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diff --git a/44246-h/44246-h.htm b/44246-h/44246-h.htm new file mode 100644 index 0000000..c57727e --- /dev/null +++ b/44246-h/44246-h.htm @@ -0,0 +1,1453 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="en" lang="en"> + <head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=UTF-8" /> + <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> + <link rel="coverpage" href="images/cover_ebook.jpg" /> + <title> + The Project Gutenberg eBook of Chitra, by Rabindranath Tagore. + </title> + <style type="text/css"> + +body { + max-width: 40em; + margin: auto; + width: 80%; +} + +h1 { + text-align: center; + clear: both; + letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em; +} + +h2 { + margin-top: 3em; + text-align: center; + clear: both; +} + +p { + text-indent: 1em; + margin-top: .51em; + text-align: justify; + margin-bottom: .49em; +} + +hr { + width: 33%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: auto; + margin-right: auto; + clear: both; +} + +hr.tb {width: 45%;} +hr.chap {width: 65%} + +a[title].pagenum { + position: absolute; + right: 3%; +} + +a[title].pagenum:after { + content: attr(title); + border: 1px solid silver; + display: inline; + font-size: x-small; + text-align: right; + color: #808080; + background-color: inherit; + font-style: normal; + padding: 1px 4px 1px 4px; + font-variant: normal; + font-weight: normal; + text-decoration: none; + text-indent: 0; + letter-spacing: 0; +} + +.center {text-align: center;} + +.title { + letter-spacing: 0.2em; + text-align: center; + line-height: 1.6; + font-weight: bold; +} + +.infopage { + text-align: center; +} + +@media print, handheld { + .infopage { + page-break-before: always; + page-break-after: always; + } +} + +@media handheld +{ + body { + margin: 0; + padding: 0; + width: 95%; + } +} + +@media screen { + .infopage { + margin: 6em 0; + } +} + +.gesperrt { + letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em; +} + +em.gesperrt { + font-style: normal; +} + +.plain { + text-align: justify; + padding-left: 2em; + padding-right: 2em; + margin-top: 0em; + margin-bottom: 0.2em; +} + +.character { + margin-left: 5em; + font-style: italic; +} + +.space-above { + margin-top: 8em; +} + +.personen { + padding-left: 1em; + text-indent:-1em; +} + + </style> + </head> +<body> +<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44246 ***</div> + +<p><a class="pagenum" name="Page_1" title="1"> </a></p> + +<p class="title"><big>RABINDRANATH TAGORE</big></p> +<h1>CHITRA</h1> +<p class="title"><br />*<br /> +EIN SPIEL<br /> +IN EINEM AUFZUG<br /> +*</p> +<p class="title space-above">KURT WOLFF VERLAG<br /> +LEIPZIG</p> +<p><a class="pagenum" name="Page_2" title="2"> </a></p> + +<p class="infopage"> +<i>Einbandzeichnung von Walter Tiemann.</i><br /> +<i>Dritte unveränderte Auflage 1918.</i><br /> +<i>Die erste Auflage erschien 1914.</i><br /> +</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_3" title="3"> </a></p> + +<p class="infopage"><i>Berechtigte deutsche Übertragung von<br /> +ELISABETH WOLFF-MERCK<br /> +nach der von Rabindranath Tagore selbst<br /> +veranstalteten englischen Ausgabe</i></p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_4" title="4"> </a><br/><a class="pagenum" name="Page_5" title="5"> </a></p> + +<h2><a name="VORBEMERKUNG" id="VORBEMERKUNG">VORBEMERKUNG</a></h2> +<p class="plain">Dieses lyrische Drama wurde vor ungefähr 25 Jahren geschrieben. Es setzt +die Kenntnis der hier folgenden Fabel aus dem Mahabharata voraus:</p> + +<p class="plain">Während der Wanderungen, die Arjuna +in Erfüllung eines Bußgelübdes unternahm, kam er nach Manipur. Dort sah +er Chitrāngadā, die schöne Tochter von Chitravāhana, dem König des Landes, +und von ihrer Anmut überwältigt, bat er den König um ihre Hand. Chitravāhana +fragte ihn nach seiner Herkunft. Auf die Antwort, er sei Arjuna der <a href="#pandava">Pandara</a>, erzählte +der König ihm, daß einer seiner Ahnen, Prabhanjana vom königlichen +Stamme von Manipur, lange kinderlos geblieben<a class="pagenum" name="Page_6" title="6"> </a> +war. Um einen Erben zu erhalten, legte er sich strenge Bußübungen auf. Die +Strenge seines Lebens fand Gnade vor Shiva, und der Gott gewährte ihm und +jedem seiner Nachkommen <em class="gesperrt">ein</em> Kind.</p> + +<p class="plain">Es geschah aber, daß das versprochene Kind stets ein Knabe war. Er, Chitravāhana, +war der Erste, dem nur eine Tochter, Chitrāngadā, gewährt war, um das Geschlecht zu erhalten.</p> + +<p class="plain">Er hatte sie deshalb stets wie einen Sohn gehalten und zu seinem Erben gemacht. —</p> + +<p class="plain">Der König fährt in der Erzählung fort: +»Der einzige Sohn, den sie gebären wird, muß der Erhalter meines Geschlechts +sein, und diesen Sohn verlange ich als Kaufpreis für die Einwilligung in die Heirat.<a class="pagenum" name="Page_7" title="7"> </a> +Wenn du willst, kannst du sie unter dieser Bedingung haben.« Arjuna gab das +Versprechen, nahm Chitrāngadā zum Weibe und lebte mit ihr drei Jahre in ihres +Vaters Hauptstadt. Als ihnen ein Sohn geboren wurde, umarmte er sie liebevoll, +nahm Abschied von ihr und ihrem Vater und setzte seine Wanderung fort.</p> +<hr class="chap" /> + +<p><a class="pagenum" name="Page_8" title="8"> </a><br /><a class="pagenum" name="Page_9" title="9"> </a></p> + +<h2><a name="PERSONEN" id="PERSONEN">PERSONEN</a></h2> + +<p><span style="margin-left: 5em;">Götter:</span></p> + +<p class="personen"><i>Madana</i> (Eros).</p> +<p class="personen"><i>Vasanta</i> (Lycoris).</p> + +<p><span style="margin-left: 5em;">Sterbliche:</span></p> + +<p class="personen"><i>Chitra</i>, Tochter des Königs von Manipur.</p> +<p class="personen"><i>Arjuna</i>, ein Prinz aus dem Hause der Kuru. Er ist aus der Kshatriya oder +Kriegerkaste und lebt während der Handlung als Eremit einsam im Wald.</p> +<p class="personen"><i>Dorfleute</i> aus einer abgelegenen Gegend in Manipur.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_10" title="10"> </a></p> +<hr class="chap" /> + +<p><a class="pagenum" name="Page_11" title="11"> </a></p> + +<h2><a name="ERSTE_SZENE" id="ERSTE_SZENE">ERSTE SZENE</a></h2> +<p class="center"><big>IM TEMPEL</big></p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Bist Du der Gott mit den fünf Pfeilen, +der Gott der Liebe?</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Ich war der Erstgeborene im Herzen des Schöpfers. Ich binde mit Fesseln des +Schmerzes und erfülle mit Seligkeit das Leben der Menschen!</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ich weiß, ich kenne jenen Schmerz und jene Fesseln! — Und wer bist Du, mein +Herr?</p> + +<p class="character">Vasanta</p> + +<p>Ich bin sein Freund — Vasanta — der<a class="pagenum" name="Page_12" title="12"> </a> +König der Jahreszeiten. Tod und Alter würden die Welt bis ins Mark zerfressen, +folgte ich ihnen nicht, um sie beständig zu bekämpfen. Ich bin die Ewige Jugend.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ich beuge mich vor Dir, Vasanta, mein Herr.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Doch welch strenges Gelübde bindet Dich, schöne Fremde? Warum läßt Du +Deine frische Jugend welken in Buße und Demütigung? Solch Opfer ist dem Dienst +der Liebe fremd. Wer bist Du, und was ist Dein Gebet?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ich bin Chitra, die Tochter aus dem +königlichen Hause von Manipur. Shivas<a class="pagenum" name="Page_13" title="13"> </a> +göttliche Gnade versprach meinem königlichen Ahnherrn eine ununterbrochene +Reihe männlicher Nachkommen. Aber das Wort des Gottes vermochte nicht, +den Lebensfunken in meiner Mutter Leib zu wandeln, so unbezwingbar war meine +Natur, obschon ich ein Weib bin.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Ich weiß, darum erzieht Dich Dein Vater wie einen Sohn. Er hat Dich gelehrt mit +dem Bogen umzugehen und Dich in allen Pflichten eines Königs unterwiesen.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ja, darum trage ich männliches Gewand und habe die Abgeschiedenheit des +Frauengemaches verlassen. Ich weiß nichts von Frauenlist, die die Herzen gewinnt.<a class="pagenum" name="Page_14" title="14"> </a> +Meine starken Hände können den Bogen spannen, aber ich habe die Kunst +des Liebesgottes nicht erlernt; das Spiel der Augen ist mir fremd.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Das erlernt sich von selbst, Du Schöne. Die Augen brauchen darin nicht unterrichtet +zu werden. Das weiß der am besten, der von ihnen ins Herz getroffen wurde.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Auf der Suche nach Wild wanderte ich eines Tages einsam durch den Wald +am Ufer des Purna-Flusses. Mein Roß band ich an einen Stamm und drang in's +dichte Gestrüpp, der Spur eines Wildes folgend. Ich fand einen schmalen,<a class="pagenum" name="Page_15" title="15"> </a> +gewundenen Pfad, der sich durch das Dämmer verschlungener Zweige schlang. +Die Blätter erzitterten vom Grillengezirp. Plötzlich erspähte ich auf meinem Weg +einen Mann, der auf einem Lager trockenen Laubes ruhte. Hochmütig befahl ich +ihm, mir Platz zu machen, aber es kümmerte ihn nicht. Da stach ich ihn verächtlich +mit der scharfen Spitze meines Pfeils. Er sprang auf, stark und ebenmäßig an +Wuchs, gleich einer Flamme, die plötzlich aus einem Aschenhaufen züngelt. +Ein belustigtes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, vielleicht ob meines knabenhaften +Anblicks. Da — zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich mich +Weib und wußte, daß ein Mann vor mir stand.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_16" title="16"> </a></p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>In glückbegünstigter Stunde verkünde ich Mann und Weib die erhabene Lehre: +Erkennet einander. — Was geschah dann?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Voll Angst und Staunen fragte ich ihn: »Wer bist Du?« »Ich bin Arjuna«, sagte +er, »aus dem großen Stamme der Kuru«. Ich stand wie versteinert und vergaß mich +zu verneigen. War das wirklich Arjuna, der Abgott meiner Träume, der Einzige, +Große! Schon lange kannte ich sein Gelöbnis, zwölf Jahre in Keuschheit zu leben. +Mein junger Ehrgeiz hatte mich manchen Tag angestachelt, mit ihm eine Lanze zu +brechen, ihn verkappt zum Zweikampf +zu fordern und ihm meine Waffenkunst<a class="pagenum" name="Page_17" title="17"> </a> +zu beweisen. Ach töricht Herz, wohin entfloh Dein Stolz? Könnt' ich meine +Jugend mit ihren Sehnsüchten hingeben, um Staub zu sein unter Deinen Füßen, +wahrlich eine köstliche Gnade dünkte mir das. Ich weiß nicht, in welchem Strudel +der Empfindung ich mich verlor, als ich ihn plötzlich zwischen den Bäumen entschwinden +sah! — Du töricht Weib, du grüßtest ihn nicht und sprachest kein +Wort, noch batest du ihn um Verzeihung, sondern standest wie ein ungeschickter +Tölpel, während er verächtlich hinwegschritt!... +Am nächsten Morgen legte ich meine Männerkleidung ab und schmückte +mich mit Armbändern, Fußringen, einer Gürtelkette und einem Gewand aus purpurner +Seide. Das ungewohnte Kleid<a class="pagenum" name="Page_18" title="18"> </a> +schmiegte sich fest um meinen bebenden Leib; aber ich beschleunigte mein Suchen +und fand Arjuna in Shiva's Waldtempel.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Vollende Deine Erzählung. Ich bin der herzgeborene Gott, und ich verstehe das +Geheimnis dieser Triebe.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Nur undeutlich vermag ich mich zu erinnern, was ich sagte, und was ich zur +Antwort bekam. Heiß' mich nicht alles erzählen. Scham überwältigte mich wie +ein Donnerschlag und konnte mich doch nicht zerschmettern, so durchaus hart +bin ich, so männlich. Als ich heimwärts +schritt, stachen mich seine letzten Worte<a class="pagenum" name="Page_19" title="19"> </a> +wie glühende Nadeln ins Ohr: »Ich habe Keuschheit gelobt. Ich kann Dein Gemahl +nicht sein!« O, um das Gelübde eines Mannes! Sicherlich weißt Du, o Gott +der Liebe, daß zahllose Heilige und Weise den Preis ihrer lebenslangen Buße hingegeben +haben um eines Weibes willen. Ich brach meinen Bogen entzwei und verbrannte +meine Pfeile im Feuer. Ich haßte meinen starken, geschmeidigen Arm, gezeichnet +vom Spannen des Bogens. O Liebe, Liebe, Du hast tief in den Staub +gebeugt den nichtigen Stolz meiner männlichen Stärke, und all meine Manneszucht +liegt zermalmt zu Deinen Füßen. Nun lehre mich Deine Gebote. Gib mir +die Kraft der Schwachen und die Waffe der wehrlosen Hand.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_20" title="20"> </a></p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Ich will Dein Freund sein. Ich will den weltenbezwingenden Arjuna vor Dein Angesicht +bringen, ein Gefangener, der den Richtspruch seiner Empörung aus Deiner Hand empfangen soll.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Stünde mir nur die Zeit zu Gebot, ich könnte allmählich sein Herz gewinnen +und brauchte der Götter Hilfe nicht. Zur Seite würde ich ihm stehen als Gefährte, +die wilden Rosse seines Kriegswagens lenken, die Freuden der Jagd mit ihm +teilen. Zur Nacht hielt ich Wache am Eingang seines Zeltes und hülfe ihm, die +großen Pflichten eines Kshatriya erfüllen, +die Schwachen zu befreien und Recht zu<a class="pagenum" name="Page_21" title="21"> </a> +sprechen, wo es not tut. Sicherlich käme der Tag, an dem er mich erblicken und +verwundert fragen würde: »Wer ist dieser Knabe? Ist einer meiner Sklaven aus +einem früheren Leben, meinen guten Taten gleich, mir gefolgt ins Diesseits?« Ich +bin nicht das Weib, das seine Verzweiflung mit nächtlichen Tränen in einsamer +Stille nährt, sie täglich hinter geduldigen Lächeln verbirgt, als Witwe geboren. +Die Blüte meines Verlangens soll nicht in den Staub sinken, ehe sie zur Frucht +gereift ist. Aber es ist die Arbeit eines Lebens, Verständnis zu finden und Ehre +zu erlangen für sein eigenstes Ich. Darum bin ich an Deine Tür gekommen, Du, +weltenüberwindende Liebe, und Du, Vasanta, +jugendlicher Gott der Jahreszeiten,<a class="pagenum" name="Page_22" title="22"> </a> +nimm von meinem jungen Körper die angeborene Ungerechtigkeit der Häßlichkeit. +Für einen einzigen Tag mache mich wunderbar schön, so schön wie die mit +einem Mal in meinem Herzen erblühte Liebe. Gib mir nur einen einzigen Tag +makelloser Schönheit, und ich will einstehen für die Tage, die da kommen.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Prinzessin, Dein Gebet sei erhört!</p> + +<p class="character">Vasanta</p> + +<p>Nicht nur für einen kurzen Tag, sondern für ein ganzes langes Jahr soll der +Frühlingsblüten Lieblichkeit sich um Deine Glieder schmiegen.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_23" title="23"> </a></p> + +<h2><a name="ZWEITE_SZENE" id="ZWEITE_SZENE">ZWEITE SZENE</a></h2> +<p class="center"><big>IM WALD</big></p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Träumte mir oder war Wirklichkeit, was ich am See sah? Im sinkenden Schatten +des Abends saß ich auf moosigem Grund und dachte vergangener Jahre, +als aus dem bergenden Dunkel der Blätter langsam eine Erscheinung trat in der vollkommenen +Gestalt eines Weibes. Sie stand auf einem weißen, flachen Stein am +Rande des Wassers. Es schien, als müsse das Herz der Erde sich weiten vor Freude +unter ihren nackten weißen Füßen. Mir deuchte, die zarte Umhüllung ihres +Körpers wollte sich in Verzückung auflösen +in Luft, wie der goldene Frühnebel<a class="pagenum" name="Page_24" title="24"> </a> +vom schneeigen Gipfel des östlichen Berges schmilzt. Sie beugte sich über den +schimmernden Spiegel des Teiches und erblickte ihr Antlitz darin. Sie schrak zurück +und stand still, dann lächelte sie, löste mit einer nachlässigen Bewegung +des linken Arms ihr Haar, das bis zu ihren Füßen zur Erde niederglitt. Sie entblößte +ihre Brust und betrachtete ihre makellos geformten Arme erfüllt von Zärtlichkeit +für ihren Körper. Sie neigte den Kopf und sah ihre süße, blühende Jugend und das +zarte Erröten ihrer flaumigen Haut. Sie strahlte in freudiger Überraschung. So +würde die weiße Lotosblume den ganzen Tag über sich staunen, könnte sie des +Morgens beim Erwachen, ihren Hals beugen +und ihr Abbild im Wasser sehn. Aber<a class="pagenum" name="Page_25" title="25"> </a> +einen Augenblick später wich das Lächeln von ihrem Antlitz, und ein Schatten von +Trauer stieg in ihren Augen auf. Sie band ihre Haarflechten auf, zog den Schleier +um ihre Schultern und schritt leise seufzend hinweg, wie ein schöner Abend, +der in Nacht versinkt. Die erhabene Erfüllung aller Sehnsucht schien sich mir +in einem Blitz geoffenbart zu haben und verlosch dann ... Aber wer bewegt die Türe?</p> + +<p>(Chitra tritt ein, in Frauenkleidern.)</p> + +<p>Ah! sie ist's! Stille mein Herz!...</p> + +<p>Fürchte nichts, Herrin! Ich bin ein Kshatriya.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Edler Herr, Du bist mein Gast. Ich +wohne in diesem Tempel. Ich weiß nicht,<a class="pagenum" name="Page_26" title="26"> </a> +wie ich Dir Gastfreundschaft erzeigen +kann.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Schöne Frau, Dein Anblick allein ist die höchste Gastfreundschaft. Wenn Du +mir's nicht verdenken willst, möchte ich Dich etwas fragen.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Es sei Dir gewährt.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Welch strenges Gelübde hält Dich in diesen einsamen Tempelmauern gefangen +und beraubt die Sterblichen Deines lieblichen Anblickes?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ich hege einen geheimen Wunsch in<a class="pagenum" name="Page_27" title="27"> </a> +meinem Herzen, für dessen Erfüllung ich täglich Gebete zu Shiva sende.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ach, was kannst Du verlangen, die Du das Verlangen der ganzen Welt bist? Von +dem östlichen Hügel, auf dessen Gipfel die Morgensonne zuerst ihren feurigen +Fuß setzt, bis ans Ende des Abendlands bin ich gewandert. Ich habe das Köstlichste, +Schönste und Größte der Erde gesehen. Mein Wissen soll Dein sein, nur +sage mir, was oder wen Du suchst.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ihn, den ich suche, ihn kennen alle.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Wer mag dieser Liebling der Götter +sein, der Dein Herz gefangen nahm?</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_28" title="28"> </a></p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Er ist der Größte aller Helden, ein Sproß des höchsten Herrscherhauses.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Herrin, opfere nicht diesen Schatz von Schönheit, der Dein ist, auf dem Altar +eines falschen Ruhmes. Unwahres Gerücht verbreitet sich von Mund zu Mund, +wie der Nebel im frühen Morgendämmer ehe die Sonne aufgeht. Sage mir, wer ist +der erhabene Held aus höchstem königlichem Stamm?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Einsiedler, der Ruhm andrer Männer erfüllt Dich mit Neid. Weißt Du nicht, +daß der Ruhm des königlichen Hauses der Kuru über die ganze Welt verbreitet ist?</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_29" title="29"> </a></p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Das Haus der Kuru!</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Und hast Du nie den größten Namen dieses weitgerühmten Hauses gehört?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Laß ihn mich von Deinen eigenen Lippen hören.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Arjuna, der Welteroberer. Ich habe diesen unsterblichen Namen von den +Lippen der Menge abgelesen und ihn sorgfältig in meinem Herzen verborgen. Einsiedler, +was blickst Du so verwirrt drein? Trägt dieser Name nur trügerischen +Glanz? Sag es, und ich will nicht zögern, +den Schrein meines Herzens aufzubrechen<a class="pagenum" name="Page_30" title="30"> </a> +und den falschen Edelstein in den Staub zu werfen.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ob auch sein Name und Ruhm, sein Mut und seine Tapferkeit wahr oder +falsch sind, um des Mitleids willen verbanne ihn nicht aus Deinem Herzen, +denn er kniet zu Deinen Füßen — in diesem Augenblick.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Du, Arjuna!</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ja, der bin ich, ein vor Liebe verschmachteter Bettler an deiner Tür.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>So ist es nicht wahr, daß Arjuna das Gelübde zwölf Jahre langer Keuschheit getan hat?</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_31" title="31"> </a></p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Du hast meinen Schwur gelöst wie der Mond den nächtlichen Schwur der Dunkelheit.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Scham über Dich! Was sahst du in mir, das Dich Deinem eigenen Ich untreu +werden ließ? Wen suchst du in diesen dunklen Augen, in diesen milchweißen +Armen, wenn Du sie mit dem Preis Deiner Ehre zu bezahlen bereit bist? Nicht mein +wahres Selbst, das weiß ich. Wahrlich das kann nicht Liebe sein, nicht des +Mannes tiefste Ehrfurcht vor dem Weib! Wehe, daß der Körper, diese zerbrechliche +Hülle, uns blendet, das Licht der +unsterblichen Seele zu schauen! Ja, Arjuna,<a class="pagenum" name="Page_32" title="32"> </a> +nun weiß ich gewiß, falsch ist der Ruhm Deines Heldentums.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>O, ich fühle wie eitel der Ruhm ist und der Stolz der Tapferkeit! Alles scheint +Traum. Du allein bist vollkommen, Du bist der Reichtum der Welt, das Ende +aller Armut, das Ziel alles Strebens, das Weib! Andere Frauen gibt's, langsam und +schwer zu erkennen, aber Dich einen Augenblick lang zu sehn, heißt höchste +Vollendung schauen, jetzt und in Ewigkeit.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ach nicht ich bin's, nicht ich, Arjuna! Es ist das Trugbild eines Gottes. Geh', +geh' mein Held, geh'. Frei' nicht die Lüge, opfre dein großes Herz nicht einer Täuschung. Geh'.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_33" title="33"> </a></p> + +<h2><a name="DRITTE_SZENE" id="DRITTE_SZENE">DRITTE SZENE</a></h2> +<p class="center"><big>IM TEMPEL</big></p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Nein, unmöglich ist's den brennenden Blick der hungrigen Seele auszuhalten, +der mit Händen dich umklammert, zu fühlen, wie das Herz sich müht, die Fesseln +zu sprengen, und den wilden Schrei, der sich ihm entringen will — und den +Liebenden dann hinweg zu senden wie einen Bettler! Unmöglich ist's!</p> + +<p>(Madana und Vasanta treten auf.)</p> + +<p>Ach, Gott der Liebe, welch furchtbares Feuer hast Du in mich gesenkt! Ich verbrenne, +versenge, was ich berühre.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Ich wünsche zu wissen, was in vergangener Nacht geschah.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_34" title="34"> </a></p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Auf ein Lager von Gras, übersät mit +Frühlingsblüten, legte ich mich am Abend +nieder und gedachte des wunderbaren +Lobgesangs meiner Schönheit, den ich +von Arjuna gehört. Tropfen nach Tropfen +trank ich den Honig, den ich am Tage +gesammelt, Vergangenes und Zukünftiges +war vergessen. Ich fühlte mich der Blume +verwandt: ihr sind nur flüchtige Stunden +vergönnt, dem summenden Schmeicheln, +dem Flüstern und Murmeln der Wälder +zu lauschen. Dann muß sie die Augen +vom Himmel wenden, ihr Haupt beugen +und ihren Atem aushauchen im Staub, +klaglos den kurzen Traum eines vollkommenen +Augenblicks beenden, der +nicht Vergangenheit noch Zukunft kennt.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_35" title="35"> </a></p> + +<p class="character">Vasanta</p> + +<p>Ein grenzenloses Leben voller Ruhm +kann blühen und sich erschöpfen an +einem Morgen.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Wie Ewigkeits-Sinn im kleinsten Bruchteil +eines Liedes sein kann.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Die südliche Brise wiegte mich in Schlaf. +Von dem blühenden <a href="#malati">Malati-Hain</a> über +mir tropften schweigend Küsse auf mich +nieder. Jede Blume wählte sich ein Lager +zum Sterben, in meinem Haar, auf meiner +Brust oder meinen Füßen. Ich schlief. +Und in der Tiefe meines Schlafes war +mir plötzlich, als ob ein durchdringender, +gieriger Blick meinen Körper berühre,<a class="pagenum" name="Page_36" title="36"> </a> +wie der spitzige, stechende Finger der +Flamme. Ich sprang auf und sah den Einsiedler +vor mir stehen. Der Mond war +westwärts gewandert und lugte durch die +Blätter, um das Wunder zu sehen, das +durch göttliche Kunst in zerbrechlicher +Menschlichkeit erstanden war. Die Luft +war schwer, duftgeschwängert, die Stille +der Nacht klang vom Grillengezirp, regungslos +lag das Spiegelbild der Bäume +auf dem See. Und mit seinem Stab in der +Hand stand der Einsiedler groß, aufrecht +und schweigend wie ein Baum des Waldes. +Mir war, da ich die Augen aufschlug, +als sei ich abgeschieden von aller Wirklichkeit +des Lebens, und es vollziehe sich +an mir eine Wiedergeburt im Land der +Träume. Scham fiel von mir und glitt<a class="pagenum" name="Page_37" title="37"> </a> +wie ein gelöstes Gewand auf meine Füße +nieder. Ich hörte seinen Schrei — »Geliebte, +einzig Geliebte!« Und all' meine +vergangenen, vergessenen Leben schmolzen +zu einem und riefen ihm Antwort +zu: »Nimm mich, nimm mich ganz zu +eigen!« Und ich breitete meine Arme nach +ihm aus. Der Mond sank hinter den Bäumen. +Ein dunkler Vorhang bedeckte alles, +Himmel und Erde, Zeit und Raum, Lust +und Schmerz, Leben und Tod schmolzen +in Eins in unsagbarer Verzückung.... +Mit dem ersten Morgenstrahl, dem ersten +Vogelzwitschern richtete ich mich auf und +blieb, auf den linken Arm gestützt, sitzen. +Der Einsiedler lag schlafend, ein unbekümmertes +Lächeln krümmte sich um +seine Lippen, wie der wachsende Mond<a class="pagenum" name="Page_38" title="38"> </a> +am Morgen. Der Dämmerung rosiges Glühen +fiel auf seine edle Stirn. Ich seufzte, +stand auf und zog die breitblättrigen Lianen +zusammen, um sein Gesicht vor der +flutenden Sonne zu schützen. Ich schaute +umher und sah die gleiche alte Erde. Ich +erinnerte mich, was ich gewesen und +rannte, rannte wie ein Reh, das seinen +eigenen Schatten fürchtet, den Waldpfad +entlang, den <a href="#stephali">Stephali-Blumen</a> bedeckten. +Ich fand einen einsamen Winkel, setzte +mich nieder, barg mein Gesicht in beiden +Händen, um zu weinen und zu klagen. +Doch meine Augen blieben tränenlos.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Weh über Dich, Tochter der Sterblichen! +Ich stahl aus den göttlichen Speichern<a class="pagenum" name="Page_39" title="39"> </a> +den duftenden Wein des Himmels, gab ihn, eine irdische Nacht gefüllt bis +zum Rande, in Deine Hände, auf daß Du tränkest — und immer hör' ich noch diesen Schrei der Qual!</p> + +<p class="character">Chitra</p> +<p><span style="margin-left: 3em;">(bitter)</span></p> + +<p>Wer trank ihn? Des Lebens seltenste +Erfüllung, erste Liebesumarmung bot +man mir dar und entriß sie wieder meiner +Sehnsucht? Diese erborgte Schönheit, +die Falschheit, die mich umhüllt, sie werden +von mir gleiten, wie Blüten im Wind +entblättern, und die einzig sichtbare Erinnerung +jener süßen Vereinigung mitnehmen, +und voll Scham über seine Armut +wird das Weib weinend sitzen — +Tag und Nacht. Gott der Liebe, diese<a class="pagenum" name="Page_40" title="40"> </a> +verfluchte äußere Gestalt begleitet mich +Tag und Nacht, wie ein Dämon, und beraubt +mich allen Liebeslohnes — all der +Küsse, nach denen ich verschmachte.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Ach, umsonst war Deine einzige Nacht! Die Barke der Erfüllung kam in Sicht, +aber die Wellen ließen sie das Ufer nicht berühren.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Der Himmel war meinem Griff ganz nahe und ich vergaß für Augenblicke, daß +ich ihn noch nicht erreicht hatte. Aber als ich des Morgens aus meinem Traum +erwachte, fand ich im eigenen Körper die Rivalin. Nun ward mir die verhaßte +Pflicht, sie täglich zu schmücken, zum<a class="pagenum" name="Page_41" title="41"> </a> +Geliebten zu schicken und zu sehen, wie er sie liebkoste. O Gott, nimm Dein Geschenk +zurück!</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Aber wie willst Du vor Deinen Geliebten treten, wenn ich es von Dir nehme? +Ist es nicht grausam, den Becher von seinen Lippen zu reißen, nachdem er +kaum einen Zug der Lust getan? Wie ärgerlich wirst Du ihm sein?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Und doch wäre es besser so. Ich will ihm +meine wahrhaftige Gestalt zu erkennen +geben, eine edlere Tat, als in dieser Maske +zu leben. Wenn er mich auch verstößt +und verschmäht, wenn er mein Herz auch +bricht — schweigend will ich's tragen.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_42" title="42"> </a></p> + +<p class="character">Vasanta</p> + +<p>Hör' meinen Rat. Wenn die blumenerfüllte +Jahreszeit vergangen, kommt der +Herbst und mit ihm der Triumphzug der +Früchte. Die Zeit wird kommen, da die +überreife Blume des Leibes sich vergehend +neigt. Dann wird Arjuna die bleibende +fruchtgewordene Wahrheit aus +Dir voll Glück hinnehmen. O Kind, geh' +zurück zu Deiner rasenden Feier.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_43" title="43"> </a></p> + +<h2><a name="VIERTE_SZENE" id="VIERTE_SZENE">VIERTE SZENE</a></h2> +<p class="center"><big>IM WALD</big></p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Warum beobachtest Du mich, mein Krieger?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ich sehe zu, wie Du den kleinen Kranz windest. Anmut und Geschick, die Zwillingsbrüder, +spielen tanzend auf Deinen Fingerspitzen. Ich sehe zu und denke.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Was denkst Du, Herr?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ich denke, daß Du mit der gleichen +schwebenden Berührung und Süßigkeit +die Tage meiner Verbannung in einen<a class="pagenum" name="Page_44" title="44"> </a> +unsterblichen Kranz windest, um mich +zu meiner Heimkehr damit zu krönen.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Heimkehr! Diese Liebe ist nichts für +ein Heim!</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Nichts für ein Heim?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Nein, sprich nie davon. Nimm mit in +Dein Heim das Bleibende, Starke. Laß +die kleine wilde Blume an ihrem Geburtsort, +laß sie dort in Schönheit sterben, +wenn der Tag sich neigt, mit all den welkenden +Blumen und den modernden +Blättern. Nimm sie nicht mit in die Halle +Deines Palastes, um sie dort auf den +steinernen Boden zu werfen, der kein<a class="pagenum" name="Page_45" title="45"> </a> +Erbarmen für Welken und Vergehen +kennt.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Sieht so unsere Liebe aus?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ja, so und nicht anders! Was soll das +Klagen? Was sich für müßige Tage schickt, +sollte sie nicht überdauern. Lust wandelt +sich in Schmerz, wenn ihr die Tür verschlossen +ist, aus der sie scheiden soll. +Nimm meine Liebe hin und halte sie, so +lange sie währen darf. Laß nicht des +Abends satte Zufriedenheit mehr fordern, +als das morgendliche Verlangen ernten +kann ... Der Tag ist vorüber. Nimm dies +Blumengewinde. Ich bin müde. Nimm +mich in Deine Arme, Geliebter, und laß<a class="pagenum" name="Page_46" title="46"> </a> +alles eitle unzufriedene Gezänk verstummen +in der süßen Vereinigung unserer +Lippen.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Still, horch, Geliebte, der Klang der +Gebetsglocken aus dem fernen Dorftempel +gleitet auf der Abendluft über die +schweigenden Wipfel.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_47" title="47"> </a></p> + +<h2><a name="FUENFTE_SZENE" id="FUENFTE_SZENE">FÜNFTE SZENE</a></h2> +<p class="center"><big>IM TEMPEL</big></p> + +<p class="character">Vasanta</p> + +<p>Ich kann nicht Schritt mit Dir halten, +mein Freund! Ich bin müde. Schwer ist +die Pflicht, das Feuer in Glut zu halten, +das Du entzündet hast. Schlaf überkommt +mich, der Fächer entfällt meiner +Hand, und kalte Asche bedeckt die Glut. +Ich fahre wieder auf aus meinem Schlummer +und rette die träge Flamme, soweit +es in meiner Macht steht. Aber so kann +es nicht weiter gehen.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Ich weiß, Du bist unbeständig wie ein +Kind. Ewig ruhelos ist Dein Spiel im +Himmel und auf Erden. Was Du in langen<a class="pagenum" name="Page_48" title="48"> </a> +Tagen aufgebaut mit endloser Sorge +für jeden Bruchteil, in einem Augenblick +zerstörst Du es wieder, ohne Bedauern. +Aber unsere Arbeit ist heut vollendet. +Freudengeflügelte Tage fliehen flüchtig +dahin, und das sich neigende Jahr vergeht +mit berückendem Blühen.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_49" title="49"> </a></p> + +<h2><a name="SECHSTE_SZENE" id="SECHSTE_SZENE">SECHSTE SZENE</a></h2> +<p class="center"><big>IM WALD</big></p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ich erwachte am Morgen und fand +meine Träume in einen Edelstein verschmolzen. +Ich hatte keinen Schrein, ihn +darin zu verschließen, keine Königskrone, +in die ich den Stein hätte fassen können, +keine Kette hatte ich, ihn daran zu hängen, +und doch brachte ich's nicht übers +Herz, ihn wegzuweisen. So halte ich ihn, +und mein Arm, der Arm eines Kshatriya, +vergißt über müßigem Tun seine Pflicht.</p> + +<p>(Chitra tritt ein.)</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Sage mir Deine Gedanken, Herr!</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_50" title="50"> </a></p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Meine Gedanken sind heute auf die +Jagd gerichtet. Sieh, wie der Regen in +Strömen herniederstürzt und wild gegen +den Berghang schlägt. Dunkle Wolkenschatten +hängen schwer über dem Wald, +und gleich der sorglosen Jugend überspringt +der geschwollene Strom mit spöttischem +Lachen alle Schranken. Stets +gingen wir fünf Brüder an solchen Regentagen +in den Wald von Chitraka, wilde +Tiere zu jagen. Das waren schöne Zeiten. +Unsre Herzen tanzten zum Trommelwirbel +der grollenden Wolken. Der +Wald hallte wider von den Schreien der +Pfauen. Durch das Klatschen des Regens +und das Rauschen des Wasserfalles +konnte das ängstliche Wild unsre Schritte<a class="pagenum" name="Page_51" title="51"> </a> +nicht hören. Die Leoparden ließen ihre +Spuren in der nassen Erde zurück und +verrieten so ihr Lager. War die Jagd vorüber, +so forderten wir uns auf dem Heimweg +gegenseitig heraus, reißende Ströme +zu durchschwimmen. Ein ruheloser Geist +wohnt in mir, ich habe Sehnsucht nach +der Jagd.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Erst erlege das Wild, das Du jetzt verfolgst. +Bist Du gewiß, daß das verzauberte +Tier, das Du jagst, unbedingt gefangen +werden muß? Nein, noch nicht. +Wie ein Traum entgleitet Dir das wilde +Geschöpf, wenn es Dir am nächsten +scheint. Sieh, wie der rasende Regen den +Wind jagt und tausend Pfeile hinter ihm +her sendet. Und doch bleibt der Wind<a class="pagenum" name="Page_52" title="52"> </a> +frei und unbesiegt. So ist auch unser Waidwerk, +Geliebter! Du jagst nach der schnellschreitenden +Schönheit und versendest +all Deine Pfeile nach ihr, und doch flieht +dies zaubrische Wild stets frei und unberührt +davon.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Hast Du kein Heim, Geliebte, wo liebende +Herzen Deiner Rückkehr harren? +Ein Heim, dem Du durch sanftes Dienen +Lieblichkeit verliehst, und dessen Licht +erlosch, als Du es für diese Wildnis verließest?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Was fragst Du? Sind die Stunden der +Lust vorbei, in denen es kein Denken +gab? Weißt Du nicht, daß ich nur die bin,<a class="pagenum" name="Page_53" title="53"> </a> +die Du vor Dir siehst? Mein Blick geht +nicht über das Jetzt hinaus. Der Tau auf +den Blättern der <a href="#kinsuka">Kinsuka-Blüte</a> hat weder +Namen noch Schicksal, und gewährt keiner +Frage Antwort. Sie, die Du liebst, +gleicht jener vollkommenen Tauperle.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Verbindet sie kein Band mit der Welt? +Ist sie nur ein Stück Himmel, das ein lustspendender +Gott unachtsam zur Erde +fallen ließ?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ach, darum ist mir immer, als müßte +ich Dich verlieren. Mein Herz ist unbefriedigt, +meine Gedanken friedlos. Komm +näher zu mir, Unerreichbare! Ergib Dich<a class="pagenum" name="Page_54" title="54"> </a> +und dulde die Fesseln, die da heißen: +Name, Heim, Sippe. Laß mein Herz Dich +ganz umschließen, und mit Dir leben in +der ruhigen Sicherheit der Liebe.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Warum mühst Du Dich vergebens, die +Farben der Wolken, den Tanz der Wellen, +den Duft der Blumen zu haschen und +zu halten?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Herrin mein, glaube nicht, daß Du mit +Luftgebilden die Liebe befriedigen kannst. +Gib mir etwas, woran ich Halt finde, +etwas, das die Lust überdauert, das sich +im Leid bewährt.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Mein Held, noch ist das Jahr nicht zu<a class="pagenum" name="Page_55" title="55"> </a> +Ende, und schon bist Du müde! Ja, nun +erkenne ich die himmlische Güte, die den +Blumen ein kurzes Leben gab. Wäre ich +mit den Blumen des letzten Frühlings +verwelkt und gestorben, ich wäre mit +Ehren dahingegangen. Doch meine Tage +sind gezählt, Geliebter. Schone mich +nicht, saug allen Honig aus mir, da Du +voller Angst bist, daß Dein armes Herz +wieder und wieder zurückkommt voll unerfüllter +Wünsche und Begierden, gleich +der durstigen Biene, wenn die Sommerblumen +welk im Staub liegen.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_56" title="56"> </a></p> + +<h2><a name="SIEBENTE_SZENE" id="SIEBENTE_SZENE">SIEBENTE SZENE</a></h2> +<p class="center"><big>IM TEMPEL</big></p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Heute ist Deine letzte Nacht.</p> + +<p class="character">Vasanta</p> + +<p>Des Frühlings unerschöpfliche Schatzkammer +wird morgen die Lieblichkeit +Deines Körpers zurücknehmen. Die rosige +Farbe Deiner Lippen wird in einem +<a href="#asoka">Asoka-Blütenpaar</a> neu aufblühen, frei von +der Erinnerung an Arjunas Küsse. In hundert +duftenden Jasmin-Blumen wird der +matte, weiße Glanz Deiner Haut auferstehen.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>O Götter, erhört mein Gebet! Laßt +meine Schönheit in der letzten Stunde<a class="pagenum" name="Page_57" title="57"> </a> +dieser Nacht am hellsten erstrahlen, wie das letzte Aufleuchten einer sterbenden Flamme.</p> + +<p class="character">Madana</p> + +<p>Dein Wunsch sei Dir gewährt.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_58" title="58"> </a></p> + +<h2><a name="ACHTE_SZENE" id="ACHTE_SZENE">ACHTE SZENE</a></h2> +<p class="center"><big>IM WALD</big></p> + +<p class="character">Die Dorfleute</p> + +<p>Wer wird uns nun beschützen?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Was soll's, welche Gefahr droht Euch?</p> + +<p class="character">Die Dorfleute</p> + +<p>Die Räuber kommen in Scharen aus den nördlichen Bergen, wie die Flut des +Gebirgsstromes, die unser Dorf verheert.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Habt ihr keine Wächter in Eurem Königreich?</p> + +<p class="character">Die Dorfleute</p> + +<p>Chitra, die Königstochter, war der +Schrecken aller Bösen. Als sie noch in<a class="pagenum" name="Page_59" title="59"> </a> +diesem glücklichen Lande weilte, kannten +wir keine Furcht außer einer: sterben +zu müssen. Nun ist Chitra auf einer Pilgerfahrt, +und niemand kennt ihren Aufenthalt.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ist der Hüter dieses Landes ein Weib?</p> + +<p class="character">Die Dorfleute</p> + +<p>Ja, sie ist uns Vater und Mutter zugleich.</p> + +<p>(Die Dorfleute entfernen sich. +Chitra tritt ein.)</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Warum sitzest Du hier so einsam?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ich versuche mir vorzustellen, was für +eine Frau die Prinzessin Chitra sein mag.<a class="pagenum" name="Page_60" title="60"> </a> +Viele Menschen erzählen viele Geschichten +von ihr.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Ach, sie ist nicht schön, sie hat nicht +meine schönen Augen, die dunkel sind +wie der Tod. Mit ihrem Geschoß kann +sie jede Scheibe durchbohren, nur nicht +das Herz unsres Helden.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Sie sagen, an Tapferkeit sei sie ein +Mann, und ein Weib an Zärtlichkeit.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Und das gerade ist ihr größtes Unglück. +Das Weib, das nur Weib ist, das mit +seinem Lächeln, mit seinen Seufzern, und +mit zarten Liebkosungen die Herzen der +Männer einspinnt, ist allein glücklich.<a class="pagenum" name="Page_61" title="61"> </a> +Was frommt ihr Weisheit und große +Taten? Hättest Du die Prinzessin nur +gestern sehen können, im Hof von Shivas +Tempel, der am Waldpfad liegt, Du +wärest vorübergegangen ohne sie eines +Blickes zu würdigen. Bist Du denn weiblicher +Schönheit so überdrüssig, daß Du +in ihr männliche Kraft suchst?</p> + +<p>Aus grünen Blättern, feucht vom +sprühenden Gischt des Wasserfalls, habe +ich unser Bett zur Mittagsrast bereitet, +in nachtdunkler Grotte. Die Kühle des +weichen grünen Mooses, das dicht den +tropfenden Stein bedeckt, küßt dort Deine +Augen in Schlaf. Laß Dich dorthin geleiten.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Nein, heute nicht, Geliebte.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_62" title="62"> </a></p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Warum nicht heute?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ich habe von einer Räuberhorde gehört, +die in die Ebene gekommen ist. Ich +muß gehen meine Waffen bereiten, um +die erschreckten Dorfleute zu beschützen.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Du brauchst Dich nicht um sie zu +sorgen. Prinzessin Chitra hat starke Wächter +an den Grenzpässen aufgestellt, ehe +sie ihre Pilgerfahrt begann.</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Nur für kurze Zeit laß mich das Kriegshandwerk +eines Kshatriya üben. Mit +neuem Ruhm will ich diesen müßigen Arm +bedecken, damit er Deinem Haupt ein +würdigeres Kissen sei.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_63" title="63"> </a></p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Doch, wenn ich mich weigere Dich +gehen zu lassen, wenn meine Arme Dich +umwunden halten? Würdest Du Dich +roh von mir losreißen und mich verlassen? +So geh! Aber wisse, daß die Liane — +einmal entzweigebrochen — nie wieder +zu einem Ganzen wird. Geh, wenn Dein +Durst gestillt ist. Doch wenn nicht, denke +daran, wie unbeständig die Göttin der +Lust ist und daß sie nicht wartet auf den +Menschen. Bleib noch eine Weile, Herr! +Sage mir die unruhigen Gedanken, die +Dich quälen. Wer nahm heute Deine +Seele gefangen? War es Chitra?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ja, es ist Chitra. Mich nimmt wunder, +um welches Gelübdes willen sie auf die<a class="pagenum" name="Page_64" title="64"> </a> +Pilgerfahrt gegangen ist. Was mangelt +ihr?</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Was ihr mangelt? Ja, hat sie denn je +etwas besessen, die Unglückliche? Es sind +ja ihre eigensten Fähigkeiten, die sie mit +Gefängnismauern umschließen und ihr +Frauenherz in einer kahlen Zelle gefangen +halten. Verdunkelt ist diese Frau und +unerfüllt. Ihre Weibesliebe muß sich mit +einem Lumpenkleide bescheiden, denn +Schönheit blieb ihr versagt. Sie gleicht +dem Geist eines freudlosen Morgens. Sie +sitzt auf steinigem Berggipfel und dunkle +Wolken haben ihr Licht ausgelöscht. +Frag mich nicht nach ihrem Leben. +Seine Geschichte klingt dem Ohr des +Mannes nicht lieblich.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_65" title="65"> </a></p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ich brenne danach, alles von ihr zu +hören. Ich bin wie ein Wanderer, der +um Mitternacht an eine fremde Stadt +kommt. Kuppeln, Türme und Gartenbäume +sehen verschwommen und schattenhaft +aus, und durch die Stille des +Schlafes tönt hin und wieder das dumpfe +Klagen des Meeres. Und er harrt sehnsüchtig +auf den Morgen, der ihm alle die +fremden Wunder offenbaren soll. O, erzähle +mir ihre Geschichte.</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Was ist da mehr zu erzählen?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Meine Einbildung zaubert mir sie vor, +wie sie auf weißem Rosse reitet, in der +Linken die Zügel haltend und in der rechten<a class="pagenum" name="Page_66" title="66"> </a> +Hand den Bogen, gleich der Liebesgöttin, +die frohe Hoffnung spendet. Mit +wilder Liebe schützt sie ihre säugenden +Jungen wie eine wachsame Löwin. Auch +des Weibes Arme, die nichts anderes als +ungefesselte Kraft schmückt, sind schön! +Mein Herz ist ruhelos, Du Liebliche, wie +eine Schlange, die aus langem Winterschlaf +erwacht. Komm, laß uns miteinander +auf schnellen Rossen dahineilen, +Seite an Seite, wie Zwillingsgestirne, die +leuchtend den Raum durchmessen. Heraus +aus diesem dunklen, grünen, einschläfernden +Gefängnis, komm hervor +unter der feuchten, duftenden, berauschenden +Decke, die den Atem benimmt!</p> + +<p class="character">Chitra</p> + +<p>Arjuna, sag mir die Wahrheit: wenn<a class="pagenum" name="Page_67" title="67"> </a> +ich mich jetzt plötzlich durch einen Zauber +dieser wollüstigen Weichheit entledigen +könnte, diesen zarten Schmelz der +Schönheit abstreifte, der vor der derben, +gesunden Berührung der Welt schaudert, +und das alles von meinem Körper herunterrisse +wie geborgtes Gewand — könntest +Du das ertragen? Wenn ich mich +aufrichte, grade und stark, mit der Kraft +eines mutigen Herzens, und die Listen +und Künste der kriechenden Schwachheit +verächtlich von mir weise, wenn ich +mein Haupt erhebe, wie die hohe, junge +Bergtanne, und mich nicht länger im +Staub winde, wie die Liane, — werde ich +dann Gnade finden vor den Augen des +Mannes? Nein, nein, Du könntest es nicht +ertragen. Es ist besser, ich verstreue um<a class="pagenum" name="Page_68" title="68"> </a> +mich all die zierlichen Spielereien flüchtiger +Jugend und warte auf Dich in Geduld. +Ist's Dir gefällig zurückzukehren, +so will ich Dir lächelnd aus dem Becher +dieses schönen Leibes den Wein der Lust +schenken. Hast Du genug davon und bist +Du müde, so will ich mich demütig und +dankbar in den Winkel zurückziehen, +den man mir gelassen hat. Wie gefiele +es Deiner Heldenseele, hoffte die Gespielin +der Nacht Deine Gefährtin am +Tage zu sein? Wie, wenn der linke Arm +die Last des stolzen rechten mit zu tragen +lernte?</p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Ich werde Dich niemals richtig erkennen. Eine Göttin, verborgen in einem +goldenen Heiligenbild scheinst Du mir.<a class="pagenum" name="Page_69" title="69"> </a> +Ich kann Dich nicht berühren, ich kann Dir Deine unschätzbaren Gaben nicht +vergelten. Und so bleibt meine Liebe unvollkommen. Aus der rätselhaften Tiefe +Deiner traurigen Augen, aus Deinen spielerischen Worten, die ihre eigene Bedeutung +verspotten, erhasche ich manchmal den Schimmer eines Wesens, das die +schmachtende Anmut seines Körpers vernichten möchte. In der reinen Flamme +des Leides, verborgen hinter des Lächelns zartem Schleier, sehnt es sich wieder zu +erstehen. Ein Trugbild, erscheint uns die Wahrheit zuerst, in einer Verkleidung +tritt sie vor den Geliebten hin. Aber es kommt eine Zeit, da sie Schleier und +Schmuck abwirft und dasteht, bekleidet mit nackter Hoheit. Ich verzehre mich<a class="pagenum" name="Page_70" title="70"> </a> +nach diesem letzten Du, nach jener einfachsten, wahrsten Klarheit. Was bedeuten +die Tränen, mein Lieb? Warum verbirgst Du Dein Gesicht in den Händen? +Hab ich Dir weh getan, mein Liebling? Vergiß, was ich sagte. Ich will mit der +Gegenwart zufrieden sein. Wie der Vogel Geheimnis aus unsichtbarem, dunkelm +Nest zu mir kommt, musikerfüllte Botschaft bringend, so komm Du zu mir und +laß mich jeden Augenblick der Schönheit erleben. Laß mich und meine Hoffnung +ewig am Ufer der Erfüllung sitzen und so meine Tage beschließen.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_71" title="71"> </a></p> + +<h2><a name="NEUNTE_SZENE" id="NEUNTE_SZENE">NEUNTE SZENE</a></h2> +<p class="center"><big>IM WALD</big></p> + +<p class="character">Chitra</p> +<p><span style="margin-left: 3em;">(in einen Mantel gehüllt.)</span></p> + +<p>Mein Herr, hast Du den Becher bis +zur Neige geleert? Ist dies wirklich das +Ende? Nein, wenn alles getan, so bleibt +doch noch Eins, mein letztes Opfer, das +ich zu Deinen Füßen darbringe. Aus dem +himmlischen Garten brachte ich Blumen +von unvergleichlicher Schönheit, Dich +zu ehren, Gott meines Herzens.</p> + +<p>Ich will die Blumen aus dem Tempel +hinauswerfen, wenn sie verwelkt sind und +die heilige Handlung vorüber.</p> + +<p>(Sie nimmt ihren Mantel ab und trägt Männerkleidung wie am Anfang.)</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_72" title="72"> </a></p> + +<p>Nun laß Deinen Knecht Gnade finden vor Deinen Augen.</p> + +<p>Ich bin nicht schön und vollkommen +wie die Blumen, mit denen ich Dich ehrte. +Ich bin voller Schuld und Fehler. Auf +der großen Heerstraße der Welt bin ich +ein Wanderer, meine Kleider sind beschmutzt, +und Dornen haben meine Füße +blutig gerissen. Wie könnte ich schön +sein wie die Blumen, voll unbefleckter +Lieblichkeit, für die kurze Dauer eines +Augenblicks? Die Gabe, die ich Dir voll +Stolz darbringe, ist das Herz eines Weibes. +Darinnen ist eingeschlossen aller Schmerz +und alle Lust, alle Hoffnung, alle Furcht, +alle Scham einer Erdentochter.</p> + +<p>Hier ist der Uranfang der Liebe, von +hier aus ringt sie nach Unsterblichkeit.<a class="pagenum" name="Page_73" title="73"> </a> +Im Herzen des Weibes liegt eine große +und erhabene Unvollkommenheit. Nun, +da die Anbetung der Schönheit vorüber, +nimm diesen</p> + +<p>(auf sich zeigend)</p> + +<p>als Deinen Knecht für kommende Tage.</p> + +<p>Ich bin Chitra, die Königstochter. Vielleicht +erinnerst Du Dich des Tages, als in +Shivas Tempel ein Weib zu Dir trat, behangen +mit Putz und Schmuck. Die +Schamlose kam und warb um Dich wie +ein Mann. Du stießest sie zurück, und +Du tatest wohl daran. Herr, jenes Weib +— bin ich. Sie diente mir als Maske. Damals +verlieh mir die göttliche Gnade für +ein Jahr die strahlendste Gestalt, die je +einem Sterblichen wurde. Mit der Last +jenes Betruges beschwerte ich meines<a class="pagenum" name="Page_74" title="74"> </a> +Helden Herz. Dies Weib kann ich nicht +sein.</p> + +<p>Ich bin Chitra. Keine Göttin bin ich, +die man anbetet, aber auch nicht ein +Gegenstand allgemeinen Mitleids, den +man achtlos abschüttelt wie ein Insekt. +Wenn Du mich würdig findest, Dir zur +Seite zu stehen, wenn ich die großen +Pflichten Deines Lebens teilen darf — +dann wirst Du mein wahres Wesen erkennen. +Wenn Dein Kind, das ich in meinem +Schoß nähre, ein Sohn sein wird, +will ich es lehren, ein zweiter Arjuna zu +werden. Wenn die Zeit kommt, werde +ich ihn zu Dir senden, und Du wirst endlich +mein eigenstes Ich erkennen. Heute +kann ich Dir nur Chitra darbringen, die +Tochter eines Königs.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_75" title="75"> </a></p> + +<p class="character">Arjuna</p> + +<p>Geliebte, mein Leben ist vollkommen +erfüllt.</p> + +<div class="center"><em class="gesperrt">ENDE</em></div> +<hr class="chap" /> + +<p><a class="pagenum" name="Page_76" title="76"> </a></p> + + + +<h2><a name="ANMERKUNGEN" id="ANMERKUNGEN">ANMERKUNGEN</a></h2> + + +<p>Zu Seite:</p> + +<blockquote> + +<p><a name="pandava" /><a href="#Page_5">5</a>: <i>Pandava</i> (so für Pandaṟa zu lesen). +Das Königsgeschlecht, von dem das +Mahābhārata handelt, stammt von +<i>Kuru</i> ab; ein Zweig derselben sind +die Pāṇḍavas, fünf Brüder (S. <a href="#Page_50">50</a>), zu +denen der Held Arjuna gehört. Dieser +stammt also auch aus dem Hause +der Kurus. (S. <a href="#Page_9">9</a>).</p> + +<p><a name="malati" /><a href="#Page_35">35</a>: <i>Malati-Hain.</i> Mālati ist der großblütige Jasmin.</p> + +<p><a name="stephali" /><a href="#Page_38">38</a>: <i>Stephali-Blüten</i>; lies <i>Sh</i>ephali. Śephālikā +ist der Strauch vitex negundo, dessen Blüten in Vasavadatta Abt. IV +mit Zinnoberkügelchen verglichen werden.</p> + +<p><a name="kinsuka" /><a href="#Page_53">53</a>: <i>Kinsuka-Blüte.</i> Der Kiṃśuka, Butea +frondosa, ist ein stattlicher Baum, +dessen Zweige im Frühjahr mit großen<a class="pagenum" name="Page_78" title="78"> </a> +scharlachroten Schmetterlingsblüten bedeckt sind. Die schöne Blüte +ist aber geruchlos.</p> + +<p><a name="asoka" /><a href="#Page_56">56</a>: <i>Asoka-Blüten.</i> Der Aśokabaum, Jonesia +Asoka, hat rote Blüten. Er spielt in der indischen Dichtung eine große +Rolle. Aśoka bedeutet »Kummerlos.«</p></blockquote> + +<hr class="tb" /> + +<p>Tagore's Dichtung entspricht nicht dem Sinn der Sage. Er sagt S. <a href="#Page_6">6</a> von Chitrā's +Vater: »er hatte sie deshalb stets wie einen Sohn gehalten und zu seinem Erben gemacht«. +Der Text in Protap Chandra Roys Übersetzung lautet: I have duly +made her a <i>Putrikā</i>. <i>putrikā</i> ist ein juristischer +Ausdruck und bezeichnet eine +Tochter, die mangels eines Sohnes (<i>putra</i>) +die Familie ihres Vaters, nicht ihres Gatten +fortpflanzen soll. Für letzteren bedeutet<a class="pagenum" name="Page_79" title="79"> </a> +also die Eingehung einer solchen +Ehe den Verzicht auf die Fortpflanzung +seiner Familie. Tagore hat dies offenbar +nicht gewußt und macht daher aus <i>putrikā</i> +eine Tochter, die als Sohn (<i>putra</i>) +erzogen wird! Das Epos kennt eine Sage, +wo eine Prinzessin für einen Prinz ausgegeben +und als solcher erzogen wird +(die Geschichte von <i>Śikhandin</i>). Diese +Reminiszenz mag sich bei dem Dichter +mit dem Sagenstoff, auf den er in der Vorrede +hinweist, verschmolzen haben.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Für die Anmerkungen ist die Übersetzerin dem Sanskritisten der Bonner +Universität, Herrn Geheimrat Prof. Dr. Jacobi, zu Dank verpflichtet.</p> + +<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44246 ***</div> +</body> +</html> diff --git a/44246-h/images/cover_ebook.jpg b/44246-h/images/cover_ebook.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a8e0151 --- /dev/null +++ b/44246-h/images/cover_ebook.jpg |
