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Langkau, Marc-Andre Seekamp and the +Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + + + + + + + + +Anmerkungen zur Transkription: Im Original kursiv gedruckter Text ist +mit _Unterstrich_ markiert. + + + + + RABINDRANATH TAGORE + + CHITRA + + EIN SPIEL IN EINEM AUFZUG + + +KURT WOLFF VERLAG +LEIPZIG + + + + +Einbandzeichnung von Walter Tiemann. +Dritte unveränderte Auflage 1918. +Die erste Auflage erschien 1914. + + + + +_Berechtigte deutsche Übertragung von ELISABETH WOLFF-MERCK nach der +von Rabindranath Tagore selbst veranstalteten englischen Ausgabe_ + + + + +VORBEMERKUNG + + +Dieses lyrische Drama wurde vor ungefähr 25 Jahren geschrieben. Es setzt +die Kenntnis der hier folgenden Fabel aus dem Mahabharata voraus: + +Während der Wanderungen, die Arjuna in Erfüllung eines Bußgelübdes +unternahm, kam er nach Manipur. Dort sah er Chitrāngadā, die schöne +Tochter von Chitravāhana, dem König des Landes, und von ihrer Anmut +überwältigt, bat er den König um ihre Hand. Chitravāhana fragte ihn +nach seiner Herkunft. Auf die Antwort, er sei Arjuna der Pandara, +erzählte der König ihm, daß einer seiner Ahnen, Prabhanjana vom +königlichen Stamme von Manipur, lange kinderlos geblieben war. Um einen +Erben zu erhalten, legte er sich strenge Bußübungen auf. Die Strenge +seines Lebens fand Gnade vor Shiva, und der Gott gewährte ihm und jedem +seiner Nachkommen ein Kind. + +Es geschah aber, daß das versprochene Kind stets ein Knabe war. Er, +Chitravāhana, war der Erste, dem nur eine Tochter, Chitrāngadā, gewährt +war, um das Geschlecht zu erhalten. + +Er hatte sie deshalb stets wie einen Sohn gehalten und zu seinem Erben +gemacht. -- + +Der König fährt in der Erzählung fort: »Der einzige Sohn, den sie +gebären wird, muß der Erhalter meines Geschlechts sein, und diesen Sohn +verlange ich als Kaufpreis für die Einwilligung in die Heirat. Wenn du +willst, kannst du sie unter dieser Bedingung haben.« Arjuna gab das +Versprechen, nahm Chitrāngadā zum Weibe und lebte mit ihr drei Jahre in +ihres Vaters Hauptstadt. Als ihnen ein Sohn geboren wurde, umarmte er +sie liebevoll, nahm Abschied von ihr und ihrem Vater und setzte seine +Wanderung fort. + + + + +PERSONEN + + + Götter: + _Madana_ (Eros). + _Vasanta_ (Lycoris). + + Sterbliche: + _Chitra_, Tochter des Königs von Manipur. + _Arjuna_, ein Prinz aus dem Hause der + Kuru. Er ist aus der Kshatriya oder + Kriegerkaste und lebt während der + Handlung als Eremit einsam im Wald. + + _Dorfleute_ aus einer abgelegenen Gegend + in Manipur. + + + + +ERSTE SZENE + +IM TEMPEL + + +_Chitra_ + +Bist Du der Gott mit den fünf Pfeilen, der Gott der Liebe? + +_Madana_ + +Ich war der Erstgeborene im Herzen des Schöpfers. Ich binde mit Fesseln +des Schmerzes und erfülle mit Seligkeit das Leben der Menschen! + +_Chitra_ + +Ich weiß, ich kenne jenen Schmerz und jene Fesseln! -- Und wer bist Du, +mein Herr? + +_Vasanta_ + +Ich bin sein Freund -- Vasanta -- der König der Jahreszeiten. Tod und +Alter würden die Welt bis ins Mark zerfressen, folgte ich ihnen nicht, +um sie beständig zu bekämpfen. Ich bin die Ewige Jugend. + +_Chitra_ + +Ich beuge mich vor Dir, Vasanta, mein Herr. + +_Madana_ + +Doch welch strenges Gelübde bindet Dich, schöne Fremde? Warum läßt Du +Deine frische Jugend welken in Buße und Demütigung? Solch Opfer ist dem +Dienst der Liebe fremd. Wer bist Du, und was ist Dein Gebet? + +_Chitra_ + +Ich bin Chitra, die Tochter aus dem königlichen Hause von Manipur. +Shivas göttliche Gnade versprach meinem königlichen Ahnherrn eine +ununterbrochene Reihe männlicher Nachkommen. Aber das Wort des Gottes +vermochte nicht, den Lebensfunken in meiner Mutter Leib zu wandeln, so +unbezwingbar war meine Natur, obschon ich ein Weib bin. + +_Madana_ + +Ich weiß, darum erzieht Dich Dein Vater wie einen Sohn. Er hat Dich +gelehrt mit dem Bogen umzugehen und Dich in allen Pflichten eines Königs +unterwiesen. + +_Chitra_ + +Ja, darum trage ich männliches Gewand und habe die Abgeschiedenheit des +Frauengemaches verlassen. Ich weiß nichts von Frauenlist, die die Herzen +gewinnt. Meine starken Hände können den Bogen spannen, aber ich habe die +Kunst des Liebesgottes nicht erlernt; das Spiel der Augen ist mir fremd. + +_Madana_ + +Das erlernt sich von selbst, Du Schöne. Die Augen brauchen darin nicht +unterrichtet zu werden. Das weiß der am besten, der von ihnen ins Herz +getroffen wurde. + +_Chitra_ + +Auf der Suche nach Wild wanderte ich eines Tages einsam durch den Wald +am Ufer des Purna-Flusses. Mein Roß band ich an einen Stamm und drang +in's dichte Gestrüpp, der Spur eines Wildes folgend. Ich fand einen +schmalen, gewundenen Pfad, der sich durch das Dämmer verschlungener +Zweige schlang. Die Blätter erzitterten vom Grillengezirp. Plötzlich +erspähte ich auf meinem Weg einen Mann, der auf einem Lager trockenen +Laubes ruhte. Hochmütig befahl ich ihm, mir Platz zu machen, aber es +kümmerte ihn nicht. Da stach ich ihn verächtlich mit der scharfen Spitze +meines Pfeils. Er sprang auf, stark und ebenmäßig an Wuchs, gleich einer +Flamme, die plötzlich aus einem Aschenhaufen züngelt. Ein belustigtes +Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, vielleicht ob meines knabenhaften +Anblicks. Da -- zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich mich Weib und +wußte, daß ein Mann vor mir stand. + +_Madana_ + +In glückbegünstigter Stunde verkünde ich Mann und Weib die erhabene +Lehre: Erkennet einander. -- Was geschah dann? + +_Chitra_ + +Voll Angst und Staunen fragte ich ihn: »Wer bist Du?« »Ich bin +Arjuna«, sagte er, »aus dem großen Stamme der Kuru«. Ich stand wie +versteinert und vergaß mich zu verneigen. War das wirklich Arjuna, der +Abgott meiner Träume, der Einzige, Große! Schon lange kannte ich sein +Gelöbnis, zwölf Jahre in Keuschheit zu leben. Mein junger Ehrgeiz hatte +mich manchen Tag angestachelt, mit ihm eine Lanze zu brechen, ihn +verkappt zum Zweikampf zu fordern und ihm meine Waffenkunst zu beweisen. +Ach töricht Herz, wohin entfloh Dein Stolz? Könnt' ich meine Jugend mit +ihren Sehnsüchten hingeben, um Staub zu sein unter Deinen Füßen, +wahrlich eine köstliche Gnade dünkte mir das. Ich weiß nicht, in welchem +Strudel der Empfindung ich mich verlor, als ich ihn plötzlich zwischen +den Bäumen entschwinden sah! -- Du töricht Weib, du grüßtest ihn nicht +und sprachest kein Wort, noch batest du ihn um Verzeihung, sondern +standest wie ein ungeschickter Tölpel, während er verächtlich +hinwegschritt!... Am nächsten Morgen legte ich meine Männerkleidung ab +und schmückte mich mit Armbändern, Fußringen, einer Gürtelkette und +einem Gewand aus purpurner Seide. Das ungewohnte Kleid schmiegte sich +fest um meinen bebenden Leib; aber ich beschleunigte mein Suchen und +fand Arjuna in Shiva's Waldtempel. + +_Madana_ + +Vollende Deine Erzählung. Ich bin der herzgeborene Gott, und ich +verstehe das Geheimnis dieser Triebe. + +_Chitra_ + +Nur undeutlich vermag ich mich zu erinnern, was ich sagte, und was ich +zur Antwort bekam. Heiß' mich nicht alles erzählen. Scham überwältigte +mich wie ein Donnerschlag und konnte mich doch nicht zerschmettern, so +durchaus hart bin ich, so männlich. Als ich heimwärts schritt, stachen +mich seine letzten Worte wie glühende Nadeln ins Ohr: »Ich habe +Keuschheit gelobt. Ich kann Dein Gemahl nicht sein!« O, um das Gelübde +eines Mannes! Sicherlich weißt Du, o Gott der Liebe, daß zahllose +Heilige und Weise den Preis ihrer lebenslangen Buße hingegeben haben um +eines Weibes willen. Ich brach meinen Bogen entzwei und verbrannte meine +Pfeile im Feuer. Ich haßte meinen starken, geschmeidigen Arm, gezeichnet +vom Spannen des Bogens. O Liebe, Liebe, Du hast tief in den Staub +gebeugt den nichtigen Stolz meiner männlichen Stärke, und all meine +Manneszucht liegt zermalmt zu Deinen Füßen. Nun lehre mich Deine Gebote. +Gib mir die Kraft der Schwachen und die Waffe der wehrlosen Hand. + +_Madana_ + +Ich will Dein Freund sein. Ich will den weltenbezwingenden Arjuna vor +Dein Angesicht bringen, ein Gefangener, der den Richtspruch seiner +Empörung aus Deiner Hand empfangen soll. + +_Chitra_ + +Stünde mir nur die Zeit zu Gebot, ich könnte allmählich sein Herz +gewinnen und brauchte der Götter Hilfe nicht. Zur Seite würde ich ihm +stehen als Gefährte, die wilden Rosse seines Kriegswagens lenken, die +Freuden der Jagd mit ihm teilen. Zur Nacht hielt ich Wache am Eingang +seines Zeltes und hülfe ihm, die großen Pflichten eines Kshatriya +erfüllen, die Schwachen zu befreien und Recht zu sprechen, wo es not +tut. Sicherlich käme der Tag, an dem er mich erblicken und verwundert +fragen würde: »Wer ist dieser Knabe? Ist einer meiner Sklaven aus einem +früheren Leben, meinen guten Taten gleich, mir gefolgt ins Diesseits?« +Ich bin nicht das Weib, das seine Verzweiflung mit nächtlichen Tränen in +einsamer Stille nährt, sie täglich hinter geduldigen Lächeln verbirgt, +als Witwe geboren. Die Blüte meines Verlangens soll nicht in den Staub +sinken, ehe sie zur Frucht gereift ist. Aber es ist die Arbeit eines +Lebens, Verständnis zu finden und Ehre zu erlangen für sein eigenstes +Ich. Darum bin ich an Deine Tür gekommen, Du, weltenüberwindende Liebe, +und Du, Vasanta, jugendlicher Gott der Jahreszeiten, nimm von meinem +jungen Körper die angeborene Ungerechtigkeit der Häßlichkeit. Für einen +einzigen Tag mache mich wunderbar schön, so schön wie die mit einem Mal +in meinem Herzen erblühte Liebe. Gib mir nur einen einzigen Tag +makelloser Schönheit, und ich will einstehen für die Tage, die da +kommen. + +_Madana_ + +Prinzessin, Dein Gebet sei erhört! + +_Vasanta_ + +Nicht nur für einen kurzen Tag, sondern für ein ganzes langes Jahr soll +der Frühlingsblüten Lieblichkeit sich um Deine Glieder schmiegen. + + + + +ZWEITE SZENE + +IM WALD + + +_Arjuna_ + +Träumte mir oder war Wirklichkeit, was ich am See sah? Im sinkenden +Schatten des Abends saß ich auf moosigem Grund und dachte vergangener +Jahre, als aus dem bergenden Dunkel der Blätter langsam eine Erscheinung +trat in der vollkommenen Gestalt eines Weibes. Sie stand auf einem +weißen, flachen Stein am Rande des Wassers. Es schien, als müsse das +Herz der Erde sich weiten vor Freude unter ihren nackten weißen Füßen. +Mir deuchte, die zarte Umhüllung ihres Körpers wollte sich in Verzückung +auflösen in Luft, wie der goldene Frühnebel vom schneeigen Gipfel des +östlichen Berges schmilzt. Sie beugte sich über den schimmernden Spiegel +des Teiches und erblickte ihr Antlitz darin. Sie schrak zurück und stand +still, dann lächelte sie, löste mit einer nachlässigen Bewegung des +linken Arms ihr Haar, das bis zu ihren Füßen zur Erde niederglitt. Sie +entblößte ihre Brust und betrachtete ihre makellos geformten Arme +erfüllt von Zärtlichkeit für ihren Körper. Sie neigte den Kopf und sah +ihre süße, blühende Jugend und das zarte Erröten ihrer flaumigen Haut. +Sie strahlte in freudiger Überraschung. So würde die weiße Lotosblume +den ganzen Tag über sich staunen, könnte sie des Morgens beim Erwachen, +ihren Hals beugen und ihr Abbild im Wasser sehn. Aber einen Augenblick +später wich das Lächeln von ihrem Antlitz, und ein Schatten von Trauer +stieg in ihren Augen auf. Sie band ihre Haarflechten auf, zog den +Schleier um ihre Schultern und schritt leise seufzend hinweg, wie ein +schöner Abend, der in Nacht versinkt. Die erhabene Erfüllung aller +Sehnsucht schien sich mir in einem Blitz geoffenbart zu haben und +verlosch dann ... Aber wer bewegt die Türe? + +(Chitra tritt ein, in Frauenkleidern.) + +Ah! sie ist's! Stille mein Herz!... + +Fürchte nichts, Herrin! Ich bin ein Kshatriya. + +_Chitra_ + +Edler Herr, Du bist mein Gast. Ich wohne in diesem Tempel. Ich weiß +nicht, wie ich Dir Gastfreundschaft erzeigen kann. + +_Arjuna_ + +Schöne Frau, Dein Anblick allein ist die höchste Gastfreundschaft. Wenn +Du mir's nicht verdenken willst, möchte ich Dich etwas fragen. + +_Chitra_ + +Es sei Dir gewährt. + +_Arjuna_ + +Welch strenges Gelübde hält Dich in diesen einsamen Tempelmauern +gefangen und beraubt die Sterblichen Deines lieblichen Anblickes? + +_Chitra_ + +Ich hege einen geheimen Wunsch in meinem Herzen, für dessen Erfüllung +ich täglich Gebete zu Shiva sende. + +_Arjuna_ + +Ach, was kannst Du verlangen, die Du das Verlangen der ganzen Welt bist? +Von dem östlichen Hügel, auf dessen Gipfel die Morgensonne zuerst ihren +feurigen Fuß setzt, bis ans Ende des Abendlands bin ich gewandert. Ich +habe das Köstlichste, Schönste und Größte der Erde gesehen. Mein Wissen +soll Dein sein, nur sage mir, was oder wen Du suchst. + +_Chitra_ + +Ihn, den ich suche, ihn kennen alle. + +_Arjuna_ + +Wer mag dieser Liebling der Götter sein, der Dein Herz gefangen nahm? + +_Chitra_ + +Er ist der Größte aller Helden, ein Sproß des höchsten Herrscherhauses. + +_Arjuna_ + +Herrin, opfere nicht diesen Schatz von Schönheit, der Dein ist, auf dem +Altar eines falschen Ruhmes. Unwahres Gerücht verbreitet sich von Mund +zu Mund, wie der Nebel im frühen Morgendämmer ehe die Sonne aufgeht. +Sage mir, wer ist der erhabene Held aus höchstem königlichem Stamm? + +_Chitra_ + +Einsiedler, der Ruhm andrer Männer erfüllt Dich mit Neid. Weißt Du +nicht, daß der Ruhm des königlichen Hauses der Kuru über die ganze Welt +verbreitet ist? + +_Arjuna_ + +Das Haus der Kuru! + +_Chitra_ + +Und hast Du nie den größten Namen dieses weitgerühmten Hauses gehört? + +_Arjuna_ + +Laß ihn mich von Deinen eigenen Lippen hören. + +_Chitra_ + +Arjuna, der Welteroberer. Ich habe diesen unsterblichen Namen von den +Lippen der Menge abgelesen und ihn sorgfältig in meinem Herzen +verborgen. Einsiedler, was blickst Du so verwirrt drein? Trägt dieser +Name nur trügerischen Glanz? Sag es, und ich will nicht zögern, den +Schrein meines Herzens aufzubrechen und den falschen Edelstein in den +Staub zu werfen. + +_Arjuna_ + +Ob auch sein Name und Ruhm, sein Mut und seine Tapferkeit wahr oder +falsch sind, um des Mitleids willen verbanne ihn nicht aus Deinem +Herzen, denn er kniet zu Deinen Füßen -- in diesem Augenblick. + +_Chitra_ + +Du, Arjuna! + +_Arjuna_ + +Ja, der bin ich, ein vor Liebe verschmachteter Bettler an deiner Tür. + +_Chitra_ + +So ist es nicht wahr, daß Arjuna das Gelübde zwölf Jahre langer +Keuschheit getan hat? + +_Arjuna_ + +Du hast meinen Schwur gelöst wie der Mond den nächtlichen Schwur der +Dunkelheit. + +_Chitra_ + +Scham über Dich! Was sahst du in mir, das Dich Deinem eigenen Ich +untreu werden ließ? Wen suchst du in diesen dunklen Augen, in diesen +milchweißen Armen, wenn Du sie mit dem Preis Deiner Ehre zu bezahlen +bereit bist? Nicht mein wahres Selbst, das weiß ich. Wahrlich das kann +nicht Liebe sein, nicht des Mannes tiefste Ehrfurcht vor dem Weib! Wehe, +daß der Körper, diese zerbrechliche Hülle, uns blendet, das Licht der +unsterblichen Seele zu schauen! Ja, Arjuna, nun weiß ich gewiß, falsch +ist der Ruhm Deines Heldentums. + +_Arjuna_ + +O, ich fühle wie eitel der Ruhm ist und der Stolz der Tapferkeit! Alles +scheint Traum. Du allein bist vollkommen, Du bist der Reichtum der Welt, +das Ende aller Armut, das Ziel alles Strebens, das Weib! Andere Frauen +gibt's, langsam und schwer zu erkennen, aber Dich einen Augenblick lang +zu sehn, heißt höchste Vollendung schauen, jetzt und in Ewigkeit. + +_Chitra_ + +Ach nicht ich bin's, nicht ich, Arjuna! Es ist das Trugbild eines +Gottes. Geh', geh' mein Held, geh'. Frei' nicht die Lüge, opfre dein +großes Herz nicht einer Täuschung. Geh'. + + + + +DRITTE SZENE + +IM TEMPEL + + +_Chitra_ + +Nein, unmöglich ist's den brennenden Blick der hungrigen Seele +auszuhalten, der mit Händen dich umklammert, zu fühlen, wie das Herz +sich müht, die Fesseln zu sprengen, und den wilden Schrei, der sich ihm +entringen will -- und den Liebenden dann hinweg zu senden wie einen +Bettler! Unmöglich ist's! + +(Madana und Vasanta treten auf.) + +Ach, Gott der Liebe, welch furchtbares Feuer hast Du in mich gesenkt! +Ich verbrenne, versenge, was ich berühre. + +_Madana_ + +Ich wünsche zu wissen, was in vergangener Nacht geschah. + +_Chitra_ + +Auf ein Lager von Gras, übersät mit Frühlingsblüten, legte ich mich am +Abend nieder und gedachte des wunderbaren Lobgesangs meiner Schönheit, +den ich von Arjuna gehört. Tropfen nach Tropfen trank ich den Honig, den +ich am Tage gesammelt, Vergangenes und Zukünftiges war vergessen. Ich +fühlte mich der Blume verwandt: ihr sind nur flüchtige Stunden vergönnt, +dem summenden Schmeicheln, dem Flüstern und Murmeln der Wälder zu +lauschen. Dann muß sie die Augen vom Himmel wenden, ihr Haupt beugen und +ihren Atem aushauchen im Staub, klaglos den kurzen Traum eines +vollkommenen Augenblicks beenden, der nicht Vergangenheit noch Zukunft +kennt. + +_Vasanta_ + +Ein grenzenloses Leben voller Ruhm kann blühen und sich erschöpfen an +einem Morgen. + +_Madana_ + +Wie Ewigkeits-Sinn im kleinsten Bruchteil eines Liedes sein kann. + +_Chitra_ + +Die südliche Brise wiegte mich in Schlaf. Von dem blühenden +Malati-Hain über mir tropften schweigend Küsse auf mich nieder. Jede +Blume wählte sich ein Lager zum Sterben, in meinem Haar, auf meiner +Brust oder meinen Füßen. Ich schlief. Und in der Tiefe meines Schlafes +war mir plötzlich, als ob ein durchdringender, gieriger Blick meinen +Körper berühre, wie der spitzige, stechende Finger der Flamme. Ich +sprang auf und sah den Einsiedler vor mir stehen. Der Mond war westwärts +gewandert und lugte durch die Blätter, um das Wunder zu sehen, das durch +göttliche Kunst in zerbrechlicher Menschlichkeit erstanden war. Die Luft +war schwer, duftgeschwängert, die Stille der Nacht klang vom +Grillengezirp, regungslos lag das Spiegelbild der Bäume auf dem See. Und +mit seinem Stab in der Hand stand der Einsiedler groß, aufrecht und +schweigend wie ein Baum des Waldes. Mir war, da ich die Augen aufschlug, +als sei ich abgeschieden von aller Wirklichkeit des Lebens, und es +vollziehe sich an mir eine Wiedergeburt im Land der Träume. Scham fiel +von mir und glitt wie ein gelöstes Gewand auf meine Füße nieder. Ich +hörte seinen Schrei -- »Geliebte, einzig Geliebte!« Und all' meine +vergangenen, vergessenen Leben schmolzen zu einem und riefen ihm Antwort +zu: »Nimm mich, nimm mich ganz zu eigen!« Und ich breitete meine Arme +nach ihm aus. Der Mond sank hinter den Bäumen. Ein dunkler Vorhang +bedeckte alles, Himmel und Erde, Zeit und Raum, Lust und Schmerz, Leben +und Tod schmolzen in Eins in unsagbarer Verzückung.... Mit dem ersten +Morgenstrahl, dem ersten Vogelzwitschern richtete ich mich auf und +blieb, auf den linken Arm gestützt, sitzen. Der Einsiedler lag +schlafend, ein unbekümmertes Lächeln krümmte sich um seine Lippen, wie +der wachsende Mond am Morgen. Der Dämmerung rosiges Glühen fiel auf +seine edle Stirn. Ich seufzte, stand auf und zog die breitblättrigen +Lianen zusammen, um sein Gesicht vor der flutenden Sonne zu schützen. +Ich schaute umher und sah die gleiche alte Erde. Ich erinnerte mich, was +ich gewesen und rannte, rannte wie ein Reh, das seinen eigenen Schatten +fürchtet, den Waldpfad entlang, den Stephali-Blumen bedeckten. Ich fand +einen einsamen Winkel, setzte mich nieder, barg mein Gesicht in beiden +Händen, um zu weinen und zu klagen. Doch meine Augen blieben tränenlos. + +_Madana_ + +Weh über Dich, Tochter der Sterblichen! Ich stahl aus den göttlichen +Speichern den duftenden Wein des Himmels, gab ihn, eine irdische Nacht +gefüllt bis zum Rande, in Deine Hände, auf daß Du tränkest -- und immer +hör' ich noch diesen Schrei der Qual! + +_Chitra_ + +(bitter) + +Wer trank ihn? Des Lebens seltenste Erfüllung, erste Liebesumarmung bot +man mir dar und entriß sie wieder meiner Sehnsucht? Diese erborgte +Schönheit, die Falschheit, die mich umhüllt, sie werden von mir gleiten, +wie Blüten im Wind entblättern, und die einzig sichtbare Erinnerung +jener süßen Vereinigung mitnehmen, und voll Scham über seine Armut wird +das Weib weinend sitzen -- Tag und Nacht. Gott der Liebe, diese +verfluchte äußere Gestalt begleitet mich Tag und Nacht, wie ein Dämon, +und beraubt mich allen Liebeslohnes -- all der Küsse, nach denen ich +verschmachte. + +_Madana_ + +Ach, umsonst war Deine einzige Nacht! Die Barke der Erfüllung kam in +Sicht, aber die Wellen ließen sie das Ufer nicht berühren. + +_Chitra_ + +Der Himmel war meinem Griff ganz nahe und ich vergaß für Augenblicke, +daß ich ihn noch nicht erreicht hatte. Aber als ich des Morgens aus +meinem Traum erwachte, fand ich im eigenen Körper die Rivalin. Nun ward +mir die verhaßte Pflicht, sie täglich zu schmücken, zum Geliebten zu +schicken und zu sehen, wie er sie liebkoste. O Gott, nimm Dein Geschenk +zurück! + +_Madana_ + +Aber wie willst Du vor Deinen Geliebten treten, wenn ich es von Dir +nehme? Ist es nicht grausam, den Becher von seinen Lippen zu reißen, +nachdem er kaum einen Zug der Lust getan? Wie ärgerlich wirst Du ihm +sein? + +_Chitra_ + +Und doch wäre es besser so. Ich will ihm meine wahrhaftige Gestalt zu +erkennen geben, eine edlere Tat, als in dieser Maske zu leben. Wenn er +mich auch verstößt und verschmäht, wenn er mein Herz auch bricht -- +schweigend will ich's tragen. + +_Vasanta_ + +Hör' meinen Rat. Wenn die blumenerfüllte Jahreszeit vergangen, kommt +der Herbst und mit ihm der Triumphzug der Früchte. Die Zeit wird kommen, +da die überreife Blume des Leibes sich vergehend neigt. Dann wird Arjuna +die bleibende fruchtgewordene Wahrheit aus Dir voll Glück hinnehmen. O +Kind, geh' zurück zu Deiner rasenden Feier. + + + + +VIERTE SZENE + +IM WALD + + +_Chitra_ + +Warum beobachtest Du mich, mein Krieger? + +_Arjuna_ + +Ich sehe zu, wie Du den kleinen Kranz windest. Anmut und Geschick, die +Zwillingsbrüder, spielen tanzend auf Deinen Fingerspitzen. Ich sehe zu +und denke. + +_Chitra_ + +Was denkst Du, Herr? + +_Arjuna_ + +Ich denke, daß Du mit der gleichen schwebenden Berührung und Süßigkeit +die Tage meiner Verbannung in einen unsterblichen Kranz windest, um mich +zu meiner Heimkehr damit zu krönen. + +_Chitra_ + +Heimkehr! Diese Liebe ist nichts für ein Heim! + +_Arjuna_ + +Nichts für ein Heim? + +_Chitra_ + +Nein, sprich nie davon. Nimm mit in Dein Heim das Bleibende, Starke. +Laß die kleine wilde Blume an ihrem Geburtsort, laß sie dort in +Schönheit sterben, wenn der Tag sich neigt, mit all den welkenden Blumen +und den modernden Blättern. Nimm sie nicht mit in die Halle Deines +Palastes, um sie dort auf den steinernen Boden zu werfen, der kein +Erbarmen für Welken und Vergehen kennt. + +_Arjuna_ + +Sieht so unsere Liebe aus? + +_Chitra_ + +Ja, so und nicht anders! Was soll das Klagen? Was sich für müßige Tage +schickt, sollte sie nicht überdauern. Lust wandelt sich in Schmerz, wenn +ihr die Tür verschlossen ist, aus der sie scheiden soll. Nimm meine +Liebe hin und halte sie, so lange sie währen darf. Laß nicht des Abends +satte Zufriedenheit mehr fordern, als das morgendliche Verlangen ernten +kann ... Der Tag ist vorüber. Nimm dies Blumengewinde. Ich bin müde. +Nimm mich in Deine Arme, Geliebter, und laß alles eitle unzufriedene +Gezänk verstummen in der süßen Vereinigung unserer Lippen. + +_Arjuna_ + +Still, horch, Geliebte, der Klang der Gebetsglocken aus dem fernen +Dorftempel gleitet auf der Abendluft über die schweigenden Wipfel. + + + + +FÜNFTE SZENE + +IM TEMPEL + + +_Vasanta_ + +Ich kann nicht Schritt mit Dir halten, mein Freund! Ich bin müde. Schwer +ist die Pflicht, das Feuer in Glut zu halten, das Du entzündet hast. +Schlaf überkommt mich, der Fächer entfällt meiner Hand, und kalte Asche +bedeckt die Glut. Ich fahre wieder auf aus meinem Schlummer und rette +die träge Flamme, soweit es in meiner Macht steht. Aber so kann es nicht +weiter gehen. + +_Madana_ + +Ich weiß, Du bist unbeständig wie ein Kind. Ewig ruhelos ist Dein +Spiel im Himmel und auf Erden. Was Du in langen Tagen aufgebaut mit +endloser Sorge für jeden Bruchteil, in einem Augenblick zerstörst Du es +wieder, ohne Bedauern. Aber unsere Arbeit ist heut vollendet. +Freudengeflügelte Tage fliehen flüchtig dahin, und das sich neigende +Jahr vergeht mit berückendem Blühen. + + + + +SECHSTE SZENE + +IM WALD + + +_Arjuna_ + +Ich erwachte am Morgen und fand meine Träume in einen Edelstein +verschmolzen. Ich hatte keinen Schrein, ihn darin zu verschließen, keine +Königskrone, in die ich den Stein hätte fassen können, keine Kette hatte +ich, ihn daran zu hängen, und doch brachte ich's nicht übers Herz, ihn +wegzuweisen. So halte ich ihn, und mein Arm, der Arm eines Kshatriya, +vergißt über müßigem Tun seine Pflicht. + +(Chitra tritt ein.) + +_Chitra_ + +Sage mir Deine Gedanken, Herr! + +_Arjuna_ + +Meine Gedanken sind heute auf die Jagd gerichtet. Sieh, wie der Regen +in Strömen herniederstürzt und wild gegen den Berghang schlägt. Dunkle +Wolkenschatten hängen schwer über dem Wald, und gleich der sorglosen +Jugend überspringt der geschwollene Strom mit spöttischem Lachen alle +Schranken. Stets gingen wir fünf Brüder an solchen Regentagen in den +Wald von Chitraka, wilde Tiere zu jagen. Das waren schöne Zeiten. Unsre +Herzen tanzten zum Trommelwirbel der grollenden Wolken. Der Wald hallte +wider von den Schreien der Pfauen. Durch das Klatschen des Regens und +das Rauschen des Wasserfalles konnte das ängstliche Wild unsre Schritte +nicht hören. Die Leoparden ließen ihre Spuren in der nassen Erde zurück +und verrieten so ihr Lager. War die Jagd vorüber, so forderten wir uns +auf dem Heimweg gegenseitig heraus, reißende Ströme zu durchschwimmen. +Ein ruheloser Geist wohnt in mir, ich habe Sehnsucht nach der Jagd. + +_Chitra_ + +Erst erlege das Wild, das Du jetzt verfolgst. Bist Du gewiß, daß das +verzauberte Tier, das Du jagst, unbedingt gefangen werden muß? Nein, +noch nicht. Wie ein Traum entgleitet Dir das wilde Geschöpf, wenn es Dir +am nächsten scheint. Sieh, wie der rasende Regen den Wind jagt und +tausend Pfeile hinter ihm her sendet. Und doch bleibt der Wind frei und +unbesiegt. So ist auch unser Waidwerk, Geliebter! Du jagst nach der +schnellschreitenden Schönheit und versendest all Deine Pfeile nach ihr, +und doch flieht dies zaubrische Wild stets frei und unberührt davon. + +_Arjuna_ + +Hast Du kein Heim, Geliebte, wo liebende Herzen Deiner Rückkehr harren? +Ein Heim, dem Du durch sanftes Dienen Lieblichkeit verliehst, und dessen +Licht erlosch, als Du es für diese Wildnis verließest? + +_Chitra_ + +Was fragst Du? Sind die Stunden der Lust vorbei, in denen es kein +Denken gab? Weißt Du nicht, daß ich nur die bin, die Du vor Dir siehst? +Mein Blick geht nicht über das Jetzt hinaus. Der Tau auf den Blättern +der Kinsuka-Blüte hat weder Namen noch Schicksal, und gewährt keiner +Frage Antwort. Sie, die Du liebst, gleicht jener vollkommenen Tauperle. + +_Arjuna_ + +Verbindet sie kein Band mit der Welt? Ist sie nur ein Stück Himmel, das +ein lustspendender Gott unachtsam zur Erde fallen ließ? + +_Chitra_ + +Ja. + +_Arjuna_ + +Ach, darum ist mir immer, als müßte ich Dich verlieren. Mein Herz ist +unbefriedigt, meine Gedanken friedlos. Komm näher zu mir, Unerreichbare! +Ergib Dich und dulde die Fesseln, die da heißen: Name, Heim, Sippe. Laß +mein Herz Dich ganz umschließen, und mit Dir leben in der ruhigen +Sicherheit der Liebe. + +_Chitra_ + +Warum mühst Du Dich vergebens, die Farben der Wolken, den Tanz der +Wellen, den Duft der Blumen zu haschen und zu halten? + +_Arjuna_ + +Herrin mein, glaube nicht, daß Du mit Luftgebilden die Liebe befriedigen +kannst. Gib mir etwas, woran ich Halt finde, etwas, das die Lust +überdauert, das sich im Leid bewährt. + +_Chitra_ + +Mein Held, noch ist das Jahr nicht zu Ende, und schon bist Du müde! +Ja, nun erkenne ich die himmlische Güte, die den Blumen ein kurzes Leben +gab. Wäre ich mit den Blumen des letzten Frühlings verwelkt und +gestorben, ich wäre mit Ehren dahingegangen. Doch meine Tage sind +gezählt, Geliebter. Schone mich nicht, saug allen Honig aus mir, da Du +voller Angst bist, daß Dein armes Herz wieder und wieder zurückkommt +voll unerfüllter Wünsche und Begierden, gleich der durstigen Biene, wenn +die Sommerblumen welk im Staub liegen. + + + + +SIEBENTE SZENE + +IM TEMPEL + + +_Madana_ + +Heute ist Deine letzte Nacht. + +_Vasanta_ + +Des Frühlings unerschöpfliche Schatzkammer wird morgen die Lieblichkeit +Deines Körpers zurücknehmen. Die rosige Farbe Deiner Lippen wird in +einem Asoka-Blütenpaar neu aufblühen, frei von der Erinnerung an Arjunas +Küsse. In hundert duftenden Jasmin-Blumen wird der matte, weiße Glanz +Deiner Haut auferstehen. + +_Chitra_ + +O Götter, erhört mein Gebet! Laßt meine Schönheit in der letzten Stunde +dieser Nacht am hellsten erstrahlen, wie das letzte Aufleuchten einer +sterbenden Flamme. + +_Madana_ + +Dein Wunsch sei Dir gewährt. + + + + +ACHTE SZENE + +IM WALD + + +_Die Dorfleute_ + +Wer wird uns nun beschützen? + +_Arjuna_ + +Was soll's, welche Gefahr droht Euch? + +_Die Dorfleute_ + +Die Räuber kommen in Scharen aus den nördlichen Bergen, wie die Flut des +Gebirgsstromes, die unser Dorf verheert. + +_Arjuna_ + +Habt ihr keine Wächter in Eurem Königreich? + +_Die Dorfleute_ + +Chitra, die Königstochter, war der Schrecken aller Bösen. Als sie noch +in diesem glücklichen Lande weilte, kannten wir keine Furcht außer +einer: sterben zu müssen. Nun ist Chitra auf einer Pilgerfahrt, und +niemand kennt ihren Aufenthalt. + +_Arjuna_ + +Ist der Hüter dieses Landes ein Weib? + +_Die Dorfleute_ + +Ja, sie ist uns Vater und Mutter zugleich. + +(Die Dorfleute entfernen sich. Chitra tritt ein.) + +_Chitra_ + +Warum sitzest Du hier so einsam? + +_Arjuna_ + +Ich versuche mir vorzustellen, was für eine Frau die Prinzessin Chitra +sein mag. Viele Menschen erzählen viele Geschichten von ihr. + +_Chitra_ + +Ach, sie ist nicht schön, sie hat nicht meine schönen Augen, die dunkel +sind wie der Tod. Mit ihrem Geschoß kann sie jede Scheibe durchbohren, +nur nicht das Herz unsres Helden. + +_Arjuna_ + +Sie sagen, an Tapferkeit sei sie ein Mann, und ein Weib an Zärtlichkeit. + +_Chitra_ + +Und das gerade ist ihr größtes Unglück. Das Weib, das nur Weib ist, das +mit seinem Lächeln, mit seinen Seufzern, und mit zarten Liebkosungen die +Herzen der Männer einspinnt, ist allein glücklich. Was frommt ihr +Weisheit und große Taten? Hättest Du die Prinzessin nur gestern sehen +können, im Hof von Shivas Tempel, der am Waldpfad liegt, Du wärest +vorübergegangen ohne sie eines Blickes zu würdigen. Bist Du denn +weiblicher Schönheit so überdrüssig, daß Du in ihr männliche Kraft +suchst? + +Aus grünen Blättern, feucht vom sprühenden Gischt des Wasserfalls, habe +ich unser Bett zur Mittagsrast bereitet, in nachtdunkler Grotte. Die +Kühle des weichen grünen Mooses, das dicht den tropfenden Stein bedeckt, +küßt dort Deine Augen in Schlaf. Laß Dich dorthin geleiten. + +_Arjuna_ + +Nein, heute nicht, Geliebte. + +_Chitra_ + +Warum nicht heute? + +_Arjuna_ + +Ich habe von einer Räuberhorde gehört, die in die Ebene gekommen ist. +Ich muß gehen meine Waffen bereiten, um die erschreckten Dorfleute zu +beschützen. + +_Chitra_ + +Du brauchst Dich nicht um sie zu sorgen. Prinzessin Chitra hat starke +Wächter an den Grenzpässen aufgestellt, ehe sie ihre Pilgerfahrt begann. + +_Arjuna_ + +Nur für kurze Zeit laß mich das Kriegshandwerk eines Kshatriya üben. +Mit neuem Ruhm will ich diesen müßigen Arm bedecken, damit er Deinem +Haupt ein würdigeres Kissen sei. + +_Chitra_ + +Doch, wenn ich mich weigere Dich gehen zu lassen, wenn meine Arme Dich +umwunden halten? Würdest Du Dich roh von mir losreißen und mich +verlassen? So geh! Aber wisse, daß die Liane -- einmal entzweigebrochen +-- nie wieder zu einem Ganzen wird. Geh, wenn Dein Durst gestillt ist. +Doch wenn nicht, denke daran, wie unbeständig die Göttin der Lust ist +und daß sie nicht wartet auf den Menschen. Bleib noch eine Weile, Herr! +Sage mir die unruhigen Gedanken, die Dich quälen. Wer nahm heute Deine +Seele gefangen? War es Chitra? + +_Arjuna_ + +Ja, es ist Chitra. Mich nimmt wunder, um welches Gelübdes willen sie +auf die Pilgerfahrt gegangen ist. Was mangelt ihr? + +_Chitra_ + +Was ihr mangelt? Ja, hat sie denn je etwas besessen, die Unglückliche? +Es sind ja ihre eigensten Fähigkeiten, die sie mit Gefängnismauern +umschließen und ihr Frauenherz in einer kahlen Zelle gefangen halten. +Verdunkelt ist diese Frau und unerfüllt. Ihre Weibesliebe muß sich mit +einem Lumpenkleide bescheiden, denn Schönheit blieb ihr versagt. Sie +gleicht dem Geist eines freudlosen Morgens. Sie sitzt auf steinigem +Berggipfel und dunkle Wolken haben ihr Licht ausgelöscht. Frag mich +nicht nach ihrem Leben. Seine Geschichte klingt dem Ohr des Mannes nicht +lieblich. + +_Arjuna_ + +Ich brenne danach, alles von ihr zu hören. Ich bin wie ein Wanderer, der +um Mitternacht an eine fremde Stadt kommt. Kuppeln, Türme und +Gartenbäume sehen verschwommen und schattenhaft aus, und durch die +Stille des Schlafes tönt hin und wieder das dumpfe Klagen des Meeres. +Und er harrt sehnsüchtig auf den Morgen, der ihm alle die fremden Wunder +offenbaren soll. O, erzähle mir ihre Geschichte. + +_Chitra_ + +Was ist da mehr zu erzählen? + +_Arjuna_ + +Meine Einbildung zaubert mir sie vor, wie sie auf weißem Rosse reitet, +in der Linken die Zügel haltend und in der rechten Hand den Bogen, +gleich der Liebesgöttin, die frohe Hoffnung spendet. Mit wilder Liebe +schützt sie ihre säugenden Jungen wie eine wachsame Löwin. Auch des +Weibes Arme, die nichts anderes als ungefesselte Kraft schmückt, sind +schön! Mein Herz ist ruhelos, Du Liebliche, wie eine Schlange, die aus +langem Winterschlaf erwacht. Komm, laß uns miteinander auf schnellen +Rossen dahineilen, Seite an Seite, wie Zwillingsgestirne, die leuchtend +den Raum durchmessen. Heraus aus diesem dunklen, grünen, einschläfernden +Gefängnis, komm hervor unter der feuchten, duftenden, berauschenden +Decke, die den Atem benimmt! + +_Chitra_ + +Arjuna, sag mir die Wahrheit: wenn ich mich jetzt plötzlich durch +einen Zauber dieser wollüstigen Weichheit entledigen könnte, diesen +zarten Schmelz der Schönheit abstreifte, der vor der derben, gesunden +Berührung der Welt schaudert, und das alles von meinem Körper +herunterrisse wie geborgtes Gewand -- könntest Du das ertragen? Wenn ich +mich aufrichte, grade und stark, mit der Kraft eines mutigen Herzens, +und die Listen und Künste der kriechenden Schwachheit verächtlich von +mir weise, wenn ich mein Haupt erhebe, wie die hohe, junge Bergtanne, +und mich nicht länger im Staub winde, wie die Liane, -- werde ich dann +Gnade finden vor den Augen des Mannes? Nein, nein, Du könntest es nicht +ertragen. Es ist besser, ich verstreue um mich all die zierlichen +Spielereien flüchtiger Jugend und warte auf Dich in Geduld. Ist's Dir +gefällig zurückzukehren, so will ich Dir lächelnd aus dem Becher dieses +schönen Leibes den Wein der Lust schenken. Hast Du genug davon und bist +Du müde, so will ich mich demütig und dankbar in den Winkel +zurückziehen, den man mir gelassen hat. Wie gefiele es Deiner +Heldenseele, hoffte die Gespielin der Nacht Deine Gefährtin am Tage zu +sein? Wie, wenn der linke Arm die Last des stolzen rechten mit zu tragen +lernte? + +_Arjuna_ + +Ich werde Dich niemals richtig erkennen. Eine Göttin, verborgen in +einem goldenen Heiligenbild scheinst Du mir. Ich kann Dich nicht +berühren, ich kann Dir Deine unschätzbaren Gaben nicht vergelten. Und so +bleibt meine Liebe unvollkommen. Aus der rätselhaften Tiefe Deiner +traurigen Augen, aus Deinen spielerischen Worten, die ihre eigene +Bedeutung verspotten, erhasche ich manchmal den Schimmer eines Wesens, +das die schmachtende Anmut seines Körpers vernichten möchte. In der +reinen Flamme des Leides, verborgen hinter des Lächelns zartem Schleier, +sehnt es sich wieder zu erstehen. Ein Trugbild, erscheint uns die +Wahrheit zuerst, in einer Verkleidung tritt sie vor den Geliebten hin. +Aber es kommt eine Zeit, da sie Schleier und Schmuck abwirft und +dasteht, bekleidet mit nackter Hoheit. Ich verzehre mich nach diesem +letzten Du, nach jener einfachsten, wahrsten Klarheit. Was bedeuten die +Tränen, mein Lieb? Warum verbirgst Du Dein Gesicht in den Händen? Hab +ich Dir weh getan, mein Liebling? Vergiß, was ich sagte. Ich will mit +der Gegenwart zufrieden sein. Wie der Vogel Geheimnis aus unsichtbarem, +dunkelm Nest zu mir kommt, musikerfüllte Botschaft bringend, so komm Du +zu mir und laß mich jeden Augenblick der Schönheit erleben. Laß mich und +meine Hoffnung ewig am Ufer der Erfüllung sitzen und so meine Tage +beschließen. + + + + +NEUNTE SZENE + +IM WALD + + +_Chitra_ + +(in einen Mantel gehüllt.) + +Mein Herr, hast Du den Becher bis zur Neige geleert? Ist dies wirklich +das Ende? Nein, wenn alles getan, so bleibt doch noch Eins, mein letztes +Opfer, das ich zu Deinen Füßen darbringe. Aus dem himmlischen Garten +brachte ich Blumen von unvergleichlicher Schönheit, Dich zu ehren, Gott +meines Herzens. + +Ich will die Blumen aus dem Tempel hinauswerfen, wenn sie verwelkt sind +und die heilige Handlung vorüber. + +(Sie nimmt ihren Mantel ab und trägt Männerkleidung wie am Anfang.) + +Nun laß Deinen Knecht Gnade finden vor Deinen Augen. + +Ich bin nicht schön und vollkommen wie die Blumen, mit denen ich Dich +ehrte. Ich bin voller Schuld und Fehler. Auf der großen Heerstraße der +Welt bin ich ein Wanderer, meine Kleider sind beschmutzt, und Dornen +haben meine Füße blutig gerissen. Wie könnte ich schön sein wie die +Blumen, voll unbefleckter Lieblichkeit, für die kurze Dauer eines +Augenblicks? Die Gabe, die ich Dir voll Stolz darbringe, ist das Herz +eines Weibes. Darinnen ist eingeschlossen aller Schmerz und alle Lust, +alle Hoffnung, alle Furcht, alle Scham einer Erdentochter. + +Hier ist der Uranfang der Liebe, von hier aus ringt sie nach +Unsterblichkeit. Im Herzen des Weibes liegt eine große und erhabene +Unvollkommenheit. Nun, da die Anbetung der Schönheit vorüber, nimm +diesen + +(auf sich zeigend) + +als Deinen Knecht für kommende Tage. + +Ich bin Chitra, die Königstochter. Vielleicht erinnerst Du Dich des +Tages, als in Shivas Tempel ein Weib zu Dir trat, behangen mit Putz und +Schmuck. Die Schamlose kam und warb um Dich wie ein Mann. Du stießest +sie zurück, und Du tatest wohl daran. Herr, jenes Weib -- bin ich. Sie +diente mir als Maske. Damals verlieh mir die göttliche Gnade für ein +Jahr die strahlendste Gestalt, die je einem Sterblichen wurde. Mit der +Last jenes Betruges beschwerte ich meines Helden Herz. Dies Weib kann +ich nicht sein. + +Ich bin Chitra. Keine Göttin bin ich, die man anbetet, aber auch nicht +ein Gegenstand allgemeinen Mitleids, den man achtlos abschüttelt wie ein +Insekt. Wenn Du mich würdig findest, Dir zur Seite zu stehen, wenn ich +die großen Pflichten Deines Lebens teilen darf -- dann wirst Du mein +wahres Wesen erkennen. Wenn Dein Kind, das ich in meinem Schoß nähre, +ein Sohn sein wird, will ich es lehren, ein zweiter Arjuna zu werden. +Wenn die Zeit kommt, werde ich ihn zu Dir senden, und Du wirst endlich +mein eigenstes Ich erkennen. Heute kann ich Dir nur Chitra darbringen, +die Tochter eines Königs. + +_Arjuna_ + +Geliebte, mein Leben ist vollkommen erfüllt. + +ENDE + + + + +ANMERKUNGEN + + +Zu Seite: + + 5: _Pandava_ (so für Pandaṟa zu lesen). Das Königsgeschlecht, von + dem das Mahābhārata handelt, stammt von _Kuru_ ab; ein Zweig + derselben sind die Pāṇḍavas, fünf Brüder (S. 50), zu denen der + Held Arjuna gehört. Dieser stammt also auch aus dem Hause der + Kurus. (S. 9.) + + 35: _Malati-Hain._ Mālati ist der großblütige Jasmin. + + 38: _Stephali-Blüten_; lies _Sh_ephali. Śephālikā ist der Strauch + vitex negundo, dessen Blüten in Vasavadatta Abt. IV mit + Zinnoberkügelchen verglichen werden. + + 53: _Kinsuka-Blüte._ Der Kiṃśuka, Butea frondosa, ist ein + stattlicher Baum, dessen Zweige im Frühjahr mit großen + scharlachroten Schmetterlingsblüten bedeckt sind. Die schöne Blüte + ist aber geruchlos. + + 56: _Asoka-Blüten._ Der Aśokabaum, Jonesia Asoka, hat rote Blüten. + Er spielt in der indischen Dichtung eine große Rolle. Aśoka + bedeutet »Kummerlos.« + + * * * * * + +Tagore's Dichtung entspricht nicht dem Sinn der Sage. Er sagt S. 6 von +Chitrā's Vater: »er hatte sie deshalb stets wie einen Sohn gehalten und +zu seinem Erben gemacht«. Der Text in Protap Chandra Roys Übersetzung +lautet: I have duly made her a _Putrikā_. _putrikā_ ist ein juristischer +Ausdruck und bezeichnet eine Tochter, die mangels eines Sohnes (_putra_) +die Familie ihres Vaters, nicht ihres Gatten fortpflanzen soll. Für +letzteren bedeutet also die Eingehung einer solchen Ehe den Verzicht auf +die Fortpflanzung seiner Familie. Tagore hat dies offenbar nicht gewußt +und macht daher aus _putrikā_ eine Tochter, die als Sohn (_putra_) +erzogen wird! Das Epos kennt eine Sage, wo eine Prinzessin für einen +Prinz ausgegeben und als solcher erzogen wird (die Geschichte von +_Śikhandin_). Diese Reminiszenz mag sich bei dem Dichter mit dem +Sagenstoff, auf den er in der Vorrede hinweist, verschmolzen haben. + + * * * * * + +Für die Anmerkungen ist die Übersetzerin dem Sanskritisten der Bonner +Universität, Herrn Geheimrat Prof. Dr. Jacobi, zu Dank verpflichtet. + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Chitra, by Rabindranath Tagore + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK CHITRA *** + +***** This file should be named 44246-0.txt or 44246-0.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/4/4/2/4/44246/ + +Produced by Norbert H. Langkau, Marc-Andre Seekamp and the +Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. 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