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+ The Project Gutenberg eBook of Chitra, by Rabindranath Tagore.
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+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44246 ***</div>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_1" title="1"> </a></p>
+
+<p class="title"><big>RABINDRANATH TAGORE</big></p>
+<h1>CHITRA</h1>
+<p class="title"><br />*<br />
+EIN SPIEL<br />
+IN EINEM AUFZUG<br />
+*</p>
+<p class="title space-above">KURT WOLFF VERLAG<br />
+LEIPZIG</p>
+<p><a class="pagenum" name="Page_2" title="2"> </a></p>
+
+<p class="infopage">
+<i>Einbandzeichnung von Walter Tiemann.</i><br />
+<i>Dritte unveränderte Auflage 1918.</i><br />
+<i>Die erste Auflage erschien 1914.</i><br />
+</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_3" title="3"> </a></p>
+
+<p class="infopage"><i>Berechtigte deutsche Übertragung von<br />
+ELISABETH WOLFF-MERCK<br />
+nach der von Rabindranath Tagore selbst<br />
+veranstalteten englischen Ausgabe</i></p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_4" title="4"> </a><br/><a class="pagenum" name="Page_5" title="5"> </a></p>
+
+<h2><a name="VORBEMERKUNG" id="VORBEMERKUNG">VORBEMERKUNG</a></h2>
+<p class="plain">Dieses lyrische Drama wurde vor ungefähr 25 Jahren geschrieben. Es setzt
+die Kenntnis der hier folgenden Fabel aus dem Mahabharata voraus:</p>
+
+<p class="plain">Während der Wanderungen, die Arjuna
+in Erfüllung eines Bußgelübdes unternahm, kam er nach Manipur. Dort sah
+er Chitrāngadā, die schöne Tochter von Chitravāhana, dem König des Landes,
+und von ihrer Anmut überwältigt, bat er den König um ihre Hand. Chitravāhana
+fragte ihn nach seiner Herkunft. Auf die Antwort, er sei Arjuna der <a href="#pandava">Pandara</a>, erzählte
+der König ihm, daß einer seiner Ahnen, Prabhanjana vom königlichen
+Stamme von Manipur, lange kinderlos geblieben<a class="pagenum" name="Page_6" title="6"> </a>
+war. Um einen Erben zu erhalten, legte er sich strenge Bußübungen auf. Die
+Strenge seines Lebens fand Gnade vor Shiva, und der Gott gewährte ihm und
+jedem seiner Nachkommen <em class="gesperrt">ein</em> Kind.</p>
+
+<p class="plain">Es geschah aber, daß das versprochene Kind stets ein Knabe war. Er, Chitravāhana,
+war der Erste, dem nur eine Tochter, Chitrāngadā, gewährt war, um das Geschlecht zu erhalten.</p>
+
+<p class="plain">Er hatte sie deshalb stets wie einen Sohn gehalten und zu seinem Erben gemacht. &mdash;</p>
+
+<p class="plain">Der König fährt in der Erzählung fort:
+»Der einzige Sohn, den sie gebären wird, muß der Erhalter meines Geschlechts
+sein, und diesen Sohn verlange ich als Kaufpreis für die Einwilligung in die Heirat.<a class="pagenum" name="Page_7" title="7"> </a>
+Wenn du willst, kannst du sie unter dieser Bedingung haben.« Arjuna gab das
+Versprechen, nahm Chitrāngadā zum Weibe und lebte mit ihr drei Jahre in ihres
+Vaters Hauptstadt. Als ihnen ein Sohn geboren wurde, umarmte er sie liebevoll,
+nahm Abschied von ihr und ihrem Vater und setzte seine Wanderung fort.</p>
+<hr class="chap" />
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_8" title="8"> </a><br /><a class="pagenum" name="Page_9" title="9"> </a></p>
+
+<h2><a name="PERSONEN" id="PERSONEN">PERSONEN</a></h2>
+
+<p><span style="margin-left: 5em;">Götter:</span></p>
+
+<p class="personen"><i>Madana</i> (Eros).</p>
+<p class="personen"><i>Vasanta</i> (Lycoris).</p>
+
+<p><span style="margin-left: 5em;">Sterbliche:</span></p>
+
+<p class="personen"><i>Chitra</i>, Tochter des Königs von Manipur.</p>
+<p class="personen"><i>Arjuna</i>, ein Prinz aus dem Hause der Kuru. Er ist aus der Kshatriya oder
+Kriegerkaste und lebt während der Handlung als Eremit einsam im Wald.</p>
+<p class="personen"><i>Dorfleute</i> aus einer abgelegenen Gegend in Manipur.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_10" title="10"> </a></p>
+<hr class="chap" />
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_11" title="11"> </a></p>
+
+<h2><a name="ERSTE_SZENE" id="ERSTE_SZENE">ERSTE SZENE</a></h2>
+<p class="center"><big>IM TEMPEL</big></p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Bist Du der Gott mit den fünf Pfeilen,
+der Gott der Liebe?</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Ich war der Erstgeborene im Herzen des Schöpfers. Ich binde mit Fesseln des
+Schmerzes und erfülle mit Seligkeit das Leben der Menschen!</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ich weiß, ich kenne jenen Schmerz und jene Fesseln! &mdash; Und wer bist Du, mein
+Herr?</p>
+
+<p class="character">Vasanta</p>
+
+<p>Ich bin sein Freund &mdash; Vasanta &mdash; der<a class="pagenum" name="Page_12" title="12"> </a>
+König der Jahreszeiten. Tod und Alter würden die Welt bis ins Mark zerfressen,
+folgte ich ihnen nicht, um sie beständig zu bekämpfen. Ich bin die Ewige Jugend.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ich beuge mich vor Dir, Vasanta, mein Herr.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Doch welch strenges Gelübde bindet Dich, schöne Fremde? Warum läßt Du
+Deine frische Jugend welken in Buße und Demütigung? Solch Opfer ist dem Dienst
+der Liebe fremd. Wer bist Du, und was ist Dein Gebet?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ich bin Chitra, die Tochter aus dem
+königlichen Hause von Manipur. Shivas<a class="pagenum" name="Page_13" title="13"> </a>
+göttliche Gnade versprach meinem königlichen Ahnherrn eine ununterbrochene
+Reihe männlicher Nachkommen. Aber das Wort des Gottes vermochte nicht,
+den Lebensfunken in meiner Mutter Leib zu wandeln, so unbezwingbar war meine
+Natur, obschon ich ein Weib bin.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Ich weiß, darum erzieht Dich Dein Vater wie einen Sohn. Er hat Dich gelehrt mit
+dem Bogen umzugehen und Dich in allen Pflichten eines Königs unterwiesen.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ja, darum trage ich männliches Gewand und habe die Abgeschiedenheit des
+Frauengemaches verlassen. Ich weiß nichts von Frauenlist, die die Herzen gewinnt.<a class="pagenum" name="Page_14" title="14"> </a>
+Meine starken Hände können den Bogen spannen, aber ich habe die Kunst
+des Liebesgottes nicht erlernt; das Spiel der Augen ist mir fremd.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Das erlernt sich von selbst, Du Schöne. Die Augen brauchen darin nicht unterrichtet
+zu werden. Das weiß der am besten, der von ihnen ins Herz getroffen wurde.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Auf der Suche nach Wild wanderte ich eines Tages einsam durch den Wald
+am Ufer des Purna-Flusses. Mein Roß band ich an einen Stamm und drang in's
+dichte Gestrüpp, der Spur eines Wildes folgend. Ich fand einen schmalen,<a class="pagenum" name="Page_15" title="15"> </a>
+gewundenen Pfad, der sich durch das Dämmer verschlungener Zweige schlang.
+Die Blätter erzitterten vom Grillengezirp. Plötzlich erspähte ich auf meinem Weg
+einen Mann, der auf einem Lager trockenen Laubes ruhte. Hochmütig befahl ich
+ihm, mir Platz zu machen, aber es kümmerte ihn nicht. Da stach ich ihn verächtlich
+mit der scharfen Spitze meines Pfeils. Er sprang auf, stark und ebenmäßig an
+Wuchs, gleich einer Flamme, die plötzlich aus einem Aschenhaufen züngelt.
+Ein belustigtes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, vielleicht ob meines knabenhaften
+Anblicks. Da &mdash; zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich mich
+Weib und wußte, daß ein Mann vor mir stand.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_16" title="16"> </a></p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>In glückbegünstigter Stunde verkünde ich Mann und Weib die erhabene Lehre:
+Erkennet einander. &mdash; Was geschah dann?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Voll Angst und Staunen fragte ich ihn: »Wer bist Du?« »Ich bin Arjuna«, sagte
+er, »aus dem großen Stamme der Kuru«. Ich stand wie versteinert und vergaß mich
+zu verneigen. War das wirklich Arjuna, der Abgott meiner Träume, der Einzige,
+Große! Schon lange kannte ich sein Gelöbnis, zwölf Jahre in Keuschheit zu leben.
+Mein junger Ehrgeiz hatte mich manchen Tag angestachelt, mit ihm eine Lanze zu
+brechen, ihn verkappt zum Zweikampf
+zu fordern und ihm meine Waffenkunst<a class="pagenum" name="Page_17" title="17"> </a>
+zu beweisen. Ach töricht Herz, wohin entfloh Dein Stolz? Könnt' ich meine
+Jugend mit ihren Sehnsüchten hingeben, um Staub zu sein unter Deinen Füßen,
+wahrlich eine köstliche Gnade dünkte mir das. Ich weiß nicht, in welchem Strudel
+der Empfindung ich mich verlor, als ich ihn plötzlich zwischen den Bäumen entschwinden
+sah! &mdash; Du töricht Weib, du grüßtest ihn nicht und sprachest kein
+Wort, noch batest du ihn um Verzeihung, sondern standest wie ein ungeschickter
+Tölpel, während er verächtlich hinwegschritt!...
+Am nächsten Morgen legte ich meine Männerkleidung ab und schmückte
+mich mit Armbändern, Fußringen, einer Gürtelkette und einem Gewand aus purpurner
+Seide. Das ungewohnte Kleid<a class="pagenum" name="Page_18" title="18"> </a>
+schmiegte sich fest um meinen bebenden Leib; aber ich beschleunigte mein Suchen
+und fand Arjuna in Shiva's Waldtempel.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Vollende Deine Erzählung. Ich bin der herzgeborene Gott, und ich verstehe das
+Geheimnis dieser Triebe.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Nur undeutlich vermag ich mich zu erinnern, was ich sagte, und was ich zur
+Antwort bekam. Heiß' mich nicht alles erzählen. Scham überwältigte mich wie
+ein Donnerschlag und konnte mich doch nicht zerschmettern, so durchaus hart
+bin ich, so männlich. Als ich heimwärts
+schritt, stachen mich seine letzten Worte<a class="pagenum" name="Page_19" title="19"> </a>
+wie glühende Nadeln ins Ohr: »Ich habe Keuschheit gelobt. Ich kann Dein Gemahl
+nicht sein!« O, um das Gelübde eines Mannes! Sicherlich weißt Du, o Gott
+der Liebe, daß zahllose Heilige und Weise den Preis ihrer lebenslangen Buße hingegeben
+haben um eines Weibes willen. Ich brach meinen Bogen entzwei und verbrannte
+meine Pfeile im Feuer. Ich haßte meinen starken, geschmeidigen Arm, gezeichnet
+vom Spannen des Bogens. O Liebe, Liebe, Du hast tief in den Staub
+gebeugt den nichtigen Stolz meiner männlichen Stärke, und all meine Manneszucht
+liegt zermalmt zu Deinen Füßen. Nun lehre mich Deine Gebote. Gib mir
+die Kraft der Schwachen und die Waffe der wehrlosen Hand.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_20" title="20"> </a></p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Ich will Dein Freund sein. Ich will den weltenbezwingenden Arjuna vor Dein Angesicht
+bringen, ein Gefangener, der den Richtspruch seiner Empörung aus Deiner Hand empfangen soll.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Stünde mir nur die Zeit zu Gebot, ich könnte allmählich sein Herz gewinnen
+und brauchte der Götter Hilfe nicht. Zur Seite würde ich ihm stehen als Gefährte,
+die wilden Rosse seines Kriegswagens lenken, die Freuden der Jagd mit ihm
+teilen. Zur Nacht hielt ich Wache am Eingang seines Zeltes und hülfe ihm, die
+großen Pflichten eines Kshatriya erfüllen,
+die Schwachen zu befreien und Recht zu<a class="pagenum" name="Page_21" title="21"> </a>
+sprechen, wo es not tut. Sicherlich käme der Tag, an dem er mich erblicken und
+verwundert fragen würde: »Wer ist dieser Knabe? Ist einer meiner Sklaven aus
+einem früheren Leben, meinen guten Taten gleich, mir gefolgt ins Diesseits?« Ich
+bin nicht das Weib, das seine Verzweiflung mit nächtlichen Tränen in einsamer
+Stille nährt, sie täglich hinter geduldigen Lächeln verbirgt, als Witwe geboren.
+Die Blüte meines Verlangens soll nicht in den Staub sinken, ehe sie zur Frucht
+gereift ist. Aber es ist die Arbeit eines Lebens, Verständnis zu finden und Ehre
+zu erlangen für sein eigenstes Ich. Darum bin ich an Deine Tür gekommen, Du,
+weltenüberwindende Liebe, und Du, Vasanta,
+jugendlicher Gott der Jahreszeiten,<a class="pagenum" name="Page_22" title="22"> </a>
+nimm von meinem jungen Körper die angeborene Ungerechtigkeit der Häßlichkeit.
+Für einen einzigen Tag mache mich wunderbar schön, so schön wie die mit
+einem Mal in meinem Herzen erblühte Liebe. Gib mir nur einen einzigen Tag
+makelloser Schönheit, und ich will einstehen für die Tage, die da kommen.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Prinzessin, Dein Gebet sei erhört!</p>
+
+<p class="character">Vasanta</p>
+
+<p>Nicht nur für einen kurzen Tag, sondern für ein ganzes langes Jahr soll der
+Frühlingsblüten Lieblichkeit sich um Deine Glieder schmiegen.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_23" title="23"> </a></p>
+
+<h2><a name="ZWEITE_SZENE" id="ZWEITE_SZENE">ZWEITE SZENE</a></h2>
+<p class="center"><big>IM WALD</big></p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Träumte mir oder war Wirklichkeit, was ich am See sah? Im sinkenden Schatten
+des Abends saß ich auf moosigem Grund und dachte vergangener Jahre,
+als aus dem bergenden Dunkel der Blätter langsam eine Erscheinung trat in der vollkommenen
+Gestalt eines Weibes. Sie stand auf einem weißen, flachen Stein am
+Rande des Wassers. Es schien, als müsse das Herz der Erde sich weiten vor Freude
+unter ihren nackten weißen Füßen. Mir deuchte, die zarte Umhüllung ihres
+Körpers wollte sich in Verzückung auflösen
+in Luft, wie der goldene Frühnebel<a class="pagenum" name="Page_24" title="24"> </a>
+vom schneeigen Gipfel des östlichen Berges schmilzt. Sie beugte sich über den
+schimmernden Spiegel des Teiches und erblickte ihr Antlitz darin. Sie schrak zurück
+und stand still, dann lächelte sie, löste mit einer nachlässigen Bewegung
+des linken Arms ihr Haar, das bis zu ihren Füßen zur Erde niederglitt. Sie entblößte
+ihre Brust und betrachtete ihre makellos geformten Arme erfüllt von Zärtlichkeit
+für ihren Körper. Sie neigte den Kopf und sah ihre süße, blühende Jugend und das
+zarte Erröten ihrer flaumigen Haut. Sie strahlte in freudiger Überraschung. So
+würde die weiße Lotosblume den ganzen Tag über sich staunen, könnte sie des
+Morgens beim Erwachen, ihren Hals beugen
+und ihr Abbild im Wasser sehn. Aber<a class="pagenum" name="Page_25" title="25"> </a>
+einen Augenblick später wich das Lächeln von ihrem Antlitz, und ein Schatten von
+Trauer stieg in ihren Augen auf. Sie band ihre Haarflechten auf, zog den Schleier
+um ihre Schultern und schritt leise seufzend hinweg, wie ein schöner Abend,
+der in Nacht versinkt. Die erhabene Erfüllung aller Sehnsucht schien sich mir
+in einem Blitz geoffenbart zu haben und verlosch dann ... Aber wer bewegt die Türe?</p>
+
+<p>(Chitra tritt ein, in Frauenkleidern.)</p>
+
+<p>Ah! sie ist's! Stille mein Herz!...</p>
+
+<p>Fürchte nichts, Herrin! Ich bin ein Kshatriya.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Edler Herr, Du bist mein Gast. Ich
+wohne in diesem Tempel. Ich weiß nicht,<a class="pagenum" name="Page_26" title="26"> </a>
+wie ich Dir Gastfreundschaft erzeigen
+kann.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Schöne Frau, Dein Anblick allein ist die höchste Gastfreundschaft. Wenn Du
+mir's nicht verdenken willst, möchte ich Dich etwas fragen.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Es sei Dir gewährt.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Welch strenges Gelübde hält Dich in diesen einsamen Tempelmauern gefangen
+und beraubt die Sterblichen Deines lieblichen Anblickes?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ich hege einen geheimen Wunsch in<a class="pagenum" name="Page_27" title="27"> </a>
+meinem Herzen, für dessen Erfüllung ich täglich Gebete zu Shiva sende.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ach, was kannst Du verlangen, die Du das Verlangen der ganzen Welt bist? Von
+dem östlichen Hügel, auf dessen Gipfel die Morgensonne zuerst ihren feurigen
+Fuß setzt, bis ans Ende des Abendlands bin ich gewandert. Ich habe das Köstlichste,
+Schönste und Größte der Erde gesehen. Mein Wissen soll Dein sein, nur
+sage mir, was oder wen Du suchst.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ihn, den ich suche, ihn kennen alle.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Wer mag dieser Liebling der Götter
+sein, der Dein Herz gefangen nahm?</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_28" title="28"> </a></p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Er ist der Größte aller Helden, ein Sproß des höchsten Herrscherhauses.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Herrin, opfere nicht diesen Schatz von Schönheit, der Dein ist, auf dem Altar
+eines falschen Ruhmes. Unwahres Gerücht verbreitet sich von Mund zu Mund,
+wie der Nebel im frühen Morgendämmer ehe die Sonne aufgeht. Sage mir, wer ist
+der erhabene Held aus höchstem königlichem Stamm?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Einsiedler, der Ruhm andrer Männer erfüllt Dich mit Neid. Weißt Du nicht,
+daß der Ruhm des königlichen Hauses der Kuru über die ganze Welt verbreitet ist?</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_29" title="29"> </a></p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Das Haus der Kuru!</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Und hast Du nie den größten Namen dieses weitgerühmten Hauses gehört?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Laß ihn mich von Deinen eigenen Lippen hören.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Arjuna, der Welteroberer. Ich habe diesen unsterblichen Namen von den
+Lippen der Menge abgelesen und ihn sorgfältig in meinem Herzen verborgen. Einsiedler,
+was blickst Du so verwirrt drein? Trägt dieser Name nur trügerischen
+Glanz? Sag es, und ich will nicht zögern,
+den Schrein meines Herzens aufzubrechen<a class="pagenum" name="Page_30" title="30"> </a>
+und den falschen Edelstein in den Staub zu werfen.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ob auch sein Name und Ruhm, sein Mut und seine Tapferkeit wahr oder
+falsch sind, um des Mitleids willen verbanne ihn nicht aus Deinem Herzen,
+denn er kniet zu Deinen Füßen &mdash; in diesem Augenblick.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Du, Arjuna!</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ja, der bin ich, ein vor Liebe verschmachteter Bettler an deiner Tür.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>So ist es nicht wahr, daß Arjuna das Gelübde zwölf Jahre langer Keuschheit getan hat?</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_31" title="31"> </a></p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Du hast meinen Schwur gelöst wie der Mond den nächtlichen Schwur der Dunkelheit.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Scham über Dich! Was sahst du in mir, das Dich Deinem eigenen Ich untreu
+werden ließ? Wen suchst du in diesen dunklen Augen, in diesen milchweißen
+Armen, wenn Du sie mit dem Preis Deiner Ehre zu bezahlen bereit bist? Nicht mein
+wahres Selbst, das weiß ich. Wahrlich das kann nicht Liebe sein, nicht des
+Mannes tiefste Ehrfurcht vor dem Weib! Wehe, daß der Körper, diese zerbrechliche
+Hülle, uns blendet, das Licht der
+unsterblichen Seele zu schauen! Ja, Arjuna,<a class="pagenum" name="Page_32" title="32"> </a>
+nun weiß ich gewiß, falsch ist der Ruhm Deines Heldentums.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>O, ich fühle wie eitel der Ruhm ist und der Stolz der Tapferkeit! Alles scheint
+Traum. Du allein bist vollkommen, Du bist der Reichtum der Welt, das Ende
+aller Armut, das Ziel alles Strebens, das Weib! Andere Frauen gibt's, langsam und
+schwer zu erkennen, aber Dich einen Augenblick lang zu sehn, heißt höchste
+Vollendung schauen, jetzt und in Ewigkeit.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ach nicht ich bin's, nicht ich, Arjuna! Es ist das Trugbild eines Gottes. Geh',
+geh' mein Held, geh'. Frei' nicht die Lüge, opfre dein großes Herz nicht einer Täuschung. Geh'.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_33" title="33"> </a></p>
+
+<h2><a name="DRITTE_SZENE" id="DRITTE_SZENE">DRITTE SZENE</a></h2>
+<p class="center"><big>IM TEMPEL</big></p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Nein, unmöglich ist's den brennenden Blick der hungrigen Seele auszuhalten,
+der mit Händen dich umklammert, zu fühlen, wie das Herz sich müht, die Fesseln
+zu sprengen, und den wilden Schrei, der sich ihm entringen will &mdash; und den
+Liebenden dann hinweg zu senden wie einen Bettler! Unmöglich ist's!</p>
+
+<p>(Madana und Vasanta treten auf.)</p>
+
+<p>Ach, Gott der Liebe, welch furchtbares Feuer hast Du in mich gesenkt! Ich verbrenne,
+versenge, was ich berühre.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Ich wünsche zu wissen, was in vergangener Nacht geschah.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_34" title="34"> </a></p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Auf ein Lager von Gras, übersät mit
+Frühlingsblüten, legte ich mich am Abend
+nieder und gedachte des wunderbaren
+Lobgesangs meiner Schönheit, den ich
+von Arjuna gehört. Tropfen nach Tropfen
+trank ich den Honig, den ich am Tage
+gesammelt, Vergangenes und Zukünftiges
+war vergessen. Ich fühlte mich der Blume
+verwandt: ihr sind nur flüchtige Stunden
+vergönnt, dem summenden Schmeicheln,
+dem Flüstern und Murmeln der Wälder
+zu lauschen. Dann muß sie die Augen
+vom Himmel wenden, ihr Haupt beugen
+und ihren Atem aushauchen im Staub,
+klaglos den kurzen Traum eines vollkommenen
+Augenblicks beenden, der
+nicht Vergangenheit noch Zukunft kennt.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_35" title="35"> </a></p>
+
+<p class="character">Vasanta</p>
+
+<p>Ein grenzenloses Leben voller Ruhm
+kann blühen und sich erschöpfen an
+einem Morgen.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Wie Ewigkeits-Sinn im kleinsten Bruchteil
+eines Liedes sein kann.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Die südliche Brise wiegte mich in Schlaf.
+Von dem blühenden <a href="#malati">Malati-Hain</a> über
+mir tropften schweigend Küsse auf mich
+nieder. Jede Blume wählte sich ein Lager
+zum Sterben, in meinem Haar, auf meiner
+Brust oder meinen Füßen. Ich schlief.
+Und in der Tiefe meines Schlafes war
+mir plötzlich, als ob ein durchdringender,
+gieriger Blick meinen Körper berühre,<a class="pagenum" name="Page_36" title="36"> </a>
+wie der spitzige, stechende Finger der
+Flamme. Ich sprang auf und sah den Einsiedler
+vor mir stehen. Der Mond war
+westwärts gewandert und lugte durch die
+Blätter, um das Wunder zu sehen, das
+durch göttliche Kunst in zerbrechlicher
+Menschlichkeit erstanden war. Die Luft
+war schwer, duftgeschwängert, die Stille
+der Nacht klang vom Grillengezirp, regungslos
+lag das Spiegelbild der Bäume
+auf dem See. Und mit seinem Stab in der
+Hand stand der Einsiedler groß, aufrecht
+und schweigend wie ein Baum des Waldes.
+Mir war, da ich die Augen aufschlug,
+als sei ich abgeschieden von aller Wirklichkeit
+des Lebens, und es vollziehe sich
+an mir eine Wiedergeburt im Land der
+Träume. Scham fiel von mir und glitt<a class="pagenum" name="Page_37" title="37"> </a>
+wie ein gelöstes Gewand auf meine Füße
+nieder. Ich hörte seinen Schrei &mdash; »Geliebte,
+einzig Geliebte!« Und all' meine
+vergangenen, vergessenen Leben schmolzen
+zu einem und riefen ihm Antwort
+zu: »Nimm mich, nimm mich ganz zu
+eigen!« Und ich breitete meine Arme nach
+ihm aus. Der Mond sank hinter den Bäumen.
+Ein dunkler Vorhang bedeckte alles,
+Himmel und Erde, Zeit und Raum, Lust
+und Schmerz, Leben und Tod schmolzen
+in Eins in unsagbarer Verzückung....
+Mit dem ersten Morgenstrahl, dem ersten
+Vogelzwitschern richtete ich mich auf und
+blieb, auf den linken Arm gestützt, sitzen.
+Der Einsiedler lag schlafend, ein unbekümmertes
+Lächeln krümmte sich um
+seine Lippen, wie der wachsende Mond<a class="pagenum" name="Page_38" title="38"> </a>
+am Morgen. Der Dämmerung rosiges Glühen
+fiel auf seine edle Stirn. Ich seufzte,
+stand auf und zog die breitblättrigen Lianen
+zusammen, um sein Gesicht vor der
+flutenden Sonne zu schützen. Ich schaute
+umher und sah die gleiche alte Erde. Ich
+erinnerte mich, was ich gewesen und
+rannte, rannte wie ein Reh, das seinen
+eigenen Schatten fürchtet, den Waldpfad
+entlang, den <a href="#stephali">Stephali-Blumen</a> bedeckten.
+Ich fand einen einsamen Winkel, setzte
+mich nieder, barg mein Gesicht in beiden
+Händen, um zu weinen und zu klagen.
+Doch meine Augen blieben tränenlos.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Weh über Dich, Tochter der Sterblichen!
+Ich stahl aus den göttlichen Speichern<a class="pagenum" name="Page_39" title="39"> </a>
+den duftenden Wein des Himmels, gab ihn, eine irdische Nacht gefüllt bis
+zum Rande, in Deine Hände, auf daß Du tränkest &mdash; und immer hör' ich noch diesen Schrei der Qual!</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+<p><span style="margin-left: 3em;">(bitter)</span></p>
+
+<p>Wer trank ihn? Des Lebens seltenste
+Erfüllung, erste Liebesumarmung bot
+man mir dar und entriß sie wieder meiner
+Sehnsucht? Diese erborgte Schönheit,
+die Falschheit, die mich umhüllt, sie werden
+von mir gleiten, wie Blüten im Wind
+entblättern, und die einzig sichtbare Erinnerung
+jener süßen Vereinigung mitnehmen,
+und voll Scham über seine Armut
+wird das Weib weinend sitzen &mdash;
+Tag und Nacht. Gott der Liebe, diese<a class="pagenum" name="Page_40" title="40"> </a>
+verfluchte äußere Gestalt begleitet mich
+Tag und Nacht, wie ein Dämon, und beraubt
+mich allen Liebeslohnes &mdash; all der
+Küsse, nach denen ich verschmachte.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Ach, umsonst war Deine einzige Nacht! Die Barke der Erfüllung kam in Sicht,
+aber die Wellen ließen sie das Ufer nicht berühren.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Der Himmel war meinem Griff ganz nahe und ich vergaß für Augenblicke, daß
+ich ihn noch nicht erreicht hatte. Aber als ich des Morgens aus meinem Traum
+erwachte, fand ich im eigenen Körper die Rivalin. Nun ward mir die verhaßte
+Pflicht, sie täglich zu schmücken, zum<a class="pagenum" name="Page_41" title="41"> </a>
+Geliebten zu schicken und zu sehen, wie er sie liebkoste. O Gott, nimm Dein Geschenk
+zurück!</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Aber wie willst Du vor Deinen Geliebten treten, wenn ich es von Dir nehme?
+Ist es nicht grausam, den Becher von seinen Lippen zu reißen, nachdem er
+kaum einen Zug der Lust getan? Wie ärgerlich wirst Du ihm sein?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Und doch wäre es besser so. Ich will ihm
+meine wahrhaftige Gestalt zu erkennen
+geben, eine edlere Tat, als in dieser Maske
+zu leben. Wenn er mich auch verstößt
+und verschmäht, wenn er mein Herz auch
+bricht &mdash; schweigend will ich's tragen.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_42" title="42"> </a></p>
+
+<p class="character">Vasanta</p>
+
+<p>Hör' meinen Rat. Wenn die blumenerfüllte
+Jahreszeit vergangen, kommt der
+Herbst und mit ihm der Triumphzug der
+Früchte. Die Zeit wird kommen, da die
+überreife Blume des Leibes sich vergehend
+neigt. Dann wird Arjuna die bleibende
+fruchtgewordene Wahrheit aus
+Dir voll Glück hinnehmen. O Kind, geh'
+zurück zu Deiner rasenden Feier.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_43" title="43"> </a></p>
+
+<h2><a name="VIERTE_SZENE" id="VIERTE_SZENE">VIERTE SZENE</a></h2>
+<p class="center"><big>IM WALD</big></p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Warum beobachtest Du mich, mein Krieger?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ich sehe zu, wie Du den kleinen Kranz windest. Anmut und Geschick, die Zwillingsbrüder,
+spielen tanzend auf Deinen Fingerspitzen. Ich sehe zu und denke.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Was denkst Du, Herr?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ich denke, daß Du mit der gleichen
+schwebenden Berührung und Süßigkeit
+die Tage meiner Verbannung in einen<a class="pagenum" name="Page_44" title="44"> </a>
+unsterblichen Kranz windest, um mich
+zu meiner Heimkehr damit zu krönen.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Heimkehr! Diese Liebe ist nichts für
+ein Heim!</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Nichts für ein Heim?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Nein, sprich nie davon. Nimm mit in
+Dein Heim das Bleibende, Starke. Laß
+die kleine wilde Blume an ihrem Geburtsort,
+laß sie dort in Schönheit sterben,
+wenn der Tag sich neigt, mit all den welkenden
+Blumen und den modernden
+Blättern. Nimm sie nicht mit in die Halle
+Deines Palastes, um sie dort auf den
+steinernen Boden zu werfen, der kein<a class="pagenum" name="Page_45" title="45"> </a>
+Erbarmen für Welken und Vergehen
+kennt.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Sieht so unsere Liebe aus?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ja, so und nicht anders! Was soll das
+Klagen? Was sich für müßige Tage schickt,
+sollte sie nicht überdauern. Lust wandelt
+sich in Schmerz, wenn ihr die Tür verschlossen
+ist, aus der sie scheiden soll.
+Nimm meine Liebe hin und halte sie, so
+lange sie währen darf. Laß nicht des
+Abends satte Zufriedenheit mehr fordern,
+als das morgendliche Verlangen ernten
+kann ... Der Tag ist vorüber. Nimm dies
+Blumengewinde. Ich bin müde. Nimm
+mich in Deine Arme, Geliebter, und laß<a class="pagenum" name="Page_46" title="46"> </a>
+alles eitle unzufriedene Gezänk verstummen
+in der süßen Vereinigung unserer
+Lippen.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Still, horch, Geliebte, der Klang der
+Gebetsglocken aus dem fernen Dorftempel
+gleitet auf der Abendluft über die
+schweigenden Wipfel.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_47" title="47"> </a></p>
+
+<h2><a name="FUENFTE_SZENE" id="FUENFTE_SZENE">FÜNFTE SZENE</a></h2>
+<p class="center"><big>IM TEMPEL</big></p>
+
+<p class="character">Vasanta</p>
+
+<p>Ich kann nicht Schritt mit Dir halten,
+mein Freund! Ich bin müde. Schwer ist
+die Pflicht, das Feuer in Glut zu halten,
+das Du entzündet hast. Schlaf überkommt
+mich, der Fächer entfällt meiner
+Hand, und kalte Asche bedeckt die Glut.
+Ich fahre wieder auf aus meinem Schlummer
+und rette die träge Flamme, soweit
+es in meiner Macht steht. Aber so kann
+es nicht weiter gehen.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Ich weiß, Du bist unbeständig wie ein
+Kind. Ewig ruhelos ist Dein Spiel im
+Himmel und auf Erden. Was Du in langen<a class="pagenum" name="Page_48" title="48"> </a>
+Tagen aufgebaut mit endloser Sorge
+für jeden Bruchteil, in einem Augenblick
+zerstörst Du es wieder, ohne Bedauern.
+Aber unsere Arbeit ist heut vollendet.
+Freudengeflügelte Tage fliehen flüchtig
+dahin, und das sich neigende Jahr vergeht
+mit berückendem Blühen.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_49" title="49"> </a></p>
+
+<h2><a name="SECHSTE_SZENE" id="SECHSTE_SZENE">SECHSTE SZENE</a></h2>
+<p class="center"><big>IM WALD</big></p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ich erwachte am Morgen und fand
+meine Träume in einen Edelstein verschmolzen.
+Ich hatte keinen Schrein, ihn
+darin zu verschließen, keine Königskrone,
+in die ich den Stein hätte fassen können,
+keine Kette hatte ich, ihn daran zu hängen,
+und doch brachte ich's nicht übers
+Herz, ihn wegzuweisen. So halte ich ihn,
+und mein Arm, der Arm eines Kshatriya,
+vergißt über müßigem Tun seine Pflicht.</p>
+
+<p>(Chitra tritt ein.)</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Sage mir Deine Gedanken, Herr!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_50" title="50"> </a></p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Meine Gedanken sind heute auf die
+Jagd gerichtet. Sieh, wie der Regen in
+Strömen herniederstürzt und wild gegen
+den Berghang schlägt. Dunkle Wolkenschatten
+hängen schwer über dem Wald,
+und gleich der sorglosen Jugend überspringt
+der geschwollene Strom mit spöttischem
+Lachen alle Schranken. Stets
+gingen wir fünf Brüder an solchen Regentagen
+in den Wald von Chitraka, wilde
+Tiere zu jagen. Das waren schöne Zeiten.
+Unsre Herzen tanzten zum Trommelwirbel
+der grollenden Wolken. Der
+Wald hallte wider von den Schreien der
+Pfauen. Durch das Klatschen des Regens
+und das Rauschen des Wasserfalles
+konnte das ängstliche Wild unsre Schritte<a class="pagenum" name="Page_51" title="51"> </a>
+nicht hören. Die Leoparden ließen ihre
+Spuren in der nassen Erde zurück und
+verrieten so ihr Lager. War die Jagd vorüber,
+so forderten wir uns auf dem Heimweg
+gegenseitig heraus, reißende Ströme
+zu durchschwimmen. Ein ruheloser Geist
+wohnt in mir, ich habe Sehnsucht nach
+der Jagd.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Erst erlege das Wild, das Du jetzt verfolgst.
+Bist Du gewiß, daß das verzauberte
+Tier, das Du jagst, unbedingt gefangen
+werden muß? Nein, noch nicht.
+Wie ein Traum entgleitet Dir das wilde
+Geschöpf, wenn es Dir am nächsten
+scheint. Sieh, wie der rasende Regen den
+Wind jagt und tausend Pfeile hinter ihm
+her sendet. Und doch bleibt der Wind<a class="pagenum" name="Page_52" title="52"> </a>
+frei und unbesiegt. So ist auch unser Waidwerk,
+Geliebter! Du jagst nach der schnellschreitenden
+Schönheit und versendest
+all Deine Pfeile nach ihr, und doch flieht
+dies zaubrische Wild stets frei und unberührt
+davon.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Hast Du kein Heim, Geliebte, wo liebende
+Herzen Deiner Rückkehr harren?
+Ein Heim, dem Du durch sanftes Dienen
+Lieblichkeit verliehst, und dessen Licht
+erlosch, als Du es für diese Wildnis verließest?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Was fragst Du? Sind die Stunden der
+Lust vorbei, in denen es kein Denken
+gab? Weißt Du nicht, daß ich nur die bin,<a class="pagenum" name="Page_53" title="53"> </a>
+die Du vor Dir siehst? Mein Blick geht
+nicht über das Jetzt hinaus. Der Tau auf
+den Blättern der <a href="#kinsuka">Kinsuka-Blüte</a> hat weder
+Namen noch Schicksal, und gewährt keiner
+Frage Antwort. Sie, die Du liebst,
+gleicht jener vollkommenen Tauperle.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Verbindet sie kein Band mit der Welt?
+Ist sie nur ein Stück Himmel, das ein lustspendender
+Gott unachtsam zur Erde
+fallen ließ?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ja.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ach, darum ist mir immer, als müßte
+ich Dich verlieren. Mein Herz ist unbefriedigt,
+meine Gedanken friedlos. Komm
+näher zu mir, Unerreichbare! Ergib Dich<a class="pagenum" name="Page_54" title="54"> </a>
+und dulde die Fesseln, die da heißen:
+Name, Heim, Sippe. Laß mein Herz Dich
+ganz umschließen, und mit Dir leben in
+der ruhigen Sicherheit der Liebe.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Warum mühst Du Dich vergebens, die
+Farben der Wolken, den Tanz der Wellen,
+den Duft der Blumen zu haschen und
+zu halten?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Herrin mein, glaube nicht, daß Du mit
+Luftgebilden die Liebe befriedigen kannst.
+Gib mir etwas, woran ich Halt finde,
+etwas, das die Lust überdauert, das sich
+im Leid bewährt.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Mein Held, noch ist das Jahr nicht zu<a class="pagenum" name="Page_55" title="55"> </a>
+Ende, und schon bist Du müde! Ja, nun
+erkenne ich die himmlische Güte, die den
+Blumen ein kurzes Leben gab. Wäre ich
+mit den Blumen des letzten Frühlings
+verwelkt und gestorben, ich wäre mit
+Ehren dahingegangen. Doch meine Tage
+sind gezählt, Geliebter. Schone mich
+nicht, saug allen Honig aus mir, da Du
+voller Angst bist, daß Dein armes Herz
+wieder und wieder zurückkommt voll unerfüllter
+Wünsche und Begierden, gleich
+der durstigen Biene, wenn die Sommerblumen
+welk im Staub liegen.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_56" title="56"> </a></p>
+
+<h2><a name="SIEBENTE_SZENE" id="SIEBENTE_SZENE">SIEBENTE SZENE</a></h2>
+<p class="center"><big>IM TEMPEL</big></p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Heute ist Deine letzte Nacht.</p>
+
+<p class="character">Vasanta</p>
+
+<p>Des Frühlings unerschöpfliche Schatzkammer
+wird morgen die Lieblichkeit
+Deines Körpers zurücknehmen. Die rosige
+Farbe Deiner Lippen wird in einem
+<a href="#asoka">Asoka-Blütenpaar</a> neu aufblühen, frei von
+der Erinnerung an Arjunas Küsse. In hundert
+duftenden Jasmin-Blumen wird der
+matte, weiße Glanz Deiner Haut auferstehen.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>O Götter, erhört mein Gebet! Laßt
+meine Schönheit in der letzten Stunde<a class="pagenum" name="Page_57" title="57"> </a>
+dieser Nacht am hellsten erstrahlen, wie das letzte Aufleuchten einer sterbenden Flamme.</p>
+
+<p class="character">Madana</p>
+
+<p>Dein Wunsch sei Dir gewährt.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_58" title="58"> </a></p>
+
+<h2><a name="ACHTE_SZENE" id="ACHTE_SZENE">ACHTE SZENE</a></h2>
+<p class="center"><big>IM WALD</big></p>
+
+<p class="character">Die Dorfleute</p>
+
+<p>Wer wird uns nun beschützen?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Was soll's, welche Gefahr droht Euch?</p>
+
+<p class="character">Die Dorfleute</p>
+
+<p>Die Räuber kommen in Scharen aus den nördlichen Bergen, wie die Flut des
+Gebirgsstromes, die unser Dorf verheert.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Habt ihr keine Wächter in Eurem Königreich?</p>
+
+<p class="character">Die Dorfleute</p>
+
+<p>Chitra, die Königstochter, war der
+Schrecken aller Bösen. Als sie noch in<a class="pagenum" name="Page_59" title="59"> </a>
+diesem glücklichen Lande weilte, kannten
+wir keine Furcht außer einer: sterben
+zu müssen. Nun ist Chitra auf einer Pilgerfahrt,
+und niemand kennt ihren Aufenthalt.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ist der Hüter dieses Landes ein Weib?</p>
+
+<p class="character">Die Dorfleute</p>
+
+<p>Ja, sie ist uns Vater und Mutter zugleich.</p>
+
+<p>(Die Dorfleute entfernen sich.
+Chitra tritt ein.)</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Warum sitzest Du hier so einsam?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ich versuche mir vorzustellen, was für
+eine Frau die Prinzessin Chitra sein mag.<a class="pagenum" name="Page_60" title="60"> </a>
+Viele Menschen erzählen viele Geschichten
+von ihr.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Ach, sie ist nicht schön, sie hat nicht
+meine schönen Augen, die dunkel sind
+wie der Tod. Mit ihrem Geschoß kann
+sie jede Scheibe durchbohren, nur nicht
+das Herz unsres Helden.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Sie sagen, an Tapferkeit sei sie ein
+Mann, und ein Weib an Zärtlichkeit.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Und das gerade ist ihr größtes Unglück.
+Das Weib, das nur Weib ist, das mit
+seinem Lächeln, mit seinen Seufzern, und
+mit zarten Liebkosungen die Herzen der
+Männer einspinnt, ist allein glücklich.<a class="pagenum" name="Page_61" title="61"> </a>
+Was frommt ihr Weisheit und große
+Taten? Hättest Du die Prinzessin nur
+gestern sehen können, im Hof von Shivas
+Tempel, der am Waldpfad liegt, Du
+wärest vorübergegangen ohne sie eines
+Blickes zu würdigen. Bist Du denn weiblicher
+Schönheit so überdrüssig, daß Du
+in ihr männliche Kraft suchst?</p>
+
+<p>Aus grünen Blättern, feucht vom
+sprühenden Gischt des Wasserfalls, habe
+ich unser Bett zur Mittagsrast bereitet,
+in nachtdunkler Grotte. Die Kühle des
+weichen grünen Mooses, das dicht den
+tropfenden Stein bedeckt, küßt dort Deine
+Augen in Schlaf. Laß Dich dorthin geleiten.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Nein, heute nicht, Geliebte.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_62" title="62"> </a></p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Warum nicht heute?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ich habe von einer Räuberhorde gehört,
+die in die Ebene gekommen ist. Ich
+muß gehen meine Waffen bereiten, um
+die erschreckten Dorfleute zu beschützen.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Du brauchst Dich nicht um sie zu
+sorgen. Prinzessin Chitra hat starke Wächter
+an den Grenzpässen aufgestellt, ehe
+sie ihre Pilgerfahrt begann.</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Nur für kurze Zeit laß mich das Kriegshandwerk
+eines Kshatriya üben. Mit
+neuem Ruhm will ich diesen müßigen Arm
+bedecken, damit er Deinem Haupt ein
+würdigeres Kissen sei.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_63" title="63"> </a></p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Doch, wenn ich mich weigere Dich
+gehen zu lassen, wenn meine Arme Dich
+umwunden halten? Würdest Du Dich
+roh von mir losreißen und mich verlassen?
+So geh! Aber wisse, daß die Liane &mdash;
+einmal entzweigebrochen &mdash; nie wieder
+zu einem Ganzen wird. Geh, wenn Dein
+Durst gestillt ist. Doch wenn nicht, denke
+daran, wie unbeständig die Göttin der
+Lust ist und daß sie nicht wartet auf den
+Menschen. Bleib noch eine Weile, Herr!
+Sage mir die unruhigen Gedanken, die
+Dich quälen. Wer nahm heute Deine
+Seele gefangen? War es Chitra?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ja, es ist Chitra. Mich nimmt wunder,
+um welches Gelübdes willen sie auf die<a class="pagenum" name="Page_64" title="64"> </a>
+Pilgerfahrt gegangen ist. Was mangelt
+ihr?</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Was ihr mangelt? Ja, hat sie denn je
+etwas besessen, die Unglückliche? Es sind
+ja ihre eigensten Fähigkeiten, die sie mit
+Gefängnismauern umschließen und ihr
+Frauenherz in einer kahlen Zelle gefangen
+halten. Verdunkelt ist diese Frau und
+unerfüllt. Ihre Weibesliebe muß sich mit
+einem Lumpenkleide bescheiden, denn
+Schönheit blieb ihr versagt. Sie gleicht
+dem Geist eines freudlosen Morgens. Sie
+sitzt auf steinigem Berggipfel und dunkle
+Wolken haben ihr Licht ausgelöscht.
+Frag mich nicht nach ihrem Leben.
+Seine Geschichte klingt dem Ohr des
+Mannes nicht lieblich.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_65" title="65"> </a></p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ich brenne danach, alles von ihr zu
+hören. Ich bin wie ein Wanderer, der
+um Mitternacht an eine fremde Stadt
+kommt. Kuppeln, Türme und Gartenbäume
+sehen verschwommen und schattenhaft
+aus, und durch die Stille des
+Schlafes tönt hin und wieder das dumpfe
+Klagen des Meeres. Und er harrt sehnsüchtig
+auf den Morgen, der ihm alle die
+fremden Wunder offenbaren soll. O, erzähle
+mir ihre Geschichte.</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Was ist da mehr zu erzählen?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Meine Einbildung zaubert mir sie vor,
+wie sie auf weißem Rosse reitet, in der
+Linken die Zügel haltend und in der rechten<a class="pagenum" name="Page_66" title="66"> </a>
+Hand den Bogen, gleich der Liebesgöttin,
+die frohe Hoffnung spendet. Mit
+wilder Liebe schützt sie ihre säugenden
+Jungen wie eine wachsame Löwin. Auch
+des Weibes Arme, die nichts anderes als
+ungefesselte Kraft schmückt, sind schön!
+Mein Herz ist ruhelos, Du Liebliche, wie
+eine Schlange, die aus langem Winterschlaf
+erwacht. Komm, laß uns miteinander
+auf schnellen Rossen dahineilen,
+Seite an Seite, wie Zwillingsgestirne, die
+leuchtend den Raum durchmessen. Heraus
+aus diesem dunklen, grünen, einschläfernden
+Gefängnis, komm hervor
+unter der feuchten, duftenden, berauschenden
+Decke, die den Atem benimmt!</p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+
+<p>Arjuna, sag mir die Wahrheit: wenn<a class="pagenum" name="Page_67" title="67"> </a>
+ich mich jetzt plötzlich durch einen Zauber
+dieser wollüstigen Weichheit entledigen
+könnte, diesen zarten Schmelz der
+Schönheit abstreifte, der vor der derben,
+gesunden Berührung der Welt schaudert,
+und das alles von meinem Körper herunterrisse
+wie geborgtes Gewand &mdash; könntest
+Du das ertragen? Wenn ich mich
+aufrichte, grade und stark, mit der Kraft
+eines mutigen Herzens, und die Listen
+und Künste der kriechenden Schwachheit
+verächtlich von mir weise, wenn ich
+mein Haupt erhebe, wie die hohe, junge
+Bergtanne, und mich nicht länger im
+Staub winde, wie die Liane, &mdash; werde ich
+dann Gnade finden vor den Augen des
+Mannes? Nein, nein, Du könntest es nicht
+ertragen. Es ist besser, ich verstreue um<a class="pagenum" name="Page_68" title="68"> </a>
+mich all die zierlichen Spielereien flüchtiger
+Jugend und warte auf Dich in Geduld.
+Ist's Dir gefällig zurückzukehren,
+so will ich Dir lächelnd aus dem Becher
+dieses schönen Leibes den Wein der Lust
+schenken. Hast Du genug davon und bist
+Du müde, so will ich mich demütig und
+dankbar in den Winkel zurückziehen,
+den man mir gelassen hat. Wie gefiele
+es Deiner Heldenseele, hoffte die Gespielin
+der Nacht Deine Gefährtin am
+Tage zu sein? Wie, wenn der linke Arm
+die Last des stolzen rechten mit zu tragen
+lernte?</p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Ich werde Dich niemals richtig erkennen. Eine Göttin, verborgen in einem
+goldenen Heiligenbild scheinst Du mir.<a class="pagenum" name="Page_69" title="69"> </a>
+Ich kann Dich nicht berühren, ich kann Dir Deine unschätzbaren Gaben nicht
+vergelten. Und so bleibt meine Liebe unvollkommen. Aus der rätselhaften Tiefe
+Deiner traurigen Augen, aus Deinen spielerischen Worten, die ihre eigene Bedeutung
+verspotten, erhasche ich manchmal den Schimmer eines Wesens, das die
+schmachtende Anmut seines Körpers vernichten möchte. In der reinen Flamme
+des Leides, verborgen hinter des Lächelns zartem Schleier, sehnt es sich wieder zu
+erstehen. Ein Trugbild, erscheint uns die Wahrheit zuerst, in einer Verkleidung
+tritt sie vor den Geliebten hin. Aber es kommt eine Zeit, da sie Schleier und
+Schmuck abwirft und dasteht, bekleidet mit nackter Hoheit. Ich verzehre mich<a class="pagenum" name="Page_70" title="70"> </a>
+nach diesem letzten Du, nach jener einfachsten, wahrsten Klarheit. Was bedeuten
+die Tränen, mein Lieb? Warum verbirgst Du Dein Gesicht in den Händen?
+Hab ich Dir weh getan, mein Liebling? Vergiß, was ich sagte. Ich will mit der
+Gegenwart zufrieden sein. Wie der Vogel Geheimnis aus unsichtbarem, dunkelm
+Nest zu mir kommt, musikerfüllte Botschaft bringend, so komm Du zu mir und
+laß mich jeden Augenblick der Schönheit erleben. Laß mich und meine Hoffnung
+ewig am Ufer der Erfüllung sitzen und so meine Tage beschließen.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_71" title="71"> </a></p>
+
+<h2><a name="NEUNTE_SZENE" id="NEUNTE_SZENE">NEUNTE SZENE</a></h2>
+<p class="center"><big>IM WALD</big></p>
+
+<p class="character">Chitra</p>
+<p><span style="margin-left: 3em;">(in einen Mantel gehüllt.)</span></p>
+
+<p>Mein Herr, hast Du den Becher bis
+zur Neige geleert? Ist dies wirklich das
+Ende? Nein, wenn alles getan, so bleibt
+doch noch Eins, mein letztes Opfer, das
+ich zu Deinen Füßen darbringe. Aus dem
+himmlischen Garten brachte ich Blumen
+von unvergleichlicher Schönheit, Dich
+zu ehren, Gott meines Herzens.</p>
+
+<p>Ich will die Blumen aus dem Tempel
+hinauswerfen, wenn sie verwelkt sind und
+die heilige Handlung vorüber.</p>
+
+<p>(Sie nimmt ihren Mantel ab und trägt Männerkleidung wie am Anfang.)</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_72" title="72"> </a></p>
+
+<p>Nun laß Deinen Knecht Gnade finden vor Deinen Augen.</p>
+
+<p>Ich bin nicht schön und vollkommen
+wie die Blumen, mit denen ich Dich ehrte.
+Ich bin voller Schuld und Fehler. Auf
+der großen Heerstraße der Welt bin ich
+ein Wanderer, meine Kleider sind beschmutzt,
+und Dornen haben meine Füße
+blutig gerissen. Wie könnte ich schön
+sein wie die Blumen, voll unbefleckter
+Lieblichkeit, für die kurze Dauer eines
+Augenblicks? Die Gabe, die ich Dir voll
+Stolz darbringe, ist das Herz eines Weibes.
+Darinnen ist eingeschlossen aller Schmerz
+und alle Lust, alle Hoffnung, alle Furcht,
+alle Scham einer Erdentochter.</p>
+
+<p>Hier ist der Uranfang der Liebe, von
+hier aus ringt sie nach Unsterblichkeit.<a class="pagenum" name="Page_73" title="73"> </a>
+Im Herzen des Weibes liegt eine große
+und erhabene Unvollkommenheit. Nun,
+da die Anbetung der Schönheit vorüber,
+nimm diesen</p>
+
+<p>(auf sich zeigend)</p>
+
+<p>als Deinen Knecht für kommende Tage.</p>
+
+<p>Ich bin Chitra, die Königstochter. Vielleicht
+erinnerst Du Dich des Tages, als in
+Shivas Tempel ein Weib zu Dir trat, behangen
+mit Putz und Schmuck. Die
+Schamlose kam und warb um Dich wie
+ein Mann. Du stießest sie zurück, und
+Du tatest wohl daran. Herr, jenes Weib
+&mdash; bin ich. Sie diente mir als Maske. Damals
+verlieh mir die göttliche Gnade für
+ein Jahr die strahlendste Gestalt, die je
+einem Sterblichen wurde. Mit der Last
+jenes Betruges beschwerte ich meines<a class="pagenum" name="Page_74" title="74"> </a>
+Helden Herz. Dies Weib kann ich nicht
+sein.</p>
+
+<p>Ich bin Chitra. Keine Göttin bin ich,
+die man anbetet, aber auch nicht ein
+Gegenstand allgemeinen Mitleids, den
+man achtlos abschüttelt wie ein Insekt.
+Wenn Du mich würdig findest, Dir zur
+Seite zu stehen, wenn ich die großen
+Pflichten Deines Lebens teilen darf &mdash;
+dann wirst Du mein wahres Wesen erkennen.
+Wenn Dein Kind, das ich in meinem
+Schoß nähre, ein Sohn sein wird,
+will ich es lehren, ein zweiter Arjuna zu
+werden. Wenn die Zeit kommt, werde
+ich ihn zu Dir senden, und Du wirst endlich
+mein eigenstes Ich erkennen. Heute
+kann ich Dir nur Chitra darbringen, die
+Tochter eines Königs.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_75" title="75"> </a></p>
+
+<p class="character">Arjuna</p>
+
+<p>Geliebte, mein Leben ist vollkommen
+erfüllt.</p>
+
+<div class="center"><em class="gesperrt">ENDE</em></div>
+<hr class="chap" />
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_76" title="76"> </a></p>
+
+
+
+<h2><a name="ANMERKUNGEN" id="ANMERKUNGEN">ANMERKUNGEN</a></h2>
+
+
+<p>Zu Seite:</p>
+
+<blockquote>
+
+<p><a name="pandava" /><a href="#Page_5">5</a>: <i>Pandava</i> (so für Pandaṟa zu lesen).
+Das Königsgeschlecht, von dem das
+Mahābhārata handelt, stammt von
+<i>Kuru</i> ab; ein Zweig derselben sind
+die Pāṇḍavas, fünf Brüder (S. <a href="#Page_50">50</a>), zu
+denen der Held Arjuna gehört. Dieser
+stammt also auch aus dem Hause
+der Kurus. (S. <a href="#Page_9">9</a>).</p>
+
+<p><a name="malati" /><a href="#Page_35">35</a>: <i>Malati-Hain.</i> Mālati ist der großblütige Jasmin.</p>
+
+<p><a name="stephali" /><a href="#Page_38">38</a>: <i>Stephali-Blüten</i>; lies <i>Sh</i>ephali. Śephālikā
+ist der Strauch vitex negundo, dessen Blüten in Vasavadatta Abt. IV
+mit Zinnoberkügelchen verglichen werden.</p>
+
+<p><a name="kinsuka" /><a href="#Page_53">53</a>: <i>Kinsuka-Blüte.</i> Der Kiṃśuka, Butea
+frondosa, ist ein stattlicher Baum,
+dessen Zweige im Frühjahr mit großen<a class="pagenum" name="Page_78" title="78"> </a>
+scharlachroten Schmetterlingsblüten bedeckt sind. Die schöne Blüte
+ist aber geruchlos.</p>
+
+<p><a name="asoka" /><a href="#Page_56">56</a>: <i>Asoka-Blüten.</i> Der Aśokabaum, Jonesia
+Asoka, hat rote Blüten. Er spielt in der indischen Dichtung eine große
+Rolle. Aśoka bedeutet »Kummerlos.«</p></blockquote>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p>Tagore's Dichtung entspricht nicht dem Sinn der Sage. Er sagt S. <a href="#Page_6">6</a> von Chitrā's
+Vater: »er hatte sie deshalb stets wie einen Sohn gehalten und zu seinem Erben gemacht«.
+Der Text in Protap Chandra Roys Übersetzung lautet: I have duly
+made her a <i>Putrikā</i>. <i>putrikā</i> ist ein juristischer
+Ausdruck und bezeichnet eine
+Tochter, die mangels eines Sohnes (<i>putra</i>)
+die Familie ihres Vaters, nicht ihres Gatten
+fortpflanzen soll. Für letzteren bedeutet<a class="pagenum" name="Page_79" title="79"> </a>
+also die Eingehung einer solchen
+Ehe den Verzicht auf die Fortpflanzung
+seiner Familie. Tagore hat dies offenbar
+nicht gewußt und macht daher aus <i>putrikā</i>
+eine Tochter, die als Sohn (<i>putra</i>)
+erzogen wird! Das Epos kennt eine Sage,
+wo eine Prinzessin für einen Prinz ausgegeben
+und als solcher erzogen wird
+(die Geschichte von <i>Śikhandin</i>). Diese
+Reminiszenz mag sich bei dem Dichter
+mit dem Sagenstoff, auf den er in der Vorrede
+hinweist, verschmolzen haben.</p>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p>Für die Anmerkungen ist die Übersetzerin dem Sanskritisten der Bonner
+Universität, Herrn Geheimrat Prof. Dr. Jacobi, zu Dank verpflichtet.</p>
+
+<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44246 ***</div>
+</body>
+</html>
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