diff options
| -rw-r--r-- | .gitattributes | 3 | ||||
| -rw-r--r-- | 30631-8.txt | 6963 | ||||
| -rw-r--r-- | 30631-8.zip | bin | 0 -> 137571 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 30631-h.zip | bin | 0 -> 147282 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 30631-h/30631-h.htm | 9296 | ||||
| -rw-r--r-- | LICENSE.txt | 11 | ||||
| -rw-r--r-- | README.md | 2 |
7 files changed, 16275 insertions, 0 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/30631-8.txt b/30631-8.txt new file mode 100644 index 0000000..c69c85f --- /dev/null +++ b/30631-8.txt @@ -0,0 +1,6963 @@ +Project Gutenberg's Die Colonie. Erster Band., by Friedrich Gerstäcker + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Die Colonie. Erster Band. + Brasilianisches Lebensbild + +Author: Friedrich Gerstäcker + +Release Date: December 8, 2009 [EBook #30631] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE COLONIE. ERSTER BAND. *** + + + + +Produced by richyfourtytwo, Delphine Lettau and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net + + + + + + + + + +Die Colonie. +Brasilianisches Lebensbild + +von + + +Friedrich Gerstäcker. + +Der Verfasser behält sich die Übersetzung dieses Werkes vor. + + +Erster Band. + + +Leipzig, +_Hermann Costenoble_. +1864. + + + + + Inhalts-Verzeichniss. + + Seite + _Erstes Kapitel_. + Die Colonie Santa Clara 7 + + _Zweites Kapitel_. + Der Director 29 + + _Drittes Kapitel_. + Bei der Frau Gräfin 68 + + _Viertes Kapitel_. + Die »Meierei« 102 + + _Fünftes Kapitel_. + Elise 135 + + _Sechstes Kapitel_. + Zuhbel's Chagra 167 + + _Siebentes Kapitel_. + Die neuen Colonisten 195 + + _Achtes Kapitel_. + Die Einquartierung 226 + + _Neuntes Kapitel_. + Ein Abend in der Colonie 258 + + _Zehntes Kapitel_. + Eine Familienscene 289 + + + + +1. + +Die Colonie Santa Clara. + + +Von Osten her strich die frische Seebrise über das weite, wellenförmige +Land, schaukelte die einzelnen Palmen, die auf der Lichtung standen, und +schüttelte von den Orangenbäumen nicht allein die überreifen Früchte, +sondern auch manche Blüthe herab, unter der sich schon wieder die junge +Frucht gebildet hatte. Ein würziger Duft wehte dabei über den ganzen +Bergeshang, der sich hie gerade und neben einer kleinen, freundlichen +Wohnung oder Chagra dem Thale zu öffnete, und zwei Reiter, die den +schmalen Waldweg herüber gekommen waren, hielten überrascht ihre Pferde +an, als sie das entzückende Bild erblickten, das sich unter ihnen +ausbreitete. + +Dicht vor ihnen, und durch die reine Luft nur noch viel näher gerückt, +als es in der That lag, füllte ein kleines Städtchen -- die deutsche +Colonie Santa Clara -- den ebenen Theil des nicht breiten Thales aus, +der vollkommen gelichtet war, und nach allen Richtungen hin, wie durch +Adern, von schmalen, gelben Wegen durchschnitten wurde, während die +Häuser, wohl in Straßen ausgelegt, aber doch noch einzeln aufgebaut, +über die ganze Fläche hin zerstreut standen. Mit ihren lichten Farben +und rothen, meist neuen Ziegeldächern stachen sie aber um so lebendiger +von dem saftigen Grün ab, das die sie umschließenden Gebüsche trugen, +während in der Ferne, nach Süd, Süd-Ost und Osten, drei scharf +abgeschiedene Gebirgsschichten zuerst in dunkelm Grün, dann in +blaugrüner Färbung und zuletzt in einem duftigen Lichtblau den +Hintergrund bildeten. + +Nur nach Süd-West öffnete sich die sonst vollkommene Gebirgslandschaft +ein wenig, und eben genug, um in blauer Ferne das Meer mit seinem scharf +abgegränzten Horizonte zu zeigen, und man erkannte, selbst von hier aus, +deutlich, wie die verschiedenen Gebirgshänge, je mehr sie sich dem +Seestrande näherten, niedriger wurden. Nur die gelben Sanddünen des +Strandes selber ließen sich nicht erkennen, denn an den abschüssigen +Hängen war noch Nichts gelichtet, und nur die weiten Umrisse der höheren +Partien schloß der Wald in seinen grünen Rahmen. + +Wieder und wieder flog der Blick der beiden Reiter aber zu der kleinen +Ansiedlung zurück, die auch zu gleicher Zeit ihr heutiges Ziel bildete, +und während in dem Walde selber die tropische Vegetation von dem weit +stärkeren Laubholze verdeckt oder überschattet wurde, konnte ihnen nicht +entgehen, wie gerade nahe bei den Häusern der tropische Charakter der +Landschaft sorgfältig gewahrt und erhalten war. + +Die deutschen Einwanderer hatten nämlich, als sie den Wald in offenes +Feld verwandelten, daheim schon zu viel von den »wehenden Palmen +Brasiliens« gehört, und hier und da auch wohl in ihrer Art davon +geschwärmt -- denn der Bauer ist _nie_ Phantast -- um jetzt gleich die +Axt an die ersten zu legen, die ihnen in den Weg traten. Wo sie ihr Haus +aufrichteten oder ihren Garten umzäunten, ließen sie manche von diesen +stehen, und hier und da bequemte sich auch wohl ein Einzelner, selbst in +seinem Felde um die Wurzeln derselben herumzupflügen, nur um von seinem +Fenster aus die stattlichen, schlanken Stämme sehen zu können. + +Reizend gelegen war selbst die kleine Chagra[1], vor der sie hielten, +und eine schönere Fernsicht hätte der Eigenthümer wohl kaum in der +ganzen Nachbarschaft finden können. Ebenso hatte er sein kleines +Häuschen mit Geschmack gebaut, so einfach es auch sonst sein mochte, und +der Platz schien nach Allem, was man auf den ersten Blick davon sehen +konnte, neu eingerichtet und gelichtet, hätten dem nicht wieder die +stattlichen Pinien und Orangenbäume widersprochen, welche das Haus +umstanden, und mit drei oder vier stämmigen Palmen eine Gruppe bildeten, +wie man sie sich kaum pittoresker denken kann. + + [Fußnote 1: Chagra ist in Brasilien das Nämliche, was der Landmann in + Nordamerika unter dem Worte Farm versteht -- ein kleines »Landgut«, oder + eine »Colonie«, ob es nun eben erst unter den Waldbäumen begonnen ist, + oder schon seine weiten und bebauten Felder nach allen Seiten + ausbreitet.] + +Den beiden Fremden war dies ebenfalls nicht entgangen, und besonders der +jüngere von ihnen, der vielleicht dreißig bis zweiunddreißig Jahre +zählen mochte, überschaute mit innigem Behagen den kleinen Platz, der +sich wie ein Bild unter seinem grünen Blätterschmucke zeigte. + +Der Fremde ritt einen grauen, prächtigen Hengst mit einem ganz +eigenthümlichen, fremden Sattelzeuge, das mit seiner ganzen Form und +einer Menge rohgearbeiteter Silberplatten, wie einer Anzahl kleiner +silberner Schnallen und Troddeln und Quasten von ungegerbter, aber +außerordentlich künstlich geflochtener Rohhaut mexicanischen, vielleicht +sogar indianischen Ursprungs zu sein schien. Sonst aber ging er sehr +einfach, doch für den Wald praktisch gekleidet. Der Wärme wegen hatte er +ein ledernes, ausgefranztes Jagdhemd, wie es in den nordamerikanischen +Wäldern Sitte ist, vorn über seinen Sattel geworfen, auf dem jetzt +querüber eine sauber gearbeitete, aber ebenfalls einfache Büchsflinte +ruhte. Er trug nur ein roth und grau gestreiftes wollenes Hemd, dunkle +Beinkleider, von einem breiten Ledergurt gehalten, an dem ein breites, +schweres Jagdmesser hing, hohe Wasserstiefel, einen braunen Strohhut auf +dem Kopfe und eine alte lederne Kugeltasche an der rechten Seite. + +Seine Sporen waren ebenfalls klein und von dunkler Bronze, und am +Sattelgurt festgeschnürt, aber hinten am Sattel zusammengerollt und mit +einer Schleife eingehakt, hing ein dünner, doch stark gedrehter Lasso +aus roher Haut. + +Der Fremde sah keinesfalls wie ein Neuling im Walde aus, und die +sonnverbrannte Farbe seiner Züge, aus denen ein paar große, blaue Augen +treuherzig hervorschauten, verrieth ihn ebenfalls als den Nordländer, +der vielleicht, wie Tausende seiner Landsleute, Brasilien zu seiner +neuen Heimath gewählt. + +Sein Begleiter, der etwa sechs Jahre mehr zählen mochte als er, bewegte +sich trotzdem eben so frei im Sattel, verrieth aber in diesen +Bewegungen, als auch noch zum Überflusse durch den Schnitt seines +wohlgepflegten Bartes, den früheren Soldaten. Die enge Uniform hatte er +freilich lange bei Seite geworfen und dafür den leichten Rock und +breitrandigen Panamahut angenommen. Außerdem schien er sich den +brasilianischen Sitten noch entschiedener durch ein paar riesige +brasilianische Sporen von echtem Silber angepaßt zu haben, und auch das +Kopf- und Zaumzeug seines Pferdes trug, wo es nur möglich war sie +anzubringen, silberne Spangen und Schnallen. Seine Kleidung indessen, +obgleich von feinem Tuche und modernem Schnitte, war durch den Busch und +langen Ritt arg mitgenommen. Man sah ihm an, daß er schon eine gute +Weile unterwegs sein müsse, und die ledernen Leggins, mit denen er den +untern Theil der Beine bedeckt hatte, zeigten die im Walde geholten +Spuren von Dorn und Ranken. + +Sein Blick haftete gegenwärtig aber fast ausschließlich auf der +Ansiedlung und den Berghängen voraus, während sein Begleiter sich weit +mehr durch das Wohnliche des Bauernhauses gefesselt und angezogen +fühlte. + +»Sehen Sie nur, Günther, was für ein reizendes Plätzchen das hier ist,« +wandte sich in diesem Augenblicke der Jüngere der Beiden an den Freund, +»wie malerisch diese dunkeln Pinien -- vielleicht unbewußt -- mit dem +lichten Grün der Palmenwipfel gruppirt sind, und wie ganz eigenthümlich +der goldgesprenkelte Orangenhain das Ganze wie ein künstlich gewobenes +Netz umschließt. »Eine Hütte und ihr Herz,« wie das alte Sprüchwort +lautet, und wenn es das richtige Herz wäre, glaub' ich selber, daß ich +es in einer _solchen_ Hütte aushalten könnte.« + +»Und auf wie lange?« lachte sein älterer Gefährte, indem er mit den +Augen dem ausgestreckten Arme des Freundes folgte; »Sie unsteten +Menschen möchte ich wirklich einmal, und selbst in eine _solche_ Hütte +gebannt sehen -- noch dazu in einer Gegend, in der es nicht einmal Wild +zum Jagen giebt.« + +»Das wäre freilich fatal,« erwiederte der Andere, »und daran dachte ich +im ersten Augenblicke nicht. Aber hab' ich trotzdem nicht Recht? Kann +man sich ein freundlicheres Plätzchen auf der Welt denken?« + +»Nein -- in der That -- in _Brasilien_ wenigstens nicht,« erwiederte +der Freund, den er mit »Günther« angeredet hatte; »mit meinem Thüringen +daheim möchte ich's freilich immer nicht vertauschen. Es giebt doch nur +_ein_ Deutschland.« + +»Haben Sie das Heimweh, Günther?« sagte sein Kamerad lächelnd. + +»Und _wenn_ ich's hätte, wär's ein Wunder?« fragte Günther leise; »wie +lange schon führ' ich dieses unstete wilde Leben jetzt? Wie lange schon +treib' ich mich heimathlos im Walde umher, während daheim -- doch wir +wollen uns den schönen Tag nicht mit solchen Gedanken verbittern, Freund +-- die Heimath hat doch keiner von uns vergessen.« + +Sein Begleiter nickte nur schweigend mit dem Kopfe, und auch _seine_ +Gedanken schienen in dem Augenblicke weit, weit zurück zu schweifen, zu +ganz anderen Scenen und Ländern, als sich die beiden Freunde plötzlich +angerufen hörten. Die Stimme schallte hinter der Gartenhecke vor und +rührte von einem jungen Manne, dem Eigenthümer der Chagra, her, den +ihnen das Grün der Hecke bis jetzt verborgen gehalten. + +»Hallo, Fremde!« rief der Mann in deutscher Sprache mit nur einem +leichten Anklang niederrheinischen Dialektes; »wollt Ihr nicht ein wenig +absteigen und ein Glas Milch trinken? Der Weg ist schlecht, und ein +Bißchen Rast kann Euren Pferden nicht schaden, denn 's ist noch eine +gute Stunde bis in die Colonie hinunter.« + +Die beiden Deutschen sahen sich erst erstaunt um, von wo her die Stimme +eigentlich komme. Endlich entdeckten sie hinter der Hecke und gerade +unter einem blühenden Granatbaume das rothe, freundliche Gesicht eines +jungen Mannes, der ihnen erst jetzt, als er ihren Blick auf sich +gerichtet fand, sein herzliches »Guten Morgen mit einander!« zurief. + +»Guten Morgen, Landsmann,« sagte der jüngere Fremde, der ihm zunächst +hielt, indem er den Kopf seines Thieres gegen die Hecke drehte, »ich +wußte gar nicht, weshalb mein Grauer immer die Ohren spitzte. Also eine +Stunde Weges ist's noch hinunter? Es sieht eigentlich von hier oben +viel näher aus.« + +»Ja,« lachte der hinter der Hecke, »wenn die Brücke nicht wieder +eingebrochen wäre, die der Bleifuß da neulich erst neu gebaut hat, dann +wär's auch nicht viel mehr als ein halb Stündchen zu Thal. So aber müßt +Ihr hier rechts unter meiner Chagra durch, um der Schlucht aus dem Wege +zu gehen, und der Pfad zieht sich mordmäßig in die Länge. Aber steigt +ab, das besprechen wir besser im Hause.« + +»Schon recht,« sagte Günther, indem er sich leicht aus dem Sattel +schwang; »unseren Packthieren sind wir doch vorausgeritten, und bis die +nachkommen, können wir recht gut ein halb Stündchen plaudern.« + +Sein Gefährte folgte, ohne ein Wort zu erwiedern, dem Beispiele, denn es +drängte ihn selber das Innere des Häuschens zu sehen, das schon von außen +einen so freundlichen Eindruck auf ihn gemacht. Die beiden Reisenden +banden deshalb ihre Pferde außen an der Hecke an die herunterhangenden +Äste eines stattlichen Orangenbaumes, und traten dann in den Garten, wo +ihnen der Hausherr, ein junger, prächtig gewachsener Mann mit offenen, +ehrlichen Gesichtszügen, blauen Augen und blonden Haaren, entgegen kam +und sie begrüßte. + +»Das ist gescheidt,« sagte er dabei, »Sonntag Morgens habt Ihr so nicht +viel in der Colonie zu versäumen und kommt noch zeitig genug zum +Mittagessen, wenn Ihr nicht das hier ebenfalls verzehren wollt.« + +Er schüttelte dabei den beiden Fremden kräftig die Hand und führte sie +dann ohne Weiteres in sein Haus hinein, wo Beide aber unwillkürlich +erstaunt und überrascht auf der Schwelle stehen blieben. + +Das kleine Zimmer, das sich ihnen öffnete, glänzte von Sauberkeit; der +einfache Holztisch war schneeweiß gescheuert, aber nicht weißer als +der Fußboden selber, den in der Mitte eine leichtgeflochtene Matte +überdeckte. An den Fenstern hingen sogar Gardinen, und ein nett +gearbeiteter Nähtisch aus polirtem Holze schien mit diesen, als +Luxusmöbel, concurriren zu wollen. Aber die Freunde sahen das Alles +weniger, als daß sie es im Eindrucke des Ganzen fühlten, denn Beider +Augen hingen in dem ersten Momente an einem wunderbar schönen jungen +Weibe, das ein Kind auf dem Schooße hielt und, als die Fremden die Hütte +betraten, den kleinen, strampelnden Burschen aufgriff und ihnen mit +freundlichem Lächeln entgegentrat. + +»Grüß' Gott!« sagte sie herzlich, als sie Beiden nach einander die Hand +reichte, »und setzt Euch und macht's Euch bequem -- Vater, hast Du denn +schon nach den Pferden gesehen?« + +»Werd's schon besorgen, Schatz,« lachte der Mann, »bring' Du nur einmal +ein paar Gläser Milch, denn die beiden Herren werden durstig geworden +sein.« + +»Ja, dann mußt Du indessen den Schlingel da nehmen,« sagte die junge +Frau, indem sie ihrem Gatten den kleinen unruhigen Burschen so leicht +hinüberreichte, als ob er keine zwei Pfund gewogen hätte, wie er sicher +zwanzig wog, -- »der läßt mir ja sonst nicht Ruh' noch Frieden an den +Milchnäpfen.« + +»Ob er Frieden halten wird?« lachte der Mann, nahm ihr den kleinen +Burschen ab, gab ihm ein paar derbe Küsse und setzte ihn sich in den +linken Arm. »Und nun thut, als ob Ihr zu Hause wäret,« fuhr er dann, +indem er sich wieder zur Thür wandte, gegen die Fremden fort; »ich bin +gleich wieder da, und zu trinken wird Euch die Trine auch im Augenblick +bringen.« Die »Trine« war schon lange aus der Thür hinaus, und die +beiden Freunde sahen sich im nächsten Momente allein in dem kleinen +Raume. + +»Ist das nicht ein wahres Madonnengesicht?« brach aber der Jüngere +heraus, als der junge Bauer kaum das Zimmer verlassen hatte; »haben Sie +je in Ihrem Leben ein Paar solcher Augenbrauen, einen solchen Mund +gesehen?« + +»Ein wunderhübsches Paar, in der That,« erwiederte Günther, der den +Blick indessen forschend umherwarf, »und wie nett und sauber sieht's bei +ihnen aus! Ja,« -- fuhr er tief aufseufzend fort, »der hat's gut, und +Unsereiner zieht nun so in der Welt umher, sieht die verbotenen Früchte +an den Bäumen hangen, wischt sich resignirt den Mund und -- wandert eben +weiter.« + +»Ob denn das wirklich _Deutsche_ sind?« sagte sein Freund. + +»Was denn sonst? Doch wahrhaftig keine Portugiesen!« + +»In meinem Leben habe ich noch keinen ausgewanderten Bauernburschen +gesehen,« erwiederte der Jüngere, »der ein so ungezwungenes und doch +anständiges Benehmen hatte, und die junge Frau würde in einem schweren +Seidenstoffe eben so zu Hause sein, wie in ihrem einfachen +Kattunröckchen. Aber sie sprechen vollkommen gut Deutsch.« + +»Er noch dazu mit dem rheinischen, sie etwas mit dem Tyroler Dialekte,« +sagte Günther, »aber da kommt sie zurück. Sie wird uns gleich sagen, wo +sie herstammen.« + +»So -- da bin ich wieder -- hat's lang gedauert?« sagte die junge Frau, +als sie mit einem kleinen Präsentirteller in's Zimmer trat; »und nun +setzen Sie sich her und langen Sie zu -- 's ist nicht viel, aber wir +haben's hier oben noch nicht besser, denn wir sind hier erst seit kaum +sechs Monaten auf der Chagra.« + +Während sie sprach -- und so rasch und gewandt, daß Alles sich fast von +selber zu ordnen schien -- hatte sie indessen das Mitgebrachte auf dem +Tische ausgebreitet, und frische, süße Milch, weißes Brod, Butter und +Käse, Alles auf blinkendem Geschirr, lachte den Fremden bald darauf +entgegen und lud sie schon selber ein, nur tapfer zuzulangen. + +»Und sind Sie erst so kurze Zeit hier oben?« fragte der ältere Fremde; +»die Pinien und Orangen müssen doch schon vor vielen Jahren gepflanzt +sein.« + +»Das sind sie auch,« erwiederte der Mann, der in diesem Augenblicke +wieder in der Thür erschien und der Frau das Kind entgegen hielt. »Da, +Mutter, nimm den Schlingel,« fuhr er dann zu dieser fort; »ob der Bengel +wohl Ruhe gegeben hat, bis ich ihn auf den Grauen setzte, und da oben +blieb er, bis ich die Thiere gefüttert hatte.« + +»Aber der Graue ist ein unruhiges Thier,« sagte Günther. + +»Bah, _der_ hält sich schon fest,« lachte der Mann, »ja, was ich sagen +wollte, die Chagra habe ich erst kürzlich gekauft, und zwar von einem +Deutschen, der sie so hatte verwildern lassen, daß man die Bäume kaum +fand, die darauf standen. Es war ein vornehmer Herr gewesen, der, wie er +meinte, hatte brasilianischer »Pflanzer« werden wollen, sich die Sache +aber wohl ein Wenig anders und leichter gedacht haben mochte und auch +irgendwo anders besser hinpaßte, als hinter Pflug und Egge.« + +»Und seid Ihr keine Deutsche?« fragte der ältere Fremde. + +»Wir? -- Nein,« lachte der Mann, -- »das heißt, ja, wir sind schon +Deutsche, aber doch nicht in dem Deutschland drüben geboren, sondern +hier in Brasilien. Mein Vater stammt vom Rheine, und der Frau ihr Vater +von Innsbruck, die Beide vor etwa dreißig Jahren hier herüber gekommen +waren und sich in San Leopoldo niedergelassen hatten.« + +»Also Brasilianer?« sagte Günther enttäuscht. + +»Ah, nein, wir sind schon Deutsche,« lachte die Frau gutmüthig, »und +halten uns ja auch immer zu Deutschen, wie Ihr seht, denn mit den +Bleifüßen ist es doch Nichts, und sie wollen Nichts arbeiten und +schaffen.« + +»Bleifüße -- was zum Henker ist das nur?« lachte der eine Fremde; »ein +Bleifuß soll ja auch die schlechte Brücke gebaut haben.« + +»Ih ja,« meinte der Mann schmunzelnd, »der Bleifüße giebt's gar viele +-- eigentlich mehr, als gut ist, und wir nennen besonders die +eigentlichen Portugiesen so, die immer herüberkommen und so thun +möchten, als ob Brasilien ihnen gehörte. Weshalb sie aber eigentlich so +genannt werden, weiß ich selber nicht recht; aber den Namen haben sie, +so viel ist sicher, und werden ihn wohl auch behalten. Aber seid Ihr +selber erst so kurze Zeit im Lande, daß Ihr noch nicht einmal das Wort +Bleifuß gehört habt? Ich dächte doch, das würde häufig genug aller Orten +genannt.« + +»Ich selber bin schon lange im Lande und kenne auch den Namen,« lächelte +Günther, »aber mein Reisegefährte da ist erst kürzlich aus den Vereinigten +Staaten von Nordamerika nach Rio, und von da zu Pferde hier nach dem +Süden gekommen, um sich das Land einmal anzusehen.« + +»Und was ist Ihr Geschäft? wenn man fragen darf.« + +»Ich bin Feldmesser,« erwiederte Günther, »und von der Regierung hierher +beordert, um die Colonien für frisch eintreffende Emigranten auszumessen.« + +»Das ist gescheidt,« sagte der junge Bauer; »an vermessenem Lande +fehlt's ewig, und die armen Teufel müssen sich oft Monate lang in den +sogenannten Auswanderungs-Häusern herumtreiben, ehe sie eigenen Boden +und eine feste Heimath bekommen. Nun, da werden Sie Arbeit genug +kriegen, daran fehlt's nicht -- aber essen Sie nicht mehr?« + +»Wir danken,« erwiederte Günther, der bis jetzt mit seinem Gefährten +wacker zugelangt, »es hat trefflich geschmeckt und war delicat. Jetzt +können wir's schon bis in die Colonie hinunter aushalten.« + +»Und wollen Sie schon wieder fort?« fragte die Frau freundlich, als die +beiden Fremden von ihren Sitzen aufstanden und zu den Hüten griffen +-- »das war gar ein kurzer Besuch.« + +»Wenn Sie's erlauben,« sagte der jüngere Fremde, »so komme ich schon +wieder einmal her. Ich selber habe Nichts zu versäumen und werde mich +doch wahrscheinlich ein paar Monate in der Nähe der Colonie herumtreiben. +Daß es mir aber hier bei Ihnen _gefällt_, dürfen Sie mir auf mein Wort +glauben. Mein Freund ist jedoch mit seiner Zeit gebunden und hat heute +noch viel unten mit dem Director zu besprechen. Da draußen sind auch +eben unsere Packpferde angekommen, und wir wollen deshalb lieber +aufbrechen.« + +»Apropos,« fragte Günther, »was für ein Mann ist der Director +eigentlich? Ich habe in den anderen Colonien am Chebaja nicht gerade +viel Gutes von ihm gehört.« + +»Ich weiß nicht,« lachte der Mann -- »es kommt wohl immer darauf an, wen +Ihr fragt. Die Einen schimpfen auf ihn, die Anderen loben ihn, und Allen +kann man's eben nicht recht machen auf der Welt. Er ist sehr streng, das +ist wahr, und oft auch wohl ein Bißchen eigensinnig. Mit den _armen_ +Leuten geht er aber gut um und steht ihnen bei.« + +»Und das ist die Hauptsache,« rief Günther -- »nun, ich werde schon mit +ihm fertig werden -- also, herzlichen Dank für die Aufnahme. Wenn ich's +einmal wieder gut machen kann, stehe ich zu Diensten!« + +»Das mag vielleicht rascher geschehen, als Sie denken,« lachte der junge +Bauer, »denn unsere Grenzen sind hier alle in Confusion, und ich bin +schon lange darum eingekommen, die meinige ebenfalls nachsehen zu +lassen. Doch darüber sprechen wir später; ich möchte Sie jetzt nicht +länger als nöthig aufhalten, und komme auch vielleicht in diesen Tagen +einmal nach der Colonie hinunter.« + +Damit reichten er und die Frau den Fremden herzlich die Hand zum Abschied. +Draußen hielten auch in der That die beiden eingeborenen Diener der +Freunde, ein paar braune, rauh genug aussehende Burschen, mit drei +Lastpferden, wovon zwei dem Vermesser, eins aber seinem Freunde gehörte, +und gleich darauf trabte die kleine Cavalcade, welcher der junge Bauer +erst noch den Weg um seine Chagra herum zeigte, diesen thalein. + +Und doch war es ein wundervoller Pfad, der sie hier in die Niederung +hinabführte, denn gerade an diesem Berghange zeigte sich die schon fast +tropische Vegetation des Landes in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit. +Der Baumwuchs war allerdings lange nicht so mächtig, wie in den nördlicher +gelegenen Theilen Brasiliens, aber das üppige Unterholz mit seinen +zierlichen Farnpalmen und Fächern, mit seinen Lianen und Ranken bildete +überall, wo es dem Blicke erlaube, einzudringen, die reizendsten Gruppen +und Festons, aus denen sich die grünen, schlanken Schäfte verschiedener +wilder Palmenarten keck emporhoben. + +Hier und da, wo eine eingerissene Schlucht oder ein breiteres Bachbett +den Blick in die Tiefe gestattete, zeigte sich dann die kleine +Niederlassung im Thale mit ihren lichten Gebäuden und hellgrünen +Rasenflecken, durch welche die gelben Wege wie Fäden liefen, immer in +verschiedener Form und Beleuchtung, aber immer freundlich, so daß die +Reiter ihre Thiere oft anhielten und ein paar Secunden schweigend auf +das unter ihnen ausgebreitete Bild hinabblickten. + +Da hier der Weg aber zu schmal war, oder der Regen doch in den Boden an +den verschiedensten Stellen Einrisse gemacht hatte, mußten sie ihre +Pferde hinter einander halten, und dadurch war die Conversation gestört. +Erst weiter unten, auf der letzten Abdachung angelangt, bog der Beipfad +wieder in den durch die eingefallene Brücke unterbrochenen Hauptweg ein, +und jetzt hatten sie die eigentliche Colonie Santa Clara auch bald +erreicht, deren Ausläufer in kleinen, allein stehenden Ansiedelungen +schon bis hier herauf reichten. + +»Der Platz liegt wirklich allerliebst,« sagte Günther, der bis jetzt +vorangeritten war, indem er sein Pferd anhielt, um wieder neben dem +Freunde zu bleiben. + +»Was die Scenerie betrifft, ja,« erwiederte dieser, »aber der Boden +scheint mir hier nicht besonders, und der Mais da drüben in dem Felde +steht dünn und mager genug -- wenigstens magerer, als ich es bis jetzt +gewohnt bin zu sehen.« + +»Das bessere Land wird weiter zurück in der Ebene liegen,« meinte +Günther, »jedenfalls hat der Ort nicht weit zur See, und das ist schon +immer ein enormer Vortheil für eine Colonie.« + +»Wenn der Hafenplatz gut ist, ja; und wohin wollen wir jetzt zunächst?« + +»Direct zum Director,« lachte Günther, »der wird uns dann schon die +beste Auskunft geben, wo wir übernachten können. Wir müssen nun im +nächsten Hause seine Wohnung erfragen.« + +»Das ist nicht nöthig,« meinte sein Freund -- »das Haus da drüben, wo +die deutsche Fahne weht, ist jedenfalls das Wirthshaus, und das größere +Gebäude daneben eben so sicher die Kirche, -- wo baute der Deutsche +nicht Eins neben das Andere? Außerdem steht aber dort nach Süden nur +noch ein sehr großes Haus mit einer neuen Umzäunung, und dort hat +natürlich auch der Director seinen Aufenthalt. Wir wollen ruhig darauf +zureiten.« + +»Sie können Recht haben,« lachte Günther, »aber vielleicht wohnt er +doch da drüben in dem kleinen allerliebsten Gebäude, wo die vielen +Orangenbäume stehen. _Den_ Platz hätte ich mir jedenfalls zu meiner +Wohnung ausgesucht.« + +»Das ist sicher die Pfarrwohnung,« versicherte aber sein Kamerad; +»sehen Sie nicht den breiten, betretenen Pfad, der von dort zur Kirche +niederführt. Ich glaube kaum, daß der Director alle die Fährten nach der +Kirche in den Sand eingedrückt hat. Folgen Sie mir nur; ich führe Sie +den richtigen Weg.« Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, gab er +seinem Pferde leicht die Sporen und sprengte, von Günther jetzt dicht +gefolgt, dem vorher bezeichneten Hause zu, vor dessen Thür er anhielt +und ohne Weiteres aus dem Sattel sprang. + + + + +2. + +Der Director. + + +Gerade als Günther an seines Gefährten Seite hielt und seinem Beispiele +folgte, trat eine Erscheinung aus dem Hause, die beide junge Leute hier, +mitten im brasilianischen Walde, wohl kaum vermuthet hatten, und die sie +deshalb um so mehr überraschte; -- eine _Dame_ in vollem europäischen +Putze, mit einem grün und schwarz groß carrirten Seidenkleide, sehr +bedeutender Crinoline und überhaupt allem dazu Nöthigen und Gehörigen +versehen, die mit sehr stolzer, fast majestätischer Haltung aus der Thür +rauschte, einen Augenblick erstaunt die Fremden betrachtete und dann, +mit einem leichten, kaum bemerkbaren Kopfnicken ihre Begrüßung erwiedernd, +vorbei und in die kleine Stadt hinein schwebte. + +»Alle Teufel,« murmelte der Jüngere der Beiden halblaut vor sich hin, +als die Dame außer Hörweite war, »von allen Dingen auf der Welt hätte +ich eine Crinoline hier am Allerwenigsten erwartet. Das muß die Frau +oder eine Verwandte des Directors sein, denn nach einer Colonisten-Frau +sieht sie doch nicht aus. Es thut den Augen aber ordentlich wohl, nach +einem Stücke wilden Lebens wieder einmal auf eine so breite Fährte der +Civilisation zu kommen. Diesen Anzeichen nach giebt es also hier auch +jedenfalls eine #haute volée#; unser rauher Waldanzug schien der Dame +nicht besonders zu behagen, denn sie grüßte nur sehr vornehm und +nachlässig.« + +»Nun, wir werden ja bald erfahren, mit wem wir es hier zu thun +bekommen,« sagte Günther. »Jedenfalls müssen wir jetzt erst erfragen, +ob hier der Director wirklich wohnt, und wenn so, ob er zu Hause ist. +-- He, Landsmann,« wandte er sich dann an einen Colonisten, dessen +Äußeres, mit dem langen blauen Rocke und schmalen Kragen, dem +ausgeschweiften Hute und dem Gesangbuche unter dem Arme, über sein +Vaterland keinen Zweifel gestattete -- »ist das die Wohnung des +Directors?« + +»Guten Morgen mit einander,« erwiderte der Gefragte, der sich dabei die +Fremden von Kopf bis zu Fuß betrachtete -- »ja wohl, der Herr Director +wohnt hier -- er ist oben in seiner Stube -- wollen Sie was?« + +»Danke schön; ja, wir wollen ihn sprechen.« + +»Gehen Sie nur hinauf; er ist oben allein, aber -- nicht gerade guter +Laune. Sie kommen wohl weit her?« + +»Nicht sehr.« + +»Und wollen Sie hier in der Colonie bleiben?« + +»Uns wenigstens den Platz erst einmal ansehen,« sagte Günther, nicht +gesonnen, sich hier vor der Thür in eine lange Unterredung einzulassen. +Sein Freund hatte das Haus schon betreten, und Beide schritten jetzt die +Treppe langsam hinauf. Auf der Treppe oben blieb der Jüngere plötzlich +stehen und sagte: + +»Kamerad, ich habe mir die Sache überlegt; ich werde jetzt _nicht_ mit +hineingehen. Wenn der Herr Director übler Laune sind, möchte ich ihm +nicht gern in den Weg treten, denn ich _will_ Nichts von ihm, und +gedenke mich deshalb auch nicht seiner übeln Laune auszusetzen. _Sie_ +haben _Geschäfte_ mit ihm, das ist etwas Anderes; ich werde indessen +in's Wirthshaus gehen und Sie dort erwarten. Machen Sie Ihre Sachen so +rasch ab, wie Sie können.« -- Damit wollte er ohne Weiteres umdrehen +und wieder hinabsteigen, Günther aber ergriff seinen Arm und sagte. + +»Thun Sie mir den Gefallen und bleiben Sie; kommen Sie wenigstens einen +Augenblick mit hinein, um Ihren Auftrag auszurichten.« + +»Auftrag -- es ist nur ein Gruß.« + +»Und wenn auch. Er wird uns nicht gleich beißen, und ich selber habe vor +der Hand ebenfalls nur wenige Worte mit ihm zu sprechen, denn unsere +Thiere müssen abgepackt und untergebracht werden.« + +»Meinetwegen,« sagte der Freund achselzuckend, »wenn Sie's absolut +wollen. Lieber ginge ich freilich in's Wirthshaus.« + +Wenige Stufen höher standen sie vor der Thür des Directors, die eine +daran genagelte einfache Visitenkarte bezeichnete. Die Karte trug auch +weiter keine Bezeichnung, als »Ludwig Sarno«, nicht einmal der Titel +»Director« war beigefügt, und der jüngere Fremde nickte befriedigt mit +dem Kopfe. Günther hatte indessen ohne Weiteres an die Thür geklopft, +und ein etwas barsches »Herein!« lud sie ein, des Löwen Höhle zu +betreten. + +Der Direktor, ein schlanker, aber stattlicher Mann, ebenfalls mit einem +militärischen Anstriche, starkem, etwas röthlichem Barte und vollem, +lockigem Haar, ging mit auf den Rücken gelegten Händen in seinem +Arbeitszimmer auf und ab, das sich besonders durch eine Menge von +Gefächern mit actenartig in blaues Papier geschlagenen Folioheften +auszeichnete. Bei dem Anklopfen hatte er seinen Spaziergang unterbrochen +und stand, halb nach der geöffneten Thür gedreht, mitten im Zimmer. +Günter ließ ihn aber nicht lange über sich in Zweifel, sondern auf ihn +zugehend, sagte er: + +»Herr Director, ich bin gezwungen, mich selber bei Ihnen einzuführen. +Mein Name ist Günther von Schwartzau, Ingenieur-Officier, und ich bin +vom Präsidenten der Provinz hieher beordert, etwa nöthig gewordene +Vermessungen vorzunehmen.« + +»Etwa _nöthig_ gewordene?« wiederholte der Director, indem er den +Fremden erstaunt ansah. »als ob ich nicht den Herrn Präsidenten seit +sechs Monaten bei jeder möglichen Gelegenheit mit Eingaben bombardire, +daß er _endlich_ einmal die seit einem Jahre schon fast dringend +nöthigen Vermessungen vornehmen _lasse_! Etwa nöthigen....« + +»Es thut mir leid, Herr Director, wenn Sie haben warten müssen,« sagte +Günther ruhig, »aber _meine_ Schuld war es nicht; denn vor fünf Tagen +erst erhielt ich am Chebaja den Brief des Präsidenten, der mich hieher +beordert, und Sie werden mir zugestehen, daß ich von dort aus, bei +_der_ Entfernung und _den_ Wegen, wahrlich keine Zeit versäumt habe.« + +»Der Herr ist Ihr Gehülfe?« + +»Bitte um Verzeihung,« sagte der Fremde, der indessen mit einem +leichten, kaum bemerkbaren Lächeln dem Gespräche gefolgt war -- »ich +gehöre in das _Geschäft_ gar nicht hinein und muß mich eigentlich als +einen Aufdringling betrachten, will Ihre kostbare Zeit auch nicht länger +in Anspruch nehmen, als unumgänglich nöthig ist, Ihnen mir aufgetragene +und an's Herz gelegte Grüße zu bestellen.« + +»Grüße? Von wem?« sagte der Direktor, der indessen die schlanke, edle +Gestalt des Fremden mit eben nicht freundlicher werdenden Blicken +musterte. + +»Vom Hauptmann Könnern.« + +»Von _Hermann_ Könnern?« rief der Director rasch. + +Der Fremde nickte nur langsam mit dem Kopfe. + +»Und kennen Sie Könnern persönlich?« fragte der Direktor eben so eifrig +weiter. + +»Ziemlich genau,« erwiederte der junge Mann; »er ist mein Bruder, und +ich heiße Bernard.« + +»Der sich in Amerika so lange herumgetrieben -- der Maler?« + +»Derselbe,« lächelte der junge Mann. + +»Dann sein Sie mir herzlich und viel tausend Mal willkommen,« rief +Sarno, der in dem Augenblicke ein ganz anderer Mann zu werden schien +-- »herzlich willkommen!« wiederholte er noch einmal, die gefaßte Hand +aus allen Kräften schüttelnd. »Oft haben wir von Ihnen gesprochen -- und +wie geht es Hermann? -- Aber davon nachher -- Sie kommen eben von der +Reise, und unsere Wege sind nichts weniger als musterhaft; erst müssen +Sie sich erholen und eine Erfrischung einnehmen; nachher plaudern wir +viel, recht viel mit einander, denn Ihr Bruder ist der beste Freund, +den ich auf der Welt habe, und ich muß Alles wissen was ihn angeht.« + +»Er schrieb mir noch in seinem letzten Briefe, wo ich Sie hier in +Brasilien anträfe, den Fuß nicht eher aus dem Bügel zu setzen, bis ich +Ihnen die aufgetragenen herzlichen Grüße überbracht -- da ich aber nicht +gut die Treppe herauf_reiten_ konnte, mußte ich wenigstens vor der Thür +absteigen.« + +»Ihr Pferd steht noch unten?« + +»Gesattelt.« + +»Desto besser, dann legen Sie Alles gleich herein -- keine Widerrede; +ich schicke gleich Jemanden hinunter, denn leider Gottes habe ich Menschen +genug dazu im Hause -- Bernard Könnern soll wahrhaftig nicht in Brasilien +in einem Wirthshause wohnen, so lange ich selber ein Dach über mir habe, +und ein Bett, mit ihm zu theilen.« + +»Aber, Herr Director....« + +»Kein Wort mehr; ich lasse keine Einrede gelten, wenn ich Ihnen auch +keine besondere Bequemlichkeit zu bieten vermag. Sie aber sind ja auch +an ein Lagerleben gewöhnt. -- Mein lieber Herr von Schwartzau,« wandte +er sich dann an den Ingenieur, »mit großem Vergnügen würde ich auch Sie +gern beherbergen, aber überzeugen Sie sich selber, ich habe das ganze +Haus voll von Emigranten, und noch dazu fast lauter Kranke, Frauen und +Kinder, die ich bei dem ewigen Regen in dem erbärmlichen +Auswanderungshause nicht lassen mochte.« + +»Mein lieber Herr Director!« sagte Günther abwehrend. + +»Sie können uns aber helfen,« fuhr der Director fort. »Vermessen Sie +uns eine tüchtige Strecke Land, daß ich die armen Einwanderer bald +unterbringen kann, und ich habe dann Raum genug in meinem Hause für +sechs oder acht Freunde, und vielleicht für mehr.« + +»Mit Freuden, sobald ich nur erst einmal weiß, wo.« + +»Das zeige ich Ihnen noch heute Abend, denn wir haben in der That keine +Zeit zu verlieren. Ihre Pferde brauchen Sie dabei nicht anzustrengen, +ich borge Ihnen von meinen Thieren, und Könnern hier begleitet uns; dann +können Sie morgen früh mit Tagesanbruch Ihre Arbeit gleich beginnen. Was +Sie von Leuten dazu brauchen, stelle ich Ihnen; ich kenne einige dazu +ganz passende junge Burschen, und hätte die Arbeit schon längst selbst +gemacht, wenn ich's eben im Stande wäre. Aber sehen Sie selber hier die +Actenstöße an -- Berichte, Klagen, Eingaben, Zänkereien, Befehle von +oben, wovon immer einer dem anderen widerspricht, und Quängeleien, daß +sie einen Heiligen manchmal zum Fluchen bringen könnten -- und ich bin +eben keiner -- doch darüber sprechen wir nachher. Und außerdem noch, +lieber Schwartzau -- Sie waren Officier, nicht wahr?« + +»In schleswig-holsteinischen Diensten.« + +»Aha -- die alte Geschichte, mit der sie daheim die besten Kräfte über +die Gränze getrieben haben. -- Ich muß Sie noch um Entschuldigung +bitten, daß mein Empfang gerade kein überfreundlicher war, aber weiß es +Gott, sie treiben es hier manchmal, daß es Einem die Galle mit Gewalt +in's Blut hineinjagt. Die Frau Gräfin verbessert überhaupt nie meine +Laune, wenn sie mich einmal mit ihrem hohen Besuche beehrt.« + +»Die Frau Gräfin,« sagte Könnern, aufmerksam werdend; »war das etwa die +Dame, die vorhin aus dem Hause trat?« + +»Kurz vorher, ehe Sie kamen -- sie verließ mich sehr beleidigt, daß ich +einen armen Teufel von Bauer, der noch drei Stunden Weges bis nach Hause +hat, nicht ihretwegen vor der Thür warten ließ und ihn abfertigte, während +sie bei mir war. Doch ich schwatze und schwatze. Also Schwartzau, Sie +müssen sich noch ein paar Tage im Wirthshause unterbringen, und dann +werden Sie wahrscheinlich gezwungen sein, einige Wochen auszulagern, +bis dahin aber hoffe ich, Ihnen Raum geschafft zu haben. He, Christoph +-- Klaas!« rief er dann aus dem Fenster -- »schaff' doch einmal die Sachen +des fremden Herrn in's Haus -- Sattel und Taschen, oder was es ist -- wo +wollen Sie hin, Könnern?« + +»Wenn Sie es denn nicht anders haben wollen, so muß ich wenigstens +hinunter, um mein Packthier selber abzuladen, daß mir die guten Leute +Nichts zerbrechen.« + +»Gut, auch recht. Lassen Sie nur Alles hier herauf schaffen und draußen +vor die Thür stellen; wir arrangiren es dann selber, denn ich habe hier +Junggesellenwirthschaft. Indessen Sie das besorgen, schreibe ich nur +noch zwei Briefe, die jener Colonist mit in eine andere neue Colonie +nehmen muß, wohin sonst sehr selten Gelegenheit ist.« + +»Und um wie viel Uhr ist es Ihnen recht?« fragte Günther. + +»Um -- aber das können wir nachher bereden,« sagte der Direktor; +»natürlich essen Sie mit uns, was gerade da ist, und nach dem Essen +reiten wir in aller Bequemlichkeit hinaus. Die übrigen Geschäfte müssen +warten, denn dieses ist das wichtigste. Um ein Uhr esse ich gewöhnlich, +bis dahin behalten Sie also noch übrig Zeit, sich ein wenig auszuruhen. +Und Sie, lieber Könnern, kommen gleich wieder zu mir herauf, sobald Sie +Ihre Sachen besorgt haben.« + +Und damit, ohne irgend eine Einwendung zu erwarten, setzte er sich ohne +Weiteres an seinen Schreibtisch und überließ die beiden Fremden indessen +sich selber. + +»Nun, wie gefällt Ihnen Ihr Director?« sagte Könnern auf der Treppe. + +»Vortrefflich!« erwiederte Günther; »im Anfange schien er ein wenig +brummig, aber der Name Ihres Bruders wirkte Wunder. -- Wo haben sich +die beiden Herren eigentlich gekannt?« + +»In der österreichischen Armee,« erwiederte Könnern, »wo sie den +siegreichen Feldzug in den vierziger Jahren zusammen durchgemacht haben. +Mir gefällt aber der Mann auch außerdem; er ist rasch, kurz angebunden, +und wie mir scheint, aufrichtig und offen. Mit solchen Leuten ist immer +am Besten verkehren, denn der Böse soll die Überfreundlichen holen, die +stets ein lächelndes Gesicht zeigen und bei denen man doch nie und +nimmer weiß, woran man mit ihnen eigentlich ist.« + +»Mich hat es ebenfalls gefreut, daß er mich so ohne Weiteres in's +Wirthshaus wies. Er hätte ja eine lange Entschuldigung machen können, +aber er sagte einfach, deshalb geht's nicht, und damit Punctum. Ich +glaube, ich werde mit _dem_ Director fertig.« + +Sie waren damit vor die Thür getreten, wo ihre Diener mit den Pferden +noch hielten, und während Günther wieder aufstieg, lockerte Könnern +seinem Grauen den Sattelgurt. Da schallten rasche Hufschläge die Straße +herauf, Beide wandten den Kopf dorthin und Günther rief aus: + +»Hallo, wer kommt da -- eine Amazone!« + +In demselben Augenblicke aber sprengten schon zwei Reiter, mehr im +Carriere als Galopp an dem Hause des Directors vorüber, und die beiden +Fremden hatten nur eben Zeit zu bemerken, daß auf dem ersten Pferde ein +junges, wunderhübsches Mädchen in einem knapp anschließenden, dunklen +Reitkleide saß, mit einem kleinen Amazonenhute auf, von dem eine +einzelne mächtige weiße Straußfeder und ein paar lange Reiherfedern in +dem scharfen Luftzuge weit auswehten. Ihr Begleiter, der etwa eine +Pferdelänge hinter ihr folgte, war ein ganz junger Bursche von etwa +sechszehn bis siebenzehn Jahren. + +Wie eine Erscheinung flogen die Beiden an ihnen vorüber, und Günther +hatte noch außerdem jetzt mit seinem eigenen Pferde zu thun, das sich, +wie es schien, am liebsten dem Rennen angeschlossen hätte, und herüber +und hinüber tanzte. + +»Hier im Orte scheint es wirklich ganz interessante Gesellschaft zu +geben,« sagte Könnern, als die wilden Reiter die Straße hinab verschwunden +waren, »und es wird lohnen, sich eine Zeit lang aufzuhalten und ihre +Bekanntschaft zu machen.« + +»Beinahe hätt' ich das Letztere gleich gethan,« lachte Günther, »denn +mein Rappe schien dasselbe Bedürfniß zu fühlen. Aber, Adieu jetzt, +Kamerad. Um ein Uhr sehen wir uns beim Diner wieder.« + +»Hoffentlich nicht im Frack, denn darauf bin ich nicht eingerichtet,« +nickte ihm Könnern zu, während Günther, von seinen beiden Lastthieren +gefolgt, denselben Weg, aber bedeutend langsamer, einschlug, den die +junge Dame eben genommen. Die Kirche lag in dieser Richtung, und er +wußte gut genug, daß Könnern Recht hatte, wenn er das Wirthshaus dicht +daneben vermuthete. + +Aus dem Directionshause waren indessen ein paar deutsche Arbeiter +gekommen, junge Burschen in Hemdärmeln und mit ledernen Hosen und +Pantoffeln, der eine eine runde blaue, der andere eine viereckig grüne +Mütze auf, und Beide genau so aussehend, als ob sie eben dieselben +Pantoffeln nicht ausgezogen hätten, seit sie in Bremen oder Hamburg das +Schiff betreten. + +Diese griffen willig mit zu, das Packthier abzusatteln, und wenn sie +auch stets an den verkehrten Stricken, aber deshalb nicht minder gut +gemeint, zogen, gelang es doch endlich mit Könnern's Hülfe, den Packen +aufzuschnüren, und die verschiedenen Gegenstände in's Haus und in die +erste Etage zu schaffen. Die Pferde brachten sie dann ebenfalls auf +einen kleinen Weideplatz dicht am Hause, wo sie auch einzeln gefüttert +werden konnten, und seinen Diener schickte Könnern dann mit dessen +eigenem Sattelzeuge in das Wirthshaus hinüber, da er den Eingeborenen +nicht mit den Deutschen zusammenbringen wollte. Er wußte, daß dies +selten gut that. + +Hierbei gelang es ihm, einen Blick in den untern Theil des Directionshauses +zu werfen, und es sah dort allerdings wild und wunderlich genug aus. Das +ganze Haus war noch neu, ja, es stand sogar noch ein Theil des Gerüstes. +Die Wände waren auch nur erst einfach geweißt und die Fensterrahmen noch +nicht einmal gestrichen. + +Gleichwohl glich der Platz da unten weit eher einem indianischen +Bivouac, als der Wohnung eines Directors der Colonie, denn überall in +den Zimmern lagen Matratzen, überall an den Wänden standen die riesigen +Kisten und Koffer der Auswanderer, mit der groß gemalten Adresse »Nach +Brasilien« noch daran, und auf dem ebenfalls preisgegebenen Kochherde +war auf jeder Ecke ein Feuer angezündet, über dem theils ein Kessel +brodelte, theils eine Pfanne zischte. Selbst im Hofe loderte ein +stattliches Feuer, um den übrigen Kochgeschirren Raum zu geben, denn +heute war ja Sonntag, und die Deutschen feierten diesen, genau wie +daheim, mit Essen und Trinken. + +Könnern, im Augenblicke ohne weitere Beschäftigung, trat dort hinein, +ohne daß die Leute jedoch besondere Notiz von ihm genommen hätten. Ein +paar alte Frauen saßen auf den Kisten in der Ecke und lasen in ihren +Gesangbüchern; die Mädchen und jungen Frauen waren fast alle mit ein +oder der andern Arbeit für die Küche beschäftigt, und die Männer lagen +zum Theil ausgestreckt auf den Matratzen oder auch auf dem nicht gerade +überreinlichen Boden und rauchten ihre kurzen Pfeifen. Tabak war billig +hier, und sie konnten sich dem Genusse mit unbeschränkter Leidenschaft +hingeben. + +»Nun, Leute, wie geht's?« redete Könnern einen der Männer an, der +beide Beine von einander gestreckt hatte und, ein Bild der höchsten +Zufriedenheit, flach auf dem Rücken lag. Nur den einen Arm hatte er als +Kissen unter den Kopf geschoben und sah den eigenen Rauchwolken nach, +die er mit Macht gegen die Decke blies; »Ihr scheint Euch hier ganz +behaglich zu befinden?« + +»Und warum nicht?« sagte der Mann, indem er die Pfeife in den einen +Mundwinkel schob; »hier kann mer's aushalten, und die Schinderei geht +doch noch zeitig genug an. Das Brumsilien ist ein ganz famoses Land +-- wären wir nur _erst_ (früher) hergekommen.« + +»Ja, mit dene Männer hat's keine Noth,« fiel hier die eine Frau ein, die +mit roth erhitztem Gesichte gerade aus der Küche kam und sich mit der +Schürze den Schweiß von der Stirn trocknete, »wenn die nur satt Tabak +haben und auf der faulen Haut liegen können, sell freut sie und sie +wollen's net besser, aber uns arme Weiberleut' derf's schinden und +plagen, wie's mag.« + +»Und was geht _Euch_ ab?« fragte der Mann, faul den Kopf nach ihr +umdrehend. + +»Was _uns_ abgeht?« sagte aber die Frau, »ein eigen Haus und ein eigener +Herd, weiter Nichts, daß man weiß, _weshalb_ man sich plagt und schindt, +und seine Kochtöpf' nicht auf Gottes Erdboden herum zu stoßen hat. Erst +aber drei Monat das leidige Schiffsleben und nun vier Monat wieder hier +in einer wahren Heidenwirthschaft -- sell kann Einen freuen, und bis an +den Hals steht mir's.« + +Und damit griff die Frau ein am Boden sitzendes, schreiendes Kind an +einem Arme auf, warf sich's mit einem Ruck auf die Hüfte und verschwand +damit durch die offene Thür. + +»Weiberleut'!« sagte der Bauer verächtlich und rauchte weiter. + +Könnern behielt übrigens keine Zeit, noch weitere Forschungen anzustellen, +denn der Director sah in diesem Augenblicke in's Zimmer. Er hatte +jedenfalls seinen Gast gesucht und rief jetzt: + +»Nun, sieht es hier nicht liebenswürdig aus? Aber kommen Sie, Könnern, +wir wollen vor Tisch noch einen kleinen Spaziergang machen -- lassen Sie +nur, Sie können sich nachher umziehen; es kommt bei uns nicht so genau +darauf an, und Ihre Sachen habe ich schon in die für Sie bestimmte Stube +stellen lassen.« + +Damit nahm er ohne Weiteres Könnern unter den Arm und verließ mit ihm +das Haus. Die in der Stube umher zerstreuten Einwanderer richteten sich +aber, als der Director das Zimmer betrat, etwas überrascht auf, rückten +ihre Mützen und nahmen ihre Pfeifen aus dem Munde. So wie er ihnen aber +den Rücken drehte, fielen sie in ihre alte Stellung zurück und rauchten +ruhig weiter. + +Der junge Fremde mußte jetzt vor allen Dingen dem Director von seinem +Bruder erzählen, wie es ihm gehe, was er thue und treibe, und er wurde +dabei nicht satt, ihm zuzuhören. Erst als Jener Alles erschöpft, was +er darüber zu sagen hatte, kamen sie auf die hiesigen Verhältnisse +zu sprechen, und Bernard Könnern gestand dem Director daß er, doch +einmal in der Welt umherstreifend, nur nach Brasilien gekommen sei, +um die Verhältnisse des Landes, über die er die verschiedensten und +widersprechendsten Gerüchte gehört, einmal selber von Augenschein kennen +zu lernen und dabei für seine Mappe zu sammeln. Habe er das erreicht, +dann kehre er eben wieder nach Europa zurück, denn mit allen Mängeln +scheine es doch, als ob ihm das Vaterland kein anderer Ort der Welt +ersetzen könne. + +»Sie haben Recht,« erwiederte der Director, der ihm schweigend zugehört. +»Je mehr wir von fremden Ländern sehen, und wenn sie selbst ihre größte +und schönste Pracht entfalten, desto mehr fühlen wir doch immer, daß +sie uns die Heimath nie ersetzen können -- aber um das zu fühlen, dazu +gehört eine gewisse Quantität Gemüth, und es ist äußerst interessant zu +beobachten, auf welche verschiedene Art und Weise sich das auch bei den +verschiedenen Naturen äußert, und wie es ausbricht. Jeder Mensch bildet +sich nämlich dazu eine gewisse Entschuldigung, und die am Meisten +poetische hat stets das Gemüth der Frauen, auch wenn sie den niedrigsten +Classen angehören. Bei diesen ist es das Grab der Eltern oder das eines +Kindes, die alte Dorfkirche, oder das Haus, das ihre erste Heimath +bildete, zu dem sie sich zurücksehnen; der Brunnen, an dem sie Wasser +holten, die alte Linde vor der Pfarrwohnung, wo sie vielleicht zum +ersten Male mit dem jetzigen Manne getanzt, und an die sie sich um so +viel lieber erinnern, weil _der_ Mann gerade damals so viel anders war, +als er jetzt ist -- der kleine Garten, den sie bestellt, das Vieh +selber, das sie groß gezogen, das Alles hat seinen Anhaltspunkt noch +lange nicht verloren, und ob sie Vieles hier mit der Zeit besser und +bequemer finden mögen, es zieht sie doch mit einem ganz eigenen Gefühle +zurück zu den alten Verhältnissen. Der Mann dagegen -- ich meine hier +den gewöhnlichen Bauer -- hat wieder einen ganz andern Ankergrund für +sein Heimweh. Er denkt, wenn er sich Deutschland in's Gedächtniß +zurückruft, meist immer an seine heimische Schenke, an das Bier und eine +Menge anderer prosaischer Dinge, zu denen aber doch trotzdem die alte +Linde und der alte Kirchthurm den nebelhaften Hintergrund bilden. Seine +»Freundschaft,« wie er die Verwandten nennt, zieht ihn weniger zurück; +der Bauer lebt eigentlich nie recht in wirklichem Frieden mit seinen +Verwandten, und die Sehnsucht nach ihnen ist deshalb auch nie +außergewöhnlich. Den gebildeten Mann zieht dagegen mehr ein geistiges +Bedürfniß, als das bloße Gemüth, nach der Heimath zurück.« + +»Den gebildeten Mann zieht gewöhnlich das zurück,« sagte Könnern, »daß +er in dem fremden und überseeischen Lande selten eine passende oder ihm +wenigstens zusagende Beschäftigung findet, die ihn hinreichend ernährt. +Kaufleute natürlich ausgenommen, die überall daheim sind und auch herüber +und hinüber ziehen, sieht sich der, der daheim gewohnt war, mehr mit +seinem Kopfe als mit seinen Fäusten zu arbeiten, in nur zu häufigen +Fällen allein auf die letzteren angewiesen. Das gefällt ihm nicht, eine +Quantität Gemüth kommt dazu und das Heimweh ist fix und fertig.« + +»Sie haben wohl Recht,« nickte der Director, »und nicht allein das +Heimweh, sondern auch zugleich die Unzufriedenheit mit allen sie +umgebenden Dingen, die, der Meinung jener Leute nach, für _sie_ nicht +passen, während sie selber es sind, die sich nicht hineinfinden können +oder wollen. Davon weiß ein armer Director am Besten zu erzählen, denn +gerade in _meiner_ Colonie bin ich mit einer Classe von Menschen +geplagt, die meist alle das Jahr 1848 von Deutschland herüber gescheucht +hat, und die jetzt auf Gottes Welt nicht wissen was sie mit sich angeben +sollen.« + +»Sie scheinen hier wirklich eine Art von #haute volée# zu haben,« +lächelte Könnern, »denn außer jener Frau Gräfin sah ich heute Morgen +auch noch eine reizende junge Dame, die im Carriere vorüber flog.« + +»Sie wird nächstens einmal ihren reizenden Hals brechen,« meinte der +Director trocken; »jene Beiden gehören aber zusammen, denn die junge +Dame ist die Comtesse, die Tochter der Gräfin. Da haben Sie also heute +gleich die _Spitze_ der Gesellschaft, den sogenannten #crême# gesehen. +Außerdem aber sind wir noch mit einer Anzahl von Titular-Honoratioren +geplagt, die voller Ansprüche stecken, und wie der Engländer ganz passend +sagt: #neither for use nor ornament#, weder zum Nutzen, noch zur +Verzierung der Colonie dienen. Doch mit diesen Herrschaften werden Sie +selber wohl näher bekannt werden, wenn Sie sich länger in unserer +Colonie aufhalten, und nur _einen_ Rath muß ich Ihnen schon jetzt geben, +ehe er zu spät kommt: Borgen Sie Niemandem Geld.« + +Könnern lachte gerade hinaus. + +»Fällt Ihnen die Warnung bei den Honoratioren ein?« sagte er. + +»Allerdings,« erwiederte der Director ganz ernsthaft; »der Bauer, wenn +er Geld braucht, wendet sich einfach an die Regierung um Subsidien, die +ihm nur in Ausnahmefällen abgeschlagen werden und für deren Rückzahlung +er mit seinem Lande haftet. Unsere #haute volée# dagegen ist viel zu +stolz an etwas Derartiges nur zu denken, hat auch in leider sehr vielen +Fällen entweder kein Land, oder doch schon eine Menge von +stillschweigenden Hypotheken darauf aufgenommen.« + +»Aber sie werden doch wahrhaftig keinen wildfremden Menschen anborgen?« + +»Es giebt dafür verschiedene Auswege,« meinte der Director, »und +Menschen, die sich sonst in den einfachsten Verhältnissen nicht zu +helfen wissen, entwickeln gerade in dieser Branche eine erstaunliche +Mannichfaltigkeit.« + +»Aber weshalb wandern solche Menschen,« sagte Könnern, »die doch +von vorn herein wissen sollten, daß sie für derartige Arbeit und +Beschäftigung nicht passen, eigentlich nach einem wilden Lande aus? An +Büchern fehlt es wahrlich nicht, die ihnen ziemlich deutlich sagen, was +sie in der neuen Welt -- ob sie nun Amerika, Australien oder sonst wie +heiße -- zu erwarten haben. Sie _können_ sich darüber nicht täuschen, +wenn sie überhaupt Deutsch verstehen.« + +»Und doch thun sie es,« sagte der Director, »und zwar meist aus dem ganz +einfachen und in jedem andern Falle schätzenswerthen Grunde, daß sie +eine sehr gute Meinung von sich selber haben. Ich _kann_ Alles was ich +_will_, sagen sie, bedenken aber dabei gar nicht, daß sie nicht Alles +_wollen_ was sie _können_, denn es _kann_ natürlich ein Jeder, wenn er +nicht gerade einen überschwächlichen Körper mitbringt, Handarbeit +verrichten; aber wie die Vorsätze auch daheim gewesen sein mögen, hier +machen sie nicht einmal den Versuch dazu, und _wenn_ sie ihn machen, +bleibt es auch gewiß immer bei dem Versuche. Es ist und bleibt ein +wunderliches Volk, und wenn ich erst einmal nicht mehr Director bin, +was, wie ich hoffe, nicht mehr lange dauern wird, so glaub' ich, daß ich +mich sogar prächtig dabei amüsiren werde, sie in ihrem eigenthümlichen +Treiben und Wirthschaften zu beobachten. Jetzt aber halten sie mir die +Galle fortwährend in Gährung, und dabei kann natürlich der beste Humor +nicht aufkommen, ohne seine bestimmte Partie Gift mit anzunehmen. Sehen +Sie, da kommt gleich Einer davon; sieht der Mensch aus, wie ein +brasilianischer Pflanzer?« + +Um die eine Ecke bog in diesem Augenblicke ein Herr, der -- wenn die +Sommer-Beinkleider nicht ein klein wenig zu kurz gewesen wären -- in dem +Anzuge recht gut hätte an einem schönen Nachmittage unter den Linden in +Berlin spazieren gehen können. Er trug vollkommen moderne Tuchkleidung, +einen Cylinderhut, einen Regenschirm, der hier auch besonders gegen die +Sonne benutzt wurde, und im Knopfloche den rothen Adlerorden vierter +Classe. + +Als er den beiden Herren begegnete, lüftete er den Hut mit einer sehr +förmlichen, aber auch sehr vornehmen Verbeugung, und ging dann, ohne +Miene zu einem weitern Gruße zu machen, stolz vorüber. + +»Und wer war das?« + +»Der Baron Jeorgy, seinem Berichte nach aus einer sehr alten Familie, +der mit der Idee herüber kam, brasilianischer Pflanzer zu werden. Er +übernahm eine allerliebst gelegene Colonie -- Sie müssen heute Morgen +daran vorbei gekommen sein.« + +»Ah, das Haus da oben auf dem Berge, wo ein reizendes junges Paar von +brasilianischer Abstammung wohnt?« + +»Ganz recht, Köhler's Chagra, wie der Platz jetzt heißt -- und er +_ver_wirthschaftete das Gut in unglaublich kurzer Zeit dermaßen, daß es +zuletzt wenig mehr als eine Wildniß war. Er mußte es endlich verkaufen, +denn es trug ihm nicht einmal mehr die Kosten, und natürlich konnte +Niemand weiter daran schuld sein als der Director, da ihm dieser noch +dazu nicht einmal mehr Geld darauf vorstrecken wollte. Er ist seit der +Zeit wüthend auf mich, nach Art solcher Leute aber auch um so viel +höflicher geworden, und ärgert sich nur, daß ich von seinen +Verleumdungen gegen mich nicht die geringste Notiz nehme.« + +»Guten Morgen, Herr Director!« unterbrach in diesem Augenblicke ein +junger Mann das Gespräch, der sie überholt hatte und rasch an ihnen +vorüberschritt. Er grüßte dabei sehr ehrfurchtsvoll, schien sich aber +nicht lange in seines Vorgesetzten Nähe aufhalten zu wollen, dem er +vielleicht unerwartet in den Wurf gelaufen, denn er bog rasch in die +nächste Querstraße ein und verschwand in einem der Gärten. + +»Der junge Herr,« sagte Könnern, »scheint stark gefrühstückt zu haben. +Sein ganzes Äußere sah wenigstens danach aus.« + +»Ein anderer Fluch unserer Colonie,« seufzte Sarno, »das war unser +Schullehrer.« + +»Der Schullehrer? Er kann höchstens zweiundzwanzig Jahre alt sein.« + +»Und nicht allein ist er _trotzdem_, sondern gerade _deshalb_ +Schullehrer,« sagte der Director; »unser deutscher Bauer ist nämlich von +Haus aus und von klein auf so daran gewöhnt worden, den »Schulmeister« +als ganz untergeordnete Persönlichkeit zu betrachten und danach +natürlich auch die Erziehung seiner Kinder zu bemessen, daß ihn für +diese jeder Milreis reut, den er ausgeben soll, und er förmlich +gezwungen werden muß, die Kinder in die Schule zu schicken. Das Loos +eines Schullehrers ist aber in keinem Lande der Welt beneidenswerth, und +nur daheim, wo Leute von Jugend auf dazu erzogen werden und dann später +keine andere Laufbahn mehr einschlagen _können_, finden sich immer +genügende Kräfte. Hier dagegen, wo Jeder sein Brod weit besser und +sorgenfreier verdienen kann, der nur irgend seine Knochen gebrauchen +will, denkt gar Niemand daran, sich zu dem fatalen und außerdem noch +schlecht gelohnten Amte eines Schullehrers herzugeben, der nicht +nothgedrungen _muß_. Das aber sind denn meist junge Leute, Studenten +oder Handlungsdiener, die einen angeborenen Abscheu vor Hacke und +Spaten haben, und nur, um nicht zu verhungern, sich gerade für so lange +der »Beschäftigung« eines Schullehrers unterziehen, als sie nichts +Anderes und Besseres zu unternehmen wissen. So wie sie aber etwas +Besseres finden, kann man sich auch fest darauf verlassen, daß sie der +Gemeinde kündigen -- manchmal gehen sie sogar ohne Kündigung fort, und +wie nachtheilig ein so steter Wechsel -- den eigentlichen mangelhaften +Unterricht nicht einmal gerechnet -- auf die Kinder wirken muß, läßt +sich ja denken und liegt klar zu Tage.« + +»Zu Zeiten trifft es sich, daß wir trotz allem Dem einen ordentlichen +Mann, wenigstens für Monate oder ein halbes Jahr, in der Schule haben. +Dieses Mal freilich meldete sich, als die Kinder schon drei Wochen ohne +den geringsten Unterricht gewesen waren, ein möglicher Weise irgendwo +durchgebrannter Handlungsdiener für die Stelle, die man ihm auch +»auf Probe« überließ, und da der gute Mann den brasilianischen Wein +merkwürdiger Weise trinken kann, benutzt er jeden freien und nicht +freien Augenblick, um über die Stränge zu schlagen.« + +»Und auf die Art,« lachte Könnern, »warten beide Parteien gegenseitig, +ob sie einander nicht bald wieder los werden können?« + +»Allerdings,« erwiederte der Director, »hier aber haben wir jetzt das +Ziel unseres Spaziergangs -- das Auswanderungshaus erreicht, das ich +doch heute Morgen einmal besuchen und Ihnen gleich zeigen wollte. Hier +sehen Sie die Einwanderer untergebracht, welchen, der furchtbaren +Nachlässigkeit unserer Provinzialregierung zufolge, noch keine Colonie +-- d. h. kein eigenes Land für ihre Arbeit -- angewiesen werden konnte, +und die hier auf Staatskosten gefüttert werden müssen, bis Ihr Freund +die nöthigen Landstrecken für sie vermessen haben wird. Aber treten wir +ein. Sie sehen da Alles viel besser, als ich es Ihnen sagen könnte.« + +Könnern sah vor sich ein langes, fast ovales Gebäude, aus Pfählen oder +eingerammten Stämmen aufgerichtet, und theils mit Schindeln, theils mit +Ziegeln, an einigen Stellen sogar mit Schilf und Reisig nothdürftig +gedeckt, um das herum es von den abenteuerlichsten Gestalten wimmelte. +Alle waren Deutsche, darüber blieb dem Fremden auch nicht der geringste +Zweifel, denn die flachsköpfigen Kinder nicht allein, nein, Männer und +Frauen selbst in ihren alten heimischen Trachten verläugneten ihr +Vaterland nicht einen Augenblick. + +Ihre Beschäftigung war aber ziemlich genau dieselbe wie die jenes +Theiles, den der Director in seine eigene Wohnung genommen hatte, nur +daß hier entschieden mehr Männer einquartiert schienen. Der innere +weite Raum, wo nicht die unpraktischen riesigen Auswanderer-Kisten +aufgeschichtet standen, war mit ihnen ordentlich angefüllt, denn in der +heißen Tageszeit hatten sie den Schatten des luftigen Gebäudes gesucht, +während die Frauen hier und in der Sonne draußen arbeiten konnten, so +viel sie eben Lust hatten. + +Als der Director übrigens mit dem Fremden den innern Raum betrat, +erhoben sich die Meisten von ihrem rauhen Lager und nahmen die Mützen +ab, denn der »Herr Director« war ja die erste Person in der Colonie, und +mit dem durften sie es also schon nicht verderben. + +»Nun, Leute,« sagte Herr Sarno nach der ersten flüchtigen Begrüßung, +»nun werdet ihr bald Euer Land bekommen können, denn heute hat die +Regierung endlich Jemanden hergesandt, der Euren Grund und Boden +vermessen soll. Haltet Euch nur bereit, daß einige Familien von Euch +gleich ausrücken können, so wie eine Anzahl von Colonien vermessen ist. +Ihr werdet das Herumliegen hier wohl auch satt haben?« + +»Na, es geht, Herr Director,« lachte der eine Mann; »wenn wir's im Leben +nicht schlechter kriegen, läßt sich's aushalten -- aber froh wollen wir +doch sein, wenn wir einmal wieder für uns arbeiten dürfen. Das faule +Leben hat auch keine rechte Art und eigentlich schon ein Bißchen zu +lange gedauert.« + +»Hier geht's auch schmählich eng zu,« sagte ein Anderer, »beinah wie auf +dem Schiff, und der Müller da drüben, der macht sich mit seiner Familie +auch noch so breit, daß wir Anderen lieber hinaus vor die Thür möchten, +damit der große Herr nur Platz hat.« + +»Ja, Du darfst auch noch räsonniren, Du Lumpenkerl,« erwiederte eine +tiefe Baßstimme aus der Ecke, »wenn wir lauter solch Gesindel wären, +wie....« + +»Ruhe!« unterbrach ihn der Director, »haltet mir Frieden hier, das sag' +ich Euch, denn der Erste der Streit anfängt, wird ohne Weiteres auf das +nächste Schiff gesetzt und wieder aus der Colonie geschickt. Wir wollen +hier Frieden haben, und wer sich dem nicht fügen will, mag gehen.« + +»Aber der Müller....« + +»Haltet Euer Maul!« fuhr ihn der Director an; »wenn Ihr eine gegründete +Klage habt, so wißt Ihr, an wen Ihr Euch damit wenden sollt, und zu +welcher Zeit, und daß Ihr dann Eure Zeugen mitzubringen habt. Einfache +Klatschereien will ich und werd' ich nicht anhören. Was fehlt denn der +Frau da, die dort in der Ecke liegt?« + +»Schlecht ist ihr's,« sagte eine andere Frau, die neben ihr saß und ihr +gerade aus einem großen Topfe zu trinken gab; »sie hat sich den Magen +verdorben an den vielen Apfelsinen.« + +»Ist denn der Doctor heute noch nicht hier gewesen?« + +»Der Doctor? Ja, der kommt schon lange nicht, wenn man ihm nicht erst +das Haus einläuft,« sagte eine andere Frau; »meine Kathrine, der war's +gestern auch so elend zu Muthe -- daß er auch nur einmal nach ihr +gesehen hätte -- und wie ich ihn darum gebeten habe!« + +»So?« sagte der Director, »nun, in einer halben Stunde soll er hier +sein, das verspreche ich Euch -- wie viele von Euch haben denn in der +Woche mit am Wege gearbeitet?« + +Keine Antwort -- die ihm Nächsten schienen die Frage eben nicht gern zu +hören. + +»Nun? Kann Keiner den Mund aufthun?« + +»Na, der Niklas,« sagte die eine Frau, »hat zwei halbe Tage, und der +Christoph, der hat gestern Nachmittag angefangen, und Schultze's Elias, +der muß schon den Donnerstag oder Freitag hinaus gegangen sein.« + +»Da haben Sie's!« sagte der Director zu Könnern; »Monate lang liegen +die Menschen hier auf der faulen Haut und leben von den Subsidien oder +Unterstützungen, die ihnen der Staat verabreicht, also von Geldern, die +sie nach fünf Jahren wieder zurückerstatten müssen. Wo ich ihnen aber +eine Gelegenheit geboten habe, selber für sich Etwas zu verdienen, wenn +sie nur die faulen Knochen rühren sollen, glauben Sie, daß da Einer +gutwillig mit angriffe? Gott bewahre! Wenn ihnen der Polizeidiener nicht +auf dem Nacken sitzt, rühren sie kein Glied, und wenn es eine Arbeit +wäre, die sie nur zu ihrem eigenen Besten thun sollen und noch außerdem +extra bezahlt bekommen. 's ist, weiß es Gott, eine Freude, mit solchen +Menschen zu thun zu haben!« + +»Herr Director,« sagte in diesem Augenblicke ein kleiner ältlicher Mann +in einem wunderlichen Costüme, das er von allen Ständen der menschlichen +Gesellschaft zusammengeborgt zu haben schien, indem er den Director an +einem Ärmel zupfte, »das Essen ist gleich fertig -- Sie möchten nach +Hause kommen.« + +»Ah, Jeremias,« sagte Sarno, sich nach ihm umdrehend; »schickt Dich die +Kathrine herüber?« + +»Ja, Herr Director,« sagte der Mann, einen hohen Seidenhut, um den eine +Art von Livreeband befestigt war, unter den Arm drückend, »und das +Schiff ist auch unten.« + +»Das Schiff? Was für ein Schiff?« + +»Nun, das Schiff mit den neuen Landsleuten.« + +»Neue Auswanderer?« rief der Director erschreckt. + +»Die Gesina,« nickte der Mann; »der Herr Director haben ja schon lange +davon gesprochen. 's ist gerade vor der Barre gesehen worden und der +Capitain wird heute Abend herauf kommen.« + +»Na, das hat gerade noch gefehlt!« seufzte Sarno; »das Haus hier ist +schon zum Überlaufen voll, und dazu noch eine frische Gesellschaft, eine +neue Zufuhr -- das wird angenehm!« + +»Und die Suppe?« + +»Darf nicht kalt werden. Du hast Recht, Jeremias. Sag' nur der Kathrine, +daß wir den Augenblick hinauf kommen. Ist der fremde Herr schon da?« + +»Eben angekommen. Er sitzt oben in der Stube.« + +»Gut -- also melde nur daß wir gleich kommen, und halt -- spring hinüber +zum Doctor -- _Ich_ lasse ihm sagen, augenblicklich hierher zu kommen. +Verstanden?« + +Auf das Wort drehte sich das kleine Männchen um, machte noch eine ganz +eigenthümliche Krümmung des Körpers, was als Verbeugung gelten sollte, +und verschwand dann blitzschnell durch die Thür. Könnern hatte nur eben +noch Zeit, zu bemerken, daß seine Beinkleider jedenfalls für eine andere +Person zugeschnitten und gemacht sein mußten -- wonach sie die andere +Person denn auch so lange getragen haben mochte, wie ihr gut dünkte. Für +Jeremias waren sie aber viel zu lang und unten in einem wahren Wulste +umgelegt und aufgekrempelt. Er besaß außerdem -- wenigstens glaubte es +Könnern bei seinem ersten Erscheinen -- brennend rothes Haar von einer +ganz auffallenden Färbung, und als die kleine Gestalt sich zwischen den +verschiedenen Gruppen der Auswanderer, zwischen Kochtöpfen, Kisten und +in Betten eingepackten Kindern wie ein Ohrwurm durchwand, leuchtete sein +Haar ordentlich irrwischartig, bis er draußen in den Buchen verschwand. + +»Da haben wir's!« sagte aber der Director, mit ganz anderen Gedanken +wie mit Jeremias beschäftigt; »jetzt geschieht, was ich schon lange +befürchtet habe. Das Auswanderungshaus, selbst meine eigene Wohnung +gefüllt, -- keinen Fuß breit Land vermessen, den neuen Colonisten einen +eigenen Fleck Grundeigenthum anweisen zu können, kommt noch eine +Schiffsladung frischer Kräfte dazu, und _was_ ich indessen mit denen +machen soll, weiß Gott!« + +»Und ist denn das nicht Sache des Präsidenten der Provinz,« fragte +Könnern, »stets Land genug vermessen zu haben, um die Einwanderer +unterbringen zu können?« + +»Allerdings ist es das, aber unser Präsident, -- ein braver, guter +Mann, der es wirklich ehrlich meint -- ist schon seit längerer Zeit +schwer krank, und seine Frau -- ein intrigantes, coquettes Frauenzimmer +-- regiert indessen nach Herzenslust und hat eine Masse nichtsnutziger +Protégés, die sie unter jeder Bedingung unterbringen _will_ und +unterbringt. So schickte sie mir vor sechs Monaten einen Kerl hieher +-- ich habe keinen andern Namen dafür -- der das Land vermessen sollte, +und nicht mehr davon verstand wie der Junge da. Glücklicher Weise faßte +ich gleich Verdacht, paßte ihm auf und jagte ihn, wie ich merkte +was an ihm war, wieder zum Teufel; er hätte uns sonst hier eine +Heidenverwirrung angerichtet. Die Frau Präsidentin ist aber natürlich +jetzt wüthend auf mich.« + +»Und leidet das die Regierung in Rio?« + +»Lieber Gott, einesteils erfährt sie nie den wahren Thatbestand, +und dann ist es auch wirklich für sie schwer, gegen einen einmal +eingesetzten höhern Beamten ernstlich einzuschreiten, so lange nicht +directe Anklagen vorliegen. Jetzt verklagen Sie aber einmal von der +Colonie Santa Clara aus den Präsidenten, der in Santa Catharina sitzt, +oben in Rio de Janeiro -- die Geschichte wäre gleich von vorn herein so +weitläufig, daß man sie doch in Verzweiflung aufgeben würde, wenn man +auch wirklich hoffen dürfte Etwas auszurichten -- was man aber außerdem +_nicht_ darf. Doch unsere Suppe wird wahrhaftig kalt und die Kathrine +nachher böse -- also vor allen Dingen zum Essen« -- und Könnern's Arm +ergreifend, führte er ihn rasch der eigenen Wohnung zu. + +Unterwegs hielten sich die Beiden auch nicht auf. Nur ein einziges Mal +blieb Könnern stehen, und den Arm gegen einen der kleinen Hügel +ausstreckend, sagte er: + +»So viel ist sicher, nur der Deutsche und der Engländer -- vielleicht +auch noch der Holländer -- hat den richtigen Sinn für eine nicht allein +bequeme, sondern auch freundliche Umgebung seiner Heimath, baut sich +sein Nest in Büsche und Blüthen hinein und pflanzt Rosen vor seine Thür, +während besonders der Amerikaner höchstens einen Gemüsegarten daneben +dulden würde. Sehen Sie nur, was für ein wunderbar romantisches +Plätzchen sich jener Ansiedler wieder gewählt hat, dessen kleines Haus +nur eben aus dem dunklen Grün der Büsche auf jenem Hügel da drüben +herausblinzt.« + +»Ah, Sie meinen unseres Einsiedlers Villa,« lächelte der Director; »die +Aussicht von seinem Hause aus hat er übrigens ganz zufällig bekommen, +denn eine Palmengruppe verdeckte den Platz so vollständig, daß man von +unten aus keine Ahnung hatte, dort oben sei eine menschliche Wohnung. +Neulich nun warf der Sturm die kleinen Palmen um und das Haus bekam +dadurch, wahrscheinlich vollkommen gegen den Willen seines Eigenthümers, +eine reizende Aussicht.« + +»Gegen seinen Willen?« + +»Ich glaube, ja. Der Mann heißt Meier und lebt mit Frau und Tochter, +einem jungen Gärtner und einer alten Dienstmagd, die sie hier angenommen, +fast ganz abgeschieden von der Colonie und verkehrt fast mit Niemandem. +Jammerschade noch dazu, denn das wäre in der That eine Familie, mit der +man einen angenehmen Umgang haben _könnte_; aber man darf sich doch auch +nicht aufdrängen, und da er mich, obgleich ich drei- oder viermal oben +bei ihm war, noch nicht ein einziges Mal wieder besucht hat, so muß ich +wohl annehmen, daß er es lieber sieht, wenn ich _meine_ Besuche _nicht_ +wiederhole, und den Gefallen habe ich ihm denn auch gethan. -- Aber +da sind wir -- sehen Sie, da oben steht die Kathrine schon am +Treppenfenster -- ja, ja, Alte, wir kommen schon. Was so eine alte +Person für eine Tyrannei ausübt, wenn man einmal ein paar Minuten zu +spät zum Essen kommt!« + + + + +3. + +Bei der Frau Gräfin. + + +Die Frau Gräfin Baulen hatte des Directors Haus etwas in Aufregung +verlassen, und der Gedanke daran, oder etwas Anderes auch vielleicht, +lag ihr schwer auf dem Herzen, als sie ihrer eigenen Wohnung wieder +zuschritt. Sie ging wenigstens mit auf den Boden gehefteten Blicken und +erwiederte den Gruß etwa Begegnender nur mit einer leisen Beugung des +Kopfes, ohne zu ihnen aufzusehen. + +So erreichte sie endlich das kleine freundliche Gebäude, das, von einem +Garten umschlossen, an der äußersten Gränze der Ansiedelung lag, und +wollte eben dasselbe betreten, als die beiden Reiter, ihr Sohn und ihre +Tochter, wie sie durch den ganzen Ort geflogen waren, mit donnernden +Hufen die Straße herabfegten, und dicht vor dem Hause ihre Thiere so +rasch herumwarfen, daß sie die alte Dame fast gefährdet hätten. + +»Aber Helene, aber Oskar!« rief sie entsetzt, indem sie rasch das +Gartenthor zwischen sich und die Pferde brachte -- »Ihr reitet ja wie +die Wahnsinnigen, und seht gar nicht wohin Ihr rennt! Daß Ihr die Thiere +dabei ruinirt, scheint Euch ebenfalls nicht im Mindesten zu kümmern!« + +»Nicht böse, Mütterchen, nicht böse,« lachte Helene, indem sie den Hals +ihres noch immer tanzenden und courbettirenden Schimmels klopfte; »Oskar +behauptete aber, daß sein Rappe flüchtiger wäre als meine Sylphide, und +da habe ich ihm eben das Gegentheil -- aber, Sylphide -- ruhig, mein +Herz, ruhig -- wie wild sie nur geworden ist, weil ich sie die beiden +letzten Tage nicht geritten habe!« + +»Du hattest von Anfang an einen Vorsprung,« rief Oskar, »sonst wärest +Du mir wahrhaftig nicht vorgekommen; und dann verlor ich gleich beim +Abreiten einen von meinen Sporen, was mich auch aufhielt.« + +»Einen von Deinen silbernen Sporen?« rief die Frau Gräfin. + +»Ja -- aber er wird sich schon wiederfinden,« sagte der junge Bursche +gleichgültig. -- »Heh, Gotthelf! Gotthelf! Wo der nichtsnutzige +Schlingel nun wieder steckt, daß er die Pferde nehmen könnte. +-- Gotthelf!« + +»Ja -- komme schon,« antwortete eine Stimme, die dem ungeduldigen Rufe +des jungen Mannes in keineswegs entsprechender Eile zu sein schien. + +Gleich darauf schlenderte auch ein Bauernbursche, dessen reines, +grobleinenes Hemd allein an ihm den Sonntag verkündete, beide Hände in +den Taschen, um die Hausecke und kam langsam näher. + +»Na, Du fauler Strick, kannst die Beine wohl nicht ein Bischen in die +Hand nehmen?« rief ihm der junge Graf entgegen -- »es wird wahrhaftig +immer besser. Soll ich Dich etwa in Trab bringen?« + +»Brrrrrr!« erwiederte Gotthelf mit unerschütterlicher Ruhe, indem er +seine Schritte nicht im Geringsten beschleunigte; »gehen Sie nur nicht +durch, junger Herr, und machen Sie die Pferde nicht scheu.« + +»Willst Du noch unverschämt werden, Halunke!« rief der junge Graf in +aufloderndem Zorne, indem er seine Reitpeitsche fester packte und hob. +Gotthelf aber, nicht im Geringsten dadurch eingeschüchtert, trat dicht +zu dem Pferde heran und sagte: + +»Na, so schlagen Sie doch! -- Warum langen Sie denn nicht zu? Mein +Buckel wäre doch, dächt' ich, breit genug.« + +Graf Oskar schlug aber nicht; der junge, allerdings sehr breitschulterige +Bauernjunge hatte heute Etwas in seinem Auge, was ihm nicht gefiel. +Deshalb nur mit einer verächtlichen Kopfbewegung aus dem Sattel steigend, +sagte er, indem er Gotthelf den Zügel hinreichte: + +»Da -- ich will mich mit Dir nicht befassen. Führe die Pferde herum und +reibe sie nachher trocken ab.« + +Gotthelf nahm aber nicht einmal seine Hände aus den Taschen, und die +beiden Pferde nach einander betrachtend, sagte er kopfnickend: + +»Ja -- Herumführen werden sie wohl brauchen, denn geritten sind sie +wieder, daß es eine Schande ist; aber der Gotthelf wird Ihnen das +schwerlich besorgen, denn mit »Halunke« schimpfen werden die Leute nicht +fett, und wo es außerdem weiter Nichts giebt, nicht einmal Lohn, da +lohnt's eben nicht, daß man sich die Nägel von den Fingern arbeitet. +Suchen Sie sich einen andern Gotthelf, aber ich glaube kaum, daß Sie +noch einen so dummen finden, der Ihnen drei Monate nur der Ehre wegen +den Schuhputzer macht.« -- Und sich damit scharf auf dem Absatze +herumdrehend, schlenderte er wieder in's Haus zurück, ging auf sein +Zimmer, packte seine Sachen zusammen und verließ eine halbe Stunde +später in der That, ohne ein weiteres Abschiedswort, die gräfliche +Familie. + +»Das hast Du nun von Deiner Heftigkeit,« sagte die Gräfin, drehte sich +ab und schritt würdevoll in das Haus hinein. + +Graf Oskar biß wüthend die Zähne zusammen und hätte seinen Zorn gern +an irgend Jemandem ausgelassen; aber es war Niemand da, von dem er +vermuthen durfte, daß er es sich gefallen lassen würde. Sein Sattel +allein mußte es entgelten, den er selber abschnallte und dann völlig +rücksichtslos über den Gartenzaun, mitten zwischen die Blumen, hinwarf; +-- dann führte er sein Pferd in die kleine Umzäunung, wo die Thiere +gewöhnlich gefüttert wurden, nahm ihm den Zaum dort ab und ließ es +laufen. Von Herumführen oder Abreiben war keine Rede mehr. + +Comtesse Helene indessen war einigermaßen in Verlegenheit, denn da sich +ihr Bruder in seinem Ingrimme gar nicht um sie bekümmerte, wußte sie nicht +gleich, wie sie aus dem Sattel kommen sollte. Als sie den Kopf die Straße +hinabdrehte, sah sie einen jungen Mann dicht hinter sich, der stehen +geblieben war und sie betrachtet hatte. Unter anderen Umständen würde sie +auch kaum von ihm Notiz genommen haben, denn trotz seiner anständigen +Kleidung sah er etwas verwildert aus, und um das sonnengebräunte, von +einem leichten, schwarzgekräuselten Barte halb beschattete Gesicht +hingen ihm die langen, schwarzen Haare unordentlich und wirr herab. Auch +in den dunkeln Augen, mit denen er das wirklich bildschöne Mädchen +betrachtete, lag ein eigenes, unheimliches Feuer, und erst als ihr Blick +auf dem seinen haftete, milderte sich der Ausdruck in seinen Zügen. + +Es konnte ihm aber auch nicht entgangen sein, daß sie Hülfe brauche +-- die Straße war außerdem, als an einem Sonntag Nachmittage, fast +menschenleer, und sich ordentlich gewaltsam dazu zwingend, trat er +endlich näher, sah zu der Jungfrau auf und sagte: + +»Erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen meinen Arm zu bieten?« + +Helene sah ihn im ersten Augenblicke mißtrauisch an; sie war viel zu +selbstständig aufgewachsen, oder hatte sich vielmehr selber so erzogen, +um irgend Furcht vor einem fremden Manne zu zeigen, aber ein gewisser +Instinct warnte sie, sich Jemandem zu irgend einem Danke zu verpflichten, +der damit vielleicht einmal Mißbrauch treiben könne. Das Benehmen des +Fremden war aber so achtungsvoll und ehrerbietig, und das Anerbieten +wurde mit so viel natürlichem Anstande gemacht, daß sie nach kaum +secundelangem Zögern lächelnd die Hand ausstreckte, sich auf den +vorgehaltenen Arm des Fremden stützte und leicht aus dem Sattel sprang. + +Der Fremde hatte dabei zugleich den Zügel des Pferdes in einer Art +ergriffen, die deutlich zeigte, daß er mit ihm umzugehen wisse, machte +der Comtesse, als sie glücklich unten angelangt war, eine leichte +Verbeugung, und führte dann das durchaus erhitzte Thier zu dem nächsten +Aste, an dem er den Zügel befestigte und den Sattel nachher durch +Aufschnallen des Gurtes etwas lüftete. Das Alles geschah rasch und +anscheinend ohne die geringste Anstrengung, und ehe Comtesse Helene nur +recht mit sich einig war, ob sie abwarten bis sich der Fremde entfernt +habe, oder lieber gleich in das Haus gehen solle, war dieser schon +fertig, verbeugte sich wieder leicht gegen sie und wandte sich dann +rasch und ohne sich umzusehen die Straße hinab, so daß sie ihm für +seine Dienstleistung nicht einmal danken konnte. + +Comtesse Helene war bei ihrem Range und wirklich reizendem Äußern, noch +dazu in der bescheidenen Umgebung einer deutschen Kolonie, allerdings +daran gewöhnt worden, die Huldigungen und Galanterien der jüngeren wie +älteren Leute als eine Art von Tribut fast gleichgültig hinzunehmen. +Die Aufmerksamkeit dieses wunderlichen Fremden, der sich außerdem fast +ängstlich jedem nur möglichen Danke entzog, hatte aber doch etwas so +Eigenthümliches, daß sie, frappirt davon, auf der Schwelle des Gartens +stehen blieb und sich erst in das Haus zurückzog, als ihr Bruder, eben +nicht in der besten Laune, zurückkam. Außerdem läutete auch in diesem +Augenblicke die Glocke oben, welche zum Mittagessen rief, und sie durfte +keine Zeit versäumen, wenn sie noch ihr Reitkleid ablegen und überhaupt +ein wenig Toilette machen wollte. + +In dem Wohnzimmer der Frau Gräfin Baulen hatten sich indessen schon vor +der Ankunft der Wirthin zwei auf heute geladene Gäste eingefunden. + +Der Eine von ihnen war der nämliche Herr, welcher Könnern und dem +Director auf ihrem Wege durch die Stadt begegnete: der ausgewanderte +Baron Jeorgy, den eine unglückliche romantische Ader zu seinem jetzigen +sehr großen Bedauern nach Brasilien getrieben. Er hatte eine nicht +unbedeutende Summe Geldes mit herüber gebracht und es in sechs Jahren +möglich gemacht, den größten Theil seines Kapitals nicht gerade +durchzubringen, aber doch auszugeben, was sich im Resultat allerdings +vollkommen gleich blieb. + +Der Andere war ein junger, erst kürzlich herübergekommener Künstler, +Namens Vollrath, der einen Empfehlungsbrief an den Baron mitgebracht +hatte und dadurch auch bei der Frau Gräfin eingeführt war. Er spielte +mit der Comtesse manchmal Clavier, aber die Frau Gräfin sah seinen +Besuch nicht gern. Er erwies nämlich Helenen mehr Aufmerksamkeit, als +ihrer Mutter lieb schien, und war außerdem blutarm -- aber so lange er +sich in seinen Schranken hielt, konnte man ihn eben nicht zurückweisen. +Die Frau Gräfin hatte indessen schon ernsthaft mit ihrer Tochter über +ihn gesprochen. + +Die Gräfin selber schien ihre Toilette schon vor dem Ausgange gemacht +zu haben; Oskar, obgleich eben von dem scharfen und staubigen Ritte +zurückgekehrt, hielt es nicht der Mühe werth, des Barons wegen die +Wäsche zu wechseln -- und der Andere war ja nur ein Clavierspieler. + +Comtesse Helene dachte nicht so. Von dem wilden Ritte war ihr reiches, +schweres Haar gelöst und in Unordnung gerathen; ihren Anzug mußte sie +ebenfalls wechseln, und da ihr dazu keine Kammerjungfer zu Gebote +stand, bedurfte sie einer länger als gewöhnlichen Zeit, um sich der +Gesellschaft, so klein diese auch immer sein mochte, zu zeigen. Oskar, +überhaupt heute nicht in der besten Laune, war entsetzlich ungeduldig +geworden und hatte den Klöppel der Klingel schon fast ausgeschlenkert, +um die, wie er glaubte, saumselige Schwester dadurch etwas rascher +herbeizurufen. + +Während Graf Oskar so im Zimmer herumlief und seinem Ärger durch +verschiedene Ungezogenheiten Luft machte, die Gräfin mit dem Baron +Jeorgy an einem der Fenster stand, das eine freundliche Aussicht über +die Stadt gewährte, und ein Beider Interessen sehr lebhaft in Anspruch +nehmendes Gespräch führte, hatte sich Vollrath an das Instrument gesetzt +und intonirte leise einige Lieblings-Melodien Helenen's, theils im +einfachen getragenen Thema, theils in geschickt und künstlerisch +durchgeführten Variationen. + +»Es ist ein trauriges Land,« sagte endlich der Baron mit einem tiefen +Seufzer, indem er, ohne die Melodie selber zu beachten, den Tact dazu +unbewußt auf dem Fenster trommelte -- »ein sehr trauriges Land, dieses +ausgeschrieene Brasilien, und ich fürchte fast, daß uns ein böser Stern +an diese Küste geführt hat, von der ich, aufrichtig gestanden, gar kein +rechtes Fortkommen mehr sehe. Ich begreife wenigstens nicht recht, wie +man in Europa je, ohne die gehörigen Mittel, wieder standesgemäß +auftreten könnte.« + +»Sie dürfen den Muth nicht verlieren, Baron,« bemerkte die in dieser +Hinsicht viel resolutere Gräfin. »Ich fange jetzt selber an einzusehen, +daß wir alle Beide doch möglicher Weise zu viel Standesvorurtheile mit +herüber gebracht haben, um das Leben hier an der richtigen Stelle +anzugreifen.« + +»Aber, beste Frau Gräfin....« + +»Ich sehe wenigstens eine Menge Menschen,« fuhr die Gräfin fort, ohne +die Unterbrechung gelten zu lassen, »die nicht allein ihr Fortkommen auf +höchst geschickte Weise finden, sondern auch noch Capital auf Capital +zurücklegen, und es fällt mir gar nicht ein, ihnen mehr Verstandeskräfte +zuzutrauen, als wir Beide auch besitzen, lieber Baron.« + +»Aber, beste Frau Gräfin,« beharrte der Baron, »der Art Leute sind von +Jugend an auf ihre Fäuste angewiesen gewesen, und Sie wollen doch nicht +voraussetzen, daß wir Beide etwas Derartiges auch nur annähernd leisten +könnten?« + +»Ich denke gar nicht daran,« sagte die Gräfin mit einem vornehmen +Zurückwerfen des Kopfes; »wo aber die rohe Kraft nicht ausreicht, da +eben muß der Geist des Menschen eintreten, die Intelligenz, und wir +finden es überall bestätigt, daß die erstere, die rohe Kraft meine ich, +immer nur für die Speculation arbeitet, und diese eigentlich den Nutzen +von jener ärntet.« + +»Aber auch der Kaufmann braucht praktische Erfahrung,« seufzte der +Baron, der _seine_ Erfahrung schon außerordentlich theuer hatte bezahlen +müssen -- »und wir sind Beide zu alt, die noch zu lernen.« + +»Bah,« sagte die Frau Gräfin, den Kopf mit Geringschätzung wiegend, »der +Kaufmann ist nicht der einzige Speculirende, auch der Fabrikant +speculirt, indem er sich weniger die Waaren als die Kräfte der Menschen +selber dienstbar macht.« + +»Aber, verehrte Frau Gräfin, Sie scheinen ganz zu vergessen, daß auch dazu +Capital gehört, ja, und noch ein viel bedeutenderes Capital vielleicht, +als zu einer einfachen Spekulation in Kaufmannsgütern, und wenn man das +Letzte dann darauf gesetzt hätte und es schlüge fehl -- was dann? -- Denken +Sie sich eine Existenz, selbst hier in einer brasilianischen Colonie, +ohne die Mittel zu leben -- denken Sie sich die Möglichkeit daß man bei +diesen frechen und übermüthig gewordenen Bauern gezwungen sein sollte, +ein Anlehen zu erheben; es wäre fürchterlich!« + +Die Frau Gräfin schien nicht diese Angst vor einer derartigen Calamität +zu theilen, deren sogenannte »Furchtbarkeit« sie außerdem schon erprobt +hatte, ohne daran zu sterben; aber der Baron brauchte das gerade nicht +zu wissen, und sie fuhr wie überlegend fort. »Dafür ist aber auch dem +Menschen der Verstand gegeben, daß er ihn richtig gebraucht und anwendet, +und sollten die höheren Stände mit allen ihnen zu Gebote stehenden +Mitteln nicht besonders da mehr bevorzugt sein, eine größere und +gediegenere Kraft in die Wagschale zu werfen, als der rohe und +ungebildete Bauer es im Stande wäre?« + +»Der rohe und ungebildete Bauer,« erwiederte der Baron achselzuckend, +»hat von dem Schöpfer eine Art von Instinct bekommen, der gerade da +anfängt, wo sein Verstand aufhört, und mit oft unbewußter Benutzung +desselben macht er zu Zeiten die erstaunlichsten und unbegreiflichsten +Dinge möglich.« + +»Sie sind eingeschüchtert, lieber Baron,« sagte die Gräfin lächelnd, +indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte. + +»Und habe alle Ursache dazu,« seufzte der Baron. + +»Sie haben durch eine Reihe von widrigen Zufälligkeiten nicht unbedeutende +Verluste erlitten,« fuhr die Gräfin fort, »das hat Sie kopfscheu gemacht +-- Oskar, ich bitte Dich um Gottes Willen, laß das furchtbare Getöse mit +der Glocke, ich werde wahrhaftig noch ganz nervös --, verlieren Sie +jetzt den Muth, so ist Alles verloren, unwiederbringlich. Bewahren Sie +sich aber die Elasticität Ihres Geistes, so können Sie mit Einem Schlage +alles Verlorene nicht allein wieder einbringen, sondern auch verdoppeln, +ja, vielleicht verdreifachen.« + +»Das ist eben was ich bezweifle,« versicherte der Baron; »aber, verehrte +Frau, _haben_ Sie vielleicht einen Plan, denn Ihr ganzes Benehmen +scheint mir nach einem gewissen Ziele hinzustreben -- und wollen Sie +mich zu Ihrem Vertrauten machen, so könnte ich Ihnen, wenn auch +möglicher Weise mit weiter Nichts, doch vielleicht mit gutem Rathe zur +Seite stehen, der oft in nur zu vielen Fällen die Stelle des Capitals +vertritt.« + +»Ich habe allerdings einen Plan,« erwiederte die Gräfin, »der aber schon +so weit gediehen ist, daß er des Raths kaum mehr bedarf, denn er basirt +auf Thatsachen, auf Zahlen, auf genauer Kenntniß der Grundlagen. _Wenn_ +ihn deshalb noch Etwas fördern kann, so ist es einzig und allein _Capital_. +Doch davon später, lieber Baron, denn ich höre eben meine Tochter +kommen, und Oskar entwickelt heute eine so liebenswürdige Ungeduld, daß +wir das Essen nicht länger warten lassen dürfen.« + +Der Baron war zu viel Weltmann, um seiner eigenen Ansicht über »Oskar's +Ungeduld« einen selbstständigen Ausdruck zu geben. Er machte deshalb nur +eine stumme Verbeugung gegen die Gräfin, reichte ihr dann den Arm und +führte sie, wie in seinen schönsten Tagen daheim, die drei Schritte +bis zu dem einfachen Tannentische. Über diesen war aber ein kostbares +Damasttuch gebreitet, auf dem neben den weißen Steinguttellern schwere +englische Löffel und Gabeln lagen, die im Besitze einer Gräfin recht gut +für echtes Silber angesehen werden konnten. + +Comtesse Helene betrat in diesem Augenblicke das Zimmer, und Vollrath +hatte sein Spiel beendet und das Instrument geschlossen. + +Helene war wirklich ein schönes Mädchen von nicht zu hohem, aber +schlankem und üppigem Wuchse, mit vollem, fast goldblondem Haare und +dabei dunkeln, brennenden Augen, einem verführerischen Grübchen im Kinn, +und Hand und Arm vollkommen makellos. Das festanschließende, lichtgraue +Kleid von allerdings nur einfach wollenem Stoffe hob ihre Büste so viel +mehr hervor, während die selbst schon hierher gedrungene Crinoline nur +dann und wann einer kleinen, sehr zierlichen Fußspitze gestattete, an's +Tageslicht zu kommen. + +»Das gnädige Fräulein sind heute wieder einmal gar nicht fertig +geworden,« empfing sie Oskar, dessen Laune dadurch nicht gebessert +schien, daß Niemand weiter Notiz von ihm genommen. Helene beachtete aber +auch den Vorwurf nicht, begrüßte ziemlich förmlich den Baron, nickte +Vollrath freundlich zu, und ging dann, ehe dieser mit sich einig +geworden schien, ob er ihr den Arm bieten solle oder nicht, rasch zu +ihrem Platze am Tische, an dem sie sich, mit einladender Bewegung für +die Übrigen, zuerst niederließ. + +Das Diner war so einfach, wie es das Leben in einer solchen Colonie und +die Arbeit einer einzelnen Köchin, die zugleich alle anderen Hausdienste +verrichten mußte, mit sich bringt: Suppe, ein Braten mit zweierlei +Gemüse und etwas eingekochtem Obste, und zum Dessert die vortrefflichen +Orangen und Granatäpfel des Landes. + +Niemand machte hier auch größere Ansprüche, oder war an Weiteres +gewöhnt, und das Gespräch drehte sich während der Tafel hauptsächlich um +die neuerwarteten Einwanderer, da sich das Gerücht über deren Ankunft +schon durch die ganze Colonie verbreitet hatte. Ist es doch auch immer +ein Moment für solche Ansiedelung, einen neuen Zuschuß von Fremden zu +bekommen, von denen ein kleiner Theil stets in der Stadt selber bleibt +und vielleicht einen neuen Umgang bilden kann, denn bekannt wird man ja +natürlich mit Allen. + +Nur Vollrath, der neben Helenen saß, war still und einsilbig, und schien +sich nicht einmal für Oskar's Ansichten, die dieser über brasilianische +Pferde entwickelte, zu interessiren; Oskar sprach überhaupt _nur_ über +Pferde. + +Das Diner ging so vorüber -- Oskar plauderte in Einem fort, ob ihm +Jemand zuhörte oder nicht -- der Baron und die Gräfin, in deren Gespräch +sich Helene nur manchmal mischte, unterhielten sich lebendig, und nur +Vollrath schwieg hartnäckig still. Ein paar Mal schien er freilich den +Mund öffnen zu wollen -- aber es blieb eben immer nur bei dem Versuch, +und Helenen war es nicht entgangen, daß er irgend Etwas auf dem Herzen +trage, was ihn beenge -- wußte sie was es war? Aber so unbefangen sie +sich stets gegen ihn gezeigt, so unbefangen blieb sie auch heute, und +als das Diner beendet und die kleine Gesellschaft in den Garten gegangen +war, legte sie ruhig und lächelnd ihren Arm in den seinen und sagte: +»Kommen Sie, Herr Vollrath, wir wollen ein Wenig auf und ab gehen. +-- Oskar ist heute unausstehlich, weil ich ihm in unserem Wettrennen +vorgekommen bin, und Mama hat, wie es scheint, mit dem alten steifen +Baron eine so hochwichtige Besprechung, daß sie alles Andere, was um sie +her vorgeht, zu vergessen scheinen.« + +Vollrath schoß das Blut in Strömen in's Gesicht, aber er verbeugte sich +leicht, nahm den Arm und schritt mit der jungen Schönen den Garten +entlang. Helenen aber genügte der beschränkte Raum heute nicht: war es +die Aufregung des scharfen Rittes, war es der Ärger über den Bruder, +kurz, sie stieß die kurze Gartenpforte auf, die an dieser Seite gerade +nach den zu einer Art von Promenade umgewandelten Büschen hinausführte, +und wanderte langsam mit ihrem Begleiter den schmalen Weg entlang, der, +immer in Sicht der Häuser, sich fast um die Ansiedlung schlängelte. + +Oskar hatte sich in die Laube auf eine Bank gelegt und rauchte, ein Bein +über das andere gelegt, seine Cigarre, und die Gräfin ging mit dem Baron +wieder in eifrigem Gespräche im Garten auf und ab. + +»Aber, verehrte Frau,« sagte der Baron jetzt, »Sie rücken noch immer +nicht mit Ihrem Projecte heraus. Sie reden nur fortwährend von glänzenden, +sorgenfreien Aussichten, von Rückkehr in die Heimath, von -- ich weiß +selber kaum was, und den eigentlichen Kern dieser Frucht halten Sie im +Dunkel. Sie glauben doch sicher nicht, daß ich einen Mißbrauch damit +treiben und als Ihr Concurrent in irgend einer glücklichen Speculation +auftreten könnte?« + +»Mein lieber Baron -- nein, das nicht,« sagte die Gräfin nach einigem +Zögern, »und ich habe auch den Entschluß jetzt gefaßt, Sie zu meinem +Vertrauten zu machen -- vielleicht werden wir doch noch Compagnons,« +lächelte sie dazu. + +»Ich bin auf das Äußerste gespannt,« sagte der Baron. + +»Sie müssen bemerkt haben,« fuhr die Gräfin fort, »daß mir sowohl wie +Helenen eine Beschäftigung in diesem Lande fehlt.« + +Des Barons Blick suchte unwillkürlich die junge Dame, die er gerade noch +durch eine Lücke der Bäume mit ihrem Begleiter erkennen konnte. + +»Helene besonders,« fuhr die Gräfin fort, »hat mich schon lange gebeten, +eine leichte Arbeit aufzufinden, mit der sie die langen Tage besser +hinbringen könne, denn immer Lesen und Clavierspielen geht ja doch auch +nicht, noch dazu in einer so prosaischen und sogenannten praktischen +Umgebung, wie die ist, in der wir uns befinden.« + +»Ich werde immer gespannter,« versicherte der Baron, und er hatte die +Augenbrauen schon bis unter den Hut hinaufgezogen. + +»Wenn man nun unter so _praktischen_ Leuten fortwährend lebt,« lächelte +die Gräfin, »so ist es wohl ganz natürlich, daß ein klein Wenig davon +auch an unserer Natur hangen bleibt, und ich habe denn auch schon das +ganze letzte Jahr nach der und jener Seite hinüber gehorcht, an was man +im rechten Augenblicke und mit den rechten Mitteln die Hand legen könnte +-- ich glaube, ich habe jetzt gefunden was ich suchte.« + +»Sie hätten wirklich?« + +»Ich habe gefunden und außerdem die genauesten Erkundigungen deshalb +eingezogen,« fuhr die Gräfin fort, »daß hier im Lande eine ganz enorme +Quantität von _Cigarren_ verbraucht wird, die man sämmtlich mit einem, +zu den Kosten des Rohtabaks in gar keinem Verhältnisse stehenden hohen +Preise bezahlt.« + +»_Cigarren_?« fragte der Baron erstaunt. + +»Nun sind gerade gegenwärtig eine Menge junger Leute hier in der Colonie +-- und es werden mit dem Schiffe noch mehr erwartet -- von denen viele, +besonders alle aus Bremen stammende, Cigarren zu drehen verstehen. Hier +auf diesem Zettel finden Sie außerdem den Preis guten Blättertabaks genau +zusammengestellt, eben so die Löhne für die Fabrikarbeiter, die nach dem +Hundert oder Tausend bezahlt werden. Eine Cigarre nur einigermaßen guten +Tabaks ist aber hier nicht unter zwanzig Reis das Stück zu bekommen, und +nun berechnen Sie selber, welcher enorme Nutzen dem Fabrik_herrn_ werden +muß, wenn die Sache nur ein klein Wenig in's Große getrieben wird.« + +»Hm,« sagte der Baron, der aber doch nur einen flüchtigen und +zerstreuten Blick über das Papier warf, »und mit etwas Derartigem +wollten Sie sich befassen?« + +»Und warum denn nicht?« sagte die Frau Gräfin, indem sie einer leichten +Verlegenheit Meister zu werden suchte. »Wir müssen in der That eine Art +von Beschäftigung haben, wenn wir hier nicht vor Langerweile sterben +sollen, und Helene sehnt sich so danach, ja selbst Oskar, der jetzt vor +lauter Muthwillen gar nicht weiß, was er für Tollheiten angeben soll.« + +Der Baron Jeorgy war in der That Nichts weniger auf der Welt als ein +praktischer Charakter, der auf einen gewissen Überblick Anspruch machen +konnte, um wirklich Ausführbares von bloßen Chimären zu unterscheiden. +Hatte er aber schon zu viele bittere Erfahrungen mit ähnlichen Projecten +gehabt, oder war es ihm vollkommen unmöglich, sich die Comtesse Helene +und den jungen wilden Grafen Oskar als ehrbare Cigarrenmacher zu denken, +aber er schüttelte doch ganz ernsthaft und bedenklich mit dem Kopfe und +sagte: + +»Aber, gnädigste Frau Gräfin, haben Sie sich denn die Sache wirklich +schon recht genau überlegt, und vermuthen Sie, daß Sie einen, alle dem +Ärger und der Schererei entsprechenden Nutzen daraus ziehen könnten?« + +»Mein lieber Baron,« erwiederte die Gräfin lebhaft, »das können Sie sich +doch wohl denken, daß ich ein solches Unternehmen nicht entriren würde, +wenn ich mich nicht vorher gründlich damit bekannt gemacht. Helene +brennt ordentlich darauf zu beginnen, und Oskar selber hat versichert, +daß es ihm ungeheuren Spaß machen würde, selber Cigarren zu drehen.« + +»So? In der That? Hm! Und haben die beiden jungen Herrschaften also +darin schon einen Versuch gemacht?« + +»Jetzt schon -- wo denken Sie hin?« lachte die Gräfin. »Das _selber_ +Cigarren machen muß doch auch immer nur Nebenbeschäftigung bleiben, +wenn es vielmehr darauf ankommt, eine große Anzahl von Arbeitern zu +überwachen. Aber es ist nöthig, daß es Jeder von uns versteht, um etwa +vorkommende Fehler andeuten und rügen zu können, und deshalb wollen wir +auch Alle ordentlich mit zugreifen.« + +Der Baron, die Hände auf den Rücken gelegt, nickte langsam und bedächtig +mit dem Kopfe, und manchmal schüttelte er ihn auch ganz in Gedanken, +aber er sagte kein Wort. Es entstand dadurch für die Gräfin eine etwas +peinliche Pause, denn sie hatte erwartet, daß der Baron die Enthüllung +dieses Planes mit mehr Enthusiasmus aufnehmen würde. Der Baron blieb +aber vollkommen kalt, und schien nicht die geringste Lust zu haben auch +nur eine Bemerkung zu machen. + +»Und was sagen Sie dazu?« unterbrach endlich die Gräfin das ihr lästig +werdende Schweigen. -- Der Baron zuckte die Achseln. + +»Ja, lieber Gott, was _kann_ ich dazu sagen? Ich verstehe nicht das +Geringste von Tabak oder Cigarren, das ausgenommen, daß ich beim Rauchen +eine gute von einer schlechten unterscheiden kann. Wenn Sie aber fest +dazu entschlossen sind und das nöthige Capital dazu besitzen, so -- weiß +ich in der That nicht....« + +»Aber _das_ gerade hab' ich noch nicht,« unterbrach ihn die Gräfin etwas +gereizt, »wenigstens nicht in diesem Augenblicke, und meine Ungeduld, +die mich jeden neu gefaßten Plan mit voller Energie ergreifen läßt, war +die alleinige Veranlassung, daß ich _Ihnen_ Gelegenheit gab, sich bei +dem Unternehmen zu betheiligen. Sie zweifeln doch nicht etwa an dem +Erfolg?« + +»Beste Frau Gräfin,« betheuerte der Baron, der, stets voller +Rücksichtsnahmen, schon vor der Idee eines Widerspruches +zurückschreckte; »ich erlaube mir nicht im Geringsten daran zu +zweifeln, und hoffe von ganzer Seele, daß Sie ein außergewöhnlich +günstiges Resultat erzielen werden, aber --« + +»Aber?« + +»Aber,« fuhr der Baron, sich verlegen die Hände reibend, fort, -- »ich +besitze kein Capital, um mich dabei zu betheiligen.« + +»Sie besitzen kein Capital?« sagte die Gräfin erstaunt. + +»Ich besitze allerdings ein kleines«, verbesserte sich der Baron, »was +ich aus dem Verkaufe meiner Chagra und meines Viehes, besonders meiner +Pferde, gelöst habe, aber ich brauche das nothwendig zu meinem +unmittelbaren Leben, und wenn ich dasselbe angreife, bin ich am Ende +genöthigt, mir noch auf meine alten Tage mein Brod mit Handarbeit zu +verdienen.« + +»Und glauben Sie nicht, daß Sie das Drei-, ja, vielleicht Vierfache +ihrer _jetzigen_ Zinsen bei einem solchen Unternehmen herausschlagen +könnten?« lächelte die Gräfin. + +Der Baron hätte um sein Leben gern »Nein« gesagt, aber er riskirte es +nicht; die etwas hitzige Gräfin hätte sich beleidigt fühlen können, und +er erwiederte nur achselzuckend: + +»Ich bin zu alt zur Speculation, meine Gnädigste, und -- außerdem ist +mir die Sache auch wirklich noch zu neu -- zu fremd -- es kam mir zu +überraschend. Gestatten Sie mir, daß ich mich vorher ein Wenig +informire, und wir können ja dann später mit Muße darüber sprechen.« + +»Aber die Zeit drängt, mein bester Baron,« versicherte die Gräfin; »ich +habe die nicht unbegründete Vermuthung, daß sich Andere mit einer ähnlichen +Idee tragen, und es ist in der That seltsam, daß ein solches auf der +Hand liegendes Unternehmen nicht schon lange mit Begierde aufgegriffen +ist. Was also geschehen soll, muß rasch geschehen. Ich habe dabei von +Anfang an auf Sie gerechnet, da ich Sie als alten, lieben Freund meines +Hauses kannte, und ich hoffe nicht, daß Sie mich jetzt im Stiche lassen +werden.« + +Dem Baron kam es allerdings etwas wunderlich vor, daß die Frau Gräfin +gerade auf _ihn_ von Anfang an gerechnet haben sollte, während sie ihn +erst im letzten entscheidenden Augenblicke davon in Kenntniß setzte. So +groß seine Höflichkeit aber auch sein mochte, der Trieb zur Selbsterhaltung +war doch noch größer, und mit viel mehr Entschiedenheit, als er bis +jetzt gezeigt und überhaupt der Gräfin gegenüber für möglich gehalten +hätte, sagte er, indem er seine Tabaksdose in allen Taschen suchte: + +»Man soll eine Dame nie im Stiche lassen, meine Gnädigste, aber -- ich +bitte tausendmal meiner Hartnäckigkeit wegen um Entschuldigung -- ich +muß doch darauf bestehen, vor allen Dingen mir eine größere Kenntniß +über den Betrieb dieser Angelegenheit zu verschaffen. Apropos -- sollte +sich der Director Sarno nicht am Ende bewogen finden, ein so gemeinnütziges +Unternehmen aus Regierungsmitteln zu fördern?« + +Ein ganz eigener Ausdruck von Zorn und Verachtung zuckte um die Lippen +der Dame, als sie erwiederte: + +»Ja, wenn ihm Einer der Bauern den Vorschlag gemacht hätte.« + +»So haben Sie schon mit ihm darüber gesprochen?« rief der Baron, von +dieser Wendung sichtlich überrascht. + +Die Gräfin hatte sich in ihrem Unmuthe verleiten lassen, mehr zu sagen +als sie eigentlich wollte. Was noch gut zu machen war, that sie. + +»Fällt mir nicht ein,« sagte sie wegwerfend; »der Herr Director und +ich stehen nicht auf einem so freundschaftlichen Fuße zusammen, ihm +eine solche Mittheilung zu machen, und ich werde mich hüten, mit +der brasilianischen Regierung etwas Derartiges zu beginnen, die mir +vielleicht fünfzehn oder zwanzig Procent für meine Mühe ließe. Doch +Sie verlangen Zeit, mein lieber, ängstlicher Freund, und sein Sie +versichert, daß ich Sie nicht drängen möchte. Überlegen Sie sich also +die Sache, sagen Sie mir aber bis spätestens morgen früh Antwort, oder« +-- setzte sie hinzu, indem sie lächelnd mit dem Finger drohte -- »ich +halte mich an kein Versprechen mehr gebunden, und sehe mich nach einem +andern Compagnon um.« + +Der Baron machte eine stumme, dankende Verbeugung, schien aber von +dieser directen Drohung keineswegs so eingeschüchtert, wie es die +Wichtigkeit der Sache hätte sollen vermuthen lassen. In diesem +Augenblicke bekam er aber auch Succurs, denn ihr Gespräch wurde durch +jenes wunderliche Individuum, Jeremias, unterbrochen, der plötzlich in +den Garten kam, ohne Weiteres auf die Frau Gräfin und den Baron zuging, +und Beiden, ehe sie es verhindern konnten, auf das Cordialste die Hand +schüttelte. Oskar, der Zeuge dieser Scene war, lag noch immer in der +Laube auf der Bank und wollte sich jetzt ausschütten vor Lachen. + +Oskar war auch in der That die eigentliche Ursache dieser plötzlichen +Begrüßung gewesen, denn während er in der Laube seine Siesta hielt, +da ihn die Projecte der Frau Mutter wenig interessirten, hatte er nur +über seinen heutigen Verlust, den Pferdejungen, nachgedacht, der sich +auf so grobe Weise empfohlen, und dabei hin und her überlegt, wie er +denselben wohl ersetzen könne. Da ging Jeremias, ebenfalls auf einem +Sonntag-Nachmittag-Spaziergange begriffen, an der Laube vorüber, und +Oskar, der den sonderbaren Burschen schon kannte, und sich oft über ihn +amüsirt hatte, glaubte in ihm einen passenden Ersatz gefunden zu haben +und rief ihn auch ohne Weiteres an und herein. + +»Guten Tag, Frau Gräfin,« sagte Jeremias indessen, durch das etwas +erstaunte Zurückfahren der Dame nicht im Mindesten beirrt -- »schönen +guten Tag, Herr Baron -- prächtiges Wetter heute -- wie bei uns im +Sommer -- nur ein Bißchen heiß -- Herr Gott, wie man schwitzt!« + +»Und was wollen Sie?« fragte die Gräfin, wie in Gedanken die eben +erfaßte Hand mit ihrem Batisttuche abwischend. Jeremias war das auch +nicht entgangen; er betrachtete ebenfalls seine eigenen arbeitharten +Fäuste, und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Aber er +nahm weiter keine Notiz davon, sondern sagte nur, freundlich ihr +zunickend: + +»Der junge Herr da hinten hat mich gerufen; will einmal zu ihm gehen und +sehen, was er wünscht -- amüsiren Sie sich gut« -- und mit einer Art von +Kratzfuß drückte er den Hut wieder in die Stirn und wandte sich dorthin, +wo Oskar schon wieder sein: »Jeremias, hieher!« herüber rief. + +»Hat ihm schon,« antwortete Jeremias, als er in die Laube trat, sich +ohne Weiteres auf die andere Bank setzte und vergnügt mit den kurzen +Beinen schlenkerte; »hier ist's hübsch kühl; wenn man jetzt hier ein Maß +baierisch Bier und einen Handkäs hätte, könnte man's eine ganze lange +Weile aushalten.« + +Oskar hatte sich das Benehmen eines künftigen Pferdejungen wahrscheinlich +anders gedacht; mit den Sonderbarkeiten des Burschen aber schon bekannt, +beachtete er es nicht weiter und fragte ohne Umschweife. + +»Willst Du Geld verdienen, Jeremias?« + +»Immer,« lautete die kurze bündige Antwort. + +»Kannst Du Pferde warten?« + +»Kann ich?« sagte Jeremias im Selbstvertrauen. + +»Und wie viel verlangst Du monatlich?« + +»Hm,« meinte der Bursche, den brennend rothen Schopf kratzend, der sich +jetzt, als er dazu den Hut abnahm, als eine alte, ziemlich abgetragene +Perrücke auswies, »je mehr, je besser -- was lohnt's denn eigentlich?« + +»Sechs Milreis.« + +»Und sonst noch was?« + +»Stiefelputzen --« + +»Ne, so mein' ich's nicht,« sagte Jeremias, »ob noch sonst etwas bei den +sechs Milreis wäre, wie Schnaps, Frühstück, Trinkgeld oder dergleichen.« + +»Wenn Du Dich gut hältst, gewiß,« sagte der junge Graf. + +Jeremias schob beide Hände, so tief er sie bekommen konnte, in seine +Hosentaschen und spitzte den Mund, als ob er ein Liedchen pfeifen wolle. +Er pfiff aber nicht, sondern sah nur nachdenklich vor sich nieder. Endlich +sagte er nach einer kleinen Pause, indem er die Hände wieder aus den +Taschen nahm und seine Perrücke zurecht schob: + +»Na, ich will Ihnen etwas sagen, junger Herr, wir wollen's einmal einen +Monat zusammen versuchen, wöchentliche Kündigung natürlich von beiden +Theilen, wenn ich _Ihnen_ nicht gefallen sollte oder Sie _mir_ nicht -- +außerdem gegenseitige Hochachtung und ein Milreis Handgeld -- sind Sie +das zufrieden?« -- und er hielt dabei Oskar die Hand in so drolliger +Weise zum Einschlagen hin, daß der junge Bursche, der bei Erwähnung des +Milreis Handgeld einen Augenblick gestutzt hatte, lachend einschlug und +ausrief: + +»Gut, Jeremias, so wollen wir es denn, wie Du sagst, einmal zusammen +versuchen -- hier ist Dein Milreis, und nun beginne Dein Geschäft gleich +damit, daß Du vor das Haus gehst und das dort stehende Pferd meiner +Schwester hereinführst und absattelst.« + +»Donnerwetter, das geht geschwind!« meinte Jeremias, »und eigentlich +wäre heute Sonntag. Das arme Thier kann aber auch nicht da draußen +stehen bleiben -- also, junger Herr, wir sind jetzt für einen Monat mit +einander zusammengegeben, wie der Pfarrer sagt.« + +Dabei nahm er das Milreisstück, betrachtete es einen Moment aufmerksam, +schob es dann in die Tasche, machte eine kurze, nicht ungeschickte +Verbeugung und verließ rasch den Garten, um den überkommenen ersten +Auftrag auszuführen. + +Aber auch der Baron hatte diese kleine, ihm sehr gelegene Unterbrechung +benutzt, dem ihm unangenehm werdenden Gespräche mit der Gräfin eine +andere Wendung zu geben, und als jetzt auch die Comtesse zurückkehrte, +die Vollrath aber nur bis an die Gartenthür begleitete und sich dann +empfahl, schützte er plötzliches Kopfweh vor und beurlaubte sich ebenfalls +mit der gewohnten Förmlichkeit bei den Damen. + +Die Gräfin hatte indessen Vollrath ankommen und wieder gehen sehen, und +wenn sich ihr Geist auch gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigte, +war ihr doch das auffallend bleiche und niedergedrückte Aussehen des +jungen Mannes nicht entgangen. Sie warf einen forschenden Blick auf +ihre Tochter, aber Helenens Antlitz, wenn ihre Augen auch einen ganz +ungewohnten Glanz hatten, verrieth durch Nichts einen in ihr aufsteigenden, +plötzlichen Verdacht. Nur, als das junge Mädchen den Kopf abwandte +-- vielleicht um ihr Antlitz dem mißtrauischen Auge der Mutter zu +entziehen -- und sich dem Hause zuwandte, sagte die Dame leise: + +»Helene!« + +»Mutter?« fragte die Tochter und wandte sich halb nach ihr um. + +»Was ist denn mit Vollrath vorgegangen? Er hatte, als er Dich verließ, +keinen Blutstropfen in seinem Gesichte.« + +»Wirklich nicht? Ich habe es nicht beachtet.« + +»Und Du bist auch so sonderbar.« + +»Ich, Mutter?« + +»Ja -- Du -- Helene, ich will nicht hoffen, daß Du....« + +»Was, Mutter?« sagte Helene, und ihr Auge haftete kalt und ernst auf den +strengen Zügen derselben. + +»Es ist gut, mein Kind,« sagte die Gräfin, die sie einen Moment +aufmerksam betrachtet hatte. »Ich glaube, ich kann mich fest auf Dich +verlassen, und Du bedarfst keiner Wächterin.« + +»Ich denke nicht, Mutter,« sagte Helene, indem ein leichtes zorniges +Roth ihre Wangen färbte. Dann wandte sie den Kopf wieder ab und schritt, +ohne der Mutter Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben, rasch in das +Haus hinein und hinauf in ihr Zimmer, wo sie sich einschloß und an dem +Abend nicht mehr zum Vorschein kam. + + + + +4. + +Die »Meierei«. + + +Dicht über der Colonie Santa Clara, wenn man in gerader Richtung eben +hätte hinauf kommen können, aber durch einen ziemlich steilen Hang, +an dem nicht einmal ein Fußsteig empor führte, davon getrennt, lag +die Wohnung des Colonisten Meier, den der Director gegen Könnern den +_Einsiedler_ genannt hatte. Allerdings lief ein Fahrweg bis dicht an +seine kleine, wenig bebaute Chagra, aber er wurde nicht häufig benutzt, +da er nur zu sehr entfernten Ansiedelungen führte, und die Bewohner der +»Meierei« -- wie man den Platz scherzweise genannt hatte -- kamen nie +selber in die Colonie hinab. Insbesondere der Eigenthümer, der alte Herr +Meier, hielt sich so von der Welt abgeschlossen, daß es eine Menge +älterer Ansiedler in Santa Clara gab, die sich gar nicht erinnerten, +sein Gesicht je gesehen zu haben. + +Auffallend war dabei, daß er nie Briefe empfing oder schrieb, und doch +mußte er sich, seinem ganzen Wesen, allen seinen Gewohnheiten nach daheim +in der besten Gesellschaft bewegt haben. Wie er aber sein kleines Haus +dicht hinter den Schutz der Bäume gebaut hatte, daß es lauschig und +versteckt dort lag, weder gestört, noch selbst beachtet von der Außenwelt, +so hielt er sich selber und seine Familie dem regen Leben und Treiben +fern, das unter ihm wogte -- es nicht suchend und nicht von ihm gesucht. + +Er lebte dabei ganz seiner Familie, mit der er sich einzig und allein +beschäftigte und in der er vollkommenen Ersatz für die übrige Welt +zu finden schien. Im ersten Jahre freilich fehlte dem an Thätigkeit +gewohnten Manne eine bestimmte und ausgesprochene Beschäftigung, und er +genügte dem Drange nach Arbeit nur dadurch, daß er seinen eigenen Garten +anlegte, umgrub und pflanzte. Das aber konnte ihn auf die Länge der Zeit +nicht befriedigen, und da er manche Tischlerarbeiten in seinem Hause zu +machen hatte, und einen jungen, sehr geschickten Arbeiter dazu fand, +schaffte er sich selber Werkzeug an und lernte bald die verschiedenen +Griffe und Vortheile dieses Handwerks. Dann kaufte er sich eine Drehbank, +und nahm sich auch hiefür auf kurze Zeit einen Lehrer an. Außerdem +verstand er schon daheim ein Wenig von der Malerei, was er jetzt in +seinen Mußestunden noch weiter ausbildete. Eine recht hübsche Bibliothek +hatte er sich ebenfalls angeschafft, und da er bei allen diesen +Beschäftigungen viel praktischen Verstand besaß, so richtete er sich in +wenigen Jahren seine kleine Heimath so allerliebst und traulich her, daß +jedes Zimmer einem Puppenstübchen glich, ohne daß er dabei aber auch nur +den geringsten Luxus getrieben hätte. + +Nach Außen vermied er jedoch Alles, was nur im Geringsten die +Aufmerksamkeit eines Fremden hätte auf sich ziehen können; er wollte nun +einmal mit der Welt keinen Verkehr haben, und was ihn auch dazu bewogen +haben konnte, auf die geschickteste Weise wich er jeder Annäherung +fremder Menschen aus. + +Seine Familie bestand, wie schon erwähnt, nur aus seiner Frau und einer +erwachsenen Tochter. Diese, Elise, hatte erst dreizehn Sommer gezählt, +als er, vor nun sieben Jahren, die damals kaum entstandene und noch +ziemlich wilde Colonie erreichte, und wenn auch ein junges Mädchen in +diesem Alter wohl berechtigt ist, größere Ansprüche an das Leben zu +stellen, während sie hier -- obgleich von allen Bequemlichkeiten +umgeben -- wie auf einer wüsten Insel saß, so schien doch Elise das +nie zu fühlen oder irgend einen andern Wunsch zu kennen als den, die +Häuslichkeit ihrer Eltern eben zu theilen, wie sie war. Auch auf ihren +Charakter hatte das stille, abgeschlossene Leben nicht den geringsten +nachtheiligen Einfluß ausgeübt. Sie war immer heiter und guter Laune und +eigentlich das einzige sonnige Element im Hause. + +Wenn auch ihre Eltern selbst glücklich mit einander lebten, und nie ein +hartes oder auch nur unfreundliches Wort zwischen ihnen vorfiel, so lag +doch auf des Vaters Stirn nur zu oft ein tief eingeschnittener Zug von +Schwermuth, den wegzuscheuchen nur allein der Tochter, nie der Mutter +gelang. + +Noth oder Sorge um den Lebensunterhalt konnte das nicht sein, denn Meier +war, wenn auch vielleicht nicht reich, doch keineswegs ohne die Mittel, +sich eine sichere Existenz zu wahren. Konnte es Heimweh sein -- vielleicht, +aber Niemand erfuhr das, Niemand hörte je eine Klage, wie er etwaigen +Fremden, mit denen er trotz aller Vorsicht gelegentlich zusammentraf, +wenn er nur die Schüchternheit der ersten Begegnung überwunden hatte, +auch stets das nämliche freundliche Lächeln zeigte. Es lag dabei etwas +in seinem ganzen Wesen, das rasch für ihn einnahm, wenn man nur kurze +Zeit in seiner Nähe weilte. War es das lange, schlichte, schneeweiße +Haar, das er mitten auf dem Kopfe gescheitelt trug, und das sonderbarer +Weise erst hier in Brasilien diese Farbe des Alters, und zwar gleich im +ersten Jahre, angenommen hatte, war es der leichte, leidende Zug um den +Mund, den selbst das Lächeln der feingeschnittenen Lippen nicht ganz +zerstören konnte, war es sein mildes, nachgebendes Wesen, man wußte es +selber nicht, aber konnte dem Manne, trotz seiner Eigenheiten, nie böse +sein. + +Nicht ganz den freundlichen Eindruck machte seine Gattin, obgleich +man auch ihr auf den ersten Blick ansah, daß sie sich stets in guter +Gesellschaft bewegt habe. Sie hatte das Kalte, Zurückhaltende ihres +Mannes, ohne dessen milde Freundlichkeit, und der mißtrauische Blick +ihres kleinen, grauen Auges, mit dem sie jeden Fremden, ja, selbst +Leute, die sie lange als Nachbarn kannte, betrachtete, munterte eben +nicht zu einem freundlichen Zusammenleben mit ihr auf. Übrigens war sie +eine noch recht hübsche, stattliche Frau, von vielleicht sieben oder +achtunddreißig Jahren, und die einzige Meinungsverschiedenheit, welche +je zwischen ihr und ihrem Gatten auftauchte, war die, daß sie sich mehr +dem geselligen Leben der Colonie hinzugeben wünschte. + +So nachgebend dieser aber auch in jeder andern Beziehung sein mochte, an +dieser Klippe scheiterte selbst jede Bitte von Frau und Tochter. Was +ihnen das eigene Haus an Bequemlichkeit, ja, selbst hier und da an einem +versteckten Luxus bieten konnte, dazu reichte er mit Freuden die Hand +und erfüllte selbst jeden nur geahnten Wunsch; aber über die Gränze +seines kleinen Besitzthums ging er nicht hinaus, und sogar das zufällige +Lichten der Pflanzenmauer, die seinen kleinen Klosterhof umschloß und, +durch den Sturm niedergebrochen, sein Haus der Aussicht öffnete, schien +ihn zu geniren und zu stören. Er versäumte wenigstens keine Stunde am +nächsten Morgen, die zerrissene Lücke durch eine Anpflanzung anderer +junger Palmen und Büsche zu ersetzen, die freilich jetzt Zeit brauchten, +bis sie die nöthige Höhe wieder erreichten, aber doch wenigstens den +untern Theil des Hauses deckten. + +Es war an dem nämlichen Sonntagnachmittage, daß drei Reiter den schmalen +Weg heraufritten, der zu der sogenannten »Meierei« führte, der Director +Sarno mit den beiden Freunden Könnern und Günther; und erst, als sie +in die Nähe des kleinen, freundlich gelegenen Hauses kamen, hielt der +Director sein Pferd an und sagte, mit dem Arme in eine früher gehauene +Schneuße hinein deutend: + +»Sehen Sie, Herr von Schwartzau, dies ist die zweite, alte Linie, +die damals von jenem Stümper ausgeschlagen wurde. Wenn Sie nur Ihren +Taschencompaß herausnehmen, sehen Sie schon welchen Bock jener gescheute +Herr geschossen, der es möglich machte, die Variation auf die verkehrte +Seite vom Pol zu legen. Die ganze Vermessung ist dadurch vollkommen +werthlos geworden und muß neu gemacht werden. Die nächst gelegenen sechs +Kolonien gehören aber jenem Herrn in dem Hause da drüben, der sich einen +ziemlich bedeutenden Landstrich hier erworben, nur um, wie es scheint, +keinen nahen Nachbar zu bekommen, denn was er selber bis jetzt urbar +gemacht, ist sehr unbedeutend. Jedenfalls müssen wir aber dessen Gränzen +mit bestimmen, damit wir wissen wo das noch freie Land beginnt, und +ich möchte _diesen_ District, wie jenen südlich von der Ansiedlung, am +Liebsten zuerst in Angriff genommen haben. Diesen hier nehmen Sie also +vielleicht gleich morgen vor, denn von hier aus streckt sich eine +ziemlich ausgedehnte Hochebene mit nur leiser Steigung dem nächsten +Bergrücken zu, und Sie können hier eine tüchtige Anzahl Varas den Tag +ablegen.« + +»Und ist der Wald sehr dicht?« + +»Nicht übermäßig. Ich will Ihnen Ihr Amt auch nicht zu schwer machen und +einen zu breiten Ausschlag verlangen, gründlich _müssen_ die Linien +aber gelegt und die Bäume besonders so markirt werden, daß die hiesige +Vegetation nicht die Spuren in ein paar Jahren wieder verwächst und +vernichtet -- wir sprechen darüber noch heute Abend, ob wir Theer mit +Buchstaben von weißer Ölfarbe oder vielleicht gar Blechplatten nehmen, +was freilich bedeutend mehr Kosten macht.« + +»Und wie viel Leute glauben Sie, daß ich mit mir nehmen soll?« + +»Kommen Sie, wir reiten einmal ein kurzes Stück in den Wald hinein, der +sich dort hinüber ziemlich gleich bleibt,« erwiederte der Director, +»Sie können es dann selber leicht beurtheilen. Sparen Sie lieber nicht +mit den Leuten, wenn Sie dadurch rascher vorwärts rücken, denn Sie +vermessen ja dafür auch so viel mehr, und ich garantire Ihnen, daß Sie +hier, um nur das _Nothwendigste_ fertig zu bringen, drei volle Monate +scharfe Arbeit haben. Je mehr wir aber in der möglichst kurzen Zeit +beenden, desto besser ist es; denn wenn uns die neuen Ansiedler erst +noch auf den Hals kommen, und ich weiß nicht wo ich sie unterbringen +soll -- dann ist es mit dem Frieden hier vorbei.« + +Mit diesen Worten wandte er sein Pferd und ritt in einen schmalen +Seitenpfad, von Günther gefolgt, hinein, während Könnern noch in dem +breiten Wege hielt und sich Meier's stille und trauliche Heimath +betrachtete. Es lag ein ganz eigener Zauber über dem Platze, dem die +hier vollkommen tropische Vegetation durch angepflanzte Palmen, Farren +und die wunderliche Baumform der Pinien einen noch viel größeren Reiz +verlieh. + +Gern wäre er auch einmal zu dem Hause hinüber geritten, die Insassen +desselben kennen zu lernen, denn daß der Alte so vollkommen menschenscheu +sein sollte, glaubte er noch nicht recht. Aber er durfte seine Gesellschaft +nicht zu weit aus den Augen verlieren, und der Director wie Schwartzau +waren viel zu sehr in ihr »Terrain« vertieft, um sich in diesem +Augenblicke um etwas Anderes zu kümmern, als Nord und Süd und Ecken und +Fronten. Günther hatte dazu seinen kleinen Compaß herausgenommen und +visirte damit, als sie den Pfad entlang ritten, dicht an einer viel +interessanteren Front vorüber, wie sie die bestgelegene Colonie hätte +bieten können, ohne sie auch nur zu sehen, nämlich an einem reizenden +jungen Mädchen, das, vielleicht sechs Schritte von dem Pfade entfernt, +mit einem Buche in der Hand unter einer halb natürlichen, halb +durch Kunst hergestellten Laube saß, und ohne sich zu rühren, die +vorbeireitenden und in tiefem Gespräche begriffenen Männer beobachtete. + +Sie würde sich in der That lieber ganz zurückgezogen haben, hätte sie +nicht gefürchtet durch eine Bewegung ihre Gegenwart zu verrathen. Jetzt +erst, als sie vorüber und schon halb von den Büschen verdeckt waren, +richtete sie sich empor und drehte den Kopf um, ihnen nachzusehen. + +In diesem Augenblicke passirte Könnern die versteckte Laube. Mit keinem +solchen Interesse an der Vermessung des Bodens, und in der alten +Gewohnheit des Jägers, das Auge jedem sich regenden Punkte rasch +zuzuwenden, entdeckte er kaum die liebliche, jetzt verlegen erröthende +Gestalt, als er auch unwillkürlich sein Pferd anhielt und achtungsvoll +die Jungfrau grüßte. + +War aber für ihn nicht die geringste Veranlassung gewesen, hier zu +halten, so besaß er entweder in dem Momente nicht Geistesgegenwart +genug, seinem Thiere wieder rasch den Sporn zu geben, oder die freundliche +Erscheinung fesselte ihn so, daß er sich nicht gleich wieder losreißen +konnte und wollte, und nur, um sich aus einer peinlich werdenden +Situation zu bringen, sagte er verlegen: + +»Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten Sie gestört zu haben, +Senhora, aber ich vermuthete hier in der That Niemanden, mitten im +Walde.« + +»Sie haben mich nicht gestört,« erwiederte Elise mit ihrem gewinnenden +Lächeln, denn die Verlegenheit des jungen Fremden war ihr keineswegs +entgangen; »ich fürchte nur, daß Ihre vorangerittenen Freunde den Weg +verfehlt haben, denn dieser Pfad führt allein wenige Hundert Schritte in +den Wald hinein und endet dann in einem verworrenen, von Schlingpflanzen +durchwachsenen Dickicht, durch das sie mit ihren Pferden nicht dringen +können.« + +»Also müssen sie wieder diesen Weg zurück?« fragte Könnern, sichtlich +darüber erfreut, denn er bekam dadurch eine Entschuldigung, sie hier zu +erwarten. + +»Allerdings,« erwiederte das Mädchen -- »wollen Sie denn zur Colonie +hinunter?« + +»Wenn Sie das kleine Städtchen meinen, nein. Wir kommen eben daher und +sind nur auf einem Spazierritte, auf dem die beiden Herren da vorn das +Terrain recognosciren, um nöthige Vermessungen vorzunehmen.« + +Die Jungfrau, welche, als sie der Fremde anredete, aufgestanden war, +verbeugte sich leicht und schwieg, und Könnern, der nicht den geringsten +Anhaltspunkt sah, das Gespräch in schicklicher Weise fortzusetzen, +grüßte noch viel verlegener als vorher und folgte jetzt den beiden +Freunden, die er gleich darauf an der von Elisen angedeuteten Stelle +überholte. + +Es war das der nämliche Platz, wo der Director damals die verkehrten +Arbeiten des von der Frau Präsidentin herübergeschickten Vermessers +unterbrochen hatte, und alle Drei wandten nun ihre Thiere, um auf den +breiteren Weg zurückzukehren. + +Als sie die Laube passirten, warf Könnern freilich den Blick hinüber, um +nach der freundlichen Gestalt zu suchen; aber wie eine Erscheinung war +sie verschwunden, und nur auf der Bank, auf welcher sie gesessen hatte, +lagen ein paar Blumen, die sie wahrscheinlich mit heraufgenommen und in +der Eile ihres Rückzuges auf dem Sitze gelassen hatte. + +Könnern, der jetzt voranritt, hatte die Blüthen augenblicklich bemerkt, +und ehe er sich selber über das was er that Rechenschaft geben konnte, +hielt er an, stieg vom Pferde und schnallte seinen Sattelgurt ein Loch +empor. Dadurch gab er seinen Begleitern Zeit an ihm vorüber zu reiten, +und als er sie voraus sah, trat er rasch in die Laube, nahm die Blumen, +legte sie in sein Taschenbuch, stieg dann wieder auf und folgte, ohne +sich umzusehen, den Vorausgerittenen. -- Und doch hatte ihn dieses Mal +sein sonst so scharfes Auge im Stiche gelassen, denn hinter einem +kleinen Dickicht der hier gerade sehr üppig wachsenden Flachs- oder +Tucung-Pflanze, hinter die sich Elise zurückgezogen, um die Fremden erst +vorüber zu lassen, hatten ein Paar lächelnde Augen seinen unschuldigen +Raub beobachtet und folgten ihm, bis sich der Wald wieder hinter ihm +schloß. + +Könnern überholte seine Begleiter dicht am Hause des menschenscheuen +Meier, der aber durch einen geschickt gefällten Baum die Passage so +gelegt hatte, daß sie nicht unmittelbar an seinem Garten vorüberführte, +sondern diesen durch sorgfältig gepflegte Büsche vollständig verdeckt +hielt. + +»Hier wohnt der sonderbare Kauz,« sagte der Director, mit der Hand +in das Dickicht zeigend, durch welches das Dach nur undeutlich +herausschimmerte. »Wenn mit dem Manne nur irgend ein Umgang wäre, wollte +ich vorschlagen daß wir anhielten und ihm wenigstens guten Tag sagten. +Schade um das allerliebste Mädchen, das der alte Brummbär hier wie eine +Nonne gefangen hält.« + +»Eine Brünette?« fragte Könnern. + +»Ja,« erwiederte der Director; »aber wie, zum Teufel, haben _Sie_ das +schon ausgefunden? Sie sind doch, so viel ich weiß, zum ersten Male in +der Colonie.« + +»Hätten es die Herren nicht gerade so gemacht wie der vorige +Landvermesser,« lachte Könnern, »und die Variation auf der verkehrten +Seite der Nadel gesucht, so würden Sie, nur ein paar Striche aus dem +Cours, eine allerliebste junge Dame im Walde gesehen haben, die sich da +draußen mit irgend einer Lectüre die Zeit vertrieb.« + +»Und davon haben Sie uns kein Wort gesagt?« rief Günther. + +»Ich durfte Sie doch nicht stören,« lächelte der junge Mann; »übrigens +glaubte ich auch, daß wir sie auf dem Wege hierher überholen würden; sie +muß sich aber auch sehr geeilt haben, um uns voraus zu kommen.« + +»Merkwürdige Leute,« meinte der Director kopfschüttelnd; »aber jedenfalls +werden Sie mit dem Alten bekannt werden, Schwartzau, denn Sie müssen +ihn aufsuchen, wenn Sie auf seinem Lande die Vermessung beginnen, +damit er dabei ist und die Gränzen kennen lernt. Er wird es sich auch +wahrscheinlich nicht nehmen lassen, die Eckbäume selber dauernd zu +bezeichnen, und das erspart Ihnen gleich eine Arbeit.« + +»Dann begleite ich Sie,« sagte Könnern, »ich interessire mich für alle +Originale.« + +»Besonders wenn es Brünetten sind, wie mir scheint,« lachte der +Director; »Sie mögen aber immerhin in diese Gegend einen kleinen Jagdzug +machen, denn wenn Sie der dichte Wald nicht stört, finden Sie doch wohl +hier und da ein Stück Roth- oder Schwarzwild, oder vielleicht gar einen +Tapir, die hier zuweilen ebenfalls vorkommen. Jetzt aber, meine Herren, +dürfen wir unsere Zeit nicht länger vergeuden, wenn wir den andern +Strich ebenfalls besuchen wollen. Sobald wir weiter oben die ordentliche +Straße erreicht haben, können wir auch unsere Thiere besser ausgreifen +lassen« -- und dem seinigen die Sporen gebend, trabte er, so rasch es +ihm der noch ziemlich unebene Boden gestattete, auf dem schmalen Wege +hin in den Wald hinein. + +So wenig _sie_ aber dabei von den Einwohnern des Platzes gesehen hatten, +so waren sie doch nicht eben so unbeachtet daran vorübergeritten, denn +der Eigenthümer des Hauses schien sich für alle Fremden lebhaft zu +interessiren, wenn er auch nicht mit ihnen in persönliche Berührung +kommen wollte. + +Zu diesem Zwecke hatte er sich eine ordentliche kleine Warte gebaut, in +welche die eine Ecke seines Gartens, ohne von Außen bemerkbar zu sein, +auslief. Das war zugleich ein Lieblingsplatz geworden, wenn er keine +andere Arbeit vorhatte, und er las oder schrieb gerade dort am Liebsten, +da er sich hier vollkommen ungestört wußte. + +Das letzte Gespräch der Männer war gerade vor diesem Ausguck gehalten, +und Meier, der mit einem Buche in der Hand in seiner Laube saß, dadurch +auf die Fremden aufmerksam geworden. So lange sie da draußen hielten, +lauschte er auch ihrem Gespräche, und erst, als sie ihren Weg fortgesetzt, +nahm er sein Buch wieder auf. Aber er schien keine rechte Lust zum +Lesen zu haben, denn er legte das Buch nach einiger Zeit wieder hin, +ging eine Weile mit auf den Rücken gelegten Händen und gesenktem Haupte +in seiner Laube auf und ab, seufzte ein paar Mal recht tief auf und +schritt dann langsam zu seiner Wohnung und in das Zimmer seiner Frau, +die, mit einer Arbeit beschäftigt, am Fenster saß. + +Sein Blick suchte Elisen, aber sie war nicht im Zimmer, und erst nach +einer Weile kam sie durch die kleine Gartenpforte, die hinaus in den +Wald führte, herein und zu der Mutter, wo sie Hut und Buch ablegte und +sich still an das dort stehende Instrument setzen wollte. + +»Du warst im Walde, Lieschen?« fragte der Vater. + +»Ja, Papa.« + +»Und bist dort Fremden begegnet?« + +Das junge Mädchen sah rasch und erstaunt zu ihm auf, erröthete auch +leicht, sagte dann aber lächelnd: + +»Woher weißt Du das schon, Papa?« + +»Und hast Du nicht den nämlichen Spaziergang hier im Garten?« fuhr der +Vater fort, ohne ihre Frage zu beantworten; »ich habe Dich schon so oft +gebeten, nicht dort hinaus zu gehen, wenigstens nicht an Sonntagen, wo +das müssige Volk aus der Ansiedelung nur immer in der Nachbarschaft +umherschwärmt!« + +Die Mutter hatte bei Beginn des Gespräches ihre Arbeit in den Schooß +sinken lassen, und ihre Miene verfinsterte sich mehr und mehr. Jetzt +aber nahm sie für die Tochter die Antwort auf und sagte: + +»Und willst Du sie nicht lieber ganz in ein Kloster sperren? Das wäre +doch jedenfalls das Einfachste, damit sie wenigstens gar kein Mensch +mehr zu sehen bekäme -- nicht einmal einer der am Sonntag herumlaufenden +Bauern.« + +»Aber, Bertha!« sagte Herr Meier, erstaunt zu seiner Frau aufsehend. + +»Ach was,« erwiederte diese, »was zu arg ist, ist zu arg! Das Mädel ist +jetzt zwanzig Jahr alt geworden und wird versteckt gehalten, als ob wir +uns schämen müßten, das junge Blut der Welt zu zeigen.« + +»Aber, Bertha, Du weißt doch....« sagte der Mann vorwurfsvoll. + +»Ach, ich weiß Alles!« erwiederte die Frau; »aber man kann eine Sache +auch übertreiben, und ich bin nicht im Stande, das noch länger so ruhig +mit anzusehen. Hier in diesem abgelegenen Winkel der Welt hast Du doch +wahrhaftig nicht zu....« Sie unterbrach sich rasch und nahm ärgerlich +ihre Arbeit wieder auf, die sie jedoch unschlüssig in der Hand behielt, +während Elise freundlich sagte: + +»Laß sein, Mütterchen; wenn dem Vater damit ein Gefallen geschieht, kann +ich ja auch den kleinen Spaziergang recht gut entbehren. Er hat Recht, +es ist hier im Garten wirklich eben so hübsch wie da draußen, und ich +kann mir hier die nämliche Bewegung machen.« + +»Ach, das verstehst Du nicht!« fuhr die einmal gereizte Frau fort; »ich +hab's jetzt auch selber satt. Sieben Jahre sitzen wir nun hier, wie die +Gefangenen zwischen Büsche und Bäume eingeklemmt, während die Ansiedler +da unten sich ihres Lebens freuen und nur ihr fröhlicher Lärm manchmal +zu uns herübertönt; sieben Jahre lang haben wir ein Leben geführt, daß +es einen Stein erbarmen möchte, und ich sehe keinen Grund, weshalb wir +uns jetzt noch länger wie Einsiedler in unsere Klause vergraben sollen. +Ich weiß Alles, was Du mir dagegen einwenden könntest, Franz,« sagte +sie, einem Blicke ihres Mannes begegnend, »ich habe mir Alles zehnmal, +hundertmal überlegt, aber ich selber halte es nicht länger aus. Ich +_will_ frei sein oder ich lasse mich lieber gleich ordentlich begraben +und einen Stein mit Namen und Jahreszahl oben darauf setzen. Nachher +weiß ich es einmal nicht anders und brauche doch hier wenigstens nicht +eine Ewigkeit allein zu sitzen und meinen eigenen Gedanken nachzuhängen, +über die man am Ende gar noch wahnsinnig werden könnte.« + +Ihr Gatte antwortete nicht. Er hatte sich gegen den Tisch gewandt, dort +den Kopf auf den Arm gestützt und barg das Gesicht in der linken Hand. +Endlich hob ein schwerer Seufzer seine Brust, und Elise, zu dem Vater +tretend, schlang ihren Arm um seine Schulter, lehnte ihre Stirn auf sein +Haupt und sagte freundlich: + +»Sei nicht traurig, Papa -- Mutter meint es ja nicht so böse. Dir ist +nun einmal Deine Einsamkeit so lieb geworden, daß Du jede Störung darin +fürchtest und Dich immer mehr in Dich selber zurückziehst. Versuch' es +einmal draußen unter den Menschen, vielleicht gefällt Dir's selber bei +ihnen, denn _glücklich_ fühlst Du Dich ja hier in Deiner Einsamkeit +auch nicht immer, in der ich Dich oft schon in recht trauriger und +niedergeschlagener Stimmung überrascht habe. -- Geh' wieder zwischen die +Leute -- verkehre mit ihnen und lasse sie mit Dir verkehren, und wenn +weiter Nichts, bekommst Du doch dadurch Zerstreuung, und hast für +stille Stunden, in denen Du das Bedürfniß fühlst allein zu sein, ja +immer Dein trauliches Plätzchen hier oben.« + +»Laß ihn gehen,« sagte die Frau unmuthig; »was liegt ihm an uns -- an +Dir oder an mir, wenn er sich selber nur eine Grille in den Kopf gesetzt +hat, der er nachhängt, seines eigenen Vergnügens halber.« + +»Und das sagst _Du_ mir, Bertha?« fragte der Mann, erstaunt zu ihr +aufsehend; »dessen klagst Du mich an?« + +»Nur eine Grille ist's, weiter Nichts,« erwiederte die Frau, ohne die +Frage direct zu beantworten, »eine fixe Idee, die Du Dir in den Kopf +gesetzt hast, und womit Du Dich und uns elend machst. So viel Verstand +habe ich aber auch, daß ich einsehe, wie Du uns Alle ganz vergebens +quälst, und kurz und gut, ein Leben wie das hier halte ich nicht länger +aus, mag nun auch daraus werden was da will.« + +»Was da will,« wiederholte leise und mit einem Seufzer der Mann, stand +dann auf und verließ langsam das Zimmer. + +»Zanke nicht mit dem Vater, liebe Mutter,« bat Elise, als er die Thür +hinter sich in's Schloß gedrückt hatte, »er ist so schon traurig genug, +und das drückt ihn nachher nur noch immer mehr nieder.« + +»Ach was,« erwiederte mürrisch die Frau, »ich habe das langweilige Leben +endlich satt, und mehr noch Deinet- als meinetwegen!« + +»Aber ich sehne mich ja gar nicht hinaus, Mütterchen, ich verlange es ja +gar nicht besser, als ich es bei Euch habe.« + +»Weil Du es eben nicht besser kennst und nach und nach hier eintrocknen +wirst wie eine Blume zwischen Löschpapier,« lautete die Antwort. »Du +bist ein junges Mädel und mußt hinaus in die Welt, das ist Dir Dein +Vater, das bin ich Dir schuldig, und wenn Du Nichts von der Welt +verstehst, so bin ich dafür da, daß ich Deine Ansprüche vertreten muß, +oder Du hättest ein Recht, mir später einmal die bittersten Vorwürfe +darüber zu machen.« + +»Aber der Vater....« + +»Ist ein Träumer, der überall Gespenster sieht, weiter Nichts, und der +sich jetzt die Fenster verhängt und immer nur Nacht um sich haben will. +Kommt erst einmal der wirkliche Sonnenschein zu ihm herein, so wird er +auch einsehen daß er nur geträumt hat. Daß Du ihm dabei noch das Wort +redest, ist das Albernste was Du thun kannst, und ich hätte von Dir +gerade das Gegentheil erwartet. -- Du bist alt genug, Elise, daß Du +auch an eine Heirath denken kannst, und wen sollst Du denn hier in +unserm Garten kennen lernen, wer kann Dich hier finden, wo Dich Dein +Vater sogar vor ein paar müssigen Spaziergängern verstecken will?« + +»Aber, liebe Mutter,« sagte Elise mit tiefem Erröthen, denn sie mußte +sonderbarer Weise gerade in diesem Augenblicke an den jungen Fremden im +Walde und an seinen Blumendiebstahl denken, »das hat denn doch wohl noch +lange, lange Zeit, und wenn der Vater --« + +»Ach was,« unterbrach sie die Mutter, »Du redest wie der Blinde von +den Farben -- Du bist zwanzig Jahr alt, Liese, und wenn wir die +nächsten sieben Jahre noch so fortleben, wie die letzten, so bist +Du _sieben_undzwanzig und kannst dann auch siebenunddreißig und +siebenundvierzig werden, ohne daß sich Jemand weiter um Dich bekümmert. +Nein, dafür muß _ich_, Deine _Mutter_, sorgen, und -- überlaß du _mir_ +das nur; ich werde schon mit Deinem Vater fertig.« + +Damit war das Gespräch für jetzt abgebrochen. Die Mutter begann wieder +an ihrer indessen vernachlässigten Arbeit, und Elise ging in ihr +Stübchen hinauf, um über eine ganze Menge der verschiedensten Dinge +nachzudenken, die ihr heute durch den Sinn gingen und den Kopf fast wirr +machten. Sonderbar, daß ihre Gedanken dabei immer wieder zu dem jungen +Fremden zurückflogen, den sie doch nur den kurzen Augenblick gesehen. +Weshalb mußte die Mutter auch gerade heute von ihrer Heirath sprechen +und dabei sagen, daß es die höchste Zeit sei, an etwas Derartiges zu +denken? -- -- + +Es war Abend und Nacht geworden, als die Sonne kaum hinter den hellblauen +Gebirgsrücken im Westen untergegangen war und vorher noch die leichten +darüber lagernden Wolkenzüge mit ihrem schönsten und rosigsten Licht +übergossen hatte. Rasch erbleichten aber die nur zu momentanem Leben +angehauchten Nebelbilder, und wie sie kaum erst in ein prachtvolles +Silbergrau übergingen, nahm dieses schon jene todte bleigraue Färbung +an, dem die Dunkelheit in den Tropen fast unmittelbar folgt. + +Die Comtesse Baulen hatte ihr Zimmer noch nicht wieder verlassen +und ging, die Arme auf der Brust gekreuzt, das Kinn auf die zarte +Korallenschnur gesenkt, die ihren Hals schmückte, mit raschen, unruhigen +Schritten in dem kleinen Gemache auf und ab. Sie sah dabei nicht +einmal, daß es dunkelte und nach und nach völlig Nacht geworden war; +sie hörte nicht, daß ihre Mutter draußen schon zweimal angeklopft +und ihren Namen gerufen hatte. Nur die eigenen unruhigen Gedanken +beschäftigten ihren Geist, nur das eigene, unruhig pochende Herz +hielt sie oft krampfhaft mit beiden Händen fest, bis sie sich endlich, +körperlich ermattet, in einen Stuhl warf und dort wohl wieder eine volle +Stunde lang in dumpfem Brüten saß. + +Aber die Dunkelheit wurde ihr zuletzt unerträglich. Sie stand auf, +zündete Licht an und griff dann das erste beste Buch auf, um sich zu +zerstreuen und ihre Gedanken in eine andere Bahn zu lenken. Da plötzlich +horchte sie auf, denn aus dem Garten, oder wenigstens aus den Büschen, +die ihn dicht umschlossen, trafen die melodischen Töne einer Violine ihr +Ohr. + +Es war die leise und klagend zum Herzen sprechende Melodie des Thüringer +Volksliedes: »Ach, wie ist's möglich, daß ich Dich lassen kann«, und wie +mit einem scharfen Weh durchzuckte sie das einfache rührende Lied. Aber +wer spielte da? Zuerst glaubte sie, daß es Jemand aus der Ansiedelung +sei, der da zufällig vorübergehe -- aber der Spieler blieb auf derselben +Stelle, und durch das offene Fenster klangen die Töne, so leise er auch +spielte, voll und klar herein. -- + +Jetzt war Alles ruhig -- nur die Grillen zirpten, und aus dem Walde +heraus tönte das Gequak der Frösche. + +Helene athmete ordentlich tief auf, als die schwermüthige Melodie +geendet hatte; es war, als ob eine Last von ihrer Seele genommen wäre, +und sie trat an das Fenster, um in die wundervolle, sternenhelle Nacht +hinaus zu schauen. Da quollen auf's Neue die Töne von derselben Stelle +herauf, aber dieses Mal in einem wilden Capriccio, von einer Meisterhand +gespielt, das in die tollsten Variationen überging und sich doch immer +wieder zuletzt in das einfache, zuerst angeschlagene Thema des +Volksliedes auflöste. + +Helene trat scheu und erschreckt vom Fenster zurück. Galt das ihr? Und +wer war es denn, der ihr hier auf solche Weise seine Huldigung brachte? +Vollrath vielleicht, aber sie wußte genau, daß er gar nicht Violine +spielte -- und wer dann? Der junge Schulmeister im Orte, der sie oft mit +seiner Aufmerksamkeit geärgert hatte, war ein Violinspieler, aber ein +Stümper, und _diese_ Saiten belebte eine Meisterhand. + +Ohne recht zu wissen was sie that, löschte sie das Licht aus, um dadurch +die Aufmerksamkeit des Unbekannten wieder von ihrem Fenster abzulenken +-- aber das gelang ihr nicht. Der räthselhafte Spieler ließ sich dadurch +nicht stören; nur das Capriccio zerschmolz nach und nach in immer +weichere Melodien, bis die Töne zuletzt mehr und mehr verhallten und +wieder, wie vorher, das Schweigen der Nacht auf dem Walde lag. + +Helene wußte selber nicht wie ihr geschah. Daß jenes Ständchen _ihr_ +galt, konnte sie sich nicht verhehlen, und in dem melodischen Spiele, +in den vaterländischen Weisen schmolz der starre Trotz des schönen +Mädchens. Als die Melodie da draußen schon lange verklungen war, saß sie +noch immer, von der Gardine gedeckt, am offenen Fenster, und fühlte +nicht einmal, wie ihr die Thränen zwischen den zarten Fingern durch voll +und schwer in den Schooß tropften. + +Unten im Hause war der geheimnißvolle Musiker indessen auch nicht +unbeachtet geblieben. Oskar, der noch bis Dunkelwerden seinen neuen +»Sclaven« -- wie er Jeremias nannte -- angelernt hatte sein Pferd zu +behandeln, lag unten in der Stube auf dem Sopha lang ausgestreckt, und +pfiff, zum Ärger seiner Mutter, ohne sich dadurch aber im Geringsten +stören zu lassen, einen Walzer, als jenes eigenthümliche Ständchen +begann. + +Im Anfange hatte er ebenfalls geglaubt, daß es irgend Jemand aus der +Ansiedelung sei, der mit seiner Violine da vorüber ginge. Als die Musik +aber immer auf derselben Stelle blieb, erst eine Weile schwieg und dann +wieder begann, schöpfte er Verdacht, daß das am Ende gar ein Ständchen +sein könne, was seiner Schwester gebracht würde, und sein Muthwille ließ +ihm natürlich keine Ruhe, dem auf die Spur zu kommen. + +Als er zuerst aus dem Fenster horchte, täuschte ihn der laute Ton gerade +so wie Helenen, und er vermuthete den Spieler im Garten selber. Er +schlich sich also erst aus dem Hause hinaus hinter die nächsten Büsche, +und hinter diesen, von seiner dunklen Kleidung begünstigt, immer weiter +vor. Zuletzt aber kam er an die Hecke und fand jetzt, daß sich der +Virtuose allerdings außer seiner Gerichtsbarkeit, aber doch nicht außer +seinem Bereiche befand, denn er erkannte durch die Hecke durch beim +Sternenlichte eine ebenfalls dunkel gekleidete Gestalt, die dort an +einer jungen Palme lehnte. + +Das Gesicht selber konnte er freilich nicht erkennen, denn einestheils +beschattete es der Hut, und dann auch der Wipfel der niedern Palme +selber; aber das blieb sich auch gleich, und um einen muthwilligen +Streich auszuüben, dazu war ihm Freund und Feind gleich gut genug. + +Im Zimmer seiner Schwester hatte außerdem noch kurz vorher Licht gebrannt +und das Fenster war offen, ein Beweis, daß sie den Ständchenbringer +begünstigte, und deshalb Grund genug für ihn, ihm jeden Schabernak zu +spielen, der nur in seinen Kräften stand. Vorsichtig und rasch schlich +er zum Hause zurück und traf hier eben noch Jeremias, der seine Arbeit +beendet hatte, und gerade seine eigene Heimath -- eine Dachkammer bei +einem der Ansiedler -- aufsuchen wollte. + +»He, Jeremias, Du mußt mir noch einen Eimer Wasser holen,« redete er +diesen rasch und heimlich an. + +»Die Pferde haben gesoffen,« sagte Jeremias, »zu viel schadet Vieh und +Menschenkind.« + +»Ich will's nicht für die Pferde; dort steht der Eimer, aber ein Bißchen +rasch.« + +»Befindet sich allerdings nicht in unserm Contracte,« meinte Jeremias, +»aber was thut der Mensch nicht aus Gefälligkeit, junger Herr? Sollen +Ihren Eimer Wasser haben,« und seine Ärmel vorn aufkrämpend, ergriff er +den Eimer und ging zu dem Brunnen vor dem Hause, von dem er ihn bald +gefüllt zurückbrachte. + +»So,« sagte Oskar, indem er einen Theil des Wassers wieder abschweppte, +»das ist ein Bißchen zu viel und wirft sich schlecht. Jetzt nimm einmal +den Eimer, Jeremias, und komm mit mir an die Hecke da drüben, wo der +verrückte Kerl die Violine quält -- hörst Du den Musikanten da drüben?« + +»Ja,« sagte Jeremias, und sah den jungen Grafen erwartungsvoll an. + +»Schön,« lachte der junge Bursche, »dem wollen wir einmal den Eimer über +den Hals gießen, um den holden Schwärmer etwas abzukühlen.« + +»So?« sagte Jeremias, ohne sich von der Stelle zu rühren. + +»Na, vorwärts!« rief Oskar, auf den Eimer zeigend; »mach' schnell, ich +zeig' Dir den Platz wo er steckt, meine alte Jeremiade!« + +»Wissen Sie,« sagte Jeremias, ohne nur eine Hand zu regen oder eine +Miene zu machen, als ob er dem Befehle Folge leisten wolle, »davon steht +auch Nichts in unserem Contracte.« + +»Contract? Esel,« brummte Oskar, »wenn ich Dir sage, das thust Du, so +thust Du es, _das_ ist unser Contract, weiter Nichts.« + +»So?« meinte Jeremias, der den »Esel« als selbstverständlich hinnahm +-- »anderen Leuten Wasser in die Violine zu gießen, widerstreitet aber +meinen Grundsätzen, und wenn sich der Herr Graf eine Tracht Schläge für +unbefugtes Löschen, wo's gar nicht brennt, holen wollen -- mit dem +größten Vergnügen -- da steht der Eimer, Jeremias hat aber heute seinen +Sonntagsrock an und ist diesen Morgen in der Kirche gewesen -- was andere +Leute vielleicht _nicht_ von sich sagen können. Wünsche allerseits einen +guten Abend« -- und die Hände wieder in die Taschen schiebend, ging er +um den Eimer herum und zur Thür hinaus, ohne sich um den Grafen weiter +zu bekümmern. + +Oskar sandte ihm einen herzhaften Fluch hinterher, sah aber auch ein, +daß er mit dem dickköpfigen Burschen Nichts ausrichten könne. Nicht +gesonnen jedoch, den einmal gefaßten Plan so rasch aufzugeben, nahm er +jetzt selber den Eimer und schlich damit in den Garten. Ehe er übrigens +die Stelle erreichte, wo der nächtliche Musiker gestanden, verstummte +die Violine. Die letzten Töne waren verklungen und der Platz leer. Oskar +horchte noch eine Weile in die stille Nacht hinaus, aber das Concert +war jedenfalls vorbei, das Zimmer seiner Schwester blieb dunkel, und mit +einem Fluche das Wasser über die nächsten Beete gießend, nahm er den +leeren Eimer zum Hause zurück. + + + + +5. + +Elise. + + +Am nächsten (Montag) Morgen standen schon um sieben Uhr früh drei +gesattelte Pferde vor dem Hause des Directors angebunden, denn dieser +hatte versprochen, Günther zu dem Beginne seiner Arbeiten zu begleiten, +und Könnern in dem Interesse, das er an der gestrigen Erscheinung nahm, +ebenfalls den Wunsch ausgesprochen, sich dem kleinen Zuge, wenigstens +bis in den Wald hinein, anzuschließen. + +Allerdings wünschte der Director, daß er, wenn er jagen wolle, sich +einen Führer mitnehmen möge, da er sich sonst leicht in den wilden und +schwerdurchdringlichen Wäldern verirren könne. Dies wies Könnern jedoch +lächelnd zurück und erklärte, daß er zu lange in den amerikanischen, +auch ziemlich dichten Wäldern gejagt habe, um etwas Derartiges zu +befürchten. Ein Führer störte ihn dabei nur auf einem wirklichen +Pirschgange, und er konnte sich im Walde wohl vergehen, daß er genöthigt +war einen Umweg zu machen, aber nie verirren, denn er hatte sich dafür +zu genau den Cours gemerkt, den der etwa zweihundert Schritte unter +Santa Clara vorbeiströmende Fluß nahm, und den mußte er immer wieder +treffen, sobald er mit Hülfe seines Compasses die Richtung darauf zu +nahm. + +So früh kamen sie aber an diesem Morgen doch nicht fort, denn erstens +nahm ihnen das Frühstück noch etwa eine halbe Stunde weg, und dann kamen +noch eine Menge Leute, die den Director in irgend einer wichtigen oder +unwichtigen Angelegenheit zu sprechen hatten, und er mußte wenigstens +anhören, was sie von ihm wollten. + +Es war halb neun Uhr geworden, als die drei Männer endlich mit den +nöthigen Begleitern aufbrachen, die dabei alle Instrumente des Vermessers, +wie auch einige Provisionen zu tragen hatten. Könnern ließ übrigens +seine Mappe heute noch zu Hause, und nahm nur seine Büchsflinte mit, +wenn er sich auch eben keine große Jagd versprach. Der Wald ist dort zu +dicht, um nahe den Ansiedelungen, wo die Bauern überdies Sonntags noch +mit ihren Flinten herumknallen, irgend einen bedeutenden Erfolg zu +versprechen. + +Sie ritten heute gerade durch das kleine Städtchen durch, und den beiden +Fremden konnte es nicht entgehen, wie sich ihre Landsleute, selbst in +dem fremden tropischen Lande, so ganz heimisch angesiedelt hatten, als +ob sie noch daheim im alten Vaterlande lebten. + +Die Schilder an den verschiedenen Häusern trugen überall deutsche Namen +in deutscher Schrift, deutsche Kinder mit ihren Flachsköpfen und dicken, +gesunden, schmutzigen Gesichtern spielten vor den Thüren. Bauerfrauen +in ihren wollenen rothen Unterröcken wuschen ihr Geschirr hier unter +den Palmen, wie sie es daheim unter der alten Linde gethan hatten, und +deutsche Handwerker, in Schurzfell und Pantoffeln, waren eifrig dabei, +ihren verschiedenen Geschäften obzuliegen. + +Nur ein einziges Haus passirten sie, das fremdartig aussah. Es war ein +kleines niederes Gebäude, von Stein aufgeführt, mit offenen Thüren und +Fenstern, durch die man in ein paar anscheinend leere Räume hineinsah +-- es hingen wenigstens keine Gardinen vor den Fenstern, wie sie die +ärmlichste deutsche Wohnung zeigte, und die Wände sahen leer und +kahl aus. Einzelne Möbel verriethen aber doch, daß dieses Haus nicht +verlassen sei, und auf der einen Commode sah Könnern auch im Vorbeireiten +ein Paar vergoldete Porzellan-Vasen und einige andere derartige +Spielereien stehen. + +Dort wohnte der portugiesische Delegado[2], und ein paar Negerjungen +kauerten vor der Thür in der Sonne und ließen sich von einem grauen, +vollkommen haarlosen und nackten Hunde die Gesichter ablecken. + + [Fußnote 2: Eine Magistratsperson, die Polizeigewalt in den Colonien + hat.] + +Am Ende der Straße war die Schule; anstatt aber, daß die Kinder jetzt +eifrig darin mit Lernen beschäftigt sein sollten, lärmten sie in wildem, +wüstem Geschrei vor der Thür umher, prügelten sich, haschten sich und +trieben allerlei tolle Spiele. Der Director hielt mitten unter ihnen +sein Pferd an. + +»Hallo, Ihr kleine Bande,« rief er aus, »was ist das? Weshalb steckt Ihr +nicht da drinnen, wohin Ihr gehört, und stellt hier auf der Straße die +Stadt auf den Kopf?« + +»Ja, Herr Director,« sagte einer der älteren Jungen, der ihn kannte, +indem er die Mütze von dem struppigen Haare herunterzog, »der Schulmeister +ist nicht da und die Thür ist zu.« + +»Der Schulmeister ist nicht da?« fragte der Director erstaunt; »und +weshalb habt ihr ihn noch nicht geholt?« + +»Ja, er ist auch nicht zu Hause und die ganze Nacht nicht heimgekommen,« +lautete die Antwort. + +Ein sehr elegant gekleideter Herr mit weißer Wäsche, goldener Uhrkette, +einigen Ringen an den Fingern und einem Panamahute auf, der aber +sonderbarer Weise statt der Stiefel ein Paar sehr bunt gestickte +Pantoffeln und einen Zahnstocher hinter dem rechten Ohre hatte, kam um +die nächste Ecke und grüßte den Director und seine Begleiter freundlich. +Es war der Delegado. + +»Ah, mein lieber Director,« redete dieser Sarno in portugiesischer +Sprache an, »das wird immer ärger mit unserem Schullehrer. Wie ich eben +höre, haben ihn einige Nachbarn gestern Abend spät oben am Flusse und +etwa eine Legoa von hier entfernt, schwer angetrunken verlassen, und +dort wird er auch wohl jetzt noch liegen, um seinen Rausch auszuschlafen. +Meines Nachbars Kinder kamen heute Morgen wieder zurück, weil sie nicht +in die Schulstube konnten.« + +»Wer ist denn das, der da die Straße herunter taumelt,« sagte Könnern, +nach jener Richtung zeigend. + +»Hehe, der Schulmeister, der Schulmeister!« jubelten ihm da auch schon +eine Anzahl Jungen, die ihn erkannt hatten, in dem seligen Gefühle +entgegen, heute wieder keinesfalls Schule zu haben. »wie er schräg geht +-- und jetzt stolpert er! Hoh, hoh, hoh, der Schulmeister!« + +Es war allerdings jenes unglückliche Individuum, das sich in _solchem_ +Zustande zu keinem ungünstigeren Momente hätte zeigen können. Der +Director gab seinem Pferde die Sporen und sprengte ihm entgegen, und +während der zeitweilige Schulmonarch die gläsernen Augen zu Sarno +aufschlug, rief dieser ihn mit vor innerer Heftigkeit fast erstickter +Stimme an: + +»Herr, schämen Sie sich nicht, hier am hellen Tage wie eine _Sau_ umher +zu gehen, und wären Sie nicht werth, daß ich --« er schwieg, und die +Hand, in der er die Reitpeitsche hielt, schloß sich ordentlich +krampfhaft um den Griff derselben. + +»Pfehle mich Ihnen, Herr Director,« stammelte der Unglückliche mit +schwerer Zunge, vergebens dabei bemüht sich gerade zu halten, »sehr +angenehm so am frühen Morgen -- sehr schöner Morgen heute, Herr +Director -- sehr schöner Morgen.« + +Der Director wandte sein Pferd in Ekel von dem Trunkenen und ritt +langsam zu dem Portugiesen zurück. Die Schuljugend indessen wartete nur +den Moment ab, wo sie der Gegenwart dieser Beiden enthoben wäre, um mit +einem wahren Jubel über ihren entwürdigten Lehrer herzufallen. + +»Jetzt haben wir wieder keinen Schullehrer,« stöhnte der Director, bei +dem Delegado angelangt. + +»Der Herr scheint heute Morgen etwas aufgeregt,« sagte der Portugiese +mit einem spöttischen Lächeln. »Wollen wir ihn aber nicht lieber in +Sicherheit bringen. Sobald wir den Rücken wenden, fällt das junge +Deutschland jedenfalls über ihn her.« + +»Ich habe Nichts dagegen,« rief der Director, »und wenn sie ihm die +Kleider in Fetzen vom Leibe reißen! Kommen Sie, Schwartzau, kommen Sie +-- o, ich vergaß, die Herren vorzustellen: Dom Franklin Brasileiro Lima +-- zwei Freunde von mir, Landsleute, Dom Könnern und Dom Schwartzau, der +letztere unser durch die Regierung hergesandter Landvermesser.« + +Der Portugiese machte eine stumme und etwas steife Verbeugung, nahm dann +den Zahnstocher hinter dem Ohre vor und sammelte die Überreste seines +Frühstücks. + +Sie standen gerade vor einem der kleinen Häuser, über dem ein hellgelbes +Schild mit rothen Buchstaben den Namen _Pilger_ -- _Schuhmacher_ trug, +und Könnern hatte schon, weniger bei dem Schulmeister interessirt, ein +paar Mal eine allerliebste junge Frau am Fenster gesehen, die einen +Blick nach ihrer Gruppe herüber warf und dann wieder in dem Dunkel der +innern Stube verschwand. Der Portugiese stand mit dem Rücken nach der +Thür zu, als der Schuhmacher, ein großer, breitschultriger Mann in +seinen besten Jahren, das Schurzfell vor, ein kleines Käppchen auf und +die Hemdärmel in die Höhe gestreift, hinter ihn auf den Schwellenstein +trat und, seine breite Hand auf des Portugiesen Schulter legend, mit +ruhiger Stimme, aber sehr schlechtem Portugiesisch sagte: + +»Wenn ich Euch noch einmal in meinem Hause treffe, Delegado, so schlage +ich Euch jeden Knochen in Eurem erbärmlichen Leibe zusammen. Habt Ihr +mich verstanden? Guten Morgen, meine Herren,« wandte er sich dann, +als ob nicht das geringste Außergewöhnliche vorgefallen wäre, an den +Director und seine Begleiter; »entschuldigen Sie, daß ich mich mit dem +Lump in Ihrer Gegenwart unterhalten habe.« + +Der Portugiese war vor Zorn hochroth geworden, und seine kleinen, +schwarzen Augen schienen Feuer zu sprühen. Endlich hatte er sich so weit +wenigstens gesammelt, um zu erwiedern, und er sagte, ohne den Handwerker +jedoch eines Blickes zu würdigen: + +»Wenn Ihr Eure Frau mißhandelt, und nicht wißt was Ihr einer Frau an +Achtung schuldig seid, so ist es Sache der Obrigkeit dazwischen zu +treten.« + +»Und weshalb _hab_' ich meine Frau mißhandelt, Du Lump, Du?« rief der +Schuhmacher, bei dem der Zorn die Oberhand gewann. + +»Pilger, bedenkt was Ihr sagt!« unterbrach ihn der Director rasch. + +»Ach was, Herr Director -- Nichts für ungut,« zürnte der Mann; »ich weiß +recht gut was ich rede. Wenn der da auch zehnmal der Delegado ist, oder +wie das Ding heißt, so sollte er sich nur um so mehr schämen, Unfrieden +und Unglück in die Häuser zu tragen. Aber, Gott verdamm' mich! finde ich +ihn noch einmal auf der andern Seite von der Schwelle da, so geschieht +ein Unglück. Das will ich ihm vorausgesagt haben.« + +Der Portugiese verstand nicht die letzten heftigen, in Deutsch +gesprochenen Worte, aber er mochte recht gut den Sinn ahnen, denn die +Gesticulation des Meisters dabei war gar nicht falsch zu verstehen. Er +drehte jedoch nur, mit dem Ausdrucke der höchsten Verachtung in den +Zügen, den Kopf halb nach ihm herum, ohne ihn selber anzusehen, sagte: +»Wir sprechen uns noch!« und ging dann in seinen gestickten Pantoffeln, +mit einer leichten Verbeugung gegen den Director und seine Begleiter, +die Straße wieder hinauf. + +Könnern's Blick beobachtete indessen das Fenster, hinter dem er die +junge Frau gesehen, und er bemerkte, wie sie noch ein paar Mal scheu +vortrat, um, ohne selber gesehen zu werden, zu erfahren was da draußen +vorging. Sobald sie aber des Fremden Blick auf sich haften fand, +verschwand sie rasch und kam nicht wieder zum Vorscheine. + +»Haltet mir Frieden, Pilger, das thut's nicht,« sagte der Director +warnend. + +»Eben deshalb weil ich Frieden haben will,« meinte der Schuhmacher, +»halte ich mir den verdammten Bleifuß aus dem Hause, und gnade ihm Gott, +wenn ich ihn da wieder einmal treffe, wo er nicht hingehört -- guten +Morgen meine Herren,« und damit drehte er sich ruhig um und trat in +sein Haus zurück. + +Die Schuljugend war indessen ein sehr interessirter Zuschauer bei den +Bewegungen ihres sonst so gefürchteten Meisters gewesen, denn der junge +Schulmonarch führte seinen Stock gewöhnlich mit unerbittlicher Gewalt. +Einer der Nachbarn aber, den der arme Teufel in diesem Zustande dauerte, +trat vor seine Thür, nahm ihn ohne Weiteres unter den Arm und führte ihn +in sein Haus hinein, damit er dort seinen Rausch ausschlafen könne. Der +Director schickte dann die Jungen nach Hause, die sich in wildem Jubel +durch die verschiedenen Straßen vertheilten. + +»Das ist ja ein recht hübsches Exemplar von einem Schulmeister,« lachte +Günther, als sie ihren Weg wieder aufgenommen hatten. + +»Das sei Gott geklagt!« seufzte der Director; »jetzt sitzen wir wieder +in der Ansiedelung auf dem Trockenen und die ganze Kinderwelt hat +Ferien, bis sich ein neues, eben so unbekanntes, vielleicht eben so +untaugliches Individuum dazu hergiebt, das Amt des Schullehrers zu +übernehmen.« + +»Und Ihr Delegado?« fragte Könnern; »die Sache scheint nicht ganz +richtig zu sein.« + +»Ist auch so ein Lump, den wir der Güte der Frau Präsidentin verdanken. +Der Teufel mag da Director sein, wenn man es mit solchem Gesindel zu +thun hat, und ihnen doch nicht, in dem engen Kreislauf unseres hiesigen +Lebens, ausweichen _kann_. Übrigens ist das auch derselbe Herr, der da +drüben die Brücke gebaut hat, welche ihm von der Regierung -- nachdem +sie kaum beendet und schon wieder eingestürzt war -- mit achtzehn Contos +de Reis bezahlt wurde. Es geht doch Nichts über Protection! Und wenn ich +ein oder zwei Contos verlange, nur um die nöthigsten Bauten hier, ein +neues Auswanderungs-Haus oder dergleichen, zu bauen, bekomme ich Vorwürfe +von Oben, daß ich zu viel Geld gebrauche. Aber zum Henker damit! Wir +wollen uns den schönen Morgen nicht durch derartige Dinge verbittern, +und der Lump verdient gar nicht, daß ich mich über ihn ärgere. Kommen +Sie, lassen Sie die Pferde ein Wenig schärfer austraben, denn wir haben +eine Menge werthvolle Zeit versäumt und unsere Träger und Arbeiter sind +uns schon, wer weiß wie weit, voraus.« + +Eben hatten sie die letzten Häuser hinter sich, als ihnen wieder der +Baron begegnete, und wie er den Director erkannte, diesem ein Zeichen +machte, daß er ihn zu sprechen wünsche. Der Director hielt an, während +Könnern und Schwartzau vorausritten. + +»Ach, Herr Director, nur auf ein Wort,« sagte der etwas umständliche +Baron mit einer achtungsvollen Verbeugung; »dürfte ich Sie bitten, mir +aufrichtig eine einzige Frage zu beantworten?« + +»Warum nicht -- aber ich bin heute Morgen etwas in Eile.« + +»Ich will Ihre werthvolle Zeit nur für Secunden in Anspruch nehmen. Hat +sich die Frau Gräfin in einer Geldangelegenheit an Sie gewandt?« + +Der Director lächelte. + +»Ich weiß nicht,« sagte er, »ob die Frage gerade discret ist.« + +»Geschäftssache,« vertheidigte sich der Baron vor diesem furchtbaren +Verdachte; »Sie werden doch nicht glauben, daß ich --« + +»Nun, mir ist keinesfalls anbefohlen, ein Geheimniß daraus zu machen. Ja +-- zu irgend einer ihrer zahlreichen Unternehmungen.« + +»Cigarren?« + +»Ich glaube, es betraf diesmal den Tabakshandel.« + +»Ich danke Ihnen,« sagte der Baron, von dem Pferde zurücktretend. + +»Ich hoffe doch nicht, daß _Sie_ sich damit einlassen werden?« fragte +der Director jetzt seinerseits. + +»Ich bedaure unendlich nicht die Mittel zu haben, ein so gemeinnütziges +Unternehmen zu unterstützen,« erwiederte der Baron, gerade etwa mit +derselben Betonung und in derselben Stellung, als ob er der Frau Gräfin +selber gegenüber stände. + +Der Director lachte, grüßte den Baron flüchtig und sprengte dann den Weg +hinauf, die beiden vorangerittenen Freunde einzuholen. + +Zwischen den Männern wurde weiter kein Wort gewechselt, bis sie den +eigentlichen Platz erreicht hatten, auf dem Schwartzau seine Vermessung +beginnen sollte, und da dies das Terrain war, welches dem Colonisten +Meier gehörte, so war es nöthig, daß er dazu gerufen wurde. + +Während Günther seine Bussole auspackte und aufstellte, die nöthigen +Vorbereitungen zum Beginne traf und seine Leute instruirte, was sie +zu thun hätten -- denn bei einer solchen Arbeit ist es besonders +nothwendig, daß sich der Vermesser und seine Kettenträger vollkommen +gut verstehen -- ritt der Director nach dem Hause hinüber, um den +Menschenfeind in Kenntniß zu setzen und abzuholen, und Könnern bot sich +ihm natürlich zum Begleiter an. + +Die Gartenthür war verschlossen; zufällig kam aber gerade ein kürzlich +angenommener Arbeiter heraus, und da er den Director kannte, machte er +nicht die geringste Schwierigkeit, ihn hinein zu lassen. + +»Gehen Sie nur da gerade aus, Herr Director,« sagte er, auf eine kleine +Biegung des Weges zeigend, »dort gleich rechts ist eine Laube, in der +finden Sie die ganze Familie beim Frühstück.« + +»Der wird uns ein schönes Gesicht schneiden, wenn wir ihm so plötzlich +über den Hals kommen!« lachte der Director, als sie den breiten und +vortrefflich gehaltenen Kiesweg verfolgten; »aber ich kann ihm nicht +helfen. Es liegt auch in seinem eigenen Interesse, daß er weiß wo seine +Gränzen laufen -- aber da sitzt die Familie -- jetzt können Sie auch +Ihre Brünette wieder begrüßen.« + +Könnern erwiederte kein Wort; es war ihm ganz sonderbar beklommen um's +Herz, und ein Gefühl beschlich ihn, als ob er sich hier in unehrlicher +Weise in den Kreis einer Familie stehle, in der er jetzt fast bezweifelte, +daß er gern gesehen sei. Es blieb ihm jedoch keine Zeit zu längerer +Überlegung, denn wenige Secunden später waren sie schon von der Familie +bemerkt, die überrascht emporschaute, als sie die Fremden plötzlich in +dem Garten entdeckte. + +Meier saß ihnen mit dem Rücken zugewandt, links von ihm seine Frau, +rechts seine Tochter, und schon als er die Schritte hinter sich hörte, +hatte er sich halb umgedreht und beschattete dabei die Augen mit der +Hand. Dann wandte er den Kopf wieder ab, nahm eine blaue Brille aus der +Rocktasche und erhob sich erst, als er diese aufgesetzt hatte, um die +Fremden besser erkennen und dann begrüßen zu können. + +Elise war ebenfalls tief erröthend aufgestanden, als sie auf den ersten +Blick den Fremden von gestern erkannte; der Mutter entging ihre Bewegung, +da sie ihrerseits auch den einen Fremden -- den Director kannte sie +schon von früher her -- aufmerksam musterte. + +»Mein lieber Herr Meier, ich muß um Entschuldigung bitten,« sagte der +Director, auf ihn zugehend -- »aber bitte, mein liebes Fräulein, wollen +Sie nicht Platz behalten --, ich will Sie auch nicht lange stören und +Ihnen nur anzeigen, daß wir hier auf Ihrem Grundstücke zu vermessen +anfangen, weshalb es vielleicht besser wäre, daß Sie mit hinausgingen. +Sie wissen ja auch am besten, wo die alte Linie gelaufen ist, die jener +Schneidergeselle neulich umgeworfen hat. Wir wollen sehen, daß wir jetzt +die ganze Sache wieder in Ordnung bringen.« + +»Sehr angenehm, Herr Director,« sagte Meier mit einer etwas ängstlichen +und dadurch ungeschickten Verbeugung -- »sehr angenehm in der That, und +äußerst dankbar -- der Herr ist wohl der Vermesser, wenn ich fragen +darf?« + +Könnern erröthete bis in den Nacken hinein, als er so selber gezwungen +wurde zu erklären, daß er hier eigentlich gar Nichts zu suchen habe. + +»Ich besonders muß sehr um Entschuldigung bitten,« sagte er mit einem +unwillkürlichen Seitenblick auf Elise, »daß ich mich hier eingedrängt +habe. Ich bin nicht der Vermesser, der schon draußen bei seiner Arbeit +ist, sondern nur ein wandernder Maler, der sich seit einigen Jahren +heimathlos in der Welt herumtreibt, um Gottes schöne Erde nach allen +Richtungen hin zu durchstreifen. Mit dem Herrn Director durch meinen +Bruder befreundet, habe ich mich den Herren heute Morgen angeschlossen, +und nur auf die allbekannte brasilianische Gastfreundschaft fußend, +wagte ich es, Ihnen meine Gesellschaft für wenige Minuten aufzudringen.« + +»Herr Bernard Könnern,« stellte ihn der Director vor. + +»Sie sind uns herzlich willkommen,« sagte die Frau, der die edle +männliche Gestalt des jungen Mannes, wie sein bescheidenes Benehmen von +vorn herein gefallen hatte -- »Entschuldigungen wären ja auch gar nicht +am Platze -- bitte, setzen Sie sich -- trinken die Herren vielleicht +eine Tasse Kaffee mit uns?« + +Sie winkte der Tochter, und ehe sich die Gäste entschuldigen konnten, +sprang Elise -- überhaupt froh, dazu Gelegenheit zu bekommen -- rasch in +das Haus hinein, um ein paar Tassen herauszuholen. + +Meier, also gedrängt, konnte nicht anders, als die einmal geschehene +Einladung unterstützen. Mit einer Handbewegung bat er seine Gäste, Platz +zu nehmen, und das Gespräch zwischen ihm und dem Director wandte sich +dann natürlich gleich der sie beide am Meisten interessirenden +Veranlassung zu. + +Elisens Mutter ließ sich indessen in ein Gespräch mit Könnern ein, von +dem sie bald erfuhr, daß er Deutschland schon seit einer Reihe von +Jahren verlassen und indessen Nord- und Mittelamerika durchstreift +habe, theils um zu jagen, theils um Skizzen und Studien für seine Mappe +zu sammeln. + +Meier, obgleich in eifrigem Gespräche mit dem Director, hatte sich doch +kein Wort von der anderen Unterhaltung entgehen lassen, und nickte dabei +ein paar Mal halb unbewußt und zufrieden mit dem Kopfe. Er schien auch +mehr und mehr aufzuthauen und die bisherige Scheu abzulegen, und als +Elise die Tassen gebracht und eingeschenkt hatte, rückte er mit zum +Tische und unterhielt sich selber mit dem jungen Manne. + +»Ich will Ihnen Etwas sagen, Könnern,« unterbrach der Director das +Gespräch, »ich gehe jetzt mit dem Herrn Meier zu Ihrem Freunde hinaus, +um die Sache erst einmal in Gang zu bringen. Das beschäftigt mich keine +halbe Stunde; dann komme ich hierher zurück, hole Sie ab und begleite +Sie nachher bis zu der Mündung eines gar nicht entfernten Thales, dem +Sie aufwärts folgen, und nachher vielleicht doch noch Wild zum Schuß +bekommen können. Hier oben auf der Hochebene glaube ich schwerlich, daß +Sie irgend Etwas antreffen, das der Mühe lohnte danach zu feuern.« + +»Das wäre recht schön,« sagte Könnern wieder mit einem unwillkürlichen +Blicke nach Elisen; »wenn ich nur auch gewiß wüßte, daß ich den Damen +hier indessen nicht zur Last fiele.« + +»Nicht im Geringsten,« antwortete die Mutter -- »kennen Sie unser +Land noch nicht und sind Sie ein Liebhaber von Pflanzen, so haben Sie +indessen Gelegenheit, sich in unserm Garten umzusehen; denn mein Mann +hat sich große Mühe gegeben, alle einheimischen Pflanzen und Gewächse +hier zu sammeln -- Elise mag Sie herumführen.« + +»Ich wäre unendlich glücklich, wenn die junge Dame...« stammelte +Könnern. + +»Nun, sehen Sie,« sagte der Director, »da sind Sie ja gleich untergebracht, +und werden es wohl so lange aushalten können. In einer halben Stunde +sind wir jedenfalls wieder hier. Sie gehen also mit, Herr Meier?« + +»Ich muß sehr um Entschuldigung bitten,« sagte der Angeredete mit +dem ihm eigenen, etwas verlegenen Lächeln -- »Ich selber bin gerade +beschäftigt; aber ich werde Ihnen meinen Karl mitschicken, der sich +vortrefflich in alle diese Sachen zu finden weiß. Wenn Sie nur so +freundlich sein wollen, ihm meine Gränzlinien zu zeigen, so wird er sie +sich selber markiren und ich dann schon Sorge tragen, daß sie später +dauernd gekennzeichnet werden. Verlassen Sie sich darauf. Ich bin gerade +mit einer kleinen Arbeit beschäftigt, die ich nicht gern unterbrechen +möchte. Dem jungen Herrn hier mache ich indessen vielleicht mehr Freude, +wenn ich ihn in meine kleine Bibliothek führe -- Bücher sind seltener in +Brasilien, als Blumen.« + +»Erst die Blumen, wenn ich bitten darf!« sagte Könnern, der sich heute +merkwürdiger Weise dafür besonders interessirte, obgleich er nicht das +Geringste von Botanik verstand, und da Elise sich schon erhoben hatte, +stand er ebenfalls auf, um sie durch den Garten zu begleiten. + +»Sie scheinen sich besonders für Blumen zu interessiren,« sagte das +junge Mädchen, während sie den halben Garten lang schon schweigend neben +Könnern hingeschritten war, ohne daß dieser einen Punkt gefunden hätte, +ein Gespräch anzuknüpfen. Bei der Frage spielte ein eigenes, schelmisches +Lächeln um ihre Lippen, und ihr Blick suchte halb verstohlen die Züge +ihres Begleiters, senkte sich aber blitzschnell wieder zu Boden, als +sich dieser, von einem plötzlichen Verdachte erfaßt, gegen sie wandte. + +»Weshalb glauben Sie das, mein Fräulein?« + +»Weil Sie -- die Blumen Vaters Bibliothek vorzogen,« erwiederte Elise, +aber sie wagte nicht den Blick zu ihm zu erheben, denn sie fürchtete, +daß sie den darin liegenden Muthwillen verrathen würde. + +»Und Sie haben wirklich keinen andern Grund?« forschte Könnern weiter, +denn er begann jetzt in der That mißtrauisch zu werden, ob er gestern +seinen Raub so ganz unbemerkt geborgen habe. + +»Und welchen andern Grund sollte ich haben?« sagte Elise, und sah ihm +jetzt so voll und ehrlich in's Auge, daß er seinen Blick fast erschreckt +vor den hellen Sternen zu Boden senkte. + +»Zürnen Sie mir nicht der ungeschickten Frage wegen,« sagte er leise; +»aber ich kann Ihnen den Grund nennen, weshalb ich die Blumen in Ihrer +Begleitung den staubigen Büchern -- wahrscheinlich _ohne_ dieselbe +-- vorgezogen habe.« + +»Ich wäre wirklich neugierig ihn zu hören,« lächelte Elise, fühlte aber +doch, daß sie, vielleicht unmerkbar, dabei erröthete. + +»Er ist einfach,« sagte Könnern treuherzig, »und in dem Leben eines +Jägers und Herumtreibers, wie ich leider einer bin, allein begründet. +Wir sehen Gottes schöne Welt in all' ihrer wundervollen Pracht, in allen +Zonen, sehen sie in ihrem Reize, in ihrer furchtbaren Öde, in ihren +großartigen Massen, in ihren kleinsten, lauschigsten Winkeln und Ecken, +aber -- wohin wir kommen, sind wir immer nur Fremde und Heimathlose. +-- Wie auch unser Herz daheim an dem Zauber eines stillen Familienkreises +gehangen haben mag, da draußen werden wir in den allgemeinen Wirbel +hinausgestoßen, und wenn sich in der friedlichen Abendstunde alle +Menschen, mit denen wir in flüchtige Berührung gekommen, in das Asyl +ihres eigenen Heerdes zurückziehen, wenn sie sich gewissermaßen in dem +Kreise der Ihren die Belohnung holen für das, was sie den Tag über +gewirkt und geschafft, dann liegen _wir_ an einem einsamen Lagerfeuer, +oder vielleicht noch schlimmer, in einem erbärmlichen, unfreundlichen +Wirthshause, und dürfen nun darüber nachbrüten und grübeln, daß wir über +Tag Alles zu haben meinten, was der Mensch nur wünschen kann, und daß +uns doch in der That Alles fehlt, was zum eigentlichen Glück des +Menschen gehört. + +»Mit Einem Worte, es fehlt uns da draußen der Umgang mit sanften Frauen, +das mildernde Element im Leben des Mannes, der sich seinen Weg nur das +ganze Jahr durch seine rauhe und wilde Umgebung erkämpfen muß. Wo wir +deshalb auch immer so ein liebes, freundliches Frauenbild finden, da +sehen wir in _ihren_ Augen den ganzen Himmel unserer eigenen, daheim +verlassenen Häuslichkeit, und wenn auch die Freude, die wir dabei +empfinden, eine Art von Heimweh sein mag, so regt sich doch auch +zugleich Alles wieder in unserm Herzen, was gut und edel, und die ganze +Zeit vielleicht todt darin geschlummert hat. Ich weiß nicht, liebes +Fräulein, ob Sie mich verstanden?« + +»Ich glaube ja,« flüsterte Elise, und es war ihr in dem Augenblicke +fast, als ob sie selber eine lange, öde Strecke allein und freudlos +durch die Welt gezogen sei, und jetzt eben aus weiter, weiter Ferne das +Geläute ihrer heimischen Glocken gehört habe. Und doch durchzuckte sie +dabei auch wieder ein wehes Gefühl, wenn sie sich das auch selber nicht +einmal gestehen mochte -- aber es war nur der flüchtige Gedanke, daß der +Fremde also gestern auch die Blumen da draußen gar nicht _ihret_wegen +an sich genommen und aufgehoben habe. Nur die Erinnerung an die Heimath +-- vielleicht an ein anderes liebes Wesen, das dort seiner warte, hatte +ihn in dem Augenblicke erfaßt, und das tiefe Gefühl selbst, das aus +seinen Worten, aus seinem ganzen Wesen sprach, galt nicht der Gegenwart, +sondern war allein der Wiederglanz eines verlorenen oder lang entbehrten +Glückes daheim. + +Wieder wanderten die Beiden eine ganze Zeit lang schweigend durch den +Garten, Jeder mit seinen eigenen Gedanken voll beschäftigt. + +»Wie das schön ist in dieser herrlichen, tropischen Welt!« brach endlich +Könnern das Schweigen; »wie wohl die warme Luft dem Körper thut, und wie +zierlich jene herrlichen Baumformen die schönsten, natürlichsten Gruppen +bilden. Die Eingeborenen hier müssen doch eigentlich recht glückliche +Menschen sein.« + +»Und warum nur die Eingeborenen?« fragte Elise. + +»Weil sie bloß der Gegenwart zu leben brauchen,« sagte Könnern; »sie haben +Nichts in der Welt, das ihnen den Genuß des Augenblickes verkümmern +könnte, keine Erinnerung, die sie zurückzieht, keine Sehnsucht nach +irgend einem verlassenen Spielplatze der Kindheit. Fühlt sich nicht +selbst der Lappländer in seiner Schneewüste, in seiner rauchigen Hütte, +in Schmutz und Elend glücklich, nur weil es seine Heimath ist, wie viel +mehr denn könnte es der Brasilianer in seinen Palmenwäldern und +Orangenduft?« + +»Und hängen Sie noch so sehr an der Heimath?« + +»Du lieber Gott,« sagte Könnern, »ich habe eigentlich nicht viel dort +zurückgelassen, was mich binden könnte. Meine Eltern sind beide todt, +und nach so langer Abwesenheit von daheim darf ich kaum hoffen, daß, +außer einem Bruder, der mir dort lebt, meine Freunde _mir_ eben das +warme Herz bewahrt haben, das ich zurückbringe. Man sagt ja sogar, daß +das Heimweh nur durch eine Rückkehr in die Heimath so gründlich curirt +werden könne, um nie wiederzukehren. Aber dennoch liegt ein eigener +Zauber über dem Platze, auf dem einst unsere Wiege gestanden, und ich +weiß nicht, ob ich mich je mit dem Gedanken befreunden könnte, selbst +Brasilien zu meinem steten Aufenthalte zu wählen, ehe ich den heimischen +Boden nicht wenigstens noch einmal wiedergesehen hätte. Fühlen _Sie +kein_ solches Verlangen?« + +»Ich war noch ein halbes Kind als ich Deutschland verließ,« sagte Elise; +»kannte ich doch damals Nichts als das Vaterhaus, und da meine Eltern +mit herüber kamen, vermißte ich kaum Etwas aus dem alten Vaterlande. +Wohl steigt manchmal eine Art von Sehnsucht in mir auf, die Heimath +wieder zu sehen, aber es ist mehr ein unbestimmtes Gefühl, das keinen +festen und gewissen Anhaltspunkt hat, und deshalb auch nicht so mächtig, +um mich lange und ernsthaft in Anspruch zu nehmen.« + +»Aber Sie führen doch ein recht einsames Leben hier oben.« + +»Ich bin kein anderes gewöhnt,« sagte Elise, während aber doch ein +leichter Seufzer ihre Brust hob; »Vater und Mutter sind so gut mit mir, +und Alles, was ich brauche, habe ich im Überfluß. Was könnte mir die +geräuschvolle Welt da unten mehr bieten? Je mehr ich auch davon sehe, +desto weniger gefällt sie mir, und ich habe es dem Vater oft schon im +Stillen gedankt, daß er uns hier oben so vollkommen von dem Verkehr mit +der Ansiedelung abgeschlossen.« + +»Aber was _haben_ Sie schon davon gesehen?« + +»Was? O, viel!« sagte Elise erstaunt. »lärmende, trunkene Menschen, die +gar nicht selten unser Haus passirten, Klagen der Arbeiter im Überfluß, +und Zank und Streit, Neid und Haß der einzelnen Colonisten, die manchmal +den Vater bitten, zwischen ihnen zu entscheiden, damit sie keinen +Advocaten anzunehmen brauchen. Es ist recht traurig, daß die Menschen +nicht in Frieden neben einander leben können, und Vater hat gewiß ganz +Recht gehabt, daß er sich von ihnen zurückgezogen. Wir leben jetzt hier +viel glücklicher in unserer Einsamkeit, wo wir Nichts von all' dem Lärm +und Unfrieden zu hören bekommen -- und doch sehnt sich Mutter hinaus und +zurück in die Welt.« + +»Sind Sie schon lange in Brasilien?« + +»Sieben Jahre mögen es sein -- vielleicht etwas weniger, und damals war +die Colonie da unten ein kaum begonnener Platz, auf dem erst wenige Häuser +standen. Erst in den letzten zwei Jahren begannen die Auswanderer hierher +den Weg zu finden -- der Vater sagt, weil ihnen lügenhafte Speculanten +vorgeschwindelt hätten, daß der Boden hier so außerordentlich fruchtbar +sei -- und jetzt vergeht fast kein Monat, an dem nicht Schiffsladungen +voll von ihnen ankommen.« + +»Das ist auch jetzt wieder der Fall,« meinte Könnern, »und wir sind +gerade heute heraufgekommen, um das nächstgelegene Land für neue +Colonisten auszumessen. Sie werden dann wahrscheinlich auch hier oben +eine Menge neuer Nachbarn bekommen.« + +»Dann zieht Vater gewiß weg von hier,« lachte Elise, »denn er hat schon +oft davon gesprochen, so hübsch er den Platz auch mag eingerichtet +haben. Wenn Mutter nicht dagegen gewesen wäre, Vater säße schon lange +wieder irgendwo mitten im Walde ganz allein.« + +»Aber weshalb scheut er die Menschen so? Haben sie ihm je Etwas zu Leide +gethan?« + +»Ich weiß es nicht,« sagte Elise treuherzig; »er spricht nie darüber und +hat sogar --« sie schwieg plötzlich, und ein leichtes Roth färbte ihre +Wangen. + +»Was hat er?« fragte Könnern, weniger aus Interesse an der Frage, als an +der Jungfrau selber, die durch ihre schlichte Einfachheit einen ganz +eigenen Zauber über ihn auszuüben begann. + +»O Nichts,« sagte Elise leise; »Vater hat manchmal ganz sonderbare +Einfälle, wenn er sich damit nur ihm lästige Menschen abhalten kann.« + +»Und glauben Sie, liebes Fräulein, daß es ihm unangenehm wäre, wenn ich +vielleicht noch einmal herauf käme, ehe ich die Colonie verließe?« + +»Sie wollen schon wieder fort?« fragte das junge Mädchen fast +erschreckt, und erschrak doch noch mehr eigentlich über die Frage +selber. + +»Möglich ist es, daß ich noch mehrere Tage, vielleicht sogar einige +Wochen in der Nachbarschaft bleibe,« sagte der junge Mann; »es hängt das +von Briefen ab, die ich von Rio erwarte und die vielleicht schon mit +dem nächsten Postdampfer eintreffen können. Aber Sie haben mir _meine_ +Frage nicht beantwortet.« + +»Welche Frage?« + +»Ob es Ihr Vater ungern sehen würde, wenn ich herauf käme um -- Abschied +von Ihnen zu nehmen,« sagte Könnern, und es war ihm selber ein ganz +eigenes, wehes Gefühl, als er die Worte sprach. + +»Ob es der _Vater_ ungern sehen würde,« sagte Elise, und ein leises, +fast wehmüthiges Lächeln stahl sich über ihre Züge, »weiß ich freilich +nicht; _ich_ aber würde es ganz bestimmt ungern sehen, wenn Sie -- so +bald schon wieder Abschied von uns nehmen wollten.« + +Könnern wollte ihr Etwas darauf antworten, aber er vermochte es nicht. +Irgend eine leere Redensart paßte nicht auf die aus dem Herzen kommenden +Worte des einfachen Mädchens, und hätte er ihr so darauf erwiedert, +wie es ihm sein eigen Herz eingab -- das ging nicht -- das war nicht +möglich. Nur ihre Hand ergriff er und sagte endlich mit tiefem Gefühle: + +»Der Mensch ist noch nicht ganz verloren, bei dessen Ankunft sich Jemand +freut, dessen Abschied Jemanden betrübt. Ich will die Worte so einfach +nehmen, wie sie gesprochen waren, aber sein Sie versichert, mein +Fräulein, daß sie mir stets eine liebe, liebe Erinnerung bleiben +werden.« + +Elise sah ihn fast etwas bestürzt an. Hatte sie mehr gesagt, wie sie +eigentlich durfte -- Du lieber Gott, sie war ja fast jedes geselligen +Umganges entwöhnt. Wie um sich selber zu entschuldigen, fuhr sie fort: + +»Wir haben hier so lange jeden gesellschaftlichen Umgang entbehrt, daß +man es uns wahrlich nicht verdenken kann, wenn wir uns freuen, die +Einsamkeit, ja Öde einmal durch einen freundlichen Besuch gestört zu +sehen.« + +»Ich habe es auch nicht anders verstanden, liebes Fräulein,« sagte +Könnern mit einem Seufzer, »und doch danke ich Ihnen dafür. Aber Ihre +Frau Mutter scheint Sie zu suchen -- und dort hält auch der Director +schon wieder, mich erwartend, vor der Thür. So rasch ist die Zeit +vergangen, und ich glaubte, daß wir erst wenige Minuten im Garten +gewesen wären.« + +»Leben Sie wohl!« sagte Elise, ihm freundlich und ohne Rückhalt die Hand +zum Abschied reichend. + +»Leben Sie wohl, liebes Fräulein!« sagte der junge Mann, und er war +einen Moment unschlüssig, ob er die ihm gereichte Hand an die Lippen +heben solle, aber er bezwang sich, machte ihr eine ehrfurchtsvolle +Verbeugung und verließ rasch den Garten. + + + + +6. + +Zuhbel's Chagra. + + +Der Director wandte sein Pferd, als er Könnern auf sich zukommen sah, +und ritt ihm voran die schmale Straße entlang. + +»Nun, wie hat Ihnen die Familie gefallen?« sagte er endlich, als sie +sich weit genug von Haus und Garten befanden, um nicht mehr von dort +gehört zu werden; »nicht wahr, die Tochter ist nicht so übel?« + +»Nein, ein ganz hübsches Mädchen,« sagte Könnern und schämte sich fast +vor sich selber dabei, des profanen Urtheils wegen, denn es schien ihm +eine ordentliche Entweihung dieses schlichten, unschuldvollen Herzens. +Glücklicher Weise verhinderte aber der enge Weg hier eine längere +Unterhaltung. Eine Viertelstunde später zeigte ihm der Director das +Thal, dem er folgen könne, um einmal den Wald und die Nachbarschaft ein +Wenig kennen zu lernen, bezeichnete ihm den Platz, wo er sein Pferd +einstellen solle, warnte ihn noch einmal vor einem zu langen Streifzuge, +damit er sich nicht doch etwa in den Bergen verirre, und setzte dann +seinen eigenen Weg fort, Könnern sich selber überlassend. + +Der junge Mann athmete tief auf, als er sich endlich allein im Walde +sah; er fühlte das Bedürfniß, seinen Gedanken ungestört nachhängen zu +können, und ein so eifriger Jäger er sonst auch sein mochte, heute +vergaß er fast, weshalb er in den Wald gekommen, und ließ seinem Pferde +willenlos den Zügel, einen Fußpfad zu verfolgen, der in dem Thale +hinauflief. Dort oben sollte er noch eine Chagra, die letzte, erreichen, +wo er sein Pferd lassen und die Jagd dann zu Fuße fortsetzen konnte, +denn im Sattel ließ sich in diesen Wäldern eben gar Nichts ausrichten. + +Und was hatte ihm denn nur auf einmal so Kopf und Herz befangen, was +durchglühte ihn plötzlich mit einem nie gekannten, kaum geahnten Gefühl? +Der Anblick, das Zusammensein mit diesem einfachen, schlichten Kinde +des Waldes? Könnern schüttelte selber über die tolle Idee den Kopf und +suchte ein paar Mal sogar gewaltsam das holde Bild aus seiner Erinnerung +zu bannen; aber es ging eben nicht. -- Wenn er hinaus in den Wald horchte, +hörte er die melodischen Laute ihrer Stimme, wenn er nach irgend einem +möglichen Wild umherlugte, sah er das schelmische Lächeln der Jungfrau +hinter jedem Busch und Strauch, als sie ihn fragte, ob er die Blumen +liebe, und aus jedem perlenden Thautropfen schauten ihm die treuen Augen +Elisens entgegen. + +Mit einem Worte, er war bis über die Ohren verliebt, und daß er sich das +zuletzt selber nicht einmal mehr verbergen konnte, ärgerte ihn am +Allermeisten. + +»Es ist reiner Wahnsinn,« philosophirte er vor sich hin, »reiner, +blanker Wahnsinn, daß ich da hinein reite, einer jungen Brünette in die +Augen schaue und darüber auf einmal den Verstand verloren haben soll! +Der muß mir jedenfalls schon früher abhanden gekommen sein -- oben in +Costa Rica vielleicht, oder am Mississippi, oder irgendwo anders sonst +-- der Teufel weiß es! Aber zum Kuckuck auch! Ich will doch einmal +sehen, ob ich nicht Gewalt über mich habe, mir ein Mädchenbild aus +dem Kopf zu schlagen, und _wenn's_ eine Brünette mit den schönsten +Reh-Augen der Welt wäre -- und das ist sie nicht einmal -- die Nase +steht ihr ein klein Bißchen schief -- ein ganz klein Bißchen nur, aber +sie steht doch schief, und ist für eine wirkliche Schönheit viel zu +stumpf, und das Kinn müßte nothwendig ein wenig länger sein -- außerdem +hat sie nicht einmal ein Grübchen darin, und ich schwärme für Grübchen +im Kinn.« + +Und wie er sich die Fehler der Geliebten so gewaltsam vormalte, schauten +über Nase und Kinn immer nur wieder jene Augen fest und tief in die +seinigen; in dem Rauschen der Palmen hörte er die leise flüsternden +Worte, wie sie ihm sagte: »Ich aber würde es ganz bestimmt ungern sehen, +wenn Sie sobald schon wieder Abschied von uns nehmen wollten,« und +jeder wehende Zweig schien ihm zuzuwinken und zu rufen: »Zurück! Zurück +-- hinter Dir liegt das Glück, das Du verlassen hast, hinter Dir! Und was +treibst Du Dich da noch länger so einsam und allein in der weiten, öden +Welt umher?« + +Er griff auch ein paar Mal wirklich seinem Pferde in die Zügel, als ob +er dieser wunderlichen Stimme, die ihn drängte und trieb, folgen wolle, +aber es war das immer nur ein Moment. Im nächsten warf er trotzig den +Kopf zurück und biß die Zähne auf einander. Aber die Traumbilder ließen +ihm doch keine Ruhe, und er kam erst eigentlich ordentlich wieder zu +sich selber, als er das ihm von dem Director bezeichnete Haus erreichte, +das an der Gränze der Ansiedelung stand und wo er sein Pferd lassen +wollte, um seine eigentliche Jagd zu beginnen. + +Der Eigenthümer war allerdings gerade nicht zu Hause, sondern im Walde +draußen, um Stämme für eine neue Scheune zu schlagen, das schadete +aber Nichts; die Frau öffnete ihm den kleinen Pasto, wo er sein Thier +indessen frei weiden lassen konnte, und mit seiner Büchsflinte auf der +Schulter schritt er gerade in den Wald hinein, um sein Jagdglück, allen +Gedanken und Träumen zum Trotz, in vollem Ernste zu versuchen. + +Es giebt auch wirklich in der ganzen Welt kein besseres Mittel, um sich +lästig werdender Gedanken zu entschlagen, als zu Fuß in einem tropischen +Walde spazieren zu gehen. Im Sattel sucht sich das Pferd schon selber +seinen Pfad, weicht Hindernissen aus oder überwindet sie, und trägt den +Reiter seine Bahn entlang; ja, ein solcher einsamer Ritt ist eigentlich +zum Brüten und Grübeln wie gemacht, und während sich der Körper ruhig +und endlich selbst theilnahmlos der Führung des Pferdes überläßt, haben +Geist und Phantasie vollen Raum, in das Wilde hinaus zu schweifen, und +machen denn auch bei jeder passenden Gelegenheit Gebrauch davon. + +Anders und sehr verschieden ist das freilich, wenn man selber in den +Gebüschen steckt, wenn sich jeder Fehltritt durch ein prosaisches +Stolpern straft und Dornen und Schlingpflanzen bald hier, bald da den +Weg versperren. In solchem Falle ist's mit dem Grübeln unbedingt vorbei, +und kein anderer Gedanke, als der, sich die Bahn frei zu halten, kann +aufkommen. + +Das Mittel half auch bei Könnern. Wie er nur erst einmal die letzte +Umzäunung der Colonie hinter sich hatte und in den wirklichen Wald +eintauchte, wobei er noch außerdem genöthigt war, sich genau die +eingeschlagene Richtung zu merken, gewann der Wald um ihn her wieder +seinen wirklichen Charakter, und ordentlich in der Wildniß drin erwachte +auch die alte Leidenschaft zur Jagd in ihm, und ließ ihn mit dem ersten +besten Pfade, auf den er den Fuß setzte, auch nach Fährten oder Spuren +wilder Thiere suchen. + +Es ist außerdem schon an und für sich ein ganz eigenthümliches, +wunderbares Gefühl, in einem fremden, unbekannten Walde mit der Büchse +im Arm dahin zu schreiten, und man muß eigentlich selber Jäger sein, um +das recht mitempfinden oder auch nur begreifen zu können. Jeder Laut ist +fremd, selbst das Rauschen der Blätter klingt dem Ohre ungewohnt, und +noch dazu in einem tropischen Walde lenkt überall eines der sich stets +bewegenden riesigen Blätter das Auge des Jägers bald da, bald dorthin +und hält ihn anfänglich in fast fieberhafter Spannung. + +Hier und da raschelt auch einmal das Laub -- ein dürrer Ast knickt, +ein Waldhuhn streicht dicht vor den Füßen des Jägers mit fremdartigem +Geräusch empor und verschwindet, ehe er sich zum Schusse sammeln konnte, +wieder in den Büschen, und irgend eine unbekannte Fährte fesselt +plötzlich seinen Blick und lockt ihn, weit von seiner Richtung ab, +lange, lange Strecken in den Wald hinein. + +So streifte auch Könnern heute durch die Wildniß, die er freilich mit +größeren Erwartungen für die Jagd betreten hatte. Er fand wohl einmal +eine Stelle, wo ein Rudel Sauen den Grund aufgebrochen hatte, er sah die +Fährten einer kleinen Rothwildart und einmal sogar die eines Panthers +oder einer Tigerkatze, aber zum Schusse bekam er Nichts als ein paar +Waldhühner, die er aus dem Gebüsche herausstörte und im Fluge mit dem +Schrotlauf schoß. Das war Alles, und als er am Stand der Sonne sah, daß +er nicht viel Zeit mehr zu versäumen hatte, trat er den Rückweg an und +erreichte etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang das Haus jenes +Ansiedlers, wo sein Pferd stand. + +Der Mann war jetzt zu Hause und empfing den Fremden auf das Gastlichste, +wie es überhaupt in den Ansiedelungen Sitte ist, lachte auch gerade +hinaus, als Könnern erklärte, daß er heute Abend noch nach der Colonie +zurück wolle. + +»Mein lieber Freund,« sagte er, »das ist reine Thorheit, und Sie +verstehen es eben nicht besser. Bis Sie Ihr Pferd gesattelt haben und +aus der Rodung hinaus sind, ist die Sonne unter und die Welt damit auch +gleich stockdunkel, und nachher sollten Sie einmal sehen, wie Sie auf +dem Hundewege mit Ihrem Pferde stecken blieben und stürzten, vielleicht +obendrein noch Hals und Beine brächen. Fortreiten im Dunkeln? Denken Sie +gar nicht daran, und außerdem lasse ich Sie nicht fort, wenn Sie auch +wirklich wollten. Glauben Sie denn, daß uns die Fremden hier so dick +zugeschneit kämen, daß wir einen, den wir einmal eingefangen, gleich +wieder fliegen ließen? Gott bewahre -- heute Abend wollen wir uns was +erzählen, Sie von draußen, ich von drinnen, und da sollen Sie einmal +sehen, wie rasch die Zeit verfliegt.« + +Er ließ auch wirklich gar keine Einwendungen gelten, und da sich Könnern +viel eher in der Stimmung fühlte, den Abend bei ganz fremden Leuten +zuzubringen, als unter Freunden zu verplaudern, so bedurfte es keines +langen Zuredens seines freundlichen Wirthes, ihn zu bestimmen dessen +Wunsch zu gewähren. + +Während Könnern unter einem mächtigen Orangenbaume saß und einige der +um ihn her den Boden bedeckenden Früchte verzehrte, erzählte ihm der +Deutsche den größten Theil seiner Lebensgeschichte. Er hieß Heinrich +Zuhbel, hatte früher einen Handel in Rio Grande gehabt und mit einem +Krämerkarren verschiedene Streiftouren nach Uruguay hinein gemacht, wo +er eine Menge Geld verdient haben mußte. In San Leopoldo, wohin er auch +einmal gekommen war, um seine Waaren an den Mann zu bringen, brachte er +sich dann selber an. Er verliebte sich nämlich -- oder besser gesagt, +seine jetzige Frau verliebte sich eigentlich in ihn -- die Eltern hatten +Nichts dagegen, und er verkaufte seine ganzen Habseligkeiten an einen +frisch eingewanderten Juden, übernahm die Colonie seines Schwiegervaters +und wirthschaftete darauf, bis ihm der Nachbarn zu viele wurden. Damals +wurde die jetzige Colonie Santa Clara, wenn auch nicht begründet, denn +sie bestand schon längere Zeit, aber frisch in Angriff genommen, und +Zuhbel beschloß, hieher überzusiedeln. Überhaupt an Herumziehen in der +Welt gewöhnt, wurde ihm das auch nicht schwer, und er hatte sich jetzt +mit Fleiß und Ausdauer ein ganz hübsches Besitzthum gegründet und lebte, +wie er meinte, gerade weit genug von der Colonie entfernt, um sich Vieh +halten zu können und nicht jeden Augenblick Ärger mit den Nachbarn zu +haben. Die Kinder konnte er freilich von hier aus nicht in die Schule +schicken, denn das war zu weit und die Schule taugte auch Nichts; +deshalb unterrichteten er und die Frau sie selber, und der »Landsmann« +sollte sich nachher einmal überzeugen, was sie schon Alles könnten. + +Der Mann plauderte so in einer Schnur fort, und erzählte dem Fremden +eine von den tausend Geschichten, die der Wanderer durch solche +Länder fast in jeder Hütte zu hören bekommt und als eine der vielen +Reiseunannehmlichkeiten eben hinnehmen muß: eine Lebensgeschichte ohne +das geringste Interessante, ein alltäglicher Lebenslauf in den Colonien, +voll Arbeit, und Glück und Mißgeschick, bunt und ohne Zweck oder Ziel +durch einander gemischt. + +Der Mann hier schien aber trotzdem keiner der gewöhnlichen Bauern +zu sein, wie auch sein früherer Erwerb bewies; er war eine Art von +verdorbenem Genie, der ein Bißchen von Allem oberflächlich gelernt +hatte, das Wenige aber nach Kräften zur Geltung zu bringen suchte, wo +sich ihm irgend Gelegenheit dazu bot. + +Als sich die Sonne endlich hinter die Bäume senkte, lud er seinen Gast +ein, in's Haus zu kommen, da der Thau schon zu fallen begann. Dort fand +Könnern die Frau emsig beschäftigt den Tisch zu decken, und ein junges, +bildhübsches Mädchen von vielleicht dreizehn Jahren, aber schon hoch +aufgeschossen, half ihr dabei. + +Die Frau trug nicht die deutsche Bauerntracht, sondern mehr eine +Kleidung, wie sie bei Handwerkerfrauen auf dem Lande Sitte ist: ein +blaugeblümtes, dunkles Kattunkleid, eine weiße Schürze und -- jedenfalls +dem Gaste zu Ehren -- ein gelb und roth carrirtes Seidentuch um den Hals +geknüpft. Sie mußte auch einmal recht hübsch gewesen sein, denn die +Spuren ließen sich selbst jetzt noch erkennen, aber harte Arbeit und +eine heiße Sonne reiben den Körper auf und machen ihn rasch verblühen. +Sie grüßte schüchtern und verließ mit ihrer Tochter das Zimmer, sobald +es Könnern betrat. Aber auch sein Wirth hatte noch draußen zu thun. + +»Setzen Sie sich und machen Sie es sich bequem,« sagte er zu seinem +Gaste, als er diesen in die Stube geführt hatte; »ich bin gleich wieder +da, ich will Ihnen nur Etwas von meinen Fabrikaten holen.« + +Damit verließ er ebenfalls das Zimmer und ließ dem jungen Deutschen +vollkommen Zeit, sich diese Heimath eines deutsch-brasilianischen +Pflanzers mit Muße zu betrachten -- und wahrlich, es schien ein +wunderlicher Platz! + +Das große, geräumige Zimmer mit weißen Kalkwänden nahm den ganzen +vordern Theil des Hauses ein. Die Möbel bestanden großentheils aus +einfachem weißen Holze. Nur ein, möglicherweise aus Deutschland +mitgebrachter runder Tisch in der Ecke war aus Mahagoni; eben so ein +Stuhl, der aber nur noch drei Beine hatte und mehr zum Staate als zum +wirklichen Dienste wie in Gedanken in der Ecke lehnte. + +An der einen Wand stand ein Fortepiano aus Nußbaumholz; daneben aber ein +angebrochener Mehlsack, aus dem wahrscheinlich der tägliche Bedarf für +das Haus genommen wurde; auf dem Clavier lag ein kürzlich abgenommener +Pferdezaum, denn das Gebiß war noch feucht, und in der Ecke am Fenster +ein alter, zerrissener Sattel, neben dem wiederum zwei Fässer mit Bohnen +und Erbsen standen. Auf den Mahagonitisch war außerdem als Decke das +etwas defecte Umschlagetuch der Frau gebreitet; die Zipfel desselben +reichten aber nicht weit genug herunter, um ein Paar Halbstiefel und +einige noch nicht gereinigte Frauenschuhe zu verbergen. Ein Paar +abgeworfene Hosenträger lagen auf dem Umschlagetuche. + +Die Familie schien außer dem Clavier aber auch sonst noch entschieden +musikalisch zu sein, denn über demselben, neben einer gewöhnlichen +Handwage und einem lange nicht abgestaubten Rocke, hingen noch zwei +Guitarren und eine Violine -- alle drei in etwas desolaten Umständen. +-- Sonst aber sah es reinlich in dem Zimmer aus; die Dielen waren frisch +gescheuert und an dem einen Fenster sogar ein schwacher Versuch zu einer +Gardine gemacht. + +Könnern lehnte seine Büchsflinte in die Ecke neben den Mehlsack und +hatte gerade Zeit genug gehabt, sich in dem Zimmer ein klein wenig +umzusehen, als sein Wirth mit einer Flasche Wein und ein paar Gläsern +zurückkehrte. + +»Nun sollen Sie auch einmal eine Flasche Santa Clara Ausbruch versuchen, +ein capitales Weinchen,« sagte er dabei, indem er die Flasche auf den +Tisch stellte und entkorkte, »selbst gezogen -- delicat -- noch ein +Bißchen jung vielleicht, aber famos -- _die_ Blume!« + +Der Wein hatte eine Rosafarbe; als ihn Könnern aber kostete, lachte er +gerade hinaus und rief: + +»Sie haben sich mit der Flasche vergriffen; das ist Himbeeressig!« + +»Himbeeressig?« sagte Herr Zuhbel erstaunt, indem er vorsichtig von +seinem Glase kostete -- »ich habe ja gar keinen -- bitte um Verzeihung, +das ist mein Ausbruch. Er _ist_ ein Bißchen säuerlich, weil bei uns die +Beeren so ungleich reifen, aber ich gebe Ihnen mein Wort, wenn man sich +erst einmal an _den_ Wein gewöhnt hat, schmeckt Einem der beste +Markobrunner nicht mehr.« + +»Das glaube ich auch,« sagte Könnern, der einen zweiten Versuch machte, +das Glas aber dann kopfschüttelnd wieder auf den Tisch setzte -- »ich +bin übrigens kein Weinkenner, lieber Herr, und trinke nur Wasser. Jeder +Wein steigt mir augenblicklich zu Kopfe.« + +»Der nicht,« rief Zuhbel in Eifer, »der wahrhaftig nicht, und wenn Sie +drei Flaschen davon tränken! (Könnern zogen sich schon bei dem Gedanken +an eine solche Möglichkeit die Eingeweide zusammen und alle Zähne wurden +ihm stumpf.) Übrigens können Sie auch Milch bekommen, meine Weiberleute +trinken auch gewöhnlich Milch, und da kommen sie schon mit dem Essen. +Nun langen Sie tüchtig zu, denn Sie werden nach dem heutigen Marsch +Hunger bekommen haben.« + +Die Frau brachte in der That herein, was das Haus bot, delicates Brod, +frische Butter, guten Käse, Milch und Eier, Alles reichlich und mit +größter Reinlichkeit aufgetischt; aber sie sprach kein Wort, wenn nicht +eine Frage direct an sie gerichtet wurde. Auch das junge Mädchen hielt +sich scheu zurück und wagte nicht einmal ordentlich an den Tisch hinan +zu rücken, an den sie weit hinüberlangen mußte. Zuhbel führte allein das +Wort und erzählte ununterbrochen von seinem Leben hier zwischen den +»Brasilischen«, von seinen Arbeiten und Erfolgen, wie er den Leuten hier +erst habe zeigen müssen was Ackerbau sei, wie er seine Felder einrichte +und bewirthschafte, was er ziehe und möglich gemacht habe, und wie er +es eigentlich gewesen sei, der in die Ansiedelung unten ein wenig +Ordnung gebracht habe. + +»Mit dem Director ist es Nichts,« fuhr er fort -- »gar Nichts, das +ist ein Grobian, wie er im Buche steht, aufgeblasen und stolz -- ja, +»Dickethun ist mein Reichthum,« das paßt auf den. Will Alles besser +wissen, und hat nicht die geringste Lebensart. Da ist der Delegado ein +anderer Mann -- der weiß, was Höflichkeit ist und was unser Einer +versteht, und giebt sich mit dem gemeinen Manne ab, daß es eine Lust +ist.« + +Dann kam er auf die Frau Gräfin zu sprechen, die ihn einmal »mein lieber +Herr Zuhbel« genannt hatte und von der er entzückt schien. Das war eine +Dame, wie sie eigentlich sein sollte, »wirklich vornehm und doch so +gemein als möglich.« + +Könnern ermüdete das Gespräch. Er hatte schon lange herausgemerkt, daß +sein freundlicher Wirth zu den Menschen gehörte, die ihren Nachbar nur +danach beurtheilen, wie sie selber von ihm behandelt sind, und den aus +Grundsatz hassen, der klüger oder fleißiger ist als sie, oder wenigstens +von seiner Arbeit mehr Erfolg gehabt hat. Leider giebt es solcher Leute +ja genug in _allen_ Ständen, und man braucht eben nicht nach Brasilien +zu gehen, um mit ihnen zusammenzutreffen. Zuhbel dagegen, der ebenfalls +gefunden, daß sein Gast ein »Fremder« sei, und der hier draußen viel zu +selten Gelegenheit bekam, seine Lichtseiten zu entwickeln, nahm jetzt +die Ansiedler Einen nach dem Andern durch, um, wie er meinte, dem neuen +Einwanderer gleich einen richtigen Überblick über die Verhältnisse zu +gestatten. + +Indessen war es vollkommen Nacht geworden, als draußen der Hufschlag +eines Pferdes laut wurde und gleich darauf ein junger, kräftiger Bursche +von etwa siebenzehn Jahren in's Zimmer trat. Es war Zuhbel's Sohn, der +den Fremden freundlich grüßte und dann, ohne von seiner Familie auch +nur die geringste Notiz zu nehmen, sich zum Tische setzte und die noch +übrigen Speisen verzehrte. Er leerte sogar ein Glas von dem Wein, ohne +eine Miene dabei zu verziehen. + +Während er aß, saß Zuhbel wie auf Kohlen; er rückte auf seinem Stuhle +hin und her und sah immer nach seinem Sohne hinüber, und als dieser kaum +den letzten Bissen im Munde hatte und seinen Teller zurückschob, stand +er auf, rieb sich die Hände und sagte: + +»So, jetzt kann's losgehen -- jetzt sollen Sie einmal sehen, daß wir +hier im brasilianischen Walde nicht bloß lauter Bauern und Holzhacker +sind, sondern daß wir auch in der Kunst Etwas leisten. Bist Du fertig, +Junge?« + +»Ja, Vater,« sagte der Sohn, stand auf, wischte sich den Mund, +nahm einen kleinen Zusammenlegekamm aus der Tasche, um seine Frisur +oberflächlich in Ordnung zu bringen, und griff dann ohne Weiteres nach +der über dem Claviere hangenden Violine, die er zu stimmen und herauf +und herunter zu schrauben begann. Es dauerte eine geraume Zeit, bis er +damit fertig wurde; der alte Zuhbel hatte indessen das Clavier geöffnet +und sich daran gesetzt. + +»Spielen Sie?« fragte er Könnern. Dieser verneinte. »Das müssen Sie noch +lernen,« fuhr Zuhbel fort, indem er einen falschen Accord griff; »es ist +etwas gar Schönes für einen Colonisten, wenn er sich Abends nach der +Arbeit die Zeit ein wenig mit Musik vertreiben kann -- na, hast Du's +bald?« wandte er sich an seinen Sohn. + +»Jetzt kommt's,« sagte dieser, indem er einen Ton auf dem Clavier anschlug +und seine Stimmung damit verglich. Es stimmte so ziemlich -- höchstens +um einen halben Ton Unterschied, was zu unbedeutend war, deshalb noch +einmal alle Saiten abzuschrauben. Ein Strich über die Violine war das +Zeichen, und ohne weitere Verabredung, als ob gar keine andere Melodie +möglich sei, fielen Beide in die Fra Diavolo'sche Romanze: »Erblickt auf +Felseshöhen,« ein und kratzten und hämmerten dieselbe richtig durch, der +Vater natürlich nur den Baß schlagend, wobei es nicht darauf ankam, ob +er manchmal um zwei oder drei Zoll daneben griff. + +Dann kam ein schwermüthiges Lied. »Von der Alpe tönt das Horn,« dann +»Die Fahrt in's Heu« mit allen Versen. Den Schluß bildete aber das +Schrecklichste von Allem, ein Choral; denn während es bei den früheren +Liedern über die Mißtöne rasch hinwegging, wurden sie hier lang und +feierlich ausgehalten, und Könnern als Schlachtopfer saß in der einen +Ecke und rauchte eine schlechte Cigarre, die wie der Wein eigenes +Fabricat des Tausendkünstlers war. + +Aber auch das ging vorüber; das Concert war beendet, die Violine hing +wieder an der Wand und das Clavier wurde geschlossen -- der erste +angenehme Ton, den es heute von sich gab. + +»Es sind nur drei Instrumente in der ganzen Colonie,« sagte Zuhbel mit +Stolz, indem er den alten Klapperkasten freundlich auf den Rücken +klopfte, als ob es ein Pferd gewesen wäre; »eins hat die Frau Gräfin, +ein wahres Prachtstück; die junge Gräfin hat mir einmal selber Etwas +darauf vorgespielt -- die spielt, und _das_ ist ein Mädel -- zum +'neinbeißen, sage ich Ihnen. Sie kennen sie aber gewiß schon?« + +»Ich habe sie nur einmal im Vorbeireiten gesehen.« + +»Reiten kann sie wie der helle Teufel -- und das dritte hat der Meier +-- der Einsiedler, wie sie ihn unten nennen; aber ob darauf gespielt +wird, kann man nicht erfahren, denn er liegt wie ein Kettenhund vor +seiner eigenen Thür und läßt Niemanden hinein -- das ist ein schrecklicher +Mensch!« + +»Er macht sich nicht viel aus Gesellschaft,« sagte Könnern gleichgültig. + +»Haben Sie das auch schon gemerkt?« lachte Zuhbel; »ja, der läßt Alle +abfahren, wer sie auch sein mögen, aber -- es hat seinen Grund.« + +»Er mag etwas menschenscheu sein; lieber Gott, Jeder von uns hat seine +Schwachheiten!« sagte Könnern und dachte an das Concert. + +»Schwachheiten?« fragte Zuhbel geheimnißvoll -- »bei dem ist's mehr, +darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Dahinter steckt Etwas. -- Mit dem +ist's nicht richtig, und daß der -- ich mag keinem Menschen etwas Böses +nachsagen -- aber daß der _wenigstens_ einen Mord auf dem Gewissen hat, +darauf können Sie Gift nehmen. -- Denken Sie denn, daß der Jemandem +gerade in's Gesicht sehen kann? Gott bewahre, eine blaue Brille setzt +er auf, hinter der man nie weiß ob er schläft oder zuhört, wenn man ihm +'was sagt, und daß er ein einziges Mal seine Nachbarn besucht hätte, so +lange er hier in der Gegend wohnt -- ist ihm noch gar nicht +eingefallen.« + +»Ja, aber mein lieber Herr Zuhbel,« sagte Könnern, »nicht alle Menschen +haben eben Freude an Gesellschaft!« + +»Ach was,« rief der Mann, »der ist keines Menschen Freund, wie sein +eigener, und ich weiß nicht einmal, ob er sich selber 'was aus sich +macht. Nein, bleiben Sie mir mit dem Herrn Meier vom Leibe, und mit +seiner ganzen Familie, der alten, knuffnäsigen Frau, die Einen immer +ansieht als ob sie Einen beißen wollte -- lieber Gott, ich thu' ihr +Nichts! -- und dem bleichsüchtigen Ding von Mädchen. Und mit seinem +Reichthum soll's auch nicht so weit her sein -- mich kauft er nicht aus, +so viel weiß ich, und _mein_ Land gäbe ich nicht für ein Dutzend solcher +Chagra's hin, wie er eine hat.« + +Der Mann war im Zuge und ließ Könnern nur in so fern Ruhe, daß er nicht +von ihm verlangte, ebenfalls zu reden. Er hechelte die Colonie wieder +von oben bis unten durch, und das Resultat blieb, daß er der Einzige +von Allen sei, der wirklich Etwas vom Ackerbau verstehe und eine +Musterwirthschaft eingerichtet habe, auf der er den Colonisten einmal +zeigen wolle was man aus dem Lande machen könne, wenn man es eben +richtig angriffe. Könnern war froh, als er sich endlich mit der späten +Stunde, und Müdigkeit vorschützend, entschuldigen konnte, um sein Lager +zu suchen. + +Auch hier war Alles für ihn durch die Frauen auf das Sauberste +hergerichtet, und in einer der oberen Kammern fand er ein, wenn auch ein +wenig hartes, doch frisch überzogenes Bett, mit Waschzeug, Handtuch und +frischem Wasser, und außerdem noch einen Teller mit Maniokmehl und einen +Korb voll Orangen, die bei dem brasilianischen Landmanne einen nicht +unbedeutenden Theil seiner Nahrung bilden. + +Die Frau leuchtete ihm hinauf. Sie sprach kein Wort dabei, setzte ihm +das Licht in die Stube und sah sich dann noch einmal um, ob auch Alles +in Ordnung sei. Dann ging sie wieder eben so schweigend zur Thür +zurück, drehte sich noch einmal um, sah Könnern ruhig an und sagte: + +»Glauben Sie kein Wort von dem, was _er_ Ihnen sagt. Es ist Alles nicht +wahr. Gute Nacht, schlafen Sie wohl!« und damit verschwand sie draußen +in dem dunklen Gange. + +Könnern lachte still vor sich hin, aber er war durch das furchtbare +Schwatzen seines Wirthes so geistig müde geworden, daß er an dem Abend +nicht einmal mehr denken konnte. So suchte er denn sein Lager und hatte +sich kaum darauf ausgestreckt, als er auch in einen tiefen Schlaf fiel +und erst am hellen Morgen neu gestärkt erwachte. + +Nun wollte er jetzt allerdings gleich zur Ansiedlung zurückkehren, weil +er fürchtete, daß der Director vielleicht seinetwegen in Sorge sein +könne; aber Zuhbel ließ ihn nicht. Erst mußte er frühstücken und dann +seine Felder besehen, ohne das kam er nicht los. + +Könnern war nun Nichts weniger als Ökonom, und verstand nicht das +Geringste von der Landwirthschaft, das schadete aber Nichts; Zuhbel +schleppte seinen Gast mit einem wahren Feuereifer über geackerte und +ungeackerte Felder, und zeigte ihm, was er _hier_ bauen wollte, und was +er _da_ gebaut hatte, wie jener Graben dort und dieser da gezogen sei, +und wie alt der oder jener Pfirsichbaum wäre, und wo er die jungen +Stämme herbekommen habe -- Dinge, die den jungen Maler auch nicht im +Geringsten interessirten. Endlich hatten sie Alles gesehen, keine +Hecken-Anpflanzung von Quittenbäumen, kein Reis- oder Maisfeld war mehr +übrig, und der Fremde durfte endlich den Wunsch ansprechen, sein Pferd +zu satteln. Das aber besorgte ihm der junge Zuhbel, der zum zweiten +Frühstücke aus dem Felde hereingekommen war, und Könnern athmete hoch +auf, als er endlich wieder auf dem schmalen Pfade, das Thal hinab, der +Ansiedelung zutraben konnte. + +Und dennoch schlug er nicht den nächsten Weg dorthin ein, sondern lenkte +links ab, an Meier's Chagra vorüber, und weshalb? Er hatte anfangs ein +unbestimmtes Gefühl, als ob er die beiden geschossenen Waldhühner, die +an seinem Sattelknopfe hingen, Elise bringen wolle -- aber das ging +nicht. Er durfte dem alten Manne nicht lästig fallen -- nicht _jetzt_ +schon wieder sein Haus betreten -- und doch, mit wie schwerem Herzen +ritt er an der dichten Hecke vorüber, die Alles umschlossen hielt, was +seinem Herzen lieb und theuer war. -- Vergebens suchte er auch nur einen +Blick in die Umzäunung zu gewinnen; der alte Meier hatte schon dafür +gesorgt, daß kein neugieriges Auge in sein Heiligthum dringen könne, und +tief aufseufzend ließ er seinem Pferde endlich wieder den Zügel, um den +Weg zu verfolgen, der ihn hinunter nach Santa Clara brachte. + +Noch hatte er aber das Ende der Umzäunung nicht erreicht, als er +plötzlich Musik zu hören glaubte. Er griff seinem Thiere rasch in den +Zügel und lauschte. Richtig -- im Garten selber hörte er die melodischen +Töne einer Zither. Eine Weile horchte er, aber er war hier noch zu weit +entfernt, um die Melodie deutlich zu unterscheiden; nur die einzelnen, +höheren Töne drangen zu ihm herüber, und ehe er noch zu einem rechten +Entschluß gekommen, was zu thun, war er schon abgestiegen und hatte sein +Pferd am Zügel. + +Ein Weg führte dort allerdings nicht hinein, aber die Büsche waren +doch nicht so dicht, daß er nicht hindurch gekonnt hätte, und einen +Augenblick stand er unschlüssig, ob er das Pferd hier draußen am Wege +anbinden solle. Aber vom Hause aus konnte Jemand daher kommen und ihn +beim Horchen ertappen -- besser, er nahm es mit, und es vorsichtig +führend, näherte er sich mehr und mehr dem Spielenden, bis endlich ganz +deutlich und gar nicht weit entfernt das Lied zu ihm herübertönte. + +Hier aber hemmte eine hohe und vollkommen dichte Hecke jedes weitere +Vordringen; zu nahe durfte er überhaupt nicht hinan, daß ihn der Schritt +des Pferdes nicht verrieth -- er blieb stehen und lauschte der Melodie, +die eine Meisterhand aus den Saiten lockte -- aber wer spielte hier? Der +alte Meier selber vielleicht? Der Director hatte ihm schon gesagt, daß +er sehr musikalisch sei. Es war eine jener schwermüthigen deutschen +Volksweisen, an denen wir so reich sind, und ein tiefes inniges Gefühl +schien die Saiten zu beleben. + +Jetzt war das Lied beendet und Alles ruhig -- hatte sich der Spieler +wieder entfernt? Es war so still geworden, daß er sich ordentlich +fürchtete den Platz zu verlassen, weil ihn das durch das Pferd +verursachte Geräusch verrathen mußte. + +Da plötzlich wurden wieder einzelne Accorde angeschlagen, erst leise und +wehmüthig, dann in eine mehr heitere Weise übergehend. Zwei oder drei +der kleinen allerliebsten steyrischen Ländler folgten, dann plötzlich in +eine andere Tonart überspringend, intonirte der Spieler eine dem Zuhörer +fremde Melodie, und jetzt -- das Herz schlug ihm auf einmal wie ein +Hammer in der Brust, begann eine glockenreine Mädchenstimme ein kleines +Lied, von dem er deutlich jede Silbe verstehen konnte. + + Die Herzen wachsen alle dort + Im blauen Himmelsfeld, + Und immer zwei beisammen, eng, + Die eine Schale hält. + + Vielliebchen gleich, so keimen sie + Je zwei und zwei selband, + Und sind sie reif, nimmt sie der Herr + Und streut sie über's Land. + + Eins pflanzt er einem Jüngling ein, + Das and're einer Maid, + Und spricht: Mein Segen ruht auf Euch, + Wenn Ihr vereinigt seid. + + Die beiden Hälften suchen nun + Sich in der Welt daher, + Und selig, wer sein halbes find't, + O dreimal selig der! + + Das halbe Herz, Du lieber Gott, + Kann doch auch halb nur schlagen -- + Wer _meine_ and're Hälfte hat, + Ich wollt', er thät mir's sagen. + +Könnern lauschte dem Liede mit glühenden Wangen, kaum aber war es +beendet, als er -- er wußte kaum was er that -- die beiden geschossenen +Waldhühner vom Sattelknopfe nahm und mit keckem Wurf über die Hecke +hinweg in den Garten schleuderte. + +Er hörte noch drinnen einen leisen Aufschrei, aber weiter Nichts, in +wilder Flucht trieb er sein Pferd wieder durch den Busch zurück auf den +Weg, sprang in den Sattel, und jagte mit einem ganzen Sturm tobender +Gefühle im Herzen in die Ansiedelung zurück. + + + + +7. + +Die neuen Colonisten. + + +Der scharfe Ritt that dem wilden Reiter wohl, und weil er der +Unsicherheit des Weges halber sein Thier fest im Zügel halten mußte, +sammelten sich seine Gedanken auch wieder mehr auf seine äußere +Umgebung. + +An der Gränze des Städtchens schon fiel ihm das rege Leben auf, das er +hier traf und das er gestern und vorgestern lange nicht so gefunden. +Eine Menge von fremden, abenteuerlichen Gestalten, die meisten mit +Gewehren auf dem Rücken, als ob sie sich zu einem Kriegszuge gerüstet +hätten, liefen hin und wieder, und als er sich des Directors Hause +näherte, fand er dieses von einem ganzen Menschenschwarm ordentlich +belagert. + +Glücklicher Weise traf er einen der Hausleute, der ihm sein Pferd +abnehmen konnte, und dieser theilte ihm auch die Neuigkeit mit, daß das +Auswandererschiff angekommen sei. + +Mit Mühe arbeitete er sich durch das Gedränge im untern Theile des +Hauses, denn die Leute schienen der Meinung zu sein, daß jeder von ihnen +sein Haus und Feld schon fertig vorfände, und sie Alle wollten sich +jetzt nur beim Director erkundigen, »wo es läge«, damit sie gleich +einziehen könnten. + +Den Director fand er oben in einer ganz verzweifelten Stimmung, wie er +sich gerade mit einem etwas zu frechen Burschen herumzankte und im +Begriffe stand, diesen eigenhändig die Treppe hinunter zu werfen. +Könnern behielt noch eben Zeit, dem Hinunterpolternden auszuweichen. + +»Da haben wir's!« rief ihm der Director schon oben entgegen. »Jetzt sind +sie da und Nichts fertig -- Nichts in Ordnung, daß man sich auch noch +von den Flegeln im eigenen Hause muß Grobheiten sagen lassen!« + +»Nun, die Strafe folgte wenigstens auf dem Fuße,« lachte Könnern. + +»Da soll einem Andern die Galle nicht überlaufen! Ich hätte mich an dem +Lump eigentlich nicht vergreifen sollen, aber, bei Gott im Himmel, sie +treiben's zu arg! Er nannte mich geradezu einen Ochsen, und da +gebrauchte ich mein Hausrecht!« + +»Recht ist ihm geschehen,« sagte Könnern; »aber was nun? -- Wo wollen +Sie mit der ganzen Gesellschaft hin?« + +»Sie können mir dabei helfen, Könnern.« + +»Von Herzen gern, wenn ich eben nur weiß wie.« + +»Ich habe für diesen Fall, da ich ja schon vorgestern von der Ankunft +hörte, ein paar Häuser in der Stadt gemiethet; wir dürfen die armen +Teufel, besonders die Frauen, doch nicht im Freien liegen lassen, +denn es kann noch jede Nacht ein tüchtiger Regen einsetzen. In dem +Auswandererhause bringe ich aber höchstens noch acht oder zehn unter, +bei mir vielleicht auch noch zwei oder drei, und die Übrigen müssen in +jene beiden Häuser einlogirt werden. Kommen Sie mit hinunter; wir sehen +uns die beiden Baulichkeiten gleich noch einmal an, und dann sind Sie +vielleicht so freundlich und übernehmen die Hinüberschaffung der Leute. +-- Apropos, wo waren Sie die Nacht? -- Verirrt?« + +»Nein; bei einem Herrn Zuhbel auf der Chagra.« + +»Ah, bei meinem Freunde Zuhbel; nun, da hatten Sie wenigstens Concert +und Wein,« sagte der Director trocken. + +»Das sei Gott geklagt!« lachte Könnern. + +»Und haben auch gleich einen Überblick über die Privatverhältnisse der +Einzelnen bekommen. Doch lassen wir das. Jetzt an die Arbeit, und nachher +müssen Sie mir von Ihrer Jagd erzählen!« -- -- + +In dem kleinen Städtchen sah es heute wirklich bunt aus, denn gestern +Abend noch, schon nach elf Uhr, waren die Einwanderer mit Booten +heraufgekommen, wo sie natürlich an der Landung liegen bleiben mußten. +Der Capitän hatte ihnen freilich abgerathen, die Fahrt noch so spät zu +unternehmen, aber die Leute wollten so rasch als möglich brasilianischen +Grund und Boden betreten, und nur Wenige waren klug genug gewesen, den +nächsten Morgen abzuwarten, um ihren Einzug in Brasilien zu halten. +Jetzt strömten sie nun nach allen Richtungen in der Stadt umher, und als +man sie haben wollte, um ihren nächsten Aufenthalt zu ordnen, war eben +Keiner zu finden. + +Nur mit großer Mühe gelang es Könnern und dem Director, die Leute endlich +in die allerdings engen Räumlichkeiten hinein zu bringen, und sie fanden +hier wieder bestätigt, daß alle die, denen man es ansah, wie sie früher +in besseren und behäbigeren Verhältnissen gelebt, am Leichtesten zu +befriedigen waren und sich die größten Unbequemlichkeiten gern gefallen +ließen, während gerade die abgerissensten und verwahrlostesten Subjecte +sich mit _Nichts_ zufrieden zeigten und die größten Ansprüche machten. + +Noch drei Familien waren übrig geblieben, die im Anfang auch gar kein +Verlangen nach einem Unterkommen zu haben schienen, und unten ruhig am +Wasser saßen, dem Treiben der Anderen zuzusehen. Der Director hatte sich +gefreut, daß sie vernünftig abwarteten bis die Reihe an sie kam, und +schon beschlossen, sie so gut als irgend möglich zu quartieren. + +Jetzt ging er, während Könnern sich noch mit einer andern Familie oben +in der Stadt abquälte, zu ihnen und sagte: + +»So, Ihr Leute, Ihr sollt nicht zu kurz gekommen sein, daß Ihr mir das +Leben nicht auch schwer gemacht habt. Die Frauen mögen nun noch bei den +Sachen bleiben, und Ihr Männer packt indessen auf den Karren, der da +gerade wieder die Straße herunterkommt, was Ihr eben laden könnt. Ich +habe für den Augenblick nur noch das eine Fuhrwerk zur Verfügung.« + +»Ja, das ist schon gut,« sagte der eine Mann, der auf einer Kiste saß +und auch keine Miene machte aufzustehen; »wann kommt aber denn nun +eigentlich das Schiff?« + +»Welches Schiff?« + +»Nun, _unser_ Schiff!« + +»Das Euch hergebracht hat?« + +»Nein, das andere.« + +»Das andere? Was für ein anderes?« + +»Nun, das uns von hier nach Rio Grande bringen soll.« + +»Nach Rio Grande? Ja, Leute, wollt Ihr denn schon wieder fort? Ihr seid +doch eben erst hier angekommen!« + +»Ja, wir haben alle unsere Freundschaft bei Rio Grande,« sagte die eine +Frau, »und die Passage auch dorthin bezahlt.« + +»Aber hier legt nie ein Schiff nach Rio Grande an,« sagte der Director; +»da müßtet Ihr erst wieder nach Santa Catharina fahren, und das kann +noch sechs oder acht Wochen dauern, bis sich dazu Gelegenheit findet. +Wenn Ihr _da_ hin wolltet, so mußtet Ihr doch wahrhaftig mit keinem +Schiffe nach Santa Clara fahren. Da hättet Ihr Euch _vorher_ erkundigen +sollen.« + +»Ja, das haben wir doch gethan,« sagte der eine Mann; »der Herr Agent +in Antwerpen hat uns ja auch gesagt, _das_ Schiff hier brächte uns nach +Santa Clara, und Rio Grande wäre _dicht_ dabei -- er hat's uns ja auch +auf der Karte gezeigt -- keinen Finger breit von einander war's.« + +»Und Euer Schiffscontract ist bis nach Rio Grande gemacht?« + +»Da -- _hier_ steht's,« sagte der Mann und zog das Papier aus der +Tasche. + +Der Director nahm es; aber auf den ersten Blick sah er schon, daß in dem +Contracte stand: Von Antwerpen nach Santa Clara. »Da steht ja kein Wort +von Rio Grande?« fragte er den Auswanderer. + +»Na, natürlich nicht, weil's dicht dabei liegt,« brummte dieser +verdrießlich; »das hat uns ja der Herr Agent ganz genau auseinander +gesetzt, daß das Schiff nur bis Santa Clara ginge und daß dann ein +anderes daneben liege, welches uns gleich hinüberbringe. Die Schiffe +fahren ja doch alle hier erst in Santa Clara an -- so dumm sind wir auch +nicht, daß wir das nicht genau ausgemacht hätten.« + +Der Director faltete den Contract langsam zusammen und gab ihn dem Manne +zurück. + +»Lieber Freund,« sagte er ruhig, »die Sache ist höchst einfach die, daß +Ihr Euch in Antwerpen habt anführen lassen -- weiter Nichts. Der Agent +dort hatte gerade dieses Schiff liegen und _seinem_ Contracte nach +Passagiere dafür zu schaffen; deshalb seid Ihr da mit aufgepackt +und fortgeschickt. Zwischen hier und Rio Grande besteht gar keine +regelmäßige Verbindung; nur zu Zeiten bietet sich Gelegenheit durch +einen der kleinen Küstenfahrer, der Euch nach Santa Catharina bringen +könnte. Dort müßt Ihr aber wieder auf ein Dampfschiff. Was außerdem +die kleine Entfernung betrifft, so _könnt_ Ihr die Reise nach Santa +Catharina _vielleicht_ in vier bis fünf Tagen machen, wenn der Wind gut +ist -- im andern Falle nimmt sie eben so viele Wochen in Anspruch, und +von da sind auch wieder drei bis vier Tage nach Rio Grande nöthig. +Außerdem wird Euch _diese_ Tour fast noch eben so viel kosten, als die +Reise von Deutschland hierher.« + +»Aber Du mein großer, allmächtiger Gott, wir haben ja keinen Pfennig +Geld mehr!« schrie die eine Frau. + +»Und der Herr Agent hat gesagt, daß uns die Reise von hier nach Rio +Grande keinen Heller kosten sollte.« + +»Dann hat der Agent einfach gelogen,« sagte der Director ruhig, »und es +ist eine Betrügerei, wie sie schon mehrfach vorgekommen.« + +»O, Du mein gütiger Heiland,« jammerte eine andere Frau, »dann sind wir +verrathen und verkauft und müssen hier elend verderben!« + +»Beruhigt Euch, so schlimm ist die Sache noch nicht,« tröstete sie der +Director -- »wenn Ihr Euch nicht vielleicht doch noch entschließt hier +zu bleiben und Euch hier niederzulassen.« + +»Aber wir haben unsere ganze Freundschaft bei Rio Grande; meiner +Schwester Sohn und der Elias und die Dorothea sind auch drüben und +warten auf uns. --« + +»Gut, gut, ich sehe jetzt schon wie die Sache steht; ich will einen +Versuch machen und an die Regierung nach Rio schreiben, welche schon +mehreren anderen armen Auswanderern, die von betrügerischen Agenten in +eine ähnliche Lage gebracht worden, geholfen hat, und vielleicht läßt +sich doch noch Alles einrichten.« + +»Und wann können wir fort?« fragte die Frau rasch -- »kommt das Schiff +bald?« + +»Ja, liebe Frau,« sagte der Director, »so rasch geht die Sache nicht; +wenn ich Euch in zwei oder drei Monaten hier wegbringe....« + +Ein lautes Gejammer der Frauen unterbrach ihn, aber es war hier gar +Nichts weiter zu thun. Die Leute hatten sich einmal betrügen lassen, und +es blieb nichts Anderes übrig, als die Regierung um Hülfe anzusprechen, +was freilich nicht in ein paar Tagen gethan war. Der Brief allein +brauchte acht Tage, bis er hinkam. Diese Leute mußten aber eben doch +untergebracht werden, und wie sie in der ganzen Zeit erhalten werden +sollten, blieb außerdem noch zu bedenken. Die Männer waren indessen +kräftig und konnten arbeiten, und Arbeit gab es immer, wenn es auch nur +zu Wegebauten gewesen wäre. + +Daß der Director nicht viel ruhige Stunden bei all' diesem Wirrwarr +hatte, läßt sich denken, und außerdem wollte auch noch der Bursche, den +er etwas unsanft aus seinem Hause gesetzt, die Einwanderer gegen ihn +aufhetzen, und lief von einer Gruppe zur andern, ihre Hülfe fordernd, +weil er nichtswürdig behandelt sei und sich das nicht gefallen zu lassen +brauche. Die Leute hatten aber heute zu viel mit sich selber zu thun; +außerdem kannten sie den Gesellen schon von der Reise her und mochten +sich nicht mit ihm einlassen. + +Es war eine verwilderte, rohe Gestalt, der Bursche, eine Persönlichkeit, +wie man sie daheim besonders in Meßbuden und herumziehenden Banden oder +Menagerien trifft. Er trug einen hellblauen, fleckigen und zerrissenen +Rock, schmutzige Soldatenhosen, keine Weste und auf dem Kopfe eine +dunkelblaue Mütze mit einem Stück schmaler Silbertresse darum genäht. +Schnurrbart und Knebelbart ließ er sich ebenfalls wachsen. Mit den +blonden Haaren hatte sein Gesicht auch trotz der markirten Einschnitte +etwas Jungenhaftes behalten, was durch den übergeschlagenen schmutzigen +Hemdkragen noch unterstützt wurde, und man wäre veranlaßt gewesen, ihn +auf den ersten Blick für einen verwahrlosten Burschen von achtzehn bis +zwanzig Jahren zu halten. + +Während er aber mitten auf der Straße stand und schimpfte und fluchte, +saß neben ihm sein bleiches, abgehärmtes Weib, ein Kind an der Brust +und ein Mädchen von etwa acht und ein Junge von zehn Jahren neben ihr +stehend -- ein Bild des Jammers, mit großen, hellen Thränen in den +Augen. + +Eine ganze Lebensgeschichte von Jammer und Leid lag in ihrem Antlitz, in +der ganzen gebrochenen Gestalt -- aber sie klagte nicht, kein Wort kam +über ihre Lippen. Nur das Kind beschwichtigte sie mit der einen Hand, +während sie mit der andern sich das Blut von der Stirn wischte, wohin +sie der Unmensch, als sie ihn gebeten hatte keinen Streit am ersten Tage +anzufangen, mit roher Faust geschlagen. + +Doch nicht nur solche traurige Bilder bot die Scene. Auf einem kleinen +Leiterwagen, dem man nur durch eine Partie Strohschütten einige Elasticität +abgewonnen und der, von ein Paar kräftigen braunen Pferden gezogen, +lustig dahergerasselt kam, wurden im scharfen Trabe ein Mann und eine +Frau die breite Straße entlang geschüttelt, die in die Stadt hinein +führte. Der Mann sah sonnverbrannt, aber kräftig und gesund aus, und +verrieth auch in seiner ganzen, einfachen aber saubern und passenden +Kleidung den behäbigen Bauer. Die Frau neben ihm, die ein Kind auf dem +Schooße hielt und dasselbe des bösen Stoßens wegen mehr hob, als vor +sich sitzen hatte, war jedenfalls seine Frau; der forschende Blick, den +aber Beide unablässig nach rechts und links sandten, verrieth, daß sie +Etwas suchten, und als der Wagen den belebteren Theil der Straße +erreichte, hielt der Mann sein Pferd an, und die Frau rief fast +ängstlich einige der Vorübergehenden an: + +»Ja, wo sind sie denn nur -- wo sind sie denn hingebracht?« + +»Wer?« fragte der Angeredete. + +»Nun, die mit dem neuen Schiffe gekommen sind.« + +»Ja,« lachte der Mann, »die stecken überall herum, wo man sie eben +unterbringen konnte, Einer da, Einer dort.« + +»Wen sucht Ihr denn?« fragte eine Frau, die gerade des Weges kam und +auch zu den neuen Einwanderern gehörte. + +»Die alte Frau Mecheln aus dem Würtembergischen, aus Bellstadt,« rief +die Frau vom Wagen herunter, und griff ihrem Manne in die Zügel, weil +das Pferd nicht stehen wollte. + +»O, die alte Mecheln, die ist mit bei uns! -- Gleich da drüben um die +Ecke, wo der große Baum vor dem Hause liegt.« + +»Und sie ist wohl?« + +»Kerngesund, die ganze Reise gewesen.« + +Der Mann hatte bei der Erwähnung des Hauses schon sein Pferd in die +bezeichnete Straße eingelenkt; die Frau winkte dankend mit der Hand, +fort rasselte das Geschirr, daß die Funken stoben, und hielt gleich +darauf vor dem genannten Hause. Und sie brauchten hier nicht lange zu +warten. Sobald der Wagen anhielt, ging die Thür auf, und die alte Frau, +die mit Schmerzen darauf gewartet hatte, daß sie Einer der Ihrigen hier +erwarten solle, trat in die Thür. + +»Großmutter!« schrie die Frau ihr schon vom Wagen aus entgegen +-- »Großmutter -- wie geht's -- wie geht's?« + +»O, Du mein himmlischer Vater!« rief die alte Frau und hielt sich an dem +Thürgeländer, an dem sie stand. Aber ihre Enkelin war schon unten bei +ihr -- wie sie mit dem Kinde vom Wagen gekommen, wußte sie selber nicht +-- mit Einem Satze war sie unten und bei der Großmutter, ließ das Kind +auf die Erde niedergleiten, umfaßte die alte, zitternde Frau und +schluchzte, als ob ihr das Herz brechen solle vor Nichts als Wonne und +Seligkeit. + +Der Mann hatte noch mit den Pferden zu thun, die nicht stehen wollten, +aber ein Bekannter kam die Straße herunter, der ihm dabei half und +dieselben hielt, und er stieg nun auch ab, warf erst die Stränge los, +daß kein Unglück geschehen konnte, und ging dann ebenfalls langsam zur +Großmutter hinüber, die er beim Kopfe nahm und herzhaft abküßte. + +Dann aber faßte er die Sache auch praktisch an, denn ein einziger Blick +in den innern Raum sagte ihm schon, daß die alte Frau hier nicht länger +bleiben konnte. Ohne sich deshalb weiter um etwas Anderes zu bekümmern, +ging er in das Haus und ließ sich die sämmtlichen Sachen von der +»Großmutter« geben, die schon alle zusammen in der einen Ecke standen, +lud dieselben mit Hülfe einiger der Auswanderer auf den Wagen und nahm +dann die alte Frau selber wie ein Kind auf den Arm, um sie auf den schon +für sie bereiten Sitz zu tragen. + +»Aber Junge, Junge,« rief die Alte halb erschreckt über die gewaltsame +Entführung -- »meine Sachen! Alle meine Sachen stehen ja noch in der +Stube.« + +»Schon Alles auf dem Wagen droben, Großmutter.« + +»Auch die blaue Kiste?« + +»Da hinten steht sie.« + +»Und der kleine Holzkoffer?« + +»Alles oben.« + +»Aber der Korb mit dem Tuche oben drauf, und die rothe Lade....« + +»Alles da; es fehlt Nichts.« + +»Aber den Regenschirm seh' ich nicht.« + +»Den Regenschirm?« sagte der Enkel verblüfft, denn da war wirklich +Etwas, was er vergessen hatte. + +»Er steht gleich neben dem Fenster in der Ecke« -- aber einer der Jungen +aus dem Hause war schon hineingesprungen, um das Vermißte zu holen, und +kam gleich darauf im Triumph damit zurück. + +»So, Großmutter,« sagte der Mann, »ist nun Alles da?« Die Enkelin hatte +mit dem kleinen Kinde schon neben ihr Platz genommen. + +»Alles, meine Kinder -- und sind wir denn jetzt wirklich in Brasilien?« + +»Na, ob!« sagte der Mann, gab seinen Pferden einen kleinen +Peitschenhieb, und fort rasselte der Wagen wieder, die glücklichen +Menschen ihrer eigenen Heimath zuzuführen. + +Gerade als das Fuhrwerk wieder die Stadt verließ, landete noch ein +kleines Boot, die Capitainsjölle, worin dieser einige Kajütenpassagiere +an's Land brachte. Drei oder vier andere waren schon gestern Abend mit +den Zwischendeckspassagieren gelandet und gleich in den Gasthof gegangen, +um dort Unterkunft zu finden. Eben dahin hatte sich aber auch eine +Anzahl von Zwischendeckspassagieren gewandt, die sich in dem, ihnen von +der Direction angewiesenen Raume nicht wohl fühlten und noch Geld genug +bei sich führten, wenigstens die erste Zeit davon leben zu können. Waren +sie dann erst einmal acht oder vierzehn Tage in der Colonie, so ließ +sich mit mehr Muße eine bequemere Einrichtung treffen. + +In dem letzten Boote befanden sich ein paar junge Kaufleute und ein +junger Baron, ein Herr von Pulteleben; mit einer wahren Unmasse von +kleinem Handgepäck, das er im Boote um sich her aufgeschichtet hatte. An +der Landung konnte er aber natürlich nicht gleich Jemanden finden, der +es ihm trug, und die Folge davon war, daß er, das »Hôtel« eine halbe +Stunde später als die Übrigen erreichend, keinen einzigen Platz mehr +fand, keinen Platz wenigstens, wie er ihn wünschte, d. h. ein Zimmer +allein, wie er auf dem Schiffe auch eine Koje für sich selber gehabt. +Der junge Herr hatte übrigens Geld, und glaubte, darauf pochend, Alles +durchsetzen zu können. + +Der Wirth »Bodenlos«, wie er von den Colonisten genannt wurde -- eigentlich +hieß er Bohlos -- stand schon etwas halbselig in der Thür, denn er hatte +es sich nicht nehmen lassen, mit all seinen neu angekommenen Gästen den +sogenannten Willkommenstrunk zu leeren, und betrachtete, die Hände in +den Taschen, den von zwei endlich gefundenen Lastträgern begleiteten +Fremden. + +»Ist dieses das Hôtel?« fragte dieser rasch. + +»Aufzuwarten,« sagte der Wirth, und überflog mit einem lächelnden Blicke +die um die Thür hergestreute Bagage; »Hôtel zum Hoffnungsanker in Santa +Clara. Wollen Sie ein Bett?« + +»Ich wünschte ein Zimmer -- allein, wo möglich mit Cabinet -- vorn +heraus und im ersten Stock.« + +»Kann ich mir wohl denken,« sagte Bodenlos mit unerschütterlicher Ruhe, +ohne selbst die Hände aus den Taschen zu nehmen -- »das wünschen sich +Mehr, können es aber eben nicht kriegen.« + +»Nicht kriegen?« sagte der junge Mann erstaunt -- »ich heiße von +Pulteleben.« + +»Ist mir sehr angenehm, Ihre werthe Bekanntschaft zu machen,« sagte der +Wirth -- »_ich_ heiße Bohlos, Christian Bohlos; das Lumpenvolk in der +Colonie nennt mich aber Bodenlos, bleibt sich indessen ganz gleich, wie +wir Beide heißen.« + +»Aber ich _muß_ ein Zimmer haben,« sagte von Pulteleben, der noch gar +nicht recht wußte, was er aus dem Benehmen des Wirthes machen sollte. + +»Natürlich, wenn Sie nicht unter freiem Himmel bleiben wollen,« meinte +der Wirth, -- »und wenn's regnete, wäre das fatal -- besonders für alle +die Schachteln.« + +»Dann bitte ich nur, daß Sie Anstalt machen,« sagte von Pulteleben, +»denn es ist nicht angenehm, hier draußen zu stehen, und ich möchte mein +Gepäck los sein.« + +»Na, das wäre das Leichteste,« lachte der Wirth -- »wenn Sie's nur hier +eine Stunde allein draußen stehen ließen. Aber Herr von Bullleben, oder +wie Sie gleich hießen, ich will Sie nicht lange hinhalten. Verlangen +Sie hier ein Bett, um irgendwo mit Drei oder Vier in einem Zimmer zu +schlafen, so denke ich, daß ich es möglich machen kann -- ich will mir +wenigstens Mühe geben, und Essen genug haben wir im Hause, aber ein +Zimmer allein _können_ Sie nicht hier bekommen, weil ich eben keins mehr +habe, und andere Gäste hinaus werfen geht eben so wenig. Also damit +Basta!« + +»Und existirt hier kein anderes Hôtel in der Stadt?« fragte der +sichtlich schon sehr Enttäuschte. + +»Gegenwärtig nicht,« bemerkte äußerst artig Herr Bohlos; »wenn Sie aber +vielleicht noch drei oder vier Monate warten wollen, so wird sich +wahrscheinlich ein Rheinbaier hier etabliren und ein Hôtel zur Belle +Vue errichten; das Grundstück ist wenigstens schon dazu angekauft.« + +Herr von Pulteleben stand in einer wahren Verzweiflung mitten auf der +Straße, denn die Ironie dieses gemeinen Menschen, des Wirthes, dem er +nicht das Geringste entgegenstellen konnte, ließ ihn noch vollkommen +unschlüssig, was er thun solle -- erst grob werden und den Burschen dann +mit Verachtung strafen, oder das Letztere lieber gleich zuerst thun. + +»Sie wollen ein hübsches Zimmer, vorn heraus und mit Aussicht?« redete +ihn da plötzlich eine Stimme an, nach der sich von Pulteleben überrascht +umschaute. Jeremias, denn niemand Anderes war es, der vor ihm stand, sah +aber auch in der That wunderlich genug aus, um Jemanden zu überraschen, +der frisch aus Deutschland herüber kam und an jene exotischen Individuen +noch nicht gewöhnt war, die man über ganz Amerika wild zerstreut findet. + +Jeremias war, wie schon vorher einmal angedeutet, eine Art von Factotum +in der Colonie. Er trieb eigentlich gar keine bestimmte Beschäftigung, +sondern nahm nur da Arbeit an, wo er sie gerade bekam, so daß er oft +fünf oder sechs verschiedene Herren zu gleicher Zeit, und dann wieder +einmal gar keinen hatte. Dazwischen ließ er sich Wege schicken, putzte +den Honoratioren Stiefel und Röcke, reinigte Gewehre und Pfeifen, und +stand sogar in dem Rufe, schon hier und da Heirathen zwischen Familien +vermittelt zu haben, die sonst im Leben nicht zusammengekommen wären. +Jedenfalls hatte er ein ähnliches Gewerbe in Deutschland getrieben, wo +zwischen Bauernfamilien und überhaupt auf dem Lande Ehen nur zu häufig +auf diese Art geschlossen werden. + +Jeremias ging auch demnach gekleidet, denn während der Seidenhut +(Cylinder, Schraube, Angströhre, oder wie die Namen alle heißen mögen) +in die höhere Gesellschaft hineinragte, stand er mit den groben, schweren +nägelbeschlagenen Schuhen mitten im Proletariat, und der übrige Mensch +trug außerdem nur die Kleider der übrigen Menschen -- abgelegte Hosen, +Westen und Röcke, wie sie ihm von den Honoratioren abfielen und meist +noch alle aus Deutschland herübergekommen waren. Leider paßten sie nur +nicht immer, und Jeremias schien darin eine eigene Geschicklichkeit +erworben zu haben, seinen Körper allen derartigen Errungenschaften, so +gut das nur möglicherweise gehen wollte, anzuschmiegen. + +Heute nun fand er reichliche Beschäftigung bei den neuen Ansiedlern, +theils um Gepäck auf einem Handkarren von der Landung herauf zu schaffen, +theils die verschiedenen Parten an passenden Stellen unterzubringen. Daß +er seine übrigen und alten Kunden dadurch vernachlässigte, störte ihn +nicht im Geringsten. Die liefen ihm nicht weg, aber Alles, was er unter +der Zeit _hier_ verdiente, war rein gewonnen. + +Um aber die Arbeit rasch und leicht verrichten zu können, hatte er seinen +Rock ausgezogen und ohne Weiteres in irgend ein offenes Fenster an der +Straße hineingeschoben; so stand er denn jetzt vor von Pulteleben, die +unten zu einem Wulst aufgekrämpelten Hosen oben mit einer grellrothen, +wollenen Schärpe statt Hosenträger festgehalten, darüber eine hellblaue +Seidenweste geknöpft, die der frühere Besitzer nicht mehr tragen konnte, +da ihm der Kellner eines Mittags die Saucière darüber geschüttet, eine +schwarze Halsbinde um den nackten Hals, denn der weiße Hemdkragen war +ihm bei der scharfen Arbeit darunter vorgerutscht, und ein großes, +blaubaumwollenes Taschentuch in die linke Hosentasche so weit +hineingezwängt, wie es möglicherweise gehen wollte. + +Jeremias schwitzte außerdem, daß ihm das Wasser ordentlich in Strömen +von Stirn und Schläfen herunter lief, und von Pulteleben lachte, trotz +seiner unangenehmen Situation, doch gerade heraus, als Jeremias das +blaue Taschentuch jetzt durch einen plötzlichen Ruck zu Tage brachte +-- wobei er die Hosentasche auch mit nach außen drehte -- dann mit der +rechten Hand seine brennend rothe Perrücke lüftete und sich darunter den +vollkommen kahlen Kopf mit dem Tuche wischte. + +»Na, Sie brauchen nicht zu lachen,« sagte Jeremias; »ich wollte einmal +sehen, wie _Sie_ schwitzten, wenn _Sie_ so ein Ding auf dem Kopfe hätten; +das ist wie ein Pelz -- nun, wie steht's?« + +»Also Sie haben eine Stube zu vermiethen?« fragte der junge Mann, +dem jetzt vor allen Dingen daran lag ein Unterkommen zu finden -- »in +angenehmer Lage?« + +»_Ich_ nicht,« meinte Jeremias, »das bleibt sich aber gleich, denn ich +weiß eine, wo Sie gleich einziehen können.« + +»Allein?« + +»Mutterseelens,« sagte Jeremias lakonisch. + +»Weit von hier?« + +»Gar nicht.« + +»Aber wie bekomme ich meine Sachen dorthin?« + +»Handkarren,« erwiederte der kleine praktische Bursche, sprang, ohne +weiter eine Antwort abzuwarten, hinter das Haus, holte dort seinen +eingeschobenen Karren vor, lud die Habseligkeiten des Fremden darauf, +schnürte das Ganze mit einem Seile fest zusammen und war nach wenigen +Minuten schon unterwegs, und zwar nach keinem andern Hause, als dem der +Gräfin Baulen, in welchem er den Fremden ohne Weiteres einzuquartieren +gedachte. + +Glücklich für ihn und seinen kühn entworfenen Plan war Oskar gerade +nicht zu Hause und mit Helenen auf einem Spaziergange begriffen, um die +neu gekommenen Ansiedler ein wenig zu besichtigen. Als Jeremias mit dem +Karren vor dem Garten hielt, saß die Frau Gräfin gerade in ihrem Zimmer +und schrieb ein paar Briefe. + +»Das ist aber kein Hôtel,« sagte der junge Fremde, das Haus betrachtend. + +»Privatwohnung,« meinte Jeremias -- »aber famos -- charmante Leute +-- werden Ihnen gefallen, besonders die Tochter« -- und damit rückte +er sich ohne Weiteres einen der schweren Koffer auf die Schultern und +schritt damit in das Haus hinein, während von Pulteleben bei seinen +übrigen Sachen noch zurückblieb. Nach einer Weile kam er wieder zurück +und holte den andern Koffer, und als er zum dritten Male kam, packte er +dem Fremden selber ein paar Hutschachteln und ein leichtes Kistchen mit +Schirm und Stock auf, ergriff dann das Übrige und sagte: + +»Nu kommen Sie, jetzt wollen wir einziehen.« + +Der Fremde folgte ihm auch vollkommen ahnungslos, daß ihn der kleine +Bursche hier ohne die geringste Berechtigung in ein wildfremdes Haus als +Miethsmann einführe, und nur erst, als sie die erste Treppe erstiegen +hatten und Jeremias voran die zweite hinaufstieg, blieb er stehen und +sagte: + +»Noch höher?« + +»Kommen Sie nur,« ermunterte ihn jedoch sein Führer -- »famose Aussicht, +wie gemalt,« und da er ihm mit seinen Sachen voranging, blieb auch +Nichts weiter übrig, als ihm zu folgen; mußte er doch überhaupt froh +sein, nur ein Unterkommen zu finden. Kaum hatte er übrigens etwa zehn +Stufen der zweiten Treppe erstiegen, als eine Thür im ersten Stock +geöffnet wurde und die Frau Gräfin, welche den Lärm draußen gehört +hatte, erstaunt auf ihrer Schwelle stehen blieb. Sie erkannte übrigens, +vor dem Fremden, noch gerade den aufsteigenden Jeremias und rief: + +»Nun, was ist denn das für Gepäck?« + +»Alles in Ordnung!« rief Jeremias zurück, ohne sich weiter stören oder +außer Fassung bringen zu lassen. + +Die Gräfin schüttelte den Kopf, doch sie konnte nicht anders glauben, +als daß Oskar, der gewohnt war sehr selbstständig aufzutreten, ihr +irgend einen Gast in das Haus gebracht habe, der ihr allerdings zu +keiner Zeit hätte unbequemer kommen können. Gewohnt aber, sich in dessen +Launen oder unbedachte Streiche zu fügen, seufzte sie nur tief auf, trat +in ihr Zimmer zurück und zog die Thür hinter sich in's Schloß. Wenn +Oskar übrigens nach Hause kam, wollte sie ihm tüchtig den Kopf deshalb +zurecht setzen. + +Der Fremde erreichte das kleine Zimmer, wo Jeremias schon seine übrigen +Sachen eingestellt hatte, und sah sich hier allerdings etwas überrascht +um. So freundlich das Local auch liegen mochte, denn es bot einen +Überblick über einen Theil der Ansiedelung und nach den fernen Bergen +hinüber, so fehlte ihm doch auch _jede_ andere Bequemlichkeit. Kein +Stuhl, kein Tisch, kein Bett, kein Spiegel, Nichts, Nichts war zu sehen, +als die kahlen geweißten Wände, und Herr von Pulteleben rief: + +»Nun, das ist ein hübsches Logis, in dem nicht einmal ein Stuhl steht! +Wohin haben Sie mich denn gebracht, Meister Ungeschickt?« + +»Nur keine Überstürzung,« sagte Jeremias, indem er den Rest der Sachen +auf die beiden Koffer legte; »wir haben Zeit, und nach und nach macht +sich Alles. Vorerst sind Sie einmal untergebracht, und was wollen Sie +mehr?« + +»Mehr?« rief von Pulteleben erstaunt -- »Möbel will ich -- meine +Bequemlichkeit, wofür ich bezahle, und vor allen Dingen einen +Waschtisch.« + +»Waschtisch?« sagte Jeremias -- »giebt's nicht. Vor der Hand setzen wir +das Waschbecken auf einen Stuhl, wenn wir erst eins haben.« + +Herr von Pulteleben, der anfing, sich über den Burschen zu amüsiren, +lachte, und Jeremias, sich im Zimmer umsehend, fuhr fort: + +»Hauptsächlich brauchen Sie einen Tisch und einen Stuhl, das ist wohl +das Nothwendigste.« + +»Ich dächte auch,« sagte der junge Mann, »um nur die bescheidensten +Ansprüche zu befriedigen.« + +»Das denk' ich, kann ich schaffen,« nickte Jeremias, »und was weiter +loszueisen ist, wollen wir nachher sehen. Decken haben Sie doch bei +sich?« + +»Decken? Denke nicht daran; nur meinen Plaid. Die Leute, welche ein +Zimmer vermiethen, müssen doch auch ein Bett dazu haben.« + +»Puh!« meinte Jeremias, »reden wir nicht davon; aber ein Plaid ist für +das warme Wetter genug zum Zudecken, und der Boden hier im schlimmsten +Falle,« fuhr er fort, indem er mit dem Hacken auf die Diele trat, »von +weichem Holze -- Lust und Liebe zu einem Ding machen jede Müh' und +Arbeit gering.« + +»Den Teufel auch,« rief der junge Mann erschreckt, »ich werde doch nicht +sollen auf der nackten Erde schlafen?« + +»_Nackten_ Erde? Pst!« sagte Jeremias mit einem unendlich komischen und +ermahnenden Gesichte -- »es sind Damen im Hause!« + +»Sie sind ein ganz verrückter Mensch!« lachte von Pulteleben; »aber +jetzt verschaffen Sie mir wenigstens das Nöthigste. Es soll Ihr Schade +nicht sein,« setzte er hinzu, indem er ihm einen Milreis in die Hand +drückte; »aber ich bin in Eile, ich muß mich umziehen und dem Director +noch meine Aufwartung machen.« + +»Aufwartung?« fragte Jeremias, der mit einer dankenden Bewegung das Geld +nahm, betrachtete und dann in seine Westentasche schob -- »Aufwartung +giebt's hier nicht -- aber einerlei, wollen schon Alles besorgen,« und +damit verschwand er aus der Thür. Jeremias war übrigens nicht der Mann, +etwas Begonnenes halb zu thun; ohne deshalb weiter bei der Besitzerin +des Hauses anzufragen, ging er in Oskar's Zimmer, wo er zwei Tische +wußte, nahm einen davon und trug ihn hinauf. Dann suchte er sich in +Helenens Stube und Schlafzimmer zwei Stühle, und das erst einmal +erobert, nahm er auch Oskar's Waschbecken und Handtuch, mit Kamm, Seife, +Zahnbürste und Allem was dabei lag, und trug es seinem einquartierten +Gaste zu. + +»Zum Henker auch,« rief Pulteleben, als er damit ankam, »das ist ja ein +schon gebrauchtes Handtuch!« + +»Herr Du meine Güte, sind _Sie_ eigen!« sagte Jeremias; »_ich_ brauche +gar keins, ich nehme immer mein Schnupftuch. Was fehlt nun noch?« + +»Wasser und ein reines Handtuch.« + +Jeremias schüttelte mit dem Kopfe, stieg aber doch noch einmal hinunter +und kam bald mit dem Verlangten zurück. Nur statt des Handtuchs hatte er +eine reine Serviette gebracht, die er auf Helenens Toilettetisch +gefunden und ohne Weiteres als gute Beute mitgenommen. + +»Und wie steht's mit dem Bette?« fragte der Fremde, indem er den Rock +auszog und die Hemdärmel in die Höhe streifte. + +»Bett? giebt's nicht!« sagte Jeremias trocken, »wenigstens jetzt nicht. +Sie wollen sich doch jetzt noch nicht schlafen legen?« + +»Nein -- aber doch den Abend.« + +»Gut, bis dahin wird Alles besorgt werden.« + +»Und kann man hier im Hause Etwas zu essen bekommen?« + +»Zu essen? Hm« -- sagte Jeremias, der darüber noch nicht recht mit sich +im Klaren war -- »danach müssen wir erst fragen. Für heute sind die +Leute vielleicht noch nicht darauf eingerichtet. Aber da gehen Sie +lieber in's Gasthaus zu Bodenlos -- der hat's.« + +»Und wie heißt der Eigenthümer dieses Hauses?« + +»Spenker, Bäckermeister.« + +»Gut, dann schicken Sie ihn mir nachher einmal herauf -- ich will mich +erst waschen -- damit ich mit ihm reden kann. Das ist ein verwünscht +öder Aufenthalt hier, und wenn er mir das nicht ein wenig behaglicher +einrichten will, ziehe ich wieder aus.« + +»Auf die Straße?« fragte Jeremias; »denn weiter giebt's keinen Platz, +Sie müßten denn vielleicht in einem von den Gärten eine Laube zu +miethen bekommen.« Damit aber, als ob er jetzt seine Schuldigkeit gethan +habe, zog er sich zurück und drückte sich leise an dem Zimmer der Frau +Gräfin vorbei, der er jetzt nicht gern begegnen mochte. Der Fremde da +oben konnte nun sehen, wie er mit »der Alten« fertig wurde. + + + + +8. + +Die Einquartierung. + + +Oskar und Helene hatten einen Spaziergang durch die kleine Stadt +gemacht, um sich an dem Gewirre der frisch eingetroffenen Fremden zu +amüsiren, und waren, dessen müde geworden, nach Hause zurückgekehrt. + +Sobald Helene ihr Zimmer betrat, konnte ihr natürlich die daselbst +vorgenommene Änderung nicht entgehen. Die Serviette fehlte von ihrem +Toilettetische und die darauf geordnet gewesenen Sachen standen wild +zerstreut umher; zwei Stühle fehlten außerdem, auf die sie gewohnt +gewesen war ihre Sachen abzulegen. Sie klingelte ihrem Mädchen, um zu +erfahren wer in ihrem Zimmer gewesen sei. Dorothea hatte aber in der +ganzen Zeit ihre Küche nicht verlassen und konnte ihr deshalb nicht die +geringste Auskunft geben. + +Oskar suchte indessen sein Gemach, warf seine Mütze in eine Ecke, sich +selber auf das Sopha und rauchte in dieser Lage seine Cigarre weiter, +als er in dem über ihm liegenden Zimmer die schweren Schritte eines +Mannes hörte. Das Haus war nur leicht gebaut, und es klang so deutlich +zu ihm herunter, daß er sich endlich aufrichtete und horchte. + +»Wer zum Henker ist denn da oben?« brummte er endlich leise vor sich hin +-- »dem Jeremias bin ich doch eben mit seinem leeren Karren in der Stadt +begegnet und die Dorothea hat keinen solchen Schritt.« + +Er horchte noch eine Weile; da es sich aber gar nicht verkennen ließ, +daß da oben jemand Fremdes sei, sprang er endlich auf und stieg die +Treppe hinauf. Die Thür der sonst immer leer stehenden Kammer war offen +und nur angelehnt, und neugierig, wer da oben Etwas zu thun haben könne, +stieß er sie noch etwas weiter auf und sah hinein. + +Herr von Pulteleben war gerade mit Waschen fertig und stand vor einem +der geöffneten Fensterflügel, den er vorläufig als Spiegel benutzte, um +sich die wohlgeölten Haare, so gut das eben gehen wollte, zu ordnen. Als +er aber das Knarren der Thür hörte, drehte er den Kopf herum, und sah +kaum den hereinschauenden Oskar, als er ausrief: + +»Ah, da ist doch noch jemand Lebendiges in dem Hause. Wohnen Sie hier?« + +»Guten Morgen,« sagte Oskar, der, auf's Äußerste erstaunt den Fremden +hier zu finden, bald auf ihn, bald auf seine Koffer und Kasten starrte +-- »ja wohl wohne ich hier!« + +»Wo ist denn nur der Lump von Aufwärter hingekommen?« + +»Der Aufwärter?« sagte Oskar, noch immer seinen Augen nicht trauend +-- »der Jeremias etwa?« + +»Ich weiß nicht wie er heißt; er wollte ja gleich wiederkommen. Gehen +Sie wieder hinunter?« + +»Ich hatte die Absicht,« erwiederte Oskar. + +»O, dann sein Sie doch so gut und schicken mir ein Glas zum Zahnputzen +herauf. Es ist ja noch gar Nichts eingerichtet. Das scheint eine schöne +Wirthschaft hier zu sein!« + +»Bitte,« sagte Oskar, der aus seiner Verwunderung gar nicht herauskam, +»geniren Sie sich nicht -- mit wem habe ich denn eigentlich die Ehre?« + +»von Pulteleben,« sagte der junge Mann, seinen Locken eben den letzten +Strich gebend -- »um wie viel Uhr wird hier gegessen?« + +»Um ein Uhr,« sagte Oskar, durch die Ruhe des Fremden immer mehr darin +bestärkt, daß er jedenfalls ein Gast seiner Mutter sein müsse, wenn er +auch keinen denkbaren Zusammenhang dazu finden konnte. Wer hätte der +Fremde aber sonst sein können? + +»Haben Sie eine richtig gehende Uhr?« fragte dieser endlich weiter. + +»Ja,« erwiederte Oskar, indem er danach sah; »es wird gleich zwölf Uhr +sein.« + +»O, desto besser, dann kann ich vorher noch zum Director hinübergehen. +Bitte, vergessen Sie nicht, mir das Glas gleich zu schicken.« + +»Mit dem größten Vergnügen,« erwiederte Oskar, drückte die Thür wieder +in's Schloß, schickte das Mädchen von unten mit einem Glase hinauf und +ging dann zu seiner Mutter in's Zimmer, um sich nach dem Fremden zu +erkundigen. + +Die Frau Gräfin schloß eben ihren letzten Brief, als Oskar das Zimmer +betrat, und sah sich nach ihrem Sohne gar nicht um. + +»Wer ist denn der Herr, Mama, den Du uns da oben einquartiert hast?« +fragte Oskar jetzt; »das scheint ja ein komischer Kauz zu sein!« + +Die Gräfin, welche gerade eine Adresse schrieb, drehte erstaunt den Kopf +über die Achsel und sagte: + +»Und das fragst Du mich? Erst bringst Du mir, ohne die geringste +Erlaubniß vorher einzuholen, einen wildfremden Menschen in's Haus, und +dann weißt Du selber nicht einmal wer er ist? Oskar, es wird mit Dir +jede Woche schlimmer, und ich fürchte, daß es so nicht mehr lange dauern +kann!« + +»Ich habe einen Fremden in's Haus gebracht?« rief aber Oskar jetzt +seinerseits erstaunt und mit einer gewissen Genugthuung, daß er endlich +einmal an einem ihm aufgebürdeten Vergehen vollkommen unschuldig sei +-- »ich bin mit Helenen spazieren gegangen und habe den Menschen, der da +oben Toilette macht, in meinem ganzen Leben nicht gesehen.« + +Es war jetzt an der Gräfin, erstaunt zu sein, und sich ganz gegen Oskar +drehend, rief sie aus: »Aber _Helene_ kann ihn doch nicht eingeladen +haben!« + +»Helene -- Unsinn! -- Helene war ja den ganzen Morgen bei mir, und wir +haben mit keiner Seele gesprochen, den Baron ausgenommen.« + +»Aber der Jeremias hat ja doch sein Gepäck in's Haus gebracht, und +sagte mir, daß Alles in Ordnung sei.« + +»Der Jeremias?« wiederholte Oskar, der nur immer noch verwirrter wurde. + +»Und Du hast keine Ahnung, wer der Fremde ist?« + +»Er sagte mir, er heiße von Pulteleben.« + +»Und woher?« + +»Das weiß Gott -- ich kenne ihn nicht, und der Jeremias -- aber zum +Henker noch einmal, was zerbrechen wir uns den Kopf ganz unnöthiger +Weise; wir werden doch wahrhaftig den fremden Herrn, der sich so #sans +façon# bei uns einquartiert hat, fragen dürfen wo er herkommt und was er +will!« Und mit den Worten schoß er auch ohne Weiteres zur Thür hinaus +und wollte eben die Treppe hinauf, als er unten Jeremias in den Vorsaal +treten sah. + +»Jeremias,« rief er hinunter, »komm' einmal herauf -- aber rasch!« + +»Ich fliege schon,« erwiederte dieser, der sich keineswegs dabei +beeilte, denn er wußte recht gut was ihn jetzt erwartete. + +Oskar stand oben an der Treppe, und so wie der Alte nur so weit +heraufgekommen war, daß er ihn mit der Hand erreichen konnte, erwischte +er ihn bei dem einen Ohre, und zog ihn dem Zimmer seiner Mutter zu. + +»Donnerwetter, junger Herr!« rief der Alte leise, »Sie reißen mir ja den +linken Löffel aus -- was ist denn das nur für ein zärtlicher Empfang?« + +»Warte, Du Schlingel,« rief Oskar, »er soll noch zärtlicher werden! +Jetzt nur herein mit Dir und gebeichtet, was Du für verfluchte Streiche +heute gemacht hast! Da bring' ich ihn, Mama -- jetzt auf die Kniee +nieder, Halunke, und nun gestehe, was das für eine Geschichte mit dem +Fremden ist!« + +»Aber, so schreien Sie doch nur nicht so,« flüsterte Jeremias, der sich +nicht im Geringsten außer Fassung bringen ließ -- »die ganze Stadt +braucht's doch nicht zu wissen, was wir hier mit einander reden, und der +Fremde da oben hat Ohren wie ein Hirsch.« + +»Wer ist der Fremde, und wo kommt er her?« fragte die Gräfin streng. + +»So lassen Sie doch nur mein Ohr los,« bat Jeremias, »ich laufe Ihnen ja +nicht mehr davon, und es stört in der Unterhaltung.« + +»Wer ist der Fremde? will ich wissen,« wiederholte die Gräfin, indem +Oskar das Ohr des Alten losließ, ihm aber den Ausweg verstellte. + +»Kann Ihnen nicht dienen, Frau Gräfin,« antwortete achselzuckend der +alte Spitzbube -- »fand ihn heute auf der Straße zwischen einem ganzen +Berge von Koffern und Hutschachteln, und da er kein Unterkommen finden +konnte, _wir_ dagegen Platz haben und er mir gefiel, so brachte ich ihn +mit nach Hause.« + +»_Dir_ gefiel, Du Galgenstrick,« rief Oskar, »Dir gefiel! Und was für ein +Recht hast Du, fremde Gäste hier in das Haus zu führen?« + +»Jetzt sein Sie einmal vernünftig,« sagte Jeremias, ohne sich auch nur +im Geringsten aus seiner Ruhe bringen zu lassen. »Der fremde junge +Mensch ist jedenfalls ein vornehmer Herr, denn er hat ein paar ganz +ausgezeichnete Lederkoffer, die ein schmähliches Geld gekostet haben +müssen. Außerdem ist er aber auch reich wie Butter und wirft mit den +Milreis nur so um sich.« + +»Aber was geht das uns an?« rief Oskar, während die Frau Gräfin vor +Erstaunen noch immer nicht zu Worte kommen konnte. + +»Was das _Sie_ angeht?« wiederholte Jeremias in vollkommener Seelenruhe +-- »das will ich Ihnen sagen. Die Stube oben....« + +»Heh, Wirthschaft!« rief es in diesem Augenblicke laut von oben +herunter; »läßt sich denn Niemand blicken? Das ganze Haus ist ja wie +ausgestorben -- heh, hollah!« + +Jeremias, der seine Rede unterbrochen hatte, wie er oben die Stimme +hörte, öffnete die Thür ein Wenig, steckte den Kopf hinaus, rief laut: +»Komme gleich!« und schloß sie dann wieder, wonach er, ohne eine Miene +zu verziehen, ruhig fortfuhr: + +»Stand doch außerdem leer und wurde nicht benutzt.« + +Oskar lachte gerade hinaus, denn das Ganze fing an ihm unendlich komisch +vorzukommen. + +»Ich möchte jetzt nur eigentlich wissen,« sagte die Gräfin mit einem +finstern Blick auf Oskar und Jeremias, »wer noch Herr hier im Hause ist. +Sie werden jedenfalls dafür sorgen, Jeremias, daß der fremde Mensch +augenblicklich unser Haus wieder verläßt und eine andere Wohnung +bezieht.« + +»Giebt's gar nicht,« sagte Jeremias ruhig; »hören Sie mich nur an. Was +haben Sie denn von dem leeren Kasten da oben? Der Fremde ist ein +anständiger junger Mensch, der Ihnen eine gute Miethe bezahlt, und +außerdem hätte auf der Straße logiren müssen.« + +»Aber wer hat _Ihnen_ denn die Erlaubniß gegeben, das zu vermitteln?« +fragte die Gräfin. + +»Nur praktisch,« meinte Jeremias, »das ist die Hauptsache. Außerdem sind +Sie ja nicht mit einander verheirathet, und wenn er Ihnen nach zwei oder +drei Monaten nicht mehr gefällt, können Sie ihn ja immer noch wieder +ausquartieren.« + +»Nach zwei oder drei Monaten?« rief die Gräfin erstaunt. + +»Oder noch später,« meinte Jeremias trocken; aber jetzt muß ich +wahrhaftig hinauf, und sehen was der junge Herr will; er wird mir sonst +ganz ungeduldig und am Ende gar noch grob« -- und ohne weiter eine +Antwort abzuwarten, verließ er das Zimmer und stieg die Treppe hinauf. + +»Eine solche Unverschämtheit ist mir aber doch noch nicht vorgekommen,« +lachte Oskar, »und das Einfachste wird sein, ich gehe hinauf und ersuche +den Herrn, seine Sachen augenblicklich wieder zusammen zu packen und das +Haus zu räumen.« + +»Warte noch einmal,« sagte seine Mutter, die indessen nachdenkend am +Fenster gestanden hatte, indem sie die Hand gegen ihn ausstreckte: »wie +sagtest Du daß der Herr hieß?« + +»Er nannte sich von Pulteleben.« + +»Wie alt etwa?« + +»Nun, vielleicht drei- oder vierundzwanzig Jahre.« + +»Hm -- und er scheint aus guter Familie? Da dürfen wir doch wenigstens +nicht ungezogen gegen ihn sein, denn aller Wahrscheinlichkeit nach +glaubt er sich hier in seinem vollen Rechte zu befinden, und würde +schwerlich eingezogen sein, wenn er wüßte, wie sich Alles verhält.« + +»Er fragte wenigstens schon ganz naiv, um welche Stunde bei uns gespeist +würde,« lachte Oskar. + +Die Gräfin ging im Zimmer auf und ab und blieb endlich wieder vor ihrem +Sohne stehen. + +»Die Sache kann nicht so bleiben,« sagte sie, »denn einen Miethsmann +läßt man sich eben nicht mit Gewalt in das Haus bringen. Da aber der +junge Fremde hier wahrscheinlich in der Colonie bleibt, so ist es auch +eben so klug gehandelt, sich nicht in Unfrieden, sondern in Frieden +wieder zu trennen. Gehe hinauf und lade ihn für heute Mittag ein, unser +Gast zu sein -- wir sind doch allein -- und bei Tische mag er dann +erfahren, auf welche außergewöhnliche Art er bei uns eingeführt wurde. +Es bleibt ihm dann der ganze Nachmittag, sich nach einem andern +Quartiere umzusehen.« + +»Der Jeremias ist ein göttlicher Kerl!« sagte Oskar lachend. + +»Und je eher Du _den_ wieder fortschickst, desto besser ebenfalls,« +meinte seine Mutter, »denn ich bin doch nicht gesonnen, mich der Gefahr +auszusetzen, von einem so eigenmächtigen Hausknecht in noch Gott weiß +was für unangenehme Situationen gebracht zu werden. Mit einem so +stockdummen Menschen ist außerdem gar Nichts anzufangen -- ich will +lieber mit einem Schurken zu thun haben, denn vor dem kann man sich in +Acht nehmen.« + +Oskar hatte seine Zweifel, was Jeremias' Dummheit betraf, aber die Sache +mit dem Fremden ging ihm im Kopfe herum, und das Zimmer verlassend, +wollte er eben zu ihm hinauf, als er aus seinem Zimmer wieder den +Jeremias kommen sah, der auf dem Kopfe einen Lehnstuhl, in der linken +Hand dabei einen Stiefelknecht und in der rechten einen kleinen +Handspiegel trug. + +»Du bist doch ein ganz niederträchtiger, abgefeimter Halunke!« sagte +Oskar; »wer hat Dir denn erlaubt, mein ganzes Zimmer auszuplündern?« + +»Machen Sie keine Geschichten,« erwiederte Jeremias, mit den Augen +blinzelnd; »das ist ein prächtiger junger Mensch, und thut schon so, +als ob er ganz zu Hause wäre.« + +Oskar, dem die Sache Spaß machte, sprang jetzt die Treppe voran hinauf. +Als er die Thür öffnete, stand Herr von Pulteleben schon fertig +angezogen, nur mit ein Paar glanzledernen Stiefeln in der Hand, mitten +in der Stube. + +»Na, kommen Sie -- ah, Sie sind's -- entschuldigen Sie, ich glaubte, es +wäre der Strick, der Aufwärter; der bleibt eine Ewigkeit.« + +»Er kommt dicht hinter mir,« sagte Oskar; »Herr von Pulteleben, ich soll +Ihnen melden daß pünktlich um ein Uhr gegessen wird.« + +»So? Sehr angenehm, ich werde auf meinem Zimmer essen.« + +»Dazu ist die nöthige Einrichtung doch noch nicht getroffen,« erwiederte +Oskar; »ich habe den Auftrag, Sie zu ersuchen mit _uns_ zu diniren.« + +»Hm,« sagte von Pulteleben, der sich schon zu Hause vorgenommen hatte, +der amerikanischen »Freiheit und Gleichheit« so viel als möglich aus dem +Wege zu gehen, und nicht gleich mit sich im Klaren war, ob er vielleicht +seiner künftigen Stellung in der Colonie Etwas vergeben würde, wenn er +mit der »Bäckerfamilie« speiste, -- »ich esse viel lieber allein.« + +»Dann lassen Sie sich's heute wenigstens einmal bei uns gefallen,« +lachte Oskar, »morgen werden Sie jedenfalls allein essen können.« + +»Nun gut,« erwiederte von Pulteleben -- »na endlich,« wandte er sich +dann an den eben eintretenden Jeremias, indem er ihm den Stiefelknecht +abnahm und seine bestaubten Stiefel auszog -- »setzen Sie den Stuhl nur +dahin -- aha, und auch ein kleiner Spiegel. Das muß ich gestehen, lieber +Freund, auf Gäste scheinen Sie hier im Hause nicht eingerichtet zu sein. +Die Unordnung ist wirklich bodenlos und die Bedienung noch schlechter. +Wie heißen Sie, he?« + +»Jeremias, zu Befehl,« sagte dieses würdige Individuum in steifer Haltung +und warf einen etwas unruhigen Blick auf Oskar hinüber, von dem er nicht +wußte, wie er das Urtheil über die Wirthschaft aufnehmen würde. Dieser +aber amüsirte sich vortrefflich, und während der junge Mann seine Stiefel +wechselte und dann seinen Hut nahm, saß er verkehrt auf dem einen +Stuhle, stützte sich mit beiden Armen auf die Lehne und sah ihm lächelnd +zu. Endlich hatte von Pulteleben seine Toilette beendet, schloß seine +Koffer, sah sich noch einmal im Zimmer um, ob er Nichts vergessen +hätte, und sagte: »So -- wenn's gefällig ist; ich möchte zuschließen.« + +»Aha, mit Vergnügen,« rief Oskar aufspringend -- »wollen Sie den Schlüssel +mitnehmen oder da lassen?« + +»Hm -- ich werde ihn da lassen, damit das Mädchen nachher aufräumen kann +-- man hat doch Nichts zu befürchten?« + +Jeremias sah wieder Oskar bestürzt von der Seite an, dieser aber +erwiederte lächelnd: »Nicht das Geringste -- aber Sie sind pünktlich?« + +»Wenn ich irgend kann, gewiß.« + +Damit verließ er das Zimmer, wo hinaus ihm die Beiden folgten, und stieg +die Treppe hinab, während Oskar zu seiner Mutter hineinsprang, um ihr +Bericht abzustatten. + +Gerade als von Pulteleben nach der untern Treppe zu ging, öffnete sich +dort die nächste Thür, die in Helenens Zimmer führte, und die Comtesse +trat heraus. Kaum aber gewahrte sie den Fremden, der sie überrascht und +höflich grüßte, als sie sich mit einer halben und flüchtigen Verbeugung +wieder zurückzog. + +»Alle Wetter,« wandte sich von Pulteleben leise zu dem dicht hinter ihm +dreinkommenden Jeremias, »das ist ja ein wunderschönes Mädchen; das war +doch nicht die Bäckerstochter?« + +Jeremias, ob er die Frage falsch verstanden oder absichtlich seinen +Spaß daran hatte, den Fremden im Irrthume zu lassen, nickte nur, vor +Vergnügen grinsend, mit dem Kopfe, und von Pulteleben stieg, mit der +Entdeckung sehr zufrieden, die Stiege hinunter, um noch vor Tische +seine Aufwartung bei dem Herrn Director zu machen. Er war jetzt fest +entschlossen, die Stunde des Mittagessens pünktlich einzuhalten. + +Arno von Pulteleben war ein lieber, guter, ehrlicher Mensch, der nur mit +einem ganz unbestimmten Begriffe nach Brasilien gekommen war, wie er das +Land überhaupt finden werde, und was er -- wenn er es gefunden -- da +eigentlich wolle. Es geht einer großen Menge von Auswanderern so, die +auch nur zu häufig weder wissen, was man von ihnen fordern könnte, noch +was sie im Stande wären zu leisten, und die dabei nur allein in dem +Namen Amerika den Inbegriff aller erfüllten Hoffnungen und Träume sehen. +»Nur erst einmal in Amerika,« sagen diese, »und das Andere findet sich +Alles von selber.« In Etwas haben sie Recht, denn es findet sich in der +That; nur freilich manchmal ganz anders, wie sie es sich gedacht +hatten. + +Mit einer solchen unklaren Idee war auch Herr von Pulteleben herüber +gekommen. Er trat übrigens dabei mit vollkommener Sicherheit auf, denn +er war sich bewußt, seinen Weg _bezahlen_ zu können. Er hatte Geld bei +sich, ein Capital von wenigstens tausend spanischen Dollars, und daß er +Speculationsgeist genug besaß, dasselbe im Laufe von einigen Jahren +vielleicht zu verzehnfachen, daran zweifelte er selber keinen Augenblick. +Sein Grundsatz dabei war, »den Moment zu erfassen« -- »frisch gewagt, +ist halb gewonnen!« und wie derartige vortreffliche Sprüchwörter alle +heißen. Jedenfalls hatte er volles Selbstvertrauen, und da er schon in +Deutschland einmal eine Fußpartie gemacht und dabei zwei Nächte hinter +einander auf der Streu geschlafen hatte, so hielt er sich auch allen +Entbehrungen, die ihm hier etwa aufstoßen konnten, vollkommen gewachsen. + +Herr von Pulteleben fand sich übrigens etwas überrascht, als er im +Directionsgebäude seine Karte abgegeben hatte und von dem Director die +Antwort zurück erhielt: »Es würde ihm sehr angenehm sein, die Ehre ein +anderes Mal zu haben, heute sei er aber so ausschließlich beschäftigt, +daß er keinen Besuch empfangen könne.« + +»Hm -- angenehm,« brummte er vor sich hin, als er seine weißen +Glacéhandschuhe auszog, zusammenrollte, in die Tasche steckte und wieder +hinaus in's Freie ging; »Herr Director Sarno scheinen verwünscht wenig +Umstände zu machen, und die Artigkeit hätte doch wenigstens verlangt, +daß er ... aber was thut's -- ich habe jetzt doch meine Schuldigkeit +gethan, und wenn er nun meine Bekanntschaft zu machen wünscht, ist die +Reihe an ihm.« + +Mit diesem beruhigenden Gefühle schlenderte er durch die Straßen der +Stadt und fand eine Menge bekannter Gesichter -- Leute, die mit ihm in +einem und demselben Schiffe über See gekommen waren und alle Gefahren +gemeinschaftlich getheilt hatten, aber -- _sie_ waren im Zwischendeck +gereist, und Herr von Pulteleben in der Kajüte -- eine Entfernung, die +in ihrer Räumlichkeit wohl kaum zehn Schritte betragen mochte, aber doch +ausreichte, beide Theile vollständig fern von einander zu halten. Man +kannte sich von Ansehen, aber man grüßte sich nicht, und so unbedeutend +das an sich scheinen mag, so diente es doch dazu, ein nichts weniger +als freundschaftliches Gefühl zwischen beiden Theilen zu erzeugen. + +Das ist nun freilich nicht zu ändern, denn Standes- und Rangunterschiede +existiren einmal auf der Welt, und werden trotz aller Communisten +fortbestehen, bis wir Alle unser letztes Ziel, das Grab, erreichen. +Selbst unter den Thieren und Pflanzen herrschen Rang und Gewalt; es +giebt sogar edle und unedle Metalle, und das Menschengeschlecht läßt +sich nicht in einen Topf werfen und darin halten. Ein Theil von ihm +_will_ seine besonderen Gesache haben -- und bekommt sie auch, und der +Rest muß entweder danach streben, diese ebenfalls zu gewinnen, oder +-- sich darein fügen. + +Herr von Pulteleben hielt das auch natürlich für ganz in der Ordnung, +denn daß es Kajüte und Zwischendeck geben mußte, verstand sich von +selbst. Allerdings kam ihm dabei fast unwillkürlich der Gedanke, +daß er zufälligerweise am Tische des Bäckermeisters mit einem +Zwischendecks-Passagier zusammentreffen könne -- aber das blieb doch +zu unwahrscheinlich -- die junge Dame, der er begegnet, sah dafür zu +anständig aus, und -- war ihm die Gesellschaft wirklich nicht passend, +so gab es immer einen Vorwand, sich zurückzuziehen. + +Als er auf seinem Spaziergange die sehr einfache Kirche passirte, +zeigte die Uhr gerade zehn Minuten vor Eins, und er gerieth etwas in +Verlegenheit, da er den Namen des Bäckermeisters vergessen hatte, in +dessen Haus er abgestiegen. + +Glücklicher Weise besaß er Ortskenntniß genug, wenigstens die Richtung +behalten zu haben; es war überhaupt nicht schwer, sich in dem kleinen +Orte zurecht zu finden, und mit dem Schlage Eins entdeckte er vor sich +das Haus, das sich überdies vor allen in der Nachbarschaft durch den +kleinen, aufgebauten Erker auszeichnete. An der Treppe empfing ihn schon +Oskar, der sich das Vergnügen nicht wollte entgehen lassen, ihn +einzuführen. + +»Ah, Herr Baron, das ist schön daß Sie Wort halten!« rief er ihm +entgegen. »Eben wird die Suppe aufgetragen und Mutter und Schwester +erwarten Sie mit Ungeduld.« + +»Mutter und Schwester?« dachte Herr von Pulteleben, »ist denn das der +Sohn des Bäckers?« Oskar sah ihm dazu eigentlich zu elegant aus, aber es +blieb ihm keine lange Zeit zur Überlegung, und wenige Minuten später sah +er sich der stattlichen Gestalt der Frau Gräfin und ihrer reizenden +Tochter gegenüber, und schaute jetzt wirklich verlegen nach seinem +Begleiter um, denn daß er sich hier in anderer als der vermutheten +Gesellschaft befand, mußte er wohl fühlen. + +»Mein bester Herr,« sagte er zu Oskar, »ich muß dringend bitten, daß Sie +mich hier vorstellen, ich -- ich weiß selbst noch nicht einmal _Ihren_ +Namen.« + +»O, mit Vergnügen,« lachte Oskar, indem er mit einer etwas förmlichen +und muthwilligen Verbeugung sagte: »Herr von Pulteleben, liebe Mutter, +-- Herr von Pulteleben, ich habe hier die Ehre, Ihnen die Frau Gräfin +Baulen und Comtesse Helene, meine Schwester, vorzustellen. Mein eigener +Name ist Oskar.« + +»Frau Gräfin Baulen?« stammelte der junge Mann, während über Helenens +Züge ein leises, spöttisches Lächeln zuckte. + +Die Frau Gräfin war aber nicht gesonnen, den jungen Mann weiteren +Verlegenheiten auszusetzen. + +»Herr Baron,« sagte sie freundlich, »Sie sind durch die Ungeschicklichkeit +unseres Hausknechtes oder Dieners in die wunderliche Lage gekommen, sich +in einer Familie einzuquartieren, der selbst Ihre Ankunft vollkommen +fremd geblieben war.« + +»Gnädige Frau, ich will doch nicht hoffen!« rief Pulteleben erschreckt. + +»Beruhigen Sie sich,« unterbrach ihn die Gräfin, »ich weiß, daß Sie +nicht die geringste Schuld tragen. Das Ganze war ein mißverstandener +Diensteifer von Seiten jenes Burschen, der über eine Localität unseres +Hauses verfügte, ohne auf Sie, noch auf uns Rücksicht zu nehmen.« + +»Aber man sollte doch kaum glauben, daß so Etwas möglich wäre!« rief von +Pulteleben entsetzt, denn erst jetzt trat ihm die seltsame Situation vor +Augen, in der er, als reiner Eindringling, den Damen gegenüber stand; +»meine Seele konnte ja an etwas Derartiges nicht denken, oder Sie müßten +überzeugt sein, daß ich....« + +»Bitte, keine Entschuldigungen weiter,« lächelte die Gräfin; »Brasilien +erzeugt gar sonderbare Zustände, die Sie ebenfalls noch mit der Zeit +näher kennen lernen werden. Jedenfalls hat uns Jeremias, wie jener +unglückliche Mensch heißt, Gelegenheit gegeben Ihre Bekanntschaft zu +machen; alles Andere läßt sich nachher mit Leichtigkeit arrangiren, und +nun bitte ich, daß Sie Platz nehmen, denn die Suppe wird sonst kalt.« + +Herr von Pulteleben befand sich noch immer in einem gemäßigten Grade +von Verzweiflung, denn der Gedanke, sich bei einer solchen Familie auf +eine solche Art eingeführt zu haben, trieb ihm fast die Haare zu Berge. +Außerdem blieben ihm noch eine Menge Dinge unklar -- die Geschichte +mit dem Bäckermeister zum Beispiel, und daß ihm der junge Mensch nicht +gleich einen Wink gegeben, wo er sich eigentlich befände. Sehr rasch im +Denken war er außerdem nicht, und es bedurfte einer neuen Aufforderung +der Gräfin, Platz zu nehmen, bis er sich so weit sammeln konnte, ihr den +Arm zu bieten und sie zur Tafel zu führen. + +Da sich die Gräfin aber einmal vorgenommen hatte, ihm weitere +Verlegenheiten zu ersparen, so wußte sie auch bald geschickt in ein +Gespräch einzulenken, das ihm seine Unbefangenheit wiedergeben konnte +-- ein Gespräch über die eben zurückgelegte Seereise, an dem sie ebenfalls +Interesse nahm, da sie noch mit Entsetzen ihrer eigenen Fahrt und der +damit verbunden gewesenen Seekrankheit gedachte. + +In das Capitel eingelenkt, fühlte sich auch von Pulteleben bald wieder +behaglicher, und das Einzige, was ihn noch dann und wann genirte, war +der etwas sarkastische Zug um der Comtesse Mund, wenn sie einem Blicke +ihres Bruders begegnete und sein Auge gerade auf ihr ruhte -- und sein +Auge ruhte sehr oft auf ihr, denn von Pulteleben erinnerte sich nicht, +je in seinem Leben schon ein schöneres Mädchen gesehen zu haben. + +Mochte es sein daß es ihm nur so vorkam, weil er gerade durch die lange +Seereise dem geselligen Umgange mit dem schönen Geschlechte hatte völlig +entsagen müssen, oder fühlte er sich gerade von dieser Form der Züge +besonders gefesselt, wie das ja oft im Leben der Fall ist, aber er +konnte sich nicht satt an dem lieben Antlitz sehen, und eben so wenig +entging Helenen selber, mit welcher Aufmerksamkeit er sie behandelte. +Freilich war sie daran gewöhnt, ihren Zoll von Bewunderung überall +einzuernten, aber trotzdem fühlte sie einen gewissen Grad von Genugthuung, +und ihr Antlitz, das im Beginne der Tafel seine volle Strenge bewahrt +hatte, wurde etwas freundlicher gegen den jungen Gast. Sie wich +wenigstens Oskar's Blicken aus und schien nicht mehr gesonnen, sich +über ihn lustig zu machen, ja, nahm sogar Theil an der Unterhaltung. + +Dadurch gewann von Pulteleben endlich seine ganze Fassung wieder, +und als das Diner, bei dem Dorothea ihr Möglichstes geleistet hatte, +beendet war, wandte er sich an seine freundliche Wirthin und sagte: + +»Frau Gräfin, wenn ich auch jenem unglücklichen Jeremias und meinem +Schutzgeiste danke, diese mir so liebe Bekanntschaft gemacht zu haben, +so fühle ich doch recht gut, daß ich hier, als Ihr Gast, eine sehr +unerquickliche Rolle spiele, und je eher ich der ein Ende mache, desto +besser. Gestatten Sie also daß ich mich entferne, um mich nach einem +andern Quartier umzusehen, und erlauben Sie mir nur -- Ihre Güte hat ja +meiner Unverschämtheit schon verziehen -- daß ich damit nicht gezwungen +bin, diese für mich so ehrenvolle und liebe Bekanntschaft ganz abzubrechen. +Ich werde mich jedenfalls längere Zeit in Santa Clara aufhalten und +würde Ihnen unendlich dankbar sein, wenn Sie mir wenigstens gestatten +wollten, Ihnen manchmal meine Aufwartung zu machen.« + +»Da Sie nun einmal unser Hausgenosse geworden sind,« lächelte die +Gräfin, »so übereilen Sie auch wenigstens Nichts. Es wird Ihnen überdies +schwer werden, für den Augenblick eine passende Wohnung in Santa Clara +zu finden; _bis_ Sie die aber gefunden haben, bitte ich Sie unser Haus +als das Ihrige zu betrachten.« + +»Gnädige Frau Gräfin!« rief Pulteleben erstaunt aus. + +»Bitte, machen Sie keine Umstände,« fuhr die Gräfin ruhig und freundlich +fort, »wir sind hier in Brasilien, wo der Fremde nur zu häufig einzig +und allein auf die Gastfreiheit der Bewohner angewiesen bleibt, und es +existiren deshalb hier ganz andere Verhältnisse, wie in der alten +Heimath. Außerdem sagten Sie uns vorher, daß Sie verschiedene Pläne für +Ihre Zukunft hätten.« + +»Allerdings,« versicherte der junge Mann, »aber es fehlt mir da freilich +noch Kenntniß des Landes, um mein Capital gleich mit Vortheil anlegen zu +können, und ich sammle lieber erst Erfahrung.« + +»Das ist sehr vernünftig von Ihnen gedacht,« erwiederte die Gräfin; »wo +_ich_ Ihnen aber dabei mit Rath an die Hand gehen kann, bitte ich ganz +über mich zu disponiren.« + +»Sie sind zu gütig, gnädige Frau Gräfin!« + +»Wir wohnen schon eine Reihe von Jahren in diesem Lande, und man ist +gezwungen, die Verhältnisse genau kennen zu lernen, oft sogar gegen +unsern Willen. Doch Sie wünschen jedenfalls eine Cigarre zu rauchen +-- Oskar, führe den Herrn in den Garten; wir kommen dann ebenfalls +hinunter, um dort gemeinschaftlich Kaffee zu trinken.« + +Damit standen die beiden Damen auf, grüßten freundlich und verließen das +Zimmer, während Herr von Pulteleben in einem wahren Taumel von Seligkeit +zurückblieb und jetzt gar nicht oft genug zu Oskar sagen konnte, wie +glücklich er sich fühle diese Bekanntschaft gemacht zu haben, wenn er es +auch der größten Dummheit verdanke, deren er sich in seinem ganzen Leben +schuldig gemacht. + +»Na nu werden Sie nicht langweilig,« meinte Oskar -- »Apropos, haben Sie +etwa eine vernünftige Cigarre bei sich? Das Zeug, was man hier bekommt, +ist kaum zu rauchen.« + +»Ich kann Ihnen mit einer Havannah dienen,« sagte Herr von Pulteleben, +erfreut dem Bruder jenes Engels nur in Etwas angenehm sein zu können. + +»Das ist gescheidt,« meinte Oskar -- »sie sind doch nicht zu schwer?« + +»Nein, sicher nicht -- ich selber rauche nie schwere Cigarren.« + +»Gut, dann kommen Sie jetzt in den Garten, hier ist eine Hitze, nicht +zum Aushalten,« -- und seines neuen Freundes Arm ergreifend, schlenderte +er mit ihm hinab, um dort den Kaffee und die Damen zu erwarten. + +Diese zögerten auch nicht lange, und hatte sich Herr von Pulteleben +schon gegen das Ende der Mahlzeit in seiner Umgebung wohl gefühlt, so +entzückte ihn jetzt, im wahren Sinne des Wortes, die Natürlichkeit und +Liebenswürdigkeit Helenens, die allen Zwang abgeworfen zu haben schien +und nach Herzenslust lachte und plauderte. + +Helene war wirklich bildschön. Es gab Zeiten, wo ihre so regelmäßigen +Züge von einem düstern Ernst beschattet wurden, der ihren Augen etwas +Unheimliches, ja Abstoßendes geben konnte. Ihr Mund, wenn fest geschlossen, +sah dann ebenfalls, der etwas schmalen Lippen wegen, unschön aus. Wenn +aber das lebendige Auge in Scherz, ja Übermuth leuchtete, wenn ihre +Zähne, die zwei Reihen aufgezogener Perlen glichen, sichtbar wurden, +wenn sich das Grübchen tiefer in ihr Kinn einschnitt und das Lachen +auf dem gar so lieben Antlitz spielte, wie das Sonnenlicht auf einem +murmelnden Bache, dann konnte man sich wahrlich nicht satt sehen an dem +Mädchen, und sie war sich auch ihres Sieges stets so sicher bewußt, daß +sie mit ihrer Umgebung machte, was sie eben wollte. + +Nur dann und wann verließ sie manchmal die Laube, und von Pulteleben +würde noch mehr entzückt gewesen sein, wenn er gewußt hätte, daß sie +gerade in dieser Zeit Anordnungen traf, sein Zimmer etwas wohnlicher +einzurichten und ein Bett darin aufzustellen. Es hatte das seine +Schwierigkeiten, denn die Gräfin war nur nothdürftig auf solchen Besuch +eingerichtet, aber es _ging_ doch, und ein paar rasch und geschickt +improvisirte Gardinen machten das kleine Gemach noch so viel +freundlicher. + +Die Zeit, wo der junge Fremde mit der Frau Gräfin allein blieb, wurde +dann von dieser benutzt, ihm einen kurzen Überblick über die hiesigen +Verhältnisse zu geben, der Herrn von Pulteleben außerordentlich +befriedigte. Er ersah nämlich daraus, daß in diesem Lande wirklich nur +ein kleines, unbedeutendes Capital dazu gehöre, um, mit kluger Benutzung +des Augenblickes, ganz erstaunliche Erfolge zu erzielen. Die Frau Gräfin +wußte ihm eine Menge von Beispielen zu nennen, nach denen Leute durch +kleine, aber richtige Spekulationen in Stand gesetzt waren, unbedeutend +begonnene Geschäfte auf das Großartigste auszudehnen, und sich dann mit +einem _erworbenen_ Vermögen nach Deutschland zurückzuziehen, um es dort +in Ruhe zu verzehren. + +»Sehen Sie, Frau Gräfin,« rief Herr von Pulteleben, durch diese +Mittheilungen zu einem vollen Grade von Aufrichtigkeit getrieben, »das +ist gerade was ich will. Zu Hause haben sie mir immer vorgeworfen, daß +ich unpraktisch wäre, daß ich nie im Stande sein würde, mir aus mir +selber eine Carrière zu schaffen. Jetzt will ich doch einmal sehen, ob +es nicht möglich ist sie Lügen zu strafen. Sie sollen erleben, mit +welcher Energie ich Alles angreife, was ich unternehme. -- Wenn ich nur +erst wüßte was!« + +»Übereilen Sie sich darin nicht, junger Freund,« sagte die Gräfin. »Es +giebt zwar eine Menge von Wegen, die zum Ziele führen, aber der eine ist +länger als der andere, und wenn man denn doch noch die Wahl hat, warum +soll man da nicht suchen den kürzesten zu nehmen? Übrigens sein Sie +versichert, daß ich selber schon ein Wenig herumhorchen will. Sie sind +uns nun einmal auf so abenteuerliche Weise zugeführt, daß ich ein +gewisses Interesse daran nehme.« + +»Gnädige Frau Gräfin, Sie sind unendlich gütig.« + +»Lassen Sie das; will ich aufrichtig sein, so ist es vielleicht sogar +Egoismus von mir selber; denn Sie glauben gar nicht, wie langsam die +Zeit verstreicht, wenn man so gar Nichts auf der Gotteswelt zu thun +hat. Eine kleine Beschäftigung, eine bestimmte Thätigkeit wird zuletzt +wirklich zum Bedürfniß, und ein wenig Sorgen und Umschauen gehört mit zu +unserem Leben.« + +»Aber durch was habe ich verdient, daß Sie sich _meiner_ gerade so +unendlich freundlich annehmen?« + +»Lieber Gott, wir sind hier einmal in Brasilien, leben in Verhältnissen, +die mit denen der alten Welt auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit +haben, und da gestaltet sich Manches oft rasch und wunderbar. Doch Sie +werden das Alles noch viel besser kennen lernen, wenn Sie erst einmal +selber längere Zeit im Lande sind.« + +Oskar hatte sich bei dem Gespräch gründlich gelangweilt, denn er haßte +Nichts mehr auf der Welt, als wenn von einem bestimmten Lebenszwecke die +Rede war -- und seine Mutter hielt ihm dieses Capitel sehr häufig vor. +Dafür gönnte er es jetzt aber auch von Herzen seinem neuen Hausgenossen, +und amüsirte sich die Zeit über, mit seinem Blasrohr von einem erhöhten +Stand der Hecke aus nach vorbeilaufenden Hunden zu schießen. Wenn er sie +traf, nahmen sie gewöhnlich den Schwanz zwischen die Beine und rannten +in wilder Flucht die Straße hinab, und Oskar wollte sich dann halb todt +darüber lachen. + +Um das Angenehme übrigens mit dem Nützlichen zu verbinden, nahm er Herrn +von Pulteleben nachher mit zu seinem Pferde hinaus, von dem er ihm schon +viel erzählt und ihm auch die Überzeugung beigebracht hatte, daß ein +Mann ohne Pferd in Brasilien gar nicht existiren könne -- nicht einmal +eine Frau, und da Herr von Pulteleben erfuhr, daß es früher Helenens +Lieblingspferd gewesen sei, die sich jetzt einen etwas ruhigeren Grauen +-- der Graue war das wildeste Pferd in der Ansiedelung -- angeschafft +habe, kaufte es der junge Fremde zu einem, wie er glaubte, außerordentlich +mäßigen Preise (Oskar hatte auch in der That höchstens hundert Procent +daran verdient) und schwelgte dabei in der Hoffnung auf morgen, denn +Helene hatte ihm versprochen mit ihm spazieren zu reiten. + + + + +9. + +Ein Abend in der Colonie. + + +Das war ein Leben und Treiben heute in dem sonst so stillen Städtchen, +daß man es kaum wieder erkannte, und das Wirthshaus »Zum Hoffnungsanker« +hatte, so lange der Ort stand, noch keine so guten Geschäfte gemacht. +War es doch auch bis unter das Dach hinauf von Gästen angefüllt, die auf +Matratzen, Decken, Stroh, oder wie es eben ging, untergebracht werden +mußten, während fast alle männlichen Bewohner von Santa Clara hier +ebenfalls zusammenkamen, um die Neuangekommenen zu sehen und zu sprechen, +und vielleicht auch frische Nachrichten von daheim -- das heißt aus +ihrem Dorfe zu hören, denn was wirklich _deutsche_ Nachrichten und +besonders deutsche Politik betraf, kümmerte die Wenigsten der +Colonisten. + +Viele waren allerdings schon seit Jahren ausgewandert, und den +politischen Verhältnissen daheim, die sie selbst an Ort und Stelle nicht +verstanden, so entfremdet worden, daß sie kaum noch die geographischen +Namen der verschiedenen Staaten kannten. Aber selbst erst kürzlich +Herübergekommene fragten nicht nach dem, was Preußen oder Österreich, +oder sonst ein Theil Deutschlands treibe -- das war deren Sache, und sie +mochten es mit einander ausmachen -- sondern nur aus welcher Gegend Der +und Jener sei, und ob daheim Der und Jener noch lebe, und nicht Lust +habe nach Brasilien zu kommen. + +Außerdem wollten sich die Leute aber auch gern einmal einen sogenannten +»fidelen Abend« machen, und da der Wirth Christian Bohlos einen ziemlich +geräumigen Schuppen an sein Haus gebaut und mit Dielen hatte belegen +lassen, ja auch in diesem Schuppen ein hölzernes Gerüst für ein Musikcorps +angebracht war, so verstand es sich von selbst, daß heute Abend ebenfalls +getanzt wurde. + +Das beste Musikcorps der Stadt wurde dazu bestellt -- denn es gab deren +zwei -- und daß sich das andere darüber zurückgesetzt fühlte und erklärte, +das sogenannte _beste_ Musikcorps könne gar nicht spielen und vollführe +eine wahre Heidenmusik -- blieb sich gleich. + +Schon mit Dunkelwerden sammelten sich die Gäste -- auf acht Uhr Abends +waren nach stillschweigendem Übereinkommen die Frauen angesagt, denn die +Kinder mußten erst zu Bette gebracht werden -- und bis dahin gingen Flasche +und Krug lustig im Kreise. -- Aber nicht etwa das dünne brasilianische +Bier wurde getrunken, das ein Deutscher sogar in Santa Clara braute, +obgleich das besonders die Neuangekommenen mit Leidenschaft forderten, +sondern vaterländischer Rheinwein bildete bei solchen Gelagen gewöhnlich +das schwere Geschütz. Die langhalsigen, schlanken Originalflaschen +ragten fast von allen Tischen empor, und Scharlachberger-, Brauneberger-, +Markobrunner- und Hochheimer-Etiquetten gehörten zu den gewöhnlichsten +Dingen. + +An dem einen Tische präsidirte der »Pfarrer« des Ortes, eine +breitschulterige, etwas massive Gestalt, mit hochgeröthetem Gesichte, +kurzen, etwas struppigen blonden Haaren und einem _wenigstens_ +zweitägigen weißen Halskragen, aber nicht etwa in schwarzer Ordenstracht, +sondern in einer grauleinenen Sommerjoppe mit Nankinghosen, und um +ihn gruppirten sich einzelne Bewohner von Santa Clara -- unter ihnen +auch unser alter Bekannter Pilger und mehrere Colonisten aus der +unmittelbaren Nähe des Städtchens, von denen dann wieder verschiedene +»frische Einwanderer« zugezogen worden, um zuerst Bericht über ihre +Reise abzustatten, und dann Enthüllung über das »erhoffte Brasilien« zu +vernehmen. + +An die Ecke desselben Tisches hatte sich ebenfalls der Bursche mit dem +Silberband um die Mütze gedrängt, der heute schon mit dem Director +Streit gehabt; ein Krug Bier und eine Portion Braten stand vor ihm. +Seine Frau lag drüben im Auswanderungshause mit ihren Kindern in einer +dunklen, feuchten Ecke, und theilte mit ihnen das kärgliche Mahl, das +sie sich von geliefertem Mehle selber hatte bereiten müssen. + +Die übrigen Tische waren eben so dicht gedrängt mit Gästen, und Bohlos' +Frau und ein paar Mägde konnten sich kaum in dem überfüllten Raume Bahn +machen, um die verlangten und oft stürmisch geforderten Speisen und +Getränke auszutheilen. + +»Na, hier lebt sich's aber doch besser als an Bord von dem Schiffe, das +muß wahr sein, wenn ich auch gerade nicht über die Kost auf dem Schiffe +klagen will,« sagte einer der Zwischendeckspassagiere. + +»Saufressen,« kaute der Mann mit dem Tressenstreifen mit vollem Munde; +»bei uns kriegen's die Schweine besser, wie sie's uns für unser schweres +Geld auf dem Schiff gegeben haben.« + +»Vielleicht sind _Sie's_ zu Hause besser gewöhnt gewesen,« meinte einer +der jungen Kaufleute, ein Kajütenpassagier, der sich aber hier schon in +brasilianische Gleichheit hinein zu finden suchte, indem er seinen, ihm +unangenehmen Nachbar von der Seite ansah. + +»Bin ich auch,« knurrte der Mann -- »ja, Sie, die Kajütenpassagiere, +haben hineingestopft gekriegt, was nur eben hinein ging, aber _uns_ +haben sie behandelt wie die Hunde -- und noch schlechter.« + +»Na, ich weiß nicht,« sagte der Erste wieder, »ich bin doch auch im +Zwischendeck gefahren, habe aber Nichts davon gemerkt. Daß man's auf +dem Schiff nicht so gut bekommen kann wie daheim, na ja, das haben wir +freilich schon zu Hause gewußt, und dafür ist's eben eine Seereise. +Außerdem habt _Ihr_, so viel ich weiß, nicht einmal Passage bezahlt, +sondern Eure Gemeinde daheim hat's zusammengeschossen.« + +»Das geht Keinem 'was an,« sagte der Bursche mit einem finstern Blicke +nach dem Sprecher -- »bezahlt ist's doch, ohne daß _Ihr_ dazu die Hand +in den Sack gesteckt.« + +Die Übrigen schwiegen, denn der Mann hatte nicht genug Einnehmendes +in seinem Wesen, sich mit ihm in ein längeres Gespräch einzulassen. +Freilich war hier offener Wirthstisch, und man konnte ihm auch nicht gut +verwehren, sich der Unterhaltung anzuschließen, so lange er eben nicht +selber fühlte, daß er da nicht hinein passe. + +Oben am Tische wechselte das Gespräch jetzt wieder auf die Verhältnisse +in der Colonie, und die Klagen über die Regierung waren allgemein, daß +nie Land vorräthig vermessen sei, wenn einmal Colonisten eintrafen. Die +Neuangekommenen wollten das dem Director zuschieben, und der »Pfarrer« +gab ihnen Recht. Da stäk' es, denn das sei ein hochmüthiger Patron, der +sich den Henker um den armen Mann scheere. Dagegen sprachen aber, und +zwar mit Eifer, mehrere der Colonisten selber und vertheidigten den +Director. + +»Was kann er denn machen, wenn ihn der Präsident im Stiche läßt? Das +ist die vorgesetzte Behörde, und an die muß er sich wenden, und für den +gemeinen Mann thut gerade _er_ mehr, denn irgend Einer vor ihm. Und wie +hat er jetzt wieder gearbeitet, um die Leute alle unterzubringen!« + +»Ein Lump ist's,« rief der mit der Tresse, seine Faust auf den +Tisch schlagend, daß sich Alle erstaunt nach ihm umsahen -- »ein +nichtsnutziger, grober Lump, und das hab' ich ihm heute in's Gesicht +gesagt, und will es ihm morgen auch noch einmal hinein sagen.« + +»Was ist denn der Mann da schuldig, Bodenlos?« fragte Pilger laut, als +der Wirth gerade an ihm vorüberging. + +»Wer?« fragte Bohlos, sich am Tische umsehend. + +»Der mit der hübschen blauen Mütze.« + +»Na,« sagte der also Bezeichnete erstaunt aufstehend -- »wem geht denn +_das_ wieder 'was an, was _ich_ schuldig bin?« + +»Der Tisch hier bezahlt's,« sagte Pilger, ohne von dem Einwurfe Notiz zu +nehmen -- »wie viel macht's?« + +»Portion Braten und vier Glas Bier,« sagte Bohlos -- »wollen's gerade +einen Milreis rechnen, es macht eigentlich noch zwanzig Reis mehr.« + +»Sehr schön,« sagte Pilger, »und jetzt, guter Freund, thut uns einmal +den Gefallen und macht die Thür _von außen_ zu. Verstanden?« + +»Ob ich sie zumachen oder auflassen will, geht Keinem einen Quark an!« +rief der Bursche, rückte sich die Mütze auf das eine Ohr, und sah den +Redenden mit wüthenden Blicken an. + +»Wollt Ihr Vernunft annehmen?« fragte Pilger ruhig, indem er langsam von +seinem Stuhle aufstand -- »oder soll ich Euch....« + +»Ach, laßt den Lump zufrieden, Pilger!« riefen ein paar Andere -- »fangt +keinen Streit an.« + +»Streit?« sagte Pilger vollkommen kaltblütig -- »fällt mir gar nicht +ein, aber sollen wir uns etwa von so einem Burschen, wie der da, den +ganzen Abend verderben lassen? Entweder der Gesell geht, Bodenlos, oder +ich gehe.« + +»Ach, seid vernünftig,« sagte der Wirth beruhigend. + +»Nein, er hat Recht!« riefen nun auch die früheren Mitpassagiere des +Burschen; »auf der ganzen Reise hat er Nichts wie Skandal und Streit +gehabt, und seine arme Frau dabei mißhandelt, daß es eine Schande war.« + +»Ihr Lumpenhunde wollt auch wohl noch mit drein reden?« rief der mit der +Mütze, und fuhr von seinem Sitze auf, aber Pilger hatte ihn schon am Kragen +und hob ihn mit riesiger Kraft vom Boden; drei oder vier Andere faßten +ihn zugleich an Armen und Beinen, und keine Minute später fand er sich +ziemlich unsanft hinaus auf die Straße gesetzt. Kaum aber hatten die +Männer ihre Sitze wieder eingenommen, als ein ziemlich faustgroßer Stein +durch das eine Fenster klirrend hereinschmetterte und glücklicherweise +gegen die nächste Stuhllehne traf, sonst hätte er Schaden anrichten +können. Fünf oder sechs junge Burschen flogen jetzt hinaus, um den +Frevler abzustrafen, aber der Passagier hatte es doch für gerathen +gefunden, etwas Derartiges nicht abzuwarten, und war verschwunden. + +Indessen rückte die Zeit vor -- es war acht Uhr, und die »Damen« kamen +zum Balle. Es waren meist Frauen und Töchter von Bauern und Handwerkern, +aber viele der letzteren selbst in Brasilien geboren und großgezogen, wo +sie dann, mit Kindern der eingeborenen Brasilianer aufwachsend, auch den +Schnitt von deren Kleidung, wie eine freiere Haltung angenommen hatten +-- und reizende Gestalten gab es unter ihnen. + +Hier und da kam freilich noch ein echt deutsches Bauernmädchen, die +rothe Kattunschürze hoch in der Taille umgebunden, das riesige weiße +Taschentuch in der sonnverbrannten, arbeitsharten Hand schlenkernd und +mit der eigenthümlich schaufelnden Bewegung im Gange. Junge Mädchen +mit weißen Kleidern und Rosabändern dazwischen, mit Füßen, die einem +Grenadier zur festen Basis hätten dienen können, und eine Handvoll +künstliche, arg zerdrückte Blumen geschmacklos auf den Kopf gebunden. +Aber auch leichte und selbst zarte Figuren mischten sich dazwischen, +junge Mädchen aus irgend einer kleinen Stadt, die jedenfalls verstanden +sich geschmackvoll zu kleiden, und eine buntere Mischung des »schönen +Geschlechts« konnte in keinem Lande der Welt aufgetrieben werden. + +Und wer war der Ceremonienmeister, der Arrangirende und Ordnende +dieses ganzen Balles? Wer stellte, als die Musik endlich begann, die +Contretänze? Wer klatschte in die Hände, wenn die ersten Paare antanzen, +wer klatschte wieder, wenn sie wechseln sollten? Wer drückte sich dann +in einem ruhigen Moment in eine Ecke, um mit einem oder dem anderen +Nachbar, nur im Vorbeigehen, ein Glas Wein oder Punsch zu trinken, +und war im Nu wieder bei der Hand und mitten im Saale, sobald nur die +geringste Unordnung zu drohen schien? Wer anders als Jeremias, der sich +aber so entpuppt hatte, daß man ihn heute Abend wirklich nur an der +rothen Perrücke wiedererkannte. + +Wer den Jeremias heute in Hemdsärmeln gesehen hatte, wie er im Schweiße +seines Angesichts, den Karren hinter sich, durch die Straßen keuchte, +und wer ihn jetzt sah, wie er im Glanze von wenigstens achtzehn +Talglichtern mit blechernen Reflectoren, #à quatre épingles# gekleidet, +durch den Saal hüpfte, würde eine solche Veränderung, ohne den Mann +genauer zu kennen, nicht für möglich gehalten haben, und doch war es +eine und dieselbe Persönlichkeit. + +Es läßt sich nicht läugnen, weder der hellblaue Frack mit den blanken +Knöpfen, noch die weißen Hosen, noch die lichten, schon etwas schmutzigen +Glacéhandschuhe waren je für ihn gemacht, und die beiden ersteren gerade +um das zu weit, was die letzteren zu eng schienen. Aber er zeigte doch, +wie der Pfarrer meinte, »den guten Willen«, und einen aufmerksameren und +den Formen strenger genügenden Tanzmeister wie ihn gab es nicht auf der +weiten Welt, viel weniger denn in Brasilien. + +Jeremias war in der That überall, und hatte er heute über Tag bei seinem +Karren geschwitzt, so überstieg seine Transpiration gegenwärtig alle +Gränzen. Er troff förmlich, und das helle Wasser lief ihm unter der +brennend rothen Perrücke in kleinen Bächen nieder. + +Eigentlich hatte Jeremias ursprünglich gar kein rothes Haar gehabt, und +das kleine Stückchen Backenbart, das ihm noch jetzt vor beiden Ohren +stand, war sogar von pechschwarzer Farbe. Als ihm aber damals, nach +einer Art Nervenfieber, und kurz vorher, ehe er Deutschland verließ, +sämmtliche Haare ausgingen, forderte der Friseur für eine _schwarze_ +Perrücke eine seine Kräfte übersteigende Summe, und da er die _rothe_ +Perrücke -- der Träger war darunter weggestorben -- aus zweiter Hand +billig erstehen konnte, entschloß er sich kurz und wechselte die Farbe. +Jetzt war er nun so an die rothe Perrücke gewöhnt, daß er eine andere, +schwarze nicht mehr umsonst genommen hätte. + +Übrigens war Jeremias in der ganzen kleinen Stadt als ein fleißiger, +nüchterner Arbeiter beliebt, und seiner oft drolligen Antworten wegen +fast in jedem Hause gern gesehen. Weil er aber fleißig arbeitete, +verdiente er auch ganz hübsches Geld, und nur, was er mit dem Verdienten +machte, erfuhr kein Mensch. Verzehren konnte er es nicht, da er +außerordentlich mäßig lebte, und nie auch nur einen halben Milreis +vergeudete, aber trotzdem hatte er noch Keinem Geld zum Aufheben +gegeben. Er kaufte auch kein Land oder Vieh, und von Staatspapieren +wußte er außerdem Nichts. Allerdings hatte sich das Gerücht verbreitet, +daß er sein Geld heimlich im Walde vergraben und schon einen ganzen Sack +voll Milreis irgendwo eingescharrt habe. Gewißheit bekam aber Niemand +darüber, und Jeremias war viel zu schlau, Andere das wissen zu lassen, +was sie eben nicht zu wissen brauchten. + +So gutmüthig Jeremias aber auch im Ganzen sein mochte, und so +dienstwillig und gefällig er sich gegen Jedermann in seiner Arbeitszeit +zeigte, so unumschränkt regierte er hier, und der geringste Verstoß +gegen die Tanzordnung wurde auf das Unerbittlichste geahndet. Ein +Schneider aus Santa Clara ärgerte ihn besonders, und man erzählte sich, +die Feindschaft zwischen den Beiden schreibe sich daher, daß Jeremias +eine Heirath des Schneiders, den er als einen liederlichen Schlingel +kannte, hintertrieben habe. Das Mädchen war braver Bauersleute Kind, und +Jeremias kannte den Bräutigam, der aus seinem Orte stammte, schon von +Deutschland her. Daheim hatte dieser aber ein anderes Mädchen sitzen, +dem er die Ehe versprochen, und das auf ihn wartete, und als die +Bauernfamilie das hier erfuhr, wurde dem Werber das Haus verboten. + +Ob Jeremias ihnen das wirklich mitgetheilt, war nicht ganz bestimmt, +jedenfalls hieß es so, und der Schneider haßte ihn seitdem wie seinen +Todfeind, ohne daß sich Jeremias deshalb die geringste Sorge gemacht +hätte. Heute nun, wo Jener etwas mehr als gewöhnlich getrunken haben +mochte, suchte er ein paar Mal Streit mit dem kleinen Ceremonienmeister, +und als dieser ihn eben so oft derb abfertigte, wußte er sich auf andere +Weise zu rächen. Jeremias hatte gerade wieder in der einen Ecke einen +Schluck Punsch mit dem jungen Handlungsdiener getrunken, als er auf der +andern Seite des Saales eine Unordnung entdeckte. Wie der Blitz sprang +er auf und dorthin; unglücklicherweise mußte er aber an dem Schneider +dicht vorbei, der rasch sein Bein vorhielt, und Jeremias, darin hangen +bleibend, schoß, so lang er war, mitten in den Saal. + +Dem böswilligen Schneider bekam das aber schlecht. Zu viele Leute waren +Zeuge gewesen, und ehe sich Jeremias nur wieder vom Boden aufraffen +konnte, hatten sie den Schneider gepackt, machten ein Fenster auf und +warfen den sich aus Leibeskräften dagegen Sträubenden hinaus in die +Büsche. + +Übrigens war es eine so allgewöhnliche Begebenheit, daß bei einem +deutschen Balle auch zwei oder drei Personen zu Thür oder Fenster +hinausgeworfen wurden, daß Niemand weiter darauf achtete. Der Tanz +ging ruhig fort, und Jeremias, der mit einer wahren Federkraft vom +Boden emporschnellte, sah kaum den Schneider beseitigt, als er auch +augenblicklich wieder in den Tact der Musik einfiel, und nur im +Herüber- und Hinüberhüpfen noch den Staub von seinem Fracke zu entfernen +suchte. Leider war kurz vorher gesprengt worden, und die weißen Hosen +hatten dadurch etwas fleckige Vordertheile bekommen, aber Jeremias +selber sah es nicht und Niemand achtete weiter darauf. + +Pilger war auch aus dem Gastzimmer herübergekommen, um seine Frau zu +suchen, die versprochen hatte bei dem Balle zu erscheinen, aber sie +fehlte noch, und etwa eine halbe Stunde später ging er nach Hause, um +sie abzuholen. + +Er mochte vielleicht eine Viertelstunde fort gewesen sein, als er mit +etwas verstörtem Gesichte wieder zurückkam und seine Blicke unruhig im +Saal umherschweifen ließ -- dann verschwand er wieder, ohne daß +natürlich irgend Jemand auf ihn achtete, um bald darauf wieder +zurückzukehren, wo er den bei einer Partie Skat sitzenden Pfarrer +aufsuchte und zu sich hinausrief. + +»Nun,« sagte dieser, der eben nicht gern von seiner Partie aufgestanden +war, indem er ihm vor die Thür folgte, »was haben Sie denn, Sie schneiden +ja ein Gesicht, als ob es bei Ihnen brennte?« + +»Meine Frau ist fort,« flüsterte Pilger mit heiserer, von innerer +Aufregung fast unhörbarer Stimme. + +»Ihre Frau ist fort?« sagte der Geistliche erstaunt -- »wohin?« + +»Ich weiß es nicht,« stöhnte der Mann -- »sie ist nicht hier beim Tanze, +sie ist nicht zu Hause und doch vor etwa einer halben Stunde mit einem +Bündel in der Hand fortgegangen.« + +»Na ja, das wäre nicht übel,« schüttelte der Herr Pfarrer mit dem Kopfe +-- er hatte drin ein Eichelsolo auf dem Tische liegen, und die Sache kam +ihm sehr unbequem -- »aber wohin _kann_ sie denn hier?« + +»Da steckt der Schuft, der Bleifuß dahinter,« knirschte der Mann zwischen +den zusammengebissenen Zähnen durch; »aber wenn ich die Gewißheit kriegte, +dann gnade ihm Gott!« + +»Hm,« sagte der Pfarrer, welcher die deshalb umlaufenden Gerüchte schon +lange gehört hatte und kannte -- »und haben Sie keine Ahnung, wohin sie +sich gewandt haben könnte?« + +»Keine,« ächzte Pilger; »aber was um Gottes Willen kann ich thun, um sie +wieder zu bekommen?« + +»Heute Abend gar Nichts,« sagte der Pfarrer; »es ist stockdunkel, und +aus dem Tanzsaal bringen Sie Keinen fort -- noch dazu, wenn Sie nicht +einmal eine bestimmte Richtung angeben können.« + +»O, Du großer, allmächtiger Gott!« stöhnte der Mann und preßte die fest +zusammengeschlagenen Hände gegen seine Stirn. + +»Machen Sie sich keine Sorgen,« sagte der Geistliche, »wenn die Frau Sie +auf so leichtsinnige Weise verlassen konnte, so haben Sie auch Nichts an +ihr verloren, und den Mosje, den Bleifuß, wollen wir schon kriegen, wenn +der wirklich dahinter steckt. Der muß blechen, daß es ihm blau und braun +vor den Augen wird.« + +»Meine Grethe -- meine Grethe!« hauchte der arme Teufel; »daß sie mir +die Schande anthun konnte!« + +»Es läßt sich heute Nichts mehr machen,« versicherte der Pfarrer -- er +_konnte_ seinen Eichelsolo nicht länger im Stiche lassen -- »gehen Sie +ruhig nach Hause -- morgen früh komme ich zu Ihnen und da besprechen +wir das Weitere« --, und ohne eine Antwort abzuwarten, klopfte er dem +Unglücklichen auf die Schulter und ging wieder in das Zimmer zurück an +seinen Spieltisch. + +Pilger stand noch eine Weile wie vernichtet in der offenen Thür, dann +aber lief er noch einmal zurück zu seinem Haus, und als er die Verlorene +auch jetzt noch nicht fand, wieder hinaus in die Nacht hinein -- er +wußte ja selber nicht, wohin. + +Unten an der Landung, etwa zweihundert Schritte tiefer als die Boote +gewöhnlich lagen, hatte ein kleines Fahrzeug im Schutze dichter Büsche +angelegt, und gleich nach Sonnenuntergang waren schon verschiedene +Blechkoffer und Kisten hineingeschafft. Vier portugiesische Ruderer, die +zu einem der weiter unten ankernden Schooner gehörten, lagen auf ihren +Riemen und warteten auf ein verabredetes Zeichen, um den Bug des Bootes, +das jetzt ein Stück draußen im Strom ankerte, dicht zum Lande zu schieben. +Jetzt pfiff es viermal rasch hintereinander, und während sich das +schmale Fahrzeug noch tiefer in die Büsche hineinschob, eilten ein Mann +und eine Frau den schräg ablaufenden Hang hinab, gerade auf die Stelle +zu, wo dasselbe verborgen lag. + +Der Mann hielt ein größeres Paket im Arme und konnte nicht so rasch von +der Stelle, weil er, seiner Bequemlichkeit wegen, Pantoffeln trug. Die +Frau führte ein kleines Bündel bei sich und war ihm immer um einige +Schritte voraus, bis sie den Wasserrand erreichte. Hier hielt sie +plötzlich und wie erschreckt an und flüsterte: + +»O, Du mein lieber himmlischer Vater, was will ich thun, was will ich +thun!« + +»Hier sind wir an Ort und Stelle,« sagte der Mann, der sie hier +einholte, in portugiesischer Sprache, aber mit unterdrückter Stimme, +»nur rasch, meine Geliebte, daß uns die Tölpel nicht doch noch am Ende +auf die Spur kommen.« + +»O, mein armer Mann, und er ist immer so gut und rechtschaffen, und +_ich_....« + +Während sie klagte, hatte der Portugiese schon sein Bündel in das Boot +gegeben und der Frau das ihrige ebenfalls abgenommen und einem Matrosen +gereicht. Jetzt legte er leise seinen Arm um ihre Taille und schob sie +sanft rückwärts. + +»Kommen Sie, Margarita, kommen Sie, wir versäumen sonst die günstige +Zeit über die Barre -- dort hinten höre ich auch Leute. Denken Sie, wenn +man Sie hier fände -- mit _mir_!« + +Die Frau schreckte empor. Etwa hundert Schritte weiter oben führte +ein Weg vorbei, auf dem zwei Männer gingen, die sich laut miteinander +unterhielten. Die Frau glaubte die Stimme des Einen zu erkennen und +wich scheu mehr in die Büsche hinein. Dort lag die Planke -- einer der +Matrosen ergriff ihre Hand, und keine halbe Minute später glitt das Boot +in die dunkle Strömung hinaus und mit dieser abwärts. + +Am Ufer herauf kam eine einzelne Gestalt, die horchend stehen blieb, +als sie das Knarren der Ruder in den Blöcken hörte, das nur so viel +deutlicher durch die Stille der Nacht drang. Erkennen ließ sich freilich +Nichts von dort, wie nur vielleicht der dunkle Schatten des Bootes +selber. + +»Grethe,« rief da eine leise, klagende Stimme in den Strom hinaus +-- »Grethe -- bist Du dort?« + +Keine Antwort erfolgte; blitzesschnell trieben die Ruder das Boot +vorwärts, das wenige Minuten später um eine ablaufende Biegung des +Flusses verschwand. -- + +Bei dem Director, in der kleinen Oberstube, saß Könnern, und Beide +waren, Jeder mit einem Lichte vor sich, beschäftigt zu lesen. Der +Director wühlte in einer Anzahl von Briefschaften, während Könnern +ein Packet Zeitungen durchblätterte, die der Capitain des Schiffes +mitgebracht hatte. Die Haushälterin brachte gerade den Thee herein, +denn die Abende waren frisch genug, um eine warme Tasse Thee recht gut +vertragen zu können. + +»Na, da hört Alles auf!« sagte der Director plötzlich, und sah über +einen eben geöffneten Brief nach Könnern hinüber. + +»Nun,« fragte dieser, dem Blicke begegnend -- »irgend eine unangenehme +Nachricht?« + +»Unangenehm gerade nicht,« lautete die Antwort, »aber gerade zu der +unpassendsten Zeit in der Welt erhalten. Der Delegado, jener Portugiese, +den wir an der Schule trafen, zeigt mir eben an, daß er von der Regierung +auf unbestimmte Zeit Urlaub erhalten habe und mir hiermit in seiner +Abwesenheit die laufenden Geschäfte übertrage. Die ganze lange Zeit hat +der Herr Nichts auf der Gotteswelt zu thun gehabt, weil ich die kleinen +Streitigkeiten zwischen den Colonisten immer selber schlichtete, ja, +eher noch selber Ursache zu Zank und Unfrieden in verschiedenen Familien +gegeben, und jetzt, wo wir eine ganze Schaar durch die Seereise halb +verwilderter Menschen bekommen, die außerdem noch untergebracht werden +sollen, will er sich von jeder Arbeit drücken. Das geht nun einmal unter +keiner Bedingung an, und wenigstens muß er noch die nächste Woche +dableiben. Ich habe überdies Scheererei genug -- kommen Sie, trinken Sie +eine Tasse Thee -- da drüben steht der Rum -- helfen Sie sich selber.« + +Könnern schob die Zeitungen und Papiere bei Seite, um freien Raum zu +bekommen. Eine kleine, zierliche Visitenkarte fiel heraus und auf den +Tisch. + +»Hallo,« lachte er, »die Dinger gehören doch hier wohl eigentlich zu +den exotischen Gewächsen. Wie heißt denn der Herr? Arno von Pulteleben +-- den Namen kenn' ich nicht.« + +»Irgend wieder ein junger Adeliger,« sagte der Director, sich Rum zu +seinem Thee gießend, »der mit den Diamantgruben Brasiliens im Kopfe +herüber kommt, sich hier eine Zeit lang herum treibt und über Alles +schimpft, bis sein mitgebrachtes Geld verzehrt ist, und dann, empört +über die traurigen Verhältnisse des Landes, nach Deutschland zurückkehrt, +für das er Märchenstoff in Masse gesammelt hat. Er wollte mich heute +besuchen, aber wie ich nur den schwarzen Frack, Seidenhut und die weißen +Glacéhandschuhe durch's Fenster sah, hatte ich schon übrig genug und +-- ließ mir die Ehre auf ein anderes Mal ausbitten.« + +»Wo mag er denn nur Quartier gefunden haben?« sagte Könnern, »die Häuser +sind ja fast alle überfüllt.« + +»Gott weiß es,« sagte der Director gleichgültig, »vielleicht doch noch +im Hotel, denn Bohlos macht oft das Unglaubliche möglich. Überhaupt, +lieber Könnern, glauben Sie gar nicht, was sich in einer solchen +Colonie wie die unsere oft für wunderliche Subjecte und Charaktere +ansammeln, und man könnte sie sich oft nicht besser assortirt für ein +Naturalien-Cabinet zum Ausstopfen aussuchen. Aus allen Schichten der +Gesellschaft bekommen wir die Proben, und der hohe Adel, wie Künstler +und Gelehrte liefern jederzeit die werthvollsten Exemplare. Unseren +Baron haben Sie schon gesehen, die Gräfin werden Sie jedenfalls noch +kennen lernen; außerdem treibt sich hier auch ein ganz tüchtiger +Künstler herum, ein Mann, der wahrscheinlich in Deutschland seiner Kunst +Ehre machen könnte, und hier gerade so viel damit ausrichten wird, wie +ein Holzhacker in den Pampas, oder ein Ackerbauer in den Schneebergen.« + +»Ist es ein Maler?« fragte Könnern. + +»Nein,« lachte Sarno, »Sie brauchen keinen Concurrenten zu fürchten +-- nur ein Clavierspieler. Aber auch ein anderer Musiker macht die +Gegend unsicher, aus dem ich aber noch nicht recht klug geworden bin. +Er _nennt_ sich Randolph und scheint mir ein excentrischer Kopf, wie +alle derartigen Künstler....« + +In dem Augenblicke wurde draußen an die Thür geklopft und die alte +Haushälterin meldete gleich darauf: Der Schuhmacher Pilger wünsche den +Herrn einen Augenblick zu sprechen. + +»Ach,« sagte der Director, unzufrieden mit dem Kopfe schüttelnd, »immer +wieder die alte Geschichte, aber ich kann ihm jetzt gute Nachricht +geben, denn er wird seinen Quälgeist wenigstens auf einige Zeit los. +Lassen Sie ihn nur herein kommen.« + +Pilger betrat gleich darauf das Zimmer. Er hielt den Hut in der Hand, +sah aber todtenbleich aus und der Schweiß stand ihm in großen Tropfen +auf der Stirn. + +»Guten Abend, Herr Director!« stöhnte er, ohne auf den noch im Zimmer +befindlichen Fremden weiter zu achten. + +»Guten Abend, Pilger! Um Gottes Willen, wie seht Ihr denn aus, Mann? Was +ist denn vorgefallen?« + +»Meine Frau ist mir davon gelaufen, Herr Director,« sagte der arme Teufel, +und man sah es ihm an, wie er sich nur mit äußerster Gewalt zwang, seine +Fassung zu bewahren. + +»Eure Frau? Wann?!« rief der Director erschreckt und ein eigener Verdacht +schoß ihm durch den Kopf. + +»Heute Abend -- vor einer Stunde etwa, vielleicht noch nicht so lange. +Sie wollte auf den Ball kommen und hat das Haus verlassen, ist aber +jetzt nirgends mehr zu finden.« + +»Aber, bester Freund, wenn Ihr sie erst so kurze Zeit vermißt, kann sie +ja auch zu einer Freundin gegangen sein, um die abzuholen.« + +»Nein,« sagte der Mann ruhig, »sie hat ein Bündel mitgenommen und ist +nach dem Flusse gegangen. Ich sprach Jemanden, der ihr begegnet ist.« + +»Und habt Ihr keinen Verdacht, wer dabei die Hand im Spiele haben +könnte?« fragte der Director. + +»Verdacht? Nein,« sagte Pilger mit fest zusammengebissenen Zähnen, »aber +die _Gewißheit_, daß es jener gottverfluchte Bleifuß, der Delegado, +gewesen ist. Es giebt jetzt nur noch eine Möglichkeit,« fuhr er fort, +während der Director leise vor sich hin mit dem Kopfe nickte, »daß die +Flucht nach dem Flusse zu vielleicht nur zum Schein war und meine Grethe +jetzt ruhig drüben im Hause des Delegado versteckt ist. Allerdings fuhr +vor etwa einer Viertelstunde ein Boot stromabwärts, aber ich kann mir +nicht denken, daß der Portugiese die Frau allein fortschicken wird, und +deshalb komme ich her, Herr Director, und wollte Sie bitten, das Haus +des Portugiesen augenblicklich durchsuchen zu lassen. Finden wir dort +nichts, dann muß sie den Strom hinunter sein, und ich glaube, ich weiß +ein Haus, wo sie sich möglicher Weise verborgen halten könnte.« + +»Wart Ihr schon am Hause des Delegado?« + +»Ja -- es ist Alles stockfinster drin, aber das bedeutet nichts.« + +»Wißt Ihr, daß der Delegado Urlaub von der Regierung und mir heute Abend +schriftlich angezeigt hat, ich solle sein Amt hier für ihn versehen?« + +Der Mann schlug entsetzt die Hände zusammen. + +»Dann ist's auch richtig,« stöhnte er -- »dann ist er fort und sie waren +in dem Boote, das ich gesehen habe. Wollen Sie mir helfen, Herr +Director?« + +»Von Herzen gern, Pilger, aber wie?« + +»Erst gehen wir jetzt zu seinem Hause und sehen ob er fort ist, und +finden wir das bestätigt, dann bitte ich Sie um weiter Nichts, als Ihr +Boot -- Leute schaff' ich schon herbei.« + +»Aber keine Gewaltthätigkeit, Pilger!« warnte der Director; »Ihr macht +die Sache dadurch nur noch schlimmer.« + +»Überlassen Sie das mir, Herr Director. Ich habe den Eltern meiner Frau, +braven, ordentlichen Leuten daheim, versprochen, über dieselbe zu wachen +wie über meine Augen; ich darf die unglückliche Frau nicht den Händen +dieses Buben überlassen, und _darin_ werden mich doch hoffentlich die +Gesetze schützen.« + +»Das allerdings,« sagte Sarno, von seinem Stuhle aufspringend -- »und +dann wollen wir auch keine weitere Zeit mehr versäumen -- kommt!« + +Er griff seinen Hut auf, und von Könnern begleitet, gingen die Männer +rasch nach dem Hause des Delegado hinüber. Es war aber hier, wie es Sarno +gefürchtet hatte, sie fanden das Haus nicht allein fest verschlossen, +sondern auch leer. Dicht daneben wohnte ein deutscher Cigarrenmacher, +der einen kleinen Stand nach der Straße zu hatte. Dieser konnte ihnen +wenigstens die Nachricht geben, daß gleich nach Dunkelwerden mehrere +brasilianische Matrosen Kisten und Koffer aus dem Hause die Straße +hinab getragen hätten. Weiter wußte er ebenfalls nichts, denn den +Delegado hatte er mit keinem Auge gesehen. + +»Dann bleibt mir Nichts weiter übrig, als das Boot,« stöhnte Pilger, als +er mit seinen Begleitern wieder die Straße hinauf ging -- »darf ich es +nehmen, Herr Director?« + +»Geht mit Gott!« sagte Sarno, indem er ihm den kleinen Bootschlüssel gab +-- »Ihr wißt, wo es liegt?« + +»Ja wohl -- und Segel und Ruder?« + +»Hat der Fischer gegenüber -- der kann Euch auch wahrscheinlich gleich +Leute zum Rudern nachweisen.« + +Pilger dankte und flog mehr als er ging die Straße hinab und der Landung +zu. -- + + * * * * * + +Im Hause der Gräfin Baulen war die kleine Familie mit ihrem Gaste +ziemlich spät beim Thee zusammen gewesen, und hatte den Abend, so gut +das eben gehen wollte, verplaudert. Herr von Pulteleben erzählte von +seiner Familie daheim und dem kleinen Gute, auf dem er erzogen worden, +von seinen Plänen und Hoffnungen und seinem Eifer, etwas Ernstliches +zu beginnen, und die Frau Gräfin selber war ihm mit Interesse dabei +gefolgt. Nur Oskar langweilte sich; aber er wußte, daß im Wirthshause +Ball sei. Allerdings würde ihm seine Mutter nie die Erlaubniß gegeben +haben, dem beizuwohnen, deshalb ersparte er ihr das Unangenehme einer +Weigerung, verließ unbemerkt das Zimmer und ging eben _ohne_ Erlaubniß. + +Herr von Pulteleben erzählte jetzt von seiner Reise und den Abenteuern +derselben, und da er wirklich gar Nichts dabei erlebt, wurde die Frau +Gräfin endlich müde und schlief ein. + +Helene setzte sich auf kurze Zeit an's Clavier, aber ihr Gast war nichts +weniger als musikalisch, und da er auch keinen Geschmack an den kleinen, +reizenden Liedern fand und sie immer nur -- oft mitten in einem Stücke +-- bat, einen Walzer oder Galopp zu spielen, ermüdete Helene ebenfalls. + +Es war Zeit zum Schlafengehen geworden, das Mädchen wurde gerufen, um +dem Fremden in sein Zimmer zu leuchten, und Helene ging in das ihrige, +stellte das Licht auf den Tisch, stützte den Arm auf das offene Fenster, +zu dem der balsamische Duft der Orangenblüthen voll hereinströmte, und +schaute träumend in die Nacht und auf die dunklen Conturen der Gebirge +hinaus. + +Da zuckte sie plötzlich erschreckt empor, denn fast dicht unter ihrem +Fenster erklangen wieder die leise klagenden Töne der Violine, die sie +schon an jenem Abend so wunderbar ergriffen hatten. Es lag ein solcher +Schmelz in der einfachen Melodie, daß es ihr unwillkürlich das Herz +ergriff, und sie stand auf, setzte sich auf das Sopha, um von unten +aus nicht gesehen zu werden, und horchte mit angehaltenem Athem dem +meisterhaften Spiele. + +Herr von Pulteleben, der schräg über ihrem Zimmer wohnte, hatte schon +sein Licht ausgelöscht und sich eben niedergelegt, als der Spielende +unten begann. Er stand wieder auf, lehnte sich in das offen stehende +Fenster und hörte eine Weile zu, bis die Töne unten leise verhallten. +Jetzt rief er von oben herunter: + +»Bravo! Sehr hübsch! Wirklich allerliebst!« + +Helene barg die Stirn in ihre Hand; es war wie ein Mißton in diese +Harmonie hinein. Der Spielende unten aber schwieg. Sie löschte ihr Licht +aus und trat verdeckt ans Fenster, um vielleicht den Schatten seiner +hinweggleitenden Gestalt zu sehen, aber Nichts regte sich -- dunkel lag +die Nacht auf dem Thale, und nur von weit herüber schallten dann und +wann, von einem gelegentlichen Luftzuge getragen, die munteren Töne der +Violinen und Trompeten, die dem jungen, lustigen Volke von Santa Clara +zum Tanze aufspielten. + + + + +10. + +Eine Familienscene. + + +Vier Tage waren nach den oben beschriebenen Vorfällen verflossen und die +Frau Gräfin hatte an diesem Morgen noch nicht vollständig ihre Toilette +beendet, als draußen auf dem Vorsaale schwere Tritte laut wurden, und +gleich darauf ein Mann mit Dorothea sprach. Jetzt klopfte diese an die +Thür und rief: + +»Frau Gräfin, der Meister Spenker ist draußen und wünscht die Frau +Gräfin zu sprechen.« + +»Soll später wieder kommen,« lautete die Antwort -- »ich bin noch nicht +fertig angezogen.« + +»Ach, machen Sie keine Umstände, Frau Gräfin,« sagte der Bäckermeister, +der die Antwort gehört hatte -- »ich habe meine Frau auch schon oft im +Negligé gesehen -- bin ja ein verheiratheter Mann und kann nicht so lang +von zu Hause fort bleiben. Es giebt jetzt schmählich viel zu thun, denn +die vielen neuen Mäuler im Ort wollen doch alle satt werden und Brod +haben.« + +»Aber weshalb kommen Sie denn so früh -- ich _kann_ jetzt nicht.« + +»Früh?« sagte der ehrliche Bäckermeister erstaunt, der seit vier Uhr an +der Arbeit war -- »es hat eben Elf geschlagen, und bei uns drüben sagen +wir nicht einmal mehr »guten _Morgen_« -- es wird gleich zu Mittag +gegessen. Wenn Sie aber wollen, kann ich Ihnen hier gleich durch die +Thür melden, was mich hergeführt -- ich glaubte nur, es wäre Ihnen +angenehmer wenn ich Sie _allein_ spräche.« + +Es entstand eine kleine Pause und der Bäckermeister lächelte leise vor +sich hin -- endlich sagte die Gräfin von innen heraus: + +»Ich komme den Augenblick -- gehen Sie in das andere Zimmer.« + +»Sehr wohl, Frau Gräfin,« erwiederte der Meister kopfnickend, und wußte +auch ganz genau, in welches, denn er hatte schon sehr viele derartige +Conferenzen mit der Dame gehabt. Er brauchte indessen nicht sehr lange +zu warten, denn kaum zehn Minuten später ging die Thür auf und Frau +Gräfin Baulen, einen großen Shawl umgeschlagen, trat herein und sagte +eigentlich viel freundlicher, als man nach der erzwungenen Audienz hätte +vermuthen sollen: + +»Guten Morgen, Meister! Was wünschen Sie?« + +»Guten Morgen, Frau Gräfin -- Nichts, als die alte Geschichte, die wir +schon einige Mal verhandelt haben; _Geld_ -- meine Miethe.« + +Die Gräfin warf ungeduldig den Kopf auf die Seite. + +»Aber Sie wissen ja doch, daß meine Wechsel, die ich jedenfalls mit dem +nächsten Dampfer erwarte, noch nicht angekommen sind -- ich habe Ihnen +das schon das letzte Mal gesagt, als ich das Vergnügen hatte Sie zu +sehen.« + +»Bitte,« sagte der Mann -- »ja, und das vorletzte Mal auch, und das +vorvorletzte, aber es ist ein merkwürdiges Ding um einen Wechsel, der +nie ankommt, wenn er am Nothwendigsten gebraucht wird.« + +»Und ist das etwa _meine_ Schuld?« sagte die Gräfin piquirt. + +»Glaube kaum,« lächelte der Bäckermeister -- »nur die Schuld der Leute, +die eben keinen schicken wollen.« + +»Aber sie _sind_ abgeschickt,« rief die Gräfin ungeduldig, »und können +jetzt jede Stunde eintreffen. Sie denken doch nicht etwa, daß ich Ihnen +eine Unwahrheit sagen werde?« + +»Nein,« sagte der Bäckermeister kopfschüttelnd -- »es wäre wenigstens +nicht hübsch, aber damit kommen wir nicht weiter. Das Kurze und Lange +von der Sache ist einfach _das_, daß ich nicht länger auf die Wechsel +warten kann, und es thut mir leid Ihnen das sagen zu müssen, Frau +Gräfin. Ich bin nur ein Handwerker, und was ich brauche, muß ich mir +sauer genug verdienen; außerdem habe ich Kinder die versorgt sein +wollen, und das kostet, wie Sie ebenfalls recht gut wissen, viel Geld. +Deshalb muß ich das Meinige zusammenhalten -- Sie sind eine zu +vernünftige Frau, um das nicht einzusehen, und ich kann die Milreis +nicht hundertweis ausstehen lassen.« + +»Aber, lieber Freund, »ich _kann_ Sie ja doch nicht eher zahlen, bis +mein Wechsel kommt,« sagte die Gräfin ungeduldig -- »was hilft also all +das Reden? So nehmen Sie doch nur Vernunft an!« + +»Eben _weil_ ich lieber auf die Vernunft hören will, als viele Reden +machen, bin ich heute Morgen hergekommen,« sagte der Meister ruhig, +»und wollte Ihnen denn nur anzeigen, Frau Gräfin, daß ich mein Geld in +dieser Woche haben _muß_ und _will_, Wechsel oder keine Wechsel, die +mich eigentlich gar Nichts angehen. Ich werde Sie nicht zu sehr drängen +und gebe Ihnen noch bis zum Samstag Zeit, das ist aber auch, das schwöre +ich Ihnen, der allerletzte Termin, den Sie von mir herausdrücken können; +denn die Geschichte spielt jetzt fünfzehn Monate, und ich will mich +nicht länger zum ... na, ich meine, ich kann eben nicht länger warten.« + +»Ich will sehen was in meinen Kräften steht,« sagte die Gräfin +gleichgültig, und wie es schien, mit dem Wunsche, das Gespräch +abzubrechen -- »erzwingen läßt sich aber so etwas nicht.« + +»Oh, doch wohl,« sagte Meister Spenker, den die vornehme Gleichgültigkeit +zu ärgern anfing -- »es läßt sich auch erzwingen, Frau Gräfin, wenn es +mir auch sehr leid thun sollte, etwas Derartiges zu thun. Der ganze Ort +ist jetzt voll Leute, die Logis suchen, und eine solche Wohnung, wie das +Haus hier, mit Vergnügen noch höher als Sie und gleich baar bezahlen +würden; überall fragen sie an, ob nichts Derartiges zu bekommen sei. +Außerdem haben Sie selber schon einen Aftermiether in's Haus genommen, +der _Sie_ doch auch bezahlt, und ich sehe gar nicht ein, weshalb ich +das nicht selber verdienen und sonst Nichts auf der Welt davon haben +soll, wie leere Versprechungen.« + +»Der Herr,« sagte die Gräfin doch etwas verlegen, »ist -- ein Verwandter +von mir, und zahlt mir also keine Miethe.« + +»Na, das geht mich Nichts an,« sagte der Bäcker, »ob er _Ihnen_ Etwas +zahlt. Wenn er bei _mir_ wohnte, _würde_ er zahlen. Also Nichts für +ungut, aber wenn ich bis Samstag mein Geld nicht bekomme, so muß ich +Sie, so leid mir das thun sollte, auf die Straße setzen und mich an dem +schadlos halten, was Sie mir für meine zweihundert Milreis an Pferden +oder Möbeln zurücklassen können.« + +»Herr Spenker,« rief die Gräfin auffahrend, »eine solche Sprache +verbitte ich mir! Wenn Sie sich in Ihrem Rechte gekränkt glauben, so +wenden Sie sich an die Gerichte, und wir wollen dann sehen, ob mir nicht +jeder Kaufmann selbst bezeugen muß, daß in einem solchen Winkel der +Erde, wie wir ihn hier bewohnen, die Ankunft eines Wechsels verzögert +werden kann -- aber so lange Sie in meiner Stube sind, vergessen Sie +nicht die mir schuldige Achtung.« + +»Ach was,« sagte der Mann mürrisch -- »_Sie_ vergessen auch immer die +mir schuldigen zweihundert Milreis, und mit dem vornehm -- aber wir +wollen uns nicht zanken,« brach er kurz ab, »deshalb bin ich nicht +hergekommen. Ich mag mit keinem Menschen Streit haben, am wenigsten mit +meinen Miethsleuten -- so weit's eben geht -- also nochmals, Nichts für +ungut, Frau Gräfin, und sorgen Sie dafür, daß wir die Sache am Samstag +in's Klare kriegen, sonst läßt sich's eben nicht länger vermeiden und +müßte Ihnen doch fatal sein. Wünsche Ihnen einen recht angenehmen +Morgen« -- und mit einer kurzen Verbeugung und einer Schwenkung des +rechten Armes drehte er sich um und stieg langsam wieder die Treppe +hinunter. + +Die Gräfin hatte seinen Gruß sehr kalt erwiedert und blieb, als er schon +lange das Zimmer verlassen, noch immer in finsterem Brüten auf derselben +Stelle stehen. Sie hatte die Arme gekreuzt und starrte nieder vor sich +auf den Boden, als die eine Seitenthür aufging und Helene eintrat. + +Sie ging still an der Mutter vorüber zu dem nächsten Fenster, wo ein +Buch lag, das sie nahm und aufschlug -- aber sie las nicht darin. Ihre +Blicke hafteten wohl auf dem Drucke, doch ihre Gedanken schweiften zu +anderen Scenen, als den hier geschilderten. Endlich sagte sie leise: + +»Und was soll _nun_ werden?« + +Die Mutter schrak ordentlich bei der Frage empor, die nur das in Worten +aussprach, worüber sie selber eben erst nachgedacht. + +»Du hast gehört, was der Mensch sagte?« fragte sie, ohne ihre Stellung +zu verändern. + +»Ja.« + +»Alles?« + +»Jedes Wort -- aber Dein Wechsel _muß_ jetzt kommen; der Dampfer ist +schon seit vier Tagen fällig und bleibt nur in seltenen Fällen über +diese Zeit.« + +»Und _wenn_ er kommt?« erwiederte die Gräfin mit einem bittern Lächeln, +»was dann? Ja, ich bin mit den wenigen Hundert Thalern im Stande, unsere +Hauptschulden zu decken, aber wovon weiter leben? Helene, Helene, Dein +starrer Sinn wird uns noch theuer zu stehen kommen!« + +»_Mein_ starrer Sinn?« fuhr die Tochter auf; »etwa deshalb, weil ich +nicht auf die Anträge jenes schurkischen Portugiesen hören wollte, der +mir seine Hand anbot? Hast Du nicht jetzt selber den Beweis, was für +eine gemeine Creatur es war, wo er die Frau des Schuhmachers entführte, +als er die Grafentochter nicht bekommen konnte? Der Mensch war als ein +Wüstling in der ganzen Stadt bekannt und verachtet, und Du, Mutter, Du +konntest mir zu einer Verbindung mit ihm rathen, ja, wirfst mir jetzt +noch meinen Starrsinn vor!« + +Helene stand mit leuchtenden Augen ihrer Mutter gegenüber und die Frau +schlug fast scheu den Blick vor ihr zu Boden. + +»Du denkst nur an Dich,« sagte sie aber trotzdem, wenn auch nur mit +halblauter Stimme -- »was aus Deiner Mutter wird, kümmert Dich nicht.« + +»Und hab' ich den Vorwurf wirklich von Dir verdient?« erwiederte Helene, +und ein eigener wehmüthiger Zug zuckte um ihre Lippen -- »hab' ich ihn +auch da verdient, als ich des wackeren Vollrath Bewerbung ausschlug, der +mich mit einem gebrochenen Herzen verließ und dessen ganze Liebe ich +besaß? Dachte ich auch da nur an mich, wo ich im Stande war, mir eine +bescheidene Heimath zu gründen, aber Dich auch hätte hülflos zurücklassen +oder in Verhältnisse hineinziehen müssen, von denen ich vorher wußte, +daß Du Dich darin unglücklich gefühlt und Vollrath unglücklich gemacht +hättest?« + +»Nein -- nein -- ich weiß, Du bist ein gutes, vernünftiges Kind,« sagte +die alte Gräfin, von dem Vorwurfe getroffen -- »ich war vielleicht zu +hart gegen Dich, aber -- _sollte_ die Zeit kommen, wo Du Dich gut +versorgen kannst, so bedenke auch, daß Du -- nicht zu lange damit säumen +darfst. Unsere Stellung hier wird mit jedem Monate unhaltbarer, wenn +nicht bald Etwas geschieht, der Sache eine andere Wendung zu geben.« + +»Und was _könnte_ geschehen?« sagte Helene, und ein ganz eigenes wehes +Gefühl beengte ihr die Brust. + +»Ich habe doch jetzt Hoffnung,« sagte ihre Mutter, »daß sich mein Plan +noch wird realisiren lassen.« + +»Du meinst mit der Cigarren-Fabrik?« + +»Ja.« + +»Und glaubst Du wirklich, daß Etwas dabei gewonnen werden kann?« + +»Wenn es richtig angefaßt wird, gewiß.« + +»Aber wirst Du im Stande sein das zu thun? Gehören nicht zu einem +solchen Geschäfte praktische Erfahrungen?« + +»Liebes Kind, glaubst Du nicht, daß ich mir in meinem Leben +Menschenkenntnisse genug gesammelt habe, auch mit Menschen umzugehen?« + +»Aber das ist eine Sache, wo Du weniger Menschen- wie +_Waaren_kenntnisse brauchst, und wie leicht kannst Du darin betrogen +werden.« + +»Waarenkenntnisse, Du lieber Gott!« sagte die Gräfin; »das Material ist +so einfach, daß sich das gewiß in wenigen Monaten vollständig erlernen +läßt. Aber weißt Du selber etwas Besseres?« + +»Ich? Du mein Himmel!« seufzte Helene -- »wie sollte _ich_ Dir rathen +können, der noch nie verstattet wurde, in das praktische Leben der +Menschen einzugreifen, ja, sie nur bei demselben zu beobachten? Lange +schon hätte ich Unterricht im Französischen und Englischen gegeben, um +mich nur in Etwas nützlich zu machen, aber selbst das hast Du mir ja +nicht einmal gestattet.« + +»Weil es sich mit unserer Stellung nicht verträgt,« sagte die Gräfin +finster -- »mit welchem Gesicht hätte ich nur dem Baron entgegentreten +können, wenn die »Comtesse« den Bäcker- oder Schusterskindern da drüben +Unterricht gegeben hätte? -- Das verstehst Du nicht, Kind.« + +»Und Cigarren machen für Bäcker und Schuster?« sagte das junge Mädchen +traurig. + +»Das ist etwas ganz Anderes, wir _lassen_ sie machen,« erwiederte die +Gräfin rasch -- »wir leiten nur die Fabrikation, und wenn wir selber +»zum Spaße« dann und wann und auf unserer Stube ebenfalls arbeiten, so +ist das etwas ganz Anderes. Auch Damen der höchsten Stände in Europa +haben zu ihrer Unterhaltung Handarbeiten betrieben, Blumen, Pappsachen, +Verzierungen auf Glas- und Holzwaaren und tausend andere Dinge gemacht. +Wir hier brauchen solche Sachen nicht, und wenn wir dafür Cigarren +machen, kann Niemand etwas Ungehöriges darin sehen. Selbst der Baron +fand das in der Ordnung.« + +»So hast Du schon mit ihm darüber gesprochen?« + +»Ja,« sagte die Gräfin nach einigem Zögern -- »vor mehreren Tagen kam +einmal das Gespräch darauf.« + +»Und wird er sich dabei betheiligen?« fragte Helene schnell. + +»Nein,« erwiederte die Gräfin wieder zögernd; »der Mann war stets +zu unpraktisch. Er hat nicht den geringsten Sinn für ein wirklich +nutzbringendes Unternehmen, und da ist es auch viel besser, daß man gar +nicht mit ihm beginnt; man hätte sonst ewig nur Klagen und Vorwürfe zu +hören.« + +»Und wer sonst -- meinst Du -- würde auf einen solchen Plan eingehen?« +fragte die Tochter und sah ihre Mutter scharf dabei an. + +Die Gräfin hatte sich halb abgewendet und beschäftigte sich an ihrem +Nähtische damit, ein aufgerolltes Knäuel schwarzer Seide wieder in +Ordnung zu bringen. + +»Ich glaube,« sagte sie, und wandte dabei den Kopf lächelnd der Tochter +zu -- »der Himmel selber hat uns einen Bundesgenossen gesandt, der am +Ende der rechte Mann dazu sein dürfte.« + +»Unser Gast?« + +»Derselbe. Er wünscht sehnlichst, wie er mir wieder und wieder gesagt +hat, irgend Etwas in Brasilien zu beginnen, wodurch er nicht allein eine +Beschäftigung findet, sondern auch Geld verdienen kann, und ich denke +fast, daß mein Plan für alle Beide von Nutzen sein könnte. Meinst Du +nicht?« + +»Und glaubst Du wirklich, Mama, daß mit dieser Arbeit etwas Ordentliches +verdient werden könnte? Ich kann es mir noch immer nicht denken.« + +»Aber würde ich es denn sonst beginnen?« + +»Ich weiß nicht,« sagte Helene, »es ist mir ein Gefühl, als ob wir der +Sache keinen rechten Ernst entgegen bringen könnten -- als ob eigentlich +andere Kräfte dazu gehören müßten, etwas Ähnliches zu beginnen.« + +»Aber ich begreife Dich gar nicht.« + +»Und wie wird sich Oskar hinein finden?« + +»Wie ihn die Nothwendigkeit zwingt,« sagte die Gräfin entschieden. »Ich +habe seinem Leichtsinn jetzt lange genug nachgesehen, aber meine Kräfte +sind erschöpft. Ich bin nicht mehr im Stande, sein müssiges Leben zu +unterstützen, und er _muß_ eben arbeiten, wenn er existiren will. Dafür +sind wir nun einmal in Brasilien.« + +»Er wird schwer an eine regelmäßige Beschäftigung zu gewöhnen sein,« +seufzte Helene; »es ist ihm zu viel die ganzen langen Jahre hindurch +nachgesehen worden.« + +»Das muß eben anders werden,« sagte die Gräfin, »und ich habe die feste +Hoffnung, daß er das selber fühlt, indem er schon sein Reitpferd verkauft +hat. Das Geld dafür ist allerdings nur ein sehr kleines Capital, aber es +ist immer ein Capital und kann auf weit nützlichere Weise verwandt +werden.« + +Ein lauter, jubelnder Ruf von der Straße aus unterbrach sie hier, und +als Beide an das Fenster traten, sahen sie, wie Oskar eben einen sehr +hübschen Rappen, der unter ihm sprang und tanzte, gerade vor dem Fenster +parirte und ihn auf und ab galoppiren ließ. + +»Da hast Du die Anlage des neuen Capitals,« sagte Helene ruhig -- »ich +kenne das Pferd; es hat früher dem Director gehört und ist von ihm um +160 Milreis verkauft worden. Billiger hat es Oskar auf keinen Fall +bekommen, und wahrscheinlich noch Sattel und Zaum besonders bezahlt. Das +sind die neuen Ersparnisse.« + +»Ich will doch nicht hoffen!« rief die Gräfin, wirklich erschreckt. +Oskar aber war indessen aus dem Sattel gesprungen, hatte sein Pferd, das +noch ungeduldig den Boden scharrte, an den Baum unten befestigt und kam +jetzt mit flüchtigen Sätzen die Treppe herauf und in's Zimmer. + +»Nun, wie gefällt Euch mein neues Pferd?« rief er hier triumphirend aus +-- »nicht wahr, das ist ein Prachtrappe? Jetzt, Helene, wollen wir +wieder einmal zusammen reiten, und Du sollst sehen, wie ich Dir mit dem +da unten davon laufe. So wie Jeremias kommt, soll er Deinen Schimmel +satteln, und dann können wir's gleich versuchen.« + +»Und das Pferd hast Du _gekauft_?« fragte die Mutter erschreckt. + +»Nun, glaubst Du, daß es mir Jemand _geschenkt_ hätte?« lachte Oskar +-- »aber es ist spottbillig. Denke Dir, Helene, ich habe nur sechszig +Milreis mehr dafür gezahlt, wie ich für meinen Braunen bekommen habe +-- sechszig Milreis und Sattel und Zaum dazu, für das Prachtthier! Es ist +der beste Renner in der Colonie -- aber was habt Ihr denn nur um Gottes +Willen? Ihr steht ja Beide da, als ob irgend ein Unglück geschehen +wäre!« + +Die Gräfin hatte sich auf den nächsten Stuhl gesetzt und seufzte tief +auf, Helene aber sagte ruhig: + +»Und wovon willst Du diese sechszig Milreis bezahlen, wenn man fragen +darf? + +»Fragen darf?« sagte Oskar trotzig -- »fragen darf man schon, aber wenn +ich Dir nun antworte: Was geht _Dich_ das an?« + +»Und wenn _ich_ Dich nun frage, mein Herr Leichtfuß?« rief die Gräfin, +indem sie mit zusammengezogenen Brauen zu ihm aufsah; »ich hoffe doch, +daß _ich_ wenigstens das Recht dazu habe.« + +»Allerdings, Mama,« lachte Oskar, »denn Du bist ja mein Cassirer -- dann +werde ich Dir also einfach antworten, das macht Alles meine gütige +Mutter ab.« + +»Und darin könntest Du Dich dieses Mal verrechnet haben!« rief die +Gräfin rasch und ärgerlich; »Deine Verschwendung geht in das Bodenlose, +und ich habe nicht länger Lust, mich Deinethalben nur immer in neue +Sorgen und Verlegenheiten zu stürzen.« + +»Huih!« sagte Oskar, erstaunt von Mutter zu Schwester und wieder +zurücksehend -- »da bin ich ja, wie es scheint, zu sehr unrechter Zeit +in eine Familienberathung über Wirthschaftsangelegenheiten hineingekommen, +wo aller Wahrscheinlichkeit nach ein neuer Hausplan entworfen wird. +Bitte tausendmal um Entschuldigung daß ich gestört habe« -- und seine +Mütze aufgreifend, sprang er, so rasch er gekommen, die Treppe wieder +hinab, machte unten sein Pferd los, setzte sich auf und galoppirte im +nächsten Momente wieder in voller Flucht und was das Pferd laufen +konnte, die Straße hinab. + +»Das muß anders werden,« seufzte die Mutter, »das muß anders werden oder +der Junge richtet uns vollständig zu Grunde!« + +»_Noch_ vollständiger?« sagte Helene, und ein bitteres Lächeln zuckte um +ihre Lippen. + +»Die einzige Möglichkeit,« fuhr die Mutter fort, »ist, ihn durch eine +regelmäßige Beschäftigung zu binden. Er soll und muß erst einmal lernen, +was es heißt sich sein Brod selber zu verdienen. Hat er das, dann wird +er auch das Geld mehr zu Rathe halten -- er wird geizig werden und +sparen -- Du glaubst es nicht? Du sollst sehen, ich bringe ihn noch +dahin, daß er ein Zwanzigerstück dreimal in der Hand herumdreht, ehe er +es ausgiebt.« + +»Und wann soll diese Arbeit beginnen?« fragte Helene, die nur zu oft +schon die guten Vorsätze ihrer Mutter, was die Erziehung des Bruders +betraf, hatte anhören müssen und ihre vollkommene Gehaltlosigkeit zur +Genüge kannte. + +»Ich will heute noch mit Herrn von Pulteleben sprechen,« sagte die +Gräfin, selber gern bereit, das trostlose Thema abzubrechen; »er hat +mich ja sogar dringend gebeten, ihm eine Anlage für ein Capital zu +rathen; ich bin es ihm sogar schuldig, daß ich ihn von unserm Plan in +Kenntniß setze, und ich zweifle keinen Augenblick, er wird mit Freuden +zugreifen. Wäre er doch auch ein Thor, wenn er es _nicht_ thäte, denn +nicht jedem jungen Fremden wird eine solche Aussicht geboten, wie er nur +kaum das fremde Land betreten hat.« + +»Es ist gut,« seufzte Helene, »gehe nur um Gottes willen sicher in der +Ausführung, daß der Fremde nicht später glauben könnte, Du habest nur +sein Geld zu Deinen Zwecken benutzt; es wäre fürchterlich, wenn es fehl +schlüge.« + +»Es schlägt _nicht_ fehl, Helene, oder ich müßte zum ersten Mal in +meinem Leben in -- doch es ist nicht nöthig, Weiteres darüber voraus zu +bereden. Laß mich jetzt allein, mein Kind, ich werde das Mädchen hinauf +schicken und unsern Gast ersuchen lassen, zu mir zu kommen. In einer +Stunde ist Alles abgemacht. Noch Eins,« fuhr sie fort, als sich Helene +schweigend wandte, um ihr eigenes Zimmer aufzusuchen -- »wer ist denn +jener unverdrossene Violinspieler, der Dir fast jeden Abend ein kurzes +Ständchen bringt? + +»Gott weiß es!« sagte Helene achselzuckend -- »_ich_ wenigstens kenne ihn +nicht. Er spielt übrigens vortrefflich!« + +»Von den Neuangekommenen kann es Niemand sein, denn wenn ich nicht irre, +war er schon den Abend vorher unter Deinem Fenster. Er muß also +jedenfalls in die Ansiedelung gehören.« + +»Möglich.« + +»Und hat Dir Niemand hier besondere Aufmerksamkeit erwiesen?« + +»Niemand.« + +»Sonderbar -- Oskar, der Übermuth, hat sich neulich um den Garten +geschlichen, um den nächtlichen Musikanten zu entdecken, aber ich weiß +nicht, was ihm geschehen sein muß, denn er kam ganz still wieder zurück +und sagte, er hätte ihn nicht gefunden, was eigentlich kaum möglich +ist. Diese Aufmerksamkeit fängt an, mir lästig zu werden; ich werde sie +mir nächstens einmal verbitten.« + +Helene antwortete nicht, sondern nahm ihr Buch auf und schritt ihrem +eigenen Zimmer zu. + + +Ende des ersten Bandes +Druck von _G. Pätz_ in Naumburg. + + + + +TRANSCRIBER'S NOTE ---- ZUR KENNTNISNAHME + +Contemporary spellings have generally been retained even when +inconsistent. A small number of obvious typographical errors have been +corrected; missing punctuation has been silently added. Words in Roman +type are identified like #this#. + +Zeitgenössische Schreibungen wurden generell beibehalten, auch wenn +gelegentlich mehrere Variaten auftauchen. Einige wenige orthografische +Fehler wurden korrigiert; fehlende Zeichensetzung wurde ergänzt. In +Antiqua gedruckte Wörter wurden #so# gekennzeichnet. + +The following additional changes have been made: + +Die folgenden zusätzlichen Änderungen wurden vorgenommen: + + + sie möchten auch Hause kommen sie möchten _nach_ Hause kommen + + griff dann das (...) Buch auf, griff dann das (...) Buch auf, + und um sich zu zerstreuen _um_ sich zu zerstreuen + + mitten unten ihnen mitten _unter_ ihnen + + auf die aus dem Herzen kommende auf die aus dem Herzen _kommenden_ + Worte Worte + + wir haben mit kei- wir haben mit _keiner_ + Seele gesprochen Seele gesprochen + + tief in in die seinigen tief _in_ die seinigen + + wurde (...) ein Mann _wurden_ (...) ein Mann + und eine Frau (...) geschüttelt und eine Frau (...) geschüttelt + + nur von weit herüber schallten (...) nur von weit herüber schallten + die munteren Töne der Violinen und die munteren Töne der Violinen und + Trompeten herüber Trompeten + + »Oh, doch wohl,« fragte Meister »Oh, doch wohl,« sagte Meister + Spenker Spenker + + + + + +End of Project Gutenberg's Die Colonie. Erster Band., by Friedrich Gerstäcker + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE COLONIE. ERSTER BAND. *** + +***** This file should be named 30631-8.txt or 30631-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/3/0/6/3/30631/ + +Produced by richyfourtytwo, Delphine Lettau and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose +such as creation of derivative works, reports, performances and +research. They may be modified and printed and given away--you may do +practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is +subject to the trademark license, especially commercial +redistribution. + + + +*** START: FULL LICENSE *** + +THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE +PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK + +To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free +distribution of electronic works, by using or distributing this work +(or any other work associated in any way with the phrase "Project +Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project +Gutenberg-tm License (available with this file or online at +https://gutenberg.org/license). + + +Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm +electronic works + +1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm +electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to +and accept all the terms of this license and intellectual property +(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all +the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy +all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. +If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project +Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the +terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or +entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. + +1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be +used on or associated in any way with an electronic work by people who +agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few +things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works +even without complying with the full terms of this agreement. See +paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project +Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement +and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic +works. See paragraph 1.E below. + +1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" +or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project +Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the +collection are in the public domain in the United States. If an +individual work is in the public domain in the United States and you are +located in the United States, we do not claim a right to prevent you from +copying, distributing, performing, displaying or creating derivative +works based on the work as long as all references to Project Gutenberg +are removed. Of course, we hope that you will support the Project +Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by +freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of +this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with +the work. You can easily comply with the terms of this agreement by +keeping this work in the same format with its attached full Project +Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. + +1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern +what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in +a constant state of change. If you are outside the United States, check +the laws of your country in addition to the terms of this agreement +before downloading, copying, displaying, performing, distributing or +creating derivative works based on this work or any other Project +Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning +the copyright status of any work in any country outside the United +States. + +1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: + +1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate +access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently +whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the +phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project +Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, +copied or distributed: + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + +1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived +from the public domain (does not contain a notice indicating that it is +posted with permission of the copyright holder), the work can be copied +and distributed to anyone in the United States without paying any fees +or charges. If you are redistributing or providing access to a work +with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the +work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 +through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the +Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or +1.E.9. + +1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted +with the permission of the copyright holder, your use and distribution +must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional +terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked +to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the +permission of the copyright holder found at the beginning of this work. + +1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm +License terms from this work, or any files containing a part of this +work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. + +1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this +electronic work, or any part of this electronic work, without +prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with +active links or immediate access to the full terms of the Project +Gutenberg-tm License. + +1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, +compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any +word processing or hypertext form. However, if you provide access to or +distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than +"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version +posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), +you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a +copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon +request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other +form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm +License as specified in paragraph 1.E.1. + +1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, +performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works +unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. + +1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing +access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided +that + +- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from + the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method + you already use to calculate your applicable taxes. The fee is + owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he + has agreed to donate royalties under this paragraph to the + Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments + must be paid within 60 days following each date on which you + prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax + returns. Royalty payments should be clearly marked as such and + sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the + address specified in Section 4, "Information about donations to + the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." + +- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies + you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he + does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm + License. You must require such a user to return or + destroy all copies of the works possessed in a physical medium + and discontinue all use of and all access to other copies of + Project Gutenberg-tm works. + +- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any + money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the + electronic work is discovered and reported to you within 90 days + of receipt of the work. + +- You comply with all other terms of this agreement for free + distribution of Project Gutenberg-tm works. + +1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm +electronic work or group of works on different terms than are set +forth in this agreement, you must obtain permission in writing from +both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael +Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the +Foundation as set forth in Section 3 below. + +1.F. + +1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable +effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread +public domain works in creating the Project Gutenberg-tm +collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic +works, and the medium on which they may be stored, may contain +"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or +corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual +property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a +computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by +your equipment. + +1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right +of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project +Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project +Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all +liability to you for damages, costs and expenses, including legal +fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT +LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE +PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE +TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE +LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR +INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH +DAMAGE. + +1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a +defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can +receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a +written explanation to the person you received the work from. If you +received the work on a physical medium, you must return the medium with +your written explanation. The person or entity that provided you with +the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a +refund. If you received the work electronically, the person or entity +providing it to you may choose to give you a second opportunity to +receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy +is also defective, you may demand a refund in writing without further +opportunities to fix the problem. + +1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth +in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER +WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO +WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. + +1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied +warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. +If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the +law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be +interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by +the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any +provision of this agreement shall not void the remaining provisions. + +1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the +trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone +providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance +with this agreement, and any volunteers associated with the production, +promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, +harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, +that arise directly or indirectly from any of the following which you do +or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm +work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any +Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. + + +Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm + +Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of +electronic works in formats readable by the widest variety of computers +including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at https://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact +information can be found at the Foundation's web site and official +page at https://pglaf.org + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. Compliance requirements are not uniform and it takes a +considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up +with these requirements. We do not solicit donations in locations +where we have not received written confirmation of compliance. To +SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any +particular state visit https://pglaf.org + +While we cannot and do not solicit contributions from states where we +have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition +against accepting unsolicited donations from donors in such states who +approach us with offers to donate. + +International donations are gratefully accepted, but we cannot make +any statements concerning tax treatment of donations received from +outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. + +Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation +methods and addresses. Donations are accepted in a number of other +ways including including checks, online payments and credit card +donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate + + +Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic +works. + +Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. + + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + https://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/30631-8.zip b/30631-8.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..66b39c7 --- /dev/null +++ b/30631-8.zip diff --git a/30631-h.zip b/30631-h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ed06a45 --- /dev/null +++ b/30631-h.zip diff --git a/30631-h/30631-h.htm b/30631-h/30631-h.htm new file mode 100644 index 0000000..599224f --- /dev/null +++ b/30631-h/30631-h.htm @@ -0,0 +1,9296 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> +<head> +<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=ISO-8859-1" /> +<title>The Project Gutenberg eBook of Die Colinie, erster Band, von Friedrich Gerstäcker</title> +<style type="text/css"> + body {background:#fdfdfd; + color:black; + font-size: large; + margin-top:100px; + margin-left:15%; + margin-right:15%; + text-align:justify; } + h1, h2, h3, h4, h5, h6 {text-align: center; } + hr.narrow { width: 40%; + text-align: center; } + hr.min { width: 25%; + text-align: center; } + hr { width: 100%; } + hr.full { width: 100%; + margin-top: 3em; + margin-bottom: 0em; + margin-left: auto; + margin-right: auto; + height: 3px; + border-width: 4px 0 0 0; /* remove all borders except the top one */ + border-style: solid; + border-color: #000000; + clear: both; } + blockquote { font-size: large; margin-left: 4%; margin-right: 4% } + table {font-size: large; } + table.sm {font-size: medium; } + td.w50 { width: 50%; } + p {text-indent: 3%; } + p.noindent { text-indent: 0%; } + .revind { margin-left: 0em; text-indent: -1em; padding-left: 1em; } + .center { text-align: center; } + ins { text-decoration: none; border-bottom: thin dotted gray;} + .nowrap { white-space: nowrap; } + .small { font-size: 70%; } + .wide { letter-spacing: .15em; } + a:link {color:blue; + text-decoration:none} + link {color:blue; + text-decoration:none} + a:visited {color:blue; + text-decoration:none} + a:hover {color:red; + text-decoration: underline; } + pre {font-size: 70%; } +</style> +</head> +<body> + + +<pre> + +Project Gutenberg's Die Colonie. Erster Band., by Friedrich Gerstäcker + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Die Colonie. Erster Band. + Brasilianisches Lebensbild + +Author: Friedrich Gerstäcker + +Release Date: December 8, 2009 [EBook #30631] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE COLONIE. ERSTER BAND. *** + + + + +Produced by richyfourtytwo, Delphine Lettau and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net + + + + + + +</pre> + +<p> </p> +<hr class="full" /> +<p> </p> +<h1>Die Colonie.</h1> +<h3>Brasilianisches Lebensbild</h3> +<p> </p> +<h5>von</h5> +<p> </p> +<h2>Friedrich Gerstäcker.</h2> +<p> </p> +<div class="center"> +<p class="noindent"><small>Der Verfasser behält sich die Übersetzung dieses Werkes vor.</small></p> +</div> +<p> </p> +<h4>Erster Band.</h4> +<p> </p> +<p> </p> +<div class="center"> +<p class="noindent">Leipzig,<br /> +<span class="wide">Hermann Costenoble</span>.<br /> +1864.</p> +</div> +<p> </p> +<p> </p> + +<hr class="narrow" /> +<p> </p> +<h3>Inhalts-Verzeichniss.</h3> + +<div class="center"> +<table class="sm" style="margin: 0 auto" cellpadding="2" cellspacing="2" summary="Contents"> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_1">Erstes Kapitel.</a></span></td><td align="left">Die Colonie Santa Clara</td></tr> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_2">Zweites Kapitel.</a></span></td><td align="left">Der Director</td></tr> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_3">Drittes Kapitel.</a></span></td><td align="left">Bei der Frau Gräfin</td></tr> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_4">Viertes Kapitel.</a></span></td><td align="left">Die »Meierei«</td></tr> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_5">Fünftes Kapitel.</a></span></td><td align="left">Elise</td></tr> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_6">Sechstes Kapitel.</a></span></td><td align="left">Zuhbel's Chagra</td></tr> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_7">Siebentes Kapitel.</a></span></td><td align="left">Die neuen Colonisten</td></tr> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_8">Achtes Kapitel.</a></span></td><td align="left">Die Einquartierung</td></tr> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_9">Neuntes Kapitel.</a></span></td><td align="left">Ein Abend in der Colonie</td></tr> +<tr><td align="right" valign="top"><span class="wide"><a href="#kap_10">Zehntes Kapitel.</a></span></td><td align="left">Eine Familienscene</td></tr> +</table> +</div> +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<p> </p> +<h3><a name="kap_1" id="kap_1"></a>1.</h3> + +<h3>Die Colonie Santa Clara.</h3> + +<p>Von Osten her strich die frische Seebrise über +das weite, wellenförmige Land, schaukelte die einzelnen +Palmen, die auf der Lichtung standen, und +schüttelte von den Orangenbäumen nicht allein +die überreifen Früchte, sondern auch manche Blüthe +herab, unter der sich schon wieder die junge Frucht +gebildet hatte. Ein würziger Duft wehte dabei +über den ganzen Bergeshang, der sich hie gerade +und neben einer kleinen, freundlichen Wohnung +oder Chagra dem Thale zu öffnete, und zwei +Reiter, die den schmalen Waldweg herüber gekommen +waren, hielten überrascht ihre Pferde +an, als sie das entzückende Bild erblickten, das +sich unter ihnen ausbreitete.</p> + +<p>Dicht vor ihnen, und durch die reine Luft nur +noch viel näher gerückt, als es in der That lag, +füllte ein kleines Städtchen — die deutsche Colonie +Santa Clara — den ebenen Theil des nicht breiten +Thales aus, der vollkommen gelichtet war, +und nach allen Richtungen hin, wie durch Adern, +von schmalen, gelben Wegen durchschnitten wurde, +während die Häuser, wohl in Straßen ausgelegt, +aber doch noch einzeln aufgebaut, über die ganze +Fläche hin zerstreut standen. Mit ihren lichten +Farben und rothen, meist neuen Ziegeldächern +stachen sie aber um so lebendiger von dem saftigen +Grün ab, das die sie umschließenden Gebüsche +trugen, während in der Ferne, nach Süd, Süd-Ost +und Osten, drei scharf abgeschiedene Gebirgsschichten +zuerst in dunkelm Grün, dann in blaugrüner +Färbung und zuletzt in einem duftigen +Lichtblau den Hintergrund bildeten.</p> + +<p>Nur nach Süd-West öffnete sich die sonst vollkommene +Gebirgslandschaft ein wenig, und eben +genug, um in blauer Ferne das Meer mit seinem +scharf abgegränzten Horizonte zu zeigen, und man +erkannte, selbst von hier aus, deutlich, wie die +verschiedenen Gebirgshänge, je mehr sie sich dem +Seestrande näherten, niedriger wurden. Nur die +gelben Sanddünen des Strandes selber ließen +sich nicht erkennen, denn an den abschüssigen +Hängen war noch Nichts gelichtet, und nur die +weiten Umrisse der höheren Partien schloß der +Wald in seinen grünen Rahmen.</p> + +<p>Wieder und wieder flog der Blick der beiden +Reiter aber zu der kleinen Ansiedlung zurück, die +auch zu gleicher Zeit ihr heutiges Ziel bildete, +und während in dem Walde selber die tropische +Vegetation von dem weit stärkeren Laubholze verdeckt +oder überschattet wurde, konnte ihnen nicht +entgehen, wie gerade nahe bei den Häusern der +tropische Charakter der Landschaft sorgfältig gewahrt +und erhalten war.</p> + +<p>Die deutschen Einwanderer hatten nämlich, als +sie den Wald in offenes Feld verwandelten, daheim +schon zu viel von den »wehenden Palmen +Brasiliens« gehört, und hier und da auch wohl +in ihrer Art davon geschwärmt — denn der +Bauer ist <span class="wide">nie</span> Phantast — um jetzt gleich die Axt +an die ersten zu legen, die ihnen in den Weg +traten. Wo sie ihr Haus aufrichteten oder ihren +Garten umzäunten, ließen sie manche von diesen +stehen, und hier und da bequemte sich auch wohl +ein Einzelner, selbst in seinem Felde um die Wurzeln +derselben herumzupflügen, nur um von seinem +Fenster aus die stattlichen, schlanken Stämme +sehen zu können.</p> + +<p>Reizend gelegen war selbst die kleine Chagra<a href="#fn1"><sup><small>1</small></sup></a><a name="fn1r" id="fn1r"></a>, +vor der sie hielten, und eine schönere Fernsicht +hätte der Eigenthümer wohl kaum in der ganzen +Nachbarschaft finden können. Ebenso hatte er +sein kleines Häuschen mit Geschmack gebaut, so +einfach es auch sonst sein mochte, und der Platz +schien nach Allem, was man auf den ersten Blick +davon sehen konnte, neu eingerichtet und gelichtet, +hätten dem nicht wieder die stattlichen Pinien und +Orangenbäume widersprochen, welche das Haus +umstanden, und mit drei oder vier stämmigen +Palmen eine Gruppe bildeten, wie man sie sich +kaum pittoresker denken kann.</p> + +<p>Den beiden Fremden war dies ebenfalls nicht +entgangen, und besonders der jüngere von ihnen, +der vielleicht dreißig bis zweiunddreißig Jahre +zählen mochte, überschaute mit innigem Behagen +den kleinen Platz, der sich wie ein Bild unter +seinem grünen Blätterschmucke zeigte.</p> + +<p>Der Fremde ritt einen grauen, prächtigen +Hengst mit einem ganz eigenthümlichen, fremden +Sattelzeuge, das mit seiner ganzen Form und +einer Menge rohgearbeiteter Silberplatten, wie +einer Anzahl kleiner silberner Schnallen und +Troddeln und Quasten von ungegerbter, aber +außerordentlich künstlich geflochtener Rohhaut mexicanischen, +vielleicht sogar indianischen Ursprungs +zu sein schien. Sonst aber ging er sehr einfach, +doch für den Wald praktisch gekleidet. Der Wärme +wegen hatte er ein ledernes, ausgefranztes Jagdhemd, +wie es in den nordamerikanischen Wäldern +Sitte ist, vorn über seinen Sattel geworfen, auf +dem jetzt querüber eine sauber gearbeitete, aber +ebenfalls einfache Büchsflinte ruhte. Er trug nur +ein roth und grau gestreiftes wollenes Hemd, +dunkle Beinkleider, von einem breiten Ledergurt +gehalten, an dem ein breites, schweres Jagdmesser +hing, hohe Wasserstiefel, einen braunen +Strohhut auf dem Kopfe und eine alte lederne +Kugeltasche an der rechten Seite.</p> + +<p>Seine Sporen waren ebenfalls klein und von +dunkler Bronze, und am Sattelgurt festgeschnürt, +aber hinten am Sattel zusammengerollt und mit +einer Schleife eingehakt, hing ein dünner, doch +stark gedrehter Lasso aus roher Haut.</p> + +<p>Der Fremde sah keinesfalls wie ein Neuling +im Walde aus, und die sonnverbrannte Farbe +seiner Züge, aus denen ein paar große, blaue +Augen treuherzig hervorschauten, verrieth ihn ebenfalls +als den Nordländer, der vielleicht, wie Tausende +seiner Landsleute, Brasilien zu seiner neuen +Heimath gewählt.</p> + +<p>Sein Begleiter, der etwa sechs Jahre mehr +zählen mochte als er, bewegte sich trotzdem eben +so frei im Sattel, verrieth aber in diesen Bewegungen, +als auch noch zum Überflusse durch +den Schnitt seines wohlgepflegten Bartes, den +früheren Soldaten. Die enge Uniform hatte er +freilich lange bei Seite geworfen und dafür den +leichten Rock und breitrandigen Panamahut angenommen. +Außerdem schien er sich den brasilianischen +Sitten noch entschiedener durch ein paar +riesige brasilianische Sporen von echtem Silber +angepaßt zu haben, und auch das Kopf- und +Zaumzeug seines Pferdes trug, wo es nur möglich +war sie anzubringen, silberne Spangen und +Schnallen. Seine Kleidung indessen, obgleich von +feinem Tuche und modernem Schnitte, war durch +den Busch und langen Ritt arg mitgenommen. +Man sah ihm an, daß er schon eine gute Weile +unterwegs sein müsse, und die ledernen Leggins, +mit denen er den untern Theil der Beine bedeckt +hatte, zeigten die im Walde geholten Spuren von +Dorn und Ranken.</p> + +<p>Sein Blick haftete gegenwärtig aber fast ausschließlich +auf der Ansiedlung und den Berghängen +voraus, während sein Begleiter sich weit mehr +durch das Wohnliche des Bauernhauses gefesselt +und angezogen fühlte.</p> + +<p>»Sehen Sie nur, Günther, was für ein reizendes +Plätzchen das hier ist,« wandte sich in diesem +Augenblicke der Jüngere der Beiden an den +Freund, »wie malerisch diese dunkeln Pinien — +vielleicht unbewußt — mit dem lichten Grün der +Palmenwipfel gruppirt sind, und wie ganz eigenthümlich +der goldgesprenkelte Orangenhain das +Ganze wie ein künstlich gewobenes Netz umschließt. +»Eine Hütte und ihr Herz,« wie das alte Sprüchwort +lautet, und wenn es das richtige Herz wäre, +glaub' ich selber, daß ich es in einer <span class="wide">solchen</span> +Hütte aushalten könnte.«</p> + +<p>»Und auf wie lange?« lachte sein älterer Gefährte, +indem er mit den Augen dem ausgestreckten +Arme des Freundes folgte; »Sie unsteten Menschen +möchte ich wirklich einmal, und selbst in +eine <span class="wide">solche</span> Hütte gebannt sehen — noch dazu in +einer Gegend, in der es nicht einmal Wild zum +Jagen giebt.«</p> + +<p>»Das wäre freilich fatal,« erwiederte der Andere, +»und daran dachte ich im ersten Augenblicke +nicht. Aber hab' ich trotzdem nicht Recht? Kann +man sich ein freundlicheres Plätzchen auf der Welt +denken?«</p> + +<p>»Nein — in der That — in <span class="wide">Brasilien</span> +wenigstens nicht,« erwiederte der Freund, den er +mit »Günther« angeredet hatte; »mit meinem +Thüringen daheim möchte ich's freilich immer +nicht vertauschen. Es giebt doch nur <span class="wide">ein</span> +Deutschland.«</p> + +<p>»Haben Sie das Heimweh, Günther?« sagte +sein Kamerad lächelnd.</p> + +<p>»Und <span class="wide">wenn</span> ich's hätte, wär's ein Wunder?« +fragte Günther leise; »wie lange schon führ' ich +dieses unstete wilde Leben jetzt? Wie lange schon +treib' ich mich heimathlos im Walde umher, +während daheim — doch wir wollen uns den +schönen Tag nicht mit solchen Gedanken verbittern, +Freund — die Heimath hat doch keiner von uns +vergessen.«</p> + +<p>Sein Begleiter nickte nur schweigend mit dem +Kopfe, und auch <span class="wide">seine</span> Gedanken schienen in dem +Augenblicke weit, weit zurück zu schweifen, zu ganz +anderen Scenen und Ländern, als sich die beiden +Freunde plötzlich angerufen hörten. Die Stimme +schallte hinter der Gartenhecke vor und rührte von +einem jungen Manne, dem Eigenthümer der Chagra, +her, den ihnen das Grün der Hecke bis jetzt verborgen +gehalten.</p> + +<p>»Hallo, Fremde!« rief der Mann in deutscher +Sprache mit nur einem leichten Anklang niederrheinischen +Dialektes; »wollt Ihr nicht ein wenig +absteigen und ein Glas Milch trinken? Der Weg +ist schlecht, und ein Bißchen Rast kann Euren +Pferden nicht schaden, denn 's ist noch eine gute +Stunde bis in die Colonie hinunter.«</p> + +<p>Die beiden Deutschen sahen sich erst erstaunt +um, von wo her die Stimme eigentlich komme. +Endlich entdeckten sie hinter der Hecke und gerade +unter einem blühenden Granatbaume das rothe, +freundliche Gesicht eines jungen Mannes, der +ihnen erst jetzt, als er ihren Blick auf sich gerichtet +fand, sein herzliches »Guten Morgen mit +einander!« zurief.</p> + +<p>»Guten Morgen, Landsmann,« sagte der jüngere +Fremde, der ihm zunächst hielt, indem er den +Kopf seines Thieres gegen die Hecke drehte, »ich +wußte gar nicht, weshalb mein Grauer immer die +Ohren spitzte. Also eine Stunde Weges ist's noch +hinunter? Es sieht eigentlich von hier oben viel +näher aus.«</p> + +<p>»Ja,« lachte der hinter der Hecke, »wenn die +Brücke nicht wieder eingebrochen wäre, die der +Bleifuß da neulich erst neu gebaut hat, dann wär's +auch nicht viel mehr als ein halb Stündchen zu +Thal. So aber müßt Ihr hier rechts unter meiner +Chagra durch, um der Schlucht aus dem Wege zu +gehen, und der Pfad zieht sich mordmäßig in die +Länge. Aber steigt ab, das besprechen wir besser +im Hause.«</p> + +<p>»Schon recht,« sagte Günther, indem er sich +leicht aus dem Sattel schwang; »unseren Packthieren +sind wir doch vorausgeritten, und bis +die nachkommen, können wir recht gut ein halb +Stündchen plaudern.«</p> + +<p>Sein Gefährte folgte, ohne ein Wort zu erwiedern, +dem Beispiele, denn es drängte ihn selber +das Innere des Häuschens zu sehen, das schon +von außen einen so freundlichen Eindruck auf ihn +gemacht. Die beiden Reisenden banden deshalb +ihre Pferde außen an der Hecke an die herunterhangenden +Äste eines stattlichen Orangenbaumes, +und traten dann in den Garten, wo ihnen der +Hausherr, ein junger, prächtig gewachsener Mann +mit offenen, ehrlichen Gesichtszügen, blauen +Augen und blonden Haaren, entgegen kam und +sie begrüßte.</p> + +<p>»Das ist gescheidt,« sagte er dabei, »Sonntag +Morgens habt Ihr so nicht viel in der Colonie zu +versäumen und kommt noch zeitig genug zum Mittagessen, +wenn Ihr nicht das hier ebenfalls verzehren +wollt.«</p> + +<p>Er schüttelte dabei den beiden Fremden kräftig +die Hand und führte sie dann ohne Weiteres in +sein Haus hinein, wo Beide aber unwillkürlich +erstaunt und überrascht auf der Schwelle stehen +blieben.</p> + +<p>Das kleine Zimmer, das sich ihnen öffnete, +glänzte von Sauberkeit; der einfache Holztisch +war schneeweiß gescheuert, aber nicht weißer als +der Fußboden selber, den in der Mitte eine leichtgeflochtene +Matte überdeckte. An den Fenstern +hingen sogar Gardinen, und ein nett gearbeiteter +Nähtisch aus polirtem Holze schien mit diesen, als +Luxusmöbel, concurriren zu wollen. Aber die +Freunde sahen das Alles weniger, als daß sie es +im Eindrucke des Ganzen fühlten, denn Beider +Augen hingen in dem ersten Momente an einem +wunderbar schönen jungen Weibe, das ein Kind +auf dem Schooße hielt und, als die Fremden die +Hütte betraten, den kleinen, strampelnden Burschen +aufgriff und ihnen mit freundlichem Lächeln entgegentrat.</p> + +<p>»Grüß' Gott!« sagte sie herzlich, als sie Beiden +nach einander die Hand reichte, »und setzt Euch +und macht's Euch bequem — Vater, hast Du denn +schon nach den Pferden gesehen?«</p> + +<p>»Werd's schon besorgen, Schatz,« lachte der +Mann, »bring' Du nur einmal ein paar Gläser +Milch, denn die beiden Herren werden durstig geworden +sein.«</p> + +<p>»Ja, dann mußt Du indessen den Schlingel +da nehmen,« sagte die junge Frau, indem sie +ihrem Gatten den kleinen unruhigen Burschen so +leicht hinüberreichte, als ob er keine zwei Pfund +gewogen hätte, wie er sicher zwanzig wog, — »der +läßt mir ja sonst nicht Ruh' noch Frieden an den +Milchnäpfen.«</p> + +<p>»Ob er Frieden halten wird?« lachte der +Mann, nahm ihr den kleinen Burschen ab, gab +ihm ein paar derbe Küsse und setzte ihn sich in +den linken Arm. »Und nun thut, als ob Ihr zu +Hause wäret,« fuhr er dann, indem er sich wieder +zur Thür wandte, gegen die Fremden fort; »ich +bin gleich wieder da, und zu trinken wird Euch +die Trine auch im Augenblick bringen.« Die +»Trine« war schon lange aus der Thür hinaus, +und die beiden Freunde sahen sich im nächsten Momente +allein in dem kleinen Raume.</p> + +<p>»Ist das nicht ein wahres Madonnengesicht?« +brach aber der Jüngere heraus, als der junge +Bauer kaum das Zimmer verlassen hatte; »haben +Sie je in Ihrem Leben ein Paar solcher Augenbrauen, +einen solchen Mund gesehen?«</p> + +<p>»Ein wunderhübsches Paar, in der That,« +erwiederte Günther, der den Blick indessen forschend +umherwarf, »und wie nett und sauber sieht's +bei ihnen aus! Ja,« — fuhr er tief aufseufzend +fort, »der hat's gut, und Unsereiner zieht nun so +in der Welt umher, sieht die verbotenen Früchte +an den Bäumen hangen, wischt sich resignirt den +Mund und — wandert eben weiter.«</p> + +<p>»Ob denn das wirklich <span class="wide">Deutsche</span> sind?« sagte +sein Freund.</p> + +<p>»Was denn sonst? Doch wahrhaftig keine +Portugiesen!«</p> + +<p>»In meinem Leben habe ich noch keinen ausgewanderten +Bauernburschen gesehen,« erwiederte +der Jüngere, »der ein so ungezwungenes und doch +anständiges Benehmen hatte, und die junge Frau +würde in einem schweren Seidenstoffe eben so zu +Hause sein, wie in ihrem einfachen Kattunröckchen. +Aber sie sprechen vollkommen gut Deutsch.«</p> + +<p>»Er noch dazu mit dem rheinischen, sie etwas +mit dem Tyroler Dialekte,« sagte Günther, »aber +da kommt sie zurück. Sie wird uns gleich sagen, +wo sie herstammen.«</p> + +<p>»So — da bin ich wieder — hat's lang gedauert?« +sagte die junge Frau, als sie mit einem +kleinen Präsentirteller in's Zimmer trat; »und +nun setzen Sie sich her und langen Sie zu — +'s ist nicht viel, aber wir haben's hier oben noch +nicht besser, denn wir sind hier erst seit kaum sechs +Monaten auf der Chagra.«</p> + +<p>Während sie sprach — und so rasch und gewandt, +daß Alles sich fast von selber zu ordnen +schien — hatte sie indessen das Mitgebrachte auf +dem Tische ausgebreitet, und frische, süße Milch, +weißes Brod, Butter und Käse, Alles auf blinkendem +Geschirr, lachte den Fremden bald darauf +entgegen und lud sie schon selber ein, nur tapfer +zuzulangen.</p> + +<p>»Und sind Sie erst so kurze Zeit hier oben?« +fragte der ältere Fremde; »die Pinien und +Orangen müssen doch schon vor vielen Jahren +gepflanzt sein.«</p> + +<p>»Das sind sie auch,« erwiederte der Mann, +der in diesem Augenblicke wieder in der Thür erschien +und der Frau das Kind entgegen hielt. +»Da, Mutter, nimm den Schlingel,« fuhr er dann +zu dieser fort; »ob der Bengel wohl Ruhe gegeben +hat, bis ich ihn auf den Grauen setzte, und da +oben blieb er, bis ich die Thiere gefüttert hatte.«</p> + +<p>»Aber der Graue ist ein unruhiges Thier,« +sagte Günther.</p> + +<p>»Bah, <span class="wide">der</span> hält sich schon fest,« lachte der +Mann, »ja, was ich sagen wollte, die Chagra +habe ich erst kürzlich gekauft, und zwar von einem +Deutschen, der sie so hatte verwildern lassen, daß +man die Bäume kaum fand, die darauf standen. +Es war ein vornehmer Herr gewesen, der, wie er +meinte, hatte brasilianischer »Pflanzer« werden +wollen, sich die Sache aber wohl ein Wenig anders +und leichter gedacht haben mochte und auch irgendwo +anders besser hinpaßte, als hinter Pflug +und Egge.«</p> + +<p>»Und seid Ihr keine Deutsche?« fragte der +ältere Fremde.</p> + +<p>»Wir? — Nein,« lachte der Mann, — »das +heißt, ja, wir sind schon Deutsche, aber doch nicht +in dem Deutschland drüben geboren, sondern hier +in Brasilien. Mein Vater stammt vom Rheine, +und der Frau ihr Vater von Innsbruck, die +Beide vor etwa dreißig Jahren hier herüber gekommen +waren und sich in San Leopoldo niedergelassen +hatten.«</p> + +<p>»Also Brasilianer?« sagte Günther enttäuscht.</p> + +<p>»Ah, nein, wir sind schon Deutsche,« lachte +die Frau gutmüthig, »und halten uns ja auch +immer zu Deutschen, wie Ihr seht, denn mit den +Bleifüßen ist es doch Nichts, und sie wollen Nichts +arbeiten und schaffen.«</p> + +<p>»Bleifüße — was zum Henker ist das nur?« +lachte der eine Fremde; »ein Bleifuß soll ja auch +die schlechte Brücke gebaut haben.«</p> + +<p>»Ih ja,« meinte der Mann schmunzelnd, »der +Bleifüße giebt's gar viele — eigentlich mehr, als +gut ist, und wir nennen besonders die eigentlichen +Portugiesen so, die immer herüberkommen und so +thun möchten, als ob Brasilien ihnen gehörte. +Weshalb sie aber eigentlich so genannt werden, +weiß ich selber nicht recht; aber den Namen haben +sie, so viel ist sicher, und werden ihn wohl auch +behalten. Aber seid Ihr selber erst so kurze Zeit +im Lande, daß Ihr noch nicht einmal das Wort +Bleifuß gehört habt? Ich dächte doch, das würde +häufig genug aller Orten genannt.«</p> + +<p>»Ich selber bin schon lange im Lande und +kenne auch den Namen,« lächelte Günther, »aber +mein Reisegefährte da ist erst kürzlich aus den +Vereinigten Staaten von Nordamerika nach Rio, +und von da zu Pferde hier nach dem Süden gekommen, +um sich das Land einmal anzusehen.«</p> + +<p>»Und was ist Ihr Geschäft? wenn man +fragen darf.«</p> + +<p>»Ich bin Feldmesser,« erwiederte Günther, +»und von der Regierung hierher beordert, um die +Colonien für frisch eintreffende Emigranten auszumessen.«</p> + +<p>»Das ist gescheidt,« sagte der junge Bauer; +»an vermessenem Lande fehlt's ewig, und die +armen Teufel müssen sich oft Monate lang in +den sogenannten Auswanderungs-Häusern herumtreiben, +ehe sie eigenen Boden und eine feste +Heimath bekommen. Nun, da werden Sie Arbeit +genug kriegen, daran fehlt's nicht — aber essen +Sie nicht mehr?«</p> + +<p>»Wir danken,« erwiederte Günther, der bis +jetzt mit seinem Gefährten wacker zugelangt, »es +hat trefflich geschmeckt und war delicat. Jetzt können +wir's schon bis in die Colonie hinunter aushalten.«</p> + +<p>»Und wollen Sie schon wieder fort?« fragte +die Frau freundlich, als die beiden Fremden von +ihren Sitzen aufstanden und zu den Hüten griffen +— »das war gar ein kurzer Besuch.«</p> + +<p>»Wenn Sie's erlauben,« sagte der jüngere +Fremde, »so komme ich schon wieder einmal her. +Ich selber habe Nichts zu versäumen und werde +mich doch wahrscheinlich ein paar Monate in der +Nähe der Colonie herumtreiben. Daß es mir aber +hier bei Ihnen <span class="wide">gefällt,</span> dürfen Sie mir auf +mein Wort glauben. Mein Freund ist jedoch mit +seiner Zeit gebunden und hat heute noch viel +unten mit dem Director zu besprechen. Da draußen +sind auch eben unsere Packpferde angekommen, +und wir wollen deshalb lieber aufbrechen.«</p> + +<p>»Apropos,« fragte Günther, »was für ein +Mann ist der Director eigentlich? Ich habe in +den anderen Colonien am Chebaja nicht gerade +viel Gutes von ihm gehört.«</p> + +<p>»Ich weiß nicht,« lachte der Mann — »es +kommt wohl immer darauf an, wen Ihr fragt. +Die Einen schimpfen auf ihn, die Anderen loben +ihn, und Allen kann man's eben nicht recht machen +auf der Welt. Er ist sehr streng, das ist wahr, +und oft auch wohl ein Bißchen eigensinnig. Mit +den <span class="wide">armen</span> Leuten geht er aber gut um und steht +ihnen bei.«</p> + +<p>»Und das ist die Hauptsache,« rief Günther — +»nun, ich werde schon mit ihm fertig werden — +also, herzlichen Dank für die Aufnahme. Wenn +ich's einmal wieder gut machen kann, stehe ich zu +Diensten!«</p> + +<p>»Das mag vielleicht rascher geschehen, als +Sie denken,« lachte der junge Bauer, »denn unsere +Grenzen sind hier alle in Confusion, und ich +bin schon lange darum eingekommen, die meinige +ebenfalls nachsehen zu lassen. Doch darüber sprechen +wir später; ich möchte Sie jetzt nicht länger als +nöthig aufhalten, und komme auch vielleicht in +diesen Tagen einmal nach der Colonie hinunter.«</p> + +<p>Damit reichten er und die Frau den Fremden +herzlich die Hand zum Abschied. Draußen hielten +auch in der That die beiden eingeborenen Diener +der Freunde, ein paar braune, rauh genug aussehende +Burschen, mit drei Lastpferden, wovon +zwei dem Vermesser, eins aber seinem Freunde +gehörte, und gleich darauf trabte die kleine Cavalcade, +welcher der junge Bauer erst noch den +Weg um seine Chagra herum zeigte, diesen +thalein.</p> + +<p>Und doch war es ein wundervoller Pfad, der +sie hier in die Niederung hinabführte, denn gerade +an diesem Berghange zeigte sich die schon fast +tropische Vegetation des Landes in ihrer ganzen +Pracht und Herrlichkeit. Der Baumwuchs war +allerdings lange nicht so mächtig, wie in den nördlicher +gelegenen Theilen Brasiliens, aber das üppige +Unterholz mit seinen zierlichen Farnpalmen und +Fächern, mit seinen Lianen und Ranken bildete +überall, wo es dem Blicke erlaube, einzudringen, +die reizendsten Gruppen und Festons, aus denen +sich die grünen, schlanken Schäfte verschiedener +wilder Palmenarten keck emporhoben.</p> + +<p>Hier und da, wo eine eingerissene Schlucht +oder ein breiteres Bachbett den Blick in die Tiefe +gestattete, zeigte sich dann die kleine Niederlassung +im Thale mit ihren lichten Gebäuden und hellgrünen +Rasenflecken, durch welche die gelben Wege +wie Fäden liefen, immer in verschiedener Form +und Beleuchtung, aber immer freundlich, so daß +die Reiter ihre Thiere oft anhielten und ein +paar Secunden schweigend auf das unter ihnen +ausgebreitete Bild hinabblickten.</p> + +<p>Da hier der Weg aber zu schmal war, oder +der Regen doch in den Boden an den verschiedensten +Stellen Einrisse gemacht hatte, mußten sie +ihre Pferde hinter einander halten, und dadurch +war die Conversation gestört. Erst weiter unten, +auf der letzten Abdachung angelangt, bog der +Beipfad wieder in den durch die eingefallene +Brücke unterbrochenen Hauptweg ein, und jetzt +hatten sie die eigentliche Colonie Santa Clara +auch bald erreicht, deren Ausläufer in kleinen, +allein stehenden Ansiedelungen schon bis hier herauf +reichten.</p> + +<p>»Der Platz liegt wirklich allerliebst,« sagte +Günther, der bis jetzt vorangeritten war, indem +er sein Pferd anhielt, um wieder neben dem +Freunde zu bleiben.</p> + +<p>»Was die Scenerie betrifft, ja,« erwiederte +dieser, »aber der Boden scheint mir hier nicht besonders, +und der Mais da drüben in dem Felde +steht dünn und mager genug — wenigstens magerer, +als ich es bis jetzt gewohnt bin zu sehen.«</p> + +<p>»Das bessere Land wird weiter zurück in der +Ebene liegen,« meinte Günther, »jedenfalls hat +der Ort nicht weit zur See, und das ist schon +immer ein enormer Vortheil für eine Colonie.«</p> + +<p>»Wenn der Hafenplatz gut ist, ja; und wohin +wollen wir jetzt zunächst?«</p> + +<p>»Direct zum Director,« lachte Günther, »der +wird uns dann schon die beste Auskunft geben, +wo wir übernachten können. Wir müssen nun im +nächsten Hause seine Wohnung erfragen.«</p> + +<p>»Das ist nicht nöthig,« meinte sein Freund — +»das Haus da drüben, wo die deutsche Fahne +weht, ist jedenfalls das Wirthshaus, und das +größere Gebäude daneben eben so sicher die Kirche, +— wo baute der Deutsche nicht Eins neben das +Andere? Außerdem steht aber dort nach Süden +nur noch ein sehr großes Haus mit einer neuen +Umzäunung, und dort hat natürlich auch der Director +seinen Aufenthalt. Wir wollen ruhig darauf +zureiten.«</p> + +<p>»Sie können Recht haben,« lachte Günther, +»aber vielleicht wohnt er doch da drüben in dem +kleinen allerliebsten Gebäude, wo die vielen +Orangenbäume stehen. <span class="wide">Den</span> Platz hätte ich mir +jedenfalls zu meiner Wohnung ausgesucht.«</p> + +<p>»Das ist sicher die Pfarrwohnung,« versicherte +aber sein Kamerad; »sehen Sie nicht den breiten, +betretenen Pfad, der von dort zur Kirche niederführt. +Ich glaube kaum, daß der Director alle +die Fährten nach der Kirche in den Sand eingedrückt +hat. Folgen Sie mir nur; ich führe Sie +den richtigen Weg.« Und ohne weiter eine Antwort +abzuwarten, gab er seinem Pferde leicht die +Sporen und sprengte, von Günther jetzt dicht gefolgt, +dem vorher bezeichneten Hause zu, vor dessen +Thür er anhielt und ohne Weiteres aus dem +Sattel sprang.</p> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<h3><a name="kap_2" id="kap_2"></a>2.</h3> + +<h3>Der Director.</h3> + +<p>Gerade als Günther an seines Gefährten +Seite hielt und seinem Beispiele folgte, trat eine +Erscheinung aus dem Hause, die beide junge Leute +hier, mitten im brasilianischen Walde, wohl kaum +vermuthet hatten, und die sie deshalb um so mehr +überraschte; — eine <span class="wide">Dame</span> in vollem europäischen +Putze, mit einem grün und schwarz groß carrirten +Seidenkleide, sehr bedeutender Crinoline und überhaupt +allem dazu Nöthigen und Gehörigen versehen, +die mit sehr stolzer, fast majestätischer Haltung +aus der Thür rauschte, einen Augenblick +erstaunt die Fremden betrachtete und dann, mit +einem leichten, kaum bemerkbaren Kopfnicken ihre +Begrüßung erwiedernd, vorbei und in die kleine +Stadt hinein schwebte.</p> + +<p>»Alle Teufel,« murmelte der Jüngere der +Beiden halblaut vor sich hin, als die Dame außer +Hörweite war, »von allen Dingen auf der Welt +hätte ich eine Crinoline hier am Allerwenigsten +erwartet. Das muß die Frau oder eine Verwandte +des Directors sein, denn nach einer Colonisten-Frau +sieht sie doch nicht aus. Es thut den +Augen aber ordentlich wohl, nach einem Stücke +wilden Lebens wieder einmal auf eine so breite +Fährte der Civilisation zu kommen. Diesen Anzeichen +nach giebt es also hier auch jedenfalls +eine <i>haute volée</i>; unser rauher Waldanzug schien +der Dame nicht besonders zu behagen, denn sie +grüßte nur sehr vornehm und nachlässig.«</p> + +<p>»Nun, wir werden ja bald erfahren, mit wem +wir es hier zu thun bekommen,« sagte Günther. +»Jedenfalls müssen wir jetzt erst erfragen, ob hier +der Director wirklich wohnt, und wenn so, ob er +zu Hause ist. — He, Landsmann,« wandte er sich +dann an einen Colonisten, dessen Äußeres, mit +dem langen blauen Rocke und schmalen Kragen, +dem ausgeschweiften Hute und dem Gesangbuche +unter dem Arme, über sein Vaterland keinen Zweifel +gestattete — »ist das die Wohnung des Directors?«</p> + +<p>»Guten Morgen mit einander,« erwiderte der +Gefragte, der sich dabei die Fremden von Kopf +bis zu Fuß betrachtete — »ja wohl, der Herr +Director wohnt hier — er ist oben in seiner Stube +— wollen Sie was?«</p> + +<p>»Danke schön; ja, wir wollen ihn sprechen.«</p> + +<p>»Gehen Sie nur hinauf; er ist oben allein, +aber — nicht gerade guter Laune. Sie kommen +wohl weit her?«</p> + +<p>»Nicht sehr.«</p> + +<p>»Und wollen Sie hier in der Colonie bleiben?«</p> + +<p>»Uns wenigstens den Platz erst einmal ansehen,« +sagte Günther, nicht gesonnen, sich hier +vor der Thür in eine lange Unterredung einzulassen. +Sein Freund hatte das Haus schon betreten, +und Beide schritten jetzt die Treppe langsam +hinauf. Auf der Treppe oben blieb der +Jüngere plötzlich stehen und sagte:</p> + +<p>»Kamerad, ich habe mir die Sache überlegt; +ich werde jetzt <span class="wide">nicht</span> mit hineingehen. Wenn der +Herr Director übler Laune sind, möchte ich ihm +nicht gern in den Weg treten, denn ich <span class="wide">will</span> +Nichts von ihm, und gedenke mich deshalb auch +nicht seiner übeln Laune auszusetzen. <span class="wide">Sie</span> haben +<span class="wide">Geschäfte</span> mit ihm, das ist etwas Anderes; ich +werde indessen in's Wirthshaus gehen und Sie +dort erwarten. Machen Sie Ihre Sachen so rasch +ab, wie Sie können.« — Damit wollte er ohne +Weiteres umdrehen und wieder hinabsteigen, +Günther aber ergriff seinen Arm und sagte.</p> + +<p>»Thun Sie mir den Gefallen und bleiben +Sie; kommen Sie wenigstens einen Augenblick +mit hinein, um Ihren Auftrag auszurichten.«</p> + +<p>»Auftrag — es ist nur ein Gruß.«</p> + +<p>»Und wenn auch. Er wird uns nicht gleich +beißen, und ich selber habe vor der Hand ebenfalls +nur wenige Worte mit ihm zu sprechen, denn +unsere Thiere müssen abgepackt und untergebracht +werden.«</p> + +<p>»Meinetwegen,« sagte der Freund achselzuckend, +»wenn Sie's absolut wollen. Lieber ginge ich freilich +in's Wirthshaus.«</p> + +<p>Wenige Stufen höher standen sie vor der Thür +des Directors, die eine daran genagelte einfache +Visitenkarte bezeichnete. Die Karte trug auch +weiter keine Bezeichnung, als »Ludwig Sarno«, +nicht einmal der Titel »Director« war beigefügt, +und der jüngere Fremde nickte befriedigt mit dem +Kopfe. Günther hatte indessen ohne Weiteres an +die Thür geklopft, und ein etwas barsches »Herein!« +lud sie ein, des Löwen Höhle zu betreten.</p> + +<p>Der Direktor, ein schlanker, aber stattlicher +Mann, ebenfalls mit einem militärischen Anstriche, +starkem, etwas röthlichem Barte und vollem, lockigem +Haar, ging mit auf den Rücken gelegten +Händen in seinem Arbeitszimmer auf und ab, das +sich besonders durch eine Menge von Gefächern +mit actenartig in blaues Papier geschlagenen +Folioheften auszeichnete. Bei dem Anklopfen hatte +er seinen Spaziergang unterbrochen und stand, halb +nach der geöffneten Thür gedreht, mitten im Zimmer. +Günter ließ ihn aber nicht lange über sich in +Zweifel, sondern auf ihn zugehend, sagte er:</p> + +<p>»Herr Director, ich bin gezwungen, mich selber +bei Ihnen einzuführen. Mein Name ist Günther +von Schwartzau, Ingenieur-Officier, und ich bin vom +Präsidenten der Provinz hieher beordert, etwa +nöthig gewordene Vermessungen vorzunehmen.«</p> + +<p>»Etwa <span class="wide">nöthig</span> gewordene?« wiederholte der +Director, indem er den Fremden erstaunt ansah. +»als ob ich nicht den Herrn Präsidenten seit sechs +Monaten bei jeder möglichen Gelegenheit mit Eingaben +bombardire, daß er <span class="wide">endlich</span> einmal die seit +einem Jahre schon fast dringend nöthigen Vermessungen +vornehmen <span class="wide">lasse!</span> Etwa nöthigen….«</p> + +<p>»Es thut mir leid, Herr Director, wenn Sie +haben warten müssen,« sagte Günther ruhig, »aber +<span class="wide">meine</span> Schuld war es nicht; denn vor fünf Tagen +erst erhielt ich am Chebaja den Brief des Präsidenten, +der mich hieher beordert, und Sie werden +mir zugestehen, daß ich von dort aus, bei <span class="wide">der</span> +Entfernung und <span class="wide">den</span> Wegen, wahrlich keine Zeit +versäumt habe.«</p> + +<p>»Der Herr ist Ihr Gehülfe?«</p> + +<p>»Bitte um Verzeihung,« sagte der Fremde, der +indessen mit einem leichten, kaum bemerkbaren +Lächeln dem Gespräche gefolgt war — »ich gehöre +in das <span class="wide">Geschäft</span> gar nicht hinein und muß mich +eigentlich als einen Aufdringling betrachten, will +Ihre kostbare Zeit auch nicht länger in Anspruch +nehmen, als unumgänglich nöthig ist, Ihnen mir +aufgetragene und an's Herz gelegte Grüße zu +bestellen.«</p> + +<p>»Grüße? Von wem?« sagte der Direktor, der +indessen die schlanke, edle Gestalt des Fremden +mit eben nicht freundlicher werdenden Blicken +musterte.</p> + +<p>»Vom Hauptmann Könnern.«</p> + +<p>»Von <span class="wide">Hermann</span> Könnern?« rief der Director +rasch.</p> + +<p>Der Fremde nickte nur langsam mit dem Kopfe.</p> + +<p>»Und kennen Sie Könnern persönlich?« fragte +der Direktor eben so eifrig weiter.</p> + +<p>»Ziemlich genau,« erwiederte der junge Mann; +»er ist mein Bruder, und ich heiße Bernard.«</p> + +<p>»Der sich in Amerika so lange herumgetrieben +— der Maler?«</p> + +<p>»Derselbe,« lächelte der junge Mann.</p> + +<p>»Dann sein Sie mir herzlich und viel tausend +Mal willkommen,« rief Sarno, der in dem Augenblicke +ein ganz anderer Mann zu werden schien — +»herzlich willkommen!« wiederholte er noch einmal, +die gefaßte Hand aus allen Kräften schüttelnd. +»Oft haben wir von Ihnen gesprochen — und +wie geht es Hermann? — Aber davon nachher — +Sie kommen eben von der Reise, und unsere Wege +sind nichts weniger als musterhaft; erst müssen +Sie sich erholen und eine Erfrischung einnehmen; +nachher plaudern wir viel, recht viel mit einander, +denn Ihr Bruder ist der beste Freund, den ich +auf der Welt habe, und ich muß Alles wissen was +ihn angeht.«</p> + +<p>»Er schrieb mir noch in seinem letzten Briefe, +wo ich Sie hier in Brasilien anträfe, den Fuß +nicht eher aus dem Bügel zu setzen, bis ich Ihnen +die aufgetragenen herzlichen Grüße überbracht — +da ich aber nicht gut die Treppe herauf<span class="wide">reiten</span> +konnte, mußte ich wenigstens vor der Thür absteigen.«</p> + +<p>»Ihr Pferd steht noch unten?«</p> + +<p>»Gesattelt.«</p> + +<p>»Desto besser, dann legen Sie Alles gleich +herein — keine Widerrede; ich schicke gleich Jemanden +hinunter, denn leider Gottes habe ich +Menschen genug dazu im Hause — Bernard +Könnern soll wahrhaftig nicht in Brasilien in +einem Wirthshause wohnen, so lange ich selber +ein Dach über mir habe, und ein Bett, mit ihm +zu theilen.«</p> + +<p>»Aber, Herr Director….«</p> + +<p>»Kein Wort mehr; ich lasse keine Einrede gelten, +wenn ich Ihnen auch keine besondere Bequemlichkeit +zu bieten vermag. Sie aber sind ja auch an +ein Lagerleben gewöhnt. — Mein lieber Herr von +Schwartzau,« wandte er sich dann an den Ingenieur, +»mit großem Vergnügen würde ich auch +Sie gern beherbergen, aber überzeugen Sie sich +selber, ich habe das ganze Haus voll von Emigranten, +und noch dazu fast lauter Kranke, Frauen +und Kinder, die ich bei dem ewigen Regen in +dem erbärmlichen Auswanderungshause nicht lassen +mochte.«</p> + +<p>»Mein lieber Herr Director!« sagte Günther +abwehrend.</p> + +<p>»Sie können uns aber helfen,« fuhr der Director +fort. »Vermessen Sie uns eine tüchtige +Strecke Land, daß ich die armen Einwanderer bald +unterbringen kann, und ich habe dann Raum genug +in meinem Hause für sechs oder acht Freunde, und +vielleicht für mehr.«</p> + +<p>»Mit Freuden, sobald ich nur erst einmal +weiß, wo.«</p> + +<p>»Das zeige ich Ihnen noch heute Abend, denn +wir haben in der That keine Zeit zu verlieren. +Ihre Pferde brauchen Sie dabei nicht anzustrengen, +ich borge Ihnen von meinen Thieren, und Könnern +hier begleitet uns; dann können Sie morgen +früh mit Tagesanbruch Ihre Arbeit gleich beginnen. +Was Sie von Leuten dazu brauchen, stelle ich Ihnen; +ich kenne einige dazu ganz passende junge Burschen, +und hätte die Arbeit schon längst selbst gemacht, +wenn ich's eben im Stande wäre. Aber sehen +Sie selber hier die Actenstöße an — Berichte, +Klagen, Eingaben, Zänkereien, Befehle von oben, +wovon immer einer dem anderen widerspricht, und +Quängeleien, daß sie einen Heiligen manchmal +zum Fluchen bringen könnten — und ich bin eben +keiner — doch darüber sprechen wir nachher. Und +außerdem noch, lieber Schwartzau — Sie waren +Officier, nicht wahr?«</p> + +<p>»In schleswig-holsteinischen Diensten.«</p> + +<p>»Aha — die alte Geschichte, mit der sie daheim +die besten Kräfte über die Gränze getrieben +haben. — Ich muß Sie noch um Entschuldigung +bitten, daß mein Empfang gerade kein überfreundlicher +war, aber weiß es Gott, sie treiben es hier +manchmal, daß es Einem die Galle mit Gewalt +in's Blut hineinjagt. Die Frau Gräfin verbessert +überhaupt nie meine Laune, wenn sie mich einmal +mit ihrem hohen Besuche beehrt.«</p> + +<p>»Die Frau Gräfin,« sagte Könnern, aufmerksam +werdend; »war das etwa die Dame, die vorhin +aus dem Hause trat?«</p> + +<p>»Kurz vorher, ehe Sie kamen — sie verließ +mich sehr beleidigt, daß ich einen armen Teufel +von Bauer, der noch drei Stunden Weges bis +nach Hause hat, nicht ihretwegen vor der Thür +warten ließ und ihn abfertigte, während sie bei +mir war. Doch ich schwatze und schwatze. Also +Schwartzau, Sie müssen sich noch ein paar Tage +im Wirthshause unterbringen, und dann werden +Sie wahrscheinlich gezwungen sein, einige Wochen +auszulagern, bis dahin aber hoffe ich, Ihnen Raum +geschafft zu haben. He, Christoph — Klaas!« rief +er dann aus dem Fenster — »schaff' doch einmal +die Sachen des fremden Herrn in's Haus — +Sattel und Taschen, oder was es ist — wo wollen +Sie hin, Könnern?«</p> + +<p>»Wenn Sie es denn nicht anders haben wollen, +so muß ich wenigstens hinunter, um mein Packthier +selber abzuladen, daß mir die guten Leute +Nichts zerbrechen.«</p> + +<p>»Gut, auch recht. Lassen Sie nur Alles hier +herauf schaffen und draußen vor die Thür stellen; +wir arrangiren es dann selber, denn ich habe hier +Junggesellenwirthschaft. Indessen Sie das besorgen, +schreibe ich nur noch zwei Briefe, die jener +Colonist mit in eine andere neue Colonie nehmen +muß, wohin sonst sehr selten Gelegenheit ist.«</p> + +<p>»Und um wie viel Uhr ist es Ihnen recht?« +fragte Günther.</p> + +<p>»Um — aber das können wir nachher bereden,« +sagte der Direktor; »natürlich essen Sie mit uns, +was gerade da ist, und nach dem Essen reiten +wir in aller Bequemlichkeit hinaus. Die übrigen +Geschäfte müssen warten, denn dieses ist das wichtigste. +Um ein Uhr esse ich gewöhnlich, bis dahin +behalten Sie also noch übrig Zeit, sich ein wenig +auszuruhen. Und Sie, lieber Könnern, kommen +gleich wieder zu mir herauf, sobald Sie Ihre +Sachen besorgt haben.«</p> + +<p>Und damit, ohne irgend eine Einwendung zu +erwarten, setzte er sich ohne Weiteres an seinen +Schreibtisch und überließ die beiden Fremden indessen +sich selber.</p> + +<p>»Nun, wie gefällt Ihnen Ihr Director?« sagte +Könnern auf der Treppe.</p> + +<p>»Vortrefflich!« erwiederte Günther; »im Anfange +schien er ein wenig brummig, aber der Name +Ihres Bruders wirkte Wunder. — Wo haben sich +die beiden Herren eigentlich gekannt?«</p> + +<p>»In der österreichischen Armee,« erwiederte +Könnern, »wo sie den siegreichen Feldzug in den +vierziger Jahren zusammen durchgemacht haben. +Mir gefällt aber der Mann auch außerdem; er +ist rasch, kurz angebunden, und wie mir scheint, +aufrichtig und offen. Mit solchen Leuten ist +immer am Besten verkehren, denn der Böse soll +die Überfreundlichen holen, die stets ein lächelndes +Gesicht zeigen und bei denen man doch nie +und nimmer weiß, woran man mit ihnen eigentlich ist.«</p> + +<p>»Mich hat es ebenfalls gefreut, daß er mich +so ohne Weiteres in's Wirthshaus wies. Er hätte +ja eine lange Entschuldigung machen können, aber +er sagte einfach, deshalb geht's nicht, und damit +Punctum. Ich glaube, ich werde mit <span class="wide">dem</span> Director +fertig.«</p> + +<p>Sie waren damit vor die Thür getreten, wo +ihre Diener mit den Pferden noch hielten, und +während Günther wieder aufstieg, lockerte Könnern +seinem Grauen den Sattelgurt. Da schallten rasche +Hufschläge die Straße herauf, Beide wandten den +Kopf dorthin und Günther rief aus:</p> + +<p>»Hallo, wer kommt da — eine Amazone!«</p> + +<p>In demselben Augenblicke aber sprengten schon +zwei Reiter, mehr im Carriere als Galopp an +dem Hause des Directors vorüber, und die beiden +Fremden hatten nur eben Zeit zu bemerken, daß +auf dem ersten Pferde ein junges, wunderhübsches +Mädchen in einem knapp anschließenden, dunklen +Reitkleide saß, mit einem kleinen Amazonenhute +auf, von dem eine einzelne mächtige weiße Straußfeder +und ein paar lange Reiherfedern in dem +scharfen Luftzuge weit auswehten. Ihr Begleiter, +der etwa eine Pferdelänge hinter ihr folgte, war +ein ganz junger Bursche von etwa sechszehn bis +siebenzehn Jahren.</p> + +<p>Wie eine Erscheinung flogen die Beiden an +ihnen vorüber, und Günther hatte noch außerdem +jetzt mit seinem eigenen Pferde zu thun, das sich, +wie es schien, am liebsten dem Rennen angeschlossen +hätte, und herüber und hinüber tanzte.</p> + +<p>»Hier im Orte scheint es wirklich ganz interessante +Gesellschaft zu geben,« sagte Könnern, +als die wilden Reiter die Straße hinab verschwunden +waren, »und es wird lohnen, sich eine +Zeit lang aufzuhalten und ihre Bekanntschaft zu +machen.«</p> + +<p>»Beinahe hätt' ich das Letztere gleich gethan,« +lachte Günther, »denn mein Rappe schien dasselbe +Bedürfniß zu fühlen. Aber, Adieu jetzt, Kamerad. +Um ein Uhr sehen wir uns beim Diner wieder.«</p> + +<p>»Hoffentlich nicht im Frack, denn darauf bin +ich nicht eingerichtet,« nickte ihm Könnern zu, +während Günther, von seinen beiden Lastthieren +gefolgt, denselben Weg, aber bedeutend langsamer, +einschlug, den die junge Dame eben genommen. +Die Kirche lag in dieser Richtung, und er wußte +gut genug, daß Könnern Recht hatte, wenn er +das Wirthshaus dicht daneben vermuthete.</p> + +<p>Aus dem Directionshause waren indessen ein +paar deutsche Arbeiter gekommen, junge Burschen +in Hemdärmeln und mit ledernen Hosen und Pantoffeln, +der eine eine runde blaue, der andere eine +viereckig grüne Mütze auf, und Beide genau so +aussehend, als ob sie eben dieselben Pantoffeln +nicht ausgezogen hätten, seit sie in Bremen oder +Hamburg das Schiff betreten.</p> + +<p>Diese griffen willig mit zu, das Packthier abzusatteln, +und wenn sie auch stets an den verkehrten +Stricken, aber deshalb nicht minder gut +gemeint, zogen, gelang es doch endlich mit Könnern's +Hülfe, den Packen aufzuschnüren, und die +verschiedenen Gegenstände in's Haus und in die +erste Etage zu schaffen. Die Pferde brachten sie +dann ebenfalls auf einen kleinen Weideplatz dicht +am Hause, wo sie auch einzeln gefüttert werden +konnten, und seinen Diener schickte Könnern dann +mit dessen eigenem Sattelzeuge in das Wirthshaus +hinüber, da er den Eingeborenen nicht mit +den Deutschen zusammenbringen wollte. Er wußte, +daß dies selten gut that.</p> + +<p>Hierbei gelang es ihm, einen Blick in den +untern Theil des Directionshauses zu werfen, +und es sah dort allerdings wild und wunderlich +genug aus. Das ganze Haus war noch neu, ja, +es stand sogar noch ein Theil des Gerüstes. Die +Wände waren auch nur erst einfach geweißt und +die Fensterrahmen noch nicht einmal gestrichen.</p> + +<p>Gleichwohl glich der Platz da unten weit eher +einem indianischen Bivouac, als der Wohnung +eines Directors der Colonie, denn überall in den +Zimmern lagen Matratzen, überall an den Wänden +standen die riesigen Kisten und Koffer der Auswanderer, +mit der groß gemalten Adresse »Nach +Brasilien« noch daran, und auf dem ebenfalls +preisgegebenen Kochherde war auf jeder Ecke ein +Feuer angezündet, über dem theils ein Kessel brodelte, +theils eine Pfanne zischte. Selbst im Hofe +loderte ein stattliches Feuer, um den übrigen +Kochgeschirren Raum zu geben, denn heute war +ja Sonntag, und die Deutschen feierten diesen, genau +wie daheim, mit Essen und Trinken.</p> + +<p>Könnern, im Augenblicke ohne weitere Beschäftigung, +trat dort hinein, ohne daß die Leute jedoch +besondere Notiz von ihm genommen hätten. Ein +paar alte Frauen saßen auf den Kisten in der +Ecke und lasen in ihren Gesangbüchern; die +Mädchen und jungen Frauen waren fast alle mit +ein oder der andern Arbeit für die Küche beschäftigt, +und die Männer lagen zum Theil ausgestreckt +auf den Matratzen oder auch auf dem +nicht gerade überreinlichen Boden und rauchten +ihre kurzen Pfeifen. Tabak war billig hier, und +sie konnten sich dem Genusse mit unbeschränkter +Leidenschaft hingeben.</p> + +<p>»Nun, Leute, wie geht's?« redete Könnern +einen der Männer an, der beide Beine von einander +gestreckt hatte und, ein Bild der höchsten +Zufriedenheit, flach auf dem Rücken lag. Nur +den einen Arm hatte er als Kissen unter den +Kopf geschoben und sah den eigenen Rauchwolken +nach, die er mit Macht gegen die Decke blies; +»Ihr scheint Euch hier ganz behaglich zu befinden?«</p> + +<p>»Und warum nicht?« sagte der Mann, indem +er die Pfeife in den einen Mundwinkel schob; +»hier kann mer's aushalten, und die Schinderei +geht doch noch zeitig genug an. Das Brumsilien +ist ein ganz famoses Land — wären wir nur +<span class="wide">erst</span> (früher) hergekommen.«</p> + +<p>»Ja, mit dene Männer hat's keine Noth,« +fiel hier die eine Frau ein, die mit roth erhitztem +Gesichte gerade aus der Küche kam und sich mit +der Schürze den Schweiß von der Stirn trocknete, +»wenn die nur satt Tabak haben und auf der +faulen Haut liegen können, sell freut sie und sie +wollen's net besser, aber uns arme Weiberleut' +derf's schinden und plagen, wie's mag.«</p> + +<p>»Und was geht <span class="wide">Euch</span> ab?« fragte der Mann, +faul den Kopf nach ihr umdrehend.</p> + +<p>»Was <span class="wide">uns</span> abgeht?« sagte aber die Frau, »ein +eigen Haus und ein eigener Herd, weiter Nichts, +daß man weiß, <span class="wide">weshalb</span> man sich plagt und +schindt, und seine Kochtöpf' nicht auf Gottes Erdboden +herum zu stoßen hat. Erst aber drei Monat +das leidige Schiffsleben und nun vier Monat +wieder hier in einer wahren Heidenwirthschaft — +sell kann Einen freuen, und bis an den Hals +steht mir's.«</p> + +<p>Und damit griff die Frau ein am Boden sitzendes, +schreiendes Kind an einem Arme auf, warf +sich's mit einem Ruck auf die Hüfte und verschwand +damit durch die offene Thür.</p> + +<p>»Weiberleut'!« sagte der Bauer verächtlich +und rauchte weiter.</p> + +<p>Könnern behielt übrigens keine Zeit, noch +weitere Forschungen anzustellen, denn der Director +sah in diesem Augenblicke in's Zimmer. Er hatte +jedenfalls seinen Gast gesucht und rief jetzt:</p> + +<p>»Nun, sieht es hier nicht liebenswürdig aus? +Aber kommen Sie, Könnern, wir wollen vor Tisch +noch einen kleinen Spaziergang machen — lassen +Sie nur, Sie können sich nachher umziehen; es +kommt bei uns nicht so genau darauf an, und +Ihre Sachen habe ich schon in die für Sie bestimmte +Stube stellen lassen.«</p> + +<p>Damit nahm er ohne Weiteres Könnern unter +den Arm und verließ mit ihm das Haus. Die +in der Stube umher zerstreuten Einwanderer richteten +sich aber, als der Director das Zimmer betrat, +etwas überrascht auf, rückten ihre Mützen und +nahmen ihre Pfeifen aus dem Munde. So wie +er ihnen aber den Rücken drehte, fielen sie in ihre +alte Stellung zurück und rauchten ruhig weiter.</p> + +<p>Der junge Fremde mußte jetzt vor allen Dingen +dem Director von seinem Bruder erzählen, wie +es ihm gehe, was er thue und treibe, und er +wurde dabei nicht satt, ihm zuzuhören. Erst als +Jener Alles erschöpft, was er darüber zu sagen +hatte, kamen sie auf die hiesigen Verhältnisse zu +sprechen, und Bernard Könnern gestand dem +Director daß er, doch einmal in der Welt umherstreifend, +nur nach Brasilien gekommen sei, um +die Verhältnisse des Landes, über die er die verschiedensten +und widersprechendsten Gerüchte gehört, +einmal selber von Augenschein kennen zu +lernen und dabei für seine Mappe zu sammeln. +Habe er das erreicht, dann kehre er eben wieder +nach Europa zurück, denn mit allen Mängeln +scheine es doch, als ob ihm das Vaterland kein +anderer Ort der Welt ersetzen könne.</p> + +<p>»Sie haben Recht,« erwiederte der Director, +der ihm schweigend zugehört. »Je mehr wir von +fremden Ländern sehen, und wenn sie selbst ihre +größte und schönste Pracht entfalten, desto mehr +fühlen wir doch immer, daß sie uns die Heimath +nie ersetzen können — aber um das zu fühlen, +dazu gehört eine gewisse Quantität Gemüth, und +es ist äußerst interessant zu beobachten, auf welche +verschiedene Art und Weise sich das auch bei den +verschiedenen Naturen äußert, und wie es ausbricht. +Jeder Mensch bildet sich nämlich dazu +eine gewisse Entschuldigung, und die am Meisten +poetische hat stets das Gemüth der Frauen, auch wenn +sie den niedrigsten Classen angehören. Bei diesen +ist es das Grab der Eltern oder das eines Kindes, +die alte Dorfkirche, oder das Haus, das ihre erste +Heimath bildete, zu dem sie sich zurücksehnen; der +Brunnen, an dem sie Wasser holten, die alte Linde +vor der Pfarrwohnung, wo sie vielleicht zum ersten +Male mit dem jetzigen Manne getanzt, und an die +sie sich um so viel lieber erinnern, weil <span class="wide">der</span> Mann +gerade damals so viel anders war, als er jetzt +ist — der kleine Garten, den sie bestellt, das Vieh +selber, das sie groß gezogen, das Alles hat seinen +Anhaltspunkt noch lange nicht verloren, und ob +sie Vieles hier mit der Zeit besser und bequemer finden +mögen, es zieht sie doch mit einem ganz eigenen +Gefühle zurück zu den alten Verhältnissen. Der +Mann dagegen — ich meine hier den gewöhnlichen +Bauer — hat wieder einen ganz andern Ankergrund +für sein Heimweh. Er denkt, wenn er sich +Deutschland in's Gedächtniß zurückruft, meist immer +an seine heimische Schenke, an das Bier und +eine Menge anderer prosaischer Dinge, zu denen +aber doch trotzdem die alte Linde und der alte Kirchthurm +den nebelhaften Hintergrund bilden. Seine +»Freundschaft,« wie er die Verwandten nennt, +zieht ihn weniger zurück; der Bauer lebt eigentlich +nie recht in wirklichem Frieden mit seinen Verwandten, +und die Sehnsucht nach ihnen ist deshalb +auch nie außergewöhnlich. Den gebildeten Mann +zieht dagegen mehr ein geistiges Bedürfniß, als das +bloße Gemüth, nach der Heimath zurück.«</p> + +<p>»Den gebildeten Mann zieht gewöhnlich das +zurück,« sagte Könnern, »daß er in dem fremden +und überseeischen Lande selten eine passende oder +ihm wenigstens zusagende Beschäftigung findet, die +ihn hinreichend ernährt. Kaufleute natürlich ausgenommen, +die überall daheim sind und auch herüber +und hinüber ziehen, sieht sich der, der daheim gewohnt +war, mehr mit seinem Kopfe als mit seinen +Fäusten zu arbeiten, in nur zu häufigen Fällen +allein auf die letzteren angewiesen. Das gefällt +ihm nicht, eine Quantität Gemüth kommt dazu +und das Heimweh ist fix und fertig.«</p> + +<p>»Sie haben wohl Recht,« nickte der Director, +»und nicht allein das Heimweh, sondern auch zugleich +die Unzufriedenheit mit allen sie umgebenden +Dingen, die, der Meinung jener Leute nach, +für <span class="wide">sie</span> nicht passen, während sie selber es sind, +die sich nicht hineinfinden können oder wollen. +Davon weiß ein armer Director am Besten zu erzählen, +denn gerade in <span class="wide">meiner</span> Colonie bin ich +mit einer Classe von Menschen geplagt, die meist +alle das Jahr 1848 von Deutschland herüber gescheucht +hat, und die jetzt auf Gottes Welt nicht +wissen was sie mit sich angeben sollen.«</p> + +<p>»Sie scheinen hier wirklich eine Art von <i>haute +volée</i> zu haben,« lächelte Könnern, »denn außer +jener Frau Gräfin sah ich heute Morgen auch +noch eine reizende junge Dame, die im Carriere +vorüber flog.«</p> + +<p>»Sie wird nächstens einmal ihren reizenden +Hals brechen,« meinte der Director trocken; »jene +Beiden gehören aber zusammen, denn die junge +Dame ist die Comtesse, die Tochter der Gräfin. +Da haben Sie also heute gleich die <span class="wide">Spitze</span> der +Gesellschaft, den sogenannten <i>crême</i> gesehen. Außerdem +aber sind wir noch mit einer Anzahl von +Titular-Honoratioren geplagt, die voller Ansprüche +stecken, und wie der Engländer ganz passend sagt: +<i>neither for use nor ornament</i>, weder zum Nutzen, +noch zur Verzierung der Colonie dienen. Doch +mit diesen Herrschaften werden Sie selber wohl +näher bekannt werden, wenn Sie sich länger in +unserer Colonie aufhalten, und nur <span class="wide">einen</span> Rath +muß ich Ihnen schon jetzt geben, ehe er zu spät +kommt: Borgen Sie Niemandem Geld.«</p> + +<p>Könnern lachte gerade hinaus.</p> + +<p>»Fällt Ihnen die Warnung bei den Honoratioren +ein?« sagte er.</p> + +<p>»Allerdings,« erwiederte der Director ganz +ernsthaft; »der Bauer, wenn er Geld braucht, +wendet sich einfach an die Regierung um Subsidien, +die ihm nur in Ausnahmefällen abgeschlagen +werden und für deren Rückzahlung er mit seinem +Lande haftet. Unsere <i>haute volée</i> dagegen ist viel +zu stolz an etwas Derartiges nur zu denken, hat +auch in leider sehr vielen Fällen entweder kein +Land, oder doch schon eine Menge von stillschweigenden +Hypotheken darauf aufgenommen.«</p> + +<p>»Aber sie werden doch wahrhaftig keinen wildfremden +Menschen anborgen?«</p> + +<p>»Es giebt dafür verschiedene Auswege,« meinte +der Director, »und Menschen, die sich sonst in den +einfachsten Verhältnissen nicht zu helfen wissen, +entwickeln gerade in dieser Branche eine erstaunliche +Mannichfaltigkeit.«</p> + +<p>»Aber weshalb wandern solche Menschen,« +sagte Könnern, »die doch von vorn herein wissen +sollten, daß sie für derartige Arbeit und Beschäftigung +nicht passen, eigentlich nach einem wilden +Lande aus? An Büchern fehlt es wahrlich nicht, +die ihnen ziemlich deutlich sagen, was sie in der +neuen Welt — ob sie nun Amerika, Australien +oder sonst wie heiße — zu erwarten haben. Sie +<span class="wide">können</span> sich darüber nicht täuschen, wenn sie überhaupt +Deutsch verstehen.«</p> + +<p>»Und doch thun sie es,« sagte der Director, +»und zwar meist aus dem ganz einfachen und in +jedem andern Falle schätzenswerthen Grunde, daß +sie eine sehr gute Meinung von sich selber haben. +Ich <span class="wide">kann</span> Alles was ich <span class="wide">will,</span> sagen sie, bedenken +aber dabei gar nicht, daß sie nicht Alles <span class="wide">wollen</span> +was sie <span class="wide">können,</span> denn es <span class="wide">kann</span> natürlich ein +Jeder, wenn er nicht gerade einen überschwächlichen +Körper mitbringt, Handarbeit verrichten; aber wie +die Vorsätze auch daheim gewesen sein mögen, hier +machen sie nicht einmal den Versuch dazu, und +<span class="wide">wenn</span> sie ihn machen, bleibt es auch gewiß immer +bei dem Versuche. Es ist und bleibt ein wunderliches +Volk, und wenn ich erst einmal nicht mehr +Director bin, was, wie ich hoffe, nicht mehr lange +dauern wird, so glaub' ich, daß ich mich sogar +prächtig dabei amüsiren werde, sie in ihrem eigenthümlichen +Treiben und Wirthschaften zu beobachten. +Jetzt aber halten sie mir die Galle fortwährend +in Gährung, und dabei kann natürlich +der beste Humor nicht aufkommen, ohne seine bestimmte +Partie Gift mit anzunehmen. Sehen Sie, +da kommt gleich Einer davon; sieht der Mensch +aus, wie ein brasilianischer Pflanzer?«</p> + +<p>Um die eine Ecke bog in diesem Augenblicke ein +Herr, der — wenn die Sommer-Beinkleider nicht +ein klein wenig zu kurz gewesen wären — in dem +Anzuge recht gut hätte an einem schönen Nachmittage +unter den Linden in Berlin spazieren +gehen können. Er trug vollkommen moderne Tuchkleidung, +einen Cylinderhut, einen Regenschirm, +der hier auch besonders gegen die Sonne benutzt +wurde, und im Knopfloche den rothen Adlerorden +vierter Classe.</p> + +<p>Als er den beiden Herren begegnete, lüftete er +den Hut mit einer sehr förmlichen, aber auch sehr +vornehmen Verbeugung, und ging dann, ohne +Miene zu einem weitern Gruße zu machen, stolz +vorüber.</p> + +<p>»Und wer war das?«</p> + +<p>»Der Baron Jeorgy, seinem Berichte nach aus +einer sehr alten Familie, der mit der Idee herüber +kam, brasilianischer Pflanzer zu werden. Er übernahm +eine allerliebst gelegene Colonie — Sie +müssen heute Morgen daran vorbei gekommen sein.«</p> + +<p>»Ah, das Haus da oben auf dem Berge, wo +ein reizendes junges Paar von brasilianischer Abstammung +wohnt?«</p> + +<p>»Ganz recht, Köhler's Chagra, wie der Platz +jetzt heißt — und er <span class="wide">ver</span>wirthschaftete das Gut in +unglaublich kurzer Zeit dermaßen, daß es zuletzt +wenig mehr als eine Wildniß war. Er mußte es +endlich verkaufen, denn es trug ihm nicht einmal +mehr die Kosten, und natürlich konnte Niemand +weiter daran schuld sein als der Director, da ihm +dieser noch dazu nicht einmal mehr Geld darauf +vorstrecken wollte. Er ist seit der Zeit wüthend +auf mich, nach Art solcher Leute aber auch um so +viel höflicher geworden, und ärgert sich nur, daß +ich von seinen Verleumdungen gegen mich nicht +die geringste Notiz nehme.«</p> + +<p>»Guten Morgen, Herr Director!« unterbrach +in diesem Augenblicke ein junger Mann das Gespräch, +der sie überholt hatte und rasch an ihnen +vorüberschritt. Er grüßte dabei sehr ehrfurchtsvoll, +schien sich aber nicht lange in seines Vorgesetzten +Nähe aufhalten zu wollen, dem er vielleicht +unerwartet in den Wurf gelaufen, denn er +bog rasch in die nächste Querstraße ein und verschwand +in einem der Gärten.</p> + +<p>»Der junge Herr,« sagte Könnern, »scheint +stark gefrühstückt zu haben. Sein ganzes Äußere +sah wenigstens danach aus.«</p> + +<p>»Ein anderer Fluch unserer Colonie,« seufzte +Sarno, »das war unser Schullehrer.«</p> + +<p>»Der Schullehrer? Er kann höchstens zweiundzwanzig +Jahre alt sein.«</p> + +<p>»Und nicht allein ist er <span class="wide">trotzdem,</span> sondern +gerade <span class="wide">deshalb</span> Schullehrer,« sagte der Director; +»unser deutscher Bauer ist nämlich von Haus aus +und von klein auf so daran gewöhnt worden, den +»Schulmeister« als ganz untergeordnete Persönlichkeit +zu betrachten und danach natürlich auch +die Erziehung seiner Kinder zu bemessen, daß ihn +für diese jeder Milreis reut, den er ausgeben soll, +und er förmlich gezwungen werden muß, die Kinder +in die Schule zu schicken. Das Loos eines +Schullehrers ist aber in keinem Lande der Welt +beneidenswerth, und nur daheim, wo Leute von +Jugend auf dazu erzogen werden und dann später +keine andere Laufbahn mehr einschlagen <span class="wide">können,</span> +finden sich immer genügende Kräfte. Hier dagegen, +wo Jeder sein Brod weit besser und sorgenfreier +verdienen kann, der nur irgend seine +Knochen gebrauchen will, denkt gar Niemand +daran, sich zu dem fatalen und außerdem noch +schlecht gelohnten Amte eines Schullehrers herzugeben, +der nicht nothgedrungen <span class="wide">muß.</span> Das +aber sind denn meist junge Leute, Studenten oder +Handlungsdiener, die einen angeborenen Abscheu +vor Hacke und Spaten haben, und nur, um nicht +zu verhungern, sich gerade für so lange der »Beschäftigung« +eines Schullehrers unterziehen, als +sie nichts Anderes und Besseres zu unternehmen +wissen. So wie sie aber etwas Besseres finden, +kann man sich auch fest darauf verlassen, daß sie +der Gemeinde kündigen — manchmal gehen sie +sogar ohne Kündigung fort, und wie nachtheilig +ein so steter Wechsel — den eigentlichen mangelhaften +Unterricht nicht einmal gerechnet — auf +die Kinder wirken muß, läßt sich ja denken und +liegt klar zu Tage.«</p> + +<p>»Zu Zeiten trifft es sich, daß wir trotz allem +Dem einen ordentlichen Mann, wenigstens für +Monate oder ein halbes Jahr, in der Schule +haben. Dieses Mal freilich meldete sich, als die +Kinder schon drei Wochen ohne den geringsten +Unterricht gewesen waren, ein möglicher Weise +irgendwo durchgebrannter Handlungsdiener für +die Stelle, die man ihm auch »auf Probe« überließ, +und da der gute Mann den brasilianischen +Wein merkwürdiger Weise trinken kann, benutzt +er jeden freien und nicht freien Augenblick, um +über die Stränge zu schlagen.«</p> + +<p>»Und auf die Art,« lachte Könnern, »warten +beide Parteien gegenseitig, ob sie einander nicht +bald wieder los werden können?«</p> + +<p>»Allerdings,« erwiederte der Director, »hier +aber haben wir jetzt das Ziel unseres Spaziergangs +— das Auswanderungshaus erreicht, das ich +doch heute Morgen einmal besuchen und Ihnen +gleich zeigen wollte. Hier sehen Sie die Einwanderer +untergebracht, welchen, der furchtbaren Nachlässigkeit +unserer Provinzialregierung zufolge, +noch keine Colonie — d. h. kein eigenes Land für +ihre Arbeit — angewiesen werden konnte, und die +hier auf Staatskosten gefüttert werden müssen, +bis Ihr Freund die nöthigen Landstrecken für sie +vermessen haben wird. Aber treten wir ein. Sie +sehen da Alles viel besser, als ich es Ihnen sagen +könnte.«</p> + +<p>Könnern sah vor sich ein langes, fast ovales +Gebäude, aus Pfählen oder eingerammten Stämmen +aufgerichtet, und theils mit Schindeln, theils +mit Ziegeln, an einigen Stellen sogar mit Schilf +und Reisig nothdürftig gedeckt, um das herum es +von den abenteuerlichsten Gestalten wimmelte. +Alle waren Deutsche, darüber blieb dem Fremden +auch nicht der geringste Zweifel, denn die flachsköpfigen +Kinder nicht allein, nein, Männer und +Frauen selbst in ihren alten heimischen Trachten +verläugneten ihr Vaterland nicht einen Augenblick.</p> + +<p>Ihre Beschäftigung war aber ziemlich genau +dieselbe wie die jenes Theiles, den der Director in +seine eigene Wohnung genommen hatte, nur daß +hier entschieden mehr Männer einquartiert schienen. +Der innere weite Raum, wo nicht die unpraktischen +riesigen Auswanderer-Kisten aufgeschichtet +standen, war mit ihnen ordentlich angefüllt, denn +in der heißen Tageszeit hatten sie den Schatten +des luftigen Gebäudes gesucht, während die Frauen +hier und in der Sonne draußen arbeiten konnten, +so viel sie eben Lust hatten.</p> + +<p>Als der Director übrigens mit dem Fremden +den innern Raum betrat, erhoben sich die Meisten +von ihrem rauhen Lager und nahmen die Mützen +ab, denn der »Herr Director« war ja die erste +Person in der Colonie, und mit dem durften sie +es also schon nicht verderben.</p> + +<p>»Nun, Leute,« sagte Herr Sarno nach der +ersten flüchtigen Begrüßung, »nun werdet ihr bald +Euer Land bekommen können, denn heute hat die +Regierung endlich Jemanden hergesandt, der Euren +Grund und Boden vermessen soll. Haltet Euch +nur bereit, daß einige Familien von Euch gleich +ausrücken können, so wie eine Anzahl von Colonien +vermessen ist. Ihr werdet das Herumliegen +hier wohl auch satt haben?«</p> + +<p>»Na, es geht, Herr Director,« lachte der eine +Mann; »wenn wir's im Leben nicht schlechter +kriegen, läßt sich's aushalten — aber froh wollen +wir doch sein, wenn wir einmal wieder für uns +arbeiten dürfen. Das faule Leben hat auch +keine rechte Art und eigentlich schon ein Bißchen +zu lange gedauert.«</p> + +<p>»Hier geht's auch schmählich eng zu,« sagte +ein Anderer, »beinah wie auf dem Schiff, und der +Müller da drüben, der macht sich mit seiner Familie +auch noch so breit, daß wir Anderen lieber +hinaus vor die Thür möchten, damit der große +Herr nur Platz hat.«</p> + +<p>»Ja, Du darfst auch noch räsonniren, Du +Lumpenkerl,« erwiederte eine tiefe Baßstimme aus +der Ecke, »wenn wir lauter solch Gesindel wären, +wie….«</p> + +<p>»Ruhe!« unterbrach ihn der Director, »haltet +mir Frieden hier, das sag' ich Euch, denn der +Erste der Streit anfängt, wird ohne Weiteres auf +das nächste Schiff gesetzt und wieder aus der +Colonie geschickt. Wir wollen hier Frieden haben, +und wer sich dem nicht fügen will, mag gehen.«</p> + +<p>»Aber der Müller….«</p> + +<p>»Haltet Euer Maul!« fuhr ihn der Director +an; »wenn Ihr eine gegründete Klage habt, so +wißt Ihr, an wen Ihr Euch damit wenden sollt, +und zu welcher Zeit, und daß Ihr dann Eure +Zeugen mitzubringen habt. Einfache Klatschereien +will ich und werd' ich nicht anhören. Was fehlt +denn der Frau da, die dort in der Ecke liegt?«</p> + +<p>»Schlecht ist ihr's,« sagte eine andere Frau, +die neben ihr saß und ihr gerade aus einem großen +Topfe zu trinken gab; »sie hat sich den Magen +verdorben an den vielen Apfelsinen.«</p> + +<p>»Ist denn der Doctor heute noch nicht hier +gewesen?«</p> + +<p>»Der Doctor? Ja, der kommt schon lange +nicht, wenn man ihm nicht erst das Haus einläuft,« +sagte eine andere Frau; »meine Kathrine, der war's +gestern auch so elend zu Muthe — daß er auch +nur einmal nach ihr gesehen hätte — und wie ich +ihn darum gebeten habe!«</p> + +<p>»So?« sagte der Director, »nun, in einer +halben Stunde soll er hier sein, das verspreche ich +Euch — wie viele von Euch haben denn in der +Woche mit am Wege gearbeitet?«</p> + +<p>Keine Antwort — die ihm Nächsten schienen +die Frage eben nicht gern zu hören.</p> + +<p>»Nun? Kann Keiner den Mund aufthun?«</p> + +<p>»Na, der Niklas,« sagte die eine Frau, »hat +zwei halbe Tage, und der Christoph, der hat +gestern Nachmittag angefangen, und Schultze's +Elias, der muß schon den Donnerstag oder Freitag +hinaus gegangen sein.«</p> + +<p>»Da haben Sie's!« sagte der Director zu +Könnern; »Monate lang liegen die Menschen hier +auf der faulen Haut und leben von den Subsidien +oder Unterstützungen, die ihnen der Staat +verabreicht, also von Geldern, die sie nach fünf +Jahren wieder zurückerstatten müssen. Wo ich +ihnen aber eine Gelegenheit geboten habe, selber +für sich Etwas zu verdienen, wenn sie nur die +faulen Knochen rühren sollen, glauben Sie, +daß da Einer gutwillig mit angriffe? Gott bewahre! +Wenn ihnen der Polizeidiener nicht auf +dem Nacken sitzt, rühren sie kein Glied, und wenn +es eine Arbeit wäre, die sie nur zu ihrem eigenen +Besten thun sollen und noch außerdem extra bezahlt +bekommen. 's ist, weiß es Gott, eine Freude, +mit solchen Menschen zu thun zu haben!«</p> + +<p>»Herr Director,« sagte in diesem Augenblicke +ein kleiner ältlicher Mann in einem wunderlichen +Costüme, das er von allen Ständen der menschlichen +Gesellschaft zusammengeborgt zu haben schien, +indem er den Director an einem Ärmel zupfte, +»das Essen ist gleich fertig — Sie möchten <ins title="Original hat auch">nach</ins> +Hause kommen.«</p> + +<p>»Ah, Jeremias,« sagte Sarno, sich nach ihm +umdrehend; »schickt Dich die Kathrine herüber?«</p> + +<p>»Ja, Herr Director,« sagte der Mann, einen +hohen Seidenhut, um den eine Art von Livreeband +befestigt war, unter den Arm drückend, »und +das Schiff ist auch unten.«</p> + +<p>»Das Schiff? Was für ein Schiff?«</p> + +<p>»Nun, das Schiff mit den neuen Landsleuten.«</p> + +<p>»Neue Auswanderer?« rief der Director erschreckt.</p> + +<p>»Die Gesina,« nickte der Mann; »der Herr +Director haben ja schon lange davon gesprochen. +'s ist gerade vor der Barre gesehen worden und +der Capitain wird heute Abend herauf kommen.«</p> + +<p>»Na, das hat gerade noch gefehlt!« seufzte +Sarno; »das Haus hier ist schon zum Überlaufen +voll, und dazu noch eine frische Gesellschaft, eine +neue Zufuhr — das wird angenehm!«</p> + +<p>»Und die Suppe?«</p> + +<p>»Darf nicht kalt werden. Du hast Recht, +Jeremias. Sag' nur der Kathrine, daß wir den +Augenblick hinauf kommen. Ist der fremde Herr +schon da?«</p> + +<p>»Eben angekommen. Er sitzt oben in der +Stube.«</p> + +<p>»Gut — also melde nur daß wir gleich kommen, +und halt — spring hinüber zum Doctor — <span class="wide">Ich</span> +lasse ihm sagen, augenblicklich hierher zu +kommen. Verstanden?«</p> + +<p>Auf das Wort drehte sich das kleine Männchen +um, machte noch eine ganz eigenthümliche Krümmung +des Körpers, was als Verbeugung gelten +sollte, und verschwand dann blitzschnell durch die +Thür. Könnern hatte nur eben noch Zeit, zu +bemerken, daß seine Beinkleider jedenfalls für eine +andere Person zugeschnitten und gemacht sein +mußten — wonach sie die andere Person denn +auch so lange getragen haben mochte, wie ihr gut +dünkte. Für Jeremias waren sie aber viel zu +lang und unten in einem wahren Wulste umgelegt +und aufgekrempelt. Er besaß außerdem — +wenigstens glaubte es Könnern bei seinem ersten +Erscheinen — brennend rothes Haar von einer +ganz auffallenden Färbung, und als die kleine +Gestalt sich zwischen den verschiedenen Gruppen +der Auswanderer, zwischen Kochtöpfen, Kisten und +in Betten eingepackten Kindern wie ein Ohrwurm +durchwand, leuchtete sein Haar ordentlich irrwischartig, +bis er draußen in den Buchen verschwand.</p> + +<p>»Da haben wir's!« sagte aber der Director, +mit ganz anderen Gedanken wie mit Jeremias +beschäftigt; »jetzt geschieht, was ich schon lange +befürchtet habe. Das Auswanderungshaus, selbst +meine eigene Wohnung gefüllt, — keinen Fuß +breit Land vermessen, den neuen Colonisten einen +eigenen Fleck Grundeigenthum anweisen zu können, +kommt noch eine Schiffsladung frischer Kräfte +dazu, und <span class="wide">was</span> ich indessen mit denen machen +soll, weiß Gott!«</p> + +<p>»Und ist denn das nicht Sache des Präsidenten +der Provinz,« fragte Könnern, »stets Land genug +vermessen zu haben, um die Einwanderer unterbringen +zu können?«</p> + +<p>»Allerdings ist es das, aber unser Präsident, — ein +braver, guter Mann, der es wirklich ehrlich +meint — ist schon seit längerer Zeit schwer +krank, und seine Frau — ein intrigantes, coquettes +Frauenzimmer — regiert indessen nach Herzenslust +und hat eine Masse nichtsnutziger Protégés, +die sie unter jeder Bedingung unterbringen <span class="wide">will</span> +und unterbringt. So schickte sie mir vor sechs +Monaten einen Kerl hieher — ich habe keinen +andern Namen dafür — der das Land vermessen +sollte, und nicht mehr davon verstand wie der +Junge da. Glücklicher Weise faßte ich gleich Verdacht, +paßte ihm auf und jagte ihn, wie ich +merkte was an ihm war, wieder zum Teufel; er +hätte uns sonst hier eine Heidenverwirrung angerichtet. +Die Frau Präsidentin ist aber natürlich +jetzt wüthend auf mich.«</p> + +<p>»Und leidet das die Regierung in Rio?«</p> + +<p>»Lieber Gott, einesteils erfährt sie nie den +wahren Thatbestand, und dann ist es auch wirklich +für sie schwer, gegen einen einmal eingesetzten +höhern Beamten ernstlich einzuschreiten, so lange +nicht directe Anklagen vorliegen. Jetzt verklagen +Sie aber einmal von der Colonie Santa Clara +aus den Präsidenten, der in Santa Catharina +sitzt, oben in Rio de Janeiro — die Geschichte +wäre gleich von vorn herein so weitläufig, daß +man sie doch in Verzweiflung aufgeben würde, +wenn man auch wirklich hoffen dürfte Etwas +auszurichten — was man aber außerdem <span class="wide">nicht</span> +darf. Doch unsere Suppe wird wahrhaftig kalt +und die Kathrine nachher böse — also vor allen +Dingen zum Essen« — und Könnern's Arm ergreifend, +führte er ihn rasch der eigenen Wohnung zu.</p> + +<p>Unterwegs hielten sich die Beiden auch nicht +auf. Nur ein einziges Mal blieb Könnern stehen, +und den Arm gegen einen der kleinen Hügel +ausstreckend, sagte er:</p> + +<p>»So viel ist sicher, nur der Deutsche und der +Engländer — vielleicht auch noch der Holländer — +hat den richtigen Sinn für eine nicht allein +bequeme, sondern auch freundliche Umgebung seiner +Heimath, baut sich sein Nest in Büsche und Blüthen +hinein und pflanzt Rosen vor seine Thür, während +besonders der Amerikaner höchstens einen +Gemüsegarten daneben dulden würde. Sehen +Sie nur, was für ein wunderbar romantisches +Plätzchen sich jener Ansiedler wieder gewählt hat, +dessen kleines Haus nur eben aus dem dunklen +Grün der Büsche auf jenem Hügel da drüben +herausblinzt.«</p> + +<p>»Ah, Sie meinen unseres Einsiedlers Villa,« +lächelte der Director; »die Aussicht von seinem +Hause aus hat er übrigens ganz zufällig bekommen, +denn eine Palmengruppe verdeckte den Platz +so vollständig, daß man von unten aus keine +Ahnung hatte, dort oben sei eine menschliche +Wohnung. Neulich nun warf der Sturm die +kleinen Palmen um und das Haus bekam dadurch, +wahrscheinlich vollkommen gegen den Willen seines +Eigenthümers, eine reizende Aussicht.«</p> + +<p>»Gegen seinen Willen?«</p> + +<p>»Ich glaube, ja. Der Mann heißt Meier und +lebt mit Frau und Tochter, einem jungen Gärtner +und einer alten Dienstmagd, die sie hier angenommen, +fast ganz abgeschieden von der Colonie und verkehrt +fast mit Niemandem. Jammerschade noch dazu, +denn das wäre in der That eine Familie, mit der +man einen angenehmen Umgang haben <span class="wide">könnte</span>; +aber man darf sich doch auch nicht aufdrängen, und +da er mich, obgleich ich drei- oder viermal oben +bei ihm war, noch nicht ein einziges Mal wieder +besucht hat, so muß ich wohl annehmen, daß er +es lieber sieht, wenn ich <span class="wide">meine</span> Besuche <span class="wide">nicht</span> +wiederhole, und den Gefallen habe ich ihm denn +auch gethan. — Aber da sind wir — sehen Sie, +da oben steht die Kathrine schon am Treppenfenster +— ja, ja, Alte, wir kommen schon. Was so eine +alte Person für eine Tyrannei ausübt, wenn man +einmal ein paar Minuten zu spät zum Essen +kommt!«</p> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<h3><a name="kap_3" id="kap_3"></a>3.</h3> + +<h3>Bei der Frau Gräfin.</h3> + +<p>Die Frau Gräfin Baulen hatte des Directors +Haus etwas in Aufregung verlassen, und der Gedanke +daran, oder etwas Anderes auch vielleicht, +lag ihr schwer auf dem Herzen, als sie ihrer +eigenen Wohnung wieder zuschritt. Sie ging +wenigstens mit auf den Boden gehefteten Blicken +und erwiederte den Gruß etwa Begegnender nur +mit einer leisen Beugung des Kopfes, ohne zu +ihnen aufzusehen.</p> + +<p>So erreichte sie endlich das kleine freundliche +Gebäude, das, von einem Garten umschlossen, an +der äußersten Gränze der Ansiedelung lag, und +wollte eben dasselbe betreten, als die beiden Reiter, +ihr Sohn und ihre Tochter, wie sie durch den +ganzen Ort geflogen waren, mit donnernden Hufen +die Straße herabfegten, und dicht vor dem Hause +ihre Thiere so rasch herumwarfen, daß sie die alte +Dame fast gefährdet hätten.</p> + +<p>»Aber Helene, aber Oskar!« rief sie entsetzt, +indem sie rasch das Gartenthor zwischen sich und +die Pferde brachte — »Ihr reitet ja wie die +Wahnsinnigen, und seht gar nicht wohin Ihr +rennt! Daß Ihr die Thiere dabei ruinirt, scheint +Euch ebenfalls nicht im Mindesten zu kümmern!«</p> + +<p>»Nicht böse, Mütterchen, nicht böse,« lachte Helene, +indem sie den Hals ihres noch immer tanzenden +und courbettirenden Schimmels klopfte; +»Oskar behauptete aber, daß sein Rappe flüchtiger +wäre als meine Sylphide, und da habe ich ihm +eben das Gegentheil — aber, Sylphide — ruhig, +mein Herz, ruhig — wie wild sie nur geworden +ist, weil ich sie die beiden letzten Tage nicht geritten +habe!«</p> + +<p>»Du hattest von Anfang an einen Vorsprung,« +rief Oskar, »sonst wärest Du mir wahrhaftig nicht +vorgekommen; und dann verlor ich gleich beim +Abreiten einen von meinen Sporen, was mich +auch aufhielt.«</p> + +<p>»Einen von Deinen silbernen Sporen?« rief +die Frau Gräfin.</p> + +<p>»Ja — aber er wird sich schon wiederfinden,« +sagte der junge Bursche gleichgültig. — »Heh, +Gotthelf! Gotthelf! Wo der nichtsnutzige Schlingel +nun wieder steckt, daß er die Pferde nehmen könnte. +— Gotthelf!«</p> + +<p>»Ja — komme schon,« antwortete eine Stimme, +die dem ungeduldigen Rufe des jungen Mannes +in keineswegs entsprechender Eile zu sein schien.</p> + +<p>Gleich darauf schlenderte auch ein Bauernbursche, +dessen reines, grobleinenes Hemd allein +an ihm den Sonntag verkündete, beide Hände in +den Taschen, um die Hausecke und kam langsam +näher.</p> + +<p>»Na, Du fauler Strick, kannst die Beine wohl +nicht ein Bischen in die Hand nehmen?« rief +ihm der junge Graf entgegen — »es wird wahrhaftig +immer besser. Soll ich Dich etwa in Trab +bringen?«</p> + +<p>»Brrrrrr!« erwiederte Gotthelf mit unerschütterlicher +Ruhe, indem er seine Schritte nicht im +Geringsten beschleunigte; »gehen Sie nur nicht +durch, junger Herr, und machen Sie die Pferde +nicht scheu.«</p> + +<p>»Willst Du noch unverschämt werden, Halunke!« +rief der junge Graf in aufloderndem +Zorne, indem er seine Reitpeitsche fester packte +und hob. Gotthelf aber, nicht im Geringsten +dadurch eingeschüchtert, trat dicht zu dem Pferde +heran und sagte:</p> + +<p>»Na, so schlagen Sie doch! — Warum langen +Sie denn nicht zu? Mein Buckel wäre doch, dächt' +ich, breit genug.«</p> + +<p>Graf Oskar schlug aber nicht; der junge, allerdings +sehr breitschulterige Bauernjunge hatte heute +Etwas in seinem Auge, was ihm nicht gefiel. +Deshalb nur mit einer verächtlichen Kopfbewegung +aus dem Sattel steigend, sagte er, indem er Gotthelf +den Zügel hinreichte:</p> + +<p>»Da — ich will mich mit Dir nicht befassen. +Führe die Pferde herum und reibe sie nachher +trocken ab.«</p> + +<p>Gotthelf nahm aber nicht einmal seine Hände +aus den Taschen, und die beiden Pferde nach +einander betrachtend, sagte er kopfnickend:</p> + +<p>»Ja — Herumführen werden sie wohl brauchen, +denn geritten sind sie wieder, daß es eine +Schande ist; aber der Gotthelf wird Ihnen das +schwerlich besorgen, denn mit »Halunke« schimpfen +werden die Leute nicht fett, und wo es außerdem +weiter Nichts giebt, nicht einmal Lohn, da lohnt's +eben nicht, daß man sich die Nägel von den Fingern +arbeitet. Suchen Sie sich einen andern Gotthelf, +aber ich glaube kaum, daß Sie noch einen so dummen +finden, der Ihnen drei Monate nur der Ehre +wegen den Schuhputzer macht.« — Und sich damit +scharf auf dem Absatze herumdrehend, schlenderte +er wieder in's Haus zurück, ging auf sein +Zimmer, packte seine Sachen zusammen und verließ +eine halbe Stunde später in der That, ohne +ein weiteres Abschiedswort, die gräfliche Familie.</p> + +<p>»Das hast Du nun von Deiner Heftigkeit,« +sagte die Gräfin, drehte sich ab und schritt würdevoll +in das Haus hinein.</p> + +<p>Graf Oskar biß wüthend die Zähne zusammen +und hätte seinen Zorn gern an irgend Jemandem +ausgelassen; aber es war Niemand da, von dem +er vermuthen durfte, daß er es sich gefallen +lassen würde. Sein Sattel allein mußte es entgelten, +den er selber abschnallte und dann völlig +rücksichtslos über den Gartenzaun, mitten zwischen +die Blumen, hinwarf; — dann führte er sein Pferd +in die kleine Umzäunung, wo die Thiere gewöhnlich +gefüttert wurden, nahm ihm den Zaum dort +ab und ließ es laufen. Von Herumführen oder +Abreiben war keine Rede mehr.</p> + +<p>Comtesse Helene indessen war einigermaßen in +Verlegenheit, denn da sich ihr Bruder in seinem +Ingrimme gar nicht um sie bekümmerte, wußte sie +nicht gleich, wie sie aus dem Sattel kommen sollte. +Als sie den Kopf die Straße hinabdrehte, sah sie +einen jungen Mann dicht hinter sich, der stehen +geblieben war und sie betrachtet hatte. Unter +anderen Umständen würde sie auch kaum von ihm +Notiz genommen haben, denn trotz seiner anständigen +Kleidung sah er etwas verwildert aus, und +um das sonnengebräunte, von einem leichten, +schwarzgekräuselten Barte halb beschattete Gesicht +hingen ihm die langen, schwarzen Haare unordentlich +und wirr herab. Auch in den dunkeln Augen, +mit denen er das wirklich bildschöne Mädchen betrachtete, +lag ein eigenes, unheimliches Feuer, und +erst als ihr Blick auf dem seinen haftete, milderte +sich der Ausdruck in seinen Zügen.</p> + +<p>Es konnte ihm aber auch nicht entgangen sein, +daß sie Hülfe brauche — die Straße war außerdem, +als an einem Sonntag Nachmittage, fast +menschenleer, und sich ordentlich gewaltsam dazu +zwingend, trat er endlich näher, sah zu der Jungfrau +auf und sagte:</p> + +<p>»Erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen meinen +Arm zu bieten?«</p> + +<p>Helene sah ihn im ersten Augenblicke mißtrauisch +an; sie war viel zu selbstständig aufgewachsen, +oder hatte sich vielmehr selber so erzogen, um +irgend Furcht vor einem fremden Manne zu zeigen, +aber ein gewisser Instinct warnte sie, sich Jemandem +zu irgend einem Danke zu verpflichten, der +damit vielleicht einmal Mißbrauch treiben könne. +Das Benehmen des Fremden war aber so achtungsvoll +und ehrerbietig, und das Anerbieten wurde +mit so viel natürlichem Anstande gemacht, daß sie +nach kaum secundelangem Zögern lächelnd die +Hand ausstreckte, sich auf den vorgehaltenen Arm +des Fremden stützte und leicht aus dem Sattel +sprang.</p> + +<p>Der Fremde hatte dabei zugleich den Zügel +des Pferdes in einer Art ergriffen, die deutlich +zeigte, daß er mit ihm umzugehen wisse, machte der +Comtesse, als sie glücklich unten angelangt war, +eine leichte Verbeugung, und führte dann das +durchaus erhitzte Thier zu dem nächsten Aste, an +dem er den Zügel befestigte und den Sattel nachher +durch Aufschnallen des Gurtes etwas lüftete. +Das Alles geschah rasch und anscheinend ohne die +geringste Anstrengung, und ehe Comtesse Helene +nur recht mit sich einig war, ob sie abwarten bis +sich der Fremde entfernt habe, oder lieber gleich +in das Haus gehen solle, war dieser schon fertig, +verbeugte sich wieder leicht gegen sie und wandte +sich dann rasch und ohne sich umzusehen die Straße +hinab, so daß sie ihm für seine Dienstleistung nicht +einmal danken konnte.</p> + +<p>Comtesse Helene war bei ihrem Range und +wirklich reizendem Äußern, noch dazu in der bescheidenen +Umgebung einer deutschen Kolonie, allerdings +daran gewöhnt worden, die Huldigungen +und Galanterien der jüngeren wie älteren Leute +als eine Art von Tribut fast gleichgültig hinzunehmen. +Die Aufmerksamkeit dieses wunderlichen +Fremden, der sich außerdem fast ängstlich jedem +nur möglichen Danke entzog, hatte aber doch etwas +so Eigenthümliches, daß sie, frappirt davon, auf +der Schwelle des Gartens stehen blieb und sich +erst in das Haus zurückzog, als ihr Bruder, eben +nicht in der besten Laune, zurückkam. Außerdem +läutete auch in diesem Augenblicke die Glocke oben, +welche zum Mittagessen rief, und sie durfte keine +Zeit versäumen, wenn sie noch ihr Reitkleid ablegen +und überhaupt ein wenig Toilette machen +wollte.</p> + +<p>In dem Wohnzimmer der Frau Gräfin Baulen +hatten sich indessen schon vor der Ankunft der +Wirthin zwei auf heute geladene Gäste eingefunden.</p> + +<p>Der Eine von ihnen war der nämliche Herr, +welcher Könnern und dem Director auf ihrem +Wege durch die Stadt begegnete: der ausgewanderte +Baron Jeorgy, den eine unglückliche romantische +Ader zu seinem jetzigen sehr großen Bedauern +nach Brasilien getrieben. Er hatte eine nicht unbedeutende +Summe Geldes mit herüber gebracht +und es in sechs Jahren möglich gemacht, den +größten Theil seines Kapitals nicht gerade durchzubringen, +aber doch auszugeben, was sich im Resultat +allerdings vollkommen gleich blieb.</p> + +<p>Der Andere war ein junger, erst kürzlich +herübergekommener Künstler, Namens Vollrath, +der einen Empfehlungsbrief an den Baron mitgebracht +hatte und dadurch auch bei der Frau Gräfin +eingeführt war. Er spielte mit der Comtesse manchmal +Clavier, aber die Frau Gräfin sah seinen Besuch nicht +gern. Er erwies nämlich Helenen mehr Aufmerksamkeit, +als ihrer Mutter lieb schien, und war +außerdem blutarm — aber so lange er sich in +seinen Schranken hielt, konnte man ihn eben nicht +zurückweisen. Die Frau Gräfin hatte indessen +schon ernsthaft mit ihrer Tochter über ihn gesprochen.</p> + +<p>Die Gräfin selber schien ihre Toilette schon +vor dem Ausgange gemacht zu haben; Oskar, obgleich +eben von dem scharfen und staubigen Ritte +zurückgekehrt, hielt es nicht der Mühe werth, des +Barons wegen die Wäsche zu wechseln — und der +Andere war ja nur ein Clavierspieler.</p> + +<p>Comtesse Helene dachte nicht so. Von dem wilden +Ritte war ihr reiches, schweres Haar gelöst und +in Unordnung gerathen; ihren Anzug mußte sie +ebenfalls wechseln, und da ihr dazu keine Kammerjungfer +zu Gebote stand, bedurfte sie einer länger +als gewöhnlichen Zeit, um sich der Gesellschaft, so +klein diese auch immer sein mochte, zu zeigen. +Oskar, überhaupt heute nicht in der besten Laune, +war entsetzlich ungeduldig geworden und hatte +den Klöppel der Klingel schon fast ausgeschlenkert, +um die, wie er glaubte, saumselige Schwester dadurch +etwas rascher herbeizurufen.</p> + +<p>Während Graf Oskar so im Zimmer herumlief +und seinem Ärger durch verschiedene Ungezogenheiten +Luft machte, die Gräfin mit dem Baron +Jeorgy an einem der Fenster stand, das eine +freundliche Aussicht über die Stadt gewährte, und +ein Beider Interessen sehr lebhaft in Anspruch +nehmendes Gespräch führte, hatte sich Vollrath an +das Instrument gesetzt und intonirte leise einige +Lieblings-Melodien Helenen's, theils im einfachen +getragenen Thema, theils in geschickt und künstlerisch +durchgeführten Variationen.</p> + +<p>»Es ist ein trauriges Land,« sagte endlich der Baron +mit einem tiefen Seufzer, indem er, ohne die Melodie +selber zu beachten, den Tact dazu unbewußt +auf dem Fenster trommelte — »ein sehr trauriges +Land, dieses ausgeschrieene Brasilien, und ich +fürchte fast, daß uns ein böser Stern an diese +Küste geführt hat, von der ich, aufrichtig gestanden, +gar kein rechtes Fortkommen mehr sehe. Ich +begreife wenigstens nicht recht, wie man in Europa +je, ohne die gehörigen Mittel, wieder standesgemäß +auftreten könnte.«</p> + +<p>»Sie dürfen den Muth nicht verlieren, Baron,« +bemerkte die in dieser Hinsicht viel resolutere Gräfin. +»Ich fange jetzt selber an einzusehen, daß wir alle +Beide doch möglicher Weise zu viel Standesvorurtheile +mit herüber gebracht haben, um das +Leben hier an der richtigen Stelle anzugreifen.«</p> + +<p>»Aber, beste Frau Gräfin….«</p> + +<p>»Ich sehe wenigstens eine Menge Menschen,« +fuhr die Gräfin fort, ohne die Unterbrechung gelten +zu lassen, »die nicht allein ihr Fortkommen auf +höchst geschickte Weise finden, sondern auch noch +Capital auf Capital zurücklegen, und es fällt mir +gar nicht ein, ihnen mehr Verstandeskräfte zuzutrauen, +als wir Beide auch besitzen, lieber Baron.«</p> + +<p>»Aber, beste Frau Gräfin,« beharrte der Baron, +»der Art Leute sind von Jugend an auf ihre Fäuste +angewiesen gewesen, und Sie wollen doch nicht +voraussetzen, daß wir Beide etwas Derartiges auch +nur annähernd leisten könnten?«</p> + +<p>»Ich denke gar nicht daran,« sagte die Gräfin +mit einem vornehmen Zurückwerfen des Kopfes; +»wo aber die rohe Kraft nicht ausreicht, da eben +muß der Geist des Menschen eintreten, die Intelligenz, +und wir finden es überall bestätigt, daß +die erstere, die rohe Kraft meine ich, immer nur +für die Speculation arbeitet, und diese eigentlich +den Nutzen von jener ärntet.«</p> + +<p>»Aber auch der Kaufmann braucht praktische +Erfahrung,« seufzte der Baron, der <span class="wide">seine</span> Erfahrung +schon außerordentlich theuer hatte bezahlen +müssen — »und wir sind Beide zu alt, die noch zu +lernen.«</p> + +<p>»Bah,« sagte die Frau Gräfin, den Kopf mit +Geringschätzung wiegend, »der Kaufmann ist nicht +der einzige Speculirende, auch der Fabrikant speculirt, +indem er sich weniger die Waaren als die +Kräfte der Menschen selber dienstbar macht.«</p> + +<p>»Aber, verehrte Frau Gräfin, Sie scheinen ganz +zu vergessen, daß auch dazu Capital gehört, ja, und +noch ein viel bedeutenderes Capital vielleicht, als +zu einer einfachen Spekulation in Kaufmannsgütern, +und wenn man das Letzte dann darauf +gesetzt hätte und es schlüge fehl — was dann? — +Denken Sie sich eine Existenz, selbst hier in einer +brasilianischen Colonie, ohne die Mittel zu leben +— denken Sie sich die Möglichkeit daß man +bei diesen frechen und übermüthig gewordenen +Bauern gezwungen sein sollte, ein Anlehen zu erheben; +es wäre fürchterlich!«</p> + +<p>Die Frau Gräfin schien nicht diese Angst vor +einer derartigen Calamität zu theilen, deren sogenannte +»Furchtbarkeit« sie außerdem schon erprobt +hatte, ohne daran zu sterben; aber der Baron +brauchte das gerade nicht zu wissen, und sie fuhr +wie überlegend fort: »Dafür ist aber auch dem +Menschen der Verstand gegeben, daß er ihn richtig +gebraucht und anwendet, und sollten die höheren +Stände mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln +nicht besonders da mehr bevorzugt sein, eine +größere und gediegenere Kraft in die Wagschale +zu werfen, als der rohe und ungebildete Bauer es +im Stande wäre?«</p> + +<p>»Der rohe und ungebildete Bauer,« erwiederte der +Baron achselzuckend, »hat von dem Schöpfer eine +Art von Instinct bekommen, der gerade da anfängt, +wo sein Verstand aufhört, und mit oft unbewußter +Benutzung desselben macht er zu Zeiten die erstaunlichsten +und unbegreiflichsten Dinge möglich.«</p> + +<p>»Sie sind eingeschüchtert, lieber Baron,« sagte +die Gräfin lächelnd, indem sie ihre Hand auf seinen +Arm legte.</p> + +<p>»Und habe alle Ursache dazu,« seufzte der +Baron.</p> + +<p>»Sie haben durch eine Reihe von widrigen +Zufälligkeiten nicht unbedeutende Verluste erlitten,« +fuhr die Gräfin fort, »das hat Sie kopfscheu gemacht +— Oskar, ich bitte Dich um Gottes Willen, +laß das furchtbare Getöse mit der Glocke, ich werde +wahrhaftig noch ganz nervös —, verlieren Sie +jetzt den Muth, so ist Alles verloren, unwiederbringlich. +Bewahren Sie sich aber die Elasticität +Ihres Geistes, so können Sie mit Einem Schlage +alles Verlorene nicht allein wieder einbringen, +sondern auch verdoppeln, ja, vielleicht verdreifachen.«</p> + +<p>»Das ist eben was ich bezweifle,« versicherte +der Baron; »aber, verehrte Frau, <span class="wide">haben</span> Sie +vielleicht einen Plan, denn Ihr ganzes Benehmen +scheint mir nach einem gewissen Ziele hinzustreben +— und wollen Sie mich zu Ihrem Vertrauten +machen, so könnte ich Ihnen, wenn auch möglicher +Weise mit weiter Nichts, doch vielleicht mit gutem +Rathe zur Seite stehen, der oft in nur zu vielen +Fällen die Stelle des Capitals vertritt.«</p> + +<p>»Ich habe allerdings einen Plan,« erwiederte +die Gräfin, »der aber schon so weit gediehen ist, +daß er des Raths kaum mehr bedarf, denn er basirt +auf Thatsachen, auf Zahlen, auf genauer Kenntniß +der Grundlagen. <span class="wide">Wenn</span> ihn deshalb noch +Etwas fördern kann, so ist es einzig und allein +<span class="wide">Capital</span>. Doch davon später, lieber Baron, +denn ich höre eben meine Tochter kommen, und +Oskar entwickelt heute eine so liebenswürdige Ungeduld, +daß wir das Essen nicht länger warten +lassen dürfen.«</p> + +<p>Der Baron war zu viel Weltmann, um seiner +eigenen Ansicht über »Oskar's Ungeduld« einen +selbstständigen Ausdruck zu geben. Er machte deshalb +nur eine stumme Verbeugung gegen die +Gräfin, reichte ihr dann den Arm und führte sie, +wie in seinen schönsten Tagen daheim, die drei +Schritte bis zu dem einfachen Tannentische. Über +diesen war aber ein kostbares Damasttuch gebreitet, +auf dem neben den weißen Steinguttellern +schwere englische Löffel und Gabeln lagen, die im +Besitze einer Gräfin recht gut für echtes Silber +angesehen werden konnten.</p> + +<p>Comtesse Helene betrat in diesem Augenblicke +das Zimmer, und Vollrath hatte sein Spiel beendet +und das Instrument geschlossen.</p> + +<p>Helene war wirklich ein schönes Mädchen von +nicht zu hohem, aber schlankem und üppigem +Wuchse, mit vollem, fast goldblondem Haare und +dabei dunkeln, brennenden Augen, einem verführerischen +Grübchen im Kinn, und Hand und Arm +vollkommen makellos. Das festanschließende, lichtgraue +Kleid von allerdings nur einfach wollenem +Stoffe hob ihre Büste so viel mehr hervor, während +die selbst schon hierher gedrungene Crinoline +nur dann und wann einer kleinen, sehr zierlichen +Fußspitze gestattete, an's Tageslicht zu kommen.</p> + +<p>»Das gnädige Fräulein sind heute wieder einmal +gar nicht fertig geworden,« empfing sie Oskar, +dessen Laune dadurch nicht gebessert schien, daß +Niemand weiter Notiz von ihm genommen. Helene +beachtete aber auch den Vorwurf nicht, begrüßte +ziemlich förmlich den Baron, nickte Vollrath freundlich +zu, und ging dann, ehe dieser mit sich einig +geworden schien, ob er ihr den Arm bieten solle +oder nicht, rasch zu ihrem Platze am Tische, an +dem sie sich, mit einladender Bewegung für die +Übrigen, zuerst niederließ.</p> + +<p>Das Diner war so einfach, wie es das Leben +in einer solchen Colonie und die Arbeit einer +einzelnen Köchin, die zugleich alle anderen Hausdienste +verrichten mußte, mit sich bringt: Suppe, +ein Braten mit zweierlei Gemüse und etwas eingekochtem +Obste, und zum Dessert die vortrefflichen +Orangen und Granatäpfel des Landes.</p> + +<p>Niemand machte hier auch größere Ansprüche, +oder war an Weiteres gewöhnt, und das Gespräch +drehte sich während der Tafel hauptsächlich um die +neuerwarteten Einwanderer, da sich das Gerücht +über deren Ankunft schon durch die ganze Colonie +verbreitet hatte. Ist es doch auch immer ein +Moment für solche Ansiedelung, einen neuen Zuschuß +von Fremden zu bekommen, von denen ein +kleiner Theil stets in der Stadt selber bleibt und +vielleicht einen neuen Umgang bilden kann, denn +bekannt wird man ja natürlich mit Allen.</p> + +<p>Nur Vollrath, der neben Helenen saß, war still +und einsilbig, und schien sich nicht einmal für +Oskar's Ansichten, die dieser über brasilianische +Pferde entwickelte, zu interessiren; Oskar sprach +überhaupt <span class="wide">nur</span> über Pferde.</p> + +<p>Das Diner ging so vorüber — Oskar plauderte +in Einem fort, ob ihm Jemand zuhörte oder nicht +— der Baron und die Gräfin, in deren Gespräch +sich Helene nur manchmal mischte, unterhielten +sich lebendig, und nur Vollrath schwieg hartnäckig +still. Ein paar Mal schien er freilich den Mund +öffnen zu wollen — aber es blieb eben immer nur +bei dem Versuch, und Helenen war es nicht entgangen, +daß er irgend Etwas auf dem Herzen +trage, was ihn beenge — wußte sie was es war? +Aber so unbefangen sie sich stets gegen ihn gezeigt, +so unbefangen blieb sie auch heute, und als das +Diner beendet und die kleine Gesellschaft in den +Garten gegangen war, legte sie ruhig und lächelnd +ihren Arm in den seinen und sagte: »Kommen +Sie, Herr Vollrath, wir wollen ein Wenig auf +und ab gehen. — Oskar ist heute unausstehlich, +weil ich ihm in unserem Wettrennen vorgekommen +bin, und Mama hat, wie es scheint, mit dem +alten steifen Baron eine so hochwichtige Besprechung, +daß sie alles Andere, was um sie her vorgeht, zu +vergessen scheinen.«</p> + +<p>Vollrath schoß das Blut in Strömen in's Gesicht, +aber er verbeugte sich leicht, nahm den Arm +und schritt mit der jungen Schönen den Garten +entlang. Helenen aber genügte der beschränkte +Raum heute nicht: war es die Aufregung des +scharfen Rittes, war es der Ärger über den +Bruder, kurz, sie stieß die kurze Gartenpforte auf, +die an dieser Seite gerade nach den zu einer Art +von Promenade umgewandelten Büschen hinausführte, +und wanderte langsam mit ihrem Begleiter +den schmalen Weg entlang, der, immer in Sicht +der Häuser, sich fast um die Ansiedlung schlängelte.</p> + +<p>Oskar hatte sich in die Laube auf eine Bank +gelegt und rauchte, ein Bein über das andere gelegt, +seine Cigarre, und die Gräfin ging mit dem +Baron wieder in eifrigem Gespräche im Garten +auf und ab.</p> + +<p>»Aber, verehrte Frau,« sagte der Baron jetzt, +»Sie rücken noch immer nicht mit Ihrem Projecte +heraus. Sie reden nur fortwährend von glänzenden, +sorgenfreien Aussichten, von Rückkehr in die +Heimath, von — ich weiß selber kaum was, und +den eigentlichen Kern dieser Frucht halten Sie im +Dunkel. Sie glauben doch sicher nicht, daß ich +einen Mißbrauch damit treiben und als Ihr Concurrent +in irgend einer glücklichen Speculation +auftreten könnte?«</p> + +<p>»Mein lieber Baron — nein, das nicht,« sagte +die Gräfin nach einigem Zögern, »und ich habe +auch den Entschluß jetzt gefaßt, Sie zu meinem +Vertrauten zu machen — vielleicht werden wir +doch noch Compagnons,« lächelte sie dazu.</p> + +<p>»Ich bin auf das Äußerste gespannt,« sagte der +Baron.</p> + +<p>»Sie müssen bemerkt haben,« fuhr die Gräfin +fort, »daß mir sowohl wie Helenen eine Beschäftigung +in diesem Lande fehlt.«</p> + +<p>Des Barons Blick suchte unwillkürlich die +junge Dame, die er gerade noch durch eine Lücke +der Bäume mit ihrem Begleiter erkennen konnte.</p> + +<p>»Helene besonders,« fuhr die Gräfin fort, +»hat mich schon lange gebeten, eine leichte Arbeit +aufzufinden, mit der sie die langen Tage besser +hinbringen könne, denn immer Lesen und Clavierspielen +geht ja doch auch nicht, noch dazu in einer +so prosaischen und sogenannten praktischen Umgebung, +wie die ist, in der wir uns befinden.«</p> + +<p>»Ich werde immer gespannter,« versicherte der +Baron, und er hatte die Augenbrauen schon bis +unter den Hut hinaufgezogen.</p> + +<p>»Wenn man nun unter so <span class="wide">praktischen</span> +Leuten fortwährend lebt,« lächelte die Gräfin, +»so ist es wohl ganz natürlich, daß ein klein +Wenig davon auch an unserer Natur hangen +bleibt, und ich habe denn auch schon das ganze +letzte Jahr nach der und jener Seite hinüber gehorcht, +an was man im rechten Augenblicke und +mit den rechten Mitteln die Hand legen könnte +— ich glaube, ich habe jetzt gefunden was ich +suchte.«</p> + +<p>»Sie hätten wirklich?«</p> + +<p>»Ich habe gefunden und außerdem die genauesten +Erkundigungen deshalb eingezogen,« fuhr +die Gräfin fort, »daß hier im Lande eine ganz +enorme Quantität von <span class="wide">Cigarren</span> verbraucht +wird, die man sämmtlich mit einem, zu den Kosten +des Rohtabaks in gar keinem Verhältnisse stehenden +hohen Preise bezahlt.«</p> + +<p>»<span class="wide">Cigarren?</span>« fragte der Baron erstaunt.</p> + +<p>»Nun sind gerade gegenwärtig eine Menge +junger Leute hier in der Colonie — und es werden +mit dem Schiffe noch mehr erwartet — von +denen viele, besonders alle aus Bremen stammende, +Cigarren zu drehen verstehen. Hier auf +diesem Zettel finden Sie außerdem den Preis +guten Blättertabaks genau zusammengestellt, eben +so die Löhne für die Fabrikarbeiter, die nach dem +Hundert oder Tausend bezahlt werden. Eine Cigarre +nur einigermaßen guten Tabaks ist aber +hier nicht unter zwanzig Reis das Stück zu bekommen, +und nun berechnen Sie selber, welcher +enorme Nutzen dem Fabrik<span class="wide">herrn</span> werden muß, +wenn die Sache nur ein klein Wenig in's Große +getrieben wird.«</p> + +<p>»Hm,« sagte der Baron, der aber doch nur +einen flüchtigen und zerstreuten Blick über das +Papier warf, »und mit etwas Derartigem wollten +Sie sich befassen?«</p> + +<p>»Und warum denn nicht?« sagte die Frau +Gräfin, indem sie einer leichten Verlegenheit +Meister zu werden suchte. »Wir müssen in der +That eine Art von Beschäftigung haben, wenn +wir hier nicht vor Langerweile sterben sollen, und +Helene sehnt sich so danach, ja selbst Oskar, der +jetzt vor lauter Muthwillen gar nicht weiß, was +er für Tollheiten angeben soll.«</p> + +<p>Der Baron Jeorgy war in der That Nichts +weniger auf der Welt als ein praktischer Charakter, +der auf einen gewissen Überblick Anspruch +machen konnte, um wirklich Ausführbares von +bloßen Chimären zu unterscheiden. Hatte er aber +schon zu viele bittere Erfahrungen mit ähnlichen +Projecten gehabt, oder war es ihm vollkommen +unmöglich, sich die Comtesse Helene und den +jungen wilden Grafen Oskar als ehrbare Cigarrenmacher +zu denken, aber er schüttelte doch ganz +ernsthaft und bedenklich mit dem Kopfe und sagte:</p> + +<p>»Aber, gnädigste Frau Gräfin, haben Sie sich +denn die Sache wirklich schon recht genau überlegt, +und vermuthen Sie, daß Sie einen, alle dem +Ärger und der Schererei entsprechenden Nutzen +daraus ziehen könnten?«</p> + +<p>»Mein lieber Baron,« erwiederte die Gräfin +lebhaft, »das können Sie sich doch wohl denken, +daß ich ein solches Unternehmen nicht entriren +würde, wenn ich mich nicht vorher gründlich damit +bekannt gemacht. Helene brennt ordentlich +darauf zu beginnen, und Oskar selber hat versichert, +daß es ihm ungeheuren Spaß machen +würde, selber Cigarren zu drehen.«</p> + +<p>»So? In der That? Hm! Und haben die beiden +jungen Herrschaften also darin schon einen +Versuch gemacht?«</p> + +<p>»Jetzt schon — wo denken Sie hin?« lachte +die Gräfin. »Das <span class="wide">selber</span> Cigarren machen muß +doch auch immer nur Nebenbeschäftigung bleiben, +wenn es vielmehr darauf ankommt, eine große +Anzahl von Arbeitern zu überwachen. Aber es +ist nöthig, daß es Jeder von uns versteht, um etwa +vorkommende Fehler andeuten und rügen zu können, +und deshalb wollen wir auch Alle ordentlich +mit zugreifen.«</p> + +<p>Der Baron, die Hände auf den Rücken gelegt, +nickte langsam und bedächtig mit dem Kopfe, +und manchmal schüttelte er ihn auch ganz in Gedanken, +aber er sagte kein Wort. Es entstand +dadurch für die Gräfin eine etwas peinliche Pause, +denn sie hatte erwartet, daß der Baron die Enthüllung +dieses Planes mit mehr Enthusiasmus +aufnehmen würde. Der Baron blieb aber vollkommen +kalt, und schien nicht die geringste Lust zu +haben auch nur eine Bemerkung zu machen.</p> + +<p>»Und was sagen Sie dazu?« unterbrach endlich +die Gräfin das ihr lästig werdende Schweigen. — +Der Baron zuckte die Achseln.</p> + +<p>»Ja, lieber Gott, was <span class="wide">kann</span> ich dazu sagen? +Ich verstehe nicht das Geringste von Tabak oder +Cigarren, das ausgenommen, daß ich beim Rauchen +eine gute von einer schlechten unterscheiden kann. +Wenn Sie aber fest dazu entschlossen sind und das +nöthige Capital dazu besitzen, so — weiß ich in der +That nicht….«</p> + +<p>»Aber <span class="wide">das</span> gerade hab' ich noch nicht,« unterbrach +ihn die Gräfin etwas gereizt, »wenigstens nicht in +diesem Augenblicke, und meine Ungeduld, die mich +jeden neu gefaßten Plan mit voller Energie ergreifen +läßt, war die alleinige Veranlassung, daß +ich <span class="wide">Ihnen</span> Gelegenheit gab, sich bei dem Unternehmen +zu betheiligen. Sie zweifeln doch nicht +etwa an dem Erfolg?«</p> + +<p>»Beste Frau Gräfin,« betheuerte der Baron, +der, stets voller Rücksichtsnahmen, schon vor der +Idee eines Widerspruches zurückschreckte; »ich +erlaube mir nicht im Geringsten daran zu zweifeln, +und hoffe von ganzer Seele, daß Sie ein außergewöhnlich +günstiges Resultat erzielen werden, aber —«</p> + +<p>»Aber?«</p> + +<p>»Aber,« fuhr der Baron, sich verlegen die Hände +reibend, fort, — »ich besitze kein Capital, um mich +dabei zu betheiligen.«</p> + +<p>»Sie besitzen kein Capital?« sagte die Gräfin +erstaunt.</p> + +<p>»Ich besitze allerdings ein kleines«, verbesserte +sich der Baron, »was ich aus dem Verkaufe meiner +Chagra und meines Viehes, besonders meiner +Pferde, gelöst habe, aber ich brauche das nothwendig +zu meinem unmittelbaren Leben, und +wenn ich dasselbe angreife, bin ich am Ende genöthigt, +mir noch auf meine alten Tage mein +Brod mit Handarbeit zu verdienen.«</p> + +<p>»Und glauben Sie nicht, daß Sie das Drei-, +ja, vielleicht Vierfache ihrer <span class="wide">jetzigen</span> Zinsen bei +einem solchen Unternehmen herausschlagen könnten?« +lächelte die Gräfin.</p> + +<p>Der Baron hätte um sein Leben gern »Nein« +gesagt, aber er riskirte es nicht; die etwas hitzige +Gräfin hätte sich beleidigt fühlen können, und er +erwiederte nur achselzuckend:</p> + +<p>»Ich bin zu alt zur Speculation, meine Gnädigste, +und — außerdem ist mir die Sache auch +wirklich noch zu neu — zu fremd — es kam mir +zu überraschend. Gestatten Sie mir, daß ich mich +vorher ein Wenig informire, und wir können ja +dann später mit Muße darüber sprechen.«</p> + +<p>»Aber die Zeit drängt, mein bester Baron,« +versicherte die Gräfin; »ich habe die nicht unbegründete +Vermuthung, daß sich Andere mit einer +ähnlichen Idee tragen, und es ist in der That +seltsam, daß ein solches auf der Hand liegendes +Unternehmen nicht schon lange mit Begierde aufgegriffen +ist. Was also geschehen soll, muß rasch geschehen. +Ich habe dabei von Anfang an auf Sie +gerechnet, da ich Sie als alten, lieben Freund +meines Hauses kannte, und ich hoffe nicht, daß +Sie mich jetzt im Stiche lassen werden.«</p> + +<p>Dem Baron kam es allerdings etwas wunderlich +vor, daß die Frau Gräfin gerade auf <span class="wide">ihn</span> +von Anfang an gerechnet haben sollte, während +sie ihn erst im letzten entscheidenden Augenblicke +davon in Kenntniß setzte. So groß seine Höflichkeit +aber auch sein mochte, der Trieb zur Selbsterhaltung +war doch noch größer, und mit viel +mehr Entschiedenheit, als er bis jetzt gezeigt und +überhaupt der Gräfin gegenüber für möglich gehalten +hätte, sagte er, indem er seine Tabaksdose +in allen Taschen suchte:</p> + +<p>»Man soll eine Dame nie im Stiche lassen, +meine Gnädigste, aber — ich bitte tausendmal +meiner Hartnäckigkeit wegen um Entschuldigung — +ich muß doch darauf bestehen, vor allen Dingen +mir eine größere Kenntniß über den Betrieb dieser +Angelegenheit zu verschaffen. Apropos — +sollte sich der Director Sarno nicht am Ende bewogen +finden, ein so gemeinnütziges Unternehmen +aus Regierungsmitteln zu fördern?«</p> + +<p>Ein ganz eigener Ausdruck von Zorn und +Verachtung zuckte um die Lippen der Dame, als +sie erwiederte:</p> + +<p>»Ja, wenn ihm Einer der Bauern den Vorschlag +gemacht hätte.«</p> + +<p>»So haben Sie schon mit ihm darüber gesprochen?« +rief der Baron, von dieser Wendung +sichtlich überrascht.</p> + +<p>Die Gräfin hatte sich in ihrem Unmuthe verleiten +lassen, mehr zu sagen als sie eigentlich wollte. +Was noch gut zu machen war, that sie.</p> + +<p>»Fällt mir nicht ein,« sagte sie wegwerfend; +»der Herr Director und ich stehen nicht auf einem +so freundschaftlichen Fuße zusammen, ihm eine +solche Mittheilung zu machen, und ich werde mich +hüten, mit der brasilianischen Regierung etwas +Derartiges zu beginnen, die mir vielleicht fünfzehn +oder zwanzig Procent für meine Mühe ließe. +Doch Sie verlangen Zeit, mein lieber, ängstlicher +Freund, und sein Sie versichert, daß ich Sie +nicht drängen möchte. Überlegen Sie sich also +die Sache, sagen Sie mir aber bis spätestens morgen +früh Antwort, oder« — setzte sie hinzu, indem +sie lächelnd mit dem Finger drohte — »ich halte +mich an kein Versprechen mehr gebunden, und sehe +mich nach einem andern Compagnon um.«</p> + +<p>Der Baron machte eine stumme, dankende +Verbeugung, schien aber von dieser directen +Drohung keineswegs so eingeschüchtert, wie es die +Wichtigkeit der Sache hätte sollen vermuthen lassen. +In diesem Augenblicke bekam er aber auch Succurs, +denn ihr Gespräch wurde durch jenes wunderliche +Individuum, Jeremias, unterbrochen, der +plötzlich in den Garten kam, ohne Weiteres auf +die Frau Gräfin und den Baron zuging, und +Beiden, ehe sie es verhindern konnten, auf das +Cordialste die Hand schüttelte. Oskar, der Zeuge +dieser Scene war, lag noch immer in der Laube +auf der Bank und wollte sich jetzt ausschütten vor +Lachen.</p> + +<p>Oskar war auch in der That die eigentliche +Ursache dieser plötzlichen Begrüßung gewesen, denn +während er in der Laube seine Siesta hielt, da +ihn die Projecte der Frau Mutter wenig interessirten, +hatte er nur über seinen heutigen Verlust, +den Pferdejungen, nachgedacht, der sich auf so +grobe Weise empfohlen, und dabei hin und her +überlegt, wie er denselben wohl ersetzen könne. +Da ging Jeremias, ebenfalls auf einem Sonntag-Nachmittag-Spaziergange +begriffen, an der Laube +vorüber, und Oskar, der den sonderbaren Burschen +schon kannte, und sich oft über ihn amüsirt hatte, +glaubte in ihm einen passenden Ersatz gefunden +zu haben und rief ihn auch ohne Weiteres an und +herein.</p> + +<p>»Guten Tag, Frau Gräfin,« sagte Jeremias +indessen, durch das etwas erstaunte Zurückfahren +der Dame nicht im Mindesten beirrt — »schönen +guten Tag, Herr Baron — prächtiges Wetter +heute — wie bei uns im Sommer — nur ein +Bißchen heiß — Herr Gott, wie man schwitzt!«</p> + +<p>»Und was wollen Sie?« fragte die Gräfin, wie +in Gedanken die eben erfaßte Hand mit ihrem +Batisttuche abwischend. Jeremias war das auch +nicht entgangen; er betrachtete ebenfalls seine eigenen +arbeitharten Fäuste, und sein Gesicht verzog +sich zu einem breiten Grinsen. Aber er nahm +weiter keine Notiz davon, sondern sagte nur, freundlich +ihr zunickend:</p> + +<p>»Der junge Herr da hinten hat mich gerufen; +will einmal zu ihm gehen und sehen, was er +wünscht — amüsiren Sie sich gut« — und mit +einer Art von Kratzfuß drückte er den Hut wieder +in die Stirn und wandte sich dorthin, wo Oskar +schon wieder sein: »Jeremias, hieher!« herüber +rief.</p> + +<p>»Hat ihm schon,« antwortete Jeremias, als er +in die Laube trat, sich ohne Weiteres auf die andere +Bank setzte und vergnügt mit den kurzen +Beinen schlenkerte; »hier ist's hübsch kühl; wenn +man jetzt hier ein Maß baierisch Bier und einen +Handkäs hätte, könnte man's eine ganze lange +Weile aushalten.«</p> + +<p>Oskar hatte sich das Benehmen eines künftigen +Pferdejungen wahrscheinlich anders gedacht; mit +den Sonderbarkeiten des Burschen aber schon bekannt, +beachtete er es nicht weiter und fragte ohne +Umschweife:</p> + +<p>»Willst Du Geld verdienen, Jeremias?«</p> + +<p>»Immer,« lautete die kurze bündige Antwort.</p> + +<p>»Kannst Du Pferde warten?«</p> + +<p>»Kann ich.« sagte Jeremias im Selbstvertrauen.</p> + +<p>»Und wie viel verlangst Du monatlich?«</p> + +<p>»Hm,« meinte der Bursche, den brennend +rothen Schopf kratzend, der sich jetzt, als er dazu +den Hut abnahm, als eine alte, ziemlich abgetragene +Perrücke auswies, »je mehr, je besser — +was lohnt's denn eigentlich?«</p> + +<p>»Sechs Milreis.«</p> + +<p>»Und sonst noch was?«</p> + +<p>»Stiefelputzen —«</p> + +<p>»Ne, so mein' ich's nicht,« sagte Jeremias, +»ob noch sonst etwas bei den sechs Milreis wäre, +wie Schnaps, Frühstück, Trinkgeld oder dergleichen.«</p> + +<p>»Wenn Du Dich gut hältst, gewiß,« sagte der +junge Graf.</p> + +<p>Jeremias schob beide Hände, so tief er sie +bekommen konnte, in seine Hosentaschen und spitzte +den Mund, als ob er ein Liedchen pfeifen wolle. +Er pfiff aber nicht, sondern sah nur nachdenklich +vor sich nieder. Endlich sagte er nach einer kleinen +Pause, indem er die Hände wieder aus den Taschen +nahm und seine Perrücke zurecht schob:</p> + +<p>»Na, ich will Ihnen etwas sagen, junger Herr, +wir wollen's einmal einen Monat zusammen versuchen, +wöchentliche Kündigung natürlich von +beiden Theilen, wenn ich <span class="wide">Ihnen</span> nicht gefallen +sollte oder Sie <span class="wide">mir</span> nicht — außerdem gegenseitige +Hochachtung und ein Milreis Handgeld — sind +Sie das zufrieden?« — und er hielt dabei +Oskar die Hand in so drolliger Weise zum Einschlagen +hin, daß der junge Bursche, der bei Erwähnung +des Milreis Handgeld einen Augenblick +gestutzt hatte, lachend einschlug und ausrief:</p> + +<p>»Gut, Jeremias, so wollen wir es denn, wie +Du sagst, einmal zusammen versuchen — hier ist +Dein Milreis, und nun beginne Dein Geschäft +gleich damit, daß Du vor das Haus gehst und +das dort stehende Pferd meiner Schwester hereinführst +und absattelst.«</p> + +<p>»Donnerwetter, das geht geschwind!« meinte +Jeremias, »und eigentlich wäre heute Sonntag. +Das arme Thier kann aber auch nicht da draußen +stehen bleiben — also, junger Herr, wir sind jetzt +für einen Monat mit einander zusammengegeben, +wie der Pfarrer sagt.«</p> + +<p>Dabei nahm er das Milreisstück, betrachtete +es einen Moment aufmerksam, schob es dann in +die Tasche, machte eine kurze, nicht ungeschickte +Verbeugung und verließ rasch den Garten, um +den überkommenen ersten Auftrag auszuführen.</p> + +<p>Aber auch der Baron hatte diese kleine, ihm +sehr gelegene Unterbrechung benutzt, dem ihm unangenehm +werdenden Gespräche mit der Gräfin +eine andere Wendung zu geben, und als jetzt +auch die Comtesse zurückkehrte, die Vollrath aber +nur bis an die Gartenthür begleitete und sich dann +empfahl, schützte er plötzliches Kopfweh vor und +beurlaubte sich ebenfalls mit der gewohnten Förmlichkeit +bei den Damen.</p> + +<p>Die Gräfin hatte indessen Vollrath ankommen +und wieder gehen sehen, und wenn sich ihr Geist +auch gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigte, +war ihr doch das auffallend bleiche und niedergedrückte +Aussehen des jungen Mannes nicht entgangen. +Sie warf einen forschenden Blick auf ihre +Tochter, aber Helenens Antlitz, wenn ihre Augen +auch einen ganz ungewohnten Glanz hatten, verrieth +durch Nichts einen in ihr aufsteigenden, +plötzlichen Verdacht. Nur, als das junge Mädchen +den Kopf abwandte — vielleicht um ihr +Antlitz dem mißtrauischen Auge der Mutter zu +entziehen — und sich dem Hause zuwandte, sagte die +Dame leise:</p> + +<p>»Helene!«</p> + +<p>»Mutter?« fragte die Tochter und wandte sich +halb nach ihr um.</p> + +<p>»Was ist denn mit Vollrath vorgegangen? +Er hatte, als er Dich verließ, keinen Blutstropfen +in seinem Gesichte.«</p> + +<p>»Wirklich nicht? Ich habe es nicht beachtet.«</p> + +<p>»Und Du bist auch so sonderbar.«</p> + +<p>»Ich, Mutter?«</p> + +<p>»Ja — Du — Helene, ich will nicht hoffen, +daß Du….«</p> + +<p>»Was, Mutter?« sagte Helene, und ihr Auge +haftete kalt und ernst auf den strengen Zügen +derselben.</p> + +<p>»Es ist gut, mein Kind,« sagte die Gräfin, die +sie einen Moment aufmerksam betrachtet hatte. +»Ich glaube, ich kann mich fest auf Dich verlassen, +und Du bedarfst keiner Wächterin.«</p> + +<p>»Ich denke nicht, Mutter,« sagte Helene, indem +ein leichtes zorniges Roth ihre Wangen +färbte. Dann wandte sie den Kopf wieder ab +und schritt, ohne der Mutter Gelegenheit zu +weiteren Fragen zu geben, rasch in das Haus +hinein und hinauf in ihr Zimmer, wo sie sich +einschloß und an dem Abend nicht mehr zum Vorschein +kam.</p> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<h3><a name="kap_4" id="kap_4"></a>4.</h3> + +<h3>Die »Meierei«.</h3> + +<p>Dicht über der Colonie Santa Clara, wenn +man in gerader Richtung eben hätte hinauf kommen +können, aber durch einen ziemlich steilen Hang, +an dem nicht einmal ein Fußsteig empor führte, +davon getrennt, lag die Wohnung des Colonisten +Meier, den der Director gegen Könnern +den <span class="wide">Einsiedler</span> genannt hatte. Allerdings lief +ein Fahrweg bis dicht an seine kleine, wenig bebaute +Chagra, aber er wurde nicht häufig benutzt, +da er nur zu sehr entfernten Ansiedelungen führte, +und die Bewohner der »Meierei« — wie man +den Platz scherzweise genannt hatte — kamen nie +selber in die Colonie hinab. Insbesondere der +Eigenthümer, der alte Herr Meier, hielt sich so +von der Welt abgeschlossen, daß es eine Menge +älterer Ansiedler in Santa Clara gab, die sich gar +nicht erinnerten, sein Gesicht je gesehen zu haben.</p> + +<p>Auffallend war dabei, daß er nie Briefe empfing +oder schrieb, und doch mußte er sich, seinem +ganzen Wesen, allen seinen Gewohnheiten nach +daheim in der besten Gesellschaft bewegt haben. +Wie er aber sein kleines Haus dicht hinter den +Schutz der Bäume gebaut hatte, daß es lauschig +und versteckt dort lag, weder gestört, noch selbst +beachtet von der Außenwelt, so hielt er sich selber +und seine Familie dem regen Leben und Treiben +fern, das unter ihm wogte — es nicht suchend +und nicht von ihm gesucht.</p> + +<p>Er lebte dabei ganz seiner Familie, mit der +er sich einzig und allein beschäftigte und in der +er vollkommenen Ersatz für die übrige Welt zu +finden schien. Im ersten Jahre freilich fehlte dem +an Thätigkeit gewohnten Manne eine bestimmte +und ausgesprochene Beschäftigung, und er genügte +dem Drange nach Arbeit nur dadurch, daß er +seinen eigenen Garten anlegte, umgrub und pflanzte. +Das aber konnte ihn auf die Länge der Zeit nicht +befriedigen, und da er manche Tischlerarbeiten in +seinem Hause zu machen hatte, und einen jungen, +sehr geschickten Arbeiter dazu fand, schaffte er sich +selber Werkzeug an und lernte bald die verschiedenen +Griffe und Vortheile dieses Handwerks. +Dann kaufte er sich eine Drehbank, und nahm sich +auch hiefür auf kurze Zeit einen Lehrer an. Außerdem +verstand er schon daheim ein Wenig von der Malerei, +was er jetzt in seinen Mußestunden noch weiter +ausbildete. Eine recht hübsche Bibliothek hatte er +sich ebenfalls angeschafft, und da er bei allen +diesen Beschäftigungen viel praktischen Verstand +besaß, so richtete er sich in wenigen Jahren seine +kleine Heimath so allerliebst und traulich her, daß +jedes Zimmer einem Puppenstübchen glich, ohne +daß er dabei aber auch nur den geringsten Luxus +getrieben hätte.</p> + +<p>Nach Außen vermied er jedoch Alles, was nur +im Geringsten die Aufmerksamkeit eines Fremden +hätte auf sich ziehen können; er wollte nun einmal +mit der Welt keinen Verkehr haben, und was ihn +auch dazu bewogen haben konnte, auf die geschickteste +Weise wich er jeder Annäherung fremder +Menschen aus.</p> + +<p>Seine Familie bestand, wie schon erwähnt, +nur aus seiner Frau und einer erwachsenen Tochter. +Diese, Elise, hatte erst dreizehn Sommer gezählt, +als er, vor nun sieben Jahren, die damals kaum +entstandene und noch ziemlich wilde Colonie erreichte, +und wenn auch ein junges Mädchen in +diesem Alter wohl berechtigt ist, größere Ansprüche +an das Leben zu stellen, während sie hier — obgleich +von allen Bequemlichkeiten umgeben — wie +auf einer wüsten Insel saß, so schien doch Elise +das nie zu fühlen oder irgend einen andern Wunsch +zu kennen als den, die Häuslichkeit ihrer Eltern +eben zu theilen, wie sie war. Auch auf ihren +Charakter hatte das stille, abgeschlossene Leben +nicht den geringsten nachtheiligen Einfluß ausgeübt. +Sie war immer heiter und guter Laune +und eigentlich das einzige sonnige Element im +Hause.</p> + +<p>Wenn auch ihre Eltern selbst glücklich mit einander +lebten, und nie ein hartes oder auch nur +unfreundliches Wort zwischen ihnen vorfiel, so lag +doch auf des Vaters Stirn nur zu oft ein tief +eingeschnittener Zug von Schwermuth, den wegzuscheuchen +nur allein der Tochter, nie der +Mutter gelang.</p> + +<p>Noth oder Sorge um den Lebensunterhalt +konnte das nicht sein, denn Meier war, wenn +auch vielleicht nicht reich, doch keineswegs ohne +die Mittel, sich eine sichere Existenz zu wahren. +Konnte es Heimweh sein — vielleicht, aber Niemand +erfuhr das, Niemand hörte je eine Klage, +wie er etwaigen Fremden, mit denen er trotz aller +Vorsicht gelegentlich zusammentraf, wenn er nur +die Schüchternheit der ersten Begegnung überwunden +hatte, auch stets das nämliche freundliche +Lächeln zeigte. Es lag dabei etwas in seinem +ganzen Wesen, das rasch für ihn einnahm, wenn +man nur kurze Zeit in seiner Nähe weilte. War +es das lange, schlichte, schneeweiße Haar, das er +mitten auf dem Kopfe gescheitelt trug, und das +sonderbarer Weise erst hier in Brasilien diese Farbe +des Alters, und zwar gleich im ersten Jahre, angenommen +hatte, war es der leichte, leidende Zug +um den Mund, den selbst das Lächeln der feingeschnittenen +Lippen nicht ganz zerstören konnte, +war es sein mildes, nachgebendes Wesen, man +wußte es selber nicht, aber konnte dem Manne, +trotz seiner Eigenheiten, nie böse sein.</p> + +<p>Nicht ganz den freundlichen Eindruck machte +seine Gattin, obgleich man auch ihr auf den ersten +Blick ansah, daß sie sich stets in guter Gesellschaft +bewegt habe. Sie hatte das Kalte, Zurückhaltende +ihres Mannes, ohne dessen milde Freundlichkeit, +und der mißtrauische Blick ihres kleinen, +grauen Auges, mit dem sie jeden Fremden, ja, +selbst Leute, die sie lange als Nachbarn kannte, +betrachtete, munterte eben nicht zu einem freundlichen +Zusammenleben mit ihr auf. Übrigens +war sie eine noch recht hübsche, stattliche Frau, +von vielleicht sieben- oder achtunddreißig Jahren, +und die einzige Meinungsverschiedenheit, welche +je zwischen ihr und ihrem Gatten auftauchte, war +die, daß sie sich mehr dem geselligen Leben der +Colonie hinzugeben wünschte.</p> + +<p>So nachgebend dieser aber auch in jeder andern +Beziehung sein mochte, an dieser Klippe +scheiterte selbst jede Bitte von Frau und Tochter. +Was ihnen das eigene Haus an Bequemlichkeit, +ja, selbst hier und da an einem versteckten Luxus +bieten konnte, dazu reichte er mit Freuden die +Hand und erfüllte selbst jeden nur geahnten Wunsch; +aber über die Gränze seines kleinen Besitzthums +ging er nicht hinaus, und sogar das zufällige +Lichten der Pflanzenmauer, die seinen kleinen +Klosterhof umschloß und, durch den Sturm niedergebrochen, +sein Haus der Aussicht öffnete, schien +ihn zu geniren und zu stören. Er versäumte wenigstens +keine Stunde am nächsten Morgen, die +zerrissene Lücke durch eine Anpflanzung anderer +junger Palmen und Büsche zu ersetzen, die freilich +jetzt Zeit brauchten, bis sie die nöthige Höhe wieder +erreichten, aber doch wenigstens den untern Theil +des Hauses deckten.</p> + +<p>Es war an dem nämlichen Sonntagnachmittage, +daß drei Reiter den schmalen Weg heraufritten, +der zu der sogenannten »Meierei« führte, +der Director Sarno mit den beiden Freunden +Könnern und Günther; und erst, als sie in die +Nähe des kleinen, freundlich gelegenen Hauses +kamen, hielt der Director sein Pferd an und sagte, +mit dem Arme in eine früher gehauene Schneuße +hinein deutend:</p> + +<p>»Sehen Sie, Herr von Schwartzau, dies ist +die zweite, alte Linie, die damals von jenem +Stümper ausgeschlagen wurde. Wenn Sie nur +Ihren Taschencompaß herausnehmen, sehen Sie +schon welchen Bock jener gescheute Herr geschossen, +der es möglich machte, die Variation auf die verkehrte +Seite vom Pol zu legen. Die ganze Vermessung +ist dadurch vollkommen werthlos geworden +und muß neu gemacht werden. Die nächst gelegenen +sechs Kolonien gehören aber jenem Herrn +in dem Hause da drüben, der sich einen ziemlich +bedeutenden Landstrich hier erworben, nur um, +wie es scheint, keinen nahen Nachbar zu bekommen, +denn was er selber bis jetzt urbar gemacht, ist +sehr unbedeutend. Jedenfalls müssen wir aber +dessen Gränzen mit bestimmen, damit wir wissen +wo das noch freie Land beginnt, und ich möchte +<span class="wide">diesen</span> District, wie jenen südlich von der Ansiedlung, +am Liebsten zuerst in Angriff genommen +haben. Diesen hier nehmen Sie also vielleicht +gleich morgen vor, denn von hier aus streckt sich +eine ziemlich ausgedehnte Hochebene mit nur leiser +Steigung dem nächsten Bergrücken zu, und Sie +können hier eine tüchtige Anzahl Varas den Tag +ablegen.«</p> + +<p>»Und ist der Wald sehr dicht?«</p> + +<p>»Nicht übermäßig. Ich will Ihnen Ihr Amt +auch nicht zu schwer machen und einen zu breiten +Ausschlag verlangen, gründlich <span class="wide">müssen</span> die Linien +aber gelegt und die Bäume besonders so markirt +werden, daß die hiesige Vegetation nicht die Spuren +in ein paar Jahren wieder verwächst und vernichtet +— wir sprechen darüber noch heute Abend, +ob wir Theer mit Buchstaben von weißer Ölfarbe +oder vielleicht gar Blechplatten nehmen, was freilich +bedeutend mehr Kosten macht.«</p> + +<p>»Und wie viel Leute glauben Sie, daß ich mit +mir nehmen soll?«</p> + +<p>»Kommen Sie, wir reiten einmal ein kurzes +Stück in den Wald hinein, der sich dort hinüber +ziemlich gleich bleibt,« erwiederte der Director, +»Sie können es dann selber leicht beurtheilen. +Sparen Sie lieber nicht mit den Leuten, wenn +Sie dadurch rascher vorwärts rücken, denn Sie +vermessen ja dafür auch so viel mehr, und ich +garantire Ihnen, daß Sie hier, um nur das <span class="wide">Nothwendigste</span> +fertig zu bringen, drei volle Monate +scharfe Arbeit haben. Je mehr wir aber in der +möglichst kurzen Zeit beenden, desto besser ist es; +denn wenn uns die neuen Ansiedler erst noch auf +den Hals kommen, und ich weiß nicht wo ich sie +unterbringen soll — dann ist es mit dem Frieden +hier vorbei.«</p> + +<p>Mit diesen Worten wandte er sein Pferd und +ritt in einen schmalen Seitenpfad, von Günther +gefolgt, hinein, während Könnern noch in dem +breiten Wege hielt und sich Meier's stille und +trauliche Heimath betrachtete. Es lag ein ganz +eigener Zauber über dem Platze, dem die hier +vollkommen tropische Vegetation durch angepflanzte +Palmen, Farren und die wunderliche Baumform +der Pinien einen noch viel größeren Reiz verlieh.</p> + +<p>Gern wäre er auch einmal zu dem Hause +hinüber geritten, die Insassen desselben kennen zu +lernen, denn daß der Alte so vollkommen menschenscheu +sein sollte, glaubte er noch nicht recht. Aber +er durfte seine Gesellschaft nicht zu weit aus den +Augen verlieren, und der Director wie Schwartzau +waren viel zu sehr in ihr »Terrain« vertieft, um +sich in diesem Augenblicke um etwas Anderes zu +kümmern, als Nord und Süd und Ecken und +Fronten. Günther hatte dazu seinen kleinen Compaß +herausgenommen und visirte damit, als sie +den Pfad entlang ritten, dicht an einer viel interessanteren +Front vorüber, wie sie die bestgelegene +Colonie hätte bieten können, ohne sie auch nur +zu sehen, nämlich an einem reizenden jungen +Mädchen, das, vielleicht sechs Schritte von dem +Pfade entfernt, mit einem Buche in der Hand +unter einer halb natürlichen, halb durch Kunst +hergestellten Laube saß, und ohne sich zu rühren, +die vorbeireitenden und in tiefem Gespräche begriffenen +Männer beobachtete.</p> + +<p>Sie würde sich in der That lieber ganz zurückgezogen +haben, hätte sie nicht gefürchtet durch eine +Bewegung ihre Gegenwart zu verrathen. Jetzt +erst, als sie vorüber und schon halb von den +Büschen verdeckt waren, richtete sie sich empor und +drehte den Kopf um, ihnen nachzusehen.</p> + +<p>In diesem Augenblicke passirte Könnern die +versteckte Laube. Mit keinem solchen Interesse an +der Vermessung des Bodens, und in der alten +Gewohnheit des Jägers, das Auge jedem sich regenden +Punkte rasch zuzuwenden, entdeckte er kaum +die liebliche, jetzt verlegen erröthende Gestalt, als +er auch unwillkürlich sein Pferd anhielt und +achtungsvoll die Jungfrau grüßte.</p> + +<p>War aber für ihn nicht die geringste Veranlassung +gewesen, hier zu halten, so besaß er entweder +in dem Momente nicht Geistesgegenwart +genug, seinem Thiere wieder rasch den Sporn zu +geben, oder die freundliche Erscheinung fesselte ihn +so, daß er sich nicht gleich wieder losreißen konnte +und wollte, und nur, um sich aus einer peinlich +werdenden Situation zu bringen, sagte er verlegen:</p> + +<p>»Ich muß tausendmal um Entschuldigung +bitten Sie gestört zu haben, Senhora, aber ich +vermuthete hier in der That Niemanden, mitten +im Walde.«</p> + +<p>»Sie haben mich nicht gestört,« erwiederte +Elise mit ihrem gewinnenden Lächeln, denn die +Verlegenheit des jungen Fremden war ihr keineswegs +entgangen; »ich fürchte nur, daß Ihre vorangerittenen +Freunde den Weg verfehlt haben, denn +dieser Pfad führt allein wenige Hundert Schritte +in den Wald hinein und endet dann in einem +verworrenen, von Schlingpflanzen durchwachsenen +Dickicht, durch das sie mit ihren Pferden nicht +dringen können.«</p> + +<p>»Also müssen sie wieder diesen Weg zurück?« +fragte Könnern, sichtlich darüber erfreut, denn er +bekam dadurch eine Entschuldigung, sie hier zu +erwarten.</p> + +<p>»Allerdings,« erwiederte das Mädchen — +»wollen Sie denn zur Colonie hinunter?«</p> + +<p>»Wenn Sie das kleine Städtchen meinen, nein. +Wir kommen eben daher und sind nur auf einem +Spazierritte, auf dem die beiden Herren da vorn +das Terrain recognosciren, um nöthige Vermessungen +vorzunehmen.«</p> + +<p>Die Jungfrau, welche, als sie der Fremde +anredete, aufgestanden war, verbeugte sich leicht +und schwieg, und Könnern, der nicht den geringsten +Anhaltspunkt sah, das Gespräch in schicklicher +Weise fortzusetzen, grüßte noch viel verlegener als +vorher und folgte jetzt den beiden Freunden, die +er gleich darauf an der von Elisen angedeuteten +Stelle überholte.</p> + +<p>Es war das der nämliche Platz, wo der Director +damals die verkehrten Arbeiten des von +der Frau Präsidentin herübergeschickten Vermessers +unterbrochen hatte, und alle Drei wandten nun +ihre Thiere, um auf den breiteren Weg zurückzukehren.</p> + +<p>Als sie die Laube passirten, warf Könnern +freilich den Blick hinüber, um nach der freundlichen +Gestalt zu suchen; aber wie eine Erscheinung war +sie verschwunden, und nur auf der Bank, auf +welcher sie gesessen hatte, lagen ein paar Blumen, +die sie wahrscheinlich mit heraufgenommen und in +der Eile ihres Rückzuges auf dem Sitze gelassen +hatte.</p> + +<p>Könnern, der jetzt voranritt, hatte die Blüthen +augenblicklich bemerkt, und ehe er sich selber über +das was er that Rechenschaft geben konnte, hielt +er an, stieg vom Pferde und schnallte seinen Sattelgurt +ein Loch empor. Dadurch gab er seinen +Begleitern Zeit an ihm vorüber zu reiten, und +als er sie voraus sah, trat er rasch in die Laube, +nahm die Blumen, legte sie in sein Taschenbuch, +stieg dann wieder auf und folgte, ohne sich umzusehen, +den Vorausgerittenen. — Und doch hatte +ihn dieses Mal sein sonst so scharfes Auge im +Stiche gelassen, denn hinter einem kleinen Dickicht +der hier gerade sehr üppig wachsenden Flachs- oder +Tucung-Pflanze, hinter die sich Elise zurückgezogen, +um die Fremden erst vorüber zu lassen, hatten ein +Paar lächelnde Augen seinen unschuldigen Raub +beobachtet und folgten ihm, bis sich der Wald +wieder hinter ihm schloß.</p> + +<p>Könnern überholte seine Begleiter dicht am +Hause des menschenscheuen Meier, der aber durch +einen geschickt gefällten Baum die Passage so gelegt +hatte, daß sie nicht unmittelbar an seinem +Garten vorüberführte, sondern diesen durch sorgfältig +gepflegte Büsche vollständig verdeckt hielt.</p> + +<p>»Hier wohnt der sonderbare Kauz,« sagte der +Director, mit der Hand in das Dickicht zeigend, +durch welches das Dach nur undeutlich herausschimmerte. +»Wenn mit dem Manne nur irgend +ein Umgang wäre, wollte ich vorschlagen daß wir +anhielten und ihm wenigstens guten Tag sagten. +Schade um das allerliebste Mädchen, das der alte +Brummbär hier wie eine Nonne gefangen hält.«</p> + +<p>»Eine Brünette?« fragte Könnern.</p> + +<p>»Ja,« erwiederte der Director; »aber wie, zum +Teufel, haben <span class="wide">Sie</span> das schon ausgefunden? Sie +sind doch, so viel ich weiß, zum ersten Male in +der Colonie.«</p> + +<p>»Hätten es die Herren nicht gerade so gemacht +wie der vorige Landvermesser,« lachte Könnern, +»und die Variation auf der verkehrten Seite der +Nadel gesucht, so würden Sie, nur ein paar +Striche aus dem Cours, eine allerliebste junge +Dame im Walde gesehen haben, die sich da draußen +mit irgend einer Lectüre die Zeit vertrieb.«</p> + +<p>»Und davon haben Sie uns kein Wort gesagt?« +rief Günther.</p> + +<p>»Ich durfte Sie doch nicht stören,« lächelte +der junge Mann; »übrigens glaubte ich auch, daß +wir sie auf dem Wege hierher überholen würden; +sie muß sich aber auch sehr geeilt haben, um uns +voraus zu kommen.«</p> + +<p>»Merkwürdige Leute,« meinte der Director +kopfschüttelnd; »aber jedenfalls werden Sie mit +dem Alten bekannt werden, Schwartzau, denn Sie +müssen ihn aufsuchen, wenn Sie auf seinem Lande +die Vermessung beginnen, damit er dabei ist und +die Gränzen kennen lernt. Er wird es sich auch +wahrscheinlich nicht nehmen lassen, die Eckbäume +selber dauernd zu bezeichnen, und das erspart Ihnen +gleich eine Arbeit.«</p> + +<p>»Dann begleite ich Sie,« sagte Könnern, »ich +interessire mich für alle Originale.«</p> + +<p>»Besonders wenn es Brünetten sind, wie mir +scheint,« lachte der Director; »Sie mögen aber +immerhin in diese Gegend einen kleinen Jagdzug +machen, denn wenn Sie der dichte Wald nicht +stört, finden Sie doch wohl hier und da ein Stück +Roth- oder Schwarzwild, oder vielleicht gar einen +Tapir, die hier zuweilen ebenfalls vorkommen. +Jetzt aber, meine Herren, dürfen wir unsere Zeit +nicht länger vergeuden, wenn wir den andern +Strich ebenfalls besuchen wollen. Sobald wir +weiter oben die ordentliche Straße erreicht haben, +können wir auch unsere Thiere besser ausgreifen +lassen« — und dem seinigen die Sporen gebend, +trabte er, so rasch es ihm der noch ziemlich unebene +Boden gestattete, auf dem schmalen Wege hin in +den Wald hinein.</p> + +<p>So wenig <span class="wide">sie</span> aber dabei von den Einwohnern +des Platzes gesehen hatten, so waren sie doch nicht +eben so unbeachtet daran vorübergeritten, denn der +Eigenthümer des Hauses schien sich für alle Fremden +lebhaft zu interessiren, wenn er auch nicht +mit ihnen in persönliche Berührung kommen +wollte.</p> + +<p>Zu diesem Zwecke hatte er sich eine ordentliche +kleine Warte gebaut, in welche die eine Ecke seines +Gartens, ohne von Außen bemerkbar zu sein, auslief. +Das war zugleich ein Lieblingsplatz geworden, +wenn er keine andere Arbeit vorhatte, und er +las oder schrieb gerade dort am Liebsten, da er sich +hier vollkommen ungestört wußte.</p> + +<p>Das letzte Gespräch der Männer war gerade +vor diesem Ausguck gehalten, und Meier, der mit +einem Buche in der Hand in seiner Laube saß, +dadurch auf die Fremden aufmerksam geworden. +So lange sie da draußen hielten, lauschte er auch +ihrem Gespräche, und erst, als sie ihren Weg fortgesetzt, +nahm er sein Buch wieder auf. Aber er +schien keine rechte Lust zum Lesen zu haben, denn +er legte das Buch nach einiger Zeit wieder hin, +ging eine Weile mit auf den Rücken gelegten +Händen und gesenktem Haupte in seiner Laube +auf und ab, seufzte ein paar Mal recht tief auf +und schritt dann langsam zu seiner Wohnung und +in das Zimmer seiner Frau, die, mit einer Arbeit +beschäftigt, am Fenster saß.</p> + +<p>Sein Blick suchte Elisen, aber sie war nicht +im Zimmer, und erst nach einer Weile kam sie +durch die kleine Gartenpforte, die hinaus in den +Wald führte, herein und zu der Mutter, wo sie +Hut und Buch ablegte und sich still an das dort +stehende Instrument setzen wollte.</p> + +<p>»Du warst im Walde, Lieschen?« fragte der +Vater.</p> + +<p>»Ja, Papa.«</p> + +<p>»Und bist dort Fremden begegnet?«</p> + +<p>Das junge Mädchen sah rasch und erstaunt +zu ihm auf, erröthete auch leicht, sagte dann aber +lächelnd:</p> + +<p>»Woher weißt Du das schon, Papa?«</p> + +<p>»Und hast Du nicht den nämlichen Spaziergang +hier im Garten?« fuhr der Vater fort, ohne +ihre Frage zu beantworten; »ich habe Dich schon +so oft gebeten, nicht dort hinaus zu gehen, wenigstens +nicht an Sonntagen, wo das müssige Volk +aus der Ansiedelung nur immer in der Nachbarschaft +umherschwärmt!«</p> + +<p>Die Mutter hatte bei Beginn des Gespräches +ihre Arbeit in den Schooß sinken lassen, und ihre +Miene verfinsterte sich mehr und mehr. Jetzt +aber nahm sie für die Tochter die Antwort auf +und sagte:</p> + +<p>»Und willst Du sie nicht lieber ganz in ein +Kloster sperren? Das wäre doch jedenfalls das +Einfachste, damit sie wenigstens gar kein Mensch +mehr zu sehen bekäme — nicht einmal einer der +am Sonntag herumlaufenden Bauern.«</p> + +<p>»Aber, Bertha!« sagte Herr Meier, erstaunt +zu seiner Frau aufsehend.</p> + +<p>»Ach was,« erwiederte diese, »was zu arg ist, +ist zu arg! Das Mädel ist jetzt zwanzig Jahr alt +geworden und wird versteckt gehalten, als ob wir +uns schämen müßten, das junge Blut der Welt +zu zeigen.«</p> + +<p>»Aber, Bertha, Du weißt doch….« sagte der +Mann vorwurfsvoll.</p> + +<p>»Ach, ich weiß Alles!« erwiederte die Frau; +»aber man kann eine Sache auch übertreiben, und +ich bin nicht im Stande, das noch länger so ruhig +mit anzusehen. Hier in diesem abgelegenen Winkel +der Welt hast Du doch wahrhaftig nicht zu….« +Sie unterbrach sich rasch und nahm ärgerlich ihre +Arbeit wieder auf, die sie jedoch unschlüssig in +der Hand behielt, während Elise freundlich sagte:</p> + +<p>»Laß sein, Mütterchen; wenn dem Vater damit +ein Gefallen geschieht, kann ich ja auch den kleinen +Spaziergang recht gut entbehren. Er hat Recht, +es ist hier im Garten wirklich eben so hübsch wie +da draußen, und ich kann mir hier die nämliche +Bewegung machen.«</p> + +<p>»Ach, das verstehst Du nicht!« fuhr die einmal +gereizte Frau fort; »ich hab's jetzt auch selber +satt. Sieben Jahre sitzen wir nun hier, wie die +Gefangenen zwischen Büsche und Bäume eingeklemmt, +während die Ansiedler da unten sich ihres +Lebens freuen und nur ihr fröhlicher Lärm manchmal +zu uns herübertönt; sieben Jahre lang haben +wir ein Leben geführt, daß es einen Stein erbarmen +möchte, und ich sehe keinen Grund, weshalb +wir uns jetzt noch länger wie Einsiedler in +unsere Klause vergraben sollen. Ich weiß Alles, +was Du mir dagegen einwenden könntest, Franz,« +sagte sie, einem Blicke ihres Mannes begegnend, +»ich habe mir Alles zehnmal, hundertmal überlegt, +aber ich selber halte es nicht länger aus. +Ich <span class="wide">will</span> frei sein oder ich lasse mich lieber gleich +ordentlich begraben und einen Stein mit Namen +und Jahreszahl oben darauf setzen. Nachher weiß +ich es einmal nicht anders und brauche doch hier +wenigstens nicht eine Ewigkeit allein zu sitzen und +meinen eigenen Gedanken nachzuhängen, über die +man am Ende gar noch wahnsinnig werden könnte.«</p> + +<p>Ihr Gatte antwortete nicht. Er hatte sich +gegen den Tisch gewandt, dort den Kopf auf den +Arm gestützt und barg das Gesicht in der linken +Hand. Endlich hob ein schwerer Seufzer seine +Brust, und Elise, zu dem Vater tretend, schlang +ihren Arm um seine Schulter, lehnte ihre Stirn +auf sein Haupt und sagte freundlich:</p> + +<p>»Sei nicht traurig, Papa — Mutter meint +es ja nicht so böse. Dir ist nun einmal Deine +Einsamkeit so lieb geworden, daß Du jede Störung +darin fürchtest und Dich immer mehr in +Dich selber zurückziehst. Versuch' es einmal draußen +unter den Menschen, vielleicht gefällt Dir's selber +bei ihnen, denn <span class="wide">glücklich</span> fühlst Du Dich ja +hier in Deiner Einsamkeit auch nicht immer, in +der ich Dich oft schon in recht trauriger und niedergeschlagener +Stimmung überrascht habe. — +Geh' wieder zwischen die Leute — verkehre mit +ihnen und lasse sie mit Dir verkehren, und wenn +weiter Nichts, bekommst Du doch dadurch Zerstreuung, +und hast für stille Stunden, in denen +Du das Bedürfniß fühlst allein zu sein, ja immer +Dein trauliches Plätzchen hier oben.«</p> + +<p>»Laß ihn gehen,« sagte die Frau unmuthig; +»was liegt ihm an uns — an Dir oder an mir, +wenn er sich selber nur eine Grille in den Kopf +gesetzt hat, der er nachhängt, seines eigenen Vergnügens +halber.«</p> + +<p>»Und das sagst <span class="wide">Du</span> mir, Bertha?« fragte der +Mann, erstaunt zu ihr aufsehend; »dessen klagst +Du mich an?«</p> + +<p>»Nur eine Grille ist's, weiter Nichts,« erwiederte +die Frau, ohne die Frage direct zu beantworten, +»eine fixe Idee, die Du Dir in den Kopf +gesetzt hast, und womit Du Dich und uns elend +machst. So viel Verstand habe ich aber auch, +daß ich einsehe, wie Du uns Alle ganz vergebens +quälst, und kurz und gut, ein Leben wie das hier +halte ich nicht länger aus, mag nun auch daraus +werden was da will.«</p> + +<p>»Was da will,« wiederholte leise und mit +einem Seufzer der Mann, stand dann auf und +verließ langsam das Zimmer.</p> + +<p>»Zanke nicht mit dem Vater, liebe Mutter,« +bat Elise, als er die Thür hinter sich in's Schloß +gedrückt hatte, »er ist so schon traurig genug, und +das drückt ihn nachher nur noch immer mehr +nieder.«</p> + +<p>»Ach was,« erwiederte mürrisch die Frau, »ich +habe das langweilige Leben endlich satt, und mehr +noch Deinet- als meinetwegen!«</p> + +<p>»Aber ich sehne mich ja gar nicht hinaus, +Mütterchen, ich verlange es ja gar nicht besser, +als ich es bei Euch habe.«</p> + +<p>»Weil Du es eben nicht besser kennst und nach +und nach hier eintrocknen wirst wie eine Blume +zwischen Löschpapier,« lautete die Antwort. »Du +bist ein junges Mädel und mußt hinaus in die +Welt, das ist Dir Dein Vater, das bin ich Dir +schuldig, und wenn Du Nichts von der Welt verstehst, +so bin ich dafür da, daß ich Deine Ansprüche vertreten +muß, oder Du hättest ein Recht, mir später +einmal die bittersten Vorwürfe darüber zu machen.«</p> + +<p>»Aber der Vater….«</p> + +<p>»Ist ein Träumer, der überall Gespenster sieht, +weiter Nichts, und der sich jetzt die Fenster verhängt +und immer nur Nacht um sich haben will. +Kommt erst einmal der wirkliche Sonnenschein +zu ihm herein, so wird er auch einsehen daß er +nur geträumt hat. Daß Du ihm dabei noch das +Wort redest, ist das Albernste was Du thun +kannst, und ich hätte von Dir gerade das Gegentheil +erwartet. — Du bist alt genug, Elise, daß +Du auch an eine Heirath denken kannst, und wen +sollst Du denn hier in unserm Garten kennen +lernen, wer kann Dich hier finden, wo Dich Dein +Vater sogar vor ein paar müssigen Spaziergängern +verstecken will?«</p> + +<p>»Aber, liebe Mutter,« sagte Elise mit tiefem +Erröthen, denn sie mußte sonderbarer Weise gerade +in diesem Augenblicke an den jungen Fremden +im Walde und an seinen Blumendiebstahl +denken, »das hat denn doch wohl noch lange, +lange Zeit, und wenn der Vater —«</p> + +<p>»Ach was,« unterbrach sie die Mutter, »Du +redest wie der Blinde von den Farben — Du +bist zwanzig Jahr alt, Liese, und wenn wir die +nächsten sieben Jahre noch so fortleben, wie die +letzten, so bist Du <span class="wide">sieben</span>undzwanzig und kannst +dann auch siebenunddreißig und siebenundvierzig +werden, ohne daß sich Jemand weiter um Dich +bekümmert. Nein, dafür muß <span class="wide">ich,</span> Deine <span class="wide">Mutter,</span> +sorgen, und — überlaß du <span class="wide">mir</span> das nur; ich +werde schon mit Deinem Vater fertig.«</p> + +<p>Damit war das Gespräch für jetzt abgebrochen. +Die Mutter begann wieder an ihrer indessen +vernachlässigten Arbeit, und Elise ging in ihr +Stübchen hinauf, um über eine ganze Menge der +verschiedensten Dinge nachzudenken, die ihr heute +durch den Sinn gingen und den Kopf fast wirr +machten. Sonderbar, daß ihre Gedanken dabei +immer wieder zu dem jungen Fremden zurückflogen, +den sie doch nur den kurzen Augenblick gesehen. +Weshalb mußte die Mutter auch gerade heute von +ihrer Heirath sprechen und dabei sagen, daß es +die höchste Zeit sei, an etwas Derartiges zu +denken? — —</p> + +<p>Es war Abend und Nacht geworden, als die +Sonne kaum hinter den hellblauen Gebirgsrücken +im Westen untergegangen war und vorher noch +die leichten darüber lagernden Wolkenzüge mit +ihrem schönsten und rosigsten Licht übergossen +hatte. Rasch erbleichten aber die nur zu momentanem +Leben angehauchten Nebelbilder, und wie +sie kaum erst in ein prachtvolles Silbergrau übergingen, +nahm dieses schon jene todte bleigraue +Färbung an, dem die Dunkelheit in den Tropen +fast unmittelbar folgt.</p> + +<p>Die Comtesse Baulen hatte ihr Zimmer noch +nicht wieder verlassen und ging, die Arme auf +der Brust gekreuzt, das Kinn auf die zarte Korallenschnur +gesenkt, die ihren Hals schmückte, mit +raschen, unruhigen Schritten in dem kleinen Gemache +auf und ab. Sie sah dabei nicht einmal, +daß es dunkelte und nach und nach völlig Nacht +geworden war; sie hörte nicht, daß ihre Mutter +draußen schon zweimal angeklopft und ihren Namen +gerufen hatte. Nur die eigenen unruhigen +Gedanken beschäftigten ihren Geist, nur das eigene, +unruhig pochende Herz hielt sie oft krampfhaft +mit beiden Händen fest, bis sie sich endlich, körperlich +ermattet, in einen Stuhl warf und dort +wohl wieder eine volle Stunde lang in dumpfem +Brüten saß.</p> + +<p>Aber die Dunkelheit wurde ihr zuletzt unerträglich. +Sie stand auf, zündete Licht an und +griff dann das erste beste Buch auf, <ins title="Original hat und um">um</ins> sich zu +zerstreuen und ihre Gedanken in eine andere Bahn +zu lenken. Da plötzlich horchte sie auf, denn aus +dem Garten, oder wenigstens aus den Büschen, +die ihn dicht umschlossen, trafen die melodischen +Töne einer Violine ihr Ohr.</p> + +<p>Es war die leise und klagend zum Herzen +sprechende Melodie des Thüringer Volksliedes: »Ach, +wie ist's möglich, daß ich Dich lassen kann«, und +wie mit einem scharfen Weh durchzuckte sie das +einfache rührende Lied. Aber wer spielte da? +Zuerst glaubte sie, daß es Jemand aus der Ansiedelung +sei, der da zufällig vorübergehe — aber +der Spieler blieb auf derselben Stelle, und durch +das offene Fenster klangen die Töne, so leise er +auch spielte, voll und klar herein. —</p> + +<p>Jetzt war Alles ruhig — nur die Grillen +zirpten, und aus dem Walde heraus tönte das +Gequak der Frösche.</p> + +<p>Helene athmete ordentlich tief auf, als die schwermüthige +Melodie geendet hatte; es war, als ob eine +Last von ihrer Seele genommen wäre, und sie trat +an das Fenster, um in die wundervolle, sternenhelle +Nacht hinaus zu schauen. Da quollen auf's Neue die +Töne von derselben Stelle herauf, aber dieses Mal +in einem wilden Capriccio, von einer Meisterhand +gespielt, das in die tollsten Variationen überging +und sich doch immer wieder zuletzt in das einfache, +zuerst angeschlagene Thema des Volksliedes auflöste.</p> + +<p>Helene trat scheu und erschreckt vom Fenster +zurück. Galt das ihr? Und wer war es denn, +der ihr hier auf solche Weise seine Huldigung +brachte? Vollrath vielleicht, aber sie wußte genau, +daß er gar nicht Violine spielte — und wer dann? +Der junge Schulmeister im Orte, der sie oft mit +seiner Aufmerksamkeit geärgert hatte, war ein +Violinspieler, aber ein Stümper, und <span class="wide">diese</span> Saiten +belebte eine Meisterhand.</p> + +<p>Ohne recht zu wissen was sie that, löschte +sie das Licht aus, um dadurch die Aufmerksamkeit +des Unbekannten wieder von ihrem Fenster abzulenken +— aber das gelang ihr nicht. Der räthselhafte +Spieler ließ sich dadurch nicht stören; nur +das Capriccio zerschmolz nach und nach in immer +weichere Melodien, bis die Töne zuletzt mehr +und mehr verhallten und wieder, wie vorher, das +Schweigen der Nacht auf dem Walde lag.</p> + +<p>Helene wußte selber nicht wie ihr geschah. +Daß jenes Ständchen <span class="wide">ihr</span> galt, konnte sie sich nicht +verhehlen, und in dem melodischen Spiele, in den +vaterländischen Weisen schmolz der starre Trotz +des schönen Mädchens. Als die Melodie da +draußen schon lange verklungen war, saß sie noch +immer, von der Gardine gedeckt, am offenen +Fenster, und fühlte nicht einmal, wie ihr die +Thränen zwischen den zarten Fingern durch voll +und schwer in den Schooß tropften.</p> + +<p>Unten im Hause war der geheimnißvolle Musiker +indessen auch nicht unbeachtet geblieben. Oskar, +der noch bis Dunkelwerden seinen neuen »Sclaven« +— wie er Jeremias nannte — angelernt hatte +sein Pferd zu behandeln, lag unten in der Stube +auf dem Sopha lang ausgestreckt, und pfiff, zum +Ärger seiner Mutter, ohne sich dadurch aber im +Geringsten stören zu lassen, einen Walzer, als +jenes eigenthümliche Ständchen begann.</p> + +<p>Im Anfange hatte er ebenfalls geglaubt, daß +es irgend Jemand aus der Ansiedelung sei, der +mit seiner Violine da vorüber ginge. Als die +Musik aber immer auf derselben Stelle blieb, erst +eine Weile schwieg und dann wieder begann, +schöpfte er Verdacht, daß das am Ende gar ein +Ständchen sein könne, was seiner Schwester gebracht +würde, und sein Muthwille ließ ihm natürlich keine +Ruhe, dem auf die Spur zu kommen.</p> + +<p>Als er zuerst aus dem Fenster horchte, täuschte +ihn der laute Ton gerade so wie Helenen, und +er vermuthete den Spieler im Garten selber. Er +schlich sich also erst aus dem Hause hinaus hinter +die nächsten Büsche, und hinter diesen, von seiner +dunklen Kleidung begünstigt, immer weiter vor. +Zuletzt aber kam er an die Hecke und fand jetzt, +daß sich der Virtuose allerdings außer seiner Gerichtsbarkeit, +aber doch nicht außer seinem Bereiche +befand, denn er erkannte durch die Hecke durch +beim Sternenlichte eine ebenfalls dunkel gekleidete +Gestalt, die dort an einer jungen Palme lehnte.</p> + +<p>Das Gesicht selber konnte er freilich nicht erkennen, +denn einestheils beschattete es der Hut, und dann +auch der Wipfel der niedern Palme selber; aber +das blieb sich auch gleich, und um einen muthwilligen +Streich auszuüben, dazu war ihm Freund +und Feind gleich gut genug.</p> + +<p>Im Zimmer seiner Schwester hatte außerdem +noch kurz vorher Licht gebrannt und das Fenster +war offen, ein Beweis, daß sie den Ständchenbringer +begünstigte, und deshalb Grund genug +für ihn, ihm jeden Schabernak zu spielen, der nur +in seinen Kräften stand. Vorsichtig und rasch +schlich er zum Hause zurück und traf hier eben +noch Jeremias, der seine Arbeit beendet hatte, +und gerade seine eigene Heimath — eine Dachkammer +bei einem der Ansiedler — aufsuchen +wollte.</p> + +<p>»He, Jeremias, Du mußt mir noch einen +Eimer Wasser holen,« redete er diesen rasch und +heimlich an.</p> + +<p>»Die Pferde haben gesoffen,« sagte Jeremias, +»zu viel schadet Vieh und Menschenkind.«</p> + +<p>»Ich will's nicht für die Pferde; dort steht der +Eimer, aber ein Bißchen rasch.«</p> + +<p>»Befindet sich allerdings nicht in unserm Contracte,« +meinte Jeremias, »aber was thut der +Mensch nicht aus Gefälligkeit, junger Herr? Sollen +Ihren Eimer Wasser haben,« und seine Ärmel +vorn aufkrämpend, ergriff er den Eimer und ging +zu dem Brunnen vor dem Hause, von dem er ihn +bald gefüllt zurückbrachte.</p> + +<p>»So,« sagte Oskar, indem er einen Theil des +Wassers wieder abschweppte, »das ist ein Bißchen +zu viel und wirft sich schlecht. Jetzt nimm einmal +den Eimer, Jeremias, und komm mit mir an +die Hecke da drüben, wo der verrückte Kerl die +Violine quält — hörst Du den Musikanten da +drüben?«</p> + +<p>»Ja,« sagte Jeremias, und sah den jungen +Grafen erwartungsvoll an.</p> + +<p>»Schön,« lachte der junge Bursche, »dem +wollen wir einmal den Eimer über den Hals +gießen, um den holden Schwärmer etwas abzukühlen.«</p> + +<p>»So?« sagte Jeremias, ohne sich von der Stelle +zu rühren.</p> + +<p>»Na, vorwärts!« rief Oskar, auf den Eimer +zeigend; »mach' schnell, ich zeig' Dir den Platz +wo er steckt, meine alte Jeremiade!«</p> + +<p>»Wissen Sie,« sagte Jeremias, ohne nur eine +Hand zu regen oder eine Miene zu machen, als +ob er dem Befehle Folge leisten wolle, »davon steht +auch Nichts in unserem Contracte.«</p> + +<p>»Contract? Esel,« brummte Oskar, »wenn +ich Dir sage, das thust Du, so thust Du es, <span class="wide">das</span> +ist unser Contract, weiter Nichts.«</p> + +<p>»So?« meinte Jeremias, der den »Esel« als +selbstverständlich hinnahm — »anderen Leuten +Wasser in die Violine zu gießen, widerstreitet aber +meinen Grundsätzen, und wenn sich der Herr Graf +eine Tracht Schläge für unbefugtes Löschen, wo's +gar nicht brennt, holen wollen — mit dem größten +Vergnügen — da steht der Eimer, Jeremias +hat aber heute seinen Sonntagsrock an und ist +diesen Morgen in der Kirche gewesen — was +andere Leute vielleicht <span class="wide">nicht</span> von sich sagen können. +Wünsche allerseits einen guten Abend« — +und die Hände wieder in die Taschen schiebend, +ging er um den Eimer herum und zur Thür +hinaus, ohne sich um den Grafen weiter zu bekümmern.</p> + +<p>Oskar sandte ihm einen herzhaften Fluch hinterher, +sah aber auch ein, daß er mit dem dickköpfigen +Burschen Nichts ausrichten könne. Nicht gesonnen +jedoch, den einmal gefaßten Plan so rasch +aufzugeben, nahm er jetzt selber den Eimer und schlich +damit in den Garten. Ehe er übrigens die Stelle +erreichte, wo der nächtliche Musiker gestanden, verstummte +die Violine. Die letzten Töne waren +verklungen und der Platz leer. Oskar horchte +noch eine Weile in die stille Nacht hinaus, aber +das Concert war jedenfalls vorbei, das Zimmer +seiner Schwester blieb dunkel, und mit einem Fluche +das Wasser über die nächsten Beete gießend, nahm +er den leeren Eimer zum Hause zurück.</p> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<h3><a name="kap_5" id="kap_5"></a>5.</h3> + +<h3>Elise.</h3> + +<p>Am nächsten (Montag) Morgen standen schon +um sieben Uhr früh drei gesattelte Pferde vor dem +Hause des Directors angebunden, denn dieser +hatte versprochen, Günther zu dem Beginne seiner +Arbeiten zu begleiten, und Könnern in dem Interesse, +das er an der gestrigen Erscheinung nahm, +ebenfalls den Wunsch ausgesprochen, sich dem +kleinen Zuge, wenigstens bis in den Wald hinein, +anzuschließen.</p> + +<p>Allerdings wünschte der Director, daß er, wenn +er jagen wolle, sich einen Führer mitnehmen möge, +da er sich sonst leicht in den wilden und schwerdurchdringlichen +Wäldern verirren könne. Dies +wies Könnern jedoch lächelnd zurück und erklärte, +daß er zu lange in den amerikanischen, auch ziemlich +dichten Wäldern gejagt habe, um etwas Derartiges +zu befürchten. Ein Führer störte ihn dabei +nur auf einem wirklichen Pirschgange, und +er konnte sich im Walde wohl vergehen, daß er +genöthigt war einen Umweg zu machen, aber nie +verirren, denn er hatte sich dafür zu genau den +Cours gemerkt, den der etwa zweihundert Schritte +unter Santa Clara vorbeiströmende Fluß nahm, +und den mußte er immer wieder treffen, sobald er +mit Hülfe seines Compasses die Richtung darauf +zu nahm.</p> + +<p>So früh kamen sie aber an diesem Morgen +doch nicht fort, denn erstens nahm ihnen das +Frühstück noch etwa eine halbe Stunde weg, und +dann kamen noch eine Menge Leute, die den +Director in irgend einer wichtigen oder unwichtigen +Angelegenheit zu sprechen hatten, und er +mußte wenigstens anhören, was sie von ihm wollten.</p> + +<p>Es war halb neun Uhr geworden, als die +drei Männer endlich mit den nöthigen Begleitern +aufbrachen, die dabei alle Instrumente des Vermessers, +wie auch einige Provisionen zu tragen +hatten. Könnern ließ übrigens seine Mappe heute +noch zu Hause, und nahm nur seine Büchsflinte +mit, wenn er sich auch eben keine große Jagd +versprach. Der Wald ist dort zu dicht, um nahe +den Ansiedelungen, wo die Bauern überdies Sonntags +noch mit ihren Flinten herumknallen, irgend +einen bedeutenden Erfolg zu versprechen.</p> + +<p>Sie ritten heute gerade durch das kleine +Städtchen durch, und den beiden Fremden konnte +es nicht entgehen, wie sich ihre Landsleute, selbst +in dem fremden tropischen Lande, so ganz heimisch +angesiedelt hatten, als ob sie noch daheim im +alten Vaterlande lebten.</p> + +<p>Die Schilder an den verschiedenen Häusern +trugen überall deutsche Namen in deutscher Schrift, +deutsche Kinder mit ihren Flachsköpfen und dicken, +gesunden, schmutzigen Gesichtern spielten vor den +Thüren. Bauerfrauen in ihren wollenen rothen +Unterröcken wuschen ihr Geschirr hier unter den +Palmen, wie sie es daheim unter der alten Linde +gethan hatten, und deutsche Handwerker, in Schurzfell +und Pantoffeln, waren eifrig dabei, ihren verschiedenen +Geschäften obzuliegen.</p> + +<p>Nur ein einziges Haus passirten sie, das +fremdartig aussah. Es war ein kleines niederes +Gebäude, von Stein aufgeführt, mit offenen +Thüren und Fenstern, durch die man in ein paar +anscheinend leere Räume hineinsah — es hingen +wenigstens keine Gardinen vor den Fenstern, wie +sie die ärmlichste deutsche Wohnung zeigte, und +die Wände sahen leer und kahl aus. Einzelne +Möbel verriethen aber doch, daß dieses Haus nicht +verlassen sei, und auf der einen Commode sah +Könnern auch im Vorbeireiten ein Paar vergoldete +Porzellan-Vasen und einige andere derartige +Spielereien stehen.</p> + +<p>Dort wohnte der portugiesische Delegado<a href="#fn2"><sup><small>2</small></sup></a><a name="fn2r" id="fn2r"></a>, +und ein paar Negerjungen kauerten vor der Thür +in der Sonne und ließen sich von einem grauen, +vollkommen haarlosen und nackten Hunde die Gesichter +ablecken.</p> + +<p>Am Ende der Straße war die Schule; anstatt +aber, daß die Kinder jetzt eifrig darin mit Lernen +beschäftigt sein sollten, lärmten sie in wildem, +wüstem Geschrei vor der Thür umher, prügelten +sich, haschten sich und trieben allerlei tolle Spiele. +Der Director hielt mitten <ins title="Original hat unten">unter</ins> ihnen sein +Pferd an.</p> + +<p>»Hallo, Ihr kleine Bande,« rief er aus, »was +ist das? Weshalb steckt Ihr nicht da drinnen, wohin +Ihr gehört, und stellt hier auf der Straße die +Stadt auf den Kopf?«</p> + +<p>»Ja, Herr Director,« sagte einer der älteren +Jungen, der ihn kannte, indem er die Mütze von +dem struppigen Haare herunterzog, »der Schulmeister +ist nicht da und die Thür ist zu.«</p> + +<p>»Der Schulmeister ist nicht da?« fragte der +Director erstaunt; »und weshalb habt ihr ihn noch +nicht geholt?«</p> + +<p>»Ja, er ist auch nicht zu Hause und die ganze +Nacht nicht heimgekommen,« lautete die Antwort.</p> + +<p>Ein sehr elegant gekleideter Herr mit weißer +Wäsche, goldener Uhrkette, einigen Ringen an den +Fingern und einem Panamahute auf, der aber +sonderbarer Weise statt der Stiefel ein Paar sehr +bunt gestickte Pantoffeln und einen Zahnstocher +hinter dem rechten Ohre hatte, kam um die nächste +Ecke und grüßte den Director und seine Begleiter +freundlich. Es war der Delegado.</p> + +<p>»Ah, mein lieber Director,« redete dieser Sarno +in portugiesischer Sprache an, »das wird immer +ärger mit unserem Schullehrer. Wie ich eben +höre, haben ihn einige Nachbarn gestern Abend +spät oben am Flusse und etwa eine Legoa von +hier entfernt, schwer angetrunken verlassen, und +dort wird er auch wohl jetzt noch liegen, um +seinen Rausch auszuschlafen. Meines Nachbars +Kinder kamen heute Morgen wieder zurück, weil +sie nicht in die Schulstube konnten.«</p> + +<p>»Wer ist denn das, der da die Straße herunter +taumelt,« sagte Könnern, nach jener Richtung +zeigend.</p> + +<p>»Hehe, der Schulmeister, der Schulmeister!« +jubelten ihm da auch schon eine Anzahl Jungen, +die ihn erkannt hatten, in dem seligen Gefühle +entgegen, heute wieder keinesfalls Schule zu haben. +»wie er schräg geht — und jetzt stolpert er! Hoh, +hoh, hoh, der Schulmeister!«</p> + +<p>Es war allerdings jenes unglückliche Individuum, +das sich in <span class="wide">solchem</span> Zustande zu keinem +ungünstigeren Momente hätte zeigen können. Der +Director gab seinem Pferde die Sporen und +sprengte ihm entgegen, und während der zeitweilige +Schulmonarch die gläsernen Augen zu +Sarno aufschlug, rief dieser ihn mit vor innerer +Heftigkeit fast erstickter Stimme an:</p> + +<p>»Herr, schämen Sie sich nicht, hier am hellen +Tage wie eine <span class="wide">Sau</span> umher zu gehen, und wären +Sie nicht werth, daß ich —« er schwieg, und die +Hand, in der er die Reitpeitsche hielt, schloß sich +ordentlich krampfhaft um den Griff derselben.</p> + +<p>»Pfehle mich Ihnen, Herr Director,« stammelte +der Unglückliche mit schwerer Zunge, vergebens +dabei bemüht sich gerade zu halten, »sehr +angenehm so am frühen Morgen — sehr schöner +Morgen heute, Herr Director — sehr schöner +Morgen.«</p> + +<p>Der Director wandte sein Pferd in Ekel von +dem Trunkenen und ritt langsam zu dem Portugiesen +zurück. Die Schuljugend indessen wartete +nur den Moment ab, wo sie der Gegenwart dieser +Beiden enthoben wäre, um mit einem wahren +Jubel über ihren entwürdigten Lehrer herzufallen.</p> + +<p>»Jetzt haben wir wieder keinen Schullehrer,« +stöhnte der Director, bei dem Delegado angelangt.</p> + +<p>»Der Herr scheint heute Morgen etwas aufgeregt,« +sagte der Portugiese mit einem spöttischen +Lächeln. »Wollen wir ihn aber nicht lieber in +Sicherheit bringen. Sobald wir den Rücken +wenden, fällt das junge Deutschland jedenfalls +über ihn her.«</p> + +<p>»Ich habe Nichts dagegen,« rief der Director, +»und wenn sie ihm die Kleider in Fetzen vom +Leibe reißen! Kommen Sie, Schwartzau, kommen +Sie — o, ich vergaß, die Herren vorzustellen: Dom +Franklin Brasileiro Lima — zwei Freunde von +mir, Landsleute, Dom Könnern und Dom +Schwartzau, der letztere unser durch die Regierung +hergesandter Landvermesser.«</p> + +<p>Der Portugiese machte eine stumme und etwas +steife Verbeugung, nahm dann den Zahnstocher +hinter dem Ohre vor und sammelte die Überreste +seines Frühstücks.</p> + +<p>Sie standen gerade vor einem der kleinen +Häuser, über dem ein hellgelbes Schild mit rothen +Buchstaben den Namen <span class="wide">Pilger</span> — <span class="wide">Schuhmacher</span> +trug, und Könnern hatte schon, weniger bei dem +Schulmeister interessirt, ein paar Mal eine allerliebste +junge Frau am Fenster gesehen, die einen +Blick nach ihrer Gruppe herüber warf und dann +wieder in dem Dunkel der innern Stube verschwand. +Der Portugiese stand mit dem Rücken +nach der Thür zu, als der Schuhmacher, ein +großer, breitschultriger Mann in seinen besten +Jahren, das Schurzfell vor, ein kleines Käppchen +auf und die Hemdärmel in die Höhe gestreift, +hinter ihn auf den Schwellenstein trat und, seine +breite Hand auf des Portugiesen Schulter legend, +mit ruhiger Stimme, aber sehr schlechtem Portugiesisch +sagte:</p> + +<p>»Wenn ich Euch noch einmal in meinem Hause +treffe, Delegado, so schlage ich Euch jeden Knochen +in Eurem erbärmlichen Leibe zusammen. Habt +Ihr mich verstanden? Guten Morgen, meine +Herren,« wandte er sich dann, als ob nicht das +geringste Außergewöhnliche vorgefallen wäre, an +den Director und seine Begleiter; »entschuldigen +Sie, daß ich mich mit dem Lump in Ihrer Gegenwart +unterhalten habe.«</p> + +<p>Der Portugiese war vor Zorn hochroth geworden, +und seine kleinen, schwarzen Augen schienen +Feuer zu sprühen. Endlich hatte er sich so weit +wenigstens gesammelt, um zu erwiedern, und er +sagte, ohne den Handwerker jedoch eines Blickes +zu würdigen:</p> + +<p>»Wenn Ihr Eure Frau mißhandelt, und nicht +wißt was Ihr einer Frau an Achtung schuldig +seid, so ist es Sache der Obrigkeit dazwischen zu +treten.«</p> + +<p>»Und weshalb <span class="wide">hab</span>' ich meine Frau mißhandelt, +Du Lump, Du?« rief der Schuhmacher, bei +dem der Zorn die Oberhand gewann.</p> + +<p>»Pilger, bedenkt was Ihr sagt!« unterbrach +ihn der Director rasch.</p> + +<p>»Ach was, Herr Director — Nichts für ungut,« +zürnte der Mann; »ich weiß recht gut was ich +rede. Wenn der da auch zehnmal der Delegado +ist, oder wie das Ding heißt, so sollte er sich nur +um so mehr schämen, Unfrieden und Unglück in +die Häuser zu tragen. Aber, Gott verdamm' +mich! finde ich ihn noch einmal auf der andern +Seite von der Schwelle da, so geschieht ein Unglück. +Das will ich ihm vorausgesagt haben.«</p> + +<p>Der Portugiese verstand nicht die letzten +heftigen, in Deutsch gesprochenen Worte, aber er +mochte recht gut den Sinn ahnen, denn die +Gesticulation des Meisters dabei war gar nicht +falsch zu verstehen. Er drehte jedoch nur, mit +dem Ausdrucke der höchsten Verachtung in den +Zügen, den Kopf halb nach ihm herum, ohne ihn +selber anzusehen, sagte: »Wir sprechen uns noch!« +und ging dann in seinen gestickten Pantoffeln, mit +einer leichten Verbeugung gegen den Director und +seine Begleiter, die Straße wieder hinauf.</p> + +<p>Könnern's Blick beobachtete indessen das Fenster, +hinter dem er die junge Frau gesehen, und +er bemerkte, wie sie noch ein paar Mal scheu vortrat, +um, ohne selber gesehen zu werden, zu erfahren +was da draußen vorging. Sobald sie +aber des Fremden Blick auf sich haften fand, +verschwand sie rasch und kam nicht wieder zum +Vorscheine.</p> + +<p>»Haltet mir Frieden, Pilger, das thut's nicht,« +sagte der Director warnend.</p> + +<p>»Eben deshalb weil ich Frieden haben will,« +meinte der Schuhmacher, »halte ich mir den verdammten +Bleifuß aus dem Hause, und gnade +ihm Gott, wenn ich ihn da wieder einmal treffe, +wo er nicht hingehört — guten Morgen meine +Herren,« und damit drehte er sich ruhig um und +trat in sein Haus zurück.</p> + +<p>Die Schuljugend war indessen ein sehr +interessirter Zuschauer bei den Bewegungen ihres +sonst so gefürchteten Meisters gewesen, denn der +junge Schulmonarch führte seinen Stock gewöhnlich +mit unerbittlicher Gewalt. Einer der Nachbarn +aber, den der arme Teufel in diesem Zustande +dauerte, trat vor seine Thür, nahm ihn +ohne Weiteres unter den Arm und führte ihn in +sein Haus hinein, damit er dort seinen Rausch +ausschlafen könne. Der Director schickte dann die +Jungen nach Hause, die sich in wildem Jubel durch +die verschiedenen Straßen vertheilten.</p> + +<p>»Das ist ja ein recht hübsches Exemplar von +einem Schulmeister,« lachte Günther, als sie ihren +Weg wieder aufgenommen hatten.</p> + +<p>»Das sei Gott geklagt!« seufzte der Director; +»jetzt sitzen wir wieder in der Ansiedelung auf +dem Trockenen und die ganze Kinderwelt hat +Ferien, bis sich ein neues, eben so unbekanntes, +vielleicht eben so untaugliches Individuum dazu +hergiebt, das Amt des Schullehrers zu übernehmen.«</p> + +<p>»Und Ihr Delegado?« fragte Könnern; »die +Sache scheint nicht ganz richtig zu sein.«</p> + +<p>»Ist auch so ein Lump, den wir der Güte der +Frau Präsidentin verdanken. Der Teufel mag +da Director sein, wenn man es mit solchem Gesindel +zu thun hat, und ihnen doch nicht, in dem +engen Kreislauf unseres hiesigen Lebens, ausweichen +<span class="wide">kann.</span> Übrigens ist das auch derselbe +Herr, der da drüben die Brücke gebaut hat, welche +ihm von der Regierung — nachdem sie kaum beendet +und schon wieder eingestürzt war — mit +achtzehn Contos de Reis bezahlt wurde. Es geht +doch Nichts über Protection! Und wenn ich ein +oder zwei Contos verlange, nur um die nöthigsten +Bauten hier, ein neues Auswanderungs-Haus oder +dergleichen, zu bauen, bekomme ich Vorwürfe von +Oben, daß ich zu viel Geld gebrauche. Aber zum +Henker damit! Wir wollen uns den schönen Morgen +nicht durch derartige Dinge verbittern, und +der Lump verdient gar nicht, daß ich mich über +ihn ärgere. Kommen Sie, lassen Sie die Pferde +ein Wenig schärfer austraben, denn wir haben eine +Menge werthvolle Zeit versäumt und unsere Träger +und Arbeiter sind uns schon, wer weiß wie weit, +voraus.«</p> + +<p>Eben hatten sie die letzten Häuser hinter sich, +als ihnen wieder der Baron begegnete, und wie +er den Director erkannte, diesem ein Zeichen +machte, daß er ihn zu sprechen wünsche. Der +Director hielt an, während Könnern und +Schwartzau vorausritten.</p> + +<p>»Ach, Herr Director, nur auf ein Wort,« +sagte der etwas umständliche Baron mit einer +achtungsvollen Verbeugung; »dürfte ich Sie bitten, +mir aufrichtig eine einzige Frage zu beantworten?«</p> + +<p>»Warum nicht — aber ich bin heute Morgen +etwas in Eile.«</p> + +<p>»Ich will Ihre werthvolle Zeit nur für Secunden +in Anspruch nehmen. Hat sich die Frau +Gräfin in einer Geldangelegenheit an Sie gewandt?«</p> + +<p>Der Director lächelte.</p> + +<p>»Ich weiß nicht,« sagte er, »ob die Frage gerade +discret ist.«</p> + +<p>»Geschäftssache,« vertheidigte sich der Baron vor +diesem furchtbaren Verdachte; »Sie werden doch +nicht glauben, daß ich —«</p> + +<p>»Nun, mir ist keinesfalls anbefohlen, ein Geheimniß +daraus zu machen. Ja — zu irgend einer +ihrer zahlreichen Unternehmungen.«</p> + +<p>»Cigarren?«</p> + +<p>»Ich glaube, es betraf diesmal den Tabakshandel.«</p> + +<p>»Ich danke Ihnen,« sagte der Baron, von +dem Pferde zurücktretend.</p> + +<p>»Ich hoffe doch nicht, daß <span class="wide">Sie</span> sich damit +einlassen werden?« fragte der Director jetzt +seinerseits.</p> + +<p>»Ich bedaure unendlich nicht die Mittel zu +haben, ein so gemeinnütziges Unternehmen zu +unterstützen,« erwiederte der Baron, gerade etwa +mit derselben Betonung und in derselben Stellung, +als ob er der Frau Gräfin selber gegenüber +stände.</p> + +<p>Der Director lachte, grüßte den Baron flüchtig +und sprengte dann den Weg hinauf, die beiden +vorangerittenen Freunde einzuholen.</p> + +<p>Zwischen den Männern wurde weiter kein Wort +gewechselt, bis sie den eigentlichen Platz erreicht +hatten, auf dem Schwartzau seine Vermessung beginnen +sollte, und da dies das Terrain war, welches +dem Colonisten Meier gehörte, so war es +nöthig, daß er dazu gerufen wurde.</p> + +<p>Während Günther seine Bussole auspackte und +aufstellte, die nöthigen Vorbereitungen zum Beginne +traf und seine Leute instruirte, was sie zu thun +hätten — denn bei einer solchen Arbeit ist es besonders +nothwendig, daß sich der Vermesser und +seine Kettenträger vollkommen gut verstehen — ritt +der Director nach dem Hause hinüber, um den +Menschenfeind in Kenntniß zu setzen und abzuholen, +und Könnern bot sich ihm natürlich zum +Begleiter an.</p> + +<p>Die Gartenthür war verschlossen; zufällig kam +aber gerade ein kürzlich angenommener Arbeiter +heraus, und da er den Director kannte, machte +er nicht die geringste Schwierigkeit, ihn hinein zu +lassen.</p> + +<p>»Gehen Sie nur da gerade aus, Herr Director,« +sagte er, auf eine kleine Biegung des Weges +zeigend, »dort gleich rechts ist eine Laube, in der +finden Sie die ganze Familie beim Frühstück.«</p> + +<p>»Der wird uns ein schönes Gesicht schneiden, +wenn wir ihm so plötzlich über den Hals kommen!« +lachte der Director, als sie den breiten und +vortrefflich gehaltenen Kiesweg verfolgten; »aber +ich kann ihm nicht helfen. Es liegt auch in seinem +eigenen Interesse, daß er weiß wo seine Gränzen +laufen — aber da sitzt die Familie — jetzt können +Sie auch Ihre Brünette wieder begrüßen.«</p> + +<p>Könnern erwiederte kein Wort; es war ihm +ganz sonderbar beklommen um's Herz, und ein +Gefühl beschlich ihn, als ob er sich hier in unehrlicher +Weise in den Kreis einer Familie stehle, in +der er jetzt fast bezweifelte, daß er gern gesehen +sei. Es blieb ihm jedoch keine Zeit zu längerer +Überlegung, denn wenige Secunden später waren +sie schon von der Familie bemerkt, die überrascht +emporschaute, als sie die Fremden plötzlich in dem +Garten entdeckte.</p> + +<p>Meier saß ihnen mit dem Rücken zugewandt, +links von ihm seine Frau, rechts seine Tochter, +und schon als er die Schritte hinter sich hörte, +hatte er sich halb umgedreht und beschattete dabei +die Augen mit der Hand. Dann wandte er den Kopf +wieder ab, nahm eine blaue Brille aus der Rocktasche +und erhob sich erst, als er diese aufgesetzt +hatte, um die Fremden besser erkennen und dann +begrüßen zu können.</p> + +<p>Elise war ebenfalls tief erröthend aufgestanden, +als sie auf den ersten Blick den Fremden von +gestern erkannte; der Mutter entging ihre Bewegung, +da sie ihrerseits auch den einen Fremden +— den Director kannte sie schon von früher her — +aufmerksam musterte.</p> + +<p>»Mein lieber Herr Meier, ich muß um Entschuldigung +bitten,« sagte der Director, auf ihn +zugehend — »aber bitte, mein liebes Fräulein, +wollen Sie nicht Platz behalten —, ich will Sie +auch nicht lange stören und Ihnen nur anzeigen, +daß wir hier auf Ihrem Grundstücke zu vermessen +anfangen, weshalb es vielleicht besser wäre, daß +Sie mit hinausgingen. Sie wissen ja auch am +besten, wo die alte Linie gelaufen ist, die jener +Schneidergeselle neulich umgeworfen hat. Wir +wollen sehen, daß wir jetzt die ganze Sache wieder +in Ordnung bringen.«</p> + +<p>»Sehr angenehm, Herr Director,« sagte Meier +mit einer etwas ängstlichen und dadurch ungeschickten +Verbeugung — »sehr angenehm in der +That, und äußerst dankbar — der Herr ist wohl +der Vermesser, wenn ich fragen darf?«</p> + +<p>Könnern erröthete bis in den Nacken hinein, +als er so selber gezwungen wurde zu erklären, +daß er hier eigentlich gar Nichts zu suchen habe.</p> + +<p>»Ich besonders muß sehr um Entschuldigung +bitten,« sagte er mit einem unwillkürlichen Seitenblick +auf Elise, »daß ich mich hier eingedrängt +habe. Ich bin nicht der Vermesser, der schon +draußen bei seiner Arbeit ist, sondern nur ein +wandernder Maler, der sich seit einigen Jahren +heimathlos in der Welt herumtreibt, um Gottes +schöne Erde nach allen Richtungen hin zu durchstreifen. +Mit dem Herrn Director durch meinen +Bruder befreundet, habe ich mich den Herren heute +Morgen angeschlossen, und nur auf die allbekannte +brasilianische Gastfreundschaft fußend, wagte ich +es, Ihnen meine Gesellschaft für wenige Minuten +aufzudringen.«</p> + +<p>»Herr Bernard Könnern,« stellte ihn der +Director vor.</p> + +<p>»Sie sind uns herzlich willkommen,« sagte die +Frau, der die edle männliche Gestalt des jungen +Mannes, wie sein bescheidenes Benehmen von vorn +herein gefallen hatte — »Entschuldigungen wären +ja auch gar nicht am Platze — bitte, setzen Sie +sich — trinken die Herren vielleicht eine Tasse +Kaffee mit uns?«</p> + +<p>Sie winkte der Tochter, und ehe sich die Gäste +entschuldigen konnten, sprang Elise — überhaupt +froh, dazu Gelegenheit zu bekommen — rasch in +das Haus hinein, um ein paar Tassen herauszuholen.</p> + +<p>Meier, also gedrängt, konnte nicht anders, als +die einmal geschehene Einladung unterstützen. Mit +einer Handbewegung bat er seine Gäste, Platz zu +nehmen, und das Gespräch zwischen ihm und dem +Director wandte sich dann natürlich gleich der sie +beide am Meisten interessirenden Veranlassung zu.</p> + +<p>Elisens Mutter ließ sich indessen in ein Gespräch +mit Könnern ein, von dem sie bald erfuhr, +daß er Deutschland schon seit einer Reihe von +Jahren verlassen und indessen Nord- und Mittelamerika +durchstreift habe, theils um zu jagen, +theils um Skizzen und Studien für seine Mappe +zu sammeln.</p> + +<p>Meier, obgleich in eifrigem Gespräche mit dem +Director, hatte sich doch kein Wort von der anderen +Unterhaltung entgehen lassen, und nickte dabei +ein paar Mal halb unbewußt und zufrieden mit +dem Kopfe. Er schien auch mehr und mehr aufzuthauen +und die bisherige Scheu abzulegen, und +als Elise die Tassen gebracht und eingeschenkt hatte, +rückte er mit zum Tische und unterhielt sich selber +mit dem jungen Manne.</p> + +<p>»Ich will Ihnen Etwas sagen, Könnern,« +unterbrach der Director das Gespräch, »ich gehe +jetzt mit dem Herrn Meier zu Ihrem Freunde +hinaus, um die Sache erst einmal in Gang zu +bringen. Das beschäftigt mich keine halbe Stunde; +dann komme ich hierher zurück, hole Sie ab und +begleite Sie nachher bis zu der Mündung eines +gar nicht entfernten Thales, dem Sie aufwärts +folgen, und nachher vielleicht doch noch Wild zum +Schuß bekommen können. Hier oben auf der +Hochebene glaube ich schwerlich, daß Sie irgend +Etwas antreffen, das der Mühe lohnte danach zu +feuern.«</p> + +<p>»Das wäre recht schön,« sagte Könnern wieder +mit einem unwillkürlichen Blicke nach Elisen; +»wenn ich nur auch gewiß wüßte, daß ich den +Damen hier indessen nicht zur Last fiele.«</p> + +<p>»Nicht im Geringsten,« antwortete die Mutter +— »kennen Sie unser Land noch nicht und sind +Sie ein Liebhaber von Pflanzen, so haben Sie +indessen Gelegenheit, sich in unserm Garten umzusehen; +denn mein Mann hat sich große Mühe +gegeben, alle einheimischen Pflanzen und Gewächse +hier zu sammeln — Elise mag Sie herumführen.«</p> + +<p>»Ich wäre unendlich glücklich, wenn die junge +Dame…« stammelte Könnern.</p> + +<p>»Nun, sehen Sie,« sagte der Director, »da +sind Sie ja gleich untergebracht, und werden es +wohl so lange aushalten können. In einer halben +Stunde sind wir jedenfalls wieder hier. Sie gehen +also mit, Herr Meier?«</p> + +<p>»Ich muß sehr um Entschuldigung bitten,« +sagte der Angeredete mit dem ihm eigenen, etwas +verlegenen Lächeln — »Ich selber bin gerade beschäftigt; +aber ich werde Ihnen meinen Karl mitschicken, +der sich vortrefflich in alle diese Sachen +zu finden weiß. Wenn Sie nur so freundlich sein +wollen, ihm meine Gränzlinien zu zeigen, so wird +er sie sich selber markiren und ich dann schon +Sorge tragen, daß sie später dauernd gekennzeichnet +werden. Verlassen Sie sich darauf. Ich bin +gerade mit einer kleinen Arbeit beschäftigt, die ich +nicht gern unterbrechen möchte. Dem jungen +Herrn hier mache ich indessen vielleicht mehr Freude, +wenn ich ihn in meine kleine Bibliothek führe — +Bücher sind seltener in Brasilien, als Blumen.«</p> + +<p>»Erst die Blumen, wenn ich bitten darf!« +sagte Könnern, der sich heute merkwürdiger Weise +dafür besonders interessirte, obgleich er nicht das +Geringste von Botanik verstand, und da Elise sich +schon erhoben hatte, stand er ebenfalls auf, um +sie durch den Garten zu begleiten.</p> + +<p>»Sie scheinen sich besonders für Blumen zu +interessiren,« sagte das junge Mädchen, während +sie den halben Garten lang schon schweigend neben +Könnern hingeschritten war, ohne daß dieser einen +Punkt gefunden hätte, ein Gespräch anzuknüpfen. +Bei der Frage spielte ein eigenes, schelmisches +Lächeln um ihre Lippen, und ihr Blick suchte halb +verstohlen die Züge ihres Begleiters, senkte sich +aber blitzschnell wieder zu Boden, als sich dieser, +von einem plötzlichen Verdachte erfaßt, gegen sie +wandte.</p> + +<p>»Weshalb glauben Sie das, mein Fräulein?«</p> + +<p>»Weil Sie — die Blumen Vaters Bibliothek +vorzogen,« erwiederte Elise, aber sie wagte nicht +den Blick zu ihm zu erheben, denn sie fürchtete, +daß sie den darin liegenden Muthwillen verrathen +würde.</p> + +<p>»Und Sie haben wirklich keinen andern Grund?« +forschte Könnern weiter, denn er begann jetzt in +der That mißtrauisch zu werden, ob er gestern +seinen Raub so ganz unbemerkt geborgen habe.</p> + +<p>»Und welchen andern Grund sollte ich haben?« +sagte Elise, und sah ihm jetzt so voll und ehrlich +in's Auge, daß er seinen Blick fast erschreckt vor +den hellen Sternen zu Boden senkte.</p> + +<p>»Zürnen Sie mir nicht der ungeschickten Frage +wegen,« sagte er leise; »aber ich kann Ihnen den +Grund nennen, weshalb ich die Blumen in Ihrer +Begleitung den staubigen Büchern — wahrscheinlich +<span class="wide">ohne</span> dieselbe — vorgezogen habe.«</p> + +<p>»Ich wäre wirklich neugierig ihn zu hören,« +lächelte Elise, fühlte aber doch, daß sie, vielleicht +unmerkbar, dabei erröthete.</p> + +<p>»Er ist einfach,« sagte Könnern treuherzig, +»und in dem Leben eines Jägers und Herumtreibers, +wie ich leider einer bin, allein begründet. +Wir sehen Gottes schöne Welt in all' ihrer wundervollen +Pracht, in allen Zonen, sehen sie in +ihrem Reize, in ihrer furchtbaren Öde, in ihren +großartigen Massen, in ihren kleinsten, lauschigsten +Winkeln und Ecken, aber — wohin wir kommen, +sind wir immer nur Fremde und Heimathlose. — +Wie auch unser Herz daheim an dem Zauber +eines stillen Familienkreises gehangen haben mag, +da draußen werden wir in den allgemeinen Wirbel +hinausgestoßen, und wenn sich in der friedlichen +Abendstunde alle Menschen, mit denen wir in +flüchtige Berührung gekommen, in das Asyl ihres +eigenen Heerdes zurückziehen, wenn sie sich gewissermaßen +in dem Kreise der Ihren die Belohnung +holen für das, was sie den Tag über gewirkt +und geschafft, dann liegen <span class="wide">wir</span> an einem einsamen +Lagerfeuer, oder vielleicht noch schlimmer, in einem +erbärmlichen, unfreundlichen Wirthshause, und +dürfen nun darüber nachbrüten und grübeln, daß +wir über Tag Alles zu haben meinten, was der +Mensch nur wünschen kann, und daß uns doch in +der That Alles fehlt, was zum eigentlichen Glück +des Menschen gehört.</p> + +<p>»Mit Einem Worte, es fehlt uns da draußen +der Umgang mit sanften Frauen, das mildernde +Element im Leben des Mannes, der sich seinen +Weg nur das ganze Jahr durch seine rauhe und +wilde Umgebung erkämpfen muß. Wo wir deshalb +auch immer so ein liebes, freundliches +Frauenbild finden, da sehen wir in <span class="wide">ihren</span> Augen +den ganzen Himmel unserer eigenen, daheim verlassenen +Häuslichkeit, und wenn auch die Freude, +die wir dabei empfinden, eine Art von Heimweh +sein mag, so regt sich doch auch zugleich Alles wieder +in unserm Herzen, was gut und edel, und die +ganze Zeit vielleicht todt darin geschlummert hat. +Ich weiß nicht, liebes Fräulein, ob Sie mich verstanden?«</p> + +<p>»Ich glaube ja,« flüsterte Elise, und es war +ihr in dem Augenblicke fast, als ob sie selber eine +lange, öde Strecke allein und freudlos durch die +Welt gezogen sei, und jetzt eben aus weiter, weiter +Ferne das Geläute ihrer heimischen Glocken gehört +habe. Und doch durchzuckte sie dabei auch +wieder ein wehes Gefühl, wenn sie sich das auch +selber nicht einmal gestehen mochte — aber es +war nur der flüchtige Gedanke, daß der Fremde +also gestern auch die Blumen da draußen gar +nicht <span class="wide">ihret</span>wegen an sich genommen und aufgehoben +habe. Nur die Erinnerung an die Heimath — vielleicht +an ein anderes liebes Wesen, +das dort seiner warte, hatte ihn in dem Augenblicke +erfaßt, und das tiefe Gefühl selbst, das aus +seinen Worten, aus seinem ganzen Wesen sprach, +galt nicht der Gegenwart, sondern war allein der +Wiederglanz eines verlorenen oder lang entbehrten +Glückes daheim.</p> + +<p>Wieder wanderten die Beiden eine ganze Zeit +lang schweigend durch den Garten, Jeder mit seinen +eigenen Gedanken voll beschäftigt.</p> + +<p>»Wie das schön ist in dieser herrlichen, tropischen +Welt!« brach endlich Könnern das Schweigen; +»wie wohl die warme Luft dem Körper +thut, und wie zierlich jene herrlichen Baumformen +die schönsten, natürlichsten Gruppen bilden. Die +Eingeborenen hier müssen doch eigentlich recht +glückliche Menschen sein.«</p> + +<p>»Und warum nur die Eingeborenen?« fragte +Elise.</p> + +<p>»Weil sie bloß der Gegenwart zu leben brauchen,« +sagte Könnern; »sie haben Nichts in der Welt, +das ihnen den Genuß des Augenblickes verkümmern +könnte, keine Erinnerung, die sie zurückzieht, +keine Sehnsucht nach irgend einem verlassenen +Spielplatze der Kindheit. Fühlt sich nicht selbst +der Lappländer in seiner Schneewüste, in seiner +rauchigen Hütte, in Schmutz und Elend glücklich, +nur weil es seine Heimath ist, wie viel mehr denn +könnte es der Brasilianer in seinen Palmenwäldern +und Orangenduft?«</p> + +<p>»Und hängen Sie noch so sehr an der Heimath?«</p> + +<p>»Du lieber Gott,« sagte Könnern, »ich habe +eigentlich nicht viel dort zurückgelassen, was mich +binden könnte. Meine Eltern sind beide todt, +und nach so langer Abwesenheit von daheim darf +ich kaum hoffen, daß, außer einem Bruder, der +mir dort lebt, meine Freunde <span class="wide">mir</span> eben das +warme Herz bewahrt haben, das ich zurückbringe. +Man sagt ja sogar, daß das Heimweh nur durch +eine Rückkehr in die Heimath so gründlich curirt +werden könne, um nie wiederzukehren. Aber dennoch +liegt ein eigener Zauber über dem Platze, +auf dem einst unsere Wiege gestanden, und ich +weiß nicht, ob ich mich je mit dem Gedanken befreunden +könnte, selbst Brasilien zu meinem steten +Aufenthalte zu wählen, ehe ich den heimischen +Boden nicht wenigstens noch einmal wiedergesehen +hätte. Fühlen <span class="wide">Sie kein</span> solches Verlangen?«</p> + +<p>»Ich war noch ein halbes Kind als ich Deutschland +verließ,« sagte Elise; »kannte ich doch damals +Nichts als das Vaterhaus, und da meine +Eltern mit herüber kamen, vermißte ich kaum +Etwas aus dem alten Vaterlande. Wohl steigt +manchmal eine Art von Sehnsucht in mir auf, die +Heimath wieder zu sehen, aber es ist mehr ein +unbestimmtes Gefühl, das keinen festen und gewissen +Anhaltspunkt hat, und deshalb auch nicht +so mächtig, um mich lange und ernsthaft in Anspruch +zu nehmen.«</p> + +<p>»Aber Sie führen doch ein recht einsames +Leben hier oben.«</p> + +<p>»Ich bin kein anderes gewöhnt,« sagte Elise, +während aber doch ein leichter Seufzer ihre Brust +hob; »Vater und Mutter sind so gut mit mir, +und Alles, was ich brauche, habe ich im Überfluß. +Was könnte mir die geräuschvolle Welt +da unten mehr bieten? Je mehr ich auch davon +sehe, desto weniger gefällt sie mir, und ich habe +es dem Vater oft schon im Stillen gedankt, daß +er uns hier oben so vollkommen von dem Verkehr +mit der Ansiedelung abgeschlossen.«</p> + +<p>»Aber was <span class="wide">haben</span> Sie schon davon gesehen?«</p> + +<p>»Was? O, viel!« sagte Elise erstaunt. »lärmende, +trunkene Menschen, die gar nicht selten +unser Haus passirten, Klagen der Arbeiter im +Überfluß, und Zank und Streit, Neid und Haß +der einzelnen Colonisten, die manchmal den Vater +bitten, zwischen ihnen zu entscheiden, damit +sie keinen Advocaten anzunehmen brauchen. Es +ist recht traurig, daß die Menschen nicht in Frieden +neben einander leben können, und Vater hat +gewiß ganz Recht gehabt, daß er sich von ihnen +zurückgezogen. Wir leben jetzt hier viel glücklicher +in unserer Einsamkeit, wo wir Nichts von all' +dem Lärm und Unfrieden zu hören bekommen — +und doch sehnt sich Mutter hinaus und zurück in +die Welt.«</p> + +<p>»Sind Sie schon lange in Brasilien?«</p> + +<p>»Sieben Jahre mögen es sein — vielleicht +etwas weniger, und damals war die Colonie da +unten ein kaum begonnener Platz, auf dem erst +wenige Häuser standen. Erst in den letzten zwei +Jahren begannen die Auswanderer hierher den +Weg zu finden — der Vater sagt, weil ihnen +lügenhafte Speculanten vorgeschwindelt hätten, daß +der Boden hier so außerordentlich fruchtbar sei — +und jetzt vergeht fast kein Monat, an dem nicht +Schiffsladungen voll von ihnen ankommen.«</p> + +<p>»Das ist auch jetzt wieder der Fall,« meinte +Könnern, »und wir sind gerade heute heraufgekommen, +um das nächstgelegene Land für neue Colonisten +auszumessen. Sie werden dann wahrscheinlich +auch hier oben eine Menge neuer Nachbarn +bekommen.«</p> + +<p>»Dann zieht Vater gewiß weg von hier,« lachte +Elise, »denn er hat schon oft davon gesprochen, +so hübsch er den Platz auch mag eingerichtet haben. +Wenn Mutter nicht dagegen gewesen wäre, Vater +säße schon lange wieder irgendwo mitten im Walde +ganz allein.«</p> + +<p>»Aber weshalb scheut er die Menschen so? +Haben sie ihm je Etwas zu Leide gethan?«</p> + +<p>»Ich weiß es nicht,« sagte Elise treuherzig; +»er spricht nie darüber und hat sogar —« sie +schwieg plötzlich, und ein leichtes Roth färbte ihre +Wangen.</p> + +<p>»Was hat er?« fragte Könnern, weniger aus +Interesse an der Frage, als an der Jungfrau +selber, die durch ihre schlichte Einfachheit einen +ganz eigenen Zauber über ihn auszuüben begann.</p> + +<p>»O Nichts,« sagte Elise leise; »Vater hat +manchmal ganz sonderbare Einfälle, wenn er sich +damit nur ihm lästige Menschen abhalten kann.«</p> + +<p>»Und glauben Sie, liebes Fräulein, daß es +ihm unangenehm wäre, wenn ich vielleicht noch +einmal herauf käme, ehe ich die Colonie verließe?«</p> + +<p>»Sie wollen schon wieder fort?« fragte das +junge Mädchen fast erschreckt, und erschrak doch +noch mehr eigentlich über die Frage selber.</p> + +<p>»Möglich ist es, daß ich noch mehrere Tage, +vielleicht sogar einige Wochen in der Nachbarschaft +bleibe,« sagte der junge Mann; »es hängt das +von Briefen ab, die ich von Rio erwarte und die +vielleicht schon mit dem nächsten Postdampfer eintreffen +können. Aber Sie haben mir <span class="wide">meine</span> +Frage nicht beantwortet.«</p> + +<p>»Welche Frage?«</p> + +<p>»Ob es Ihr Vater ungern sehen würde, wenn +ich herauf käme um — Abschied von Ihnen zu +nehmen,« sagte Könnern, und es war ihm selber +ein ganz eigenes, wehes Gefühl, als er die Worte +sprach.</p> + +<p>»Ob es der <span class="wide">Vater</span> ungern sehen würde,« sagte +Elise, und ein leises, fast wehmüthiges Lächeln +stahl sich über ihre Züge, »weiß ich freilich nicht; +<span class="wide">ich</span> aber würde es ganz bestimmt ungern sehen, +wenn Sie — so bald schon wieder Abschied von +uns nehmen wollten.«</p> + +<p>Könnern wollte ihr Etwas darauf antworten, +aber er vermochte es nicht. Irgend eine leere +Redensart paßte nicht auf die aus dem Herzen +<ins title="Original hat kommende">kommenden</ins> Worte des einfachen Mädchens, und +hätte er ihr so darauf erwiedert, wie es ihm sein +eigen Herz eingab — das ging nicht — das war +nicht möglich. Nur ihre Hand ergriff er und sagte +endlich mit tiefem Gefühle:</p> + +<p>»Der Mensch ist noch nicht ganz verloren, bei +dessen Ankunft sich Jemand freut, dessen Abschied +Jemanden betrübt. Ich will die Worte so einfach +nehmen, wie sie gesprochen waren, aber sein Sie +versichert, mein Fräulein, daß sie mir stets eine +liebe, liebe Erinnerung bleiben werden.«</p> + +<p>Elise sah ihn fast etwas bestürzt an. Hatte sie mehr +gesagt, wie sie eigentlich durfte — Du lieber Gott, +sie war ja fast jedes geselligen Umganges entwöhnt. +Wie um sich selber zu entschuldigen, fuhr +sie fort:</p> + +<p>»Wir haben hier so lange jeden gesellschaftlichen +Umgang entbehrt, daß man es uns wahrlich +nicht verdenken kann, wenn wir uns freuen, die +Einsamkeit, ja Öde einmal durch einen freundlichen +Besuch gestört zu sehen.«</p> + +<p>»Ich habe es auch nicht anders verstanden, +liebes Fräulein,« sagte Könnern mit einem Seufzer, +»und doch danke ich Ihnen dafür. Aber Ihre +Frau Mutter scheint Sie zu suchen — und dort +hält auch der Director schon wieder, mich erwartend, +vor der Thür. So rasch ist die Zeit vergangen, +und ich glaubte, daß wir erst wenige Minuten +im Garten gewesen wären.«</p> + +<p>»Leben Sie wohl!« sagte Elise, ihm freundlich +und ohne Rückhalt die Hand zum Abschied +reichend.</p> + +<p>»Leben Sie wohl, liebes Fräulein!« sagte der +junge Mann, und er war einen Moment unschlüssig, +ob er die ihm gereichte Hand an die +Lippen heben solle, aber er bezwang sich, machte +ihr eine ehrfurchtsvolle Verbeugung und verließ +rasch den Garten.</p> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<h3><a name="kap_6" id="kap_6"></a>6.</h3> + +<h3>Zuhbel's Chagra.</h3> + +<p>Der Director wandte sein Pferd, als er Könnern +auf sich zukommen sah, und ritt ihm voran +die schmale Straße entlang.</p> + +<p>»Nun, wie hat Ihnen die Familie gefallen?« +sagte er endlich, als sie sich weit genug von Haus +und Garten befanden, um nicht mehr von dort +gehört zu werden; »nicht wahr, die Tochter ist +nicht so übel?«</p> + +<p>»Nein, ein ganz hübsches Mädchen,« sagte +Könnern und schämte sich fast vor sich selber dabei, +des profanen Urtheils wegen, denn es schien ihm +eine ordentliche Entweihung dieses schlichten, unschuldvollen +Herzens. Glücklicher Weise verhinderte +aber der enge Weg hier eine längere Unterhaltung. +Eine Viertelstunde später zeigte ihm der Director +das Thal, dem er folgen könne, um einmal den +Wald und die Nachbarschaft ein Wenig kennen +zu lernen, bezeichnete ihm den Platz, wo er sein +Pferd einstellen solle, warnte ihn noch einmal vor +einem zu langen Streifzuge, damit er sich nicht +doch etwa in den Bergen verirre, und setzte dann +seinen eigenen Weg fort, Könnern sich selber +überlassend.</p> + +<p>Der junge Mann athmete tief auf, als er sich +endlich allein im Walde sah; er fühlte das Bedürfniß, +seinen Gedanken ungestört nachhängen zu +können, und ein so eifriger Jäger er sonst auch sein +mochte, heute vergaß er fast, weshalb er in den +Wald gekommen, und ließ seinem Pferde willenlos +den Zügel, einen Fußpfad zu verfolgen, der +in dem Thale hinauflief. Dort oben sollte er +noch eine Chagra, die letzte, erreichen, wo er sein +Pferd lassen und die Jagd dann zu Fuße fortsetzen +konnte, denn im Sattel ließ sich in diesen +Wäldern eben gar Nichts ausrichten.</p> + +<p>Und was hatte ihm denn nur auf einmal so +Kopf und Herz befangen, was durchglühte ihn +plötzlich mit einem nie gekannten, kaum geahnten +Gefühl? Der Anblick, das Zusammensein mit +diesem einfachen, schlichten Kinde des Waldes? +Könnern schüttelte selber über die tolle Idee den +Kopf und suchte ein paar Mal sogar gewaltsam +das holde Bild aus seiner Erinnerung zu bannen; +aber es ging eben nicht. — Wenn er hinaus in +den Wald horchte, hörte er die melodischen Laute +ihrer Stimme, wenn er nach irgend einem möglichen +Wild umherlugte, sah er das schelmische +Lächeln der Jungfrau hinter jedem Busch und +Strauch, als sie ihn fragte, ob er die Blumen +liebe, und aus jedem perlenden Thautropfen +schauten ihm die treuen Augen Elisens entgegen.</p> + +<p>Mit einem Worte, er war bis über die Ohren +verliebt, und daß er sich das zuletzt selber nicht +einmal mehr verbergen konnte, ärgerte ihn am +Allermeisten.</p> + +<p>»Es ist reiner Wahnsinn,« philosophirte er +vor sich hin, »reiner, blanker Wahnsinn, daß ich +da hinein reite, einer jungen Brünette in die +Augen schaue und darüber auf einmal den Verstand +verloren haben soll! Der muß mir jedenfalls +schon früher abhanden gekommen sein — oben +in Costa Rica vielleicht, oder am Mississippi, oder +irgendwo anders sonst — der Teufel weiß es! +Aber zum Kuckuck auch! Ich will doch einmal +sehen, ob ich nicht Gewalt über mich habe, mir +ein Mädchenbild aus dem Kopf zu schlagen, und +<span class="wide">wenn's</span> eine Brünette mit den schönsten Reh-Augen +der Welt wäre — und das ist sie nicht +einmal — die Nase steht ihr ein klein Bißchen +schief — ein ganz klein Bißchen nur, aber sie steht +doch schief, und ist für eine wirkliche Schönheit +viel zu stumpf, und das Kinn müßte nothwendig +ein wenig länger sein — außerdem hat sie nicht +einmal ein Grübchen darin, und ich schwärme für +Grübchen im Kinn.«</p> + +<p>Und wie er sich die Fehler der Geliebten so +gewaltsam vormalte, schauten über Nase und Kinn +immer nur wieder jene Augen fest und tief <ins title="Original hat in in">in</ins> +die seinigen; in dem Rauschen der Palmen +hörte er die leise flüsternden Worte, wie sie ihm +sagte: »Ich aber würde es ganz bestimmt ungern +sehen, wenn Sie sobald schon wieder Abschied von +uns nehmen wollten,« und jeder wehende Zweig +schien ihm zuzuwinken und zu rufen: »Zurück! +Zurück — hinter Dir liegt das Glück, das Du +verlassen hast, hinter Dir! Und was treibst Du +Dich da noch länger so einsam und allein in der +weiten, öden Welt umher?«</p> + +<p>Er griff auch ein paar Mal wirklich seinem +Pferde in die Zügel, als ob er dieser wunderlichen +Stimme, die ihn drängte und trieb, folgen wolle, +aber es war das immer nur ein Moment. Im +nächsten warf er trotzig den Kopf zurück und biß +die Zähne auf einander. Aber die Traumbilder +ließen ihm doch keine Ruhe, und er kam erst +eigentlich ordentlich wieder zu sich selber, als er +das ihm von dem Director bezeichnete Haus erreichte, +das an der Gränze der Ansiedelung stand +und wo er sein Pferd lassen wollte, um seine +eigentliche Jagd zu beginnen.</p> + +<p>Der Eigenthümer war allerdings gerade nicht +zu Hause, sondern im Walde draußen, um Stämme +für eine neue Scheune zu schlagen, das schadete +aber Nichts; die Frau öffnete ihm den kleinen +Pasto, wo er sein Thier indessen frei weiden lassen +konnte, und mit seiner Büchsflinte auf der Schulter +schritt er gerade in den Wald hinein, um sein +Jagdglück, allen Gedanken und Träumen zum +Trotz, in vollem Ernste zu versuchen.</p> + +<p>Es giebt auch wirklich in der ganzen Welt +kein besseres Mittel, um sich lästig werdender +Gedanken zu entschlagen, als zu Fuß in einem +tropischen Walde spazieren zu gehen. Im Sattel +sucht sich das Pferd schon selber seinen Pfad, +weicht Hindernissen aus oder überwindet sie, und +trägt den Reiter seine Bahn entlang; ja, ein +solcher einsamer Ritt ist eigentlich zum Brüten +und Grübeln wie gemacht, und während sich der +Körper ruhig und endlich selbst theilnahmlos der +Führung des Pferdes überläßt, haben Geist und +Phantasie vollen Raum, in das Wilde hinaus zu +schweifen, und machen denn auch bei jeder passenden +Gelegenheit Gebrauch davon.</p> + +<p>Anders und sehr verschieden ist das freilich, +wenn man selber in den Gebüschen steckt, wenn +sich jeder Fehltritt durch ein prosaisches Stolpern +straft und Dornen und Schlingpflanzen bald hier, +bald da den Weg versperren. In solchem Falle +ist's mit dem Grübeln unbedingt vorbei, und kein +anderer Gedanke, als der, sich die Bahn frei zu +halten, kann aufkommen.</p> + +<p>Das Mittel half auch bei Könnern. Wie er +nur erst einmal die letzte Umzäunung der Colonie +hinter sich hatte und in den wirklichen Wald eintauchte, +wobei er noch außerdem genöthigt war, +sich genau die eingeschlagene Richtung zu merken, +gewann der Wald um ihn her wieder seinen wirklichen +Charakter, und ordentlich in der Wildniß drin +erwachte auch die alte Leidenschaft zur Jagd in +ihm, und ließ ihn mit dem ersten besten Pfade, +auf den er den Fuß setzte, auch nach Fährten +oder Spuren wilder Thiere suchen.</p> + +<p>Es ist außerdem schon an und für sich ein +ganz eigenthümliches, wunderbares Gefühl, in +einem fremden, unbekannten Walde mit der Büchse +im Arm dahin zu schreiten, und man muß eigentlich +selber Jäger sein, um das recht mitempfinden +oder auch nur begreifen zu können. Jeder Laut +ist fremd, selbst das Rauschen der Blätter klingt +dem Ohre ungewohnt, und noch dazu in einem +tropischen Walde lenkt überall eines der sich stets +bewegenden riesigen Blätter das Auge des Jägers +bald da, bald dorthin und hält ihn anfänglich in +fast fieberhafter Spannung.</p> + +<p>Hier und da raschelt auch einmal das Laub +— ein dürrer Ast knickt, ein Waldhuhn streicht +dicht vor den Füßen des Jägers mit fremdartigem +Geräusch empor und verschwindet, ehe er sich zum +Schusse sammeln konnte, wieder in den Büschen, +und irgend eine unbekannte Fährte fesselt plötzlich +seinen Blick und lockt ihn, weit von seiner Richtung +ab, lange, lange Strecken in den Wald +hinein.</p> + +<p>So streifte auch Könnern heute durch die +Wildniß, die er freilich mit größeren Erwartungen +für die Jagd betreten hatte. Er fand wohl einmal +eine Stelle, wo ein Rudel Sauen den Grund +aufgebrochen hatte, er sah die Fährten einer kleinen +Rothwildart und einmal sogar die eines Panthers +oder einer Tigerkatze, aber zum Schusse bekam er +Nichts als ein paar Waldhühner, die er aus dem +Gebüsche herausstörte und im Fluge mit dem +Schrotlauf schoß. Das war Alles, und als er +am Stand der Sonne sah, daß er nicht viel Zeit +mehr zu versäumen hatte, trat er den Rückweg an +und erreichte etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang +das Haus jenes Ansiedlers, wo sein +Pferd stand.</p> + +<p>Der Mann war jetzt zu Hause und empfing +den Fremden auf das Gastlichste, wie es überhaupt +in den Ansiedelungen Sitte ist, lachte auch gerade +hinaus, als Könnern erklärte, daß er heute Abend +noch nach der Colonie zurück wolle.</p> + +<p>»Mein lieber Freund,« sagte er, »das ist reine +Thorheit, und Sie verstehen es eben nicht besser. +Bis Sie Ihr Pferd gesattelt haben und aus der +Rodung hinaus sind, ist die Sonne unter und +die Welt damit auch gleich stockdunkel, und nachher +sollten Sie einmal sehen, wie Sie auf dem +Hundewege mit Ihrem Pferde stecken blieben und +stürzten, vielleicht obendrein noch Hals und Beine +brächen. Fortreiten im Dunkeln? Denken Sie +gar nicht daran, und außerdem lasse ich Sie nicht +fort, wenn Sie auch wirklich wollten. Glauben +Sie denn, daß uns die Fremden hier so dick zugeschneit +kämen, daß wir einen, den wir einmal +eingefangen, gleich wieder fliegen ließen? Gott +bewahre — heute Abend wollen wir uns was +erzählen, Sie von draußen, ich von drinnen, und +da sollen Sie einmal sehen, wie rasch die Zeit +verfliegt.«</p> + +<p>Er ließ auch wirklich gar keine Einwendungen +gelten, und da sich Könnern viel eher in der +Stimmung fühlte, den Abend bei ganz fremden +Leuten zuzubringen, als unter Freunden zu verplaudern, +so bedurfte es keines langen Zuredens +seines freundlichen Wirthes, ihn zu bestimmen +dessen Wunsch zu gewähren.</p> + +<p>Während Könnern unter einem mächtigen +Orangenbaume saß und einige der um ihn her +den Boden bedeckenden Früchte verzehrte, erzählte +ihm der Deutsche den größten Theil seiner Lebensgeschichte. +Er hieß Heinrich Zuhbel, hatte früher +einen Handel in Rio Grande gehabt und mit +einem Krämerkarren verschiedene Streiftouren nach +Uruguay hinein gemacht, wo er eine Menge Geld +verdient haben mußte. In San Leopoldo, wohin +er auch einmal gekommen war, um seine Waaren +an den Mann zu bringen, brachte er sich dann +selber an. Er verliebte sich nämlich — oder besser +gesagt, seine jetzige Frau verliebte sich eigentlich +in ihn — die Eltern hatten Nichts dagegen, und +er verkaufte seine ganzen Habseligkeiten an einen +frisch eingewanderten Juden, übernahm die Colonie +seines Schwiegervaters und wirthschaftete +darauf, bis ihm der Nachbarn zu viele wurden. +Damals wurde die jetzige Colonie Santa Clara, +wenn auch nicht begründet, denn sie bestand schon +längere Zeit, aber frisch in Angriff genommen, +und Zuhbel beschloß, hieher überzusiedeln. Überhaupt +an Herumziehen in der Welt gewöhnt, +wurde ihm das auch nicht schwer, und er hatte +sich jetzt mit Fleiß und Ausdauer ein ganz hübsches +Besitzthum gegründet und lebte, wie er meinte, +gerade weit genug von der Colonie entfernt, um +sich Vieh halten zu können und nicht jeden Augenblick +Ärger mit den Nachbarn zu haben. Die +Kinder konnte er freilich von hier aus nicht in die +Schule schicken, denn das war zu weit und die +Schule taugte auch Nichts; deshalb unterrichteten +er und die Frau sie selber, und der »Landsmann« +sollte sich nachher einmal überzeugen, was sie schon +Alles könnten.</p> + +<p>Der Mann plauderte so in einer Schnur fort, +und erzählte dem Fremden eine von den tausend +Geschichten, die der Wanderer durch solche Länder +fast in jeder Hütte zu hören bekommt und als +eine der vielen Reiseunannehmlichkeiten eben hinnehmen +muß: eine Lebensgeschichte ohne das geringste +Interessante, ein alltäglicher Lebenslauf in +den Colonien, voll Arbeit, und Glück und Mißgeschick, +bunt und ohne Zweck oder Ziel durch +einander gemischt.</p> + +<p>Der Mann hier schien aber trotzdem keiner +der gewöhnlichen Bauern zu sein, wie auch sein +früherer Erwerb bewies; er war eine Art von +verdorbenem Genie, der ein Bißchen von Allem +oberflächlich gelernt hatte, das Wenige aber nach +Kräften zur Geltung zu bringen suchte, wo sich +ihm irgend Gelegenheit dazu bot.</p> + +<p>Als sich die Sonne endlich hinter die Bäume +senkte, lud er seinen Gast ein, in's Haus zu kommen, +da der Thau schon zu fallen begann. Dort +fand Könnern die Frau emsig beschäftigt den +Tisch zu decken, und ein junges, bildhübsches +Mädchen von vielleicht dreizehn Jahren, aber schon +hoch aufgeschossen, half ihr dabei.</p> + +<p>Die Frau trug nicht die deutsche Bauerntracht, +sondern mehr eine Kleidung, wie sie bei Handwerkerfrauen +auf dem Lande Sitte ist: ein blaugeblümtes, +dunkles Kattunkleid, eine weiße Schürze +und — jedenfalls dem Gaste zu Ehren — ein +gelb und roth carrirtes Seidentuch um den Hals +geknüpft. Sie mußte auch einmal recht hübsch +gewesen sein, denn die Spuren ließen sich selbst +jetzt noch erkennen, aber harte Arbeit und eine +heiße Sonne reiben den Körper auf und machen +ihn rasch verblühen. Sie grüßte schüchtern und +verließ mit ihrer Tochter das Zimmer, sobald +es Könnern betrat. Aber auch sein Wirth hatte +noch draußen zu thun.</p> + +<p>»Setzen Sie sich und machen Sie es sich bequem,« +sagte er zu seinem Gaste, als er diesen in +die Stube geführt hatte; »ich bin gleich wieder +da, ich will Ihnen nur Etwas von meinen Fabrikaten +holen.«</p> + +<p>Damit verließ er ebenfalls das Zimmer und +ließ dem jungen Deutschen vollkommen Zeit, sich +diese Heimath eines deutsch-brasilianischen Pflanzers +mit Muße zu betrachten — und wahrlich, +es schien ein wunderlicher Platz!</p> + +<p>Das große, geräumige Zimmer mit weißen +Kalkwänden nahm den ganzen vordern Theil des +Hauses ein. Die Möbel bestanden großentheils +aus einfachem weißen Holze. Nur ein, möglicherweise +aus Deutschland mitgebrachter runder Tisch +in der Ecke war aus Mahagoni; eben so ein Stuhl, +der aber nur noch drei Beine hatte und mehr zum +Staate als zum wirklichen Dienste wie in Gedanken +in der Ecke lehnte.</p> + +<p>An der einen Wand stand ein Fortepiano aus +Nußbaumholz; daneben aber ein angebrochener +Mehlsack, aus dem wahrscheinlich der tägliche +Bedarf für das Haus genommen wurde; auf dem +Clavier lag ein kürzlich abgenommener Pferdezaum, +denn das Gebiß war noch feucht, und in der Ecke +am Fenster ein alter, zerrissener Sattel, neben +dem wiederum zwei Fässer mit Bohnen und Erbsen +standen. Auf den Mahagonitisch war außerdem +als Decke das etwas defecte Umschlagetuch der +Frau gebreitet; die Zipfel desselben reichten aber +nicht weit genug herunter, um ein Paar Halbstiefel +und einige noch nicht gereinigte Frauenschuhe +zu verbergen. Ein Paar abgeworfene +Hosenträger lagen auf dem Umschlagetuche.</p> + +<p>Die Familie schien außer dem Clavier aber +auch sonst noch entschieden musikalisch zu sein, +denn über demselben, neben einer gewöhnlichen +Handwage und einem lange nicht abgestaubten +Rocke, hingen noch zwei Guitarren und eine Violine +— alle drei in etwas desolaten Umständen. — +Sonst aber sah es reinlich in dem Zimmer aus; +die Dielen waren frisch gescheuert und an dem +einen Fenster sogar ein schwacher Versuch zu einer +Gardine gemacht.</p> + +<p>Könnern lehnte seine Büchsflinte in die Ecke +neben den Mehlsack und hatte gerade Zeit genug +gehabt, sich in dem Zimmer ein klein wenig umzusehen, +als sein Wirth mit einer Flasche Wein +und ein paar Gläsern zurückkehrte.</p> + +<p>»Nun sollen Sie auch einmal eine Flasche +Santa Clara Ausbruch versuchen, ein capitales +Weinchen,« sagte er dabei, indem er die Flasche +auf den Tisch stellte und entkorkte, »selbst gezogen +— delicat — noch ein Bißchen jung vielleicht, +aber famos — <span class="wide">die</span> Blume!«</p> + +<p>Der Wein hatte eine Rosafarbe; als ihn Könnern +aber kostete, lachte er gerade hinaus und rief:</p> + +<p>»Sie haben sich mit der Flasche vergriffen; das +ist Himbeeressig!«</p> + +<p>»Himbeeressig?« sagte Herr Zuhbel erstaunt, +indem er vorsichtig von seinem Glase kostete — +»ich habe ja gar keinen — bitte um Verzeihung, +das ist mein Ausbruch. Er <span class="wide">ist</span> ein Bißchen säuerlich, +weil bei uns die Beeren so ungleich reifen, +aber ich gebe Ihnen mein Wort, wenn man sich +erst einmal an <span class="wide">den</span> Wein gewöhnt hat, schmeckt +Einem der beste Markobrunner nicht mehr.«</p> + +<p>»Das glaube ich auch,« sagte Könnern, der +einen zweiten Versuch machte, das Glas aber dann +kopfschüttelnd wieder auf den Tisch setzte — »ich +bin übrigens kein Weinkenner, lieber Herr, und +trinke nur Wasser. Jeder Wein steigt mir augenblicklich +zu Kopfe.«</p> + +<p>»Der nicht,« rief Zuhbel in Eifer, »der wahrhaftig +nicht, und wenn Sie drei Flaschen davon +tränken! (Könnern zogen sich schon bei dem Gedanken +an eine solche Möglichkeit die Eingeweide +zusammen und alle Zähne wurden ihm stumpf.) +Übrigens können Sie auch Milch bekommen, meine +Weiberleute trinken auch gewöhnlich Milch, und +da kommen sie schon mit dem Essen. Nun langen +Sie tüchtig zu, denn Sie werden nach dem heutigen +Marsch Hunger bekommen haben.«</p> + +<p>Die Frau brachte in der That herein, was das +Haus bot, delicates Brod, frische Butter, guten +Käse, Milch und Eier, Alles reichlich und mit +größter Reinlichkeit aufgetischt; aber sie sprach kein +Wort, wenn nicht eine Frage direct an sie gerichtet +wurde. Auch das junge Mädchen hielt sich +scheu zurück und wagte nicht einmal ordentlich an +den Tisch hinan zu rücken, an den sie weit hinüberlangen +mußte. Zuhbel führte allein das Wort +und erzählte ununterbrochen von seinem Leben hier +zwischen den »Brasilischen«, von seinen Arbeiten +und Erfolgen, wie er den Leuten hier erst habe +zeigen müssen was Ackerbau sei, wie er seine Felder +einrichte und bewirthschafte, was er ziehe und +möglich gemacht habe, und wie er es eigentlich +gewesen sei, der in die Ansiedelung unten ein wenig +Ordnung gebracht habe.</p> + +<p>»Mit dem Director ist es Nichts,« fuhr er +fort — »gar Nichts, das ist ein Grobian, wie er +im Buche steht, aufgeblasen und stolz — ja, »Dickethun +ist mein Reichthum,« das paßt auf den. +Will Alles besser wissen, und hat nicht die geringste +Lebensart. Da ist der Delegado ein anderer +Mann — der weiß, was Höflichkeit ist und was +unser Einer versteht, und giebt sich mit dem gemeinen +Manne ab, daß es eine Lust ist.«</p> + +<p>Dann kam er auf die Frau Gräfin zu sprechen, +die ihn einmal »mein lieber Herr Zuhbel« genannt +hatte und von der er entzückt schien. Das +war eine Dame, wie sie eigentlich sein sollte, +»wirklich vornehm und doch so gemein als möglich.«</p> + +<p>Könnern ermüdete das Gespräch. Er hatte +schon lange herausgemerkt, daß sein freundlicher +Wirth zu den Menschen gehörte, die ihren Nachbar +nur danach beurtheilen, wie sie selber von ihm +behandelt sind, und den aus Grundsatz hassen, der +klüger oder fleißiger ist als sie, oder wenigstens +von seiner Arbeit mehr Erfolg gehabt hat. Leider +giebt es solcher Leute ja genug in <span class="wide">allen</span> Ständen, +und man braucht eben nicht nach Brasilien +zu gehen, um mit ihnen zusammenzutreffen. Zuhbel +dagegen, der ebenfalls gefunden, daß sein Gast +ein »Fremder« sei, und der hier draußen viel zu +selten Gelegenheit bekam, seine Lichtseiten zu entwickeln, +nahm jetzt die Ansiedler Einen nach dem +Andern durch, um, wie er meinte, dem neuen +Einwanderer gleich einen richtigen Überblick über +die Verhältnisse zu gestatten.</p> + +<p>Indessen war es vollkommen Nacht geworden, +als draußen der Hufschlag eines Pferdes laut +wurde und gleich darauf ein junger, kräftiger +Bursche von etwa siebenzehn Jahren in's Zimmer +trat. Es war Zuhbel's Sohn, der den Fremden +freundlich grüßte und dann, ohne von seiner Familie +auch nur die geringste Notiz zu nehmen, +sich zum Tische setzte und die noch übrigen Speisen +verzehrte. Er leerte sogar ein Glas von dem +Wein, ohne eine Miene dabei zu verziehen.</p> + +<p>Während er aß, saß Zuhbel wie auf Kohlen; +er rückte auf seinem Stuhle hin und her und sah +immer nach seinem Sohne hinüber, und als dieser +kaum den letzten Bissen im Munde hatte und +seinen Teller zurückschob, stand er auf, rieb sich +die Hände und sagte:</p> + +<p>»So, jetzt kann's losgehen — jetzt sollen Sie +einmal sehen, daß wir hier im brasilianischen +Walde nicht bloß lauter Bauern und Holzhacker +sind, sondern daß wir auch in der Kunst Etwas +leisten. Bist Du fertig, Junge?«</p> + +<p>»Ja, Vater,« sagte der Sohn, stand auf, wischte +sich den Mund, nahm einen kleinen Zusammenlegekamm +aus der Tasche, um seine Frisur oberflächlich +in Ordnung zu bringen, und griff dann +ohne Weiteres nach der über dem Claviere hangenden +Violine, die er zu stimmen und herauf und +herunter zu schrauben begann. Es dauerte eine +geraume Zeit, bis er damit fertig wurde; der alte +Zuhbel hatte indessen das Clavier geöffnet und +sich daran gesetzt.</p> + +<p>»Spielen Sie?« fragte er Könnern. Dieser +verneinte. »Das müssen Sie noch lernen,« fuhr +Zuhbel fort, indem er einen falschen Accord griff; +»es ist etwas gar Schönes für einen Colonisten, +wenn er sich Abends nach der Arbeit die Zeit ein +wenig mit Musik vertreiben kann — na, hast Du's +bald?« wandte er sich an seinen Sohn.</p> + +<p>»Jetzt kommt's,« sagte dieser, indem er einen +Ton auf dem Clavier anschlug und seine Stimmung +damit verglich. Es stimmte so ziemlich — +höchstens um einen halben Ton Unterschied, was +zu unbedeutend war, deshalb noch einmal alle +Saiten abzuschrauben. Ein Strich über die Violine +war das Zeichen, und ohne weitere Verabredung, +als ob gar keine andere Melodie möglich sei, fielen +Beide in die Fra Diavolo'sche Romanze: »Erblickt +auf Felseshöhen,« ein und kratzten und hämmerten +dieselbe richtig durch, der Vater natürlich nur den +Baß schlagend, wobei es nicht darauf ankam, ob +er manchmal um zwei oder drei Zoll daneben griff.</p> + +<p>Dann kam ein schwermüthiges Lied. »Von +der Alpe tönt das Horn,« dann »Die Fahrt in's +Heu« mit allen Versen. Den Schluß bildete aber +das Schrecklichste von Allem, ein Choral; denn +während es bei den früheren Liedern über die +Mißtöne rasch hinwegging, wurden sie hier lang +und feierlich ausgehalten, und Könnern als Schlachtopfer +saß in der einen Ecke und rauchte eine schlechte +Cigarre, die wie der Wein eigenes Fabricat des +Tausendkünstlers war.</p> + +<p>Aber auch das ging vorüber; das Concert war +beendet, die Violine hing wieder an der Wand +und das Clavier wurde geschlossen — der erste +angenehme Ton, den es heute von sich gab.</p> + +<p>»Es sind nur drei Instrumente in der ganzen +Colonie,« sagte Zuhbel mit Stolz, indem er den +alten Klapperkasten freundlich auf den Rücken +klopfte, als ob es ein Pferd gewesen wäre; »eins +hat die Frau Gräfin, ein wahres Prachtstück; die +junge Gräfin hat mir einmal selber Etwas darauf +vorgespielt — die spielt, und <span class="wide">das</span> ist ein Mädel +— zum 'neinbeißen, sage ich Ihnen. Sie kennen +sie aber gewiß schon?«</p> + +<p>»Ich habe sie nur einmal im Vorbeireiten +gesehen.«</p> + +<p>»Reiten kann sie wie der helle Teufel — und +das dritte hat der Meier — der Einsiedler, wie +sie ihn unten nennen; aber ob darauf gespielt +wird, kann man nicht erfahren, denn er liegt wie +ein Kettenhund vor seiner eigenen Thür und läßt +Niemanden hinein — das ist ein schrecklicher +Mensch!«</p> + +<p>»Er macht sich nicht viel aus Gesellschaft,« +sagte Könnern gleichgültig.</p> + +<p>»Haben Sie das auch schon gemerkt?« lachte +Zuhbel; »ja, der läßt Alle abfahren, wer sie auch +sein mögen, aber — es hat seinen Grund.«</p> + +<p>»Er mag etwas menschenscheu sein; lieber +Gott, Jeder von uns hat seine Schwachheiten!« +sagte Könnern und dachte an das Concert.</p> + +<p>»Schwachheiten?« fragte Zuhbel geheimnißvoll +— »bei dem ist's mehr, darauf gebe ich Ihnen +mein Wort. Dahinter steckt Etwas. — Mit dem +ist's nicht richtig, und daß der — ich mag keinem +Menschen etwas Böses nachsagen — aber daß der +<span class="wide">wenigstens</span> einen Mord auf dem Gewissen hat, +darauf können Sie Gift nehmen. — Denken Sie +denn, daß der Jemandem gerade in's Gesicht sehen +kann? Gott bewahre, eine blaue Brille setzt er +auf, hinter der man nie weiß ob er schläft oder +zuhört, wenn man ihm 'was sagt, und daß er ein +einziges Mal seine Nachbarn besucht hätte, so +lange er hier in der Gegend wohnt — ist ihm +noch gar nicht eingefallen.«</p> + +<p>»Ja, aber mein lieber Herr Zuhbel,« sagte +Könnern, »nicht alle Menschen haben eben Freude +an Gesellschaft!«</p> + +<p>»Ach was,« rief der Mann, »der ist keines +Menschen Freund, wie sein eigener, und ich weiß +nicht einmal, ob er sich selber 'was aus sich macht. +Nein, bleiben Sie mir mit dem Herrn Meier vom +Leibe, und mit seiner ganzen Familie, der alten, +knuffnäsigen Frau, die Einen immer ansieht als +ob sie Einen beißen wollte — lieber Gott, ich +thu' ihr Nichts! — und dem bleichsüchtigen Ding +von Mädchen. Und mit seinem Reichthum soll's +auch nicht so weit her sein — mich kauft er nicht +aus, so viel weiß ich, und <span class="wide">mein</span> Land gäbe ich +nicht für ein Dutzend solcher Chagra's hin, wie +er eine hat.«</p> + +<p>Der Mann war im Zuge und ließ Könnern +nur in so fern Ruhe, daß er nicht von ihm verlangte, +ebenfalls zu reden. Er hechelte die Colonie +wieder von oben bis unten durch, und das Resultat +blieb, daß er der Einzige von Allen +sei, der wirklich Etwas vom Ackerbau verstehe und +eine Musterwirthschaft eingerichtet habe, auf der +er den Colonisten einmal zeigen wolle was man +aus dem Lande machen könne, wenn man es eben +richtig angriffe. Könnern war froh, als er sich +endlich mit der späten Stunde, und Müdigkeit +vorschützend, entschuldigen konnte, um sein Lager +zu suchen.</p> + +<p>Auch hier war Alles für ihn durch die Frauen +auf das Sauberste hergerichtet, und in einer der +oberen Kammern fand er ein, wenn auch ein +wenig hartes, doch frisch überzogenes Bett, mit +Waschzeug, Handtuch und frischem Wasser, und +außerdem noch einen Teller mit Maniokmehl und +einen Korb voll Orangen, die bei dem brasilianischen +Landmanne einen nicht unbedeutenden Theil seiner +Nahrung bilden.</p> + +<p>Die Frau leuchtete ihm hinauf. Sie sprach +kein Wort dabei, setzte ihm das Licht in die Stube +und sah sich dann noch einmal um, ob auch Alles +in Ordnung sei. Dann ging sie wieder eben so +schweigend zur Thür zurück, drehte sich noch einmal +um, sah Könnern ruhig an und sagte:</p> + +<p>»Glauben Sie kein Wort von dem, was <span class="wide">er</span> +Ihnen sagt. Es ist Alles nicht wahr. Gute Nacht, +schlafen Sie wohl!« und damit verschwand sie +draußen in dem dunklen Gange.</p> + +<p>Könnern lachte still vor sich hin, aber er war +durch das furchtbare Schwatzen seines Wirthes +so geistig müde geworden, daß er an dem Abend +nicht einmal mehr denken konnte. So suchte er +denn sein Lager und hatte sich kaum darauf ausgestreckt, +als er auch in einen tiefen Schlaf fiel +und erst am hellen Morgen neu gestärkt erwachte.</p> + +<p>Nun wollte er jetzt allerdings gleich zur Ansiedlung +zurückkehren, weil er fürchtete, daß der +Director vielleicht seinetwegen in Sorge sein könne; +aber Zuhbel ließ ihn nicht. Erst mußte er frühstücken +und dann seine Felder besehen, ohne das +kam er nicht los.</p> + +<p>Könnern war nun Nichts weniger als Ökonom, +und verstand nicht das Geringste von der Landwirthschaft, +das schadete aber Nichts; Zuhbel +schleppte seinen Gast mit einem wahren Feuereifer +über geackerte und ungeackerte Felder, und zeigte +ihm, was er <span class="wide">hier</span> bauen wollte, und was er <span class="wide">da</span> +gebaut hatte, wie jener Graben dort und dieser da +gezogen sei, und wie alt der oder jener Pfirsichbaum +wäre, und wo er die jungen Stämme herbekommen +habe — Dinge, die den jungen Maler +auch nicht im Geringsten interessirten. Endlich +hatten sie Alles gesehen, keine Hecken-Anpflanzung +von Quittenbäumen, kein Reis- oder Maisfeld war +mehr übrig, und der Fremde durfte endlich den +Wunsch ansprechen, sein Pferd zu satteln. Das +aber besorgte ihm der junge Zuhbel, der zum +zweiten Frühstücke aus dem Felde hereingekommen +war, und Könnern athmete hoch auf, als er endlich +wieder auf dem schmalen Pfade, das Thal hinab, +der Ansiedelung zutraben konnte.</p> + +<p>Und dennoch schlug er nicht den nächsten Weg +dorthin ein, sondern lenkte links ab, an Meier's +Chagra vorüber, und weshalb? Er hatte anfangs +ein unbestimmtes Gefühl, als ob er die beiden geschossenen +Waldhühner, die an seinem Sattelknopfe +hingen, Elise bringen wolle — aber das ging +nicht. Er durfte dem alten Manne nicht lästig +fallen — nicht <span class="wide">jetzt</span> schon wieder sein Haus betreten +— und doch, mit wie schwerem Herzen ritt +er an der dichten Hecke vorüber, die Alles umschlossen +hielt, was seinem Herzen lieb und theuer +war. — Vergebens suchte er auch nur einen Blick +in die Umzäunung zu gewinnen; der alte Meier +hatte schon dafür gesorgt, daß kein neugieriges +Auge in sein Heiligthum dringen könne, und tief +aufseufzend ließ er seinem Pferde endlich wieder +den Zügel, um den Weg zu verfolgen, der ihn +hinunter nach Santa Clara brachte.</p> + +<p>Noch hatte er aber das Ende der Umzäunung +nicht erreicht, als er plötzlich Musik zu hören +glaubte. Er griff seinem Thiere rasch in den +Zügel und lauschte. Richtig — im Garten selber +hörte er die melodischen Töne einer Zither. Eine +Weile horchte er, aber er war hier noch zu weit +entfernt, um die Melodie deutlich zu unterscheiden; +nur die einzelnen, höheren Töne drangen zu ihm +herüber, und ehe er noch zu einem rechten Entschluß +gekommen, was zu thun, war er schon abgestiegen +und hatte sein Pferd am Zügel.</p> + +<p>Ein Weg führte dort allerdings nicht hinein, +aber die Büsche waren doch nicht so dicht, daß er +nicht hindurch gekonnt hätte, und einen Augenblick +stand er unschlüssig, ob er das Pferd hier +draußen am Wege anbinden solle. Aber vom +Hause aus konnte Jemand daher kommen und ihn +beim Horchen ertappen — besser, er nahm es mit, +und es vorsichtig führend, näherte er sich mehr +und mehr dem Spielenden, bis endlich ganz +deutlich und gar nicht weit entfernt das Lied +zu ihm herübertönte.</p> + +<p>Hier aber hemmte eine hohe und vollkommen +dichte Hecke jedes weitere Vordringen; zu nahe +durfte er überhaupt nicht hinan, daß ihn der Schritt +des Pferdes nicht verrieth — er blieb stehen und +lauschte der Melodie, die eine Meisterhand aus den +Saiten lockte — aber wer spielte hier? Der alte +Meier selber vielleicht? Der Director hatte ihm +schon gesagt, daß er sehr musikalisch sei. Es war +eine jener schwermüthigen deutschen Volksweisen, +an denen wir so reich sind, und ein tiefes inniges +Gefühl schien die Saiten zu beleben.</p> + +<p>Jetzt war das Lied beendet und Alles ruhig +— hatte sich der Spieler wieder entfernt? Es war +so still geworden, daß er sich ordentlich fürchtete +den Platz zu verlassen, weil ihn das durch das +Pferd verursachte Geräusch verrathen mußte.</p> + +<p>Da plötzlich wurden wieder einzelne Accorde +angeschlagen, erst leise und wehmüthig, dann in +eine mehr heitere Weise übergehend. Zwei oder +drei der kleinen allerliebsten steyrischen Ländler +folgten, dann plötzlich in eine andere Tonart überspringend, +intonirte der Spieler eine dem Zuhörer +fremde Melodie, und jetzt — das Herz schlug ihm +auf einmal wie ein Hammer in der Brust, begann +eine glockenreine Mädchenstimme ein kleines +Lied, von dem er deutlich jede Silbe verstehen +konnte.</p> + +<div class="center"> + <table style="margin: 0 auto" cellpadding="0" cellspacing="0" summary="poem"> + <tr><td align="left"> Die Herzen wachsen alle dort</td></tr> + <tr><td align="left">Im blauen Himmelsfeld,</td></tr> + <tr><td align="left">Und immer zwei beisammen, eng,</td></tr> + <tr><td align="left">Die eine Schale hält.</td></tr> + <tr><td> </td></tr> + <tr><td align="left"> Vielliebchen gleich, so keimen sie</td></tr> + <tr><td align="left">Je zwei und zwei selband,</td></tr> + <tr><td align="left">Und sind sie reif, nimmt sie der Herr</td></tr> + <tr><td align="left">Und streut sie über's Land.</td></tr> + <tr><td> </td></tr> + <tr><td align="left"> Eins pflanzt er einem Jüngling ein,</td></tr> + <tr><td align="left">Das and're einer Maid,</td></tr> + <tr><td align="left">Und spricht: Mein Segen ruht auf Euch,</td></tr> + <tr><td align="left">Wenn Ihr vereinigt seid.</td></tr> + <tr><td> </td></tr> + <tr><td align="left"> Die beiden Hälften suchen nun</td></tr> + <tr><td align="left">Sich in der Welt daher,</td></tr> + <tr><td align="left">Und selig, wer sein halbes find't,</td></tr> + <tr><td align="left">O dreimal selig der!</td></tr> + <tr><td> </td></tr> + <tr><td align="left"> Das halbe Herz, Du lieber Gott,</td></tr> + <tr><td align="left">Kann doch auch halb nur schlagen —</td></tr> + <tr><td align="left">Wer <span class="wide">meine</span> and're Hälfte hat,</td></tr> + <tr><td align="left">Ich wollt', er thät mir's sagen.</td></tr> + </table> +</div> + +<p>Könnern lauschte dem Liede mit glühenden +Wangen, kaum aber war es beendet, als er — er +wußte kaum was er that — die beiden geschossenen +Waldhühner vom Sattelknopfe nahm und mit +keckem Wurf über die Hecke hinweg in den Garten +schleuderte.</p> + +<p>Er hörte noch drinnen einen leisen Aufschrei, +aber weiter Nichts, in wilder Flucht trieb er sein +Pferd wieder durch den Busch zurück auf den +Weg, sprang in den Sattel, und jagte mit einem +ganzen Sturm tobender Gefühle im Herzen in die +Ansiedelung zurück.</p> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<h3><a name="kap_7" id="kap_7"></a>7.</h3> + +<h3>Die neuen Colonisten.</h3> + +<p>Der scharfe Ritt that dem wilden Reiter wohl, +und weil er der Unsicherheit des Weges halber +sein Thier fest im Zügel halten mußte, sammelten +sich seine Gedanken auch wieder mehr auf seine +äußere Umgebung.</p> + +<p>An der Gränze des Städtchens schon fiel ihm +das rege Leben auf, das er hier traf und das er +gestern und vorgestern lange nicht so gefunden. +Eine Menge von fremden, abenteuerlichen Gestalten, +die meisten mit Gewehren auf dem Rücken, +als ob sie sich zu einem Kriegszuge gerüstet hätten, +liefen hin und wieder, und als er sich des Directors +Hause näherte, fand er dieses von einem +ganzen Menschenschwarm ordentlich belagert.</p> + +<p>Glücklicher Weise traf er einen der Hausleute, +der ihm sein Pferd abnehmen konnte, und dieser +theilte ihm auch die Neuigkeit mit, daß das Auswandererschiff +angekommen sei.</p> + +<p>Mit Mühe arbeitete er sich durch das Gedränge +im untern Theile des Hauses, denn die +Leute schienen der Meinung zu sein, daß jeder +von ihnen sein Haus und Feld schon fertig vorfände, +und sie Alle wollten sich jetzt nur beim Director +erkundigen, »wo es läge«, damit sie gleich +einziehen könnten.</p> + +<p>Den Director fand er oben in einer ganz verzweifelten +Stimmung, wie er sich gerade mit einem +etwas zu frechen Burschen herumzankte und im +Begriffe stand, diesen eigenhändig die Treppe +hinunter zu werfen. Könnern behielt noch eben +Zeit, dem Hinunterpolternden auszuweichen.</p> + +<p>»Da haben wir's!« rief ihm der Director schon +oben entgegen. »Jetzt sind sie da und Nichts +fertig — Nichts in Ordnung, daß man sich auch +noch von den Flegeln im eigenen Hause muß +Grobheiten sagen lassen!«</p> + +<p>»Nun, die Strafe folgte wenigstens auf dem +Fuße,« lachte Könnern.</p> + +<p>»Da soll einem Andern die Galle nicht überlaufen! +Ich hätte mich an dem Lump eigentlich +nicht vergreifen sollen, aber, bei Gott im Himmel, +sie treiben's zu arg! Er nannte mich geradezu +einen Ochsen, und da gebrauchte ich mein Hausrecht!«</p> + +<p>»Recht ist ihm geschehen,« sagte Könnern; »aber +was nun? — Wo wollen Sie mit der ganzen +Gesellschaft hin?«</p> + +<p>»Sie können mir dabei helfen, Könnern.«</p> + +<p>»Von Herzen gern, wenn ich eben nur weiß +wie.«</p> + +<p>»Ich habe für diesen Fall, da ich ja schon +vorgestern von der Ankunft hörte, ein paar Häuser +in der Stadt gemiethet; wir dürfen die armen +Teufel, besonders die Frauen, doch nicht im Freien +liegen lassen, denn es kann noch jede Nacht ein +tüchtiger Regen einsetzen. In dem Auswandererhause +bringe ich aber höchstens noch acht oder zehn +unter, bei mir vielleicht auch noch zwei oder drei, +und die Übrigen müssen in jene beiden Häuser +einlogirt werden. Kommen Sie mit hinunter; +wir sehen uns die beiden Baulichkeiten gleich noch +einmal an, und dann sind Sie vielleicht so freundlich +und übernehmen die Hinüberschaffung der +Leute. — Apropos, wo waren Sie die Nacht? — +Verirrt?«</p> + +<p>»Nein; bei einem Herrn Zuhbel auf der +Chagra.«</p> + +<p>»Ah, bei meinem Freunde Zuhbel; nun, da +hatten Sie wenigstens Concert und Wein,« sagte +der Director trocken.</p> + +<p>»Das sei Gott geklagt!« lachte Könnern.</p> + +<p>»Und haben auch gleich einen Überblick über +die Privatverhältnisse der Einzelnen bekommen. +Doch lassen wir das. Jetzt an die Arbeit, und +nachher müssen Sie mir von Ihrer Jagd erzählen!« — —</p> + +<p>In dem kleinen Städtchen sah es heute wirklich +bunt aus, denn gestern Abend noch, schon nach +elf Uhr, waren die Einwanderer mit Booten +heraufgekommen, wo sie natürlich an der Landung +liegen bleiben mußten. Der Capitän hatte ihnen +freilich abgerathen, die Fahrt noch so spät zu +unternehmen, aber die Leute wollten so rasch als +möglich brasilianischen Grund und Boden betreten, +und nur Wenige waren klug genug gewesen, den +nächsten Morgen abzuwarten, um ihren Einzug +in Brasilien zu halten. Jetzt strömten sie nun +nach allen Richtungen in der Stadt umher, und +als man sie haben wollte, um ihren nächsten +Aufenthalt zu ordnen, war eben Keiner zu finden.</p> + +<p>Nur mit großer Mühe gelang es Könnern +und dem Director, die Leute endlich in die allerdings +engen Räumlichkeiten hinein zu bringen, +und sie fanden hier wieder bestätigt, daß alle die, +denen man es ansah, wie sie früher in besseren +und behäbigeren Verhältnissen gelebt, am Leichtesten +zu befriedigen waren und sich die größten +Unbequemlichkeiten gern gefallen ließen, während +gerade die abgerissensten und verwahrlostesten Subjecte +sich mit <span class="wide">Nichts</span> zufrieden zeigten und die +größten Ansprüche machten.</p> + +<p>Noch drei Familien waren übrig geblieben, +die im Anfang auch gar kein Verlangen nach +einem Unterkommen zu haben schienen, und unten +ruhig am Wasser saßen, dem Treiben der Anderen +zuzusehen. Der Director hatte sich gefreut, daß +sie vernünftig abwarteten bis die Reihe an sie +kam, und schon beschlossen, sie so gut als irgend +möglich zu quartieren.</p> + +<p>Jetzt ging er, während Könnern sich noch mit +einer andern Familie oben in der Stadt abquälte, +zu ihnen und sagte:</p> + +<p>»So, Ihr Leute, Ihr sollt nicht zu kurz gekommen +sein, daß Ihr mir das Leben nicht auch schwer +gemacht habt. Die Frauen mögen nun noch bei +den Sachen bleiben, und Ihr Männer packt indessen +auf den Karren, der da gerade wieder die Straße +herunterkommt, was Ihr eben laden könnt. Ich +habe für den Augenblick nur noch das eine Fuhrwerk +zur Verfügung.«</p> + +<p>»Ja, das ist schon gut,« sagte der eine Mann, +der auf einer Kiste saß und auch keine Miene +machte aufzustehen; »wann kommt aber denn nun +eigentlich das Schiff?«</p> + +<p>»Welches Schiff?«</p> + +<p>»Nun, <span class="wide">unser</span> Schiff!«</p> + +<p>»Das Euch hergebracht hat?«</p> + +<p>»Nein, das andere.«</p> + +<p>»Das andere? Was für ein anderes?«</p> + +<p>»Nun, das uns von hier nach Rio Grande +bringen soll.«</p> + +<p>»Nach Rio Grande? Ja, Leute, wollt Ihr +denn schon wieder fort? Ihr seid doch eben erst +hier angekommen!«</p> + +<p>»Ja, wir haben alle unsere Freundschaft bei +Rio Grande,« sagte die eine Frau, »und die Passage +auch dorthin bezahlt.«</p> + +<p>»Aber hier legt nie ein Schiff nach Rio Grande +an,« sagte der Director; »da müßtet Ihr erst +wieder nach Santa Catharina fahren, und das +kann noch sechs oder acht Wochen dauern, bis sich +dazu Gelegenheit findet. Wenn Ihr <span class="wide">da</span> hin wolltet, +so mußtet Ihr doch wahrhaftig mit keinem Schiffe +nach Santa Clara fahren. Da hättet Ihr Euch +<span class="wide">vorher</span> erkundigen sollen.«</p> + +<p>»Ja, das haben wir doch gethan,« sagte der +eine Mann; »der Herr Agent in Antwerpen hat +uns ja auch gesagt, <span class="wide">das</span> Schiff hier brächte uns +nach Santa Clara, und Rio Grande wäre <span class="wide">dicht</span> +dabei — er hat's uns ja auch auf der Karte gezeigt +— keinen Finger breit von einander war's.«</p> + +<p>»Und Euer Schiffscontract ist bis nach Rio +Grande gemacht?«</p> + +<p>»Da — <span class="wide">hier</span> steht's,« sagte der Mann und +zog das Papier aus der Tasche.</p> + +<p>Der Director nahm es; aber auf den ersten +Blick sah er schon, daß in dem Contracte stand: +Von Antwerpen nach Santa Clara. »Da steht +ja kein Wort von Rio Grande?« fragte er den +Auswanderer.</p> + +<p>»Na, natürlich nicht, weil's dicht dabei liegt,« +brummte dieser verdrießlich; »das hat uns ja der +Herr Agent ganz genau auseinander gesetzt, daß +das Schiff nur bis Santa Clara ginge und daß +dann ein anderes daneben liege, welches uns gleich +hinüberbringe. Die Schiffe fahren ja doch alle +hier erst in Santa Clara an — so dumm sind +wir auch nicht, daß wir das nicht genau ausgemacht +hätten.«</p> + +<p>Der Director faltete den Contract langsam +zusammen und gab ihn dem Manne zurück.</p> + +<p>»Lieber Freund,« sagte er ruhig, »die Sache +ist höchst einfach die, daß Ihr Euch in Antwerpen +habt anführen lassen — weiter Nichts. Der Agent +dort hatte gerade dieses Schiff liegen und <span class="wide">seinem</span> +Contracte nach Passagiere dafür zu schaffen; deshalb +seid Ihr da mit aufgepackt und fortgeschickt. +Zwischen hier und Rio Grande besteht gar keine +regelmäßige Verbindung; nur zu Zeiten bietet sich +Gelegenheit durch einen der kleinen Küstenfahrer, +der Euch nach Santa Catharina bringen könnte. +Dort müßt Ihr aber wieder auf ein Dampfschiff. +Was außerdem die kleine Entfernung betrifft, so +<span class="wide">könnt</span> Ihr die Reise nach Santa Catharina +<span class="wide">vielleicht</span> in vier bis fünf Tagen machen, wenn +der Wind gut ist — im andern Falle nimmt sie +eben so viele Wochen in Anspruch, und von da +sind auch wieder drei bis vier Tage nach Rio +Grande nöthig. Außerdem wird Euch <span class="wide">diese</span> Tour +fast noch eben so viel kosten, als die Reise von +Deutschland hierher.«</p> + +<p>»Aber Du mein großer, allmächtiger Gott, wir +haben ja keinen Pfennig Geld mehr!« schrie die +eine Frau.</p> + +<p>»Und der Herr Agent hat gesagt, daß uns die +Reise von hier nach Rio Grande keinen Heller kosten +sollte.«</p> + +<p>»Dann hat der Agent einfach gelogen,« sagte +der Director ruhig, »und es ist eine Betrügerei, +wie sie schon mehrfach vorgekommen.«</p> + +<p>»O, Du mein gütiger Heiland,« jammerte eine +andere Frau, »dann sind wir verrathen und verkauft +und müssen hier elend verderben!«</p> + +<p>»Beruhigt Euch, so schlimm ist die Sache noch +nicht,« tröstete sie der Director — »wenn Ihr Euch +nicht vielleicht doch noch entschließt hier zu bleiben +und Euch hier niederzulassen.«</p> + +<p>»Aber wir haben unsere ganze Freundschaft +bei Rio Grande; meiner Schwester Sohn und der +Elias und die Dorothea sind auch drüben und +warten auf uns. —«</p> + +<p>»Gut, gut, ich sehe jetzt schon wie die Sache steht; +ich will einen Versuch machen und an die Regierung +nach Rio schreiben, welche schon mehreren +anderen armen Auswanderern, die von betrügerischen +Agenten in eine ähnliche Lage gebracht +worden, geholfen hat, und vielleicht läßt sich doch +noch Alles einrichten.«</p> + +<p>»Und wann können wir fort?« fragte die Frau +rasch — »kommt das Schiff bald?«</p> + +<p>»Ja, liebe Frau,« sagte der Director, »so rasch +geht die Sache nicht; wenn ich Euch in zwei oder +drei Monaten hier wegbringe….«</p> + +<p>Ein lautes Gejammer der Frauen unterbrach +ihn, aber es war hier gar Nichts weiter zu thun. +Die Leute hatten sich einmal betrügen lassen, und +es blieb nichts Anderes übrig, als die Regierung +um Hülfe anzusprechen, was freilich nicht in +ein paar Tagen gethan war. Der Brief allein +brauchte acht Tage, bis er hinkam. Diese Leute +mußten aber eben doch untergebracht werden, und +wie sie in der ganzen Zeit erhalten werden sollten, +blieb außerdem noch zu bedenken. Die Männer +waren indessen kräftig und konnten arbeiten, +und Arbeit gab es immer, wenn es auch nur zu +Wegebauten gewesen wäre.</p> + +<p>Daß der Director nicht viel ruhige Stunden +bei all' diesem Wirrwarr hatte, läßt sich denken, +und außerdem wollte auch noch der Bursche, den +er etwas unsanft aus seinem Hause gesetzt, die +Einwanderer gegen ihn aufhetzen, und lief von +einer Gruppe zur andern, ihre Hülfe fordernd, +weil er nichtswürdig behandelt sei und sich das +nicht gefallen zu lassen brauche. Die Leute hatten +aber heute zu viel mit sich selber zu thun; außerdem +kannten sie den Gesellen schon von der Reise +her und mochten sich nicht mit ihm einlassen.</p> + +<p>Es war eine verwilderte, rohe Gestalt, der +Bursche, eine Persönlichkeit, wie man sie daheim +besonders in Meßbuden und herumziehenden Banden +oder Menagerien trifft. Er trug einen hellblauen, +fleckigen und zerrissenen Rock, schmutzige +Soldatenhosen, keine Weste und auf dem Kopfe +eine dunkelblaue Mütze mit einem Stück schmaler +Silbertresse darum genäht. Schnurrbart und +Knebelbart ließ er sich ebenfalls wachsen. Mit +den blonden Haaren hatte sein Gesicht auch trotz +der markirten Einschnitte etwas Jungenhaftes behalten, +was durch den übergeschlagenen schmutzigen +Hemdkragen noch unterstützt wurde, und man +wäre veranlaßt gewesen, ihn auf den ersten Blick +für einen verwahrlosten Burschen von achtzehn bis +zwanzig Jahren zu halten.</p> + +<p>Während er aber mitten auf der Straße stand +und schimpfte und fluchte, saß neben ihm sein +bleiches, abgehärmtes Weib, ein Kind an der Brust +und ein Mädchen von etwa acht und ein Junge +von zehn Jahren neben ihr stehend — ein Bild +des Jammers, mit großen, hellen Thränen in den +Augen.</p> + +<p>Eine ganze Lebensgeschichte von Jammer und +Leid lag in ihrem Antlitz, in der ganzen gebrochenen +Gestalt — aber sie klagte nicht, kein +Wort kam über ihre Lippen. Nur das Kind beschwichtigte +sie mit der einen Hand, während sie +mit der andern sich das Blut von der Stirn +wischte, wohin sie der Unmensch, als sie ihn gebeten +hatte keinen Streit am ersten Tage anzufangen, +mit roher Faust geschlagen.</p> + +<p>Doch nicht nur solche traurige Bilder bot die +Scene. Auf einem kleinen Leiterwagen, dem man +nur durch eine Partie Strohschütten einige Elasticität +abgewonnen und der, von ein Paar kräftigen +braunen Pferden gezogen, lustig dahergerasselt +kam, <ins title="Original hat wurde">wurden</ins> im scharfen Trabe ein Mann +und eine Frau die breite Straße entlang geschüttelt, +die in die Stadt hinein führte. Der Mann +sah sonnverbrannt, aber kräftig und gesund aus, +und verrieth auch in seiner ganzen, einfachen aber +saubern und passenden Kleidung den behäbigen +Bauer. Die Frau neben ihm, die ein Kind auf +dem Schooße hielt und dasselbe des bösen Stoßens +wegen mehr hob, als vor sich sitzen hatte, war +jedenfalls seine Frau; der forschende Blick, den +aber Beide unablässig nach rechts und links sandten, +verrieth, daß sie Etwas suchten, und als der Wagen +den belebteren Theil der Straße erreichte, hielt +der Mann sein Pferd an, und die Frau rief fast +ängstlich einige der Vorübergehenden an:</p> + +<p>»Ja, wo sind sie denn nur — wo sind sie +denn hingebracht?«</p> + +<p>»Wer?« fragte der Angeredete.</p> + +<p>»Nun, die mit dem neuen Schiffe gekommen +sind.«</p> + +<p>»Ja,« lachte der Mann, »die stecken überall +herum, wo man sie eben unterbringen konnte, Einer +da, Einer dort.«</p> + +<p>»Wen sucht Ihr denn?« fragte eine Frau, die +gerade des Weges kam und auch zu den neuen +Einwanderern gehörte.</p> + +<p>»Die alte Frau Mecheln aus dem Würtembergischen, +aus Bellstadt,« rief die Frau vom +Wagen herunter, und griff ihrem Manne in die +Zügel, weil das Pferd nicht stehen wollte.</p> + +<p>»O, die alte Mecheln, die ist mit bei uns! — +Gleich da drüben um die Ecke, wo der große Baum +vor dem Hause liegt.«</p> + +<p>»Und sie ist wohl?«</p> + +<p>»Kerngesund, die ganze Reise gewesen.«</p> + +<p>Der Mann hatte bei der Erwähnung des Hauses +schon sein Pferd in die bezeichnete Straße eingelenkt; +die Frau winkte dankend mit der Hand, +fort rasselte das Geschirr, daß die Funken stoben, +und hielt gleich darauf vor dem genannten Hause. +Und sie brauchten hier nicht lange zu warten. +Sobald der Wagen anhielt, ging die Thür auf, +und die alte Frau, die mit Schmerzen darauf gewartet +hatte, daß sie Einer der Ihrigen hier erwarten +solle, trat in die Thür.</p> + +<p>»Großmutter!« schrie die Frau ihr schon vom +Wagen aus entgegen — »Großmutter — wie +geht's — wie geht's?«</p> + +<p>»O, Du mein himmlischer Vater!« rief die +alte Frau und hielt sich an dem Thürgeländer, an +dem sie stand. Aber ihre Enkelin war schon unten +bei ihr — wie sie mit dem Kinde vom Wagen +gekommen, wußte sie selber nicht — mit Einem +Satze war sie unten und bei der Großmutter, +ließ das Kind auf die Erde niedergleiten, umfaßte +die alte, zitternde Frau und schluchzte, als ob ihr +das Herz brechen solle vor Nichts als Wonne und +Seligkeit.</p> + +<p>Der Mann hatte noch mit den Pferden zu +thun, die nicht stehen wollten, aber ein Bekannter +kam die Straße herunter, der ihm dabei half und +dieselben hielt, und er stieg nun auch ab, warf +erst die Stränge los, daß kein Unglück geschehen +konnte, und ging dann ebenfalls langsam zur +Großmutter hinüber, die er beim Kopfe nahm +und herzhaft abküßte.</p> + +<p>Dann aber faßte er die Sache auch praktisch +an, denn ein einziger Blick in den innern Raum +sagte ihm schon, daß die alte Frau hier nicht +länger bleiben konnte. Ohne sich deshalb weiter um +etwas Anderes zu bekümmern, ging er in das Haus +und ließ sich die sämmtlichen Sachen von der +»Großmutter« geben, die schon alle zusammen in +der einen Ecke standen, lud dieselben mit Hülfe +einiger der Auswanderer auf den Wagen und nahm +dann die alte Frau selber wie ein Kind auf den +Arm, um sie auf den schon für sie bereiten Sitz +zu tragen.</p> + +<p>»Aber Junge, Junge,« rief die Alte halb erschreckt +über die gewaltsame Entführung — »meine +Sachen! Alle meine Sachen stehen ja noch in der +Stube.«</p> + +<p>»Schon Alles auf dem Wagen droben, Großmutter.«</p> + +<p>»Auch die blaue Kiste?«</p> + +<p>»Da hinten steht sie.«</p> + +<p>»Und der kleine Holzkoffer?«</p> + +<p>»Alles oben.«</p> + +<p>»Aber der Korb mit dem Tuche oben drauf, +und die rothe Lade….«</p> + +<p>»Alles da; es fehlt Nichts.«</p> + +<p>»Aber den Regenschirm seh' ich nicht.«</p> + +<p>»Den Regenschirm?« sagte der Enkel verblüfft, +denn da war wirklich Etwas, was er vergessen +hatte.</p> + +<p>»Er steht gleich neben dem Fenster in der +Ecke« — aber einer der Jungen aus dem Hause +war schon hineingesprungen, um das Vermißte zu +holen, und kam gleich darauf im Triumph damit +zurück.</p> + +<p>»So, Großmutter,« sagte der Mann, »ist nun +Alles da?« Die Enkelin hatte mit dem kleinen +Kinde schon neben ihr Platz genommen.</p> + +<p>»Alles, meine Kinder — und sind wir denn jetzt +wirklich in Brasilien?«</p> + +<p>»Na, ob!« sagte der Mann, gab seinen Pferden +einen kleinen Peitschenhieb, und fort rasselte +der Wagen wieder, die glücklichen Menschen ihrer +eigenen Heimath zuzuführen.</p> + +<p>Gerade als das Fuhrwerk wieder die Stadt +verließ, landete noch ein kleines Boot, die Capitainsjölle, +worin dieser einige Kajütenpassagiere +an's Land brachte. Drei oder vier andere waren +schon gestern Abend mit den Zwischendeckspassagieren +gelandet und gleich in den Gasthof gegangen, +um dort Unterkunft zu finden. Eben +dahin hatte sich aber auch eine Anzahl von Zwischendeckspassagieren +gewandt, die sich in dem, ihnen +von der Direction angewiesenen Raume nicht +wohl fühlten und noch Geld genug bei sich führten, +wenigstens die erste Zeit davon leben zu können. +Waren sie dann erst einmal acht oder vierzehn +Tage in der Colonie, so ließ sich mit mehr Muße +eine bequemere Einrichtung treffen.</p> + +<p>In dem letzten Boote befanden sich ein paar +junge Kaufleute und ein junger Baron, ein Herr +von Pulteleben; mit einer wahren Unmasse von +kleinem Handgepäck, das er im Boote um sich her +aufgeschichtet hatte. An der Landung konnte er +aber natürlich nicht gleich Jemanden finden, der +es ihm trug, und die Folge davon war, daß er, +das »Hôtel« eine halbe Stunde später als die +Übrigen erreichend, keinen einzigen Platz mehr +fand, keinen Platz wenigstens, wie er ihn wünschte, +d. h. ein Zimmer allein, wie er auf dem Schiffe +auch eine Koje für sich selber gehabt. Der junge +Herr hatte übrigens Geld, und glaubte, darauf +pochend, Alles durchsetzen zu können.</p> + +<p>Der Wirth »Bodenlos«, wie er von den Colonisten +genannt wurde — eigentlich hieß er Bohlos +— stand schon etwas halbselig in der Thür, denn +er hatte es sich nicht nehmen lassen, mit all seinen +neu angekommenen Gästen den sogenannten Willkommenstrunk +zu leeren, und betrachtete, die Hände +in den Taschen, den von zwei endlich gefundenen +Lastträgern begleiteten Fremden.</p> + +<p>»Ist dieses das Hôtel?« fragte dieser rasch.</p> + +<p>»Aufzuwarten,« sagte der Wirth, und überflog +mit einem lächelnden Blicke die um die Thür hergestreute +Bagage; »Hôtel zum Hoffnungsanker in +Santa Clara. Wollen Sie ein Bett?«</p> + +<p>»Ich wünschte ein Zimmer — allein, wo +möglich mit Cabinet — vorn heraus und im ersten +Stock.«</p> + +<p>»Kann ich mir wohl denken,« sagte Bodenlos +mit unerschütterlicher Ruhe, ohne selbst die Hände +aus den Taschen zu nehmen — »das wünschen +sich Mehr, können es aber eben nicht kriegen.«</p> + +<p>»Nicht kriegen?« sagte der junge Mann erstaunt — »ich +heiße von Pulteleben.«</p> + +<p>»Ist mir sehr angenehm, Ihre werthe Bekanntschaft +zu machen,« sagte der Wirth — »<span class="wide">ich</span> heiße +Bohlos, Christian Bohlos; das Lumpenvolk in der +Colonie nennt mich aber Bodenlos, bleibt sich indessen +ganz gleich, wie wir Beide heißen.«</p> + +<p>»Aber ich <span class="wide">muß</span> ein Zimmer haben,« sagte von +Pulteleben, der noch gar nicht recht wußte, was +er aus dem Benehmen des Wirthes machen sollte.</p> + +<p>»Natürlich, wenn Sie nicht unter freiem Himmel +bleiben wollen,« meinte der Wirth, — »und +wenn's regnete, wäre das fatal — besonders für +alle die Schachteln.«</p> + +<p>»Dann bitte ich nur, daß Sie Anstalt machen,« +sagte von Pulteleben, »denn es ist nicht angenehm, +hier draußen zu stehen, und ich möchte mein +Gepäck los sein.«</p> + +<p>»Na, das wäre das Leichteste,« lachte der +Wirth — »wenn Sie's nur hier eine Stunde allein +draußen stehen ließen. Aber Herr von Bullleben, +oder wie Sie gleich hießen, ich will Sie nicht +lange hinhalten. Verlangen Sie hier ein Bett, +um irgendwo mit Drei oder Vier in einem Zimmer +zu schlafen, so denke ich, daß ich es möglich +machen kann — ich will mir wenigstens Mühe +geben, und Essen genug haben wir im Hause, +aber ein Zimmer allein <span class="wide">können</span> Sie nicht hier +bekommen, weil ich eben keins mehr habe, und +andere Gäste hinaus werfen geht eben so wenig. +Also damit Basta!«</p> + +<p>»Und existirt hier kein anderes Hôtel in der +Stadt?« fragte der sichtlich schon sehr Enttäuschte.</p> + +<p>»Gegenwärtig nicht,« bemerkte äußerst artig +Herr Bohlos; »wenn Sie aber vielleicht noch drei +oder vier Monate warten wollen, so wird sich +wahrscheinlich ein Rheinbaier hier etabliren und +ein Hôtel zur Belle Vue errichten; das Grundstück +ist wenigstens schon dazu angekauft.«</p> + +<p>Herr von Pulteleben stand in einer wahren +Verzweiflung mitten auf der Straße, denn die +Ironie dieses gemeinen Menschen, des Wirthes, +dem er nicht das Geringste entgegenstellen konnte, +ließ ihn noch vollkommen unschlüssig, was er thun +solle — erst grob werden und den Burschen dann +mit Verachtung strafen, oder das Letztere lieber +gleich zuerst thun.</p> + +<p>»Sie wollen ein hübsches Zimmer, vorn heraus +und mit Aussicht?« redete ihn da plötzlich eine +Stimme an, nach der sich von Pulteleben überrascht +umschaute. Jeremias, denn niemand Anderes +war es, der vor ihm stand, sah aber auch +in der That wunderlich genug aus, um Jemanden +zu überraschen, der frisch aus Deutschland herüber +kam und an jene exotischen Individuen noch nicht +gewöhnt war, die man über ganz Amerika wild +zerstreut findet.</p> + +<p>Jeremias war, wie schon vorher einmal angedeutet, +eine Art von Factotum in der Colonie. +Er trieb eigentlich gar keine bestimmte Beschäftigung, +sondern nahm nur da Arbeit an, wo er +sie gerade bekam, so daß er oft fünf oder sechs +verschiedene Herren zu gleicher Zeit, und dann +wieder einmal gar keinen hatte. Dazwischen ließ +er sich Wege schicken, putzte den Honoratioren +Stiefel und Röcke, reinigte Gewehre und Pfeifen, +und stand sogar in dem Rufe, schon hier und da +Heirathen zwischen Familien vermittelt zu haben, +die sonst im Leben nicht zusammengekommen wären. +Jedenfalls hatte er ein ähnliches Gewerbe in Deutschland +getrieben, wo zwischen Bauernfamilien und +überhaupt auf dem Lande Ehen nur zu häufig +auf diese Art geschlossen werden.</p> + +<p>Jeremias ging auch demnach gekleidet, denn +während der Seidenhut (Cylinder, Schraube, Angströhre, +oder wie die Namen alle heißen mögen) in +die höhere Gesellschaft hineinragte, stand er mit +den groben, schweren nägelbeschlagenen Schuhen +mitten im Proletariat, und der übrige Mensch +trug außerdem nur die Kleider der übrigen Menschen +— abgelegte Hosen, Westen und Röcke, wie +sie ihm von den Honoratioren abfielen und meist +noch alle aus Deutschland herübergekommen waren. +Leider paßten sie nur nicht immer, und Jeremias +schien darin eine eigene Geschicklichkeit erworben +zu haben, seinen Körper allen derartigen Errungenschaften, +so gut das nur möglicherweise gehen +wollte, anzuschmiegen.</p> + +<p>Heute nun fand er reichliche Beschäftigung bei +den neuen Ansiedlern, theils um Gepäck auf einem +Handkarren von der Landung herauf zu schaffen, +theils die verschiedenen Parten an passenden +Stellen unterzubringen. Daß er seine übrigen +und alten Kunden dadurch vernachlässigte, störte +ihn nicht im Geringsten. Die liefen ihm nicht +weg, aber Alles, was er unter der Zeit <span class="wide">hier</span> +verdiente, war rein gewonnen.</p> + +<p>Um aber die Arbeit rasch und leicht verrichten +zu können, hatte er seinen Rock ausgezogen und +ohne Weiteres in irgend ein offenes Fenster an +der Straße hineingeschoben; so stand er denn +jetzt vor von Pulteleben, die unten zu einem Wulst +aufgekrämpelten Hosen oben mit einer grellrothen, +wollenen Schärpe statt Hosenträger festgehalten, +darüber eine hellblaue Seidenweste geknöpft, die +der frühere Besitzer nicht mehr tragen konnte, da +ihm der Kellner eines Mittags die Saucière +darüber geschüttet, eine schwarze Halsbinde um +den nackten Hals, denn der weiße Hemdkragen +war ihm bei der scharfen Arbeit darunter vorgerutscht, +und ein großes, blaubaumwollenes Taschentuch +in die linke Hosentasche so weit hineingezwängt, +wie es möglicherweise gehen wollte.</p> + +<p>Jeremias schwitzte außerdem, daß ihm das +Wasser ordentlich in Strömen von Stirn und +Schläfen herunter lief, und von Pulteleben lachte, +trotz seiner unangenehmen Situation, doch gerade +heraus, als Jeremias das blaue Taschentuch jetzt +durch einen plötzlichen Ruck zu Tage brachte — +wobei er die Hosentasche auch mit nach außen +drehte — dann mit der rechten Hand seine brennend +rothe Perrücke lüftete und sich darunter den +vollkommen kahlen Kopf mit dem Tuche wischte.</p> + +<p>»Na, Sie brauchen nicht zu lachen,« sagte +Jeremias; »ich wollte einmal sehen, wie <span class="wide">Sie</span> +schwitzten, wenn <span class="wide">Sie</span> so ein Ding auf dem Kopfe +hätten; das ist wie ein Pelz — nun, wie steht's?«</p> + +<p>»Also Sie haben eine Stube zu vermiethen?« +fragte der junge Mann, dem jetzt vor allen Dingen +daran lag ein Unterkommen zu finden — »in angenehmer +Lage?«</p> + +<p>»<span class="wide">Ich</span> nicht,« meinte Jeremias, »das bleibt sich +aber gleich, denn ich weiß eine, wo Sie gleich +einziehen können.«</p> + +<p>»Allein?«</p> + +<p>»Mutterseelens,« sagte Jeremias lakonisch.</p> + +<p>»Weit von hier?«</p> + +<p>»Gar nicht.«</p> + +<p>»Aber wie bekomme ich meine Sachen dorthin?«</p> + +<p>»Handkarren,« erwiederte der kleine praktische +Bursche, sprang, ohne weiter eine Antwort abzuwarten, +hinter das Haus, holte dort seinen eingeschobenen +Karren vor, lud die Habseligkeiten des +Fremden darauf, schnürte das Ganze mit einem +Seile fest zusammen und war nach wenigen Minuten +schon unterwegs, und zwar nach keinem andern +Hause, als dem der Gräfin Baulen, in welchem +er den Fremden ohne Weiteres einzuquartieren +gedachte.</p> + +<p>Glücklich für ihn und seinen kühn entworfenen +Plan war Oskar gerade nicht zu Hause und mit +Helenen auf einem Spaziergange begriffen, um +die neu gekommenen Ansiedler ein wenig zu besichtigen. +Als Jeremias mit dem Karren vor dem +Garten hielt, saß die Frau Gräfin gerade in ihrem +Zimmer und schrieb ein paar Briefe.</p> + +<p>»Das ist aber kein Hôtel,« sagte der junge +Fremde, das Haus betrachtend.</p> + +<p>»Privatwohnung,« meinte Jeremias — »aber +famos — charmante Leute — werden Ihnen gefallen, +besonders die Tochter« — und damit rückte +er sich ohne Weiteres einen der schweren Koffer +auf die Schultern und schritt damit in das Haus +hinein, während von Pulteleben bei seinen übrigen +Sachen noch zurückblieb. Nach einer Weile kam +er wieder zurück und holte den andern Koffer, +und als er zum dritten Male kam, packte er dem +Fremden selber ein paar Hutschachteln und ein +leichtes Kistchen mit Schirm und Stock auf, ergriff +dann das Übrige und sagte:</p> + +<p>»Nu kommen Sie, jetzt wollen wir einziehen.«</p> + +<p>Der Fremde folgte ihm auch vollkommen +ahnungslos, daß ihn der kleine Bursche hier ohne +die geringste Berechtigung in ein wildfremdes Haus +als Miethsmann einführe, und nur erst, als sie +die erste Treppe erstiegen hatten und Jeremias +voran die zweite hinaufstieg, blieb er stehen und +sagte:</p> + +<p>»Noch höher?«</p> + +<p>»Kommen Sie nur,« ermunterte ihn jedoch sein +Führer — »famose Aussicht, wie gemalt,« und da +er ihm mit seinen Sachen voranging, blieb auch +Nichts weiter übrig, als ihm zu folgen; mußte er +doch überhaupt froh sein, nur ein Unterkommen +zu finden. Kaum hatte er übrigens etwa zehn +Stufen der zweiten Treppe erstiegen, als eine +Thür im ersten Stock geöffnet wurde und die +Frau Gräfin, welche den Lärm draußen gehört +hatte, erstaunt auf ihrer Schwelle stehen blieb. Sie +erkannte übrigens, vor dem Fremden, noch gerade +den aufsteigenden Jeremias und rief:</p> + +<p>»Nun, was ist denn das für Gepäck?«</p> + +<p>»Alles in Ordnung!« rief Jeremias zurück, +ohne sich weiter stören oder außer Fassung bringen +zu lassen.</p> + +<p>Die Gräfin schüttelte den Kopf, doch sie konnte +nicht anders glauben, als daß Oskar, der gewohnt +war sehr selbstständig aufzutreten, ihr irgend einen +Gast in das Haus gebracht habe, der ihr allerdings +zu keiner Zeit hätte unbequemer kommen +können. Gewohnt aber, sich in dessen Launen oder +unbedachte Streiche zu fügen, seufzte sie nur tief +auf, trat in ihr Zimmer zurück und zog die Thür +hinter sich in's Schloß. Wenn Oskar übrigens +nach Hause kam, wollte sie ihm tüchtig den Kopf +deshalb zurecht setzen.</p> + +<p>Der Fremde erreichte das kleine Zimmer, wo +Jeremias schon seine übrigen Sachen eingestellt +hatte, und sah sich hier allerdings etwas überrascht +um. So freundlich das Local auch liegen mochte, +denn es bot einen Überblick über einen Theil der +Ansiedelung und nach den fernen Bergen hinüber, +so fehlte ihm doch auch <span class="wide">jede</span> andere Bequemlichkeit. +Kein Stuhl, kein Tisch, kein Bett, kein +Spiegel, Nichts, Nichts war zu sehen, als die +kahlen geweißten Wände, und Herr von Pulteleben +rief:</p> + +<p>»Nun, das ist ein hübsches Logis, in dem nicht +einmal ein Stuhl steht! Wohin haben Sie mich +denn gebracht, Meister Ungeschickt?«</p> + +<p>»Nur keine Überstürzung,« sagte Jeremias, +indem er den Rest der Sachen auf die beiden +Koffer legte; »wir haben Zeit, und nach und +nach macht sich Alles. Vorerst sind Sie einmal +untergebracht, und was wollen Sie mehr?«</p> + +<p>»Mehr?« rief von Pulteleben erstaunt — +»Möbel will ich — meine Bequemlichkeit, wofür +ich bezahle, und vor allen Dingen einen Waschtisch.«</p> + +<p>»Waschtisch?« sagte Jeremias — »giebt's nicht. +Vor der Hand setzen wir das Waschbecken auf +einen Stuhl, wenn wir erst eins haben.«</p> + +<p>Herr von Pulteleben, der anfing, sich über den +Burschen zu amüsiren, lachte, und Jeremias, sich +im Zimmer umsehend, fuhr fort:</p> + +<p>»Hauptsächlich brauchen Sie einen Tisch und +einen Stuhl, das ist wohl das Nothwendigste.«</p> + +<p>»Ich dächte auch,« sagte der junge Mann, »um +nur die bescheidensten Ansprüche zu befriedigen.«</p> + +<p>»Das denk' ich, kann ich schaffen,« nickte +Jeremias, »und was weiter loszueisen ist, wollen +wir nachher sehen. Decken haben Sie doch bei +sich?«</p> + +<p>»Decken? Denke nicht daran; nur meinen Plaid. +Die Leute, welche ein Zimmer vermiethen, müssen +doch auch ein Bett dazu haben.«</p> + +<p>»Puh!« meinte Jeremias, »reden wir nicht +davon; aber ein Plaid ist für das warme Wetter +genug zum Zudecken, und der Boden hier im +schlimmsten Falle,« fuhr er fort, indem er mit +dem Hacken auf die Diele trat, »von weichem +Holze — Lust und Liebe zu einem Ding machen +jede Müh' und Arbeit gering.«</p> + +<p>»Den Teufel auch,« rief der junge Mann erschreckt, +»ich werde doch nicht sollen auf der nackten +Erde schlafen?«</p> + +<p>»<span class="wide">Nackten</span> Erde? Pst!« sagte Jeremias mit +einem unendlich komischen und ermahnenden Gesichte +— »es sind Damen im Hause!«</p> + +<p>»Sie sind ein ganz verrückter Mensch!« lachte +von Pulteleben; »aber jetzt verschaffen Sie mir +wenigstens das Nöthigste. Es soll Ihr Schade +nicht sein,« setzte er hinzu, indem er ihm einen +Milreis in die Hand drückte; »aber ich bin in Eile, +ich muß mich umziehen und dem Director noch +meine Aufwartung machen.«</p> + +<p>»Aufwartung?« fragte Jeremias, der mit einer +dankenden Bewegung das Geld nahm, betrachtete +und dann in seine Westentasche schob — »Aufwartung +giebt's hier nicht — aber einerlei, wollen +schon Alles besorgen,« und damit verschwand er +aus der Thür. Jeremias war übrigens nicht der +Mann, etwas Begonnenes halb zu thun; ohne +deshalb weiter bei der Besitzerin des Hauses anzufragen, +ging er in Oskar's Zimmer, wo er +zwei Tische wußte, nahm einen davon und trug +ihn hinauf. Dann suchte er sich in Helenens +Stube und Schlafzimmer zwei Stühle, und das +erst einmal erobert, nahm er auch Oskar's Waschbecken +und Handtuch, mit Kamm, Seife, Zahnbürste +und Allem was dabei lag, und trug es +seinem einquartierten Gaste zu.</p> + +<p>»Zum Henker auch,« rief Pulteleben, als er +damit ankam, »das ist ja ein schon gebrauchtes +Handtuch!«</p> + +<p>»Herr Du meine Güte, sind <span class="wide">Sie</span> eigen!« +sagte Jeremias; »<span class="wide">ich</span> brauche gar keins, ich nehme +immer mein Schnupftuch. Was fehlt nun noch?«</p> + +<p>»Wasser und ein reines Handtuch.«</p> + +<p>Jeremias schüttelte mit dem Kopfe, stieg aber +doch noch einmal hinunter und kam bald mit dem +Verlangten zurück. Nur statt des Handtuchs hatte +er eine reine Serviette gebracht, die er auf Helenens +Toilettetisch gefunden und ohne Weiteres +als gute Beute mitgenommen.</p> + +<p>»Und wie steht's mit dem Bette?« fragte der +Fremde, indem er den Rock auszog und die Hemdärmel +in die Höhe streifte.</p> + +<p>»Bett? giebt's nicht!« sagte Jeremias trocken, +»wenigstens jetzt nicht. Sie wollen sich doch jetzt +noch nicht schlafen legen?«</p> + +<p>»Nein — aber doch den Abend.«</p> + +<p>»Gut, bis dahin wird Alles besorgt werden.«</p> + +<p>»Und kann man hier im Hause Etwas zu essen +bekommen?«</p> + +<p>»Zu essen? Hm« — sagte Jeremias, der darüber +noch nicht recht mit sich im Klaren war — +»danach müssen wir erst fragen. Für heute sind +die Leute vielleicht noch nicht darauf eingerichtet. +Aber da gehen Sie lieber in's Gasthaus zu Bodenlos +— der hat's.«</p> + +<p>»Und wie heißt der Eigenthümer dieses +Hauses?«</p> + +<p>»Spenker, Bäckermeister.«</p> + +<p>»Gut, dann schicken Sie ihn mir nachher einmal +herauf — ich will mich erst waschen — damit +ich mit ihm reden kann. Das ist ein verwünscht +öder Aufenthalt hier, und wenn er mir das nicht +ein wenig behaglicher einrichten will, ziehe ich +wieder aus.«</p> + +<p>»Auf die Straße?« fragte Jeremias; »denn +weiter giebt's keinen Platz, Sie müßten denn +vielleicht in einem von den Gärten eine Laube +zu miethen bekommen.« Damit aber, als ob er +jetzt seine Schuldigkeit gethan habe, zog er sich +zurück und drückte sich leise an dem Zimmer der +Frau Gräfin vorbei, der er jetzt nicht gern begegnen +mochte. Der Fremde da oben konnte nun +sehen, wie er mit »der Alten« fertig wurde.</p> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<h3><a name="kap_8" id="kap_8"></a>8.</h3> + +<h3>Die Einquartierung.</h3> + +<p>Oskar und Helene hatten einen Spaziergang +durch die kleine Stadt gemacht, um sich an dem +Gewirre der frisch eingetroffenen Fremden zu +amüsiren, und waren, dessen müde geworden, nach +Hause zurückgekehrt.</p> + +<p>Sobald Helene ihr Zimmer betrat, konnte ihr +natürlich die daselbst vorgenommene Änderung +nicht entgehen. Die Serviette fehlte von ihrem +Toilettetische und die darauf geordnet gewesenen +Sachen standen wild zerstreut umher; zwei Stühle +fehlten außerdem, auf die sie gewohnt gewesen +war ihre Sachen abzulegen. Sie klingelte ihrem +Mädchen, um zu erfahren wer in ihrem Zimmer +gewesen sei. Dorothea hatte aber in der ganzen +Zeit ihre Küche nicht verlassen und konnte ihr +deshalb nicht die geringste Auskunft geben.</p> + +<p>Oskar suchte indessen sein Gemach, warf seine +Mütze in eine Ecke, sich selber auf das Sopha +und rauchte in dieser Lage seine Cigarre weiter, +als er in dem über ihm liegenden Zimmer die +schweren Schritte eines Mannes hörte. Das Haus +war nur leicht gebaut, und es klang so deutlich +zu ihm herunter, daß er sich endlich aufrichtete und +horchte.</p> + +<p>»Wer zum Henker ist denn da oben?« +brummte er endlich leise vor sich hin — »dem +Jeremias bin ich doch eben mit seinem leeren +Karren in der Stadt begegnet und die Dorothea +hat keinen solchen Schritt.«</p> + +<p>Er horchte noch eine Weile; da es sich aber +gar nicht verkennen ließ, daß da oben jemand +Fremdes sei, sprang er endlich auf und stieg die +Treppe hinauf. Die Thür der sonst immer leer +stehenden Kammer war offen und nur angelehnt, +und neugierig, wer da oben Etwas zu thun haben +könne, stieß er sie noch etwas weiter auf und +sah hinein.</p> + +<p>Herr von Pulteleben war gerade mit Waschen +fertig und stand vor einem der geöffneten Fensterflügel, +den er vorläufig als Spiegel benutzte, um +sich die wohlgeölten Haare, so gut das eben gehen +wollte, zu ordnen. Als er aber das Knarren der +Thür hörte, drehte er den Kopf herum, und sah +kaum den hereinschauenden Oskar, als er ausrief:</p> + +<p>»Ah, da ist doch noch jemand Lebendiges in +dem Hause. Wohnen Sie hier?«</p> + +<p>»Guten Morgen,« sagte Oskar, der, auf's +Äußerste erstaunt den Fremden hier zu finden, +bald auf ihn, bald auf seine Koffer und Kasten +starrte — »ja wohl wohne ich hier!«</p> + +<p>»Wo ist denn nur der Lump von Aufwärter +hingekommen?«</p> + +<p>»Der Aufwärter?« sagte Oskar, noch immer +seinen Augen nicht trauend — »der Jeremias +etwa?«</p> + +<p>»Ich weiß nicht wie er heißt; er wollte ja +gleich wiederkommen. Gehen Sie wieder hinunter?«</p> + +<p>»Ich hatte die Absicht,« erwiederte Oskar.</p> + +<p>»O, dann sein Sie doch so gut und schicken +mir ein Glas zum Zahnputzen herauf. Es ist ja +noch gar Nichts eingerichtet. Das scheint eine +schöne Wirthschaft hier zu sein!«</p> + +<p>»Bitte,« sagte Oskar, der aus seiner Verwunderung +gar nicht herauskam, »geniren Sie sich nicht +— mit wem habe ich denn eigentlich die Ehre?«</p> + +<p>»von Pulteleben,« sagte der junge Mann, +seinen Locken eben den letzten Strich gebend — +»um wie viel Uhr wird hier gegessen?«</p> + +<p>»Um ein Uhr,« sagte Oskar, durch die Ruhe +des Fremden immer mehr darin bestärkt, daß er +jedenfalls ein Gast seiner Mutter sein müsse, +wenn er auch keinen denkbaren Zusammenhang +dazu finden konnte. Wer hätte der Fremde aber +sonst sein können?</p> + +<p>»Haben Sie eine richtig gehende Uhr?« fragte +dieser endlich weiter.</p> + +<p>»Ja,« erwiederte Oskar, indem er danach sah; +»es wird gleich zwölf Uhr sein.«</p> + +<p>»O, desto besser, dann kann ich vorher noch +zum Director hinübergehen. Bitte, vergessen Sie +nicht, mir das Glas gleich zu schicken.«</p> + +<p>»Mit dem größten Vergnügen,« erwiederte +Oskar, drückte die Thür wieder in's Schloß, schickte +das Mädchen von unten mit einem Glase hinauf +und ging dann zu seiner Mutter in's Zimmer, um +sich nach dem Fremden zu erkundigen.</p> + +<p>Die Frau Gräfin schloß eben ihren letzten Brief, +als Oskar das Zimmer betrat, und sah sich nach +ihrem Sohne gar nicht um.</p> + +<p>»Wer ist denn der Herr, Mama, den Du +uns da oben einquartiert hast?« fragte Oskar jetzt; +»das scheint ja ein komischer Kauz zu sein!«</p> + +<p>Die Gräfin, welche gerade eine Adresse schrieb, +drehte erstaunt den Kopf über die Achsel und +sagte:</p> + +<p>»Und das fragst Du mich? Erst bringst Du +mir, ohne die geringste Erlaubniß vorher einzuholen, +einen wildfremden Menschen in's Haus, +und dann weißt Du selber nicht einmal wer er +ist? Oskar, es wird mit Dir jede Woche schlimmer, +und ich fürchte, daß es so nicht mehr lange dauern +kann!«</p> + +<p>»Ich habe einen Fremden in's Haus gebracht?« +rief aber Oskar jetzt seinerseits erstaunt und mit +einer gewissen Genugthuung, daß er endlich einmal +an einem ihm aufgebürdeten Vergehen vollkommen +unschuldig sei — »ich bin mit Helenen spazieren +gegangen und habe den Menschen, der da oben +Toilette macht, in meinem ganzen Leben nicht +gesehen.«</p> + +<p>Es war jetzt an der Gräfin, erstaunt zu sein, +und sich ganz gegen Oskar drehend, rief sie aus: +»Aber <span class="wide">Helene</span> kann ihn doch nicht eingeladen +haben!«</p> + +<p>»Helene — Unsinn! — Helene war ja den +ganzen Morgen bei mir, und wir haben mit <ins title="Original hat kei-">keiner</ins> +Seele gesprochen, den Baron ausgenommen.«</p> + +<p>»Aber der Jeremias hat ja doch sein Gepäck +in's Haus gebracht, und sagte mir, daß Alles in +Ordnung sei.«</p> + +<p>»Der Jeremias?« wiederholte Oskar, der nur +immer noch verwirrter wurde.</p> + +<p>»Und Du hast keine Ahnung, wer der +Fremde ist?«</p> + +<p>»Er sagte mir, er heiße von Pulteleben.«</p> + +<p>»Und woher?«</p> + +<p>»Das weiß Gott — ich kenne ihn nicht, und +der Jeremias — aber zum Henker noch einmal, +was zerbrechen wir uns den Kopf ganz unnöthiger +Weise; wir werden doch wahrhaftig den fremden +Herrn, der sich so <i>sans façon</i> bei uns einquartiert +hat, fragen dürfen wo er herkommt +und was er will!« Und mit den Worten schoß er +auch ohne Weiteres zur Thür hinaus und wollte +eben die Treppe hinauf, als er unten Jeremias +in den Vorsaal treten sah.</p> + +<p>»Jeremias,« rief er hinunter, »komm' einmal +herauf — aber rasch!«</p> + +<p>»Ich fliege schon,« erwiederte dieser, der sich +keineswegs dabei beeilte, denn er wußte recht gut +was ihn jetzt erwartete.</p> + +<p>Oskar stand oben an der Treppe, und so wie +der Alte nur so weit heraufgekommen war, daß +er ihn mit der Hand erreichen konnte, erwischte +er ihn bei dem einen Ohre, und zog ihn dem +Zimmer seiner Mutter zu.</p> + +<p>»Donnerwetter, junger Herr!« rief der Alte +leise, »Sie reißen mir ja den linken Löffel aus +— was ist denn das nur für ein zärtlicher Empfang?«</p> + +<p>»Warte, Du Schlingel,« rief Oskar, »er soll +noch zärtlicher werden! Jetzt nur herein mit Dir +und gebeichtet, was Du für verfluchte Streiche +heute gemacht hast! Da bring' ich ihn, Mama — +jetzt auf die Kniee nieder, Halunke, und nun gestehe, +was das für eine Geschichte mit dem Fremden +ist!«</p> + +<p>»Aber, so schreien Sie doch nur nicht so,« +flüsterte Jeremias, der sich nicht im Geringsten +außer Fassung bringen ließ — »die ganze Stadt +braucht's doch nicht zu wissen, was wir hier mit +einander reden, und der Fremde da oben hat +Ohren wie ein Hirsch.«</p> + +<p>»Wer ist der Fremde, und wo kommt er her?« +fragte die Gräfin streng.</p> + +<p>»So lassen Sie doch nur mein Ohr los,« bat +Jeremias, »ich laufe Ihnen ja nicht mehr davon, +und es stört in der Unterhaltung.«</p> + +<p>»Wer ist der Fremde? will ich wissen,« wiederholte +die Gräfin, indem Oskar das Ohr des Alten +losließ, ihm aber den Ausweg verstellte.</p> + +<p>»Kann Ihnen nicht dienen, Frau Gräfin,« +antwortete achselzuckend der alte Spitzbube — +»fand ihn heute auf der Straße zwischen einem +ganzen Berge von Koffern und Hutschachteln, und +da er kein Unterkommen finden konnte, <span class="wide">wir</span> dagegen +Platz haben und er mir gefiel, so brachte +ich ihn mit nach Hause.«</p> + +<p>»<span class="wide">Dir</span> gefiel, Du Galgenstrick,« rief Oskar, +»Dir gefiel! Und was für ein Recht hast Du, fremde +Gäste hier in das Haus zu führen?«</p> + +<p>»Jetzt sein Sie einmal vernünftig,« sagte +Jeremias, ohne sich auch nur im Geringsten aus +seiner Ruhe bringen zu lassen. »Der fremde junge +Mensch ist jedenfalls ein vornehmer Herr, denn er +hat ein paar ganz ausgezeichnete Lederkoffer, die ein +schmähliches Geld gekostet haben müssen. Außerdem +ist er aber auch reich wie Butter und wirft mit +den Milreis nur so um sich.«</p> + +<p>»Aber was geht das uns an?« rief Oskar, +während die Frau Gräfin vor Erstaunen noch +immer nicht zu Worte kommen konnte.</p> + +<p>»Was das <span class="wide">Sie</span> angeht?« wiederholte Jeremias +in vollkommener Seelenruhe — »das will +ich Ihnen sagen. Die Stube oben….«</p> + +<p>»Heh, Wirthschaft!« rief es in diesem Augenblicke +laut von oben herunter; »läßt sich denn +Niemand blicken? Das ganze Haus ist ja wie +ausgestorben — heh, hollah!«</p> + +<p>Jeremias, der seine Rede unterbrochen hatte, +wie er oben die Stimme hörte, öffnete die Thür +ein Wenig, steckte den Kopf hinaus, rief laut: +»Komme gleich!« und schloß sie dann wieder, wonach +er, ohne eine Miene zu verziehen, ruhig +fortfuhr:</p> + +<p>»Stand doch außerdem leer und wurde nicht +benutzt.«</p> + +<p>Oskar lachte gerade hinaus, denn das Ganze +fing an ihm unendlich komisch vorzukommen.</p> + +<p>»Ich möchte jetzt nur eigentlich wissen,« sagte +die Gräfin mit einem finstern Blick auf Oskar und +Jeremias, »wer noch Herr hier im Hause ist. Sie werden +jedenfalls dafür sorgen, Jeremias, daß der fremde +Mensch augenblicklich unser Haus wieder verläßt +und eine andere Wohnung bezieht.«</p> + +<p>»Giebt's gar nicht,« sagte Jeremias ruhig; +»hören Sie mich nur an. Was haben Sie denn +von dem leeren Kasten da oben? Der Fremde ist +ein anständiger junger Mensch, der Ihnen eine +gute Miethe bezahlt, und außerdem hätte auf der +Straße logiren müssen.«</p> + +<p>»Aber wer hat <span class="wide">Ihnen</span> denn die Erlaubniß +gegeben, das zu vermitteln?« fragte die Gräfin.</p> + +<p>»Nur praktisch,« meinte Jeremias, »das ist die +Hauptsache. Außerdem sind Sie ja nicht mit einander +verheirathet, und wenn er Ihnen nach zwei +oder drei Monaten nicht mehr gefällt, können Sie +ihn ja immer noch wieder ausquartieren.«</p> + +<p>»Nach zwei oder drei Monaten?« rief die Gräfin +erstaunt.</p> + +<p>»Oder noch später,« meinte Jeremias trocken; +aber jetzt muß ich wahrhaftig hinauf, und sehen +was der junge Herr will; er wird mir sonst ganz +ungeduldig und am Ende gar noch grob« — und +ohne weiter eine Antwort abzuwarten, verließ er +das Zimmer und stieg die Treppe hinauf.</p> + +<p>»Eine solche Unverschämtheit ist mir aber doch +noch nicht vorgekommen,« lachte Oskar, »und das +Einfachste wird sein, ich gehe hinauf und ersuche +den Herrn, seine Sachen augenblicklich wieder +zusammen zu packen und das Haus zu räumen.«</p> + +<p>»Warte noch einmal,« sagte seine Mutter, die +indessen nachdenkend am Fenster gestanden hatte, +indem sie die Hand gegen ihn ausstreckte: »wie +sagtest Du daß der Herr hieß?«</p> + +<p>»Er nannte sich von Pulteleben.«</p> + +<p>»Wie alt etwa?«</p> + +<p>»Nun, vielleicht drei- oder vierundzwanzig +Jahre.«</p> + +<p>»Hm — und er scheint aus guter Familie? +Da dürfen wir doch wenigstens nicht ungezogen +gegen ihn sein, denn aller Wahrscheinlichkeit nach +glaubt er sich hier in seinem vollen Rechte zu +befinden, und würde schwerlich eingezogen sein, +wenn er wüßte, wie sich Alles verhält.«</p> + +<p>»Er fragte wenigstens schon ganz naiv, um +welche Stunde bei uns gespeist würde,« lachte +Oskar.</p> + +<p>Die Gräfin ging im Zimmer auf und ab und +blieb endlich wieder vor ihrem Sohne stehen.</p> + +<p>»Die Sache kann nicht so bleiben,« sagte sie, +»denn einen Miethsmann läßt man sich eben nicht +mit Gewalt in das Haus bringen. Da aber der +junge Fremde hier wahrscheinlich in der Colonie +bleibt, so ist es auch eben so klug gehandelt, sich +nicht in Unfrieden, sondern in Frieden wieder zu +trennen. Gehe hinauf und lade ihn für heute +Mittag ein, unser Gast zu sein — wir sind doch +allein — und bei Tische mag er dann erfahren, +auf welche außergewöhnliche Art er bei uns eingeführt +wurde. Es bleibt ihm dann der ganze +Nachmittag, sich nach einem andern Quartiere +umzusehen.«</p> + +<p>»Der Jeremias ist ein göttlicher Kerl!« sagte +Oskar lachend.</p> + +<p>»Und je eher Du <span class="wide">den</span> wieder fortschickst, desto +besser ebenfalls,« meinte seine Mutter, »denn ich +bin doch nicht gesonnen, mich der Gefahr auszusetzen, +von einem so eigenmächtigen Hausknecht in +noch Gott weiß was für unangenehme Situationen +gebracht zu werden. Mit einem so stockdummen +Menschen ist außerdem gar Nichts anzufangen — +ich will lieber mit einem Schurken zu thun haben, +denn vor dem kann man sich in Acht nehmen.«</p> + +<p>Oskar hatte seine Zweifel, was Jeremias' +Dummheit betraf, aber die Sache mit dem Fremden +ging ihm im Kopfe herum, und das Zimmer +verlassend, wollte er eben zu ihm hinauf, als er +aus seinem Zimmer wieder den Jeremias kommen +sah, der auf dem Kopfe einen Lehnstuhl, in der +linken Hand dabei einen Stiefelknecht und in der +rechten einen kleinen Handspiegel trug.</p> + +<p>»Du bist doch ein ganz niederträchtiger, abgefeimter +Halunke!« sagte Oskar; »wer hat Dir +denn erlaubt, mein ganzes Zimmer auszuplündern?«</p> + +<p>»Machen Sie keine Geschichten,« erwiederte +Jeremias, mit den Augen blinzelnd; »das ist ein +prächtiger junger Mensch, und thut schon so, als +ob er ganz zu Hause wäre.«</p> + +<p>Oskar, dem die Sache Spaß machte, sprang +jetzt die Treppe voran hinauf. Als er die Thür +öffnete, stand Herr von Pulteleben schon fertig +angezogen, nur mit ein Paar glanzledernen Stiefeln +in der Hand, mitten in der Stube.</p> + +<p>»Na, kommen Sie — ah, Sie sind's — entschuldigen +Sie, ich glaubte, es wäre der Strick, +der Aufwärter; der bleibt eine Ewigkeit.«</p> + +<p>»Er kommt dicht hinter mir,« sagte Oskar; +»Herr von Pulteleben, ich soll Ihnen melden daß +pünktlich um ein Uhr gegessen wird.«</p> + +<p>»So? Sehr angenehm, ich werde auf meinem +Zimmer essen.«</p> + +<p>»Dazu ist die nöthige Einrichtung doch noch +nicht getroffen,« erwiederte Oskar; »ich habe den +Auftrag, Sie zu ersuchen mit <span class="wide">uns</span> zu diniren.«</p> + +<p>»Hm,« sagte von Pulteleben, der sich schon zu +Hause vorgenommen hatte, der amerikanischen +»Freiheit und Gleichheit« so viel als möglich aus +dem Wege zu gehen, und nicht gleich mit sich im +Klaren war, ob er vielleicht seiner künftigen Stellung +in der Colonie Etwas vergeben würde, wenn +er mit der »Bäckerfamilie« speiste, — »ich esse +viel lieber allein.«</p> + +<p>»Dann lassen Sie sich's heute wenigstens einmal +bei uns gefallen,« lachte Oskar, »morgen +werden Sie jedenfalls allein essen können.«</p> + +<p>»Nun gut,« erwiederte von Pulteleben — »na +endlich,« wandte er sich dann an den eben eintretenden +Jeremias, indem er ihm den Stiefelknecht abnahm +und seine bestaubten Stiefel auszog — »setzen +Sie den Stuhl nur dahin — aha, und auch ein +kleiner Spiegel. Das muß ich gestehen, lieber +Freund, auf Gäste scheinen Sie hier im Hause +nicht eingerichtet zu sein. Die Unordnung ist +wirklich bodenlos und die Bedienung noch schlechter. +Wie heißen Sie, he?«</p> + +<p>»Jeremias, zu Befehl,« sagte dieses würdige +Individuum in steifer Haltung und warf einen +etwas unruhigen Blick auf Oskar hinüber, von +dem er nicht wußte, wie er das Urtheil über die +Wirthschaft aufnehmen würde. Dieser aber amüsirte +sich vortrefflich, und während der junge Mann +seine Stiefel wechselte und dann seinen Hut nahm, +saß er verkehrt auf dem einen Stuhle, stützte sich +mit beiden Armen auf die Lehne und sah ihm +lächelnd zu. Endlich hatte von Pulteleben seine +Toilette beendet, schloß seine Koffer, sah sich noch +einmal im Zimmer um, ob er Nichts vergessen +hätte, und sagte: »So — wenn's gefällig ist; ich +möchte zuschließen.«</p> + +<p>»Aha, mit Vergnügen,« rief Oskar aufspringend — +»wollen Sie den Schlüssel mitnehmen +oder da lassen?«</p> + +<p>»Hm — ich werde ihn da lassen, damit das +Mädchen nachher aufräumen kann — man hat +doch Nichts zu befürchten?«</p> + +<p>Jeremias sah wieder Oskar bestürzt von der +Seite an, dieser aber erwiederte lächelnd: »Nicht +das Geringste — aber Sie sind pünktlich?«</p> + +<p>»Wenn ich irgend kann, gewiß.«</p> + +<p>Damit verließ er das Zimmer, wo hinaus +ihm die Beiden folgten, und stieg die Treppe +hinab, während Oskar zu seiner Mutter hineinsprang, +um ihr Bericht abzustatten.</p> + +<p>Gerade als von Pulteleben nach der untern +Treppe zu ging, öffnete sich dort die nächste Thür, +die in Helenens Zimmer führte, und die Comtesse +trat heraus. Kaum aber gewahrte sie den Fremden, +der sie überrascht und höflich grüßte, als sie sich +mit einer halben und flüchtigen Verbeugung wieder +zurückzog.</p> + +<p>»Alle Wetter,« wandte sich von Pulteleben +leise zu dem dicht hinter ihm dreinkommenden +Jeremias, »das ist ja ein wunderschönes Mädchen; +das war doch nicht die Bäckerstochter?«</p> + +<p>Jeremias, ob er die Frage falsch verstanden +oder absichtlich seinen Spaß daran hatte, den +Fremden im Irrthume zu lassen, nickte nur, vor +Vergnügen grinsend, mit dem Kopfe, und von +Pulteleben stieg, mit der Entdeckung sehr zufrieden, +die Stiege hinunter, um noch vor Tische seine +Aufwartung bei dem Herrn Director zu machen. +Er war jetzt fest entschlossen, die Stunde des +Mittagessens pünktlich einzuhalten.</p> + +<p>Arno von Pulteleben war ein lieber, guter, +ehrlicher Mensch, der nur mit einem ganz unbestimmten +Begriffe nach Brasilien gekommen war, +wie er das Land überhaupt finden werde, und +was er — wenn er es gefunden — da eigentlich +wolle. Es geht einer großen Menge von Auswanderern +so, die auch nur zu häufig weder wissen, +was man von ihnen fordern könnte, noch was sie +im Stande wären zu leisten, und die dabei nur +allein in dem Namen Amerika den Inbegriff aller +erfüllten Hoffnungen und Träume sehen. »Nur +erst einmal in Amerika,« sagen diese, »und das +Andere findet sich Alles von selber.« In Etwas +haben sie Recht, denn es findet sich in der That; +nur freilich manchmal ganz anders, wie sie es sich +gedacht hatten.</p> + +<p>Mit einer solchen unklaren Idee war auch +Herr von Pulteleben herüber gekommen. Er trat +übrigens dabei mit vollkommener Sicherheit auf, +denn er war sich bewußt, seinen Weg <span class="wide">bezahlen</span> +zu können. Er hatte Geld bei sich, ein Capital +von wenigstens tausend spanischen Dollars, und +daß er Speculationsgeist genug besaß, dasselbe im +Laufe von einigen Jahren vielleicht zu verzehnfachen, +daran zweifelte er selber keinen Augenblick. +Sein Grundsatz dabei war, »den Moment zu erfassen« +— »frisch gewagt, ist halb gewonnen!« und +wie derartige vortreffliche Sprüchwörter alle heißen. +Jedenfalls hatte er volles Selbstvertrauen, und +da er schon in Deutschland einmal eine Fußpartie +gemacht und dabei zwei Nächte hinter einander +auf der Streu geschlafen hatte, so hielt er +sich auch allen Entbehrungen, die ihm hier etwa +aufstoßen konnten, vollkommen gewachsen.</p> + +<p>Herr von Pulteleben fand sich übrigens etwas +überrascht, als er im Directionsgebäude seine +Karte abgegeben hatte und von dem Director die +Antwort zurück erhielt: »Es würde ihm sehr angenehm +sein, die Ehre ein anderes Mal zu haben, +heute sei er aber so ausschließlich beschäftigt, daß +er keinen Besuch empfangen könne.«</p> + +<p>»Hm — angenehm,« brummte er vor sich hin, +als er seine weißen Glacéhandschuhe auszog, zusammenrollte, +in die Tasche steckte und wieder +hinaus in's Freie ging; »Herr Director Sarno +scheinen verwünscht wenig Umstände zu machen, +und die Artigkeit hätte doch wenigstens verlangt, +daß er … aber was thut's — ich habe jetzt doch +meine Schuldigkeit gethan, und wenn er nun +meine Bekanntschaft zu machen wünscht, ist die +Reihe an ihm.«</p> + +<p>Mit diesem beruhigenden Gefühle schlenderte er +durch die Straßen der Stadt und fand eine Menge +bekannter Gesichter — Leute, die mit ihm in einem +und demselben Schiffe über See gekommen waren +und alle Gefahren gemeinschaftlich getheilt hatten, +aber — <span class="wide">sie</span> waren im Zwischendeck gereist, und +Herr von Pulteleben in der Kajüte — eine Entfernung, +die in ihrer Räumlichkeit wohl kaum zehn +Schritte betragen mochte, aber doch ausreichte, +beide Theile vollständig fern von einander zu halten. +Man kannte sich von Ansehen, aber man grüßte +sich nicht, und so unbedeutend das an sich scheinen +mag, so diente es doch dazu, ein nichts weniger +als freundschaftliches Gefühl zwischen beiden Theilen +zu erzeugen.</p> + +<p>Das ist nun freilich nicht zu ändern, denn +Standes- und Rangunterschiede existiren einmal +auf der Welt, und werden trotz aller Communisten +fortbestehen, bis wir Alle unser letztes Ziel, das +Grab, erreichen. Selbst unter den Thieren und +Pflanzen herrschen Rang und Gewalt; es giebt +sogar edle und unedle Metalle, und das Menschengeschlecht +läßt sich nicht in einen Topf werfen +und darin halten. Ein Theil von ihm <span class="wide">will</span> seine +besonderen Gesache haben — und bekommt sie +auch, und der Rest muß entweder danach streben, +diese ebenfalls zu gewinnen, oder — sich darein +fügen.</p> + +<p>Herr von Pulteleben hielt das auch natürlich +für ganz in der Ordnung, denn daß es Kajüte +und Zwischendeck geben mußte, verstand sich von +selbst. Allerdings kam ihm dabei fast unwillkürlich +der Gedanke, daß er zufälligerweise am Tische +des Bäckermeisters mit einem Zwischendecks-Passagier +zusammentreffen könne — aber das blieb +doch zu unwahrscheinlich — die junge Dame, +der er begegnet, sah dafür zu anständig aus, +und — war ihm die Gesellschaft wirklich nicht +passend, so gab es immer einen Vorwand, sich +zurückzuziehen.</p> + +<p>Als er auf seinem Spaziergange die sehr +einfache Kirche passirte, zeigte die Uhr gerade +zehn Minuten vor Eins, und er gerieth etwas in +Verlegenheit, da er den Namen des Bäckermeisters +vergessen hatte, in dessen Haus er abgestiegen.</p> + +<p>Glücklicher Weise besaß er Ortskenntniß genug, +wenigstens die Richtung behalten zu haben; es +war überhaupt nicht schwer, sich in dem kleinen +Orte zurecht zu finden, und mit dem Schlage Eins +entdeckte er vor sich das Haus, das sich überdies +vor allen in der Nachbarschaft durch den kleinen, +aufgebauten Erker auszeichnete. An der Treppe +empfing ihn schon Oskar, der sich das Vergnügen +nicht wollte entgehen lassen, ihn einzuführen.</p> + +<p>»Ah, Herr Baron, das ist schön daß Sie Wort +halten!« rief er ihm entgegen. »Eben wird die +Suppe aufgetragen und Mutter und Schwester +erwarten Sie mit Ungeduld.«</p> + +<p>»Mutter und Schwester?« dachte Herr von +Pulteleben, »ist denn das der Sohn des Bäckers?« +Oskar sah ihm dazu eigentlich zu elegant aus, +aber es blieb ihm keine lange Zeit zur Überlegung, +und wenige Minuten später sah er sich der stattlichen +Gestalt der Frau Gräfin und ihrer reizenden +Tochter gegenüber, und schaute jetzt wirklich verlegen +nach seinem Begleiter um, denn daß er sich +hier in anderer als der vermutheten Gesellschaft +befand, mußte er wohl fühlen.</p> + +<p>»Mein bester Herr,« sagte er zu Oskar, »ich +muß dringend bitten, daß Sie mich hier vorstellen, +ich — ich weiß selbst noch nicht einmal <span class="wide">Ihren</span> +Namen.«</p> + +<p>»O, mit Vergnügen,« lachte Oskar, indem er +mit einer etwas förmlichen und muthwilligen Verbeugung +sagte: »Herr von Pulteleben, liebe +Mutter, — Herr von Pulteleben, ich habe hier +die Ehre, Ihnen die Frau Gräfin Baulen und +Comtesse Helene, meine Schwester, vorzustellen. Mein +eigener Name ist Oskar.«</p> + +<p>»Frau Gräfin Baulen?« stammelte der junge +Mann, während über Helenens Züge ein leises, +spöttisches Lächeln zuckte.</p> + +<p>Die Frau Gräfin war aber nicht gesonnen, +den jungen Mann weiteren Verlegenheiten auszusetzen.</p> + +<p>»Herr Baron,« sagte sie freundlich, »Sie sind +durch die Ungeschicklichkeit unseres Hausknechtes +oder Dieners in die wunderliche Lage gekommen, +sich in einer Familie einzuquartieren, der selbst +Ihre Ankunft vollkommen fremd geblieben war.«</p> + +<p>»Gnädige Frau, ich will doch nicht hoffen!« +rief Pulteleben erschreckt.</p> + +<p>»Beruhigen Sie sich,« unterbrach ihn die +Gräfin, »ich weiß, daß Sie nicht die geringste +Schuld tragen. Das Ganze war ein mißverstandener +Diensteifer von Seiten jenes Burschen, +der über eine Localität unseres Hauses verfügte, +ohne auf Sie, noch auf uns Rücksicht zu nehmen.«</p> + +<p>»Aber man sollte doch kaum glauben, daß so +Etwas möglich wäre!« rief von Pulteleben entsetzt, +denn erst jetzt trat ihm die seltsame Situation vor +Augen, in der er, als reiner Eindringling, den +Damen gegenüber stand; »meine Seele konnte ja +an etwas Derartiges nicht denken, oder Sie müßten +überzeugt sein, daß ich….«</p> + +<p>»Bitte, keine Entschuldigungen weiter,« lächelte +die Gräfin; »Brasilien erzeugt gar sonderbare +Zustände, die Sie ebenfalls noch mit der Zeit +näher kennen lernen werden. Jedenfalls hat uns +Jeremias, wie jener unglückliche Mensch heißt, +Gelegenheit gegeben Ihre Bekanntschaft zu machen; +alles Andere läßt sich nachher mit Leichtigkeit arrangiren, +und nun bitte ich, daß Sie Platz nehmen, +denn die Suppe wird sonst kalt.«</p> + +<p>Herr von Pulteleben befand sich noch immer +in einem gemäßigten Grade von Verzweiflung, +denn der Gedanke, sich bei einer solchen Familie +auf eine solche Art eingeführt zu haben, trieb ihm +fast die Haare zu Berge. Außerdem blieben ihm +noch eine Menge Dinge unklar — die Geschichte +mit dem Bäckermeister zum Beispiel, und daß ihm +der junge Mensch nicht gleich einen Wink gegeben, +wo er sich eigentlich befände. Sehr rasch im +Denken war er außerdem nicht, und es bedurfte +einer neuen Aufforderung der Gräfin, Platz zu +nehmen, bis er sich so weit sammeln konnte, ihr +den Arm zu bieten und sie zur Tafel zu führen.</p> + +<p>Da sich die Gräfin aber einmal vorgenommen +hatte, ihm weitere Verlegenheiten zu ersparen, so +wußte sie auch bald geschickt in ein Gespräch einzulenken, +das ihm seine Unbefangenheit wiedergeben +konnte — ein Gespräch über die eben zurückgelegte +Seereise, an dem sie ebenfalls Interesse +nahm, da sie noch mit Entsetzen ihrer eigenen +Fahrt und der damit verbunden gewesenen Seekrankheit +gedachte.</p> + +<p>In das Capitel eingelenkt, fühlte sich auch +von Pulteleben bald wieder behaglicher, und das +Einzige, was ihn noch dann und wann genirte, +war der etwas sarkastische Zug um der Comtesse +Mund, wenn sie einem Blicke ihres Bruders begegnete +und sein Auge gerade auf ihr ruhte — +und sein Auge ruhte sehr oft auf ihr, denn von +Pulteleben erinnerte sich nicht, je in seinem Leben +schon ein schöneres Mädchen gesehen zu haben.</p> + +<p>Mochte es sein daß es ihm nur so vorkam, +weil er gerade durch die lange Seereise dem geselligen +Umgange mit dem schönen Geschlechte hatte +völlig entsagen müssen, oder fühlte er sich gerade +von dieser Form der Züge besonders gefesselt, wie +das ja oft im Leben der Fall ist, aber er konnte +sich nicht satt an dem lieben Antlitz sehen, und +eben so wenig entging Helenen selber, mit welcher +Aufmerksamkeit er sie behandelte. Freilich war sie +daran gewöhnt, ihren Zoll von Bewunderung +überall einzuernten, aber trotzdem fühlte sie einen +gewissen Grad von Genugthuung, und ihr Antlitz, +das im Beginne der Tafel seine volle Strenge bewahrt +hatte, wurde etwas freundlicher gegen den +jungen Gast. Sie wich wenigstens Oskar's Blicken +aus und schien nicht mehr gesonnen, sich über ihn +lustig zu machen, ja, nahm sogar Theil an der +Unterhaltung.</p> + +<p>Dadurch gewann von Pulteleben endlich seine +ganze Fassung wieder, und als das Diner, bei dem +Dorothea ihr Möglichstes geleistet hatte, beendet +war, wandte er sich an seine freundliche Wirthin +und sagte:</p> + +<p>»Frau Gräfin, wenn ich auch jenem unglücklichen +Jeremias und meinem Schutzgeiste danke, +diese mir so liebe Bekanntschaft gemacht zu haben, +so fühle ich doch recht gut, daß ich hier, als Ihr +Gast, eine sehr unerquickliche Rolle spiele, und je +eher ich der ein Ende mache, desto besser. Gestatten +Sie also daß ich mich entferne, um mich nach +einem andern Quartier umzusehen, und erlauben +Sie mir nur — Ihre Güte hat ja meiner Unverschämtheit +schon verziehen — daß ich damit nicht +gezwungen bin, diese für mich so ehrenvolle und +liebe Bekanntschaft ganz abzubrechen. Ich werde +mich jedenfalls längere Zeit in Santa Clara aufhalten +und würde Ihnen unendlich dankbar sein, +wenn Sie mir wenigstens gestatten wollten, Ihnen +manchmal meine Aufwartung zu machen.«</p> + +<p>»Da Sie nun einmal unser Hausgenosse geworden +sind,« lächelte die Gräfin, »so übereilen +Sie auch wenigstens Nichts. Es wird Ihnen überdies +schwer werden, für den Augenblick eine passende +Wohnung in Santa Clara zu finden; <span class="wide">bis</span> Sie +die aber gefunden haben, bitte ich Sie unser Haus +als das Ihrige zu betrachten.«</p> + +<p>»Gnädige Frau Gräfin!« rief Pulteleben erstaunt +aus.</p> + +<p>»Bitte, machen Sie keine Umstände,« fuhr die +Gräfin ruhig und freundlich fort, »wir sind hier +in Brasilien, wo der Fremde nur zu häufig einzig +und allein auf die Gastfreiheit der Bewohner angewiesen +bleibt, und es existiren deshalb hier ganz +andere Verhältnisse, wie in der alten Heimath. +Außerdem sagten Sie uns vorher, daß Sie verschiedene +Pläne für Ihre Zukunft hätten.«</p> + +<p>»Allerdings,« versicherte der junge Mann, »aber +es fehlt mir da freilich noch Kenntniß des Landes, +um mein Capital gleich mit Vortheil anlegen +zu können, und ich sammle lieber erst Erfahrung.«</p> + +<p>»Das ist sehr vernünftig von Ihnen gedacht,« +erwiederte die Gräfin; »wo <span class="wide">ich</span> Ihnen aber dabei +mit Rath an die Hand gehen kann, bitte ich ganz +über mich zu disponiren.«</p> + +<p>»Sie sind zu gütig, gnädige Frau Gräfin!«</p> + +<p>»Wir wohnen schon eine Reihe von Jahren +in diesem Lande, und man ist gezwungen, die Verhältnisse +genau kennen zu lernen, oft sogar gegen +unsern Willen. Doch Sie wünschen jedenfalls eine +Cigarre zu rauchen — Oskar, führe den Herrn +in den Garten; wir kommen dann ebenfalls hinunter, +um dort gemeinschaftlich Kaffee zu trinken.«</p> + +<p>Damit standen die beiden Damen auf, grüßten +freundlich und verließen das Zimmer, während +Herr von Pulteleben in einem wahren Taumel von +Seligkeit zurückblieb und jetzt gar nicht oft genug +zu Oskar sagen konnte, wie glücklich er sich fühle +diese Bekanntschaft gemacht zu haben, wenn er es +auch der größten Dummheit verdanke, deren er +sich in seinem ganzen Leben schuldig gemacht.</p> + +<p>»Na nu werden Sie nicht langweilig,« meinte +Oskar — »Apropos, haben Sie etwa eine vernünftige +Cigarre bei sich? Das Zeug, was man +hier bekommt, ist kaum zu rauchen.«</p> + +<p>»Ich kann Ihnen mit einer Havannah dienen,« +sagte Herr von Pulteleben, erfreut dem Bruder +jenes Engels nur in Etwas angenehm sein zu +können.</p> + +<p>»Das ist gescheidt,« meinte Oskar — »sie sind +doch nicht zu schwer?«</p> + +<p>»Nein, sicher nicht — ich selber rauche nie +schwere Cigarren.«</p> + +<p>»Gut, dann kommen Sie jetzt in den Garten, +hier ist eine Hitze, nicht zum Aushalten,« — und +seines neuen Freundes Arm ergreifend, schlenderte +er mit ihm hinab, um dort den Kaffee und die +Damen zu erwarten.</p> + +<p>Diese zögerten auch nicht lange, und hatte sich +Herr von Pulteleben schon gegen das Ende der +Mahlzeit in seiner Umgebung wohl gefühlt, so entzückte +ihn jetzt, im wahren Sinne des Wortes, die +Natürlichkeit und Liebenswürdigkeit Helenens, die +allen Zwang abgeworfen zu haben schien und nach +Herzenslust lachte und plauderte.</p> + +<p>Helene war wirklich bildschön. Es gab Zeiten, +wo ihre so regelmäßigen Züge von einem düstern +Ernst beschattet wurden, der ihren Augen etwas +Unheimliches, ja Abstoßendes geben konnte. Ihr +Mund, wenn fest geschlossen, sah dann ebenfalls, +der etwas schmalen Lippen wegen, unschön aus. +Wenn aber das lebendige Auge in Scherz, ja +Übermuth leuchtete, wenn ihre Zähne, die zwei +Reihen aufgezogener Perlen glichen, sichtbar wurden, +wenn sich das Grübchen tiefer in ihr Kinn +einschnitt und das Lachen auf dem gar so lieben +Antlitz spielte, wie das Sonnenlicht auf einem +murmelnden Bache, dann konnte man sich wahrlich +nicht satt sehen an dem Mädchen, und sie war +sich auch ihres Sieges stets so sicher bewußt, daß +sie mit ihrer Umgebung machte, was sie eben +wollte.</p> + +<p>Nur dann und wann verließ sie manchmal die +Laube, und von Pulteleben würde noch mehr entzückt +gewesen sein, wenn er gewußt hätte, daß sie +gerade in dieser Zeit Anordnungen traf, sein Zimmer +etwas wohnlicher einzurichten und ein Bett +darin aufzustellen. Es hatte das seine Schwierigkeiten, +denn die Gräfin war nur nothdürftig auf +solchen Besuch eingerichtet, aber es <span class="wide">ging</span> doch, +und ein paar rasch und geschickt improvisirte Gardinen +machten das kleine Gemach noch so viel +freundlicher.</p> + +<p>Die Zeit, wo der junge Fremde mit der Frau +Gräfin allein blieb, wurde dann von dieser benutzt, +ihm einen kurzen Überblick über die hiesigen Verhältnisse +zu geben, der Herrn von Pulteleben außerordentlich +befriedigte. Er ersah nämlich daraus, +daß in diesem Lande wirklich nur ein kleines, unbedeutendes +Capital dazu gehöre, um, mit kluger +Benutzung des Augenblickes, ganz erstaunliche Erfolge +zu erzielen. Die Frau Gräfin wußte ihm +eine Menge von Beispielen zu nennen, nach denen +Leute durch kleine, aber richtige Spekulationen in +Stand gesetzt waren, unbedeutend begonnene Geschäfte +auf das Großartigste auszudehnen, und sich +dann mit einem <span class="wide">erworbenen</span> Vermögen nach +Deutschland zurückzuziehen, um es dort in Ruhe +zu verzehren.</p> + +<p>»Sehen Sie, Frau Gräfin,« rief Herr von +Pulteleben, durch diese Mittheilungen zu einem +vollen Grade von Aufrichtigkeit getrieben, »das ist +gerade was ich will. Zu Hause haben sie mir +immer vorgeworfen, daß ich unpraktisch wäre, daß +ich nie im Stande sein würde, mir aus mir selber +eine Carrière zu schaffen. Jetzt will ich doch einmal +sehen, ob es nicht möglich ist sie Lügen zu +strafen. Sie sollen erleben, mit welcher Energie +ich Alles angreife, was ich unternehme. — Wenn +ich nur erst wüßte was!«</p> + +<p>»Übereilen Sie sich darin nicht, junger Freund,« +sagte die Gräfin. »Es giebt zwar eine Menge +von Wegen, die zum Ziele führen, aber der eine +ist länger als der andere, und wenn man denn +doch noch die Wahl hat, warum soll man da nicht +suchen den kürzesten zu nehmen? Übrigens seien +Sie versichert, daß ich selber schon ein Wenig herumhorchen +will. Sie sind uns nun einmal auf so +abenteuerliche Weise zugeführt, daß ich ein gewisses +Interesse daran nehme.«</p> + +<p>»Gnädige Frau Gräfin, Sie sind unendlich +gütig.«</p> + +<p>»Lassen Sie das; will ich aufrichtig sein, so +ist es vielleicht sogar Egoismus von mir selber; +denn Sie glauben gar nicht, wie langsam die Zeit +verstreicht, wenn man so gar Nichts auf der Gotteswelt +zu thun hat. Eine kleine Beschäftigung, eine +bestimmte Thätigkeit wird zuletzt wirklich zum Bedürfniß, +und ein wenig Sorgen und Umschauen +gehört mit zu unserem Leben.«</p> + +<p>»Aber durch was habe ich verdient, daß Sie +sich <span class="wide">meiner</span> gerade so unendlich freundlich annehmen?«</p> + +<p>»Lieber Gott, wir sind hier einmal in Brasilien, +leben in Verhältnissen, die mit denen der +alten Welt auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit +haben, und da gestaltet sich Manches oft rasch und +wunderbar. Doch Sie werden das Alles noch viel +besser kennen lernen, wenn Sie erst einmal selber +längere Zeit im Lande sind.«</p> + +<p>Oskar hatte sich bei dem Gespräch gründlich +gelangweilt, denn er haßte Nichts mehr auf der +Welt, als wenn von einem bestimmten Lebenszwecke +die Rede war — und seine Mutter hielt +ihm dieses Capitel sehr häufig vor. Dafür gönnte +er es jetzt aber auch von Herzen seinem neuen +Hausgenossen, und amüsirte sich die Zeit über, mit +seinem Blasrohr von einem erhöhten Stand der +Hecke aus nach vorbeilaufenden Hunden zu schießen. +Wenn er sie traf, nahmen sie gewöhnlich den +Schwanz zwischen die Beine und rannten in wilder +Flucht die Straße hinab, und Oskar wollte sich +dann halb todt darüber lachen.</p> + +<p>Um das Angenehme übrigens mit dem Nützlichen +zu verbinden, nahm er Herrn von Pulteleben +nachher mit zu seinem Pferde hinaus, von +dem er ihm schon viel erzählt und ihm auch die +Überzeugung beigebracht hatte, daß ein Mann +ohne Pferd in Brasilien gar nicht existiren könne +— nicht einmal eine Frau, und da Herr von +Pulteleben erfuhr, daß es früher Helenens Lieblingspferd +gewesen sei, die sich jetzt einen etwas +ruhigeren Grauen — der Graue war das wildeste +Pferd in der Ansiedelung — angeschafft habe, kaufte +es der junge Fremde zu einem, wie er glaubte, +außerordentlich mäßigen Preise (Oskar hatte auch in +der That höchstens hundert Procent daran verdient) +und schwelgte dabei in der Hoffnung auf +morgen, denn Helene hatte ihm versprochen mit +ihm spazieren zu reiten.</p> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<h3><a name="kap_9" id="kap_9"></a>9.</h3> + +<h3>Ein Abend in der Colonie.</h3> + +<p>Das war ein Leben und Treiben heute in +dem sonst so stillen Städtchen, daß man es kaum +wieder erkannte, und das Wirthshaus »Zum +Hoffnungsanker« hatte, so lange der Ort stand, +noch keine so guten Geschäfte gemacht. War es +doch auch bis unter das Dach hinauf von Gästen +angefüllt, die auf Matratzen, Decken, Stroh, oder +wie es eben ging, untergebracht werden mußten, +während fast alle männlichen Bewohner von +Santa Clara hier ebenfalls zusammenkamen, um +die Neuangekommenen zu sehen und zu sprechen, +und vielleicht auch frische Nachrichten von daheim +— das heißt aus ihrem Dorfe zu hören, denn +was wirklich <span class="wide">deutsche</span> Nachrichten und besonders +deutsche Politik betraf, kümmerte die Wenigsten der +Colonisten.</p> + +<p>Viele waren allerdings schon seit Jahren ausgewandert, +und den politischen Verhältnissen daheim, +die sie selbst an Ort und Stelle nicht verstanden, +so entfremdet worden, daß sie kaum noch +die geographischen Namen der verschiedenen Staaten +kannten. Aber selbst erst kürzlich Herübergekommene +fragten nicht nach dem, was Preußen oder +Österreich, oder sonst ein Theil Deutschlands treibe +— das war deren Sache, und sie mochten es mit einander +ausmachen — sondern nur aus welcher Gegend +Der und Jener sei, und ob daheim Der und Jener +noch lebe, und nicht Lust habe nach Brasilien zu +kommen.</p> + +<p>Außerdem wollten sich die Leute aber auch +gern einmal einen sogenannten »fidelen Abend« +machen, und da der Wirth Christian Bohlos einen +ziemlich geräumigen Schuppen an sein Haus gebaut +und mit Dielen hatte belegen lassen, ja auch +in diesem Schuppen ein hölzernes Gerüst für ein +Musikcorps angebracht war, so verstand es sich +von selbst, daß heute Abend ebenfalls getanzt +wurde.</p> + +<p>Das beste Musikcorps der Stadt wurde dazu +bestellt — denn es gab deren zwei — und daß +sich das andere darüber zurückgesetzt fühlte und +erklärte, das sogenannte <span class="wide">beste</span> Musikcorps könne +gar nicht spielen und vollführe eine wahre Heidenmusik +— blieb sich gleich.</p> + +<p>Schon mit Dunkelwerden sammelten sich die +Gäste — auf acht Uhr Abends waren nach stillschweigendem +Übereinkommen die Frauen angesagt, +denn die Kinder mußten erst zu Bette gebracht +werden — und bis dahin gingen Flasche +und Krug lustig im Kreise. — Aber nicht etwa +das dünne brasilianische Bier wurde getrunken, +das ein Deutscher sogar in Santa Clara braute, +obgleich das besonders die Neuangekommenen mit +Leidenschaft forderten, sondern vaterländischer +Rheinwein bildete bei solchen Gelagen gewöhnlich +das schwere Geschütz. Die langhalsigen, schlanken +Originalflaschen ragten fast von allen Tischen empor, +und Scharlachberger-, Brauneberger-, Markobrunner- und +Hochheimer-Etiquetten gehörten zu +den gewöhnlichsten Dingen.</p> + +<p>An dem einen Tische präsidirte der »Pfarrer« +des Ortes, eine breitschulterige, etwas massive +Gestalt, mit hochgeröthetem Gesichte, kurzen, etwas +struppigen blonden Haaren und einem <span class="wide">wenigstens</span> +zweitägigen weißen Halskragen, aber nicht +etwa in schwarzer Ordenstracht, sondern in einer +grauleinenen Sommerjoppe mit Nankinghosen, und +um ihn gruppirten sich einzelne Bewohner von +Santa Clara — unter ihnen auch unser alter +Bekannter Pilger und mehrere Colonisten aus der +unmittelbaren Nähe des Städtchens, von denen +dann wieder verschiedene »frische Einwanderer« +zugezogen worden, um zuerst Bericht über ihre +Reise abzustatten, und dann Enthüllung über das +»erhoffte Brasilien« zu vernehmen.</p> + +<p>An die Ecke desselben Tisches hatte sich ebenfalls +der Bursche mit dem Silberband um die +Mütze gedrängt, der heute schon mit dem Director +Streit gehabt; ein Krug Bier und eine Portion +Braten stand vor ihm. Seine Frau lag drüben +im Auswanderungshause mit ihren Kindern in +einer dunklen, feuchten Ecke, und theilte mit ihnen +das kärgliche Mahl, das sie sich von geliefertem +Mehle selber hatte bereiten müssen.</p> + +<p>Die übrigen Tische waren eben so dicht gedrängt +mit Gästen, und Bohlos' Frau und ein +paar Mägde konnten sich kaum in dem überfüllten +Raume Bahn machen, um die verlangten und oft +stürmisch geforderten Speisen und Getränke auszutheilen.</p> + +<p>»Na, hier lebt sich's aber doch besser als an +Bord von dem Schiffe, das muß wahr sein, wenn +ich auch gerade nicht über die Kost auf dem Schiffe +klagen will,« sagte einer der Zwischendeckspassagiere.</p> + +<p>»Saufressen,« kaute der Mann mit dem Tressenstreifen +mit vollem Munde; »bei uns kriegen's +die Schweine besser, wie sie's uns für unser schweres +Geld auf dem Schiff gegeben haben.«</p> + +<p>»Vielleicht sind <span class="wide">Sie's</span> zu Hause besser gewöhnt +gewesen,« meinte einer der jungen Kaufleute, +ein Kajütenpassagier, der sich aber hier +schon in brasilianische Gleichheit hinein zu finden +suchte, indem er seinen, ihm unangenehmen Nachbar +von der Seite ansah.</p> + +<p>»Bin ich auch,« knurrte der Mann — »ja, +Sie, die Kajütenpassagiere, haben hineingestopft +gekriegt, was nur eben hinein ging, aber <span class="wide">uns</span> +haben sie behandelt wie die Hunde — und noch +schlechter.«</p> + +<p>»Na, ich weiß nicht,« sagte der Erste wieder, +»ich bin doch auch im Zwischendeck gefahren, habe +aber Nichts davon gemerkt. Daß man's auf dem +Schiff nicht so gut bekommen kann wie daheim, +na ja, das haben wir freilich schon zu Hause gewußt, +und dafür ist's eben eine Seereise. Außerdem +habt <span class="wide">Ihr</span>, so viel ich weiß, nicht einmal +Passage bezahlt, sondern Eure Gemeinde daheim +hat's zusammengeschossen.«</p> + +<p>»Das geht Keinem 'was an,« sagte der Bursche +mit einem finstern Blicke nach dem Sprecher — +»bezahlt ist's doch, ohne daß <span class="wide">Ihr</span> dazu die Hand +in den Sack gesteckt.«</p> + +<p>Die Übrigen schwiegen, denn der Mann hatte +nicht genug Einnehmendes in seinem Wesen, sich +mit ihm in ein längeres Gespräch einzulassen. +Freilich war hier offener Wirthstisch, und man +konnte ihm auch nicht gut verwehren, sich der +Unterhaltung anzuschließen, so lange er eben nicht +selber fühlte, daß er da nicht hinein passe.</p> + +<p>Oben am Tische wechselte das Gespräch jetzt +wieder auf die Verhältnisse in der Colonie, und +die Klagen über die Regierung waren allgemein, +daß nie Land vorräthig vermessen sei, wenn einmal +Colonisten eintrafen. Die Neuangekommenen +wollten das dem Director zuschieben, und der +»Pfarrer« gab ihnen Recht. Da stäk' es, denn +das sei ein hochmüthiger Patron, der sich den +Henker um den armen Mann scheere. Dagegen +sprachen aber, und zwar mit Eifer, mehrere der +Colonisten selber und vertheidigten den Director.</p> + +<p>»Was kann er denn machen, wenn ihn der +Präsident im Stiche läßt? Das ist die vorgesetzte +Behörde, und an die muß er sich wenden, und +für den gemeinen Mann thut gerade <span class="wide">er</span> mehr, +denn irgend Einer vor ihm. Und wie hat er +jetzt wieder gearbeitet, um die Leute alle unterzubringen!«</p> + +<p>»Ein Lump ist's,« rief der mit der Tresse, +seine Faust auf den Tisch schlagend, daß sich Alle +erstaunt nach ihm umsahen — »ein nichtsnutziger, +grober Lump, und das hab' ich ihm heute in's +Gesicht gesagt, und will es ihm morgen auch noch +einmal hinein sagen.«</p> + +<p>»Was ist denn der Mann da schuldig, Bodenlos?« +fragte Pilger laut, als der Wirth gerade an ihm +vorüberging.</p> + +<p>»Wer?« fragte Bohlos, sich am Tische umsehend.</p> + +<p>»Der mit der hübschen blauen Mütze.«</p> + +<p>»Na,« sagte der also Bezeichnete erstaunt aufstehend +— »wem geht denn <span class="wide">das</span> wieder 'was an, +was <span class="wide">ich</span> schuldig bin?«</p> + +<p>»Der Tisch hier bezahlt's,« sagte Pilger, ohne +von dem Einwurfe Notiz zu nehmen — »wie viel +macht's?«</p> + +<p>»Portion Braten und vier Glas Bier,« sagte +Bohlos — »wollen's gerade einen Milreis rechnen, +es macht eigentlich noch zwanzig Reis mehr.«</p> + +<p>»Sehr schön,« sagte Pilger, »und jetzt, guter +Freund, thut uns einmal den Gefallen und macht die +Thür <span class="wide">von außen</span> zu. Verstanden?«</p> + +<p>»Ob ich sie zumachen oder auflassen will, geht +Keinem einen Quark an!« rief der Bursche, rückte +sich die Mütze auf das eine Ohr, und sah den Redenden +mit wüthenden Blicken an.</p> + +<p>»Wollt Ihr Vernunft annehmen?« fragte +Pilger ruhig, indem er langsam von seinem Stuhle +aufstand — »oder soll ich Euch….«</p> + +<p>»Ach, laßt den Lump zufrieden, Pilger!« riefen +ein paar Andere — »fangt keinen Streit an.«</p> + +<p>»Streit?« sagte Pilger vollkommen kaltblütig +— »fällt mir gar nicht ein, aber sollen wir uns +etwa von so einem Burschen, wie der da, den +ganzen Abend verderben lassen? Entweder der +Gesell geht, Bodenlos, oder ich gehe.«</p> + +<p>»Ach, seid vernünftig,« sagte der Wirth beruhigend.</p> + +<p>»Nein, er hat Recht!« riefen nun auch die +früheren Mitpassagiere des Burschen; »auf der +ganzen Reise hat er Nichts wie Skandal und +Streit gehabt, und seine arme Frau dabei mißhandelt, +daß es eine Schande war.«</p> + +<p>»Ihr Lumpenhunde wollt auch wohl noch mit +drein reden?« rief der mit der Mütze, und fuhr +von seinem Sitze auf, aber Pilger hatte ihn schon +am Kragen und hob ihn mit riesiger Kraft vom +Boden; drei oder vier Andere faßten ihn zugleich +an Armen und Beinen, und keine Minute später +fand er sich ziemlich unsanft hinaus auf die Straße +gesetzt. Kaum aber hatten die Männer ihre Sitze +wieder eingenommen, als ein ziemlich faustgroßer +Stein durch das eine Fenster klirrend hereinschmetterte +und glücklicherweise gegen die nächste +Stuhllehne traf, sonst hätte er Schaden anrichten +können. Fünf oder sechs junge Burschen flogen +jetzt hinaus, um den Frevler abzustrafen, aber +der Passagier hatte es doch für gerathen gefunden, +etwas Derartiges nicht abzuwarten, und war verschwunden.</p> + +<p>Indessen rückte die Zeit vor — es war acht +Uhr, und die »Damen« kamen zum Balle. Es waren +meist Frauen und Töchter von Bauern und Handwerkern, +aber viele der letzteren selbst in Brasilien +geboren und großgezogen, wo sie dann, mit Kindern +der eingeborenen Brasilianer aufwachsend, +auch den Schnitt von deren Kleidung, wie eine +freiere Haltung angenommen hatten — und reizende +Gestalten gab es unter ihnen.</p> + +<p>Hier und da kam freilich noch ein echt deutsches +Bauernmädchen, die rothe Kattunschürze hoch in +der Taille umgebunden, das riesige weiße Taschentuch +in der sonnverbrannten, arbeitsharten Hand +schlenkernd und mit der eigenthümlich schaufelnden +Bewegung im Gange. Junge Mädchen mit weißen +Kleidern und Rosabändern dazwischen, mit +Füßen, die einem Grenadier zur festen Basis +hätten dienen können, und eine Handvoll künstliche, +arg zerdrückte Blumen geschmacklos auf den Kopf +gebunden. Aber auch leichte und selbst zarte Figuren +mischten sich dazwischen, junge Mädchen aus +irgend einer kleinen Stadt, die jedenfalls verstanden +sich geschmackvoll zu kleiden, und eine buntere +Mischung des »schönen Geschlechts« konnte in +keinem Lande der Welt aufgetrieben werden.</p> + +<p>Und wer war der Ceremonienmeister, der Arrangirende +und Ordnende dieses ganzen Balles? +Wer stellte, als die Musik endlich begann, die +Contretänze? Wer klatschte in die Hände, wenn +die ersten Paare antanzen, wer klatschte wieder, +wenn sie wechseln sollten? Wer drückte sich dann +in einem ruhigen Moment in eine Ecke, um mit +einem oder dem anderen Nachbar, nur im Vorbeigehen, +ein Glas Wein oder Punsch zu trinken, +und war im Nu wieder bei der Hand und mitten +im Saale, sobald nur die geringste Unordnung +zu drohen schien? Wer anders als Jeremias, der +sich aber so entpuppt hatte, daß man ihn heute +Abend wirklich nur an der rothen Perrücke wiedererkannte.</p> + +<p>Wer den Jeremias heute in Hemdsärmeln gesehen +hatte, wie er im Schweiße seines Angesichts, +den Karren hinter sich, durch die Straßen keuchte, +und wer ihn jetzt sah, wie er im Glanze von wenigstens +achtzehn Talglichtern mit blechernen Reflectoren, +<i>à quatre épingles</i> gekleidet, durch den +Saal hüpfte, würde eine solche Veränderung, ohne +den Mann genauer zu kennen, nicht für möglich +gehalten haben, und doch war es eine und dieselbe +Persönlichkeit.</p> + +<p>Es läßt sich nicht läugnen, weder der hellblaue +Frack mit den blanken Knöpfen, noch die weißen +Hosen, noch die lichten, schon etwas schmutzigen +Glacéhandschuhe waren je für ihn gemacht, und +die beiden ersteren gerade um das zu weit, was +die letzteren zu eng schienen. Aber er zeigte doch, +wie der Pfarrer meinte, »den guten Willen«, und +einen aufmerksameren und den Formen strenger +genügenden Tanzmeister wie ihn gab es nicht auf +der weiten Welt, viel weniger denn in Brasilien.</p> + +<p>Jeremias war in der That überall, und hatte +er heute über Tag bei seinem Karren geschwitzt, +so überstieg seine Transpiration gegenwärtig alle +Gränzen. Er troff förmlich, und das helle Wasser +lief ihm unter der brennend rothen Perrücke in +kleinen Bächen nieder.</p> + +<p>Eigentlich hatte Jeremias ursprünglich gar kein +rothes Haar gehabt, und das kleine Stückchen +Backenbart, das ihm noch jetzt vor beiden Ohren +stand, war sogar von pechschwarzer Farbe. Als +ihm aber damals, nach einer Art Nervenfieber, +und kurz vorher, ehe er Deutschland verließ, +sämmtliche Haare ausgingen, forderte der Friseur +für eine <span class="wide">schwarze</span> Perrücke eine seine Kräfte +übersteigende Summe, und da er die <span class="wide">rothe</span> Perrücke +— der Träger war darunter weggestorben +— aus zweiter Hand billig erstehen konnte, entschloß +er sich kurz und wechselte die Farbe. Jetzt +war er nun so an die rothe Perrücke gewöhnt, +daß er eine andere, schwarze nicht mehr umsonst +genommen hätte.</p> + +<p>Übrigens war Jeremias in der ganzen kleinen +Stadt als ein fleißiger, nüchterner Arbeiter beliebt, +und seiner oft drolligen Antworten wegen fast in +jedem Hause gern gesehen. Weil er aber fleißig +arbeitete, verdiente er auch ganz hübsches Geld, +und nur, was er mit dem Verdienten machte, +erfuhr kein Mensch. Verzehren konnte er es nicht, +da er außerordentlich mäßig lebte, und nie auch +nur einen halben Milreis vergeudete, aber trotzdem +hatte er noch Keinem Geld zum Aufheben +gegeben. Er kaufte auch kein Land oder Vieh, +und von Staatspapieren wußte er außerdem Nichts. +Allerdings hatte sich das Gerücht verbreitet, daß +er sein Geld heimlich im Walde vergraben und +schon einen ganzen Sack voll Milreis irgendwo +eingescharrt habe. Gewißheit bekam aber Niemand +darüber, und Jeremias war viel zu schlau, Andere +das wissen zu lassen, was sie eben nicht zu wissen +brauchten.</p> + +<p>So gutmüthig Jeremias aber auch im Ganzen +sein mochte, und so dienstwillig und gefällig er +sich gegen Jedermann in seiner Arbeitszeit zeigte, +so unumschränkt regierte er hier, und der geringste +Verstoß gegen die Tanzordnung wurde auf das +Unerbittlichste geahndet. Ein Schneider aus Santa +Clara ärgerte ihn besonders, und man erzählte +sich, die Feindschaft zwischen den Beiden schreibe +sich daher, daß Jeremias eine Heirath des Schneiders, +den er als einen liederlichen Schlingel +kannte, hintertrieben habe. Das Mädchen war +braver Bauersleute Kind, und Jeremias kannte +den Bräutigam, der aus seinem Orte stammte, +schon von Deutschland her. Daheim hatte dieser +aber ein anderes Mädchen sitzen, dem er die Ehe +versprochen, und das auf ihn wartete, und als die +Bauernfamilie das hier erfuhr, wurde dem Werber +das Haus verboten.</p> + +<p>Ob Jeremias ihnen das wirklich mitgetheilt, +war nicht ganz bestimmt, jedenfalls hieß es so, +und der Schneider haßte ihn seitdem wie seinen +Todfeind, ohne daß sich Jeremias deshalb die geringste +Sorge gemacht hätte. Heute nun, wo +Jener etwas mehr als gewöhnlich getrunken haben +mochte, suchte er ein paar Mal Streit mit dem +kleinen Ceremonienmeister, und als dieser ihn eben +so oft derb abfertigte, wußte er sich auf andere +Weise zu rächen. Jeremias hatte gerade wieder +in der einen Ecke einen Schluck Punsch mit dem +jungen Handlungsdiener getrunken, als er auf +der andern Seite des Saales eine Unordnung +entdeckte. Wie der Blitz sprang er auf und dorthin; +unglücklicherweise mußte er aber an dem +Schneider dicht vorbei, der rasch sein Bein vorhielt, +und Jeremias, darin hangen bleibend, schoß, +so lang er war, mitten in den Saal.</p> + +<p>Dem böswilligen Schneider bekam das aber +schlecht. Zu viele Leute waren Zeuge gewesen, +und ehe sich Jeremias nur wieder vom Boden +aufraffen konnte, hatten sie den Schneider gepackt, +machten ein Fenster auf und warfen den sich aus +Leibeskräften dagegen Sträubenden hinaus in die +Büsche.</p> + +<p>Übrigens war es eine so allgewöhnliche Begebenheit, +daß bei einem deutschen Balle auch +zwei oder drei Personen zu Thür oder Fenster +hinausgeworfen wurden, daß Niemand weiter +darauf achtete. Der Tanz ging ruhig fort, und +Jeremias, der mit einer wahren Federkraft vom +Boden emporschnellte, sah kaum den Schneider +beseitigt, als er auch augenblicklich wieder in den +Tact der Musik einfiel, und nur im Herüber- +und Hinüberhüpfen noch den Staub von seinem +Fracke zu entfernen suchte. Leider war kurz vorher +gesprengt worden, und die weißen Hosen +hatten dadurch etwas fleckige Vordertheile bekommen, +aber Jeremias selber sah es nicht und Niemand +achtete weiter darauf.</p> + +<p>Pilger war auch aus dem Gastzimmer herübergekommen, +um seine Frau zu suchen, die versprochen +hatte bei dem Balle zu erscheinen, aber +sie fehlte noch, und etwa eine halbe Stunde später +ging er nach Hause, um sie abzuholen.</p> + +<p>Er mochte vielleicht eine Viertelstunde fort +gewesen sein, als er mit etwas verstörtem Gesichte +wieder zurückkam und seine Blicke unruhig im +Saal umherschweifen ließ — dann verschwand er +wieder, ohne daß natürlich irgend Jemand auf ihn +achtete, um bald darauf wieder zurückzukehren, wo er +den bei einer Partie Skat sitzenden Pfarrer aufsuchte +und zu sich hinausrief.</p> + +<p>»Nun,« sagte dieser, der eben nicht gern von +seiner Partie aufgestanden war, indem er ihm vor +die Thür folgte, »was haben Sie denn, Sie +schneiden ja ein Gesicht, als ob es bei Ihnen +brennte?«</p> + +<p>»Meine Frau ist fort,« flüsterte Pilger mit +heiserer, von innerer Aufregung fast unhörbarer +Stimme.</p> + +<p>»Ihre Frau ist fort?« sagte der Geistliche erstaunt +— »wohin?«</p> + +<p>»Ich weiß es nicht,« stöhnte der Mann — »sie +ist nicht hier beim Tanze, sie ist nicht zu Hause +und doch vor etwa einer halben Stunde mit einem +Bündel in der Hand fortgegangen.«</p> + +<p>»Na ja, das wäre nicht übel,« schüttelte der +Herr Pfarrer mit dem Kopfe — er hatte drin ein +Eichelsolo auf dem Tische liegen, und die Sache +kam ihm sehr unbequem — »aber wohin <span class="wide">kann</span> sie +denn hier?«</p> + +<p>»Da steckt der Schuft, der Bleifuß dahinter,« +knirschte der Mann zwischen den zusammengebissenen +Zähnen durch; »aber wenn ich die Gewißheit +kriegte, dann gnade ihm Gott!«</p> + +<p>»Hm,« sagte der Pfarrer, welcher die deshalb +umlaufenden Gerüchte schon lange gehört hatte +und kannte — »und haben Sie keine Ahnung, wohin +sie sich gewandt haben könnte?«</p> + +<p>»Keine,« ächzte Pilger; »aber was um Gottes +Willen kann ich thun, um sie wieder zu bekommen?«</p> + +<p>»Heute Abend gar Nichts,« sagte der Pfarrer; +»es ist stockdunkel, und aus dem Tanzsaal bringen +Sie Keinen fort — noch dazu, wenn Sie nicht +einmal eine bestimmte Richtung angeben können.«</p> + +<p>»O, Du großer, allmächtiger Gott!« stöhnte +der Mann und preßte die fest zusammengeschlagenen +Hände gegen seine Stirn.</p> + +<p>»Machen Sie sich keine Sorgen,« sagte der +Geistliche, »wenn die Frau Sie auf so leichtsinnige +Weise verlassen konnte, so haben Sie auch +Nichts an ihr verloren, und den Mosje, den +Bleifuß, wollen wir schon kriegen, wenn der wirklich +dahinter steckt. Der muß blechen, daß es ihm +blau und braun vor den Augen wird.«</p> + +<p>»Meine Grethe — meine Grethe!« hauchte +der arme Teufel; »daß sie mir die Schande anthun +konnte!«</p> + +<p>»Es läßt sich heute Nichts mehr machen,« +versicherte der Pfarrer — er <span class="wide">konnte</span> seinen +Eichelsolo nicht länger im Stiche lassen — »gehen +Sie ruhig nach Hause — morgen früh komme ich +zu Ihnen und da besprechen wir das Weitere« —, +und ohne eine Antwort abzuwarten, klopfte er +dem Unglücklichen auf die Schulter und ging +wieder in das Zimmer zurück an seinen Spieltisch.</p> + +<p>Pilger stand noch eine Weile wie vernichtet in +der offenen Thür, dann aber lief er noch einmal +zurück zu seinem Haus, und als er die Verlorene +auch jetzt noch nicht fand, wieder hinaus in die +Nacht hinein — er wußte ja selber nicht, wohin.</p> + +<p>Unten an der Landung, etwa zweihundert +Schritte tiefer als die Boote gewöhnlich lagen, +hatte ein kleines Fahrzeug im Schutze dichter +Büsche angelegt, und gleich nach Sonnenuntergang +waren schon verschiedene Blechkoffer und +Kisten hineingeschafft. Vier portugiesische Ruderer, +die zu einem der weiter unten ankernden Schooner +gehörten, lagen auf ihren Riemen und warteten +auf ein verabredetes Zeichen, um den Bug des +Bootes, das jetzt ein Stück draußen im Strom +ankerte, dicht zum Lande zu schieben. Jetzt pfiff +es viermal rasch hintereinander, und während sich +das schmale Fahrzeug noch tiefer in die Büsche +hineinschob, eilten ein Mann und eine Frau den +schräg ablaufenden Hang hinab, gerade auf die +Stelle zu, wo dasselbe verborgen lag.</p> + +<p>Der Mann hielt ein größeres Paket im Arme +und konnte nicht so rasch von der Stelle, weil er, +seiner Bequemlichkeit wegen, Pantoffeln trug. Die +Frau führte ein kleines Bündel bei sich und war +ihm immer um einige Schritte voraus, bis sie +den Wasserrand erreichte. Hier hielt sie plötzlich +und wie erschreckt an und flüsterte:</p> + +<p>»O, Du mein lieber himmlischer Vater, was +will ich thun, was will ich thun!«</p> + +<p>»Hier sind wir an Ort und Stelle,« sagte der +Mann, der sie hier einholte, in portugiesischer +Sprache, aber mit unterdrückter Stimme, »nur +rasch, meine Geliebte, daß uns die Tölpel nicht +doch noch am Ende auf die Spur kommen.«</p> + +<p>»O, mein armer Mann, und er ist immer so +gut und rechtschaffen, und <span class="wide">ich</span>….«</p> + +<p>Während sie klagte, hatte der Portugiese schon +sein Bündel in das Boot gegeben und der Frau +das ihrige ebenfalls abgenommen und einem Matrosen +gereicht. Jetzt legte er leise seinen Arm +um ihre Taille und schob sie sanft rückwärts.</p> + +<p>»Kommen Sie, Margarita, kommen Sie, wir +versäumen sonst die günstige Zeit über die Barre +— dort hinten höre ich auch Leute. Denken Sie, +wenn man Sie hier fände — mit <span class="wide">mir!</span>«</p> + +<p>Die Frau schreckte empor. Etwa hundert +Schritte weiter oben führte ein Weg vorbei, auf +dem zwei Männer gingen, die sich laut miteinander +unterhielten. Die Frau glaubte die Stimme +des Einen zu erkennen und wich scheu mehr in +die Büsche hinein. Dort lag die Planke — einer +der Matrosen ergriff ihre Hand, und keine halbe +Minute später glitt das Boot in die dunkle Strömung +hinaus und mit dieser abwärts.</p> + +<p>Am Ufer herauf kam eine einzelne Gestalt, +die horchend stehen blieb, als sie das Knarren der +Ruder in den Blöcken hörte, das nur so viel +deutlicher durch die Stille der Nacht drang. Erkennen +ließ sich freilich Nichts von dort, wie nur +vielleicht der dunkle Schatten des Bootes selber.</p> + +<p>»Grethe,« rief da eine leise, klagende Stimme +in den Strom hinaus — »Grethe — bist Du +dort?«</p> + +<p>Keine Antwort erfolgte; blitzesschnell trieben +die Ruder das Boot vorwärts, das wenige Minuten +später um eine ablaufende Biegung des +Flusses verschwand. —</p> + +<p>Bei dem Director, in der kleinen Oberstube, +saß Könnern, und Beide waren, Jeder mit einem +Lichte vor sich, beschäftigt zu lesen. Der Director +wühlte in einer Anzahl von Briefschaften, während +Könnern ein Packet Zeitungen durchblätterte, die +der Capitain des Schiffes mitgebracht hatte. Die +Haushälterin brachte gerade den Thee herein, +denn die Abende waren frisch genug, um eine +warme Tasse Thee recht gut vertragen zu können.</p> + +<p>»Na, da hört Alles auf!« sagte der Director +plötzlich, und sah über einen eben geöffneten Brief +nach Könnern hinüber.</p> + +<p>»Nun,« fragte dieser, dem Blicke begegnend — +»irgend eine unangenehme Nachricht?«</p> + +<p>»Unangenehm gerade nicht,« lautete die Antwort, +»aber gerade zu der unpassendsten Zeit in +der Welt erhalten. Der Delegado, jener Portugiese, +den wir an der Schule trafen, zeigt mir +eben an, daß er von der Regierung auf unbestimmte +Zeit Urlaub erhalten habe und mir hiermit +in seiner Abwesenheit die laufenden Geschäfte +übertrage. Die ganze lange Zeit hat der Herr +Nichts auf der Gotteswelt zu thun gehabt, weil +ich die kleinen Streitigkeiten zwischen den Colonisten +immer selber schlichtete, ja, eher noch selber +Ursache zu Zank und Unfrieden in verschiedenen +Familien gegeben, und jetzt, wo wir eine ganze +Schaar durch die Seereise halb verwilderter Menschen +bekommen, die außerdem noch untergebracht +werden sollen, will er sich von jeder Arbeit drücken. +Das geht nun einmal unter keiner Bedingung +an, und wenigstens muß er noch die nächste Woche +dableiben. Ich habe überdies Scheererei genug — +kommen Sie, trinken Sie eine Tasse Thee — da +drüben steht der Rum — helfen Sie sich selber.«</p> + +<p>Könnern schob die Zeitungen und Papiere bei +Seite, um freien Raum zu bekommen. Eine kleine, +zierliche Visitenkarte fiel heraus und auf den Tisch.</p> + +<p>»Hallo,« lachte er, »die Dinger gehören doch +hier wohl eigentlich zu den exotischen Gewächsen. +Wie heißt denn der Herr? Arno von Pulteleben +— den Namen kenn' ich nicht.«</p> + +<p>»Irgend wieder ein junger Adeliger,« sagte +der Director, sich Rum zu seinem Thee gießend, +»der mit den Diamantgruben Brasiliens im Kopfe +herüber kommt, sich hier eine Zeit lang herum +treibt und über Alles schimpft, bis sein mitgebrachtes +Geld verzehrt ist, und dann, empört über +die traurigen Verhältnisse des Landes, nach +Deutschland zurückkehrt, für das er Märchenstoff +in Masse gesammelt hat. Er wollte mich heute +besuchen, aber wie ich nur den schwarzen Frack, +Seidenhut und die weißen Glacéhandschuhe durch's +Fenster sah, hatte ich schon übrig genug und — +ließ mir die Ehre auf ein anderes Mal ausbitten.«</p> + +<p>»Wo mag er denn nur Quartier gefunden +haben?« sagte Könnern, »die Häuser sind ja fast +alle überfüllt.«</p> + +<p>»Gott weiß es,« sagte der Director gleichgültig, +»vielleicht doch noch im Hotel, denn Bohlos +macht oft das Unglaubliche möglich. Überhaupt, +lieber Könnern, glauben Sie gar nicht, was sich +in einer solchen Colonie wie die unsere oft für +wunderliche Subjecte und Charaktere ansammeln, +und man könnte sie sich oft nicht besser assortirt +für ein Naturalien-Cabinet zum Ausstopfen aussuchen. +Aus allen Schichten der Gesellschaft bekommen +wir die Proben, und der hohe Adel, wie +Künstler und Gelehrte liefern jederzeit die werthvollsten +Exemplare. Unseren Baron haben Sie +schon gesehen, die Gräfin werden Sie jedenfalls +noch kennen lernen; außerdem treibt sich hier auch +ein ganz tüchtiger Künstler herum, ein Mann, der +wahrscheinlich in Deutschland seiner Kunst Ehre +machen könnte, und hier gerade so viel damit ausrichten +wird, wie ein Holzhacker in den Pampas, +oder ein Ackerbauer in den Schneebergen.«</p> + +<p>»Ist es ein Maler?« fragte Könnern.</p> + +<p>»Nein,« lachte Sarno, »Sie brauchen keinen +Concurrenten zu fürchten — nur ein Clavierspieler. +Aber auch ein anderer Musiker macht die Gegend +unsicher, aus dem ich aber noch nicht recht klug +geworden bin. Er <span class="wide">nennt</span> sich Randolph und +scheint mir ein excentrischer Kopf, wie alle derartigen +Künstler….«</p> + +<p>In dem Augenblicke wurde draußen an die +Thür geklopft und die alte Haushälterin meldete +gleich darauf: Der Schuhmacher Pilger wünsche +den Herrn einen Augenblick zu sprechen.</p> + +<p>»Ach,« sagte der Director, unzufrieden mit dem +Kopfe schüttelnd, »immer wieder die alte Geschichte, +aber ich kann ihm jetzt gute Nachricht geben, denn +er wird seinen Quälgeist wenigstens auf einige +Zeit los. Lassen Sie ihn nur herein kommen.«</p> + +<p>Pilger betrat gleich darauf das Zimmer. Er +hielt den Hut in der Hand, sah aber todtenbleich +aus und der Schweiß stand ihm in großen Tropfen +auf der Stirn.</p> + +<p>»Guten Abend, Herr Director!« stöhnte er, +ohne auf den noch im Zimmer befindlichen Fremden +weiter zu achten.</p> + +<p>»Guten Abend, Pilger! Um Gottes Willen, +wie seht Ihr denn aus, Mann? Was ist denn +vorgefallen?«</p> + +<p>»Meine Frau ist mir davon gelaufen, Herr +Director,« sagte der arme Teufel, und man sah +es ihm an, wie er sich nur mit äußerster Gewalt +zwang, seine Fassung zu bewahren.</p> + +<p>»Eure Frau? Wann?!« rief der Director erschreckt +und ein eigener Verdacht schoß ihm durch +den Kopf.</p> + +<p>»Heute Abend — vor einer Stunde etwa, +vielleicht noch nicht so lange. Sie wollte auf den +Ball kommen und hat das Haus verlassen, ist aber +jetzt nirgends mehr zu finden.«</p> + +<p>»Aber, bester Freund, wenn Ihr sie erst so +kurze Zeit vermißt, kann sie ja auch zu einer +Freundin gegangen sein, um die abzuholen.«</p> + +<p>»Nein,« sagte der Mann ruhig, »sie hat ein +Bündel mitgenommen und ist nach dem Flusse +gegangen. Ich sprach Jemanden, der ihr begegnet +ist.«</p> + +<p>»Und habt Ihr keinen Verdacht, wer dabei +die Hand im Spiele haben könnte?« fragte der +Director.</p> + +<p>»Verdacht? Nein,« sagte Pilger mit fest zusammengebissenen +Zähnen, »aber die <span class="wide">Gewißheit,</span> +daß es jener gottverfluchte Bleifuß, der Delegado, +gewesen ist. Es giebt jetzt nur noch eine Möglichkeit,« +fuhr er fort, während der Director leise vor +sich hin mit dem Kopfe nickte, »daß die Flucht +nach dem Flusse zu vielleicht nur zum Schein war +und meine Grethe jetzt ruhig drüben im Hause +des Delegado versteckt ist. Allerdings fuhr vor +etwa einer Viertelstunde ein Boot stromabwärts, +aber ich kann mir nicht denken, daß der Portugiese +die Frau allein fortschicken wird, und deshalb +komme ich her, Herr Director, und wollte Sie +bitten, das Haus des Portugiesen augenblicklich +durchsuchen zu lassen. Finden wir dort nichts, +dann muß sie den Strom hinunter sein, und ich +glaube, ich weiß ein Haus, wo sie sich möglicher +Weise verborgen halten könnte.«</p> + +<p>»Wart Ihr schon am Hause des Delegado?«</p> + +<p>»Ja — es ist Alles stockfinster drin, aber das +bedeutet nichts.«</p> + +<p>»Wißt Ihr, daß der Delegado Urlaub von +der Regierung und mir heute Abend schriftlich +angezeigt hat, ich solle sein Amt hier für ihn versehen?«</p> + +<p>Der Mann schlug entsetzt die Hände zusammen.</p> + +<p>»Dann ist's auch richtig,« stöhnte er — »dann +ist er fort und sie waren in dem Boote, das ich +gesehen habe. Wollen Sie mir helfen, Herr +Director?«</p> + +<p>»Von Herzen gern, Pilger, aber wie?«</p> + +<p>»Erst gehen wir jetzt zu seinem Hause und +sehen ob er fort ist, und finden wir das bestätigt, +dann bitte ich Sie um weiter Nichts, als Ihr +Boot — Leute schaff' ich schon herbei.«</p> + +<p>»Aber keine Gewaltthätigkeit, Pilger!« warnte +der Director; »Ihr macht die Sache dadurch nur +noch schlimmer.«</p> + +<p>»Überlassen Sie das mir, Herr Director. Ich +habe den Eltern meiner Frau, braven, ordentlichen +Leuten daheim, versprochen, über dieselbe zu wachen +wie über meine Augen; ich darf die unglückliche +Frau nicht den Händen dieses Buben überlassen, +und <span class="wide">darin</span> werden mich doch hoffentlich die Gesetze +schützen.«</p> + +<p>»Das allerdings,« sagte Sarno, von seinem +Stuhle aufspringend — »und dann wollen wir auch +keine weitere Zeit mehr versäumen — kommt!«</p> + +<p>Er griff seinen Hut auf, und von Könnern +begleitet, gingen die Männer rasch nach dem +Hause des Delegado hinüber. Es war aber hier, +wie es Sarno gefürchtet hatte, sie fanden das +Haus nicht allein fest verschlossen, sondern auch +leer. Dicht daneben wohnte ein deutscher Cigarrenmacher, +der einen kleinen Stand nach der Straße +zu hatte. Dieser konnte ihnen wenigstens die +Nachricht geben, daß gleich nach Dunkelwerden +mehrere brasilianische Matrosen Kisten und Koffer +aus dem Hause die Straße hinab getragen hätten. +Weiter wußte er ebenfalls nichts, denn den Delegado +hatte er mit keinem Auge gesehen.</p> + +<p>»Dann bleibt mir Nichts weiter übrig, als das +Boot,« stöhnte Pilger, als er mit seinen Begleitern +wieder die Straße hinauf ging — »darf ich es +nehmen, Herr Director?«</p> + +<p>»Geht mit Gott!« sagte Sarno, indem er ihm +den kleinen Bootschlüssel gab — »Ihr wißt, wo es +liegt?«</p> + +<p>»Ja wohl — und Segel und Ruder?«</p> + +<p>»Hat der Fischer gegenüber — der kann Euch +auch wahrscheinlich gleich Leute zum Rudern nachweisen.«</p> + +<p>Pilger dankte und flog mehr als er ging die +Straße hinab und der Landung zu. —</p> +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<p> </p> +<p>Im Hause der Gräfin Baulen war die kleine +Familie mit ihrem Gaste ziemlich spät beim Thee +zusammen gewesen, und hatte den Abend, so gut +das eben gehen wollte, verplaudert. Herr von +Pulteleben erzählte von seiner Familie daheim +und dem kleinen Gute, auf dem er erzogen worden, +von seinen Plänen und Hoffnungen und seinem +Eifer, etwas Ernstliches zu beginnen, und die +Frau Gräfin selber war ihm mit Interesse dabei +gefolgt. Nur Oskar langweilte sich; aber er wußte, +daß im Wirthshause Ball sei. Allerdings würde +ihm seine Mutter nie die Erlaubniß gegeben +haben, dem beizuwohnen, deshalb ersparte er ihr +das Unangenehme einer Weigerung, verließ unbemerkt +das Zimmer und ging eben <span class="wide">ohne</span> Erlaubniß.</p> + +<p>Herr von Pulteleben erzählte jetzt von seiner +Reise und den Abenteuern derselben, und da er +wirklich gar Nichts dabei erlebt, wurde die Frau +Gräfin endlich müde und schlief ein.</p> + +<p>Helene setzte sich auf kurze Zeit an's Clavier, +aber ihr Gast war nichts weniger als musikalisch, +und da er auch keinen Geschmack an den kleinen, +reizenden Liedern fand und sie immer nur — oft +mitten in einem Stücke — bat, einen Walzer +oder Galopp zu spielen, ermüdete Helene ebenfalls.</p> + +<p>Es war Zeit zum Schlafengehen geworden, +das Mädchen wurde gerufen, um dem Fremden +in sein Zimmer zu leuchten, und Helene ging in +das ihrige, stellte das Licht auf den Tisch, stützte +den Arm auf das offene Fenster, zu dem der +balsamische Duft der Orangenblüthen voll hereinströmte, +und schaute träumend in die Nacht und +auf die dunklen Conturen der Gebirge hinaus.</p> + +<p>Da zuckte sie plötzlich erschreckt empor, denn +fast dicht unter ihrem Fenster erklangen wieder +die leise klagenden Töne der Violine, die sie schon +an jenem Abend so wunderbar ergriffen hatten. +Es lag ein solcher Schmelz in der einfachen Melodie, +daß es ihr unwillkürlich das Herz ergriff, +und sie stand auf, setzte sich auf das Sopha, um +von unten aus nicht gesehen zu werden, und +horchte mit angehaltenem Athem dem meisterhaften +Spiele.</p> + +<p>Herr von Pulteleben, der schräg über ihrem +Zimmer wohnte, hatte schon sein Licht ausgelöscht +und sich eben niedergelegt, als der Spielende unten +begann. Er stand wieder auf, lehnte sich in das +offen stehende Fenster und hörte eine Weile zu, +bis die Töne unten leise verhallten. Jetzt rief er +von oben herunter:</p> + +<p>»Bravo! Sehr hübsch! Wirklich allerliebst!«</p> + +<p>Helene barg die Stirn in ihre Hand; es +war wie ein Mißton in diese Harmonie hinein. +Der Spielende unten aber schwieg. Sie löschte +ihr Licht aus und trat verdeckt ans Fenster, um +vielleicht den Schatten seiner hinweggleitenden Gestalt +zu sehen, aber Nichts regte sich — dunkel lag +die Nacht auf dem Thale, und nur von weit +herüber schallten dann und wann, von einem gelegentlichen +Luftzuge getragen, die munteren Töne +der Violinen und <ins title="Original hat Trompeten herüber">Trompeten</ins>, die dem +jungen, lustigen Volke von Santa Clara zum +Tanze aufspielten.</p> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<h3><a name="kap_10" id="kap_10"></a>10.</h3> + +<h3>Eine Familienscene.</h3> + +<p>Vier Tage waren nach den oben beschriebenen +Vorfällen verflossen und die Frau Gräfin hatte +an diesem Morgen noch nicht vollständig ihre +Toilette beendet, als draußen auf dem Vorsaale +schwere Tritte laut wurden, und gleich darauf ein +Mann mit Dorothea sprach. Jetzt klopfte diese +an die Thür und rief:</p> + +<p>»Frau Gräfin, der Meister Spenker ist draußen +und wünscht die Frau Gräfin zu sprechen.«</p> + +<p>»Soll später wieder kommen,« lautete die Antwort +— »ich bin noch nicht fertig angezogen.«</p> + +<p>»Ach, machen Sie keine Umstände, Frau +Gräfin,« sagte der Bäckermeister, der die Antwort +gehört hatte — »ich habe meine Frau auch schon +oft im Negligé gesehen — bin ja ein verheiratheter +Mann und kann nicht so lang von zu Hause fort +bleiben. Es giebt jetzt schmählich viel zu thun, +denn die vielen neuen Mäuler im Ort wollen +doch alle satt werden und Brod haben.«</p> + +<p>»Aber weshalb kommen Sie denn so früh — +ich <span class="wide">kann</span> jetzt nicht.«</p> + +<p>»Früh?« sagte der ehrliche Bäckermeister erstaunt, +der seit vier Uhr an der Arbeit war — +»es hat eben Elf geschlagen, und bei uns drüben +sagen wir nicht einmal mehr »guten <span class="wide">Morgen</span>« +— es wird gleich zu Mittag gegessen. Wenn Sie +aber wollen, kann ich Ihnen hier gleich durch die +Thür melden, was mich hergeführt — ich glaubte +nur, es wäre Ihnen angenehmer wenn ich Sie +<span class="wide">allein</span> spräche.«</p> + +<p>Es entstand eine kleine Pause und der Bäckermeister +lächelte leise vor sich hin — endlich sagte +die Gräfin von innen heraus:</p> + +<p>»Ich komme den Augenblick — gehen Sie in +das andere Zimmer.«</p> + +<p>»Sehr wohl, Frau Gräfin,« erwiederte der +Meister kopfnickend, und wußte auch ganz genau, +in welches, denn er hatte schon sehr viele derartige +Conferenzen mit der Dame gehabt. Er +brauchte indessen nicht sehr lange zu warten, denn +kaum zehn Minuten später ging die Thür auf +und Frau Gräfin Baulen, einen großen Shawl +umgeschlagen, trat herein und sagte eigentlich viel +freundlicher, als man nach der erzwungenen +Audienz hätte vermuthen sollen:</p> + +<p>»Guten Morgen, Meister! Was wünschen Sie?«</p> + +<p>»Guten Morgen, Frau Gräfin — Nichts, als +die alte Geschichte, die wir schon einige Mal verhandelt +haben; <span class="wide">Geld</span> — meine Miethe.«</p> + +<p>Die Gräfin warf ungeduldig den Kopf auf +die Seite.</p> + +<p>»Aber Sie wissen ja doch, daß meine Wechsel, +die ich jedenfalls mit dem nächsten Dampfer erwarte, +noch nicht angekommen sind — ich habe +Ihnen das schon das letzte Mal gesagt, als ich +das Vergnügen hatte Sie zu sehen.«</p> + +<p>»Bitte,« sagte der Mann — »ja, und das +vorletzte Mal auch, und das vorvorletzte, aber es +ist ein merkwürdiges Ding um einen Wechsel, der +nie ankommt, wenn er am Nothwendigsten gebraucht +wird.«</p> + +<p>»Und ist das etwa <span class="wide">meine</span> Schuld?« sagte die +Gräfin piquirt.</p> + +<p>»Glaube kaum,« lächelte der Bäckermeister — +»nur die Schuld der Leute, die eben keinen schicken +wollen.«</p> + +<p>»Aber sie <span class="wide">sind</span> abgeschickt,« rief die Gräfin +ungeduldig, »und können jetzt jede Stunde eintreffen. +Sie denken doch nicht etwa, daß ich +Ihnen eine Unwahrheit sagen werde?«</p> + +<p>»Nein,« sagte der Bäckermeister kopfschüttelnd +— »es wäre wenigstens nicht hübsch, aber damit +kommen wir nicht weiter. Das Kurze und Lange +von der Sache ist einfach <span class="wide">das,</span> daß ich nicht +länger auf die Wechsel warten kann, und es thut +mir leid Ihnen das sagen zu müssen, Frau +Gräfin. Ich bin nur ein Handwerker, und was +ich brauche, muß ich mir sauer genug verdienen; +außerdem habe ich Kinder die versorgt sein wollen, +und das kostet, wie Sie ebenfalls recht gut wissen, +viel Geld. Deshalb muß ich das Meinige zusammenhalten +— Sie sind eine zu vernünftige +Frau, um das nicht einzusehen, und ich kann die +Milreis nicht hundertweis ausstehen lassen.«</p> + +<p>»Aber, lieber Freund, »ich <span class="wide">kann</span> Sie ja doch +nicht eher zahlen, bis mein Wechsel kommt,« sagte +die Gräfin ungeduldig — »was hilft also all das +Reden? So nehmen Sie doch nur Vernunft an!«</p> + +<p>»Eben <span class="wide">weil</span> ich lieber auf die Vernunft +hören will, als viele Reden machen, bin ich heute +Morgen hergekommen,« sagte der Meister ruhig, +»und wollte Ihnen denn nur anzeigen, Frau +Gräfin, daß ich mein Geld in dieser Woche haben +<span class="wide">muß</span> und <span class="wide">will,</span> Wechsel oder keine Wechsel, die +mich eigentlich gar Nichts angehen. Ich werde +Sie nicht zu sehr drängen und gebe Ihnen noch +bis zum Samstag Zeit, das ist aber auch, das +schwöre ich Ihnen, der allerletzte Termin, den +Sie von mir herausdrücken können; denn die +Geschichte spielt jetzt fünfzehn Monate, und ich +will mich nicht länger zum … na, ich meine, ich +kann eben nicht länger warten.«</p> + +<p>»Ich will sehen was in meinen Kräften steht,« +sagte die Gräfin gleichgültig, und wie es schien, +mit dem Wunsche, das Gespräch abzubrechen — +»erzwingen läßt sich aber so etwas nicht.«</p> + +<p>»Oh, doch wohl,« <ins title="Original hat fragte">sagte</ins> Meister Spenker, den +die vornehme Gleichgültigkeit zu ärgern anfing — +»es läßt sich auch erzwingen, Frau Gräfin, wenn +es mir auch sehr leid thun sollte, etwas Derartiges +zu thun. Der ganze Ort ist jetzt voll Leute, die +Logis suchen, und eine solche Wohnung, wie das +Haus hier, mit Vergnügen noch höher als Sie +und gleich baar bezahlen würden; überall fragen +sie an, ob nichts Derartiges zu bekommen sei. +Außerdem haben Sie selber schon einen Aftermiether +in's Haus genommen, der <span class="wide">Sie</span> doch auch +bezahlt, und ich sehe gar nicht ein, weshalb ich das +nicht selber verdienen und sonst Nichts auf der +Welt davon haben soll, wie leere Versprechungen.«</p> + +<p>»Der Herr,« sagte die Gräfin doch etwas verlegen, +»ist — ein Verwandter von mir, und zahlt +mir also keine Miethe.«</p> + +<p>»Na, das geht mich Nichts an,« sagte der +Bäcker, »ob er <span class="wide">Ihnen</span> Etwas zahlt. Wenn er +bei <span class="wide">mir</span> wohnte, <span class="wide">würde</span> er zahlen. Also Nichts +für ungut, aber wenn ich bis Samstag mein Geld +nicht bekomme, so muß ich Sie, so leid mir das +thun sollte, auf die Straße setzen und mich an dem +schadlos halten, was Sie mir für meine zweihundert +Milreis an Pferden oder Möbeln zurücklassen +können.«</p> + +<p>»Herr Spenker,« rief die Gräfin auffahrend, +»eine solche Sprache verbitte ich mir! Wenn Sie +sich in Ihrem Rechte gekränkt glauben, so wenden +Sie sich an die Gerichte, und wir wollen dann +sehen, ob mir nicht jeder Kaufmann selbst bezeugen +muß, daß in einem solchen Winkel der Erde, wie +wir ihn hier bewohnen, die Ankunft eines Wechsels +verzögert werden kann — aber so lange Sie +in meiner Stube sind, vergessen Sie nicht die mir +schuldige Achtung.«</p> + +<p>»Ach was,« sagte der Mann mürrisch — »<span class="wide">Sie</span> +vergessen auch immer die mir schuldigen zweihundert +Milreis, und mit dem vornehm — aber wir +wollen uns nicht zanken,« brach er kurz ab, »deshalb +bin ich nicht hergekommen. Ich mag mit +keinem Menschen Streit haben, am wenigsten mit +meinen Miethsleuten — so weit's eben geht — +also nochmals, Nichts für ungut, Frau Gräfin, +und sorgen Sie dafür, daß wir die Sache am +Samstag in's Klare kriegen, sonst läßt sich's eben +nicht länger vermeiden und müßte Ihnen doch +fatal sein. Wünsche Ihnen einen recht angenehmen +Morgen« — und mit einer kurzen Verbeugung +und einer Schwenkung des rechten Armes drehte +er sich um und stieg langsam wieder die Treppe +hinunter.</p> + +<p>Die Gräfin hatte seinen Gruß sehr kalt erwiedert +und blieb, als er schon lange das Zimmer +verlassen, noch immer in finsterem Brüten auf +derselben Stelle stehen. Sie hatte die Arme gekreuzt +und starrte nieder vor sich auf den Boden, +als die eine Seitenthür aufging und Helene +eintrat.</p> + +<p>Sie ging still an der Mutter vorüber zu dem +nächsten Fenster, wo ein Buch lag, das sie nahm +und aufschlug — aber sie las nicht darin. Ihre +Blicke hafteten wohl auf dem Drucke, doch ihre +Gedanken schweiften zu anderen Scenen, als den +hier geschilderten. Endlich sagte sie leise:</p> + +<p>»Und was soll <span class="wide">nun</span> werden?«</p> + +<p>Die Mutter schrak ordentlich bei der Frage +empor, die nur das in Worten aussprach, worüber +sie selber eben erst nachgedacht.</p> + +<p>»Du hast gehört, was der Mensch sagte?« +fragte sie, ohne ihre Stellung zu verändern.</p> + +<p>»Ja.«</p> + +<p>»Alles?«</p> + +<p>»Jedes Wort — aber Dein Wechsel <span class="wide">muß</span> jetzt +kommen; der Dampfer ist schon seit vier Tagen +fällig und bleibt nur in seltenen Fällen über diese +Zeit.«</p> + +<p>»Und <span class="wide">wenn</span> er kommt?« erwiederte die Gräfin +mit einem bittern Lächeln, »was dann? Ja, ich +bin mit den wenigen Hundert Thalern im Stande, +unsere Hauptschulden zu decken, aber wovon weiter +leben? Helene, Helene, Dein starrer Sinn wird +uns noch theuer zu stehen kommen!«</p> + +<p>»<span class="wide">Mein</span> starrer Sinn?« fuhr die Tochter auf; +»etwa deshalb, weil ich nicht auf die Anträge jenes +schurkischen Portugiesen hören wollte, der mir seine +Hand anbot? Hast Du nicht jetzt selber den Beweis, +was für eine gemeine Creatur es war, wo +er die Frau des Schuhmachers entführte, als er +die Grafentochter nicht bekommen konnte? Der +Mensch war als ein Wüstling in der ganzen Stadt +bekannt und verachtet, und Du, Mutter, Du konntest +mir zu einer Verbindung mit ihm rathen, ja, +wirfst mir jetzt noch meinen Starrsinn vor!«</p> + +<p>Helene stand mit leuchtenden Augen ihrer +Mutter gegenüber und die Frau schlug fast scheu +den Blick vor ihr zu Boden.</p> + +<p>»Du denkst nur an Dich,« sagte sie aber trotzdem, +wenn auch nur mit halblauter Stimme — +»was aus Deiner Mutter wird, kümmert Dich +nicht.«</p> + +<p>»Und hab' ich den Vorwurf wirklich von Dir +verdient?« erwiederte Helene, und ein eigener +wehmüthiger Zug zuckte um ihre Lippen — »hab' +ich ihn auch da verdient, als ich des wackeren +Vollrath Bewerbung ausschlug, der mich mit einem +gebrochenen Herzen verließ und dessen ganze Liebe +ich besaß? Dachte ich auch da nur an mich, wo +ich im Stande war, mir eine bescheidene Heimath +zu gründen, aber Dich auch hätte hülflos zurücklassen +oder in Verhältnisse hineinziehen müssen, +von denen ich vorher wußte, daß Du Dich darin +unglücklich gefühlt und Vollrath unglücklich gemacht +hättest?«</p> + +<p>»Nein — nein — ich weiß, Du bist ein gutes, +vernünftiges Kind,« sagte die alte Gräfin, von +dem Vorwurfe getroffen — »ich war vielleicht zu +hart gegen Dich, aber — <span class="wide">sollte</span> die Zeit kommen, +wo Du Dich gut versorgen kannst, so bedenke auch, +daß Du — nicht zu lange damit säumen darfst. +Unsere Stellung hier wird mit jedem Monate unhaltbarer, +wenn nicht bald Etwas geschieht, der +Sache eine andere Wendung zu geben.«</p> + +<p>»Und was <span class="wide">könnte</span> geschehen?« sagte Helene, +und ein ganz eigenes wehes Gefühl beengte ihr +die Brust.</p> + +<p>»Ich habe doch jetzt Hoffnung,« sagte ihre +Mutter, »daß sich mein Plan noch wird realisiren +lassen.«</p> + +<p>»Du meinst mit der Cigarren-Fabrik?«</p> + +<p>»Ja.«</p> + +<p>»Und glaubst Du wirklich, daß Etwas dabei +gewonnen werden kann?«</p> + +<p>»Wenn es richtig angefaßt wird, gewiß.«</p> + +<p>»Aber wirst Du im Stande sein das zu thun? +Gehören nicht zu einem solchen Geschäfte praktische +Erfahrungen?«</p> + +<p>»Liebes Kind, glaubst Du nicht, daß ich mir +in meinem Leben Menschenkenntnisse genug gesammelt +habe, auch mit Menschen umzugehen?«</p> + +<p>»Aber das ist eine Sache, wo Du weniger +Menschen- wie <span class="wide">Waaren</span>kenntnisse brauchst, und +wie leicht kannst Du darin betrogen werden.«</p> + +<p>»Waarenkenntnisse, Du lieber Gott!« sagte +die Gräfin; »das Material ist so einfach, daß sich +das gewiß in wenigen Monaten vollständig erlernen +läßt. Aber weißt Du selber etwas Besseres?«</p> + +<p>»Ich? Du mein Himmel!« seufzte Helene — +»wie sollte <span class="wide">ich</span> Dir rathen können, der noch nie +verstattet wurde, in das praktische Leben der Menschen +einzugreifen, ja, sie nur bei demselben zu +beobachten? Lange schon hätte ich Unterricht im +Französischen und Englischen gegeben, um mich nur +in Etwas nützlich zu machen, aber selbst das hast +Du mir ja nicht einmal gestattet.«</p> + +<p>»Weil es sich mit unserer Stellung nicht verträgt,« +sagte die Gräfin finster — »mit welchem +Gesicht hätte ich nur dem Baron entgegentreten +können, wenn die »Comtesse« den Bäcker- oder +Schusterskindern da drüben Unterricht gegeben +hätte? — Das verstehst Du nicht, Kind.«</p> + +<p>»Und Cigarren machen für Bäcker und Schuster?« +sagte das junge Mädchen traurig.</p> + +<p>»Das ist etwas ganz Anderes, wir <span class="wide">lassen</span> sie +machen,« erwiederte die Gräfin rasch — »wir leiten +nur die Fabrikation, und wenn wir selber »zum +Spaße« dann und wann und auf unserer Stube +ebenfalls arbeiten, so ist das etwas ganz Anderes. +Auch Damen der höchsten Stände in Europa haben +zu ihrer Unterhaltung Handarbeiten betrieben, +Blumen, Pappsachen, Verzierungen auf Glas- und +Holzwaaren und tausend andere Dinge gemacht. +Wir hier brauchen solche Sachen nicht, und wenn +wir dafür Cigarren machen, kann Niemand etwas +Ungehöriges darin sehen. Selbst der Baron fand +das in der Ordnung.«</p> + +<p>»So hast Du schon mit ihm darüber gesprochen?«</p> + +<p>»Ja,« sagte die Gräfin nach einigem Zögern — +»vor mehreren Tagen kam einmal das Gespräch +darauf.«</p> + +<p>»Und wird er sich dabei betheiligen?« fragte +Helene schnell.</p> + +<p>»Nein,« erwiederte die Gräfin wieder zögernd; +»der Mann war stets zu unpraktisch. Er hat nicht +den geringsten Sinn für ein wirklich nutzbringendes +Unternehmen, und da ist es auch viel besser, +daß man gar nicht mit ihm beginnt; man hätte +sonst ewig nur Klagen und Vorwürfe zu hören.«</p> + +<p>»Und wer sonst — meinst Du — würde auf +einen solchen Plan eingehen?« fragte die Tochter +und sah ihre Mutter scharf dabei an.</p> + +<p>Die Gräfin hatte sich halb abgewendet und beschäftigte +sich an ihrem Nähtische damit, ein aufgerolltes +Knäuel schwarzer Seide wieder in Ordnung +zu bringen.</p> + +<p>»Ich glaube,« sagte sie, und wandte dabei den +Kopf lächelnd der Tochter zu — »der Himmel +selber hat uns einen Bundesgenossen gesandt, der +am Ende der rechte Mann dazu sein dürfte.«</p> + +<p>»Unser Gast?«</p> + +<p>»Derselbe. Er wünscht sehnlichst, wie er mir wieder +und wieder gesagt hat, irgend Etwas in Brasilien +zu beginnen, wodurch er nicht allein eine Beschäftigung +findet, sondern auch Geld verdienen kann, und ich +denke fast, daß mein Plan für alle Beide von +Nutzen sein könnte. Meinst Du nicht?«</p> + +<p>»Und glaubst Du wirklich, Mama, daß mit +dieser Arbeit etwas Ordentliches verdient werden +könnte? Ich kann es mir noch immer nicht +denken.«</p> + +<p>»Aber würde ich es denn sonst beginnen?«</p> + +<p>»Ich weiß nicht,« sagte Helene, »es ist mir +ein Gefühl, als ob wir der Sache keinen rechten +Ernst entgegen bringen könnten — als ob eigentlich +andere Kräfte dazu gehören müßten, etwas +Ähnliches zu beginnen.«</p> + +<p>»Aber ich begreife Dich gar nicht.«</p> + +<p>»Und wie wird sich Oskar hinein finden?«</p> + +<p>»Wie ihn die Nothwendigkeit zwingt,« sagte +die Gräfin entschieden. »Ich habe seinem Leichtsinn +jetzt lange genug nachgesehen, aber meine +Kräfte sind erschöpft. Ich bin nicht mehr im +Stande, sein müssiges Leben zu unterstützen, und +er <span class="wide">muß</span> eben arbeiten, wenn er existiren will. +Dafür sind wir nun einmal in Brasilien.«</p> + +<p>»Er wird schwer an eine regelmäßige Beschäftigung +zu gewöhnen sein,« seufzte Helene; »es ist +ihm zu viel die ganzen langen Jahre hindurch +nachgesehen worden.«</p> + +<p>»Das muß eben anders werden,« sagte die +Gräfin, »und ich habe die feste Hoffnung, daß er +das selber fühlt, indem er schon sein Reitpferd +verkauft hat. Das Geld dafür ist allerdings nur +ein sehr kleines Capital, aber es ist immer ein +Capital und kann auf weit nützlichere Weise verwandt +werden.«</p> + +<p>Ein lauter, jubelnder Ruf von der Straße aus +unterbrach sie hier, und als Beide an das Fenster +traten, sahen sie, wie Oskar eben einen sehr hübschen +Rappen, der unter ihm sprang und tanzte, +gerade vor dem Fenster parirte und ihn auf und +ab galoppiren ließ.</p> + +<p>»Da hast Du die Anlage des neuen Capitals,« +sagte Helene ruhig — »ich kenne das Pferd; es +hat früher dem Director gehört und ist von ihm +um 160 Milreis verkauft worden. Billiger hat +es Oskar auf keinen Fall bekommen, und wahrscheinlich +noch Sattel und Zaum besonders bezahlt. +Das sind die neuen Ersparnisse.«</p> + +<p>»Ich will doch nicht hoffen!« rief die Gräfin, +wirklich erschreckt. Oskar aber war indessen aus +dem Sattel gesprungen, hatte sein Pferd, das +noch ungeduldig den Boden scharrte, an den +Baum unten befestigt und kam jetzt mit flüchtigen +Sätzen die Treppe herauf und in's Zimmer.</p> + +<p>»Nun, wie gefällt Euch mein neues Pferd?« +rief er hier triumphirend aus — »nicht wahr, +das ist ein Prachtrappe? Jetzt, Helene, wollen +wir wieder einmal zusammen reiten, und Du sollst +sehen, wie ich Dir mit dem da unten davon laufe. +So wie Jeremias kommt, soll er Deinen Schimmel +satteln, und dann können wir's gleich versuchen.«</p> + +<p>»Und das Pferd hast Du <span class="wide">gekauft</span>?« fragte +die Mutter erschreckt.</p> + +<p>»Nun, glaubst Du, daß es mir Jemand <span class="wide">geschenkt</span> +hätte?« lachte Oskar — »aber es ist +spottbillig. Denke Dir, Helene, ich habe nur +sechszig Milreis mehr dafür gezahlt, wie ich für +meinen Braunen bekommen habe — sechszig Milreis +und Sattel und Zaum dazu, für das Prachtthier! +Es ist der beste Renner in der Colonie — +aber was habt Ihr denn nur um Gottes Willen? +Ihr steht ja Beide da, als ob irgend ein Unglück +geschehen wäre!«</p> + +<p>Die Gräfin hatte sich auf den nächsten Stuhl +gesetzt und seufzte tief auf, Helene aber sagte +ruhig:</p> + +<p>»Und wovon willst Du diese sechszig Milreis +bezahlen, wenn man fragen darf?</p> + +<p>»Fragen darf?« sagte Oskar trotzig — »fragen +darf man schon, aber wenn ich Dir nun antworte: +Was geht <span class="wide">Dich</span> das an?«</p> + +<p>»Und wenn <span class="wide">ich</span> Dich nun frage, mein Herr +Leichtfuß?« rief die Gräfin, indem sie mit zusammengezogenen +Brauen zu ihm aufsah; »ich +hoffe doch, daß <span class="wide">ich</span> wenigstens das Recht dazu +habe.«</p> + +<p>»Allerdings, Mama,« lachte Oskar, »denn Du +bist ja mein Cassirer — dann werde ich Dir also +einfach antworten, das macht Alles meine gütige +Mutter ab.«</p> + +<p>»Und darin könntest Du Dich dieses Mal verrechnet +haben!« rief die Gräfin rasch und ärgerlich; +»Deine Verschwendung geht in das Bodenlose, +und ich habe nicht länger Lust, mich Deinethalben +nur immer in neue Sorgen und Verlegenheiten +zu stürzen.«</p> + +<p>»Huih!« sagte Oskar, erstaunt von Mutter +zu Schwester und wieder zurücksehend — »da bin +ich ja, wie es scheint, zu sehr unrechter Zeit in +eine Familienberathung über Wirthschaftsangelegenheiten +hineingekommen, wo aller Wahrscheinlichkeit +nach ein neuer Hausplan entworfen wird. +Bitte tausendmal um Entschuldigung daß ich gestört +habe« — und seine Mütze aufgreifend, sprang +er, so rasch er gekommen, die Treppe wieder hinab, +machte unten sein Pferd los, setzte sich auf und +galoppirte im nächsten Momente wieder in voller +Flucht und was das Pferd laufen konnte, die +Straße hinab.</p> + +<p>»Das muß anders werden,« seufzte die Mutter, +»das muß anders werden oder der Junge richtet +uns vollständig zu Grunde!«</p> + +<p>»<span class="wide">Noch</span> vollständiger?« sagte Helene, und ein +bitteres Lächeln zuckte um ihre Lippen.</p> + +<p>»Die einzige Möglichkeit,« fuhr die Mutter +fort, »ist, ihn durch eine regelmäßige Beschäftigung +zu binden. Er soll und muß erst einmal +lernen, was es heißt sich sein Brod selber zu verdienen. +Hat er das, dann wird er auch das Geld +mehr zu Rathe halten — er wird geizig werden +und sparen — Du glaubst es nicht? Du sollst +sehen, ich bringe ihn noch dahin, daß er ein +Zwanzigerstück dreimal in der Hand herumdreht, +ehe er es ausgiebt.«</p> + +<p>»Und wann soll diese Arbeit beginnen?« fragte +Helene, die nur zu oft schon die guten Vorsätze +ihrer Mutter, was die Erziehung des Bruders +betraf, hatte anhören müssen und ihre vollkommene +Gehaltlosigkeit zur Genüge kannte.</p> + +<p>»Ich will heute noch mit Herrn von Pulteleben +sprechen,« sagte die Gräfin, selber gern bereit, +das trostlose Thema abzubrechen; »er hat mich +ja sogar dringend gebeten, ihm eine Anlage für +ein Capital zu rathen; ich bin es ihm sogar schuldig, +daß ich ihn von unserm Plan in Kenntniß +setze, und ich zweifle keinen Augenblick, er wird +mit Freuden zugreifen. Wäre er doch auch ein +Thor, wenn er es <span class="wide">nicht</span> thäte, denn nicht jedem +jungen Fremden wird eine solche Aussicht geboten, +wie er nur kaum das fremde Land betreten hat.«</p> + +<p>»Es ist gut,« seufzte Helene, »gehe nur um +Gottes willen sicher in der Ausführung, daß der +Fremde nicht später glauben könnte, Du habest +nur sein Geld zu Deinen Zwecken benutzt; es +wäre fürchterlich, wenn es fehl schlüge.«</p> + +<p>»Es schlägt <span class="wide">nicht</span> fehl, Helene, oder ich müßte +zum ersten Mal in meinem Leben in — doch es +ist nicht nöthig, Weiteres darüber voraus zu bereden. +Laß mich jetzt allein, mein Kind, ich werde +das Mädchen hinauf schicken und unsern Gast ersuchen +lassen, zu mir zu kommen. In einer Stunde +ist Alles abgemacht. Noch Eins,« fuhr sie fort, +als sich Helene schweigend wandte, um ihr eigenes +Zimmer aufzusuchen — »wer ist denn jener unverdrossene +Violinspieler, der Dir fast jeden Abend +ein kurzes Ständchen bringt?</p> + +<p>»Gott weiß es!« sagte Helene achselzuckend +— <span class="wide">»ich</span> wenigstens kenne ihn nicht. Er spielt übrigens +vortrefflich!«</p> + +<p>»Von den Neuangekommenen kann es Niemand +sein, denn wenn ich nicht irre, war er schon den +Abend vorher unter Deinem Fenster. Er muß +also jedenfalls in die Ansiedelung gehören.«</p> + +<p>»Möglich.«</p> + +<p>»Und hat Dir Niemand hier besondere Aufmerksamkeit +erwiesen?«</p> + +<p>»Niemand.«</p> + +<p>»Sonderbar — Oskar, der Übermuth, hat +sich neulich um den Garten geschlichen, um den +nächtlichen Musikanten zu entdecken, aber ich weiß +nicht, was ihm geschehen sein muß, denn er kam +ganz still wieder zurück und sagte, er hätte ihn +nicht gefunden, was eigentlich kaum möglich ist. +Diese Aufmerksamkeit fängt an, mir lästig zu +werden; ich werde sie mir nächstens einmal verbitten.«</p> + +<p>Helene antwortete nicht, sondern nahm ihr +Buch auf und schritt ihrem eigenen Zimmer zu.</p> +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<p> </p> + +<h3>FUSSNOTEN</h3> + +<p class="revind"><a name="fn1" id="fn1"></a><a href="#fn1r">1</a>: Chagra ist in Brasilien das Nämliche, was der +Landmann in Nordamerika unter dem Worte Farm versteht +— ein kleines »Landgut«, oder eine »Colonie«, ob es nun +eben erst unter den Waldbäumen begonnen ist, oder schon +seine weiten und bebauten Felder nach allen Seiten ausbreitet.</p> + +<p class="revind"><a name="fn2" id="fn2"></a><a href="#fn2r">2</a>: Eine Magistratsperson, die Polizeigewalt in den Colonien +hat.</p> +<p> </p> +<h4>Ende des ersten Bandes</h4> +<p> </p> +<h6>Druck von G. <span class="wide">Pätz</span> in Naumburg.</h6> + +<p> </p> +<hr class="narrow" /> +<p> </p> + +<table class="sm" border="0" style="background-color: #E6E6FA; margin: 0 auto" cellpadding="6" summary="NOTES"> +<tr> +<td colspan="2"> + <div class="center">TRANSCRIBER'S NOTE — ZUR KENNTNISNAHME</div> +</td> +</tr> +<tr> +<td valign="top"> +<p class="noindent" style="background-color: #E6E6FA"> +Contemporary spellings have generally been retained even +when inconsistent. A small number of obvious typographical errors have been +corrected; missing punctuation has been silently added.</p></td> + +<td valign="top"><p class="noindent" style="background-color: #E6E6FA"> +Zeitgenössische Schreibungen wurden generell beibehalten, +auch wenn gelegentlich mehrere Variaten auftauchen. +Einige wenige orthografische Fehler wurden korrigiert; +fehlende Zeichensetzung wurde ergänzt.</p></td></tr> +<tr> + <td class="w50" valign="top"><p class="noindent" style="background-color: #E6E6FA"> +The following additional changes have been made; they can be identified +in the body of the text by a grey dotted underline:<br /> +</p></td> + +<td valign="top"><p class="noindent" style="background-color: #E6E6FA"> +Die folgenden zusätzlichen Änderungen wurden vorgenommen +und sind im Text grau unterstrichelt:</p></td> +</tr> + +<tr> + <td class="w50" valign="top">sie möchten auch Hause kommen</td> + <td valign="top">sie möchten <i>nach</i> Hause kommen</td> + +</tr> +<tr> + <td class="w50" valign="top">griff dann das (…) Buch auf, und um sich zu zerstreuen</td> + <td valign="top">griff dann das (…) Buch auf, <i>um</i> sich zu zerstreuen</td> +</tr> +<tr> + <td valign="top">mitten unten ihnen </td> + <td valign="top">mitten <i>unter</i> ihnen </td> + +</tr> +<tr> + <td valign="top">auf die aus dem Herzen kommende Worte</td> + <td valign="top">auf die aus dem Herzen <i>kommenden</i> Worte</td> +</tr> +<tr> + <td valign="top">wir haben mit kei- Seele gesprochen</td> + <td valign="top">wir haben mit <i>keiner</i> Seele gesprochen</td> +</tr> + <tr> + <td valign="top">tief in in die seinigen</td> + <td valign="top">tief <i>in</i> die seinigen</td> +</tr> + <tr> + <td valign="top">wurde (…) ein Mann und eine Frau (…) geschüttelt</td> + <td valign="top"><i>wurden</i> (…) ein Mann und eine Frau (…) geschüttelt</td> +</tr> + <tr> + <td valign="top">nur von weit herüber schallten (…) die munteren Töne der +Violinen und Trompeten herüber</td> + <td valign="top">nur von weit herüber schallten (…) die munteren Töne der +Violinen und Trompeten</td> +</tr> + <tr> + <td valign="top">»Oh, doch wohl,« fragte Meister Spenker</td> + <td valign="top">»Oh, doch wohl,« <i>sagte</i> Meister Spenker</td> +</tr> +</table> + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of Project Gutenberg's Die Colonie. Erster Band., by Friedrich Gerstäcker + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE COLONIE. ERSTER BAND. *** + +***** This file should be named 30631-h.htm or 30631-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/3/0/6/3/30631/ + +Produced by richyfourtytwo, Delphine Lettau and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose +such as creation of derivative works, reports, performances and +research. They may be modified and printed and given away--you may do +practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is +subject to the trademark license, especially commercial +redistribution. + + + +*** START: FULL LICENSE *** + +THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE +PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK + +To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free +distribution of electronic works, by using or distributing this work +(or any other work associated in any way with the phrase "Project +Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project +Gutenberg-tm License (available with this file or online at +https://gutenberg.org/license). + + +Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm +electronic works + +1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm +electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to +and accept all the terms of this license and intellectual property +(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all +the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy +all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. +If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project +Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the +terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or +entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. + +1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be +used on or associated in any way with an electronic work by people who +agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few +things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works +even without complying with the full terms of this agreement. See +paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project +Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement +and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic +works. See paragraph 1.E below. + +1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" +or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project +Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the +collection are in the public domain in the United States. If an +individual work is in the public domain in the United States and you are +located in the United States, we do not claim a right to prevent you from +copying, distributing, performing, displaying or creating derivative +works based on the work as long as all references to Project Gutenberg +are removed. Of course, we hope that you will support the Project +Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by +freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of +this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with +the work. You can easily comply with the terms of this agreement by +keeping this work in the same format with its attached full Project +Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. + +1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern +what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in +a constant state of change. If you are outside the United States, check +the laws of your country in addition to the terms of this agreement +before downloading, copying, displaying, performing, distributing or +creating derivative works based on this work or any other Project +Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning +the copyright status of any work in any country outside the United +States. + +1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: + +1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate +access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently +whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the +phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project +Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, +copied or distributed: + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + +1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived +from the public domain (does not contain a notice indicating that it is +posted with permission of the copyright holder), the work can be copied +and distributed to anyone in the United States without paying any fees +or charges. If you are redistributing or providing access to a work +with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the +work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 +through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the +Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or +1.E.9. + +1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted +with the permission of the copyright holder, your use and distribution +must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional +terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked +to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the +permission of the copyright holder found at the beginning of this work. + +1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm +License terms from this work, or any files containing a part of this +work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. + +1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this +electronic work, or any part of this electronic work, without +prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with +active links or immediate access to the full terms of the Project +Gutenberg-tm License. + +1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, +compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any +word processing or hypertext form. However, if you provide access to or +distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than +"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version +posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), +you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a +copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon +request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other +form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm +License as specified in paragraph 1.E.1. + +1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, +performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works +unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. + +1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing +access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided +that + +- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from + the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method + you already use to calculate your applicable taxes. The fee is + owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he + has agreed to donate royalties under this paragraph to the + Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments + must be paid within 60 days following each date on which you + prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax + returns. Royalty payments should be clearly marked as such and + sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the + address specified in Section 4, "Information about donations to + the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." + +- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies + you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he + does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm + License. You must require such a user to return or + destroy all copies of the works possessed in a physical medium + and discontinue all use of and all access to other copies of + Project Gutenberg-tm works. + +- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any + money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the + electronic work is discovered and reported to you within 90 days + of receipt of the work. + +- You comply with all other terms of this agreement for free + distribution of Project Gutenberg-tm works. + +1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm +electronic work or group of works on different terms than are set +forth in this agreement, you must obtain permission in writing from +both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael +Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the +Foundation as set forth in Section 3 below. + +1.F. + +1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable +effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread +public domain works in creating the Project Gutenberg-tm +collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic +works, and the medium on which they may be stored, may contain +"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or +corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual +property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a +computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by +your equipment. + +1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right +of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project +Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project +Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all +liability to you for damages, costs and expenses, including legal +fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT +LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE +PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE +TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE +LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR +INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH +DAMAGE. + +1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a +defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can +receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a +written explanation to the person you received the work from. If you +received the work on a physical medium, you must return the medium with +your written explanation. The person or entity that provided you with +the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a +refund. If you received the work electronically, the person or entity +providing it to you may choose to give you a second opportunity to +receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy +is also defective, you may demand a refund in writing without further +opportunities to fix the problem. + +1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth +in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER +WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO +WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. + +1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied +warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. +If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the +law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be +interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by +the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any +provision of this agreement shall not void the remaining provisions. + +1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the +trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone +providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance +with this agreement, and any volunteers associated with the production, +promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, +harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, +that arise directly or indirectly from any of the following which you do +or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm +work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any +Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. + + +Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm + +Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of +electronic works in formats readable by the widest variety of computers +including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at https://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact +information can be found at the Foundation's web site and official +page at https://pglaf.org + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. Compliance requirements are not uniform and it takes a +considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up +with these requirements. We do not solicit donations in locations +where we have not received written confirmation of compliance. To +SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any +particular state visit https://pglaf.org + +While we cannot and do not solicit contributions from states where we +have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition +against accepting unsolicited donations from donors in such states who +approach us with offers to donate. + +International donations are gratefully accepted, but we cannot make +any statements concerning tax treatment of donations received from +outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. + +Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation +methods and addresses. Donations are accepted in a number of other +ways including including checks, online payments and credit card +donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate + + +Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic +works. + +Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. + + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + https://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + +</pre> + +</body> +</html> diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..82c16a5 --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #30631 (https://www.gutenberg.org/ebooks/30631) |
