieh er, zum Verderben
+zahlloser Mückchen, die enthusiastisch in der Sonne
+<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
+schillerten. &mdash; Kein Wunder, wenn sich der Frosch da
+»hatte« und seine Lebensanschauung sich zu einem
+immer insolenterem System abrundete!
+</p>
+
+<p>
+Und unumwölkt floss sein Dasein dahin, denn jeder
+ist selbst seines Glückes Schmied.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-3">
+<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
+<span class="line1">ADAM UND EVA.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
+<span class="firstchar">D</span>ie Nacht senkte sich vor der Vertriebnen Augen,
+und nach harter Tagesmühe ruhten sie.
+</p>
+
+<p>
+Trauer umfloss der Gefallenen Antlitz, und ob
+des Menschengeschlechtes drang eiserne Schwermut auf
+sie ein. Keine Thräne hatte noch das Weib; es barg
+und vertiefte sich das Weh der Erde in ihrem Schosse
+zur Melancholie, und wortescheu verblieb der Mann,
+als er sich hingewiesen sah an die harte, unbekannte
+Scholle, an die unerbittliche Sonne und dem süssen Mond;
+aber der Welt Zukunft und Not starrte in seinem Geist.
+</p>
+
+<p>
+Dies Paar, ach! war der Atlas!
+</p>
+
+<p>
+Das Echo seiner Qual durchdrang den hellen
+Sinn der Griechen, und eine Weltkugel wälzten sie dem
+GOTTE auf die Schulter, allein ein Menschenpaar ist
+es gewesen, das einst die Last des Werdens kostete
+und trug.
+</p>
+
+<div class="fr" lang="fr">
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-4">
+<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
+<span class="line1">LE REVENANT.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
+<span class="firstchar">U</span>ne nuit je crus errer eu rève dans des siècles
+passés, et je vis des hommes et des femmes dans leur
+vie journalière. Je vis des enfants joner, un laquais
+endormi sur un siège, puis des fruits dans une coupe
+étrange et soudain sur un balcon trempé de pluie
+une jeune dame enveloppée dans une grande robe rose
+et une mante noire.
+</p>
+
+<p>
+Mon esprit alors fut pris d&rsquo;un vertige! &mdash; et sentant
+mon rève, je voulus m&rsquo;en soustraire en le secouant;
+mais lui aussi-tôt, se faisant plus confus, devint si
+pesant, que le coeur oppressé, je le subis. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Alors je me vis appuyé contre une fenêtre à ogives
+à la nuit tombante dans une salle. Brusquement tout
+au fond une porte s&rsquo;entr&rsquo;ouvrit, et un chien s&rsquo;élança,
+de ces beaux chiens de chasse! il s&rsquo;arrèta inquiet, les
+yeux flambants; puis d&rsquo;un mouvement jeune et violent,
+fou de vie et de joie, il se retourna, se jeta vers la
+porte, et frappant le parquet bruyamment de sa queue,
+il attendit, guetta plutôt, pour s&rsquo;élancer sur un homme
+qui entrait. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Lorsque je vis cet homme qui entrait, je sentis mes
+lèvres trembler de tristesse. L&rsquo;on eut dit la vie même,
+et c&rsquo;était un mort! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
+Ah! si vous l&rsquo;aviez vu s&rsquo;avancer d&rsquo;un pas rapide
+en tournant vers sou chien une figure d&rsquo;un contour si
+vif et d&rsquo;une ciselure si étroite, que cette tête si noire se
+détachait des ténèbres comme une tache blanche, tant
+elle était ardente! l&rsquo;illusion, je vous assure, vous eut
+gagné, tout comme moi: cas la vie <em class="em">affluait</em> dans chacun
+de ses gestes; ses yeux étaient chargés et lourds comme
+certaines fleurs, et sur cette figure fougueuse, le regard
+était préocupé et rentré, comme pour se poser très-loin
+sur une vision qui revenait toujours, et faisait sourire
+malgré lui, sa bouche songeuse et cruelle! &mdash; La mort,
+me disai-je, la mort! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Je me sentais si chétif près de cet être si beau,
+pourtant je vivais moi! n&rsquo;était-ce pas mieux que ce
+splendide mirage?
+</p>
+
+<p>
+La mort!? &mdash; mais ce mot même tombait vide
+devant un pareil revenant!
+</p>
+
+<p>
+Ce fut alors, qu&rsquo;il marcha droit vers la fenêtre,
+où je me tenais et que mes yeux purent plonger dans
+les siens pour, en chercher l&rsquo;énigme. Mais hélas! qu&rsquo;ils
+étaient loins, et comme mon coeur se serra! une grande
+douleur fit tomber mes paupières qui brûlaient, et je
+sentis alors s&rsquo;approcher de moi, et m&rsquo;envelopper
+comme l&rsquo;haleine du Printemps; je crus respirer toutes
+les aubépines des bois, et sentir un ciel, des sapins,
+et des ruisseaux clairs: je vis une truite tachetée de
+rose, et de l&rsquo;herbe fraîche et mouillée; et une si
+afreuse nostalgie passa dans mes veines, que j&rsquo;étendis
+un bras éploré vers le spectre, dont la vie m&rsquo;avait
+<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
+ainsi troublé. Mais lui, quoique sa main pesât sur
+mon épaule, son regard, qui semblait déborder, se détournait
+toujours. &mdash; Et, voulant jeter un cri d&rsquo; angoisse,
+qui ne fut qu&rsquo;un souffle, je lui dis: «Je suis
+lá!» et tout mon être passa dans ces pauvres paroles!
+L&rsquo;homme tressaillit, et changeant d&rsquo;attitude, sa main
+tomba. Mais en ce moment même il y eut un bruit
+dans la cour, et je le vis se retourner, faire signe à son
+chien, et sortir. Ni l&rsquo;un ni l&rsquo;autre ne m&rsquo;avaient vu. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Et alors la Nuit se fit plus profonde, et mon coeur
+plus froid. Seul mon cerveau s&rsquo;allumait et marcha.
+</p>
+
+<p>
+Regarde! dit-il à mes yeux devenus fixes de terreur,
+regarde sous ces ténèbres croissans cette salle inconnue,
+et vois ces meubles bizarres! Que peuvent ils te rappeler?
+</p>
+
+<p>
+Rien! sonna-t-il. Puis toutes les roues de mon
+cerveau s&rsquo;ébranlérent avec une vitesse infernale, et j&rsquo;entendis
+un glas frapper au fond de moi-même: LE
+REVENANT, C&rsquo;ÉTAIT MOI!
+</p>
+
+<p class="right">
+1893
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="fr" lang="fr">
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-5">
+<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
+<span class="line1">L&rsquo;ORACLE.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
+<span class="firstchar">E</span>lle était grande et laide, une roche informe et
+nue, qu&rsquo;elle hit éclairée ou à l&rsquo;ombre, toujours triste.
+</p>
+
+<p>
+Un homme s&rsquo;y égara un soir, mais perdant pied
+aussitôt il mourut victime, lui fort et pensant, de cette
+grande chose inerte et brute, et personne ne la montait
+plus. Elle demenrait à l&rsquo;ombre le plus souvent des
+grandes cimes autour, et le soleil ni la lune ne l&rsquo;aimaient.
+Seule la neige s&rsquo;y plaquait lourde et compacte!
+</p>
+
+<p>
+Or en une nuit de lune et de Vent (le monde déjà
+était vieux) quelque chose remua au fond du rocher,
+et l&rsquo;emplit soudain, comme d&rsquo;un profond soupir. Ce
+ne fut qu&rsquo;un instant! quelques caillons roulèrent et un
+peu de neige bleuâtre se détacha. Ce fut tout.
+</p>
+
+<p>
+Mais en cet instant si vague, et d&rsquo;infinie lourdeur
+&mdash; le rocher subit sa propre tristesse sourdement, comme
+la plante comme s&rsquo;éveille l&rsquo;aloès du fond de sa torpeur,
+c&rsquo;est ainsi que sa propre Enigme vint saisir la montagne
+et lui révéla son Mystère, les liens occultes, qui la
+liaient aux longs chagrins et aux incurables misères,
+à tout ce qui est noir ou navrant dans la création.
+</p>
+
+<p>
+Tout cela l&rsquo;enveloppa comme d&rsquo;une Ombre Géante.
+Et un accord vibra en ce domaine silencieux! Une
+source s&rsquo;agita affolée! elle mouta brûlante et profonde
+jusque à l&rsquo;ivresse, pour tarir aussitôt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
+Mais la Terre &mdash; si rèveuse en ces nuits de Lune
+et de Vent tressaillit et appela. Alors des milliers
+d&rsquo;ombres se dégagèrent des plis de Ténèbres et s&rsquo;agitèrent
+autour du rocher éteint pour saluer l&rsquo;Idée &mdash; le
+Symbole &mdash; l&rsquo;Oracle enfin qui venait de parler.
+</p>
+
+<p class="right">
+1893
+</p>
+
+</div>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-6">
+<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
+<span class="line1">HERBSTLIED.</span>
+</h2>
+
+<div class="poem">
+ <p class="line">Herbstlich sinkt der Tag nun.</p>
+ <p class="line">Herbstfarb&rsquo;nes Licht, so sanft wie süsser Ton,</p>
+ <p class="line">Zart wie bedeutsamer Traum,</p>
+ <p class="line">Der uns beglückend streifte in der Flucht.</p>
+ <p class="line">Ach weile, guter Herbst!</p>
+ <p class="line">Dein ist der tönendste Ton im Jahr!</p>
+ <p class="line">Musik der Dämmerung ist deine Stunde,</p>
+ <p class="line">Beruhigte Leidenschaft dein tiefer Blick.</p>
+ <p class="line">Ist Verfall dein Sinn?</p>
+ <p class="line">Oder lächelst du über den Tod? &mdash;</p>
+</div>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-7">
+<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
+<span class="line1">DER WALCHENSEE.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
+<span class="firstchar">D</span>ie Berge zogen ihre hohen, sanften Linien in der
+bleichen Dämmerung. Ahnungsvoll schien jede Senkung,
+jede Matte, jeder Schatten, und stumm hielten die Tannen
+hart am Ufer Wacht. Und Luna zog langsam mit
+ihrem Gefolge weissgeballter Wolken hinter den Spitzen
+der Berge einher.
+</p>
+
+<p>
+Kein Sternengefunkel störte noch des Himmels Ruh&rsquo;!
+Und wie tief kündete sich da die Nacht, wie fern
+schien da Aurora, als käme nimmer der frühe Tau,
+noch die strahlende Sonne zurück.
+</p>
+
+<p>
+»Ach!« seufzte da eines Menschen Stimme, »käme
+nimmer der Morgen!«
+</p>
+
+<p>
+Doch plötzliches Entsetzen fasste ihn alsbald, und
+starre Angst trieb ihn dem Gestade entlang, war es
+ihm doch, als hätte er hier Schatten ins Bewusstsein
+gerufen und aufgescheucht, als sei ihm das verhängnisvolle
+Wort entfahren, das diesem See und dieser Natur
+geheimnisvoll zu Grunde lag, und als seufzte nun alles
+rings um ihn, von jeder Felswand rauschend und vom
+Strande wiederhallend, ein traumversunkenes und im
+Traum gefundenes Echo:
+</p>
+
+<div class="poem">
+ <p class="line">Ach, käme nimmer der Morgen!</p>
+ <p class="line">Käme nimmer der Morgen!</p>
+</div>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-8">
+<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
+<span class="line1">DIE HERUNTERGEKOMMENEN.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
+<span class="firstchar">A</span>ls die Nacht hereingebrochen war und der kalte
+Zug durch die Fensterspalten blies, da wurde es auch
+stille in dem langen Gang, wo die Ahnenbilder hingen
+unverrückt an der dunklen Wand und die Finsternis
+über sich ergehen liessen wie über ihre Gräber. Allein
+die Nachkommen dieser längst verblichnen Leute wohnten
+noch in dem alten Schloss und fanden keine Ruhe,
+denn sie wollten und wünschten mit der wilden Kraft,
+die sie von den Vätern geerbt! Währenddem die Nacht
+sich immer tiefer senkte, schlief da Keins. Alle hofften,
+fürchteten und sehnten sich zu sehr in diesen alten
+Mauern, als dass der Schlaf sich ihnen rettend nähern
+konnte. Den hielt der Hass und den die Liebe, alle
+aber hielt der Lebensdrang, die Heftigkeit des Wunsches
+und die trübe Ahnung des Unerfüllbaren wach.
+</p>
+
+<p>
+Die Väter hatten so froh genossen und so wilden
+Auges gelebt! Sie glichen sich alle in Miene und Blick,
+und Generationen hindurch verzehrten sich die schönsten
+Frauen in Liebe um dies Haus!
+</p>
+
+<p>
+Das Glück aber hielt treue Wacht und zog goldene
+Gitter um seine Günstlinge.
+</p>
+
+<p>
+Einem breiten glänzenden Strome glich dies Geschlecht,
+der schimmernd die schönsten Lande durchzieht,
+<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
+Wälder und hohe Gipfel, glänzende Städte und
+den ganzen Himmel lachend wiederspiegelt.
+</p>
+
+<p>
+Zöge sich doch mein Herz nicht zusammen, als
+ich dieses Vergleichs gedenke! Denn nach hundert
+Jahren erlosch ein Stern: der herrliche Fluss rauschte
+weiter; da veränderte sich sein Bett. Hoch und furchtbar
+drangen kahle Felsenwände auf ihn ein, qualvoll
+türmte sich da das tiefe Gewässer und wütete gegen
+die hemmende Wand.
+</p>
+
+<p>
+Sein schrecklicher Schall tönte betäubend durch die
+Welt. Unerbittlich aber verengten sich noch die Thore,
+und der Fluss brach sich heulend seine Bahn. Als
+wilder <a id="corr-1"></a>umdunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. &mdash;
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-9">
+<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
+<span class="line1">SKIZZE.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
+<span class="firstchar">V</span>or Jahren fiel mir ein Buch in die Hände, dessen
+Titel ich mich nicht mehr entsinnen kann, es war
+eine Übersetzung aus dem Griechischen und mit vielen
+Anmerkungen versehen, wovon eine einen alten Spruch
+citierte, der mir immer im Gedächtnisse blieb. Die
+Worte erinnere ich mir nicht, nur den Sinn, und
+der war folgender.
+</p>
+
+<p>
+»Nicht der Mann ist die Weisheit, nicht die Frau
+ist die Liebe: Die Frau ist Weisheit, der Mann ist
+Liebe. Des scheinbaren Umtausches sich nicht bewusst,
+sucht der Mann in der Frau seine eigne Liebe,
+die Frau im Manne ihre Weisheit wieder.«
+</p>
+
+<p>
+Dieser Spruch schien mir nach und nach so
+manches Unerklärliche und Unvereinbare, das in jenen
+Beziehungen nicht zu begleichen schien, schärfer zu
+beleuchten.
+</p>
+
+<p>
+Ein »ganzer Mann« wird einer Frau in so entscheidenden
+Punkten überlegen sein, dass nur die tiefere
+Weisheit des schwächeren Teils ein Gleichgewicht herzustellen
+vermag und in jener Weisheit allein die
+Möglichkeit liegt, den Blick dieses Mannes ganz wiederzuspiegeln.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
+Ist dieser Spiegel getrübt oder zu stürmisch oder
+zu seicht, so wendet der Blick sich ermüdet ab und
+sehnt und sucht nach andern Augen, die wieder versprechen
+und wieder enttäuschen.
+</p>
+
+<p>
+Umgekehrt sehen wir oft ganz unbedeutende Männer
+von einem weiblichen Wesen dauernd gefesselt, von
+dem sie nie Kenntnis gewinnen können, in dem aber
+die Weisheit verborgen liegt, die sie mit dumpfer Sehnsucht
+erfüllt. Eine solche Frau, deren innere Entwicklung
+ihren eigenen Weg zu folgen bestimmt war, sieht
+oft zu ihrem stillen Befremden einen ihr so fremden
+Mann so treu an ihrer Seite.
+</p>
+
+<p>
+Was nun mit jener Weisheit in dem alten Spruche
+gemeint war, ist sicher nicht die Lebensklugheit noch
+Schärfe oder Kraft des Geistes, denn die wohnen alle
+dem Manne viel thätiger inne. Sie wird wohl eher
+dem Meeresspiegel vergleichbar sein, der tiefer und
+beschaulicher wird, je mehr sich darin versenkt. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Jeder kennt jenes eigentümliche Gefühl, das ihn
+angesichts der gleichgültigsten Dinge anwandeln kann,
+ihn zwingt, innezuhalten und Gedanken einzulassen,
+die von aussen auf ihn einzudrängen scheinen und
+deren Bewandtnis er noch nicht erfasst.
+</p>
+
+<p>
+So stand ich einmal auf einem weiten, freien Feld
+und dachte an die Druiden, wie die Welt in ihnen
+wiederhallte, in sie drängend wie ein Strom, so dass
+sie ihr das Rätsel fast entrieten und, von ihrer Ahnung
+überwältigt, Wahrheiten stammelten &mdash; in undurchdringlichen
+Worten.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
+Da fiel mir &mdash; anscheinend schauerlich unzusammenhängend
+&mdash; der Don Juan ein!
+</p>
+
+<p>
+War etwa <em class="em">hier</em> ein Gegensatz? &mdash; War hier
+<em class="em">etwas</em>, was sich deckte?
+</p>
+
+<p>
+Ich weiss es nicht. &mdash; Aber mit einem Male begriff
+ich, wie sich der Zauber und die Tragik im Dasein
+zweier Geschlechter in jener dunklen Gestalt und ihren
+Opfern sublimieren konnte, und ich begriff den klärenden
+Schein, den Mozart um sie wob.
+</p>
+
+<p>
+Trat in diesem Wesen irgend ein verborgenes Gesetz
+in Kraft und blieb das nie Erreichte auf weit abliegender
+Bahn und keinem füglichem Gebiet verwiesen? &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Lag etwa im Blicke der Veleda jene Ruh&rsquo;, die
+Don Juan in jedem schönen Auge suchte, jenem andern
+Zuge folgend, der die Liebe so unendlich adelt? &mdash; Und
+lag seine eigne Gewalt in seiner eignen Sehnsucht? &mdash;
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-1-10">
+<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a>
+<span class="line1">DAS TRAUMBUCH.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a>
+<span class="firstchar">M</span>an wirft mir so gerne vor, dass ich nicht
+schreibe! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Aber erstens! &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Und zweitens gehört hiezu doch auch eine leidliche
+Erfindungsgabe, und ich bin nur deshalb so leichtgläubig,
+weil ich auf das Gegenteil von dem, was man
+mir sagt, von selbst gar nicht gerate, eine solche Veranlagung
+ist nicht eben produktiv!
+</p>
+
+<p>
+Über Gegebenes, Menschen wie Dinge, kann ich
+lange und eindringlich nachdenken, nur muss ich sie
+haben! &mdash; Aus der Luft greife ich nichts, denn eine
+unübersteigbare Kluft trennt mich von jener Fähigkeit
+zu schaffen, die so beglückend und erhebend sein muss
+und wohl deshalb so selten ist.
+</p>
+
+<p>
+Die einzige Genugthuung jedoch, welche mir diese
+endlich errungene Erkenntnis bot, war, dass ich mich
+frei sprechen konnte von aller Schuld, wenn keine
+Gedichte und keine Romane aus meiner Feder flossen,
+denn wie viel besser wusste ich als alle andern, dass
+ich keine zu stande brachte!
+</p>
+
+<p>
+Als ich aber hierüber noch nicht im Reinen war
+und mir die Menschen so manches versicherten, was
+mich nicht überzeugen konnte und doch sehr verdross &mdash;
+<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a>
+fasste ich einmal einen verzweifelten Plan, den ich auf
+die äusserste Spitze treiben wollte und einem Mann von
+Fach zu eröffnen beschloss.
+</p>
+
+<p>
+Ich liess mich bei ihm melden und erhielt einige
+Tage darauf ein zierliches Briefchen, worin er mich
+auf sein Landgut zu einer Unterredung berief.
+</p>
+
+<p>
+Nun hatte ich nachts bevor, folgenden Traum: Ich,
+die nie im Leben geritten war, sass plötzlich hoch zu
+Ross, ritt andern Reitern, die mich beschworen einzuhalten,
+voran, liess mich dann langsam herabgleiten
+und stieg die Treppe zu unserm Hause hinauf.
+</p>
+
+<p>
+Dann erwachte ich. &mdash; Da jedoch dieser Traum
+sehr lebhaft in meinem Gedächtnisse haften blieb, so
+schlug ich in meinem Traumbuch nach, ob eine Deutung
+darauf stünde und las folgendes: »Unterlasse nicht,
+was du vorhast!« Mir aber kam diese Weisung wirklich
+wie gerufen, denn schon lange wollte ich einen recht
+flagranten Beweis in Händen haben, der mich von
+meiner Leichtgläubigkeit endgültig kurierte. Derselbe
+Abend sollte mich ja noch belehren!
+</p>
+
+<p>
+Dann verliess ich mein Haus und nahm den Zug.
+</p>
+
+<p>
+Das Wetter war leuchtend, und zuletzt führte mein
+Weg auf einem schmalen Fusspfad durch ein hohes
+Kornfeld.
+</p>
+
+<p>
+Ganz ergriffen hielt ich da inne; denn die Welt
+war an diesem Tage zu schön, ihr Schein zu unbeschreiblich!
+</p>
+
+<p>
+Ovid&rsquo;s Verwandlungen berührten mich mit einemmale
+als naturgemäss, und mir war, als würde ich
+<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a>
+selbst zu jenem singenden, summenden Kornfeld, so sehr
+entzückte mich gerade an dieser Stelle das goldene Leben
+unserer Erde.
+</p>
+
+<p>
+Doch nur wenig Schritte trennten mich von der
+Besitzung, in der meine Autorität hauste, und nun
+erschien mir mein Plan erst recht in seiner ganzen
+Unausführbarkeit.
+</p>
+
+<p>
+Eine Stunde später ging ich denn auch sehr gemessen
+denselben Weg wieder zurück: Zuerst war der
+Mann von Fach sehr ernsthaft drei Schritte zurückgewichen
+und hatte mich angestarrt. &mdash; Aber in sein
+langes herzliches und eindringliches Lachen musste ich
+am Ende doch einstimmen.
+</p>
+
+<p>
+Träume! dachte ich nun und wurde nachdenklicher
+mit jedem Schritt, denn manches schien mir doch recht
+befremdend auf der Welt.
+</p>
+
+<p>
+Wie kam es zum Beispiel, dass die Alten, diese
+klugen, spöttischen Griechen, denen die Wirklichkeit so voll
+genügte, solche Acht auf ihre Träume hielten, dass die
+Geschichte selbst sie uns ganz ernsthaft mit Daten und
+Thatsachen bringt? Vor jedem Schlachtenberichte stehen
+sie da als Avantgarde, und jeder Feldherr klügelt über
+den seinen!
+</p>
+
+<p>
+Nun denke man sich nur einen modernen Geschichtsschreiber
+Napoleon&rsquo;s oder Bismarck&rsquo;s Träume
+und dann zum Schluss noch seine eignen verzeichnend.
+Und das mit der gebietenden Miene eines Plutarch!
+</p>
+
+<p>
+Wäre es möglich, dass hier etwas dahintersteckte
+und es uns verloren ging?
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a>
+Sonst dienen uns doch die Alten so gerne als
+Vorbild.
+</p>
+
+<p>
+Wer aber würde sich heutzutage mit derlei befassen?
+Die eigentliche Bibliothek des Traumbuchs
+ist die Küche geworden und geschwätziges oder ungebildetes
+Volk beratschlagen es. Nur ich besass noch
+eins, kraft jener Erfindungsunfähigkeit, jener Sucht zu
+glauben, und auf glaubwürdiges zu lauern. Alle
+Exzesse und Irrtümer stehen da offen.
+</p>
+
+<p>
+So dachte ich, von dem wogenden Kornfeld nicht
+länger impressioniert, im Dämmerlichte des sinkenden
+Tages einhergehend und eignem Grübeln.
+</p>
+
+<p>
+Da plötzlich unerwartet, ungeahnt &mdash; stand vor
+meinen bestürzten Augen nicht das Gelingen meines
+Planes &mdash; eine andre Erfüllung, die meinen Traum
+wachrief wie mit einem langgedehnten Ruf, und wie
+einen kalten Hauch empfand ich meine eigne Blässe.
+</p>
+
+<h1 class="part" id="part-2">
+<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a>
+MUSIKALISCHES.
+</h1>
+
+<p class="motto">
+MOTTO: Wollen wir hoffen?
+</p>
+
+<p class="signature">
+Richard Wagner, X. Band.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-2-1">
+<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a>
+<span class="line1">EINE MUSIKALISCHE BETRACHTUNG.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a>
+<span class="firstchar">V</span>or einem mit Plakaten reich übersäten Kioske
+innehaltend, sagte kürzlich einer zu seinem Freunde:
+</p>
+
+<p>
+»Sieh doch die vielen Konzerte! Bis über die
+Wände hinaus klettern die Annoncen!«
+</p>
+
+<p>
+»Das ist schön!« rief der andere. »Da hast du
+unser liebes kunstsinniges München!«
+</p>
+
+<p>
+»Ja, da hast du&rsquo;s!« brummte wieder der eine.
+</p>
+
+<p>
+Und wie es so geht auf dieser Welt, als sie eine
+kleine Strecke weiter gegangen waren, fingen sie fürchterlich
+zu streiten an. In der Hitze jedoch gebieten wir selten
+über die überzeugenden Worte, selbst wenn wir im Rechte
+sind, und grad ein Philister hat da oft leichtes Spiel.
+</p>
+
+<p>
+Hier siegte denn auch der, dem beim Anblick der
+vielen Plakate das Herz freudiger schlug, und selbstbewusst
+und heiter kehrte er nach Hause zur Gattin.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie verdrossen ging der andre heim! Fiel
+ihm doch jetzt erst alles ein, was er im Eifer nicht
+fand; und wie sicher gestaltet sich nun seine Rede in
+den dunklen Strassen!
+</p>
+
+<p>
+Immer feuriger ging er einher, als müsste er
+Schritt halten mit seinen Gedanken, und sah recht
+närrisch dabei aus!
+</p>
+
+<p>
+Hier sei auch mir eine Bemerkung gestattet: Wage
+<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a>
+ich mich zwar jetzt mit dem Sprüchwort: Kinder und
+Narren etc. vor, so werde ich allerdings dem Vorwurf
+grosser Alltäglichkeit nicht entgehen, bringt uns heute
+doch fast jeder Plato&rsquo;s finstre Höhle (die Höhle, ach,
+du lieber Gott, in der wir alle so gemütlich sitzen!),
+oder citiert jene grosse Neuigkeit von dem grössten
+Tragiker, nicht wahr, der zugleich etc.&nbsp;.&nbsp;.&nbsp;.&nbsp;. Denn
+nur in solchen und ähnlichen Reminiscenzen ergehen
+sich nunmehr unsere gewandten Bücher und halten
+streng an die Devise unsres Jahrzehnts:
+</p>
+
+<p class="center">
+»Kaviar für Alle.«
+</p>
+
+<p>
+Vollends Sprüchwörter!
+</p>
+
+<p>
+Gut, so will auch ich das meine nicht zu Ende
+sagen, doch bitte ich euch, lasst uns hören, was der
+Narr erzählte:
+</p>
+
+<p>
+»Wie alt«, rief er, »wie alt ist doch die Klage
+nach entschwundenen Zeiten! Kein Zauber beschwört
+Vergangnes herauf! Wie der Regen, den die Erde so
+begierig trinkt, um dann wieder trocken zu werden
+und hart, so verschwinden spurlos nicht geträumte,
+ach! <em class="em">erfüllte</em> Ideale von der Welt!
+</p>
+
+<p>
+Wer ist es gewahr, dass Schritt für Schritt das
+Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit <a id="corr-2"></a>überall einbrechen,
+dass rasch und unbemerkt eine Epoche von uns
+scheidet? &mdash; Erst wenn sie sich ganz unsern Augen
+entrückte, erst dann wird die Verlorne im wahren Relief
+vor uns stehen. Aber wie Walther von der Vogelweide
+um zartere Minne, so werden wir umsonst darum klagen!
+Und inzwischen stellen wir uns blind und taub und
+<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a>
+lassen die Verwilderung um sich greifen! Nur ein
+sehendes Auge sieht die verlöschenden Fackeln, und nur
+dem feinen Ohre ist das wirre Gekreische vernehmbar.«
+</p>
+
+<p>
+(Schade, dass der Mann seine Reden nicht schön und
+<a id="corr-3"></a>symmetrisch aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten
+wilde Sprünge, und kamen dann im Bogen wieder.)
+</p>
+
+<p>
+»Wisst ihr,« rief er da plötzlich, »dass jener thatsächliche
+Plan, sich per Eisenbahn bequem auf die
+Jungfrau zu begeben, nichts anderes ist als ein Symbol
+unsrer Zeit?
+</p>
+
+<p>
+Denn nichts Höheres bedeuten unsre täglichen Konzerte,
+unsre Drehorgelorchester, und unsre ganze nivellierte
+Kunst. Überall ist der Pöbel ausgebrochen, zwar
+ein wohlgenährter, gut gekleideter und siegreicher Pöbel,
+aber erst recht der des Coriolan!
+</p>
+
+<p>
+Es haben uns doch die Besten gesagt und die
+wenig Grossen bewiesen, wie aristokratisch die Natur verführt,
+wie scheu und sparsam sie ihre vornehmste Blume,
+die der Kunst, auf ihren höchsten Gipfeln treibt, nur
+ganz Bevorzugten nach harter Mühe erreichbar.
+</p>
+
+<p>
+Was deutet uns ein zusammengepresster staubiger
+Büschel Edelweiss, an einer Strassenecke schreiend feilgeboten?
+Aber steil wie das Edelweiss und geheimnissvoll
+wie die Aloë ist die Kunst! Pöbelhaft war es daher
+von uns, sie mit Gewalt erstürmen zu wollen, und ein
+grober und hässlicher Wahn lag dieser »Massenbewegung«
+zu Grunde. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Denn als wir allesamt anfingen sie zu duzen, was
+war da natürlicher, als dass uns die Kunst entfloh?
+<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a>
+Ihren letzten müden Strahl, an dem wir zehren, halten
+wir nun für den »Morgenschein kommender Aeren!«,
+und keiner sieht, keiner weist auch nur von fern auf
+unsern deutlichen Verfall.
+</p>
+
+<p>
+Ob wohl je die Menschen vor einem solchen Wendepunkt
+gestanden sind?
+</p>
+
+<p>
+Ob ein ähnliches Phänomen die Griechen einst
+zu Grabe läutete? und ob nach Überwucherung der
+damaligen Kräfte ein ähnliches Schlingkraut die Erde
+überzog?
+</p>
+
+<p>
+Wer wüsste es zu sagen!? Blühten nicht damals
+die Redner und Bildhauer plötzlich in frecher Überzahl,
+just wie jetzt Kapellmeister und Solisten?
+</p>
+
+<p>
+Ehe man sich dann versah, verklang das ganze
+hohe Lied in Düsterkeit und Barbarei. Sind wir etwa
+wieder da angelangt? &mdash; Das wäre wohl auch hier
+die Frage!
+</p>
+
+<p>
+»Aber nichts wiederholt sich«, murmelte der Mann.
+</p>
+
+<p>
+Er war auf der Brücke angelangt, und der rasche
+Fluss schien ihm neue Einfälle zuzutreiben, denn er
+stand lange und sann, wie wohl der Mann beschaffen
+sein musste, der unsre abwärts gehende Fahrt zu hemmen
+vermöchte und neues Land eroberte.
+</p>
+
+<p>
+Über diesen gewaltigen Geist dachte der gute Kerl
+lange nach und ging dann brav nach Hause.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-2-2">
+<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a>
+<span class="line1">NEMESIS.</span><br />
+<span class="line2">Eine zeitgemässe Betrachtung.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a>
+<span class="firstchar">D</span>ass die Welt ihre grossen Menschen so vielfach verkannte,
+trug besonders für die Kleinen schlimme Folgen.
+</p>
+
+<p>
+Denn die Grossen kommen über kurz oder lang
+darüber hinweg (sei&rsquo;s nur, indem sie das Leben überwinden!),
+und ihre Landsleute halten dann frohlockend an
+ihre Namen als an ihr Eigentum fest; und starben diese
+Grossen im Elend, so trägt das Schicksal und der Einzelne
+die Schuld, denn die Allgemeinheit rettet sich ja stets.
+</p>
+
+<p>
+Dass es das ewig selbe Spiel bleibt, übersieht man,
+und klüger wähnen sich die Menschen jedesmal geworden,
+wenn sie pietätvoll ihren grossen Toten Säulen, Monumente
+und Brunnen errichten.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Rache gräbt unermüdlich, und alles rächt
+sich tausendfach!
+</p>
+
+<p>
+Weil der Flecken nun so klar am Tage liegt, wie
+taub und blind wir für unsre Helden waren &mdash; glaubt
+ihr, darum sei er getilgt und der urteilslose Unverstand
+samt seinen Folgen abgeschafft?
+</p>
+
+<p>
+<em class="em">Ein</em> Unterschied ist freilich da: der Vielbescholtne
+krankt nunmehr an seinem üblen Ruf, darf nicht
+mehr schelten &mdash; wagt es nicht &mdash; und lässt geschehen.
+Flugs dehnen sich da kleine Menschen himmellang, und
+bleibt die Menge scheu vor ihren Produktionen, so verzagen
+sie nicht mehr, denn die berühmtesten Vorbilder
+<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a>
+schweben ihnen vor, und die Tradition der Verkannten
+haben sie ja für sich!
+</p>
+
+<p>
+»Wirklich?« fragen sie mit einem unendlichen
+Lächeln, »mein Werk gefällt euch nicht?«
+</p>
+
+<p>
+Da blickt einer zaghaft zum andern, und einer
+nickt, und kleinmütig nicken sie alle, denn sie sind die
+junge Generation und büssen für den Unverstand der
+alten <em class="em">umgekehrt</em>!
+</p>
+
+<p>
+Das grosse eine Merkmal des Schönen, dass es
+zwanglos um sich greifen und unfehlbar, sei ihre Zahl
+vorerst noch so gering, die Herzen treffen <em class="em">muss</em> &mdash; auf
+dieses eine Merkmal, das doch zugleich auch unsre
+eigne Würde rettet, auf dies pochen wir nicht mehr,
+denn unsre Augen sind nicht unschuldig genug, und
+unsre Vergangenheit ist zu sehr getrübt!
+</p>
+
+<p>
+Den Lohn tragen wir nun davon! Auf dem schönen
+Erdreich, dem wir keine Frucht entnahmen, schiesst
+das Unkraut so munter wie nur je empor, und auf
+geweihtem Acker kauert dieselbe alte Schlange!
+</p>
+
+<p>
+Und die grossen Menschen?
+</p>
+
+<p>
+Je nun, man weiss vorerst nie, wo sie stecken, und
+sie haben nach wie vor ihre Müh&rsquo;. Auch sind die
+Zeichen nicht günstig. Aber vielleicht wirft uns die
+Flut der Zeit wieder einen ans Land, der den Weg
+wüsste aus all den verschlungenen Pfaden heraus und
+sich zur Stunde grämt, weil ihn der breite Fluss des
+Irrtums überrauscht!
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-2-3">
+<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a>
+<span class="line1">EINE SKIZZE ÜBER DIE STELLUNG DES KLAVIERS UND DER HEUTIGEN PIANISTEN.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a>
+<span class="firstchar">E</span>s ist in jüngster Zeit förmlich zur Redensart
+geworden, die Pianistenfrage kurz damit abzufertigen,
+indem man sagt. »Das Klavier interessiert mich nicht.«
+Was aber schlimmer ist wie Redensarten, und was
+mancher wohlgeschulte Pianist in München zu seinem
+bitteren Nachteil erfahren musste: Das Wort wird zur
+negativen That: er sieht nämlich sein Konzert mit
+knapper Not von Freunden und Bekannten, etlichen
+alten Leuten und den obligaten Kritikern besucht, die
+am nächsten Morgen ihr Bedauern über den »leeren
+Raum« zu Drucke bringen &mdash; und das eigentliche
+Publikum bleibt weg.
+</p>
+
+<p>
+Der Künstler selbst wird diese seine moderne Unpopularität
+natürlich nicht ohne Erbitterung wahrnehmen
+und sich nicht sehr erbaulich über die alte
+Musikstadt und ihr gepriesenes Entgegenkommen äussern.
+</p>
+
+<p>
+Nun gehe ich von jener alten paradoxalen Wahrheit
+aus, dass sich zwar in der Masse Irrtum und
+Unverstand wie von selbst potenzieren, dass aber trotzdem
+das Publikum in seinen Sympathien recht behält,
+und es sich jedenfalls der Mühe lohnt, nach dem
+Grunde zu forschen, wenn es sich einer öffentlichen
+Kundgebung gegenüber hartnäckig abgeneigt verhält.
+<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a>
+Ich möchte hierin für das Münchner Publikum sogar
+eine gewisse Unbeirrbarkeit beanspruchen, und gewiss
+birgt diese Stadt ein nennenswertes Kontingent wirklicher
+Musikkenner. Ohne mit dem Finger darauf
+weisen zu können, fühlt man es bei Gelegenheit deutlich
+durch, und dieses Kontingent sichert dort dem
+Grossen und Echten, selbst wenn es neu und ungewohnt
+ist, fast immer den Sieg.
+</p>
+
+<p>
+Nun ist München merkwürdigerweise eine geradezu
+pianistenfeindliche Stadt geworden, und ohne die Gründe
+ihrer Abneigung lange zu analysieren, ist sie ihnen im
+vornherein abhold; ja, die Pianisten zählen dort allgemach
+zu den verdrossenen Typen, und es ist jetzt
+Mode, die einst so Gefeierten trotz ihrer bedeutsamen
+Haartracht zu ignorieren.
+</p>
+
+<p>
+Da jedoch eine Abneigung, um sich selbst gerecht
+zu werden, stets motiviert werden sollte, so sei hier der
+Versuch gemacht, die eigentümliche Stellung zu bezeichnen,
+welche das Klavier heutzutage in künstlerischer
+Hinsicht einnimmt, und welche wir am besten gleich
+im voraus eine »schiefe Stellung« nennen wollen, um
+das Wort später erläutert zu sehen.
+</p>
+
+<p>
+In der Musik sind wir anerkanntermassen das
+erste Volk der Welt. Was wir aber mit dem Klavier
+angefangen haben, oder vielmehr, was wir daraus
+werden liessen, damit ist wieder einmal ein Beweis geliefert,
+wie leicht, uns der simple gute Geschmack im
+Stiche lässt!
+</p>
+
+<p>
+Wir Deutsche stehen überhaupt mit dem Geschmack
+<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a>
+und was er im höheren Sinne bedeutet: Formensinn
+und Grazie, auf etwas gespanntem, misstrauischem Fusse
+und fühlen uns nicht ungeneigt, dies alles als frivol
+zu taxieren. Kommt uns aber dann einmal der künstlerische
+Takt abhanden, so sind wir uns zwar wohl
+unsres künstlerischen Ernstes, aber eben weil wir des
+Taktes vergassen, unsrer Schwerfälligkeit nicht bewusst &mdash;
+und nur so ist es möglich, dass ein Übel, ein grober
+Irrtum, der sonst unsrer ganzen Richtung widerspricht,
+sich auf eine wirklich ungeheuerliche Art auswachsen
+und verbreiten konnte.
+</p>
+
+<p>
+Auf besagte Weise ist nun in dem musikalischen
+Deutschland das Klavier von seiner ursprünglichen Bestimmung
+abgekommen, hat sich eine Stellung angemasst,
+die ganz und gar nicht die seine ist, und wurde, nachdem
+es auf diesem neuen Boden das Publikum eine Weile
+verblüffte, von demselben verpönt. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Diesem beklagenswerten Verfall &mdash; die Folge rein
+äusserlicher Gründe &mdash; sollten wir nach Kräften entgegenwirken.
+</p>
+
+<p>
+Unsre grössten Klassiker haben nicht umsonst in
+edler Würdigung dieses Instruments ihre herrlichen
+Meisterwerke dafür geschaffen. Aber leider ist es ebenso
+wahr, dass sie dabei kaum einen unsrer modernen
+Pianisten, wie sie jetzt landläufig sind, als Exekutant
+im Auge hatten, noch dass sie dieselbe Idee vom Klavierspiele
+hatten wie er! Eine ganz kleine Sylbe trennt
+hierin die alte von der neuen Zeit: Sahen unsre Meister
+im Klavier ein stets verfügbares! Mittel, die mannigfachsten
+<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a>
+reichsten Tongebilde auf dem dürftigen Holze
+zu resümieren und zur Wiedergabe zu bringen &mdash; ein
+ideales Abstraktum &mdash; ein unschätzbares Mittel zum
+Zwecke musikalischer <em class="em">Re</em>produktion, so sieht hingegen
+der moderne Virtuos in seinem Instrument lediglich ein
+<em class="em">Pro</em>duktionsfeld. Nicht Mittel ist es ihm, sondern
+Zweck, und zwar sich selbst will er produzieren!
+Über einen so unkünstlerischen Standpunkt ist weiter
+kein Wort zu verlieren.
+</p>
+
+<p>
+Nennt man mir aber Franz Liszt als Beleg für
+die Berechtigung des modernen Pianisten, so werde ich
+erwidern, dass er eine Einzelerscheinung, ein ganz
+für sich gehendes musikalisches Phänomen vorstellt
+wie die Duse etwa für die Bühne, beide aber in dieser
+Hinsicht gleich wenig berufen, Bahnen zu eröffnen,
+denn es sind künstlerische Typen, deren Wert und Reiz
+eben in ihrer Eigentümlichkeit beruhen. Liszt&rsquo;s Mähne
+auf einem anderen Köpflein ist ebenso unbefugt, als es vermutlich
+die Mimik der Duse bei einer anderen Schauspielerin
+wäre, denn auch diese findet ihre Berechtigung
+in einer ganz individuellen künstlerischen Beschaffenheit,
+aber gewiss nicht als künstlerisches Moment! &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Und dieser Vergleich, wenn er sich nicht vollkommen
+deckt, mag immerhin dazu dienen, den Fall
+näher zu beleuchten: So wie die grosse Tragödin ihre
+<em class="em">eigne</em> Individualität auf der Bühne in tausend Nuancen
+schillern und erklingen lässt, mithin nicht die eigentlichen
+Heldencharaktere, wie sie unsre grossen Geister
+schufen, zur Gestaltung bringt, sondern auf dem nächsten,
+<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a>
+oft sogar dem nächstbesten Wege ihre ganz persönliche
+Empfindungsweise, ihre moderne Seele zur Mitteilung
+bringt, so verlässt auch der Pianist auf dem
+klassischsten aller Instrumente das ursprüngliche Gebiet,
+und nicht so sehr musikalische Werke, als seine eigne
+Person führt er uns vor, um sie unsrer Aufmerksamkeit
+aufzudrängen. Die moderne Klavierlitteratur ist
+nicht anders als im engsten Bündniss mit jenem Irrtum
+entstanden, den Virtuosen als Alleinherrscher vor
+seinem dadurch fraglich gewordenen Instrument hinzustellen,
+und beide hiemit zu vernichten.
+</p>
+
+<p>
+Denn wie thatsächlich das schönste Klavier unter
+den Jonglerien und der schaudervollen Gewandtheit
+eines Virtuosen zur unmusikalischen Plage wird, so
+denkt man auch heute unwillkürlich bei dem Worte
+»Musiker« an einen Geiger, Cellisten oder Sänger und
+nicht sobald an den Pianisten, der mitsamt seinem
+Instrument und seiner pompösen Spezial-Litteratur aus
+diesem Bunde ausgetreten zu sein scheint, seitdem er
+sich auf dem kolossalen Irrtum einschiffte, ein eignes,
+selbständiges Gebiet &mdash; die künstlich angelegte Klaviersee,
+zu befahren wähnte, und nun auf einer Sandbank
+festgesessen liegt, von der er nicht sobald wieder flott
+fährt, es sei denn, dass ihn die Musiker selbst wieder
+zu Ehren bringen und aus dem unförmlichen, verunglückten
+Dampfer wieder jenes ideale Schifflein bauen,
+als welches es einst an einem mächtigen Baue festgeankert
+lag, und mit ihm und durch ihn das unendliche
+Meer der Töne zu befahren, die Fähigkeit erhielt.
+<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a>
+In diese seine ursprüngliche so edle und produktive
+Abhängigkeit sollten wir es zurückführen, da es in
+»Demut« so viel erreicht. Nur so könnte es seine alte
+Würde wieder erhalten, und in uns die alte Freude und
+die alte Begeisterung wieder erwecken.
+</p>
+
+<h2 class="chapter" id="chapter-2-4">
+<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a>
+<span class="line1">EPILOG.</span>
+</h2>
+
+<p class="first">
+<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a>
+<span class="firstchar">W</span>as auch kommen mag auf dieser Welt, immer
+gestaltet sich eine Zeit neu und ungeahnt. Unsre Erde
+trägt keine Propheten, und nur durch ihre Unergründlichkeit
+sind die Orakel so wahr. Wer erträumte wohl
+je das nächste Geschlecht? Woran keiner dachte, das
+geschieht, wo der Fluss am ruhigsten floss, dort tritt
+er über.
+</p>
+
+<p>
+Tausende von Jahren belehren uns nicht über ein
+einziges, das sich noch nicht entrollte, unzählige von
+Schicksalen lassen unser eigenes stets neu. Die Notwendigkeit
+schafft mit ihren blinden Augen zu Tage,
+andre Mächte fordern wieder, was ihr trotzt, und so
+liegt die Welt unausgefochten im Kampf.
+</p>
+
+<p>
+Oft schon, glaube ich, wurde als das grösste Unheil
+des Christentums das Pharisäertum erwiesen, jene
+unheilvolle Macht, die von Grund auf, anscheinend
+auf alle Zeiten, den Charakter verunstaltete, den das
+neue Zeitalter erhielt. Wie unendlich viel, und wie
+unendlich wenig das Dogma verrät, diese These wurde
+nie aufgestellt, die Pharisäer umstanden das neue, wie
+das alte Testament; und so wurde es uns verdunkelt
+bis zur Unkenntlichkeit und entfremdet.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a>
+Jenes Unwesen selbst, verlor aber im Laufe der
+Zeit alle Macht; und da es tief in der Erde sitzt und
+in den Menschen wohnt, sann es auf eine neue Stätte.
+Wo aber fand es den Boden, den es nun zu sterilisieren,
+das Ding, das uns nun zu entfremden galt? Wo
+anders, als da, wo das Gute hingeflüchtet war, unangetastet,
+köstlich und steil, hoch über unsren Häuptern,
+und doch verborgen. Mit schlauem Zerstörungssinn
+erblühte es da inmitten der Kunst!
+</p>
+
+<p>
+Gut meinende Seelen, die aber vom Schweigen des
+Pythagoras nichts ahnten, hatten selbst dem verderblichen
+Heere die schmale Bresche verraten und wurden die
+ersten Pfähle auf jenem schrecklichem »chemin battu«,
+den jetzt die Mode so verwegen und unbefangen betritt.
+</p>
+
+<p>
+Hier müssen wir einen Augenblick zurückgreifen.
+Bekanntlich war es Grillparzer, der Beethoven&rsquo;s Grabrede
+hielt; nun wurden ihm kurzsichtigerweise und
+nach Wagner&rsquo;s Erscheinen folgende Worte daraus noch
+nachträglich verwiesen:
+</p>
+
+<p>
+»Beethoven&rsquo;s Nachfolger«, schloss der unmusikalische
+Dichter<a id="corr-4"></a>, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst
+hat geendet, wo die Kunst endet.« Und dabei ahnte
+Grillparzer wohl gar nicht, wie wahr er sprach!
+</p>
+
+<p>
+In der That hub Beethoven&rsquo;s Nachfolger von vorne
+an und erklomm einen Berg, um auch er &mdash; und dies
+ist bedeutsam &mdash; zu enden, wo die Kunst endigt.
+</p>
+
+<p>
+Wo sie aber zu Ende ist, dort behauptet wie eine
+wahnsinnige tote Karrikatur die heutige Musik ihren
+unredlichen Platz.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a>
+Wagner, dieser einfache Mann, der ohne Stil, nur
+von Gedanken gedrängt, sie so gross und unschuldig
+niederschrieb, hätte er doch den Missbrauch seiner tiefen,
+weittragenden Worte geahnt. &mdash; Mit Siegeln nur hätte
+er dann seine Bücher vermacht!
+</p>
+
+<p>
+Denn die göttlich stillen Seen, die ein Adler erschaute,
+sind nun ihrer Einsamkeit entweiht und von der
+lauten Menge umlagert. Eine so schauderhafte Vulgarisation,
+eine so triviale Gier, hohe Gefilde zu umlärmen,
+hat sich ihrer bemächtigt, dass alles Urteil befangen
+liegt, und keiner seine eignen Worte mehr spricht.
+Die Halbgebildeten, die Ungebildeten, sie stürzen alle
+voran. In dieser eitlen Wut ist jedes Unterscheidungsvermögen
+gelähmt, einer ist der schwächere Abdruck
+des andern, und alle halten sich krampfhaft an dieselbe
+Schnur. Nie aber verklingt das letzte hohle
+Wort!
+</p>
+
+<p>
+Ein Abhang im Schatten, ein Fels in der Dämmerung
+tönt voller als heutige Musik!
+</p>
+
+<p>
+Ach! käme doch einer, der unsre Geheimnisse
+in ihre alten Schleier hülle, bis wir gelernt haben, sie
+wieder zu verschweigen.
+</p>
+
+<p>
+Vielleicht werden wir dann die Früchte ernten,
+die wir so jäh herunterrissen, vielleicht gelangen wir
+dann auf Umwegen ans Ziel, vielleicht erschliessen sich
+uns dann neue Aussichten, ein neues Land und neue
+Bewandtnisse.
+</p>
+
+<p>
+Betrachten wir es genau: Das hehrste Sujet der
+Menschheit haben unsre grossen Geister scheu umschifft,
+<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a>
+und ihre unbeschreiblich zarte Jüngerschaft haben sie
+nicht gesagt oder nicht zu sagen vermocht.
+</p>
+
+<p>
+Wir aber wissen wohl in aller Stille, dass durch
+sie von Ferne eine Gestalt sich uns nähert, die uns so
+unerklärlich und unfassbar bleibt.
+</p>
+
+<p>
+Wir fühlen in der beglückenden Harmonie eines
+Plato, in Shakespeare&rsquo;s Tiefe, in Goethe&rsquo;s Erhabenheit,
+im Fluge Beethoven&rsquo;s, in Mozart&rsquo;s Klang, in Wagner&rsquo;s
+Blick, in der Sensibilität eines Schopenhauer (um einmal
+all die armen Abgedroschenen zu nennen!); wir
+fühlen, dass aus allen grossen Gemütern etwas ausgeht,
+was uns mit einer seltsamen Ahnung durchschauert
+betreffs eines, Gott sei Dank, noch nicht zu oft genannten
+Namens.
+</p>
+
+<p>
+Aber welches Genie schwänge sich auf eine so
+schwindliche Brücke und ergriffe den intangibelsten
+aller Fäden?! &mdash;
+</p>
+
+
+<div class="trnote">
+<p id="trnote"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
+
+<p>
+Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):
+</p>
+
+<ul>
+
+<li>
+... Ein Frosch sass im nassen <span class="underline">Grasse</span>, befriedigt und ...<br />
+... Ein Frosch sass im nassen <a href="#corr-0"><span class="underline">Grase</span></a>, befriedigt und ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... wilder <span class="underline">un</span>dunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. &mdash; ...<br />
+... wilder <a href="#corr-1"><span class="underline">um</span></a>dunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. &mdash; ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit <span class="underline">überrall</span> einbrechen, ...<br />
+... Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit <a href="#corr-2"><span class="underline">überall</span></a> einbrechen, ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... <span class="underline">symetrisch</span> aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten ...<br />
+... <a href="#corr-3"><span class="underline">symmetrisch</span></a> aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Dichter<span class="underline">«</span>, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst ...<br />
+... Dichter<a href="#corr-4"></a>, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst ...<br />
+</li>
+</ul>
+</div>
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Kurze Aufsätze, by Annette Kolb
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KURZE AUFSÄTZE ***
+
+***** This file should be named 44251-h.htm or 44251-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/4/4/2/5/44251/
+
+Produced by Jens Sadowski
+
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+will be renamed.
+
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+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
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+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
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+such as creation of derivative works, reports, performances and
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+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
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+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
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+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
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+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
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+ License. You must require such a user to return or
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+ and discontinue all use of and all access to other copies of
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+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
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+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
+forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
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+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
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+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
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+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
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+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation information page at www.gutenberg.org
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at 809
+North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email
+contact links and up to date contact information can be found at the
+Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For forty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+</pre>
+
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